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Full text of "Berliner Klinische Wochenschrift 1913 50 Teil 1"

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Dl« Berliner Klinische Wochenschrift erscheint Jeden 
Montan in Nummern von es. 5—6 Bogen gr. 4. — 
Preis vierteljährlich 6 Mark. Bestellungen nehmen 
alle Buchhandlungen und Postanstalten an. 


BERLINER 


Alle Einsendungen fBr die Redaktion nnd Expedition 
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung 
August tUcsekwaUi in*Berlin NW.^ IJmSr'ileu 
t Äe. 65 b, ^droselerön: 



Organ für praktische Aerzte. 


Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 


Redaktion: 

Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posncr und Dr. Hans Kolm. 


Expedition: 

August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin. 


Montag, den 6. Januar 1913. J»S1. 


Fünfzigster Jahrgang. 


I N H 

Originalien: Heffter: Die Grundlagen der Arzneibehandlung. (Jubi¬ 
läumsartikel.) S. 1. 

Ewald: Die Therapie der Darmkrankheiten in den letzten 50 Jahren. 

(Eine Jubiläumsbetrachtung.) S. 3. 

Küttner: Ueber circumscripte Tumorbildung durch abdominale 
Fettnekrose und subcutane Fettspaltung. (Aus der Königl. chir¬ 
urgischen Klinik zu Breslau.) (Ulustr.) S. 9. 

Ehr mann: Ueber das Coma diabeticum. (Aus dem medizinisch¬ 
poliklinischen Institut der Universität Berlin.) S. 11. 

Blüh dorn: Die Therapie sogenannter unstillbarer Blutungen im 
Säuglingsalter. (Aus der Universitätskinderklinik in Göttingen.) 
S. 14. 

Bernhardt und Ornstein: Ueber Variabilität pathogener Mikro¬ 
organismen. (Aus dem Institut für Infektionskrankheiten „Robert 
Koch“.) S. 16. 

Hanauer: Neuere Arbeiten über Säuglingssterblichkeit. (Sammel¬ 
referat.) S. 19. 

Praktische Ergebnisse. Gerichtliche Medizin. Mari: Zur Lehre 
von den Erstickungsblutungen. S. 24. 

Bücherbesprechungen: Schmidt: Klinik der Darmkrankheiten. S. 27. 
(Ref. Ewald.) — Hohmeyer: Die Anwendungsweise der Lokal¬ 
anästhesie in der Chirurgie. S. 27. (Ref. Borchardt.) — Ti 11 man ns: 
Lehrbuch der allgemeinen Chirurgie. S. 27. Leier: Lehrbuch der 
allgemeinen Chirurgie. S. 27. (Ref. Adler.) — Hartmann: Travaui 
de Chirurgie anatomo-clinique. S. 27. (Ref. Posner.) — Doederlein: 
Leitfaden für den geburtshilflichen Operationskurs. S. 28. Martin: 
Der Haftapparat der weiblichen Genitalien. S. 28. Hamm: Die 
puerperale Wundinfektion. S. 28. (Ref. Schaeffer.) — Römer: 
Lehrbuch der Augenheilkunde in der Form klinischer Besprechungen. 
S. 28. (Ref. Seefelder.) — Kratter: Lehrbuch der gerichtlichen 
Medizin. S. 29. (Ref. Man.) — Riegler: Landkolonien für Unfall- 


ALT. 

verletzte und Invalide und ihre innere Organisation. S. 29. Rumpf: 
Arzt und R.V.O. (Der Arzt und die deutsche Reichsversicherungs¬ 
ordnung). S. 29. (Ref. Mugdan.) — Leuchtenberger: Alt¬ 
klassisches Viaticum aus Horaz, Sophokles und Homer. S. 29. (Ref. 
Posner.) — Matthias: Wie werden wir Kinder des Glücks? S. 29. 
(Ref. H. Kohn.) 

Literatur-Auszüge: Anatomie. S. 30. — Physiologie. S. 30. — Pharmako¬ 
logie. S. 31. — Therapie. S. 31. — Allgemeine Pathologie und 
pathologische Anatomie. S. 32. — Diagnostik. S. 33. — Parasiten¬ 
kunde und Serologie. S. 33. — Innere Medizin. S. 33. — Psychiatrie 
und Nervenkrankheiten. S. 35. — Kinderheilkunde. S. 36. — 
Chirurgie. S. 37. — Röntgenologie. S. 37. — Haut- und Geschlechts¬ 
krankheiten. S. 38. — Geburtshilfe und Gynäkologie. S. 38. — 
Augenheilkunde. S. 38. — Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 
S. 39. — Hygiene und Sanitätswesen. S. 40. — Unfallheilkunde und 
Versicherungswesen. S. 40. — Technik. S. 40. 

Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften: Gesellschaft für soziale 
Medizin, Hygiene und Medizinalstatistik zu Berlin. S. 40. 
— Berliner ophthalraologische Gesellschaft. S. 41. — 
Verein für wissenschaftliche Heilkunde zu Königsberg 
i.Pr. S.41.— Naturwissenschaftlich-medizinische Gesell¬ 
schaft zu Jena. S.41. — Naturhistorisch-medizinischer 
Verein zu Heidelberg. S. 42. — Gesellschaft für Morpho¬ 
logie und Physiologie zu München. S. 42. — Medizinische 
Gesellschaft zu Basel. S. 43. — Aus Pariser medizinischen 
Gesellschaften. S. 43. 

Vollmann: Sozialärztliche Jahresschau. S. 44. 

Viennensis: Wiener Brief. S. 45. 

Tagesgeschichtliche Notizen. S. 46. 

Amtliche Mitteilungen. S. 47. 

Zum 50. Jahrgang. An unsere Leser. S. 48. 


Die Grundlagen der Arzneibehandlung. 

Jubiläumsartikel. 

Von 

A. Heffter. 


Die Ansichten über die Anwendung von Arzneien zur Hinderung 
und Heilung von Krankheiten haben ira Laufe des verflossenen 
Jahrhunderts grosse Wandlungen erfahren, noch grössere die Vor¬ 
stellungen von ihrem Wirkungsmechanismus. 

Der Begründer und langjährige Redakteur dieser Wochen¬ 
schrift, die mit diesem Jahre in ihr 50. Lebensjahr tritt, Louis 
Posner, hat der Arzneibehandlung stets eine ganz besondere 
Vorliebe gewidmet. Von ihr gibt sowohl das mit Simon 1855 
herausgegebene „Handbuch der allgemeinen und speziellen Arznei-. 
verordnuugslehre“ Kunde, als auch besonders ein seiner Feder 
entstammendes „Handbuch der klinischen Arzneimittellehre“. Dies 
ira Jahre 1866, also vor etwa 50 Jahren erschienene Werk kann 
als Maassstab dafür dienen, wie sich unsere Vorstellungen und 
Kenntnisse von den Wirkungen der Arzneimittel bei Krankheiten 
in diesem Zeitraum geändert und vertieft haben. 

Als L. Posner seine eigenen, nicht geringen Erfahrungen 
in der Arzneibehandlung zusammen fasste, war die Herrschaft des 
therapeutischen Nihilismus gerade überwunden, dessen Wesen er 
recht witzig damit kennzeichnet, dass man „den Zwischenraum ! 


zwischen Diagnose und Sektion mit Mixtura gummosa ausfüllte“. 
Was damals an wissenschaftlich erworbenem und festgestelltem 
Material über die Wirkung der Arzneimittel vorlag, war äusserst 
beschränkt, und man darf Posner nur beistimmen, wenn er die 
Geburtsstätte der modernen Heilmittellehre nicht allein im physio¬ 
logischen Laboratorium erblickte (pharmakologische Institute gab 
es in Deutschland nicht), sondern vor allem die mit strengster 
Kritik verwerteten ärztlichen Erfahrungen am Krankenbette als 
wesentliches Baumaterial ansah. Denn auch heute noch, zu einer 
Zeit, in der die Theorie der Arzneimittelwirkung auf einer viel 
breiteren experimentellen Grundlage aufgebaut ist, dürfen wir die 
erfolgreiche Anwendung eines Heilmittels in einem gegebenen 
Kranheitsfall nicht allein aus pharmakologischeu Versuchen ab¬ 
leiten. Wenn wir auch allmählich lernen, im biologischen Ex¬ 
periment die zahlreichen Bedingungen zu erkennen und zu be¬ 
herrschen, so sind die Schwierigkeiten, die sich der Deutung der 
pharmako-therapeutischen Erfolge beim Menschen entgegenstellen, 
unendlich viel grösser. 

Bei allen Krankheiten handelt es sich um Störungen des 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


vj. C jö 


Nr. 1. 


'npfj^älen : 'Aijfaitfs 'Jihy&iflJcMtecijer Prozesse. Aber nicht jede 
/Störung /öhtt^zur.ltiicänic^ng]. Unser Organismus besitzt eine 
Art Anpassung, .Äinß # Menge von Regulationseinrichtnngen, durch 
die r r er, jDi;fsi|igt isj; gestörte Funktionen wieder herzustellen oder 
duiVn änderte zu örVetzen, Gifte und Krankheitserreger unschädlich 
sfu äijäfchän.fErSt tfer&i diese unzählbaren Regulierungsvorgänge, die 
män/sfl? bezeichnet hat, sich als machtlos erweisen, 

sprechen wir von Erkraukung, und je schwerer die Störung, je unvoll¬ 
kommener die Regulation ist, um so schwerer erscheint die Krankheit. 

Dieser Störung entgegenzuarbeiten, das Heilbestreben des 
Organismus zu unterstützen, das ist der Zweck, den wir mit der 
Anwendung der Arzneimittel verfolgen. Je mehr wir Einsicht 
gewinnen in die den erwähnten Regulationen zugrunde liegenden 
chemischen und physikalischen Prozesse, je tiefer wir in die Er¬ 
kenntnis der feinsten durch die Arzneimittel ira Organismus be¬ 
wirkten Veränderungen eindringen, um so sicherer und zielbewusster 
wird sich die Arzneibehandlung gestalten. 

Die Anwendung der Arzneimittel lässt sich von zwei Gesichts¬ 
punkten betrachten. 

Ein Ziel, dessen Erreichung in allen Perioden der Heilkunst 
mit heissem Verlangen erstrebt wird, ist das Suchen nach „spezi- 
fischen M Arzneien. Ihm entsprang die Goldtinktur der Alchimisten, 
ihm verdanken die Arcana des Paracelsus ihr Dasein. Heute ist 
für jene mystischen Bestrebungen ein fester Boden gewonnen 
worden. In dem Maasse, als die praktische Medizin in die Er¬ 
kenntnis der Krankheitsursachen eingedrungen ist, ist die geträumte 
Kausaltherapie zur Wirklichkeit geworden. Bei dieser Art der 
Arzneibehandlung bandelt es sich umdie Entfernungoder Vernichtung 
oder Bindung von belebten oder unbelebten Krankheitsursachen. 

Führen wir Gifte, die von aussen in den Körper gelangt sind, 
in unschädliche Verbindungen über, behandeln wir also z. B. 
einen mit Kleesalz vergifteten Menschen mit Calciumsalzen, eine 
Bariumvergiftung mit Sulfaten, so treiben wir kausale Therapie, 
ebenso wenn die durch abnorme Stoffwechselvorgänge im Organis¬ 
mus entstandenen Gifte durch Arzneimittel unschädlich gemacht 
werden. Beim schweren Diabetes mellitus bilden sich reichliche 
Mengen von Säuren, wodurch die Alkaleszenz des Blutes stark 
vermindert werden kann, so dass die gleichen Symptome ent¬ 
stehen, die man experimentell durch Säurevergiftung am Tier 
erzeugen kann. Die Zuführung von Alkalien kann, namentlich 
wenn sie prophylaktisch stattfindet, von lebensrettender Wirkung 
sein. Hier handelt es sich um die Unterstützung des dem 
Organismus innewohnenden Entgiftungsvermögens, sich durch 
Ammoniakbildung vor der drohenden Säurevergiftung zu schützen. 

Wesentliche Anregungen und verheissungsvolle Ausblicke 
erhielt die kausale Therapie durch die grossen Entdeckungen 
Lister’s und Robert Koch’s. Sie brachten uns die Kenntnis 
einer grossen Gruppe von Heilmitteln, die auf die krankheits¬ 
erregenden Bakterien entwicklungshemmend oder vernichtend 
wirken, der Antiseptica. So erfolgreich sich nun auch die thera¬ 
peutische Anwendung der antiseptischen Mittel gestaltet hat, 
wenn es sich darum handelte, die Krankheitserreger an der Ober¬ 
fläche des Organismus, in Wunden oder auf der Haut zu ver¬ 
nichten, um so weniger gelang es, die in den Geweben und im 
Blute hausenden Lebewesen zu vernichten. Die so heiss erstrebte 
innere Desinfektion scheiterte an der schweren Ailgemein- 
giftigkeit der antiseptischen Stoffe. Zwar wiesen die langjährigen 
Erfahrungen mit dem einem südamerikanischen Volksheilmittel 
entstammenden Chinin auf die Möglichkeit hin, ohne Schädigung 
des Patienten die krankheitserregenden Parasiten abzutöten oder 
doch wenigstens so zu verändern, dass das Heilbestreben des 
Organismus ihrer Herr werden kann. Der aus dieser Erfahrung 
gezogene Fehlschluss, in den Fiebermitteln überhaupt kausale 
Mittel, Heilmittel gegen Infektionskrankheiten zu besitzen, hat 
uns wenigstens in der Salicylsäure ein Heilmittel verschafft, das 
bei Gelenkrheumatismus möglicherweise auf den uns noch un¬ 
bekannten Krankheitserreger einwirkt. 

Aus dieser Zeit, in der man mit den allgemein antiseptisch 
wirkenden Mitteln Infektionen zu bekämpfen versuchte, rührt die 
heutzutage fast wieder verlassene Kreosotbehandlung der Lungen¬ 
tuberkulose her. 

Durch die genauere Erforschung der Chininwirkung bei 
Malaria kam man zu der Erkenntnis, dass gewisse Krankheits¬ 
erreger, die zu den Protozoen gehören, gegenüber eingeführten 
Arzneimitteln empfindlicher sind, als die Zellen des Organismus, 
der sie beherbergt. Es bandelt sich also nur darum, derartige 
Mittel aufzufinden, die trotz starker Giftwirkung auf den Krank¬ 
heitserreger in der zu Lähmung oder Vernichtung nötigen Kon¬ 


zentration für den Patienten unschädlich sind. Bekanntlich ist es 
das grosse Verdienst Ehrl ich’s, durch zielbewusste, systematische 
Untersuchungen in einer Anzahl organischer Arsenverbindungen 
Mittel gefunden zu haben, die .sich im Tierversuch als sehr wirksam 
gegen Trypanosomen, Spirillen und Spirochäten erwiesen haben. 

Freilich hat die Anwendung beim Menschen noch nicht die 
günstigen Erfolge zu verzeichnen gehabt, wie sie das Experiment 
liefert. Das Atoxyl zeigt sich nicht ganz so wirkungslos auf den 
menschlichen Organismus wie auf den der Tiere, und das Sal- 
varsan ist nicht imstande, mit der gleichen Sicherheit die Spiro- 
chaete pallida im menschlichen Körper zu vernichten, wie sie es 
beim Kaninchen tut, so dass vorläufig das seit Jahrhunderten als 
Spezifikum geltende Quecksilber bei der Syphilisbehandlung durch¬ 
aus noch nicht überflüssig geworden ist. 

Zu den kausalen Behandlungsmethoden, die darauf hinzielen, 
die Heilkraft des Körpers nackzuahmen und zu unterstützen, ge¬ 
hört die Anwendung der Heilsera, auf die hier nur hingewiesen 
werden soll. Die Serumtherapie beruht, wie uns Behring’s 
Entdeckung gelehrt hat, auf der Uebertragung von Schutzstoffen 
(Antitoxinen), die sich durch allmähliche Vergiftung im tierischen 
Organismus im Ueberschuss gebildet haben, auf den Menschen. 
Dass ihre entgiftende Wirkung sich mehr bei prophylaktischer 
Anwendung(besonders beimTetanusheilserum) bewährt als im streng 
heilenden Sinne, ist darin begründet, dass das bereits in die Nerven¬ 
zellen aufgenommene Gift den Antitoxinen nicht mehr erreichbar ist. 

Schliesslich dürfen wir als kausale Therapie jene Fälle 
von Arzneibehandlung betrachten, in denen wir Krankbeils¬ 
erscheinungen, die infolge angeborenen oder erworbenen Fehlens 
oder Erkrankung eines Organs entstanden sind, dadurch zu 
heilen versuchen, dass wir durch Darreichung desselben Organ¬ 
präparats die Ausfallserscheinungen zu beseitigen suchen. Diese 
sogenannte Organtherapie ist bisher nur für ein einziges Organ 
praktisch bewährt und wissenschaftlich begründet, die Thyreoidea, 
so dass Schilddrüsenpräparate als spezifisches Mittel gegen Myx¬ 
ödem und sporadischen Kretinismus angesehen werden müssen. 
Dagegen erscheint die therapeutische Anwendung der aus anderen 
Organen hergestellten Präparate in dem weiten Umfange, wie sie 
heute angepriesen und benutzt werden, noch recht mangelhaft 
begründet und unsicher im Erfolg. Bei dem allergrössten Teil 
dieser Präparate handelt es sich um kritiklose Quacksalbereien. 

Den Mitteln, die der Bekämpfung der Krankheitsursache 
dienen und die man deswegen auch als ätiotrope Heilmittel 
bezeichnet hat, steht als eine andere, nicht weniger bedeutsame 
Gruppe von Heilmitteln jene gegenüber, die auf die krankhaft 
veränderten Organfunktionen einzuwirken und sie der Norm wieder 
näherzubringen vermögen. So können wir z. B. die bei Phthisikern 
übermässig gesteigerte Sekretion der Schweissdrüsen durch kleine 
Atropindosen mässigen oder den pathologisch erhöhten Druck bei 
Glaukom durch Physostigmin herabsetzen oder den atoniseben 
Uterus post partum durch Adrenalininjektionen zur energischen 
Kontraktion anregen. Man kann diese Gruppe von Mitteln als 
funktionelle oder besser organotrope bezeichnen. 

Diese Methode der Arzneibehandlung ist viel schwieriger, 
denn sie setzt zunächst das Erkennen und die Analyse aller bei 
dem Kranken vorhandenen Störungen voraus, um daraus, soweit 
möglich, auf das Organ und die Art der Störung seiner Funktion 
zn schliessen. Sodann ist erforderlich, dass der Arzt die Wir¬ 
kungen und die Angriffspunkte der Arzneimittel kennt. Die 
experimentelle pharmakologische Forschung hat in der verhältnis¬ 
mässig kurzen Zeit ihres Bestehens — wenn man von verein¬ 
zelten Vorläufern absieht, ist sie nicht viel älter als diese Wochen¬ 
schrift — es als ihre Hauptaufgabe betrachtet, die verschiedenen 
Organsysteme aufzusuchen, auf die sich die Wirkungen der 
Arzneimittel beziehen, also um mit Hans H. Meyer 1 ) zu reden, 
pharmakologische Topographie zu treiben. Diese Aufgabe, 
deren Lösung ursprünglich als verhältnismässig leicht erschien, 
insofern man annehmen durfte, dass etwa Gefässgifte auf alle 
Gefässgebiete des Organismus gleichartig kontrahierend oder 
dilatierend wirkten, oder dass andere Gifte die gesamte Skelett- 
muskulatnr in gleicher Weise beeinflussten, hat sich im Laufe 
der Jahre als immer schwieriger erwiesen. Es ergab sich, dass 
erhebliche Unterschiede in der Empfindlichkeit und der Reaktion 
gleichartig arbeitender Zellgebilde bestehen. So wissen wir z. B. 
vom Coffein, dass es zwar das vom Splanchnicus innervierte Ge- 
fässgebiet verengt, aber die Gefässe des Gehirns, der Niere und 
die Coronararterien erweitert. 


1) Wiener klin. Wochenschr., 1905, Nr. 22. 


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6. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


3 


Während nach dieser Richtung der pharmakologischen For¬ 
schung noch recht viel zu tun übrigbleibt, ist die Frage, wie die 
Arzneimittel die Funktion der Organe beeinflussen*' leichter zu 
beantworten: Hier handelt^ es sich nicht um qualitative Umände¬ 
rungen der Organleistungen, sondern nur um Abweichungen im 
Sinne von Plus oder Minus, also um Verstärkung oder Schwächung 
der physiologischen Tätigkeit. 

Unsere Erkenntnis und Analyse der Wirkungen der Arznei¬ 
mittel gründet sich, abgesehen von den rein ätiotropen Arznei¬ 
mitteln -im wesentlichen auf den Tierversuch, und dieser Umstand 
hat häufig den Praktikern Veranlassung gegeben, abschätzig über 
die Ergebnisse dieser Versuche zu urteilen und sie gegenüber den 
therapeutischen Erfahrungen am Patienten für ziemlich wertlos 
zu erklären. Man hält den Pharmakologen entgegen, dass die 
am gesunden Tier beobachteten Tatsachen nicht ohne weiteres 
auf den Menschen übertragen werden dürfen. Man trägt aber 
andererseits kein Bedenken, die wesentlich auch am Tier ge¬ 
wonnenen Ergebnisse der experimentellen Physiologie und neuer¬ 
dings auch der experimentellen Pathologie für die Erkenntnis der 
im menschlichen Organismus sich abspielenden Vorgänge in An¬ 
spruch zu nehmen. So dürfen wir auch mit demselben Recht die 
am Tier festgestellten pharmakologischen Wirkungen auf den 
Menschen übertragen. Wer wollte leugnen, dass Abweichungen 
der Wirkung sich zeigen, namentlich beim kranken Menschen, 
aber diese Unterschiede sind ganz wesentlich nur quantitativer 
Natur, bedingt durch die grössere oder geringere Erregbarkeit der 
Organsysteme, Abweichungen, wie sie die Erfahrungen der heute 
so hoch im Ansehen stehenden Vertreter der Chemotherapie, z. B. 
beim Atoxyl, ebenfalls erleben mussten. 

Gewiss, der therapeutische Erfolg am Krankenbette muss das 
letzte Wort sprechen hinsichtlich der praktischen Brauchbarkeit 
eines Arzneimittels. Aber man darf, wenn die Ergebnisse des 
Tierversuchs sich mit der Arzneiwirkung am kranken Menschen 
nicht decken, nicht sofort die ersteren für wertlos halten. Auch 


die Beobachtung am Krankenbett hat nicht selten zu Irrtümern 
geführt, denn die Bedingungen sind verwickelter, daher viel 
schwerer zu übersehen und weniger leicht objektiv zu beurteilen. 
Das lehren ja hinreichend die meisten der über neue Arzneimittel 
mitgeteilten Erfahrungen. 

Bei der praktischen Anwendung der organotropen Mittel darf 
nicht überseheu werden, dass die erkrankten Organe nicht selten 
gegenüber den pharmakologischen Agentien eine grössere 
Reaktionsfähigkeit zeigen als die gesunden Gewebe. Das ergibt 
sich z. B. aus der leichten Beeinflussbarkeit des pathologisch er¬ 
regten Wärmecentrums durch antipyretische Mittel. Eine beim 
Gesunden ganz wirkungslose Gabe Antipyrin bewirkt beim 
Fiebernden ein deutliches Fallen der Temperatur. Auch diese 
Tatsache darf bei der Arzneibehandlung nicht ausser acht gelassen 
werden, da es ja'nicht bloss auf die Art, sondern auch auf den 
Grad und die Dauer der Wirkung ankommt. In dieser Hinsicht 
erscheint die Notwendigkeit einer individualisierenden Arznei¬ 
behandlung insofern ganz besonders wichtig, als eben die ver¬ 
schiedene Empfindlichkeit gegenüber den Arzneimitteln besondere 
Berücksichtigung fordert. Auf das „Individualisieren“ haben ältere 
Kliniker auf Grund ihrer reichen Erfahrung und Uebung einen 
besonderen Wert gelegt. Das bezieht sich picht bloss auf die 
Art des zu wählenden Heilmittels, sondern vor allem auch auf 
die sorgfältige Abstufung der zu verabreichenden Dosis. Wenn 
eine bestimmte Menge eines Mittels sich als wirkungslos erweist, ist 
durchaus nicht immer ratsam, eine grössere Gabe zu verabfolgen, 
sondern man wird unter Umständen mit besserem Erfolg die Gabe 
verkleinern. Es sei hier nur an die Wirkungen verschiedener 
Mengen bei Adrenalin, Atropin und Digitalis erinnert. 

Diese ärztliche Kunst individueller Dosierung findet, wie mir 
scheinen will, heutzutage nicht mehr die genügende Beachtung. 
Kein Wunder freilich in einer Zeit, da die Abmessung der Arznei¬ 
dosen mehr von den chemischen Fabriken als auf den ärztlichen 
Rezepten vorgenommen wird. 


Die Therapie der Darmkrankheiten in den letzten 50 Jahren. 

Eine Jubiläumsbetrachtung. 

Von 

C. A. Ewald, 


Wenn ich als erster der Praktiker, die in diesen Jubiläums¬ 
aufsätzen über therapeutische Fragen gehört werden sollen, zu 
Worte komme, so verdanke ich es dem Umstand, dass ich selbst 
mehr wie die Hälfte der verflossenen 50 Jahre an der Spitze 
dieser Wochenschrift gestanden habe. So möchte ich der 
„Klinischen“ zuförderst wünschen, dass sie so wie mich und meine 
Vorgänger noch viele andere „Redakteure“ überdauern und in 
moltos annos wie bisher fortfahren möge, der Wissenschaft, der 
Praxis und den wahren Interessen der Aerzte gleicbmässig zu dienen. 
_ Im folgenden sei versucht, einen Rückblick über die Beband- 

o lung der Darmkrankheiten während der letzten Dezennien zu geben. 
__ Zwei Leitmotive, wenn dieser Ausdruck erlaubt ist, sind für 

die Therapie der Darmkrankheiten als Ergebnis der Forschung 
und Erfahrung in dieser Zeit maassgebend geworden, eins in Moll 
und eins in Dur. 

Das erstere besteht, um es kurz zu sagen, in der Erkenntnis 
der Unzulänglichkeit der auf die Antisepsis des Darmes gerichteten 
r therapeutischen Bestrebungen; das andere sehe ich in dem Aus¬ 
bau und der Vertiefung der Diätotherapie und in den Fort¬ 
schritten, welche die lokale Behandlung der untersten Darm¬ 
abschnitte durch den Gebrauch des Rektoromanoskops gemacht hat. 

Als man vor 50 Jahren die fundamentale Bedeutung der 
Mikroorganismen für die Entstehung und den Verlauf akuter und 
' chronischer Entzündungs- und Zersetzungsprozesse im Darm fest- 
gestellt hatte, zielten die therapeutischen Bestrebungen natur- 
— gemäss und folgerichtig darauf ab, eine Antisepsis und Des¬ 
infektion des Darminbaltes auf medikamentösem Wege zu er¬ 
reichen. Es wurden die verschiedenartigsten Medikamente und 
chemischen Präparate, die sich im Reagenzglasversuch als 
bakterientötend erwiesen hatten, versucht, aber die anfänglich 
hochgespannten Erwartungen sahen sich bald enttäuscht. Man 
fand, dass die Beeinflussung der Darmbakterien und damit die 
< ' erhoffte Herabminderung oder Aufhebung der Zersetzungsprozesse, 


wenigstens durch diejenigen Mengen des betreffenden Mittels, die 
ohne Schaden vertragen werden, nicht zu erreichen war. Unter 
anderen wurden die verschiedenen Salicylsäurepräparate, Salol 
(Salicylsäurephenylester), Strontium salicylic., Bismutum salicyl., 
das Resorcin,Orphol, Enterol,Benzo-Naphtol, Isoform,Tbiokoll, Thy¬ 
mol, Menthol usf. in Anwendung gezogen, aber sie alle fristeten, so¬ 
weit sie der Darmantisepsis dienen sollten, kein allzulanges Dasein. 

Fürbringer 1 ) wies schon 1887 überzeugend nach, dass die 
Keimzahl der Fäces, selbst unter Einwirkung grosser Dosen anti¬ 
septischer Mittel, keine ins Gewicht fallende Verminderung erlitt. 
Auch Oalomel und Sublimat hielten nicht, was man sich von 
ihnen versprach, ja Strassburger 2 ) kam sogar zu dem an¬ 
scheinend paradoxen Ergebnis, dass die Kotbakterien eine Zu¬ 
nahme unter Calomelwirkung erfuhren. Aktiver Sauerstoff in 
statu nascendi hat eine starke gärungshemmende Wirkung. Eine 
solche kommt daher dem Wasserstoffsuperoxyd, das ausserordent¬ 
lich leicht in Wasser und aktiven Sauerstoff zerfällt, zu. Aber 
es war vorauszusehen, dass die seiner Zeit empfohlenen Wasser¬ 
stoffsuperoxydpräparate, das Gorit (Calcium carbonicum hyper- 
oxydat.), das Oxygar (Agar-Agar mit H 2 0 2 ) ond Pergenol 
(Natriumperborat mit saurem weinsaurem Natrium), nichts leisten 
würden, weil sich das Wasserstoffsuperoxyd viel früher spaltet, 
als es in den Darm kommt, und seine Wirkung bestenfalls nur 
auf die kurze Zeit der Gasentwicklung beschränkt, also nur vor¬ 
übergehend und oberflächlich ist. Ich habe wenigstens von dem 
mir 1899 von Nencki 3 ) zugesandten Gorit keine Wirkung auf 

1) Fürbringer, Zur Würdigung der Naphthalin- und Calomeltherapie 
des Unterleibstyphus. Deutsche med. Wochenschr., 1887, Nr. 11 bis 13. 

2) Strassburger, Untersuchungen über die Bakterien menge in 
menschlichen Fäces. Zeitschr. f. klin. Med., 1902, Bd. 46. 

3) Nencki und Jolewski, Ueber das Verhalten des Benzoyls und 
des Calciumsuperoxyds im Verdauungskanal des Menschen und des Hundes. 
Zeitschrift f. physiol. Chemie, 1899, Bd. 27, H. 6. 

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4 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 1 . 


die Darmfäulnis gesehen. Roszkowski 1 ) verwendete es mit 
günstigem Erfolg bei den Magendarmkatarrhen der Kinder, aber 
„ob es sich nun hierbei allein um die Wirkung des freiwerdenden 
Sauerstoffes handelt und wie hoch daneben der seit altersher be¬ 
kannte günstige Einfluss der Kalkpräparate zu bewerten ist, 
muss dahin gestellt bleiben“. [Ewald 2 )]. Es scheint, dass 
letzterer der ausschlaggebende Faktor ist, denn seitdem sind, so¬ 
weit mir bekannt, keine weiteren Beobachtungen über das Gorit 
mitgeteilt. Aehnlich dürfte es sich mit der Anwendung des Oxygar 
und Pergenol gegen Darmzersetzungen verhalten — sie gehören, 
wie so vieles andere, zu den Eintagsfliegen der Therapie. 

Steht es nun mit der medikamentösen Darmantisepsis 
schlecht, so steht es nicht besser mit dem Bestreben, den Darm¬ 
zersetzungen dadurch gewissermaassen den Boden abzugraben, 
dass die Nahrungsmittel, so weit möglich, vor der Nahrungsauf¬ 
nahme keimfrei gemacht werden. Man ging dabei von der bisher 
noch nicht erwiesenen Annahme aus, dass die mit den Lebens¬ 
mitteln eingebrachten Keime die anderen Darmbakterien über¬ 
wucherten. Hier kann, genau genommen, nur die rohe Milch in 
Frage kommen, denn die anderen Nahrungsmittel sind, soweit 
sie genügend gekocht werden, eo ipso in dieser Beziehung ein¬ 
wandsfrei, und soweit wir sie roh essen, nur in sehr unvoll¬ 
kommener Weise zu desinfizieren, wobei selbstverständlich nicht 
ganz tadellose, in Fäulnis oder Gärung übergegangene Lebens¬ 
mittel oder nicht genügend ausgegorene Getränke schon bei Ge¬ 
sunden, geschweige denn bei Kranken von vornherein aus 
geschlossen sind. Man batte aber besonders in der Kinder¬ 
ernährung grossen Wert auf die Darreichung sterilisierter 
Milch bei Darmkrankheiten gelegt und von einer Asepsis 
des Darms im Gegensatz zu der schwer erreichbaren Anti¬ 
sepsis desselben gesprochen. Es ist nicht zu leugnen, dass 
in der Kinderpraxis gute Erfolge mit sterilisierter Milch erzielt 
werden, ob dies aber an der Abtötung etwaiger (im gewöhn¬ 
lichen Sinne nicht pathogener) Keime in der Milch liegt, oder ob 
es andere Veränderungen der Milch sind, die dieselbe durch den 
Sterilisationsprozess oder die vorherige Behandlung erleidet, 
scheint mir noch nicht ansgemacht. In letzterem Sinne würde 
z. B. die günstige Wirkung der Buttermilch (Salge) bei den 
Darmstörungen des Kindes bzw. Säuglings sprechen. Hier hat 
die Ernährung mit einer in beginnender Zersetzung begriffenen 
und später sterilisierten Milch zweifellos auffallend rasche und 
gute Erfolge aufzuweisen, die bei einfach sterilisierter Milch nicht 
eintreten. Es kommt hinzu, dass bei dem gewöhnlichen Sterili¬ 
sationsverfahren die Milchbacillen nicht abgetötet werden, sondern 
es dazu einer viel intensiveren über Tage fortgesetzten Behand¬ 
lung bedarf (Baginsky). Beim Erwachsenen steht es vollends 
ausser Zweifel, dass von einer Asepsis des DarmkaDals bei Milch¬ 
diät nicht die Rede sein kann. Es ist das Verdienst von Albu 3 ), 
diese Tatsache, und zwar nicht nur für die Milch, sondern auch 
für eine sterilisierte gemischte Kost, in mehreren Publikationen, 
besonders in seiner Arbeit vom Jahre 1897 festgestellt und durch 
exakte Versuche begründet zu haben. Schon Schmitz 4 ) hatte 
in Tierversuchen gefunden, dass die Darmfäulnis bei Verfütterung 
von gekochtem und ungekochtem Hundekuchen keinen Unterschied 
erkennen lässt. Die Sterilisation der Nahrungsmittel ist selbst¬ 
verständlich unumgänglich, sobald sie die Vernichtung direkt 
pathogener Keime, der Tuberkel-, Typhus- usw. Bacillen im 
Auge hat, aber der Darm enthält schon in der Norm einen 
solchen Reichtum der verschiedenartigsten Bakterien, von denen 
Mannaberg nicht weniger wie 14 Bacillen, 9 Kokken und vier 
Arten von Hyphomyceten aufzählt, dass die wenigen Mikroben, 
die ihm eventuell mit gut abgekochter oder aus einwandsfreier 
Quelle stammender roher Milch zugeführt werden können, nicht 
ins Gewicht fallen. Auch ist nicht bekannt, dass die sterilisierte 
Milch etwa einen besonders schlechten Nährboden für die im 
Darm vorhandenen Bakterien abgebe oder sich schwerer zer¬ 
setzte, wenn sie erst einmal in den Darm gelangt ist, und da¬ 
durch von Nutzen sein könnte. Man kann sich vielmehr von der 
Nutzlosigkeit des Abkochens oder Sterilisierens der Milch gegen¬ 
über den gärungserregenden Bakterien des Kotes leicht durch 
folgenden von uns angestellten Versuch überzeugen. Es wurden 


1) Roszkowski, Eio Beitrag zur Lehre von der Antisepsis des 
Darmkanals bei Kindern durch das Gorit. Virchow’s Jahrb., 1899, S. 660. 

2) Ewald, Klinik der Darmkrankheiten, Berlin 1902, S. 152. 

3) Albu, Ueber den Einfluss verschiedener Ernährungsweisen auf 
die Darmfäulnis. Deutsche med. Wochenschr., 1897, Nr. 32. 

4) Schmitz, Die Eiweissfäulnis im Darm. Zeitschr. f. pbysiol. 

Chemie, 1894, Bd. 19, S. 378, 


in drei Ewald’schen Gärungsröhren gleichzeitig rohe, abgekochte 
und lege artis sterilisierte Milch mit gleichen Mengen (1 ccm) 
einer wässrigen Aufschwemmung von normalem Kot geimpft und 
bei Körpertemperatur aufgestellt. Nach Verlauf von 12 Stunden 
hatten sich in allen drei Röhren grosse Mengen von Gas an¬ 
gesammelt, und zwar war paradoxerweise aus der sterilisierten 
Milch die grösste Quantität Gas entwickelt. Dieser Versuch ist 
wiederholt mit demselben Erfolg mit verschiedenem Kot angestellt 
worden. Wir sterilisieren die Milch, und mit gutem Recht, um 
den Organismus, zumal den leicht empfänglichen, kindlichen 
Organismus vor etwaigen pathogenen Keimen zu schützen. Das 
hat aber mit einer Asepsis des Magendarmkanals nichts zu tun, 
und die Forderung, bei Darmkrankheiten sterilisierte oder mit 
einem Zusatz sogenannter antiseptiscber Stoffe versehene Milch 
zur Minderung der bakteriellen Aussaat und Wucherung im Darm 
zu geben, hält, wie ich dies schon früher auseinandergesetzt habe, 
einer näheren Ueberlegung nicht stand 1 ). Am wirksamsten von 
allen, gegen die Darmfäulnis und ihre Erreger versuchten Mitteln 
hat sich dagen die naheliegendste und einfachste Methode be¬ 
wiesen, die bezweckt, den Darm rein mechanisch von ihnen zu 
reinigen. Abführmittel aller Art, die die Darmperistaltik be¬ 
fördern, können durch Entleerung grosser Mengen fäulnisfähigen 
Materials die Darmgärung zwar nicht aufheben, aber doch be¬ 
schränken. Auch darauf bat bereits Albu nachdrücklich hin¬ 
gewiesen und gleichzeitig hinzugefügt 2 ): „die Desinfektion hat 
in der Therapie der Darmkrankheiten kaum mehr als wissen¬ 
schaftliches Interesse. Wo uns theoretisch eine Beschränkung 
der Darmfäulnis wünschenswert erscheinen könnte, führen uns 
andere Mittel sicherer zum Ziel“. Diese anderen Mittel bestehen 
in der Diätotherapie, auf die wir jetzt zu sprechen kommen. 

Vor 50 Jahren war von einer rationellen diätetischen Be¬ 
handlung der Darmkrankheiten, soweit dieselbe auf eine genauere 
Kenntnis der sich im Darm abspielenden Verdauungsstörungen 
gründet, kaum die Rede, und das Kapitel „Diät“ wurde in den 
betreffenden Lehrbüchern mit wenigen W 7 orten abgetan. Man 
empfahl eine empirisch ausgeprobte, sogenannte blande Diät, die 
summarisch allerdings alle gröberen Schädigungen vom Darm 
fernhielt, aber von einer zielbewussten Auswahl der zu ver¬ 
ordnenden Nahrungsmittel weit entfernt war. Zum Beweise führe 
ich die folgende Stelle aus der Bearbeitung der Krankheiten des 
Digestionstractus von Bamberger in Virchow’s Handbuch der 
speziellen Pathologie und Therapie (1855) an. Es heisst bei der 
Therapie der „chronischen katarrhalischen Darmentzündung“: 
„Je näher die Krankheit noch der akuten Periode ist, je häufiger 
akute Exacerbationen eintraten, desto mehr muss die Diät eine 
strenge und möglichst eingeschränkte sein. Dauert die Krankheit 
aber bereits längere Zeit, ist der Magen frei und keine Fieber¬ 
bewegung vorhanden, so können leicht verdauliche und wenig 
Rückstände liefernde Nahrungsmittel erlaubt werden.“ Das ist 
alles, was überhaupt über die Diät in dieser seiner Zeit mit Recht 
hochgeschätzten Arbeit gesagt wird. Auch Nothnagel in seinem 
grossen Lehrbuch der Darmkrankheiten ist von einer ausführ¬ 
lichen Besprechung der Diätotherapie noch recht weit entfernt. 
Eine bessere Kenntnis der hier zu stellenden Forderungen ist erst 
möglich, seit wir einen tieferen Einblick in die Physiologie der 
Darmverdauung und das Verhalten der einzelnen Nährstoffe und 
Nahrungsmittel im Darm gewonnen haben. Wir wissen jetzt, wie 
ausserordentlich vielfältig die im Darmrohr sich abspielenden 
Prozesse sind, wie viele Faktoren sich an der Umwandlung des 
Speisebreies in die resorptionsfähigen Produkte der Darmverdauung 
beteiligen und wie gegebenenfalls bald der eine, bald der andere 
derselben krankhaft versagt. Ueber die Art dieser Arbeitsleistung 
gibt uns naturgemäss nur die KotuntersuchuDg Aufschluss, deren 
Bedeutung übrigens nicht von gestern auf heute, sondern seit 
langem bekannt und gewürdigt ist. Nur hat sich gezeigt, dass 
die alte Ansicht, wonach der Kot aus der genossenen Nahrung 
zusammengesetzt sei, nicht durchweg zntrifft. Letzteres besteht 
vielmehr bei einer gut verdaulichen, keine Rückstände hinter¬ 
lassenden, aus Eiweiss und aufgeschlossenen Kohlehydraten 
zusammengesetzten Nahrung der Hauptsache nach aus den 
Resten der in den Darm abgesonderten Verdauungssekrete, die 
mit Schleim und Epithelien vermischt sind, und enthält so gut 
wie gar keine eigentlichen Nahrungsreste. Dies geht aus dem 

1) Ewald, Die Ernährungstherapie bei Darmkrankheiten in 
v. Leyden’s Handb. d. Ernährungstherapie. 1. Aufl. 1898, Bd. 2, S. 240, 
und Ueber die diätetische Behandlung yop Parmkrankheiten. Zeitschr. 
f. ärztl. Fortbildung, 1909, Nr. 10. 

^ 2) Albu, l/c. 


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C. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


6 


Vergleich des Hungerkotes mit dem Normalkot und dem Kot bei 
N-freier Nahrung hervor. Die charakteristischen Bestandteile der 
Nahrung werden im Darm völlig aufgebraucht bzw. resorbiert und 
lassen sich in solchem Kot nicht mehr nachweisen. Nur die 
Menge wechselt mit vermehrter Nahrung, aber quantitativ nicht 
sehr bedeutend. Daran ändern auch krankhafte Darmstörungen, wie 
Müller 1 ) und Röhl 2 ), Cohnheim 3 ) und Ury 4 ) gezeigt haben, 
nichts Wesentliches. 

Anders liegen die Verhältnisse freilich bei gemischter, nicht 
aufgeschlossener Nahrung. Für die Cellulose haben der Mensch 
und die höheren Tiere auffallenderweise kein lösendes Ferment. 
Der menschliche Organismus vermag die Cellulose zwar zu 
verwerten, aber in individuell recht verschiedenem Grade. 
Samen, Blätter, Stengel, Körner sind ohne Vorbereitung nicht, 
oder nur zum kleinsten Teil angreifbar. Es ist bekanntlich die 
Aufgabe der Küche, hier lösend und vorbereitend einzutreten. 
Im menschlichen Darm wird z. B. die Cellulose nur zu 25 pCt., 
die Schwarzwurzel nur zu 4 pCt. angegriffen. Dementsprechend 
gestaltet sich auch der Kot, dessen Menge wächst und einen 
wechselnden Anteil unverdauter Nahrungsreste enthält. Die Ab¬ 
scheidungen in den Darm sind vermehrt, und es entsteht ein 
stärkerer mechanischer Reiz. Hierzu tritt die bakterielle Zer¬ 
setzung der Kohlehydrate, als deren Ergebnis organische Säuren 
gebildet werden, welche die Peristaltik beschleunigen. Dieses 
Verhalten kommt in der Ausnutzung der Kost und in der Analyse 
des Kotes, welche sich je nach der Art der verwendeten Nahrung 
ändert, zum Ausdruck. So enthält die 

C H N 

Fleischkost 43,4 pCt. 6,5 pCt. 6,5 pCt. 

Brotkost 47,4 „ 6,6 „ 2,4 „ 

Die Asche des Fleischkotes beträgt 30,03 pCt., die des Brot¬ 
kotes nur 7,02 pCt. Die Kotmenge von gleichen Mengen Brot aus 
feinem Weizenmehl einerseits und aus ganzem Korn andererseits 
betrug je 132,7 g und 817,8 g, der Trockenkost dementsprechend 
auf 100 g bei Weissbrot 4,5, bei Schwarzbrot 21 g, bei gelben Rüben 
20,7 g und bei trockenem Kakao sogar 45— 60 g (nach Rubner). 

Man sollte daher glauben, dass die Stuhluntersucbung nach 
einer zusammengesetzten Nahrung sowohl bei chemischer wie 
mikroskopischer Untersuchung ein sehr verworrenes Bild geben 
müsste. Aber der Organismus wird unter gesundhaften Verhält¬ 
nissen selbst bei gemischter Nahrung mit ihrer Verarbeitung glatt 
und mit auffallend gleichmässigem Endergebnis fertig, sofern die¬ 
selbe nicht aus exzessiven Massen besteht bzw. direkt unver¬ 
dauliche Bestandteile, wie z. B. Fruchtkerne und Schalen, viel 
cellulosehaltige Vegetabilien u. dgl., enthält. Mit anderen Worten: 
das mikroskopische Bild des Stuhles bleibt dasselbe. Man findet 
einige unverdaute Muskel- oder Pflanzenreste (Gefässspiralen, 
Gittergewebe), eine und die andere Stärke- oder Kartoffelzelle 
und einzelne Fettsäurenadeln, gelegentlich auch eine unverdaute 
Bindegewebsfaser neben den die Hauptmasse des Kotes bildenden 
Schollen und Körnchen. Auch Bakterien, Hefe- oder Klostridiura- 
zellen sind gar nicht oder nur spärlich vorhanden. Tritt aber 
eine krankhafte Störung in der Darmverdauung ein, so ist sie 
leicht an dem Uebermaass, mit dem das eine oder das andere 
oder alle diese Gebilde im Stuhl auftreten, zu ersehen. Man 
kann daher bei einiger Uebung den Einfluss krank¬ 
hafter Zustände auf die Darmentleerungen und das Auf¬ 
treten unverdauter Nahrungsreste im Stuhl sowie ab¬ 
norme chemische Veränderungen ebensogut bei einer 
einfachen wie bei einer komplizierten Nahrung in den 
Dejektionen erkennen. Auffallende Mengen unverdauter 
Muskel- und Stärkereste, Bindegewebe, vegetabilische Zellen, Fett, 
Blut und Eiter können wir in jedem pathologischen Stuhl mit 
Leichtigkeit makroskopisch und mikroskopisch, eventuell chemisch 
nachweisen, wenn wir uns die Mühe einer sorgfältigen 
Untersuchung des Stuhles nicht verdriessen lassen. 
Dasselbe gilt für die Untersuchung auf Bakterien bzw. Spross¬ 
pilze. Man kann aus dem Uebermaass, in welchem das eine 
oder andere dieser Gebilde im Stuhl auftritt, auf die Art und den 
Ablauf der vorhandenen Darmstörung rückschliessen. So können 


1) Frd. Müller, Zeitschr. f. Biologie, 1884, Bd. 20, S. 327. 

2) W. Röhl, Ueber die Ausnutzung stickstoffhaltiger Nahrungs¬ 
mittel bei Störungen der Verdauung. Deutsches Archiv f. klin. Med., 
1905, Bd. 83, S. 523. 

3) 0. Cohnheim, Die Physiologie der Verdauung und Ernährung. 
1908, S. 262 u. ff. 

4) H. Ury, Zur Lehre von den Abführmitteln. Boas’ Archiv, 1908, 
Bd. 14, S. 411 u. 506 u. Bd. 15, S. 210. 


wir aus einer sogenannten Muskelverschleuderong, aus unverdauten 
Bindegewebsfasern,Pflanzenzellen, Gefässbündeln, Stärke und Fett usf. 
die Unzulänglichkeit der betreffenden Verdauungsarbeit erkennen. 

Nun versteht es sich von selbst, dass, je einfacher die ver¬ 
abfolgte Kost ist, desto klarer und offensichtiger der Einfluss der 
Darmstörung auf dieselbe zum Ausdruck kommt, und dass es für 
die grosse Menge der Praktiker wünschenswert ist, ein Schema 
zu besitzen, weiches dem Ungeübten die Möglichkeit gibt, Ab¬ 
weichungen von der Norm leicht und ohne störendes Beiwerk zu 
erkennen. Freilich sollte jeder Arzt in den Fäcesuntersuchungen 
„geübt“ sein und sich über die verschiedenen im Stuhl auch bei 
gewöhnlicher gemischter Kost auftretenden Schlacken der Darmver¬ 
dauung Rechenschaft geben können. Dies ist leider, wie die tägliche 
Erfahrung lehrt, durchaus nicht in ausreichendem Maasse der Fall. 

Durch die von Schmidt und Strasburger eingeführte 
Darmprobediät 1 ) ist aber in der Tat eine solche Vereinfachung 
geschaffen worden. Sie hat in ähnlicher Weise, wie es seinerzeit 
das Ewaid’sche Probefrübstück getan bat, den Untersuchungen 
eine gewisse Gleichmässigkeit gegeben und dieselben wesentlich 
erleichtert. Der Unterschied ist nur der, dass ohne die Probe¬ 
kost bei Magenerkrankungen überhaupt kein Einblick in das Ver¬ 
halten der Magentätigkeit zu gewinnen ist, während sieb dies 
auch ohne die Darmprobediät sehr wohl ermöglicht. Ohne des¬ 
halb das Verdienst, welches der Einführung der Probedarmkost 
zukommt, und das nicht zum mindesten in der Popularisierung 
der Kotuntersuchungen bei den Aerzten besteht, schmälern zu 
wollen, muss ich doch auch an dieser Stelle wie anderwärts 
wiederum betonen, dass sie neue Wege in der Erkenntnis 
der Darmkrankheiten nicht aufgedeckt hat. Die Schmidt- 
sche Probekost ist eine sogenannte blande Diät, wie wir sie bei 
gewissen Darmaffektionen schon immer gegeben haben. Sie be¬ 
steht aus Milch, eventuell mit Zusatz von Tee oder Kakao, Weiss¬ 
brot mit Butter, weichen Eiern, Kartoffelbrei, einer Mehl- oder 
Haferscbleimsuppe und etwa 125 g gut gehacktem mageren Rind¬ 
fleisch. Sie kann nach den neuesten Angaben von A. Schmidt 
eventuell durch etwas Rotwein, etwas Kaffee, Bouillon, abends ge¬ 
hacktes Kalbfleisch erweitert werden. Es ist offensichtlich, dass 
sich eine so reich bemessene Probekost nur auf chronisch 
Darmkranke beziehen kann, denn bei akuten Darmstörungen 
sind wir fast ausnahmslos genötigt, von vornherein eine viel 
beschränktere Diät zu geben, und haben dies auch immer 
getan. Dadurch fällt dann die Notwendigkeit, eine bestimmte 
Probkost zu geben, von vornherein fort. Aber auch bei chroni¬ 
schen Fällen führen verschiedene Wege zum Ziel, d. h. zu einer 
besseren Uebersicht über die Kotbeschaffenheit, denn dies ist, ich 
betone es nochmals, der wesentliche Vorzug der Schmidt’schen 
Darmprobekost. So gebe ich seit Jahren in den Fällen, 
in denen mir eine besondere Probekost wünschenswert er¬ 
scheint, eine seinerzeit von Rosenfeld 3 ) zu einem anderen 
Zweck empfohlene Zusammenstellung, die den Vorzug hat, unter 
allen Umständen anwendbar zu sein und sich leicht dem Ge¬ 
dächtnis einzuprägen. Sie besteht aus 75—100 g Zwieback, 
100 — 150 g Kakao oder Schokolade, mit Milch oder Wasser ge¬ 
kocht, und 300 g Reis, der mit Wasser, Milch oder Fleischbrühe 
gekocht wird (eventuell sind die Mengen entsprechend zu ver¬ 
ringern, da sie für manche Personen zu gross sind). Zur Zu¬ 
bereitung kann im ganzen etwa 1—1 x / 4 Liter Flüssigkeit verwendet 
und die gesamte Menge auf die einzelnen Mahlzeiten des Tages 
verteilt werden. Dabei hat man den Vorteil, gleichzeitig diäto- 
therapeutisch vorzugeben. Diese Diät gibt bei guter Darmfunktion 
so gut wie gar keine geformten Stublelemente. Man findet in 
dem braunen Stuhl nur die Schollen des Kakaos und allenfalls 
einzelne Stärkekörner, die sich bei mangelnder Stärkeverdauung 
aber sofort als erheblich vermehrt erweisen. Die Beimengung 
von Muskelfasern, vegetabilischen Zellen, Sehnenfasern, Schleim usw. 
lässt also erkennen, dass noch alte Massen entleert werden bzw. 
krankhafte Prozesse vorliegen. Diese Kost wird zunächst 2 bis 
3 Tage durchgeführt. Will man dann später spezielle Ver¬ 
dauungsanomalien aufdecken, so kann man durch Zugabe von 
Fleisch oder von Kartoffelbrei, Spinat oder von durchgeriebenen 
Gemüsen (Karotten, grüne Erbsen usw.) die jeweilige Funktions¬ 
tüchtigkeit für das betreffende Nahrungsmittel prüfen. Einen be- 

1) A. Schmidt, Die Punktionsprüfung des Darms mittels der Probe¬ 
kost. Wiesbaden 1904. — Klinik der Darmkrankheiten. Wiesbaden 1912. 

2) G. Rosenfeld, Diät bei chronischer Diarrhöe. Deutsche Acrzte- 
zeitung, 1901, H. 20. Rosenfeld’s Vorschrift war: 180 g Reis, 200 g 
Schokolade, 300 g Zwieback = 2100 Kalorien. Diese Quantität ist 
nach meinen Erfahrungen für die meisten Personen zu gross. E. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 1. 


sonderen Vorzug sehe ich bei dieser Kostordnung aber darin, dass 
sie von vornherein fleischfrei ist, also ohne weiteres die Proben 
auf okkultes Blut anzustellen erlaubt, deren wir in den meisten 
Fällen nicht entraten können. 

Aber ob man sich nun dieser oder der Schmidt’schen Probe¬ 
kost bedient, das wesentliche ist, dass man in allen Fällen, die 
nicht von vornherein ganz klar liegen, genaue und wieder¬ 
holte makroskopische und mikroskopische Stublunter- 
suchungen anstellt, die bei allen Fragen der Darmpathologie 
unumgänglich notwendig sind. 

H. Strauss 1 ) hat vor einiger Zeit die Prüfung der Verweil¬ 
dauer der Speisen im Darm anempfohlen und Vorschriften zur Aus¬ 
führung dieses Verfahrens mittels Carmins angegeben. Mitteilungen 
von anderer Seite darüber stehen, soweit mir bekannt, noch aus. 

Es ist hier nicht der Ort, auf die Einzelheiten der Diagnostik 
einzugehen, die sich freilich, wo therapeutische Fragen in Be¬ 
tracht kommen, nicht umgehen lässt, aber zwei Punkte möchte 
ich doch hervorheben, an denen sich der Nutzen der modernen 
Untersuchungsmethoden für die Therapie sozusagen handgreiflich 
erweisen lässt. Das sind erstens die gastrogenen Achylien, 
und zweitens die sogenannten Gärungsdyspepsien. Auch 
hier handelt es sich streng genommen nicht um früher unbe¬ 
kannte Vorgänge. Die gastrogenen Diarrhöen sind schon 1863 
von Henoch 2 3 ) beschrieben worden. Auf das Vorkommen der 
Gärungsdyspepsien weisen ebenfalls die älteren Schriftsteller, so 
auch Nothnagel in seinen Darmkrankheiten, hin. Aber die 
engere Umgrenzung dieser Krankbeitsbilder und ihre Diagnose ist 
zweifellos als ein Fortschritt der letzten Jahre anzusehen. Wir 
haben erst jetzt kennen gelernt, und es ist besonders A. Schmidt 
gewesen, der dies Verhalten aufgedeckt hat, dass das Vorkommen 
von unverdauten Bindegewebsresten in den Stühlen auf eine 
Störung der Magenfunktion hinweist. Es bandelt sich dabei nicht 
immer um sogenannte Achylien des Magens, es können auch 
andere Störungen der Magenfunktion vorhanden sein, wie denn 
umgekehrt keineswegs jede Achylia gastrica mit einer gastro¬ 
genen Diarrhöe verbunden sein muss. Ganz im Gegenteil! Nach 
meinen Erfahrungen überwiegen die Achylien ohne Diarrhöen weit¬ 
aus die gastrogenen Darmstörangen. Aber man wird in 
solchen Fällen zweifelhafter Ursache auf den Magen mehr noch 
als sonst als ersten Anlass der Darmstörung zu achten haben 
und kann diese Aetiologie durch eine genaue Stuhluntersucbung 
aufdecken. Es ist dann möglich, durch eine zweckmässige Magen¬ 
therapie die Darmstörung zu beseitigen, selbst wenn die sub¬ 
jektiven, auf den Magen sich beziehenden Beschwerden des 
Patienten ganz in den Hintergrund treten oder völlig fehlen. 

Die Gärungsdyspepsie, deren Ursache in einer falsch 
verlaufenen Amylaceenverdauung beruht, lässt sich in den meisten 
Fällen schon makroskopisch aus dem mit Gasblasen durchsetzten 
breiigen oder gar schaumigen Stuhl erkennen. Charakteristisch 
ist, dass solche Stühle einen mehr faden, säuerlichen wie kotigen,, 
und sicher keinen stinkenden Geruch haben. Das unterscheidet 
sie von den Fäulnisstühlen, ln der Regel bedarf es deshalb zu 
ihrer Agnoszierung keines besonders umständlichen Verfahrens, 
d. h. der Untersuchung auf die Gärfähigkeit des entleerten Stuhles, 
wie dies von Schmidt und Strassburger ursprünglich verlangt 
wurde. Ein Blick durch das Mikroskop lässt die Vermehrung 
unverdauter Stärkezellen im Stuhl erkennen. Meyer 8 ) sagt: „Ich 
habe mikroskopische Stärkereste im Gegensatz zu Schmidt und 
Strasburger eigentlich niemals vermisst.“ In der Regel be¬ 
darf es also keiner besonderen Gärungsprobe, und der eben ge¬ 
nannte Autor, ein Schüler Schmidt’s, sagt wiederum: „Ich 
selbst habe mich mehr von den makroskopischen und mikroskopi¬ 
schen Befunden leiten lassen und den positiven Ausfall der 
Gärungsprobe gewissermaassen nur als eine Bestätigung derselben 
angesehen.“ 4 * ) Dies entspricht meiner schon 1902 in meiner 
Klinik der Darmkrankheiten ausgesprochenen gleichlautenden, 
damals aber bestrittenen Anschauung, die sich nuf eine jahrelang 
zurückreichende Beschäftigung mit den Stuhlgärungen stützte. 
Ihr hat sich jetzt auch A. Schmidt 6 ) angeschlossen, wenn er 
sagt: „Wir haben anfangs, wie Meyer mit Recht betont, zu viel 
Wert auf die Gärungsprobe und zu wenig auf die übrigen Er¬ 


1) H. Strauss, Fortschritte der Medizin, 1901, Nr. 31, und diese 
Wochenschr., 1904, Nr. 41. 

2) Henoch, Klinik der Unterleibskrankheiten. Berlin 1863, S. 577. 

3) H. Meyer, Ueber die intestinale Gärungsdyspepsie. Deutsches 
Archiv f. klin. Med., 1908, S. 453. 

4) 1. c. S. 470. 

6) A. Schmidt, ebenda, S. 474. 


scheinungen gelegt.“ Aber die neueren Untersuchungen haben 
uns gezeigt, dass eine Stuhlgärung bei methodischer Untersuchung 
der Stühle häufiger angetroffen wird, als man früher annahm. 
Sie kann selbst da vorhanden sein und durch das Mikroskop 
eventuell in Verbindung mit der Gärungsprobe nachgewiesen 
werden, wo sich die Stühle nicht schon grob makroskopisch als 
mehr oder weniger schaumige und aufgelockerte Massen dar¬ 
stellen. Zur Technik sei bemerkt, dass man die Gärungsprobe am 
besten und für die Zwecke der Praxis jedenfalls vollkommen aus¬ 
reichend mit der von mir seinerzeit angegebenen einfachen 
Gärungsröhre ausführen 1 ), aber nicht die komplizierten und un¬ 
handlichen von Strasburger, Deluge und A. Münzer ange¬ 
gebenen Apparate benutzen sollte, die die ohnehin nicht allzu 
angenehme Manipulation mit den Fäkalien noch umständlicher 
machen und keinen Vorteil voraus haben. Ich kann es nur als 
die Folge eines gewissen Beharrungsvermögens ansehen, wenn 
A. Schmidt auch in seinem neuen Buche über die Darmkrank¬ 
heiten den Strasburger’schen Apparat wieder abbildet und 
empfiehlt und meiner, schon seit Jahren mitgeteilten, viel zweck - 
mässigeren Gärungsröhre keine Erwähnung tut 2 ). 

Für die symptomatische Therapie der Darmkrankheiten 
kommen wesentlich zwei Zustände in Betracht: Verstopfung 
und Durchfall. 

Die letzten Jahrzehnte haben uns zahlreiche Präparate und Metho¬ 
den gebracht, die über die Galenischen Mittel hinaus unseren Arznei¬ 
schatz beträchtlich erweitert haben. Es fragt sich,obdemZuwachsvon 
Mitteln auch ein Zuwachs von Erfolgen, eine grössere Sicherheit und 
vor allem eine länger anhaltende Dauer der Wirkung gegenübersteht. 

Da sind zunächst eine Anzahl wohl charakterisierter Körper 
aus der Reihe der aromatischen Verbindungen, denen eine spezi¬ 
fische abführende Wirkung zukoramt. Sie sind teils aus den 
ersteren isoliert, wie die Anthrachinonderivate (Emodin, Purgatin, 
auch Purgatol genannt), teils gehören sie in die Gruppe synthetisch 
gewonnener Anthracenderivate, wie das Phenolphthalein (Purgen) 
und das Aperitol, welches ein Gemisch gleicher Teile des Iso- 
valeriansäuresters und des Essigsäureesters des Phenolphthaleins 
darstellt. Hierzu kommt in neuester Zeit noch als sogenanntes 
biologisches Präparat das Hormonal von Zuelzer, ein aus der 
Milz gewonnenes Hormon (von öppato = ich reize oder rege an), 
dem eine höchst interessante an regende Wirkung auf die Darmtätigkeit 
eigen ist, wenn es auf intramuskulärem oder subcutanem Wege dem 
Körper einverleibt wird. Das ist von verschiedenen Seiten erprobt 
worden. Ich selbst habe in mehreren (drei) Fällen eine jahre¬ 
lang bestehende habituelle Obstipation auf atonischer Basis nach 
einer einmaligen bzw. zweimaligen Injektion wie mit einem Zauber¬ 
schlage dauernd, d. h. so lange ich die Patienten unter Beob¬ 
achtung hatte — immerhin sechs Wochen bis mehrere Monate —, 
verschwinden sehen, ln anderen Fällen war das Mittel freilich 
ohne jeden Erfolg — Zuelzer hatte unter 52 Fällen 31 Hei¬ 
lungen —, und für die tägliche Praxis wird es sich schon durch 
seinen hohen Preis unmöglich machen, der allerdings nicht io 
Betracht kommen bzw. sich reichlich bezahlt machen würde, wenn 
man den Patienten von vornherein einen sicheren Erfolg ver¬ 
sprechen könnte. Das ist aber nicht der Fall. Dazu kommt, 
dass sich die Beobachtungen gemehrt haben, in denen schwere 
Zufälle nach Hormonal, Schmerzen, Fieber, schwerster Collaps, 
Cyanose, ja selbst Exitus letalis eingetreten sind, so dass es kaum 
noch angewendet werden dürfte, wenn es nicht gelingen sollte, 
derartige „Nebenwirkungen“ zu vermeiden. Denn diesen Preis ist 
das Objekt, eine chronische Obstipation, mit der sich doch immer¬ 
hin leben lässt, ja selbst ein postoperativer Ileus, der in den 
meisten Fällen auch ohne Hormonal überwunden wird, nicht wert. 
Wir machen auch hier wieder, wie bei so vielen neueren Mitteln, 
die Erfahrung, dass sie, auf eine breitere Anwendung gestellt, 
ihrer Aureole alsbald verlustig gehen. Wenn es sich um harm¬ 
lose Dinge handelt, so ist das ja, abgesehen von den vergeudeten 
Kosten, nicht weiter schlimm. Wenn aber Leben und Gesundheit 


1) Ein breites Reagenzglas wird mit dem zu einem dünnen Brei an¬ 
gerührten Kot bis zum Rande angefüllt und dann ein Gummikork auf¬ 
gesetzt, der von einem U-förmig gestalteten kleinen Glasröhrchen durch¬ 
bohrt ist. Das Reagenzglas wird umgekehrt, d. h. mit seiner Kuppe 
nach oben in ein Wasser- oder Becherglas gesetzt, welches so 
hoch mit Wasser gefüllt ist, dass das äussere Ende der U-Röhre unter 
Wasser steht. Das ganze kommt in den "Wärmeschrank, in dem es 
12—24 Stunden bleibt. Das entwickelte Gas sammelt sich in der Kuppe 
des Reagenzglases und lässt sich leicht in seiner Menge abschätzen, eventuell 
an einer Skala ablesen; der verdrängte Kot tritt in das Wasserglas über. 

2) A. Schmidt, Klinik der Darmkrankheiten. Wiesbaden 1912, S. 100. 


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6. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


7 


der Kranken bei einem solchen „Heilmittel“ geschädigt werden 
können, dann fragt man sich doch, ob es nicht an der Zeit wäre, 
das Heilmittel wesen mit grösseren Garantien zu um¬ 
geben und die wiederholt verlangte amtliche Untersuchungs¬ 
station einzurichten. Denn bei einer so plötzlichen Häufung be¬ 
drohlicher and selbst tödlicher Zufälle liegt der Gedanke nahe, 
dass ein Fehler in der Herstellung die Ursache sein könnte. Wer 
kontrolliert aber heute die Industrie? Ihr eigenstes Interesse 
Bolite sie freilich zur äassersteo Vorsicht mahnen, aber ist das 
ausreichend? Die Herstellung der Heilsera steht unter amtlicher 
Kontrolle. Was man dort für nötig hält, sollte man auch hier 
nicht unterlassen! 

Die genannte unsichere Wirkung gilt freilich für alle Abführ¬ 
mittel — soweit es sich nicht um die schärfsten Drastica handelt —, 
die für den täglichen Gebrauch, und mit diesem haben wir es hier zu 
tun, bestimmt sind. Jedem Abführmittel gegenüber kommen indivi¬ 
duelle Eigenheiten des Patienten in Betracht, und in Hinsicht auf 
Dosis und Natur des wirksamen Medikaments bedingt jeder Einzel¬ 
fall ein besonderes Studium. „Nur das ist ein gutes Abführ¬ 
mittel“, so habe ich mich schon 1897 gcäussert 1 ), „welches 
ohne Unbequemlichkeiten (Leibschmerz, Tenesmus, Uebelkeit) eine 
breiige oder weiche, ausgiebige, nicht wässerige Entleerung ver¬ 
schafft. Man muss eventuell im konkreten Fall so lange mit den 
verschiedenen Aperientien wechseln, bis man das der Natur des 
Kranken passende Mittel gefunden hat.“ Nun kommt aber noch 
hiozu, dass auch die Art der Verabfolgung, zumal da, wo es sich 
um den chronischen Gebrauch handelt, nicht gleichgültig ist. 
Allerdings wird es immer unser Bestreben sein müssen, so wenig Ab¬ 
führmittel wie möglich zu geben, aber man kann auch bei einer soge¬ 
nannten habituellen Obstipation nicht unterschiedslos dahin trachten 
oder sich dem Glauben hingeben, dass man in kurzer, ja auch 
nur in absehbarer Zeit von allen Nachhilfen loskommen könnte. 

Wenn man also die oben aufgeworfene Frage auf Grund der 
Erfahrungen mit den neueren Abführmitteln zu beantworten ver¬ 
sucht, so kommt man zu dem Schluss, dass sie zwar ihren grossen 
Wert in dem Sinne haben, dass sie uns eine grössere Abwecbs- 
lungsmöglichkeit erlauben, dass sie aber ebensowenig Voll¬ 
kommenes und Dauerndes wie die alten Aperientien und Laxantien 
leisten. Das liegt ja auch in der Natur der Sache, und es wäre 
abstrus, wenn man mehr von ihnen verlangen wollte. Hier soll 
die Diät einsetzen. ln der Tat dürfen wir in der besseren 
Indikationsstellung und schärferen Präzisierung der Diät sowohl 
bei Verstopfung als bei Durchfall einen wesentlichen Fortschritt 
der Behandlung erblicken. Wir haben uns von der früher unter¬ 
schiedslos gegebenen, empirisch erprobten, sogenannten Obsti¬ 
pationsdiät, d. h. einer schlackenreichen, viel cellulosehaltige 
Vegetabilien und schwer verdauliche, leicht gärende und wasser¬ 
haltige Nahrungsmittel enthaltenden Kost insofern emanzipiert, 
als wir grössere Rücksicht auf die Ursache der Stuhlträgbeit 
nehmen, ob spastische oder atonische Obstipation besteht, 
ob nervöse oder entzündliche Reizzustände vorliegen. Schon 
Barnes 1 ) hat 1878 die durch Anhäufung der Kotmassen im 
Rectum hervorgerufene Obstipation als „Dyschezie“ bezeichnet, 
einen Zustand, für den H. Strauss 8 ) das Wort der „proktogenen 
Obstipation“ geprägt hat. Wir haben auf diese Verhältnisse und 
die Beziehungen der Enteroptose zur Obstipation, auf den 
Sphincterenkrampf, den Colospasmus 4 * * * ), auf die Beziehungen 
zwischen Magen und Darm (gastrogene Diarrhöen) achten gelernt 
und ihnen unsere Diätverordnungen angepasst. Man vermeidet 
leicht gärende Nahrungsmittel, wenn die Darmatonie von vorn¬ 
herein mit Gärung und Fäulnis verbunden ist, und sucht die Darm¬ 
flora durch Verabfolgung von Sauermilch, Kefir, Yogurt, Topfen¬ 
käse u. dgl. zu beseitigen oder umzuändern. Man schont die 
gereizte Dickdarmschleimhaut, indem man statt einer schlacken¬ 
reichen eine Fleisch-Fettdiät verordnet u. s. f. Und von ähnlichen 
Grundsätzen lassen wir uns auch bei der diätetischen Beeinflussung 


1) C. A. Ewald, Ueber die habituelle Obstipation und ihre Be¬ 
handlung. Berliner Klinik, H. 105. 

2) R. Barnes, Diseases of women. London 1878, 2. ed., p. 145.— 
Stierlin, 1. c. sagt: „Sie wurde zuerst von Chevalier (Med. Chirurg. 
Transact., 1819, Vol. 10, p. 400) als Dyschezia beschrieben.“ An der 
genannten Stelle kommt das Wort überhaupt nicht vor!! 

3) H. Strauss, Ueber proktogene Obstipation. Therapeut. Monats¬ 
hefte, 1906. 

4) Th. Rosenheim, Zur Physiologie und Pathologie des Dick¬ 

darms. Deutsche med. Wochenschr., 1909, Nr. 17. — G. Singer, Dia¬ 

gnose und Therapie der Erkrankungen des unteren Darmabschnittes. 

Med. Klinik, 1911, Nr. 16. 


der Durchfälle, ja dort noch in viel höherem Grade, leiten. Es 
kann hier nicht meine Aufgabe sein, die diätetischen Verordnungen 
im einzelnen durchzusprechen, und ich darf diesbezüglich auf 
meinen Vortrag „Ueber die diätetische Behandlung von Darm¬ 
krankheiten 1 )“ verweisen, in dem sich alles Wesentliche zusammen¬ 
gefasst findet. 

Wenig Neues haben uns die sogenannten physikalischen 
Heilmethoden, Massage und Elektrizität, Gymnastik u. s. f., 
gebracht. Was erstere betrifft, so hat sich mehr und mehr 
die Ueberzeugung Geltung verschafft, dass die Massage, gleich¬ 
viel ob manuell oder mit Zanderapparaten oder als Vibrations¬ 
massage, nur von gründlich geschulten Personen mit anatomischen 
Kenntnissen und nicht, wie das früher üblich war, von jedem 
beliebigen Heilgehilfen oder sogenannten Masseusen zweifel¬ 
hafter Provenienz auszuüben ist, dass aber, was die Technik 
betrifft, die verschiedensten Methoden zum Ziele führen, wenn 
sie sacbgemäss ausgeführt werden. Andererseits hat der frühere 
Enthusiasmus für die Anwendung der Elektrizität sehr nach¬ 
gelassen, weil das Elektrisieren des Abdomens, gleichviel in 
welcher Form, nur selten einen merkbaren oder mehr wie einen 
Augenblickserfolg hat. Ich darf dies um so eher sagen, als 
ich selbst früher eine Mastdarmelektrode angegeben und viel 
benutzt habe. Dagegen kann die lokale Behandlung durch 
Klysmen in den „Oidtmann’schen Glycerinspritzen“, in den Oel- 
klystieren Kussmaul - Fleiner’s und den Lipowski’schen 
Paraffineioläufen, die den Vorzug grösserer Reinlichkeit vor 
den ersteren haben, einen Fortschritt verzeichnen. Sie wirken 
häufig noch dort, wo andere Einläufe versagen oder in so grossen 
Mengen gegeben werden müssen, dass eine unerwünschte Er¬ 
weiterung und Reizung des Darms zu befürchten ist. Dem 
Paraffin wird gegenüber dem Oel nachgerühmt, dass 69 sich nicht 
zersetzt. Das halte ich nicht für einen besonderen Vorzug, da 
wir wohl annehmen dürfen, dass die geringen Mengen Fettsäuren, 
die sich aus dem Oel bilden, einen günstigen Einfluss auf die 
Peristaltik ausüben. A. Schmidt empfiehlt, zu diesem Zweck 
Selterwasserklystiere zu geben. Auch die hypnotische Suggestion 
ist versucht worden. Günstige Dauerwirkungen lassen sich durch 
hydrotherapeutische Vornahmen, besonders die Wechselduschen, 
erzielen. Ich habe danach gute Erfolge in Fällen gesehen, die 
sich anderen Maassnahmen gegenüber ganz unzugänglich erwiesen, 
zumal wenn es sich um neurasthenisch veranlagte Personen 
handelte. So ist auch die Applikation kalter Umschläge auf das 
Abdomen bei Atonie ein altes Volksmittel, an dessen Stelle Boas 
das zwar umständlichere aber energisch einwirkende Verfahren 
empfohlen hat, auf die Abdominalwand einen Aetherspray zu 
applizieren. Aber das sind alles, streng genommen, keine Er¬ 
rungenschaften der letzten 5 Jahrzehnte, das hat man auch früher, 
nur nicht in gleicher Ausdehnung und Mannigfaltigkeit gemacht, 
neu ist nur der umfangreichere Betrieb und die gewiss mit Be¬ 
friedigung zu begrüssende Tatsache, dass viele dieser Maass¬ 
nahmen eine bessere Begründung gefunden haben und zum Teil 
aus Laienhänden in die ärztliche Praxis übergegangen sind. Um 
altbekannte Mittel handelt es sich auch bei der jetzt wieder viel 
besprochenen Anwendung der Belladonna und des Extr. Fabae 
Galabaricae. Denn diese Mittel erfreuen sich, besonders in der 
englischen und französischen Praxis, eines alten Rufes, neueren 
Datums ist nur ihre Verwendung als Alkaloid — Atropin und 
Physostygmin — und in so hohen Dosen, wie sie jetzt, besonders 
bei Ileus, gegeben werden, denn noch Lau der Brun ton 1 ) 
empfiehlt, unter Berufung auf ältere Autoren, die Belladonna nur 
in kleinen Dosen zu verabfolgen. 

Gleichfalls zu den älteren, bei der Obstipation verwendeten, 
aber jetzt aufs Neue gründlich studierten und in ihrer Indikation 
scharf umgrenzten Mitteln gehört die Anwendung der Gallen¬ 
säuren als Abführmittel. Singer und Glaessner 3 ) haben ihre 
Wirkung mit Hilfe der Radioskopie verfolgt. Sie empfehlen die 
reine Cholsäure oder cholsaures Natrium in Dosen von 0,3 bis 
0,5 g in Form von Suppositorien, Mikro- und Makroklysmen 
oder als Bilenpillen ä 0,2 g, und haben gefunden, dass sie be¬ 
sonders bei der im Sigma und Rectum lokalisierten Konstipation 
von Erfolg sind. Auch der paralytische Ileus, die postoperative 
Darmparalyse, sowie die hartnäckigeren Formen von Darmträgheit 


1) A. Ewald, Ueber die diätetische Behandlung von Darmkrank¬ 
heiten. Zeitschr. f. ärztl. Fortbildung, 1909, Nr. 10. 

2) Lauder Brunton, I. Action of medicines, London 1897, S. 431. 

3) Singer und Glaessner, Die abführende Wirkung der Gallen¬ 
säuren. Archiv f. Verdauungskd., 1912, Bd. 18, H. 2, S. 192. 


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8 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


bei chronischer Peritonitis, bei schwerkranken bettlägerigen Personen 
gehören in ihren Aktionsbereich. 

Mit dieser kurzen Aufzählung ist die Summe der neueren 
Mittel bei weitem nicht erschöpft, namentlich ist durch die 
mehr oder weniger glückliche Kombination bereits bekannter 
Präparate, die nur unter neuer Flagge segeln, wie z. B. die 
Dannau-Tabletten (Cascara sagrada-Extrakt und Phenolphthalein), 
das Chocolin (Cacaopulver mit Manna und Phenolphthalein) u.s.f., 
eine weitere Anzahl von Präparaten dem Arzt und Publikum in 
die Hand gegeben. Auf der Kombination der chemischen Cascara- 
wirkung mit der mechanischen Quellwirkung des Agar-Agar 
beruht der günstige Effekt des Regulins, der in vielen Fällen un¬ 
verkennbar ist, in anderen gar nicht oder nur vorübergehend ein- 
tritt. Jedenfalls kann es bei chronischer Verstopfung lange Zeit 
ohne Nachteil genommen werden. 

Ein neues Gebiet hat sich die Chirurgie gegenüber den 
beregten Zuständen erobert. Schon 1899 empfahl der amerika¬ 
nische Professor der Proctologie, Martin 1 ), „proctologist to the 
Cleveland general hospital“, die Durchschneidung der stark aus¬ 
gebildeten Houston’schen Klappen, hinter denen sich der Stuhl 
anhäuft, und diese Methode ist neuerdings von Goebell 2 ) mit 
gutem Erfolge aufgenommen worden. 

Stier!in 3 ) bzw. Wilms haben die Ausschaltung des ganzen 
Colon ascendens in Fällen von Stagnation des Kotes in diesem 
Darmteil (Obstipation von Ascendenstypus) versucht, indem sie 
das abgetrennte lleum in das Quercolon einpflanzten. Der Erfolg 
soll in neun von zehn Fällen sehr befriedigend gewesen sein, so 
dass sich eine vollständige Regelung des Stuhlganges einstellte. 
Eine lebhafte Debatte hat die Frage des sogenannten Coecum 
mobile und die chirurgische Behandlung der ihm zugeschriebenen 
Verstopfungszustände hervorgerufen, die wohl noch nicht als ab¬ 
geschlossen zu betrachten ist. Ich selbst stehe auf dem Stand¬ 
punkt, die gelegentlich vorhandene abnorme Beweglichkeit des 
Coecums, wenn überhaupt, nur in sehr beschränktem Maasse als 
Ursache der chronischen Obstipation anzusehen, denn man kann 
sehr häufig ohne weiteres durch die manuelle Palpation oder 
nach Aufblähung der Därme mit Luft eine deutliche Verschieb¬ 
lichkeit des Coecums bei Personen wahrnehmen, die nicht nur 
nicht an Verstopfung, sondern an Durchfall leiden, wie sie dann 
andererseits auch nicht gerade selten gefunden wird, ohne dass 
irgendwelche Darmbeschwerden vorhanden sind. So gross das 
Interesse ist, welches sich an diese chirurgischen Bestrebungen 
knüpft, so gering sind die Aussichten, dass sie es zu einer Be¬ 
handlungsmethode bringen werden, die sich auf mehr wie ver¬ 
einzelte Fälle erstreckt. Der grössere Teil des hier in Betracht 
kommenden Publikums nimmt lieber jahraus, jahrein seine Pillen, 
geht in die Badeorte, lebt auch eine Zeitlang, so lange der Arzt 
mit dem Diätzettel dahinter steht, nach einer vorgeschriebenen 
Kostordnung, als dass er sich einer, in den letztgenannten Fällen 
doch immerhin recht eingreifenden, Operation unterzieht. Da es 
aber, wie jedem einigermaassen erfahrenen Arzt sattsam bekannt 
ist, Fälle genug gibt, die unter einer hartnäckigen Obstipation 
auf das äusserste, körperlich und seelisch leiden, so würde ihnen 
ein neues Leben aus solchem Eingriff erwachsen, über dessen 
Indikationen und Ausführung Stierlin (1. c.) einzuseben ist 4 ). 

Was den akuten und chronischen Darmkatarrh an¬ 
betrifft, sei nochmals der grosse Fortschritt hervorgehoben, den 
uns die bessere Kenntnis der den verschiedenen Darmstörungen 
zugrunde liegenden Störungen des Chemismus und die darauf 
begründete Diätetik 5 ) gebracht hat. Dies gilt namentlich für 
die Kinderkrankheiten, bei denen sich — es sei nur an die Lehre 
von den Mehlnährschäden erinnert — geradezu eine Umwälzung 
in der Behandlung der Kinderdiarrhöen ergeben hat 6 ). Von 


1) T. C. Martin, Obstipation. Philadelphia 1899. 

2) R. Goebell, Zur chirurgischen Therapie der Obstipation. Med. 
Klinik, 1910, Nr. 45, S. 1771. 

3) E. Stierlin, Ueber eine neue operative Therapie gewisser Fälle 
schwerer Obstipation mit sogenannter chronischer Appendicitis. Grenz¬ 
gebiete, Bd. 20, S. 509. — Derselbe, Ueber die Obstipation vom 
Ascendenstypus. Münchener med. Wochenschr., 1911, Nr. 36. 

4) Anmerkung bei der Korrektur. Soeben, diese Wochenschr., 1912, 
Nr. 51 und 52, gibt F. Karewski eine auf reiche Erfahrung begründete, 
ebenso objektive wie einsichtige Besprechung der Frage der chirurgischen 
Behandlung chronischer Obstipation, der ich mich auf Grund meines 
Materials in allen wesentlichen Punkten anschliesse. 

5) Cf. Th. Rosenheim, Die Behandlung der chronischen Darm¬ 
katarrhe. Deutsche med. Wochenschr., 1906, Nr. 23. 

6) Siehe die vortreffliche Darstellung in „Die Bedeutung der Getreide- 
mcble für die Ernährung“ von M. Klotz. Berlin 1912, Springer.^., 


Nr. 1. 


neueren Drogen und chemischen Präparaten auf diesem Gebiete 
sei die Uzara genannt, von der wir wiederholt recht gute Erfolge 
gesehen haben. Wir benutzten den Liq. Uzara, d. h. eine 2 proz. 
Lösung der Droge, von dem zweistündlich 20—30 Tropfen ge¬ 
geben wurden. Auch die Verbindung der Gerbsäure mit Albu- 
minaten in Form des Tannocols, Tannalbins dürfte als ein Fort¬ 
schritt zu bezeichnen sein, weil die genannten Präparate den 
Magen unverändert passieren und erst im Darm zur Wirkung 
kommen. Hierher gehören auch die übrigen Präparate, bei 
denen durch Kombination oder Addition des Bismuts, des 
Tannins, des Ichthyols, des Silbers mit Eiweiss, Gelatine, Form¬ 
aldehyd, Acetyl usw. beabsichtigt wird, unter Schonung des 
Magens die Darmschleimhaut zu beeinflussen. Dasselbe hat man 
durch Umhüllung des betreffenden Arzneimittels mit einer im 
Magen unlöslichen, im Darm löslichen Masse, Keratin oder durch 
die Gelodurat- und Glutoidkapseln zu erreichen gesucht, von 
denen die keratinierten Präparate sich sicherlich als untauglich 
erwiesen haben, bei den letzteren die Zweckmässigkeit ihrer Ver¬ 
wendung noch sub judice steht. 

Auch bei den chronisch entzündlichen Prozessen der 
Darmschleimhaut haben wir in der Chirurgie einen mächtigen 
Bundesgenossen gefunden. Ich denke dabei weniger an die An¬ 
legung einer Kotfistel oder die Resektion erkrankter Darmteile, 
wie sie, um ein ganz banales Beispiel zu nehmen, die Appendi- 
citisbehandlung beherrscht und sich bei den verschiedenen Coecal- 
erkrankungen auf tuberkulöser, carcinomatöser oder infektiöser 
Basis (Aktiuomyko.se) bewährt, sondern an die Durchspülung des 
Darms von einer Appendikostomie aus, oder die Ausschaltung des 
gesamten Dickdarms durch Anastomosenbildung zwischen Rectum 
bzw. Sigma und Coecum, die uns bei dysenterischen Zuständen 
wiederholt gute Erfolge gebracht hat. 

Es heisst in der Tat Eulen nach Athen tragen, wenn schliess¬ 
lich auf den besonderen Fortschritt hingewiesen wird, den uns 
die Methoden der Rektoromanoskopie und die durch sie er¬ 
möglichte und auf sie begründete Lokalbebandlung gebracht hat. 
Es ist das grosse Verdienst der Amerikaner Otis, Kelly und 
Tuttle, die früher üblichen kurzen Specula, mit denen kaum 
die Ampulla recti zu besichtigen war, in der Weise vervollkommnet 
zu haben, dass wir jetzt ohne jede Schwierigkeit die ganze untere 
Darmstrecke bis hinauf zur Flexur des Sigma übersehen können. 
Es sei gegenüber gegenteiligen Auslassungen hier wiederum und 
nachdrücklichst betont, dass wir darin ein ebenso ungefährliches 
wie leicht zu handhabendes Verfahren besitzen, das jeder Arzt 
ebensogut ausüben sollte, wie er z. B. den Kehlkopfspiegel oder 
den Augenspiegel anwendet. Denn Hand in Hand mit der 
Förderung der Diagnostik 1 ), die uns daraus erwachsen ist, geht 
die Bereicherung unserer Behandlungsmöglichkeiten, die jetzt in 
viel höherem Maasse wie früher in einer ausgiebigen und erfolg¬ 
reichen Lokalbehandlung bestehen. Die neuen Errungenschaften 
auf diesem Gebiete, ich erinnere nur an den Nachweis hoch¬ 
sitzender Carcinomknoten, Polypen, ulceröser bzw. dysenterischer 
und syphilitischer Prozesse, entzündlicher und varicöser Ver¬ 
änderungen, sind jedermann bekannt. Ich möchte nur besonders 
hervorheben, dass wir in der letzten Zeit wiederum in zwei 
Fällen, in denen keinerlei Symptome auf ein bestehendes Mast- 
darmcarcinom hinwiesen, mit Hilfe des Romanoskops eine hoch¬ 
sitzende circumscripte Geschwulst zu entdecken imstande waren. 
Der Darm hatte noch keine Verwachsungen mit der Nachbar¬ 
schaft erlitten, und die Verhältnisse lagen für eiue vorzunehmende 
Operation sehr günstig. In solchen Fällen kommt man in der Tat 
dem chirurgischen Desiderium einer Frühoperation schon recht nahe. 

Aehnliches leistet jetzt auch die radioskopische Unter¬ 
suchung, die anfänglich mehr die Topographie der Därme ge¬ 
fördert hat, jetzt aber nicht nur neue Einblicke in den Ablauf 
der Darmbewegung und der Passage des Darminhalts gibt, sondern 
auch ähnliche Angaben über das Vorliegen pathologischer Gewebs¬ 
veränderungen bringt, wie sie dies am Magen schon längst getan 
hat. So kann der Beginn einer carcinomatösen Striktur zu einer 
Zeit durch das Röntgen verfahren nachgewiesen werden, wo die 
anderen klinischen Untersuchungsmethoden noch versagen. Aehu- 
lich ist es nach M. Cohn 2 ) mit Dickdarmdivertikeln, dem chro- 


1) Dies gilt nicht nur für die positiven, sondern auch für die 
negativen Befunde. Sehr treffend sagt Rosenheim (Ueber die praktische 
Bedeutung der Romanoskopie, Ewald-Nummer, diese Wochenschr., 1905, 
Nr. 44a, S. 12): „Besonderen Wert hat in zweifelhaften Fällen die Fest¬ 
stellung der Tatsache, dass die Sigraaschlinge.. als gesund angesprochen wer¬ 
den darf. Dadurch ist unsere Ungewissheit mit einem Schlage beseitigt“ usw. 

2) Diese Wochenschr., 1912, S. 2377. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


9 


G. Januar 1913. 


niscben subakoten Volvulas, der Differentialdiagnose zwischen 
Darmconvoluten und Tumoren anderer Abdominalorgane. 

Ich sehe an dieser Stelle ausdrücklich von der Besprechung 
der Therapie bei bestimmten, auf gesonderter Basis beruhenden 
Darmkrankheiten, wie etwa der Darmtuberkulose, der akut in¬ 
fektiösen Darmkrankheiten (Typhus, Ruhr, Cholera usw.) ab, wie 
denn auch die rein chirurgischen Affektionen ausser Betracht 
bleiben müssen. Aber es darf nicht vergessen werden, zum 
wenigsten die Grenzgebiete und vor allen Dingen die Behand¬ 
lung der Appendicitis und des Ulcus duodenale, in der der 
innere Arzt mit dem Chirurgen heutzutage mehr wie je Hand in Hand 
geht, als einen überaus glücklichen und segenbringenden 
Fortschritt zu nennen. Es ist nicht möglich, auf die Einzelheiten 
dieses weiten und grossen Gebietes einzugehen, doch können wir 
mit Genugtuung feststellen, dass die innere Medizin mehr und 
mehr die kleinliche Angst aufgegeben hat, In ihrer Domäne ge¬ 
schmälert zu werden, wenn sie ihre Kranken betreffendenfalls zur 
rechten Zeit dem Chirurgen abgibt. Es wäre nur zu wünschen, 
dass die Chirurgie nun nicht in das andere Extrem verfällt und 
die Fälle, bei denen ein Zusammengehen mit dem Inneren von 
ihrer Seite aus wünschenswert und nölig wäre, in ihrem Hause 
zurückbäit und „innerlich“ weiter behandelt. 

Schliesslich kann ich nicht unterlassen, es als einen wesent¬ 
lichen Fortschritt in der Behandlung der Darmkrankheiten an¬ 
zusehen, dass beute in ungleich grösserem Maasse wie früher die 
Kranken in zahlreichen gutgeleiteten Sanatorien Gelegenheit 


finden, eine sacbgemässe und namentlich diätetisch sorgsame 
Behandlung durchzumachen. Vor 50 Jahren war davon so gut 
wie gar keine Rede, namentlich - fehlten die Sanatorien in 
den Kurorten fast ganz, und es darf nicht unterschätzt wer¬ 
den, dass die Patienten heute viel mehr wie früher von 
dem Belieben und dem Zwange der Gastwirte unabhängig ge¬ 
worden sind. 

So finden wir denn auf der gesamten weiten Strecke der 
Pathologie und Therapie unseres Gebietes ein erfreuliches Vor- 
wärtsschreiten dank der emsigen und eingehenden Arbeit zahl¬ 
reicher Forscher, und dürfen hoffnungsvoll in die Zukunft blicken. 
Einen nicht geringen Anteil daran hat, dem können und 
wollen wir uns nicht verachliessen, der Umstand, dass 
sich im Laufe der Jahre die Bearbeitung der Magen- 
und Darmkrankbeiten mehr und mehr zu einem Sonder¬ 
fache herausgebildet hat. Daran lässt sich, so sehr man 
auch die Einheit der Medizin hochhalten und eine möglichst 
universelle Bildung als das erstrebenswerte Ideal hinstellen mag, 
nun einmal, wie die Dinge liegen, nichts ändern. Wir wollen 
hoffen, dass die innere Medizin nach wie vor imstande ist, 
alle diese divergierenden Elemente in einem Brennpunkt zu 
sammeln, und dass die Zersplitterung nicht nach abermals 
50 Jahren so weit gegangen ist, dass wir, wie schon jetzt 
in Amerika, besondere Spezialisten für das Rectum, den unteren, 
mittleren und Oberdarm, den Magen und die Speiseröhre haben 
werden! 


Aus der Königl. chirurgischen Klinik zu Breslau 
(Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. H. Küttner). 

Ueber circumscripte Tumorbildung durch ab¬ 
dominale Fettnekrose und subcutane Fett¬ 
spaltung. 

Von 

Hermann Küttner. 

Da die Pathologie des Fettgewebes noch in vielen Punkten 
der Klärung bedarf, erscheinen die folgenden Beobachtungen der 
Mitteilung wert. 

A. Umschriebene Tumorbildung bei abdominaler 
Fettnekrose. 

Während circumscripte Abscedierungen bei der abdominalen 
Fettnekrose keine Seltenheiten sind, ist die Bildung um¬ 
schriebener Tumoren, welche den Eindruck echter 
Geschwülste her vorrufen, bei dem an Problemen so reichen 
Krankheitsbilde bisher nicht beschrieben worden. Die beiden 
folgenden Beobachtungen sind, wie mich ein eingehendes Literatur¬ 
studium gelehrt bat, bisher die einzigen ihrer Art. 

Der erste Fall, den ich sah, betraf eine korpulente 56 jährige Dame. 
Die Krankheit setzte akut mit heftigen abdominalen Erscheinungen ein, 
die zunächst zurückgingen, aber in den folgenden drei Wochen sich 
mehrfach, wenn auch in milderer Form, wiederholten. Wir fanden in 
der rechten Bauchseite etwas oberhalb der Ileocoecalgegend einen kinds¬ 
kopfgrossen, derben, rundlichen Tumor, dessen im allgemeinen glatte 
Oberfläche nur in den unteren Partien einer höckerigen Beschaffenheit 
Platz machte. Wir konnten die Differentialdiagnose zwischen einem 
entzündlichen und einem malignen Tumor nicht mit Sicherheit stellen, 
neigten aber, der Vorgeschichte halber, mehr zur Annahme eines appendi- 
citiscben Infiltrats. Bei der Laparotomie stellte sich ein Konglomerat 
verbackener Darmschlingen ein. Während ihrer Lösung quoll in ge¬ 
ringer Menge eine höchst auffallende, durchaus nicht wie Eiter aus¬ 
sehende opike Flüssigkeit hervor, die reichlioh Fettropfen enthielt, und 
gleichzeitig gelangte ich in einen mit bröckligen, wie von einem zer¬ 
fallenen Tumor herrübrenden Massen angefüllten Hohlraum, der von 
verklebten Darmschlingen und Netz abgeschlossen war. Die Massen 
wurden ausgelöffelt und machten makroskopisch den Eindruck nekro¬ 
tischen Fettes. Der Wurmfortsatz war vollkommen intakt. Die Wunde 
wurde teilweise tamponiert. Der Verlauf war glatt, der Tampon konnte 
bald entfernt werden, worauf sich die Wunde überraschend schnell 
schloss. Auffallend war, dass jede Eiterung um den Tampon fehlte. 
3* 2 Jahre nach der Operation wurde volles Wohlbefinden der Patientin 
festgestellt. — Die mikroskopische Untersuchung der entfernten 
Massen ergab nun, dass es sich in der Tat ausschliesslich um nekro¬ 
tisches Fett handelte, daneben fanden sich nur spärliche Rundzellen 
und Fettkörncbenzellen. Weder Tumorbestandteile noch Eiter konnten 
□achgewiesen werden, dementsprechend ergab auch die bakteriologische 
Untersuchung ein negatives Resultat. 


In dem zweiten Falle handelte es sich um einen 45 jährigen, ziem¬ 
lich fettleibigen Herrn, der am 16. Dezember 1911 plötzlich unter 
heftigem Erbrechen, Schüttelfrösten und hohem Fieber mit Schmerzen 
in der Leber- und Magengegend erkrankte, die in die rechte Schulter 
und den rechten Arm ausstrahlten. Dabei war der Stuhl angehalten, 
Winde gingen nicht ab. Schon am nächsten Tage war ein druck¬ 
empfindlicher Tumor in der Gallenblasengegend zu fühlen, bald danach 
trat Icterus auf. Der Tumor blieb bestehen, während das abdominale 
Krankheitsbild durch eine typische, normal verlaufende Pneumonie ab¬ 
gelöst wurde. — Bei der 2 1 /* Monate nach Beginn der Erkrankung er¬ 
folgten Aufnahme fand sich ein länglicher derber Tumor in der Gallen¬ 
blasengegend, der auf Grund der charakteristischen Anamnese, ebenso 
wie vom Hausarzte und einem internen Kollegen, so auch von mir als 
Gallenblasentumor angesprochen wurde. Bei der Laparotomie zeigte 
sich, dass die Geschwulst dem Netz angehörte und durch unbedeutende 
flächenhafte Adhäsionen am Colon asoendens in Höhe der Gallenblase 
fixiert war. Nach dem eigentümlich opaken Aussehen auch der Schnittfläche 
schien sie aus nekrotischem Fett zu bestehen. Die betreffende Netzpartie 
wurde abgetragen; Gallensteine fanden sich nicht, auch in der Gegend 
des Pankreas und in der übrigen Bauchhöhle war nichts Pathologisches 
nachzuweisen. Die Rekonvaleszenz war ungestört. Pat. befindet sich 
seit der Operation vollkommen wohl. 

Während in dem ersten Falle nur die bröckligen ausge¬ 
löffelten Massen untersucht werden konnten, lag hier ein in toto 
exstirpierter Tumor vor, der bakteriologisch wie histologisch ein¬ 
gehend geprüft wurde. Auch hier war das Ergebnis der bak¬ 
teriologischen Untersuchung (Hygienisches Institut Geheimrat 
Pfeiffer) ein negatives. Der mikroskopische Befund (Dr. 
Hörz) aber war folgender (vgl. Figur 1). 

Auf Paraffinschnitten, die mit Hämatoxylineosin gefärbt wurden, 
sieht man bei schwacher Vergrösserung unregelmässig rundliche Fett¬ 
läppchen, welche durch mehr oder minder breite Bindegewebssepten 
voneinander getrennt sind. Schon bei schwacher Vergrösserung fällt 
auf, dass, während die Mehrzahl der Bindegewebssepten, besonders die 
dickeren, sehr kernreich sind, andere keinerlei oder nur sehr spärliche 
Kerne zeigen; ebenso fehlen an den eigentlichen Fettzellen die Kerne. 
Noch ein zweites fällt an den Fettläppchen auf: während die kern¬ 
haltigen bindegewebigen Septen die gewöhnliche rosarote Eosinfärbuog 
annebmen, zeigen die kernlosen Bindegewebssepten und die Fettläppchen 
selbst eine etwas blässere Rotfärbung mit einem lichten Stich ins 
Gelbliche. 

Bei starker Vergrösserung sieht man, dass die kernhaltigen Binde¬ 
gewebssepten aus einem zellreichen faserigen Bindegewebe bestehen, in 
welches zahlreiche Leukocyten und grössere, Blutpigrnent führende 
Zellen eingelagert sind. An einzelnen Stellen überwiegen die Leuko¬ 
cyten über die spindeligen Bindegewebszellen, ausserdem finden sich 
hier zahlreiche grössere, epithelähnliche Zellen, so dass man das Bild 
eines jungen Granulationsgewebes vor sich bat. 

Nach verschiedenen Seiten gehen nun die kernhaltigen Septen all¬ 
mählich in kernlose über; zunächst werden die spindeligen Kerne der 
Bindegewebszellen immer spärlicher und verschwinden schliesslich ganz, 
während noch hier und da in den sonst kernlosen Partien Lymphocyten 

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10 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 1. 


Figur 1. 



Umschriebene Tumorbildung durch abdominale Fettnekrose. 
Starke Vergrösserung. 


zu sehen sind. Die Bindegewebsstruktur ist auch in den völlig kern¬ 
losen Partien noch wohl zu erkennen. 

Die Fettläppchen selbst erweisen sich auch bei starker Vergrösse¬ 
rung als kernlos. 

Besonders zu erwähnen sind einzelne Stellen, an denen kern¬ 
lose Fettläppchen an kernführende Bindegewebssepten angrenzen. Hier 
sieht man in der Randzone der Bindegewebssepten eine stärkere Lympho- 
cytenausammlung, welche nach dem Rande des Fettläppchens zu ersetzt 
wird von einem schmalen Saum grosser epithelähnlicher Zellen, welche 
teilweise auch zwischen die zunächst liegenden Fettzellen eindringen. 
Einzelne besonders grosse Zellen zeigen mehrere unregelmässig verteilte 
Kerne und stellen also Riesenzellen vom Typus der Fremdkörperriesen¬ 
zellen dar. 

Zu erwähnen ist noch, dass mit der Weigert’schen Bakterienfärbung 
keine Bakterien nachweisbar waren. 

Wie die klinische, so musste auch die mikroskopische Dia¬ 
gnose auf Fettnekrose lauten. 

Es handelt sich also hier um zwei analoge Fälle, in denen 
eine mit dem charakteristischen stürmischen Krankheitsbilde ein¬ 
setzende abdominale Fettnekrose nicht zu den bekannten Ver¬ 
änderungen führte, sondern die Bildung ganz umschriebener 
solider Tumoren veranlasste, welche in einem Falle eine Gallen- 
blasengeschwulsr, im zweiten einen chronisch entzündlichen oder 
malignen Tumor des Darmes vortäuschten. 

B. Umschriebene, durch Fettspaltung hervorgerufene 
Tumorbi 1 dung in der Mamma. 

In dem folgenden Falle hat es sich ebenfalls um eine durch 
Veränderungen des Fettgewebes herbeigeführte Tumoi bildung, 
und zwar in der Mamma gehandelt, doch liegt hier ätiologisch 
ein durchaus anderer Prozess als der der abdominalen Fettnekrose 
zugrunde. 

Die G3jährige Patientin hatte G Wochen vor der Aufnahme einen 
Stoss gegen die Mamma erlitten, und einige Wochen später an der be¬ 
treffenden Stelle zufällig einen derben Tumor gefühlt, der sich bei der 
Untersuchung als harte, nussgrosse Geschwulst im unteren inneren 
Quadranten der linken Mamma darstellte. Die bedeckende Haut wies 
eine geringfügige iivide Verfärbung "auf und war über dem Tumor, der 
bis in die Substanz der Mamma hineinzureichen schien, nicht frei ver¬ 
schieblich. Bei der Exstirpation zeigte sich, dass die Geschwulst dem 
Unterfettgewebe angehörte und den Drüsenkörper intakt liess. Das Fett 
hatte die eigentümlich opake Beschaffenheit, welche für die abdominale 
Fettnekrose charakteristisch ist, und ich glaubte eine durch das Trauma 
bedingte Nekrose des Subcutaufettes vor mir zu haben. 

Die mikroskopische Untersuchung (Dr. Hörz) ergab 
folgendes Resultat (vergl. Figur 2 und 3). 

An Schnitten, welche in Paraffin eingebettet und mit Häraatoxylin- 
eosin sowie nach van Gieson gefärbt wurden, sieht man in der Um¬ 
gebung des Tumors normales Fettgewebe mit einzelnen Gefässen und 
schmalen, spärlichen Bindegewebssepten. 

In der makroskopisch als Tumor imponierenden Partie überwiegt 
wiederum das Fettgewebe. Im Gegensatz zu den normalen Fettpartien 


Figur 2. 



Tumorbildung durch Spaltung des subcutanen Fettes der Mamma. 
Starke Vergrösserung. 


Figur 3. 



Tumorbildung durch Spaltung des subcutanen Fettes der Mamma. 

Gefrierschnitt. Starke Vergrösserung. 

der Umgebung aber fällt hier schon bei schwacher Vergrösserung eine 
ungleich stärkere Entwicklung der bindegewebigen Septen auf, die als 
breite Bänder die ganze Tumorpartie durchziehen und nach allen Seiten, 
immer feiner werdend, baumförmig verästelte Ausläufer abgeben, deren 
feinste Enden selbst zwischen die einzelnen Fettzellen eindringen. 

Bei starker Vergrösserung sieht man in den Fettpartien der Um¬ 
gebung überall die kleinen, spärlichen Kerne der Fettzellen, während 
die Septen aus schmalen, locker gefügten Spindelzellen und Bindegewebs- 
fibrillen bestehen. Im Tumor dagegen bestehen die Septen aus einem 
zellreichen Bindegewebe, das eine starke Durchsetzung mit Lympho- 
cyten zeigt. Vielfach sieht man Stellen, an denen die Fettzellen gegen¬ 
über diesem lympbocytendurchsetzten Zwischenbindegewebe ganz in den 
Hintergrund treten. Besonders ist dies der Fall in dem Tumorgebiet, 
welches die Grenze gegen das normale Fettgewebe der Umgebung 
bildet und infolge dieses Ueberwiegens des kernreichen Bindegewebes 
schon bei Lupenvergrösserung als dunkel gefärbter Saum deutlich hervor¬ 
tritt. Hier finden sich auch im Bindegewebe, oft am Rande einer Fett¬ 
alveole liegend, grössere Zellen mit mehreren, unregelmässig über den 
ganzen Zellleib verteilten Kernen, die ihrem ganzen Aussehen nach als 
Fremdkörperricsenzellen anzusehen sind. 

Ueber die Herkunft dieser Fremdkörperriesenzellen 
(Figur 2 und 3) geben uns Gefrierschnitte Aufschluss. Auf diesen 
erkennt man, über das ganze Tumorgebiet verteilt, innerhalb der 
von dem lymphocytendurchsetzten Bindegewebe umschlossenen 
Fettzellen zahlreiche, zu radiär geschichteten Büscheln angeordnete 
Kristallnadeln (Figur 3), an deren Rande man vielfach die 
eben beschriebenen Fremdkörperriesenzellen sitzen sieht. Die 
Kristallbüschel färben sich mit Sudan blassgelb, während sie mit 
der Fischler’schen Fettsäurefärbung eine dunkelblaue Farbe an- 
ueh men. 


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6. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass es sich tat¬ 
sächlich am Fettsäurekristalle handelt. 

Anzeichen für Gewebsnekrose finden sich nirgends in den 
Präparaten, dem entspricht auch, dass die Benda’sche Reaktion 
auf Fettgewebsnekrose sowohl makroskopisch als mikroskopisch 
negativ aus fällt. 

Das mikroskopische Bild zeigt demnach eine Abspaltung 
von Fettsäuren aus dem Fettgewebe und eine chronische 
Entzündung im Zwischenbindegewebe. Ob eine primäre 
Fettspaltung sekundär eine reaktive Entzündung des benachbarten 
Bindegewebes hervorgerufen hat, oder aber, ob eine primäre 
chronische Entzündung des Bindegewebes sekundär zu einer 
Spaltung des Neutralfettes geführt hat, lässt sich schwer ent¬ 
scheiden. Die Bildung der Fremdkürperriesenzellen spricht mehr 
für eine primäre Fettzersetzung mit sekundären Entzündungs¬ 
erscheinungen. Dass der Prozess mit dem angegebenen Trauma 
zusammengehangen hat, erscheint durchaus wahrscheinlich. 

Auch hier habe ich eine völlig analoge Beobachtung in der 
Literatur nicht finden können. Am nächsten steht unserem Falle 
ein von Lanz 1 ) im Jahre 1898 publizierter, in dem es sich eben¬ 
falls um einen traumatisch entstandenen, für ein aberriertes 
Carcinom gehaltenen Tumor der dem Sternalrande benachbarten 
Partien der Mamma gehandelt hat. Die mikroskopische Unter¬ 
suchung ergab ein der unsrigen ähnliches Resultat, doch wuide 
von Lanz die Diagnose direkt auf Fettnekrose gestellt, während 
in unserem Falle die entzündlichen Erscheinungen im Vorder¬ 
gründe standen, und eine eigentliche Nekrose nirgends nachzu¬ 
weisen war. Auch in dem von Hey de 3 ) 1911 veröffentlichten 
Falle hat es sich um eine echte Nekrose im Subcutanfette des 
Oberschenkels gehandelt, ln einem Lipom der Mamma scheint 
Targett*) Veränderungen gefunden zu haben, welche den oben 
mitgeteilten ähnlich sind, die Beschreibung ist indes nicht ganz 
klar, und Sbattock bezeichnete in der Diskussion das Objekt 
wiederum als Fettnekrose. Multiple Tumoren, die durch einen 
im subcutanen Fettgewebe lokalisierten sklerosierenden Ent 
zondungsprozess hervorgerufen waren, haben Pfeiffer 4 ) und 
Rothmann 6 ) beschrieben, doch unterscheiden sich diese Fälle 
durch das Auftreten vielfacher, zum Teil symmetrischer Knoten¬ 
bildungen von dem unsrigen, dessen Bedeutung ebenso wie die 
des Lanz’schen Falles in der Differentialdiagnose gegenüber eigent¬ 
lichen Mammatumoren gelegen ist. 


Aus dem medizinisch-poliklinischen Institut der Uni¬ 
versität Berlin (Direktor: Geh. Med.-Rat Professor 
Dr. Goldscheider). 

Ueber das Coma diabeticum. 

Von 

Privatdozeot Dr. Rudolf Ehrmann, Assistenzarzt. 

Die genaue klinische Beschreibung des Bildes des Coma 
diabeticum rührt bekanntlich von Kussmaul 6 ) her. Er beschrieb 
als die hervorstechendsten Eigenschaften dieses eigentümlichen 
Zustandes, durch den in vielen Fällen der Diabetes mellitus 
seinen tödlichen Abschluss findet, die tiefe Bewusstlosigkeit ver¬ 
bunden mit der auffallend dyspnoischen Atmung, die ohne jede 
Störung in den Luftwegen und ohne jede Cyanose vorhanden sei. 
Der so charakteristische Symptomenkomplex war allerdings schon 
viel früher aufgefallen und war bereits 20 Jahre vorher von 
Marsh 7 ), v. Dusch 6 9 ) u. A. ziemlich gut gekennzeichnet worden. 
Gleichzeitig hiermit waren auch schon Veränderungen des nor¬ 
malen Chemismos bei diesem Kraukbeitsbilde beobachtet worden, 
ao das Auftreten von Aceton durch Petters 6 ), Kau lieh 10 ) und 

1) Traumatische Fettnekrose. Centralbl. f. Chir., 1898, S. 1253. 

2) Zur Kenntnis der subcutanen Fettgewebsnekrose. Deutsche 
Zeitschr. f. Chir., 1911, Bd. 109. 

3) Concretion in a lipoma of the breast. Pathological Society of 
London, Lancet 1896, 7. März. 

4) Ueber einen Fall von herdweiser Atrophie des subcutanen Fett¬ 
gewebes. Deutsches Archiv f. klin. Med., 1892, Bd. 50, S. 438. 

5) Ueber Entzündung und Atrophie des subcutanen Fettgewebes. 
Virchow’s Archiv, 1894, Bd. 136, S. 159. 

6) Kussmaul, Deutsches Archiv f. klin. Med., 1874, Bd. 14. 

7) Marsh, Dublin quaterly review, 1858, Bd. 17. 

8) ▼. Dusch, Zeitschr. f. rationelle Med., 1854, Bd. 4. 

9) Petters, Prager Vierteljahrsschr., 1857, Bd. 55. 

10) Kaulich, ebenda, 1860, Bd. 67. 


11 

Lerch. Hinzu kam die Aufdeckung der Acetessigsäure durch 
C. Gerhardt 1 ), Tollens 2 ) und v. Jaksch 3 ) als eine bei ein- 
tretendem und ausgebildetera Coma diabeticum vorhandene Sub¬ 
stanz. Erst viel später wurde der dritte der für das Coma 
charakteristischen Acetonkörper, die linksdrehende /1-Oxybutter- 
säure festgestellt. Aus der gefundenen vermehrten NH S Aus¬ 
scheidung im Urin beim Coma diabeticum wurde nämlich eine 
vorhandene Säure erschlossen und schliesslich die \-ß Oxybutter- 
säuie durch die Arbeiten von Stadelmann 4 ), Minkowski 5 ), 
Külz 6 ) erwiesen. 

Wenige Jahre vorher hatte Walter 7 ) in Sch m iedeberg’s 
Laboratorium die experimentelle Salzsäurevergiftung von Kaninchen 
studiert und gefunden, dass die tödliche Säurevergiftung durch so¬ 
fortige Zufuhr von Natriumkarbonat stets beseitigt werden, konnte. 
Da die Salz'äurevergiftung ein dem Coma ähnelndes Bild bot, und 
da auch im Coma die Ausscheidung erheblicher Mengen von 
Säuren nunmehr festgestellt war, schlug Stadel mann 8 ) vor, 
auch hier Natron zur Absättigung der Säuren therapeutisch zu 
verwenden. Diese Therapie erwies sich in der Tat als segens¬ 
reich, wenn sie auch, wie wir sehen werden, von falschen Vor¬ 
aussetzungen au^ging und eine dauernde Rettung wie beim Tiere 
nicht statifindet. Da weiterhin Minkowski*) und F. Kraus 10 ) 
eine erhebliche Alkaleszeuzverminderung im Coma feststellten, so 
schien alles darauf hinzuweisen, die Alkaleszenzabnahme des 
Blutes infolge Säurewirkung als die Ursache des diabetischen 
Coma anzusehen. Diese Auffassung, zunächst der Schule 
Naunyn’s, vor allem Stadel mann’s, wurde um so mehr ge¬ 
stützt, als die 1-^-Oxybuttersäure durch Magnus-Levy ll ) in 
solchen Mengen in den Organen der an Coma Verstorbenen nacb- 
gewiesen wurde, dass die an sich als ungiftig angesehene Säure 
durch Alkaliverarmung des Organismus sehr wohl zum Tode führen 
konnte. 

Der Ausbau dieser Lehre führte schliesslich auch dazu, den 
beiden anderen Substanzen, der Acetessigsäure und dem Aceton, 
ihre im Anfang vermutete ursächliche Bedeutung für das Coma 
fast gänzlich zu nehmen. 

Zugunsten der Behauptung, dass im Coma diabeticum keine 
spezifische Wirkung der dabei gefundenen Acetoukörper vorliege, 
wie sie auf das bestimmteste durch Naunyn 12 ), Minkowski 13 ) 
und Magnus-Levy 14 ) ihren Ausdruck gefundeu hat, sondern dass 
die Alkalientziehung des Blutes und der Gewebe, ähnlich wie 
bei der experimentellen Salzsäurevergiftung das Coma bervorrufe, 
wurde vor allem auch die fehlende Toxizität der Oxybuttersäure 
herangezogen. Es muss jedoch bemerkt werden, dass diese Sub¬ 
stanzen nur relativ unschädlich sind, aber in gewissen Mengen 
doch immerhin schwerere Erscheinungen hervorrufen. So fand 
schon Kussmaul 15 ) und später auch Penzoldt 18 ), dass Aceton 
Vergiftungserscheinungen am Kaninchen hervorruft. 

Statt der linksdrehenden ß -Oxybuttersäure wurde meist die 
käufliche inaktive ß -Oxybuttersäure zu intravenösen und sub¬ 
cutanen Injektionen am Tier verwandt. Araki 17 ), W. Stern¬ 
berg 18 ), Wilbur 1 *) fanden sie jedoch ungiftig. Der letztere, der 
auf Veranlassung v. Noorden’s arbeitete, sah jedoch ihr Natrium¬ 
salz bei intravenöser Zufuhr toxisch wirken. Er glaubte daher, 


1) C. Gerhardt, Wiener med. Presse, 1865, Nr. 28. 

2) Tollens, Liebig’s Annalen, 1881, Bd. 209. 

3) v. Jaksch, Bericht d. deutschen chem. Gesellsch., 1882, und 
Ueber Acetonurie und Diaceturie, Berlin 1885. 

4) Stadel mann, Archiv f. experim. Pathol. u. Pbarmakol., 1883, 
Bd. 17. 

5) Minkowski, ebenda, 1884, Bd. 18. 

6) Külz, Zeitschr. f. Biol., 1884, Bd. 20, und 1887, Bd. 23. 

7) Walter, Archiv f. experim. Pathol. u. Pbarmakol., 1877, Bd. 7. 

8) Stadelmann, ebenda, 1883, Bd. 17, sowie Deutsches Archiv f. 
klin. Med., 1885, Bd. 37, und 1886, Bd. 38. 

9) Minkowski, Mitteil. a. d. Königsberger med. Klinik, 1888. 

10) F. Kraus, Zeitschr. f. Heilk., 1890, Bd. 10. 

11) Magnus-Levy, Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., 1899, 
Bd. 42, und 1901, Bd. 45. 

12) Naunyn, Der Diabetes mellitus, Wien 1906. 

13) Minkowski, Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., 1884, 
Bd. 18. 

14) Magnus-Levy, ebenda, Bd. 42 u. 45, sowie Ergehn, d. inneren 
Med. u. Kinderheilk., 1908, Bd. 1. sowie Albu’s Saraml. zwangl. Abhandl. 
a. d. Geb. d. Verdauungskrankh., 1909, Bd. I. 

15) Kuss maul, 1. c. 

16) Penzoldt, Deutsches Archiv f. klin. Med., 1883, Bd. 34. 

17) Araki, Zeitschr. f. physiol. Chemie, 1894, Bd. 18. 

18) W. Sternberg, Virchow’s Archiv, 1898, Bd. 152. 

19) Wilbur, Journ. americ. med. assoc., 1904. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 1. 


dass die Säure ungiftig sei, dass aber im Blut aus ihrer Ver¬ 
bindung mit den Alkalien des Blutes toxische Salze sich bildeten. 
W. Sternberg 1 ) und Grube 2 ) fanden, dass /f-Aminobutter- 
säure ein dem Coma ähnliches Bild hervorrufe, and sie sprechen 
daher diese als die Muttersubstanz der l/l-Oxybuttersäure und als 
die Ursache des Coma an. 

Es ist jedoch ausser Zweifel, dass weder die ß Aminobutter- 
säure, noch die inaktive ß Oxybuttersäure im Organismus eine 
Rolle spielen oder als Vorstufen der im Coma vorhandenen 
1-^-Oxybuttersäure in Betracht kommen können. Auch die viel¬ 
fachen Verfutterungen der 1-^-Oxybuttersäure und der Acetessig- 
säure an gesunde und diabetische Menschen sowie an Tiere 
durch Prerichs, Albertoni, v. Jaksch, Minkowski, Wein- 
traud, Geelinuyden, Waldvogel, Magnus-Levy, Schwarz, 
Baer und Blum Hessen so gut wie keine toxischen Eigenschaften 
erkennen. Minkowski 3 ) macht überdies gegen die Giftigkeit der 
1-^-Oxybuttersäure noch den logischen Eiuwand geltend, dass sie 
in diesem Falle nicht Jahre hindurch ohne jegliche Funktions¬ 
störung von manchen Diabetikern in so grosser Menge ausge¬ 
schieden werden könnte. 

Naunyn 4 ) äussert sich in seinem Lehrbuch über das Coma 
diabeticum: „. . ., dass in dieser wichtigen Stoffwechselanomalie 
keineswegs eine besondere (spezifische oder Gift-)Wirkung 
der Oxybuttersäure zur Geltung kommt; diese wirkt viel¬ 
mehr lediglich als ,Säure*, d. b. durch die Säurebelastung 
des Stoffwechsels . . .“ 

ln der Tat konnten die Grundlagen der Lehre Naunyn’s 
nicht erschüttert werden, da es nicht gelang, durch Zufuhr 
der im Coma vorhandenen oder der diesen verwandten Säuren 
experimentell das gleiche Bild bervorzurufen. Ebensowenig konnte 
die Behauptung, dass die AlkaleszenzVerminderung das Coma be¬ 
dinge, widerlegt werden. 

Zu unseren Zweifeln, das Wesen des Coma diabeticum in 
einer Alkalientziehung durch vorhandene Säuren zu sehen, hatten 
wir aber mehrfache Gründe. 

Zunächst fusste diese Annahme auf der Aehnlichkeit, die 
das Coma diabeticum mit der experimentellen Salzsäurevergiftung 
bot, die ja als reiner Säuretod auftrat und durch Zufuhr von 
Natriumkarbonat regelmässig verhindert werden konnte. Nachdem 
man dann beim Coma ebenfalls abnorm auftretende Säuren fest¬ 
gestellt und die günstige Wirkung der Alkalien beobachtet 
hatte, während die betreffende Säure selbst sich anscheinend als 
ungiftig erwies, lag eine Identifizierung des experimentellen und 
des klinischen Bildes allerdings nahe. 

Und doch sind die beiden Zustände nur recht wenig ver¬ 
gleichbar, wenn man sie genauer analysiert. 

Im Coma bandelt es sich vor allem um schlafähnlichen 
Bewusstseinsverlust, um eine Betäubung, die stunden- bis tage¬ 
lang andauert. Bei der Salzsäurevergiftung tritt Collaps und 
erst infolgedessen Verlust des Bewusstseins und schnell hinterher 
dann der Tod ein. Einen narkoseähnlichen Zustand haben wir 
beim Salzsäure vergifteten Kaninchen nicht gesehen. Der Blut¬ 
druck ist schon bei beginnendem Coma, wie wir bei mehreren 
Fällen von Coma diabeticum gefunden haben, herabgesetzt, bei 
der Salzsäurevergiftung des Tieres hingegen ist er während der 
Dyspnoe gesteigert. Die Atemfrequenz ist nach unseren Beob¬ 
achtungen zu Beginn des Comas häufig deutlich verringert, beim 
Kaninchen hingegen zeigt sich nach Zufuhr von Salzsäure an¬ 
fangs beschleunigte Atmung. Auch die C0 2 Abnahme ist nach 
den Untersuchungen von Fr. Kraus 5 ) beim Comatösen keineswegs 
so erheblich vermindert, wie sie bei dem salzsäurevergifteten Tier 
von Walter 6 ) beobachtet wurde. 

Ueberhaupt scheint uns die Frage, inwieweit man in der 
C0 2 -Abnahme eine austreibende Wirkung der stärkeren Säure 
und infolgedessen eine Bindung des vorher an C0 2 gebundenen 
Alkalis sehen will, noch nicht geklärt, da beim Kaninchen 
auch bei andersartigen Vergiftungen, z. B. nach oxalsaurem 
Natron, Toluylendiamin u. a., wie Hans H. Meyer 7 ) beobachtet 


1) Sternberg, Zeitschr. f. klin. Med, 1899, Bd. 38. 

2) Grube, Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., 1900, Bd. 44. 

3) Minkowski, Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., 1884, 
Bd. 18. 

4) Naunyn, Der Diabetes mellitus. 2. Aufl. 1906, S. 219. 

5) Fr. Kraus in Lubarsch-Ostertag, 1895, und Archiv f. Heilk., 
1890, Bd. 10. 

6) Walter, 1. c. 

7) Hans Meyer, Archiv f. experiment. Pathol. u. Pharmakol., 
1883, Bd. 17. 


hat, starke C0 2 Abnahme des Blutes eintritt. Eines der wesent¬ 
lichsten Momente aber ist noch die Tatsache, dass, wie bereits 
Salkowski 1 ), Gaethgens 2 ) und Walter festgestellt hatten, nur 
der Herbivore diese Salzsäurevergiftung infolge Alkalientziehung 
aufweist, während der Carnivore und auch der Mensch die 
Säuren duich Ammoniak grossenteils zu binden vermag und so 
sich der Alkalientreissung entziehen kann. 

Man kann daher keineswegs einfach die Verhältnisse der 
Alkalientziebung vom Kaninchen auf den Menschen übertragen 
und gewiss nicht, wie das von Magnus-Levy 3 ) geschehen ist, 
aus den in den Organen Vorgefundenen Mengen von 1-/9 Oxy butter¬ 
säure die deren Acidität entsprechende Menge Salzsäure berechnen, 
um aus ihrer für Kaninchen pro Kilo tödlichen Dosis den Tod 
des comatösen Menschen erklären zu wollen. 

Die Säurevergiftung an sich ist aber nicht nur in jener 
Weise auf die Herbivoren wie das Kaninchen beschränkt, sondern 
hat sogar bei diesem nach Walter’s eigenen Experimenten 
nicht einmal für organische Säuren, wie die Bernsteinsäure, 
Geltung. Während 0,9 g pro Kilo Salzsäure die tödliche Gabe 
darstellen und diese 0,9 g durch die Alkalientziehung tödlich 
wirken, d. h. eine 0,77 g Na 2 0 entsprechende Menge an Alkali 
entziehen, finden wir in Walter’s Versuchen 9,0 g pro Kilo Bern¬ 
steinsäure, die 4,7 g Na 2 0 entziehen müssen, ohne Wirkung auf 
das Tier. Nicht einmal für alle anorganischen Säuren scheinen 
hier die gleichen Verhältnisse vorzuliegen. So kann jedenfalls 
Schwefelsäure, wie ich beobachtet habe, vom Kaninchen zum 
Teil durch Bildung von Indikan entgiftet werden, so dass auch 
beim Kaninchen der Organismus nicht ohne weiteres jeder Mineral- 
säuren Vergiftung durch eintretende Alkaliverarmung erliegen muss. 
Was die Wirkung des Natriumcarbonats anlangt, so kann beim Tier 
nach Salzsäurevergiftung die tödliche Wirkung regelmässig 
verhindert werden; beim Diabetischen hingegen handelt es sich 
nur um eine Verzögerung oder Hintanhaltung des schliesslich 
doch ausbrechenden Coma. 

Wir werden später zeigen, dass hierbei auch ganz andere 
pharmakodynamische Wirkungen des Natriumcarbonats vorliegen 
als dort. Würde das Alkali den gleichen Wirkungsmecbanismus 
wie bei der Salzsäurevergiftung haben, so müsste man in jedem 
Falle den Tod durch Coma verhindern können. Aber selbst bei 
stärkster Zufuhr von Alkalien und nach stärkster Alkalescenz des 
Urins hat man doch das Coma nicht endgültig abwenden können, 
und gleiche Beobachtungen haben v. Noorden 4 ) und Andere 
in mehreren Fällen mit dauernd alkalischem Urin gemacht. 
Die zuerst nach Einführung der Alkalitherapie mitgeteilten Be¬ 
richte von dauernder Heilung des Coma sind auch dann all¬ 
mählich verstummt. Die zweifellos im Sinne der Hinausschiebung 
günstige Wirkung der Alkalien kann aber, da sie das Coma nicht 
regelmässig beseitigt, nicht mehr als vollgültiger Beweis dafür, 
dass eine Säure Vergiftung vorliegt, angesehen werden, wie das 
bereits Fr. Kraus 5 ) und v. Noorden auch betont haben. 

Wir kommen daher zu dem Schlösse, dass die präventive 
Wirkung der Alkalien im Coma mit der durch Paralysierung 
unbedingt heilenden, beim Salzsäure vergifteten Kaninchen nichts 
gemein hat. Seit Einführung der Alkalitberapie bat sich das 
Coma diabeticum nicht vermindert, und ein grosser Teil der 
Diabetiker und vor allem die jugendlichen sterben, jetzt wie zu¬ 
vor, im Coma. 

Bleibt also schon bei einer Analysierung des Bildes der 
experimentellen Salzsäurevergiftung nicht mehr viel Gemeinsames 
mit dem Coma der Diabetischen übrig, so war ein Beweis natür¬ 
lich erst dann erbracht, wenn es gelang, experimentell durch die 
im Coma vorhandenen Säuren einen dem klinischen Bilde voll¬ 
kommen analogen Zustand herbeizufübren. Hatte doch gerade 
der Umstand, dass diese Säuren sich so gut wie ungiftig gezeigt 
hatten, sowohl bei der Zufuhr im Tierexperiment als auch bei 
Einnahme des gesunden und des diabetischen Menschen, mit dazu 
gedrängt, ihre Wirkung in der Alkalientziebung des Organismus 
zu suchen. 

Bei unseren Versuchen gingen wir von der Voraussetzung 
aus, dass zum Zustandekommen des Coma weder vom Darm¬ 
kanal ausgehende Toxine (G. Klemperer) noch die Alkalient- 


1) Salkowski, Virchow’s Archiv, Bd. 58. 

2) Gaethgens, Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 4. 

3) Magnus-Levy, Ergebnisse d. inneren Medizin u. Kinderheilk., 
1908, Bd. 1, S. 412. 

4) v. Noorden, Die Zuckerkrankheit und ihre Behandlung. 5. Auf¬ 
lage, 1910. 

5) Fr. Kraus, 1. c. 


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6. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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ziehung durch Säuren (Stadelmann, Naunyn, Minkowski, 
Magnus-Levy) in ihrer ursächlichen Bedeutung genügend sicher- 
gestellt sind, und dass vielleicht der im Coma auftretenden 
Acetessigsäure und 1-jfl-Oxybuttersäure spezifische Giftwirkungen 
von der Art des Coma zukämen. Dass das Coma in der Tat 
einer Vergiftung ausserordentlich ähnelt, diesem Eindruck kann 
man sich nicht entziehen, und v. Noorden 1 ) schreibt mit Recht: 
„Wer jemals Gelegenheit gehabt hat, einen Diabetiker im typischen 
diabetischen Coma sterben zu sehen, nimmt von dem Kranken¬ 
bette den unauslöschlichen Eindruck mit, dass ein schwerer Ver¬ 
giftungszustand vorlag.“ 

Zur Beantwortung dieser Frage musste man mit den ge¬ 
nannten Substanzen oder aber mit ihrer Muttersubstanz, der Butter¬ 
säure, experimentieren. Die l-/0-Oxybuttersäure war in den nötigen 
Mengen und in der nötigen Reinheit nicht zu beschaffen, um 
damit die Hauptzahl der Versuche anzustellen. Bei der 
Acetessigsäure, deren Natriumsalz wir uns herstellten, be¬ 
stehen die Schwierigkeiten in der ausserordentlich geringen 
Haltbarkeit. Die Buttersäure hingegen bzw. ihr Natronsalz ist 
chemisch rein käuflich zu haben. Ihr Zusammenhang mit 
den beiden anderen Säuren ist ein naher, und sie kommt viel¬ 
leicht sogar als die hauptsächlichste Muttersobstanz dieser im 
diabetischen Organismus in Betracht. Vom normalen mensch¬ 
lichen Organismus wird sie mit dem Schweiss ausgeschieden und 
findet sich als Natronsalz besonders in den Muskeln. Nachdem 
uns Vorversuche gezeigt hatten, dass die Natronsalze der drei 
Säuren prinzipiell die gleiche Wirkung hervorriefen und nur 
Unterschiede in der Intensität bei gleichen Mengen boten, ver¬ 
wendeten wir hauptsächlich das buttersaure Natrium. Zunächst 
wurden Versuche an Hunden angestellt. Es zeigten sich erst 
deutliche Resultate, sobald man die für das menschliche Coma 
hauptsächlichen Vorbedingungen, jugendliches Alter und Unter¬ 
ernährung, auch hierbei berücksichtigte. Diese Versuche, die 
A. Marx 2 ) im poliklinischen Institut ausführte, ergaben, dass 
ein das menschliche Coma andeutendes Krankheitsbild durch 
intraperitoneale Einverleibung von buttersaurem Natron häufig 
bei jungen hungernden Hunden zu erzielen war. 

Am kräftigen und erwachsenen Hund Hess sich aber ein 
comaartiges Bild nicht erzielen. Die Tiere hätten ausserdem 
dorch die grossen Dosen, die hierzu wahrscheinlich nötig ge¬ 
wesen wären, und die dadurch bedingten Störungen im Magendarm¬ 
kanal kein brauchbares Objekt zum Studium der Comafrage ge¬ 
boten. Aehnlich liegen die Verhältnisse offenbar beim Menschen, 
bei dem sich bekanntlich enorme Mengen 1-^ß-Oxybuttersäure 
aufgestapelt finden müssen, wenn es zum Coma kommen soll. 
Nach Versuchen an Katzen haben wir schliesslich im Kaninchen 
ein geeignetes Objekt gefunden, worüber wir bereits [Ehrmann 
und Esser 8 ), Ehrmann 4 5 ), A. Loewy und Ehrmann 6 )] berichtet 
haben. 

Es zeigte sich, dass das Natriumsalz der Buttersäuren, 
nämlich der Acetessigsäure (= ß Ketobuttersäure), der \-ß- 
Oxybuttersäure und der Buttersäure, per os verabreicht, in 
gewissen Dosen regelmässig ein dem menschlichen Coma 
bis in Kleinigkeiten hinein ähnelndes Bild hervorriefen. 
Auch verwandte Fettsäuren boten im wesentlichen dieses Bild, 
unterschieden sich meist aber in der zum Coma erforderlichen 
Dosis. Mit am wenigsten giftig erwies sich die racemische ß-Ozy- 
buttersäure. Ueberhaupt zeigte sich gerade die Substanz am 
toxischsten, die noch am ehesten unter gewöhnlichen Verhält¬ 
nissen im Organismus Vorkommen dürfte, die normale Butter- 
säure. 

Nach Eingiessung der leicht alkalischen Lösung von 3,2 bis 
3,6 pro Kilo buttersauren Natrons in 50 ccm Wasser, manchmal 
anch erst bei etwas höheren Dosen, tritt bei Kaninchen regel¬ 
mässig Coma ein, das entweder zum Tode führt, oder aus dem 
sich die Tiere nach einigen Stunden wieder erholen. Grössere 
Dosen sind stets letal, kleinere rufen nur verlangsamte und ver¬ 
tiefte Atmung und bisweilen Diarrhöen hervor, während das Tier 
bei Bewusstsein bleibt. Bei den angegebenen Dosen tritt meist 
schon im Verlauf einer Stunde tiefe Bewusstlosigkeit auf. Die 
Reflexe sind herabgesetzt oder ganz aufgehoben. Die Atmung ist 
schon vorher auffallend vertieft und verlangsamt und sinkt mit 

1) v. Noorden, 1. c., S. 140. 

2) A. Marx, Zeitschr. f. klin. Med., 1910, Bd. 71. 

3) Ehrmann und Esser, Verhandlungen der Berliner medizinischen 
Gesellschaft, 1910, S. 266, und Zeitsohr. f. klin. Med., 1911, Bd. 72. 

4) Ehrmann, ebenda, Bd. 72. 

5) Loewy und Ehrmann, ebenda, Bd. 72. 


eintretender Bewusstlosigkeit immer weiter bis auf 40 bis 30 
Atemzüge in der Minute statt 70 bis 80, ohne mühsam zu sein. 
Besondeis deutlich ist das kurze und stossförmige Exspirium. 
Auch im menschlichen Coma ist, nachdem wir infolge dieser 
Beobachtungen unsere Aufmerksamkeit darauf gerichtet hatten, 
dieses stossförmige Exspirium von uns gesehen worden. 
Ganz wie beim menschlichen Coma ist die Vertiefung der Atmung, 
Kussmauls „grosse“ Atmung, zuerst ausgeprägt, und erst später 
tritt die Benommenheit auf. Was diese Verlangsamung der 
Atmung beim Tiere anlangt, so ist in der Literatur des mensch¬ 
lichen Coma wenig darüber berichtet, abgesehen von Naunyn, 
der in zwei Fällen bei bereits beginnendem Coma 14 abnorm 
vertiefte Respirationen in der Minute beobachtete. Da sich aber 
auch beim Hunde diese Verlangsamung der Atmung zeigt und die 
Bilder vom diabetischen und experimentellen Coma sich in hohem 
Maasse gleichen, war daran zu denken, dass die Respirations¬ 
verlangsamung im diabetischen Coma vielleicht verdeckt sei. 
Das in grosser Menge gebildete Aceton dürfte wohl dafür verant¬ 
wortlich zu machen sein und dürfte vielleicht, durch eine be¬ 
schleunigende Wirkung auf die Atmung, die Verlangsamung para¬ 
lysieren. Es zeigte sich auch im Experiment analog, dass nach 
Eingabe von Buttersäureäthylester, statt des buttersauren Natriums, 
in entsprechender Menge, eine Respirationsverlangsamung nicht 
mehr eintrat, während im übrigen die grosse Atmung mit stoss- 
förmigem Exspirium vollkommen ausgebildet war. Die Herztätig¬ 
keit wird bei fortschreitendem Coma schwächer, übereinstimmend 
mit dem Coma diabeticum. Der Blutdruck fängt bald zu sinken 
an. Vom menschlichen Coma sind derartige Blutdrucksenkungen 
bisher nicht beschrieben worden. Nachdem uns aber das Ex¬ 
periment darauf aufmerksam gemacht hatte, konnten wir bei 
oder sogar schon längere Zeit vor beginnendem Coma des 
Menschen stets eine starke Blutdrucksenkung beobachten, 
ln dieser Blutdrucksenkung ist m. E. jedenfalls auch, falls sie sehr 
schnell fortschreitet, die Ursache des bisweilen beobachteten soge¬ 
nannten diabetischenCollapses zu sehen, auf denv. Frerichs 1 ) zuerst 
aufmerksam gemacht hat. Auch die akute Herzschwäche, die 
nicht selten den Tod herbeiführt, und die nach v. F rerichs 1 ) und 
v. Noorden 2 ) mit dem Coma diabeticum nichts zu tun hat, sind 
wir auf Grund unserer Untersuchungen jedoch geneigt, als Wirkung 
der Acetessigsäure und 1-^-Oxybuttersäure auf das cardiovasculäre 
System zu betrachten. Die Augäpfel sind beim comatösen Hund, 
wie A. Marx 3 ) beobachtete, und beim comatösen Kaninchen leicht 
eindrückbar, was wir später auch nach darauf gerichteten Be¬ 
obachtungen am comatösen Menschen regelmässig feststellten. Es 
war bereits schon von Krause bei einigen Fällen dieses Symptom 
bemerkt worden. Bei bewusstlos eingelieferten Kranken, bei denen 
Urämie oder Coma in Frage kommt, kann dieses Symptom zur 
vorläufigen Klärung verwendet werden. Auch die von uns fest¬ 
gestellte Senkung des Blutdruckes, im Gegensatz zur Urämie, hat 
diagnostische Bedeutung und muss in Zukunft auch therapeutisch 
wohl beachtet werden. Während an den Pupillen der Tiere Ab¬ 
normitäten von uns nicht wahrgenommen wurden, sahen wir 
unwillkürliche nystagmusartige Bewegungen der Bulbi. Nach 
v. Noorden 2 ) zeigen auch die comatösen Diabetiker bisweilen 
langsame Bewegungen der Augäpfel. Wir haben sie gleichfalls am 
Menschen beobachtet. Ein weiteres gemeinschaftliches Symptom ist 
die Temperaturabnahme, die beim Kaninchen rectal von 39° etwa 
(im Sommer höher) bis auf 3735° allenfalls 34° herabsinkt. 
Collapstemperaturen, wie wir sie am salzsäurevergifteten Tier wahr- 
n&hmeu, traten nie ein. Die Därme sind in lebhafter Bewegung, 
es besteht Meteorismns und Stuhlentleerung und nach stärkeren 
Dosen treten Durchfälle auf. Die Urinabsonderung ist anscheinend 
erhöht, und im Urin finden sich meist Aceton bzw. Acetessigsäure. 
Auch im menschlichen Goma sind im Beginn unfreiwillige Stuhl¬ 
entleerungen nach Naunyn nicht selten. Eine vermehrte Urin¬ 
ausscheidung, die vielleicht auf eine Wirkung der vorhandenen 
Fettsäuren zurückzuführen ist, habe ich bei einem jugendlichen 
schweren Diabetiker mit starker Acetonkörperausscheidung be¬ 
obachtet, bei dem nach Diät der Urin nur gegen 1 pCt. Dextrose 
enthielt und demgemäss die grosse tägliche Urinmenge von 
3—4000 ccm und darüber nicht durch den Zuckergehalt erklärt 
werden konnte. 

Wir haben also im experimentellen Coma ein dem diabetischen 
Coma in jeder Hinsicht fast gleiches Symptomenbild, dessen 


1) v. Frerichs, Zeitschr. f. klin. Med., 1883, Bd. 6. 

2) v. Noorden, 1. c. 

3) A. Marx, 1. c. 

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14 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 1. 


Einzelheiten ans anf eine Reihe von Dingen hingewiesen haben, 
die wir dann auch im menschlichen Coma bei genauer Unter¬ 
suchung vielfach fanden und die auch daher für eine eingehendere 
Symptomatologie des menschlichen Comas wertvoll geworden sind. 

Wichtiger jedoch noch war das experimentelle Coma für die 
Genese des Coma diabeticum. 

Dadurch, dass das experimentelle Coma nach buttersaurera, 
acetessigsaurem und L/l-oxybuttersaurem Natrium eintrat, d. h. 
also nach den schwach alkalisch reagierenden Salzen, liess sich 
schon klar ersehen, dass es gar nicht von der Zufuhr der freien 
Säure abhängig sein kann. Auch der Einwand, dass durch die 
Salzsäure des Magens die Säure freigemacht würde, ist deswegen 
nicht stichhaltig, weil die Flüssigkeit sehr schnell in den Darm 
übergeht und schnell zur Resorption gelangt, und da ausserdem 
die Salzsäure des Magens lange nicht hinreicht, um die ein- 
geführten Fettsäuremengen zu vertreten. Ausserdem tritt das Coma 
auch bei Umgehung des Magens, durch Injektion der alkalischen 
Lösung des buttersauren Natriums in die Blutbahn, regelmässig 
mit den gleichen Symptomen auf. Der stark alkalische Urin weist 
ebenfalls darauf bin, dass im Organismus wohl kaum ein Mangel 
an Alkali vorhanden sein kann. Noch auf andere Weise konnte 
ich zeigen, dass es sich nicht um eine ungiftige, nur durch ihre 
Wirkung als Säure toxische Substanz handelt, sondern dass eine 
spezifische Wirkung vorliegt: Eine der Buttersäure nahestehende 
Säure, die Isobuttersäure, die die gleiche elementaranalytische Zu¬ 
sammensetzung aufweist, und die der gleichen Menge Alkali zur 
Absättigung bedarf, ruft in der gleichen Dosis wie jene, pro Kilo 
Tier, verabreicht, kein Coma hervor, sondern führt erst nach 
viel höheren Dosen zu comatösen Erscheinungen. Dies zeigt 
deutlich, dass die Annahme der Naunyn’schen Schule, die Säure 
an sich spiele keine Rolle und komme nur hinsichtlich ihrer 
Alkalientziehung beim Coma in Betracht, nicht richtig ist. 

Dieses verschiedene Verhalten von zwei nahestehenden Fett¬ 
säuren bezüglich des experimentellen Coma gewinnt um so mehr 
für das menschliche Coma an Interesse, als auch hier zwei sich 
nahe verwandte Fettsäuren, die Acetessigsäure und die l-^-Oxy- 
buttersäure, vorhanden sind, deren gegenseitiges Toxizitätsverhältnis 
wir nunmehr zu beachten haben, und das bei der Möglichkeit 
des leichten wechselseitigen Ueberganges der einen in die andere 
auch in therapeutischer Hinsicht von Bedeutung werden kann. 
Nachdem diese Beobachtung gemacht war, war noch die Frage 
zu entscheiden, wie die CO a -Abnahme sich bei den beiden Säuren 
und speziell zum Coma verhielte. Seitdem durch Minkowski 1 ) 
und Fr. Kraus 2 ) die C0 2 -Abnahrae im diabetischen Coma fest¬ 
gestellt worden war, wurde dieser Befund als eine der Haupt¬ 
stützen der Lehre vom Coma diabeticum als einer Folge der Alkali¬ 
entziehung herangezogen. Wie ich zusammen mit A. Loewy aber 
beobachtete, tritt die C0 2 -Abnabme eben sowohl nach dem butter¬ 
saurem als auch nach dem isobuttersauren Natron ein, während 
das Coma nur nach dem ersteren erfolgt. 

Da die Werte für die C0 2 des Blutes ebenso stark nach iso¬ 
buttersaurem wie nach dem buttersauren Natron sinken, ohne dass 
bei jenem Coma eintritt, muss die Annahme, dass die C0 2 Abnahme 
als Zeichen der Alkalibindung zum Coma führt, unrichtig sein. 

Ebensowenig bat der charakteristische coroatöse Atemtypus 
Beziehungen zu einer Alkalientziehung, da nach intravenöser 
Zufuhr von Natriumcarbonat und Natriumbicarbonat sich keioe 
Aenderung io dem Atmungstyp zeigte. Nur Adrenalin war im¬ 
stande, während der Dauer der darauf folgenden Blutdrucksteigerung 
eine normale Atmung des comatösen Tieres herbeizuführen, die 
aber nachher wieder in die grosse Atmung umschlug. Man wird 
die „grosse 11 Atmung wohl als eine toxische Einwirkung der 
Fettsäuren auf das Atemcentrum ansehen müssen. Ob dann 
weiterhin Bewusstlosigkeit und schliesslich Tod eiotritt, hängt von 
der Art der betreffenden Fettsäuren und von ihrer Menge ab. 
Da aber die veränderte Atmung in unseren Experimenten sich 
viel früher zeigte und es bisweilen bei kleineren Dosen dabei allein 
bleibt, sollte man auch bei zu erwartendem Coma diabeticum 
aufs sorgfältigste auf dieses frühzeitige Sypmtom achten, um 
rechtzeitig therapeutische Hilfe bringen zu können. 

Diese toxische Wirkung auf das Atemcentrum dehnt sich 
schliesslich auf das übrige Centralnervensystem aus und führt 
zum Bewusstseinsverlust. Dass gerade das Gehirn der Angriffs¬ 
punkt der buttersauren Salze ist, konnte von mir dadurch deut¬ 
lich gezeigt werden, dass die zum Coma erforderliche Dosis nicht 


1) Minkowski, 1. c. 

2) Fr. Kraus, 1. c. 


so vom Körpergewicht, als vielmehr vom Hirngewicht bedingt sich 
herausstellte. 

Wir sahen nämlich, dass Tiere, die bereits einmal zum Ver¬ 
such gedient und leichtes Coma gezeigt hatten, bei späteren 
Versuchen immer grössere Dosen pro Kilo Körpergewicht zum 
Eintritt von leichtem Coma verlangten. Die Tiere, die an Gewicht 
meist erhebliche Einbusse erlitten hatten, zeigten aber stets 
wieder Coma, wenn man die für ihr früheres Körpergewicht er¬ 
forderliche und meist zwischen 3,2 und 3,6 g pro Kilo individuell 
schwankende Dosis ihnen wieder zuführte. Da das Gehirn das¬ 
jenige Organ ist, das bei Abmagerung vom Gewichtsverlust kaum 
mitbetroften wird, so ist es verständlich, dass die für das be¬ 
treffende Individuum nötige Dosis, trotz starker Abnahme des 
Körpergewichtes, doch weiterhin Geltung behält. Andererseits 
ist wiederum der Rückschluss erlaubt, dass buttersaures, acetessig- 
saures und l-/9-oxybuttersaures Natrium Hirngifte sind, deren Be¬ 
deutung für das experimentelle und das diabetische Coma in 
erster Linie auf dieser ihrer toxischen Wirkung für das Central¬ 
nervensystem beruht. 

Schliesslich ist noch das Auftreten von Aceton im Urin zu 
erwähnen, das im Experiment allerdings in geringen Mengen im 
Vergleich zum diabetischen Coma auftritt. Bei den geringen 
Mengen, die da gebildet werden, muss man dem Aceton jedwede 
Bedeutung für das experimentelle Coma absprecheu. Im Coma 
diabeticum, wo grosse Mengen Aceton entstehen, könnte es jedoch 
in gewisser Hinsicht eine Rolle ira Bilde des Coma spielen. 
Vielleicht ist die Atmung möglicherweise deswegen meist nicht 
deutlich verlangsamt, weil das Aceton, ähnlich wie Aethylalkohol 
im experimentellen Coma, die Verlangsamung der Atmung zu 
paralysieren vermag. 

(Schluss folgt.) 


Aus der Universitätskinderklinik in Göttingen (Direktor: 
Professor F. Göppert). 

Die Therapie sogenannter unstillbarer Blutungen 
im Säuglingsalter. 

Von 

Dr. Kurt Blfihdoru, Assistenzarzt der Klinik. 

(Nach einem Vortrag in der Göttinger medizinischen Gesellschaft.) 

M. H.! Ich möchte Ihnen heute über die Therapie einiger 
sogenannter unstillbarer Blutungen im Säugliogsalter berichten, 
die sich, wie aus dem Namen hervorgeht, ganz besonders durch 
die Trübheit ihrer Prognose auszeichnen. Bei diesen Blutungen, 
die durch die üblichen chirurgischen Maassoabmen absolut nicht 
zu beeinflussen sind, muss man von vornherein an Anomalien der 
Blutgerinnung denken. Die Therapie ist, wenn man diesen Faktor 
berücksichtigt, bis zu einem gewissen Grade vorgeschrieben. 

Es handelt sich in unseren Fällen um drei verschiedene 
Typen derartiger Erkrankungen, nämlich um Melaena neonatorum, 
ferner um Purpura abdominalis (Henoch) und drittens um einen 
Fall von Nabelblutung bei Sepsis mit pernieiösem Icterus. Ich 
will die von uns eingeschlagene Therapie an der Hand der aus¬ 
zugsweise wiedergegebenen Krankengeschichten der einzelnen Fälle 
kurz erläutern. 

Fall 1. Melaena neonatorum. E9 handelt 9ich um ein drei 
Tage altes Kind A. H., das an diesem Tage, morgens, mit schwarzem 
stinkenden Stuhl erkrankt war. Es werden bei der Aufnahme drei Windeln 
voll von schwarzem übelriechenden, reichlich bluthaltigem Stuhl vor¬ 
gezeigt. 

Status. 23. V. 1912. Ausgetragenes Kind, kalt, blass. Mund 
etwas rot und trocken. Es werden sofort 2,5 ccm Pferdeserum (Diphtherie¬ 
serum) injiziert und innerlich wird zweistündlich 0,5 g Calcium aceticum 
dargereicht. 

24. V. Seit der gestern abend erfolgten Aufnahme sind nachts 
vier Stühle erfolgt, die noch blutige Beimengungen zeigten, jedoch hat 
die Quantität des beigemischten Blutes ganz bedeutend abgenommen und 
der letzte Stuhl, der am Morgen erfolgte, ist bereits reichlich mit Schleim 
gemischt, während die vorhergehenden Stühle ganz dünnflüssig waren. 
Der Zustand des Kindes ist ganz wesentlich gebessert, und es scheint 
keinerlei Gefahr mehr zu bestehen. 

Die innerhalb von zwölf Stunden dargereichte Kalkmenge be¬ 
trug 3 g. Es wird auch heute noch Kalk in geringeren Mengen weiter¬ 
gegeben. 

25. V. Heute insgesamt drei reichlich kothaltige Stühle, die ersten 
beiden noch etwas blutig, der dritte frei von Blut (chemische Blut- 


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6. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


15 


probe noeh positiv). Das Kind trinkt gut, und der Zustand ist aus¬ 
gezeichnet. 

28. V. Kind sieht rosig aus, guter Turgor, keine bluthaltigen Stühle 
mehr seit drei Tagen; geheilt entlassen. 

Der Erfolg der Seruminjektion muss wohl als ganz eklatant 
bezeichnet werden, denn die profusen Darmblutungen, mit denen 
das Rind in die Klinik eingeliefert wurde, haben auf die In¬ 
jektion bin gauz prompt gestanden. Dass die in der nächsten 
Zeit nach der Verabfolgung des Serums erfolgenden Stühle noch 
blutige Beimengungen zeigten, ist ja ganz selbstverständlich. 
Auch die Wirkung des Kalkes, der namentlich anfangs in ziemlich 
grossen Dosen gereicht worden ist, soll nicht vernachlässigt 
werden. 

Fall 2. Henoch’sche Purpura. 

M. S., 6 Monate alt. Erstes Kind, das mit halb Milch, halb Hafer¬ 
schleim ernährt wird. Vor drei Wochen hat das Kind einen akuten 
Magen- und Darmkatarrh durchgemacht, es hat damals bis zu 1 Liter 
Milch bekommen. In den letzten 14 Tagen ist der Stuhl von sehr harter 
Konsistenz, höchstens einmal am Tage. 

Das Kind nimmt sehr wenig Nahrung zu sich, kommt gar 
nicht vorwärts, nimmt im Gegenteil am Gewicht ab und sieht sehr 
schlecht aus. 

Status. 19. VI. 1912. Totenblasses Kind, angedeuteter Rosen¬ 
kranz, schlaffer Turgor. Im Urin Eiweisstrübung und unzentrifugiert 
massenhaft Leukocyten. 

Das Kind wurde, da es sich um einen sehr schweren Milchnähr¬ 
schaden handelte, auf Brustmilch gesetzt. 

27. VI. 1912. Bis heute ging es dem Kinde relativ gut; die an¬ 
fangs bestehende Pyelocystitis war schon nach vier Tagen beseitigt. 
Heute Morgen nun zeigen sich an beiden Füssen in der Tiefe unregel¬ 
mässig begrenzte rötlichblaue Hämorrhagien. Die Ober- und Unterfläche 
der Füsse ist prall angeschwollen. Auch an den Fingern, und zwar am 
linken Zeigefinger und am dritten und vierten Finger der rechten Hand 
sind zertrümmernde Blutungen nachweisbar. Keine besondere Milz¬ 
schwellung. 

Im Stuhl, der dreimal erfolgt ist, geringe blutige Beimengungen. 
Bei der klinischen Vorstellung sickert Blut aus dem After, es erfolgt die 
Entleerung von reichlich 1 Teelöffel dunkelfarbigen Blutes, ohne jeden 
Stuhlgang. 

Da der Verdacht einer Invagination bestehen muss, wird sofort eine 
bimanuelle Untersuchung vorgenommen, die jedoch den ausgesprochenen 
Verdacht nicht bestätigt. In den nächsten drei Stunden erfolgen zwei 
Stühle wiederum mit Blutbeimengungen, ein dritter um 1 Uhr mittags 
enthält wieder nur reines Blut. 

Um i/all Uhr morgens wurden 3,8 com Diphtherieserum 
subcutan injiziert und von 11 bis abends 9 Uhr 2 g Calcium¬ 
chlorid innerlich gegeben. 

Nach 1 Uhr erfolgt der nächste Stuhl um 7 Uhr abends. 
Schöner reichlicher Kotstuhl mit geringer blutiger Bei¬ 
mengung. 

28. VL Kein blutiger Stuhl mehr; keine Zunahme der Haut¬ 
blutungen. 

Auch heute weitere Darreichung von 2 g Kalk. 

29. VI. Auch weiterhin keine Darmblutung mehr, dagegen haben 
die Hautblutungen weitere Ausdehnung angenommen. 

Erneute Injektion von 3,8 ccm Serum; dabei erfolgte eine ziemlich 
starke Blutung aus dem Stichkanal, die jedoch nach einiger Zeit zu 
stillen ist. Weitere Kalkmedikation. 

Die Gewebsblutungen haben in wechselnder Intensität noch einige 
Zeit angehalten. Nach dem 7. VII. sind keine neuen Blutungen mehr 
erfolgt. Das Kind hat ausser der mit wechselnder Intensität wieder 
auftretenden Pyelocystitis noch eine schwere Bronchopneumonie durch¬ 
gemacht und konnte erst nach Wochen, dann allerdings in bestem Zu¬ 
stande aus der Klinik entlassen werden. 

Es ist also auch in diesem Falle durch das Serum gelungen, 
einen ganz tadellosen Einfluss auf die Darmblutung, die in 
unserem Falle als besonders periculös aufgefasst werden musste, 
und die dem schon so schwer geschädigten Kinde sicherlich das 
Leben gekostet hätte, zu erzielen. Auch auf die Gewebsblutungen 
Hess «Ich, wenigstens kurze Zeit eine Wirkung, die wohl auch 
zum Teil dem Kalk zugeschrieben werden kann, ausüben. 

Fall 3. Nabelblutung bei Sepsis mit schwerstem Icterus. 

E. R., 10 Tage alt, fünftes Kind, Brustkind. Das Kind ist bald 
nach der Geburt auffällig braungelb gewesen, und diese Verfärbung hält 
bis heute an. Die Windeln sind stets stark gelb gefärbt, was der Mutter 
besonders auffällt. Seit dem 3. Lebenstage werden häufiger krampfartige 
Zuckungen an dem Kinde bemerkt, es wird dieserhalb in die Klinik 
gebracht. 

Status. 2. XI. 1912. Kind mit auffälliger braungelber icterischer 
Verfärbung und leicht bläulichem septischen Ton. B'ontanelle relativ 
voll, weich. Auffällig mattes und welkes Kind. Keine palpable Milz, 
Leber klein und scharfrandig, ganz leicht blutender Nabel, so dass der 
Nabelverband etwas benetzt wird. 

Urin: Eiweiss positiv. Sehr zahlreiche Cylinder; Gallenfarbstoff 
stark positiv. 


3. XI. Fontanelle wie gestern ziemlich voll. Häufiger krampfartige 
Zustände, der Kopf wird in nach hintenüber gebeugter Stellung hin- 
und hergedreht, Stirn in Falten gelegt, das Kind lässt ächzende Laute 
hören. 

Da neben der sicher bestehenden Sepsis der Verdacht einer sub- 
tentorialen Blutung auftaucht, wird eine Spinalpunktion vorgenommen, 
die eine unter auffallend hohem Druck stehende stark blutig-seröse 
Flüssigkeit entleert, die nach 24 Stunden noch nicht geronnen ist. 

4. XI. Heute beginnt der Nabel, der bisher nur ganz leicht ge¬ 
blutet hatte, stärker zu bluten, es sickert kontinuierlich Blut aus dem 
Nabelgrunde, nicht aus den Nabelgefässen. Durch chirurgische Maass¬ 
nahmen (Kompression usw.) gelingt es nicht, auf die Blutung irgend¬ 
welchen Einfluss zu erzielen, ja, die Blutung nimmt trotz strengster 
Tamponade dauernd zu. Um die Gerinnungsfähigkeit des Blutes zu 
prüfen, wird ohne feinere Methodik folgender Versuch angestellt: 

Erstens wird die Gerinnungszeit des Nabelblutes mit 
der normalen Blutes verglichen, dabei zeigt sich, dass das 
Blut des Patienten später gerinnt als die gleiche Menge 
normalen Blutes. 

Fügt man zu dem Nabelblut des Patienten Serum (Diph¬ 
therieheilserum) zu, so gelingt es, die Gerinnungsfähigkeit 
des Blutes bedeutend zu beschleunigen, indem das Blut, 
das mit gleichen Teilen Serum gemisoht ist, weit eher ge¬ 
rinnt als das unbehandelte Nabelblut. 

Nabelblut, das man zu geronnenem normalen Blut zu- 
fliessen lässt, gerinnt fast auf der Stelle. 

Die folgende kurze Tabelle gibt die genaueren Gerinuungszeiten an : 

1. Röhrchen (normales Blut) .... Gerinnung nach ca. 2 Minuten 

2. * (Nabelblut des Patienten) . „ „ „ 7 „ 

3. „ (halb Nabelblut, halb Serum) „ „ „ 2 n 

4. * (Nabelblut -f- geronnenes 

Normalblut) „ „ „50 Sekunden 

Da auf diese Weise eine verminderte Gerinnbarkeit des Blutes fest¬ 
gestellt werden konnte, war auch in diesem Falle der Versuch, durch 
Seruminjektion und Kalkdarreichung die Blutung zu beeinflussen, wohl 
berechtigt. Es wurde um die Nabelwunde herum Serum subcutan in¬ 
jiziert, und ausserdem wurde ein mit normalem Menschenblut und Serum 
getränkter Tampon direkt auf die blutende Wunde aufgelegt und in 
üblicher Weise ein Verband angelegt. 

Zu gleicher Zeit wurde mit der innerlichen Darreichung von Kalk 
begonnen, die auch an den beiden nächsten Tagen fortgesetzt wurde 
(ca. 4 g Calciumchlorid pro die). 

Die Nabelblutung stand hiernach fast auf der Stelle. Es erfolgte 
mehrere Stunden nach der Seruminjektion eine recht beträchtliche 
Blutung aus einem Stichkanal, die erst nach längerer Zeit zu stillen war. 

5. XI. Auf der Nabelwunde völlig trockner Schorf, auch die aus 
dem Stichkanal erfolgte Blutung sistiert seit heute morgen. 

9. XI. Es ist keinerlei Blutung mehr erfolgt, so dass keine Gefahr 
mehr für das Leben des Kindes besteht. Wie sich im übrigen die Ent¬ 
wicklung des keinesfalls normalen Kindes gestalten wird, lässt sich heute 
noch nicht beurteilen. Die septischen Erscheinungen (Nephritis, Icterus) 
sind vollkommen geschwunden; gute Gewichtszunahme. Eine luetische 
Erkrankung darf wohl wegen des negativen Ausfalls der Wassermann’schen 
Reaktion ausgeschlossen werden. 

Diese Fälle von Nabelblutungen sind in ihrer Prognose über¬ 
aus ungünstig und gehen sonst wohl ausnahmslos zugrunde. Es 
kann daher bei einem so prompten Stillstand der Blutung an 
einer Wirkung der Serumtherapie nicht gezweifelt werden. Der 
Stillstand der nachträglich erfolgten Sticbkanalblutung ist viel¬ 
leicht auf den Einfluss des unterdessen wirksam gewordenen 
Kalkes zurückzuführen. Denn wir wissen aus der Anwendung 
des Kalkes bei anderen Krankheiten, dass ein Einfluss bei grossen 
Gaben schon innerhalb weniger Stunden festzustellen ist. 

Dass es sich bei der Blutung im Falle von Melaena neo¬ 
natorum um eine Herabsetzung der Gerinnbarkeit des Blutes 
handelt, ist von vornherein nicht ohne weiteres klar, denn wir 
finden bei der Sektion häufig Darmgeschwüre, aus denen die 
Blutungen erfolgen. In einer grossen Zahl der Fälle sind jedoch 
auch keinerlei anatomische Veränderungen im Darm nachzuweisen. 
Dass die Gerinnungsfähigkeit des Blutes bei Melaena tatsächlich 
herabgesetzt ist, konnte ein amerikanischer Autor, Whipple 1 ), 
durch Untersuchungen über Gerinnbarkeit zeigen. 

In unserem zweiten Falle von Purpura abdominalis können 
wir eine verlangsamte Gerinnbarkeit nicht mit Sicherheit an¬ 
nehmen, wenn auch die beschriebene ungewöhnlich starke Blutung 
bei der zweiten Seruminjektion auf Anomalien der Blutgerinnung 
hinweist. 

In dem Falle von Nabelblutung stellten wir, wie dies ja in 
der Krankengeschichte des näheren auseinandergesetzt ist, auf 
einfache Weise die Herabsetzung der Blutgerinnung fest. 


1) Whipple, Hämorrhagische Diathese usw. Ref. Therapeut. Monats¬ 
hefte, 1911. 

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16 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT 


Nr. 1. 


Wenn wir uns nun die Frage vorlegen, welche von den zur 
Gerinnung notwendigen Bestandteilen in unseren Fällen gefehlt 
haben mag, so darf ich wohl in Kurze auf die zurzeit herrschen¬ 
den Anschauungen über den Gerinnungsvorgang eingehen. Zum 
Zustandekommen der Gerinnung sind bekanntlich zwei bzw. drei 
Komponenten notwendig, nämlich das Fibrinogen, das Thrombin 
oder, wie es Fuld und Schlesinger 1 ) neuerdings nannten, das 
Holothrombin und ferner die Kalksalze. Das Thrombin ist nicht 
als einfaches Proferment im Blute enthalten, sondern setzt sich 
aus zwei Faktoren, dem Thrombogen oder Plasmathrombin und 
der Thrombokinase oder Gytothrombin zusammen. Diese beiden 
Komponenten sind imstande, in Gegenwart löslicher Kalksalze 
das Fibrinogen in Fibrin überzuführen. Dass im strömenden Blut 
eine Gerinnung nicht zustande kommt, dafür sprechen mehrere 
Gründe, die uns hier nicht interessieren. 

Bei Maelena neonatorum sind nach den Untersuchungen 
Whipple’s 2 ) Fibrinogen und Kalksalze in gewöhnlicher Menge 
vorhanden, dagegen ist ein Thrombinmangel nachweisbar. Für 
unseren Fall von Henoch’scher Purpura können wir vielleicht 
mit aller Vorsicht einen Mangel an Kalksalzen annehmen, wenn 
wir bedenken, dass die Kalkbilanz des an schwerem Milchnähr- 
schaden leidenden Kindes sicherlich stark negativ war. Welcher 
der zur Gerinnung notwendigen Faktoren aber in unserem Fall 
von Nabelblutung nicht vorhanden gewesen sein mag, darüber 
lassen sich einigermaassen bestimmte Vermutungen nicht aus¬ 
sprechen. 

Für die Therapie ist es jedenfalls von geringer Bedeutung, 
welche der einzelnen Komponenten, die zur Gerinnung notwendig 
sind, fehlen mag, da wir diese ja mit Ausnahme der Kalksalze 
kaum isoliert zuführen können. Das seit langem wohl beliebteste 
Mittel, welches man bei Blutungen gern anwendet, ist die Gelatine, 
und man hat hiermit auch z. B. in Fällen von Melaena oft recht 
günstige Erfolge erzielt. Bei der Beurteilung der Erfolge bei 
Melaena darf man freilich nicht vergessen, dass ein fast krisen¬ 
haftes Aufhören der Blutung im Moment der grössten Gefahr bei 
jeder Therapie von uns beobachtet worden ist. Man bat ferner 
auch öfter Versuche mit der Kalktherapie gemacht. Bei Melaena 
neonatorum hat jedoch Bigelow 3 ) in drei Fällen mit der inner¬ 
lichen Darreichung von Calcium lacticum keinen Erfolg gehabt. 
Dabei ist aber zu bemerken, dass, wie ich noch auseinandersetzen 
werde, dieses Kalksalz keinesfalls das bestwirksamste ist. Fälle 
von Nabelblutuug, wie der von mir beschriebene, sind nach 
unseren Erfahrungen (Göppert) bisher weder durch Gelatine¬ 
injektionen, noch auch durch Kalkdarreichung irgendwie beeinflusst 
worden, sondern vielmehr stets innerhalb von 2 bis 3 Tagen lang¬ 
sam verblutet. 

In den letzten Jahren hat man nun bei den sogenannten un¬ 
stillbaren Blutungen wohl zuerst bei der Hämophilie Serum¬ 
injektionen zum Teil mit recht günstigen Erfolgen angewandt. 
Man hat, wie ich bei nachträglicher Durchsicht der Literatur ge¬ 
funden habe, auch bei Melaena neonatorum (Bigelow) und 
Purpura mit Serum gute Erfahrungen gemacht, ein auf diese 
Weise geheilter Fall von Nabelblutung ist mir jedoch nicht 
bekannt. 

Das von uns verwendete Serum war Diphtberieserum, das 
uns gerade bequem zur Hand war, und wir haben damit ja aus¬ 
gezeichnete Erfolge erzielt. Es kommt zu therapeutischen Serum¬ 
injektionen ein käufliches steriles Pferdeserum in den Handel, 
doch wird von manchen Autoren wegen der angeblich besseren 
Wirksamkeit frischbereitetes Serum empfohlen. Vielleicht ist 
Pferdeserum, und zu diesem gehört ja unser Diphtberieserum, 
deswegen weniger empfehlenswert, weil alle unsere Heilsera 
solches enthalten und bei anderweitigen, vielleicht später not¬ 
wendigen Injektionen die Möglichkeit einer Anaphylaxie nicht 
von der Hand zu weisen ist. In klinischen Betrieben wird man 
sich ja jederzeit Menschenserum frisch steril bereiten können, in 
der Praxis jedoch wird man wohl das Serum, das relativ am 
frischesten und überall käuflich zu haben ist, nämlich das 
Diphtherieserum, das, wie gesagt, in unseren Fällen recht prompt 
gewirkt hat, mit Nutzen verwenden. 

Der Kalk, dessen unterstützende Wirkung wir nicht unter¬ 
schätzen möchten, wenngleich wir diese nicht ohne weiteres 


1) Fuld und Schlesinger, Ueber die Gerinnung des Blutes. 
Diese Wochenschr., 1912. 

2) Whipple, 1. c. 

3) Bigelow, Serumtherapie der hämorrhagischen Erkrankungen des 
Neugeborenen. Bef. Therap. Monatsh., 1911. 


taxieren können, wurde einmal in der Erwägung gegeben, die 
Beschleunigung der Blutgerinnung durch unmittelbare Vermehrung 
der Kalksalze im Blute herbeizuführen. Es ist experimentell 
nacbgewiesen, dass eine derartige Beeinflussung durch Kalkdar¬ 
reichung gelingt, doch müssen, wenn der Kalkgehalt des Blutes 
erhöht werden soll, grosse Mengen Kalk zugeführt werden 
[Voorhoeve] 1 ). Ferner gaben wir Kalk in dem Gedanken einer 
anderen, von Chiari und Januschke 2 ) festgestellten Wirkung 
des Calciumions, das die Durchlässigkeit der Gefässwand berab- 
zusetzen imstande sein soll. 

Was die Dosierung und die Wirksamkeit der einzelnen Kalk¬ 
salze angeht, so sind nach unseren bisher nicht abgeschlossenen 
Erfahrungen bei anderweitiger Kalkanwendung, über die ich später 
berichten werde, die löslichen Kalksalze (Calciumchlorid und 
Calcium aceticum) wegen ihrer weit besseren Resorbierbarkeit 
den unlöslichen Salzen (Calcium lacticum und citricum) vorzu¬ 
ziehen. Die Dosierung muss sehr gross sein. Es muss, da es 
uns gerade bei Blutungen auf eine rasche Wirkung ankommt, 
eine direkte Ueberschwemmung des Körpers stattfinden. Man 
muss selbst dem jungen Säugling innerhalb von 24 Stunden 3 bis 
6 g Calcium aceticum oder Calciumchlorid zuführen. Bei längerer 
Darreichung von Kalk treten bisweilen Nebenerscheinungen von 
seiten des Magendarmkanals auf, die sich in Appetitlosigkeit und 
Auftreibung des Leibes dokumentieren; bei der relativ kurzen 
Anwendung bei Blutungen kommen diese jedoch kaum in Frage. 
Wir verwenden den Kalk in 5 proz. Lösung und fügen, da der 
Säugling namentlich Calcium aceticum sehr ungern nimmt, als 
Geschmackskorrigentien den Liquor ammonii anisati und Saccharin 
zu (Calc. acet. 10,0, Liqu. am. anis. 2,0, Gummi arab. 1,0, Saccharini 
quantum satis, Aquae ad 200,0). 

Kürzlich haben Müller und Saxl 3 ) die subcutane Anwendung 
des Kalkes in Form von Calciumgelatine empfohlen. Sie haben 
damit insbesondere auch bei hämorrhagischen Diathesen gute 
Erfolge erzielt. Sie berichten jedoch auch über Nebenerschei¬ 
nungen der Injektionen, die sich in Schmerzen, die mindestens 
stundenlang anhalten, äussern, auch sind Temperatursteigerungen 
bis 38° beobachtet. 

Wir möchten darum Bedenken tragen, wenigstens beim 
jungen Säugling, diese Injektionen anzuwenden, zumal wir mit 
unserer kombinierten Serum-Kalktherapie, die ich nach unseren 
an der Hand der beschriebenen Fälle gemachten Erfahrungen 
aufs beste empfehlen kann, insbesondere auch in dem Fall von 
septischer Nabelblutung, dessen Prognose sonst absolut infaust 
gestellt werden musste, ausgezeichnete Erfolge erzielt zu haben 
scheinen. Die Seltenheit namentlich der beiden letzten Fälle 
gibt uns Veranlassung, schon jetzt darüber zu berichten, um andere 
zur Nachprüfung dieser Therapie anzuregen. 


Aus dem Institut für Infektionskrankheiten „Robert 
Koch u (Direktor: Geh. Ober-Med.-Rat Prof. Dr. Gaffky, 
Abteilungsvorsteher Prof. Dr. Neufeld). 

Ueber Variabilität pathogener Mikroorganismen. 

Von 

Dr. Georg Bernhardt uud Dr. Otto Ornstein, 

Assistenten am Institut. 

(Vortrag, gehalten in der Berliner mikrobiologischen Gesellschaft, 
Sitzung vom 12. Dezember 1912.) 

Die Frage der Veränderlichkeit der Bakterien, des Erwerbens 
und Verlierens bestimmter Eigenschaften, hat in den letzten 
Jahren eine so vielfache Bearbeitung erfahren, dass wir im 
Rahmen des heutigen Vortrages auf die Literatur nicht eingeben 
wollen. Es sei nur auf die zusammenfassende Darstellung von 
Gottschlich in der Neuauflage des „Handbuchs der pathogenen 
Mikroorganismen“ von Kolle-Wassermann verwiesen, wo auch 


1) Voorhoeve, Beiträge zum Kalkstoffwechsel. Biochem. Zeit¬ 
schrift, 1911. 

2) Chiari und Januschke, Hemmung von Transsudat- und Ex¬ 
sudatbildung durch Calciumsalze. Archiv f. experiment. Pathol. und 
Pharmakol., 1911. 

3) Müller und Saxl, Ueber Calciumgelatineiojektionen. Therap. 
Monatsh., 1912. 


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6. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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die älteren Arbeiten, insbesondere die grundlegenden Beob¬ 
achtungen Kruse’s, gewürdigt worden sind. 

Zwecks Gewinnung der abweichenden Formen haben wir 
dieselbe Technik benutzt, vermittels deren Baerthlein an einer 
grossen Zahl verschiedener Bakterienarten zeigen konnte, mit 
welcher Regelmässigkeit sich Typen abspalten Tassen, die meist 
io mehr als einer Hinsicht sich von dem ursprünglichen Typ 
unterscheiden, und zwar haben wir hauptsächlich die Abimpfung 
von alten Agar- und Bouillonkulturen angewendet. 

Bei dieser Art der Untersuchung kann man drei Formen der 
Abweichung unterscheiden: 

1. kann man die bekannte Knopfbildung bzw. die Bildung 
von Sekundärkolonien beobachten, die die Erzeugung 
divergenter Formen zur Folge hat; 

2. kann eine Umwandlung aller Keime beobachtet werden, 
oder, richtiger gesagt, es lässt sich aus alten Kulturen 
nur eine Art von Keimen, die von dem eingesäten Typ 
sich mehr oder weniger abweichend verhält, gewinnen; 

3. tritt in der Mehrzahl der Fälle die Veränderung in der 
Form auf, dass man bei Abimpfung von alten Agar- oder 
Bouillonkulturen nebeneinander verschiedene Typen 
gewinnt, die bei rascher Weiterimpfung zunächst konstant 
bleiben. 

Nach unseren Beobachtungen möchten wir annehmen, dass 
ein prinzipieller Unterschied zwischen den genannten 
drei Formen, unter denen die Veränderungen auftreten, nicht 
besteht, dass sie vielmehr auf den gleichen Ursachen beruhen. 

Im folgenden wollen wir zunächst einige unserer Beob¬ 
achtungen mitteilen, wobei wir die bisher bekannten Tatsachen, 
nur insoweit nötig, erwähnen. Als Objekte dienten uns Typhus, 
Paratyphus, Cholera, Hühnerchoiera und Diphtherie. 

Was die speziellen Differenzen der berausgezüchteten Typen 
hinsichtlich ihrer kulturellen Merkmale betrifft, so konnten 
bei Typhus und Cholera ganz extreme Formen erzielt werden, 
bei Typhus z. B. solche, die ganz trockene, mit körnigen Auf¬ 
lagerungen bedeckte Kolonien bildeten, die infolge ihres gelochten 
und gezackten Randes Milzbrand sehr ähnelten. Bei Cholera 
konnten im Anschluss an die von Baerthlein, Eisenberg u. a. 
beschriebenen Abweichungen neben dunklen, hellen und Ring¬ 
formen noch besonders divergente Wachstumsformen beobachtet 
werden, die durch ein eigenartig rosettenähnliches Aussehen (wie 
gekörnt, gefältelt) gekennzeichnet waren. Stark divergente Kolonie¬ 
formen zeigten sich bei Diphtherie-Agarkulturen bei längerer 
Beobachtung, bei denen dann auch besonders schön die von 
anderen Bakterien her bekannte Knopfbildung in die Erscheinung 
trat; derartige Knopfbildung mit Erzeugung abweichender Formen 
wurde übrigens auch bei Meningokokken beobachtet. Auch bei 
Gelatinewachstum liessen sich bei Cholera ebenso wie bei 
Typhus sehr weitgehende und charakteristische Differenzen er¬ 
zielen. Hierbei kamen Typhusstämme zur Beobachtung, welche 
Typen abspalteten, die bei Zimmertemperatur kein merkliches 
Wachstum oder ein sehr verlangsamtes zeigten, während der 
Origioaltyp gut wuchs. Was Cholera betrifft, so zeigten die auf 
Agar differenten Typen eine strenge Differenzierung auch auf 
Gelatine. 

Bei der Untersuchung der Morphologie der divergenten 
Typen konnten wir die von anderer Seite, besonders von 
Baerthlein, beschriebenen weitgehenden Veränderungen be¬ 
stätigen, fanden aber auch hier ganz extreme Formen, nicht bloss 
enorme Grössendifferenzen bei Vibrionen, punktförmige Cholera¬ 
vibrionen, Fadenbildung bei Paratyphus, subtilisähnliche Typhus¬ 
bacillen, sondern kamen schliesslich sowohl bei Cholera wie bei 
Typhus zu dauernd völlig unbeweglichen Bacilleo; bei derartigen 
unbeweglichen Typbusbacillen vermochte auch die Geisselfärbung 
keine Geissein mehr nacbzuweisen. Erhebliche morphologische 
Differenzen wurden ferner bei Diphtheriebacillen erzielt. 

Besonders charakteristisch erwies sich bei vielen Stämmen 
der Typbus- und Paratypbusgruppe das Wachstum in Bouillon, 
insofern als gewisse stark divergente Typen hier die Bouillon 
völlig klar liessen, einen dicken Bodensatz und oft auch eine 
eigentümliche, beim Schütteln in körnigen Massen herabfallende 
Kahmbaut bildeten. Diese so eigenartig wachsenden Varietäten 
waren oft, aber keineswegs stets, schlecht oder gar nicht be¬ 
weglich, auch die Zähigkeit, mit der das eigentümliche Wachstum 
auch nach wochenlangem Aufenthalt in Bouillon festgehalten 
wurde, wechselte bei den verschiedenen Stämmen. 

Die chemischen Proben (Zuckervergärung usw.) liessen bei 
den auf die oben beschriebene Weise erhaltenen Varietäten der 


Typhusstämme keine nennenswerte Abweichung erkennen, weder 
bei den unbeweglichen Stämmen noch bei denen, die die weiter 
unten zu besprechenden weitgehenden serologischen Differenzen 
darboten. Was das Verhalten der Choleravibrionen hinsichtlich 
der Hämolyse von Hammelblutkörperchen anbetrifft, so zeigte 
ein bestimmter, morphologisch und kulturell scharf charakteri¬ 
sierter Typus diese Eigenschaft in sehr viel stärkerem Maasse als 
die anderen Typen; während also bei schwach hämolysierenden 
Cholerastämmen nur noch dieser eine Typ Hämolyse be¬ 
wirkte, konnten bei sehr stark hämolytischen Stämmen auch die 
übrigen die Eigenschaft, wenn auch in überaus abgeschwächtem 
Maasse, noch darbieten. 

Was die Agglutination angeht, so zeigte sich Cholera, 
soweit die eigentümliche Neigung einzelner Typen, beim Ver¬ 
reiben zu krümeln, eine Prüfung überhaupt zuliess, oder soweit 
keine Spontanagglutination eintrat, stets einheitlich. Bei Typhus 
hingegen liessen sich bei Prüfung verschiedener Varietäten aus 
zahlreichen Stämmen mit einer Reihe von Seris alle möglichen 
Abweichungen feststellen. Es fanden sich Typen, die kulturell 
und morphologisch sich stark unterschieden und sich doch 
agglutinatorisch ganz identisch verhielten, andere, die nur langsam 
agglutinierten, d. h. 24 Stunden bis zur Erreichung des Titers 
brauchten, und wieder andere, die gar nicht beeinflusst wurden. 
Dabei gingen die Veränderungen der agglutininbildenden und 
agglutininbindenden Funktionen nicht parallel. Wir haben mit 
einem serumfesten Typhusstamm ein Serum erzeugt, das weder 
den Eigenstamm noch einige andere sichere Typhusstämme be¬ 
einflusste, einen besonders gut agglutinablen Typbusstamm aber 
hoch agglutinierte, während es einen aus diesem ab¬ 
gespaltenen Typ wieder gar nicht beeinflusste. 

Eine nennenswerte Agglutination inagglutinabler Typhus¬ 
stämme durch fremde Sera wurde bisher nicht beobachtet. 
Uebrigen8 konnten wir auch hier das Uebergreifen agglutinierender 
Eselsera auf abgespaltene atypische Stämme beobachten, während 
Kaninchensera diesen gegenüber versagten, ein Punkt, auf den 
wir bei der Beschreibung atypischer Fleischvergiftungsstämme 
kürzlich hinwiesen. 

Weitere eigentümliche Veränderungen bot in Ergänzung der 
von Neufeld und Lindemann auf der letzten mikrobiologischen 
Tagung mitgeteilten Beobachtungen die Prüfung der verschiedenen 
Typen im baktericiden Plattenversuch, insofern wir auch 
hier wieder künstlich, durch Herauszüchten aus alten Kulturen 
Varietäten von Typhusbacillen gewannen, die bei bestimmten 
Konzentrationen sich mehr oder weniger stark, manchmal völlig, 
serumfest erwiesen. Auch sonst liessen sich, wenn auch nicht 
regelmässig, gewisse Differenzen der verschiedenen Varietäten 
gegenüber den Immunitätsreaktionen feststellen, sowohl bei Unter¬ 
suchung der Bakteriotropine im Phagocytoseversush bei Typhus 
wie im Pfeiffer’schen Versuch. (Hinsichtlich näherer Angaben 
verweisen wir auf eine spätere Publikation). 

Bemerkenswert sind auch die Pathogenitätsänderungen. Ver¬ 
suche, die wir mit den exquisit septikämischen Hühnercholera¬ 
bacillen anstellten, zeigten uns wohl eine Verlangsamung der 
Infektion, aber keinen Virulenzverlust, sofern wir nur die Vor¬ 
sicht gebrauchten, zunächst die kulturell und morphologisch recht 
verschiedenen Typen in so grosser Dosis zu injizieren, dass sie 
sicher töteten, und dann erst die aus dein Tierkörper wieder 
herausgezüchteten Kulturen — die den injizierten glichen — zur 
Titration benutzten. 

Bei Diphtherie fanden wir ganz auffällige und unseres 
Wissens bisher noch nicht beschriebene Divergenzen, so auf 
Agar helle, flache Kolonien mit durchscheinendem Centrum, die 
weiterhin Knöpfe bildeten, und aus diesen Knöpfen gezüchtete 
grosse kuppenförmige und dunkler gefärbte Kolonien mit viel 
stärkerer Wachstumsenergie. Wir haben nun das Toxinbildungs¬ 
vermögen der divergentesten Formen untersucht, und da haben 
sich denn ganz wesentliche Unterschiede in der Giftbildungskurve 
zwischen den beiden Typen ergeben — in Parallelreihen kon¬ 
trolliert —; während der grosse, dunkelgefärbte Typ schon nach 
zwei Tagen ein Gift bildete, von dem 0,01 g Meerschweinchen 
von 250 g tötete, war der andere in der zehnfachen und fünfzig¬ 
fachen Dosis ganz ungiftig. Im Verlaufe der nächsten Tage stieg 
dann auch in der mit dem hellen, flachen Typ besäten Bouillon 
die Giftigkeit rasch an, aber nunmehr war, wie Agarausstriche 
zeigten, in dieser Bouillon auch der grosse, dunkelgefärbte Typ 
vorhanden; diese dunklen Kolonien ergaben reingezüchtet wieder 
starke Giftbildung. Ob es sich hier um konstante Differenzen 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. i. 


18 

bandelt, müssen weitere Versuche zeigen 1 ). Auf Löfflerserum 
Hessen sich neben weissen Kolonien solche aufßnden, die einen 
blassgelblichen, andere, die einen goldgelben Farbstoff bildeten, 
was nicht ohne praktisches Interesse ist. 

Wir haben im Vorhergehenden einige bemerkenswerte und 
anscheinend noch nicht allgemein bekannte morphologische und 
biologische Differenzen betrachtet, die sich an Varietäten von 
Mikroorganismen auffinden lassen, die aus völlig einheitlichen 
Stämmen herausgezüchtet waren. Wir müssen hier nun auf die 
theoretisch wesentliche Tatsache hinweisen, dass es uns im Gegen¬ 
satz zu anderen Beobachtern (Baertklein u. a.) bei darauf ge¬ 
richteten Bemühungen stets gelungen ist, zwischen dem ein¬ 
gesäten und dem herausgezüchteten divergentesten Typ 
Zwischenformen, und zwar in beliebiger Zahl, aufzufinden. In 
älteren Bouillonkulturen Hessen sich beispielsweise bei Typhus 
neben den ganz grossen Bacillen auch ganz kleine und dazwischen 
mittlere von verschiedener Länge beobachten; dieselben Schwan¬ 
kungen waren in der Beweglichkeit zu konstatieren. Dass es sich 
hierbei wirklich um Zwischenstufen handelte, bewies die Agar¬ 
plattenaussaat, wo wir bei Aussaat aus einer älteren Typhus¬ 
bouillon beispielsweise sieben verschiedene Wuchsformen (1. runde, 
2. Dellenformen, 3. Zackenformen, 4. chagriuierte Formen, 5. ge¬ 
rippte, 6. zerfliessliche, 7. trockene Formen) feststellten, die sich 
in eine Reihe, entsprechend ihrer Abweichung vom 
Normaltyp, einordnen Hessen, und dazwischen noch Formen, 
bei denen nicht zu entscheiden war, zu welchem Typ sie gehörten, 
so dass sich durchaus eine Kontinuität der Formen ergab. 
Bei täglicher Ueberimpfung waren diese sieben Wudisfurmen 
durch mehrere Generationen konstant zu halten. Zahlenmässig 
war bei Prüfung der Agglutination ebenfalls ein ganz verschieden 
starker Verlust der Agglutinierbarkeit eingetreten. End auch das 
so überaus charakteristische Bouillonwachstum zeigte die Ueber- 
gänge von diffuser Trübung zu völliger Klarheit und Boden¬ 
wachstum. 

Die Veränderungen der verschiedenen Merkmale gingen 
oft, aber keineswegs stets, einander parallel; mehrfach 
fanden wir bei Typhusstämmen z. B. diejenige Varietät, welche 
die Bouillon klar Hess, unbeweglich, während die normale Form 
in Bouillon beweglich war. In anderen Fällen fanden wir dies 
aber umgekehrt. Bei Cholera bewirkte in der Regel nur die 
kulturell und morphologisch typische „dunkle“ Varietät Hämolyse; 
aus den gleichen Stämmen konnten aber auch anscheinend völlig 
gleiche „dunkle“ Formen gezüchtet werden, die gar nicht bämo- 
lysierten. Andererseits zeigten Choleravarietäten, die morpho¬ 
logisch völlig different waren, hinsichtlich ihrer Toxi- 
cität und ihres hämoly tischen Verhaltens noch immei eine 
beträchtliche Stärke. 

Was die Ursachen der im vorstehenden mitgeteilten Beob¬ 
achtungen betrifft, kann von einer einfachen Anpassung in 
dem elementaren Sinne der Zweckmässigkeit nicht ge¬ 
sprochen werden; es liegt nicht etwa so, dass der Mikroorganismus 
einfach sich den veränderten Lebensbedingungen zweckmässig an¬ 
passt. Wir können uns wohl vorstellen, dass ein im Tierkörper 
lebender Typhusbacillus unter Einwirkung des Serums gegen 
dieses fest wird. Was aber fängt ein Bacillus, der in alter, durch 
Verdunstung konzentrierter gewordener, von Stoffwechselprodukten 
usw. erfüllter Bouillon wächst, mit seiner „erworbenen Serum¬ 
festigkeit“ an? 

Wenn es auch natürlich im einzelnen Falle so liegen kann, 
dass eine neue Eigenschaft dem Mikroorganismus nützlich ist, dass 
diese somit als zweckmässige Anpassung zu deuten ist, so müssen 
wir doch annehmen, dass die mannigfaltigen in alten Kulturen 


1) Anmerkung bei der Korrektur. Diese Beobachtungen können 
vielleicht praktisch verwertet werden, um stärkere und gleichmässigere 
Giftbildung bei Diphtherie zu erzielen; vielleicht sind die so oft beob¬ 
achteten Schwankungen im Giftbildungsvermögen, neben anderen Ursachen 
(Nährböden), auf derartige Veränderungen zurückzutühreu. Noch in 
einer anderen Hinsicht, namentlich in bezug auf die alte Frage des 
Zusammenhangs zwischen Diphtherie- und Pseudodiphtherie¬ 
bacillen, haben unsere Versuche neue Anhaltspunkte ergeben: Aus 
einer morphologisch und kulturell typischen, hochtoxischen 
Diphtheriekultur wurde eine ganze Reihe verschiedener Varietäten 
abgespalten, darunter Kulturen von sehr kurzen Bacillen, die in Form 
und Grösse ganz einheitlich waren, bei Neisserfärbung in den ersten 
beiden Tagen keine Körnchen zeigten und selbst in Dosis von 1,0 ccm 
Bouillonkultur für Meerschweinchen als ungiftig sich erwiesen, also 
Kulturen darstellten, die wir ohne Kenntnis ihrer Herkunft für Pseudo¬ 
diphtherie erklären würden. 


z. B. von Tag zu Tag sich ändernden äusseren Lebens¬ 
bedingungen maqnigfaltige und richtungslose Verände¬ 
rungen des Mikroorganismus zur Folge haben. 

Als Ursache der Variabilität hat (nach Weismann) in 
letzter Linie der durch äussere Bedingungen verursachte Zu¬ 
stand der Vererbungssubstanz — des Keimplasmas — zu 
gelten „dessen Einzelteilchen dauernd Schwankungen unterworfen 
sind, die sich im Lauf der Generationen summieren, so dass 
sich schliesslich sichtbare Variationen am Köiper zeigen können“ 
(Goldschmidt). Dieser innere Faktor der Variabilität steht offen¬ 
bar in Beziehung zu dem individuellen Entwicklungs¬ 
stadium: Bei der langsamen Entwicklung und der langen Lebens¬ 
dauer eines Bakterienindividuums in älteren Kulturen haben die 
äusseren Reize offenbar Gelegenheit, tiefer und nachhaltiger auf 
den Bakterienkörper einzuwirken. 

Wenn diese Auffassung, dass die Variabilität durch äussere 
Reize bedingt oder ausgelöst wird, richtig sein soll, so muss 
Gleichartigkeit der äusseren Bedingungen notwendig die 
Variabilität hemmen: Und in der Tat können ja auch bei 
täglicher Ueberimpfung auf frische Nährmedien selbst nur ganz 
wenig differente Typen konstant gehalten werden, d. h. es lassen 
sich sogenannte Rückschläge vermeiden. 

Umgekehrt muss eine Veränderung der äusseren Be¬ 
dingungen auch eine Veränderung der Variabilität zur 
Folge haben: Eine successive Veränderung des Mediums, 
stärkere Konzentration, grössere Anhäufung von Stoffwechselpro¬ 
dukten lässt Veränderung der abweichenden Forraea sowohl nach 
Zahl wie nach Art erkennen, die Ausbeute an divergenten Typen 
ist zu verschiedenen Zeiten eine ganz verschiedene. Während 
Peptonlösung bei Cholera oft schon in 1 bis 3 Tagen die ver¬ 
schiedenen Formen zutage treten lässt, braucht dasselbe Resultat 
in dem anders gearteten Nährmedium Bouillon viele Wochen. Zahl 
und Charakter der Typen wechseln bei Haltung im Pepton¬ 
kölbchen successive, und dass die Variabilität der Bakterien, 
speziell in flüssigen Nährböden, durch die Stoffwechsel¬ 
produkte derselben, die eben das Nährmedium verändern, 
bedingt ist, dafür spricht die Beobachtung, dass die gleiche 
Menge der Bakterien, wenn sie in kleine Mengen der Nährlösung 
verbracht wird, einem anderen Variabilitätsmodus unterworfen ist, 
als wenn sie — unter sonst gleichen Bedingungen — in grossen 
Mengen des Nährmediums wachsen kann. 

Mehrfach haben wir nun beim Zusammenlassen der ver¬ 
schiedenen divergenten Typen in flüssigen Medien bei monate¬ 
langer Beobachtung schliesslich ein Verschwinden aller 
abweichenden Formen feststellen können; was übrig blieb, 
waren Typen, die unter sich einheitlich waren. 

Die Verteilung dieser Varianten unterliegt nun bekanntlich, 
wie ausserordentlich viele Zählungen, besonders auf botanischem 
Gebiet, ergeben haben, einem bestimmten mathematisch ausdrück- 
baren Gesetz, dem Quetelet’schen Gesetz, wonach eine Variante 
um so seltener ist, je extremer sie vom Mittelwert ab¬ 
weicht. Dies lässt sich bei messbaren, oder wägbaren oder zähl¬ 
baren Eigenschaften ohne weiteres feststellen, ein zahlenmässiger 
Beweis für die Bakterien Varianten — etwa Messung der Kolonie¬ 
grösse oder Auswahl besonders typischer Varianten und Verteilung 
derselben auf die Variationsreihe — ist, wie nicht weiter aus¬ 
geführt zu werden braucht, natürlich sehr schwer. Immerhin 
konnten wir stets beobachten, dass die ganz extremen Varianten 
überans selten auftraten, während die verschiedenen Formen 
um so häufiger wurden, je mehr sie sich der Norraalform 
näherten. 

Was die Konstanz der neuen Eigenschaften, ihre 
Vererbbarkeit, betrifft, so haben wir ebenso, wie alle anderen 
Untersucher, bei schneller Ueberimpfung die Typen konstant 
halten können, ln älteren Kulturen dagegen traten regelmässig 
Rückschläge ein. Hierbei Hessen sich indessen grosse Unter¬ 
schiede zwischen den verschiedenen Varietäten feststellen. Ge¬ 
wisse Varietäten schlugen sehr schnell, andere sehr langsam zu¬ 
rück. Ja, wir haben sogar, wie oben bereits erwähnt, Ver¬ 
änderungen beobachten können, bei denen wir trotz aller Be¬ 
mühungen und bei einer Beobachtungszeit, die sich über vier 
Monate erstreckt, eine Rückkehr zur Norm nicht haben 
erzielen können. 

Was nun die Anwendung der in den Naturwissen¬ 
schaften üblichen Nomenclatur auf die beobachteten 
Prozesse betrifft, so sind darüber recht verschiedene Ansichten 
laut geworden. Viele Autoren haben seit Neisser und Massini 
die uns hier beschäftigenden Veränderungen in Anlehnung an die 


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6.Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


berühmten de Vries’schen Beobachtungen als Mutationen, als 
scheinbar plötzlich auftretende und vererbbare Veränderungen, 
aufgefasst. Andere haben die Veränderung«^ als Adaptionen 
oder als fluktuierende Variationen bzw. als Modifikationen 
angesehen, und auch der eine von uns (Bernhardt) bat sich für 
die von ihm beobachteten Schwankungen des Gärungsvermögens 
der Dysenteriebakterien und für die Knopfbildung des Bacillus Coli 
mutabile dieser Anschauung angescblossen. Auch Burri und 
seine Mitarbeiter haben für die eben genannten Erscheinungen den 
Begriff der Mutation abgelehnt und die scheinbar neu erworbene 
Eigenschaft nur auf Erregung bzw. Ausbildung einer bereits latent 
vorhandenen zurückgeführt. 

Wir möchten uns auf Grund unserer neueren Erfahrungen 
der Ansicht zuneigen, dass für Bakterien zwischen den als 
Mutation einerseits, Modifikation bzw. fluktuierender 
Variation andererseits beschriebenen Veränderungen ein 
prinzipieller Unterschied nicht zu erweisen ist. Es macht 
ja freilich Schwierigkeit, sich vorzustellen, dass die dem Orga¬ 
nismus inhärente Eigenschaft der Veränderlichkeit, wie wir 
gesehen haben, selbst wieder verändert wird; es scheint 
aber, als ob die Tatsachen dazu zwingen, keine prinzipiellen 
Unterschiede zwischen reversiblen und irreversiblen Veränderungen 
aozunehmen. Die „Vererbbarkeit“ können wir für unsere Beob¬ 
achtungen an asexuellen Mikroorganismen als ausschlaggebendes 
Kriterium nicht anerkennen. Wie oben erwähnt, haben wir alle 
Üebergang8stufen gesehen zwischen Varietäten, die von einem zum 
aoderen Tage Zurückschlagen, und solchen, bei denen ein Rück¬ 
schlag überhaupt nicht zu erzielen war. Anscheinend lässt der¬ 
selbe Reiz, der die Modifikation bedingte, sobald er in besonderer 
Stärke auftritt und lange genug wirkt, die Erscheinung dauernd 
erblich werden. 

Ebensowenig erscheint es uns möglich, die Plötzlich¬ 
keit des Auftretens oder die Grösse der Veränderungen als 
etwas Entscheidendes anzuerkennen. Wie beschrieben, haben 
wir neben den stark differenten extremen Formen stets bei ge¬ 
nauem Zusehen alle möglichen Uebergänge gefunden, die all¬ 
mählich zur Normalform hinüberleiten. Ob die Veränderungen 
aber plötzlich auftreten, lässt sich bei der schnellen Gcnerations- 
folge der Bakterien überhaupt kaum entscheiden. Schliesslich 
können wir keinen prinzipiellen Unterschied anerkennen zwischen 
Adaption an äussere Lebensbedingungen und richtungsloser Ver¬ 
änderung. Wir sehen genau die gleiche neue Eigenschaft, z. B. 
Serumfestigkeit bei einem Typhusstamm, als Adaption im Tier- 
körper oder anscheinend als ganz zufällige richtungslose Variation 
in alten Reagensglaskulturen auftreten. ln letzter Linie müssen 
wir in beiden Fällen äussere, speziell Ernäbrungseinflüsse als 
Ursache annebraen. 

Von grosser Wichtgigkeit ist die Frage, ob die Verände¬ 
rungen, die uns hier beschäftigten, artbildend wirken. De Vries 
wollte die Mutation als wesentlichen Faktor der Artbildung 
betrachten, während Beyerinck dies für die genannten Ver¬ 
änderungen der Bakterien ablehnen möchte. Wesentlich für 
das Problem der Artbildung ist die Frage, ob die 
veränderten Typen über den Rahmen der Variations¬ 
breite der Aasgangsart hinaus variieren können, d. h. 
ob sie neue Varianten erzeugen können. Es scheinen nun in der 
Tat einige unserer Beobachtungen dafür zu sprechen, dass stark 
abgewichene Formen, die ihrerseits unier Bedingungen verbracht 
wurden, die ihre Variabilität begünstigten, einen neuen Formen¬ 
kreis bildeten, d. h. dass wir aus diesen Abweichern Typen 
abspalten konnten, die wir bisher nicht in Händen 
hatten, dass somit der Variabilitätskreis verändert er¬ 
schien. Endgültig wird aber die ganze wichtige Frage der Be¬ 
deutung derartiger Veränderungen für die Artbildung wohl nur 
auf Grund ausgedehnter weiterer Erfahrungen und unter Heran¬ 
ziehung des gesamten, von Botanikern und Zoologen auf anderen 
Gebieten gesammeiten Materials entschieden werden können. 

Um schliesslich noch einige praktisch bakteriologische Ge¬ 
sichtspunkte herauszuheben, so haben wir, wie auch schon 
Baerthlein, bei verschiedenen Bakterien, z. B. den Paratypbus- 
bacilleD, verschiedene, für die Art charakteristische Veränderungen 
beobachten können, so dass das Auftreten bestimmter abweichender 
Formen unter bestimmten Bedingungen also praktisch diffe¬ 
rential-diagnostische Bedeutung gewinnen kann. 

Auch die Schnelligkeit, mit der diese Abspaltungen ein- 
treten, ist ganz verschieden und für die einzelnen Bakterienarten 
ganz charakteristisch. Besonders gross ist sie bei der Gruppe 
der Fleischvergifter; vielleicht bedingt der Umstand, dass die 


19 


Fleischvergifter nicht bloss für den Menschen, sondern für die 
verschiedensten Tiere pathogen sind, wohl auch saprophytisch 
existieren können — welcher Zustand ihres Somas sie oben unter 
immer wechselnde Bedingungen bringt —, dass sie eine nicht so 
scharf eingestellte, nicht stabilisierte Art bilden. Offenbar ist die 
Variabilität selbst etwas dem Organismus gesetzmässig 
Zugehöriges, verläuft in bestimmter Richtung, d. h. jeder 
Eigenschaft kommt die Fähigkeit zu, auf bestimmte Einflüsse der 
Aussenwelt in einer bestimmten Richtung zu reagieren („Reaktions¬ 
norm“). 

Von besonderem bakteriologischen Interesse jedenfalls scheint 
uns der Umstand zu sein, dass echte Serumfestigkeit nicht bloss 
durch Kontakt mit dem betreffenden Serumstoffe, sondern auch 
ohne solchen entstehen kann. Analoge Beobachtungen von an¬ 
derer Seite (Seiffert) liegen vor, nach denen ein Cnlistamm, 
sobald er gififest gegen Malachitgrün geworden war, gleichzeitig 
ein bestimmtes Zuckergärungsvermögen erworben hatte. Auch 
die Beobachtungen Ehrlicbs über die Arsenfestigkeit der Try¬ 
panosomen nach der Behandlung mit Farbstoffen (und umgekehrt) 
gehören hierher und zeigen uns, dass solche Veränderungen 
neben ihrem allgemein-naturwissenschaftlichen Interesse gleich¬ 
zeitig eine besondere Bedeutung für die experimentelle Pathologie 
gewinnen können. 


Neuere Arbeiten über Säuglingssterblichkeit. 

(Sammelreferat.) 

Von 

Dr. med. W. Hananer-Frankfurt a. M. 

Je mehr die modernen Säuglingsfürsorgebestrebungen 
an Boden gewinnen und in der Praxis gehandbabt werden, desto 
mehr macht sich die Notwendigkeit geltend, als unentbehrliche 
Grundlage für diese Bestrebungen einwandfreies Material über die 
Säuglingssterblichkeit zu erhalten. Man will sich hinsicht¬ 
lich der Ergebnisse dieser Fürsorge an der Statistik orientieren; 
das ist aber nur möglich, wenn die Statistik der Säuglingssterb¬ 
lichkeit einwandsfrei von vornherein bekannt ist. 

Wie sich aus der folgenden Uebezsicht ergibt, ist die theo¬ 
retische statistische Arbeit mit der praktischen Fürsorge Hand 
in Hand gegangen, und die Wissenschaft ist durch manche wert¬ 
volle Arbeit bereichert worden. 

Ueber „die Statistik der Säuglinge“ sprach Dr. Silber¬ 
gleit (1), der Direktor des statistischen Amtes zu Berlin, in der 
Deutschen Gesellschaft für öffentliche Gesundheitspflege. Hervor¬ 
zubeben ist, dass nach ihm unter den bei der Abnahme der 
natürlichen Ernährung in Berlin wirksamen Kräften nicht zuletzt 
die sehr viel stärker gewordene Beteiligung des weiblichen Ge¬ 
schlechts an Beruf und Gewerbe zu nennen ist. Trotzdem hat 
in Berlin die Säuglingssterblichkeit abgenoramen, was um so be¬ 
merkenswerter ist, als durch umfangreiche Fortzüge von Wohl¬ 
habenden in die westlichen Vororte die Kreise derjenigen eine 
Schwächung erfahren haben, in welchen die Säuglingspflege die 
sorgfältigste sein konnte. Als Ursachen der Abnahme der Säug¬ 
lingssterblichkeit in Berlin sind die Abnahme der Geburten¬ 
frequenz, die allgemeine Hebung des Sinnes für die Hygiene des 
Säuglingsalters, sowie die positiven Maassnabmen des Staates 
und der Gemeinde anzusehen. Sil bergleit weist ferner auf die 
merkwürdige Tatsache hin, dass eine Reihe von Ländern, welche 
schon seit langem durch eine geringe Säuglingssterblichkeit aus¬ 
gezeichnet sind, diesen ihren Vorsprung gegenüber anderen 
Staaten in den letzten Jahren noch erheblich vergrössem konnten. 
Das gilt vor allem von Norwegen, dem Lande der von jeher 
niedrigsten Säuglingssterblichkeit. Hier stellte sie sich im 
Durchschnitt des letzten Viertels des vorigen Jahrhunderts mit 
etwa 9,8 schon ganz ausserordentlich niedrig, und doch nahm 
die Ziffer im neuen Jahrhundert noch weiter ab, um im Durch¬ 
schnitt der Jahre 1906 und 1907 auf 6,8 herabzusinken, d. h. 
auf einen Betrag, der noch nicht die Hälfte, ja noch nicht ein 
Drittel von derjenigen anderer Kulturstaaten darstellt. Aehn- 
liches lässt sich auch für Schweden und Dänemark sowie vom 
britischen Königreich feststellen. 

Für weite Bezirke der preussischen Monarchie ist das Ur- 
material nach wie vor in der „Preussischen Statistik“ sowie in 
den „Medizinalstatistischen Mitteilungen“ des Kaiserlichen Gesund¬ 
heitsamtes enthalten. Dazu kommen neuerdings die „Medizinal- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 1. 


statistischen Nachrichten“, die vom Königlich Prenssischen 
statistischen Landesamt herausgegeben werden. Im 3. Jahrgang 
hat Behla (2) in einem Aufsatz: „Die Säuglingssterblich¬ 
keit in den Provinzen, Regierungsbezirken und Kreisen 
des preussischen Staates 1910 und 1904“ verglichen und 
nacbgewiesen, dass die Säuglingssterblichkeit von 185 auf 157 
pro Tausend Geburten im preussischen Staat zuröckgegangen ist, 
wahrlich ein höchst beachtenswerter Erfolg, in welcher Ziffer die 
kräftig einsetzenden Säuglingsfürsorgemaassnah men zweifellos zum 
Ausdruck kommen. Da der Aufsatz auch in dieser Wochenschrift 
(Jahrgang 1911, Nr. 37) erschienen ist, erübrigt es sich, auf den 
Inhalt hier näher einzugehen. 

„Die Säuglingssterblichkeit in der preussischen 
Statistik“ behandelt auch Birk-Cbarlottenburg (3). In Preussen 
wurde 1909 31,57 pCt. der Gesamtmortalität von den Toten des 
ersten Lebensjahres gestellt. Birk stellt fest, dass namentlich 
in den Städten ganz erhebliche Fortschritte in der Besserung 
der Sterblichkeitsverhältnisse der Säuglinge zu verzeichnen sind, 
bei den ehelichen Kindern findet sich im Zeitraum von 1876 bis 
1908 eine Herabsetzung von 54 pM., und bei unehelichen gar 
von 112 pM. Von 1000 Todesfällen entfielen 260,91 auf Erkran¬ 
kungen der Verdauungsorgane, 206 auf angeborene Lebens¬ 
schwäche, 136 auf übertragbare Krankheiten, 44 auf Krankheiten 
der Atmungsorgane, 24 auf Krankheiten des Nervensystems. Die 
höchste Ziffer erreichte von sämtlichen preussischen Provinzen 
Pommern mit 221, die niedrigste Hessen Nassau mit 108, in 
13 Kreisen des Regierungsbezirks Kassel ist die Säuglingssterb¬ 
lichkeit unter 100. Franzburg hat mit 324 pM. die höchste 
und der Unterlahnkreis mit 65 pCt. die niedrigste Säuglings¬ 
sterblichkeit, dabei stehen beide Bezirke bezüglich ihres Ein¬ 
kommens fast gleich. Der Unterschied liegt nur darin, dass 
das Vermögen in dem einen Landesteil in den Händen der 
Grossgrundbesitzer liegt, während in dem anderen viele kleine 
Vermögen existieren, wodurch die Lebenshaltung eine günstigere 
wird. Interessant ist der Nachweis, dass in Pommern trotz der 
höchsten Säuglingssterblichkeit in der Monarchie die Miiitär- 
tauglichkeit den Durchschnitt des preussischen Staates um 4 bis 
6 pCt. übertrifft. Das würde wieder denjenigen eine Handhabe 
geben, welche die hohe Säuglingssterblichkeit im Sinne einer Aus¬ 
lese für etwas Erwünschtes halten. 

Wertvolle Monographien sind in den letzten Jahren über die 
Säuglingssterblichkeit in den deutschen Ostseeprovinzen er¬ 
schienen; die Reibe derselben eröffnete Brüning mit einer Unter¬ 
suchung über die Kindersterblichkeit in Mecklenburg- 
Schwerin (4). Die Säuglingssterblichkeit ist dort, im Vergleich 
mit anderen deutschen Gebieten, eine mittlere, hat jedoch von 
1876—1905 von rund 16 auf 17 zugenommen, und zwar ist dies 
durch die Sterblichkeit der auf dem Lande geborenen Säuglinge 
bedingt; die Säuglingsmortalität war in den Städten um 1 pCt. 
höher, als in den übrigen Landesteilen, die Sterblichkeit der 
Unehelichen ist gegenüber den Ehelichen besonders gross bei den 
2 bis 6 Monate alt gewordenen Säuglingen, also zu einer Zeit, 
wo die Kinder aus sozialen Gründen bei Verwandten oder fremden 
Leuten als Kostkinder in Pflege gegeben werden. Letztere sind 
vielfach uuzweckmässig untergebracht und im allgemeinen völlig 
ungenügend beaufsichtigt. 

Die übermässig höbe Säuglingssterblichkeit in Pommern 
mag wohl Peiper ( 5 ) in Greifswald und seinen Assistenten 
Pauli veranlasst haben, in einer eingehenden und gründlichen 
Studie „Die Säuglingssterblichkeit in Pommern, ihre Ursachen 
und Bekämpfung“ zu behandeln. Die Ergebnisse sind deswegen 
wertvoll, weil sie den ganzen Zeitraum von 1881 bis 1905 um¬ 
fassen. Während die Säuglingssterblichkeit in Preussen in den 
25 Beobachtungsjahren ständig gesunken ist, ist sie in Pommern 
von 1881 bis 1885 und 1895 bis 1900 gestiegen, erst im letzten 
Jahrfünft ist eine Abnahme derselben eingetreten. Die Höhe der 
Säuglingssterblichkeit richtet sich in Pommern nicht nach der 
Geburtsziffer. Während z. B. in den Jahren 1881 bis 1905 in 
fast allen Kreisen der Provinz die Geburtsziffer eine sinkende 
Tendenz zeigte, nahm beinahe ebenso regelmässig die Säuglings¬ 
sterblichkeit zu, mit Ausnahme der Städte des Bezirks Köslin. 
Die Zunahme der Säuglingssterblichkeit in den Landgemeinden 
Vorpommerns hat ihren sichtbaren Grund in der Ausbreitung, 
welche die unnatürliche Ernährung der Säuglinge gefunden hat. 
Wie in den pommerschen Landgemeinden eine ständige Steige¬ 
rung der Säuglingssterblichkeit der unehelichen Kinder einge¬ 
treten ist, so müssen hier in der Kinderernährung und Pflege, 
besonders auch im Haltekinderwesen schwere Missstände bestehen. 


Die Sommersterblichkeit der Säuglinge anlangend, ergab sieb, 
dass die Jahre mit niederen Maximaltemperaturen und mittlerer 
Feuchtigkeit durchweg einen Tiefstand der Sterblichkeit darboten. 
Erreicht jedoch die Feuchtigkeit hohe Grade, so ist die Einwirkung 
des kühlen Sommers nicht so auffallend, weil dann die Sterblichkeit 
an anderen Krankheiten hohe Werte erreicht, ln Sommern mit 
extrem hohenTemperaturen, falls dieselben von Trockenheit begleitet 
sind, steigt die Sterblichkeit gewaltig an; der Höhepunkt der 
Sterblichkeit bleibt um etwa 4 Wochen hinter dem Temperatur¬ 
maximum zurück. In trockenen Gegenden starben mehr Kinder 
als in Bezirken mit reichlichen Regenfällen. Wie die Schwan¬ 
kungen der Sterblichkeit durch diese klimatischen Faktoren ihre 
wenigstens teilweise Erklärung finden, so ist es unzulässig, kurze 
Zeitperioden der Säuglingsfürsorge miteinander zu vergleichen 
und aus dem Unterschied irgendwelche Schlüsse auf die Wirk¬ 
samkeit der organisierten Fürsorge zu ziehen. 

ln den Kreisen, in welchen die natürliche Ernährung eine 
weitverbreitete ist, zeigt die Säuglingssterblichkeit einen wesent¬ 
lich tieferen Stand als in den Kreisen, in welchen der Stillwert 
ein geringer ist. Kreise mit kurzer Stilldauer zeigen hohe 
Säuglingssterblichkeit. 

Uebereinstimmend bekunden die Aerzte der Provinz, dass 
nicht die Stillfähigkeit, sondern die Stillhäufigkeit abgenommen 
hat, ohne Zweifel hat das Anwachsen der Industrie, die not¬ 
wendige Anteilnahme der Frau am Miterwerb zum Rückgang der 
Brusternährnng beigetragen. Die enorme Verbreitung der Perl¬ 
sucht, besonders in Vorpommern, die Höhe der Kindersterblich¬ 
keit gerade auf dem Lande, die weite Verbreitung der künst¬ 
lichen Ernährung andererseits legen den Gedanken nahe, dass 
zwischen diesen Faktoren eine Korrelation bestehen mag. 

Den Untersuchungen der Säuglingssterblichkeit Mecklenburgs 
und Pommerns hat sich neuerdings P. Hanssen-Kiel (6) mit 
einer solchen über Schleswig-Holstein angeschlossen. Die 
gründliche Arbeit gliedert sich in eineu allgemeinen und speziellen 
Teil, in einer Schlussbetrachtung sind die Mittel zur Abstellung 
der Säuglingssterblichkeit angegeben. Einer allgemeinen Ueber- 
sicht ist zu entnehmen, dass die Säuglingssterblichkeit in der 
Provinz nach einer Steigerung in den neunziger Jahren im letzten 
Jahrzehnt wieder abgenommen hat, dass sie aber den niedrigen 
Stand, den sie 1871 — 1885 hatte, noch nicht wieder erreichte. 
Alle Faktoren, welche auf die Sterblichkeit von Einfluss sind, 
werden eingehend beleuchtet und im speziellen Teil die Sterb¬ 
lichkeit in den verschiedenen Kreisen der Provinz zur Darstellung 
gebracht, die naturgemäss erheblichen Schwankungen unterliegt. 

In einer Untersuchung über „den örtlichen Stand der 
Säuglingssterblichkeit in Bayern“ kommt Generalstabsarzt 
Dr. v. Vogl (7) zu dem Schlüsse, dass für das Zustandekommen 
der verschiedenen Höhe der Säuglingssterblichkeit in den einzelnen 
bayerischen Distrikten neben der Ernährung noch ein Faktor 
wirksam sein muss, und dieser kann nur die Oertlichkeit selbst 
sein. Das sucht der Verfasser an einer Anzahl Kartogramme zu 
erläutern. Eine Karte zeigt die Kleinen unter den bayerischen 
Militärpflichtigen. Die Gegenden an der Donau haben mit der 
grösseren Anzahl der Kleinen auch die grösste Kindersterblich¬ 
keit. Die Karte über die Militärtauglichkeit zeigt, dass, wie die 
Säuglingssterblichkeit, so auch die Tauglichkeit von der Er¬ 
nährung nicht ausschliesslich und auch nur teilweise ausschlag¬ 
gebend bestimmt wird. Der örtliche Einfluss, der nur im Boden 
und Klima gelegen sein kann, kommt im Maass an Gesundheit 
und Kraft nicht weniger zur Geltung als an Krankheit und Sterb¬ 
lichkeit. Die Wehrpflichtigen des Flachlandes stehen viel tiefer 
in ihrer Körperkonstitution als die Söhne des Hochgebirges, und 
eben diese Konstitution sowie auch die Säuglingssterblickeit fallen 
bzw. steigen ganz gesetzmässig von einer Stufe zur anderen. 
Ein Einfluss des Bodens und Klimas gelangt bei der Säuglings¬ 
sterblichkeit nach v. Vogl in der Weise zur Geltung, dass er 
eben durch die Eltern, d. i. durch die Abstammung, vermittelt 
wird; durch sie bekommt das Kind seinen physischen Wert schon 
vor der Geburt von den Eltern übertragen, durch sie werde auch 
der Örtliche Stand der Säuglingssterblichkeit bedingt. 

Mit der Säuglingssterblichkeit in Bayern beschäftigte sich 
in mehreren originellen Untersuchungen auch Grass 1 (8), indem 
er zunächst den Zusammenhang zwischen Kindersterblichkeit 
und ehelicher Fruchtbarkeit eruierte. In den bayerischen 
Bezirksämtern nimmt die Sterblichkeit der Säuglinge mit der 
Höhe der ehelichen Fruchtbarkeit zu. Der zuerst von Geissler 
für Sachsen gefundene Zusammenhang, dass die Säuglingsmorta¬ 
lität das Primäre ist, dass also der Abfall der Säuglingsmortalität 


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6. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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den Abfall der ehelichen Fruchtbarkeit bewirkt hat, ist auch für 
Bayern deutlich bemerkbar. Wolle man einen wahrhaften Erfo'g 
in unserer Säuglingssterblichkeitsbewegung, so dürfe man nicht 
einseitig die geringste Säuglingssterblichkeit für die beste halten. 
Es gäbe auch ein Optimum der Säuglingssterblichkeit, das für 
jeden Bezirk durch den Lokalbeamten sorgfältig ermittelt werden 
müsse. In vielen Aemtern Bayerns ist eine Verringerung der 
Kindersterblichkeit erwünscht, in anderen aber ist eine Verringe¬ 
rung nicht mehr vorteilhaft, weil dann ein Rückgang der Kinder- 
erzeugung zu befürchten ist. 

Ferner untersuchte Grassl (9) die sozialen Ursachen der 
Kindersterblichkeit in Bayern, insbesondere den Einfluss 
der agrarischen Verhältnisse auf die Kindersterblichkeit in Bayern 
und anderen Staaten. Er findet, dass noch ein anderer Faktor 
zur Herabsetzung der Kindersterblichkeit wirksam gewesen sein 
muss als die Stillhäufigkeit, und dieser Faktor ist es, der die 
Verschiedenartigkeit des Abfallens der Häufigkeit der Kinder¬ 
sterblichkeit der Jetztzeit gegenüber der Sterblichkeit der Ver¬ 
gangenheit in den einzelnen Kreisen bedingte. Dieser Faktor 
sind die wirtschaftlichen Verhältnisse. Sie allein und die aus 
ihnen sich ergebenden Aufzuchtssitten, -Gewohnheiten vermögen 
die Bewegung der Kindersterblichkeit in Bayern zu erklären. 
Die Sterblichkeit der Kinder Bayerns nimmt mit der Grösse des 
Bodenbesitzes zu. Die Kindersterblichkeit ist um so geringer, 
je mehr Wiesen der Einzelhof hat. Nur durch das Ueberwiegen 
der Arbeitszuteilung ist es zu erklären, dass die altbayrische und 
schwäbische Bäuerin ihrem Kind die Brust versagt. Die bayrischen 
Frauen behalten die Aufzuchtssitten, die sie sich als Bäuerinnen 
im Laufe der Jahrhunderte anerzogen haben, in der Hauptsache 
bei, wenn sie zur Industrie übergehen oder in die Städte wandern. 
Nicht das Einkommen an sich, sondern die Art und Weise, wie 
die Mittel zum Leben erworben werden, ist für das Leben des 
Säuglings entscheidend. Diese Gesetze haben nach Grassl auch 
für ausserdeutsche Staaten Geltung. In Holland z. B. ist die 
Säuglingssterblichkeit so niedrig, weil die Bäuerin grundsätzlich 
keinen Finger in der Landwirtschaft anrührt. Dasselbe gilt für 
die nordischen Königreiche. Während Vieh- und namentlich 
Milchwirtschaft die Kindersterblichkeit herabsetzt, kann man 
namentlich in den preussischen Provinzen deutlich sehen, dass 
Ackerbau die Säuglingsmortalität erhöht. Rüben- und Kartoffel¬ 
bau konsummieren die Kräfte der Mutter, wirken daher deletär 
auf das Kind, ln Württemberg nimmt mit Zunahme der Zer¬ 
stückelung des Bodens auch die Sterbehäufigkeit der Kinder ab. 

„Die Säuglingssterblichkeit in Frankfurt a. M.“ wurde 
von Dr. W. Hanauer-Frankfurt a. M. monographisch behandelt. 
Sehr eingehend ist hier auch die historische Seite der Frage be¬ 
rücksichtigt, da die Aufzeichnungen bis in das 16. Jahrhundert 
zurückgehen und in den Kirchenbüchern die Kinder gesondert 
von den Erwachsenen verzeichnet wurden. Wir ersehen, dass in 
früheren Jahrhunderten die Säuglingssterblichkeit eine recht hohe 
gewesen sein muss, was bei dem Fehlen jeder rationellen Kinder¬ 
pflege von vornherein nicht zu verwundern war. Von 1811 bis 
1834 war die Sterblichkeit der Säuglinge etwa 26,5; sie fiel 
auf 15,2 in der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Der zweite 
Teil der Arbeit behandelt die Säuglingssterblichkeit in der zweiten 
Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Sie stieg in 
der Mitte des vorigen Jahrhunderts bis etwa zum Jahre 1875 
langsam auf 18,6, um dann bis zur Gegenwart wieder ständig 
zu fallen; der Anstieg hing mit den Veränderungen politischer 
und sozialer Natur zusammen, welche die Niederlassungsfreiheit 
sowie die Gewerbefreiheit und das dadurch bedingte Einströmen 
proletarischer Volksmassen in Frankfurt im Gefolge hatten. Die 
Sterblichkeit bei den Unehelichen betrug 1901—1907 31,4. 
Eingehende Berechnuugen stellt der Verfasser über die Säuglings¬ 
sterblichkeit mit Beziehung zum Geschlechte, zur Konfession, zu 
den Lebensmonaten und Jahreszeiten an; endlich wird die Säug¬ 
lingssterblichkeit nach Stadtteilen und Todesursachen gruppiert 
und nun durch Vergleich mit anderen deutschen Städten die 
Eigentümlichkeiten der Frankfurter Säuglingssterblichkeit genau 
präzisiert; die Ergebnisse müssen im Original nachgelesen 
werden. 

Der letzte Abschnitt endlich behandelt sehr eingehend die 
Ursachen der niedrigen Säuglingssterblichkeit Frankfurts und 
schildert alle die Einflüsse, welche auf das Zustandekommen der 
niedrigen Ziffer von Einfluss sind. Demgemäss wirken das Klima, 
der gute Stand der öffentlichen Gesundheitspflege, die günstigen 
sozialen Verhältnisse, namentlich auch die relativ günstigen 
Wohouogsverhältnisse, endlich die niedrige Geburtsziffer. Zum 


Schlüsse wird geschildert, was in Frankfurt auf dem Gebiete der 
Säuglingsfürsorge geschieht und was noch zu geschehen hat. 

Mit der Säuglingssterblichkeit in Wien befasst sich 
Dr. S. Rosenfeld (11), indem er die Abnahme der Säuglings¬ 
sterblichkeit, den Einfluss der Jahreszeiten auf die Sterblichkeit, 
insbesondere der einzelnen Lebensmonate und den Einfluss der 
Zeugungszeit auf die Sterblichkeit untersucht. Vom Jahre 1895 
ab zeigt sich bei den ehelichen Kindern, Knaben sowohl wie 
Mädchen, das Auftreten einer fast stetig fortschreitenden Abnahme 
der Kindersterblichkeit, sie ist Teilerscheinung einer beobachteten 
Abnahme der Gesamtsterblichkeit, doch begann die Abnahme der 
Kindersterblichkeit später und ist bis jetzt auch nicht so stark, 
wie die Abnahme der Allgemeinsterblichkeit. Die beobachtete 
Sterblichkeitsabnahme kommt den ehelichen Kindern aller Lebens¬ 
monate in gleicher Stärke zu. Man findet eine Sterblichkeitsabnahme 
der einjährigen, gleichgültig, wie ihre Ernährung ist. Da die 
Sterblichkeitsabnahme auch bei den mit Frauenmilch ernährten 
Kindern sich zeigt, hier sogar noch grösser ist als bei den künst¬ 
lich genährten Kindern, so kann man die gesamte Sterblichkeits¬ 
abnahme keinenfalls ausschliesslich mit einer rationelleren 
Ernährungsweise in Zusammenhang bringen. Eine intensive 
Abnahme zeigen die beiden für das Säuglingsalter wichtigen 
Krankheitsgruppen, die Magendarmkatarrhe und die Entzündungen 
der Atmungsorgane, sodann die Nervenkrankheiten und die Lungen¬ 
tuberkulose. Die Sterblichkeitsabnahme der mit Muttermilch ge¬ 
nährten ehelichen Kinder kommt hauptsächlich den höheren 
Lebensmonaten zugute, dagegen betrifft die Sterblichkeitsabnahme 
der künstlich genährten ehelichen Kinder hauptsächlich die ersten 
Lebensmonate. 

Was die Erforschung der Säuglingssterblichkeit auf dem Lande 
anlangt, so setzte Dr. Marie Baum (12) ihre verdienstvollen 
Untersuchungen fort, indem sie die Säuglingssterblichkeit in dem 
rheinischen Kreis Mörs und Geldern darlegte. Diese beiden 
Kreise waren ursprünglich der Bevölkerung, der Lebensweise und 
der Berufsart nach gleichartig, der eine von ihnen,.Geldern, ver¬ 
harrte auch völlig in der alten Art, während der andere, Mörs, 
durch Ausbreitung der linksrheinischen Kohlengruben und die in 
deren Gefolge einwandernden Industrien in seiner südlichen Hälfte 
sehr wesentliche Umgestaltungen erfuhr. Die Säuglingssterblich¬ 
keit steht in beiden Kreisen auf mittlerer Höhe, 14,6 bis 15,6 
im Jahrfünft 1904 bis 1908, ist aber in Mörs etwas grösser und 
zeigt hier seit Jahren ein zwar leises, aber anhaltendes Steigen. 
Der Stand der natürlichen Ernährung wurde durch eine besondere 
Zählung mit Hilfe der Hebammen eruiert. Sehr deutlich zeigte 
sich hier die verschiedene Struktur der beiden untersuchten Kreise. 
In Geldern mit seinen einfachen, gleichmässigen Lebensverhält¬ 
nissen ist der Parallelismus zwischen Stillhäufigkeit und Sterb¬ 
lichkeit in den einzelnen Gemeinden, da der Einfluss der Er¬ 
nährung nicht durch andere Faktoren verdeckt wird, ganz 
unverkennbar. In Mörs dagegen sind die Verschiedenheiten wirt¬ 
schaftlicher und kultureller Natur so gross, dass sie vielfach über 
die Einflusssphäre der Ernährungsart hinübergreifen. Allgemein 
war festzustellen, dass in den wohlhabenderen ländlichen Bezirken 
des Kreises Mörs niedrige Sterblichkeit herrscht, während in dem 
in Nordwesten gegen Geldern zu gelegenen weniger fruchtbaren 
Teil die Sterblichkeit hoch ansteigt. In Mörs ist ausser dem Ein¬ 
fluss der Stillung in erheblichem Maasse auch der Einfluss der 
wirtschaftlichen und kulturellen Lebensbedingungen bemerkbar. 
Zur Bekämpfung der Kindersterblichkeit verlangt Dr. Baum Er¬ 
weiterung der Wöchnerinnenversicherung, Anstaltsfürsorge für 
Wöchnerinnen und Säuglinge, Unterricht in bauswirtschaftlichen 
Fächern, Kontrolle der Zieh- und unehelichen Kinder, Hauspflege, 
Mutterberatung, Milchabgabe usw. 

Ein ähnliches Thema wie Baum behandelt Dr. Hanssen- 
Kiel (13), indem er ebenfalls die Entwicklung der Säuglings¬ 
sterblichkeit in einer Landgemeinde beim Uebergang in einen 
Industrieort beschreibt. Es handelt sich dabei um den Fabrikort 
Lägerdorf in Schleswig - Holstein. Durch das Aufblühen der 
Zementindustrie in Lägerdorf erfuhr auch der vorher ländliche 
Ort seit den siebziger Jahren eine an amerikanische Verhältnisse 
erinnernde Entwicklung. Die Säuglingssterblichkeit lässt sich bis 
zum Jahre 1704 zurückverfolgen. Während in den Jahren bis zum 
Jahre 1870 die Säuglingssterblichkeit am höchsten in den fünf 
ersten Monaten des Jahres war, tritt sie nach dem Jahre 1870 
im Winter sehr zurück gegen das Sterben in den Sommerpiopatpo %< 
besonders der August zeichnet sh^U *jetik c&m$ e)n$ qäitirm; fcrnlia; 
Sterblichkeit aus. Unter den neo^ Verhältnissen ^spielt «fep*Er-** 
satz der natürlichen Ernährung durch die künstliches ein? Rq4fc, 


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22 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 1. 


daher jetzt die Darmkrankheiten an Häufigkeit und Gefährlichkeit 
sehr zunehmen. Der unter den neuen Verhältnissen entstehende 
typische hohe Sommergipfel ist weder durch Witterungs- noch 
Wohnungsverhältnisse bedingt, vielmehr ausschliesslich durch die 
künstliche Ernährung und die Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit, 
mit welcher in Industriearbeiterkreisen Kinder erzeugt und auf¬ 
gezogen werden. Auch der Alkoholismus spielt eine grosse Rolle. 
Ein Einfluss der Lohnverhältnisse auf die Säuglingssterblichkeit 
scheint vorhanden zu sein, je höher der Lohn, desto geringer die 
Säuglingssterblichkeit. Leider gelte aber auch die Regel, je 
höher der Lohn, desto grösser der Alkoholverbraucb. Für die 
arbeitende Rasse und das Gedeihen ihrer Familie scheint ein 
mittelhoher Lohn der günstigste zu sein (!!). 

Was die Säuglingssterblichkeit im Ausland anlangt, so liegt 
eine Arbeit von Borrino (14) über die Kindersterblichkeit in 
Italien vor. Danach stellen auch in Italien die Ernährungs¬ 
störungen etwas über ein Drittel der Sterbefälle dar. Auch in 
Italien sind die besonderen Verhältnisse, unter welchen die Stillung 
vorgenommen wird, viel mehr als die allgemeinen hygienischen 
oder die klimatischen oder die Wohnungsverhältnisse für die 
Frage der Kindersterblichkeit maassgebend. Die grosse Ver¬ 
breitung der natürlichen Ernährung stellt keinen grossen Vorteil 
dar, da dieselbe unregelmässig und unter Vorherrschen zahlreicher 
Vorurteile vorgenommen wird. Die Kinderfursorge ist unter diesem 
Gesichtspunkt in Italien ungenügend, es ist eine strengere ärzt¬ 
liche Ueberwachung der Säuglinge, und zwar besonders der 
armen, den Ammen zur Pflege anvertrauten und der unehelichen 
Säuglinge nötig. 

DerArbeitvonWladislaw Hubert(15)über den gegenwärtigen 
Stand der Kindersterblichkeit in Russland und ihre Bekämpfung 
ist zu entnehmen, dass Russland mit einer Säuglingssterblichkeit 
von 27,7 1908 an der Spitze aller europäischen Länder stand, in 
einzelnen Gouvernements erreicht sie sogar 600 pM. Besonders 
gross ist die Kindersterblichkeit in den Grossstädten, in Moskau 
z. B. 331, die Sterblichkeit unter den Brustkindern ist fast 
zwei- bis dreimal grösser als in den europäischen Grossstädten. 
Als hauptsächliche Todesursachen kommen Magendarmkatarrhe in 
Betracht, hervorgerufen durch Ernährungssünden, die vielfach 
auf abergläubischen Vorstellungen beruhen. Bei den altrussi¬ 
schen Frauen ist es nach dem Volksglauben eine Sünde, länger 
als während dreier Fastenzeiten im Jahr das Kind noch an der 
Brust zu ernähren; viel besser ist die Ernährung und Pflege bei 
den Muhamedanerinnen, daher deren Kinder viel weniger sterben. 
Sehr viele Säuglinge sterben ferner an Infektionskrankheiten. 
Die Erschöpfung der Frauen durch viele Geburten wird noch ver¬ 
stärkt infolge ungenügender Ernährung, oft durch ein Leben voller 
Entbehrungen, infolge schwerer Arbeit und vollständigen Fehlens 
jeglichen Mutterschutzes. 

In England ist nach Prinzing (16) die gemeldete Säug- 
lingssterblicbkeitsziffer von 13,8 in 1901 bis 1909 trügerisch, 
weil die Kinder, die in den sechs Wochen nach der Geburt sterben, 
nicht gemeldet werden. Die Säuglingssterblichkeit beträgt daher, 
wenn man diese nicht gemeldeten zurechnet, in Wahrheit 19,0. 
Die Feststellungen Prinzing’s legen es eindringlich nahe, bei der 
Vergleichung der internationalen Säugliogssterblichkeitszifler eine 
gewisse Vorsicht walten zu lassen. Was für England, gilt 
auch für Japan, danach erhöht sich in Japan die Säuglingssterb¬ 
lichkeit auf 18,8 pCt., während sie die amtliche Statistik nur auf 
16,3 berechnet. 60 pCt. der im ersten Lebensjahre gestorbenen 
sind in Japan im ersten Lebensmonat gestorben, während in Europa 
dieser Prozentsatz ein geringerer ist. Sehr gross ist die Sterb¬ 
lichkeit der japanesischen Säuglinge an Krankheiten der Atmungs¬ 
organe und des Nervensystems. 

Die Säuglings- und Kindersterblichkeit Nordamerikas be¬ 
handelt C. Loydold (17). In Pennsylvania und Süd-Dakota be¬ 
trägt die Säuglingsmortalität 23 pCt. sämtlicher Todesfälle, in 
Massachussets 21, in New York 19, in Rhode-Island 22. 

In den bedeutendsten Städten Nordamerikas entfielen auf 
je 100 Todesfällen in Washington 17 auf Säuglinge; in Chicago 20, 
in Indianopolis 14, in Boston 19, in Philadelpia 20, in New York 21. 
Die Mehrzahl der -Säuglinge ist Erkrankungen d$r Verdauungs¬ 
organe sowie Frühgeburten und angeborener Schwäche erlegen. 
Ganz ausserordentlich niedrig ist die Säuglingssterblichkeit in 
Neu-Seeland (18), sie betrug 1900 76,2 auf 1000 Geborene und fiel 
in 1909 auf 61,6. Eine strenge gesetzliche Regelung hat daselbst 
das Kostkinderwesen erfahren, ohne Lizenz darf niemand ein Kind 
jn Ufthjneq. , Das ßgsgt^.^njhält ferner Bestimmungen über 

,<lie.jZailWgfefif&thotle de$ Ufttelhjtftbeitrages. An Pflegepersonen 
* ••• • • • • • ••• • • • 


ist kein Beitrag zu leisten, wenn nicht ein Vertrag vorliegt, der 
vom Sekretär des Unterrichtsministeriums genehmigt ist. Ergeben 
sich bei einer solchen Zahlung Schwierigkeiten, so kann der Se¬ 
kretär auf Reichskosten den vereinbarten Betrag vergrössern und 
übernimmt dafür, so lange der Betrag nicht sichergestellt ist, 
die Elternrechte über das Kind bis zu dessen 16. Lebensjahr. 

Eine Spezialuntersuchung von Peiper und Polenz gilt den 
unehelichen Kindern in Pommern, ihrer Sterblichkeit und 
körperlichen Wertigkeit. Die Sterblichkeit des unehelichen Kindes 
ist in Pommern sehr gross, doch korrespondiert sie mit der Sterb¬ 
lichkeit der ehelichen, wo letztere hoch ist, ist auch erstere hoch 
und umgekehrt. Ist die Fürsorge der Bevölkerung für die ehe¬ 
lichen Kinder eine geringe, so kommen die Faktoren, welche die 
Lebensgefährdung bedingen, in erhöhtem Maasse bei den unehe¬ 
lichen zum Ausdruck. Die Magendarmkatarrhe bilden erheblich 
häufiger die Todesursache bei den ehelichen wie bei den unehe¬ 
lichen Kindern. Besonders gross ist die Lebensgefährdung im 
ersten Monat, am höchsten am ersten Tag (hohe prozentuale Be¬ 
teiligung der Erstgebäreuden bei den unehelichen Müttern!). Eine 
Minderwertigkeit der körperlichen Entwicklung bei der Geburt 
ist nach den Untersuchungen Peiper’s und Polens’ nicht zu 
konstatieren, was in Widerspruch zu den Erfahrungen von Selter 
steht, was sich aber von vornherein erwarten lässt, in der Er¬ 
wägung, dass das uneheliche Neugeborene von meist gesunden, 
in der Blüte der Kraft und der Jahre stehenden Eltern gezeugt ist. 

Eine Untersuchung über die Sterblichkeit im ersten 
Monat wurde von Dr. Birk-Charlottenburg (20) angestellt. In 
überwiegender Mehrzahl geben die Kinder an Ernährungsstörungen 
zugrunde. Ein zweiter Teil fällt den Infektionen zum Opfer, und erst 
der Rest wird von den eigentlich lebensschwachen Kindern, den 
debilen Neugeborenen gebildet. Von den infektiösen Erkran¬ 
kungen macht die Sepsis der Neugeborenen in der Mortalitäts¬ 
ziffer den Hauptprozentsatz aus, welche ihren Ausgangspunkt ge¬ 
wöhnlich vom Magendarmkanal des Kindes aus nimmt. Die beste 
Therapie für die aus alimentären Ursachen sterbenden Säuglinge 
ist die Prophylaxe, d. h. in diesem Fall die Verhinderung der 
künstlichen Ernährung. 

Dasselbe Thema: die Sterblichkeit im ersten Monat 
wurde von E. Rössle (21) in einer gründlichen Arbeit erörtert. Die 
Untersuchung erstreckt sich auf den Zeitraum 1901—1906; es 
wurden die Bevölkerungsverhältnissen von 21 europäischen und 
6 aussereuropäischen Staaten benutzt. Die Sterblichkeit im ersten 
Monat hat in allen Staaten abgenommen, am meisten da, wo sie 
vorher am grössten gewesen ist. Die unterste Grenze, die bisher 
zwischen 3 uud 4 pCt. geschwankt hat, sank zum erstenmal (in 
Norwegen) unter 3 pCt. Aus der Tatsache, dass in allen Staaten 
die Lebensfähigkeit der Neugeborenen sich zum Teil ganz be¬ 
deutend gehoben hat, ergibt sich, dass die physische Kraft der 
Nachkommenschaft der Kulturvölker nicht im Abnebmen, sondern 
im Zunehmen begriffen sein muss. Der infolge der Geburten¬ 
abnahme weniger geschwächte Organismus vermag jetzt lebens¬ 
tüchtigere Kinder zur Welt zu bringen, durch die zunehmenden 
Fürsorgeeinrichtungen ist es jetzt in grösserem Maasse möglich, 
auch schwächere Kinder über die Gefahren der ersten Lebens¬ 
monate hinwegzubringen. 

Was die Sterblichkeit in den einzelnen Lebenstagen anlangt, 
so ist sie natürlich in den ersten Tagen am grössten, dann findet 
man eine Stagnation derselben am 7. Tage, einen raschen Anstieg 
vom 11. Tage an und den gleichzeitig beginnenden Abfall vom 
14. Tage ab. Im weiteren ist die Sterblichkeit nach dem Ge¬ 
schlecht, nach Abkunft der Geborenen, nach dem Berufe der 
Eltern und dem Unterschiede in Stadt und Land besonders be¬ 
handelt. Was den Beruf der Eltern anlangt, so liegen Unter¬ 
suchungen nur aus Sachsen vor. Dort ist die Sterblichkeit im 
ersten Monat trotz der grossen Zahl der gewerblich beschäftigten 
Frauen verhältnismässig gering, weil diese Frauen sich bis 
6 Wochen nach der Geburt von der Berufsarbeit enthalten müssen. 
Die soziale Stellung der Eltern vermag übrigens nur unbedeutend 
die Sterblichkeit im ersten Monat zu beeinflussen. Die Sterblich¬ 
keit der Neugeborenen in den einzelnen Jahresroonaten zeigt 
unter anderem die interessante Tatsache, dass in Sachsen und 
Dänemark der Uranfang des sogenannten Sommergipfels bereits 
am ersten Lebenstage in die Erscheinung tritt. 

Einen Beitrag zur Frage der Beziehungen zwischen Kinder¬ 
zahl und Kindersterblichkeit liefert Marie Baum (22). In 
den Städten M.-Gladbach, Rheydt, Odenkirchen und Rheindalen 
wurde bei 1495 Familien mit 9487 lebendgeborenen Kindern die 
Säuglingssterblichkeit unter Beziehung auf die Reihenfolge der 



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6.Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


23 


Gebarten and die Stillverhältnisse festgestellt. Im Mittel starb 
von den Erstgeborenen jedes 7. bis 8. Kiöd, von den Zweit* bis 
Achtgeborenen etwa jedes sechste, von den Neuntgeborenen jedes 
vierte bis fünfte und von den noch höher in der Geburtsreihe 
stehenden jedes dritte Kind. Aber weit grössere Spannungen als 
zwischen diesen Durchschnittsziffern bestehen unter den Rindern 
aller Geburtsordnungen bei Berücksichtigung der Ernährungs¬ 
verhältnisse. Die achten und noch späteren Kinder fallen, wenn 
überhaupt nicht gestillt, fast zur Hälfte dem Tode zum Opfer. 
Bei einer Stilldauer bis zu 13 Wochen stirbt ein Drittel und 
mehr, bei läogeren Stillfristen immer noch ein Sechstel, ein 
Zwölftel, ja bei Stillung von über drei Vierteljahren sind bei 
insgesamt 190 Kindern dieser späteren Geburtsnummern nur noch 
3,1 pCt. Sterbefälle zu verzeichnen. Die Erstgeborenen starben 
bei den von Anbeginn an künstlicher oder bei einer bis höchstens 
6 Wochen fortgesetzten natürlichen Ernährung zu einem Viertel 
dahin. Bei einer Stilldauer von 13 bis 26 Wochen sinkt die 
Sterblichkeit der Erstgeborenen auf 12,17, bei einer dreiviertel- 
jährigen Stillung auf 2,7 und bei den über drei Vierteljahre ge¬ 
stillten ist die Sterblichkeit fast gleich Null. 

Mit einer ähnlichen Untersuchung, mit der Sterblichkeit 
in kinderreichen Familien, beschäftigt sich Thiemich- 
Magdeburg (23). Diese ist sehr ungleichmässig und schwankt von 
0 bis 75 pCt. Auch hier ist die Ursache die vom Baum ge¬ 
fundene: die verschiedenen Ernährungsverbältnisse, die mit dem 
Leben davon Gekommenen haben Mutterbrust erhalten, die Ge¬ 
storbenen sind mit der Flasche aufgezogen worden. Aufgefallen 
ist Thiemich, dass auch bereits die Mütter ein charakteristi¬ 
sches Aussehen darbieten, je nachdem die Kinder am Leben ge¬ 
blieben oder gestorben sind. Im ersten Fall haben sich die 
Mütter eine körperliche und geistige Frische bewahrt, im letzteren 
ist ihnen vielfach der Stempel des Proletariats in seiner traurigsten 
Form aufgedrückt. Bemerkenswert, dass bei dem massenhaften 
Hinsterben dieser Kinder weder Tuberkulose noch Lues eine be¬ 
sondere Rolle spielen, vielmehr Ernährungsstörungen und Spasmo- 
philie. Thiemich verlangt zum Schlüsse, dass die Fürsorge¬ 
einrichtungen auf die Säuglingssterblichkeit in kinderreichen 
Familien besondere Acht haben sollen. 

Zu der Frage, ob die Säuglingssterblichkeit eine Auslese 
bedeute oder nicht, die wir eigentlich für geklärt halten, wird 
uns noch neues Material geliefert, so von Sadyuki Kuzuga (24). 
Um den Einfluss der Säuglingssterblichkeit auf die 
Wertigkeit der Ueberlebenden unter Berücksichtigung 
der Veränderungen, getrennt nach Stadt und Land und nach 
dem Geschlecht bis zum 15. Lebensjahr zu verfolgen, 
stellte er für jede preussische Provinz eine Tabelle auf. 
Aus seiner Arbeit zog er den Schluss, dass hohe Säuglings¬ 
sterblichkeit auch hohe Kindersterblichkeit bedingt, denn in den¬ 
jenigen Provinzen PreusseDS, in denen im ersten Lebensjahr eine 
hohe Sterblichkeit besteht, ist auch in den nächsten Jahren die 
Kindersterblichkeit eine grosse. Auch der Vergleich von Stadt 
und Land zeigt, dass die hohe Säuglingssterblichkeit eine hohe 
Gefahr mit sich bringt; denn in den Stadt- wie Landgemeinden 
zeigt sich dort eine grosse Kindersterblichkeit, wo auch die Säug¬ 
lingssterblichkeit eine hohe ist. Dasselbe geht auch aus dem 
Vergleich der Sterblichkeit der Knaben und Mädchen hervor. 

Dasselbe Resultat erzielte A. Walter-London (25). Durch 
Gegenüberstellung der Sterblichkeitsverhältnisse der Säuglinge 
und der 1 — 5jährigen Kinder in einer Anzahl englischer Graf¬ 
schaften ergab sich, dass dort, wo die Sterblichkeit während des 
ersten Lebensjahres niedrig ist, auch in den folgenden Altersklassen 
des Kindes eine niedrige Mortalitätsziffer zu verzeichnen ist 

Die Aetiologie der Sommersterblichkeit der Säuglinge 
anlangend, so haben uns die letzten Jahre eine Anzahl ein¬ 
gehender Arbeiten gebracht, deren Verfasser zu einer Bestätigung 
der Meinert’schen Theorie gelangen. Zunächst Käthe (26). 
Letzterer resümiert seine Untersuchungen, die auf die Wohnungs¬ 
verhältnisse der Stadt Halle gerichtet sind, dahin, dass sie 
keine Anhaltspunkte ergeben, die gegen die Lehre von der Hitze¬ 
schädigung der Säuglinge verwertbar wären. Käthe hält die 
Wohnung und das Sommerklima, das Wohnungsklima in den 
Sommermonaten für die Ursache des Massensterbens der künstlich 
ernährten Säuglinge. Das Auftreten von Infektionen und In¬ 
toxikationen wird durch das sommerliche Klima begünstigt; aber 
der Hinweis auf eine derartig indirekte Einwirkung vermag 
keineswegs die weitgehende Abhängigkeit der durch tägliche 
Einzcichnungen gewonnene Kurve der Säuglingstodesfälle, vor 
allem an sogenannten Magendarmaffektionen, von der der Luft¬ 


wärme zu erklären. Gestützt werden diese Sätze durch den 
Nachweis der Lokalisation im Stadtgebiet von Halle. Quartiere 
mit schmalen, winkligen Strassen, engen Höfen, alten verbauten 
Häusern — Bedingungen, die eine Lufterneuerung und Wärme¬ 
abgabe erschweren — wiesen hohe Ziffern der Kindermortalität auf, 
vor allem an den durch Hitzestauung veranlagten Magendarm¬ 
affektionen in der Sommerhitze. In den peripheren Bezirken mit 
ihren geraden, breiten Strassen und nach modernen Grundsätzen 
errichteten Häusern forderte das Sommersterben in der Regel 
erheblich weniger Opfer; gerade in diesen hinsichtlich der 
Ventilation, der Entwärmung der Häuser günstig gestellten Ge¬ 
bieten fanden sich Quartiere, die sich durch auffällig niedrige 
Säuglingssterblichkeit auszeichneten. Die soziale Lage der Be¬ 
wohner war von weitgehender, aber doch nicht in jedem Falle 
ausschlaggebender Bedeutung. 

Dieselbe Koinzidenz zwischen hoher Säuglingssterblichkeit 
und hoher Temperatur an einzelnen Tagen beobachteten Lief- 
mann und Lindemann (27) auch für Berlin und in einigen 
anderen Grossstädten, ln den Hitzeperioden des Frühsommers 
war dieser Zusammenhang am deutlichsten in die Erscheinung 
getreten. Dies hatte die Verfasser zu der Vorstellung geführt, 
dass die Hitze ein die Kinder unmittelbar gefährdender Faktor 
sein müsse, dass es nicht der durch die Wärme begünstigten 
Milchzersetzung, nicht der Ausbreitung einer Infektion bedürfe, 
um eine vermehrte Sterblichkeit der Säuglinge herbeizuführen. 
Acht Gründe werden für diese Annahme geltend gemacht: erstens 
dass sich fast in jedem Jahr im Frühsommer an heissen Tagen 
ein Parallelgehen von Temperatur und Sterblichkeit finde; zweitens 
dass nur Temperaturen von über 23° im allgemeinen ein deut- 
! lieber Anstieg der Mortalität entspreche; drittens das ähnlich 
abnorme Verhalten der Mortalität in Jahren mit abnormen 
Temperaturverbältnissen; viertens das Vermehrtsein selbst der 
Zahl der Brustkinder unter den Gestorbenen; fünftens die nicht 
vermehrteSterblichkeit der in Kellern lebenden Säuglinge; sechstens, 
die Sterblichkeit steige manchmal so rasch mit der Temperatur, 
dass nur eine unmittelbare Schädiguug der Kinder stattgefunden 
haben könne; siebentes das Ueberwiegen der nicht vorwiegend vom 
Magendarmkanal ausgehenden Erscheinungen bei den an heissen 
Frübsommertagen sterbenden Säuglingen, wobei Krämpfe in erster 
Linie stehen; achtens das in sinkender Wärme ungemein rasche 
Nachfolgen der Sterblichkeit. Diese Feststellungen wurden dnreh 
klinische Beobachtungen ergänzt: Beobachtung typischer Hitz- 
schläge mit Encephalitis an nicht einmal extrem heissen Tagen. 
Uebereinstimmung der Wohnungstemperatur mit den statistischen 
Ergebnissen, Auftreten krankhafter Störungen bei Säuglingen 
meist im Anschluss an hohe Wohnungstemperaturen, endlich 
blieb eine künstlich beigebrachte Darmschädigung bei Meer¬ 
schweinchen nicht ohne Einfluss auf das Verhalten der Tiere bei 
Ueberhitzung. Der Tod der Säuglinge, die an heissen Vorsommer¬ 
tagen in grösserer Menge der sonst unter Erscheinungen einer 
Verdauungsstörung akut erliegen, ist durch das Hinzutreten einer 
Hitzschädigung zu einer schon bestehenden Darmaffektion zu 
erklären. Die Auffassung der Verfasser über die Hochsommer¬ 
sterblichkeit ist die, dass sie annebmen, dass in heissen Tagen 
des Hochsommers eine Anzahl von Säuglingen an direkter Ueber¬ 
hitzung sterben. Das gleiche ereignet sich auch an kühlen Tagen, 
ist aber dann nicht durch die Aussentemperatur, sondern durch die 
in den Wohnungen herrschende, länger anhaltende Hitze zu erklären. 
Der grösste Teil der im Hochsommer sterbenden Säuglinge geht 
an Verdauungsstörungen zugrunde; ein Teil dieser Erkrankungen 
ist im Anschluss an Hitzeschädigungen durch unzweckmässige 
Ernährung entstanden, ein anderer Teil wird durch solche Fälle 
gebildet, in denen eine bereits vorhandene Ernährungsstörung 
infolge der Hitzesehädigung einen unheilvollen Ausgang nimmt. 

Mit der Frage der Sommersterblichkeit der Säuglinge 
hat sich bekanntlich auch die Gesellschaft für Kinderheil¬ 
kunde und die Abteilung für Kinderheilkunde auf der Natur- 
forscherversammlung in Karlsruhe beschäftigt, und es haben dort 
Praussnitz-Graz und Rietschel-Dresden referiert. Rietschel 
(28) batte in den „Ergebnissen für innere Medizin und Kinder¬ 
heilkunde“, 1910, seine Auffassung von der Sommersterblichkeit 
der Säuglinge entwickelt, und diese gipfelte darin, dass für das 
grosse Sterben der Säuglinge im Sommer die direkte Einwirknng 
der Hitze von ausschlaggebender Bedeutung wäre, und dass die 
gewöhnliche Ansicht, dass die Sommerhitze dadurch so verderb¬ 
lich für unsere Säuglinge werde, weil durch sie die bakterielle 
Zersetzung der Milch gefördert werde, unbewiesen und auch un¬ 
wahrscheinlich sei. Dafür, dass die Sommerhitze wesentlich 

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24 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 1. 


durch die hohe Wohnungstemperatur zur Geltung komme, bringt 
Rietschel in einer weiteren Arbeit: „Sommerhitze, Woh¬ 
nungstemperatur und Säuglingssterblichkeit 11 neue Be¬ 
obachtungen bei. Er liess durch das statistische Amt alle Häuser 
von Dresden heraussuchen, in denen in den letzten 5 Jahren im 
Sommer mehr als ein Säugling gestorben war. In diesen Woh¬ 
nungen wurden Temperaturmessungen vorgenommen, und es ergab 
sich, dass selbst bei niedrigen Aassentemperaturen im Sommer 
höhere Wärmegrade nicht nur tage-, sondern wochenlang sich 
hielten und 30, 32 und 34° als Maximum gar nichts Seltenes 
waren. Ja es wurde eine Wohnung gefunden, in welcher die 
Temperatur an einzelnen Tagen bis auf 35—37° stieg, bei 
Maximalaussentemperaturen von 23,5 und 21,3°. Das Ent¬ 
scheidende in der Pathogenese der Sommersterblichkeit bleibt 
demnach für Rietschel die hohe Wohnungstemperatur. „Nur 
so können wir uns vorstellen, wie durch wochen- und monate¬ 
lange Einwirkung solcher Temperaturen der zarte Körper der 
Säuglinge geschädigt werden kann.“ 

Diese Arbeit Rietscbers ist in der Hauptsache eine Polemik 
gegen Kleinschmidt, der auf Grund klinischer Beobachtungen 
die Anschauung von der direkten Wirkung der Hitze auf die 
Säuglingssterblichkeit bestritten hatte. Er beobachtete gesunde 
und kranke Säuglinge bei höheren Temperaturgraden mit wech¬ 
selnder Luftfeuchtigkeit, und er kam zum Schlüsse, dass die 
klinischen Erfahrungen, die sich im Wärmezimmer darbieten, 
nicht dem Sommerbrechdnrchfall und dem Hitzschlag entsprechen, 
die Hitze als solche könne nicht die direkte Ursache der Sommer¬ 
sterblichkeit sein. 

Ueber den Vortrag Rietschers auf der Naturforscher¬ 
versammlung in Karlsruhe ist in dieser Wochenschrift, 1911, 
Nr. 43, berichtet worden. 

Ueber Säuglingssterblichkeit im Zusammenhang mit der 
Aussentemperatur im Winter arbeitete Hans Risel (29) in 
Leipzig unter Zugrundelegnng der Sommer 1904/06 und 1909/10. 
Seine Tabellen ergaben, dass, wie tief und dauernd auch die 
negativen Temperaturen sind und wie gross ihr Wechsel, die 
Kurve der täglichen Säuglingssterblichkeit doch im wesentlichen 
unbeeinflusst bleibt. Das Ergebnis seiner Untersuchungen ist 
demnach: Es Hessen sich keinerlei Beziehungen nacbweisen 
zwischen Säuglingssterblichkeit und selbst strengster Kälte. 


Literatur. 

1. Silbergleit, Ueber die Statistik der Säuglinge und der Säug¬ 
lingssterblichkeit. Hyg. Rundschau, 1911, Nr. 22. — 2. Behla, Die 
Säuglingssterblichkeit in den Provinzen, Regierungsbezirken und Kreisen 
des preussischen Staates 1910 und 1904. Medizinalstatistische Nach¬ 
richten, herausgegeben vom Königlich preussischen statistischen Landes¬ 
amt, 3. Jahrg., H. 2. — 3. Birk, Die Säuglingssterblichkeit in der 
preussischen Statistik. Zeitschr. f. Säuglingsschutz, 1910, S. 85. — 
4. Brüning, Die Säuglingssterblichkeit in Mecklenburg-Schwerin, ihre 
Ursachen und Bekämpfung. Wiesbaden 1909, 154 S. Derselbe, 
Säuglingssterblichkeit und Säuglingsfürsorge in Mecklenburg-Schwerin. 
Zeitschr. f. soziale Medizin, Bd. 2, S. 261. — 5. Peiper und Po lenz, 
Die Säuglingssterblichkeit in Pommern, ihre Ursache und ihre Be¬ 
kämpfung. Klin. Jahrb., 1910, Bd. 13, S. 189. — 6. Hanssen-Kiel, 
Die Säuglingssterblichkeit der Provinz Schleswig-Holstein und die Mittel 
zu ihrer Abhilfe. Teil 1, 31 S, Teil 2, 65 S. Kiel 1912. — 7. Vogl, 
Der örtliche Stand der Säuglingssterblichkeit in Bayern. 15 S., 
München 1911. — 8. Grassl, Der Zusammenhang zwischen Kindersterb¬ 
lichkeit und ehelicher Fruchtbarkeit in Bayern. Soziale Med. u. Hyg., 
1910, S. 412. — 9. Grassl, Die sozialen Ursachen der Kindersterblich¬ 
keit in Bayern, insbesondere der Einfluss der agrarischen Verhältnisse 
auf die Kindersterblichkeit Bayerns und anderer Staaten. Zeitschr. f. 
soziale Med., 1910, S. 252. — 10. Hanauer, Die Säuglingssterblichkeit 
in Frankfurt a. M. Ergebnisse der Säuglingsfürsorge, H. 7, Leipzig und 
Wien 1911, 122 S.— 11. Rosenfeld, Weitere Beiträge zur Statistik der 
Säuglingssterblichkeit. Jahrb. f. Kinderheilk., Bd. 21, 3. Folge, Er- 
gänzungsh., S. 209. — 12. M. Baum, Lebensbedingungen und Sterblich¬ 
keit der Säuglinge in den Kreisen Mörs und Geldern. Zeitschr. f. Säug¬ 
lingsfürsorge, 1910, S. 28. — 13. Hanssen-Kiel, Ueber die Säuglings¬ 
sterblichkeit in einer Landgemeinde beim Uebergang in einen Industrie¬ 
ort. Archiv f. soziale Hyg., Bd. 7, S. 46. — 14. Borrino, Die Kinder¬ 
sterblichkeit in Italien. Jahrb. f. Kinderheilk., 3. Folge, Bd. 22, Er¬ 
gänzungsheft, S. 275. — 15. Hubert, Der gegenwärtige Stand der 
Frage über die Kindersterblichkeit in Russland und deren Bekämpfung. 
Archiv f. Kinderheilk., 1912, Bd. 54, S. 351. — 16. Prinzing, Tot¬ 
geburten, Kindersterblichkeit und Geschlechtsverhältnisse der Geborenen 
in England und Japan. Zeitschr. f. soziale Med., 1910, Bd. 6, S. 295. 
17. Loydold, Säuglings- und Kindersterblichkeit in Nordamerika. Med. 
Reform, 1911, S. 222. — 18. Derselbe, Concordia, 1912, Nr. 1. — 
19. Peiper und Po lenz, Ueber die Sterblichkeit und die körperliche 
Wertigkeit der unehelich geborenen Säuglinge. Zeitschr. f. Säuglings¬ 


fürsorge, 1910, S. 33. — 20. Birk, Ueber die Sterblichkeit der Säug¬ 
linge im ersten Lebensmonat. Zeitschr. f. Säuglingschutz, Bd. 1, S. 49. 

— 21. Rössle, Die Sterblichkeit im ersten Lebensmonat. Zeitschr. f. 
soziale Med., Bd. 5, S. 151. — 22. M. Baum, Sterblichkeit und Lebens¬ 
bedingungen der Säuglinge in den Stadtkreisen M.-Gladbach und Rbyedt 
und im Landkreise M.-Gladbach. Zeitschr. f. soziale Med., 1910, S. 65. 

— 23. Thiemich, Säuglingssterblichkeit in kinderreichen Familien. 
Zeitschr. f. Säuglingsschutz, Bd. 3, S. 308. — 24. Kuzuga, Säuglings¬ 
sterblichkeit und Wertigkeit der Ueberlebenden. Zeitschr. f. Säuglingsfür¬ 
sorge, 1910, S. 33. — 25. Walter, Die Möglichkeit einer Rassenauslese 
durch Säuglingssterblichkeit. Soziale Med. u. Hyg., 1911, S. 15. — 

26. Käthe, Sommerklima und Wohnung in ihren Beziehungen zur 

Säuglingssterblichkeit. Klin. Jahrb., 1911, Bd. 25, S. 319. — 

27. Liefmann und Linderaann, Der Einfluss der Hitze auf die Sterb¬ 
lichkeit der Säuglinge in Berlin und einigen anderen Grossstädten. 
Deutsche Vierteljahrsschr. f. öffentl. Gesundheitspfl., 1911, S. 333. — 

28. Ritschel, Sommerhitze, Wohnungstemperatur und Säuglingssterb¬ 
lichkeit. Zeitschr. f. Kinderheilk., 1901, Bd. 1, H. 5—6. — 29. Risel, 
Säuglingssterblichkeit und Aussentemperaturen im Winter. Zeitschr. f. 
Kinderheilk., 1910, Bd. 1, H. 1. 


Praktische Ergebnisse 

aus dem Gebiete der gerichtlichen 
Medizin. 

Von 

Gerichtsarzt Dr. Marx -Berlin. 

Zur Lehre von den Erstickungsblutungen. 

Die sogenannten Erstickungsblutungen haben in der gericbt- 
l'chen Medizin eine bedeutsame und, so kann man sagen, durch 
viele Jahre eine verhängnisvolle Rolle gespielt. Es ist noch 
nicht allzu lange her, dass sich die Lehre Tardieu’s unein¬ 
geschränkter Geltung erfreute. Tardieu lehrte, dass die sub¬ 
pleuralen Ecchymosen bei Erhängten, bei Erdrosselten und bei 
Ertrunkenen fehlen: er sah in ihnen die klassischen Zeichen ge¬ 
waltsamer Erstickung durch Verschluss von Nase und Mnnd oder 
durch Verhinderung der Bewegungen des Thorax. 

ErstLiman hat diese Lehre endgültig erschüttert, und heute 
wissen wir, dass diese Ecchymosen einmal bei allen Todesarten 
Vorkommen, deren Wesen der primäre Atemstillstand ist, und 
dass sie andererseits bei allen diesen Todesarten ebensogut auch 
fehlen können, ohne dass an dem eigentlichen Erstickungstod 
Zweifel berechtigt sind (v. Hofmann, Strassmann, Haberda 
und andere). Darüber hinaus wissen wir durch neuere Arbeiten, 
unter anderen durch die von A. Schulz, dass auch beim pri¬ 
mären Herzstillstand subpleurale Ecchymosen auftreten. 

Gleichwohl scheint mir immer noch in weiteren Kreisen eine 
gewisse Neigung vorhanden zu sein, den subpleuralen Ecchymosen 
für die Diagnose des Erstickungstodes eine Bedeutung zuzumessen, 
die ihnen nicht im entferntesten zukommt. So schreibt selbst 
Kratter in seinem jüngst erschienenen Lehrbuch der gerichtlichen 
Medizin, dass diesen Ecchymosen eine grosse Beweiskraft unter den 
Erstickungsbefunden zukommt, aber Kratter betont doch aus¬ 
drücklich, dass diesen Blutaustritten jene entscheidende Beweis¬ 
kraft, die ältere Autoren ihnen beilegten, nicht zugeschrieben 
werden kann. 

Im allgemeinen besagt ja der Ausspruch, dass ein Mensch 
an Erstickung gestorben ist, so gut wie nichts. Er ist für den 
Kliniker, den pathologischen Anatomen fast ebenso bedeutungslos 
wie für den gerichtlichen Mediziner, und man ist fast versucht, 
Puppe zuzustimmen, wenn er meint, dass das Gutachten: „Dieser 
Mensch ist an Erstickung gestorben“, kaum etwas mehr sagt, als 
dass der Betreffende tot sei. Erstickung ist schliesslich eben 
nichts anderes als das Aufhören des respiratorischen Gaswechsels, 
der jedes Leben beendigt, und Strassmann ist vielleicht im 
Recht, wenn er die Ansicht ausspricht, dass der praktische Wert 
der subpleuralen Ecchymosen in ihrer Beziehnng zur Erstickung 
kaum zu gering geschätzt werden kann. 

Wir finden die subpleuralen nnd dementsprechend die sub- 
pericardialen Ecchymosen, ferner solche unter dem Ueberzug der 
Thymus, unter der Pleura costalis, bei einer fast unbegrenzten An¬ 
zahl von Todesarten, bei Vergiftungen jeder Art, bei der 
Capillarbronchitis, dem Darmkatarrh der Säuglinge, beim Tode 
Neugeborener infolge von Blutungen in das Schädelinnere, beim 
Hitzschlag, bei Verbrennungen und Verbrühungen, kurzum bei 
allen möglichen Todesarten, die mit dem wenigstens, was der 


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6. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


25 


Gericbtsarzt unter Erstickung im engeren Sinne versteht, nicht 
das mindeste zu ton haben. 

Wenn anders der Begriff der Erstickung für die gerichtliche 
Medixin irgendeine praktische Bedeutung haben und behalten soll, 
so müssen wir ihn für die Fälle von Erstickung durch äussere 
Gewalteinwirkung reservieren, und da lautet das unabweisbare 
Postulat für den Gerichtsarzt, der immer und überall den Rechts- 
sweck vor Augen haben soll, dass von Erstickung im Obduktions¬ 
gutachten nur die Rede sein soll, wo zugleich die äussere, zum 
Verschluss der Atemwege führende Ursache nachgewiesen werden 
kaun. 

Sollen wir nun, das sei zunächst rein theoretisch gefragt, an 
den Erstickungsblutungen achtlos vorübergehen? Ich denke, das 
verbietet schon die Achtung vor den Tatsachen, und wer einmal 
diese oft geradezu erstaunlichen Blassen von subserösen Ecchy- 
mosen an der Leiche gesehen hat, wird sich des Eindrucks nicht 
erwehren können, dass uns hier ein Zeichen gegeben ist, das auf 
ausserordentlich intensive patho-physiologische Prozesse hinweist. 
Zum mindesten dürften diese Erstickungsblutungen, ich behalte 
diesen Ausdruck zunächst bei, einen Wert für die Aufdeckung 
der Todesart besitzen. Sie werden uns lehren'können, welche 
ioneren Mechanismen letzten Endes das Aufhören des respiratori¬ 
schen Gaswechsels bewirkt oder, besser vielleicht, eingeleitet und 
begleitet haben. 

Wir haben uns bisher auf die Erstickungsblotungen be¬ 
schränkt, die innerhalb des Thorax anzutreffen sind. Eine unend¬ 
lich grössere Bedeutung für die praktische gerichtliche Medizin 
haben diejenigen Blutungen, die wir beim eigentlichen Erstickungs¬ 
tode, im forensischen Sinne, ausserhalb des Thorax beob¬ 
achten. Ausser Betracht sollen dabei die kleinen Blutungen in 
die Haut, unter die ConjunctiveD, in die weichen Kopfdecken 
bleiben. Gegenstand der weiteren Erörterungen sollen lediglich 
die Blutungen in die Weichteile des Halses sein. 

Die Bedeutung von Blutungen in die Weichteile des Halses, 
insbesondere in die Muskulatur der Kopfnicker, die vom Brust¬ 
bein zum Kehlkopf und zum Zungenbein ziehenden Muskeln, in 
die Umgebung der Submaxillaris an den Kieferwinkeln, und in 
die Gefäss- und Nervenscheiden des Halses, in das lockere Ge¬ 
webe vor der Halswirbelsäule, war bisher in der gerichtlichen 
Medizin im grossen und ganzen unbestritten. Man sah in diesen 
Bildungen, soweit sie nicht etwa Teilerscheinungen ganz allge¬ 
meiner, über den ganzen Körper verbreiteter Blutungen waren, 
die Produkte einer von aussen gegen den Hals gerichteten Ge¬ 
walt. Man führte sie auf eine direkte mechanische Einwirkung 
xurück und achtete sie etwa den Kontusionsblutungen gleich. 

Aus dieser Auffassung ergibt sich die unabweisbare Folge¬ 
rung, dass diese Blutungen im engsten Sinne als Erstickungs¬ 
blotungen anzusehen waren, als eindeutige Zeichen einer Er¬ 
stickung durch äussere Gewalteinwirkung, durch gewaltsamen 
Verschluss des Kehlkopfes bzw. der Luftröhre. 

Gegen diese fast allgemein geteilte Auffassung konnten zu¬ 
erst einige Beobachtungen sprechen, die schon vor etwa 25 Jahren 
vonPaltauf gemacht worden waren. Paltauf sah neben Muskel¬ 
rissen Blutunterlaufungen am Sternocleidomastoideus an Leichen 
Ertrunkener; nach ihm veröffentlichte Reuter im Jahre 1901 
ähnliche Befunde. 

Im ganzen sind diese Beobachtungen aber wenig berück¬ 
sichtigt worden, so bedeutsam sie an und für sich erscheinen 
mussten, und erst neuerdings habe ich in Gemeinschaft mit 
Dr. Arnheim wieder auf diese Erscheinungen aufmerksam ge¬ 
macht und die Kenntnis ihres Ursprungs und Vorkommens er¬ 
weitert. Nach dieser letzten Publikation habe ich nun in einer 
grossen Anzahl von Fällen an den Halsorganen Ertrunkener 
solche Blutaustritte in geradezu erstaunlicher Fülle beobachtet. 
Uns entsprechende Material soll demnächst in der Aerztlichen 
Sachverständigen-Zeitung dem Kreise der Fachkollegen unter¬ 
breitet werden. 

Diese Blutungen an den Halsorganen Ertrunkener sind 
zweifellos geeignet, die Bedeutung von Blutaustritten in die Hals¬ 
weichteile erheblich einzuschränken bzw. zu modifizieren. Es 
ist bekannt, dass besonders an Leichen Erwürgter erhebliche 
Blutungen in die Weichteile des Halses zustande kommen. Wir 
wissen, dass in der Regel die Erwürgung Spuren, in Gestalt der 
bekannten Fingernägeleindrücke, in der Haut des Halses zurück¬ 
lässt, wir wissen aber ebensogut, dass bei der Erwürgung über 
weichen Bedeckungen, etwa über einem Halstuch, Spuren an der 
Haut nicht nur fehlen können, sondern tatsächlich auch ge¬ 
legentlich vermisst werden. Findet man nun oder fand man an den 


Halsorganen eines Ertrunkenen Blutaustritte, so konnte man leicht 
auf den Gedanken kommen, dass, bevor der Körper in das 
Wasser geriet, eine Erwürgung stattgefunden habe, und dass der 
Tod nicht durch Ertrinken, sondern vielmehr durch gewaltsame 
Erstickung durch Menschenhand herbeigeführt worden war. 

Daraus ergibt sich ohne weiteres die Bedeutung der oben 
erwähnten Beobachtungen, die vielleicht deshalb so selten gemacht 
worden sind, weil die Leichen Ertrunkener vielfach erst dann 
auf den Obduktionstisch kommen, wenn erhebliche Leichenfäulnis 
Platz gegriffen und diese flächenhaften Blutungen durch hämo¬ 
lytische Veränderungen überdeckt und verwischt hat. Glücklicher¬ 
weise stand mir ein reichliches Material von ganz frischen 
Leichen Ertrunkener zur Verfügung, und zwar von solchen Fällen, 
in denen der Tod durch Ertrinken durchaus einwandfrei fest¬ 
gestellt war. 

Kehren wir hiernach zu einer allgemeineren Betrachtung der 
Erstickungsblutungen zurück, so werden wir nun zunächst die 
Frage zu erörtern haben, wie die Entstehung solcher Halsblutungen 
zu denken ist. Die Lösung dieser Frage wird uns dann auch 
sagen können, welcher Wert den Erstickungsblutungen für die 
gerichtlich medizinische Praxis zukommt, und zugleich denke ich, 
dass ganz allgemein auch die Patho-Physiologie aus der Lösung 
dieses Problems einen, wenn auch kleinen Nutzen ziehen kann. 

Ueberblicken wir in aller Kürze, wie man sich bisher die 
Entstehung der Ersticknngsblutungen gedacht hat, so kommen im 
wesentlichen zwei Theorien in Betracht, die eine folgt der Donders- 
schen Lehre von der Entstehung der Lungenbyperämie. Sie führt 
diese Blutungen auf die Druckdifferenz zurück, die sich zwischen 
den Venen innerhalb und ausserhalb des Brustkorbes etabliert, 
wenn die starken Inspirationsbewegungen während der Dyspnöe 
das Blut schröpfkopfartig an die Lungenoberfläche saugen, wo 
dann die resultierende Drucksteigerung die dünnen Gapillarwände 
zerreisst. Dass diese Anschauung, die von Krahmer vertreten 
wird, nur die innerhalb der Brusthöhle gelegenen Ecchymosen er¬ 
klären kann, versteht sich von selbst. 

v. Hofmann nimmt den auf der Höhe der Erstickung ein¬ 
tretenden vasomotorischen Krampf und die dadurch bedingte Er¬ 
höhung des auf den Gefässwandungen lastenden Seitendruckes 
für die Entstehung’ der Blutaustritte in Anspruch, und ent¬ 
sprechend verlegt v. Hofmann die Entstehung der Erstickungs¬ 
blutungen in das konvulsive Stadium der Erstickung. 

Corin konnte auf Grund eigener Experimente die Ent¬ 
stehung der Ecchymosen in den Augenblick verlegen, wo die 
Erhöhung des Blutdrucks in der Arteria pulmonalis mit dem 
Aufhören der Respiration und der Fixierung der Lungen zu- 
sammenfällt. 

Was die Entstehung der Blutungen in die Halsorgane an¬ 
geht, so hat man bisher ganz allgemein, wie ich das schon er¬ 
wähnte, eine Anschauung vertreten, die man etwa als die Theorie 
der direkten Quetschung bezeichnen kann. Paltauf und Reuter 
haben für die Entstehung der Halsblutungen beim Ertrinkungs¬ 
tode die Vornahme plötzlicher Bewegungen der vernnglückten 
Individuen und die Anstellung von Wiederbelebungsversuchen 
(Paltauf) und die Ueberanstrengung der auxiliären Atemmuskeln 
bei der Dyspnoe (Reuter) in Anspruch genommen. 

Die Lehre v. Hofmann’s, die durch Corin’s Experimente 
eine wertvolle Stütze erfahren hat, erscheint plausibel für die 
Entstehung der Erstickungsblutungen innerhalb des Brustkorbes, 
sie ist in gewissem Grade auch anwendbar auf die Blutaustritte 
in die Halsorgane. Es ist ganz zweifellos, dass ein vasomoto¬ 
rischer Krampf mit dem durch ihn gesetzten erhöhten Seiten¬ 
druck auf die Gefässwände ein Einreissen der dünnen Gefässwände 
und somit die Blutaustritte herbeiführen kann. 

Wenn wir diese Theorie auch für das Zustandekommen der 
Halsblutungen zunächst einmal gelten lassen, so werden wir zu¬ 
gleich mit Bestimmtheit die Ansicht zurückweisen können, dass 
die Blutungen in die Halsmuskulatur, in die Gefässscheiden usw., 
wie wir sie etwa beim Erwürgungstode finden, in ihrer Gesamtheit 
rein mechanisch durch den äusseren Druck auf den Hals zu er¬ 
klären sind. Wir wissen aus zahlreichen Erfahrungen, dass zu¬ 
nächst die Blutaustritte in die Weichteile des Halses in ihrer 
Lokalisation durchaus nicht den äusseren Erwürgungsspuren ent¬ 
sprechen. Wenn die Fingereindrücke, wie es meist der Fall ist, 
etwa in Kehlkopfhöhe und zwischen dem Kehlkopf und den Unter¬ 
kieferrändern sitzen, so erstrecken sich die inneren Blutaustritte 
vielfach bis zur Thoraxapertur hinunter, und wir finden auch sonst 
diese Blutungen da, wo die direkte Druckwirkung von aussen gar 
nicht zur Geltung kommen kann, wie in dem lockeren Gewebe vor 


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26 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 1. 


der Halswirbelsäule. Auch einfache Zag- und Zerrungswirkung ist 
nicht imstande, alle diese Blutungen zu erklären. Im übrigen 
zeigen ja die Blutaustritte in die Halsorgane bei Ertrunkenen, 
dass äussere Gewalteinwirkung auf den Hals für das Zustande¬ 
kommen dieser Blutungen durchaus entbehrlich ist. 

Wenn wir die Erstickungsarten durch äussere Gewalteinwirkung 
durchgehen, so muss auffallen, dass bei einer Art der gewalt¬ 
samen Erstickung, bei der eine ganz enorme äussere Gewalt¬ 
einwirkung auf den Hals stattfindet, Blutungen in die Weichteile 
des Halses geradezu selten anzutreffen sind: Ich meine den Tod 
durch Erhängen. Hier wirkt nicht nur das Strangwerkzeug als 
solches auf den Hals ein, es kommt auch als Kraftkomponente 
das ganze Gewicht des hängenden ziehenden Körpers hinzu. 

Um die Seltenheit der Blutungen bei Erhängten zu illustrieren, 
führe ich die Beobachtungen von Martinek an, der bei 184 Er¬ 
hängten nur 10 mal, und die von W. Schmidt, der in 344 Fällen 
nur 11 mal Blutungen an den Weichteilen des Halses konstatiert. 
Meine eigenen Erfahrungen bestätigen dies zahlenmässige Ver¬ 
halten. Auch beim Tode durch Erdrosseln sind die Blutungen 
nicht entfernt so häufig wie beim Tode durch Erwürgen. 

Diese Tatsachen müssen zu denken geben, und sie werden 
uns auf ein Moment führen, das bisher zu wenig Beachtung ge¬ 
funden hat. 

Der Mechanismus des Erhängungstodes besteht, wie bekannt 
ist, darin, dass der Zungengrund gegen die hintere Rachenwand 
gepresst wird. Auf diese Weise kommt es zum Verschluss der 
oberen Luftwege; der Verschluss der grossen Halsgefässe soll 
dabei zunächst ausser acht gelassen werden. 

In dem Augenblick, wo der Zungengrund gegen die hintere 
Rachenwand gedrückt wird, kommt es zu einem vollständigen 
Aufhören der Atmung, mit anderen Worten zu einem Zustande 
von Apnoe. Es sind in dem Augenblick, in dem das 
strangulierende Werkzeug, in Verbindung mit der Schwere 
des ziehenden Körpers, den Zangengrund gegen die Rachenwand 
drückt, etwa die gleichen Verhältnisse gegeben, wie in der 
Narkose, wenn die Zunge nach hinten sinkt und der Zungen¬ 
grund den Eingang zum Kehlkopf verlegt. Wir sehen ja auch in 
der Narkose, wenn dieser gefürchtete Zustand eintritt, ein plötz¬ 
liches Aufbören der Atembewegungen und nicht etwa eine 
Dyspnoe. 

Der vollendete Abschluss der Atemwege stellt den idealen 
Erhängungsmechanismus dar. Wir wissen, dass jede Modifikation 
des Sitzes des Strangwerkzeuges Veränderungen jenes Mechanismus 
herbeiführen kann. So werden wir auch nicht in jedem Falle 
von Erhängung einen idealen Verschluss der Luftwege antreffen, 
so dass, wenn auch die Apnoe die Regel sein dürfte, hier und 
da auch beim Erhängen ein Stadium der Dyspnoe mit konse¬ 
kutiven geringfügigen Erstickungsblutungen vorkommt, das aber 
nach v. Hofmann’s Beobachtungen regelmässig kürzer zu sein 
pflegt, als sonst bei der Erstickung. 

Man bat ganz allgemein, unter anderem tut das auch 
Strassmann in seinem viel gelesenen Lehrbuch, das Ausbleiben 
von Blutunterlaufungen an den Halsorganen Erhängter mit dem 
Verschluss der grossen Halsgefässe, insbesondere der Carotiden 
zu erklären versucht. Diese Erklärung ist sicher nicht stichhaltig. 
Unterhalb des strangulierenden Werkzeugs circuliert das Blut zu¬ 
nächst weiter, es muss ganz naturgemäss unterhalb der Ver¬ 
schlussstelle der Gefässe zu einer venösen Stauung und damit 
zu einem erhöhten Druck in den Venen kommen, und es wäre 
so die Möglichkeit zu Blutaustritten durchaus gegeben, wenn 
nicht eben ein wesentliches Moment fehlte. 

Dieses wesentliche Moment sind die Atembewegungen. Wo 
überhaupt keine Atembewegungen stattfinden, wo also der Zu¬ 
stand der Apnoe eintritt, können auch keine Blutaustritte zustande 
kommen. 

Es ergibt sich somit die zunächst paradox anmutende Er¬ 
kenntnis, dass Erstickungsblutungen nur dann zustande kommen, 
wenn noch Atmung vorhanden ist. 

Es ist ganz fraglos die Dyspnoe in ihren höchsten Graden, 
welche die Erstickungsblutungen erzeugt, und zwar sind es sowohl 
die forcierten Inspirations- wie die forcierten Exspirationsbewe¬ 
gungen, welche zu den Blutaustritten führen. Verstärkte Saug- 
und Druckwirkung zusammen führen zur Zerreissung der zarten 
Capillarwände und zum Blutaustritt, der erhöhte Druck vermehrt 
den intracapillären Seitendruck, der schnelle kontinuierliche Wechsel 
zwischen negativen und positiven Druckwerten nimmt die Elasti¬ 
zität der Gefässwand übermässig in Anspruch und begünstigt so 
durch eine additionale Wirkung den Wandriss. 


Wir wissen, dass schon unter normalen Verhältnissen die 
Aterabewegungen des Thorax einen wesentlichen Einfluss auf den 
venösen Kreislauf haben. Inspirationsbewegungen saugen, Ex¬ 
spirationsbewegungen drücken auf die venöse Blutsäule. Diese 
Effekte werden in dem Augenblick verstärkt, wo die Atem¬ 
bewegungen einem erhöhten Widerstand begegnen, wo ein Hinder¬ 
nis den Querschnitt der oberen Luftwege verengt, oder ein er¬ 
höhter Druck sich auf Einatmung»- und Aasatmungsluft legt, wie 
das beim Ertrinkungstod z. B. der Fall ist. 

Es ist fast selbstverständlich, dass ein Druck, der von aussen 
auf den Hals, besonders auf die grossen Halsgefässe ausgeübt 
wird, den Effekt der Dyspnoe nur noch verstärken kann, und so 
habe ich in der Tat in Fällen von Ertrinkungstod jedesmal dann 
die ausgedehntesten Blutaustritte angetroffen, wenn die betreffende 
Person bekleidet, mit enganschliessendem Halskragen, in das 
Wasser geraten war. Ich habe in solchen Fällen gelegentlich 
die Sterno-cleido mastoidei, infolge der zahlreichen Blutaustritte, 
geradezu wie getigert aussehend gefunden. 

Wir werden also aus einer Fülle von sogenannten Er¬ 
stickungsblutungen jedenfalls den Schluss ziehen dürfen, dass 
dem Tod ein Zustand von Dyspnoe vorausgegangen ist. Wodurch 
diese Dyspnoe bewirkt wurde, ist dann eine zweite Frage, die 
in jedem Falle besonders zu beantworten ist. Diese Dyspnoe 
kann ebensowohl rein mechanisch durch äussere Gewalteinwirkung 
bedingt sein, sie kann auch durch innere anatomische Verhält¬ 
nisse, wie z. B. durch eine starke Ausfüllung der feinsten 
Bronchien mit Schleim, sie kann central bedingt worden sein. 
Je intensiver und länger die Dyspnoe war, um so gehäufter die 
Ecchymosen. 

Was die Lokalisation der Ecchymosen betrifft, so wird sie 
vielfach von rein individuellen Momenten abhängen, unter anderem 
von dem Sitze des die Einatmung erschwerenden Momentes, 
genauer: von der Lokalisation des höchsten Druckes. Sitzt 
das Hindernis wie bei der Capillarbronchitis der Säuglinge in 
den Lungen selbst, so werden wir die Mehrzahl der Ecchymosen 
unter der Pleura antreffen. Sitzt das die Atmung behindernde 
Moment höher, wie etwa beim Erwürgen in Keblkopfböhe, so 
werden vorzugsweise die Halsorgane von den Erstickungsblutungen 
befallen werden. Auch die verschiedene Zartheit der Gewebe, 
die wiederum von den verschiedenen Lebensaltern abhängig ist, 
wird die Lokalisation der Blutaustritte beeinflussen können. 

Was die Unterscheidung der Todesarten betrifft, oder die 
Frage, ob ein primärer Respirationsstillstand oder ein primärer 
Herzstillstand vorliegt, so wird das gehäufte Auftreten von 
Ecchymosen uns immer sagen müssen, dass die wesentlichsten 
für den Eintritt des Todes konditionalen Störungen im Respirations¬ 
gebiet gelegen haben, und dass dem Eintritt des Todes eine mehr 
oder weniger erhebliche Dyspnoe vorausgegegangen ist, eine Dys¬ 
pnoe, die ihrem Grade nach etwa in einem direkten Verhältnis 
zur Zahl der Ecchymosen stehen dürfte. 

Finden wir bei einem offenbaren Erstickungstode keine Er¬ 
stickungsblutungen, ich erinnere wieder an die Erhängung, an 
die Asphyxie, die dem Tode in der Narkose vorausgeht, so dürfen 
wir mit Gewissheit aussprechen, dass nicht - Dyspnoe, sondern 
Apnoe die terminalen Erscheinungen eingeleitet hat. Hier dürfen 
wir mit anderen Worten sagen: Das Fehlen von Erstickungs¬ 
blutungen kann unter Umständen den vollendetsten Grad des 
Luftabschlusses erschliessen lassen. 

Für die Diagnose des Ertrinkungstodes scheint mir in den 
Blutungen in die Halsorgane ein wichtiges diagnostisches Hilfs¬ 
mittel gewonnen zu sein. 

Es ist bekannt, dass alle die für den Ertrinkungstod als 
charakteristisch geltenden Merkmale, wie die Ballonierung der 
Lungen, das Flüssigbleiben des Blutes, die kryoskopischen Unter¬ 
schiede zwischen dem Blut der rechten und linken Herzhälfte 
selbst in ihrer Gesamtheit nicht ausreichen, die Diagnose der 
Ertrinkung zu einer absolut sicheren zu machen. Finden wir 
nun bei einer Wasserleiche die erwähnten Blutaustritte in die 
Weichteile des Halses, so haben wir in ihnen ein weiteres Moment 
gewonnen, um die Diagnose des Ertrinkungstodes auf eine ge¬ 
festigtere Grundlage stellen zu können. Ja ich stehe nicht an, 
in einem Falle, in dem wir bei einer Wasserleiche jene Hals¬ 
blutungen in Verbindung mit einer Ballonierung der Lungen an¬ 
treffen, die Diagnose des Ertrinkungstodes nunmehr mit aller 
Sicherheit auszusprechen. 

Wenn wir den Gang unserer Ausführungen noch einmal 
überblicken, so sehen wir, das» die Lehre von den Erstickungs¬ 
blutungen zunächst den Weg von einer maasslosen Ueberscbätzung 


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8. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


27 


dieser Blatungen bis zu einer immerhin recht erheblichen Unter* 
Schätzung dieser Zeichen gegangen ist. Die Erkenntnis des 
Tardieu’schen Irrtums ist, wie das so oft in der Wissenschaft der 
Fall gewesen ist, eine bedeutendere Förderung gewesen als die 
Entdeckung positiver neuer Tatsachen. Man ist aber in der Be¬ 
wertung der Rcchyraosen einen Schritt zu weit nach unten ge¬ 
gangen, und ich hoffe, dass diese Ausführungen dazu beitragen 
werden, die Aufmerksamkeit aufs neue auf ein so sinnfälliges 
anatomisches Zeichen zu lenken, damit wir lernen, es kritisch 
nach seinem vollen Werte zu würdigen. 


Bücherbesprechungen. 

A. Schmidt: Klinik der Darmkrankheiten. I. Teil. Mit 102, 
grösstenteils farbigen Textabbildungen. Wiesbaden 1912, Berg¬ 
mann. 380 S. Gr. 8. 

Dem Buch von Schmidt eine Empfehlung mit auf dem Wege zu 
geben, ist eigentlich überflüssig. Es wird sicher viel gelesen und ge¬ 
kauft werden. Und das mit Recht, denn es gibt eine vortreffliche und 
sorgsame Bearbeitung dessen, was auf diesem Gebiet einschliesslich der 
Anatomie und Physiologie des Darmes längst bekannt, und dessen, was 
in den letzten Jahren neu binzugekommen ist. Wie kaum nötig zu 
sagen, kommt dem Verf. dabei eine eigene reiche Erfahrung und Forscher¬ 
arbeit zugute; und dass er sich dabei auf die letztere stützt und be¬ 
züglich der diagnostischen Methoden wesentlich seine Richtung zur Geltung 
bringt, ist natürlich und berechtigt, wenn auch nicht ganz objektiv. 
Ich habe an anderer Stelle, zuletzt in dieser Nummer der Klin. Wochen¬ 
schrift, meine von den Schmidt’schen Methoden in mancher Hinsicht ab¬ 
weichenden Anschauungen widerholt zum Ausdruck gebracht, nicht aus 
persönlicher Rechthaberei, sondern weil ich sie für einfacher und zweck¬ 
mässiger, also praktischer und deshalb für den allgemeinen Gebrauch für 
geeigneter halte. Sie werden sich auch, trotzdem Schmidt auch in 
seinem neuen Buch wie früher über sie fortgeht, gerade so wie mein 
Probefrühstück schliesslich Bahn brechen, obwohl es manchmal lange 
dauert, bis das Simplex sigillum veri anerkannt wird. Aber abgesehen 
davon, gereicht es mir zur Freude, den Wert des vorliegenden Buches 
roll anzuerkennen und vornehmlich die Kapitel über die funktionellen 
Störungen bei der Darmverdauung und über die entzündlichen Er¬ 
krankungen des Darmes vom klinischen Standpunkt aus als ganz be¬ 
sonders gelungen zu bezeichnen. Sie geben zweifellos weitaus die beste 
zusammenfassende Darstellung dieser schwierigen Gebiete, die uns die 
letzten Jahre gebracht haben, und sind sowohl in bezug auf die Klarheit 
und Flüssigkeit des Stils als auf die Gruppierung, Verwertung und Be¬ 
wertung unserer Kenntnisse in hervorragendem Maasse berufen, dem 
Studierenden, d. h. jedem, der sich in das Studium der Darmkrank¬ 
heiten vertiefen will, ein Leitfaden zu sein. Es ist hier nicht der Ort, 
eine eingehende Kritik und Würdigung des Buches vorzunehmen, zumal 
jetzt nur der erste Teil, welcher die anatomischen und physiologischen 
Grundlagen, Diagnostik, Therapie, Darmdyspepsien, entzündliche Er¬ 
krankungen des Darmes enthält, zur Ausgabe gelangt ist. Das dürfen 
vir uns für eine spätere Besprechung Vorbehalten und wollen jetzt nur 
noch die vorzügliche Ausstattung des Baches, Papier, Druck und Ab¬ 
bildungen hervorheben. Ewald. 


Die Aaweaingsweise der Lokalanästhesie in der Chirurgie. Von 

Prof. Frita flohmeyer. Berlin 1912, Verlag von August Hirsch¬ 
wald. Preis M. 4,—. 

Der Verf. gibt uns in der vorliegenden Monographie eine Uebersicht 
iber den derzeitigen Stand der Lokalanästhesie und über die Anwen- 
4aogsweise, wie sie an der Marburger chirurgischen Klinik (Fritz König) 
geübt wird. Viel eigene, sorgfältige Arbeit steckt in der Abhandlung, 
und sie zeigt uns, dass trotz der glänzenden Erfolge, die durch Braun 
^aoguriert wurden, die Methoden noch weiter ausbaufähig sind. 

In der Marburger Klinik wird, wie anch auf der Abteilung des 
Ref., ausgedehntester Gebrauch gemacht von der Kombination von 
LeituDgsunterbrechung einzelner Nervenstämme und der direkten Infil¬ 
tration des Gewebes. Nach Möglichkeit wird die Leitung der Nerven- 
jtämme durch perineurale Injektion in der Nähe des Operationsfeldes 
ucterhrochea, dann aber noch die Infiltration des Unterhautzellgewebes 
oberhalb des Operationsgebietes und der Schnittlinie an geschlossen. Bei 
Operationen an den Extremitäten wird ausserdem noch die Infiltration 

Querschnittes hinzugelügt. 

ln König's Klinik wird, wie auch heim Ref., fast ausschliesslich 
'Üe i/ 2 proz. Novocainlösung benutzt, von der bisweilen bis 300 ccm 
verbraucht werden. 

Im speziellen Teil werden die Operationen an Kopf, Hals, an der 
Brost, am Bauch und an den Extremitäten in klarer Weise besprochen; 
.Hes Kapitel beginnt mit den nötigen anatomischen Vorbemerkungen, 
4■« durch trefflich ausgeführte und sorgfältig ausgewählte Zeichnungen 
illustriert werden. Den grössten Fortschritt sehen wir bei der Be- 
Khreibuog der Operationen an den Extremitäten. Ist cs doch gelungen, 
nunmehr auch grosse Operationen an den Gliedmaassen, Amputationen, 
Eiartikulationen and Resektionen sicher unter reiner Lokalanästhesie 


auszuführen, was bisher nur ausnahmsweise möglich war. Das Gebiet 
der Allgemeinnarkose, der Lumbal- und der Venenanästhesie wird da¬ 
durch noch mehr eingeschränkt, und das ist ein wesesentliches Verdienst 
Hohmeyer’s. 

Die schöne Arbeit Hohmeyer’s zeigt uns den unaufhaltsamen 
Siegeszug der Braun’schen Lokalanästhesie. Sein Buch gibt dem An¬ 
fänger treffliche Belehrung, dem Erfahrenen reichliche Anregung und 
kann allen Aerzten wärmstens empfohlen werden. 

Borchardt-Berlin. 


Hermann Tillmanng: Lehrbuch der allgemeinen Chirurgie. Elfte, ver- 
verbesserte Auflage. Mit einer Tafel und 767 zum Teil farbigen 
Abbildungen im Text. Leipzig 1913, Veit & Co. 686 S. 
Preis 20 M. 

Die elfte Auflage des allgemein bekannten Buches hat mannigfache 
Erweiterungen erfahren. Die neueste Literatur ist sorgfältig berück¬ 
sichtigt; den einzelnen Kapiteln sind am Schlüsse die wichtigsten Literatur¬ 
nachweise angefügt. An Stelle veralteter Abbildungen sind zahlreiche 
neue, zum Teil farbige Abbildungen und eine mehrfarbige Tafel mit 
Blutbildern aufgenommen. Der Text lässt allenthalben das Bestreben 
des Verfassers, sein Werk auf der Höhe zu erhalten, erkennen. So haben 
z. B. die neuesten Fortschritte, wie die künstliche Blutleere nach 
Momhurg, die Radium- und Sonnenlichttherapie, Thermopenetration 
und Fulguration, Gefässnaht und Organtransplantation, Verpflanzung von 
Sehnen und Fascien, operative Mobilisierung ankylosierter Gelenke nach 
Payr (Arthroplastik), Blutbefunde bei malignen Tumoren, Antiferment- 
und Vaccinetherapie (Wright) die gebührende Berücksichtigung erfahren. 
Die Ausstattung des Werkes ist tadellos. 


Erich Lexer: Lehrbuch der allgemeinen Chirurgie. Zum Gebrauch 
für Aerzte und Studierende. Zwei Bände mit 184 bzw. 220 teils 
farbigen Abbildungen. Sechste, umgearbeitete Auflage. Stutt¬ 
gart 1912. Ferd. Enke. Preis 23,60 M. 

L.’s Lehrbuch der allgemeinen Chirurgie erschien zum ersten Male 
im März 1904. Im Jahre 1911 konnten wir die fünfte Auflage an dieser 
Stelle besprechen und jetzt nach Jahresfrist liegt bereits die sechste Auf¬ 
lage vollendet vor. Ein Werk, welches binnen acht Jahren sechs Auf¬ 
lagen erlebt, bedarf eigentlich einer Empfehlung nicht mehr. Es ist ja 
auch hinreichend bekannt, dass L.’s Buch in den Kreisen der Studierenden 
und Aerzte sich grosser Beliebtheit erfreut. Die neue Auflage berück¬ 
sichtigt alle wichtigen Errungenschaften der letzten Jahre, das Literatur¬ 
verzeichnis ist ergänzt, die Abbildungen sind vermehrt und einige neue 
Drucke nach Farbphotographien sind eingefügt worden. So wird sich 
L.’s Chirurgie zu ihren zahlreichen alten Freunden noch viele neue 
erwerben. Adler- Berlin-Pankow. 


Henri Hartmann: Travanx de ehirnrgie anatomo-cliniqne. Avec la 
collaboration de B. Cunöo, Paul Lecene, Küss, Delamare, 
V. Henry et Lebreton. Quatrieme Serie: Voies urinaires. 
Avec 132 figures. Paris 1913, G. Steinheil. 

Hartmann, der Chirurg des Hospitals Bicbat in Paris, veröffent¬ 
licht seit einiger Zeit eine Reihe stattlicher Bände, welche wertvolle 
Arbeiten chirurgisch-anatomischen Inhaltes aus seiner oder seiner Schüler 
Feder bringen. Die drei ersten enthielten bereits zahlreiche Mit¬ 
teilungen aus dem Gebiete der Harn Chirurgie; der vorliegende ist 
diesem fast völlig gewidmet: er stützt sich ausschliesslich auf die Er¬ 
fahrungen, die der Herausgeber selbst gemacht hat, trägt also ein rein 
persönliches Gepräge. 

Den Beginn bildet eine allgemeine Statistik von Operationen, die 
allerdings schon eine Zeitlang zurückliegen (1. März 1904 bis 31. De¬ 
zember 1907). Es folgt eine Arbeit von Küss über die normale 
Anatomie der Prostata, in welcher namentlich die Entwicklung der 
prostatischen Drüsen, ihr Verhältnis zum glatten und gestreiften Hara- 
röhrenschliessmuskel, sowie die Bildung und Bedeutung der periprosta- 
tisohen Aponeurosen besprochen und durch zahlreiche Abbildungen 
illustriert werden. Unmittelbar hieran schliesst sich ein Aufsatz von 
Cun 60 , den anatomischen Sitz der „Prostatahypertrophie“ 
betreffend. Cuneo erklärt (in Uebereinstimmung mit allen neueren 
Forschern) die Bezeichnung: Prostatahypertrophie für unzutreffend und 
irreführend, wünscht sie vielmehr durch den Namen: „Periurethrales 
Adenomyom“ ersetzt zu sehen. Die Prostata selber bildet nur die Kapsel 
dieser Geschwulst, bei einer Enucleation der letzteren soll also die Pro¬ 
stata ebenso wie die Ductus ejaculatorii erhalten bleiben; er glaubt, 
dass dieser Indikation die Freyer’sche Operation am besten entspricht. 
Henry teilt einige Erfahrungen über die laterale Prostatektomie 
nach Wilms mit; es handelt sich um 16 Fälle mit 3 Todesfällen 
(einer 43 Tage nach der Operation an Hirnblutung hei vortrefflichem 
Operationsresultat; einer am 15. Tage an Anurie infolge chronischer 
Nephritis; einer am 4. Tage bei einem 79 jährigen, schwer infizierten 
Manne). Seine Endresultate sind weniger erfreulich: bei 13 Ueber- 
lehenden stellte sich achtmal Inkontinenz ein, — Henry selber ist der 
Meinung, dass hieran wohl ein Fehler seiner Operationstechnik schuld 
sei. — Ueber die Technik der transvesicalen Prostatektomie 
handelt Hartmann; wesentliche Abweichungen von den Frey er’sehen 
Vorschriften finden sich hier nicht. Gemeinsam mit Küss berichtet er 
dann von 118 Operationen, unter besonderer Berücksichtigung der Fern- 


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Nr. 1. 


28_ __ BERLIN KR KLINISCHE WOCH ENSCHRIFT. 


resultate; folgende Zahlen dürften interessieren: Bei 43 perinealen 
Prostatektomien hatte er 34 Heilungen, 9 Todesfälle, davon einer 
40 Tage nach der Operation, nach dessen Abzug sich eine Mortalität 
von 17 pCt. ergäbe. 27 Kranke konnten 6 Monate bis 10 Jahre hin¬ 
durch kontrolliert werden; 18 waren völlig frei von Beschwerden; kein 
einziger inkontinent. Die 53 transvesicalen Prostatektomien ergaben 
44 Heilungen bei 9 Todesfällen. Die Fernresultate schienen günstiger 
als bei der perinealen Operation: von 25 genau kontrollierten Kranken 
waren 24 völlig beschwerdefrei. Dieser Abhandlung sind zahlreiche, 
sehr schöne Abbildungen beigegeben. 

Ueber die nichttuberkulösen Abscesse der Prostata han¬ 
delt dann Hartmann und Lavenant (Empfehlung der perinealen In¬ 
zision); über einen Gonokokkenabscess der Prostata Lebreton. 
Hart mann berichtet dann einen Fall von Prostatakrebs, der einen 
Rectalkrebs vortäuschte. Eine grössere Arbeit betrifft die Operationen 
bei Blasentumor (47 Fälle), darunter 9 Cystektomien. Küss macht 
interessante Mitteilungen über die knochigen Fremdkörper der 
Blase unter hauptsächlicher Berücksichtigung der Knochensequester, 
die namentlich im Geleite von Osteomyelitis und Ostitis der Scham¬ 
beine und des Hüftknochens auftreten, seltener bei Potl’scher Kyphose; 
sie bilden wahrscheinlich öfter, als man gemeinhin annimmt, den Kern 
phosphatischer Concretionen. Eine Arbeit von Guneo betrifft die chirur¬ 
gische Behandlung der Blasenexstrophie (zwei Fälle, in denen er mit 
gutem Erfolg, nach Gersuny’s Vorschlag, die Ureteren in den Dick¬ 
darm ableitete). Hartmannn beschreibt einen Fall von Blasen¬ 
gangrän nach einer kaustischen Injektion bei einer Frau (Essig, als 
Abortivmittel versucht; tödlicher Ausgang); weiter bespricht er sehr 
eingehend Technik und Resultate der Nierenoperationen und 
die chirurgische Behandlung der Nierenkrankheiten, besonders Anurie, 
Steine, Tumoren, Tuberkulose; in bezug auf letztere erklärt er sich für 
einen unbedingten Anhänger der Frühoperation, sofern die Einseitigkeit 
erwiesen ist; 65 Fälle wurden berichtet. Eine kleine Arbeit von 
Delamare und Lecene betrifft die Gegenwart von Lecithin in den 
Hypernephromen. Kurz bespricht dann noch Hartmann einige 
Operationen am Ureter, sowie (mit Henry) das Thema: Nieren¬ 
operationen und Schwangerschaft, wobei er den Satz formuliert, 
dass auch bei nephrektomierten Frauen die Gravidität keine Gefahr 
bildet, selbst wenn es sich um Tuberkulose gehandelt hat. Den Schluss 
des Bandes bildet eine Arbeit von Lecene über histologische Verände¬ 
rungen der Niere bei Anurie. 

Man kann vielleicht bedauern, dass diese 19, zum Teil sehr wich¬ 
tigen und eingehenden Arbeiten nicht in Zeitschriften oder Archiven 
erschienen, sondern an einer nicht ohne weiteres zugänglichen Stelle 
untergebracht sind; um so mehr schien es mir nützlich, wenigstens kurz 
auf jede einzelne hinzuweisen, damit sie bei künftigen Literaturstudien 
die verdiente Beachtung finden. Posner. 


A. Doederlein: Leiffadei für den geburtshilflichen Operationskurs, 

Leipzig 1912, Georg Thieme. 10. Auflage. 243 S. mit 167 Ab¬ 
bildungen. Preis 4 M. 

Der Leitfaden dient zur Unterstützung des Phantomkurses für Lehrer 
und Hörer, sowie für den Arzt, der sich die einzelnen Operationen in 
Kürze schnell ins Gedächtnis zurückrufen will. Die weite Verbreitung 
des Buches und die schnell aufeinanderfolgenden Neuauflagen sprechen 
am besten für die Beliebtheit, deren es sich bei Studenten und Aerzten 
erfreut. 


E. Martin-Berlin: Der Haftapparat der weiblichen Genitalien. Eine 
anatomische Studie. II. Teil: Der Prolaps. Mit 24 Tafeln. 
Berlin 1912, Verlag S. Karger. 60 S. Preis 25 M. 

Das vorliegende Werk ist eine Fortsetzung des ersten Teiles, in 
welchem gezeigt wurde, dass für die Lage der weiblichen Geschlechts¬ 
organe in erster Linie der Haftapparat, die fascialen Verdichtungen 
im Beckenbindegewebe und erst in zweiter Reihe der Stützapparat 
in Betracht zu ziehen ist. Hier im zweiten Teile werden die verschiedenen 
Formen des Genitalprolapses nach ihrem anatomischen Befund getrennt. 
Diese Arbeit ist um so verdienstlicher, als in den letzten Jahren, be¬ 
sonders nach den Untersuchungen von Hai bau und Taendler, eine 
grosse Literatur über die primären und sekundären Ursachen der Prolapse 
entstanden ist. Durch vorzügliche Abbildungen fast in Lebensgrösse, 
die nach durchsägten Prolapsbecken hergestellt sind, ist es dem Verf. 
gelungen, das, was er nachweisen will, auch wirklich zum klaren Aus¬ 
druck zu bringen. 

Er unterscheidet I. die primären Defekte des Haftapparetes. Hierzu 
gehören 1. die Cystocele, 2. die Hernie in der Exoavatio vesico-uterina, 
3. der primäre Uterusprolaps, den er von der Elongatio colli scharf 
trennt, 4. die Hernie in der Excavatio rectouterina. 11. Die primären 
Defekte des Stützapparates. Hierzu rechnet er 1. den Vorfall der hinteren 
Scheidenwand, 2. die Elongatio colli, 3. den sekundären Vorfall von Harn¬ 
blase und Uterus nach primärem Schadhaftwerden des Stützapparates. 
III. Die Rectocele, für welche er den Ausdruck Muskelbruch für geeigneter 
hält als die Bezeichnung eines Darmwandbruches. 

Bei jeder der einzelnen Formen wird ausser der Anatomie noch die 
Aetiologie, Diagnose, Prophylaxe, Prognose und Therapie angegeben. 
Die Therapie besteht bei den vorderen Prolapsen in einer Blasenraffung, 
bei den hinteren Prolapsen in einer isolierten Naht der Levatorschenkel, 
wie sie seit einigen Jahren in der Bumm’schen Klinik ausgeführt wird. 


Gute Abbildungen erläutern die einzelnen Phasen der Operation. In 
einem Anhänge zum zweiten Teil wird in ausgiebiger Weise die Frage 
des Zusammenhanges des Prolapses mit einem Unfall besprochen und 
die Stellung, die der Sachverständige bei seinem Gutachten einzunehmen 
hat, klar präcisiert. 

Die Ausstattung des Werkes ist eine vorzügliche. 


A. Hamm-Strassburg i. E.: Die paerperale Wiadiafektiea. Berlin 1912, 
Julius Springer. 167 Seiten. Preis 6 M. 

Ein jeder, der die im letzten Jahrzehnt enorm angeschwollene 
Literatur über die bakteriologischen Untersuchungen beim Puerperal¬ 
fieber kritisch verfolgt hat, leidet wohl an dem unbefriedigenden Gefühl, 
das stets in uns erzeugt wird, wenn wir entgegenstehende, mit grossem 
Scharfsinn verfochtene Meinungen hören und nicht in der Lage sind, ein 
einheitliches Bild des Gegenstandes zu gewinnen. Wie bei dem Streit 
über die Lehre von der Selbstinfektion hat man auch bei den Diskussionen 
über die Aetiologie des Puerperalfiebers den Eindruck, dass ein jeder 
Autor seine eigene Terminologie gebraucht, und dass mit aus diesem 
Grunde eine Verständigung fast unmöglich ist. Iu diese unerfreulichen 
Verhältnisse leuchtet Hamm mit unerbittlicher Schärfe hinein und 
klärt die zahlreichen Widersprüche auf, die die einzelnen Forscher durch 
Anwendung unklarer und wissenschaftlich nicht aufrechtzuhaltender Be¬ 
griffe begehen. Er weist mit zwingender Logik nach, wie die einfachsten 
bakteriologischen Grundbegriffe: Saprämie, sapropbytär, Intoxikation, 
Infektion, Virulenz, Pathogenität, Sepsis und ähnliche so überaus häufig 
direkt falsch und unter Verkennung ihrer wirklichen Bedeutung an¬ 
gewendet werden. Der Hauptinhalt besteht aber in dem — sowohl 
sachlich wie stilistisch — glänzend geführten Nachweis, dass jede 
Puerperalerkrankung auf einer Wundinfektion beruht, dass die An¬ 
nahme einer Intoxikation (wenigstens in der bisher üblichen Bedeutung) 
durchaus zu verwerfen ist. Unter genauer Schilderung der ca. 20 bereits 
bisher gefundenen Erreger des Wochenbettfiebers geht er ausführlich auf 
die Bedeutung der Hämolyse ein und weist nach, dass ihr keine ent¬ 
scheidende Rolle für die Prognose des Puerperalfiebers zukommt Von 
hohem Interesse ist das Kapitel, welches die begünstigenden Momente 
für die Entstehung der puerperalen Wundinfektion schildert. Zum ersten 
Male wird hier auf die Bedeutung der Friedrich’schen Versuche (aus 
dem Jahre 1899) hingewiesen, welcher gezeigt hat, dass nicht nur die 
Virulenz der Bakterien, sondern auch die Gewebsspannung ein 
wesentliches Moment für die Schnelligkeit und Schwere der Infektion 
abgibt. Im Rahmen eines kurzen Referates ist es leider unmöglich, den 
reichen Inhalt auch nur andeutend auszuschöpfen. Die Arbeit, die von 
einer vorzüglichen Beherrschung der einschlägigen Literatur zeugt, ist 
aus einem Guss geschrieben; trotz der vielen verwickelten Fragen geht 
ein klarer, überall erkennbarer, einheitlicher Grundgedanke durch das 
ganze Werk, es wirkt gegenüber dem Wirrnis der bisherigen Ansichten 
geradezu befreiend. 

Ref. ist überzeugt, dass jeder Forscher über Puerperalfieber dieses 
Werk der ernstesten Beachtung für wert halten wird. 

R. Schaeffer-Berlin. 


Paal Römer-Greifswald: Lehrbuch der Augenheilkunde in der Form 
klinischer Besprechungen. Berlin und Wien 1913, Urban und 
Schwarzenberg. Zweite, unbearbeitete Auflage. 1. Bd. 380 S. 
21 Tafeln. 2. Bd. S. 381—828. Tafel XXII-XXXII. Preis des 
Bandes 8 M., geb. 9 M. 

Wenn ein Lehrbuch, wie das Römer’sche, schon zwei Jahre nach 
seinem ersten Erscheinen eine neue Auflage erlebt bat, so könnte eine 
weitere Empfehlung des Buches fast überflüssig erscheinen. Zeigt doch 
diese Tatsache auf das deutlichste, dass es sich weit über den Wirkungs¬ 
kreis des Verfassers hinaus Freunde und Interessenten erworben hat, 
und dass die in dem Vorworte zur ersten Auflage niedergelegten 
Wünsche des Autors in vollem Umfange in Erfüllung gegangen sind. 

Das Buch hat obendrein durch die bei der zweiten Auflage vor¬ 
genommenen Aenderungen noch wesentlich gewonnen. So ist es durch 
die Teilung in zwei Bände viel handlicher geworden. Die Zahl der Ab¬ 
bildungen ist ganz enorm vermehrt worden; enthält doch allein der 
1. Band 21 farbige Tafeln, während die ganze erste Auflage nur 13 ent¬ 
hielt. Diese Vermehrung der Abbildungen ist vorzugsweise der patho¬ 
logischen Anatomie zugute gekommen, was gewiss nur zu begrüssen 
ist. Als Reproduktionsverfahren ist wieder farbige Autotypie gewählt 
worden. 

Die Einführung der Marginalien wird nicht nur dem Examens¬ 
kandidaten, sondern dann und wann auch dem jungen Lehrer der Augen¬ 
heilkunde willkommen sein. 

Einen grossen Gewinn erblicke ich auch in dem Fortfall der direkten 
Anrede, deren häufige Anwendung in der ersten Auflage die sonst so 
flotte und erfrischende Diktion entschieden beeinträchtigte. 

Der lohalt des Buches ist ausserordentlich reichhaltig und geht 
vielfach weit über den Rahmen anderer Lehrbücher hinaus. Dass 
nicht alle Kapitel mit der gleichen Ausführlichkeit erörtert, und dass 
die eigenen Arbeitsgebiete des Verfassers mit besonderer Liebe behandelt 
worden sind, wird jeder Autor verstehen. 

So kann es nicht ausbleiben, dass die Zahl der Freunde des Buches 
weiter wachsen wird, was ihm auf Grund seiner vorzüglichen Eigen¬ 
schaften nur zu wünschen ist. R. Seefelder. 


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6. Januar 1013. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


29 


Joliu8 Kratter-Graz: Lehrbuch der gerichtlichen Medizin. Stuttgart 
1912, Ferdinand Enke. 628 S. Preis 17 M. 

Kratter, einer der erfahrensten und bekanntesten Lehrer der ge¬ 
richtlichen Medizin, hat dieses Buch seinen Schülern gewidmet, deren 
Wünschen es seine Entstehung verdankt. Es versteht sich von selbst, 
dass der Verfasser überall aus dem reichen Quell seiner Erfahrung ge¬ 
schöpft hat, deshalb bedauere ich es aber ganz besonders, dass der Ver¬ 
fasser uns so wenig von der Besonderheit seiner Einzelerfahrung mitteilt. 
Gerade die gerichtliche Medizin zeigt, wenn wir ihren Untersuchungs¬ 
methoden nachgehen, ein exquisites historisches Moment in ihrer 
Forschungsart. Gerade der Einzelfall ist es, der in der gerichtlichen 
Medizin problematisch und heuristisch eine so ganz besondere und 
wesentliche Rolle spielt. Ich möchte daher den Verfasser an dieser 
Stelle besonders gebeten haben, bei der zweiten Auflage seines sonst 
so vortrefflichen Buches uns mehr von dem Reichtum seiner Einzel¬ 
erfahrungen mitzuteilen, als es diesmal geschehen ist; in demselben 
Sinne ist auch das Fehlen von Illustrationen zu bewerten und zu be¬ 
urteilen. 

Im übrigen ist dem Kratter’schen Lehrbuch nur jegliches Lob zu 
spenden. Die Darstellung ist knapp, geschickt und übersichtlich. Be¬ 
sonders gut erscheinen mir die Abschnitte über die gewaltsamen Ge¬ 
sundheitsschädigungen und Todesarten und über die Vergiftungen ge¬ 
lungen zu sein. Die dritte Abteilung „die zweifelhaften Geisteszustände“ 
erscheinen mir etwas zu korapendiös gehalten. 

W T as die vom Verfasser aufgenommenen gesetzlichen Bestimmungen 
betrifft, so ist es ihm entgangen, dass in Preussen die ärztliche Ge¬ 
bührenordnung vom Jahre 1872 durch das GebühreDgesetz vom 14. Juli 
1909 ersetzt worden ist. 

Ich schliesse meine Besprechung mit einer warmen Empfehlung des 
Kratter’schen Lehrbuches. Es wird Aerzten wie Juristen, Studierenden 
wie Kandidaten der Physikatsprüfung ein vortrefflicher Leitfaden sein. 
Das Eingehen auf die Literatur und die Angabe von Literaturquellen 
wird es dem Leser des Buches erleichtern, beim Einzelstudium beson¬ 
derer Kapitel an die Quellen der Einzelbearbeitung zu gelangen. 

Marx-Berlin. 


Landkolonien für Unfallverletzte und Invalide und ihre innere 
Organisation. Von Dr. Otto Riegler, Chefarzt der Ernst-Ludwig- 
Heilanstalt in Darmstadt. Leipzig 1912, Verlag von Johann Am¬ 
brosius Baith. 51 S. Preis 1 M. 

Von der Tatsache ausgehend, dass Unfallverletzte oft infolge ihrer 
Beschäftigungslosigkeit schweren, unheilbaren Nervenerkrankungen ver¬ 
fallen, dass es aber für Unfallverletzte, die noch leichte Arbeit verrichten 
können, sehr schwer ist, eine Arbeitsgelegenheit zu finden, schlägt der 
Verf. die Gründung von Kolonien vor, die mit Heilanstalten verbunden 
sind. Diese Kolonien sollen den Unfallverletzten, nicht nur den nervös 
erkrankten, ein dauerndes oder vorübergehendes Heim bieten, in dem 
sie nutzbringende Arbeit — in der Landwirtschaft, Schreinerei, Schlosserei, 
Buchbinderei, Klempnerei, Korbflechterei, Teppichknüpferei u. dergl. — 
leisten können. Die Verheirateten sollen mit ihrer Familie in eigenen 
Häuschen, die Unverheirateten in einem gemeinsamen Hause, je zwei 
oder drei in einem Zimmer, untergebracht werden, und zwar alle auf 
Kosten der Kolonie. Für seinen Lebensunterhalt hat jeder selbst zu 
sorgen, wofür die Kolonie einen Tagelohn garantiert. Den Verheirateten 
stellt die Kolonie Lebensmittel, soweit er sie in seinem kleinen Garten 
nicht ziehen kann, möglichst zum Selbstkostenpreis zur Verfügung; die 
Unverheirateten werden aus gemeinsamer Küche beköstigt und haben 
hierfür den Selbstkostenpreis zu bezahlen. 

Alles notwendige Handwerkszeug wird von der Kolonie geliefert. 
Die Art der Arbeit soll jedem Kolonisten individuell nach seinen Fähig¬ 
keiten und seinen eigenen Wünschen zuerteilt werden, die Arbeitszeit 
soll für alle in gleicher Weise auf 5 Stunden bemessen werden, ohne 
Einschluss der von jedem etwa zu leistenden häuslichen Arbeit. Der 
Minimaltagelohn soll nicht unter 2 Mark heruntergehen. Die Kolonie, 
die ja nie sich selbst erhalten, sondern immer Zuschüsse bedürfen wird, 
muss, des Absatzes der hergestellten Produkte und Gegenstände wegen, 
in der Nähe einer Stadt liegen. 

Mit der Kolonie soll eine Heilstätte für Tuberkulöse und Verkrüppelte 
verbunden sein. 

Dies sind die wichtigsten Vorschläge, die der Verf. für die von ihm 
beabsichtigten Kolonieu macht. Zur genauen Kenntnis der geplanten 
Einrichtung muss auf das Original verwiesen werden. 

Die Idee des Verf. ist zweifellos eine gute, und es wäre sehr zu 
wünschen, dass ihre Durchführbarkeit erprobt würde. Die Reichsver¬ 
sicherungsordnung verbietet weder den Berufsgenossenschaften, noch den 
Landesversicherungsanstalten, noch den Krankenkassen, ein derartiges 
Unternehmen finanziell zu unterstützen, und diese Kolonien können den 
Versicherten und den Versicherungsträgern unter Umständen mehr 
Nutzen bringen als eine gewöhnliche Heilanstalt. 


Arzt and R.V.O. (Der Arzt and die deutsche Reichsversichernngs- 

ordnang). Von Dr. Th. Rumpf, Geh. Med.-Rat und Professor an 
der Universität Bonn. Bonn 1912, A. Marcus & E. Weber’s Verlag. 
Der verdienstvolle Verf. hat es verstanden, auf wenig mehr als 
100 Seiten das Notwendigste zusammenzufassen, was der Arzt von der 
k.V.O wissen muss. Unter der Knappheit der Sprache hat die Verständ¬ 


lichkeit nicht gelitten, im Gegenteil liest sich das Buch, das eine Fülle 
von Belehrung bringt, leicht, fliessend und höchst anregend. Das Buch 
soll der Einführung in die R.V.O. dienen. Es kann jedem Arzte, der 
sich über die Rechte und Pflichten, die die R.V.O. den Aerzten auf¬ 
erlegt, eine Kenntnis verschaffen will, auf das wärmste empfohlen werden. 

Mugdan -Berlin. 


Altklassisches Viaticum aus Horaz. Sophokles und Homer. Ge¬ 
sammelt und jungen und alten Freunden des Gymnasiums dar¬ 
geboten von Gottlieb Leuchtenberger, Gymnasialdirektor a. D., 
Geh. Regierungsrat. Berlin 1912, Weidmann’sche Buchhandlung. 

Dass ich dem in der Ueberschrift genannten Büchlein an dieser 
Stelle eine empfehlende Erwähnung widme, wird minder auffallend er¬ 
scheinen, wenn man aus dem Vorworte etwas über seine Entstehung 
erfährt — geht sie uns Aerzte doch unmittelbar an. Der Verfasser, 
früherer Gymnasialdirektor, erzählt mit gutem Humor, wie er vor langen 
Jahren einen berühmten Berliner Universitätslehrer, Professor der Me¬ 
dizin, wegen eines alten Schadens befragt habe; dieser habe ihm zwar 
nicht helfen können — dafür habe er bei dem etwa 60 jährigen Herrn 
ein köstliches halbes Stündchen im Gespräch über die alten griechischen 
Schriftsteller genossen; der für diese begeisterte Professor recitierte aus 
dem Gedächtnis sophokleische Chorlieder, wobei es „natürlich hier und 
da haperte“. Er sprach schliesslich den Wunsch nach einem Büchlein 
aus, in dem die schönsten Stellen der altklassischen Primalektüre ver¬ 
zeichnet wären, damit man sie immer alle bei der Hand hätte und 
rasch nachschlagen könnte, wenn das Gedächtnis versagte. Diesen 
Wunsch zu erfüllen hat der Herr Verfasser sich nun angelegen sein lassen, 
— er meint, dass den gebildeten Aerzten, nicht minder auch Juristen, 
Verwaltungsbeamten, Offizieren und Kaufleuten wohl eine solche Erinne¬ 
rungssammlung einst gelernter Sentenzen erfreulich sein dürfte, und ich 
zweifle nicht, dass er damit das Richtige getroffen hat. Ist doch gerade 
jetzt — man braucht nur an den jüngsten Vortrag Kern’s und an die 
steten Bemühungen unseres gelehrten Kollegen Hirschberg zu erinnern — 
die Wertschätzung dessen, was das humanistische Gymnasium uns 
einst als Besitz für das Leben geboten hat, wieder in ersichtlichem 
Steigen begriffen. So nehmen wir denn diese Gabe, die eine köstliche 
und mit sicherem Geschmack getroffene Auslese der schönsten und sinn¬ 
vollsten Stellen aus der Ilias, der Antigone, dem König Oedipus und 
den horazischen Oden, Epoden und Satiren enthält, dankbarlich 
entgegen — freilich, nicht ohne einige Wünsche daran zu knüpfen. Die 
Beschränkung auf die Dichter wird man billigen können — obwohl 
auch manches, nur in der Form prosaische (sagen wir z. B. der 
platonische Bericht über den Tod des Sokrates oder gewisse Stellen aus 
dem Symposion) sich schön eingefügt hätte; schwerer wird man die 
Odyssee verschmerzen, deren Fehlen durch den rein äusseren Grund, 
dass nur an die Prima-Lektüre angeknüpft werden soll, kaum verständ¬ 
lich gemacht wird. Bedachte der Herausgeber, dass durch ihr Hinein¬ 
beziehen der Umfang des Buches zu sehr anwachsen würde, so wären 
vielleicht besser einige sophokleische Chöre zu opfern gewesen; denn ich 
fürchte, ihnen gegenüber wird doch bei manchen älteren Lesern die 
Schwierigkeit des Verstehens den Genuss der Lektüre überwiegen. Auf 
eine Uebersetzung ist, gewiss mit Recht, verzichtet — die knappen er¬ 
klärenden Bemerkungen über den Inhalt und die (nicht immer glück¬ 
lichen) Hinweise auf Parallelstellen deutscher Dichter reichen aber kaum 
aus, das Verständnis stets mühelos zu machen. Wir dürfen solche An¬ 
regungen uns erlauben, weil ja gerade an unsere Erinnerungs- und 
Aufnahmefähigkeit appelliert wird — und hoffen, der Verfasser wird uns 
dieser Wünsche wegen nicht mit einem „Multa petentibus desunt 
multa!“ abfertigen. Posner. 


Adolf Matthias: Wie werden wir Kinder des Glücks? 3. Aufl. 

München, Beck’sche Buchhandlung. 

Es mag befremdlich erscheinen, das Buch eines Schulmannes über 
die Glücksmöglichkeiten dieser Welt in einer medizinischen Zeitschrift 
besprochen zu sehen. Aber als Referent es unter seinem Weihnachts¬ 
baum gefunden und darin gelesen hatte, da war er bald der Meinung, 
dass er es auch seinen Kollegen empfehlen sollte zu eigener Erbauung, 
mehr aber noch zu Nutz und Frommen ihrer Kranken. 

Das üppig, allzu üppig wuchernde Spezialistentum unserer Tage 
hat die Kranken gar sehr des besten Arztes beraubt, des Hausarztes, 
der sie auch von ihrer psychischen Seite zu verstehen und zu nehmen 
wusste. Die Neurastheniker laufen zu einem ihnen fremden Neurologen, 
der sie mit Elektrizität, mit Brom und anderen „Latwergen“ zu beruhigen 
und zu stärken sucht, aber nicht immer Zeit und Interesse findet, auf 
ihrer Leiden Grund hinabzusteigen. Die von mancherlei Beschwerden 
heimgesuchte „Dame“ lässt Wochen und Monde sich vom Frauenarzt mit 
Tampous, Playfair und anderen Instrumenten traktieren, um sich am 
Ende, wenn alles ging, wie’s Gott gefällt, noch einer Operation zu unter¬ 
werfen, die ihre Nervenkraft zur völligen Erschöpfung bringt. 

Und doch hätte in vielen dieser Fälle die Mahnung des Arztes 
zu vernünftigerer Lebenshaltung, zu einer dankbareren Lebensbetrachtung, 
zu einer inhalts- und pflichtenreicheren Lebensführung das alleingesund¬ 
machende Heilmittel repräsentiert. 

Zwar ist über das Glück, seitdem es der aus dem Paradies ver¬ 
triebenen, ihrer Kindheit entwachsenen Menschheit entschwunden, manch 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 1. 


30 


gutes Buch erschienen, und neben den rein philosophischen haben sich 
auch heute noch die von Aerzten herausgegebenen oder verfassten eines 
Hufeland (Kant) und Feuchtersieben trotz ihres ehrwürdigen 
Alters in lebendiger Wirkungskraft erhalten. Aber gerade, weil sie aus 
jenen stilleren, schlichten Zeiten stammen, werden sie in manchem 
unserer „modernen“ Kranken nur die Sehnsucht nach einem ent¬ 
schwundenen Glück erregen, ohne ihm ad hominem zu demonstrieren, 
dass auch heute noch Glücksmöglichkeiten in Fülle sich finden lassen, 
wenn man sie nur zu suchen sich bemüht. Solcher skeptischen Seele 
hilft vielleicht besser eiu Buch aus unserer Zeit, verfasst von einem 
Manne, der als hoher Beamter in der Reichshauptstadt sich den Blick 
für die Schönheiten und Glücksinöglicbkeiten dieser, freilich durch unsere 
„Kultur“ ein wenig verunzierten Welt ungetrübt erhalten konnte. 

Der um die neuere Entwicklung des preussischen Schulwesens hoch¬ 
verdiente Autor geht als rechter Pädagoge vor. Er setzt bei seinem Leser 
nicht allzu viel voraus und weiss, dass sich das Glück der Meisten im 
engen Kreis entfaltet. Und auch da, wo er sich den höchsten Problemen 
zuwendet, geschieht es in einer Art, dass auch der philosophisch Un¬ 
geschulte ihm mühelos zu folgen vermag. Freilich, wer diese Dinge gern 
bei der Wurzel fassen möchte, dem wird das Buch nicht überall Genüge 
tun. Die zwei grossen Hindernisse des Glücks, Krankheit und Schuld — 
in unglückseliger Verkettung gar oft Objekte ärztlichen Bemühens —, 
sind darin kaum berührt. Aber das Buch wollte ja keine philosophische 
Abhandlung geben, die keinen hätte recht zufrieden stellen können, 
sondern als Ergebnis eigenen Erlebens zunächst den Söhnen des Ver¬ 
fassers ein Freund und Führer und dann all denen ein Tröster und 
Berater sein, die von eigenem oder fremdem Leid erfasst, dem Pessi¬ 
mismus ins Garn geraten wollen. Darum der eudäraonistische Zug, der 
das ganze Buch durchweht, der gewollte Optimismus — vielleicht zum 
Schaden philosophischer Betrachtungsweise, aber sehr zur Vergrösserung 
der Breite und Tiefe seiuer Wirkung. Und eben darum auch erscheint 
es als „Heilgehilfe“ so geeignet. Die dunklen Seiten des Lebens zu sehen 
und seine Schatten noch zu übermaleo, sind unsere Kranken schon von 
selbst geneigt, auf die lichten ihren Blick zu lenken und die dunklen — 
sei’s drum, auch mit erborgtem Schein — zu erhellen, ist unserer Kunst 
oft schwerster Teil. Hans Kohn. 


Literatur-Auszüge. 

Anatomie. 

F. Weiden reich-Strassburg i. E.: Die Thymus des erwachsenen 
Menschen als Bildungsstätte ungranulierter und granulierter Lcukocyten. 
(Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 4S.) Die eosinophil gekörnten 
Thymuszellen sind, wie Untersuchungen an Ratten ergaben, echte Leuko¬ 
cyten, da ihr Kern wie bei diesen in seinem Endstadium die charakte¬ 
ristische Ringform aufweist, und zweitens, da sie nicht jeweils im aus¬ 
gebildeten Zustande aus dem Blute in die Thymus einwandern, sondern 
an Ort und Stelle durch mitotische Teilung aus schon im Thymus¬ 
gewebe vorhandenen, gleichgearteten Elementen hervorgeben. Die eosino¬ 
philen Leukocyten gehen aus ungranulierten Elementen der Thymusrinde 
hervor, die ihrerseits wieder zu den typischen kleinen Formen über¬ 
leiten. Auch beim Menschen sind die Zellen der Tbymusriade typische 
Lymphocyten, nicht nur mit allen morphologischen Merkmalen dieser 
Elemente, sondern auch mit der ihnen eigenen Differenzierungsfähigkeit 
in der Richtung der granulierten Leukocyten. Man muss die Thymus 
als ein Organ betrachten, das, wie die Lymphdrüsen, Milz und Knochen¬ 
mark leukocytäre Zellen produziert. Bildung von roten Blutkörperchen 
konnte nie nachgewiesen werden. — Für W. ist es fraglos, dass die 
Ehrlich’sche Theorie von der ausschliesslichen Entstehung der granu¬ 
lierten Leukocyten im Knochenmark unrichtig ist. Dünner. 

Siehe auch Augenheilkunde: Agababow, Nerven in den Augen¬ 
häuten. Attias, Nerven der Hornhaut. — Psychiatrie und Nerven¬ 
krankheiten: Fabritius, Gruppierung der motorischen Bahnen im 
Pyramidenseitenstrang. 


• Physiologie. 

H. Galler: Ueber den elektrischen Leitangswiderstand des 
tierischen Körpers. (Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 1—3.) G. durch¬ 
strömte Frösche mit Gleich- oder Wechselstrom, oder gleichzeitig mit 
beiden und maass den Widerstand des Froschkörpers nach der Kohl- 
rausch’schen Methode. Der Widerstand gegen Gleichstrom schien 
doppelt so gross, wie der Wechselstrorawiderstand. Beide sind haupt¬ 
sächlich in der Haut lokalisiert. Den scheinbar grösseren Widerstand 
bei Gleichstrom konnte Verf. dahin erklären, dass er nur durch elektro¬ 
motorische Gegenkräfte polarisatorischer Art vorgetäuscht wird. 

0. Meyerhof: Ueber scheinbare Atmung abgetöteter Zellen 
durch Farbstoffreduktion (Versuche an Acetonhefe). (Pflüger’s Archiv, 
Bd. 149, H. 4—5.) Neutrale und schwach alkalische Acetonhefe 
besitzt eine Sauerstoffzehrung, die durch Zusatz von Methylenblau auf 
das Mehrfache ansteigt. Messungen der gebildeten Wärme ergeben das¬ 
selbe. M. setzt auseinander und stützt seine Anschauung durch Ver¬ 
suche, dass das Methylenblau nicht etwa ein atmungssteigerndes Mittel 
darstellt, dass vielmehr die durch die Acetonhefe herbeigeführte Reduktion 


des Methylenblaus dadurch von den natürlichen Verbrennungsprozessen 
verschieden ist, dass sie nur minimale Energie liefert. 

E. L. Back man: Der osmotische Drnck bei einigen Wasserkftfern. 
(Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 1—3.) B. bestimmte den osmotischen 
Druck der Hämolymphe bei Wasserkäfern (Dytiscus, Cymatopterus u. a.) 
nach der Hämat>*kritin« thode. Sie zeigte einen für die einzelnen Arten 
konstanten Gefrierpunkt, der zwischen — 0,49° und — 0,95° lag. Ver¬ 
bringen der Tiere in concentrierte Salz- oder Rohrzuckerlösungen führle 
zu einer Erniedrigung des Gefrierpunktes, wobei es zu Paresen kam. 
Die Käfer sind also nicht vollkommen homoiosmotische Tiere, da sie 
die Concentratiou ihrer Gewebsflüssigkeit nur gegenüber hypotonischen 
Lösungen bzw. destilliertem Wasser auf recht erhalten können. 

H. Jordan: Eine Vorrichtung, um die RegistriemBg des Ver* 
kürzungsgrades von Tonusmuskeln bei bestimmten Singetieren vor¬ 
nehmen zu können. (Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 4—5.) Beschreibung 
eines geeigneten Apparates. 

W. N. Berg: Die physikalisch-chemischen Grundlagen für eine 
Theorie der Muskelkontraktion. Die Theorie vou Zuntz. (Pflüger’s 
Archiv, Bd. 149, H. 4 — 5.) Nach Zuntz soll die Muskelkoutraktioh 
dadurch zustande kommen, dass die gebildete Kohlensäure einen ge¬ 
steigerten osmotischen Druck im Muskel bewirkt, dadurch Wasser eindringt, 
das Muskelelement schwillt und sich verkürzt. Demgegenüber betont B., 
dass in Flüssigkeiten gelöste Gase sich nicht wie wirklich gelöste Stoffe 
verhalten, also keinen osmotischen Druck ausiiben (mit Ausnahme ein¬ 
zelner). Auch seien wohl die Wände der Muskeleleraente für Kohlen¬ 
säure durchgängig, so dass nicht nur durch das Hineindiffuudieren von 
Wasser das osmotische Gleichgewicht bergestellt wird. A. Loewy. 

W. S t epp -Giessen: Weitere Untersuchungen über die Unentbehr¬ 
lichkeit der Lipoide für das Leben. — Ueber die Hitzezerstörbarkeit 
lebenswichtiger Lipoide der Nahrung. (Zeitschr. f. BiolBd. 59, H. 8, 
S. 366—395.) Wenn man Mäusen zu lipoidfreiem Futter Lipoide zulegt, 
kann man die Tiere am Leben erhalten. Kochen der Lipoide mit 
Alkohol nimmt den Lipoiden aber diese Eigenschaft. Auch die natür¬ 
liche Nahrung der Mäuse (Milch oder Brot) wird durch längeres Erhitzen 
mit Alkohol unbrauchbar für die Ernährung. Im wesentlichen scheint 
es so zusammenzuhängen, dass zur Ernährung fertige Lipoide notwendig 
sind, da die Fähigkeit des Organismus zum Aufbau der Lipoide begrenzt 
ist. Daneben könnten aber auch bei der Alkoholbehandlung Gifte aus 
den Lipoiden abgespalten werden. Ausschliessliche Lecithinzulage vermag 
nicht, die Nahrungslipoide zu ersetzen. Bis zu einem gewissen Grade 
kann das darauf beruhen, dass Handelslecithiu schon mehr oder weniger 
zersetzt ist. Jacoby. 

Hirschstein: Ueber die Beziehungen des Schwefels znm Stick¬ 
stoff in Nahrungsmitteln mit besonderer Berücksichtigung der Fritten- 
and Knhmileh. (Zeitschr. f. physikal. u. diätet. Therapie, Dezember 1912.) 
Die Verschiedenheit in der elementaren Zusammensetzung der Eiweiss¬ 
substanzen unserer Nahrung ist eine so grosse, dass die alleinige Be¬ 
stimmung des Stickstoffs weder als Maassstab für die Charakterisierung 
dieser Stoffe noch zur Beurteilung des Eiweissumsatzes des Menschen 
ausreicht. Nur aus der gleichzeitigen Ermittelung von Schwefel und 
Stickstoff in Nahrung und Ausscheidungsprodukten und aus ihrem gegen¬ 
seitigen Verhältnis können wir Aufschlüsse über die Gesetze des Eiweiss¬ 
stoffwechsels bei Mensch und Tier erhalten. E. Tobias. 

E. Masing: Sind die roten Blutkörperchen durchgängig für 

Traubenzucker? (Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 4—5.) Die Zellen ver¬ 
schiedener Blutarten verhalten sich Traubenzucker gegenüber verschieden. 
Die von Gans, Kaninchen, Schwein und Hammel nehmen keinen auf, wie 
sie auch normal keinen enthalten; die von Rind und Maus nehmen 
wenig, die des Menschen viel auf. Die Zuckereoncentration in letzteren 
steigt auf 60—70 pCt. der des umgebenden Serums. Dabei sind sie für Jod¬ 
kali undurchgängig. Bei Hunden liess sich durch Aderlässe die Permea¬ 
bilität für Traubenzucker herabsetzen, vielleicht weil junge Erythrocyten 
wenig oder nicht für Zucker permeabel sind. A. Loewy. 

H. King-Berlin: Zur Frage der Vermeidbarkeit der Adrenalin- 
glykosnrie durch Nicotin. (Zeitschr. f. exper. Pathol. u. Tber., Bd. 12, 
H. 1, S. 152—154.) Bei Darreichung geeigneter Nicotindosen unter¬ 
bleibt, wie in Bestätigung von Hirayama gefunden wurde, die Adrenalin- 
glykosurie. Die Ursache liegt in einer Dichtung des Nierenfilters, da 
die Hyperglykämie nicht beseitigt wird. 

W. Th. Sack - Edinburgh: Ueber den Einfluss von Corpus luteum 
und Hypophyse (lobus anterior) auf den Stoffwechsel. (Archiv f. exper. 
Pathol. u. Pharmakol., Bd. 70, H. 4, S. 293 — 301.) Der Extrakt der 
Hypophyse (lobus anterior) hat keinen Einfluss auf den Stoffwechsel. 
Das Corpus luteum hat eine spezifische Wirkung auf den weiblichen 
Organismus, die sich in einer starken Vergrösserung des Stickstoffansatzes 
ausdrückt, während ein Einfluss auf den männlichen Organismus nicht 
nachgewiesen werden kann. Es scheint, dass bei weiblichen Tieren die 
Injektion von Corpus luteum einen nachweisbaren Einfluss auf die 
Milchdrüsen, den Uterus und die zu diesen Organen führenden Blut¬ 
gefässe hat. Jacoby. 

R. Höher: Ist die Lunge für Ammoniak durchgängig? (Pflüger’s 
Archiv, Bd. 149, H. 1—3.) Magnus hatte gezeigt, dass nach Ein¬ 
spritzung von Ammoniak in eine Vene nichts davon aus dem Lungen- 
blute in die Lungenluft Übertritt. Das liegt nicht an einer Undurch¬ 
gängigkeit der Lungen für Ammoniak, vielmehr an dessen grosser Lös- 


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0. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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lichkeit und damit Bindung im Blute. Lässt man ammoniakhaltige 
Luft einatmen, so tritt NH a leicht in das Blut über. 

A. Loewy. 

F. Obermayer, H. Popper und E. Zak-Wien: Ueber den Harn* 
sisreaaehweis im Blüte. (Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) 
Die Autoren benutzen als Reagens eine bestimmte Phosphorwolfrarasäure 
(Schuchhardt), welche mit Harnsäure bei alkalischer Reaktion ein 
blaugefärbtes Reaktionsprodukt bildet. Das Ergebnis der Untersuchungen 
ist folgendes: Im Blut normaler Menschen ist nach dreitägiger purin- 
freier Kost Harnsäure nachweisbar. Unter krankhaften Bedingungen 
weist der Uarnsäuregehalt des Blutes beträchtliche Schwankungen auf. 
Der Uarnsäuregehalt der Sera verschiedener Tierspezies ist ver¬ 
schieden gross. P. Hirsch. 

M. Win ekel - München: Die chemische Wirkung des Carbenzyms. 
(Münchener raed. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Fermente werden durch 
Vanillin und konzentrierte Salzsäure rot gefärbt. Das Carbenzym 
(= durch Kohle absorbiertes Trypsin) gibt diese Reaktion nicht. Weun 
auch die Ferraentreaktion — durch die Kohle — aufgehoben ist, so 
ist die Ferme nt Wirkung absolut nicht beeinflusst, wie die mitgeteilten 
Versuche uinwandsfrei zeigen. Dünner. 

H. S t ü b e I: Morphologische Veränderungen des gereizten Nerven. 
(Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 1—3.) Das Netzwerk, dass die Mark¬ 
scheide eines zur mikroskopischen Untersuchung fixierten Nerven durch¬ 
zieht, ist nach Reizung desselben weiter als beim ruhenden. Nur beim 
lokalanästhesierten Nerven tritt auf Reizung keine Erweiterung des 
Maschenwerkes ein. Bei Durcbströmung mit dem konstanten Strom 
findet sich eine solche an der Kathode. Danach scheinen bei der Tätigkeit 
chemische bzw. physikalisch-chemische Veränderungen an der Mark¬ 
scheide des Nerven vor sich zu gehen, vielleicht durch Austauschprozesse 
mit dem Acbsencylinder, analog denen, die zwischen der contraktilen 
Fibrille des Muskels und dem Sarkoplasma zu bestehen scheinen. 

J. P. Karplus und A. Kreidl: Ueber die Bahn des Pnpillar- 
reflexeo. (Die reflektorische Pupillenstarre.) (Pflüger’s Archiv, Bd. 149, 
H. 1-3.) Sehr umfassende Durchscbneidungs- und Reizversuche am 
Hirn von Kaninchen und Katzen, Prüfung der Pupillenreaktion und Ver¬ 
folgung der in Betracht kommenden Leitungsbahnen. Es zeigte sich, dass 
Sämtliche Pupillenfasern vom Tract. opticus über den vorderen Vier¬ 
hügelarm zu in Vierhügel gehen. Sie lassen sich bis nahe an die Mittel¬ 
linie ara Rande des vorderen Vierhügels verfolgen. 

J. v. Angyän: Der Einfluss der Vagi auf die automatisch 
leblagende Kammer (auf den idip-ventrikulären Rhythmus). (Pflüger’s 
Archiv, Bd. 149, H. 4 — 5.) A. erzeugte bei Katzen durch Asphyxie 
Herzblock und untersuchte den Einfluss der Vagusreizung auf die 
Scblagfolge. Er findet, dass sie eine Verlangsamung der Kammer¬ 
kontraktion hervorruft, auch wenn die Vorkammern stillstehen. Rechter 
und linker Vagus verhalten sich gleich. A. fand also das gleiche, was 
frühere Autoren bei Herzblock nach Vergiftungen oder Verlegung der 
Coronararterien gefunden hatten. 

W. Einthoven: Dentong des Elektrocardiogramms. (Pflüger’s 
Archiv, Bd. 149, H. 1—3.) E. gibt hier eine eingehende Kritik der ver- 
x'hiedenen Anschauungen über die Bedeutung der verschiedenen Zacken 
des Elektrocardiogramms, so der von Gotch, Kraus, Nicolai u. a. 
Nur die Zacke P gehört den Vorkammern an. Das veränderliche Ver¬ 
halten von QRS leitet E. von dem anatomischen Bau des Herzens ab. 
Gelangt der Reiz zuerst an eine der Spitze oder der linken Kammer¬ 
wand nahe Stelle, so bildet sich eine Q-Zacke, sie fehlt, wenn die ent¬ 
gegengesetzten Stellen der Kammern zuerst getroffen werden. Die 
R-Zacke rührt von der Herzbasis und der rechten Kammer her, die 
- Zacke zeigt, dass die Kontraktion der linken Kammer wieder die 
Oberhand gewinnt. Die Richtung der Zacke hängt davon ab, ob die 
rechte oder die linke Kammer, die Herzbasis oder die Spitze länger 
kontrahiert bleiben. Die T-Zacke kann nicht einfach auf einen lokalen 
Prozess an der Herzbasis bezogen werden. 

W. Einthoven und J. H. Wieringa: Ungleichartige Vagns- 
wirkugen anf das Herz, elektrocardiographisch untersucht. (Pflüger’s 
Archiv, Bd. 149, H. 1—3.) Das Morphin übt eine Wirkung auf das 
Elektrocardiograram von Hunden aus; es kommt zu partiellem Block 
der vollkommener Dissoziation zwischen Vorkammern und Kammern. 
Diese Wirkung beruht auf einer Beeinflussung des Vagus. Bei Durch¬ 
schneidung der Vagi oder Atropinisierung, oder bei so grossen Morphin- 
irabeo, dass eine Vaguslähmung zustande kommt, lallt die Beeinflussung 
des Elektrocardiogramms fort. A. Loewy. 

Siehe auch Röntgenologie: Meyer-Betz, Normale Dickdarm- 
bewegung. 


Pharmakologie. 

0. Barth-Tübingen: Ein Beitrag zur Wirkung der Opiumalkaloide 
unter besonderer Berücksichtigung des Pantopons. (Archiv f. experim. 
Pathol. u. Pharmakol., Bd. 70, H. 4, S. 253—292.) Vergleichende Ver¬ 
buche ergeben, dass dem Gemisch von wirksamen Substanzen, welche im 
Pantopon vorliegen, weit erheblichere Wirkungen zukommen, als man 
nach dem Gehalt an Alkaloiden bei der Annahme einer einfachen Addition 
der Wirkungen erwarten könnte. 

M. Salzmann-Tübingen: Aafhehmg der narkotischen Wirkung 
<Lr Stoffe der Alkoholgruppe bei gleichzeitiger Anfnahme von Fett 


auf Grund ihres Teilungskoeffizienten zwischen Fett und Wasser. (Archiv 
f. experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 70, H. 4, S. 233—254.) Die Ver¬ 
suche wurden in Hinblick auf die Meyer-Overton’sche Theorie angestellt. 
Bei Gelegenheit der Versuche wurde festgestellt, dass ein neuerdings 
zur Behandlung des Diabetes empfohlenes Präparat ^Barzarin“ im Tier¬ 
versuch sich nicht als besonders giftig erwies, so dass gegen klinische 
Versuche keiue Bedenken sich ergaben. 

H. Walbaum und M. Salzmann - Tübingen: Weitere Unter¬ 
suchungen über Barzarin. (Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., 
Bd. 70, H. 4, S. 255—257.) Die chemische Untersuchung des Barzarins 
ergibt bisher keine Momente, welche imstande wären, die ihm zuge¬ 
schriebene Heilwirkung auf den Diabetes zu stützen. Jacoby. 

A. Ambroz-Prag: Vergleichende Untersuchungen über die bakteri- 
cide Wirkung einiger Wasserstoffsuperoxyd Präparate. (Zeitschr. f. 
Heilk., 1912, Bd. 72, H. 3, S. 470.) Das Hyperol, eine kristallisierte 
Verbindung von Karbamid und H 2 0 2 , übertrifft in jeder Hinsicht alle 
übrigen Wasserstoffsuperoxyd-Präparate. Die höhere bakterieide Fähig¬ 
keit des Hyperols scheint dadurch bedingt zu sein, dass das Hyperol 
eine organische Säure (Zitronensäure) enthält. Andere Vorzüge des 
Hyperols vor den anderen • H 2 0 2 -Präparaten sind darin zu erblicken, 
dass das Hyperol ein Präparat vorstellt, das Wasserstoffsuperoxyd in 
hochkonzentrierter, und zwar in fester Form enthält, mit dem man sehr 
bequem in der Praxis umgehen und das man auch sehr gut konservieren 
kann. Möllers. 

L. Lewin-Berlin: Ueber Hämanthin. (Archiv f. experim. Pathol. 
u. Pharmakol., Bd. 70, H. 4, S. 302.) Gegenüber Tutin betont Verf., 
dass das Hämanthin eine reine Substanz ist. 

J. Plesch, L. Karczag und ß. Keotman-Berlin: Das Thorium X 
in der Biologie und Pathologie. — Th. A. Maass und J. Plesch- 
Berlin*. Wirkung des Thorium X auf die Circulation. — A. Pappen¬ 
heim und J. Plesch-Berlin: Experimentelle und histologische Unter¬ 
suchungen zur Erforschung der Wirkung des Thorium X auf den 
tierischen Organismus. (Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 12, 
H. 1, S. 1 —107.) Thorium X kann man subcutan, intravenös, durch 
Trinken und Klysma applizieren. Bei der intravenösen Injektion wird 
die einzuverleibende Substanz fast momentan im ganzen Organismus 
verteilt. Bei Einführung von Radiumbromid findet sich nach 24 Stunden 
ca. 75pCt. der injizierten Menge in den Knochen bzw. im Knochenmark 
wieder. Thorium X verteilt sich ähnlich. Im allgemeinen scheiuen 
Zellen um so leichter durch radioaktive Strahlung geschädigt zu werden, 
je höher die vitale Energie der Zellen ist. Die Ausscheidung durch die 
Nieren erfolgt beim Thorium X sofort, die Ausscheidung durch den Darm 
allmählich, auch der Schweiss sondert etwas Thorium X ab. Sicherlich 
bilden sich Depots im Körper, so dass man bei der therapeutischen 
Anwendung sich vor Cumulation vorsehen muss. Im Gegensatz zu der 
Radiumemanation wirkt Thorium X weder auf Fermente noch Gärungen. 
Die Atmung wird bei Gesunden durch das Thorium X kaum, bei car- 
dialer Dyspnoe und Pneumonie wird der Atemtypus und die Atemtiefe 
deutlich beeinflusst. Die mit Thorium X vergifteten Tiere zeigen 
meistens eine Vergrösserung des Lungenvolumens. Das Residualluft¬ 
volumen ist vergrössert, auch die Totalkapazität zeigt eine Zunahme. 
Es kommt zu erheblich und lange anhaltenden Blutdrucksenkungen. 
Einzelne Individuen sind in bezug auf den Blutdruck refraktär gegen 
Thorium X. Der Stoffwechsel wird im allgemeinen erhöht. Eine be¬ 
merkenswerte Desinfektionswirkung wurde bisher vermisst. Frösche sind 
sehr resistent gegen Thorium X, Säugetiere verhalten sich verschieden, 
auch die Individuen ein- und derselben Spezies. Thorium X-Uieera 
heilen sehr schlecht. Nach grösseren Dosen entstehen Pigmentierungen, 
Thorium X fördert den Appetit. Einmal entstand Hypertrichiasis. Die 
Dosierung erfordert Vorsicht. Jedoch sind vielfach schon ganz ungefähr¬ 
liche Dosen wirksam. Heilwirkungen wurden bisher erzielt bei Fett¬ 
sucht, Gicht, aber nicht bei Diabetes. Günstig wurde Sklerodermie be¬ 
einflusst. Bei Tuberkulose versagte Thorium X, bei Pneumonie wurde 
anscheinend der Krankheitsverlauf beinflusst, auch in einer Anzahl 
Fällen von Rheumatismus. Bei Sepsis wurde nichts gesehen. Ferner 
werden Erfahrungen bei Circulationsstörungen bei einer Nebenhöhlen¬ 
eiterung mitgeteilt. Bei Blutkrankheiten, insbesondere bei der Leukämie, 
wurden ganz auffallende Besserungen beobachtet. Die diastolische Dehn¬ 
barkeit des Kaltblüterherzens erfährt durch Thorium X eine Zunahme. 
Beim Kaninchen scheint die Erregbarkeit der herzhemmenden Vagus¬ 
fasern oder der serösen Endelemente durch Thorium X zunächst eine 
Abnahme, dann eine geringe Zunahme zu erfahren. Im Blut macht 
Thorium X sofortigen Leukocytensturz und dann völligen Leukocyteu- 
schwund. Histologisch zeigen die blutbildenden Organe enorme Blutfülle, 
Hämorrhagien, Zellverarmung bis zur Nekrosenbildung. Jacoby. 

Siehe auch Physiologie: King, Vermeidbarkeit der Adrenalin- 
glykosurie. — Nervenkrankheiten: Lazarew, Wird Quecksilber in 
die Cerebrospinalflüssigkeit abgeschieden? — Therapie: Lewin, 
Kalmopyrin. — Röntgenologie: Stierlin und Schapiro, Wirkung 
von Morphium, Opium, Pantopon auf die Bewegungen des Verdauungs- 
tractus. 

Therapie. 

v. Stalewski-Freiburg i. B.: Ueber die Anwendung der Opiate, 
im besonderen des Narcophias in der ärztlichen Praxis. (Therapie d. 
Gegenw., November 1912.) Io allen Fällen, in welchen ein protrahierter 


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32 BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. Nr. 1. 


Gebrauch von Morphium nicht zu entbehren ist, empfiehlt Verf., an 
Stelle dieses das Narcophin wegen der viel geringeren Schädlichkeit zu 
setzen. In zahlreichen schmerzhaften Zuständen, wie Koliken, Cardio- 
spasmus wurde Narcophin 0,03 g subcutan mit Erfolg angewandt. 

R. Fabian. 

W. Nieveling-Lippspringe: Ueber die Behandlung des Fiebers 
Tuberkulöser, insbesondere mit Hydropyria Grifft. (Deutsche med. 
Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Führt Bettruhe nicht zum Ziel, so 
empfiehlt N.: 

Ac. arsenicos. 0,03 
Hydropyrin Grifa 10,0 
Mass. pil. q. s. f. pil. No. C. 

DS. dreimal tagl. 3—4 Pillen. 

Wolfsohn. 

C. Lewin-Berlin: Ueber Kalmopyrift, das lösliche Calciumsalz der 
Acetylsalicylsäure. (Therapie d. Gegenw., November 1912.) Aus den 
Tierversuchen des Verf. geht hervor, dass das Kalmopyrin eine erheblich 
geringere Giftigkeit besitzt als das Natrium salicylicum, entsprechend den 
früheren Untersuchungen über die geringere Giftigkeit der Acetylsalicyl¬ 
säure. Günstige Erfahrungen bei allen akuten und chronischen Rheuma¬ 
tismen, Neuralgien, bei den Schmerzen der Tabiker usw. Der Wert 
des Präparats liegt vor allem in seiner leichten Löslichkeit. 

R. Fabian. 

H. Brüning-Rostock: Wemolin. (Deutsche med. Wochenschr., 
1912, Nr. 50.) Wermolin enthält das Prinzip des amerikanischen Wurm¬ 
samenöls, 01. Chenopodii anthelminthici, in einer mit ätherischen Oelen 
und Geschmaokskorrigentien emulgierten Form. Nach B.’s Erfahrungen 
ist es ein gutes Mittel zur Abtreibung von Spulwürmern. Es wird zwei- 
bis dreimal täglich tee- bis esslöffelweise verabfolgt. Mit drei Löffeln 
kommt man fast stets aus. Nach der letzten Dosis empfiehlt es sich, 
ein Abführmittel hinterher zu geben. Subjektive Beschwerden und 
Schädigungen wurden nicht beobachtet. Per clysma verabreicht (1 : 4 mit 
Glycerin und Wasser verdünnt), soll das Mittel auch bei Oxyuren wirk¬ 
sam sein. Wolfsohn. 

Osten-Königslutter: Zur Drftinage bei Ascites. (Therapie d. 
Gegenw., November 1912.) Bei einem Fall von Lebercirrhose, bei 
welchem sehr viele Punktionen des Abdomens nötig waren, wurde zur 
Dauerdrainage durch einen starken Trokar ein sterilisierter weicher 
Guromikatheter in die Bauchhöhle geschoben. Nach Entfernen des 
Trokars wurde das Gummirohr mit Collodium und Heftpflasterstreifen 
an die Baucbhaut befestigt und das Ende des Rohres mit einem Quetsch¬ 
hahn verschlossen. Der Patient war somit befähigt, den Ascites nach 
Bedarf selbst abzulassen. R. Fabian. 

R. Emmerich-München: Zur rationellen Therapie der Cholerft 
ftrifttieft. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 48.) Der cholera- 
kranke Organismus sucht die Wirkung der Choleragifte, die salpetrige 
Säure, zu bekämpfen, indem er den Darmkanal mit alkalisch reagierender 
Reiswasserflüssigkeit überflutete. Das gelingt meist nur unvollkommen. 
Rogers injiziert 3—4 1 einer hypertonischen Salzlösung (7,8 Chlor¬ 
natrium, 0,4 Chlorkalium und 0,28 Calciumchlorid auf 1000,0 Wasser). 
Gegen die salpetrige Säure verwendet man mit Erfolg kolloides M&ngan- 
superoxydbydrat oder 1 prom. Amidosulfosäure. Dünner. 

Siehe auch Innere Medizin: Stein, Behandlung der Leukämie 
mit Benzol. 


Allgemeine Pathologie u. pathologische Anatomie. 

H. Stieve: Trftnsplantatieisversuehe mit dem experimentell er¬ 
zeugten Riesenzelleftgrftnalom. (E. Ziegler 1 Bei r. z. pathol. Anatomie 
u. z. allgem. Pathol., Bd. 54, H. 2.) Injektion von Kieselgurauf¬ 
schwemmung in 27 Tieren (Meerschweinchen, Kaninchen, Katze), teils 
intraperitoneal, teils subcutan, teils beides gleichzeitig zur Erzeugung 
von Riesenzellengranulomen (am schönsten gelungen bei Meerschweinchen). 
Transplantation auf artgleiche Tiere mit dem Ergebnis, dass die Pro¬ 
liferationsfähigkeit der Zellen des an sich gutartigen Granulomgewebes 
sich so steigerte, dass ein überstürztes und infiltratives Wachstum zu¬ 
stande kam, und dadurch histologisch wie biologisch das Gewebe echten 
Geschwülsten sehr ähnlich wurde. Benn. 

H. Schridde - Dortmund: Die Diagnose des Stfttns thymo“ 
lynpbftticvs. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 48.) Patho¬ 
logisch-anatomisch fand Sch. beim Status thymo-lymphaticus: Eine 
eigenartige Blässe der Haut, starkes Fettpolster. Vergrösserung der 
Thymus; manchmal allerdings auch subnormale Gewicbtswerte, trotzdem 
müssen solche Fälle dann hierher gerechnet werden, wenn man mikro¬ 
skopisch eine Markhyperplasie, die mit einer Unterentwicklung der im 
übrigen normal gebauten Rinde einhergeht, und die Hassal’schen 
Körperchen vergrössert findet. Gewöhnlich trifft man Hyperplasie des 
lymphatischen Parenchyms. Fast immer waren die Malpighi’scben 
Körperchen der Milz vergrössert, oft auch die Lymphknötchen des Magen¬ 
darmkanals. Vielfach sind Zungenbälge, Rachen und Gaumenmandeln 
hypertrophisch. Auch Dilatation und Hypertrophie des linken Ventrikels 
wurden konstatiert. Dünner.^ 

W. Georgi: Experimentelle Untersuchungen zur Emholielokftli- 
satioa in den Lungen. (E. Ziegler’s Beitr. z. pathol. Anatomie u. z. 
allgem. Pathol., Bd. 54, H. 2.) Es wurden Versuche an 43 Tieren an¬ 


gestellt: 9 verschiedene Substanzen wurden als Embolusmaterial ver¬ 
wendet. Als Ort der Injektion wurden Ohrvene, Nierenvene, Jugular- 
vene, Axillarvene gewählt. Es ergab sich: die Embolieverteilung in der 
Lunge ist unabhängig von der Art und Menge des Emboliematerials, 
von der Lagerung des Tieres und von der Injektionsstelle. Benn. 

0. M. Chiari: Ueber die Frage der trftftBfttischea Eatstehaag 
voa ftkater Bronchitis. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Cbir., 1912, Bd. 81.) 
Aehnlich, wie es bei der traumatischen Pneumonie der Fall ist, kann 
vielleicht auch eine akute Bronchitis durch ein den Thorax betreffendes 
Trauma ausgelöst werden. In drei vom Verf. beobachteten Fällen 
scheint die Annahme eines derartigen- ätiologischen Zusammenhanges 
berechtigt, doch konnte Verf. in der ihm zugänglichen Literatur keine 
diesbezüglichen Angaben finden. W. V. Simon. 

E. Meuber: Die Gitterfftsern des Herzens. (E. Ziegler’s Beitr. 
x. pathol. Anatomie u. z. allgem. Pathol., Bd. 54, H. 2.) Zehn Fälle 
von teils rechts-, teils linksseitiger Herzhypertrophie wurden nach dem 
Iraprägnationsverfabren von Bielschowsky, ferner mit van Gieson-, 
Fett- und elastischer Faserfärbung behandelt und in Serienschnitten 
untersucht. Verf. kommt zu dem Resultat: dos Herz besitzt 
ein ebenso gut entwickeltes Gitterfasergerüst wie etwa Leber und 
Lymphdrüse. Es bildet wahre Anastomosen; es vermehrt und verdickt 
sich bei Herzhypertrophie in ansehnlichem Maasse, verändert sich nicht 
bei parenchymatöser Degeneration, geht bei der fibrösen Myocarditis im 
schwieligen Herd zugrunde; ist dagegen gegen akute Prozesse (Blutungen, 
beginnende Nekrosen) recht resistent. 

H. Rautmann: Ueber Blutbild ang bei fötaler allgemeiner 
Wassersucht. (E. Ziegler’s Beitr. z. pathol. Anatomie u. z. allgem. 
Pathol., Bd. 54, H. 2.) Bei einem Fötus aus dem Anfang des dritten 
Monats, welcher einen allgemeinen Hydrops aufwies, fand sich in Leber, 
Milz und Nieren eine hochgradige Wucherung von Erythroblasten und 
grossen lymphoiden Zellen, welche mit grosser Wahrscheinlichkeit als 
lymphoide-basophile Mutterzellen von Erythroblasten zu deuten sind. 
Fast sämtliche Leukocyten traten io den Btutbildungsherden völlig in 
den Hintergrund. (Erythroblastose.) 

J. Ipsen: Untersuchungen über die Grawitx’schen Geschwftlsto. 
(E. Ziegler’s Beitr. z. pathol. Anatomie u. z. allgem. Pathol., Bd. 54, 
H. 2.) An der Hand von 35 von ihm untersuchten Grawitz’schen 
Tumoren bespricht Verf. die Frage ihrer Herkunft von versprengten 
Nebennierenkeimen („überzähligen Nebennieren“). Er kommt zu dem 
Resultat, dass es absolut am wahrscheinlichsten sei, anzunehmen, dass 
die Hypernephrome nicht von Nebennierenkeimen ausgehen, sondern vom 
Nierengewebe selbst und den papillösen Adenomen zuzurechnen seien. 

J. F. Poschovisky: Zur Frage des Fettgehaltes der Milz. 
(E. Ziegler’s Beitr. z. pathol. Anatomie u. z. allgem. Pathol., Bd. 54, 
H. 2.) 87 Milzen von Menschen sind auf ihren Fettgehalt geprüft Man 
stellte fest, dass es sich in der Milz von Kindern ausschliesslich in den 
epitheloiden Zellen der Malpighi’schen Follikel vorfindet, bei Erwachsenen 
dagegen in der Pulpa, Trabekeln, Kapsel und Gefässen. Das Fett er¬ 
scheint meistens in Form kleinster Tröpfchen und gehört wahrscheinlich 
zum Neutralfett. 

E. Bundschuh: Ein weiterer Fall von tnberdser Sklerose des 
Gehiris mit Tumoren der Dura mater, des Herzens und der Nieren. 
(E. Ziegler’s Beitr. z. pathol. Anatomie u. z. allgem. Pathol., Bd. 54, 
H. 2.) Besprechung eines Falles von tuberöser Sklerose des Gehirns, 
bei dem sich ausser den Veränderungen der Hirnrinde, Herden im Mark¬ 
lager und Ventrikeltumoren ein Gliom der Dura mater, ein Rhabdomyom 
und Lipom des Herzens und eigentümliche Nieren Veränderungen 
(lipomatöses Gewebe, fötale Glomeruli) fanden. Verf. beurteilt diesen 
Befund als eine Störung in der embryonalen Entwicklung und zwar im 
Sinne einer Hemmung in der Differenzierung der Zellen mit abnormer 
Wucherung falschdifferenzierter Zellen. 

Nicol: Ueber genuine eitrige Parotitis. (E. Ziegler’s Beitr. z. 
pathol. Anatomie u. z. allgem. Pathol., Bd. 54, H. 2.) An fünf Fällen 
von eitriger Entzündung der Parotis wird die Frage erörtert, ob der 
Entstehungsmodus der stomatogen-ascendierende oder der hämatogen¬ 
metastatische sei. Verf. entscheidet sich für den ersteren. Benn. 

L. Pincussohn - Berlin: Untersuchungen über die Seekrankheit. 
(Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 12, H. 1, S. 155—158.) 
Es wurden Versuche an Hunden mit Magenblindsack auf hoher See vor¬ 
genommen. Mit der Stärke der Schiffsbewegungen wird entsprechend 
die Magensaftsekretion gehemmt. Bei schwerer See machten die Hunde 
einen ganz apathischen Eindruck. Hunde, denen das innere Ohr voll¬ 
ständig zerstört war, verhielten sich wie normale Tiere. 

K. Amerling - Prag: Experiueitelle Albumianrie und Nephritis 
bei Hunden infolge Immobilisation. (Zeitschr. f. exp. Pathol, u. Ther., 
Bd. 12, Nr. 1, S. 108—115.) Eine zweistündige Immobilisation von 
Hunden genügt, um Albuminurie und Nephritis zu erzeugen. 

Jacoby. 

Siehe auch Augenheilkunde: Ito, Pathologische Anatomie bei 
Retinitis syphilitica hereditaria. — Hygiene und Sanitätswesen = 
0ehler, Schädlichkeit des destillierten Wassers. 


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6. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


33 


Diagnostik. 

Lochm an n - Strasswalcheo: Ueber Schnlterschmerz bei Appendi- 
fitis. (Therapie d. Gegenw., November 1912.) Verf. hat bei zwei 
Fällen von Perforation des Proc. vermiformis einen Schulterschmerz 
beobachtet. Er ist der Ansicht, dass dieser durch die Ausbreitung der 
Entzündung von der Appendix auf den Bauchfellüberzug der Leber 
durch Vermittlung des N. phrenicus erklärt wird. R. Fabian. 


Parasitenkunde und Serologie. 

W. Studte-Gelsenkirchen: Vergleichende Untersuchungen über den 
diagnostischen Wert einiger neuer Typhnsnährbö'den. (Zeitschr. f. 
Hygiene usw., 1912, Bd. 72, H. 3, S. 444.) Verf. hat vergleichende 
Untersuchungen mit dem Endo’schen Nährboden, dem Conradi’schen 
Brillantgrünagar, dem Werbitzki’schen Chinagrünagar, dem Gaethgens- 
scben Coffein-Endoagar, dem Kindborg’schen Säurefuchsinagar und dem 
Löffler’schen Reinblauagar angestellt. Keiner der geprüften neueren 
Nährböden vermochte den erprobten Endo’schen zu übertreffen. Ein 
Idealoährboden ist keiner der nachgeprüften; denn die von einem solchen 
zu fordernden Bedingungen, Ausschaltung der Koukurrenzbakterien, Be¬ 
günstigung oder charakteristische Markierung der Typhuskolonien in 
kürzester Bebrütungsdauer erfüllt keiner derselben. Möllers. 

H. Bontemps -Hamburg: Menschenpathogenität eines saprophytisch 
im Schweinedarm lebenden paratyphnsähnlichen Bakteriums. (Deutsche 
roed. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Laboratoriuminfektion mit einem 
sonst saprophytischen Bakterium. Der Nachweis der Pathogenität gelang 
durch Präcipitinbildung beim ZusammenbriDgen von Patientenserum mit 
dem verdächtigen Stamm. Wolfsohn. 

N. Gasiorowski-Lemberg: Ueber einen choleraähnlichen Vibrio. 
(Zeitschr. f. Hygiene usw., 1912, Bd. 72, H. 3, S. 530.) Der vom Verf. 
isolierte „Vibrio Tarnopol“ ist ein choleraähnlicher Vibrio, der fast in 
Reinkultur im Darminhalt nachgewiesen wurde und den Koch’schen 
Vibrionen sowohl morphologisch wie im Verhalten auf Nährböden und 
den Tieren gegenüber sehr ähnlich war. Erst die spezifischen Reaktionen 
— Agglutinationsprobe und der Pfeiffer’sche Versuch — bewiesen, dass 
die isolierten Mikroorganismen in die Gruppe der choleraähnlicben Vibrio¬ 
nen gehörten. 

O. Sc hie mann-Berlin: Ueber die Zuverlässigkeit des diagnostischen 

Tierversuches bei Lyssainfektion. (Zeitschr. f. Hygiene usw., 1912, 
Bd. 72, H. 3, S. 413.) In einem Fall von klinisch sicherer menschlicher 
Wut, der zum Exitus kam, konnte die Diagnose Tollwut durch den in 
üblicher Weise angestellten Tierversuch zunächst nicht gestellt werden, 
denn die mit Teilen des Ammonshornes und der Hirnrinde infizierten 
zwei Kaninchen starben nach mehreren Monaten, ohne das Bild der Wut 
gezeigt zu haben. Dagegen führte die Verimpfung des Rückenmarks 
auf die Versuchstiere zu einem positiven Resultat. Für den Misserfolg 
des Tierversuches oder den atypischen Verlauf der Infektion macht Verf. 
in Uebereinstimmung mit Jos. Koch „atypische Lokalisation, unge¬ 
nügende Vermehrung oder geringe Virulenz des Erregers“ in dem Impf¬ 
material verantwortlich. Verf. kommt zu dem Schluss, dass man nicht 
berechtigt ist, Tollwut mit Sicherheit auszuschliessen, wenn die mikro¬ 
skopische Untersuchung auf Negri’sche Körperchen und der Tierversuch 
negativ ausfallen, sondern, dass man sein Urteil nur unter Berück¬ 
sichtigung aller für die Diagnose in Betracht kommenden Momente 
fällen darf. Möllers. 

J. Fräs er-Edinburgh Die Unterscheidung des humanen und bovinen 
Typs des Tnberkelbaeillns. (Brit. med. journ., 23. November 1912, 
Nr. 2708.) Man kann die beiden Typen unterscheiden, wenn man 
kleine Mengen der Bacillenemulsion ins Kniegelenk von Kaninchen 
bringt. Man kann auch Eiter oder andere Flüssigkeiten zur Unter¬ 
suchung benutzen, sie dürfen aber keine Mischinfektion enthalten. Der 
humane Typus verursacht einen chronischen Synovialtuberkel; der bovine 
macht schon nach 10 Tagen eine akute Entzündung und efne fort¬ 
schreitende allgemeine Erkrankung. Das Gelenk verkäst; Lunge, Milz 
uod Nieren erkranken ebenfalls. Die Unterscheidung der beiden Typen 
ist auf diese Art rasch, leicht und bequem möglich. 

Weydemann. 

Bacmeister und Rueben-Freiburg i. Br.: Ueber „sekundäre“ 
TiVerkalose. (Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Nach der 
Stäubli-Schnitter’schen Methode (Auflösung des Blutes in 3 proz. Essig¬ 
säure, kombiniert mit Antiforminverfahren) sind im Ausstrichpräparat 
von strömendem Blut in der letzten Zeit vielfach säurefeste Stäbchen 
gefunden worden, die als Tuberkelbacillen gedeutet wurden. Man bat 
daraus weitgehende diagnostische und prognostische Schlüsse zu ziehen 
▼ersucht. Die Verff. halten diese Befunde nicht für einwandfrei. Nach 
ihren Untersuchungen finden sich die typischen säurefesten Stäbchen 
auch bei nichttuberkulösen Menschen und im Blute sicher nichttuber¬ 
kulöser Kaninchen. Die Frage nach der Herkunft dieser Gebilde wird 
nicht entschieden. Die Verff. möchten glauben, dass es sich um Kunst¬ 
produkte handelt, die allerdings nur im Blute Vorkommen. Es kann 
demnach nur der Tierversuch uns über das Vorhandensein des Tuberkel- 
bacillus im Blute Auskunft geben. Wolfsohn. 

Graf-Berlin: Vergleichende Untersuchungen über Giftbildnng in 
DipktheriebaeiUenkmltaren. (Zeitschr. f. Hygiene usw., 1912, Bd. 72, 
H. 3, S. 523.) Unter 28 im ganzen untersuchten Fällen war in etwa 


der Hälfte der Beobachtungen die Giftproduktion vom 10. bis zum 
20. Tage stärker als iu den ersten 10 Tagen. Wesentliche Unterschiede 
in der Gifterzeugung der aus frischen Diphtheriefällen und der von 
Genesenen gezüchteten Stämme wurden nicht beobachtet. Auch die 
lange Zeit von Genesenen beherbergten Stämme erwiesen sich zum Teil 
als so giftig, dass sie Meerschweinchen von 250 g Körpergewicht inner¬ 
halb 4 J / 2 Tagen unter den bekannten Erscheinungen und Sektionsergeb¬ 
nissen zu töten vermochten, wenn die Bouillon in Mengen von 0,2 oder 
0,1 ccm eiogespritzt wurde. 

E. Frankel-Hamburg: Ueber die Mensehenpathogenität des Ba¬ 
cillus pyocyanens. (Zeitschr. f. Hygiene usw., 1912, Bd. 72, H. 3, 
S. 486.) Bei der Invasion des Baoillus pyocyaneus in die Gewebe 
machen sich negativ chemotaktische Einflüsse geltend. Der Bacillus 
pyocyaneus löst überwiegend hämorrhagisch-Dekrotische Prozesse aus; 
auch dann, wenn er zu exsudativ-eitrigen Vorgängen Anlass gibt, be¬ 
steht eine nicht verkennbare Neigung zum Auftreten hämorrhagischer 
Beimengungen zu den Exsudaten. Abgesehen von dem kulturellen Nach¬ 
weis des Bacillus pyocyaneus im strömenden Blut gibt es kein Symptom, 
das uns mit absoluter Sicherheit zu der Diagnose einer Pyocyaneus- 
infektion berechtigte, ln zweiter Linie kommt dem Exanthem, das durch 
das Auftreten an Zahl und Grösse wechselnder hämorrhagischer Quaddeln, 
Blasen und Geschwüre charakterisiert ist, eine hohe klinische Be¬ 
deutung zu. Möllers. 

J. F. Anderson und W. H. Frost: Die Uebertragung der Polio¬ 
myelitis durch die Stallfliege. (Lancet, 30. November 1912, Nr. 4657.) 
Wiederholung der Versuche von Rosenau. Infizierte Affen wurden den 
Stichen von Stomoxys calcitrans ausgesetzt, und diese Hessen die Verff. 
wieder an drei gesunden Affen stechen. Alle drei erkrankten an Polio¬ 
myelitis 7, 8 und 9 Tage, nachdem sie zuerst den Fliegenstichen aus¬ 
gesetzt waren. Es bleibt durch weitere Untersuchungen festzustellen, 
ob die Stomoxys die Poliomyelitis in der Regel oder nur ausnahmsweise 
überträgt. Weydemann. 

E. Heilner und R. Schneid er-München: Ueber den schützenden 
Einfluss des Komplements (Alexin) auf den Eiweissstoffwechsel. (Zeit¬ 
schrift f. Biol., Bd. 59, H. 8, S. 321—334.) Spritzt man Kaninchen 
artfremdes Eiweiss in die Blutbahn, während sie im Hungerzustand sich 
befinden, so kommt es zum Komplementschwuud, die eingespritzten, 
artfremden Blutzellen werden aufgelöst, und es entwickelt sich eine 
intensive Eiweisszersetzung, bei der viel Körpereiweiss eingeschmolzen 
wird. Daneben wird eine grosse Diurese beobachtet. Alle diese Er¬ 
scheinungen werden bei Einspritzung von arteigenem Eiweiss vermisst. 
Bei fiebernden oder krebskranken Tieren wirkt arteigenes Eiweiss wie 
sonst artfremdes. Nach der Ansicht der Verff. bat das Komplement die 
Funktion, einen zu starken Eiweisszerfall im Organismus zu verhüten. 
Wird experimentell ein Komplementsohwund bewirkt, so entwickelt 
sich das schwere Krankheitsbild des starken Eiweisszerfalls. 

Jacoby. 

A. Uffenheimer-München: Hanigiftigkeit and Anaphylaxie. 
(Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) U.’s Untersuchungen haben 
ebenso wie Mautner’s ergeben, dass von einer spezifischen Harngiltig¬ 
keit bei Masern nicht die Rede sein kann. Die Behauptung von Aron- 
son und Sommerfeld, dass die intravenöse Harninjektion für Masern 
differentialdiagnostisch verwertbar sei, trifft demnach keineswegs zu. 
Weder starben alle mit Masernurin behandelten Tiere, noch sind andrer¬ 
seits andere Infektionskrankheiten von Masern in dieser Beziehung prin¬ 
zipiell verschieden. Besonders bei Scharlach ist eine Harntoxizität 
häufig. Ob die im Urin wirksamen Stoffe anaphylaktischer Natur sind, 
kann bisher noch nicht sicher gesagt werden. Verf. ist mit diesbezüg¬ 
lichen Versuchen beschäftigt. Wolfsohn. 

G. Izar-Catania: Ueber Antigene für die Meiostagminreaktion. 
(Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 49.) Dass die Tumor- oder Pan¬ 
kreasantigene durch Verbindungen der Myristilsäure mit Proteinen er¬ 
setzt werden können, wurde früher schon nachgewiesen. Es genügt 
jedoch der Zusatz von Myristilsäure allein zu Tumorserum. 

P. Hirsch. 

Mutermilch und Hertz-Warschau: Untersuchungen über den 
Gehalt an Komplement in normalen und pathologischen Flüssigkeiten 
des Körpers. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 76, H. 5 und 6.) M. und H. 
haben den Komplementgehalt verschiedener Körperflüssigkeiten unter¬ 
sucht, indem sie die hämolytische Wirkung eines inaktivierten Kaninchen- 
amboceptors auf Hammelblutkörperchen nach Zusatz von 0,05—0,4 der 
betreffenden Flüssigkeiten als Komplement prüften. Sie fanden, dass 
Oedemflüssigkeiten sowie eitrige und serös-eitrige Exsudate und normale 
wie patholologische Cerebrospinalflüssigkeiten kein Komplement oder 
erstere nur in Spuren enthalten. Serös-entzündliche Exsudate haben 
hämolytisches und baktericides Komplement. H. Hirschfeld. 

Siehe auch Iuuere Medizin: Panton und Tidy, Vorkommen 
des Bacterium coli im Blut. — Kinderheilkunde: Jemma, Leish- 
man’sche Anämie. — Augenheilkunde: Stiel, Trachomähnliche 
Bindehautentzündung mit Blastomycetenbefund. 


Innere Medizin. 

D. Gerhardt-Würzburg: Das Crescendogeränsch der Mitral¬ 
stenose. (Münchener med. Wochenschr., 1912. Nr. 50.) G. teilt einige 
Fälle mit, die seiner Meinung nach dafür sprechen, dass das Crescendo- 


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34 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 1. 


geräusch der Mitralstenose durch eine Kontraktion des Vorhofes ent¬ 
steht, dass aber andererseits durch die Mitwirkung der Ventrikel¬ 
kontraktion seine charakteristische Eigenart des klappenden Abschlusses 
erhält. Das Geräusch entsteht also durch den atrioventrikulären Blut¬ 
strom. Diese Anschauung beweist folgendes: 1. Es gibt Fälle, bei denen 
das präsystolische Geräusch nicht in den ersten Ton übergeht, sondern 
nur leise blasend ist; der erste Ton klappt nicht. 2. Bei manchen 
Mitralstenosen mit Ueberleitungsstörung hört man bei den auf die Pause 
folgenden ersten drei oder vier Herzschlägen ein typisches präsystolisches 
Geräusch mit klappendem ersten Ton; bei den späteren ist das Geräusch 
durch eine kurze Pause vom ersten Ton getrennt. 3. Manchmal bestehen 
bei Mitralstenosen mit totaler Unregelmässigkeit des Pulses diastolische 
Geräusche mit Crescendocharakter. Dünner. 

B. Stein-Wien: Zur Behandlung der Leukämie mit Benzol. 
(Wieuer klin. Wochenschr., 1912, Nr. 49.) In einem Fall von myeloischer 
Leukämie, bei dem die Röntgentherapie erfolglos geblieben war, hat St. 
das von Koranyi empfohlene Benzol angeweudet. Es gelang bei der 
67järigen Patientin innerhalb 42 Tagen die Leukocytenzahl von 225 000 
zur Norm zu reduzieren. Im Verlauf der Benz.oldarreichung stieg das 
Körpergewicht, und der ganze Komplex der subjektiven Symptome 
schwand. Die Milz, die vordem bis zur Mittellinie reichte, war nach 
Abschluss der Behandlung nicht mehr palpabel. P. Hirsch. 

P. N. Panton und H. L. Tidy- London: Vorkommen des Bact. 
coli im Blute. (Lancet, 31. November 1912, Nr. 4G57.) Blutkulturen 
von Personen, die an Colierkrankungen leiden, sind fast stets steril; 
den Verfassern ist es eben in drei Fällen gelungen, aus dem Blute eine 
Reinkultur des Bact. coli zu erhalten. In zwei von diesen Fällen wurde 
das Blut zurZeit des Beginnes des Schüttelfrostes entnommen, im dritten 
Falle 3 l / 2 Stunde später; in anderen Fällen, wo das Blut noch später 
entnommen wurde, war es steril. Der positive Blutbefund weist auf 
einen Zusammenhang zwischen Schüttelfrost und dem Uebertritt grösserer 
Bacillenmengen in den Blutstrom hin. Weydemaun. 

Schiele: Neigung der oberen Thoraxapertur. (Zeitschr. f. kliu. 
Med , Bd. 76, H. 5 u. 6.) Die Neigung der oberen Thoraxapertur, der 
Winkel, in welchem die Rippen gegen die Horizontale zu getragen 
werden, ist ein Gradmesser der Konstitution. Beim asthenischen 
Habitus ist der Winkel, welchen die obere Thoraxapertur mit der Wirbel¬ 
säule bildet, ein kleinerer, wie beim Habitus des kräftigen gesunden 
Menschen. Verf. schildert nun, in welcher Weise die Lage der Brust- 
und Baucheingeweide beim asthenischen Habitus durch die stärkere 
Neigung der oberen Thoraxapertur und ihre Folgezustände beeinflusst 
wird. Das Herz tritt tiefer, und da die Höhe des Aortenbogens gegen¬ 
über der Wirbelsäule konstant ist, wird die Aorta gedehut uud ver¬ 
engert. Die Leber tritt tiefer und lenkt die rechte Niere aus ihrem 
Bett, ebenso ergeht es dem Magen und dem Dickdarm, und so kommt 
es zu einer allgemeinen Enteroptose infolge der Thorakoptose. Es wird 
eine Methode angegeben, die Neigung der oberen Thoraxapertur zu 
messen. Die Atemexkursionen des Brustkorbes spielen eine wichtige 
Rolle, nicht nur für die Lungen selbst, sondern auch für die Herztätig¬ 
keit und die Funktionen der Bauchorgane. Die Verknöcherung des ersten 
Rippenknorpels ist nach Verf. nicht Ursache, sondern Folge einer Lungen¬ 
spitzentuberkulose. Sie entsteht durch die verminderte Intensität der 
Atmung. Die Lungentuberkulose des Kulturmenschen folgt aus dem 
Mindergebrauch der Lunge. Der phthisische Thorax ist nicht angeboren, 
sondern erworben. Er kann durch zweckmässige Gymnastik in seiner 
Entstehung verhindert werden. Gibt es doch beim Neugeborenen keinen 
paralytischen Thorax. H. Hirschfeld. 

L. Hofbauer-Wien: Natur und Entstehung der Kroenig’schen 
Langenspitzenatelektase. (Zeitschr. f. exp. Pathol. u. Ther., Bd. 12, 
Nr. 1, S. 159—164.) Beim Mundatmer vergrössern sich die Atembewe¬ 
gungen der oberen Brustkastenpartie bis zur Norm, wenn er gezwungen 
wird, durch die Nase zu atmen. Während der Nasenatraung verschwindet 
die Spitzenatelektase, die nur in einer Luftverarmung der Lunge ohne 
jede gewebliche Veränderung begründet ist. Verf. tritt für die Brauch¬ 
barkeit seiner pneumographischen Methode ein. Jacoby. 

Frankenhau ser: Ueber die Wirkung der Cyklonen (barometrischen 
Minima) auf das Allgemeinbefinden. (Zeitschr. f. physikal. u. diät. 
Therapie, Dezember 1912.) Viele scheinbar Gesunde sind gegen das 
Herannahen der Cyklonen (barometrischen Minima) empfindlich und 
reagieren darauf mit Krankheitserscheinungen. Gewisse Krankheiten 
prädisponieren zu dieser Empfindlichkeit (Cyklonopathie) und werden 
durch die Cyklonen ungünstig beeinflusst. Die Krankheitserscheinungen 
der Cyklonose setzen sich zusammen aus einem kongestiven cerebralen, 
katarrhalischen intestinalen und einem rheumatoiden peripheren 
Symptomenkomplex, von denen immer einer in den Vordergrund tritt. 
Die Ursachen sind nicht aufgeklärt. Wahrscheinlich handelt es sich um 
Vibrationen des Luftdrucks, Luftverunreinigungen, Aenderungen des 
Elektrizitätsgehaltes und Wasserdarapfgehaltes, die den Cyklonen und 
dem Barometerfall vorausgehen. Man kann den Erscheinungen rationell 
entgegentreten und Vorbeugen. Für cyklonopathische Personen muss 
man Orte aufsuchen, wo sie vor dem Einfluss der Cyklonen geschützt 
sind. 

Falkenstein: Verdannng und Stoffwechsel. (Zeitschr. f. physi¬ 
kalische u. diät. Therapie, Dezember 1912.) F. bespricht an der Hand 
der Forschungen über Phagocytose und Opsoninbildung, also unserer 
neueren Kenntnisse über intrazelluläre Verdauung, sowie der Fortschritte 


in der modernen Chemie in bezug auf die Veränderung der Nahrungs¬ 
mittel im Verdauungskanal den ganzen Hergang, der sich vom Moment 
der Nahrungsaufnahme bis zur Ausscheidung der Auswurfstoffe vollzieht. 

E. Tobias. 

L. Rupport-Wien: Ein piimäres endogastrisehes Lymphosarkom. 

(Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Demonstriert in der k.k. Ge¬ 
sellschaft der Aerzte in Wien, Sitzung vom 22. November 1912. Referat 
siehe den Sitzungsbericht. P. Hirsch. 

Schaal-Köln: Enterospasmns yerninosns. (Münchener med. 
W T ochensehr., 1912, Nr. 48.) Ascariden können Veranlassung zu Spasmen 
des Darmes geben, die klinisch ileusartige Symptome machen. Bei 
einem solchen Falle, der wegen der Erscheinungen operiert wurde, fand 
sich der Dünndarm in einer Ausdehnung von 25 ccm strikturiert. Man 
fühlte einen Ascaris durch. Dünner. 

L. Rütimeyer: Ueber die diagnostische Behandlung derFerment- 
erkrank lügen, speziell des Labfermentes des Magensaftes bei Magen¬ 
krankheiten, zugleich ein klinischer Beitrag zur Frage der Wesenseinheit 
von Lab und Pepsin beim Menschen. (Boas’ Archiv, Bd. 18, H. 5, S. 573.) 
Die Untersuchungen beziehen sich hauptsächlich auf das Lab, in zweiter 
Reihe auf das Pepsin und betreffen einmal die Frage nach der Bedeutung 
uud zweitens nach der Quantität derselben. Methodologisch bevorzugt 
Verf. die Boas’sche Probe und hat diese auch in einer Anzahl von Malen 
mit dem Fuld’schen Verfahren verglichen. R. hält die erstere für den 
Praktiker für vollkommen ausreichend, da sie in 06,6 pCt. völlige Ueber- 
einstimmung und in 88 pCt. Boas gleiche oder etwas höhere Ausschläge 
wie Fuld gab. Es zeigte sich ferner, dass die betreffenden Magensäfte 
möglichst frisch, jedenfalls innerhalb 8—10 Stunden nach der Entnahme 
zu untersuchen sind, da bei längerem Stehen ihre milchcoagulierende Kraft 
in 60 pCt. der Fälle abnimmt und sich niedrigere Grenzwerte ergeben. 
Für die Pepsinbestirnmungen genügt die Prüfung nach Mett mit der 
Modifikation von Nierenstein und Schiff (die nach den seinerzeit von 
Kaiserling auf meiner Abteilung angestellten Versuchen auch nicht 
nötig ist. lief.); die Ergebnisse nach Solms und Jacoby sowie Wolff 
und Tomaczewski waren nicht so scharf wie die mit Mett erhaltenen. 
Alle Magensäfte wurden nach dem Ewald’schen Probefrühstück und im 
ganzen 109 Fälle mit 236 Lab- und 186 Pepsinuntersuchungen analysiert. 
Aus den im Original übersichtlich zusammengcstellten Ergebnissen ist 
hervorzuheben, dass die Untersuchung auf die peptische Wirkung nach 
Mett weniger Anhaltspunkte für die Differentialdiagnose zwischen 
Carcinom uud Achylie gibt als die Labprobe. Letztere ist empfindlicher 
und feiner nuanciert nach ihrem diagnostischen Werte, verdient deshalb 
für den praktischen Arzt den Vorzug. Bei malignen Prozessen scheint 
während der Entwicklung derselben ein Absinken des Fermentgehaltes 
vorzukommen (was doch selbstverständlich ist! Ref.). Sekretionen von 
jreier Salzsäure und von Lab und Pepsin sind, in Bestätigung bekannter 
Angaben, voneinander unabhängig, aber auch in der Abscheidung von 
Lab und Pepsin unter sich kommen, wenn auch geringere, Divergenzen 
vor. Diese Tatsache spricht nicht im Sinne der Wesenseinheit von Lab 
und Pepsin. 

E. K. Tauber: Zur Frage von den Stfirnngen der Fettverdannng 
bei den Erkrankungen der Leber und des Pankreas. (Boas’ Archiv, 
Bd. 18, H. 5, S. 627.) Es wurden acht Fälle von Lebercirrhose mit 
fehlendem oder nur ganz vorübergehendem leichten Icterus auf den Fett¬ 
gehalt (Ncutralfett, Fettsäuren, Seifen) untersucht uüd die Einwirkung 
des Pankreon (3 mal tägl. 1,0 wärend 3 Tagen) bestimmt. Störungen 
der Fettverdauung waren unzweifelhaft vorhanden, am stärksten und 
konstantesten war die Herabsetzung der Fettverseifung, geringer (nur in 
zwei Fällen) die Störungen der Fettspaltung. Die Resorption des Fettes 
war, mit Ausnahme der beiden Fälle mit Icterus, „ungefähr normal“. 
Die Wirkung des Pankreas war unsicher, schien aber die Resorption 
einigermaassen zu verbessern. Ewald. 

K. v. Noorden - Wien: Ueber ernsthafte Folgeznstände 4er chro¬ 
nischen Obstipation. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 76, H. 3 u. 6.) Payr 
hat ein durch gutartige Stenosen an der linken Coliflexur zustande 
kommendes Krankheitsbild geschildert, das mit tagelanger Stuhlverbaltung 
und starken Entleerungen abwechselt und in akuten Fällen ileusartige 
und peritoneale Erscheinungen hervorrufen kann. Die Ursache liegt in 
narbigen Verwachsungen des Colons sowie in Coloptose. Nach Beob¬ 
achtungen v. Noorden’s kann auch die chronische spastische Obstipation 
zu derartigen Folgezuständen führen, und es wird ein derartiger Fall 
mitgeteilt. Die Therapie bestand zunächst in der Verabreichung von 
Atropin, dann wurde kurze Zeit eine schonende kalorienreiche Diät ge¬ 
geben und dann erst allmählich zu gröberer Diät übergegangen. Kommt 
es aber bei dieser groben Kost zu neuen Attacken, so ist darin ein 
Zeichen dafür zu sehen, dass Adhäsionen, Strikturen oder Fixationen 
bestehen, die nur operativ zu beseitigen sind. H. Hirschfeld. 

E. Fricker: Eosinophile Proktitis. (Boas’ Archiv, Bd. 18, H. 5, 
S. 656.) F. teilt vier F'älle dieser interessanten, zuerst von Neubauer 
und Häubli beobachteten Erkrankung mit, bei welcher in Zusammen¬ 
hang mit einer akuten Proktitis unbekannter Ursache in den schleimig¬ 
blutigen Ausleerungen zahlreiche eosinophile Zellen und Charcot- 
Leyden’schen Kristalle gefunden wurden. Das Körperblut zeigt dabei 
keine Vermehrung der eosinophilen Zellen, überhaupt keine Veränderung 
des weissen Blutbildes. Wodurch der offenbar p. diapedesin erfolgende 
Austritt der Eosinophilen aus dem Blute in das Darmlumen yeranlasst 
wird, bleibt offen. (Ref. würde an chemotaktische Vorgänge denken.) 


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6. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


35 


Charakteristisch sind die der Darmschleimhaut anhaftenden, gelbiich- 
weissen Schleimaoflagerangen, in denen die genannten Gebilde gefunden 
werden. Ewald. 

L. Jacob-Würzburg: Beitrag zur Kenntnis des Paratyphus. (Mün¬ 
chener med. Wochenschr., 1912, Nr. 48.) Epidemie nach Genuss von 
Leberwuret Bei einem Patienten traten zwei verschiedene Verlaufs- 
formen des Paratypbus, nämlich der gastroenteritische und der typhöse, auf. 

Dünner. 

Dolgopol - Odessa: Zur Kasuistik der Erkrankung des Nervus 
nlnaris nach Unterleibstyphus. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 76, H. 5 
u. 6.) Verf. beschreibt einen Fall von Neuritis des Nervus ulnaris 
während der Rekonvaleszenz eines Typhus bald nach dem Abfall der 
Temperatur. Er schliesst sich nicht der Meinung von Bernhardt an, 
dass es sieb bei diesen Beobachtungen um eine Drucklähmung durch 
das andauernde Liegen bandle, sondern um eine toxische Einwirkung. 

Tachau-Berlin : Der diagnostische Wert der Harnpepsinbestimmung. 
(Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 76, fl. 3 u. 4.) Auf die diagnostische Ver¬ 
wertbarkeit der Harnpepsinbestimmung, insbesondere auch für das Magen- 
carcinom, bat man grosse Hoffnungen gesetzt. Nach den Untersuchungen 
des Verf. gibt uns aber das Verhalten des Harnpepsins keine sicheren 
diagnostisch verwertbaren Aufschlüsse. Wir können weder bei einer 
Herabsetzung der Fermentmenge im Harn mit Sicherheit krankhafte Ver¬ 
änderungen der Magensekretion annehmen, noch bei normaler Harnpepsin¬ 
menge eine Magenaffektion ausschliessen. Auch für die Differential¬ 
diagnose des Magencarcinoms gibt uns die Harnpepsinuntersuchuug keine 
verwertbaren Anhaltspunkte. H. Hirschfeld. 

W. Weiland-Kiel: Kohlehydratkuren und Alkalitherapie bei 
Diabetes mellitas, ihre Indikation und Prognose. (Zeitschr. f. experim. 
Pathol. u. Therapie, Bd. 12, H. 1, S. 116—151.) Bei richtiger Indikations¬ 
stellung ist die Haferkur anderen Kohlehydratkuren vorzuziehen, In ihrer 
Kombination mit eiweissarmer Fettgemüsekost und Alkalidarreichung 
wird sie nie Schaden anrichten und ist schonender als die Verwendung 
anderer Mehlarten. Bei schwerem Diabetes wird Hafer besser toleriert 
als andere Kohlehydrate. Verf. gibt jedem Diabetiker Natr. bic. in 
grossen Dosen, so dass die Urinreaktion stets alkalich bleibt. Für jeden 
Diabetiker ist im Anfang klinische Behandlung wünschenswert, für die 
schweren Kranken ist quantitative Bestimmung der Zucker- und Aceton¬ 
körperausscheidung notwendig. Im allgemeinen ist für den Diabetiker 
mit Acidosis eine Gefahr nicht zu befürchten, wenn es gelingt, den Urin 
mit 40—50 g Natr. bic. zu alkalisieren. Jacoby. 

Fr. Ro 1 ly - Leipzig: Ueber die Nutzanwendung der neueren 
Forschungsergebnisse auf dem Gebiete der Serumtherapie und der 
Praxis. (Schluss ) (Ther. d. Gegenw., November 1912.) Verf. behandelt 
ausführlich die Serumtherapie bei Streptokokken-, Pneumokokkeninfek¬ 
tionen, bei der epidemischen Genickstarre, bei der Dysenterie, Unter¬ 
leibstyphus, Cholera und Milzbrand. Als Resultat seiner Untersuchungen 
kommt Verf. zu der Erkenntnis, dass die Erfolge der Serumtherapie am 
Menschen trotz enorm geleisteter experimenteller Arbeit an Tieren bisher 
noch sehr gering sind. Nur eine Ausnahme macht das Diphtherieserum. 

R. Fabian. 

A. Schittenhelm und W. Weichardt-Erlangen: Ueber ende- 
■isekei Kropf ii Bayora. (Münchener med. Wochenschr., 1912, 
Nr. 48.) Nicht die geologische Formation ist das Primäre für die ende¬ 
mische Verbreitung des Kropfes, sondern die Infektion des Wassers, die 
allerdings durch gewisse Gesteinsarten begünstigt werden kann. Das 
am meisten fördernde Element scheint das Gebirge zu sein. In den 
Kropfgegenden ist das Befallensein der Schuljugend (um das 10. Lebens¬ 
jahr) der beste Gradmesser für die Stärke der Endemie. 

Dünner. 

H. Schlesinger-Wien: Meine Erfahrungen über den akuten Morbus 
Baaoiowii. (Ther. d. Gegenw., November 1912.) Zum Krankheitsbilde 
des akuten Morbus Basedowii gehört als auffallendstes Symptom eine 
ganz rapide Abmagerung. Ziemlich früh entwickelt sich ein grosser, 
harter Tumor. Häufig findet sich remittierendes oder intermittierendes 
Fieber. Ausschlaggebend für die Diagnose ist die Veränderung der 
Schilddrüse. Eine Vergrösserung ist häufig nicht nachweisbar; man aus¬ 
kultiert ausgesprochene Gefässgeräusche. Tachycardie war in den Fällen 
des Verf. stets nachzuweisen. Im Blute findet sich eine Leukopenie mit 
relativer Lymphocytose. Bisweilen kommt eine Glykosurie vor. Häufig 
finden sich auch Symptome von seiten des Magendarmtractus, die von 
denen der chronischen Formen nicht abweichen. Auffallend wenig 
widerstandsfähig sind die Kranken mit akutem Basedow gegen äussere 
Schädlichkeiten. Die Behandlung besteht in absoluter Bettruhe, Mastkur, 
vorzugsweise durch ein Eiweiss - Fettregime. Von Medikamenten: 
Antitbyreodin Moebius 8 mal täglich eine Tablette oder 3 mal täglich 
15 Tropfen in Kombination mit einer Kakodylbehandlung (tägliche intra¬ 
muskuläre Injektion von 0,02 bis 0,05 Natr. cacodyl., im ganzen 30 In¬ 
jektionen). In jedem Falle sind Röntgenbestrahlungen vorzunehmen. 
Daneben kommen noch in Betracht die physikalischen Heilmethoden, wie 
leichte bydratische Prozeduren. Galvanisation am Halse. Empfehlens¬ 
wert ist ein Aufenthalt im Hochgebirge (1000 bis 1500 m). 

R. Fabian. 

H. Lobriscb: Qualitativer Nachweis von Fett in den Sekreten 
und Exkreten mit besonderer Berücksichtigung der Fäces. (Boas’ Arch., 
Bd. 18 H. 5, S. 636.) Empfehlung des Nilblausulfats, welches neutrales 
Fett rosarot/ Fettsäuren tiefdunkelblau bis hellblau, Fettsäurenadeln 


und Seifen gar nicht färbt. Muskelfasern werden hellblau oder grünlich¬ 
blau, Cellulose grünblau, Bakterien und Hefezellen blau, Bindegewebe 
und Schleim bleiben ungefärbt, ebenso Stärkekörner. Ewald. 

W. Falta und L. Zehner-Wien: Ein Fall von Gicht, Bit 
Thorilm X behandelt. (Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Mit¬ 
teilung in der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien, Sitzung vom 
6. Dezember 1912, Referat siehe den Sitzungsbericht. P. Hirsch. 

R. W. Cruickshank - Egnsham: Bemerkung über das Ratten¬ 
bissfieber. (Brit. med. journ., 23. November 1912, Nr. 2708.) Kranken¬ 
geschichte mit Temperaturtabellen eines in England beobachteten Falles 
von Rattenbissfieber. Wey de mann. 

Siehe auch Pharmakologie: Satz mann, Aufhebung der narkoti¬ 
schen Wirkung bei gleichzeitiger Aufnahme von Fett. — Allgemeine 
Pathologie und pathologische Anatomie: Chiari, Traumatische 
Entstehung von akuter Bronchitis. — Therapie: Osten, Dauerdrainage 
bei Ascites. Emmerich, Therapie der Cholera asiatica. — Augenheil¬ 
kunde: Cosmettatos, Metastatische Ophthalmie infolge Pneumonie. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Fabritius - Helsingfors: Zur Frage nach der Gruppierung der 
motorischen Bahnen im Pyramidenseitenstrang des Menschen. (Deutsche 
Zeitschr. f. Nervenheilk., Bd. 45, H. 3.) Polemik gegen Kehrer (siehe 
Bd. 41). F. hält auch auf Grund weiterer, genau analysierter Fälle 
daran fest, dass die Pyramidenstrangfasern im Rückenmark gruppen¬ 
förmig und nicht diffus angeordnet sind. 

Lasarew - Kiew: Wird das zu therapeutischen Zwecken io den 
Organismus eingeführte Quecksilber in die Cerebrospinalflüssigkeit ab¬ 
geschieden? (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk., Bd. 45, H. 3.) Das 
eingeführte Hg geht nicht in die Cerebrospinalflüssigkeit über, in welcher 
Form es auch dem Organismus zugeführt wird. Die Hg-Wirkung kommt 
also durch das Blut zustande. In welcher Form es hier circuliert, ob 
als Albuminat oder als freie Ionen, ist noch nicht bekannt. 

K. Kroner. 

R. Hoffmann - München: Lumbale Hypophysininjektionen. (Zeit¬ 
schrift f. klin. Med., Bd. 76, H. 5 u. 6.) Der nach Durchschneidung 
des Hypophysenstieles eintretende Tod von Versuchstieren hat seinen 
Grund darin, dass durch diese Kontinuitätstrennung der Uebertritt des 
kolloidalen Hypophysensekrets in den dritten Ventrikel bzw. in den 
Liquor cerebrospinalis unmöglich gemacht wird. Es müsste untersucht 
werden, ob die letale Wirkung der Durchschneidung des Hypophysen¬ 
stieles durch lumbale Injektion von Hypophysin aufgehalten wird. Nach 
intralumbalen Hypophysininjektionen bei Kaninchen sah Verf. starke 
Kontraktionen der Blase. Beim Menschen können ähnliche Versuche 
eventuell durch Epiduralmjektionen an der Blase des Tabikers und am 
wehenschwachen Uterus gemacht werden. Vielleicht kommt das Hypo- 
pbysin für den Stoffwechsel des Centralnervensystems in Betracht. 

H. Hirschfeld. 

Otto Veraguth - Zürich: Die Grundlagen der Psychotherapie. 
(Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 50. Klinischer Vortrag. 

Wolfsohn. 

B. Revesz-Hermannstadt: Psychiatrische Fürsorge auf dem 
Kriegsschauplätze. (Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Eine 
systematisch durchgeführte psychiatrische Fürsorge im Kriege ist zum 
ersten Male im russisch japanischen Kriege organisiert worden, und zwar 
hauptsächlich auf russischer Seite. In Ermangelung sonstigen statisti¬ 
schen Materials müssen unsere psychiatrische Bestrebungen auf den dort 
gesammelten Erfahrungen basieren. Es erscheint heutzutage als ein 
sehr wichtiger Zweig des Militärsanitätswesens, psychiatrische Spezialisten 
auf den Kriegsschauplatz zu entsenden und eigene Militärsanitäts- 
abteiluDgen für psychisch erkrankte Kombattanten in der Nähe der 
Feuerlinie zu etablieren. P. Hirsch. 

Soh uhart-Dresden: Sieben Fälle von psychischer Erkrankung nach 
gynäkologischer Behandlung geheilt. (Münchener med. Wochenschr., 
1912, Nr. 48.) Erwiderung auf die Arbeit von Ortenau in Nr. 44 der 
Münchener med. Wochenschr. 

P. Mathes - Graz: Psychiatrie in der Gynäkologie. (Münchener 
med. Wochenschr., 1912, Nr. 51.) Auch M. nimmt gegen Bossi, der viele 
psychiatrische Erkrankungen durch gynäkologische Behandlung heilen 
will, energisch Stellung. Dünner. 

Müller - Marburg: Die Epidemiologie der sogenannten spinalen 
Kinderlähmung. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilkunde, Bd. 45, H. 3.) 
Die spinale Kinderlähmung ist eine contagiöse Krankheit, die auch durch 
scheinbar gesunde Zwischenpersonen übertragen werden kann. Die aus¬ 
gesprochene Prädisposition des frühen Kindesalters beruht aut einer be¬ 
sonderen Affinität zum Lymphapparat. 

H. Curschmann - Mainz: Ueber familiäre atrophische Myotonie. 
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk., Bd. 45, H. 3.) Die Krankheit ent¬ 
wickelt sich langsam und schleichend. Die myotonischen Beschwerden 
sind die ersten, dann folgt die Störung der Sprache, später Paresen und 
Atrophien, zuletzt Ataxie; ausserdem Aufhebung der Potenz und der 
Sehnenreflexe, vasomotorische Störungen, allgemeine Abmagerung, zu¬ 
nehmende Asthenie. Die Atrophie betrifft gewöhnlich am meisten den 
M. sternocleidomastoideus und die distalen Teile der Extremitäten. Die 
aktive Myotonie beschränkt sich an den oberen Ertremitäten ausscbliess- 


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36 BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. _ _Nr. 1. 


lieh auf die Faustschliesser und Fingerspreizer. Von den Kopfmuskeln 
ist nur die Zunge myotonisch. Auch die elektrische Myotonie beschränkt 
sich auf wenige Muskeln. Dieses schon von Steincrt erkannte Krank¬ 
heitsbild ist mit der Thomsen’schen Krankheit nicht identisch, vielmehr 
ihr koordiniert. Die Ursache der Erkrankung liegt nicht im Muskel, 
sondern wahrscheinlich in einer Störung der inneren Sekretion, wie dies 
Erb auch früher schon für die Thomsen’sche Krankheit vermutet hat. 

K. Kroner. 

J. Krön: Ein Fall von operativ entfernten Kleinhirnbröcken- 
winkeltnmor. (Neurolog. Centralbl., 1912, Nr. 24.) Die 34jährige 
Patientin hatte sich fünf Jahre vor der jetzigen Erkrankung zweimal 
eine Kopfverletzung zugezogen. Allmählich zeigten sich eine fort¬ 
schreitende linksseitige Gehörsabnahme, Parakusien, Kopfschmerzen, Ubn- 
machtsanfälle, dann eine linksseitige, später auch rechtsseitige Opticus¬ 
atrophie, Fehlen des linken Corneal- und Scleralreflexes, Adiadokokinesis. 
Die Diagnose lautete auf linksseitigen Kleinhirnbrückenwinkel- bzw. 
Acusticustumor. Die Operation ergab eine Geschwulst von der Grösse 
eines kleinen Apfels und wechselnder Konsistenz; die Geschwulst be¬ 
stand mikroskopisch aus dünnen Bindegewebsfibrillen, es handelte sich 
um ein Fibrom, das aber den Charakter eines Fibrosarkoras bzw. Fibro- 
myxoms annahm. Zwölf Stunden post operationem Exitus. 

E. Tobias. 

C. Tsiminakis-Athen: Nucleinsänrebebandlong der progressiven 
Paralyse. (Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 49.) Bei 7 von 
14 Fällen wurde durch Nucleinsäureinjektionen sichtliche Remission 
erzielt. 6 dieser Patienten konnten nach der Therapie ihren Beruf 
wieder aufnehmen. Die Nucleinsäurebehandlung ist nach T.’s Erachten 
der Tuberkulintherapie vorzuziehen. P. Hirsch. 

Siehe auch Parasitenkunde und Serologie: Andersou und 
Frost, Uebertragung der Poliomyelitis durch Stallfliegen. — Kinder¬ 
heilkunde: Müller, Frühstadien der Kinderlähmung. — Innere 
Medizin: Dolgopol, Erkrankung des Nervus ulnaris nach Unterleibs¬ 
typhus. 


Kinderheilkunde. 

M. Thiemich-Magdeburg: Zur Stilltechlik. (Monatsscbr. f. Kinder¬ 
heilkunde, 1912, Bd. 11, Orig., S. 405.) Th. wendet sich gegen die 
Meinung Rietschel’s (siehe diese Wochenschr., 1912, S. 848), dass ein 
Teil der Brustkinder in den ersten Lebenswochen mit 5—6 Brustmahl¬ 
zeiten nicht auskomme, sondern 7—8 Mahlzeiten in 24 Stunden brauche. 
Er glaubt, dass ein Beobachtungsfehler Rietschel’s vorliege, indem er 
die Kinder bei jeder Mahlzeit nur an einer Brust trinken lasse. Dieses 
Verfahren sei jedoch durchaus nicht nachahmenswert. Werden Kinder, 
die an nicht sehr ergiebigen Brüsten trinken, beim Anlegen an einer 
Brust nicht satt, so müssten sie bei jeder Mahlzeit an beide Brüste an¬ 
gelegt werden. 

B. Bendix und J. Bergmann: Ueber das sogenannte Kochsalz* 
fleber. (Monatsschr. f. Kinderheilk., 1912, Bd. 11, Orig., S. 387.) Die 
Autoren bestätigen das Resultat der Untersuchungen Samelson’s (ref. 
diese Wochenschr., 1912, S. 1746), nach denen das sogenannte Koch¬ 
salzfieber ein Kunstprodukt ist, das sich vermeiden lässt, wenn mit aus¬ 
reichend sterilen Lösungen gearbeitet wird. 

F. Schaefer-Göttingen: Ein Fall von angeborener Pylorusstenose 
(Typus Landerer-Maier) beim Säugling und Entwicklung des Sanduhr¬ 
magens. (Jahrb. f. Kinderheilk., 1912, Bd. 76, S. 695.) Bei dem Kinde 
fand sich ein kleiner fistulöser Pylorus ohne jede Entwicklung eines 
Sphincters, ein kompensatorisch erweiterter und hypertrophierter, in 
zwei Teile zerlegter Magen. Die klinische Beobachtung ergab eine Reihe 
interessanter Momente: das nur periodische Auftreten des Magen¬ 
verschlusses und eine Intoxikation infolge einer schnellen Steigerung der 
Nahrungszufuhr nach einem längeren relativen Hungerzustande, wie es 
bereits L. F. Meyer und Rietschel bei gleichartigen Fällen beschrieben 
haben. 

Trumpp - München: Rectaler Sehleimepithelpfropf und Darm¬ 
stenosen beim Neugeborenen. (Jahrb. f. Kinderheilk., 1912, Bd. 76, 
S. 678.) Kasuistik. 

F. Lust: Ausscheidung von znckerspaltenden Fermenten beim 
Säugling. (Monatsschr. f. Kinderheilk., 1912, Bd. 11, Orig., S. 302.) — 
H. Hahn und F. Lust: Ausscheidung von eiweiss-, stärke- und fett¬ 
spaltenden Fermenten beim Säugling. (Monatsschr. f. Kinderheilk., 
1912, Bd. 11, Orig., S. 311.) — F. Lust: Nachweis der Verdauungs¬ 
fermente in den Organen des Magendarmkanals von Säuglingen. (Monats¬ 
schrift f. Kinderheilk., 1912, Orig., S. 411.) Die Bedeutung der Fermente 
in der Pathologie der Ernährungsstörungen ist abzulehnen, wie das 
Czerny schon vor Jahren getan hatte. Im einzelnen stellten die Verff. 
fest, dass bei einem umfassenden Material und bei keiner Art von Er¬ 
nährungsstörung ein tatsächlicher Mangel von Trypsin oder Erepsin, 
ebensowenig des stärke- sowie der beiden disaccharidspaltenden Fermente, 
des Invertins und der Maltase vorlag. Nur bei nicht lebensfähigen 
Frühgeburten ist die Laktase gewöhnlich nicht vorhanden. Die Magen¬ 
schleimhaut besitzt eine kräftige lipolytische Fähigkeit, die unter dem 
Einfluss von Ernährungsstörungen zu leiden scheint. Auch die Lipase 
des Pankreas vermag Störungen der Ernährung und augenscheinlich 
speziell der alimentären Intoxikation keinen Widerstand zu leisten. 


St. Ostrowski - Petersburg: Urobilinuric und Urobilinogenurie 
bei Brustkindern. (Jahrb. f. Kinderheilk., 1912, Bd. 76, S. 645.) Die 
vom Vcrf. untersuchten Kinder des ersten Lebensjahres gaben — soweit 
es sich um gesunde Brustkinder handelt — stets ein negatives Resultat 
bei der Probe auf Urobilin (Schlesinger) und Urobilinogen (Ehrlich). 
Bei Kindern mit verschiedenen Erkrankungen war die Urobilinogen- 
reaktion in ca. 39 pCt. der Fälle positiv, die Urobilinprobe in 19 pCt. 

K. Sugi-Japan (z. Z. Prag): Ein Beitrag zur Frage der dallengang- 
Stenose beim Nengeborenen. (Monatsschr. f. Kinderheilk., 1912, Bd. 11, 
Orig., S. 294.) Es handelt sich um ein 3 Wochen altes Kind, das unter 
den Zeichen einer hämorrhagischen Diathese ohne Icterus zugrunde ging. 
Bei der Obduktion fand sich eine Stenose des Ductus hepaticus und 
seiner beiden Hauptäste auf entzündlicher Genese. Das entzündliche 
Gewebe fand sich auch in der Leber, hauptsächlich um die Gallenwege. 
Die Erkrankung war nicht luetischer Natur, und die Natur des sehr 
jungen Granulationsgewebes deutet nach Verf. darauf hin, dass die Er¬ 
krankung (Infektion?) erst kurz nach der Geburt eingesetzt hatte. 

H. Köppe-Giessen: Ein Fall von „StiN’scher Kraikheit“. (Jahrb. 
f. Kinderheilk., 1912, Bd. 76, S. 707.) Das Krankbeitsbild: periodisch 
auftretendes Fieber, schmerzlose chronische Verdickung und Versteifung 
der Gelenke, Pericarditis, Milzvergrüsserung, multiple Lymphdrüsen- 
schwellung kam bei einem 3 Jahre alten Kinde zur Beobachtung. 
Tuberkulose lag Dicht vor. 

Ed. Mül ler - Marburg: Die Frühstadien der epidemischen Kinder¬ 
lähmung. (Monatsschr. f. Kinderheilk., 1912, Bd. 11, Orig., S. 281.) 
Aus dem auf dem 1. Internationalen Kongress für Kinderheilkunde in 
Paris (Oktober 1912) erstatteten Referat seien aus dem beschriebenen 
vielgestaltigen Krankheitsbilde des Frühstadiums die folgenden Symptome 
der Reihe nach aufgezählt: Die symptomlose Inkubationszeit beträgt 
1 —10 Tage, dann folgen fieberhafte Allgemeinerscheinungen, Erkrankungen 
des Kespirationsapparates, Conjunctivitis, Magen- und Darmerscheinungen, 
Zeichen der Eutzüudung der Knochenmarks- und Hirnhäute, Haut¬ 
eruptionen (Exantheme, Herpes zoster), Hyperästhesie, Lymphocytose 
und vermehrter Eiweissgehalt in der Lumbalflüssigkeit, Leukopenie, 
Lähmungen. Die durchschnittliche Mortalität beträgt 10 bis 15 pCt. 
Einzelheiten müssen im Original eingesehen werden. 

Jemma- Palermo (übersetzt von Romeo Monti-Wien): Leish- 
man’sehe Anämie. (Monatsschr. f. Kinderheilk., 1912, Bd. 11, Orig., 
S. 321.) Die Leishman’sehe Anämie kommt hauptsächlich an den Küsten 
des Mittelmeeres vor und ist eine chronische, meist tödliche Infektions¬ 
krankheit des frühen Kindesalters. Sie ist charakterisiert durch Fieber, 
Anämie, progressive Milzschwellung und Abmagerung. Sie wird durch 
einen Parasiten hervorgerufen, der mit dem der Kala-azar-Kranken in 
Indien identisch ist. Derselbe Parasit findet sich bei Hunden, die die 
Träger der Krankheit sind, während Flöhe, Fliegen und Wanzen die 
Zwischenwirte zu sein scheiuen. Der Erreger ist im Blut, Milzsaft, 
Knochenmark und Lebersaft nachweisbar. Eine biologische Methode des 
Nachweises der Krankheit ist bisher nicht gefunden. Von bisher ge¬ 
brauchten Mitteln scheinen die Arsenpräparate den Heilungsprozess zu 
begünstigen. 

Rolli er-Leysin: Die Sonnenbehandlang der Taberknlose. (Monats¬ 
schrift f. Kinderheilk., 1912, Bd. 11, Orig., S. 357.) Nach dem Vortrage 
in der Gesellschaft für Kinderheilkunde in Münster 1912; cf. diese 
Wochenschr., 1912, S. 2202. R. Weigert. 

A. G. L. Re ade und F. G. Ca ley- London: Der Wert der Röntgen¬ 
strahlen bei der Diagnose der Tuberkulose bei Kindern. (Lancet, 
30. November 1912, Nr. 4657.) 28 Kinder im Alter von 7 bis 16 Jahren;, 
bei allen war die v. Pirquet’sche Probe positiv, Klinisch: Abmagerung, 
Kopfschmerzen, Müdigkeitsgefühl, Appetitlosigkeit. Sie zeigten deutliche 
Schatten an der Lungenwurzel, die an Grösse und Gestalt wechselten 
und oft eine lineare Form hatten, entsprechend den grösseren Bronchien. 
Die rechte Seite zeigte die Schatten im allgemeinen deutlicher. Die 
physikalische Untersuchung der Lungen war in 16 Fällen negativ, in 
7 nur zeitweise positiv. Wey dem an n. 

W. Beyer-Rostock: Antitoxinnntersnchungen bei Diphtherie¬ 
kranken, die mit Heilserum behandelt wurden. (Deutsche med. Wochen¬ 
schrift, 1912, Nr. 50.) B. hat sich der dankenswerten Aufgabe unter¬ 
zogen, die Antitoxinwerte bei Diphtheriekranken zu verschiedenen Zeiten 
nach der intracutanen Methode im Tierexperiment (Römer) auszutitrieren. 
In keinem einzigen Falle frischer Diphtherie konnte er Antitoxin im 
Blute nachweisen, wohl aber bei nicht diphtherischen Anginen, oft sogar 
in sehr reichem Maasse. Untersuchte er das Blut kurz nach einer intra¬ 
venösen Seruminjektiou, so konnte er fast die gesamte injizierte Anti¬ 
toxinmenge darin nachweisen. Viel ungünstiger war die Resorption bei 
subcutaner Einspritzung. Soll eine rasche Wirkung erzielt werden, so 
muss daher der intravenöse Weg gewählt werden. Es kommt weniger 
darauf an, die Antitoxindosis zu steigern, sondern vielmehr auf eine 
rechtzeitige Einverleibung, bevor das Gift Zeit gehabt hat, sich an die 
lebenswichtigen Organe zu verankern. Der Antitoxingehalt des Blutes 
nimmt nach der Serumeinspritzung allmählich ab. Nach 4—6 Wochen, 
in der Zeit der Rekonvaleszenz, fehlt er bereits vollkommen. 

R. Koch - Frankfurt a. M.: Zur Bedeutung des Vorkommens von 
Diphtheriebacillen im Harn. (Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) 
K. untersuchte 111 Urinproben von 26 Diphtheriekranken in ver¬ 
schiedenen Perioden der Krankheit. Bei 2 Patienten fand er (in 4 Proben) 
tierpathogene Diphtheriebacillen. In 10 anderen Proben, 5 Patienten 


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f». Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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betreffend, wurden dipbtheroide Stäbchen gefunden, deren Identifizierung 
nicht gelang. Aehnliche Stäbchen fanden sich auch bei Scharlach¬ 
kranken, die frei von Diphtherie waren, viermal. Die Befunde von tier¬ 
pathogenen Bacillen bezogen sich nur auf das Frühstadium schwerer 
Erkrankungen, die an Herz- und Gefässläbmung starben. 

Wolfsobn. 

F. v. Ssontagh - Budapest: Angina und Scharlach. (Jahrb. f. 
Kiuderheilk., 1912, Bd. 76, S. 654.) Verf. setzt seinen Kampf, den 
Scharlach mit der Angina zu identifizieren und seiner Spezifität zu ent¬ 
kleiden, fort. R. Weigert. 

Siehe auch Parasitenkundc und Serologie: Graf, Giftbildung 
in Dipbtberiebacillenkultur. — Psychiatrie und Nervenkrank¬ 
heiten: Müller, Epidemiologie der spinalen Kinderlähmung. 


Chirurgie. 

H 0ffergeId-Frankfurt a. M.: Ueber Scopolamin zum Ersatz und 
zur Einleitung der Inhalntionsnarkose. (Deutsche med. Wochensehr., 
1912, Nr. 50) Mit Pantopon-Scopolamin können wir in relativ unge¬ 
fährlicher Weise eiuen narkoseähnliehen Traurazustand hervorrufeu und 
Allgemeinnarkose einleiten. Die Gefahren der Allgemeinnarkose können 
dadurch, bei genügender Kautele, wesentlich verringert werden. In der 
Geburtshilfe ist die Gefahr der Nachblutung bei Scopolaminanwendung 
zu berücksichtigen und durch rechtzeitige Ergotingaben zu bekämpfen. 
Bei Myodegeneratio cordis ist in der Dosierung des Scopolamius grosse 
Vorsicht geboten. Albuminurie, Lungentuberkulose und allgemeine 
Schwäche sind an sich keine Kontraindikation, ebensowenig Glykosurie, 
während echter Diabetes zur grössten Vorsicht mahnt. 

Wolfsohn. 

E. Borchers: Zur Technik der Chloräthylnarkose. (Münchener 

med. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Dünner. 

H. Bardach-Wien: Vorläufige Mitteilungen über eine neue Mög¬ 
lichkeit, Blotgefäsfiö io unterbinde!. (Wiener ktin. Wochenschr., 1912, 
Nr. 50.) B. verwendet zu seinen Versuchen dünnste Gumraischläuohe 
(von 1,7 mm Durchmesser), um eine „elastische Ligatur“ zu erzielen. 
Es gelang auf diese Weise, die Arterien von Hunden, Katzen und 
Kanincheu für 24 Stunden ausser Betrieb zu setzen, ohne merklichen 
Schaden am Leitungsrohr anzurichten. Nach dieser Zeit konnte die 
„temporäre Ligatur“ wieder gelöst werden, ohne dass die Leistungs¬ 
fähigkeit des Arterienrohres gestört war. 

F. Tedesco-Sant’Anna do Livramento: Ein Fall von geheilter 

Sehnssvcrletinng des Heriens. (Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 49.) 
T. berichtet über einen Fall von Schussverletzung des Herzens, bei dem 
er genötigt war, unter den ungünstigsten äusseren Bedingungen 
(mangelnde Asepsis, schlechtes Instrumentarium usw.) die Herznaht aus¬ 
zuführen. Der Patient wurde gerettnt. P. Hirsch. 

E. Kondolöon-Athen: Die chirurgische Behandlung der elephan- 
tiastischen Oedeme durch eine neue Methode der Lympbableitung. 
(Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Bei veralteten Fällen von 
Elephantiasis findet man sehr schwere Veränderungen der Fascien, die 
schon makroskopisch auffallen. Wenn man dem Lymphwege Abfluss 
durch die Muskulatur verschaffen will, so muss man Stücke der 
Eascie exzidäeren. Eine Reibe Fälle, die K. auf diese Weise behandelte, 
zeigten sehr guten Erfolg. Dünner. 

Hagedor n - Görlitz: Zur Behandlung von Oberkiefer fraktnren. 
(Deutsche raed. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) In einem Falle von Bruch 
einer Oberkieferhälfte mit Verschiebung des Processus alveolaris und 
palatinus nach rückwärts oben wandte H. folgenden Verband an: zwei 
dünne Eisenbügel werden maulkorbartig angegipst, der eine vertikal, 
der andere horizontal vor dem Mund in Abstand von 10—12 cm. Durch 
den Processus palatinus werden zwei Löcher gebohrt; durch diese wird 
ein dicker Bronzedraht gezogen und auf dem horizontalen Bügel be¬ 
festigt. Er zieht das frakturierte Fragment nach vorn und hält es gut 
in dieser Lage. In dem mitgeteiten Fall konnte der Verband nach zwölf 
Tagen abgenommen werden. Es war dann ein absolutes Festsitzen in 
normaler Lage erzielt. Wolfsohn. 

H. Finsterer: Ein Fall von Chleresarkom des Oberkiefers, 
(v. Bruos’ Beitr. z. klin. Cbir., 1912, Bd. 81.) Mitteilung eines operierten 
Falles von grüügefärbtem Oberkiefersarkom bei einem 3 jährigen Knaben. 
Die histologische Untersuchung ergab: myelogeues kleinzelliges Rund- 
zelieosarkom. Wegen fehlender Blutuntersuchuog ist eine sichere Ein¬ 
reihung des Tumors nicht möglich; jedenfalls stellt er eine Rarität dar, 
da eigentliche Sarkome fast nie Grünfärbung zeigen, bei den Chloromen 
hingegen das isolierte Auftreten eines Kiefertumors selten ist. Um 
Todesfälle bei den Sarkomen der Kinder zu vermeiden, wird die Aus¬ 
schaltung des Cbloroformes bei der Narkose gefordert. 

W. V. Simon. 

A. Strauss - Barmen: Weiterer Beitrag zur Chemotherapie der 
unseren Taherkalese. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) 
Vortrag auf der Naturforscherversaramlung in Münster, September 1912. 
Vgl. Kongressbericht dieser Wochenschrift. Dünner. 

G. Perthes - Tübingen: Ueber die Behandlung der Knochen- nnd 
Gelenktnberknlaee. (Therapie d. Gegen w., November 1912.) Fort- 
bildungsvortrag für Aerzte, gehalten am 15. Januar 1912. 

R. Fabian. 


K. Ungar - Hermannstadt: Ueber das gleichzeitige Vorkommen von 
Ulcns rotnndnm nnd Myom des Magens. (Deutsche med. Wochenschr., 
1912, Nr. 50.) Hühnereigrosses Leiomyom an der grossen Curvatur, 
über welchem die Schleimhaut eine runde Ulceration zeigt. Ein zweites 
Ulcus an der kleinen Curvatur. Exzision des Tumors und der beiden 
Ulcera. Heilung. Wolfsohn. 

R. Rubesch und K. Sugi: Experimentelle Untersuchungen über 
die Entstehung traumatischer Blatangen in der Appendix. (Beitr. z. 
klin. Chir., 1912, Bd. 80, H. 3.) Durch Kaninchenversuch wurde gezeigt, 
dass capilläre Blutungen in Wurmfortsätzen schon durch die blosse 
Appendektomie sowie durch blossen Druck auf den Wurmfortsatz oder 
durch künstlich erzeugte Circularstörungen entstehen können. Diese 
Blutungen konnten auch in sogenannten „gestohlenen“, von Ent¬ 
zündung freien menschlichen Appendices, und zwar gerade dort am 
reichlichsten naebgewiesen werden, wo bei der Operation auf den Wurm¬ 
fortsatz ein Druck stattgefunden hatte. Da die iu akut erkrankten 
menschlichlichen Wurmfortsätzen vorkommeuden Blutungen vollkommen 
den so künstlich erzeugten gleichen, kann solchen Blutungen insolange 
keine andere als traumatische Aetiologie zugesprochen werden, als für 
eine entzündliche Entstehung keine auderen Beweise als die bisherigeu 
Yorliegen. W. V. Simon. 

Th. Wilson-Birmingham: Cysten des Wurmfortsatzes. (Lancet, 
30. November 1912, Nr. 4657.) Zwei Fälle von Pseudomyxoma peritonei 
ausgehend von Cysten des Wurmfortsatzes. Das gelatinöse Material 
wurde leider nicht chemisch untersucht. 

Tb. W. Eden-London: Ein Fall von Pseudomyxoma peritonei. 
(Lancet, 30. November 1912, Nr. 4657.) Die Patientin wurde innerhalb 
2V 2 Jahren zweimal wegen des Pseudomyxoms operiert, das erst von 
einer Cyste des rechten, dann des linken Ovariums ausging. Bei der 
letzten Operation fand sich auch der Wurmfortsatz erweitert und mit 
einer klaren, gelben Gallert gefüllt. Das gleichzeitige und unabhängige 
Vorkommen der Erkrankung am Ovarium und Wurmfortsätze, zwei Or- 
gauen mit ganz verschiedenem Epithel, ist bisher noch nicht berichtet. 

Wey de mann. 

J. Hertle*. Polypenbildnng am Orificiom nrelhrae der weiblichen 
Harnblase bei Cystitis. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chiturgie, 1912, 
Bd. 81.) 37 jährige Frau, schon wegen spitzer Condylome der Vulva und 

Karunkeln der Urethra wiederholt behandelt, stellte sich mit cystitischem 
Harn und partieller Urinverhaltung wieder ein. Die Cystoskopie ergab 
neben cystitischen Veränderungen der Blasenwand das Vorhandensein 
von kranzförmig um das Orif. internum urethrae angeordneter, gegen die 
Blase hervorragender Gebilde, welche zunächst den Eindruck von 
Papillomen machten und die in einer grösseren Reihe von Sitzungen 
mittels kalter Schlinge abgetragen wurden. Die histologische Unter¬ 
suchung ergab, dass es sieh nicht um wirkliche Gescbwulstbildung, 
sondern um entzändliche Exkreszenzen handelte, welche wohl ätiologisch 
und pathologisch-anatomisch auf dieselbe Basis mit durch chronische 
Urethritis und Vulvovaginitis unterhaltenen entzündlichen Karunkeln 
(s. Condylomata acurainata) gestellt werden dürfen. 

W. V. Simon. 

Siehe auch Psychiatrie und Nervenkrankheiten: Krön, 
Operativ entfernter Kleinhirnbrückenwinkeltumor. — Diagnostik: 
Lacbmaun, Schulterschmerz bei Appendicitis. 


Röntgenologie. 

E. Stierlin und N. Schapiro - Basel: Die Wirkung von Morphium, 
Opinm und Pantopon auf die Bewegungen des Verdannngslractos beim 
Menschen und Tier. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) 
Morphin wirkt auf den Magen verschieden: es verzögert bei jugend¬ 
lichen Individuen die Magenentleerung; bei Erwachsenen ist diese 
Wirkung schwächer. Im Dünndarm hat Morphin oft eine Verzögerung 
der Fortbewegung des Chymus zur Folge. Der Tonus zeigt gewöhnlich 
keine deutliche Veränderung. Der Dickdarm bleibt vom Morphin auch 
in grossen Dosen unbeeinflusst. Prinzipiell ähnlich wirken Opium und 
Pantopon. Bei chronisch-diarrhoischer Enteritis mit Hypermotilität des 
Dünn- und Dickdarras bewirkt Opium eine Verzögerung der Dünndarm¬ 
passage, während Colon bis zur Flexura sigmoidea ungefähr gleich rasch 
durcheilt wird. Die Flexur blieb viel länger gefüllt. Die stopfende 
Wirkung der Opiate kann nicht in allen Fällen in der Herabsetzung der 
M&gendünndarmmotilität ihre Erklärung finden; es scheint vielmehr die 
Verzögerung des centralen Defäkationsreflexes und der dadurch bedingte 
verlängerte Aufenthalt des Kotes im S romanum einen grossen Anteil 
an dieser Wirkung zu haben. 

F. Meyer-Betz-München: Zur Kenntnis der normalen Dickdarm- 
bewegnng. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Aus den 
Versuchen geht hervor, dass im Dickdarm eine selbständige fort¬ 
schreitende Peristaltik besteht im Sinne der Rieder’schen „wogenden 
Bewegungen“; die Annahme eines vis a tergo, d. h. die lebendige Kraft 
der in oberhalb gelegene Darmpartien einströmenden Massen, ist über¬ 
flüssig. Untersuchungen mit Physostigmin ergaben, dass es auf die 
Peristaltik des ganzen Darmkaoals wirkt; nach einiger Zeit trat an 
Stelle der beschleunigten Peristaltik ein mehr spastischer Zustand der 
Darmmuskulatur und eine besonders starke Anregung zu „kleinen Colon¬ 
bewegungen“ (Schwarz) ein, die mehr hemmend auf den weiteren Trans- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 1. 


38 


port einwirkten. Am Magen hatte sich eher eiue Verlangsamung als 
eine Beschleunigung der Entleerung geltend gemacht. Dünner. 

Siehe auch Kinderheilkunde: Reade und Caley: Röntgen 
Untersuchung bei der Diagnose der Kindertuberkulose. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

W. Heuck-Bonn: Erfahrungen über Behandlung Hantkranker 
aiit Menseheigemm. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 48.) 
Die von Bruck empfohlene Blutwasehung bei Dermatosen ist nach den 
Erfahrungen von H. ohne wesentlichen Wert. Die von Linser inaugu¬ 
rierte Behandlung von Hautkrankheiten mit Seruminjektionen gesunder 
Menschen verspricht bei manchen chronischen juckenden Affektionen, 
besonders Urticaria, Strophulus infantum und Pruritus senilis gute 
Resultate; bei blasigen Affektionen konnte mit einer Besserung keine 
Heilung erzielt werden, bei akuten und chronischen Ekzemen und bei 
Psoriasis ist ein Erfolg nicht zu erwarten. Die intravenöse Serura- 
behandlung ist wegen der besseren Wirkung der subcutanen vorzuziehen. 

Dünner. 

W. Wechselmann: Ueber den gegenwärtigen Stand der Sal¬ 
varsan therapie der Syphilis. (Therapie d. Gegenw., November 1912.) 
Die spezifische Wirkung des S. ist jetzt allgemein anerkannt. Re¬ 
fraktäre Fälle sind nach den Erfahrungen W.’s nicht mehr beobachtet 
worden, nachdem die Scheu vor wiederholten Salvarsaninjektionen auf¬ 
gegeben worden ist. Die Wirkung auf maligne quecksilberresistente 
Lues ist absolut sicher. Das S. ist dem Hg bei der Syphilis des 
centralen Nervensystems weit überlegen. Auch sind die Erfolge bei der 
Tabes und Paralyse grösser, als anfangs erwartet wurde. Eiue wesentliche 
Toxizität besitzt Salvarsan in den angewendeten Dosen nicht, wenn 
auch gelegentlich Vergiftungserscheinungcn bzw. auf Ueberempfindlichkeit 
beruhende Nebenwirkungen sich einstelleu können. Verf. ist der An¬ 
sicht, dass fast alle Todesfälle Retentionstoxikosen darstellen und 
meistens bei kombiniert behandelten Patienten eingetreten sind. 
Was die Heilung der Lues durch Salvarsan betrifft, so hat Verf. 
Recidive ungleich sei teuer und ungleich milder auftreten gesehen als 
nach Quecksilber. Meistens besteht das Ilecidiv nur in der Wiederkehr 
der Wassermanu’schen Reaktion und ist wahrscheinlich auf zu früh ab¬ 
gebrochene Kuren zurückzuführen. R. Fabian. 

V. L. Neumayer-Kljuc: Versuch einer „Richtnng“ bzw. Anreiche¬ 
rung der Salvarsanwirknng. (Münchener med. Wochenschr., 1912, 
Nr. 48.) N. geht von der Voraussetzung aus, dass man schlecht vascu- 
larisierteu Körperteilen zu wenig Salvarsan zuführen kann; er staut 
sofort nach der Injektion die betreffenden Partien. Auf diese Weise 
gelang es ihm, ein Neurorecidiv zu heileu. Er empfiehlt die Methode 
bei gummösen Prozessen usw. Dünner. 


Geburtshilfe und Gynäkologie. 

J. Sonnenfeld-Berlin: Ovaradentriferrin and Dürkheimer M&x- 
quelle für die gynäkologische Praxis. (Deutsche med. Wochenschr., 
1912, Nr. 50.) Dürkheimer Maxquelle ist besonders bei chlorotischeu 
und anämischen Patientinnen erfolgreich, desgleichen bessert sie die 
klimakterischen vasomotorischen Störungen. Ovaradentriferrintabletten 
werden für Menstruationsanomalien und klimakterische Stoffwechsel¬ 
veränderungen empfohlen. Wolfsohn. 

W. Nacke: Hand von der Geb&rmitter. (Centralbl. f. Gynäkol., 
1912, Nr. 50.) Verf. spricht sich energisch im Sinne des früher refe¬ 
rierten gleicbbetitelten Artikels von Ahlfeld aus und tritt für möglichst 
konservatives Verhalten in der Geburtshilfe, speziell bei der Nach¬ 
geburtsperiode ein. Solche Artikel sollten recht häufig vom praktischen 
Arzte gelesen werden und gehören viel mehr in eine allgemeine medi¬ 
zinische Zeitschrift, als in eine spezialistische Fachzeitschrift. Unsere 
Zeit neigt, was die Geburtshilfe anlangt, entschieden zum voreiligen und 
indikationslosen Eingreifen, und es wird leider nur zu oft vergessen, 
dass der Praktiker sich nicht dieselben Freiheiten gestatten darf, wie 
der Fachmann. Die Folgen sind schwer gut zu machen und leider nur 
zu oft recht betrübende. Siefart. 

H. Meyer-Ru egg- Zürich: Das Oedema acutum cervicis nleri 
gravidi et parturientis. (Korrespondenzbl. f. Schweizer Aerzte, 1912, 
Nr. 31.) Verf. beschreibt einen Fall einer III para, bei dem im Beginn 
der Geburt die vordeie Muttermundslippe ödematös anschwillt und aus 
der Scheide heraustritt. Bei Bettruhe zieht sie sich wieder zurück, ver¬ 
streicht nach und nach unter den Wehen und zeigt später durchaus 
normale Verhältnisse. Im Anschluss an diesen Fall gibt Verf. eine 
Uebersicht über die bisher in der Literatur veröffentlichten Fälle. 

R. Fabian. 

A. Mueller-München: Eine neue Methode der Sectio caesarea 
clas8ica bei infiziertem Uterns. (Centralbl. f. Gynäkol., 1912, Nr. 49.) 
Auf dem internationalen Gynäkologenkongress in Berlin fand die Frage 
des Kaiserschnittes am infizierten und nichtinfizierten Uterus eingehende 
Erörterung. Während die Vertreter des extraperitonealen Kaiserschnittes 
diesen als die Zukunfsmethode hinstellten, wandteu andere, speziell 
Schauta, ein, dass eine Methode, die kompliziert sei, Eiterungen und 
langes Krankenlager machen könne und die Mortalität der Kinder nicht 
unbeträchtlich und die Dauerresultate zweifelhaft erscheinen lässt, nicht 


als die Methode der Zukunft anzusehen sein könne und nur ausnahms¬ 
weise in Betracht komme. Verf. hat nur in zwei Fällen den klassischen 
Kaiserschnitt ausgeführt, die Uteruswunde nach Vernähung aber extra¬ 
peritoneal durch die übersteheuden Lappen des Peritoneum parietale 
umsäumt, dann erst die freien Ränder des Peritoneums, Muskulatur, 
Fascie und Haut vernäht. Im unteren Wundwinkel hat er eine Oeffnung 
gelassen und in diese wie in eine Säbelscheide eine Jodoformtamponade 
gelegt. Uterusinnenlläche und Aussenseite wurden mit 92 proz. Alkohol 
abgorieben, was ausserdem den Vorzug hatte, dass der Uterus sich gut 
kontrahierte. Trotz vorübergehend hohen Fiebers in einem Fall, trotz 
schwerer Infektion des Uterusinhaltes, wie aus der grünlichen Farbe 
und dem üblen Geruch des Fruchtwassers hervorging, war das Resultat 
in beiden Fällen ein gutes. Im Prinzip hat er dasselbe getan, was 
schon von verschiedenen Seiten, wie Verf. meint, aber erst nach ihm, 
als extraperitonealer Kaiserschnitt prophylaktisch empfohlen wurde, und 
meint, dass auf diese Weiso der einfache klassische Kaiserschnitt auch 
bei infektionsverdächtigen Fällen anzuwenden ist. 

Th. Köhler: Colibakteriämie puerperalen Ursprunges. (Centralbl. 
f. Gynäkol., 1912, Nr. 50.) Zwei Fälle. 

A. Wolff-Heidelberg: Lässt sich nur aus der eytologischen Unter¬ 
suchung des Tnbeneiters die Diagnose gonorrhoische Salpingitis stellen? 
(Centralbl. f. Gynäkol., 1912, Nr. 49) Die Untersuchungen knüpfen 
an die Arbeiten von Schridde an, welcher die Behauptung aufstellt, 
dass schon der Befund in mikroskopischen, mit Methylgrün-Pyroniu ge¬ 
färbten Ausstriehpräparaten die sichere Diagnose „Gonorrhöe“ gestattet, 
da nämlich im gonorrhoischen Eiter sich stets sehr zahlreiche Plasma- 
Z'dlen vorfinden. Es war wohl von vornherein einleuchtend, dass dieser 
Folgerung kein allzu grosser Wert beizumessen ist, aus dem sehr ein¬ 
fachen Grunde schon, weil der Begriff „zahlreich“ doch ein recht labiler 
ist. Von wo ab soll man die Menge der Plasmazelleu zahlreich nennen? 
Aber auch abgesehen davon hat der Verf. jetzt nachgewiesen, dass io 
seinen Präparaten, die er als Ausstrichpräparate des Eiters gonorrhoischer 
und tuberkulöser Tuben gewonnen hat, die Zahl der Plasmazelleu 
keineswegs lür das Urteil über die Aetiologie in Betracht kommt. In 
den Fällen, in welchen Gonokokken nachzuweisen waren, schwankten 
die Plasmazellen zwischen 0,1 — 20,1; in denen, wo Tuberkelbacillen 
oder keine Bakterien nachzuweisen waren, zwischen 7,5 und 23,9. Bei 
Salpingitiden, hervorgerufen durch andersartige Eiterungen, 0,6— 9,7, bei 
chronischen Salpingitiden ohne Erregernachweis 3,6—14,9. Das Zellbild 
des Tubeneiters ist also nicht für eine besondere Form charakteristisch, 
ebensowenig ist für die ätiologische Diagnose das reichliche Vorkommen 
der Zellen der Lymphocytenreihe zu verwerten. Siefart. 

I. Schottlaender-Wien: ln welcher "Weise lässt sich die Prfih- 
operation des Gebärmutterkrebses fördern? (Wiener klin. Wochen¬ 
schrift, 1912, Nr. 49.) Sch. schliesst sich der von Frankl (W’ieuer 
klin. WOchenschr., 1912, Nr. 48) aufgestellten Forderung völlig an, dass 
zur Untersuchung von Schabselmassen und exzidierten Stückchen der 
Portio eine centrale Untersuchungsstation errichtet werden soll. Er 
weist ferner darauf hin, dass die krebsigo Erkrankung fast durchweg in 
der Umgebung des äusseren Muttermundes beginnt, er hält es daher für 
angezeigt, dass bei jeder Auskratzung der Gebärmutter nicht nur die 
Schleimhaut des Corpus, sondern prinzipiell auch diejenige der Cervix¬ 
höhle entfernt wird. Auf diese Weise wird es gelingen, Herde heraus¬ 
zubefördern, die anderenfalls der Untersuchung entgangen wären. 

P. Hirsch. 

Siehe auch Physiologie: Sack, Einfluss von Corpus luteum und 
Hypophyse auf den Stoffwechsel. — Chirurgie: Hertle, Polypen¬ 
bildung am Orificium urethrae der weiblichen Harnblase bei Cystitis. — 
Psychiatric und Nervenkrankheiten: Schubart, 7 Fälle von 
psychischer Erkrankung nach gynäkologischer Behandlung geheilt. 
Mathes, Psychiatrie in der Gynäkologie. 


Augenheilkunde. 

G. Attias: Die Nerven der Hernbant des Menschen. (Graefe’s 
Archiv, Bd. 83, H. 2.) Die sehr umfangreiche Arbeit erörtert sehr ein¬ 
gehend die Topographie der cornealen Nerven, ihre Histologie und ihr 
Verhalten zu den Gefässen, sowie die Nerven in der Hornhaut selbst. 

Agababow: Die Nerven in den Angenbäuten. (Graefe’s Archiv» 
Bd. 83, H. 2.) Jede der Augenhäute hat ihre eigenen Nerven. Ehe sie 
sich im Gewebe dieser Haut verästeln, bilden die Nerven ein ringförmiges 
oder circulares Geflecht aus markhaltigen Fasern, denen auch marklose 
zugesellt sind. Solche Geflechte finden sich in der Aderhaut um den 
hinteren Augenpol, im Corp. eil., in der Iriswurzel, im vorderen Teile 
der Sclera, in der Randzone der Cornea, ln den mit einem Endothel 
oder Epithel bedeckten Augenhäuten bilden die Nerven ein Endnetz aus 
feinsten Fäden. Die bindegewebige Hornbautsubstanz, die Sclera und 
die bindegewebige Grundsubstanz der Corp. eil. enthält auch freie 
Endigungen sensibler Nerven. Die Hornhautperipherie enthält epithelial 
und subepithelial Endapparate, ebenso die Sclera, besonders in ihrem 
vorderen Abschnitt, und das Corp. eil. In der Aderhaut sind sensible 
Nerven noch nicht nachgewiesen worden, ihr Vorhandensein aber ist 
wahrscheinlich. Alle gefässhaltigen Gewebe enthalten vasomotorische, 
alle Muskelgewebe motorische Nerven. K. Steindorff. 

A. Verwey-Rotterdam: Die Vermehrung der Peroxydase in der 
Bindehaut und ihre Anwendung. (Archiv f. Augenheilk., Bd. 73, H. 1.) 


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6. Jauuar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


39 


Io der Spülungsflüssigkeit der Bindehaut sind oxydierende Fermente 
nicht in einer nennenswerten Quantität nachzuweisen. In den Ab- 
kratzungspräparaten entzündeter Bindehäute ist mehr Peroxydase zu 
linden als in diesen gesunden Bindehäuten. Die Peroxydase aus Bor- 
sauremilch und die aus Meerrettich bereitete Peroxydase werden von der 
Bindehaut aufgenommen. 2 proz. Peroxydaselösung reizt das Auge nicht, 
auch nicht bei langdauerndem Gebrauche. Bei Keratitis parenchymatosa 
hat die Behandlung mit dem ESnzym wenigstens so viel Einfluss wie die 
spezifische Behandlung mit Quecksilbersalbe. Es dürfte sich empfehlen, 
bei chronischen Bindehautentzündungen mit der Behandlung mit Per¬ 
oxydase Wasserstoffoxydase Versuche anzustellen. F. Mendel. 

A. Stiel-Cöln a. Rh.: Ueber eine trachomfthnliche Bindehant- 
eitsüding Mit Blnstomyeetenbefand. (Deutsche med. Wochenschr., 
1912, Nr. 50.) In dem roitgeteilten Falle lag eine Mischinfektion von 
Staphylokokken und Blastomyceten vor. Verf. hält es für sehr wahr¬ 
scheinlich, dass pathogene Hefen die alleinige Ursache des Trachoms 
sind. Sie finden sich stets im Gewebe, besonders in den Körnern vor, 
sind ferner imstande, im Gewebe zu wachsen, Zellhaufen zu bilden und 
mechanische wie chemische Reaktionen auszulösen. Den Trachomkörper¬ 
chen möchte Verf. keine spezifische Bedeutung beimessen, da dieselben 
bei den verschiedensten Bindehauterkrankungen, ja auch in gesunden 
Schleimhäuten Vorkommen. Wolfsohn. 

F. Pincus Cöln*. Zur Kenntnis der endogenen gonorrboiseben 
HtrahanUITektionea. (Archiv f. Augenheilk., Bd. 73, H. 1.) In der 
Mehrzahl der Fälle, die als endogene gonorrhoische Keratitis angesprochen 
verden können, handelt es sich um eine Erkrankung des Hornhaut- 
epitbels, charakterisiert durch mehr oder weniger ausgedehnte Ablösungen 
mit ihren Folgeerscheinungen. F. Mendel. 

A. Burk: Beiträge zur Anatomie der erworbenen LinsenInxation 
und ihrer Folgen. (Graefe’s Archiv, Bd. 83, H. i.) Der erworbenen 
spontanen Luxation der Linse in die vordere Kammer gebt wohl eine 
seitliche Verlagerung voraus, so dass die Luxation erst etwas Sekundäres 
ist. Ein prinzipieller Unterschied besteht zwischen seitlicher Verlagerung 
und Luxation in die vordere Kammer nicht. Auch die traumatische 
Linsenluxation braucht nicht durch totalen Vorfall mit sekundärer Kon¬ 
traktion des Sphincter iridis zu entstehen. Beide Formen der Luxation 
sind nur nach vollkommener Lösung der Verbindung mit den Zonula- 
fasern möglich. Die häufigste Folge der Linsenverschiebung ist das 
Sekundärglaukom, das durch ringförmige Verwachsung der Iriswurzel 
mit dem Lig. pectinatum infolge von chronsich-entzündlichen Prozessen 
io der Kammerbucht ausgelöst wird. Die luxierte kann auch den Aus¬ 
bruch einer Chorioretinitis hervorrufen. K. Steindorff. 

F. v. Herrenschwand: Aogenerkrankang nach Schutzpocken- 

iapfiag. (Archiv f. Augenheilk., Bd. 73, II. 1.) Es handelt sich in 
dem beschriebenen Falle um eine sonst normal verlaufende Vaccination 
eines gesunden Kindes, bei dem am 7. Tage — dem Tage der höchsten 
Temperatursteigerung — plötzlich ohne äussere Ursache eine beiderseitige 
Abducenslähmung auftrat. Die genauere Angabe der Dauer dieser vor¬ 
übergehenden Lähmung ist schwer, nachdem sie erst in den späten 
Xachmittagstunden auftrat und mit dem Erwachen am nächsten Morgen 
verschwunden war. Die Art des Zustandekommens der Lähmung erklärt 
Verf. dadurch, dass durch die im Blute kreisenden Toxine, welche infolge 
der Vaccination entstanden waren, eine vorübergehende Läsion der Ab- 
ijceozkerne hervorgerufeo wurde. 

G. F. Cosmettatos: Metastatische Ophthalmie infolge einer 
Pieinoaie. (Archiv f. Augenheilk., Bd. 73, H. 1.) Der 32 jährige 
Patient erkrankte ganz plötzlich an einer Pneumonie. Die Krisis kam 
am 7. Tage. G Tage nachher, als das Fieber bereits fiel, fühlte Patient 
am rechten Auge Schmerzen, und die Sehkraft Hess nach. Das Auge 
schwoll an und quoll aus der Lidspalte heraus, so dass die Enucleation 
v-Tgenommen werden musste. Der Glaskörper ist in eine eitrige Masse 
von graugelber Farbe verwandelt und zeigt reichliche Pneumokokken. 

F. Mendel. 

J. Ohm-Bottrop i. W.: Das Augenzittern der Bergleute und seine 
Entstehung, dargestellt an mehr als 500 selbst beobachteten Fällen, 
iraefe’s Archiv, Bd. 83, H. I.) Der Nystagmus der Bergleute ist ein 
vdlenförmiger, aber kein Ruck nach Pendelnystagmus. Er entsteht stets 
g den obersten Teilen des Blickfeldes und dehnt sich allmählich weiter 
Ga:h unten aus. Die durchschnittliche Schwingungszahl beträgt 180 bis 
"WO io der Minute. Ermüdung, dunkle Beleuchtung, körperliche Er¬ 
schütterung, Fixieren, Richtung der Gesichtsfeldlinien beeinflussen das 
Zittern. Die Bahn des Sehnerven kann bei dem Augenzittern gerad- 
1 1er krummlinig sein (Beobachtung am Einzelauge). Die Beobachtungen 
im Doppelauge zeigen, dass Hering’s Gesetz der gleichmäßigen Inner¬ 
vation beider Augen hier nicht gilt. Der Nystagmus ist nie absolut 
'inseitig, tritt auch auf blinden bzw. stark amblyopischen Augen auf. 
Besonders zur Beobachtung der Aeoderung der Schwingungsrichtung 
■ sich ein von 0. konstruierter binocularer Augenspiegel. Ausser 
Nystagmus kommt bei Bergleuten unter anderem Krampf der Mm interni, 
und der Mm. sphiuct. pup., ferner typischer Akkommodationskrampf vor, 
d*r in Perioden der Ruhe und des Zitterns auftritt, und clonischer 
Krampf im Gebiete des Augenfacialis, der eine Kompensation des Zitterns 
dirstfllt. Unfälle kommen für die Entstehung des Nystagmus nicht in 
Alkohol bringt auch den schwersten Nystagmus zum 
Verschwinden. Jeder Nystagmus ist nach Verlassen der Grube heil- 
“■tf- Ara meisten gefährdet sind die Hauer. 0. hält das Augenzittern 


der Bergleute für eine Veränderung im Kerngebiet des N. oculomotorius 
und N. trochlearis, wobei gewisse disponierende Momente mitspielen. 

C. F. üeerfordt: Ueber Glaukom. II. Weitere Untersuchungen 
über die Pathogenese des hämostalischen Glaukoms. Ueber die Klapp¬ 
wirkung der Sinoscleralplatte als Ursache des hämostatischen Glaukoms. 
(Graefe’s Archiv, Bd. 83, H. 1 ) In einer früheren Arbeit suchte H. zu 
beweisen, dass das sogenannte entzündliche Glaukom auf venöser Stase 
infolge von Faltenbildung in der Wand des Sinus vorticosus vor oder 
im Scleralkanal beruht, wodurch sekundär der nächstliegcnde Teil des 
Scleralkanals komprimiert wird. Die anatomischen Veränderungen, die 
sich in einem vom Verf. untersuchten Falle fanden, zieht er als Stütze 
seiner Theorie heran. K. Steindorff. 

M. Ito-Kyoto: Pathologische Anatomie bei Retinitis sypbilitiea 
hereditaria. (Archiv f. Augenheilk,, Bd. 73, H. 1.) Netzhaut und Ader¬ 
haut können vollständig unabhängig voneinander erkranken. Es gibt 
Fälle, und zu diesen gehört der veröffentlichte, bei denen sich ähnliche 
Gefässveränderungen an der Hirnbasis und gleichzeitig in der Netzhaut 
nachweisen lassen, doch bilden diese die Ausnahme. Die Erkrankungen 
der Netz- und Aderhaut kommen nicht im Anschluss an die Gefäss- 
wandVeränderungen, sondern durch direkte Einwirkung der Spirochäten 
bzw. Gifte zustande. Bei Netzhautpigmentierung spielen in dem be¬ 
schriebenen Falle die gewucherten Giiaelemente eine wichtige Rolle. 

H. Meyer-Brandenburg: Entstehung des erworbene! Ectropium 
uveae. (Archiv f. Augenheilk., Bd. 73, H. 1.) Es handelt sich beim 
Ectropium uveae um die Wirkung eines in Schrumpfung geratenen 
Exsudates, in welches der Kopf der ektropionierten Pigmentlage ein¬ 
gebettet ist. Unterstützt wird diese Wirkung durch die Schrumpfung 
aller Irisgewebe und vor allem durch die Bildung neuen Bindegewebes 
in den vorderen Irisschichten, welches einen Zug auf den Pupillarrand 
ausübt. F. Mendel. 

K. Eskuchen - München: Genese der Sehnervenatrophie bei Oxy- 
cephalen. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Bei einem 
Oxycephalen trat relativ spät die Opticusatrophie in Erscheinung. Bis 
zu seiner Erkrankung an Meningitis konnte er gut lesen usw. Di» 
Meningitis führte dann aber in wenigen TageD, in denen klinisch da» 
Bild schweren Hirndrucks im Vordergrund stand, einen plötzlichen und 
nur wenig besserungsfähigen Umschlag des Visus herbei, ohne dass am 
Sehnerven Zeichen eiuer Entzündung konstatiert werden konnten. Es 
Hegt somit nahe, die Erhöhung des Hirndrucks durch die Meningitis für 
die Erblindung verantwortlich zu machen, die Besserung auf das Zurück- 
geben der Meningitis zurückzufübren. Dünner. 


Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 

E. Theodore - Strassburg i. Eis.: Ueber Knorpel and Knochen 
in den Gaumenmandeln. (Archiv f. Obrenheilk., Bd. 90, H. 1 u. 2.) 
Die Frage nach dem Herstammen des in den Gaumenmandeln gelegent¬ 
lich vorkommende t n Knorpels und Knochen ist noch unentschieden. Tb. 
teilt die Beobachtungen und histologischen Untersuchungen eines selbst 
beobachteten Falles als Beitrag zu obiger Forschung mit. Danach 
schien es, als ob der Knorpel nicht durch Metaplasie des Bindegewebes 
entstanden ist, weil die Beziehungen zweier Bindegewebe nicht nach¬ 
weisbar waren, entzündliche Erscheinungen fehlten, die jüngsten Knorpel¬ 
partien in der Mitte der Herde vorkamen und reichlich hyaliner Knorpel 
auftrat. Vielmehr verdankt der Knorpel seine Entstehung einer mangel¬ 
haften Rückbildung im Bereiche des zweiten Kiemenbogens, aus 
welchem mikroskopische Teile in der ersten Fötalzeit in die Urtonsille 
verlagert werden. Der Knochen wird dagegen durch direkte Metaplasie 
des Knorpels ohne Osteoblasten gebildet. M. Senator. 

E. Bore he rs: Zur Technik der Chloräthylnarkose. Nachtrag zu 
„Totale Enucleation der Gaumenmandeln“ in Nr. 41 der Münchener med. 
Wochenschrift. (Münchener med. Wochenschrift, 1912, Nr. 50.) 

Dünner. 

F. Dornheim - Leipzig: Erfahrungen mit Noyiform in der Oto- 

Rhinologie. (Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Noviform 
(Heyden) ist ein geruchloses Antisepticum, das die Gewebe nicht 
schädigt und nach Resorption niemals Vergiftungserscheinungen hervor¬ 
ruft. Es wurde von D. in der Nachbehandlung nach Ohraufmeisse- 
lungen sowie in der rhinologischen Praxis mit sehr gutem Erfolg an¬ 
gewendet. Wolfsohn. 

G. Holmgren - Stockholm: Ueber Otitis media perforativa bei 
Scarlatina. Statistische Studien. (Archiv f. Ohrenheilk., Bd. 90, 
H. 1 u. 2.) Die Frequenz der perforativen Scharlachotitis ist sehr 
wechselnd innerhalb verschiedener Epidemien; südliche hochgelegene 
Orte mit Festlandskliraa zeigen niedrigere Otitisfrequenz, nördliche tief¬ 
gelegene mit Küstenklima dagegen hohe. Die allgemeine Vorstellung, 
dass die Otitisfrequenz ein Kriterium für die Malignität der Epidemie 
sei, ist unrichtig; es gibt Epidemien mit relativ niedriger Mortalität aus 
hoher Otitisfrequenz, und ebenso umgekehrte Epidemien. Die Häufigkeit 
von manifesten Otitiden ist unter letal verlaufenden Fällen, Scharlacb- 
fällen, wesentlich gesteigert; bei Sektionen von Scharlachleichen findet 
man ausserdem in vielen Fällen eitrige Otitiden, die sich bei Lebzeiten 
nicht bemerkbar gemacht hatten. Sekundärinfektionen, namentlich die 
Anwesenheit von Diphtheriebacillen (bei sogenannten Bacillenträgern) 
erhöhen die Disposition. Morbidität von Otitis und Scharlach, sowie 
Mortalität hängen deutlich von den Jahreszeiten ab, ebenso vom Alter, 


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BERLINER KLINISC HE \V<K'HENSrHRlKT. Nr. 1. 


da die jüngsten Jahrgänge am stärksten befallen werden. Hei sonst 
fieberfreien Patienten kann die Scharlachotitis vollkommen afebril oder 
mit ganz kurzdauerndem hohen Fieber verlaufen, so dass wohl ihre 
Bedeutung als Fieberursache erheblich überschätzt wird. Auch die Pro¬ 
gnose hängt von der Jahreszeit ab, chronische Eiterungen oder dauernde 
Perforationen entstanden am seltensten im Hochsommer. Die Otitiden, 
die sich während der zwei ersten Krankheitswochen offenbaren, sind die 
Ursache der grossen Troramelfellperforationen, die für Chronischwerden 
disponieren, dagegen sind für das Entstehen der Mastoiditis die nach 
der zweiten Woche auftretenden Otitideu von etwas grösserer Bedeutung 
als die früheren. Diese früheren Otitiden überwiegen an relativer Au- 
zahl bei Patienten über 10 Jahren und kommen häufiger in der warmen 
Jahreszeit vor, die späteren Otitiden zeigen ein entgegengesetztes Ver¬ 
halten. 

A. Blau - Görlitz: Experimentelle Studien über die Labyrinthitis. 
(Archiv f. Ohrenheilk., Bd. 90, 11. 1 u. 2.) B. impfte, um Labyrinthitis 
zu erzeugen, einer Reihe von Katzen Bakterienreinkulturen direkt in 
das Labyrinth ein und zwar Streptococcus erysipelatos und Streptococcus 
mucosus, welche beide Arten bekanntlich für die menschlich-eitrige 
Mittelohrentzündung besonders wichtig sind. Seine Ergebnisse lassen 
sich dahin zusaramenfassen, dass auch die direkte bakterielle Infektion 
des Labyrinthes diffuse und circurascripte Entzündungen verschiedenen 
Grades hervorruft, dass Bakterien durch die unverletzte Membran des 
runden Fensters hindurchwandern können; dass Bakterientoxiue ebenso 
wie andere Gifte Entzündungen im Labyrinth erregen und degenerative 
Veränderungen am Corti’schen Organ erzeugen können. Des weiteren 
ergab sich, dass direkte Infektionen des Labyrinths mit Erysipelas- 
kokken bei Katzen wesentlich schwerere Veränderungen setzen als solche 
mit Mucosuskokken, während die Wirkung des Mucosustoxin eine stärkere 
zu sein scheint als die des Erysipelastoxins; dass Bakterien auch in 
schon organisierten Entzündungsherden im Labyrinth sich noch lebens¬ 
fähig durch längere Zeit erhalten können, wie es ja auch von der 
Diphtherie bekannt ist; dass Bakterien, ohne Entzündung zu erregen, 
durch den Subarachnoidalraum hindurchwandern können. Klinisch 
fanden sich bei einigen Tieren Schiefkopf, Nystagmus, Brechen, Geh¬ 
störungen, sowie Schwellung und Eiteruug des Auges auf der operierten 
Seite; teilweise gingen die Erscheinungen nach einiger Zeit zurück. 

M. Senator. 


Hygiene und Sanitätswesen. 

L. Quadflieg-Gelsenkirchen: Paratypbnsbaeilleiibefand bei einer 
Fleisebvergiftoagsepidemie. (Zeitschr. f. Hygiene usw., 1912, Bd. 72, 
H. 3, S. 385.) Die Fleischvergiftungsepidemie in Sodingen im August 
1910 wurde durch den Bacillus paratyphosus B Sehottrnueller verursacht. 
Die Pathogenität der Stämme fiir Meerschweinchen und Mäuse war sehr 
gross. Mit den gebräuchlichen Nährböden gelang es nicht, die Stämme 
der Gaertnergruppe und Paratyphusbacillen zu trennen. Für die Praxis 
genügt es, das kulturelle und agglutinatorische Verhalten der fraglichen 
Stämme bei Fleischvergiftungen festzustellen. 

A. I. An ton owsky-Kronstadt: Zur Frage der Desinfektion von 
Trinkwasser mittels minimaler Chlorkalkmengen. (Zeitsehr. f. Hygiene 
usw., 1912, Bd. 72, H. 3, S. 421.) Das wirksame Hauptagens bei der 
Desinfizierung von Trinkwässern mit neutralen Chlorkalklösungen ist der 
Sauerstoff. Andauernde Wirkung ist eine unumgängig notwendige Be¬ 
dingung, wenn die baktericiden Eigenschaften des Bleichkalk in wässrigen 
Lösungen voll zur Geltung kommen sollen. Inaktivierung der Chlor¬ 
kalklösungen durch unterschwefligsaures Natron befreit die Mikrobien 
von der hemmenden Wirkung der unterchlorigsauren Salze, so dass sic 
wieder zu wachsen beginnen. Durch Zusatz von Katalysatoren (Wasser¬ 
stoffsuperoxyd, Mangansuperoxyd) innerhalb bestimmter Zeitabschnitte 
wird die baktericide Wirkung von geringen Chlorkalkmengeu gesteigert, 
ln Anbetracht der zweifellosen baktericiden Wirkung kann der Zusatz 
von geringen Chlorkalkmengen als gutes Hilfsmittel zur Reinigung von 
Trinkwässern mittels mechanischer Methoden gelten. Möllers. 

R. Oehler-Frankfurt a. M.: Zur Schädlichkeit des destillierten 
Wassers, (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Injektionen 
von 1 bis 2 ccm destillierten Wassers in den Magen einer Maus hatten 
sofortige Auslösung von häraoglobinurischeu Anfällen zur Folge. Keine 
Cylinder, keine zellige Beimischungen. Gegen Ende des Anfalles, der 
selten länger als eine Stunde dauert, oder wenn es zu keiner Hämo- 
globiuurie kommt, tritt eine deutliche Grünfärbung des Urins auf, die 
nicht durch gelösten Farbstoff bedingt ist, sondern von einem feinen 
staubförmigen, grünen Sediment berrührt. Der rote wie auch der grüne 
Urin enthält Eiweiss. Wiederholung der Injektionen hat meist nur ge- 
geriugen Erfolg. Wiederauslösung gelingt jedoch, wenn mau subeutan 
oder intravenös injiziert. Injektionen von niedrig concentrierter NaCl- 
Lösung bewirken manchmal auch Hämoglobinurie. Auch bei Kaninchen 
erfolgen hämoglobinuriscbe Anfälle, aber erst bei intravenösen Injektionen 
von 40 ccm destillierten Wasser. Dünner. 

Siehe auch Augenheilkunde: Ohm, Augenzittern der Bergleute. 

Unfallheilkunde und Versicherungswesen. 

F. Zahn-München: Die Arbeiterversichernng in Dentschland, ihre 
sozialhygienische and sozialpolitische Bedeutung. (Münchener med. 


Wochenschr., 1912, Nr. 48.) Vortrag, gehalten in der Plenarsitzung des 
Internationalen hygienisch-deraographischen Kongresses in Washington 
am 25. September 1912. 

M. v. Brunn-Tübingen: Zur Beurteilung der Ischias bei Unfall¬ 
verletzten. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Simulanten 
geben an, 1. dass eine Flexion des Knies beim Liegen auf dem Bauche 
(wobei eine Entspannung des Ischiadicus erfolgt) sehr schmerzhaft ist, 
2. dass auch Druck in der Umgebung des Ischiadicusverlaufes Schmerzen 
verursache. 

W. Sand rock-Leipzig: Ein Fall von elektrischer Starkstrsn- 
verletzang mit tödlichem Ausgang. (Münchener med. Wochenschr., 
1912, Nr. 48.) Verbrennung durch Stossen des Kopfes an einen Draht, 
der über 10 000 Volt Hochspaunung führte. Kolossales Oedem des 
Kopfes und schwere Brandwunden am Hinterkopf. Exitus. Bei der 
Autopsie fanden sich relativ geringe Veränderungen an den inneren 
Organen, speziell am Centralnervensystem. Dünner. 


Technik. 

Koeppe-Giessen: Ohrtnpfer. (Münchener med. Wochenschr., 1912, 
Nr. 48.) Aus Caravonicawatte herg<\stollte, 5 — 6 cm lange, von etwas 
über Stmohholzdicke, kräftig zus ammenge drehte Tupfer, deren eines Ende 
nicht fest gedreht, Sündern locker ist. Eine Verletzung ist nicht möglich. 

A. v. Bornsini - München: Universalbruchbaad. (Münchener med. 
Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Dünner. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Gesellschaft für soziale Medizin, Hygiene und Medizlnalst-atislik 
zu Berlin. 

Sitzung vom 5. Dezember 1912. 

Vorsitzender: Herr Gottstein. 

Schriftführer: Herr Len n ho ff. 

Tagesordnung. 

1. Hr. Theilhaber: 

Nene statistische Berechnungsmethoden der Foitpflaaznng. 

Man berechnet heute vorzugsweise die Fortpflanzung einerseits durch 
eine Berechnung des Geburtenüberschusses und andererseits der Frucht¬ 
barkeit. Der Geburtenüberschuss ist aber keine wirklich wissenschaft¬ 
liche -Handhabe zur Erkenntnis der Fortpflanzung, denn trotz eines 
solchen kann die Fruchtbarkeit einmal glänzend oder gerade noch aus¬ 
reichend und ferner auch unternormal sein, wenn man unter normaler 
Fortpflanzung die versteht, die den Status der Bevölkerung erhält. Es 
kommt nämlich auf die Zusammensetzung der Bevölkerung an, ob zahl¬ 
reiche geschlechtsreife Personen darin enthalten sind, und wie der Stand 
der Sterblichkeit ist, der sicher abhängig ist von der Zahl der kranken 
und alten Personen. So kann z. B. eine Bevölkerungsschicht einge¬ 
wanderter, in der Blüte ihres Lebens stehender Menschen eine Mortalität 
nahezu gleich null haben, deren Fortpflanzung kann man aber nicht 
durch den Ueberschuss der Geburtlichkeit über die Mortalität messen. 
Der Geburtenüberschuss, der aus der Subtraktion der allgemeinen Sterb¬ 
lichkeit von der Geburtlichkeit gewonnen wird, ist so sehr von dem Be¬ 
völkerungsaufbau, dem Gesundheitszustand der älteren Klassen, von 
Säuglingssterblichkeit, Wanderungen und anderen Momenten abhängig, 
dass die gewonnene Zahl nicht für die Fortpflanzungsfrage ausschlag¬ 
gebend ist. Sie ist nur zur numerischen Bestimmung der Volkszahl¬ 
bestimmung zu benutzen. Ebenso irreführend ist die Promilleberechnung, 
da z. B. eine Geburtlichkeit von 25 pM. etwas anderes bedeutet, wenn 
300 als wenn G00 unter 1000 Menschen als fertil zu bezeichnen sind. 

Vortr. stellt zur Berechnung der Fruchtbarkeit folgendes Beispiel 
auf: Wenn je 1000 fertile Frauen, die je 1000 Männern entsprechen und 
deren Zusammensetzung stets die gleiche ist, innerhalb der Gebärfähig¬ 
keit ist, während 30 Jahre vom 15. bis 45. Lebensjahre 2000 Kinder 
zur Welt bringen bzw. in einem Jahre 66,7 Geburten, dann ersetzen sie 
sich und die dazugehörigen Männer. Die Quote der Geborenen muss 
aber noch um 25 pCt. grösser sein als die angenommene Ziffer von 
66,7 pM., wenn der Nachwuchs den heutigen Stand an geschlechtsreifcn 
Personen ersetzen soll, da im Säuglingsalter durchschnittlich 20 pCt. 
der Geborenen und im Alter von 5—15 Jahren 5 pCt. der Geborenen 
sterben. Ist die SaugÜDgs- und Kindersterblichkeit grösser, muss auch 
die Geburtlichkeit grösser sein als 84,5 auf 1000 gebärfähige Frauen. 
Vortr. nennt die Ziffer 66,7 pCt. den idealen Adäquatswert der Geburt, 
während er den normalen Adäquatswert diese Zahl nennt, vermehrt um 
die Reservegeburtsziffer, d. h. die Ziffer von Geburten, die eine gerade 
gehörige Fortpflanzung ergibt. An einigen Beispielen (Frankreich, die 
Berliner Juden) erläutert Vortr. die Bestimmung der Fortpflanzung nach 
seiner Methode, die erst klar und deutlich sehen lässt, was man allgemein 
unter Vermehrung des Volkes versteht, nämlich den ziffernmässigen Zu¬ 
wachs aus der Geburtenzahl. Zur Kontrolle dieser Methode kann das 
Verhältnis der gebärfähigen Frauen zur Zahl der Kinder nach der Ge¬ 
burtenfolge dienen, wodurch man zu denselben Resultaten gelangt. 


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6. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


41 


2. Hr. Lesshoff: Ueber amerikanische Krankenhäuser. 

Io Amerika sind die Krankenhäuser durchweg nicht durch öffentliche 
Behörden begründet, sondern Wohltätigkeitseinrichtungen. In New York 
gibt es 65 Hospitäler mit 27 500 Betten für Kranke aller Art, d. h. 

1 Bett auf 190 Einwohner. Davon 36 allgemeine Krankenhäuser mit 
20400 Betten (darunter 3 homöopathische mit 1785 Betten), 6 Säug- 
lingskliniken mit 3044, 3 Frauenkliniken mit 480, 2 Entbindungsanstalten 
mit 271, 4 Augen-, Hals- und Nasenkliniken mit 389, 2 Nervenkliniken 
mit 342, 3 Tuberkulosehospitäler mit 1136, 3 Infektionskrankenhäuser 
mit 960 Betten usw. Im Besitze der Stadt sind 9 Hospitäler, davon 
l in Verbindung mit dem Laboratorium des Gesundheitsamtes als Be¬ 
obachtungsstation für Infektionskranke, von der sie in die Spezial- 
krankenhäuser überführt werden. In den städtischen Hospitälern ge¬ 
schieht die Aufnahme durchweg gratis, in den anderen meistens für 
Unbemittelte ebenfalls gratis oder für eine ganz geringe Summe. Die 
Selbstkosten für einen Kranken sind durchschnittlich 2 Dollars. 

Das Lying-in-Hospital, als Entbindungsanstalt dienend, ist 8 Stock¬ 
werk hoch mitten in der Stadt gelegon und vorzüglich eingerichtet. Für 
Entbindung ausserhalb der Anstalt ist ein Ambulanzdienst ähnlich wie 
die Feuerwehr eingerichtet, für den 10—20 sterilisierte Taschen mit 
allem nötigen Zubehör ständig bereit gehalten werden. In der Anstalt 
fanden 1911 2275 Entbindungen mit 48 Todesfällen, im Aussendienst 
2S90 mit 2 Todesfällen statt. Die Ursache der geringen Mortalität be¬ 
ruht auf der grossen Asepsis, die sich nicht nur auf Räume und Instru¬ 
mente, sondern auch auf das Personal erstreckt. Die Behandlung ist 
auch hier gratis, da nur 38 Dollars eingegangen sind, während die Aus¬ 
gabe 198 000 Dollars betrage, die zum grössten Teil durch eine Spende 
von Pierpont Morgan gedeckt werden. Im Spital sind Räume für gesunde 
kleine Kinder, die bei Mangel an häuslicher Pflege die Mütter begleiten. 

Das poliklinische Institut dient der ärztlichen Fortbildung, in den 
oberen Räumen des 10 Stockwerk hohen Gebäudes mit 12 Fenstern 
Front und 18 Fenstern Tiefe sind 300 Krankenbetten. Trotzdem war 
anscheinend keine Beengung vorhanden, sondern alles gut eingerichtet. 
Der mögliche Nachteil ist nur die Feuersgefahr und das Fehlen der 
Möglichkeit, spazieren zu gehen. Dafür sind aber Veranden, Balkons 
und Dachgärten vorhanden. Operierte kommen nach der Operation in 
einen besonderen Raum mit 6—8 Betten, wo sie den Narkoserausch 
verschlafen 

Die dirigierenden Aerzte wechseln alle l U—\ Jahr und sind ebenso¬ 
wenig besoldet wie die Assistenten,' höchstens die Hausassistenten be¬ 
kommen Wohnung und Kost. Ausserdem sind externe Assistenten tätig, 
die nur 2—3 Stunden tätig sind. Das Schwesternpersonal ist ausge¬ 
zeichnet, bat strengere Vorbildung (höhere Töchterschulbildung) und 
längere Ausbildung (2— 8 V 2 Jahre) als in Deutschland. Die Gehälter 
im Kranken hause sind 50—100 Dollars pro Monat bei gleicher Arbeits¬ 
zeit und Bettenzahl wie bei uns, in der Privatpflege 25—30 Dollers pro 
Woche. Klinische Krankenhäuser gibt es nicht, Lehrer und Studenten 
sind auf die Gastfreundschaft der städtischen oder privaten Kranken¬ 
häuser angewiesen. Nur im John Hopkins’ Hospital sind die klinischen 
Lehrer zugleich Abteilungsvorsteher. J. Lilienthal. 


Berliner ophthalmologische Gesellschaft. 

Sitzung vom 17. November 1912. 

1. Hr. Fehr: Der 32 Jahre alte Patient hatte im 10. Lebensjahre 
eine Verletcsag des rechten Aoges erlitten, seit dem 17. Lebensjahre 
häufig anfallsweise Schwellung des Lides und der Augenbrauengegend, bis 
sich am Orbitalrand eine Fistel entwickelte, aus der sich erst Blut und 
Eiier, später wässrige Flüssigkeit entleerte. Allmählich stülpte sich das 
rechte Oberlid so um, dass der obere Lidrand hinter dem oberen Orbital- 
rand lag, die Cornea beim Lidschluss kaum halb bedeckt wurde, und häufig 
wiederkehrende Entzündungen der Cornea schliesslich die Sehkraft fast 
zu vernichten drohten. Bei der Operation der anzunehmenden Stirn- 
höblenaffektion fand sich eine Mucocele; nach glattem Heilungsverlauf 
wurde das Ektropium durch eine plastische Operation (Ueberpflanzung 
eines gestielten Lappens von der Wange) erfolgreich beseitigt. 

2 . Hr. C. Hambarger berichtet über den günstigen Einfluss der 
Reaer’selien JeqoirUoltliernpie bei einem durch Pannus fast erblindeten 
schweren Trachom. Die Sehkraft stieg von Fingerzählen in 2 m auf 

V«—v«. 

3. Hr. Peters-Rostock (a. G.): Ueber angeborene Staphylome. 

Das von v. Hippel als Ulcus corneae int. bezeichnete Krankheits¬ 
bild ist nicht entzündlichen Ursprungs, sondern angeborene Missbildungen 
im Sinne eines Defektes der Deszemet’schen Membran. Die häufig auf 
dem anderen Auge in solchen Fällen beobachteten Staphylome sind 
gleichfalls Entwickelungsstörangen. Ein anatomisch genau untersuchter 
Fall brachte dem Vortr. den einwandfreien Beweis für seine Theorie. 
Das Gemeinsame zwischen den angeborenen Hornhauttrübungen und den 
Staphylomen sind eine Defektbildung der Membr. Deszem. und vordere 
Synechien, ferner häufig starke Verdünnungen, besonders in der Mitte 
der Cornea. Die Ursache der Hornhautveränderungen ist eine sehr 
frühzeitige abnorme Differenzierung des zwischen Ektoderm und Linsen- 
bläschen liegenden Mesoderms, die auf einem abnormen Verhalten des 
Ektoderms in dem Sinne beruht, dass entweder keine Linse abgeschnürt 
wird, oder dass die abgescbnürte Linse im Bezirk der Hornhautmitte 
liegen bleibt oder dass die normal abgeschnürte Linse nach hinten tritt, 


wobei eine zweite (Pseudo-)Linse die Ursache der Staphylombildung 
sein kann. 

4. Hr. H. Wolff: 

Untersuchung im unoknlaren nnd stereoskopiseben, umgekehrten, 
reflexlosen Bilde. 

Kurt Steindorff. 


Verein für wissenschaftliche Heilkunde zn Königsberg h Pr. 

Sitzung vom 25. November 1912. 

Hr. F. Schieck: Die Bedeutung der Stauungspapille. 

Beim Zustandekommen der Stauungspapille sind mechanische Mo¬ 
mente von grösster Bedeutung. Die Annahme eines „entzündlichen“ Pro¬ 
zesses wird dadurch hinfällig, dass auch in stark entwickelten Fällen 
sich niemals die Zeichen zeitiger Infiltration finden. Die einzige Ver¬ 
änderung ist eine ödernatöse Durchtränkung des Sehnerven. Vortr. unter¬ 
suchte diese Verhältnisse näher mit Hilfe von Serienschnitten und konnte 
die Angabe der Autoren bestätigen, dass in der Mehrzahl der Fälle das 
Oedem der Nerven proximal dort abschneidet, wo die Centralgefässe von 
unten her in den Opticus eindringen. Dabei stellte sich heraus, dass das 
Oedem ganz besonders stark entwickelt ist in unmittelbarer Nähe der 
Gefässe in der Papille und im Sehnerven. Es führt in den Axialstrang 
ein System von klaffenden perivasculäreu Saftspalten von dem Zwischen¬ 
scheideraum des Nerven bis zur Papillenmitte, welche die Quelle für die 
Entstehung des Oedems zu sein scheint. Es ist das auch der Weg, auf 
welchem unter abnormen Druckverhältnissen der Liquor cerebrospinalis, 
vom Schädelinnern nach dem Sehnervenkopf hindrängt und zur Auf¬ 
quellung desselben Veranlassung gibt. Ausser durch den anatomischen 
Befund ist die Richtigkeit dieser Anschauung auch bewiesen dadurch, 
dass man im Leichenauge eine Stauungspapille hervorrufen kann, wenn 
man proximal von dem Beginn des Axialstranges eine feine Kanüle in 
den Intervaginalraum einbindet und Kochsalzlösung einspritzt; die Saft¬ 
lücken um die Centralgefässe erscheinen dabei weitklaffend. Bei Affen 
kann man durch Injektion von Flüssigkeit unter die Dura Veränderungen 
des Sehnerven erzeugen, welche sich ophthalmoskopisch und auch mikro¬ 
skopisch mit dem Bild der menschlichen Erkrankung decken. 

Diese mechanischen Vorstellungen erscheinen bei Zuständen von 
Drucksteigerung im Schädelinnern, oder der Orbita allein, ohne weiteres 
berechtigt. Sie treffen aber auch zu, wenn es z. B. nach perforierenden 
Verletzungen des Bulbus zu Druokverminderung im Bulbusinnern kommt; 
die Annahme entzündlicher Vorgänge ist gar nicht nötig. Das Auf¬ 
treten der Stauungspapille in seltenen Fällen von Anämie ist noch nicht 
abgeklärt. 

Hr. Carl: Ueber Tamorbildangen bei Kaltblütern. 

Vortr. führt aus, dass keine prinzipiellen Unterschiede zwischen 
Kaltblüter- und Warmblütertumoren bestehen, dass alle Theorien zwanglos 
auch auf die Geschwülste der niederen Wirbeltiere angewendet werden 
können. Er gibt dann eine allgemeine Uebersicht über die bisher be¬ 
kannten Geschwulstarten, geht darauf zu dem speziellen Teil über und 
behandelt Dacheinander die Tumoren bei Reptilien, Amphibien und 
Fischen. Den Geschwulstbildungen bei Amphibien kann Vortr. eine 
eigene Beobachtung, ein Hypernephrom beim Frosch, hinzufügen. 

Bei den Fischen wird ausführlicher das Thyreoideacarcinom der 
Salmoniden abgehandelt und die Karpfenpocke. Hierbei wird die Frage 
der Infektion eingehend beleuchtet. Eine echte Tumorbildung, durch 
Parasiten bedingt (Myxosporidien), wird angeführt, und zwischen dieser 
Erkrankung und der Coccidienerkrankung der Gallenwege des Kaninchens 
und der durch Distomum fellineum hervorgerufenen Wucherungen in den 
Gallenwegen des Menschen eine Parallele gezogen. Vergleichend patho¬ 
logisch-anatomische und klinische Bemerkungen und die Projektion von 
Abbildungen der Fischtumoren und mikroskopische Demonstrationen 
eigener Präparate schliessen den Vortrag. Frey-Königsberg. 


Naturwissenschaftlich-medizinische Gesellschaft zn Jena. 

Sitzung vom 28. November 1912. 

Vorsitzender: Herr Binswanger. 

Vor der Tagesordnung. 

Hr. Stintzing: Fall von Friedreich’scher Ataxie. 

21 jähriger Gymnasiast aus völlig, speziell nervengesunder Familie; 
keine Erkrankung der Geschwister. Vor 7 Jahren Sturz aus 5 m Höhe. 
Vor vier Jabreu begann sich allmählich das jetzige Leiden zu entwickeln. 
Pat. ist bettlägerig. Es besteht hochgradige Ataxie der Extremitäten 
sowie des Rumpfes. Die Patellarreflexe fehlen, dagegen sind die Pupillen 
vollkommen normal. Es bestehen nur geringfügige, wohl bedeutungslose 
Sensibilitätsstörungen. Das klassische Bild wird noch vervollständigt 
durch eine ziemlich erhebliche Skoliose und die Krallenstellung der 
Zehen, welche beim Aufsetzen des Fusses auf den Boden verschwindet. 
Im Anschluss an den demonstrierten Fall erinnert St. an eine frühere 
Beobachtung, wo mehrere Geschwister von der Krankheit betroffen waren 
und von Generation zu Generation sich eine zunehmende nervöse Ent¬ 
artung feststellen liess. 

Hr. Reichmann: Fall von septischem Cfelenkrheamatismas. 

18jährige Patientin, die wahrscheinlich im Anschluss an Angina 
Gelenkrheumatismus bekam, der septischen Charakter annahm und nicht 


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42 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 1. 


auf Salicyl reagierte. Im Blute und im Liquor cerebrospinalis fanden 
sich hämolytische Staphylokokken bei mehrmaligen Untersuchungen. 
Durch sehr grosse Collargoldosen wurde schliesslich völlige Heilung 
erzielt. 

Vortr. berichtet über weitere günstige Erfolge der Jenaer medizini¬ 
schen Klinik (Trembur) bei Sepsis und bespricht das Wesen der 
Collargolwirkung, das er in der Hauptsache durch da9 Freiwerden von 
Fermenten aus den zerfallenden Leukocyten sieht. 

Hr. Janeke: Fall Ton chronischem Pyopneumothorax. 

Der Pat. wird seit zwei Jahren in der Klinik beobachtet. Io dieser 
Zeit wurden durch anfangs häufigere, dann seltenere Punktionen etwa 
20 Liter Eiter, der anfangs reichlich Tuberkelbacillen enthielt, jetzt frei 
davon ist, entleert. Pat. wird seit etwa Jahresfrist mit intrathorakalen 
Stickstoffeinblasungen behandelt. Er hat seitdem etwa 40 Pfund an 
Gewicht zugenommen, sich glänzend erholt und schon seit längerer 
Zeit seinen Dienst wieder voll versehen. Das Empyem wird immer 
geringer. 

Tagesordnung. 

Hr. Roessle: 

Demonstrationen ans dem Gebiete der pathologischen Anatomie. 

1. Postoperativer Verblutungstod aus hämorrhagischen 
Erosionen des Magens. Einen Tag vor dem Tode war Gastroenterostomie 
ausgeführt worden wegen Pyloruscarcinom und Stenose. 

2. Zwei Fälle von tödlichen Blutungen aus dem Oeso¬ 
phagus. Bei einem Falle von pernieiöser Anämie hatten aus Erosionen 
der Speiseröhre profuse Blutungen in den Magen stattgefunden. Im 
zweiten Fall bestand frischer Typhus vom Charakter der schwersten All¬ 
gemeininfektion mit schwerster Oesophagitis haemorrhagica und daraus zu 
erklärendem Verblutungstod. In beiden Fällen fanden sich auch sonst 
Zeichen von hämorrhagischer Diathese. 

3. Zwei Fälle von Thrombose der Carotis, a) Alte oblite¬ 
rierende Totalthrombose der ganzen rechten Carotis communis ohne 
Hirnveränderungen, im Zusammenhang mit einem Parietalthrombus eines 
syphilitischen Aneurysmas der Aorta ascendens. b) Thrombose der 
ganzen rechten Carotis int. bis zum Austritt aus dem Canalis caroticus. 
Akute weisse Erweichung der mittleren Teile der rechten Hirnhemi¬ 
sphäre. 

4. Aneurysma dissecans der Aorta descendens. Den Aus¬ 
gangspunkt bildete ausgedehnte kalkige Atherosklerose. 

5. Totale Thrombose der Bauchaorta mit Aesten. Trotz 
der hochgradigen Veränderungen, die bis weit in die Beinarterien zu ver¬ 
folgen sind, keine Ischämie der Extremitäten. Die Blutversorgung muss 
auf capillärem Wege erfolgt sein. 

6. Collateralkreislauf bei Lebercirrhose durch Netzvenen. 
Das Pfortaderblut floss unter anderem durch Netzverwachsungen in einem 
Bruchsaok in das Gebiet der unteren Hohlvene. 

7. Weitere Fälle von natürlich entstandenem Talma. 
Das Pfortaderblut wurde im ersten Falle auf vier Wegen abgeleitet: 
a) durch die Kapselvenen Köllicker’s, b) durch Verwachsungen des 
ganz atrophischen Netzes mit der Bauchwand, c) durch grosse Venen 
des mit der ßauchwand verwachsenen Colons, d) durch enorme Varicen 
zwischen unterem Nierenpol und Magenfundus einerseits, linker Baucb- 
wand andererseits. 

Im zweiten Falle starke syphilitische Schrumpfung des 
rechten Leberlappens. Vikariierende Hypertrophie des linken 
Lappens. Ableitung des Blutes wahrscheinlich durch die Vena gastro- 
epiploica zur Bauchwand und perihepatitische Stränge. 

8. Totale Verlegung der unteren Hälfte der Vena cava 
inferior. Ursache krebsige Durchwachsung. 

9. Abnormer Ursprung der Subclavia und Carotis dextra. 
Dass die Subclavia dextra wie hier als letzte aus dem Aortenbogen ent¬ 
springt, ist nicht so selten; der hier erhobene Befund, dass dies die 
rechte Carotis mitmacht, und dass nun beide Gefässe von links nach 
rechts nebeneinander hinter dem Oesophagus verlaufen, dürfte zu den 
grossen Seltenheiten gehören. Gleichzeitig sieht man hier eine linke 
Art. anonyma. Die unter der klinischen Bezeichnung „Dysphagia 
lusoria“ gehende Varietät der rechten Subclavia wird, wie gesagt, nicht 
selten angetroffen; obwohl Vortr. schon eine ganze Reihe von Fällen ge¬ 
sehen hat, ist ihm dabei noch nie etwas über die mit dem Namen be- 
zeichneten Schluckbeschwerden bekannt geworden. Es fragt sich also, 
ob der Name berechtigt ist. Strümpell hat dies schon bezweifelt. 

Hr. Hegener: Lidplastik nach Büdinger. 

Der Knorpel des Tarsus wird durch frei transplantierte Teile des 
Ohres samt Knorpel ersetzt. Demonstration eines nach dieser Methode 
geheilten Falles, bei dem das obere Augenlid wegen Carcinom entfernt 
werden musste. Störung des Heilverlaufes durch Ulcera corneae infolge 
Reibens der Seidenähte. 

Im Anschluss hieran erwähnt Herr Wrede Nasenflügelplastiken 
nach ähnlichen Prinzipien, die von König angegeben wurden. 

Hr. Strohmayer: Zar Inznehts frage. 

Vortr. weist an Stammbäumen aus berühmten Tierzüchtereien und 
aus der Familie der Ptolemäer die Tatsache nach, dass die Inzucht nur 
unter bestimmten Bedingungen zu kranker Nachkommenschaft führt. 
Sie kann unter Umständen von rasseförderndem Werte sein. Einzel¬ 
heiten für ein Referat nicht geeignet. 


Natnrhistorisch-medizinlscher Verein za Heidelberg. 

Sitzung vom 26. November 1912. 

1. Hr. Zade*. Demonstration zur metastatisehen Ophthalmie. 

Streptokokkensepsis nach Infektion am Haudrücken, metastatische 
Hüft- und Kniegelenksentzündung, Nephritis, Endocarditis. Beiderseits 
metastatische Ophthalmie. Exitus. Bulbi 4 Stunde nach dem Tode in 
Formalin konserviert. 

Beiderseits Streptokokken in der Retina, Glaskörper, subretinal, 
nicht in der Chorioidea. Primärer Sitz der Metastase Retina, Capillaren 
mit Streptokokken angefüllt. Ausführliche Publikation erfolgt später. 

2. Hr. Rost: Leber agonale Blutgerinnung. 

Man findet auf Cruor oder Speckhautgerinnseln verhältnissmässig oft 
kleine kugelförmige Auflageruugen, die histologisch Leukocytenhaufen 
sind. Derartige Gebilde können nur agonal entstanden sein, da bei 
Gerinnung im Reagenzglas die korpusculären Elemente des Blutes stets 
ganz gleichraässig verteilt sind. Es wurden Versuche angestellt, der¬ 
artige Gebilde experimentell zu erzeugen. Das gelang beim Kaninchen 
durch intravenöse Collargolinjektionen. Es kommt dabei zu ausgedehnter 
Gerinnung des Blutes, an der die Tiere etwa nach 15 Minuten sterben. 
Man findet dann auf dem Cruor Häufchen von Collargol und Leuko¬ 
cyten. Den bisher als Leicheugerinnsel wenig beachteten Gebilden 
wird danach in gewissen Fällen eine grössere funktionelle Bedeutung 
zukommen. 

3. Hr. Marchand: Ueber Untersuchungen über die Beziehungen 
der Nebennieren zu Blutzucker und Wärmeregulation, die er in 

Gemeinschaft mit Herrn Dr. Freund unternommen hat. Die Versuche 
wurden an Kaninchen gemacht. Nach Entfernung der Nebennieren 
bildet kritischer Abfall der Körpertemperatur eine charakteristische Er¬ 
scheinung. Lässt man ein kleines Stück Nebennieren im Körper zurück, 
so gelingt es, den Tod der Versuchstiere einige Tage hinauszuschieben. 
Die Blutzuckerbestimmungen wurden nach der Methode von Frank und 
Moechel ausgeführt. In den ersten Stunden nach der Operation findet 
sich eine durch Laparotomie und Narkose verursachte Hyperglykämie. 
Solange sich die Versuchstiere dann in gutem Zustand und bei normaler 
Körpertemperatur halten, bleibt der Blutzucker normal. Sobald aber 
der Temperatursturz eintritt, sinkt auch der Blutzuckerwert ausser¬ 
ordentlich stark (tiefster Wert 0,O0S pCt.). Die Erscheinungen der 
schweren Störung der Wärmeregulation lassen daran denken, dass es 
sich um AdrenalinmaDgel, also um Folgen der Verminderung des 
chromaffinen Systems handelt. Dem gegenüber muss aber betont werden, 
dass kleine Stücke aus Nebennierenrinde genügen, diese Ausfallserschei¬ 
nungen zu verhindern. Man gewinnt also den Eindruck, dass die Neben¬ 
nieren funktionell einheitliche Organe sind im dem Sinne, dass das 
chromaffine Gewebe, das sich ausser in Nebennierenmark noch an 
anderen Orten im Körper findet, nur dann funktionsfähig bleibt, wenn 
genügend Nebennierengewebe vorhanden ist. Ko 1 b - Heidelberg. 


Gesellschaft für Morphologie and Physiologie zu München. 

Sitzung vom 26. November 1912. 

Hr. v. Frisch *. 

Ueber den Farbensinn der Bienen nnd die Blnmenfarben. 

Bienen, die auf eine bestimmte Farbe (Gelb oder Blau) dadurch 
„dressiert“ worden waren, dass sie nur auf zwei rechteckigen Papier¬ 
stücken von der betreffenden Farbe Uhrschälchen mit Zuckerwasser 
fanden, während auf 30 anderen, in verschiedener Helligkeit abgetönten 
Papierflächen leere Uhrschälchen waren, sammeln sich stets auf dem 
farbigen Papier, auch wenn hier leere Uhrschälchen aufgestellt werden, 
nicht auf einem der grauen. Eine Gewöhnung an Nuancen von Grau 
gelingt nicht. Gelb scheiut den Bienen mit denselben Farben verwandt 
wie uns. Auf Blau dressierte Tiere gehen jedoch auch auf rote Papiere; 
Rot und Schwarz wird verwechselt. Mit diesen Feststellungen harmoniert 
die Tatsache gut, dass die einheimische Blumenflora arm an roten — 
jedenfalls rein roten — Blumen ist. Versuche mit grünen Farben 
konnten wegen des ungünstigen Sommerwetters noch nicht ausgeführt 
werden. 

Hr. L. Neamayer: 

Zar Morphogenese des Gehirns der Krokodile nnd Schildkröten. 

Bei Schildkröten findet sich regelmässig sowohl Paraphyse wie 
Epiphyse; bei den Krokodilen scheint durchgehende die Epiphyse zu 
fehlen. Für die Gliederung des embryonalen Gehirns haben sich die 
Kommissuren als verlässliche Merkpunkte erwiesen. 


Sitzung vom 10. Dezember 1912. 

Hr. Borst: Ueber Transplantation. 

Ernährung, Funktion und Milieu sind für die Einheilung eines 
Propfreises maassgebend. Autoplastische Transplantationen (z. B. von 
Muskel auf periphere Nerven) gelingen ohne Schwierigkeit. Homoio- 
plastische Transplantation (von Thyreoidea z. B.) dagegen misslingt; der 
Schwund des Transplantates kann zwar langsam eintreten, bleibt aber 
wohl nie aus. Ganz unmöglich ist Heteroplastik. Manche Gewebe 
scheinen allerdings biochemisch nicht so empfindlich zu sein, besonders 
die Geschlechtsdrüsen. Aber selbst bei gelungener Parabiose, einer 
„Homoioplastik en masse“ geht der eine der beiden Partner früher oder 


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6. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


43 


später zugrunde. Bei Gelenktransplantationen mit wachsendem Knochen 
tritt immer Verkürzung des Transplantates ein. In künstlichen Züch¬ 
tungsversuchen wächst Knochenmark im Plasma normaler Tiere gut, 
dagegen nicht im Plasma solcher Tiere, die mit Knochenmark vor¬ 
behandelt worden waren. K. Süpfle - München. 


Medizinische Gesellschaft zu Basel. 

Sitzung vom 5. Dezember 1912. 

Hr. Haegier: 

1. Weitere Erfahrung über das harte traumatische Oedem des 
Handrückens. 

Ref. erwähnt kurz die über dieses Krankheitsbild sowohl in klinischer 
als histologischer Hinsicht erschienene Literatur. Ref. konnte seine Fälle 
um einige vermehren. Das dieser Verletzung vorhergegangene Trauma 
ist meistens geringfügiger Natur: leichte Quetschung oder Dorsalflexion 
der Hand oder des Daumens. Kleine Volarverletzungen. Auffallend 
dazu ist das Krankbeitsbild: Handrücken geschwollen, Haut blass, selten 
rot, häufig etwas bläulich verfärbt. Schwellung reicht vom Handgelenk 
bis höchstens zum 1. Phalangealgelenk. Handgelenk ist immer frei. 
Eher Schwellung, kein eigentliches Oedem. Inkonstante Druckempfind¬ 
lichkeit, hier und da Crepitieren bei Palpation und Fingerbewegung. 

Funktionsstörung gering, vollständiger Handscbluss behindert. Es 
gibt Fälle, wo Schwellung verteilt oder auf einzelne Teile beschränkt ist. 

Ausgezeichnet ist die Affektion durch jahrelange Dauer. Zur Er¬ 
klärung der Schwellung wurde entzündliche Hyperplasie, Transsudat- 
bildung, Störung des Lymphstroms herangezogen, Affektion wurde auch 
als aogioneurotische mit bestimmter Disposition zu erklären versucht. 

Befuode an exzidierten Stücken: ältere und neuere Blutextravasate, 
einzelne cystiscbe Hohlräume, Unterhautzellgewebe derb, Fascie nicht 
scharf abgrenzbar, degenerative Hyperplasie des Bindegewebes. 

Die Aetiologie dieser Affektion ist Beklopfen des Handrückens 
während längerer Zeit mit kurzen Schlägen. Auch Injektionen. 

Nach erstmaligem Auftreten zeigte sich ein rasches Anschwellen 
dieser Affektion, meistens bei Italienern an der „linken Hand“ beobachtet. 
Auffallend war Zufriedenheit der angeblich Verletzten mit geringer Ab¬ 
findungssumme. 

Da die Affektion zu Unfallszwecken gemacht wird, genügt meistens 
diesbezügliche Aufklärung. 

Demonstration eines solchen Patienten. 

In der Diskussion erwähnt Herr He ding er die pathologisch- 
anatomischeo Veränderungen: Bindegewebe hier und da verflüssigt, 
Höhlenbildung mit Andeutungen von Endothelbelag, alte und neue 
Blutextravasate, hyaline Bindegewebsumwandlung, geringe entzündliche 
Erscheinungen. H. lehnt vom pathologisch-anatomischen Standpunkte 
aus die Auffassung als Angioneurose ab. 

Hr. Haegier: 

2 . Chirurgische Erfahrungen bei hoebsitzendem Mastdanncarcinom. 

Topographisch - anatomische Verhältnisse. Erörterung der ver¬ 
schiedenen Carcinomformen, die übrigens für die Prognosenstellung nicht 
von Bedeutung sind. Diagnose schwierig. Häufig erstes Auftreten unter 
Ileuserscheinung. 

' Symptome: Stuhlunregelmässigkeiten (Obstipation), Schleimabgang, 
Kreuzschmerzen. 

In diagnostischer Hinsicht wichtig: öftere digitale Untersuchung 
beim Liegen und Stehen mit Husten und Pressen, Einläufe, leere Ampulle. 
Rectoskop. Abdominell häufig keine Befunde, Drüsen seltener. 

Ref. operierte 5 Fälle, 2 auf sacralem Wege, 3 auf kombinierte 
Methode (Anus praeternaturalis und naohherige Resektion). Ref. hatte 
gute Resultate. Erörterung der Fälle und der jeweils eingeschlagenen 
Operationsmethode. 

Ref. spricht für die zweizeitige Operation; man kann den Patienten 
in besseren Ernährungszustand bringen und zur eigentlichen Resektion, 
welche übrigens nach Anus praeter leichter ist, kräftigen. Anus praeter¬ 
naturalis ist für den Patienten nicht unbequemer als Anus sacralis. 
Mortalität bei kombiniertem Vorgehen geringer, Operation schonender 
und radikaler. Prognose besser. Hohe Mastdarmcaroinome häufiger bei 
Frauen — Ref. operierte nur Frauen — als bei Männern im Gegensatz 
zu den tiefen Mastdarmkrebsen. 

De Quervain ist auch zu zweizeitiger Operation — 3 Wochen 
nach Anus praeternaturalis rechts — gekommen, dann ausgedehnte 
Resektion, und wenn es angeht, Einstülpen der oberen Darmränder in 
d:e unteren und Naht. WoIfer-Basel. 


Aas Pariser medizinischen Gesellschaften. 

Academle de mddecine. 

Sitzung vom 1. Oktober 1912. 

Hr. Ch. Fiessiager erinnert, dass der schwere Anfall von Angina 
pectoris, der durch eine Anstrengung, einen Marsch, ausgelöst wird, 
mebt immer auf den gleichen Ursachen beruhe. Unter etwa 80 seit 
•1 ihren beobachteten Fällen findet man nebeneinander Fälle mit Corona- 
ritis und Obliteration der Coronararterien, Aorteninsuffizienz, gewisse 
Myoearditisformen, interstitielle Nephritis mit Hypertension, Fettsucht 
und Aeropbagie. Die beiden letzteren Formen heilen sicher mit der 
richtigen Diät. Die Coronaritis, oft spezifischen Ursprungs, heilt durch 


Hg-Behandlung. Jodsalze in kleinen Dosen bessern die Anginaanfalle 
der Aorteninsuffizienz, während sehr kleine Digitalisdosen (Vio rag zwei¬ 
mal wöchentlich), Theobromin und Laxantien die Schmerzanfälle bei 
interstitieller Nephritis beruhigen. Die spontane Besserung tritt ein 
nach spontaner Entwicklung einer funktionellen Mitralisinsuffizienz, durch 
Vorhoferweiterung. Bei Myocarditis wirken am besten Digitalin, Vio rag» 
während 3—4 Tagen per Woche, und Theobromin. — Alle diese Formen 
bedürfen einer Allgemeinbehandlung, Nitrite (ausgenommen bei Aero- 
pbagen), schwache Morphiumdosen (1 mg alle 3 Stunden) und nament¬ 
lich Bettruhe. Ferner kleine, alle 2 Stunden wiederholte Mahlzeiten, 
sehr wenig Flüssigkeit. Unter diesen Konditionen heilt nach 70 Jahren 
die Angina meist, wenn man die Behandlung l 1 /*—3 Jahre fortsetzt. 

Diskussion. 

Hr. Robin ist besonders für Angina bei Fettleibigen und Aoro- 
phagen gleicher Meinung. Die ersteren verlieren die Anfälle durch eine 
gut geleitete Entfettungskur, mit der auch gleichzeitig die Albuminurie 
verschwindet. Bei Aerophagen ist die Diagnose schwerer, weil oft 
gleichzeitig Gärungserscheinungen bestehen. Uebrigens ist eine tödliche 
Syncope infolge äusserster Dehnung des Magens durch Gase sehr selten. 

Sitzung vom 8. Oktober 1912. 

Hr. Letulle liest den Kommissionsberieht über die Frage der 
obligatorischen Krankenmeldnng bei Tuberkulose. Er schickt voraus, 
dass es sich allein um diejenigen Fälle handeln könne, bei denen der 
Patient durch regelmässige Ausstreuung von Koch’schen Bacillen aus 
seinem Körper zu einem Verbreitungsherd der Krankheit wurde: also 
um offene Tuberkulosen. Die Frage wurde schon 1889 von Villemin 
aufgeworfen und seither an Hand von Berichten von Grancher, 
Thoinot, Robin besprochen, man kam aber zu keinem definitiven 
Entschluss. Inzwischen wurde die obligatorische Tuberkulose-Kranken¬ 
meldung und Desinfektion in Dänemark im Jahre 1900 eingeführt, 1901 
in Norwegen, in Deutschland und England mit einigen Einschränkungen, 
während die Krankenmeldung in Frankreich fakultativ geblieben ist. 
Heute wäre es möglich, dank dem gewaltigen Fortschritt, den die öffent¬ 
liche Meinung in bezug auf soziale Hygiene gemacht hat, bessere Anti¬ 
tuberkulosemaassregeln aufzustellen. Dafür bedarf man aber der Mit¬ 
hilfe des praktischen Arztes, der wegen Gefährdung des ärztlichen 
Geheimnisses wenig dafür eingenommen ist, wie aus den lebhaften Dis¬ 
kussionen in verschiedenen Syndikaten und ärztlichen Gesellschaften 
hervorgeht. 

Herr Letulle meint, man sollte sich bei Aufstellung der Anti¬ 
tuberkulinmaassregeln an folgende Grundsätze halten: l. Die mensch¬ 
liche Tuberkulose wird meist durch das Sputum verbreitet. 2. Die Ver¬ 
breitung der Tuberkulose wird eingeschränkt durch den Kampf gegen 
den Alkoholismus, gegen ungesunde Wohnungen, gegen Nährmittel- 
fälschuDgen und durch die Beschaffung gesunder, billiger Nahrung und 
lohnender Arbeit in bestmöglichen hygienischen Verhältnissen. 3. Die 
Krankenmeldung der Tuberkulose wird obligatorisch, wenn es sich um 
offene Tuberkulose handelt. 4. Die Krankenmeldung ist Pflicht des 
Familienvaters oder der an seiner Stelle verantwortlichen Person (An¬ 
staltsvorsteher, Vermieter usw.) und endlich, wenn diese nicht vorhanden, 
des Arztes. 5. Die gültige Krankenmeldung muss von einem Zeugnis 
begleitet sein, das der behandelnde Arzt dem Familienvater ausstellt, 
zu Händen eines Arztes des Gesundheitsamtes, der für Wahrung des 
ärztlichen Geheimuisses verantwortlich ist und nach der Desinfektion die 
nötigen Zeugnisse ausstellt. Es wäre also nötig, solche medizinischen 
Amtspersonen zu schaffen, das Geheimnis der KrankenmelduDg wäre 
somit nur dem Familienoberhaupt, dem behandelnden Arzt und dem 
ärztlichen Gesundheitsbeamten bekannt. 6. Der Staat verpflichtet sich 
zur Desinfektion und zur Unterstützung der mittelosen Kranken. 7. Eine 
besondere Verordnung stellt die für Zeugnisse zu -entrichtenden Ge¬ 
bühren fest usw., es muss also im Staatsbudget ein besonderer Artikel 
„Tuberkulose“ aufgenommen werden. 

Hr. Achard berichtet über lokale Salvarsanbehandlnng der 
Angina Vincenti. Da diese Angina eine lokale Spirillenkrankheit ist, 
proponierte Vortr. lokale Arsenobenzolbehandlung. In einem neuen 
Fall trat vollkommene Heilung in 4 Tagen ein. Es ist oft schwer, die 
Angina Vincenti von Syphilis zu unterscheiden; eine Hg-Behandlung 
könnte gefährlich werden bei Angina Vincenti und zu Gangrän führen, 
während Arsenobenzol bei Angina Vinoenti lokal gut wirkt, ebenso auch 
bei Syphilis. Ausserdem ist diese Behandlung gefahrlos und sehr einfach. 

Hr. Vincent berichtet über Antityphnsimpfnngen mit polyvalentem 
Impfstoff. In Marokko sind die 1911 geimpften Truppen immun ge¬ 
blieben. Eine heftige Epidemie (1500 Fälle) in Avignon zeigt von 
neuem die Wirksamkeit der Impfung. Von 2053 Mann der Garnison 
waren 525 Mann vor der Epidemie geimpft worden, 841 bei Eintritt der 
Epidemie. Bei den Truppen wurden 155 Patienten mit 21 Todesfällen 
verzeichnet, und zwar nur bei Ungeimpflen. Bei den 841 während der 
Epidemie Geimpften waren keine Zeichen der sogenannten negativen 
Phase zu beobachten. Es blieben 200 Mann verschont, welche nur zwei 
oder eine einzige Injektion bekommen hatten. 

Hr. Boeekel beschreibt eine besondere Form der Appendieitis, 
bei der das freie Ende der Appendix mit dem vorderen Blatt des Mesen¬ 
teriums verwachsen ist. Bei der Perforation der Appendix entleert sich 
bei diesem Patienten der toxisch-infektiöse Inhalt der Appendix zwischen 
die beiden Blätter des Mesenteriums, und es entsteht ein Tumor, der 
mit einem Empyem der Gallenblase verwechselt werden kann. Raseh 


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44 


Nr. 1. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


verwachsen die umliegenden Darmschlingen zu einer kompakten Masse. 
Zwischen den einzelnen Schlingen entstehen Eiterherde, der Exitus durch 
Peritonitis ist sicher. Eine Chance der Heilung besteht in ausgedehnter 
Resektion der verwachsenen Schlingen. Vortr. hat bei einer 39 jährigen 
Patientin 80 cm Ileum, 90 cm Coecum und Colon ascendens reseziert 
und dann das Ileum mit dem, Coecum anastomosiert. Patientin heilte 
vollständig. 

Sitzung vom 15. Oktober 1912. 

Hr. Poncet erinnert an seine vor 20 Jahren mit Herrn Leriche 
gemachten Versuche mit Heliotherapie bei Tuberkulose, hartnäckigen 
Geschwüren, infizierten Wunden, verlangsamter Konsolidation der Frak¬ 
turen usw. Diese Behandlung sollte in grösserem Maassstabe durch¬ 
geführt werden und in jedem Krankenhause möglich sein mittels be¬ 
sonders geeigneten Terrassen und der Sonne ausgesetzten Baracken, bis 
besondere Anstalten in günstiger Lage hergestellt worden sind. Er 
meint, die Sonne der Riviera könne den Kranken ebenso nützlich sein 
als eine Sonnenkur in der Schweiz. 

Diskussion. Hr. Henrot betont, dass in St. Gervais und 
La Motte-Beuvron solche Anstalten bestehen. 

Sitzung vom 22. Oktober 1912. 

Hr. Widal spricht über den hämatogenen Ursprung gewisser 
Formen der Appendicitis. Obwohl klinische, pathologisch-anatomische 
und experimentelle Tatsachen für diesen hämatogenen Ursprung sprechen, 
konnten doch bisher noch in keinem Fall die Keime, die die Appen- 
dicitis veranlassen, im Blut durch Häraokultur nachgewiesen werden. 
In einem mit den Herren Abrami, Brissaud und Weissenbach be¬ 
obachteten Fall gelang es, die ganze Folge der infektiösen Erschei¬ 
nungen zu beobachten und die Septikämie festzustellen, die plötzlich 
eine letal verlaufende, perforierende Appendicitis veranlasste. Patientin 
zeigte während 14 Tagen das klassische Bild einer Typhusinfektion ohne 
Zeichen von Appendicitis. Die Blutkultur erlaubt zweimal den Nachweis 
von Paratyphus B-Bacillen. Dann traten plötzlich peritoneale Erschei¬ 
nungen auf mit Exitus in 24 Stunden. Die Autopsie zeigte eine per¬ 
forierte Appendix mit Ecchymosen am Coecum. Ueberall war Para¬ 
typhus B fast in Reinkultur. Die Einschleppung auf dem Blutwege war 
bewiesen durch zahlreiche Kolonien des Paratyphus B in den Capi Haren 
der Wandungen von Appendix und Coecum. Diese Typbo-Appendicitis 
war die einzige Darmlokalisation der Typhusseptikämie. Der Dünndarm 
war ganz frei, besonders die Peyer’schen Plaques. Die Beobachtung 
zeigt, dass nach den verschiedensten Infektionen, selbst nach Eiterungen 
im Unterhautzellgewebe, wie im berühmten Fall von Gambetta, eine 
Appendicitis entstehen kann. Die möglichst früh gemachte Blutkultur 
könnte diese Frage noch weiter aufklären. 


Sozialärztliche Jahresschau. 

Mobilmachung braucht nicht unbedingt den Krieg zu bedeuten; das 
hat jedermann aus dem im Gefolge des Balkankrieges eingetretenen Ver¬ 
wickelungen lernen können. Diese Vorgänge lehrten aber auch von 
neuem, dass alles darauf ankommt, rechtzeitig in Bereitschaft zu sein; 
denn nur dann lassen sich wichtige Forderungen mit dem gehörigen 
Nachdruck vertreten. Ein schwacher Gegner wird geringschätzig ab¬ 
getan, sei seine Sache auch noch so gerecht. 

Auf dem sozialen Schauplatze gibt es nicht Schwertgeklirr und 
Donnerhall, aber die Gegensätze, die hier ausgefochten werden, begreifen 
doch auch oft genug das Wohl und Wehe vieler Einzelpersonen und 
Familien in sich. . Und nach den 30 Jahren sozialer Versicherungs- 
entwicklung in Deutschland, nach den heftigen Mitbewegungen, mit 
denen die Interessentengruppen die einzelnen Phasen der Gesetzwerdung 
der Reichsversicherungsordnung begleitet haben, musste jeder erwarten, 
dass mit der Einführung der RVO. die Kassenärztefrage endlich zu einer 
definitiven Lösung kommen würde. Für die deutschen Aerzte bedeutet diese 
Lösung nicht mehr und nicht weniger als die Frage, ob sie in Zukunft 
ein freier Stand bleiben oder nicht. 

Ziel und Richtung waren der deutschen Aerzteschaft durch die 
Beschlüsse des Stuttgarter Aerztetages vorgezeichnet, und schon im 
Februar v. J. lagen die taktischen Direktiven des Geschäftsausschusses 
des Deutschen Aerztevereinsbundes für eine grosszügige und planvolle 
Defensivrüstung vor. Der Schwerpunkt wurde in die Bildung von 
lokalen Organisationen gelegt, deren Zweck Abschluss und Durch¬ 
führung kollektiver Kassenarztverträge sein sollte. Jeder Arzt, 
soweit er zum Praktizieren berechtigt ist, soll beitrittsberechtigt sein. 
Der Vertragscentrale in Leipzig fällt die Aufgabe zu, das gesamte 
Material von Verträgen kritisch zu bearbeiten. Jede Verzettelung von 
Kräften in Einzelkämpfen soll vermieden werden, denn eine in grossem 
Stil arbeitende Strategie verlangt naturgemäss ein einheitliches, gleich- 
mässiges und geschlossenes Vorgehen allerTruppenkörper. Diese Forderung, 
in den Direktiven klar ausgesprochen, fiel den Herren auf der Kassen¬ 
seite auf die Nerven, und ilugs interpretierte man hier die Sache als 
Vorbereitung des ärztlichen Generalstreiks. Wie üblich, wurde mit 
diesem zurecht konstruierten Gespenst in Presse, Tagungen und Hinter¬ 
zimmern der Staatsbehörden operiert, und die Oeffentlichkeit weidlich 
vor den Schreckensplänen der sozialen Nihilisten graulich gemacht; 
immer wieder rief man ernsthaft den Schutz der Regierung „gegen die 


Bedrückung und Bedrohung durch den Leipziger Verband“ an. Daneben 
wurde natürlich eine umfassende Gegenrüstung betrieben, bei der wie 
immer, wo es gegen die Aerzte geht, proletarische und hochbourgeoise 
Vertreter der Kassenverbände in holder Gemeinschaft Zusammenarbeiten; 
und während sie in den öffentlichen Kundgebungen in aufdringlicher 
Weise ihre Friedensbereitschaft und den guten Willen betonen, den 
Aerzten eine staudesgemässe Stellung einzuräumen, zeigen ihre geheimen 
Abmachungen eine geradezu brutale Ablehnung aller ärztlichen 
Grundforderungen. In erster Linie wird die Freie Arztwahl 
a limine verworfen. Sonderhonorar für die Versicherten zwisch en 
2000 und 2500 M. wird abgelehnt. Dagegen soll eine weitere Be¬ 
schränkung der Kassenpraxis auf einen möglichst kleinen Kreis 
von Aerzten angestrebt werden, indem sämtliche Kassengattungen mög¬ 
lichst sich derselben Aerzte bedienen. Von der Heranziehung von 
Heildienern soll ausgiebigster Gebrauch gemacht und alle Mittel ver¬ 
sucht werden, sich gegebenenfalls in dem vertragslosen Zustand, wie er 
durch den § 370 RVO. geschaffen würde, zu behaupten. Verwegene 
Pläne treten da auf: Wenn die Anwerbung von „Vertrauensärzten“ 
misslingt, soll womöglich Abkommandierung von beamteten, ja von — 
Militärärzten den maassgebenden Stellen nahegelegt werden. 

Man scheint doch eiu unbegrenztes Vertrauen zur Hilfsbereitschaft 
der Regierenden für eine der beiden Parteien zu haben, und es ist 
interessant, zu verfolgen, inwieweit die Staatsregierung sich ihrerseits 
aus der ihr naturgemäss zukommenden und von ihr stets behaupteten 
wohlwollenden Neutralität herausdräugen lässt. 

Von dem grossen Einfluss namentlich der rheinisch-westfälischen 
Schwerindustrie hat man ja Proben genug erlebt; andererseits aber 
kann auch oben kein Zweifel mehr darüber herrschen, dass hinter dem 
Leipziger Verband tatsächlich die deutsche Aerzteschaft steht. Sehr zu 
denken muss insbesondere gegeben haben die Einstimmigkeit, mit der 
an Stelle des langjährigen, für alle Zeit vorbildlichen Führers des 
Deutschen Aerztevereinsbundes, Loebkers, ein Mann gewählt 
wurde, der bis dahin im Vorstand des Leipziger Verbandes ge¬ 
sessen hatte. Die Einmütigkeit, von der Dippe’s Wahl getragen war, 
erweckt die besten Hoffnungen und ist das stärkste Unterpfand dafür, 
dass er würdig das Erbe Loebkers verwalten wird, aber auch dafür, 
dass in künftigen Kämpfen diejenigen Prinzipien auf ärztlicher Seite 
sich behaupten werden, welche den Leipziger Verband volkstümlich 
unter den Standesgeuossen und gefürchtet und bis aufs Blut gehasst 
bei den Gegnern gemacht haben. 

Dass er nicht ganz so schlecht sein kann wie sein Ruf, beweist die 
erfreuliche Wendung, welche die Verhandlungen zwischen ihm und der 
Reichspostverwaltung in Sachen der Krankenkasse für Post- und 
Telegraphenunterbeamte genommen haben; wenn auch noch kein Vertrags¬ 
abschluss erzielt ist, so spricht doch alles dafür, dass hier einmal eine 
Reichsbehörde für die Berechtigung des Verlangens auf freie Arztwahl, 
Beschränkung auf die 2000 M.-Einkommensgrenze, paritätische Schieds¬ 
gerichte usw. ein weitblickendes Verständnis beweist, das leider den 
Vertretern der grossen Kassenverbände abgeht, und dessen F’ehlen eben 
der letzte Grund für den dauernden Karapfzustand ist. 

Freilich wäre, das Zustandekommen eines Tarifvertrags zwischen 
Leipziger Verband und Reichspost vorausgesetzt, letztere wahrhaft ein 
rara avis auch unter den staatlichen Behörden. Hier überwiegt ja 
naturgemäss die bureaukratische Auffassung jeglichen Verhältnisses, wo¬ 
durch a priori dem Amtlichen und Halbamtlichen der Vorzug vor allem 
gesichert ist, was das Stigma des „Freien“ trägt. Das zeigt sich in 
peinlicher Weise wieder, nachdem die Privatbeamtenversieherung, 
deren Maschen sich die Aerzte als Objekt glücklich entwunden haben, 
ihren Einzug in die Praxis genommen hat. Sofort taucht seitens des 
Direktoriums dieser Versicherungsanstalt der Plan auf, die Mitarbeit 
der froipraktizierenden Aerzte auszuschalten; es soll vielmehr 
ein „lückeulos das ganze Reich überziehendes Netz von geeigneten Ver¬ 
trauensärzten, am besten durch Heranziehung der beamteten 
Aerzte“ geschaffen werden. Jeder Praktiker weiss, wie willkürlich die 
Trennung von behandelnder und begutachtender Tätigkeit in den meisten 
Fällen ist, da ja gerade die erstere am ehesten den Schlüssel zur 
richtigen Beurteilung der kranken Persönlichkeit gibt. Jeder Praktiker 
kennt aber auch die fatale Rückwirkung einer solchen Monopolisierung 
der Gutachtertätigkeit auf die freie Praxis, indem dem Nimbus, den die 
beamtete Eigenschaft an sich verleiht, noch der einleuchtende Vorteil 
hinzugefügt wird, von demjenigen Arzte behandelt zu werden, der 
schliesslich über die Berufsunfähigkeit oder die Bewilligung eines Heil¬ 
verfahrens das entscheidende Wort zu sprechen hat. 

Es zeigt sich hier deutlich, wie jede Erweiterung der Versicherungs- 
idee unweigerlich der Verbeamtung des Aerztestandes zutreibt, 
und damit wäre ja auch das Ideal unseres rührigsten Freundes, des 
Betriebskrankenkassenverbandes in Essen, erreicht; wenigstens trocknet er 
gelegentlich seine Tränen mit folgendem Ausblick: „Will man gegen den 
Leipziger Verband nicht Vorgehen, auch keiue Behandlungspflicht für die 
Aerzte bei der Krankenversicherung einfübren, so gebe man wenigstens 
den Krankenkassen freie Hand, die ärztliche Behandlung durch eine 
Geldleistung abzugelteo, eine Maassnahme, die bei all ihren Mängeln 
das gute hätte, dass sie denUebergang zum beamteten Arzt- 
tum bei den Krankenkassen vorbereitet und damit zu der 
einzig möglichen Lösung der Arztfrage auf dem Gebiete der 
Reichs Versicherung führt.“ 

Diese Lösung mag ja dem Herrenstandpunkt jener Kreise wohl¬ 
gefällig sein. Die Aerzteschaft wird sich nach wie vor mit allen Kräften 


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6. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


45 


dagegen wehren, und vorläufig scheint doch auch noch an den Stellen, 
denen die Handhabung der Gesetze obliegt, der Wunsch und das Ver¬ 
trauen zu bestehen, dass es zwischen Aerzten und Kassen zu friedlichen 
Vereinbarungen auf dem Boden der paritätischen Vertragsschliessung 
kommt und damit die gedeihliche Entwicklung der Sozialversicherung 
gesichert wird. Es war ja auch der Sinn der schliesslichen Reichstags¬ 
beschlüsse, der freien Vereinbarung weitesten Spielraum zu lassen, da 
sich jede konkrete gesetzliche Regelung als verfehlt erwiesen hatte. Es 
muss anerkannt werden, dass seitens der Staatsbehörden der Versuch 
einer ehrlichen Vermittlung gemacht wird, und gerade das Ende des 
Jahres stand im Zeichen dieser Versuche von seiten des Reichsamts des 
Innern. Sie haben eine Vorgeschichte, deren Einzelheiten erst jetzt 
bekannt geworden sind. Das preussische Ministerium des Innern — 
dessen Vertreter übrigens bei früherer Gelegenheit in einer parlamen¬ 
tarischen Kommissionssitzung über Koalitionsrecht und Selbsthilfe¬ 
bestrebungen der Aerzte verständig und tapfer sich ausgelassen hatte — 
hat bereits im Mai v. J. eine vertrauliche Besprechung mit Vorstands¬ 
mitgliedern des Leipziger Verbandes über Regelung des Verhältnisses 
zwischen Aerzten und Kassen gehabt, in der protokollarisch festgelegt 
wurde, dass der Leipziger Verband weder an einen General¬ 
streik denkt noch rücksichtslos auf der Durchführung der 
freien Arztwahl besteht, vielmehr nur erstrebt, dass der Abschluss 
neuer Verträge durch die beiderseitigen Organisationen nach 
Maassgabe der örtlichen Verhältnisse erfolgt. 

Man sollte annehmen, dass diese Vereinbarungen die Unterlage für 
eine weitere Verständigungsaktion hätten abgeben müssen, wie sie 
der Staatssekretär des Innern im November begonnen hat, durch 
Einladung an die Hauptverbände der Kassen einerseits, an Leipziger 
Verband, Aerztevereinsbund und eine Reihe von Aerztegruppen anderer¬ 
seits, unter denen sich neben Vertretern des monopolisierten Systems 
auch der — Reichsverband deutscher Aerzte befand. Als Unterlage für 
die Verhandlungen sollte ein vorläufiger Entwurf von Grundzügen für 
eine Vereinbarung dienen, der allerdings in ängstlichster Weise den 
Hauptstreitpunkten aus dem Wege geht und unter allen Vor¬ 
behalten über die Freiheit der Kassen, ihren Standpunkt zur organi¬ 
sierten freien Arztwahl zu wahren und entsprechende Verträge mit dazu 
bereiten Aerzten abzuschliessen, lediglich gewisse Normen über die Ein¬ 
richtung von Schiedsinstanzen vorschlägt, wie sie ähnlich bereits im 
ersten Entwurf der RVO. figurierten. Charakteristisch übrigens ist, dass 
das „Schiedsamt“ beschlussfähig sein soll, wenn selbst nur 
die drei beamteten Mitglieder anwesend sind (!). 

Es war vorherzuseheD, dass der Leipziger Verband nicht ohne 
weiteres auf diesen Boden treten würde, ja es wäre in Aerztekreisen 
schwer verstanden worden, hatte er es getan. So entwickelte sich ein 
reger Briefwechsel zwischen Delbrück und Hartmann, in welchem 
letzterer namens des «Vorstandes des Leipziger Verbandes entschieden 
ablehnt, mit einem Vertreter des sogenannten Reichsverbandes gemein¬ 
sam zu verhandeln, und auf diesem Standpunkt selbst nach dem etwas 
gereizt klingenden Ultimatum des Staatssekretärs beharrt, und zwar „auf 
Grund früher gemachter Erfahrungen, dass durch die sonst unvermeid¬ 
lichen, weil gewollten Auseinandersetzungen gegnerischer Aerzte das er¬ 
sehnte Ziel der Konferenz, nämlich eine Verständigung mit den Kassen¬ 
verbänden, vereitelt wird“. Allerdings besteht ausserdem beim Leipziger 
Verband auch das sachliche Bedenken, dass die ganze Konferenz an¬ 
gesichts des geplanten farblosen Programms zwecklos sein muss, wenn 
nicht in erster Linie über Zulassung und Anstellung von 
Kassenärzten verhandelt und eine Verständigung herbeigeführt 
wird. Wenn also die geplante Friedenskonferenz in den Präliminarien 
stecken bleibt, wird der Leipziger Verband den etwaigen Vorwurf, das 
Scheitern „verschuldet“ zu haben, ruhig ertragen können. Die Vor¬ 
bereitung des ganzen trägt zu sehr den Stempel der Einseitigkeit; 
der Zankapfel ist mit der Einladung des „Reichsverbands“ gegeben, 
dieses chimärischen Gebildes, von dem wohl nur Herr Busch und der 
liebe Gott weiss, woraus es besteht, und diese Einladung ist auf den 
dringenden Wunsch der Kassen verbände erfolgt, wie der Staatssekretär 
erklärt. (Wer hatte vorher die Aerzte nach ihren Wünschen gefragt?) 
Er passt zu einer Verständigungsaktion wie die Faust aufs Auge, und 
cs bezeugt seitens des Leipziger Verbandes demgemäss den ernsten 
Willen, eine Konferenz lediglich zu erspriesslicbem Zweck mitzumachen, 
wenn er strikte ein Element des Unfriedens a priori ablehnt. 

Im Notfall wird man auch auf Generalverhandlungen, die ja doch 
nur rein informatorischen Wert haben sollen, verzichten können. 
Im Bewusstsein ihrer guten Sache und gesammelten Kraft können 
die im Leipziger Verband geeinten Aerzte der Zukunft ruhig entgegen¬ 
sehen. Das war auch die Stimmung der Hauptversammlung in 
Leipzig, die diesmal zugleich einen Ersatz für den Aerztetag bildete. 
Mit Genugtuung erfuhr man dort, dass die oben erwähnte Organi¬ 
sation von Lokal verbänden fast lückenlos im ganzen Reiche 
durch ge führt ist, und nicht wenig Verwunderung freudigster Art er¬ 
weckte es, dass auch in Berlin, das bisher für die einheitliche Organi¬ 
sationsbemühung als verzweifelter Fall galt, eine befriedigende Einigung 
aller kassenärztlichen Gruppen behufs gleichmässigen und gemeinschaft¬ 
lichen Handelns in einer Reihe wichtiger Fragen erzielt worden ist. 
Glänzend ist auch das Resultat der unverzinslichen Anleihe zu 
nennen, die voraussichtlich, wenn alle Zeichnungen abgeschlossen sind, 
eine Million Mark noch übersteigen dürfte. Auch die Erfolge, 
die der Leipziger Verband durch seine Vereinbarungen mit dem Ver¬ 
band öffentlicher Lebensversicherungen erzielt hat, sowie die 


Aussicht auf Verlängerung des Tarifvertrags mit den grossen 
kaufmännischen Verbänden sind günstige Vorzeichen für das 
Kommende. 

Ein recht bitterer Tropfen ist leider in die Sylvesterbowle durch 
einen Erlass des preussischen Ministers des Innern geträufelt worden, 
der nicht allein in ärztlichen Kreisen befremden muss. Er richtet sich 
gegen die Erlangung der Rechtsfähigkeit der kassenärztlichen 
Lokalvereine (s. o.) auf dem Wege der Eintragung ins Vereinsregister, 
indem er mittels einer, wie uns scheint, anfechtbaren Argumentation dar¬ 
tut, dass ihr Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet 
ist. Die Tätigkeit dieser Vereine durch Abschluss von Verträgen sei 
„auf den Umsatz wirtschaftlicher Güter insofern gerichtet, als ärztliche 
Hilfeleistungen auch einen wirtschaftlichen Wert haben und daher wirt¬ 
schaftliche Güter sind“. Das Gezwungene und Bedenkliche dieser be¬ 
grifflichen Deduktion wird auch dem juristischen Laien kaum entgehen; 
aber schon haben sich auch hervorragende Juristen, wie Reichsgeriohtsrat 
Ebermayer und der Berliner Universiätsprofessor Hellwigmit aller Ent¬ 
schiedenheit gegen diesen Erlass ausgesprochen (Deutsche med. Wochen¬ 
schrift, 1912, Nr. 51). Beunruhigend in Laienkreisen, wie wir es doch 
sind, musste aber geradezu der Schluss wirken, wo die Verwaltungsbehörden 
angewiesen werden, durch Vorstellungen bei den Amtsgerichten und 
nötigenfalls durch Appell an die Landgerichte dahin zu wirken, 
dass die Eintragung versagt, eine etwa erfolgte Eintragung gelöscht 
und der betreffende Verein auf die Erlangung der Rechtsfähigkeit durch 
staatliche Verleihung verwiesen wird. Das sieht einer Einwirkung auf 
die Gerichte verzweifelt ähnlich, deren unbeeinflusste, unparteiische, 
unabhängige Rechtsprechung dem Volk als höchstes Palladium gilt. 
Etwas muss bei der Emanation dieses Erlasses nicht in Ordnung gewesen 
sein, denn von dieser Regierungsstelle sind wir, seit ihr die Medizinal¬ 
abteilung angegliedert ist, unfreundliche Akte eigentlich nicht gewöhnt 
gewesen. Und trotz aller Kommentierungen, die schon halboffiziös be¬ 
ginnen, kann man den Erlass nicht anders als den Versuch einer Er¬ 
schwerung der Organisationsbewegung der Aerzte anseben. Wäre er 
nur vom juristischen Gewissen diktiert, das eine irrige Anwendung des 
§ 21 BGB. verhüten will, dann wäre das Justizministerium die hierzu 
legitimierte Instanz gewesen. Wenn man einer gut unterrichteten 
Korrespondenz glauben darf, so soll in dieser Sache noch der Aerzte- 
kammerausschuss vom Ministerium des Innern gehört werden, ehe die 
„Erwägungen“ sich zu einer Entscheidung verdichten. 

Wie dem auch sei, wir brauchen uns durch keinerlei Anfechtungen 
beirren zu lassen; unbekümmert wollen wir trotzdem und frohgemut auf 
der beschrittenen Bahn weiter ziehen, durchdrungen von der Ueber- 
zeugung, dass es hier nicht so sehr ankommt auf die Rechtsfähigkeit, 
als auf das gute Recht. Vollmann. 


Wiener Brief. 

Wien, im Dezember 1912. 

Die erste Nothnagelpreisvorlesung fand am 7. d. M. im Hör¬ 
saal der Klinik v. Noorden statt. Prof. Franz Hofmeister aus 
Strassburg i. E. sprach über die Bedeutung der Leber für den 
Zuckerstoffwechsel. Aus der grossen Notnagel-Stiftung wurde ein 
Betrag gerettet, dessen Zinsen alle zwei Jahre zur Abhaltung einer Noth¬ 
nagel-Preisvorlesuug an der Wiener Universität, ferner in Zukunft auch 
zur Prägung einer Nothnagel-Preismedaille verwendet werden sollen. 
Für die Wiener Universität bedeutet diese Preisvorlesung ein Novum au 
und für sich, und das Erscheinen Franz Hofmeister’s in einem 
Wiener Hörsaale hatte überdies einen sensationellen Beigeschmack. Be¬ 
kanntlich ist der Führer der deutschen physiologischen Chemiker ein 
Prager und entstammt einem deutsch-böhmischen Aerztehause. Wir 
Hessen Franz Hofmeister im Jahre 1896 aus Prag, wo er die Lehr¬ 
kanzel für medizinische Chemie innehatte, nach Deutschland wandern, 
um einem in weiteren Kreisen unbekannten jungen Chemiker, der zudem 
nicht Doktor der gesamten Heilkunde war, die Wiener Lehrkanzel anzu¬ 
vertrauen. Nunmehr wird diese Lehrkanzel vakant, und alle Arme der 
Wiener medizinischen Fakultät strecken sich sehnsüchtig nach Franz 
Hofmeister aus. Ob der Gelehrte, welcher in Deutschland eine Schule 
von Weltruf gegründet hat und jahraus jahrein 40 bis 50 österreichische 
Aerzte in seinem Auditorium sieht, der recht verspäteten Liebe der 
Wiener medizinischen Fakultät Folge leisten wird? 

Prof. Hofmeister entwickelte in seinem Vortrage folgendes: Die 
Kohlehydrate bilden im Stoffwechsel das Bindeglied zwischen den ver¬ 
schiedenen Nährstoffen. Sie können im Tierkörper einerseits aus 
Eiweiss, möglicherweise auch aus Fett hervorgehen, sind aber anderer¬ 
seits befähigt, Fett und unter Stickstoffaufnahme Aminosäuren, also Bau¬ 
steine des Eiweissmoleküls zu bilden. Ein Teil dieser Vorgänge voll¬ 
zieht sich in der Leber, die damit im Mittelpunkte des intermediären 
Stoffwechsels steht. In welchem Umfange sie dabei betätigt ist, lässt 
sich zum Teil durch Kombination von Versuch und mikroskopischer 
Untersuchung, am sichersten aber durch Eiperimente an dem isolierten, 
künstlich mit Blut gespeisten Organ ermitteln. Für solche Versuche 
eignet sich die Kaninchenleber besonders. Das Glykogen findet sich da 
bei reichlichem Gehalt in den Leberläppchen gleichmässig verbreitet. 
Im Hunger schwindet es von der Peripherie ab, bildet eine immer 
schmäler werdende Zone um die Centralvene, bis es am vierten bis 


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Nr. 1. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


fünften Hungertag auch da verschwindet. Anders gestaltet sich das Bild 
nach dem Zuckersticb; man findet dann das Glykogen zu einem grossen 
Teil ausserhalb der Leberzellen in deu erweiterten Lymphräumen, den 
Capillaren und Venen. Der Vorgang entspricht hier den an anderen 
Drüsen erforschten „echten“ Sekretionsvorgängen und zeigt, dass der 
Organismus befähigt ist, mit Hilfe des Sympatbicus im Bedarfsfälle das 
aufgespeicherte Glykogen in grossem Umfange zu mobilisieren. Vortr. legt 
dar, dass sich eine Reihe von früher schwer verständlichen Tatsachen 
aus diesen Beobachtungen erklären lässt. So vor allem die dem Zucker* 
stich folgende Hyperglykämie und Glykosurie, da das einmal in den 
Lymph- und Blutstrom gelangte Glykogen notwendig der diastatischen 
Wirkung des hier vorhandenen glykogenspaltenden Fermentes unterliegt 
und so zu einer Zuckeranreicherung im Blute mit ihren Folge¬ 
erscheinungen führt. Da das Glykogen nachweislich nur aus Trauben¬ 
zuckermolekülen aufgebaut ist, kann, streng genommen, nur der Trauben¬ 
zucker als direkter Glykogenbildner angesehen werden. Indes vermag 
die Leber auch aus anderem, und zwar einfacher gebautem Material 
Glykogen aufzubauen, wobei angenommen werden muss, dass der Trauben¬ 
zucker vorübergehend als Durchgangsstufe auftritt. Als solches Material 
haben sich Glykol, Glykolaldehyd, Glykolaldehyddicarbonsäure, Glycerin, 
Glycerinaldehyd, Glycerinsäure und Milchsäure ergeben, wobei der Leber 
recht verschiedene chemische Leistungen, Anbydrierung, Oxydation und 
Abspaltung von Kohlensäure, zufallen. Danach besitzt die Leber die 
wichtige Fähigkeit, Abbauprodukte, die sehr verschiedener Herkunft sein, 
von Eiweiss, Fett oder Kohlehydrat abstaramen können, durch Ueber- 
führung in Zucker neuerdings für den Organismus nutzbar zu machen. 
Unter diesen im Körper entstehenden Abbauprodukten nimmt wohl die 
Milchsäure der Menge nach die erste Stelle ein, und insofern kann man 
mit v. Noorden und Embden von einem Kreislauf der Kohlehydrate 
über die Milchsäure sprechen. Doch weisen die an der Leber ge¬ 
wonnenen Erfahrungen nicht darauf hin, als ob die Zuckerbildung aus 
Milchsäure leichter erfolgte als aus den übrigen nach dieser Richtung 
geprüften StolTen. Vielmehr ist anzunehmen, dass der in der Leber ge¬ 
bildete Zucker je nach den gegebenen Bedingungen aus verschiedener 
Quelle stammt, gleichwie er auch beim Verbrauche in verschiedener 
Weise abgebaut wird. Zum Schlüsse hob der Vortr. hervor, 
wie fruchtbar sich auf dem Gebiete des intermediären Stoffwechsels das 
Zusammenarbeiten der Physiologen und Pathologen gestaltet habe, und 
gab dem Wunsche Ausdruck, dass auf allen Gebieten der Medizin 
Theorie und Praxis einander immer näher treten und sich gegenseitig be¬ 
fruchten mögen. 

Im alten Allgemeinen Krankenhause wurde eine staatliche 
Radiumstation eröffnet, welche den praktischen Aerzten die Möglich¬ 
keit gibt, sich zu massigen Preisen mit wissenschaftlich geprüften und 
gemessenen Radiummengen zu versehen. Es hat nämlich nach lang¬ 
wierigen Verhandlungen in einer interministeriellen Konferenz die Wiener 
medizinische Fakultät ein halbes Gramm Radium erhalten. Das 
Kollegium bzw. die neue Station hat 4 pCt. Zinsen, ferner l f 2 pCt. zur 
Amortisation des Kapitals, schliesslich die bis zur Aktivierug der Station 
auflaufenden Betriebskosten zu zahlen. Der Vorstand der dermatologi¬ 
schen Klinik, Prof. Riehl, wurde mit der Organisation der neuen 
Station betraut. Der Tarif für die Emanation lautet wie folgt: 
10000 Mache-Einheiten 60 h., 25000 1,20 Kr., 50000 2 Kr., 100000 
3 Kr., 150000 4 Kr., 200000 5,50 Kr., 250000 5,50 Kr., 300000 6 Kr. 
Für die Entlehnung eines Radiumträgers zahlen praktische Aerzte je 
30 Kr. für 4 Stunden. In den letzten Tagen wurde auch ein Kurs ein¬ 
gerichtet, um die Aerzte in die Anwendungsweise der Radiumpräparate 
einzuführen. 

Ein Streik aller Kassenärzte Niederösterreichs wirft seine 
Schatten auf Wien. Ohne Wissen und Befragen der Kassenärzte haben 
die Bezirkskrankenkassen in Baden bei Wien, St. Pölten, Floridsdorf 
und Wr.-Neustadt, sowie die allgemeine Arbeiter-Kranken- und Unter¬ 
stützungskasse Neunkirchen, Wr.-Neustadt usw. eine Organisation ge¬ 
schaffen, um sich ärztliche Hilfe und Medikamente zu tunlichst billigem 
Preise zu verschaffen. Da sich der grösste Teil der Aerzte dieser Kassen 
und Verbände in einem Vertragsverhältisse befindet, das sie sogar 
zwingt, Mitglieder aller neubeitretenden Kassen zu behandeln, sahen 
sich die Kassenärzte gezwungen, am 1. November d. J. ihre Stellen 
niederzulegen. Bis auf weiteres sind alle Kassenarztstellen in Nieder- 
csterreich gesperrt, eine Kassenarztstelle darf nur im Einvernehmen bzw. 
mit Zustimmung der wirtschaftlichen Organisation der Aerzte Nieder¬ 
österreichs angenommen werden. 

Grosses Aufsehen hat die Rückweisung des Gesetzes zur 
Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten vom 
österreichischen Abgeordnetenhause an einen Ausschuss hervorgerufen. 
In diesen Tagen, da Seuchen sich in gefahrdrohender Weise an den 
Grenzen der Monarchie ausbreiten, schien es notwendig, das sogenannte 
Epidemiegesetz zur Tat werden zu lassen. Trotzdem gelang es einigen 
Gegnern der wissenschaftlichen Medizin und einigen angeblichen Vor¬ 
kämpfern der „persönlichen Freiheit“, die Inkrafttretung dieses Gesetzes 
zum vierten Male zu verhindern. Der Minister des Innern v. Heinold 
trat mit grosser V r ärme für das Gesetz ein; er meinte, die staatsgrund¬ 
gesetzlich gewährte Freiheit der Person habe mit diesem Gesetze nichts 
zu schaffen; ja, er erklärte sogar, dass ein staatsgrundgesetzlich gewähr¬ 
leistetes Recht, andere Personen anzustecken, nirgends bestehe. Aber 
Parteien, welche auch gegen die erstjährige Schulpflicht, angeblich im 
Interesse der „persönlichen Freiheit“, kämpfen, haben das Epideraiegesetz 
abermals geworfen. Merkwürdigerweise kämpften auch Aerzte in den 


Reihen der Gegner; ein Arzt fürchtete die Einführung des Impfzwanges 
in Oesterreich, ferner, dass durch Maassnahmen gegen die Verbreitung 
von Epidemien Gewerbetreibende geschädigt werden könnten. Ein 
anderer Arzt meinte, dass die Gesetzesvorlage zu wenig biete, er forderte 
Bestimmungen für die Prophylaxe, fiir die Assanierungsmaassnahmen, 
Vorschriften zur Verhütung der Kindersterblichkeit, in Betreff der 
Jugendfürsorge und des Mutterschutzes. Der Kollege warf unter dem 
Verwände, dass der Gesetzentwurf zu wenig biete, das ganze über den 
Haufen. Wir müssen uns demnach auch derzeit mit den alten und ver¬ 
alteten Hofdekreten und mit Sanitätsgesetzeu, welche den modernen An¬ 
schauungen durchaus nicht mehr entsprechen, bei der Bekämpfung der 
Infektionskrankheiten helfen. 

Die zweite medizinische Klinik ist seit dem Tode 
v. Neusser’s vakant, und man weiss nicht recht, was man mit dieser 
Klinik anfangen soll. Bekanntlich wurden vor zwei Jahren zwei 
Kliniker ernannt, die Zahl der medizinischen Kliniken von drei auf vier 
vermehrt. Damals behauptete man, dass cs unbedingt notwendig sei, 
den Studenten dio Gelegenheit zu einer intensiveren Ausbildung in der 
inneren Medizin zu bieten. Seit dem Tode v. Neusser’s ist von dieser 
Notwendigkeit nichts mehr zu spüren und zu hören. Im Gegenteil, bei 
der medizinischen Fakultät herrscht nunmehr die Ansicht vor, dass drei 
medizinische Kliniken den Anforderungen des Unterrichts vollständig 
genügen würden. Was soll nunmehr mit der systemisierten vierten 
Klinik geschehen? Man spricht davon, diese Klinik in eine chirurgische 
zu verwandeln, d. h. neben drei medizinische drei chirurgische Kliniken 
zu stellen, ein Wunsch, der schon wiederholt geäussert wurde. Die 
grösste Schwierigkeit, welche sich der Errichtung einer dritten chirurgi¬ 
schen Klinik, iür welche ja die Räume vorhanden sind, in den Weg 
legt, ist die Besetzungsfrage. Es gibt so viele tüchtige jüngere öster¬ 
reichische Chirurgen au österreichischen Universitäten und auch im Aus¬ 
lande, dass man, wie ein hervorragendes Mitglied des Professorenkollegiums 
gesagt hat, nur durch das Los entscheiden könnte, wem man die neue 
chirurgische Klinik verleihen solle. 

Tatsächlich wäre die Kreierung einer dritten chirurgischen Klinik 
für den UuterrichUbetrieb in Wien viel notwendiger als die Beibehaltung 
einer vierten medizinischen. Vicnnensis. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. Die Begründung einer Universität in Hamburg, von 
der schon vielfach die Rede war, ist jetzt durch einen Antrag des Senats 
an die Bürgerschaft (vom 20. Dezember 1912) in greifbare Nähe gerückt. 
Bekanntlich steht ja jetzt schon das Vorlesungswesen in Hamburg auf 
einer sehr hohen Stufe; und das Kolonialinstitut trägt, was die Art des 
Unterrichts und die Bedeutung der Professoren anlangt, durchaus die 
Züge des Universitätsstudiums. Will man jetzt die letzten Konsequenzen 
ziehen und das ganze zu einer wirklichen Universität ausbauen, so 
scheint als ein wesentlicher Wunsch dabei mitzuwirken, dass den in 
Hamburg an genanntem Institut Studierenden dann auch wirklich alle 
damit verbundenen Rechte erteilt werden, d. h. dass ihnen die dort ver¬ 
brachten Semester seitens anderer deutschen Universitäten angerechnet 
werden, und dass es ihnen ermöglicht wird, auch in Hamburg den Doktor¬ 
grad zu erwerben. Freilich hat man sich bisher noch nicht entschlossen 
können, ganze Arbeit in dem Sinne zu machen, dass eine Universität 
mit allen Fakultäten begründet wird — es soll vielmehr nur eine philo¬ 
sophische, eine naturwissenschaftliche, eine juristische und eine kolonial- 
wissenschaftliche Fakultät errichtet werden — Theologie und Medizin 
fallen vorläufig fort. Als Gründe, warum die Medizin ausgeschlossen bleibt, 
werden angeführt einmal, dass die Ergänzung der vorhandenen Anstalten 
zu Studienzwecken (es fehlen zurzeit anatomische und physiologische 
Institute) immerhin sehr bedeutende Summen erfordern würde, dann 
aber, dass die vorhandenen naturwissenschaftlichen Institute Dicht aus¬ 
reichen würden, wenn sie auch von Medizinern in den vorklinischen 
Semestern benutzt werden sollten. Immerhin wird man hierin wohl nur 
ein Provisorium zu erblicken haben; ist die Universität, die im übrigen 
in ihrer Organisation wesentlich den auch sonst in Deutschland bestehen¬ 
den angepasst werden soll, erst einmal geschaffen, so wird der völlige 
Ausbau auch hier — ebenso wie in Münster — zu erwarten sein; sind 
doch gerade in Hamburg durch die Grossartigkeit der klinischen An¬ 
stalten und die Persönlichkeit der dort wirkenden hervorragenden Aerzte 
die Vorbedingungen besonders günstig. 

— Durch Bundesratsbeschluss vom 12. Dezember v. J. wurde den 
Abiturientinnen von Studienanstalten für Mädchen die Gleichberechtigung 
für alle in Frage kommenden Berufe mit den Abiturienten der höheren 
Knabenschulen nunmehr auch hinsichtlich des ärztlichen Studiums erteilt. 

— Die 15. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für 
Gynäkologie findet vom 14.—17. Mai 1913 in Halle a. S. statt. Die 
Sitzungen werden in der Aula und im Auditorium maximum der Uni¬ 
versität abgehalten. Das für die Verhandlungen bestimmte Thema 
lautet: „Die Beziehungen der Erkrankungen des Herzens und der Nieren 
sowie die Störungen der inneren Sekretion zur Schwangerschaft.“ Re¬ 
ferenten sind die Herren Fromme, Zaugemeister, Seitz. Die 
definitive Liste der Vorträge wird später veröffentlicht werden. An¬ 
meldungen von Vorträgen werden bis spätestens den 20. April 1913 an 
den 1. Vorsitzeuden erbeten. 


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UNIVERSUM OF IOWA 




6. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


47 


— Eine historisch-medizinische Ausstellung seltener und 
merkwürdiger Gegenstände, die sich auf Medizin, Chemie, Pharmakologie 
und ihre verwandten Wissenschaften beziehen, wird im Zusammenhang 
mit dem internationalen Kongress in London vorbereitet. Ein Aufruf 
für Leihobjekte hatte so vollen Erfolg, dass wahrscheinlich eine der 
interessantesten Sammlungen historisch-medizinischer Gegenstände, die 
je zusammengebracht wurde, während der Dauer des Kongresses zur 
Schau gestellt sein wird. Eine der vielen interessanten Sektionen um¬ 
fasst medizinische Götter- und Götzenbilder wilder, barbarischer oder 
sonst primitiver Völker. Durch die Liebenswürdigkeit von Freundesseite 
var es möglich, Beispiele solcher von allen Teilen der Erdkugel zu er¬ 
halten, doch klaffen noch immer Lücken, weshalb alle, die solche Objekte 
besitzen, ersucht werden, sich diesbezüglich mit dem Ausstellungssekretär, 
dessen Adresse unten angegeben ist, ins Einvernehmen zu setzen. 
In der Abteilung für Chirurgie wird der Versuch gemacht werden, die 
historische Veränderung und Entwicklung der wichtigsten Instrumente, 
die heute im Gebrauch stehen, darzustellen, weshalb die Vereinigung 
einer möglichst grossen Anzahl von Instrumenten, wie sie in allen 
Teilen der Welt, bei wilden und zivilisierten Völkern, in Gebrauch sind, 
äusserst wünschenswert erscheint. In der Pharmakologie und Botanik 
sind besondere Ausstellungsgegenstände ins Auge gefasst, die Modelle 
alter Apotheken, Laboratorien und merkwürdige Ueberbleibsel aus dem 
Gebiete der Alchemie früherer Zeiten umfassen sollen. Auch Beispiele 
alter und ungewöhnlicher materia medica aus allen Erdteilen werden 
zur Ausstellung gelangen. Eine vollständige und illustrierte Uebersicht 
vird allen Interessenten auf Wunsch durch „The Secretary, 54a Wigmore 
Street, London W. (England),“ zugestellt. 

— In Boston starb Dr. Arthur Cabot, Chirurg am Harvard- und 
am Massachusetts Grand Hospital, namentlich durch tüchtige Leistungen 
auf dem Gebiete der Harnchirurgie bekannt. 

— Einer der angesehensten und persönlich beliebtesten Kollegen, 
der Frauenarzt Geh. Sanitätsrat Dr. Ben icke, ist am 27. d. M. verstorben. 

— Herr Prof. Hermann Oppenheim wurde von der Gesellschaft 
italienischer Nervenärzte in Rom zum Ehrenmitglied ernannt. 

Hochschulnachrichten. 

Breslau. Geheimrat Ponfick, Direktor des pathologischen In¬ 
stituts, tritt mit Ende des Wintersemesters vom Lehramt zurück. — 
Düsseldorf. Den Titel Professor erhielten die Dozenten der Akademie 
DDr. Engel (innere Medizin), Janssen (Chirurgie), v. d. Velden (Kinder¬ 
krankheiten). — Marburg. Prof. Schenck, Direktor des physiologischen 
Instituts, wurde Geheimer Medizinalrat. — Heidelberg. Der Privat- 
dczent Dr. Gross hat einen Lehrauftrag für gerichtliche Medizin er¬ 
balten. Habilitiert: Dr. Elze (Anatomie). — Budapest. Der Privat¬ 
dozent für Gynäkologie Dr. Dirner ist gestorben. — Wien. Habilitiert: 
Dr. R. Bauer (innere Medizin). — Innsbruck. Prof. v. Rokitansky 
feierte seinen 70. Geburtstag. 


Gang der Volkskrankheiten. 

Pest. Aegypten (30. XI.—6. XII.) 3. Britisch-Ostindien 
10.-16. XL) 2845 und 2246 f. Philippinen (27. X.—5. XI.) 3. 
Britisch-Ost afrika (21. X.—16. XI.) 17, davon 16 f. Venezuela 
23. X.j 1 und 1 f. Chile (22. IX.—26. X.) 3 und 2 +. Peru (15. X. 
bis 11. XL) 10 und 2 +• — Cholera. Türkei (3.—9. XII.) 540 und 
*229 +. Straits Settlements (7.—18. XI.) 3 +. — Gelbfieber. 
Heiiko (31. X.—3. XL) 1 und3+. Venezuela (20. X.—2. XI.) 2. 
Brasilien (27. X.—2. XI.) 2 und 2 f*— Pocken. Deutsches Reich 
15.-21. XII.) 3. Oesterreich (l.—14. XII.) 7. Schweiz (1. bis 
XIL) 4. — Fleckfieber. Oesterreich (1.—14. XII.) 101. — 
Genickstarre. Preussen (8.—14. XII.) 5 und 2+. Schweiz (l.bis 
7 . XII.) 1. — Spinale Kinderlähmung. Preussen (8.—14. XIL) 2. 
— Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb an Scharlach in 
K-nigshütte, Rostock, Zabrze; an Masern in Hagen, Hamborn, Kaisers- 
Gütern, Mülheim (Rhein), Oberhausen, Rheydt; an Diphtherie und 
Krupp in Gladbeck, Gleiwitz; an Keuchhusten in Recklinghausen; 
an Typhus in Rheydt. 


Amtliche Mitteilungen. 

Pergonalien. 

Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 3. Kl. mit der Schleife: 

ordentl. Professor, Geb. Med.-Rat Dr. E. Sieraerling in Kiel. 

K-jsigl. Kronen-Orden 3. KL: Geh. San.-Rat Dr. E. Solger in 

Berlin. 

Ctarakter als Geheimer Medizinalrat: ordentl. Professor 
Dr. Schenck in Marburg. 

den Ruhestand getreten: Kreisarzt, Med.-Rat Dr. A. Schnelle 
■n Hildesheira. 

Ernennungen: Kreisassistenzarzt Dr. R. Gaehtgens in Gelsenkirchen 
zum Kreisarzt in Neumark (Westpr.); Arzt Dr. A. Niewerth in 
Hüdesheim zum Kreisarzt daselbst; Arzt Dr. M. Abesser in Ballen¬ 
stedt a. Harz zum Kreisassistenzarzt in Gelsenkirchen. 
Niederlassungen: Dr. K. Weiter in Kerpen, Arzt M. Töpfer in 
Bonn, Dr. L. Reischig und Dr. F. Ebeler in Cöln. 


Verzogen: Dr. H. Zimmermann von Reisen nach Charlottenburg; 
Dr. A. Friedländer von Wien, Dr. F. Herr mann von Buckow 
(Kreis Teltow), Dr. K. Levi von Hamburg, Dr. E. Martin, Geh. 
San.-Rat Dr. E. Odebrecht, Dr. W. Rosenberg und Dr. M. 
Stickel von Berlin und Dr. S. Wygodzinski von Beuthen 
in Oberschlesien nach Berlin-Schöneberg; Dr. H. Darms und Dr. 
A. Neumann von Charlottenburg nach Berlin-Wilmersdorf, Dr. I. 
Spier von Berlin nach München, Dr. R. Hoefft von Teupitz nach 
Lichtenberg, Aerztin Dr. F. Cordes von Dresden nach Franz.-Buch- 
holz, Dr. K. G. A. Herapel von Charlottenburg-Westend nach Wuhl- 
garten, Dr. W. Sochaczewski von Berlin und Dr. H. Zahn von 
Blankenburg i. Th. nach Pankow, Dr. E. Crüger von Berlin nach 
Hermsdorf b. Berlin, Dr. F. Noltenius von Rahnsdorf nach Bornim 
b. Potsdam, Dr. Chraplewski von Charlottenburg nachWriezen, Dr. 
R. Bräuler von Konstantinopel nach Falkenhagen b. Berlin, Dr. H. 
Grenacher von Berlin nach Teupitz, Dr. E. Ha hl weg von Picher 
(Mecklenburg) nach Wannsee, Dr. W. Dodel von Schöneberg und Dr. 
H. F. Neuendorff von Marienwerder nach Berlin-Steglitz, Dr. P. Ko 11- 
mann von Marburg nach Beelitz, Arzt P. Neumann von Oranienburg 
nach Golzow, Dr. H. Lehrecke von Rengsdorf b. Neuwied nach Saar¬ 
mund, Dr. C. Eisenbach von Stuttgart nach Culm, Arzt J. Mag 
von Wronke nach Czersk, Dr. F. Kontny und Dr. M. Serog von 
Breslau nach Obernigk, Dr. F. Lewy von München, Dr. R. Krails- 
heimer von Stuttgart, Dr. E. Zalewski von Berlin und Dr. E. 
Lesohik von Namslau nach Breslau, Dr. J. Cludius von Hildesheim 
nach Trebnitz, Stabsarzt Dr. R. H ad lieb von Beeskow nach Magde¬ 
burg, Oberärzte Dr. J. Bauer von Jericbow und Dr. P. G. A. Riebel 
von Metz nach Uchtspringe, Dr. P. Ritter von Uchtspringe nach 
Jerichow, Dr. R. Schönberner von Berlin nach Weissenfels, Arzt D. 
Lütjens von Schöppenstedt nach Zeitz, Dr. E. Delorme von Erfurt 
nach Halle a. S., Dr. F. Schwerdtfeger von Halle a. S. nach Mainz, 
Dr. M. Ludwig von Barntrup (Lippe-Detmold) nach Diepholz, Dr. R. 
Heyden von Bad Rehburg nach Loccum, Dr. A. Musskat von Hagen 
i. W. nach Geestemünde, Stabsarzt z. D. Dr. C. F. Boether von Duis¬ 
burg nach Lebe, Dr. K. Decker von Cöln nach Münster, Dr. K. 
Henes von Berlin nach Hagen i. W., Dr. A. Hel hing von Emmendingen 
nach Singen, Dr. H. Thom von Cöln und Dr. E. Piltz von Dresden nach 
Gelsenkirchen, Dr. E. Ketzmer von Aachen nach Bochum, Dr. W. 
Maschke von Göttingen und Dr. A. Eppenstein von Leipzig nach 
Marburg, Dr. H. Klein von Wirges nach Holsterhausen bei Werden 

a. Ruhr, Dr. M. Margulies von Sayn nach Königsberg i. Pr., Dr. 
M. Müller von Reisen nach Schwentainen, Dr. A. Fi ege von Wies¬ 
baden nach Stettin, Dr. P. Mosler von Grüna i. Sa. nach Buchheide 

b. Finkenwalde, Dr. R. Pitsch von Koblenz nach Stolp, Oberstabs¬ 
arzt Dr. W. Scholz von Neumünster nach Görlitz, Dr. K. Klare 
von Bad Rehburg nach Hohenwiese (Kr. Hirschberg), Arzt H. Dzial- 
lach von Beuthen i. Oberschi, nach Kontopp (Kr. Grünberg), Dr. A. 
Spiess von Obervellmar nach Landeshut, Dr. C. Hirsch von Frank¬ 
furt a. M. nach Kattowitz, Arzt R. Ullrich von Breslau nach 
Rydultau, Dr. 0. W T esemeyer von Mikultschütz nach Hamburg, Dr. 
L. Lehmann von Gross-Wartenberg nach Zabrze, Dr. A. Schmidt 
von Altscherbitz nach Mühlhausen i. Thür., Dr. P. Mahr von Erfurt 
nach Pfafferode, Arzt R. Bech von Bad Rothenfelde nach Niebüll, 
Dr. R. Felten und Aerztin Dr. F. Felten geb. Stolzenberg von 
Boldixum nach Woserin i. Meckl., Dr. C. Paysen von Hollingstedt 
und Dr. G. Berneaud von Danzig nach Kiel, Dr. H. Thümmel von 
Braunschweig nach Hollingstedt, Dr. F. Bon ho ff von Itzehoe nach 
Hamburg, Dr. E. v. Werthern von Tsingtau nach Heide, Aerztin 
E. Frank von Göttingen nach Rendsburg, Aerztin Dr. E. Litzmann 
von Norderney nach Buenos-Ayres, Arzt C. Chojnacki von Essen 
a. d. R. nach Dielingen, Dr. G. Heinsius von Berlin nach Frankfurt 
a. M., Dr. V. Bauer von Altdorf b. Nürnberg nach Bad Homburg 
v. d. H., Dr. K. Schulz von Schloppe nach Laufenselden, Kreis¬ 
arzt a. D., Geh. Med.-Rat Dr. A. Mencke von Weilburg nach Wies¬ 
baden, Kreisarzt a. D. Dr. K. Neumann von Westerburg nach Idar, 
Dr. E. G. Rietz sc hei von Kissingen nach Ebringshausen, Dr. B. 
Bentler von Sinzig nach Weibern, Dr. 0. Marenbach von Dier¬ 
dorf nach Andernach, Stabsarzt Dr. P. Ho ff mann von Spandan, 
Oberstabsarzt Dr. L. Nordhof von Graudenz, Dr. K. Schneider von 
Ludwigsburg und Dr. F. Rablff von Oberreifenberg nach Cöln, Arzt 
P. Sperling von Leipzig nach Mülheim a. Rh., Dr. E. Koch von 
Beuel nach Alpirshach, Dr. 0. Beck von Cöln nach München, Arzt 
J. Drazkowsky von Dillingen nach Leipzig, Dr. K. Zeppenfeldt 
von Frankfurt a. M. nach Dillingen, Dr. F. Franke von Offenbaoh 
nach Trier, Dr. A. Amlinger vod Bitburg nach Bremerhaven, Dr. 0. 
von Link von Kaiserslautern, Dr. M. Thiesen von Trier und Ober¬ 
stabsarzt Dr. Wissmann von Strassburg i. E. nach Saarbrücken, 
Dr. J. M. M. Hermann von Düren nach Valkenberg (Holland). 

Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. 0. Albers 
von Jeschewo (Kreis Sch wetz), Dr. H. Ankele von Tandslet, Dr. R. 
Wessing, Dr. F. Scheidler, Dr. F. Krawietz, Dr. W. Melborn 
und Dr. H. Blomberg von Dortmund, Dr. E. de Vedia von Haspe, 
Dr. H. Schrecke von Rengsdorf auf Reisen. 

Gestorben: Dr. J. Kowalski in Dölzig, San.-Rat Dr. K. J. Hart¬ 
mann in Wissen. 


Für die Redaktion verantwortlich Dr. Haus Kohn, Berlin W., Bayrouther Strasse 42. 


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UNIVERSITÄT OF IOWA 



48 


Nr. 1. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Zum 50. Jahrgang. 

An unsere Leser. 


Der erste Jahrgang dieser Wochenschrift, die beute in ihr 
50. Lebensjahr tritt, wurde von ihrem Redakteur, L. Posner, 
mit einem Programm eingeleitet, in welchem vor allem ihre Be¬ 
zeichnung als einer „klinischen 11 dahin ausgedeutet wurde, dass 
sie eine Vermittlerrolle zwischen den Ergebnissen theoretischer 
Forschung und den unmittelbaren Bedürfnissen des Arztes über¬ 
nehmen, die Verbindung zwischen wissenschaftlicher Medizin und 
praktischer Heilkunde aufrecht halten sollte. Nicht besser konnte 
dies Programm verdeutlicht und verwirklicht werden, als durch 
die Zusammensetzung der ersten Nummern. Es berührt uns beute 
eigenartig, wenn uns in ihnen gleich zu Beginn die Namen junger 
Autoren grüssen, die später die höchsten Staffeln akademischer 
Würden erstiegen — damals noch Schüler, bald selber Meister 
ersten Ranges. Ein freundlicher Zufall hat es gefügt, dass von 
den Männern, welche diesen Reigen eröffnen, die beiden ersten 
noch in frischer Rüstigkeit unter uns weilen — Emil Mannkopff, 
der frühere Marburger Kliniker, damals Assistent an Frerichs’ 
Klinik, und Hermann Fischer, seinerzeit Stabsarzt bei Traube, 
der sich nach ruhmvoller Tätigkeit als Chirurg zu Breslau nach 
Berlin zurückgezogen hat, wo er als Bibliothekar der Deutschen 
Gesellschaft für Chirurgie seines Amtes waltet — ihnen beiden 
sei heute, beim Beginn unseres Jubiläumsjahrgangs, ein besonders 
herzlicher Gruss dargebracht. Es folgt in der Reihe der Autoren 
eine nicht geringe Zahl solcher, die bereits von uns geschieden 
sind — in Nummer 1 ergreift noch unser allverehrter Henoch 
das Wort, nach ihm Casper, der gerichtliche Mediziner, dem 
noch im gleichen Jahre ein Nachruf gewidmet werden musste. 
Die zweite Nummer leitet Bernhard von Langenbeck ein; 
ihm folgt Mosler, und dann, als erste Vertreter von Spezial¬ 
fächern, Hermann Schmidt-Rimpler, der heute noch lebende 
berühmte Ophthalmologe, mit einer Arbeit aus Gräfe’s Klinik, 
und der jüngst verstorbene Winckel, damals bei Eduard Martin 
tätig. Noch manche Namen von bestem Klange begegnen uns 
alsbald beim Weiterblättern: Georg Lewin, Liman, Otto 
Lehnerdt, S. Rosenstein, Tobold, Albert Eulenburg, 
Klebs — eine stolze Vereinigung, die recht deutlich erkennen 
lässt, wie die junge Wochenschrift um ihre Fahne versammelte, 
was damals in der ärztlichen Welt Berlins an jungen Kräften sich 
regte. Auch manch sonstiger Einblick in die medizinischen Be¬ 
wegungen jener Zeit eröffnet sich, wenn wir in den feuilletonistischen 
Skizzen des Redakteurs vom Geheimmittelschwindel und der — 
uns heute ziemlich bescheiden dünkenden — Reklame lesen, welche 
die Hoff, Daubitz, Fest getrieben; wenn hier zum ersten Male 
der unvergänglichen Verdienste gedacht wird, welche sich der 
Schweizer Philanthrop Henri Dunant, lange Jahre später auf 
Rudolf Virchow’s Initiative mit dem Moskauer Kongresspreise 
gekrönt, durch die Begründung des Roten Kreuzes erworben hat; 
oder wenn wir die Totenklage um Schönlein und den früh ver¬ 
storbenen, nicht immer seinem wahren Werte nach gewürdigten 
Robert Remak vernehmen! 

Mancherlei Wandel hat sich seither vollzogen. Nur kurze 
Zeit war es L. Posner vergönnt, sich der Erfolge seiner Arbeit 
zu erfreuen — bereits im Jahre 1868 ist er, erst 53 jährig, dahin¬ 
gegangen und durch L. Waldenburg ersetzt worden, den eben¬ 
falls ein früher Tod schon 1882 abgerufen. Dann trat an die Spitze 
des Blattes Carl Anton Ewald, der sich, überbürdet mit 
mancherlei anderer Berufstätigkeit, im Jahre 1907 von der 
Redaktion, die er seit 1890 mit dem einen von uns geteilt hatte, 
zurückzog. Mancherlei Wandel im inneren Leben der Wochen¬ 
schrift, die im Jahre 1899 auch den Tod ihres Begründers, des 
Seniorchefs der Hirschwald’schen Verlagsbuchhandlung, Herrn 
Eduard Aber, zu beklagen hatte — mancherlei Wandel auch iu 
Wesen und Art der Wissenschaft und Kunst, der sie dienstbar ist, 
nicht minder in der Stellung und Lebensführung ihres ärztlichen 
Leserkreises, welchem seither schwere wirtschaftliche Kämpfe be- 
schieden waren, in deren Mitte wir heute noch stehen. In un¬ 
geahnter Weise hat sich die Medizin entwickelt; die experimentelle 
Forschung hat neue Bahnen eingeschlagen; die Zahl der Arbeits¬ 
stätten und der wissenschaftlichen Arbeiten, mit ihr die Zahl der 
Publikationsorgane ist ins Unübersehbare gewachsen. Unser ge¬ 


samtes Leben ist reicher und vielseitiger geworden — was den 
kleinen Verhältnissen des preussischen Staates vor 50 Jahren noch 
entsprach, hat sich ausbreiten und decentralisieren müssen. Der 
Tendenz, welcher diese Wochenschrift anfangs fast allein diente, 
widmen sich jetzt viele Gleichstrebende — ihre Ziele werden, auf 
gleichen oder ähnlichen Wegen, von zahlreichen Kampf- und 
Arbeitsgenossen verfolgt. 

Aber unsere Wochenschrift darf, ohne ruhmredig zu er¬ 
scheinen, von sich aussagen, dass sie sieb, unter steter Anpassung 
an die wachsenden Erfordernisse der Zeit und unter stetem Ein¬ 
treten für die Interessen des ärztlichen Standes, immer redlich be¬ 
strebt hat, ihrem alten Programm treu zu bleiben — sie hat ihre 
Spalten gern und vorurteilslos allezeit jeder wissenschaftlichen 
Richtung erschlossen, sie hat sich allezeit bemüht, die Früchte 
ernster Forschung dem Arzte darzubieten. Mitunter mochte es dabei 
scheinen, als bewegte sich die Bahn der modernen Medizin gar 
zu ausschliesslich in rein theoretischen Linien, als häufe sie 
nur Material an, ohne an dessen praktische Verwertbarkeit zu 
denken. Ganz gewiss soll es ihr nicht nur um die Erforschung 
der Wahrheit an sich zu tun sein; ganz gewiss soll sie ihr End¬ 
ziel nicht aus den Augen verlieren. Bietet aber nicht gerade die 
gegenwärtige Entwicklung den deutlichsten Beweis dafür, dass 
Arbeitstisch und Krankenbett nur scheinbar durch einen weiten 
Raum getrennt sind, in Wirklichkeit aber nahe bei einander stehen? 
Beruht der gewaltige Ausbau der Chirurgie nicht zum grossen 
Teil auf experimenteller Forschung? Hat sich die moderne Be¬ 
kämpfung der Infektionskrankheiten, die Sero- und Chemotherapie, 
haben sich die verbeissungsvollen Versuche zur Heilung der Krebs¬ 
krankheit ohne den Tierversuch, hat sich die Diätetik ohne die 
Vertiefung in die Probleme der physiologischen Chemie, die 
Lehre von den Herzkrankheiten ohne die Verwertung feinster 
physikalischer Versuchsanordnungen entwickeln können? und ist 
nicht die junge Strahlentherapie ganz unmittelbar ein Kind sub¬ 
tilster Laboratoriumsarbeit? 

Nicht ohne Berechtigung darf man wohl aussprechen, dass 
gerade jetzt die Medizin im Begriff ist, Ernten einzuheimsen, die 
aus solcher Saat hervorgegangen sind. Und wenn es gewiss nur 
willkürliches Menschenwerk ist, sich an einen bestimmten Zeit¬ 
abschnitt anzuklammern, so wird man es doch verstehen, wenn 
wir an unserem 50 jährigen Jubiläum angelangt, nun solcher Ernte 
unser Hauptaugenmerk zuwenden: die Therapie im weitesten 
Wortsinne, mag sie sich prophylaktisch betätigen, mag sie mit 
inneren Mitteln oder mit physikalischen Heilmethoden arbeiten oder 
mag sie zum Messer greifen, nimmt mehr als je zuvor den ihr 
gebührenden Platz in Unterricht, Forschung und Handeln ein — 
ihr, als dem eigentlichen Ziel unserer Arbeit, wollen wir daher 
diesen unseren Jubiläumsjahrgang in erster Linie widmen. Zahl¬ 
reiche Forscher des In* und Auslandes haben uns zugesagt, in 
besonderen Artikeln darzulegen, auf welchen Wegen und bis zu 
welcher Höhe sich das Können des Arztes in den von ihnen 
selbst mit spezieller Vorliebe bestellten Gebieten entwickelt 
hat, — L nicht wenige darunter, deren Arbeit grundlegend ge¬ 
wesen ist. Und wir glauben diese „Jubiläumsartikel 11 nicht 
besser einleiten zu können, als durch die Darlegungen Heffter’s 
über die jüngste Entwicklung der Arzneimittellehre, die gerade 
durch mancherlei neue Forschungen nun wieder in ihre alten 
Rechte eingesetzt ist, und die Arbeit unseres hochverehrten alten 
Redaktionskollegen Ewald, dem wir für diesen Beweis freund¬ 
licher Erinnerung an frühere, gemeinsame Tätigkeit zu besonderem 
Dank verbunden sind. 

So dürfen wir denn hoffen, dass der 50. Jahrgang unserer 
Wochenschrift, die in ihren bisherigen Bänden ein umfassendes 
und erfreuliches Zeugnis für den Aufschwung der modernen 
Heilkunde bildet, deren gegenwärtigen Stand in anschaulicher 
Weise darstellen wird, und dass künftige Beurteiler auch in ihm 
einen Hauch des Geistes verspüren werden, welcher von Anbeginn 
an Leiter und Mitarbeiter dieser Blätter beseelt hat! 

Redaktion der Berliner klinischen Wochenschrift. 

C. Posner. H. Kohn. 


Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4. 


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öl* B«rlJii«r Ülniseh« Wochenschrift arsohelnt Jeden <|v ' | *#' v Tf* '*■ % g^V Alle Sinaeodangen fftr di« fted&ktlou and fixpeditlofl 

Montag ln Kammern tob cm. S —6 Bogen gr. 4. — II Ijl II I I »| lil II wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung 

Prmis Tlerteljihrlieh 8 Mark. Bestellungen nehmen r\ M l< I . I | mj M fC August Hltschwald In Berlin NW., Unter den Linden 

alle Buchhandlungen und Postanstalten an. 1 W | J I jj No. 88, adressieren. 


KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Organ für praktische Aerzte. 

Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen* 

Redaktion s Expedition: 

Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posncr und Dp. Hans Kohn. August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin. 


Montag, den 13. Januar 1913. M2. 


Fünfzigster Jahrgang. 


INHALT. 


Origiaaliei : Neisser: Die Prinzipien der modernen Syphilistherapie. 
(Jubiläumsartikel.) S. 49. 

von Noorden: Ueber enterogene Intoxikationen, besonders über 
enterotoxische Polyneuritis. (Aus der I. medizinischen Klinik in 
Wien.) S. 51. 

Weichert: Lähmungen bei Extensionbehandlung von Oberschenkel¬ 
brüchen. (Aus der chirurgischen Abteilung des Allerheiligen¬ 
hospitals zu Breslau.) (Itlustr.) S. 54. 

Schlesinger: Zur chirurgischen Behandlung des Morbus Basedowii. 
(Aus der chirurgischen Privatklinik von Dr. A. Schlesinger in 
Berlin.) S. 57. 

Sommer: Das Ehrmann’sche Froschaugenphänomen im Blutserum 
von Psoriasiskranken. (Aus der Kgl. dermatologischen Universitäts¬ 
klinik in Breslau.) S. 61. 

Schippers: Ein Fall von akuter aleukämischer Lymphadenose. 
(Aus dem Emma-Kinderkrankenhaus zu Amsterdam.) (ILlustr.) 
S. 61. 

O/fergeld: Ueber synthetisches Hydrastinin und seine Anwendung. 
S. 62. 

Dührssen: Ueber synthetisches Hydrastinin. hydrochloricum. S. 64. 
Ehr mann: Ueber das Coma diabeticum. (Aus dem medizinisch¬ 
poliklinischen Institut der Universität Berlin.) (Schluss.) S. 65. 
Jeger: Ein Instrument zur Erleichterung der Gefässnaht nach 
Carrel. (Illustr.) S. 67. 

Biekerbesprechungeii: Bloch: Handbuch der gesamten Sexualwissen¬ 
schaft in Einzeldarstellungen. S. 68. (Ref. Pinkus.) — Strauss: 
Vorlesung über diätetische Behandlung innerer Krankheiten. S. 68. 
(Ref. Hirschberg.) — Gottschalk: Grundriss der gerichtlichen 
Medizin. S. 69. (Ref. Marx.) — Mayrhofer: Lehrbuch der Zahn¬ 
krankheiten für Aerzte und Studierende. S. 69. Preiswerk: 


Lehrbuch und Atlas der konservierenden Zahnheilkunde. S. 69. 
(Ref. Pröll.) 

Literatur-Auszüge : Anatomie. S. 69. — Physiologie. S. 69. — Pharmako¬ 
logie. S. 69. — Therapie. S. 69. — Allgemeine Pathologie und 
pathologische Anatomie. S. 70. — Diagnostik. S. 70. — Parasiten¬ 
kunde und Serologie. S. 71. — Innere Medizin. S. 71. — Psychiatrie 
und Nervenkrankheiten. S. 78. — Kinderheilkunde. S. 74. — 
Chirurgie. S. 74. — Röotgenologie. S. 76. — Urologie. S. 78. — 
Haut- und Geschlechtskrankheiten. S. 78. — Geburtshilfe und 
Gynäkologie. S. 78. — Augenheilkunde. S. 79. — Hals-, Nasen- 
und Ohrenkrankheiten. S.79. — Hygiene und Sanitätswesen. S. 80. — 
Technik. S. 80. 

Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften: Berliner medizinische 
Gesellschaft. Lewin: Versuche über die Biologie der Tier¬ 
geschwülste. S. 80. — Laryngologische Gesellschaft zu 
Berlin. S. 82. — Berliner otologische Gesellschaft. S. 84.— 
Berliner mikrobiologische Gesellschaft S. 87. — Medi¬ 
zinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für vater¬ 
ländische Kultur zu Breslau. S. 88. — Aerztlicher Verein 
zu Essen-Ruhr. S. 89. — Medizinische Gesellschaft zu 
Kiel. S. 92. — Klinischer Demonstrationsabend der Ober¬ 
ärzte des Allgemeinen städtischen Krankenhauses Nürn¬ 
berg. S. 93. — Aus Pariser medizinischen Gesellschaften. 
S. 93. 

Weisz: Budapester Brief. S. 94. 

Bessau: Erwiderung auf die Bemerkungen des Geh. Med.-Rat Prof. 
Dr. L. Brieger zu meinem Vortrag: „Ueber die aktive Typhusschutz¬ 
impfung“ in Nr. 50 dieser Wochenschrift. S. 95. 

Tagesgeschichtliche Notizen. S. 95. 

Amtliche Mitteilungen. S. 96. 


Die Prinzipien der modernen Syphilistherapie. 

• Jubiläumsartikel. 

Von 

Geh .-Rat Neisser-Breslau. 


Vor 50 Jahren war die Syphilisbehandlnng eine rein 
symptomatische, zum Teil eine antimercurialistische oder 
wenigstens mit möglichster Beschränkung der Hg-Anwendung. Der 
Hanptgrnndsatz war: so selten und so spärlich wie möglich, 
nur gezwungen durch Symptome, die auf andere Weise 
nicht zu beseitigen waren, mit Hg einzugreifen. Man 
wusste eben damals nichts oder zu wenig von der ätiologischen 
Bedeutung der Syphilis gerade für die schwersten Nerven-, Ge- 
föss- nnd Organerkrankungen; man meinte mit der Behandlung 
der Frübsymptome Genügendes getan zu haben. 

Es ist ein gar nicht hoch genug zu würdigendes Verdienst 
Fonmier’s, diesen laxen Anschauungen gegenüber die Lehre von 
der Notwendigkeit einer viel energischeren, chronisch¬ 
intermittierenden Behandlung aufgestellt zu haben. Es sollte 
nicht mehr gleichsam dem Zufall überlassen bleiben, ob eine In¬ 
fektion einen günstigen oder einen ungünstigen, von Nachkrank¬ 
beiten aller Art gefolgten Ausgang nähme, sondern man solle 
versuchen, durch genügend lange durchgeführte Therapie in den 
ersten Jahren der Erkrankung den Gesamtablauf so zu beeinflussen, 


dass die gefürchteten tertiären und metasyphilitischen Formen 
ausblieben. 

Dieser Anschauung habe ich mich und mit mir die Breslauer 
Klinik seit 1881 „voll und ganz“ angescblossen und sie zur 
Basis unser Syphilisbehandlung gemacht; freilich mit einer Modi¬ 
fikation, die mir fast ebenso wichtig erscheint, als das Fournier- 
sche Prinzip selbst. Fournier führte seine Behandlung mit einer 
meiner Ueberzeugung nach gänzlich unzureichenden Methode der 
Hg-Bebandlung durch, nämlich mit Pillenkuren, die sicherlich 
nicht eine irgendwie energische Hg-Wirkung auf das Syphilisgift 
gewährleisteten. Wir verlangten dafür in den ersten Jahren zum 
mindesten energische und sorgfältig durchgeföhrte Einreibungs¬ 
kuren, die wir aber später immer mehr durch die nach jeder 
Richtung hin überlegenen Injektionskuren ersetzten. 

Auch in der Injektionsbehandlung hat sich eine Wandlung 
vollzogen, indem man lernte, dass durchaus keine Gleichwertig¬ 
keit unter den verschiedenen zur Injektion verwendbaren Hg- 
Präparaten bestehe, indem die einen akut wirken, dafür aber 
verhältnismässig rasch, ohne nachhaltige Dauerwirkung den Körper 


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50 BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.___N r. 2. 


verlassen, während andere gerade durch lange, nachhaltig wirkende 
Remanenz ausgezeichnet, für schnell eintretende Wirkung aber 
ungeeignet sind. Ferner ist die Berücksichtigung des Hg Gehalts 
der einzelnen Hg - Präparate von wesentlicher Bedeutung. Wie 
weit die Hoffnung, die organischen Hg-Präparate als viel¬ 
leicht ganz besonders wirksame Präparate heranzuziehen, sich er¬ 
füllen wird, lässt sich zurzeit noch nicht übersehen. 

So waren wir, wenn wir die Jahre 1862 und 1902 ver¬ 
gleichen, schon ein sehr wesentliches Stück in der Syphilisbehand¬ 
lung vorangekommen. Aber unvergeichlich grösser ist die 
Entwicklung von 1902 bis 1912, auf die wir jetzt kurz ein- 
gehen. 

Die 1902 von mir und vielen Syphilidologen festgehaltenen 
Prinzipien der Syphilisbehandlung gipfelten etwa in folgenden 
Sätzen: 

1. Die Allgemeinbehandlung soll so zeitig wie mög¬ 
lich beginnen. 

2. Die Behandlung soll in mehreren wiederholten 
Quecksilberkuren, die bald sehr energisch, bald milder 
durebzuführen seien, bestehen. 

3. Die Behandlung ist mindestens bis ins 4. und 
5. Jahr fortzusetzen, und zwar bei allen Syphilitikern 
ausnahmslos, auch wenn sie nicht die allergeringsten 
nachweisbaren Symptome mehr zeigen. 

4. Wo irgend möglich, soll eine Lokalbehandlung 
die Wirkung der Allgemeinbehandlung unterstützen, 
namentlich an solchen Stellen der Haut und der Schleim¬ 
haut, wo kontagiöse Erscheinungen vorhanden sind. — 

Was hat sich nun an diesen Grundsätzen heute 
— 1912 —, wo wir dank der Entdeckung Schaudinn’s, 
Metschnikoff’s uud Roux’, Wassermann’s und Ehrlich’s 
eine so unendlich vertiefte Kenntnis der Syphilis ge¬ 
wonnen haben, geändert? 

1. Beginn der Behandlung. 

Das Prinzip, „möglichst zeitig mit der Behandlung zu be¬ 
ginnen“, ist nicht nur dasselbe geblieben, sondern wird jetzt erst 
recht und wohl allseitig von allen Syphilisärzten anerkannt und 
befolgt. Denn der Haupteinwand gegen die Lehre, schon in der 
„primären“ Periode die Allgemeinbehandlung zu beginnen, welcher 
lautete: „man könne leicht eine Fehldiagnose stellen und dann 
Fälle, die gar keine Syphilis seien, in eine doch immerhin mehr 
oder weniger angreifende Allgemeinbehandlung nehmen,“ dieser 
Einwand ist beseitigt für alle diejenigen Fälle, in denen sich 
Spirochäten finden, und wo eine positive Reaktion vorliegt, was 
meist schon 5 bis 6 Wochen post infectionem der Fall ist; also 
lange vor dem Termin, zu welchem Allgemeinerscheinungen die 
rein klinische Diagnose nach jeder Richtung hin sichern könnten. 

Der sonst mehrfach gemachte Einwand, es würde durch die 
Allgemeinbehandlung eine Störung des normalen Ablaufes der 
Syphilis herbeigeführt, hat wohl nie eine allgemeine Beachtung 
gefunden. Es liegt ja auf der Hand, dass gerade umgekehrt eine 
solche Störung die Tatsache, welche Wirkung eine Allgemein- 
bebandlung ausüben könnte, beweisen muss. Man konnte also 
diese Beobachtung, wenn sie richtig ist, nur zugunsten einer 
möglichst zeitig einsetzenden Allgemeinbehandlung verwerten. 

Es ist aber jetzt auch die Notwendigkeit und der 
eminente Vorteil solcher möglichst früh einsetzenden 
Behandlung erwiesen 

1. durch die Heilversuche sowohl an Trypanosomen- wie an 
Syphilis geimpften Tieren. Es hat sich mit aller Bestimmt¬ 
heit herausgestellt und lässt sich immer von neuem 
demonstrieren: je eher die Therapie einsetzt, desto leichter 
und sicherer wird ein voller Heilerfolg erzielt. Und wenn 
sich auch nicht alle an Tieren gemachten Erfahrungen auf 
den Menschen übertragen lassen, so besteht doch auch nicht 
der geringste Grund, derartige immer wiederkehrende 
experimentelle Erfahrungen nicht auch für die Prinzipien der 
Behandlung bei Menschen zu verwerten; 

2. durch den experimentellen Nachweis, dass die Allge¬ 
meininfektion des Körpers nicht erst viele Wochen 
oder Monate nach der Infektion, also ziemlich nahe dem 
Termin des Erscheinens der sekundären Affektionen einsetzt, 
sondern schon längst vor dem Auftreten und der Entwick¬ 
lung des Primäraffekts sich vollzieht. Dieser so zeitigen 


Allgemeininfektion muss also logischer weise eine 

entsprechend zeitige Allgemeintherapie ent¬ 
sprechen. 

Wenn wir bisher sagten: Die Allgemeinbehandlung soll so 
zeitig wie irgend möglich beginnen, so hatte das zur — ich 
möchte sagen selbstverständlichen — Voraussetzung, „sobald 
man mit Sicherheit die Diagnose ,Syphilis* stellen 
konnte“. Denn es entstanden in der Tat früher die grössten 
Schwierigkeiten für die spätere Beurteilung eines Falles, wenn 
ein Patient nach einer venerischen Infektion ohne sichere Dia¬ 
gnose in Syphilisbehandlung genommen worden war. Immer war 
der Einwand berechtigt, dass das Ausbleiben von Syphiliserschei¬ 
nungen darauf zurückzuführen sei, dass überhaupt gar keine 
Syphilisinfektion stattgefunden habe. Andererseits war auch die 
Möglichkeit, dass Latenz vorliege, nicht auszuschHessen. 

Sicherlich wird man auch heute diese Voraussetzung in den 
allermeisten Fällen gelten lassen müssen. Und doch möchte ich 
hier trotz aller Widersprüche, die mein Vorschlag gefunden hat, 
mindestens für besonders dringliche Fälle — ich denke z. B. an 
verheiratete Männer und an Männer, die direkt vor der Ver¬ 
lobung stehen oder während der Verlobungszeit sich infizieren — 
die Ausnahme zulassen, dass man auch ohne sichere 
Syphilisdiagnose behandeln solle. Einerseits ist dann die 
Chance, sofort einen vollen und sicheren Heilerfolg zu erzielen, 
am allergrössten, andererseits wird in späteren Jahren durch die 
Benutzung der Serodiagnose sich stets ein klares Bild über den 
wahren Status des Patienten, ob Syphilis vorhanden sei, gewinnen 
lassen. Für den Patienten ist es schliesslich gleichgültig, wenn 
er gesund ist, ob diese Gesundheit darauf zurückzuführen sei, 
dass er überhaupt nicht infiziert war, oder darauf, f dass man ihn 
so schnell von seiner Krankheit geheilt habe. 

2 . 

Die Behandlung war bisher eine chronisch-inter¬ 
mittierende. — Auch heute wird man noch an dem Prinzip 
einer gewissen Chronicität festhalten müssen, und zwar auch 
für alle Fälle. Sicherlich ist das Aufhören von Recidiven und 
das Eintreten einer negativen Reaktion ein ausserordentlich 
günstiges Zeichen, und sicherlich wird dieser günstige Status oft 
schon nach einer einzigen Kur erreicht. Aber es wäre nach den 
vorliegenden Erfahrungen über das oft ganz unvermutete Wieder¬ 
auftreten von Symptomen und einer positiven Reaktion — selbst 
nach fast einjähriger Pause! — ein grosser Fehler, sich auf 
eine einzige Kur und auf ein bis zwei negative Reaktionen zu 
verlassen und sich dazu verführen zu lassen, die Bebandlung ab¬ 
zubrechen. Ich möchte geradezu umgekehrt den Schluss ziehen: 
Gerade wenn man sich überzeugt, dass man gut mit 
der Behandlung vorwärts gekommen ist, soll man das 
Errungene nicht durch Unterlassen einer weiteren 
Therapie aufs Spiel setzen, sondern noch weitere ein- 
bis eineinhalb Jahre lang dem im Rückzug befind¬ 
lichen Feind nachsetzen. — Das Prinzip der Chroni¬ 
cität halte ich also fest, nur scheint es gestattet zu sein, es in 
milderer Form anzuwenden, d. h. mit einer kürzeren Beband- 
lungsfrist als früher (welche ja durchschnittlich 3—4, von manchen 
sogar 7 Jahre lang fortgesetzt wurde). 

Ganz abgekommen aber bin ich von dem Prinzip des „inter¬ 
mittierenden“. Natürlich soll bei einer permanenten Kur nicht 
tagtäglich behandelt, es sollen nicht tagtäglich neue Antisyphilitica 
durch irgendwelche Maassnahmen dem Körper zugefübrt werden; 
aber es ist dafür zu sorgen, dass die im Körper befindlichen Spiro¬ 
chäten gleichsam nie ganz zur Ruhe kommen, dass sie sich nicht 
in den Geweben „abkapseln“ und vielleicht eine Art Dauerform 
annehmen können, so dass sie dem Heilmittel schwerer und gar 
nicht zugänglich werden. Jedenfalls soll man nie glauben, das 
anfangs Versäumte später noch nachholen zu können. Hat doch 
die Erfahrung gelehrt, dass es verhältnismässig leicht ist, in 
den ersten ein bis zwei Jahren die Syphilis zu heilen, bzw. eine 
dauernd bleibende negative Reaktion zu erzielen, während in den 
späteren Jahren der Syphilis, mit und ohne Symptome, das 
viel schwerer, oft bisweilen gar nicht zu erreichen ist. 

Wir geben also immer wieder — der individuellen Art des 
Falles angepasst — Salvarsaninjektionen und — neben einzelnen 
akut wirkenden Gaben — speziell solche Quecksilberpräparate 
(am liebsten graues Oel), bei denen eine sehr lange Remanenz 
des Quecksilbers im Körper festgestellt worden ist. Zwischen 
den neuen Zufuhren machen wir nur so lange Pausen, dass wir 


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13. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


51 


sicher sind, dass immer noch Reste des früher zugeführten Queck¬ 
silbers im Körper nachwirken. 

Selbstverständlich — und ich brauche das wohl eigentlich 
sicht besonders zu betonen — muss bei jedem Kranken für sich 
bestimmt werden die Grösse der Einzeldosen, die Zahl der Injek¬ 
tionen, die Länge der Intervalle usw. Kurz, es muss für jeden 
Patienten individuell der Heilplau aufgestellt werden. Aber ich 
habe die feste Ueberzeugung, dass man ein grosses Unrecht tut, sich 
auf die Selbstheilung des Körpers und seine so gut wie unbekannten 
„Antikörper“ in irgendwelcher Art zu verlassen. Nur durch 
möglichst energische Zufuhr der Antispirochätenmittel 
ist eine sichere Heilung zu erzielen. Möglicherweise gibt 
es eine Spontanheilung, aber wir wissen absolut nichts davon! 

3. 

Früher, als wir gar keinen Maassstab dafür hatten, um fest¬ 
stellen zu können, ob wirklich eine Heilung erzielt worden sei, 
oder ob ein symptomloser Zustand nur eine Latenz bedeute, 
batten wir aus der allgemeinen Erfahrung heraus uns eine Art 
Schema herausgerechnet und gesagt — Fournier an der 
Spitze —: „Jeder Syphilitiker muss 3—4—5—7 Jahre 
hindurch behandelt werden.“ So glaubte man am besten 
die Kranken gegen späte Nachkrankheiten zu sichern, ohne 
sich freilich dabei zu verhehlen, dass es eben nicht eine fest 
basierte Lehre sei, sondern eben nur eine Ueberlegung, dass 
infolgedessen Fehler nach beiden Seiten Vorkommen müssten, in¬ 
dem man bald nicht genug, bald unnötig viel therapeutisch vor¬ 
ging. Trotz aller dieser Bedenken habe ich aber früher aus 
vollster Ueberzeugung stets die chronisch-intermittierende Be¬ 
handlung bei jedem Patienten vertreten und auch nach Möglich¬ 
keit durchgeführt. Wenn sie oft versagt hat, so ist dabei stets 
za bedenken, in welcher Weise die einzelnen Kuren von dem be¬ 
treffenden Arzt durebgeführt wurden. Denn darüber lässt sich 
doch nicht streiten, dass früher eine Unzahl von Kuren, viel¬ 
leicht die allermeisten, die überhaupt je gemacht worden sind, 
gänzlich unzureichend waren, da man ja nie feststellen konnte, 
ob eine genügende, d. h. eine wirksame Menge des Medikaments 
dem Körper auch wirklich zugeführt worden sei. Aus diesem 
Grunde habe ich ja auch schon seit langen Jahren von der Ein¬ 
reibungskur Abstand genommen, nicht als wenn ich sie etwa für 
gänzlich wirkungslos hielte, aber weil ich sie durch bessere 
Methoden, die mir eine sicherere und reichlichere Zufuhr von 
Quecksilber ermöglichen, ersetzen kann. 

Jetzt sind wir dank der Wassermann’schen Sero¬ 
diagnostik einen gewaltigen Schritt vorwärts gekommen. 
Positive Reaktionen beweisen, dass der Patient noch nicht 
definitiv geheilt sei und weiterer Behandlung unterworfen werden 
müsse; negative Reaktion ist, in grossen Abständen wiederholt, 
ein Zeichen fortschreitender oder sogar schon vollzogener Heilung. 


Aber gerade hier erhebt sich, wenn man einen Kranken von An¬ 
fang an behandelt hat, die schwierige Frage: Wann darf man den 
negativen Reaktionen soweit trauen, um die Behandlung 
abzubrechen? Besteht nicht die Gefahr, dass mit dem Abbrechen 
der Behandlung auch wieder eine Vermehrung der Spirochäten 
und damit wiederum eine Verschlechterung des Gesaratzustandes, 
vielleicht mit Recidiven, jedenfalls mit Wiederauftreten positiver 
Reaktion eintritt? Waren nicht vielleicht die bisherigen negativen 
Reaktionen nur die Folge der therapeutisch herbeigeführten 
Spirochätenunterdrückung derart, dass ihre Menge zwar nicht aus¬ 
reichte zum Produzieren der nachweisbaren Reagine, dass aber 
doch ein Rest von Syphilis zurückblieb? 

In bezug auf diese Fragen ist noch keine Klärung erreicht, 
wenn auch, wie schon gesagt, durch die Serodiagnostik ein ge¬ 
waltiger Fortschritt angebabnt worden ist, auch für die Frage 
der Therapie bzw. wie lange man behandeln soll. 

Es sei hier noch besonders auf einen grossen Fortschritt, 
der eventuell zur Verhütung der Tabes und Paralyse führen kann, 
hingewiesen: Man sollte keinen Syphilitiker, den man 
sonst auf Grund der negativen Serurareaktionen für 
geheilt halten könnte, aus der Behandlung entlassen, 
ohne auch seine Spinalflüssigkeit zu untersuchen. Es 
können tatsächlich Veränderungen im und am Centralnerven¬ 
system bestehen, ohne dass sie sich irgendwie klinisch bemerkbar 
machen; Veränderungen, die aber durch die serologische, mikro¬ 
skopische und chemische Untersuchung der Spinalflüssigkeit auf¬ 
gedeckt und damit einer Behandlung, die späteren, vielleicht dann 
unheilbaren Verschlimmerungen vorbeugt, zugeführt werden können. 

4. 

Dem Satz: „Wo irgend möglich soll eine Lokal¬ 
behandlung die Wirkung der Allgemeinbehandlung 
unterstützen, namentlich an solchen Stellen der Haut 
und der Schleimhaut, wo kontagiöse Erscheinungen 
vorhanden sind“, ist nichts hinzuzufügen. Sowohl die Lehre, 
man soll die Primäraffekte so früh und so energisch wie möglich 
vernichten, wie die Lehre, die kontagiösen sekundären Formen 
sofort zum Heilen zu bringen, besteht nach wie vor zu recht. 
Nur soll man über der Lokaltherapie — und das ist 
von durchschlagender Bedeutung — speziell der Primär¬ 
affekte nie die viel wichtigere Allgemeinbehandlung 
vernachlässigen. 

Zum Schluss sei noch als Prinzip der Syphilistherapie das 
allgemein-ärztliche Prinzip hinzugefügt: jedes Mittel auszu¬ 
nützen, welches einigermaassen von Nutzen sein kann. 
Also in jedem Falle Salvarsan, in jedem Quecksilber- und Jod¬ 
präparate, die Hilfsmittel der Hydro- und Balneotherapie, es 
müssten denn beim einzelnen Krauken spezielle Kontraindikationen 
gegen die eine oder andere therapeutische Maassnahme vorliegen. 


Aus der I. medizinischen Klinik in Wien. 

Ueber enterogene Intoxikationen, besonders 
über enterotoxische Polyneuritis. 1 ) 

Von 

Prof. Carl von Noorden-Wien. 

Es gibt in der Medizin kaum einen anderen Begriff, der so 
häufig missbraacht worden ist, wie das Wort Autointoxikation. 
Das Wort hat in der wissenschaftlichen Literatur einen üblen 
Klang. Man bat viele krankhafte Zustände damit erklären wollen, 
wenn andere Deutungen fehlten oder wenn mangelhafte Unter¬ 
suchungen durch ein klangvolles Wort ergänzt werden sollten. 

Wenn wir einen Rückblick werfen auf die Geschichte des 
Begriffes „Autointoxikation“, so müssen wir mehrere Phasen unter¬ 
scheiden. Das Wort wurde zuerst angewendet auf jene alt¬ 
bekannten Zustände, die in den Endstadien 'des schweren Diabetes 
mellitus, ferner bei Urämie und bei Cholämie Vorkommen. In 
diesen und in ähnlichen Zuständen hat das Wort seine ursprüng¬ 
liche Bedeutung beibehalten, und niemand zweifelt, dass man es 
da mit wohl charakterisierten Formen der Autointoxikation zn tun 
hat. Dann kam die bekannte Arbeit von Bouchard, der in 
geistvoller Weise den Begriff verallgemeinerte und fast alle krank- 


1) Vortrag, gehalten im University medical College in Syracuse, 
N. Y., am 21. November 1912. 


haften Zustände, die nicht durch Mikroben veranlasst werden, als 
Autointoxikation deutete. Die Methoden, die Bouchard zum 
Beweise seiner Ansichten ins Feld führte, sind hinfällig geworden. 
Es ist kaum ein Stein des Gebäudes übriggeblieben. Ja mau 
kann sagen, dass die Scheu, die gleichen Fehler wie Bouchard 
zu begeben, ein Hemmschuh für die weitere Entwicklung der 
Lehre von den Autointoxikationen gewesen ist. Wir dürfen gegen 
Bouchard keinen Vorwurf erheben; denn zu der Zeit, als er 
sein Buch über die Autointoxikationen schrieb, waren die 
chemischen und biologischen Methoden noch nicht genügend aus¬ 
gebildet, um ihn vor fehlerhaften Versuchen und Schlussfolge¬ 
rungen zu schützen. 

Wir müssen vielmehr anerkennen, dass Bouchard trotz 
mangelhafter Methoden und trotz anfechtbarer Versuche in geist¬ 
voller Weise richtige Grundanschauungen vertrat, und dass die 
spätere Zeit zwar nicht seinen Detailangaben, wohl aber seinen 
Grundideen volle Rechtfertigung verschaffte. Zunächst aber kam 
eine Zeit der Ernüchterung, und nach der Zeit der grossen 
Debatte über Autointoxikationen auf dem Leipziger Kongress für 
innere Medizin (1892) folgte eine lange Periode, die für die 
Weiterentwicklung der Lehre ganz unfruchtbar war. Freilich 
nahm kurze Zeit später Albu in Berlin die Frage noch einmal 
im Bouchard’schen Sinne auf, aber auch sein Versuch litt unter 
dem Mangel positiver Kenntnisse und konnte nicht als ernsthafte 
Förderung der Frage betrachtet werden. 

Dann kam die Zeit, in der die Lehre von den internen 


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52 _ BERLIN ER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT._ Nr. 2. 


Sekretionen entwickelt wurde, und mit ihr gewann die Frage der 
Autointoxikationen eine neue Bedeutung. Die Lehre von den 
internen Sekretionsstörungen des Pankreas, der Schilddrüse, der 
Epithelkörperchen, der Nebennieren, der Hypophysis cerebri, der 
männlichen und der weiblichen Genitalien usw. wurde hinein¬ 
gezogen. Der Begriff der Autointoxikationen verschob sich, aber 
es wurde klar, dass gar manches, was jetzt als neue Errungen¬ 
schaft imponierte, schon in den Ideen des geistvollen Bouchards 
vorausgeahnt war. 

Für unsere heutigen Betrachtungen wollen wir diese be¬ 
deutende und wichtige Seite der Autointoxikationen ausser acht 
lassen. Wir wollen uns nur den sogenannten intestinalen 
Intoxikationen zuwenden und auch aus diesem Kapitel nur ein 
kleines Stück herausgreifen. Wenn ich eingangs bemerkte, dass 
der Begriff „Autointoxikation“ etwas in Misskredit gekommen ist, 
so bezieht sich das auf keinen Teil dieses umfangreichen Gebietes 
mehr als auf die intestinalen Formen. Man hat mit dem Begriff 
in geradezu frevelhafter Weise gespielt und krankhafte Zustände 
hereingezogen, die gar nicht unter jenen Begriff fallen. Von ge¬ 
wissen Zuständen abgesehen, die bei Säuglingen Vorkommen, 
sollte man lieber auf den Begriff intestinaler Autointoxikation 
ganz verzichten, um so mehr aber anerkennen, dass enterogene 
Intoxikationen eine bedeutende Rolle spielen. 

Von „Autointoxikation“ kann man nämlich vernünftigerweise 
nur sprechen, wenn die Gifte von den Geweben des Körpers 
selbst gebildet werden, oder mit anderen Worten, wenn es sich 
um sogenannte „endogene“ Gifte handelt. Von Giften, die in 
der Wand des Magens oder des Darmes gebildet werden, wissen 
wir aber so gut wie gar nichts. Um so mehr wissen wir, dass 
der Darminhalt eine reiche Giftquelle ist. Schon unter den 
normalen Verdauungsprodukten, die unter dem Einfluss der 
Pepsin- und der Trypsinverdauung entstehen, finden sich Stoffe, 
die man nicht ohne schwere Schädigung des Gesamtorganismus, 
insbesondere des Nervensystems, in den Kreislauf bringen kann. 
Die Summe der giftigen Stoffe wird noch bedeutend erhöht durch 
den zersetzenden Einfluss, den die bakterielle Darmflora auf die 
Ingesta ausübt. Wir dürfen sagen, es ist geradezu ein wunder¬ 
bares Phänomen, dass in dichter Nachbarschaft einer resorbierenden 
Membran tagein, tagaus eine solche Fülle giftiger Stoffe gebildet 
wird, und dass trotzdem die Gesundheit nicht geschädigt wird. 
Wie die Entgiftung stattfindet, wissen wir nicht. Ich meine, 
dass das eine der wichtigsten biologischen^Probleme für die Zu¬ 
kunft ist. 

Es sind gewiss schon dankenswerte Versuche zur Lösung des 
Problems gemacht worden. Ich erinnere an die Arbeiten von 
Metschnikoff, der anstrebt, eine gewisse — als schädlich be- 
zeichnete Darmflora dadurch unschädlich zu machen, dass er eine 
andere unschädliche bakterielle Flora im Darm zu reicher Ent¬ 
wicklung bringt. Ich glaube, dass wir alle darüber einig sind, 
dass Metschnikoff, von Enthusiasmus getrieben, in seinen 
Voraussetzungen und in seinen Schlussfolgerungen viel zu weit 
geht. Wenn wir seinen Ideen bis zu den letzten Konsequenzen 
folgen wollten, müssten wir erwarten, nicht nur das grösste 
Maass der Gesundheit, sondern auch das grösste Maass körper¬ 
licher und geistiger Leistung bei den Milchtrinkern, bei den 
Kartoffelessern und bei den Vegetariern zu finden. Das ent¬ 
spricht nicht den Tatsachen, die uns die Geschichte der Menschheit 
lehrt. Wir dürfen wohl mit einer gewissen Berechtigung sagen, 
dass die angelsächsische, die germanische, die slavische und die 
semitische Rasse durch ihre körperlichen und geistigen Eigen¬ 
schaften die Weltherrschaft errungen haben; und sie alle sind im 
grossen Durchschnitt starke Fleischesser gewesen, d. h. sie haben 
solche Nahrungsmittel bevorzugt, die zweifellos die stärksten Gift¬ 
bildner sind. Was Metschnikoff uns berichtet, sind Labora¬ 
toriumsversuche, und ich sehe keinen Grund ein, warum wir auf 
Grund einseitiger Laboratoriumsversuche Tatsachen vergessen 
sollen, die uns die Ernährungsgeschichte der Völker lehrt. 

Wir sollten mit Dankbarkeit anerkennen, dass der Mensch, 
ebenso wie das fleischfressende Tier, im Kampfe ums Dasein die 
Fähigkeit erworben hat, gewisse Gifte, die beim normalen Ab¬ 
lauf der Verdauung im Darmkanal entstehen, unschädlich zu 
machen. 

Das alles sind „exogene“ Gifte, d. h. sie entstehen nicht in 
den Geweben, sondern — gleichsam — vor den Toren der Ge¬ 
webe, und daher dürfen wir nicht von „Autointoxikation“ reden. 
Wir sind nicht gegen alle Gifte, die dort entstehen, geschützt. 
Ich greife, um zu zeigen, was ich meine, nur das Choleragift 
heraus. Neben diesem schlimmsten Feind gibt es aber viele 


andere, und es ist keine Frage, dass auch geringe Abweichungen 
von den normalen digestiven und bakteriellen Zersetzungen im 
Verdauungskanal, ebenso wie pathologische Aenderungen der 
resorbierenden Flächen zur Aufnahme von Giften in das Blut 
führen können, die krankhafte Erscheinungen am Nervensystem 
oder in anderen Organen auslösen. Dann kann es in der Tat 
notwendig werden, Nahrungsstoffe vom Darmkanal fern zu halten, 
die beim normalen Gang der Dinge keine pathologische Reaktion 
auslösen, und in der Tat ist es voll berechtigt und in der ärzt¬ 
lichen Praxis seit uralter Zeit üblich, solchen Verhältnissen durch 
Vereinfachung der Kost, durch Hungerdiät, durch Ausschluss von 
Fleisch, durch Milchdiät, durch vegetarische Diät usw. Rechnung 
zu tragen. 

Im grossen und ganzen stehen wir hier auf dem Boden der 
Empirie. Es ist zwar versucht worden, auch hier die wissen¬ 
schaftliche Forschung an die Stelle der Empirie treten zu lassen. 
Wenn wir aber einen kritischen Maassstab^ anlegen, so müssen 
wir bekennen, dass wir erst im Anfang der Forschungen stehen 
und so gut wie alles, was wirklich wissenschaftlich fundiert ist, 
von der Zukunft erwarten müssen. Ich darf hier nicht ver¬ 
schweigen, dass seit längerer Zeit Combe in Lausanne den Ver¬ 
such gemacht hat, diese Fragen in ein wissenschaftliches System 
zu bringen, und wenn man sein Buch liest, könnte der in diesen 
Fragen Unerfahrene meinen, dass er schon ziemlich weit in das 
wissenschaftliche Studium der Materie eingedrungen ist. Dies ist 
aber nicht so, und ich muss mich dem auch von anderer Seite 
ausgesprochenen Urteil anschliessen^dass^die ganzen Fragen von 
Combe sehr oberflächlich und vor allem sehr einseitig behandelt 
worden sind. Die Einseitigkeit betrifft nicht nur den theoreti¬ 
schen Teil seiner Deduktionen, sondern spiegelt sich auch in den 
therapeutischen Folgerungen und Nutzanwendungen wieder. Wir 
finden sowohl in seinen Schriften wie in seinen Verordnungen 
immer wieder die Bevorzugung einfacher Mehlstoffe. Sie domi¬ 
nieren in dem ganzen Tagesmenu. Wenn nun auch ohne weiteres 
zuzugeben ist, dass dies für gewisse Fälle von Darmstörungen die 
beste Diät ist, so ist es doch zweifellos unrichtig, dies so zu 
verallgemeinern, wie Combe es tut. Ein Kritiker bat das Wort 
„Combismus“ geprägt. Er wollte damit sagen, dass bei den von 
Combe vertretenen Ansichten und bei der von ihm geübten The¬ 
rapie es nicht mehr der besondere Zustand des Patienten ist, der 
das therapeutische Vorgehen diktiert, sondern die Methode be¬ 
herrscht die Situation, und in dieses Schema werden die ver¬ 
schiedenartigsten pathologischen Zustände eingezwängt. Es 
herrscht eine Einförmigkeit der Auffassung und der Behandlung, 
wie beim militärischen Drill. Was ich selbst vom praktisch¬ 
therapeutischen Standpunkt aus gegen den sogenannten Combis¬ 
mus zu sagen habe, betrifft einen anderen, sehr wichtigen Gesichts¬ 
punkt. Die von Combe geübte Therapie führt die Patienten auf 
eine äusserst leichte Diät zurück, d. h. auf eine Diät, wie sie für 
das Kindesalter geeignet und üblich ist.'~ Es ist eine sogenannte 
„Schonungsdiät“. Wenn man diesen Weg einschlägt, so sieht 
man sehr häufig, dass die Patienten sich sehr gut befinden, so 
lange sie bei dieser Diät bleiben, die nur sehr geringe Ansprüche 
an die Leistungsfähigkeit des Darms stellt. Sobald die Patienten 
aber zu gemischter Kost zurückkehren, melden sich wieder Be¬ 
schwerden. Von ganz schweren Krankheiten des Darmkanals ab¬ 
gesehen ist es meines Erachtens zweifellos der bessere Weg, 
eine wahre Abhärtung des Darms anzustreben und den Patienten 
daran zu gewöhnen, den mannigfachen Ansprüchen des täglichen 
Lebens und dem natürlichen Wechsel der täglichen Kost ge¬ 
wachsen zu sein. Das ist eine „Uebungstherapie“, im Gegensatz 
zu der „Scbonungstherapie“. Nach meinen eigenen Erfahrungen 
erreicht man mittels der abbärtenden Uebungstherapie viel 
bessere und vor allem viel dauerhaftere Resultate als mit der 
Schonungstherapie, die nur im Anfang der Behandlung eine vor¬ 
übergehende Berechtigung hat, und die nur in besonders schweren 
Fällen längere Zeit fortgesetzt werden sollte. Dies bezieht sich 
sowohl auf die Fälle von leichten Darmkatarrhen, von nervösen 
Diarrhöen, von chronischer Konstipation, als auch besonders auf 
die häufigen Fälle der sogenannten „Enterite mnco-membraneuse u . 
Die letztgenannten Fälle ziehen sich, wenn mit der „Schonungs¬ 
therapie“ behandelt, gewöhnlich über viele Jahre hin. Immer 
wieder kommen Rückfälle. Mit der „Uebungs- oder Abbärtungs- 
therapie“ kann man sie dagegen in kurzer Zeit definitiv be¬ 
seitigen. 

Nach diesen Abschweifungen lassen Sie mich auf eine be¬ 
sondere Form intestinaler Intoxikation eingehen, die ich im Laufe 
der letzten Jahre besonders studiert habe. 


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13. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


53 


Die Patienten klagen über gewisse Unregelmässigkeiten der 
Verdauung. Meist besteht Konstipation, die mit verschiedenen 
Abführmitteln bekämpft wird. Manchmal erfolgt aber die Stuhl- 
eotleerung täglich, und die Patienten leugnen — wenn sie befragt 
werden — auf das bestimmteste, an Konstipation zu leiden. Wenn 
man aber den Bauch nach der Stuhlentleerung untersucht, so 
findet man den Darm nicht leer. In der Flexura sigmoidea liegen 
noch, weit hinauf, harte Massen. Nur der unterste Teil des 
Darmkanals hat sich entleert. Weiter oben werden die Massen 
festgehalten. Sehr empfindliche Personen haben infolgedessen 
gewu.se Beschwerden, vor allem ein dauerndes Gefühl der Völle; 
jede Nahrungsaufnahme steigert die Beschwerden, und dann leidet 
in der Regel auch die Gesamternährung, weil die Patienten nicht 
genug essen. Sie magern ab. Die Patienten meinen selbst, dass 
der Sitz des Uebels viel mehr der Magen als der Darm sei, und 
bei der ärztlichen Untersuchung wird dies oft anscheinend be¬ 
stätigt; denn sehr oft findet man eine Verlangsamung der Magen- 
entleerung und besonders bemerkenswerte Grade von Hyper¬ 
acidität. Ich habe schon vor acht Jahren darauf hingewiesen, 
dass die Hyperacidität des Magens häufig gar kein selbständiges 
Leiden des Magens ist, sondern von einer chronischen Obstipation 
abhängt und am sichersten dadurch bekämpft wird, dass man 
durch Regelung der Diät die Konstipation beseitigt, während die 
Behandlung mit Abführmitteln nicht den gleichen guten Er¬ 
folg hat 1 ). 

Die weitere Untersuchung des Bauches zeigt in der Regel, 
dass auf der linken Seite des Abdomens ein bestimmter Punkt 
sehr druckempfindlich ist. Ich nenne ihn den S-Punkt, weil 
er einen Reizzustand des S romanum anzeigt. Seine linksseitige 
Lage entspricht dem rechtsseitigen Mac Burney’schen Druckpunkt, 
der für die Diagnose der Appendicitis eine grosse Bedeutung er¬ 
langt hat. 

Nicht immer hat man es mit Konstipation zu tun. Manch¬ 
mal schieben sich Diarrhöen ein, die durch die mechaniche und 
chemische Reizung der kotgefüllten Flexura sigmoidea veianlasst 
werden. Es kann auch zu Scbleimproduktion und zu spontanen 
Schmerzen kommen, und dann ist das klinische Bild der Colica 
mucosa «der der sogenannten Enteritis muco-membranacea 
gegenwärtig. Der Reizzustand der Flexur ist aber in Wirklich¬ 
keit gar nicht bedeutend. Wenn man die Schleimhaut mit dem 
Romaooskop betrachtet, so findet man nnr hier und da eine 
leichte Hyperämie und etwas zähen, der Schleimhaut fest an¬ 
liegenden Schleim. Dagegen fehlen sowohl Schwellungen der 
Schleimhaut wie auch in der Regel Ulceration derselben. Nur in 
sehr veralteten und schweren Fällen begegnet mau diesen Dingen. 
Die Röntgenuntersnchung lehrt, in Uebereinstimmung mit dem 
palpatorischen Befund, dass die Flexura sigmoidea die Massen 
ungewöhnlich lange festbält und eng umklammert. Es besteht 
also ein Spasmus der Darrawand, der das Tieferrücken der Kot¬ 
massen hemmt. 

Während nun bei manchen Individuen sich die Erscheinungen 
auf die hier geschilderten Anomalien der Verdauung beschränken 
und bald mehr, bald weniger lokale Beschwerden machen, ent¬ 
wickelt sich bei sehr vielen anderen Personen ein eigenartiges 
Krankheitsbild. Es treten Schmerzen in den verschieden¬ 
sten Gebieten des Körpers auf. Bald sind es Schmerzen in 
den Cbcipitalnerven oder im Trigeminusgebiet, bald in den Armen 
oder im Rücken oder im Gebiet des Nervus ischiadicus oder des 
Nervus cruralis. Die Schmerzen können ihren Sitz rasch wechseln, 
d. b. sie treten in Form der sogenannten Dolores vagi auf. Be¬ 
sonders oft fand ich aber Schmerzen, die der gewöhnlichen Ischias 
oder der Intercostalneuralgie entsprechen. Wenn man die soge¬ 
nannten Druckpunkte der Nerven aufsucht, so findet man oft eine 
iusserst lebhafte Schmerzhaftigkeit solcher Punkte, selbst in 
Fällen, wo die spontanen Schmerzen noch sehr unbedeutend sind 
und kaum beachtet werden. Besonders frühzeitig sind die Druck¬ 
punkte des Nervus radialis an den Oberarmen sehr empfindlich. 
Während die Schmerzen sich bei manchen Patienten mehr auf 
die Muskelgebiete be^fchränkeo, sind bei anderen mehr die Ge¬ 
lenke betroffen. Keine Schwellung, keine Rötung an den Ge¬ 
lenken, aber Schmerzen bei Bewegungen, insbesondere in den 
Morgenstunden, während sie im Laufe des Tages abflauen. 

Man hat es mit einer leichten Neuritis zu tun, die man in¬ 
sofern eine elektive Neuritis nennen kann, als sie nur die 
sensiblen Fasern betrifft. Sehr feine Proben ergeben manchmal 

1) Hvperacidität des Magensafts und ihre Behandlung. Zeitschr. f. 
kün. Med!, Bd. 53, S. 1. 


auch eine Abänderung der Tastempfindung, besonders oft im Ge¬ 
biet des Nervus cutaueus femoris externus (Meroparästhesien). 

Sehr oft gesellen sich Anomalien der Herztätigkeit 
hinzu, entweder einfache Verlangsamung des Pulses oder leichte 
Irregularitäten, die den Patienten und den Arzt sehr erschrecken. 
Im übrigen ist das Herz aber völlig gesund. Die Irregularitäten 
(bestehend in gewöhnlichen Extrasystolen) treten gewöhnlich nur 
aul, wenn der Patient sich in völliger Ruhe befindet oder wenn 
er erschöpft ist. Sobald er körperlich oder psychisch erregt ist, 
verschwinden die Irregularitäten. Dafür kommt es dann manch¬ 
mal zu voiübergehender Beschleunigung der Herzaktion. Oft be¬ 
obachtet man eineu schnellen Wechsel in der Füllung der Haut- 
capillaren, raschen Wechsel von Kältegefühlen und Hitzegefübl, 
und gar nicht selten eine Neigung zu Dermographismus, die 
in einzelnen Fällen zu Urticaria factitia oder zu anscheinend 
spontaner Urticaria auswächsf. 

Diese circulatorischen Störungen sind im ganzen unbedeutend 
und wenn man es mit torpiden Individuen zu tun hat, werden sie 
von ihnen kaum beachtet. Meist aber sind es reizbare, neurastbe- 
nisch veranlagte Naturen, und dann spielen diese Symptome 
natürlich im Klagenregister der Patienten eine grosse Rolle. 

Genauere Untersuchungen decken nun noch mehrere andere 
Anomalien auf. Vor allem ist meist die Tagesmenge des 
Urins bedeutend vermindert, und zwar auch dann, wenn die 
Patienten reichlich Wasser trinken. Infolgedessen neigt der Harn 
zu Sedimentbildung, was nur gar zu oft Arzt und Patienten an 
barnsaure Diathese denken lässt. In Wirklichkeit ist die Harn¬ 
säure aber gar nicht vermehrt. Es fehlt nur an dem nötigen 
Wasser, um sie ordnungsmässig in Lösung zu halten. Die Ver¬ 
minderung der Diurese ist die Folge einer ungewöhnlich staiken 
Perspiratio insensibilis. Es kann freilich auch zu Schweissaus- 
brücheu kommen; in der Regel fehlen dieselben aber, und nur 
die unmerkbare Abdunstung von der Haut ist verstärkt. 

Wenn wir die Symptome, die ich schilderte, Zusammenhalten, 
so sehen wir, dass wir es einerseits mit einer diffusen sen¬ 
siblen Polyneuritis leichtesten Grades zu tun haben, anderer¬ 
seits mit sehr ausgesprochenen Reizerscheinungen im Vagus¬ 
gebiet. Dahin gehören die Pulsverlangsamung, die Extrasystolen, 
der abnoime Tonus der Flexura sigmoidea, die Hyperacidität, der 
Dermographismus, die verstärkte Perspiratio insensibilis. Es ent¬ 
wickelt sich ein Krankheitsbild, das in manchen Stücken dem 
entspricht, was mein Assistent, Dr. H. Eppinger, vor einiger 
Zeit als Vagotonie beschrieb. Es sind natürlich nicht in allen 
Fällen alle Stücke dieses Kraukheitsbildes vorhanden. Wer aber 
das Krankheitsbild als Ganzes kennt, wird es auch wiedererkennen, 
wenn einzelne Stücke fehlen. 

Was hat das nun mit iutestiualer Intoxikation zu tun? 
Welche Beweise haben wir, dass die Abänderungen in den peri¬ 
pheren Nerven und im autonomen Nervensystem in Beziehung zur 
Giftresorptiou aus dem Darmkanal stehen. Da ist zunächst zu 
erwähnen, dass io der Mehrzahl dieser Fälle eine ganz ungewöhn¬ 
liche Ausscheidung von ln di kan gefunden wird. Während wir 
normalerweise mittels der colorimetrischen Methode von Bouma 
etwa 20 mg Indigo im Tagesharn finden, erhebt sich diese Zahl 
in unseren Fällen oft auf 40 — 60 oder gar 80 mg. Dies beweist 
eine abnorm starke bakterielle Zersetzung von Eiweiss im Darm 
bzw. eine abnorm starke Resorption der Fäulnisprodukte. Be¬ 
merkenswert ist, dass die Menge der Aether-Schwefeisäure sich 
in der Regel nicht so stark erhebt, wie dem lodikangehalt ent¬ 
spricht. Dies kommt daher, dass ein Teil des Indols sich mit 
Glykuroosäure verbindet, und daher finden wir oft eine gewisse 
Reduktionskraft des Urins, ähnlich wie bei geringer Glykosurie. 
Es ist aber kein Zucker, es ist die Glukuronsäure, die diese Er¬ 
scheinung bedingt. 

Wenn schon der hohe lodikangehalt des Urins beweisend 
genug ist, so wird unsere Annahme einer intestinalen Gift¬ 
produktion noch weiter dadurch gefestigt, dass mein Assistent, 
Dr. H. Eppinger, in einigen solcher Fälle aus den Fäces einen 
Giftstoff extrahieren konnte, der im Tierexperiment ganz ähnliche 
Erscheinungen machte. Es ist ein starkes Vagusreizmittel. 
Ein wenig davon auf die Haut des Menschen gebracht, führt zu 
einer starken lokaleu Urticaria, die 10—15 Minuten andauert. 
Es scheint sogar gelungen zu sein, ein bestimmtes Bacterium zu 
isolieren, das diese Gifte produziert; es gehört in die Paratyphus¬ 
gruppe, ist aber nicht identisch mit den bisher bekannten Formen. 
Die Giftproduktion ist ganz verschieden, je nachdem auf welchen 
Nährböden der Mikroorganismus gezüchtet wird. Hieraus ergeben 
sich wichtige therapeutische Anhaltspunkte. Doch alle diese 

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54 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 2. 


bakteriellen und chemischen Untersuchungen sind so schwierig 
und zeitraubend, dass wir noch nicht in der Lage sind, exakte 
Details mitzuteileu. 

Ich habe hier nun noch ein Symptom zu erwähnen, das sich 
gar nicht selten dem geschilderten Krankheitsbild hinzugesellt 
und manchmal sogar in den Vordergrund tritt. Das sind Tem¬ 
peratursteigerungen. Nur ausnahmsweise sind es Steige¬ 
rungen der Temperatur, die man wirklich als Fieber bezeichnen 
kann, aber die Temperaturen erheben sich doch oft bis zu dem 
Maximum der physiologischen Breite, d. h. sie erreichen 37,5 bis 
37,7 Centigrad, und die Spannweite zwischen dem Temperatur¬ 
minimum und dem Temperaturmaximum des Tages ist abnorm 
gross. Wir finden dieses abnorme Verhalten namentlich in 
solchen Fällen, die Kinder und junge Leute betreffen, und es ist 
klar, dass diese Temperaturanomalien oft der Gegenstand schwerer 
Sorge werden, indem man einen latenten tuberkulösen Prozess 
vermutet. Die Temperaturanomalien verschwinden aber vollkommen, 
sobald der Darm in Ordnung gebracht ist. 

Es ist klar, dass man diese Zustände kennen muss, wenn 
man nicht schweren diagnostischen Irrtümern sich aussetzen will. 
In fast allen Fällen, die ich selbst gesehen habe, lautete die ur¬ 
sprüngliche Diagnose entweder auf einfache Neurasthenie oder 
wegen der Schmerzen auf eine chronisch rheumatische Erkrankung; 
oder die Gegenwart von Harnsediment hatte zu der Diagnose 
„harnsaure Diathese“ oder gar echte „Gicht“ (Arthritis urica) 
verleitet; oder es war der Verdacht auf latente Tuberkulose er¬ 
weckt und aufrecht erhalten worden. Besonders häufig ist aber 
die Verwechslung mit rheumatischen Myalgien, Neuralgien, Arthri¬ 
tiden und mit harnsaurer Diathese. Dieser Diagnose schmiegte 
sich die Therapie an, und die mannigfachsten Behandlungen mit 
Bädern, Massage, mit Elektrizität, mit Sonnenkuren, mit anti¬ 
rheumatischen und antigichtischen Arzneimitteln waren voraus- 
gpgangen. Meist bringen solche Kuren einen gewissen Erfolg, 
indem sie ja alle zu einer Verminderung der Reizbarkeit des 
Nervensystems beitragen. Aber der Erfolg ist nur vorübergehend, 
und Rückfälle sind die Regel. 

Wirkliche Heilung erfolgt erst, wenn der Darm wieder ganz 
in Ordnung gebracht ist. Sie werden nun wünschen, dass ich 
spezielle therapeutische Maassregeln angebe, wie dies zu bewerk¬ 
stelligen ist. Es lassen sich aber durchaus keine allgemein 
gültigen Vorschriften geben. Jeder Fall muss für sich studiert 
werden. Da sind Fälle, in denen man am schnellsten mit einer 
reinen Milchdiät zum Ziel kommt oder mit Modifikationen der 
Milch, wie Sauermilch, Yogurth, Kefir usw. In anderen Fällen 
ist gerade Milch die ungeeignetste Nahrung. Mehlstoffe oder ge¬ 
mischte vegetabilische Kost bewähren sich dann vielleicht besser. 
In einigen Fällen war es von entscheidendem Vorteil, die Patienten 
einige Tage nichts als Zuckerlösung trinken zu lassen. Umgekehrt 
gibt es aber auch Fälle, in denen eine animalische Kost den 
Vorzug verdient. In jedem Falle muss unser Ziel darauf ge¬ 
richtet sein, die einseitige Kost nur eine kurze Zeit zu geben und 
später den Darm wieder an gemischte Kost zu gewöhnen. Bevor 
nicht das Ziel erreicht ist, dass der Darm bei der gewöhnlichen 
Kost, die der Durchschnitt der Menschen zu sich nimmt, regel¬ 
mässig arbeitet, und bevor nicht die gesamten unteren Abschnitte 
des Darms sich bei den Stuhlentleerungen vollständig entleeren, 
darf man nicht von Heilung sprechen. Ich benutze zur Er¬ 
reichung des Zieles so gut wie gar keine Abführmittel oder 
andere Drogen, sondern ich habe den Eindruck, dass man auf 
rein diätetischem Wege am besten fährt. Abführmittel, Klystiere 
eingeschlossen, cachieren nur den krankhaften Zustand des 
Darms. Sie halten die definitive Heilung eher auf, als dass sie 
helfen. 

Eine solche Behandlung kann sich über mehrere Wochen 
binziehen. In der Regel genügen aber 2—3 Wochen, um den 
richtigen Weg der diätetischen Behandlung mit voller Sicherheit 
festzulegen. Es dauert freilich stets längere Zeit, bis alle Folge¬ 
erscheinungen geschwunden sind. Temperatursteigerungen — 
wenn sie etwa da waren — schwinden zuerst. Bis aber die Ver¬ 
änderungen im Nervensystem sich völlig zurückgebildet haben, 
können noch mehrere Wochen oder Monate vergehen, und manch¬ 
mal muss man andere Maassregeln, wie Bäder usw., zur Hilfe 
nehmen, um den Heilungsprozess zu beschleunigen. Das ist genau 
so wie bei anderen chronischen Vergiftungen. Ich erinnere z. B. 
an die chronische Nikotinvergiftung. Wenn ein Patient, der zuviel 
geraucht bat, den Tabakgenuss aufgibt, so dauert es oft mehrere 
Monate, bis die letzten krankhaften Erscheinungen verschwunden 
sind, und manchmal sind die durch das Nikotin gesetzten Ver¬ 


änderungen so bedeutend, dass die Symptome sich überhaupt 
nicht mehr völlig zurückbilden. Ich erwähne die Nikotinintoxi¬ 
kation hier, weil in einiger Hinsicht Verwandtschaft zwischen 
dem klinischen Bilde der Nikotinvergiftung und dem hier ge¬ 
schilderten Krankheitsbilde bestehen. Ich erinnere vor allem an 
die Neuralgien. 

Ich will um so weniger auf das weitere therapeutische Detail 
eingeben, als ich es vermeiden möchte, schematische Regeln für 
die Behandlung dieser Zustände festzulegen. Vielleicht wird das 
später möglich sein. Einstweilen kam mir es mehr darauf au, 
zu zeigen, dass es wohlabgegrenzte klinische Bilder gibt, die wir 
tatsächlich auf eine intestinale Intoxikation zurückführen müssen. 
Ich könnte noch mehrere andere klinische Bilder, die ganz ab¬ 
weichend von den hier geschilderten sind, Ihnen vorführen. Wir 
sind auf meiner Klinik eifrig damit beschäftigt, dieselben festzu¬ 
legen. Ich habe mich hier aber auf die Schilderung der entero- 
genen toxischen Polyneuritis beschränkt, weil wir da sowohl 
in bezug auf das klinische Symptomenbild, wie in bezug auf die 
Therapie am weitesten vorgeschritten sind. 


Aus der chirurgischen Abteilung des Allerheiligen¬ 
hospitals zu Breslau (Prof. A. Tietze). 

Lähmungen bei Extensionbehandlung von Ober¬ 
schenkelbrüchen. 1 ) 

Von 

Assistenzarzt Dr. Max Weichert. 

Die Behandlung von Oberschenkelbrüchen mit Streck verbänden 
und Heftpflasterstreckverbänden überhaupt ist bereits sehr alt 
und von Gurdon Buck und Crosby in die Chirurgie eingeführt 
worden. Barden heu er gebührt dabei das unzweifelhafte Ver¬ 
dienst, der ganzen Behandlungsmethode ein System gegeben zu 
haben, welches zu ausgezeichneten Resultaten führte. Bei der 
immer vollkommener werdenden Heilung dieser Brüche durch die 
verbesserte Behandlungsmethode drängten sowohl die Aerzte selbst 
als auch die Berufsgenossenschaften darauf hin, ein möglichst 
gutes, womöglich anatomisches Heilungsresnltat zu erreichen in 
möglichst kurzer Zeit. 

Die Folge davon war, da am schwersten von allen Dis¬ 
lokationen am Oberschenkel die Längenverschiebung zu überwinden 
war, die Anwendung möglichst hoher Gewichte zu deren Aus¬ 
gleich. Während man früher eine Verkürzung von 1—2 cm bei 
sonst guter Stellung des Knocbenbruches am Oberschenkel für 
ein leidliches Resultat ansah, war man nachher bestrebt, die 
Längenverscbiebung völlig auszugleichen und auch röntgenologisch 
ideale Heilungsresultate zu erreichen. Die von Barden heuer 
dafür empfohlenen Gewichte für kräftige Männer am Oberschenkel 
schwankten bis zu 60 Pfund. 

Wir sind an unserer Anstalt etwa seit Anfang 1910 zu den 
ganz hohen Gewichten bei der Heftpflasterlängsextension über¬ 
gegangen und sahen bereits in demselben Jahre das erstemal eine 
Fusslähmung auftreten (Fall 1) bei einem kräftigen Manne, den 
wir in gestreckter Stellung im Bett behandelten. Diese Fuss¬ 
lähmung entpuppte sich bei näherer Untersuchung als eine Pero¬ 
neuslähmung, und wir sahen, um gleich von vornherein dieses 
vorwegzunehmen, bei weiteren vier Fällen, die des näheren noch 
weiter hinten beschrieben werden, immer nur das Auftreten von 
Lähmungen in nur diesem Nervengebiet. 

Wie nun diese Lähmung zum ersten Male auftrat, dachten 
wir unwillkürlich an einen Fehler in der von uns angewandten 
Behandlungsmethode. Um uns gegen den Vorwurf mangelnder 
Erfahrung auf diesem Gebiete zunächst zu sichern, müssen wir 
erwähnen, dass wir vom 1. Januar 1906 bis Mitte 1912, also in 
ca. 5 Vs Jahren, 224 Oberschenkelbrüche behandelt haben, von 
denen wir sämtliche einer Heftpflasterextension unterzogen. Mit 
dieser Methode an sich waren wir also wohl vertraut, und ich 
wiederhole nochmals, dass wir die Lähmungen erst sahen, nach¬ 
dem wir zu den hoben Gewichten übergegangen waren, und be¬ 
merke dazu, dass wir bis zu dieser Zeit eine Verkürzung von 
1 cm bei sonst guter Stellung als ein leidliches Resultat be¬ 
trachteten. 

1) Im Auszuge als Vortrag gehalten in der chirurgischen Gesell¬ 
schaft im A1 lerheiligenhospital am 11. November 1912. 


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13. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Da wir uns nun eines eigentlichen Fehlers bei der Behand¬ 
lung nicht bewusst waren und uns sagen mussten, dass wir ja 
bis jetzt solche Lähmungen nicht gesehen hatten, waren wir 
natürlich geneigt, diese zunächst auf das von uns neu hinzugefügte 
Moment, die hohen Gewichte, zurückzuführen. Wir suchten in 
der einschlägigen Literatur (Verzeichnis siehe unten) nach ähn¬ 
lichen Fällen und fanden zu unserer Ueberraschung nirgends eine 
Erwähnung davon. Ohne einen Vorwurf damit aussprechen zu 
wollen, war dieses recht bedauerlich, und wir fragten unter der 
Hand an verschiedenen Stellen an und erfuhren, dass auch andere 
Kliniker ähnliche Erfahrungen gemacht hatten. 

Die Erforschung der Gründe für das Auftreten dieser Lähmung 
liess nun zunächst von dem Gedanken nicht abkomraen, dass es 
sich um eine direkte Druckwirkung auf den Peroneus unterhalb 
des Fibulaköpfchens durch die stark gespannten Extensions¬ 
streifen bandele. Ein Umstand machte uns dabei allerdings etwas 
stutzig, und das war der, dass wir bei diesen Lähmungen nie 
eine Druckrötung oder ein Decubitalgeschwiir oder etwas Aehn- 
liches, was auf einen solchen Druck schliessen liesse, an dieser 
Stelle beobachten konnten. 

Wir kamen allmählich zu der Ueberzeugung, dass ein solcher 
direkter Druck gegen den Peroneus zum Zustandekommen einer 
Lähmung nicht absolut notwendig sei, und wir fingen an, die 
Stärke des Zuges an und für sich zu beschuldigen, die besonders 
auf den Nervus peroneus communis unterhalb des Fibulaköpfchens 
ein wirken musste, und zwar aus folgenden Gründen: „Der Nerv 
sei dort nach früheren anatomischen Untersuchungen von 
v. Aberle bindegewebig fixiert; er könne also bei stärkerer Zug¬ 
wirkung nicht nachgeben, sondern werde gegen die Sehne des 
Biceps und den Knochen des Fibulaköpfchens gedrückt und da¬ 
durch lädiert.* 4 

Um nun zunächst unsere erste Annahme mit Sicherheit aus- 
scbalten zu können, schnitten wir in den äusseren, breiten Ex- 
tensionsheftpflasterstreifen an der betreffenden Stelle ein etwa 
dreiraarkstückgrosses Loch und polsterten noch dazu mit Gaze. 
Auf diese Weise glaubten wir vor Druck sicher geschützt zu 
sein. Aber selbst bei dieser äussersten Vorsicht sahen wir bei 
Anwendung der hohen Gewichte wiederum eine solche Lähmung 
(Fall 2). Es war also die Annahme eines direkten Druckes 
auf den Peroneus abzuweisen, nicht aber die einer Zerrung des¬ 
selben. 

Indessen schienen uns damit die beobachteten Erscheinungen 
noch nicht genügend erklärt, vielmehr mussten wir annehmen, 
dass, wenigstens in vielen Fällen solcher Lähmungen, die Ursache 
nicht in einer Ueberdehnung oder Zerrung des Peroneus, sondern 
des Ischiadicusstammes selbst zu suchen sei. 

Aus der Ueberlegung heraus, dass man als Zugachse für das 
gebrochene Glied die des central gelegenen Bruchteiles annehmen 
müsse, haben wir bei gestrecktem Bein gleichzeitig unter Berück¬ 
sichtigung physiologisch mechanischer Momente und auf Grund 
der Erfahrung, dass das obere Oberschenkelbruchstück meist nach 
oben und aussen verschoben ist, eine schiefe Ebene mit ent¬ 
sprechender Elevationsstellung (die Elevation entsprach etwa dem 
Winkel, den das centrale Fragment mit der Unterlage bildete) 
und Abduktion hinzugefügt. Wir hatten uns dazu einen beson¬ 
deren Apparat aus Holz mit kleinem Tischchen gebaut. Mit 
diesem Apparat sahen wir bei Beibehaltung der hohen Gewichte 
die Lähmungen noch dreimal, also etwas häufiger als vorher. 
Einen dieser drei Fälle (siehe Fall 4) haben wir mit Nagel¬ 
extension behandelt, konnten darum eine Druckwirkung voll¬ 
kommen ausschliessen. Um nun festzustellen, ob die Schwere 
der Gewichte oder die Elevation das Entscheidende dafür sei, 
verfuhren wir so: Wir setzten einerseits die Gewichtsmenge her¬ 
unter bei gleichbleibender Elevation, andererseits behielten wir 
die Gewichtsmenge bei und verringerten die Elevation. Im 
ersten Falle sahen wir keine Lähmungen mehr, im zweiten Falle 
änderte sich das Bild gegen früher nicht wesentlich. Auffallend 
war uns, dass bei gestreckter Elevation schon bei mittleren Ge¬ 
wichten die Lähmnngen auftraten. Es musste also die Zug¬ 
wirkung bei dieser Anordnung stärker sein. Es standen also 
Elevation und Gewichtsmenge in enger Beziehung zueinander. 

Die Folge dieser Gewichtsverminderung war ein Mangel an 
idealem Ausgleich der Längenverschiebung der Bruchstücke. Und 
diesen Ausgleich wollten wir ja gerade durch die hohen Gewichts- 
mengen erreichen! Durch die Arbeiten Zuppinger’s und seiner 
Schule wurden wir dem Gedanken näher gebracht, dass bei einer 
im Knie gebeugten Lage mit Elevation des Oberschenkels ohne 
Besorgnis auch schwerere Gewichte wieder angewendet werden 


dürften. Die Praxis hat uns darin recht gegeben 1 Lähmungen 
blieben bis jetzt aus. Doch haben wir gerade diese letzte Me¬ 
thode noch nicht an einer genügenden Anzahl von Fällen ge¬ 
prüft, um uns ein endgültiges Urteil erlauben zu können. 

Es sind zum Verständnis der ganzen Vorgänge ein paar kurze 
anatomische Bemerkungen unerlässlich: 

Der Nervus ischiadicus geht aus dem Lumbalis IV und V 
ab, läuft an der Beckenschaufel entlang auf der Innenseite des 
M. pyriformis, wendet sich dann an dem unteren Rande desselben 
nach hinten und kommt aufObdurator und Gemelli und Quadratus 
femoris und die grosse Adduktorengruppe zu liegen; darüber 
(von hinten gesehen) liegt nur der Biceps und nach innen zu 
daneben Semitendinosus, Semimembranosus, Gracilis. An der 
Stelle, wo sich der lange Bicepskopf von dem Semitendinosus in 
einem Winkel entfernt, tritt der Ischiadicus aus seiner Muskel¬ 
umhüllung heraus und teilt sich gleich dort in seine beiden Aeste, 
den Tibialis und Peroneus commuuis. Wenige Centimeter unter¬ 
halb dieser Teilungsstelle geht von dem Peroneus der Cutaneus 
surae lateralis ab und hält sich, bevor er in die Haut tritt, etwa 
in dem äusseren Drittel der Kniekehle. Der Nervus peroneus 
communis geht weiter an der Bicepssehne lang, schlingt sich 
unten um das Fibulaköpfchen eng herum und verteilt sich von 
da in seine entsprechenden Gebiete (s. Figur I). 



Kniekehle nach Schultze. 

Bi = M. biceps. s. t. = M. semitendinosus. s. m. = M. semimembranosus. 
g = M. gracilis. A. p. = Arteria poplitea. V. p. = Vena poplitea. 
N. Iscb. = N. Ischiadicus. P = N. peroneus, t = N. tibialis. Pc = 
N. peroneus commuuis. c. s. 1. = N. cutaneus surae lateralis, c. s. m. = 
N. cutaneus surae medialis. F = Fibulaköpfchen. 

Genaue klinische Feststellungen der Sensibilität bei den be¬ 
troffenen Kranken führte uns nun zu einem endgültigen Resultat; 
wir fanden, dass bei den Kranken, bei allen ohne Ausnahme, 
nicht nur (s. Figur II) die Stelle des Peroneus superficialis und 
profundus, sondern auch die Gegend der Ausbreitung des Nervus 
cutaneus surae lateralis in allen Qualitäten gelähmt war. Motorisch 
waren selbstverständlich sämtliche vom Peroneus versorgten 
Muskelgruppen komplett gelähmt, also: Tibialis anticus für die 
Dorsalflexion des Fusses, Extensor digitorum communis longus und 
brevis und Extensor hallucis longus für die Grundphalangen der 
Zehen sowie die Abduktion des Fusses und das Heben des äusseren 
Fussrandes (Peronei). Zweifellos unbeteiligt blieb das Hautgebiet 
des Nervus suralis und des Cutaneus surae medialis und Cutaneus 
femoris posterior. Die dazugehörigen Muskeln waren ebenfalls 
unbeteiligt. 

In Verbindung mit der Anatomie hatten wir nun den Beweis 

2 * 


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Original frn-m 

UMIVERSITY OF IOWA 



BERL1NKR K LINIS C HE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 2. 


5G 


Figur II. 



c. s. 1. = Nervus cutaneus surae lateralis, p. s. = Peroneus superficialis, 
p. p. = Peroneus profundus. 


klar vor Augen, dass die Schädigung unbedingt oberhalb der 
Stelle am Köpfchen der Fibula liegen musste, da der Cutaneus 
surae lateralis mitbeteiligt war, der etwa handbreit oberhalb der 
Kniekehle aus dem Peroneus sich abzweigt. Wir glaubten darum 
mit grosser Wahrscheinlichkeit die Schädigung auf den oberen 
Teil des Ischiadicus selbst verlegen zu müssen, besonders da wir 
wissen, dass der Ischiadicus an und für sich schon ein etwas 
starrer Nerv ist und sehr nahe an einer knöchernen Unterlage 
vorbei geht (Tuber ischiadicum) und nach Art des Lasegue’schen 
Phänomens leicht Druckwirkungen ausgesetzt ist. Wir suchten 
in der einschlägigen Literatur nach und fanden bei Oppenheim 
und v. Strümpell sehr ausgiebig darauf hingewiesen, dass 
Peroneuslähmungen häufig oder gar meistenteils der Ausdruck 
von Schädigungen des Ischiadicusstaromes waren. Bs wurden in¬ 
sonderheit solche Lähmungen beobachtet bei Trendelenburg’scher 
Hochlagerung, bei Esmarch’schem Schlauch, bei Stelzendruck, bei 
Schlafen mit überschlagenen Beinen, nach ständigem Arbeiten in 
hockender Stellung, nach Ueberanstrengung durch Näbmaschinen- 
arbeit usw. In letzter Zeit wurde von Bade auf dem Ortbopäden- 
kongress 1909 besonders darauf hingewiesen, dass solche 
Lähmungen bei der Reposition von angeborenen Hüftverrenkungen 
in etwa 2,5 pCt. der Fälle beobachtet worden sind. Er versuchte 
a / 8 dieser Fälle auf Quetschung durch den Femurkopf und */s etwa 
auf Zerrung bei der Einrenkung zurückzuführen. 

Anatomische Untersuchungen haben auch gezeigt, dass der 
Ischiadicus selbst bei seinem Austritt aus dem Becken bei ge¬ 
nauester Untersuchung bereits eine Art Teilung erkennen lässt, 
und zwar so, dass der peroneale zum tibialen Abschnitt etwa sich 
verhält wie 1:2. Hoffmann war geneigt, Peroneuslähmungen 
bei Ischiadicusschädigung auf weniger günstige GefässVersorgung 
dieses Nerven gegenüber dem Tibialis zurückzufübren. Im Tibialis¬ 
teil wurden etwa acht Gefässe gezählt, im Peronealteil genau ent¬ 
sprechend weniger. Wir hatten Gelegenheit, einen Fall zu beob¬ 
achten, der vielleicht auf diese Meinung bindeuten könnte (Fall 3); 
ein Mann mit schwerer Arteriosklerose. Wir batten allerdings 
bei diesem Manne auch verhältnismässig hohe Gewichte und 
Elevationen angewandt. 

Die Frage, warum gerade bei Zuglähmungen der Ischiadicus 
gegenüber dem Femoralis bevorzugt werde, lässt sich einfach 
anatomisch dadurch beantworten, dass der Femoralis in zahlreiche 
weiche Unterlagen gebettet ist und somit leichter Zugwirkungen 
ausweichen kann. Dass dieses aber nicht so ganz möglich ist, 
beweisen die weiteren Ausführungen Bades, dass die Orthopäden 
bei sehr forcierten Einrenkungsmanövern auch Lähmungen des 
Femoralis und sogar Schädigungen am Rückenmark selbst ge¬ 
sehen haben. Für die Extensionsbehandlung an und für sich, 
selbst wenn man ganz schwere Gewichte anwendet, kommen ja 
wohl so grosse Kräftewirkungen gar nicht in Betracht. 

Diese Ueberlegungen führten uns, glaube ich, unseren Fällen 


von Lähmungen gegenüber, auf die richtige Fährte. Wir betrachten 
sie als Folgen einer Ueberdehnung des Ischiadicusstammes und 
machen dafür die hohe Gewichtsbelastung verantwortlich. Nun 
waren allerdings nicht in allen Fällen extrem hohe Gewichte an¬ 
gewandt worden, in mehreren betrug die Belastung nur 20 bis 
30 Pfund, d. h. cs bandelte sich uro ein mittleres Maass von 
Belastung: dafür aber waren diese Frakturen gleichzeitig mit 
Extension und Elevation behandelt worden: das Bein ruhte ge¬ 
streckt auf einer schiefen Ebene. Es ist klar, dass durch die 
dadurch bedingte Beugung im Hüftgelenk ein neues Moment der 
Dehnung des Nerven eingeführt war, so dass in dieser Lage auch 
mittlere Belastung zu einem „zu viel w führen konnte. 

Einen Beweis für die Richtigkeit unserer Anschauungen sehen 
wir, wie oben gesagt, darin, dass Lähmungen nicht mehr beob¬ 
achtet wurden, seitdem wir extreme Gewichtsmengen überhaupt 
nicht mehr anwendeten, diese namentlich bei Elevation in ge¬ 
streckter Lage vermieden und überhaupt auch bei Elevation durch 
passende Lagerung und Apparate zur Extension in Semifiexion 
übergingen, wobei der Ischiadicus entspannt wird. 

Der Streckextension, wie sie früher allgemein angewandt 
wurde, hafteten ja auch noch andere Schädigungen zuweilen an. 
Am bekanntesten sind ja wohl: starke Muskelatropbien, Gelenk¬ 
steifigkeiten, Schlottergelenke usw. 

Unsere fünf Fälle gestalteten sich im einzelnen etwa folgender- 
maassen: die ersten beiden Fälle ohne, die letzten drei Fälle 
mit Elevation und Abduktion behandelt. 

Fall 1. A. K., Kesselschmied, 47 Jahre alt. Aufgenommen 11. IX. 

1910. Entlassen 17. XI. 1910. 

Der Bruch entstaud auf der Strasse nach Umfahren durch einen 
Radfahrer; wie, ist unbekannt. Das rechte Bein war aussenrotiert, es 
bestand eine subtrochanterc Fraktur, im Röntgenbild vom kleinen bis 
zum grossen Trochanter gehend, keine Verkürzung. Die Achse bildete 
einen nach innen offenen Winkel. Es wurde ein Streckverband ange¬ 
legt ohne vorherige Reposition, und mit 50 Pfund beschwert. Keine 
Elevation, kein Kniekissen. 

25. X. Peroneuslähmung komplett. Am Entlassungstage ist die 
Frakturstellung gut, keine Verkürzung. Peroneuslähmung besteht noch, 
wenn auch gebessert. Der Gang ist leicht hinkend. Die Nachunter¬ 
suchung nach s / 4 Jahren zeigte die Peroneuslähmung beseitigt. 

Fall 2. J. N., Maler, 22 Jahre alt. Aufgenommen 17. VII. 1912; 
noch nicht entlassen. 

Sehr schwächlicher, magerer, etwa wie ein Tuberkulöser aussehender 
Mann. Lungenbefund negativ. Der linke Oberschenkel ist in der Mitte 
bajonettförmig abgeknickt in einem nach innen offenen Winkel. Auf der 
Aussenseite des Oberschenkels eine mittelgrosse Wunde, die bis auf den 
Knochen geht und eitrig belegt ist. (Die Fraktur ist schon einige 
Tage alt.) 

18. VII. Nagelexteusion am Calcaneus. Gewichte: 80 Pfund. Keine 
schiefe Ebene. Seit etwa 1. VIII. Peroneuslähmung in oben beschriebener 
Weise. Extension war erfolgt mit ganz kleinem Kniekissen, längs 
im Bett. 

10. XI. Peroneuslähmung noch deutlich nachweisbar, aber in Besse¬ 
rung begriffen. Heftpflasterstreckverband hatte ein Peroneusloch im 
äusseren Extensionsstreifen. 

Fall 3. K. K., Kürschner, 55 Jahre alt. Aufgenommen 19. XI. 

1911. Entlassen 15. XI. 1912. 

Stürzte beim Verlassen der Strassenbahn über seinen Schirm; wie, 
unbekannt. 

Auffallend gealterter Mann, dement, abends delirant. Schwere 
Arteriosklerose. Fraktur rechts im oberen Drittel, quer; Aussenrotation; 
nach innen offener Winkel; oberes Bruchstück nach aussen und oben; 
6 cm Verkürzung. In Narkose Repositionsversuch und Heftpflasterstreck¬ 
verband. Lagerung mit Abduktion und Elevation, deren Winkel 35°. 
Gewichtsmenge 36 Pfund. Der Verband rutscht oft ab, weil der Kranke, 
nachts verwirrt, denselben abreisst. 

26. XI. Peroneuslähmung; ausserdem fühlt sich die kleine Zehe 
rechts kalt und blass an, die übrigen warm. 

Heftpflasterstreckverband mit Peroneusloch im äusseren Extensions¬ 
streifen. 

Später entwickelte sich aus diesem Zustand eine Gangrän der 
vierten und fünften Zehe. Es wäre also bei diesem Falle nach der 
oben geschilderten Meinung von Hoffmann erklärlich, bzw. nicht ganz 
von der Hand zu weisen, dass es sich nebenbei auch um eine Schädi¬ 
gung der Gefässversorgung im Peroueusgebiet handeln könnte. Bei der 
Entlassung war keinerlei Besserung festzustellen, was unsere letztere 
Ansicht zu bestätigen schien. 

Fall 4. A. F., Schüler, 11 Jahre alt. Aufgenommen 28. X. 1911. 
Entlassen 26. III. 1912. 

Stolperte über einen Stein, von einem anderen gestossen, und fiel 
auf den rechten Oberschenkel. Rechter Oberschenkel in der Mitte quer 
gebrochen; Verkürzung 4 cm. Oberes Fragment steht nach aussen und 
oben; Winkel nach innen offen. Aussenrotation. Ohne Reposition Streck- 


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UNIVERSUM OF IOWA 



13. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


verband, der dreimal erneuert werden musste, weil der Kranke sehr un¬ 
ruhig ist. Gewichtsmenge etwa 26 Pfund. 

28. XL wegen schlechier Stellung Refraktion und nachher Nagel¬ 
extension mit zwei Nägeln oberhalb der Condylen, Lagerung mit Ab¬ 
duktion und Elevation im Winkel von 30°. Gewichtsmenge 20 Pfund. 

6. XII. Peroneuslähmung. 

19. XII. Verkürzung aufgehoben, Nägel entfernt. Gipsverband nach 
Dollinger. 

2. XII. Fraktur fest, Peroneuslähmung noch komplett. Gipsver¬ 
band ab. 

Bei der Entlassung keine Verkürzung; starke Muskelatrophie, Ver¬ 
steifung im Knie. Peroneuslähmung soweit gebessert, dass etwa die 
Hälfte der Norm erreicht ist. Kein ausgesprochener „Steppergang“ 
mehr. Die Zehenabhebelung geschieht beim Gehen durch Adduktion des 
Fusses und Circumduktion des Unterschenkels bei extremer Kniebeugung. 
Nachuntersuchung vor einiger Zeit ergab die Peroneuslähmung beseitigt 
bis auf eine geringe Schwäche der Dorsalflexion der grossen Zehe und 
eine leichte Herabsetzung der Sensibilität im Peroneus superficialis. Die 
Heftpflasterstreckverbände hatten ein Loch zum Peroneusschulz im 
äusseren Extensionsstreifen. 

Fall V. K. G., Arbeiter, 27 Jahre alt. Aufgenommen 7. VI. 1912. 
Entlassen 7. VIII. 1912. 

Von 3 m Höhe auf Steine seitlich mit dem Oberschenkel aufgefallen. 
Linker Oberschenkel im oberen Drittel quer gebrochen; Aussenrotation; 
5 cm Verkürzung. Oberes Fragment steht nach oben und aussen. Ohne 
Reposition Heftpflasterstreckverband auf schiefer Ebene mit 30° Elevation, 
Abduktion und 36 Pfund Belastung. 

In den Extensionsstreifen Loch und Aussparung für Fibulaköpfchen 
und Peroneus. Verbandwechsel zweimal. Nach 14 Tagen im Verbände 
Massage uod Elektrizität. 

12. VI. Beginn von Peroneuslähmung mit parästhetischen Erschei¬ 
nungen; erst sensibel und nur Peroneus superficialis, nachher Profundus 
und Cutaneus surae lateralis. 

14. VI. Komplett gelähmt, auch motorisch. Sämtliche andere Sen¬ 
sibilitätsgebiete frei. 

17. VII. Verband entfernt, nachdem seit 18. VI. die Gewichte ver¬ 
mindert und die Elevation der schiefen Ebene verringert war. Nach¬ 
untersuchung 15. X.: Keine Verkürzung, Stellung der Bruchstücke gut, 
Kniebewegung bis etwa *U der Norm. Typischer „Steppergang“. Es 
besteht noch eine komplette Lähmung des ganzen Peroneus, sensibel 
und motorisch, es hat aber den Anschein, als ob die Schwere der Sen¬ 
sibilitätsstörung bereits etwas geringer geworden wäre. Auch motorisch 
ist eine Besserung insofern angedeutet, als bereits leichte Dorsalflexion 
beginnt 

Um ao dieser Stelle gleich noch zwei weiteren Einwänden 
tu begegnen, ehe sie später gemacht werden, wollen wir folgendes 
anführen: Erstens könnte man sagen, es handle sich bei Ent¬ 
stehung der Lähmung um eine lokale Schädigung durch den 
Bruch selbst resp. durch entzündliche, reparatoriscbe Vorgänge 
oder Narbenbildungen. Demgegenüber lehrt uns die Erfahrung 
auch anderer Autoren, dass bei sich selbst überlassenen Brüchen 
(es sind nur subcutane gemeint) keine Peroneuslähmung entsteht, 
obwohl die erwähnten Vorgänge ja auch zur Heilung notwendig 
siod. Zweitens könnte eine Zugwirkung nur am Peroneus als 
Grund gerade dieses Lähmungstypus angenommen werden, fussend 
auf der anatomischen Tatsache, dass nur er am Fibulaköpfchen 
bindegewebig fest fixiert, der Tibialis dagegen in Muskelmassen 
eingebettet ist. Dagegen führen wir nur an, dass der Cutaneus 
surae lateralis mitbeteiligt ist, der circa handbreit darüber liegt 
anf weicher Unterlage. 

Wir wissen aber auch, dass der peroneale Teil im Iscbiadicus 
näher dem Tuber ischiadicum liegt als der tibiale. Wenn nun 
eine Zugwirkung den Stamm auf den Knochen drückt, so ist es 
leicht denkbar, dass der Nerventeil auch zuerst gelähmt wird, 
der am meisten dem Druck ausgesetzt ist. Für unsere Fälle 
kommt dies aber nicht so recht in Betracht, da wir einen 
solchen Druck ausschliessen können. In der Literatur sind ja 
genügend Peroneuslähmungen beschrieben worden, die eine solche 
Druckwirkung auf den Knochen direkt ausschliessen lassen, so 
z. B. bei Tumoren an anderer Stelle, bei Esmarch’schem Schlauch, 
bei Erkältungen u. a. m. Für die leichtere Vulnerabilität des 
Peroneus gegenüber dem Tibialis gibt vielleicht der von Hoff- 
mann geführte Hinweis auf die Gefässversorgung beider Nerven¬ 
teile im Stamm eine, wenn auch nicht ganz stichhaltige Er¬ 
klärung ab. 

Was nun die Prognose dieser Lähmungen anlangt, so reichen 
unsere Erfahrungen noch nicht so weit, um uns ein abschliessendes 
Urteil zu erlauben. Fall 1 ist völlig wieder gut geworden; 
Fall 2 bessert sich; Fall 3 zeigt, wie wir erwarteten, absolut 
keine Aenderung der Erscheinungen; Fall 4 ist fast ganz geheilt, 
bis anf die erwähnte Schwäche. Beim Gehen merkt man fast nichts 
■ehr. Fall 5 fängt an, sich zu bessern, wie wir oben gesehen 
haben. 


5 1 


Nach unseren Erfahrungen bis jetzt gehört rund ein Jahr 
dazu, bis sich die Lähmung wieder restituiert hat. Das ent¬ 
spricht auch den Erfahrungen der Neurologen bei ähnlichen 
peripheren Nervenerscheinungen. Wir würden also die Prognose 
im allgemeinen als relativ günstig biostellen, vorausgesetzt, 
dass zeitig genug eine sacbgemässe Behandlung eintritt. 

Die Behandlung dieser Fälle wurde bei uns in folgender 
Weise ausgeführt: Neben der üblichen Art der Massage wandten 
wir an Heissluft und Uebungen, bis zur Schmerzgrenze allmählich 
weitergeführt. Für die Nervenlähmung gaben wir selten und nur 
ganz schwache Faradisation, dagegen im wesentlichen Galvani¬ 
sation mit Unterbrechungsstrom. Wir tun dies aus dem Grunde, 
den auch die Neurologen anführen, dass lang angewandter 
Faradisationsstrom zu Kontrakturen führen kann. Für das Gehen 
lassen wir einen Spitzfussschuh konstruieren, weil bei längerem 
Bestehen solcher Lähmungen sich Kontrakturen und eine Ver¬ 
kürzung der Achillessehne entwickeln könnte. 

Vor allen Dingen sind wir auch auf Grund dieser un¬ 
angenehmen Erfahrungen zu dem Prinzip der Zuppinger’schen 
Hemiflexionsmethode übergegangen, indem wir unsere Elevations¬ 
schiene im Knie abknickten, den unteren Teil zum Bett etwa io 
45° neigten und den oberen Teil für den Unterschenkel dem Bett 
parallel laufen Hessen. Die Kniekehle wurde freigelassen, indem 
wir Ober- und Unterschenkel polsterten bis etwa handbreit um 
die Kniekehle, und indem wir ein Loch an der abgeknickten Stelle 
des Brettes einschnitten. Wir haben bei dieser Behandlung eine 
Lähmung nicht mehr gesehen und konnten zugleich das Vorteil¬ 
hafte konstatieren, dass Fuss und Hüfte nach Abnahme des Ver¬ 
bandes völlig beweglich waren und das Knie völlig gestreckt und 
bis 45° sofort gebeugt werden konnte ohne wesentliche Schmerzen. 


Literatur. 

1. Bade, Ueber Lähmungen im Anschluss an Reposition der an¬ 
geborenen Hüftverrenkung. Verhandlg. d. deutschen Gesellsch. f. 
orthopäd. Chir., 1909, und dortige Autoren an gaben. — 2. Barden¬ 
heuer und Graessner, Die Behandlung der Frakturen. — 3. Die¬ 
selben, Ergebnisse der Chirurgie und Orthopädie, 1910, Bd. 1, und 
178 Literaturnummern dort. — 4. Bergmann, Handbuch der prak¬ 
tischen Chirurgie, 3. Aufi. — 5. Brösike, Lehrbuch der Anatomie des 
Menschen, 1903. — 6. Grüne, Behandlung der Oberschenkelhals- und 
Schaftbrüche mittels Bardenheuer’scher Längsextension. Verhandlg. d. 
deutschen Gesellsch. f. Chir., 1912. — 7. Henschen, Die Extensions¬ 
behandlung. Tübingen 1908 und dort franz. Autoren. — 8. Hoffa, 
Lehrbuch der Frakturen und Luxationen. 1904. — 9. Heusner, Zur 
Eitensionsbehandlung der Beinbrüche. Deutsche med. Wochenschr., 
1912, Nr. 8, und dort referiert: Lienhardt. — 10. Landois, Lehrbuch 
der Physiologie des Menschen, 1900, S. 602 ff. und 709ff. — 11. Op¬ 
penheim, Lehrbuch der Nervenkrankheiten, 1905, S. 473 ff. — 
12. Schuchardt, Ueber die Behandlung der subcutanen Knochenbrüche. 
Deutsche Aerzteztg., 1909, H. 9. — 13. Schultze, Grundriss der topo¬ 
graphischen Anatomie, 1903. — 14. v. Strümpell, Lehrbuch der 
inneren Krankheiten, 1904, Bd. 3. — 15. Told, Anatomische Atlanten, 
1903. — 16. Triepel, Einführung in die physikalische Anatomie, 1901. 


Aus der Chirurg. Privatklinik von Dr. A. Schlesinger 
in Berlin. 

Zur chirurgischen Behandlung des Morbus 
Basedowii. 

Von 

Dr. Artknr Schlesinger-Berlin. 

(Vortrag, gehalten in der Berliner medizinischen Gesellschaft 
am 4. Dezember 1912.) 

Die operative Behandlung des Morbus Basedowii ist eine 
ziemlich junge Errungenschaft der modernen Chirurgie. Zwar 
bat Rebn schon 1884 einen Fall von Basedowscher Krankheit 
operiert; ein allgemeines Interesse jedoch fand die Methode erst 
Ende der neunziger Jahre, als die 1887 aufgestellte Möbius’sche 
Theorie von der primären Rolle der Schilddrüse, bestehend in 
einer Hyperfunktion derselben, allmählich mehr und mehr An¬ 
hänger gewann. 

Im Laufe der Zeit hat die chirurgische Behandlung sich 
immer mehr Bahn gebrochen, und es fehlt heute nicht an Chir¬ 
urgen, die „früheste Prühoperation“ als beste Behandlungsmethode 
der Basedowschen Krankheit empfehlen. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 2. 


Mein Material, an dessen Hand ich Ihnen heute über einige 
Beobachtungen berichten möchte, umfasst 20 operierte Fälle. Un¬ 
gefähr die Hälfte davon möchte ich als schwere Fälle bezeichnen, 
die übrigen, 2 ausgenommen, sind mittelschwere, bei denen allen 
die Beschwerden seit längerer Zeit bestanden. Weniger als ein 
halbes Jahr vor der Operation hatte die Krankheit in keinem 
Falle gedauert. 

Alle Patienten waren schon längere oder kürzere Zeit 
(Minimum 2 Monate) innerlich behandelt worden. 

In den meisten Fällen war die Schilddrüse ziemlich gleich- 
mässig in ihren beiden Hälften vergrössert, in einem Falle war 
nur ein vergrösserter Mittel lappen vorhanden. 

In 3 Fällen hielt sich die Vergrösserung der Schilddrüse in 
mässigen Grenzen, jedoch waren die nervösen Symptome und die 
von seiten des Herzens sehr ausgesprochene. 

Sogenannte „formes frustes“ sind unter den Fällen nicht vor¬ 
handen. Ueberall waren die Hauptsymptoroe deutlich, wenn auch 
nicht immer in höherem Grade ausgesprochen, insbesondere die 
charakteristische nervöse Unruhe, die ja für die meisten Patienten 
der Hauptgrund der Zustimmung zur Vornahme der Operation ist. 

Erwähnen möchte ich, dass ich bei der Untersuchung der 
Fälle immer auf eine etwaige Vergrösserung der Thymusdrüse 
geachtet habe, zum Teil auch deswegen Röntgendurchleuchtungen 
vornahm, da nach vieldiskutierten Anschauungen (Schnitzler, 
Capelle) der postoperative Tod nach Basedowoperationen mit 
einer persistierenden Thymus im Zusammenhänge steht und es 
sogar nach Garrö einen thymeogenen Morbus Basedowii gibt. 

Ich kann nicht sagen, dass ich in meinen Fällen auch nur 
mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit (die Diagnostik dieses Zu¬ 
standes ist ja eine sehr unsichere) eine persistierende Thymus 
nachweisen konnte. 

Als Operationsmethode wurden angewandt: zweimal Exstirpation 
eines Lappens und Exzision eines Teiles der anderen Hälfte, in den 
übrigen Fällen Halbseitenexstirpation, grösstenteils -f- Fortnahme des 
Jsthmus bzw. Mittellappens, einmal Exstirpation nur eines isolierten Mittel¬ 
lappens. Die Operationen wurden sämtlich unter Lokalanästhesie mit 
Va proz. Novocainsuprareninlösung ausgeführt. Die Anästhesie war in 
der Regel vollkommen, jedoch reichte sie in einigen Fällen nicht ganz 
aus. Der Vorteil der Lokalanästhesie gerade bei dieser Operation ist 
aber so gross, sowohl wegen der bequemen Durchführbarkeit der Asepsis 
als wegen der sicheren Vermeidung der Recurrensverletzung und der 
Gefahren der besonders bei diesen Operationen unangenehmen Narkose, 
dass ich mich trotz eines gelegentlichen Misserfolges, wo eine geringe 
Menge Aether genügte, um die Kranken zu beruhigen, nicht entschliessen 
konnte, die Methode aufzugeben. 

Immer wurde die A. tbyreoidea superior zuerst unterbunden, später 
vor der Ablösung der hinteren Schilddrüsenwand die A. thyreoidea 
inferior, so dass ich den Recurrens fast nie zu Gesicht bekam. 

An Komplikationen während dor Operation habe ich eine sehr 
schwere Blutung beim Auslösen des unteren Pols erlebt, die sich aber 
schliesslich durch Abklemmen stillen liess. Es wurde regelmässig ein 
Jodoformgazetampon in die Wunde eingeführt, der am zweiten bis 
vierten Tage entfernt und dann durch keinen neuen ersetzt wurde. 

Im Verlaufe der Nachbehandlung trat einmal eine sehr schwere 
Nachblutung infolge Abgleitens einer Ligatur der A. thyreoidea superior 
auf, die durch Oeffnen der Wunde, Ausräumung der Blutgerinnsel und 
Unterbindung gestillt wurde. In der Folge habe ich die Thyreoidea 
dann immer doppelt unterbunden. Sonst habe ich keine erheblichen 
Störungen des Befindens beobachtet. 

Einmal trat eine mehrere Wochen dauernde Aphonie auf; da ich 
aber bei der Operation immer die Phonation prüfte und so sicher war, 
dass der Recurrens unverletzt, machte mir die Störung weiter keine 
Sorgen. Nach einiger Zeit ging dieselbe auch zurück. 

Was nun die Resultate betrifft, so ist ein Todesfall nicht zu 
verzeichnen. 

17 Patienten konnte ich teils nachuntersuchen, teils Nachricht 
über ihr Befinden erhalten. 

Die anderen 3 Patienten, über die ich später nichts erfahren 
konnte, befanden sich noch ein halbes Jahr nach der Operation 
gut und fühlten sich erheblich gebessert. 

Von den übrigen sind ganz geheilt 3 (Fall 1—3), alle über 
2 Jahre (wozu ich bemerke, dass die subjektiven Erscheinungen 
vollkommen verschwunden sind, jedoch noch ganz leichte objektive 
Störungen bestehen, etwaige Steigerung der Pulsfrequenz, etwaiger 
Exophthalmus). Fast geheilt, d. h. subjektiv und objektiv sehr 
geringe Symptome zeigend, sind 4 (Fall 4—7), dazu zähle ich 2 
vor weniger als 2 Jahren operierte. Darunter sind zwei be¬ 
merkenswertere Fälle: 

1. (Fall 4). Eine 35 jährige Frau, die immer ein wenig nervös war, 
erkrankt Anfang 1908 mit leichtem Exophthalmus, mässiger Vergrösserung 
der Schilddrüse und starken nervösen Erscheinungen (Schlaflosigkeit, 


Unruhe, Herzklopfen). Die nervösen Erscheinungen nehmen zu und 
führen allmählich zu einer schweren Psychose paranoisch-maniakaliachen 
Charakters. Es bestehen dauernde Aufregungszustände; Patientin ver¬ 
lässt nachts das Bett;, läuft schreiend aus dem Zimmer usw. An¬ 
fang 1910 wird sie in meiner Abwesenheit an einer Perityphlitis operiert, 
steht während dieser Zeit dauernd unter strenger Bewachung; trotzdem 
gelingt es ihr, einmal den Widerstand der Schwester zu überwinden 
und aus dem Bette zu gehen, glücklicherweise ohne Schaden zu nehmen. 
Auch später bestanden dieselben psychotischen Zustände dauernd weiter. 
Ich konnte mich zuerst nicht zu der Auffassung entschliessen, dass die 
Psychose mit der Basedow’schen Krankheit in ursächlicher Verbindung 
stände und wurde darin durch einen hinzugezogenen Neurologen bestärkt. 
Als aber die objektiven Basedowsyraptome (Struma, Tacbycardie) Zu¬ 
nahmen, konnte man sich der Möglichkeit eines Zusammenhanges beider 
Erkrankungen nicht mehr verschliessen. Ich schlug den Angehörigen 
die Operation vor, die dann auch ohne wesentliche Schwierigkeiten 
ausgeführt wurde. Der Verlauf nach der Operation (Halbseitenexstir¬ 
pation) nun war sehr überraschend. Während wir mit hochgradigen 
Erregungszuständen nach der Operation gerechnet hatten, war Pat. vom 
ersten Tag an vollkommen ruhig, bot keine Spur von psychischer 
Erregung, und es hat sich auch bis heute (Beobachtung 2 Jahre), ab¬ 
gesehen von der schon vorher bestehenden leichten Nervosität, nichts 
wieder gezeigt. Pat. hat 20 Pfd. an Gewicht zugenommen. Die Puls¬ 
frequenz ist nur leicht erhöht. Tremor, Exophthalmus sind verschwunden. 

Einen ähnlichen Fall finde ich in der französischen Literatur er¬ 
wähnt 1 ), eine seit 3 Jahren bestehende Psychose nach Halbseiten¬ 
exstirpation zurückging. Ich hatte mich lange Zeit zur Operation nicht 
entschliessen können, weil einerseits (durch das Gutachten des Neuro¬ 
logen unterstützt) Zweifel bestanden, ob überhaupt ein direkter Zu¬ 
sammenhang zwischen Basedow und Psychose bestand, ausserdem es 
aber fraglich erschien, ob bei der ziemlich heruntergekommenen Patientin 
durch die Operation nicht eine Verschlimmerung der Psychose hervor¬ 
gerufen werden könnte. Erst das überraschende unmittelbare Resultat 
klärte uns über die Natur der Krankheit auf, und wenn ich auch nicht 
mit absoluter Sicherheit das post hoc propter hoc aussprechen möchte, 
so dürfte doch, soweit wir überhaupt imstande sind, eine Sicherheit der 
Aetiologie bei solchen Psychosen festzustellen, hier alles für den Zu¬ 
sammenhang von Ursache und Behandlung sprechen. Es scheint mir 
dieses sofortige Verschwinden der Erregungszustände dafür zu sprechen, 
dass nicht die Inanation der Patientin, wie ich erst, besonders auch 
wegen der starken Gewichtszunahme nach der Operation, zu glauben 
geneigt war, die Ursache der Psychose gewesen ist, sondern dass dieselbe 
direkt durch ein im Körper kreisendes, von der Schilddrüse abgesondertes 
Gift ausgelöst worden ist. 

Der zweite Fall betrifft ein neunjähriges Mädchen, das von Geburt 
an einen prominenten Schilddrüsenmittellappen von der Grösse, einer 
kleinen Pflaume hatte. Anfang 1910 fing dieser Mittellappen an, sich 
zu vergrössern und gleichzeitig stellten sich Symptome von Basedow¬ 
scher Krankheit ein: ein geringer Exophthalmus, eine mässige Tachy- 
cardie, geringer Tremor und eine sehr starke nervöse Unruhe, verbunden 
mit Schlaflosigkeit. Die Eistirpation dieses Mittellappens wurde April 
1911 unter Lokalanästhesie vorgenommen. Das Präparat zeigte eine 
Struma cystica. Seitdem haben die nervösen Erscheinungen vollkommen 
aufgehört, das Kind schläft gut, hat noch eine kleine Spur Erhöhung 
der Pulsfrequenz und eine Spur Exophthalmus. 

Der Fall ist dadurch bemerkenswert, dass es sich um einen reinen 
Fall von sekundärem Basedow handelt. Es ist mehrfach hervorgehoben 
worden, dass solche Fälle ein wichtiger Beweis für die primäre Rolle 
der Schilddrüse beim Basedow sind. Hier ist nun die Pathogenese voll¬ 
kommen eindeutig. Mit Wachsen des Mittellappens Auftreten der 
klinischen Erscheinungen. Prompter Rückgang nach Exstirpation des 
Lappens. Die Erscheinungen waren nicht sehr schwere. Das stimmt 
mit Kocher’s Ansicht (1907) überein, dass der sekundäre Basedow meist 
in mitigierter Form auftritt. 

Es folgen nun sieben Fälle, die ich als erheblich gebessert 
bezeichnen möchte. Nur nach dem subjektiven Befinden be¬ 
trachtet, könnten einige davon als fast geheilt gelten, jedoch be¬ 
stehen noch teilweise erhebliche objektive Abweichungen von der 
Norm (Exophthalmus, Tachycardie). Diesen schliesst sich ein 
Fall an, der gesondert zu betrachten ist (Fall 15). 

Frau K., 40 Jahre alt, wird wegen schwerster Basedowscher Krank¬ 
heit (hochgradigster Exophthalmus, Puls 150, Verbreiterung des linken 
Herzens, starker Tremor, Vergrösserung beider Mittellappen) im Jahre 
1907 operiert, und zwar exstirpierte ioh den ganzen rechten und einen 
kleinen Teil des linken Lappens. Pat. erholte sich nach der Operation 
vorzüglich, nahm 24 Pfund an Gewicht zu, die Pulsfrequenz ging anf 
110 herab. Exophthalmus war unverändert, ausserdem bestand auch 
nach der Operation weiter ein schweres Asthma cardiale. Ich beob¬ 
achtete Pat. 2 Jahre, verlor sie dann aus den Augen. Als ich sie 
später (1910) wiedersah, war ein sehr schweres Myxödem vorhanden. Die 
Haut und das Unterhautzellgewebe hatten die charakteristische Be¬ 
schaffenheit; Arme und Beine waren erheblich verdickt; es bestand bei 
der allerdings schon vorher nicht sehr intelligenten Patientin eine aus¬ 
gesprochene Demenz, und von der Schilddrüse, von der ich bei der 

1) Delmas, Presse mödicale, 1910. 


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13 Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


59 


Operation einen etwa männerfaustgrossen Teil des linken Lappens zurück¬ 
gelassen hatte, war nichts mehr zu fühlen. Ausserdem bestand eine 
deutliche Tetanie (Chvostek’sches Phänomen). Unter Behandlung mit 
Schilddrüsentabletten hat sich nun der Zustand wesentlich gebessert; 
es sind heute nur noch Spuren von dem Myxödem und Spuren von der 
Tetanie nachweisbar. Das Asthma ist versohwunden, der Puls fast 
normal. Sehr interessant Ist, worauf mich Kollege Kurt Mendel, der 
die Pat. mitbehandelte, aufmerksam machte, dass im Gesioht und am 
Schädel Zeichen von Akromegalie vorhanden sind 1 )* 

Was nun die Ursachen der Ausfallserscheinungen betrifft, so wäre 
zuerst daran zu denken, dass ich zu viel Schilddrüse fortgenommen 
habe. Jedoch sprachen gegen diese Aetiologie zwei Tatsachen: Erstens 
habe ich den grösseren, etwa männerfaustgrossen Teil des linken 
Lappens stehen lassen, und wenn ich auch glaube, dass man die zur 
Funktionstüchtigkeit notwendige Menge Scbilddrüsengewebe nicht in 
Gramm angeben kann (es ist von einigen Autoren gesagt worden: so 
und so viel Gramm Schilddrüse müssen stehen bleiben), so kann man 
doch sagen, dass die Fortnahme eines Lappens und der kleineren Hälfte 
des anderen im allgemeinen keine üblen Folgen nach sich zieht. Zweitens 
habe ich die Pat. 2 Jahre nach der Operation beobachtet und keine 
myxödematosen Erscheinungen an ihr gesehen. Es ist nun höchst un¬ 
wahrscheinlich, dass zwischen Ursache (Fortnahme der Schilddrüse) und 
Wirkung (Auftreten des Myxödems) ein Zeitraum von über 2 Jahren 
liegt, wenn man auch berücksichtigt, dass das Myxödem eine chronische 
Erkrankung im Gegensatz zur reinen Tetanie ist. Es ist offenbar eine 
sekundäre Schrumpfung der Schilddrüse eingetreten, wie wir sie 
ja z. B. absichtlich bei der Behandlung des Basedow mittels Arterien- 
uuterbindung herbeifübren. Dass, wenn ausser der Unterbindung ein 
Stückchen reseziert worden ist, leichter noch Atrophie eintritt, ist sehr 
wahrscheinlich. 

Interessant sind die Zeichen von Akromegalie bei der Pat.; das 
würde also dafür sprechen, dass die Hypophysis für die Schilddrüse 
vikariierend eingetreten ist, ein Beweis für die an anderen Organen ge¬ 
wonnene Anschauung, dass die Drüsen mit innerer Sekretion sich gegen¬ 
seitig teilweise ersetzen können. 

Es sind schliesslich noch zwei Fälle (Fall 16, 17) zu er¬ 
wähnen, bei denen Recidive aufgetreten sind, das eine nach 2, 
das andere nach 3 Jahren. Bei beiden trat nach vollständigem 
Wohlbefinden von nenem nervöse Unruhe, Herzklopfen und Schlaf¬ 
losigkeit auf. Die zurückgebliebene Schilddrusenhälfte ist gegen 
früher nicht sichtbar vergrössert. Die Beschwerden halten sich 
jedoch in engen Grenzen, so dass sich beide bis jetzt zu einer 
Operation an der anderen Seite nicht entschlossen konnten. Bei 
der einen Patientin sind übrigens nach der letzten Untersuchung 
die Beschwerden nach Arsen und Elektrisieren wieder zurück¬ 
gegangen. 

Bei einem dritten in meiner Behandlung befindlichen Recidiv, 
bei dem die erste Operation nicht von mir ausgeführt wurde, 
trat zugleich mit Zunahme der Beschwerden eine starke Schwellung 
des zurückgebliebenen Lappens auf. 

Was die unmittelbaren Folgen der Operation anlangt,' so 
batte ich erwähnt, dass ich auch in den schweren Fällen eine 
vergrösserte Thymus nicht mit annähernder Wahrscheinlichkeit 
feststellen konnte. Ich erwähne dies deswegen, weil in den 
letzten Jahren die Beziehung der Thymus zum postoperativen 
Basedowtod vielfach diskutiert wurden. Insbesondere von der 
Garre’scheo Schule (Capelle) wurde die Meinung ausgesprochen, 
dass eine persistierende Thymus die häufigste Ursache dieses 
Todes sei. Jedoch möchte ich aus der Tatsache, dass ich einer¬ 
seits keinen Todesfall und keine schweren postoperativen Er¬ 
scheinungen hatte, andererseits keine vergrösserte Thymus kon¬ 
statieren konnte, keine weiteren Schlüsse ziehen. Erstens ist die 
Diagnose der Thymusvergrösserung eine ziemlich unsichere, so 
dass ich nicht behaupten möchte, nicht doch eine unter meinen 
Operierten gehabt zu haben; zweitens haben die Arbeiten der 
letzten Jahre (Gebele nsw.) immer mehr gezeigt, dass die 
Thymusvergrössemng im allgemeinen nicht die Ursache des Basedow¬ 
todes, sondern nur eine kompensatorische ist, also im grossen 
und ganzen nur bei manchen schweren Fällen vorkommt. 

Eine zweite Theorie des postoperativen Basedowtodes will 
ich, soweit sie in Beziehung zu meinem Material steht, noch er¬ 
wähnen; das ist die heute ziemlich verlassene von der akuten 
Resorption von Schilddrüsensaft. Besonders wird gegen diese 
Lehre angeführt, dass auch nach Operationen an anderen Organen 
(als der Schilddrüse), die bei Basedowkranken ausgeführt werden, 
dieselben schweren Zustände wie nach Eingriffen an der Schild¬ 
drüse selbst beobachtet werden; sie bestehen in Anfregungs- 


1) Der Blutbefund (Dr. G. Wolfsohn) ergab 35pCt. Lympbocyten, 
also noch eine Erhöhung der Zahl, und normale Blutgerinnungszeit. (Die 
Blutgerinnungszeit ist nach Ko oh er im Gegensatz zum Basedow beim 
Myiödem niedriger als normal.) 


zuständeD, Benommenheit, Herzklopfen, Irregularität des Pulses, 
Schweiss, Erbrechen, DyspnÖe, hohem Fieber und führen in einer 
gewissen Anzahl von Fällen zum Tode. 

Ich glaube nun doch, dass als Ursache für diese gefürchteten 
Zustände, wenigstens in manchen Fällen, eine akute Resorption 
von Schilddrüsensaft nicht von der Hand zu weisen ist. Kocher 
hat 1907 darauf aufmerksam gemacht, dass bei schonenden 
Manipulationen mit dem Kropfrest man im allgemeinen diese 
schweren Zustände vermeiden könnte. Ich habe ebenfalls, ab¬ 
gesehen von dem nach jeder Kropfoperation auftretenden hohen 
Fieber, keinmal solche Zustände gesehen. Ich glaube, dass es 
vielleicht ausser dem schonenden Umgehen noch von Wichtigkeit 
ist, eine möglichst wenig offene Schilddrüsenschnitifläche zu 
schaffen, also eine möglichst kleine Resorptionsfläche zu geben. 
Zu dieser Ansicht wurde ich veranlasst durch einen Vergleich 
mit dem von Reinbach veröffentlichten Mikulicz’schen Material, 
wo bei 18 Operationen fünfmal solche schweren Erscheinungen 
eintraten, während sonst solche Zustände heute anscheinend zu 
den seltenen Vorkommnissen gehören. Mikulicz führte die 
Resektion aus, wobei sehr grosse Schilddrüsenwundflächen ge¬ 
schaffen werdeD, während bei der Technik der meisten anderen 
Operateure dieser Uebelstand vermieden wird. Auch aus anderen 
Gründen, auf die ich hier nicht eingehen will, wird die Resorption 
heute ziemlich allgemein verworfen. Ich meine nun, dass der 
eben besprochene Vorwurf zu den anderen Einwänden hinzukommt, 
und dass es doch nicht von der Hand zu weisen ist, dass die 
akute Resorption von Schilddrüsensaft bei der Aetio¬ 
logie der postoperativen Erscheinungen bzw. Todesfälle 
eine gewisse Rolle spielt 1 ). 

Kommen wir nun zur Wahl der zweckmässigsten Operations¬ 
methode, so haben wir heute in der Hauptsache zwei An¬ 
schauungen, die sich aber nicht sehr scharf trennen: 

1. die einen bevorzugen die Halbseitenexstirpation in der 
Regel -f- Ligatur der A. thyreoidea superior der anderen 
Seite; 

2. das von Kocher inaugurierte allmähliche Vorgehen, be¬ 
sonders bei schweren Fällen. 

Da nun aber auch Kocher, wie aus einer Mitteilung von 
A. Kocher 2 ) hervorgebt, nur in etwa einem Drittel seiner Fälle 
mehrzeitig operiert, so kann man sagen, dass die beiden Richtungen 
in der Praxis nicht gar so weit auseinandergehen. 

Zweifellos ist nun, wie eine grosse Menge operierter Fälle 
beweisen, dass in einem grossen Teil derselben mit der einfachen 
Halbseitenexstirpation gute Resultate zu erzielen sind. 

Andererseits gilt heute ganz allgemein der Satz, dass das 
erreichte Heilresultat proportional ist dem durch die 
Operation erreichten Grade der Schilddrüsenver- 
kleinerung. 

Hier ergeben sich nun aber gewisse Widersprüche: Nach 
Kocher soll man dort, wo ein Teil der Schilddrüse, insbesondere 
in bezug auf die Gefässerscbeinungen (Vascularisation) vor den 
übrigen Partien ausgezeichnet ist, bei der Operation diesen an¬ 
greifen. Nun ist aber doch in einer sehr grossen Anzahl von 
Fällen kein so deutlicher Unterschied zwischen den einzelnen 
Teilen bzw. beiden Seiten nachzuweisen; so konnte ich bei meinen 
Operierten kaum in 5 Fällen eine deutliche Differenz zwischen 
den beiden Seiten feststellen. 

Die Heilung der halbseitig Operierten ist nun dort erklärt, 
wo die A. thyreoidea der anderen Seite unterbunden worden ist. 
Hier findet infolge der schlechteren Ernährung eine Schrumpfung 
der unterbundenen Seite statt, die das Resultat erklärt. Dort 
aber, wo bei gleicher Grösse beider Lappen überhaupt nur an 
einer Seite operiert wurde, ist das vielfach beobachtete Vor¬ 
kommen von vollkommener oder fast vollkommener Heilung nicht 
recht erklärt. 

Wenn eine Hälfte der Schilddrüse entfernt wird, so neigt 
nach allgemeiner Anschauung und nach experimentellen Unter¬ 
suchungen (Beresowsky) die übriggebliebene Hälfte zur Hyper¬ 
trophie. Ich glaube nun, dass diese Experimente, die an normalen 
Schilddrüsen ausgeführt wurden, nicht ohne weiteres auf die 
Basedowschilddrüse übertragen werden können. 


1) Vielleicht handelt es sich hierbei um Zustände, die mit der 
Anaphylaxie in Parallele zu setzen sind, eine Vermutung, auf die zuerst 
G. Wolfsohn (Deutsche med. Wocbenscbr., 1912) aufmerksam gemacht 
bat. Es wäre dann dieser plötzliche Zustand etwa einem anaphylak* 
tischen Shock vergleichbar. 

2 Münchener med. Wochenschr., 1912. 

3* 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 2. 


Zur Erklärung der Heilung der halbseitig Operierten (selbst¬ 
verständlich kommen nur solche in Betracht, wo vor der Operation 
eine gleichmässige Affektion beider Hälften äusserlich festzustellen 
war) müsste man annehmen, dass man zufällig die kranke (nur 
äusserlich in ihrer Erkrankung nicht erkennbare) Hälfte ex- 
stirpiert hat. Nun konnte ich aber bei mehreren Fällen, bei 
dreien sicher, bei einigen anderen so, dass ich es nur als wahr¬ 
scheinlich hinstellen möchte, folgendes beobachten: Einige Zeit 
(V2 —1 Jahr) nach der Halbseitenexstirpation nahm 
die nicht operierte Hälfte deutlich an Volum ab. 

Selbstverständlich kann daa nicht als Regel aufgestellt 
werden; das zeigen ja sowohl die manchmal schon nach kurzer 
Zeit auftretenden Recidive als die öfter notwendig werdende 
weitere Verkleinerung der Drüse nach vorheriger Halbseiten¬ 
exstirpation; jedenfalls aber gibt es Fälle, wo eine solche sekun¬ 
däre Atrophie ganz deutlich zu beachten ist. Ueber den Pro¬ 
zentsatz, in welchem dies der Fall ist, möchte ich mich nach 
meinem relativ kleinen Material nicht weiter äussern. Bei der 
Erklärung für diesen Vorgang müssen wir uns auf Vermutungen 
beschränken; ich nehme an, dass hier vielleicht nervöse Einflüsse 
eine Rolle spielen, und dass das geschilderte Verhalten ein Reflex¬ 
vorgang ist, ausgelöst von der Stelle der Operation. Es er¬ 
scheint jedenfalls auffallend, dass sich keiner meiner halbseitig 
Operierten „zu Ende“ operieren lassen wollte, weil sie alle von 
dem Resultat der Operation befriedigt waren. 

Andererseits geben auch nach Kocher manchmal mehrfach 
operierte Fälle keine befriedigenden Resultate, ebenso wie ein¬ 
seitig operierte gute Resultate geben. 

Eine weitere Tatsache schliesslich ist ebenfalls nicht mit 
Satz von dem Parallelismus der Masse der entfernten Schild¬ 
drüsenmenge und Heilresultat in Einklang zu bringen, das sind 
Recidive, die ohne neuerliche Vergrösserung der Schilddrüse ein¬ 
hergehen, wie es z. B. zwei Fälle meines Materials sind, während 
bei anderen Recidiven deutlich eine Zunahme an Volum zu kon¬ 
statieren ist. 

Kurz zusammengefasst möchte ich also sagen, dass meiner 
Ansicht nach der Satz, dass die Masse der entfernten Schild¬ 
drüse parallel ist dem erreichten Heilresultat, gewisse Ein¬ 
schränkungen erfordert. Gegen seine allgemeine Gültigkeit 
spricht: 

1. Sehr viele gute Resultate nach einfacher Halbseiten¬ 
exstirpation trotz äusserlich gleichmässigem Ergriffensein beider 
Lappen. 

2. Vorkommen von Atrophien der zurückgelassenen Schild¬ 
drüsenhälfte nach Operation der anderen Seite. 

Dazu kämen noch, was nicht allzuselten zu beobachten ist, 
gute Resultate nach Strumektomie bei Basedowkranken, deren 
Schilddrüsenhypertrophie relativ gering ist und in keinem Ver¬ 
hältnis steht zu den schweren Allgemeinerscheinungen. 

Die praktische Folgerung aus diesen Beobachtungen möchte 
ich vor allem darin sehen, dass wir uns doch vielleicht in einer 
grösseren Anzahl von Fällen als es bisher den Anschein hatte, 
mit einem einmaligen einseitigen Eingriff begnügen können. Eine 
Inangriffnahme beider Seiten ist, wenn auch auf der einen Seite 
nur eine Arterienunterbindung gemacht wird, doch immerhin ein 
grösserer Eingriff als eine einseitige Operation. Wenn auch die 
operative Mortalität, hauptsächlich wohl, weil wir heute die 
Fälle früher in Behandlung bekommen, ganz enorm zurück¬ 
gegangen ist, so ist doch die Schilddrüsenoperation bei einer 
Basedowkranken nicht so ungefährlich wie eine gewöhnliche 
Strumektomie, und es scheint, dass die geringste Mortalität die¬ 
jenigen Operateure haben, die sieb, wenn möglich, mit kleineren 
Eingriffen begnügen. Deswegen soll nicht gesagt sein, dass es 
nicht manchmal nötig ist, später die andere Seite zu operieren, 
bzw. an eine Unterbindung eine Ektomie anzuschliessen, aber ich 
glaube, dass man doch, wenn überhaupt ein Erfolg der ersten 
Operation zu konstatieren ist, erst nicht allzu kurze Zeit ab- 
warten soll, ob nicht (bedingt durch die oben beschriebene 
sekundäre Atrophie) die Erscheinungen weiter von selbst zurück¬ 
gehen. Das scheint mir auch aus dem Kocher’scben Material 
(A. Kocher, 1910) hervorzugehen, da in ca. 18 pCt. der Fälle, bei 
denen eine mehrzeitige Operation in Aussicht genommen war, die 
zweite Operation sich nachträglich als nicht mehr nötig erwies; 
andererseits hatten in ebenfalls ca. 18 pCt. auch mebrzeitige Ope¬ 
rationen nicht den gewünschten Effekt. Vielleicht wäre noch ein 
weiterer Prozentsatz ohne zweite Operation geheilt worden, wenn 
nicht der vorher bestimmte Plan ausgeführt worden wäre,- 


die Patienten nach einem halben oder einem Jahre weiter zu 
operieren. 

Auch der Amerikaner Mayo, der über ein sehr grosses 
Material verfügt, bevorzugt nach seiner letzten Mitteilung (Journ. 
of americ. assoc., 6. Juli 1912) im grossen und ganzen kleine 
Eingriffe. In ca. 35 pCt. hat er sich mit einer einfachen, ein¬ 
seitigen Ligatur der Thyreoidea begnügt; in einer relativ klei¬ 
nen Zahl der Fälle war es nötig, eine zweite Operation anzu- 
scbliessen. 

Schliesslich komme ich zu der Frage, wann man überhaupt 
den Basedow operieren soll. Es herrscht darin beute wohl so 
ziemlich Einigkeit unter den Chirurgen, dass man, wenn nach 
einiger Zeit interner Behandlung keine Besserung eintritt, die 
Operation vorschlagen soll. Natürlich lässt sich ein Schema 
nicht aufstellen. Je nach Temperament, Sicherheit der Technik 
usw. schreitet der eine früher, der andere später zur Operation. 
Solchen, die einen mehr konservativen Standpunkt einnehmmen, 
stehen andere gegenüber, die die „früheste Früboperation“ für 
das beste halten. 

Jedenfalls spricht die Tatsache, dass die Todesfälle, eine 
richtige Technik vorausgesetzt, fast ausschliesslich die schweren 
Fälle betreffen, und die Operation bei nicht zu sehr vorgeschrittener 
Erkrankung eine fast ungefährlicheist, dafür, dass wir keines¬ 
falls zu lange warten, bis die gefürchteten Gefäss- und Herz- 
veränderungen ein treten, und lieber zu früh als zn spät 
operieren sollen. 

Deshalb ist es auch angezeigt, bei Fällen, die, ohne vorher 
behandelt worden zu sein, erst in späteren Stadien zur Beob¬ 
achtung kommen, keine Zeit erst mit interner Therapie zu ver¬ 
lieren, sondern sofort zur Operation zu schreiten. Einen erheb¬ 
lichen Einfluss auf unser Verhalten übt das soziale Moment. Bei 
Patienten, die sich schonen und monatelang in Bädern und Luft¬ 
kurorten verbringen können, ist es natürlich eher am Platze, noch 
einen Versuch mit konservativer Behandlung zu wagen, als bei 
Kranken der arbeitenden Klasse. Ich möchte jedoch beinahe be¬ 
haupten, dass die letzteren manchmal besser daran sind, weil sie 
sich im allgemeinen eher zur Operation entschliessen und nicht erst 
die ganze Musterkarte der empfohlenen inneren Mittel durch¬ 
probieren müssen und auf diese Weise die Krankheit nicht so 
lange verschleppen, bis die Operation eine gefahrvolle ist. 

Die Resultate eigentlicher Heilung werden heute sehr ver¬ 
schieden angegeben; so erwähne ich nur, dass Kocher 75 pCt. 
Heilungen angibt, während Garrö nur 15 pCt. hat. Vielleicht 
liegt dies zum Teil daran, dass sich bei Kocher’s weltbekannten 
Autorität die Patienten eher zu einer zweiten und dritten Operation 
entschliessen als anderswo. Trotzdem ist aber hier noch vieles 
nicht geklärt. Im allgemeinen kann man sagen, dass man in der 
grossen Mehrzahl der Fälle durch die Operation eine wesentliche 
Besserung der Erscheinungen erzielen kann. 

Immerhin aber müssen wir uns vergegenwärtigen, dass es 
eine Reihe von Fällen gibt, die wir durch operative Behandlung, 
auch durch mehrzeitige Operationen nicht beeinflussen können. 
Warum in solchen einzelnen Fällen die Operation nichts nützt, 
während sie in anderen vorzüglich wirkt, ist vorläufig durchaus 
unklar, und wir haben auch kein Mittel, das vorher bestimmen zu 
können. Es sind zam Teil die schwersten Fälle mit vorge¬ 
schrittenen Herz- und Gefässveränderuogen, zum Teil aber auch 
Fälle, wo solche Momente nicht vorliegen. (Dass ich bei meinen 
Fällen keinen eigentlichen Misserfolg habe, betrachte ich als 
einen glücklichen Zufall.) 

Ebenso ist immer zu berücksichtigen, dass es andere Fälle 
gibt, die durch innere Therapie oder spontan gebessert werden, 
vielleicht sogar heilen, eine Tatsache, die meiner Ansicht nach 
gegen einen allzu radikal chirurgischen Standpunkt in der Frage 
spricht. 

Jedenfalls dürfte bezüglich der chirurgischen Basedowbehand¬ 
lung das letzte Wort noch nicht gesprochen sein. Die operative 
Therapie hat eine Reihe neuer Probleme gezeitigt, die keineswegs 
heute schon als gelöst gelten können. Wir sind zwar durch die 
operative Behandlung mit Zuhilfenahme der experimentellen 
Forschung in der Einsicht in das Wesen der merkwürdigen Krank¬ 
heit ein gut Teil weiter gekommen, aber aus jeder anscheinend 
geklärten Frage ergeben sich immer wieder neue Probleme, deren 
vollständige Lösung wohl noch viel Zeit und Mühe in Anspruch 
nehmen dürfte. 


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13. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Aus der Kgl. dermatologischen Universitätsklinik zu 
Breslau (Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Neisser). 

Das Ehrmann’sche Froschaugenphänomen im 
Blutserum von Psoriasiskranken. 

Von 

Arthur Sommer, Medizinalpraktikant. 

Trotz zahlreicher Versuche, einiges Licht in die immer noch 
dunkle Psoriasisätiologie zu bringen, liegen einwandfreie Resultate 
bisher noch nicht vor. 

Deswegen sind Beobachtungen interessant, die ich bei der 
Einwirkung von Blutserum an Psoriasis leidender Menschen auf 
Froschaugenpupillen gemacht habe. 

Gleich die ersten drei Versuche zeigten, dass die Frosch¬ 
augenpapillen in dem Serum normaler Menschen sich bald 
erweiterten, während die Papillen im Serum an Psoriasis 
Leidender eng blieben. Ich habe die Zahl meiner Versuche auf 
21 gebracht, und alle 21 Fälle haben diese Reaktion einwandfrei 
und eindeutig ergeben; die meisten Versuche habe ich den Herren 
in der Klinik gezeigt; sie haben, ohne vorher zu wissen, welches 
Ange im Normalserum und welches im Psoriatikersernm lag, stets 
das Auge im Normalserum grösser gefunden. Als Kontrollsera 
verwertete ich das Blutserum teils vollkommen gesunder Menschen, 
teils von Patienten, die an Gonorrhöe, Lues, Ulcera mollia und 
Lupus litten. Interessant ist es, dass diese Reaktion für Psoriasis 
spezifisch zu sein scheint; denn das Blutserum von Patienten, die 
an Dermatitis herpetiformis, Lichen chronicus Vidal, Lichen ruber 
planus, Prurigo, Ekzem litten, ergab diese Reaktion nicht. 

Die Ausbreitung der Psoriasis scheint auf die Reaktion einen 
quantitativen Einfluss zu haben; denn das Serum von Patienten, 
die fast vollkommen mit Psoriasiseffloreszenzen bedeckt waren, 
ergab gar keine Erweiterung der Pupille, während die Frosch¬ 
augenpapille in dem Serum von Kranken, die nur an wenig aus¬ 
geprägter Psoriasis litten, im Verhältnis zu den Froschaugen¬ 
pupillen im Normalserum zwar deutlich kleiner blieben, aber 
doch auch eine gewisse Vergrösserung aufwiesen. 

Die Technik der Herstellung dieser Reaktion ist eine äusserst 
einfache: 

Dem Frosch werden nach Durchschneiden der Wirbelsäule 
und Zerstörung des Rückenmarks beide Augen enucleiert und in 
physiologische Kochsalzlösung gelegt. Die Pupillen, die im 
lebenden Frosch weit waren, werden sofort eng. Man legt nun 
das eine Auge in das Serum normaler Menschen, das andere in 
das Serum an Psoriasis Leidender. Schon nach ungefähr 5 bis 
10 Minuten tritt an der Papille des Auges im Normalserum eine 
deutliche Erweiterung ein, während die Pupille des Auges im 
Psoriatikerserum vollkommen eng bleibt. Erst nach ungefähr 
einer halben Stunde erweitert sich auch die Pupille im Psoriatiker¬ 
serum, wenn die Psoriasiseffloreszenzen nicht allzu sehr aus¬ 
gebreitet sind. Nach ungefähr 1—l 1 /» Stunden kann man die 
Reaktion als abgeschlossen betrachten. 

Ist dieses Phänomen nun ein begleitendes Symptom der 
Psoriasis, solange klinische Erscheinungen vorhanden sind, oder 
aber bleibt diese Reaktion auch erhalten, wenn von Psoriasis- 
effioreszensen nichts mehr zu sehen ist? leb hatte Gelegenheit, das 
Blutserum eines Patienten, bei dem vor 6 Jahren von einem 
hiesigen Arzte eine Psoriasis festgestellt worden war, auf diese 
Reaktion hin zu untersuchen. Auch bei diesem Patienten, der in 
der Folgezeit nur einigemal noch einzelne Psoriasiseffloreszenzen 
bemerkt batte, fiel die Reaktion vollkommen einwandfrei aus. 

Ich möchte ännehmen, dass diese Alteration im Blutserum, 
die diese Reaktion hervorruft, nicht etwas Sekundäres der 
Psoriasis darstellt, sondern möglicherweise mit der Aetiologie der 
Psoriasis in Zusammenhang gebracht werden könnte. Dafür spricht 
auch, dass die Reaktion durch das Abheilen der Psoriasis¬ 
effloreszenzen nicht beeinflusst wird. 

Welcher Art ist nun diese Alteration im Blutserum? Be- 
kanntermaassen vermag Adrenalin selbst in Verdünnungen von 
1 bis zu 20 Millionen diese Reaktion auszulösen. Adrenalin¬ 
lösungen sind aber dem Sauerstoff gegenüber überaus empfindlich. 
Ich habe daher versucht, den Adrenalingehalt des Blutserums 
durch Sauer8toffzufubr zu zerstören und habe trotzdem dieselbe 
Reaktion an der Froschaugenpupille auftreten sehen. Diese Unter¬ 
suchungen stimmen mit den Feststellungen von Embden, Fürth 
und O’Connor überein, nach denen trotz Zerstörung des Ad¬ 
renalins die Wirkung des Serums auf das Froschgeftsspräparat 


fast vollständig erhalten blieb. Es müssen also, wie schon auch 
andere Autoren nacbgewiesen haben, im Blutserum adrenalin- 
ähnliche Substanzen vorhanden sein, über deren chemische Natur 
man allerdings noch nichts aussagen kann. Jedenfalls müssen 
diese adrenalinähnlichen Substanzen nach meinen Versuchen in 
dem Blutserum an Psoriasis leidender Menschen in einer Minder¬ 
wertigkeit vorhanden seiD, wodurch eine Erweiterung der Frosch¬ 
augenpupille ausbleibt. 

Ich glaube somit, einen neuen Fingerzeig für die Sympto¬ 
matologie und vielleicht auch für die Aetiologie der Psoriasis 
gegeben zu haben. 

Ueber weitere Versuche betreffend andere Hauterkrankungen 
als Psoriasis, Stärke der Reaktion im Vergleich zur Ausbreitung 
der Psoriasis, Erhaltenbleiben der adrenalinartigen Substanzen im 
Blutserum bei Kälte und Wärme, eventuelle Verwertung dieses 
Phänomens in therapeutischer Beziehung usw. hoffe ich später 
einmal ausführlich berichten zu können. 


Aus dem Emma-Kinderkrankenhaus zu Amsterdam. 

Ein Fall von akuter aleukämischer Lymph- 
adenose. 

Von 

Dr. med. J. C. Schippers. 

Es scheint die akute aleukämische Lymphadenose [Schridde 1 )] 
eine ziemlich seltene Erkrankung zu sein 2 ). Deshalb möchte ich 
einen vor einiger Zeit von mir beobachteten Fall, welcher einige 
Eigentümlichkeiten bietet, hier mitteilen. Bekanntlich verlaufen 
die akuten und perakuten Fälle dieser Krankheit unter dem Bilde 
von Morbus maculosus Werlhofii, wie der meinige, von ulceröser 
Angina oder von hämorrhagischer Enteritis. Nebenher findet 
man Schwellung der Lympbdrüsen, Leber und Milz und erheb¬ 
liche Kachexie, sowie Fieber. 

Jan V., geboren am 4. März 1905, war immer ein schwäohliches 
Kind, machte die verschiedenen Kinderkrankheiten durch; Vater gesund, 
Mutter im Jahre 1911 einer Lungenschwindsucht erlegen. 

Ende Januar 1912 zeigte sich ohne nachweisbare Ursache eine nicht 
empfindliche Schwellung der linken Leistendrüsen, welche später wieder 
verschwand. Als nach einigen Tagen auch Schmerzen und leichte 
Schwellung der beiden Kniegelenke hinzukamen, wurde das Kind zum 
Chirurgen gesandt. Es wurde an doppelseitige Kniegelenkstuberkulose 
gedacht, das Kind mit Kleisterverbänden und später auch mit Jodkali 
behandelt; die Reaktion von v. Pirquet wurde freilich nicht vor¬ 
genommen und auf die Heredität mütterlicherseits viel Gewicht gelegt. 

Am 14. Juni wurde der Knabe nach unserer Dependance in Wijk 
aan Zee geschickt. Dort zeigte der blasse, schwächliche Knabe bei der 
Aufnahme eine unerhebliche Schwellung der Halsdrüsen nebst massigem 
Fieber. Am 22. Juni bekam er Schmerzen und rote Schwellung im 
rechten Knöchel, welche unter Behandlung mit Priesnitzverbänden nach 
zwei Tagen schwanden. Am 30. Juni zeigte sich während zwei bis drei 
Tagen dasselbe Bild an der anderen Seite, jetzt mit gleichzeitiger 
Schwellung und Schmerz, jedoch ohne Rötung in den beiden Knien. 
Jedesmal, sobald die Schmerzen vorüber waren, war das Kind wieder 
beiter, und der Appetit hob sich. 

Am 8. Juli nachts bekam Pat. aufs neue Gelenkschmerzen mit 
starker Rötung und Schwellung in beiden Ellbogen und Knöcheln und 
erhebliches Fieber. Der Arzt, der ausser den Gelenkaffektionen 
gar keine Abweichungen feststellen konnte (der Umfang der 
Halsdrüsen wechselte), verordnete Aspirin (dreimal 0,3 g d. d.). Nach 
zwei Tagen war auch dieser Anfall vorüber, und das Kind erholte sich, 
es fing sogar an, besser auszuseben und wurde am 12. Juli entlassen. 

Am 18. oder 19. Juli sahen die Angehörigen zu Hause plötzlich kleine 
Hautblutungen, welche sich in den nächsten Tagen über den ganzen 
Körper verbreiteten, zu gleicher Zeit bekam der Junge Zahnfleisch- 
blutungen. Sonstige Blutungen wurden nicht beobachtet. Patient wurde 
sehr krank und fieberte hoch, die oberflächlichen Lymphdrüsen wurden 
grösser. 

In kläglichem Zustande wurde das Kind am 2. August auf der 
inneren Abteilung des Emma-Kinderkrankenhauses aufgenommen, wo 
der untenstehende Status praesens festgestellt wurde. 

Pat. ist ein grazil gebautes Kind, sehr krank, compos mentis, un¬ 
ruhig, schwer anämisch, erbricht wiederholt. Der ganze Körper ist 


1) Synonyme: Echte Pseudoleukämie (Pinkus), Aleukämie (Pappen¬ 
heim), aleukämische Lymphomatöse (Türk), Lymphocytom (zum Teil) 
(Ribbert), aleukämische, generalisierte Lymphocytomatose (Naegeli). 

2) Naegeli, Blutkrankheiten und Blutdiagnostik. 2. Aufl. 1912, 
S. 559. Benjamin und Sluka, Jahrb. f. Kinderheilk., 1907, Bd. 65, 
Ergänzungsheft, S. 253. 

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62 


Nr. 2. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 



übersät mit alten und frischen Petechien. Puls 160, regelmässig, weich, 
dikrot. Respiration 32. Temperatur 40,2. 

Zunge belegt. Erhebliche Zahnfleischblutungen mit Coagula. Thorax. 
Ausser scharfen, anämischen Geräuschen über allen Herzostien keine 
Abweichungen. 

Abdomen: Gleichmässige Vergrösserung von Milz und Leber, welche 
zwei Finger breit unter dem Rippenbogen hervorragen. 

Lymphdrüsen: Massige Vergtösserung (bis Haselnuss) aller ober¬ 
flächlichen Lymphdrüsen den Unterkiefer entlang, an den Kieferecken, 
längs der M. sternocleidomastoidei, in Ober- und Unterschlüsselbein¬ 
gruben, Achsel- und Leistengegenden. Die Drüsen sind unempfindlich, 
nicht mit einander verwachsen, beweglich auf der Unterlage. Die naut 
zeigt ausser den schon mitgeteilten Blutungen keine Abnormitäten. 
Skelett: Die langen Röbrenkuochen sind bei Berührung leicht empfindlich. 

Der Harn enthält eine Spur Eiweiss, keinen Zucker, kein Blut, 
ziemlich viel Urobilin. Diazoreaktion negativ. 

Stuhl: Kein Blutfarbstoff. 

Am nächsten Tag wurde das Blut untersucht. 

Das Blut gerinnt sehr schlecht, die Blutkörperchen fangen bald an, 
sich abzusetzen. 

Hämoglobingehalt nach Sahli = 10 

Zahl der roten Blutkörperchen = 1 700 000 
„ „ weissen „ = 3 300 

Starke Anisocytose und Poikilocytose. 

Am Ausstricbpiäparat, gelärbt nach May-Grünwald und Leish- 
man, fällt erstens auf, dass alle Chromocyten basophil sind. 
Polynucleäre neutrophile Leukoeyten .... 6,2 pCt. 

Lymphocyten (kleine, mittelgrosse und patho¬ 
logische Formen, etwa 25 pCt.).89,2 „ 

Uebergangsformen.1,4 „ 

Türck’sche Reizungsformen .2,4 „ 

Keine eosinophile und Mastzellen gesehen. 

Normoblasten (von allen kernhaltigen Elementen) 22,0 * 

Am 4. August starb das Kind nach wiederholtem Erbrechen und 
grosser Unruhe. 

Die Sektion wurde 14 Stunden nach dem Tode von Herrn Pro¬ 
sektor P. G. J. Duker vorgenommen. 

Thorax: In dem Herzbeutel seröse Flüssigkeit, in den Pleurahöhlen 
je etwa 100 ccm sanguinolente Flüssigkeit. Unter den Pleureu zahlreiche 
punktförmige Blutungen, unter dem visceralen Pericard grosse flächen¬ 
haft ausgebreitete Blutungen. Herz und Lungen ohne Veränderungen. 
Keine Zeichen von Tuberkulose. Ueberall findet man Lymphdrüsen- 
schwellung, ohne Nekrose oder Verkäsung. Thymus, 8 g, etwas ver- 
grössert. 

Abdomen: Leber 940 g; die Lobuli sind scharf abgegrenzt, gelb¬ 
lich verfärbt, an der Porta keine vergrösserten Drüsen. 

Milz 200 g. Die Follikel sind scheinbar vermehrt und haben un¬ 
deutliche Zeichnung. 

Nieren je 120 g. Kleine subkapsuläre Blutungen. Rinde trüb, 
grau mit verwaschener Zeichnung. 

In der Magenmucosa viele punktförmige Blutungen. Im Darm nur 
Follikel vergrösserung. 

Knochenmark (Femur) rot, im Ausstrich viele Lymphocyten, einige 
Myelocyten, die Chromocyten sind oxyphil. 

Histologische Untersuchung. Färbung nach Leishman. 
(Dr. Duker). Die Leberinseln haben verschmälerte Zellenreihen mit 
erweiterten Capillaren; zwischen denselben sieht man scharf begrenzte 
Lymphocyteninfiltrate. Das Blut in den Gefässen ist oxyphil, dazwischen 
sieht man Lymphocyten. 

Die Adventitia der Nierengefässe ist durchsetzt mit Lymphocyten- 
infiltraten, wodurch die Nierenkanälchen auseinandergedrückt sind, zumal 
in der Rinde. Auch die Glomeruli sind von Lymphocyteninfiltraten um¬ 
geben. 

Knochenmark. Man sieht deutliche uusgebreitete, herdweise Wuche¬ 
rung von kleinen und mittelgrossen Lymphocyten mit Verdrängung 


der Myelocyten. Es fehlen oxyphile Myelocyten, Leukoeyten wie Stamm¬ 
formen. 

Milz. Follikel mit Keimcentra sind undeutlich, ihre Stellen sowie 
die Pulpa sind überfüllt von kleinen und mittelgrossen Lymphocyten, 
weiter sind hier ziemlich viel Normoblasten. 

Lymphdrüsen. Die Rinde ist überfüllt mit kleinen Lymphocyten. 
In den Lympbbahnen des Markes viel Blutpigment. 

Der oben mitgeteilte Fall wird in diagnostischer Hinsicht 
keine Schwierigkeiten machen. Die klinische Diagnose: akute 
aleukämische Lyraphadenose wurde auch anatomisch bestätigt. 
Ob wir es mit einem prämortalen Abfall der Leukocytenmenge 
zu tun haben, ist natürlich nicht zu entscheiden. Auch dieser 
Fall beweist, wie nahe „Pseudoleukämie“ und Leukämie verwandt 
sind. Schwierigkeiten bieten die Gelenkschwellungen. Es ist 
natürlich die Frage, ob wir es hier mit einem intercurrierenden 
akuten Gelenkrheumatismus zu tun haben. Ich sehe keine Mög¬ 
lichkeit, dies auszumachen, auch die gegebene Menge Aspirin war 
zu klein, dass man eine Diagnosis ex iuvantibus stellen könnte. 
Eine weitere Möglichkeit ist eine komplizierende Sepsis, welche be¬ 
kanntlich öfters in den späteren Stadien der Leukämien beob¬ 
achtet wurde. Doch neige ich dazu, die Gelenkschwellungen auf 
Rechnung des Blutleidens zu stellen, sind sie doch auch früher 
gelegentlich beobachtet worden. Ueberdies imponiert doch auch 
diese Krankheit stark als eine akute Infektion und bei den 
verschiedenen Infektionskrankheiten sieht man oft Gelenk¬ 
entzündungen. Die starke Polychromasie des gesamten peri¬ 
pheren Blutes ist eine weitere Besonderheit. Durch die nötigen 
Kontrollen der Farbstoffe, Objektträger usw. habe ich mich 
überzeugt, dass dies nicht auf einen Irrtum beruht. 


Ueber synthetisches Hydrastinin und seine An¬ 
wendung. 

Von 

Dr. Heinrich Offergeld, Frauenarzt, Frankfurt a. M.-Sa. 

Die von Schatz in Deutschland eingeführten Hydrastis- 
präparate, von welchen praktisch fast ausschliesslich das Extractum 
fluidum in Frage kommt, werden sehr verschieden beurteilt. Die 
Gründe dafür liegen auf der Hand: Extractum hydrastis fluidum 
ist ein variables Gemenge von wirksamem Hydrastin, ganz un¬ 
zuverlässig wirkendem Berberin und Canadin, das überhaupt 
keine Wirkung auf den Uterus hat. Proben aus den Apotheken 
ergeben, dass der Hydrastingehalt in so weiten Grenzen 
schwankt, dass eine gleichmässige Wirkung gar nicht erwartet 
werden kann. 

Es unterliegt keinem Zweifel, dass man das galenische 
Fluidextrakt schon längst durch das stärker blutstillende, weniger 
toxische, kristallinische Oxydationsprodukt des Hydrastins, das 
Hydrastinin, ersetzt hätte, wenn nicht der enorm hohe Preis der 
letzteren Substanz die Verordnung unmöglich gemacht hätte. 

In pharmakologischer Hinsicht besteht zwischen Hydrastin und 
Hydrastinin ein gewisser Unterschied. Beide Präparate bewirken eine 
geringe Blutdrucksteigerung. 

Beim Hydrastin ist diese Wirkung auf den Blutdruck als Teil¬ 
erscheinung der strychninartigen Wirkung auf das Centralnervensystem 
anzusehen. Die Gefässspannung bei toxischen Dosen ist also eine Teil¬ 
erscheinung des tetanischen Stadiums. 


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13. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


63 


Hydrastinin ist kein Krampfgift (Laidlaw), es bewirkt Gefäss- 
kootraktion gewisser Gefässgebiete durch Einwirkung auf die Gefäss- 
muskulatur selbst, besitzt also eine periphere Wirkung. 

Die Cotarninpräparate (Stypticin, Styptol) besitzen keine geläss- 
verengeode Eigenschaft [Pio Marfori 1 )]. 

Hydrastin, Hydrastinin und die Cotarninpräparate wirken aber 
qualitativ — nicht quantitativ — analog auf den Uterus, wie die Ver¬ 
suche von Kurdinowski, Ronsee und Kehrer ergeben haben. Aller¬ 
dings sind die Versuchsergebnisse nicht ganz übereinstimmend, wahr¬ 
scheinlich weil Kurdinowski am isolierten, überlebenden Uterus 
experimentierte, Kehrer die Hydrastis- und Cotarninpräparate intravenös 
injizierte. Die Untersuchung ist dadurch noch komplizierter, dass der 
virgioelle Uterus anders reagiert als der gravide. Kehrer betont, dass 
an einer erregenden Wirkung des Hydrastinins auf das Myometrium und 
die Getässmuskulatur nicht mehr zu zweifeln ist; es steht in seiner 
' kontraktionsbefördernden Eigenschaft hinter den besten Ergotinpräparaten 
kaum zurück, da es seine Wirksamkeit noch in einer Verdünnung von 
1:200 000 dokumentiert. Kehrer bemerkt, dass gerade das Extractum 
hydrastis fluidum in auffallend geringer Weise diesen Erfolg zeigt. 

Ausser der stärkeren Wirkung auf den Uterusmuskel, dem vaso- 
konstriktorischen Effekt auf die peripheren Gefässe (wichtig z. B. bei 
Hämoptoe), dem Fehlen der Krampfwirkung in grossen Dosen besitzt 
Hydrastinin noch einen weiteren Vorzug. Hydrastin ist in grösseren 
Gaben ein ausgesprochenes Herzgift, während Hydrastinin kein Herz¬ 
gift mehr ist (Robert, Laidlew). Ueber Cotarnin äussert sich 
Frankel (Arzneimittelsynthese, 2. Aufl., S. 422): Es wirkt schwächer 
als das nahe verwandte Hydrastinin in bezug auf die Blutstillung, löst 
aber Wehentätigkeit aus, was Hydrastinin nicht tut und wirkt auch nicht 
narkotisch 2 ). 

Auf die offensichtliche Ueberlegenheit des Hydrastinins gegenüber 
dem abscheulich schmeckenden, oft versagenden Extractum hydrastis 
fluidum hinzuweisen, hat aber erst jetzt Zweck, nachdem das Präparat 
zu erschwinglichen Preisen — es ist sogar billiger als das Fluid¬ 
extrakt — ira Handel ist. Die Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co., 
Leverkusen, stellen das Hydrastinin nach der Decker’schen Methode, aus¬ 
gehend von dem Methylenäther des Protocatechualdehyds, dem be¬ 
kannten Riechstoffe des Heliotrops, Piperonal oder Heliotropin genannt, 
dar, wie folgt: 

x°\A/ c "° 

Piperonal: CH 2 <^ | | wird über das Oxim des 

\ 0 /y\ 




Homopiperonals CH 2 


\ 


V 


Homopiperonalamin CH,<^ 


,CH 2 . CH = NOH 


CH 2 . NH 2 


\ 0 /\/\ 


ch 2 




dessen Formylverbindung CH 2 : 


x 


reduziert. 


wird sauer 


kondensiert zu 


./X^ / 
; c 

II 

0 


N.H 


CH« 


Methylendioxydihydroisochinolin CH 2 ' 


/ 

X 


/ \/\/\cH f 




/}* 


Dieses ergibt durch Anlagerung von Jodmethyl: 

0 CIJ 2 

/ \/\/\ch 2 


\7 

c 

H 


Hydrastiniujodhydrat CH 2 


/CH 8 


\ i I ijyj/ 

1 

H 


1) Archiv, ital. de biologie, 1897, fare 2. 

2) Virchow’s Archiv, Bd. 142, S. 860. 


Dieses wird durch Alkali verwandelt in 


CH 2 


Hydrastininbase: CH 2 <^ 


/ \/\/\cH, 


, welche mit 


\° / \ / c 


/N.CH. 


Salzsäure 


Hydrastininchlorbydrat: CH 2 <( 


0 c» c ch 2 

/V\/\cn 


1 


\ 0 A\x ( y> N < cn ’ 
0 c » c ° 

H 


ergibt. 


Durch Versuche von Impens u. a. auch nach der Kehrer’schen 
Methode wurde festgestellt, dass das synthetische Hydrastinin in 
jeder Hinsicht in der Wirkung mit dem natürlichen Hydrastinin, 
dem teuren Oxydationsprodukte des aus der Hydrastiswurzel gewonnenen 
Hydrastins, übereinstimmt. Die Giftigkeit des synthetischen Hydrastinins 
wurde von Impens an Katzen geprüft; die Versuche wurden genau nach 
der Kehrer’schen Methode am suspendierten Uterus ausgefübrt, mit dem 
Ergebnis, dass die Toxicität sich im Rahmen des natürlichen Hydrastinins 
hält; so z. B. vertrugen mittelgrosse Katzen subcutan 0,1 einverleibt 
sehr gut. 

Die Wirksamkeit auf den Blutdruck wurde gleichfalls an Katzen ge¬ 
prüft; dabei stellte sich heraus, dass Dosen von 0,003—0,005, intravenös 
verabreicht, den Blutdruck beträchtlich erhöhen. Diese Wirkung ist je 
nach dem Tonus des Gefässsystems und der Tiefe der Narkose des Ver¬ 
suchstieres mehr oder weniger ausgeprägt. Die am isolierten, über¬ 
lebenden Uterus der Katze nach Kehrer angestellten Versuche ergaben, 
dass die Wirkung des synthetischen genau die gleiche ist wie die des 
natürlichen: der nicht gravide Uterus reagiert nach kleinen Gaben durch 
Erhöhung des Tonus und durch Kontraktionen, nach grossen Dosen mit 
Lähmung. 


Versuche mit Liquor bydrastinini hydrochlorici „Bayer“. 

Das Präparat, dessen Gehalt an wirksamer Substanz dem 
Alkaloidgebalt des galeniscben Fluidextraktes entspricht, stellt 
eine leicht opaleszierende Flüssigkeit dar, welcher als Geschmacks- 
corrigens Pfefferminz zugesetzt ist. 

Als erste Gruppe fasse ich meine Fälle von reiner Dys¬ 
menorrhöe zusammen; ich verstehe darunter die heftigen kolik- 
und wehenartigen Schmerzen, welche kurz vor der Periode be¬ 
ginnen, sich aber allmählich in den ersten Tagen abschwächen; 
diese Schmerzen, kurz nach der Menarche einsetzend, bei intakten 
Virgines vorkommend, pflegen mit vollständig normalen Genital¬ 
befunden einherzugeben, und die Patientinnen sind in der inter¬ 
menstruellen Zeit, vielleicht vom „Mittelschmerz“ abgesehen, 
vollständig gesund. Charakteristisch für diese Fälle ist die aus¬ 
gesprochene Schmerzhaftigkeit des Endometriums gegen die Sonden- 
beröhrung, welche sofort den typischen dysmenorrhoischen Anfall 
auslöst und sich keineswegs auf das Orificium internum beschränkt. 

Ich habe sechs Patientinnen in dieser Gruppe mit dem syn¬ 
thetischen Hydrastinin in der Weise behandelt, dass ich 10 Tage 
vor Beginn der zu erwartenden Menstruation je 30 Tropfen des 
Liquor bydrastinini alle 3 Stunden einnehmen Hess, ohne im be¬ 
sonderen der Menstruationsdiätetik meine Aufmerksamkeit zu 
schenken. Die Erfolge waren derart, dass schon bei der ersten 
Periode erheblich weniger Schmerzen auftraten und bei fort¬ 
gesetzt et Darreichung, zumal dann, wenn die äusseren Umstände 
geregelt wurden, in einigen Monaten die Menstruation ohne 
Schmerzen verlief. Es war alsdann die Sondierung der Schleim¬ 
haut schmerzlos, während nur das Eindringen über den inneren 
Muttermund wieder Krämpfe auslöste. 

Sodann berichte ich über acht weitere Fälle von Dys¬ 
menorrhöe, wobei bereits mehrfache Cohabitationen 
vorgenommen waren, ohne dass es aber dabei zu Infektionen 
gekommen wäre; in zwei dieser Fälle war wohl die eingegangene 
Ehe als auslösendes Moment zu beschuldigen, da erst seit der 
Cobabitation die vorher schmerzlose Menstruation den krankhaften 
Charakter annahm; in einem anderen Falle trat sie zeitlich nach 
der Appendektomie auf, obschon nach Versicherung des Operateurs 
an den Genitalien kein Eingriff vorgenommen wurde und sich 
weder eine Fixation, noch eine anderweitige Erkrankung fest¬ 
stellen Hess. Auch hierbei war in der angegebenen Darreichungs¬ 
weise insofern ein Erfolg zu verzeichnen, als schon bei der ersten 
Menstruation die heftigen Koliken aufhörten und in den folgenden 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 2. 


bei fortgesetztem Gebrauche nur noch ganz leichte, unbestimmte, 
ziehende Schmerzen sich im Abdomen einstellten. 

Wichtig ist die Tatsache, welche ich besonders hervorheben 
möchte, dass ich in allen diesen Fällen ohne Narkotica aaskam; 
allenfalls wurde noch Wärme in jeder Form und die reflektorische 
Beeinflussung auf nasalem Wege angewandt. Es ist mir so aus¬ 
nahmslos gelungen, die Kranken sofort wieder zu ihrem Beruf 
fähig zu machen. 

Bei einem anderen Teil der Patienten waren die Dys¬ 
menorrhöen mit Menorrhagien kombiniert. Das Haupt¬ 
kontingent stellte die chronische Metritis und Endometritis in 
allen ihren Abarten dar. Es gelang, durch die Medikation die 
intermenstruelle Zeit zu vergrössem, die Dauer der Blutung ab¬ 
zukürzen und den Gesamtblutverlust zu reduzieren. Es finden 
sich aber selbstredend auch Versager, besonders wenn eine Gra¬ 
vidität voraufgegangen war; andererseits musste ich recht häufig 
aus sozialen Gründen diese Behandlung unterbrechen und durch 
die rascher wirkende Abrasio ersetzen. Im allgemeinen lässt sich 
wohl sagen, dass das Hydrastinin am besten wirkt, wenn es sich 
um rein funktionelle Störungen handelt, das histologische Bild 
also ein normales ist und man die verschiedenen Bilder der inter- 
und prämenstruellen Zeit antrifft. 

Zufriedenstellend waren die Resultate auch bei der fun- 
gösen, hy per plastisch-glandulären Endometritis, während 
bei den Mischformen und der interstitiellen Endometritis erst mit 
der Entfernung der erkrankten Schleimhaut bei späterer Dar¬ 
reichung von Hydrastinin dauernde Erfolge zu verzeichnen waren, 
zumal dann, wenn man die Kombination mit Secale benutzte. 
Diese Ordination leistet auch bei metritischen Blutungen gute 
Dienste, falls noch hinreichend kontraktionsfähiges Parenchym 
vorhanden ist. Gerade hier wirkt das Hydrastinin durch seinen 
gefässverengernden Eiufluss prompt auf die Blutung, während 
das Ergotin allenfalls noch eine Verkleinerung des Organs 
bewirkt. 

Es ist hier vielleicht der Platz, auf die Hydrastininwirkung 
bei Myomen einzugehen; ich habe das Präparat bei drei sub- 
serösen, zwei interstitiellen und einem submucösen versucht. 
Irgendeine Einwirkung auf die Grösse der Tumoren und die ver¬ 
ursachten Beschwerden konnte ich nicht feststellen (hierbei be¬ 
finde ich mich wohl in Uebereinstimmung mit der Mehrzahl der 
anderen Untersucher), dagegen gelang es bei den interstitiellen 
Myomen, die Blutungen hinsichtlich der Dauer und Menge zu 
verringern. Als Erklärung mag wohl die Tatsache genügen, 
dass die hierbei gleichzeitig bestehende Endometritis in dem 
oben angeführten Sinne beeinflusst wurde; es mag dies wohl auch 
der Grund sein, weswegen früher das Hydrastinin gegen Myome 
empfohlen wurde; es ist bei den interstitiellen Formen ein brauch¬ 
bares symptomatisches Mittel, welches die eventuelle Entfernung 
hinauszuschieben gestattet. 

Bei den klimakterischen und präklimakterischen 
Blutungen wurde das Hydrastinin angewandt, wenn die voraus¬ 
gegangene Abrasio und FeCl 8 -Aetzung nicht den gewünschten 
Erfolg hatten und es sich histiologisch um keine maligne Er¬ 
krankung handelte. Gerade in dieser medikamentösen Nachkur 
erblicke ich ein zur Unterstützung der Abrasio vorzüglich ge¬ 
eignetes Mittel, welches, rechtzeitig genommen und während 
längerer Zeit einverleibt, die so schwer stillbaren klimakterischen 
Blutungen beherrscht und so die teure Bestrahlung und die nicht 
ungefährliche Vaporisation ersetzt und die Erhaltung des Uterus 
gestattet. 

Weiterhin benutzte ich das Hydrastinin zur Bekämpfung der 
Stauungsblutungen bei retroflektiertem Uterus. Nach 
Reposition und dauernder Lagekorrektur heilt unter Hydrastinin- 
gabe die Hyperplasie der Uterusmucosa schnell und dauernd aus; 
beschränkt man sich nur auf die Aufhebung der Stauung, so 
nehmen zwar allmählich auch die Menorrhagien ab, jedoch dauert 
dies längere Zeit, was gerade bei anämischen jugendlichen Personen 
beachtet werden muss. 

Bei ovariellen Blutungen habe ich über die Wirksamkeit 
des Hydrastinins keip klares Bild bekommen, da ich hier meist 
grosse Dosen der üblichen Cotarninpräparate intramusculär in¬ 
jizierte. Natürlich trat bei dieser Darreichungsweise der Effekt 
rascher ein als bei der Anwendung des Hydrastinins per os. Es 
schien mir aber letzteres anhaltender zu wirken. 

Eine ganze Reihe von Fällen von anämischen Blutungen 
konnte durch Hydrastinin teils gebessert, teils dauernd geheilt 
werden, wenn es gelang, erfolgreich die anämische Diathese zu 
bekämpfen. Vor allen Dingen wirkt hierbei das Hydrastinin aus¬ 


gezeichnet symptomatisch; durch Beschränkung des Blutverlustes 
wird die Anämie am Fortschreiten gehindert; es sprengt hierbei 
den Circulus vitiosus. Gerade die Bekämpfung der Me¬ 
norrhagien gehört mit zu den dankbarsten Aufgaben 
der Anämiebehandlung. 

Sodann habe ich von diesen sekundären Menorrhagien 
mehrere bei Tuberkulose, hämorrhagischer Diathese, 
Nephritis, Adipositas und Vitium cordis behandelt. Auch 
hier war der Erfolg ein durchaus guter, wenn rechtzeitig mit der 
Verordnung begonnen und diese längere Zeit hindurch fortgeführt 
wurde. Bei den unkompensierten Herzfehlern war die Wirkung 
weniger augenfällig. Es bewahrheitete sich auch hier wieder der 
Satz, dass gerade der virginelle Uterus in ganz besonders inten¬ 
siver Weise auf Hydrastinin reagiert, weil hier die reine gefäss-. 
verengernde Wirkung sich Geltung verschafft. 

Fasse ich also zusammen, so ist das Hydrastinin ein 
gutes Mittel zur Bekämpfung unkomplizierter, primärer und 
sekundärer, uteriner Blutungen, eventuell in Kombination oder 
Wechsel mit Secale und Cotarninpräparaten; die Wirkung ist 
besonders hervorragend bei längerem Gebrauche, schon prophy¬ 
laktisch vor Beginn der Blutung und beim virginellen Uterus; 
wegen seiner Uteruskontraktionen auslösenden Wirkungen ist es 
zur Behandlung der im Verlaufe einer Gravidität auftretenden 
Blutungen ebensowenig wie Extract. hydrastis fluid., Hydrastin 
und die Cotarninpräparate am Platze. 

Es erhebt sich zum Schlüsse die wohl berechtigte Frage, ob 
und inwiefern das von den Elberfelder Farbenfabriken hergestellte 
synthetische Hydrastinin das natürliche bzw. den Fluidextrakt 
übertrifft, ob es gleichwertig ist oder diesen Präparaten nachsteht. 
Die beiden letzten Fragen lassen sich kurz dabin beantworten, 
dass es in seinen therapeutischen Eigenschaften den besten 
amerikanischen Fluidextrakten mindestens ebenbürtig ist. Und 
darüber hinaus stellt das Bayerische Präparat einen Fortschritt 
aus folgenden Gründen dar: Zunächst ist das ungiftigere, wirk¬ 
samere Hydrastinin an Stelle des Hydrastins vorhanden; sodann 
hat das Präparat vermöge seiner synthetischen Darstellungsweise 
eine einheitliche und konstante Zusammensetzung. Erst die durch 
die Synthese ermöglichte, unbegrenzte Darstellung liefert uns das 
Hydrastinin zu einem so billigen Preise, dass seiner ausgedehnten 
Anwendung wesentliche Hindernisse nicht mehr im Wege stehen. 
Im Gegensatz zu dem höchst widerwärtigen Geschmacke des 
Fluidextraktes schmeckt der Liquor hydrastinini-Bayer angenehm 
nach Pfefferminz. Das Hydrastinium hydrocbloricum lässt sich 
in verschiedenartigen Kompositionen und Anwendungsformen dar¬ 
reichen. 


Ueber synthetisches Hydrastinin hydro- 
chioricum. 

Von 

Dtthrssen - Berlin. 

Hiermit möchte ich die Aufmerksamkeit der Aerzte auf das synthe¬ 
tisch hergestellte Hydrastinin bydrochl. „Bayer“ lenken, 
welches mir bei Uterusblutungen, speziell, bei den durch Adnex¬ 
erkrankungen bedingten Blutungen gute Dienste geleistet hat. Vor dem 
Extract. hydrastis canad. fluid, besitzt das synthetische Hydrastinin wesent¬ 
liche Vorzüge. Hier haben wir einen einheitlichen, genau charakterisierten 
chemischen Körper, dort ein Fluidextrakt mit einem niemals gleich- 
massigen Gehalt, dessen therapeutische Komponente Schwankungen auf¬ 
weist, die sich nach Lehmann 1 ) zwischen 0,36 und 2,1 pCt. bewegen. 
Ein derartiges Präparet kann naturgemäss einen Anspruch auf prompte 
und gl eich massige Wirkung nicht erheben. Dazu kommt als weiterer 
Nachteil des Extract. hydr. canad. fluid., dass es mit einem über¬ 
flüssigen Ballast von Extraktivstoffen beladen ist, die den bekannten, 
wenig angenehmen Geschmack des Pharmakopoepräparates bedingen — 
und dass das im Fluidextrakt präformiert enthaltene Hydrastin, aus dem 
auch das natürliche Hydrastinin hergestellt wird, ein Herz- und ein 
Krampfgift ist, das synthetische Hydrastinin dagegen nicht. 

Die klinischen Versuche haben nun ergeben, dass das synthetische 
Hydrastinin die gleichen therapeutischen Eigenschaften besitzt wie das 
Extract. hydr. canad. fluid., nur dass sie wesentlich prompter und inten¬ 
siver auftreten. Irgendwelche Herzstörungen hat es nicht hervorgerufen. 
Auch hat es in einigen meiner Fälle geholfen, wo Stypticin hydrochloric. 
versagte. 

Die Wirkung des Hydrastinins beruht auf der Gefässverengerung 
und der Kontraktion der Uterusmuskulatur, die es erzeugt. Ich ver¬ 
ordne es auch regelmässig bei der starken Menstruation, welche konser- 

1) Allgem. med. Centralztg., 1912, Nr. 39. 


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13. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


65 


vativen gynäkologischen Operationen zu folgen pflegt — und zwar in 
der Form der Tablettae hydrastinini bydrochl. „Bayer“ ä 0,025, Nr. 15 
(4 mal täglich 1 Tablette). Auch als Liquor hydrastinini „Bayer“ 25,0, 
3 mal täglich 20 Tropfen in einem Esslöffel Zuckerwasser, kann das 
Präparat verordnet werden und kostet in dieser Form nur etwa die 
Hälfte des Fluidextraktes. 

Trotz des Zusatzes „Bayer“ auf dem Rezept haben die Apotheken 
meinen Kranken mehrfach das natürliche aus dem Fluidextrakt ge¬ 
wonnene Hydrastinin verabfolgt. Dieses ist aber dreimal so teuer wie 
das synthetisch hergestellte. 

Meine günstigen Erfahrungen mit dem Hydrastinin „Bayer“ decken 
sich mit denjenigen von Freund 1 ) und von Ziegenspeck 2 3 ). 


Aus dem medizinisch-poliklinischen Institut der Uni¬ 
versität Berlin (Direktor: Geh. Med.-Rat Professor 
Dr. Goldscheider). 

Ueber das Coma diabeticum. 

Von 

Privatdozent Dr. Rudolf Ehrmail, Assistenzarzt. 

(Schluss.) 

Es ist nun gezeigt worden, dass sich regelmässig and leicht 
experimentelles Coma erzeugen lässt. 

Dieses gleicht dem menschlichen Coma so sehr, dass 
wir eine Reibe neuer und bisher nicht beobachteter 
Symptome daraufhin auch im menschlichen Coma fest¬ 
stellen konnten. Endgültig konnte weiter die Annahme einer 
Alkalientziehung als Ursache des Coma diabeticum ausgeschlossen 
werden. Es wurde vielmehr eine toxische Wirkung auf das 
Centralnervensystem, vor allem Grosshirn, Atherocentrum, vaso¬ 
motorisches Centrum, festgestellt (eigentliches Coma), während 
bisweilen die letzteren Symptome (Coma cardiale, diabetischer 
Collaps) mehr das Krankheitsbild beherrschen können. Beide 
Formen sind aber als Folgen der toxischen Wirkung der in Be¬ 
tracht kommenden Buttersäuren aufzufassen. 

Nun ist noch die Frage zu entscheiden, ob das Coma des 
Menschen ein vom Diabetes abhängiger Symptomenkomplex ist. 
Wie schon vorher gesagt wurde, hatte Naunyn 8 9 ), um die seiner 
Meinung nach vorhandene Unabhängigkeit des Coma diabeticum 
vom Diabetes selbst besser zum Ausdruck zu bringeD, vorge¬ 
schlagen, statt Coma diabeticum lieber Coma dyspnoicum zu sagen. 
Auch Fr. Kraus 4 ) ist der Ansicht gewesen, dass weder zwischen 
Diabetes an sieb, noch zwischen comatösen Prozessen im all¬ 
gemeinen and Säurevergiftung ein direkter Zusammenhang be¬ 
steht. Um diese Frage entscheiden zu können, ist zu wissen nötig, 
ob ein dem Coma diabeticum gleichender Symptomenkomplex 
auch bei anderen Erkrankungen vorkommt und ob, wie im mensch¬ 
lichen schweren Diabetes, auch bei den experimentellen schweren 
Diabetes- bzw. Glykosurieformeo ein ähnlicher Zustand beob¬ 
achtet wird. 

Wir können die vielen Untersuchungen über Acetonurien hier 
vollkommen ausscbalten, nachdem wir darauf hiugewiesen haben, 
dass das Aceton selbst als Erreger des Coma nicht in Betracht 
kommt, sondern vielleicht nur kleine Modifikationen im klinischen 
Bild bedingen könnte. Es handelt sich nur um die Frage, ob es 
auch ohne das Bestehen eines schweren Diabetes zu einer so 
massigen Anhäufung von 1-^-Oxybuttersäure, Acetessigsäure oder 
verwandter Fettsäuren mit der ihr folgenden typischen Atmnng, 
Bewusstseinsverlust und Tod kommen kann. 

Es ist eine Reihe von Fällen, wo „Coma diabeticum ohne 
Diabetes“ Vorgelegen haben soll, beschrieben, so von Senator 5 6 ), 
Litten®), Riess 7 ), v. Jaksch 8 ), Ebstein®), Klemperer 10 ) u. a. 

Es handelt sich hierbei aber nur um eine Aehnlicbkeit in 
der Atmung mit der grossen Atmung im Coma diabeticum, sowie 
um Benommenheit, die allmählich in den Tod überging. Ausser 
rein äusseren Aehnlicbkeiten kann man aber keine näheren Be- 

1) Therap. Monatsb., 1912, Nr. 5. 

2 j Med. Klinik, 1912, Nr. 43. 

3) Naunyn, 1. c., S. 830. 

4) Fr. Kraus, 1. c., S. 617. 

5 ) Senator, Zeitscbr. f. klin. Med., 1884, Bd. 7. 

6) Litten, Zeitschr., f. klin. Med., Bd. 8. 

7) Riess, ebenda, Bd. 8. 

8) r. Jaksch, ebenda, Bd. 10. 

9) Ebstein, Deutsches Archiv f. kliu. Med., Bd. 80. 

10; G. Klemperer, diese Wochenschr., 1889, Nr. 40. 


Ziehungen zum Coma in den mitgeteilten Krankengeschichten er¬ 
kennen. Diese vertiefte Atmnng findet man auch beim Verbluten 
sowie überhaupt häufig als terminale Atmung. 

Weiterhin ist dann bei der Salicylsäureintoxikation von 
Quincke 1 ) dyspnoisches Coma beobachtet worden. Auch hier 
bestehen, abgesehen von der vertieften und verlangsamten 
Atmung, keine inneren Zusammenhänge mit dem diabetischen 
Coma. Es zeigen sich ja häufiger nach grossen Salicyldosen starke 
Verlangsamung der Atmung und des Pulses. Diese Gefahren der 
Salicylsäurevergiftung können, wie ich gesehen habe, ebenso 
wie im Coma diabeticum, durch Natriumbicarbonatzufuhr beseitigt 
werden. Auf Grund dieser Beobachtung 2 ), dass, nach Gebrauch 
von Salicylsäure, die auf Tage protrahierte Salicylsäureausscheidung 
durch Natriumbicarbonat auf die Hälfte der Zeit verkürzt werden 
kann, habe ich die Natrontherapie gegen Salicylintoxikation vor¬ 
geschlagen 8 ). Auch hieraus ersieht man, dass aus dem günstigen 
Effekt des Natriumbicarbonats, ebensowenig wie bei der Salicyl- 
säiireintoxikation, beim Coma diabeticum eine Alkalientziehung als 
Ursache des Coma angenommen werden muss. Wie bei langsam 
absterbenden Kranken sowie nach Salzsäure- und Salicylsäure¬ 
intoxikation mit der Bewusstlosigkeit auch eine vertiefte Atmung 
einsetzen kann, so kann auch natürlich einmal bei Diabetikern 
unter solchen Umständen der Tod erfolgen, ohne dass wirkliches 
Coma diabeticum vorliegt. So müssen vielleicht die vereinzelt 
beschriebenen Fälle von Coma bei Diabetikern, ohne dass Aus¬ 
scheidung der zwei Fettsäuren vorhanden gewesen sein soll, auf- 
gefasst werden. Andererseits ist natürlich bei Komplikationen 
des Diabetes z. B. durch Nephritis und Urämie auch ein ver¬ 
ändertes äusseres Bild zn erwarten, während die Fettsäuren- 
anhänfung im Organismns natürlich doch als Ursache vorhanden 
gewesen ist. Wenn auch vom nicht diabetischen Organismus, 
z. B. im Hunger, Acetessigsäure und 1-ß-Oxybuttersäure gebildet 
werden können, so sind doch die znm Coma erforderlichen Dosen 
so ausserordentlich grosse, dass sie nur der diabetische Organismus 
zu liefern vermag. 

Eine weitere Erhärtung unserer Ansicht, dass das Coma stets 
nur im Gefolge eines schweren Diabetes auftritt, sind unsere Be¬ 
obachtungen am pankreaslosen Hund 4 ). Die enorme Aceton¬ 
körperproduktion des pankreaslosen Hundes wird besonders deut¬ 
lich bei der Eröffnung der Leibeshöhle des eingegangenen Tieres. 
Hier zeigt sich ein solch intensiver AcetoDgerucb, wie man ihn 
nur bei comavcrstorbenen Menschen antrifft. Auch die 1/LOxy- 
bnttersänre ist bei Tieren einige Zeit nach der Operation 
vorhanden. Die Tiere zeigen am Ende des Lebens auch vertiefte 
Atmnng und ausserordentlich intensiven Acetongerucb. An dem 
wie auch beim Menschen häufig sehr kurz dauernden Coma muss 
es zum Teil liegen, dass dieser Zustand nicht häufiger festgestellt 
bzw. übersehen worden ist. Vielleicht spielt beim Tod dieser 
Tiere anch mehr als beim Menschen die toxische Wirkung der 
Fettsäuren auf das Gefässsystem eine Rolle. Beim Tod des coma- 
tösen Menschen steht diese Wirkung, die wir, wie gesagt, im 
experimentellen Coma des Kaninchens zuerst beobachteten, seltener 
im Vordergrund und ist offenbar bei den Fällen vorhanden ge¬ 
wesen, die als „Collaps der Diabetiker“ oder als plötzlicher 
Herztod der Diabetiker beschrieben sind. 

Wir kommen daher zu dem Schluss, dass das eigentliche 
Coma diabeticum, das sich durch die beiden Buttersäuren experi¬ 
mentell erzeugen lässt, und das demgemäss auch durch sie hervor- 
gernfen wird, nur im Gefolge von schwerem menschlichem 
oder experimentellem Diabetes auftritt und von diesem 
abhängig ist. Es liegt daher anch keine Veranlassung vor, 
nur äusserlich ähnelnde Symptome bei anderen Krankheits¬ 
zuständen als dem Coma diabeticum wesensverwandt anzusehen 
oder überhaupt von einem Coma, z. B. bei Carcinomatösen, zu 
sprechen. Das Coma ist vielmehr durch die im schweren Dia¬ 
betes entstehenden Fettsäuren bedingt. Durch diese wird auch 
das Gefässsystem alteriert, und so kann es, falls dieses eher ver¬ 
sagt als die schlafartige Bewusstlosigkeit eingetreten ist, unter 
den Erscheinungen des Gefässcollapses auch zum Exitns kommen, 
wie es beim Menschen seltener der Fall ist, vielleicht aber gar 
nicht einmal so selten, wenn man von jetzt ab mehr auf den 
Blutdrnck der präcomatösen Diabetiker achtet. 

1) Quincke, diese Wochenschr., 1882, Nr. 47. 

2) Ehrmann, Münchener med. Wochenschr., 1907, Nr. 52. 

3) Siehe auch Hans H. Meyer und Gottlieb, Die experimentelle 
Pharmakologie als Grundlage der Arzneibehandlung. Wien 1910. 

4) Alexander und Ehrmann, Archiv f. exp. Pathol. u. Ther., 
1908, Bd. 5, und Ebrmann, Zeitschr. f. klin. Med., 1909, Bd. 69. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 2. 


CG 


Die beiden in Betracht kommenden Buttersäuren können aller¬ 
dings auch io anderen Zuständen einmal in grösserer Menge gebildet 
und dann mit dem Urin entleert werden — ob beide oder eine 
von ihnen intermediär normaliter entsteht, ist noch nicht ent¬ 
schieden — aber in den zum Coma notwendigen grossen Mengen 
werden sie sicher ausschliesslich im schwerem Diabetes gebildet. 

Wir haben dann noch die Frage zu entscheiden, ob die eine 
oder beide Säuren für die Entstehung des Coma in Betracht 
kommen. Aus unseren Versuchen am Kaninchen ergab sich, dass 
die Acetessigsäure schon in geringeren Dosen Coma herbeizu¬ 
führen scheint, obwohl genaue Vergleichungen der sich schnell 
zersetzenden und unreinen Lösungen der Substanz mit anderen 
nicht sicher vorgenommen werden können. Allem Anschein nach 
scheint sie auch bei Hunden giftiger zu wirken. Im mensch¬ 
lichen Coma enthalten nun die Organe und das Blut der Ver¬ 
storbenen mehr 1-^-Oxybuttersäure als Acetessigsäure. In den 
Organen fand Magnus-Levy 1 ) über 0,15 g l-/l-Oxybuttersäure in 
100 g frischem Organ und 0,20—0,30 g in 100 g Blut. Immer¬ 
hin wurden aber auch bis zu 0,05 g Acetessigsäure in 100 g 
frischem Organ von ihm gefunden und bis zu 0,12 g von Geel- 
muyden 2 3 ). Auch im Urin sah Magnus-Levy meist die drei- 
bis fünffache Menge an 1 l-Oxybuttersäure, die bis zu 50 bis 80 
bis 100 g im Tag ausgeschieden wurde, während die Acetessig- 
säureausscheidung etwa 15—30 g täglich betrug. 

Joslin 8 ) hingegen fand die 1/ff-Oxybuttersäure nur wenig 
und etwa nur die Hälfte mehr als Acetessigsäure im Urin vor¬ 
handen, also erheblich mehr Acetessigsäure als Magnus-Levy. 
Bei der Umwandlung der Acetessigsäure in Aceton und dessen 
Ausscheidung zum Teil durch die Lungen, sowie bei der vor 
kurzem von Friedmann und Maase 4 5 ), L. Blum 6 ) und 0. Neu¬ 
bauer 6 ) entdeckten Reduktion der Acetessigsäure zu l-/?-Oxy- 
buttersäure durch die Leber ist die Frage über die im Augen¬ 
blick des eintretenden Coma vorhandenen Mengenverhältnisse 
beider Säuren wohl überhaupt nicht zu entscheiden. Bei den 
angegebenen Schwierigkeiten der quantitativen Abgrenzung beider 
Säuren voneinander möchten wir es nicht als unmöglich ansehen, 
dass die Acetessigsäure io erster Linie als Erreger des Coma in 
Betracht kommt. Die Bildung der weniger toxischen bß Oxy- 
buttersäure dürfte alsdann vielleicht als eine entgiftende Leber¬ 
funktion wohl aufzufassen sein. 

Nachdem wir festgestellt batten, dass im Coma die Alkali¬ 
entziehung keine wesentliche Rolle spielen kann, musste unter¬ 
sucht werden, worauf die Wirkung des kohlensauren und doppelt¬ 
kohlensauren Natrons denn beruhe. Denn es ist ganz zweifellos, 
dass diese durch Stadel mann, ausgehend von der Idee der 
Neutralisation der gebildeten und durch ihre Alkalientziehung 
tödlich wirkenden Säuren, inaugurierte Therapie sowohl zur Ver¬ 
hinderung des Coma bei strenger Diät, als auch zur Beseitigung 
des eben erst mit Benommenheit beginnenden, aber noch nicht 
voll ausgeprägten Symptomenkomplexes von grösster Bedeutung 
ist. Eine Rettung aus dem vollentwickelten Coma hingegen ist 
seit den 25 Jahren der Anwendung dieser Therapie jedoch wohl 
nicht vorgekommen. Dieses Versagen wird von Naunyn und 
Minkowski damit begründet, dass man kaum die nötige Menge 
Alkali zuführeu kann, um die vorhandene grosse Menge an 
Säure zu neutralisieren. Mit Berufung auf die zur tödlichen 
Salzsäurevergiftung des Kaninchens erforderlichen Dosen, wie sie 
Walter in seinen Versuchen feststellte, hat Magnus-Levy 
eine noch höhere Acidität im comatösen Organismus aus seinen 
Befunden berechnet, um daraus zu schliessen, dass durch die 
Unmöglichkeit einer Neutralisierung der freien Säu/e der Tod 
eintreten muss. Der Diabetiker sterbe im Coma, wie Magnus- 
Levy schreibt, nicht an der im Harn im neutralisierten ZustaGd 
ausgeschiedenen Säure, sondern an der im Körper verbliebenen, 
die die Alkaleszenz der Säfte und Gewebe in einer mit der 
Fortdauer des Lebens unverträglichen Weise herabsetze. 

Da man in dieser Weise das häufige Versagen der Alkali¬ 
therapie, wegen zu grosser Säuremengen für genügend erklärt hielt, 
wurde der bei der Alkalizufuhr auffallenden Mebrausscbeidung der 


1) Magnus-Levy, Archiv f. experimen. Pathol. u. Pharmakol., 
Bd. 42 u. Bd. 45. 

2) Geelmuyden, Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 41. 

3) Joslin, Journ. of med. researcb, Bd. 6. 

4) Friedmann und Maase, Sitzung d. physiol. Gesellscb. Berlin 
vom 4. Februar 1910. Med. Klinik, 1910, Nr. 11. 

5) L. Blum, Münchener med. Wochenschr., 1910, Nr. 13 und Ver- 
bandl. d. Kongr. f. innere Med., Wiesbaden 1910. 

6) 0. Neubauer, Ebenda, Wiesbaden 1910. 


Fettsäuren im Urin wenig Beachtung geschenkt. Diese Steigerung 
der Ausscheidung im Urin nach Natronzufubr war schon von 
Wolpe 1 ), Weintraud 2 ), Magnus-Levy 2 ), L. Schwarz 4 ), 
Mohr und Loeb 6 ), jedoch nicht regelmässig in allen Fällen be¬ 
obachtet worden. Magnus-Levy glaubte, dass diese Steigerung 
der Ausscheidung auf den schnelleren Uebertritt der Säuren aus 
den Körperzellen in das Blut zurückzuführen sei. Eine Bedeutung 
für die Therapie des Coma wurde aber dieser vermehrten Aus¬ 
scheidung im Urin nicht zuerteilt, sondern immer wieder ihr 
Nutzen zur Absättigung der im Organismus vorhandenen Säure 
hervorgehoben. 

Ich habe nun nach den Beobachtungen 6 ), die ich über die 
beschleunigte und gesteigerte Ausscheidung der Salicylsäure nach 
Natrium bicarbonicum machte, schon damals darauf bingewiesen, dass 
die Bedeutung des Natriumkarbonats für das Coma diabeticum 
jedenfalls auch in der schnellen Eliminierung der 1-ß-Oiy- 
buttersänre zu suchen sei. Ich glaube, dass, wie bei der Salicyl- 
säureintoxikation, auch hier die schnelle nnd vermehrte Ausschei¬ 
dung der Fettsäuren die Ursache ist, dass nicht eine so starke An¬ 
häufung dieser im Organismus stattbat, die zur Vergiftung, d. h. 
zum Coma führen muss.^ «.Seitdem ist nun weiter auch von 
Stäubli 7 ) und v. Noorden 8 ) ebenfalls darauf hingewiesen 
worden, dass die Steigerung der Ausscheidung bei der Natron¬ 
therapie des Coma wohl mit in Betracht komme. 

Es ist also erklärlich, dass, falls sehr grosse Mengen 
toxischer Fettsäuren auf diese Weise schnell aus dem Körper ab- 
fliessen, die Menge der sich im Organismus bildenden Säuren 
nicht mehr den Pegel erreicht, der zum Eintritt einer toxischen 
Wirkung auf das Centralnervensystem erforderlich ist. Hierzu 
sind ja verhältnismässig sehr grosse Dosen notwendig, wie unsere 
Tierversuche zeigten. Das Natronsalz der verschiedenen Säuren 
musste hierzu in Dosen von über 3 g bis 6 g pro Kilo Tier ver¬ 
abreicht werden, was 2,4 g bis 4,8 g der freien Säuren entspricht. 
Man müsste also beim Menschen pro 50 Kilo Körpergewicht 120 bis 
240 g der Säuren im Organismus erwarten, falls man die An¬ 
nahme macht, dass Kaninchen und Mensch ähnlicher Dosen 
pro Kilo zum Coma bedürfen. Dies wären Zahlen, die denjenigen 
nahestehen, wie wir sie bei Comatösen mit 100 bis 150 g im 
Urin ausgeschieden finden, und die in der Tat fast identisch sind 
mit den von Magnus-Levy bei jugendlichen im Coma Ver¬ 
storbenen von 30 bis 50 Kilo Körpergewicht als retiniert be¬ 
stimmten Mengen, nämlich 3 bis 5 g pro Kilo, was bei 50 Kilo 
Körpergewicht 150 bis 250 g.der Säuren entspräche. 

Wir beseitigen also mit der Natronbikarbonatzufuhr schnell 
die Säuremengen, die sich beim Uebergang zu strenger Diät 
reichlich bilden, und lassen eine Anhäufung, wie sie zum Coma 
erforderlich ist, nicht zustande kommen. Daraus ergibt sich die 
Wichtigkeit der Natrontherapie für die Prophylaxe bzw. für das 
eben in der Entwicklung begriffene Coma. 

Wir konnten aber ausser dieser die Eliminierung der toxischen 
Säuren beschleunigenden Eigenschaft noch eine weitere Eigentüm¬ 
lichkeit der Wirkung des Natriumkarbonats beobachten. Wir 
fanden, dass die intravenöse Injektion von Natriumkarbonat und 
Natriumbikarbonat den herabgesetzten Blutdruck des 
comatösen Tieres erhöht, während dabei der Atmungstypus 
unverändert bleibt. 

Das Verhalten von comatösen Tieren, die sich frei bewegen 
konnten, zeigte eine auffällige Aenderung nach Injektion von 
Natriumkarbonat. Das Tier erwacht aus dem Coma, setzt sich 
auf oder läuft einige Zeit herum, um dann von neuem wieder in 
tiefes Coma zu verfallen. 

Diese Zustände gleichen vollkommen denen, die nach be¬ 
ginnendem Coma des Menschen infolge intravenöser Natrium¬ 
karbonatzufuhr die ersten Beobachter so sehr in Erstaunen gesetzt 
haben. Der Patient, der besinnungslos war, wachte nach der In¬ 
fusion wieder auf und erkannte seine Umgebung, um allerdings meist 


1) JA. Wolpe, Archiv f. experim. Pathol. u. .Pharmakol., 1886, 
Bd. 21. 

2) Weintraud, Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., 1894, 
Bd. 34. 

3) Magnus-Levy, Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., 1901, 
Bd. 45. 

4) L. Schwarz, Deutsches Archiv f. klin. Med., 1903, Bd. 76. 

5) Mohr und Loeb, Centralbl. f. d. Physiol. u. Pathol. d. Stoff¬ 
wechsels, 1902, Bd. 3. 

ti6) Ehrmann, Münchener med. Wochenschr., 1907, Nr. 52. 

7) Stäubli, Deutsches Archiv f. klin. Med., 1908, Bd. 93. 

8) v. Noorden, Die Zuckerkrankheit, 1910, 5. Auflage. 


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13. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


07 


bald wieder von neuem in das Coma zu verfallen. Diese Wirkung 
des Natriumkarbonats hätte man wohl so deuten können, dass die 
nach Einführung des buttersauren Natriums in der Blutbahn frei 
werdende oder dissoziierte Säure in den Zellen des Gehirns 
speziell des Atemcentrums verankert wird und dass sie nun durch 
das überschüssig eingeführte Natriumkarbonat wieder als Na-Salz 
aus den Zellen heraustrete. Wir konnten aber feststellen, dass 
die Verhältnisse nicht so liegen, und das9 weder die Stärke der 
Dissoziation noch die Ersetzung des durch die Nieren leicht aus- 
tretenden Natrium durch Calcium einen Einfluss auf diese Erschei¬ 
nungen ausübt. Es hat also auch hier die Alkalisierung an sich, 
durch Zufuhr von Natriumkarbonat, anscheinend keine Bedeutung 
für diese Aufhebung des Coma, ebensowenig wie umgekehrt der 
Eintritt des Coma nicht verhindert wird, wenn die Zufuhr der 
Fettsäuren als alkalisches Natronsalz geschieht. Hier tritt viel¬ 
mehr die Wirkung ein, sobald das dissoziierte alkalische Salz den 
für die betreffende Fettsäure zur Toxizität erforderlichen Schwellen¬ 
wert erreicht. Der Eintritt der Vergiftung ist nicht nur un¬ 
abhängig von Alkaleszenz und anderen Verhältnissen, sondern 
auch von der späteren Ausscheidung der comamachenden Dosis 
aus dem Organismus. Daher zeigte sich auch nach Exstirpation 
der Nieren bei Dosen, die ein leichtes Coma bewirken, genau das 
gleiche Bild bei normalen und nierenlosen Tieren. 

Wir kommen daher zu der Ansicht, dass diese zweite Kom¬ 
ponente der Natriumkarbonatwirkung nicht mit Aenderungen in 
der Ausscheidung noch mit der Bindung der Fettsäuren in Be¬ 
ziehung steht. Es handelt sich vielmehr um eine spezifische 
Wirkung des Natriumkarbonats und Natriumbikarbonats, auf das 
centrale oder periphere Gefässnervensystem, die durch vorüber¬ 
gehende Blutdrucksteigerung mit Aufwachen aus tiefer Somnolenz 
verbunden ist. Noch eine ungünstige Beobachtung nach Infusion 
von konzentrierteren Natronlösungen haben wir experimentell ge¬ 
macht, die vor kurzem von L. Blum 1 2 ), 0. Hansen*), W. Wei¬ 
land 3 ) auch am Kranken beobachtet wurde, nämlich den Eintritt 
von Krämpfen, die zum Tod führten. 

Aus den oben mitgeteilten Experimenten und Beobachtungen 
an comatösen Diabetischen ergibt sich, dass das Coma dia- 
beticum eine spezifische Buttersäurenvergiftung (lß-Oxy- 
buttersäure und l-Ketobuttersäure s. Acetessigsäure) ist. Die 
Buttersäuren wirken als Hirngifte auf Atemcentrum, Vasomotoren¬ 
centrum und Grosshirn. Bei überwiegender Wirkung der Butter¬ 
säuren auf das Gefässsystem kann eine cardiovasculäre Form des 
Coma zustande kommen. Der Wirkungsmechanismus des Natrium- 
carbonats und Natriumbicarbonats beim Coma beruht einmal auf 
einer schnelleren und reichlicheren Ausschwemmung der toxischen 
Buttersäuren, sodann aber auch auf einer ei regenden Wirkung 
für das Gefässnervensystem. 


Ein Instrument zur Erleichterung der Gefäss- 
naht nach Carrel. 

Von 

Erist Jeger. 

Kürzlich hat Horsley 4 ) einen Halteapparat angegeben, durch 
den die Anlegung einer circulären Gefässnaht nach Carrel er¬ 
leichtert werden soll. Derselbe stellt einen unter einem Winkel von 
55° abgebogenen Stab dar, der an seinen beiden Schenkeln und 
an der Spitze je eine Schraube tiägt. Es wird nach seiner Vor¬ 
schrift in der Weise vorgegangen, dass man nach Anlegung der 
drei Haltefäden jeden derselben in eine der Schrauben ein¬ 
spannt, wodurch das Gefäss dreieckig auseinandergezogen und 
das Anlegen einer fortlaufenden Naht sehr erleichtert wird. 
Nun hat dieses Instrument den Nachteil, dass nur eine der drei 
Seiten des dilatierten Gefässes frei zugänglich ist, während man 
bei den anderen die Nadel zwischen Stab und Gefässwand durch¬ 
führen muss, wodurch das Nähen stark behindert wird. Dies 
veranlasst mich, über ein kleines von mir benutztes Instrumentchen 
zu berichten, das mir für derartige Zwecke ausgezeichnet geeignet 
zu sein scheint und der schnellen Ausführung der Naht keinerlei 
Schwierigkeiten entgegensetzt. 

1) L. Blum, Semaine medicale, 1911. 

2) O. Hansen, Zeitschr. f. klin. Med., 1912, Bd. 76. 

S) W. Weiland, Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie, 1912, 
Bd. 12. 

4; Annals of surgery, 1912, Bd. 1. 


Es ist a priori zu bemerken, dass die Verwendung eines 
solchen Instruments bei einfachen circulären Gefässnähten an 
oberflächlich liegenden Gefässen überflüssig ist. Dagegen dürfteu 
viele Experimentatoren, wenn sie in die Lage kamen, Gefäss- 
anastomosen an tief liegenden und stark gespannten Blutgefässen 
ausführen zu müssen, sich davon überzeugt haben, dass das An¬ 
legen der Haltefäden, die exakte Adaptierung der Gefässränder, 
das straffe Anspannen der Fäden und das Manipulieren mit den¬ 
selben häufig recht beträchtliche Schwierigkeiten bereitet, dies 
um so mehr, wenn man sich strikte an die wichtige Vorschrift 
halten will, jede Berührung der Hände, der Fäden und Instru¬ 
mente mit den umliegenden Geweben während der Operation zu 
vermeiden. Unter diesen Umständen kann das Horsley’sche In¬ 
strument, sowie das meinige, das ich im folgenden beschreiben 
werde, ausgezeichnete Dienste leisten und einem wirklichen Be¬ 
dürfnis abhelfen. 

Mein Instrument [siehe Figur l] 1 ) besteht aus drei Metall¬ 
stäben von der Dicke einer starken Stricknadel, die bei Punkt a 
miteinander vereinigt sind. Jeder der drei Stäbe trägt an der 
Spitze eine kleine Klemmschraube. Die Stäbe sind so stark ge¬ 
wählt, dass es nur durch einen ziemlich kräftigen Druck möglich 
ist, die Distanz der einzelnen Schrauben voneinander etwas zu ver¬ 
ringern. Die Anwendung des Instrumentes geschieht in folgender 
Weise: 

Figur 1. 



Es wird zunächst wie gewöhnlich ein Haltefaden angelegt 
und, ohne zu knüpfen, in die eine Schraube eingespannt; das¬ 
selbe geschieht mit dem zweiten und dritten Faden. Nachdem 
auf diese Weise das Gefäss straff ausgespannt worden ist, wird 
ein Faden nach dem anderen aus der Schraube gelöst und unter 
sorgfältigem Nach aussen krempeln der Intima verknüpft und hier¬ 
auf wieder eingespannt. Schliesslich werden die Gefässränder 
in gewöhnlicher Weise durch fortlaufende Naht miteinander 
vernäht, wobei der Assistent durch einfaches Drehen des In¬ 
strumentes um seine eigene Achse dem Operateur nach und nach 
die ganze Circumferenz des Gefässes piäsentiert und gleichzeitig 
das Instrumentchen derartig nach oben zieht, dass die beiden 
Gefässenden einander dacbgiebelförmig gegenüberstehen. Durch 
eine derartige Vorrichtung wird das Anlegen einer Naht ganz 
ausserordentlich vereinfacht. Nachdem die Naht vollendet ist, 
komprimiert der Assistent das Instrumentchen ein wenig, so dass 
die Haltefäden erschlafft werden, worauf der Operateur durch 
Oeffnen der Gefässklemmen die Circulation wiederherstellt. Zeigt 
sich nun irgendwo eine stärkere Blutung, so wird einfach die 
Klemme wieder angelegt, die Haltefäden neuerlich angespannt, 
und es gelingt leicht und sicher, durch Anlegung einer Knopf¬ 
naht die Blutung zu stillen. 

Nebenbei sei es mir gestattet, bei dieser Gelegenheit auf 
folgenden Punkt hinzuweisen: 

Es ist eine selbstverständliche Anforderung, dass man bei 
Gefässnähten so feine Seide und so feine Nadeln verwenden soll, 
als nur irgend möglich ist. Diese Forderung steht nun vielfach im 
Konflikt mit der Tatsache, dass namentlich bei tief liegenden 
und grösseren Gefässen und solchen, die unter einer grossen 


1) Hergestellt von Georg Haertel, Breslau-Berlio. 


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UNIVERSUM OF IOWA 





BERLIN HK KLINISCHE \V0C1I ENSCH RIET. 


Nr. 2. 


Cs 


Spannung stehen, feine Seide einfach nicht brauchbar ist, da sie 
bei jedem Stich glatt durchreisst. Ich bediene mich daher viel¬ 
fach des Kunstgriffes, zunächst Haltefäden aus ziemlich starker 
Seide anzulegen, dieselben in das Instrumentchen einzuspannen 
und hierauf mit einem allerfeinsten Seidenfaden und allerfeinster 
Nadel die Circumferenz des Gefässes zu nähen, was nunmehr bei 
dem Mangel jeglicher Spannung und der bequemen Art, in der 
das Gefäss dem Operateur vorliegt, ohne jede Muhe gelingt (siehe 
Figur 2). 

Figur 2. 



Man geht nun bei der Nabt derartig vor, dass man an den¬ 
jenigen Stellen, an denen die Haltenähte sitzen, etwas weiter als 
sonst vom Rande entfernt ein- und aussticht. Durch Anziehen des 
feinen Fadens wird so der dicke Haltefaden aus dem Gefässlumen 
ausgeschaltet, so dass der ßlutstrom nach Wiederherstellung der 
Circulation nur mehr mit den feinen Seidenfäden in Berührung 
kommt. Nach Vollendung der Nabt und nach Stillung einer 
etwaigen Blutung werden die Haltefäden kurz abgeschnitten und 
auf diese Weise die Operation beendet. Es ist auf diese Weise 
möglich, auch dicke und unter starker Spannung stehende Gefässe 
mit feinster Seide fortlaufend zu nähen, was die Gefahr der 
Thrombose und Verengerung des Gefässlumens wesentlich ver¬ 
ringert. 


Bücherbesprechungen. 

Handbuch der gesamten Sexualwissenschaft in Einzeldarstellungen. 

Bd. 1. Die Prostitution, 1. Band. Von Dr. med. Iwan Bloch. 

Berlin 1912, L. Marcus. Preis 10 M. 

Bloch, der grosse Kenner der sexuellen Literatur aller Zeiten und 
Völker, der die Wissenschaft schon mit so vielen wertvollen Werken 
über das Geschlechtsleben, seine Verirrungen und vor allem die Syphilis 
beschenkt hat, beginnt hier ein Werk, wie cs in gleichem Umfange und 
mit nur annähernd ähnlichem Gehalt noch in keiner Literatur der Welt 
geschaffen wurde. Diese Arbeit war nur deutschem Sammlerfleiss mög¬ 
lich, und auch in unserem Lande nur für einen so unabgelenkt stu¬ 
dierenden und sowohl der Medizin als der allgemeinen Weltgeschichte, 
als so vieler Sprachen kundigen Mann, wie es Bloch ist. Sehen wir 
zunächst ganz von der Beweisführung ab, die Bloch in diesem Bande 
für seine Ansicht von der Bedeutung und der Besserung der Prostitutions- 
Verhältnisse durchzuführen beginnt, so bietet uns das Buch durch all 
die unendlich vielen Ausschnitte aus den Werken alter Autoren ein 
lebendiges Bild dar, das in seiner originellen Farbenpracht uns fesselt 
und vollkommen in den Weg hineinzieht, den der Autor uns führen 
will. Es handelt sich in diesem Bande um die Ursprünge der Prosti¬ 
tution bei den wenig zivilisierten Völkern und um die Prostitution der 
antiken Kulturvölker und des Mittelalters. Plastisch treten die von 
dem eigenen Schulstudium uns noch vertrauten Männer und Frauen der 
griechischen und römischen Autoren hervor. Bloch citiert nicht kurz, 
nicht in Umschreibungen und Auszügen, sondern breit und in den eigenen 
Periodengängen der Dichter und Historiker des Altertums, so dass für den 
Leser zur eigenen Urteilsbildung alle Elemente klar zur Hand sind. Aber 
wie anders nehmen sich jetzt die ernsten Männer jener klassischen Zeiten 
aus, wo sie uns nicht als nacheifernswerte Geistesheroen und Sittlichkeits¬ 
lehrer in der für den Gymnasiasten ausgewählten Lektüre vorgeführt 
werden, sondern als die lebenden Menschen ihrer Zeit mit den Bedürf¬ 
nissen und Schwächen ihres täglicheu Bedarfes, der nach den hier vor¬ 
geführten Citaten (meistens den sonst vorsichtig übergangenen Stellen der 
Satiren und Oden, sowie den Komödien entnommen und ohne Rücksicht 


auf kindliche Scheu ins Deutsche übersetzt) recht erheblich sich in 
sexuellen Wünschen bewegt haben muss. 

Es ist wohl zweifellos, dass Bloch die Darstellung der antiken 
Verhältnisse am lebendigsten gelungen ist. Diese besonders liebevolle 
Darstellung der antiken Liebesaffären, die er aus allen Schriftstellern 
herausliest, sind für ihn aber auch die Grundlage aller Besprechung der 
Prostitution. Er stellt den Satz auf, dass alle Prostitution der zivili¬ 
sierten Völker der alten Welt, also vornehmlich auch die unsere, 
geradenwegs von derjenigen der antiken Kulturvölker abzuleiten sei. 
Unsere Prostitution zeigt noch die Merkmale des alten Sklavenstaates, 
in dem der unfreie Mensch rechtlos und als sachlicher Besitz galt, mit 
dem sein Herr nach Belieben verfahren konnte. Die Möglichkeit der 
Prostitution ist hier die Folge des patriarchalischen Verhältnisses, in 
welchem eine absolute Vorherrschaft und Bestimmungsfreiheit des 
Mannes vorhanden ist, und als Gegensatz dazu eine ebenso strenge 
Ausschliessung der ehrbaren Frau von allen öffentlichen Handlungen 
und ihr Vergrabenwerden in haremartiger Abschliessung. Die beiden 
Geschlechter haben ganz verschiedene Rechte im Ehebunde, der nicht 
auf dem beruhte, was heute als Liebe gilt und hauptsächlich auf 
geistiger Anziehung beruht, sondern in einer standesgemässen Verbindung 
zur Erzeugung rassereiner, ebenbürtiger und vor allem gesunder Nach¬ 
kommenschaft. Mit dieser Verbindung mit der Mutter seiner Kinder 
war das sexuelle Verlangen des intelligenten Mannes aber nicht aus¬ 
gefüllt. Er verlangt nach anderer Befriedigung nicht nur des Körpers, 
sondern auch seiner Phantasie, und findet sie in dem Wechsel, in der 
Vereinigung mit freilebenden gebildeten oder wenigstens geistig regen 
Frauen und mit jungen, eben zu geistiger Reife erblühenden Knaben, 
denen er das in Manneskraft und männlichem Mut nachahmenswerte 
Vorbild darstellen will — immer mit dem in jenen entlegenen Zeiten 
noch nicht wie bei uns als schmutzig und schändlich geltenden Neben¬ 
gedanken der Befriedigung seiner sexuellen Gelüste. Diese sexuelle 
Ungebundenheit stammt aber aus viel älteren Zeiten her, als es über¬ 
haupt noch keine festen ehelichen Verbindungen gab, und so ist die 
Prostitution als der Rest dieser alten freien Geschlechtsverbindungen 
anzusehen, ein Ueberbleibsel der gesetzlosen Urzeit in den Beziehungen 
der Geschlechter zueinander und auch unter Individuen gleichen Ge¬ 
schlechts. 

Bloch gibt mit seinen Ausführungen eine natürliche Erklärung der 
Prostitution, die von der landläufigen Annahme, es handle sich um ein 
unumgänglich notwendiges Uebel, wie der Ausdruck allgemein heisst, 
sehr erheblich abweicht. Auf die genauere Darlegung seiner Gedanken¬ 
gänge ist es nicht möglich in dieser kurzen Anzeige und Empfehlung 
des Buches einzugehen, sie würden in so erheblicher Kürzung ja nur 
verstümmelt und nicht im Sinne des Autors dargestellt werden können. 
Fordert er doch selbst den Leser auf, zum Verständnis dessen, was er 
darlegen will, nicht hier und da einmal ein Kapitel seines Buches zu 
lesen, sondern von vorne an ein Kapitel nach dem andern; es rollt sich 
der leitende Gedanke des ganzen Werkes aus den allmählich fort¬ 
schreitenden und überall mit unendlichen Citaten bewiesenen Einzel¬ 
studien auf. Es ist vielleicht nicht überflüssig, zu erwähnen, dass trotz 
der spannenden Darstellungsart und trotz des gewiss heiklen Stoffes in 
dem Werke die äusserste Dezenz gewahrt ist. Es ist selbstverständlich 
kein Buch, das für Unerwachsene geeignet ist, aber es hält sich von 
der allergeringsten Spur von Lascivität so ausserordentlich fern, wie es 
eben nur ein im besten Sinne als wissenschaftlich anzusehendes Werk 
tun muss. Die Besprechung der Lehre von den sexuellen Zuständen 
des Menschen, normalen und abnormen, wie sie in der „Sexualwissen¬ 
schaft“ zusammengefasst werden soll, hat mit diesem Bande in würdiger 
Weise begonnen. Pinkus. 

H. Stranss: Vorlesung über diätetische Behandlung innerer Krank¬ 
heiten. 3. vermehrte und verbesserte Auflage. Berlin 1912, 
Verlag von S. Karger. 

Die Wertschätzung, deren das Strauss’sche Buch seit seinem Er¬ 
scheinen sich erfreut, wird durch die vorliegende Auflage noch wesent¬ 
lich gesteigert werden. Den Ausführungen über allgemeine diätetische 
Gesichtspunkte, die in dankenswerter Kürze das für den Zweck des 
Buches Notwendige und Ausreichende hervorheben, folgt die diätetische 
Behandlung der Speiseröhren-, Magen- und Darmerkrankungen in kli¬ 
nisch musterhafter Gliederung. Sie nimmt entsprechend ihrer Bedeutung 
den weitesten Raum des Buches ein. In ausserordentlich glücklicher 
Weise vereinigt Verf. die Ergebnisse der Physiologie mit den praktisch 
klinischen Erfahrungen, so dass die schablonenhafte Aufstellung von 
Speisezetteln völlig vermieden wird, was besonders bei Besprechung der 
Ulcusbehandlung von grossem Wert ist. Auch bei der Abhandlung über 
die Diätetik der Abdominalerkrankungen stehen die prinzipiellen Ge¬ 
sichtspunkte im Vordergrund, die geeignet sind, den Leser zum selb¬ 
ständigen diätetischen Denken anzuregen. Zweckmässig wären hier 
einige Vorschriften für die Behandlung der chronischen adhäsiven Zu¬ 
stände des Bauchfelles, für die die richtige Ernährung oft die einzige 
Therapie darstellt. Bei dem Kapitel „Nephritis“ ist die präzise Hervor¬ 
hebung der Indikation für die Kochsalzentziehung ausserordentlich 
dankenswert. Die Kapitel Diabetes, Gicht und Fettsucht stehen absolut 
auf der Höhe der modernen Erkenntnis der Stoffwechselpathologie, 
würdigen strittige Fragen ohne Weitschweifigkeit und tragen den Stempel 
der eigenen umfangreichen klinischen und experimentellen Erfahrungen 
des Verfassers. 


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13. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Ausführungen über vegetarische Ernährungsweise, Uebersicht und 
kritische Würdigung der sehr zahlreichen Nährpräparate und reichhaltige 
Nahrungsmitteltabellen beschliessen das Buch, dem als Anhang Winke 
für die diätetische Küche von Elise Hannemann beigefügt sind. 

Gleich wertvoll als Nachschlagewerk wie als zusammenhängende 
Lektüre stellt das Strauss’sche Buch in seiner dritten Auflage ein unent¬ 
behrliches Hilfsmittel für jeden Arzt dar, der sich mit praktischer 
Therapie beschäftigt und auf der Höhe seiner Kunst stehen will. 

M. Hirschberg-Tegel. 


R. Gattsebalk: Grandriss der gerichtlichen Medizin. (Einschliesslich 
Unfall- und Invaliditätsversicherung.) Für Aerzte und Juristen. 
4. vermehrte und verbesserte Auflage. Leipzig 1912, Georg 
Thieme. 471 S. Preis 6,50 M. 

Das bekannte Kompeudium erfreut sieb, wie die Zahl der sich 
schnell folgenden Auflagen beweist, einer Beliebtheit, die dem Referenten 
wohl begründet erscheint. In der vorliegenden vierten Auflage zeigt 
der Verfasser, dass er den neueren Erscheinungen der Literatur mit 
Verständnis gefolgt ist. Auch die Fortschritte der Gesetzgebung, insbe¬ 
sondere die Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung sind ein¬ 
gehend berücksichtigt. Die wichtigsten Bestimmungen der Reichsver- 
sicberungsordnung sind übersichtlich zusammengestellt. So wird auch 
diese neue Auflage dem Verfasser und seinem Buche sicherlich neue 
Freunde werben. Marx-Berlin. 


B. Mayrhofer-Innsbruck: Lohrbich der Zahnkranhheiten frir Aerzte 

aad Stadierende. 340 Seiten Text mit 296 Abbildungen. Jena 1912, 
Verlag von Gustav Fischer. Preis 9 M. 

Das vorliegende Werk M.’s ergänzt seine „stomatologischen Demon¬ 
strationen“ und entspringt ebenso wie letztere dem Bestreben, die 
praktischen Aerzte für eine teilweise Ausübung der Zahnheilkunde zu 
gewinnen. Es ist ein zu billigender Wunsch, dass der Arzt sich während 
seines Studiums auch auf zahnärztlichem Gebiet so viel Kenntnisse an¬ 
eignet, dass er Zahnschmerzen — die weitaus häufigsten Schmerzen, von 
welchen die Menschen heimgesucht werden — auch anders als durch 
Extraktion zu beheben imstande ist. Es gilt dies in erster Linie für die 
Aerzte kleinerer Städte und Dörfer, in denen Zahnärzte nicht ansässig 
sind, und nicht minder für Schiffs- und Kolonialärzte. 

In dem Lehrbuch finden wir unter Ausschaltung des rein spezialisti- 
schen Teils alles das mit Sorgfalt zusammengetragen, was von den Zahn¬ 
krankheiten für den Allgemeinarzt theoretische und praktische Bedeutung 
hat. Unberücksichtigt geblieben ist die Lehre von der Extraktion der 
Zähne, ebenso ist über die Beziehungen der Zähne zum übrigen 
Organismus nur ein kurzer Ueberblick gegeben. Mit grossem Interesse 
und viel Freude habe ich als Arzt und Zahnarzt das Werk studiert, 
denn die Darstellung ist musterhaft, die Ausstattung gediegen und die 
Abbildungen sind vorzüglich. Dem angehenden Jünger der Zahnbeil¬ 
kunde bringt das Buch eine ihn zu medizinischem Denken anleitende Ein¬ 
führung in sein Fach. Zum Studium für Mediziner hätten vielleicht 
manche Abschnitte, besonders die in der ersten Hälfte besprochene Patho¬ 
logie der Zahnform und des Zahnwechsels kürzer gefasst und dadurch 
dem Ganzen eine weniger voluminöse Form gegeben werden können. 


G. Preiswerk: Lehrbuch und Atlas der konservierenden Zahnheil- 

kaide. Lehmann’s medizinische Handatlanten, Bd. 38, 404 Seiten 
Text mit 32 vielfarbigen Tafeln und 323 Textabbildungen. 
München 1912, J. F. Lehmann’s Verlag. Preis gut gebunden 
14M. 

Dieser von einem alterfahrenen Praktiker geschriebene neueste 
Band der L.’schen Handatlanten ist für die Zahnärzte bestimmt und 
solche, die es werden wollen. In möglichst knapper, leicht fasslicher 
Form behandelt Verf. einen Spezialzweig der zahnärztlichen Wissenschaft. 
Besonderer Wert ist auf detaillierte Darstellung der wichtigsten Me¬ 
thoden, vornehmlich der Goldfüllungen, der Pulpa- und Wurzelbehand¬ 
lungen gelegt. Ein nicht zu unterschätzender Vorzug des vorliegenden 
Buches scheint mir die überaus reichliche Anzahl und Güte der Ab¬ 
bildungen zu sein, die ebenso wie der mit Sorgfalt geschriebene Text dem 
Leser vor Augen führen, dass nur sorgfältiges und gewissenhaftes Arbeiten 
in unserem Beruf befriedigende Resultate zeitigen kann. Möge das Werk 
denselben Anklang finden, wie die beiden früheren von P. heraus¬ 
gegebenen Lehrbücher (Lehmann’s Handatlas Nr. 30 u. 33). 

ProII - Königsberg. 


Literatur-Auszüge. 

Anatomie. 

A. Keitb- London: Die funktionelle Katar des Blinddarmes und 
dus Wurmfortsatzes. (Brit. raed. journ., 7. Dezember 1912, Nr. 2710.) 
Bei allen Wirbeltieren findet sich an der Verbindungsstelle des Dünndarmes 
und Dickdarroes eine sphinkterartige Stelle. Wo sich der Diekdarra zurück¬ 
bildet, wie bei den Bären, Insektivoren und Edentaten ist der ileocoecalc 
Sphinkter das einzige sichtbare Gebilde, das eine Verbindung von Dünn- 
and Dickdarm zum Ausdruck bringt. Die Tätigkeit des Sphinkter kann 
am besten an der Ratte studiert werdeD. Die grösste Spezialisierung 
zeigt die Ileocoecalgegend des Darmes bei den pflanzenfressenden Vögeln. 


Hier liegt zwischen Ueura und Colon ein besonderer Darmabschnitt 
(coecales Colon), von dem die beiden Coeca abgehen, ln diese wird der 
alkalische Darminhalt durch Bakterienwirkung sauer, und er wird nur 
gelegentlich und teilweise wieder entleert. Ueberhaupt wird bei keinem 
Tiere das Coecum jemals völlig entleert; hier ist vielmehr die Brut¬ 
stätte für die Baktorien, die zur Dickdarmverdauung gebraucht werden, 
und es bleibt immer ein Rest davon im Coecum für die Weiterkultur. 
Vom Standpunkt der vergleichenden Anatomie bat man den Dickdarm 
als einen für seine besondere Zwecke (Erhaltung der Verdauung durch 
Bakterien) besonders entwickelten Darmteil anzusehen. Auch der 
Appendix hat sicher seine Funktion, sonst wäre anzunehmen, dass er im 
Laufe der langen Entwicklungszeit, vom Ursprung der anthropoiden 
Affen bis jetzt, längst verschwunden wäre. Weydemann. 

Siehe auch Psychiatrie und Nervenkrankheiten: Besta, 
Cerebro-cerebellare Bahnen. 


Physiologie. 

F. Bering-Kiel: Zur Wirkung des Lichtes. (Münchener med. 
Wochenschr., 1912, Nr. 51.) Das Licht übt eine Wirkung auf die Grund¬ 
stoffe des Organismus in dem Sinne aus, dass es zu einer Spaltung der¬ 
selben führt; ausserdem vermag es einen fördernden Einfluss auszuüben 
auf Oxydationsprozesse sowohl in dem Sinne, dass es die Abspaltung 
des Sauerstoffs erleichtert, als auch, dass es fördernd auf die in allen 
Zellen tätige Peroxydase wirkt. An diesen Vorgängen sind vermutlich 
alle Strahlengruppen beteiligt; jene, deren Wirkung nur eine sehr ge¬ 
ringe, deren Penetrationskraft aber eine grosse ist, finden im Organismus 
Stoffe, welche ihnen durch Sensibilisierung eine Wirkung ermöglichen. 

Dünner. 


Pharmakologie. 

E. Harnack - Halle a. S.: Die Arsenqnelle za Dürkheim. 
(Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Die Maxquelle in Dürk¬ 
heim ist unter allen Arsenquellen die zweitreichste mit 17—18 mg 
As 2 O s im Liter. H. empfiehlt die Maxquelle sehr warm. Dünner. 

J. Almkvist - Stockholm: Weitere Untersuchungen über die 
Pathogenese der merenriellen Colitis und Stomatitis. (Dermatol. 
Zeitschr., November und Dezember 1912.) Durch Fäulnisprozesse werden 
gemeinsam mit dem Quecksilber die Colitis und Stomatitis mercurialis 
hervorgerufen, und zwar dadurch, dass durch die Fäulnis Schwefelwasser¬ 
stoff gebildet wird, welcher mit dem Quecksilber das giftige Schwefel¬ 
quecksilber bildet, durch welches die Darmschleimhaut bzw. die Mund¬ 
schleimhaut geschädigt wird. Immerwahr. 

Staeubli - Basel: Beobachtungen über Arsenüberempfindlichkeit. 
(Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 52.) Vortrag, gehalten in der 
Medizinischen Gesellschaft in Basel am 7. November 1912. 

Wolfsohn. 

F. Rabe-Rostock: Resorption von Eisenpräparaten. (Münchener 

med. Wochenschr., 1912, Nr. 51.) Versuche am Fistelkunde zeigen, dass 
der Dünndarm des Fleischfressers imstande ist, von einem mit der 
Nahrung gereichten Eisenpräparat grosse Mengen zu resorbieren. Die 
Hauptmenge des Eisens wird in den obersten Darmabschnitten resorbiert. 
Wahrscheinlich wird auch Eisen durch die Magenwand resorbiert. Die 
Eisenresorption wird stark eingeschränkt, wenn die Eisengaben rasch 
hintereinander erfolgen. Dünner. 

Siehe auch Hygiene und Sanitätswesen: Dienes, Tiefen¬ 
wirkung des Formaldehyds. — Parasitenkunde und Serologie: 
Wright, Pharmakotherapie der Pneumokokkeninfektion. 


Therapie. 

R. Langbein - Leipzig: Beitrag zur Behandlung der Isebias Bit 
epidoralen Injektionen. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) L. 
hat epidurale Injektionen von „Läwen’scher Lösung“ in 12 Fällen von 
Ischias ausgefübrt (Natr. bicarbon. puriss. 0,25, Natr. chlorat. 0,5, 
Novocain 1,0; wird in 100 ccm destilliertem Wasser aufgelöst und dann 
noch einmal halb aufgekocht). Am Hiatus sacralis werden die Injektionen 
am besten in sitzender Haltung ausgefübrt. Die Injektion muss leicht, 
ohne Widerstand erfolgen; ein Oedem darf nicht entstehen. Häufig 
treten Parästhesien oder Druckgefühl in beiden Beinen auf. Nach 15 
bis 20 Minuten sind bei richtiger Injektion alle Ischiassymptome ver¬ 
schwunden. Zweitägige Bettruhe. Resultate: 7 Fälle dauernd geheilt, 
4 gebessert. Das Verfahren wird empfohlen, wenn energische Kuren 
mit Wärmeprozeduren und Antineuralgica erfolglos waren. 

Wolfsohn. 

A. J. Wallace-Liverpool: Die Unterdrückung der Krämpfe bei 
der Eklampsie. (Lancet, 7. Dezember 1912, Nr. 4658.) Veranlasst 
durch die Erfolge der Injektionen von Magnesiumsulfatlösung bei Tetanus 
hat der Verf. diese auch bei Eklampsie in zwei Fällen versucht. Die 
Dosis betrug bei intraspinaler Injektion 1 ccm der 25 proz. Lösung auf 
je 25 Pfund (engl.) Körpergewicht. Natürlich will der Verf. aus den 
zwei Fällen keine allgemeinen Schlüsse ziehen, doch kann er berichten, 
dass nach der Injektion die Anfälle 7 und 4 7a Stunden ausblieben und 
beide Patientinnen mit lebenden Kindern geheilt entlassen wurden. Ob 

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Nr. 2. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


ein Zusammenhang zwischen den Injektionen und dem Ausbleiben der 
Anfälle besteht, müssen weitere Untersuchungen lehren. 

Weydemann. 

Zink - Davos: Versnche mit Mesbe. (Münchener med. Wochenschr., 
1912, Nr. 50.) Mesbö hatte, wie Z. an einigen Fällen nachzuweisen 
sucht, bei Larymtuberkulosen keinen Erfolg. Dünner. 

Siehe auch Chirurgie: Lotheissen, Behandlung mit Novojodin- 
paste. — Innere Medizin: Saar, Melubrin bei akutem Gelenk¬ 
rheuma. 


Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. 

H. Bayon-Robbeninsel (Kapkolonie): Epithelwncherongen durch 
Einspritzungen von Kohlenteer. (Lancet, 7. Dezember 1912, Nr. 4658.) 
Injektionen von Teer aus Gebläseöfen in das Kaninchenohr hatte keine 
Wirkung, solche von Teer aus Gaswerken dagegen machten lebhafte 
Epithelwucherungen in Gestalt eines dicken Walles um den injizierten 
Teer; von dem Walle gingen Stränge und Zapfen in die Tiefe. Gleich¬ 
zeitig fanden sich Rundzelleninfiltration und Epithelnester. Der Teer 
war mit vier Teilen Lanolin emulgiert und diese Mischung durch Er¬ 
hitzen auf 60° an drei aufeinanderfolgenden Tagen sterilisiert werden. 

Wey demann. 

E. F. Ba shford - London: Das Krebsproblem. (Deutsche med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Vortrag, gehalten im Verein für innere Me¬ 
dizin und Kinderheilkunde zu Berlin am 21. Oktober 1912. 

Wolfsoh n. 

E. Bressl au - Strassburg: Hyperthelie. (Münchener med. Wochen¬ 
schrift, 1912, Nr. 51.) Beim Eichhörnchen entstehen aus der von der 
Achselhöhle zur Leistengegend verlaufenden Milehlinie die Milchhügel, 
die sich dann verdoppeln. Der eine Teil wird Zitze, während aus dem 
anderen Sinushaare entstehen. Scheinbar handelt es sich hier um 
eine doppelte Zitzenanlage; von Hyperthelie kann man in diesem Falle 
nicht sprechen. Inwieweit diese Befunde für den Begriff der Hyperthelie 
überhaupt verallgemeinert werden können, muss zunächst unentschieden 
bleiben. Jedenfalls kann man mit Rücksicht auf die Untersuchungen 
von B. nicht ohne weiteres die Hyperthelie als pathologischen Vorgang 
oder als Rückschlag auf mehrbrüstige Vorfahren formen ansehen. 

Dünner. 

H. Rib b e r t - Bonn: Beitrag Kar Rachitis. (Deutsche med. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 1.) Im Bereich der von den Markräumen durch¬ 
wachsenen Knorpelabschnitte fand R. vielfache kernlose, im Absterben 
begriffene Knorpelzellen. (Färbung mit Hämalaun und van Gieson; 
Ueberfdrben mit Orange. Die zerfallenen Knorpelzellen erscheinen dann 
intensiv gelb.) Für die Knorpelnekrosen macht R. toxische, auf das 
Skelett wirkende Einflüsse verantwortlich. Diese sind wahrscheinlich 
aus Stoffwechselstörungen infolge falscher Ernährung abzuleiten. 

Wolfsohn. 

G. Cannisa: Zwei neue Fälle von Ostinm atrioventricalare sin. 
duplex. (Centralbl. f. Pathol., Bd. 23, Nr. 23.) Bei zwei Erwachsenen 
fand sich eine Verwachsung der Mitralsegel in der Mitte, so dass ein 
doppeltes Ostium entstand. Als Ursache wird Endocarditis angenommen 
und die Möglichkeit einer fötalen Entzündung erörtert. 

H. Reinhard: Ein Fall von endocardialem Ahklatschtnberkel. 
(Vircbow’s Archiv, Bd. 210, H. 2.) Bei allgemeiner Miliartuberkulose 
fanden sich im Herzen Tuberkel, die sich als echte endocardiale er¬ 
wiesen, durch direkte Infektion vom Blut aus. Besonders bemerkens¬ 
wert ist, dass am vorderen und hinteren Papillarmuskel des linken 
Herzens sich genau an den Stellen, die sich bei Systole berühren, 
Tuberkel gebildet hatten, die somit als Abklatschtuberkel aufzufassen sind. 

E. Reye: Ueber die Lokalisation der Lungenembolien. (Central¬ 
blatt f. Pathol., Bd. 23, Nr. 23.) Auf Grund statistisch zusammen¬ 
gestellten Sektionsmaterials kommt R. zu dem Schluss, dass embolische 
Infarkte unabhängig von dem Ort der Herkunft in allen Lungen¬ 
abschnitten entstehen können. Am häufigsten werden die Unterlappen 
befallen. 

E. Joest und E. Emshoff: Studien über die Histogenese des 
Lymphdrüsentuberkels und die Frühstadien der Lymphdrüsentuberkulose. 
(Virehow’s Archiv, Bd. 210, H. 2.) Bei Impfung mit Typ. bovinus 
zeigen die regionären Lymphdrüsen des Meerschweinchens am 5. oder 
6. Tag die ersten spezifischen Veränderungen, bei Typ. humanus schon 
am 3. Tag. Es bestehen diese in Epitheloidzellhäufchen, die, wie Mitosen 
und Uebergänge zeigen, aus Reticulumzellen der perifollikulären Lymph- 
bahnen hervorgehen, nicht aus Zellen der reticulumfreien Keimcentren. 
Auch die später auftretenden Riesenzellen stammen von den Re¬ 
ticulumzellen. Mitosen finden sich bei Typ. bovinus spärlich, bei Typ. 
humanus reichlich, ebenso verhalten sich die Bacillen im gefärbten 
Schnitt. Die Lymphocyten gehen durch Pyknose zugrunde. Die Ver- 
grösserung der Lymphdrüsen wird nur durch Zunahme des spezifischen 
Gewebes bestimmt, ein lymphoides Vorstadium im Sinne Bartel’s wurde 
nicht beobachtet. Die ersten Stadien der spontanen Lymphdrüsentuber¬ 
kulose beim Rind stimmen mit diesen experimentellen Befunden im 
ganzen überein. 

H. Beitzke: Untersuchungen über die Infektionswoge der Tnber- 
kalose. (Virchow’s Archiv, Bd. 210, H. 2 ) Unter 27 Kinderleichen, die 


frei von manifester Tuberkulose waren, liess sich neunmal in Lymph¬ 
drüsen mikroskopisch oder durch Tierversuch tuberkulöse Infektion nach- 
weisen. Einmal waren die Tracheobronchialdrüsen allein befallen, drei¬ 
mal diese mit Drüsen des Verdauungstractus, fünfmal nur solche des 
Digestionsapparates (4 Cervicaldrüsen, 1 Periportaldrüse). Nur in einem 
Fall enthielt eine periphere Drüse, Axillardrüse, Tuberkelbacillen. Es 
wird daraus geschlossen, dass im Latenzstadium eine hämatogene Ver¬ 
schleppung von Tuberkelbacillen beim Kind nicht oder nur ausnahms¬ 
weise vorkommt, vielmehr eine Drüseutuberkulose die Eintrittspforte an¬ 
zeigt. Lympboide Hyperplasie fand sich bei den infizierten Fällen 
häufiger, in 2 /a der Fälle aber auch bei nicht infizierten Kindern. 

C. Hart: Thymusstadien. II. Thymnselemente. (Virchow’s Archiv» 
Bd. 210, H. 2.) Die Thymus ist ein lympho-epitheliales Organ, ent¬ 
sprechend ihrer zellulären Zusammensetzung. Der epitheliale Anteil 
(Reticulum) bildet das eigentliche Parenchym, dem die spezifische 
Thymusfunktion obliegen dürfte. Der zweite lymphoide Anteil ist durch 
Einwanderung entstanden und dürfte nur die allgemeinen Lymphocyten- 
funktionen ausüben, also keine organspezifische. Die eosinophilen Zellen 
sind gleichfalls eingewandert und dienen der vorübergehenden Speiche¬ 
rung überschüssig gebildeter Sekretionsprodukte. 

Chr. Lundsgaard: Ueber Nebennierenblntnngen bei Nengehnrenen. 
(Virchow’s Archiv, Bd. 210, H. 1 u. 2.) Nebennierenblutungen können 
bei Neugeborenen in normalem Organ eintreten oder aber in vorher 
hyperplastischem Organ; in letzterem Fall zeigt die an dem Hämatom 
anliegende Niere eine entsprechende Deformation. 

Rob. Meyer: Nebennieren bei Anencephalie. (Virchow’s Archiv, 
Bd. 210, H. 1. u. 2.) Bei etwa der Hälfte der Anencephalen ist die 
Nebenniere einseitig oder doppelseitig zugrunde gegangen. Der Zu¬ 
sammenhang mit der Gebimmissbildung ist nicht klar, aber letztere 
jedenfalls primär. Es können aber die Nebennieren auch normal an¬ 
gelegt sein, das Mark ist sogar oft hyperplastisch und weit differenziert. 
Der Lipoidgehalt der Rinde ist unverändert, soweit diese nicht durch 
frühzeitigen Untergaug der Zona reticular. und inneren Zona fasciculat. 
verkleinert ist. 

Th. Fahr: Können wir die Nierenerkranknngen nach ätiologischen 
Gesichtspunkten einteilen? (Virchow’s Archiv, Bd. 210, H. 2.) Auf 
Grund von Untersuchungen bei verschiedensten Infektionen kommt F. 
zu einer Verneinung der Frage. Einzelne Formen sind wohl soweit 
charakteristisch, dass man, wie von Quecksilbernere, von Choleraniere 
und Scharlachniere sprechen kann, aber darüber hinaus muss die ana¬ 
tomische Einteilung bestehen bleiben. 

K. Sugi: Ueber Veränderungen des Wnmfortsatses bei allge¬ 
meiner Infektion und bei Peritonitis. (Virchow’s Archiv, Bd. 210, H. 2 
u. 3.) Das Verhalten des Wurmfortsatzes bei septischen Allgemein¬ 
infektionen wurde an Schnitten untersucht. Es fanden sich bei Strepto¬ 
kokken- und Staphylokokkeninfektionen in einer Anzahl von Fällen 
Kokkenembolien, aber ohne Reaktion der Umgebung. Sie liegen in allen 
Schichten der Wand, am häufigsten in Mucosa und Submucosa, keines¬ 
wegs mit Vorliebe in den Follikeln. Der Appendix verhält sich hierin 
dem übrigen Darm gleich. Ausserdem finden sich häufig kleine Blutungen. 
Bei allgemeiner Miliartuberkulose liegen Tuberkel in allen Wandschichten. 
Bei eitriger Peritonitis dringt die Entzündung bis zur MusQularis, 
selten in den Lymphgefässen bis zur Muscosa vor; vielfach greift die 
Entzündung vom Mesenteriolum herüber. Dietrich. 

W. Kern-Wien: Ueber Leberverändernngen bei chronischem 
Alkohol ismas. (Zeitschr. f. Hygiene, 1912, Bd. 73, H. 1, S. 143.) Unter 
einer Gesamtzahl von 111 Fällen des pathologisch-anatomischen In¬ 
stituts zu Wien, d. h. 2,6 pCt. in bezug auf die Gesamtzahl der Sektionen 
und 65 pCt. in bezug auf die Anzahl der Potatoren, fanden sich Leber¬ 
veränderungen, die das Gewebe der Glisson’schen Kapsel und die kleinen 
Gallengänge betrafen und häufig noch mit Fettinfiltrationen des 
Parenchyms verbunden waren. Möllers-Berlin. 

M. Lissauer-Königsberg i. Pr.: Experimentelle Lebercirrhose 
naeh chronischer Alkoholvergiftung. (Deutsche med. Wochenschr., 
1913, Nr. 1.) Vortrag im Verein für wissenschaftliche Heilkunde in 
Königsberg i. Pr. am 28. Oktober 1912. Wolfsohn. 

Siehe auch Röntgenologie: Walter, Wachstumsschädigung 
junger Tiere durch Röntgenstrahlen. Koch und Bucki, Resorption der 
serösen Höhlen. — Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten: 
Alles, Mucocele der vorderen Ethmoidalzellen. — Chirurgie: Stüsser, 
Epitheliale Neubildungen des Nierenbodens. — Parasitenkunde und 
Serologie: v. Calcar, Diplococcus pneumoniae und Pathogenese der 
croupösen Pneumonie. — Hygiene und Sanitätswesen: Cesa- 
Bianchi, Staubinhalation und Lungentuberkulose. — Innere Medizin: 
Roque und Cordier, Die tuberkulöse Natur des Ascites bei Leber¬ 
cirrhose speziell bei Laöonec’scher Cirrhose. — Psychiatrie und 
Nervenkrankheiten: Stöcker, Balkenmangel im Gehirn. 


Diagnostik. 

A. Dienst - Leipzig: Ein einfaches Hifsmittel zur Differential- 
diagnose zwischen Ascites and schlaffen Ovarialcysten. (Münchener 
med. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Im Ascites ist stets Fibrinogen vor¬ 
handen, das durch konzentrierte Kochsalzlösung fällbar ist; im Cystom- 
inhalt fehlt Fibrinogen. Man braucht also nur die durch Punktion 


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13.Januar 1913. BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 71 


gewonnene Flüssigkeit auf Fibrinogen zu untersuchen, um zu wissen, ob 
Ascites oder Cystom vorliegt. Im ersteren Falle unterbleibt die Lapa- 
ratomie. Dünner. 


Parasitenkunde und Serologie. 

J. Kl ein-Bonn: Ueber die sogenannte Mutation und die Ver¬ 
änderlichkeit des Gärvermögens bei Bakterien. (Zeitschr. f. Hyg., 
1912, Bd. 73, H. 1, S. 87.) Man findet bei Stuhl- und Urinunter¬ 
suchungen oft Bakterien, die zunächst keinen Milchzucker zersetzen und 
in Traubenzucker auch kein Gas bilden. Von diesen erlangt ein Teil 
diese Fähigkeiten nach kurzer Berührung mit der Laktose im künst¬ 
lichen Nährboden wieder und muss als Colibacillen angesprocben werden. 
Es finden sich aber auch, allerdings seltener, Stämme, die als mutierende 
Arten aufzufassen sind, deren charakteristisches Merkmal die Knopf¬ 
bildung auf Milchzuckeragar ist. Schliesslich gelangen zwei wiederum 
anders geartete Stämme zur Beobachtung, die auch die Laktose nicht 
sofort zersetzen könneD, sondern auf einem flüssigen Nährboden mit 
0,5 pCt. Milchzucker dazu 3—4 Tage gebrauchen. Die Keime haben 
dann ihre Fähigkeit erworben und vererben sie bei steter Berührung 
mit Milchzucker weiter. Im Gegensatz zum ricbtungslosen und experi¬ 
mentell unbeeinflussbaren Auftreten der Mutanten bei Pflanzen lässt 
sich dies bei den Bakterien mit der Sicherheit einer chemischen Reak¬ 
tion durch Zusatz des entsprechenden Kohlehydrats zum Nährboden und 
nur dadurch erreichen. Die in Milchzucker Knöpfe bildenden Stämme 
wurden durch kein anderes Kohlehydrat dazu gebracht. 

Möllers. 

Sir A. E. Wright in Verbindung mit anderen: Ueber die Pharmako¬ 
therapie der Paeamokokkeninfektioneii. (Lancet, 14. u. 21. Dezember 
1912, Nr. 4659 u. 4660.) Nachprüfung der Versuche von Morgenroth 
mit Aethylhydrocupreinchlorhydrat an Tieren und Menschen. Das Mittel 
ist in Serum ebenso wirksam wie in Wasser gelöst und wirkt spezifisch 
auf Pneumokokkeu; auf Staphylokokken und Paratyphusbacillen nur 
ganz wenig. Bei Mäusen verhinderte das Mittel, vor der Pneumokokken- 
infektion gegeben, bei 90 pCt. deren Ausbruch, nach der Infektion ge¬ 
geben brachte es bei 50 pCt. Heilung. Beim gesunden Menschen erhält 
das Serum drei Stunden nach Eingabe von 0,5 g die Fähigkeit, Pneumo¬ 
kokken zu töten, ebenso bei Mäusen, nicht aber bei Kaninchen. Die 
opsonische Kraft des Serums wird durch Einverleibung des Mittels nicht 
verändert. Augenstörungen nach Gaben von 0,5—2,0 g innerlich oder 
subcutan sind auch von Wright beobachtet. Er hat aber keine Heil¬ 
wirkung bei Pneumonie beim Menschen konstatieren können, vielleicht, 
weil die im fibrinösen Exsudat fest eingebetteten Pneumokokken vom 
Mittel nicht so erreicht werden wie bei der septikämischen Form der 
Infektion bei Mäusen. Weydemann. 

P. Gei bei-Darmstadt: Ist das Tuberkulin für den gesunden Orga¬ 
nismus ungiftig? (Zeitschr. f. Hyg., 1912, Bd. 73, H. 1, S. 13.) Verf. 
kommt bei seinen Versuchen zu dem Schluss, dass es mit Hilfe der 
Landmann’schen Präparate (Tuberculol) möglich sei, die spezifische 
Giftwirkung des Tuberkulosegiftes dem gesunden Organismus gegenüber 
einwandfrei nachzuweisen. Referent hat sich durch die Ausführungen 
des Verf. nicht von der unbedingten Richtigkeit seiner Auffassung über¬ 
zeugen können, dass das Tuberkulin für den gesunden Organismus 
giftig sei. Möllers. 

E. Levy-Strassburg: Probleme der spezifischen Tuberkulose- 
bekuudlung. (Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 52.) Das Tier¬ 
experiment hat ergeben, dass ein bereits tuberkulös erkrankter Orga¬ 
nismus gegenüber einer Superinfektion mit Tuberkulose sich einer 
relativen Widerstandserhöhung erfreut. Die Superinfektion, sei es mit 
lebenden oder toten Bacillen, beeinflusst den tuberkulösen Prozess 
günstig, wenn nicht zu hohe Dosen angewendet werden. Dabei werden 
wahrscheinlich sehr wirksame Antistoffe im Körper hinterlassen. Zur 
Erzielung einer Immunität ist die Impfung mit lebenden Erregern ent¬ 
schieden die beste Methode, und zwar mit Stämmen, die entweder von 
Natur aus oder durch künstliche Maassnahmen nur noch minimale oder 
gar keine pathogene Eigenschaften besitzen. Dabei muss natürlich ge¬ 
wissenhaft kontrolliert werden, ob der betreffende Stamm nicht wieder 
virulent wird. Es wird jetzt vielfach behauptet, dass eine Vaccination 
mit toten Tuberkelbacillen bzw. deren Stoffwechselprodukten überhaupt 
nicht wirksam sei. Dem widerspricht jedoch die Tatsache, dass auch 
tote Bacillen bei ihrer Uebertragung typische histologische Verände¬ 
rungen hervorrufen. Allerdings bleiben dieselben lokal, ohne eine Allge¬ 
meininfektion nach sich zu ziehen. Durch chemisch indifferente Stoffe, 
wie Glycerin, Harnstoff, Zuckerarten usw., lässt sich jeder denkbare 
Grad von Abschwächung lebenden Materials erzielen. Für therapeutische 
Zwecke findet eine Einwirkung auf die Bacillen nur so lange statt, bis 
letztere in einer Menge von 2 mg Meerschweinchen nach intramusku¬ 
lärer und intraperitonealer Injektion nicht mehr tuberkulös erkranken 
lassen. Man muss sich stets vor Augen halten, dass die hervorgerufene 
Immunität nur eine temporäre ist. Die Einspritzungen müssten etwa 
alle 3—12 Monate wiederholt werden. Wolfsohn. 

R. P. v. CaIcar-Leiden: Ueber den Diploeocens pneimonUe und 
die Pithogenese der cronpösen Piennonie. (Zeitschr. f. Hyg., 1912, 
Bd. 73, H. 1, S. 79.) Die Bedeutung des Diplococcus pneumoniae liegt 
in der Tatsache, dass er weniger ein Bewohner des Inhalts der Mund¬ 
höhle, als ein obligater Parasit des Oberflächenepithels ist, dass er die 


Fähigkeit besitzt, aktiv bis in die Tiefen des Epithels durchzudringen, 
dass er direkt die Oberflächenschichten der Schleimhaut verlassen kann, 
um in die Blutbahn durchzudringen. Die Untersuchung des Inhalts der 
Mundhöhle lehrt, dass der Diploeocens pneumoniae namentlich dann 
einen hohen Grad von Virulenz besitzt, wenn er eigentlich abgesondert 
von den anderen Mikroorganismen auftritt, d. h. also, wenn er innerhalb 
der Epithelzellen eingeschlossen ist. Ueberdies geht dieser Mikroorga¬ 
nismus bei der Symbiose mit den anderen Mikroorganismen, wie dies 
bei der echten Aspirationspneumonie geschieht, infolge seiner grossen 
Labilität schnell zugrunde. 

W. Weiohardt und H. Stötter: Kurze Bemerkungen zu der 
Arbeit von Dr. A. Korff-Petersen und Dr. H. Brinkmann in der 
Zeitschr. f. Hyg., Bd. 72. (Zeitschr. f. Hyg., 1912, Bd. 73, H. 1, S. 182.) 

Korff-Petersen und Brinkmann-Berlin: Erwiderung auf vor¬ 
stehende „Kurze Bemerkungen“. (Zeitschr. f. Hyg., 1912, Bd. 73, H. 1, 
S. 184.) Polemik. Möllers. 

R. Oppenheimer-Frankfurt a. M.: Zur Frage des Tuberknlose- 
naehweises durch beschleunigten Tierversuch. (Münchener med. 
Wochenschr., 1912, Nr. 51.) 0. polemisiert gegen Esch, der behauptet, 
dass die Intracutanreaktion des mit dem tuberkuloseverdächtigen 
Material infizierten Tieres in früheren Stadien die Tuberkulose erkennen 
lasse als die von Oppenheimer angegebene intrahepatische Impfung, 
bei der man die Diagnose durch Sektionsbefund sichern kann. 

Dünner. 

Siehe auch Hals-, Nasen-und Ohrenkrankheiten: Mackin¬ 
tosh, Akuter Nasenkatarrb. — Haut- und Geschlechtskrankheiten: 
Sowade, Kultur der Spirochaete pallida. — Hygiene und Sanitäts¬ 
wesen: Bernhardt, Fleischvergiftungserreger. — Innere Medizin: 
Hübschmann, Gonokokkensepsis mit Endocarditis. — Chirurgie: 
Haim, Die appendiculäre Peritonitis vom bakteriologischen Standpunkt. 


Innere Medizin. 

R. von den Velden-Düsseldorf: Zur Wirkung der Radiumem&nation 
anf das Blut. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 108, H. 3 u. 4.) 
Wird ausserhalb des tierischen Organismus (in vitro) dem Blut Radium¬ 
emanation zugesetzt, so tritt bei Capillarblut eine deutliche Beschleuni¬ 
gung der Gerinnung ein; bei venösem Blut ist diese weniger deutlich. 
Die durch Inhalation, Injektion und Trinken zugeführte Radiumemanation 
ruft eine Verkürzung der Gerinnungszeit sowohl des capillaren wie auch 
des venösen Blutes hervor (bei extravasculärer Untersuchung). Es zeigt 
sich dabei keine Veränderung der Blutkonzentration. Die Menge der 
Trockensubstanz und des Fibrins bleibt annähernd gleich. Die an 
Normalen festgestellte Tatsache der beschleunigten Blutgerinnung nach 
Zufuhr von Radiumemanation gilt auch für die Hämophilie. 

Arneth - Münster: Ueber das Verhalten der eosinophilen Lenkt- 
eyten hei der cronpösen Lungenentzündung. (Deutsches Archiv f. klin. 
Med., Bd. 103, H. 3 u. 4.) Die eosinophilen Blutzellen verschwinden 
nicht immer bei der croupösen Pneumonie bis auf die letzte Zelle. Je 
schwerer der Fall, um so weniger Eosinophile im Blut. Am Tage nach 
der Krisis erscheinen sie meist wieder. Der Bedarf an Eosinophilen ist 
also während der Pneumonie im Körperhaushalt reduziert. Es ist anzu¬ 
nehmen, dass auch die Produktionsstätten im Mark ihre Tätigkeit ein¬ 
schränken. Einige postpneumonische Eosinophilien sind beobachtet 
worden. Die eosinophilen Zellen erscheinen bei ihrem ersten Wieder¬ 
erscheinen als überreif. Sie haben also durch den Pneumonieprozess 
keinerlei Schädigung erfahren. Sie haben andererseits zu dem Kampf 
gegen die Infektionserreger und zur Schutzstoffbildung keine Beziehung. 
Die Eosinophilie kann als biologische Reaktion nicht in Parallele zur 
Neutropbilie gesetzt werden. Die Umsetzungen innerhalb der Eosino¬ 
philen selbst sind im Gegensatz zu den gewaltigen Veränderungen der 
Neutrophilen ganz unbedeutend. Im Höhestadium der Pneumonie findet 
man enorme Schädigung der Neutrophilen mit Hyperleukocytose und 
selbst gleichzeitiger Hypoleukocytose, dagegen absolut normales, ja über¬ 
entwickeltes Blutbild bei den Eosinophilen und ihr nahezu völliges Ver¬ 
schwinden aus dem Blute. Nach Ablauf des akuten Stadiums der Pneu¬ 
monie, also nach der Krisis, gehen die Neutrophilen an Zahl zurück, 
während die Eosinophilen sich jetzt vermehren. G. Eisner. 

Austregesilo - Rio de Janeiro: Pneumonie in Ri« de Jaaeiro und 
Pneomococciae bastardae. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 76, H. 5 u. 6.) 
Nach den Erfahrungen des Verf. kommt auch in Brasilien, was früher 
bestritten wurde, eine gewöhnliche croupöse Pneumonie vor, wenn auch 
selten. Ihr klinisches Bild gleicht völlig dem, wie es in anderen 
Ländern beobachtet wird. Viel häufiger dagegen sind abortive und 
Bastardformen. Bei den abortiven Formen hat das Sputum nicht die 
charakteristischen Merkmale des echt pneumonischen, und die physikali¬ 
schen Zeichen sind nicht ausgesprochen. Oft fehlen überhaupt physi¬ 
kalische Symptome von seiten der Lungen. Immerhin gleicht in diesen 
Fällen noch der Auswurf dem der echten Pneumonien. Bei den Bastard¬ 
formen hat nicht einmal mehr der Auswurf charakteristische Beschaffen¬ 
heit. Häufig sind Komplikationen von seiten der Pleura. Der Verlauf 
ist ein schleppender, nicht mit einer Krise endender. Sehr eingehend 
bespricht Verf. das Krankheitsbild der pulmonalen Kongestion, das 
namentlich von französischen Autoren beschrieben worden ist. Der 
Pneumococcus setzt in diesen Fällen nach A. keine gewöhnliche Er- 

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72 


Nr. 2. 


BERLINER KLINISCHE WOn^ENSCIlRIlT. 


krankung, sondern verursacht Kongestion und Entzündung mit und ohne 
Befallensein der Pleura. H. Hirschfeld. 

W. C. Ly ons - Bradford: Eine neue Form des Taberknlins. (Lancet, 
7. Dezember 1912, Nr. 4658.) Bei den cutanen Tuberkulinproben 
reagieren mit dem alten Tuberkulin Personen positiv, die augenschein¬ 
lich gesund sind. Vielleicht enthält das alte Tuberkulin einen hautreizenden 
Stoff. Der Verf. fällte 10 ccm Tuberkulin mit 60 ccm Alkohol. Die 
vom Niederschlag abgegossene Flüssigkeit wurde wieder mit Alkohol ge¬ 
fällt und filtriert. Beide Niederschläge wurden in 10 ccm Wasser ge¬ 
löst, wieder gefällt und filtriert. Beide Filtrate wurden vereinigt und 
bei 56° auf 10 ccm eingedampft. Eine Lösung der Niederschläge, in 
die Haut gespritzt, verursachte bei 92 pCt. aller Individuen eine Haut¬ 
reaktion; die eingedampften Filtrate taten dies nur bei sicher Tuberku¬ 
lösen. Die Hautreaktion entstand nach 12—18 Stunden, hatte bei 
frischen Fällen 2—3 cm Durchmesser, ohne scharfe Ränder; bei älteren 
Fällen war sie nur halb so gross und hatte scharfe Ränder, bei noch 
weiter vorgeschrittenen Fällen war sie undeutlicher oder gar nicht mehr 
wahrzunehmen. Die Reaktion dauerte in frischen Fällen 3—4, in älteren 
1—2 Tage. Auch bei der therapeutischen Anwendung dieses neuen 
Tuberkulins reagierten die Patienten weniger heftig als mit dem alten 
Mittel. Die Anlangsdosis war 0,001 ccm; jeden zweiten Tag wurde um 
0,0002—0,001 ccm gestiegen. Wey de mann. 

A. Weber - Giessen: Ueber die Dikrotie des Pulses. (Deutsches 
Archiv f. klin. Med., Bd. 108, H. 3 u. 4.) Es wird von Versuchen an 
Tieren über die Dikrotie des Pulses berichtet. Als Resultat ergab sich: 

1. Verschwinden der Dikrotie nach Unterbindung der peripheren Arterien. 

2. Wiederauftreten der Dikrotie, wenn man nach Unterbindung der 

Arterien die Blutdrucksteigerung beseitigt. 3. Verschwinden der Dikrotie 
unter dem Einfluss des Suprarenins. Verf. glaubt, dass das Auftreten 
der Dikrotie von der Dehnbarkeit der Arterien abhängig ist. Je starrer 
die Gefässwände sind, um so weniger kann es zur Dikrotie kommen. Er 
sieht ferner in den Eigenschwingungen der Gefässwände die wesentliche 
Ursache für die Entstehung der Dikrotie, jedoch nur bei mittlerem und 
hohem Blutdruck, bei dem in der Regel Eigenschwingungen besonders 
deutlich auftreten. G. Eisner. 

Straschesko: Zur Frage des diastolischen Herzstosses, des 
diastolischen accidentellen Tones und des Dikrotismas des Pulses bei 
Insuffizienz der Aortenklappen. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 76, H. 5 
u. 6.) Die Symptome der beginnenden Insuffizienz des Herzmuskels bei 
Aortenklappeniusulfizienz sind bisher wenig beachtet worden. Nach Verf. 
ist der diastolische Herzstoss und der diastolische accidentelle Ton 
Zeichen einer beginnenden Dekompensation bei Aorteninsuffizienz, und 
es wird der Mechanismus dieser Erscheinungen geschildert. In dem Auf¬ 
treten einer dikrotischen Welle an der Pulskurve bei der Aorten¬ 
insuffizienz sieht Verf. kein pathognomonisches Zeichen für eine gleich¬ 
zeitige Erkrankung einer anderen Klappe. Ihren Grund sieht Verf. in 
der während des Dekompensationsstadiums bei Aorteninsuffizienz beob¬ 
achteten schnellen Dehnung der Wände des linken Ventrikels im Beginn 
der Diastole. H. Hirschfeld. 

Huebschmann - Leipzig: Ueber Gonokokkensepsis mit Eodo- 
carditis. (Zeitschr. f. Hygiene, 1912, Bd. 73, H. 1, S. 1.) Bericht 
über einen Fall von Gonokokkensepsis, der sechs Wochen nach einer 
normal verlaufenen Geburt plötzlich unter den Erscheinungen einer Gehirn¬ 
embolie zum Exitus kam. Während intra vitam die Blutkulturen trotz 
mehrfacher Versuche steril blieben, gelang eine Kultur der Gonokokken 
aus dem Leichenblut. Möllers. 

H. Hohlweg - Giessen: Störungen der Salzsänreabscheidang des 
Magens bei Erkrankungen und nach Exstirpation der Gallenblase. 
(Deutsches Archiv f. klio. Med., Bd. 108, H. 3 u. 4.) In einer grossen 
Mehrzahl von Fällen wurde bei Cholecystektomierten nach Einnahme des 
Ewald-Boas’schen Probefrühstücks im ausgeheberten Mageninhalt ein 
Salzsäuredefizit oder wenigstens subnormale Werte für freie HCl ge¬ 
funden. Es ist anzunehmen, dass der Ausfall der Gallenblase die Ur¬ 
sache für den Salzsäuremangel im Magen bildet. Bei Cysticusverschluss 
und Schrumpfung der Gallenblase war ebenfalls in 84 pCt. Salzsäure¬ 
defizit, in 14 pCt. Verminderung der freien Salzsäure zu finden. Un¬ 
gefähr das gleiche Resultat zeigte sich bei 16 Fällen von Cholecystitis 
ohne Verschluss des Ductus cysticus. Im Tierexperiment (Exstirpation 
der Gallenblase bei Hunden) wurde ebenfalls ein HCl-Delizit bzw. starke 
Verminderung der Salzsäureabscheidung im Magen gegen vorher fest¬ 
gestellt. Das Fehlen der freien HCl im Mageninhalt verdient also als 
Symptom von Gallenblasenerkrankungen praktisch eine entschiedene Be¬ 
achtung und kann vielfach auch diagnostisch wertvoll sein. 

R. Roubitsohek - Karlsbad: Alimentäre Galaktosarie bei experi¬ 
menteller Phosphorvergiftnng. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 108, 
H. 3 u. 4.) Verf. prüfte die Toleranz gegen zugeführte Galaktose bei 
experimentell erzeugten Parenchymschädigungen der Leber (Phosphor¬ 
vergiftung) von Kaninchen. Es ergab sich in allen Fällen eine Erhöhung 
der Galaktoseausscheidung durch den Urin. 

E. Reiss und W. Jehn-Frankfurt a. M.: Alimentäre Galaktosnrie 
bei Leberkrankheiten. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 108, H. 3 
u. 4.) Im klinischen Teil der Arbeit berichten die Verfasser über Stoff¬ 
wechselversuche mit Galaktose bei den verschiedensten Lebererkrankungen. 
Während bei Normalen 40 g nüchtern eingeführte Galaktose ganz oder 
bis auf geringe Mengen verarbeitet werden, zeigen manche Leber¬ 
erkrankungen dabei ein anderes Verhalten. Bei Icterus catarrhalis z. B. 


wird ein grosser Teil der eingeführten Galaktose wieder im Urin aus¬ 
geschieden. Näheres ist in der Arbeit selbst nachzulesen. Differential¬ 
diagnostisch ergibt sich aus den Versuchen etwa folgendes: Starke ali¬ 
mentäre Galaktosurie spricht mit gewissen Einschränkungen (s. Arbeit) 
für Icterus catarrhalis. Mittelstarke Galaktosurie scheint bei den meisten 
Lebererkrankungen verkommen zu können. Sie fehlt bei Carcinom, un¬ 
komplizierter Cbolelithiasis und Stauungsleber. Normale Toleranz für 
Galaktose spricht gegen Icterus catarrhalis. Im experimentellen Teil der 
Arbeit wird über Versuche an Hunden berichtet. Als Resultat ist zu 
bemerken, dass die grobmechanische Gallenstauung (Unterbindung und 
Durchschneidung des Ductus choledochus), die nicht zu tiefer greifenden 
Läsionen des Leberparenchyms führt, die Toleranz gegen Galaktose nicht 
beeinflusst. G. Eisner. 

Or lowski - Kasan: Zum klinischen Studium der Trypsinabsoiie- 
raogsfähigkeit des Pankreas. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 76, H. 5 
u. 6.) Zum Studium der Trypsinabsonderung des Paukreas gibt es zwei 
neuere Methoden. Boldyrew lässt den Kranken nüchtern 75—80 g 
2proz. Oleinsäurelüsuug in Olivenöl nehmen, lässt nach 1 —1‘/ 2 Stunden 
den Mageninhalt auspressen und untersucht hierin die Trypsinwirkung. 
Müller lässt erst den unteren Darmabschnitt durch Klysmen reinigen, 
gibt 150 g Fleisch und 150 g Kartoffelpüree und eine Stunde später 
ein starkes Abführmittel. Mit einigen Tropfen des danach entleerten 
Stuhls untersucht Müller auf Trypsin auf der Serumplatte. Beide 
Methoden hat Orlowsky studiert uud hält sie beide für brauchbar. 
Doch benutzt er zur Trypsiubestimmung die Gross’sche Methode. Man 
darf sich bei negativem Resultat nicht mit einer einzelnen Untersuchung 
begnügen. Auch kann die Kotuntersuchung negativ und die Magensaft- 
uutersuchung positiv ausfallen. H. Hirschfeld. 

G. Lang - Petersburg: Ueber den arterielle! Brack bei der Cholera 
asiatica und seine Veränderungen unter dem Einfluss grosser Kochsalz¬ 
infusionen. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 108, H. 3 u. 4.) Im 
Stadium algidurn der asiatischen Cholera fällt im Durchschnitt der 
mittlere Blutdruck nicht, weil, während der maximale fällt, der minimale 
gleichzeitig steigt. Der Pulsdruck ist also stark vermindert. In schwersten 
Fällen steigt aber der Minimaldruck nicht nur nicht, sondern er fällt 
sogar. Dann sinkt auch der mittlere Druck. Die Ursache der Blut- 
druckvermiuderung ist die Verkleinerung des Gesamtblutvolumens durch 
Wasserverlust und consecutiver Gelässkontraktion. Mit einer Kochsalz- 
infusiou von 2 l ist das normale Gesarntblutvoluraen wieder erreicht und 
der Wasserverlust des Blutes und der Gewebe ersetzt. Die Blutdruck¬ 
werte sind dabei annähernd normal. Wird mehr infundiert als der 
Organismus an Flüssigkeit verloren hat, so erfolgt Ueberlüllung des 
Kreislaufes und Steigen der Blutdruckwerte über die Norm, da die Ge- 
fässe sich nicht genügend erweitern. Die Pulsfrequenz nimmt zu. ln 
den dem Stadium algidurn folgenden Tagen ist oft auch ohne Cholera- 
typhoid eine Blutdrucksteigerung zu beobachten. Für das Choleratyphoid 
ist sie die Regel. Im Stadium algidurn sollen 2, höchstens 3 1 infundiert 
werden unter Beobachtung des Blutdrucks. Die Druckmessung gibt 
über die zu infundierende Menge Flüssigkeit Aufschluss. Bei Ueber- 
schreitung der Menge wird dem Herzen die zu leistende Arbeit ver- 
grössert und erschwert. 

F. Conzen-Cöln: Ueber NierenfanktioaspröfaBg. (Deutsches 
Archiv f. klin. Med., Bd. 108, H. 3 u. 4.) Verf. fasst seine Resultate 
folgendermaassen zusammen: 1. Die mit der Schlayer’schen Funktions¬ 
prüfung der Nieren erhobenen Befunde stimmen bezüglich der zur Nach¬ 
prüfung verwendeten Fälle von genuiner Schrumpfniere in der Haupt¬ 
sache mit den Resultaten Schlayer’s überein. 2. Bei einem Fall von 
Sublimatvergiltuug ergaben die Methoden ausser der Tubulischädigung 
auch eine funktiouelle Erkrankung der Glomeruli. 3. Die Funktions¬ 
prüfungen erleichtern sowohl die Diagnose Nephritis als auch die Er¬ 
kennung des anatomischen Sitzes der Erkrankung. 4. Als eine weitere 
Stütze der Diagnose sind folgende Punkte zu verwerten: Die aut Koch¬ 
salzzulage erfolgende Verstärkung der Eiweissausscheidung und der 
Wasserretentiou uud Verschlimmerung des Krankheitszustandes findet 
sich nur bei echter Nephritis (und bei schwerer Stauungsniere). Ein 
Parallelismus zwischen Acidität und Albumenmenge sowie eine Beein- 
flussbarkeit der letzteren durch Natrium bicarbonicum findet sich nur 
bei frischer Erkrankung der Nieren und dann, wenn die Erkrankung 
herdförmigen Charakter hat, insbesondere aber bei Albuminurien, während 
alle übrigen Formen der Nephritis jede Abhängigkeit der Eiweissmenge 
vom Säuregrad des Urins vermissen lassen. 

Kj. 0. af K lercker - Lund: Beitrag zur Lehre von der Pentosarie 
auf Grundlage von Untersuchungen an zwei Fällen. (Deutsches Archiv 
f. klin. Med., Bd. 108, H, 3 u. 4.) Verf. beschreibt zwei Fälle von 
Pentosurie bei zwei Brüdern. Die Pentose des einen Falles ist mit 
grosser Wahrscheinlichkeit als l-Arabinose zu bezeichnen, die des anderen 
ein Gemisch der 1- und d-Komponente mit der 1-Komponente im Ueber- 
schuss. Offenbar können bei Pentosurie beide Spiegelbildisomeren in 
untereinander wechselnden Proportionen abgesondert werden. Die über¬ 
wiegende Komponente ist für das optische Verhalten ausschlaggebend. 
Die Quelle der Pentosenbildung im Organismus ist noch nicht sicher 
bekannt. Die in den Nucleoproteiden des eigenen Organismus ge¬ 
bundenen Organpentosen sind aber nicht ohne weiteres auszusehliessen. 
Hunger und Unterernährung bedingen eine Verminderung der Pentosen- 
ausscheidung. Die Parallelität zwischen der stündlichen Pentosen- und 
Gesamt-N-Ausscheidung deutet auf einen Zusammenhang mit dem Ei¬ 
weissumsatz hin. Ein Einfluss der Kohlehydrate der Nahrung auf die 


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UNIVERSUM OF IOWA 



13. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


73 


Pentosurie besteht wahrscheinlich nicht. Ob ein Zusammenhang der 
Pentosurie mit dem Diabetes mellitus vorhanden ist, lässt sich noch 
nicht bestimmt sagen, ist aber recht wohl möglich. 0. Eisner. 

K. Vorpahl-Lübeck: Spiroehätenbefund im Urin bei Nephritis 
chrwaica. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 51.) V. fand in 
einem Fall von Nephritis syphilitica Spirochäten im Urin. Eine anti¬ 
luetische Kur brachte Heilung. Der Fall zeigt, dass luetische Nephritis 
mit Quecksilber behandelt werden muss. Dünner. 

G. Roque und V. Cor di er: Die tnberkulöse Natur des Ascites 
bei Lebereirrhasen, speziell bei Laennec’scher Cirrhose. (Revue de 
med., 1912, Nr. 12, Fortsetzung und Schluss.) Auf Grund ausgedehnter 
klinischer Studien kommen die Verfasser zu folgenden Schlüssen: 
1. Jeder Ascites im Verlauf einer Laennec’schen Cirrhose ist tuberku¬ 
löser Natur. 2. Der tuberkulöse Ursprung muss selbst dort behauptet 
werden, wo weder klinisch noch anatomisch irgendwelche Merkmale für 
eine tuberkulöse Peritonitis, so wie sie früher beschrieben wurden, vor¬ 
handen sind. A. Münzer. 

C. Klieneberger - Zittau: Allgeuieiniafektion durch Bacillus pyo- 
cjraaeug. (Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 52.) Rasch vor¬ 
übergehende septische Erscheinungen nach mehrfachen Schüttelfrösten. 
Im Blute Reinkulturen von Bacillus pyocyaneus. Keine nennenswerte 
Agglutininproduktion (1 : 40). Die Allgemeininfektion kam wahrschein¬ 
lich im Anschluss an eine aufsteigende Harninfektion zustande. 

Saar-Berlin: Erfahrungen mit Melubrin bei akutem Gelenk- 
rheimalismiis. (Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 52.) Melubrin 
wirkt bei akutem Gelenkrheumatismus meist recht prompt auf die 
Gelenkschwellungen, Schmerzen und Fieber ein. Seine Anwendung wird 
besonders für salicylrefraktäre Fälle empfohlen (Dosis ca. 4—6 g pro die). 

A. Fau ser - Stuttgart: Einige Uutersuchungsergebnisse und klinische 
Ausblicke auf Grund der Abderhalden’schen Anschauungen und 
Methodik. (Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 52.) In Verfolgung 
der Abderhalden’schen Ideen und Methoden hatF. das Dialysierverfahren 
zum Nachweis von Schutzfermenten gegen bestimmte nicht abgebaute 
Gewebe bei einer Anzahl von Erkrankungen des Nervensystems und der 
inneren Sekretion angewandt. Zwar werden durch das Dialysierverfahren 
nur solche Fermente nacbgewiesen, die auf unabgebautes Eiweiss ein¬ 
gestellt sind (während die optische Methode auch einen unvollständigen 
Abbau nachweist). Dennoch kam F. bei seinen Untersuchungen zu recht 
interessanten Resultaten. Bei 5 Basedowkranken fand er im Serum Ab¬ 
baufermente für Schilddrüse (ein Fall von akuter schwerer Psychose gab 
auch mit Hirnrinde einen positiven Ausfall). 7 Fälle von Dementia 
praecox reagierten mit Hirn positiv, 4 negativ. Die 5 männlichen 
Patienten dieser Gruppe gaben auch mit Testikel ein positives Resultat. 
Alle Fälle von Lues und Metalues (11) reagierten mit Centralnerven¬ 
system positiv. Es ist vielleicht denkbar, dass das Schutzferment einer¬ 
seits wieder einen fermentativen Abbau des betreffenden Gewebes ver¬ 
sucht, und dass letzteres darauf mit bestimmten Abwehrmaassregeln 
antwortet, die sich unter anderem histologisch als Lymphocyten- 
infiltration, Gliawucherung usw. kennzeichnen. Reicht diese Abwehr 
nicht aus, so könnte man sich vorstellen, dass immer wieder neues Ge¬ 
webe als blutfremdes Material in den Kreislauf dringt und daselbst 
die Produktion der Schutzfermente wieder verstärkt. Mit dieser Vor¬ 
stellung könnte z. B. der progressive Charakter der Gehirn- und Rücken¬ 
marksparalyse und ihre Nichtbeeinflussbarkeit durch die übliche The¬ 
rapie erklärt werden. 

E. Erlenmeyer - Freiburg i. B.: Das Blutbild bei Poeken und 
lapfpoekeu. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Bei zwei 
Pockenfällen fand E. das von Kämmerer beschriebene Blutbild, be¬ 
stehend in Leukocytose, relative Verminderung der Neutrophilen und 
Vermehrung der Lymphocyten. Ein Fall von Variolois zeigte schon am 
dritten Krankheitstage das für Variola typische Bild. Durch die Re- 
vaccination wird das Blutbild nicht beeinflusst, wie die Untersuchung 
von vier gesunden Schulkindern vor und nach der Impfung zeigte. 

Wolfsohn. 

Siehe auch Parasitenkunde und Serologie: Wright, Phar¬ 
makotherapie der Pneumokokkeninfektion. — Chirurgie: Persch, Be¬ 
handlung der Lungentuberkulose mit Pneumothorax. — Psychiatrie 
und Nervenkrankheiten: Kastan, Der Adrenalingehalt des Blutes 
bei Psychosen. Lenel, Rückenmarksdegeneration bei perniciöser An¬ 
ämie. — Röntgenologie: Weil, Lungentumoren mit ungewöhnlichem 
Befund. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

C. Besta-Padua: Ueber die cerebro-cerebellaren Bahnen. Ex¬ 
perimentelle Untersuchungen. (Archiv f. Psych., Bd. 50, H. 2.) Angabe 
der angewandten Technik. Der Pedunculus cerebri enthält ausschliess¬ 
lich aus der Rinde kommende Fasern, die sich weiterhin zum grössten 
Teil kreuzen. Im Brachium pontis besteht ein beträchtlicher eerebello- 
fugaler Anteil, der zur entgegengesetzten Seite zieht. Es existiert wahr¬ 
scheinlich eine durch das Brachium conjunctivum zur entgegengesetzten 
Seite ziehende cerebello-thalamo-corticale Bahn. Die cerebello-rubro- 
corticale Bahn ist sehr zweifelhaft. 

W. Stock er-Breslau: Ueber Balkennangel im menschlichen Gehirn. 
(Archiv f. Psych., Bd. 50, H. 2.) Es handelte sich um eine juvenile 


Paralyse. Statt des Balkens fand sich ein ausgedehntes Längsfaser¬ 
system neben anderen Abweichungen (Fehlen des Septum pellucidum, 
Getrenntbleiben der Fornixschenkel, Abweichung des Windungs- und 
Furchenverlaufs). Die konstante Regelmässigkeit, mit der sich das 
„Balkenlängsbüudel“ in allen Fällen von Balkenmangel findet, spricht 
gegen die Annahme einer reinen Heterotopie und dafür, dass es sich um 
etwas Präformiertes handelt. Die Längsfasern treten nur gewöhnlich 
gegenüber den mächtigen Kommissurenfasern zurück; im Falle der Ver¬ 
hinderung des Durchbruchs des Quersystems gestalten sie sich vikari¬ 
ierend zu einem grossen Längssystem aus. Zweig. 

P. Rauschburg - Budapest: Die Gedächtnisschwäche (Mnem- 
asthenie) und ihre Behandlung. (Deutsche med. Wochenschr., 1912, 
Nr. 51 u. 52.) Klinischer Vortrag. Wolfsohn. 

M. Kastan-Rostock (jetzt Königsberg i. Pr.): Der Adrenalingehalt 
des Blutes bei einigen Psychosen. (Archiv f. Psych., Bd. 50, H. 2.) 
Untersucht wurde mittels der Läwen-Trendelenburg’schen Methode. Von 
den 17 Irabecillen und Idioten wiesen 11 eine erhebliche Herabsetzung 
des Adrenalingehalts im Blutplasma auf, wodurch sich eine früh er¬ 
worbene Imbecillität oder Idiotie von einer präformierten vielleicht wird 
unterscheiden lassen. Bei 5 senilen Psychosen hat sich eine Ueber- 
funktion der Nebennieren im Sinne der Kräpelin’schen Vermutung nicht 
nachweisen lassen. Zweig. 

L. Benedek und St. Deak - Klausenburg: Unterschiede zwischen 
dem Blutserum bei Paralyse und Dementia praecox in bezug auf die 
Auslösung von Immunhämolysinen. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 1.) Die Verff. haben Kaninchen mit dem Serum von Patienten mit 
Paralyse und Dementia praecox intraperitoneal mehrfach geimpft. Sie 
untersuchten dann das Kaninchenimmunserum in bezug auf seine hämo¬ 
lytische Kraft. Resultate: Die Hämolyse der mit Paralytikerserum er¬ 
zielten Immunsera ist am geringsten gegenüber paralytischen roten Blut¬ 
körperchen; bei Vorbehandlung mit Serum von Dementia praecox ist die 
hämolytische Kraft des Immunserums am stärksten. Die übrigen, einzelne 
Details betreffenden Resultate müssen in der Originalarbeit nachgelesen 
werden. Wolfsohn. 

0. Pförtner-Göttingen: Die weissen Blutkörperchen beim Jugend¬ 
irresein. (Archiv f. Psych., Bd. 50, H. 2.) Bei den gewöhnlichen 
Formen des Jugendirreseins handelt es sich lediglich um eine qualitative 
Verschiebung der einzelnen Leukocytenarten (Verminderung der neutro¬ 
philen Leukocyten, Vermehrung der mononucleären und eosinophilen 
Zellen). Es gibt aber auch Fälle mit Hyperleukocytose. P. beschreibt 
zwei derartige. Klinisch bestand schwere delirante Verwirrtheit. Beim 
Jugendirresein handelt es sich um eine Alteration vorwiegend des 
myeloiden Gewebssystems durch noch unbekannte Toxine. Zweig. 

E. Meyer-Königsberg: Zur Frage des künstlichen Abortes bei 
psychischen Störnugen. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 51.) 
Der künstliche Abort kommt fast nur bei den relativ seltenen schweren 
Formen der Depression der Psychopathen in Betracht, aber auch nur 
dann, wenn die klinische Beobachtung gezeigt hat, dass der weitere 
Verlauf der Gravidität die Gefahr einer dauernden Psychose mit sich 
bringt. 

Für er-Eberbach: Zur Frage der sogenannten AbstinenudeHrien der 
chronischen Alkobolisten. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 51.) 
Auch in den schwersten Fällen von chronischem Alkoholismus muss in 
erster Linie der Alkohol sofort vollständig entzogen werden. Es ist nicht 
erwiesen, dass dadurch die sogenannten Abstinenzerscheinungen entstehen. 

Dünner. 

H. Nimier und A. Nimier: Bemerkung über einige symptomatische 
Erscheinungen der peripheren Facialislähmnng. (Rev. de med., 1912, 
Nr. 12.) Die beiden Autoren machen auf einige noch wenig bekannte 
Symptome der Facialislähmung aufmerksam, die teilweise im subjektiven 
Empfinden der Patienten liegen, teilweise objektiven Charakters sind. 
Die ersteren beziehen sich auf Störungen der Gehörsempfindung, die 
letzteren auf die mangelhafte Funktion des M. orbicularis palpebr., 
exakter auf den Mangel an Synergie zwischen den Bewegungen des 
Augenlides und des Augapfels. A. Münzer. 

Ra ecke-Frankfurt a.M.: Die Frühsymptome der arteriosklerotischen 
Gehirnerkrankung. (Referat, erstattet auf der 37. Versammlung Süd¬ 
deutscher Neurologen und Irrenärzte am 8. Juni 1912 in Baden-Baden.) 
(Archiv f. Psych., Bd. 50, H. 2.) In den meisten Fällen von Arterio¬ 
sklerose Zusammenwirken von Disposition und erworbener Schädigung. 
Wesentlich in der ersten Phase die vasomotorische Leistungsunfähigkeit 
des Gefässapparates, die bei neuen Schädlichkeiten, besonders An¬ 
strengungen, manifestiert wird. Sehr regelmässig Schlafstörungen im 
Initialstadium, Parästhesien, Kopfschmerz, Schwindel. Frühsymptora ist 
auch mitunter eine Sprachverlangsamung und undeutliche Aussprache. 
Unsicherheit der Fingerbewegungen, daher oft früh Schriftveränderung. 
Psychisch subjektives lnsuffizienzgefühl hinsichtlich des Sicherinnerns, 
Erschwerung der Konzentration. Auf affektivem Gebiet ist es in erster 
Linie die grosse Reizbarkeit und Rührseligkeit, andererseits egocentrische 
Einengung des Gefühlslebens. Hysterische, neurasthenische und hypo¬ 
chondrische Zustände, die erst im späteren Leben hervortreten, müssen 
zur Untersuchung auf Arteriosklerose veranlassen. Psychosen vorwiegend 
depressive Färbung. In dieser Richtung gibt es pathognomonische 
Symptome für Arteriosklerose. 

E. Siemerling-Kiel: Gliosis spinalis und Syriigomyelie. Starke 
Beteiligung des Halsmarkes mit Zerstörung der Hinterstränge bei er- 


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Nr. 2. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


74 


haltener Pupillenreaktion. Gliastift am Boden des 4. Ventrikels. (Archiv 
f. Psych., Bd. 50, H. 2.) In der Anamnese Trauma gegen rechten Arm 
und Schulter und Quetschung des Daumens, danach ziehende Schmerzen 
und Schwäche in dieser Extremität, später Analgesie, ein Jahr nach 
dem Unfall Schwäche im anderen Arm. Verschlimmerung des Leidens 
durch den Unfall wird angenommen, da auch schon vor demselben 
ziehende, die Erwerbsfähigkeit nicht beeinträchtigende Schmerzen be¬ 
standen hatten. Der anatomische Befund in den peripheren Nerven 
spricht gegen die Annahme einer asceudierendcn Neuritis. Im Liquor 
Xanthochromie, vermehrter Eibringehalt und vermehrte Leukocyto.se 
(Frouin’schesSymptom). Würdigung dieses Liquorbefundes in diagnostischer 
Hinsicht aus der Kasuistik der Literatur. 

R. 0. Lenel - Freiburg i. Br.: Rückenmarksdegenerationen bei 
pernieiöser Anämie. (Archiv f. Psych., Bd. 50, H. 2.) Klinisch bestand 
neben der pernieiösen Anämie Ataxie der oberen und der unteren Ex¬ 
tremitäten, Fehlen des Bauchdeckenreflexes, spastische Parese der unteren 
Extremitäten, Sensibilitätsstörungen an den Beinen. Anatomisch waren 
die Hinter- und Seitensträuge vor allem verändert. Inmitten der cireura- 
scripten Herde befand sich stets ein Gefäss. Die Gefässwandveräuderuugen 
spielen für die Entstehung der Degenerationen keine Rolle; die Ad- 
ventitiaquellung ist vielmehr selbst nur ein Glied in der Kette der 
Abbauvorgänge. Der Zerfall des Rückenmarkparenchyras hat mitunter 
Sklerose zur Folge. Zweig. 

0. Foerster - Breslau: Die analytische Methode der kompensato¬ 
rischen Uebangsbehandlnng bei der Tabes dorsalis. (Deutsche med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Klinischer Vortrag. Wolfsohn. 

Siehe auch Chirurgie: di Gaspero und Streissler, Operativ 
geheilte Kleinhirn-Gliacyste. Malkwitz, Tutalluxation der Halswirbel¬ 
säule ohne Erscheinungen von seiten des Rückenmarks. 


Kinderheilkunde. 

A. Beläk - Budapest: Ueber die diagnostische Bedeutung der 
Dtfhle’schen Leukocyteneinschliisse. (Deutsche med. Wochenschr., 1912, 
Nr. 52.) Die Döhle’schen Leukocyteneinschlüsse kommen ausser bei 
Scharlach auch bei anderen Krankheiten vor und sind daher für die 
Scharlachdiagnose nicht zu verwerten. Nur der negative Befund ist 
wichtig. Er spricht sehr gegen Scharlach, da in frischen Fällen die 
Einschlüsse stets vorhanden sind. Wolfsohn. 

Siehe auch Chirurgie: Gebhardt, Akute Knochen-und Gelenk¬ 
entzündungen im Säuglingsalter. — Röntgenologie: Alvens und 
Husler, Röntgenuntersuchungen des Kindermagens. 


Chirurgie. 

H. Schmerz: Lokaler Tetanus. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 
1912, Bd. 81.) Ein leichtes Ziehen im Wundgebiete, fibrilläre Zuckungen, 
unbedeutendes Steifigkeitsgefühl sind die Zeichen des lokalen Starr¬ 
krampfes, der oft übersehen wird. Vielleicht beginnt jeder Tetanus 
zuerst lokal. Verf. teilt unter anderem einen sehr interessanten Fall 
Yon lokalem Tetanus im Kopfgebiet mit. 

H. Helm: Unsere Lumbalanästhesie, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. 
Chir., 1912, Bd. 81.) Verf. beschreibt die geübte Technik von Tuffier 
nebst Instrumentarium nach Wittek. Bei 1419 Fällen waren 105 Miss¬ 
erfolge zu verzeichnen, davon 29 unvollständige Anästhesien. Drei 
Todesfälle in Anschluss an die Punktion batten eine andere Ursache. 
Niemals trat schwerer Collaps auf, der künstliche Atmung notwendig 
gemacht hätte. Postoperative Störungen wurden beobachtet: Erbrechen 
(sehr selten), Kopfschmerzen (20 pCt.), Fieber (30 pCt.) Meningitis sechs 
Fälle, davon ein Exitus. Seitdem die Technik dahin geändert wurde, 
dass unter Lokalanästhesie ein kleiner Hautschnitt gemacht wird, dass 
weiters die Sterilisationsdauer des Instrumentariums erhöht wurde 
(110°, 30 Min.), trat eine bedeutende Abnahme aller Beschwerden ein. 

W. V. Simon. 

H. Braun - Zwickau: Die Anwendung der Lokalanästhesie zur 
Reposition snbeutaner Fraktnren nnd Lnxationen. (Deutsche med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Vortrag in der Zwickauer medizinischen 
Gesellschaft am 5. November 1912. Wolfsohn. 

H. Finsterer: Lokalanästhesie bei Magenoperationen (Gastro¬ 
enterostomien, Resektionen), (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, 
Bd. 81.) Etwa 50 Fälle, deren Resultate ein weiteres Vordringen der 
Lokalanästhesie auch auf dem Gebiet der Magenchirurgie erwarten lassen. 
Die Lokalanästhesie erlaubt, nach der Ansicht des Verf., eine erweiterte 
Indikationsstellung der Operation, vermeidet den Collaps und die post¬ 
operativen Beschwerden und setzt die Zahl und vor allem die Schwere 
der Lungenkomplikationen (im Gegensatz zu der Ansicht früherer Autoren) 
herab. W. V. Simon. 

Bericht des Ausschusses der britischen medizinischen Gesellschaft 
über die Behandlung einfacher Knochenbrüche. (Brit. med. journ., 
30. November 1912, Nr. 2709.) Die sehr umfangreiche, mit vielen 
Tabellen ausgestattete Arbeit kommt zu folgenden Schlüssen: Die un¬ 
blutige Behandlung gebrochener langer Röhrenknochen zeigt bei Kindern 
unter 15 Jahren ebenso gute Resultate wie die operative, ausgenommen 
bei Brüchen beider Vorderarmknochen. Die Erfolge der unblutigen Be¬ 


handlung bei Erwachsenen sind nicht befriedigend: je alter der Patient, 
desto schlechter das Resultat, lu allen Altersklassen über 15 Jahren 
sind die Erfolge der operativen Behandlung besser. Wenn auch bei 
mangelhaftem anatomischen ein gutes funktionelles Resultat erzielt 
werden kann, so ist doch nur die Behandlung als Methode der Wahl 
anzusehen, die das beste anatomische Resultat verspricht, denn nur sie 
gibt Beweise für eine gute Funktion. Nur die Operationsmethoden sind 
berechtigt, die die Bruchstücke sicher befestigen; Naht ist nur erlaubt 
bei Olecranonbrüchen. Es soll möglichst bald operiert werden, nicht 
erst dann, wenn die konservative Behandlung versagt bat; es darf aber 
nur jemand operieren, der die Technik völlig beherrscht. Die meisten 
Feh Resultate der operativen Behandlung kommen infolge von Wund¬ 
infektionen, die auch bei der besten Technik Vorkommen können. Die 
Mortalität durch die Operationsbehandlung selbst ist so gering, dass sie 
davon nicht abhalten darf. Für Aerzte, die die operative Behandlung 
nicht auwenden küuneu, bleibt die alte konservative zunächst noch die 
bessere. Weydcmann. 

F. Ascher: Ueber die mit dem Osteoklasten behandelten, schlecht 
geheilten Frakturen der Grazer chirurgischen Klinik 1903—1912. 
(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Verf. kommt zu dem 
Schluss, dass die Osteoklase der schlecht geheilten Frakturen bei 
richtiger Auswahl der Fälle den Anforderungen der modernen Chirurgie 
entspricht, womit aber durchaus nicht dem Vorzüge des Osteoklasten 
vor Meissei und Knochennaht das Wort gesprochen werden soll, wo die 
Wahl zwischen beiden frei steht. Die Gefahr der schweren Fettembolie 
bei der Osteoklase ist eine sehr geringe. In der Nähe abgelaufener in¬ 
fektiöser Prozesse wird man die Osteoklase nicht anwendeu. 

K. Mulley: Ueber Frakturen des Radinsküpfchens. (v. Brun’s 
Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Eingehende Besprechung dieser 
Frakturart au Hand von 6 Fällen der chirurgischen Klinik in Graz. 

H. Pegger: Zur Diagnose der isolierten Abrissfraktur den 
Trochanter minor. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Das 
Ludloff’sche Symptom wurde erst am 12. Tage positiv. Wichtig für die 
Diagnose scheint zu sein, dass dem Kranken, selbst als er schon gehen 
konnte, das Stehen auf dem verletzten Bein unmöglich war. 

W. V. Simon. 

B. Malkwitz: Totalluxationen der Halswirbelsäule ohne Er¬ 
scheinungen von seiten des Rückenmarks. (Archiv f. Orthop., Mechano- 
therapie u. Unfallchir., 1912, Bd. 11, H. 4.) Neun Fälle. Subjektiv be¬ 
standen durchgängig Steifigkeit und Schmerzen im Bereich der Halsgegend, 
objektiv eine Bewegungsbeschrhnkung des Kopfes und eine ge¬ 
zwungene Kopfhaltung mit Streckung des Halses nach vorne und 
Beugung des Kopfes nach hinten. Stärkere Dislokation wird oft ver¬ 
misst, so dass die Diagnose der Luxation nur mittels des Röntgenbildes 
gestellt werden kann. Die Schmerzen sind als Wurzelsymptom — Zer¬ 
rung der hinteren Wurzeln — zu deuten. In der Gutachtertätigkeit 
werden analoge Fälle oft verkannt. 

H. Mohr: Exostosis tibiae mit Spontanfraktnr der Exostose. 

(Archiv f. Orthop, Mechanotherapie u. Unfallchir., 1912, Bd. 11, H. 4.) 
Bei einem IG jährigen jungen Manne fand sich eine beiderseitige Exostose 
der Tibia. Vor 2 Monaten entstanden plötzlich, ohne äussere Ursache, 
heftige Schmerzen am linken Unterschenkel. Das Röntgenbild ergab 
eine Spontaufraktur der Exostose mit Dislokation der Brucbenden. An- 
führuug der Literatur und Hinweis auf die Schwierigkeiten der Diffe- 
rcntialdiaguose gegenüber freien Exostosen in Schleimbeuteln. 

Gramer: Ein blutig operativ mobilisiertes Kniegelenk. (Archiv 
f. Orthop., Mechanotherapie u. Unfallchir., 1912, Bd. 11, H. 4.) Bei 
einer 25 jährigen Frau, die vor 7 Jahren an Gelenkrheumatismus er- 
kraukt war, und die eine doppelseitige Kniegelenksversteifung davon¬ 
getragen hatte, wurde durch eine zweimalige Fascientransplantation 
mit Nachbehandlung nach Thilo eine gute Beweglichkeit erzielt. 

Cramer-Cöln: Ein Fall von angeborener Scbnlterversteifnng bei 
partiellem Infantilismus. (Archiv f. Orthop., Mechanotherapie u. Unfall¬ 
chirurgie, 1912, Bd. 11, H. 4.) Bei einem 50jährigen, sonst gesunden 
Arbeiter fand sich ein abnorm kleiner Thorax mit Hochstand der rechten 
Scapula bei links konvexer Dorsalskoliose und Muskeldefekten im Bereich 
des Cucullaris, Latissimus dorsi, Triceps und Deltoideus. Weiterhin 
fehlte der rechte Oberarmkopf bei kaum ausgebildeter Cavitas glenoidalis 
und fast völliger Versteifung des Gelenkes. 

Chrisospathes: Zwei Fälle von gegengleieher Madel nng’seher 
Deformität. (Archiv f. Orthop., Mechanotherapie u. Unfallchir., 1912, 
Bd. 11, H. 4.) Bei einer 38 jährigen Bäuerin und ebenso bei einem 
18 jährigen Manne fand sich eine Madeluug’sche Deformität beider Hände, 
die nach dem Dorsura zu verschoben waren. Im Gegensatz zu den 
bisher beschriebenen analogen Fällen (Kirmisson, de Witt-Stetten, 
Gaudier) war die Hand gleichzeitig radialwärts abgelenkt. Auslösendes 
Moment war ein stärkeres Trauma, das zur Deformierung des unteren 
Radiusendes und nachfolgender Luxation der Ulna führte. Als ursäch¬ 
liches Moment betrachtet der Verf. eine der Rachitis analoge Knochen¬ 
erkrankung. 

W. Böcker: Ueber eine seltene Spätkomplikation nach unblutig 
eingerenkter angeborener Hüftverrenkung. (Archiv f. Orthop., Mechano¬ 
therapie u. Unfallchir., 1912, Bd. 11, H. 4.) Bei einem 7 jährigen Kinde 
trat 5 Jahre nach einer unblutig eingerenkten Hüftluxation willkürliche 
Reluxation mit C’oxa vara ein. Der antevertierte Schenkelkopf war in 


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13. Jannar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 75 


der Leistenbeuge deutlich zu fühlen. Heilung durch sechswöchige Fixation 
im Streckgipsverband mit nachfolgender Massage und Gymnastik. 

M. Strauss. 

E. Glass-Berlin: Ueber die Dauerresultate von Meniscnsexstir- 
pationen bei Menioensverletxnngen. (Archiv f. klin. Chir., 1912, Bd. 99, 
H. 4, S. 1099.) Die Nachuntersuchung von 11 Fällen der chirurgischen 
Klinik der Charite, welche durchschnittlich 7—8 Jahre nach der Operation 
vorgenommen wurde, ergab in etwa 2 / s der Fälle Heilung, in Vs Störungen, 
welche auf Veränderungen durch Arthritis deformans zurückzuführen 
sind, und zum Teil schon vor der Operation bestanden. Verf. tritt für 
die Operation der Meniscusexstirpation ein. F. Härtel. 

Wolff-Danzig: Entwicklnngskrankheiten and traumatische Affek¬ 
tionen der Wirbelsfiale. (Archiv f. Orthop., Mechanother. u. Unfallchir., 
1912, Bd. 11, H. 4.) Verf. weist darauf hin, dass der Entstehungs¬ 
mechanismus der habituellen Skoliose und der Kyphoskoliose wesentlich 
komplizierter ist als die Genese der Skoliosen und Kyphosen nach 
traumatischen Affektionen der Wirbelsäule. Letztere betreffen meist nur 
einen kurzen Abschnitt der Wirbelsäule, während erstere sich über einen 
langen Bogen derselben ausdehnen. Die Unterscheidung ist für die Gut¬ 
achtertätigkeit von wesentlicher Bedeutung. M. Strauss. 

G. R. Strong - Magor: Acht Fälle von Osteomyelitis der Wirbel¬ 
saale. (Lancet, 7. Dezember 1912, Nr. 4658.) Krankengeschichten und 
Sektionsberichte. Die Krankheit ist vielleicht nicht so selten, als an¬ 
genommen wird. Sie wird am ersten mit der Pott’schen Kyphose ver¬ 
wechselt und gegen diese Verwechslung kann nur eine mit allen Hilfs¬ 
mitteln angestellte Differentialdiagnose schützen. Weydemann. 

Th. Gebhardt: Zur Kenntnis der aknten Knochen- and Gelenk¬ 
entzündungen im Sfiaglings&lter. (Arch f. Orthop., Mechanotherapie u. 
Unfallchir., 1912, Bd. 11, H. 4.) Hinweis auf die von Drehmann be¬ 
schriebenen, für die Praxis recht bedeutungsvollen akuten Knochen- und 
Gelenkentzündungen der Säuglinge, die meist das Hüftgelenk betreffen 
und unter geringen lokalen Erscheinungen gewöhnlich zu einem Spontan¬ 
durchbruch des Eiters führen. Die Heilung erfolgt unter starker Form¬ 
veränderung mit geringer Versteifung des Gelenks. Eine Unterscheidung 
der Erkrankung von der akuten Osteomyelitis ist zur Zeit nicht möglich. 
Anführung von acht Fällen. 

H. Nebel: Zwanzig Jahre Erfahrungen mit Dr. Gustav Zander’s 

medico-mechauischen (d. h. vom Arzte geleiteter, durch Apparate ver¬ 
mittelter) Heilgymnastik. (Archiv f. Orthop., Mechanotherapie u. Unfall¬ 
chirurgie, 1912, Bd. 11, H. 4.) Weitere eingehende Darstellung der 
Vorteile der richtig geleiteten Zanderkur für die Behandlung der Gicht 
und des Diabetes. Nebel betont hierbei die Notwendigkeit der Behand¬ 
lung des ganzen Körpers und die gleichzeitige psychische Beeinflussung 
durch die Anlage eines grossen, luftigen Zandersaales mit dem Ausblick 
ins Freie. M. Strauss. 

M. Lieber: Die Verbrennungen und ihre Behandlung, (v. Bruns’ 
Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Verf. geht zunächst näher auf die 
Frage der Toxinentstehung bei Verbrennungen ein; das sehr oft und in 
typischer Art auftretende Fieber ist nicht durch Infektion der Brand¬ 
wunden, sondern durch die fiebererregende Wirkung des Verbrennungs¬ 
giftes zu erklären. Bezüglich der Lebensgefahr infolge der Verbrennung 
als solche macht Verf. folgende Einteilung: 1. infolge von Shock (inner¬ 
halb der ersten 24 Stunden), 2. infolge von Sekundärinfektion (jeder¬ 
zeit möglich), 3. infolge der Vergiftung (nur innerhalb der ersten 
6 Tage). Die Therapie muss lokal und allgemein (möglichst schnelle 
Ausscheidung des Giftes) sein. Verf. warnt vor Jodoform, Wismut, 
Wasserbett, Morphium. Dagegen hat er sehr gute Resultate mit An- 
ästhesinpulver und Novojodin (Hexamethylentetramindijodid) gesehen, 
das sehr viele Vorteile habe. Bei der Allgemeinbehandlung sind Koch¬ 
salzinfusionen oder -Klysmen, Coffein, Campher, Digalen und reichliche 
Flüssigkeitszufuhr zu empfehlen. W. V. Simon. 

K. E. Veit-Halle a. S.: Behandlung des äusseren Milzbrandes. 
(Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 51.) Die v. Braraann’sche 
Klinik verfährt konservativ. Verband mit grauer Salbe auf die Karbunkel 
unter Ruhigstellung und Suspension der betreffenen Abschnitte. Ex- 
citantien. Dünner. 

H. Schmerz: Die operativ behandelten Herzverletznngen der 
Grazer chirurgischen Klinik. Ein Beitrag znr Herzchirurgie, (v. Bruns’ 
Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Mitteilung von 5 Fällen. Bei nur 
einigermaassen begründetem Verdacht auf eine bestehende Herzverletzung 
soll operiert werden. Wo reine Verhältnisse vorliegen, ist der primäre 
Pericard-Pleuraverschluss zu bevorzugen, bei beginnender oder bestehender 
Eiterung wird drainiert. Am Ende geht Verf. noch auf die zwischen 
dem Herztrauma und dem Reizleitungssystem bestehenden Beziehungen ein. 

H. Schmerz: Die Röntgenradiotherapie der chirurgischen Tnber- 
kllose. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Von 41 Fällen 
der Grazer Klinik wurden 46 pCt. geheilt, 39 pCt. gebessert und 9,7 pCt. 
nicht gebessert. Stark fistulöse, reichlich secernierende Fälle sind für die 
R-mtgentherapie nicht geeignet. Neben der Röntgenbehandlung muss 
eine energische Lokal- (Jodoformglycerin, Novojodin u. ä.) und Allgemein¬ 
behandlung stattfinden. Gleichzeitig bestehende Lungentuberkulose 
bildet keine Koutraindikation für die Radiotherapie. Die Iselin’schen 
Dauerbestrahlungen können durch wiederholte kürzere ersetzt werden. 
Fungöse Wucherungen stellen kein Heilungshindernis dar. Zum Schluss 
streift Verf. noch die Frage, auf welche Weise der Heilungsprozess unter 
der Röntgenbestrahlung zustande kommt. 


R. Persch: Kritischer Beitrag zur Behandlung der Lungentuber¬ 
kulose mittels künstlichem Pneumothorax, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. 
Chir., 1912, Bd. 81.) Verf. gibt der Stichmethode (Forlanini) gegen¬ 
über der Brauer’schen Schnittmethode den Vorzug, da bei Anwendung 
des Wassermanometers die Gefahr einer Gasembolie nicht vorhanden ist 
und die Sticbmethode daher ebenso sicher und einfacher ist als diese 
und mindestens ebenso gute Erfolge gebe. Eine allmähliche Lungen¬ 
kompression mit kleinen wiederholten N-Dosen verdient den Vorzug vor 
der allzu raschen Kompression durch seltene und grosse N-Dosen. Verf. 
weist unter anderem weiter auf die Wichtigkeit des Befundes der 
relativ gesunderen Lunge bei der Indikationsstellung hin, da der 
Pneumothorax eine erhebliche Belastung für die andere Lunge bedeutet. 
Weitere Einzelheiten sind im Original nachzulesen. 

G. Lotbeissen: Ueber Lebertnberknlose und deren chirurgische 
Behandlung, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Eine Ueber- 
sicht über dieses von den Chirurgen bisher wenig beachtete Leiden, das 
teils in Form von Knoten, teils in der des Abscesses auftritt. Unter 
47 Fällen (2 eigene) wurde meist die Diagnose erst bei der Obduktion 
gestellt; 15 wurden operiert, 10 wurden durch die Operation geheilt, 
5 starben an der auch in anderen Organen ausgebreiteten Tuberkulose. 
Ist daher die Diagnose gestellt, die leider noch sehr schwierig ist, so 
soll chirurgische Therapie eingeleitet werden. 

Nils Hellström: Zur Spontanheilung der aknten eitrigen 
Hepatitis naeh Appendicitis. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., Bd. 80, 
H. 3.) Verf. macht darauf aufmerksam, dass auch eine Selbstheilung 
durch Resorption der Entzündungsprodukte nach dem Absterben des 
Virus wirklich vorkomme, eine Tatsache, die bisher zu wenig beachtet 
sei und der eine nioht ganz unwesentliche klinische Bedeutung zu¬ 
komme. W. V. Simon. 

W. Hering - Klettwitz: Perirenales Hfimatom nach Scharlach. 

(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Während der Scharlach- 
rekonvaleszeuz entstand bei einem 7jährigen Kinde ein subakut ein¬ 
setzender paralytischer Ileus mit Anschwellung des linken Hodens und 
Samenstranges. Es wurde die Incarceration eines Netzzipfels vermutet. 
Die Operation zeigte ein grosses retroperitoneales Hämatom, welches 
drainiert wurde (uachdem eine Inzision in der Bruchpfortengegend und 
mediane Laparotomie ergebnislos waren!). Tod an Peritonitis. Der 
Ausgangspunkt des Hämatoms konnte nicht ermittelt werden. Die 
Nieren waren intakt. Wolfsobn. 

Fr. Stüsser: Ueber die primären epithelialen Neubildungen des 
Nierenbeckens, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 80, H. 3.) 
Zusammenstellung der in der Literatur bisher publizierten Fälle und 
Mitteilung eines eigenen. Hervorgehoben mag werden, dass Verf. das 
Vorkommen von gutartigen Papillomen im Gegensatz zu Pels- 
Leusden und de Josseling de Jong annimmt, wenn er auch an¬ 
erkennt, dass diese Neubildungen wegen ihrer ausgesprochenen Neigung 
bösartig zu werden, eine eigenartige Stellung in der Pathologie ein¬ 
nehmen. 

H. Finsterer: Zur Kenntnis der Gleitbriicke des Diekdarmes. 
(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Mitteilung dreier eigener 
Beobachtungen von Gleitbrüchen (ein Fall von Schaukelbruch des Colon 
ascendens; Heilung nach Resektion des Coecums und Iteocolostomie; 
ein Fall von incarceriertem Gleitbruch bei einem 6 Monate alten Knaben 
und eine Appendicocele bei einem 8jährigen Knaben). Verf. schlägt 
vor, künftighin die Gleitbrüche mit teilweisem Bruchsacke in zwei 
Gruppen zu teilen, je nachdem der Bruchsack grösser oder kleiner ist 
als der vorliegende Dickdarm. Dann werden die verschiedenen Darm- 
absehnitte als Inhalt besprochen (Coecum, Flexura sigmoidea, unterstes 
Ileum, Appendix) und für letzteren den fünf Fällen der Literatur eine 
eigene Beobachtung hinzugefügt. Bei Besprechung des Entstehungs- 
mechaoismus für Gleitbrüche wird auf die seltene Form der Schaukel¬ 
brüche verwiesen (dazu eine eigene Beobachtung). Die Einklemmung 
eines Gleitbruches, besonders bei Kindern, ist selten (eigene Beobachtung). 
Bei der Therapie ist das wichtigste, eine Verletzung des Dickdarmes zu 
vermeiden (Eröffnung des Bruchsackes immer an der medialen Seite), die 
vollständige Ablösung des Bruchsackes hat zu unterbleiben. Bei Ver 
letzung des Darmes kann die primäre Resektion notwendig werden. 

H. Finsterer: Chronischer Cirenlns vitiosus nach Gastroentero¬ 
stomie mit Einklemmung von Dtinndarmschlingen im Mesocolonschlitz, 
(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Mitteilung eines vom 
Verf. in der Hochenegg’schen Klinik beobachteten und operierten Falles 
von chronischem Circulus vitiosus infolge zu langer Schlingen (auswärts 
operiert) und gleichzeitiger Einklemmung von Dünndarrasehliogen im 
offen gebliebenen Mesocolonschlitze. Die verschiedenen Ursachen der 
Passagenstörung Dach Gastroenterostomien werden besprochen und dabei 
der wahre Circulus vitiosus von dem falschen, durch die akute Magen¬ 
dilatation hervorgerufenen streng geschieden. Schliesslich werden noch 
die wenigen (5) Fälle von Einklemmung von Dünndarmscblingen im 
Mesocolonschlitze aus der Literatur zusammengestellt. 

H. Finsterer: Ueber doppelten Darmversehlnss (Kombiuations- 
ileus). (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Der von Ilochen- 
egg unter dem Begriff Korabinationsileus zusamraengefasste doppelte 
Darmverschluss wird auf Grund von 6 eigenen und 21 Literaturfällcn 
einer eingehenden Schilderung unterzogen. Einleitend wird auf die Be¬ 
ziehung desselben zur Scheineinklemmung (Clairmont) verwiesen. 
Nach Erweiterung des Begriffes werden die Fälle in zwei Hauptgruppen 


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UMIVERSITY OF IOWA 



BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 2. 


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eingeteilt: 1. Primärer Darmverschluss durch anfangs chronische Stenose 
(Kombinationsileus nach Hochenegg). 2. Akuter primärer Darmver¬ 
schluss, entweder durch Einklemmung in eine Hernie oder als innere 
Incarceration. Es folgt eine eingehende Besprechung der Aetiologic und 
des Entstehungsmechanismus sowie der wichtigsten Symptome. Die Pro¬ 
gnose ist eine schlechte, weil meist bei der Operation nur der eine 
Darmverschluss beseitigt, während der andere übersehen wird. Einzel¬ 
heiten sind im Original nachzulesen. 

M. Hofmann: Entstehung von Stenosen an Stelle der Schnür- 
fnrchen nach Reposition eingeklemmter Dünn dann schlingen. (v. Bruns' 
Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Makroskopische und mikroskpische 
Untersuchung eines Falles, in dem sich nach Incarceration an der ab¬ 
oralen Schnürfurche des Darms eine Narbenstenose entwickelt hatte, 
die nach 29 Jahren schliesslich wegen wiederholter Ueusattacken zur 
Resektion geführt hatte. Die histologische Untersuchung ergab, dass für 
das Zustandekommen der Stenosen offenbar der gleiche Entstehungs¬ 
modus anzunehmen sei, wie für die kanalförmigen Stenosen, die sich aus 
der schwer geschädigten incarcerierten Schlinge selbst entwickeln, und 
dass die Annahme einer äusseren oder peritonealen Narbenstriktur des 
Darms am besten endgültig fallen gelassen wird. 

V. St. John: Versehliessimg eiiier Brochpforte einer Hernia 

parasacralis postoperativa durch Myoplastik. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. 
Chir., 1912, Bd. 81.) Zum erfolgreichen Verschluss der nach para- 
sacraler Eröffnung eines Douglasabscesses entstandenen Hernie benutzte 
v. Hacker im Anschluss an die experimentellen Erfahrungen der Hilde- 
brand’schen Klinik den in seinem oberen Drittel durchtrennten langen 
Kopf des Biceps femoris mit Erhaltung der von oben in ihn eintretenden 
Nerven und Gefässe. W. V. Simon. 

E. Haim-Budweis: Die appendicnläre Peritonitis vom bakterio¬ 
logischen Standpunkte. (Archiv f. klin. Chir., 1912, Bd. 99, H. 4, S. 1067.) 
Die Appendicitis ist gewöhnlich Folge einer Mischinfektion. Bei den 
selteneren Fällen, in denen aus dem Exsudat der Bauchhöhle einheitliche 
Erreger gezüchtet werden können, sogenannte Monoinfektionen, sind zwei 
Typen zu unterscheiden, welche auch klinisch voneinander getrennt 
werden können: 1. Die durch Bakterien des Magendarmkanals er¬ 
zeugte Form: Bacterium coli, anaerobe Bakterien; schwere lokale Ver¬ 
änderungen am Wurmfortsatz, relativ leichte peritoneale und allgemeine 
Erscheinungen. 2. Die durch von aussen kommende Erreger, Strepto¬ 
kokken oder Pneumokokken verursachte Appendicitis: Am Wurmfortsatz 
geringe Veränderungen, frühzeitiges Durchwandern durch die intakte 
Darmwand zur Bauchhöhle, diffuse Peritonitis, schwere Allgemein¬ 
erscheinung und Prognose. Zur Entstehung des Typus 1 ist eine 
Virulenzsteigerung erforderlich, wie sie gewöhnlich durch mechanische 
Verhältnisse (Sekretstauung) verursacht wird. F. Härtel. 

H. Finsterer: Ueber Harnblasenbrüehe. (v. Bruns’ Beitr. z. 
klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Mitteilung dreier selbst beobachteter und 
operierter Fälle, von denen der eine zu der seltenen Form der ein¬ 
geklemmten extraperitonealen Blasenhernie gehört. Im Anschluss daran 
werden die Fälle von Blasenhernien mit Ausschluss der „operativen 
Blasenhernien“ gesammelt (48) und die Aetiologie und Symptomatik 
kurz besprochen. Bei der Diagnose wird betont, dass wenigstens intra 
operationem die Blase erkannt werden sollte, um eine Verletzung zu ver¬ 
meiden oder wenigstens die Blasen wunde sofort zu versorgen, da hiervon 
die Prognose wesentlich abhängt. Zur Vermeidung einer Blasen¬ 
verletzung bei der sogenannten „operativen Blasenhernie“ wird empfohlen, 
bei weiter Bruchpforte, besonders bei den direkten Hernien statt der 
Bruchsackligatur die Tabaksbeutelnaht anzuwenden. W. V. Simon. 

W. Neu mann - Heidelberg: Zur Operation sehr grosser, mit kom¬ 
pletter Kieferspalte einhergehender Hasenscharten. (Deutche med. 
Wochenschr., 1912, Nr. 52.) Die Vereinigung der Weichteile wird durch 
die zu grosse Breite des gespaltenen Oberkiefers sehr erschwert. N. hat 
ein klammerartiges Instrument konstruiert, das durch seitliche Kom¬ 
pression den Kiefer verschmälert und die Weichteile dadurch entspannt. 
Die Klammer bleibt 3—4 Tage lang liegen. Die Weichteilnaht ist dann 
stets gut entspannt und gesichert. Nachteile für die Entwicklung des 
Kiefers werden durch das Verfahren nicht hervorgerufen. 

Wolfsohn. 

M. Hof mann: Die quere Pharyngotomie über dem Znngenbein, 
insbesondere als Voroperation zur Entfernung von Tumoren des Nasen¬ 
rachenraumes. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Be¬ 
schreibung zweier weiterer Fälle der vom Verf. seinerzeit zu diesem Zweck 
empfohlenen Operation. Besondere Betonung der Vor- und Nachteile 
dieser Methode, die gestattet, ohne Blutung in ausgiebiger Weise an 
Tumoren der Schädelbasis heranzukommen. W. V. Simon. 

A. Denker-Halle a. S.: Zur Technik und Verwendbarkeit der Inter- 
cricothyreotomie. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Denker 
empfiehlt das Verfahren von Botey, mit einem zweischneidigen Messer 
das Ligamentum conicum transversal zu durchschneiden und dann eine 
Kanüle unter Führung des Mandrins einzuführen. Durch Leichenversuche 
wurde festgestellt, dass bei Inzision direkt am oberen Rande des Ring¬ 
knorpels Nebenverletzungen nicht in Betracht kommen. Für alle Fälle, 
in denen eine temporäre Eröffnung der Luftwege erforderlich ist und die 
perorale Tubage nicht ausgeführt werden kann, ist das Botey’sche Ver¬ 
fahren nach Denker indiziert, weiterhin besonders auch bei dringendster 
Lebensgefahr. Wolfs ohn. 


0. M. Chiari: Ueber einen Fall von C&rotisdrftsevUunor. (v. Brun’s 
Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Kasuistische Mitteilung mit ausführ¬ 
lichen Literaturangaben und Betonung der Wichtigkeit der exakten Dia¬ 
gnose in derartigen Fällen. 

H. di Gaspero und E. Streissler: Neurologische und chirurgische 
Mitteilungen über eine operativ geheilte Kleinhirn-Clliacyste. (v. Bruns’ 
Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Inhalt im Titel enthalten. Zu¬ 
sammenstellung der bisher operierten Fälle. 

J. Zipper: FetttransplailtatiOB. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 
1912, Bd. 81.) Besprechung der Methodik und der Erfolge der Fett- 
transplantation, die besonders in der kosmetischen Chirurgie bei ihrer 
leichten Technik und den guten Erfolgen sehr viel leistet und den 
Paraffininjektionen bedeutend überlegen ist. 

G. Lotheissen: Ueber Behandlung mit Novojodinpaste. (v. Bruns* 
Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Um die in der Literatur schon 
ziemlich zahlreichen Wismutvergiftungen bei Injektionen nach E. G. Beck 
zu vermeiden, hat L. Novojodin (Hexametbylentetramindijodid) verwendet 
und berichtet über seine Erfahrungen im Laufe von 15 Monaten. Von 
55 Kranken wurden 28 geheilt (50,9 pCt ). Es handelte sich um chro¬ 
nische Eiterungen, darunter 29 tuberkulöse. Hier wurden nur 34,5 pCt. 
geheilt. Da niemals Störungen beobachtet wurden, wird dieser ungiftige 
Ersatz bei der Pastenbehandlung empfohlen. 

E. Streissler: Die operative Behandlung der Donglasabseesse. 
(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Die Eröffnung von oben 
her wird nur für die Abscesse reserviert sein, die bis zur vorderen 
Bauchwand reichen. Bei Frauen ist die vaginale Methode am besten; 
die perineale Methode ist bei Männern leistungsfähig, aber technisch 
nicht ganz leicht. Die ischiorectale Methode schätzt Verfasser 
nicht, dagegen ist die parasacrale Methode, besonders bei hoch¬ 
sitzenden Abscessen und bei periproktalen Phlegmonen, empfehlenswert. 
Am meisten empfiehlt Str. jedoch die coccygeale Methode, die alle 
Vorzüge der parasacralen Methode hat, dabei aber die Bandmassen des 
Kreuz- und Steissbeines schont und so Hernienbildung vermeidet. Den 
rectalen Weg will Str. nur bei grossen, tiefliegenden, deutlich 
fluktuierenden Abscessen, die nahe vor dem Durchbruch stehen, an¬ 
gewandt wissen, nie bei hochsitzenden Abscessen mit dicken Wänden, 
Infiltrationen und Adhäsionen im Douglas. W. V. Simon. 

Siehe auch Anatomie: Keith: Die funktionelle Natur des Blind¬ 
darms und des Wurmfortsatzes. — Röntgenologie: Burchard, 
Chondromatöse, fibröse und cystische Degeneration der Knochen. Klar, 
Defekt der Fibula. 


Röntgenologie. 

v. Lorentz-Stettin: Ein neuer Rontgenantersachniigstiseh für 
trochoskopische Durchleuchtungen, Aufnahmen mit Kompressionsblenden 
und Bestrahlungen. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 51.) 

Dünner. 

G. Hartung: Die Heydenfolie. (Fortschr. auf d. Geb. d. Röntgen¬ 
strahlen, Bd. 19, H. 3.) Hartung empfiehlt eine neue Folie, welche 
die chemische Fabrik von Heyden, Radebeul-Dresden, herstellt. Die 
Folie soll alle bisher in den Handel gebrachten in den Schatten stellen, 
da ihre Expositionszeit ganz erheblich kürzer genommen zu werden 
braucht. (Dass die Radiologiefolie gerade zu Vergleichsobjekten gewählt 
wurde, lässt die Lobeserhebungen des Autors in etwas schwächerem 
Lichte erstrahlen. Ref.). Die Folie ist abwaschbar und deswegen auch 
auf lange Zeit verwertbar. Zu der Folie wird eine neukonstruierte 
Kassette geliefert, welche praktischer sein soll als die bisherigen 
Kassetten. 

G. v. Goureritsch: Ueber das Kartoffelmehldekokt als Vehikel 
für kontrastbildende Mittel in der Röntgenuntersuchung des Verdauungs¬ 
kanals. (Fortschr. auf d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 3.) G. 
hat in folgender Weise einen Wismut - Kartoffelmehldekokt bereitet: 
Um einen halben Liter einer halbflüssigen Masse herzustellen, nimmt 
man: Kartoffelmehl 15,0 bis 20,0, Milch ein Teeglas, offizinellen 
Mandelsirup 50,0, kohlensauren Wismut 50,0, mischt alles gut zusammen, 
bis eine gleichmässige Suspension entsteht und giesst es rasch unter 
Umrühren in eine gleiche Menge kochendes Wasser. Nun lässt man 
nochmals unter ständigem Umrühren die Flüssigkeit etwas aufkoeben 
und kocht noch etwa 1 bis 2 Minuten. Die mit dieser Masse gewonnenen 
Bilder zeichnen sich durch besondere Tiefe der Schatten aus. Die 
Kranken nehmen das Kontrastmittel gern. Besondere wertvolle Resultate 
ergab die Einführung des flüssigen Wismut-Kartoffelmehldekokts bei der 
Untersuchung des Dickdarms per rectum. Die Flüssigkeit reizt die 
Schleimhaut fast gar nicht. Selbst sehr ängstliche Personen konnten 
die Einführung grösserer Mengen vertragen. Stuhlgang trat nicht sofort 
auf und konnte l / 2 bis 2‘/ 2 Stunden unterdrückt werden. 

Christen: Das Lastkonto der Sabouraad-Pastille. (Fortschr. auf 
d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 2.) Christen fasst die Ergebnisse 
seiner sorgfältigen Untersuchungen über die Sabourand’scben Messungen 
in Röntgenstrahlen in folgenden Sätzen zusammen: Unter Intensität der 
Röntgenstrahlung hat man die in der Zeiteinheit auf die Flächeneinheit 
entworfenen Röntgenenergiemengen nicht verstanden. Die Flächenenergie 
ist diejenige Stnüilungsenergiemenge, welche während einer gegebenen 
Bestrahlungszeit auf die Flächeneinheit trifft. Die Dosis einer Röntgen¬ 
strahlung auf eine dünne Schicht ist nicht nur der Flächenenergie pro- 


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UNIVERSUM OF IOWA 




13. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCH ENSCH RI ET. 


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portional, sondern gleichzeitig der Halbwertsschioht der Strahlung in 
dem betreffenden Medium umgekehrt proportional. Dementsprechend ist 
die Wirkung auf die Sabourand-Pastille nicht ein Maass für die Flächen¬ 
energie, sondern für den Quotienten aus der Fläcbenenergie in der 
Halb wertsschicht der Strahlung mit Barium-Platin- Zyanür. Die Sabou¬ 
rand-Pastille eignet sich daher zu Messungen für Fiächenenergien oder 
Intensitäten nur dann, wenn man den Härtegrad konstant hält. Bei 
Versuchen, welche irgendwelchen Einfluss der Aenderung bervorrufen 
sollen, kann die Sabourand-Pastille keinen Aufschluss geben, es sei 
denn, dass man den Zusammenhang der Halbwertsschicht mit destil¬ 
liertem Wasser einerseits und dem Barium-Platin-Zyanür andererseits 
in Rechnung ziehe. Bei gleicher Sabourand-Dosis ist die Fläcbenenergie 
der härteren Strahlung grösser als diejenige der weicheren. Trotzdem 
ist bei gleicher Sabourand-Dosis die Wirkung auf die Haut bei der 
härteren Strahlung die geringere, während die Zunahme an Flächen¬ 
energie überkompensiert wird durch die Abnahme an Absorptionsfähigkeit 
der Haut. 

F. Becker: Zur Frage der Frfihreaktion. (Fortschr. auf d. Geb. 
d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 2.) Becker rührt von neuem die Frage 
auf, welcher von den bisher angestrebten Theorien über die Frühreaktion 
am meisten Geltung zukommt. Er hat darüber eigene Untersuchungen 
gemacht, sowohl mit der Gundelach-Röhre wie mit der Müller-Lindemann- 
Rohre. Die Versuche zeigen übereinstimmend mit den Beobachtungen 
der Praxis, dass in einer verhältnismässig nicht geringen Zahl von 
Fällen das Früherythem ausbleiben kann, und dass der Bezeichnung 
«Frühreaktion“ noch des Ungeklärten genug anhaftet. Eine grössere 
Anzahl von Mitteilungen über Fälle von Frühreaktion wird uns viel¬ 
leicht in den Stand setzen, die aus den positiv erfolgten Ergebnissen 
gezogenen Schlüsse ergänzend zu modifizieren, damit wir über Wesen 
und Ursache der Frühreaktiou ein klareres Bild erhalten. 

H. E. Schmidt: Die Anwendung filtrierter Strahlen in der 
Röntgentherapie. (Fortschr. auf d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 2.) 
Schmidt wendet bei Tiefenbestrahlungen Filter an, um einmal die in 
dem Strahlengemisch enthaltenen überflüssigen Härtestrahlen abzufangen 
und ausserdem günstigere Bedingungen für die Tiefenverteilung der 
Strahlen zu schaffen. Das zweckmässigste Filtermaterial scheint das 
Aluminium zu sein, das gewöhnlich in einer Dicke von 1 mm Anwen¬ 
dung findet. Prüfungen, die Schmidt angestellt hat, ergaben, dass 
das Filter an sich keineswegs eine erfolgreiche Strahlung gewährleistet, 
sondern dass der Härtegrad der Strahlung vor dem Filter dabei eine 
grosse Rolle spielt. Ist bei der Tiefenstrahlung die Anwendung eines 
Filters unbedingt notwendig, so ist auch für die Oberflächenbestrahlung 
die Anwendung häufig nützlich. 

H. E. Schmidt: Die Strahlenbehandlung als Spezialfach? (Fort¬ 
schritte auf d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 3.) Sch. polemisiert 
gegen die im Bd. 19, H. 1 der Fortschritte geschriebenen Ausführungen 
von Kienböck und Holzknecht, besonders gegen den Satz: „Es geht 
nicht an, sich nur mit einem Teil, z. B. nur mit der internistischen 
oder der chirurgischen oder gar nur mit der dermatologischen Radio¬ 
logie zu befassen, denn solche Aerzte können auch auf dem begrenzten 
Gebiet nichts Vollkommenes leisten.“ Er meint, dass ein Dermatologe 
ein vorzüglicher Radiotherapeut sein könne, ohne von der Röntgen¬ 
technik etwas zu verstehen. Viel angebrachter wäre es nach seiner 
Meinung, wenn der Röntgenologe, welcher Hautkranke mit Röntgen¬ 
strahlen behandelt, auch Spezialkenntnisse über die Erkrankungen der 
Haut besässe. Er hält deshalb die Trennung der Radiotherapie von der 
Radiologie für durchaus geboten und für einen Fortschritt; denn sie be¬ 
deutet für den Fachröntgenologen eine Entlastung. 

Gottscbalk: Einige kurze Bemerkungen zu dem Artikel der 
Herren Professor Krönig und Privatdozent Dr. Gauss in Freiburg 
„Z«r Röatgenbehudlug der Myome“ in Nr. 20 der Deutschen med. 
Wochenschr. (Fortschr. auf d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 2.) 
«iottschalk weist zunächst darauf hin, dass er bereits im Jahre 1906 
in einer Broschüre die günstige Einwirkung der Röntgenstrahlen auf 
Myome beschrieben habe. Im übrigen setzt sich Gottschalk warm 
für die prinzipielle Autorschaft der sogenannten Freiburger Technik ein, 
deren drei hauptsächlichste Ingredienzien für die optimistische Tiefen¬ 
wirkung zu suchen sind: 1. in der Strahlenfiltration, 2. in der Tiefen- 
bestrablung, 3. in der Krouzfeuerwirkung durch möglichst zahlreiche 
Einfallspforten. Besonderes Gewicht legt Gottschalk auf die Hoch- 
lagerung des Beckens, wodurch die stark Röntgenstrahlung absor¬ 
bierenden Darmscblingen nach oben sinken. 

A. Cieszynski: Beiträge zur intra-oralen Aufnahme der Zähne. 
(Fortschr. auf d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 8.) C. will die Ein¬ 
stellung des Hauptstrahles über Intr&zahnaufnabmen mittelst seiner 
Grientierungstafel vorgenommen wissen, da es dem Ungeübten sehr 
schwerfälit, Zabnaufnahmon so zu machen, dass sie den tatsächlichen 
Verhältnissen nahekommen. Der Einfallswinkel der Röntgenstrahlen ist 
bei den verschiedenen Zahnaufnahmen ein sehr verschiedener. An 
schematischen Zeichnungen werden die intra-oralen Zahnaufnahmen be¬ 
sprochen. Man mache es sich zur Regel, in jedem Falle zwei Aufnahmen 
bei verschiedener Stellung des Kopfes zu machen, wobei der Hauptstrahl 
durch verschiedene Radien des Kieferbogens verläuft. Es werden dabei 
unter Umständen gewiss wertvolle Details sichtbar. Des weiteren be¬ 
spricht C. die topographische Bestimmung retroapikaler Herde, z. B. von 
allgemeinen Granulomen, Cysten; auch verwandte Verf. die Röntgenstrahlen 


zur Kontrolle der Wurzelfüllung, da fast alle Wurzelfüllungsmaterialien 
für die Röntgenstrahlen undurchlässig sind. 

M. M. Klar: Defekt der Fibnla. (Fortschr. auf d. Geb. d. 
Röntgenstr., Bd. 19, H. 2.) Klar sah bei einem 15jährigen Mädchen 
bei einem Sprunge aus nur 20 cm Höbe in Schnee eine Fraktur der 
rechten Tibia entstehen. Die Röntgenaufnahme zeigte, dass genau in 
der Höhe, wo die Tibia gebrochen war, die Fibula in einer Spitze 
endigte, um erst 4 cm oberhalb des Knochengelenks wieder in Knochen 
überzugehen. Es fehlte also ein Zwischenstück von 7—8 cm Länge im 
Knochen. (Ref. hat dieselbe Erscheinung bei einem älteren Individuum 
im Gefolge einer schwer deutbaren — vielleicht auf Lues beruhenden — 
Knochenerkrankung gesehen. 

A. Burchard: Zur Diagnostik der ehondromatösen, fibrösen und 
cystischen Degeneration der Knochen. (Fortschr. auf d. Geb. d. 
Röntgenstr., Bd. 19, H. 2.) Burchard gibt einen kasuistischen Beitrag 
über chondromatöse Degeneration des Knochensystems bei einem jugend¬ 
lichen Individuum, das früher an Rachitis litt. Er bespricht im An¬ 
schluss daran die Mannigfaltigkeit der im Titel wiedergegebenen Krank¬ 
heiten, die von vielen Autoren immer wieder verschieden benannt worden 
sind, und meint, dass von der einen Krankheit zur anderen Uebergänge 
bestehen. Der Röntgenuntersuchung kommt ein dominierender Wert zu, 
denn das klinische Bild ist häufig ein absolut unklares. Inwieweit die 
Rachitis im ursächlichen Zusammenhang zu dem geschilderten Krank- 
heitsbilde steht, muss offengelassen werden. Die Aetiologie der Ostitis 
fibrosa ist noch vollständig in Dunkel gehüllt, während es für die Ent¬ 
stehung der Enchondrome zwei Theorien gibt, und zwar entweder die 
Entstehung des übriggebliebenen Knorpelinnern der Fötalzeit, anderer¬ 
seits die Entstehung durch entzündliche metaplastische Neubildung. 

R. Walter: Ueber Wachstansschädigangen jinger Tiere durch 
Röntgenstrahlen. (Fortschr. auf d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 2.) 
Der erste Teil seiner Arbeit gibt ein kritisches Sammelreferat über die 
Einwirkung der Röntgen- und Radiumstrahlen auf das Wachstum junger 
Tiere und Menschen. Im zweiten Teil berichtet W. über seine eigene 
Untersuchungen, die an Kaninchen, Meerschweinchen, Hunden und 
Schafen angestellt wurden. Es ergeben sich grosse Unterschiede zwischen 
den Experimenten der verschiedenen Autoren. Die Erklärungen für die¬ 
selben sind schwierig. Io der Tierart oder im Alter der Tiere eine Er¬ 
klärung zu suchen, ist nicht möglich, Es bleibt nur übrig, in der Art 
der Bestrahlung, über die nur sehr unbestimmte Angaben bestehen, die 
Ursache der Verschiedenheit zu suchen. W. hat auch die bestrahlten 
Nervensysteme der Tiere, über die Krukenberg früher berichtet hatte, 
mikroskopisch untersucht. Makroskopisch ergeben sich keine Verände¬ 
rungen. Mikroskopisch sind die Ergebnisse nicht genügend geklärt, um 
Schlüsse ziehen zu können. 

Koch und Bucki: Ueber die Darstellung der Resorption der 
serösen Höhlen, insbesondere der Pleurahöhlen, mittels Röntgenstrahlen. 
(Fortschr. auf d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 2.) Koch und Bucki 
haben bei Tieren in die Pleurahöhlen schattengebende Substanzen ein¬ 
gespritzt und sich über deren Verteilung und Verhalten in der Pleura¬ 
höhle durch Röntgenstrahlen eine Uebersicht gemacht. Es zeigt sich, 
dass an der Resorption nicht die gesamte Pleurahöhle, sondern nur be¬ 
stimmte Partien teilnehmen. Vor allem ist es das lockere Gewebe des 
vorderen Mediastinums, in dem sich sowohl die Hauptsache von corpus- 
culären als auch flüssigen Körpern ablagert. Die Resorption von seiten 
der übrigen Pleurapartien kommt kaum in Betracht. Die Lunge selbst 
nimmt an der Resorption so gut wie gar nicht teil. Es wird ange¬ 
nommen, dass das Bindegewebe des Mediastinums offene Lymphspalten 
besitzt, durch die die Aufnahme erfolgt, während die übrige Pleura 
vielleicht solche nur im Verlaufe der Rippengefässe aufzuweisen hat. 
Auch bei der Pleurahöhle besteht die Tatsache, dass bestimmte Bezirke 
und nicht etwa die ganze Oberfläche einer serösen Höhle resorbiert, 
ebenso wie in der Bauchhöhle vor allem das Netz und dis Centrum 
tendineum als resorbierende Organe anzusprechen sind. 

A. Weil: Drei Falle von Lungentumoreii mit ungewöhnlichem Be¬ 
fund. (Fortschr. auf d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 2.) Weil be¬ 
richtet aus der Strassburger medizinischen Klinik über drei seltene 
Fälle von Lungentumoren. Der erste betraf ein Chorionepitheliom, das 
in der Lunge eine Metastase gesetzt hatte. Im zweiten Falle beschreibt 
Weil den Befund bei einem Adenocarcinom des rechten Hauptbronchus, 
welcher auf das Periost Übergriff. Im dritten Falle handelte es sich um 
einen grossen Schattenherd des rechten Oberlappens von Mannesfaust¬ 
grösse, der im Centrum einen grösseren Kalkherd enthält. Im Anschluss 
an die drei Fälle bespricht Weil die Differentialdiagnose der verschie¬ 
denen Arten von Lungentumoren. 

W. Alvens und J. Husler*. Röntgenuntersuchungen des Kinder¬ 
magens. (Fortschr. auf d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, II. 3.) Alvens 
und Husler haben die Fortschritte des sogenannten Einzelscblag- 
verfahrens, das Dessauer in die Röntgenologie eingeführt hat, sich 
zunutze gemacht, um an den schwer zu röntgenden Säuglingen 
die Topographie und Physiologie des Magens zu studieren. Sie be¬ 
richten über Form und Lage des Magens, über die Elastizität und den 
Tonus, die Eigenbewegungen des Magens, die Oesophnguspassage, Ge¬ 
staltung und Füllung des Organes. Weiter berichten sie, wie sich der 
Magen des Säuglings entleert. Wesentlich ist, dass der Magen beim 
Säugling, entsprechend der horizontalen Lage des Säuglings, auch eine 


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UNIVERSUM OF IOWA 



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Nr. 2. 


BERLINER KLINISCHE VV< KTIKNSCHRIKT. 


mehr liegende Stellung bat und im übrigen stark abhängig ist von dem 
Luftgebalt des Magens selbst, sowie den Einflüssen der Nachbarorgaue 
auf den Magen. Während im Säuglingsalter die horizontale Lage des 
Magens vorherrscht, waltet im späteren Kindesalter die vertikale Stellung 
des Magens vor. M. Cohn. 

Siehe auch Chirurgie: Schmerz, Röntgenradiotherapie der 
chirurgischen Tuberkulose. 


Urologie. 

Pöchler-Charlottenburg: Zur Vaecinebehandlaig der Goaarrhöe. 
(Dermatol. Wochenschr., 1912, Bd. 55, Nr. 46.) Bei der Arthritis gonor¬ 
rhoica, bei Epididymitis, Prostatitis, Vulvovaginitis der Kinder wirkt die 
Arthigonbehandlung zum Teil günstig, bei einfacher Urethritis, bei 
Cervix- und Rectalgonorrhöe ist ein Erfolg nicht zu erwarten. 

C. Cronqvist- Malmö: Ueber abortive Behandlung der Gonorrhöe, 
insbesondere der hinteren Harnröhre. (Archiv f. Dermatol, u. Syphilis, 
1912, Bd. 114, H. 1.) Für die abortive Behandlung eignen sich nur 
Fälle, bei denen keine Entzündung des Orificium urethrae besteht, und 
bei welchen die erste Harnportion nicht trübe, sondern klar mit Flocken 
ist. Die Behandlung besteht in zwei Einspritzungen hintereinander von 
fünf Minuten Dauer einer 2 proz. wässerigen Albarginlösung. Häufig ge¬ 
nügen zweimal zwei Einspritzungen mit Zwischenraum von etwa acht 
Stunden. Die abortive Behandlung der Urethritis posterior besteht in 
zweimal täglichen Janet’schen Spülungen mit schwachen Kalihyper- 
manganlösungen. Immerwahr. 

Grussendorf - Jerusalem: Erfahrungen mit der Blasennaht beim 
hohen Steinschnitt an Kindern. (Münchener med. Wochenschr., 1912, 
Nr. 51.) Die totale Blasennaht nach hohem Steinscbnitt an Kindern 
birgt Gefahren, die der offenen Wundbehandlung nicht anhaften. Man 
muss von der Blasennaht ausschHessen: 1. Kinder, die bei gutem All¬ 
gemeinbefinden einen höheren Grad von Blasenreizung erkennen lassen, 
die bei Bettruhe usw. nicht schwindet. 2. Kinder mit Beeinträchtigung 
des Allgemeinbefindens, selbst wenn Fieber fehlt. 3. Kinder, bei denen 
man keine Tabaksbeutelnaht als innerste Nahtschicht machen kann. 

Dünner. 

L. Waelsch - Prag: Cavernitis penis migrans. (Dermatol. Wochen¬ 
schrift, 1912, Bd. 55, Nr. 47.) Die Penisaffektion des Patienten, bei 
welchem Gonorrhöe auszuschHessen war, ist mit der späteren Thrombo¬ 
phlebitis der unteren Extremitäten io *Zusammenhang zu bringen; es 
handelte sich um eine Cavernitis migrans. Immerwahr. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

K. Schmidt-Frankfurt a. M.: Zur Kenntnis des Ehrmaun’schen 
Lnesphünomens. (Archiv f. Dermatol, u. Syph., 1912, Bd. 114, H. 1.) 
Der Erklärung des Ehrmann’schen Gefässsymptomes bei Lues, das sich 
durch Auftreten von dunkeilividen Flecken und Zeichnungen charakteri¬ 
siert, als Arterienerkrankung kann Verf. nicht beistimmen, vielmehr 
glaubt er, dass es sich eher um Stauungsvorgänge in den Venen handle. 

E. Hoffmann-Bonn: Wer ist der Pfälxer Anonymas? (Dermatol. 
Zeitschr., Dezember 1912.) Es ist der am 6. Februar 1887 verstorbene 
Medizinalrat Dr. Julius Bettinger in Frankenthal in der Pfalz, welcher 
anonym seine Impfungen mit sekundären Syphilisprodukten an gesunden 
Menschen veröffentlicht und dadurch die Ansteckungsfähigkeit der Syphilis 
bewiesen hat. 

St. Rygier und E. Müller-Breslau: Steinkohlenteer in der 
Dermatologie. (Archiv f. Dermatol, u. Syph., 1912, Bd. 114, H. 1.) 
Der Steinkohlenteer ist ein ausserordentlich brauchbares Mittel für die 
Behandlung von chronischen Ekzemen, Dermatitis lichenoides pruricus 
und Prurigo Hebrae. 

A. Brauer-Kiel: Ueber eine besondere Form des hereditären 
Keratoms (Keratoma dissipatnm hereditarinm palmare et plantare). 
(Archiv f. Dermatol, u. Syph., 1912, Bd. 114, H. 1.) Die Keratodermie 
fand sich bei den Söhnen nicht affizierter Eltern; die erkrankten Söhne 
übertrugen die Affektion auf ihre Söhne, nicht aber auf die Enkel, 
während die weiblichen Familienmitglieder sämtlich verschont blieben 
und ihrerseits nicht das Leiden vererbten. Die Keratose war ausserdem 
keine allgemeine, sondern es fanden sich nur sehr zahlreiche stecknadel- 
spitz- bis pfennigstückgrosse Horneinlagerungen. 

Kreibich-Prag: Angionenrofische oder toxische Entzündung? 
Bemerkungen zur Dermatitis symmetrica dysmenorrhoica Mutzenauer- 
Polland. (Archiv f. Dermatol, u. Syph., 1912, Bd. 114, H. 1.) K. sucht 
nachzuweisen, dass es sich bei der Dermatitis symmetrica dysmenorrhoica 
nicht um eine toxische, sondern um eine angioneurotische Entzündung 
handelt. 

J. Friedberg-Breslau: Ein Fall von Dermatitis symmetrica 
dysmenorrhoica. (Archiv f. Dermatol, u. Syph., 1912, Bd. 114, H. 1.) 
Die von Mutzenauer und Polland mit dem Namen Dermatitis sym¬ 
metrica dysmenorrhoica bezeichnete Erkrankung ist als eine spontan, 
auf hämatogenem Wege entstandene Dermatitis aufzufassen, die den 
Menstrualexanthemen nahesteht. 

P. Mathes-Graz: Dermatitis symmetrica dysmenorrhoica. Be¬ 
merkungen zu Mutzenauer’s und Polland’s gleichnamigem Aufsatz 


io Bd. 111, H. 2 dieses Archivs. (Archiv f. Dermatol, u. Syph., 1912, 
Bd. 114, H. 1.) Auch Mathes meint, dass die Dermatitis symmetrica 
dysmenorrhoica angioneurotischen Ursprungs sei. 

R. Bernhardt-Warschau: Ueber die Behandlung des Lapis 
vulgaris nach Herxheimer- Altmann (Salvarsan - Tuberkulinmethode). 
(Archiv f. Dermatol, u. Syph., 1912, Bd. 114, H. 1.) Ulcerierte Formen 
des Lupus vulgaris vernarben unter dieser Behandlung schnell. Ihre 
Wirkung auf das lupöse Gewebe ist sehr evident. Manche Infiltrate 
schwinden vollständig, andere unterliegen einer partiellen Resorption. 
Die Kombination dieser Methode mit anderen schon erprobten Behandlungs¬ 
methoden ist zu empfehlen. 

H. Sowade-Halle a. S.: Die Kultur der Spirochaete pallida und 
ihre experimentelle Verwertung. (Archiv f. Dermatol, u. Syph., 1912, 
Bd. 114, H. 1.) Die Züchtung der Syphilisspirochaete auf künstlichem 
Nährboden in Mischkultur ist verhältnismässig leicht, die Isolierung ist 
jedoch mit ziemlich grossen Schwierigkeiten verbunden. Bei den Tier¬ 
impfungen mit künstlich kultivierten Spirochäten ist es erforderlich, 
grosse Mengen von Spirochäten zu verimpfen. Die Erscheinungen, welche 
durch dieselben hervorgerufen werden, sind im wesentlichen dieselben, 
wie sie mit syphilitischem menschlichen oder tierischen Material hervor¬ 
gebracht werden. Immer wahr. 

E. Hoffmann-Bonn: Daier der Kontagiosit&t der Syphilis aad 
Ehekonsens im Lichte der neuen Forschung. (Deutsche med. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 1.) Bei der nach H. durcbgeführten kombinierten 
Hg-Salvarsankur (15 Hg-Salicylinjektionen, 4—6 Salvarsaninfusionen) 
wird die Neigung zu Recidiven wesentlich beschränkt. Trotzdem ist 
aber die Syphilis nicht frühzeitig als uninfektiös anzusehen, da Männer 
beobachtet wurden, die keinerlei Symptome zeigten, wohl aber einige 
Monate nach beendeter Salvarsankur ihre Frauen infizierten. Auch bei 
scheinbar geheilten Fällen ist in den ersten Jahren die Infektion als 
noch nicht erloschen anzusehen, ff. möchte, trotz der Fortschritte der 
modernen Diagnostik und Therapie, an der alten Eheregel festbalten; 
Patienten, die 5 — 6 Hg-Kuren oder 2—3 kombinierte Kuren durchgeführt 
haben und während der letzten 1—2 Jahre frei von Erscheinungen ge¬ 
blieben sind, dürfen 3—5 Jahre post infectionem heiraten. Die Wasser- 
mann’sche Reaktion beantwortet nach H. die Frage der Kontagiositat 
nicht und kann deshalb bei der Erteilung des Ehekonsenses nicht maass¬ 
gebend sein. Nur bei syphilitischen Frauen ist die Wassermann’sch© 
Reaktion insofern von Bedeutung, als der positive Ausfall während der 
Gravidität stets Anlass zu energischer Behandlung gibt. Der Ueber- 
gang der Spirochäte auf die Frucht findet wahrscheinlich auch bei ganz 
geringen Krankheitsresten statt. Wolfsohn. 

E. Freund-Triest: Ahortivkureu mit Salvarsan. (Münchener 

med. Wochenschr., 1912, Nr. 51.) Die Patienten, die frühzeitig in die 
Behandlung traten, zeigten nach durchschnittlich l 1 /* Jahren keine 
Symptome von Lues. F. exzidiert, wenn möglich, das Ulcus, macht 
3—4 intravenöse Salvarsaniojektionen ä 0,4—0,5 kombiniert mit Queck¬ 
silberbehandlung. Dünner. 

F. Zinsser und P. Philipp-Cöln: Ulens ernris varieosum aad 
Syphilis. (Dermatol. Zeitschr., Dezember 1912.) Durch Rontgenphoto- 
gramme wiesen die Verff. bei zahlreichen Fällen von typischen varicösen 
Ulcera Knochenveränderungen und Periostitis nach; da in der Mehrzahl 
dieser Fälle die Wassermann’sche Reaktion positiv ausfiel, so glauben 
die Verff., dass möglicherweise der ganze varicöse Prozess auf syphi¬ 
litischer Grundlage beruht, besonders da eine antisypbilitische Behand¬ 
lung, vor allem mit Salvarsan, die Ulcera schnell zur Heilung brachten. 

' B. Lipschütz-Wien: Ueber eine eigenartige Gesehwnrsform des 
weihliehen Genitales. (Ulcus vulvae acutum.) (Archiv f. Dermatol, u. 
Syph, 1912, Bd. 114, H. 1.) Es gibt eine bisher wenig bekannte 
Geschwürsform des Genitales, die weitgehende klinische Aehnlichkeit mit 
dem Ulcus venereum oder mit gangränösen Genitalgeschwüren besitzt 
und, nach den bisherigen Beobachtungen, ausschliesslich Frauen und 
namentlich ältere Mädchen und Virgines intactae befällt. Als Erreger 
dieser eigenartigen Geschwürsform kommen grampositive Bacillen in 
Betracht, die sowohl im Ausstrichpräparat als auch im Schnitt in 
grossen Mengen nachgewiesen werden können. Dieser Geschwürsprozess 
stellt trotz seiner infektiösen Natur keine durch den Geschlechtsverkehr 
übertragene Krankheit dar. Der klinische Verlauf ist ein gutartiger. 

Immer wahr. 


Geburtshilfe und Gynäkologie. 

A. Dienst - Leipzig: Die Ursache für die Gerinunngsunfähigkeit 
des Blutes hei der Menstruation. (Münchener med. Wochenschr., 1912, 
Nr. 51.) Die zur Blutgerinnung nötigen Stoffe, das Fibrinogen und das 
Fibrinferment, müssen in bestimmten Mengenverhältnissen vorhanden sein, 
damit eine Gerinnung erfolgt: ein Teil Fibrinferment kann höchstens 
215 Fibrinogen zur Gerinnung bringen. D. fand nun, dass im 
Menstruationsblut im Verhältnis zum Fibrinogengehalt ein viel zu ge¬ 
ringer Fibrin fermentgehalt vorhanden ist. Das im sonstigen Kreislauf 
der Menstruierenden vorhandene Fibrinferment vermag nur geringere 
Fibrinogen mengen des circulierenden Blutes und noch geringere des 
Menstrualblutes zur Gerinnung zu bringen. Diese Abschwächung des 
Fibrinferments kann nur durch das Antithrombin erklärt werden, an 
dem die Uterusschleimhaut besonders reich ist. Auch bei Myomkranken 


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13. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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fand D. in der hypertrophischen Uterusschleimhaut besonders grosse 
Antithrombinmengen, die die Uterusblutungen bei Myomkranken ver¬ 
ständlich machen. Dünner. 

M. F. En gm an-St. Louis: Einige Bemerkungen über die Patho¬ 
genese der Syphilis der Plaeenta. (Dermatol. Wochenschr., 1912, 
Bd. 55, Nr. 44.) In der Placenta die Spirochäten nachzuweisen, ist sehr 
schwer. Es ist aber durchaus möglich, dass viele Läsionen an der Pla¬ 
centa, welche man bisher als Aeusserungen der Syphilis gedeutet hat, 
nicht auf dieses Leiden zurückzuführen sind. Schwangere Frauen können 
sehr wohl auch andere Organismen ausser den Spirochäten in analoger 
Weise beherbergen. 1mm er wahr. 

A. Hengge-München: Hypophysenextrakt and Dämmerschlaf in 
der praktischen Geburtshilfe. (Münchener med. Wochenschr., 1912, 
Nr. 51.) H. kann im grossen und ganzen die guten Wirkungen von 
Hypophysenextrakt bei Wehenschwäche bestätigen. Da sich nach der 
Injektion oft die Wehen sehr stürmisch einstellen, gibt H. vorher 
Scopolamiu-Morphium. Dünner. 

Lambert und Oui-Lille: Direkte Bluttransfusion nach Blut- 
▼erlist durch vorzeitige Lösung der Placenta. (Annales d. gyn. et 
d’obst., November 1912.) In einem Fall von abundanter Blutung und 
schwerstem Collaps infolge vorzeitiger Lösung der normal sitzenden 
Placenta hatte Oui bereits 500 ccm Kochsalz, Campber usw. erfolglos 
gegeben. Mehr Kochsalzlösung wollte Verf. nicht geben, da bei der 
Patientin renale Insuffizienz bestand. Lambert maohte nun nachdem 
Vorgang von Garrel eine direkte Transfusion, indem er die A. radialis 
des Ehemannes circular mit der Vena mediana der Frau vernähte. Sechs 
bis sieben Minuten nach Beginn der Transfusion erholte sich die Frau. 
An der nachher berausgenommenen Gefässoahtstelle keine Gerinnsel- 
bildung. F. Jacobi. 

Violet: SeptikimiseheBeekenzellgewebsentzündnngen nach Wert- 
koim’sehei Operationen. (Lyon mödical, Nr. 47 u. 48.) Verf. weist 
darauf hin, dass häufig nach Wertheim’soher Operation Beckenzellgewebs¬ 
entzündungen septikämischen Charakters auftreten, die indessen für ge¬ 
wöhnlich einen günstigen Verlauf nehmen. A. Münzer. 

Siehe auch Therapie: Wallace, Unterdrückung der Krämpfe 
bei Eklampsie. — Chirurgie: Streissler, Behandlung der Douglas- 
Abscesse. — Röntgenologie: Gottschalk, Röntgenbehandlung der 
Myome. _ 


Augenheilkunde. 

J. J. Kolominsky: Ein Fall von hyalin-amyloider Degeneration 
der Conjuetiva. (Klio. Monatsbl. f. Augenheilk., November 1912.) Auf 
Grund des beobachteten mikroskopischen Bildes nimmt Verf. mit einer 
gewissen Wahrscheinlichkeit an, dass in dem beschriebenen Falle eine 
aogiomartige Geschwulst vorlag, in welcher sich alsdann eine hyalin- 
amyloide Degeneration entwickelte, die sich nicht allein auf das Binde¬ 
gewebe beschränkte, sondern auch auf die Wandung der Gefässe und 
auf den Inhalt der Gefässe und der Bluträume Übergriff. 

0. Schnaudigel: Zur Radiambehandliing der CoBjnnctivitis 
venalis. (Kiin. Monatsbl. f. Augenheilk., November 1912.) In dem 
vom Verf. beobachteten Falle hat die Entfernung der Wucherungen die 
subjektiven Beschwerden gemildert, die Kauterisation verschlimmerte 
den Zustand, die medikamentöse Therapie versagte ganz, und- trotz Ver¬ 
schlimmerung des Krankbeitsbildes, die jedes Jahr in der Intensität und 
der zeitlichen Ausdehnung brachte, hat die Radiumbestrahlung radikale 
Abhilfe gebracht. 

W. Tschirkowsky: Klinische Beobachtungen über Vaceinotherapie 
und Serantherapie der diplobacillären Conjunctivitis. (Klio. Monats¬ 
blatt f. Augenheilk., November 1912.) Sowohl die Vaccino- wie die 
Serumtherapie geben bei der Heilung diplobacillärer Infektion günstige 
Resultate, können jedoch als selbständige, die gewöhnliche Zinktherapie 
vollkommen ersetzende Mittel noch nicht empfohlen werden. Eine 
kombinierte Therapie: Vaccino- oder Serumtherapie bei gleichzeitiger 
Anwendung der gebräuchlichen therapeutischen Mittel hat die besten 
Resultate in schweren Fällen diplobacillärer Infektion aufzuweisen 

T. Akatsuka-Japan: Fall von gürtelförmiger Hornhaattrfibung im 
Anschluss an eine alte Horahaatnarbe. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., 
November 1912.) Eine veränderte Ernährung der Hornhaut als Ursache 
der gürtelförmigen Trübung kann angenommen werden. Die anatomische 
Läsion besteht darin, dass eine ganz schmale und feste Narbe die Horn¬ 
haut durchsetzt. 

C. Velhagen: Biadegewehsbildang an der hinteren Linseafläche 

unter dem Bilde des Gliona retinae. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., 
November 1912.) In Bulbis, welche auch noch so leicht missbildet 
sind, ist an ein Gliom später zu denken als an Bindegewebswucherungen 
der hinteren Linsenkapsel. Man soll sogar nicht schwankend werden, 
wenn die verdächtig aussehenden Massen im Augeninnern zunehmen. 
Auf die Tension darf nicht viel Gewicht gelegt werden, da bei kleinen 
Kindern zu leicht Untersuchungsfehler Vorkommen können. Ein grosses 
Unglück wird eine falsche Diagnose mit ihren Folgen wahrscheinlich 
niemals sein, denn in den fraglichen Augen werden sich immer im 
späteren Leben komplizierte Katarakte bilden, welche ohne Operation 
ein sehr schlechtes Aussehen bedingen und mit einer solchen wohl 
immer zum Ruin des Auges führen. Ein aus übergrosser Besorgnis 
xarückgelassenea Gliom wird immer das grössere Versehen sein. 


T. Akatsuka-Japan: Eigentümlicher Fall von Ciliarkörpersarkom. 
(Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., November 1912.) Aus dem beschriebenen 
Falle geht hervor, dass das Ciliarkörpersarkom klinisch auch das Aus¬ 
sehen von Geschwülsten des retinalen Epithels der Iris zu bieten ver¬ 
mag, dass es nämlich zwischen Pupillarrand und Linse in die vordere 
Kammer wuchern und auch oberflächlich das Aussehen einer solchen 
Epithelgeschwulst Vortäuschen kann. 

H. G. A. Gjessing: Ein Fall von einseitiger Amaurose unter dem 
Bilde einer Embolia arteriae centralis retinae im Anschluss an einen 
kriminellen Abort mit auffällig guter Wiederkehr des Sehvermögens und 
Gesichtsfeldes. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., November 1912.) Kasuistik. 

A. Bietti: Zur Kenntnis des centralen grünen Fleckes bei Myopie. 
(Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., November 1912.) Bei dem 19jährigen 
Patienten ist auf dem rechten Auge ausser einem Conus auch ein zum 
Teil grüner und zum Teil schwarzer Fleck am hinteren Pol wahr¬ 
zunehmen. Er ist durch einen zum Teil schwarz pigmentierten Saum 
scharf begrenzt und ist etwas grösser als die Papille. Er sieht zum 
grossen Teil grün aus. Etwas in der Mitte und. mehr temporalwärts 
sieht man einen schwarzen Fleck, den die macularen Blutgefässe nicht 
erreichen. Verf. hält es nicht für ausgeschlossen, dass die genannten 
Flecken pathologisch-anatomische Veränderungen derselben Art darstellen. 

A. Biettti: Glaukomatöse Excavation der Papille und Nenritis 
optiea. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., November 1912.) In dem ver¬ 
öffentlichten Falle konnten sowohl die glaukomatöse Excavation als auch 
die Papillitis ophthalmoskopisch wahrgenommen werden, und zwar ging 
die glaukomatöse Excavation der Entzündung des Sehnerven voran. 

W. Wittich: Zur pathologischen Anatomie des intraocnlaren 
Cysticercns. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., November 1912.) Während 
die meisten untersuchten Cysticerken entweder subretinal oder im Glas¬ 
körper lagen, befindet sich in dem veröffentlichten Falle der Parasit in 
der Netzhaut selbst, ist also durch die Arteria central, retin. in das 
Auge gelangt. Zu beiden Seiten des Herdes fand sich eine umschriebene 
eigentümliche Umstülpung der Stäbchen- und Zapfenschicht und der 
inneren Körnerschicht nach aussen, die wohl durch eine mechanische 
Schädigung, Zerreissung dieser Schichten bei der ersten Ansiedelung des 
Parasiten hervorgerufen wurde. F. Mendel. 

F. Schieck - Königsberg i. Pr.: Die Bedeutung der Stauungspapille. 
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Vortrag, gehalten im Verein 
für wissenschaftliche Heilkunde in Königsberg am 25. November 1912. 

Wolfsohn. 

E. Guzmann: Ueber die Blutung zwischen Netzbant und Glas¬ 
körper. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., November 1912.) Zwischen 
Glaskörper und Netzhaut besteht nur eine Membran, die Membrana 
limitans interna. Diese bildet bei den meistens präretinalen Blutungen 
die vordere Begrenzung. Mitunter bricht das Blut durch, auch ohne 
sich im Glaskörper weiter auszubreiten, weil die Grenzschicht des 
Glaskörpers ein festeres Gefüge hat. F. Mendel. 


Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 

Halle - Charlottenburg: Ein praktisches Antiphon, (Deutsche med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Hergestellt aus Hartparaffin. Ein Wattekern 
wird mit einer Seidenschleife armiert und in heisses Paraffin getaucht, 
dann zur Kugel modelliert. Zu haben bei H. Pfau, Berlin. 

Wolfsohn. 

A. H. G. Mackeitosh - Sheffield: Ein Fall von akntem Nasen¬ 
katarrh. (Lancet, 14. Dezember 1912, Nr. 4659.) Der Verf. fand bei 
einem akuten fieberhaften Nasenkatarrh in der dünnen schleimigen Ab¬ 
sonderung in grosser Menge einen Bacillus von folgenden Eigenschaften: 
Er war graranegativ, variierte in der Grösse sehr von kokkenartigen Ge¬ 
bilden bis zu läd'gen, zeigte ausgesprochene Polfärbung. Die längeren 
Formen waren oft gekrümmt und dünner als die kurzen; die längeren 
lagen oft zu zweien mit den Enden aneinander. Er färbte sich mit allen 
Farben; er war nicht beweglich. Er wuchs anaerob nicht so reichlich 
wie aerob. Auf Kartoffeln färbte sich bei Körpertemperatur die Ober¬ 
fläche nach 24 Stunden braun, und es wuchsen darauf reichlich runde, 
weisse Kolonien. Er war bei Meerschweinchen, intraperitoneal infiziert, 
pathogen (Septikämie); subcutan machte er nur einen Abscess. Ka¬ 
ninchen Hessen sich durch kleine intravenöse Dosen immunisieren und 
zeigten dann bei einer grossen Dosis den charakteristischen Nasenkatarrh, 
erholten sich aber. Eine grosse anfängliche Dosis tötete die Kaninchen 
rasch durch eine hämorrhagische Septikämie. Der Bacillus gehört 
zweifellos zur Gruppe des Bacillus der hämorrhagischen Septikämie, die 
Hu epp e 1886 aufgestellt hat. 

E. G. Alles-Wien: Mucocele der vorderen Ethmoidalzellen. 
(Lancet, 14. Dezember 1912, Nr. 4659.) Krankengeschichte und Sektions¬ 
befund eines Falles dieses seltenen Leidens. Die Ursache schien ein im 
dritten Lebenjahre überstandener Scharlach gewesen zu sein; die Ope¬ 
ration wurde im 25. Lebensjahre vorgenommen. Die Operation wurde 
von der Orbita aus gemacht, da dieser Weg einen geraden Zugang und 
einen guten Ueberblick verschafft. Weydemann. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 2. 


Hygiene und Sanitätswesen. 

Schroeter - Jena: Versuche mit einem Universal - Vakuom- 
desinfektionsapparat der Apparatebauanstalt (A.-G.) Weimar. (Zeitschr. 
f. Hyg., 1912, Bd. 73, H. 1, S. 31.) Der genannte Apparat setzt sich 
zusammen aus dem eigentlichen Desinfektionskessel, dem Formaldehyd¬ 
verdampfer, dem Formaldehydkondensator und der Luftpumpe. Bei den 
Versuchen des Verf. arbeitete der Apparat bei der Dosinfektion mit 
strömendem Dampf bei 100—102° C, bei der Formalintropfmethode unter 
Vakuum und 65° C und bei der Desinfektion unter dauerndem hohen 
Vakuum von 49° C, sowohl was die Schonung des Desinfektionsgutes als 
auch die Abtötung der Krankheitskeirae anbelangt, zur Zufriedenheit. 
Der Apparat erscheint somit praktisch brauchbar. 

L. Lewin: SchutEvorriehtiiiigeii gegen die Aufnahme von Blei an 
Bleisehmelzkesseln. (Zeitschr. f. Hyg., 1912, Bd. 73, H. 1, S. 161.) 
An den Bleischmelzkesseln der Bleikabelpressen empfiehlt Verf eine Um¬ 
mantelung zum Schutz der Arbeiter gegen Bleieinatmung. Die Be- 
haubung des Kessels wird mit einem Abzug versehen. Solche und 
manche anderen Schutzraaassregeln haben die Erkrankungen durch Blei 
in der Bleikabelfabrik der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft im Laufe 
der letzten Jahre auf einem niedrigen Niveau gehalten. 

L. Lewin: Die Bedingungen für die Bildung von Bleidampf in 
Betrieben. (Zeitschr. f. Hyg., 1912, Bd. 73, H. 1, S. 154.) Durch ex¬ 
perimentelle Versuche konnte Verf. feststellen, dass Blei aus einem Blei¬ 
schmelzkessel bei Temperaturen von 500—520° C nicht in Dampfform 
übergeht. Eine Verdampfung von Blei kommt erst bei Temperaturen 
zwischen 850 und 900° C zustande. Bei der Verhüttung von Bleierzen, 
vor allem bei der Röstreaktions- und Röstreduktionsarbeit kann Blei 
verdampfen und unter ungünstigen Umständen kondensiert in den 
Menschen eindringen. Auch bei niedrigeren Temperaturen kann Blei in 
Arbeitsräume gelangen, wenn fremdstoffliche Begleiter des Bleierzes 
dampf- oder gasförmig entweichen und Blei als solches oder als Blei¬ 
oxyd mitreissen. 

L. Tchwarz und Aumann - Hamburg: Der TriBkwasserBterili- 
sator nach Nogier-Triquet. Dritte Mitteilung: Ueber die Behandlung 
von Trinkwasser mit ultravioletten Strahlen. (Zeitschr. f. Hyg., 1912, 
Bd. 73, H. 1, S. 119.) Trinkwassersterilisatoren für die Behandlung mit 
ultraviolettem Licht (System Nogier) sind so zu konstruieren, dass sie 
eine wirksame Bestrahlungsdauer von 7 Minuten sicher gewährleisten. 
Der Trinkwassersterilisator NogierrTriquet Type M B liefert bei einer Be- 
stahlungsdauer von 7 Sekunden unter Benutzung eines nicht sehr keim¬ 
haltigen klaren Wassers in der Stunde 150 Liter sterilen Wassers; bei 
geringerer Bestrahlungsdauer findet selbst bei stark keimhaltigem klaren 
Wasser eine sehr erhebliche Keimreduktion statt. Die Kosten sind mit 
Rücksicht auf die Lieferung sterilen Wassers nicht als sehr hohe zu be¬ 
zeichnen. Weitere technische Verbesserungen sind zurzeit noch er¬ 
forderlich, bevor eine Einführung des Apparates in die Allgemeinpraxis 
als empfehlenswert bezeichnet werden kann. 

F. Go Idstein-Steglitz: Weiteres zur Bevölkerungsfrage. (Zeit¬ 
schrift f. Hyg., 1912, Bd. 73, H. 1, S. 55.) Deutschland bedarf keiner 
Forcierung der Geburten, sondern ihrer Verminderung, damit die Ver¬ 
schlechterung der Bevölkerung gehemmt werde. Die Lehre, dass auf 
einer starken Volksvermehrung das Wohl des Staates beruhe, ist nach 
den Ausführungen des Verf. erweislich falsch. -Europa krankt an der 
Grösse seiner grossen Städte.“ 

L. Dien es-Budapest: Ueber Tiefenwirkoig des Formaldehyds. 
(Zeitschr. f. Hyg., 1912, Bd. 73, H. 1, S. 43.) Das Formaldebyd wird 
von porösen Körpern (Tonplatte, Schafwolle, Baumwolle) adsorbiert, aber 
die Adsorption ist nicht so hochgradig, dass in das Innere der porösen 
Körper Formaldehyd nicht in genügenden Mengen gelangen könnte. Die 
Umwandlung des Formaldehyds in Trioxymethylen ist, wenn sie auch 
stattfindet, nicht sehr bedeutend, so dass sie beim Eindringen in die 
tieferen Schichten keine sehr grosse Rolle spielen dürfte. Für die Praxis 
ergibt sich hieraus der Schluss, dass der zu beobachtende Mangel an 
Tiefenwirkung nicht dem geringen Penetrationsvermögen des Formal¬ 
dehyds zuzuschreiben ist, sondern wahrscheinlich dem Umstand, dass aus 
zum Teil unbekannten Gründen es bisher nicht gelingt, in dem zu des¬ 
infizierenden Luftraum eine genügende Menge von Formaldebyd zu er¬ 
halten. 

D. Cesa-Bianehi - Mailand: 8taabinhalation und Lnngeitaberka- 
lose. Experimentelle Untersuchungen. (Zeitschr. f. Hyg., Bd. 73, H. 1, 
S. 166.) Die experimentelle, fortgesetzte Inhalation von verschiedenen 
Staubarten oder wenigstens derjenigen, welche eine stärkere mechanische 
Wirkung entfalten, können an und für sich keine schweren Verände¬ 
rungen der Luftwege und namentlich des Lungenparenchyms hervor- 
rufen; jedoch ist die Inhalation imstande, die Widerstandsfähigkeit des 
Lungengewebes gegen die Infektionsträger beträchtlich zu vermindern: 
sie bereitet den Boden für die weitere Entwicklung der Infektions- 
keime vor. 

G. Bernhardt - Berlin: Beitrag zur Frage der FleischYergiftnngs- 
erreger. Paratyphus B-Bacillen vom Typus Voldagsen als Erreger 
menschlicher Fleischvergiftungen. (Zeitschr. f. Hyg., 1912, Bd. 73, H. 1, 
S. 65.) Die Erfahrungen des Verf. sprechen dafür, dass man mehr als 
bisher auf atypische Fleischvergiftungserreger achten muss. Bei den 
bedeutenden Schwankungen der Bacillen der Paratyphusgruppe auch 
hinsichtlich ihres agglutinatorischen Verhaltens erscheint es wohl ge¬ 
raten, polyvalente Paratyphussera zur Diagnose zu benutzen, daneben 


aber auch andere spezifische Sera zur Aufdeckung des epidemiologischen 
Zusammenhanges verschiedener Erkrankungen zur Verfügung zu haben. 
In den Bacillen der Voldagsengruppe, die früher aus schweinepest- 
kranken Schweinen und jetzt auch aus dem Menschen isoliert werden 
konnten, haben wir erstaunlich labile Mikroorganismen vor uns, deren 
Studium nicht nur unsere Anschauungen über die Variabilität der 
Mikroorganismen zu fördern geeignet ist, sondern auch für praktisch¬ 
diagnostische Fragen von Bedeutung sein kann. Möllers. 


Technik. 

A. Müller-M.-Gladbach: Ein Massagetisek mit Beckenhochlagerung, 
zugleich ein Uoiversaltisch für die Untersuchung und operativen Ein¬ 
griffe des praktischen Arztes. (Münchener med. Wochenschr., 1912, 
Nr. 51.) 

J. Michelsohn-Hamburg: Instramenteasterilisator und Universal- 
instrumentiertisch. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 51.) 

Dünner. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 18. Dezember 1912. 

Vorsitzender: Herr Orth. 

Schriftführer: Herr F. Krause. 

Vorsitzender: Rasch tritt der Tod den Menschen an. Das haben 
wir jetzt wieder erlebt. Gestern ist Herr Dr. Bruno Bosse noch hier 
in der Bibliothek gewesen und hat gearbeitet, und heute muss ich Ihnen 
seinen Tod anzeigen. Ein junger Mann, ganz plötzlich dabingeschieden. 
Er war einer der fieissigsten Besucher unserer Bibliothek. Er ist seit 
dem Jahre 1895 uns*r Mitglied gewesen. leb bitte Sie, sich zu seinen 
Ehren von den Plätzen zu erheben. (Geschieht.) 

Tagesordnung. 

Hr. Carl Lewin: 

Versuche über die Biologie der Tiergesehwülste, (Mit Projektionen.) 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

Diskussion. 

Hr. Hans Hirschfeld: Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf die 
von mir aufgestellten mikroskopischen Blutpräparate lenken, welche von 
tumorkranken Tieren stammen, und denen zum Vergleich Präparate von 
normalen Tieren beigegeben sind. Dieselben sollen die hochgradigen 
Blutveränderungen zeigen, welche sich unter dem Einfluss des Tumor¬ 
wachstums bei Ratten und Mäusen entwickeln. 

Ich will vorausscbicken, dass bereits Clunet und Mercier Blut¬ 
veränderungen bei Carcinommäusen beschrieben haben, und dass auch 
von Pappenheim und von mir über das Verhalten des Blutes bei 
Carcinommäusen und Sarkomratten kurze Mitteilungen publiziert sind. 

Die Veränderungen des Blutes, welche sich bei Ratten und Mäusen 
unter dem Einfluss der Tumoren entwickeln, und die bei zahlreichen 
Tieren im Institut für Krebsforschung von mir studiert wurden, sind bei 
Ratten viel hochgradiger als bei Mäusen, was zum Teil wohl auf die 
Natur der Tumoren, zum Teil aber auf individuelle Reaktionsverschieden¬ 
heiten beider Tierspezies auf Reize, welche Blut und Blutbildungsorgane 
betreffen, zurückzuführen ist. Denn auch auf schädliche Reize anderer 
Art, wie Injektionen von Terpentinöl oder bakterielle Infektionen, reagiert, 
wie mir viele Versuche gezeigt haben, das Rattenblut stärker wie das 
von Mäusen. 

Die Blutveränderungen, welche nun diese Tiere, wenn sich bei 
ihnen Tumoren entwickeln, aufweisen, bestehen einmal in Anämie und 
zweitens in Leukocytose. Beide Veränderungen erreichen bei Mäusen 
nur ausnahmsweise und bei sehr grossen Tumoren so hohe Grade wie 
in dem aufgestellten Präparat. Im allgemeinen fand ich bei Krebs¬ 
mäusen gewöhnlich einen Hämoglobingebalt von etwa 60 bis 70pCt. 
und Leukocytenzahlen von 20 000 bis 25 000. Bei Sarkomratten da¬ 
gegen sah ich den Hämoglobingehalt bis zu 20 und 30pCt., die rote 
Blutkörperchenzahl bis zu 2 Millionen sinken, während sich die Leuko¬ 
cytenzahlen gewöhnlich bei grösseren Tumoren um 80 000 bis 60 000 
bewegen. Einmal fand ich sogar 135 000 und einmal 200000 Leuko- 
cyten. Normalerweise haben Ratten gewöhnlich 80 bis 100 pCt. Hämo¬ 
globin, 7 bis 8 Millionen Erythrocyten und 8000 bis 15 000 Leukocyten. 
Bei Ratten wie bei Mäusen ist die Leukocytose vorwiegend durch eine 
Vermehrung der polymorphkernigen spezialgranulierten Elemente be¬ 
dingt, doch scheint auch bisweilen eine gleichmässige Vermehrung aller 
Leukocytenformen stattzufinden. Manchmal findet man auch unreife 
Jugendformen der Leukocyten im Blute. Die Anämie, die gleichfalls 
bei den Ratten weit hochgradiger ist, dokumentiert sich durch zahl¬ 
reiche abnorme, häraoglobinarme Elemento und vor allem durch eine 
ungeheure Anzahl polychromatophiler Erythrocyten, wie man sie in 
dieser Menge und Ausbildung beim Menschen niemals findet. Bei Ratten 
pflegen auch bei ganz grossen Tumoren zahlreiche Normoblasten ins 
Blut überzutreten. 


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13. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Im allgemeinen nimmt die Schwere der Blutveränderungen etwa 
parallel dem Wachstum der Tumoren zu. Ausdrücklich möchte ich 
henrorheben, dass die beschriebenen Blutanomalien in ausgesprochenster 
Weise auch bei solchen Tumoren Vorkommen, die keine ausgedehnten 
Nekrosen enthalten. Sie sind aber dort ganz besonders schwer, wo 
diese Nekrosen sehr ausgedehnt sind, und erreichen ganz .exzessive 
Grade, wenn die Tumoren ulcerieren. Die Veränderungen des Ratten¬ 
blutes sind so schwere, dass schon makroskopisch das Blut durch seine 
ganz enorme Blässe und Dünnflüssigkeit auffällt. Entsprechend dem 
Grade der Anämie sind auch das spezifische Gewicht des Gesamtblutes 
wie des Serums und der Trockenrückstand ganz erheblich herabgesetzt. 
Fängt man das Blut einer normalen Ratte und einer Sarkomratte in 
kleinen Reagenzgläsern auf, so ist der Unterschied im Aussehen ein 
sehr deutlicher. Entsprechend den geschilderten Blutveränderungen 
zeigen auch die Blutbildungsorgane sehr starke reaktive Veränderungen. 

Ich hatte wiederholt Gelegenheit, das Blut von Ratten und Mäusen mit 
malignen Spontantumoren zu untersuchen und konnte hier die gleichen 
Veränderungen feststellen. Dagegen vermisste ich dieselben bei Tieren mit 
gutartigen Geschwülsten, wie Fibromen, Adenomen und anderen Tumoren. 

Exstirpiert man zu einer Zeit, wo die Blutveränderungen bereits 
ausgesprochen sind, einem Tier den Tumor, so bemerkt man, falls kein 
Recidiv eintritt oder Metastasen vorhanden sind, einen allmählichen 
Rückgang der Blutveränderungen zum Normalen, und zwar scheint nach 
den bisherigen, allerdings nicht sehr zahlreichen Versuchen dieser Art 
zuerst die Anämie und später erst die Leukocytose zurückzugehen. 

Zweifellos muss man in den geschilderten Blutveränderungen einen 
Beweis dafür sehen, dass die tumorkranken Tiere sich in einem.Zustand 
schwerer Kachexie befinden, deren Ursache nur im Tumor selbst gesucht 
werden kann. So hochgradige Veränderungen des Blutes, wie wir sie 
speziell bei den Sarkomratten, und zwar regelmässig finden, sieht man 
bei menschlichen malignen Tumoren nur in einer relativ kleinen Zahl 
von Fällen. 

Hr. Meide er: Zur Frage der Antikörperbildung im geschwulst¬ 
kranken Organismus, auf die Herr Lewin in seinem Vortrage ja bereits 
zu sprechen gekommen ist, möchte ich auf Grund tierexperimenteller 
Studien an Ratten noch eine kurze Bemerkung machen. Ein wirklich 
zwingender Beweis für das Vorhandensein von Geschwulstantikörpern bat 
sich bisher noch nicht erbringen lassen. Allein, es gibt doch eine An¬ 
zahl von Beobachtungen, die in diesem Sinne gedeutet werden können 
und auch gedeutet worden sind. Eine der wichtigsten ist die von 
Uhlenhuth, Haendel und Steffenhagen gemachte Feststellung, 
dass sich Ratten, denen ihr gut wachsendes, etwa drei Wochen altes 
Sarkom recidivfrei fortoperiert wird, gegen Nachimpfungen mit demselben 
oder einem anderen Tumor auf lange Zeit hinaas refraktär verhalten, 
wohingegen Tiere, bei denen es zu einem Recidiv kommt, mit Erfolg 
nachgeimpft werden können. Man sieht, dass ein solches Verhalten der 
Lehre von der Athrepsie schlechterdings widerspricht. Apolant, der 
mit Ehrlich athreptischen Einflüssen im Rahmen der Geschwulst¬ 
immunität eine dominierende Rolle zuschreibt, ist denn auch als erster 
in eine Nachprüfung der Angaben Uhlenhuth’s und seiner Mitarbeiter 
eingetreten, hat aber in mehreren Versuchsserien eine Nachimpftumoren¬ 
ausbeute von 50 pCt. und darüber bei recidivfrei operierten Tieren er¬ 
halten. Auch v. Graff und Ranzi haben, allerdings an der Hand von 
nur wenig ausgedehnten Experimenten, die Gesetzmässigkeit der Beob¬ 
achtungen Uhlenhuth’s bestritten. Am Berliner Institut für Krebs¬ 
forschung habe ich die in Rede stehenden Verhältnisse an drei ver¬ 
schiedenen Rattensarkomstämmen untersucht. Im ganzen habe ich 
46 tumorkranke Tiere operiert. Bei 32 gelang die Exstirpation recidiv¬ 
frei, bei 6 kam es zu wachstumsunfähigen, bald wieder der Resorption 
anheimfallenden Recidiven und bei 8 zu bleibenden Recidivgeschwülsten. 
Unter den 32 Ratten der ersten Kategorie wurden nur zwei gut wachsende 
Xaehimpftumoren beobachtet, viermal höchstens bohnengrosse, nach 
einiger Zeit wieder verschwindende Nachimpfgeschwülste. In der zweiten 
Kategorie fielen die Nachimpfungen zweimal unter 6 positiv aus und in 
der dritten, bei den bleibenden Recidiven, waren sie stets positiv, bis 
auf einmal, wo die Nachimpfstelle vereiterte. Meine Versuchsergebnisse 
zeigen also entgegen den Befunden Apolant’s, v. Graff’s und Ranzi’s 
zwischen recidivfreien und recidivbehafteten Ratten bezüglich ihres Ver¬ 
haltens gegenüber Nachimpfungen einen ganz ähnlich markanten Unter¬ 
schied, wie ihn Uhlenhuth und seine Mitarbeiter festgestellt haben. 
Uhlenhuth’s Deutungsversuch, dass im recidivfreien Zustande die zuvor 
gebildeten Antikörper frei werden und mithin den Nachimpferfolg unter¬ 
drücken können, während sie von eventuellen Recidiven abgefangen 
werden und also nicht disponibel sind, erklärt die vorliegenden Ver¬ 
hältnisse in befriedigender Weise und verträgt sich auch mit gelegent¬ 
lichen Ausnahmen. Immerhin kann ein ganz eindeutiger Beweis für das 
Vorkommen von Geschwulstantikörpern darin nicht erblickt werden. Das 
eine kann aus Uhlenhuth’s und meinen recht umfangreicheu Versuchs¬ 
reihen aber doch geschlossen werden, dass nämlich im tumorkranken 
Rattenorganismus jedenfalls auch Abwehrbestrebungen irgendwelcher Art 
mobil gemacht werden, die mit der Athrepsie im Sinne Ehrlich’s nichts 
zu tun haben. 

Hr. ▼. Hansemann: Es ist sehr merkwürdig, wie eine Anschauung 
sich anders darstellt, wenn man sie selbst ausspricht oder wenn sie von 
einem anderen citiert wird. Ich muss sagen, ich habe meine Ansicht, 
die ich früher geäussert habe, in den Worten des Herrn Lewin eigent¬ 
lich kaum wieder erkannt. Ich habe, wie Herr Lewin selbst sagt, aus¬ 


drücklich anerkannt, dass es bei Mäusen und Ratten bösartige Ge¬ 
schwülste gibt und speziell auch richtige Carcinome. Meine ganze 
Differenz in bezug auf die Geschwülste der Mäuse — von Ratten habe 
ich meines Wissens überhaupt nicht in dieser Richtung gesprochen — 
bezieht sich auf die bekannten Mäusetumoren, die verschiedene Namen 
bekommen haben, die als Jensen’sche Tumoren gelten, die von der Ehr- 
lich’schen Schule schlechtweg als Carcinome, und zwar speziell als 
Mammacarcinome bezeichnet worden sind. Also diejenigen Tumoren, die 
der grössten Mehrzahl nach die Grundlage für die zahllosen Experimento 
bei Mäusen abgegeben haben. Von diesen Tumoren habe ich behauptet, 
nicht etwa, dass sie keine bösartige Tumoren wären, sondern dass sie 
nicht identisch wären mit Carcinomen des Menschen. Ich gebrauche in 
dieser Beziehung überhaupt nicht mehr das Wort „Krebs“, weil das 
Wort „Krebs“ durch die Propaganda verwässert worden ist. Heutzutage 
verstehen die meisten Menschen unter „Krebs“ irgendeinen beliebigen 
bösartigen Tumor. Das ist leider so geworden, und das ist nicht zu 
ändern. Aber deswegen gebrauche ich nicht mehr den Ausdruck „Krebs“ 
für Carcinom. 

Nun sagt Herr Lewin, es sei ganz gleichgültig, ob es ein endo¬ 
thelialer oder ein epithelialer Tumor sei; wenn er bösartig sei, sei es 
Krebs. Mir ist es nicht gleichgültig, ob es ein endothelialer oder epi¬ 
thelialer Tumor ist. Wenn der Tumor mit einem menschlichen Carcinom 
identisch sein soll, muss erst naebgewiesen werden, dass dieser Tumor 
auch wirklich sich in einer solchen Weise verhält, wie ein menschliches 
Carcinom. Das ist meiner Ansicht nach bisher nicht geschehen. Ich 
meine wohl, dass gelegentlich Metastasen bei diesem Tumor Vorkommen. 
Wenn mir jemals irgendwo in der Diskussion im Eifer des Gefechts der 
Ausdruck „nie“ entschlüpft sein sollte, nehme ich ihn hier ausdrücklich 
zurück. Das ist ein Lapsus gewesen. Ich erinnere mich nicht, dass ich 
es gesagt habe. Ich glaube, dass ich von „meistens“ gesprochen habe. 
Das würde mit dem stimmen, was in der Literatur feststeht. Jetzt ist 
aber in der Literatur eine solche Konfusion entstanden, was bei den 
Mäusen spontaner und was Impftumor ist, dass man gar nicht mehr 
herauskommt. In vielen Arbeiten ist es gar nicht mehr angegeben, ob 
die Herren mit spontanen oder Impftumoren gearbeitet haben. Der 
Mehrzahl nach haben sie mit Impftumoren gearbeitet. Dann kommt 
heraus, dass sie ihre Mäuse von London, Kopenhagen oder Frankfurt aus 
den Instituten bezogen haben. Das sind alles Impftumoren gewesen. 
Die Impftumoren verhalten sich aber in bezug auf die Metastasenbildung 
ganz anders als die spontanen Tumoren. 

Es kommt aber eine zweite Schwierigkeit hinzu. Das ist die, dass 
man auch bei Mäusen, die man gar nicht aus den Instituten bezieht, 
heutzutage nicht mehr sicher ist, dass es wirklich ein spontaner Tumor 
ist. Denn die Händler fälschen die Tumoren. Die wissen ganz genau, 
dass sie für Tumormäuse 2 Mark und 3 Mark und mehr bezahlt be¬ 
kommen. Dann impfen sie Mäuse und bringen sie einem als Primär¬ 
tumoren. Ich habe zweimal einen Händler dabei abgefasst, als er mir 
den Impftumor für einen spontanen Tumor verhandeln wollte. Man 
muss ganz genau informiert sein und seine Quellen kennen, wo man die 
Primärtumoren herbezieht. Sonst kann man hineinfallen, wenn man 
nicht geübt ist, das zu unterscheiden. 

Nun möchte ich bemerken, dass es sehr wichtig ist, daran festzu¬ 
halten, dass bei diesen Primärtumoren der Mäuse sehr häufig multiple 
Tumoren gleichzeitig an verschiedenen Stellen auftreten. Das ist auch 
etwas, was diesen Tumoren eigentümlich ist. Ich habe natürlich nie 
geleugnet, dass, wenn bei einer Maus ein Cancroid oder ein Sarkom 
auftritt, das infiltrierend wachsen kann. Aber die Gründe, die Herr 
Lewin für das infiltrierende Wachstum angeführt hat, sind doch un¬ 
möglich anzuerkennen, vor allen Dingen schon in bezug auf das, was er 
über den Menschen gesagt hat, wo es absolut nicht stimmt. Ich müsste 
da alle Worte, die Herr Lewin gesagt hat, wiederholen, was ich aus 
dem Kopf nicht kann. Ich will nur das eine anführen, dass Herr Lewin 
gesagt hat: in der Leber finden die Tumoren einen grösseren Wider¬ 
stand, und darum wachsen sie infiltrierend. Ja, warum wachsen die 
Tumoren in der Leber nicht nach der Oberfläche der Leber ins Peri¬ 
toneum hinein, wo sie nicht den Widerstand finden? Das beweist gar 
nichts. Sie sind mechanisch gar nicht gezwungen, in die Leber hinein- 
zuwaebsen, und tun es doch. Es ist eben ihre Eigentümlichkeit, dass 
sie infiltrierend in die Leber hineinwachsen. Aber das liegt nicht am 
Widerstand, den sie finden. Damit hat das gar nichts zu tun. Von 
diesen Mäusetumoren wird behauptet, es seien Mammatumoren. Die 
Schüler von Ehrlich, Apolant speziell, sagen direkt: es sind Mamma¬ 
krebse, Milchdrüsenkrebse. Wo wächst denn jemals ein Milchdrüsen¬ 
krebs bei Menschen in der Weise zwischen die subcutanen Bindegewebs- 
schiohten hinein, wie es diese Mäusetumoren tun, dass sie als ganz ab¬ 
geschlossene Geschwülste die Haut abheben? Herr Apolant hat 
behauptet, man könne auf diese Tumoren die Plattenrekonstruktions¬ 
methode nicht anwenden. Herr De ton hat sie in meinem Institut an¬ 
gewandt. Was soll das nun heissen, wenn jemand sagt, dass sich das 
nicht anwenden liesse? Das hat doch keine Bedeutung der Tatsache 
gegenüber, dass durch diese Methode nachgewiesn worden ist, dass diese 
Tumoren in gar keinem Zusammenhang mit der Milchdrüse stehen. 

Ich will nur noch erwähnen, dass Herr Lew in behauptet hat, dass 
kein Anatom den Unterschied zwischen diesen Tiergeschwülsten und 
menschlichen Geschwülsten feststellen könne. Es gibt menschliche Ge¬ 
schwülste, die diesen Mäusegeschwülsten sehr ähnlich sehen. Ich habe 
vielleicht drei- bis viermal in meinem Leben solche menschlichen Ge¬ 
schwülste gesehen. Das waren aber keine Carcinome. Das waren 


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82 


Nr. 2. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Geschwülste, die sich innerhalb des Bindegewebes bilden und in 
gar keiner Beziehung zu der Haut und ihren drüsigen Organeu 
stehen. Das waren sicher keine Carcinomo. Ich kann die Prä¬ 
parate gelegentlich heraussuchen und sie vorzeigen. Die sehen 
diesen Mäusetumoren sehr ähnlich. Aber ich glaube doch nicht, 
dass Herr Lewin mich hereinlegen würde, wenn er mir einen Mäuse¬ 
tumor, ohne dass ich es wüsste, vorlegte und mir sagte, es wäre ein 
menschlicher Tumor. Ich traue mir doch zu, dass ich ihn als Mäuse¬ 
tumor erkenne. Da kann Herr Lewin meiner Ansicht nach nicht be¬ 
haupten, dass kein Anatom imstande wäre, da 9 zu unterscheiden. Da 
sollte er doch vorsichtig sein. Ich bin bereit, das Examen anzutreten. 

Hr. C. Davidsohn: Ich möchte zwei rein anatomische Bemerkungen 
machen. 

1. Das Auftreten von Amyloid hat direkt nichts mit der Kachexie 
zu tun. 

Es findet sich entweder bei Gewebszerfall (Ulcerationen) nach 
aussen, oder Erweichung im Innern mit Zerfall der Zellen und Zell¬ 
kerne. 

2. Das hier gezeigte „infiltrative Wachstum“ der Rattensarkome 
ist in Wahrheit eine interstitielle Wucherung, man sieht, wie die 
Muskelsepten mit Geschwulstzellen gefüllt sind und die Muskelfasern 
auseinander gedrängt werden. Die Muskelfasern sind schliesslich nur 
noch in Resten vorhanden. Aber es ist nicht gezeigt worden und 
bisher auch noch nicht beobachtet worden, was man beim Sarkom des 
Menschen fast in jedem Falle sehen kann, dass die Zellen in die Muskel¬ 
schläuche hineinwachsen und die quergestreifte Substanz innerhalb 
des Sarkolemms verdrängen und an ihre Stelle treten. Das ist ein 
anatomisch prinzipieller Unterschied, auf den aufmerksam zu machen ist. 

Hr. Paul Lazarus: Ein Wort zur Frage der Therapie. Herr 
Lewin hat Stellung gegen die Flut der neuen Krebsheilmittel ge¬ 
nommen. Auf Grund eigener Erfahrung kann ich ihm vollkommen bei- 
pfliebten. Aus der Literatur der jüngsten Jahre habe ich mehr als 
67 Krebsheilmittel zusammenstellen können. Viele von diesen, Sera, 
Iramunisierungsverfahren, Farbstoffe, Kolloide, Fermente, die strahlende 
Energie, habe ioh jahrelang in systematischer Art in der Krebsstation 
der Königl. Charite verwandt. Vorübergehende Besserungen, zeitweise 
Stillstände habe ich gesehen. Aber noch nie ist es mir geglückt (aus¬ 
genommen bei Hautepitheliomen), einen inoperablen Krebskranken 
dauernd gesund und erwerbsfähig zu machen. Es besteht, wie Herr 
Lewin mit Recht hervorgehoben hat, eine grosse Differenz zwischen 
den Ergebnissen der experimentellen Krebstherapie und den Vorgängen 
im menschlichen Organismus. Namentlich der Krebs der Maus lässt 
sich mit verschiedenen Verfahren, z. B._ mit destilliertem Wasser oder 
mit auf 70—80° erhitzter physiologischer Kochsalzlösung zum Ver¬ 
schwinden bringen. Ich glaube also, dass man die verschiedenen Ver¬ 
fahren, die in den letzten Jahren empfohlen worden sind, niemals bei 
einem noch operablen Krebskranken vor der Operation anwenden soll. 
Die Operation ist gegenwärtig die einzige Lebensaussicht des Krebs¬ 
kranken, und deshalb können wir nichts Besseres tun, als den Krebs¬ 
kranken so rasch als möglich dem Chirurgen zuzuführen. Unmittelbar 
nach der Operation können dann, in der Absicht ein Recidiv zu ver¬ 
hüten, die konservativen Verfahren angewandt werden. Ich speziell 
unterziehe diese Kranken in Intervallen einem Cyklus von Röntgen¬ 
bestrahlungen und gebe ihnen in grossen Dosen Pankreatin (innerlich 
teelöffelweise) und Atoxyl (subcutan). 

Hr. G. Klemperer: Ich möchte nur in bezug auf die Bemerkung 
von Herrn v. Hansemann ganz kurz präzisieren, worauf es uns eigentlich 
aokommt. Als vor einem Jahre die denkwürdige Sitzung stattfand, wo 
Herr v. Wassermann seine Serumerfolge beim Tiercarcinom demon¬ 
striert hat, hat Herr v. Hansemann mit Recht mit aller Schärfe betont: 
Mäusekrebs ist kein Menscheokrebs. Wir haben seitdem eine Reihe 
anderer Methoden kennen gelernt, mit denen es uns gelungen ist, das 
Tiercarcinom in ausserordentlicherWeise zu beeinflussen. Es war ausser¬ 
ordentlich notwendig zu sagen, dass grosse Differenzen bestehen zwischen 
Menschencarcinom und Tiercarcinom. Aber auf der anderen Seite kommt 
es uns doch ausserordentlich viel darauf an, auch die Analogien hervor¬ 
zuheben und zu zeigen, dass die Verschiedenheiten zwischen Menschen- 
oarcinora und Tierkrebs im allgemeinen nicht grösser als sie bei anderen 
Krankheiten sind, die bei Menschen und Tieren Vorkommen, auch dass 
sie eben in der Verschiedenheit der Gattungen begründet sind. Tier¬ 
pneumonie, Mäusepneumonie ist z. B. etwas anderes al 9 Menschen¬ 
pneumonie. Und wenn man wie wir den Gedanken festhält, dass die 
Geschwulstkrankheiten parasitäre Krankheiten sind, müsste man sagen, 
dass die Verschiedenheiten, einen ähnlichen Parasiten vorausgesetzt, 
zwischen Menschenkrebs und Tierkrebs nicht grösser sind, als sie bei 
diesen anderen Krankheiten gefunden werden. Es kam uns darauf an 
zu zeigen, wie gross die Analogien sind. Wir haben im Krebsinstitut 
die ganzen Jahre daran gearbeitet, diese Analogien zu vertiefen und zu 
begründen. Und wir haben wohl allen Anlass, Herrn Lewin für die 
schönen Präparate dankbar zu sein, die er vorgeführt hat, und die doch 
die Analogie in solch hellem Licht zeigen, dass an ihrer weitgreifenden 
Aehnlichkeit nicht zu zweifeln ist. Auch was Herr Hirschfeld und 
Herr Meidner vorgetragen haben, sind alles nackte Tatsachen. 

Es wird jetzt unsere Aufgabe sein, weiter in diesem biologischen 
Sinne zu zeigen, worauf die Verschiedenheiten beruhen. Weon das ge¬ 
zeigt werden kann, wird sich auch zeigen, warum die bisherigen Methoden, 


die bei Tieren gewirkt haben, bei Menscheu nicht wirken, und wie es 
vielleicht doch möglich ist, diese Methoden auf den Menschen weiter 
auszubilden. Das ist natürlich ein sehr langwieriger Weg. Aber wenn 
man sich auf den neuerdings beliebten Standpunkt stellen wollte, es 
wäre toto coelo verschiedenartig, dann wäre der Weg abgeschnitten. In 
dieser Beziehung sind wir Herrn v. Hansemann dankbar, dass er so 
viel von seinen früheren Aeusserungen zurückgenommen und sich auf 
einen anderen Standpunkt gestellt hat. (Grosse Heiterkeit.) 

Hr. Lewin (Schlusswort): Ich möchte von dem, was in der Dis¬ 
kussion angeführt worden ist, nur noch auf das, wa9 Herr von Hanse¬ 
mann gesagt hat, eingehen. Im vorigen Jahre hat Herr von Hanse¬ 
mann wörtlich seine Stellung zu diesen Tumoren dahin präzisiert, sie 
könnten nicht als Krebs angesehen werden, obwohl er es dahin ein¬ 
geschränkt bat, dass auch Krebse Vorkommen können; aber die Tumoren, 
mit denen allgemein gearbeitet wird, wären keine Carcinome. Er bezieht 
sich jetzt auf die sogenannten Jensen’schen Tumoren. Ich weiss nicht, 
ob Herr von Hansemann das, was er heute gesagt hat, lediglich auf 
den Tumor von Jensen bezogen wissen will. (Hr. von Hansemann: 
Jawohl! Lediglich!) Dann wäre das allerdings bisher ein grosses Miss¬ 
verständnis gewesen. Denn wenn er es nur auf diese einzige Tumorart 
beziehen will, so weise ich darauf hin, dass dieser Tumor absolut nicht 
gang und gäbe bei den Mäusen ist, dass er zwar vielfach vorkommt, 
dass aber die Mäusetumoren durchaus nicht durchgängig diesen Typus 
zeigen, wie Herr von Hansemann meint. Ich kann über diesen Tumor 
aus eigener Erfahrung überhaupt nicht viel sagen. Denn alle die Tumoren, 
mit denen ich arbeite, sind nicht Jensen’sche Tumoren, sondern es sind 
Tumoren, die ich hier aus Berlin bekomme. 

Nun bat Herr von Hansemann gemeint, dass die Händler die 
Primärtumoren fälschten. Wir haben aber ein ausgezeichnetes Mittel, 
das festzustellen, und zwar folgendes: die meisten spontanen Tumoren 
gehen nicht an. Wenn die Händler uns wirklich oft täuschen würden, 
so würden wir ein viel besseres Resultat mit dem Ueberimpfcn der 
Tumoren haben. Aber dass wir einen spontanen Tumor weiter impfen 
können, gehört in unserem Iustitut zu den allergrössten Seltenheiten, 
während wir doch die Impftumoren immer weiter impfen können. 

Ich glaube also nicht, dass die Tumoren, die uns gebracht werden, 
gefälschte Tumoren sind, im übrigen muss ich daran festbalten, dass 
das infiltrative Wachstum bei jedem Tumor, auch bei dem Tumor vom 
Jensen’scben Typus, erreicht werden kann, wenn man ihn nur in die 
richtigen Wacbstumsbedingungen bringt. Ich muss auch daran fest- 
halten, dass der Einfluss der Umgebung auf das Wachstum als mindestens 
ebenso maassgebend angesehen werden muss wie die veränderte Biologie 
der Tumorzellen, insofern, als kein Tumor infiltrativ wächst und wachsen 
kann, wenn er in der Umgebung keinen Widerstand findet. 

Laryngologische Gesellschaft za Berlin. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 22. November 1912. 

Vorsitzender: Herr Killian. 

Schriftführer: Herr Grabower. 

Vor der Tagesordnung. 

Hr. Killian gedenkt des verstorbenen Mitgliedes Dr. Siegel, der 
kurz nach erfolgter Appendicitisoperation an Embolie der Lungenarterie 
verschieden ist. Ein ungewöhnlich trauriger Fall. Der Verstorbene hat 
grosses Interesse für unsere Disziplin gehabt und es praktisch und 
wissenschaftlich betätigt. 

Die Versammlung ehrt das Andenken durch Erheben von den Sitzen. 

Eingegangen ist ein Beileidssohreiben der Belgischen Gesellschaft 
für Laryngologie aus Anlass des Todes Rosenberg’s. 

Dem Komitee zur Errichtung eines Denkmals für Robert Koch 
wird auf Antrag des Vorsitzenden ein Beitrag von 100 M. überwiesen. 

Demonstrationen. 

1. Hr. Grabower: M. HJ Ich kann Ihnen heute nur das Bild eines 
interessanten Tumors zeigen, dessen Träger vor den Ferien hier zur 
Stelle gewesen ist, damals aber wegen zu stark besetzter Tagesordnung 
nicht hat vorgestellt werden können. Der Fall betrifft einen 45 jährigen 
Schlosser, der in meine Poliklinik kam mit der Klage, geringe Be¬ 
schwerden beim Schlucken zu empfinden. Die Untersuchung ergab eine 
über den harten und weichen Gaumen und Uvula ausgebreitete zottige 
weiche Geschwulst von rötlicher Farbe. Sie sah so aus, wie wenn sie 
den genannten Teilen gewissermaassen wie ein Filzdeckel ganz eng an¬ 
gepresst aufsässe. Am hinteren Ende war sie ein wenig überhäogend, 
man konnte sie dort mit der Sonde etwas abheben. Im übrigen war sie 
fest mit Gaumen und Uvula verwachsen. Sie machte beim ersten An¬ 
blick den Eindruck einer papillomatösen Wucherung. Als ich aber vom 
Seitenrande ein Stück entnahm und mikroskopisch untersuchte, musste 
ich sie als Carcinom bezeichnen, bei genauerem Zusehen als Platten- 
epitbelcarcinom. Einige Präparate habe ich hier ausgestellt. Man sieht 
in einiger Entfernung vom Epithel alveoläre Räume, welche mit grossen 
runden, zum Teil verhornten Zellen ausgefüllt sind. Ab und zu sieht 
man an den Zellen feine Riffelungen, die beweisen, dass die Zellen dem 
Epithellager entstammen. Die sehr reichliche Kernmitose zeigt an, dass 
der Tumor sich in lebhafterem Wachstum befindet. Die Nachbarteile, 
Mundhöhle, Nasenhöhle, der gesamte Rachen und Kehlkopf waren frei 


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13. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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von Wucherungen. Nur am hintersten Rande des Sternocleidomastoideus 
fühlte ich zwei minimale linsengrosse barte Knötchen. Bei der circum- 
scriptcn Beschaffenheit des Tumors hoffte ich von der schnellen Aus¬ 
rottung Erfolg und überwies den Patienten zur sofortigen Operation 
einem Krankenhause. Oer Patient zögerte aber ohne mein Wissen mit 
der Aufnahme viele Wochen. Als er endlich daselbst ankam, waren 
bereits Metastasen im Rachen vorhanden, und die Drüsen an der seit¬ 
lichen Halsgegend waren so gross, dass der betreffende Chirurg des 
Krankenhauses von einer Operation wegen Aussichtslosigkeit Abstand 
nahm. 2 l l z Monate darauf starb der Patient. 

Was an diesem Tumor, dessen Abbildung ich mir herumzugeben 
erlaube, und welche ich Herrn Prof. Martens verdanke, besonders 
interessant ist, ist zunächst der Ort seines primären Auftretens. Es ist 
hier ganz einwandfrei erwiesen, dass es sich um einen primären Gaumen¬ 
tumor handelt. Die primären Gaumencarcinome sind ausserordentlich 
selten. Bei eioer Durchsicht der Literatur habe ich im ganzen etwa 
8 Fälle gefunden, und von diesen kann ich eigentlich nur 6 die wirklich 
sichere Bezeichnung eines primären Gaumencarcinoms zuerkennen. Dies 
wäre dann der siebente Fall. Ausserdem ist interessant die eigenartige 
Konfiguration des Tumors. Die primären Carcinome am Gaumen pflegen 
sich so zu entwickeln, dass an irgendeiner Stelle, etwa in der Mitte des 
Gaumens eine Wucherung vorhanden ist, welche dann in die Tiefe 
wuchert. Ich habe Ihnen hier ein Bild mitgebracht, das ich ebenfalls 
der Freundlichkeit des Herrn Prof. Martens verdanke, der diesen Tumor 
beobachtet hat. Sie sehen, wie sich solch maligner Tumor entwickelt. 
Die weiche filzige Flächenausdehnung über harten und weichen Gaumen 
in dem von mir beobachteten Falle ist gewiss sehr selten; ich habe sie 
weder in den einschlägigen Atlanten gesehen noch auch sonst be¬ 
schrieben gefunden. 

Diskussion. 

Hr. Killian: Ich möchte nur hinzufügen, dass ich gelegentlich ein 
Plattenepithelcarcinom am weichen Gaumen gesehen habe, das ein Ab- 
klatschcarcinom von einem am Zungengrunde sitzenden Carcinom war. 

Dann möchte ich noch auf eine Form von Carcinom im Rachen 
und am Gaumen aufmerksam machen, die selten ist und nicht eigentlich 
als Carcinom imponiert. Die Chirurgen kennen diese Form sehr gut. 
Es sind das ganz kleine flache Geschwürchen. Der Krebszerfall greift 
nicht in die Tiefe. Man denkt an alles andere eher als an Carcinom, 
macht die mikroskopische Untersuchung und findet, dass es sich um ein 
Carcinom handelt. Diese Carcinome haben die Eigentümlichkeit, dass 
sie sehr früh Metastasen machen. Die metastatischen Tumoren am Halse 
sind gewöhnlich erst das, was die Patienten zum Arzt führt. 

2. Hr. Davidsons: M. H.! Die Patientin, deren LarjDX anzusehen 
ich Sie bitte, ist eine 42 jährige Frau, die schon ziemlich häufig das 
Objekt näsen ärztlicher Eingriffe war. Vor 12 Jahren ist ihr von anderer 
Seite die rechte Stirnhöhle operiert worden. Vor 6 Jahren habe ich ihr 
die rechte Kieferhöhle eröffnet und habe ihr damals die linke Stirnhöhle 
nach der Kuhnt’schen Methode operiert. Danach war sie 3 Jahre voll¬ 
kommen beschwerdefrei. Vor 3 Jahren bekam sie wieder Sekretion aus 
der linken Stirnhöhle und anfallsweise auftretende Schmerzanfälle, sie 
konnte sich aber begreiflicherweise nicht zu einem erneuten Eingriff ent¬ 
schlossen. Erst als in diesem Sommer die Sekretion sehr zunahm, auch 
die Schmerzanfälle häufiger wurden, entschloss sie sich, die Radikal¬ 
operation der linken Stirnhöhle vornehmen zu lassen. Die Operation 
wurde am 27. August ausgeführt, und zwar unter Wegnahme des Stirn- 
höblenbodens. Die Höhle war nicht sehr hooh, so dass ich von der 
vorderen Wand gar nichts wegnabm. Es wurde das Siebbein ausgeräumt 
und die Operation typisch beendet. Die Narkose wurde mittels der 
Kahnt’sehen peroralen Intubation von Herrn Kollegen Sturmann aus- 
gefuhrt, der ja in bezug auf die Technik dieser Methode sehr zuverlässig 
ist. Die Intubation gelang auch ausserordentlich leicht, die Einführung 
des Rohres bereitete gar keine Schwierigkeiten. Am Tage nach der 
Operation war die Patientin vollkommen stimmlos und klagte über 
heftige Schluckschmerzen. Nach 8 Tagen untersuchte ich den Larynx 
und fand in der Gegend des hinteren Endes des linken Stimmbandes 
am linken Processus vocalis eine mässig starke Schwellung und Rötung, 
weiter uichts. Wenige Tage darauf hörten auch die Schmerzen auf, und 
die Patientin klagte gar nicht mehr über ihren Larynx. — Ich will noch 
erwähnen, dass der Eingriff selbst gut verlief, desgleichen die Nach¬ 
behandlung. Die äussere Wunde heilte per primam, die Sekretion hörte 
sehr bald auf, Schmerzen traten gar nicht mehr auf, kurz, die Be¬ 
schwerden waren vollkommen verschwunden. 2 Monate nach der Ope¬ 
ration, am 23. Oktober, klagte die Patientin, als sie wieder einmal zur 
Besichtigung kam, über Fremdkörpergefühl im Larynx; sie sagte, dass 
sie das in wechselnder Intensität schon längere Zeit hätte. Bei der 
Untersuchung zeigte sich dann, dass an der Stelle der damals vor¬ 
handenen Schwellung ein Tumor entstanden war von über Linsengrösse, 
gestielt aufsitzend, von ganz glatter Oberfläche, und zwar subglottisch 
gelegen, der sich bei der Phonation unter das rechte Stimmband hin¬ 
unterschob, so dass die Patientin gar nicht heiser war. Am hintereu 
Ende des rechten Stimmbandes sassen zwei ganz kleine Tumoren eben¬ 
falls subglottisch. Nach 8 Tagen etwa waren diese kleinen Tumoren 
am rechten Stimmbande vollkommen verschwunden, am linken aber blieb 
der Tumor genau so, wie Sie ihn heute noch sehen können. Er hat 
sich in seiner Grösse gar nicht verändert. Es ist wohl mit Sicherheit 
aozunehmen, dass dieser Tumor als Folge der Kuhnt’schen Intubation 
entstanden ist. Soviel ich weiss, sind bisher solche Fälle noch nicht 


mitgeteilt worden. Ich möchte glauben, dass es sich um ein Granulom 
handelt; es kann kaum etwas anderes sein, wenngleich der Tumor nicht 
recht so aussieht. Die mikroskopische Untersuchung steht noch aus, da 
ich der Demonstration wegen den Tumor noch nicht entfernen wollte. 
Sie wird noch nachgeholt werden. 

Diskussion. 

Hr. Peyser: Ich möchte Herrn Kollegen Davidsohn einen Bei¬ 
trag aus meiner eigenen Praxis beisteuern. Ich habe eine Patientin 
einige Zeit hindurch wegen asthmatischer Beschwerden bronchosbopisch 
behandelt — nebenbei bemerkt, mit recht gutem Erfolge. Eines Tages, 
gegen Schluss der Behandlung, sah ich zu meinem Erstaunen, als ich 
zum Zwecke der Cocainisierung auf indirektem Wege in den Larynx 
hineinblickte, einen gestielten Tumor subglottisch an der Hinterwand. 
Ich habe mir gleich dieselbe Erklärung zurechtgelegt wie der Herr 
Kollege, nämlich dass es sich um eine leichte Erosion mit Granulations¬ 
bildung handele, und wollte den kleinen Tumor entfernen. Als die 
Patientin nach 14 Tagen zu diesem Zwecke erschien, zeigte sich auch 
nicht mehr eine Spur von dem Tumor. Ich zweifle nicht, dass den¬ 
jenigen, die häufig die direkte Methode anwenden, gelegentlich solche 
Dinge passieren. Man sieht an dem Verschwinden des Tumors, wie 
harmlos er eigentlich ist. 

Hr. Ritter: Ich bin in der Lage, über einen dritten Fall der 
gleichen Art zu berichten, der vollständig dem des Herrn Peyser ent¬ 
spricht. Nach einer Kuhnt’schen Intubation zur Narkose war ebenfalls 
bei einer Dame ein kleiner Tumor au einem Stimmband entstanden, 
der im Laufe einiger Wochen wieder spontan verschwand. 

Hr. Killian: Ich habe das nie beobachtet trotz der zahlreichen 
Bronchoskopien, die ich ausgeführt habe, und trotz der zahlreichen In¬ 
tubationen nach Kuh nt, die ich bei Nebenhöhlenoperationen schon seit 
langem anwende. Allerdings gehe ich in der Weise vor, dass ich das 
Instrument unter Leitung des Spiegels einführe. Das ist viel sicherer 
und schonender als unter Leitung des Fingers. 

3. Hr. Killian: M. H.! Ich möchte Ihnen zwei Falle kurz demonstrieren, 
die demnächst zur Entlassung aus meiner Klinik kommen sollen. Bei 
beiden Fällen handelt es sich um Pl&ttenepithelc&rcinome. In dem 
einen Falle habeu wir wegen Carcinoms des Larynx die totale Ex¬ 
stirpation gemacht. Das Carcinom sehen Sie hier (Demonstration); die 
Ausdehnung der Geschwulst ist derart, wie Sie gleich erkennen können, 
dass nur vermittelst der Totalexstirpation geholfen werden konnte. Wir 
haben vorher ein Probestück entfernt und uns die Diagnose gesichert. 
Der Fall ist streng nach Gluck operiert und sehr glatt verlaufen. Wir 
haben gar keine Scherereien mit nachträglichen Plastiken gehabt. Das 
einzige war eine kleine Fistel hier oben, welche sich von selbst schloss. 
Ich habe das dem Umstand zu verdanken, dass ich soviel wie möglich 
Schleimhaut schonte und dann sorgfältig einen neuen Oesophagus bildete. 
Der Patient kann brillant schlucken. Wir werden bald die Kanüle 
weglassen können. Patient hat schon ein paar Sprechversuche gemacht 
und wird jetzt unter Leitung des Kollegen Gutzmann noch weiter 
üben, damit seine Sprache noch etwas verständlicher wird. 

Der zweite Fall wird Sie mehr interessieren: da handelte es sich 
um ein Carcinom, das an der rechten Rachenwand sass, und zwar unter¬ 
halb der Tonsille und von da abwärts zum Sinus pyriformis. Solche 
Exstirpationen gelten für gefährlich wegen der leicht folgenden Schluck¬ 
pneumonien. Man muss daher die Operation mit der Tracheotomie be¬ 
ginnen und eine Tamponkanüle einlegen, welche eine Reihe von Tagen 
liegen bleibt. Meine Tamponkanülen sind mit Gumraischwamm umhüllt, 
was sich mir sehr bewährt hat. Mao muss übrigens die Tracheotomie 
auch deshalb machen, weil sich nach solchen Operationen gewöhnlich 
ein Oedem des Larynxeingangs bildet und die Patienten dann Er¬ 
stickungsnot bekommen. Es ist besser, dem zuvorzukommen. Die Ex¬ 
stirpation wurde von der Seite her ausgeführt — Sie sehen den Schnitt 
den vorderen Rändern des Sternocleidomastoideus entlang — unter 
lokaler Anästhesie. Nachdem vorher Scopolamin-Morphium in der 
üblichen Menge eingespritzt war, konnten wir die Operation ohne Narkose 
ausführen und von aussen her das Carcinom freilegen. Die Schleimhaut¬ 
wunde wurde sorgfältig vernäht, ging aber nach einigen Tagen wieder 
auf. Es bildete sich eine grosse Fistel, die sich nach und nach von 
selbst schloss. 

4. Hr. A Meyer: 

Operierter Fall von Carcinom der Kieferhöhle nnd des Siebbeins. 

Die 52jährige Frau kam im August zu uns mit Nasenpolypen, die 
ihr entfernt wurden. Als sie am 13. September wiederkam, wies sie 
wieder multiple Polypen der Siebbeingegend auf; ich räumte ihr daher 
auf endonasalem Wege das Siebbein aus. Hierbei wurde bemerkt, dass 
erstens nicht wie gewöhnlich polypöse, sondern markige Masse heraus¬ 
kam, und dass zweitens die Zange, ohne knöchernen Widerstand zu 
fioden, weit in das Siebbein eindringen konnte. Die mikroskopische 
Untersuchung der entfernten Stücke ergab ein Carcinom. Ich hielt die 
Geschwulst zunächst für einen einfachen Tumor des Siebbeins, auch das 
Röntgenbild schien darauf hinzudeuten; Punktion und Spülung der 
Kieferhöhle hatten negatives Ergebnis. Ich nahm die Radikaloperation 
vor, und zwar auf eine Methode, die der Moure’schen angenähert ist, da 
die Denker’sche mehr für Kieferhöhlencarcinome geeignet ist. Die 
Operation wurde in Narkose vorgenommen; ich infiltrierte vorher sowohl 
die Schnittlinie als auch die laterale Nasenwand mit Adrenalinlösung, 
loh habe dadurch in der Tat .nur sehr geringe Blutung während der 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 2. 


ganzen Operation gehabt Der Schnitt wurde im inneren Drittel der 
Brauen und dann auf dem Processus ascendens abwärts geführt, bis er 
die Apertura pyriforrais ungefähr in der Mitte ihrer Höhe traf. Dann 
wurden die Weichteile abgeschabt. Es zeigte sich schon in der Fossa 
lacrimalis, dass der Knochen vom Tumor durchwachsen war. Daraufhin 
schnitt ich den Tränensack kurz ab. Dann wurde die Apertur freigelegt, 
von der Apertur aus die Schleimhaut der lateralen Nasenwand sowohl 
über wie unter der unteren Muschel, wie Denker angibt, vom Knochen 
abgelöst, die Insertion der unteren Muschel unter dem Periost durch¬ 
schnitten und Tampons eingelegt. Dann trug ich den Processus 
ascendens ab, das Tränenbein, die Papierplatte, das Siebbeinlabyrintb. 
Im letzteren zeigte sich, dass die obere Partie ebenso wie der Eingang 
zur Stirnhöhle und das Keilbein gesund waren, während die untere 
Partie nach der Kieferhöhle zu Tumormassen enthielt. Nun eröffoete 
ich die Kieferhöhle, indem ich die Crista pyriformis (wie Bönninghaus 
sehr gut den vorderen inneren Strebepfeiler des Oberkiefers nennt) abtrug 
und stiess nun auf einen festen grossen Tumor. Darauf verlängerte ich den 
Schnitt, den ich anfangs gemacht hatte, nach unten und aussen quer 
über die Wange hinüber bis zwischen den Processus jugalis und alveo- 
laris und konnte nun in ausgezeichneter Weise die ganze faciale Wand 
der Kieferhöhle nach oben und unten freilegen. Sie war zum Teil von 
Carcinom durchwachsen. Ich trug sie in grosser Ausdehnung ab, ebenso 
den zum Teil gleichfalls erkrankten Boden der Orbita. Wir bekamen 
also eine grosse Knochenbresche, welche die vordere, innere und obere 
Wand der Kieferhöhle und die innere und untere Wand der Orbita um¬ 
fasste. Die Schleimhaut der lateralen Nasenwand einschliesslich der 
unteren Muschel wurde in einem Stück Umschnitten und herausgenommen. 
Die Kieferhöhle war fast vollständig vom Tumor ausgelüllt, so dass 
kaum ein Lumen vorhanden war. Es ist merkwürdig, wie die Spülung 
der Kieferhöhle negativ ausfallen konnte, und dass das Spülwasser 
bequem abfliessen konnte, kaum von Blut gefärbt. Die grosse Wunde 
wurde nun von der Nase aus tamponiert, mit drei oder vier tiefgreifenden 
Nähten vereinigt und dazwischen Klammernaht angelegt. Die Folgen 
der Operation waren ausgezeichnet; Heilung per primam, kein Fieber, 
keine Doppelbilder. Das kosmetische Resultat, wie Sie sich überzeugen 
können, ist sehr gut. Es besteht noch ein ganz leichtes Oedem des 
unteren Augenlids, das allmählich zurückgeht. Die Höhle ist immer 
noch nicht vollständig epithelisiert, sie sezerniert wenig; man sieht noch 
einige Granulationen von guter Beschaffenheit. Zur Untersuchung der 
Höhle hat sich Hirschmann’s Antroskop ausgezeichnet bewährt. Die 
Granulationen sehen gut aus, aber man muss darauf gefasst sein, dass 
sich Recidive zeigen. Ich möchte die Patientin noch mit Röntgenstrahlen 
behandeln lassen, um Recidive hintanzuhalten. Die Schnittführung 
scheint mir zur Freilegung der einseitigen Nebenhöhlentumoren aus¬ 
gezeichnet geeignet zu sein, da sie ausgiebige Uebersicht gewährt. Das 
Röntgenbild nach der Operation zeigt, wie die Nebenhöhlen der rechten 
Seite, die Nase, Kiefer- und Siebbein in eine einzige grosse Höhle ver¬ 
wandelt sind. 

Diskussion. 

Hr. Hölscher: Darf ich den Herrn Vortragenden fragen, ob es 
nicht einfacher gewesen wäre, den Oberkiefer in toto zu resezieren. 

Das Resultat wäre doch wohl besser gewesen und die Operation 
auch wohl einfacher. 

Ich hatte nach Ihrer Schilderung das Gefühl, als ob es eine sehr 
mühevolle Kleinarbeit gewesen wäre, während man sonst mit dem 
radikalen Vorgehen viel rascher und gründlicher zum Ziele hätte kommen 
können. 

Hr. A. Meyer: Oberkieferresektion wäre wohl gründlicher gewesen, 
aber blutiger. Besonders mühselig war die Operation nicht, ob Ober¬ 
kieferresektion schneller von statten gebt, kann ich nicht beurteilen. 
Namentlich aber hätte diese die Patientin verstümmelt und eine Pro¬ 
these nötig gemacht, während sie so keinerlei Nachteile hat und mit 
ihrem natürlichen Kiefer kaut. 

Hr. Hölscher: Bei einem Tumor ist doch die Gründlichkeit auch 
mit die Hauptsache. 

Hr. Wagen er: Ich möchte den Herrn Vortragenden fragen, ob er 
den Schnitt von aussen durch die Haut gelegt hat. (Herr A. Meyer: 
Gewiss!) Ich darf bei dieser Gelegenheit eine Schnittführung angebeh, 
über die ich in nächster Zeit noch genauer berichten werde. Ich führe 
den Schnitt zunächst in der Augenbraue wie beim Killian’schen Schnitt, 
gehe dann herunter am Nasenflügel entlang und bis ins Filtrum hinein 
und schneide die ganze Lippe durch. In der Schleimhaut des Mundes 
lege ich den Schnitt über den Zähnen des Oberkiefers von der Mittel¬ 
linie bis hinten hin. Ich habe dann einen grossen Lappen, den ich 
zurückklappen kann, und gewinne auf diese Weise eine gute Uebersicht 
über das Naseninnere. Finde ich bei Kieferhöhlen- oder Stirnböhlen¬ 
operationen unvermutet einen Tumor, so kann ich ohne Schwierigkeiten 
den Schnitt in dieser Weise vergrössern. Man hat einen ausgezeichneten 
Ueberblick über die ganze Nase. Ich habe z. B. in einem solchen Falle 
von diesem Schnitt aus nicht nur ein Sarkom der einen ganzen Nasen¬ 
seite ausgeräurat, sondern nach Resektion des Septums auch die Kiefer¬ 
höhle und Stirnhöhle der anderen Seite eröffnet. 

Ich glaube, dass sich diese Schnittführung auch für die typische 
Oberkieferresektion eignen wird, und dass sie zweckmässiger ist als die 
jetzt meist geübte Schnittführung der Clirurgen nach Dieffenbach. 
Der Ueberblick, besonders über die Stirnhöhlen- und Siebbeingegend ist 
zweifellos bei meinem Schnitt viel besser. Recidive. treten häufig hinten 


im Siebbein auf, dessen ausgedehnte Ausräumung meines Erachtens un¬ 
bedingt erforderlich ist. Bei der angegebenen Scbnittführung kann man 
auch, wenn sich zeigt, dass der barte Gaumen gesund ist, diesen er- 
erhalten. Das ist in mehreren Fällen geschehen. Der Vorteil für den 
Kranken ist gross. Es ist für mich keine Frage, dass bei Oberkiefer¬ 
resektionen häufig zu schematisch vorgegangen wird, dass häufig der 
Oberkiefer total reseziert wird, wo die Gaumenplatte hätte erhalten 
werden können. 

Hr. Killian: Ich darf nur bemerken, dass ich diesen Schnitt auch 
schon mehrfach ausgeführt habe, und dass ich ihn für sehr zweckmässig 
halte, wenn es sich um Tumoren bandelt, die sich auf die Siebbein¬ 
gegend erstrecken. 

5. Hr. West: M. H.! Ich möchte Ihnen drei Patienten vorstellen, 
an denen ich vei der Nase aas dea Trlaeasaek »pariert labe. (Demon¬ 
stration.) Bei der einen Patientin ist eine Phlegmone operiert worden, 
nachher ist eine Fistel entstanden. Diese war nicht auszuheilen. Ich 
habe den Tränensack von der Nase aus eröffnet, und schon 3 Tage, 
nachdem die Gaze aus der Nase herausgeholt war, war die Fistel in der 
Tiefe zu. Ich habe sie dann von aussen gereinigt uud mit Heftpflaster 
zugeklebt, und am nächsten Tage war sie vollkommen geheilt und ist 
geheilt geblieben. Im Gegensatz zu dieser Phlegmone, die von aussen 
operiert worden ist, zeige ich Ihnen hier einen anderen Fall, wo ich sie 
zum ersten Male von der Nase aus operiert habe. Es ist sehr schwer 
zu sagen, wo die Phlegmone gewesen ist; sie war ringsum vorhanden; 
es war ein so geschwollenes Gewebe, dass man kaum den Punkt sehen 
konnte. Ich möchte auch gleich sagen, es gibt nur eine gewisse Art 
von Phlegmonen, wo man von der Nase richtig operieren kann. Wenn 
das Oedem zu gross ist, dann ist es sehr schwierig. Man kann den 
Tränensack aufmachen, aber es ist viel besser, wenn man durchspülen 
kann. Und um durchspülen zu können, muss man die Tränenpunkte 
finden. 

Ich möchte dann diese beiden Fälle hier vergleichen, von denen 
der eine von aussen operiert ist, der andere von ihnen ohne Narbe. Es 
besteht eine Fistel in diesem Falle. Ich habe bis jetzt fünf Fisteln 
operiert, einmal in Baltimore und hier in Berlin. 

Man soll solche Operationen nur in der Nasenklinik vornehmen 
oder muss sich das volle Instrumentarium mitbringen, wenn man sie in 
der Augenklinik zu machen gezwungen ist. 

Dann stelle ich Ihnen noch eine Patientin vor (Demonstration) mit 
ausgesprochener Dakryocystitis. Hier ist der Tränensack beinahe in toto 
operiert. Das halte ich nicht für gut. Man kann in vielen Fällen von 
der Nase aus Vorgehen, aber es ist nicht gut, den Tränensack in toto 
zu entfernen, weil man das Gewebe hier verletzt. Man soll sich darauf 
beschränken, hier das Stück abzuschneiden. Die Entfernung hier ist 
nur ausnahmsweise geschehen. 

(Schluss folgt.) 


Berliner otologische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 8. November 1912. 

Vorsitzender: Herr Passow. 

Schriftführer: Herr Beyer. 

Vorsitzender: Ich eröffne die erste Sitzung in der neuen Uni¬ 
versitäts-Ohren- und Nasenklinik und hoffe, dass die otologische Gesell¬ 
schaft sich in den neuen Räumen wohl fühlen wird. 

Tagesordnung. 

Wahl eines Mitgliedes der Aufnahmekommission an stelle 
des ausscheidenden Herrn Dennert. 

Herr Claus wird gewählt. 

Ausserhalb der Tagesordnung. 

Hr. Claas: Ich möchte eine Moulage von einer Patientin zeigen, 
die ich vor ®/ 4 Jahren im Virchow-Krankenhause operiert habe. Sie hat 
vor etwa drei bis vier Jahren allmählich eine Anschwellung hinter dem 
Ohr bekommen, welche vor einem Jahre inzidiert wurde. In dem Zu¬ 
stande, den die Moulage zeigt, kam sie zu uns. 

Nun werden Sie fragen, warum ich von einem Atherom eine Moulage 
habe machen lassen. Die Geschwulst präsentiert sich scheinbar als in 
der Haut liegend, man konnte die dünne Haut darüber nicht abheben, 
oder wenigstens nur sehr schwer, und konnte die Spitze des Warsen- 
fortsatzes nicht umgreifen. Bei der Punktion entleerte sich nicht Atherom¬ 
brei, sondern eine seröse Flüssigkeit. 

Bei der Ausschälung gelang es sehr gut, die Cyste herauszupräpa¬ 
rieren, trotzdem sie mit derben Strängen an der Spitze des Processus 
mastoideus verlötet war. Die pathologisch-anatomische Untersuchung bat 
dann ergeben, dass es sich um einen bindegewebigen Sack handelte, 
der nach der Oberfläche zu sehr dünn ausgezogen, im Innern glatt und 
mit einem Plattenepithel ausgekleidet war. Herr Geheimrat v. Han se¬ 
in an n hielt diese Cyste für eine Kiemengangscyste. 

Ich habe bisher noch nirgends gefunden, dass an dieser Stelle des 
Ohres eine Kiemengangcyste beschrieben sei und wollte Ihnen deswegen 
über diesen Fall berichten. 


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13. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Diskussion. 

Hr. Passow: Bei einer Patientin, die ich etwa vor 14 Tagen ope¬ 
riert habe, sah die Geschwulst genau so aus und sass etwa an derselben 
Stelle. Es gelang mir nicht, die Geschwulst in toto herauszubefördern, 
sie barst; wir hatten zunächst den Eindruck, dass es sich um Sarkom 
handele- Im pathologischen Institut wurde ein Myxofibrom festgestellt, 
eine Mischgeschwulst. 

Hr. Peyser: Ich wollte Herrn Claus fragen, ob an der lateralen 
Pharynxwand oder etwa in der Gegend des Sinus pyriformis die An¬ 
deutung eines Ganges oder eine Erhebung sich findet. 

Hr. Claus: Die Untersuchung des Pharynx und Larynx hat nichts 
Besonderes ergeben. 

Hr. Halle*. 

a) Fall mit schweren einseitigen Myalgien, dreimal angeblich wegen 
Stirnhtihlenempyem operiert, 
b) Fall mit Stirnhöhlenempyem, intranasal operiert. 

a) Als ich im vorigen Jahre einen Vortrag hielt über „Myalgien 
in der Ohrenheilkunde“, wies ich darauf hin, dass infolge Nichterkennens 
dieser Affektion leicht einmal ein grösserer Eingriff am Ohr ohne dauernden 
Erfolg gemacht werden könne. Auch wäre es nicht unwahrscheinlich, dass 
man gelegentlich Stirnhöhlenempyeme vermuten und, durch Röntgenbilder 
oder andere anscheinend ebenfalls die Diagnose stützende Symptome ge¬ 
täuscht, die Stirnhöhlenoperation ausführte. Ich berichtete, dass ich 
verschiedene solcher Fälle gesehen zu haben glaubte, wo mir aus dem 
nachträglichen Befund die Diagnose und Indikation zu der ausgeführten 
Operation zweifelhaft erschienen wäre. 

Damals wurden diese Angaben als unwahrscheinlich zum Teil leb¬ 
haft bekämpft. 

Ich erlaube mir, Ihnen heute eine Patientin vorzustellen, die mir 
ein einwandfreier Beweis für die Richtigkeit meiner damaligen Be¬ 
hauptung zu sein scheint. Sie sehen an der Patientin eine nicht sehr 
auffallende Narbe, entsprechend der Killian’schen Schnittfübrung bei 
Stirnhöhlenempyem. Sie ist auch in der Tat dreimal operiert worden, 
und zwar zweimal von einem gut bekannten Rhinologen, einmal von 
einem unserer besten Chirurgen. Ueber die Indikationsstellung weiss 
ich nichts. Ich bin aber überzeugt, dass hinreichende Gründe für die 
Operation Veranlassung zu geben schienen. Der Rbinologe hat unter 
anderem ein Röntgenbild zur Entscheidung mit herangezogen. Trotz¬ 
dem glaube ich aus dem Nasen- und Narbenbefund schliessen zu dürfen, 
dass keine nennenswerte Erkrankung der Stirnhöhle gefunden wurde. 
Und was das wichtigste ist, die schweren einseitigen Kopf¬ 
schmerzen, der Druckschmerz über dem mittleren Augen¬ 
winkel, bestand kurz nach der Operation genau wie vorher. 
Die Ursache sehe ich in schweren Myalgien, die besonders den linken 
Sternocleidomastoideus und etwas weniger den Cucullaris betreffen. 
Wie Sie nun diese Myalgien behandeln wollen, ob nach Cornelius, 
nach Peritz oder sonstwie, mag gleich sein. Jedenfalls glaube ich 
nicht, dass Sie die Patientin ohne diese Behandlung heilen können. 

b) Diese Patientin ist wegen kombinierten Empyems von einem 
Spezialkollegen vielfach intranasal operiert worden. Da die Schmerzen, 
die von einem Stirnhöhlenempyem links herrührten, nicht zu beseitigen 
waren, wurde zur äusseren Aufmeisselung geraten. Die Patientin lehnte 
diese wohl indizierte Operation ab, und der Kollege brachte sie zu mir 
behufs gemeinsamer intranasaler Behandlung. 

Wir haben in einer Sitzung folgende Eingriffe ausgeführt: Der obere 
Teil des Septums wurde submucös reseziert, um Platz für genügend 
ausgiebige Freilegung des Siebbeins und der Stirnhöhle zu schaffen. 
Das Siebbein beiderseits, die Kieferhöhle links wurden intranasal 'frei¬ 
gelegt und ausgeräumt und darauf die linke Stirnhöhle nach meiner 
Methode intranasal eröffnet. Die Patientin war nach wenigen Tagen be¬ 
schwerdefrei und in 4—5 Wochen praktisch geheilt. Nur selten zeigt 
sich ein kleiner Schleimstreifen im Spülwasser der linken Stirnhöhle. 

Ich möchte heute den wiederholten Streit über die Möglichkeit 
dieser intranasalen Eingriffe nicht wieder anregen. Jedoch hat auch dna 
Vorgehen Ritter’s mit stumpfer Erweiterung der Stirnhöhlenöffnung 
die Aufmerksamkeit wieder auf die konservativen Eingriffe gelenkt. In 
der Tat leistet die Dilatation Ritter’s gutes, wenn sie auch nicht 
immer ausführbar ist. Diesem Falle hier kann ich eine grössere Reibe 
gleich erfolgreich operierter anschliessen. 

Diskussion. 

Hr. Grossmann: In der Diskussion über den damaligen Vortrag 
des Herrn Kollegen Halle über Myalgien erwähnte ich, dass ich eine 
Patientin in Halbnarkose mit Suggestion behandeln liess. Es ist die 
zuerst gezeigte Patientin. Die zweite Operation, die gemacht worden sein 
soll, ist gar keine Operation gewesen, sondern das war eben die Narkose 
behufs Suggestion, und auch die Operation, von der die zarte Narbe 
stammt, war keine richtige Operation. Es wurde das Periost gespalten 
und die Stirnhöhle, obwohl ich wusste, dass sich wohl kaum etwas finden 
würde, probatorisch eröffnet, sowie man bei Mastalgien ja auch manch¬ 
mal gesehen hat, dass durch Spaltung und Zurückkratzen des Periosts 
die Schmerzen nachlassen. 

Sie sehen, bei Urteilen über Operationen — ob berechtigt oder 
nicht berechtigt — muss man manchmal etwas vorsichtig sein. Die 
Sache ist damals duroh die Suggestion in Halbnarkose ziemlich eine 
Woche lang gebessert worden; dann fingen die Schmerzen wieder an. 
Die Patientin geht jetzt wieder herum und wird scbliesslioh viel¬ 


leicht bei einem Arzte landen, der eine dritte oder vierte Operation 
machen wird. 

Hr. Halle: Ich habe Herrn Kollegen Grossmann weder genannt, 
noch seine Indikationsstellung angezweitelt. Im Gegenteil habe ich be¬ 
tont, dass er wohl genügend Grund für seinen Eingriff gehabt hätte. 
Aber er selbst sagt ja hier, dass der lokale Prozess gering war, ja dass 
er nur operiert und das Periost zurückgeschabt hatte. 

Ganz gewiss ist von chirurgischer Seite die Diagnose auf Stirn¬ 
höhlenempyem gestellt und dementsprechend operiert worden. Ob 
ich die Patientin durch die vorhin angedeutete Behandlung werde 
heilen können, weiss ich nicht, doch hoffe ioh, sie Ihnen gesund zur Be¬ 
urteilung vorstellen zu dürfen. 

Hr. Orossmann: 

Auricularanhänge, gefensterte Gaumenbögen nnd kongenitales 
Vitium eordis. 

Ich wollte Ihnen einen Fall vorstellen, der beweist, dass durch uns die 
inneren Kliniker doch in ihrer Diagnosenstellung gestützt werden können. 

Bei der Ohruntersuchung eines Patienten, der wegen Schwerhörig¬ 
keit zu mir kam, fand ich einen ziemlich starken Arterienpuls an der 
Temporalis, an der Maxillaris externa am Hals und im seitlichen Pharynx; 
dann hatte er Auricularanhänge, und bei der Besichtigung des Mundes 
zeigten sich gefensterte Gaumenbögen, besonders rechts in exzessiver 
Weise. Es fehlte hier die Anamnese für erworbene Fenster in Gaumen¬ 
bögen, und da auch die Auricularanhänge da waren, konnte man an¬ 
nehmen, dass das eine Entwicklungsstörung sei, weil die Auricular¬ 
anhänge ja eine Entwicklungsstörung im Schluss der ersten Kiemenspalte 
beweisen. 

Ich schickte zur Diagnosenstellung wegen des Arterienpulses zu 
einem namhaften Inneren, eigentlich in der Erwartung, dass er wohl ein 
kongenitales Vitium diagnostizieren würde. Ich bekam aber den ein¬ 
fachen Bescheid: starkes diastolisches Geräusch, Aorteninsuffizienz. Ich 
beruhigte mich nicht damit, sondern erlaubte mir, noch einmal besonders 
darauf hinzuweisen, dass ich zwei Entwicklungshemmungen gefunden 
hätte; ob das nicht bei der Diagnose irgendwelche führenden Richtlinien 
geben könne? Darauf bekam ich den Bescheid, dass die erste Diagnose 
aufgegeben ist, da eine Verbreiterung des linken Ventrikels nicht besteht, 
der Spitzenstoss innerhalb der Mamillarlinie ist, was ja auch eigentlich zur 
Aorteninsuffizienz nicht passt. Es handelt sich also um eine kongeni¬ 
tale Sache, jedenfalls um einen Defekt in der Anordnung oder Bildung 
der Sehnenfäden an einer Klappe. 

Die inneren Kliniker sind also quasi durch unsere Disziplin erst zur 
richtigen Diagnose geführt worden. 

Diskussion zum Vortrage des Herrn Blumenthal über Radikal- 
Operationen des Ohres mit Wnndversehlnss ohne Plastik. 

Hr. Passow: Wenn ich als erster das Wort ergreife, so habe ich 
dazu vielleicht eine gewisse Berechtigung. Ich bin unter die Alten ge¬ 
raten und habe, wie wohl wenige von Ihnen, die Entwicklung der Oto- 
chirurgie noch miterlebt. Kollege Schwabach ist mir allerdings wesent¬ 
lich über. 

Der Vortrag war zunächst verblüffend. Ich muss gestehen, ich hatte 
gewünscht, dass der Kollege Blumenthal darauf hingewiesen hätte, 
dass die Methode, die er vorschlägt, nicht neu ist. Die Entwicklung der 
Dinge war folgende: Küster und Bergmann — das dürfen wir nie 
vergessen — haben den ersten Anstoss zur Entwicklung der Radikal¬ 
operation gegeben. Sie haben den äusseren Gehörgang so behandelt, 
wie ihn der Herr Kollege Blumenthal behandeln will. Blättern Sie 
die alten Berichte durch, sehen Sie im Jacobsohn-Blau nach. Da ist 
als ganz besonderes Verdienst von Stacke hervorgehoben, dass er der erste 
war, der eine Plastik des äusseren Gehörganges vornahm, der den 
äusseren Gehörgang zur Auskleidung der Wundhöble mit verwandte. 
Ich muss gestehen, dass dieser Fortschritt auch ganz zweifellos ein er¬ 
heblicher war. Vorher batte Zaufal diesen Fehler des ungeschützten 
Schlauches eingesehen, der hinderlich ist für die schnelle und glatte 
HeiluDg. Zaufal hatte den hinteren Teil des häutigen äusseren Gehör¬ 
gangs einfach herausgeschnitten. Es entspann sich eine Kontroverse 
mit Stacke. Damals ging es noch nicht so milde zu wie zu unserer 
Zeit, die Höflichkeit war noch nicht so weit vorgeschritten, und 
Sch wartze’s Deutlichkeit liess nichts zu wünschen übrig und übertrug 
sich auch auf seine Schüler, und auch Zaufal war manchmal recht 
deutlich. Daher war die Kontroverse zwischen Stacke und Zaufal 
heftig. Trotzdem erkannte aber Zaufal diesen Fortschritt Stacke’s 
unumwunden an und hat auch demgemäss operiert, wie er selbst in der 
Deutschen otologischen Gesellschaft erklärte. 

Stacke hatte damals zunächst den Lappen geschlitzt bis an den 
Knorpel heran, nicht bis in den Knorpel hinein. 

Ich setze einen Lapsus voraus, wenn Kollege Blumen thal schreibt: 
der perichondrale Raum. Einen perichondralen Raum gibt es nicht. 

Dann sind die verschiedenen Plastiken gekommen, die ganz 
zweifellos überschätzt wurden. Man hat geglaubt — und das ist mir 
ganz ebenso gegangen, als ich meine erste Plastik veröffentlichte —, 
dass man durch Hineinlegen von Haut in die Wundhöhle die Heilungs¬ 
dauer der Radikaloperation abkürzen könne. Mit der Zeit hat man 
eiDgesehen, dass von der Plastik nicht soviel abhängt; auch wenn 
wir die ganze Höhle mit lebensfähiger Epidermis ausfüllen könnten, 
würden wir doch keine schnellere Heilung erzielen, als wir sie jetzt in 
der Regel bei Radikaloperationen erreichen. Wir wissen, dass eine 
Menge Faktoren — ich will darauf hier nicht eingehen — mitsprechen. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 2. 


Deswegen muss ich mich auch darüber wundero, wenn Kollege 
Blumenthal so ganz ohne weiteres sagt, dass die zehn behandelten 
Fälle zur Ausheilung 8—10 Wochen brauchten. Unter meinen Ope¬ 
rierten heilen auch eine ganze Reihe in 8—10 Wochen, manche noch 
schneller, manche sehr viel langsamer, ganz unabhängig von der Plastik. 
Aber so ohne weiteres zu sagen und quasi davon zu sprechen, dass wir 
die Radikaloperierten in ganz bestimmter Zeit heilen können, davor 
möchte ich doch eindringlich warnen. Wir kommen sonst wieder auf 
vergangene und überwundene Zeiten zurück. 

Nun sind zwar, wie Sie wissen, eine Menge Plastiken gemacht 
'worden, die darauf hinzielen, sofort die Wunde hinter dem Ohr zum 
Verschluss zu bringen, wenn nicht ganz besondere Gegengründe vorliegen, 
ausserdem die Operationshöhle vom äusseren Gehörgang aus so zugäng¬ 
lich zu machen, dass wir die Nachbehandlung sicher und gut ausführen 
können. Das können wir aber nur — ich spreche ganz besonders von 
Kindern —, wenn der äussere Gehörgang wirklich weit ist, und wenn 
wir wirklich hineinblicken können. 

Ich erinnere noch daran, welcher Sturm der Entrüstung sich erhob, 
als Siebenmann seine Plastik ausgeführt hat, der, wie Sie wissen, so 
weit in die Concba hineinging, dass man förmlich über seine Kühnheit 
erschrak. Mir schien es ganz unglaublich, dass man so operieren könnte. 
Ich habe eine ganze Reihe von Siebenmann’schen Fällen gesehen und 
bin erstaunt gewesen, wie trotz dieses kolossalen Einschnittes der Defekt 
verhältnismässig klein und der kosmetische Erfolg eigentlich gar nicht 
so übel war, wie man vorher erwarten musste. Ich muss sagen, dass 
bei den Plastiken, die wir jetzt ausführen, wirklich der kosmetische 
Erfolg günstig ist und die Aussichten auf Heilung wirklich gross sind, 
wenn eben die Operationshöhle selbst heilt. Wenn Kollege Blumen- 
thal jetzt wieder zu der alten Methode zurückkehrt, wo der Schlauch 
nicht gespalten würde, dann müssten ganz besondere Gründe vorliegen, 
vielleicht der Grund, dass wir die Knochenwunde jetzt besser anlegen 
und besser operieren können. Ich glaube nicht, dass dieser Grund 
stichhaltig ist. Wir müssen operieren, soweit wir es für nötig halten, 
und wenn wir weit operieren müssen, dann können wir beim einfachen 
Hineinlegen des Schlauches die Wunde nicht so übersehen, dass wir 
wirklich sicher sind, einen guten Ueberblick zu haben. 

Ich habe mir auch die Fälle vom Kollegen Blumenthal an¬ 
gesehen. Ich muss gestehen, es wird ihm da wohl so ergangen sein, 
wie es uns geht, wenn wir Exostosen operieren, oder wenn wir reine 
Stenosen operieren, um den äusseren Gehörgang zu erweitern. Wenn 
wir dann den äusseren Gehörgang loslösen und nun nach hinten an¬ 
tamponieren — antamponiert muss doch selbstverständlich werden —, 
dann weicht der äussere Gehörgang allerdings in der Tiefe auseinander 
und reisst ein, und er reisst gewöhnlich auch ein bei der Operation 
selbst; auch bei ausserordentlich vorsichtiger Ablösung. 

Wenn Kollege Blumenthal nun einfach sagen würde: wir wollen 
den äusseren Gehörgang spalten, aber wir wollen vermeiden, den Knorpel 
zu spalten, dann würden wir zu der ersten Stacke’schen Operation 
zurückkommen, und das würde ich immer noch in geeigneten Fällen 
nicht für fehlerhaft halten — notabene, wenn wirklich der Wundtrichter 
nach hinten sehr flach ist, und wenn wir ohne Bedenken nur eine kleine 
Oeffnung im Knochen machen können. 

Der Kollege betonte, dass es sich in einzelnen Fällen um Fisteln 
im Bogengang und an der Labyrinthwand handelte. Das sagt natürlich 
für die Heilung nichts. 

Dann ist Kollege Blumenthal noch auf die Methode gekommen, 
den äusseren Gehörgang von innen zu operieren. Ich muss bemerken, 
dass er auch hier die Literatur nicht sorgfältig genug durchgearbeitet 
hat, denn er ist Herrn Kollegen Thies nicht ganz gerecht geworden, 
der grössere Veröffentlichungen über diese Methode im Archiv für Ohren¬ 
heilkunde herausgegeben hat. Thies hat schon sehr viele Operationen 
in dieser Weise gemacht. 

Der Kollege betonte dann, dass man die Wunde hinten offen lassen 
könnte, ohne nachher eine weitere Plastik zu machen, dass man nachher 
nur zunähen brauchte. Nun, das kann man bei der Methode vom 
Kollegen Brühl und der von mir auch. Wenn wir Zweifel haben, ob 
wir zunähen sollen oder nicht, dann machen wir es einfach so, dass wir 
einen zungenförmigen Lappen anlegeD, den wir nur nicht wie gewöhnlich 
hinten ins Periost hineinnähen, sondern herumnähen bis an die Ohr¬ 
muschel, aber nicht bis in die Haut der Ohrmuschel; dann kann man 
später mit ein paar Nähten den Verschluss ebenso machen, wie Stacke 
und Blumen thal verfahren wollen. 

Hr. Brühl: Die Besichtigung der Fälle zeigt, dass dieselben, ganz 
ähnlich wie nach Durchführung einer Plastik, ausgeheilt sind. Ich kann 
mir dies bei den grossen Höhlen, die bei den Patienten vorhanden sind, 
nur so erklären, dass der häutige Gehörgang bei der Operation oder 
beim Tamponieren längs eingerissen ist. Wie sollen die Granulationen 
einen Zug von vielleicht 2 cm Länge auf die hintere Gehörgangswand 
ausüben, wenn dieselbe nicht eingerissen ist. 

Kollege Blumen thal weist auf die Fälle hin mit Durchbruch der 
hinteren Gehörgangswand, Spontanheilung des Cholesteatoms. In solchen 
Fällen ist doch niemals eine hintere häutige Gehörgangswand vorhanden. 
Mit dem Knochen schmilzt dieselbe ein. In Blumenthal’s Fällen ist 
also entweder die häutige Gehörgangswand eingerissen, oder, wie wir es 
auch häufig genug bei der Körnerischen Plastik sehen: es ist das tiefste 
Stück der Gehörgangswand gangränös geworden. Dadurch erklärt sich 
meines Erachtens die Uebersichtlichkeit in der Tiefe. Aussen ist die 


Höhle nicht übersichtlich genug und die Taschenbildung aussen muss 
durch eine geeignete Plastik vermieden werden. Ich habe Hunderte 
von Fällen nach der Panse’schen Plastik behandelt, auch durch einen 
Ohrtrichter. Das ist ein so grosser Nachteil, dass ich aus diesem Grunde 
die Obrmuschelplastik binzugefügt habe. Die Gefahr einer Pericbon- 
dritis ist so minimal, dass dieselbe keine Kontraindikation gegen die 
Plastik darstellt. Ich glaube also, dass man nicht ganz grundlos die 
wesentlichen Fortschritte, die wir bei der Radikaloperation gewonnen 
haben, durch die Plastik, die bis in die Ohrmuschel hineingeht, wieder 
aufgeben sollen, weil es auch ohne bewusste Plastik geht. Denn dass 
das häutige Gehörgangsrohr in seiner ganzen Länge in den von Bl. ge¬ 
zeigten Fällen unverletzt geblieben sein sollte, kann ich mir nicht vor¬ 
stellen. 

Hr. Wagen er: Die Verlängerung der Operation, auf die Herr 
Blumen thal ein gewisses Gewicht legt, kann natürlich nicht in Betracht 
kommen. 

Die Gefahr einer Perichondritis ist nicht gross. Eine Entstellung 
braucht nicht einzutreten. 

Die Verdünnung der Lappen bei der Plastik hindert nicht die 
sichere Epidermisierung der Wunde. Die Epidermis wächst genau so 
gut auf dünner wie auf dicker Unterlage. 

Es ist ganz richtig, die Radikaloperationshöhle möglichst klein zu 
gestalten; hierauf ist schon von verschiedenen Seiten hingewiesen worden. 
Bei kleinen Cholesteatomen kann man, wenn ein weiter Gehörgang vor¬ 
handen ist, auf eine ausgiebige Plastik verzichten. Wir inzidieren in 
solchen Fällen oft auch nur die Tiefe des Gehörgangs und tamponieren 
ihn nach hinten und oben. Die genügend weite Ohröffnung bei der 
Plastik ist das Wichtige. Auf die Art der Lappenbildung kommt es 
nicht so sehr an. Wir müssen uns bestreben, die Haut, die nachher 
die Höhle auskleiden soll, unter Bedingungen zu setzen, die für die Epi¬ 
dermis gut sind. Die Epidermis wächst an Luft und Licht, und des¬ 
halb wollen wir durch Erweiterung der Oeffnung der Radikaloperations¬ 
höhle Luft und Licht zuführen. Dass diese Lüftung der Operationshöhle 
von grosser Wichtigkeit ist, das sagt uns nicht nur die alltägliche Er¬ 
fahrung bei der Nachbehandlung der Radikaloperationsböhlen, sondern 
wir können direkte Beweise dafür anführen. Schliesse ich bei einer 
trockenen Radikaloperationshöhle mit enger Ohröffnung die retroauricu- 
läre Oeffnung, so wird in kurzer Zeit diese Höhle feucht, die vorher 
Jahre hindurch trocken war, und umgekehrt können wir eine sezer- 
nierende Radikaloperationshöhle nur durch Erweiterung der Ohröffnung 
trocken legen. 

Wenn Fälle durch einen Trichter nachbehandelt werden müssen, so 
halte ich das für einen Fehler. Ideal ist eine Plastik dann, wenn ich 
die Nachbehandlung so ausführen kann, dass ich, ohne mit der linken 
oder mit der rechten Hand die Ohrmuschel zu berühren, die ganze Höhle 
überblicken und austamponieren kann, und das ist, wenn man eine 
richtige Plastik ausführt, in einem ganz grossen Teil der Fälle möglich. 

Wenn Herr Blumenthal hier die Kranken vorgestellt hat, um zu 
zeigen, dass es in seltenen Fällen auch ohne Plastik geht, und wenn 
er die Arbeit veröffentlicht hat, um noch einmal dringend davor zu 
warnen, des öfteren auf die Plastik zu verzichten, dann, glaube ich, ist 
er des Beifalls weiterer Kreise sicher. 

Hr. Passow: Ich kann nicht zustimmen, wenn Herr Blumenthal 
sagt: Es ist bekannt, dass die Epidermis, welche eine Radikaloperations¬ 
höhle auskleidet, wenig widerstandsfähig isf und leicht maceriert. Vom 
äusseren Gehörgang gebildete Lappen macerieren nicht. Was maceriert, 
sind die Cholesteatomlamellen oder die neugebildeten Narben, die die 
Höhle auskleiden. Die Gehörgangslappen, die wir einlegeD, heilen immer 
an, heilen fest an und macerieren nicht. 

Hr. Blumenthal (Schlusswort): Es kam mir in der Arbeit darauf 
an, darauf aufmerksam zu machen, dass wir nicht in allen Fällen 
von chronischen Eiterungen, die wir radikal operieren, eine Plastik 
zu machen brauchen. Ich habe selbst meine Kontraindikationen auf¬ 
gestellt und gesagt, dass ich es für unbequem halte, bei sehr engem 
Gehörgang und sehr weiter Höhle keine Plastik zu machen. Anders 
aber liegt es, wenn die Verhältnisse so sind, wie ich es als Indikation 
aufstelle, d. h. wenn der Gehörgang weit und die Knochenhöhle nicht 
zu gross ist. Das ist der Kernpunkt der Sache. Dann halte ich die 
Plastik für überflüssig, wie die demonstrierten Fälle beweisen. 

Was die Grösse der Knochenhöhle anbetrifft, so steht dieselbe nicht 
im geraden Verhältnis zur Schwere der Erscheinungen. Der Warzen¬ 
fortsatz kann fast vollständig gesund sein, und wir haben doch in der 
Tiefe eine Bodengangsfistel. Was die Uebersichtlichkeit der Höhle an¬ 
betrifft, so ist dieselbe bei weiten Gehörgängen ohne Plastik sehr gut. 
Andererseits liegen bei der Plastik die Lappen nicht immer so fest 
(Widerspruch), sie sind oft etwas geschwollen oder granulieren an den 
Schnitträndern, und man muss etwas um die Ecke gucken. 

Herrn Prof. Brüh Ts Zeichnung entspricht nicht den Verhältnissen. 
Wenn das die Knocbenwundfläche und das die hintere häutige Gebör- 
gangswand ist (Erläuterung an der Zeichnung), so ist bei massig grossen 
Höhlen dazwischen nur ein enger Raum (Zuruf: So nahe steht es nie, 
das ist ausgeschlossen!); gewiss, nach der Tamponade des Gehörgangs 
und dem Zug der retroauriculären Naht steht es so nahe. Dieser 
Zwischenraum füllt sich bald mit Granulationen, die, fibrös geworden, 
den äusseren Gehörgang fest nach hinten retrahieren. Auch dass der 
Gehörgang, weil er nach hinten retrahiert wird, nekrotisch werden soll, 


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Original frnm 

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13. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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stimmt nicht. Er wird bei meiner Versehlussmethode bei akuten 
Mastoiditiden mit ausgiebiger Resektion der hinteren knöchernen Gehör¬ 
gangswand noch weiter retrahiert, ohne den geringsten Schaden zu 
erleiden. 

Ich habe in der Arbeit die Kontraindikationen genannt, und 
ich betone noch einmal, dass ich nicht die Methode ohne Plastik für 
alle chronischen Mittelohreiterungen benutzt haben möchte; ich möchte 
Ihnen aber empfehlen, bei den Fällen die Methode anzuwenden, die ich 
als geeignet bezeichnet habe. Da werden Sie gut mit derselben zum 
Ziele kommen. 


Berliner mikrobiologische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Ordentliche Generalversammlung vom 12. Dezember 1912. 

Vorsitzende: Herren Gaffky, Weber. 

Schriftführer: Herr Friedberger. 

I. Kassenbericht, Entlastung des Rechners. 

II. Wahl des Vorstandes: Die Herren Flügge und Gaffky 
lehnen eine Wiederwahl ab. 

Hr. Neufeld spricht im Aufträge des Ausschusses den bisherigen 
beiden Vorsitzenden den Dank der Gesellschaft aus und schlägt zur 
Neuwahl die Herren Abel und Weber vor. 

Die Wahl erfolgt durch Akklamation, ebenso die Wiederwahl der 
übrigen Vorstandsmitglieder und des Ausschusses. An Stelle des aus- 
soheidenden Herrn Kisskalt wird Herr Heymann und ferner Herr 
Zvick neu in den Ausschuss gewählt. 

III. Wissenschaftlicher Teil. 

1. Hr. Aroasoi*. 

Ueber die Qiftwirkang aormaler Orgai* aad Maske]extrakte. 

(Der Vortrag erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

Diskussion. 

Hr. Friedberger: loh möchte Ihnen kurz über die Ergebnisse 
unserer eigenen Versuche mit Herrn Dr. Ichikawa berichten, deren 
Resultate, wie Sie ersehen werden, zum Teil nicht mit denen des Herrn 
Aronson übereinstimmen. Wir benutzten Extrakte von 1 Teil Organ auf 
2 Teile Kochsalz- oder Tyrodelösung. Die vergleichende Toxicität verschie¬ 
dener Kaninchenorganextrakte beim Kaninchen (intravenös) zeigt Ihnen die 
folgende Tabelle 1. In ihr ist zugleich die Gerinnungswirkung der 
betreffenden Organextrakte auf Kaninchenblut nach einer von Dr. Ichi¬ 
kawa ausgearbeiteten Methode zusammengestellt. Es ist ohne weiteres 
ein bedeutender Parallelismus ersichtlich. 


Tabelle 1. 

Extrakte von Kaninchenorganen bei 
Kaninchen. 


Organ 

Giftigkeit 
pro kg 

Gerinnung 

Lunge .... 

0,05 

VlO 000 

Hoden .... 

0,5 

— 

Niere .... 

[0,5] *) 

V1000 

Herz. 

< 2,5 

Vbo 

Muskel .... 

> 4 

Vso 

Knochenmark . . 

> 8 

>Vb 

Leber .... 

> 12 

VlO 

Arterie .... 

> 1 

V 200 

Rückenmark . . 

— 

V1000 


Am giftigsten ist bekanntlich die Lunge. Wenn man ihre Toxicität 
bei verschiedenen Tierspezies auswertet, so erhält man Resultate, wie 
sie die folgende Tabelle 2 zeigt. Es ergibt sich, dass entgegen der all¬ 
gemeinen Abnahme die arteigenen Organe keineswegs immer die giftig¬ 
sten sind. Für das Kaninchen trifft es zu, nicht aber für das Meer¬ 
schweinchen. 


Tabelle 2. 

Giftigkeit der Lunge verschiedener Tierspezies. 


Organspender 

Geprüft bei 

Giftigkeit 
pro kg 

Kaninchen 

Kaninchen 

0,05 

Meerschweinchen 

Meerschweinchen 

5,0 

Kaninchen 

n 

1,0 

Meerschweinchen 

Kaninchen 

>1,5 

Taube 

» 

>0,5 


Auch bei entsprechender Vergleichung der Gerinnungswirkung der 
Lange verschiedener Tierarten ergibt sich ein Parallelismus mit der 
Giftigkeit, wie die folgende Tabelle 3 zeigt. 

1) Tötet subakot. 


Tabelle 3. 

Gerinnung mit verschiedenen Blutarten. 


Organspender 

(Luuge) 

Blutart 

Gerinnung 

Kaninchen 

Kaninchen 

V|0 000 

Meerschweinchen 

Meerschweinchen 

/so 

Kaninchen 


VßOO 

Meerschweinchen 

Kaninchen 

Vs 0 


Die von Dold festgestellte wichtige Tatsache der Entgiftung durch 
Serum gilt nicht nur, wie Herr Aronson angibt, gegenüber Kaninchen- 
lungenextrakt beim Kaninchen, sondern bei genügend langer Zeit der 
Einwirkung auch gegenüber Meerschweinchenlungenextrakten durch 
Meerschweinchenserum für das Meerschweinchen, wie der untere Abschnitt 
der Tabelle 4 zeigt. 

Tabelle 4. 

Entgiftung durch Serum. 


Kaninchenlungen¬ 

extrakt 

pro Tier ä ca. 1 kg 

Kanineben¬ 

serum 

Zeit 

Stunden 

Resultat 

0,05 

_ 


Tot in 2 Minuten 

0,1 

0,9 

3 

Lebt 

0,1 

0,9 inaktiv 

3 

Tot in 2 Minuten 

0,1 

0,1 

3 

Lebt 

0,1 

0,1 inaktiv 

3 

Tot in 2 Minuten 


Meerschweinchen¬ 
lungenextrakt 
pro Tier ä 200 g 

Meerschwein¬ 

chenserum 

Zeit 

Stunden 

Resultat 

1,0 

_ 

_ 

Tot in 3 Minuten 

1,0 

1,0 

1 

* „ 6 

1,0 

1,0 

3 

Lebt 


Neben dem infolge Gerinnung in der Pulmonararterie bei intravenöser 
Zufuhr tödlich wirkenden Extraktgift ist mindestens noch ein weiteres 
Gift in den Organextrakten enthalten, welches am isolierten Darm in der 
Versuchsanordnung von Magnus nachweisbar ist. Dieses Gift ist auch 
in den Organen enthalten, die nach Dold kein intravenös tödlich 
wirkendes Eitraktgift liefern, wie Knochenmark (Demonstration ent¬ 
sprechender Kurven mit Lunge-, Herz-, Niere-, Leber-, Knochenmark-, 
Muskel-, Darmextrakt vom Kaninchen, Lungenextrakt vom Meerschwein¬ 
chen). 

Es findet auch eine Entgiftung dieser Komponente durch Normal¬ 
serum statt (Demonstration von Kurven). 

Die Identifizierung von Organgiften mit dem Anaphylatoxin ist ab- 
zulebnen. Die Aehnlichkeit gewisser Symptome beweist nichts; denn alle 
möglichen Substanzen rufen ja beim Meerschweinchen, intravenös in akut 
tödlichen Dosen verabfolgt, bekanntlich ein der Anaphylaxie ähnliches 
Krankheitsbild und einen entsprechenden Obduktionsbefund hervor. Wie 
vorsichtig man mit der Bewertung der von Herrn Aronson angeführten 
Blutdrucksenkung gerade bei den Organgiften sein muss, zeigen unsere Ver¬ 
suche. Es ist zwar richtig, dass die tödliche Dosis eine Blutdrucksenkung 
beim Kaninchen macht, die gewisse Aehnlichkeit mit der bei der Ana¬ 
phylaxie aufweist (Demonstration einer entsprechenden Kurve). Während 
aber bei der anaphylaktischen Vergiftung, wie wir erst jetzt wieder fcst- 
gestellt haben, geringe Bruchteile der tödlichen Dosis noch Blutdruck¬ 
senkungen hervorrufen, ist bei der Organextraktvergiftung die untertöd- 
licbe Dosis ohne Einfluss auf den Blutdruck. Denn der Einfluss der 
tödlichen Dosis ist eben hier rein senkundär bedingt durch die Thrombose 
der Pulmonalarterie. 

Man darf aber nicht scbliessen, dass das Organgift in untertödlrchen 
Dosen und von der Subcutis und vom Peritoneum aus indifferent wäre. 
Untertödliche Dosen bewirken eine Temperatursenkung, noch kleinere 
eine Steigerung, wie wir das ja bei allen die Temperatur beeinflussenden 
Mitteln kennen. Ferner bewirken untertödliche Dosen, Lungenextrakt 
beim Kaninchen, anfangs eine Leukopenie, die allmählich in eine Hyper 
leukocytose übergeht (Demonstration von Kurven). 

Hr. Aronson (Schlusswort): Die Wirkung der in gewöhnlicher 
Weise hergestellten wässerigen Organextrakte auf Tiere anderer Spezies 
habe ich absichtlich nicht untersucht, um diese Frage nicht noch mehr 
zu komplizieren. Die intravenöse Einspritzung fremden nativen Eiweisses 
ruft ja an sich schon Störungen hervor. 

Gegenüber den Ausführungen des Herrn Vorredners muss ich daran 
festhalten, dass das in den wässerigen Auszügen der Meerschweinchen- 
Organe enthaltene Gift durch frisches Meerschweinchenserum nicht völlig 
neutralisiert wird 1 ). 

1) Nachträglicher Zusatz: Bei der Durchsicht meiner früheren 
Versuchsprotokolle finde ich, in Uebereinstimmung mit dem oben von 
Herrn Friedberger mitgeteilten Ergebnis, dass nach Injektion der 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 2. 


Die völlige Uebereiastiramung des Vergiftungsbildes mit dem ana¬ 
phylaktischen Schock zeigt sich — ich glaube dies in dem Vortrage 
deutlich hervorgehoben zu haben — nur bei der Anwendung von Ei¬ 
trakten, die durch Behandlung der zerkleinerten Organe mit physio¬ 
logischer Kochsalzlösung bei 100° (im strömenden Dampf) gewonnen 
sind. — 

Vortr. zeigt den Effekt einer solchen Vergiftung am Meerschweinchen. 
Ein 200 g schweres Meerschweinchen bekam nach der intravenösen In¬ 
jektion Zuckungen, Krämpfe und starb in typischer Weise nach etwa 
3 Minuten. Er demonstriert durch die Sektion die charakteristische 
starke Lungenblähung bei noch schlagendem Herzen. 

2. Hör. Bernhardt und Orenstein: 

Beitrag zur Kenntnis der Veränderlichkeit von Bakterien. 

(Ist in Nr. 1 dieser Wochenschrift bereits abgedruckt.) 

3. HHr. Loewenthal und Seligmann: 

Sin Paratyphusbaeilln8 ohne Gasbildnng. 

(Erscheint unter den Originalen dieser Wochenschrift.) 

Diskussion über beide Vorträge. 

Hr. Haendeh Die Ausführungen der Herren Bernhard und Oren- 
stein sind von ausserordentlichem Interesse. Ich freue mich, dass sie 
im allgemeinen gut in Einklang stehen mit den entsprechenden Be¬ 
funden, über welche von Bärthlein hier wiederholt berichtet wurde 
und auch bezüglich der verschiedensten Bakterienarten in der Literatur 
Mitteilungen erfolgt sind. Auch kann ich den Herren Vortragenden, wie 
ich dies hier bei anderer Gelegenheit bereits betont habe, darin nur bei¬ 
stimmen, dass auf dem zur Erörterung stehenden Gebiete der Frage der 
Nomenklatur zunächst eine sekundäre Bedeutung zukommt und es in 
erster Linie gilt, jetzt die tatsächlichen Erscheinungen und Befunde 
exakt festzustellen und aufzuklären. Ich glaube aber, dass vorläufig 
kein Grund vorliegt, von dem von uns benutzten Ausdruck Mutation 
abzugehen, da diese Bezeichnung dem Wesen der Erscheinung doch wohl 
am nächsten kommen dürfte. 

Nach den heutigen Ausführungen der Herren Vortragenden könnte 
man vielleicht den Eindruck gewinnen, als ob es sich bei den be¬ 
treffenden Erscheinungen um völlig unübersehbare und vollkommen 
regellose Abspaltungsvorgänge handelt. Demgegenüber möchte ich 
hervorheben, dass dies meines Erachtens in so allgemeiner Weise wohl 
doch nicht der Fall ist. Bei einem grossen Teil der Vorgänge handelt 
es sich jedenfalls um ganz gesetzmässig einsetzende, für alle Bakterien¬ 
arten gültige Erscheinung, die zu bestimmten, für sich wohl charakte¬ 
risierten Abspaltungsformen bei den einzelnen verschiedenen Bakterien¬ 
arten führt. Es erscheint mir gerade ein Verdienst der Arbeiten 
Bärthlein’s das Gesetzmässige solcher Vorgäoge aufgedeckt und gezeigt 
zu haben, dass diese Erscheinungen nicht nur bei einzelnen Bakterien 
gleichsam in Ausnahmefällen, sondern bei jeder Kultur in der für 
die betreffende Bakterienart charakteristischen Weise verfolgt werden 
kann. Die Möglichkeit, dass auch noch andere als die von Bärthlein 
beschriebenen Typen abgespalten werden können, soll damit natürlich 
keineswegs als ausgeschlossen bezeichnet werden, es ist aber die Frage, 
ob sich nicht auch für sie bestimmte Regel- und Gesetzmässigkeiten 
werden finden lassen. Jedenfalls sind bei einzelnen Bakterienarten die 
von Bärthlein beschriebenen Mutationsformen der Agarkolonien so 
charakteristisch, dass schon aus ihrem Aussehen ein Schluss gezogen 
werden kann, um welche Bakterienart es sich handelt. Ich möchte hier 
kurz erwähnen, dass nach Untersuchungen, welche zurzeit von Gilde- 
meister und Bärthlein in meinem Laboratorium ausgeführt werden, 
eine ganze Gruppe inagglutinabler paratyphusähnlicher Stämme sich 
nach dem charakteristischen Mutationsbild der Agarkolouien scharf von 
der Paratyphusgruppe abtrennen lässt. Auch bei Diphtherie sind von 
Bärthlein, übereinstimmend mit den Mitteilungen der Herren Vor 
tragenden, Mutationserscheinungen festgestellt worden. Dieselben sind 
namentlich auf der Serumplatte charakteristisch, indem hier eine 
Mutationsform in gelben, citreusähnlichen Kolonien wächst. Diese Er¬ 
scheinung findet sich ganz regelmässig bei allen bisher untersuchten 
Diphtheriestämmen, wenn auch der Farbenton der gelb wachsenden 
Mutante bei verschiedenen Kulturen geringe Nüancen zeigen mag. Auch 
Virulenzunterschiede Hessen sich bei den Mutationsformen einzelner 
Stämme feststellen, doch sind hierüber die Untersuchungen noch nicht 
abgeschlossen. 

Mischung einer einfach tödlichen Extraktdosis -j- 2 ccm Meer¬ 
schweinchenserum (nach der zweistündigen Einwirkung einer Temperatur 
von 37°) ein Versuchstier am Leben blieb. Ein neuerdings angestellter 
Versuch ergab dasselbe Resultat. Btide Male wurden jedoch die Meer¬ 
schweinchen deutlich krank (länger dauernde starke Temperaturerniedri¬ 
gung). Selbst die einfach tödliche Dosis konnte also durch frisches 
Meerschweinchenserum nicht völlig unwirksam gemacht werden. Bei der 
Anwendung grösserer Dosen zeigte sich jetzt wie auch früher kein 
hemmender Einfluss. Im Gegenteil starben die mit den serum¬ 
haltigen Gemischen injizierten Meerschweinchen schneller als die Kon¬ 
trolliere. Bei Kaninchen dagegen gelingt es leicht, mit 2 ccm Serum 
selbst die achtfach tödliche Dosis zu neutralisieren. Auch diese Ver¬ 
suche sprechen dafür, dass deijenige Anteil des Giftes, der den Tod 
durch Thrombosierung der Lungenarterien bewirkt, beim Meerschweinchen 
nur eine ganz untergeordnete Rolle spielt, während er bei Kaninchen 
bei den gewöhnlich angewandten Dosen die einzige Ursache des akuten 
Todes ist. 


Zu den ebenfalls sehr interessanten Ausführungen des Herrn 
Löwenthal möchte ich nur bemerken, dass ich es doch für wahr¬ 
scheinlich halte, dass auch bei der nicht gasbildenden Varietät seines 
Paratyphusstammes wieder ein Rückschlag zur Gasbildung sich wird er¬ 
zielen lassen. 

Hr. Sobernheim: Die heute vorgetragenen Beobachtungen be¬ 
stätigen aufs neue, dass kulturelle und biologische Eigenschaften der 
Bakterien weitgehende Veränderungen erfahren können. Ob man hierbei 
vop Mutation, Variation usw. sprechen soll, ist zunächst von unter¬ 
geordneter Bedeutung und um so schwieriger zu entscheiden, als gerade 
die als artbestimmend angesehenen Merkmale bei gewissen Bakterien¬ 
gruppen (Typhus, Paratyphus, Gärtner) zu schwanken pflegen. 

Noch vor wenigen Jahren wurden die Mitteilungen über biologische 
Umwandlungen in der Enteritisgrupps mit grosser Skepsis aufgenommen; 
heute wird die Tatsache kaum noch bezweifelt. Der Paratyphusbacillus 
ohne Gasbildung stellt das Analogen zu dem früher beschriebenen 
„Gärtnerbacillus ohne Gasbildung 1 * dar; wenigstens kann man als 
solchen — abgesehen von einigen geringfügigen kulturellen Differenzen — 
den Typhusbacillus auffassen, dessen Entstehung aus einem Gärtner¬ 
stamme von Sobernheim und Seligmann beobachtet worden war. 

Hr. Weber: Ich möchte anregen, die Untersuchungen über 
Mutation auch auszudehnen auf die Gruppe der säurefesten Bacillen. 
Vielleicht ergeben sich dadurch neue Gesichtspunkte zur Beantwortung 
der Frage nach den Beziehungen zwischen humanen und bovinen 
Tuberkelbacillen. 

4. Hr. Friedberger: 

Ueber aseptisch erzeigte fleleakiekwellugei heia Kaninchen. 

Entsprechend der von mir entwickelten Auschanung über das 
Wesen der Infektion habe ich bereits früher ausgeführt, dass überall da, 
wo im Orgauismus Antigen mit einem durch Präparierung entstandenen 
Antikörper zusammentrifft, Entzüudungserscheinungen ausgelöst werden 
und andere Symptome, die denen einer natürlichen Infektion entsprechen. 
Auf diese Weise ist es mir und Mita gelungen, durch Inhalation von 
Serum beim präparierten Tier aseptische Pneumonie der Lunge zu 
erzeugen, was durch in etwas anderer Richtung unternommene Unter¬ 
suchungen von Busson sowie Ishioka bestätigt wurde. 

Neuerdings habe ich nun in Gemeinschaft mit Herrn Dr. Ceder- 
berg auch aseptische Gelenkentzündungen bei präparierten Kaninchen 
durch Injektion des homologen sterilen Antigens in das Kniegeleuk unter 
aseptischen Kautelen erzeugt. Die Schwellung tritt bereits innerhalb 
4—5 Stunden deutlich in Erscheinung. Es handelt sich also hier ge- 
wissermaassen in Analogie mit der von mir erzeugten sterilen Pneumonie 
um einen aseptischen „Gelenkrheumatismus“. (Demonstration eines so 
behandelten Tieres.) Natürlich ruft die gleiche Dosis des Antigens 
beim nicht präparierten Tier und die Injektion eines heterologen Antigens 
keine entsprechenden Erscheinungen hervor. 


Medizinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für vater- 
lftndische Kultur zn Breslau. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 1. November 1912. 

Vorsitzender: Herr Minkowski. 

Schriftführer: Herr Röhmann. 

Hr. Minkowski demonstriert einen Fall von Hirsehsprnng’scher 
Krankheit bei einem elfjährigen Knaben, der mit schweren ileusäbn- 
lichen Erscheinungen in die Klinik aufgenommen wurde, nachdem er seit 
sieben Wochen keine Darmentleerung mehr gehabt hatte. Der Knabe 
litt seit seiner Geburt an Obstipation. In den ersten drei Lebensjahren 
soll er überhaupt keine spontanen Entleerungen gehabt haben, später 
nur selten. Bei der Aufnahme fand sich eine enorme Auftreibung des 
Abdomens mit sichtbarer Peristaltik. Eine Röntgenaufnahme zeigte 
neben einer sehr starken Gasauftreibung des ganzen Colons eine gewaltig 
ausgedehnte, mit Kotmassen gefüllte, der Flexura sigmoidea entsprechende 
Schlinge, die vom kleinen Becken fast bis an den Processus xiphoideus 
hinaufreichte. Per rectum fühlte man eine diaphragmaähnliche Falte an 
der Uebergangsstelle zur Flexur. Erst nachdem man diese Falte zur 
Seite geschoben, gelingt es manuell und durch Spülungen allmählich den 
Darm zu entleeren. Nach der Darmentleerung war das Körpergewicht 
des Knaben um 5 kg — etwa Vs des Gesamtgewichts — gesunken. Gas¬ 
aufblähung und Wismutfüllung Hessen auch später noch die abnorme 
Ausdehnung des Colons und besonders der Flexura sigmoidea er¬ 
kennen. 

Redner bespricht die verschiedenen Ansichten, die über die sogenannte 
Hirschsprung’sche Krankheit geäussert sind. Für den vorliegenden Fall 
erscheint die Annahme einer angeborenen abnormen Länge des Colons 
(Makrokolie), die durch Knickung und Faltenbildung zur Erweiterung 
und Hypertrophie des Colons (Megacolon) geführt hat, sehr wahrschein¬ 
lich. Fortgesetzte Darmspülungen haben zunächst den Zustand des 
Kranken bis zur vollkommenen Euphorie gebessert. Doch dürfte die 
Gefahr der Wiederkehr schwerer Anfälle den Vorschlag eines operativen 
Eingriffs — wohl am besten einer Resektion der Flexura sigmoidea — 
in diesem Falle rechtfertigen. 


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13. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


89 


Diskussion. 

Hr. Strasburger: Leichte Fälle von Hirschsprung’scher Erkran¬ 
kung, auch bei Personen, die über das Kiodesalter hinaus sind, sind 
nicht allzu selten. Es handelt sich ebeu um fliessende Uebergänge von 
denjenigen einfachen Obstipationen, welche mit abnormer Grösse und 
Lagerung des Dickdarms Zusammenhängen. Diese, namentlich von 
Curschmann näher gewürdigten anatomischen Anomalien des Darms 
findet und erkennt man jetzt leicht mit Hilfe der Röntgenuntersuchung. 
Meist bleibt es bei einfacher Verstopfung. Kommen aber, im Zusammen¬ 
hang mit der Kotstagnation, bestimmte Verlagerungen usw. des Darmes 
hinzu, so dass sich oin mechanisches Hindernis, ein Ventilverschluss aus¬ 
bildet, so entwickelt sich ein Bild, das man zu der Hirschsprung’scben 
Krankheit rechnen kann. 

Hr. Goebel demonstriert die Organe eines Falles von Meg&sigmoidenin, 
die sein Assistent, Herr Dr. Schlanzky, schon in der Sitzung der Bres¬ 
lauer chirurgischen Gesellschaft vom 13. November 1911 vorgezeigt hat. 

Hr. Göbel berichtet über einen von ihm operierten Fall von 
Hirschsprung’scher Krankheit. 

Hr. Küttaer demonstriert fünf Fälle aus dem Gebiete der angeborenen 
Elephantiasis: 

1. Elephantiasis neuromatodes einer Gesichtshälfte (Frau). 

2. Lappenelephantiasis des Halses mit Bildung von Rankenneu¬ 
romen. 

3. Neurofibromatose mit Aussaat von weichen Fibromen und pig¬ 
mentierten Nervennaevi über den ganzen Körper (Mann). 

4. Ausgedehnter Naevus promineus pigmentosus pilosus des ganzen 
Vorderarms mit angeborenem Sarkom (Kind). 

5. Diffuse tiefe und oberflächliche Hämangiombildung des Vorder¬ 
arms (Kind). 

Hr. Rosenfeld: lieber fleisebliehe Ernährung. Nach Versuchen 
von HHr. cand. med. R. Rosenfeld, Langer und anderen. 

Diskussion. 

Hr. Minkowski hebt hervor, dass die mitgeteilten Untersuchungen 
doch eigentlich ebensowenig wie alle sonst irgendwie ausgeführten 
exakten Prüfungen etwas ergeben hätten, was zuungunsten der 
Fleischnahrung gedeutet werden könnte. Es sei vielleicht jetzt an 
der Zeit, den vielfach übertriebenen Behauptungen von der Schäd¬ 
lichkeit der Fleischnahrung entgegenzufreten. Gewiss gebe es Krank¬ 
heitszustände, bei denen eine Einschränkung der Fleischnahrung geboten 
erscheint. Aber der gesunde Mensch steht doch in seinem Körper¬ 
bau, wie in seinem Stoffwechsel, dem Fleischfresser näher als dem 
Pflanzenfresser. Dass das Eiweissminimum, mit dem man leben 
kann, geringer ist, als man früher aogenommen hat beweist noch 
nicht, dass es vorteilhaft sei, mit dem Minimum auszukommen. 
Die Natur arbeitet doch sonst nicht immer mit einem Minimum. 
Es gebe auch zu denken, dass die Intelligenz des Fleischfressers im all¬ 
gemeinen höher stehe, als die des Pflanzenfressers. Man vergleiche nur 
den Umfang der Bauchhöhle in ihrem Verhältnis zur Schädelhöhle beim 
Menschen und beim Pflanzenfresser. 

Hr. F. Röhmann stimmt den Ausführungen von Herrn Rosenfeld 
bei, insofern auch er der Meinung ist, dass ein übertriebener Wert auf eine 
reichliche Fleischzufuhr gelegt wird. Ueberschreitet die Eiweisszufuhr 
ein gewisses Maass, so ist sie unökonomisch, da der „spezifisch-dynami¬ 
sche“ Wert nach Rubner für Eiweiss grösser als für Fett- und Kohle¬ 
hydrate ist. Im übrigen ist es quoad Eiweis gleichgültig, in welchen 
Nahrungsmitteln Eiweiss zugeführt wird, ob in Form von Fleisch der 
Säugetiere, Fischen oder pflanzlichen Nahrungsmitteln, wie Leguminosen 
usw. Da der Urspruug des Menschen vom Affen hergeleitet wird, steht 
er in seinem Stoffwechsel den Pflanzenfressern näher. 

Hr. Rosenfeld (Schlusswort aus der Sitzung vom 22. November 1912 
herübergenommen): Die Ausführungen über fleischlose Kost habe ich mich 
bemüht. Ihnen so vorurteilslos zu geben wie nur möglich. Einer ihrer Vor¬ 
züge ist, dass sie ein leichteres Einhalten zweckmässiger Beschränkung in 
der Nahrungsaufnahme gestattet. Die Frage, ob Fleischkost oder Pflanzen¬ 
kost, ist eine Frage des Quantum und des Quäle. Betreffs des Quantums hat 
sich die Frage von früher, wie es möglich sein sollte, die Mengen von 
118 g Eiweiss in der Pflanzenkost aufzubringen, damit lösen lassen, dass 
in der Anforderung an Eiweissmengen eine Herabminderung auf 80 g als 
Tagesdosis allgemein anerkannt »t, und dass sogar die Ghittenden’schen 
Versuche gezeigt haben, dass mit 50 bis GOg Eiweiss pro die die grössten 
Leistungen und das beste Wohlbefinden möglich ist. Ja, es zeigt sich 
sogar dem aufmerkenden Beobachter, dass Eiweissüberfütterung oft Leistung 
und Stimmung verschlechtert, ausserdem auch den Stoffwechsel und die 
Nieren überlastet. In Rücksicht auf das Quäle bietet die fleischlose 
Kost in den Ei weisskörpern keine Nachteile und den Vorteil der Purin- 
freibeit. Von den anderen Stoffen erscheint es nicht unbedenklich, dass 
so grosse Mengen von Kalk meistens eingeführt werden, da sie oft in 
vielleicht störenden Mengen zurückgehalten werden. Die Arbeitskraft, 
Dach der Ergographenleistung gemessen, ist bei der fleischlosen Kost im 
allgemeinen normal hoch, nur im Falle R. Rosen fei d stark verringert 
gewesen. 

Zu den Bemerkungen von Herrn Minkowski meine ich, dass die 
Intelligenz der Tiere vom anthropozentrischen Standpunkt und deshalb 
wohl unrichtig beurteilt wird. Von diesem Standpunkt aus aber er¬ 
scheinen die Pflanzenfresser: Affe und Elefant allen Fleischfressern an 
Intelligenz mindestens gewachsen. Und jede etwaige Prävalenz der 


Raubtiere ist von ihrer Beschäftigung und nicht von ihrem Fleisohgenusso 
abzuleiten. 

Insofern besteht eine gewisse Aebnlichkeit in unseren Anschauungen, 
als ich weder im Experiment noch bei praktischer Beobachtung von der 
fleischlosen Kost bei Arteriosklerosis irgendeinen Vorteil gesehen habe. 


Acrztllchcr Verein zu Essen-Rnlir. 

(Wissenschaftliche Abteilung.) 

Sitzung vom 19. November 1912. 

Vorsitzender: Herr Schüler. 

Hr. Morian gab folgende Demonstrationen (Autoreferat): 

1. Carcinombehandlong mit Zeller’scher Paste. 60jähriger Mann 
wegen iuoperablen handgrossen, bis auf den Unterkiefer und den Mund¬ 
boden und auf den Hals fortgewucherten Epithe 1 kr ebses mit Zeller’scher 
Quecksilberarsenpaste und innerlich mit Natr. silic. vergeblich be¬ 
handelt, trotzdem am 10. IX. 1912 die Carotis externa unterbunden 
und dort liegende Drüsen fortgenommen waren. Die Paste schmerzte 
zu sehr und musste wieder weggelassen werden. 

Diskussion. Hr. Steuernthal macht darauf aufmerksam, dass 
die Behandlung mit dem eigeuen Serum verschiedentlich mit gutem 
Erfolge ausgeübt sei. 

2. Fall von extragenitaler Lies. 6jähriges Mädchen, 10. XU. 1912 
aufgenommen. Keine hereditäre Belastung. Vom 1. VII. bis 4. IX. 1912 
im städtischen Krankenhause wegen Scharlach behandelt. Seit der Ent¬ 
lassung rechts Ohrenfluss. Vor der Aufnahme ins Huyssensstift bemerkte 
die Mutter an der Zunge ein rotes Bläschen, das immer mehr wuchs. 
Bei der Aufnahme war der ganze Zungenrücken besetzt mit breit- 
gestielten papillären Wucherungen. An beiden Mandeln befanden sich 
Geschwüre mit weisslich durchscheinendem Belag, am weichen Gaumen 
rechts und links bohnengrosse Plaques. Wassermann stark positiv. 
Innerlich Calomel, später Jodkali mit Heilung der Geschwüre und 
Papeln. Drüsenschwellungen am Halse und in der Leiste bestehen noch. 
Die Eingangspforte für diese luetische Affektion nicht aufzufinden. 

3. Traumatische Magenblotaog. 34jähriger Arbeiter, früher nie 
krank, besonders nicht magenkrank, wurde durch einen schweren Balken, 
der ihn auf den Rücken traf, am 1. X. 1912 mit Brust und Bauch gegen 
eine Eisenschiene gedrückt. 2. X. aufgenommen. Er hatte nach der 
Verletzung viel Blut erbrochen, was sich ausgiebig wiederholte am 
3., 6., 19. und 22. X., so dass er beinahe verblutet wäro. Wachsbleich, 
hatte fadenförmigen Puls. Gelatine, Chlorcalicurn, Ergotin, später 
Geschwürsdiät, Kochsalzinfusionen und Einträufelung, Coffein, Morphium, 
Nährklystiere, Adrenalin verschiedentlich angewandt, hatten keinen Er¬ 
folg. Die Naseudauersonde, um die Gasansammlung zu vermeiden, ver¬ 
trug der Mann nur eine Nacht. 14. XI. Gesamtacidität = 15, freie 
Salzsäure = 0; Hämoglobingehalt am 19. XI. nur 30pCt. 

Diskussion. Hr. Doevenspeok hat einen nahezu gleichen Fall 
beobachtet, der aber ad exitum kam, ohne Sektion. 

4. Pylorospasmts beim Säugling. Ein 7 wöchiger Knabe war bei 
der Geburt sehr wohlgenährt, nur erbrach er viel Schleim. Im Laufe 
der Wochen erbrach das Brustkind immer mehr und nahm ausser¬ 
ordentlich stark ab. Als er am 17. XL 1912 ins Krankenhaus gebracht 
wurde, war er sehr stark abgemagert, fühlte sich kühl an, hatte keinen 
fühlbaren Puls und angeblich seit 14 Tagen keinen Stuhlgang mehr. 
Auf subcutane Kochsalzeinspritzungen hob sich der Puls, auf Einläufe 
kam normaler Stuhl, und nun trichterte man Muttermilch durch den 
After ein, spülte den Magen und versuchte neben Muttermilch auch 
festere Nahrung. Für den Fall, dass das Kind sich nicht entsprechend 
erholen sollte, wurde die Gastroenterostomie in Aussicht genommen. 

Diskussion. 

Hr. Steuernthal empfiehlt regelmässige Spülungen des Magens, 
die als die souveräne Methode dieser Erkrankungen gelte. Meist käme 
man mit diesen auch ohne Gastroenterostomie zum Ziel. 

Hr. Levy macht darauf aufmerksam, dass breiige Kost oft vertragen 
werde, wo noch flüssiges Erbrechen einlrete. 

Hr. Knotte berichtet über einen ähnlichen Fall bei einem Säug¬ 
ling, bei welchem aber ein deutlicher Tumor zu fühlen was. 

5. Zu postoperativen Verwachsungen. 

a) 35jährige Frau, vor 3 Jahren Gallenblase im Huyssensstift heraus- 
geschnitten, begann ein halbes Jahr später zeitweise an Schmerzen in der 
Oberbauchgegend zu leiden. Juni 1912 vorübergehende Besserung, 
20. X. laparotomiert und eine fingerlange und fingerbreite Verwachsung 
des Bauchwandperitoneums mit dem linken Leberlappen und dem Pylorns 
losgelöst und übernäht. Seitdem beschwerdefrei. 

b) 39jäkriger Patient, vor 4 Jahren auswärts wegen Blinddarm¬ 
entzündung operiert und vor 2 Jahren in demselben Krankenhause wegen 
vermuteter Gallensteine nochmals operiert, wobei man nur Verwachsungen 
fand, wurde am 2. XI. wegen andauernder Schmerzen im Leibe, Durch¬ 
fällen und leichten Fiebererscheinungen relaparotomiert und Ver¬ 
wachsungen der Leber, des Magens, des Dickdarms und des Netzes von 
der vorderen Bauchwand losgelöst und mit gesundem Netz übernäht.. 
Seitdem beschwerdefrei. 

c) 44jähriger Bergmann, auswärts wegen Verdachts eines Magen¬ 
geschwürs vor iy 2 Jahren gastroenterostomiert und wegen andauernder 
Beschwerden nochmals relaparotomiert, ohne dass man wesentlich Krank¬ 
haftes gefunden hätte, blieb bei seinen Klagen und wurde am 6. XI. 1912 


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Nr 2. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


nochmals in der Narbe des Querschnitts eingesehnitten. Man fand 
breite Verwachsungen zwischen vorderer Bauchwand, Netz, Gallenblase, 
Magen und Dickdarm. Sie wurden gelöst, die sonst gesunde Gallenblase 
mit ihrem eigenen gesunden Peritoneum überkleidet, die übrigen Ver* 
wachsungsstellen mit Netz bedeckt und der Leib wieder geschlossen. 
Seine früheren Beschwerden hat der Mann angeblich verloren, klagt aber 
jetzt über die linke Unterbaucbgegend. 

d) 37jähriger Heizer hatte 1903 und 1904 7 Monate laDg Lungen- 
und Rippenfellentzündung, war 1904 und 1905 10 Monate lang in drei 
Lungenheilstätten, 1911 monatelang wegen Magenkrankheit im Städti¬ 
schen Krankenhause, wurde im August 1911 im Huyssensstift beider¬ 
seits nach Bassini am Leistenbruch operiert, erkrankte an Typhus, war 
wiederum im Städtischen Krankenhause; im September 1912 kam er 
wegen Achylia gastrica in der Huyssensstiftung zur Aufnahme und wurde 
zuletzt wegen Verdachts auf Careinom eingewiesen, ohne dass man eine 
Geschwulst hätte tasten können. Am 14. XL wurde, in der Annahme, 
es könnten von der Bassini-Operation oder vom Typhus Verwachsungen 
entstanden sein, weil der Mann hauptsächlich zuletzt in der linken 
Unterbauchgegend Schmerzen empfand, links oberhalb der Narbe ein¬ 
gegangen. Man fand aber keinerlei Verwachsungen, nur eine eigen¬ 
tümliche Raffung des Mesosigmoideuras, die man für Verwachsungen an¬ 
sprechen musste und loslöste. 

Ob die Operation in diesen Fällen für die Dauer die Beschwerden 
beseitigt haben wird, bleibt erst abzuwarten. Vorerst waren in allen 
Fällen die vermuteten Verwachsungen gefunden worden. Die Beschwerden 
nach Verwachsungen sind ausserordentlich verschieden; oft findet man 
ausgedehnte Verwachsungen ohne jegliche Beschwerden, während ein 
andermal ganz kleine Adhäsionen zu unglaublich grossen Beschwerden 
führen. Ob es möglich sein wird, durch die Peritonealisierung der Ver¬ 
wachsungsstellen die Beschwerden an den vorgelührten Fällen zu be¬ 
seitigen, muss erst abgewartet werden. 

6. Snb akute Perityphlitis mit gesehwnlstartigem Charakter. 
39jährige Frau erkrankte im Juli 1912 plötzlich an heftigen Leib¬ 
schmerzen und Fieber. Allmählich stellten sich Blasenbeschwerden ein. 
Gynäkologisch und cystoskopisch fand sich nichts Abnormes. Erst im 
November wurde ein Tumor zwischen vorderer Magenwand und Becken 
gefunden, dabei blutiger Eiter bei der Rectoskopie. Wegen einer an¬ 
genommenen Perityphlitis wurde die Frau dann zur Beobachtung dem 
Krankenhause überwiesen. Sie fieberte nicht, hatte wechselnde Leib¬ 
schmerzen, etwas Eiweiss im Urin, entleerte zuweilen viel Eiter im Stuhl. 
Per rectum fühlte man einen harten, faustgrossen Tumor, der bis über 
die Schamfuge hinausreichte und sich hart anfühlte. 

Vortr. erklärte nach diesem Befund die Krankheit für eine subakute 
Perityphlitis mit geschwulstartigem Charakter, ohne die Möglichkeit einer 
Neubildung ganz auszuschliessen. 

Diskussion. 

Hr. Levy fragt an, ob der Tumor nicht von einem Fremdkörper in 
der Blase ausgegangen sein könne, was verneint wird. 

Hr. Doevenspeck fragt an, ob der Tumor von Anfang an vor¬ 
handen gewesen, was von Herrn Morian dahin beantwortet wird, dass 
er anfangs nicht gefühlt worden ist. 

7. Drei Frauen im Alter von 36—55 Jahren und ein junges Mädchen 
wurden vorgestellt, die längere Zeit an Colitis membranaeea gelitten 
hatten, zweien von ihnen war bereits wegen ihrer Beschwerden der 
Wurmfortsatz herausgenommen wordeo, ohne Erfolg; bei zweien wurde 
die Appendicostomie vorgenommen, bei den zwei anderen die Colostomie 
mit einem dünnen Röhrchen. Allen wurde Höllensteinlösung 1 :1000 
und Tanninlösung 2: 1000 300 ccm täglich eingespritzt, bei zweien mit 
sehr gutem Erfolg, die beiden übrigen haben ihre Beschwerden noch 
immer nicht verloren. Die Beobachtungszeit ist noch zu kurz. 

Ueber den Nutzen der Appendicostomie bei Colitis sind die 
Meinungen noch geteilt. Wenn man aber alle Mittel erschöpft hat, so 
dürfte ein Versuch mit dieser Methode gerechtfertigt erscheinen. 

Diskussion. 

Hr. Schüler weist darauf bin, dass die Behandlung jeglicher Colitis, 
auch der schweren Formen, zunächst eine interne bleiben muss, und be¬ 
spricht kurz die diätetischen und medizinischen Maassnahmen. Immer¬ 
hin gibt es .eine Reihe Fälle von Colitis gravis bzw. ulcerosa, die jeg¬ 
licher Behandlung trotzen. In diesen Fällen kann ein Versuch mit der 
Appendicostomie gemacht werden. Sch. verspricht sich aber sehr wenig 
davon, da das Hauptmoment, die Ruhigstellung des Darms, nicht durch 
die Appendicostomie erreicht wird, indem die Fäces weiter den ge¬ 
schädigten Darm passieren und Einläufe schliesslich bei richtiger Hand¬ 
habung auch vom Anus aus ziemlich hoch hinaufgelangen. In den 
schwierigen Fällen muss man doch wohl zur Colostomie mit völliger 
Ausschaltung des Dickdarms greifen. 

Zur Diskussion sprachen weiter noch die Herren Mälchers und 
Doevenspeck. 

8. Das Präparat eines in die Blase perforierten Krebses des 
S romanim bei einem 56 jährigen Manne. 

9. Pleuraverletzung durch Messerstich neben dem Sternum bei 
einem 27 jährigen Bergmann. Einige Zeit später wölbte sich unter der 
Narbe eine halbhühnereigrosse Geschwulst vor beim Ausatmen und 
Pressen. Als er am 13. VIII. 1912 in die Huyssens-Stiftung aufgenommen 
wurde, hatte er noch linkerseits eine grosse Eiteransammlung im Rippen¬ 
felle. Am 16. VIII. 1912 wurde die 8. und 9. linke Rippe fingerlang 
fortgenommen. Am 3. XI. 1912 auch ein Stück der 7., 6., 5. und 


4. Rippe, um die starre Höhle zu verkleinern. Die fingerdicke Schwarte 
wurde durchgeschnitten. Der Messerstich hatte das Rippenfell verletzt, 
die Lunge konnte nicht angewachsen sein, sonst würde sie sich nicht 
vor- und rückwärts bewegen können. Der Stich vorn oben hatte aber 
eine Infektion des Rippenfellraumes herbeigelührt, die dann der Eiterung 
wegen die ausgedehnte Resektion nötig machte. 

10. Empyem, nach aussen nnd durch das Diaphragma perforiert. 

Ein 7 jäbriger Junge erkrankte an rechtsseitiger Lungen- und Rippen¬ 
fellentzündung. Am 26. VIII. 1911 wurde er in die Huyssens Stiftung 
aufgenommen uud ein unter der Haut gelegener Abscess eröffnet, der 
Streptokokkeneiter enthielt. Aus dem Abscess kam man unter das 
Zwerchfell. Durch dieses führte eine Oeffnuug in den Rippenfellraum 
hinauf. Die 9. Rippe wurde fortgenommen. Am 2. XU. 1911 wurde, 
da die starre Höhle sich nicht verkleinern wollte und die Granulationen 
einen deutlich tuberkulösen Charakter angenommen hatten, eine teilweise 
Resektion aller Rippen rechterseits vorgenommen, die aber trotz der 
Ausdehnung nicht zum Verschluss der Höhle lührte. Daher wurden am 
22 V. 1912 die wiedergebildeten Rippen von der 10. bis zur 5. auf¬ 
wärts nochmals fortgenomraen, aber auch jetzt verschloss sich die Höhle 
noch nicht. Am 11. XI. 1912 wurden nochmals von der 9. Rippe auf¬ 
wärts vier neugebildete Rippen fortgenommen. Nunmehr scheint sich 
die Seite vollkommen anzulegen, das Röutgenbild beweist, dass alle 
Rippen teilweise reseziert worden sind. 

11. a) Lnngenabscess. Ein 13 jähriges Mädchen erkrankte vor einem 
Jahre an Husten uud Nachtschweissen, dazu an häufigen Leibscbmerzen. 
Ira Mai 1912 brachte ein Aufenthalt in Raflelberg keine Kräftigung, in 
letzter Zeit hatte die Patientin viel Auswurf, der sehr übel roch. Die 
v. Pirquet’sche Reaktion war negativ, der Auswurf zeigte keine Tuberkel- 
bacilleo. Rechts hinten befand sich eine handhohe Dämpfung, in deren Bezirk 
eine etwa gänseeigrosse Stelle amphorisches Atmen und klingende Rassel¬ 
geräusche darbot. Eine Punktion erbohrte in 6 cm Tiefe im 8. Zwiscben- 
rippenraume stinkenden Eiter. Am 2. IX. 1912 wurde die 9. Rippe 
reseziert, und nun drang man durch die verdickte ödematöse Pleura in 
eine buchtige mit bröekel'g gangränösen, höchst übelriechenden Massen 
gefüllte gänseeigrosse Höhle ein, die drainiert wurde. Am 17., 18., 
19. IX. und 2., 16., 18. X. 1912 trat Bluthusten ein, trotzdem bestand 
die Mutter darauf, das heimwehkranke Kind am 21. X. nach Hause zu 
uehmen. Am 29. X. 1912 wurde es wieder aufgenommen, da der Zustand 
sich verschlimmert, Fieber und stinkender Auswurf sich vermehrt hatten. 
Nun wurden am 30. X. 1912 die Rippe weiter fortgenommeu und der 
Lungenabscess nochmals breiter zugängig gemacht. Seitdem hat der 
üble Geruch uud der Auswurf abgenommen, ist weniger reichlich, das 
Fieber ist fast dauernd geschwunden. Die Röntgenplatle zeigt in der 
Gegend des Abscesses einen deutlichen handtellergrossen Schatten. 

b) Langenseqnester. 15 jähriges Mädchen, am 18. VII. 1912 auf¬ 
genommen, war vier Wochen zuvor unter Typhusverdacht erkrankt und im 
städtischen Krankenhause vor 3 Wochen aufgenommen. Dort war die Aggluti¬ 
nationsprobe negativ, die v. Pirquet’sche positiv ausgefallen. Der wechselnde 
Auswurf enthielt keine Tuberkelbacillen. In der linken Brustseite von 
der Herzdämpfung bis zur Achselliuie und von der Brustwarzenlinie ab¬ 
wärts bestand Dämpfung. Auf dem Röntgenbilde war ein umschriebener, 
fast haodtellergrosser Schatten. Eine Punktion ira 4. Zwischenrippen- 
raume ergab reinen Eiter, in dem vereinzelte Tuberkelbacillen nach¬ 
weisbar waren. Am 14. VII. 1911 wurde in lokaler Anästhesie ein 
Stück der 4., 5. und 6. Rippe vorn fortgenoramen, die Pleura kreis¬ 
förmig auf die Lunge übernäht und nun mit dem Brenner in 3 cm Tiefe, 
dem Oberlappen entsprechend, eine fast faustgrosse Eiterhöhle eröffnet, 
deren Wandungen in Auflösung begriffen waren. Da das Fieber nicht 
wich, wurde am 24. V111. 1912 die Wunde erweitert und ein zweiter 
Abscess nach hinten oben eröffnet. Am folgenden Tage entfernte man 
aus der Wunde einen hühnereigrossen Luugensequester, in dem zahl¬ 
reiche Tuberkelbacillen naebgewiesen werden konnten. Anfangs September 
wurde das Mädchen sehr schwach, es traten Schwellungen an Händen 
und Füssen auf, nach Anwendung von Herzmitteln jedoch erholte es 
sich, die Esslust kehrte wieder, und nun ist sie schon wochenlang ausser 
Bett. Die Wunde sieht sehr gut aus. 

c) Traumatische Pneamoflie mit Empyem. Thrombose der linken 
nnteren Extremität. Ein 18jähriger Jüngling wurde am 12. VIII. 1912, 
als er einen Steinwagen auf den Aufzug geschoben hatte und dieser 50 m io 
die Tiefe stürzte, mit binabgerissen und fiel mit der linken Rückseite 
auf die Steinladung. Die 9. Rippe war gebrochen, es sammelte sich Luft 
unter der Haut an, und es entstand eine solche Atemnot, dass man 
einen Tag nach der Aufnahme, am 13. VIII. 1912, wegen eines Spannungs- 
pneumotborax mit dem Potain’schen Apparate viel Luft aus der Pleura 
saugen musste, danach besserte sich die Atemnot. 8 Tage nach der 
Aufnahme jedoch entstand rechts hinten unten eine Lungenentzündung 
mit ausgebreiteter Dämpfung, bronchialem Atmen und rostfarbenem Aus¬ 
wurf. Die Pneumonie wollte sich nicht lösen, die Dämpfung blieb, und 
wegen der Annahme eines Ergusses nahm man mehrfache Punktionen 
vor, so am 28. VIII. 1912, am 12., 24. und 30. IX., am 12. X. 1912. 
Es kamen immer bloss einige Tropfen Blut, kein Eiter. Am 25. IX. 1912 
schwoll durch Thrombose das linke Bein, am 27. IX. 1912 auch das 
rechte. Am 24. X. 1912 warf Patient reichliche Mengen hellroten Blutes 
aus. Am 6. XI. 1912 war wiederum eine Punktion negativ, und erst 
am 16. XI. 1912 konnte man etwas Eiter aus grosser Tiefe im 8. Zwischen- 
rippenraume und in der Schulterblattlinic rechterseits punktieren, dort, 
wo auf einer handtellergrossen Stelle amphorisches Atmen und klingen- 


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13. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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des Rasseln gehört werden konnte, und wo nach der Röntgenplatte eine 
handtellergrosse Verdichtung lag. 

Auch bei diesem Patienten muss, durch die Lungenentzündung 
herbeigeführt, eine Verschmelzung von Lungengewebe stattgefunden haben. 
Sollte bei dem jugendlich elastischen Brustkörbe die Einziehung nicht 
genügen, so wird man genötigt sein, die Höhle operativ anzugreifen, wie 
in den beiden vorgehenden Fällen. 

12. Staphylokokkeninfektionen. 

a) Ein 25 jähriger Mann erkrankte am 10. IX. 1912 unter Schmerzen 
nnd Schwellung und Rötung mitten auf dem Brustbein. Am 14. IX. 1912 
vurde er aufgenommen, am 15. IX. 1912 das Brustbein an seinem Hand¬ 
griff aufgemeisselt, es fanden sich Staphylokokken. Da das Fieber nicht 
nacblassen wollte, wurde am 21. IX. 1912 fast das ganze Brustbein von 
oben nach unten fortgenommen bis auf das vordere Mediastinum und 
bis auf die Rippenknorpelgelenke hinein. Danach trat Entfieberung ein 
und der Patient erholte sieb, obwohl eine zeitlang wegen reibenden Ge¬ 
räusches eine Herzbeutelentzündung angenommen werden musste. Am 
1. XI. 1912 wurde eine Ueberpflanzung nach Thiersch vorgenommen, 
die Herr Dr. Lindemann nach einer Modifikation ausführte. Sie gelang 
vollkommen, so dass die grosse Wunde heute schon bis auf zwei erbsen¬ 
grosse Stellen rechts und links am Rippenknorpel überhäutet ist. 

b) Ein 13 jähriger Knabe wurde am 8. V. 1912 aufgenommen. Am 
4. V. 1912 fiel er auf die rechte Gesässhälfte, an demselben Tage, 
abends, Schüttelfrost, Fieber, heftige Beckenschmerzen. Der Hausarzt 
schickte ihn wegen Beckenosteomyelitis ins Krankenhaus. Hier fand sich 
zunächst eine Eiteransammlung in der rechten Beckenhälfte, die vom 
After her angebohrt wurde. Sie enthielt Staphylokokken. Am 18. V. 1912 
musste man den Parasacralschnitt machen. Am 24. V. 1912 eröffnete 
man die Hüfte. Am 29. V. und 1. VI. 1912 wurden innen und aussen 
am Oberschenkel Gegenschnitte erforderlich, am 8. VI. 1912 wurde ein 
Abscess in der linken Axelböhle eröffnet. Am 1. VI. 1912 musste der 
Hüftgelenk köpf herausgenommen werden. Die drei Wachstumslinien 
klafften breit. Am 15. VI. 1912 wurde auf dem Handrücken ein Abscess 
gespalten. Am 16. VII. 1912 holte man einige abgestorbene Knochen¬ 
stückchen aus der Pfanne und am 30. VIII. 1912 musste das rechte 
Schultergelenk wegen Eiterung cröffoet werden. Trotz allem, was der 
Knabe durchgemacht hat, befindet er sich jetzt auf dem Wege der 
Besserung. 

c) Ein 16 jähriger Knabe hatte vor drei Jahren am rechten Ober¬ 
schenkel Knocbenmarkentzündung. Als er am 4. XI. 1912 aufgenommen 
wurde, war er seit acht Tagen wieder fieberhaft erkrankt mit Schmerzen 
am rechten Oberschenkel. Als man 5. XII. 1912 das Hüftgelenk von 
vorn eröffnete, weil man Eiter aus ihm punktiert hatte, kam man an 
einer Stelle auf den vom Knochen entblössten Schenkelhals und meisselte 
ihn auf. Es fanden sich Staphylokokken. Dem Patienten geht es gut, 
er bat aber gestern abend wegen Eiterverhaltung im Hüftgelenke etwas 
Fieber gehabt, das heute wieder verschwunden ist. 

d) Ein 16jähriger Knabe wurde am 16. X. 1912 aufgenommen. 
Vier Tage vor der Aufnahme bekam er plötzlich Schmerzen im rechten 
Oberschenkel und in der rechten Hüfte. Als man am 23. X. 1912 
punktierte und rötlich-gelber Eiter, der Staphylokokken enthielt, aus 
dem Hüftgelenk kam, eröffnete man es von vorn und drainierte es. Das 
Fieber blieb hoch, daher musste man am 25. X. 1912 den Schnitt ver¬ 
längern und den Schenkelhals aufmeisseln. Da der ganze Schenkelhals 
ergriffen war, nahm man ihn samt dem Kopfe weg. Auch jetzt fiel das 
Fieber noch nicht, daher meisselte man 27. X. 1912 von hinten her 
hinter dem Biceps den ganzen Oberschenkel bis gegen das Kniegelenk 
hinab auf und entleerte aus dem Knochenmark Eiter. Obwohl am 
2S. X. 1912 beide Handgelenke geschwollen waren und das Herz ein 
Geräusch aufzuweisen hatte, hat sich der Knabe bisher erholt, wenn er 
auch noch nicht dauernd fieberfrei geworden ist. 

e) Ein 3 jähriges Mädchen, das am 13. XI. 1912 aufgenommen 
wurde, bekam 12. XL 1912 nach einem Stoss Schmerzen im rechten 
Kniegelenk, hohes Fieber und Erbrechen. Am 13. XI. 1912 wurde das 
Schienbein unterhalb des Kniegelenks aufgemeisselt und Eiter gefunden, 
io dem sich Staphylokokken nachweisen Hessen. Am 14. XI. 1912 
punktierte man Eiter aus dem rechten Kniegelenk. Am 15. XI. 1912 
musste man das Kniegeleok drainieren und den Tibiaknauf bis dicht in 
das Gelenk hinein aufmeisseln. Am 17. XI. 1912 blieb das Fieber immer 
noch über 40°, nun wurde wegen einer Schwellung hinten am Ober¬ 
schenkel ein handtellergrosser Abscess hinter dem grossen Trochanter 
gespalten. Am 18. XI. 1912 punktierte man Eiter aus dem Hüftgelenk, 
man spaltete daher die Kapsel und meisselte den Schenkelhals auf und 
fand Eiter in ihm. Gleichzeitig mussten etwa fünferbsengrosse Stellen am 
linken Vorderarm aufgeschnitten werden, in denen sich unter der Haut 
Eiterherde befanden. Das Kind ist hochgradig septisch und dürfte wohl 
verloren sein. 

13. VerletiMgen and Luxation des Os lunatum. 

a) Ein 16 jähriger Fabrikarbeiter wurde am 6. XI. 1912 aufge¬ 
nommen, vor fünf Wochen hatte er sich, angeblich durch Fall auf 
die rechte Hand, das rechte Handgelenk verstaucht. Den Tag vor der 
Aufnahme war er nochmals auf die rechte Hand gefallen und batte nun 
stärkere Schmerzen. Er suchte das Krankenhaus auf, weil er auch 
Schmerzen in allen grösseren Gelenken der Extremitäten hatte. Dazu 
kam Fieber und ein blasendes Herzgeräusch. Das geschwollene und 
bewegungsbeschränkte rechte Handgelenk wurde geröntget, und es fand 


sich, dass das Mondbein etwa auf die Hälfte seiner Höhe von oben nach 
unten zusammengedrückt war. 

b) Zwei Röntgenbilder yon einer Luxation des Mondbeins nach der 
Beugeseite des Handgelenks zu, die durch Fall auf die Hand im Juni 1910 
bei einem etwa 30jährigen Arbeiter erfolgt war. 

Brüche und Verletzungen des Mondbeins entstehen viel seltener 
als die Speichenbrüche, hauptsächlich dann, wenn Hand und Vorderarm 
fast senkrecht auf den Boden aufschlagen, die Radiusbrüche bei mehr 
stumpfwinkeliger Berührung mit dem Erdboden. 

14. Ein 17 jähriger Fabrikarbeiter wurde am 11. XI. 1912 auf¬ 
genommen. Eisenplatte war ihm mit der Flachseite auf die Zehen des 
linken Fusses aufgescblagen und hatte sie ihm teilweiso zertrümmert, 
dabei war es zu einem Sehrägbruch des inneren Grosszehensesam- 
beins gekommen, wie das Röntgenbild uachwies. Kenntlich war die 
Fraktur an der unregelmässigen zackigen Linie. 

15. Beckenbrüche. 

a) Ein 61 jähriger Mann wurde von einem Kohlenwagen von 
links nach rechts gegen eine Mauer gedrängt. Er konnte nicht mehr 
gehen und wurde sofort am 17. VII. 1912 ins Krankenhaus gebracht. Das 
verhältnismässig gut bewegliche rechte Hüftgelenk wies auf der Röntgen 
platte eine Luxatio centralis des Schenkelkopfes auf. Der Kopf war 
durch die Pfanne iu das kleine Becken hineingetrieben und hatte eine 
Knochenspange vor sich her geschoben. Gleichzeitig war die rechte 
Beckenschaufel handtellergross hinter dem vorderen, oberen Darmbein¬ 
stachel senkrecht gebrochen. Patient hinkt noch und klagt über 
Schmerzen an der Innenseite des Oberschenkels. 

b) Ein 39 jähriger Fabrikarbeiter fiel, als er in der Schmiede aus¬ 
rutschte, mit der linken Gesässhälfte auf ein Eisen, danach entstand eine 
Ischias, die auf die verschiedensten Heilmittel, auch Novocainein- 
spritzungeu in den Nervenstamm, nicht heilen wollte. Man machte 
daher bei der vierten Krankenhausaufnahme am 19. VII. 1912 die 
Nervendehnung, ebenfalls ohne Erfolg. Als man zuletzt ein Röntgenbild 
aufnahm, entdekte man erst einen von der Pfanne bis zum Beckenring 
hinaufreichenden, am Sitzbein hinabgehenden Bruch des Beckens, und 
nun legte man am 28. IX. den Hüftnerven bis an den Beckenausschnitt 
frei, löste ihn aus seiner narbigen Umgebung, zog einen Strang vom 
Gesässmuskel unter demselben her und nähte diesen fest. Seitdem ist 
der Schmerz verschwunden. 

c) Eine ähnliche Beckenfraktur wird auf dem Röntgenbilde eines 
42 jährigen Bergmannes demonstriert, der vom 30. III. bis 6. V. 1912 
in der Huyssensstiftung lag und zwischen eine elektrische Lokomotive 
und eine Mauer geraten war. Auch hier war eine Ischias entstanden, 
die sich auf intraneurale Novooaineinspritzuugen besserte, doch bei der 
Entlassung noch nicht dauernd verschwunden war. 

16. Kniegelenkbrüehe. 

a) Ein 28 jähriger Kaufmann fiel am 1. IV. 1912 in einen Treppen- 
scbacht, so dass er mit dem rechten Bein oben blieb und mit dem 
Körper herabstürzte. Er spürte ein Knacken im rechten Kniegelenk 
und wurde am nächsten Tage im Krankenhause aufgenommen. Das 
Röntgenbild zeigte, dass die Eminentia intercondylica abgebrochen und 
nach hinten verschoben war. Gleichzeitig befand sich Blut im Gelenk. 
Ein fixierender Verband, später Massage und Medicomechanik brachten 
es zuwege, dass die Beweglichkeit des Kniegelenks jetzt von 170° bis 
90° reicht, und dass der Mann jetzt wieder tätig sein kann. 

b) Ein 28 jähriger Streckenarbeiter geriet am 3. VIII. 1912 mit dem 
rechten Bein unter einen umkippenden Bahnwärterwagen und wurde von 
aussen belastet. Im Krankenhause erwies sich im Röntgenbild die 
Eminentia intercondylica abgerissen und nach vorn verschoben. Trotz 
Streckverbänden und später medicomechanischer Behandlung reichte die 
Beweglichkeit aktiv von 140° bis 160°. Er hatte grosse Schmerzen 
beim Gehon, es soll daher ein operativer Eingriff bei ihm vorgenommen 
werden. 

c) Eine 18jährige Näherin wurde am 5. XI. 1912 aufgenommen. 
Sie hatte Ostern dieses Jahres Scharlach, danach 6 Wochen Gelenk¬ 
rheumatismus durchgemacht. Am 4. VIII. 1912 stand sie in der Bade¬ 
wanne wollte gerade heraussteigen, drehte sich dabei rechts nach einem 
Handtuch rasch um und spürte heftige Schmerzen im linken Kniegelenk. 
Nach vierwöchiger Behandlung zu Hause befand sie sich 8 Tage im 
städtischen Krankenhause, dann arbeitete sie 14 Tage im Sitzen und 
kam am 5. XI. wieder wegen Schmerzen im Kniegelenk, die sich bei 
jedem Schritt wiederholten. Auch hier wies ein Röntgenbild zwischen 
den beiden Femurcondylen einen schmalen scharfen Schatten auf, der 
als eine von der Eminentia intercondylica abgerissene Knochenscbicht 
angesprochen wurde. Auch sie soll operiert werden. 

17. Aneurysma spurium in der Nähe der Obersehenkelarterie. 

Ein 25 jähriger Arbeiter wurde am 28. X. 1912 aufgenommen. 
Vor 4 Jahren verlor er durch Hufschlag im Kaisermanöver sein linkes 
Auge. In der Nacht zum 12. X., als er auf dem Heimwege über ein 
dunkles Feld hinwegschritt, fiel ein Schuss, und er wurde in seinen 
linken Oberschenkel getroffen. Als er in das Krankenhaus kam, sah 
man eine Einschussöffnung in der Mitte des linken Oberschenkels, der 
gegen das Knie zu geschwollen war, von einer pulsierenden, etwa halb¬ 
hühnereigrossen Geschwulst. Die Kugel wurde an der Grenze des 
uuteren Unterschenkeldrittels nachgewiesen. Man nahm ein Aneurysma 
arterio-venosum der Oberschenkelarterie und Vene an und nahm am 
26. X. unter Blutleere die Operation vor. Die Kugel war jenseits des 


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UNIVERSUM OF IOWA 









92 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 2. 


Arterienschlitzes zwischen Schlag- und Blutader hindurchgedrungen und 
hatte beide aufgeschlitzt. Ein gänseeigrosses, längliches, mit schaligen 
Blutgerinnseln ausgekleidetes Aneurysma spurium hatte sich in der 
Nähe gebildet. Die 1 : 2 cm lange Oefinung in der Arterie wurde mit 
Seide zugenäht. Die Vene war so zerfetzt, dass man sie unterbinden 
musste. Die Hautwunde wurde vernäht. Trotz einer geringen Eiterung, 
die sich aus der Einschussöffnung entleerte, heilte die Wunde primär 
zu, und Patient soll jetzt das Bett verlassen. 

Den 52 jährigen Patienten, den ich Ende vorigen Jahres wegen eines 
durch einen Eisensplitter entstandenen Aneurysma arterio venosum der 
Femoralis in gleicher Weise operierte und Ihnen dann vorstellte, batte 
ich für heute wieder bestellt, er ist jedoch verzogen und daher nicht 
erschienen. Er arbeitet aber seit jener Zeit wieder ununterbrochen. 

Schüler. 


Medizinische Gesellschaft zu Kiel. 

Sitzung vom 21. November 1912. 

Hr. Anschütz demonstriert einen frisch eingelieferten Fall von Brnst- 
wirbelsSnleifraktnr und empfiehlt sofortige Streckung und den Versuch 
manueller Distraktion. 

Hr. Anschütz: DieMarotdivertikal: 

Von den wahren, den Meckel’schcn Divertikeln zu unterscheiden 
sind die falschen, an der Flexura sigmoidea sitzenden Divertikel. 
Dem Pathologen schon lange bekannt, sind sie von den Klinikern meist 
nicht beachtet worden und ihre Kenntnis ist relativ jung. Die Dick¬ 
darmdivertikel finden sich meist bei Männern in fortgeschrittenem Alter, 
seltener bei jungen Individuen. Sie entstehen in der Weise, dass an 
einer schwachen Stelle des Darmes die Schleimhaut sich nach aussen 
vorbuchtet und infolge irgendwelcher Schäden in die Muscularis herab¬ 
gezogen wird. 

Diese „Schleimhauthernie“ kann bis zur Serosa Vordringen, letztere 
buckelt sich an manchen Stellen vor, und es kann zu Kotanhäufung und 
Kotsteinbildung in dem Blindsack kommen. An sich ist dieser Zustand 
noch nicht gefährlich. Er kann es aber werden durch das Hinzutreten 
einer Infektion. 

Die daraus entstehenden Folgen sind verschiedener Art: 1. Durch 
Narbenbildung kann es zu Verwachsungen, Verziehungen, Knickungen 
oder Stenosebildungen des Darmes kommen. 2. Es kann sich ein Absccss 
bilden, der wiederum in die freie Bauchhöhle durchbrechen kann. 
3. Können appendicitisähnliche Attacken vorgetäuscht werden, oder es 
können Fistelbildungen mit benachbarten Organen (Dünndarm, Nieren¬ 
becken usw.) zustande kommen. 

Vortr. berichtet über derartige Fälle, von denen er einen in Breslau 
und sechs in Kiel gesehen hat. Bei einem der Kranken wurde infolge 
einer Kommunikation zwischen Dickdarm und Harnwegen stinkender Urin 
und gleichzeitig Luft bei der Miktion entleert. Häufig sind im Abdomen 
Tumormassen zu palpieren, die ganz als Darmcarcinom imponieren 
können. 

Als ätiologische Momente sind venöse Stauungen infolge von Herz¬ 
fehlern oder Lebercirrhose, von anderer Seite Schwund des Fettgewebes 
herangezogen worden. Beide Erklärungen hält Vortr. für unrichtig. 

Die Prognose ist Zweifelhaft. Abscessbildungen, namentlich Per¬ 
forationsperitonitis können das Leben gefährden. 

Diskussion. HHr. Neuber, Hoehne, Stoeckel, Anschütz. 

Hr. Banm spricht über renale Hämaturie und geht auf die ver¬ 
schiedenen Theorien der Blutung aus gesunden Nieren eiö, deren Be¬ 
rechtigung er nicht anerkannt wissen möchte. Alle die Fälle, in denen 
eine anatomische Untersuchung unterblieben bzw. auf eine Probeexzision 
sich beschränkte, müssen von vornherein als nicht beweiskräftig aus- 
scheiden; in den meisten der Testierenden Beobachtungen fanden sieb, 
mit wenigen noch der Klärung harrenden Ausnahmen, herdweise oder 
über die ganze Niere verbreitete interstitielle Prozesse, die die Blutung 
erklärten. 

Gemeinsam ist diesen Fällen von Nephritis, dass Kolikschmerzen 
und Hämaturie die einzigen Symptome darstellen, Veränderungen des 
Harns und Erhöhung des Blutdrucks dagegen fehlen. Vortr. schildert 
die hierhergehörige Krankengeschichte eines öS jährigen Mannes mit voll¬ 
kommen einseitigen Symptomen, die auf die Nephrotomie zurückgingen. 
Bei dem etwa zwei Monate später erfolgten Tode an allgemeiner Sepsis 
ergab die Autopsie gleicbmässige interstitielle und parenchymatöse Er¬ 
krankungen beider Nieren. 

Aber nicht in allen Fällen, wo die Probeexzision einen Narbenherd 
oder frischere interstitielle Prozesse au f gedeckt, dürfen diese mit der 
Blutung in causalen Zusammenhang gebracht werden. Die Unter¬ 
suchung des Marks und der Papillen, die bei der üblichen Technik der 
Probeexzision unterbleibt, soll nicht vernachlässigt werden. Vortr. 
demonstriert zwei Patienten von 22 und 28 Jahren, bei denen wegen 
der lebenbedrohenden Hämaturie vor zwei bzw. einem Jahr die blutende 
Niere exstirpiert war. Auch hier war die Blutung das einzige Krank- 
heitssymptora. In beiden Fällen lange Anamnese, makroskopisch ge¬ 
sunde Niere, mikroskopisch vereinzelte interstitielle Herde in der Rinde, 
die Haupterkrankung aber in dem Markteil. Im ersten Fall eigeutiim- 
türalicbe hyaline Veränderungen des Stromas zwischen den Ausführuogs- 
gängen mit Verlegung der Gefässe und Stauungsblutungen oberhalb der 
Herde; im zweiten Fall ein Angiom in einer Papille mit Zerstörung des 


bedeckenden Nierenbeckenepithels, ein Befund, wie er in Deutschland 
noch nicht beschrieben, in der englischen und französichen Literatur 
dagegen öfters publiziert worden ist. Beide Patienten sind jetzt voll¬ 
kommen gesund und arbeitsfähig. 

Wenn auch dank der verfeinerten Diagnostik bei einseitiger Hämaturie 
Steine und Tuberkulose sich ausschliessen lassen, bleibt die Differential¬ 
diagnose zwischen Tumor renis und essentieller Hämaturie meist offen; 
erst die Freilegung der Niere erklärt die Situation. 

Hr. Noeske: Behandlung der SehnenseheideBphlegaane. 

Vortr. empfiehlt zur Besserung der funktionellen Resultate bei vor¬ 
geschrittenen Sehnenscheidenphlegmonen die Extraktion der nekrose¬ 
verdächtigen Sehnen. Er unterscheidet zwei prinzipiell verschiedene 
Stadien der Sthnenscheideiiphlegmone: die durch die bakterielle In¬ 
fektion hervorgerufeue eitrige Entzündung der Sehnenscheide und die im 
Anschluss an die Zerstörung der letzteren eintretende demarkierende 
Eiterung. Die letztere bringt bei längerem Bestände ernste Gefahren 
für die befallene Extremität mit sich. Sie begünstigt hauptsächlich den 
Einbruch in benachbarte gesunde Gewebe und führt besonders bei den 
vom Daumen und Kleinfinger ausgehenden Phlegmonen häufig nur Ent¬ 
wicklung der sogenannten „V tt -Phlegmone. 

In der möglichst frühzeitigen Coupierung der demarkierenden Eite¬ 
rung sieht Vortr. eine der wichtigsten Aufgaben der Behandlung dieser 
Phlegmonen. Im allgemeinen ist beim Erwachsenen das Schicksal einer 
Sehne schon nach vier- bis fünftägigem Bestände eiuer schweren Infektion 
entschieden. Selbst wenn es durch entsprechende Inzisionen noch ge¬ 
lingt, einen Teil der in Sequestrierung begriffenen Sehnen zu erhalten, 
ist ein solches Glied, infolge der anhaltenden Eiterung und entzündlichen 
Infiltration der Umgehung, funktionell meistens ungünstiger daran als 
ein Finger, bei dem frühzeitig die ganze Sehne entfernt wird und der 
dadurch im Besitze normaler Gelenke und Bänder bleibt. 

Vortr. demonstriert das günstige funktionelle Resultat nach früh¬ 
zeitiger Extraktion der Sehne des Flexor pollicis longus bei einem 
62 jährigen Manne, bei dem die Phlegmone bereits in die radiale Bursa 
vorgedrungen war und auf den Klciufinger überzugreifen drohte. Die 
Sehne wurde oberhalb des Haudgelenks durchschnitten und über der 
Grundphalam extrahiert. Der Daumen hat im Grundgelenk seine normale 
Beweglichkeit behalten, und das Endglied ist passiv gut beweglich ge¬ 
blieben. Ebenso günstig gestaltete sich der Verlauf einer schweren, fort¬ 
geschrittenen „V“ Phlegmone bei einem älteren Diabeliker. Hier wurden 
die Flexorensehnen des Kleinfingers und Daumens oberhalb des Hand¬ 
gelenks durchschnitten und im Handteller extrahiert. Aehnlicbe gute 
Resultate wurden in mehreren anderen Fällen erzielt. 

Bei der Inzision bedient sieh Vortr. fast ausschliesslich der queren 
und schrägen Schnitte, die die besten Narben geben. 

Für alle volaren Phlegmonen empfiehlt er als das technisch ein¬ 
fachste und zuverlässigste Anästhesierungsverfahren die Injektion von je 
2—3 ccm einer 4 proz. Novocainlösung an den Medianu9-und Ulnaris, 
unmittelbar am oder etwas oberhalb des Hangelenks und unter gleich¬ 
zeitiger Anlegung eines im Sinne der Stauung wirkenden Gummischlauches 
dicht vor der Injektionsstelle. Die Anästhesie tritt nach etwa 15 Minuten 
ein und ist stets komplett. Die Nachschmerzen sind auffallend gering. 
In frischen Fällen von Sehnenscheidenphlegmonen ist die Bier’sche 
Stauung, besonders bei jüngeren Patienten, ein ausgezeichnetes Unter¬ 
stützungsmittel der chirurgischen Behandlung. 

Diskussion: Hr. Neuber. 

Hr. Zoepprits: 

Zar Frage der otcnlten Blilnng bei Msgeaerkrankaigei. 

Bei gesundem Magen, bei chronischer Gastritis und Adbäsions- 
beschwerden des Magens, bei Folgen von früherem Ulcus ventriculi, 
unter der Voraussetzung, dass das Geschwür vernarbt ist, wurde nach 
entsprechender Vorbehandlung niemals occulte Blutung beobachtet. Bei 
Ulcus ventriculi Hess sich in 53 pCt. der Fälle occultes Blut nachweisen — 
hierbei handelte es sich jedoch ausschliesslich um lange bestehende 
„chirurgische“ Ulcera: durchschnittliche Krankheitsdauer zwölf Jahre. 
Bei 190 Fällen von Magencarcinom (darunter 140 durch Operation sicher- 
gestellt) war in 96 pCt. der Blutbefund regelmässig positiv, Abmagerung 
in 90 pCt., Anacidität in 89 pCt, Salomon’scbe Probe positiv in S3 pCt., 
Milchsäure positiv in 67 pCt., lange Bacillen in 64 pCt., palpabler Tumor 
war vorhanden in 64 pCt. der Fälle. Demnach ist der regelmässige 
Blutbefund nicht nur das konstanteste, sondern auch das relativ ver¬ 
lässlichste der nicht spezifischen Symptome des Magencarcinoms. Gerade 
bei den Erkrankungen, die differentialdiagnostisch am häufigsten mit dem 
Careinom in Konkurrenz treten, bei der chronischen Gastritis, Adhäsions- 
beschwerden usw. können alle anderen Begleiterscheinungen des Magen¬ 
carcinoms ebenfalls vorhanden sein, nur die occulte Blutung fehlt. 
Regelmässiger occulter Blutbefund im Stuhl und Mageninhalt macht 
daher bei auf den Magen hinweisenden Beschwerden eine maligne Er¬ 
krankung derselben sehr wahrscheinlich, indiziert jedenfalls eine Probe 
laparotomie. Negativer Blutbefund spricht mit sehr grosser Wahrschein¬ 
lichkeit gegen Carcinom. 

Diskussion. 

HHr. Lüthje, Anschütz, Zoeppritz. 

Hr. Konjetzny bespricht im Anschluss an den vorangehenden Vor¬ 
trag die für die anatomische Beurteilung der angeschnittenen Frage be¬ 
züglich der Blutungen beim Magencarcinom wichtigen histologischen 
Grundlagen. Nicht so sehr die frühzeitige Ulceration des Magencarcinoms 
an und für sich, als vielmehr ganz bestimmte, vor allem angioplastiscbö 


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UMIVERSITY OF IOWA 






13. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


98 


Gewebsreaktionen im Krebsstroma und in den Randpartien des Carcinoms 
geben Veranlassung zu oft dauernden capillaren Blutungen im Bereich 
des Magencarcinoms. Die hier in Betracht kommenden histologischen 
Zustände werden an einschlägigen Präparaten demonstriert. 

Hr. Bann empfiehlt in schweren Fällen von Unterkieferfraktor 
sehr warm die Extensionsbehandlung, die er zuerst vor einem Jahr bei 
doppelseitigem Bruch des aufsteigenden Astes, der durch zahnärztliche 
Behandlung sich nicht reponieren Hess, mit bestem Erfolg in Anwendung 
brachte. Seitdem wiederholt in schwereren Fällen verwandt, hat die 
Methode ausgezeichnete Resultate ergeben. Ein Silberdraht wird um 
zwei oder drei Zähne des zur Dislokation neigenden Fragmentes gelegt 
und mit ein bis zwei Pfund belastet. In einem sehr schweren Fall von 
doppeltem Bruch des linken Unterkieferastes musste der Draht subcutan 
um den Kiefer herumgelegt werden. Eine Durchbohrung des Kiefers 
wurde, weil unnötig, niemals vorgenommen. (Demonstration vou zwei 
ideal geheilten Fällen.) E. Richter. 


Klinischer Demonstrationsabend der Oberärzte des Allgemeinen 
städtischen Krankenhauses Nürnberg. 

28. November 1912. 

Hr. J. Müller: 1. Ueber schwere Blasenblatungen. 

60jähriger Mann, seit 27a Jahren Blasenblutungen ernsten Grades. 
Eine Cystitis haemorrhagioa war auszusch Hessen, da alle Reizerschei- 
uungen fehlten, mikroskopisch und chemisch kein Eiter nachzuweisen. 
Der Nachweis von Eiter wird sehr einfach durch Zusetzen von Kalilauge 
zum Harn geführt, es bilden sich durch Auflösung der Zellkerne 
schleimig-flockige Ausscheidungen, und es tritt Blasenbildung auf der 
Harnoberfläche auf. Mit dieser Probe werden noch 2000 Eiterkörperchen 
auf den Kubikmillimeter nachgewiesen. Die cystoskopische Untersuchung 
ergab am Blasenboden einen kugeligen Tumor, der bei Berührung mit 
dem Schnabel des Cystoskops rollende Bewegungen ausführt. In der 
rechten Bl äsen wand typischer carcinomatöser Tumor. Der am Boden 
befindliche Tumor wird als sequestrierender Tumor aufgefasst. Patient 
kann wegen frischer abundanter Blutungen nicht demonstriert werden. 
Es soll Versuch mit Thoriumbehandlung gemacht werden, da operatives 
Vorgehen bei dem Kräftezustand nicht tunlich ist. 

2. Ueber Meningismus und Meningitis abortiva tuberculosa. 

16 jähriger Arbeiter, aus tuberkulosebelasteter Familie, war selbst 
schon in der Heilstätte Engelthal. Schon seit längerer Zeit hier und 
da Kopfschmerzen, nie Erbrechen. Erkrankte am 16. X. mit sehr heftigen 
Kopf- und Nackenschmerzen, aufgenommen ins Krankenhaus am 19. X.; 
es bestanden Kopfsteifigkeit, Schmerzhaftigkeit der Halswirbelsäule auf 
Druck und bei Bewegungsversuchen des Kopfes, übrige Wirbelsäule nicht 
sehr empfindlich, Temperaturen bis 40,2 °, Puls etwa 90. Mit Rückgang 
der Temperatur wichen auch die Krankheitserscheinungen. Patient 
klagte auch über Sebstörunge», die ophthalmoskopische Untersuchung 
(Dr. Kraus) am 11. XI. 1912 ergab auf dem linken Auge zwei frische, 
runde, chorioiditische Herde in der Peripherie, vou graugelber Färbung 
und geringer Prominenz, die als sicher tuberkulöser Natur erklärt 
wurden; sonst nichts Pathologisches. Lumbalpunktion ohne Besonder¬ 
heit. Die Diagnose lautet auf Meningitis tuberculosa abortiva. 

3. Schwere Anaphylaxie bei Tnberknlininjektion. 

15 jähriger Knabe, tuberkulös belastet. In früheren Jahren ausser 
Drüsenscbwellungen angeblich nie krank. Jetzt kolossale Drüsen¬ 
schwellungen am Hals. E 9 wurde ausserhalb de9 Krankenhauses die 
Pirquet’sche Reaktion angestellt und dann am rechten Arm eineintra- 
eutane Tuberkuliniojektion (etwa 7s mg) gemacht. Nach 24 Stunden 
hohes Fiebes (40,2°), Erbrechen, Durchfälle, Gesicht livid, Nase, Lippen, 
Halsdrüsen stark aufgeschwollen. Am ganzen Körper, besonders am 
Rücken hämorrhagisches Exanthem (bis linsengrosse Petechien), an der 
Injektionsstelle starke Stichreaktion. An der Nasenspitze, dann an je 
einer Zehe an beiden Füssen Hautgangrän. Der Junge und frühere 
photographische Aufnahmen werden demonstriert. Früher noch nie mit 
Injektionen behandelt, dagegen einmal mit Salbe (Moro’sche Salbe?). 

4. Ueber Ankylosierende Wirbelgelenksentzündung. 

50jähriger ManD, die ersten Erscheinungen Jannar 1910, jetzt 
Ankylose hauptsächlich der Stammgelenke, kann Kopf nicht drehen, 
Wirbelsäule starr, Thoraxstarre infolge Ankylosierung der Rippengelenke 
.Röntgenphotogramm), Beugung der Vorderarme bis zum rechten Winkel 
möglich, Bewegung im Schultergelenk stark eingeschränkt. Geben un¬ 
möglich. Medikamentöse und hydrotherapeutische Maassnabmen ohne 
Erfolg; Einleitung einer Trinkkur mit Thorium X, beginnend mit 
10 000 Mache-Eioheiten, steigend bis 50—100 000. Dadurch wurde eine 
geringe Besserung erzielt, so dass Patient fast den halben Krankensaal 
naomehr geben kann. Nachts werden auch Kompressen mit Thorium X 
aufgelegt. 

Hr. Epsteia: 1. Ueber Fevphigu. 

Demonstration eines 65 jährigen Mannes, erste Pemphigusblase vor 
einem halben Jahre links am unteren Rippenbogen, jedes typischer 
Pemphigus am Penis und Oberschenkel, an den Randpartien Uebergang 
in Pemphigus foliaceus. Salvarsan ohne Erfolg. Vortr. spricht dann 
über Prognose und Therapie. 

2. Ueber neurotische Haitgangrän. 

Die vorgestellte Patientin batte vor 7 Jahren eine ganz ähnliche 
Affektion der Haut am rechten Handrücken und rechten Vorderarm mit 
Blasenbildung, die eich 27s Jahre lang wiederholten, danach fast 5 Jahre 


frei. Ende Oktober au9 vollem Wohlbefinden Auftreten von drei grossen 
Blasen am Unterschenkel. Nach Abstossung der Blasendecken traten 
die Ulcerationen zutage, die nichts Charakteristisches boten. Patientin 
ist hysterisch; Sensibilitäsprüfung ergibt normale Verhältnisse; arti¬ 
fizielle HautveränderuDg erscheint ausgeschlossen. 

Hr. Burkhardt: Ueber Hepatodnodenostomie. 

45jährige Patientin, operiert im Juli 1912, Exstirpation der Gallen¬ 
blase, die prall mit Steinen gefüllt ist, im Choledochus kein Stein. Nach 
der Operation Gallenfluss, der jedoch allmählich versiegte, Fistel zu¬ 
geheilt. Patientin verliess das Krankenhaus. Einige Zeit Wohlbefinden, 
von Ende September an allmählich zunehmender Icterus. 30. X. relaparo- 
tomiert, das ganze Duodenum, Hepaticus in derbe, schwielige Massen 
eingebettet, mit Mühe gelingt es, den Hepaticus vom freien Leberrand 
ungefähr 1—H /2 cm herauszupräparieren, weiter gelang dies nicht, er 
wurde hier durchtrennt, das Duodenum mobilisiert und der Hepaticus 
durch Catgutnaht in dasselbe eingenäht. Heilungsverlauf gut, Patientin 
wird vorgestellt. 

Hr. v. Rad: 1. Ueber spinale Muskelatrophie bei Tabes. 

57jähriger Patient; Beginn des Leidens vor 14 Jahren, zuerst 
Atrophie, dann Lähmung, besonders in der Muskulatur der Arme, Hände, 
Schulter, des Nackens, Rumpfes. Neben dieserErkrankung besteht Hy palgesie 
in den Beinen, Impotenz, Blasenschwäche, Fehlen der Patellar- und 
Achillessehnenreflexe, reflektorische Pupillen starre. Elektrische Erregbar¬ 
keit in den Beinen normal, dagegen nicht in den von der Atrophie be¬ 
fallenen oberen Körperpartien. Es erscheint mehr als fraglich, ob ein 
Zusammenhang zwischen beiden Erkrankungen besteht. Demonstration 
des Kranken. 

2. Ueber traumatische Myelitis. 

Demonstration eines 25 jährigen Patienten, der am 24. August 1912 
aus einer Schiffsschaukel gefallen war. Anfangs benommen, Schwäche 
in den unteren Extremitäten und im rechten Arm. Am 31. August konnte 
sich der Verletzte noch mit der Elektrischen und teilweise zu Fuss ins 
Krankenhaus begeben. Der Processus spinosus des 7. Halswirbels steht 
weit vor und ladet nach links aus. 10 Tage nach dem Unfall kom¬ 
plette Lähmung im. rechten Arm und beiden Beinen. Blasen- und Mast¬ 
darmstörung, Priapismus (Vasomotorenlähmung). Im Laufe des Auf¬ 
enthaltes besserte sich die Blasenstörung, die Lähmung blieb fast un¬ 
verändert, am linken Bein kam es zu Kontrakturbildung. Störungen 
der Sensibilität (Demonstration der Schemata). Prognose infaust, eine 
weitere Besserung erscheint ausgeschlossen. Kraus. 


Aus Pariser medizinischen Gesellschaften. 

Acaddmie de mddecine. 

Sitzung vom 29. Oktober 1912. 

Diskussion zur obligatorischen Krankenmeldung bei 
Tuberkulose. 

Hr. Reynier meint, der Arzt dürfe nie die Interessen seines 
Patienten denen der Gesamtheit opfern. Die Familien und die Aerzte 
sind Gegner der obligatorischen Meldung; übrigens wäre es unmöglich, 
die durch die Meldung nötig gemachte Desinfektion zu Lebzeiten de9 
Kranken durchzuführen, der sofort aus der menschlichen Gesellschaft 
ausgestossen würde. Die Krankenmeldung ist mit dem ärztlichen Ge¬ 
heimnis nicht vereinbar. Ausserdem müssten auch die genitalen und 
chirurgischen Tuberkulosen gemeldet werden. Herr Reynier ist der 
Meinung, dass alle Maassregeln der Desinfektion und Tuberkulosen- 
bebandlung ohne die obligatorische Meldung durchgeführt werden können, 
und schlägt vor: 1. Gesetzlich alle Vermieter zu verpflichten, eine frei¬ 
gewordene Wohnung nur nach Desinfektion wieder zu vermieten. 2. Dem 
Civilstandsarzt das Recht zu geben, nach Todesfällen die Desinfektion 
anzuordnen. 3. In Anbetracht, dass der Alkoholismus der wichtigste 
Faktor der Tuberkuloseentwicklung sei, darauf zu dringen, dass die 
Gesetze betreffend Einschränkung der Wirtschaften und Ueberwachung 
des Alkoholverkaufs richtig durchgeführt werden. 

Hr. Lereboullet meint, wie vor 12 Jahren, dass der obligatorischen 
Krankenmeldung der Infektionskrankheiten die Durchführung aller pro¬ 
phylaktischen Maassnahmen vorausgehen müsse, zu denen die Mittel 
fehlen. Die Meldepflicht müsste nicht dem Arzt, sondern der Familie, 
dem Fabrikberm, dem Arbeitgeber auferlegt werden, auf Anraten des 
Arztes. Nach einem Bericht von Herrn Misman gehen von 100 Fran¬ 
zosen, die zwischen 20—39 Jahren starben, mehr als 42 an Tuberkulose 
zugrunde. Die Gegenden, wo die Menschen am meisten an Tuber¬ 
kulose sterben, sind dort zu suchen, wo man am meisten trinkt. Er 
meint, man dürfe nicht den Behördeu einfach von der Einführung der 
obligatorischen Meldung abraten, sondern man müsse gleichzeitig be¬ 
tonen, dass die Bekämpfung des Alkoholismus, der ungesunden Wohnungen 
und die Unterstützung unbemittelter Kranker vor der Krapkenmeldung 
und Desinfektion durchzuführen seien. 

Societe medicale des höpitaux. 

Sitzung vom 11. Oktober 1912. 

Hr. Milian zeigt einen 13 jährigen Knaben mit progressiver Para¬ 
lyse. Der Vater des Patienten stand vor der Geburt des Knaben in 
Behandlung wegen Lues. Patient erkrankte mit 12 Jahren, zuerst an 
Kopfschmerzen und Sprachstörungen, dann an psyschischen Störungen. 


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94 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 2. 


Es wurde traurig und jähzornig und verlor dann Gedächtnis und In¬ 
telligenz. Zurzeit bestehen Sprachstörungen, Zitterbewegungen der 
Zunge und der Hände, Gehstörungen. Die Reflexe sind verstärkt, und 
der Liquor enthält eine grosse Menge Lymphocyten. 

HHr. Chöron und Rnbens-Duval melden die Heilung eines inope¬ 
rablen Cervixcareinoms durch die Bestrahlung mit ultrapenetranten 
Radiumstrahlen. Die Basis des Lig. latum rechts war erkrankt und 
ausserdem war das Neoplasma mit der Blase verwachsen. Nach zwei 
Radiumbestrahlungen war klinisch nichts mehr nachzuweisen. Patientin 
starb nach 15 Monaten an Gehirnerweichung, mikroskopisch als solche 
festgestellt, nicht etwa Carcinommetastase. Ueberhaupt war nirgends 
im Körper eine carcinomatöse Veränderung nachweisbar. 

HHr. Gonget und Moreau beschreiben einen Fall von Pnenmo- 
bacillen-Pneumonie. Es kann sich kaum um sekundäre lofektion 
handeln, denn die zweite, seit 48 Stunde entzündete LuDge ergab reine 
Pneumobacillenkulturen; ausserdem handelte es sich um eine bestimmte 
lobäre und nicht lobuläre Infiltration, mit den für Pneumobacillen- 
Pneumonie charakteristischen Symptomen. Anatomisch: schwache Fibrin¬ 
reaktion, daher glatte Schnittfläche der Lunge; schleimige Konsistenz 
des abgestrichenen Saftes; Neigung zur Nekrose und Eiterung. Klinisch: 
Fehlen des Initialfrostes, klebriger Auswurf, schwere Erscheinungen mit 
oft raschem Exitus, trotz relativ geringen Fiebers. Ausserdem aber be¬ 
stehen mehr schleichende Formen, wie der vorliegende, welche in 3 bis 
4 Wochen verlaufen. 

HHr. Gonget und Moreau haben als Begleiterscheinung zur Re¬ 
sorption von Oedemen bei einem Herz-Nierenkranken rheumatische 
Erscheinungen beobachtet, und zwar: heftigen Kopfschmerz, totale 
Anorexie, Gallenbrechen und dann bei starker Absonderung eines eiweiss¬ 
haltigen Urins (8 Liter pro die, 7 g Eiweiss pro Liter) sehr starke Ge¬ 
lenkschmerzen ohne Geschwulst oder Rötung, verbunden mit leichtem 
Fieber. Diese Schmerzen verschwanden nach 5—6 Tagen mit der totalen 
Resorption der Oedeme. Da die Schmerzen bei starker Polyurie auf¬ 
traten, scheint Rheumatismus ausgeschlossen und die Erscheinung im 
Zusammenhang mit der Resorption der Oedeme zu stehen. Diese Gelenk¬ 
erscheinungen sind denen der Serumkrankheiten ähnlich, ferner den Ge¬ 
lenkerscheinungen bei Resorption von Pleuritis oder bei paroxystischer 
Hämoglobinurie. 

Hr. Siredey und Frl. de Jong beschreiben einen Fall von Basedow 
mit Hantpigmentation der Brust und des Abdomens, des Halses und 
der Beine. Behandlung erfolglos; während derselben entstand ein 
Pigmentfleck im Munde. Die Beziehungen zwischen Basedow und 
Pigmentation sind wahrscheinlich durch eine Störung in mehreren 
Drüsen mit innerer Sekretion zu erklären. In diesem Fall bestanden 
keine Zeichen von Nebenniereninsuffizienz, wohl aber Insuffizienz der 
Ovarien. 


Budapester Brief. 

Der 15. Kongress des Landesärzteverbandes fand diesmal hier in 
Budapest statt. Mit Bedauern mussten wir die Tatsache konstatieren, 
dass Regierung und Parlament, Komitatsstädte und Gemeindebehörden 
— jede politische Macht — alle berechtigten Wünsche der Aerzte 
nur mit einer leichten Handbewegung erledigten, ja sogar den die 
Interessen der Aerzte einzig wahrenden Landesärzteverband mit der 
Auflösung bedroht. Vielleicht werden sich doch diesmal die Aerzte zu¬ 
sammenscharen, nicht weiter so indolent bleiben und endlich sich doch 
der geplanten wirtschaftlichen Organisation anschliessen, um, gehörig 
organisiert, nicht immer bitten, sondern auch einmal fordern zu können; 
denn Kraft kann nur durch gehörige materielle Macht ausgeübt werden. 
Bei entsprechender wirtschaftlicher Organisation kann auch die Kranken¬ 
kassenfrage gebührend geregelt werden, denn bisher wursteln wir nur 
weiter fort, und welcher Zukunft man entgegensieht, zeigen die Zahlen, 
dass, während vor 10 Jahren 700 Mediziner an der hiesigen Universität 
inscribiert waren, heuer schon das Vierfache überschritten ist; es sind 
etwas mehr als 3000 eingeschrieben. 

Mit einer Verordnung des Ministers des Innern wurde das im Ein¬ 
vernehmen mit dem Minister für Kultus und Unterricht im Jahre 1910 
herausgegebene Statut über die Nostrifikation der ausländischen Aerzte- 
diplome dahin erweitert, dass die im § 1, alinea 2, der im Jahre 1898 
herausgegebenen Verordnung über die Aufhebung der gegenseitigen 
Gültigkeit der auf den Universitäten der beiden Staaten der österreich¬ 
ungarischen Monarchie erworbenen Aerztediplome enthaltenen Bestim¬ 
mung, wonach den in Oesterreich und in Ungarn vor dem 1. Januar 1899 
zur ärztlichen Praxis Zugelassenen die Praxis, sei es in dem einen oder 
in dem anderen Staate, erlaubt ist, auch für jene Aerzte gilt, die ihre 
Studien am Schlüsse des Studienjahres 1897/98 schon beendigt oder 
wenigstens ein medizinisches Rigorosum abgelegt, jedoch ihr Diplom erst 
nach dem 1. Januar 1899 erhalten haben. Diese den Aerzten der ge¬ 
nannten Kategorie mit Rücksicht auf die Uebergangszeit eingeräumte 
Begünstigung erlischt mit dem 31. Dezember 1912. Solche Aerzte können 
daher in Ungarn bzw. Kroatien, Slavonien die Erlaubnis zur Ausübung 
der ärztlichen Praxis nur dann erhalten, wenn sie ihr Diplom bis 
spätestens 31. Dezember 1912 erworben haben; diejenigen, die später 
diplomiert wurden, müssen es nostrifizieren. 

In der Spitalsfrage ist abermals ein Stocken eingetreten. Die 
Hauptstadt beschloss zwar, ein Spital für Lungenkranke mit einem 


Kostenaufwande von 4 191 000 Kr. zu bauen, und dies wurde auch 
seitens des Ministers genehmigt, nur will der Minister des Innern den 
ihm gebührenden Beitrag erst nach Annahme des höheren 10 proz. Steuer¬ 
zuschlages für Krankenpflege (bisher 5 pCt.) durch das Parlament 
bewilligen, und auch nur dann, wenn dem Staate eine entsprechende 
Ingcrenz auf die Verwaltung und die Neubauten der Spitäler gegeben 
wird. Sowohl gegen die damalige Steuererhöhuug als auch durch das Ein¬ 
greifen des Ministers in die Spitalsverwaltung ist eine grosse Opposition 
entstanden, so dass leider bei unseren traurigen politischen Verhältnissen 
zu befürchten ist, dass die ganze Spitalsfrage wieder für längere Zeit 
hinausgeschoben wird. 

Aus dem Legate des Alexander Nagy von Hidaskürt liess der 
Kultusminister eine den modernen Anforderungen entsprechende Be¬ 
wahranstalt für blinde Kinder erbauen. Die Anstalt wird 50 Kinder 
— im Alter von 5 bis 7 Jahren — beherbergen. 

Der vom Dozenten Temesväry gegründete Landesverein für Mutter- 
und Säuglingsscbutz hat im vorigen Jahre 337 Mütter und 213 Säug¬ 
linge unterstützt und 788 Wöchnerinnen in 1369 Fällen mit Lebens¬ 
mitteln, Heizmaterial, Pflegerinnen versehen, und jetzt eine Säuglings¬ 
abteilung eröffnet, in der Säuglinge für eine Monatsgebühr von 30 Kr. 
in Pflege genommen werden, ln Verbindung damit wurde für intelligente 
Frauen zur Aneignung der Säuglingspflege ein Nursekursus eröffnet. 

Die Centralkommission für ärztliche Fortbildung arrangierte für 
Amtsärzte einen Fortbildungskursus, in dem Prof. Liebermann und 
Fenyvessy einige wichtige Kapitel der praktischen Hygiene vortrugen. 
Der Oberphysikus der Hauptstadt Magyarevics demonstrierte die 
öffentlichen Einrichtungen der hauptstädtischen Gesundheitspflege. 

Die im vorigen Jahre in der Umgebung der Hauptstadt sporadisch 
vorgekommenen Cholerafälle verursachten der Hauptstadt eine Kosten¬ 
ausgabe von 90 000 Kr. für Schutzmaassregeln. 

Viele Kollegen müssen wir heute betrauern, denn eine ganze Schar 
wurde durch den Tod dahingerafft, aber eine sehr grosse Lücke hinter- 
liess der sehr verdienstvolle Begründer des Unterstützungsvereins 
praktischer Aerzte und des Aerztekasinos, Jacob Schulhof, der 
überall eine Zierde unseres Standes und im Kampfe für das ärztliche 
Gemeinwesen immer als einer der ersten anzutreffen war. 

Zu Ehren Prof. Friedrich’s 25jährigem Doktorjubiläum und der 
stets rastlosen, für das Wohl der Krankenkassenärzte immer wohl¬ 
wollenden 20 jährigen Tätigkeit stifteten seine innigsten Anhänger einen 
„Wilhelm Friedrich - Fonds“, von dessen Zinsen alljährlich die 
besten sozialhygienischen Arbeiten prämiiert werden sollen. 

Die Professoren Reczey und Ketly feierten fast zu gleicher Zeit 
das 40- bzw. 50-jährige Doktorjubiläum und wurden mit Festschriften 
ihrer zahlreichen Schüler beehrt. Der justizärztliche Senat, dessen Vize¬ 
präsident Prof. Reczey ist, und der Landesärzteverband, an dessen 
Spitze Prof. Ketly steht, nahmen auch an der solennen Feier teil. 

Die 5. Jahresversammlung der ungarisch chirurgischen Gesellschaft 
tagte im vorigen Jahre unter dem Präsidium des — seit damals 
mit der Baronie ausgezeichneten — Prof. Herczel. Baron 
Herczel sagte in seiner Eröffnungsrede: „Die moderne Chirurgie 
besitzt ein charakteristisches Stigma: sie will immer neue Ge¬ 
biete erobern. Die fieberhafte Arbeit der modernen Chirurgie be¬ 
schäftigt sich gegenwärtig mit der Gefässnaht, der Chirurgie des Ge¬ 
hirns und des Brustkorbes, und man hofft, dass diese neuen Gebiete 
der Wissenschaft binnen wenigen Jahren eine ebenso stürmische Ent¬ 
wicklung aufweisen werden, wie man sie bei der Bauchchirurgie erlebt 
hat. Man darf jedoch weder ausschliesslich Chirurg noch Internist sein, 
sondern wir müssen in erster Reihe Aerzte sein. Die Arbeitsteilung ist 
bei der Lösung wissenschaftlicher Probleme statthaft, am Krankenbett 
brauchen wir aber den ganzen Mann, den vollkommenen Arzt. Wer 
daher heilen will, darf die Einheit der medizinischen Wissenschaft nie 
aus dem Auge lassen, und derjenige wird besser heilen können, der die 
sogenannte „vue en göneral“ besitzt und in allen Details seines Faches 
versiert ist. 

Das Referat über „Die chirurgische Behandlung des Lungenemphy¬ 
sems und der Tuberkulose“ wurde vom Internisten Baron Alex, 
v. Koränyi und vom Chirurgen Prof. Dollinger gehalten, während 
H. Alapy „Ueber Behandlung der eitrigen Brustfellexsudate bei Kin¬ 
dern“ referierte. 

„Die chirurgische Behandlung des peptischen Magengeschwürs“ 
ward durch Prof. Reczey und Borszöky erörtert. 

Illyös referierte „Ueber Nieren-und Uretersteine“ und P. Steiner- 
Kolozsvär behandelte „Die Chirurgie der Blasen-, Prostata- und Harn¬ 
röhrensteine“. Im Anschluss an dieses Referat wurde Referent damit 
betraut, eine Landkarte zusammenzustellen, aus der die Verbreitungs¬ 
weise der Steinkrankheit in Ungarn ersichtlich sei. — J. Kertesz 
demonstrierte an Patienten seine eigene Erfahrung über die chirurgische 
Behandlung des Emphysems; GezaJung die Behandlung der Schuss- 
und Stichwunden der Brusthöhle. — M. Chudovszky, K. Nagy, 
E. Pölya, K. Vidakovics behandelten Fragen der Hals- und Hirn¬ 
chirurgie. — H. Hültl demonstrierte seine neue chirurgische Näh¬ 
maschine, die er zur Naht nach Magenresektiouen und Darm wunden mit 
vorzüglichem Resultat anwendet. — S. Borbely, A. Baron, E. Holz¬ 
warth, F. Faykiss, Stefan Czukor, K. Schiller, T. Verebely 
nahmen an der Debatte der von Andreas Makai entwickelten Frage, 
ob nach der operativen Behandlung der allgemeinen akuten Bauchfell¬ 
entzündung die Bauchhöhle vollkommen geschlossen werden soll oder 
nicht, teils zustimmend, teils ablehnend teil. — Johann v.Bökay 


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13. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


gab eine statistische Darstellung der Harnooncremente im Kindesalter 
aus den Aufzeichnungen des Stefanie-Kinderspitals. — S. Borbely, 

E. Revesz, E. Fischer, E. Boross, L. Makara, P. Haberern, 

F. Obal, P. Kubinyi, D. Raskai, E. Remote, F. Weisz, J. Farkas 
besprachen einige wichtige Fragen der Chirurgie der Harn- und Ge¬ 
schlechtsorgane. — Ueber Chirurgie der Knochen und Gelenke sprachen 
Eugen Kiraly, B61a Dollinger, L. Bakay, Adolf Läng, und 
gynäkologisch-chirurgische Demonstrationen wurden von Eugen Szili 
und Aleiander Pauncz vorgeführt. 

Zum Präsidenten der nächsten Jahresversammlung wurde Moritz 
Chudovszky-Sätoraljaujhely, zum Schriftführer Karl Borszeky und 
zum Kassierer Heinrich Alapy gewählt. 

Die bisherigen Präsidenten der Gesellschaft Dollinger, Röczey, 
Makara, Ludvigb, Baron Herczel wurden zu Ehrenmitgliedern 
gewählt. 

Die XXXV. Wan der Versammlung der ungarischen Aerzte und Natur¬ 
forscher wurde in der Stadt Veszprem abgehalten. 

Nach der Eröffnungsrede des Präsidenten, Bischof Baron Karl 
Hornig, hielt Prof. Bela Lengyel seinen Josef-Koväcs-Gedenk- 
vortrag: „Ueber Radioaktivität“. Er sagte, dass wir in Ungarn zahlreiche 
Mineralquellen und Schlammlager besitzen, die seit altersher als heil¬ 
kräftig bekannt sind. Ganz überraschend radioaktiv erwies sich der 
Schlamm von Heviz bei Keszthely, der viele berühmte ausländische 
ähnliche Produkte weit übertrifft. Auch die Thermalquellen Buda¬ 
pests, die am Fusse des Blockberges entspringen, sind stark radio¬ 
aktiv. Die physiologische Wirksamkeit der Radiumemanation beruht 
wahrscheinlich auf den während ihres Zerfalls freiwerdenden Energien 
und wird mit der Zeit jedenfalls auch praktische Verwendung finden. 

In seinem Rornel-Chyzer-Gedenkvortrag beschäftigte sich Prof. 
Ladislaus Udränsky mit der allgemeinen naturwissenschaftlichen 
Bildung des Arztes. 

Universitätsdozent Max Schächter hielt seinen Festvortrag in der 
Schlusssitzung „Ueber zwei hervorragende populäre Veszprömer Aerzte“. 
Er schilderte den Lebenslauf und die Tätigkeit der Veszpremer Aerzte 
Karl Haiszier und Benjamin Pillicz. Diese beiden hervorragenden 
Aerzte verkörpern die Tugenden der praktischen Aerzte des 19. Jahr¬ 
hunderts. Umfassendes Wissen, grosser Fleiss und reiner Charakter 
zeichnen diese Männer aus. Karl Haiszier war ein wahrer Künstler 
auf dem Gebiete der medizinischen Praxis, ein ausgezeichneter Natur¬ 
forscher und Botaniker. Die Flora des Komitates Veszpröm und des 
Bakonygebirges kannte er wie kein zweiter. 

Im königlichen Aerzteverein hielt den Baiassa-Festvortrag Prof. 
Ernst Jendrassik: „Ueber das Denken“. Unser Denken ist kein 
komplizierterer Reflexprozess als die Einrichtung der tieferen Reflexe; 
in diesem Reflexprozess jedoch hat die traurigste Rolle unser Bewusst¬ 
sein. Wie oft wird es enttäuscht! Statt Moleküle, Energiewellen denkt 
es Stimme, Licht, Farbe zu bemerken, und die im Körper vollführte 
Bewegung, die nur Folge der früheren äusseren Energie ist, nimmt es 
als selbständige freie Willensäusserung. Alles dies ist eine Täuschung, 
die Welt ist blos der Schauplatz von Gestaltungen mathematischer, physi¬ 
kalischer und chemischer Verhältnisse, und uns bewegen darin die Ge¬ 
setze vom Tropismus. Nur ein Trost bleibt uns: dass es uns leicht 
fällt, Stimmen zu hören, Licht, Farben zu sehen und uns dabei doch 
als freien Willen äussernde Wesen zu wähnen. 

Die Preisarbeit „Ueber die Typhusepidemiologie von Budapest“ er¬ 
hielten Dozent Cornel Preisich und Alexander Furka. 

In der Schlusssitzung wurde zum Präsidenten des königl. Aerzte- 
Vereins Prof. Liebermann gewählt. 

Ausländische korrespondierende Mitglieder wurden: J. Babinsky- 
Paris, Eugen Bleuler-Zürich, Karl Bonhoeffer-Berlin, W. P. Her¬ 
ringham-London, Henry Swanzy-London. Franz Weisz. 


Erwiderung 

auf die Bemerkungen des Geh. Med.-Rat Prof. Dr. L. Brieger 
zu meinem Vortrag: „Ueber die aktive Typhusschutzimpfung“ 
in Nr. 50 dieser Wochenschrift. 

Von 

0. BettM-Breslaa. 

Herr Geheimrat Brieger macht mir mit Unrecht den Vorwurf, seine 
und seiner Mitarbeiter Arbeiten über obiges Thema nicht mit hin¬ 
reichender Genauigkeit gelesen zu haben. Ich habe diese Arbeiten sehr 
sorgfältig studiert und glaube sie ganz genau zu kennen. Mir ist es 
auch nicht entgangen, dass mit kleinen Dosen des Brieger-Mayer’schen 
SchütteltoxiDS gelegentlich ein hoher bakteriolytiseher Schutz erzielt 
werden konnte. Vermisst habe ich nur einen Vergleich zwischen der 
immunisierenden Wirkung minimaler Dosen der Brieger-Mayer’schen 
Schüttelextrakte und der gewöhnlichen Hitzeextrakte. Nur ein derartiger 
Vergleich kann über die Bedeutung der Brieger-Mayer’schen Schüttel- 
«xtrakte entscheiden. R. Pfeiffer und ich 1 ) haben diesen Vergleich 
eiperimentell durch geführt, indem wir nach der R. Pfeiffer’schen Me¬ 
thode der Bestimmung der kleinsten immunisierenden Dosis beide Vaccins 
quantitativ auswerteten. Wir konnten feststellen, dass entsprechend 
ihrer geringeren Giftigkeit die Brieger-Mayer’scben Schüttelextrakte auch 

1) Central bl. I. Bakteriol., Abt. I, Orig.-Bd. 64, S. 172. 


95 


einen entsprechend geringen effectus immunisatorius besitzen. Die Auf¬ 
fassung, dass durch das Brieger-Mayer’sche Schüttelverfahren toxisches 
und immunisierendes Prinzip der Typhusbacillen getrennt werden könne, 
findet demnach in unseren Versuchen keine Stütze. Unsere Feststellungen 
werden durch die Ausführungen vou Herrn Geheirarat Brieger in keiner 
Weise berührt. 

Ich brauche wohl nicht zu versichern, dass es mir selbstverständlich 
ganz fern gelegen hat, einem so erfahrenen und hochverdienten Forscher 
wie L. Brieger eine „Rüge“ erteilen zu wollen. Meines Erachtens hat 
es sich in meinem Vortrag ebenso wie in der unmittelbar vorher er¬ 
folgten ausführlicheren Veröffentlichung von R. Pfeiffer und mir ledig¬ 
lich um die Feststellung von Tatsachen bzw. um Aufdeckung einer Lücke 
gebandelt, deren Ausfüllung unser Ziel gewesen ist. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. In der Sitzung der Berliner medizinischen Gesell¬ 
schaft vom 8. Januar 1913 demonstrierte vor der Tagesordnung Herr 
Michael Cohn sporadischen Kretinismus bei Geschwistern. Hierauf 
hielt Herr Huber den angekündigten Vortrag über Blutveränderungen 
bei hämatolytischem Icterus (Diskussion: Herr Mosse) und Herr 
Axhausen seinen Vortrag über das Wesen der Arthritis deformans 
(Diskussion: die Herren v. Hansemann, Wollenberg und Axhausen). 

— In der Sitzung der Berliner orthopädischen Gesellschaft 
am 6. Januar (Vorsitzender Herr Joachimsthal) sprachen, nach Wieder¬ 
wahl des bisherigen Vorstandes, Herr Edmund Falk über fötale Ent¬ 
wicklungsstörungen an Becken und Wirbelsäule, als Ursache von 
Deformitäten (Diskussion: HHr. Joachimsthal, Böhm), Kölliker- 
Leipzig, Falk), Herr Peltesohn über angeborene Verbildungen an 
den unteren Gliedmassen und ihre operative Behandlung, endlich Herr 
Casdamatis über anatomische Befunde bei Osteogenesis imperfecta. 

— Die diesjährige Tagung der Deutschen pathologischen Ge¬ 
sellschaft findet am 31. März, 1. und 2. April zu Marburg a. L. im 
Hörsaal des Pathologischen Instituts statt. Für den ersten Verhand- 
lungstag ist das von Herrn F. Marchard - Leipzig übernommene Referat 
über „Herkunft und weitere Schicksale der Lymphocyten bei 
entzündlichen Prozessen“ in Aussicht genommen. Anmeldungen 
von Vorträgen beim Vorsitzenden Herrn E. Fraenkel-Hamburg. 

— Der nächste Cyklus der Ferienkurse der Berliner Dozenten- 
Vereinigung beginnt am 3. März 1913 und dauert bis zum 5. April 1913 
(mit Ausnahme des Karfreitags und der Osterfeiertage). Die unentgelt¬ 
liche Zusendung des Lektions-Verzeichnisses erfolgt durch Herrn Mel zer, 
Ziegelstrasse 10/11 (Langenbeck-Haus), welcher auch sonst hierüber jede 
Auskunft erteilt. 

— In Strassburg i. E. ist am Sonntag, den 15. Dezember 1912, eine 
dermatologische Gesellschaft gegründet worden, die den Zweck bat, 
wissenschaftliche Bestrebungen auf dermatologisch-syphilitologiscben so¬ 
wie verwandten Gebieten durch Demonstrationen, Mitteilungen und Vor¬ 
träge zu fördern und kollegiale Beziehungen unter ihren Mitgliedern 
zu pflegen. Der Vorstand setzt sich folgendermaassen zusammen: 
Professor Wolff, Vorsitzender, Professor Adrian, stellvertretender 
Vorsitzender, Dr. Mulzer, Schriftführer, Dr. Oppenheimer, Kassen- 
fübrer, Dr. Hügel und Dr. Gunsett, Beisitzende. 

— Am Donnerstag, dem 30. Januar 1913, nachmittags 3 Uhr, findet 
im Kaiserin Auguste Victoria*Haus eine Konferenz der „Deutschen 
Krippen vereine“ statt. Tagesordnung: Bildung einer Vereinigung 
der deutschen Krippen im Anschluss an die Deutsche Vereinigung für 
Säuglingsschutz. Referenten die Herren Dr. Boehm- Frankfurt a. M. 
und Oberarzt Dr. Rott-Berlin. Am gleichen Tage, vormittags 10 Uhr, 
findet ebenda eine Sitzung der „Grossen Kommission zur Festlegung von 
einheitlichen Grundsätzen für die Ausbildung von Säuglingspflegerinnen“ 
statt. Tagesordnung: 1. Endgültige Beschlussfassung über die Leitsätze 
betreffend die Ausbildung von Säuglingspflegerinnen. 2. Formulierung 
eines Antrages an die zuständigen Centralbehörden über die Festlegung 
eines Ausbildungsplanes für die Säuglingskrankenpflegerinnen. Referenten 
die Herren Langstein-Berlin und Ibrahim-München. 

— Wie aus einer Notiz der Saalezeitung zu entnehmen, haben sich 
die in der Neujahrswoche in Halle versammelten Vertreter preussischer 
Fakultäten auch mit der Frage der Zulassung von Ausländern be¬ 
fasst, die ja kürzlich in Halle zu dem Klinikerstreik geführt hatte. Es 
wurde dabei festgestellt, dass es sioh in der Hauptsache um russische 
jüdische Studenten handelt, denen ihre Regierung auf Grund de9 be¬ 
kannten, für Juden in Russland bestehenden numerus clausus das 
Studium unmöglich macht. Da aber in Russland grosser Aerztemangel 
besteht, so werden sie auch nach einem im Ausland bestandenen Examen 
zur Ausübung der Praxis in Russland zugelassen. Deshalb wurde obigem 
Bericht zufolge beschlossen, der russischen Regierung gerade mit Rück¬ 
sicht auf diesen Aerztemangel die Aufhebung des genannten Studien¬ 
verbotes zu empfehlen. Inzwischen wurden übrigens sowohl in Halle wie 
anderwärts die Differenzen beigelegt. 

— In der Schweiz ist eine neue Prüfungsordnung für Aerzte, 
gleichzeitig auch für Apotheker und Tierärzte, eingeführt worden, die 
mit dem 1. Januar d. J. in Kraft trat. Für das ärztliche Studium 
werdeu vor allem jetzt 11 Semester verlangt, von denen 6 an einer 
Schweizer Universität zu verbringen sind. Die naturwissenschaftliche 
Ausbildung wird nach wie vor stark betont, soll aber von unnötiger 
Gedächtnisbelastung möglichst befreit werden; sie ist in den ersten zwei 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 2. 


Semestern zu absolvieren und durch ein Examen zu belegen, dem dann 
noch zwei weitere Examina folgen. An Stelle des deutschen praktischen 
Jahres wurde nach langer Kontroverse auf Grund der „schlechten Er¬ 
fahrungen, die das Nachbarland mit dieser Institution gemacht hat“ 
(Neue Züricher Ztg.), bestimmt, dass der Student eines der klinischen 
Semester ununterbrochen 5—6 Monate an einer vom Staat dafür quali¬ 
fizierten Krankenanstalt praktisch tätig sei. Die Unfallmedizin wird als 
obligater Unterrichts- und Prüfungsgegenstand neu eingeführt. Im 
Examen soll mehr Nachdruck auf Prüfung an praktischen Fällen gelegt 
und dies auch für Kinderheilkunde, Dermatologie und Venerologie aus¬ 
gedehnt werden. Ob in diesem, die praktische Ausbildung des Mediziners 
mit vollem Recht stark betonenden Studienplan die Bestimmung über 
das praktische Semester wirklich besser ist als unser „praktisches Jahr“, 
dürfte zweifelhaft sein. Das praktische Jahr ist ganz gewiss sehr ver¬ 
besserungsbedürftig; aber sein Hauptmangel liegt doch in seiner Ab¬ 
hängigkeit von der Gewissenhaftigkeit, mit der der Anstaltsleiter sich 
des Praktikanten annimmt; und diese Fehlerquelle haftet dem praktischen 
Semester der Schweizer Institution ganz in dem gleichen Maasse an. 
Wenn unsere Praktikanten in unzweckmässigerWeise beschäftigt werden, 
so werden sie etwa so beschäftigt, wie es künftig in der Schweiz mit 
den Semesterpraktikanten geschieht; aber ein volles Jahr lang und auf 
verschiedenen Stationen. Es gibt aber glücklicherweise eine ganz grosse 
Anzahl, namentlich kleiner Krankenanstalten, in denen der Medizinal¬ 
praktikant im Geiste des Gesetzes ausgebildet wird. Dabei ist noch zu 
erwähnen, dass die in der Schweiz obligate Funktion eines Semestral- 
praktikanten bei uns von recht vielen Herren freiwillig als „Famulus“, 
„Cosinus“, „Amanuensis“ usw. ausgeübt wird. 

— Uns wird geschrieben: Die offenbaren Missstände auf dem Ge¬ 
biete des Prostitutionswesens haben schon seit Jahren den allgemeinen 
Wunsch nach durchgreifenden Reformen der Prostitutionsüberwachung 
laut werden lassen. Doch haben gerade die Bestimmungen des Straf¬ 
gesetzbuches über das Prostitutionswesen sich als uuübersteigbares 
Hemmnis jeglicher Besserung erwiesen. Jetzt, wo der Erlass eines neuen 
R.Str.G.B. in greifbare Nähe gerückt ist, scheint auch der Zeitpunkt 
gekommen, dieser ganzen Frage, die in hygienischer, ethischer und 
sozialer Beziehung von weittragender Bedeutung ist, erneute Auf¬ 
merksamkeit zu schenken, und wenn irgendmöglich eine auf Jahrzehnte 
hinaus geltende und, soweit überhaupt denkbar, allseitig befriedigende 
Ordnung der Dinge zu schaffen. Von diesen Erwägungen ausgehend, 
hat die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten vor kurzem eine Kommission von sach¬ 
verständigen Persönlichkeiten einberufen, die das ganze Gebiet der mit 
der Prostitution zusammenhängenden Fragen eingehend beraten soll. 
Die Kommission, deren Mitglieder aus Aerzten, Hygienikern, Juristen, 
Verwaltungsbeamten, Geistlichen und Frauen, die im öffentlichen 
Leben stehen, zusammengesetzt ist, trat kürzlich zu einer Sitzung 
zusammen, um den endgültigen Arbeitsplan aufzustellen. Wie wir 
hören, werden sich die Arbeiten der Kommission, denen ein umfang¬ 
reiches Material aus ganz Deutschland zugrunde gelegt werden soll, über 
ein Jahr erstrecken. Die Ergebnisse der Beratungen sollen dann den 
gesetzgebenden Körperschaften als Material für die bevorstehende Gesetz¬ 
gebung vorgelegt und soweit tunlich der Oeffentlichkeit zugängig ge¬ 
macht werden. Es steht zu hoffen, dass die gemeinsame Arbeit aller 
auf diesem Gebiete tätigen Faktoren zur endgültigen Sanierung der heute 
geradezu unhaltbaren Prostitutionsverhältnisse beitragen wird. 

— Das ärztliche Erholungsheim „Aerzteheim“ in Marienbad gibt 
seinen Bericht über das zweite Betriebsjahr (1912) heraus. Es sind in 
dem abgelaufenen Berichtsjahre 114 Anmeldungen eingelaufen, von 
welchen 63 in zustimmendem Sinne erledigt werden konnten. In der 
Zeit der Kursaison vom 1. Mai an bis 30. September haben 59 Aerzte, 
mit ihren Ehefrauen zusammen 94 Personen im Aerzteheim Aufnahme 
gefunden; davon waren 26 aus Oesterreich-Ungarn; 33 aus dem Deutschen 
Reiche, von diesen letzteren 13 auf den Plätzen des Leipziger Verbandes. 
Es darf dabei darauf hingewiesen werden, dass der Verein nur Freiplätze 
vergibt und Zimmer gegen Entgelt nicht vermietet. Die finanzielle Lage 
des Vereins entwickelt sich günstig. Das Marienbader Aerzteheim steht 
im Jahre 1913 vom 1. Mai bis 30. September mit je 12 Zimmern pro 
Monat den Kollegen zur Verfügung, wovon das Vergebungsrecht über 
drei Freiplätze in jedem Monat dem Leipziger Verbände Vorbehalten 
ist. Anspruch auf Aufnahme hat jedes Mitglied des Vereins, was man 
durch Zahlung eines Jahresbeitrages von mindestens 5 Kronen werden kann. 

— Nach einer Gegenüberstellung Robert Behla’s über die Sterb¬ 
lichkeit an Säuferwahnsinn in Preussen und Bayern während der 
Jahre 1886—1910 starben an Säuferwahnsinn: 



Durchschnittlich jährlich 

Durchschnittlich auf 100 000 

Jahrfünft 

in diesem Jahrfünft 

Einwohner 

berechnet 


Bayern 

Preusen 

Bayern 

Preussen 

1886-1890 

128 

865 

2,3 

2,95 

1891 — 1895 

110 

599 

1,9 

1,94 

1896—1900 

in 1 

651 

1,8 

1,99 

2,40 

1901—1905 

112 

856 

1,8 

1906-1910 

111 ! 

1083 

L7 

2,82 


Danach starben verhältnismässig mehr Personen an Alkoholismus in 
Preussen als in Bayern, was auf den ersten Blick auffallend erscheint, 
aber darin seinen Grund haben dürfte, dass in Bayern der Schnapskonsum 
nicht so stark ist als in Preussen. In Bayern wird mit Vorliebe Bier 
getrunken. Im allgemeinen drückt sich ein kleiner Rückgang in beiden 
Staaten aus. 

— Dem Sanitätsrat Jakob Wolf in Berlin, bekannt durch seine 
literarische Bearbeitung des Carcinoms, wurde durch Verleihung des Pro¬ 
fessortitels eine wohlverdiente Auszeichnung zuteil. 

Hochschulnachrichten. 

Halle. Prof. Wulistein wurde als Nachfolger von Geheimrat 
Löbker zum Chefarzt des Kuappschaftskrankenhauses Bergmannsheil in 
Bochum berufen. — München, ao. Prof. v. Pfaundler, der kürzlich 
einen Ruf nach Strassburg als Direktor der Kinderklinik abgelehnt hatte, 
wurde zum Ordinarius ernannt. Die Privatdozenten DDr. Schlayer 
und Spielmeyer erhielten den Titel von ao. Professoren. — Würz¬ 
burg. Zu ao. Professoren wurden die Privatdozenten DDr. Lüdke 
und Helly ernannt. — Prag. ao. Prof, der Zahnheilkunde Nessel 
wurde Ordinarius. Habilitiert: Dr. v. Guttraann für Laryngologie. — 
Wien. Den Titel von ao. Professoren erhielten die Privatdozenten 
DDr. W T ilhelrn Roth (Laryngologie), Emil Schütz (innere Medizin), 
Siegmund Erben (innere Medizin), Heinrich Winterberg (Pathologie), 
Gabriel Nobl (Dermatologie), Stephan Weidenfeld (Dermatologie), 
Karl Ritter von Stejskal (innere Medizin), Otto Marburg (Nerven¬ 
heilkunde), Wilhelm Falta (innere Medizin), Josef Meller (Ophthal¬ 
mologie), Robert Doerr (Pathologie), AIfred Einer (Chirurgie), Egon 
Ranzi (Chirurgie). 


Gang der Volkskrankheiten. 

Pest. Aegypten (14.—20. XII.) 7 und 4 +. Britisch-Ostindien 
(24. XI.—7. Xll.) 5697 und 4439 +. — Cholera. Türkei (10. bis 
16. XU.) 451 und 244 +. — Pocken. Deutsches Reich (29. XII. 1912 
bis 4. I. 1913) 1. Oesterreich (15.—21. XII.) 1. Schweiz (15. bis 
27. XII.) 4. — Genickstarre. Preussen (22.—28. Xll.) 1 +. Oester¬ 
reich (8.-14. Xll.) 2. Schweiz (15.—21. XII.) 1. — Spinale Kinder¬ 
lähmung. Preussen (22.—28. XII.) 2 und 1 f. Oesterreich (8. bis 
14. Xll.) 4. 


Amtliche Mitteilungen. 

Personalien. 

Auszeichnungen: Charakter als Geheimer Medizinalrat: 
Kreisarzt a. D., Med.-Rat Dr. A. Schnelle in Hildesheim; ordentl. 
Professor Dr. A. Czerny, früher in Strassburg i. E., jetzt in Berlin. 

Ernennungen: ordentl. Professor Dr. A. Czerny in Strassburg i. E. 
zum ordentl. Professor an der Universität in Berlin. 

Niederlassungen: Dr. A. Witkowski und Dr. J. Lewiuski in 
Posen, Dr. E. Jerzycki in Pieschen. 

Verzogen: San.-Rat Dr. B. Hentchel von Schönlanke, Dr. R. Ham¬ 
mer und Dr. WC Kapuscinski von Halle a. S. und Dr. E. Eck¬ 
stein von Kattowitz nach Posen, Dr. M. Fischer von Elbingerode 
nach Jaratschewo, Dr. A. Frank von Charlottenburg und Dr. W. 
Sesse von Dortmund nach Göttiugen, Dr. W. Fischer von Göttingen 
nach Schanghai, Dr. E. Flinzer von Bremen nach Goslar, Dr. P. 
Müller von Cassel nach Salzgitter, Dr. K. Baumeister von Tann 
(Rhön) nach Niedersachswerfen, Arzt W. Schön rock von Lerbach 
nach Luschwitz, Dr. W. Hartwich von Lengerich nach Eickelborn, 
Dr. A. Benthaus von Dortmund nach Cöln, Dr. F. Linde von 
Gelsenkirchen nach Dortmund, San.-Rat Dr. E. Poensgen von 
Nassau nach Charlottenburg, Dr. A. Spanuth von Gross-Lengden 
nach Neustadt i. Holst. 

Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. G. Aebert 
und Dr. W. Gordon von Posen auf Reisen, Dr. J. H. Bauer von 
Jaratschewo, Dr. 0. Hess von Göttingen, Dr. F. Weidner von Nieder- 
saebswerfen, Dr. F. Schulze von Frankfurt a. M., Dr. F. Reuter 
von Herschbach. 

Gestorben: Dr. J. Lauenstein in Hedemünden. 


Bekanntmachung. 

Im Jahre 1912 haben nach abgelegter Prüfung nachbenannte Aerzte 
das Befähigungszeugnis zur Verwaltung einer Kreisarztstelle erhalten: 

Dr. A. Chemnitz in Neuraünster, Dr. 0. Ebert in Cassel, Dr. M. 
Gentzen in Essen (Ruhr), Dr. E. Goetze in Glowno, Dr. A. Haehner 
in Hanau, Dr. A. Hessler in Lötzen, Dr. H. Hutt in Sagan, Dr. J. 
Huwe in Schulitz, Dr. W. Klimm in Landeshut i. Schl., Dr. A.Linde- 
mann in Berlin, Dr. W. Loerch in Aachen, Dr. G. Luedicke in 
Stettin, Dr. L. Mangold in Berlin, Dr. 0. Neuling in Schleswig, Dr. 
R. Puppel in Königsberg i. Pr., Dr. Th. Rehberg in Angerburg, 
Dr. G. Schönke in Preussisch-Sturgard, Dr. E. Schulze in Swine¬ 
münde, Dr. F. Selberg in Berlin, Dr. G. Simon in Münster i. W., 
Dr. K. Wendenburg in Osnabrück, Dr. 0. Wengel in Löbau, Dr. G. 
Willführ in Idcr und Dr. W. Winckelmann in Sagan. 

Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hans Kohn, Berlin W., Bayreuther Strasse 42. 


Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4. 


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Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 


BERLINER 


DU Strilotr Klinisch« Wochenschrift erseheint jeden 
Monttr ln Nummern von ca. &—0 Bogen gr. 4. — 
Preis rierteljlhrllch 6 Mark. Bestellungen nehmen 
all« Buchhandlungen- und Poetanstalten an. 


Alle Kinsendungen ftr die Redaktion und Kxpedta'ofi 
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung 
August Hirschwald in Berlin NW., Unter den Lindau 
Ho. 68, adressieren. 




Organ für praktische Aerzte. 

Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 

Redaktion: Expedition: 

Geb. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posncr und Dp. Hans Kohn. August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin. 


Montag, den 20. Januar 1913. 


JU 3. 


Fünfzigster Jahrgang. 


I N H 

Origiialie« : Jones: Fortschritte in der Elektrotherapie. (Jubiläums¬ 
artikel.) S. 97. 

Tietse: Beidseitige Resektion oder einseitige Exstirpation des 
Kropfes? (Aus der chirurgischen Abteilung des Allerheiligen- 
hospitals zu Breslau.) (Illustr.) S. 99. 

Holländer: Ein dritter Weg zur totalen Rhinoplastik. (Aus der 
chirurgischen Privatklinik von Professor E. Holländer*Berlin.) 
(Illustr.) S. 101. 

Weichert: Ueber Mammaplastik. (Aus der chirurgischen Abteilung 
des Allerheiligenhospitals in Breslau.) (Illustr.) S. 103. 

Baer: Beitrag zur CavernenChirurgie. (Aus dem Sanatorium 
Schweizerhof, Davosplatz.) (Illustr.) S. 107. 

L. Rabinowitsch: Blutbefuüde bei Tuberkulose. (Aus dem patho¬ 
logischen Institut der Universität Berlin.) S. 110. 

▼. Czyhlarz: Ueber Nystagmus bei fieberhaften Krankheiten. (Aus 
der III. medizinischen Abteilung des k. k. Kaiser Franz Josef- 
Spitals in Wien.) S. 112. 

Bürger and Beumer: Zur Lipoidchemie des Blutes. (Aus der 
inneren Abteilung des städtischen Krankenhauses Charlottenburg- 
Westend.) S. 112. 

M. Rabinowitsch: Schutzimpfung mit abgeschwäohten Tuberkel¬ 
bacillen. (Aus der chemisch - bakteriologischen Abteilung des 
Gouvernements-Semstwo-Kraukenhauses in Charkow.) S. 114. 

Biekerbesp rech ungen: Fuchs: Physiologisches Practicum für Mediziner. 

S. 115. (Ref. Loewy.) — Mouchard und Roger: Nouveau trait<5 
de pathologie generale. S. 115. (Ref. Fischer.) — Vogt: Pathologie 
des Herzens. S. 115. (Ref. Fleischmann.) — Bruck: Die Krankheiten 
der Nase und Mundhöhle sowie des Rachens und des Kehlkopfes. S. 115. 
(Ref. Albreeht.) — Motter und Wilbert: Digest of Comments on the 
Pharmacopoeia of the United States of Amerika. S. 115. (Ref. Bachem.) . 
— StargardtundOloff: Diagnostik der Farbensinnstörungen. | 
S. 115. Gramer: Abriss der Unfall- und Invaliditätskunde des Seh¬ 
apparates. S. 116. Adam: Ophthalmoskopische Diagnostik an der 


Hand typischer Augenhintergrundsbilder. S. 116. (Ref. v. Sicherer.) — 
Stümpke: Die medizinische Quarzlampe. S. 116. (Ref. Schmidt.) 

Literatnr-Auszüge: Physiologie. S. 116. — Pharmakologie. S. 117. — 
Therapie. S. 117. — Allgemeine Pathologie und pathologische 
Anatomie. S. 117. — Diagnostik. S. 117. — Parasitenkunde und 
Serologie. S. 118. — Innere Medizin. S. 118. — Psychiatrie und 
Nervenkrankheiten. S. 121. — Kinderheilkunde. S. 121. — Chirurgie. 
S. 122. — Röntgenologie. S. 123. — Urologie. S. 123. — Haut- 
und Geschlechtskrankheiten. S. 123. — Geburtshilfe und Gynäko¬ 
logie. S. 123. — Augenheilkunde. S. 124. — Hals-, Nasen- und 
Ohrenkrankheiten. S. 124. — Hygiene und Sanitätswesen. S. 124. — 
Gerichtliche Medizin. S. 125. — Militär-Sanitätswesen. S. 125. — 
Technik. S. 125. 

Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften: Berliner medizinische 
Gesellschaft. Cohn: Sporadischer Kretinismus bei Geschwistern. 
S. 125. Huber: Ueber BlutveränderuDgen bei hämolytischem 
Icterus. S. 126. Alhausen: Ueber das Wesen der Arthritis de- 
. formans. S. 126. — Laryngologische Gesellschaft zu Berlin. 
S. 128. — Berliner Gesellschaft für Chirurgie. S. 131. — 
Gynäkologische Gesellschaft zu Berlin. S. 132. — Medi¬ 
zinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für vater¬ 
ländische Kultur zu Breslau. S. 133. — Breslauer psychia¬ 
trisch-neurologische Vereinigung. S. 135. — Verein der 
Aerzte Wiesbadens. S. 137. — Aerztlicher Verein zu 
Hamburg. S. 138. — Medizinische Gesellschaft zu Kiel. 
S. 139. — Aerztlicher Bezirksverein zu Zittau. S. 139. — 
Naturwissenschaftlich-medizinische Gesellschaft zu Jena. 
S. 140. — Aerztlicher Verein zu Frankfurt a. M. S. 140. — 
Aerztlicher Verein zu München. S. 141. — K. k. Gesell¬ 
schaft der Aerzte zu Wien. S. 141. — Gesellschaft für 
innere Medizin und Kinderheilkunde zu Wien. S. 142. — 
Aus Pariser medizinischen Gesellschaften. S. 142. 
agesgesohiohtl. Notizen. S.143. — Amtl. Mitteilungen. S.144. 


Fortschritte in der Elektrotherapie. 

Jubiläumsartikel. 

Von 

H. Lewis Jones, M. D., 

ehemaligem ärztlichem Leiter der elektrotherapeutischen Abteilung des St. Bartholomew’s Hospital in London. 

Das Jabilänmsjmhr der Berliner klinischen Wochenschrift gibt 1 and der thermischen Wirkung des elektrischen Stromes müssen 
mir eine erwünschte Gelegenheit, die Stellung der Elektrizität in | wir die Elektrotherapie der Zukunft aufbauen, 
der Medizin za untersuchen, da wir am Beginn einer neuen Aera Betrachten wir zunächst die chemische Seite der medi- 

für diesen Zweig der medizinischen Wissenschaft stehen. zinischen Anwendung des elektrischen Stromes, indem wir seine 

Während der allerletzten Jahre wurden unsere Ansichten über thermische Wirkung einer späteren Besprechung unterziehen werden, 

den wirklichen Wert und die Wirkung der Elektrizität auf den Wir bemerken von vornherein, dass alle Strombewegungen 

lebenden Organismus erheblich geklärt. Wir beginnen Einsicht in im Körper, mag es sich um direkte, intermittierende oder 

die Prinzipien za gewinnen, auf welchen unsere Praxis beruht, und Wechselströme handeln, ganz ausschliesslich Ionenbewegungen sind, 

infolgedessen unterliegen unsere Methoden einer grossen Verände- und dass ihre Wirkungen auf den chemischen Einfluss der erzeugten 

rang, und unsere Erfolge werden sicherer. Verlagerung der Ionen zurückzuführen sind. Wir dürfen nicht 

Zwei Faktoren sind es, welche diesen Wechsel hervorgerufen von Wirkungen sprechen, die neben oder unabhängig von der 
haben. Erstlich die Erkenntnis von der Bedeutung der Ionen- lonenbewegung sind, denn solche gibt es eben nicht. Der Strom 
theorie bei allen Dingen, welche die Bewegung des elektrischen im Körper ist einzig und allein die zwiefache Ionenbewegung. 
Stromes in lebenden Geweben betreffen, — und zwar verdanken wir Die Behandlung mit elektrischen Strömen ist eine chemische Be- 
dieset dem Genius Leduc’s; zweitens die Erkenntnis der thermi- handlung, und wir müssen alle erzielten Resultate durch ihre 
sehen Wirkung von Hochfrequenzströmen: eine Wirkung, chemische Wirkung erklären. Wir dürfen in unseren Arbeiten 
welche zwar nicht unbekannt war, aber anbeachtet blieb, bis über die Elektrizität in der Medizin unsere Zuflucht nicht mehr 
Nagelschmidt sie nachdrücklich betonte. zu dem herrlichen Wort Katalyse nehmen. 

Auf diesen beiden Grundlagen, der chemischen oder Ionen- Der Nerven- oder Muskelreil ist ein chemischer Reis durch 


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Original frn-m 

UNIVERSITÄT OF IOWA 






Nr. 3. 


98 BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Verlagerung der Ionen. Nernst hat in der Tat die Formel für 
den Nervenreiz in lonenzeichen ausgedrückt. Die Empfindung, die 
wir in der Haut während des Stromdurchganges haben, ist allein 
eine chemische Wirkung, und wenn wir die Zusammensetzung 
der Salzlösung, mit welcher die Elektroden befeuchtet werden, 
verändern, ändern wir auch deren Charakter und können, je nach 
Belieben, stärkere Wirkungen an der negativen oder positiven 
Elektrode hervorrufen. Mit Natr. carbonicum ruft die negative 
Elektrode (Ione von C0 3 ) die stärkste Empfindung hervor; mit 
Chlornatrium die positive Elektrode (Natriumione), und zwar in 
mannigfacher Weise. 

Wir können sofort eine praktische Lehre aus der Kenntnis 
der Ionenwirkungen ziehen, dass wir nämlich nicht — wie 
empfohlen wurde — eine Natr. carbonicum-Lösung zur Befeuchtung 
unserer Elektroden zu diagnostischen Zwecken wählen dürfen, weil 
bei diesem Verfahren eine kleine negative Elektrode mit hoher 
Stromkonzentration angewendet wird und der Gebrauch des Car¬ 
bonats in Lösung dem Patienten unnötig Schmerz verursacht. 

Andererseits bewahren wir, wenn wir Chlorionen wegen ihrer 
sklerolytiscben Eigenschaft anwenden, den Patienten vor mancher 
Unbequemlichkeit; wir setzen ihn in den Stand, starke Ströme zu 
ertragen, wenn wir an Stelle des Natriums Salmiak für die 
Polster verwenden, weil das Ammoniumion die sensiblen Haut¬ 
nerven in geringerem Grade reizt als das Natriumion. 

Nach einer anderen Richtung hin hat die Erkenntnis der 
Prinzipien der Ionen Bewegung die therapeutische Macht der Elek¬ 
trizität erweitert, nämlich in der Anwendung stärkerer Ströme 
zur Behandlung. Blicken wir in die Lehrbücher der Elektro¬ 
therapie, so finden wir stets Ströme von 5 bis 30 Milliampere 
vorgeschrieben. Bisher konnte man nur diese anwenden, wenn 
man jede Schmerzhaftigkeit oder eine oberflächliche Verbrennung 
verhüten wollte. Die mit einer dünnen Schicht von Sämischleder 
bedeckten Elektroden und die kleinen Knöpfe oder Scheiben in 
den Griffen, welche über die erkrankte Stelle geführt wurden, 
gestatteten nicht die Anwendung starker Ströme. Leduc zeigte 
uns, weshalb dieses der Fall ist: Mit solchen Elektroden 
werden an den Metallplatten kaustische Ionen (Hydrogen und 
Hydroxyl) erzeugt, welche schnell an die Hautoberfläche gelangen 
und Schmerzen sowie Verbrennungen erzeugen. Diese Elektroden 
sind jetzt veraltet. Ich habe sie, die ich bisher täglich gebraucht, 
jetzt beiseite gelegt. An ihrer Stelle verwende ich gewöhnlich 
Elektroden, bestehend aus dickem gefalteten Stoff, über welchem eine 
Metallelektrode mit zwei oder drei Lagen von dickem Filz ange¬ 
bracht ist. Diese werden mit zweckmässigen Salzlösungen befeuchtet 
und an dem Patienten befestigt, welcher auf diese Weise 
schmerzlos Ströme von 50 Milliampere oder mehr verträgt, und 
zwar 12 bis 20 Minuten oder noch länger, ohne dass sich eine 
Verbrennung oder Blasenbildung der Haut zeigt. Es kann nicht 
überraschen, dass diese Aenderung der Methode Resultate liefert, 
welche denen der Vergangenheit überlegen sind. In der Tat, 
wenn die Ionentheorie in der medizinischen Elektrizität nichts 
anderes von Bedeutung gebracht hätte, so würde sie doch alles 
Lob verdienen, da sie uns die Verwendung stärkerer Ströme und 
kühnere Methoden gelehrt hat. Nehmen wir z. B. die Behand¬ 
lung der Lähmung, wie sie durch die Poliomyelitis anterior acuta 
hervorgerufen wird. Bergoniö 1 ) teilt uns in einer neueren Vor¬ 
lesung mit, dass er die Elektrizität bei diesem Leiden allmählich 
auf Perioden von einer Stunde, zweimal täglich, längs des ganzen 
Gliedes mit rhythmischen Strömen von nicht weniger als 25 Milli¬ 
ampere angewandt habe, dass das Kind so wenig von dieser 
Anwendungsweise gestört wurde, dass es während dieses Ver¬ 
fahrens spielte und schlief, dass ferner die Resultate einer so 
intensiven Behandlnng durchaus gut waren und kein Zeichen von 
Ermüdung oder Erschöpfung bei den kleinen Patienten her¬ 
vorriefen. 

Wie die Ionentheorie der Elektrotherapie uns gelehrt hat, 
starke Ströme zu verwenden, hat sie auch die Notwendigkeit der¬ 
selben bewiesen. Wenn die erzielten Resultate durch chemische 
Veränderungen in den Geweben hervorgerufen werden, so ist es 
einleuchtend, dass man hierzu eine Stromstärke verwenden 
muss, welche imstande ist, eine deutliche Wirkung zu erzeugen. 
Aus demselben Grunde muss auch die Dauer der Verwendung 
verlängert werden. Die chemischen Umsätze, welche durch einen 
Strom von 50 Milliampere während 20 Miuuten bewirkt werden, 
sind zehnmal grösser als die durch 10 Milliampere während 


1) Bergoni6, Medical Frangais, April 1911. 


10 Minuten; sie sind deshalb zehnmal leichter imstande, einen 
erkennbaren Effekt auszuüben. Die Resultate dieser Anschauung 
und die Verstärkung des elektrischen Stromes ergeben natur- 
gemäss die Differenz zwischen Erfolg und Misserfolg. Auf diese 
Weise kann die Behandlung der Neuralgien wirksamer gestaltet 
werden; das gleiche trifft auf die Behandlung mancher Gelenk- 
affektionen zu. So gibt es einen Schmerzzustand in der Um¬ 
gebung des Ellenbogengelenks, welcher in England allgemein als 
„Tennis-Ellenbogen“ bekannt ist. Er ist die Folge einer Art 
Verstauchung, für welche ein bei gewissen Bewegungen des Ellen- 
bogengelenks entstehender Schmerz charakteristisch ist. Er besteht 
oft monatelang, geht jedoch rapide zurück, wenn man lang¬ 
dauernde und kräftige elektrische Ströme zur Anwendung bringt. 

Bei der Ionentheorie der elektrischen Behandlung haben wir 
zwei Faktoren zu berücksichtigen: Die chemischen Umänderungen, 
welche in den Geweben selbst vor sich gehen, und die Einführung 
der Ionen von aussen her. Der zweite dieser Faktoren ist be¬ 
sonders beachtenswert für die Zwecke der Elektrotherapie. Bei 
der Behandlung oberflächlicher Krankheitszustände unterliegt es 
gar keinem Zweifel, dass die äusseren Ionen wirklich in den be¬ 
handelten Teil eindringen. So hat denn die Einfuhr des Zink¬ 
ions an dem positiven, mit der Lösung eines Zinksalzes be¬ 
feuchteten Pol zu einer erfolgreichen Behandlung einer ganzen 
Reihe von oberflächlichen ulcerösen Prozessen auf elektrischem 
Wege geführt. Unter diesen wäre zu erwähnen: das einfache, 
chronische Beingeschwür, der Decubitus, Ulceration und Fissur 
des Rcctums und Anus, der Katarrh der Urethra und der Cervix 
uteri, die Staphylokokkenulceration der Nasenwege, die oberfläch¬ 
lichen Ulcerationen des Mundes und der Zunge sowie die Pyorrhoea 
alveolaria. Bei Lupus und frischem Ulcus rodens hat die Zink- 
ionisation gleichfalls einige Erfolge aufzuweisen. Der Gebrauch 
einer Zinknadel behufs Einführung des Zinkions bewährte sich 
ferner als ein bequemer Weg zur Heilung von Warzen der Hände, 
des Gesichts und Schädels und Penis sowie zur Hemmung des 
Fortscbreitens der.Sykosis, des Furunkels und der Acne. 

Bei all diesen Prozessen hat sich die Ionenbehandlung als 
ein wertvolles Heilmittel bewährt, und es unterliegt keinem 
Zweifel, dass diese Methode bestimmt ist, weitere Erfolge zu 
zeitigen. Bei der Behandlung von Affektionen der tieferen Gewebe 
bat die Einführung von Ionen durch mit zweckmässigen Lösungen 
befeuchtete Polster gleichfalls Erfolge erzielt, besonders bei der 
sogenannten Neuralgie, einem Prozesse, welcher fast stets auf 
Neuritis oder Perineuritis beruht, so z. B. bei vielen schweren 
Trigeminusneuralgien. Ausgenommen davon ist die Trigeminus¬ 
neuralgie, welche auf Herpes zoster folgt. In Fällen letzterer Art 
scheint uns die Natur der den Schmerz erzeugenden Läsion und 
ihr tiefgelegener Sitz keinen Ertolg bei der percutanen Ionisation 
zu versprechen, und die Erfahrung hat gezeigt, dass das im all¬ 
gemeinen der Fall ist. 

Bei einem Patienten mit Meralgia paraesthetica (Bernhardts 
Perineuritis des Nervus cutaneus superficialis des Oberschenkels) 
sah ich durch die lonenbehandlung mit Salicylionen eine schnelle 
Heilung eintreten, nachdem die elektrische Behandlung der ge¬ 
wöhnlichen Art vollständig versagt batte. 

Bei der chronischen Gicht ist das Salicylion gleichfalls 
von grossem Wert. Das Chlorion, von Leduc wegen seiner 
sklerolytischen Wirkung empfohlen, bewies seinen Nutzen auch 
unter meinen Händen. Jod- und Lithiumione scheinen gleich¬ 
falls, wenn auch in geringerem Grade, bei Gichtszuständen nütz¬ 
lich zu sein. 

Indem wir hiermit die chemischen Wirkungen der elektrischen 
Ströme verlassen, wollen wir uns der Betrachtung der thermischen 
Wirkungen zuwenden. 

Die Verwendung der Elektrizität für thermische Zwecke er¬ 
fordert Ströme von grosser Stärke, und daraus geht hervor, dass 
die lonenwirkungen auf ein Minimum reduziert werden müssen. Die 
Hochfrequenzströme entsprechen diesen Anforderungen. Bei ihnen 
ist die Dauer einer Stromwelle eine so kurze, dass die dadurch 
entstandene Ionenbewegung unwahrnebmbar ist, die Verlagerung, 
welche die Ionen in dem ganz kleinen Bruchteil einer Sekunde, 
welche jede Welle andauert, erleiden, ist gering und stört nicht 
die Elastizität des Protoplasmas, wenn man diese Phrase ge¬ 
brauchen darf. Deshalb können die verwendeten Ströme ein 
Ampere oder mehr erreichen, und doch fehlen die gewöhnlichen 
Ionenwirkungen der Ströme, wie Schmerz und Muskelkontraktion. 
Die thermischen Wirkungen kommen proportional der Stärke der 
angewandten Ströme zur Erscheinung. Die praktische Bedeutung 
der thermischen Wirkung der Hochfrequenzströme blieb lange 


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UMIVERSITY OF IOWA 



20. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


99 


Zeit unbeachtet, obwohl noch vor einiger Zeit die Behandlung 
mit Hochfreqaenzströmen sich einer grossen Popularität erfreute. 
Somerville gebührt das Verdienst, durch seine Arbeit, im 
Jahre 1806: „Ueber die Fähigkeit der Hochfrequenzströme, die 
Oberflächentemperatur des Körpers zu steigern“, die Aerztewelt 
auf ihre mögliche Bedeutung aufmerksam gemacht zu haben. 

Wenn wir auf die Fälle zurückblicken, von denen man be¬ 
richtet, dass sie durch Hochfrequenzströme geheilt worden seien, 
so wissen wir jetzt, dass ein grosser Teil derselben dieses gerade 
den thermischen Wirkungen und deren sekundärem Einfluss auf 
die Vasomotoren verdankt. Die Wirkungen auf den Blutkreis¬ 
lauf, die Besserung verschiedener Krampf- und Kongestionszustände, 
schmerzhafter Gelenkaffektionen, Neuritis und Neuralgie gehören 
in diese Kategorie. Eine Förderung der Lymphcirculation kommt 
auf Rechnung der Hochfrequenzströme bei Scheiden- und Gebär¬ 
mutterinfektionen und bei Urethritis beider Geschlechter, wenn 
man Metallleiter in die Genitalwege einführt. 

Auf einem anderen Gebiet der Hochfrequenzbehandlung, 
nämlich bei Anwendung der Effluvien oder der elektrischen 
Dusche bei Hautaffektionen haben wir es gleichfalls mit thermischen 
Wirkungen zu tun, die zwar intensiv, aber genau lokalisiert sind. 
Hier ist es indes möglich, dass bei diesen Fällen ein anderer 
Faktor in Betracht kommt, nämlich der Einfluss des Ozons und 
der Dämpfe von Salpetersäure, welche mit den elektrischen Licht¬ 
entladungen verbunden sind. 

Wir sind jetzt zu der Annahme gezwungen, dass wir in der 
Anwendung der Hochfrequenzströme ein Mittel zur direkten Er¬ 
wärmung der Gewebe haben, welche der Strom durcbfliesst, und 
dass die zukünftige Entwicklung der Hochfrequenz einzig auf der 
Bedeutung dieser thermischen Wirkungen und auf nichts anderem 
beruht. Der Fortschritt, welcher von Nagel Schmidt und anderen 
mit kräftigen Formen von Hochfrequenzapparaten gemacht wurde, 
bekannt unter dem Namen der „Diathermie“, dient zur Empfehlung 
dieser Seite der Hochfrequenzströme. 

Bei der Elektrodiagnostik stehen wir jetit an der Schwelle 
einer grossen Veränderung. Die lange und mühevolle Arbeit 


vieler Untersucher über den Gebrauch der Kondensatorentladungen 
hat begonnen, seine Früchte zu tragen. Es ist nunmehr klar, 
dass wir von dem Koudensator eine weit bessere Aufklärung er¬ 
halten werden, als sie uns der Induktions- oder galvanische 
Strom hinsichtlich des Grades der Abnormität in den Muskeln 
bei Fällen von Lähmung zu geben vermögen; dass ausserdem das 
Verfahren einfacher in seiner Anwendung und weniger schmerz¬ 
haft für den Patienten ist. Während wir uns bisher damit be¬ 
gnügten, die Muskeln in zwei Kategorien einzuteileD, solche mit 
„normaler Reaktion“ und solche mit „Entartungsreaktion 11 , können 
wir jetzt mit Hilfe des Kondensators eine grosse Anzahl von 
Zwischenstufen erkennen. Viele von denjenigen Muskeln, welche 
bisher als normal beschrieben wurden, weil sie nicht die Fähig¬ 
keit Verloren hatten, auf den Induktionsstrom zu reagieren, zeigen 
uns jetzt verschiedene Grade der Abweichung von der Norm. 
Ebenso können solche, welche zusammen eine Gruppe der Ent¬ 
artungsreaktion bildeten, nunmehr in verschiedene Gruppen ein¬ 
gereiht werden. Wenn man mit 100 Volt arbeitet, um den 
Kondensator zu laden, so kann man eine Reihe von zehn oder 
zwölf Kapazitäten anwenden, welche von 0,1 bis 2,0 Mikrofarad 
rangieren und so Muskeln finden, welche fast auf jeder Skala¬ 
stufe ihre Minimalzuckung zeigen. Die Arbeiten von Boudet- 
Paris, Hoorweg. Zanietowski, Doumer, Gluze und vielen 
anderen eifrigen Forschern auf dem Gebiete der Kondensator¬ 
entladungen müssen in dieser Beziehung dankbar anerkannt 
werden. Sie haben ihre Methoden durch die Laboratoriumsstadien 
hindurch gebracht und zweckmässig für den täglichen klinischen 
Gebrauch hergericbtet, so dass die Elektrodiagnostik in der 
nächsten Zukunft sich in der Richtung der Kondensatorentladungen 
entwickeln wird und die alten Methoden mit dem Induktions- und 
konstanten Strom als obsolet arzusehen sind. 

Unter diesen Zeichen des Fortschritts in der Praxis kann die 
Elektrotherapie heutzutage viel hoffnungsvoller sich gestalten. 
Sie ist nicht mehr an die alten routinierten Methoden gebunden 
und erblickt vor sich den Beginn einer therapeutischen Methode, 
die auf den Gesetzen der Chemie und Physik ruht. 


Aus der chirurgischen Abteilung des Allerheiligen¬ 
hospitals zu Breslau (Prof. A. Tietze). 

Beidseitige Resektion oder einseitige 
Exstirpation des Kropfes? 

Von 

Alexander Tietze. 

(Vortrag, gehalten am 29. November 1911 in der Breslauer chirurgischen 
Gesellschaft.) 

M. H.! Unter dem zu meinem kurzen Vortrag gewählten 
Titel hat Kausch im 93. Bande von Langenbeck’s Archiv einen 
interessanten Aufsatz veröffentlicht, in welchem er anerkennt, 
dass sich die Mehrzahl der heutigen Chirurgen der halbseitigen 
Exstirpation des Kropfes zugewandt habe, indem er aber gleich¬ 
zeitig warm für die Mikulicz’scbe Methode der beidseitigen 
Resektion eintritt und diese als Methode der Wahl durcbzusetzen 
versucht. Die Vorteile, welche Kausch für die Resektion ins 
Feld führt, sind nach seiner Ansicht folgende: 

1. Die Resektion (beidseitige) gibt einen Ueberblick über die 
Beschaffenheit der ganzen Drüse. 

2. Sie gewährt eine gründlichere Entfernuog des Kropfes, 
da auch die scheinbar normale Hälfte meist nicht gesund ist. 

3. Sie lässt auch bei wirklich gesunder zweiter Hälfte weniger 
erkrankungsfäbiges Material zurück. 

4. Sie gibt ein besseres kosmetisches Resultat. 

5. Sie verhindert eine Verziehung der Trachea durch sym¬ 
metrische Gestaltung der zurückgelassenen Kropfreste. 

6. Sie ermöglicht allein in einwandfreier Weise einen Einblick 
in das Innere beider Strumabälfteo. 

7. Leichtere, fast sichere Schonung der Nn. recurrentes und 

8. der Epithelkörper. 

9. Die Technik ist einfacher als bei der Exstirpation. 

10. Die Methode ist im Gegensatz zu anderen allgemein an¬ 
wendbar. 

Von den Nachteilen, die der Resektion nachgesagt werden, 
lässt Kansch nur folgende bis zu einem gewissen Grade gelten: 
die Operation ist blutreicher als die Exstirpation; sie ist nur 


möglich, wenn der der A. tbyreoidea inf. benachbarte Teil der 
Drüse gesund ist (was aber meist der Fall ist); sie ergibt leichter 
ein Recidiv (da mit ziemlicher Sicherheit erkrankte Teile zurück- 
gelassen werden). Den von Kocher erhobenen Ein wand, dass 
die Wandheilung bei der Resektion gegenüber der Exstirpation 
erschwert sei, dass es leichter zu Gewebsnekrosen komme, lässt 
Kausch nur zu bei Anwendung einer offenbar von ihm als un¬ 
vollkommen angesehenen Technik (Anwendung von Quetsch¬ 
zangen, Massenligaturen, Seidenfäden). 

Kausch nimmt an oder wünscht, dass die Methode von 
Mikulicz allmählich einen breiteren Boden gewönne, und er hat 
gewiss insofern recht, als sie unverdientermaassen zurückgesetzt 
worden ist, ja, dass sie jetzt, nachdem die Bedeutung der Epithel¬ 
körperchen erkannt worden ist, eine erneute Prüfung verdient. 
Trotzdem muss ich, obgleich selbst der Mikulicz’schen Schule an- 
gehörend, sagen, dass ich gerade in den letzten Jahren, nachdem 
ich selbst ein grösseres Kropfmaterial in die Hand bekommen 
und mich auch auf anderen Universitäten nach Technik und 
Methode umgeseben habe, mich nicht mehr ausschliesslich der 
früher von mir allein angewandten Resektionsmethode bediene, 
sondern im Gegenteil diese nur für bestimmte Fälle reserviere. 

Auf die Vorteile und Nachteile der Resektion, Punkt für 
Punkt geordnet, wie sie Kausch anführt, möchte ich nicht ein¬ 
geben. Gewiss lässt sich an manchem Kritik üben, so ist es 
fraglich, ob eine so weitgehende Voraussicht, wie sie Punkt 3 
fordert, am Platze ist — mit eben demselben Rechte, weil er 
einmal erkranken kann, müsste man frühzeitig jeden Wurmfortsatz 
exstirpieren —, aber sicher muss manche der Behauptungen von 
Kausch unwidersprochen bleiben. Das gilt namentlich von der 
Bemerkung über die kosmetischen Resultate. Auch nach Ex¬ 
stirpation nur einer Kropfhälfte schwillt namentlich bei grösseren 
Kröpfen die zurückgelassene in der Regel ab — wahrscheinlich 
einfach infolge Nacblassens der venösen Stauung —, selbst bei 
übergrossen Kröpfen ist das schliesslicbe Resultat noch besser, 
als man erwartet bat, aber schön ist es auf keinen Fall nnd gar 
nicht zu vergleichen mit der symmetrischen Verjüngung des 
Halses nach beidseitiger Resektion, and ich kann diesen Ans¬ 
gang durchaus nicht für gleichgültig halten; es ist dies nicht 
eine Frage der Eitelkeit, sondern eine solche der Aesthetik. Für 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


die Entscheidung der von Kausch gestellten Frage, wichtiger 
aber fast als das, was er anführt, sind Momente, die er nicht er¬ 
wähnt oder nur kurz andeutet. Er spricht so gut wie gar nicht 
über den postoperativen Verlauf, über die Chancen der Wund¬ 
heilung, und doch liegen hierin meines Erachtens gerade die 
schwersten Argumente gegen die Resektion. Eine Neurose des 
zurückgelassenen Strumarestes will Kausch nur bei Anwendung 
einer verfehlten Technik für möglich halten, er selbst hat „noch 
nicht nekrotische Strumafetzen herauskommen sehen“. Am Schluss 
seiner Arbeit erwähnt Kausch beiläufig, dass nach der Resektion 
die Temperatur meist erhöht sei, aber (bald) zur Norm zurück¬ 
kehre. Demgegenüber ist nun folgendes zu bemerken: Eine 
Nekrose des bei der Resektion zurückgelasseneu Strumarestes ist 
nach meinen Erfahrungen, die ich ja auch zum Teil an dem 
Material der Mikulicz’schen Klinik gewonnen habe, die Regel. 
Allerdings tritt dieselbe bei aseptischem Wund verlauf nie ein 
(wenigstens kann ich mich auch nicht entsinnen, es gesehen zu 
haben) in Form einer Demarkierung und Abstossung nekrotischer 
Gewebssequester, sondern sie vollzieht sich autolytisch unter dem 
Bilde der Nekrobiose, d. h. der Strumarest schrumpft allmählich 
und ist so gut wie ausnahmslos schliesslich ganz erheblich kleiner 
als nach dem unmittelbaren Abschluss der Operation. Unter den 1 
von Kausch aus der Literatur besprochenen Fällen zeigt einer 
(von Reichel, von Kausch aus anderen Gründen citiert) in 
sehr deutlicher Weise das auch von mir so regelmässig beob¬ 
achtete Ereignis. Für die Wundheilung und den Zustaud des 
Patienten nach der Operation ist das aber durchaus nicht gleich¬ 
gültig. Während nach halbseitiger Exstirpation die Wundheilung 
in annähernd 8 Tagen in der Regel prompt erledigt ist, dauert 
das bei der Resektion, wenigstens nach meinen Erfahrungen, 
durchschnittlich viel länger. Ist auch die Wunde sonst tadellos 
geheilt, lange Zeit bleibt am Drainloch eine Fistel übrig, aus 
dem sich ein blutig-seröses Exsudat, gelegentlich auch wohl ein 
Faden entleert, während dies letztere Ereignis bei den Exstir¬ 
pationen so gut wie nie eintritt, mag man nun Seide oder Catgut 
zur Ligatur wählen: die Fadenschlinge heilt hier anstandslos 
ein oder wird resorbiert oder abgekapselt, während die bei der 
Resektion komplizierten Heilungsvorgänge der Einkapselung von 
Fäden durchaus nicht so günstig sind, wie die einfachen Wund- 
Verhältnisse der Exstirpation. 

Allerdings muss man hierbei auf einen Punkt aufmerksam 
machen, welcher die Technik betrifft. Kausch hat mit vollem 
Recht darauf aufmerksam gemacht, dass die Resektionsmethode, 
die Mikulicz zur keilförmigen Exzision umgestaltete, eine ganz 
typische und saubere Methode geworden ist, deren Prinzip darin 
besteht, dass der Kropf aus seinen oberen, unteren und seitlichen 
Verbindungen gelöst wird, während seine Hinterwand in weiter 
Ausdehnung und namentlich seine Verbindung mit den Vasa 
inferiora, die ja auch von hinten in ihn eintreten, erhalten bleibt. 
Ein Teil der der Resektion (keilförmigen Exzision) nachgesagten 
Nachteile und Misserfolge beruht auf technischen Fehlern, d. h. 
der tatsächlichen Unterbindung der A. thyreoid. inferior. Trotzdem 
es auch dann noch bei der Exzision aus dem Kropf arteriell 
blutet, so ist es dennoch kein Wunder, wenn dieser gewaltsamen 
Störung der Circulation eine ausgedehnte Nekrose mit ihren 
schädlichen Folgen sich zugesellt. Aber auch bei Vermeidung 
dieses Fehlers ist man doch seiner Sache bezüglich Erhalten- 1 
bleibens der Circulation im Kropfrest niemals ganz sicher, und 
das liegt daran, dass man bezüglich der Unterbindung der ab¬ 
führenden Venen nicht genau entscheiden kann, wie weit man 
gehen darf, ohne die Gefahr der blutigen Durchtränkung des 
Kropfrestes, infolge Stauungsblutung, heraufzubeschwören. Diese 
Suffusion stellt aber die Lebensfähigkeit des Kropfgewebes er¬ 


heblich in Frage und zeitigt die schon erwähnten und noch zu 
beschreibenden Störungen. Ich möchte gerade diese Störungen 
im venösen Abfluss für besonders verhängnisvoll halten. 

Die Nekrobiose des Kropfgewebes führt nun, auch wenn sie 
ganz aseptisch verläuft oder vielmehr gerade, wenn sie aseptisch 
verläuft, zu ausgesprochenen Erscheinungen des akuten Hyper- 
thyreoidismus. Es tritt Fieber ein, von dem auch Kausch 
spricht, oft von ganz erheblicher Höhe, und es macht sich der 
Einfluss der Resorption toxisch wirkender Schilddrüsensubstanzen 
vor allen Dingen bemerkbar in einer oft bedeutenden und einiger- 
maassen beunruhigenden Beschleunigung des Pulses. Ich habe 
die letzten BO Fälle von Kropfexstirpation aus meiner Privat¬ 
klinik nach dieser Richtung hin zusammengestellt. Ziehe ich 
12 Fälle von Basedow nicht in Betracht, so blieben 14 Fälle 
typischer Resektion nach Mikulicz übrig, von denen ich an¬ 
nehmen kann, dass irgendwelche Komplikationen hier den Wund¬ 
verlauf nicht beeinflussten. Operiert wurde teils einseitig, teils 
doppelseitig. Es ist auch nicht ein einziger Fall ohne Puls- und 
Temperaturanstieg verlaufen, und die Kurven verliefen so ähnlich, 
dass es vielleicht erlaubt war, wenn ich versucht habe, eine 
Durchschnittspuls und Temperaturkurve zu zeichnen, die ich 
hiermit vorlege. (Kurve 1.) 

Dieselbe erreicht ihren höchsten Anstieg bezüglich der Tempe¬ 
ratur am Tage nach der Operation mit 88,3, ihre höchste Puls¬ 
zahl mit 107 am nächsten Abend. Dann folgt in beiden Be¬ 
ziehungen ein steiler Abfall. Bemerkt muss werden, dass von der 
Verwertung zwei Fälle ausgeschlossen wurden, bei denen schon 
vor der Operation eine deutliche Pulsbeschleunigung bestand. Ist 
diese nämlich vorhanden — natürlich auch ohne ausgesprochenen 
Basedow —, so reichen die Mittelwerte der Durchschnittskurve 
nicht mehr ans, um ein entsprechendes und anschauliches Bild 
des Wund Verlaufs zu geben. Auch ohne dass die Temperatur in 
diesen Fällen die Mittelgrade erheblich überschreitet, nimmt die 
Pulskurve einen höchst beunruhigenden und stürmischen Anlauf, 
Pulse von 140 und mehr sind nichts Seltenes und auch subjektiv 
fühlen sich die Patienten durch die lebhafte Herzaktion öfters in 
hohem Grade belästigt (vgl. Kurve 2). 

Alle von mir erwähnten Fälle sind aseptisch verlaufen, eine 
Wundinfektion ist in keinem Falle eingetreten, die Entlassung der 
Patienten erfolgte durchschnittlich am 12. oder 13. Tage, aller¬ 
dings bestand, worauf ich schon aufmerksam machte, bei manchen 
noch eine Fistel am Drainloch, die nicht selten längere Zeit zu 
ihrer HeiluDg brauchte. Für eine genaue wissenschaftliche Be¬ 
antwortung der zuerst von Reinbach angeschnittenen Frage, ob 
die Schilddrüse ein toxisches, fiebererzeugendes und puls¬ 
beschleunigendes Ferment besitze, eine Ansicht, die schon bald 
nachdem sie ausgesprochen war, von Lanz stark bekämpft wurde, 
reichen natürlich die Beobachtungen nicht aus. Da so gut wie 
alle meine Fälle mit Braun’scher Lokalanästhesie operiert worden 
sind, so kann man namentlich die anfängliche Pulsbeschleunigung 
als Adrenalinwirkung auffassen, und auch für die Erklärung der 
Temperatursteigerungen finden sich manche Momente in der Er¬ 
schwerung der Expektoration nach der Operation, einer 
Laryngitis und Tracheitis, also in Faktoren, die ausserhalb 
der Schilddrüse gelegen sind, immerhin spricht zugunsten 
der Anschauung, welche das schädigende Moment in den 
thyreogenen Substanz sieht, der Umstand, dass ja die Fälle, von 
denen Reinbach bei Begründung seiner Theorie ausging, über¬ 
haupt nicht in Lokalanästhesie operiert worden sind, und dass 
wir dieselben Erscheinungen auch beobachtet haben, als Neben¬ 
nierenpräparate noch gar nicht angewandt, sondern zur Lokal¬ 
anästhesie die Schleich’schen Lösungen benutzt worden waren. 
Das pulsbeschleunigende Moment kann auch in den Anforderungen 



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liegen, welche teils psychisch durch die Situation, teils rein 
mechanisch durch die Operation auf die nervösen Regulierungs¬ 
apparate des Herzens gestellt werden; also mit einem Wort, eine 
einwandfreie Erklärung macht Schwierigkeiten; das kann man 
aber mit Sicherheit sagen, dass einer Resektion einer Struma ein 
sonst höchst ungewöhnlicher Wundverlauf folgt, und ferner, was 
den Gegenstand vorliegender Besprechung bildet, ein Wundverlauf, 
wie er den Exstirpationen nicht eigentümlich ist. 

Zum Beweise gebe ich eine Durchschnittskurve 3 von 12 halb¬ 
seitigen Exstirpationen, die zweifellos, was Temperatur, aber vor 
allen Dingen den Puls anbetrifft, viel glatter verläuft als die 
Kurve der Resektionen. Auch hier haben wir in den ersten 
Tagen einen leichten Anstieg, der aber seine höchste Erhebung 
nur mit 37,8° erreicht, während der Puls über 92 nicht in die 
Höhe steigt. Die Temperatursteigerung ist vielleicht bedingt 
durch eine auch hier gewöhnlich beobachtete Laryngitis und 
Tracbeitis. Ich halte dieses Ereignis nicht für zufällig, sondern 
die Regelmässigkeit seines Erscheinens legt den Gedanken nahe, 
dass es mit dem Eingriff an sich zusammenhängt. Nun spielt 
ja die seröse Durchtränkung des Wundgebietes und seiner Nach¬ 
barschaft, ferner die erschwerte Expektoration infolge der in den 
ersten Tagen etwas schmerzhaften Halswunde eine gewisse Rolle, 
aber der Hauptumstand ist wohl darin zu suchen, dass mit der 
Unterbindung des Stammes der A. thyreoidea superior gleichzeitig 
auch die A. laryngea superior, welche die Kehlkopfschleimbaut 
versorgt, mit unterbunden wird, was vielleicht Circulations- 
störungen in der Kehlkopfschleimhaut hervorbringt. 

Wenn ich nunmehr meine eigenen Fälle von halbseitiger 
Exstirpation mit den Resektionsfällen vergleiche und namentlich 
auch die Beobachtungen mit heranziehe, die ich an dem Material 
anderer Kliniken anzustellen Gelegenheit hatte, so unterliegt es 
für mich keinem Zweifel, dass die Exstirpation den schöneren 
und glatteren Verlauf gibt, eine Anschauung, die vielleicht nicht 
einmal so sehr durch den Anblick der gekennzeichneten Kurven 
bewiesen wird, als sie sich auf die tägliche Beobachtung am 
Krankenbett, durch die Bewertung der Beschwerden der Patienten 
und ihres subjektiven Befindens mit Sicherheit gründet. Die 
Schonung des Recurrens und der Epithelkörperchen lässt sich 
auch bei der Exstirpation erreichen, mag man nun nach Kocher’s 
Vorschriften verfahren oder sich an die Methode von de Quer¬ 
vain halten. Ich verweise in dieser Richtung auf die Diskussion 
de« Chirurgenkongresses 1912. Ich glaube also, dass hieraus ein 
triftiger Gegengrund gegen die Exstirpation ^nicht hergeleitet 
werden kann. 

Bei einer vorwiegenden Beteiligung der einen Seite wende 
ich also die Exstirpation an. Ich habe bisher den Isthmus regel¬ 
mässig durchtrennt, werde aber mit Rücksicht auf die Bemerkungen 


von de Quervain über diesen Punkt eventuell meine Technik 
ändern. Die Resektion reserviere ich auf Fälle von diffuser 
doppelseitiger Struma, wende sie aber, ganz wie Kausch, als 
keilförmige Exzision an, d. h. die Gefässe des oberen Poles 
werden unterbunden, die Struma mit einer Kropfzange gefasst und 
hervorgezogen, luxiert und so weit freigemacht, dass es gelingt, 
ein regelmässig begrenztes und erhebliches Stück heraus¬ 
zuschneiden und den Rest sicher (mit Catgut) zu vernähen. Die 
Gefässe des unteren Poles werden nicht angerührt, der Isthmus 
bleibt erhalten und wird nur gekürzt, wenn er knoten- oder 
streifenförmig am Kehlkopf in die Höhe zieht. 


Aus der chirurgischen Privatklinik von Professor 
E. Holländer-Berlin. 

Ein dritter Weg zur totalen Rhinoplastik. 

VOD 

Eugen Holländer. 

(Vortrag, gehalten in der Berliner medizinischen Gesellschaft am 
11. Dezember 1912.) 

Nach einem vollkommenen Verfall der plastischen Chirurgie 
im 17. und 18. Jahrhundert beginnt die Renaissance der Rhino¬ 
plastik mit den Versuchen Carpue’s und Graefe’s in den 
Jahren 1814 und 1816. Der Engländer richtete sich dabei genau 
nach der indischen Vorschrift, aus der Stirnhaut die neue Nase 
zu bilden. Die Kenntnis von dieser in Ostindien seit langen, 
nicht mehr genau feststellbaren Zeiten einheimischen Kunst er¬ 
fuhr die wissenschaftliche Welt bekanntlich durch den im Jahre 
1794 in Bombay erschienenen Kupferstich. Graefe wandte sich 
mit seinen Operationsversuchen der italienischen Methode zu. Der 
sizilianische Wundarzt Branca hatte zu Catania in der ersten 
Hälfte des 15. Jahrhunderts eine Methode ersonnen, aus dem 
Arme die zur Rhinoplastik erforderliche Haut zu nehmen. Die 
Methode wurde von seinem Sohne und dessen Nachfolger ver¬ 
bessert und war offenbar zunächst ein Geheimverfahren. All¬ 
mählich jedoch wunderte die Kunst nach dem Festlande über und wird 
dann im 16. Jahrhundert von einer Familie Vianeo ausgeführt. 
Die wissenschaftliche Weihe erhielt das Verfahren durch die be¬ 
rühmte Publikation von Tagliacozza mit seinem 1697 er¬ 
schienenen Werke: De chirurgia curtorum per insitionem libri 
duo. Das Verfahren und seine Erfolge machte in jener Zeit das 
grösste Aufsehen bei einem sonstigen ziemlichen Tiefstand der 
operativen Technik. 


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Nr. 3. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Während nun Graefe dem italienischen Verfahren durch 
Verkürzung und Zusammenziehung der einzelnen Opera¬ 
tionsakte zu neuer Lebensfähigkeit zu verhelfen suchte, 
wandte sich bald der berühmteste deutsche Plastiker Dieffenbach 
der indischen Rhinoplastik zu. Unter den Gründen, welche 
G raefe veranlasst hatten, das indische Verfahren fallen zu lassen, 
stand im Vordergründe die Befürchtung einer Meningitis oder 
eines fortschreitenden Kopferysipels. Dieffenbach aber achtete 
den Haupteinwand gegen die indische Methode, die Entstellung 
der Stirn durch grosse Narben, gering gegenüber dem grossen 
Vorzüge dieser Methode, der weitaus besseren plastischen Eigen¬ 
schaft der dicken Stirnhaut. Gegen diesen Vorzug der dicken, 
fettarmen Haut, gegenüber der dünnen zusammenscbnurrenden und 
fettreichen Haut des Armes sprachen andere Gründe, wie z. B. 
die fehlende Unbequemlichkeit des anbandagierten Armes 
weniger mit. 

Die moderne Chirurgie hat nun sehr bald heraüsgefunden, 
dass die so geschaffenen Neunasen nur schöne Augenblickserfolge 
waren, wenn dieser Rekonstruktion die Schleimhaut und vor 
allem das Knochengerüst fehlte. Wir haben diesem Fehler in 
zielbewusster Arbeit allmählich gelernt abzuhelfen. Koenig’s 
Hautknochenlappen gab hierfür das wissenschaftliche Sprungbrett 
ab. Die letzte Etappe lieferte die in weiten Grenzen verwend¬ 
bare Knochenautoplastik. 

Nachdem nun die Frage der soliden Nasenarchitektur der 
Lösung nahe gebracht ist, wendet sich die Verbesserung der Me¬ 
thode wieder der Frage der Hautentnahme zu. 


Figur 1. 



Schema der Lappenbildung. 


Mein Standpunkt bezüglich der Auswahl von indischer und 
italienischer Methode ist folgender: Wenn bei dem betreffenden 
Individuum ausser der fehlenden Nase noch sonstige Narbenver¬ 
änderungen im Gesicht sind, also namentlich bei lupösen De¬ 
fekten, ist die indische Methode die Operation der Wahl. Die 
Haut stellt das beste Material vor und es ist, wenn der Untergrund 
bereits gebildet ist, die Operation in der kürzesten Zeit erledigt. 
Ueber die Vorakte der Operation, der Schaffung des knöchernen 
Gerüstes, der Verwendung der vorhandenen Haut als Unterlage, 
kann an dieser Stelle nicht verhandelt werden. 

Wenn aber ein isolierter Defekt der Nase vorhanden ist und 
keine übrigen Narben im Gesicht sind, so ist man verpflichtet, zu¬ 
nächst die Hautentnahme von anderen Körperstellen zu veran¬ 


stalten. Denn obwohl die einfache Hautentnahme aus der Stirn 
ohne Knochen erheblich günstigere Narbenverhältnisse schafft, 
wie die adhärenten und eingezogenen hässlichen Narben nach 
Hautknochenlappen, so entspricht doch eine weitere Verwundung 
des Gesichts keineswegs dem Ideale einer kosmetischen Operation. 
Das italienische Verfahren mit all seinen geistreichen Verbesse¬ 
rungen hat aber in meinen Händen und bei meiner Kontrolle von 
Operationsresultaten aus anderer Hand schlechte Resultate er¬ 
geben. Die dünne Cutis rollt sich auf, ohne Fett neigt sie zur 
Nekrose, mit Fettentnahme zur schnellen Hautsenililät. Sie ver¬ 
liert danu leicht ihre Plastizität, und augesetzte Stücke haben 
ausserdem eine grosse Neigung zum Schwund. Dies letztere gilt 
namentlich von den geistvollen Versuchen, die auf dem Arm 
selbst fertig modellierte Nase zu überpflanzen. Das italienische 
Verfahren eignet sich nach meinen Beobachtungen am ehesten 
noch zum Unterfüttern bei vollkommenem Defekt der Nase. 

Ein wirklich gutes, einwandfreies Resultat liefert aber nur 
ein einziger Hautlappen, der auch während seiner Ueberpflanzung 
unter guten Ernährungsverhältnissen sich befindet. Aus diesem 
Grunde kann eine freie Hautverpflanzung bei der totalen Rhino¬ 
plastik nicht in Frage kommen, umsoweniger, da ein solcher nicht 
modellierfähig ist. 

Das Bedürfnis aber nach anderen Methoden liegt vor. Es 
bleibt, da Kopf und Extremitäten vergeben sind, der Rumpf übrig, 
und es ist sonderbar, dass der von mir gewählte Weg bisher 
nicht beschritten ist. 

Eine Haut von beinahe derselben Qualität ist die Sternal- 
haut. Auch sie liegt verschiebbar über flachen Knochen ohne 
Interposition von Muskeln. Der Fettansatz hält sich auch hier in 
bescheidenen Grenzen. 

Diese Haut habe ich in Betracht gezogen und habe die Schnitt¬ 
führung in der Weise gelegt, wie dies die Illustration lehrt. (Figur 1.) 
Es kann bei diesem Vorgang die Basis des Lappens auf die linke 
oder die rechte Brustseite gelegt weiden. Die Methode ist beinahe 


Figur 2. 



Schema der Körperhaltung nach der Lappenbefestigung. 


in allen Fällen technisch möglich, in denen die Sternalhaut 
intakt ist. Bei Männern besteht gelegentlich eine Kontraindikation 
in dem starken Haarreichtum dieser Gegend. Bei dieser Methode 
fällt eine Drehung oder Faltung des Stiels vollkommen weg, wo 
durch die Ernährung des Lappens natürlich begünstigt wird. 
Nach Abpräparierung der Sternalhaut lässt man von der jetzt zu¬ 
nehmenden Fettfülle nach der Brust zu zunehmende Mengen zu 
Ernährungszwecken am Lappen stehen. Sodann wird durch 
Binden oder durch eine vorbereitete Brustkappe die Brust hoch¬ 
gebunden, nachdem durch eine gleichfalls vorbereitete, in nicht 
forcierter Beugestellung des Kopfes angelegte Gipsstütze der Kopf 
der Brust genähert ist; mit zahlreichen Knopfnähten wird sodann 
der Lappen ohne jede Spannuug an die breitangefrischte Nasen- 


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wurzel genäht. (Figur 2 ) Da die vorhandene Nasenhaut vom Nasen¬ 
rücken nach der Nasenspitze zu abpräpariert und heruntergeklappt 
wird, so ist die Ernährung des Lappens von oben und von unten 
garantiert. Man nehme aber auf alle Fälle die Hautbrücke 
möglichst breit. Den oberen Teil der Wunde am Sternum ver¬ 
näht man; den unteren Teil bedeckt man mit einer flachen Mull¬ 
kompresse und fixiert den später für die Nase überflüssigen Teil 
wieder in seine alte Lage. (Figur 3.) 


Figur 3. 



Pat. am fünlten Tage. - (Der Lappen soll durchtrennt werden.) 


Da die Ausdünstungen des Mundes und der Atem die 
Lappenwunde bestreichen, so ist es zweckmässig, den Lappen 
durch leicht angefeuchtete Gaze zu umgeben und das Ganze 
mit einem impermeablen Stoff einzuhüllen. 

Cm die Methode anzuwenden, bedarf es einer vorhergehenden 
Ausmessung der Entfernungen. Man messe als Index die Ent¬ 
fernung der Brustwarze von dem gegenüberliegenden Schlüssel¬ 
beinsternalgelenk. Ist diese Entfernung grösser, als die Ent¬ 
fernung der Brustwarze zu der Nasenwurzel bei gesenktem Kopf, 
so ist die Operation ausführbar. Ich habe bisher bei allen von 
mir ausgemessenen Frauen und Mädchen gefunden, dass der Ein¬ 
griff möglich ist. Bei hochsitzender fester Brust ist die Stellung 
etwas unbequemer wie bei tiefsitzender grosser Brust. Bei 
letzteier ist die Verschiebbarkeit der Teile oft so gross, dass die 
Brustwarze die Nase berührt. Bei Männern mit ausgesprochenem 
phthisischen Habitus stösst wegen des langen Halses der Eingriff 
jedoch gelegentlich auf Schwierigkeiten. 

In den von mir bisher operierten zwei Fällen habe ich einmal 
die Brücke bereits nach 4 J / 2 Tagen durchschnitten. Ich wurde dazu 
genötigt, weil ein vorhandener eitriger Nasenkatarrh eine Infektion 
der Unterzellhaut des Transplantates herbeigeführt hatte. Figur 4 
zeigt, dass trotzdem der Lappen vorzüglich angeheilt ist. ln 


Figur 4. 



Pat. am achten Tage mit aDgeheiltem Lappen. 


beiden Fällen war das Gesamtresultat befriedigend. Doch hat das 
ja mit dem Prinzip der Methode weiter nichts zu tun. 

Die Vorzüge der neuen Methode gegenüber der 
italienischen sind folgende: 

1. Beiden Methoden gemeinsam ist die gebeugte 
Fixierung des Kopfes gegen die Brust; die peinvolle 
Armhaltung fällt bei meiner Methode weg. 

2. Das wesentliche Moment aber beruht in der 
plastischen Ueberlegenheit der Brustbeinhaut, die in 
ihrer Qualität der Stirnhaut gleichkommt. 

3. Die Nekrosengefahr ist bei meiner Methode eine 
geringere, weil keine Stieldrehung bei ihr vorkommt. 

4. DieUeberlegenheit der Methode vor der indischen 
beruht in der Vermeidung weiterer Gesichtsentstel lung, 
sowie in der Vermeidung eines Operationsaktes, der Ex¬ 
stirpation der Brücke. 

Aus der chirurgischen Abteilung des Allerheiligen- 
hospitals in Breslau (Prof. Dr. A. Tietze). 

Ueber Mammaplastik. 1 ) 

Von 

Dr. Max Weichert, Assistenzarzt. 

M. H.! Der augenblickliche Standpunkt in der Chirurgie 
der Maramatumoren ist besonders bei den malignen fast un¬ 
bestritten der, dass man so radikal wie irgend möglich operativ 
Vorgehen muss. 

Der Grund, warum man so ausserordentlich radikal bei den 
malignen Tumoren vorgeht, beruht in der Erfahrung, dass, wenn 
auch die Tumoren zunächst klein und die regionären Lymph- 
drüsen nicht sämtlich beteiligt waren, eine unvollkommene 
Operation bald von einem schweren Recidiv gefolgt ist. 

In seltenen Fällen stellt sich zunächst eine anscheinende 
Heilung ein, und die Metastasen zeigen sich erst nach einer Reihe 
von Jahren, am häufigsten in den Knochen. 

Wir exstirpieren also bei malignem Mammatumor, gleich¬ 
gültig, ob wir bereits Metastasen in den regionären Lymphdrüsen 
fühlen oder nicht, stets die ganze Brustdrüse ohne Schonung der 
Haut und die sternale Portion des Musculus pectoralis major; 
der Pectoralis minor wird gespalten und in den verdächtigen 
Fällen gleich mitentfernt und die Drüsen und das ganze, die 
Achselhöhle füllende und die Drüsen umhüllende Fett als ein¬ 
heitlicher Klumpen im Zusammenhang mit der Brustdrüse selbst 
bis unter die Clavicula in der Mohrenheim’schen Grube ausgelöst. 
Wir vermeiden peinlich ein Hindurchgehen durch den Tumor, 
weil wir uns vor einer Keimverimpfung fürchten. Die obere 
Schlüsselbeingrube haben wir nur dann ausgeräumt, wenn wir ver¬ 
härtete Drüsen fühlten. 

Da wir aber wiederholt Fälle beobachtet haben, in denen 
bei sonst recidivloser Heilung der Mammaamputation nach zwei, drei 
Jahren latente Herde in den Supraclaviculargruben sich ent¬ 
wickelten und diese Lokalisation gerade sehr häufig höchst un¬ 
angenehme Circulationsstörungen zur Folge hat, so ist es wohl 
richtiger, auch prinzipiell die Supraclaviculargruben bei der 
Amputation der krebsigen Mamma auszuräumen. 

Wir verhalten uns bei schwerer Tuberkulose ebenso wie bei 
den malignen Geschwülsten, schonen aber etwas mehr die Haut. 
Zwischen den einzelnen bösartigen Geschwülsten selbst machen 
wir keinen Unterschied. 

Um auch äusserlichen Gründen gerecht zu werden, lehnen 
wir uns in unseren Operationsmethoden an die bereits früher und 
auch in der Jetztzeit sehr zahlreich veröffentlichten Plastiken an. 
Den einfachen Ovalärschnitt mit medialer W T eiterführung in die 
Achselhöhle haben wir völlig verlassen, da er mit seiner Narbe 
so unglücklich fällt, dass er durch direkte Verwachsungen oft 
schwere Circulationsstörungen macht. 

Der von uns angewandte Schnitt umgibt die zu entfernende 
Mamma in einem Oval und zieht dann in leichtem Bogen nach 
oben innen, um etwa in der Mitte der Clavicula zu enden. Es 
ist dies ein ähnlicher Schnitt wie der in der Literatur gewöhnlich 
unter dem Namen des Kocher’schen Schnittes geführte. Wir 


1) Vortrag, gehalten am 8. November 1912 im Allerheiligenhospital 
am klinischen Abend der medizinischen Sektion der schlesischen Gesell¬ 
schaft für vaterländische Kultur. 

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Nr. 3. 


legen das Oval nicht quer, sondern schräggestellt (etwa Fall 3). 
Derselbe bietet in der Tat einen sehr guten Ueberblick namentlich 
in den letzten Stadien der Operation bei Ausräumung der lnfra- 
claviculargrube und vermeidet so die spannende und störende 
Narbe in der Achselhöhle. 

Als Begrenzungslinien für den inneren Teil unserer Operation 
nehmen wir: Sternum, Clavicula, Serratus ant,, Latissimus dorsi. 
Nerven suchen wir nach Möglichkeit zu schonen, vor allen Dingen 
den Thoracalis longus für den M. serratus und den Thoraco- 
dorsalis für den M. latissimus dorsi. 

Als Schnittführungen kommen im wesentlichen sonst noch 
in Betracht: 1. die ovaläre Umschneidung am inneren Rande des 
Pectoralis raajor, 2. Kocher’s, 3. Warren’s, 4. Meyer’s, 
5. Beck und Pels-Leusden’s, G. Tansini’s Methode u. a. m. 

Die letztere bildet gleichzeitig einen Uebergang auf die 
mehr direkt plastischen Methoden, wogegen die anderen nur 
den einfachen Schluss der durch die Operation gesetzten Haut¬ 
wunde erzielen wollen. Ist nämlich der gesetzte Defekt so 
gross, dass eine direkte Nahtvereinigung der Wundränder nicht 
möglich erscheint, so wird voraussichtlich kein Chirurg mehr den 
ungenähten Teil der Heilung durch Granulationsbildung über¬ 
lassen, sondern er wird ihn entweder durch Thier’sche Trans¬ 
plantationen decken oder bei zu grosser Ausdehnung durch 
Lappenplastik zu verscbliessen suchen. Tansini verwertet einen 
gestielten Lappen vom Rücken mit einem Teil des Latissimus 
dorsi. Payr versuchte sich plastisch dadurch zu helfen, dass er 
gesunde Haut an der Operationsstelle sparte, und zwar so, dass 
er eine kleine Hautfettpyramide bilden konnte, die einer Mamma 
ähnlich sab. 

Andere Autoren wiederum verwendeten, und das lag ja wohl 
am nächsten, die zweite, gesunde Brustdrüse für die Deckung des 
Defektes; einerseits schälten sie die Haut und Fett der gesunden 
Brust von dem Drüsengewebe ab und versetzten es auf die 
andere Seite, so dass auf diese Weise eine Art der Zweiseitigkeit 
gewahrt wurde. Andere wieder teilten die gesunde Mamma in 
zwei Teile und versuchten so ein kosmetisches doppelseitiges Re¬ 
sultat. 

Wir haben mehrfach Gelegenheit gehabt, solche Mamma¬ 
plastiken auszuführen, und zwar ergab es die Eigenart der Fälle, 
dass verschiedene Methoden in Anwendung kamen. Der eine 
Fall betraf eine Sternum- und Thoraxresektion bei Carcinom- 
recidiv. Die linke Mamma wurde über die rechts freigelegte 
Lunge als Lappen aufgenäht. Die übrigen Fälle waren nur 
Mammaamputationen. Von diesen wurde einer (Demonstration) 
in derselben typischen Weise so operiert, dass die anderseitige 
Mamma als gestielter Lappen in den Defekt eingesetzt wurde. 
Diese Form gibt entschieden kosmetisch die besten Resultate, 
hat aber vielleicht den Nachteil, dass die Ernährung des Lappens 
manchmal etwas gefährdet erscheint. Deshalb kann man sich in 
anderen Fällen durch Entspannungsschnitte helfen, welche eine 
Lappenverziehung gestatten. Allerdings muss man dabei unter 
Umständen, wie auch wir in einem Falle, die Form der Cyklopen- 
mamma mit in Kauf nehmen, bei welcher die Brustwarze auf 
die Mitte des Sternums geraten ist. 

In einem Falle machten wir eine Plastik aus der ßauchhaut 
nach Heidenhain mit breitgestieltem Lappen, weil die nicht sehr 
grosse, wenig fettreiche, andere Mamma für die Deckung des 
mächtigen Defektes nicht ausgereicht hätte. 

Wir haben die erwähuten Arten der Defektdeckung deshalb 
lieber angewandt, weil es uns bequemer war, an nur einer, wenn 
auch grösseren, Partie des Körpers zu arbeiten, als zwecks Trans¬ 
plantation noch auf eine andere entferntere Körperstelle übergehen 
zu müssen. Ausserdem äusserten diejenigen Fälle, die mit ein¬ 
fachen Plastiken behandelt waren, und wo wegen eines grösseren 
Defektes die Transplantation nach Th iersch vorgenommen wurde, 
bei ihrer Entlassung ständig Schmerzen an der betreffenden Stelle, 
verbunden mit Druckgefühl und Atmungsbehinderung wegen Narben- 
znges. Diese naturgemäss sehr dünDe Haut war ferner leicht 
lädierbar und musste ständig unter Schutzverbänden gehalten 
werden. 

Auch bei solchen Fällen, deren Defekt nur mit grösserer 
Spannung gedeckt werden konnte, zeigten sich nach (Lr Ver¬ 
narbung meist gröbere Beschwerden, die den vorher erwähnten 
sehr ähnlich waren. 

Durch die plastischen Methoden werden gerade diese Uebel- 
stände am besten vermieden. 

Als Vorbedingung freilich für das Gelingen aller Plastiken 
mussten wir die primäre oder nahezu primäre Heilung verlangen. 


Ich möchte Ihnen in Kürze nur einige Fälle zeigen, die 
unsere Schnittführungen und deren Resultate demonstrieren sollen: 

Von den bestellten Kranken ist nur eine erschienen, die 
anderen bin ich leider genötigt an stereoskopischen Bildern und 
schematischen Zeichnungen zu erläutern: 

Die erste Zeichnung zeigt immer die Schnittfübrung um den 
Tumor selbst, die zweite die endgültige Naht. 

Die vier Fälle, die ich beschreibe, sind herausgegriffen aus 
der ganzen Menge und bezeichnen sozusagen den Typus für vier 
verschiedene Formen: 

Fall 1. J. S., 43 Jahre. Ca. mamraae dext. recid. Aufgenommen 
12. IX. 1908, entlassen 25. X. 190S. 

Anfang vor etwa zwei Jahren. Ursache unbekannt. Juni 1908 aus¬ 
wärts Mammaamputation rechts wegen Carcinom. Kommt jetzt wieder 
wegen Recidivs. Operation im Ueberdruckapparat nach Tiegel-Heule 
(Operateur: Prof. Tietze). Da das Recidiv etwa in der Höhe der vierten 
Rippe sitzt und fest mit der Haut und der dritten, vierten und 

fünften Rippe verwachsen ist, werden diese Rippen mit der Pleura 
costalis reseziert, so dass ein über handtellergrosser Knochendefekt ent¬ 
steht. Die Haut muss ebenfalls sehr weit Umschnitten werden. Zur 

Plastik wird die linke Mamma durch Umschneidung von drei Seiten in 
etwa Viereckform mit abgerundeten Ecken verwendet. Die freie Viereck¬ 
seite liegt als breiter Stiel nach oben rechts. Der breitgestielte Lappen 
wird gelöst, sein Stiel unterminiert und er so um den Stiel als Mittel¬ 
punkt gedreht, dass er einen Kreisbogen beschreibt und rechts auf den 
Defekt zu liegen kommt. Möglichst enge Naht, zwei Drains. Die 

Spannung ist nur gering. Bei Nachlassen des Ueberdruckes nach 


Figur L 



Vor der Operation. 


Figur 2. 



Nach der Operation. Bei Ilustenstoss. 


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Figur 3. 



Nach der Operation. Bei ruhigem Atmen. 


Figur 4. 



Schnittlührung. 


Figur o. 



vollendeter Naht massiges Einsinken der Haut und Mitbewegung bei der 
Atmung. Art der Schnittführung, Zustand vor und nach der Operation 
zeigen die Figuren 1 bis 5 am deutlichsten. Die Kranke wurde aus 
unserer Behandlung völlig beschwerdefrei entlassen. 

Bei diesem Falle erwies sich die erwähnte Plastik direkt 
als absolute Notwendigkeit, um bei dem Pleuradefekt Lungen* 
koroplikationen zu verhindern. 

Fall 2. E. H., 38 Jahre. Sa. mammae dext. Aufgenommen 1. VI. 
1912, entlassen 19. VI. 1912. 

Anfang vor etwa einem Jahre, angeblich nach Stoss mit der Tür. 
Es zeigt sich ein grosser, höckriger Tumor, der auf der Unterlage nur 
massig beweglich ist und einen Hautsaum ringsherum bereits infiltriert 
hat. Mikroskopisch: Sarkom. 5. VI. Operation mit weiterUmschneidung 
und typischer Exsiirpation nach den oben erwähnten Gesichtspunkten. 
Defekt etwa 30: 40 cm, Scbnittführung nach unserer gewöhnlich geübten 
Art Die linke Brust wird zur Deckung ähnlich Umschnitten wie Fall 1 
(s. Figur 6 bis 10) und mit breitgestieltem Lappen, der median rechts liegt, 


auf den Defekt gesetzt. Es mussten noch einige Entspannungsschnitte 
angelegt und die Umgebung, besonders nach dem Bauch hin, ziemlich 
weit unterminiert werden. Ein Zwischenakt der Transposition ist zum 
leichteren Verständnis durch Figur 9 erläutert. Völlige Nabt, ein 
Drain unterhalb der Achselhöhle. Heilung bis auf zwei kleine Granu¬ 
lationsstellen per primam. 


Figur fi. 



Vor der Operation. 
Figur 7. 



Nacü der Operation. 
Figur 8. 



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Nr. 3. 


Figur 9. 




Fall 3. A. K., 35 Jahre. Sa. mammae dext., etwa kopfgross (s. 
Figur 11). Aufgeoommen 29. VI. 1912, entlassen 29. VII. 1912. 

Anfang etwa Februar 1911 mit kleinem Knoten. Ursache unbekannt. 
Psychose. Uns aus der Irrenanstalt überwiesen. Die grosse Geschwulst 
ist höckrig, an einigen Stellen weich, cystisch und nur wenig verschieb¬ 
lich. Achseldrüsen oder sonstige sind nicht zu fühlen. Mikroskopisch: 
Sarkom. Operation 2. VII.: Schnittführung wie gewöhnlich mit Ende 
über der Mitte der Clavikel. Der gesetzte Defekt etwa 25:40 cm. 
Plastik aus der linken Mamma ähnlich wie oben. Da der Defekt kleiner 
und die Haut beweglicher, ist die Transposition der linken Mamma nicht 
ganz vollkommen nötig. Sie kommt daher fast median über dem Sternum 
zu liegen, und es entsteht das Bild einer sogenannten „Cyklopenmamma“ 
(s. Figur 12, 13). 


Figur 11. 



Vor der Operation. 


Figur 12. 




Fall 4. F. H., 59 Jahre." Ca. mammae sin. Augenommen 4. VIII. 
1911, gestorben 10. XL 1911 an Erysipel und Metastasen im Herz¬ 
muskel. 

Angeblicher Beginn der Krankheit etwa Februar 1911 nach Stoss 
mit der Türklinke. Der Tumor selbst ist nur klein, dagegen besteht 
eine sehr grosse Infiltration mit entsprechender Hautveräuderung bis 
weit in die Achselhöhle und nach der Clavikel hin. Zahlreiche Drüsen 
(s. Figur 14). Operation 8. VIII.: Wegen der Schwere des Falles muss 
ein sehr grosser Hautdefekt gesetzt werden. Zur Deckung wird ein 
Lappen aus der Bauchhaut der linken Seite gebildet (Figur 15, 16) mit 
Unterwühlung bis auf den Rectus bis fast zum Nabel. Der breite Stiel liegt 
rechts. Drehung des Lappens am Stiel nach oben und Transposition 
auf den Defekt. Es müssen noch mehrere Entspannungsschnitte angelegt 
und die fettreiche Haut sehr weit unterminiert werden, um überhaupt 
die Wunde schliessen zu können. Endlich gelingt es doch ohne wesent¬ 
liche Spannung bis auf eine kleine Stelle am Oberarm. Der Bauchdefekt 
wird quer vernäht, was nach entsprechender Mobilisation ziemlich leicht 
gelingt. Von der erwähnten Granulationsstelle am Oberarm aus bekommt 
die Frau nach etwa sechs Wochen ein Erysipelas migrans, dem sie bei 
gleichzeitig vorhandenen inneren Metastasen erliegt. 


Figur 14. 



Vor der Operation. 


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Figur 15. 




Bemerkt sei noch, dass wir alle unsere Fälle mit Mamma¬ 
exstirpation, gleichgültig, ob wir radikal oder nicht radikal Vor¬ 
gehen konnten, sämtlich nach kurzer Zeit einer systematischen 
Röntgenbestrahlung unterwerfen. Wir glauben darin noch ein 
Mittel mehr gegen das Auftreten von Recidiven zu haben. 

Was nun die obenerwähnten Plastiken überhaupt angebt, so 
müssen wir immer wieder betonen, dass sie nur dann einen Vor¬ 
teil versprechen, wenn absolut aseptisch vorgegangen werden kann 
und eine Heilung per primam zu erwarten ist. Dass wir dann durch 
diese Plastiken gleichzeitig eine wesentliche Verkürzung des 
Krankenbausaufentbaltes erreichen, können wir nur mit aufrichtiger 
Freude begrüssen. 


Aus dem Sanatorium Schweizerhof, Davosplatz (Chef¬ 
arzt: Hans Staub). 

Beitrag zur Cavernenchirurgie. 

Von 

Dr. Gustav Bier, 

Amt am Sanatorium Turban, Davosplatz. 

Die Aussichten auf Spontanheilung bei grösseren Lungen- 
cavernen sind im allgemeinen als sehr ungünstige zu bezeichnen. 
Es gibt wohl auch Ausnahmen, wo wir Cavernen, die allerdings 
nicht über mittelgroß sein dürfen, durch die Länge der Zeit 
aasheilen sehen. Jedoch ist für den Träger der Caverne das 
Risiko im Laufe der Jahre ein derartig erhebliches, dass nur 
unter den günstigsten Bedingungen ein guter Ausgang erwartet 
werden kann. Wir wissen, dass häufig die Prognose bei 
Lungentuberkulose durch das Vorhandensein einer Caverne sehr 
verschlechtert wird infolge der immanenten Gefahren von 
Blutungen, Mischinfektionen, Eiterrerention und sekundären Aspi¬ 
rationspneumonien. Der moderne Standpunkt ist mithin durch¬ 
aus berechtigt, der grössere Cavernen malignen Tumoren gleich¬ 
ste^ und dementsprechend die chirurgische Inangriffnahme als 
absolute Indikation aosieht. Die idealste Behänd lungsform ist 
ohne Zweifel der künstliche Pneumothorax, vorausgesetzt, dass 
keine klinischen Gründe seine Anlegung verbieten oder tech¬ 
nische Gründe sie unmöglich machen. 

Es kann natürlich auch Vorkommen, dass selbst ein kom¬ 
pletter Pneumothorax die Caverne nicht zum Ausheilen bringt, 


wenn nämlich die Cavernenwaud schon zu starr ist, als dass 
sie durch den klinisch noch zulässigen Druck komprimiert 
werden kann. 

Für alle die Fälle, die für den Pneomothorax Ausscheiden, 
kommen die besonders durch Friedrich und Wilms aus¬ 
gebildeten Methoden der Thoraxverengerung in Betracht. 

Friedrich wählt die radikalere, die in möglichst aus¬ 
giebiger Verkleinerung des Thorax und dadurch bewirktem 
Lungencollaps besteht, eine Methode, die aber den Nachteil bat, 
dass sie ausser der Entstellung zu grosse Mortalitätsziffern auf¬ 
weist. Um den Collaps zu einem vollständigen zu machen, fügt 
er bisweilen die sogenannte Apikolyse der Lungenspitzen hinzu. 

Wilms sucht bei den Fällen, bei denen ausgesprochene 
Schrumpfungstendenz vorhanden ist, dieser entgegenzukommen, 
indem er die knöchernen Rippenringe sprengt und das Thorax¬ 
volumen dadurch verkleinert. Die Schrumpfung der Lunge kann 
danach fortschreiten und zur Heilung führen. 

Sehr grosse Cavernen, die in der Spitze liegen, sind aber 
durch beide Methoden wenig oder gar nicht beeinflussbar, da so 
ansgiebige Resektionen, wie sie nötig wären, um die Cavernen- 
wftnde zum Zusammenfallen zu bringen, aus anatomischen Gründen 
undurchführbar sind. Wenn Cavernen, wie wir in manchen 
Fällen sehen, das ganze obere Drittel einer Lunge einnehmen, 
wobei das Parenchym bis auf einen wenige Millimeter dicken 
Lnngenmantel reduziert ist, der ganze übrige Raum aber durch 
eine mit einer mehr oder weniger dünnen Wand begrenzte 
Caverne ausgefüllt wird, so können uns Entknöcherungsverfahren 
dem idealen Ziele kaum näher bringen. In solchen Fällen gibt 
uns die moderne Therapie noch keine genügend fundierten Ope¬ 
rationsmethoden in die Hand. Die Caverneneröffnung, wie sie in 
früherer Zeit geübt wurde, kann nur einer chirurgischen Forde¬ 
rung gerecht werden, nämlich der Eröffnung eines eitergefüllten 
Hohlraums, während die völlige Ausschaltung der Caverne dabei 
nicht erreicht wird. Zweifellos kann bei manchen Fällen auch 
die blosse Eröffnung der Caverne Nutzen bringen, wenn ans ana¬ 
tomischen Gründen die natürliche Entleerung derselben schwierig 
ist nnd dadurch ein Anlass zum Stagnieren des Inhaltes gegeben 
wird. Hier wird durch Anlegen einer zweiten künstlichen Drai- 
uageöffnuug dem Organismus genützt and die Mischinfektion in 
weitgehendstem Maasse verhütet. Die Forderung, die wir aber 
an eine ideale Cavernenbehandlung stellen müssen, ist das völlige 
Collabiereo der Caverneuwände. 

Es liegt daher der Gedanke nahe, dies durch maximale Ab¬ 
lösung der Caverne von der Thoraxwand zu versuchen. Diese 
Methode schwebte Schlange vor, als er 1907 in einem Falle 
von schwerer Cavernenblutung nach Resektion eines Stückes der 
zweiten Rippe die darunferliegende Caverne ablöste und den da¬ 
durch entstandenen Hoblram mit Jodoformgaze tamponierte. 

Ohne Wissen von diesem Falle verfolgte ich seit Jahren den 
gleichen Gedanken und versuchte erst bei Tieren, später au 
menschlichen Leichen 1 ), wieweit eine Auslösung der Lange mög¬ 
lich ist. B<*i Tieren musste ich bald einsehen, dass eine Ab¬ 
lösung der Pleura parietalis bei gesunder Pleura auf technisch 
zu grosse Schwierigkeiten stösst und daher undurchführbar ist. 
Hingegen gelang es mir in jedem Fall, bei menschlichen tuber¬ 
kulösen Lungen nach Resektion eines 4—5 cm langen Stückes 
der zweiten oder dritten Rippe mit dem Finger eine ausgiebige 
Ablösung der Plenra zu erreichen. Man kommt ohne Mühe bis 
in die Pleurakuppel und kann hier, wofero nicht zu feste Ver¬ 
wachsungen vorliegen, die Pleura mit der daruuterliegendeo Lunge 
von der Tboraxwand stumpf trennen, desgleichen nach hinten 
und auch nach unten aussen. Wir waren in jedem Falle er¬ 
staunt, welche grosse Menge Verbandmaterial in den dadurch 
entstandenen Hohlraum eingebracht werden konnte, und zwar, 
was besonders betont sein soll, ohue stärkere Druckanwendung. 
Da beim lebenden Menschen durch vorhergehenden Pneumotborax- 
versuch wohl in den meisten Fällen das Vorhandensein eines 
freien Pleuraraums ausgeschlossen werden kann, kommt die Ge¬ 
fahr einer Pleuraeinreissung dabei kaum in Betracht, und falls 
sie doch sich ereignen sollte, würde sie ziemlich bedeutungs¬ 
los sein. 

Eine technische Schwierigkeit ist dabei zu überwinden, näm¬ 
lich die Versorgung der künstlich geschaffenen grossen extra- 
pleuralen Höhle. Aus obenerwähnten Gründen würde die Bnt- 
knöcherung nur ein unvollkommenes Resultat ergeben. Es bleibt 

1) Herr Geheimrat Orth-Berlin batte die Liebenswürdigkeit, mir 
das nötige Material zu diesem Zwecke zur Verfügung zu stellen. 

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Nr. 3. 


somit nur ein Weg übrig, nämlich die plastische Füllung des 
Hohlraums. Man kann organisches Deckungsmaterial dazu be¬ 
nutzen, wie es Tu ff i er in vielen Fällen versucht hat, mit Ein¬ 
bringen von Lipomen in die erzeugte Höhle. Er hat diese ge¬ 
nommen, um bei Abscessen, die sich in den Bronchial raum ent¬ 
leert hatten, eine Wiederanfüllung zu verhindern. Garre äusserte 
berechtigte Bedenken gegen diese Methode, denen ich mich an- 
schliesse. Es bleibt uns somit nur die Einbringung einer Pro¬ 
these aus nicht resorbierbarem, sterilem Material übrig, wie wir es 
im Paraffin und ähnlichen Präparaten bereits seit langem besitzen. 

Durch mündliche Mitteilungen erfuhr ich durch Herrn 
Dr. Bacmeister-Freiburg i. B , dass er bei seinen Tier-Pneumo¬ 
thoraxversuchen Paraffin intrapleural anwendet statt Gas. Es 
hat die Einbringung des nicht resorbierbaren Materials den Vor¬ 
teil, dass Nachfüllungen, wie sie bei Gas nötig wären, in Wegfall 
kommen. 

Das Paraffin wird von den Tieren sehr gut vertragen. 

Soweit waren die Vorversuche gediehen, als sich durch Zu¬ 
fall zum ersten Male Gelegenheit bot, die Operation am lebenden 
Menschen zu versuchen. Ich möchte an dieser Stelle dem Chef¬ 
ärzte des Sanatoriums und Herrn Dr. Jaquet, Arzt am Sana¬ 
torium Turban, Dank sagen für ihre Bereitwilligkeit und das 
volle Verständnis, mit der sie auf meine Idee eingegangen sind. 

Es bandelt sich um einen 23 jährigen Patienten aus hereditär nicht 
belasteter Familie. Er ist das vierte Kind von sieben. Das dritte ist 
ebenfalls an Tuberculosis pulmonum erkrankt, das erste starb noch sehr 
klein. Nie Lungenblutung, guter Esser. Gesundes Kind bis zu 14 Jahren, 
rasches Wachstum, keine besonderen Erkrankungen, keine Scrophulose, 
keine Rachitis. Regelmässige Lebensweise, keine Exzesse. Frühjahr 1908 
Brustfellentzündung links mit Exsudat; Pat. wurde nicht punktiert. 
Leichte Abmagerung, schlechter Appetit, Temperatur nicht genau be¬ 
stimmt, Pat. nicht bettlägerig; ohne besondere Kur Erholung, anscheinend 
gesund bis Frühjahr 1911. Frische Pleuritis links, verbunden mit so¬ 
genannter Bronchitis. Fieber bis 38 axillar. Schmerzen im Rücken, 
schlechter Appetit, Abmagerung, Müdigkeit, Kurzatmigkeit, etwas Husten 
und Auswurf. Keine regelrechte Kur, zum Teil Sport getrieben. 
Mai 1911 wird die Diagnose auf linke Spitzenaffektion gestellt; sechs 
Wochen Seebad Grado, Sonnenbäder, danach aufs Land in der Nähe 
von Prossnitz. Besserung des Allgemeinbefindens, Husten und Auswurf 
verschwinden. Mitte September fuhr Pat. nach dem Böhmerwald. Dort 
frische Erkältung, Husten, Temperatur bis 38,4 axillar. Pat. wird nach 
Davos geschickt. Hier Eintritt ins Sanatorium Schweizerhof am 
30. Oktober 1911. 

Eintrittsbefund: Grosser, junger Mann, schlechter Ernährungszustand, 
Grösse 188.5, Gewicht 69,8 kg. Temperatur bis 38,6 rectal. In Pulm. 
ausgedehnter Befund: 

Beträchtliche Dämpfung links über dem ganzen Ober- und Unter¬ 
lappen, mit Bronchialatmen im Unterlappen, mit spärlichen mittleren 
und eigenartig knarrenden Geräuschen im Oberlappen, mit reichlich 
mittleren und groben Rhonchi über dem Unterlappen. 

Rechts: Massige Dämpfung über der oberen Partie des Oberlappens 
und in einer vom Hilus ausgehenden und in den Unterlappen hinein¬ 
ragenden Zone mit unreinem und rauhem Atmen und ziemlich reich¬ 
lichen mittleren Rhonchi. 

Im Sputum spärliche Tuberkelbacillen, keine elastischen Fasern, 
Urin ohne Befund, Pirquet ganz schwach positiv, Larynx ohne Besonder¬ 
heiten. Das Röntgenbild ergibt eine in den seitlichen oberen Partien 
des linken Oberlappens sitzende gänseeigrosse Caverne. Die Temperatur, 
die bei Ruhe zur Norm zurückgekehrt war, steigt nach wenigen Tagen 
bis 38.5, fällt rasch wieder, steigt aber in unregelmässigen Intervallen 
in Fieberschüben bis 39,6. Die Fieberschübe sind von wenigen Tagen 
Dauer, klingen langsam ab, die Temperatur kehrt zur Norm zurück, 
nach 14 Tagen bis 3 Wochen neue Attacken. Während der Auswurf in 
der fieberfreien Zwischenzeit 10—15 ccm beträgt, steigt er in den 
Attacken auf 100— 120_ccm. 

In Rücksicht auf die Erkrankung der rechten Lunge wurde nach 
einer Konsultation mit Dr. Baer von der Anlegung eines Pneumothorax 
Abstand genommen und auch puncto operativen Eingriffs noch zu¬ 
gewartet. Da im Sputum pneumokokkenverdächtige Diplokokken ge¬ 
funden wurden, wurde ein Versuch mit Wolff Eisner’scher Mischvaccine 
gemacht. Das Intervall zwischen den Anfällen scheint danach grösser 
zu werden, trotzdpra tritt eine intensive Attacke mit hohem Fieber, viel 
Auswurf und reichlichen elastischen Fasern auf. Das Röntgenbild nach 
der Attacke zeigt eine gewaltige Vergrösserung der Caverne, die wohl 
zwei Drittel des Oberlappens einnimmt (s. Figur). Es wird beschlossen, 
bei dem Patienten die Wilms’sche Operation machen zu lassen. Beob¬ 
achtung in der Heidelberger Klinik. Die Operation wurde durch Pro¬ 
fessor Wilms am 9. Mai 1912 ausgeführt: Paravertebrale Resektion 
kleiner Stücke der ersten bis siebenten Rippe. Zwei Tage hohes Fieber, 
kein Herzshock, Allgemeinbefinden gut. In den nächsten Wochen leid¬ 
liche Erholung, am 25. Juni zweite Operation, Resektion von Stücken 
der ersten bis fünften Rippe vorn. Temperatur bis 40, dann noch 
3—4 Tage erhöht, sodann normal. Allgemeinbefinden besser, Husten 
und Auswurf zunächst 150, einmal 50, sonst 70 und 80 ccm. 



Am 10. Juli kehrt Patient nach Davos zurück. Schlechter Er¬ 
nährungszustand, Gewicht 60,6 kg. Auswurfmenge durchschnittlich 50 bis 
70 ccm. Lokal: linke Thoraxhälfte stark eingezogen, aber über der 
Lunge reichliche mittlere klingende Rasselgeräusche, vorn von oben bis 
unten, hinten ebenfalls, dabei unten von Mitte Scapulae abwärts sehr 
lautes Bronchialatmen, unten ausgedehnte Pleurageräuscbe. Rechts Be¬ 
fund ähnlich wie früher. Temperatur zunächst bis 38,4°, ging in 
14 Tagen bis 37,5 zurück, stieg Anfang August bis 40,1, dabei massen¬ 
haft Auswurf mit zahlreichen Tuberkelbacillen, aber ohne elastische 
Fasern. 

Das Röntgenbild ergibt erhebliche Einengung des linken Thorax- 
raumes, die Caverne zeigt sich jedoch nur in ihrer Lage ver¬ 
schoben, in ihrer Grösse kaum beeinflusst. Temperatur fällt 
zwar wieder bis 37,4, steigt nach kurzer Zeit jedoch wieder bis 38. 
Auswurf reichlich. Vom 18. August bis zum 13. September ist die Tempe¬ 
ratur normal, danach neuer Anstieg bis 38,3 bei stets reichlichem Aus¬ 
wurf. Da die Wilms’sche Operation keinen oder nur geringen Einfluss 
gehabt hatte, wurde nach Konsultation mit Geheimrat Turban und 
Dr. Baer an einen neuen operativen Eingriff gedacht. 

Es wurde als Ultimum refugium die Eröffnung der Caverne in Aus¬ 
sicht genommen, und Prof. Tavel aus Bern dazu gebeten. Die Operation 
wurde am 21. Sept. 1912 unter Lokalanästhesie begonnen, indem über 
der zweiten Rippe ein Lappenschnitt gemacht und die Rippe in einer 
Ausdehnung von 6 cm reseziert wurde, wonach wir eine Freilegung der 
Pleura parietalis erreichten. 

Dabei zeigte sich der überraschende Befund, dass die Pleuren nicht 
verwachsen waren; deshalb fassten wir den Entschluss, von der Cavernen- 
eröffnung abzustehen und die früher schon in den Grundzügen mit 
Prof. Tavel vereinbarte neue Operationsmethode in Anwendung zu 
bringen. Die Ablösung der Pleura costalis wurde spielend leicht, ohne 
jede Blutung, jedoch wohl zu zaghaft vorgenommen und war, wie sich 
weiterhin zeigte, ungenügend. Tamponade der Höhle mit Vioformgaze. 
Als Reaktion der Caverne trat in den nächsten Tagen starke Sputum¬ 
sekretion ein. 

Ara 4. Oktober waren zum letzenmal im Sputum Tuberkelbacillen 
nachweisbar. Nach 8 Tagen wurde der Verband gewechselt. Die 
Tampons waren fest verklebt, auf der Aussenseite der Pleura costalis 
fibrinös plastisches Exsudat, die Höhle absolut steril. Es wird eine 
nochmalige Ablösung vorgenommen. Weniger in der Circumferenz, sondern 
mehr an der Vorderfläcbe der Caverne. Die Ablösung war diesmal 
technisch schon viel schwieriger, da bereits ziemlich feste Verwachsungen 
sich ausgebildet hatten. Temperatur am folgenden Tage bis 39, Sputum 
70 ccm, baldige völlige Entfieberung, die Sputummenge geht zurück bis 
auf 15 ccm. 

Im Röntgenbild ist der Cavernenspiegel nicht verschwunden, des¬ 
halb wird versucht, durch stärkere Kompression das zu erreichen, was 
durch nicht genügende Ablösung ver>äumt worden war. Infolge zu 
starken Druckes trat jedoch trockene Nekrotisierung einer kleinen Partie 
der ganz dünnen Cavernenvorderwand mit Fistelbildung ein, deshalb 
wurde am 2. November 1912 die Caverne durch Tbermocauter breit geöffnet. 
Die hintere Cavernenwand zeigt sich dabei von der vorderen etwa uoch 
2 cm entfernt und enthält gelb-eitrige Flüssigkeit. Nach Austupfen 
des Inhaltes zeigt sie sich schmierig eitrig, aber glattwandig, etwa in 
der Mitte stark gewulstet, der Bronchus mündet im unteren Drittel der 
Höhle. 

Im weiteren Verlauf stossen sich die nekrotisierten Partien ab, die 
Cavernenwand erscheint gut gereinigt, samta»tig rosa granulierend, ver¬ 
kleinert sich sehr erheblich und zeigt enorme Scbrumpfungstendenz. Die 
Tboraxwand sinkt ein, wobei die vorangegangeDe Wilms’sche Operation 
unterstützend wirkt. Der Patient erholt si<-h ausgezeichnet, das Sputum 
zeigt ganz anderen Charakter als früher und enthält nie mehr Tuberkel- 


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20. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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baoillen. Der Patient nimmt gut zu, bis jetzt 4,5 kg, ist fieberfrei und 
zeigt gutes Aussehen, fühlt sich vorzüglich. 

Als weitere Therapie ist in Aussicht genommen: Verbandwechsel 
mit Tamponade der Caverne und der äusseren Höhle in immer grösseren 
Intervallen, Licht- und Röntgenbehandlung der Caverne. Wenn es ge¬ 
lingt, sie zur Obliteration zu bringen, soll die plastische Füllung der 
Höhle erfolgen mit sekundärer Nabt der äusseren Oeffnung. Eine Zeit¬ 
lang müsste Patient dann eventuell eine Pelotte tragen. 

Wenn wir epikritisch den Fall betrachten, so können wir 
eine Konstatierung vorwegnehmen, nämlich, dass wir uns mit der 
von mir angegebenen Methode wohl anf dem richtigen Wege zu 
dem Ziele befinden, grosse Cavernen zur Heilung zu bringen ohne 
Gefährdung des Patienten, ohne entstellende Operation und im 
Verlauf von relativ kurzer Zeit. Ob dies im einzelnen Falle mit 
oder ohne Eröffnung der Caverne zu geschehen hat, wird uns 
durch den anatomischen Situs jeweils vorgeschrieben. In unserem 
Falle war die Eröffnung primär nicht beabsichtigt und hätte sich 
vielleicht auch vermeiden lassen, wenn gleich zu Anfang eine 
genügend ausgiebige Ablösung erfolgt wäre. Im Wiederholungs* 
falle würde man dies zu vermeiden suchen. Wir hätten in 
unserem Falle, auch wenn der Gang der Ereignisse uns nicht 
dazu gezwungen hätte, die Caverneneröffnnng doch noch vor¬ 
genommen. 

Fragen wir uns nun, was hatte uns bereits die partielle Ab¬ 
lösung der Caverne, vom klinischen und mechanischen Standpunkt 
aus betrachtet, an Nutzen erbracht? 

Es muss durch diese Operation eine tiefgreifende Aenderung 
in dem Zustand der Caverne selbst stattgefunden haben, was mit 
Sicherheit daraus zu schliessen ist, dass seit .dem 4. Oktober 
die Tuberkelbacillen dauernd aus dem Sputum verschwanden. 
Ferner trat durch Verkleinerung der Oberflächenwandung der 
Caverne nach Abklingen der zuerst erfolgten reaktiven Reizung 
ein bedeutender Rückgang der Sputummenge ein. Der Patient 
erholte sich, die Temperatur wurde, abgesehen von den durch 
den Verbandwechsel bedingten Erhebungen normal, das Gewicht 
nahm zu, und die Caverne zeigte deutliche Schrumpfungstendenz. 

Irrig war die Annahme, durch verstärkten Druck die un¬ 
genügende Ablösung kompensieren zu können. Die Cavernen- 
wand ist sehr wenig elastisch und deshalb einem Druck nur 
sehr wenig zugänglich. Die Annahme, dass die frühere Kon¬ 
vexität der Cavernenwand nach Ablösung dieser Wand vom 
Thorax in eine der Ablösungsfläche entsprechende Konkavität 
umgewandelt werden könnte, war irrtümlich. Vielmehr muss er¬ 
strebt werden, die Caverne soweit abzulösen, dass sie von selbst 
in sich zusammensinken kann. Der auf die ungenügend abgelöste 
Caverne ausgeübte Druck batte bei der mit Blutgefässen schlecht 
versorgten Cavernenwand partielle Nekrotisierung zur Folge, was 
in dem gegebenen Falle nicht als ungünstige Komplikation, 
sondern als ein unserem Handeln in günstigem Sinne entgegen¬ 
kommendes Ereignis aufzufassen ist. Die Eröffnung der Caverne 
brachte uns seitdem einen weiteren Fortschritt in dem Erfolge. 
Die Caverne hat sich bereits gereinigt, granuliert, schrumpft er¬ 
heblich, die Cavernen wände berühren sich schon fast. Das All¬ 
gemeinbefinden hat sich noch weiter gehoben, die Sputummenge 
beträgt meist 40 bis 45 ccm, Sputum dauernd ohne Tuberkel- 
bacillen. Das noch vorhandene Sputum rührt wohl grösstenteils 
von den übrigen erkrankten Herden in den Lungen her. 

Nun noch einige Worte über die Technik und die dabei zu 
beobachtenden Grundsätze. 

Bei Cavernen, die in oder in der Nähe der Spitze liegen, 
empfiehlt es sich, die zweite Rippe vorne durch Lappenschnitt 
freizulegen. Die Rippe wird in einer Ausdehnung von 5 bis 7 cm 
reseziert. Es ist hier einzufügen, dass eine zu ausgiebige Re¬ 
sektion für die Nachbehandlung und plastische Füllung ungünstig 
wäre; es ist deshalb nnr soviel zu resezieren, als nötig ist, um 
die Ablösung ohne besondere technische Schwierigkeiten durch¬ 
führen zu können. Nach der Resektion der Rippe wird die Inter¬ 
eostal musk ul atar längs durchtrennt und die Intercostales versorgt, 
worauf die Pleura parietalis in genügend grosser Ausdehnung frei 
zutage liegt. Hierauf wird das vorsichtige Ablösen der Pleura 
parietalis von der Brustwand mit dem Finger vorgenommen, 
eventuell auch mit einem geeigneten stumpfen Instrument bis zur 
gewünschten Ausdehnnng. Die Höhle wird genügend fest tam¬ 
poniert und der Hautlappen so weit vernäht, dass die N§ch- 
bebandlnng ohne Schwierigkeit möglich ist. Die Tamponade wird 
nach etwa acht Tagen entfernt. Falls die Wundhöhle bereits 
genügend trocken ist und keinerlei Blutung mehr besteht, könnte 
nach Entfernung der Tamponade die Plombierung sofort erfolgen. 


Unter Röntgenkontrolle ist festzustellen, ob die Caverne maximal 
abgelöst ist. Wenn nicht, so kann noch eine Korrektur beim 
Verbandwechsel vorsichtigerweise erfolgen. Die definitive Plom¬ 
bierung wäre dann natürlich noch einige Zeit zu verschieben. 
Wie es auch in unserem Falle gelang, ist ein Aseptisch halten der 
Wundhöhle wohl gut durchzuführeu. Die Sekretion der Höhle 
ist auffallend gering gewesen. Zum Teile dürfte dies auf die 
austrocknende Wirkung der Hochgebirgsluft zurückzuführen sein. 
Wie weit dies im Tiefiande möglich ist, bei weniger günstiger 
Qualität der Luft, müsste die Erfahrung zeigen. 

Als Plombierungsmaterial ist eine sterile Mischung von Paraffin 
(mit einem Schmelzpunkt von 42 bis 44°) mit Bism. carb. 
und Vioform im Verhältnis 2:2:0,5 auf 100 Paraffin Vor¬ 
schlägen. Diesbezügliche Versuche ergaben uns ein gutes Resultat. 
Die Emboliegefahr ist nach der Thrombosierung etwaiger ge¬ 
öffneter Blutgefässe wohl vollständig ausgeschlossen, ebenso die 
Intoxikationsgefabr seitens des Bismuts, da dieses nur in relativ 
geringen Mengen eingebracht wird. Die Möglichkeit einer Wande¬ 
rung der Plombe dürfte nur sehr gering sein, da erstens durch 
voraufgegangene Tamponade ein Abschluss der Höhle in der 
Circumferenz der Höhle infolge reaktiver aseptischer Pleuritis 
geschaffen wird und zweitens der Schmelzpunkt der gewählten 
Paraffinmischung das Auswandern kaum denkbar erscheinen lässt. 
Als Beweis für die Unwahrscheinlichkeit dieses Vorkommnisses 
ist die Schwierigkeit anzuführen, die sich uns bot, als wir nach 
acht Tagen die Pleura noch abzulösen versuchten. 

Nun noch einige Worte über die Caverneneröffnnng und ihre 
Aussichten: 

Wie bereits oben augeführt, sind die Resultate bei Cavernen- 
eröffnung ohne gleichzeitig vorgenommene einengende Operations¬ 
methoden nur sehr unbefriedigende. Wir sehen aber an unserem 
Fall, dass die Caverneneröffnung zu einem sehr günstigen Resultat 
führt, wenn gleichzeitig der Schrumpfungstendenz der grösstmög- 
liehe Spielraum gewährt wird. Wir haben den Eindruck, dass 
gerade durch den mechanischen Insult der Eröffnung der Caverne 
die Schrumpfung erheblich angeregt wird infolge der reaktiven 
Reizung, die auf die angrenzende Cavernenwand und von hier aus 
auf die gesamte Caverne ausgeübt wird. Wir glauben, dass wir 
durch diese Methode dem von Turban seit Jahren vertretenen 
und neuerdings von Friedrich durchaus gebilligten Gedanken, 
die Caverneneröffnung häufiger durchzuführen, weite Perspektiven 
eröffnen können. Als Nachteil der Methode bleibt natürlich der 
Uebelstand bestehen, dass für kürzere oder längere Zeit eine 
Bronchialfistel resultiert, die für den Patienten gewisse Unbequem¬ 
lichkeiten mit sich bringt und deren definitive Schliessung wohl 
nicht in allen Fällen gelingen dürfte. 

Wenn wir nochmals znsammenfassen, so sind als Vorteile der 
neuen Methode zu nennen: 

In geeigneten Fällen von grossen Cavernen kann die extra¬ 
pleurale Pneumolyse mit sekundärer plastischer Füllung der ent¬ 
standenen Höhle Erfolg versprechen. Auch partielle Ablösung 
genügt bereits, um Cavernen in günstigem Sinne zu beeinflussen. 
Der Erfolg kann in solchen Fällen durch sekundäre Eröffnung 
der Caverne gesteigert werden, und es ist wohl möglich, dass es 
zu einem vollständigen Erfolge kommt, wenn der Verschluss der 
Broncbialfistel gelingt mit nachfolgender plastischer Füllung der 
Höhle. 

Die Operation könnte auch für nicht rein cavernöse Fälle 
in den oberen Partien der Lunge in Frage kommen. Wie weit 
sie imstande sein wird, als Ersatz für die Wilms’sche Operation 
oder die grosse Friedrich’sche Thoracoplastik einzntreten, diese 
Frage muss den Fachchirurgen überlassen und soll hier nnr ge¬ 
streift werden. Als Vorteil hätte sie, besonders vor der letzteren 
Methode, die Ausschaltung der Gefahren voraus, die darin be¬ 
stehen, dass durch Wegfall der 'knöchernen Thoraxschutzwand für 
Herz und Lunge abnorme physikalische Bedingungen resultieren. 
Last not least wird, wa9 schon hervorgehoben wurde, eine Ent¬ 
stellung vermieden, die in vielen Fällen von Bedeutung ist. 

Nachtrag zur Korrektur: Das Befinden des Patienten hat 
sich inzwischen noch weiterhin gebessert. Die Bronchialfistel ist 
geschlossen, wie wir durch Einblasen von Methylenblau in die 
Wundhöhle feststellen konnten. Es fanden sich danach keine 
blaugefärbten Partien mehr im Sputum. Die Temperatur ist 
dauernd normal, keine Tuberkelbacillen im Sputum, Gewichts¬ 
zunahme, blühendes Aussehen. 

Inzwischen batte ich Gelegenheit, mit Prof. Wilms und Prof. 
Jessen hier Meinungen auszutauseben hinsichtlich der Technik 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 3. 


meines Verfahrens. Ich halte es für zweckmässiger, nach er¬ 
folgter Ablösung die Plombierung sofort vorzunebmen, und zwar 
mit festem sterilen Paraffin der angegebenen Mischung, das in 
kleinen Stöcken in den entstandenen Hohlraum eingeführt wird. 
Das Paraffin muss so zubereitet sein, dass es bei Zimmertemperatur 
fest ist, bei 35 Grad anfängt, plastisch formierbar zu werden, 
bei 37 bis 38 Grad etwa die Konsistenz von weichem Plastilin 
bat, und das bei 42 Grad flüssig wird. Eine Emboliegefabr ist 
dabei wohl ausgeschlossen, da das Paraffin ja erst im Laufe von 
Stunden plastische Konsistenz annimmt und etwa eröffnete Blut¬ 
gefässe inzwischen sich geschlossen haben. Der Vorteil dieser 
Modifikation liegt in erster Linie darin, dass die Operation in 
einer Sitzung beendigt und die Wunde sofort definitiv ge 
schlossen werden kann. Eventuell kann die Rippenresektion nur 
als temporär ausgeföhrt werden. Sollte es sich bei weiterer Be¬ 
obachtung ergeben, dass die Kapazität des geschaffenen Hohlraums 
plastisch nicht genügend ausgenutzt ist, so kann noch eine Nach¬ 
fällung erfolgen, entweder mit flüssigem Paraffin mit Nadel mittels 
gewöhnlicher Paraffinspritze, oder es Hesse sich vielleicht sogar 
an ein Nachfüllen mittels Stickstoff denken, falls die Wandungen 
bereits gasdicht geworden. Ob dies möglich, müssen erst weitere 
Versuche zeigen. 

Literatur. 

Die einschlägige Literatur ist in der „Lungenchirurgie von Garr6 
und Quincke, 2. Aufl., Jena 1912, enthalten. 


Aus dem pathologischen Institut der Universität 
Berlin. 

Blutbefunde bei Tuberkulose. 1 ) 

Von 

Lydia Rahiaowitsch. 

Eine grosse Anzahl von Arbeiten der letzten Jahre hat sich 
dem Nachweis der Tuberkelbacillen im strömenden Blut zuge¬ 
wandt. Während derselbe früher nur in seltenen Fällen gelang, 
hat sich dank der neueren Untersuchungsmethoden der Prozent¬ 
satz positiver Befunde immer mehr erhöht. Man entdeckte die 
Tuberkelbacillen im Blut nicht nur bei vorgeschrittenen, sondern 
noch im Anfang der Erkrankung befindlichen Fällen von Lungen¬ 
tuberkulose. Die Resultate wurden immer überraschender, inso¬ 
fern nicht nur bei Tuberkuloseverdäcbtigen, sondern auch bei 
nicht nachweisbar Tuberkulösen die Tuberkelbacillen im Blut 
allerdings nur mikroskopisch und nicht mittels des Tierversuchs 
anfgefunden wurden. Es stiegen daher nicht unberechtigte Zweifel 
auf, ob es sich in allen jenen Fällen, bei welchen der Tier¬ 
versuch nicht angestellt worden war, um echte Tuberkelbacillen 
gehandelt habe. Auf diesen Punkt werde ich am Schluss meiner 
Mitteilung zurückkommen. 

Meine eigenen vor einigen Jahren gemeinschaftlich mit 
Jessen 2 3 ) in Davos angestellten Untersuchungen ergaben in etwa 
33 pCt. einen positiven Blutbefund, und zwar nicht nur bei Fällen 
vorgeschrittener, sondern auch beginnender Lungentuberkulose. 
Ich habe die Blutuntersuchungen beim Menschen nicht weiter 
fortgesetzt, wohl aber bei meinen anderweitigen Tuberkulose 
Studien häufig auf die Anwesenheit von Tuberkelbacillen im Blut 
tuberkulöser Tiere geachtet und dieselbe experimentell zu erhärten 
gesucht. Es war mir schon vor Jahren aufgefallen — und ich 
habe dies 1909 in einer Publikation 8 ) nebenbei bemerkt —, 
„dass ich wiederbolentlich Blut von hochgradig tuberkulösen 
Meerschweinchen mit negativem Resultat auf Meerschweinchen 
weiter verimpft habe“, während ich auch weiterhin nur selten 
bei tuberkulösen Meerschweinchen Tuberkelbacillen im Blut auf¬ 
finden konnte 4 ). Das gleiche Verhalten boten mit Perlsuchtbacillen 
infizierte Kaninchen. Ich machte nun ferner gelegentlich von 
Heilungsversuchen bei experimenteller Tuberkulose — um mich 
modern auszudrücken — bei chemotherapeutischen wie auch 

1 ) Nach einer in der Gesellschaft der Chariteärzte am 9. Januar 
d. J. gemachten Mitteilung. 

2) Deutsche med. Wocheoschr., 1910, Nr. 24. 

3) Zeitschr. f. Tuberkulose, Bd. 15, H. 3. 

4) Vgl. auch die relativ seltenen positiven Blutbefunde bei rectal 

mit Tuberkulose infizierten Tieren (Orth und Rabinowitsch, Ueber 

experimentelle enterogepe Tuberkulose, Virchow’s Archiv, Bd. 194, Bei¬ 

heft 1908, S. 824.) 


organotherapeutischen Versuchen die Beobachtung, dass bei tuber¬ 
kulösen Versuchstieren (Meerschweinchen und Kaninchen) Tuberkel- 
bacillen, welche vor der Behandlung noch nicht im Blut nach¬ 
weisbar waren, während der Behandlung auftraten. Ich konnte 
mich hiervon neben dem mikroskopischen Befund in verschie¬ 
denen Fällen noch durch Ueberimpfung des Blutes auf Meer¬ 
schweinchen überzeugen. 

Zweifellos waren also infolge chemotherapeutischer Eingriffe 
die Tuberkelbacillen im tuberkulösen Tierkörper „mobil gemacht 
worden“ und in die Blutbahn in nach unseren heutigen Methoden 
nachweisbarer Menge übergegangen. 

Sie wissen, m. H., dass Rudolph Virchow das Wort von 
den „mobil gemachten Tuberkelbacillen“ geprägt hat. Vor gerade 
22 Jahren, am 7. Januar 1891, sprach Virchow in der Berliner 
medizinischen Gesellschaft anlässlich der historischen Tuberkutin- 
debatte auf Grund seiner pathologisch-anatomischen Beobachtungen 
die Vermutung aus, dass das Tuberkulin fähig sei, die Tuberkel¬ 
bacillen im tuberkulösen Organismus mobil zu machen und ihre 
Verbreitung im Körper auf dem Wege der Blutbabn zu be¬ 
günstigen. 

Zu derselben Zeit hatte auch Orth 1 ) (seinerzeit in Göttingen) 
sein Unter8ucbung8material zu der gleichen Annahme geführt, 
„dass durch die reaktiven Vorgänge Tuberkelbacillennester mobil 
gemacht worden und ins Blut gelangt seien“. 

Eine Bestätigung dieser zuerst von Virchow und Orth 
ausgesprochenen Auffassung schienen die von Liebmann-Triest 2 * ) 
vorgenommenen Blutuntersuchungen zu geben, welcher in einer 
Reihe von mit Tuberkulin behandelten Fällen konstant Tuberkel¬ 
bacillen im Blut fand, während Kontrolluritersuchungen des Blutes 
von nicht injizierten Tuberkulösen negative Resultate lieferten. 
Der damalige Prosektor am pathologischen Institut, Oskar 
Israel, legte der medizinischen Gesellschaft am 18. März 1891 
ein derartiges von Lieb mann herrührendes mikroskopisches 
Präparat zur Begutachtung vor. Diesen positiven Blutbefunden 
standen negative von Ehrlich, P. Guttmann und seinem 
Assistenten H. Kossel 8 ) gegenüber, welche in keinem einzigen 
Fall Tuberkelbacillen im Blut von mit Tuberkulin behandelten 
Fällen gefunden hatten. 

Auch mir ist ein solcher Befund niemals geglückt, als ich 
im alten Koch’schen Institut Blutpräparate von mit Tuberkulin 
und später mit dem neuen Tuberkulin TR behandelten Fällen za 
untersuchen Gelegenheit hatte. Wie selten es allerdings nach 
den damaligen Methoden im Vergleich zu den heutigen gelang, 
Tuberkelbacillen im Blut Tuberkulöser mikroskopisch nachzu¬ 
weisen, ist allgemein bekannt. Ich entsinne mich nur eines 
Falles von Miliartuberkulose, in welchem dieselben auffindbar 
waren. 

Soweit ich die Literatur übersehe, ist die Virchow-Orth’sche 
Annahme der gelegentlichen Mobilisierung der Tuberkelbacillen 
durch Tuberkulin experimentell im Tierversuch bisher nicht er¬ 
härtet worden. Das von Robert Koch bei Bekanntgabe 4 ) seines 
neuen Tuberkulinpräparates ausgesprochene Verlangen, „man 
sollte doch endlich das törichte Vorurteil vom mobil gemachten 
Tuberkelbacillus fallen lassen“, war daher vom Standpunkt 
wissenschaftlicher Forschung sicherlich nicht unberechtigt. 

Meine obigen, anlässlich chemotherapeutischer Versuche ge¬ 
machten Blutbefunde veranlassten mich natürlich, entsprechende 
Tierversuche mit Tuberkulin vorzunehmen. Zuvörderst wurden 
zwei vor 3 und 4 Wochen mit Tuberkulose infizierten Meer¬ 
schweinchen, welche in mikroskopischen Präparaten keine Tuberkel¬ 
bacillen zeigten, noch an demselben Tage 0,2 g, dem anderen 
0.3 g alten Tuberkulins subcutan eingespritzt. Beide Tiere starben 
innerhalb 24 Stunden und zeigten nunmehr vereinzelte, zum Teil 
in Häufchen liegende Tuberkelbacillen im Blut. Die Unter¬ 
suchungsmethode war die jetzt allenthalben angewandte Stäubli- 
Schnitter’sche mit nur kleinen Modifikationen; intra vitam wurde 
den Tieren das Blut meistenteils aus der Ohrvene entnommen. 

Diese unzweideutigen, durch eine letale Tuberkulineinspritzung 
erzielten mikroskopischen Blutbefunde bedurften nicht erst einer 
Weitenmpfung des Blutes. Es war nun weiter zu erforschen, ob 
auch mit kleineren, nicht letalen Tuberkulindosen gleiche positive 
Resultate zu erzielen wären. Ausser tuberkulösen Meerschweinchen 
wurden nun auch mehreren tuberkulösen Kaninchen zum Teil 
mehrmalige Dosen von 0,01 g alten Tuberkulins in verschiedenen 

1) Klin. Jahrb., 1891, Ergänzungsband, S. 500. 

2) Diese Wochenschr., 1891, Nr. 4. 

3) Verhandl. d. Berliner med. Gesellsch., Bd. 22. 

4) Deutsche med. Wochenschr., 1897, Nr. 14. 


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20. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


111 


Intervallen injiziert. Und zwar war bei allen mit Tuberkulin 
behandelten Tieren vor der Injektion der mikroskopische Nach* 
weis nach langem Suchen negativ. Wenige Tage nach den 
Tuberkulineinspritzungen wurden nunmehr von neuem Blutpräpa¬ 
rate angefertigt und bei einigen Tieren, wenn auch nach müh¬ 
seliger Durchmusterung der Präparate, vereinzelte Bacillen ge¬ 
funden. Ich habe mir selbst den Einwand gemacht, dass bei 
Anfertigung zahlreicherer Präparate vielleicht auch vor der 
Tuberkulinbehandlung schon Tuberkelbacillen nachweisbar ge¬ 
wesen wären, und habe daher vorläufig in zwei Fällen vor und 
nach der Tuberkulinbehandlung das Blut auf Meerschweinchen 
weiterverimpft. Vorerst ist nur einer dieser beiden Versuche, 
und zwar beim Meerschweinchen, abgeschlossen und batte fol¬ 
gendes Ergebnis: Das mit Meerschweinebenblut (vor der Tuber- 
kulinbehaudlung) gespritzte Meerschweinchen zeigte nach vier 
Wochen keine Zeichen einer Impftuberkulose, während das mit 
Tuberkulinblut gespritzte nach gleicher Frist eine erst gering¬ 
gradige Impftuberkulose aufwies. 

M. HJ Die bisherige Versuchszahl ist zu gering, um weit¬ 
gehende Schlussfolgerungen bezüglich der Mobilisierung der 
Tuberkelbacillen durch Tuberkulin zu ziehen, wenn ich auch die 
seinerzeit von Virchow und Orth zuerst ausgesprochene An¬ 
nahme nunmehr experimentell durch den Tierversuch gestützt zu 
haben glaube. Ich habe die bisherigen Ergebnisse schon heute 
vorgetragen, um zu weiteren Untersuchungen in dieser Richtung 
anzuregen; und zwar nicht nur zu Experimenten an tuberkulösen 
Tieren in grösserem Maassstabe, zu denen es mir selbst an Zeit 
und Mitteln gebricht, sondern vor allem der praktischen Wichtig¬ 
keit halber zu Blutuntersuchungen beim Menschen. 

Soweit ich die zahlreichen Blutuntersuchnugen der letzten 
Jahre überblicke, welche in mehr oder minder hohem Prozentsatz 
positive Befunde bei Phthisikern ergaben, ist in keiner die Frage 
angeschnitten worden, ob etwa eine vorherige diagnostische Tuber¬ 
kulinprüfung oder eine eventuelle Tuberkulinbehandlung von Ein¬ 
fluss auf den Tuberkelbacillenbefuud im Blut gewesen sein könnte, 
leb selbst habe bei meinen erwähnten Untersuchungen mit 
Jessen leider auch nicht einen möglichen Zusammenhang er¬ 
wogen, wenn auch die Mehrzahl unserer Fälle mit Tuberkulin 
behandelt wurde. Ueber eine Tuberkulinbehandlung der unter¬ 
suchten Fälle kann ich in den neueren Arbeiten keine Angaben finden, 
dagegen scheint die Mehrzahl derselben diagnostisch, und zwar 
mittels der Pirquet’schen Methode geprüft zu sein. Nur eine 
„Ueber die Beziehungen zwischen der v. Pirquet’scben Reaktion 
und den Tuberkelbacillen im Blut“ betitelte Arbeit von Suzuki 
und Z. Takaki 1 ) lässt auf den von mir angedeuteten Zusammen¬ 
hang sch Hessen. Die genannten Autoren fanden bei ihrem grossen 
Material ein Parallelgehen der Pirquet’scben Reaktion und des 
Vorhandenseins von Tuberkelbacillen im Blut. Aber noch mehr: 
,Es war sehr interessant, dass sich bei denjenigen Kranken, deren 
Blutuntersuchung anfangs negative Resultate ergeben hatte, trotz¬ 
dem schon im Sputum und in den Fäces Tuberkelbacillen nach¬ 
gewiesen waren und die Pirquet’sche Reaktion positiv war, bei 
einem nochmaligen Versuche auch im Blut Tuberkelbacillen 
nachweisen Hessen.“ 

Es wäre also bei weiteren Versuchen an Menschen sowohl 
auf eine eventuelle Beeinflussung des Blutbefundes selbst .durch 
die so wenig eingreifende Pirquet’sche Reaktion sowie bei An¬ 
wendung der jetzt meist üblichen minimalsten therapeutischen 
Tuberkulindosen zu achten. Für derartige, in grösserem Umfange 
anzustellende Versuche wären meines Erachtens besonders Privat¬ 
heilanstalten für Tuberkulöse, welche die Tuberkulintberapie zum 
Teil durch Monate hindurch anwenden, geeignet, da sie ein 
mannigfaltigeres und zum Teil auch schwereres Material als 
Volksheilstätten aufzuweisen pflegen. Auch sind dieselben wohl 
in der Lage, aus eigenen Mittelo, ohne Zuhilfenahme wissenschaft¬ 
licher Stiftungen, die nicht unbeträchtlichen Kosten für diese 
Untersuchungen zu tragen und wissenschaftliche Untersucber in 
ihren Laboratorien zu beschäftigen. 

Ich habe schon eingangs erwähnt, dass die in der letzten 
Zeit gehäuften Tuberkelbacillenbefunde im Blut auch bei an¬ 
scheinend nicht tuberkulösen Individuen nicht unberechtigte 
Zweifel aufkommen Hessen, ob es sich in allen diesen Fällen um 
echte Tuberkelbacillen gehandelt habe. Dieser Zweifel wurde be¬ 
sonders durch das Missverhältnis wachgerufen, welches zwischen 
den zahlreichen positiven mikroskopischen Befunden und den ge- 


1) Centralbl. f. Bakteriol., 1912, Bd. 61. 


ringen Ergebnissen der von einigen Autoren gleichzeitig vor- 
genommenen Tierversuche zutage trat. 

Dass der Meerschweinchenversuch zur Prüfung tuberkulose¬ 
verdächtigen Materials eines der besten Hilfsmittel ist, ist allge¬ 
mein bekannt; davon habe ich mich auch bei meinen jetzigen 
Biutuntersuchungen wiederum überzeugen können. Ich glaube 
aber auch, dass der geschulte, mit bakteriologischen Tuberkulose¬ 
untersuchungen vertraute Mikroskopiker in Blutpräparaten echte 
Tuberkelbacillen von säurefesten Stäbchen oder anderen Gebilden 
bakterioskopisch zu unterscheiden wissen wird. Was mir aller¬ 
dings von weniger Geübten im Laufe der Jahre in Sputum- und 
anderen Präparaten zur Begutachtung auf Tuberkelbacillen vor¬ 
gelegt wurde, kann ich Ihnen hier nicht alles erzählen. Aber 
dass Patienten mit solchen fraglichen säurefesten Gebilden im 
Sputum ohne jeden klinischen Befund geängstigt und als tuber¬ 
kulös erklärt wurden, solche Fälle sind wohl auch Ihnen be¬ 
kannt. 

Ich will mit diesem Einwand nicht etwa die von ver¬ 
schiedenen Autoren erhobenen mikroskopischen Blutbefunde be¬ 
mängeln, sondern lediglich zur Vorsicht und zur Anstellung mög¬ 
lichst zahlreicher Tierversuche mahnen, wie sie ja auch selbst 
von Carl Fraenkel 1 ) und so geschulten Fachleuten wie 
Rumpf 2 ) und Liebermeister 3 ) zum Vergleich mit ihren mikro¬ 
skopischen Befunden herangezogen wurden. Mit letzterem stimme 
ich durchaus überein, dass der negative Tierversuch nicht be¬ 
weist, dass keine Tuberkelbacillen im Blute kreisen. So würde 
ich bei sicherem, mikroskopisch positivem Befund und negativem 
Tierversuch eine wiederholte Impfung empfehlen, und zwar die 
subcutane Methode mit durch physiologische Kochsalzlösung ver¬ 
dünntem Blut ohne vorherige Behandlung mit Antiformin und 
den anderen Reagentien. Selbstverständlich dient als Versuchs¬ 
tier für menschliches tuberkuloseverdächtiges Material ausschliess¬ 
lich das Meerschweinchen, da wir ja durch die vergleichenden 
Untersuchungen über tierische und menschliche Tuberkelbacillen 
in Erfahrung gebracht haben, dass Kaninchen für menschliche 
Bacillen meistens wenig empfänglich sind. Es ist deshalb recht 
verwunderlich, dass Bacmeister und Rüben 4 ) den Kaninchen¬ 
versuch angewandt und aus ihren negativen Impfungen den 
Schluss gezogen haben, die in den verimpften 15 Fällen initialer 
Tuberkulose vorher mikroskopisch im Blut nachgewiesenen säure¬ 
festen Stäbchen seien keine Tuberkelbacillen gewesen, wenn 
anders eben die mikroskopisch sichtbaren Stäbchen von echten 
Tuberkelbacillen nicht zu unterscheiden waren. Die Impf¬ 
versuche Bacmeister’s an Kaninchen setzen noch mehr in Er¬ 
staunen, als er selbst gegenüber Sturm 6 ) den Vorwurf erhebt: 
„Bei der Neigung der Kaninchen zu vielen Protozoenkraukbeiten 
genügt diese Untersuchungsmethode nicht“, obwohl Sturm, wie 
er deutlich angibt, mit Meerschweinchen und nicht mit Kaninchen 
gearbeitet hat. 

Es wäre schliesslich noch zu erwähnen, dass ich bisher im 
Blut ungeimpfter Meerschweinchen niemals säurefeste Bacillen 
gesehen habe. Bei ungeimpften Kaninchen habe ich dagegen 
früher einmal und jetzt bei eigens darauf gerichteten Unter¬ 
suchungen nur einmal säurefeste Stäbchen gefunden, die aber un¬ 
schwer von Tuberkelbacillen zu differenzieren waren. Es handelt 
sich hierbei jedenfalls um die sogenannten Moeller’schen Gras- 
und Mistbacillen, welche schon früher auch in Kaninchenfäces 
gesehen worden sind. Wieso Bacmeister in jedem einzelnen 
Fall im Blut gesunder Kaninchen typische säurefeste Bacillen 
gefunden, muss durch weitere Beobachtungen geklärt werden; 
möglich ist es, dass diese regelmässigen Befunde durch die 
Nahrung der Kaninchen bedingt waren. Also auch aus diesem 
Grunde wäre von der Verwendung des Kaninchens zu diagnostischen 
Tuberkuloseuntersuchungen abzuraten. 

Sie sehen, m. H., dass die Blutuntersuchungen bei Tuber¬ 
kulose noch ein grosses und dankbares Feld bakteriologischer 
Forschung darbieten, da, wenn auch manches geklärt ist, doch 
noch vieles der Aufklärung harrt. 

Nachtrag. Nach Fertigstellung der Mitteilung werde ich 
in dankenswerter Weise von der Redaktion dieser Wochenschrift, 
Herrn Dr. Hans Kohn, auf den Sitzungsbericht der Freiburger 
medizinischen Gesellschaft vom 19. November 1912 in der soeben 


1) Centralbl. f. Bakteriol., Ref., 1912, Bd. 55, S. 100. 

2) Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 86. 

8) Med. Klinik, 1912, No. 25. 

4) Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 50. 

5) Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., 1911, Bd. 21, S. 241. 

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112 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT 


Nr. 3. 


erschienenen letzten Jabresnummer (63) dieser Wochenschrift vom 
30. Dezember 1912, S. 2500, aufmerksam gemacht, ln diesem 
ganz kurzen Bericht über den Bacmeister’schen Vortrag findet 
sich ein nicht nur für meine obige Mitteilung, sondern für die 
ganze Frage bedeutungsvoller Passus, der in der von mir citierten 
ausführlichen Arbeit dieses Autors merkwürdigerweise fehlt, ob¬ 
wohl in der Deutschen medizinischen Wochenschrift vom 12. De¬ 
zember 1912, Nr. 60, vermerkt ist: Nach einem Vortrag in der 
Freiburger med. Ges. am 19. Nov. 1912. 

Dieser Passus lautet: „Durch den Tierversuch konnten bei 
15 initialen Tuberkulosekranken durchweg keine Bacillen im Blut 
nachgewiesen werden. Dagegen wurde bei vier dieser Fälle die 
Untersuchung positiv durch eine diagnostische Tuberkuliniujektion 
mit deutlicher Lokalreaktion. Durch diesen Eingriff wurden 
demnach virulente Tuberkelbacillen aus den erkrankten Organen 
in die Blutbahn gebracht, was als recht bedenkliche Schädigung 
aufgefasst werden muss.“ 

Es ist zwar nicht zu ersehen, ob bei der wiederholten Tier¬ 
impfung, welche in vier Fällen nach der diagnostischen Tuber¬ 
kuliniujektion ein positives Ergebnis hatte, Meerschweinchen oder 
Kaninchen benutzt worden sind. Diese Angabe würde jedoch 
eine experimentelle Bestätigung meiner bezüglich der Mobilisierung 
der Tuberkelbacillen durch Tuberkulin lediglich im Tierversuch 
erhobenen Befunde auch beim Menschen enthalten, welche 
Virchow und Orth bereits vor 22 Jahren auf Grund ihres 
Sektioosmaterials angenommen haben. 


Aus der III. medizinischen Abteilung des k. k. Kaiser 
Franz Josef-Spitals in Wien. 

Ueber Nystagmus bei fieberhaften Krankheiten. 

Von 

Dr. Ernst y. Czyhlarz, 

k. k. Primirarzt und Privatdozent. 

Im Sommer des verflossenen Jahres wurde auf die Abteilung ein 
Patient aufgenommen, der neben einer spastischen Parese der unteren 
Extremitäten einen sehr deutlichen Nystagmus zeigte. Dieses 
Zusammentreffen liess bei flüchtiger erster Untersuchung zuerst 
an multiple Sklerose denken, da aber die anderen Symptome so¬ 
wie die Anamnese nicht stimmte, vielmehr alles für eine Quer¬ 
schnittsunterbrechung des Rückenmarks infolge tuberkulöser Caries 
der Wirbelsäule sprach, blieb der Nystagmus aufzuklären. Die 
Annahme, dass es sich um einen physiologischen Nystagmus, der 
ja häufig vorkommt, handeln köune, war nicht von der Hand zu 
weisen, andererseits kamen wir aber auf den Gedanken, da der 
Patient infolge seiner ausgebreiteten Lungentuberkulose hohes 
Fieber hatte, nachzusehen, ob nicht auch bei anderen fieberhaften 
Erkrankungen Nystagmus sich nachweisen Hesse. 

Schon die ersten Untersuchungen verschiedener fieberhafter 
Patienten bestätigte diese Vermutung. Die grosse Mehrzahl hoch¬ 
fieberhafter Patienten zeigte deutlich Nystagmus. Wir hatten 
nach Beobachtung eines sehr grossen Materials, das uns in 
unserem Spital zur Verfügung steht, unsere Untersuchungen ab¬ 
geschlossen, als eine Publikation von Beck und Biach 1 ) er¬ 
schien, die unabhängig von uns dasselbe Thema behandelt. 

Die Angaben von Beck und Biach stimmen mit den von 
uns erhobenen Befunden im wesentlichen überein. 

Beck und Biach geben an, dass das Auftreten des Nystag¬ 
mus in inniger Beziehung zum Fieber steht, in der Mehrzahl der 
Fälle erfolgt das Auftreten und Verschwinden desselben gleich¬ 
zeitig mit dem Eintritt bzw. Aufhören der Temperatursteigerung. 
Eine Minderheit gebe es allerdings, bei denen der Spontannystag¬ 
mus das Fieber überdauert. Das Persistieren des Nystagmus 
kann verschiedene Zeit verfolgt werden, so dass ein Ueberdauern 
des Fiebers um zwei Tage, aber auch ein vollkommenes Bestehen¬ 
bleiben des Nystagmus stattfinden kann. 

Mit diesen Angaben Beck’s und Biach’s stimmen unsere 
Befunde vollkommen überein. Wir wollen daher unsere be¬ 
stätigenden Befunde nicht weiter mitteilen. Das sehr häufige 
Vorkommen, von febrilem Nystagmus erscheint also sicher fest- 
gestellt. 


1) Ueber Nystagmus bei Fieber von 0. Beck und P. Biach. Aus 
der IV. med. Universitätsklinik in Wien (Vorstand: Prof. Dr. F. ßhvostek). 
Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 46. 


Nur in einem Punkte decken sich unsere Resultate nicht mit 
denen von Beck und Biach. Diese Autoren fanden bei Typhus 
und bei Tuberkulose (mit Ausnahme von Miliartuberkulose) keinen 
Nystagmus. Wir jedoch sind speziell bei Typbus zu folgendem 
Resultate gekommen: 

Wohl fehlt bei Typhus gewöhnlich in den ersten zwei 
Wochen der Nystagmus, er tritt aber dann später meist auf. Er 
hat bei Typbus unserer Erfahrung nach besonders die Tendenz, 
längere Zeit, öfter mehrere Wochen, nach der Entfieberung anzu¬ 
dauern, um daun erst allmählich zu verschwinden. Allerdings 
sind diese Verhältnisse nicht konstant, wir sahen auch einen 
Fall von Typbus, wo das Aufhören des Nystagmus mit dem Auf¬ 
hören der febrilen Temperatursteigerung zusammenfiel. 

Was die Tuberkulose anlaugt, so sahen wir bei hochfiebern¬ 
den Fällen, auch ohne dass es sich um ausgesprochene Fälle 
von Miliartuberkulose gehandelt hätte, öfter Nystagmus, wie auch 
schon der oben erwähnte Fall zeigt. Allerdings stimmen wir mit 
Beck und Biach insofern überein, als wir aunehmen, dass fieber¬ 
hafte Tuberkulose im allgemeinen dieses Symptom weniger oft 
zeigt als andere febrile Erkrankungeu. Besonders häufig sahen 
wir, wie auch die genannten Autoren, Nystagmus bei plötzlich 
einsetzenden hochfieberhaften Erkrankungen, wie Erysipel (da 
wohl in jedem Falle), typischen croupöseu Pneumonien, schweren 
Fällen von Gelenkrheumatismus, Influenza. Beim Erysipel war 
auch fast immer mit dem Fieberabfall der Nystagmus ver¬ 
schwunden. 

Wenn wir uns zum Verständnis des febrilen Nystagmus nach 
Analogien umsehen, so könnte man auf eine Art von Nystagmus 
hinweisen, nämlich auf den, der nach Chiuiudarreicbung und der 
bei akutem Alkoholismus auftritt. Es könnte sich auch beim 
febrilen Nystagmus um ein toxisches Symptom handeln; wobei 
noch darauf binzuweisen wäre, dass bei den beiden genannten 
Vergiftungen, ebenso wie so oft beim Fieber Schwindelgefühl in 
der Regel sich findet. Auch Beck und Biach sind geneigt, den 
Nystagmus febrili« als ein toxisches Symptom aufzufassen. 

Dass dem Symptom des Nystagmus febrilis unter Umständen 
eine gewisse Bedeutung bei diagnostischen Erwägungen zukommen 
kann, geht aus dem eingangs erwähnten Fall hervor. 


Aus der inneren Abteilung des städtischen Kranken¬ 
hauses Charlottenburg-Westend (Prof. Dr. Umber). 

Zur Lipoidchemie des Blutes. 

1. Ueber die Verteilung von Cholesterin, Cholesterin¬ 
estern und Lecithin im Serum. 

Von 

Dr. M. Bürger und Dr. Beaner. 

Seit den Untersuchungen Hürthle’s 1 ), der als erster fest¬ 
stellte, dass das Cholesterin in Form von Palmitin-, Stearin- und 
Oelsäure-Estern im Blutserum sich findet, wird in späteren 
Arbeiten die Anschauung vertreten, dass Cholesterin im Serum 
nur in gebundener Form vorkomme. Nur von Leschke 2 ) wird 
die Vermutung ausgesprochen, dass auch freies Cholesterin vor¬ 
handen sein kann. Erst der von Windaus 3 ) gefundene Cholesterin¬ 
nachweis mittels des Digitonins ermöglicht eine scharfe Trennung 
des freien Cnolesterins von seinen Estern. Es erscheint der Nach¬ 
weis freien Cholesterins im Blutserum deshalb nicht unwichtig, 
weil ihm im Gegensatz zu seinen Estern infolge seiner grösseren Re¬ 
aktionsfähigkeit eine biologische Bedeutung vindiziert wird. Wir 
wollen nur hinweisen auf die eutgiftende Wirkung .freien 
Cholesterins bei der Saponin- und Cobragifthämolyse; man hat 
daran gedacht, dass ähnliche entgiftende Vorgänge im Körper 
selbst gegenüber freien Toxinen z. B. bei Infektionskrankheiten 
sich abspielen könnten. Auch zur Erklärung des Wesens der 
Wassermann'schen Reaktion wurden Verschiebungen im Lipoid¬ 
gebalt des Serums herangezogen. So hat Röbmann 4 ) kürzlich 
die Vermutung ausgesprochen, dass eine relative Vermehrung des 
freien Cholesterins auf Kosten des gebundenen für Wassermann- 


1) Hürthle, Zeitschrift für phys. Chemie, 1895/1896, Bd. 21. 

2) Leschke, citiert nach Neuberg, Der Harn. 

3) Windaus, Bericht d. deutschen chem. Gesellschaft, 1909, Bd.42. 

4) Röhmann, diese Wochenschr., 1912, Nr. 42. 


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positive Sera charakteristisch sei, während Pighini 1 ) eine ab¬ 
solute Vermehrung des Cholesterins überhaupt für den positiven 
Ausfall der Reaktion verantwortlich macht. Andererseits glaubt 
Peritz 2 ) eine Vermehrung des anderen Lipoidkörpers, des Lecithins, 
ioi Serum von Tabikern und Paralytikern als konstantes Merkmal 
gefunden za haben und bringt dies mit einem positiven Ausfall 
der Wa8sermann’schen Reaktion in Verbindung. 

Ohne uns zunächst auf Betrachtungen über die mehr oder 
weniger grosse Wahrscheinlichkeit der angeführten Hypothesen 
einzulassen, haben wir einige gelegentlich anderer demnächst zu 
veröffentlichenden Untersuchungen gewonnene Zahlen betr. die 
Lipoidverteilung im Serum in folgendem zusammengestellt. 

Die von uns ausgearbeitete Technik der Untersuchungen war 
folgende: 

Frisches Serum wurde im Faustischen Ventilationsapparat 
bei 40° getrocknet, pulverisiert und einer je zweitägigen 
Alkohol- und Chloroformextraktion unterworfen. Die gesammelten, 
durch Filtration gereinigten Extrakte wurden getrocknet und ge¬ 
wogen. In ätherischer Lösung wird eine Acetonfällung gemacht, 
das Filtrat in zwei Teile getrennt, weiter verarbeitet. In dem 
einen Teil wird in alkoholischer Lösung das Cholesterin nach 
Windaus mit Digitonin gefällt, in dem zweiten wird diese Fällung 
nach vorausgegangener energischer Verseifung mit frischbereitetem 
Natriumalkoholat gemacht. Bei dem Ausschütteln des Cholesterins 
mit Aether aus der wässerigen Seifenlösung zeigte es sich, 
dass es nur schwer gelingt, das Cholesterin quantitativ in den 
Aether zu bekommen, weil anscheinend ein Teil des Cholesterins 
von den Seifen festgebalten wird. Die Ausschüttelung gelang 
dagegen leicht nach Ansäuern der Lösung, wobei das Cholesterin 
mit den freien Fettsäuren zusammen leicht in den Aether ging. 

Die Differenz zwischen erster und zweiter Bestimmung ergibt 
das aus Estern freigemachte Cholesterin. Das gefundene Digi- 
tonincholesterid wird durch Multiplikation mit 0,25 in Cholesterin 
umgerechnet. Das Lecithin wurde aus dem Extraktphosphor be¬ 
rechnet; die PhospborBäure nach Neumann’s alkalimetrischem 
Verfahren ermittelt. 

Die Cholesterinester wurden als Ester der Oelsäure be¬ 
rechnet. 

Die gefundenen Werte für je 1000 gr Serum finden sich in 
der folgenden Tabelle vereinigt. 


Diagnose 

Gesamt¬ 

cholesterin 

1 

Freies Cholesterin j 

freies Cholesterin j 
in % vom Ge¬ 
samtcholesterin | 

Cholesterin ester 

Lecithin 

Bemerkungen 

1. Diabetes gravis, 
Lipämie . . . 

3,874 

1,441 

37,2 

4,450 

5,571 

Wassermann- 
scheL.-R.: 0 

2. Diabetes gravis, 
Lipämie . . . 

3,375 

1,652 

48,9 

3,148 

3,751 


3. Carcinoma bepa- 
tis., Cholaem.grav. 

3,226 

2,469 

76,0 

1,385 

5,866 


4. Diabetes, Lip¬ 
ämie . 

2,650 

0.919 

37,0 

3,204 

3,460 

W. L.-R. : 0 

5. Eklampsie . . 

2,527 

0.792 

31,0 

1,963 

3,936 


6. Diabetes gravis 

2,027 

0,728 

35,9 

2,376 

2,514 

W. L.-R.: 0 

7. Lues III, Apo¬ 
plexie .... 

1,985 

0,770 

38,8 

2,220 

1,233 

W.L.-R. :+++ 

8. Morbus Basedow 

1,464 

0,712 

48,6 

1,375 

1,409 

W. L.-R. : 0 

9. Chlorosis gravis 

1,273 

0,395 

30,9 

1,616 

1,489 

W. L.-R.: 0 

10. Leukämie . . 

0,969 

0,791 

81,5 

0,327 

2.223 

W. L.-R. : 0 

11. Sepsis. Icterus 

0,939 

0,798 

84.9 

0,257 

2,577 


12. Carcinoma uteri 

0,921 

0,509 

67,0 

0,753 

2,033 


13. Pneumonie . . 

0,684 

0,405 

59,2 

0,510 

1,630 


14. Pankreas- 
atrophie .... 

0,650 

0,282 

43,0 

0,673 

1,731 


15. Diabetes levis . 

0,511 

0,357 

70,0 

0,280 

1,437 

W. L.-R. : 0 

16. Secundäre An¬ 

ämie, Carcinoma 
oesophagi . . . 

17. Aoaemia pernio. 

0,403 

0,229 

56,9 

0,818 

1,472 


0.497 

0,214 

43,1 

0,517 

0,866 

W. L.-R. neg. 

IS. Aoaemia pernic. 

0,881 

0,221 

58,0 

0,293 

0,195 

W. L.-R. neg. 

19. Tabes dorsalis 

— 

— 

— 

— 

1,384 

W.L.-R.:++ + 

20. Tabes dorsalis 

— 

— 

— 

— 

1,579 

W.L.-R. : + ++ 

21. Lues III .. . 

— 

— 

— 

— 

1,330 

W.L.-R. :++ + 


1) Pighini, Zeitschr. f. ges. Neurologie und Psychiatrie, 1911, 
Bd. 4, H. 5. 

2) Peritz, Vortrag, IL Neurol. Kongress, Heidelberg 1908. 


Aus diesen Zahlen gebt hervor, dass die weitaus höchsten 
Cholesterin- und Lecithinwerte im Serum bei der diabetischen 
Lipämie und Cholämie Vorkommen. In einem Falle von Eklampsie 
finden sich erhöhte Werte, wie andere Untersucher 1 ) bei und 
nach der Schwangerschaft feststellen konnten. Als unter der 
Norm sind die Werte bei zwei perniciösen Anämien, einer schweren 
Chlorose, einer schweren Carcinomanämie und einem Inanitions- 
zustand bei völliger Pankreasatrophie zu betrachten, ln ähn¬ 
lichen Fällen [perniciöse Anämie 2 ), Carcinomanämie, Leukämie 3 ), 
Pankreasexstirpation 4 )], wurde von anderer Seite eine Erhöhung 
des Cholesterinspiegels angegeben. Ein konstantes Verhalten 
scheint also hier nicht zu bestehen und breite, vom Ernährungs- 
nnd Kräftezustand abhängige Schwankungen über und unter 
die Normallinie vorzukoramen. Das Sinken des Cholesterins 
bei Erschöpfungszuständen scheint mit der verminderten 
Konzentration des Serums überhaupt einherzugehen. Bei den 
Fällen Nr. 14. 16, 17, 18 ist das spezifische Gewicht des Serums 
auf 1015, 1019, 1024, 1019 g, die Trockensubstanz auf 7,6, 7,7, 
7,0 pCt. gesunken. 

Wir konnten weiterhin feststellen, dass in jedem Serum 
ein wechselnder, immer beträchtlicher Teil des Gesamt¬ 
cholesterins in freier Form vorhanden ist. Im all¬ 
gemeinen scheinen die Werte des freien Cholesterins 
unter 30 pCt. des Gesamtcholesterins nicht zu sinken. 

Ob hier bei verschiedenen pathologischen Zuständen Gesetz¬ 
mässigkeiten bestehen, aus denen sich weitere Schlüsse auf Toxin¬ 
wirkungen und Abwehrmaassregeln des Organismus ziehen lassen 
und beispielsweise ein hohes Gehalt an freiem Cholesterin als ein 
günstiges Moment im Kampf gegen die Infektion anzusehen ist, 
wagen wir aus unserem Material noch nicht zu entscheiden. Der 
Höchstgehalt an freiem Cholesterin bei der schweren Cholämie 
erklärt sich ungezwungen ans der Anreicherung des Blutes mit 
Gallebestandteilen. Eine Veresterung des Gallencholesterins, das 
in der Galle fast nur in freier Form vorkommt, tritt dabei also 
scheinbar nicht ein. 

Die Vermutungen Röhmann’s, dass sich die Wassermann¬ 
positiven Seren durch einen Mehrgebalt an freiem Cholesterin 
relativ zum Gesamtcholesterin oder absolut auszeichnen, können 
wir nicht bestätigen, denn unter den angeführten Seren finden 
sich einige mit einem exzessiv hohen Gehalt an freiem Cholesterin, 
bei denen der Wassermann aber negativ ist. Ebensowenig stimmen 
unsere gefundenen Tatsachen mit den Schlüssen Pighini’s über¬ 
ein, dass bei Wassermann-positiver Reaktion der Gehalt des Serums 
an Cholesterin überhaupt vermehrt sei. 

Es wäre endlich noch in Kürze darauf hinzuweisen, dass der 
Lecithingehalt im allgemeinen dem Cholesteringehalt parallel zu 
gehen pflegt. In vielen Fällen überschreiten unsere Wassermann¬ 
negativen Seren in ihren Lecithin werten die Norm, während sich bei 
zwei Fällen von Tabes mit -|—|—f- P 08 '^ vem Wassermann und 
zwei Fällen von Lues III ebenfalls mit -|—\~(- positivem Wasser¬ 
mann verhältnismässig niedrige Zahlen finden. Wir glauben also 
auch hier nicht an ein weder das Wesen der Wassermann’schen 
Reaktion noch der Tabes und Paralyse charakterisierendes und 
erklärendes Verhalten. Wir wollen noch hinzufügen, dass wir 
ebensowenig bei den Blutkörperchen der Tabes und Paralyse einen 
Lecithinscbwund feststellen konnten, wie ihn Peritz schildert. 

Trotzdem auch wir einen Zusammenhang zwischen Lipoiden 
und Wassermann’scher Reaktion für äusserst wahrscheinlich halten, 
so scheint der Ausfall der Reaktion doch nicht allein von einem 
einfachen Mehr an Cholesterin oder Lecithin abzuhängen. Wahr¬ 
scheinlich liegen der Reaktion kompliziertere Aenderungen in den 
Mischungs- und Bindungsverbältnissen der vielartigen Lipoid¬ 
substanzen zugrunde, die chemisch zu fassen vorläufig noch nicht 
als gelungen betrachtet werden können. 

Für das Zellleben haben die neueren Forschungen die ausser¬ 
ordentliche Bedeutung der Lipoidsubstanzen erwiesen. Welche 
Bedeutung ihnen im Serum zukommt, ist schwer zu sagen, solange 
wir über die Herkunft der Serumlipoide noch so wenig 
orientiert sind. Vom Cholesterin wissen wir, dass es in den Zellen 
in „freier“ Form vorkommt. Das Auftreten von Cholesterinestern 
erfolgt wahrscheinlich erst mit regressiven Veränderungen in der 
Zelle. Vielleicht steht das Vorkommen von Cholesterinestern mit 


1) Linossier, Archiv med. de l’app. dig., 1912. Ref. Centralbl. 
d. exper. Med., 1912. 

2) Klemperer, diese Wochensohr., 1908, Nr. 52. 

3) Freund und Obermeyer, Zeitsehr. f. phys. Chemie. 

4) Seo J., Exp. Archiv, 1909, Nr. 61. 

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Nr. 3. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


physiologischen Abnutzungsvorgängen der Zellen in Zusammen¬ 
hang, so dass ein vermehrtes Auftreten derselben im Serum in 
pathologischen Fällen auf einen gesteigerten Zellzerfall schliessen 
lässt (Lipämie bei Diabetes und im Hunger, Narkose, Schwanger¬ 
schaft usw.). Eine Gesetzmässigkeit in dem Verhältnis von freiem 
zu gebundenem Cholesterin können wir aus den vorliegenden 
Zahlen nicht ableiten. Bei unserer Unkenntnis über Entstehung, 
Kreislauf und Ausscheidung des Cholesterins können wir dem¬ 
gemäss auch vorläufig nicht sagen, welche Bedeutung dem so 
wechselnden Vorkommen von freiem Cholesterin im Serum zu- 
gemessen werden muss. 


Aus der chemisch - bakteriologischen Abteilung des 
Gouvernements-Semstwo-Krankenhauses in Charkow. 

Schutzimpfung mit abgeschwächten Tuberkel¬ 
bacillen. 

Von 

Dr. Marens Rahinnwitsch, 

Leiter der Abteilung. 

Vor mehreren Jahren ist mir bei meinen experimentellen 
Tuberkuloseuntersuchungen *) unter zahlreichen verschiedenartig 
behandelten und wiederholt umgezüchteten Tuberkelbacillenkulturen 
verschiedener Herkunft eine Kultur durch ihre ganz eigentüm¬ 
lichen Wachstumseigenschaften aufgefallen. 

Als ich diese, aus dem Menschenblut gewonnene und nach 
Behandlung mit einem differenten Stoff wiederholt umgezüchtete 
Kultur, die seit längerer Zeit im Dunkelschrank gestanden hat, 
auf ihre Virulenz naebgeprüft habe, da stellte sich heraus, dass 
dieselbe für das Meerschweinchen ganz avirulent ist. 

Und als ich die Meerschweinchen, die mit dieser avirulenten 
Kultur vorbehandelt waren, zwei Monate nach der Vorbehandlung 
mit tödlichen Dosen von virulenten Tuberkelbacillen geimpft habe, 
da verhielten sich die Tiere dieser zweiten Impfung gegenüber 
ganz refraktär. 

Die überraschende Beobachtung von der grössten Wichtigkeit 
hat gefordert, meine schon lange Zeit dauernden und zu Ende 
geführten Untersuchungen in einer neuen Richtung weit auszu¬ 
dehnen, dazu fehlten mir aber die nötigen Mittel, und ich musste 
mich deshalb mit einigen weiteren, zur Kontrolle angestellten 
Versuchen begnügen und die Arbeit abschliessen. 

Da die Zahl der Beobachtungen zu klein war, um irgend¬ 
welche Schlüsse aus denselben zu ziehen, so habe ich bei der 
Schilderung meiner Untersuchungen von denselben nichts erwähnt, 
in der Hoffnung, dass in der nächsten Zukunft ich zu den Unter¬ 
suchungen zurückkehren werde. 

Es sind aber mehrere Jahre verflossen, bis ich überhaupt die 
Arbeitsgelegenheit bekommen habe. 

Und wenn ich mich jetzt entschlossen habe, die erwähnten 
alten Beobachtungen genau zu schildern, so zwingt mich dazu der 
Umstand, dass Friedmann in seiner Mitteilung über Heil- und 
Schutzimpfung der menschlichen Tuberkulose 2 ) nichts darüber 
mitgeteilt hat, was eigentlich sein Impfmaterial ist und wie er 
seinen avirulenten Tuberkelbacillus erhalten hat. 

Da nun die Mitteilung Fried man n’s das allgemeine Auf¬ 
sehen erregt hat, so will ich darauf hinweisen, wie man derartige 
avirulente Tuberkelbacillen erhalten kann, um die Möglichkeit 
zu ausgedehnten Nachprüfungen dieser sehr wichtigen Frage zu 
geben. 

Fried mann behauptet zwar, dass diese Avirulenz, dieses 
Freisein von pathogener Kraft nicht erst durch irgendwelche ein¬ 
greifende Behandlung der Kulturen durch differente Zusätze u. dgl. 
erreicht sein darf, es muss ein Bacillus von natürlicher Avirulenz 
sein . . . ; dem widersprechen aber meine Beobachtungen, wo, 
wie erwähnt, mit avirulent gemachten Tuberkelbacillen 
geimpfte Meerschweinchen für die zweite Impfung mit 
virulenten Tuberkelbacillen immun wurden. 

Diese avirulenten Tuberkelbacillen habe ich bei meinen ex¬ 
perimentellen Untersuchungen erhalten, die sich auf die Identi¬ 
tätsfrage der Tuberkelbacillen verschiedener Herkunft be¬ 
zogen haben. 


1) Zeitschr. /. Tuberkul., 1906, Bd. 9, H. 4—6. 

2) Diese Wochenschr., 1912, Nr. 47, S. 2214. 


Bei diesen Untersuchungen habe ich die verschiedenen Eigen¬ 
schaften der vom Mensch, Rind und Vogel gezüchteten Tuberkel¬ 
bacillen, durch die die letzteren sich voneinander unterscheiden 
lassen, auf ihre Konstanz geprüft und dieselben künstlich zu ver¬ 
ändern gesucht. 

Auf das letztere legte ich besonderen Wert, da seit Koch's 
Vortrag auf dem Londoner Kongress bis zur letzten Zeit einige 
Forscher sich damit beschäftigen, dass sie zahlreiche Kulturen 
aus denselben Medien, z. B. aus dem Sputum, züchten, deren 
Virulenz für das Kaninchen prüfen und dadurch die Konstanz der 
verschiedenen „Typen“ der Tuberkelbacillen nachweisen zu 
können glauben. 

Wenn auch die vom Menschen gezüchteten Tuberkelbacillen 
unzweifelhaft in der Mehrzahl der Fälle in ihren morphologischen, 
kulturellen und pathogenen Eigenschaften von denen vom Rind 
gezüchteten sich unterscheiden, so kann doch durch derartige 
statistische Untersuchungen die Verschiedenheit wie die Identität 
der Tuberkelbacillen verschiedener Herkunft wederbewiesen 
noch widerlegt werden. 

Es ist doch längst bekannt, dass dieselben Bakterien, an 
verschiedene Nährböden angepasst, verschiedene morphologische, 
kulturelle und pathogene Eigenschaften erwerben. 

Und dass die Körper der verschiedenen Tiere als verschiedene 
Nährböden in gleicher Weise die Bakterien verändern können, 
das ist schon seit Jenner und Pasteur bekannt, die aus diesen 
Eigenschaften der verschiedenen tierischen Organismen ihre erfolg¬ 
reiche Vaccination abgeleitet haben. 

Von diesen Erwägungen ausgehend, habe ich bei meinen 
Untersuchungen versucht, einerseits aus den verschiedenen Medien 
(Sputum, Blut, Eiter, Ascites und Cerebrospinalflüssigkeit) des¬ 
selben Individuums oder von Erwachsenen und Kindern die 
Tuberkelbacillen in Reinkulturen zu züchten, andererseits Rein¬ 
kulturen der Tuberkelbacillen vom Mensch, Rind und Vogel einer 
gleichartigen direkten oder indirekten Wirkung von verschiedenen 
differenten Stoffen zu unterziehen, nachher auf denselben ver¬ 
schiedenartigen Nährböden längere Zeit zu züchten und mit¬ 
einander zu vergleichen. 

Auf diese Weise ist es mir gelungen, einerseits aus 
denselben Medien (Ascites, Eiter) beim Kinde viel viru¬ 
lentere Tuberkelbacillen als beim Erwachsenen und 
aus dem Blute von einigen Erwachsenen virulentere 
Tuberkelbacillen als aus dem Sputum derselben Indi¬ 
viduen zu züchten. Andererseits ist es mir gelungen, Tuberkel¬ 
bacillen verschiedener Herkunft, die zuvor voneinander 
abweichende Eigenschaften zeigten, zu denselben ganz 
identischen Eigenschaften zu bringen. 

Unter anderen Stoffen, die zur Behandlung der Tuberkel¬ 
bakterien herangezogen wurden, benutzte ich auch Formalin. 

Die Behandlung der Tuberkelbacillen bestand darin, dass 
entweder kleine Quantitäten von Formalin (0,1 bis 0,5 pro Mille) 
den Nährböden, auf denen die Bacillen gezüchtet werden sollten, 
zugesetzt wurden oder die Reinkultur der Tuberkelbacillen in der 
zweiten oder dritten Woche nach der Impfung in der Weise der 
Wirkung von Formalindämpfen ausgesetzt wurden, dass die Watte 
unter den Gummikappen an den Reagensgläsern mit den Rein¬ 
kulturen mit 10 proz. Formalinlösung angefeuchtet wurde. 

Die Kulturen wurden dieser Formalinwirkung verschieden 
lange Zeit überlassen und dann auf frische, hauptsächlich Sera¬ 
nährböden weitergezüchtet. 

Einige von in dieser Weise behandelten Tuberkelbacillen¬ 
kulturen haben überhaupt kein Wachstum gegeben, die anderen 
wuchsen anfänglich kümmerlich, später reichlich und zeigten, be¬ 
sonders nach längerem Aufbewahren, einige Abweichungen im 
Aussehen des Wachstums. 

Eine von diesen Kulturen, bei der die erwähnte Abweichung 
besonders auffallend war, wurde bei der Nachprüfung ihrer 
Virulenz für das Meerschweinchen ganz avirulent gefunden, ob¬ 
gleich dieselbe, aus dem Blute eines Phthisikers gezüchtete, Kultur 
vor der erwähnten Formalinbehandlung nicht nur für das Meer¬ 
schweinchen, sondern auch für das Kaninchen virulent war. 

Nachdem diese Kultur unter dem Einfluss von Formalin sich 
verändert hat, wurden zur Nachprüfung ihrer Virulenz zwei Meer¬ 
schweinchen von 390 und 410 g mit je 0,002 g im Thermostaten 
24 Stunden getrockneten Bacillen subcutan in die Leistengegend 
geimpft. Das eine der geimpften Meerschweinchen wurde fünf, 
das andere etwa sechs Wochen nach der Impfung getötet, und 
bei keinem konnten irgendwelche tuberkulöse Verände¬ 
rungen konstatiert werden. 


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20. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


116 


Dann wurden weitere sechs Meerschweinchen von 360 bis 
520 g mit derselben Menge dieser avirulenten Kultur in gleicher 
Weise subcutan und nach zwei Monaten wieder mit gleicher 
Menge (0,002 g) sehr virulenteu, vom Menschen und Rind ge¬ 
züchteten Tuberkelbacillen geimpft. 

Gleichzeitig wurden zur Kontrolle in gleicher Weise zwei 
nicht vorbehandelte Meerschweinchen mit gleichen Mengen der¬ 
selben virulenten Tuberkelbacillen geimpft. 

Nach der zweiten Impfung haben die Versuchstiere 
dauernd an Gewicht zugenommen und etwa sechs 
Wochen nach der Impfung getötet, zeigten sie keine 
makro- und mikroskopisch nachweisbare Verände¬ 
rungen. 

Von den Kontrollieren ist eins schon in der fünften Woche 
nach der Impfung an Tuberkulose eingegangen, und beim zweiten, 
das gleichzeitig mit den Versuchstieren getötet wurde, ist eine 
ausgebreitete Tuberkulose sämtlicher innerer Organe konstatiert 
worden. 

Zusammenfassung. 

1. Die Virulenz der Tuberkelbacillen ist keine 
konstante Eigenschaft derselben und kann künstlich 
abgeschwächt oder ganz zum Verschwinden gebracht 
werden. 

2. Die ganz abgeschwächten Tuberkelbacillen in 
Mengen von 0,002 g, Meerschweinchen subcutan ver- 
impft, erzeugen bei deuselben im Laufe von zwei Mo¬ 
naten keine wahrnehmbaren tuberkulösen Verände¬ 
rungen. 

3. Mit den abgeschwächten Tuberkelbacillen vor¬ 
behandelte Meerschweinchen werden für eine zweite 
Impfung mit sehr virulenten Bacillen unempfänglich. 


Bücherbesprechungen. 

R. F. Fuchs: Physiologisches Praeticum für Mediziner. Zweite ver¬ 
besserte und erweiterte Auflage. Mit 110 Abbildungen. 311 Seiten. 
Wiesbaden 1912, Bergmann. 

Das bekannte Fucbs’sche Praeticum der Physiologie hat in der 
zweiten Auflage seine Vorzüge und bewährten Besonderheiten bei¬ 
behalten, insbesondere die Zuverlässigkeit der Darstellung und ein 
solches Eingehen auf alle Einzelheiten und Kleinigkeiten, dass der 
Studierende auch ohne dauernde mündliche Anleitung sich zurechtfindet. 
Der Inhalt ist nicht unbeträchtlich erweitert, und die Zusätze betreffen 
fast alle Kapitel. Schon die allgemeine Technik der Tierversuche ist 
breiter dargestellt. Hinzugekommen ist die Spektraluntersuchung des 
Blutes, die Beobachtung der Blutplättchen, der Pulsgeschwindigkeit beim 
Menschen; die graphische Aufnahme der Darmbewegungen, der Muskel¬ 
ermüdungskurve des Menschen. Die physiologische Optik ist um eioe 
ganze Reihe von neuen Versuchen bereichert. Vielleicht hätte es sich 
empfohlen, das klinisch wichtig gewordene Saitengalvanometer und das 
Elektrocardiogramm zu erwähnen. Hervorzuheben ist, dass viele Ver¬ 
suche speziell der Physiologie des Menschen aogepasst sind. 

A. Loewy. 


Nobtom traitd de pathologie göndrale, p&r Ch. Moochard und 
G. H. Roger. Bd. 1. Paris 1912, Masson & Cie. 22 Frs. 

Von dem neuen Handbuch der allgemeinen Pathologie, heraus¬ 
gegeben von Bouchard und Roger, liegt der erste Band vor. Er 
enthält folgende Kapitel: Einführung in das Studium der allgemeinen 
Pathologie (Roger); Vergleichende Pathologie des Menschen und der 
Tiere (Roger und Cadiot); einen kurzen Abschnitt über Pflanzen¬ 
pathologie (Vuillemin); Allgemeine Pathologie des Embryo und Terato¬ 
logie (M. Duval und Mulon); Vererbung und Pathologie (P. le Gendre); 
Immunität und Krankheitsdisposition (Gh. Achard); Anaphylaxie 
(P. Courmont); Mechanische Krankheitsursachen (F. Lejars); ferner 
einen Abschnitt über den Einfluss der Berufsarbeit auf den Organismus 
(A. Imbert), über den Einfluss des atmosphärischen Drucks (Langlois), 
über die pathogene Wirkung der Wärme, der Elektrizität, der verschie¬ 
denen Strahlungen (Bergonie), des Lichtes (Nogier), und endlich der 
Caustica (le Noir). Was an dem Werke etwa im Vergleich mit den 
deutschen Lehr- und Handbüchern der allgemeinen Pathologie besonders 
auffallen wird, ist, dass die klinische Seite viel mehr berücksichtigt ist. 
Man findet in den einzelnen Kapiteln — ich nenne hier vor allem das 
ausgezeichnet geschriebene über mechanische Krankheitsursachen von 
Lejars — eine Fülle von Tatsachen in zusammenfassender Darstellung. 
Die Literatur ist in den einzelnen Kapiteln etwas verschieden berück¬ 
sichtigt. Dass die nichtfranzösische Literatur im allgemeinen wenig 
berücksichtigt und dann noch grossenteils fehlerhaft citiert ist, wird 
man gerne übersehen. Aber die historischen Daten in den einleitenden 


Kapiteln erscheinen dem deutschen Leser doch wohl etwas zu dürftig, 
und erfindet den Namen von Virchow und Rokitansky darin, glaube 
ich, überhaupt nicht erwähnt. Erfreulich ist, dass der vergleichenden 
Pathologie des Menschen und der Tiere ein eigenes Kapitel gewidmet 
ist (60 Seiten). Die Pathologie des Embryo und die Teratologie, vor 
allem aber die Pathologie der Vererbung sind sehr ausführlich be¬ 
handelt. Bei letzterem Kapitel würde mau eine kürzere Darstellung, 
die vor allem etwas schärfere Kritik an den raitzuteilenden Tatsachen 
übte, vorzieheD. Das Kapitel über die pathologischen Wirkungen der 
Lichtstrahlen scheint uns dagegen den Stoff nicht genügend erschöpfend 
zu behandeln. Die Ausstattung des Werkes ist recht gut, Abbildungen 
finden sich in diesem Band nnr wenige, zum Teil etwas mangelhafte. 
Der Kliniker und der Pathologe wird sicher bei der Lektüre des Werkes 
vielfach Anregung und Belehrung finden. W. Fischer-Göttingen. 


A. Vogt- Moskau: Pathologie des Herzens. Uebersetzung aus dem 
Russischen von Julius Schütz-Marienbad. Berlin 1912, Verlag 
von Julius Springer. 168 S. 20 Textfiguren. Preis 8 M. 

Das Werk Vogt’s behandelt die allgemeine Pathologie des 
Herzens. Die pathologischen Erscheinungen bei Herzkrankheiten werden 
in ihrer Ursache, Entwicklung und Folgen für den Kreislauf geschildert. 
Die Basis der Darstellung bilden, mit gleicher literarischer und prak¬ 
tischer Kenntnis herangezogen, die pathologische Anatomie, eindeutige 
klinische Symptome, und vor allem Ergebnisse des Experiments, ln der 
geschickten und kritischen Verwertung dieser Mehrzahl von Forschungs¬ 
richtungen zu einer einheitlichen Darstellung liegt die Eigenart und 
der Reiz des Werkes. Wir erkennen, dass, wo irgend möglich, der 
Autor durch eigene Experimente Lücken in unserer Erkenntnis auszu¬ 
füllen bestrebt war. Ganz besonders interessant scheinen mir die wohl¬ 
gelungenen Versuche, in denen durch wiederholte Embolisierungen der 
Kranzarterien mittels semen Lycopodii eine Myocarditis interstitialis mit 
beschleunigtem, unregelmässigem Puls bei Tieren, die mehr als ein 
Jahr überlebten, hervorgerufen wurde. Andere wertvolle Versuche be¬ 
treffen z. B. die auch experimentell zum Ausdruck kommende Ver¬ 
schiedenheit infektiöser und nicht infektiöser (Terpentinöl-; Pericarditis 
für die Funktion des Herzens. Der Stoff ist in acht Kapiteln bewältigt, 
von denen das erste physiologische Daten enthält. Die weiteren Kapitel, 
alle in Form von Vorträgen, behandeln die Pathologie des Herzbeutels, 
des Myocards, des Coronarkreislaufs, des Endocards, die anatomischen 
und funktionellen Störungen der Gefässe des grossen und kleinen Kreis¬ 
laufs als Ursache von Funktionsstörungen des Herzens, den Eutstehungs- 
mechanismus der Herzhypertrophie und schliesslich Veränderungen der 
Herztätigkeit infolge der Funktionsstörungen des neuromuskulären 
Apparates. Der Kliniker und Forscher wird aus dem Werke manche 
Anregung entnehmen können. Fleischmann. 


Brack: Die Krankheiten der Nase and Hnndhöhle sowie des Rachens 
nnd des Kehlkopfes. Zweite, wesentlich vermehrte und ver¬ 
besserte Auflage. Berlin und Wien 1912, Urban und Schwarzen¬ 
berg. Preis 14 M. 

Die zweite Auflage des Bruck’schen Lehrbuches ist erschienen. Sie 
umfasst 472 Seiten mit 252 zum Teil farbigen Abbildungen und 2 Tafeln. 
Die neue Bearbeitung unterscheidet sich von der ersten Auflage nach 
Iohalt und Form in einigen Kapiteln nicht unwesentlich: Besondere Um¬ 
gestaltung nach modernen Grundsätzen der Therapie und Diagnostik er¬ 
fuhr die Behandlung der Nebenhöhlenempyeme, ferner die Darstellung 
der direkten Endoskopie und die Bearbeitung der Kehlkopftuberkulose. 
Auch die Stimmstörungen wurden neu bearbeitet und einige neue Ope¬ 
rationsmethoden der alten Beschreibung eingefügt. Wie die erste Auf¬ 
lage trägt auch die zweite vorzugsweise praktischen Bedürfnissen Rech¬ 
nung, theoretische experimentell wissenschaftliche Arbeiten sind nur 
berücksichtigt, soweit sie für die praktische Tätigkeit in Frage kommen. 
Die Darstellung ist fliessend, und bei der klaren und übersichtlichen 
Zusammenstellung ist das Werk, speziell den Studierenden, warm zu 
empfehlen. Albrecht-Berlin. 


Motter und Wilbert: Digest of Comments on the Pharmacopoeia of 
the United States of America. Washington 1912, Hygienic 
Laboratory Bulletin. 784 S. 

Vorliegender Band bildet eine Zusammenstellung der in- und aus¬ 
ländischen Literatur pharmakologischer und pharmakognostischer Arbeiten 
aus dem Jahre 1910. Dient auch das Werk in erster Linie dazu, bei 
der Neuauflage einer Pharmakopoe der Vereinigten Staaten das nötige 
Material zu liefern, so kann es andererseits mit Vorteil bis zu einem 
gewissen Grade auch von uns als Literatur-Nachschlagewerk auf den 
genannten Gebieten benutzt werden. Es entspricht etwa unserem „Jahres¬ 
bericht der Pharmazie“. Bachem-Bonn. 


Stargardt und Oloff- Kiel: Diagnostik der Farbensinnsttirnngen. 

Berlin 1912, Verlag von Julius Springer. 45 Seiten. Preis 1,80 M. 

Unter Berücksichtigung der neueren Literatur gibt der Verf. nach 
einer kurzen Besprechung des normalen Farbensinnes eine Darlegung 
der verschiedenen Störungen desselben und eine Uebersicht über die 
gebräuchlichsten Farbeoprüfungsmethoden. Er bezeichnet mit Recht die 

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116 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 3. 


Nagerseben Prüfungstafeln als keineswegs einwandsfreie und zuver¬ 
lässige Methode, dagegen als sicherste Probe die Untersuchung mit dem 
Anomaloskop. 

Das Büchlein dient jedem, der die neueren Anschauungen über die 
Farbenanomalien und Farbenprüfungsmethoden kennen lernen will, zur 
raschen Orientierung. 


Ehrenfried Cr am er - Cottbus: Abriss der Unfall- nnd Invalid Hftts- 
knnde des Sehapparates. Stuttgart 1912, Verlag von Enke. 
253 Seiten. Preis 7 M. 

Einer im allgemeinen nach anatomischen Gesichtspunkten angeord- 
neten Erörterung der einzelnen Augenverletzungen folgt ein Kapitel über 
die Einwirkung von Giften und Infektionen als „Unfälle“, sodann eine 
Zusammenstellung derjenigen anderweitigen Körperunläile, welche durch 
die Augenuntersuchung näher diagnostiziert werden können. Verf. gibt 
nunmehr eine Anleitung zur Abfassung des Gutachtens und zur Renten- 
bereebnung, und zwar an der Hand praktischer Beispiele. Im Anschluss 
daran wird noch der Simulation sowie der Begutachtung der Invalidität 
nach Augenstörungen ein Abschnitt gewidmet. Das Buch wird nicht 
nur dem begutachtenden Arzte willkommen sein, es dürfte sich auch 
den Beamten der Berufsgenossenschaften und des Gerichts bei der Be¬ 
urteilung der Gutachten sehr wertvoll erweisen. 


Adam - Berlin: Ophthalmoskopische Diagnostik an der Hand typi¬ 
scher Angenhintergrnndsbilder. Berlin und Wien 1912, Urban 
& Schwarzenberg. 232 Seiten. Preis 21 M. 

An der Hand von 86 Augenhintergrundsbildern, welche unter be¬ 
sonderer Berücksichtigung der Beziehungen der Augenerkrankungen mit 
grossem Geschick ausgewählt sind, wird eine systematische Anleitung 
zur Diagnosenstellung sowie zur klinischen Auffassung des Krankheits¬ 
bildes gegeben. Ganz besonders verdient hervorgeboben zu werden, dass 
die farbigen Tafeln geradezu mustergültig ausgeführt und vorzüglich 
reproduziert sind. v. Sicherer - München. 


6. Sthmpke: Die medizinische Quarzlampe. (Band 3 der Bibliothek 
der physikalisch-medizinischen Techniken. Herausgeber Heinz 
Bauer.) 88 Seiten. 55 Abbildungen. Berlin 1912, Verlag von 
Hermann Meusser. 

Der Verfasser schildert anschaulich und ausführlich die Konstruktion 
und Handhabung der Quarzlampe, berichtet dann in objektiver Weise 
über die vorliegenden Untersuchungen, welche die Tiefenwirkung — be¬ 
sonders auch im Vergleich zu den Finsen-Apparaten — und die bak- 
tericide Wirkung betreffen, und bringt schliesslich genaue Anweisungen 
für die Anwendung bei den verschiedenen Hauterkrankungen. Jedem, 
der mit der Quarzlampe arbeiten will, wird das Büchlein ein unentbehr¬ 
licher Ratgeber sein. Die Ausstattung ist wie bei den bisher er¬ 
schienenen Bänden der Bibliothek der physikalisch - medizinischen 
Techniken über jedes Lob erhaben. H. E. Schmidt - Berlin. 


Literatur-Auszüge. 

Physiologie. 

M. Gildemeister: Ueber die im tierischen Körper bei elektrischer 
Dnrchströmnng entstehenden Gegenkräfte. (Pflüger’s Archiv, Bd. 149, 
H. 6—8.) G. bildete die von Galler (Pflüger’s Archiv, Bd. 149, S. 156) 
benutzte Methode weiter aus, die darin besteht, dass man den Körper 
(Frosch) zugleich mit Gleich- und Wechselstrom durchströmt Man kann 
dann feststellen, dass im Körper der Gleichstrom erhebliche elektro¬ 
motorische Gegenkräfte (Polarisation) auslöst, die beim Frosch 2 Volt, 
beim Menschen 6 Volt übersteigen können. Der mit Gleichstrom ge¬ 
messene Widerstand weicht um so mehr vom wahren Werte ab, je 
schwächer der Messstrom ist. Die Polarisation wächst mit steigender 
Stärke des benutzten Gleichstroms. 

N. K. Koltzoff: Ueber eine physiologische Kationenreihe. (Pflüger’s 
Archiv, Bd. 149, H. 6—8.) K.’s Versuche sind an einem marinen In- 
fusorium (Zootbamnium alternans) ausgeführt. Er beobachtete an ihm 
die Wirkung verschiedener Kationen auf den Zerfall des Protoplasmas 
des kontraktilen Stieles. Es ergab sich folgende in ihrer Wirkung zu¬ 
nehmende Reihe: K—Rb—Na—Cs—NH 4 —Li—Sr—Mg—Ca. Das Mole¬ 
kulargewicht und die Wertigkeit sind für die physiologischen Wirkungen 
nicht ausschlaggebend, speziell besteht zwischen ein-und zweiwertigen Ionen 
kein grosser Zwischenraum. Diese Reihe stimmt sehr nahe überein mit der 
des elektrolytischen Lösungsdruckes und mit Höber’s „physiologischer 
Kationenreihe“ für die Fällbarkeit von Eiweiss durch Elektrolyteu. 
K. nimmt aber nicht an, dass die verschiedene Giftigkeit der Ionen auf 
ihrer differenten Fähigkeit der Eiweissfällung beruht, vielmehr auf ihrer 
verschiedenen Absorbierbarkeit durch die Plasmahaut und damit auf ihrer 
Wirkung auf die Oberflächenspannung. Jedes Kation der obengenannten 
Reihe erniedrigt die Oberflächenspannung weniger als das folgende. 

K. Hürth le: Die „Fehler“ meines Verfahrens bei der Bestimmung 
der Eigenschwingungen der Manometer. (Pflüger’s Archiv, Bd. 149, 
H. 6—8.) Erwiderung auf Frank’s Angriffe, Nach H. sind die ihm 


von Frank vorgeworfenen Fehler begründet in der Unbrauchbarkeit des 
Frank’schen Prüfungsverfahrens von Manometern und der von Frank 
herrührenden Ausdehnung der Frank’schen Theorie der elastischen Mano¬ 
meter auf Hebelmanometer. A. Loewy. 

E. 0. P. Schultze und B. J. Behan - Berlin: Negativer Drack 
in den langen Röhrenknochen der Hunde. Ein Beitrag zur Physio¬ 
logie des Venenkreislaufes. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 52.) 
Die Ansicht, dass im Venensystem ein positiver Druck herrscht, der 
noch vom Arteriensystem stammt, besteht zu Unrecht; denn die Verff. 
beobachteten, dass bei der Messung mit einem 0,75 proz. Kochsalzmano¬ 
meter in der Markhöhle eines Hundes ein negativer Druck von 20 mm 
herrscht, der, wie man wohl annehmen muss, durch die Ansaugung von 
den Venen her erzeugt wird. Die Körperlage der Tiere bat einen Ein¬ 
fluss auf die Höhe des Druckes insofern, als sie bei Tieflagerung des 
Kopfes um 6—8 mm geringer ist als bei umgekehrter Stellung usw. 
Dass es sich nicht um die treibende Arterienkraft handelt, geht daraus 
hervor, dass selbst beim Aufhören des arteriellen Kreislaufes durch 
Esmarch’scbe Blutleere noch negativer Druck besteht, d. h. Aspiration 
von Venenblut durch den Knochen stattfindet. Aus diesen gefundenen 
Tatsachen ergeben sich wichtige Rückschlüsse therapeutischer Natur für 
viele Spezialzweige der Medizin, z. B. Metastasentransport von malignen 
Tumoren usw. Dünner. 

T. Takamine und S. Takei: Ueber das Verhalten der durch¬ 
sichtigen Angenmedien gegen ultraviolette Strahlen. (Pflüger’s Archiv, 
Bd. 149, H. 6—8.) Die Verff. benutzten eine Quarzquecksilberlampe 
und einen Quarzspektrographen und photographierten das Spektrum 
nach Durchgang der Strahlen durch »Hornhaut oder Glaskörper oder 
Linse des Menschen und verschiedener Tiere. Sie finden, dass die mini¬ 
male Wellenlänge der durch die Hornhaut hindurcbgelassenen ultra¬ 
violetten Strahlen 297 bis 280 ßß beträgt. Ebenso verhielt sich der 
Glaskörper. Nur der von Hund und Katze liess Strahlen bis zu 265 ßß 
hindurch. Die Linse verhielt sich verschieden; die schwächste Absorption 
zeigten die Linsen von Hund und Katze (313 ///i-Strahlen gingen hin¬ 
durch), stärkere die vom Ochsen, Kaninchen, Eule und die von Tiefsee¬ 
fischen, noch stärkere die vom Menschen. Es sind also die Linsen der 
nachts tätigen Tiere (Hund und Katze) am meisten durchlässig; ihnen 
nahe sind die der Eule und der Tiefseefische, an deren Aufenthaltsort 
die Lichtstrahlen nur schwer hindringen. 

M. Gstettner: Ein Beitrag zur Kenntnis des Blinselreflexes 
(Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 6—8.) In über 1000 Versuchen an 
Menschen verschiedensten Alters fand G., dass der Blinzelreflex (hervor¬ 
gerufen durch Berühren der Cilien) leichter von der medialen als von 
der lateralen Partie der Cilien hervorgerufen werden kann; die Empfind¬ 
lichkeit der Cilien ist also am äussersten Lidwinkel am geringsten, um 
gegen den inneren zuzunehmen. Aebnlich verhält sich die Haut der 
Lider. Dabei kann das Blinzeln bei geöffnetem Auge weit leichter als 
bei geschlossenem ausgelöst werden. Auch tritt es relativ selten am 
offenen Auge auf, wenn das zweite, geschlossene, gereizt wird. Das 
Reflexcentrum des Blinzelns ist ein bilaterales, und die Erregbarkeit 
dieses Doppelcentrums wird durch den Lidschluss eines oder beider 
Augen herabgesetzt. 

W. Unger: Ueber den Wärmestillstand des Frosehherzens. 

(Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 6—8.) U. hat den reparablen Wärme¬ 
stillstand der Kammer und der Vorkammern des Froschherzens gesondert 
bestimmt. Für erstere lag er bei 22—37°, für letztere bei 36—40° 
beim spontan schlagenden Herzen. Bei öfter hintereinander hervor¬ 
gerufenem Stillstand tritt er bei immer niedrigeren Temperaturen ein. 
Einschaltung niedrigerer Temperaturen führt zu einer Vermehrung 
der Resistenz gegen den Wärmestillstand, indem die Tendenz zum 
Sinken der Stillstandstemperaturen fortfällt. Sauerstoffmaugel oder 
-reichtum der das Herz umgebenden Ringerlösung war ohne erheblichen 
Einfluss auf die Stillstandstemperatur. Die Vorhöfe kommen unter all¬ 
mählicher Abnahme ihrer Kontraktionen zum Stillstand, die Kammern 
ohne solche plötzlich und früher als der Vorhof. Am durch Stannius- 
sche Ligatur festgestellten und durch Reizung der Kammer zur Tätig¬ 
keit gebrachten Herzen steht umgekehrt zuerst der Vorhof still. Das 
spricht dafür, dass der reparable Stillstand des zuerst stillstehenden 
Herzteils auf elektiver, reversibler Wärmeschädigung des Reizleitungs¬ 
systems beruht. 

K. Bürker: Vereinfachte Methode ;ur Bestimmung der Blut- 
gerinnnngszeit. (Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 6—8.) Vereinfachung 
des früher von B. (Pflüger’s Archiv, Bd. 102 u. 118) beschriebenen Appa¬ 
rates und seiner Benutzung. • 

A. v. Lehmann: Studien über reflektorische Darmbewegungen 
beim Hände. (Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 6—8.) Versuche über das 
Auftreten von Darmbewegungen an curaresierten Tieren, bei denen 
sensible Rumpfnerven oder die Hypogastrici und Erigentes oder 
Splanchnici und Vagi gereizt wurden. In allen Fällen traten Reflexe 
auf die Dick- und Dünndarmbewegungen auf. Jeder der gereizten Nerven 
wirkt entweder nur hemmend oder fördernd. Letzteres geschieht von 
seiten des Vagus und der sensiblen Rumpfnerven, ersteres vom Splancbnicus 
aus. Die Reflexe sind teils spinale, teils cerebrale, so dass Rückenmark- 
und Kopfmarkcentren für die Darmbewegungen angenommen werden 
müssen, deren erstere wesentlich von seiten der visceralen, letztere von 
den Rumpfnerven aus beeinflusst werden. 


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20. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


11? 


F. Mares: Sind die endogenen Parinkörper Produkte der Tätig¬ 
keit der Verdinuogsdrüsen? (Eine Antwort auf die Frage Siven’s.) 
(Pflüger’s Archiv, B. 149, H. 6—8.) Sehr eingehende Kritik der Aus¬ 
führungen und Versuche Siven’s, der im Gegensatz zu M. die über¬ 
schriftlich gestellte Frage verneint hatte. Nach M. nehmen an der 
Bildung der endogenen Purine die Zerfallsprodukte der Kerne der Zellen 
der Verdauungsdrüsen teil. 

F. Smetanka: Zur Herkunft der Harnsäare beim Menschen. 
II. Abhandlung. Antwort_auf die Kritik Siven’s. Pflüger’s Archiv, 
Bd. 149, H. 6—8.) S. bringt neben einer Kritik der Versuche Siven’s 
über die Abstammung der endogenen Purine beim Menschen neue 
eigene Untersuchungen. Er kommt zu dem Ergebnisse, dass die Ein¬ 
nahme purin freier Proteine eine erhöhte Purinausscheidung bewirkt, 
die von der angeregten Tätigkeit der Verdauungsdrüsen herrührt. Die 
Steigerung dauert 5—6 Stunden nach der Nahrungsaufnahme; findet 
diese aber abends statt, so dehnt sich die Steigerung bis zum nächsten 
Vormittag aus. Kohlenhydrate steigern gleichfalls die Purinausscheidung, 
wenn auch in geringerem Maasse. A. Loewy. 


Pharmakologie. 

J. Pohl - Breslau: Ueber die experimentelle Bewertung der Santal- 
priparate. (Therapeut. Monatsh., Dezember 1912.) Die experimentelle 
Prüfung der Santalpräparate mittels des Winternitz’schen Verfahrens 
hat ergeben, dass die Handelspräparate physiologisch ganz verschieden 
sind, dass reines Santalöl energisch wirksam, Kawazusatz ebenfalls 
antiphlogistisch wirksam ist, Gurjumbalsam, Alloran, Arrhovin, Maticoöl 
und Chlorcalcium ungenügend wirksam bis unwirksam blieben. Schliess¬ 
lich weist Verf. darauf hin, dass es ein durchaus ungerechtfertigtes Vor¬ 
urteil ist, in diesen Stoffen nur spezifische Mittel gegen gonorrhoische 
Affektionen zu erblicken. Zum mindesten sollten mit ihnen neue 
kritische klinische Versuche angestellt werden bei allen mit Exsudat¬ 
bildung einhergehenden Prozessen: Pleuritis, Pneumonie, Peritonitis, 
Typhlitis, Meningitis, Bronchitis. Minderung der Entzündungsprodukte 
der Menge nach ist ihre Wirkung und diese, wenn auch nur ein Symptom 
treffend, doch für den klinischen Krankheitsablauf von Nutzen. 

U. Knopf. 

Siehe auch Therapie: Credö, Ein neues subcutanea und intra¬ 
muskuläres Abführmittel. — Haut- und Geschlechtskrankheiten: 
Eichler, Arsenikvergiftung nach Salvarsaninjektion. 


Therapie. 

Th. Pertik • Budapest: Ueber Jodostarin und JodprBparate in 
der Therapie der LaDgenschwiBdsaeht. (Deutsche med. Wochenschr., 
1918, Nr. 2.) Jodostarin ist schadlos und wirkt lange im Organismus. 

Wolfsohn. 

B. Crede-Dresden: Ein neues, subcutanes und intramuskuläres 
Ahflhrmittel. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 52.) Sennatin 
enthält alle wirksamen Prinzipien der Sennesblätter unter Ausschluss 
derjenigen Körper, welche Nebenwirkungen hervorrufen. Es wird in 
Dosen von etwa 2 g subcutan oder intramuskulär injiziert. Die Wirkung 
ist eine sehr gute bei habitueller Obstipation, akuten Darmstörungen 
mit und ohne Meteorismus, bedingt durch Magen-Darmentzündungen, 
Peritonitis usw., als Propbylaktikum bei Laparatomien zur Vermeidung 
von Adhäsionen. Besonders empfehlenswert ist das Mittel bei Geistes¬ 
kranken, Bewusstlosen und Widersetzlichen. Dünner. 

G. V. Fletcher- Birkenhead: Adrenalin bei Keuchhasten. (Brit. 
med. journ., 28. Dezember 1912, Nr. 2713.) Bei einer Dosis von 0,06 g 
der Lösung 1: 1000, dreistündlich gegeben, hat der Verf. in etwa 
40 Fällen eine Abnahme der Zahl der Anfälle und eine Abkürzung der 
Krankheit auf 8 Wochen gesehen. Er empfiehlt weitere Versuche. 

Weydemann. 

V. Heinsberg-Breslau: Zur Beseitigung der Schlnckbeschwerden 
bei Laryaxerkranknngen. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 53.) 
Man schüttet 0,3—0,4 Anästhesin bzw. Orthoform trocken auf die 
Zunge und lässt es trocken schlucken, ohne hinterher zu trinken. 
Das Medikament lagert sich dann an der Stelle des Hindernisses, das 
meist durch Infiltrate oder Ulcerationen am Larynxeingang — also an 
Epiglottis, Aryknorpel und den aryepiglottischen Falten — gegeben ist, 
ab. Der Patient kann dann schlucken. Bei schmerzhaften Anginen 
oder peritonsillären Abscessen sowie nach Mandeloperationen bringt 
dieses „Schluckpulver“ Erleichterung. 

R. Fr a n z • Graz : Seramtherapie bei Melaena neonatorum. (Münchener 
med. Wochenschr., 1912, Nr. 53) F. benutzte die Eigenschaft des Blut¬ 
serums, die Gerinnungsfähigkeit des Blutes zu erhöhen, zu therapeutischen 
Zwecken bei Melaena neonatorum. Er injiziert bei solchen Fällen 
circa 20 ccm Nabelschnurblutserum subcutan. Eventuell ist eine mehr¬ 
malige Injektion erforderlich. Das Serum stellt er so her, dass bei 
gesunden Kreissenden nach der Abnabelung des Kindes das Blut aus 
der Nabelschnur steril aufgefangen wird, das Serum wird zentrifugiert, 
in Fläschchen aus dunklem Glase mit einigen Tropfen Chloroform ver¬ 
mischt in einem kühlen, dunklen Ort luftdicht verschlossen aufbewahrt. 
Nach den von F. gemachten Erfahrungen hält sich das Serum mindestens 
4 Monate. Die Ergebnisse der Injektionen sind gute. Dünner. 


W. Bruce-Sunderland: Behandlung der Blutung bei einen Bluter 
mit galvanischen Nadeln. (Brit. med. journ., 21. Dezember 1912, Nr. 2712.) 
Zweijähriges Kind (Bluter) mit leichter Zungenverletzung. Eine Nadel 
wurde in der Mitte der blutenden Stelle eingestochen, die andere 3 mm 
davon; Stromstärke 5 Milliampere. Nach 2 Minuten stand die Blutung, 
das umgebende Gewebe war weiss und etwas geschwollen. 

Weydemann. 

A. Zografides - Athen: Beitrag zur Therapie der Otitis externa 
farancalosa. (Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 51.) Z. hat in den 
letzten Jahren die besten Resultate mit folgender Methode erzielt: er 
macht — einerlei, ob es zur Abscessbildung gekommen ist oder nicht — 
nach vorheriger gründlicher Desinfektion 3 bis 5 Längsschnitte an der 
Stelle, wo die Schmerzen sitzen, und führt dann sofort sterile Gaze¬ 
streifen ein, die in eine lOproz. Carbollösung getaucht sind. 

P. Hirsch. 


Allgemeine Pathologie u. pathologische Anatomie. 

C. Hirsch und 0. Thorspecken-Göttingen: ExperimentelleJlnter- 
8uchungen zur Lehre von der Arteriosklerose. (Deutsches Archiv 
f. klin. Med., Bd. 107, H. 5 u. 6.) Verf. konnten an Kaninchen nach 
Durchschneidung des N. depressor durch intravenöse Adrenalininjek¬ 
tionen bedeutend stärkere arteriosklerotische Veränderungen der Aorta 
erzeugen als bei Tieren ohne Durchschneiduog des Nerven. Sie er¬ 
blicken die Ursache dieser Erscheinung in der dauernden und vermehrten 
Inanspruchnahme der Aortenelastizität nach Depressorresektion. Die 
chemische Adrenalineinwirkung setzt bei dem mehr angestrengten Ge- 
fäss hochgradige Veränderungen. G. Eisner. 

J. Sasaki: Zur experimentellen Erzeugung der Struma. (Deutsche 
Zeitschr. f. Chirurgie, 1912, Bd. 119, H. 3 u. 4.) Dem Verf. ist es ge¬ 
lungen, nach längerer Zeitdauer durch Fütterung und Injektion von 
Rattenkot bei Ratten Veränderungen der Schilddrüse zu erreichen, und 
zwar meist eine diffuse Hyperplasie. Ein direkter Nachweis, welche Sub¬ 
stanz toxisch wirkt, ist nicht gelungen. Es wird aber vermutet, dass 
die Ursache in giftigen Zersetzungsprodukten organischer Substanzen zu 
suchen ist, und man muss annehmen, dass vielleicht mehrere derartige 
Toxine oder Toxoalbumine in der gezüchteten Kotmasse enthalten sind. 

Fritsch - Breslau. 

McCarthy und Karsner: Adenocarcinom der Thyreoidea mit 
Metastasen in den Cervicaldrüsen und der Hypophyse. (Ein Beitrag 
zur anormalen Fettbildung.) Americ. journ. of med. Sciences, 1912, 
Nr. 6.) Krankengeschichte und ausführlicher makroskopischer und 
mikroskopischer Sektionsbefund eines 52 jährigen Patienten, der unter 
den Erscheinungen einer Apoplexie 1903 erkrankte und 1908 unter 
Dyspnoe starb. Er zeigte am Halse beiderseits gleichmässige Schwellung, 
die als Fettablagerung gedeutet wurde. Sonst keine abnorme Fett¬ 
bildung. Sektion bestätigte den Befund nicht Schelenz. 

Georgopulos- Athen: Ueber die entgiftende Tätigeit der Para¬ 
thyreoidea bei der Nephritis. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 76, H. u. 4.) 

G. hat untersucht, ob eine Steigerung der Epithelkörperchentätigkeit auf 
die Entwicklung einer Uraunephritis bei Kaninchen einen hemmenden 
Einfluss ausübt. Gleichzeitig wurde den Tieren, um eine Ueberfunktiou 
der Epithelkörperchen hervorzurufen, die Schilddrüse extirpiert. Es 
zeigte sich, dass in einer grösseren Versuchsreihe diejenigen Kaninchen 
länger lebten, bei denen durch Exstirpation der Schilddrüse eine Ueber- 
funktion der Epithelkörperchen ermöglicht war. Dass die Schilddrüsen¬ 
exstirpation als solche keinen Einfluss auf die Lebensdauer der uran¬ 
vergifteten Kaninchen ausübte, wurde durch Kontrollversuche gezeigt. 
Folglich beruht die längere Lebensdauer uranvergifteter und tbyreoidekto- 
mierter Kaninchen auf einer hemmenden Wirkung der Parathyreoidea 
gegenüber den bei der Urannephritis entstehenden giftigen Stoffen. 

H. Hirschfeld. 

V. Kollert-Wien: Das skaphoide Sehalterblatt und seine 
klinische Bedeutung für die Prognose der Lebensdauer. (Wiener klin. 
Wochenschr., 1912, Nr. 51.) Die skaphoide Schulterblattform ist eine 
im intrauterinen Leben entstehende Abnormität; die Knochenform bleibt 
während des extrauterinen Lebens im ganzen unverändert. Sie ist das 
Zeichen einer angeborenen Minderwertigkeit des Individuums, meist sterben 
die Träger in jungen Jahren, und zwar häufig an Tuberkulose. 

P. Hirsch. 

Siehe auoh Innere Medizin: Beumelburg, Aetiologie der 
Hodgkin’schen Krankheit. 


Diagnostik. 

A. Friediger-München: Dimethylanidoazobenzol als mikro¬ 
chemisches Reagens auf Fett, insbesondere über seine Verwend¬ 
barkeit zu kombinierten Färbungen in der Mikroskopie des Magen- 
und Darminhalts. (Münchener med. Wochenschr., Nr. 52.) F. be¬ 
nutzt da9 Dimethylamidoazobenzol zum Nachweis von Fett im Magen¬ 
inhalt und Fäces, das sich goldgelb färbt. Um das Gesamtfett durch 
Gelbfärbung differenziert zu erhalten, setzt man etwas Essigsäure zu 
und erhitzt etwas. F. fügt noch einige charakteristische Färbungen 
erzeugende Chemikalien hinzu, um Stärke, Muskelreste usw. sichtbar zu 
machen. Seine Mischung: konzentrierte alkoholisch Dimetbylamidoazo- 

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UNIVERSUM OF IOWA 




Nr. 3. 


119 _ BERLINER KLINI SCHE WOCHENSCHRIFT. 


bcnzol, Alkohol absol. 0,75 pCL, alkohol. Eosinlösung (70 pCt. Alkohol), 
konzentrierte Essigsäure aa 20,0, Lugol’sche Lösung gtt XX, Mucicarmin 
(konzentrierte, wässerige Lösung) gtt XX. Ausführliche Beschreibung der 
Technik; es kommt immer darauf an, mit wasserfreiem Mageniuhait bzw. 
Fäces zu arbeiten. Dünner. 

V. Ewart-London: Die Diagnose der Appendicitis vor der Operation; 
neue Methode der Untersuchung am Rücken. (Brit. med. journ., 28. De¬ 
zember 1912, Nr. 2713.) Bei Gesunden findet sich jederseits in der 
Gegend der Uiosacralgelenke eine rechteckige Dämpfung, die mit einem 
Sausam’schen Plessimeter leicht perkutiert werden kann. Die rechte 
ist etwas intensiver als die linke, wahrscheinlich wegen des luft¬ 
leeren Wurmfortsatzes. Nach Entfernung des Wurmfortsatzes ver¬ 
schwindet die rechte Dämpfung oder macht in einigen Fällen einer ent- 
sprecl md gestalteten Fläche mit tympanitischem Schall Platz. Jede 
pathologische Verdickung der Gebilde in der Gegend der Uiocoeealver- 
bindung vergrössert die rechte Dämpfung, während jede Aufblähung des 
Coecums oder des ileums den Schall an der Stelle tympanitisch macht. 
Eine Vergrösserung der rechten Dämpfung zeigt eine Appendicitis an, 
auch wenn die sonstige Untersuchung noch keine Anzeichen dalür gibt. 
Bei der Untersuchung steht der Patient am besten vornübergebeugt 
und stützt sich mit den Händen auf einen Tisch; iin Bette sitzt er oder 
liegt auf der linken Seite. Weydemann. 


Parasitenkunde und Serologie. 

P. Frosch - Berlin: Differenzierung fnchsingefärbter Präparate 
durch Gegenfärbnng. (Centralbl. f. Bakt. usw., I. Aht., Orig., Bd. 64, 
Loelfler-Festschrift, S. 118.) Um für fuchsingefärbte Bakterienpräparate 
eine scharfe Differenzierung bzw. Gegenfärbung zu erhalten, benutzt Fr. 
folgendes Verfahren, das sich ihm besonders bewährt hat: Voriärbuug 
der Deckglas- oder Objektträg»*rausstriche mit wässeriger Fuchsinlösung, 
unmittelbar darauffolgende Differenzierung in einer wässerigen, leicht 
angesäuerten Lösung von Patentblau-Höchst, Abspülen in schwach 
saurem Wasser (1—2 Tropfen Eisessig auf 20—30 ccm Aq. dest.), 
Trocknen, Einlagen. Kerne und Bakterien erscheinen in diesen Prä¬ 
paraten leuchtend rot, alle übrigen Zellbestandteile blau bzw. grün. 

H. Zipfel - Greifswald: Zur Kenntnis der Indolreaktion. (Central¬ 
blatt f. Bakt. usw., I. Abt., Orig., Bd. 64, Loetfler-Festschrift, S. 65.) 
Die Möglichkeit der Indolbildung durch Bakterien hängt nach den 
Untersuchungen des Verf.’s von der Anwesenheit der Tryptophangruppe 
(Indol-a-aminopropionsäure) in dem Nährsubstrat ab. Z. hat eine Nähr¬ 
lösung mit Zusatz von Tryptophan in verschiedenen Konzentrationen 
angegeben, die den Nachweis der Indolbildung durch Bakterien ebenso 
gut wie eine Peptonlösung gestattet und verschiedene Vorteile dieser 
gegenüber besitzt. Bierotte. 

E. H. Ross: Ein intrazellulärer Parasit, der sich zu Spirochäten 
entwickelt. (Brit. med. journ., 14. Dezember 1912, Nr. 2711.) Durch 
die Gallertmethode der vitalen Färbung ist es gelungen, nachzuweisen, 
dass die in den mononucleären Leukocyten der Meerschweinchen be¬ 
obachteten sogenannten KurlofTschen Körperchen Parasiten sind und 
Spirochäten entwickeln. Weydemann. 

Schütz-Berlin: Die rotzigen Lnngenerkranknngen der Pferde 

nebst Bemerkungen über den serologischen Nachweis der Rotzkrankheit. 
(Centralbl. f. Bakt. usw., I. Abt., Bd. 64, Loelfler-Festschrift, S. 87.) 
Sch. unterscheidet neben dem in den verschiedensten Organen vor¬ 
kommenden Rotzknötchen, der wichtigsten anatomischen Veränderung 
bei der Rotzkrankheit, folgende Formen von Lungenaffektionen rotzigen 
Ursprungs: 1. Die rotzige zeitige oder zellig-übrinöse Lungenentzündung. 

2. Die rotzige chronische indurative Pneumonie und Bronchopneumonie. 

3. Die eitrige Bronchitis und Peribronchitis. Von serologischen Fragen 
werden kurz Agglutinations- und Komplementbindungsmethode in ihrem 
Wert für die Erkennung der Rotzkrankheit beim lebenden Pferd be¬ 
sprochen, sowie ausführlicher Mallein, Antimaliein und Malleioisation 
behandelt. 

H. Miessner - Bromberg: Ueber die Infektiosität von Organ¬ 
teilen rotziger Pferde und die Komplementbindnngsreaktion beim 
Meerschweinchen, sowie einige Heil- und Immunisierungsversuche. 
(Centralbl. f. Bakt. usw., L Abt., Orig., Bd. 64, Loeffler-Festschrift, 
S. 121.) Die Infektion von Meerschweinchen mit rotzigen Orgauteilen 
von Pferden führt nur in */< der Fälle eine rotzige Erkrankung der Ver¬ 
suchstiere herbei. Am besfen geeignet zur Infektion sind frische Lungen¬ 
knoten, Milzknoten und die rotzig erkrankte Nasenschleimhaut. Der 
Meerschweinchen versuch ist zur Rotzdiagnose nur mit grösster Vorsicht 
verwertbar. Im Blute bzw. im Serum rotzkranker Pferde sind nur aus¬ 
nahmsweise durch den Meerschweinchenversuch Rotzbacillen nachzu¬ 
weisen. Die Kompleraentbindungsreaktion bei Meerschweinchen, die mit 
rotzigen Organen bzw. mit Blut rotziger Pferde infiziert sind, ist als 
diagnostisches Hilfsmittel zur Erkennung der Rotzkrankheit nicht zu 
verwerten. Dem natürlichen Magensaft der Pferde ist eine besondere 
baktericide Wirkung auf Rotzbacillen nicht zuzusebreiben. Durch ein- 
bzw. zweimalige Vorbehandlung mit Antiformin-Rotzbacillenaufschwem- 
mungen ist bei Meerschweinchen weder bei subcutaner noch bei intra¬ 
abdominaler Verabreichung ein wirksamer Schutz gegen eine Rotzbacillen¬ 
infektion zu erzeugen. Salvarsanbehandlung ist zur Bekämpfung des 
Rotzes nicht geeignet. Bierotte. 


E. F. Bashford - London: Das Krebsproblem. (Deutsche med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 2 ) Leyden-Vorlesung, gehalten im Verein für 
innere Medizin und Kinderheilkunde in Berlin am 21. Oktober 1912. 

Wol fsoh n. 

E. v. Dun gern - Heidelberg: Serodiagnostik der Geschwülste 
mittels Komplementablenknngsreaktion. (Münchener med. Wochenschr., 
1912, Nr. 52.) Anstatt alkoholischer Tumorextrakte benutzt D. Aceton¬ 
extrakt von menschlichen roten Blutkörperchen zur Anstellung der 
Reaktion. Während mit diesem Extrakt auch Syphilitiker und Tuber¬ 
kulöse reagieren, wird die Reaktion tumorspezifischer, wenn man Natron¬ 
lauge anwendet und zur Kontrolle verwässerte Sera benutzt. Genaue 
Technikangabe. Dünner. 

Barsony und Egan - Budapest: Ueber die diagnostische Ver¬ 
wertung der Echinokokkenkomplementbiading. (Zeitschr. f. klin. 
Med., Bd. 76, H. 3 u. 4.) Bei den Versuchen, mit Hilfe der Komplement¬ 
bindung die Echinokokkendiagnose zu stellen, machte von jeher die Be¬ 
schaffung geeigneter Antigene Schwierigkeiten. Die Verfasser empfehlen 
folgendes Verfahren: Frisch vom Schlachthof bezogene Rinderechino¬ 
coccuscysten werden gespalten und ihr Inhalt steril aufgefangen. Die 
Flüssigkeit wird dann im Vaccuumexsikkator bei 37° so lauge eingeengt, 
bis der Titer ca. 2 ccm beträgt. Dann setzt man so viel Phenol zu, 
dass eine 0.5 proz. Konzentration besteht. Ein so hergestelltes Antigen 
behält seinen Titer Monate hindurch. Die Verfasser erhielten mit einem 
solchen bei acht Echinococcuskranken positive Komplementbindungs¬ 
reaktion, doch war die Hemmung in drei Fällen unvollständig. Leider 
beobacht man unvollständige Hemmungen auch bei anderen Krankheiten. 
Das begegnete den Verfassern achtmal. Sechsmal war hier auch die 
Wassermann’sche Reaktion positiv, einmal wareine Taenia mediocanellata 
vorhanden und in einem Falle lag Cholelithiasis mit schwerem Icterus 
und chronischer Pankreatitis vor. Die Reaktion ist also nicht streng 
spezifisch; bei unvollständiger Hemmung ist Vorsicht geboten, doch muss 
mau bei stark positiver Reaktion stets an Echinococcus denken. Bei 
negativem Ausfall ist Echinococcus nur mit Wahrscheinlichkeit auszu- 
schliessen. H. Hirschfeld. 

S. Ishioka - Tokio: Zur Histologie der anaphylaktisches Pneu¬ 
monie. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 107, H. 5 u. 6.) Es ge¬ 
lingt bei anaphylaktisch gemachten Meerschweinchen durch Injektion des 
betreffenden Serums in die Trachea anaphylaktische Pneumonien zu er¬ 
zeugen, die der menschlichen fibrinösen Pneumonie an die Seite gestellt 
werden können. Es handelt sich um aseptische Lungenentzündungen 
und nicht um sekundäre Bakterieninvasionen. In allen Lungen findet 
man ferner Zeichen mehr oder weniger hochgradigen Emphysems, was 
als Folge des anaphylaktischen Shocks aufzufassen sein dürfte. Der 
lobäre Charakter der Pneumonie wird bei den Tierversuchen nicht immer 
gewahrt. Dies ist dadurch zu erklären, dass die Tiere in einem ver¬ 
hältnismässig frühen Stadium der Erkrankung getötet wurden und in 
den ersten 1—2—3 X 24 Stunden zur Beobachtung kamen. Ob alle 
Stadien der menschlichen fibrinösen Pneumonie überhaupt möglich sind, 
ist zweifelhaft. Auch der Fibrinreichtum ist in den experimentellen 
Pnenmonien gering. G. Eisner. 

C. v. A n ge rer - Erlangen: Zar Epipkaiiareaktion. (Münchener 
med. Wochenschr., 1912, Nr. 53.) Polemik gegen Korff-Petersen 
und Brinkmann in Nr. 45 der Münchener med. Wochenschr. Schluss¬ 
sätze: Die Epipbaninreaktion wird durch die Kohlensäure der Luft und 
der Ausatmung nicht beeinflusst. Messfehler könneu mittels geeigneten 
Instrumentariums auf ein unschädliches Maass heruntergedrückt und durch 
Doppelbestimmungen ausgeschaltet werden. Es ist unrichtig, dass bei 
der Reaktion mit den Fehlern auch die Ausschläge schwinden und nur 
durch Fehler bedingt sind. Dünner. 

P. Esch - Marburg: Bewirkt das Kiad während des intranteriien 
Lebens eine Ueberempflndlicheit bei der Matter? (Centralbl. f. 
Bakt. usw., I. Abt., Orig, Bd. 64, Loeffler-Festschrift, S. 13.) E. 
kommt auf Grund der Ergebnisse von zwei Versuchsreihen zu dem 
Schluss, „dass eine Ueberempfindlichkeit der Mutter, bedingt durch das 
Kind während des intrauterinen Lebens, einstweilen nicht nachzu¬ 
weisen ist.“ Bierotte. 

Siehe auch Innere Medizin: v. Lindsi, Finkler’sches Heil¬ 
verfahren bei Impftuberkulose des Meerschweinchens. — Augenheil¬ 
kunde: Huntemüller und Paderstein, Chamydozoenbefunde bei 
Schwimmbadconjunctivitis. 


Innere Medizin. 

A. Rolland - Heidelberg: Zur Frage des toxogenen Ei Weisszerfalls 
im Fieber des Menschen. (Deutsches Archiv, f. klin. Med., Bd. 107, 
H. 5 u. 6.) Es werden an zwölf Patienten mit fieberhaften Erkrankungen 
Stoffwechselversuche angestellt, die die Frage nach der Existenz eines 
toxogenen Eiweisszerfalls im Fieber klären sollten. Es gelang, mit einer 
gerade ausreichenden Kost ein vollständiges oder nahezu vollständiges 
Stickstoffgleicbgewicht zu erzielen. Nur bei Temperaturen, die um 40® 
schwankten, trat manchmal ein geringfügiger Stickstoffverlust ein, der 
wohl am richtigsten einem Ueberbitzungseiweisszerfall zur Last gelegt 
wird. Es ist nicht notwendig, einen toxogenen Eiweisszerfall als Cha- 
rakteristicum des Fieberstoffwechsels anzunehmen. 

Fr. Nolly-Leipzig: Bemerkungen zu dem Aufsatz von F. G. Bene¬ 
dikt: Ein Universalrespirationsapparat. (Deusches Archiv f. klin. 
Med., Bd. 108, H. 5 u. 6.) Kontroverse gegen Benedikt. 


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UMIVERSITY OF IOWA 



20. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


119 


0. Bruns - Marburg: Untersuchungen über den respiratorischen 
Gaswechsel bei Erkrankungen der Lange and der luftzuführenden 
Wege. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 107, H. 5 u. 6.) Beim ein¬ 
seitigen offenen Pneumothorax enthält die coilabierte Lunge weniger Blut 
als die ausgedehnte. Der 0 2 -Gebalt des Blutes geht oft bis fast zur 
Hälfte zurück; der CO,-Gehalt steigt beträchtlich an. Beim geschlossenen 
Pneumothorax ist der respiratorische Gaswechsel normal. Bei rascher 
Einengung der atmenden Lungenoberfläche (Pneumonie, Pleuritis ex¬ 
sudativa, Verstopfungsatelektase) sowie bei energischer Stenosierung der 
luftzuführenden Wege (Trachealstenose) tritt 0 2 -Armut und C0 2 -An- 
reicherung auch im arteriellen Blut ein. Der Einfluss der genannten 
Lungenaffektionen auf den respiratorischen Gaswechsel hängt ab von der 
Grösse des ausgesebalteten Lungenbezirks, von der Schnelligkeit der Aus¬ 
schaltung, von der Funktionsbreite der Kompensationsvorrichtungen über¬ 
haupt sowie von der individuellen und momentanen Leistungsfähigkeit 
dieser Ausgleichvorrichtungen (Atemceutrum, Kreislauforgane, Kraft der 
Atemmuskulatur, Thorax- und Lungenelastizität). E. Eisner. 

W. Freymuth: Heilstättenerfahrungen über Tuberkuloseinfektion 
und Schwindsuchtsentstebung mit besonderer Berücksichtigung der Römer- 
schen Anschauungen. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 23, H. 4) 
Yerf.’s Anschauungen nähern sich in vielen Punkten denen Römer’s, 
weisen aber auch nicht unbeträchtliche Abweichungen auf. Häufigkeit 
der Kindheitsinfektion wird zugegeben, ihre Bedeutung jedoch nach dem 
Alter, in dem sie erfolgt, verschieden bewertet. In den ersten 2 Jahren 
absolut letal, nimmt sie schrittweise an Gefährlichkeit ab. Zwischen 
6. und 15. Jahr zeigt sie ausgesprochen gutartigen Charakter, daher 
nicht als allgemein richtig zu erkennen, dass die erste Infektion mit 
Tuberkulose gewöhnlich zu galoppierenden Tuberkuloseforraen führt. 
Die Lungentuberkulose der Erwachsenen ist gewöhnlich nicht als die 
einfache Fortsetzung einer Kindheits-Lungeninfektion anzusehen, sondern 
als eine neue Erkrankung. Hierbei Bedeutung sozialer und persönlicher 
Schädigungen. Eine besonders schwere Kindheitsinfektion ist wahrschein¬ 
lich nicht als Hauptgrundlage der Lungentuberkulose anzusehen, auch 
nicht massive Reinfektionen als Ursache der Lungenphthise; dieselben 
erzeugen vielmehr floride Lungentuberkulose der Erwachsenen. 

E. Ebstein: Die Ausmessung der Krb’nig’schen Schallfelder und 
ihre klinische Bedeutung. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 23, H. 2.) 
Verf. gibt seinen perkutorischen Befunden über der Lungenspitze einen 
zahlen massigen Ausdruck mittels eines auf dem Stiele seines Perkussions¬ 
hammers angebrachten Zentimetermaasses. 

Kennerknecht: Ueber das Vorkommen von Tuberkelbacillen im 
stromernden Blute bei Kindern. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 23, 
H. 2.) Von 120 untersuchten Kindern hatten 109, also 91 pCt., Tuberkel¬ 
bacillen im Blut, 100 pCt. von 68 sicheren Tuberkulosen, 18 Fälle von 
20 tuberkuloseverdächtigen, das sind 90 pCt., und 23 Fälle von 31 Kindern, 
die nicht für tuberkulös gehalten worden waren, das sind 74 pCt. Der 
direkte Nachweis der Bacillen im Blut ist von grösstem diagnostischen 
Wert und übertrifft die Pirquet’sche und Moro’sche Reaktion. Die 
Bacillen finden sich in den allerfrühesten Stadien im Blut. Tuberkel- 
bacillen fanden sich bei den intraperitoneal infizierten Versuchstieren 
stets im Blut, in der Lunge und den Bronchialdrüsen, auch in anderen 
Organen kreisen Tuberkelbacillen dauernd im Blute, und es ist placentare 
Uebertragung auf die Nachkommenschaft möglich. Bei einem trächtigen 
Tier konnten in Placenta, Leber und Milz eines schon vorher ab¬ 
gestorbenen Fötus Bacillen nachgewiesen werden. 

v. Lin den-Bonn: Die Ergebnisse des Finkler’schen Heilverfahrens 
bei der Impftuberkulose des Meerschweinchens. (Beitr. z. Klinik d. 
Tuberkul., Bd. 23, H. 2.) Versuche mit dem Chlor- und Jodwasserstoffsalz 
des Methylenblaus, mit Jodmetbylenblau, mit Kupferchlorid in wässriger 
Lösung und mit komplexen Kupferlecithinverbindungen in öliger oder 
wässriger Emulsion. Während die Kontrolliere eine durchschnittliche 
Lebensdauer von 15 Wochen und eine maximale von 18 Wochen haben, 
leben die Methylenblautiere durchschnittlich 28 Wochen, und ihr Maxi¬ 
mum war 42 Wochen. Bemerkenswert ist, dass die Hälfte der be¬ 
handelten Tiere nicht an Tuberkulose, sondern infolge anderer Ursachen 
eiogegangen ist. In 50pCt. der Fälle soll ein ganz offensichtlicher Heil¬ 
erfolg erzielt sein, darunter eine völlige Heilung. Auch die Kupfertiere 
weisen eine erhebliche Lebensverlängerung auf, selbst in solchen Fällen, 
in denen die Tiere ausserdem seuchenkrank waren und dieser Sekundär¬ 
infektion schliesslich zum Opfer fielen. Die Tuberkulose breitet sich 
mehr lokal aus, nicht miliar. 

E. Meissen-Hohenhonnef: Meine Erfahrungen bei Lungentuber- 
kalose mit Jodmetbylenblau und Kupferpräparaten. (Beitr. z. Klinik 
d. Tuberkul., Bd. 23, H. 2.) 47 Lungenkranke, die gleichzeitig die ge¬ 
wöhnliche hygienisch-diätetische Kur im Sanatorium durchführten, wurden 
behandelt. Die mittelschweren Fälle wurden fast sämtlich mit Kupfer¬ 
präparaten behandelt und sollen einen günstigeren Kurverlauf gezeigt 
haben als nur die allgemein behandelten, die Besserung wurde aber 
sehr langsam erzielt. Die schweren Fälle versagen und bei den leichteren 
ist nicht festzustellen, ob der Erfolg nicht der allgemeinen Kur zuzu¬ 
schreiben ist. 

A. S trau ss-Bar men: Meine Erfahrungen mit Jodmetbylenblau und 
Kupferpräparaten bei äusserer Tuberkulose, speziell bei Lnpns. (Beitr. 
z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 23, H. 2.) Behandelt wurden ca. 60 Fälle 
von Lupus und anderer äusserer Tuberkulose mit mehr als 1600 In¬ 
jektionen. Die Mittel zeigten eine gute Wirkung, besonders bei ober¬ 


flächlichen und ulcerösen Hauttuberkulosen. Auch Fälle, die aller Be¬ 
handlung trotzten und nicht mehr operiert werden konnten, zeigten im 
Anfang oft Tendenz zur Heilung. 

0. Amrein-Arosa: Behandlung der Lungentuberkulose mit Eisen- 
tuberkuliu. (Beitr. z. Klinik der Tuberkul., Bd. 23, H. 2.) Von zehn 
Fällen des 1. Stadiums war der Erfolg der Behandlung mit TFe ein 
positiver in 9 Fällen, ein negativer in einem Fall, von 28 Fällen des 

II. Stadiums positiv iu 22 Fällen, negativ in 6 Fällen, in 3 Fällen des 

III. Stadiums positiv in einem Fall, negativ in 2 Fällen. Verschlechte¬ 
rung fand in keinem Falle statt. Besonders beachtenswert sind zwei 
Entfieberungen, die mit allerkleinsten Dosen (0,000 000 1—0,000 000 01) 
gelangen. Verf. hat den Eindruck, dass das TA in seiner Wirksamkeit 
dem TFe überlegen ist, empfiehlt das letztere aber für fiebernde Fälle 
und da, wo grosse Vorsicht geboten ist. 

0. Orszdg und I. Spitzstein: Therapeutische Erfahrungen über 
das Koch’sche albumosefreie Tuberkulin. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., 
Bd. 23, H. 4.) Die Erfahrungen mit den früheren über TA vergleichend, 
wollen die Verfasser in dieser Arbeit sich mit der Tuberkulintherapie 
nicht im allgemeinen und des näheren befassen. Sie begnügen sich, fest¬ 
zustellen, dass es ohne Zweifel steht, dass das TAF in Verbindung mit 
der hygienisch diätetischen Behandlung mindestens so gute Erfolge er¬ 
gibt als das TA. Es hat den Vorteil, dass es Fieberreaktionen seltener 
hervorruft und auch dann ohne unangenehme Allgemeioerscheinungen, 
die nur selten und gering zu beobachten sind. Diese Eigenschaft macht 
es empfehlenswert, dass das letzte Präparat Koch’s eher zu Heilzwecken 
angewandt wird als die übrigen älteren des berühmten Forschers. 

H. Berberich: Die cutaue Tuberkul inimpfung nach v. Pirquet. 
(Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 23, H. 2.) Bestätigung, dass der Aus¬ 
fall der Pirquet’schen Reaktion in den ersten drei Lebensjahren, be¬ 
sonders aber im Säuglingsalter, als vollwertiges, sicheres diagnostisches 
Hilfsmittel der Diagnose der Tuberkulose des Kindesalters angesehen 
werden darf. Negativer Ausfall bei klinisch sicher Tuberkulösen gilt 
als ungünstiges prognostisches Zeichen. J. W. Samson. 

Cruicice: Auftreten von Purpura im Verlaufe der chronische! 
Lungentuberkulose. (Americ. journ. of med. Sciences, 1912, Nr. 6.) 
Auftreten von Purpura soll als Frühsymptom für Tuberkulose zu ver¬ 
werten sein. Jedenfalls ist ihr Erscheinen im Verlauf einer länger be¬ 
stehenden Tuberkulose prognostisch ungünstig zu betrachten und ist 
danach immer ein weiteres Fortschreiten des Prozesses zu verzeichnen. 
Krankengeschichten belegen die Beobachtung. 

H. Königer-Erlangen: Ueber die Technik und Indikation des 
künstlichen Pneumothorax. (Therapeut. Monatsh., Dezember 1912.) 
Verf. fasst sein Urteil über die Technik des künstlichen Pneumo¬ 
thorax dahin zusammen: Der operative Eingriff ist weder schwierig noch 
gefahrvoll; die Durchführung der ganzen Behandlung aber verlangt eine 
langdauernde sorgfältige klinische Beobachtung und stellt grosse An¬ 
forderungen an das klinische Urteil und an das Individualisierungs¬ 
vermögen des behandelnden Arztes. Bei sachgemässem Vorgehen besteht 
begründete Hoffnung, dass es mittels der neuen Therapie in einer 
steigenden Zahl von Fällen gelingen wird, schwere, sonst unheilbare 
Lungenerkraokungen zum Stillstand zu bringen. Betreffs der Indi¬ 
kation werden die beiden wichtigsten Vorbedingungen der Therapie 
(das Erhaltensein eines grossen, freien Pleuraraumes und die über¬ 
wiegende Einseitigkeit des Prozesses) am häufigsten von frischeren und 
weniger ausgedehnten Erkrankungen erfüllt. Verf. ist daher geneigt, 
für eine über das ultimum refugium hinausgehende Indikation einzu¬ 
treten und die Indikation nicht sowohl von der Ausdehnung als von der 
unaufhaltsamen Progredienz abhängig zu machen. Scheienz. 

Rösler und H. Jarczyk - Leipzig: Ueber die Wirkung von Atopban 
bei chronischer myeloischer Leukämie. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 
Bd. 107, H. 5 u. 6.) Atophan bewirkt bei chronischer myeloischer 
Leukämie eine vermehrte Harnsäureausscheidung; in einem Fall (von 
zwei Fällen) war auch vermehrte Diurese nachweisbar. Entsprechend 
der Dosis von 0,5—3,0 g Atophan beträgt die prozentuale Zunahme 
der ausgeschiedenen Harnsäure 7—58,3 pCt. Der Gesamtstickstoffumsatz 
erfahrt durch Atophan keine besondere Steigerung. Eine elektive Wirkung 
auf die harnsäureausscheidende Funktion der Niere im Sinne Wein- 
traud’s ist bei der Leukämie nicht anzunehmen. Vielmehr liegt es 
nahe, die vermehrte Harnsäureausscheidung auf eine Störung der Urico- 
lyse im Sinne Scbittenhelm’s zurückzuführen. Das Blutbild zeigte 
während und nach der Atopbaneinwirkung keine deutliche Abnahme der 
Leukocyten. Therapeutisch ist Atophan bei Leukämie unwirksam. 
Grössere Dosen (3,0 g) verschlechtern das Allgemeinbefinden, machen 
Verstopfung .und Leberschmerzen. G. Eisner. 

H. E. Walther: Zur Kenntnis der Puls- und Blutdruekverände- 
ruugen beim Pneumothorax. (Deutsche Zeitschr. f. Cbir., 1912, Bd. 119, 
H. 3—4.) Verf. hat die Vermutung, dass es sich bei den Puls- und 
Blutdruck Veränderungen beim Pneumothorax um Einflüsse von seiten 
des Nervus vagus handelt, experimentell an Kaninchen und Hunden 
nachgeprüft und kommt zu dem Schluss, dass beim offenen Pneumo¬ 
thorax eine Blutdrucksteigerung verbunden mit Verlangsamung und 
Grösserwerden des Pulses auftritt. Wird der Vagus ausgeschaltet 
(Atropiniojektion), so steigt der arterielle Blutdruck wie bei intaktem 
Vagus. Wird Sauerstoff zugeführt, so bleibt der Druck annähernd auf 
gleicher Höhe, während die Pulskurve das Bild des Vagusreizes darbietet. 
Um die verschiedenen Grade des geschlossenen und offenen Pneumo- 

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UNIVERSUM OF IOWA 





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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 3. 


thorax am gleichen Tier feststellen zu können, hat Verf. eine kompli¬ 
zierte Kombination von Apparaten angebracht, durch die es gelingt, 
alle Abstufungen des geschlossenen Pneumothorax zu erzeugen. Bezüg¬ 
lich des Zusammenhanges zwischen intrapleuralem Druck und Vagus¬ 
tonus lässt sich auf Grund dieser Versuche feststellen, dass dem Minus¬ 
druck ein hoher, dem Pulsdruck ein geringer Grad von Vagustonus ent¬ 
spricht. Fritsch. 

Deist: Ueber Albumosurie bei Tuberkulose. (Beitr. z. Klinik d. 
Tuberkul., Bd. 23, H. 4.) Albumosurie findet sich im Verlauf der Tuber¬ 
kulose einwandfrei ohne nachweisbare äussere Ursache nur bei Fällen 
dritten Stadiums. Aetiologisch kommen dafür die Albumosen der 
Bacillenleiber und der erhöhte Elweisszerfall im Herd in Betracht. Für 
die Albumosurie nach Tuberkulininjektionen kommt ebenfalls der ge¬ 
steigerte Eiweisszerfall im Herd infolge einer — wenn auch nicht äusser- 
lich nachweisbaren — Herdreaktion in Frage. Da diese Albumosurie 
meist nach drei Tagen verschwindet, deutet länger anhaltende Reaktion 
auf frischere entzündliche Erkrankung (aktiven Prozess) hin. 

A. Pagenstecher-Braunschweig: Tabes nervosa (eine Kranken¬ 
geschichte von 1819). (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 23, H. 2.) 
Fall von allgemeiner Tuberkulose. J. W. Samson. 

E. Behrenroth-Greifswald: Beiträge zur Klinik des Lungenechino- 
C0CCU8. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 108, H. 5 u. 6.) Be¬ 
schreibung von 5 Fällen von Lungenechinococcus. Verf. hebt besonders 
den Wert des Röntgenverfahrens für die Frühdiagnose und für die In¬ 
dikationsstellung eines chirurgischen Eingriffes hervor. G. Eisner. 

Th. Sch renk-Heidelberg: Wirkung der Digitalis auf die ver¬ 
schiedenen Formen von Herzerkranknng. (Münchener med. Wochen¬ 
schrift, 1912, Nr. 53.) Verf. bringt eine Statistik über die verschiedenen 
Herzerkrankungen (inkl. Arteriosklerose und Nephritis), bei denen Digitalis 
gegeben wurde. Schlechte Reaktion sah er zunächst in den Fällen, bei 
denen man einen schlechten Zustand des Herzmuskels annehmen muss, 
ferner bei vorwiegend einseitiger Kammerschwäche, z. B. bei Insuffizienz 
des rechten Herzens infolge von Lungenerkrankung. Bei hepatischer 
Stauung ist die Digitalis oft wirkungslos. Bei Arteriosklerotikern ist die 
Diurese gefährdet, falls man grosse Dosen gibt. Die Digitalisdarreicbung 
muss vorsichtig sein, weil sich sonst sehr leicht die Diurese verschlechtert. 

Dünner. 

Th. Lewis-London: Beobachtungen über die akustischen Erschei¬ 
nungen bei der Mitralstenose. (Brit. med. journ., 21. Dezember 1912, 
Nr. 2712.) Durch das Studium gleichzeitiger Aufzeichnungen des Elektro- 
cardiogramms und der Herztöne bei Mitralstenose kommt der Verf. zu 
dem Schlüsse, dass das diastolische Geräusch zustande kommt durch den 
raschen Strom des Blutes durch die verengte KlappenöffnuDg. Die Ge¬ 
räusche treten zu der Zeit der Diastole auf, während welcher die 
Schnelligkeit des Blutstromes einen gewissen Grad erreicht. Wenn sich 
der Vorhof zur rechten Zeit zusammenzieht und das Herz langsam 
schlägt, wird die Stromgeschwindigkeit am grössten in der Präsystole. 
Sonst ist sie gewöhnlich am grössten in der frühen Diastole; zu diesen 
beiden Zeitpunkten hört man gewöhnlich die Geräusche. 

Weydemann. 

K. Beumelburg: Aetiologie der Hodgkin’schen Krankheit. (Beitr. 
z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 23, H. 2.) In fünf Fällen ist mittels der 
Antiforminmethode, in einigen Fällen auch bei Gramfärbung im Schnitt¬ 
präparat selbst, jedesmal das von Fraenkel und Much zuerst ent¬ 
deckte Stäbchen gefunden worden. J. W. Samson. 

S. Kartulis-Alexandria: Ueber die sogenannte Banti’sche Krank¬ 
heit in Aegypten und ihre Aetiologie. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 
1. Abt., Orig., Bd. 64, Loeffler-Festschrift, S. 1.) Eine in Aegypten 
endemisch vorkommende, mit Megalosplenie, Lebercirrhose und Ascites 
einhergehende chronische Anämie ist nach Verlauf und Symptomatologie 
identisch mit der sogenannten Banti’schen Krankheit. Aetiologisch spielt 
bei der Entstehung dieser Krankheit Malaria eine grosse Rolle. Dia¬ 
gnostiziert kann die Krankheit durch die Untersuchung des Milzblutes 
werden: in diesem finden sich bei einigen Kranken protozoenähnliche, 
noch nicht sicher zu bestimmende Gebilde (degenerierte Malariaparasiten?). 

Bierotte. 

E. Kühnelt-Freiwaldau: Eine neue Methode zur Einverleibung 
grösserer Emanationsmengen. (Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 51.) 
Emanation kann im Körper nicht „angereichert“ werden. Durch die 
Haut gelangt Emanation in den Körper und bleibt länger darin, als 
wenn sic nur durch Inhalation aufgenommen wird. Eine Vermehrung 
des Hämoglobingehaltes findet nicht statt, die Zahl der Leukocyten wird 
vermindert. 

J. Hatiegan und B. Döri-Kolozsvar: Ueber die klinische Ver¬ 
gleichung des Ewald-Boas- und des Mintz’schen Probefrühstücks. 
(Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 52.) Die von Mintz angegebene 
Methode hat insofern vielleicht eine Bedeutung, als durch sie der Begriff 
der „Nivellierungsfähigkeit des Magens“ in die Diagnostik der Magen¬ 
erkrankungen eingeführt wird. Der Nutzen kommt aber nur den mit 
Laboratorium ausgerüsteten Kliniken und Krankenhäusern zugute, in der 
Praxis wird durch diese Methode das altbewährte Ewald-Boas’sche Probe¬ 
frühstück nicht verdrängt werden. P. Hirsch. 

E. Schlesinger - Berlin: Weitere Aufschlüsse über den Befund und 
die Genese der Gastroptose durch das Röntgenbild. (Deutsches Archiv f. 
klin. Med., Bd. 107, H. 5 u. 6.) Die neuen am Röntgenbild und nach 


Beobachtungen des Krankheitsverlaufes gewonnenen Aufschlüsse mit den 
bisherigen Erfahrungen zusammengehalten, geben zurzeit folgende Auf¬ 
fassung: Die Gastroptose ist eine Senkung des Magens, die zustande 
kommt 1. durch Verlängerung der Magenwand infolge Dehnung; 2. durch 
Senkung der Cardia und des oberen Magenpols; 3. durch Senkung des 
Pylorus, meistens nach Aufrollung desselben. Meist sind alle drei ur¬ 
sächlichen Momente vertreten; die Verlängerung des Magens — Dila¬ 
tation — fehlt anscheinend nie. Die gemeinsame Grundlage sämtlicher 
Veränderungen ist eine Hypotonie des Organismus, die angeboren 
(Astbenia universalis congenita) oder erworben (Tuberkulose, Basedow¬ 
sche Krankheit, höheres Alter) sein kann. Der allgemeinen Hypotonie 
entspricht die Hypotonie der Magenwandungen. Enge des Magenlumeos, 
straffe Baucbdecken können sie etwas kompensieren; Hängebauch ver¬ 
schlechtert sie. Von erheblichem reflektorischen Einfluss auf den Tonus 
der Magenwand sind psychische Alterationen. G. Eisner. 

Ch. Singer-London: Ueber die sekretorische Tätigkeit des Magens 
bei chronischer Appendicitis mit Magensymptomen. (Lancet, 21. De¬ 
zember 1912, Nr. 4660.) Analyse von 300 Fällen von Magenerkrankungen, 
von denen 19 eine Appendicitiserkrankung aufwiesen. Beim Zusammen¬ 
treffen von Magen- und Appendixerkrankung, was sehr häufig ist, kann 
ein Magen- oder Duodenalgeschwür vorhanden sein oder nicht, aber 
immer ist der Magensaft nicht normal. Es besteht zu starke oder zu 
geringe Sekretion, und es findet sich ein pathologisches Ferment. Es 
handelt sich wahrscheinlich um Einwirkung toxischer Substanzen auf den 
Magen und den Appendix. Die Entfernung des Appendix bringt nicht 
immer Besserung. Weydemann. 

J. M. Wo 1 pe - Smolensk: Die sekretorischen Störungen des Magens 
bei der Basedowschen Krankheit (Deutsches Archiv f. klin. Med., 
Bd. 107, H. 5 u. 6.) Die Basedow’sche Krankheit ist meist von Hypo- 
chylie bzw. Acbylie des Magens begleitet; die Anacidität und Apepsie 
des Magensaftes bei Morbus Basedowii ist um so strikter und intensiver 
ausgesprochen, je deutlicher das klinische Bild und der Symptomen- 
komplex des betreffenden Falles ausgeprägt ist. In sämtlichen Fällen 
von Morbus Basedowii wird ein systematischer Parallelismus zwischen 
Salzsäuresekretion und der peptischen Kraft der Fermente, sowohl des 
Pepsins als auch des Lab- und fettspaltenden Ferments, beobachtet. 
Sowohl die freie als auch die gebundene HCl ist quantitativ stark herab¬ 
gesetzt, ebenso die Gesamtacidität des Magensaftes (entsprechend dem 
Sinken der freien HCl) und die Quantität der Verdauungsfermente, be¬ 
sonders die des Pepsins. Die Störungen der Darmtätigkeit und der De- 
fäkation sind meist als Ausdruck der erwähnten Anomalien gastrogenen 
Ursprungs zu betrachten. Die Magenhypochylie (bzw. Acbylie) ist als 
Ausdruck einer konstitutionellen Asthenie des Organismus, welche durch 
das Basedowgift hervorgerufen wird, anzusehen. G. Eisner. 

Gressot-Basel: Zur Lehre von der H&mophilie. (Zeitschr. f. klin. 
Med., Bd. 76, H. 3 u. 4.) Es wird ein Fall von Hämophilie mitgeteilt, 
bei dessen Eltern und Grosscltern keine ähnliche Erkrankung bekannt 
geworden ist. Doch sind seine sämtlichen vier Brüder im Kindesalter 
an Blutungen verschiedener Art gestorben, und von den Knaben der 
Schwestern sind fast genau die Hälfte Bluter. Es bandelt sich also hier 
um das erste Auftreten einer familiären Hämophilie. Der Patient starb 
an einer tödlichen Blutung aus einem Magengeschwür. Morphologisch 
war das Blut ausgezeichnet durch eine leichte Vermehrung der Lympho- 
cyten und eosinophilen Zellen. Die Resistenz der roten Blutkörperchen 
war herabgesetzt. Die Gerinnungszeit des Blutes schwankte zwischen 
einer und 7 Stunden. Auch während der Blutung war entgegen den 
entsprechenden Angaben Sahli’s die Gerinnungszeit des Blutes stark 
herabgesetzt. Defibriniertes Blut erhöhte die Gerinnungsfähigkeit stärker 
als Serum, frisches Serum intensiver als altes. Durch Tonfilter filtriertes 
normales Menschenserum beschleunigte die Gerinnung des hämophilen 
Blutes gar nicht. Organextrakte von Kaninchen wirkten stark gerinnungs¬ 
beschleunigend. Zusatz von Lehmemulsion beschleunigt die Gerinnung 
des hämophilen Blutes, aber nicht in dem Maasse wie Organextrakte. 
Kantharidenblasenserum des Hämophilen beschleunigt die Gerinnung in 
gleichem Maasse wie normales Blutserum. Nach der Wohlgemuth’schen 
Methode untersucht, enthält das Hämophilenblut weniger Fibrinferment 
und Thrombokinase als das normale. Von besonderer Wichtigkeit ist, 
dass Extrakte aus den Organen des verstorbenen Hämophilen in gleichem 
Maasse gerinnungsbeschleunigend wirkten, wie gewöhnliche Organextrakte. 
Die Hypothese des allgemeinen Thrombokinasemangels in der Patho¬ 
genese der Hämophilie muss also fallen gelassen werden. Vielmehr 
fehlen diese Substanzen nur im Blute selbst. Injektionen von Menschen- 
und Tierseren waren therapeutisch wirkungslos und beeinflussten auch 
nicht die Gerinnbarkeit des Blutes. H. Hirschfeld. 

W. A. Lane-London: Die chronische Darmstase. (Lancet, 21. De¬ 
zember 1912, Nr. 4660.) Lane weist wieder auf die Bedeutung der 
Stagnation des Darminhaltes für die Entstehung verschiedener Krank¬ 
heiten hin und auf die Beseitigung dieser Stase durch Ausschaltung des 
Dickdarms. Weydemann. 

H. Voss: Zur Pathologie der Peritonitis tnberenlosa. (Beitr. z. 
Klinik d. Tuberkul., Bd. 23, H. 4.) Die Entstehungsmöglichkeiten der 
Peritonitis tuberculosa durch Perforation tuberkulöser Darmgeschwüre, 
durch Durchwandern der Tuberkelbacillen durch die intakte Darmwand 
und als Fortsetzung auf dem Lymphwege von anderen serösen Häuten 
her haben wenig praktische Bedeutung. In der weitaus grössten Mehr¬ 
zahl der Fälle entsteht die tuberkulöse Entzündung des Bauchfells ent- 


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20. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


121 


weder hämatogen von einem anderen tuberkulösen Herde aus oder aber 
von einer geplatzten Mesenterialdrüse oder einer verkäsenden Tuben¬ 
tuberkulose aus. Die eigenartige Tatsache des Zusammentreffens tuber¬ 
kulöser Entzündung des Peritoneums mit Lebercirrhose fand auch der 
Verf. bestätigt. J. W. Samson. 

0. Hausse» Christiania: Ueber einige Wirkungen grosser Dosen 
Natriam biearbonieam bei Diabetes mellitus. (Zeitsohr. f. klin. Med., 
Bd. 76, H. 3 u. 4.) Verf. teilt interessante klinische Beobachtungen 
über die Einwirkung grosser Dosen von Natrium bicarbonicum auf den 
diabetischen Organismus mit. Bei den gewöhnlichen Dosen von 20 bis 
30 g Natrium bicarbonicum pro die traten regelmässig Gewichtszunahmen 
auf, bald am gleichen Tage, wo mit der Darreichung begonnen wird, 
bald etwas später. Nach Aussetzen des. Mittels sinkt das Gewicht 
wieder. Die Ursache dieser Gewichtszunahme ist Wasserretention, denn 
bei Gewichtszunahme übersteigt die Trinkmenge bedeutend die Diurese, 
während diese wiederum zunimmt, wenn das Gewicht zu fallen beginnt. 
Auf die Albuminurie, welche namentlich häufig bei Acidose beobachtet 
wird, bat die Alkalizufuhr einen günstigen Einfluss. Zur intravenösen 
Injektion beim Coma verwandte Verf. 3—5 proz. Natrium bicarbonicum- 
lösungen. Nur in einem Falle wurde vorübergehende Heilung erzielt, 
einem erneuten Coma, zwei Monate später, erlag der Patient. In den 
übrigen so behandelten Fällen trat der Tod unmittelbar oder innerhalb 
10 Stunden nach den Transfusionen ein. Bei drei Patienten traten 
Krämpfe auf. Im Gehirn wurden bei den Verstorbenen starke Hyper¬ 
ämie und Oedem der Pia gefunden, in fünf Fällen waren auch Blutungen 
vorhanden, welche meistens in den Häuten sassen. Sowohl die Krämpfe 
wie die Blutungen führt Verf. auf die Natrium bicarbonicuminfuskn zu¬ 
rück, die demnach keineswegs ungefährlich ist. H. Hirschfeld. 

Hartzell: Lopm erythematosns and Raynaud’sche Krankheit. 
(Americ. journ. of med. Sciences, 1912, Nr. 6.) Verf. spricht sich dafür 
aus, dass ein unzweifelhafter Zusammenhang zwischen beiden Krank¬ 
heiten besteht, dessen Natur wir nicht kennen. Er beriobtet selbst 
über einen Fall, dem er noch eine Zusammenstellung von 13 anderen 
ähnlichen Fällen hinzufügt. Sehe lenz. 

F. Port-Göttingen: flypertension und Blntzneker (Deutsche med. 
Wochenscbr., 1913, Nr. 2.) P. fand eine Erhöhung des Blutzucker- 
gebalts häufig in den Fällen von Nephritis, die durch anämische Er¬ 
scheinungen oder eine frische Apoplexie bzw. Eklampsie kompliziert 
sind. Bei gleichzeitig bestehender Blutdrucksteigerung darf deswegen 
doch noch keine gemeinsame Ursache, eine Adrenalinämie, für die 
Hypertension und Hyperglykämie angenommen werden. 

Wolfsohn. 

A. Schmitt: Schwere Lungentuberkulose, röntgenologisch vor- 
getiuekt durch Niederschläge nach subcutanen Jodipininjektionen im 
Kücken. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 23, H. 4.) Die in Frage 
kommenden Schatten liegen in den Weichtcilen ausserhalb des Thorax 
und rübren von dem injizierten Jodipin her, während die helleren, mehr 
verschwommeneren in der Gegend des rechten und linken Bilus und der 
auf- und absteigenden Bronchien die Krankheitsherde anzeigen. 

J. W. Samson. 

J. Pick-Saaz: Hämorrhagische Diathese (Angiorhexie alimentaria). 
(Münchener med. Wochenscbr., 1912, Nr. 52.) Mitteilung über eine 
Epidemie im Saazer Bezirk. Es wurden 33 Männer und eine Frau be¬ 
fallen. Dünner. 

Siehe auch Chirurgie: Permioff, Versuche der Dauerdrainage 
bei Ascites. — Allgemeine Pathologie und pathologische 
Anatomie: Georgopulos, Entgiftende Tätigkeit der Parathyreoidea 
bei Nephritis. — Diagnostik: Friediger, Dimetbylamidoazobenzol als 
mikrochemisches Reagens auf Fett. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

R. Bar äoy- Wien: Lokalisation in der Rinde von Kleinhirnhemi- 
tphären. (Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 52.) B. hat einen Fall 
beobachtet, der bezüglich der Lokalisationsfrage in der Rinde der Klein- 
birnhemisphärea einige neue Gesichtspunkte ergeben hat. Tuberkel in 
der Substanz des Kleinhirns können ebenso wie in der motorischen 
Kegion, in der inneren Kapsel und in der Brücke völlig latent verlaufen 
und keine deutlichen Ausfallserscheinungen zeigen. Beim Fehlen deut¬ 
licher Ausfallserscheinungen darf man daher das Vorhandensein eines 
Tuberkels nicht mit Bestimmtheit ablehnen, sondern die gar nicht 
seltenen Fälle von fraglichen Tuberkeln sind mit den von B. ange¬ 
gebenen Methoden genau zu untersuchen. P. Hirsch. 

A. Gregor und P. Schilder - Leipzig: Muskelstudien mit dem 
Siitengalvanameter. (Münchener med. Wochenscbr., 1912, Nr. 52.) 
(Nach einem Vortrag in der VI. Jahresversammlung der Gesellschaft 
deutscher Nervenärzte.) Aktionsstromkurven von normalen Mensohen 
und Individuen mit Affektionen des Nervensystems. Dünner. 

H. Eich hör st-Zürich: Beiträge zu den Erkrankungen der Brücke. 
'Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 107, H. 5 u. 6.) 1. Beschreibung 

eiaes Falles von Cystenbildung in der Pons. Die klinische Diagnose 
batte gelautet: Malacia pontina verisimiliier thrombotica syphilitica. 
2. Beschreibung eines Falles von akuter, hämorrhagischer Brücken- 
entzünduog. Aas Mangel aller Brückensymptome konnte im Leben 
nicht die Erkrankung der Pons diagnostiziert werden. G. fiisner. 


New mark: Erweichungen im Rückenmark eines Syphilitischen 
nach Salvarsaninjeklion. (Americ. jouin. of med. science, 1912, Nr. 6.) 
Krankengeschichte und Sektionsbefund eines Luetikers, der zwei Tage 
nach iotramusculärer Gabe von 0,3 g Salvarsan eine völlige Paraplegie 
beider Beine mit Blasenstörungen, eine Anästhesie bis zum Nabel be¬ 
kam. Auch oberhalb des Nabels Sensibilitätsstörungen. Die Verände¬ 
rungen des Rückenmarks waren uDgleicbmässig über Vorder- und Hinter¬ 
hörner verteilt. Verf. glaubt nicht, dass der sieben Wochen später ein¬ 
getretene Exitus auf das Salvarsan zu schieben ist, vielmehr eine Folge 
der Lues (drei Jahre vorher erworben) sei. Sehe lenz. 

P. Ebers-Baden Baden: Fall von operiertem Rfickenmarkstamor. 
(Deutsche med. Wochenscbr., 1913, Nr. 2.) Beginn mit halbseitigen 
Störungen, Nystagmus, an multiple Sklerose erinnernd. Allmähliche 
Ausbildung einer Querschnittsläsion im Bereich des 3. bis 5. Dorsal¬ 
segments. Laminektomie (Garre): Sarkom. Exitus letalis. 

Wolfsohn. 

G. Stiefler-Linz ä. d. D.: Ueber einen Fall von primärer sym¬ 

metrischer Brachialplexnsnenritis als Symptom einer Spätsypbilis. 
(Wiener klin. Wochenscbr., 1912, Nr. 52.) Bei dem 38jährigen Pa¬ 
tienten trat die Erkrankung 12 Jahre nach Acquisition der Syphilis 
auf. Die Diagnose der „peripheren Neuritis“ war eine rein klinische, 
es konnte daher eine Mitbeteiligung des Rückenmarks im Sinne einer 
meningealen oder Wurzelerkrankung mit absoluter Sicherheit niebt aus¬ 
geschlossen werden. P. Hirsch. 

Gjestland-Christiania: Ein Fall von Paralysis agitans mit be¬ 
deutender Vergrösserung der Glandulae paratbyreoideae. (Zeitscbr. f. 
klin. Med., Bd. 76, H. 3 u. 4.) In einem Fall von Paralysis agitans 
fand G. vier ausserordentlich grosse hypertrophische Nebenschilddrüsen. 
Er lässt es dahingestellt, ob dieser Befund irgendetwas mit der Schüttel¬ 
lähmung zu tun bat, bespricht aber an der Hand der Literatur die von 
vielen Autoren behaupteten Beziehuogen zwischen Nebenschilddrüsen 
und Paralysis agitans. Einige Autoren führen die Krankheit auf eine 
Hypofunktion, andere auf eine Hyperfunktion des genannten Organs 
zurück. Was richtig ist, und ob überhaupt irgendwelche Beziehungen 
der genannten Art bestehen, ist durchaus nicht sichergestellt. 

C ursch mann-Mainz: Ueber intermittierende Basedowsymptome 
(bei Tabes dorsalis und Bronchialasthma). (Zeitschr. f. klin. Med., 
Bd. 76, H. 3 u. 4.) Gurschmann beschreibt bei einem Tabiker im 
Verlaufe schwerer Magenkrisen jedesmaliges Auftreten typischer Basedow¬ 
symptome. Wegen des intermittierenden und stets gleichzeitig mit den 
Magenkrisen auftretenden Verlaufes ist dieser Fall für die Vago-Sym- 
patbicuspathogenese des Tabes-Basedowkomplexes von entsprechender 
Bedeutung. Er beobachtete ferner in zwei Fällen im Verlaufe wieder¬ 
holter Asthmaattacken jedesmal typische Basedowsymptome. Die 
pharmakologische Prüfung ergab in diesen Fällen eine ziemlich bunte 
Mischung von vagotonischen und sympathikotonischen Erscheinungen. 
Auch durch diese Fälle ist der von Eppinger und Hess angenommene 
diametrale Gegensatz zwischen Vago- und Sympatbikotonie widerlegt. 
Von Interesse ist, das sieh gegen die gastrischen Krisen des ersten 
Falles die Darreichung von Adrenalin in einer Dose von dreimal täglich 
10 Tropfen der Lösung 1:1000 ausgezeichnet bewährt kat. 

H. Hirschfeld. 

0. Foerster - Breslau: Die analytische Methode der kompensa- 
torischea Uebnngsbehandlung bei der Tabes dorsalis. (Deutsche med. 
Wochenscbr., 1913, Nr. 2.) Klinischer Vortrag. Wolfsohn. 

H. Guggenheimer-Berlin*. Ueber Ennnehoide. Zugleich ein Beitrag 
zur Beeinflussung des Blutbildes durch Störungen der Drüsen mit 
innerer Sekretion. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 107, H. 5 u. 6.) 
Referat, vergl. Sitzungsbericht der Berliner Hufelandischen Gesellschaft 
vom 13. Juni 1912 in Nr. 32 dieser Wochenschr. G. Eisner. 

E. Hartung-Bernburg: Fall von Dementia paralytiea und Gebart. 
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 2.) Normaler Geburtsverlauf. 
Gesundes Kind. Nach der Geburt auffallende Remission des Krankheits¬ 
verlaufs. Wolfsohn. 

Siebe auch Chirurgie: Stoffel, Behandlung spastischer Zu¬ 
stände (2 Artikel). 


Kinderheilkunde. 

Meder-Cöln: Zwei Fälle von verspäteter Abheilung der Impfpnsteln. 

(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 2.) 1. 33 Tage nach der Impfung, 
nachdem die Pusteln längst eingetrocknet und vernarbt waren, trat in 
einer der Narben ein VacciDrecidiv auf. 2. Vaccina serpiginosa, mit 
flächenhafter Ausbreitung, 13 Tage nach der Impfung entstehend und 
erst vom 22. Tage an abheilend. Wolfsobn. 

A. Strangmeyer-Leipzig: Einfaches Instrument zur Entfernung 
diphtherischer Membranen. (Münchener med. Wochenscbr., 1912, Nr. 53.) 
St. machte sieb aus einem 0,3 mm starken Stahldraht eine 4 cm lange 
Spirale mit dichter Folge der Windungen und einem Durchmesser von 
etwa 4 mm. Das eine Drahtende wurde etwas angespitzt und unter das 
Niveau der letzten Windungen nach innen versenkt. Mit diesem Instru¬ 
ment konnte er Membranen entfernen. Dünner. 

E. Benjamin and Tb. Goett-Müncheu: Zur Deutung des Thorax- 
radiogramms beim Säugling. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 107, 
H. 5 u. 6.) Die Röntgenuntersuchung des Thorax von Säuglingen mit 


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122 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 3. 


Stridor congenitus zeigt oft eine Verbreiterung des Thoraxmittelschattens 
oberhalb des Herzschattens. Verf. zeigen an mehreren Fällen, dass ihre 
Verbreiterung nicht auf eine vergrösserte Thymus zu beziehen ist, 
wie manche Autoren annahmen, sondern halten es für möglich, dass sie 
durch die grosse Hohlvene verursacht wird, die unter dem Einfluss 
der Atmung sehr bedeutenden Grössenschwankungen unterliegt. 

G. Eisner. 

L. Langstein und K. Kassowitz-Berlin: Geuilsekost im Säng- 
lingsalter. (Therapeut. Monatsb., Dezember 1912.) Die Darreichung 
von nach Friedenthal zerkleinertem Gemüse bedeutet für den Säug¬ 
ling eine Verbesserung der bisher geübten Diätetik. Das „Gemüse¬ 
pulver“ wird relativ frühzeitig gut vertragen und bietet dem Organismus 
Bausteine in grosser Menge dar. Es wird zu erforschen bleiben, ob 
nicht speziell die eisenreichen Gemüsepulver eine erfolgreiche Eisen¬ 
therapie ermöglichen. II. Knopf. 

Siehe auch Innere Medizin: Kennerknecht, Tuberkelbacillen 
im strömenden Blut bei Kindern. — Therapie: Fletscher, Adrenalin 
bei Keuchhusten. Franz, Serumtherapie bei Melaena neonatorum. 


Chirurgie. 

W. Körte - Berlin: Einleitung zum 100. Bande von Langeubeck’s 
Archiv für klinische Chirurgie. (Archiv f. klin. Chir., Bd. 100, 
H. 1.) F. Härtel. 

W. Neumann-Heidelberg: Der Heidelberger Stahldraht-Gipshebel, 
ein einfaches, Zeit und Kraft sparendes Mittel zum Oeffnen fester Ver¬ 
bände. (Centralbl. f. Chir., 1912, Nr. 51.) Direkt vor dem Anlegen 
der Gipsbinden wird entlang der Vorderseite des Unterschenkels eine 
Klaviersaite, die oben und unten über den Verband übersteht, aufgelegt. 
Soll später der Verband aufgeraacht werden, rollt man den Draht auf 
einer besonderen Vorrichtung auf und schneidet so mühelos den Gips- 
verband auf. Sehrt. 

F. Sohöneberger-Völklingen: Federextension aa der untere! 
Extremität. (Münchener med. Wochensohr., 1912, Nr. 53.) 

Dünner. 

G. Nyström-Stockholm: Eine Saugspritze zum Betriebe mit einer 
Hand. (Centralbl. f. Chir., 1912, Nr. 51.) Verf. hat eine kleine Vor¬ 
richtung, die auf jede Rekordspritze aufzumontieren ist, konstruiert, 
mittels deren man bequem mit einer Hand die Spritze saugen 
lassen kann. 

L. A. Di wo win-Russland: Ueber Pantopon-Scopolauiininjektionen 
bei Operationen mit lokaler Anästhesie. (Centralbl. f. Chir., 1912, Nr. 51.) 
Verf. gibt am Abend vorher 0,5 Medinal, 172—2 Stunden vor der Ope¬ 
ration (in Lokalanästhesie), eventuell kräftigen Männern 0,04 Pantopon 
-f- 0,0004 Scopolamin, Frauen dagegen 0,02 Pantopon + 0,0003 Scopol- 
amin. Der erste Einstich zur Lokalanästhesie ist dann schon nicht 
fühlbar. Abbinden des Bruchsackes und des Mesenteriolums wird etwas 
empfunden. Alkoholisraus-, Herz-, Lungenerkrankungen, vorgerücktes 
Alter führt Verf. als Kontraindikation für die Pantopon-Scopolamin- 
injektion an. Sehrt. 

Jaklin - Pilsen: Zar Keimprophylaxis in der Chirurgie. (Wiener 
klin. Wocbenschr., 1912, Nr. 5t.) J. unterzieht seine eigene grosse 
Statistik und diejenige vieler anderer Autoren einer eingehenden Kritik 
und kommt zu dem Ergebnis, dass die radikalste und zugleich einfachste 
Keimprophylaxis in der vollkommenen Abstinenz von der septischen 
Chirurgie besteht. Er fordert vollständige Trennung der septischen von 
der aseptischen Chirurgie: Schaffung eigener septischer und aseptischer 
Anstalten mit eigenen Chirurgen und Hilfsärzten, eigener Verwaltung 
und Hilfspersonal. Die Aerzte der aseptischen Anstalten müssen sich 
auch in der Privatpraxis von septischen Fällen fernhalten. 

P. Hirsch. 

A. Bier-Berlin: Beobachtungen über Knochenregeneration. (Archiv 
f. klin. Chir., Bd. 100, H. 1, S. 91.) Siehe Gesellschaftsbericht 
über die Sitzung der Chirurgischen Gesellschaft in Berlin in dieser 
Wochenschrift, 1912, Nr. 48, S. 2292. F. Härtel. 

K. Brohkmann: Lnxationen im Bereiche des Mittelfnsses. 
(Deutsche Zeitschr. f. Chir., 1912, Bd. 119, H. 3—4.) Verf. bespricht 
an der Hand einiger interessanter Krankengeschichten und Röntgenbilder 
die Aetiologie, Symptomatologie und Therapie der Luxationen im Lis- 
franc’schen Gelenk, der Luxation der Keilbeine und des Würfelbeins, 
der Luxation des Kahnbeins und der Luxatio pedis sub talo. 

Fritsch. 

T. H. Openshaw und P. B. Roth-London: Behandlung der Pott- 
schen Krankheit. (Lancet, 21. Dezember 1912, Nr. 46G0.) Dauernde 
Lagerung des Kindes auf einer Schiene nach Thomas mit verstell¬ 
barem Kopf- und Fussteil. Der Pat. wird nur einmal die Woche heraus- 
genoramen. Die Vorzüge dieser Schiene sind: absolute Ruhe der er¬ 
krankten Teile, die immer naebgesehen werden können, ohne dass die 
Schiene abgenoramen zu werden braucht; Fisteln können verbunden 
werden, das Kind kann täglich gewaschen werden; die Schiene passt für 
Jahre, sie macht keine Druckgeschwüre und hindert nicht das Wachs¬ 
tum und die Brustentwicklung. Wenn das Kind genügend lange auf 
der Schiene gelegen hat, kaun es mit einem paraplastischen Korsett 
herumgeben. Wenige bleiben kürzere Zeit als zwei Jahre auf der 
Schiene; drei Jahre gehen sie mit dem Korsett. Während der Behand¬ 


lung bekam kein Kind einen Abscess oder eine Kompressionsparaplegie. 
Abscesse werden aspiriert, wenn sie nicht, was oft vorkommt, auf der 
Schiene spontan heilen. — Analyse von 116 Fällen. 

Weydemann. 

E. Schottländer: Beiträge zur Diagnose und Therapie der Kinn- 
flsteln. (Deutsche Zeitschr. f. Chir. 1912, Bd. 119, H. 3—4.) Zur Dia¬ 
gnose gehört die genaue Feststellung des schuldigen Zahnes, dann wird 
es dem Zahnarzt in allen Fällen gelingen, den Prozess zur Ausheilung zu 
bringen bei Erhaltung des Zahnes. Fritsch. 

A. Stoffel - Mannheim: Neue Wege und Erfolge der Behandlung 
spastischer Znst&ide. (Therapeut. Monatsh., Dezember 1912.) Ergeb¬ 
nisse der Therapie. H. Knopf. 

A. Stoffel - Mannheim: Die Technik meiner Operation zur Beseiti¬ 
gung der spastischen Lähnungen. (Münchener med. Wocbenschr., 1912, 
Nr. 53.) St. gibt eine ausführliche Schilderung seiner geistreichen 
Methoden, die den Zweck haben, das Muskelgleichgewicht wiederherzu¬ 
stellen bei spastischen Kontraktionen durch teilweise Ausschaltung der 
Nervenbahnen, die dio betreffenden Muskeln versorgen. Muss im Original 
nachgelesen werden. Dünner. 

0. Heinemann: Der äussere Milzbrand des Menschen. (Deutsche 
Zeitschr, f. Chir., 1912, Bd. 119, H. 3 — 4.) Das Resultat der inter¬ 
essanten Arbeit wird in folgenden Sätzen zusammengefasst: 1. Kon¬ 
servative und operative Milzbrandbehandlung sind beide ratiouell, doch 
ist nach Theorie und Praxis die Operation die bessere Methode. 2. Die 
Operation muss in radikaler Zerstörung des Karbunkels bestehen. 
3. Die Lokaltherapie ist mit Seruro-Salvarsan-Collargoltherapie zu kom¬ 
binieren, wenn Allgemeiniufektion droht oder vorhanden ist. 4. Die 
Behauptungen von der Schädlichkeit der Operation sind in allen Punkten 
zu widerlegen. Nur eine unvollständige Operation kann schaden, eine 
vollständige kann nur nützen. 

A. Narath: Ueber operative Eingriffe bei der Pnennatoeele der 
Parotis und des Ductus Stenonianus (Glasbläsergeschwulst). (Deutsche 
Zeitschr. f. Chir., 1912, Bd. 119, H. 3—4.) Als Operation kommt io 
Betracht: 1. Verlagerung oder Verengerung der Mündung, so dass keine 
Luft vom Munde mehr eindringen kann. 2. Vollständiger Verschluss 
der Ausmüudung. Anlegung einer äusseren Fistel, durch die Gang und 
Drüse behandelt werden kann. 3. Totale oder partielle Exstirpation 
des Ganges und der Drüse. 4. Ligatur des Ausführungsganges. Das 
erste Verfahren hat Verf. bei seinem Fall mit Erfolg angewandt, aller¬ 
dings trat später Sekretstauung ein, die wohl infolge des Vorstehens des 
Ganges in die Mundhöhle und infolgedessen narbige Schrumpfung dieses 
Stückes erzeugt war. Verf. empfiehlt deshalb lieber sorgfältige Schleim- 
bautnaht zwischen Mucosa des Ganges und der Wange. Fritsch. 

v. Eiseisberg-Wien: Zur Operation der Hypopbysisgeschwiilste. 
(Archiv f. klin. Chir., Bd. 100, H. 1.) Bericht über 16 Ope¬ 
rationen von Hypopbysistumoren. Alle Fälle wurden nach der Technik 
von Schloffer mit seitlicher Aufklappung der Nase nach rechts und 
Ausräumung der Nasenhöhle operiert. Vorbereitung des Patienten mit 
Urotropin. Narkose, in den letzten Fällen kombiniert mit Novocain- 
Suprareninumspritzung. Bellocque’sche Tamponade. Bei der Aus¬ 
räumung der Nase muss die Schleimhaut zwischen den Muscheln stehen 
bleiben, um Ozaena zu vermeiden. Orientierung an der Hand des 
Röntgenbildes. Excochleation des Tumors. Cigarettendrain. Resultate: 
12 Patienten genasen. Bei diesen Patienten wurden die Kopfschmerzen 
ausnahmslos beseitigt, die Sehstörungen wesentlich gebessert, wofern 
nicht durch zu langes Bestehen des Leidens irreparable Veränderungen 
vorhanden waren. Die Akromegalie ging häu6g zurück, jedoch nicht 
immer dauernd. Die Hypophysistumoren sind meist klinisch benigne, so 
dass trotz der unvollständigen operativen Entfernung Dauerresultate zu 
verzeichnen sind. Nachteile der Operation sind: dte kosmetische Störung 
und bisweilen auftretende Ozaena. 4 Patienten starben an Meningitis. 

F. Härtel. 

A. Wagner: Beitrag zur Chirurgie des Herzens. (Deutsche Zeit¬ 
schrift f. Chir., 1912, Bd 119, H. 3—4.) Die Diagnose der Herz¬ 
verletzung ist sehr schwierig. Sie fusst auf folgenden Symptomen: Die 
Lage der äusseren Wunde. Abnorme Geräusche. Verbreiterung der 
Herzdämpfung. Die Rose’sche Herztamponade. Die Anämie. Die sub¬ 
jektiven Erscheinungen, Präcordialangst, Schmerzen, Druckgefühl, Atem¬ 
not. Häufig stehen aber die Symptome mit der Schwere der Herz¬ 
verletzung in keinem Verhältnis. In Rücksicht darauf und in ErwäguDg 
der Erfahrung, dass Schussverletzungen von vornherein prognostisch un¬ 
günstiger sind als Stichverletzungen, möchte Verf. keinen Unterschied 
zwischen Stich- und Schussverletzungen bezüglich der Therapie machen 
(Bircher), sondern auch bei letzteren die Freilegung des Herzens 
empfehlen. Im Kriege allerdings wird man alle Herzverletzungen kon¬ 
servativ behandeln müssen. Es folgt die Mitteilung eines Falles, bei 
dem mit Sicherheit ein Herzschuss angenommen wurde, und bei 
dem die Operation ergab, dass das Herz nicht verletzt war. 

Fritsch. 

Ramstedt-Münster: Die Operation der angeborenen Pylorus¬ 
stenose. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 1.) Bei angeborener hyper¬ 
trophischer Pylorusstenose sind die üblichen Methoden: Gastroentero¬ 
stomie, offene Pyloroplastik, Dehnung des Pylorus nach Loretta ent¬ 
weder zu eingreifend oder unsicher. Auch die Weber’sche Pyloroplastik 
(quere Vernähung des den Pylorus durchsetzenden Längsschnittes oha e 
Eröffnung des Magenlumens) ist unsicher, ja durch Verlegung des 


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20. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


123 


Pylorus (SchleimhauHaltung!) eventuell gefährlich. Verf. hat zwei Fälle 
mit brillantem Erfolg so operiert, dss er den Muskelring einfach ein- 
kerbte, die Schleimhaut nicht einschnitt. Die Wunde wurde dann 
nicht genäht. Deckung der Wunde mit Netz hält Verf. für überflüssig. 
Die Operation dauert 15 Minuten! Sowie die Diagnose: angeborene 
hypertrophische Pylorusstenose gestellt ist, sollte möglichst schnell diese 
absolut nicht eingreifende Operation vorgenommen werden. 

Hofmeister-Stuttgart: Die methodische Dilatation der Papilla 
äiodenl and die Choledochodaodenaldrainage. (Centralbl. f. Chir., 
1913, Nr. 1.) Da man nie wissen kann, ob in der Leber noch Steine 
(oder Ascariden) zurückgeblieben sind, die durch die Papilla Vateri 
nicht hindurch können, erweitert Verf. mittels Urethralbougies aus Zinn 
(Charr. 23—30) die Papilla. Durch die Papilla wird dann ein 6-8 cm 
dicker Schlauch 4 cm weit ins Duodenum geführt; eventuell wird der¬ 
selbe durch eine kleine Inzision nach aussen geleitet. Der Hepaticus 
wird durch ein ihn vollkommen ausfüllendes Kohr drainiert, das vor die 
Wunde geleitet ist Zwischen Hepaticus und Duodenalschiauch wird 
der Choledochus durch Celloidinquernähte, die langgeiassen werden 
(um später herausgenommen zu werden), exakt genäht. Die Choledochus- 
duodenaldrainage soll den Dilatationseffekt längere Zeit festhalten, sie 
wirkt aber auch als prophylaktische Enterostomie und gestattet die Ein¬ 
führung von Nahrungsmitteln und Arzneistoffen. Die angegebene Methode 
vermeidet jeden Gallen Verlust. Sehrt. 

L. Arnsperger und N. Kimura: Experimentelle Versuche über 
kfiastliche Choledochiisbildnng durch einfaches Drainrohr. (Deutsche 
Zcitschr. f. Chir., 1912, Bd. 119, H. 3—4.) Angeregt durch die Wilms- 
schen Erfolge haben Verff. an Hunden und Katzen die bekannte Ope¬ 
ration mit gutem Erfolg ausgefübrt und kommen zu dem Resultat, dass 
diese Versuche die Berechtigung einer derartigen Operation für Ausnahme- 
fälle beweisen. (Diese Berechtigung war durch die Operationen Wilms* 
am Menschen meines Erachtens eher bewiesen als durch die nachträg¬ 
lichen Versuche -an Katzen und Hunden. Ref.) 

J. Mayesima: Zur Kasuistik der priaären eystisehen Erweite¬ 
rtes des Daetis choledochus. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., 1912, 
Bd. 119, H. 3—4.) Beschreibung eines Falles dieser seltenen Erkran¬ 
kung bei einem zwei Jahre alten Kinde. Die Operation stellte eine 
grosse, fast die ganze Bauchhöhle ausfüllende Cyste fest, die bei der 
fünf Tage später ausgeführten Sektion als vom oberen und mittleren 
Teil des Ductus choledochus ausgehend erkannt wurde, ohne dass die 
Ausmünduogsstelle desselben ins Duodenum verscblosseu war, also keine 
Retentionscyste, sondern angeborene Schwäche der Wandelemente des 
Choledochus. Fritsch. 

S. Kof mann Odessa: üeber die Ausschaltung des Wurmfortsatzes. 
(Centralbl. f. Chir., 1912, Nr. 51.) 20 Tage nach einem Blinddarm¬ 

anfall eines 14 jährigen Knaben fand sich, dass der Wurmfortsatz in 
eine derbe Gewebsmasse („Fleischmasche“), die mit der hinteren 
Coecalwand fest verbunden, eingelagert war. Eine Isolierung schien un¬ 
möglich, deshalb Früboperation des Wurmfortsatzes an der Basis, Ab¬ 
klemmen desselben; nun wird die gesamte affizierte Stelle der Coecal¬ 
wand durch eine einstülpende Diagonalnaht versenkt. Verf. glaubt, das 
Verfahren für alle Fälle, in denen eine Isolierung des Processus zu 
schwierig und für die benachbarte Darmwand zu gefährlich ist, empfehlen 
zu können, da auf diese Weise jede Möglichkeit eines Reoidivs ge¬ 
nommen sei. 

P. Len ge mann-Bremen: Ersatz der exstirpierten Harnblase 
durch das Coeeum. (Centralbl. f. Chir., 1912, Nr. 50.) In der ersten 
Sitzung: Totale Ausschaltung des Coeeum und Colon ascendens und 
30 cm Ileum. Das proximale Ileumende wird in das Quercolon im¬ 
plantiert, der Wurmfortsatz wird durch die Bauchdecken nach aussen 
geleitet, die Spitze abgebogen. Nun findet .sich eine „neue Blase“, 
die durch das an beiden Enden geschaffene Ileum-Colonstück dargestellt 
ist, der Wurmfortsatz ist die „Harnröhre“ In einer zweiten Sitzung: 
Exstirpation der carcinomatösen Harnblase, Inzision des Peritoneums, 
durch die das ausgeschaltete Ileumende heruntergezogen wird, Im¬ 
plantation des mit den Uretermündungen versehenen Harnblasenstücks 
in das Ileumende, wobei die Ureteren nicht herangezogen zu werden 
brauchen. Von den Vorteilen dieser Methode sind besonders zu nennen: 
Die neue Harnblase ist vollkommen kotfrei, die Ureterenmündung, die 
in toto transplantiert ist, ebenso die Bauhini’sche Klappe verhindern 
weitgehend eine Stauung oder Rückfluss in die Ureteren und das Nieren¬ 
becken. Mortalität der Operation ist geringer als die anderer. Voll¬ 
kommener Erfolg in einem Falle. 

Perm io ff-Kasan: Ueber Versuche mit Danerdrainage bei Ascites. 
(Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 1.) Verf. hat in zwei Fällen von Ascites 
die Dauerdrainage so ausgeführt, dass er am Bauch zunächst einen Haut¬ 
lappen bildete, entsprechend der Basis desselben, die Peritonealhöhle 
eröffoete, Flüssigkeit abliess und dann ein silbernes Röhrchen von 
1,5 cm Durchmesser iu die Peritouealwunde eiunähte. Darauf wurde 
der Hautlappen wieder exakt angenäht. Auf diese Weise wurde die 
Ascitesflüssigkeit dauernd unter die Haut geleitet. Die Erfolge waren in 
beiden Fällen sehr gut. Sehrt. 

Siehe auch Innere Medizin: Strauss, Jodmethylenblau- uud 
Kapferpräpar&te bei äusserer Tuberkulose. — Diagnostik: Ewart, 
Diagnose der Appendicitis. — Geburtshilfe und Gynäkologie: 
Eberhart, Nekrose des Fettgewebes durch Naht. — Psychiatrie 
und Nervenkrankheiten: Ebers, Operierter Rückenmarkstumor. 


Röntgenologie. 

Siehe auch Innere Medizin: Schlesinger. Befund und Genese 
der Gastroptose durch das Röntgenbild. Schmitt: Schwere Lungen¬ 
tuberkulose, röntgenologisch vorgetäuscht durch Niederschläge nach sub- 
cutanen Injektionen am Rücken. — Kinderheilkunde: Benjamin 
und Goett, Thoraxradiogramm beim Säugling. 


Urologie. 

Siehe auch Chirurgie: Lengemann, Ersatz der exstirpierten 
Harnblase durch das Coeeum. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

A. Jürgens-Warschau: Zur Skleromfrage in Russland. (Wiener 
klin. Wochenschr., 1912, Nr. 51.) Io den russischen Ostseeprovinzen, 
d. h. den Gouvernements Livland, Estland und Kurland, scheint in den 
letzten 20 Jahren kein einziger Fall von Rhinosklerom bekannt geworden 
zu sein. Aus dem Gouvernement Grodno sind dem Verf. in den letzten 
drei Jahren zwei Falle zu Gesicht gekommen, beides hochgradige Fälle. 
Auch das Warschauer pathologisch-anatomische Institut berichtet über 
zwei Fälle mit tödlichem Ausgang an intercurrenten Erkrankungen. 

P. Hirsch. 

C. Bruck-Breslau: „Organismasanswasehang“ bei Hantkrank- 
heiten. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 52.) Bemerkungen 
zu der Arbeit von Heuck in der Münchener med. Wochenschr., 1912, 
Nr. 48. Man kann bei solchen Hautkrankheiten einen Erfolg von der 
Aderlass-Kochsalzinfusionsbehandlung erwarten, bei denen mit einiger 
Wahrscheinlichkeit die pathogene Rolle von Giftstoffen angenommen wird, 
z. B. bei Pruritus, Urticaria usw. Bei anderen Hautkrankheiten ist der 
Erfolg von vornherein mindestens zweifelhaft. Dünner. 

E. Jennings: Die neuerdings bei Syphilis gefundenen Parasiten. 
(Brit. med. journ., 14. Dezember 1912, Nr. 2711.) Der Verf. hat die 
von E. H. Ross beschriebenen Parasiten mit der Gallertmethode eben¬ 
falls beobachtet und die Entwicklung der Spirochäten aus ihnen gesehen. 

Weydemann. 

Eichler: Schwere Arsenikvergiftnng nach Salvarsaninfnsion. 
(Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 52.) Nach 0,5 Salvarsan 
traten Erscheinungen von Arsenikvergiftung auf (grüne Stühle, Nephritis, 
Exanthem, Erbrechen usw.). 8 Tage vorher hatte der betreffende Patient 
0,4 Salvarsan erhalten. Verf. glaubt, dass die Vergiftung durch Kumu¬ 
lation der beiden Dosen entstanden ist. Dünner. 

M. Kaufmann-Wolf*. Weiterer Beitrag zur Kenntnis des Schicksals 
SyphiliskraDker und ihrer Familien. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 76, 
H. 3 u. 4.) Verf., die über das gleiche Thema bereits geschrieben hat, 
bringt eine Fortsetzung ihrer Untersuchungen. E9 wird das Schicksal 
der Familien von 9 Patientinnen aus der Heidelberger Irrenklinik mit 
progressiver Paralyse verfolgt. Diese 9 Frauen hatten zusammen 
33 Aborte, Früh- oder Totgeburten und 33 lebend geborene Kinder. 
Von diesen sind 20 gestorben, während 13 noch leben, von denen aber 
nur 2 körperlich, geistig und moralisch völlig intakt zu sein scheinen. 
Im ganzen ergibt sich aus den Untersuchungen der Verf., dass im 
Gefolge der Syphilis besonders zahlreiche Erkrankungen des Nerven¬ 
systems Vorkommen, und dass die Beschaffenheit der Nachkommen eine 
ausserordentlich traurige ist. Verf. glaubt an die Existenz einer Syphilis 
nervosa. H. Hirschfeld. 

H. Als ton-Trinidad: Salvarsan bei Frambösiegesehwüren. (Brit. 
med. journ., 28. Dezember 1912, Nr. 2713.) Salvarsan 1, Xeroform 3 
leicht aufgestäubt brachte rasche Heilung bei Frambösiegeschwüren, und 
das Geschwür wird leicht mit Haut bedeckt und die Umgebung mit 
Jodtinktur gepinselt. Rasche Heilung in 36 pCt., gute in 60pCt., Ver¬ 
sager 4pCt. Bei weichem Schanker war die Behandlung mit Salvarsan 
sehr schmerzhaft. Weydemann. 

Siehe auoh Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten: Rimini, 
Einfluss des Salvarsans auf das Gehörorgan. 


Geburtshilfe und Gynäkologie. 

V. Gussew-Moskau: Das Pitaitrin in der Geburtshilfe. (Centralbl. 
f. Gynäkol., 1912, Nr. 52.) Der Erfolg war in allen Fällen ein glänzender. 
Die Geburt trat in 5 Minuten bis 18 Stunden spontan ein, und zwar 
in Fällen, wo früher öfter die Zange nötig war. Verf. glaubt, dass 
Pituitrin bis zu einem gewissen Grade die Zange ersetzen kann und 
auoh bei künstlicher Frühgeburt usw. mit Vorteil anzuwenden ist. 

Siefart. 

Rieck-Mainz: Wider und für Pitnitrin. (Münohener med. Wochen¬ 
schrift, 1912, Nr. 52.) In jeder Phase der Frühgeburt und Fehlgeburt 
ist Pituitrin zu widerraten, da zu leicht Dauerkontraktionen auftreten, 
die ein späteres operatives Vorgehen wesentlich erschweren. Hingegen 
ist am Ende der Gravidität das Pituitrin warm zu empfehlen. 

Dünner. 

R. Lampe - Salzburg: Bemerkungen, die Aetiologie der Plaeesfa 
praevia betreffend. (Centralbl. f. Gynäkol., 1912, Nr. 51.) Verf. schliesst 
sich der Ansicht derjenigen an, welche meinen, dass das Ovulum an 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 3. 


derjenigen Stelle implantiert wird, an welcher es sich zur Zeit der Be¬ 
fruchtung gerade befiudet, wenn er auch nicht leugnen will, dass die 
Flimmerung des Epithels ebenfalls von Einfluss auf die Implantation ist. 
Findet Implantation und vorherige Befruchtung in der Tube oder den 
extrauterinen Partien des Genitaltractus statt, so kommt es zur ektopischen 
Schwangerschaft, findet sie in den allerunterstnn Partien des Cervical- 
kanals statt, so kommt es zur Bildung einer Reflexarplacenta und somit 
zur Entstehung der Placenta praevia. Beim Zustandekommen der 
Schwangerschaft sprechen Zeitintervall zwischen Menstruation und be¬ 
fruchtender Konjugation, Ort der Implantation, Tempo der Einwanderung 
und der Spermienbewegung, Zeitintervall zwischen Befruchtung und 
Reifung mit. 

P. C. T. v. d. Hoevel - Leiden: Die Möglichkeit einer emeiten 
Schwangerschaft nach dem klassischen Kaiserschnitt. (Centralbl. f. 
Gynäkol., 1912, Nr. 51.) Verf. hat durch Umfragen bei den von ihm 
operierten Patientinnen festgestellt, dass nach dem klassischen Kaiser¬ 
schnitt mehr als die Hälfte weiterhin kinderlos geblieben ist. Da nun 
nach statistischen Angaben in Holland jede Frau aus dem Volke durch¬ 
schnittlich 7 Kinder zur Welt bringt, so müssten in seinen 17 Fällen 
119 Kinder geboren sein, tatsächlich kamen aber vor dem ersten Kaiser¬ 
schnitt nur 43 zur Welt, nach demselben nur 17, unter denen nur 
7 lebende waren. 

F. Eberhart-Cöln: Nekrose des Fettgewebes durch Naht. 
(Centralbl. f. Gynäkol., 1912, Nr. 51.) Verf. ist der Ansicht, dass die 
so häufig namentlich im Anschluss an Laparotomien auftretenden 
Nekrosen des Unterhautfettgewebes nicht in Infektionen ihren Grund 
haben, sondern in der ausserordentlich schwachen Blutversorgung des 
Fettgewebes. Er hält es daher für richtig, bei der Versorgung der das 
Fettgewebe durchziehenden Blutgefässe nicht zu gewissenhaft zu sein. 

E. Vogt-Dresden: Strangulation der vorderen Matterrnnndslippe 
durch ein Schalenpessar. (Centralbl. f. Gynäkol., 1912, Nr. 52.) 37 Jahre 
alte Frau trug 10 Jahre lang ein Schalenpessar, ohne dass dies 
gewechselt wurde. Allmählich stellte sich blutig-eitriger Ausfluss und 
Schmerzen ein. Die Inspektion ergab, dass die vordere Muttermunds¬ 
lippe in die Pessaröffoung eingeklemmt war, so dass dieselbe völlig 
stranguliert wurde. Heilung durch Amputation. Siefart. 

A. Müller-München: Beziehungen der Appendicitis chronica za 
den weiblichen Beckenorganen. (Münchener med. Wochenschr., 1912, 
Nr. 52.) Vortrag im ärztlichen Verein zu München am 18. März 1912. 
Siehe Gesellschaftsbericht in dieser Wochenschrift, 1912, Nr. 15, S. 721. 

Dünner. 

Siehe auch Parasitenkunde und Serologie: Esch, Bewirkt 
das Kind während des intrauterinen Lebens eine Ueberempfindlichkeit 
bei der Mutter? — Psychiatrie und Nervenkrankheiten: Hartung, 
Fall von Dementia paralytica und Geburt. 


Augenheilkunde. 

Huntemüller und Paderstein-Berlin: Chlamydozotnbefaode 
bei Sehwimmbadconjanctivili8. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 2.) Die Verfasser haben 14 Fälle von akuter Conjunctivitis beob¬ 
achtet bei Patienten, welche alle das gleiche Schwimmbad benutzt hatten. 
Die Krankheit erinnerte ausserordentlich an leicht verlaufende Trachome. 
In den meisten Fällen trat völlige Heilung ein, in einigen blieben je¬ 
doch einige leichte Zeichen zurück, wie Schwere im Oberlid, Verdickungen, 
Ptosis. Narbenbildung wurde jedoch nie gesehen. In den frisch unter¬ 
suchten Fällen Hessen sich stets typische Zelleinschlüsse nachweisen, 
die den von Halbcrstädter und Prowazek gefundenen Trachom- 
chlamydozoen sehr ähnlich sind. Die Schwimmbadconjunctivitis erwies 
sich als infektiös und auf Affen übertragbar. Sie ist wahrscheinlich eine 
Krankheit sui generis, durch spezifische Erreger hervorgerufen. 

C. Credc-Hörder-Berlin: Ueber niefafgonorrhoische Ophthalmo- 
blennorrhöen der Neugeborenen nnd Säuglinge. (Deutsche med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 2.) Die nichtgonorrhoische Ophthalmoblennorrhoe 
der Neugeborenen hat äusserlich mit der gonorrhoischen grosse Aebnlich- 
keit, nur ist die Sekretion mehr serös und die Cornea nie beteiligt Der 
Verlauf ist ein bedeutend milderer. Als Infektionserreger kommen in 
Betracht: 1. harmlose grampositive Diplokokken, 2. Fraenkel’sche Pneumo¬ 
kokken, 3. Bacterium coli commune. Am schwersten verlaufen noch 
die durch Pneumokokken hervorgerufenen Conjunctivitiden. Thera¬ 
peutisch kommen Borsäurelösungen in Betracht, in schwereren Fällen 
Einträufelungen mit l,3proz. Argentum aceticum. Wolfsohn. 

Siehe auch Physiologie: Gstettner, Zur Kenntnis des Blinzel¬ 
reflexes. Takamine und Takei, Verhalten durchsichtiger Augenmedien 
gegen ultraviolette Strahlen. 


Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 

A. Zografides-Athen: Catarrhns chronicus bypertrophicus der 
tonsilla lingualis. (Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 52.) Bei den 
mit Katarrh der hypertrophischen Zungentonsillen behafteten Patienten 
besteht sehr häufig ein anfallsweise auftretender Husten. Wahrschein¬ 
lich wirken die Tonsillen durch Druck oder durch innere Sekretion auf den 
Ramus internus vagi, wodurch reflektorisch ein keuchhustenähnlicher 
Anfallshusten ausgelöst wird. Eine Exulceration am Frenulum linguac 


fehlt. Die Therapie besteht in der Zerstörung der Geschwülste, mitunter 
genügt eine Pinselung mit 10 bis 15proz. Lapislösung. 

P. Hirsch. 

A. Re thi - Königsberg: Die Operationen an den Nasennascbela 
nach neueren rhinologischen Prinzipien. (Thcrap. Monatsh., Dez. 1912.) 
Technik und Erfolge der einzelnen Operationsmethodeo. 

H. Knopf. 

E. Ri mini-Triest: Ueber den Einflass des Salvarsais auf das 
Oebörorgai. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 2.) Im Anschluss 
an Salvarsaninjektionen, etwa 4—8 Wochen nach diesen, können schwere 
Schädigungen des Gehörorgans auftreten, welche unverändert fortbesteben 
bleiben: Schwerhörigkeit, Taubheit, Schwindel, Sausen, Nystagmus usw. 
Verf. bat derartige Fälle 8 mal beobachtet. Er glaubt, dass leichte 
syphilitische Prozesse im Obr, die auf Hg nicht reagieren, auf Salvarsan 
mit reaktiven Entzündungen antworten, die dann zu dauernden Verände¬ 
rungen führen können, ähnlich der Lupusreaktion nach Tuberkulin. Er 
rät zu besonderer Vorsicht bei Luetikern, die auch nur die geringsten 
Ohrstörungen darbieten, insbesondere bei chronischem Mittelohrkatarrh, 
Otosklerose, nervösem Ohrensausen u. dgl. Wolfsohn. 

R. Kotz-München: Heilbarkeit der otogenen Meningitis. (Münchener 
med. Wochenschr., 1912, Nr. 52.) Verf. teilt 3 Fälle von chronischer 
Mittelohreiterung mit Cholesteatombildung mit, an die sich nach langer 
Zeit des Wohlbefindens Meningitis anschloss. Operation brachte Heilung. 
Sofort nach der Operation wurde lumbal punktiert. In allen 3 Fällen 
enthielt das Punktat Eiter, aber keine Bakterien. Dünner. 

Siehe auch Therapie: Zografides, Therapie des Otitis externa 
furunculosa. Hinsberg, Beseitigung der Schluckbeschwerden bei 
Larynxerkrankungen. 


Hygiene und Sanitätswesen. 

M. Holz: Die Arzneibücher über das Sterilisieren in den Apotheken. 
(Centralbl. f. Bakteriol. usw., I. Abt., Orig., Bd. 64, Loeffler-Festschrift 
S. 81.) II. bespricht die in den verschiedenen Pharmakopoen des In- 
und Auslandes enthaltenen Bestimmungen über Sterilisation von Arznei¬ 
lösungen usw. und weist auf die mancherlei Mängel wie auf die Wichtig¬ 
keit einer wirklich einwandfreien Sterilisierung in den Apotheken bin, 
auf die oft nicht genügend Bedacht genommen wird. 

F. Kornstaedt-Stralsund: Typhus, Kanalisation und Trink¬ 
wasser in Stralsund. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., I. Abt., Orig.,Bd. 64, 
Loeffler-Festschrift, S. 100.) K. fasst seine Ausführungen über die 
Kanalisations- und Trinkwasserverbältnisse von Stralsund und deren Be¬ 
ziehungen zum Typhus in dieser Stadt dahin zusammen, wie an diesem 
Beispiel der Beweis zu erbringen sei, dass der Typhus — abgesehen 
von UebertraguDgen von Person zu Person und durch Lebensmittel — 
in erster Linie durch das Trinkwasser übertragen und verbreitet wird, 
wenn es aus Anlagen, seien es Brunnen oder Wasserleitungen, ent¬ 
nommen wird, welche ungenügend gegen Verunreinigungen von der Erd¬ 
oberfläche her geschützt sind. Durch die Kanalisation lässt sich die 
Verunreinigung des Bodens und damit die Gefahr der Verseuchung des 
Trinkwassers freilich berabmindern, gänzlich beseitigt wird sie erst durch 
Schaffung einer einwandfreien Trinkwasserversorgung. 

F. Hueppe: Ueber Trockenmilch. (Centralbl. f. Bakteriol., I. Abt,, 
Orig., Bd. 64, Loeffier-Festschrift, S. 34.) U. tritt sehr für eine nach be¬ 
stimmten Grundsätzen hergostellte, einwandfreie Trockenmilch ein, die 
nach verschiedenen Richtungen mit Vorteil zu verwenden ist. Nament¬ 
lich würde die Magermilch in Form der Trockenmilch oft vortrefflich 
geeignet sein. 

Fr. Scholz-Berlin: Probleme der Pest und der Pestbekämpfaog. 
(Centralbl. f. Bakteriol. usw., I. Abt., Orig., Bd. 64, Loefller-Fest- 
schrift, S. 44.) Sch. berichtet zusammenfassend über Ansteckungs¬ 
quellen, Epidemiologie und Bekämpfungsmaassnahmen der Pest. 

Bierotte. 

H. Conradi - Dresden: Ueber Typhasbaeillenträger. (Deutsche 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 2.) Typbusbacillenträger sind gesunde 
Personen, die Typhuskeime absondern, meist solche, die früher typhus¬ 
krank waren („Hauptträger“). Derartige Menschen können jahrzehnte¬ 
lang mit dem Urin und den Fäces virulente Bacillen aussebeiden und 
endemische Infektionen hervorrufen. Die Ausscheidung kann auch in 
Intervallen erfolgen, eine Tatsache, welche die Ermittelung der „Haupt- 
träger“ und die Prophylaxe erschwert. Die chronische Bacillen- 
ausscheidung durch den Darm beruht vornehmlich auf einer chronischen 
Infektion der Gallenwege, die Absonderung durch den Harn ist auf 
embolische Herde der Niere zurückzuführen. 5pCt. aller Typhuskranken 
bleiben chronisch infiziert, meist sind es Frauen. Ein Heilmittel der 
chronischen Infektion kennen wir noch nicht. Wir müssen uns daher 
auf allgemein-hygienische Maassnahmen beschränken. Die Isolierung 
der Bacillenausscheider dürfte meist auf soziale Hindernisse stossen. 
Der Staat sollte derartige Personen materiell entschädigen. 

Wolfsohn. 

Siehe auch Innere Medizin: Freymuth, neilstättenerfabrung 
über Tuberkuloseinfektion und Schwindsuchtentstehung. 


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20. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Gerichtliche Medizin. 

Florschütz-Gotha: Aus den Papieren einer Lebensversicherungs¬ 
gesellschaft. II. Herd oder Selbstmord? (Aerztl. S&chverst.-Ztg., 1912, 
Nr. 24.) Um seiner Familie die Lebensversicherungsprämie zu retten, 
hatte ein in Vermögensverfall befindlicher Versicherter Selbstmord be¬ 
gangen, aber mit Hille eines vertrauten Freundes Mord fingieren lassen. 

M. Hirschfeld und Burchard: Zur Kasuistik des Verkleidungs- 
triebs. (Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1912, Nr. 24.) Mitteilung dreier sehr 
interessanter Gutachten über Transvestiten, jene neueste, erst in der 
letzten Zeit so recht bekannt gewordene Abart sexueller Perversion. Die 
Autoren treten dafür ein, dass diesen Kranken nicht nur die Erlaubnis 
zum Tragen der Kleidung des anderen Geschlechts, sondern auch zur 
entsprechenden Aenderung der Vornamen gegeben würde. 

H. Hirschfeld. 


Militär-Sanitätswesen. 

H. Röder-Elberfeld: MilUärtaiglichkeit und Enteroptoso. (Mün¬ 
chener med. Wochenscbr., 1912, Nr. 52.) (Nach einem Vortrag auf der 
84. Versammlung Deutscher Naturforscher in Münster i. W. 1912.) 
Verf. machte bei seinen Militäruntersuchungen die Beobachtung, dass 
Leute, die sich von vornherein als alkoholintolerant fühlten, oder die es 
erst im Laufe der Jahre wurden, an Enteroptose leiden. Danach hält 
er jeden Enteroptotiker für larviert alkoholintolerant. Enteroptose be¬ 
steht nach Quincke, wenn die Baucbform beim Liegen und Stehen ver¬ 
schieden ist, wenn der Nabel sich beim Husten hebt. Diesen Haupt¬ 
symptomen fügt Verf. einige, sich aus ihnen aber ergebende hinzu. 

Dünner. 


Technik. 

E. Weisz - Pistyan: Einfacher Apparat zur Behandlung des ver¬ 
steiften Handgelenks. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 53.) 

Dünner. 

Siehe auch Chirurgie: Schöneberger, Federextension an der 
unteren Extremität. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 8. Januar 1913. 

Vorsitzender: Herr Landau. 

Schriftführer: Herr Israel, später Herr v. Hansemann. 

Vorsitzender: Ich eröffne die Sitzung, da Herr Orth heute am 
Erscheinen verhindert ist, und begrüsse die Herren im neuen Jahre, 
leh hoffe, dass unsere Arbeit erspriesslich sein wird. 

Wir haben leider in den letzten Wochen den Verlust zweier Kollegen 
zu beklagen: des Herrn Dr. Emil Cronbach, Frauenarzt in Scböneberg, 
seit 1911 Mitglied, und des Herrn Dr. Felix Nathan, seit 1902 Mit¬ 
glied. Ich bitte Sie, sich zum ehrenden Andenken zu erheben. (Ge¬ 
schieht.) 

Aus der Gesellschaft ausgetreten ist Herr Geheimrat Schwerin 
wegen Zeitmangels, und weil er sich nicht mehr so fühlt, dass er die 
Sitzungen besuchen könne. 

ln der vorigen Sitzung der Aufnahmekommission im Dezember sind 
aufgenommen werden die Herren DDr. Dubinsky, Julius Salinger, 
Otto Heusler, Fernow, Albert Cronheim, Dagobert Flater, 
G. Bucky, Alfred Moritz. 

1. Vor der Tagesordnung. 

Hr. Michael Coha: Sparadiseher Kretiaismas bei Geschwistern. 

Die Mutter dieses Kindes, welches ich Ihnen vorstellen möchte, ist 
hier nicht ganz fremd; sie ist schon einmal an dieser Stelle in unserer 
Mitte mit einem ihrer Kinder erschienen. In der Sitzung vom 7. No¬ 
vember des Jahres 1900, also vor genau 127a Jahren, hatte ich mir er¬ 
laubt, im Anschluss an einen Vortrag, den der im vorigen Jahre ver¬ 
storbene Prof. Hugo Neumann, mein verehrter einstiger Lehrer und 
Freund, über die „Ergebnisse der Schilddrüsenbehandlung bei spora¬ 
dischem Kretinismus* hier hielt, das erste Kind dieser Frau, ein Mädchen, 
welches damals im Alter von Vf 4 Jahren stand, dieser Gesellschaft vor- 
zuführen. Ich darf wohl aus jener Demonstration l ), die wohl sehr vielen 
aoter Ihnen nicht bekannt geworden ist, den wenigsten jedenfalls noch 
erinnerlich sein dürfte, kurz rekapitulieren, dass es sich um ein Kind 
handelte, welches zur Zeit, da es, Anfang des 2. Lebensjahres, zum 
ersten Male zu mir kam, den typischen Symptomenkomplex der Myx- 
idiotie darbot, deren erste Anfänge der Anamnese nach zweifellos in 
die früheste Lebenszeit zurückzudatieren waren. Das Kind zeigte die 


1) Verhandlungen der Berliner medizinischen Gesellschaft aus dem 
Gesellscbaftsjabr 1900, Bd. 81, S. 206, resp. diese Wochensohr., 1900, 
S. 1105, sowie Deutsche med. Presse, 1901, Nr. 2. 


typische StuhlverstopfuDg, die schon seit der 7. Lebenswoche bestand, 
das gedunsene Gesicht, die charakteristische Makroglossie, die kühle und 
trockene Beschaffenheit der Haut; es zeigte eine deutliche Hemmung des 
Knochenwachstums in Gestalt einer unzureichenden Körperlänge, eines 
verkleinerten Schädelumfangs und des Fehlens jedes Ossifikationskernes 
in den Handwurzelknochen, und es zeigte vor allem einen hochgradigen 
geistigen Stupor, der schon, als es l f 2 Jahr alt war, ärztlicherseits den 
Verdacht des Vorliegens einer geistigen Anomalie erweckt hatte. Als 
ich das Kind hier vorstellte, hatte ich es bereits 2 Monate lang mit 
Schilddrüsentabletten füttern lassen, und es hatte auf diese Medikation 
in so unverkennbarer Weise reagiert und eine so deutliche und erheb¬ 
liche Aufbesserung seines ganzen körperlichen und geistigen Befindens 
erfahren, dass man sich zu den besten Erwartungen für seine weitere 
Entwicklung berechtigt halten durfte. 

Leider haben sich die Hoffnungen, die wir damals an die Schild¬ 
drüsentherapie knüpften, wie ich Ihnen beute bekennen muss, in diesem 
Falle nur in sehr bescheidenem Maasse erfüllt. Das Kind ist am Leben 
geblieben, es ist jetzt 1372 Jahre alt, und ich hätte es gern hier wieder 
vorgestellt; allein es befindet sich nicht hier, sondern ausserhalb, und 
zwar in einer — Idiotenanstalt. Ich hatte es viele Jahre lang aus den 
Augen verloren und habe erst neuerdings über sein weiteres Schicksal 
in Erfahrung gebracht, dass es trotz fortgesetzter Medikation doch erst 
mit 5 8 /4 Jahren allein laufen lernte, und dass seine Erziehung zu Hause 
so viel Schwierigkeiten darbot, dass es von dieser Zeit ab in die Anstalt 
gebracht werden musste. Es war mit kurzen Unterbrechungen 5 Jahre 
lang in der Potsdamer Anstalt, und seitdem weilt es in der Branden- 
burgischen Idiotenanstalt in Lübben. Wie mia der dortige Oberarzt, 
Herr Kollege Plaskuda, auf meine Anfrage die Freundlichkeit hatte 
mitzuteilen, hat die körperliche Entwicklung des Mädchens, das übrigens, 
von gewissen Zwischenräumen abgesehen, dauernd das ganze Jahr hin¬ 
durch Schilddrüsentabletten erhielt und noch erhält, zwar Fortschritte 
gemacht, es sieht nicht pastös aus, und es hat eine Körperlänge von 
130 cm, was ungefähr der eines 10- bis 11 jährigen Mädchens entspricht. 
Geistig aber ist es sehr tiefstehend; es versteht ganz einfache Aufforderungen 
und befolgt sie manchmal, äussert sich aber, von einzelnen einfachen Worten 
abgesehen, nur in unartikulierten Lauten, hat also nicht sprechen gelernt. 
Zweierlei interessante Tatsachen muss ich noch anführen: Zunächst, die 
Patientin bedarf auch jetzt noch der ständigen Zufuhr von Schilddrüsen¬ 
substanz; für kürzere Zeit kann wohl das Mittel ohne Schaden aus¬ 
gesetzt werden; als es aber einmal mehrere Monate hindurch nicht ge¬ 
geben wurde, da verschlimmerte sich der Zustand noch derartig — es 
zeigten sich Schwellungen zu beiden Seiten des Halses, die Zunge wurde 
dick, das Schlucken war erschwert, und die geistige Stumpfheit nahm 
erheblich zu —, dass die besuchenden Eltern selber den Arzt dringend 
um weitere Verabfolgung des Mittels ersuchten, das aber offenbar vor¬ 
wiegend die Haut- und Knochen- und nur in sehr geringem Maasse die 
cerebralen Symptome des Uebels bei der Kranken beeinflusst. Eine 
weitere bemerkenswerte Tatsache ist die, dass, wie mir der Kollege aus 
Lübben mitteilte, im Laufe des letzten Jahres sich bei dem Mädchen 
eine erhebliche cystische Struma entwickelt hat, welche bereits bei stär¬ 
keren Bewegungen leichten Stridor bedingt und wahrscheinlich eine 
Punktion nötig machen wird. Seinerzeit, als ich die Patientin in Be¬ 
handlung bekam, war bei ihr die Schilddrüse bereits deutlich zu fühlen, 
wie auch bei der Demonstration hier von mehreren untersuchenden 
Herren festgestellt wurde; die nachträgliche strumöse Degeneration der 
Drüse bestätigt mithin jenen Befund, auf den ich übrigens noch einmal 
am Schluss kurz zurückkomme. 

Soviel über jenes erste Kind. Die Mutter hat dann zwei Jahre 
nach diesem einen Knaben geboren, der jetzt 11 Jahre alt ist; er ist, wie 
ich mich erst kürzlich überzeugte, körperlich und geistig recht gut und 
völlig normal entwickelt und zeigt auch sonst bezüglich seiner Schild¬ 
drüse nichts Abnormes. Darauf folgten sechs Aborte, angeblich bedingt 
durch eine Unterleibsschwäche infolge des jahrelangen Auf-dem-Arm- 
tragen des ersten Kindes, und schliesslich wurde am 22. August 1912, 
also vor 47s Monaten, der Knabe, den Sie hier vor sich sehen, geboren. 
Als ich ihn am 18. November, also im Alter von 12 Wochen, zum ersten 
Male zu Gesicht bekam, war ich nicht wenig überrascht; denn er er¬ 
weckte beim ersten Anblick in der Tat auch wiederum den Eindruck 
eines Myxödems. Was zunächst auffiel, war neben, der Blässe eine ge¬ 
wisse Gedunsenheit des Gesichts. Und wirklich deckt die weitere Unter¬ 
suchung eine Reihe einschlägiger Symptome auf: Die Mutter hatte das 
Kind zugefübrt, weil es in letzter Zeit an Stuhlverstopfung litt und 
einen Nabelbruch bekommen hatte; die Haut zeigte eine besonders 
starke Fettanhäufung am Halse, eine auffällig trockene Beschaffenheit 
und am Rücken eine feine kleienförmige Schuppung. Es stellte sich 
heraus, dass das Kind niemals eine feuchte Haut gehabt bat, dass Hände 
und Füsse sehr leicht kühl wurden, so dass ständig warme Steine ins Bett 
gelegt werden mussten; dabei war der Ernährungszustand keineswegs 
ein ungenügender; es wog 5310 g. Die Kopfhaut war trocken und, wie 
Sie an dem Bilde, das ich hier herumreiche, und das die Züge des 
Kindes zu dieser Zeit widergibt, ziemlich reichlich mit dunkelblonden 
Haaren bedeokt. Die Zunge, die Sie hier auf der Photographie zwischen 
den Lippen sehen, trat nicht ständig, sondern nur gelegentlich aus dem 
Munde heraus; sie schien immerhin ein wenig verdickt. Beim Schreien 
entstand eine leichte Cyanose der Ober- und Unterlippe. Die Atmung 
war immer etwas schnarchend. Der linke Testikel war nicht descendiert. 
Ein sehr wichtiges Symptom fehlte vorläufig freilich, nämlich die Hem¬ 
mung des Knoohenwachstums; 56 cm Körperlänge und 40 cm Kopf* 


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UNIVERSUM OF IOWA 





126 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 3. 


umfang waren dem Alter entsprechende Werte; allenfalls wäre vielleicht 
zu bemerken, dass die Pfeilnaht noch in der hinteren Hälfte klaffte. 
Hingegen war wiederum recht auffällig das Verhalten des Kindes in 
geistiger Hinsicht. Zwar bestand kein völliger Stupor; so z. B. lachte 
das Kind sogar ziemlich oft; aber die Mutter gab ganz spontan an, 
dass sie Zweifel hege, ob das Kind denn höre, da auch laute Geräusche 
keinerlei Eindruck auf es zu machen scheinen. Und die wiederholte 
Prüfung ergab tatsächlich, dass es auch auf sehr starke akustische Reize 
gar nicht oder doch nur sehr wenig reagierte. Auch die Schmerz¬ 
empfindlichkeit schien sichtlich verlangsamt; es dauerte eine ganze Zeit, 
ehe das Kind beim Kneifen der Haut sich zu schreien bequemte, und 
die Schreistimme hatte dann einen deutlich rauhen Klang. Die Schild¬ 
drüse schliesslich war zu fühlen. Sie können sich auch hier überzeugen, 
dass die Trachea nicht frei liegt, sondern von einem mittleren Lappen be¬ 
deckt ist, ganz ähnlich, wie es damals bei der älteren Schwester der Fall war. 

Trotzdem somit der Symptomenkoraplex noch nicht völlig ent¬ 
wickelt war, entschloss ich mich doch nicht länger zu warten, sondern 
dem Kinde sofort Schilddrüsentabletten zu geben, vor allem mit Rück¬ 
sicht auf die ungünstigen Erfahrungen, die mit dem ersten Kinde, das 
erst im zweiten Lebensjahre zur Behandlung gekommen war, gemacht 
worden waren; auch musste die Wirkung des Mittels am ehesten er¬ 
geben, ob die Annahme der Myxidiotie gerechtfertigt war. So bekommt 
denn das Kind seit Ende November Schilddrüsensubstanz, im ganzen 
erhielt es bisher erst 22 Tabletten ä 0,1, und der Erfolg ist in der Tat 
derart, dass ein Zweifel über den Charakter des vorliegenden Krank¬ 
heitszustandes jedenfalls nicht mehr möglich ist. Die Wirkung des 
Mittels war ganz typisch lind evident: schon nach wenigen Tagen wurde eine 
gewisse Abflachung im Gesicht in der Gegend der Augenbrauen und 
über der Nasenwurzel konstatiert; vor allem fing die bisher trockene 
Haut aufs stärkste zu sezernieren an; das Kind bekommt bis in die 
letzte Zeit hinein bei Nacht und auch bei Tage im Schlafe derartige 
Schweissausbrüche, dass Hemd und Kopfkissen regelmässig, mitunter 
sogar mehrmals gewechselt werden müssen. Die Haut ist überhaupt 
weicher, glatter, sie ist gleichmässig warm, künstliche Erwärmung ist 
nicht mehr nötig, die Schuppung hat aufgehört. Besonders auffällig ist 
die Reaktion der Kopfhaut; hier bildete sich in der Mitte als Zeichen 
einer starken Talgdrüsensekretion eine seborrhoische Kruste, und ausser¬ 
dem zeigt sich seit etwa 14 Tagen ein sehr charakteristischer Haar¬ 
ausfall, wie er übrigens, und zwar noch viel eklatanter, auch seinerzeit 
bei der Schwester auf das Mittel hin sich eingestellt batte. Sie sehen 
zurzeit an beiden Seiten, von der Stirn nach hinten ziehend, zwei 
breite kahle Streifen, auf denen übrigens bereits einzelne neue hellere 
Haare nachzuwachsen beginnen. Die Zunge ist flacher geworden. Auch 
in geistiger Hinsicht hat das Kind in den wenigen Wochen erhebliche 
Fortschritte gemacht, es ist, wie die Mutter angibt, ganz etwas anderes 
geworden. Es ist reger, bewegt sich weit mehr als früher, es vermag 
jetzt den Kopf zu halten, es blickt lebhafter, sieht nach vorgehaltenen 
Gegenständen, freut sich über diese, lacht die Mutter an, es hört jetzt 
auf Geräusche, fährt, was es früher nie tat, bei Geräuschen zusammen, 
dreht den Kopf beim Anruf, beim Händeklatschen nach der Schallquelle, 
kurz es bestehen hinsichtlich seiner Hörfähigkeit keine Zweifel mehr, und 
das Kind macht jetzt geistig den Eindruck wie ein normales des gleichen 
Alters. Man muss mit der weiteren Prognose natürlich zurückhaltend sein, 
darf aber doch vielleicht hoffen, dass die Besserung in diesem Falle in¬ 
folge des frühzeitigen Einsetzens der spezifischen Organtherapie eine 
nachhaltige und ausreichende sein wird, und dass, wenn vielleicht nach 
wiederum 12 Jahren Gelegenheit sein sollte, über dieses Kind zu be¬ 
richten, die Nachrichten günstiger lauten werden als die, welche ich 
heute über die vor 12 Jahren vorgestellte Schwester geben konnte. 

Gestatten Sie mir nur noch einige bemerkenswerte Punkte hervor¬ 
zuheben. Da ist zunächst das familiäre Auftreten des Kretinismus, das 
bei der endemischen Form des Leidens zwar durchaus nichts Seltenes 
ist, bei der sporadischen Form aber, mit der wir es hier doch zu tun 
haben — beide Kinder sind in Neukölln geboren, die Eltern 
stammen aus Elbing bzw. Magdeburg und waren sonst nirgends an¬ 
sässig —, etwas Ungewöhnliches darstellt. Immerhin liegen in der 
Literatur einzelne derartige Beobachtungen vor, besonders io der eng¬ 
lischen, und auch aus Wien berichtete Eller vor nicht langer Zeit von 
einer dort ansässigen Familie, in der sogar drei Geschwister von der 
Krankheit betroffen sind. Weiterhin möchte ich des Umstandes ge¬ 
denken, dass in meinen beiden Fällen, in denen die Symptome schon 
kurze Zeit nach der Geburt einsetzten, von vornherein eine Schilddrüse 
vorhanden und nachweisbar gewesen ist. Auch das ist ungewöhnlich. 
Gerade von dieser hier vorliegenden Form der angeborenen Myx¬ 
idiotie ist seitens verschiedener Autoren (Pineies, Siegert) behauptet 
und zum Teil auch durch Sektionsbefunde nachgewiesen worden, dass 
bei ihr fast ausnahmslos die Schilddrüse fehle, also ein angeborener 
Bildungsfehler in Form eines totalen Defektes des Organs vorliege, und 
man hat diese kongenitale Form deshalb geradezu gegenübergestellt der 
infantilen, bei der das Krankheitsbild erst einige Jahre nach der Geburt 
sich herausbildet, wo also die Schilddrüse ursprünglich vorhanden ist 
und normal funktioniert, um erst späterhin zu erkranken. Angeborene 
Myxidiotie, sagt Siegert, und angeborene Thyreoaplasie sind fast stets 
gleichbedeutend. Für unsere Fälle trifft das nicht zu, es besteht keine 
Athyreose, sondern offenbar eine Dysthyreose; die Schilddrüse ist von 
Anfang an bei beiden Kindern vorhanden, aber sie ist offenbar von 
Geburt an krankhaft verändert und funktioniert nicht, weshalb es zu 
den Ausfallserscheinungen kommt. 


Ferner möchte ich besonders darauf hinweisen, dass in beiden Fällen 
die Krankheit sich bereits zu einer Zeit entwickelte, da die Kinder noch 
mit der Brust genährt wurden; das erste Kind ist acht Monate gestillt 
worden, dieses hier bekam drei Monate Dur Brust, seitdem Brust und 
Flasche. Es ist das zwar auch schon wiederholt beobachtet worden, 
dass Ernährung an der Brust nicht vor dem Ausbruch der Krankheit 
schützt; indessen verdient es doch immer wieder hervorgehoben zu werden 
gegenüber der Behauptung einzelner Autoren, dass dem Kinde durch die 
Muttermilch Schilddrüsenstoffe zugeführt werden. Und schliesslich er¬ 
wähne ich noch zwei in ätiologischer Hinsicht — Wassermann wurde 
bei dem älteren Kinde in der Anstalt negativ gefunden — recht inter¬ 
essante Fakten. Erstens: die Kiuder stammen aus einer Verwandten¬ 
ehe, Vater und Mutter sind Cousin und Cousine, es besteht also Kon- 
sanguinität. Und zweitens, was noch bemerkenswerter ist: die Mutter 
der beiden Kinder bekam vor zehn Jahren — im Anschluss an den ersten 
Abort — eine Anschwellung ihres Halses, die noch heute unverändert 
fortbesteht; es handelt sich, wie Sie sich überzeugen können, um eine 
deutliche Struma. Auch das ist ein Verhalten, wie es eigentlich mehr 
bei den endemischen als bei den sporadischen Fällen von Kretinismus 
beobachtet wird. Bei ersteren ist Struma in der Ascendens so häufig, 
dass z. B. Flinker-Czernowitz neuerdings erwähnte, er habe in 50 der¬ 
artigen Fällen bei einem der Eltern stets Kropf gefunden; 17 mal waren 
beide Eltern, 32 mal nur die Mutter, 1 mal nur der Vater, also die Mutter 
überhaupt 49 mal damit behaftet. Beobachtungen wie die hier ge¬ 
schilderten dürften nach alledem vielleicht geeignet sein, die Unter¬ 
schiede, welche einzelne Autoren in klinischer Hinsicht immer noch 
zwischen sporadischen und endemischen Kretinismus zu konstruieren 
geneigt sind, doch mehr und mehr zu verwischen. 

II. Tagesordnung. 

1. Hr. Haber: Ueber Blntveräadernnge* bei hänolytischen Icterus. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

Diskussion: Hr. Mosse. (Erscheint unter den Originalien dieser 
Wochenschrift.) 

2. Hr. Axhausen: Ueber das Wesen der Arthritis deformans. 

(Erscheint unter den Originalien von Nr. 5; hier folgt die Erklärung 
der Präparate.) 

Das erste Photogramm zeigt einen der Versuche der Patellaumnähung. 
Sie sehen hier den Rand der Patella, und Sie erkennen, dass von der 
Knorpeldecke der Patella nur ein Teil am Leben geblieben ist Sie 
sehen in der Tiefe das Knorpelgewebe nekrotisch; dagegen am Rande 
noch erhaltene Kernfärbung und ebenfalls in der oberflächlichen Schicht, 
wohl durch die Ernährung von der Synovialis her. 

Dies war das Bild nach einigen Wochen. Nach längerer Zeit be¬ 
ginnt die Wucherung der am Leben gebliebenen Knorpelzellen. Dies 
sehen Sie am nächsten Bild — das einzige der ganzen Gruppe, das nach 
einer Zeichnung hergestellt ist, weil mir das Präparat verloren gegangen 
ist. Sie sehen, wie lebhaft die Wucherung der erhaltenen Knorpelzellen 
ist und wie die wuchernden Zellen in den toten Knorpelanteil eindringen. 

Die nächsten Photograrame entstammen den Präparaten von homo- 
plastischer Ueberpflanzung ganzer Gelenkenden. 

Hier ist ein solches Gelenkende; Sie sehen die Knorpeldecke, unten 
die Spongiosa, hier die subchondrale Knochenschicht und hier das Mark¬ 
gewebe der subchondralen Spongiosa. Sie sehen, dass nur die ober¬ 
flächlichste Partie der Knorpelzellen am Leben geblieben ist, während 
in der Tiefe der Knorpel der Nekrose verfallen ist. Das kommt daher, 
weil die oberflächlichen Partien von der Nachbarschaft her rasch ernährt 
werden können, erst durch Füssigkeitsdiffusion, nacher durch Heran¬ 
sprossung neugebildeter Gefässe. 

Nun sehen wir am nächsten Bild die beginnende Wucherung der 
lebengebliebeuen Knorpelzellen. Oben sehen Sie einige Knorpelkapseln, 
in denen massenhaft Zellen liegen als Zeichen der Proliferation. 

Schliesslich kommen Bilder heraus wie im nächsten Präparat, wo 
nun der ganze Knorpel wieder reorganisiert ist; Sie sehen die Knorpel- 
zellen in einer Masseuhaftigkeit uud in einer Dichte der Anordnung, die 
er normaler Weise niemals bat. 

Nun, auch bei der elektrolytischen Erzeugung von umschriebenen 
Knorpelnekrosen haben wir als Reaktion auf die Nekrose Knorpelzell- 
wucherungen. Das sehen Sie im nächsten Bild. Sie sehen das Gelenk¬ 
ende, den deckenden Knorpel, die subchondrale Knochenschicht und das 
Markgewebe, hier den nekrotischen Knorpelanteil, dort den leben¬ 
gebliebenen Knorpel, in dem Sie auf das schönste den Beginn der Knorpel¬ 
zellwucherung erkennen können. 

Das nächste Photogramm zeigt ähnliches. Hier sehen Sie, dass von 
der Synovia her einige der oberflächlichsten Knorpelzellen am Leben ge¬ 
blieben sind. Wie lebhaft ist nun ihre Wucherung! Da liegen 15 Knorpel¬ 
zellen in einer Hülle. 

Aber die hauptsächlichsten Veränderungen vollziehen sich im Mark¬ 
gewebe der subchondralen Knochenräume. Die Entwicklung dieser Vor¬ 
gänge zeigen die nächsten Bilder. Im ersten derselben sehen Sie die 
Umwandlung des Markgewebes in stark faseriges Bindegewebe unter 
gleichzeitiger Erweiterung durch laeunäre Resorption. 

Dasselbe vollzieht sich nun in den benachbarten subchondralen 
Markräumen. Sie alle dehnen sich aus und fiiessen so schiesslich ineinander. 

Im nächsten Bild sehen Sie sämtliche Markräume der subchondralen 
Knochenschicht zusammengeflossen, der Inhalt ist überall in stark¬ 
faseriges Gewebe umgewandelt. Die dabei erfolgende laeunäre Resorption 
der zwischengelegenen Knochenanteile führt nun zur Bildung ganz eigeri- 


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20. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


127 


artiger Knochenrestspangen. Ich habe eine stärkere Vergrösserung einer 
solchen Spange im nächsten Bild fixiert. Diese eigentümlich geformten, 
dünnen, grob-lacunär konturierten Knochenrestspangen kennen wir von 
der Arthritis deformans her. Ich habe sie bei allen meinen Knochen¬ 
studien nur bei der Arthritis deformans gefunden, konnte mir aber nie 
erklären, wie sie entstehen, bis diese experimentellen Studien ihre Ent¬ 
stehung enthüllten. 

Sie sehen in den nächsten Bildern die weitere Entwicklung. Nachdem 
die Räume zusammengeflossen sind, wird der Knorpel selbst resorbierend 
angegangen; dabei erfolgt hier und da ein Durchbruch der Knorpeldecke, 
und so wird der deckende nekrotische Knorpel iu Inseln zerlegt. Nun 
erfolgt ein höchst eigentümlicher Vorgang. Fast nie wird der nekrotische 
Knorpel vollkommen resorbiert, sondern während des Resorptionsaktes 
gelangen Teile des toten Knorpels zur vollkommenen Lösung von der 
subchondralen Bindegewebsschicht. 

Ein beweisendes Bild sehen Sie hier. Hier ist das deckende Knorpel¬ 
stück gelöst durch die Tätigkeit des subchondralen Bindegewebes. Sie 
sehen, es hängt nur noch an einem dünnen Stiel und ist im übrigen 
vollkommen von der Unterlage abgehoben. Wir haben das nicht etwa 
artifiziell erzeugt, sondern schon bei der Gelenkeröffnung fiel uns dieses 
au einem Zapfen hängende Knorpelstück sofort auf. Einige übrig ge¬ 
bliebenen lebenden Knorpelzellen machen, wie Sie sehen, für das Schick¬ 
sal des toten Knorpelstücks nichts aus. 

Das ist, experimentell erwiesen, der Vorgang der spontanen Dis¬ 
sektion und Exfoliation von toten Knorpelstücken, der experimentelle 
Beweis für die Richtigkeit der Koenig’schen Lehre von der Chondritis 
dissecans! 

Ist nun ein solches Knorpelstück disseziert und exfoliiert, so ent¬ 
steht eine Knorpelusur, die zunächst von dem stark faserigen Binde¬ 
gewebe in erheblicher Dicke gedeckt ist. Aber es dauert nicht lange, 
so wird die Schiebt dünner, periostähnlicher, wie Sie in einem der 
nächsten Bilder erkennen werden. 

Sie sehen hier in diesem Bild in Reaktion auf die Knorpelnekrose 
Vorgänge, die Sie im nächsten Bilde etwas stärker vergTÖssert finden werden, 
Vorgänge, die Ihnen die Metaplasie des subchondralen Bindegewebes in 
Knorpelgewebe zeigen. Dieser wuchernde Faserknorpel geht hinein in 
die Tiefe, er bildet die bekannten Enchodrome, er bildet nachher bei 
seiner Erweichung die Cysten. Selbst die Knorpeleinsprengungen, die wir 
bei den sklerotischen Schleiffurchen sehen, nehmen hieraus ihren Ursprung. 

Eine Knorpelusur mit dünner, periostähnlicher Decke sehen Sie 
im nächsten Photogramm. Charakteristisch ist auch die leichte Er¬ 
habenheit am Rande, die neugebildeten Knochen einschliesst. 

Solche Bilder finden wir überall, wo keine mechanische Inanspruch¬ 
nahme vorhanden ist. Wo aber eine solche vorhanden ist, finden wir 
an der Usurstelle freiliegenden, sklerotischen Knochen. 

Eine solche „Schleifstelle“ sehen Sie im nächsten Bilde. Interessant 
ist auch die Auffaserung des benachbarten Knorpels. 

Im nächsten Bilde sehen Sie sehr schön die starke Verdichtung des 
freigelegten Knochens. Dss nächste zeigt Ihnen die schon erwähnten 
Knorpeleinsprengungen innerhalb des sklerotischen Knochens der Schleif¬ 
stelle. 

Schliesslich ein letztes Bild aus dieser Serie: die Entstehung einer 
mächtigen Cyste. Sie sehen die mächtige Knorpelmasse in der Tiefe, 
die grösstenteils nekrotisch, teilweise verflüssigt ist. So kommen schliess¬ 
lich grosse cystische Räume heraus. 

Nun zeige ich Ihnen in einer weiteren Serie entsprechende Bilder 
von Arthritis deformans. 

Sie sehen im ersten Bilde bei einem beginnenden Falle die ober¬ 
flächliche Nekrose des Knorpels und in der Tiefe die Knorpelzellwuche¬ 
rungen; hier liegen die Knorpelzellen viel dichter als normalerweise. 
Wir sehen die deutlichen Bilder der Knorpelzelleinwanderung, genau wie 
in den Versuchen. Auf der anderen Seite sehen wir einen besonders 
wichtigen Vorgang. Wenn die Knorpelnekrose einen gewissen Umfang 
erreicht, so kann der celluläre Ersatz von der Tiefe her nicht aus¬ 

reichend geliefert werden. Dann kommt von der Nachbarschaft heran¬ 
gewuchertes subchondrales Bindegewebe und führt zur Dissektiou solcher 
restierenden Knorpelanteile, genau wie im Experiment. Den ganzen Vor¬ 
gang können Sie an den einzelnen Stellen des Photogramms verfolgen. 

Wo immer nach erfolgter Dissektion und Exfoliation das hervor¬ 
gewucherte, subchondrale Bindegewebe den erhaltenen Knorpel deckt, 
finden wir, wie Sie hier und in den nächsten Bildern sehen, eine durch 
dichtere Zel lau Ordnung erkennbare Grenzlinie zwischen beiden An¬ 
teilen. Das sehen Sie auch im folgenden Bild auf beiden Seiten. In 

der Mitte fehlt die Grenzlinie; es fehlt aber überhaupt jeder Knorpel. 
Hier, in der Mitte, hat eine totale Nekrose Vorgelegen; Sie sehen nun, 

wie sich gerade nur an dieser Stelle in Reaktion auf diese Nekrose in 

der subchondralen Knochenschicht ein mächtiger Hohlraum mit faserigem 
Bindegewebe und teils nekrotischem, teils verflüssigtem Knorpel gebildet 
hat, während an beiden Seiten die Struktur der subchondralen Mark¬ 
räume fast völlig normal ist. 

Einen ähnlichen Vorgang sehen Sie im nächsten Bild. Achten Sie 
aber besonders auf die hier deutlichen Vorgänge der beginnenden Dis¬ 
sektion kleinerer umschriebener Knorpelnekrosen, die fast die ganze 
Dicke einnehmen. 

Im nächsten Bild haben Sie solche nekrotischen Knorpelinseln völlig 
disseziert an der Oberfläche liegen; sie sind ringsum eingeschlossen von 
subchondralem Bindegewebe; an einer Stelle sehen Sie an der Lücke 
die stattgehabte Exfoliation. 


Im nächsten Bild sehen Sie die Metaplasie des subchondralen Binde¬ 
gewebes in Faserknorpel und weiter die Entstehung der Knochenrest¬ 
spangen, von denen ich Ihnen vorher sprach. 

Das nächste Bild zeigt Ihnen eine solche Spange in stärkerer Ver¬ 
grösserung, und Sie sehen sofort die vollständige Uebereinstimmung mit 
den gleichen Bildern bei der experimentellen Knorpelnekrose. 

Das nächste Bild zeigt eine Knorpelusur grösseren Umfanges. Sie 
sehen dort noch Reste von dem ursprünglich hier gelegenen nekrotischen 
Knorpel, die vollkommen disseziert sind. 

Schliesslich sehen Sie im nächsten Bild eine Schleifstelle, eine 
Sklerose des Knochens bei Arthritis deformans, genau so, wie ich sie 
Ihnen hei der experimentellen Knorpelnekrose gezeigt habe; und im 
nächsten einen Knorpeleinschluss — genau wie dort! 

Schliesslich, als Beweis, dass beim Trauma Knorpelnekrosen Vor¬ 
kommen, das nächste Bild, ein Schnitt von einer Radiusköpfchenfraktur, 
entnommen von dem erhaltenen, nicht von dem abgesprengten Teil. Da 
sehen Sie den lebenden, hier den toten Knorpel; an einer Stelle selbst 
beginnende Knorpelzellwucherung. 

Und dass auch bei milden Gelenkinfektionen solche Knorpelnekrosen 
Vorkommen, sehen Sie im letzten Photogramm. Das Präparat entstammt 
meinen Versuchen und zwar solchen, bei denen geringe Gelenk¬ 
schwellungen und ein trüber Erguss bei kaum wahrnehmbaren 
Störungen des Allgemeinbefindens beobachtet wurden. 

Sie sehen die oberflächliche Hälfte des deckenden Knorpels nekrotisch. 

Diskussion. 

Hr. v. Hansemann: Ich habe nur ein paar Worte zu den 
schönen Untersuchungen des Herrn Axhausen zu sagen, nämlich dass 
ich bei allen Betrachtungen, die bisher über die Arthritis deformans 
angestellt worden sind, auf ein Bedenken stosse, das den Namen Arthritis 
deformans selbst betrifft. Wie Herr Axhausen es auch schon gesagt 
hat, umfasst dieser Name eino grosse Zahl verschiedener Krankheiten, 
und ich möchte besonders darauf hinweisen, dass eine derselben, die 
wir auch als Arthritis deformans bezeichnen, die sogenannte Altersgicht, 
doch eine allgemeine Erkrankung ist, die sich nicht allein im Gelenk 
abspielt, und die deswegen eigentlich mit Unrecht den Namen Arthritis 
führt. 

Wenn nun auch bei dieser Form der Erkrankung sich die Knorpel¬ 
nekrose findet, die Herr Axhausen eben geschildert hat, so ist doch 
nicht für alle Erscheinungen, die bei dieser Erkrankung auftreten, es 
möglich, dass die Knorpelnekrose oder auch die statischen Momente 
allein maassgebend sind, denn man findet dabei Knochenwucherungen 
auch da, wo diese Dinge nicht in Betracht kommen, z. B. an der Innen¬ 
fläche des Schädels. Das ist vielleicht die älteste Krankheit, die wir 
überhaupt kennen, denn sie findet sich schon bei dem Neandertal- 
schädel, der gerade deshalb zu so vielen Diskussionen geführt hat. Wir 
finden die gleichen Veränderungen auch schon bei den alten Höhlen¬ 
tieren, die mit dem Neandertalmenschen zusammen gelebt haben, beim 
Höhlenbär, beim Höhlenlöwen usw. Da findet man diese Knochen- 
veräoderung auch schon, und zwar um die Gelenke herum in Form der 
Osteopbyten, und < auch an den Schädeln dieser Tiere, wie bei dem 
Neandertalmenschen selbst. Wir finden sie natürlich auch bei dem 
rezenten Menschen — nicht bei jedem —, der die Krankheit hat, sondern 
nur bei einzelneu dieser Individuen, und aus der Entstehung der Osteo- 
phyten im Innern des Schädels in diesen Fällen können wir sehen, 
dass doch noch etwas anderes mitspielen muss als die Nekrose der 
Knorpel und als die statischen Momente. Denn gerade diese beiden 
Momente fallen ja hier an diesen Stellen vollständig fort. Es muss sich 
dort doch um allgemeine Ernährungsstörungen handeln. 

Ich bezweifle gar nicht, dass sich das an dem Gelenk so äussert, 
wie Herr Axhausen das geschildert hat. Das ist zweifellos vollkommen 
zutreffend. Aber es geht doch von einem anderen Punkte aus, so dass 
wir die Knorpelnekrose, wie ich meine, noch nicht als ätiologisches 
Moment einführen dürfen, sondern nur als ein Zwischenglied einschieben 
müssen, und dass die Ursache noch weiter zurückliegt, wenigstens für 
diese Formen der sogenannten Arthritis deformans, nicht für alle 
Formen. 

Hr. Wollenberg: Ich möchte zu den Untersuchungen von Herrn 
Axhausen nur wenige Worte sagen. Ich bezweifle nicht, dass für eine 
grosse Zahl von Fällen die aseptische Knorpelnekrose tatsächlich das 
auslösende Moment sein könnte. Aber es sind doch schon einige Ein¬ 
schränkungen zu machen. Ich habe schon auf dem Chirurgenkongress 
darauf hingewiesen, dass gerade in ganz frühen Fällen von Arthritis 
deformans sich derartige Wucherungen finden, im Bereiche des Knie¬ 
gelenkes zum Beispiel, am freien Knorpelrande, wo auch mikroskopisch 
noch keinerlei Knorpelnekrose sichtbar ist. 

In solchen Fällen von einer „Fernwirkung“ zu reden, scheint mir 
nicht richtig, zumal sich die von Herrn Axhausen experimentell er¬ 
zeugten Knochen- und Markveränderungen stets nur in unmittelbarster 
Nähe der Knorpelnekrosen abspielen. 

Ferner möchte ich auf ein Moment hinweisen, das ist das Recidiv 
nach radikaler Operation der Arthritis deformans. Sie wissen, dass 
Müller in Rostock bekannt gegeben hat, dass sehr häufig diese Recidive 
eintreten. Dieselbe Beobachtung habe ich gemacht in einer ganzen 
Reihe von Fällen, die früher von Hoffa und auch von mir operiert 
worden sind. Wir haben den Schenkelkopf total entfernt, sogar noch 
einen Teil des Schenkelhalses mitgenommen. Trotzdem hat es nachher, 
nach Jahren, ein Recidiv gegeben. Es hat sich gewissermaassen ein 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 3. 


Schenkelkopf neu formiert, indem weiche Knochenmassen über den Rest 
des Schenkelhalses gewissermaassen pilzartig hinübergedrückt wurden, und 
wir hatten einige Jahre nach der Operation ein ähnliches Bild wie vor 
der Operation, nur dass jetzt der Schenkelhals sehr viel kürzer geworden 
war. Eine solche Beobachtung weist doch darauf bin, dass der Knochen 
selbst in einem erheblichen Umfange an und für sich erkrankt ist, da9s 
diese Erkrankung auch nach der Entfernung des gesamten Knorpels un¬ 
abhängig von letzterem einer weiteren Entwicklung fähig ist. Damit ist 
erwiesen, dass für diese Recidive die Knorpelnekrose kein veranlassendes 
Moment sein kann. 

Hr. Axhausen (Schlusswort): Zu den Bemerkungen von Herrn 
v. Hansemann mochte ich nur eins sagen. Wenn an dem Schädel 
solche Knochenwucherungen auftreten, so möchte ich bemerken, dass im 
hohen Alter selbstverständlich auch an anderen Stellen Ernährungs¬ 
störungen nebst Reaktionserscheinungen vorliegen können. Die Verhält¬ 
nisse am Schädel und die Verhältnisse im Gelenk sind aber so 
different, dass ein formaler Zusammenhang kaum angenommen werden 
kann. 

Auf die Bemerkungen von Herrn Wollenberg wollte ich sagen, 
dass gerade die Fälle der beginnenden Arthritis deformans sehr 
häufig nicht vollkommen durchuntersucbt werden. Ich habe solche Fälle 
gesehen, bei denen auf grossen Schnitten der Knorpel normal erschien, 
während bei weiterer Durchprüfung sich an anderen Stellen umschriebene 
Knorpelnekrosen fanden. Das ist gerade das Auffallende, auch bei der 
Arthritis deformans experimenteller Art, dass durch die Existenz von 
umschriebenen Knorpelnekrosen geringer Grösse Fernwirkungen 
(Randosteophyten, Zottenbildung) ausgelöst werden. Immer müssen 
also die Gelenkenden auf Knorpelnekrosen sorgfältig durchuntersucht 
werden, ehe man ihre Existenz ausschlicssen darf. 

Das Auftreten von Randosteophyten in Fällen sogenannter „Arthritis 
deformans recidiva“ kann bei der Existenz von Knochennekrosen an der 
Resektionsstelle nicht wundernehmen. 


Laryngologische Gesellschaft zu Berlin. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 22. November 1912. 

(Schluss.) 

Tagesordnung. 

Diskussion über den Vortrag des Herrn Gutzmau: Ueber habituelle 
StimmbaudlähiBUDgen. 

Hr. Killian: Der Vortrag liegt gedruckt vor und konnte eingehend 
studiert werden, was sich als nützlich erwies, denn das Thema ist 
schwierig. Es kann bei der Diskussion leicht zu Missverständnissen 
kommen, so dass wir aneinander vorbeireden. Aus diesem Grunde bitte 
ich Sie, mir zu gestatten, dass ich ein paar einleitende Bemerkungen 
mache. 

Jeder von uns, der diesen interessanten Vortrag gehört hat, wird 
sich gefragt haben: Haben wir denn früher keine derartigen Fälle ge¬ 
sehen? — eigentlich müssen wir sie doch gesehen haben —, und wie 
haben wir sie gedeutet? Die meisten von uns werden sich den Vorwurf 
machen, dass sie diese Fälle wohl als hysterische gedeutet haben, und 
da möchte ich einsetzen. 

Es ist vor allen Dingen darauf hinzu weisen, dass es sich bei Gutz- 
mann sehr oft um Kinder handelt. Kinder mit hysterischen Stimm¬ 
bandlähmungen sind aber etwas recht Seltenes. Hierin liegt also ein 
ganz wesentliches Moment. Wie es scheint, hat Herr Gutzmann ein 
grösseres Kindermaterial unter seinen Stimmstörungen wie der Laryngo- 
loge für gewöhnlich. Also diese Fälle würden wir wohl schwerlich aus 
unserer Erfahrung heranholen können, die kommen uns viel zu 
selten vor. 

Dann hat Herr Gutzmann eine zweite Kategorie von Fällen be¬ 
zeichnet: das sind Erwachsene, bei denen die Stimmstörungen seit 
vielen Jahren bestehen und aus der Kindheit herzuleiten sind. Wenn 
ich mich besinne, so habe ich ganz sicher vereinzelt solche Fälle ge¬ 
sehen. Das sind Patienten, die eine gewisse Trübung der Stimme haben, 
leichte Heiserkeit, und bei denen man bei genauer Untersuchung des 
Larynx sehr enttäuscht ist: man findet keinen Katarrh, keine gröbere 
Veränderung, keine Lähmung, und doch lässt die Stimme zu wünschen 
übrig. Derartige Fälle habe ich nicht als hysterisch gedeutet, sondern 
ich hatte die Auffassung, dass es sich da tatsächlich um eine üble Ge¬ 
wohnheit handelt, um eine Art von unreiner Stimmbildung. Wir haben 
jetzt von Herrn Gutzmann gehört, dass sich solche Fälle, die wir wohl 
meistens gar nicht behandelt haben, auf mühsamem Wege durch Stimm¬ 
übungen noch in Ordnung bringen lassen. 

Ferner müssen wir uns fragen: wie verhält es sich denn nun mit 
dem eigentlich'hysterischen Material, das wir behandeln? Können sich 
darunter solche Fälle befunden haben von Gewohnheitslähmung, wie sie 
uns beschrieben worden sind — ein Krankheitsbild, das wir ja unbe¬ 
dingt anerkennen müssen, das sich in der Neurologie schon durchaus 
Anerkennung verschafft hat? Was die Fälle angeht, die wir als 
hysterische deuten, so müssen wir Laryngologen uns wohl alle den Vor¬ 
wurf machen, dass wir da nicht regelmässig die allgemeine Untersuchung 
ausführen. Wenn der Laryngologe eine Stimmstörung findet von der 


Art, wie sie gewöhnlich als hysterisch bezeichnet wird, so verzichtet er 
meist auf weitere Untersuchung des Patienten, namentlich in der poli¬ 
klinischen Praxis, wenn es sehr schnell gehen muss. Wir haben die 
allgemeine Untersuchung in vielen Fällen vernachlässigt, ich sage das 
auch von mir selbst. Ich habe einmal früher in einer grösseren Reihe 
von Fällen von Treupel recht genaue neurologische Untersuchungen 
machen lassen, und da haben wir in einer ganzen Reihe von deutlichen 
hysterischen Störungen, Anästhesie, Stigmata, auch gröbere Erschei¬ 
nungen von Hysterie usw. feststellen können. Die meisten Fälle aber ergaben 
nichts derartiges, man konnte sie höchstens als monosymptomatische 
Hysterie bezeichnen, eine Form, welche manche Neurologen nicht aner¬ 
kennen wollen. Die Untersuchung mag vielleicht unvollkommen gewesen 
sein in bezug auf die Psyche; das ist etwas, was wir jedenfalls in Zu¬ 
kunft mehr beachten müssen. Es wäre sehr erwünscht, dass uns ein 
grösseres Material von sogenannten hysterischen Stimmstörungen des 
Larynx vorgelegt würde, bei dem die ganze neurologische Untersuchung 
vorgenommen und auch das psychische Verhalten geprüft worden ist 

Es befinden sich aber unter unserem hysterischen Material auch 
zahlreiche Fälle, in denen sich Stimmstörungen im Anschluss an akute 
Laryngitis entwickelt haben. Man trifft ja bei der akuten Laryngitis 
manchmal Patienten, die im Verhältnis zu dem Kehlkopfbefunde eine 
ungemein starke Stimmstörung zeigen oder gar aphonisoh sind. Bei 
manchen handelt es sich darum, dass sie sich schonen wollen; sie haben 
schmerzhafte Empfindungen in der Keblkopfgegend. Das lässt sich 
natürlich sehr leicht feststellen. Bei anderen handelt es sich um einen 
Zustand, den ich schon als einen hysterischen glaubte auffassen zu 
müssen. Es mag sein, dass manchmal tatsächlich hysterische Individuen 
in Betracht kamen; aber eine ganze Reihe war doch darunter, bei denen 
ich eigentlich gar keinen Grund batte, eine Hysterie anzunebmen. Ich 
habe sie nur so bezeichnet, weil sie nicht anders unterzubringen waren. 
Ein solcher Patient ist mir gerade dieser Tage wieder vorgekommen. Er 
hatte vor fünf Wochen eine Laryngitis und spricht jetzt noch mit ganz 
leiser Stimme; er war fest davon überzeugt, er könne nicht lauter 
sprechen. Ich habe einen ganz gesunden Larynx gefunden. Zeichen von 
Hysterie fehlten. Es wurde ihm daher energisch gesagt: „Bitte, sprechen 
Sie laut, Sie haben gar keinen Grund, leise zu sprechen !“ Von diesem 
Moment an konnte er laut sprechen. Also die Situation war geklärt. 
Aehnliche Fälle finden wir beim Militär. Die hysterischen Aphonien 
beim Soldaten richtig zu klassifizieren, ist schwer. Es sind natürlich 
tatsächlich hysterische Individuen darunter. Wenn Sie sich aber über 
die Zahl informieren, so muss Ihnen auffallen, dass doch merkwürdig 
viel Soldaten hysterisch sein müssten, wenn alle diese Aphonien auf 
Hysterie beruhen sollen. Natürlich ist auch ein Teil der Fälle Simu¬ 
lation oder ein Uebergang zur Simulation. Aber ein guter Teil mag 
wohl das sein, was uns Herr Gutzmann charakterisiert hat, d. h. aus 
Katarrhen entstandene Gewohnheitsstimmstörungen. 

Dann wollte ich noch anstatt des Gutzmann’schen Ausdruckes 
Stimmbandlähmungen den Ausdruck Stimmläbmungen oder noch 
besser Stimmstörungen gewünscht haben. Herr Gutzmann macht 
uns darauf aufmerksam, dass rein psychische Gründe vorliegen. „Stimm¬ 
lähmungen“ ist sprachlich kein exakter Ausdruck. Die Stimme kann 
als solche ja nicht gelähmt sein. Bei den Hysterischen handelt es 
sich ebenfalls nicht um muskuläre Lähmungen; sie können ihre 
Muskeln gebrauchen, sie bringen auch Töne hervor beim Husten, beim 
Niesen, wie in dem Vortrage erwähnt wurde; nur die Stimme können 
sie nicht entwickeln. Auf die Stimmbildung bezieht sich die Störung, 
man könnte sagen: die Stimmbildung ist gelähmt. Um diesen Schwierig¬ 
keiten zu begegnen, wählen wir besser den Ausdruck Stimmstörung. 

Ich habe schon früher darauf hingewiesen, dass die verschiedenen 
Stellungen, die wir beim Hysterischen im Larynx sehen, physiologische 
Stellungen sind, Stimrabandstellungen, welche in jedem Kehlkopf ge¬ 
sehen werden, wenn das betreffende Individuum in der Weise Flüster¬ 
geräusche oder Pressgeräusche entwickelt, wie es die Hysteriseben tun. 
Also mit wirklichen muskulären Lähmungen im gewöhnlichen Sinne hat 
das gar nichts zu tun. Ebenso möchte ich wünschen, dass die Be¬ 
ziehungen der Gewobnheitsstimmstörungen zu einzelnen Muskeln, 
die Herr Gutzmann seiner Einteilung zugrunde legt, in Wegfall 
kommen. Wenn manche Muskeln im Laufe der Jahre etwas schwächer 
werden, so ist das etwas Sekundäres und trifft nicht das Wesen der 
Sache. 

Hr. Grabower: Nach dem, was der Herr Vorsitzende soeben aus- 
gefuhrt hat, bleibt mir nur übrig, noch wenige Worte zu sagen über 
den inspiratorischen Stridor. Herr Gutzmann leitet denselben von 
einer Lähmung der Erweiterer ab und spricht von einer habituellen 
Posticuslähmung. Ich kann mich dieser Anschauung nicht anschliessen, 
denn die Inspirationsmuskeln sind ja in den von Herrn Gutzmann 
angeführten Beispielen gar nicht gelähmt, sie sind vielmehr willkürlich 
ausser Funktion gesetzt, weiter nichts. Dies erklärt sich meines Er¬ 
achtens am ungezwungensten durch eine Ermüdung des innervierenden 
Centrums, die eine perverse Aktion der Stimmlippen zur Folge hat. 
Durch das anhaltende Lallen des Kindes — um bei dem Beispiel des 
Herrn Gutzmann zu bleiben — wird das Adduktionscentrum durch 
Ueberanstrengung ermüdet, und die Folge davon ist eine verkehrte 
Direktive, die das ermüdete Innervationscentrum austeilt. Statt dass 
die Inspirationsmuskeln innerviert werden sollten, werden fälschlicher¬ 
weise die adduktorischen Muskeln innerviert, und daher der Stridor. 
Wenn diese verkehrte Aktion längere Zeit anhält, dann, gebe ich zu. 


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20. Januar 1913. BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 129 


tritt eine Gewöhnung an diesen Zustand ein. Aber wir haben es dann 
nicht au tun mit einer habituellen Lähmung, sondern vielmehr mit 
einer gewohnheitsmässigen Verkehrtheit der lnnervationsgebung. 

Hr. P. Hey mann: Die Beobachtungen, von denen Herr Gutz- 
mann ausgegangen ist, waren mir, wie wohl auch den meisten der 
Herren wohlbekannt. Ich habe in meinen Vorlesungen darauf aulmerk¬ 
sam gemacht, dass sich im Anschluss an einen akuten Kehlkopfkatarrh 
sehr häufig Lähmungen, namentlich der Interni finden, die den Eindruck 
des Hysterischen machen, und die man gewöhnt ist, wie der Herr Vor¬ 
sitzende schon gesagt hat, den hysterischen zuzurechnen. Bei diesen 
Fällen, die sich aber doch im wesentlichen von den hysterischen unter¬ 
scheiden, ist es mir nie gelungen, in ähnlicher Weise, wie der Herr 
Vorsitzende das soeben berichtet hat, durch momentanen psychischen 
Einfluss Heilung zu erreichen. Es erfordert meist eine länger dauernde 
Behandlung mit Adstringeutien und eveutuell mit Elektrizität. Ich 
habe diese Formen immer als etwas Besonderes betrachtet und meine 
Assistenten wiederholt aufgefordert, diesen speziellen Formen der Läh¬ 
mungen ihre Autmerksamkeit und eine Untersuchung zu widmen. 

Herr Gutzmann fasst diese Lähmungen als habituelle auf. Dabei 
ist mir nur eines zweifelhaft. Wie will er diese habituellen Lähmungen 
der Muskeln unterscheiden von eiuer Erkrankung der Nervenendigungen 
oder der Muskeln, die eventuell noch katarrhalische Veränderungen, 
katarrhalische Zustände zeigen können, trotzdem die unserem Auge zu¬ 
gängliche Oberfläche abgeheilt ist? Ich habe mioh schliesslich, wenig¬ 
stens in der grossen Zahl der Fälle, dahin geneigt, zu glauben, dass 
noch die tiefer liegenden Teile sich im Prozesse der katarrhalischen 
Veränderung befunden haben. Häufig habe ich auch — und wahr¬ 
scheinlich die meisten von uns — die bestehenden Störungen nach 
Adenotomie beobachtet, und ich habe sie mir eigentlich in gleicher 
Weise erklärt, wie Herr Gutzmann, obwohl ich die gemeinsame Deu¬ 
tung dieser Erscheinungen nicht gefunden habe, deren Feststellung Herrn 
Gutzmann’s unbestrittenes Verdienst bleibt. Ich habe den Eltern, 
wenn sie sich beschwerten, immer vorgebalten: wenn jemend jahrelang 
am Daumen eine Geschwulst hat und gewohnt ist, darum herumzugreifen, 
so muss sich der Daumen, wenn die Geschwulst weggenommen wird, 
erst an die veränderten anatomischen Verhältnisse gewöhnen. Das würde 
eine ganz ähnliche Idee sein, wie sie Herr Gutzmann ausgeführt hat. 
Was Herrn Gutzmann’s Vortrag auszeichnet, ist die ausserordentlich 
klare Durchdringung und die Allgemeinheit der Aulfassung, die uns in 
eine ganze Menge von wohl bekannten, aber nicht erklärten Tatsachen 
Licht gebracht hat. 

Hr. A. Kuttner: M. H.! Es ist wohl ohne Zweifel, dass der Vor¬ 
trag des Herrn Gutzmann eine Reihe von Tatsachen, deren Deutung 
uns bisher manche Schwierigkeit bereitet hat, unserm Verständnis näher 
gebracht hat. Da nun der in der Neurologie schon eingebürgerte Be¬ 
griff der habituellen Lähmung voraussichtlich nach diesem Vortrag und 
nach dieser Diskussion auch in unserer Disziplin eine Rolle spielen 
wird, so dürfte es, glaube ich, angebracht sein, recht genau zuzusehen, 
wie weit sich dieser neue Begriff unserer Disziplin und den Tatsachen, 
die uns hier begegnen, anpasseu lässt. 

Die Erklärung des ganzen Phänomens findet Herr Gutzmann in 
der Oppenheim’schen Hypothese, welche die vorgenannten habituellen 
Lähmungen auf den Ausfall der betreffenden Erinnerungsbilder zurück¬ 
führt. Auch mir scheint diese Annahme für eine ganze Reihe von Fällen 
zutreffend. Ein schlagendes Beispiel hat Ihnen Herr Gutzmann selbst 
angeführt: das Verstummen ertaubter Kinder. Auf ein anderes Beispiel, 
das uns Rhinologen noch viel geläufiger ist, hat eben Herr Hey mann 
hingewiesen, auf das Persistieren der Mundatmung nach der Adenotomie. 
Kindern, deren Nasenatmung durch die Hypörplasie der Rachenmandeln 
verlegt war, wird durch die Adenotomie der Weg für die Atmung frei- 
gemacht, aber trotz gelungener Operation atmen sie immer noch nicht 
durch die Nase, sondern unentwegt, wie bisher, durch den Mund. Wes¬ 
halb? Weil ihnen die Erinnerungsbilder für die nasale Atmung verloren 
gegangen sind, oder weil sie sich überhaupt noch nicht bei ihnen ent¬ 
wickelt haben. Aber, m. H., so befriedigend der von Oppenheim 
formulierte Erklärungsversuch für diese Fälle passt, so ist es mir doch 
zweifelhaft, ob er für alle hier in Betracht kommenden Fälle ausreicht. 
Ganz besonders skeptisch gemacht hat mich gerade das Beispiel, an 
dem Oppenheim selbst seine Annahme erläutert. Er benutzt als 
Paradigma die Radialislähmung der Kinder: Ein Kind erleidet eine ein¬ 
seitige Radialislähmung; die Nervenleitung wird wiederhergestellt, aber 
die Lähmung besteht weiter. Sind nun hier wirklich die Erinnerungs¬ 
bilder verloren gegangen? Das Kind hat doch die ganze Zeit mit dem 
gesunden Arm alle möglichen Bewegungen ausführen könneD, also müssen 
doch die Bewegungsbilder in dem Kinde gelebt haben. Oder sollen 
wir annehmen, dass für die rechte und linke Extremität verschiedene 
Bewegungsbilder vorhanden sind? Das scheint mir nicht recht wahr¬ 
scheinlich. 

Weiter aber, m. H., und jetzt komme ich auf den Punkt, den Herr 
Killian schon gestreift hat, der mir aber von so prinzipieller Bedeutung 
zu sein scheint, dass ich noch näher auf ihn eingehen muss. Herr 
Gutzmann sprach immer nur von habituellen Lähmungen. Ich kann 
nicht ermessen, ob es sich in der Neurologie immer um wirkliche 
Lähmungen handelt. Bei den Tatsachen, mit denen wir zu tun haben, 
handelt es sich jedenfalls durchaus nicht immer um Lähmungs- 
erscheinungen. Bei dem Verstummen der Kinder, die taub werden, beim 
Persistieren der Mundatmung nach der Adenotomie, bei den dauernden 


Stimmstörungen, die nach akuten Laryngitiden Zurückbleiben, sind die 
in Frage kommenden Muskeln ja gar nicht gelähmt, der ganze motorische 
Apparat, der centrale wie der periphere, ist aktionsfähig; aber die 
Muskeln agieren nicht so, wie sie agieren sollen, sie versagen, aber sie 
versagen nur mit Rücksicht auf eine bestimmte Funktion. Es handelt 
sich also in diesen Fällen nicht um eine Lähmung, sondern um eine 
Funktionsuntüchtigkeit, um eine Koordinationsstörung für 
eine ganz bestimmte Funktion. Diese Funktionsuntüchtigkeit 
genügt auch vollständig zur Erklärung des Krankheitsbildes, das Herr 
Gutzmann als habituelle Posticuslähmung bezeichnet hat. Ich kann 
mich mit dem Begriffe der habituellen Posticuslähmung ebensowenig be¬ 
freunden, wie Herr Grabower. Wo man von einer habituellen Posticus- 
lähmung sprechen will, da muss doch zunächst eiumal eine veritable 
Lähmung oder wenigstens Parese des M. posticus voraufgegangeu sein. 
Diese ist aber vorher nie konstatiert worden; es fehlt jeder Anhalts¬ 
punkt für die Annahme, dass vorher eine isolierte Posticuslähmung oder 
Posticusparese vorhanden gewesen ist. Gerade die Belege, die Herr 
Kollege Gutzmann angelührt hat, um uns diese Posticuslähmung 
plausibel zu machen, sind wenig überzeugend. Es handelt sieh immer 
um Kinder. Bei diesen liegen aber ganz besondere Verhältnisse vor, 
ihr Larynx ist sehr klein, die Glottis eng, das ganze Knorpelgerüst sehr 
weich und nachgiebig. Ich erinnere Sie an das Verhalten junger Tiere 
bei experimentellen Larynxoperationen; Eingriffe, die ein erwachsenes 
Tier ohne jede nennenswerte Unbequemlichkeit übersteht, führen bei 
jungen Tieren geradenwegs zum Erstickungstod. Weshalb? Nicht etwa, 
weil der Posticus geschädigt worden ist, der ist bei der Operation ganz 
intakt geblieben; die Gründe, die zur Suffokation führen, sind ganz 
andere: eine leichte Anschwellung der Stimmbänder, die ein erwachsenes 
Tier gar nicht geniert, ruft eine leichte Dyspnoe hervor. Durch die 
Erregung des Tieres wird die Atmung pervers, und nun werden bei der 
engen Glottis die Stimmbänder angesaugt und in dieser angesaugten 
Stellung festgehalten, bis das Tier erstickt. Wenn wir diese Fälle, 
ebenso wie die Gutzmann’schen Fälle als Funktionsstörungen auffassen 
wollen, und zwar als eine Funktionsstörung, bei der das Zusammen¬ 
wirken der einzelnen Muskeln zuungunsten der Oeffner gestört ist, so 
bin ich mit dieser Auffassung durchaus einverstanden. 

Zum Schluss noch ein Wort über die Bewertung dieser Phänomene 
für den Gesamthabitus des Patienten. Ich kann es wohl verstehen, 
wenn Herr Gutzmann sich dagegen sträubt, solche Erscheinungen als 
hysterische aufzufassen. Sicher kann man ein Kind, das nach der 
Adenotomie nicht gleich durch die Nase atmet, nicht hysterisch nennen, 
ebensowenig wie es ein Beweis für Hysterie ist, wenn ein Mensch, der 
10 oder 12 Jahre lang geflüstert hat, auf ein Kommando wort nicht 
plötzlich seine laute Stimme wiederbekommt. Aber mit diesen Fällen 
ist doch der Umfang des Krankheitsbildes, das Herr Gutzmann uns 
gezeichnet hat, nicht erschöpft. Wenn ein Kind nach einer akuten 
Laryngitis, nachdem alle anatomischen Läsionen geschwunden sind, seine 
gewöhnliche Sprechstimme durchaus nicht wiedergewinnen kann — 
höchstens nach einem so energischen Zureden, wie es Herr Killian 
ausgeübt hat —, wenn, wie es mir passiert ist, eine Sängerin, die sich 
nach der Entfernung eines Stimmbandpolypen aus eigener Machtvoll¬ 
kommenheit eiue vierwöchige Flüsterkur auferlegt hatte, in dieser Zeit 
die laute Sprache so vollständig verlernt, dass es grosser Anstrengungen 
bedarf, bis sie wieder laut sprechen lernt, so kann ich es wohl be¬ 
greifen, wenn man auf Grund dieses einen Symptoms die Diagnose 
Hysterie nicht stellen will. Aber als normal psychogen, wie es Herr 
Gutzmann nennt, möchte ich dieses Verhalten doch auch nicht be¬ 
zeichnen. Normale Menschen bekommen eben, wenn die Laryngitis vor¬ 
über ist, ihre normale Stimme wieder, und gesunde Kinder, die infolge 
einer Laryngitis oder infolge des Stotterns einige Wochen geflüstert 
haben, bekommen auch, wie ungezählte Fälle beweisen, leicht ihre laute 
Stimme zurück. Wenn sie ausbleibt, so mag dieses eine Symptom, wie 
gesagt, vielleicht nicht genügen, um gleich die Diagnose auf Hysterie 
zu stellen; aber dieses aussergewöhnliche Verhalten deutet doch meines 
Erachtens ganz gewiss auf eine gewisse Schwäche, eine gewisse Ab¬ 
normität der Psyche hin. 

Hr. Alexander: Auch ich habe im Laufe der Jahre eine Reihe 
von Patienten gesehen, welche seit 10, 20 und mehr Jahren heiser 
waren. Erkundigte ich mich eingehend nach der Anamnese, so ergab 
sich fast immer, dass der Heiserkeit eine der kindlichen Infektions¬ 
krankheiten — Masern, Scharlach, Diphtherie — vorangegangen war, 
dass die Heiserkeit im Anschluss an diese Krankheiten sich entwickelt 
hatte. Bisweilen konnte ich bei scharfem Hinsehen feine lineare Narben 
an den Stimmlippen entdecken, bisweilen war dies nicht möglich. Ich 
habe in all diesen Fällen stets die Anscbauuug gehabt, dass der Muskel¬ 
apparat der Stimmlippe eine dauernde Schädigung davongetragen habe, 
dass es sich um eine myopatbische Lähmung handle. Nie bin ich auf 
den Gedanken gekommen, dass es sich hier um Hysterie handeln könne. 
Gegen eine solche Vorstellung schützte mich schon die Tatsache, dass 
der objektive Larynxbefuud jederzeit durchaus der gleiche blieb, während 
er doch bei der Hysterie zu wechseln pflegt. Ich kann mir wohl vor- 
stellen, dass auch diese Fälle, wenn sie rechtzeitig mit Sprachübungen 
behandelt werden, gebessert werden können. Dagegen will mir der 
Nutzen einer derartigen Therapie höchst zweifelhaft erscheinen, wenn 
eine solche Heiserkeit bereits viele Jahre bestanden hat. 

Hr. Barth: M. H.! Wir sind Herrn Gutzmann alle zu Dank ver¬ 
pflichtet, dass er diese Frage angeschnitten hat, die uns wohl alle schon 


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Nr. 3. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


einmal beschäftigt hat. Es ist bedenklich, wenn wir nur ein einziges 
Symptom sehen, mit diesem einen Symptom „Hysterie“ zu diagnosti¬ 
zieren. Deswegen hat man auch einen gewissen Ausweg gesucht und 
die Störuug als funktiouell bezeichnet, d. b. man wollte das Wort 
Hysterie nicht aussprechen. Neurologisch ist man jedoch gezwungen, 
die funktiouelle Störung auf eine psychische Störung zurückzuführeu. 
Die habituellen Lähmungen — darin sind wir wohl einig — sind als 
psychogen zu betrachten; es kommt nur darauf an, dass wir uns klar 
werden, ob alle diese Störungen zur Hysterie zu rechnen sind oder nicht. 
Es wird aber nur wenig Fälle geben, bei denen wir nicht auch gewisse 
psychische Alterationen finden. Dankenswerterweise hat Herr Killian 
schon die Frage durch eingehende Beobachtungen prüfen lassen, uud 
ich glaube, wir tun gut uud sind verpflichtet, jetzt diesen Störungen 
etwas genauer auf die Spur zu gehen. Es genügen nicht oberflächliche 
Untersuchungen, sondern wir müssen dazu das ganze Armamentarium 
des Neurologeu heranziehen. Da werden wir sicher auch ürüude genug 
finden, um zu sagen: die Psyche ist hier nicht intakt. Ich will nur 
ein Beispiel anführen, was besonders deutlich spricht. Eine alte Dame, 
die längere Zeit heiser ist infolge eines Polypen, der vom Taschenband 
ausgeht und so gross ist, dass er in die Glottis vera herunterhängt, 
kann infolge dieses Hindernisses für den Glottis phonatoria nur flüstern 
und ist seit langer Zeit aphonisch. Sonst ist der Kehlkopf frei, körper¬ 
lich ist sie ganz gesund. Der Polyp wird entfernt ohue jede Reaktion. 
Die Folge davon aber ist eine Aphouia spastica. Die Glottisschliesser 
haben bisher wegen des Hindernisses sehr stark arbeiten müssen, nun 
ist das Hindernis fort, sie schiessen aber weiter über das Ziel hinaus: 
Aphonia spastica. Es bedurfte erst längerer erziehlicher Behandlung, 
um diese Aphonia spastica zu beseitigen, was auch gelang. Ein anderer 
Fall lag anatomisch ganz ebenso und betraf eine robuste Bäuerin. Ich 
will nicht etwa sagen, dass Bäuerinnen frei von Hysterie sind. Aber 
hier war nach Entfernung des Tumors sofort eine tönende Stimme da. 
Diese hatte eben ein absolut gesundes Nervensystem, die andere war 
irritabler. Wie weit wir den Begriff der Hysterie ziehen wollen, darüber 
müssen wir uns mit den Neurologen auseinandersetzen. 

Dass diese Störungen psychogener Natur sind, dafür sprechen auch 
die bleibenden Atrophien; bei den reflektorischen Glottisbewegungen 
machen sich weder Lähmungen noch Atrophien geltend. Die Internus¬ 
lähmung, die wir bei der Phonation beobachten, braucht nicht der Aus¬ 
druck einer Atrophie des M. internus zu sein, sondern ist wohl häutig 
nur der Ausdruck einer Koordinationslähmung. 

Beispiele von Stimmstörungen der in Frage stehenden Art geben 
auch diejenigen Leute, welche immer heiser sprechen und dabei wunder¬ 
schön singen können. Zu meiner Beobachtung gehört eine Dame, eine 
anerkannte, in der Oeffentlichkeit stehende Sängerin, die wunderschön 
singt, aber auffallend heiser spricht. Sie hat zwar eine chronische 
Pharyngitis, welche aber die Heiserkeit nicht erklärt. Der Kehlkopf ist 
frei. Sie macht eben beim Sprechen falsche Bewegungen, presst und 
drückt, wodurch der Anschein der Heiserkeit erweckt wird, während 
diese Heiserkeit nur unzweckmässigen phonatorischen Bewegungen ent¬ 
springt. 

Dass nicht bloss die Lähmungen, sondern vor allem auch die Krampt- 
zustände funktioneller und wahrscheinlich auch hysterischer Natur sind, 
wird viel weniger auf Widerspruch stossen. Ein Opernsänger von un¬ 
gefähr 30 Jahren, mit sehr schöner Stimme, bekommt zeitweilig während 
des Singens auf der Bühne veritablen Velumkrampf, derart, dass er 
kaum weitersingen bann. Der Krampf besteht ein paar Minuten und 
verschwindet dann wieder. Nur dadurch, dass ich ihm mit allen Mitteln 
der Ueberzeugung klargemacht habe, dass seine Nase ganz gesund ist, 
ist er vor hier ganz überflüssigen Nasenoperatiouen bewahrt worden. 
Genauere Untersuchung ergab aber auch psychische Stigmata. 

Die von Herrn Killian erwähnten Stimmstörungen in der Armee 
sind mir während meiner 20 jährigen Dienstzeit selten begegnet. Das 
mag vielleicht an der Art des Ersatzes liegen. Herr Killian hat wohl 
sein Material aus Freiburg, das sich aus Baden rekrutiert. 

Hr. Killian: Die stimmgestörten Soldaten wurden mir immer in 
Freiburg zugeführt. Ich habe aber auch die Statistik von Landgraf 
im Auge gehabt, in der sich eine grosse Reihe von Hysterischen liudet. 

Hr. Barth (fortfahrend): Nach der Kasuistik, die aus einer langen 
Reihe von Jahren aus den Armeesanitätsberichten gesammelt ist, ist die 
Zahl der Stimmkranken in der Armee erstaunlich gering. Die Hysterie 
in der Armee ist nicht so selten; das möchte ich betonen. 

Hr. Killian: Unter uuserera Material sind hysterische Männer mit 
Stimmstörungen sehr selten. 

Hr. Peyser: M. H.! Ich finde, dass man auf den Kernpunkt der 
Sache zu wenig eingegangeu ist. Herr Gutzmann hat ja gerade als 
differentialdiagnostisch zwischen „hysterischen Stimmstörungen“, wenn 
wir sie so nennen wollen, und den von ihm sogenannten „habituellen 
Lähmungen“ ein ganz klar zu erkennendes Moment hingestellt, nämlich 
dass sich bei habituellen Lähmungen die Störung in einer bestimmten 
Tonstrecke zeigt, die ziemlich gleich bleibt. Er drückt das so aus: 

„Für die Entscheidung der Diagnose würde besonders darauf 
zu achten sein, dass sich bei der Prüfung des Stimmumfangs, 
wobei wir das Halten der einzelnen Töne in bestimmten Ton¬ 
lagen vornehmen lassen, bei den Formen der habituellen Heiser¬ 
keit bestimmte, stets gleichbleibende Grenzen zeigen, an denen 
die Heiserkeit auffallend geringer wird oder auch ganz ver¬ 
schwindet.“ 


Mir ist sehr einleuchtend, dass man bei Hysterie etwas derartiges, 
bei wiederholter Untersuchung immer Gleichbleibeudes nicht finden wird, 
und wir müssen wohl alle gestehen, dass wir unter diesem Gesichtspunkt 
bisher kaum Untersuchungen an Hysterischen angestellt haben. So 
interessant die Diskussion also auch ist, ich glaube, wir können so lange 
zu keinem Ergebnis kummen, als nicht die fehlenden Nachprüfungen an 
nachweislich Hysterischen angestellt worden siud. Bis dahin muss die 
Diskussion darüber, ob es sich in der Tat um eiu neues Kraukheitsbild 
handelt, das nicht nur theoretisch aufgestellt, sondern auch praktisch 
bestätigt ist, aulgeschoben werden. 

Bei den Ausführungen des Herrn Gutzmann fiel mir ein Fall ein, 
der vielleicht sicher hierher gehört. Ein Patient mit einem subglottisch 
gelogenen gestielten Kehlkopltumor, der bloss dann zwischen die Stimm¬ 
lippen geschleudert wurde, wenn Patient laut und heftig sprach, wurde 
von mir operiert. Die Stimme im Piano und in der mittleren Lage 
der Sprechstimme war trotz der Operationswunde, die ja, da es ein ge¬ 
stielter Tumor war, besondere Schwellung nicht machte, sofort brauchbar, 
Der Mann hat aber Wochen- und monatelang, genau so wie bei Bestehen 
des Tumors, nicht laut und heftig sprechen können, ohne dieselben 
Heiserkeitserscheinungen zu haben, die er hatte, als der Tumor noch 
drin war. Ich habe mir das damals nicht recht erklären können, 
höchstens durch Autosuggestion. Es ging so weit, dass der Patient 
zweifelte, ob das Gewächs auch wirklich heraus wäre. Er hat sich dann 
davon überzeugt und ist ganz allmählich zum vollen Gebrauch seiner 
Stimme gelangt. Nach dem, was Herr Gutzmann sagt, wird mir diese 
Erscheinung klarer: der Mann war gewohnt, bei bestimmter Art der 
Koordination ein bestimmtes unangeuehmes Gefühl zu haben, und auch 
cessante causa ist der efieetus nicht gewichen. (Hr. Kuttner: Keine 
Lähmung?; Ich habe ja bereits bemerkt, dass ich damals auf lusutfi- 
zienzen nicht besonders geachtet habe, und erwähne den Fall, weil 
ich es für möglich halte, dass solche habitueller Natur vorhanden ge¬ 
wesen sind. 

Hr. Stur mann: M. II.! Es scheint mir keine grosse Schwierigkeit 
zu haben, die hysterischen Lähmungen von deu rein funktionellen ab¬ 
zutrennen. Herr Killian wies schon darauf hin, dass die Bilder bei 
der Hysterie immer normale Stellungen der Stimmbänder zeigen. Ich 
möchte Herrn Gutzmann fragen, ob er eine hysterische luternus- 
lähmung oder Transversuslähmuug kennt. Die hysterische Lähmung um¬ 
fasst immer die ganze Gruppe der Glottisschliesser, so dass immer 
gleichseitige Dreiecke von verschieden grosser Basis im Spiegel gesehen 
werden. Diese Tatsache zusammen mit dem Schwanken der Erschei¬ 
nungen, dem plötzlichen Auftreteu uud dem Nachweis anderer hysterischer 
Zeichen bestimmen die Diagnose „hysterische Stimmbandlähmung“. Viel 
schwerer erscheint mir die Differentialdiaguosc zwischen rayopathischer 
uud Gewohnheitslähmung. Zu diesen können wir ohne weiteres, wie der 
Fall 1 des Vortragenden zeigt, die akuten Fälle von Katarrh rechnen, 
bei denen die Stimmstörung nach Ablauf der Entzündung fortbesteht. 
Wie steht es aber mit den chronischen Fälleu? Es gibt eine ganze 
Menge Erwachsener, die seit der Kindheit heiser sind, aber nichts von 
der Entstehungsursache wissen. Sie haben oder können in der Kindheit 
eine Erkrankung durchgemacht haben, die den einzelnen Muskel, z. B. 
den Internus, so geschädigt hat, dass er degeneriert bezw. atrophisch 
geworden ist. Ihre Stimmstörung kann ebensowohl auf eine myopathische 
Lähmung als auf falsche Gewöhnung bezogen werden. Besteht eine 
Atrophie der Stimmbänder, so scheint es mir ebenso berechtigt zu sein, 
auzuuehmen, dass die Atrophie eine Folge der Muskelerkraukung und 
daher die chronische Heiserkeit entstanden ist, als umgekehrt, dass 
infolge chronischer Heiserkeit eine Inaktivitätsatrophie zustaude ge¬ 
kommen ist. Wie soll man da unterscheiden? Der Spiegel gibt keine 
Auskunft. Begrenzungen der Stimmstörung für eine bestimmte Lage 
oder guten Glottisschluss bei hohen Tönen, schlechten in der Mittellage 
oder bei tiefen Tönen finden wir, wenn die Muskeldegeneration nur eine 
teilweise ist, wohl auch bei veritablen myopathischen Paresen. Auch der 
Erfolg der Therapie scheint mir nicht beweisend zu sein, da auch die 
myopathische Parese der Uebungsthcrapie zugänglich ist. So dürfte der 
Fall 2 des Vortragenden mit gutem Recht ein Fragezeichen verdienen. 

Nun möchte ich noch auf die Gaumensegellähmung eingehen. Die 
Deutung des Vortragenden, dass bei adenolomierten Rindern durch 
falsche Gewöhnung eine Rhiuolalia aperta auftritt, weil vorher der 
Nasenrachenraum ausgefüllt war und daher das Gaumensegel nicht nötig 
hatte, sich zu kontrahieren, ist zwar interessant, wird aber nur selten 
zutreffen. Das Gaumensegel wird bei der Operation stets stark gezerrt. 
Wir sehen in den meisten Fällen Gewebsblutungen oder Zeichen von 
Quetschungen nach der Operation. Wir sehen ferner häufig, dass 
Rhiuolalia aperta auftritt, wenn der Nasenrachenraum frei war und nur 
an den Tonsillen operiert wurde. Es liegt daher die Deutung näher, 
dass die Kinder das Gaumensegel nicht bewegen, weil es ihnen wehetut. 
Meistenteils geht auch die offene Nasensprache sehr schnell mit der 
Heilung der Wunde vorüber. Wenn sie einmal fortdauert, so kann man 
wohl von einer Gewohnheitslähmung sprechen, die aus einer Schmerz¬ 
lähmung entstanden ist. Was uns für die Entscheidung, Gewohnheits- 
lähmuug oder Muskellähmung fehlt, ist, dass wir die elektrische Erreg¬ 
barkeit der Muskulatur nicht recht prüfen können. Die Gewohnheits¬ 
lähmung an den Extremitäten wird diagnostiziert, wenn weder eine 
organische Veränderung noch Entartungsreaktion nachweisbar ist. An 
den Stirambäudern können wir beides nicht mit Sicherheit feststellen. 

Hr. Katze ns fein: Der Beweis für GewohnheitslähmuDgen der 


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UMIVERSITY OF IOWA 




20. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


131 


Kehlkopfmuskulatur erscheint mir nach den Darlegungen des Herrn Vor¬ 
tragenden nicht erbracht zu sein. Ehre ging davon aus, dass sich zu 
materiell bedingten Lähmungen Gewobnbeitslähmungen gesellen. Oppen¬ 
heim, der das besonders an Entbindungsläbmungen exemplifizierte, 
wies auch darauf hin, dass bei traumatischer Radialislähmung bei 
Kindern die Vorstellungen für die auszuführenden Bewegungen verloren 
gehen, trotzdem die elektrische Reizung wieder normale 
Verhältnisse ze igte. 

Auf den Kehlkopf angewendet, musste es sich also bei Gewobnheits- 
lähmungen der Kehlkopfmuskulatur um folgende zwei verschiedenen 
Läbmungsarten handeln: erstens um eine Gewohnheitslähmung eines 
Kehlkopfmuskels, die im Anschluss an die organische Lähmung eines 
anderen Kehlkopfmuskels entstanden ist, zweitens um eine traumatische 
Lähmung eines einzigen Kehlkopfmuskels, der nach Wiedereintritt der 
Nervenfunktion durch Ausfall der Erinnerungsbilder für die Ausführung 
der entsprechenden Bewegung gewohnheitsgelähmt bleibt. 

Diese zweite Art der Gewohnheitsläbmung eines Kehlkopfmuskels 
hat der Herr Vortragende durchweg beobachtet, er spricht von Gewohn¬ 
heitslähmungen des Internus und Transversus oder der Postici. Das 
Gehirn beeinflusst aber stets zusammengehörige Muskelkompleie zu 
normaler zusammengehöriger Arbeit oder lässt sie auch zusammen aus- 
fallen, z. B. alle Adduktoren bei der hysterischen Lähmung des Kehl¬ 
kopfes. Dass einer der drei Schliesser des Kehlkopfes durch den Mangel 
einer Vorstellung gewohnheitsgemäss vom Gehirn aus ausser Funktion 
gesetzt werden könnte, erscheint mir unwahrscheinlich. Anders ist das 
natürlich z. B. bei peripheren organischen Lähmungen, da können 
selbstverständlich einzelne Schliesser des Kehlkopfes betroffen sein. 
Ferner hat der Herr Vortragende es versäumt, den klinischen Nachweis 
für die Gewohnheitslähmungen der einzelnen Kehlkopfrauskeln zu er¬ 
bringen. Er hätte nachweisen müssen, dass die Reflexe, die Sensibilität 
der Kehlkopfschleimhaut normal seien und die Keblkopfmuskeln und 
-Derven auf elektrische Reize normal reagierten. Wir haben für die 
Prüfung des elektrischen Verhaltens und einer eventuellen Entartungs- 
reaktion der Kehlkopfrauskulatur jetzt so gut arbeitende Halsband¬ 
elektroden, dass bei ihrer Anwendung mit und besonders ohne Phonation 
des Patienten Ausfälle oder Aenderungen der elektrischen Erregbarkeit 
einwandsfrei nachzuweisen sind. 

Auf die Bedenken gegen Gewohnheitslähmung der Postici ist Herr 
Grabower eingegangen. 

Schliesslich ist eingangs des Diskussion gesagt, es handele sich bei 
den von dem Herrn Vortragenden angeführten Fällen nur um Stimm¬ 
störungen. Die Stimmstörung ist hier ganz nebensächlich. Die Stimme 
ist in der Norm eine Funktion der Exspiration. Dass bei einem 
Internusausfall z. B. diese Funktion gestört ist, ist selbstverständlich. 

Hr. Gutzmann (Schlusswort): Ich muss Einspruch dagegen er¬ 
heben, dass man hysterische Lähmungen einzelner Muskel nicht zu sehen 
bekomme; ich habe sie oft gesehen, und viele erfahrene Laryngologen 
haben sie gesehen. 

Was den Nachweis betrifft, den Herr Katzenstein verlangt, so 
habe ich mich natürlich bemüht, ihn zu führen, ohne dass es mir gelang, 
Aber hierzu muss ich sagen, dass ich immer noch den Standpunkt ver¬ 
trete, dass wir von einer degenerativen Lähmung nur reden können, 
wenn das periphere Neuron ergriffen ist; dann bekommen wir eine Ent¬ 
artungsreaktion. Wo also eine Degenerationserscheinung unter dem 
elektrischen Strome sich zeigt, da muss das periphere Neuron irgendwie 
betroffen sein. Das ist allgemeines Gesetz. 

Die andere Art der Atrophie aber, die nichtdegenerative 
Atrophie, die Atrophie aus der Inaktivität, ist eine centrale, 
psychische. Man kann natürlich über den Begriff „Lähmung“ ver¬ 
schiedener Meinung sein. Wenn ich darunter nur einen Bewegungs¬ 
ausfall mit degenerativer Atrophie verstehe, dann gibt es nur eine Art 
der Lähmung. Wir kennen aber doch auch psyohogene Lähmungen und 
solche, die auf organischer Läsion der corticalen Centren beruhen. 
Auch kann es leicht sein, wie ich Herrn Hey mann zugebe, 
dass im Anschluss an einen Katarrh sich noch Infiltrate in der Tiefe 
vorfinden, die man nicht sehen kann, und die rein mechanisch ein 
Hindernis der Bewegungen bedingen würden. Ich selbst kann das nicht 
laryngoskopisch unterscheiden. 

Was die Prüfung mit dem elektrischen Strom beim Larynx betrifft: 
ich habe oft genug Versuche — manchmal auch während der Strobo- 
skopie — gemacht. Wenn Sie nun wirklich die geeignete Reizstelle 
streffen und den Patienten zum Stillsitzen bekommen, so dass die 
Elektrode nicht abrutsebt, so bekommen Sie bei den habituellen 
Lähmungen nicht ganz dasselbe Bild wie bei der normalen Stimme. 
Lassen Sie den normal Sprechenden Stimme angeben, und leiten Sie 
einen Strom von 2 Milliampere hinein, dann bekommen Sie z. B. bei 
der Kathodenschliessung eine Tonunterbrechung. Das liegt daran, dass 
die Innervation verstärkt wird. Die Stimmlippen klappen energisch zu¬ 
sammen, und der Ton hört in dem Moment auf; er setzt aber gleich 
darauf wieder ein. Nehmen Sie P/a Milliampere — die Versuche sind 
alle in der B. Fraenkel’schen Klinik vor über 20 Jahren gemacht 
worden —, so bekommen Sie nicht eine Tonunterbrechung, sondern aus 
dem gleichen Grunde eine Tonerhöhung. Wenn ich Reizversuche bei 
einer habituellen Lähmung mache, dann finden Sie neben den normalen 
Reaktionen, den reflektorischen Bewegungen bei zu starken Strömen usw. 
bei Anwendung der vorher genannten kleinen Reizstärken die Tonunter¬ 
brechung nicht; nicht weil die Muskeln schwächer reagieren gegen den 


elektrischen Strom, sondern weil die Weite der ganzen Glottis, z. B. bei 
habitueller Internusläbmung, grösser ist; denn wenn Sie stroboskopieren, 
scbliessen sich die Stimmlippen nicht. Wir können uns nicht wundern, 
wenn es hier nicht zu einer Tonunterbrechung kommt. Das ist also 
kein Zeichen von degenerativer Atrophie. 

Ich weiss nun freilich, dass Reize, die wir zum Kehlkopf direkt 
vom Nerv aus senden, im allgemeinen die gesamte Muskulatur sofort 
zum Schliessen bringen. Aber es ist doch ein grosser Unter¬ 
schied zwischen einem psychogenen Reiz, der von Vor¬ 
stellungen ausgeht, und einem elektrischen Reiz, den ich 
an den peripheren Nerv bringe, ein so gewaltiger Unterschied, 
dass ich eigentlich bedauere, ihn hier überhaupt hervorheben zu müssen. 
Es liegen so ganz andere Verhältnisse vor, dass die beiden Vorgänge 
gar nicht miteinander zu vergleichen sind. 

Mein Material betrifft namentlich Kinder; die Gewohnheitslähmungen 
treten bei Kindern vorwiegend auf. Eine Entstehung derselben intra 
partum kenne ich nicht. Ehrct’s erste Mitteilung bezieht sich auf die 
nach einem Unfall entstehenden Lähmungen, die nach der Beseitigung 
der eigentlichen Ursache weiter bestehen. Diese Lähmungen wurden 
für gewöhnlich der Hysterie, der traumatischen Neurose zugezäblt; ob¬ 
gleich man nur bei Unfällen an hysterische Dtoge zu denken pflegt, so 
nahm Ehret hier nur dann Hysterie an, wenn das Gesamtbild der 
Patienten diese Diagnose erlaubte. Ehret behauptet sogar, dass es 
Hysterien gebe, bei denen Gewohnheitslähmungen nebenbei bestünden. 

Was die Erwachsenen betrifft, die ich hier angeführt habe, so sehen 
Sie, dass bei ihnen die Störung im Kindesalter entstanden war. Mich 
wundert es nicht so sehr, wenn jemand, der sozusagen von Kindesbeinen 
an stimmkrank war, als Erwachsener nicht imstande ist, mit seinem 
Kehlkopf richtig zu arbeiten. Untersuchen Sie ihn elektrisch, so werden 
Sie nicht das wahrnehmen, was man „Entartungsreaktion“ nennt; und 
ich weiss auch nicht, wie man das exakt nachweisen will. Aber Sie 
werden jene Unterschiede öfters finden, die ich oben erwähnte. 

Wenn ich nun auf einige der vielen Einwändo und Fragen nicht ge¬ 
antwortet habe, so bitte ich das nicht so aufzufassen, als ob ich das 
nicht wollte oder könnte. In Rücksicht auf viele Auseinandersetzungen, 
die in meinem Vortrage bereits stehen, kam es mir hier nur darauf an, 
nochmals auf jene Erscheinungen aufmerksam zu machen, die oft genug 
kurzerhand als Hysterie bezeichnet werden, und die ich nicht als 
Hysterie angesehen wissen möchte. Psychogen sind natürlich auch 
diese Erscheinungen, das gebe ich Herrn Barth zu, aber sie sind nicht 
psychopathologisch. Alle die Dinge, die ich mitgeteilt habe, fand 
ich bei sonst gesunden Kindern, die nur durch die längere Dauer 
der Erscheinungen dahingebracht waren, die Bewegungen zu vergessen. 
Dieses Norraalpsychogene wollte ich durch meine Darlegungen von 
dem Hysterisch-Psychogenen oder Pathologisch-Psychogenen ab¬ 
trennen. Und im grossen und ganzen ging wohl auch Ihre Meinung 
dahin, dass man die Dinge nunmehr zu trennen suchen soll. 


Berliner Gesellschaft för Chirurgie. 

Sitzung vom 13. Januar 1913. 

Vorsitzender: Herr Sonnenburg. 

Schriftführer: Herr F. Krause. 

I. Ordentliche Generalversammlung. 

Vor Eintritt in die Tagesordnung verliest Herr Hildebrand das 
Protokoll der letzten Sitzung. 

Hr. Sonnen bürg beriohtet über die Aufnahme neuer Mitglieder, 
teilt den Tod eines Mitgliedes, des Herrn Bruno Bosse, mit. Die 
Versammlung erhebt sich zu Ehren des Verstorbenen. 

1. Statutenberatung: 

Hr. Sonnenburg teilt mit, dass das Königl. Amtsgericht eine 
Aenderung in den Statuten verlange, damit die Gesellschaft in das 
Vereinsregister aufgenommen werden könne. 

Hr. F. Krause bemerkt zu der verlangten Statutenänderung: Es 
handelt sich um Zusätze zu § 9 der Statuten, und zwar erstens, dass 
der Vorsitzende an die Mitglieder des Vereins besondere gedruckte Ein¬ 
ladungen zu senden habe, zweitens, dass die Beschlüsse schriftlich auf¬ 
zuzeichnen und von dem Schriftführer oder dessen Stellvertreter zu 
unterschreiben seien. 

Die Statutenänderung wird angenommen. 

2. Bericht des 1. Schriftführers, Herrn F. Krause: 

Die Berliner Gesellschaft für Chirurgie ist aus der Freien Vereini¬ 
gung der Chirurgen Berlins am 10. Juni 1912 hervorgegaugen. Als 
Gründer gelteu die Mitglieder der Freien Vereinigung, die bis 1. Januar 
1913 keinen Einspruch gegen ihre Mitgliedschaft erhoben. Der jetzige 
Bestand ist 362 Mitglieder. 

Es fanden bisher drei Sitzungen statt mit neun Originalvorträgen, 
einer Krankendemonstration und reger Diskussion. 

3. Bericht des Schatzmeisters, Herrn Rotter: 

Das Vermögen der Gesellschaft betrug am G. Dezember 1912 
3691 M. 

Zu Kassenrevisoren werden die Herren Kausch und Seefisch 
ernannt. 


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132 


Nr. 3. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Endlich erinnert Herr Sonnenburg nach einmal daran, die Original- 
artikel der Deutschen medizinischen Wochenschrift, dem offiziellen Organ 
der Gesellschaft, zu übergeben. 

II. Wissenschaftliche Sitzung. 

Demonstration: Hr. Klapp demonstriert einen Studenten, dem in 
der Mensur die Nasenspitze abgeschlagen war. Nach guter alter Sitte 
war sie im Munde aufbewahrt, dann in physiologischer Kochsalzlösung; 
sie wurde angenäht und heilte primär an. K. meint, dass diese zweifel¬ 
hafte Art der Asepsis der Gefahr der Austrocknung immerhin vorzu¬ 
ziehen sei. 

1. Hr. W. Körte: Demonstration einer typischen Fraktur des Ge- 

siehtsscbädels. Es handelt sich um Verletzungen, die den Nasenrücken 
und die Stirn treffen. Es entstehen Frakturen nach zwei Richtungen: 

1. nach der Basis. Fraktur ins Siebbeiu hinein, die wegen Infektions¬ 
möglichkeit sehr geläbrlich ist; die Verletzten erliegen der Meningitis. 

2. nach den Seiten, in die Orbitae; bis zum Processus pterygoideus des 
Keilbeins. Der Oberkiefer wird aus seinen Verbindungen herausgesprengt. 
Bei einem Patienten zeigte sieh als Hauptbeschwerde nach der Ver¬ 
letzung Erschwerung des Schluckens. Demonstration eines 
Schädels. Der Patient war von einem Auto umgefahren. Er zog sich 
eine komplizierte Fraktur des linken Stirnbeins zu, das Nasenbein war 
gebrochen. Durch Infektion kam es zu Stirnhöhleneiterung, Stirnhirn- 
abscess. Der Verletzte ist an Myelitis gestorben. Am Schädel sieht 
man eine Schrägfraktur durch die Orbitae und Nasenbein, zwei seitliche 
Frakturen, durch die die beiden Oberkiefer herausgr*.sprengt wurden. 

Die Tagesordnung wird durch Vortrag und ausgiebige Demonstration 
des Herrn Jonnescu- Bukarest unterbrochen, den Herr Sonnen bürg als 
Gast in die Gesellschaft ein führt. Zuvor bemerkt Herr Sonnen bürg, 
dass Herr Jonnescu seinen Vortrag über Rüekenmarksanästhesie 

französisch halten werde. Wenn auch die Herren Kollegen dem Vortrag 
sicher folgen könnten, wolle er doch zur Erläuterung den Hauptinhalt 
des Jonnescu’scben Vortrages vorausschicken. Herr Jonnescu wende 
sein Verfahren zur allgemeinen Anästhesie an. Zwei Punkte wären es, 
auf die es besonders ankäme: 1. Die Punktion des Rückenmarkskanals 
könne ohne Gefahr für den Patienten an jedem Punkte des Rückgrates 
vorgenommen werden. 2. Sein Mittel würde in folgender Form an¬ 
gewandt: 1 ccm Wasser, dem Stovain und neutrales schwefelsaures 
Strychnin beigemisebt sei. Die Anästhesie für die einzelnen Körper¬ 
regionen sei eine vollkommene. Es könnten dank dieser Methode sämt¬ 
liche Operationen von Kopf bis Fuss ausgefiihrt werden. Die Dosis des 
Anaestheticums wurde dem Alter und dem Kräftezustand des Patienten 
angepasst. Er wende diese Methode konsequent seit 4 Jahren an, 

bei fast jeder Operationsgattung. Auf seine Veranlassung haben 
25 rumänische Kollegen die Methode naehgeprüft. Er selbst hat 
in diesen 4 Jahren damit 607 Operationen ausgefiihrt, davon 135 
mit oberer, 472 mit unterer Anästhesie. Die obere wählt als 

Stelle der Injektion die obere Brustwirbel.siiule, die untere die Grenze 

zwischen Brust- und Lendenwirbelsäule. Die anderen rumänischen 
Kollegen verfügen über ein Material von 1958 Operationen. Die An¬ 
ästhesie ist in allen Fällen eine vollkommene, die Gefahr eine äusserst 
geringe. Er selbst erlebte bei seinen Operationen nur zwei Todesfälle, 
die zum Teil auf andere Ursachen zurückzuführen sind. 

Es folgt nun eine sehr ausführliche Projektionsdemonstration. Die 
Injektionsraittel in sterilen Ampullen, die Spritzen, Kanülen, die Orte 
der Injektionen, die Haltung des Patienten werden im Bilde vorgeführt; 
zuletzt eine umfangreiche Bilderreihe, die die Patienten während der 
Operation zeigt, wie sie lächelnden Antlitzes der Operation zuschauen 
und nach der Operation das Operationslokal verlassen. Der Rekord 
ist ein junger rumänischer Kollege, der eine Operation am eigenen Körper 
vollführt. 

D isk ussion. 

Hr. Freudenberg fragt, ob die unangenehmen Folgen der üblichen 
Rückenmarksanästhesie ausblieben, vor allem der quälende Kopfschmerz. 

Hr. Jonnescu behauptet es. 

Hr. Sonnenburg: Die Jonnescu’sche Methode bedeutet einen Aus" 
bau der von unserem Bier angegebenen Methode. Im Jahre 1908 
batte S. Gelegenheit, in Brüssel den Vortrag Jonnescu’s über dieses 
Thema zu hören. Seitdem sind vier Jahre verflossen; die Methode ist 
allem Anschein nach sehr vervollkommnet. Es ist wohl Pflicht aller 
Chirurgen, sie nachzuprüfen. 

Hr. Bier: Auch er hat vor Jahren schon, als er sich mit den Vor¬ 
versuchen beschäftigte, die hohe Anästhesie ausgeprobt, allerdings an 
Tieren. Das Resultat war, dass die Tiere sämtlich starben. Dadurch 
ist B. von der hohen Anästhesie abgekommen. Als einziges Mittel zur 
Anästhesie wurde dabei das Cocain angewandt. Es handelt sich darum, 
zu dem Cocain und seinen Ersatzpräparaten einen Antagonisten zu 
finden. Hoffentlich ist es Jonnescu gelungen, ihn in dem Strychnin 
zu finden. Bier selbst hat die Methode Dicht erprobt, hat darüber 
also keine Erfahrungen. 

Durch die Jon nescu’sche Demonstration ist die Zeit sehr vorgerückt. 
Es kommt nur noch zum Wort: 

2. Hr. Harzbecker: Zur Entstehung der Hernia pectinea. 

H. hatte an der Körte’schen Klinik am Urban Gelegenheit, einen 
Fall zu beobachten und zu operieren. Es handelte sich um eine 76 jährige 
Frau, die am 25. Oktober 1912 aufgenoramen wurde, seit 9 Tagen er¬ 
krankt war und seit 7 Tagen fäkulentes Erbrechen hatte. Man fühlte 


einen kleinen Tumor des äusseren Schenkelringes, der keinen Anhalt für 
die Schwere der Erscheinungen bot. Der Tumor erwies sich als Lipom. 
Medial vom Schenkelkanal wurde eine Darmschlinge gefunden, die in den 
M. pectineus eingedrungen war. Der Darm wurde reponiert, er war 
nicht gangränös. 8 Stunden post Operationen! trat Collaps auf, 15 Stunden 
danach erfolgte Exitus. Die Austrittsstelle des Bruches ist, wie er nach- 
weisen konnte, nicht etwa eine mediale Lücke im Schenkelkanal, sondern 
durch das Lig. Gimbernati, durch eine Lücke des Bandes. An schema¬ 
tischen Zeichnungen demonstriert H. den Weg, den die Hernia pectinea 
nimmt. Von Bedeutung ist in solchen Fällen ein anormaler Ansatz der 
Fascia pectinea am Lig. Pouparti. Dies ist die Anschauung, die Körte 
schon im Jahre 1907 vertrat. 

Zum Schluss der Sitzung teilt Herr Sonnen bürg mit, dass die 
nächste Sitzung zusammen mit dem Verein für innere Medizin in 8 Tagen 
statt findet. Tagesordnung: Diskussion über den Vortrag von Katzen- 
stein. Holler. 


Berichtigungen. 

In dem Referat über die Berliner Gesellschaft für Chirurgie (Sitzung 
vom 9. Dezember 1912) ist dem Herrn Berichterstatter ein Irrtum unter¬ 
laufen, den ich richtigstellen möchte. Er schreibt S. 2486 dieser Wochen¬ 
schrift : 

„Die Härtel’sche Technik ist ihm (sc. Alexander) in 7 pCt. der 
Fälle nicht gelungen, in 7 pCt. trat Keratitis ein.“ — Beides ist nicht 
richtig. Ich habe gesagt: Die H.’sche Technik ist mir in den wenigen 
Fällen, wo ich sie versuchte, bisher nicht gelungen; infolgedessen trat 
auch keine Keratitis ein. Im Gegenteil habe ich ausdrücklich betont, 
dass mir selbst noch niemals eine Schädigung bei der 
Alkoholinjektion vorgekommen ist. W. Alexander. 

Bei der von Holländer in der Sitzung der Gesellschaft für 
Chirurgie vom 9. Dezember 1912 vorgestellten Patientin handelt es sich 
um die Konstatierung der katastrophalen Wirkung von Paraffin- 
injektionen in die Mammae und die Halspartien, die zu kosmetischen 
Zwecken von anderer Seite vor 6 Jahren gemacht waren. 


Gynäkologische Gesellschaft zu Berlin. 

Sitzung vom 13. Dezember 1912. 

Vorsitzender: Herr Bumm. 

I. Demonstrationen. 

Hr. Nacke: Frühgeburt oder ausgetrageies Kind? 

Es ist ausserordentlich schwer, aus Länge und Gewicht einen Unter- * 
schied zwischen Frühgeburt und ausgetragenem Kind festzustellen. 
Manche Frühgeburten weisen die Durchschnittslänge und -gewicht auf 
und überschreiten dieselbe sogar. Darum ist in forensischen Fällen 
grosse Vorsicht geboten, und man muss im Interesse der Klienten grosse 
Schwankungen zugeben. Sicher ist, dass in den letzten Monaten des 
intrauterinen Lebeus das Kind nur noch sehr wenig wächst, dass viel¬ 
mehr diese Monate dem Ausbau der inneren Organe dienen. N. stützt 
seine Angaben auf ein Material von 1000 Geburten. 

Diskussion. Hr. Bumm betont die Wichtigkeit der Frage mit 
Rücksicht auf die bisher übliche Methode der Erkennung ausgetragener 
Kinder und regt an, eine Enquete an einem grossen Material zu veran¬ 
stalten. 

II. Diskussion zum Vortrage von Herrn Haeadly: Die thera¬ 
peutische Verwendung der Röntgenstrahlen iu der Gynäkologie. 

Hr. Runge gibt .an der Hand grösserer Tabellen eine Uebersicht 
übor die Erfolge der Röntgenbehandlung bei Blutungen aus dem Material 
der Charite, speziell auch über die Schädigungen der Haut. Unter 
4000 Applikationen hat er nur einmal Eczem und einmal Bläschen¬ 
bildung beobachtet. 

III. Hr. Paul Meyer gibt einen kurzen Ueberblick über die Syphilis 
innerer Genitalien. 

Die Ausbeute aus der Literatur ist eine sehr geringe. Die modernen 
Heilberichte haben für die Syphilisfrage in der Gynäkologie wenig Neues 
gezeitigt, mehr noch für die Geburtshilfe. Man weiss von dem Estio- 
mene de la vulve, dass es als SyphilisneubilduDg anzusehen ist, die sich 
von den inneren Organen auf die äusseren Genitalien fortpflaDzt. Es ist 
eine im ganzen seltene Affektion. Er verweist auf den in dieser Gesell¬ 
schaft gezeigten, vielfachen Deutungen unterworfen gewesenen Fall. 
Ausserdem kann die Lues als Primäraffekt an der Portio auftreten. 
Lang berichtete in den achtziger Jahren nur von dem Primäraffekt der 
vorderen Lippe. Neumann-Wien hat in 15 pCt. aller Fälle den 
Primäraffekt an der Portio, und zwar häufiger an der vorderen Lippe 
gefunden. Nach ihm schwollen die Leistendrüsen nur beim Sitz an der 
vorderen Lippe an. Sehr schwer ist oft die Differentialdiagnose zwischen 
Syphilis und Carcinom. Dabei ist die Wassermann’sche Reaktion und 
die spezifische Therapie zu beachten. In einem Falle von Neisser 
wurde Sarkom statt Lues angenommen. Später trat Roseola auf. Ina 
Uterus selbst kann der Sitz der Lues das Endometrium wie das Myo¬ 
metrium sein. Das Hauptsymptom sind Blutungen. Es tritt Angio- 
sklerose und Degeneration der Gefässe auf. Die Blutungen hören nach 
spezifischer Behandlung auf. Schaeffer sieht besonders die Endometritis 
exfoliativa als luetisch an. Bei kongenitaler Syphilis sind auch schon 


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20. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


133 


Spirochäten im Uterus selbst bei Neugeborenen gefunden worden. Cha¬ 
rakteristisch für den luetisch erkrankten Uterus ist die knorpelharte 
Konsistenz, welche sich auch auf die Infiltrationen der Parametrie aus- 
debnt. Es gibt eine ulceröse Form des Ulcus durum, die hauptsächlich 
zu Verwechslungen mit Carcinom führen kann. Ausser Menorrhagien 
und Metrorrhagien kann als Symptom auch Amenorrhoe auftreten, be¬ 
sonders bei schwerer, tertiärer Lues und Befallensein der Adnexe. Auch 
bei zweifelhafter Aetiologie von Uterusruptur muss Lues herangezogen 
werden (Weber). Sehr wichtig ist stets in zweifelhaften Fällen die 
Serodiagnose und der Erfolg der Therapie. 

Diskussion. Dabei ist nur erwähnenswert, dass Wegscheider 
drei Fälle mitteilte, in denen die Diagnose zweifelhaft war und durch 
serologische Untersuchung festgestellt wurde. Siefart. 


Medizinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für vater¬ 
ländische Kultur zu Breslau. 

(Offizielles Protokoll.) 

Klinischer Abend im Allerheiligenhospital vom 8. November 1912. 

Vorsitzender: Herr Brieger. 

Hr. R. Lovy: 

Weitere Ergebnisse der Chemotherapie der bakteriellen Infektion. 

(Ist in Nr. 53 dieser Wochenschrift bereits abgedruckt.) 

Hr. Pringsheim: 

Ueber einen Fall von paroxysmaler Hämoglobinurie. 

34 jähriger Schiffbauer, welcher seit zwei Jahren an typischen An¬ 
fällen von paroxysmaler Hämoglobinurie leidet. Die Anfälle treten selten 
auf, nur im Winter im Anschluss an Erkältungen und Durchnässungen. 
Die klinische Untersuchung ergab keinen Organbefund; massige Anämie, 
Blut Wassermann positiv. Der Donath-Landsteiner’scbe Versuch fiel — 
bei nachträglichem Zusatz von Komplement — positiv aus. Die Erytbro- 
cyten waren gegen Temperaturwechsel empfindlicher als normale, nicht 
aber gegen hämolytische Substanzen (Saponinlösung). 

Die Behandlung bestand zunächst in einer energischen Schmierkur, 
welche ohne Erfolg blieb. Darauf wurden intramuskuläre Injektionen 
von lOproz. Cholesterinemulsion vorgenommen. Nach der fünften In¬ 
jektion von 0,5 g Cholesterin (im Laufe von elf Tagen) erzeugte der 
gleiche Kältereiz, welcher vorher einen schweren Anfall ausgelöst hatte, 
nur eine geringfügige Hämoglobinurie, nach einer weiteren Injektion 
fehlte diese vollständig, während Schüttelfrost und Fieber auftraten. 
Nachdem acht Tage keine Injektion gemacht war, liess sich wieder ein 
typischer, schwerer Anfall auslösen. Das Verhalten des Serums und der 
Erythrocyten während der Cholesterineinspritzungen zeigte dasselbe Bild 
wie während der anfallsfreien Zeit. 

Hr. Brieger demonstriert gemeinsam mit HHr. Miodowski und 
Seifert die Sehwebelaryagoskopie. 

Diskussion. 

Hr. Klestadt: M. H.! Gestatten Sie mir im Anschluss an Herrn 
Brieger’s Vortrag und Demonstration mitzuteilen, dass auch die 
Erfahrungen, die an der laryngologischen Universitätsklinik bisher mit 
der Schwebelaryngoskopie gemacht worden sind, durchaus befriedigten. 

W r ir haben die Methode eigentlich nur bei ausgedehnten, aber dem 
übrigen Befunde nach aussichtsreichen Larynxphthisen und -papillomen 
angewandt. W T ir bedienten uns, den ursprünglichen Anweisungen K i 11 i an ’s 
folgend, fast stets des Morphium-Skopolaroindämmerschlafes oder der 
Narkose. Aber auch in einem unserer Fälle gelang schon in lokaler 
Adrenalin-Cocainanästbesie leicht die Aufhängung. Ein Fall aus der 
Gruppe der Papillome zeigte uns zufällig erst vor einigen Tagen wieder, 
dass keine auch noch so kurze Narkose ohne die bekannten Gefahren 
ist. Der Knabe — und in diesem Falle liess sich eine Narkose wohl 
nicht umgehen — hat eine Bronchopneumonie acquiriert, befindet sich 
aber schon auf dem Wege der Besserung. 

Wie sich die Erfolge bei der Tuberkulose nach der Operation in 
Schwebelaryngoskopie gestalten, können wir nach der kurzen Zeit unserer 
Beobachtung — Maximum sechs Monate — endgültig nicht beurteilen. 
Immerhin sei mitgeteilt, dass zwei Fälle nach der Prozedur kurzdauerndes, 
höheres Fieber — einmal bis 39° — bekamen. Wir suchen die Er¬ 
klärung hierfür natürlich nicht in der Methode selbst, sondern in der 
Grösse des Eingriffes, wie sie eben durch die Schwebelaryngoskopie er¬ 
möglicht wird. Beiden Patienten ist es des weiteren bisher recht gut 
ergangen. 

Nun, m. H., batten wir bereits Gelegenheit, die bedeutsamen Vor¬ 
züge der Methode für die Betrachtung und Passage des Hypopbarynx, 
wie Herr Brieger sie Ihnen eben geschildert hat, in einem Falle 
nutzbar zu machen. Es bandelte sich um eine ältere Frau, die uns 
wegen einer zunehmenden Stenose des oberen Oesophagus bei gleichzeitig 
starker Gewichtsabnahme zugesandt wurde. Bei der aus verschiedenen 
Gründen schwer ösopbagoskopierbaren Patientin beschritten wir den Weg 
der Sobwebeaufhängung, um die Oesophagoskopie erneut zu versuchen. 
Der O-sopbagusraiind klaffte, und es gelang spielend, das starre Rohr 
einzufübren. Schon nach einigen Millimetern sab man eine ringaitige, 
stark gespannte Verengerung; von weiterer Exploration standen wir ab, 
da zwei kleine blutende Einrisse an dieser Stelle entstanden. Von der 
Gutartigkeit der Stenose batten wir uns überzeugen können. Die 
Patientin — natürlich unter den üblichen prophylaktischen Maassregeln 


gehalten — trug von dieser Untersuchung nur eine Besserung der 
Schluckfähigkeit davon und wurde mit beträchtlicher Gewichtszunahme 
entlassen. 

Hr. Silberberg: Stereoskopisehe Röntgenbilder. 

M. H.! Wenn ich mir erlaube, Ihnen einige stereoskopische Röntgen¬ 
bilder zu zeigen, so geschieht dies in der Absicht, mit einigen Worten 
auf die Technik der Röntgenstereoskopie zu sprechen zu kommen. 

Die Röntgenstereoskopie ist nichts Neues. Schon auf dem ersten 
RÖDtgenkongress, also vor neun Jahren, bat Alban Köhler eine Reibe 
sehr wohl gelungener Stereogramme von Lungen zeigen können. Bei 
der Wichtigkeit, welche das Verfahren für die Frakturen lehre, für die 
Fremdkörperbestimmung u. a. m. gewonnen hat, ist stetig über einer 
Verbesserung der Technik gearbeitet worden. So entstand die Hildebrand- 
sche Tunnelkassette, die noch heute in einez Reihe von Fällen mit gutem 
Erfolge angewandt werden kann, so entstand die Snook’sche Kassette, 
so entstand die Eiostellbarkeit der Kompressionsblende für Stereo¬ 
zwecke u. a. m. Seitdem man in die Lage gekommen war, Moment¬ 
aufnahmen zu machen, suchte man natürlich auch die Stereoskopie für 
die Dienste der Momentaufnahmen nutzbar zu machen, d. h. man gab 
sich Mühe, den Kassettenwecbsel und die Röhrenverschiebung ebenfalls 
in möglichst kurzer Zeit vorzunehmen, womöglich beides zu gleicher Zeit. 
So wurden von amerikanischer Seite Tunnelkassetten konstruiert, die 
vermöge einer Federauslösung einen sehr raschen Wechsel der Innen¬ 
kassette ermöglichten. Neuerdings ist von der Firma Richard Seifert & Co. 
in Hamburg die Auslösung mittels des elektrischen Stromes vorgenommen 
worden. 

Ich habe mir für meine Zwecke etwa folgenden Apparat konstruieren 
lassen: In einer Tunnel kassette ist ein auf Schienen gleitender Wagen 
angebracht, der mittels Federzug gespannt werden kann. In dem Wagen 
ruhen zwei Kassetten. Die Tunnelkassette ist so eingerichtet, dass die 
beiden äusseren Drittel mit Blei überkleidet sind, genau wie bei der 
Hildebrand’scben Kassette. Bei Anspannung der Feder kommt zunächst 
eine Kassette in das von Blei freie mittlere Drittel. Beim Loslassen 
der Feder verschiebt sich der Wagen so, dass die belichtete Kassette 
unter Blei kommt und die zweite bisher von Blei gedeckte, noch un¬ 
belichtete Kassette in das freie mittlere Feld gelangt. Die Federaus¬ 
lösung geschieht durch einen an der Aussenseite der Kassette ange¬ 
brachten Stift, welcher sich in eine Kette fortsetzt, die zu einem Fuss- 
brettchen führt. Die Auslösung kann also durch einen Druck mit dem 
Fusse geschehen. Eine analoge Sperrfederwirkung ist am Blendenkasten 
des Wenckebach’schen Stativs angebracht. Auch deren Federauslösung 
ist in eine Kette verlängert, die zu dem bereits beschriebenen Fuss- 
brettchen führt. Es ist auf diese Weise möglich, mit einer einzigen Be¬ 
tätigung des Fusses Kassettenwechsel und Röhrenverschiebung vorzu¬ 
nehmen. Die ganze Aufnahme spielt sich daun so ab, dass man mit 
der rechten Hand den Momentschalter einschaltet, im Augenblick des 
automatischen Ausschaltens desselben die Fussauslösung betätigt und 
sofort wieder den Momentscbalter zur zweiten Aufnahme einscbaltet. 
Auf diese Weise spielt sich der ganze Vorgang in Bruohteilen einer 
Sekunde ab. 

Ich halte diese Art der Auslösung für einfacher als die Auslösung 
durch elektrischen Strom, weil die hierzu notwendige Schaltung eine 
sehr komplizierte ist, und auch die Kassetten wie die Röhrenverschie¬ 
bungsapparate schwer und unhandlich werden. 

Das von mir benutzte und Ihnen hier vorgeführte Stereoskop ist ein 
neuerdings von der Firma verbessertes Zeiss’sches Stereoskop. Dasselbe 
gestattet Abzüge und Negative bis zu einer Grösse von 30:40 cm zu 
besichtigen, gibt sehr plastische Bilder und ist ein ausserordentlich 
leichter und handlicher Apparat. 

Diskussion. 

Hr. Ossig bemerkt zu der Vorlührung des Herrn Silberberg, 
dass seiner Ansicht nach das in Zeichnung vorgeführte Instrumentarium 
nicht schnell genug funktionieren werde, um bei Magen-Darmaufnahmeu 
Bewegungen dieser Organe auszuschalten. Das vorgeführte Stereoskop 
halte er nicht für so empfehlenswert wie ein gutes Spiegelstereoskop. 

Hr. Silberberg: Was den Einwand des Herrn Ossig betrifft, dass 
die nötige Schnelligkeit von Kassettenwechsel und Röhrenverschiebung 
nur durch den elektrischen Strom möglich sei, erscheint mir das nicht 
sehr wahrscheinlich. Ich glaube, dass sich hinsichtlich der Zeit beide 
Auslösungen nicht viel nehmen werden, aber selbst wenn die elektrische 
Auslösung eine in geringem Maasse schnellere sein sollte, so entsteht 
doch die Frage, ob diese erhöhte Schnelligkeit der Auslösung notwendig 
ist, oder ob man auch mit einer etwas längeren Zeit auskommt. Man 
kann ja alle chirurgischen Aufnahmen (Frakturen, Knocbenerkran- 
kungen usw.) ohne weiteres als Zeitaufnahmen machen, und dazu genügt 
eine einfache Handauslösung, also die Hildebrand’sche Kassette. Für die 
Momentauslösung kommen überhaupt nur Thorax- und Magen-Darm¬ 
aufnahmen in Frage. Hinsichtlich der Tboraxaufnahmen fallen bei beiden 
Auslösungen die Herzaufnahmen ohne weiteres fort. Nehmen wir selbst 
an, dass die Aufnahme in Vioo Sekunde, die Auslösung in einer weiteren 
Vioo Sekunde und die zweite Aufnahme in der dritten Vioo Sekunde er¬ 
folgt, so ist ein stereoskopisches Bild des Herzenz doch nicht herauszu- 
bekoramen, da die zweite Aufnahme in der dritten Vioo Sekunde eine 
ganz andere Herzphase trifft; für Lungenaufnabraen sind solche kurze 
Zeiten unnötig und für Magen-Darmaufnahmen nach den neuesten tech¬ 
nischen Erfahrungen unmöglich. Es genügt demnach die mechanische 
Auslösung ohne Zuhilfenahme des Stromes für alle technisch in Frage 


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134__ BERLINE R KLI NISCHE WOCHENSCHRIFT. Nr._3. 


kommenden Zwecke vollkommen, auch wenn dieselbe etwas langsamer 
geschehen sollte als die Auslösung mit Zuhilfenahme des elektrischen 
Stromes. 

Was den Einwand hinsichtlich des Stereoskops betrifft, so möchte 
ich wohl von vornherein annehmen, dass ein von einer technischen Firma, 
zumal von der Firma Zeiss, gefertigtes Stereoskop dasselbe leistet, wie 
das von einer elektrotechnischen Firma gefertigte. Ich für meinen Teil 
kann auch an der Plastik der aufgestellten Bilder nichts aussetzen. 
Das Zeiss’sche Stereoskop dürfte sogar noch den ausserordentlichen Vor¬ 
teil der Uandlichkeit haben; alle anderen mir bekannten Stereoskope 
sind ausserordentlich gross, sehr schweY und ausserdem viel teurer als 
das Zeiss’sche. 

Hr. Asch: Zar operativen Behandlung puerperaler Sepsis. 

Bei den wenig befriedigenden Resultaten der abwartenden Behand¬ 
lung schwererer puerperaler Infektionen ist jeder Erfolg chirurgischer 
Eingriffe erfreulich. Unter den vielen Vorschlägen der letzten Jahre 
steht die abdominale Radikaloperation und die Venenunterbindung nach 
Trendelen bürg obenan. Konnte ich schon vor etwa 10 Jahren über 
einige gute Erfolge durch Entfernung des Uterus und der Adnexe samt 
den etwa vorhandenen parametranen Infiltraten berichten, so bezogen 
sich diese doch mehr oder weniger auf solche Wöchnerinnen, bei denen 
schon eine längere Zeit seit der Infektion bei der Entbindung ver¬ 
strichen war. Ganz frische Fälle konnten auch hierdurch nur selten 
gerettet werden. 

Die Unterbindung der Venen bei nachgewiesener Blutinfektion muss 
aber, wenn sie aussichtsreich sein soll, möglichst frühzeitig ausgeiübrt 
werden. 

Strittig ist es noch, ob man sich mit der Unterbindung begnügen 
soll oder vorhandene Thromben entfernen muss, und ob dieser Ein¬ 
griff in völlig befriedigender Weise ausführbar ist. 

In dem hier vorgestellten Falle fand ich am vierten Tage post 
partum praem. linkerseits eine tumorhafte Resistenz, die ich als Thrombose 
der Spermaticalvenen deutete; der Peritonealraum schien noch nicht oder 
wenig befallen. 

In den Blutplatten fanden sich ausserordentlich reichlich hämo¬ 
lytische Streptokokken (30—70 Kolonien pro Platte). Die Hämolyse 
der Streptokokken an sich wird ja neuerdings nicht als absolut infaustes 
Symptom für die prognostische Beurteilung angesehen, doch dürfte bei 
solcher Ueberschwemmung des Blutes über die ungünstigen Aussichten 
kaum eine geteilte Meinung herrschen. In der Tat bot auch die Patientin 
für alle Beurteilenden das Bild schwerer Sepsis; die Temperatur war 
am dritten Tage post partum 40°, der Puls 140. 

Das schnelle Fortschreiten des thrombotischen Prozesses liess ein 
weiteres Abwarten nicht ratsam erscheinen. 

Die Besichtigung bei der Operation rechtfertigte meine Ansicht, der 
Ausgang mein Vorgeben. 

Ich öffnete zuerst zur genaueren Orientierung über die Ausdehnung 
des Prozesses in typischer Weise das Abdomen und fand das Peritoneum 
noch frei. Nur auf der linken Seite in nächster Nachbarschaft der 
retroperitonealen Thrombose fanden sich einige frische Adhäsionen um 
Tube und Ovarium. Die rechten Adnexe, das Parametrium und die 
Venen dieser Seite waren nicht befallen. Den Thrombus fühlte man 
vom linken Parametrium aufsteigend bis in die Nierengegend. Nun 
schloss ich, um die Vene oberhalb des Thrombus zu unterbinden und 
den Thrombus 'selbst zu entfernen, das Peritoneum in der Mittellinie 
und löste es seitlich von der Bauchwand ab, bis ich die thrombosierten 
Venen freilegen konnte. Ich musste, um die obere Grenze zu erreichen, 
bis zur Niere , vergehen. Die Unterbindung in der Tiefe, bei der der 
Ureter zu vermeiden war, erfolgte kaum mehr unter Leitung des Auges; 
mehr dem Gefühl folgend legte ich den Faden um. Beim Zuzieben riss 
die morsche Venenwand ein; die darauf folgende Blutung zeigte, dass 
ich bis oberhalb des Thrombus gekommen war. Da dies direkt an der 
Einmündungsstelle in die Vena renalis war, musste ich diese statt zu 
unterbinden zunähen; darauf stand die recht unangenehme Blutung. 

Nun schälte ich den peripher an Dicke erheblich zunehmenden 
Thrombus mit seinen schwartigen periphlebitischen Auflagerungen vor¬ 
sichtig von oben her nach dem Becken zu aus, bis tief ins Parametrium 
an die Uteruswand gelangend. Jetzt tamponierte ich die grosse Höhle 
mit Gaze und führte diese durch ein seitlich angelegtes Fenster durch 
die Bauchdecken nach aussen; dann nähte ich das in der Mittellinie 
wieder gelöste Peritoneum an seine Bauchwand an. Jetzt exstirpierte 
ich unter möglichster Abdeckung der übrigen Intestina intraperitoneal 
die linken Adnexe, exzidierte, den harten Thromben folgend, ein tiefes 
Keildreieck aus der Uterussubstanz und zog dieses mit Adnex und dem 
thrombosierten Konvolut aus dem Schlitz im Ligament. Den Defekt 
vernähte ich sorgfältig und versenkte den Stumpf extraperitoneal. Darauf 
Schluss der Bauchhöhle in typischer Weise. 

Die Tupferprobe aus der Bauchhöhle hatte sowohl im Anfang wie 
am Ende der Operation nur Bacterium coli ergeben. Unter starker 
Sekretion aus der seitlichen Oeffnung entfieberte die Patientin und ging 
ihrer jetzt erfolgten Genesung entgegen. 

Eine kleine Strecke der Bauchwunde ging auf und heilt sekundär. 
Ich operierte, wie stets bei infektiösen Prozessen, bei denen die Asepsis 
allein ja im Stiche lassen muss, möglichst mit dem Paquelin. 

Hr. Markus: Osteomalacie. 

Nachdem Fehling den heilenden Einfluss der Kastration auf die 
Osteomalacie nachgewiesen hatte, ist man endlich auch in der Kenntnis 


dieser schweren Erkrankung ein wenig vorwärts gekommen. Man kann 
demnach eine übermässige innere Sekretion der Ovarien als haupt¬ 
sächliches Moment ansehen und muss somit die von Fehling empfohlene 
Kastration als eine kausale Therapie betrachten. 

Die neuerdings von L. Frankel vorgenommenen Versuche, die sich, 
auf der inneren Sekretion der Ovarien fussend, mit der Herstellung 
eines Ovarialantikörpers befassen, brachten uns auch die Möglichkeit, 
auf konservativem Wege der Osteomalacie beizukommen. Fränkel 
ging dabei von der Herstellung des Antithyreoidins „Möbius“ aus und 
bedachte dementsprechend, dass nach Entfernung eines Organs mit 
innerer Sekretion die antagonistischen Sekrete im Serum vermehrt und 
in grösserer Menge frei würden. In der Annahme, dass diese Anti¬ 
körper auch in die Milch übergehen könnten, kastrierte er Ziegen und 
verwendete deren Milch. Die Erfolge waren zwar recht ermutigende, 
aber nicht so sichere und rasche wie nach der Kastration. 

Die in letzter Zeit weiterhin noch empfohlenen therapeutischen 
Maassnabmen zur Heilung der Osteomalacie: die Behandlung mit Nebeu- 
nierenextrakt, deren Hauptvertreter Bossi ist, und die Behandlung mit 
Pituitrin sind noch nicht genügend einwandfrei nachgeprüft worden, um 
in schweren Fällen Verwendung finden zu können. 

Bei dem Fall, den ich heute zu demonstrieren beabsichtige, hat 
mein Chef von einer konservativen Therapie absehen und die Kastration 
in Anwendung bringen müssen, weil die Schwere des Krankheitsbildes, 
der in letzter Zeit sehr rasch fortschreitende Verfall der Patientin, ein 
schnelles und sicher heilendes Verfahren erheischte. 

Der Erfolg der Kastration war nun in der Tat ein recht zufrieden¬ 
stellender. 

Die Patientin, die Sie hier auf Krücken vor sich sehen, war seit 
IV 2 Jahren vollkommen bettlägerig und war nicht einmal imstande, 
sich spontan ohne grosse Schmerzempfindung auf die Seite zu legen. 
Der Beginn des Leidens fällt in die Laktationszeit nach dem dritten 
Partus im Jahre 1900. Er begann mit Schmerzen in den Gliedern, 
Gefühl der Müdigkeit und Schwere im Kreuz. In der vierten Gravidität, 
1902, verschlimmerte sich das Leiden dann so sehr, dass die Pat. sich 
nicht mehr spontan fortbewegen konnte. Deformitäten scheinen damals 
noch nicht bestanden zu haben, denn in der inneren und der Nerven- 
klinik wurden die Schmerzen als rheumatische gedeutet und die Pat. 
dementsprechend behandelt. Ende 1902 kam Pat. spontan nieder. 
Nach dem Partus trat für nur kurze Zeit ein Stillstand ein; bald setzte 
das Leiden mit erneuter Heftigkeit ein. Es bildeten sich Deformierungen 
des Rumpfes und Beckens. Pat. merkte, dass sie kleiner wurde — die 
Röcke wurden ihr zu lang —; sie bekam eine gebeugte Haltung, die 
Schmerzen im Kreuz wurden immer stärker, die Beine verloren ihre 
Stütze in den Hüften, und Pat. wurde bettlägerig. 

Seit IV 2 Jahren brachte sie nun Tag und Nacht auf einem Sessel 
in halb liegender, halb sitzender Stellung zu. Während der letzten 
10 Jahre batte sie keinen Arzt konsultiert. Ein Ulcus cruris führte 
sie ins Hospital, und hier wurde auch ihr Leiden entdeckt. 

Die Untersuchung ergab damals die Knochendeformierungen, die 
auch jetzt noch bei ihr zu sehen%ind: hochgradige Kyphose der Brust¬ 
wirbelsäule, starke Lordose der Lendenwirbelsäule, eingetriebenes Manu- 
brium, vorgetriobenes Corpus sterni, die den Osteomalaciscben typische 
Bauchfalte, die typischen Beckenveränderungen: das Kreuzbein ist von 
oben ins Becken hineingedrückt, die Symphyse schnabelartig vorspringend, 
die Tubera ossis ischii stark genähert, die Gelenkpfannen eingetrieben. 
Ein Röntgenphotogramm, das damals angefertigt wurde, gab so schlechte 
Knochenschatten, dass sich keine genaueren Knocbenkonturen differenzieren 
liessen. Die Beine waren infolge von Kontrakturen im Knie gebeugt 
und stark an den Rumpf angezogen. Die Abduktion der Beine war 
unmöglich. Bei seitlichem Druck auf das Becken äusserte Pat. starke 
Schmerzempfindung. Jede Berührung der Knochen des Rumpfes und 
des Beckens wurde überhaupt sehr schmerzhaft empfunden. 

Von einer vaginalen Totalexstirpation, die mein Chef zunächst 
plante, musste in diesem Falle Abstand genommen werden, weil die Vagina 
kaum für einen Finger passierbar war. Es wurde daher laparotomiert. 
Die Lagerung auf den Operationstisch machte grosse Schwierigkeiten. 
Erst in tiefer Narkose liessen sich die Beine etwas vom Rumpf abzieben 
und so der Bauch besser zugänglich machen. Die Einstellung des 
Genitale nach Eröffnung des Bauches war ihrerseits wieder erschwert 
durch die starke Lordose der Lendenwirbelsäule, die über dem Becken¬ 
eingang lagerte. Sodann wurden beide Ovarien entfernt. 

Dieselben zeigten makroskopisch keine Veränderungen. Mikro¬ 
skopisch siebt man an ihnen den für Osteomalacie angeblich typischen 
Befund starker hyaliner Degeneration der Getässwände. Einen weiteren 
für Osteomalacie angeblich charakteristischen Befund, Wucherung der 
Theca interna konnte ich nirgends wahrnehmen. 

Die Pat. machte eine glatte Rekonvaleszenz durch. Schon am Tage 
nach der Operation war wie mit einem Schlage jede Schmerzhaftigkeit 
in den Knochen geschwunden. Die Pat., die bis dahin jede Bewegung 
vermied und eine kauernde Stellung einnahm, konnte sich schon spontan 
ein wenig ausstrecken. Von Tag zu Tag war nun Besserung zu sehen. 
Unter gleichzeitiger Nachhilfe mit Massage gewannen die Beine bald 
wieder ihre Beweglichkeit zurück. Die Abduktiousmöglichkeit der Beine 
besserte sich ebenfalls. Drei Wochen nach der Operation war die Kon¬ 
solidierung in den Knochen schon so weit gediehen, dass die Pat. sich 
stehend neben dem Bett halten konnte. Ein in dieser Zeit gemachtes 
Röntgenphotograrom gab schon bedeutend bessere Knochenschatten. Es 
ist aber leider von der Pat. beim Aufliegen durch die stark vor- 


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20. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


135 


springenden Sitzhöoker so zerdrückt worden, dass ich es nicht herum- 
teigen kann. 

Einige Tage später machte Pat. die ersten Gehversuche. Sie ist 
bis jetzt soweit hergestellt, dass sie sich auf Krücken vorwärts bewegen 
kann. Leider hatten Becken- und Wirbelknochen schon so sehr ge¬ 
litten, dass die Konsolidierung in diesen Knochen nur langsam Fort¬ 
schritte macht und die Pat. nooh nicht die vollkommene Festigkeit im 
Kreuz wiedererlangt hat. Immerhin habe ich vor einigen Tagen schon 
eine sehr gute Röntgenphotographie vom Becken erhalten, und ich hoffe, 
dass der Heilungsprozess noch weitere Fortschritte machen wird. 

Innerlich bekommt die Pat. ein Phosphorpräparat. 

Ich demonstrierte den Fall hauptsächlich deshalb, um zu zeigen, 
dass man auch in verzweifelten Fällen von Osteomalacie von der 
Kastration noch Besserung erwarten kann. 

Diskussion. 

Hr. Rosenfeld: Die Beobachtung, dass die Osteomalacie dieser 
Frau wieder durch Kastration geheilt ist, gibt mir Veranlassung, in 
Rücksicht auf die Beziehung von Ovarium und Kalkumsatz eine Ver¬ 
suchsreihe zu erwähnen, die ich an einem Manne, Herrn Dr. Pringsheim, 
mit Oophorintabletten — zu anderen Zwecken — angestellt habe. Es 
ist dabei kein recht deutlicher Effekt hervorgetreten. (Während in 
6 Vortagen in Urin und Kot ca. 720 mg CaO ausgeschieden wurden, er¬ 
schienen bei gleicher Kost und Oophorintabletten 677 mg, also nur eine 
klebe Retention.) 

Hr. Fritz Heimann: Ich möchte mir gestatten, kurz über einen 
Fall von schwerer Osteomalacie zu berichten, den wir an der Frauen¬ 
klinik vor einiger Zeit zu beobachten Gelegenheit batten; er ist aus¬ 
führlich von Stern publiziert worden. Auf die Anregung von 
Frankel und anderen hatten wir der Pat., die einen hohen.Grad der 
Erkrankung zeigte, so dass sie kaum zu gehen vermochte, — eine 
Röntgenaufnahme zeigte sehr deutlich das typische osteomalacische 
Becken — viele Monate hindurch die Milch einer kastrierten Ziege 
verabreicht. In der ersten Zeit war auch wirklich eine Besserung zu 
konstatieren. Pat. konnte bereits wieder, allerdings mit Hilfe von zwei 
Stöcken, etwas gehen, doch hielt diese Besserung nicht lange an, ja es 
trat eine derartige subjektive und objektive Verschlimmerung des 
Leidens ein, dass wir uns doch noch zur Kastration entschlossen. Und 
diese hatte in der Tat einen auftälligen Erfolg. Pat. erholte sich aus¬ 
gezeichnet, die Schmerzen Hessen nach, sie verschwanden sogar völlig, 
und auch das Gehen wurde bedeutend besser. Ich habe Pat. ca. V 2 J&hr 
später wiedergesehen und konnte konstatieren, dass auch die Besserung 
noch weiter fortgeschritten war, da jetzt die Pat., wie sie berichtete, 
schon etwas tätig sein konnte, ohne allzusehr zu ermüden oder Schmerzen 
zq empfinden. An dem objektiven Befund, namentlich am Becken, hatte 
sieh natürlich nichts geändert. 

Hr. L. Fraenkel: Die Milch der kastrierten Ziege, welche ich, 
wie der Vortragende erwähnte, zur Behandlung der Osteomalacie empfohlen 
habe, soll die Kastration nicht vollwertig ersetzen, sondern nur an¬ 
gewendet werden, wenn die Operation unausführbar ist. Denn es ist 
klar, dass die Einführung der Gegenkörper, welche von anderen 
innerlich sezernierenden Drüsen geliefert, nach der Kastration in Blut 
und Milch das Uebergewicht bekommen, nicht vollwertig die bei 
Osteomalacie pathologischen Eierstocksfunktion paralysieren kann. 
Immerhin ist hier wie im Rhodagen der Versuch einer 
rationelleren Organotherapie gemacht, als sie gewöhnlich 
gehandhabt wird. Es ist selbstverständlich, dass die zu Präparaten 
verarbeiteten endokrinen Drüsen nicht annähernd wirken können wie die 
lebenden, in dem Blutkreislauf eingeschalteten Organe selbst, welche 
chemische Laboratorien darstellen, aus denen dauernd die notwendigen 
Stoffe in der richtigen Dosis, Form und Applikationsart an die ent¬ 
sprechende Stelle abgegeben werden. Es ist darum eine grosse (all¬ 
gemein auch anerkannte) Vorsicht mit organotherapeutischen Präparaten 
am Platze, speziell in der wissenschaftlichen Verwertung ex juvantibus 
bzw. nocentibus. 

Das gilt besonders für die Versuche des Herrn Rosenfeld. Wenn 
ich einem Mann einige Dosen Ovarialextrakt verabreiche, so dünkt es 
mich unmöglich, damit Stoffwechselwirkungen hervorzurufen, ähnlich 
denen des Eierstockes der Frau. Will man die Eierstockswirkung 
gerade auf den nichtweibiichen Organismus prüfen, so muss man einem 
männlichen Tier nicht irgendwelches kleines Quantum Ovarialsub- 
stanz von einer anderen Tierspezies vorübergehend per os geben, 
sondern den Eierstock der gleichen Gattung nach Kastration funktions¬ 
fähig implantieren, ein Versuch, der bereits gemacht worden ist. Im 
übrigen ist die Wirkung des Eierstockes auf den Stoffwechsel, speziell 
für Kalk und Phosphor, so vielfach und nicht nur bei Osteomalacischen 
mittels exakter Methoden untersucht worden, dass diesen Experimenten 
gegenüber Herrn Rosenfeld’s Versuchsanordnung jede Bedeutung ab- 
wsprechen ist. 

Hr. R 0 s e n f e 1 d: Es fehlt bei den Bemerkungen Herrn F r ä n k e 1 ’s die 
Berechtigung, Stoffwecbselversuchen, welche mit ihrer Fragestellung zur 
Klärung beitragen könnnen, a priori eine ungünstige Prognose zu stellen. 
Ich erwarte gerade von solchen Versuchen die Klärung der bisher immer 
noch sehr wenig ergebnisreichen Stoffwechselversuche, die durch Versuche 
von Cruden neuerding? wieder sehr fraglich geworden sind. Die Ver¬ 
wendung artfremder Organe hat bei organotherapeutischen Stadien nicht 
gestört. 


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Hr. Asch macht noch besonders darauf aufmerksam, dass hier ein 
Fall vorliege, in dem eine Heilung der Osteomalacie durch Wegnahme 
der scheinbar nicht mehr funktionierenden Ovarien erreicht sei; die aus¬ 
gezeichneten Erfolge der Kastration in jugendlichem Alter seien ja zur 
Genüge bekannt; diese Frau aber sei schon seit fünf Jahren in der 
Menopause und 55 Jahre alt. Man müsse also wohl annehmen, dass 
auch nach Aulhören der Ovulation und Menstruation die innersekre¬ 
torische Tätigkeit der Ovarien noch fortdauere und erst ihre Beseitigung 
die Heilung des osteomalacischen Prozesses zulasse. 

Hr. Tietze: Demonstrationen zur Nierenchirurgie. 

Diskussion. 

Hr. Hirt zeigt eine heute früh entfernte Niere, deren untere Hälfte 
in ein kindskopfgrosses Hypernephrom umgewandelt ist. Auch die 
oberen Partien sind von zahlreichen metastatischen Herden durchsetzt. 
Trotzdem von der Niere noch erhebliche Teile des Parenchyms erhalten 
sind, zeigte die funktionelle Nierenprüfung mit subcutaner ludigcarmin- 
injektion, dass diese Teile funktionell wertlos sind, da sie ein völlig 
farbloses Sekret absonderten. Die andere Niere dagegen gab einen 
tief dunkelblau gefärbten Urin, so dass die Prognose bezüglich der 
Nierentätigkeit post operationem eine sehr günstige ist. 

Hr. Weiehert: Mammaplastik. 

(Ist unter den Originalien dieser Nummer abgedruckt.) 

Hr. Braendle stellt einen Fall von Boeck’schem Sarkoid vor. Die 
Affektion begann bei dem Patienten vor vier Jahren mit Knotenbildung 
in der Gegend der Nasenwurzel, jetzt ist fast das ganze Gesicht ergriffen. 
Man fühlt die für das Boeck’sche Sarkoid charakteristischen derben 
Knoten und Stränge in der Tiefe der Haut. Die Oberhaut ist über 
diesen Sträügen teils unverändert, teils ist sie mit ihnen verwachsen 
und zeigt dann einen rötlichen oder bräun lieh roten Farbenton. 

Davon vielen Autoren das Boeck’sche Sarkoid zu den sogenannten 
abgeschwächten Hauttuberkulosen gerechnet wird, wurden auch in dem 
vorliegenden Fall diesbezügliche genaue Untersuchungen angestellt. Die 
Untersuchungen ergaben für Tuberkulose keine Anhaltspunkte. 

Bemerkenswert ist, dass das Boeck’sche Sarkoid durch Röntgen¬ 
behandlung bedeutend gebessert wurde. 

Hr. Leopold stellt zwei Fälle von Folliclis vor. In dem einen 
Falle finden sich auf der Bauchbaut und an den Extremitäten frische 
linsengrosse, braunrote Knötchen, die im Centrum nekrotisch zerfallen 
sind. Auf Brust und Rücken sind sehr schöne charakteristische Narben 
von bereits abgeheilten Effloreszenzen sichtbar. Aehnliehe typische 
scharfumrandete kreisrunde Narben weist der zweite Patient an den 
Streckseiten der Arme und an den Ohren auf, deren Ränder wie zer¬ 
nagt ausseben. Die Diagnose Folliclis der auf den ersten Blick als ge¬ 
wöhnliche Staphylokokkenfurunkel imponierenden Effloreszenzen wird in 
beiden Fällen noch durch den torpiden, über Jahre sich hinziehtnden 
Verlauf mit Neigung zu Recidiven gesichert. Ferner finden sich in 
beiden Fällen bei der inneren Organuntersuchung Anhaltspunkte für 
bestehende Tuberkulose, und in dem einen Falle auch in der Anamnese. 
Auf Alttuberkulin haben beide Patienten allgemein reagiert, lokal jedoch 
nicht deutlich. Histologisch findet man bei Folliclis in der Cutis peri- 
vasculäre Zellinfiltrate mit typischen Epitheloid- und Riesenzellen. 
Aetiologisch bandelt es sich vielleicht um eine emholische Verschleppung 
abgeschwächter Tuberkelbacillen von irgendeinem tuberkulösen Organ- 
berd in die HautcapiHaren. Hier kommt es dann zu endo- uod peri- 
arteriitischen Entzündungsprozessen, die zu typischer Tuberkelbildung 
mti centralem Zerfall führen. Redner weist auf die im Archiv für Dermato¬ 
logie und Syphilis 1904 erschienenen sehr eingehenden Untersuchungen 
von Hart tu ng und Alexander über Folliclis hin. 


Breslauer psychiatrisch-neurologische Vereinigung. 

Sitzung vom 2. Dezember 1912. 

Vorsitzender: Herr Hahn. 

1. Hr. C. S. Freund demonstriert vor der Tagesordnung einen 
86 jährigen Schaffer mit deutlichen eortiralei SensibüiYfttsstöruugen 
und eben angedeuteten corticalen BeweguDgsstöruDgon; dieselben sind 
ausschliesslich auf die linke Hand beschränkt und stehen in ursäch¬ 
licher Beziehung mit einem am 26. August 1911 nachts im Tanzsaal er¬ 
haltenen Messerstich in die rechte Schädelhälfte. Unmittelbar nach der 
Verletzung keine Bewusstseinstrübung und keine merklichen Gehirn¬ 
symptome. Patient arbeitete in den nächsten Wochen wie früher. Nach 
3—4 Tagen Reissen vorn an der rechten Schädelseite. Nach 14 Tagen' 
leichtes Frösteln. Am 22. September 1911 erster, naoh 14 Tagen zweiter 
Krampfanfall (beginnend mit Parästhesien an der linken Gesichtsbälfter 
und im linken Kleinfinger. Schwindelgefühl; nach Rückkehr der Be¬ 
sinnung Ungeschicklichkeit und schlechtes Gefühl in der linken Hand). 

Am 10. Oktober Aufnahme ins Krankenhaus. Am rechten Scheitel¬ 
bein vier Querfinger breit oberhalb des Ohrmuschelrandes eine 2 cm 
lange verdeckte Hautnarbe, ebendaselbst auf dem Röntgenbilde ein 
2 cm langer, die Tabula externa und interna durchdringender Fremd¬ 
körper, der sich nach Exzision der Hautnarbe ohne Erweiterung der 
Wunde herausziehen lässt und als eine stark verrostete Messerspitze 
darstellt. Hiernach cessierten die Krämpfe. Im Februar 1912 ver¬ 
einzelter schwerer Krampfanfall, von der linken Hand ausgehend. Seit 


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136 BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. Nr. 3. 


Anfang Mai alle 3—4 Wochen analoge Anfalle. Mitte August Antrag 
auf Invalidenrente. Seither ausserdem wiederholt Anfälle von Herz¬ 
beklemmung und Erstickungsgelühl mit Zittern ohne Bewusstseins¬ 
trübung. Letztere Anfälle sind wohl funktioneller Natur. Yortr. empfiehlt 
die Vornahme einer Nachoperation. 

2. Hr. Stärker: 

Gekreuzte Lähmung als Symptomenbild der multiplen Sklerose. 

Es handelt sich um einen 27 jährigen Mann, der 3 Wochen vor 
seiner Aufnahme mit Gefühl von Taubheit und Kälte sowie Schwäche 
im rechten Bein erkrankte; nach 3 Tagen trat dasselbe Gefühl und 
Schwäche im rechten Arm auf, weiterhin Zunahme der Parästhesien 
und der Schwäche. Nach weiteren 8 Tagen Gefühl von Taubheit in der 
linken Gesichts- und Mundhälfte, sowie auf der linken Zuugenbälfte; 
gleichzeitig Erschwerung des Schluckens und Sprechens. Einen Tag vor 
der Aufnahme Verschlimmerung aller Erscheinungen; starke Erschwerung 
des Gehens; taumelte nach vorn und links, ln den letzten 14 Tagen 
gelegentlich Schwindelanfälle; Flimmern vor den Augen, Rasseln und 
Summen im Kopf. Die Gegenstände verschwimmen olt vor den Augen; 
Gelühl von Müdigkeit und Mattigkeit. Keine Blasenbescbwerden. 

Früher angeblich stets gesund; geschlechtliche Infektion wird in 
Abrede gestellt. 

Es fand sich: Beim Blick nach links kommt das linke Auge nicht 
ganz in die Einstellung; ein im Gesichtsfeld weit nach links geführter 
Gegenstand beginnt zu verschwimmen. Beim Blick nach den Seiten 
und oben Nystagmus. Deutliche Facialisparese rechts im Mundast. 
Zunge weicht etwas nach rechts ab. Racheurefiex links <. rechts. Ge¬ 
schmacksstörung auf den vorderen zwei Dritteln der linken Zungenhälfte. 
Parese leichten Grades des rechten Arms; Fingerbewegungen sehr un¬ 
geschickt; Verlangsamung der Bewegungsfolge. 

Spastische Parese des rechten Beins. Reflexe und Tonus rechts > 
links; Fussklonus rechts, ebenso Babinski. Links ebenfalls sehr lebhafte 
Reflexe. Starke Ataxie im rechten Arm und Bein. Cremasterreflex 
fehlt rechts, ebenso Bauchdeckenreflexe; links Bauchdeckenreflex schwach 
und leicht erscböpfbar. 

Gang rechts spastisch-ataktisch; cerebellare Ataxie. Hat Neigung 
nach links und taumelt. 

Gekreuzte Sensibilitätsstörung: linke Gesichtshälfte, Mundschleim¬ 
haut und Zunge; rechts: übrige Körperhälfte, für alle Oberflächen¬ 
qualitäten. • 

Sprache verwaschen, etwas nasal. Lageempfindung und Tasten nicht 
gestört; Pupillen und Augenhintergrund ohne pathologischen Befund. 

Weiterhin bildeten sich die Erscheinungen zunächst zurück bis auf 
ein geringes Maass; auffällig war in der Rückbildung der starke Wechsel 
in der Symptomatologie. 

In den letzten Tagen wieder Verschlimmerung; es treten auch Par¬ 
ästhesien in der rechten Gesichtshälfte auf. Seitdem Wechseln der Sen¬ 
sibilitätsstörung im Gesicht bald rechts, bald links. 

Keine Temperatursteigerungen. 

Die Blut- und Liquoruntersuchung ergab: Wassermann negativ, 
leichte Vermehrung der Zellen im Liquor, leichte Eiweissvermehrung. 
Innere Organe und Urin ohne Besonderheiten. 

Der Vortr. fasst das Leiden als multiple Sklerose auf. Für diese 
Diagnose scheint ihm zu sprechen einmal das jugendliche Alter des 
Patienten, ferner die Abschwächung der Bauchdeckenreflexe und die 
Lebhaftigkeit der Reflexe links, ausserdem die rasche Rückbildung und 
besonders der Wechsel der Symptome in der Rückbildung. 

Ferner das Uebergreifen der Sensibilitätsstörung späterhin auch auf 
die rechte Gesichtshälfte, die einen weiteren Herd in der rechten Brücke 
zur Grundlage haben muss. 

Eine Thrombose oder Blutung glaubt er ausschliessen zu dürfen auf 
Grund des Fehlens irgendwelchen Grundleidens, es besteht kein Vitium 
cordis, keine Nephritis, ebenso sind luetische Gefässveränderungen auf 
Grund des negativen Ausfalls der Wassermann’schen Reaktion auszu- 
schliessen. Entzündliche Vorgänge sind ebenfalls aut Grund des Lumbal¬ 
befundes auszuschliessen. 

Eigenartig ist hier der Beginn des Leidens unter dem Bild eines 
reinen linksseitigen hochsitzenden Ponsherdes. 

3. Hr. Stertz: 

Diplegia spastica als Symptomenbild einer cerebrospinalen Lnes. 

(Eigenartiger Liquorbefund.) 

J. B., 29 Jahre alt, hat vor 6 Jahren eine luetische Affektion durch¬ 
gemacht, wegen welcher er mehrfach spezifisch behandelt wurde. Vor 
8 Monaten erkrankte er mit starken, nachts exacerbierenden Kopf¬ 
schmerzen. 2 Wochen später entwickelte sich ziemlich rasch ohne 
Schmerzen eine Schwäche beider Arme und Beine. Im Laufe weniger 
Wochen war er ganz hilflos, konnte nur den linken Arm etwas bewegen, 
hatte Blasen- und Mastdarmstörungen, ln beiden Armen Parästhesien. 
Auch das Gefühl am Körper sei, wenn auch nicht erheblich, gestört ge¬ 
wesen. Keine psychische Störung. Nach 3 Monaten trat allmählich 
Besserung ein. Befund: Bild der Little’schen Krankheit. Haltung nach 
vorn gebückt, Arme gebeugt und adduziert, Beine etwas nach innen 
rotiert und ebenfalls adduziert. Der Gang ist spastisch-paretisch. 
Paresen mässigen Grades in den Armen, in den Beinen nicht sehr er¬ 
heblich, die spastischen Erscheinungen von wechselnder Stärke. Allent¬ 
halben Steigerung der Sehoenreflexe, beiderseits Babinski. Bauchdecken¬ 
reflexe vorhanden. Faciolingualgebiet nicht beteiligt. Leichte Blasen¬ 
störungen. Störungen der Oberflächensensibilität bestehen nur an der 


Ulnarseite der Unterarme und Hände in Gestalt leichter Abstumpfung. 
Die Lokalisation ist ziemlich gut, die Bewegungsempfindung im kleinen 
Fioger deutlich, sonst nur wenig herabgesetzt. Die Stereognosie ist nicht 
ganz gleichmässig, bei der Demonstration für grobe Formen nicht wesent¬ 
lich gestört. Diese Störung ist in Hinblick auf die leichten Störungen 
der elementaren Empfindungskomponenten und den grob gestörten moto¬ 
rischen Tastakt jetzt ohne Zuhilfenahme einer corticalen Afb-ktion su 
erklären, doch machte diese Unterscheidung im Anfang Schwierigkeiten. 
Bei Zielbewegungen besteht eine leichte Unsicherheit, eine gröbere bei 
allen feinen Fiugerbewegungen. Eine geringfügige, an Athetose etwas 
erinnernde Bewegungsunruhe der Finger ist wohl auf die bestehende 
Ataxie zu beziehen. Sehr deutlich sind Mitbewegungen bei Kraft¬ 
anstrengung der liuken Hand in der rechten. Apraktische Störungen 
fehlen ganz. Seitens der Hirnnerven ist nur eine leichte Herabsetzung 
der Liehtreaktion der Pupillen zu bemerken. Der Liquor cerebrospinalis 
ist schwach gdb gefärbt, zeigt eine geringe Zellvermehrung (14 pro cmm) 
bei euormer Eiweissvermehrung (über 20 Teilstriche nach Nipl-Ess¬ 
bach), Nonne-Apelt positiv. Wassermann schwach positiv, im Blutserum 
deutlich positiv. 

Der gegenwärtige Zustand wird als die Folge einer Myelitis des 
Halsmarks erklärt, die bei dem Fehlen von Muskelatrophien oberhalb 
der motorischen Armkerne ihren Sitz haben müsste. Die gute Resti¬ 
tution der Sensibilität nähert, wie es oft der Fall ist, den späteren Be¬ 
fund dem einer spastischen Spinalparalyse. Die unter Umstäuden erheb¬ 
lichen Schwierigkeiten der Unterscheidung corticaler von mehr peripher 
bedingter Taststörung werden durch den Fall illustriert, da zeitweise 
trotz ziemlich geringfügiger Störung der einfachen Empfindungen eine 
grobe Taststöruug zu konstatieren war. Der eigenartige Liquorbefund 
lässt auf eiue Verklebung der Meningen und Absackung eines spinalen 
Flüssigkeitsanteils schliessen. Er ähnelt sehr dem bei komprimierenden 
Rückeumarkstumoren zuweilen gefundenen. 

4. Hr. Nicolsner: Zar Frage der Spätkatatonie. 

67 jährige Frau, seit dem 11. VIII. 1911 in der städtischen Heil¬ 
anstalt. Keine Heredität. In den letzten Jahren Zunahme der seit 
langer Zeit bestehenden Kopfschmerzen, Arbeitete bis Neujahr 1911, 
fühlte sich dann zu schwach, besorgte noch die Wirtschaft. Im letzten 
Vierteljahr psychische Störungen: Selbstvorwürfe, Klagen über Angst, 
Hitzegefühl, Schlaflosigkeit, nächtliche Unruhe. Gedächtnis angeblich bis 
zuletzt gut. Früher nie geistig krank, soweit bekannt; stets gleich- 
mässiger Stimmung. 

Bei der Aufnahme gut orientiert, lebhafte Selbstanklagen, Klein¬ 
heitsideen, ängstliche Stimmungslage, Unruhe, Fortdrängen. Gedächtnis, 
Merklähigkeit, soweit prüfbar, ohne wesentliche Störungen; körperlich 
periphere Atheromatose. ln der nächsten Zeit wechselnde Erregung, 
einzelne Verkennungen, ängstliche Missdeutungen, entsprechende 
Haliucinationen, später Hess die Unruhe nach, ängstlich-starre Haltung, 
zu den Selbstvorwürfen treten ängstlicb-phantastiche Vorstellungen im 
Sinne nihilistischer Ideen, einzelne hypochondrische Sensationen; ausser¬ 
dem, erst vereinzelt, allmählich immer deutlicher motorische Symptome: 
eintöniges Verbigerieren der gleichen Redensarten, monotones Singen, 
rhythmisches Bewegen der vorgestreckten Zunge von rechts nach lioks. 

Seit Anfang dieses Jahres gänzliches Zurücktreten des Affektes, Ent¬ 
wicklung eines gleichmässigen motorischen Krankheitsbildes: stereotype 
Haltung, Hemmung, ausgeprägter Negativismus, Sperrung, Mutacismus 
bis auf gelegentliches monotones Verbigerieren, einzelne stereotype Be¬ 
wegungen, zeitweise Unsauberkeit. Der Zustand blieb bis jetzt ziemlich 
stabil, nur der Negativismus ist in letzter Zeit mitunter weniger deut¬ 
lich. Erwähnt sei noch, dass seit Monaten die Finger beider Hände 
bis auf den Daumen in Beugekontraktur stehen, sich nicht strecken 
lassen 

Der in seinem Verlauf merkwürdige Fall, der als agitierte Melancholie 
beginnt, um iu ein langes, ausgeprägt katatones Stadium überzugehen, 
lässt sich klinisch schwer einreiben. Er erinnert an die sogenannte Spät¬ 
katatonie, deren Existenz neuerdings von Kraepelin mit Rücksicht auf 
die anatomischen Ergebnisse, aber auch auf den klinischen Verlauf stark 
angezweifelt wurden. Auch dieser Fall ist wohl nicht als echte Katatonie, 
etwa mit depressivem Beginn anzusprechen: die sich über einige Monate 
erstreckende Melancholie kann man nicht als ein depressives Vorstadium 
bezeichnen. Am meisten hat er Aehnlichkeit mit der einen der Gruppen, 
die Kraepelin aus dem Gebiet der präsenilen Psychosen herauszubeben 
sucht, bei der sich depressive Wahnvorstellungen und Angstzustände ent¬ 
wickeln mit allmählichem Nachlass des Affektes, langsamer Verblödung 
mit absonderlichen Haltungen, manierierten oder rhythmischen Bewe¬ 
gungen usw. Während aber bei diesen Fällen, wie Kraepelin gerade 
als unterscheidendes Merkmal von der Katatonie hervorhebt, die kata- 
tonen Züge erst spät und nur in Andeutungen auftreten, nicht den 
Charakter von triebartigen Stereotypien und Negativismus tragen, sind 
es gerade die letzteren beiden Symptome, die unserem Falle das eigen¬ 
artige Gepräge geben, mit den übrigen katatoncn Zeichen durchaus im 
Vordergründe stehen. Gleichwohl werden wir den Fall am ehesten zu 
den präseuilen Verblödungsprozessen rechnen können. 

5. Hr. Chotzen: a) Fall von degenerativem Stnpor. 

42järiger Mann. Io früherem Anfall (publiziert vonKutner, Kata- 
tone Zustandsbilder bei Degenerierten, Allg. Zeitschr. f. Psychiatrie, 
Bd. 67) völlig katatones Bild mit Mutacismus, Negativismus, Stereotypien, 
Nahrungsverweigerung und Unsauberkeit. Heilung nach 1 1 / 2 Jahren. 

Rückfall wieder in Strafhaft; wieder psychogene Auslösung, ganz 


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20. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


137 


monotones stereotypes Krankheitsbild von zehn Monaten Dauer; 
wiederum plötzliohe Heilung in veränderter Umgebung, volle Einsicht 
und angebliche Amnesie für die ganze Krankbeitsdauer und die Zeit der 
Verurteilung, wie damals. Keine geistige Einbusse, keine hysterische 
Stigmata. 

b) Atypische Paralyse oder Laes cerebri ? 

40jährige Frau. Infektion negiert. Von acht Kindern zwei älter, 
die beiden letzten kurz nach der Geburt gestorben. Sonstige Anamnese 
negativ. Längere Zeit vor Ausbruch der Psychose Schwäche und Zittern 
in der linken Hand. Ausbruch mit Depression und Suicidversuch. Dann 
Stupor mit Mutaoismus, Negativismus, Unsauberkeit. Danach stumpf, 
manieriertes Sprechen, gibt keine Auskunft, verschlossen. Langes 
euphorisches Stadium mit anfallsweisen Erregungen, offenbar durch 
Hallucinationen bedingt, aber auch eintöniges, anhaltendes Schreien. 
Dabei Krankheitsgefühl, Verständnis für Situation, Orientierung, schlechte 
Urteils* und Kritikleistungen, aber Gedächtnis* und Merkfähigkeit noch 
gut, weiterhin Wechsel zwischen stumpfen, läppisoh-eupboriscben, ge¬ 
reizt-depressiven und leidlich geordoeten Phasen. Wird aber zusehend 
stumpfer. Ist häufig unsauber. Jetzt ganz apathisch, sehr dement, 
kritiklos. Auffallend die noch leidliche Orientierung, ebenso Gedächtnis¬ 
leistungen und eine gute, allerdings rasch erlahmende Aufmerksamkeit. 
Immer noch verschlossen bzgl. psychotischer Erlebnisse. Niemals Verände¬ 
rungen des Persönlichkeitsbewusstseins. 

Körperlich zu Beginn: Träge Reaktion der Pupillen auf links, 
Tremor und fibrilläre Zuckungen der Zunge. Kniegelenke schlaff. Patellar- 
reflex nicht auszulösen. In linker Hand und Fuss vereinzelte Muskel- 
zuckungen. Später zunehmende Ataxie, Intentionstremor, auch in der 
Rübe grobschlägiger Tremor der linken Extremitäten, der bei allen Be¬ 
wegungen zunimmt; desgleichen Zunge, auch choreiforme Zuckungen in 
der ganzen linken Seite. Nach einigen Monaten auch zuuehmende 
motorische Schwäche links. Starker Sprachtremor und verschliffene 
Sprache. Tonus der Gelenke schwankt. Patellarreflex bald auszulösen, 
bald nicht Abblassung der Sehnervenpapille links total, rechts tempo¬ 
ral. Jetzt alle linksseitigen Erscheinungen sehr hochgradig; jetzt auch 
Störungen der Tiefenempfindung und Tastlähmung; sonstige Sensibili¬ 
täten ohne grobe Störung. Rechts jetzt auch, aber viel geringere 
motorische Schwäche, auch einzelne Zuckungen und geringe Ataxie. 
Corneal-, Rachen- und Bauchdeckenreflex -f-, Pateltarreflex sehr schwer 
auslösbar, aber +. Achillessehnenreflex —. Babinski —. Kein 
Nystagmus, gelegentlich vorübergehender Strabismus. Sonstige Hirn- 
nerven frei. 

Lympbocytose, Eiweissvermehrung, Nonne - Apelt im Liquor 
cerebralis -f-. Wassermann im Blut -f-, im Liquor früher —, jetzt -+*. 

Auffallend die langdauernde und noch jetzt vorwiegende Halbseitig- 
keit der Erscheinungen, aber doch auch rechtsseitige. Vermutlich diffuser 
Prozess. Angenommen wird eine Gefässerkrankung auf luetischer Basis. 
Für Paralyse ist neben dem psychischen Bilde auffällig die Konstanz 
der Herdsymptome, das Fehlen aller insultartiger Erscheinungen, Fehlen 
von Silbenstolpern; aber doch viele Erscheinungen ganz wie bei Paralyse 
nnd ziemlich rasche Progredienz. Wassermann jetzt auch im Liquor -f-. 
Vielleicht Kombination zwischen luetischer Erkrankung und Paralyse. 
Andere Kombinationen werden ausgeschlossen. (Eigenberichte.) 

Verein der Aerzte Wiesbadens, 

(Offizielles Protokoll.) 

Wissenschaftliche Sitzung vom 13. November 1912. 

Vorsitzender: Herr R. Schütz. 

1. Hr. Waizeidorff: 

flisUristke Beaerkugei n dem Vortrage des Herrn PHf über den 
Gebirtenrnekgang. 

(Zu kurzem Referat nicht geeignet.) 

Hr. 2. Lngeibikl: 

Praktische Ergebnisse der neierei Forschungen über Sftaglings- 
ernährnng nnd Ernfthrnngsstdrmgen. 

Referat über die Finkelstein’schen Anschauungen und Versuch, 
die Therapie der einzelnen Phasen der Ernährungsstörung in grossen 
Zügen aus den vorgetragenen theoretischen Erkenntnissen berzuleiten. 

Sitzung vom 4. Dezember 1912. 

Vorsitzender: Herr G. Meyer. 

1. Hr. Herxheimer*. Pathologisch-anatomische Demonstrationen. 

Vortr. demonstriert: a) Zwei Fälle von sogenannter Reck- 
linghausen’scher Krankheit (multiple Fibromata nervorum). 
Io dem ersten Falle betrafen die unzähligen Tumoren vor allem die grossen 
Nerven (der Fall wurde schon früher demonstriert). In dem jüngst 
sezierten gingen dieselben hauptsächlich von den Hautnerven, nur ver¬ 
einzelt von den grossen Nerven aus. In beiden Fällen führten Sarkome 
das Ende herbei. Ein solches bestand in dem ersten Falle im Bereich 
des Nervus peronaeus; in dem zweiten Falle ging dasselbe von dem 
Plexus lumbalis aus und hatte sich besonders in dem Becken zu einem 
kindskopfgrossen Tumor entwickelt Ueber die Geschichte und Auffassung 
dieser Tumoren berichtet der Vortragende. Entgegen seiner kurzen 
rüheren Bemerkung nach vorläufiger Untersuchung hält er das die Tu¬ 


moren in dem ersten Falle konstituierende Gewebe nicht mit Verocay 
für einen Abkömmling der Schwann’schen Scheidenzellen, sondern für 
einen solchen des Endoneureums bzw. Perineureums, also entsprechend 
der alten Auffassung für bindegewebiger Natur. Erst recht in dem 
zweiten Falle traf dies auch zu. Ganz in Uebereinstimmung mit 
Verocay hält aber Vortr. die Gebilde für die Folgen einer kombinierten 
Entwicklungsstörung, spricht sie also für Hamartome im Sinne Alb rechtes 
bzw. Hamartoblastome an. Nachdem im Rahmen dieser kombinierten 
Entwicklungsstörung auch auf das Nebennierenmark die Aufmerksamkeit 
gelenkt war, hat Vortr. im zweiten Falle das Gebiet des Sympathicus 
untersucht und auch an ihm mit der Gesamtkrankheit auf eine Linie zu 
stellende Veränderungen gefunden. 

b) Ein Neuroblastoma sympathicosum der Nebenniere 
eines mehrwöchigen Kindes mit ausgedehnten Metastasen in der 
Leber. Die den Tumor bildenden Zellen könnten bei oberflächlicher 
Betrachtung als Sarkomzellen imponieren. Genauere Beobachtung zeigt 
aber einmal typische Rosettenformen, andererseits ganz feine Fibrillen, 
teils in Form eines Maschen Werkes, teils parallel gefasert. Diese konnten 
zum grossen Teile mit der Bielschowsky-Methode als Neurofibrillen be¬ 
wiesen werden, eine Beweisführung, die in der Nebenniere wohl zum 
ersten Male sicher geglückt ist. Es handelt sich hier also um von 
Sympathicu9bildungszellen ausgehende maligne Tumoren, deren Diffe¬ 
renzierung bis zu Neurofibrillen zu verfolgen ist, während chromaffine 
Zellen fehlen, nicht etwa um Blastome von der Glia ausgehend, so dass 
die Auffassung Pick-Bielschowsky’s, Landau’s usw. sicher zu Recht 
besteht. Diese Tumoren finden sich nur kongenital bzw. bei kleinen Kindern 
und sind im höchsten Grade malign. Dass es sich in der Leber um Me¬ 
tastasen und nicht, wie von anderen Seiten vermutet wurde, um multiple 
primäre Geschwülste handelt, ist daraus zu erscbliessen, dass die 
Differenzierung des Tumors zu Nervenfibrillen in der Leber weit weniger 
weit wie in der Nebenniere vor sich gegangen ist, also die Tumorknoten 
der Leber offenbar jüngeren Datums sind. 

2. Hr. Weintraud stellt einen 26 jährigen Schuhmacher vor, der 
Bluter ist und seit seiner Kindheit an den noltiplen Gelenk affektionen 
leidet, zu deren Behandlung er nach Wiesbaden geschickt worden ist. 
Die Gelenkschwelluogen treten ganz spontan oder nach relativ geringen 
körperlichen Anstrengungen auf; so in den Knien schon nach einem 
kurzen Spaziergange, im Handgelenk nach einem ungeschickten Griff mit 
der Hand. Die Gelenkgegend ist daun rundlich aufgetrieben und fühlt 
sich heiss an, oft ist sie auch bläulich verfärbt. Die Schwellung geht 
nach wenigen Tagen zurück. Chronische Verdickungen der Gelenkkapseln 
sind aber bereits an vielen Gelenken zustande gekommen und bedingen 
eine Einschränkung der Beweglichkeit. Bei seiner Ankunft hatte der 
Kranke auch ein subcutanes Hämatom am Daumen. Er leidet ausserdem 
seit seiner Kindheit oft an Nasenbluten, ln der Familie sind mehrere 
Fälle von Hämophilie vorgekommen. Die Kenntnis des Krankheitsbildes, 
das in vieler Beziehung dem gewöhnlichen chronischen Gelenkrheuma¬ 
tismus gleicht, ist wichtig, damit man die Badekur nicht mit anderen, 
.hier wenig angebrachten physikalischen Maassnahmen, wie Massage und 
Gymnastik, kombiniert. 

Der zweite Fall ist ein 52jähriger Töpfer, bei dem sich vor zwei 
Jahren an der linken und vor einem halben Jahr auch an der rechten 
Hand eine ganz isolierte Lähnang bsw. ein Schwand des Masealas 
extensor pollicis longa« eingestellt hat. Der Mann kann alle Bewe¬ 
gungen mit der Hand und den Fingern ausführen, er zeigt darin sogar 
eine grosse Geschicklichkeit, nur ist er ausser stände, die Endphalanx 
der Daumen zu strecken. Er ist dadurch in seinem Beruf, bei dem er 
die Daumen beständig braucht, ganz unfähig. Die maximale Extension 
des Daumens ist für den Töpfer die Ausgangsstellung für jeden einzelnen 
Handgriff. Sie ist daher die Bewegung, die am häufigsten gemacht wird. 
Es handelt sich um eine bisher noch nicht beschriebene professionelle 
Lähmung, entsprechend der Trommlerlähmung, der Feilenhauer¬ 
lähmung usw. Dabei ist aber hervorzubeben, dass der Mann immer nur 
als Former tätig war und nie Glasuren gemacht hat, bei denen er mit 
Blei hätte in Berührung kommen müssen. Auch sind die Muskeln, die 
sonst bei der Bleilähmung befallen werden, ganz intakt; nur der Extensor 
pollicis longus fällt bei der elektrischen Untersuchung vollkommen aus. 

Diskussion. 

Hr. Stein: Die bei dem Patienten bestehende Lähmung der Ex¬ 
tensoren an beiden Daumen wird wohl durch Bäder und sonstige konser¬ 
vative Methoden therapeutisch nicht mit Erfolg zu beeinflussen sein. Es 
wird aber zweifellos möglich sein, durch eine Sehneoplastik die aktive 
Streckfäbigkeit der Daumenendglieder wieder völlig herzustellen. Es 
kommt dabei entweder eine aufsteigende oder eine absteigende Plastik 
in Betracht, d. h. entweder kann die Sehne des Extensors des Daumens 
im unteren Drittel des Unterarms aufgesucht und an einen der anderen 
Fingerstrecker, welche ja sämtlich normal sind, angehängt werden, oder 
aber es kann vou einem der normalen Extensoren ein Stück abgespalten 
und auf die gelähmte Strecksehne aufgepflanzt werden. 

3. Hr. Hezel: Ueber KleinhirnbriUkenwiukeltimoren. 

Vortr. bespricht im Anschluss an einen früher von ihm vorgestellten 
Fall die im Kleinhirnbrückenwinkel vorkommenden Neubildungen und 
erläutert deren Symptomatologie, besonders unter dem Gesichtspunkte 
der diagnostischen und differentialdiagnostischen Bedeutung derselben. 
In letzterer Hinsicht weist er auch auf die Möglichkeit hin, dass luetische 
Hirnerkrankungen den Symptomenkomplex des Kleinhirnbrückenwinkel- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 3. 


tumors erzeugen können, wie ein von Nonne auf der diesjährigen Ver¬ 
sammlung der Gesellschaft deutscher Nervenärzte vorgestellter Fall ge¬ 
zeigt hat. 

4. Hr. Haymaoo demonstriert: a) Raptara titae bei 41 jähriger 
Krau, kompliziert durch grossen Bauchbruch in der Operationsnarbe 
einer vor 20 Jahren vorgenommenen Ovariotomie. Letzte rechtzeitige 
Periode Ende August, im September um acht Tage verspätet eingetreten, 
seitdem Blutungen mit kurzen Unterbrechungen bis zum Untersuchungs¬ 
tage (8. November). Seit 14 Tagen unstillbares Erbrechen. 

Im Bauchbruch grosse adhärente Netzpartien zu tasten, die klein¬ 
fingerdicke Venenthromben bläulich durch die Haut durchscheinen lassen. 
Wegen grosser Empfindlichkeit bimanuelles Tasten unmöglich. 

Operation des Bauchbruches mit Resektion des fest adhärenten, zu 
einem dicken Knäuel aufgerollten Netzes inklusive Venenthromben (nach 
Graser-Gersuny). 

In der Bauchhöhle etwa l 1 /* I flüssiges, zum Teil coaguliertes Blut. 
Gut erhaltener Foetus von zwei Monaten. 

Das gute Aussehen der Patientin, die ländlich gebräunten Teint 
besass, hatte nur die Wahrscheinlichkeit einer Extrauteringravidität stellen 
lassen, die sich besonders auf verspätetes Eintreten der Menses und 
darauffolgende Metrorrhagie gründet. 

b) Dagegen konnte mit Sicherheit die Diagnose Haematona taiae 
ein. e gravidit. eitraaterin. gestellt werden bei einer 82 jähriger Opara, 
seit zwei Jahren steril verheiratet, bei der die letzte Periode statt am 
27. Oktober erst am 8. November eintrat; von da ab unter Schmerzen 
geringe Blutungen. Die deutliche Grössenzunahme der linken Tube vom 

5. bis 15. November Hess keinen Zweifel an der Ausbildung einer links¬ 
seitigen Tubengravidität, die bei der Operation am 16. November be¬ 
stätigt wurde. Sehr wenig Blut in der Bauchhöhle, dagegen kleinfinger¬ 
langes und dickes Hämatom, in dem mikroskopisch fötale Bestandteile 
gesichert wurden. 

Io beiden Fällen glatte Genesung in zehn Tagen. 

c) 55jährige Patientin mit irregalürea Blutuagen bei Myonatosis 

nteri. Vor einer Röntgenbehandlung sollte die Benignität durch Probe¬ 
abrasio gesichert werden. Dieselbe ergab hoch oben im Fundus das 
Tastgefühl eines vorspringenden Myomknollens, im übrigen nichts Malignes. 
Nach der Abrasio vermehrte Blutung. Deshalb Totalexstirpation des 
kopfgrossen, mit grossen und kleinen Myomen durchsetzten Uterus per 
vaginam. Im aufgeschnittenen Uterus zeigt sich in der linken Tuben¬ 
ecke ein submucöser Polyp, den die Curette getastet hatte, der aber 
als vorspringender Knoten eines intramuralen Myoms gedeutet wurde. 
Nach sehr mühsamer, über zweistündiger Operation glatte Rekonvaleszenz; 
schon am Tage nach der Operation befindet sich Patientin wie eine ge¬ 
sunde Wöchnerin. G. Herxheimer. 


Aerztücher Verein zn Hamburg. 

Sitzung vom 8. Dezember 1912. 

Demonstrationen. 

1. Hr. Reinkilg demonstriert zwei Patienten, bei welchen er nach 
einer früher von ihm angegebenen Methode (Brückenplastik) Fisteln 
nach Ohroperation mit kosmetisch vorzüglichem Resultat geschlossen hat 

2. Hr. Saenger: a) 32 jährige Patientin mit tiewohnheitslähmnng 
des rechten Facialis, entstanden nach Ohroperation im zweiten Lebens¬ 
jahre. Bei der elektrischen Untersuchung fiel auf, dass die Muskeln der 
gelähmten Gesichtshäfte auf galvanischen und faradischen Strom reagierten. 
Nach dreiwöchiger elektrischer Behandlung jetzt schon sehr wesentliche 
Besserung. 

b) 50 jährigen Herrn mit Forme froste von Hypothyreoidismus. 
Pat. war seit zwei Jahren an epileptiformen Anfällen, Photopsie, Kopf¬ 
schmerzen, psychischer Stumpfheit erkrankt; Nervensystem bot völlig 
normalen Befund, Schilddrüse nicht nachzuweisen. Haut des Nackens 
zeigt umschriebene Trockenheit und Härte. Nach kurzer Schilddrüsen- 
bebandlung bedeutende Besserung. Hinweis auf die Wichtigkeit der Er¬ 
kennung solcher Fälle. 

8. Hr. Kellner zeigt einen schwachsinnigen Jungen, einen typischen 
Mongoloiden, der trotz Herzschwäche eine Diphtherie mit Stenosiernng 
nnd Tracheotomie glücklich überstanden hat und spricht über die bei 
Schwachsinnigen überhaupt herabgesetzte Widerstandskraft. Die Sterb¬ 
lichkeit der Schwachsinnigen (in den Alsterdorfer Anstalten) ist fast 
sechsmal so gross als die in Hamburg; vor allem sterben viele an Tuber¬ 
kulose, Masern und Keuchhusten. 

4. Hr. Kümmell zeigt eine Reihe von Patienten, die er, teilweise 
vor langen Jahren, wegen genuiflor, traumatischer bzw. Tnmorepilepsie 
operiert hat. Es wurden eine Reihe von Methoden verwendet, um die 
durch späterhin auftretende Verwachsungen bedingten postoperativen 
Schädigungen möglichst zu vermeiden: Feltimplantation nach Rehnjun., 
Heteroplastik mit Celluloidplatte, mit Condom u. a. Unterstützt wird 
die chirurgische Behandlung der genuinen und Jackson-Epilepsie durch 
kochsalzarme Diät und Bromverabreichung, am besten in Form des 
Sedobrol (Roche). Insgesamt ergaben sieb 10 pCt. Heilung und etwa 
10 pCt. dauernde Besserung. 

5. HHr. Franke und Haeniscb: Röutgenbilder eines Falles von 
Schass in die Orbita. Die Kugel hatte im Röntgenbild bei verschiedener 
Kopflage und Blickrichtung ihren Sitz gewechselt. Enucleation des 


Bulbus ergab, dass die Kugel nicht im Bulbus, sondern in der Orbita 
lag. Besprechung der verschiedenen röntgenologischen Verfahren, um 
Fremdkörper der Augenhöhle in ihrer Lage zum Bulbus zu lokalisieren. 

6. Hr. Calmann bespricht das wechselnde Krankbeitsbild einer 
32 jährigen II para, bei der vom Hausarzt künstliche Frübgebart ein¬ 
geleitet worden war; hierbei entstand unter plötzlichem Collaps eine 
Uterisroptor; zwei Tage später kam Pat. wegen Darmlähmung in die 
C.’sche Klinik. Bei Operation fand sich 5 cm langer Querriss im Uterus, 
eitrige Peritonitis; Drainage, Spülung, Dünndarmfistel. Später Vereite¬ 
rung der Fistel, Darmprolaps, hohe Dünndarmfistel infolge Perforation 
der Darmwand, Inanitionserscheinungen. Am 17. Tage Versuch, die 
Fistel zu schliessen, dabei Eiter in beiden Beckenhälfteo vorgefunden, 
schwere Peritonitis, aus der wieder aufgeplatzten Wunde prolabierte das 
Fimbrienende der Tube. Diese wurde später exzidiert, auf der anderen 
Seite reseziert. Völlige Heilung. 

7. Hr. WiehHaoa demonstriert eine grosse Reihe von Kranken, bei 
welchen durch äasserliche Bebaidltag Hit Mesothtriam vorzügliche 
Resultate erzielt wurden: Drei Fälle von Lupus vulgaris, je ein skrofu¬ 
löses Ekzem, Lupus erythematodes der Wangen, Ulcus rodens der Stirn; 
inoperabler cavernöser Tumor der Wange, Knochencaries bei Kindern; 
ein tiefgreifendes Garcinom der Ohrgegend, ein Carcinom der Orbital¬ 
region u. a. m. Bei der internen Verwendung von Thorium ist darauf 
zu achten, dass das Präparat frei von Radiothorium ist; eine Dosierung 
in Mache-Einheiten ist durchaus unzuverlässig. 

Hr. KühhcII: Nachruf auf Polizeiarzt Dr. Carl Lang. 

Vortrag des Herrn Deaeke: Die syphilitische Aerteierkraakaag. 

Die Zahl der an Spätfolgen der Lues Erkrankten ist eine ungeheure! 
Nach der Statistik der Gothaer Lebensversicherungsgesellschaft haben 
Syphilitiker eine „Uebersterblicbkeit“ von 68 pCt. Ira Krankenhause 
St. Georg wurde 1909/1911 bei 54 Fällen eine syphilitische Aorten¬ 
erkrankung als Todesursache nachgewiesen gegenüber 29 Todesfällen in¬ 
folge anderer Luesspätfolgen. Insgesamt wurden in Krankenhaus und 
Privatpraxis in den letzten vier Jahren 173 Fälle syphilitischer Aorten¬ 
erkrankung von Deneke beobachtet; auf dieses Material stützen sich 
die folgenden Darlegungen. 

Unter den 173 Fällen befanden sich 148 Männer (77 von ihnen 
gaben Infektion zu) und 24 Frauen (nur 2 gaben Infektion zu); einmal 
bestand hereditäre Lues. Erschwerend für die Anamnese ist der meist 
grosse Zeitabstand zwischen Infektion und Auftreten subjektiver Krank¬ 
heitszeichen: Minimum 5 Jahre, Maximum 44 Jahre, Durschschnitt 
20 Jahre. 

Wassermannreaktion wurde bei 164 Fällen ausgeführt, davon waren 
142 = 87 pCt. positiv, 6 mal ergab sich ein fraglicher, 16 mal negativer 
Ausfall; 13 der letzten Fälle waren schon mit Hg behandelt worden. 
In den letzten Jahren wurde — bei verfeinerter Technik — kaum mehr 
ein negativer Ausfall beobachtet. Neben Syphilis spielen Alkohol, 
Tabak, Beruf keine ausschlaggebende Rolle. Das Alter der Erkrankten 
spricht meist schon gegen Arteriosklerose (im Durchschnitt 43. bis 
45. Lebensjahr). 

Nach Besprechung der pathologischen Anatomie geht Vortr. auf die 
Symptome ein, die im Beginn sehr unbestimmt sein können: Herz¬ 
beschwerden bei blasser Gesichtsfarbe mit leicht gelblichem Hauch 
müssen neben der Anamnese die Aufmerksamkeit darauf lenken. In 
ausgeprägten Fällen lassen sich drei Gruppen unterscheiden: a) bei 
Coronarsklerose: Angina pectorisartige Anfälle (19 Fälle); oft Mors 
subitanea. b) Aorteninsuffizienz (78 Fälle + 46 Fälle von Aorten¬ 
insuffizienz + Aneurysma). Gegen polyarthitische Aorteninsuffizienz ist 
im einzelnen Fall zu verwerten: positiver Wassermann, blasse Haut¬ 
farbe; Celerität des Pulses, Doppelton und diastolisches Geräusch weniger 
ausgesprochen, der systolische Druck meist nicht erhöht, c) Aneurysmen 
im engeren Sinne (19 Fälle) mit den bekannten Symptomen. 

Von Komplikationen ist Tabes am häufigsten; unter 153 darauf¬ 
hin genau untersuchten Fällen hatten 63 = 40 pCt. Tabes, 17 weitere 
Fälle waren tabesverdächtig. 

Der Verlauf ist abhängig von der Schädigung der Kreislauforgane, 
von der Malignität der Irischen Infektion und der Art der Behandlung; 
meist erfolgt schon */*—I Jahr nach Beginn der subjektiven Beschwerden 
der Tod (an anderweitigen Lueskomplikationen, an Tuberkulose, In¬ 
fektionskrankheiten, durch Ruptur eines Aneurysmas, im stenocardisohen 
Anfall). 

Die Prognose ist dauernd eine sehr trübe: von 140 bis 1. Januar 
1912 in Behandlung gekommenen Fällen sind jetzt schon zwei Drittel 
gestorben. 

Therapie: Nur energische, nachhaltige, eventuell wiederholte anti- 
luetische, wenn möglich bis zum Versohwinden der Wassermannreaktion 
fortgesetzte Kur (Schmierkur, Ricord’sche Pillen, Zittmann-Dekokt) kann 
nützen; Rückfälle lassen sich dann aber auch besser vermeiden als bei 
Myocarditis. Salvarsan (bei nicht allzu schwer Kranken) hatte häufig 
günstigen Erfolg. Je frühzeitiger die syphilitische Aortitis er¬ 
kannt wird, um so günstiger ist der Erfolg der Behandlung! 

(Biologische Abteilung.) 

Sitzung vom 10. Dezember 1912. 

1. Hr. Sehamu: 

Die Untersaehaig der Spiaalflüssigkeit aaf Aetfaylalkohol. 

Vortr. hat früher bereits, gemeinsam mit Herrn Schottmüller, 
über Nachweis von Alkohol in der Spinalflüssigkeit von Alkoholikern be- 


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UNIVERSUM OF IOWA 






20. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


139 


richtet; er empfiehlt jetzt zum Nachweis der meist sehr geringen Alkohol¬ 
mengen eine von ihm angegebene Modifikation der Taylor - Buchheim- 
schen Methode; damit lässt sich Alkohol noch in Verdünnung bis 1: 50 000 
durch den oharakt Acetaldehydgeruch nachweisen; also noch 2 /s bis 
Vs mg Alkohol in 10 ccm Spinalfiüssigkeit. Gleichzeitige Anwesenheit 
von Aceton im Liquor kann stören. 

2. Hr. Simmwndfl: Zar Pathologie der Hypepkysls. 

Die physiologischen Untersuchungen von Schaeffer haben ergeben, 
dass Reizung der Pars intermedia der Hypophyse starke Diurese, einen 
Diabetes insipidus auslöst. Vortr. beobachtete folgenden Fall: eine 
Frau wurde im Juni 1912 wegen Mammacarcinoms im Krankenhaus 
St. Georg operiert Damals war der Urin völlig normal, durchschnitt¬ 
lich 1500 ccm mit 1014 spezifischem Gewicht. Zweieinhalb Monate 
später wurde die Frau mit Recidiven und zahlreichen Metastasen wieder 
aufgenommen; sie gab an, seit 14 Tagen sei eine sehr starke Harnflut 
eiogetreten; im Krankenhaus war die Tagesmenge 11—14—18 Liter bei 
spezifischem Gewicht von 1001. Kein Eiweiss, kein Zucker. Bei der 
Obduktion fand Vortr.: Carcinommetastasen in Pleura und Leber; 
die Nieren normal, ebenso Grosshirn, Kleinhirn und Medulla. Die 
Gegend der Hypophyse erschien äusserlich ebenfalls unverändert; im 
Läogsschnitt zeigte sich aber, dass die über alle Wirbelkörper zer¬ 
streuten Metastasen auch in der Sella turcioa sich eingenistet hatten 
und, diese durch wachsend, auf die Hypophyse von hintenher übergegangen 
waren. Die Neurobypophyse war gänzlich von Carcinom zerstört, da¬ 
gegen die Pars intermedia intakt, genau an letzterer hatte der Zer- 
störuugsprozess Halt gemacht. Vortr. glaubt daher annehmen zu 
dürfen, dass auf diese Weise ein Reiz auf die Pars intermedia ausgeübt 
und hierdurch die Erscheinungen des Diabetes insipidus ausgelöst wurden 
— man wird also künftig in allen Fällen von Diabetes insipidus die 
Hypophyse einer genauen, auch mikroskopischen Untersuchung zu unter¬ 
ziehen haben. 

Diskussion. 

Hr. Unna: Der Ausdruck „Reizung“ ist ein vager Begriff, unter 
dem man sich anatomisch nichts vorstellen kann. Aus dem Befund des 
Herrn S. könnte man vielleicht eher schliessen, dass von der Neuro- 
hypophyse normaliter eine Hemmung der Polyurie ausgelöst wird, die 
nach Zerstörung der Neurobypophyse wegfällt. 

Hr. Trömner fragt, wie der Blutdruck in Herrn L.’sFall sich ver¬ 
hielt, da derselbe von manchen ebenfalls mit der Pars intermedia in 
Zusammen hang gebracht wird. 

Hr. S im monds: Der Blutdruck war nicht wesentlich erhöht; Diuresen 
von 19 Liter pro die können auch niemals durch einfache Blutdruck¬ 
steigerung bedingt sein. 

3. Hr. L. Brauer: Beobachtungen bei extrapleuraler Thorakoplastik. 

Prinzipiell zu trennen sind die einzelnen Formen der Thorakoplastik: 
die alte Schede’sche Plastik bei alten Empyemen bezweckt, eine Höhle 
zu schliessen und die Lunge zur Ausdehnung und Funktion zu bringen. 
Im Gegensatz dazu soll bei tuberkulösen Lungenerkrankungen die Lunge, 
ohne Eröffnung der Pleura, ausser Funktion gesetzt werden. Bei dieser 
extrapleuralen Plastik ergeben sieb zwei Gesichtspunkte: 1. es soll der 
Schrumpfung der Lunge entgegengewirkt werden; 2. es soll, wo ein 
Pneumothorax nicht möglich ist, die Lunge trotzdem zum Collaps ge¬ 
bracht werden. 

An Hand von fünf vorgestellten Fällen bespricht Vortr. die verschiedenen 
hierbei sich ergebenden theoretischen und praktischen Fragen: die Me- 
diastinalVerdrängung, das Mediastinalflattern, das in mehreren Fällen 
ausserordentlich deutliche pelottenartige Einsinken des Schulterblaties. 
An Röntgenbildern eines von Herrn Oeblecker kürzlich beobachteten 
Falles von spontanem Hämopneumothorax wird die Ueberblähung des 
Mediastinum illustriert. 

Di skussion. 

Hr. Ringel: Auffallend stark ist die in Herrn B rau er’s Fällen 
erzielte Eindellung der Scapula; dies gelang bisher noch nicht in 
diesem Maasse. 

Hr. Rothfucbs fragt, ob bei der Thorakoplastik das Periost zu¬ 
rückgelassen wird. Lenhartz hatte seinerzeit erklärt, er nähme das 
Periost mit weg. 

Hr. Brauer (Schlusswort): Ueber den unteren Thoraxabschnitten 
bat er das Periost auch vielfach mit weggenommen, über den oberen 
lässt man es besser stehen. Soll die Eindellung der Scapula eine be¬ 
deutende werden, so müssen die Rippen möglichst nahe der Wirbel¬ 
säule abgekniffen werden. _ C. Hegler. 

Medizinische Gesellschaft zu Kiel. 

Sitzung vom 5. Dezember 1912. 

Hr. Käppis berichtet an der Hand der Nieren Operationen der 
chirurgischen Klinik über die Erfahrungen mit seiner Methode der 
Leitaigsaaästhesie. Danach ist das Verfahren relativ einfach, sicher 
im Erfolg und ungefährlich für den Kranken; auch die Einspritzung 
selbst kann bei sofortiger Ausführung nicht als besonders unangenehm 
bezeichnet werden. 

Diskussion: HHr. Bauereisen, Anschütz, Stoeckel, Käppis. 

Hr. Laares; 

Bin aeae Methode der iatraperitoaealea Verkttrzaag der Ligaaieata 
rotaada. 

(Erscheint ausführlich im Centralblatt für Gynäkologie, 1912, H. 1.) 


Dreiteilung des Ligamentum rotundum durch Anlegen von zwei 
stumpfen Klemmen. Die dem Uterus näherliegende Klemme wird in die 
Gegend des inneren Leistenringes geführt und die Ligamentschleife hier 
zur Vermeidung etwaiger Gefässverletzungen etwas oben und lateralwärts 
von dem durch den Leistenring austretenden Bande an der tiefen Bauch- 
deckenfascie durch Seidenknopfnaht fixiert. Die andere Klemme wird 
mit ihrer Ligamentschleife auf die Vorderfläche des Uterus gebracht und 
das Band hier an der Abgangsstelle des Ligamentum rotundum vom 
Uterus aogenäht. Dadurch werden aus dem einfachen Bande drei 
parallel nebeneinander verlaufende Schenkel gebildet, die zum Schluss 
durch einen fortlaufenden Catgutfaden vereinigt werden. 

Die Vorteile der neuen Methode sind die Einfachheit der Technik, 
Verstärkung (Verdreifachung) der Bänder in ihrem ganzen intraabdomi¬ 
nalen Verlauf und feste Fixatiou an der Bauchfascie und an physio¬ 
logischer Stelle. 

Bisher sind sieben Fälle wegen fixierter Retroflexio nach dieser 
Methode operiert worden und in zwei Fällen mit einseitigen Ovariotomien 
wurde auf der gesunden Seite als Gegengewicht gegen den Narbenzug 
des Adnexstumpfes auf diese Weise das Band verkürzt. Die Resultate 
sind bisher gut. 

Diskussion: Hr. Stoeckel. 

Hr. Höher: Der Zustand der Salze im Iaiern von Zellen. 

Vortr. demonstriert, dass die elektrischen Schwingungen, welche von 
einer Poulsfen-Lampe aus in einem auf Resonanz eingestellteu Sekundär¬ 
kreis angeregt sind, gedämpft werden, wenn in die Spule des Sekundär- 
kreises Blutkörperchen gebracht werden. Die Dämpfungsgrösse ist ein 
Maass der im Innern der intakten Blutkörperchen vorhandenen elektro¬ 
lytischen Leitfähigkeit. Vortr. erörtert ferner Methoden, mit Hife deren 
sich die innere Leitfähigkeit an kleinen Zellmengen, wie z. B. kleinen 
Quanta von Muskeln, bestimmen lässt. Endlich wird die Anwendbarkeit 
der Methoden zur Lösung physiologischer und pathologischer Fragen 
(Genese der bioelektrisohen Ströme, regulativer Salzimport, Befruchtung, 
Erkrankung von Zellen) besprochen. 

Diskussion: HHr. Schlecht, Bauereisen. 

Hr. Wagner-. Paratyphnsbakteriea im Limbalpnnktat. 

Vortr. berichtet über einen Fall, in dem im hiesigen Untersuchungs¬ 
amt aus einem Lumbalpunktat Paratyphus B-Bacillen gezüchtet wurden. 
Es handelte sich um einen 20 jährigen Mann, der unter meningitischen 
Erscheinungen erkrankte. Klinisch Verdacht auf Tuberkulose oder 
Meningokokkenmeningitis. Die diesbezügliche Untersuchung war erfolg¬ 
los, während etwa ein Dutzend einwandfreier Paratyphus B-Kolonien ge¬ 
züchtet wurden. Der Patient kam zur Genesung, ohne dass abdominelle 
Erscheinungen aufgetreten wären. 


Aerztllcher Bezirksverein zu Zittau. 

Krankenhausabend vom 5. Dezember 1912. 

Vorsitzender: Herr Körner. 

Schriftführer: Herr Klieneberger. 

1. Hr. Dreyzehner (Demonstrationen): a) Patient, der sich in 
selbstmörderischer Absicht vier Schüsse aus einem 6 mm Revolver in 
den Schädel beigebracht hatte; davon drei nicht, einer ins rechte Stirn¬ 
hirn penetrierend: Einschuss nahe dem inneren Ende des rechten Augen¬ 
brauenbogens. Behandlung abwartend, am zweiten Tage Ausfluss von 
Hirnbrei aus dem Einschuss, deshalb Erweiterung desselben. Fieber¬ 
freier Verlauf, aber nach 5 Wochen nooh feine Fistel, deshalb Operation 
und Entfernung von 8 Knochensplittern verschiedener Grösse und des 
6,5 cm hinter der Stirn, in der Gegend der Ala minor dextr. ossis 
sphenoid. im Stirnhirn gelegenen stark deformierten Geschosses. Itn 
ganzen Verlauf keine Hirn- und Nervenerscheinungen, nur in den ersten 
Tagen grosse Unruhe. 

b) Patient, der wegen eines in den weichen Gaumen und die seit¬ 
liche Pharynxwand gewucherten Ruidzellensarkoms der Haken Maudel 
operiert worden ist. Wegen nächtlicher Erstickungsanfälle zunächst 
Tracheotomie; 4 Tage später Spaltung des Mundes und Durchsägung 
des Unterkiefers vor dem Masseteransatz nach v. Langenbeck. Exstir¬ 
pation des Tumors mit dem grössten Teile des weichen Gaumens, der 
seitlichen Pharynxwand usw. Mobilisation der Rachenschleimhaut, Naht 
derselben unter Heranziehen des Zungengrundes, Knochennaht des 
Unterkiefers, Tamponade der äusseren Wunde; Ernährung mit Schlund¬ 
sonde. Glatter Verlauf. 

c) Präparate von vier in der letzten Zeit naoh verschiedenen 
Methoden operierten Carcinomen des Rectnms, ferner eines stenosierenden 
Carcinoma coli desc. eines 33 jährigen Mannes, der unter akuten lleus- 
erscheinungen seit drei Tagen erkrankt war (schwierige Mobilisation des 
mit der hinteren Bauchwand verwachsenen Tumors; Vorlagerung des¬ 
selben vor die Bauchwunde, Naht der Bauchwunde. Tod nach zwölf 
Stunden im Collaps), ferner von einem per laparat. gewonnenen Uterus 
nebst Adnexen einer 66 jährigen Frau mit faustgrossem intraligamentär 
entwickelten Myom der Gegend des inneren Muttermundes, einem ei¬ 
grossen Myom des rechten Ovariums und einem ebenso grossen carcinösen 
Polyp der Gebärmutterhöhle. 

2, Hr. Ktfraer: Die Collargoltehaidling nach Credd. 

1875 war Credd bei seinen Versuchen über metallisohes Silber und 
seine Salze zu der Ueberzeugung gelangt, dass metallisches Silber nur 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 8. 


in Lösungen wirksam sei. Die Firma Heyden, Dresden, stellte 
colloidale Silberlösungen dar. Collargol-Credö ist nach Ansicht der 
Darsteller nicht identisch mit Argentum colloidale. Collargol enthält 
75 pCt. Silber und 25 pCt. Eiweisskörper. Lösungen in Wasser bis 1 zu 20 
filtrieren vollständig, diffundieren wie alle kolloidalen Lösungen. 

Collargol ist eine Suspension (Rählann - Jena). Diese Tatsache ist 
für die Annahme einer elektrischen Wirkung des Collargols auf die Ei¬ 
weissmoleküle der Körpersäfte von Wichtigkeit. Collargol übt eine 
antiseptische katalytische und Leukocyten stimulierende Wirkung aus. 
Von Bedeutung für den Körper scheint nur die katalytische Wirkung zu 
sein (Katalyse nach Oswald: Beschleunigung langsam verlaufender, 
chemischer Vorgänge, durch die Gegenwart eines fremden in den End¬ 
produkten nicht erscheinenden Stoffes). Nach Schade bedingt das 
Collargol in den Körpersäften elektrische Strömungen, als deren Folge 
Sauerstoff frei wird. Der freiwerdende Sauerstoff wirkt abtötend aut 
Toxine und Bakterien. Die Anwendungsweise des Collargols in Schmier¬ 
kuren ist unsicher, sie kommt höchstens in chronischen Krankheitsfällen 
in Frage. Die Schmierkur verlangt zudem eine langwierige Einreibungs¬ 
prozedur. Am wirksamsten ist die intravenöse Injektion, 5 bis 15 ccm 
einer 2 proz. Lösung. In der Praxis sind intravenöse Injektionen zu 
vermeiden. Für den praktischen Arzt empfiehlt sich die rectale An¬ 
wendung, die an Wirksamkeit nichts zu wünschen übrig lässt (im 
Gegensatz zu Vogel - Dortmund, der ausschliesslich für intravenöse 
Applikation plädiert). Es ist zweckmässig, 50 bis 100 com eine 5 proz. 
Collargollösung (bei leichteren Fällen 2 bis 3 pCt.) nach vorausgehendem 
Reinigungsklystier einlaufen zu lassen. Diese Prozedur ist 2 mal täglich, 
nach Eintritt der Besserung einmal zu wiederholen und 8 bis 14 Tage 
lang fortzusetzen. Wenn die Klystiere nicht gehalten werden, so ver¬ 
teile man die Mengen auf kleinere Klysmen bzw. setze etwas Opium¬ 
tinktur zu. Die innerliche Anwendung in Pillen oder Lösung (Pillen zu 
0,1 2 bis 10 mal, bzw. 2 proz. Lösung in Zuckwasser oder Kakao bis zu 
1 g) hat sich nicht recht eingebürgert. Der Schwerpunkt der Collargol- 
behandlung bei Sepsis, Pyämie, Erysipel, Phlegmone, schwerer 
Furunkulose, bei Gelenkrheumatismus, der gegen die gewöhnliche 
Therapie refraktär blieb, bei manchen gonorrhoischen Gelenkrheumatismen 
liegt in der rechtzeitigen Anwendung, in der Verabfolgung genügend 
grosser Dosen und genügend häufiger Wiederholungen. 

Demonstration von Röntgenaufnahmen nach Collargoleinlauf, welche 
die rasche Resorption vom Rectum aus zeigen. 

Spezielle Kasuistik von drei Fällen, unter Beibringung der ent 
sprechenden Kurven: zwei Fälle von puerperaler Sepsis, sowie ein Fall 
von Scharlachsepsis, die durch systematische rectale Anwendung von 
Collargol zur Heilung gebracht wurden. Die betreffenden Erkrankungen 
waren besonders schwer und kompliziert durch Mittelobreiterung, Throm¬ 
bose usw. 

3. Hr. Moser: a) 28jähriger Mann, der in elendem Zustand mit 
13 Fisteln auf der linken Brustseite in Behandlung kam. Ausgedehnte 
Rippenresektion am Rücken, wo die Mehrzahl der Fisteln mündete. 
Es fand sich ein apfelgrosser, dem Mediastinum und der hinteren Herz¬ 
wand anliegender tuberkulöser Abscess mit schwartiger Verdickung der 
Pleuren und der angrenzenden Lungentoile. Vollkommene Ausheilung 
in lVj Jahren, nachdem sich schon wenige Wochen nach der Operation 
die Fisteln dicht neben dem Sternum geschlossen hatten. 

b) 62 jähriger Mann, der wegen Lungenabscess im linken Unter¬ 
lappen (Streptokokken und Pneumokokken) mittels Resektion einer 
Rippe operiert war. Io diagnostischer Hinsicht betont Vortragender die 
Wichtigkeit eines leichten Oedems an der kranken Seite (erste Be¬ 
handlung in der Wohnung des Kranken). 

Im Anschluss daran berichtet Herr Moser über einen weiteren 
Fall von Luugenabscess auch im linken Unterlappen. Der 61 jährige 
Kranke hatte anfangs ein seröses Pleuraexsudat, das rasch zurückgiog. 
Nach Eröffnung der klein-apfelgrossen Abscesshöhle mit Resektion zweier 
Rippen fiel das Fieber ab. Der Kranke erholte sich aber nicht, starb 
vielmehr, und zwar im ganzen nach siebenwöchigem Krankenlager durch 
Verhungern. Schon von Anfang der Erkrankung ab hatte er nichts 
Festes essen können, später machte sogar das Schlucken geringer 
Flüssigkeitsmengen viel Mühe. Durch die Operation trat in dieser Be¬ 
ziehung gar keine Besserung ein. Ernährung mit Magenschlauch, der 
leicht einzuführenTwar, lehnte der Kranke ab, ebenso die Gastrostomie. 
Die Obduktion ergab keinerlei Veränderung am Oesophagus; der Abscess 
war in Ausheilung begriffen, um die Gallenblase waren zahlreiche Ver¬ 
wachsungen, Steine 1 aber nicht zu finden. Tabische Symptome waren 
nicht vorhanden^gewesen. 

Diskussion'zu^dem Vortrage von Herrn Körner. 

Hr. Dreyzehner sah nach intravenöser Collargolbehandlung mehr¬ 
fach nach 12 bis 14 Stunden Todesfälle (Injektionen von 10 ccm). Der 
Tod erfolgte im Collaps ohne embolische Erscheinungen. 

Hr. Tschötschel sah glänzende Erfolge von der intravenösen 
Applikation (4 ccm, 2 pCt.) bei Milzbrand und gonorrhoischer Gelenk¬ 
entzündung. 

Hr. Rudolp erinnert an seine Mitteilung vom 3. Oktober. Es 
erfolgte der Tod nach Injektion von IV 2 ccm 2 proz. Lösung, infolge 
von Embolie. Bei embolischen Prozessen ist von Collargolbehandlung 
abzuraten. 

Hr. Rühle sah/wiederholt Vnach der Injektion von 5 ccm, 2 proz. 
Lösung Schüttelfröste mit anschliessendem hohen Fieber bereits nach 
ein bis zwei Stunden auftreten. Die Behandlung an sich war erfolglos. 


Hr. Moser bat plötzliche Todesfälle nach Collargolbehandlung ein- 
treten sehen. Der Nutzen der Behandlung erscheint ihm fraglich; man 
kann die rectale Anwendung versuchen. 

Schlusswort: Hr. Körner empfiehlt dringend für die Praxis die 
rectate Collargolanwendung bei allen septischen Prozessen. 


Naturwissenschaftlich-medizinische Gesellschaft za Jena. 

Sitzung vom 12. Dezember 1912. 

Vorsitzender: Herr Lexer. 

Vor der Tagesordnung. 

Hr. Heikel: 

1. Röntgenologischer Nachweis einer Drillingsschwangerschaft. 

Auf der Röntgenplatte sieht man im kleinen Becken und nach 
rechts oben die drei den kindlichen Schädeln entsprechenden rundlichen 
Schattenkreise, ausserdem liegt schräg zur Wirbelsäule der Mutter ver¬ 
laufend eine kindliche Wirbelsäule. An Blendenaufnahmen konnten 
wenigstens bei einem der Schädel sogar Einzelheiten, wie die Keilbeine, 
nachgewiesen werden. 

2. Zwei Fälle von primärem Scheitenkrebs. 

Erfolgreiche Operation durch abdominale Totalexstirpation, und zwar 
Entfernung von Uterus mit Adnexen und der ganzen Scheide im Zu¬ 
sammenhang. 

3. Uternsriptir. 

Zwei Fälle, die in der Schwangerschaft entstanden und mit gutem 
Erfolg durch Totalexstirpation operiert wurden. 

Hr. Lindig: 

Fermentreaktion nach Abderhalden bei Gravidität nnd Carcinom. 

Vortr. berichtet über seine zu einem kurzen Referat nicht geeigneten 
Untersuchungen, deren wichtigstes Resultat jedoch ist, dass die Ferment¬ 
reaktion in der Schwangerschaft scheinbar keine spezifische Reaktion 
darstellt, sondern dass durch im Blute vorhandene Fermente verschiedenes 
Eiweiss abgebaut werden kann. 

In der Diskussion kann Hr. Wrede dies bestätigen. 

Tagesordnung. 

Hr. Henkel: Künstliche Nenbildnng der Seheide. 

Vortr. berichtet kurz über die bisher gebräuchlichen Methoden und 
referiert im Anschluss daran über zwei erfolgreich operierte eigene Fälle, 
die nach der von Baldwin angegebenen Technik behandelt wurden: 
Umschneidung des Hymenalsaumes und Vordringen mit der Pinzette 
nach Ablösung eines strangartigen Gebildes in die Tiefe bis zum 
Douglasperitoneum. Dies bleibt zunächst uneröffnet. Das Vordringen 
bis dahin war leicht, und der Kanal für die neue Scheide konnte ohne 
Nebenverletzung schnell gebildet werden. Dann Laparatomie, Resektion 
eines etwa 25 cm langen Ileumstückes, dessen Enden sofort geschlossen 
werden. Seit-zu-Seitanastomose der lteumenden. Eröffnung des Douglas¬ 
peritoneums und Herabziehen der isolierten Ileumschlinge mit einem 
Bindenzügel durch den Kanal und Befestigung an der Haut der Vulva. 
Nach einigen Tagen Eröffnung der Darmschlinge an der Konvexität und 
Abquetscbung des Spornes zwischen den beiden Darmschlingen. Dauer 
der Operation etwa 50 Minuten. In dem einen Falle gelang es nicht, 
trotz vorhandenem Uterus, diesen mit der Scheide zu vereinigen wegen 
eines parametritischen Exsudates. 

ln der Diskussion schlägt Hr. Lexer vor, der Narbenschrumpfung 
der neugebildeten Scheide dadurch vorzubeugeo, dass dieselbe in auto- 
plastisch verpflanztes Fettgewebe von aussen her eingebettet wird. 

Hr. Lommel: Haber paroxysmale Taehyeardie. 

Der Krauke litt an unter subjektiven Störungen verlaufenden 
paroxysmalen Arhythmien von aurikulärem Typus. Der io vielfacher 
Beziehung interessante Fall ist besonders dadurch ausgezeichnet, dass 
zwischen den Extrasystolen Perioden auftraten, die Vortr. als Pulsus 
alternans deutet, was er an Kurven und Elektrocardiogrammen nach¬ 
weist. Der Kranke litt nicht an einem Nierenleiden. 

Hr. Noll: Nachweis der Fe t taub 8 tanzen des Muskelgewebes. 

Durch Pepsin-Salzsäureverdauung lässt sich an den verschiedensten 
quergestreiften Muskelfasern nach Untersuchungen an verschiedenen Ver¬ 
tretern der Tierreihe granuläres und unter dem Einflüsse des Muskel¬ 
zerfalles durch die Verdauung zu Tröpfchen konfluierendes, einfach 
brechendes mit Osmiumsäure und mit Sudan III färbbares Fett nach- 
weisen, das ohne die Methode der künstlichen Verdauung nicht dar¬ 
stellbar ist. Vortr. hat duroh Phosphorbestimmung das Fett identi¬ 
fiziert und schliesst Lipoide durch Autolyse aus. 

In der Diskussion weist Hr. Roessle auf die pathologisch-ana¬ 
tomische Bedeutung der Untersuchungen hin und stellt durch Nachfrage 
fest, dass Fehlerquellen ausgeschlossen sind. 

Aerztlicher Verein za Frankfurt a. M. 

Sitzung vom 2. Dezember 1912. 

1. Hr. Fischer demonstriert zahlreiche pathologisch-anatomische 
Präparate. 

2. Hr. Flesch demonstriert ein Uternsmyom, das mit breiter Basis 
submucös im Fundus des Uterus sass. Die Pat. wurde wegen Abortus 
eingeliefert, die Menses hatten 2 Monate sistiert. Durch den geöffneten 


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20. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


141 


Muttermund gelaugte man in die Uterushöhle, im Fundus sass mit breiter 
Basis das erwähnte Myom. Es liess sich gut ausschälen, nachdem der 
Uterus heruntergezogen und vorn gespalten war. 

3. Hr. Sippel demonstriert eine. 2 Stunden vor der Sitzung durch 
Operation gewonnene geplatzte gravide Tabe. 

4. Hr. Vo^t-Wiesbaden: 

Theene and Praxis der Frend’schen Psychoanalyse. 

Vortr. gibt auf Grund der Klärung, Welche durch die Diskussionen 
der letzten Jahre herbeigeführt worden ist, einen Ueberblick über die 
theoretische und praktische Seite der Freud’schen Psychoanalyse. Man 
kann der Eigenart dieser Forschungsrichtung nur gerecht werden, wenn 
man den Versuch macht, auf ihre chronologische Entwicklung zurück¬ 
xugehen. Gegen die ausgesprochene Originalität und die Richtigkeit 
rieler Gedanken, die namentlich die ersten Freud’schen Arbeiten über 
diesen Punkt gebracht haben, wird sich niemand verschliessen können; 
die Bedeutung des Individuellen, die Rolle und der Mechanismus der 
Abreagien, die Wirkung unlustbetonter Ereignisse, der Mechanismus der 
Verdrängung, die Bedeutung von Reminiszenzen, Geheimnissen und unter¬ 
bewussten Residuen für die psychische Konstellation, die eigenartige 
Definition des Unbewussten als des Bewusstseins Unfähigen sind Werte, 
an denen wissenschaftliche Betrachtung und Forschung nie wieder werden 
vorübergehen können. Was die ganze Richtung mit Recht diskreditiert 
hat, ist die einseitige und ausschliessliche Hervorkehrung der sexuellen 
Komplexe, die Willkür und Geschmacklosigkeit, mit der das Seelenleben 
der Patienten durchwühlt wird, und die auf ganz unbewiesenen Voraus¬ 
setzungen begründete Herausnahme einzelner Geständnisse als Grundlage 
für die Auffassung und Behandlung einer Krankheit. Die Symboldeutung, 
die Lehre von den Knotenpunkten sind als unwissenschaftlich und als 
unexakt abzulehnen. Es ist dem Vorschlag, der von Iserling und 
H. Schultz gemacht ist, beizupflichten, dass der rein analytische, nicht 
am Sexuellen haftende Teil der Freud’schen Lehre, der ja viel Ver¬ 
wandtschaft mit der hypermnestischen Hypnose besitzt, auch praktisch 
wertvoll ist; die Sexualanalyse ist hiervon abzutrennen und zu ver¬ 
werfen. Aber auch unter Einhaltung dieses Gesichtspunktes ist nicht 
zu vergessen, dass ein derartiges analytisches Verfahren uns höchstens 
in Besitz einer Psychoanamnese setzt, in therapeutischer Beziehung ist 
damit aber der Grundsatz nicht erfüllt, der in der Psychotherapie so 
wichtig ist, dass man nicht nur etwas nehmen, sondern auch etwas 
geben soll. Die Psychokatarrhsys kann daher immer nur Analyse und 
Einleitung, anamnestische Erhebuog, niemals aber auch schon Therapie 
sein, auch darauf beruhen, von allem anderen abgesehen, die mangel¬ 
haften therapeutischen Erfolge der Freud’schen Schule. 

Diskussion: Die Herren L. Auerbach, Friedländer, Baum¬ 
stark. 


Aerztilcher Verein zn München. 

Sitzung vom 4. Dezember 1912. 

1. Hr. G. v. Hösslin: a) Nachruf auf Prof. Dr. Carl Kopp. 
b) Nachruf auf Dr. Sigm. Wertheimer. 

2. Hr. Brvegel: 

Demonstration von Bewegnngsvorgängen am pathologischen Magen 
anf Grand rd'ntgen-kinematographischer Untersuchungen. 

Die Magendarmuntersuchung vor dem Röntgenschirm ist unzuläng¬ 
lich, da dabei nur gröbere Veränderungen sichtbar gemacht werden 
können. Um feinere Vorgänge studieren zu können, bedarf es der 
kinematographischen Röntgenogramme, und zwar genügen, da ja die 
Magenbewegungen ziemlich langsam verlaufen, in etwa 3—4 Sekunden 
aufeinanderfolgende Aufnahmen. B. bedient sich eines von ihm und 
Kästle konstruierten Apparates, bei dem auf einer grösseren Platte 
9 verschiedene Teilaufnahmen (z. B. Pylorusaufnahmen) in rascher Auf¬ 
einanderfolge weniger Sekunden gemacht werden können. Er bespricht 
dann eine Reihe von Fällen, die mit Hilfe dieses Verfahrens aufgenommen 
worden waren, und bei denen sich Veränderungen am Pylorusteil in¬ 
sofern fanden, als die Antrumperistaltik vor dem mehr horizontal ver¬ 
laufenden Teil der Pars pylorica Halt machte; es zeigte sich an dieser 
Stelle der Platte eine bewegungslose Querlinie. Der Verdacht auf 
Fixation oder Verwachsung mit der Umgebung wurde in allen Fällen 
durch Operation bestätigt. Es wurden die Verwachsungen durchtrennt, 
und spätere Röntgenaufnahmen ergaben an den früher unbeweglichen 
Partien deutliche regelrechte Antrumperistaltik. 

Diskussion: Hr. Kästle. 

3. Hr. R. Grashey: Demonstration von Röntgenbildern. 

a) Vortr. macht aufmerksam auf Fälle säbelscheidenförmiger Ver¬ 
biegung der Tibia mit starker Durchbiegung nach vorn; der Knochen 
selbst ist dabei stellenweise verdickt, daneben wieder aufgebellt und 
mit kalkigen Einlagerungen durchsetzt. Früher bat mau derartige Fälle 
auf Lues zurückgeführt, ohne dass dies jedoch nach neuerer Anschauung 
für die Mehrzahl dieser Fälle zutreffend wäre; vorläufig fehlt eine ge¬ 
nauere Kenntnis der Grundlage dieser Veränderung. 

b) Demonstration eines Falles mit Quetschung der äusseren Hälfte 
des linken Fussrückens. Das Röntgenbild zeigt an Stelle des Os navi- 
culare drei Knochenkerne, so dass der Schluss naheliegt, dass es sich 
hier nicht um eine traumatische, sondern um eine kongenitale Ver¬ 
änderung handeln dürfte. 


4. Hr. Petri: Biologische Diagnose der Schwangerschaft. 

P. erwähnt die Schwierigkeiten der Frühdiagnostik der Schwanger¬ 
schaft. Es sind deshalb schon von Abderhalden Versuche einer 
biologischen Frühdiagnostik gemacht worden, die auch P. aufgenommen 
hat. Man kann von dem Gedanken ausgehen, dass in den Magendarm¬ 
kanal eingeführte Eiweisskörper durch proteolytische Fermente erst in 
einfachere Spaltprodukte übergeführt werden, um in den Körperkreislauf 
aufgenommen werden zu können, da gemeines Eiweiss nicht resorbiert 
werden kann. Wenn nun dem Organismus artfremdes Eiweiss subcutan 
oder intravenös einverleibt wird, so müssen im Blutserum proteolytische 
Fermente auftreten, um dieses parenteral zugefübrte Eiweiss zu spalten, 
ähnlich wie auch Tierversuche ergeben haben, dass auf Einspritzung 
einer Rohrzuckerlösung in das Gefäßsystem dort ein invertierendes 
Ferment gebildet wird. Es müssen also im Blute einer Schwangeren, 
in welches von der Placenta aus placentares Eiweiss Übertritt, gleich¬ 
falls placentaeiweissspaltende Fermente auftreten. Auf dem Nachweis 
dieser Fermente basieren die Versuche einer biologischen Schwanger¬ 
schaftsdiagnostik. 

P. bereitet aus Placenta ein Placentarpepton, bringt 1 ccm einer 
5proz. Lösung dieses Placentarpeptons in ein Röhrchen mit 1 ccm Blut¬ 
serum einer Nichtschwangeren, bringt diese Mischung in den Polari¬ 
sationsapparat, ohne dass hierbei eine Veränderung des polarisierten 
Lichtes auftritt, während bei Mischung der Peptonlösung mit dem Serum 
einer Graviden eine deutliche Linksdrehung des polarisierten Lichtes sich 
ergibt. 

Ein weiteres biologisches Verfahren ist das Dialysierverfahren; es 
beruht darauf, dass Placentareiweiss durch die im Blute einer Schwangeren 
sich bildenden Fermente in Spaltprodukte übergeführt wird und erst in 
diesem Zustand diffundieren kann. Wenn man also 1 ccm Placentar¬ 
pepton mit 1,5 ccm Blutserum einer Schwangeren in eine Diffundier- 
bülse zusammenbringt und diese in ein mit 20 ccm destillierten Wassers 
gefülltes Erlmaier-Töpfchen stellt, so tritt nach einiger Zeit eine Diffusion 
des gespaltenen Placentarpeptons in das destillierte Wasser ein, wie 
sich dann durch die Biuretreaktion nachweisen lässt; der gleiche Ver¬ 
such mit Serum einer Nichtschwangeren ergibt negativen Ausfall der 
Reaktion. 

Die Biuretreaktion lässt sich durch die viel feinere Reaktion mit 
dem Eiweissreagens Ninhydrin (= Triketohydrinhydrat) ersetzen, die bei 
positivem Ausfall eine schön violette Färbung ergibt. 

Hans Bachhammer - München. 


K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. 

Sitzung vom 6. Dezember 1912. 

(Eigener Bericht.) 

Hr. G]ae88ner demonstrierte Pankreassteine, welche bei einer 
69jährigen Frau abgegangen sind. 

Die Kranke litt seit 5 Jahren anscheinend an Gallensteinkoliken, 
welche jeder Therapie trotzten. Sie hatte Fettstühle, in denen sich 
Muskelfasern und Muskelkerne fanden, Indikan fehlte; es bestand voll¬ 
ständige Achylie. 

Der Ausfall der Probe auf alimentäre Glykosurie sowie die Analyse 
der Symptome Hessen die Vermutung aufkommen, dass es sich um eine 
Pankreasaffektion handle. Schliesslich entleerte die Kranke nach einem 
langdauernden Kolikanfall kleine Concremente mit den Fäces, welche 
aus kohlensaurem und phosphorsaurem Kalk bestanden, während der 
Kern organischer Natur war. Seither ist die Kranke gesund. 

Hr. Ehrmann demonstrierte drei Fälle von diffuser Sklerodeniie. 

Die Fälle betreffen ein 17jähriges Mädchen, einen 18jährigen Mann 
und einen 14jährigen Knaben. In einem Falle waren tuberkulöse 
Affektionen der Haut vorausgegangen. 

Die Patienten zeigen stellenweise eine livide, infiltrierte Haut von 
pastöser Beschaffenheit, die Finger können wegen Hautverdickung nicht 
ganz gestreckt werden. An den Armen ist das subcutane Fettgewebe 
fast geschwunden, an manchen Körperstellen finden sich Pigmentierungen. 
Das Gesicht ist auffallend blass und gespannt, die Falten sind aus¬ 
geglichen. 

Die Frage des Zusammenhanges der Sklerodermie mit Tuberkulose 
ist noch nicht geklärt, auch die sonstige Aetiologie der Krankheit ist 
unbekannt. Unter den Ursachen derselben hat man Veränderungen der 
Funktion der Drüsen mit innerer Sekretion angeführt. Die Aussicht auf 
Heilung ist eine geringe im Gegensatz zur partiellen Sklerodermie; es 
kommt schliesslich zum Uebergreifen des sklerosierenden Prozesses auf 
die Sehnen, die Muskeln werden atrophisch, im Herzen, in der Milz und 
in der Niere finden sich SehnenfleckeD, und auch das Knochensystem 
wird von einer fibrösen Rarefizierung ergriffen. 

Hr. Falte demonstrierte einen Mann, bei welchem eine schwere 
Gicht mit Thorimn X erfolgreich behandelt wurde. 

Die Erkrankung hat vor 13 Jahren begonnen, seither hatte er jedes 
Jahr mindestens einen Anfall von 3 bis 6 Wochen Dauer, bei welchem 
mehrere Gelenke, auch diejenigen der Halswirbelsäule, befallen wurden. 
An den Ohrmusoheln sassen Gichtperlen, im Blute wurde Vermehrung 
der Harnsäure nachgewiesen. Pat. bekam dreimal täglich drei elektro¬ 
statische Einheiten von Thorium X. Unter Fortsetzung der Therapie 
sanken die Leukocyten auf 4000, der Zustand besserte sich auffallend, 
Pat. hat jetzt nur noch eine leichte Schwellung des rechten Handgelenks 


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142 BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. Nr. 3. 


und eines Phalangealgelenks, im übrigen ist er vollständig beweglich. 
Die meisten Ohrperlen sind aufgebrochen, im Blute findet sich Harn¬ 
säure nur in Spuren. Das Thorium X bleicht Farbstoffe, und zwar auch 
dann, wenn es in einer Phiole eingeschlossen in die Farblösung gegeben 
wird; es bandelt sich um eine Strahlenwirkung. Unter dem Einfluss 
des Thoriums färbt sich Adrenalin binnen weniger Stunden rot und zer¬ 
setzt sich schliesslich. Brenzkatechin, Resorcin, Tyrosin werden ver¬ 
ändert, Galle wird grün gefärbt, ebenso Chinin, die Umwandlung von 
Stärke in Zucker wird verzögert, und Eiweisslösungen werden verändert, 
wahrscheinlich infolge von Hydrolyse. Harnsäure färbt sieh unter dem 
Einfluss von Thorium bräunlich und nimmt an Menge ab, in der Lösung 
ist Stickstoff nachweisbar. Die Harnsäure wird durch Thorium löslicher 
gemacht, und schliesslich gibt die Lösung keine Murexidreaktion. Das 
Thorium wirkt auch baktericid. 

Hr. Koschier führte einen Mann vor, bei welchem er einen Fremd¬ 
körper aus der Trachea entfernt hatte. 

Der Kranke war schon früher tracheotoraiert worden und bekam 
vor 15 Monaten heftige Atembeschwerden. Da die Ursache derselben 
in der Trachea sass, wurde diese gespalten und ein grosser eingekeilter 
Knochen entfernt. Bemerkenswert ist, dass der Kranke neben dem 
Fremdkörper noch die Kanüle trug. 

Derselbe demonstrierte einen Fremdkörper, weloher in einem 
Bronchus zweiter Ordnung sass. 

Ein Kind aspirierte ein Stück einer Nuss; durch Tracbeoskopie war 
der Fremdkörper nicht nachzuweisen. Das Kind starb; bei der Obduktion 
fand man den Fremdkörper in einem Bronchus zweiter Ordnung fest 
eingekeilt. 

Hr. v. Eiseisberg stellte zwei Männer vor, bei welchen eine 

chirurgische Mobilisierung eines versteiften Kniegelenks vorgenommen 
wurde. 

Im ersten Falle handelt es sich um einen 28jährigen Mann, welcher 
nach Gonorrhöe eine vollkommene Versteifung eines Kniegelenks bekam, 
die durch keine Behandlung gebessert wurde. Im Röntgenbild war ein 
Gelenkspalt nachweisbar. Im März wurde das Gelenk eröffnet, alle 
zwischen den Knochenflächen befindlichen Verwachsungen wurden frei¬ 
präpariert, dann wurde an der Aussenseite des Gelenks eine Inzision 
gemacht, durch diese Oeffnung ein gestielter Lappen der Fascia lata in 
das Gelenk hineingezogen, und mit dieser Fascie wurde die Gelenkfläche 
des Femur bedeckt. Dann folgte die Naht der Hautwunde und An¬ 
legung eines Extensionsverbandes, damit der Fascienlappen nicht zu 
stark gepresst werde. Die Wunde heilte per primam. Hierauf übte 
Pat. an einem Pendelapparat fleissig die Beugung des Kniegelenks. 
Der Erfolg ist sehr gut, die Kniebeugung ist fast in vollem Umfang 
möglich. 

Im zweiten Falle, welcher nach Aetiologie und Befund dem ersten 
sehr glich, wurde dieselbe Operation ausgeführt. Pat. befindet sich 
jetzt im Stadium der Nachbehandlung. Er kann das Kniegelenk passiv 
beugen, aktiv gelingt dies nur in einem geringen Umfange. Wichtig 
ist bei dieser Behandlung die eifrige Uebung des Pat. am Pendelapparat. 
In neuerer Zeit wurde bei Gelenkversteifungen die Transplantation eines 
ganzen Gelenks vorgenommen; die Dauerresultate sind bis jetzt noch 
nicht bekannt. H. 


Gesellschaft für innere Medizin und Kinderheilkunde zu Wien. 

Sitzung vom 5. Dezember 1912. 

(Eigener Bericht.) 

Hr. Nobel stellt ein sechsjähriges Kind mit paraxysnaler Hämo¬ 
globinurie vor. 

Das Kind hatte in den beiden ersten Lebensjahren an Rachitis ge¬ 
litten; im Alter von 4 Jahren hatte es einen Anfall von paroxysmaler 
Hämoglobinurie, vor 16 Tagen den zweiten Anfall. Der Harn war rot¬ 
braun, Wassermann stark positiv, das Blut bis auf eine leichte 
Eosinophilie normal. Nach der Genesung gelang es, durch ein kaltes 
Fussbad den Anfall zu provozieren. 

Hr. Müller demonstrierte einen Fall von erfolgreicher Vaccine- 
behandloug von StaphylokokkensepBis. 

Der Kranke bekam im Mai Schüttelfröste, Fieber, Leukocytose, 
Milzvergrösserung, ein Hautexanthem und wies im Blute hämolytische 
Streptokokken auf. Zeitweise stellten sich Gelenkschmerzen ein, in 
letzter Zeit auch Symptome von Meningismus; bradycardischer Puls, 
Kernig’scbes Phänomen, Differenz der Reflexe. In der Lumbalflüssigkeit 
konnten Staphylokokken nachgewiesen werden. 

Es wurde nach vergeblicher sonstiger Therapie die Vaccinebehand¬ 
lung eingeleitet; die Vaccine wurde aus den im Blute des Kranken vor¬ 
kommenden Staphylokokken, welche gezüchtet und abgetötet wurden, 
hergestellt. Nach zweimaliger Injektion von 15 und 20 Millionen Sta¬ 
phylokokken ist der Kranke vollständig genesen. 

Derselbe demonstrierte einen Fall von Tuberkuliubehandlung bei 
tuberculo-toxischer Nephritis. 

Der 21jährige Kranke bekam im Anschluss an einen Mandelabscess 
Schmerzen im Kreuz, Oedeme; im Harn traten Blut, Eiweiss und Cylinder 
auf. Der Kranke hatte eine geringgradige Affektion der linken Lungen¬ 
spitze. Nach 1 mg Tuberkulin bekam er Fieber, Hämaturie, Cylinder- 
ausschwemmung und starke Eiweissausscheidung, also eine starke Lokal¬ 
reaktion von seiten der Niere. Der abnorme Harn stammte aus beiden 


Nieren. Es wurde ein toxischer Prozess der Niere angenommen und die 
Tuberkulinbehandlung fortgesetzt. Erst als das verwendete Alttuber¬ 
kulin durch ein anderes Präparat ersetzt wurde, gelang es, die Kur 
ohne stärkere Reaktionen durebzuführen; dann wurde wieder Alt¬ 
tuberkulin verwendet, ohne lokale Reaktionen zu erzeugen. Vollständige 
Heilung. 

Derselbe demonstrierte einen Fall von erfolgreicher Taberkalin- 
behaadling des taberkalösen Geleakrheiisatisiiss bei einem 15 jäh¬ 
rigen Knaben. 

Infolge der vorsichtig durchgeführten Tuberkulintherapie ist der 
Patient derzeit in weitgehendem Maasse gebessert. 

Hr. Zak; Stadien zar Lehre von der Blafgerinnang. 

Die Versuche des Vortr. bezweckten, die grosse Wichtigkeit der 
Plasmalipoide für das Zustandekommen der Fibringerinnuog zu studieren. 
Durch quantitative Verschiebung de3 Lipoidgehaltes, durch qualitative 
Aenderung desselben und durch physikalisch-chemische Beeinflussung 
der Plasmalipoide wurden im Oxalatplasraa des Pferdes Gerinnungs¬ 
alterationeu erzeugt, die mit Notwendigkeit auf die unentbehrliche Rolle 
der Lipoide als cymoplastische Substanz bei der Bildung des aktiven 
Fibrinfermentes hinweisen. Zur Erzielung der Lipoidgehaltvermehrung 
wurde eine Aufschwemmung von Rinderhirnphosphatiden in steigender 
Menge zum Oxalatplasma zugesetzt und der Ablauf der Fibringerinnung 
nach Kalkzusatz beobachtet. Rinderhirnphosphatide wirken exquisit 
gerinnungsbeschleunigend auf die Gerinnung des Pferdeoxalatplasmas. 
Verminderung der natürlich vorkoinmenden Plasmalipoide durch Petrol¬ 
ätherextraktion führt je nach der letzteren und der durch sie erzielten 
Lipoidarmut zur Gerinnungsverzögerung, bzw. Aufhebung der Gerinnungs¬ 
fähigkeit. Jedoch kann ein solches durch Petrolätherextraktion lipoid¬ 
arm und ungerinnbar gemachtes Pferdeoxalatplasma wieder durch Zusatz 
von Rinderhirnphosphatiden regeneriert und zur Gerinnung gebracht 
werden. Zum Zustandekommen der Gerinnung des Oxalatpferdeplasmas 
sind die in Petroläther löslichen Substanzen desselben unbedingt not¬ 
wendig, der funktionelle Weglall derselben kann durch Zufügung von 
Rinderhirnphosphatiden ersetzt werden. Gemäss dem heute geltenden 
Gerinnungschema ist die Thrombokinase durch Petroläther extrahierbar, 
durch ein Phosphatid ersetzbar. Mit Rücksicht darauf wird die alte 
Bezeichnung AI. Schmidt’s wieder zu Ehren gebracht: Das inaktive 
Fibrinferment wird bei Gegenwart löslicher Kalksalze durch die Plasma¬ 
lipoide als zymoplastische Substanz aktiviert. 

Qualitative Veränderung der Plasmalipoide durch fermentative Fett¬ 
spaltung führt zur Ungerinnbarkeit des Plasmas. Gewisse Alkaloide, 
wie Chinin, Strychnin und Cocain, wirken gerinnungshemraend; die Ge¬ 
rinnungshemmung derselben geht ihrem Lecithinausflockungsverraögen 
parallel. Lecithin nicht ausflockende Substanzen sind bei Einhaltung 
der Versuchsbedingungen ohne Einfluss auf die Gerinnung. (Diese Ver¬ 
suche wurden im Archiv f. experim Pharmakol. u. Pathol., Bd. 70, aus¬ 
führlich mitgeteilt.) Cholesterin wirkt im Gegensatz zu Lecithin ge¬ 
rinnungshemraend. Das strömende Blut des lebenden Organismus ist 
infolge eines ausbalanzierten Gleichgewichtes von hemmenden und för¬ 
dernden Substanzen flüssig; extravasculär wird de norma durch Ab¬ 
scheidung funktionell wirkender Lipoide ein Anstoss im Sinne der Ge¬ 
rinnungsbeschleunigung erzielt. H. 

Aus Pariser medizinischen Gesellschaften. 

Soclöte mddicale des hdpitanx. 

Sitzung vom 18. Oktober 1912. 

Hr. Variot zeigt, dass die Mageidilatation auch bei unterernährten 
Kindern vorkommt und nicht nur bei überernährten. Nach H. de Massary 
kommt die gleiche Erscheinung bei Mädchen vor, welche an psychischer 
Anorexie leiden. 

HHr. Leri und Gntnann zeigen einen Fall von einfacher eongeai- 
taler, familiärer and regionaler Speicheldrüseahypertrophie. Parotis, 
Glandulae submaxillares und sublinguales sind symmetrisch hypertrophisch, 
ohne Entzündungserscheinungen. Die Drüsen fühlen sich teigig an, haben 
normale, leicht gelappte Form; darüber sind die Gewebe normal, und es 
bestehen keine Lymphdrüsenschwellungen. Die Erscheinungen gleichen 
denen der Krankheit von Mikulicz, nur sind die Tränendrüsen intakt. 
Ausserdem ist die Aetiologie eine andere, hier bandelt es sieb um eine 
congenitale und um eine hereditäre Affektion; Vater und vier Geschwister 
von sieben haben die gleiche Hypertrophie, und die Affektion soll in der 
Gegend, aus der Patient stammt, verbreitet sein (Tizi-Onzon in Algerien). 
Eine ähnliche congenitale hereditäre Affektion wurde unter dem Namen 
„Mangy“ von Herrn Fontoy non in Madagaskar beschrieben. 

HHr. Avclair und Weissenbach erbringen zwei Beobachtungen von 
typhöser Spoadylitis. Diese seltene Affektion hat folgende charakte¬ 
ristischen Zeichen: plötzliches Auftreten mit Fieber und starkem Leib¬ 
schmerz. Osteoartikuläre Symptome: Steifigkeit, Muskelkontraktur, 
Schmerz bei Perkussion der Dornfortsätze der 3., 4., im anderen Falle 
der 2., 3., 4. Lendenwirbel. Ferner Erscheinungen von Kompression: 
Gürtelschmerz, Hyperästhesien mit radikulärer Ausbreitung oder Parese 
mit verstärkten Reflexen und Fussclonus. Die Erscheinungen traten in 
der Typhusrekonvaleszenz auf. Im Moment des Auftretens war die 
Blutkultur negativ, Serodiagnose positiv; die Lumbalpunktion ergab 
normalen Liquor mit Polyuucleose. Die Radiographie ergab in einem 


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20. Januar 1013. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


143 


Falle nichts Besonderes, im anderen Verknöcherung des Diskus und 
diffuse Ossifikation um den Wirbelknochen. In beiden Fällen trat nach 
Immobitisation naoh 3—5 Monaten vollkommene Heilung ein. 

Sitzung vom 25. Oktober 1912. 

Hr. Sergeni betont von neuem die praktische Wichtigkeit der 
Kekeinierenineaffizieaz für die Erklärung gewisser Symptome und 
Komplikationen der Infektionskrankheiten, insbesondere auch des 
Abdominaltyphus. Die gewöhnliche Depression, der kleine Puls bei 
jedem typhösen Zustand können als Zeichen von Nebenniereninsuffizienz 
gedeutet werden. Diese Symptome sind bei sohwerem adynamischen 
Typhus ausgeprägter und erreichen in gewissen schweren Fällen, wo sie 
Peritonitis und innere Blutung Vortäuschen, ihren Höhepunkt. Sie 
heilen rasch durch die Nebennierenapotherapie. Vortr. empfiehlt, nach 
seinen eigenen Beobachtungen, die systematische Adrenalinbehandlung 
in allen Typbusfällen und bei schweren Nebenniereninsuffizienz¬ 
erscheinungen Behandlung mit Nebennierenextrakt. Diese Behandlung 
io Verbindung mit der gewöhnlichen Typhustherapie ergibt sehr günstige 
Resultate, wenn man im Notfall (unter Ueberwachung des Blutdrucks 
und mit periodischen Unterbrechungen der Behandlung) die nötigen 
grossen Dosen verwendet. 

HHr. Carnot und Rathery beschreiben vier Fälle von Diabetes, bei 
denen histologisch in der Schilddrüse einerseits sklerotische Er¬ 
scheinungen, andererseits deutliche Hyperplasie nachzuweisen waren; 
es ist schwer zu sagen, ob es sich um Hyperplasie oder Dysplasie 
handelt. Drei von den Patienten hatten keine klinischen Thyreoidal- 
symptome. Die Autoren glauben, diese Reaktion in der Schilddrüse sei 
bei Diabetes häufig. 

Hr. Henri Claade bestimmt den Dnek der Cerebrospinalfiftsaigkeit 

mittelst eines durch einen Schlauch mit der Punktionsnadel verbundenen 
Aneroidmanometers; er ist so imstande, den Druck ohne Abfluss 
von Flüssigkeit zu bestimmen. Mittelst eines Hahns wird nach der 
ersten Druckmessung Flüssigkeit abgelassen, und nach deren Abfluss 
kann durch Umstellen des Hahns der Druck von neuem bestimmt 
werden. Der gleiche Apparat kann bei Punktion von Pleuritiden und 
Ascites Dienste leisten. 

HHr. F. Bezan$on und P. Braun beschreiben Fälle von heilbarer 
tiberkni öser Pnenmonie, die zwischen die käsige Pneumonie und die 
Splenopoeumonie einzureihen wären. Der akute Beginn, das hohe 
Fieber, das Auftreten eines einseitigen, meist in den mittleren Partien 
oder an der Basis gelegenen Herdes, Dämpfung, Rasselgeräusche, Bronchial¬ 
atmen und sogar rotgefärbtes Sputum machen, dass man meist an akute 
Pneumokokkenpneumonie denkt Gegen alle Erwartung aber tritt die 
Entfieberung nichfein, die Temperatur zeigt unregelmässige Schwankungen, 
das Sputum wird eitrig, und die Herdsymptome dauern fort. Erst dann 
denkt man an Tuberkulose, die durch Sputum Untersuchung bestätigt 
wird. Dann denkt man an käsige Pneumonie, stellt eine ernste Prognose 
und sieht wider Erwarten nach Monaten den Allgemeinzustand 
besser werden, während die Lokalerscbeinuogen fortbesteben; die 
Besserung kann derart sein, dass der Patient wieder arbeitsfähig wird. 
Nach den Sputumuntersucbungen kann man schliessen, dass es sich um 
Hepatisationsherde in splenisierten Lungenpartien handelt. Die Hepati¬ 
sation führt zu Nekrose, die Splenisation zu Sklerose oder zu Resorption. 
Diese tuberkulösen pneumonischen Herde sind Folge von Aspiration 
tuberkulöser Massen, es handelt sich um eine eigentliche bronchiale 
Embolie. 

Diskussion. 

Hr. L. Bernard bat ebenfalls solche Herde beobachtet, die voll¬ 
kommen resorbiert werden oder einer Caverne Platz machen. 

Hr. Barbier hält die Fälle für gefährlich; in zwei Fällen trat 
Miliartuberkulose daraufhin ein. 

Hr. Menetrier beobachtete Verbindung von Pneumokokkenpneumonie 
und Granulie. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. In der Sitzung der Berliner medizinischen Gesell¬ 
schaft vom 15. Januar demonstrierte vor der Tagesordnung Herr 
S. Rosenberg eine Basedowerkrankung behandelt mit Epithelkörperchen- 
extrakt, mit Krankenvorstellung (Diskussion: die Herren F. Krause und 
L. Landau). Hierauf hielten die Herren Morgenroth und Ginsberg 
den angekündigten Vortrag: Hornhautanästhesie durch China-Alkaloide 
(Diskussion: Herr Unger) und die Herren H. Oppenheim und 
F. Krause ihren Vortrag: Partielle Entfernung des Wurms wegen Ge- 
sebwulstbilduDg unter breiter Eröffnung des 4. Ventrikels, mit Kranken¬ 
vorstellung (Diskussion: die Herren Rothmann, Oppenheim und 
F. Krause). 

— Mit Carl Binz, der im Alter von 81 Jahren dahingeschieden 
ist, hat die deutsche Pharmakologie ihren Altmeister verloren. In ihm 
verkörperte sich zuerst die fruchtbare Verbindung experimentell-physio¬ 
logischer Arbeit mit echt klinischem Geiste, welche diesem Fach die 
gebührende Sonderstellung erwarb. Er selbst hat durch glänzende Ver¬ 
suche, von denen seine Beobachtungen über die Wirkung des Chinins 
grundlegend geblieben sind, die biologische Richtung angebahnt; aber 
als er daran ging, seine „Vorlesungen Uber Pharmakologie“ zu ver¬ 


öffentlichen, wählte er doch die klinische Einteilung, die ihn allein zur 
Schaffung eines natürlichen Systems hinzuführen schien. Dieser ärzt¬ 
lichen Auffassung ist er zeitlebens treu geblieben und bat in Wort und 
Schrift, als Lehrer und Forscher in diesem Sinne vorbildlich gewirkt. 
Und wie sein Name in der Geschichte der deutschen Medizin fortleben 
wird, so wird auch das Andenken au seine gütige, liebenswerte Persön¬ 
lichkeit bei niemandem erlöschen, der das Glück batte, in Beziehungen 
zu ihm zu treten. 

— Der Senior der Berliner Aerzte, Herr Geh. Sanitätsrat Friedrich 
Körte, beging am 16. d. M. seinen 95. Geburtstag. Ein Freund und 
Mitkämpfer Rudolf Virchow’s, war Körte bis ins höchste Alter ein 
Führer der Berliner Aerzteschaft, der sich durch die Klarheit seines 
Urteils und die Unbeugsamkeit seines Charakters des allergrössten und 
allgemeinsten Vertrauens erfreut. Zu den Gratulanten, unter denen sich 
die Spitzen der Reichs- und städtischen Behörden befanden, gesellt 
sich heute auch unsere Wochenschrift mit den herzlichsten Wünschen 
für den Lebensabend dieses vorbildlichen Arztes und Kollegen. 

— Es wird uns geschrieben: Auf dem Gebiete der Krebs¬ 
forschung sind in den letzten Monaten mehrfache Fortschritte zu ver¬ 
zeichnen. Vor einiger Zeit wurde io Oldenburg ein Landeskomitee für 
Krebsforschung begründet Nunmehr ist auch in den Thüringischen 
Landen eine Zusammenfassung der betreffenden Bestrebungen erfolgt 
und auch an einer anderen Stelle steht die Begründung eines Komitees 
für Krebsforschung bevor. Ferner ist vor kurzem in Hamburg ein 
Forschungsinstitut für Krebs und Tuberkulose begründet worden. Es 
mehren sich also im deutschen Vaterlande die Stellen, von welchen aus 
versucht wird, planmässig die Ursachen der Krebskraukheit weiter zu 
klären und dadurch auf ihre Bekämpfung einzuwirkeo. Anregend und 
fördernd für alle diese Bestrebungen wirkt seit mehr als einem Jahrzehnt 
das deutsche Zentralkomitee zur Erforschung der Krebs¬ 
krankheit, au dessen Spitze die Herren Geheimräte Orth, Ministerial¬ 
direktor Kirchner, Geheimer Regierungsrat Wutzdorff, Direktor im 
Kaiserlichen Gesundheitsamt, Exzellenz Paul Ehrlich, stehen. Es ist 
daher zu hoffen und zu wünschen, dass das deutsche Zentralkomitee 
seine segensreichen Bestrebungen immer weiterhin fortsetzt und ihm für 
seine Zwecke die erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen. 

— Das Rettungswesen der Stadt Berlin wird vom 1. April 
ab ueugeregelt werden: Es sollen demgemäss vom 1. April an auf jeder 
Rettungsstelle eine beschränkte Anzahl von praktischen Aerzten, die 
möglichst im Bezirk der Rettungsstelle wohnen sollen, im Aufträge der 
Stadt den Dienst versehen. Die Aufsicht über den ärztlichen Dienst 
übt auf jeder Rettungsstelle ein Aufsichtsarzt aus, während der gesamte 
ärztliche Dienst der Ueberwachung eines oder mehrerer ärztlichen. 
Direktoren unterstellt wird. Die jederzeitige ärztliche Hilfsbereitschaft 
auf sämtlichen Rettungsstellen, auf denen auch ein ausgebildeter Heil¬ 
gehilfe zur Unterstützung des Arztes dauernd anwesend ist, ist natürlich 
nach wie vor das Grundprinzip des Rettungswesens. 

— An der Cölner Akademie für praktische Medizin werden 
im Frühjahr d. J. nachstehende Fortbildungskurse für auswärtige prak¬ 
tische Aerzte abgebalten: ein Fortbildungskursus für Zahnärzte vom 

16. bis 19. Februar; ein Röntgenfortbildungskursus vom 3. bis 13. März; 
ein allgemeiner Fortbildungskursus für auswärtige praktische Aerzte vom 

17. April bis 10. Mai. 

— Der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie hat auch 
in diesem Jahre die Leitung der Ausstellung, welche mit dem dies¬ 
jährigen Chirurgenkongress verbunden ist, der Gesellschaft für Chirurgie- 
Mechanik übertragen. Die Ausstellung findet statt in dem Ober¬ 
lichtsaal der Philharmonie, Berlin, Bernburgerstrasse 22/23, wo auch 
die Sitzungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie abgehalteu werden. 
Anmeldungen zur Ausstellung nimmt der Schriftführer der Gesellschaft 
für Chirurgie-Mechanik, Herr Direktor Alfred Hirsch mann, Berlin N. 24, 
Ziegelstrasse 30, entgegen. 

— Auf Aufforderung der wissenschaftlichen Gesellschaft „Urania“ 
in Wien wird Herr Gehelmrat Ewald daselbst am 22. d. M. einen Vor¬ 
trag: „Ueber Altern und Sterben“ halten. 

— Die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten, Ortsgruppe Berlin, veranstaltet eine öffontliohe 
Versammlung am Freitag, den 81. Januar, abends 8 Uhr, Architekten¬ 
haus, Wilhelmstr. 92/93. Herr Dr. Julian Marcuse aus München wird 
über Bevölkerungsproblem und Geschlechtskrankheiten sprechen. 

— Der in Nr. 53 v. J. von uns erwähnte und kritisierte Antrag 
der Herren Arons und Genossen in der Berliner Stadtverordneten¬ 
versammlung, betreffend das Recht zu „experimentellen Eingriffen“ 
an Patienten der städtischen Krankenhäuser, wurde am 16. d. M. in der 
Stadtverordnetenversammlung beraten. Der Wortführer der Antrag¬ 
steller, Herr Dr. med. Weyl, liess sich dabei zu solchen Aeusserungen 
über den abwesenden Herrn Erich Müller, dessen Schutzimpfungen 
mit Friedmann’s Tuberkulosemittel den Anlass zum Antrag gegeben 
hatten, hinreissen, dass sie aus der Versammlung selbst energisch zurück¬ 
gewiesen wurden. Schliesslich wurde der Antrag zurückgezogen und so¬ 
mit unsere in Nr. 53 ausgesprochene Ansicht, dass er der Begründung 
entbehre, von den Antragstellern selbst durch die Tat zugestanden. 

— Zwischen Vertretern des Reichspostamtes und dem Deutschen 
Aerztevereinsbunde hat eine Vereinbarung über den kassenärztlichen 
Dienst bei den neuerrichteten Krankenkassen für Unterbeamte der Reichs- 
post und der Telegraphenverwaltung stattgefunden. Auf Grund dieser 
Vereinbarungen empfiehlt das Reicbspostamt, jeden Arzt zuzulasseu, der 
unter den vereinbarten Bedingungen hierzu bereit ist. Der Abschluss 


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144 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 3. 


der Verträge soll von dem Vorstand der einzelnen Kassen entweder mit 
den ärztlichen Organisationen oder den Aerzten eines Ortes abgeschlossen 
werden. In beiden Fällen ist sämtlichen Aerzten des Ortes der Beitritt 
offen zu halten. Die Honorierung der Aerzte erfolgt nach der Minimal- 
taxe bei Patienten mit einem Einkommen von unter 2000 M., bei einem 
höheren Einkommen nach Vereinbarung. Weitere Einzelheiten sind aus 
den Veröffentlichungen unserer Standesorgane ersichtlich. Das Zu¬ 
standekommen dieser Vereinbarungen muss lebhaft begrüsst werden, 
da sie ein weiterer Beweis dafür sind, dass die Ansprüche der Aerzte 
sich mit den Interessen der Kassenpatienten sehr wohl vereinigen lassen, 
und dass auch Beamten gegenüber, wofür ja in Süddeutschland schon 
Präzedenzfälle vorhanden sind, die organisierte freie Aerztewahl sehr 
wohl durchführbar ist. 

— Am 16. Januar fand eine sehr zahlreich besuchte Delegierten Ver¬ 
sammlung des Zentralverbands Berliner Kassenärzte statt, in der ein 
Entwurf von Grundsätzen für kassenärztliche Verträge zur Beratung ge¬ 
langte. Die Tatsache, dase hier gemeinschaftliche Entschliessungen 
von kassenärztlichen Gruppen getroffen wurden, die insgesamt nach 
zahlen massigen Belegen durch den Vorsitzenden mehr als 1 Million 
Kassenkranke versorgen, beweist jedenfalls, dass die „Sanierung“ 
der hiesigen kassenärztlichen Verhältnisse in vollem Zuge ist. Bezüglich 
des Erreichten besagten die Ausführungen Moll’s, in denen ein leiser 
Ton der Resignation mitklang, dass hier nur die Mindestforderungen der 
Aerzte fixiert und manche weitergehende Wünsche zurückgestellt sind, 
um zunächst zu einheitlichem Zusammenschluss als Vertragsmacht 
zu gelangen. Zuzugeben ist, dass bei Abschluss von Kollektiv¬ 
verträgen auf dem Boden des vorliegenden Entwurfs wenigstens die 
schreiendsten Missstände beseitigt wären, die Berlin in deutschen Aerzte- 
kreisen zum Gespötte gemacht hatten. Aber wenn auch Fortschritte 
namentlich nach der ethischen Seite hin erzielt würden, bescheiden 
bliebe der Erfolg doch, gemessen an den Grundsätzen, die der Leipziger 
Verband für das Reich aufgestellt hat, und die zweifellos Geltung be¬ 
kommen werden. Betrachtet man aber das Vorliegende als Anfang, als 
erste Etappe zu fernen Zielen, so kann man mit Genugtuung kon¬ 
statieren, dass in dem letzten halben Jahr für die Organisation der 
Berliner Aerzte erreicht ist, was nach mehr als löjähriger Bemühung 
als Chimäre galt. Wir werden demnächst ausführlicher auf den Inhalt 
der Verhandlungen eingehen. 

Hoch schul nachrichten. 

Würzburg. Prof. M. B. Schmidt in Marburg erhielt einen Ruf 
als Direktor des pathologischen Instituts. — Wien. Habilitiert: DDr. 
Albert Müller und Wilhelm Neumann für innere Medizin. — Graz. 
Der Privatdozent für innere Medizin Dr. Petry erhielt den Titel eines 
ao. Professors. 


Gang der Volkskrankheiten. 

Pest. Russland (2.—21. XII.) 41 f. Aegypten (21.—27. XII.) 
4 und 2 f. Philippinen (21.—30. XI.) 5, davon 4+. Brasilien (X.) 
2 +• — Cholera. Türkei (17.-30. XII.) 434 und 215t- — Gelb¬ 
fieber. Venezuela (1.—26. XI.) 10 und 3 +.— Pocken. Deutsches 
Reich (5—11. I. 1913) 3. Schweiz (22.—28. XII.) 4. — Fleck¬ 
fieber. Oesterreich (22.—28. XII.) 15. — Genickstarre. 
Preussen (29. XII. 1912 bis 4.1. 1913) 1 und 1 f. Schweiz (22. bis 
28. XII.) 2. — Spinale Kinderlähmung. Preussen (29. XII. 1912 
bis 4.1. 1913) 5 und 1 +. — Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen 
starb an Scharlach in Berlin-Lichterfelde, Bottrop, Graudenz; an 
Masern in Flensburg, Hagen, Oberhausen; an Diphtherie und 
Krupp in Coblenz, Mülheim a. Rh., Ulm, Wanne; an Keuchhusten 
in Landsberg a. W., Offenbach. 


Amtliche Mitteilungen. 

Personalien. 

Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 2. Kl. mit Eichenlaub: 
Geh. Ober-Med.-Rat Prof. Dr. Dietrich, Vortragender Rat im Mini¬ 
sterium des Innern, Obergeneralarzt Dr. Hecker, Inspekteur der 
4. Sanitätsinspektion; Wirkl. Geh. Ober-Med.-Rat Prof. Dr. Kirchner, 
Ministerialdirektor im Ministerium des Innern. 

Roter Adler-Orden 3. Kl. mit der Schleife: Marinegeneralarzt 
Dr. Bonte, Garnisonarzt in Kiel; Generalarzt Prof. Dr. Schumburg, 
Korpsarzt des X. Armeekorps; Generalarzt Dr. Witte, Korpsarzt des 
IX. Armeekorps. 

Roter Adler-Orden 4. Kl.: ordentl. Professor Dr. E. Schnitze in 
Göttingen, San.-Rat Dr. v. Bardeleben in Bochum, Oberstabsarzt 
im Leibdragonerregiment 24 Dr. Binder; Oberstabsarzt im Infanterie¬ 
regiment 57 Dr. Blanc; ausserordentl. Professor Geh. Med.-Rat Dr. 
Bürkner in Göttingen; Oberstabsarzt im 4. Gardefeldartillerie-Regi¬ 
ment Dr. Burchardt; Oberstabsart im Infanterieregiment 51 
Dr. Crampe; Kreisarzt Med.-Rat Dr. v. Fischer - Benzon in Flens¬ 
burg; Marineoberstabsarzt Dr. Fischer vom Gouvernement Kiautschou, 
später von der Marinestation der Ostsee; Oberstabsarzt im Infanterie¬ 
regiment 114 Dr. Groskurth; Oberstabsarzt im Infanterieregiment 65 
Dr. Haberling; Geh. San.-Rat Dr. Hagemann in Hannover, Kreis¬ 
arzt Med.-Rat Dr. Helming in Ahaus, Oberstabsarzt im Husaren¬ 


regiment 13. Dr. Jacobitz; Oberstabsarzt im Feldartillerieregiment 7 
Dr. Jeschke; Oberstabsarzt im Infanterieregiment 158 Immig; Ober¬ 
stabsarzt im Ulanenregiment 4 Dr. Keller; Oberstabsarzt im Dra¬ 
gonerregiment 5 Dr. Karksieck; Oberstabsarzt im 4. Garderegiment 
zu Fuss Dr. Kcyl; Oberstabsarzt im Infanterieregiment 88 Dr. Klein; 
Oberstabsarzt im Feldartillerieregiment 15 Dr. Kob; Arzt Dr. Korn- 
städt in Stralsund, Regierungs- und Med.-Rat Dr. Krause in Oppeln; 
Oberstabsarzt im Infanterieregiment 56 Dr. Krueger; Oberstabsarzt 
im Infanterieregiment 138 Dr. Krüger; Oberstabsarzt z. D. an der 
Kaiser Wilhelms-Akademie Dr. Kuntze; Oberstabsarzt im Dragoner¬ 
regiment 16 Dr. Lobe dank; Oberstabsarzt im Feldartillerieregi¬ 
ment 51 Dr. Loos; Stabsarzt d. L. a. D. Dr. Lorenz in Münster¬ 
berg; ordentl. Professor Dr. Lüthje in Kiel; Oberstabsarzt im Feld¬ 
artillerieregiment 45 Dr. Meinhold; Stabsarzt d. R. Dr. Mutert in 
Osnabrück; Oberstabsarzt im Dragonerregiment 6 Dr. Neu mann; 
Marineoberstabsarzt vom Stabe S. M. grossen Kreuzers „Gneisenau“ 
Dr. Nohl; Kreisarzt Med.-Rat L)r. Riehn in Clausthal; Stabsarzt im 
Kaiser Alexander-Garde-Grenadierregiment 1 Prof. Dr. Rumpel: Kreis¬ 
arzt Med.-Rat Dr. Sarganek in Köslin; Geh. San.-Rat Dr. Schaefer 
in Lengerich; Marineoberstabsarzt von der Marinestation der Ostsee 
Dr.Schepers; Oberstabsarzt im Garde-Grenadierregiment5 Dr. Schley; 
San.-Rat Dr. Schmalfuss in Hamburg; Oberstabsarzt an der Kaiser- 
Wilhelras-Akademie, kommandiert zur Akademie für praktische Medizin 
in Cöln Dr. Stuertz; Oberstabsarzt im Ulanenregiment 14 Dr. 
Stumpff; Oberstabsarzt im 5. Garderegiment zu Fuss Dr. Sydow; 
Arzt Dr. Tiemann in Osnabrück; Geh. San.-Rat Dr. Timm in 
Koblenz; Marineoberstabsarzt vom I. Seebataillon Dr. v. Ulatowski; 
Marineoberstabsarzt vom Stabe S. M. grossen Kreuzers „Hansa“ Dr. 
Wiens. 

Königl. Kronen-Orden 2. KL: Generalarzt Dr. Leopold, Korps¬ 
arzt des VI. Armeekorps. 

Königl. Kronen-Orden 3. Kl.: Generaloberarzt Dr. Altgelt, 
Divisionsarzt der 11. Division; Generaloberarzt Prof. Dr. Dautwig, 
Divisionsarzt der 4. Division; Generaloberarzt Dr. Gill et, Divisions¬ 
arzt der 31. Division; Reg.- und Med.-Rat Dr. Griesar in Koblenz; 
Geh. San.-Rat Dr. Hartmann in Hanau; Marine-Generaloberarzt, 
Werftoberarzt in Wilhelmshaven Dr. John; Oberstabsarzt bei der 
Medizinalabteilung des Kriegsministeriums Dr. Niehues; Marine- 
Generaloberarzt, Geschwaderarzt des Kreuzergeschwaders Dr. Pichert; 
Marine-Generaloberarzt, Chefarzt des Marinelazaretts Kiel-Wik Dr. 
Ricbelot; Generaloberarzt, Garnisonarzt in Strassburg i. E. Dr. 
Sehrwald. 

Prädikat Professor: San.-Rat Dr. J. Wolff in Berlin. 

Niederlassungen: Dr. H. Opitz in Thorn, Aerltin Dr. 0. Hoff- 
mann, geb. Eisleben, Dr. K. Roscher und Dr. J. Schwartz in 
Berlin, Arzt G. Lütcke in Charlottenburg, Dr. S. Cornelius in 
Berlin-Lichterfelde, Dr. W. van Lessen in Leer, Dr. H. Sebald in 
Weyhers. 

Zu besetzen: Die Stelle des Kreisassistenzarztes und Assistenten bei 
dem Medizinaluntersuchungsamte in Gumbinnen. Jahresremuneration 
2000 M. Bakteriologische Vorbildung erforderlich. Die Stelle kann 
auch einem noch nicht kreisärztlich geprüften Arzte vorläufig kom¬ 
missarisch übertragen werden, wenn er den Bedingungen für die Zu¬ 
lassung zur kreisärztlichen Prüfung genügt und sich zur alsbaldigen 
Ablegung der Prüfung verpflichtet. 

Verzogen: Stabsarzt Dr. H. Hübner von Düsseldorf nach Osterode 
i. Ostpr., Dr. J. Deblitz von Hammerstein nach Zippnow, Dr. 0. 
Alberts von Jeschewo, Dr. H. Brinkmann von Dramburg, Dr. M. 
Callam von Kosen, Dr. W. Egloff von München, Dr. G. Hergesell 
von Kotopp, Arzt K. Heuser von Charlottenburg, Arzt E. Jeske, 
von Friedenau, Arzt R. Klokow von Beelitz, Dr. G. Lange von 
Berlin-Wilmersdorf, Dr. 0. Liebe von Melsungen, Arzt A. Malinowski 
von Posen, Dr. A. 0 eh ler von Dresden, Dr. H. Pinn er von Char¬ 
lottenburg, Dr. H. Preusse von Reisen, Arzt E. Schlesinger 
von Nimptsch, Dr. P. Schrey von Gnesen, Dr. J. Schulze 
von Darmstadt und Dr. E. Wittich von Dresden nach Berlin. 

Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Der als unbekannt 
von Berlin verzogen gemeldete Dr. M. Kunreuther ist von Berlin 
nicht verzogen; Dr. H. Hergens von Berlin, Dr. E. Milarch von 
Neukölln auf Reisen, Arzt A. Kiel von Weyhers. 

Praxis aufgegeben: Geh. San.-Rat Dr. J. Schulte-Herbrüggen in 
Borbeck, jetzt in Essen. 

Gestorben: Geh. San.-Rat Dr. F. W. Benicke und Dr. P. Schenk 
in Berlin, Dr. R. Meilitz in Charlottenburg, Dr. F. Nathan in 
Berlin-Schöneberg, Kreisarzt Med.-Rat Dr. R. Hey er in Augermünde, 
San.-Rat Dr. Heidenhain in Berlin-Steglitz, San.-Rat Dr. R. Beenen 
in Möckern, Dr. R. Koch in Cassel. 


Berichtigung. 

In dem Artikel von Dr. Marx: Zur Lehre von den Erstickungs¬ 
blutungen in Nr. 1, S. 26, Spalte 1, Zeile 22 von unten muss es statt 
naturgemäss unterhalb, naturgemäß oberhalb heissen. 

Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hans Kohn, Berlin W., Bayreuther Strasse 42. 


Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4. 


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UNIVERSUM OF fOWA 



IM« Berliner Klio lache Wochenschrift erscheint Jeden ^ g v *y id » m All« Slnsendnngen Iflr di« ftedsktlon and txpedßfon 

Montag In Nummern tob ea. & —6 Bogen gr. 4 — II I ll I 1 I I l^j III II volle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung 

Freia vierteljährlich 6 Mark. Bestellungen nehmen M rv I ,1 I ml M rC August Hirachwald in Berlin NW., Unter den Linden 

alle Bnehhandlungan and Poetanstalten an. 1 ^ | J | |j No. 68, adressieren. 


KLINISCHE TTOCHENSCHRIET. 


Organ für praktische Aerzte. 


Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen« 

Redaktion: Expedition: 

Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posncr uad Dp. Hans Kohn. August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin. 


Montag, den 27. Januar 1913. 


Mi. 


Fünfzigster Jahrgang. 


I N H 

Origtsaliea: Veit: Die Eklampsie and ihre Behandlung. S. 145. 

Lewin: Versuche über die Biologie der Tiergeschwülste. (Aus dem 
Köuigl. Institut für Krebsforschung der Charitö.) (Illustr.) S. 147. 

Boas: Beitrag zur Methodik und Technik der okkulten Blutunter¬ 
suchung des Magendarmkanals. S. 154. 

Betke: Resektion von tuberkulösen Bifurkationslymphdrüsen wegen 
Trachealstenose. (Aus der chirurgischen Klinik des städtischen 
Krankenhauses zu Frankfurt a. M.) (Illustr.) S. 157. 

Hörz: Transduodenale üepaticusdrainage. (Aus der chirurgischen 
Klinik zu Breslau-) (Illustr.) S. 160. 

Harttun g: Ueber SpontangangTän des Zeigefingers und symmetrische 
Gangrän. (Aus der chirurgischen Abteilung des Allerheiligen- 
Hospitals zu Breslau.) S. 161. 

Nagelschmidt: Ueber die elektrische Behandlung der Fettleibig¬ 
keit. (Aus dem Fiusen-Institut in Berlin.) S. 162. 

Plosch: Zur Frage der chemischen Einwirkungen des Thorium X 
auf organische Substanzen, besonders auf die Harnsäure. (Aus 
der 11. medizinischen Klinik zu Berlin.) S. 165. 

Saalfeld: Ueber Radium- und Mesothoriumbehandlung bei Haut¬ 
krankheiten. S. 166. 

Alexander und Unger: Zur Behandlung schwerer Gesichtsneur¬ 
algien. Alkoholinjektion ins Ganglion Gasseri.) S. 167. 

Treitel: Klinische Erfahrungen mit Adamon bei den Reizzuständen 
der akuten Gonorrhöe. (Aus dem dermato-urologischeu Institut 
von Dr. Bab und Dr. Treitel.) S. 168. 

Schmidt: Neuerungen im Bereiche der preussischen Heeressanitäts¬ 
verwaltung während des Jahres 1912. S. 168. 

BieKerkesprechoDgea : Höckendorf: Der Kohlebydratstoffwechsel und 

die innere Sekretion. S. 172. (Ref. Bickel.) — Thumm: Ueber 

ADstalts- und Hauskläranlagen. S. 172. (Ref. Globig.) — Sudhoff: 

Graphische und typographische Erstlinge der Syphilisliteratur aus 

den Jahren 1495 und 1496. S. 172. (Ref. Sticker.) — Siegel: 


ALT. 

Das Asthma. S. 173. (Ref. Knopf.) — Pescatore: Pflege und 
Ernährung des Säuglings. S. 173. (Ref. Weigert.) — Daniel: Le 
post partum normal. S. 173. (Ref. Schaeffer.) 

Literatur-Auszüge: Physiologie. S. 173. — Pharmakologie. S. 173. — 
Therapie. S. 173. — Allgemeine Pathologie und pathologische 
Anatomie. S. 174. — Diagnostik. S. 174. — Parasitenkunde und 
Serologie. S. 174. — Innere Medizin. S. 174. — Psychiatrie und 
Nervenkrankheiten. S. 175. — Chirurgie. S. 176. — Röntgenologie. 
S. 176. — Urologie. S. 176. — Haut- und Geschlechtskrankheiten. 
S. 176. — Geburtshilfe und Gynäkologie. S. 176. — Augenheil¬ 
kunde. S. 177. — Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. S. 178. — 
Hygiene und Sanitätswesen. S. 178. — Unfallheilkunde und Ver¬ 
sicherungswesen. S. 178. — Technik. S. 179. 

Verhandlnngea ärztlicher Gesellschaften: Berliner medizinische 
Gesellschaft. Rosenberg: Krankenvorstellung. S.179. Morgen- 
roth und Giesberg: Horobautanästhesie durch Chinaalkaloide. 
S. 180. Oppenheim und Krause: Partielle Entfernung des Wurms 
wegen Geschwulstbildung unter breiter Eröffnung des vierten Ven¬ 
trikels. S. 180. — Gesellschaft der Charitö-Aerzte. S. 181.— 
Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde zu Berlin. 
S. 184. — Berliner Gesellschaft für Chirurgie. S. 184. — 
Medizinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für 
vaterländische Kultur zu Breslau. S. 186. — Wissenschaft¬ 
licher Verein der Aerzte zu Stettin. S. 188. — Natur- 
historisch-medizinischer Verein zu Heidelberg. S. 189. — 
Göttinger medizinische Gesellschaft. S. 190. — Medi¬ 
zinische Gesellschaft zu Basel. S. 190. — Aerztlicher 
Verein zu München. S. 191. — Gesellschaft für Morpho¬ 
logie und Physiologie zu München S. 191. 

Port mann: Eine neue Modifikation der Wassermann’schen Reaktion. 
(Aus dem Laboratorium für medizinische Diagnostik, Berlin.) S. 191. 

Tagesgeschichtl. Notizen. S. 191. — Amtl. Mitteilungen. S.192. 


Die Eklampsie und ihre Behandlung. 

Von 

J. Veit. 


Das Gift der Eklampsie stammt von dem Eiweiss der Peri¬ 
pherie der Placenta. 

Dieser Satz wird wohl bald allgemein angenommen sein. 
Eine der Methoden, dnreh die ich ihn zur Anerkennung bringen 
wollte, war der Versuch der Diagnostik der Schwangerschaft ans 
den Veränderungen des Bintes der Schwangeren. Bei jeder 
menschlichen Schwangerschaft tauchen die Zotten in das Blut 
des intervillösen Raumes. Kommt das Gift der Eklampsie also 
von der Peripherie der Zotten und gelangt es im intervillösen 
Raum in das mütterliche Blut, so muss auch von den Zotten bei 
jeder Schwangerschaft in das Blut etwas gelangen und dieses 
muss andeutungsweise Veränderungen darbieten, die in irgend¬ 
welchen Beziehungen zum eklamptischen Gifte stehen. 

So erklärt es sich, dass viel Fleiss und viel Scharfsinn 
gerade im letzten Jahrzehnt auf die Untersuchung des Blutes 
Schwangerer aufgewendet wurde, und dass stets die Rücksicht 
aaf die Genese der Eklampsie dabei eine Rolle spielte. Schon 
spricht man von Schwangerschaftstoxikosen und dergleichen. Da 
iram die Serodiagnostik der Schwangerschaft; nicht, wie ich zu¬ 
erst meinte, auf Grund von Ehrlich’s Antikörpern oder Prä- 


cipitinen, sondern mit der optischen Methode durch Abderhalden, 
und wesentlich erweitert wurde dieser Einblick in die Physio¬ 
logie der Schwangerschaft durch seine chemischen Reaktionen. 

Aber dieser Nachweis ist nicht an das Eintauchen der Zotten 
in das Blut gebunden. Bei Tieren, bei denen die Zotten ihre 
Verbindung mit dem Uterus nur in den Drüsen finden, stimmt die 
Serodiagnostik ebenfalls. Trotzdem gewinnen wir für das Ver¬ 
ständnis der Eklampsie sehr viel; denn eklamptische Konvulsionen 
bei der Geburt kommen nur bei der menschlichen Frau vor, und 
da die Zotten ausser bei ihr unter den Lebewesen der ver¬ 
gleichenden Anatomie nnr bei dem Igel und Tarsus Spectrum in 
das mütterliche Blut tanchen, so bleibt die Annahme der Her¬ 
kunft des eklamptischen Blutes von dem Eiweiss der Zotten be¬ 
stehen; ja, sie gewinnt an Kraft, weil nur das Eintauchen in das 
Blut die Erklärung dafür geben kann, dass plötzlich ohne jedes 
Trauma eine sehr starke Steigerung dieser Aufnahme erfolgt, so 
stark, dass gegen sie die Schutzmaassregeln des Körpers versagen. 

Solche theoretischen Arbeiten werden zur Grundlage für die 
Verbesserung unserer Eklampsiebehandlnng werden. Gegen die 
Eklampsie als Vergiftung muss es ein Gegengift geben. Wir 


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UMIVERSITY OF IOWA 







146 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 4. 


kennen es bis jetzt noch nicht so sicher, dass schon genügend Er¬ 
fahrungen darüber vorliegen. 

Aber bis wir es kennen, wollen die Eklamptischen doch auch 
geheilt werden. Jeder, der auf diesem Gebiete arbeitet, versucht 
ausser der praktischen auch eine theoretische Begründung seiner 
Vorschläge zu geben, und da die Sicherheit darüber, an welcher 
Stelle das Gift ansetzt, nicht sehr gross ist, so gehen manche 
therapeutischen Maassregeln nur gegen eine Erscheinung vor, die 
man epikritisch als Folge und nicht als Wesen der Vergiftung 
ansehen kann. So werden manche als Heilverfahren vorge¬ 
schlagene Methoden sich keiner Anerkennung erfreuen können, 
weil sie entweder auf falscher Theorie über die Genese beruhten 
oder weil sie sich gegen eine Veränderung richten, die nur als 
Folge und nicht als das Wesen der Vergiftung gelten kann. 

Aber schon der Umstand, dass solche auf unsicherer Basis 
aufgebaute Vorschläge gemacht werden konnten, zeigt die 
Schwierigkeit der Kritik unserer Therapie. Hätte man mit der 
Amputation der Brustdrüsen oder mit der Trepanation des 
Schädels nicht Erfolge gesehen, so würde man solche Vorschläge 
nicht veröffentlicht haben, und dass man Erfolge sah, beruht eben 
darauf, dass es so schwer ist, die Prognose der Eklampsie zu stellen. 
Mancher Fall heilt, und wenn man auch denkt, dass er durch 
die Therapie genas, so muss man annehmen, dass es bei der 
Therapie dazu kam. 

Die Heilverfahren, die jetzt bei der Eklampsie allgemeiner 
verbreitet sind, versuchen sich gleichfalls theoretisch und prak¬ 
tisch zu rechtfertigen: Theoretisch die Entfernung der Giftquelle, 
nämlich der Placenta, also die Schnellentbindung; die Haupt¬ 
wirkung des Giftes die Konvulsionen, also ihre Beseitigung durch 
Narkose; Vergiftung des Blutes, also partielle Entfernung des 
Blutes, der Aderlass mit oder ohne nachfolgende Kochsalz¬ 
infusion. Den praktischen Nachweis soll dann die Statistik liefern. 

Von diesen drei Verfahren, welche heutzutage Empfehlung ver¬ 
dienen, ist theoretisch die schnelle Entbindung am besten be¬ 
gründet; da von der Placenta das Gift geliefert wird, muss die 
völlige Entleerung des Uterus den Beginn der Heilung darstellen. 
Nur was vorher schon im Körper war, wird dann noch schaden 
können und beseitigt werden müssen. 

In moderner Zeit hat wohl Halbertsma zuerst die Meinung 
ausges .ochen, dass man bei der Eklampsie die Frau so schnell 
wie möglich entbinden solle, weil mit dem Aufhören der Geburt 
die Anfälle von selbst verschwinden. Der abdominale Kaiser¬ 
schnitt, den er empfahl, war aber damals bei weitem nicht so 
ungefährlich als jetzt, und so sind nur wenige dem Rat von 
Halbertsma gefolgt. Die überwiegende Mehrzahl lehnte damals 
den abdominalen Kaiserschnitt aus dieser Indikation ab, und nicht 
viel anders erging es dem Vorschlag von Dührssen, als er den 
vaginalen Kaiserschnitt für die Eklampsie empfahl. Die In¬ 
zisionen der Vulva, die Eröffnung des Uterus durch Zerschneidung 
der vorderen und hinteren Wand ohne Rücksicht auf Eröffnung 
des Peritoneums war nicht imstande, die Zustimmung der Geburts¬ 
helfer zu finden. Das Mittel schien gefährlicher als die Krankheit, 
und aus diesem Grunde gewann die Schnellentbindung bei der 
Eklampsie zuerst wenig Freunde. Erst als Bumm den vaginalen 
Kaiserschnitt durch die Umwandlung in die „Hysterotomia anterior“ 
auf das notwendigste Maass des Operierens beschränkte und die 
Operation dadurch gefahrlos machte, änderte sich mit einem 
Schlage die Sachlage. Die Erfolge schienen der Empfehlung 
Recht zu geben, und so bat sich die Hysterotomia anterior in der 
Behandlung der Eklampsie Freunde erworben; sie ist heute die 
am weitesten verbreitete Methode der Schnellentbindung geworden. 
Ohne Rücksicht auf die Vorbereitung der Weichteile gelingt es, 
die Cervix sofort so zu erweitern, dass die Hand zur Wendung 
eingeführt oder die Zange an den Kopf angelegt werden kann. 

Die operative Hilfe durch die vaginale Schnellentbindung hat 
an sich gar keine Mortalität. Wir können mit voller Sicherheit 
behaupten, dass derjenige Arzt, der die Methode kennt und ihre 
Technik beherrscht, durch die Hysterotomie keine Patientin ver¬ 
liert, wenn er nur genügende Assistenz und sichere Antiseptik 
besitzt. Die erste Bedingung ist die auf Erfahrung .beruhende 
Geschicklichkeit. Wenn einzelne Kliniken ehrlich ihre sämtlichen 
Fälle mitteilen und dabei berichten müssen, dass ein gewisser 
Bruchteil von Fällen an der Operation zugrunde ging, so erklärt 
sich dies durch die geringere Uebung einzelner jüngerer Aerzte. 
Sie vermieden nicht alle technischen Fehler. Hierzu rechne ich 
das Anschneiden oder Anreissen des Peritoneums oder grösserer 
Aeste der Art. uterina, das Weiterreissen der Schnitte und die 
Verletzung der Blase. Das alles lässt sich leicht vermeiden. 


Jeder, der dies noch nicht kann, soll einen etwaigen Misserfolg 
nicht der Methode, sondern sieb selbst zur Last lagen. Natürlich 
ist es wünschenswert, dass alle Geburtshelfer in der Technik so 
ausgebildet werden, dass solche Verletzungen nicht Vorkommen 
können, oder man muss eben noch einfachere Methoden ersinnen. 
Diesen Vorwurf teilt die Schnellentbindung natürlich mit 
jeder Operation, und gerade in der Geburtshilfe fehlt manchem 
Geburtshelfer die Selbstkritik. Er glaubt, weil Glänzendes von 
der Schnellentbindung berichtet ist, dass jeder ohne weiteres 
diese Methode beherrscht; das ist ein bedenklicher Irrtum. 

Die zweite Vorbedingung ist genügende Assistenz. Der er¬ 
fahrene Arzt braucht von wirklich geübter Hilfe nur die instru¬ 
mentierende Schwester oder Hebamme. Die Hände, welche die 
Hakenzangen und das Speculum halten, brauchen nur mit einem 
reinen Handschuh bekleidet zu sein und haben sonst nur still¬ 
zuhalten. Aber selbst diese Voraussetzungen treffen natürlich für 
alle Aerzte, aber schon nicht für alle Hebammen zu. So ist es 
erklärlich, dass über die technischen Schwierigkeiten der Hystero¬ 
tomia anterior so verschiedene Meinungen verbreitet sind. Der 
eine will sie nur in der Klinik, der andere in jeder Hütte vor¬ 
nehmen. Ich glaube, dass für den Durchschnitt der Fälle und 
für die durchschnittliche Geschicklichkeit der Assistenz die Ver¬ 
legung der Eklamptischen in die Klinik zu bevorzugen ist. 

Die Wahrung der Antiseptik ist selbstverständlich. Sie ist, 
wenn man sich ernstlich bemüht, trotz aller Schwierigkeiten sicher 
zu erreichen. 

Hat man alle diese Vorbedingungen für die Erfolge der 
Schnellentbindung erfüllt, so kommt bei der Eklampsie noch die 
Eigentümlichkeit zur Geltung, dass die Fälle so ausserordentlich 
verschieden schwer sind. 

Je länger die Eklampsie unbehandelt dauerte, desto schlechter 
die Prognose. Es gibt weiter Fälle, die von vornherein sich als sehr 
schwer charakterisieren. Schwere Nephritis, bei der die Eklampsie das 
Endstadium darstellt, intensive Zersetzung des Blutfarbstoffes, 
sehr schlechte Beschaffenheit des Herzens. Es ist ausserordent¬ 
lich schwierig, die schweren Fälle als solche sofort zu erkennen. 
Selbst die Hämoglobinurie braucht nicht immer tödlich zu sein. 

Darin liegt die Schwierigkeit der Kritik für unsere Methoden. 
Früher war jede Operation gefährlich. Natürlich, dass mit dem 
Abnehmen der Gefahr der Operation auch die Eklampsie leichter 
heilte. Es lag daher an sich nahe, ganz ungefährliche Heilver¬ 
fahren zu versuchen. Hierzu gehören die Narkotica. Ihre 
theoretische Begründung gab G. v. Veit. Er meinte, die Schäd¬ 
lichkeit liege nur im Anfall. Man unterdrücke den Anfall, und 
man heilt die Patientin. Seine Erfolge mit den grossen Morphium¬ 
dosen waren ausgezeichnet. Aber man musste es erleben, dass 
die verschiedensten Kliniken, welche das Verfahren nachprüften, 
nichts Gutes berichten konnten. Es ist dies erklärlich, weil das 
Morphium in so grosser Dosis an sich eine Gefahr darstellt. In 
neuester Zeit hat nun Stroganoff die Narkose wiederum warm 
empfohlen. Er vermeidet die grossen Dosen von Morphium; er 
will dieses Mittel mit Cbloral kombinieren bzw. miteinander ab¬ 
wechseln lassen, sowie die Anfälle eventuell durch Chloroform 
coupieren. Das Verfahren erwarb sich Freunde, hatte aber auch 
theoretische Bedenken gegen sich. Als es jüngst in deu Berliner 
Kliniken erprobt wurde, starben von den ersten 18 so be¬ 
handelten Frauen 8! Begreiflich daher, dass man Bedenken gegen 
das Verfahren haben muss. 

So würde das aktive Verfahren jetzt unbedingt allgemein 
anerkannt sein, wenn nicht jüngst Zweifel und Lichtenstein 
durch die prinzipielle Empfehlung des Aderlasses und seine Kom¬ 
bination mit dem Stroganoff’schen Verfahren von neuem tarn 
Nachdenken veranlassen mussten. Für die theoretische Basis 
hebt Zweifel mit Recht hervor, dass das Blut Eklamptischer 
wasserärmer ist als in der Norm. Von besonderem Interesse sind 
aber die Erfolge, über die Lichtenstein berichtet. Unter 
80 Eklamptischen hat er nur 6 verloren. Noch mehr. Er hat 
die letzten 60 Fälle hintereinander geheilt. 

Das sind natürlich Zahlen, die zu denken geben. Aber io 
ihnen liegt sofort da$ Bedenken: unter 80 starben 5, unter den 
letzten 60 keine, also unter den ersten 20 starben 5; das gibt 
eine recht hohe Mortalität, auf diese 20 bezogen. 

Daher meine Mahnung zur Vorsicht mit der Statistik. Prak¬ 
tisch kommt es ja auf einen Vergleich der Schnellentbindung 
mit dieser Methode an. Mein Material ist viel kleiner als das 
der Leipziger Klinik. Vom 1. April 1904 bis 14. Februar 1906 
habe ich hintereinander 21 Fälle mit der Hysterotomia anterior 
zur Genesung kommen sehen. Knapp berichtet unter anderen 


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27. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


147 


aus v. Rosthorn’s Klinik, dass er mit der aktiven Therapie von 
22 Eklamptischen nur 1 Patientin verlor. 

Man kann also mit der Schnellentbindung tatsächlich Gutes 
erreichen. Kommen aber ungünstige Fälle in die Klinik, so geht 
es schlechter: Im Jahre 1912 habe ich 18 Fälle von Eklampsie 
gesehen; von diesen starben 5, darunter 2, die in ganz desolatem 
Zastand eingeliefert wurden, und 2 weitere starben am elften Tage 
oach der Geburt, die eine war die ganzen elf Tage ohne Kon¬ 
vulsionen bewusstlos geblieben, und die andere starb an ihrer 
schweren chronischen Nephritis, in der die Eklampsie nur eine 
Episode dargestellt hatte. Auch die fünfte Patientin, die übrigens 
am zweiten Tage starb, war von vornherein sehr schwer erkrankt. 
Im Beginn des Jahres 1906 batte ich die feste Ueberzeugung von 
der stets günstigen Wirkung der schnellen Entbindung. Fast 
glaubte ich, ein Todesfall träte nur ein, wenn man zu spät ope¬ 
rierte. Dann kam ein Todesfall, dann eine längere Reihe von 
Heilungen, dann die Todesfälle des Jahres 1912. Ich halte die 
Behandlung der Eklampsie mit dieser schnellen Entbindung trotz¬ 
dem für richtig. Mein Schluss ist cur der, dass es schwere und 
leichte Fälle von Eklampsie gibt. Vermeidet man Infektion und 
Pneumonie, sieht man die Fälle früh, so kann man jetzt eine 
Reihe von Fällen hintereinander durchbringen, bis einzelne un¬ 
glückliche Fälle eingeliefert werden. 

Am günstigsten stellen sich die Fälle dar, in denen 
es möglich ist, sofort nach dem ersten Anfall die Frau 
zu entbinden. Es scheint mir daher sehr wünschenswert, dass 
in dem neuen preussischen Hebammenlehrbuch in dem § 454 die 
schriftliche Meldung oder der Bote zum Arzt durch eine 
dringende Telephonmeldung ersetzt wird; der § 312, der 
dies im allgemeinen erlaubt, müsste bei der Eklampsie besonders 
in Erinnerung gebracht seio. Ausserdem ist es wünschenswert, dass 
jede Untersuchung einer Eklamptischen in Narkose vorgenommen 
wird. Sie ist an sich überhaupt nicht nötig. Ist die Diagnose 
Eklampsie gestellt, so kann die Patientin sofort operiert werden; auf 
die Verhältnisse der Cervix kommt es technisch gar nicht mehr an. 

Zweifel legt bei seiner Empfehlung der Narkotica besonderen 
Wert darauf, dass die operative Entbindung eine möglichst 
schonende sei. Ich habe mir daher die Frage vorgelegt, ob die 
io Narkose ausgeführte Hysterotomia anterior als schonendes Ver¬ 
fahren angesehen werden darf, oder aber ob man zu fürchten bat, 
dass nach der Entbindung Schmerzen bestehen bleiben, die etwa 
einen Reiz zum Andauern der Krämpfe darstellen können. Ich 
wende die Methode bei der Placenta praevia der Multiparen ganz 
ohne Narkose an; sie klagen hinterher gar nicht. Entbinde ich 
andere Frauen mit diesem Verfahren in Narkose und frage ich 


die eben Erwachte nach Schmerzen, so erhalte ich regelmässig 
die Angabe, dass keine Schmerzen bestehen. Ich bin daher nicht 
im Stande, einen wesentlichen Unterschied in der Nervenreizung 
zwischen der Entbindung durch die Hysterotomia anterior bei 
engem Muttermund und der Anlegung der Zange bei völlig er¬ 
weitertem Muttermund zu sehen. • 

Es ist vielleicht zweckmässig, dass man das Urteil über die 
Schnellentbindung und den Aderlass mit Narcoticis dahin zusammen¬ 
fasst, dass beide Methoden gut sind, und es scheint mir sehr gut 
möglich zu sein, beide miteinander zu vereinigen. Wirdeine 
Eklamptische in die Klinik gebracht, so entbinde man sie sofort, 
und hat sie bei der Entbindung wenig Blut verloren, so füge 
man einen Aderlass von 500 g hinzu. Erwacht dann die Patientin 
aus der Narkose, so gebe man ihr eine Dosis Morphium, auf die 
man bei weiterer Unruhe entsprechend dem Vorschlag von 
Stroganoff das nächste Mal Chloralbydrat folgen lassen kann, 
um dann von neuem Morphium in mittleren Dosen zu geben. 

Auf der anderen Seite kann man bei jeder Eklamptischen 
mit dem Aderlass beginnen und wenn darauf noch ein Anfall 
kommt, die Frau sofort entbinden. 

Ich sehe in der Kombination der beiden Verfahren kein Un¬ 
glück. Ich selbst werde jedenfalls die Eklamptische weiter wie 
bisher sofort entbinden und dann bei Andauer der Krämpfe durch 
Aderlass und Narkotica zu helfen suchen. Denn dass Aderlass 
und Narkotica wirksame Mittel gegen Eklampsie sind, kann man 
aus den Veröffentlichungen der Leipziger Klinik schliessen. 

Gegenüber diesen beiden Methoden treten, wenigstens zurzeit, 
alle übrigen an Bedeutung zurück. Gewiss werden einzelne Fälle 
besondere Maassregeln verlangen. So kann bei Anurie, welche 
doch auch bei Eklampsie ausnahmsweise beobachtet werden kann, 
der Gedanke an die Nierenenthülsung oder an die Niereninzision 
nicht von der Hand gewiesen werden. Die allgemeine Eklampsie- 
behandlung kann aber in diesen Verfahren nicht gefunden werden. 

Welches von beiden Verfahren man prinzipiell wählt, wird 
ja Sache des einzelnen Arztes sein. In der Kombination beider 
Methoden wird wahrscheinlich mancherlei Nutzen gefunden werden 
können. Dass dies aber nur ein vorläufiges Urteil ist, das möchte 
ich zum Schluss ganz besonders betonen. Wir haben die^ sichere 
Aussicht, das Gegengift gegen das eklamptische Gift herzustellen; 
wir wollen hoffen, dass es in nicht zu ferner Zeit gelingt, es 
praktisch zu erproben. Bis dahin haben wir sowohl in der Schnell¬ 
entbindung wie in dem Aderlass vereint mit Narcoticis gute Ver¬ 
fahren, welche vielleicht in ihrer Kombination besonders gute 
Erfolge zeigen werden. 


Aus dem Königlichen Institut für Krebsforschung der 
Charite (Prof. Dr. G. Klemperer). 

Versuche über die Biologie der Tiergeschwölste. 

Von 

Prof. Dr. Carl Lewin. 

(Nach einem Vortrage in der Berliner med. Gesellschaft vom 18. Dez. 1912.) 

M. H.! Von allen Problemen, welche die Krebsforschung uns 
bietet, steht naturgemäss die Krebsheilung im Vordergrande des 
Interesses. Wir haben gesehen, welche Fortschritte die experi¬ 
mentelle Krebsforschung im Tierversuch gerade auf diesem Gebiete 
im letzten Jahre zu verzeichnen batte, dank den Arbeiten von 
v. Wassermann, Neuberg und Caspari, neuerdings auch von 
Werner. Inwieweit diese Versuche auf die menschlichen Ver¬ 
hältnisse anwendbar sind, muss erst weitere Arbeit lehren. Diese 
Arbeit aber kann sich nur auf die vergleichende Biologie der 
malignen Tumoren beim Menschen und beim Tier stützen. Nur 
von dieser Grundlage aus kann sich ein Fortschritt anbahnen für 
die Aetiologie, diesem noch ganz unbekannten Gebiete der Krebs¬ 
forschung, wie für die Diagnostik und Therapie der menschlichen 
Tumoren, dem Problem, das unser aller Interesse beherrscht. Es ist 
natürlich, dass eine solche Arbeitsrichtung erst einsetzen konnte, seit¬ 
dem uns in den bekannten Tiertumoren, namentlich denen der Mäuse 
und Hatten, ein geeignetes Versuchsmaterial zur Verfügung steht. 

Aller Fortschritt, den die Krebsforschung iu den letzten Jahren 
gemacht bat, beruht im wesentlichen auf der Arbeit mit diesen Tier- 
geschwülsteo. Es ist daher unerlässlich, dass über die Natur der 
Tiertumoreo, über ihre Pathologie und Biologie Klarheit herrscht, 
damit unsere Arbeit nicht eine vergebliche und zwecklose ist. 


I Wir wissen, dass bei Ratten und Mänsen Geschwülste vor- 
j kommen, welche sich von Tier zu Tier übertragen lassen. Sie 
| ähneln in ihrer mikroskopischen Struktur vollkommen denen des 
| Menschen, und kein pathologischer Anatom ist imstande, bei Be¬ 
trachtung des mikroskopischen Bildes eine Entscheidung zu treffen, 
ob wir einen Tumor vom Tier oder vom Menschen vor uns haben. 
Indessen zeigt sich in dem Vorkommen der Geschwülste bei beiden 
Tierarten ein fast prinzipieller Unterschied. Während i'ie bös¬ 
artigen Geschwülste der Ratte fast ausschliesslich bis auf wenige 
Ausnahmen den Typus des Sarkoms zeigen, sehen wir 1 • i den 
Mäusen vorwiegend Tumoren mit epithelialer Struktur. Dieser 
fast konstante Befund lässt sich nur so erklären, dass die En ^fäng- 
lichkeit der verschiedenen Zellarten, der Bindegewebs- und Epithel¬ 
zellen, bei Ratten und Mäusen für die zur spontanen Tumorbildung 
führenden, uns unbekannten Schädlichkeiten durchaus verschieden 
sein muss. Dass hier embryonale Anlagen Ursache der Geschwulst¬ 
bildung sind, erscheint jedenfalls sehr unwahrscheinlich. Es er¬ 
hebt sich nun die Frage, wie wir diese Tumoren der Ratten und 
Mäuse zu bewerten haben. Nach ihrem mikroskopischen Bau 
i können wir sie nicht anders als bösartige, als Sarkome bzw. 
Carcinome, bezeichnen. An der Sarkomnatnr der Rattentumoren 
ist bisher kein Zweifel geäussert worden. Ihre biologische Be¬ 
wertung muss aber die gleiche sein wie diejenige der trans- 
plantabien Mänsegescbwülste mit epithelialem Bau, die Apolant 
in aasgedehnten und mühevollen Untersuchungen als Carcinome, 
d. h. also als epitheliale bösartige Geschwülste charakterisiert hat 
Apolant weist die besonders von Eberth und Spude ge- 
äosserte Ansicht zurück, dass diese Mäusetumoren von Endothelien 
abstammen. Die Tumoren kommen fast ausschliesslich bei weib¬ 
lichen Mäusen vor, sie zeigen durchweg drüsigen Bau und sitzen 
zu 3 / 9 auf der Bauchseite. Alle diese Momente lassen es als un« 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 4. 


möglich erscheinen, sie von Endothelien herzuleiten, da doch 
kaum ein Unterschied nicht nur zwischen den Endothelien männ¬ 
licher und weiblicher Mäuse, sondern sogar zwischen denen des 
Bauches und Rückens bei weiblichen Tieren angenommen werden 
kann. Ihr drüsiger Bau lässt vielmehr auf ihre Abstammung von 
drüsigen Organen mit Bestimmtheit schliessen. Als solche kommen 
weder Talg- noch Schweissdrüsen in Frage, sondern einzig und 
allein die Mamma, die, wie besonders von Apolant und Murray 
und Haaland nachgewiesen ist, über die ganze Bauchseite vom 
Knie bis zu den Genitalien verstreut in Läppchen angeordnet ist 
und sich teilweise auch auf der Rückseite der Tiere findet. Dieser 
Anschauung haben sich Jensen, Bashford, L. Michaelis und 
Löwenthal und alle die anderen Forscher, die sich mit diesen 
Tumoren beschäftigen, angeschlossen und auch fast alle Patho¬ 
logen, die mit Mäusetumoren arbeiten, wie Lubarscb, Henke, 
v. Gierke, Schwalbe, Thorei, Stahr und viele andere, er¬ 
kennen die epitheliale Natur dieser Mäusegeschwülste an und 
bezeichnen sie daher folgerichtig als Mäusekrebs. 

Gegen diese Bezeichnung hat nun v. Hanse mann immer 
von neuem Widerspruch erhoben. Obwohl er zugibt, dass echte 
Carcinome bei den Mäusen Vorkommen, leugnet er für die meisten 
transplantabien Mäusegeschwülste ihre Abstammung von Epithelien 
der Mamma und will sie lediglich als Endotheliome angesohen 
wissen. Als solche sind sie, wie v. Hansemann weiterhin aus¬ 
führt, von relativ gutartiger Natur, jedenfalls in ihrer Biologie 
von den menschlichen Carcinomen so sehr verschieden, dass ein 
Vergleich beider gänzlich unmöglich ist. Zu dieser Anschauung 
glaubt v. Hansemann zunächst deswegen berechtigt zu sein, 
weil ihm wie seinem Schüler Deton der Nachweis der Abstammung 
dieser Tumoren von den Epithelien der Mamma auch mit dem 
sogenannten Plattenmodellverfahren bei der Maus nicht gelungen 
ist. Apolant hat demgegenüber darauf hingewiesen, dass bei 
den besonderen Verhältnissen der Maos dieses Verfahren, die 
Histogenese der Tumoren nachzuweisen, gänzlich ungeeignet ist. 
Obwohl ich nun in der Beurteilung der Histogenese und der 
Morphologie dieser Mäusegeschwülste durchaus die Anschauungen 
Apolant’s vertrete, also diese Tumoren für epitheliale Geschwülste 
der Mamma halte, wurde ich mich doch gegen eine Uebertragung 
der mit diesen Tumoren erzielten Forschungsergebnisse auf die 
menschlichen Verhältnisse aussprechen, wenn die Anschauung 
v. Hansemann’s berechtigt wäre, dass diese Tumoren keine 
bösartigen sind, also mit dem menschlichen Carcinom nichts 
gemein haben. Darin stimme ich v. Hansemann vollkommen 
bei, dass auf die Morphologie und Histogenese dieser Tumoren 
kein entscheidendes Gewicht zu legen ist. Von wesentlicher Be¬ 
deutung für ihre Beurteilung ist lediglich ihre Biologie. Bio¬ 
logisch aber sind diese Tumoren, wie v. Hansemann hier aus- 
geföhrt hat, wesentlich vom menschlichen Krebs verschieden. 
Denn sie wachsen abgekapselt gegen das übrige Gewebe, zeigen 
also kein infiltratives Wachstum, sie machen nur ausnahmsweise 
Metastasen und verursachen endlich nicht das uns beim Menschen 
geläufige Bild der Krebskacbexie. 

In der Tat ist der maligne Charakter einer Geschwulst ja wesent¬ 
lich an diese bekannten drei Faktoren der Bösartigkeit geknüpft. 

Was zunächst das infiltrative Wachstum der Mäuse- und 
Rattentumoren betrifft, so ist auf den ersten Blick ihr Verhalten 
von dem der menschlichen Tumoren verschieden. Die Tumoren 
wachsen meistens abgekapselt im subcntanen Bindegewebe, ohne 
in die umgebenden Gewebe hineinzuwuchern; man kann sie einfach 
ausschälen, und es bleibt dann kein Gewebsdefekt zurück. Liegen 
hier nun prinzipielle, in der geringeren Bösartigkeit der tierischen 
Tumorzellen begründete biologische Unterschiede vor? Um diese 
Frage zu entscheiden, müssen wir uns klarmachen, wie das in¬ 
filtrative Wachstum der bösartigen Geschwülste zustande kommt. 

Die Bösartigkeit einer jeden Geschwulst hängt nicht nur ab 
von der besonderen biologischen Veränderung der Zellen, die wir 
als maligne bezeichnen. In gleich hohem Grade sind konstitu¬ 
tionelle Zustände des befallenen Organismus, also das, was wir 
Disposition nennen, für das Zustandekommen der bösartigen 
Wucherung raaassgebend. Das haben wir aus allen unseren ex¬ 
perimentellen Arbeiten mit Sicherheit erkannt, und ich will 
darauf hier nicht weiter eingehen. Für die Frage des Wachstums 
der Geschwulst aber ist die Beschaffenheit des Gewebes, in dem 
der Tumor entsteht, von ausschlaggebender Bedeutung. Die bös¬ 
artigen Zellen mit der ungeheuren Proliferationskraft — bei den 
transplantablen Tiergeschwülsten wächst ja der Tumor in drei 
Wochen fast zur Grösse des Tieres heran — werden natürlich 
bald mit den natürlichen Widerstandskräften ihrer Umgebung in 


Konflikt kommen müssen. So lange sie bei ihrer Vermehrung 
ein Gewebe finden, in dem sie ungehindert wachsen können, 
werden sie natürlich in der Richtung der geringsten Widerstands¬ 
kraft sich ausdehnen. Geht das nicht mehr, dann kommt es zum 
Kampfe zwischen Tumorzelle und Nachbargewebe. Will der 
Tumor nicht zugrunde gehen, dann muss er den Widerstand 
brechen, er wächst daher in die Spalten und Lücken der Um¬ 
gebung hinein, vernichtet die Zellen, und so kommt das bekannte 
Bild des infiltrativen Wachstums ja zustande. Wenigstens sehen 
wir das beim Menschen gewöhnlich so. Ein Tumor, der in der 
Haut entsteht oder an der Portio uteri oder im Lumen eines 
Hohlorgans, wächst mit seinem grössten Teil in der Richtung des 
schwächsten Widerstandes, also an die freie Oberfläche, sein 
Tiefen Wachstum in die Nachbargewebe ist verhältnismässig gering. 
Der maligne Tumor, der in einem kompakten Organ entsteht, 
etwa im Gehirn, in der Leber, Niere usw., muss bei seinem 
Wachstum von Anfang an die Nacbbarzellen vernichten, infiltrativ 
wachsen, wenn er überhaupt wachsen will. Wie liegen nun die 
Dinge bei der Ratte und der Maus? Sowohl die spontanen wie 
die geimpften Tumoren liegen meistenteils im subcutanen Binde¬ 
gewebe des Bauches oder des Rückens. Der kleine Drüsenlappen, 
von dem ein spontaner Tumor ausgeht, ist bald durch das Tumor¬ 
gewebe ersetzt, und man findet dann keine Spur mehr von ihm 
vor. ln dem lockeren weichen Gewebe der Unterbaut kann die 
spontane oder geimpfte Geschwulst zu enormer Grösse heran¬ 
wachsen, ohne dass sie auf den geringsten Widerstand der um¬ 
gebenden Gewebe trifft. Denn man kann ja die Haut der Tiere 
mit dem Finger mehrere Zentimeter weit abheben, so locker und 
weich ist das darunterliegende Bindegewebe. Die Geschwulst 
kann gar nicht infiltrativ wachsen, weil die Möglichkeit dazu 
vollkommen fehlt. Erst wenn sie nicht mehr Platz findet, dann 
muss sie, um überhaupt weiter zu existieren, infiltrativ wachsen, 
und das tut sie auch, wie ich bald demonstrieren werde, stets. 
Die Abhängigkeit des malignen Wachstums von der Lage der 
Geschwulst und von der Beschaffenheit der Nachbargewebe ist 
eine Tatsache, die auch für den Menschen durchaus anerkannt 
wird. Ernst Schwalbe hebt das in seinem Lehrbuch der 
allgemeinen Pathologie ebenfalls hervor und tritt diesen An¬ 
schauungen durchaus bei. Als beweisend dafür führt er 
eine Beobachtung an, wo ein grosses Carcinom der Brustdrüse 
einer Frau, das die regionären Lymphdrüsen mit affiziert hatte, 
vollkommen abgekapselt und verschieblich in einem ausserordent¬ 
lich lockeren subcutanen Gewebe wuchs und hier fast stumpf 
berauspräpariert werden konnte. So wie hier im Einzelfalle beim 
Menschen liegen die Dinge bei den Tieren gewöhnlich. Auf 
eine geringere Bösartigkeit der Tumoren darf deswegen durchaus 
nicht geschlossen werden. Ich kann dafür experimentelle Be¬ 
weise liefern. Sobald Sie den Tumor der Mäuse und Ratten in 
die inneren Organe impfen, wächst er von Anfang an infiltrativ, 
er muss es nach den vorausgegangenen Ausführungen. Aber 
auch bei der subcutanen Impfung kann ich in jedem Falle und 
mit jedem übertragbaren Tiertumor infiltratives Wachstum er¬ 
zielen, wenn ich z. B. in die Haut des Oberschenkels nahe der 
Weiche und ein wenig in die Muskulatur hineinimpfe. Dann 
finde ich ausnahmslos ein infiltratives Wachstum des Tumors in 
die umgebende Muskulatur, ja bis in den Knochen hin, wie das 
ja auch von Apolant, Henke, Bashford u. a. vielfach be¬ 
obachtet worden ist. Auch hier kann natürlich nur ein kleiner 
Teil des Tumors infiltrativ wachsen; denn der grössere Teil schiebt 
sich ja weiter nach der Bauch- oder Röckenseite vor, weil er 
hier geringeren Widerstand findet. Ich kann Ihnen hier eine 
Reihe von Bildern demonstrieren, welche diese Ausführurgen er¬ 
läutern. Die Photogramme, welche ich der meisterhaften Technik 
des Herrn Prof. Scheffer verdanke, zeigen Ihnen infiltratives 
Wachstum fast sämtlicher transplantablen Tumoren von Ratten und 
Mäusen, die ich zu beobachten Gelegenheit hatte. (Figur 1—5.) 
Manche von diesen Tumoren transplantiere ich durch viele Jahre. Die 
demonstrierten Bilder sind keine Ausnahmebeobachtungen, sondern 
fast in jeder Impfgeneration finde ich diese Vorgänge, über die 
ich eben berichte. Das mangelnde infiltrative Wachstum dieser 
Tumoren liegt also nicht daran, dass es sich um Endotheliome, 
um minder bösartige Geschwülste handelt. Denn auch bei den 
unzweifelhaften Carcinomen, den Cancroiden, die doch unter 
keinen Umständen von Endothelien herzuleiten sind, finden Sie 
ganz genau dasselbe Verhalten. Sie haben das Bild des Cancroids 
am Kiefer gesehen. Hier wächst der Tumor infiltrativ, weil er 
nicht anders wachsen kann. Impfe ich ein Cancroid aber 
subcutan, so wächst es, wenn ich nicht die geeigneten Be- 


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27. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


14Ö 


Figur 1. 



Rattensarkom in Muskulatur einwachsend. 


dingungen schaffe, wie die gewöhnlichen Mäusetumoren. Nur bei 
Impfungen also in die inneren Organe oder an Stellen, wo ein 
ungehindertes lediglich die Nachbargewebe verdrängendes 
Wachstum unmöglich ist, wachsen diese Tumoren infiltrativ. So¬ 
weit wir also epitheliale Zellen, die infiltrativ wachsen, als 
«Carcinomzellen, Bindeg^webszellen, die das gleiche tun, als 
Sarkomzellen und damit als bösartige Tumorzellen bezeichnen, 
muss daran festgehalten werden, dass alle transplantablen Mäuse- 
und Rattengeschwülste bösartige Tumoren sind, dass wir sie also 
als Krebs resp. Sarkom aufzufassen haben. Abweichungen von 
dem Verhalten, wie wir es bei den menschlichen Tumoren finden, 
erklären sich nicht durch eine geringere Bösartigkeit der Tumor¬ 
zellen, sondern durch die besonderen Wachstumsbedingungen, die 
bei Mensch und Tier eben ganz verschieden sind. 

Nun wird weiteihin behauptet, dass diese Tumoren deswegen 
nicht bösartige und mit dem menschlichen Krebs vergleichbar 
sind, weil sie selten oder überhaupt keine Metastasen machen. 

v. Hansemann hat sogar gemeint, dass Metastasen bei 
Spontantumoren der Mäuse überhaupt fehlen und beiden Impftumoren 
nur als Folge von künstlicher Hineinbringung von Tumorzeilen in die 
Gefässe bei der Impfung von Turnoremulsionen zustande kommen. 
Von den in der Literatur beschriebenen Metastasen sagt v. Hanse¬ 
mann, dass es sehr schwierig sei, zu verfolgen, ob es sich dabei 


Figur 3. 



Mäusecarcinom infiltrativ in die Muskulatur wachsend. 


Figur 4. 



Mäusecarcinom infiltrativ in den Oberschenkel wachsend. 


um spontan entstandene Geschwulstfälle oder um solche handelt, 
die durch Impfung enstanden sind. Dem ist nun entgegenzuhalteu, 
dass Apolant unter 221 Spontantumoren 6 mal Metastasen, 
Murray unter 87 Fällen 37 mal und Haaland unter 237 Spontan¬ 
tumoren 103 mal Metastasen in der Lunge, 4 mal in der Leber, 
1 mal in der Niere usw. festgestellt hat. 

Henke hat mitgeteilt, dass er unter 5 resp. 7 Spontan¬ 
tumoren in zwei Fällen Lungenmetastasen beobachten konnte. 
Allen diesen und anderen Angaben fügen sich meine Beobach¬ 
tungen an. Ich habe Metastasen von Spontantumoren — und 
zwar nur makroskopische, die mikroskopischen sind nach den 
Erhebungen des Londoner Instituts viel häufiger — in Leber, 
Milz und Lunge gesehen und zeige Ihnen hier kurz die Photo¬ 
gramme. (Figur 6 und 7.) 

Es geht daraus unzweifelhaft hervor, dass diese spontanen 
Geschwülste der Ratten und Mäuse genau wie die menschlichen 
Tumoren metastasieren können, wenn die besonderen biologischen 
Verhältnisse der Tiere selbstverständlich auch hier wie beim 
infiltrierenden Wachstum mancherlei Besonderheiten bedingen. Die 
relativ seltenen Metastasen der Spontantumoren der Tiere gegen¬ 
über den Erfahrungen bei Tumoren des Menschen können nur 
unter Berücksichtigung einiger biologischen Tatsachen erklärt 
werden. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 4. 


Figur 5. 



Primäres Cancroid der Maus in die Kieferknochen einwachsend. 


Figur 6. 



Primärer Mäusekrebs. Lebermetastase. 


Einmal ist ja das infiltrative Wachstum, wie wir schon ge¬ 
sehen haben, bei den Tiergescbwülsten weniger ausgeprägt. Und 
ohne infiltrierendes Wachstum gibt es keine Metastasen. Dann 
aber metastasieren die Tumoren offenbar infolge eines nur mangel¬ 
haft ausgebildeten Lymphgefässsysteras nicht oder doch nur sehr 
selten auf dem Wege der Lymphbahnen, sondern fast aus¬ 
schliesslich durch die Blutgefässe. Dass aber im Blute die Tumor¬ 
zellen irgendwie geschädigt werden, das geht schon aus den Be¬ 
obachtungen von M. B. Schmidt am Menschen hervor, der bei 
Uteruscarcinomen relativ häufig Geschwulstemboli in den Lungen 
fand, die nicht zu Tumoren auswuchsen. Daher finden wir 
bei den Tieren relativ mehr mikroskopische als makroskopische 
Metastasen und zwar meistenteils in den Lungen. Diese mikro¬ 
skopischen Metastasen aber wachsen gewöhnlich nicht zu sicht¬ 
barer Grösse aus. Woher das kommt, dafür bietet uns das 
Studium der transplantierten Tumoren ein sehr interessantes 
Material. Es ist zunächst durchaus nicht richtig, dass die 
Metastasen bei Impftumoren häufiger sind als bei Spontantumoren, 
wie Herr v. Hansemann behauptet. Denn das Zustandekommen 
der Metastasen hängt nicht rein mechanisch davon ab, ob man, 
wie Herr v. Hansemann meint, bei der Impfung Gefässe oder 
Lymphbahnen verletzt und dadurch das Impfmaterial zur 
Metastasenbildung geeignet macht. Das geschieht ja regelmässig 


bei jeder Impfung. Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass lediglich 
die Bösartigkeit der Zellen Voraussetzung der Bildung von Metastasen 
ist, dass also sehr bösartig und mit ungeheurer Proliferationsenergie 
wuchernde Tumoren vorwiegend zu Metastasenbildungen führen. 
Maassgebend sind vielmehr konstitutionelle Einflüsse, die uns die 
experimentelle Geschwulstforschung aufgedeckt hat. Es verhält 
sich nämlich fast umgekehrt. Die grossen schnell wuchernden 
Tumoren machen im allgemeinen sehr selten Metastasen. Ich verfüge 
über folgende Beobachtung. Ein nur bohnengrosser Spontantumor 
in der Nackengegend der Maus, der ausserordentlich langsam wächst, 
wird nach monatelanger Beobachtung, in der er im wesentlichen 
unverändert bleibt, überimpft. Bei der Sektion der erkrankten 
Maus findet sich eine grosse Metastase in der Leber, eine 
kleine in der Milz und in der Lunge. Unter ca. 50 geimpften 
Mäusen entwickelt sich bei zweien ein Tumor von ausserordentlich 
geringer Wachstumskraft. Vom Dezember bis April erreicht er 
nur Bohnengrösse. Bei der Ueberimpfung dieser Geschwulst zeigt 
sich wieder eine grosse Metastase des Tumorträgers in der Leber. 
Nun entwickelt der Tumor, ein Carcinom, eine ungeheure Pro¬ 
liferationskraft, die sich in deu weiteren Impfgenerationen noch 
steigert. In 10—12 Tagen wird der geimpfte Tumor wallnuss¬ 
gross und zu gleicher Zeit zeigt sich mikroskopisch, dass aus 
dem vorher carcinomatösen Tumor ein Sarkom geworden ist, eine 
Beobachtung, die uns noch beschäftigen wird. Aber Metastasen 
habe ich niemals mehr gefunden. So lange also der Tumor nur 
langsam und zu geringer Grösse heranwächst, macht er 
Metastasen. Als seine Wachstumspotenz eine Uebertragungsziffer 
von fast 100 pCt. und eine ausserordentlich schnelle und grosse 
Proliferationskraft zeigt, macht er keine Metastasen mehr. 
Wrzosek hat über die Bedingungen der Entstehung von makro¬ 
skopischen Metastasen bei carcinomatösen Mäusen experimentelle 
Untersuchungen angestellt. Er kam zu dem sehr interessanten Er¬ 
gebnis, dass, wenn er zwei sehr bösartige Mäusetumoren in den 
Schwanz impfte, die Bildung makroskopischer Metastasen in 
enormer Weise gesteigert werden konnte. Dieselben Tumoren, 
welche bei der subcutanen Impfung in 1,4 pCt. resp. 5,9 pCt. 
Metastasen machten, zeigten bei der Impfuug in den Schwanz in 
43,8 pCt. resp. 48 pCt. makroskopische Metastasen. Die Ursache 
dieser Erscheinung sieht Wrzosek darin, dass die in den Schwanz 
geimpften Geschwülste eine geringere Impfausbeute geben und 
eine längere Latenzzeit haben. Vor allem aber — und das er¬ 
scheint mir als das wichtigste — zeigen sie geringere Wachs¬ 
tumsenergie und erreichen bei weitem geringere Dimensionen 
als Geschwülste, welche subcutan in den Rücken oder Bauch ge¬ 
impft waren. 

Hier haben wir also denselben Vorgang wie den von mir 
eben beschriebenen. 

Eine Erklärung für diesen auffallenden Befund könnte zu¬ 
nächst dahin versucht werden, dass man das Nichtauftreten der 
Metastasen bei den stark wuchernden Primärgeschwülsten als 
Folge einer Antikörperbildung ansieht, die zwar zur Vernichtung 
des ersten Tumors nicht ausreicht, jedoch die Bildung eines 
zweiten Tumors verhindert. Wächst der erste Tumor jedoch lang¬ 
sam und erreicht er nur eine geringe Grösse, dann ist die Anti¬ 
körperbildung so geringfügig und verläuft so langsam, dass sie 
die Bildung von Metastasen nicht verhindern kann. Besser frei¬ 
lich und einleuchtender erscheint für die Erklärung dieser Ver¬ 
hältnisse die atreptische Immunität von Ehrlich. Ehrlich 
glaubt bekanntlich das Ausbleiben der Metastasenbildung bei den 
Tiertumoren dadurch erklären zu können, dass er annimmt, 
der erste, stark wuchernde Tumor verbraucht alles spezifische 
Nährmaterial, das er ausser der gewöhnlichen Nahrung zu seinem 
Wachstum nötig hat, und verhindert so das Wachstum eines 
neuen Tumors, der aus Mangel an geeignetem Nährraaterial da¬ 
her sich nicht entwickeln kann. Die Atrepsie von Ehrlich hat 
vielfache Angriffe erfahren. Ich habe selbst mich von ihrer An¬ 
wendbarkeit auf alle Erscheinungen der angeborenen Immunität 
bei den bösartigen Tumoren, so wie sie Apolant vertritt, nicht 
überzeugen können. Auch experimentelle Untersuchungen, welche 
diese Lehre stützen sollten, sind nicht eindeutig ausgefallen. 
Aber für die Bildung oder das Ausbleiben von Metastasen 
scheint mir doch in Anbetracht der von mir und Wrzosek 
beobachteten Erscheinungen die Theorie von Ehrlich sehr be¬ 
stechend. So lange der Tumor langsam wächst, so lange ßeine 
Virulenz, die sich in der Proliferationskraft, Wachstums¬ 
geschwindigkeit und Ueberimpfbarkeit äussert, nur sehr gering 
ist, kann es zur Ausbildung von Metastasen kommen, ln dem 
Augenblick jedoch, wo alle diese Faktoren eine schnelle Ver- 


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27. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


151 


Figur 7. 



Primärer Mäusekrebs. Lungenmetastase. 


mehrung erfahren, der Tumor also zu erheblicher Grösse in 
kurzer Zeit heranwächst, bleibt die Metastasenbildung aus, weil 
für einen zweiten Tumor das spezifische Nährmaterial nicht aus¬ 
reicht. Das Zusammentreffen der eben geschilderten Faktoren 
der Malignität (Angangsziffer bei der Ueberimpfung, Wachstums¬ 
geschwindigkeit, Proliferätionskraft und Metastasenbildung) oder 
das Fehlen des einen oder anderen dieser Momente Hesse sich 
dann also aus den Gesetzen der atreptischen Immunität im Sinne 
von Ehrlich erklären. Inwieweit wir diese Gesetze auch auf 
die Verhältnisse beim Menschen anwenden können, erscheint noch 
schwierig zu sagen. Indessen haben wir doch nicht selten 
gesehen, dass relativ grosse und schnell wachsende Primärtumoren 
weniger ausgedehnte Metastasenbildung zeigen als anscheinend 
kleine und wenig bösartige Geschwülste. Wie oft sehen wir 
kleine Carcinome, besonders im Magendarmkanal, mit ungeheuren 
Metastasen in der Leber, wie oft wieder grosse Carcinome des 
Uterus oder der Mamma mit ausserordentlich wenigen Metastasen. 
Noch kürzlich beschreibt Askanazy einen Fall von massenhaften 
Hautraetastasen, die alle nur geringe Grösse erreichen, weil das 
Vorhandensein so vieler Geschwülste jede einzelne an der Ent¬ 
faltung besonderer Wachstumskraft hindert. 

Auch wird den Chirurgen die Erfahrung bekannt sein, 
dass fast in unmittelbarem Anschluss an die Operation 
kleiner und unscheinbarer Primärtumoren eine furchtbare Aus¬ 
saat von Metastasen erfolgt. Dass hier Vorgänge ähnlich den 
bei den Mäusetumoren beobachteten im Spiele sein können, er- 
scheint durchaus wahrscheinlich nach dem, was wir bei den j 
malignen Tiergeschwülsten gesehen haben. Ich möchte nicht 
glauben, dass in diesen Fällen erst durch die Eröffnung der 
Lymphbahnen die Metastasenbildung hervorgerufen wird. Die 
Metastasen sind vielmehr mikroskopisch längst da, wachsen aber 
erst nach Entfernung des primären Tumors, weil jetzt der 
spezifische Nährstoff zur Verfügung steht. 

Der dritte wichtige Faktor, der bei den malignen Ge¬ 
schwülsten des Menschen nicht fehlt, ist die Krebskachexie. Wir 
fassen sie auf als Folge der Einwirkung bestimmter aus dem 
Krebsgewebe stammender toxischer Stoffe oder von heterolytischen 
Fermenten. Ihre Erscheinungen sind die forschreitende Zersetzung 
von Körpereiweiss mit alleu ihren deletären Folgen. Wie steht 
es nun mit der Kachexie bei den malignen Tiergeschwülsten? 
Es wird behauptet, dass sie hier vollkommen fehlt, und das gilt 
wiederum als ein Beweis, dass diese Tumoren als bösartige im 
Sinne der beim Menschen beobachteten nicht angesehen werden 
können. Merkwürdigerweise ist die Anschauung, dass bei den 
Tieren mit malignen Tumoren Erscheinungen von Kachexie nicht 
oder nur in geringem Grade auftreten, auch in den Kreisen derer, 
die sich mit ihnen besonders beschäftigen, weit verbreitet. Die 
Frage ist aber nicht damit zu erledigen, dass man nur die rein 
äusserlicben Erscheinungen der Kachexie, wie Abmagerung, Hin¬ 
fälligkeit und kürzere Lebensdauer als maassgebend ansieht, ob¬ 


wohl auch diese vielfach vorhanden ist. Eine exakte Beobachtung 
ist das aber nicht. Denn es kann eine Kachexie vorhanden sein, 
ohne dass sie rein äusserlich in dem Habitus des Tieres sinn¬ 
fällig wird. Will man das Vorhandensein oder Fehlen einer 
Kachexie feststellen, so muss man exakte Stoffwechselunter¬ 
suchungen anstellen, die ja bei der Kleinheit der Versuchstiere 
sehr schwierig sind. Aber einen wichtigen, uns doch leicht zur 
Untersuchung zugänglichen Indikator der Kachexie hat man bis¬ 
her gar nicht oder doch nur wenig berücksichtigt, das ist die 
Blutuntersuchung. 

Pappenheim und H. Hirschfeld haben diesen Verhält¬ 
nissen ihre Aufmerksamkeit zugewendet, und sie haben gefunden, 
dass bei den Mäusen, noch mehr aber bei den Ratten ausser¬ 
ordentlich schwere Blutveränderungen im Verlaufe der Geschwulst¬ 
entwicklung eintreten. Gleiche Beobachtungen haben auch 
Clunet und Mercier gemacht, und damit ist der exakte Beweis 
geliefert, dass auch die Kachexie bei den malignen Tier¬ 
geschwülsten in gleicher Weise vorhanden ist wie bei den mensch¬ 
lichen Tumoren. Herr Hirschfeld wird noch Gelegenheit 
nehmen, darüber ausführlicher zu sprechen. Auch die von 
Lubarsch gefundene schwere amyloide Degeneration in der 
Leber und Milz der Tumortiere ist ein objektiver Beweis für das 
Bestehen einer Kachexie. 

Nach allen diesen Ausführungen kann somit nicht gezweifelt 
werden, dass die transplantabien Tiergeschwülste durchaus denen 
der Menschen gleichen und dass Abweichungen im Verhalten 
beider lediglich in den besonderen biologischen Differenzen von 
Mensch und Tier begründet sind, nicht aber prinzipielle Unter¬ 
schiede bedeuten. Die Tumoren sind demnach mit Recht 
als Krebs und Sarkom zu bezeichnen. 

Von diesen sich auf einwandsfreie Beobachtungen bei den 
Tiertumoren stützenden Tatsachen ausgehend will ich nunmehr 
eine Erscheinung besprechen, welche mir für die Aetiologie der 
malignen Tumoren von ausserordentlicher Bedeutung zu sein 
scheint. Das ist die Entstehung histogenetisch neuartiger Ge¬ 
schwülste nach der Impfung mit einem Tumor. Bekanntlich 
haben Ehrlich und Apolant zuerst die bedeutungsvolle Tat¬ 
sache festgestellt, dass nach der Verimpfung eines Carcinoms der 
Maus im Verlaufe vielfacher Impfungen ein Sarkom auftrat. Die¬ 
selbe Tatsache wurde von L. Loeb, Basliford und Haaland, 
Liepmann, Lubarsch, Stahr und anderen noch mehrfach bei 
den verschiedensten Mäusetumoren festgestellt, und ich konnte bei 
dem bisher einzigen Rattencarcinom, welches längere Zeit über¬ 
tragen werden konnte, ebenfalls eine Sarkomentwicklung kon¬ 
statieren, welche im Laufe der Zeit, ähnlich wie bei den Mäuse- 
carcinomen, zu einer vollkommenen Vernichtung des carcinoma- 
tösen Anteils führte, so dass nach der elften Impfgeneration der 
Tumor nur noch den Typus des reinen Sarkoms zeigte. 

Dass es sich in diesen Fällen nicht um eine Metaplasie 
von Carcinomzellen zu Sarkomzellen handelt, scheint mir festzu¬ 
stehen. Eine solche Metaplasie von Epithelien in Bindegewebs¬ 
zellen wird zwar auch von angesehenen Pathologen durchaus als 
möglich angesehen, die Mehrzahl aber, vor allem Orth und 
v. Hansemann, lehnen sie strikte ab. Dass nicht eine einfache 
Veränderung in dem Sinne vorliegt, dass etwa ein Endotheliom 
bald einmal als Carcinom bald als Sarkom wächst, glaube ich 
schon deswegen zurückweisen zu können, als ja auch bei meinem 
Rattencarcinom, dessen echte Carcinomnatur bisher noch nicht 
bestritten ist (ich habe ja auch Cancroidbildung beobachtet), 
dieselbe Erscheinung wie bei den Mäusetumoren aufgetreten ist. 
Ueberdies haben Bashford, Haaland, Lubarsch und Stahr 
klar nachweisen können, dass die Sarkomentwicklung nicht durch 
Umwandlung von Carcinomzellen vor sich geht, sondern dass das 
neu gebildete Sarkom aus den Bindegewebszellen des Stromas 
entsteht. Demnach besteht die Deutung von Ehrlich-Apolant 
zu Recht, dass diese Sarkome unter dem Einflüsse des Reizes der 
überimpften malignen Epithelzellen auf die vorher gutartigen 
Bindegewebszellen des geimpften Tieres neu entstanden sind, also 
histogenetisch neuartige Tumoren darstellen. Meinerseits 
habe ich zwei neueFällegleicher Beobachtung vor kurzem beschrieben. 
In dem einen Falle trat eine Sarkombildung im Verlaufe der 
Transplantation eines fast 7 Jahre von mir überimpften Mäuse- 
carcinoms ein. In dem anderen Falle, über den ich bereits ge¬ 
sprochen habe, wurde aus einem sehr langsam wuchernden 
Metastasen bildenden Carcinom der Maus in der dritten Impf¬ 
generation unter ausserordentlicher Steigerung der Virulenz ein 
Spindelzellensarkom, das immer weiter als solches transplantiert 
wurde — etwa 14 Impfgenerationen hindurch —, bis der Tumor 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 4. 


infolge einer Seuche einging. Aus alledem geht klar hervor, 
dass wir es mit experimentell neu gebildeten Sarkomen zu tun 
haben, welche unter dem Einfluss von verimpften Carcinomen 
entstehen, und zwar nunmehr in so grosser Zahl, dass wir von 
einem durchaus gesetzroässigen Verhalten sprechen können. Für 
die Aetiologie der malignen Tumoren jedoch wichtiger noch sind 
die Beobachtungen, welche für eine experimentelle Erzeugung von 
Carcinomen nach der Impfung von Tumoren sprechen. Eine 
solche Beobachtung habe ich bei meinem mehrfach erwähnten 
Rattencarcinom machen können. Hier kam es im Verlaufe der 
Transplantation des Adenocarciuoms zur Bildung eines Carcinoms 
vom Typus des Cancroids, und ich habe aus den mikroskopischen 
Bildern gefolgert, dass die Haut des geimpften Tieres der Mutter¬ 
boden dieses Cancroids ist, dass also hier ein histogenetisch neu¬ 
artiges Carcinom gebildet wurde. Bashford, Murray und 
Haaland haben demgegenüber behauptet, dass hier ein Tumor 
vorliegen könnte, dessen Zellen in verschiedener Richtung sich 
ausdifferenzieren, die von der Wachstumsgeschwindigkeit abhängig 
ist, einmal als Adenocarcinom, das andere Mal als Cancroid. 
Ich habe umgekehrt den von Bashford beschriebenen Fall so 
erklärt, dass bei ihm ein primäres Hautcarcinom vorlag, welches 
sekundär zur Entstehung eines Mammacarcinoms Veranlassung 
gab. In neuerer Zeit erschien nun eine Beobachtung, welche für 
die Richtigkeit oder sagen wir die Wahrscheinlichkeit meiner 
Anschauungen spricht. L. Loeb hat nämlich unter dem Einfluss 
des Kontaktes mit einem Adenocarcinom in einer laktierenden 
Mamma der Maus das durch den Saugprozess zu beiden Seiten 
der Brustwarze gereizte, zum Teil defekte und Regenerations¬ 
prozesse aufweisende Deckepithel der Haut in eine krebsige 
Wucherung übergehen sehen. Er nennt das einen Kontakt-Kom¬ 
binationstumor. Nun sind allerdings die Carcinome deswegen 
ungeeignet zur Entscheidung dieser ganzen Frage der experimen¬ 
tellen Neuentstehung eines epithelialen malignen Tumors, weil 
ja der Einwand metaplastischer Vorgänge, des Uebergangs einer 
Epithelart in die andere, nicht leicht zurückgewiesen werden 
kann, obwohl ich selbst ihn nicht als berechtigt anerkenne. 
Jeder Einwand aber ist hinfällig, wenn es uns gelingt, das Carci¬ 
nom zu erzeugen durch die Verimpfung eines sarkomatösen 
Tumors. Denn eine Entstehung von epithelialen Zellen, von 
Krebszellen, aus Bindegewebszellen, wie sie ja noch Virchow 
annahm, ist nach dem gegenwärtigen Stande unserer Histologie 
sehr unwahrscheinlich. 

Nun bin ich aber in der Lage, auch diesen Vorgang zweifels¬ 
frei nachweisen zu können. Ich konnte vor 3 Jahren schon 
in Gemeinschaft mit Ehrenreich eine Beobachtung mitteilen, 
wo nach der Impfung eines Sarkoms der Ratte ein Carcinom 
von adenomatösem Typus auftrat. Gleich darauf hat Sticker 
beim Hunde nach Verimpfung einer Mischung von Menschen- 
und Hundesarkom ein Carcinom der Mamma beim Hunde entstehen 
sehen, und Nicholson teilt neuerdings mit, dass nach der 


Figur 8. 



Primäres Spindelzellensarkom der Ratte. 


Impfung mit einem Spindelzellensarkom der Ratte offenbar von 
der Haut ausgehend ein Cancroid aufgetreten ist. 

Ich bin nun in der Lage, über einen neuen einschlägigen 
Fall dieser Art berichten zu können. 

Vor ca. 3 Jahren überimpfte ich ein primäres Spindelzellen¬ 
sarkom der Ratte, welches bis jetzt seinen mikroskopischen Typus in 
gleicher Weise beibehalten hat. (Figur 8.) In der 37. Impfgeneration 
zeigt es denselben Bau wie zu Anfang. Bei der Verimpfung 
eines Tumors aus der 38. Impfgeneratiou fiel nun auf, dass der 
Tumor nicht anging, obwohl im allgemeinen die Geschwulst sehr 
virulent ist und eine hohe Impfausbeute gibt. Es wurde deshalb 
ein neuer Tumor der 38. Impfgeneration verimpft, der auch wie 
immer sonst weiterwuchs. 

Die mikroskopische Untersuchung ergab nun, dass der nach 
der Impfung des Sarkoms der 37. Impfgeneratiou entstandene, 
nicht weiter transplantable Tumor ein typisches Adenocarcinom 
ist, der transplantable dagegen wie in allen früheren Impfgenera¬ 
tionen sarkomatösen Bau zeigt und sich so auch weiter verhält. 
Hier ist also ein Adenocarcinom nach der Verimpfung 
eines Spindelzellensarkoms entstanden. (Figur 9 und 10.) 

Der Ein wand, dass schon ein primärer Mischtumor vorlag, 
ist ohne weiteres hinfällig. Wie soll man sich erklären, dass 


Figur 9. 



Io der fc 38. Impfgeneration des (Fig. 8) Sarkoms entstandenes Carcinom 
der_Mamraa_bei der Ratte. 


Figur 10. 



Typus des ursprünglichen Tumors in derselben 38.Impfgeneration. Sarkom. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


dann die carcinomatöse Komponente erst in der 38. Impfgeneration 
mm Vorschein kommt. Ueberdies ist der primäre Tumor sorg¬ 
fältig mikroskopisch untersucht worden, er ist ein reines typisches 
Spindelzellensarkom. Ein weiterer Einwand ist der, dass bei 
dem geimpften Tier zufällig ein spontanes Carcinom schon bei 
der Impfung vorhanden war. Das ist ausgeschlossen. Sichtbar 
and fühlbar war er nicht. Alle unsere Erfahrungen sprechen 
auch dagegen. Das Carcinom bei Ratten gehört zu den grössten 
Seltenheiten. Das geimpfte Tier war eine junge männliche Ratte. 
Spontantumoren finden sich nur bei ganz alten Tieren und dann 
nur bei Weibchen. Und endlich ist das Carcinom in wenigen 
Wochen zu gewaltiger Grösse berangewachsen, während die 
Spoutantumoren nach unseren Erfahrungen nur eine sehr geringe 
Wachstumstendenz haben. Es ist deshalb nicht zweifelhaft, dass 
wir es hier mit der Neuentstehung eines Adenocarcinoms der 
Mamma nach der Implantation eines Spindelzellensarkoms der 
Ratte zu tun haben. 

Diese Beobachtungen, die Entstehung von Sarkomen nach 
Carcioomimpfung und umgekehrt von Carcinomen nach Sarkom- 
impfungen sind nun von grösster Wichtigkeit für die Aetiologie 
der malignen Tumoren. Sie beweisen klipp und klar die Be¬ 
deutung der Reiztheorie als der einzig und allein wahrschein¬ 
lichen kausalen Erklärung des bösartigen Wachstums. 
Welcher Art dieser Reiz in dem vorliegenden Falle ist, lässt sich 
nicht sagen. Ehrlich-Apolant nehmen einen von den Tumor¬ 
zellen ausgeübten chemischen Reiz als die Ursache der neuen 
Geschwulstbildung an. Es kann aber auch ebensogut an eine 
parasitäre Beeinflussung, die ja ebenfalls eine Reizwirkung sein 
muss, gedacht werden. Seitdem Peyton Rous ein Hühnersarkom 
durch das zellfreie Filtrat einer zerriebenen Zellemulsion hat über¬ 
impfen können, ist die parasitäre Aetiologie maligner Tumoren 
durchaus in den Bereich ernsthafter Erwägungen gerückt. Ich 
habe immer hervorgehoben, dass nicht notwendig spezifische 
Parasiten im Spiele sein müssen. Auch andere Parasiten be¬ 
kannter oder unbekannter Art können in irgendeinem Zusammen¬ 
hänge mit der Geschwulstentstehung gedacht werden. Hauser 
und Orth haben die Möglichkeit einer parasitären Aetiologie zu¬ 
gegeben, wenn eB gelänge, durch die Impfung von Tumoren neue 
histogenetisch vom Impfmaterial verschiedene Geschwülste aus 
den Geweben des geimpften Tieres zu erzeugen. Das ist nach 
alledem, was ich Ihnen hier gezeigt habe, einwandfrei geschehen. 
Carcinome sind nach Impfung von Spindelzellensarkomen, Sarkome 
nach der Transplantation von Carcinomen gewachsen. Das sind 
durchaus Grundlagen für eine ätiologische Geschwulstforschung. 

Ich komme nunmehr zu dem uns alle wohl am meisten be¬ 
schäftigenden Problem der Krebsheilung. Alle nicht 
operative Therapie der malignen Tumoren beim Menschen, sei es 
nun Serum- oder Chemotherapie, sei es Radiotherapie, ist vor¬ 
läufig nur von sehr geringem Erfolge begleitet. Mag hier und 
da ein einzelner Fall günstig beeinflusst worden sein, im all¬ 
gemeinen kann ich aus meinen langjährigen Erfahrungen heraus 
sagen, dass keine einzige der jetzt angewandten Methoden der Krebs- 
tberapie auch nur mit Wahrscheinlichkeit einen nennenswerten 
Effekt Voraussagen lässt. Gelegentliche Heilungen kann man mit 
den verschiedensten Mitteln in einzelnen Fällen erreichen. Ich 
erinnere an die Erfolge mit dem Coley'sehen Serum, dem 
Scbmidt’schen Antimeristem, dem Arsen, Jodkali und zahllosen 
anderen Chemikalien, der Bestrahlung mit Röntgen, Radium, 
Mesothorium usw., ebenso wie an die jetzt so viel gepriesene 
Zeller’sche Methode der Arsenätzpaste, die vom Verfasser 
auf Grund von Heilungen, überwiegend von Hautkrebsen, 
die noch nicht einmal alle mikroskopisch untersucht worden 
sind, als eine Lösung des Problems der Krebsheilung ausgegeben 
wird. Dabei sind von den geheilten 38 Patienten mit Hautkrebs 
35 über 57 Jahre, davon 82 über 60 und die meisten davon 
noch über 65 und 70 Jahre alt, wo an und für sich der Haut¬ 
krebs eine Tendenz zu langsamer, relativ gutartiger Entwicklung 
zeigt. Alle solche Methoden sind niemals als Krebsbehandlungs¬ 
methoden anzusehen, und es ist Selbsttäuschung, wenn immer 
wieder behauptet wird, dass wir in der nichtoperativen Therapie 
des Krebses auch nur eine Spur weiter gekommen sind. Mit den 
allerverschiedensten Mitteln, mit harmlosen Sonnenlichtbestrah- 
luogen wie mit der kompliziertesten Strahlentherapie, mit Aetzungen 
wie mit innerlichen Mitteln und mit sämtlichen, angeblich 
spezifischen und unspezifischen Seruminjektionen, überall werden 
gleichmäS8ig Erfolge berichtet, und man sollte, weun man die 
Literatur studiert, meinen, es gibt gar nichts Einfacheres als die 
Behandlung des Krebses. Leider wissen wir es besser. Wer eine 


163 


Lösung des Problems der Krebsheilung versucht, darf uns nicht 
mit geheilten Cancroiden kommen. Die können durch alle 
möglichen Behandlungsmethoden geheilt werden. Aber die grösste 
Zahl der Geschwülste innerer Organe, besonders der Metastasen, 
die Mamma-, Uteruscarcinome usw., sind bisher so gut wie immer 
ohne jeden Erfolg behandelt worden. Danerheilungen kenne ich 
überhaupt nicht. Wenn in einzelnen Fällen auf die eine oder 
andere Therapie hin Verschwinden von solchen Tumoren be¬ 
richtet wird, so ist sicher bei den einen die Diagnose falsch, 
oder es handelt sich um ganz wenige, relativ gutartige 
Tumoren, welche hier und da einmal unter dem Einflüsse jeder 
Behandlungsmethode die Tendenz zu vorübergehender Rückbildung 
zeigen. Das hat Coley sowohl mit seinem Serum wie Doyen, 
Otto Schmidt und viele andere berichtet. Das wird von inner¬ 
lichem Gebrauch von Jodkali wie von Arsen, Chinin, Methylen¬ 
blau wie von der äusserlichen Anwendung vieler Aetzmittel, wie 
Arsen, Chlorzink usw. behauptet, ebenso wie von Röntgen- und 
Radiumbestrahlung. Und dass es mit so verschiedenartigen 
Mitteln erreicht wird, beweist eben, dass es sich dann immer um 
besondere Zufälle, niemals aber um irgendeine Gesetzmässigkeit 
handelt. Auch die experimentelle Geschwulstforschung bat uns 
für die Therapie der menschlichen Tumoren vorläufig noch nicht 
weiter gebracht. Wenn wir aber weiter kommen wollen, können 
wir vorläufig nichts auderes tun, als die Versuche an den 
Tumoren der Ratten und Mäuse mit aller Energie fortzusetzen. 
Zwei Wege stehen uns hier offen. Einmal die biologische Therapie, 
zum anderen die Chemotherapie. Diesen letzteren Weg haben, wie Sie 
alle wissen, zuerst v.Wassermann, alsdannNeuberg und Caspari 
mit grossem Erfolge beschritten. Neuerdings will auch R. Werner 
auf diesem Wege weiter gekommen sein. Ich habe vorläufig 
immer meine Versuche auf therapeutische Beeinflussung der Tier¬ 
geschwülste mit den Methoden der Immunotberapie gerichtet. 
Ich habe dabei nicht die schlagenden Erfolge von v. Wasser¬ 
mann und Neuberg und Caspari, aber ich habe auch nicht 
die Misserfolge, die Herr v. Wassermann seinerzeit hier ger 
schildert hat. 

Meine therapeutischen Arbeiten knüpfen an die Vorgänge 
der Immunität bei den bösartigen Geschwülsten der Tiere an. 
Bekanntlich ist von Ehrlich die fundamentale Tatsache ge¬ 
funden und von allen Forschern bestätigt worden, dass eine 
künstliche Immunisierung gegen Tumorimpfungen gelingt. Das 
Wesen dieser Immunität ist noch nicht klargestellt. Ich habe 
immer auf dem Standpunkt gestanden, den auch Uhlenhuth 
vertritt, dass es sich hier um echte celluläre Antikörperbildung 
bandelt. Diese Anschauung gründet sich, wenn auch der Nach¬ 
weis der Antikörper bisher nicht geführt werden konnte, auf eine 
Reihfe von Immunitätserscheinungen, über die ich an dieser Stelle 
nicht weiter berichten will. 

So habe ich angenommen, dass vielleicht im Blute vonTieren, bei 
welchen eine spontane Resorption eines Tumors eintritt, Antikörper 
gefunden werden können, und habe demgemäss das Serum solcher 
Tiere zu Heilzwecken verwendet. Solche Versuche sind schon 
von Clowes Gaylord und Baeslack mit positivem Erfolge ge¬ 
macht worden. Auch ich habe in manchen Fällen auf diese 
Weise Heilungen bei Ratten und Mäusen erzielen können, wenn 
ich das Serum von Tieren etwa 14 Tage nach einer negativ ge¬ 
bliebenen Impfung zu therapeutischen Injektionen verwendete. 
Obwohl hier ein gesetzmässiges Verhalten nicht konstatiert werden 
konnte, habe ich doch den Eindruck, dass in der Tat das Serum 
solcher Tiere Immunstoffe enthält. Noch bessere Ergebnisse 
Hessen sich erzielen, wenn, wie ich in Gemeinschaft mit Meidner 
feststellte, nach dem Vorgänge von Braunsteiu die Milz im¬ 
munisierter Tiere zu den therapeutischen Versuchen verwendet 
wurde. 

Braunstein fand nämlich, wenn er zwei oder mehrere Male 
im Verlaufe weniger Tage Mäusen oder Ratten Geschwulstbrei 
intraperitoneal injizierte und die Tiere nach einigen Tagen tötete, 
bevor das Tumormaterial zur Entwicklung gelangt, alsdann die 
Milz dieser Tiere eine deutliche Heilwirkung bei Tumorträgern 
entfaltet. Wir haben dieselben Versuche in grossem Umfange 
unsererseits gemacht und konnten unter 33 Tumoren 16 mal, also 
in 50 pCt. glatte Heilungen, in 11 Fällen, also in pCt. weit¬ 
gehende Wachstumsrückgänge zum Teil bis auf kleine Spuren er¬ 
zielen. Gewiss lässt sich die Methode in dieser Form schwer auf 
<fen Menschen übertragen. Aber sie zeigt uns doch, dass im 
Körper des Tumorträgers Immunitätsreaktionen vor sich gehen, 
welche vielleicht auf diese oder die andere Weise für die Therapie 
des Menschen nutzbar gemacht werden können. Besser freilich 

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154 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 4. 


kann dies geschehen bei der Nutzbarmachung eines dritten thera¬ 
peutischen Versuches bei Tumortieren, v. Leyden und Blumen¬ 
thal haben seinerzeit schon vorgeschlagen, Tumoren mit Ein¬ 
spritzungen von zerkleinertem Tumormaterial zu behandeln. Dieser 
Gedanke ist von einer Reihe von Chirurgen, vor allem Del bet 
in Paris und Rovsing in Kopenhagen zur Verhütung von Recidiven 
praktisch erprobt worden. Sie haben den exstirpierteo Tumor 
gleich nach der Operation oder erst nach einigen Tagen injiziert, 
um so eine aktive Immunisierung herzustellen. Blumenthal 
schlug nun vor, wie schon Jensen und Fichera, zu 
diesen Versuchen autolysiertes Tumormaterial zu verwenden, um 
die Gefahr einer etwaigen Neubildung durch die injizierten in¬ 
takten Tumorzellen zu verhüten. Um das zu vermeiden, wird der 
Tumor erst 24—72 Stunden oder noch länger der Autolyse im 
Brutschrank überlassen, wobei alle Zellen sicher abgetütet werden. 
Mit der Einspritzung solcher Autolysate bat nun Blumenthal 
bei Ratten Heilung recht grosser Tumoren erzielen können. Ich 
habe diese Angaben Blumenthal’s bestätigt gefunden. Bei der 
Verwendung von Autolysaten fand ich eine deutliche Heilwirkung 
bei dtn Geschwulsttieren, und zwar am meisten bei Verwendung 
desselben Tierstamraes. Wenn ich Rattensarkome mit dem Auto¬ 
lysat desselben Tumorstammes behandelte, konnte ich in 35 pCt. 
Heilungen, in SOpCt. überhaupt deutliche Hemmung des Wachstums 
bzw. Rückgänge erzielen. Bei der Verwendung eines Antolysates 
einer anderen Geschwulst von anderem Stamm war zwar auch 
ein Erfolg deutlich, doch war hier nur io 10 pCt. Heilung und 
in 35 pCt. Hemmung des Tumorwachstums zu erzielen. Diese 
Resultate sind ausserordentlich bemerkenswert, und sie fordern 
die Chirurgen dringend zur Verwendung dieser Methode zur Ver¬ 
hütung von Recidiven auf. Rovsing in Kopenhagen hat wenigstens 
bei Sarkomen den Eindruck einer deutlichen Einwirkung, und in 
jüngster Zeit sind Versuche von Ranzi und v. Graff aus der 
Klinik v. Eiselsberg’s erschienen, welche ebenfalls auf 
Grund einiger anscheinend günstiger Erfolge die Methode zur 
Verhütung von Recidiven bei den menschlichen Geschwülsten | 
empfehlen. 

M. H., ich halte die biologischen HeilbeBtrebungen durchaus 
einer weiteren Prüfung und Erforschung für wert. Gewiss fehlt 
ihren Erfolgen bisher noch das Gesetzmässige. Wir wissen nicht, 
wann und wie die Wirkung eintritt, und ob sie überhaupt eintritt. 
Die chemotherapeutischen Erfolge v. Wassermann’s sowie von 
Neuberg und Caspari sind schlagender insofern, als, wenn 
auch die Heilung im einzelnen Falle ausbleibt, doch die Wirkung 
jedesmal wenigstens deutlich wird. Aber wir wissen nicht mit 
Bestimmtheit, ob die Methoden der Chemotherapie, so wie sie bis¬ 
her geübt werden, auch auf den Menschen anwendbar sind. Das 
betonen v. Wassermann und Neuberg und Caspari selber mit 
unzweideutiger Klarheit. Wir wissen nicht, ob es wirklich so ist, 
dass die verwendeten Zellgifte die Tumorzellen schädigen, weil 
sie eine grössere Affinität zu ihnen haben als zu anderen Körper¬ 
zellen, oder ob nicht die Wirkung auf die Tumorzellen so vor 
sieh geht, dass in den Tiertumoren infolge der vielfachen Nekrosen¬ 
bildung im Inneren und des Mangels an Lymphgefässen die sicher 
sehr verlangsamte Circulation nur ein Anlass zur längeren Ver¬ 
weildauer dieser Substanzen wird, sie gleichsam wie ein Filter 
zurückhält und so die Möglichkeit zu intensiverer Giftwirkung 
auf die Tumorzellen schafft. Der Wert des Experimentes an und 
für sich wird dadurch gewiss nicht beeinträchtigt, und die Erfolge 
v. Wassermann’s und von Neuberg und Caspari behalten 
die grosse Bedeutung, ob die Wirkung so oder so erklärt werden 
kann. Aber die Anwendung dieser Mittel beim Menschen wird 
natürlich dann wesentliche Umgestaltungen erfahren müssen, da 
ja die Circulationsbedingungen hier andere sind und die Ein¬ 
beziehung des Tumors in den Gesamtkreislauf eine wesentlich 
bessere ist als die der eingekapselten, einen Körper im Körper 
des Tieres bildenden Tiertumoren. Es muss deshalb bei den 
weiteren chemotherapeutischen Versuchen vor allem darauf ge¬ 
achtet werden, dass möglichst menschenähnliche Zustände ge¬ 
schaffen werden durch die von mir vorgeschlagene Technik zur 
Schaffung des infiltrativen Wachstums, namentlich durch Impfung 
in die inneren Organe, wie sie H. Citron vorschlägt, und end¬ 
lich durch Schaffung von Metastasen etwa nach dem Vorschläge 
von Wrzosek. 

Alle diese Schwierigkeiten gäbe es bei der biologischen 
Methode nicht. Hier beruht die therapeutische Wirkung auf der 
Verwendung von Stoffen, welche durch die Wechselwirkung von 
Tumorzelle and Organismus geschaffen werden und die also ganz 
unabhängig von den Oirculationsverhältnissen immer in spezifischer 


Weise auf die Tumorzellen wirken müssen, wenn sie nur über¬ 
haupt im Körperkreislauf circulieren. Wir dürfen daher die bio¬ 
logischen Versuche bei der Therapie der Tumoren nicht deswegen 
aufgeben, weil sie vorläufig noch schlechtere Resultate gibt als 
die Chemotherapie. Das kann durch eine bessere Technik nnd 
Vervollkommnung der Methoden geändert werden, und wir erwarten 
von unseren Biologen, dass sie diese Fragen über der zurzeit das 
Interesse naturgemäss mehr in Anspruch nehmenden Chemotherapie 
nicht vernachlässigen, vor allem nicht, weil die Frage der spezi¬ 
fischen Diagnostik, die, wie Boas bemerkt, fast noch brennender 
ist als die Therapie, noch ihrer Lösung harrt. Viele Wege führen 
zum Ziel, wir müssen jeden Weg betreten, der überhaupt Aussicht 
bietet, zum Ziele zu führen. 

Aus meinen Darlegungen werden Sie ersehen haben, dass die 
Mäuse- und Rattengeschwülste infiltratives Wachstum, 
Metastasenbildung zeigen und Kachexie hervorrufen, 
dass sie also echte Carcinome und Sarkome sind. Unter¬ 
schiede gegenüber den menschlichen Tumoren sind nur gradueller 
Natur und erklären sich durch die Differenz der biologischen 
Verhältnisse bei Mensch und Tier, die auch bei anderen Krank¬ 
heiten sich geltend macht. 

Die experimentelle Forschung bei diesen Tumoren bat 
die für die Aetiologie der Geschwülste wichtige Feststellung ge¬ 
bracht, dass durch Ueberimpfung von Carcinomen Sarkome, um¬ 
gekehrt durch die Transplantation sarkomatöser Tumoren echte 
Carcinome entstehen können. 

Endlich gibt uns das Studium der Tiergeschwülste eine Grund¬ 
lage für biologische und chemische therapeutische Studien, die 
ich im einzelnen geschildert habe. Sie geben die Aussicht, in 
dieser oder jener Modifikation auch für die menschliche Patho¬ 
logie nutzbar gemacht zu werden. 


Beitrag zur Methodik und Technik der okkulten 
Blutuntersuchung des Magendarmkanals. 

Von 

I. Boas in Berlin. 

Vor kurzem hat E. Fuld 1 ) in dieser Wochenschrift auf die 
Notwendigkeit hingewiesen, die Methoden des Blutnachweises aus 
dem Magendarmkanal mehr und mehr der Aerztewelt zugänglich 
zu machen und demgemäss eine einfache Ausfübrungsweise der 
bekannten Guajakprobe beschrieben. 

Es bedarf wohl keiner besonderen Begründung, wenn ich 
mich durchaus auf den Standpunkt Fuld’s stelle, zumal der 
okkulte Blutnachweis, wie dies heutzutage kaum mehr dargelegt 
zu werden braucht, zu einem für die Beurteilung zweifelhafter 
Magen- und Darmaffektionen geradezu unentbehrlichen diagnosti¬ 
schen Hilfsmittel geworden ist. 

Um so notwendiger ist es aber, dem Praktiker Methoden 
in die Hand zu geben, die ihm ohne grössere chemische Schulung 
die Möglichkeit gewähren, innerhalb kurzer Zeit sich im gegebenen 
Falle über das Vorliegen oder die Abwesenheit endogenen Blutes 
in den Fäces Gewissheit zu schaffen. 

Zu denjenigen Fehlerquellen, welche offenbar der Populari¬ 
sierung der katalytischen Methoden bisher im Wege gestanden 
haben, gehört in erster Linie die naheliegende Verwechselung mit 
alimentärem, von aussen eingeführtem Blut. Zwar ist die auch 
von Fuld vertretene Anschauung im allgemeinen richtig, dass 
gekochtes, weisses Fleisch keine grosse Gefahr der Verwechse¬ 
lungen bietet, besonders nicht mit der Guajakprobe in ihrer 
bisherigen Ausführung, aber verlässlich ist die Probe nach 
meinen Erfahrungen auch unter diesen Umständen nicht. Auf 
der anderen Seite ist unter zahlreichen Bedingungen die allseitig 
anerkannte geringe Schärfe der Guajakprobe in ihrer bisherigen 
Anwendungsweise doch auch wieder insofern ein Fehler, als sie 
uns der Möglichkeit beraubt, minimalste Blutungen, wie sie 
bei Ulcus ventriculi oder duodeni bzw. im Verlauf der Heilung 
dieser Affektionen mir fast täglich entgegentreten, zu erkennen und 
diagnostisch und therapeutisch zu verwerten. 

Nach meinen sich nunmehr auf 12 Jahre emsigster Be¬ 
schäftigung mit dem Nachweise der okkulten Blutungen er¬ 
streckenden Erfahrungen ist es für den praktischen Arzt doch 


1) E. Fuld, Die Untersuchung auf Blutungen aus dem Magendarm- 
kanal. Diese Wochenschr., 1912, Nr. 44. 


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27. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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das Geratenste, sich der Verwechselungsmöglichkeit mit alimen¬ 
tärem Blut nicht auszusetzen, sondern prinzipiell in jedem Falle, 
bei dem er sich aus dem Fehlen oder Vorhandensein von okkultem 
Blut etwas für die diagnostische Förderung verspricht, eine 
mindestens 3—4 tägige Fleisch- und Fischkarenz strikte zu ver¬ 
langen und sich ausserdem noch durch Anfertigung einiger 
mikroskopischer Präparate von der An- oder Abwesenheit von 
Muskelfasern im Stuhle zu überzeugen. 

Lässt man diese Rautelen aus dem Auge, so kann man mit 
einem positiven Blutbefunde gar nichts anfangen. Ein negativer 
Blutbefund hat allerdings eine grössere Wichtigkeit, aber um 
ganz sicher zu gehen, erfordert auch dieser eine wiederholte 
Kontrolle, besonders in Fällen mit schweren Motilitätsstörungen 
am Magen oder Darm. 

Für die Klinik habe ich 1 ) nun vor kurzem ein Verfahren 
angegeben, weisses Fleisch und Fisch durch Behandeln mit H 2 0 2 
vom Hämoglobin zu befreien („bämoglobinfreies Fleisch“) und 
etwaigen Ueberschuss von H 2 0 2 sorgfältig ausznwaschen. Das 
betreffende Fleisch oder Fisch kann dann zweckmässig als Cro- 
quette oder gehacktes Kalbfleisch gereicht werden. Dieses Ver¬ 
fahren hat sich mir in meiner Privatklinik ausserordentlich be¬ 
währt und erleichtert ohne Zweifel die doch recht lästige mehr¬ 
tägige Fleisch-Fischkarenz. Für die tägliche Praxis ist sie bei 
intelligenten .Patienten, falls man sie mit genauen Vorschriften 
versieht, wie ich mich überzeugt habe, zweifellos durchführbar, 
immerhin glaube ich nicht, dass bei der grossen Masse ein solches 
Verfahren wirklich exakt und zuverlässig zur Ausführung kommen 
dürfte. 

Bis wir demnach nicht ein einfaches Verfahren besitzen, 
exogenes von endogenem Blut zu unterscheiden, muss die oben¬ 
genannte Forderung einer mehrtägigen Fleisch-Fischkarenz un¬ 
bedingt auch für den Praktiker die Vorbedingung für eine wirk¬ 
lich zuverlässige Anstellung der Blutprobe bilden. 

Was weiter die Ausführung der Blutproben selbst betrifft, 
so führen zweifellos hier viele Wege nach Rom, also auch der 
von Faid angegebene. Und dennoch scheint es mir dringend an 
der Zeit, dass nicht bloss für die Praktiker, sondern auch für 
das Laboratorium eine Normalmethode für den Blutnacbweis all¬ 
gemein akzeptiert würde, die uns zugleich die Möglichkeit geben 
würde, die vielfach noch bestehenden Unstimmigkeiten, die zum 
Teil ohne Zweifel auf Abweichungen oder willkürliche Aende- 
rungen der Methodik zurückzuführen sind, endlich aus der Welt 
zu schaffen. 

Die Männer der Praxis werden den Vertretern der 
Wissenschaft um so leichter Gefolgschaft leisten, wenn 
erst bei letzteren einmal eine Einigung über die 
schwebenden methodologischen Fragen erzielt sein wird. 

Nach dieser Richtung hin haben sich Untersuchungen, die 
ich io den letzten Monaten im Verein mit meinen Mitarbeitern 
(den Herren Dr. Wartensleben und Dr. Fort, denen ich für 
ihre Mühewaltung meinen besten Dank ausspreche) angestellt 
habe, bewegt. 

Diese Untersuchungen gipfelten in folgenden einfachen Frage¬ 
stellungen: Welches von den chemischen Mitteln, mit denen 
wir die Fäces oder den Magensaft herkömmlich behandeln, ist für 
das Blut das beste Extraktionsmittel? Ferner: Welches ist hierbei, 
ohne dass di© Schärfe der Proben darunter leidet, entbehrlich? 

Wenn wir an die Beantwortung dieser Fragen herangehen, 
so ist es notwendig, uns einmal mit der ursprünglichen Weber- 
schen Vorschrift (1893) zu beschäftigen, um so mehr, als sie in 
den wesentlichsten Punkten auch noch heute verwendet und mit 
kleinen Modifikationen auch von Fuld gutgeheissen wird. 

Diese Vorschrift 2 ) lautet im Original folgendermaassen: 
r Man zerreibt eine möglichst reichliche Probe der Fäces mit 
Wasser, dem man etwa Vs Volumen Eisessig zugesetzt hat, und 
schüttelt mit Aether aus. Von diesem sauren Aetherextrakt 
werden nach der Klärung einige Kubikzentimeter abgegossen und 
mit etwa 10 Tropfen Guajaktinktur und 20—30 Tropfen Terpentin 
versetzt. Bei Anwesenheit von Blut wird das Gemisch blau¬ 
violett, fehlt Blut, so wird es rotbraun mit einem Stich ins 
Grünliche.“ 


1) Boas, Ueber die Ausschaltung exogenen Blutes beim Nachweis 
okkulter Magen- und Darmblutungen. Deutsche med. Wochenschr., 
1912, Nr. 44. 

2) H. Weber, Ueber den Nachweis des Blutes in dem Magen- und 

Darminhalt. Diese Wochenschr., 1893, Nr. 19, 


Von dieser Vorschrift ist nun im Laufe der letzteu 20 Jahre 
soviel abgebaut bzw. modifiziert worden, dass beinahe nur 
noch das Gerüst übrig geblieben ist. So begegnet man schon 
vielfach in der Literatur Vorschriften, nach denen der Stuhl ein¬ 
fach mit Eisessig und Aether (also ohne Wasserzusatz) behandelt 
wird. Des weiteren hat man bereits seit langem die gewöhnlich 
in den Apotheken käufliche und in der Tat wenig haltbare 
Guajaktinktur durch jedesmal frisch hergestellteGuajakbarzlösungen 
in Alkohol oder Aether ersetzt. Weiter ist als Katalysator statt 
des nicht immer zur Hand befindlichen alten (ozonisierten) 
Terpentinöls das Wasserstoffsuperoxyd empfohlen worden. Endlich 
haben zuerst Rossel 1 ), dann v. Kocziczkowsky 2 ) und in be¬ 
sonders eingehender Weise Schümm 3 ) eine zweckmässige Vor¬ 
behandlung der Fäces mit Aether und Alkohol behufs Eliminierung 
der störenden Kotfarbstoffe empfohlen, erstere beide für die Aloin-, 
letzterer für die Guajakprobe. 

Auf weiteren Modifikationen und Modifikatiönchen möchte ich 
hier nicht eingehen, da sie keine wesentlichen Vereinfachungen, 
vor allem aber keine Verbesserungen der Methode darstellen. 
Die ebengenannten, ganz besonders aber die von Schümm an¬ 
gegebene sind aber nach meinen Erfahrungen unbedingt als Ver¬ 
besserungen der früheren Weber’schen Vorschrift anzuseben. 
Trotzdem haben sie sich in der Praxis nicht eingebürgert und 
werden sich wohl auch in Zilkuuft nicht einbürgern, weil sie 
(abgesehen von den grossen und kostspieligen Mengen von Aether 
und Alkohol, deren es hierzu bedarf) sehr viel mehr Zeit er¬ 
fordern als die einfache Ausschüttelung des essigsauren Extraktes 
mit Aether nach der ursprünglichen Vorschrift von Weber. 

Bei den von mir angestellten Versuchen, die katalytischen 
Proben zu vereinfachen, habe ich mir vor allem die Frage vor¬ 
gelegt, ob der von Weber zur Hämatinlösung empfohlene Aether 
wirklich das beste Extraktionsmittel darstellt? 

Dass dies, wie man bis jetzt fast allgemein annahm, nicht 
der Fall ist, konnte einmal dadurch nachgewiesen werden, dass 
man mit anderen Extraktionsmitteln eine erheblich grössere Aus¬ 
beute an Hämatin erhielt, sodann, dass nach der Extraktion schwach 
bluthaltiger Fäces mit essigsaurem Aether ein weiterer hämatin¬ 
haltiger Rest zurückblieb, der noch eine ausgezeichnete Guajak- 
reaktion ergab. Als ein dem Aether wesentlich über¬ 
legeneres Extraktionsmittel erwies sich mir der essigsaure Alkohol 
und zwar im Verhältnis von 1: 8 (Acid. acetic. glaciale 25, 
Alcohol. absol. 76). 

Schon Weber (1. c.) ist es nicht entgangen, dass, wenn man 
Lösungen von Säuren in Alkohol verwendet, erheblich mehr 
Blutfarbstoff in das Filtrat übergeht. Er nahm aber vom Alkohol 
deshalb Abstand, weil zugleich hiermit „schwer trennbare 
Farbstoffe, speziell Gallenfarbstoffe in den Alkohol übergeben, 
welche das Erkennen des Blutfarbstoffes im Spektrum unmöglich 
machen“. 

Zweifellos ist ja der letztere Umstand für die spektro¬ 
skopische Untersuchung auf Blutfarbstoff störend (wenn man nicht, 
wie dies Schümm tut, vor der Behandlung der Fäces mit Eis¬ 
essig, die Gallen- und anderen Farbstoffe mit Alkohol extrahiert), 
für die katalytischen Proben dagegen, besonders für die hier in 
Frage stehende Guajakreaktion gibt die Extraktion des Blutfarb¬ 
stoffes mittels Eisessigalkohol nach meinen Untersuchungen un¬ 
bedingt eine günstigere Ausbeute an Hämatin als die mit Eisessig¬ 
äther. Die Anwesenheit von Kotfarbstoffen beeinträchtigt, wie 
ich mich an zahllosen Versuchen überzeugt habe, die Schärfe der 
Guajakprobe nicht nur nicht, sondern die letztere ist im Gegen¬ 
teil der Eisessigätherreaktion an Prägnanz und Farbenschöuheit 
bei weitem überlegen. Während man z. B. bei Fäces mit 
mittlerem Blutgehalt mit der Eisessigätherextraktion eine schwach 
violette Färbung und auch diese erst nach längerem Schütteln 
des Extraktes erhält, ergibt die Behandlung mit Eisessigalkohol 
eine bereits während des Zusatzes von Guajak und H 2 0 2 eintretende 
intensive Blaufärbung. Desgleichen erhält man bei ganz negativer 
Eisessigätherprobe mit der Eisessigalkoholprobe noch mehr oder 
weniger deutlich violetten Farbenumschlag. Nur bei minimalstem 
Blutgehalt, der natürlich bei der Eisessigätherextraktion über¬ 
haupt keine Farbeuveräoderung aufwies, erhält man eine grünliche 
Verfärbung der Guajaklösung, die dann wohl die Grenze der 
Reaktion anzeigt. 

Diese Modifikation bedeutet gegenüber dem ursprünglichen 


1) Rossel, Deutsches Archiv f. klin. Med., 1903, Bd. 76, S. 505. 

2) v. Kooziozkowsky, Deutsche med. Wochenschr., 1904, Nr. 33. 

3) 0. Schumm, Die Untersuchung der Fäces auf Blut. Jena 1906. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 4. 


Weber’scben Verfahren nicht bloss eine Vereinfachung, sondern 
eine erbebliche Verbesserung, insofern Blutspuren, diebei jenem 
vollkommen unerkannt blieben oder in zweifelhaften Reaktionen 
zum Ausdruck kamen, nunmehr in voller Schärfe und Deutlichkeit 
zu erkennen sind. Damit ist aber auch die Guajakreaktion den 
anderen erheblich schärferen wesentlich näher gerückt. 

Im einzelnen gestaltet sich die von mir modifizierte Guajak- 
probe nach meinen Erfahrungen folgendermaassen: Man nimmt 
mit einem Glasstabe von festen Fäces aus der Mitte mehrere, 
etwa bohnengrosse Partikel, zerreibt sie in der Porzellanschale 
unter allmählichem Zusatz der obengenannten Eisessigalkohol¬ 
mischung und filtriert durch gewöhnliches kleines Filter. Ist 
das Filtrat stark braun gefärbt, so kann man noch 2—3 ccm 
Alkohol zusetzen. Sodann stellt man sich durch Auflösen von 
feinpulverisiertem Guajakharz eine eben schwach gelbe 
alkoholische Lösung her, fügt hiervon 10 bis 15 Tropfen 
zum Filtrat und ohne Umschütteln 15 bis 20 Tropfen 
3 proz. H 2 0 2 -Lösung hinzu. Man erhält dann je nach dem ßlut- 
gebalte schon während des Zusatzes von H 2 0 2 einen tiefblauen 
bis stark violetten Farbenumschlag. Eine charakteristische 
Reaktion erhält man auch, wenn man sie auf dem Filter nach 
Trocknen desselben anstellt. Jedenfalls ist diese Filtrierpapierprobe 
den vielfach angegebenen [z. B. der neuerdings von Zöppritz 1 )] 
an Einfachheit und Farbensicherheit, wie ich glaube, überlegen. 
Bei minimalsten Blutspuren habe ich sogar mit der Papierprobe 
bisweilen noch eine eben noch erkennbare Blaufärbung erzielt, 
während die Reagenzglasprobe undeutlich ausfiel. 

Handelt es sich um dünnflüssige oder breiige Fäces, so über¬ 
giesst man sie einfach in eine Porzellanschale oder Reagenzglas 
und verfährt im übrigen in gleicher Weise. 

Obgleich ich mich an zahlreichen Kontrollversuchen davon 
überzeugt habe, dass die Guajakprobe, in der eben angegebenen 
Weise angestellt, entschieden distinkter ausfällt als bei An¬ 
wendung der ätherischen Lösung, so dass man nunmehr auch bei 
minimalem Blutgehalt noch einen deutlichen Farbenumschlag er¬ 
hält, reicht sie auch in dieser Modifikation angestellt an die von 
mir empfohlene Phenolphthalinprobe 2 3 ) an Schärfe, nicht heran. 
Da diese Probe anscheinend in Kreisen der Wissenschaft, mehr 
noch aber der Praxis, offenbar noch wenig Freunde gefunden hat 
— auch Fuld scheint ihr kein besonderes Vertrauen entgegenzu¬ 
bringen —, so möchte ich nochmals auf die grosse Sicherheit und 
Schärfe dieser Probe hinweisen. Zwar hat Kober 8 ) gegen die 
Zuverlässigkeit dieser Probe vom theoretisch chemischen Stand¬ 
punkte aus verschiedene Einwände erhoben. Diesen Einwänden 
gegenüber muss ich auf Grund einer mehr als zweijährigen Er¬ 
fahrung das vollständig aufrecht erhalten, was ich in meiner 
Publikation dargelegt habe: dass das Phenoiphthalinreagens, wenn 
es genau nach der von mir vorgeschriebenen Methode angefertigt 
wird 4 ), nur bei Blutanwesenheit in den Fäces eine positive 
Reaktion gibt, während es bei Blutabwesenheit stets negativ aus¬ 
fällt. Dieser Beweis ist von mir einmal an sicher blutfreien 
Fäces mit Blutzusatz geführt worden, sodann ist an Fäces mit 
und ohne Blutanwesenheit die Probe mit der Gnajak- und 
Benzidinprobe wiederholt verglichen worden. Wenn man demnach 
die Skepsis nicht auf die Spitze treiben will, so wird jeder, der 
über diese Probe Erfahrungen gesammelt hat und nicht bloss 
theoretisch urteilt, die grosse Ueberlegenheit dieser Probe über 
alle anderen bekannten zugeben müssen. 

Auf eine „Fehlerquelle“ der Phenolphthalinblutprobe hat weiter 
kürzlich Bernhard Vas 5 ), der im übrigen durchaus die grossen 
Vorzüge der Probe anerkennt, hingewiesen. Er fand nämlich in 
einer Stuhlprobe eine deutliche Rosafärbung bei Zusatz des 
Phenoiphthalinreagens, und zwar schon ohne H 2 0 2 , während die 
übrigen katalytischen Proben ein negatives Resultat ergaben. Als 
Ursache dieser Fehlerquelle fand Vas, dass der Patient, von 
welchem der Stuhl stammte, die bekannten Purgentabletten ge¬ 
nommen hatte, d. h. reines Phenolphthalein, das zum grössten 


1) Zöppritz, Münchener med. Wockenschr., 1912, Nr. 4. 

2) Boas, Deutsche med. Wochenscbr., 1911, Nr. 2. 

3) Kober, Deutsche med. Woohenschr., 1911, Nr. 32. 

4) Ich habe den Eindruck gewonnen, dass das Phenolphthalinreagenz 
in den Apotheken häufig nicht sorgfältig genug zubereitet wird. Sonst 
wären einzelne, mir von Aerzten gemachte, sehr auffallende Angaben 
über positive Reaktion des Reagens mit Wasser oder Alkohol gar nicht 
zu verstehen. Ein zuverlässiges Phenolphthalinpräparat (unter dem 
Namen „Blutreagens“) kann man aus Lucae’s Apotheke, Berlin, Unter 
den Linden 53, beziehen. 

5) Bernhard Vas, Deutsche med. Wochenscbr., 1912, Nr. 80. 


Teil unverändert mit dem Kot ausgeschieden wird. Es liegt klar 
auf der Hand, dass, wenn man zu einem phenolphthaleinbaltigen 
Kotextrakt in alkalischer Lösung befindliches Phenolphthalin zu¬ 
setzt, ersterer sofort eine starke Rotfärbung ergeben muss. Ich 
habe übrigens kürzlich die gleiche Beobachtung wie Vas an einer 
Patientin machen können, die gleichfalls als Abführmittel eine 
phenolphthaleinhaltige Substanz, nämlich Aperitol, seit langem zu 
gebrauchen pflegte. 

Ich kann aber eine solche leicht nachzuweisende Täuschungs¬ 
möglichkeit, auf die hingewiesen zu haben übrigens verdienstlich 
ist, nicht als eine Fehlerquelle ansehen, so wenig man es etwa 
als Fehlerquelle der bekannten Acetessigsäurereaktion mit Eisen¬ 
chlorid bezeichnen kann, wenn jemand vorher mit Salicyl- 
präparaten behandelt war. 

Weitere Untersuchungen haben nun ergeben, dass sowohl die 
Phenolphthalinprobe als auch die Benzidinprobe, in der oben¬ 
genannten Weise angestellt, gleichfalls ausgezeichnete und, was 
speziell die erstgenannte Probe betrifft, noch intensivere Reaktionen 
ergibt als die früheren, mit Eisessigäther augestellten. Man kann 
demnach in Fällen, wo es sich um besonders subtilen Nachweis 
okkulter Blutungen handelt, an demselben alkoholischen Extrakt 
auch die übrigen Blutproben anstellen. 

In gleicher Weise, wie bei der Untersuchung der Fäces kann 
man auch bei der Untersuchung des Mageninhaltes auf okkulte 
Blutungen vorgehen, nur dass man hier, wie dies schon Schümm 
auch bei der Eisessigätherprobe empfohlen hat, gut tut, vor An¬ 
stellung der Probe die Magensäure durch einige Tropfen Soda¬ 
lösung oder Natronlauge zu neutralisieren. 

Der einmal oder besser mehrere Male festgestellte Nachweis 
okkulter Blutungen ist in einer grossen Reihe von Fällen für die 
Diagnose zweifelhafter Fälle — besonders von Ulcus ventriculi 
bzw. duodeni — in Verbindung mit den übrigen klinischen Zeichen 
bekanntlich von ausschlaggebender Bedeutung. Dasselbe gilt auch 
für den wiederholt geführten negativen Nachweis. Aber — und das 
kann nicht eindringlich genug betont werden — in zahlreichen 
anderen Fällen reicht dieser ein oder mehrere Male geführte positive 
oder negative Nachweis keineswegs aus. Es ist vielmehr notwendig, 
den Gang der Blutung systematisch und womöglich 
täglich zu verfolgen. Erst hieraus ersehen wir, was z. B. für 
die Unterscheidung von Carcinom und Ulcus von fundamentalster 
Bedeutung ist, ob die Blutung die Tendenz zeigt, unter dem Ein¬ 
fluss einer entsprechenden Kur abzunehmen, ganz zu schwinden 
oder umgekehrt, zu persistieren. Dasselbe gilt auch für 
die Diagnose Ulcus carcinomatosum, das, soweit ich sehe, nur 
auf dem Wege einer solchen systematischen Verfolgung der 
okkulten Blutabscheidung der Erkenntnis näher gerückt werden 
kann. In gleicher Weise geben uns nur fortlaufende Unter¬ 
suchungen der okkulten Blutungen die Möglichkeit oder richtiger 
Sicherheit in unseren therapeutischen, speziell diätetischen Maass¬ 
nahmen. 

So habe ich mich bei der Behandlung des Ulcus ventriculi 
und duodeni an der Hand der okkulten Blutungen davon über¬ 
zeugen können, dass der Heilungsprozess bei verschiedenen In¬ 
dividuen ein ganz verschieden langer ist, und daraus folgt, dass, 
wie ich mir später genauer darzulegen Vorbehalte, die heutige, 
recht schematische Behandlungsmethode unbedingt einer Revision 
bedarf. 

Endlich habe ich noch zu bemerken, dass nicht bloss die 
Tatsache der okkulten Blutung als solche von diagnostischer 
Wichtigkeit ist, sondern auch der schätzungsweise Gehalt an Blut¬ 
farbstoff. Da eine quantitative Bestimmung desselben wenn auch 
sicher möglich 1 ), doch noch klinisch nicht genügend erprobt ist, 
so müssen wir uns vorderhand mit einer approximativen Be¬ 
urteilung der Intensität der okkulten Blutungen begnügen. Sorg¬ 
fältiges Arbeiten immer unter gleichen Bedingungen, das Ver¬ 
trautsein mit dem Ausfall und der Stärke der Reaktionen gibt 
dem Kundigen und Geübten schon wichtige Hinweise für die Be¬ 
urteilung der Intensität der Blutungen, die ihrerseits naturgemäss 
diagnostisch und therapeutisch von grosser Bedeutung ist. 

Wie man aus dem Vorhergehenden ersieht, ist die Technik 
des okkulten Blutnachweises speziell durch die oben angegebene 
Modifikation des Verfahrens eine so einfache geworden, dass sie 
etwa dem qualitativen Zuckernachweis oder dem Indikannachweis 
nahe an die Seite gestellt werden kann. Trotzdem glaube ich, 
dass nur derjenige Arzt aus dem Nachweis der okkulten Blutungen 


1) H. Citron, Ueber den Nachweis kleinster Blutmengen in der 
klinischen und forensischen Medizin. Diese Wochenscbr., 1910, Nr. 22. 


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2*1. Januar 1913. 


15? 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


richtige diagnostische Schlüsse und richtige therapeutische In¬ 
dikationen wird ableiten können, welcher sich mit allen den zahl¬ 
reichen, an sich nicht schwierigen, aber immerhin sehr bedeutungs¬ 
vollen Kautelen des okkulten Blutnachweises gründlich vertraut 
gemacht hat. 


Aus der chirurgischen Klinik des städtischen Kranken¬ 
hauses zu Frankfurt a. M. (Direktor: Geh.-Rat Prof. 
Dr. Rehn). 

Resektion von tuberkulösen Bifurkationslymph- 
drüsen wegen Trachealstenose. 

Von 

Stabsarzt Dr. Betke, 

kommandiert zur Klinik. 

Die Eröffnung des Mediastinums ist trotz aller neueren Hilfs¬ 
mittel zur Verhütung eines Pneumothorax immer noch eine Operation, 
welche nicht ohne dringende Indikation vorgenommen werden wird. 

Die Berechtigung zur Eröffnung ist, abgesehen von den ein¬ 
schlägigen chirurgischen Herz- und Lungenerkrankungen, gegeben bei 

1. entzündlichen Prozessen im Mediastinum, 

2. Tumoren des Mediastinums, 

3. Hyperplasien des Thymus, wenn sie bedrohliche Er¬ 
scheinungen hervorrufen, 

4. Erkrankungen der Lymphdrüsen. 

Die entzündliche Mediastinitis kann sowohl das vordere wie 
das hintere Mediastinum betreffen und entsteht meist als Fortleitung 
von Entzündungen aus den benachbarten Organen, indem sie entweder 
den Weg entlang den Gelässscheiden der Carotis und Jugularis nimmt 
oder aus Abscessen der Schilddrüse, des Kehlkopfes und des Oesophagus 
entsteht, welche sich in dem vor diesen Organen gelagerten prävisceralen 
Raum gebildet hatten und ihren Weg in dem lockeren Gewebe, dem 
Gesetze der Schwere und Bequemlichkeit folgend, nach abwärts nahmen. 
Ort sind es Verletzungen des Oesophagus, Abscesse und Gangrän der 
Lungen, vereiternde Carcinome und Lymphdrüsen sowie entzündliche 
Erkrankungen der Pleura und des Pericards, welche entweder direkt 
oder durch Fortleitung zur Mediastinitis Veranlassung geben. 

Seltener sind es Traumen des Mediastinums, in deren Gefolge 
die Mediastinitis auftritt. Sie entsteht dann nach den Ausführungen 
von Hoffmann, welcher übrigens nur über sieben traumatische Fälle 
berichten kann, entweder von der infizierten Wunde aus, z. B. einem 
Degenstich, oder durch die Vereiterung eines durch stumpfe Gewalt ent¬ 
standenen retrosternalen Hämatoms bei Fractura sterni. 

Schliesslich kann eine eitrige Mediastinitis auch metastatisch bei 
akuten Infektionskrankheiten, z. B. dem Erysipel, entstehen. 

Der erste, welcher zur Entleerung eines im vorderen Mediastinum 
gelegenen Abscesses zur Eröffnung des Mittelfellraumes schritt, war — wie 
uns Riedin ger und Kümmel in ihrer Chirurgie des Thorax berichten — 
Galen, welcher mit Erfolg eine Trepanation des Sternums ausführte. 

Unter den Tumoren des Mediastinums werden die gutartigen 
nur dann Veranlassung zur Operation geben, wenn sie infolge ihres 
Sitzes oder ihrer Grösse grössere Beschwerden verursachen. Es ist mög¬ 
lich, dass sie durch Druck auf die Trachea, das Herz, die Lungen, die 
grossen Gefässe, Nerven oder den Oesophagus stürmische, die Operation 
heischende Erscheinungen hervorrufen. Dass die malignen Neubildungen 
durch ihr rasches, oft infiltrierendes Wachstum meist heftigere Be¬ 
schwerden verursachen werden, ist selbstverständlich. 

Die malignen Tumoren können wir in primäre und metastatisoh 
entstandene eiuteilen. 

Als pri märe, bösartige Neu bi 1 dun gen finden wir im Mediastinum 
beschrieben vor allem Endotheliorae, Carcinome und Sarkome ver¬ 
schiedenster Form, welche zwar recht selten auftreten, aber immerhin 
den grössten Anteil aller Tumoren in diesem Gebiete ausmachen, wenn 
wir ihnen die, streng genommen, nicht hinzugehörigen Tumoren der 
bronchialen und trachealen Lymphdrüsen hinzurechnen. Klinisch be¬ 
zeichnet man als Mediastinalturaoren mehr die Teratome und Dermoide 
des Mediastinums und die Lymphosarkome des Thymus, die auch die 
Bezeichnung Thymone erhalten haben. Von den Dermoiden, welche ich 
wegen ihrer nicht seltenen Kombination mit Sarkom hier beschreiben 
möchte, geben uns Ekehorn und Pflanz eine gute Beschreibung. Es 
sind im ganzen 26 Fälle veröffentlicht. Ihr Ursprung ist embryonal, 
and sie werden entweder auf Inklusionen von Epidermis beim Thorax¬ 
schluss oder auf bigerminale Implantationen oder auf den Thymus zurück- 
gefübrt, als dieses Organ noch epithelialen Charakter trug (Marchand). 
Sie sind deutlich an ihrem Inhalt erkenntlich und meist oystische oder 
gelappte multilokulare Gebilde, die — wie schon gesagt — mit Lympho- 
sarkomeu kombiniert sein können. 

Die Thymustumoren unterscheiden sich von den meist knolligen, 
lappigen Lymphosarkomen der mediastinalen Lymphdrüsen nach Kauf¬ 
mann durch ibr diffuses Wachstum und ihre glatte, homogene Schnitt¬ 
fläche. Die Thymomdiagnose steht fest, falls es gelingt Hassal’sche 
Körperchen im Tumor nachzuweisen. 


Dass Flimmerepithelcysten im Mediastinum beobachtet sind, 
möchte ich nicht unerwähnt lassen, sie nehmen nach Chiari ihren Ur¬ 
sprung von Divertikeln der Trachea oder nach Stillung und Zahn von 
kongenitalen Absprengungen vom Bronchialbaum. 

Unter den gutartigon Tumoren, die noch seltener anzutreffen sind 
als die bösartigen, ist ein Lipom von v. Langenbeck operiert worden. 
Es ging vom Intercostalraum aus und war in das Mediastinum ein¬ 
gewachsen. Ferner operierte Gussenbauer mit Erfolg ein subpleurales 
Lipom, das links vom Sternum durch den zweiten Intercostalraum her¬ 
vorgewuchert war. 

Fibrome zählt Hoffmann nach der Literatur nur sieben auf, von 
denen er nur die von Pastau und Barclay beschriebenen als echte 
Fibrome angesehen wissen will. 

Fügen wir nun noch die äusserst selten vorkommenden Echino¬ 
kokken des Mediastinums hinzu, von denen bisher vier Fälle bekannt 
geworden sind (Hoffmann) und gedenken wir der endothorakalen 
Strumen, so sind bis auf die Thymushypertrophie und die nicht durch 
Neubildung bedingten Erkrankungen der Lymphdrüsen die differential- 
diagnotisch bei Mediastinaltumorverdacht in Frage kommenden Möglich¬ 
keiten erschöpft. 

Der Thymushypertrophie, der in neuerer Zeit lebhaftes 
chirurgisches Interesse zugewandt wird, müssen wir noch einige Worte 
widmen. Sehr eingehende Beschreibung aller in Frage kommenden 
Tbymuserscheinungen und ihrer Behandlungsarten finden wir bei Klose. 
Nach ihm ist eine absolute Indikation zum chirurgischen Eingriff ge¬ 
geben bei kompressiven Erscheinungen des hyperp las tischen Thymus auf 
die grossen Gelasse und Vorhöfe. De necke ist nach ihm der erste, 
welcher einen derartigen Fall mit Erfolg operiert hat. Wegen Tracheo- 
stenosis thymica hat zuerst Siegel im Jahre 1896 mit günstigem 
Resultat eine Dislokation des Thymus, König 1897 eine halbseitige 
Resektion vorgenommen. Rehn schlug im Jahre'.1899 als erster vor, 
die vergrösserte Basedow-Tbymusdtüse mitzuentfernen. Garrö hat zu¬ 
erst 1911 bei Basedow mit gleichzeitig vergrössertem Thymus ein Stück 
des Thymus reseziert. In der Rehn’schen Klinik ist jetzt in acht 
Fällen von Basedowscher Krankheit mit gutem Erfolg die hyperplastische 
Thymusdrüse reseziert. 

Die Erkrankungen der mediastinalen Lymphdrüsen sind aus¬ 
führlich von Barclay und Wiederhofer und Bieder und Litting 
behandelt worden. Es muss hier an gewöhnliche, lokale Lymphome 
sowie an die allgemeine Vergrösserung der Lymphdrüsen bei der 
Hodgkin’schen oder Sternberg’schen Krankheit gedacht werden, welche 
zu enormer Vergrösserung der Lymphdrüsenpakete Veranlassung geben 
können. Ferner können wir uns eine klinisch bemerkbar werdende 
krankhafte Vergrösserung oder Veränderung der mediastinalen Lymph¬ 
drüsen, welche teils der Thoraxwand auliegen (Gl. parietales), teils ober¬ 
flächlich oder tief liegen (GL viscerales) oder aber um die Trachea und 
Bronchien gefunden werden (Gl. tracheales und bronchiales), vorstellen, 
welche hervorgerufen sein kann durch akute Infektionskrankheiten, Lues 
oder auch Tuberkulose, und wir werden dann die verschiedenen Formen 
von latent geschwollenen, entzündlich vergrösserten, erweichten, ver¬ 
kästen und verkalkten Lymphdrüsen vorfinden. 

Diese Form der Drusensch Wellungen wird, wie auch Ried io ger 
und Kümel aussprechen, nur ausnahmsweise Veranlassung zu 
chirurgischen Eingriffen geben. Soweit ich ans der Literatur ent¬ 
nehmen konnte, ist ein operatives Vorgehen bei tuberkulös er¬ 
krankten Bifurkationslymphdrüsen, abgesehen von Tracheotomien, 
bisher nicht beschrieben. Jedenfalls weiss Hoffmann in seinen 
Erkrankungen des Mediastinums nichts darüber zu berichten, und 
auch die chirurgischen Handbücher und Einzelarbeiten, soweit ich 
sie einsehen konnte, erwähnen keine derartige Operation. 

Es wird daher des allgemeinen und speziell des chirurgischen 
Interesses nicht entbehren, wenn ich es unternehme, den Verlauf 
einer operierten, durch tuberkulöse Bifurkationsdrüsen hervor- 
gerufenen Broncho-Trachealstenose wiederzugeben. 

Aus der Anamnese sei folgendes bemerkt: Vater starb an Lungen¬ 
entzündung, Mutter und Geschwister sind gesund. Seit 2 Jahren hat 
die Pat Atembeschwerden. Am 5. X. 1911 suchte sie deshalb die 
medizinische Klinik des städtischen Krankenhauses Frankfurt a. M. auf. 
Hier fand sich eine tuberkulöse Affektion beider Lungenspitzen. Am 
1. II. 1912 wurde sie von dort, nachdem ihr noch polypöse Wuche¬ 
rungen der Nase entfernt waren, wesentlich gebessert entlassen. All¬ 
mählich nahmen die Atembeschwerden wieder zu, und sie suchte, wegen 
Verdachts eines mediastinalen Tumors eingewiesen, am 25. Vll. 1912 die 
chirurgische Klinik auf. 

Der Aufnahmebefund besagt von der Patientin: Blasse, 29jährige 
Frau in mittlerem Ernährungszustand. Die Lippen und sichtbaren 
Schleimhäute sind leicht cyanotisch verfärbt. Am Hals und auf 
der Brust sind die Venen erweitert deutlich sichtbar. Am Herzen 
weder auscultatorisch noch perkutorisch oder röntgenologisch Verände¬ 
rungen nachweisbar. Die Lungen zeigen normale Grenzen, leichte 
Dämpfung über beiden Spitzen und über den untersten hinteren Ab¬ 
schnitten der linken Lunge. Ueber der rechten Lunge Atemgeräusch 
etwas abgeschwächt. Es besteht starker, quälender „Reizhusten“. 
Zahlreiche bronchitische Geräusche über beiden Lungen. Im Sputum 
sind Tuberkelbacillen nachweisbar. Der Thorax ist leicht fassförmig. 

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158 


Nr. 4. 


BERLINER KLINISCHE WOCH ENSCH RIFT. 


Beim Inspirium deutliches Einziehen des Jugulums. Ex- 
spirium sehr stark verlängert, gequält und etappenweise. 
Aber auch das Inspirium ist deutlich über die Norm ver¬ 
längert, die Anzahl der Atemzüge beträgt 24 in der Minute. Pat. 
hat starken Lufthunger. Keine Dämpfung an der Thoraxapertur und 
über dem Sternum. Es besteht Dysphagie. Sie gibt an, dass beim 
Schlucken die festen Bissen in der Speiseröhre auf einen Wider¬ 
stand stossen und erst allmählich in den Magen gelangen. Oesophagus 
für Sonde durchgängig. Schlechter Appetit mit Heisshunger 
abwechselnd. Die Stimme ist etwas heiser und leicht tonlos. 

Eine Untersuchung auf der hiesigen Ohrenklinik ergibt folgenden 
Befund: „Im Larynx eine Affektion des N. recurrens beiderseits. Bei 
der Phonation ist der Glottisschluss unvollständig und bei der In¬ 
spiration weichen die Stimmbänder nur um die Hälfte des Normalen 
auseinander. Diagnose: Parese der Musculi interni und mangelhafte 
Funktion der postici.“ 

Sonst besteht bei der Pat. kein krankhafter Befund. Die Röntgen¬ 
aufnahme (s. Figur 1) zeigt ovale, etwa walnussgrosse Schatten ober¬ 
halb der Abgangsstelle des rechten Bronchus (Gland. tracheo- 
bronch. sup. dext.) längs der Trachea und in der Gegend der ganzen 
Bifurkation. Ferner heben sich die bronchialen Lymphdrüsen deutlich 
als vergrössert und verändert ab. In den Lungen einige tuberkulöse 
Herde. Deutlich erkennbar ist die Verengerung des Lumens des rechten 
Hauptbronchus durch die epibronchialen und die Bifurkationslymphdrüsen. 

Nach dem erhobenen Befund wird eine Einengung der Trachea in 
ihrem mediastinalen Abschnitt durch einen Tumor unbestimmbarer — 
wahrscheinlich tuberkulöser — Art angenommen. 


Figur 1. 



Da die Atemnotbeschwerden zunehmen und die Gefahr einer 
Erstickung auftritt, wird am 27. VII. in Mischnarkose von Geheim¬ 
rat Rehn die Operation — Mediastinotomia longitudinalis nach 
Sauerbruch und'[Schumacher — vorgenommen: Es wird 
durch einen SchnittTdicht oberhalb des Oberrandes des Sternums 
der Zugang zum Mediastinum freigelegt, die Ansätze des Musculus 
sternocleidomastoideus werden scharf durchtrennt. Der tastende 
Finger fühlt tief unten im Mediastinum harte, etwa walnussgrosse 
Tumoren. Durchschneiden des zweiten rechten Rippenknorpels 
nahe seinem Sternalansatz, Durchsägung des Manubrium sterni 
an der rechten Seite. Man kann nunmehr den ganzen oberen, 
vorderen Mediastinalraum übersehen. Es zeigt sich, nachdem die 
grossen Gefässe — Vena anonyma und Arteria carotis communis 
dextra — vorsichtig beiseite gezogen sind, dass die harten, tumor¬ 


artigen Knollen längs der Trachea, besonders rechts sitzeu und 
bis zum Abgang des rechten Hauptbronchus reichen. Es gelingt, 
eines der harten Pakete, welches oberhalb des rechten Bronchus, 
ira Winkel zwischen Trachea und Bronchus liegt, nach Beiseit- 
drängung der Arteria und Vena anonyma auszuschälen (s. Figur 2). 
Bei dem Versuch, ein weiteres Drüsenpaket zu entfernen, fängt 
ein kleiner Nebenast der Vena cava superior oder Vena anonyma 
dextra zu bluten an, und es wird deshalb von einer weiteren 
Operation Abstand genommen, zumal die Atmung freier geworden 
ist. Die Wundhöhle wird tamponiert. Keine Kuochennalit. 
Muskelnähte und Hautnaht. Ueberdruck ist nicht erforderlich 
geworden. 

Die entfernte knollige Masse erwies sich als ein 3,5 cm 
langes, 2 cm breites, verkalktes Lymphdrüsenpaket, welches nach 
seinem Sitz dem Gland. tracheo-bronch. superior dextra angehört 
hat (s. Figur 2). 

Figur 2. 



Schematische Zeichnung der Bifurkation (nach Corning). 


Ara Tage nach der Operation, 28. VII., stieg bei leidlichem Allge¬ 
meinbefinden die Temperatur auf 38,9°, um dann allmählich abzukliugen. 
Seit dem 5. VIII. ist Patientin fieberfrei. 

Am 29. VII. wird der Tampon entfernt, das Allgemeinbefinden ist 
gut. Patientin hat nach ihren eigenen Angaben viel besser 
Luft. Die Atmung ist frei, kein verlängertes Ex- und Inspirium mehr. 
Husten nicht mehr quälend. 

Im Laufe der unkomplizierten Rekonvaleszenz hebt sich der Allge¬ 
meinzustand, die Atmung bleibt dauernd frei, die bronchitischen Er¬ 
scheinungen gehen zurück. 

Bei der Entlassung am 20. VIII. 1912 wird folgender Befund er¬ 
hoben: Oberhalb und parallel zum oberen Rande des Brustbeines eine 
12 cm lange, feste, reizlose Narbe. Vom rechten Sternoclaviculargelenk 
abwärts eine etwa 9 cm lange, senkrecht zur vorigen verlaufende Narbe, 
neben der rechts in der Höhe der zweiten Rippe eine kleiuhaudteller- 
grosse, flache Einziehung besteht. Der Brustkorb bewegt sich symme¬ 
trisch und ruhig. Die Atmung ist völlig frei, Exspirium und 
Inspirium erfolgt beschwerdelos, ohne Anstrengung und 
ohne Verlängerung. 20 Atemzüge in der Minute. Sehr geringer, 
lockerer Husten mit spärlichem Auswurf. Unterhalb der Schlüsselbeine 
einige brummende und giemende Geräusche. 

Die Patientin hat sich dann noch einmal im Oktober vorgestellt. 
Der Befund war der gleiche wie bei der Entlassung. Die Patientin ist 
sehr zufrieden, so gut atmen zu können. Sie hat sich jetzt zur Behand¬ 
lung ihrer Lungentuberkulose in ein Sanatorium begeben. 

Gehen wir die Krankengeschichte noch einmal durch, so 
lassen sich die Symptome, welche vor der Operation bestanden, 
jetzt leicht erklären. 

Es ist bekannt — und wird besonders von Hoffmann her- 
vorgehohen —, dass die vergrösserten, die Trachea einengenden 
Lymphdrüsen an der Bifurkation zu heftigem Hustenreiz Ver¬ 
anlassung geben. Der Husten kann so stark werden, dass er 
demjenigen beim Keuchhusten gleicht, wie es auch bei unserer 
Patientin der Fall war. Die Erklärung hierfür wird verschieden 
angegeben. Hoffmann will den Reizhusten reflektorisch von der 


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27. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


159 


Schleimhaut ausgelöst wissen, sumal die Gegend der Bifurkation 
eine ganz besonders reizbare, „tussigene“ Form besitzt, wie er 
sich aasdrückt. In unserem Fall erscheint es wahrscheinlicher, 
dass der Laryngospasmus durch eine Zerrung oder Druck des 
Nervus recurrens hervorgerufen ist. Ersehen wir doch aus dem 
Röntgenbild, dass neben der Trachea noch zahlreiche vergrösserte 
und wahrscheinlich durch Kalkeinlagerungen verhärtete Lymph¬ 
drüsen liegen, die durch ihre Nachbarschaft sehr wohl eine 
Reizung des Nervus recurrens dexter hervorrufen konnten. Durch 
die Entfernung der grossen, verkalkten Drusen in der Ecke ober¬ 
halb des rechten Bronchus und der Trachea mag eine Entlastung 
des Nervus vagus mit Nervus recurrens stattgefunden haben, und 
somit das Aufhören der krampfhaften Hustenanfälle nach der 
Operation seine Erklärung finden. Denn betrachten wir den 
Verlauf des rechten Nervus vagus und recurrens, von denen der 
Nervus vagus die Arteria subclavia kreuzt und den Nervus re¬ 
currens dextra um die Arterie nach oben hin abgibt, welcher 
dann in der durch Trachea und Oesophagus gebildeten Rinne 
verläuft, so ist uns die Möglichkeit einer Druckparese durch die 
verkalkten epibronchialen Drüsen an der Trachea einleuchtend 
(s. Figur 2). 

Auch die Respirationsbeschwerden und ihr Aufhören 
nach der Operation können wir uns erklären. Es ist bekannt, 
dass der rechte Hauptbronchus häufiger Kompressionen ausgesetzt 
ist als der linke, da um den rechten Bronchus herum zahlreichere 
und grössere Drüsen liegen als links. Diese haben nun im Ver¬ 
ein mit den übrigen, ebenfalls vergrösserten und verhärteten 
Bifurkations- und unteren tracheo bronchialen Drüsen — wie es 
auf dem Röntgenbild sehr gut zu erkennen ist — zu einer Kom¬ 
pression des rechten Bronchus und der Trachea geführt und deren 
klassisches Bild hervorgerufen: Dyspnoe, mühsame, gequälte 
Atmung, welche im Vergleich zur Dyspnoe bemerkenswert 
langsam ist (24 in der Minute). Die Dyspnoe ist eine inspira¬ 
torische und exspiratorische Atmungserschwerung. Schon 
Hoff mann führte aus, dass durchaus nicht nur inspiratorische 
Atmungserschwerung — wie vielfach angenommen wird — zu 
bestehen brauche, sondern dass auch exspiratorische häufig beob¬ 
achtet ist. Unser Fall ist ein weiterer Beweis für die Möglich¬ 
keit einer sowohl in- wie auch exspiratorischen Dyspnoe bei 
Trachealstenose. Dass auch spontanes Ausheilen einer durch 
tuberkulöse Lymphdrüsen verursachten Dyspnoe infolge Bronchus¬ 
stenose voikommt, zeigt uns die Veröffentlichung von Misch- 
land, welcher durch Bronchoskopie beobachtete, dass durch 
Durchbruch erweichter, tuberkulöser Bronchialdrüsen in den 
Bronchial bäum eine vorher bestehende schwere Stenose zur 
Heilung kam. 

Dass in unserem Falle die Dyspnoe nicht durch die auf der 
Obrenklinik festgestellte Recurrensaffektion — woran man natür¬ 
lich denken muss — hervorgerufen ist, erhellt ans dem Operations¬ 
erfolg. Nach der operativen Entfernung des Atmungshindernisses 
schwindet die Dyspnoe völlig, während die doppelseitige Re- 
currensstörung bestehen bleibt. Diese letztere lässt sich, wie 
schon erwähnt, durch Reizung des Recurrens durch andere 
tuberkulös veränderte Drüsen erklären. 

Dass bei Vergrösserung der mediastinalen Lymphdrüsen 
Dysphagie auftritt, wissen wir aus den Veröffentlichungen von 
Köner, Tchamer und Hoffmann. Sie ist — wie auch in 
unserem Falle — charakterisiert durch geringe Symptome, so 
dass man an hysterische und nervöse Zustände zu denken geneigt 
ist, und dadurch, dass die Sondenuntersuchung keine Verengerung 
des Oesophagus an sich ergibt. Ihre Erklärung findet die Er¬ 
scheinung durch Schwellung der Drüsen, welche Druck oder 
Zerrung auf den Oesophagus ausüben. Man könnte auch daran 
denken, dass der Vagus oder seine Aeste in Mitleidenschaft ge¬ 
zogen sind. Aus den genannten Veröffentlichungen geht hervor, 
dass die Dysphagie schwindet, wenn der Reiz ausfällt, so z. B. 
wenn die komprimierenden Drüsen nach Verkäsung in den Oeso¬ 
phagus durchbrechen oder durch therapeutische Maassnahmen zur 
Verkleinerung gebracht sind. Bei unserer Patientin ist durch die 
Operation die Dysphagie behoben, sie isst und schluckt ohne 
Beschwerden. 

Um schliesslich noch ein auch bei unserer Kranken vor¬ 
handenes Symptom zu besprechen, so lässt sich auch für die 
Cyan ose des Gesichts, besonders der Lippen, eine Erklärung 
finden. Man wird zunächst an dyspnoische Cyanose denken, doch 
ist sie auch durch Stauung zu erklären, zumal wir erweiterte 
Venen auf der Brustwand und am Halse gesehen haben. Die Er¬ 


klärung ist dann durch eine Kompression der Venae anonymae 
durch die vergrösserten Drüsen gegeben. 

Cyanose und Venenerweiterung sind nach der Operation ge¬ 
schwunden. 

Die Therapie bei tuberkulösen Erkrankungen der mediastinalen 
Lymphdrüsen war bisher keine chirurgische und wird es auch 
nur für Ausnahmefälle bleiben. Die im allgemeinen angewandte 
Heilmethode wird zunächst das Grundleiden, die Tuberkulose, in 
üblicher Weise in Angriff nehmen. Es sind ferner empfohlen 
worden Abreibungen, Duschen, Priessnitz’sche Umschläge mit 
morgendlichen Uebcrgiessungen, Einreiben mit grünen Seifen, 
Massieren und Drücken der ßrnstwand und Wirbelsäule (Er- 
schütteruogsmassage). Es sind gerade von der letzten Manipulation 
günstige Wirkungen gesehen, doch erscheint sie mir nicht ungefähr¬ 
lich. Es ist doch sicher möglich, dass durch eine derartige Maass- 
nähme eine Zerquetschung und Mobilisation der infektiösen Massen 
verursacht wird, die dann zu einer Allgemeininfektion, zu einer Miliar¬ 
tuberkulose führen kann. Aus den Weigert’schen, Albrech t’schen 
und anderen Veröffentlichungen wissen wir, wie leicht ein Ein¬ 
bruch verkäster Lymphdrüsen in die arrodierten Venen statt¬ 
findet, und es ist einleuchtend, dass die Gefahr durch eine direkte 
Massage der Drüsen nur erhöht werden kann. Es bleiben dann 
noch die internen zahllosen Mittel, wie Eisen, Arsen, Jod, Phos¬ 
phate usw. übrig, so wie der bei Kindern gewiss vorzügliche 
Lebertran, um die bisherigen Heilmittel zu erschöpfen. Die beim 
malignen Lymphom angeblich mit Erfolg verwandte Röntgen¬ 
bestrahlung lässt bei Tuberkulose der Drüsen im Stich. 

Der Erfolg bei der Operation, der, um es noch einmal kurz 
zu wiederholen, in Aufhören der Dyspnoe, Schwinden der Cyanose, 
Fortfall der Dysphagie, Besserung des Hustens mit seinen Be¬ 
schwerden bestand, lässt den chirurgischen Eingriff, der sicher 
nicht ohne Gefahr ist, bei einem Fall mit schwerer Stenose der 
Trachea oder der Bronchien durch die einengenden tuberkulösen 
Lymphdrüsen nicht nur gerechtfertigt erscheinen, sondern fordert 
zu weiteren Versuchen operativer Behandlung auf. Unsere Beob¬ 
achtungen am Sektionsmaterial, sowie zahlreiche Veröffentlichungen 
(A. Schmidt, v. Schrötter u. a.) zeigen uns, dass dieTracbeal- 
oder Bronchialstenose, verursacht durch hyperplastische, tuber¬ 
kulöse Lymphdrüsen in der Bifurkationsgegend, durchaus nicht zu 
den Seltenheiten gehört. Meist werden nach den vorliegenden 
Berichten die schweren Stenoseerscheinungen durch Tracheotomie 
bekämpft, oder sie gelangen auch, wie schon erwähnt, durch 
Perforation in Trachea oder Bronchus zur Entlastung. Dass die 
Tracheotomie oft nicht ausreichend sein wird, besonders für einen 
Dauererfolg, zeigt uns die Veröffentlichung von Knöpfelmacher. 
Es war hier bei einem 2 l j 2 jährigen Kinde, welches sich wegen 
Diphtherie seit 8 Tagen in Behandlung befand, wegen plötzlicher 
hochgradiger Dyspnoe die Tracheotomie ausgeführt. Trachea 
zeigte sich frei, Dyspnoe und Lungenblähung blieben bestehen. 
Bei der Sektion bestätigte sich die Vermutung, dass der rechte 
Hauptbronchus durch eine tuberkulöse Drüse verlegt war. 

Es bedarf wohl keiner Auseinandersetzung, dass es zweck¬ 
mässiger und für den Kranken günstiger ist, eine Entfernung der 
erreichbaren, vergrösserten, komprimierenden Lymphdrüsen vor¬ 
zunehmen als abzuwarten, bis die Natur sich selbst zu helfen 
versucht, indem die verkästen Drüsen in die Luftwege durch¬ 
brechen und von hier im günstigsten Falle ausgehustet werden, 
oder — was oft beobachtet ist — durch Aspiration zu einer oft 
tödlichen Verschlimmerung des Leidens führen. 


Literatur. 

Al brecht, Sektionsordnung. Frankfurter Zeitschr. f. Pathol. 
Bd. 3, H. 4. — Barety, Adenopathie trachöobronchique. These de 
Paris, 74. — Biedert und Litting, Festschrift für Uenoch, 1890., 

— Den ecke, Accidents de compression attribuables au thymus. Semaine 
mödicale, 9. Juni 1909. — Ekehorn, Die Dermoidcysten des Mediasti¬ 
num anticum. Archiv f. klin. Chir., 1898, Bd. 56. — Kaufmann, 
Lehrbuch der speziellen pathologischen Anatomie. — Knöpfelmacher, 
Anatomisches Präparat von Verlegung der Trachea durch eine verkäste 
Bronchialdrüse. Wiener med. Wocbenschr., 1907, Nr. 28. — Klose, 
Chirurgie der Thymusdrüse. Neue deutsche Chirurgie, 1912.— Köner, 
Ueber Dysphagie bei Erkrankungen von Bronchialdrüsen usw. Deutsches 
Archiv f. klin. Med., Bd. 87. — König, Exstirpation der Thymusdrüse. 
Centralbl. f. Chir., 1897, Nr. 21. — Marchand, Festschrift für Virchow. 
1891. — Mischland, Zwei kasuistische Beiträge für die Wichtigkeit 
der direkten Rohruntersuchung. Zeitschr. f. Laryngol. usw., Bd. 2, H. 4. 

— Schmidt, Ueber Perforation anthrakotisch erweichter Bronchial¬ 
drüsen in den Bronchialbaum und ihre klinische Diagnose. Deutsches 
Archiv f. klin. Med., Bd. 90, H. 1 u. 2. — v. Schrötter, Stenosierung 
beider Hauptbronchien. Wiener klin. Wochenschr., 1907, Nr. 27. — 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. Nr. 4. 


Sternberg, Zeitscbr. f. Hyg., 1898, Nr. 19. — Stilling, Virchow’s 
Archiv, 1888, Bd. 114. — Rehn, Die Tbymusstenose und der Tbymus- 
tod. Archiv f. Cbir., 1908, Bd. 80. — Derselbe, Die Fortschritte der 
Brustchirurgie. Zeitschr. f. ärztl. Fortbildung, 1908, H. 5. — Tchamer, 
Zur Kasuistik der Dysphagie bei Kindern infolge von Erkrankung der 
Bronchialdrüsen. Jahrb. f. Kinderheilk., Neue Folge, Bd. 28. — 
Warn ecke, Ueber Hodgkin’sche Krankheit. Mitteil. a. d. Grenzgeb., 
1904, H. 14. — Weigert, Venentuberkel und ihre Beziehungen zur 
tuberkulösen Blutinfektion. Virchow’s Archiv, 1882, Bd. 88. — Zahn, 
Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 22. 


Aus der chirurgischen Klinik zu Breslau (Direktor: 
Geheimrat Prof. Dr. Küttner). 

Transduodenale Hepaticusdrainage. 1 ) 

Von 

Dr. Hö’rz, 

Assistenzarzt der Klinik. 

Bei der Operation von Erkrankungen der Gallenwege kann 
es Vorkommen, dass wir in die Notwendigkeit versetzt sind, eine 
neue Verbindung der grossen Gallengänge mit dem Darmkanal 
herzustellen. 

Ich denke dabei an solche Fälle, in denen der duodenale 
Teil des Choledochus durch irgend einen Prozess undurchgängig 
geworden ist. Dies kann geschehen entweder durch Vorgänge im 
Choledochus selbst oder durch Veränderungen in der Nachbar¬ 
schaft. So kann eine lange Zeit der Papilla Vateri eingeklemmter 
Stein ein Dekubitalgeschwür bervorrufen, das zu einem narbigen 
^Verschluss der Papille führen kann. Andererseits können ent¬ 
zündliche Prozesse oder Neubildungen in der Umgebung zu einer 
derartigen Kompression des duodenalen Cboledocbusteiles führen, 
dass er für den Gallenabfluss ungenügend wird. Endlich kann es 
in schwierigen Fällen, namentlich bei Recidivoperationen, Vor¬ 
kommen, dass man aus Versehen den Choledochus durchtrennt. 

In allen diesen Fällen ergibt sich für uns die Notwendigkeit, 
einen neuen Abflussweg der Galle nach dem Darm zu schaffen. 

In Betracht kommt einmal die Cbolecystenteroanasto- 
mose, die aber oft deshalb nicht ausführbar sein wird, weil ent¬ 
weder die Gallenblase durch vorangegangene Cbolelitbiasis- 
attacken geschrumpft oder aber — bei Recidivoperationen — be¬ 
reits bei der ersten Operation entfernt worden ist. 

Deo normalen Verhältnissen viel näher kommt die Her¬ 
stellung einer direkten Anastomose zwischen Choledochus und 
Duodenum, die Choledochoduodenoanastomose. Um sich 
diese technisch nicht einfache Operation zu erleichtern, kann man 
die Anastomose über einem eingelegten Guromidrain anlegen, in 
der Hoffnung, dass das Drain durch den Darm abgehen werde. 
Ein unsicheres und nicht ungefährliches Verfahren, denn einmal 
lässt sich dadurch nicht die Galle eine Zeitlang nach aussen ab¬ 
leiten, wie dies bei infizierter Galle so wünschenswert ist, 
andererseits kann es Vorkommen, dass das Drain eben nicht ab¬ 
geht, wie ein von Völcker mitgeteilter Fall zeigt. 

Für derartige Fälle hat uns Völcker 2 ) eine sehr schöne 
Methode angegeben, die transduodenale Hepaticusdrainage. 

Völcker batte bei einer 47jährigen Frau ein Carcinom der Gallen¬ 
blase entfernt. Eine nach der Operation zurückbleibende komplette 
Gallenfistel nötigte ihn 3*/2 Wochen naoh der ersten Operation zu einem 
zweiten Eingriff. Dabei zeigte sich, dass der Ductus choledochus voll¬ 
ständig durchtrennt war. Die Distanz zwischen duodenalem und hepa¬ 
tischem Choledochusende betrug anfangs 3 cm, konnte aber mit Hilfe 
der Kocher’schen Mobilisation des Duodenums soweit verringert werden, 
dass eine circulare Nabt möglich war. Völcker wandte nun eine 
Methode an, die v. Stubenrauch auf Grund von Tierexperimenten 
empfohlen hatte. 

Durch das duodenale Choledochusende wurde eine Sonde ins Duo¬ 
denum eingeführt und über dem an der Vorderwand der Pars descendens 
duodeni vorgedrängten Sondenknopf das Duodenum incidiert. Nun 
wurde an die Sonde ein langes Gummidrain angebunden und dieses 
durch Zurückziehen der Sonde quer durchs Duodenum aus duodenalen 
Cheledoohusstumpf herausgeleitet. Dann wurde das Drain einige Centi- 
meter weit in den hepatischen Cboledochusstumpf eingelegt und über 
ihm die Anastomose mittels einer Reihe von Catgutnähten hergestellt. 


1) Auszugsweise vorgetragen in der Breslauer chirurgischen Gesell¬ 
schaft, Sitzung vom 9. Dezember 1912. 

2) Völcker, Transduodenale Drainage des Ductus hepaticus bei 
Plastik des Ductus hepato-choledochus. Bruns’ Beitr., 1911, Bd. 72, 
S. 581. 


Die Einmündungsstelle des Drains auf der Vorderseite des Duodenums 
wurde durch Bildung eines WitzePschen Sohrägkanals geschützt. 

Der Heilungsverlauf war glatt; das Drain wurde am füuften Tage 
entfernt, am 16. Tage verliess die Patientin mit geheilter Wunde das 
Krankenhaus. 

Die Vorteile dieser Methode liegen auf der Hand: einmal ist 
die Technik der Herstellung der Anastomose über dem als Unter¬ 
lage dienenden Drain sehr vereinfacht, zweitens lasst sich die 
Galle für einige Zeit nach aussen ableiten, und drittens schliesst 
sich die Fistel nach der Entfernung des Drainrohrs sehr rasch. 

An der Küttner’scben Klinik hatten wir in den letzten zwei 
Jahren dreimal Gelegenheit, die transduodenale Hepaticusdrainage 
auszaführen. 

Ich bringe zunächst kurz die Krankengeschichten. 

1. Pauline Sch., 30 Jahre alt, aufgenommen 14. XI. 1910. 

Am 10. IX. 1910. Cholecystektomie und Hepaticusdrainage wegen 
Cholelithiasis. Patientin kommt wieder, weil die Gallenfistel sich noch 
nicht geschlossen hat. 

Befund: Guter Allgemeinzustand. Innere Organe ohne Besonder¬ 
heiten. Leber nicht nachweisbar vergrossert. An der alten Drainage¬ 
stelle eine feine Fistel, aus der reichlich Galle abfliesst. Stuhlgang 
uugefärbt. 

Am 7. XII. 1910. Operation (Geheimrat Küttner): Kebr’scher 
Wellenschnitt. Man findet ausgedehnte narbige Verwachsungen der Leber 
mit dem Duodenum und Mesocolon transversum, die schrittweise scharf 
durchtrennt werden müssen. Hinter dem Duodenum sieht man in 
derbem Narbengewebe eine schlitzförmige Gallenlistel. Diese wird nach 
der Leber zu verfolgt, worauf man in den auf Daumendicke erweiterten 
Hepaticus kommt. Der Hepaticus ist nach oben zu frei: das duodenale 
Choledochusende dagegen ist durch Narbengewebe völlig verschlossen. 
Es wird nun an der Vorderseite des Duodenums unter Bildung eines 
WitzePschen Schrägkanals ein Drainrohr eingeführt, auf der gegenüber¬ 
liegenden Seite wieder heraus- und in den eröffneten Hepaticus ein¬ 
geleitet und über dem Drain eine Hepaticoduodenoanastomose angelegt. 

Glatter Verlauf. Am achten Tage wird das Drain entfernt; kein 
Gallenablluss mehr. Bei der Entlassung am 23. XU. ist der Stuhl 
gefärbt. 

2. Emilie Sch., 55 Jahre alt, aufgenomraco am 25. III. 1911. Seit 
3—4 Jahren öfters Magenschmerzeo. Im März 1910 heftige Schmerzen 
oberhalb des Nabels. Erbrechen, Icterus, Stuhlgang weiss. Nach einigen 
Tagen Besserung. Im Laufe des nächsten Vierteljahres noch zahlreiche 
solche Anfälle, dann Nachlassen der Beschwerden. Am 3. HI. 1911 
erneuter Schmerzanfall, eine Nacht dauernd, nachher Icterus. 

Befund: Leicht ictcrische, sehr heruntergekommene Frau. Innere 
Organe: Leise Herztöne, sonst ohne Besonderheiten. Leber und Gallen¬ 
blase nicht fühlbar, nicht druckempfindlich. Am 28. III. Operation 
(Dr. Fritsch): Kehr’scher Wellenschnitt. Leber mit dem Duodenum 
durch llächenhafte Adhäsionen verwachsen, Gallenblase nicht sichtbar. 
Beim Durchtrennen der Adhäsionen kommt man auf ein in Schwielen 
eingebettetes steingefülltes Gebilde, das für die Gallenblase gehalten 
wird. Es zeigt sich aber später, dass es der Choledochus ist. Eine 
Fortsetzung des Ganges nach dem Duodenum ist nirgends zu finden. 
Anlegen einer Choledochoduodeuoanastomose über einem Drain, welches 
nach oben in den Hepaticus eingelegt wird, während es nach unten 
quer durchs Duodenum geleitet wird. An der Austrittsstelle auf der 
Vorderseite wird ein WitzePscher Schrägkanal angelegt. 

Pat. hat sich von der Operation nicht wieder erholt, sondern ist 
am anderen Morgen gestorben. 

Obduktion: Das Drain liegt an richtiger Stelle. Von der Gallen¬ 
blase ist nichts zu sehen. Der Ductus cysticus endigt blind in einem 
schwieligen Gewebe, in welchem man den Rest der geschrumpften Gallen¬ 
blase erblicken muss. 

3. Henriette G., 50 Jahre alt, aufgenomraen am 18. VII. 1912. Im 
Herbst 1909 und Mai 1910 Leibschmerzen und Gelbsucht, die jedesmal 
etwa 4 Monate lang anhielt. Seit Juni 1912 besteht wiederum Icterus. 

Befund: Leidlich genährte Frau mit sehr starkem Icterus. Herz, 
Lungen ohne Besonderheiten. Leber vergrössert und überall druck¬ 
empfindlich. In Gallenblasengegend ein walnussgrosser, besonders druck¬ 
empfindlicher Tumor. Stuhlgang grauweiss. 

Am 20. VII. 1912 Operation (Dr. Hörz): Kehr’scher Wellenschnitt. 
Gallenblase und Choledochus sehr stark gefüllt, nach Inzision des 
letzteren entleert sich sehr reichlich eitervermischte Galle. Duodenales 
Ende des Choledochus weder für den Finger, noch für Steinlöffel und 
Sonden durchgängig. Wegen der eitrigen Beschaffenheit der Galle ist 
temporäre Ableitung nach aussen dringend erwünscht. Es wird deshalb 
transduodenale Hepaticusdrainage beschlossen. Zunächst Cholecyst¬ 
ektomie. Dann wurde zuerst an der der Choledochusincision am nächsten 
liegenden Stelle des Duodenums Serosa und Muscularis durchtrennt und 
mit feinen Nähten die untere Hälfte der Choledochusincision mit der 
entsprechenden Serosa muscularis-Lippe vernäht (Figur 1). 

Dann wurde an der gegenüberliegenden vorderen Duodenalwand 
mittels Witzelfistel ein Drain ziemlich weit ins Duodenum nach dem 
Pylorus zu eingeführt (Figur 2). 

Nun erst wurde an der Stelle der beabsichtigten Anastomose die 
Duodenalschleimhaut durchtrennt, das überschüssige Drainende heraus- 


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27. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


161 


gesogen und durch die Choledochuswunde in den Hepaticus eingeführt 
(Figur 3). Dann wurde die Choledochoduodenoanastomose dadurch ge¬ 
schlossen, dass über dem Drain die noch freie Seite der Duodenal- 
incision mit der entsprechenden Choledochusseite durch zwei Nahtreihen 
vereinigt wurde (Figur 4). 

Heilungsverlauf durch eine Pneumonie kompliziert. Drain am achten 
Tage entfernt, einige Tage lang Abfluss von Duodenalinhalt, die 
Sekretion lässt jedoch bald nach, und am 19. Tage nach der Operation 
wird die Pat. aus der Klinik entlassen. 


Fisrur 2. 



Figur 1. 



Während die beiden ersten Fälle genau nach der Völcker- 
schen Methode operiert wurden, wandte ich im dritten Fall eine 
kleine Modifikation an, die darin besteht, dass zunächst ohne Er¬ 
öffnung de» Darmlumens die hintere Anastomosenwand hergestellt 
wird, analog der Anlegung der hinteren Wand bei der Gastro¬ 
enterostomie mit Naht. Dann erst wird das transduodenale Drain 
eingeführt and an der Stelle des Duodenums, an der vorher 
Serosa muscularis durchtrennt worden war, das Lumen eröffnet. 
Rasch wird non das überschüssige Drainende aus dieser Oeffnung 
herausgeleitet und durch die Choledochusincision einige Centi- 
meter weit in den Hepaticus eingeführt. Den Schluss der Ope¬ 
ration bildet die Herstellung der vorderen Anastomosenwand 
mittels einfacher oder doppelter Nahtreihe. 

Die Vorteile der angegebenen Modifikation sind darin zu 
suchen, dass die Zeit, während welcher Darmlumina eröffnet sind, 
auf ein Minimum reduziert ist. Dadurch wird nach Möglichkeit 
die Gefahr der Infektion durch austretenden Duodenalinhalt ver¬ 
ringert. Ein zweiter Vorzug liegt darin, dass auch die hintere 
Wand der Anastomose in aller Ruhe sorgfältig ausgeführt werden 
kann, da während dieses Aktes der Operation das Darmlumen 
noch nicht eröffnet ist und noch kein Drain in der Anastomose 
liegt, das bei der gewöhnlichen Methode die Anlegung der hinteren 
Nahtreihe erschwert. Auf diesen beiden Faktoren, möglichste 
Verminderung der Infektionsgefahr und sorgfältige Herstellung 
der Anastomose, beruht der Erfolg der Operation. 


Aus der chirurgischen Abteilung des Allerheiligen- 
Hospitals zu Breslau (Primärarzt: Prof. Dr. A. Tietze). 

Ueber Spontangangrän des Zeigefingers und 
symmetrische Gangrän. 

Von 

Dr. Heinrich Harttang, 

Assistenzarzt der chirurgischen Abteilung. 

(Nach einer Demonstration in der medizinischen Sektion der vaterländi¬ 
schen Gesellschaft zu Breslau am 6. Dezember 1912.) 

M. H.! Ich erlaube mir, Ihnen einen interessanten Fall von 
Spontaogangrän des rechten Zeigefingers zu demonstrieren, um 


kurz darauf noch einen anderen Fall von früherer symmetrischer 
Gangrän zu besprechen, bei dem es sich jetzt anscheinend um 
ein Recidiv handelt. 

Der 66jährige Maler W. stammt aus gesunder Famile. Er hat im 
Jahre 1870 mit einem Gewehrkolben einen Schlag aufs Hinterhaupt be¬ 
kommen und ist seit dieser Zeit schwerhörig, ebenso leidet er seit 
jenem Trauma an leichten epileptiformen Anfällen. Er ist, wie gesagt, 
Maler, und hat seinen Beruf bis vor acht Jahren ausgeübt, ohne jemals 
die Erscheinungen einer Bleiintoxikation gehabt zu haben. Seit acht 
Jahren hat er mit Bleifarben nichts mehr zu tun. 

Vor etwa drei Wochen erkrankte Pat. an einer schweren Bronchitis, 
die aber abheilte, und am 20. November stellte sich ein pelziges, 
dumpfes Gefühl im Zeigefinger der rechten Hand ein, nachdem vorher 
ein phlegmonöser Prozess an der rechten Hand zwei Inzisionen auf der 
Volarseite und auf dem Dorsum von seiten des behandelnden Arztes 
nötig machte. 

Anamnestisch ist noch hervorzuheben, dass Pat. ein starker Raucher 
ist, der bis zu 9 Zigarren pro die konsumiert, ausserdem noch Pfeife 
geniesst, Zigaretten dagegen nie geraucht hat. Im Trinken ist Pat. stets 
sehr mässig gewesen, eine Infect. sex. hat er nie gehabt. Als der Pat. 
am 26. XI. 1912 in unsere Behandlung kam, konnte folgender Befund 
erhoben werden. 

Es bandelt sich um einen sehr kräftigen Mann in gutem Ernährungs¬ 
zustände. Die Pupillen sind gleich weit, reagieren prompt auf Licht¬ 
einfall. Halsorgane: o. B. Auf der Haut keine Exantheme. Das Herz 
zeigt starke Verbreiterung nach links, die Töne sind sehr leise, die 
Aorta ascendens perkutorisch nachweisbar und breit, röntgenologisch 
aneurysmatisch ausgebuchtet. Das periphere Gefässsystem sehr rigide, 
der Puls ziemlich hart. Blutdruck nach Recklinghausen syst. 145, 
diast. 105. Die Lungen: o. B., die Patellarreflexe erhalten. Lumbal¬ 
punktion: Liquor fliesst unter normalem Druck ab. Wassermann: —. 
Nonne-Apelt: —. Keine Lymphocytose. Ebenso Wassermann im Blut: —. 
Der Urin ist frei von Eiweiss und Zucker. Eine genaue Untersuchung 
des Nervensystems ergibt, dass dieses vollkommen intakt ist, namentlich 
ist die Sensibilität für alle Qualitäten an den oberen und unteren Ex¬ 
tremitäten wie am Stamm gut erhalten. An der rechten Hand wurde 
folgender Befund erhoben: Das Endglied des rechten Zeigefingers ist 
auf der radialen Seite bis zum 1. Interphalangealgelenk, auf der ulnaren 
Seite fast bis zum Metacarpo-Phalangealgelenk vollkommen schwärzlich 
verfärbt, d. h. es besteht eine typische Mumifikation der beiden End¬ 
phalangen, zum Teil der Grundpbalanx. Dann kommt eine Zone, welche 
eitrig belegt ist und den Uebergang zu dem übrigen noch gut ernährten 
Gewebe darstellt. Der Handrücken ist in toto stark geschwollen, sehr 
entzündlich gerötet und zeigt über den Köpfchen der Metacarpi 2 und 3 
ein grosses, im Grunde schmierig belegtes Ulcus. Eine ähnliche Ulce- 
ration findet sich radialwärts am Grundglied des Mittelfingers und ist 
wohl durch Kontaktinfektion von der oben erwähnten eitrigen Grenz¬ 
zone entstanden. Auch volarwärts findet sich im Bereich der Meta¬ 
carpi 2 und 3 die Palma manus entzündlich gerötet und geschwollen. 

Nach diesem Befunde bandelt es sich um eine typische 
trockene Gangrän, welche die beiden Endglieder des rechten 
Zeigefingers ergriffen bat und zum Teil auf die Grundphalanx 
übergegangen ist. Eine Aetiologie in diesem Falle zu finden, ist 
ausserordentlich schwierig. Zunächst, glaube ich, können wir 
mit Sicherheit die sogenannte Raynaud’sche Krankheit aus- 
schliessen; diese tritt ja meist symmetrisch auf; sie beginnt mit 
starken Schmerzen, welche minuten-, stunden-, ja tagelang, 
manchmal andauern und darch die sogenannten angioskleroti- 
schen Anfälle bedingt sind. Diese fehlten aber vollkommen in 
unserem Falle, nur ein taubes, pelziges Gefühl zeigte den Be¬ 
ginn der späteren Gangrän an. Ausserdem fehlt das symmetrische 
Auftreten. 

ln zweiter Linie kam natürlich eine Gangrän auf Grund 
einer Carboisäureverätzung in Frage. Die genauen Erkundigungen 
bei dem behandelnden Arzte in dieser Richtung sind ebenfalls 
vollkommen ergebnislos gewesen; der anfangs entzündliche Pro¬ 
zess ist mit Umschlägen von Kamillentee und später mit ganz 
schwacher essigsaurer Tonerde behandelt worden. Also auch 
diese Aetiologie ist für unseren Fall auszuschliessen. 

Aus der Anamnese nnn haben wir gehört, dass Patient vor 
Einsetzen der initialen Prodrome eine schwere doppelseitige 
Bronchitis durchgeraacht hat. Es Hegt natürlich nahe, den ent¬ 
zündlichen Prozess in den Bronchien mit der Gangrän in Zu¬ 
sammenhang zu bringen. Man könnte sich den Vorgang so 
denken, dass es auf Grund der Entzündungen im Gefässsystem 
der Lunge zu entzündlichen Thrombosen gekommen ist, die später 
durch irgendeinen Insult in die Blutbahn gelangten und nunmehr 
die Arterien des rechten Zeigefingers verlegten. Es wäre ja 
diese Möglichkeit wohl zuzugeben, allerdings wäre immerhin 
ausserordentlich auffallend die Lokalisation am rechten Zeige¬ 
finger. Interessant ist in dieser Beziehung die Mitteilung von 
Wandel aus dem Jahre 1909 in der medizinischen Gesellschaft 

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Nr. 4. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


zu Kiel, der einen 22jährigen Gerber vorstellte, bei welchem sich 
im Anschluss an eine Pneumonie das charakteristische Bild der 
symmetrischen Gangrän in den Fingern beider Hände entwickelt 
hat. Es waren aber in diesem Falle Zeichen einer Hysterie vor¬ 
handen) ausserdem begann das Leiden mit sehr starken, heftigen 
Schmerzen in den betreffenden Gliedern, welche durch heisses 
Wasser kupiert werden konnte. Aetiologisch spielt aber doch 
nach Wandel zweifellos die Pneumonie eine gewisse Rolle, denn 
es ist uns ja bekannt, dass die Pneumonie mit ihren spezifischen 
Giften einen grossen scbädigendenEinfluss auf die Vasomotoren ausübt. 

Ferner käme Lues in Frage. Anamnestisch hat sich gar 
kein Anhaltspunkt für eine frühere Lues ergeben, auch die jetzige 
Untersuchung in diesem Sinne ist vollkommen negativ ausgefallen, 
Wassermann im Blut wie im Lumbalpunktat negativ, das Nerven¬ 
system vollkommen intakt. 

Nach unserer Meinung kommt für unseren Fall am wahr¬ 
scheinlichsten als Aetiologie die Arteriosklerose in Betracht. 
Patient bat klinisch eine nachweisbar schwere Sklerose seiner 
Gefässe, und so wäre es immerhin denkbar, dass durch eine 
Endarteritis obliterans das Lumen der Gefässe allmählich verlegt 
worden ist und somit zur Gangrän geführt hat. Die Annahme 
der Arteriosklerose gewinnt für unseren Fall noch mehr Be¬ 
rechtigung, wenn wir den Beruf unseres Patienten mit verwerten. 
Der Patient ist Maler, und wie er selbst angibt, wird beim Streichen 
am meisten der rechte Zeigefinger in Anspruch genommen und 
ermüdet. Nun aber wissen wir, dass auf Grund neuerer An¬ 
schauung die Arteriosklerose als eine Abnutzungskrankheit zu 
betrachten ist. Wenn die Muskulatur des rechten Zeigefingers 
mehr in Anspruch genommen wird, so ist natürlich dadurch 
ebenfalls eine grössere Inanspruchnahme des zugehörigen Gefäss* 
Systems bedingt, und so kann es uns verständlich werden, dass 
gerade in den Arterien des rechten Zeigefingers schon frühzeitig 
ein endarteritischer Prozess eingesetzt hat, der jetzt zu völligem 
Verschluss der Arterien geführt hat. Allerdings könnte diese 
unsere Annahme nur durch mikroskopische Untersuchung gesichert 
werden. 

Es ist ferner hervorzuheben, dass Patient ziemlich starker 
Raucher ist und er vor allen Dingen das Rauchen schon sehr 
frühzeitig begonnen bat. Erb legt auf diesen frühzeitigen chro¬ 
nischen Nikotinabusus besonderen Wert, weil er gerade bei diesen 
Leuten am meisten das Auftreten von spontaner Gangrän beob¬ 
achtet hat. Gewiss muss auch in unserem Falle dieses Moment 
als ätiologisch mit herangezogen werden. 

Im Anschluss an diesen Fall, den ich zu den sogenannten 
Spontangangränen rechnen möchte, erlaube ich mir, ganz kurz 
noch einen anderen Fall von früherer symmetrischer Gangrän 
zu demonstrieren, welcher schon einmal von Strümpell be¬ 
sprochen wurde. 

Die jetzt 38 jährige Pat. bekam im Anschluss an einen Partus im 
Jahre 1903 eine croupöse Pneumonie und wurde damals auf der inneren 
Universitätsklinik behandelt. Nach Ablauf der Pneumonie traten, wie 
aus der Krankengeschichte ersichtlich ist, grössere Purpuraflecken auf 
den Handrücken und an den distalen Enden der Vorderarme auf. Einige 
Tage darauf stellten sich ähnliche Flecken an beiden Knien ein. 
Wiederum nach einiger Zeit begann eine Blaufärbung der Endglieder 
beider Finger, Parästhesien, Sensibilitätsstörungen, ausserdem ausser¬ 
ordentlich starke Schmerzen in den Händen, die nach und nach sehr 
hochgradig wurden, stellten sich ein. Gleichzeitig mit der Blaufärbung 
der Finger trat ein auffallendes Oedem beider Hände, besonders auf 
der Rückseite, auf. Die Cyanose in den betreffenden Endgliedern nahm 
zu. Nach einigen Tagen gesellten sich Parästhesien und Cyanose in 
den Zehen hinzu, und am 28. Mai 1903 war die Mumifikation sämtlicher 
Endphalangen der Finger beendigt. Am 8. Juni waren die Endglieder 
der Zehen, und zwar rechterseits der 2., links der 2. und 3. Zehe mumi¬ 
fiziert. Der Verlauf war nun weiter der, dass nach der Demarkation 
sich an der rechten Hand die End- und Mittelglieder sämtlich spontan 
abstiessen, linkerseits nur die Endglieder, ebenso die genannten Glieder 
an den Füssen. Die Sensibilität war schon damals in den erhaltenen 
Gliedern vollkommen intakt. Die Pat. war nunmehr seit etwa einem 
Jahr wegen eines Fussleidens in Behandlung und wurde vor einigen 
Wochen auf unsere Abteilung aufgenommen. An den Händen sieht man 
rechterseits nur noch die Grundpbalange erhalten, linkerseits Grund- 
phalange und Mittelphalange, am rechten Fuss fehlt das Endglied der 
2. Zehe, linkerseits die Endglieder der 2. und 3. Zehe. Hierselbst sieht 
man ein ziemlich schmieriges Ulcus in der Gegend über dem 2. Meta- 
tarsopbalangealgelenk linkerseits. Zu erwähnen ist, dass die Sensibilität 
für alle Qualitäten an den Extremitäten sehr gut erhalten ist, dass Pat. 
vor ihrer Aufnahme wiederum ausserordentlich heftige Schmerzen in der 
Gegend der ulcerierten Partien empfunden hat, dass das Nervensystem 
vollkommen intakt ist, die Wassermann’sche Reaktion im Blut dagegen 
positiv, der IJrin frei von Zucker. 


Es bandelt sich also in diesem Falle um eine typische 
symmetrische Gangrän an den Händen sowohl wie an den Füssen, 
die aber sozusagen in Heilung übergegangen war. Nach 8 Jahren 
nun treten unter Schmerzen in der Gegend des Grundgliedes der 
2. Zehe wiederum Veränderungen auf, die natürlich zunächst 
abermals an eine Gangrän erinnern mussten. Allerdings hat der 
Prozess noch keine Neigung zur Demarkierung, es kommt hinzu, 
dass Sensibilitätsstörungen gar nicht vorhanden sind, und dass 
wir vor allen Dingen doch einen gewissen Anhaltspunkt für einen 
luetischen Prozess haben, denn die Wassermann'sche Reaktion im 
Blut ist positiv ausgefallen. Jedenfalls ist es in diesem Falle 
vorläufig noch schwierig, die Aetiologie für den ulcerösen Prozess 
am linken Fuss festzustellen, es ist vor kurzem eine antiluetische 
Behandlung eingeleitet. Der Effekt wird uns zeigen, ob es sich 
um einen luetischen oder um einen anderen Prozess handelt 

Arteriosklerose können wir in diesem Falle vollkommen aus- 
schliessen. Es ist eine 38 jährige Frau, deren Herz- und Gefäss- 
system vollkommen normale Verhältnisse bietet. In Frage kommt 
noch eine sogenannte Arteritis obliterans, eine Erkrankung, die 
schon in mehreren Fällen zu Spontangangrän, namentlich an den 
Zehen, geführt hat. Sie unterscheidet sich im wesentlichen von 
der Arteriosklerose dadurch, dass es sich um Wucherungen, von 
der Intima ausgehend, handelt, die allmählich das Lumen des 
Gefässes verlegen. Es fehlen in vielen Fällen jedenfalls die Ver¬ 
fettungen und Verkalkungen in der Media, wie wir sie bei der 
Arteriosklerose doch regelmässig finden. Jedenfalls muss diese 
Aetiologie in diesem zweiten Falle mit in Erwägung gezogen 
werden. Allerdings kann auch hier nur eine mikroskopische 
Untersuchung sicheren Aufschluss geben. 

Natürlich liegt es, wie ich schon oben erwähnte, nabe, 
wiederum an den Beginn einer symmetrischen Gangrän zu denken, 
und dafür sprechen ja die ausserordentlich starken und heftigen 
Schmerzen, mit welchen der Prozess von neuem bei der Patientin 
einsetzte. 

Auffallend ist in unseren Fällen die Tatsache, dass die 
Gangränen im Anschluss an akute Prozesse der Lungen auf¬ 
getreten sind. Ich erwähnte schon den Fall von Wandel, wo 
es auch im Anschluss an eine Pneumonie zu einer symmetrischen 
Gangrän gekommen war, und es ist wohl Wandel zuzustimmen, 
wenn er behauptet, dass diese Prozesse zweifellos wohl doch eine 
gewisse Rolle für das Zustandekommen der Gangrän spielen; 
denn, wie gesagt, üben die toxischen Stoffe, die bei pneumo¬ 
nischen Prozessen der Lunge sich entwickeln, bekanntermaassen 
einen ziemlich erheblichen schädigenden Einfluss auf die Vaso¬ 
motoren aus. Kommen nun noch andere Momente hinzu, wie 
gerade in unserem ersten Falle, so ist es leicht verständlich, 
dass bei so disponierten Individuen im Anschluss an Infektions¬ 
krankheiten, speziell Lungenprozessen, derartige Gangränen ent¬ 
stehen können. 


Aus dem Finsen-Institut in Berlin. 

Ueber die elektrische Behandlung der Fett¬ 
leibigkeit. 

Von 

Dr. Franz Nagelschmidt. 

(Demonstrationsvortrag in der Berliner medizinisehen Gesellschaft am 
27. November 1912.) 

Das gemeinsame Prinzip der meisten Behandlungsmethoden 
der Fettleibigkeit ist Reduktion der Ernährung bei gleichbleibendem 
und, wenn möglich, erhöhtem Verbrauch. W T enngleich mit der 
Herabsetzung der Ernährung allein in einfachen Fällen gute Er¬ 
folge erzielt werden, so lässt sich nicht verkennen, dass diese 
Erfolge zumeist nur vorübergehender Natur sind, und dass sie oft 
nur bis zu einem gewissen Grade erreichbar sind. Häufig scheitert 
die Durchführung einer strengen Diät an der Unfähigkeit, das 
Hunger- und Durstgefühl zu überwinden, und in einer ganzen 
Reihe von Fällen gelangen die Patienten nach einer anfänglichen 
Körperabnahme zu einem Punkt, wo die weitere Wirkung der 
Nahrungsentziehung zu keinem Einschmelzen der Fettreservoire 
mehr führt, während in anderen Fällen die Unterernährung Herz¬ 
insuffizienz verursacht und deshalb nicht durchführbar ist. Häufig 
gelingt es nun, die reine diätetische Behandlung durch Erhöhung 
der Arbeitsleistung des Körpers zu unterstützen. Vermehrter Ver¬ 
brauch deckt sich mit erhöhten Verbrennungen, und diese werden 


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UNIVERSUM OF IOWA 






27. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


163 


durch Muskelarbeit erzielt. Hier liegt nun die Hauptschwierig¬ 
keit, an der häufig die Kur scheitert. Zunächst vertragen viele 
unterernährte Menschen die Erhöhung der willkürlichen Körper¬ 
arbeit ausserordentlich schlecht. Wenn sie auch imstande sind, 
. in der Ruhe strenge Diät einzuhalten, ohne wesentliche Störungen 
des Allgemeinbefindens zu erfahren, so treten doch sofort bei 
körperlicher Betätigung Schwindelgefühl, Herzklopfen, Ohnmachts¬ 
anfälle und andere Störungen auf. Dazu kommt, dass bei fett¬ 
leibigen Menschen, die schon lange entwöhnt sind, körperliche 
Betätigung zu üben, die Muskulatur schlaff und die Muskelfasern 
mehr oder weniger fettig degeneriert sind. Um diese geschwächte 
Muskulatur zur Arbeit zu zwingen, ist ein ungeheurer Verbrauch 
an Willensenergie notwendig, die nur auf kurze Zeit in genügender 
Intensität aufgebracht werden kann und einer ausserordentlich 
rasch einsetzenden Ermüdung Platz macht Bei einer Anzahl von 
Kategorien fettleibiger Individuen sind lokale organische Störungen 
vorhanden, die die Vornahme körperlicher Exercitien erschweren, 
ja vielfach unmöglich machen. In erster Linie spielt hierbei die 
eine Teilerscheinung der allgemeinen Adipositas bildende Herz¬ 
verfettung eine bedeutende Rolle, so dass schon bei sehr gering¬ 
fügigen Anforderungen an die körperliche Leistungsfähigkeit 
Störungen von seiten der Circulation auftreten, welche nicht nur 
die weitere Betätigung hindern, sondern zu schweren, irreparablen 
Folgezuständen führen können. Bei anderen Fettleibigen spielt 
Emphysem neben asthmatischen Zuständen eine störende Rolle: 
bei der geringsten körperlichen Betätigung geraten diese Patienten 
in hochgradige Dispnöe, so dass trotz bestens Willens schon nach 
wenigen Sekunden oder Minuten Oppression, Cyanose, quälender 
Luftmangel eintritt und die Patienten zu sofortiger Einhaltung 
absoluter Ruhe zwingt. Bei anderen sind es Gelenkaffektionen, 
Muskelläbmungen, lokale arteriosklerotische, phlebitische Be¬ 
hinderungen, welche das Gehen sowie viele andere systematische 
Muskelbetätigungen unmöglich machen. Endlich haben wir es 
in einer grossen Reihe von Fällen mit asthenischen Patienten zu 
tun, welche, ohne dass irgendeine organische Läsion klinisch 
nachweisbar wäre, unfähig sind, willkürlich nennenswerte Muskel¬ 
anstrengungen zu machen. Diese Patienten ermüden bei der ge¬ 
ringsten Betätigung und sind infolgedessen nicht imstande, die 
diätetische Kur durch Muskelarbeit zu unterstützen. 

Alle diese Schwierigkeiten sind zur Genüge bekannt, und 
man hat auf mancherlei Mittel und Wege gesonnen, Ihnen abzu¬ 
helfen. Wie gross das Bedürfnis nach hierfür geeigneten Methoden 
ist, geht aus der ungeheuren Verbreitung hervor, welche die 
Massage und Medicomechanik in der Medizin spielt. Wir müssen 
hierbei die passiven von den aktiven Methoden trennen. Den 
passiven Methoden der Massage und Medicomechanik stehen selten 
unüberwindliche Hindernisse im Wege. Nur der Grad, die Dauer 
und die Häufigkeit der Applikation bedürfen der Regulierung. 
Bei den aktiven Methoden, der Widerstandsmassage und der will¬ 
kürlichen Ueberwindung von Widerständen an medicomechanischen 
Apparaten, bestehen aber dieselben Hindernisse, welche im wesent¬ 
lichen auf der schnellen Erschöpfung der zur Arbeitsleistung not¬ 
wendigen Willensenergie basiert sind. Es unterliegt nun keinem 
Zweifel, dass für die Wiedergewinnung körperlicher Leistungs¬ 
fähigkeit und für die Regeneration von beschädigten oder ge¬ 
schwächten Muskelgeweben die aktive Bewegung und Uebung der 
passiven Knetung, Dehnung und Verkürzung bei weitem über¬ 
legen ist. 

Die Versuche der Eleklrophysiologie, durch wiederholte und 
systematische elektrische Reizung, z. B. einer Extremität, das 
Muskelvolumen und die Muskelkraft dieser Extremität gegenüber 
der anderen nicht geübten und gereizten erheblich zu vermehren, 
sind bekannt. Es hat auch nicht an Versuchen gefehlt, diese 
Erfahrungen klinisch zu verwerten, ohne dass in systematischer 
und ausgiebiger Weise ein praktisch anwendbares Verfahren 
daraus resultiert wäre. Ich betrachte es daher als ein grosses 
Verdienst von Prof. Bergoniö in Bordeaux, im Jahre 1909 seine 
Methode der generalisierten Muskelübungen mittels elektrischer 
Reizung bekannt gegeben zu haben. Diese Versuche, die zum 
Teil schon zwölf Jahre zurückliegen, bezwecken, den grössten Teil 
der Muskulatur des menschlichen Körpers in rhythmisch regulierte 
Aktion zu versetzen und unter völliger Ausschaltung der Willens- 
eoergie eine möglichst intensive Arbeit verrichten zu lassen. 
Bergoniö und seine Schüler berichten über gute Resultate in 
einer grösseren Reihe von Fällen, die allerdings unter Zuhilfe¬ 
nahme einer strengen Diät erzielt wurden. Die Autoren heben 
hervor, dass unter dem Einfluss dieser Muskelübungen auch die 
psychische Energie des Patienten schnell wächst, so dass die 


Diätvorschriften schon nach zwei bis drei Tagen wesentlich leichter 
durchgeführt werden als bei allgemeiner Diätkur. Sie haben 
ferner in den länger kontrollierten Fällen nachgewiesen, dass die 
erzielten Resultate ohne weitere Diät und elektrische Kur auf 
Monate und Jahre konstant bleiben können. 

Ich habe seit etwa \ l f 2 Jahren einen Apparat ähnlicher 
Konstruktion, denjdie Firma Sanitas in Berlin nach meinen An¬ 
gaben hergestellt bat, in Betrieb und kann im wesentlichen die 
Resultate Bergoniö’s bestätigen. Da auch an anderen Orten 
Frankreichs sowie in England die Methode seit längerer Zeit an¬ 
gewandt wird, so ist es zunächst erstaunlich, dass das ausser¬ 
ordentlich einleuchtende Prinzip, das Ihnen der hier vor Ihren 
Augen in Betrieb vorgeführte Apparat an einer Patientin demon¬ 
striert, nicht bereits zu einer grossen Verbreitung der Methode 
geführt bat. Das hat aber seine guten Gründe. Die Haupt¬ 
schwierigkeit für die Durchführung der Methode der generalisierten 
Muskelübungen liegt nämlich in der Erzeugung eines Stromes, der 
geeignet ist, möglichst ausgiebige Muskelkontraktionen, auch durch 
dicke Fettpolster hindurch, bei möglichst ganz fehlender sensibler 
Reizung auszulösen. Bergoniö bat nach langen Versuchen einen 
Induktionsapparat konstruiert, der vermöge besonderer Wickelung 
und mit einer sehr exakt regulierbaren Unterbrechungsvorrichtung 
versehen diese Erfordernisse seiner Ansicht nach gut erfüllt. Sie 
sehen hier einen derartigen, von einer Pariser Firma konstruierten 
Apparat, der bei 50 —60 Unterbrechungen pro Sekunde und etwa 
25 Volt primärer Spannung sekundär einen Strom von 8—12 Volt 
Spannung liefert. Leider aber sind die sensiblen Reizungen bei 
diesem Apparat doch noch so hochgradig, dass ich keine Patienten 
finden konnte, welche die Kur länger als 14 Tage mit diesem 
Apparat durchführen wollten. Immerhin aber arbeitet er noch 
günstiger als der sinusoidale oder gar der galvanische Strom. 
Wesentlich angenehmer ist der Leduc’sche Strom, aber auch dieser 
erzeugt ein stechendes Gefühl bei den notwendigen Intensitäten. 
Während also bei diesen Strömen die elektrolytische Reizung die 
Anwendbarkeit erschwert, ist bei Kondensatorentladungen, die ja 
an sich ein hervorragendes Mittel zur Erzeugung intensiver Muskel¬ 
kontraktionen darstellen 1 ), das Plötzliche und Ruckweise der 
Reizung auf die Dauer unerträglich und verbietet hierdurch, 
wenngleich stechendes Gefühl vollständig fehlt, die Anwendung. 

Ich habe daher, nachdem ich die verschiedenen zur Ver¬ 
fügung stehenden Stromarten geprüft habe, den in dieser 
Wochenschrift, 1912, Nr. 39, von mir beschriebenen Wechselstrom 
angewandt, der alle Erfordernisse eines derartigen Stromes zu er¬ 
füllen scheint. Ich stelle den Apparat so ein, dass er bei ca. 90 
Unterbrechungen in der Sekunde und einer Stromflussdauer von 
V 1200 Sekunde etwa zur Verwendung gelangt. Die Empfindungen 
bei der Anwendung dieses Stromes sind sehr minimale. Der 
Charakter der Muskelzuckung ist bei lnnehaltnng dieser Be¬ 
dingungen eiu genügend milder, um die stundenlange Anwendung 
zu gestatten. Die Patienten fühlen keinen Ruck bei der durch 
ein Metronom bewirkten rhythmischen Ein- und Ausschaltung, 
und doch ist die Kontraktion eine so ausgiebige bei genügender 
Stromintensität, dass eine äusserst kräftige Zusammenziehung er¬ 
folgt. Eine Schmerzerapfindung wird durch diesen Strom, der 
bei sehr hohen Intensitäten eine hochgradige Anästhesie, bei 
schwacher Anwendung eine leichte Herabsetzung der Haut¬ 
sensibilität herbeiführt, nicht ausgelöst, und so kommt es, dass 
Patienten, die zum ersten Male auf dem elektrischen Arbeitsstuhl 
mit diesem Strom behandelt werden, angeben, keinerlei un¬ 
angenehme Empfindungen dabei zu haben, während Patienten, die 
vorher mit dem französischen Apparat behandelt worden sind, 
jetz von geradezu angenehmen Empfindungen sprechen. Sie 
sehen hier die praktische Anwendung der Methode. Der in be¬ 
stimmtem Neigungswinkel konstruierte Lagerungsstuhl ist mit 
ausserordentlich grossen Kontaktflächen, die voneinander isoliert 
sind, ausgestattet. Die Grösse dieser Flächen gestattet, ins¬ 
gesamt hohe Stromintensitäten zu verwerten, da die Stromdichte 
pro Quadratcentimeter eine relativ kleine ist. Die Elektroden- 
flächen werden mit passenden Filzstücken belegt, welche mit 
warmem Salzwasser getränkt sind. Das komplizierte Schaltbrett 
verteilt den von dem danebenstehenden Motorunterbrecher er¬ 
zeugten eigenartigen Strom mittelst zahlreicher Rheostate auf 
die einzelnen Elektroden, und das Metronom, dessen Rhythmus 
reguliert werden kann, öffnet und schliesst den Gesaratstrom für 
sämtliche Elektroden in gewünschter Schnelligkeit und mit 


1) Wie ich dies in meinem Vortrag im Verein für innere Medizin 
am 3. Juni 1907 demonstriert habe. 


5 * 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 4. 


regulierbarer Stromschlussdauer vermittelst Quecksilberkontakten. 
Die paarweise (links und rechts) symmetrisch angeordneteu 
Elektroden können nun in verschiedener Weise geschaltet werden, 
so dass wir den Strom in jeder gewünschten Richtung durch 
den Körper passieren lassen können. Wir können z. B. den 
Strom in der linken Körperhälfte eintreten, durch die rechte aus¬ 
treten lassen oder die Rückenelektroden an den einen und sämt¬ 
liche anderen Elektroden an den anderen Pol anschliessen. Wir 
können auch die eine oder die andere Elektrode ganz ausschalten, 
so dass die entsprechenden Muskeln nicht arbeiten, oder auch 
nur ein einziges Paar, z. B. die Bauchelektroden, allein wirken 
lassen. Es ist nun Sache der klinischen Erfahrung, für jeden 
Patienten individuell das Optimum an Richtung und Intensität 
für die einzelnen Muskelgruppen einzustellen, so dass wir den 
verschiedensten Indikationen mit Sicherheit gerecht werden können. 
Auch Stromschlussdauer und Intensität müssen der Leitfähigkeit 
der Gewebe, der Dicke des Fettpolsters, der Erregbarkeit der 
Muskulatur (welche sich während der Kur ändern kann) an¬ 
gepasst werden. Auch die Dauer der einzelnen Sitzung, ihre 
Häufigkeit (ein- oder zweimal pro Tag), die Anordnung der Ruhe¬ 
tage und die Anpassung der Diät machen sorgfältigste dauernde 
Kontrolle des Arztes erforderlich. Ausserdem ist es aber auch 
notwendig, dass der Patient auch nicht eine Minute allein ge¬ 
lassen wird, denn durch geringfügige Lageänderungen oder 
sonstige Umstände können Stromschwankungen eintreten, die die 
dauerde Kontrolle eines geschulten Assistenten (Schwester oder 
Wärter) für den Ausgleich derartiger Schwankungen unerlässlich 
machen. Die Patientin, welche die Freundlichkeit hat, sich hier 
vorstellen zu lassen, leidet seit vielen Jahren an Myocarditis 
und hat zu Beginn der Kur 206 Pfund gewogen. Sie sehen, 
welche intensive Muskelarbeit sie hier vor Ihren Augen leistet. 
Der ganze Körper hebt sich rhythmisch und mit grosser Energie. 
Es können mit der unteren Rumpfmuskulatur ausser dem Eigen¬ 
gewicht Lasten von 40 bis 60 Pfund um mehrere Centimeter bei 
jeder Kontraktion gehoben werden. Man hat den Eindruck, als 
ob sämtliche Muskeln des Körpers intensiv arbeiteten. Die 
Patientin würde allein mit ihrem Willen nicht eine Minute lang 
imstande sein, diese Arbeit zu leisten, welche sie in dieser W 7 eise 
eine volle Stunde ohne Ermüdung durchführt. Es ist sehr inter¬ 
essant, zu sehen, welche enorme Arbeitsleistung die Rörper- 
muskulatur zu vollbringen vermag, wenn sie unter Ausschaltung 
des Willens zur Arbeit gezwungen wird. Wir erkennen, dass der 
wesentliche Faktor des Auftretens von Ermüdung in der Er¬ 
schöpfung der Willensenergie liegt, während das rhythmische 
Abwechseln einer kurzen Erregungsphase und einer relativ langen 
Ruhepause die Erschöpfung der Muskelenergie, wenigstens auf 
lange Zeit hinaus, verhindert. Wenn man indessen das Metronom 
zu schnell arbeiten lässt, so dass die Ruhepause zur Erholung 
der Muskeln nicht ausreicht, so tritt auch hier vorzeitige Er¬ 
müdung und Schädigung des Muskels ein. Dieses Vorkommnis 
ist durch richtiges Einstellen des Apparates absolut vermeidbar. 
Ich kann auch die Beobachtung Bergoniö’s vollauf bestätigen, 
dass nach der Sitzung so wenig ein Ermüdungsgefühl eintritt, 
dass sogar ein erhöhter körperlicher Betätigungsdrang von den 
Patienten selbst beobachtet wird. So teilte mir eine Patientin, 
welche wegen eines anderen Leidens vorher bei mir in Behand¬ 
lung war, mit, dass sie, wenn sie aus meinem Hause kam, nicht 
schnell genug ein Automobil finden konnte, um nach Hause zu 
fahren, während sie nach der Behandlung auf dem elektrischen 
Arbeitsstuhl das Bedürfnis bat, zu gehen und sich geradezu auf 
das Treppensteigen auf der Untergrundbahn freut. Auch die 
Patientin, die Sie hier vor sich sehen, und die trotz vielfacher 
Behandlung (Sanatoriumskuren usw.) unfähig war, auch nur kurze 
Zeit ohne starke Ermüdung zu gehen, legt jetzt grössere Spazier¬ 
gänge mit einem deutlichen Gefühl der Frische zurück. 

Natürlich kann man die Patienten nicht von vornherein 
gleich eine Stunde lang mit maximaler Energie arbeiten lassen, 
sondern man wird erst in den ersten Sitzungen vorsichtig die 
verfügbare Muskelenergie taxieren und, von einer Viertelstunde 
ansteigend, allmählich die normale Dauer der Sitzung (60 Minuten) 
erreichen. Weiterhin ist es manchmal notwendig, zwei Sitzungen 
von je einer Stunde an einem Tage vorzunehmen. 

Wie eingangs erwähnt, ist es erforderlich, den Patienten eine 
genaue Diät vorzuschreiben. Denn die grösste Arbeitsleistung ist 
wertlos, wenn durch Ueberernährung der erhöhte Verbrauch auf 
Kosten der Nahrungszufuhr kompensiert wird, während die Fett¬ 
depots geschont werden. Immerhin habe ich aber auch ohne 
Diät, wenn die Patienten sich nur einigermaassen in der Er¬ 


nährung einschränkten, Gewichtsabnahme gesehen. So hat die 
vor Ihnen befindliche Patientin in den letzten sechs Sitzungen 
ohne Veränderung ihrer Kost eine Gewichtsabnahme von 
100 kg 400 g auf 98 kg 400 g, d. h. durchschnittlich 330 g pro 
Sitzung, erfahren. Hierbei ist nicht an Wasserverluste zu denken, 
da die Patientin schon 14 Tage sich in der Kur befindet und 
während der Sitzungen nicht erkennbar transpiriert. Zudem 
nimmt sie täglich \ 1 J 2 Liter Flüssigkeit zu sich. Unter Ein¬ 
haltung erheblich reduzierter Diät habe ich Gewichtsabnahme bis 
zu 1000 g, Bergonie bis zu 800 g pro Sitzung gesehen, ln 
anderen Fällen kann die Abnahme eine wesentlich geringere sein. 
Immer aber werden wir dafür sorgen müssen, falls der Haupt¬ 
zweck der Applikation Gewichtsabnahme sein soll, dass die 
Nabrungs- und Flüssigkeitszufnhr auf ein bestimmtes Maass unter¬ 
halb des Bedarfs herabgedrückt wird, und dass z. B. bei Störungen 
der Nierenfunktion durch Diuretica oder entsprechende Maass- 
nahmen eine genügende Flüssigkeitsausscheidung erzielt wird. 
Durstkuren sind jedoch nicht indiziert. 

Von ganz besonderer Bedeutung — und das möchte ich aus¬ 
drücklich betonen — scheint es mir aber zu sein, dass die 
Methode noch ein viel weiteres Feld der Anwendbarkeit besitzt, 
und ich möchte mir erlauben, einige diesbezügliche Indikationen 
anzuführen. So habe ich durch lokale Kontraktionen vermittelst 
alleiniger Einschaltung der Bauchelektroden eine günstige Beein¬ 
flussung der chronischen Obstipation, selbst in schweren Fällen, 
gesehen. Vermutlich spielt hierbei nicht nur die Aktivierung der 
Banchdeckenmuskulatur eine Rolle, sondern es findet wahrschein¬ 
lich auch eine direkte Reizung der Darmmuskulatur durch die 
Bauchdecke hindurch statt. Ich möchte auch an dieser Stelle 
auf den Unterschied hinweisen, den die passive Knetung der 
Bauchdecken und der Därme gegenüber der aktiven Kontraktions¬ 
anregung durch den elektrischen Strom darbietet. Vielleicht 
eignet sich gerade diese Kur auch zur Nachbehandlung nach 
Brunnenkuren in Kissingen oder ähnlichen Orten, sowie nach 
Hormonalbehandlungen zur Erhaltung und Festigung der ezielten 
Resultate x ). 

Dasselbe sehen wir bei Muskelatrophien. Die rhythmisch 
aktive Gymnastik führt zu schnellen und guten Resultaten. So 
kommt es mitunter vor, dass wir bei Fettleibigen nach einigen 
Wochen Gleicbbleiben des Gewichts trotz deutlicher Abnahme des 
Fettpolsters beobachten. Vergleichen wir die Umfangsmaasse, 
z. B. der Wade, mit der zu Beginn der Behandlung, so erklärt 
sich diese Gewichtskonstanz dadurch, dass an Stelle des Fett¬ 
polsters der nunmehr gekräftigte Muskel die verlorengegangene 
Fettmasse ersetzt hat. Die Patienten selbst geben auch mit 
Regelmässigkeit an, dass ihre vorher schlaffen Muskelpartien dicker 
und fester geworden sind. Von Bedeutung ist es, dass wir selbst 
bei Gelenkaffektionen, die die normale Muskelbewegung bindern, 
durch die elektrische Gymnastik bei fixiertem Gelenk der Muskel¬ 
atrophie entgegenzuwirken imstande sind. 

Ganz besonders wichtig ist aber die Methode zur Behandlung 
von Herzkranken und Asthmatikern, von Patienten, denen ein 
Bein amputiert wurde, die eine einseitige oder doppelseitige Para¬ 
lyse erlitten haben, oder sonst an der Betätigung ihrer Musku¬ 
latur, z. B. durch lange Nachbehandlung von Operationen ver¬ 
hindert worden waren. Alle diese Patienten, die entweder gar 
nicht oder unter erheblichen subjektiven Beschwerden mitunter 
nur wenige Minuten geben oder sich aktiv körperlich betätigen 
können, ertragen die richtig dosierte und rhythmisierte elektrische 
Arbeitskur in ausgezeichneter Weise, und häufig sehen wir z. ß. 
bei Herzkranken, dass sie nach wenigen Sitzungen zu aktiven 
Uebungen, Spaziergängen usw., übergehen können. Erwähnen wir 
noch, wie wichtig z. B. es für Diabetiker ist, eine genügende 
Muskelarbeit zu leisten, so haben wir hiermit eine ganz erheb¬ 
liche Anzahl von Indikationen aufgezählt, bei denen die Abnahme 
des Körpergewichts entweder nicht im Vordergrund des Interesses 
steht oder überhaupt nicht gewünscht wird, bei denen aber die 
Methode wesentliche Dienste zu leisten berufen sein wird. Die 
angeführten Beispiele Hessen sich leicht um ein vielfaches (lokale 
Gicht, Claudicatio intermittens, phlebitische Zustände usw.) ver¬ 
mehren. 

Es würde an dieser Stelle zu weit führen, auf die physio¬ 
logischen Untersuchungen über die Wirkungen der Kur einzu- 

1) Wie mir Herr Prof. Kutner, der durch die Ankündigung meiner 
Demonstration dazu veranlasst wurde, heute telephonisch mitteilte, hat 
er mit einem ähnlichen Apparat, ebenso wie der französische, mit einem 
von Herrn Prof. B. modifizierten Induktionsstrom betrieben wird, gute 
Resultate bei der Behandlung der Obstipation gesehen. 


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27. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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gehen. Wir möchten nur erwähnen, dass Respiration und Puls, 
sobald die Patienten an die Arbeit gewöhnt sind, sich nicht etwa 
io so hohem Grade beschleunigen, wie dies bei willkürlicher 
Leistung auch nur eines Teiles dieser Arbeit zu erwarten wäre, 
sondern dass sie nur der produzierten Wärme entsprechend sich 
steigern. Ich bin überzeugt, dass der Apparat in dieser jetzigen, 
Ihnen hier demonstrierten Form für die praktische Anwendung 
reif ist und dass seine Applikation erst durch die Benutzung 
meines neuen Wechselstromes eine für den Patienten nicht nur 
erträgliche, sondern keineswegs unangenehme geworden ist. 


Aus der II. medizinischen Klinik zu Berlin (Direktor: 
Greheimrat Prof. Kraus). 

Zur Frage der chemischen Einwirkungen des 
Thorium X auf organische Substanzen, besonders 
auf die Harnsäure. 

Von 

Priv.-Doz. J. Piesch. 

In der Nr. 12, 1912, dieser Wochenschrift bat W. Falta und 
L. Zehner aus der v. Noorden’schen Klinik unter ähnlichem Titel 
eine Arbeit publiziert, laut welcher „dem Thorium X ganz be¬ 
deutende chemische Wirkungen auf organische Substanzen zu¬ 
kommen und dass insonderheit durch Thorium X-Lösungen die 
Löslichkeit der barnsauren Salze erhöht und die Harnsäure 
in weitgehender Weise chemisch verändert wird 11 . Da dieses 
Resultat, wenn es sich bewahrheiten sollte, von weittragender 
Bedeutung wäre, fühle ich mich veranlasst, die Bedenken, die sich 
gegen diese Publikation erheben lassen, hier mitzuteilen und den 
betreffenden Autoren nahezulegen, ihre Befunde zu revidieren. 

Demarcay und P. Curie 1 ) haben gefunden, dass in der 
Umgebung von stark aktiven Radiumpräparaten Ozon entsteht. 
Ramsay 2 ) hat unter der Einwirkung des Radiums eine Zersetzung 
desWassers beobachtet. Dasselbe bat Debierne mit M. Curie 8 ) 
bei dem Polonium finden können, und Debierne 4 ) hat die Ent¬ 
stehung von Wasserstoffsuperoxyd in stark aktiven Lösungen be¬ 
schrieben. 

Es war nach diesen Befunden selbstverständlich, dass wir 
auch das Mesothorium und Thorinm X auf die Fähigkeit, Ozon 
bzw. Wasserstoffsuperoxyd zu bilden, untersucht haben. 

Karczag und mir ist es auch gelungen sowohl das Ozon 
wie die Bildung von Wasserstoffsuperoxyd unter Einwirkung von 
stark aktiven Substanzen nachzuweisen, and dies war die 
Ursache, weshalb wir es vorderhand unterlassen haben, die Ein¬ 
wirkung des Thorium X auf leicht oxydable, organische Sub¬ 
stanzen zu prüfen. 

Leider haben Falta und Zehner bei ihren Arbeiten an das 
Ozon und H 2 0 2 nicht gedacht, and so darf man die publizierten 
Reaktionen so lange nicht als einen direkten Effekt des Thorium X 
ansehen, bis nicht gezeigt wird, dass die Reaktionen, die 
Falta and Zehner anführen, nicht Wirkungen des ent¬ 
standenen Ozons und H 2 0 2 sind. Es ist daher die Ein¬ 
wirkung des Thorium X in der Weise, wie dies von den 
Autoren gedeutet wurde, zunächst zweifelhaft. Denn 
sämtliche Reaktionen, die Falta und Zehner anführen, 
werden durch 0 8 und H 2 0 2 ebenfalls hervorgerufen, 
und deshalb können wir diese Versuche nicht als 
schlüssige Versuche ansehen. 

* Ich habe die von Falta nnd Zehner angeführten Versuche 
mit den Anilinfarbstoffen, mit H 2 0 2 wiederholt, indem ich den 
Lösungen eine Spur eines Metallsalzes hinzufügte, und bin zu 
demselben Resultat wie die genannten Antoren mit dem Thorium X 
gekommen. 

Dass die übrigen Versuche ebenfalls mit H 2 0 2 ausführbar 
siod, dafür liegen in der Literatur ausgiebige Angaben vor. Neu¬ 
berg und Kikkoji 5 ) konnten in einer Arbeit aus dem pathologi¬ 
schen Institut zeigen, dass hydroxylierte Benzolderivate (unter 
anderem Tyrosin, Brenzkatechin, Resorcin, Adrenalin, mit welchen 


1) Comptes rendus, 1899, B. 129, S. 823. 

2) Ramsay, Journ. chem. soc., 1907, Bd. 91, S. 931. 

3) Comptes rendus, 1910, Bd. 150, S. 386. 

4) Debierne, Comptes rendus, 1909, Bd. 148, S. 703. 

5) Bioohem. Zeitschr., 1909, Bd. 20, S. 523. 


Falta und Zehner gearbeitet haben) sich bei Einwirkung von 
H 2 0 2 genau so dunkel färben wie bei Thorium X-EinWirkung! 

Weiterhin haben Neuberg und Blumentbal im Jahre 1901 
in einer Reihe von Untersuchungen festgestellt, dass H 2 0 2 Eiweiss¬ 
körper mit grosser Leichtigkeit hydrolysiert. Ansserdem haben 
Neuherg und Miura 1 ) im Jahre 1911 diese Versuche auf zahl¬ 
reiche Ei weisskörper, Stärkearten, Polysaccharide und 
Lecithin ausgedehnt and für alle diese Körper die leichte und 
weitgehende Spaltbarkeit durch H 2 0 2 nachgewiesen. 

Die leichte Zersetzbarkeit der Harnsäure durch 0 3 und 
H 2 0 2 ist eine seit Jahrzehnten bekannte und vielfach erhärtete 
Tatsache. 

Die Gndzent’sche Auffassung, laut welcher die Harnsäure 
bei Einwirkung von Radium und besonders durch das physikalisch 
fast inaktive RaD in eine leichtlöslichere Form umgewandelt 
wird, ist durch die Arbeiten von Kerb und Lazarus 2 ), v. Knaffl- 
Lenz und Wiechowsky 3 ), Brasch 4 ), Brugsch 5 ), Schultz 8 ) 
and vielen anderen vollständig widerlegt. In nenester Zeit 
hat Mesernitzky zu fiuden geglaubt, dass die Harnsäure durch 
sehr hohe Aktivitäten von Ra (er benutzte zu seinen Versuchen 
150000000 M.-E.!) gelöst wird. Auch Mesernitzky scheint bei 
seinen Versuchen, so wie Falta und Zehner, die Bildong von 
H 2 0 2 und 0 3 nicht berücksichtigt zu haben und schrieb die 
Wirkung dem Radium zu. 

Die Enttäuschung, dass das Radium keinen direkten Einfluss 
auf die Löslichkeit der Harnsäure ausübt, bat die Radiumtherapie 
in unverdienter Weise in einen Misskredit gebracht. Um das 
Thorium vor gleichem Schicksal zu bewahren, habe ich mein 
Bedenken geäussert, und es scheint mir notwendig, diese Versuche 
so lange nicht als beweiskräftig zu erklären und ihr Eindringen 
in die Literatur zu verhindern [Herr v. Noorden 7 ) hat sich be¬ 
reits in seinem neulichen hiesigen Vortrag, auf die Angaben 
seiner Schüler gestützt, in gleichem Sinne ausgesprochen], solange 
nicht, wie gesagt, von Falta und Zehner der Nachweis erbracht 
wird, dass die angeführten Reaktionen auch unter Ausschluss der 
0 3 - und H 2 0 2 -Wirkung zustande kommen. Wenn übrigens Analogie¬ 
schlüsse in der Wissenschaft erlaubt sind, so ist es nicht zu 
erwarten, dass dieser Nachweis gelingen wird, denn wir haben 
stets gefunden und auch diesen Standpunkt vertreten, dass die 
Wirkungen der verschiedenen radioaktiven Stoffe prinzipiell nicht 
verschieden sind. Wa9 also das Radium nicht vermag, wird 
auch durch das Thorium nicht gelingen. Alle Versuche, das 
Gegenteilige zu beweisen, sind bisher nicht gelungen; so konnten 
Neuberg und Karczag 8 ) die beobachtete Hämolyse durch 
Thorium X, die v. Knaffl-Lenz und Schwarz auf eine 
chemische Spaltung des Lecithins im Blute bezogen haben, 
chemisch nicht nachweisen. 

Aber selbst wenn sich die Befunde von Falta und Zehner 
bewahrheiten sollten, würden diese die Wirkungen in vivo nicht 
erklären, denn die zu den in vitro gebrauchten Aktivitäten sind so 
unendlich hoch, dass sie therapeutisch nicht in Betracht gezogen 
werden können. 

Es wäre falsch, wollten wir die Wirkung des Thorium X 
auf die Gicht bezweifeln, weil eine Einwirkung auf die Harnsäure 
in vitro nicht nacbgewiesen werden kann. Im Gegenteil! Die 
klinische Beobachtung, wie wir dies in unserer ausführlichen 
Publikation 9 ) über die biologischen und pathologischen Wirkungen 
des Thorium X ausführlich dargetan haben, zeigt unzweifelhaft, 
dass wir im Thorium X ein hervorragendes Mittel gegen die Gicht 
besitzen. Die Wirkung liegt aber sicherlich nicht in der Be¬ 
einflussung der Löslichkeit der Harnsäure, sondern auf einem ans 
noch unbekannten Gebiet, wobei die Mobilisierung der Harn¬ 
säure nur ein Symptom der Einwirkung des Thorium X auf die 
Gicht ist und nicht die Besserung selbst bedeutet, genau so wie 
die Harnsäure nicht die Krankheit selbst, sondern nur ein fass¬ 
bares Krankheitszeichen darstellt. 

1) Biochem. Zeitschr., 1911, Bd. 36 u. 37. 

2) Biochem. Zeitschr., 1912, Bd. 42. 

3) Hoppe-Seyler’s Zeitschr., 1912, Bd. 77. 

4) Brasch, Diese Woohenschr., 1912, S. 1108. 

5) Brugsch, Diese Wochenschr., 1912, Nr. 34. 

6) Schultz, Biochem. Zeitschr., 1913. 

7) v. Noorden, Fortbildungsvortrag im Kaiserin Auguste Viktoria- 
Hause, 13. Dezember 1912; Zeitschr. f. ärztl. Fortbildung, Jahrg. 10, 
Nr. 2, S. 41. 

8) Radium in Biologie und Heilkunde, 1913, H. 1. 

9) Piesch, Karczag, Keetmann, Maass und Pappenbeim, 
Zeitschr. f. exp. Pathol. u. Therapie, Bd. 12, H. 1. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 4. 


Ueber Radium- und Mesothoriumbehandlung bei 
Hautkrankheiten. 1 ) 

Von 

Sanitätsrat Dr. Edmund Saatfeld-Berlin. 

M.H.! In Ergänzung meiner kutzen Diskassionsbemerkungen 
gelegentlich des Vortrages des Herrn Sticker in der letzten 
Sitzung vor den Sommerferien möchte ich mir erlauben, Ihnen 
einige Fälle, die ich mit Mesothorium und Radium behandelt 
habe, vorzustellen. Versuche mit Mesothorium anzustellen er> 
möglicbte mir die Königlich Preussische Akademie der Wissen¬ 
schaften, die mir eine Kapsel mit Mesothoriumbromid, äquivalent 
15 mg Radiumbromid, überliess. Ich erlaube mir auch an dieser 
Stelle der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften 
für das gütige Entgegenkommen meinen ehrerbietigsten Dank 
auszusprechen. 

Wenn ich Ihnen einige Patienten demonstriere, die an 
Cancroid litten, und die ich als geheilt betrachten möchte, so 
bitte ich Sie, diese Heilung nur als eine relative aufzufassen. 
Einerseits ist die Zeit seit Abschluss der Behandlung noch recht 
kurz, andererseits ist es ja nur zu bekannt, dass Krebskranke, 
die scheinbar mehrere Jahre geheilt sind, auch nach dieser Zeit 
noch ein Recidiv aufweisen können. 

Frl. A. H., jetzt 54 Jahre alt, aufgenoramen am 13. IV. 1907. 
Cancroid etwa erbsengross auf der rechten Seite der Oberlippe, nässte 
etwas und zeigte geringe Borkenbildung, bestand seit ungefähr einem 
halben Jahre. Vom 13. IV. sieben Radiumapplikationen (5 mg) von je 
einer halben Stunde am 20. IV., 23. V., 13. VI., 24. VI., 1. VII., 8. VII. 
Am 23. VIII. 1907 ist das Cancroid geheilt. Jetzt weisse, ein wenig 
vertiefte, weiche Narbe. 

Frau E. M., jetzt 61 Jahre alt, aufgenommen am 8. XII. 1910 wegen 
Cancroids; über erbsengrosse, nässende, mit einer Borke bedeckte Stelle 
am linken Nasenflügel unten, nahe der Wange, bestand seit etwa einem 
halben Jahre. 

Nach acht Radiumapplikationen mit einer 10 Milligrammkapsel je 
eine halbe Stunde am 8. XII., 18. XII., 29. XII. 1910, 9. I., 19. I., 
30. I., 13. II., 27. II. 1911 war die erkrankte Partie völlig trocken, 
weich und war am 13. III. 1911 anscheinend geheilt; ebenso am 10. V. 1911, 
wo die Stelle eine vertiefte Narbe zeigte; es war keine Härte nach¬ 
weisbar. 

Die Heilung war aber nur scheinbar, denn als sioh Pat. nach sechs 
Wochen, am 20. VI. 1911, vorstellte, zeigte die Stelle seit acht Tagen 
wieder geringe Schorfbildung, so dass von neuem drei Radiumapplikationen 
zu je 3 / 4 Stunden vorgenommen wurden, und zwar am 20. VI., 30. VI. 
und 10. VII. 1911. Wiederum erschien am 15. VII. 1911 das Cancroid 
geheilt. Der Sicherheit halber wurde jedoch die Partie an diesem Tage 
einmal mit Röntgen bestrahlt. Vier Wochen später, am 14. VIII. 1911, 
zeigte sich am Locus affectus eine vertiefte, weiche Narbe, die weder 
Empfindlichkeit noch Härte aufwies, und heute können Sie denselben 
Status konstatieren,, so dass die Pat. zurzeit als geheilt betrachtet 
werden kann. 

Frl. K. R., 58 Jahre alt, zeigte bei der ersten Konsultation am 
9. V. 1912 auf der linken Nasenseite oben ein erbsengrosses, flaohes, 
leicht ezulceriertes Cancroid, das seit mehreren Jahren bestand und 
bereits vor drei Jahren mit Höllenstein behandelt war. Seit März d. J. 
ist es stärker hervorgetreten. Mesothorium wurde am 11. V. 1912 
Va Stunde, am 21. V. 8 / 4 Stunden, am 4. VI. */* Stunde appliziert. Der 
Erfolg ist, dass die Neubildung als geheilt angesehen werden kann, und 
zwar zeigt die ursprünglich kranke Stelle eine flache, jetzt kaum noch 
sichtbare Narbe. 

Um den Verlauf während der Behandlung zu illustrieren, füge ich 
die ausführliche Krankengeschichte dieses sowie des nächsten Falles 
hinzu. 

11. V. 1912. Mesothorium V 2 Stunde. 15. V. Schorfbildung, massige 
Entzündung der Umgebung. 21. V. Der Schorf ist abgefallen. Meso¬ 
thorium 8 / 4 Stunden. 29. V. Entzündung stärker als das erstemal; die 
Stelle war auch schmerzhaft, jetzt ist noch die ganze Umgebung ge¬ 
rötet. Der Schorf über dem Cancroid hebt sich allmählich ab. 4. VI. 
Nach Abhebung des Schorfes Applikation von Mesothorium während 
Va Stunde. 8. VI. Geringe Entzündung der Umgebung, das Cancroid 
ist flacher geworden. 15. VI. Massiges Jucken, Borke liegt noch, 
Cancroid anscheinend flacher. 22. VI. Schorf liegt noch. 29. VI. Schorf 
kleiner, Entzündung der Umgebung geschwunden. 6. VII. In der Mitte 
der kranken Stelle noch stecknadelkopfgrosser Schorf. 20. VII. Schorf ab¬ 
gefallen, blasse, glatte Narbe. 8. VIII. Die Mitte der ursprünglich er¬ 
krankten Stelle weiss. 7. IX. Kaum noch sichtbar. 28. IX. Flache, 
kaum sichtbare Narbe. 22. X. Status idem. 3. XII. Ebenso. 

Fr. M. D., 33 Jahre alt. Auf dem linken Processus zygomaticus 
besteht ein kirschkerngrosses, nässendes, am Rande mit Schorf bedecktes 
Cancroid, das vor einem Jahre aufgetreten war. Pat. erhielt am 


1) Vortrag, gehalten in der Sitzung der Berliner medizinischen 
Gesellschaft am 11. Dezember 1912. 


16. IV. 1912 die Mesothoriumkapsel für */ 4 Stunden aufgelegt. Nach¬ 
dem die Entzündung geschwunden war, legte ich am 4. V. auf die noch 
mit einer Borke bedeckte Stelle die Kapsel noch einmal auf. Wie sich 
später herausstellte, hatte sich die Kapsel verschoben und war während 
®/ 4 Stunden unterhalb des Cancroids liegen geblieben. Auf dieser Stelle 
bildete sich nun eine Entzündung heraus. Am 4. VU. war vom Cancroid 
der Schorf vollkommen geschwunden, es zeigte sich eine glatte, vertiefte 
Narbe. Es besteht keine Härte mehr, und vorläufig kann das Cancroid 
als geheilt angesehen werden. — Genauere Beschreibung: 

16. IV. 1912. Mesothorium ®/ 4 Stunden. 17. IV. Schwellung und 
stärkeres Nässen, seit der Nacht vom 19. sum 20. IV. Schwellung und 
Nässen geringer. 20. IV. Honigfarbige Borke. 23. IV. Borkenauflagerung 
höher, Umgebung stärker gerötet und geschwollen. 26. IV. Reizung 
geringer, Schorf kleiner, Rötung um den Schorf noch vorhanden. 3. V. 
Entzündung geringer, trockener. 4. V. Mesothorium 8 / 4 Stunden. (Wie 
sich später herausstellte, war die Kapsel nach unten verschoben.) 
14. V. Schorf sitzt fest auf beiden Stellen. 29. V. Auf der unteren 
(gesunden) Stelle noch Schorf, Cancroid überhäutet, zeigt in der Peripherie 
noch einen kleinen Schorf. 5. VI. Auf dem Cancroid minimaler gelber 
Schorf, darunter, wo die Applikation verschoben ist, weisse, flache Narbe 
mit bräunlichem Rand. 21. VI. An der linken Seite des Cancroids noch 
geringer Schorf. 4. VII. Glatt, ohne Schorf, vertiefte Narbe, letztere 
besonders auf der artificiellen Stelle deutlich hervortretend. 23..VII. 
Glatt, Cancroid weiss, weicb, vertieft; zweite Stelle weiss, leicht vertieft. 
23. VIII. Status idem. 28. IX. Beide Stellen leicht vertieft, weich, 
latt. 15. X. Ebenso. 3. XII. Desgleichen, die weisse Verfärbung an 
en beiden bestrahlten Stellen nähert sich mehr der normalen Hautfarbe 1 ). 

Dieser Fall zeigt, so unaugenehm die Applikation des Meso¬ 
thoriums an einer anderen Stelle war, dass es möglich ist, ein 
Cancroid mit einer Mesothoriumauftragung zur Heilung zu bringen. 

Bei dem 63 jährigen Patienten J. M. trat vor ungefähr zehn Jahren 
ein Canoroid am oberen Teil der linken Wange auf, das sich allmählich 
vergrösserte. Die subjektiven Beschwerden des Patienten waren nur 
gering. Bei der Aufnahme am 1. VII. 1912 konstatierte ich etwa 2 1 /* cm 
unterhalb der Mitte des linken Auges, etwas mehr median gelegen, eine 
etwa zehnpfennigstückgrosse erkrankte Partie, die in der Mitte vertieft 
und deren Rand wallartig erhaben war. Die Stelle nässt und ist mit 
Borke bedeckt. Härte ist nur in geringem Maasse vorhanden. Nach 
fünf Mesothoriumapplikationen von je 8 / 4 Stunden (1. VII., 8. VII., 17. IX., 

17. X., 19. XI. 1912) an verschiedenen Stellen des Cancroids ist die 
Stelle zum grössten Teil, wie Sie sioh überzeugen können, verheilt, nur 
noch die Mitte ist mit einer Borke bedeckt. Der Patient bleibt noch 
in weiterer Behandlung. 

Frl. H. G 22 Jahre alt, leidet seit ihrem achten Lebensjahre an 
ausgedehntem Lupus vulgaris des Gesichtes und der Halsgegend. Sie 
ist früher mehrfach behandelt worden, von mir zuletzt mit Röntgen¬ 
strahlen. Die übrig gebliebenen einzelnen Knötchen behandelte ich nun 
mit Mesothorium, und zwar wurde die Kapsel, je nachdem es sich um 
eine mehr oder weniger stärker infiltrierte Stelle handelte, für s / 4 bis 
V 2 Stunde aufgelegt. Im ganzen wurde das Mesothorium 15 mal appli¬ 
ziert, und zwar auf die entsprechende Stelle ein- bis zweimal; der Erfolg 
ist als ein guter zu bezeichnen. 

Bei einem 14 jährigen Mädchen bestand auf der linken Gesichtsseite 
ein grösserer Naevus flammeus, der von mir vielfach, so unter anderem 
auch mit Kohlensäure, jedoch ohne wesentlichen Erfolg, behandelt wurde. 
Ich sah mich jetzt veranlasst, Mesothorium auf die einzelnen Stellen zu 
applizieren, und zwar zuerst 30 Minuten und später, da die Reaktion 
nach dem Mesothorium zu lange dauerte, 20 Minuten. Sie sehen als 
Erfolg der Behandlung eine Reibe von weissen Stellen, deren Farbe, wie 
ich annehme, mit der Zeit immer mehr der der normalen Haut gleich¬ 
kommen wird. 

Gestatten Sie mir, m. H., noch einige Bemerkungen; zuerst 
bezüglich des Hautcarcinoms. Für die Radium- und Mesothorium- 
bebandlung geeignet möchte ich diejenigen Krebse halten, welche 
ganz langsam wachsen und mit der Unterlage nicht fest verlötet 
sind, die nach längerem Bestehen in unsere Behandlung kommenden 
Fälle, welche klinisch in gewissem Sinne — ich bitte mich nicht 
falsch zu verstehen — als weniger bösartig betrachtet werden- 
können. Hier gelingt es nach wenigen Radium- oder Mesothorium¬ 
applikationen — ja, wie Sie in einem Falle gesehen, schon nach 
einer einzigen — Heilung zu erzielen, welche ich darin erblicke, 
dass die Geschwulst sich verkleinert und schliesslich auch für 
die Palpation völlig verschwindet; dass ferner Geschwüre sich 
überhäuten und mit einer weichen Narbe sich schliessen. Frei¬ 
lich müssen wir, wie erwähnt, berücksichtigen, dass uns die in 
Frage stehende Behandlungsmethode überhaupt erst kurze Zeit 
zu Gebote steht. Des weiteren ist ein Versuch — ob erfolgreich 
ist eine andere Frage — gestattet bei inoperablen Hautcarcinomen, 
Fällen, bei denen chirurgische Hilfe aussichtslos ist. Für kontra¬ 
indiziert möchte ich nach meinen obigen Darlegungen die Radium- 


1) Anmerkung bei der Korrektur: Die Farbe der bestrahlten Stellen 
weicht jetzt nur noch wenig von der der normalen Haut ab. 


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27. Januar 1918. 


BERLINERjKLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


167 


und Mesothoriombehandlang bei den Haatkrebsen halten, die ein 
schnelles Wachstum and dementsprechend einen mehr bösartigen 
Charakter zeigen. Hier soll man nicht lange mit Radium oder 
Mesothorium Versuche machen, es wurde sonst der richtige Zeit¬ 
punkt für das Messer des Chirurgen verpasst werden. 

Für indiziert möchte ich des weiteren die Radium- und Meso- 
thoriumbehandlung bei Keloiden halten, bei denen wir mit unseren 
übrigen Behandlungsmethoden nicht immer ein gutes Resultat er¬ 
zielen. Ferner bei einzelnen, den sonstigen Behandlungsmethoden 
trotzbietenden Plaques von Lichen ruber planus und Lichen ruber 
verrucosus und einzelnen verdickten, hartnäckigen Psoriasisplaques. 
Dass ich io einem Falle einige Infiltrationen bei einer im zweiten 
Stadium befindlichen Mycosis fungoides unter Radium- sowohl wie 
Mesothoriumapplikation schwinden sah, möchte ich der Voll¬ 
ständigkeit halber erwähnen, ohne auf dieses Resultat besonderen 
Wert zu legen, zumal es bei einer ausgedehnten Mycosis fungoides 
schon aus äusseren Gründen nicht möglich ist, den ganzen Körper 
in dieser Weise zu behandeln. Unter derselben Therapie sah ich 
auch mehrere Male das Xanthoma palpebrarum schwinden, doch 
möchte ich von dieser Behandlung abraten, da erstens die Appli¬ 
kation der Kapsel sehr unbequem ist, ausserdem aber die re¬ 
sultierenden Narben kein gutes Aussehen ergeben. Für einzelne 
Lupusknötchen und kleine Lupusplaques ist, wie Sie aus der 
Demonstration gesehen haben, ein Versuch gestattet; ebenso ver¬ 
hält es sich bei denjenigen Fällen von Angiomen, in denen wir 
mit unseren übrigen Methoden nicht zum Ziele kommen, aber 
nur für solche Fälle. Es stehen uns zur Aogiorabehandlung 
eine Reihe erprobter Verfahren, so namentlich die Kohlensäure¬ 
behandlung zur Verfügung, so dass wir die Radium- und Meso- 
tboriumkapsel nar in ganz resistenten Fällen anwenden sollen. 

Die Angiombehandlung führt mich zur Besprechung der An¬ 
wendung des Radiums und Mesothoriums für kosmetische Zwecke. 
Ich möchte, wie überhaupt vor der Verallgemeinerung der Röntgen¬ 
behandlung, so auch vor der kritiklosen Applikation des Radiums 
und Mesothoriums für Hautaffektionen, die wir als kosmetische 
Leiden bezeichnen, dringend warnen. Es muss berücksichtigt 
werden, dass wir bei diesen Leiden durch unsere Therapie einen 
Effekt erzielen sollen, der ein besseres Aussehen darbietet als das 
ursprüngliche Leiden, und dass gegen diesen obersten Grundsatz 
bei der kosmetischen Behandlung nicht selten gefehlt wird, ist 
eine bedauerliche Tatsache. Nicht minder ist es Tatsache, dass 
entstellende Resultate durch Röntgen-, Radium- und Mesothorium¬ 
applikationen leicht erreicht werden können und leider auch 
schon bisweilen erreicht worden sind. Der Grund hierfür liegt 
darin, dass trotz der grössten Vorsicht und trotz exaktester 
Dosierung, wie wir sie bei den Röntgenstrahlen einhalten können, 
hier und da in diesem oder jenem Falle eine Schädigung herbei¬ 
geführt werden kann. In solchen Fällen besteht eben eine Idio¬ 
synkrasie gegen Röntgen-, Radium- und Mesothoriumstrahlen, eine 
Tatsache, die nicht von der Hand zu weisen ist. 

Wie ich früher bereits kurz erwähnte, möchte ich hier der 
Vollständigkeit halber noch einmal mitteilen, dass zur Verstärkung 
des Effektes der Radium- und Mesothoriumapplikation in einigen 
besonders hartnäckigen Fällen die entsprechende Hautstelle vor¬ 
her für 5—10 Sekunden mit Kohlensäureschnee vereist wurde. 
Da ich, wie bereits mehrfach hervorgehoben, Radium und Meso¬ 
thorium nur bei ganz strikte gestellten Indikationen an wende, war 
die Zahl der mir für die Behandlung zur Verfügung stehenden 
Fälle bisher nur gering. Ich mache Ihnen von der Kombination 
jetzt schon deshalb Mitteilung, weil ich den Eindruck gewonnen 
habe, dass das Verfahren wirksam ist, und weil ich darum bitten 
möchte, mit dieser Kombination Nachprüfungen anzustellen. Dass 
ich zum Schutz der Umgebung bei kleinen zu bestrahlenden 
Stellen belgische und japanische Münzen, welche in der Mitte 
durchlöchert sind, benutze, sei heute noch einmal angeführt. 

M. H.I Ich habe versucht, Ihnen im Anschluss an die de¬ 
monstrierten Fälle in Kürze einige Indikationen und Kontra- 
iodikationen für die Radium- und Mesothoriumbehandlung bei 
Hautkrankheiten aufzustellen, ich hoffe Sie davon überzeugt zu 
haben, dass beide Präparate energisch wirkende Substanzen dar¬ 
steilen, welche wir nicht wahllos anwenden dürfen, sondern nur 
dann wenn ganz präzise Indikationen vorliegen, da sonst sehr 
leicht gegen den ersten Grundsatz in der Medizin verstossen 
werden könnte, den Grundsatz: primum non nocere. 


Zur Behandlung schwerer Gesichtsneuralgien. 
Alkoholinjektion ins Ganglion Gasseri. 1 ) 

Von 

Dr. W. Alexander und Dr. E. Unger-Berlio. 

Der eine von uns (A.) hat in mehrfachen Publikationen die 
These aufgestellt, dass alle extracrauiellen Operationen bei Trige¬ 
minusneuralgie durch Alkoholinjektionen zu ersetzen sind, die 
periphere Resektion durch die periphere und die basale Resektion 
durch die basale Einspritzung. Die Alkoholinjektion leistet das¬ 
selbe, ist weniger eingreifend und gibt bei Recidiven bessere 
Chancen. Als Beispiel für die Leistungsfähigkeit der Methode 
zeige ich Ihnen diesen Patienten. (Demonstration.) 

Der damals 55 jährige Mann kam am 9. II. 1909 zu mir mit einer 
schweren, 11 Jahre bestehenden Neuralgie im zweiten Ä9t des rechten 
Trigeminus mit typischen Anfällen, die jetzt auch in Zunge und Unter¬ 
kiefer ausstrahlten. Alle erdenkliche Therapie vergeblich angewandt 
Eine periphere Injektion ins Foramen infraorbitale von 1 ccm Alkohol. 
Schmerzen sofort beseitigt. 

Recidiv am 5. X. 1912 (3 Jahre 8 Monate): abermals eine In¬ 
jektion an derselben Stelle. Sofort geheilt. Sie überzeugen sich jetzt 
nach 5 Wochen von der Analgesie im Gebiete des zweiten Astes. 

Stets wurde aber betont, dass anch die Alkoholinjektion, 
ebenso wie die extracranielle Resektion, nicht alle Fälle 
dauernd heilt; dass vielmehr einige wenige Fälle übrigbleiben, 
bei denen nur noch die Exstirpation des Ganglion Gasseri Erfolg 
verspricht. Diese Operation gilt aber allgemein als technisch 
äusserst schwierig und gefährlich; bat sie doch selbst in der 
Hand ihrer geübtesten Vertreter noch eine grosse Mortalität, ab¬ 
gesehen von ihren unbeabsichtigten Nebenwirkungen, die auch 
bei erfolgreicher Operation die Freude an dem Erfolg wesentlich 
beeinträchtigen können. Diese lassen sich trotz aller neueren 
Fortschritte (Lokalanästhesie usw.) noch nicht mit einiger Sicher¬ 
heit ausschalten. Es war daher unser Bestreben, bei dieser fast 
siebzigjährigen Frau (Demonstration), die in einem solchen Zu¬ 
stand zu uns kam, dass wir ihr die Exstirpation des Ganglion 
Gasseri nicht mehr zumuten konnten, womöglich einen Ersatz 
für diese Operation zu finden. 

12. VII. 1910. Vor 10 Jahren Zahnschmerzen oben rechts. Alle 
Zähne gezogen. Alle Medikamente. Blaulicht, Röntgenbestrahlungen, 
Galvanisation, elektrische Bäder. Seit 9 Jahren Anfälle auch in Zunge 
and Unterkiefer. Vor einem Jahre Durchschneidung des Infraorbitalis 
ohne jeden Erfolg. Seit 2 Jahren zweimal täglich eioe 8 proz. Morphium¬ 
spritze, Morphiumtropfen nach Belieben, abends Chloralhydrat. 50 Pfund 
Abnahme. Arteriosklerose. Am zweiten Ast eine basale und mehrere 
periphere Alkoholinjektionen, am dritten Ast mehrere periphere. Nach 
14 Tagen schmerzfrei und morphiumfrei entlassen. 

Recidiv nach 5 Monaten nur im dritten Ast; eine basale und meh¬ 
rere periphere Injektionen. Schmerzfrei (Januar 1911). 

Recidiv September 1911. Einige Injektionen. Nicht ganz schmerz¬ 
frei, aber anfallsfrei entlassen, mit der Weisung, sich bei Verschlimme¬ 
rung zur Operation sofort zu melden. Die auswärts auf dem Lande 
wohnende Frau kam aber erst, nachdem sie lange Zeit Anfälle hatte 
und ausserordentlich heruntergekommen war. 

Wir fragteu uns nun, wie wir die Ganglionexstirpation um¬ 
gehen könnten. Mehrere Versuche, durch das Foramen ovale 
(nach Härtel) Alkohol in das Ganglion zu spritzen, misslangen; 
es gelang nicht, das Foramen ovale zu entrieren. Wir stellten 
nun folgende Ueberlegung an: 

Die Gefahren der Ganglionexstirpation liegen an vier Punkten: 
1. der langen Dauer der Operation an sich, dem langen Spatel¬ 
druck beim Anheben des Gehirns, 2. der durch Unterbindung der 
Arteria meningea media gesetzten Circulationsstörung, die sich 
zu den Schädigungen durch Spateldruck hinzuaddiert, 3. der 
venösen Blutung, 4. der Gefahr der Keratitis neuroparalytica. 

Es ist uus bekannt, dass alle die angeführten Momente in 
letzter Zeit einen Teil ihrer Schrecken verloren haben: die Lokal¬ 
anästhesie beseitigt die Narkosengefahr, das Adrenalin mässigt 
die venöse Blutung, durch sorgfältige Nachbehandlung lässt sich 
der Verlust des Auges fast stets vermeiden; durch gute Assistenz 
sind die Folgen des Spateldrucks weniger häufig geworden. 
Aber alle diese Punkte zusammen lassen sich nicht im ein¬ 
zelnen Falle mit Sicherheit ausschalten, nnd die Mortalität der 
Operation ist immer noch gross. 

Lässt man nun das Ganglion an Ort nnd Stelle und zerstört 
es nur durch Alkohol, so ist damit viel gewonnen. Gerade bei 


1) Naoh einer Demonstration in der Berliner medizinischen Gesell¬ 
schaft am 18. November 1912. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 4. 


der Auslösung des Ganglions ist die venöse (manchmal auch 
die arterielle) Blutung am störendsten, sie zwingt zu wiederholten 
Tamponaden und Verlängerung der Operation. Während der 
Auslösung tritt besonders stark der Spateldruck in Aktion, nach¬ 
dem er schon vorher zur Anspannung der zu unterbindenden Arteria 
meningea media dauernd gewirkt hat. Die Unterbindung selbst 
erfordert Zeit, bei Störungen irgendwelcher Art (Abrutschen der 
Ligatur usw.) oft sehr viel Zeit. Die Widerstandskraft der an¬ 
ästhetischen Hornhaut ist auf jeden Fall hochgradig herabgesetzt 
und bildet eine ständige Gefahrsquelle. 

Will man nach Eröffnung des Schädels (nach Krause) 
Alkohol in das Ganglion spritzen, so bedarf es nicht der Unter¬ 
bindung der Meningea media, weil man das Ganglion sehr gut 
auch bei ihrem Erbaltenbleiben soweit zu Gesicht bringen kann, 
wie es nötig ist (s. unten). Da man in dem beschränkten Raum 
nicht mehr mit grösseren Instrumenten, wie bei der Abtragung 
des Ganglion, zu arbeiten bat, sondern nur eine feine Nadel in 
die Tiefe der Wunde einzuführen hat, braucht man sich nicht 
durch Unterbindung der Meningea Platz zu schaffen. 

Endlich braucht man sich nicht das ganze Glanglion, son¬ 
dern nur seinen vorderen Rand zu Gesicht zu bringen, nm hier 
den Alkohol zu injizieren: der Spateldruck dauert nur wenige 
Minuten. Betrifft die Neuralgie, wie sehr häufig, nur den zweiten 
und dritten Ast, so kann man den ersten Ast (für die Hornhaut) 
ganz schonen, indem man den Alkohol nur in die Partien des 
Ganglion spritzt, die dem zweiten und dritten Ast entsprechen. 

Es müsste so gelingen, 1. die Operationsdauer erheblich 
herabzusetzen, 2. den Blutverlust auf ein Minimum zu be¬ 
schränken, 3. die Gefahr der Hirnquetschung wesentlich zu 
verringern, 4. die Hornhaut sicher zu schonen. 

Nach diesem Plan legten wir am 2. X. 1912 das Ganglion Gasseri 
soweit frei, dass der dritte und zweite Ast sowie ein etwa 1 cm breites 
Stück vom vorderen Rand des Ganglion zu Gesicht kamen. Der erste 
Ast blieb ganz unberücksichtigt. Die Arteria meningea media blieb 
unversehrt liegen. Die Operation wurde bis zur Alkoholinjektion in 
Lokalanästhesie schmerzlos ausgeführt. Um den Alkohol nicht durch 
vorherige Einspritzung von Novocainlösung in das Ganglion selbst zu 
verdünnen, machten wir vor der Injektion einen kurzen Aetherrausch. 
Dann wurden mit einer langen Nadel je einige Tropfen 80 proz. Alkohols 
in den zweiten und dritten Ast intracraniell und in die Partien des 
Ganglion eingespritzt, die dem Gebiete dieser beiden Aeste entsprechen. 
Der Blutverlust war minimal. Patientin erwachte nach wenigen Minuten. 
Ein Gazestreifen wurde auf das Ganglion eingeführt, die Wunde sonst 
ganz vernäht. 

Der Verlauf war reaktionslos. Patientin stand am vierten Tage 
auf, klagte an den ersten Tagen über Kopfschmerzen und Parästhesien 
im Gesicht. Kein Erbrechen usw. 

Befund am fünften Tage nach der Operation: Das Gebiet des zweiten 
und dritten Astes ist total analgetisch, gröbere Berührungen werden ge¬ 
fühlt. Es besteht leichter Lagophthalmos rechts durch Schädigung des 
oberen Facialisastes beim Haut-Muskelschnitt. Der Hornhautreflex ist 
vollkommen erhalten, die Hornhaut ist ohne jede therapeutische Ver¬ 
sorgung klar und ist es auch bis heute (6 Wochen nach der Ope¬ 
ration) trotz bestehendem Lagophthalmos geblieben. (Laut Nachricht 
auch am 4. XII.) Trotz einer intercurrenten Angina mit hohem Fieber 
befindet sich Patientin, wie Sie sehen, in leidlichem Ernährungszustand 
und ist ohne Medikamente schmerzfrei. 

Laut brieflicher Nachricht befindet sich Patientin Mitte Januar 
völlig gesund. 

Der Fall zeigt, dass unser Vorgehen einen vollen Erfolg hatte. 
Freilich muss die Frage nach dem Recidiv vorläufig unbeant¬ 
wortet bleiben. Dass der zweite und dritte Ast der Degeneration 
anheimfallen, ist sicher. Ebenso sicher dürfte es sein, dass die 
vom Alkohol getroffenen Teile des Ganglion sich nicht wieder 
regenerieren. 0. May 1 ) hat im Experiment gezeigt, dass es nicht 
gelingt, mit einer einzigen Alkoholinjektion das Ganglion zu 
durchtränken und zur Nekrose zu bringen. Deshalb haben wir 
mit feinster Nadel an vielen Stellen das Ganglion gewissermaassen 
mit Alkohol scarifiziert, d. h. zahlreiche kleinste Alkoholdepots 
so nahe beieinander angelegt, dass die Nekrosen confluieren 
dürften und sich so doch eine Totalnekrose der vorderen (dis¬ 
talen) Partien ergäbe. Es ist auch fraglich, ob die Gebiete der 
einzelnen Aeste im Ganglion selbst noch in verschiedenen Ab¬ 
schnitten getrennt vertreten sind. Jedenfalls geht aus unserem 
Fall hervor, dass der erste Ast erhalten werden kann, wenn man 
die hinter ihm liegende Partie des Ganglion schont, und dass 
die injizierten Teile einstweilen zerstört sind. 

Wir wollen demnach vorläufig nicht behaupten, dass kein 
Recidiv auftreten wird. Das bleibt abzuwarten, und wir werden 

1) Brit. med. journ., 81. August 1912, 


nicht verfehlen, bekannt zu geben, was wir über den Fall weiter 
erfahren. Sollte er recidivfrei bleiben, so dürfte unser Vorgehen 
weitere Nachprüfung verdienen und bei weiteren Erfolgen die 
Exstirpation des Ganglion Gasseri ersetzen und damit verdrängen. 

Aber auch, wenn nach vielen Monaten ein Recidiv eintritt, 
dürfte unser Vorgeben sich für besonders Geschwächte empfehlen. 
Man kann diese Patienten zunächst einmal auffüttern und vom 
Morphium befreien. Sie kommen dann in einer besseren Ver¬ 
fassung zur Ganglionexstirpation, und so kann die Prognose auch 
dieser Operation eventeil weiter gebessert werden. Dieser Vor¬ 
schlag soll nicht eine Rückkehr zu der mit Recht verlassenen 
zweizeitigen Operation bedeuten; der grundsätzliche Unterschied 
liegt wohl klar auf der Hand. 

Da man, wie wir glauben, wenigstens mit einer Recidiv- 
freiheit von einigen Jahren wird rechnen können, ist auch noch 
der Umstand in Rechnung zu setzen, dass gerade die schwersten 
Formen der Trigeminusneuralgie hochbetagte Menschen betreffen, 
und dass diese nicht selten durch unseren relativ unerheblichen 
Eingriff für den Rest ihres Lebens schmerzfrei gemacht werden 
könnten. 

Aus dem dermatourologischen Institut von Dr. Bai» 
und Dr. Treitel. 

Klinische Erfahrungen mit Adamon bei den 
Reizzuständen der akuten Gonorrhöe. 

Von 

Dr. Treitel. 

Nach der Publikation des Herrn Dr. Ernst R. W. Frank über 
die Einwirkung des Adamons auf sexuelle Reizzustände in Nr. 49 der 
Deutschen medizinischen Wochenschrift und den Mitteilungen der Herren 
Dr. v. Rad 1 ) und Dr. Bogner-) über Adamon als Sedativum möchte 
auch ich kurz über meine Erfahrungen mit diesem neuen Mittel be¬ 
richten, die sich aber nur auf ein beschränktes Gebiet erstrecken, näm¬ 
lich das der akuten Gonorrhöe. Besonders bei der frischen Gonorrhöe 
machen ja die Pollutionen und nächtlichen Erektionen oft die heftigsten 
Beschwerden und bedürfen der sorgfältigsten Behandlung, da sie zu den 
unangenehmsten Komplikationen Anlass geben. 

Seit Anfang Mai vorigen Jahres habe ich das Adamon bei 40 Fällen 
von akuter Gonorrhöe angewendet, die mit nächtlichen Erektionen und 
Pollutionen verbunden waren. Da sich 16 Patienten der genauen 
dauernden Beobachtung entzogen, so stehen mir 24 genau beobachtete 
Fälle zur Verfügung, darunter 2 von akuter weiblicher Gonorrhöe, die 
mit starken Reizerscheinungen und gestörter Nachtruhe verbunden wareu. 
Ich liess das Adamon durchweg in Tablettenform nehmen, und zwar in 
folgender Weise: zwei Tabletten von je 0,5 g zwischen 5 und 6 Uhr 
abends, zwei weitere l f 2 Stunde vor dem Schlafengehen, stets mit etwas 
Wasser aufgeschwemmt. Ich möchte vor allem hervorheben, dass die 
Tabletten ausnahmslos gut vertragen wurden und in keinem Falle Auf- 
stossen oder Magenbeschwerden irgendwelcher Art hervorriefeu. In einem 
Falle, io dem ich bereits zahlreiche andere Medikamente verwendet hatte, 
versagte auch das Adamon, es handelte sich dabei um einen sehr starken 
Neurastheniker. In den übrigen Fällen trat bereits in der Nacht nach 
der ersten Anwendung eine wesentliche Verringerung der Beschwerden 
ein. Die oft sehr zahlreichen Erektionen verloren ihre Schmerzhaftigkeit 
und nahmen auch an Zahl ab. Die Patienten, die vor Anwendung des 
Adamons unter heftigen Beschwerden erwacht waren, bekamen ruhigen 
Schlaf. In den ersten Tagen trat manchmal nach dem Erwachen am 
Morgen noch eine Erektion ein, die aber ohne wesentliche Beschwerden 
und von kurzer Dauer war. Bei einer Anzahl der Patienten konnte ich 
trotz noch bestehender Gonorrhöe nach 10—14 tägiger Anwendung das 
Adamon aussetzen, ohne dass neuerdings Beschwerden auftraten, bei 
anderen dagegen stellten sich nach Aussetzen des Adamons die schmerz¬ 
haften Erektionen wieder ein. Gab ich dann wieder das Adamon, so 
trat aber wieder ruhiger Schlaf ein. Auf Grund meiner Erfahrungen 
kann ich daher das Adamon als eine wertvolle Vermehrung unseres an 
solchen Mitteln armen Arzneischatzes empfehlen. 


Neuerungen im Bereiche der preussischen 
Heeressanitätsverwaltung während des 
Jahres 1912. 

Von 

Stabsarzt Dr. Georg Schmidt*Berlin. 

1. Kriegssanitätsdienst und Feldsanitätsausrüstung. 
Während des Balkankrieges sind, um praktische Erfahrungen 
in dem Feldsanitätsdienste sowie in der Kriegschirurgie zu sammeln, 

1) Therapie d. Gegenw., 1912, Nr. 21. 

2) Med. Klinik, 1912, Nr. 2. 


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27. Jannar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


169 


die chirurgisch vorgebildeten Stabsärzte der Kaiser Wilhelms- 
Akademie Dr. Goldammer and Dr. Lotsch, ersterer zam 
griechischen, letzterer zam bulgarischen Heere entsendet. Einen 
Teil der Kosten hat die v. Langenbeck-Stiftung übernommen. 

Von neu erschienenen Dienstvorschriften kommen in Be¬ 
tracht: 

a) Zusammenstellung von militärisch wichtigen, in Genf und 
den beiden Haager Konferenzen beschlossenen Abkommen und 
Erklärungen. Vom 12. Dezember 1911. (Das Haager Abkommen 
über die Gesetze und die Gebräuche des Landkrieges vom 18. Ok¬ 
tober 1907 ist ausserdem als Anlage II in die Felddienstordnung 
anfgenommen worden.) 

b) Transportführervorschrift (Transp. F. V.). Vom 1. Juli 1912. 
(Ersatz für die Ausgabe vom 16. November 1899.) 

c) Behandlung der Sanitätsaasrüstung (Beh. San. A.). Vom 
5. November 1912. (An Stelle der ersten Ausgabe dieser Vor¬ 
schrift. Vom 6. Dezember 1908.) 

d) Verladung des Etappensanitätsdepots (Vlad. Etpsand.). 
Vom 9. Dezember 1912. (Ersatz für die Verladeordnung des 
Etappensanitätsdepots. Vom 29. April 1907.) 

Auch für Unterärzte und Unterapotheker ist jetzt die feld¬ 
graue Uniform festgesetzt worden. 

Den Krankenträgern der Sanitätskompagnie will man eine 
andere Mutze geben, deren Form bei Feldsanitätsübungen erprobt 
wurde. 

Im Mobilmachungsfalle sollen alle Heeresangehörigen gegen 
Pocken wiedergeimpft werden, sofern sie nicht in den letzten vier 
(bisher zwei) Jahren mit Erfolg geimpft wurden. 

In der Beschaffung von Feldküchen für die Sanitätskom¬ 
pagnien und von Feldröntgenwagen für die Etappensanitätsdepots, 
von Acetylenbeleuchtungsgerät für Sanitätskompagnien und Feld¬ 
lazarette, von Lagerungsvorrichtungen für Hilfslazarettzüge, in 
der Bereitstellung des zweiten Verbandspäckchens für jeden An¬ 
gehörigen des Feldheeres, in der Umänderung der Truppenbestecke 
nach den jetzigen chirurgischen Gesichtspunkten wurde fort¬ 
gefahren. In Etappensanitätsdepots werden fahrbare Trinkwasser¬ 
bereiter nunmehr mit Hilfe besonderer Geldmittel eingestellt. 

Im Zusammenhänge mit den Herbstübungen der Truppen 
waren je eine Sanitätskompagnie und der erste Zug eines Feld¬ 
lazaretts diesmal beim VI., VII. und XVII. Armeekorps in An¬ 
wesenheit von Vertretern des Grossen Generalstabes and des 
Kriegsministerinms, Medizinalabteilung, kriegsmässig tätig. Es 
wurden die Gliederung und Verwendung der Feldsanitätsforma¬ 
tionen nach besonderen neueren Gesichtspunkten sowie zahlreiche 
Ausrüstungsstücke erprobt. Dabei ergaben sich, wie in den Vor¬ 
jahren, viele wichtige Erfahrungen. 

Der Reichshaushalt enthält zum ersten Male Mittel zur Unter¬ 
stützung von Vereinen, die Hunde im Aufsuchen von Verwundeten 
ausbilden. 

Im Februar wurde bei starkem Froste versuchsweise in 
Spandau innerhalb von 2—3 Tagen aus den Beständen des dort 
lagernden Etappensanitätsdepots sowie mit beigetriebenem Gerät 
ein Kriegslazarett in Zelten eingerichtet und von Angehörigen 
der verschiedensten Dienststellen, von Delegierten der freiwilligen 
Krankenpflege usw. besichtigt. 

Es werden die veralteten schweren, nur zwei Lagerplätze auf¬ 
weisenden Krankenwagen 72/74 der Sanitätskompagnien durch 
Krankenwagen 95 sowie der Rest der noch mit schweren vier¬ 
spännigen Geräte wagen ausgestatteten und daher weniger beweg¬ 
lichen Feldlazarette durch Feldlazarette mit zweispännigen Geräte¬ 
wagen ersetzt. An Stelle der bisher ungenügenden Bespannung 
werden schwere Zugpferde zunächst für die Infanteriesanitätswagen, 
dann auch für die Sanitätswagen der Sanitätskompagnien und 
Feldlazarette eingefübrt. 

Im Anschluss an die Beratungen einer besonderen, aus erfahrenen 
Sanitätsoffizieren und Militärapothekern zusammengesetzten 
Prüfungskommission fanden die umfangreiche Umgestaltung und 
Anpassung der Feldsanitätsausrüstung an den heutigen Stand der 
ärztlichen und der pharmazeutischen Wissenschaft, auch an das 
neue Deutsche Arzneibuch, sowie an die neuzeitige Krankenpflege 
zum grössten Teil ihren Abschluss dadurch, dass die Neuerungen, 
für das Taschenbesteck 1 ) der Sanitätsoffiziere, für die Sanitäts- 


1) Muster des Taschenbesteckes und entsprechender Behältnisse: 
Georg Schmidt, Feldarzttasche in Fernglasbehälterform. Deutsche 
militärärztl. Zeitschr., 1912, S. 441. — v. Tobold, Sanitätstasche für 
Sanitätsoffiziere. Ebenda, S. 625. — Krause, Die Unterbringung der 
für den Gebrauch im Felde vorgeschriebeneu Arzneimittel und Instru¬ 
mente. Ebenda, S. 629. 


tasche der Sanitätsmannscbaften und der Krankenträger der In¬ 
fanterie usw., für den Sanitätstornister, für die Sanitätspacktasche, 
für den Sanitätskasten, für die Krankentragen tasche, für den In¬ 
fanterie- und für den Kavalleriesanitätswagen, für den Sanitäts¬ 
vorratswagen der Kavalleriedivision, für die Sanitätskompagnie, 
für das Feldlazarett, für den Lazarettzug, für den planmässigen 
Hilfslazarettzug und für das Etappensanitätsdepot bekanntgegeben 
wurden. Diese Neuerungen werden in Grenzen der verfügbaren 
Mittel mit tunlichster Beschleunigung durchgefübrt. Da auch die 
Ausrüstung des Güterdepots der Sammelstation eben erst geregelt 
wurde, erübrigt sich nur noch eine Durchsicht der Ausstattung 
der Festungssanitätsdepots. Mit allen diesen Maassnahmen in 
Verbindung steht dann noch der in Angriff genommene Neudruck 
des Ausrüstungsteiles der „Anlagen zur Kriegssanitätsordnung“ 
(vom 27. Januar 1907) sowie des „Verzeichnisses der für die 
medizinisch-chirurgische Sanitätsausrüstung des Heeres zahlbaren 
Höchstpreise“ (vom 21. Februar 1907). 

Die Hauptpunkte der erwähnten Neuerungen in den Feld¬ 
sanitätsbehältnissen usw. sind: 

Ausmerzung veralteter, Einführung neuerer Instrumente, ins¬ 
besondere bei den Truppen-, Kavallerie-, Haupt-, Sammelbestecken; 
Ersatz des bisherigen Heftpflasters durch im Heeresbetriebe nach 
vielfachen Erprobungen zu allgemeiner Zufriedenheit angefertigtes 
Zinkkautschukpflaster und Zugverband-Kautscbukpflaster; Ein¬ 
führung abgeteilter Borsalbe in Zinnröhren mit Schraubver¬ 
schluss (Selbstherstellung im Heere), von besonders sorgfältig 
geprüftem und aufgefrischtem Narkosecbloroform in 50 g-Flaschen 
mit Zinkleimverschluss, von Pyramidoners&tz-, Urotropinersatz-, 
Veronalersatz-, Tannalbintabletten; zugeschmolzener Glasröhren 
mit gebrauchsfertiger keimfreier Lösung von Coffeinum-Natrium 
salicylicum, Morphinum bydrocbloricum, Scopolaminum bydro- 
bromicum, Suprarenio (1 prom., zu 1 und zu 5 ccm), g-Stropban- 
tinum cristallisatum (das sich, 2 Jahre lagernd, als haltbar er¬ 
wiesen hatte); Unterbringung des Acidum hydrochloricum dilutum 
zu 10 g und des Jods (zum Bereiten frischer Jodtinktur) mit 
Jodkaliumzusatz, sowie des Novocains und des Tropacocains — 
beides mit Snprarenin — als Pulver (zur Bereitung von Lösungen 
zur örtlichen und zur Rückenmarksbetäubung) in zugescbmolzenen 
Glasröhren; Verzicht auf zurzeit weniger übliche Arzneimittel 
oder Herabsetzung ihrer Menge; Beigabe sonstiger bewährter 
neuerer oder zurzeit mehr gebräuchlicher Arzneimittel, z. B. auch 
von Liquor Albuminii acetico-tartarici, der, 2 Jahre lagernd, halt¬ 
bar war; Anbringung von Inhaltsverzeichnissen, zum Teil auch 
von Umrisszeicbuungen in allen Behältnissen, Bestecken usw.; 
Beigabe von je zwei gedruckten Packordnangen an jeden Sani- 
täts-, Pack-, Gerätewagen. Eine verbesserte „Einheits“-Harn- 
röhrenspritze, Haarschneidemaschinen, eiserne Fussteller — an 
Stelle hölzerner — und Pfahlheber — an Stelle der Klauenhebel 
— zum Verbindezelte 06 der Saoitätskompagnie, neue Muster 
des Harnglases (Ente) und des Nachteimers mit zusammenleg¬ 
barem Gestelle wurden eingeführt. Der grosse Reagentienkasten 
des Korpsstabsapothekers beim Korpsarzte und beim Etappenarzte 
erhielt nach dem neuen Deutschen Arzneibuche die zum Unter¬ 
suchen der Arzneimittel auf Reinheit erforderlichen Reagentien, 
sowie die Geräte für maass- und gewichtsanalytische Prüfungen, 
zum Teil in einem besonderen Wagenkasten. 

Die Sanitätstaschen der unberittenen Sanitätsmannschaften 
and der Krankenträger der Infanterie U9w. bestehen io Zukunft 
aus naturfarbenem Leder. 

Das für das Feld vorgeschriebene Verfahren der Dampf¬ 
sterilisierung der in Filterpapier und Schutztaschen paarweise 
verpackten Operationsgummihandschuhe erwies sich bei der 
bakteriologischen Nachforschung als einwandfrei. 

Zur weiteren Vereinheitlichung und zeitgemässen Verbesse¬ 
rung der verschiedenen Spritzenmuster sind auskochbare und 
nicht auskochbare Spritzen zu 1 ccm und „Einheits“-0hren8pritzen 
im Versuche. 

Ob eine andere Trageweise des Thermometers der Sanitäts¬ 
mannschaften mehr Vorteile bietet, wird geprüft. 

Neue Nadelkästcben und Beckenbänkchen, „Einheits“-Bein- 
schienen, Tafeln für den Hauptverbandsplatz, Haltbarkeit der 
Truppenbesteckkästeo, Leinenbeutel mit Putzlappen für Bestecke, 
Auslöscherlöffel für den Spiritusbrenner des Feldsterilisiergerätes, 
Eisbeutel aus dunklem Stoffe mit Schraubverschluss, Ergänzungen 
des Werkzeugkastens für Bebelfsarbeiten, neue Sanitätsverband¬ 
zeuge und Sanitätstornister, eine Abänderung der elastischen Binde, 
die Umhüllung der Verbandpäckchen, auch Verbandpäckchen in 
Pappschachteln, der Mastixverband nach v. Oettingen, Knochen- 


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1T0 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 4. 


brucb-Distraktionsklammern nach Hackenbruch, Operations- 
tücher von Köper (statt von Schirting), Verbesserungen an den 
Kavalleriesanitätspacktaschen und an den kleinen Reagentien- 
kästen für Wasseruntersuchungen, das Keimfreimachen der Ope¬ 
rationsgummibandschuhe mit 5 proz. Schwefelsäure nach Arnd 
und Rusca, Chlorkresoltabletten „Grotan“ als Carbolsäureersatz, 
Formaldehyd-Schiebedosen mit Paraffin verschloss, Seideröhrchen 
mit Lackverschluss, Kästchen für die in den Krankentragentaschen 
statt der Essigsäure eingefübrten Weinsäuretabletten, Kranken¬ 
tragen als Schleifbahren, neue Cylinderlaternen für den Feld- 
apothekerdienst, das Acetylen- und sonstige Beleuchtungsgerät, 
verwendungsbereite und schützende Packung der Wäsche nach 
Betteinbeiten auf den Feldlazarettgerätewagen, Verbesserungen 
im Handhaben des Verbindezeltes 06, Fleischbackmaschinen, 
Aluminiumesslöffel, zweckmäßigere Leibbinden, aufrollbare Zeit¬ 
pläne am Krankenwagen, der Ersatz der gewöhnlichen Handtücher 
durch feine wurden erprobt. 

Weitere Versuche erstrecken sich darauf, inwieweit die 
Acetylenentwickler des Beleuchtungsgeräts der Feldsanitätsforma- 
tionen sowie die in Glasröhren eingeschmolzenen gebrauchs¬ 
fertigen Arzneilösungen der Feldbebältnisse Winterkälte ver¬ 
tragen. 

Für den Sanitätskasten wird ein leichteres, handlicheres 
Muster erwogen. Die Angelegenheit einer Einheitsschiene schwebt 
noch. 

Die Annahme der vielfach erprobten „Einbeits u -Krankentrage 
steht unmittelbar bevor. 

Als für den deutschen Heeressanitätsdienst nicht geeignet er¬ 
wiesen sich die Riggenbach’sche Rollbahre, die von Gocbt 
empfohlenen Papierstoffbinden, gelochte Aluminiumscbienen, 
Blecher’s Spiralschlauch, Nicolai’s Messingdrahtbinde, Henle r s 
Spiraldrahtleinenbinde — sämtlich für Blutleere —. Doch wird 
die Henle’sche Binde noch weiter versucht. 

Ein Teil der obigen arzneilichen Neuerungen fusst auf den 
Ergebnissen einer Sitzung (9. Januar 1912), in der der Wissen¬ 
schaftliche Senat bei der Kaiser Wilhelms-Akademie darüber 
beriet, welche Arzneimittel für die Anregung der Herztätigkeit 
(Digitalis-, Strophantus- usw.-Präparate) sich nach dem heutigen 
Stande der Wissenschaft für die Sanitätsausrüslung eignen, und 
in welcher gebrauchsfertigen Form sie insbesondere in das Feld 
mitgefübrt werden können. 

Die Aufbewahrungsräume der Lazarette für Truppensanitäts- 
ausrüstnng dürfen unter sorgfältiger Sicherung gegen Feuersgefahr 
in Zukunft mit Beleuchtungseinrichtungen (Gas, Elektrizität) ver¬ 
sehen werden, die ein Arbeiten auch während der Dunkelstlinden 
gestatten. 

2. Fortentwicklung des Sanitätskorps im Frieden. 

Für das Sanitätskorps bedeutsam war, dass am 15. März 1912 
Seine Majestät der Kaiser die Kaiser Wilhelms-Akademie besuchte, 
um einen Vortrag Seiner Exzellenz des Generalstabsarztes der 
Armee von Schjerning entgegenzunehmen, sowie dass am 
24. Oktober 1912 die Kaiserin, die Kronprinzessin, die Prinzessinnen 
Eitel Friedrich und Viktoria Luise erschienen, um, geführt vom 
Herrn Generalstabsarzt, in der Akademie, im Garnisonlazarett II 
Berlin und im Traindepot des Gardekorps dort lagernde Feld¬ 
sanitätseinrichtungen oder Sammlungsgegenstände zu besichtigen. 

Vom 15. bis 27. Juli 1912 waren wieder Generalärzte uud 
Generaloberärzte zu einem Fortbildungskurse nach Berlin kom¬ 
mandiert. 

Sanitätsoffiziere haben, falls sie im Bereiche der Militärluft¬ 
fahrt Schaden leiden, auf die Wohltaten der Kaiser Wilhelm- 
Luftfahrerstiftung Anspruch, nehmen in Berlin zusammen mit 
Offizieren und Unteroffizieren an Kochlebrgängen teil, stehen der 
hinfort durch Sanitäts- und sonstiges Heeresunterpersonal auszu¬ 
führenden Desinfektion militärischer Räume vor. 

Die Vorstände (Militärapotheker) der chemischen Abteilungen 
der hygienisch-chemischen Untersucbungssfellen am Sitze des Sani, 
tätsamtes unterrichten Offiziere und obere Beamte der Bekleidungs¬ 
ämter in der Leder-, Leinen- usw. Prüfung. 

Die Kaiser Wilhelms Akademie umfasste am 1. April 1912 
10 Halbjahrsabteilungen zu je 41 Studierenden für das Heer und 
je 6 für die Marine, d. b. 470 Studierende. Die Zahl um weitere 
100 zu vermehren ist beabsichtigt. 

Infolge der Heeresverstärkung und -neugliederung traten 
zahlreiche Sanitätsoffizier- und Militärapothekerstellen hinzu. Von 
den wichtigeren Neuerungen seien erwähnt: die 5. Sanitätsinspektion 
in Danzig mit einem Obergeneralarzt an der Spitze, das General¬ 


kommando des XX. Armeekorps in Allenstein and des XXL Armee¬ 
korps in Saarbrücken mit Korpsarzt (Generalarzt) und Korpsstabs- 
apotbeker, Sanitätsamt, Sanitätsdepot, hygienisch-chemischer Unter¬ 
suchungsstelle, die 41. Division in Deutsch-Eylau und die 42. Divi¬ 
sion in Saarburg mit Divisionsarzt (Generaloberarzt) und hygieni¬ 
scher Untersuchungstelle. 

Infolge Errichtung der 5. Sanitätsinspektion bat sich die 
Zuteilung der Sanitätsämter zu den Sanitätsinspektionen geändert. 

Im preussischen und im württembergischen Sanitätskorps 
werden Sanitätsoffiziere regelmässig ausgetauscht. 

Für die Uebungen des Beurlaubtenstandes sind die Gebühr¬ 
nisse erhöht worden, so das Uebungsgeld für Ober-, Assistenz- 
und Unterärzte, der Ober- und Unterapotheker. Einjährig-freiwillige 
Aerzte erhalten auf Märschen und in der Ortsunterkunft Feld¬ 
webelquartier. 

Braune Schnürschuhe und Gamaschen, mit und ohne An¬ 
schnallsporen, sind erweitertem Maasse gestattet worden. 

Die Stellen für Sanitätsfeldwebel bei grossen Garnisonlazaretten, 
für Sanitätsunteroffiziere bei einzelnen Sanitätsämtern und bei dem 
Militärkurhause Landeck i. Scbles., für Militärkrankenwärter in 
Garnisonlazaretten wurden vermehrt. 

An der Erhöhung der Mannschaftslöhnung nehmen auch die 
Sanitätsmannschaften und Militärkrankenwärter teil. 

Das Pflegepersonal der Lazarettabteilungen für Geisteskranke 
erhält Löbnungszuscbüsse. 

3. Friedenslazarett-und Krankenpflegedienst. Friedens- 
sanitätsausrüstung. 

Von neu herausgegebenen Dienstvorschriften beziehen sich 
auf den Sanitätsdienst: 

a) Der Personenkraftwagen der Heeresverwaltung. Vom 
18. Mai 1912. (Mit Bezugnahme auf die Heeres-Krankenkraft¬ 
wagen.) 

b) Vorschrift für das Fechten auf Hieb und Stoss. (Gültig 
für Offiziere aller Waffengattungen.) Vom 22. Februar 1912. 
(Neue Geräte zum Schutze gegen Verletzungen.) 

c) Turnvorschrift für die berittenen Truppen (Turnv. f. Beritt.). 
Vom 17. Oktober 1912. Entwurf. (Freiere Erweiterung des 
Turnens und Spielens.) 

Die auch für den Friedensbetrieb sehr wichtige Vorschrift: 
Behandlung der Sanitätsausrüstung, vom 5. November 1912, wurde 
bereits unter 1. erwähnt. 

Die Krankenlöbnung ist entsprechend der Verbesserung der 
Mannschaftslöhnung erhöht worden. 

Die Chefärzte der Lazarette stellen fortan für die im letzteren 
verstorbenen Personen die zu einem Leichenpasse über Preussens 
Grenzen hinaus erforderliche Bescheinigung über die Todesursache 
usw. aus, was bisher den Kreis- und Gerichtsärzten Vor¬ 
behalten war. 

Neu- und Erweiterungslazarettbauten sind fertiggestellt in: 
Coblenz, Saarbrücken, Schrimm, Wiesbaden, Helsa (Genesungs¬ 
heim für das X. und XL Armeekorps). 

In Ausführung befinden sich reiebseigene Neu- und Erwei¬ 
terungslazarettbauten in: Darmstadt, Gera, Metz III, Trier, 
Wreechen, Wünsdorf, Ohrdruf, sowie Mietbauten in: Heide, 
Pr. Stargard, Swinemünde. 

Die in diesem Jahre ausgeführte und weiter fortdauernde 
Heeresverstärkung führte zu einer Erweiterung der Krankenunter¬ 
kunft in vielen alten und neueren Standorten sowie zur Errich¬ 
tung der oben erwähnten Sanitätsämter, Sanitätsdepots, hygienisch- 
chemischen und chemischen Untersuchungsstellen, 

Zu den fachärztlich geleiteten, für mehrere Armeekorps be¬ 
stimmten Geisteskrankenabteilungen der Garnisonlazarette Posen 
und Strassburg 1 gesellte sich eine 3. Abteilung im Garnison¬ 
lazarett Mainz. 

Sonstige Sonderabteilungen, insbesondere die Lazarettabtei¬ 
lungen für Zahnkranke, erfuhren weitere Ausgestaltung. 

In der Kaiser Wilhelms-Akademie werden die bisherigen 
reichhaltigen Sammlungen ergänzt durch ein pathologisch - ana¬ 
tomisches Museum, das aus allen Lazaretten usw. beschickt werden 
soll. Die physikalische Abteilung des Medizinischen Unter¬ 
suchungsamtes der Akademie untersuchte, auch im Vergleiche 
mit Präparaten von Menschenaffen, die von Hauser gefundenen 
Menschenknochen aus der Moustärien- und Aurignaczeit mit 
Röntgenstrablen. 

Wieder erhielten mehrere Standorte bespannte Krankenwagen. 
Hierfür wurden nicht mehr kriegsbrauchbare Krankenwagen 72/74 


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27. Januar 1013. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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der Feldsanitätsformationen umgebaut. Die Vermehrung der 
Kranken kraft wagen ist im Gange. 

Bei einigen Lazaretten ist, zunächst versuchsweise, die Selbst¬ 
bewirtschaftung in der Verpflegung mit Bauschsummen angeordnet 
worden. 

Fflr Hilfeleistungen bei Leichenöffnungen und sonstigen 
Arbeiten im Leichenhause hat das Sanitätsunterpersonal Schürzen 
und Aermel von wasserdichtem Unterlagenstoff erhalten. 

Eingeführt wurden verbesserte stellbare Krücken, Sauerstoff- 
atmung8geräte in grösseren Lazaretten, Metallsockenhalter an den 
Lazarettbetten (an Stelle von Strumpfnetzen). 

Ob es zweckmässig ist, auf Märschen Hitzschlagkranken 
Nebennierenmittel zu verabreichen, wurde weiterhin geprüft. 

Erprobungen des Demosirrigators der Thermos-Aktiengesell- 
schaft, des Dölger’schen Stimmgabelerregers, von Fango ver¬ 
schiedener Herkunft, neuer Lazarettkrankeokleidung, von Bade¬ 
mänteln aus Kräuselstoff, zweckmässiger Augensalbengrundlagen 
fanden statt. 

Infolge zweifelloser Erfolge, die im Gardekorps bei der Be¬ 
handlung der Krätze mit Schwefelsalben erzielt wurden, ist all¬ 
gemein auf dieses anscheinend dem Perubalsam an Wirkung 
gleichwertige, aber erheblich billigere Mittel hingewiesen und zu 
Vergleichsprüfungen aufgefordert worden. Andererseits wurde 
eine Umfrage nach den Ursachen des seit 1900/1901 ständig 
steigenden Zuganges an Krätzekranken eingeleitet. 

Die Fürsorge für erkrankte Unteroffizierangehörige wird fort¬ 
gesetzt erweitert. Sie dürfen, auch wenn sie auswärtigen Stand¬ 
orten aogehören, unter gewissen Bedingungen auf den Lazarett¬ 
abteilungen für Zahnkranke behandelt werden. 

Die unter der unablässigen, warmherzigen Fürsorge des Herrn 
Generalkonsuls Mappes-Frankfurt a. M., sowie des Herrn und 
der Frau Fabrik- und Apothekenbesitzer Schering-Berlin stehen¬ 
den Frauen- und Kindergenesungsheime in Schloss Idstein, Taunus, 
und Seeheim Osternothafen bei Swinemünde, dieses als Ein¬ 
richtung der unter dem Vorsitze Ihrer Exzellenz der Frau General¬ 
stabsarzt v. Scbjerning stehenden Abteilung X des Volksheil¬ 
stättenvereins vom Roten Kreuz, werden immer mehr von An¬ 
gehörigen der Unteroffiziere in Anspruch genommen. 

Die neuzeitlichen Bestrebungen in der Säuglingspflege werden 
planmässig auch auf Unteroffizierfamilien ausgedehnt. 

4. Gesundheitsdienst. 

Der Wissenschaftliche Senat bei der Kaiser Wilhelms-Akademie 
beratschlagte am 9. Januar 1912 über die während des Sommers 
und des Herbstes 1911 beim Heere beobachteten Seuchen- 
ginge an y-Ruhr, sowie am 16. Juli 1912 über die Regelung der 
Schotzpöckenwiederimpfung der Truppen bei Beginn eines Feld- 
zages und die Verwendung von Speisefetten bei der Ernährung 
der Soldaten. 

Infolge des häufigen Vorkommens von Ruhr auf Truppen¬ 
übungsplätzen sind eingehende bakteriologische Nachforschungen, 
u. a. nach Keimträgern, auch in der bürgerlichen Umgebung 
angeordnet worden. Sie sollen planmässig auch in seuche¬ 
freien Zeiten ausgeführt werden. Auch im übrigen sind die 
Vorschriften für den Gesundheitsdienst auf Truppenübungsplätzen 
zeitgemäss erneuert worden. 

Die Desinfektion militärischer Räume und Gebäude, die bis 
jetzt meist vertraglich privaten Gesellschaften übertragen war, 
wird in Zukunft unter Aufsicht von Sanitätsoffizieren von Sanitäts¬ 
und sonstigem Unterpersonale des Heeres ausgeführt, was den 
Vorteil grösserer Sicherheit sowie der Verbilligung hat und neue 
Ausbildungsgelegenheiten schafft. 

Im medizinischen Untersuchungsamte (physikalische, chemisch- 
pbarmakologiscbe, hygienisch-bakteriologische Abteilung) der 
Kaiser Wilhelms-Akademie sowie in den hygienisch-chemischen 
Ontersuchungsstellen bei den Sanitätsämtern am Sitze der General¬ 
kommandos wurden — zum Teil in Verbindung mit praktischen 
Erprobungen im Truppensanitäts- und im Lazarettdienste — unter 
anderen folgende Fragen geprüft: Steigerung der Haltbarkeit der 
Pockenschutzlymphe bei Wahrung ihrer Wirksamkeit, Ersatz der 
Garbolsäure durch Chlorkreosoltabletten „Grotan“, wirksame Des¬ 
infektion tuberkulös verseuchter Räume mit den neueren Formal- 
debydverfahren, Staubmasken für Kraftfahrpersonal, bakterio¬ 
logische Trockennährböden, Keimgehalt und Schutzhüllen der 
Verbandpäckchen, Quecksilbercyanid und Quecksilberoxycyanid 
als Snbliroatersatz bei der Desinfektion, Liermann’s Haut- 
deginfektion and Wundversorgung mit Bolusseife und Boluspaste, 


physikalisch-pharmakologische Brauchbarkeit des Noviforms als 
Jodoformersatz, Zuverlässigkeit der Dampfsterilisation der Ope¬ 
rationshandschuhe, Zweckmässigkeit ihrer Sterilisation mit 5 proz. 
Schwefelsäure nach Arndt und Rusca, Nachprüfung von Honig, 
Speisefetten und Speiseölen usw. (Entwürfe des Reichs-Gesund¬ 
heitsamtes). Bei den chemischen Abteilungen der eben erwähnten 
hygienisch-chemischen Untersuchungsstellen werden in Zukunft 
alle 2 Jahre Offiziere und obere Beamte der Bekleidungsämter 
in Prüfungsverfahren ausgebildet, die für den Betrieb dieser 
Aemter wichtig sind (Leinen-, Tuch-, Lederuntersuchung usw.). 

Der Fettanteil in der Verpflegung der Militärgefangenen wurde 
erhöht. 

Den bei den verschiedenen Truppen beobachteten Vergiftungen 
nach Verwendung von Seefischen in der Mannschafts Verpflegung 
sowie den immer wiederkehrenden, anscheinend häufig durch 
y-Bacillen träger, auch der Zivilbevölkerung, verursachten Ruhr¬ 
seuchen auf Truppenübungsplätzen widmete man besondere Nach¬ 
forschungen. Die Veröffentlichung der Ergebnisse steht noch aus. 

Die Hilfeleistung bei Hitzschlagfällen ist durch Deckblätter 
zur „Belehrung über Hitzschlag und Erfrierung“ neuzeitlich ge¬ 
regelt worden. 

5. Heeresersatz, Entlassung und Versorgung. 

Die „Pensionierungsvorschrift für das preussische Heer (P. V.), 
vom 16. März 1912“ trat an die Stelle des Entwurfes vom 

4. August 1906. 

Ara 23. November 1912 beriet der Wissenschaftliche Senat 
bei der Kaiser Wilhelms-Akademie nach Referaten von Kraus, 
Landgraf, Keitel, Bonhoeffer über die Beziehungen zwischen 
Dienstunfähigkeit und Dienstbeschädigung einerseits, Arteriosklerose, 
Tabes dorsalis, Paralysis progressiva andererseits. 

Die Ergebnisse des Heeresergänzungsgescbäftes 1911 finden 
sich in den vom Kaiserlichen statistischen Amte herausgegebenen 
Vierteljabrsheften zur Statistik des Deutschen Reiches, 1912, H. 4, 

5. 244. 

Von den sich zum Dienste bei den Schutztruppen meldenden 
Heeresangehörigen werden die Oberklassen allgemein, die Unter¬ 
klassen in zweifelhaften Fällen nunmehr in Berlin auf Tropendienst¬ 
fähigkeit untersucht. 

Auf das für militärische Luftfahrer erlassene Fürsorgegesetz 
wurde bereits bingewiesen. 

Stabsarzt Hetsch veröffentlicht eine „NachWeisung derjenigen 
Leute, welche im Jahre 1911 im Bereiche der Königlich preussischen 
Armee, des XII. und XIX. (I. und II. Königlich Sächsischen) 
Armeekorps bei militärärztlichen Untersuchungen als der Ein¬ 
leitung eines Heilverfahrens bedürftig ermittelt worden sind“. 
Hiernach hatten 7945 eine Behandlung nötig, 353 lehnten es ab, 
den bürgerlichen Behörden usw. hierzu namhaft gemacht zu 
werden, 4073 nahmen die Behandlung an. Sie hatte in 2485 Fällen 
Heilung oder Besserung zur Folge. 

Nach Ministerialverfügungen, die bisher nur in Württemberg, 
Hessen, Oldenburg, Eisass-Lothringen noch nicht ergangen sind, 
teilen die Gemeinden und die Leiter staatlicher Erziehungs¬ 
anstalten im Januar jedes Jahres dem Zivilvorsitzenden der Ersatz¬ 
kommissionen, in deren Bezirken sich minderjährige Fürsorge- 
und Zwangszöglinge befinden, zutreffendenfalls mit, dass bei diesen 
der Irrenarzt geistige Minderwertigkeit festgestellt hat. 

6. Statistik. 

Es erschien: Sanitätsbericht über die Königlich Preussische 
Armee, das XII. und XIX. (1. und 2. Königlich Sächsische) und 
das XIII. (Königlich Württembergische) Armeekorps für den Be¬ 
richtszeitraum vom 1. Oktober 1909 bis zum 30. September 1910. 
Bearbeitet von der Medizinalabteilnng des Königlich Preussischen 
Kriegsministeriums. (B. S. Mittler & Sohn, Berlin.) 

Ein vorläufiger Jahreskrankenrapport über vorstehende 
Heeresteile für das Berichtsjahr vom 1. Oktober 1910 bis 
30. September 1911 wurde in der Deutschen militärärztliqhen 
Zeitschrift, 1912, S. 219, bekanntgegeben. Hiernach betrugen 
bei einer Kopfstärke von 552940 der Krankenzugang in Lazarett 
und Kaserne 589,1 pM. (im Vorjahre 563,8 pM.) und starben 
(innerhalb militärärztlicher Behandlung) 720 = 1,5 pM. (im Vor¬ 
jahre 604 = 1,9 pM.). Insgesamt starben 1071 = 1,9 pM. der 
Kopfstärke, d. b. um 0,2 pM. mehr als im Vorjahre; an der 
Steigerungsindalle Ursachen, Krankheiten, Unglücksfälle, Selbst¬ 
morde beteiligt. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 4. 


7. Sonstige Veröffentlichungen. 

Die vom Kriegsministerium, Medizinalabteilung, heraus¬ 
gegebenen „Veröffentlichungen aus dem Gebiete des Militärs&oitäts- 
wesens“ (A. Hirschwald, Berlin) wurden fortgesetzt durch 

Heft 50. W. Haberling, Sonnenbäder. 

Heft 51. Landgraf und Kraus, Ueber Sauerstoffatmungs¬ 
geräte im Heeressanitätsdienste. Berichte, erstattet am 11. No¬ 
vember 1911 in der Sitzung des Wissenschaftlichen Senats bei 
der Kaiser Wilhelms-Akademie für das militärärztliche Bildungs¬ 
wesen. 

Heft 52. Arbeiten aus den hygienisch-chemischen Unter¬ 
suchungsstellen. Zusammengestellt in der Medizinalabteilung des 
Königlich Preussischen Kriegsministeriums (Arbeiten von Strunk, 
Amort, Rothe, Biernath, Crato, Budde). 

Heft 53. Otto Holbeck, Die Schussverletzungen des 
Schädels im Kriege. Beobachtungen und Erfahrungen während 
des russisch-japanischen Krieges 1904/1905. 

Bearbeitet werden zusammenfassende Veröffentlichungen über 
„Kraftwagen im Heeressanitätsdienste u , über „die antiseptische 
und die aseptische Durchtränkung der Verbandstoffe (Sublimat 
und seine Ersatzmittel)“ sowie über „Krankentragen, insbesondere 
die neue Eiuheitskrankentrage“. 

In der Bibliothek v. Coler-v. Scbjerning (A. Hirsch¬ 
wald, Berlin) kamen hinzu 

Band XXXIV. H. Bischoff, W. Hoffmann, H. Sch wie- 
ning, unter Mitwirkung von H. Findel, H. Hetsch, K. H. Kut¬ 
scher, 0. Martineck, B. Möllers, Lehrbuch der Militär¬ 
hygiene. IV. Band. Infektionskrankheiten und nicbtinfektiöse 
Armeekrankheiten. 

Band XXXVI. Karl Wezel, Robert Koch. Eine bio¬ 
graphische Studie. 

Ferner erschien: Walter v. Oettingen, Leitfaden der prak¬ 
tischen Kriegschirurgie. (Th. Steinkopf, Dresden und Leipzig.) 

In Virchow’s Jahresbericht der gesamten Medizin, 1911, 
2. Band (A. Hirschwald, Berlin) bearbeiteten A. Köhler: „Kriegs¬ 
chirurgie“, F. Paalzow: „Militärsanitätswesen, Armeehygiene und 
Armeekrankbeiten“. 

Weitere fach wissenschaftliche Mitteilungen finden sich in der 
„Deutschen militärärztlichen Zeitschrift“ (mit Roth’s Jahres¬ 
bericht) und im „Militär-Wochenblatt“ (E. S. Mittler & Sohn, 
Berlin) sowie in den regelmässigen Buch- und Zeitschriften¬ 
besprechungen dieser Wochenschrift. 

8. Freiwillige Krankenpflege. 

Seine Majestät der Kaiser genehmigte eine neue Felduniform 
für Delegierte der freiwilligen Krankenpflege. Die seit mehreren 
Jahren zu Berlin stattfindenden Ausbildungskurse für Delegierte 
der freiwilligen Krankenpflege erfreuen sich einer stets wachsen¬ 
den Beliebtheit. Am letztjährigen Kurse (5.-9. Februar 1912) 
nahmen ausser den beteiligten Dienststellen 178 Delegierte, An¬ 
gehörige der Johanniter- und Malteserritterorden sowie der Ver¬ 
eine vom Roten Kreuz teil. Bei der Dienststelle des Kaiserlichen 
Kommissars und Militärinspekteurs der freiwilligen Krankenpflege 
wurden an Stelle des bisherigen vertraglich angenommenen Ge¬ 
schäftszimmerpersonals zwei hinzugekommene Beamte (ein Ge¬ 
heimer Kanzleisekretär und ein Kalkulator) des Kriegsministeriums 
eingestellt. 

ln der Kaiserparade zu Berlin am 1. September 1912 standen 
3450 Mitglieder der Sanitätskolonnen vom Roten Kreuz. 

Das Deutsche Rote Kreuz beteiligte sich an der Verwundeten- 
fürsorge im italienisch-türkischen und im Balkankriege durch 
mehrere Entsendungen von Aerzten und Pflegepersonal und von 
Sanitätsmitteln. 

Es erschien: Anhalt für die Einrichtung und den Betrieb 
von Verband- und Erfrischungsstellen durch Vereinigungen des 
Preussischen Roten Kreuzes (Verband- und Erfrischungsstellen- 
Anhalt). Herausgegeben vom Centralkomitee des Preussischen 
Laudesvereins vom Roten Kreuz. Berlin, 1. Dezember 1912, 
Norddeutsche Buchdruckerei und Verlagsanstalt. 

Seine Majestät der Kaiser verlieh am 16. März 1912 den 
Schwestern, Hilfsschwestern und Helferinnen der Vereine und 
Mutterhäuser im Bereiche des Preussischen Landesvereins vom 
Roten Kreuz und des Vaterländischen Frauen Vereins in Preussen 
einheitliche Diensttrachten, die sich an die schon früher Aller¬ 
höchst genehmigte Kleidung der in den Garnisonlazaretten tätigen 
ArmeescbWestern anlehnen. 

Die „Bestimmungen über die Ausbildung von Helferinnen 
und Hilfsschwestern vom Roten Kreuz vom 2. Juli 1908“ wurden 


von dem Zentralkomitee des Preussischen Landesvereins vom 
Roten Kreuz und dem Haupt Vorstände des Vaterländischen Frauen¬ 
vereins am 27. Januar 1912 neu herausgegeben. Die Ausbildung 
ist vertieft worden. 


Bücherbesprechungen. 

Paal Höckeidorf: Der Kehlehydratstoffwechsel aad die ianere 
Sekretion. Berlin 1912, Verlag August Hirschwald. 2,40 M. 

Die Monographie Höckendorfs ist eine lesenswerte Studie, in der 
unter Berücksichtigung der neuesten Ergebnisse der experimentellen 
Erforschung der mit der inneren Sekretion in Beziehung stehenden Drüsen 
von einheitlichem Gesichtspunkte aus versucht wird, den Ablauf des 
Kohlebydratstoffwechsels zu erklären und darzustellen. Im Wesen einer 
solchen Arbeit liegt es begründet, dass der Verfasser zur Konstruktion 
des Gesamtbildes eine theoretische Verbindung der vorhandenen Einzel¬ 
tatsachen, wie sie das Experiment zutage gefördert hat, geben muss. 
Aus einer solchen Betrachtung fliessen dann neue Probleme und speziell 
auch neue Fragestellungen, die durch die Experimentalforschung lösbar 
sind. Insofern bietet die vorliegende Schrift auch vielfältige Anregung 
demjenigen, der selbst auf den behandelten Gebieten im Laboratorium 
tätig ist. Besonders gelungen scheint mir das Kapitel über die nervösen 
Beeinflussungen des Kohlebydratstoffwechsels; ihm schliessen sich an 
die Kapitel über die Zuckerbildung aus Eiweiss und Fett, die Bedeutung 
der Thyreoidea für die Eiweissspaltung, der Hypophysis für die Fett¬ 
spaltung u. s. f.; und den Beschluss des Buches bildet die Theorie des 
Diabetes mellitus, bei der der Verfasser von der Naunyn’sohen Lehre 
von der Dyszoamylie ausgeht. Bickel. 


K. Timm: Ueber Aastalts- nid Hansklirtilagen. Ein Beitrag zur 
Abwässerbeseitigungsfrage. Zweite, vermehrte Auflage. Mit 61 Ab¬ 
bildungen im Text. Berlin 1913, Verlag von August Hirschwald. 
Gross 8°. 88 S. Preis: geheftet 2,60 M. 

Zu den Obliegenheiten des leitenden Arztes einer Krankenanstalt, 
eines Genesungs- oder Erholungsheims gehört nicht bloss die Mitwirkung 
bei der Auswahl und Einrichtung der Abwässerbeseitigung und -behand- 
lung, sondern auch die ständige Beaufsichtigung des Betriebes. Voraus¬ 
setzung dabei ist die Kenntnis dessen, was gegenwärtig auf diesem Ge¬ 
biete geleistet wird, und was deshalb verlangt werden kann, zumal da 
hier nicht ein Schema zur Anwendung kommen darf, sondern da es sich 
darum bandelt, das gerade für die besonderen Verhältnisse des einzelnen 
Falles passendste Verfahren herauszufinden und mit möglichst geringen 
Kosten die erforderliche Reinigung zu erreichen. 

Als ein vortrefflicher Helfer und Ratgeber hierbei ist das oben ge¬ 
nannte kleine Werk von Thumm zu empfehlen. Wie sehr es dem vor¬ 
handenen Bedürfnis entspricht, ist daraus zu ersehen, dass schon nach 
einem Jahr eine neue Auflage notwendig geworden ist. 

Ohne auf technische Einzelheiten einzugehen, erörtert es zunächst 
die Grundlagen der Abwasserbehandlung überhaupt, die sich von der der 
Anstalten und Häuser im Wesen nicht unterscheidet. Es betrachtet die 
Art, die Menge, die Zusammensetzung der Abwässer, ihre Ableitung und 
in einem besonderen Abschnitt ihre Desinfektion. Dann werden die 
Reinigungsverfahren besprochen, und swar zuerst die mechanischen 
(Rechen- und Absitzanlagen) und die mit chemischen Mitteln arbeitenden 
(Kohlebreiverfahren), dann die biologischen, bei welchen Faulanlagen, 
Fischteichanlagen, künstliche biologische (Füllkörper, Tropfkörper) und 
natürliche biologische Anlagen (die verschiedenen Arten der Berieselung) 
unterschieden werden. Ein eigener Abschnitt ist der getrennten Schlamm¬ 
faulung (Emscherbrunnen, Travisbecken) gewidmet. 

Die neue Auflage bringt ausser Erweiterungen mancher Kapitel und 
einer Vermehrung der Abbildungen am Schluss noch ein alphabetisches 
Verzeichnis und eine kurze Kennzeichnung von 65 Abwässerreinigungs¬ 
verfahren und erleichtert durch ein Namen- und Sachregister die Mög¬ 
lichkeit, schnell über bestimmte Fragen Auskunft zu erhalten. 

Globig- Berlin. 


Karl Sndhoff: Graphische aad typographische Erstlinge der Syphilis- 
literatar aas den Jahren 1495 and 1496. Grossfolio. 24 Tafeln, 
28 Seiten Text. München 1912, Verlag von Carl Kuhn. 

Hier liegt mehr vor als ein Stoss verstaubter Blätter und Bilder 
zur Geschichte der Syphilis. Hier dräogt sich in einem Spiegel ein be¬ 
wegtes Bild aus dem politischen, sozialen und geistigen Leben Europas 
um das Jahr 1495. Hier werden Stimmen des Kaisers Maximilian und 
seiner Räte vom Wormser Reichstage laut, dräuen Ahnungen dunkler 
Geheimwissenschaften, klagen Gebete zu himmlischen Fürsprechern in 
der schweren Not der Zeit, schwer durch äussere und innere Kriege, 
schwer durch Unsitte und Aberglauben, schwer durch Willkür und 
Widersetzlichkeit, schwer durch Eigennutz, Teuerung und Krankheiten, 
schwer durch das Bangen vor einer neuen furchtbaren Seuche, deren 
Herankommen von Astrologen verkündet worden war, und deren Eintreffen 
durch einen kaiserlichen Erlass versichert wird. 

Diese Seuche wurde damals die bösen Blattern, auch die Franzosen, 
benannt. Ueber ihre Entstehung hat sich zu Ende des fünfzehnten und 
zu Anfang des folgenden Jahrhunderts eine Legende gebildet, die etwa 
folgendermaassen_ lautet: Im Jahre 1494 entstand für Europa eine bis 


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27. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


173 


dahin unbekannte grosse Gescblechtspest, die von den neuentdeckten 
Inseln Westindiens durch Begleiter des Columbus nach Spanien gebracht, 
von hier ein Jahr später durch ausgestossene Juden nach Neapel ge¬ 
tragen, unter den französischen Belagerern Neapels ira Jahre 1495 mit 
entsetzlicher Wut sich verbreitete und von ihnen über Italien und weiter¬ 
hin über Europa verschleppt wurde. In den grossen Städten Mailand, 
Paris, London wurde sie durch geschlechtliche Ansteckung weiter ver¬ 
vielfältigt und von hier aus in kurzer Zeit über ganz Europa und alle 
mit den damaligen Kulturstaaten in Verkehr stehenden östlichen Länder 
bis zum fernen China verbreitet. Sie bewahrte ihre ursprüngliche Heftig¬ 
keit durch ungefähr vier Jahrzehnte; dann trat eine Milderung ihrer 
Ansteckungskraft und ihrer Symptome ein. Sie blieb das endemische 
Uebel, das heute unter dem Namen der Syphilis auf der ganzen Erde 
verbreitet ist. 

Ist das historische Wahrheit, ist es ein Hirngespinnst, eine müssige 
oder absichtliche Erfindung, wie etwa das Märchen Fracastor’s von der 
Entstehung der Syphilis oder wie die mit allen Mitteln der kaufmänni¬ 
schen und literarischen Reklame gepriesene Heilkraft des Guajakholzes 
gegen die neue Pest? 

Die Frage gilt heute fast allgemein als entschieden. Sudhoff 
fühlt sich durch ein paar zufällige Funde zu neuen gründlichen Unter¬ 
suchungen über den Wert jener Legende gezwungen. Je weiter er forscht, 
um so morscher werden ihre Grundlagen. Sicher war die Syphilis schon 
vor dem Jahre 1495 in Europa einheimisch, vielleicht schon viele Zeit 
vorher. Sie wurde erst ein Portentum ac monstrura in den Edikten 
und Chroniken, nachdem die Astrologie und das Edictum contra blas- 
phemos so dräuend auf eine neue unerhörte Geschlechtskrankheit hin¬ 
gewiesen hatten. G. Sticker - Bonn. 


Wolfgang Siegel-Bad Reichenhall: Das Asthma. Jena 1912, Gustav 
Fischer. 

Die vorliegende Broschüre des bekannten Reichenhaller Arztes, den 
kürzlich ein plötzlicher Tod unerwartet im Alter von nur 38 Jahren 
dahinraffte, ist unstreitig die beste, modernste und erschöpfendste Mono¬ 
graphie über den Gegenstand, der aktuell ist und immer aktuell war. 

Bekanntlich wird das Wort „Asthma“ vielfach von Laien, aber auch 
nicht ganz selten von Aerzten angewandt, um allerlei Krankheitszustände 
zu bezeichnen, die mit Atemnot einhergehen. Da bei diesen Zuständen 
häufig die Erscheinungen seitens der Bronchien fehlen, die dem echten 
Asthma zukommen, hat man dieses als Asthma bronchiale bezeichnet, 
und spricht im Gegensatz dazu von nervösem, urämischem, uterinem, 
toxischem Asthma; nooh unsinnigere Benennungen seien ganz unerwähnt 
gelassen. Verf. definiert das Asthma, in dem er mit Recht ein genau 
umschriebenes Krankheitsbild erblickt, als eine Reflexneurose, charak¬ 
terisiert durch den typischen asthmatischen Anfall. Dieser Anfall mani¬ 
festiert sich durch sein plötzliches Auftreten, durch die Lungen¬ 
blähung mit sekundärem Zwerchfelltiefstand, die hauptsächlich exspira- 
torische Atemnot und die sibilierenden Geräusche. Dagegen wäre nur 
eiüzuwenden, dass der sekundäre Zwerchfelltiefstand nicht die einzige 
abnorme Bewegung der Atmungsmuskulatur ist, welche das Asthma 
charakterisiert; andere unzweckmässige — paradoxe — Bewegungen, die 
sich in der Atmungsmuskulatur des Halses, der Brust und des Bauches 
abspielen können, kommen mindestens ebenso oft vor. Die Benennung 
Asthma stomachicum oder dyspepticum, sowie Asthma cardiale möchte 
S. durch die weniger leicht misszuverstehenden Ausdrücke dyspepti- 
sches Asthmoid und Herzasthmoid ersetzt sehen. Hoffentlich 
findet dieser Wunsch Anklang. 

S. erblickt in dem Zusammentreffen von Asthma mit Herzleiden 
einen Zufall, das heisst, nach der Schopenhauer’schen Erklärung „ein 
zeitliches Zusammentreffen zweier Ereignisse, ohne ursächlichen Zusammen¬ 
hang“. Zweifellos hat Verf. darin insofern recht, als ein primär Herz- 
leidender echtes Asthma nur in ganz seltenen Ausnahmefällen erwirbt. 
Dagegen ist von ihm übersehen worden, dass Asthmatiker, die häufige 
Anfälle zu überstehen hatten, zuerst Hypertrophie und Dilatation des 
Herzens, und zwar beider Ventrikel, erwerben, woraus später myokardi- 
sche Degeneration resultiert, welche nicht selten zur direkten Todes¬ 
ursache wird. In diesem Falle ist das Herzleiden zweifellos Folge des 
Asthmas, allerdings könnte man hier nicht von Asthma cardiale, sondern 
von einer Cardiopathia asthmatica reden. 

Die Klinik, und besonders die Therapie des Asthmas ist von S. 
mit grossem objektiven Interesse behandelt, ohne dass man den sub¬ 
jektiven Einschlag vermisst, der das Buch besonders interessant macht 
und beweist, dass sich der Autor mit fast allen einschlägigen Fragen 
durch eigene Beobachtungen, Versuche und Reflexionen eingehend be¬ 
schäftigt hat. Sollte jemand vielleicht die Erwähnung der einen oder 
anderen Publikation vermissen, so kann man daraus dem ausgezeichneten 
Buch keinen Vorwurf machen. Es ist so unendlich viel Wertvolles und 
Wertloses über Asthma geschrieben worden, dass der Einzelne kaum 
imstande ist, alles Brauchbare zusammen zu suchen. Jedenfalls wird 
der angehende und der relativ fertige Arzt, der sich über die schwierige 
Frage des Asthmas belehren will, zurzeit in keiner Schrift so eingehende 
Belehrung finden wie in der vorliegenden Monographie. 

Der früh verstorbene Autor hat sich damit ein schönes Denkmal 
gesetzt. H. E. Knopf-Frankfurt a. M. 


M. Pescatore: Pflege and Ernährung des Säuglings. Ein Leitfaden 
für Pflegerinnen und Mütter. Fünfte erweiterte Auflage bearbeitet 
von Leo Langstein-Berlin. Berlin 1912, Julius Springer. 
Preis 1 M. 

Das Büchlein, über das bei Gelegenheit der früheren Auflagen in 
dieser Wochenschrift empfehlend berichtet wurde, wurde in der neuen 
Auflage durch Ratschläge für die Hygiene des Säuglings in der heissen 
Zeit zweckmässig erweitert. Der Abschnitt über medikamentöse Bäder 
bzw. über Kochrezepte enthält gleichfalls Verbesserungen. 

R. Weigert-Breslan. 


Constantia Daniel-Bukarest: Le postpartum normal. 1 . Fascicule: 

Gencralites — Organes genitaux. Paris 1912, Maloine, editeur. 

137 S. 

Verfasser hat die Beobachtungen, die er an 5000 normalen 
Wöchnerinnen hat machen können, zu einer zusammenfassenden Studie 
verarbeitet. Er schildert, dass der Post-partum-Zustand bei gesunden 
Wöchnerinnen zwar ein physiologischer ist, dass er aber eine Reihe von 
Erscheinungen aufweist, die man ausserhalb des Wochenbettes als direkt 
pathologisch bezeichnen würde. Während die Gravidität und die Geburt 
ihre festen Grenzen haben, hat das Post-partum (Wochenbett) keinen 
bestimmten Endtermin. Es erreicht sein Ende, wenn die Organe wieder 
in den Zustand zurückgekehrt sind, die sie vor der Schwangerschaft be¬ 
sessen haben. Die einzelnen Kapitel der Monographie lauten: 1. De- 
scription generale du post-partum. 2. Etüde anatomique. Hier werden 
aus eigenen und fremden Beobachtungen eine Reihe von Maassen an¬ 
gegeben, die der Uterus an den einzelnen Tagen des Wochenbetts auf¬ 
weist. 3. Etüde clinique. Hier werden die Involution des Uterus, 
die Beschaffenheit der Lochien, die uterinen Schmerzen (tranchees) mehr 
oder minder ausführlich besprochen. 

Uns deutschen Lesern ist es verdriesslich zu beobachten, mit welcher 
Vernachlässigung der deutschen Rechtschreibung französisch schreibende 
Autoren ihre Werke veröffentlichen. In den sparsamen deutschen Literatur¬ 
angaben lassen sich mehrere Dutzende Druck- oder Schreibfehler nach- 
weisen. R. Schaeffer. 


Literatur-Auszüge. 

Physiologie. 

K. v. Frisch-München: Farbensinn der Bienen nnd die ßlnmen- 
farben. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Vortrag, gehalten 
in der Gesellschaft für Morphologie und Physiologie in München am 
26. November 1912. Cf. Gesellschaftsbericht diese Wochenschrift, 1913, 
Nr. 1.) Dünner. 


Pharmakologie. 

Siehe auch Allgemeine Pathologie und pathologische 
Anatomie: Lehnert, Tödliche Vergiftung mit chlorsaurem Kali. 

Therapie. 

H. Fl oer - Essen: Ueber die Behandlung der Lungen tuberkulöse 
durch Einatmen von Fnmiformdämpfen. (Therapie d. Gegenw., De¬ 
zember 1912.) Die Behandlungsmethode besteht darin, dass die Kranken 
ein- bis zweimal täglich 1—2 Stunden lang Asphaltdämpfe einatmen, 
die durch Verdampfen von sogenannten Fumiforintabletten in Verdarapf- 
apparaten erzeugt werden. Der Erfolg besteht darin, dass die Ex¬ 
pektoration erleichtert und der Hustenreiz gemildert wird. Acht 
Krankengeschichten. Eine Reinkultur von Tuberkelbacillen zeigte schon 
nach 5 Minuten langer Einwirkungszeit eine deutliche Entwicklungs¬ 
hemmung. 

R. Ammann - Zürick: Die ßrombehandlung der Epilepsie. 
(Therapie d. Gegenw., Dezember 1912.) Verf. wandte mit Erfolg das 
Sedobrol (Hoffmann, La Roche u. Co.) an, ohne dass irgenwelche 
Nebenwirkungen sich zeigten. Das Sedobrol ist ein Bromnatrium, welches 
mit würzigen Extraktivstoffen aus dem Pflanzenreiche kombiniert ist. 
Das Präparat würzt die Suppe und erinnert in nichts an das Einnehmen 
einer Arzenei. 

H. Prager - Heinrich: Vaginale Behandlung mit Xerase 
(Hefe-Bolusgemisch). (Therapie d. Gegenw., Dezember 1912.) Verf. be¬ 
richtet über günstige Erfahrungen mit der Trockenbehandlung. Meistens 
handelte es sich um Fluor albus infolge einer veralteten Gonorrhöe, 
oder um Lageveränderungen des Uterus oder um Chlorose. Die Portio 
wurde ira Speculum eingestellt, diese sowohl wie die Scheidenwände mit 
trockener Watte gereinigt. Darauf wurde das Pulver in das Speculum 
gebracht und dieses dann mit einer mit Watte armierten Kornzange an 
die Portio und die Scheidenwände gebracht. Meistens waren 10 bis 
20 Sitzungen zur Beseitigung des veralteten gonorrhoischen Fluor nötig. 

R. Fabian. 

W. Kölle: Weiteres zur Behandlung der Sklerodermie mit Coeliacin. 
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) K. berichtet weiter über 
einen schon früher publizierten Fall von Sklerodermie, den er mit 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 4. 


Mesenterialdrüsenextrakt behandelte. Die Patientin erhielt die von 
Merck, Darmstadt, fabrizierten Coeliacintabletten dreimal täglich 0,3. Der 
Erfolg war ein guter. 

A. Caan-Frankfurt a. M.: Behandlung maligner Tumoren mit 
radioaktiven Substanzen. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) 
Berichte über die im Samariterhaus in Heidelberg mit Mesothorium und 
Thorium X behandelten Fälle. Die Erfolge sind günstige. 

Dünner. 

Siehe auch Psychiatrie und Nervenkrankheiten: Frankel, 
Behandlung der multiplen Sklerose mit Fibrolysin. 


Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. 

S. B. de Groot: Kritische und experimentelle Untersuchungen 
über das Entstehen und Verschwinden von Lymphdrüsen. (Deutsche 
Zeitschr. f. Chir., 1912, Bd. 119, H. 5 u. 6.) Ueber die Fragen, ob 
Lymphdrüsen unter bestimmten Umständen an Zahl zunehmen können 
und auch eine Vermehrung lymphoiden Gewebes im postembryonalen Leben 
stattfinden kann, sind die Meinungen noch geteilt. Verf. gelangt auf 
Grund seiner Experimente zu dem Schluss, dass sich nach einer Ex¬ 
stirpation von Lymphdrüsen in dem umgebenden Fettgewebe lymphoides 
Gewebe entwickeln kann, welches wenigstens eine der Funktionen der 
Lymphdrüse erfüllen kann. Man kann also Lymphdrüsen als mehr oder 
weniger labile Organe betrachten, die unter dem Einfluss bestimmter 
Reize sich entwickeln können, um nachher wieder zu verschwinden. 

Fritsch. 

Chorrojeff: Ueber zwei Fälle von seltenen Magentumoren. 
(Ziegler’s Beitr., Bd. 54, H. 3.) Verf. beschreibt einen Fall von Poly- 
posis ventriculi, bei dem die polypösen Wucherungen stellenweise eine 
carcinoraatöse Metaplasie erfahren hatten; ferner einen Fall von Magen- 
endotheliom, der klinisch unter dem Bilde starker Magenblutungen ver¬ 
lief, histologisch keine Metastasen gesetzt hatte. 

Franke: Ueber die Anthrakose retroperitonealer Lymphdrüsen 

und die Möglichkeit direkter Metastasen von den Brustorganen zu diesen 
Drüsen. (Ziegler’s Beitr., Bd. 54, H. 3.) An 20 Leichen Erwachsener 
wurden die retroperitonealen Lymphdrüsen auf ihren Gehalt an Kohlen¬ 
pigment untersucht. Während die mesenterialen Drüsen immer frei 
waren, führt das fast regelmässige Befallensein der übrigen Drüsen Verf. 
zu dem Schluss, dass die retroperitonealen Drüsen an der Art. coeliaca 
und von da an abwärts bis zur Bifurkation der Aorta, ferner die Drüsen 
bis zum Hilus der Milz, Leber, Niere in direkter Verbindung mit dem 
Lungenlymphgefässsystem stehen. 

Saltykow: Ueber die Genese der „carcinoiden Tumoren“ sowie 
der Adenomyome des Darmes. (Ziegler’s Beitr., Bd. 54, H. 3.) Verf. 
beschreibt sieben Fälle von Carcinoiden des Darmes (vier des Dünn¬ 
darms, drei des Dickdarms) und fünf Fälle von Adenomyomen des 
Dünndarms (Trappe’s Adenomyome). Er setzt beide Tumorarten zu¬ 
einander in Beziehung und leitet sie beide von versprengten Pankreas¬ 
keimen ah. Es schlägt für beide zusammen den Namen Tumor 
pancreaticus intestini vor, wobei einerseits der Typus der Ausführungs¬ 
gänge (Adenomyome) und andererseits der der Zellinseln (carcinoide 
Tumoren) zu unterscheiden sei. 

Kermanner: Das Fehlen beider Keimdrüsen. (Ziegler’ Beitr., 
Bd. 54, H. 3.) Kritische Studie über die in der Literatur beschriebenen 
Fälle von Defekt beider Keimdrüsen, deren Ergebnis lautet, dass wirk¬ 
licher anatomischer Defekt beider Keimdrüsen äusserst selten vorkomme 
und wahrscheinlich ganz unabhängig von den typischen Missbildungen 
des Rumpfes und der Nieren sei. 

E. J. Kraus: Die Lipoidsnbstanzen der menschlichen Hypophyse 

und ihre Beziehungen zur Sekretion. (Ziegler’s Beitr., Bd. 54, H. 3.) 
Verf. hat von 185 Hypophysen 40 zum Studium des kapsulären und 
pericapsulären Fettgewebes verwandt, 145 zum Studium der Zelllipoide. 
Er fand, dass in den Zellen der Hypophyse isotrope Lipoide kombiniert 
mit einer albuminoiden Substanz Vorkommen; daneben jedoch in einzelnen 
Fällen anisotrope Substanz, die aus Cholestearinestern bestehe. Das 
Sekret, das die Zellen der Hypophyse sezernieren, ist bestimmt, auf 
dem Wege durch den Hinterlappen und das Infundibulum dem Gehirn 
zugeführt zu werden. 

Fauth: Ueber die Beziehungen zwischen Trauma und Syringo- 
myelie. (Ziegler’s Beitr., Bd. 54, H. 3.) Verf. bespricht drei Fälle von 
Höhlenbildung im Rückenmark nach Trauma. Er nimmt an, dass am 
häufigsten röhren- oder herdförmige Blutungen zu den Veränderungen 
im Mark führen, dass aber auch die einfache heftige Erschütterung und 
auch die sich an Kompression des Rückenmarks infolge Trauma an¬ 
schliessende Lymphstauung derartige Syringomyelien im Gefolge haben 
könne. Benn. 

G. Bösch - Prag: Ein Fall von primärem Melanosarkom des 
Centralnervensystem8 bei multipler Sklerose. (Centralbl. f. innere 
Med., 1912, Nr. 37.) Bericht über einen Fall von primärem Spindel- 
zellenmelanosarkom, das bei der Sektion eines Falles von multipler 
Sklerose als Nebenbefund erhoben wurde. Der Tumor fand sich zwischen 
Medulla oblongata und dem Kleinhirn, der Basis des letzteren auf¬ 
sitzend. Als Ausgangspunkt sind die Chromatophoren der Leptomeninx 
anzunehmen. C. Kays er. 


H. Virchow • Berlin: Ein Herzklappenebeneapräparat. (Deutsche 
med. Wochenschr., 1913, Nr, 3.) Vortrag im Verein für innere Medizin 
und Kinderheilkunde in Berlin am 18. November 1912. 

Wolfsohn. 

Lehnert: Ueber tödliche Vergiftung mit chlorsanrem Kali bei 
einer Gravida. (Ziegler’s Beitr., Bd. 54, H. 8.) Verf. beschreibt den 
Fall einer Schwangeren im 5. Monat, die wahrscheinlich als Abortivum 
einen Teelöffel chlorsaures Kali genommen hatte. Am meisten ge¬ 
schädigt waren die Nieren und zwar die gewundenen Kanälchen und die 
dicken Henle’schen Schleifen. Hier war das Hämoglobin in Form von 
kleinen Tröpfchen zur Abscheidung gelangt und hatte intensive Zell¬ 
schädigung verursacht. Benn. 

Siehe auch Unfallheilkunde und Versicherungswesen: 
Lubarsch, Geschwülste und Unfall. 


Diagnostik. 

H. Opitz -Thorn: Feststelluag der freieu Salzsäure im Magen¬ 
inhalt ohne Mageuschlaueh. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 3.) 
In eine ovale Kapsel, die auseinandergeschraubt werden kann und viele 
Löcher hat, wird Kongo- und Lackmuspapier gelegt. Die Kapsel wird 
mit einem Seidenfaden armiert und in einer Oblate gereicht. An der 
Veränderung des Kongo- und Lackmuspapiers kann man dann feststellen, 
ob der Mageninhalt sauer reagiert und ob er freie Salzsäure enthält. 

D. Kulenkampff-Zwickau: Zur Frühdiagnose der akuten Magen¬ 
perforation. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 3.) An der Hand 
eines einschlägigen Falles macht K. darauf aufmerksam, dass bei akuter 
Magenperforation eines der ersten Symptome eine Druckempfindlichkeit 
der Douglas’scben Falte sein kann. Dieses Symptom ist diagnostisch 
verwertbar. Es kann schon vorhanden sein, wenn andere Zeichen, wie 
Flankendämpfung, Verschwinden der Leberdämpfung, noch fehlen. 

Wolfsohn. 


Parasitenkunde und Serologie. 

L. Rabinowitsch - Berlin: Untersuchungen zur Tuberkulosefrage. 

(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Die Gallenblase ist ein ge¬ 
fährliches Bacillendepot für Tuberkelbacillen, dessen Bedeutung noch 
nicht zur Genüge anerkannt wird. In der Galle Tuberkulöser finden 
sich fast ebenso häufig und konstant Bacillen wie im Blute Tuberkulöser. 
Die Fäces können leicht von dort aus infiziert werden (vielleicht noch 
häufiger als durch verschlucktes Sputum). Viermal wurde aus der Galle 
der Typus humanus gezüchtet, zweimal der Typus bovinus, der letztere 
also relativ häufig. Eine „Transmutation“ der beiden Arten kann nach 
R. nicht geleugnet werden. Im Kindesalter findet man meist den bovinen, 
gutartigen Typus; er kann sich später wahrscheinlich in den Typus 
humanus verwandeln. In hygienischer Hinsicht resultiert aus R.’s Unter¬ 
suchungen, dass neben der Sputumvertilgung auch den mit der Galle 
durch die Fäces ausgeschiedenen Tuberkelbacillen grössere Beachtung 
zu schenken sei als bisher. Besonders gilt dieser Satz auch für die 
Veterinärmedizin. Kühe, welche lediglich auf Tuberkulin reagieren, ohne 
nachweisbare klinische Erkrankung, können eine Milch liefern, die ent¬ 
weder spontan oder auch durch die Fäces infiziert ist. Daher ist in 
solchen B’ällen besondere Vorsicht geboten. Wolfsohn. 


Innere Medizin. 

W. Sternberg: Temperatnr der Schmeckstoffe und Gennss. 
(Zeitschr. f. physikal. u. diätet. Therapie, Januar 1913.) St. bespricht 
die Bedeutung der richtigen Temperatur für den Wohlgeschmack der 
Genussmittel. Der Transport von Küche und Keller im Sanatorium 
oder Krankenhaus zum Tisch bedarf darum besonderer Berücksichtigung 
seitens des Baumeisters und seitens des Diätetikers. 

W. Krebs: Beitrag zur Technik der Bäder und des Badens. 
(Zeitschr. f. physikal. u. diätet. Therapie, Januar 1913.) Gegen manche 
Einrichtung von Badezimmern und die Konstruktion vieler Badewannen 
sind erhebliche Bedenken zu erheben. Die Installierung des Klosetts 
im Baderaum ist geschmacklos. Die Form der Badewannen, ihre Auf¬ 
stellung ist verbesserungsbedürftig. Auf Gelegenheit zum Ruhen nach 
dem Bade wird zu wenig Wert gelegt. Kopfkühlung ist bei allen Arten 
von Bädern am Platze. 

Waledinsky: Einfluss der Kohlensäurebäder auf das Elektro- 
cardiogramm. Experimentelle Untersuchung. (Zeitschr. f. physikal. u. 
diätet. Therapie, Januar 1913.) Das erste Kohlensäurebäd bewirkt stets 
eine ziemlich stark ausgeprägte Abnahme der Höhe sämtlicher Zacken 
des Elektrocardiogramms. Die folgenden Kohlensäurebäder gehen zwar 
gleichzeitig mit einer Abnahme der Zackenhöhe einher, dieselbe ist aber 
unbedeutend und jedenfalls nicht stärker ausgeprägt als die gewöhnliche 
Zackenhöhe. Die herabsetzende Wirkung auf die Höhe der Zacken des 
Elektrocardiogramms hält auch in den auf das Experiment folgenden 
Tagen an. E. Tobias. 

Grober-Jena: Selbstheilung von Basedowscher Krankheit. (Mün¬ 
chener med. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) (Vortrag in der Gesellschaft 
mitteldeutscher Neurologen und Psychiater in Halle 1912.) G. beob¬ 
achtete eine Patientin, bei der die Erscheinungen der Basedow’schen 


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27. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Krankheit rasch entstanden, was die Prognose für den weiteren Verlauf 
nicht günstig erscheinen liess. Nach 5—6 Jahren waren nun bis auf 
wenige Reste die Symptome soweit geschwunden, dass man die Diagnose 
nicht mehr stellen konnte. Eine in der Zwischenzeit aufgetretene und 
fortschreitende Lungenerkrankung kann als Ursache dieser Besserung 
wenigstens vermutet werden. Ein sicherer Nachweis, dass hier eine 
ursächliche Beeinflussung einer Krankheit durch die andere stattgefunden 
bat, kann natürlich nicht geliefert werden. 

E. Romberg-München: Digitalis. (Münchener med. Wochenschr., 
1918, Nr. 1.) Nach einem Vortrag im Münchener ärztlichen Verein am 
6. November 1912. cf. Gesellschaftsbericht, diese Wochenschr., 1912, 
Nr. 50, S. 2388. 

W. Schultz-Charlottenburg: Technik und Ergebnisse meiner Blnt- 
gerinnungsmethode. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Sch. 
schildert eingehend seine Methode, die er bei den verschiedensten Krank¬ 
heiten an wandte; bei den meisten war die Gerinnungszeit innerhalb der 
normalen Grenzen. Nur bei Hämophilie fand sich eine beträchtliche 
Verzögerung der Coagulation, die nach 55 Minuten beendigt war (normal 
etwa 18 Minuten). Bei Leukämie erfolgte die Gerinnung schneller. Die 
Untersuchung der die Gerinnung angeblich beschleunigenden Mittel er¬ 
gab, dass Kalksalze, Citronensäure keinen Einfluss haben. Nach Gelatine- 
iojektionen trat in einem Teil der Fälle eine ausgesprochene Gerinnungs- 
beschleuoigung ein. Dünner. 

0. Bruns - Marburg: Die Blntcireulation in atmenden und atelekta- 
tiiel.fi Langen. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Vortrag, 
gehalten im Aerztlichen Verein zu Marburg. Wolfsohn. 

A. Schmidt-Halle: Chronische diphtherische Infektion der Langen. 
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Krankengeschichte einer 
62jährigen Frau, die seit 10 Jahren an Husten, eitrig-schleimigem Aus¬ 
wurf mit periodischen Fieberbewegungen leidet. Im Auswurf findet sich 
stets eine Reinkultur von Diphtheriebacillen, während der Tonsillen¬ 
abstrich frei davon ist. Tuberkelbacillen fehlen. Die Patientin hat 
niemals ihre Umgebung mit Diphtherie infiziert. Die aus dem Sputum 
gezüchteten Kulturen verhalten sich bei subcutanen Injektionen Meer¬ 
schweinchen gegenüber avirulent. Dünner. 

Siehe auch Therapie: Floer, Behandlung der Lungentuber¬ 
kulose durch Einatmen von Fumiformdämpfen. — Chirurgie: Leriche, 
Primärer akuter Magenduodenal Verschluss. — Unfallheilkunde und 
Versicherungswesen; Rubin, Trauma bei Pneumonie. Thiem, 
Traumatische Lungenentzündung. Mohr, Diabetes insipidus nach Schädel¬ 
grundbruch. Lossen, Pankreasapoplexie. — Diagnostik: Opitz, 
Feststellung der freien Salzsäure im Mageninhalt ohne Magenschlauch. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Goldscheider: Die Anwendung der physikalischen Heilmethoden 
zur Behandlung von centralen Erkrankungen. Fortbildungsvortrag. 
(Zeitschr. f. physikal. u. diätet. Therapie, Januar 1913.) G. bespricht 
in grossen Zügen den Stand der modernen physikalischen Therapie der 
Erkrankungen der nervösen Centralorgane. Bei den centralen Lähmungen 
ist zunächst Ruhetherapie am Platze und sofortige Vorsorge gegen Kon¬ 
trakturen, nach zwei Wochen soll dann die Bewegungsbehandlung be¬ 
ginnen, desgleichen die kinetotherapeutischen Bäder. Die spinalen und 
poliomyelitischen Lähmungen werden ebenso behandelt. Ausführlich 
wird die Förster’sche Operation besprochen, die auch bei den Magen¬ 
krisen des Tabikers angewandt wird. G. bespricht dann die Therapie 
der tabischen Schmerzen, die Arsonvalisation, die Uebungsbehandlung, 
die Behandlung der Arthropathie, das Mal perforant, die Behandlung 
der multiplen Sklerose, der spinalen Kinderlähmung, der ankylosierenden 
Spondylitis. 

0. Hassmann und H. Zingerle: Beitrag zur Kenntnis der Ver- 
laafaformei der progressiven Paralyse. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 1.) 
Es finden sich in den letzten Jahren Schwankungen im Verlauf und in 
der Symptomatik der progressiven Paralyse, die zweifellos nicht einheit¬ 
lichen Charakters und nicht einheitlich begründet sind. So macht sich 
z. B. das Anwachsen der einfach dementen Form gegenüber der klassischen 
Form deutlich bemerkbar. Daneben sind atypische Formen häufiger 
geworden. In kursorisch wiedergegebenen Krankengeschichten werden 
Fälle mitgeteilt, bei denen das Auftreten von Schwankungen des Be¬ 
wusstseinszustandes, kurzen Absencen, Dämmerzuständen oder deliranten 
Phasen mit oder ohne Verbindung mit Krampfanfällen das charakte¬ 
ristische Moment bildet. Das Auftreten derartiger Zustände ist ein 
prognostisch ungünstig zu wertendes Moment. Solange Schwachsinn 
nicht ausgebildet ist, prägen sich in den geschilderten Fällen keine be¬ 
sonderen Merkmale aus, die zwingend auf paralytische Grundlage hin- 
weisen würden, weün nicht besondere charakteristische körperliche Er¬ 
scheinungen vorliegen. Die exogenen Reaktionstypen sind auf ein 
toiisches Zwischenglied zurückzu führen, das durch eine sekundäre Ver¬ 
änderung im Körper entstanden ist. 

Conto: Ueber einen Fall von Hydrocephalns idiopathicns unter 
der Maske des Weber’schen Symptoinenkomplexes. Sofortige Heilung 
durch Lumbalpunktion. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 1.) Ein 24jähriger 
Tagelöhner erkrankt akut nach einer rheumatischen Erkrankung mit 
folgenden Symptomen: Kopfschmerz, Schwindel, Erbrechen, Lähmung des 
linken Pyramidalstranges und des rechten Oculomotorius, d. h. Para¬ 


lysis altern ans snperior (Weber’scher Typus). Es wurde an einen 
schnell verlaufenden Gehirntumor gedacht, aber durch Lumbalpunktion 
wurde sofortige Heilung herbeigeführt. Es handelte sich um einen 
Hydrocephalus idiopathicus acquisitus, wahrscheinlich infolge einer Grippe. 

H. Oppen heim-Berlin: Klinische Eigentümlichkeiten kongenitaler 
Hirnge8chwiil8te. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 1.) In dem ersten 
der geschilderten Fälle handelt es sich um eine gutartige angeborene 
Neubildung — wahrscheinlich ein Angioma cavernosum des Gehirns, die 
sehr geringe Wachstumstendenz besitzt, aber durch temporäre Schwellung 
oder Blutung ausgesprochene Herdsymptome verursacht. Seit 8 Jahren 
hat der 26jährige Landwirt den dritten Anfall. In zwei weiteren Fällen 
nimmt 0. eine in den centralen Ganglien der rechten Hemisphäre 
sitzende gutartige Neubildung von gutartigem Charakter, die zweimal 
Epilepsie und Lähmungserscheinungen verursacht hat, bzw. ein inneres 
Hirnhautangiom an. Auch der vierte Kranke bietet ein Bild, das auf 
eine kongenitale Hirngeschwulst hinweist. Besonders wenn ein äusseres 
Angiom der Gesichts- oder Schädelhaut vorliegt, wird man auf die Hirn¬ 
diagnose speziell hingewiesen. Auch die Heredität kann bedeutungsvoll 
sein. Beachtenswert für die Diagnose sind in solchen Fällen kongenitale 
Entwicklungsanomalien, angiopathische Diathese, Neigung zu kongestiven 
Zuständen, Symptomatologie eines Hirnleidens, besonders mit epileptischen 
Anfällen von mehr corticalem Typus, Lähmungszustände bzw. Ausfalls¬ 
erscheinungen in einer Körperseite, die sich in apoplektiformer Weise 
entwickeln. Hirndrucksymptorae fehlen oder treten nur im Geleit der 
Läbmungsattacken auf. Wichtig sind der schleppende Verlauf, die über 
Decennien sich erstreckende Dauer, der zuweilen kongenitale Beginn, 
die langen Intervalle. Das Leiden wird oft erst im Anschluss an 
Traumen oder körperliche Ueberanstrengung oder psychische Erregungen 
manifest. Bei KalkablageruDg oder Verknöcherung ist röntgenologische 
Diagnose möglich. E. Tobias. 

R. Langbein - Leipzig: Kasuistischer Beitrag zur Diagnose perfo¬ 

rierender Aneurysmen der Hirnarterien. (Münchener med. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 1.) Mitteilung von zwei Fällen, die zum Teil die 
Symptome darboten, wie sie von Wiehern (Münchener med. Wochen¬ 
schrift, 1911, Nr. 51) als charakteristisch für Aneurysma der Hirnarterien 
geschildert wurden: allgemeine cerebrale Erscheinungen, Schwindel, Er¬ 
brechen, Bewusstseinsstörungen, eventuell Herdsymptome und Hirndruck¬ 
symptome. Die Krankheit setzt gewöhnlich plötzlich ein. Es besteht 
oft Sausen im Kopf und häufig ein hörbares systolisches Geräusch am 
Kopf. Von ausschlaggebender Bedeutung ist die Lumbalpunktion, die 
einen blutigen, nicht gerinnenden Liquor ergibt. Die Symptome treten 
schubweise auf. Dünner. 

S. Loeb - Stuttgart: Hemicanities bei Hemiplegie. (Deutsche med. 

Wochenschr., 1913, Nr. 8.) Plötzliches, halbseitiges Ergrauen der Kopf- 
und Barthaare nach einer Hemiplegie. Wolfsohn. 

J. Marimön - Barcelona: Ein Fall von symmetrischer tropho- 
nenrotischer Lipombildung im Anschluss an eineRüekenmarksverletzang. 
(Revista de ciencias medicas de Barcelona, Dezember 1912, Nr. 12.) 
64jäbriger Mann. Sturz vom Wagen, Wirbelbruch im Bereich des 1. und 
2. Brustwirbels mit konsekutiver Rückenmarkskompressiou, Paralyse der 
oberen, Parese der unteren Extremitäten, vasomotorische Störungen, 
keine Störungen in den Funktionen von Blase und Mastdarm. Die 
motorischen Störungen gingen im Verlauf von 4 Wochen allmählich 
zurück, Auftreten von sensiblen Reizerscheinungen in den oberen und 
unteren Extremitäten. Ein Jahr nach dem Unfall trat unter geringen 
Schmerzen im Nacken hinter dem linken Ohr ein gut abgrenzbarer 
lipomatöserTumor auf, der ungefähr Faustgrösse erreichte; einen Monat 
später unter denselben Erscheinungen ein Lipom auf der rechten Seite 
an der entsprechenden Stelle. Hieran schlossen sich teils solitäre, teils 
diffuse Lipombildungen im Nacken in der Mittellinie, an den Schultern, 
den Armen, am Knie und in den Schlüsselbeingruben, mit Ausnahme 
des Tumors im Nacken sämtlich genau symmetrisch. M. ist der An¬ 
sicht, dass es sich um trophoneurotische Störungen bei dem Zustande¬ 
kommen dieser Lipombildung handele. 

Hannes - Ham bürg-Eppendorf. 

M. Fraenkel: Erfahrungen über Behandlung der multiplen Sklerose 
mit Fibrolysin. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 1.) Die Behandlung der 
multiplen Sklerose mit intramuskulären Fibrolysineinspritzungen ist ein¬ 
fach und ungefährlich. In seltenen Fällen kommen gelegentlich leichte 
Temperatursteigerungen vor. Die Einspritzungen können beliebig lange 
fortgesetzt werden. Die Wirkung ist rein hypothetisch. Von Kranken¬ 
hauspatienten wurden 65 pCt., von Privatpatienten nur 33 pCt. gebessert, 
was vielleicht darauf zurückzuführen ist, dass Krankenhauspatienten 
durch den Aufenthalt im Krankenhaus in günstigere Lage kommen, was 
bei Privatpatienten fortfällt. F. empfiehlt darum möglichst generell 
stationäre Behandlung. Es wurden teils gradweise Besserungen, teils 
fast vollständige Heilungen erzielt, teils schwanden nachweisbar einzelne 
Symptome. E. Tobias. 

0. Foerster-Breslau: Die analytische Methode der kompensa¬ 
torischen Uebungsbehandlong bei der Tabes dorsalis. (Deutsche med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Klinischer Vortrag. 

E. Behrenroth - Greifswald: Die sexuelle psychogene Herzneurose 
(„Phrenoeardie“). (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Die Arbeit 
ist im wesentlichen eine Bestätigung des von Herz aufgestellten Krank¬ 
heitsbildes. Herzschmerz, Atemsperre und Herzpalpitation sind die Haupt- 


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176 


Nr. 4. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Symptome dieser Affektion, welche auf sexuell-psychogenem Wege ent¬ 
steht und einer causalen Therapie recht zugänglich ist. 

Wolfsohn. 

Siehe auch Augenheilkunde: Lundsgaard, Erworbene Augen¬ 
muskellähmung. — Therapie: Amman, Brombehandlung der Epi¬ 
lepsie. — Technik: Auerbach, Praktische Untersuchungselektrode. 
— Pathologie: Fauth, Trauma und Syringomyelie. Kraus, Lipoid¬ 
substanzen der Hypophyse und ihre Beziehungen zur Sekretion. — 
Unfallheilkunde und Versicherungswesen: Mohr, Poliomyelitis 
und Unfall. Grub er: Unfall als paralytischer Anfall. Speck, Amyo- 
trophische Lateralsklerose nach Trauma. 


Chirurgie. 

A. Schlesinger-Berlin: Ueber latentes Erysipel. (Deutsche med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Vortrag in der Berliner Gesellschaft für 
Chirurgie am 25. November 1912. Wolfsohn. 

Moli ne us: Die Amputation bei Gangrän, (v. Bruns 1 Beitr. z. 
klin. Chir., 1913, Bd. 82, H. 1.) Der Bier’sche Heizkasten ist ein vor¬ 
zügliches Mittel, um bei fehlender Demarkationszone festzustellen, bis 
zu welcher Höhe gute Blutversorgung vorhanden ist, da die genügend 
durchblutete Haut sich rosarot färbt. Die Prüfung des Pulses ist nicht 
massgebend. Bei der Operation ist jede Taschenbildung zu vermeiden, 
also keine komplizierten Schnittführungen. Nach der Amputation ist 
ein Extensionsverband empfehlenswert, der die Retraktion des Weich¬ 
teilkegels und sekundäre Gangrän verhindert. W. V. Simon. 

Wieting: Die erfolgreiche Behandlung der angiosklerotischen 
Ernährungsstörungen durch die arteriovenöse Anastomose. (Deutsche 
Zeitschr. f. Chir., 1912, Bd. 119, H. 5 u. 6.) Verf. verficht nach wie 
vor gegen alle Angriffe die Berechtigung seiner Operation und teilt als 
Beweis drei von ihm mit Erfolg operierte Fälle und etwa 16 ebensolche 
aus der Literatur mit. Er steht auf dem Standpunkt, dass ganz allein 
die klinische Erfahrung die Berechtigung der Operation beweisen kann. 

F. Bähr: Fractura malleoli interni non sanata. (Deutsche Zeit¬ 
schrift f. Chir., 1912, Bd. 119, H. 5 u. 6.) Kasuistische Mitteilung. 

Straube: Ueber die Behandlung der Spondylitis tuberculosa in 
Leysin und die damit erzielten Resultate. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., 
1912, B. 119, H. 5 u. 6.) Die Arbeit umfasst den Zeitraum von 1904 
bis 1912.) Die Technik der Sonnenbestrahlung weicht auch bei dieser 
Lokalisation der Tuberkulose im wesentlichen nicht von der bei anderem 
Sitze der Krankheit ab, wird aber in der Arbeit wieder bis ins kleinste 
wiederholt. Die Resultate sind glänzende, wie die Krankengeschichten und 
dir beigefügten Photographien und Röntgenbilder beweisen. 

Uffenorde: Nachtrag zu einer Mitteilung: Ueber die otogene 
Meningitis. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., 1912, Bd. 119, H. 5 u. 6.) Ge¬ 
naue Beschreibung der Methode des Verf. zur Aufdeckung des inneren 
Ohres. 

R. Le rieh e: Ueber einen Fall von primärem aknten Magen- 
daodenalverschlass. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., 1912, Bd. 119, H. 5 
u. 6.) Mitteilung eines einschlägigen trotz Operation ad exitura ge¬ 
kommenen Falles, dessen Pathogenese Verf. in einer lange Zeit bestehenden 
Aerophagie findet. Der Magen dehnt sich aus, forciert seinen Sphincter 
pylori, dilatiert sein Duodenum, bis es auf dem arteriellen und venösen 
Streifen abgespalten wird. Die Therapie besteht in Bauchlagerung oder 
Knieellenbogenlage, in Notfällen in Gastroenterostomie oder Gastrostomie 
oder sogar beiden. Fritsch-Breslau. 

E. Pagenstecher-Wiesbaden: Gastropexie vermittels des Liga- 
mentnm teres. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Man 
trennt das Ligamentum teres direkt am Nabel und löst dann den 
unteren Teil des Ligamentum Suspensorium, dessen freien Rand es 
bildet, ein Stück längs der vorderen Bauchwand, sodann bis an den 
vorderen Leberrand ab. Dadurch entsteht ein Lappen, vorn breiter als 
hinten, welcher sich bequem nach hinten hinüberlegen und am Magen 
befestigen lässt, und zwar so, dass er möglichst breit der Magenvorder¬ 
wand aufliegt. Dadurch wird die Pars pylorica gehoben. 

Dünner. 

Th. Haagen*. Zur Technik der Appendektomie. (Deutsche Zeit¬ 
schrift f. Chir., 1912, Bd. 119, H. 5 u. 6.) Verf. schaltet die Infektions¬ 
gefahr von seiten des Stumpfes nach Abtragung des Wurms aus, indem 
er vorher eine Tabaksbeutelnaht in die Coecalwand um den Appendix 
legt, die sofort, den Stumpf versenkend, zugezogen wird, wenn der Wurm 
abgetragen ist. 

0. Warschauer: Ein Beitrag zur Chirurgie des Daetns thor&clcas. 
(Deutsche Zeitschr. f. Chir., 1912, Bd. 119, H. 5 u. 6.) Bei einem an Pseudo¬ 
leukämie leidenden Mädchen wurde bei der Entfernung eines Drüsen¬ 
tumors in der Nähe des Ductus thoracicus, um diesen nicht unbemerkt 
zu verletzen, der Ductus doppelt unterbunden und durchschnitten ohne 
nachteilige Folgen. Es sei demnach die Scheu der Chirurgen vor einem 
Eingriff am Ductus unbegründet. 

L. Süssenguth: Traumatische Ruptur der Urethra mit voll¬ 
ständiger Ablösung der Blase von der Symphyse. (Deutsche Zeitschr. 
f. Chir., 1912, Bd. 119, H. 5 u. 6.) Kasuistische Mitteilung. 

Fritsch-Breslau. 


Röntgenologie. 

Th. Nogier - Lyon: Die Radioskepie der Niere. (Lyon med., 
1912, Nr. 50.) Verf. beschreibt die Technik der Radioskopie der Niere 
und hebt die Vorzüge dieser Uotersuchungsmethode hervor, welche haupt¬ 
sächlich in der Einfachheit und Schnelligkeit ihrer Auwendung zu 
suchen sind. 

Th. Nogier und J. Reynard - Lyon: Pyelographie in einem Fall 
von Nierensteinen und in einem zweiten von Ureterstein. (Lyon med., 
Nr. 51, 1912.) Zur genauen topographischen Fixierung von Nieren- und 
Uretersteinen wenden die beiden Verfasser die Methode der Pyelographie 
an. Sie führen zunächst eine dunkle Sonde durch den Ureter in das 
Nierenbecken ein und entscheiden dann durch das Röntgenbild, ob über¬ 
haupt ein Stein vorhanden und wie er zur Sonde gelegen ist. Sodann 
wird mit Hilfe der Sonde Collargol in das Nierenbecken injiziert, bis 
der Kranke einen Schmerz in der Nierengegend verspürt. Mittels eines 
zweiten Röntgenbildes kann dann eine exakte Lokalisation erreicht 
werden. Beschreibung zweier Fälle. A. Münzer. 

Siehe auch Innere Medizin: Hausmann und Meinertz, Radio¬ 
logische Kontrolluntersuchung betreffend die Lageuntersuchung des 
Magens und Dickdarms usw.) 


Urologie. 

Ph. Erlach er-Graz: Kausale and symptomatische Behandlung 
gonorrhoischer Prozesse des Mannes mit besonderer Berücksichtigung 
der Original-Gonokokkenvaccine Menzer. (Deutsche med. Wochenschr., 
1913, Nr. 3.) E.’s spärliches Material sucht die therapeutische Wirkung 
des Gonokokkenvaccins bei Urethritis zu beweisen. Mit dem Vaccin 
wird dabei erst begonnen, wenn nach energischen Protargol- und 
Albargineinspritzungen die Gonokokken nicht mehr vorhanden sind! 
Weiterhin hatte E. bei fünf Komplikationen der Gonorrhöe mit der 
Vaccintberapie gute Erfolge. Er sah stets Herdreaktion ohne wesentliche 
Temperatursteigerung bei Anwendung des Menzer’schen Vaccins. Als 
diagnostisches Mittel ist nach E. die Vaccinmethode allen anderen weit 
überlegen. Kontraindikationen gegen die Anwendung des Menzer’schen 
Vaccins bestehen nicht. 

E. Pfister-Cairo: Ueber Prostataelemente bei Urethrorrhoea ex 
libidine. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 3.) 62 jähriger 

Patient. Urethrorrhoe. Im Sekret Schleimfäden, Epithelien und Corpora 
amylacea. Wolfsohn. 

Siehe auch Chirurgie: Süssenguth, Traumatische Ruptur der 
Urethra. — Röntgenologie: Nogier und Reynard, Pyelographiebei 
Nierenstein und Ureterstein. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

Fr. Bering - Kiel: Ueber die Spätformen der Erbsyphilis. (Therapie 
d. Gegenw., Dezember 1912.) Vortrag, gehalten auf der Versammlung 
deutscher Naturforscher und Aerzte in Münster i. W. 1912. 

R. Fabian. 

G. Wolfsohn-Berlin: Ueber eine Modifikation des Staphylo¬ 
kokken vaeci ns. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Unter dem 
Namen „Vivo-Vaccin“ hat W. ein polyvalentes Staphylokokkenvaccin 
hergestellt, das ausser den toten Bakerienleibern auch die lebenden 
Kul tu rill träte bei der Immunisierung berücksichtigt. Mit diesem Vivo- 
Vaccin hatte W. bessere Resultate als mit der gewöhnlichen Vaccination, 
besonders bei chronischen Ekzemen, Furunkulose, Acne, Sykosis. An 
der E nspritzungsstelle tritt häufig eine leichte Infiltration bzw. ein 
Erythem auf, das nach 12—24 Stunden vorübergeht. Bei allgemeiner 
Furunkulose wurde gelegentlich eine Art negativer Phase beobachtet. 
Im übrigen sind üble Nebenwirkungen bei der Behandlung nicht vor¬ 
handen. Das Vivo-Vaccin wird von der Kaiser Friedrich-Apotheke, 
Berlin, in den Handel gebracht. Wolfsohn. 

Siehe auch Therapie: Kölle: Behandlung der Sklerodermie mit 
Coeliacin. — Psychiatrie und Nervenkrankheiten: Loeb, Hemi- 
canities bei Hemiplegie. 


Geburtshilfe und Gynäkologie. 

Kehrer - Heidelberg: Zur Teratogenie. (Archiv f. Gyn., Bd. 98, 
H. 2.) Verf. gibt eine gedrängte Uebersicht über die chemischen und 
physikalischen Einflüsse, die im Experiment zu Missbildungen führen, 
und fordert die Aerzte auf, in Fällen, in denen Monstra geboren wurden, 
durch möglichst genaue Aufnahme der Anamnese zu versuchen, ätio¬ 
logische Beiträge zu deren Entstehung zu liefern. 

K och - Giessen: Zur Behandlung schwerer Menorrhagien bei akut 
entzündlichen Adnexerkrankungen durch Portioinjektionen (Pituitrin, 
Secale). (Archiv f. Gyn., Bd. 98, H. 2.) Die Wirkung derartiger In¬ 
jektionen äussert sich bei Secacornin in einem fast sofortigen, bei 
Pituitrin in einem nach einigen Stunden einsetzenden Aufhören oder 
einer starken Verminderung der Blutung. Der Effekt hört nach ein- 
bis zweimal 24 Stunden auf, worauf die Injektion mit gleichem Er¬ 
folg wiederholt werden kann. Die Secaleinjektionen führten aber 
zu so häufigen und schweren toxischen Erscheinungen, dass sie in 
letzter Zeit zugunsten des Pituitrins ganz aufgegeben wurden. Von 
letzterem kam als Einzeldosis je 1 ccm zur Anwendung. L. Zuntz. 


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27. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


177 


Beyer -Hanau: Ein Fall von spontaner Uternsrnptur in der 
Schwangerschaft. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Kasuistik. 

C. Crede-Hörder-Berlin: Spätinfektion der Opbthalmoblennor- 
rhSe. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Neugeborene können 
selbst dann an Ophthalmoblennorrhoe erkranken, wenn sie sofort post 
partum von der Mutter entfernt und gesondert verpflegt werden. C. glaubt, 
dass in solchen Fällen Gonokokken während der Geburt ins Auge gelangen, 
sich in den Meibom’schen Drüsen einnisten, und dass von hier aus nach 
einigen Tagen die weitere Infektion erfolgt. Kasuistik, die diese Ansicht 
rechtfertigt. Dünner. 


Augenheilkunde. 

H. Dorff: Ueber Conjunctivitis durch Askariden (Askarisconjuncti- 
vitis). Klinische und experimentelle Untersuchungen. (Klin. Monatsbl. 
f. Augenheilk., Dezember 1912.) Die Cölomflüssigkeit der Askariden 
enthält eine Substanz, die bei besonders dazu disponierten Individuen 
beim Einbringen in den Bindehautsack sehr lebhafte entzündliche Er¬ 
scheinungen hervorbringen kann. Die entzündlichen Veränderungen 
nehmen bei Wiederholung der Instillation von Askarissaft an Intensität 
ab; es tritt Angewöhnung auf, analog der Wirkung des Dionins. Die 
Empfänglichkeit ist verschieden nach Tierspezies und auch bei einzelnen 
Individuen derselben Art. Es finden sich alle Uebergänge von voll¬ 
ständiger Immunität bis zu den höchsten Graden von Ueberempfindlich- 
keil Diese Disposition lässt sich durch Kalkzufuhr oder Kalkentziehung 
nicht beeinflussen. Die entzündlichen Erscheinungen werden nicht reflek¬ 
torisch ausgelöst; Anästhesierung der Bindehaut verhindert nicht die 
entzündlichen Erscheinungen. Der Angriffspunkt der Cölomflüssigkeit 
liegt mit grosser Wahrscheinlichkeit in der Gefässwand, da die Wirkung 
des Askarissaftes sich durch Adrenalin unterdrücken lässt. Die Cölom¬ 
flüssigkeit gehört demnach mit einer Reihe von tierischen und pflanz¬ 
lichen Giften in die Gruppe der spezifischen Gefässgifte, die durch die 
gemeinsame Eigenschaft charakterisiert sind, dass sie nur wirksam sind 
bei speziell disponierten Individuen. Es handelt sich wahrscheinlich um 
eine Alkaloidwirkung. F. Mendel. 

Marenholtz - Nürnberg: Ein Beitrag zur Aetiologie, Pathologie und 
Therapie des Pemphigus eonjnnctivae. (Zeitschr. f. Augenheilk., De¬ 
zember 1912.) Mitteilung eines Falles von Pemphigus conjunct., der 
sicherlich luetischen Ursprungs war, Wassermann stark positiv, Sattel¬ 
nase, Hutchinson’sche Zähne, Gaumennarben. Ein Bulbus, der enucleiert 
wurde, zeigte eine glanzlose Cornea, mit gelblichen Borken bedeckt, 
unter denen sich ein pergamentartiges, die Cornea bedeckendes Gebilde 
vorfand. Die Scleralbindehaut war zum grossen Teil in weisslich- 
trockenes Narbengewebe verwandelt. Der untere Bindehautsack fehlte 
ganz. Pathologisch-anatomisch untersucht wies vor allem die Hornhaut 
interessante Befunde auf. Das Cornealepithel war papillenführend, un¬ 
regelmässig verdickt und von einer Keratohyalinschicht bedeckt. Nach 
Adam wuchert das papillenführende Lidepithel auf die epithelentblösste. 
Hornhaut und ersetzt einen Defekt. Die Bindehautschrumpfung entsteht 
durch chronische Entzündung des subepithelialen und adenoiden Gewebes 
der Bindehaut mit Ausgang in Vernarbung und Schrumpfung. Die 
Hornhaut wird durch Ueberwucbern von Lidepithel und Bindehaut ge¬ 
deckt. Therapeutisch ist nicht viel auszurichten. Verf. erzielte mit 
monatelangen Fibrolysineinträufelungen wenigstens ein Durchsichtiger¬ 
werden einer Wucherung am weniger schlechten Auge. 

G. Erlanger. 

L. Pick-Königsberg: Die Behandlung des Tränens. (Therapeut. 
Monatsh., Dezember 1912.) Besprechung der verschiedenen Ursachen 
des Tränens. Aufzählung und kritische Darlegung der gebräuchlichsten 
und zweckmässigsten Behandlungsarten. H. Knopf. 

S. Takashima-Japan: Ueber die Cnrocnsakane als Erreger von 
Aageileiden (Conjunctivitis automotoxica). (Klin. Monatsbl. f. Augen¬ 
heilkunde, Dezember 1912.) Die Scotmophora vermiculata ruft sowohl 
durch ihren Körpersaft als auch durch den Körper selbst eine Augen- 
schädiguog hervor, deren Hauptsymptom ein Oedem an Lid und Binde¬ 
haut ist. Hernach erfolgt Rötung. Injektion der Bindehaut, hoch¬ 
gradiger Tränenfluss und schleimig-eitrige Absonderung; die Sub- 
cvojunctivalblutung und die Hornhautaffektion tritt nur bei starken 
Schädigungen auf. Die Erscheinungen im klinischen Bilde zeigen von 
deoen bei den Tierexperimenten keine Verschiedenheit. 

K. K. K. Lundsgaard-Kopenhagen: Einige Fälle von erworbener 
Augenmuskel läbmnng bei Kindern (Poliomyelitis anterior, Heine-Medius- 
Kraokbeit.) (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., Dezember 1912.) In der 
Zeit vom September bis November 1911 hatte Verf. Gelegenheit, 5 Fälle 
von erworbener Augenmuskellähmung bei kleinen Kindern zu beobachten, 
deren Krankengeschichten genau besprochen werden. Da Diphtherie 
und Influenza als Ursache ausgeschlossen werden können, nimmt Verf. 
Heine-Medius-Krankheit an, eine Infektionskrankheit, welche wegen ihrer 
gewöhnlichen Lokalisation * Poliomyelitis anterior acuta* genannt wird. 

F. Mendel. 

Attias München: Arcus juvenilis nnd Areas senilis corneae 

(Zeitschr. f. Augenheilk., Dezember 1912.) Kurze Zusammen- und Gegen¬ 
überstellung der wesentlichen Eigenschaften beider bei älteren und juDgen 
Leuten auftretenden randständigen Hornhauttrübungen. Als hauptsäch¬ 
liche Unterscheidungsmerkmale heben wir hervor: Arcus juvenilis kann 
einseitig vorhanden sein, ist oft asymmetrisch und ungleich gross in 


beiden Augen, bildet selten einen geschlossenen Kreis; wenn eine Sichel 
da ist, befindet sie sich meist unten. Der Arcus senilis ist gut abge¬ 
grenzt. Beim Arcus senilis, der meist beiderseitig auftritt, ist die 
Trübung symmetrisch und gleich gross in beiden Augen; wenn zwei 
Sicheln da sind, ist die obere grösser, ist eine Sichel da, befindet sie 
sich oben. Die Abgrenzung ist besonders nach der Mitte der Hornhaut 
zu unscharf. G. Erlanger. 

G. Attias: Hintere Venae vorticosae, Myopie, Amblyopie. (Klin. 
Monatsbl. f. Augenheilk., Dezember 1912.) In den sieben beobachteten 
Fällen fand Verf. den anormalen Gefässverlauf in kurzsichtigen Augen, 
und das Auge, welches die Anomalie aufwies, war fast immer bedeutend 
kurzsichtiger als sein Partner, der sogar emmetropisch oder hyperopisch 
war. In einigen Fällen waren auch im Partner die Chorioidealgefasse 
leicht zu verfolgen und besassen einen normalen Verlauf. Verf. fand in 
allen diesen Augen nicht nur eine höhere Refraktion als in seinem 
Partner, sondern ihre Sehschärfe war auch beträchtlich herabgesetzt, und 
häufig bestand Schielen. In allen diesen Fällen finden sich zwei 
Momente, welche mit Sicherheit für eine angeborene Anomalie des 
Auges sprechen, einmal die durch die Kurzsichtigkeit nicht ausreichend 
zu erklärende Schwachsichtigkeit und zweitens der anormale Verlauf 
der Gefdsse. F. Mendel. 

H an dm an n - Döbeln: Ueher temporäre Myopie bei orbitalen Neu¬ 
bildungen. (Zeitschr. f. Augenheilk., Dezember 1912.) In drei Fällen 
von Orbitatumoren konnte der Autor eine Myopie feststellen, die mit 
der Beseitigung der krankhaften Veränderungen verschwand. Wahrschein¬ 
lich wurde der Bulbus durch die sehr weit vorn sitzenden Geschwülste 
in der Weise verdrängt, dass der äquatoriale Durchmesser verkleinert 
und der sagittale vergrössert wurde. Diese Befunde aber im Sinne der 
Theorie Galen’s, der das Wachstum des Bulbus unter Muskeldruck für 
die Myopieentstehung verantwortlich macht, zu verwenden, ist sicherlich 
vorläufig nicht angängig, da stichhaltige Beweise für eine solche Theorie 
noch nicht vorliegen. G. Erlanger. 

W. P. B. Zeemann: Das Sehen der Einäugigen. (Klin. Monatsbl. 
f. Augenheilk., Dezember 1912.) Die Gleichförmigkeit der Arbeit wirkt 
in hohem Maasse fördernd auf eine baldige Anpassung, und der Berufs¬ 
wechsel wird sehr ungünstig sein. Keine Methode zur Messung des 
monocularen Tiefensehens und keine Apparate können über die Arbeits¬ 
fähigkeit eines einäugigen Patienten Aufschluss geben. Auch bei der 
anscheinend meist vollkommenen Anpassung wird immer ein bedeutender 
Unterschied zwischen dem Einäugigen und dem Zweiäugigen bestehen 
bleiben, da sogar eine grobe Tiefenschätzung, welche dem Zweiäugigen 
io V200 Sekunde möglich ist, von dem Einäugigen nicht innerhalb 
V 2 Sekunde gemacht werden kann. F. Mendel. 

Gennet und Bussy-Lyon: Bemerkungen über eine bisher nicht 
beobachtete Phase der Enueleatio bnlbi bei Augenphlegmone. (Lyon 
med., 1912, Nr. 49.) Bei einzelnen Fällen von Phlegmone des Auges 
finden sich zwischen der Hinterfläche des Augapfels und der Tenon’schen 
Kapsel starke Verwachsungen, welche die zur Enucleation notwendige 
Luxation des Bulbus erheblich erschweren. A. Münzer. 

Y. Koyanagi: Experimentelle Untersuchung über die Netzhant- 
verändernng durch Blutinjektion in den Glaskörper. (Mn. Monatsbl. 
f. Augenheilk., Dezember 1912.) Beim Kaninchenauge bewirkt die Blut- 
iDjektion in dessen eigenem Glaskörper keine entzündlichen Erscheinungen 
am Uvealtractus. Dagegen erleidet die Netzhaut gewisse Veränderungen, 
die sich wesentlich nach zwei Arten unterscheiden lassen, die gliöse 
Wucherung und die primäre Degenerationserscheinung der Netzhaut. 
Das neugebildete Gewebe, welches aus der Papille tief in den Glas¬ 
körper, und zwar in die injizierte Blutmasse hineinwuchert, ist das Pro¬ 
dukt echten Bindegewebes. Diese Neubildung verursacht die Netzhaut¬ 
ablösung, die erst viel später nach der Blutiüjektion — vielleicht durch 
wiederholte Injektion — auftritt. Wenn man diese Versuchsergebnisse 
auf das menschliche Äuge überträgt, so ist Verf. der Meinung, dass die 
Netzhaut- und Glaskörperblutungen für die Entstehung der Retinitis 
proliferans eine ätiologische Bedeutung haben. 

H. Schmidt-Rimpler: Blendung nnd Nyktalopie. (Klin. Monats¬ 
blatt f. Augenheilk., Dezember 1912.) Die Ursache der Blendungs¬ 
erscheinungen liegt darin, dass die Netzhautperipherie im Verhältnis zum 
Netzhautcentrum, auf dem sich das fixierte Bild befindet, zu stark be¬ 
leuchtet ist. Es muss ein gewisses Verhältnis zwischen dem Grad der 
peripheren und centralen Beleuchtung bestehen, um eine entsprechende 
Sehschärfe für das central fixierte Objekt zu bekommen und damit so¬ 
genannte Blendungserscheinungen zu vermeiden. F. Mendel. 

P. Stoewer-Witten: Ueber tuberkulöse Netzhanterkrunknngen. 
(Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig., Bd. 64, S. 18, Löffler-Fest¬ 
schrift.) Bei Netzhautablösungen ist, ganz abgesehen von Solitärtuberkeln, 
an Tuberkulose als mögliche Ursache des Leidens zu denken. Ausser 
zum Teil vorübergehenden Veränderungen der Netzhautgefässwandungen, 
die zu Blutungen in die Netzhaut oder den Glaskörper führen können, 
und weissen Herden der Netzhaut kommen auch Abhebungeu derselben 
als Folge der Tuberkulose vor. Diese Netzhautabhebungen, die sich 
klinisch vielleicht besonders durch ihre geringe Höhe auszeichnen, 
scheinen vor allem im Anschluss au eine Tuberkulinbehandlung eine 
entschiedene Neigung zur Ausheilung unter dem Bilde der Striae retinae 
zu haben. Ob diese Striae bei Tuberkulose sich auch ohne vorher¬ 
gehende Ablatio retinae bilden können, ist fraglich. Verf. rät für Dia- 


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178 BERLINER KUNISHIE WorilEXSniRlKT. Nr. 4. 


gnose und Therapie auch bei tuberkulösen Netzhauterkrankungen sehr 
die Verwendung des Tuberkulins an. Bierotte. 

J. Ginzburg: Beitrag zur Behandlung des pulsierendem Exophthal¬ 
mus. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., Dezember 1912.) Der beschriebene 
Fall gehört zu denjenigen Fällen, wo das ganze Krankheitsbild infolge 
eiues Contrecoups sich auf der der Verletzung entgegengesetzten Seite 
entwickelt hat. Bemerkenswert ist es, dass die Verletzung gleichzeitig 
auf derselben Seite zwei Risse der Aderhaut zur Folge hatte im Auge, 
welches bei weiterer Betrachtung keine Abweichungen von der Norm 
zeigte. Der Exophthalmus entwickelte sich am nächsten, die Pulsation 
und Geräusche am 9. Tage nach der Verletzung, gleichzeitig mit einer 
heftigen Pulsation der Netzhautgefasse. Da die Kompression und die 
Unterbindung der Carotis ohne Erfolg waren, und da die Carotisunter- 
bindung auf der anderen Seite mit Lebensgefahr verknüpft war, entschloss 
sich Verf. zu einer orbitalen Operation, die gänzliche Heilung zur Folge 
hatte. F. Mendel. 

Siehe auch Unfallheilkunde und Versicherungswesen: 
Harms, Embolie der Arteria centralis retinae und Unfall. 


Hals-, Nasen- und Ohrenkrankhelten. 

Elsaesser-Hannover: Heisslaftinhalation. (Deutscheraed. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 3.) Apparat zum Inhalieren von beisser Luft und 
von Medikamenten in Gasform. Elektrisch betriebener Heizkörper. 
Wird empfohlen bei Bronchitis, Laryngitis, Tuberkulose, Asthma u. a. 

Wolfsohn. 


Hygiene und Sanitätswesen. 

L. Brieger: Ueber die Bedeutung der Hydrotherapie für die 
Hygiene. (Zeitschr. f. physikal. u. diätet. Therapie, Januar 1913.) Der 
Mensch schützt sich gegenüber den Schwankungen der ihn umgebenden 
Lufthülle am besten durch Abhärtung. Abhärtung muss planmässig 
und systematisch von Jugend an erfolgen und individualisiert werden. 
Einseitige Abhärtungen sind zu verwerfen. B. bespricht insbesondere 
die Abhärtung von Kindern. E. Tobias. 

Rupprecht-München: Die Prostitution jugendlicher Mädchen in 
München. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Dünner. 


Unfallheilkunde und Versicherungswesen. 

Knepper - Düsseldorf: Ein Beitrag zu dem Kapitel „Gewöhnung 
an Unfallfolgen'. (Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1912, Nr. 22.) Zu dem 
wichtigen Kapitel „Gewöhnung an Unfall folgen“ trägt Verf. durch Be¬ 
sprechung folgender 6 Fälle bei: 1. Verlust des rechten Armes im 
Schultergelenk,;höherer Lohn wie vor dem Unfälle. 2. Verlust des linken 
Armes im Schultergelenk, weit höheres Einkommen wie vor der Ver¬ 
letzung. 3. Verlust des rechten Armes im Schultergelenk, lange Jahre 
.hindurch voller Verdienst. 4. Verlust des linken Beines im oberen 
Drittel des Oberschenkels, nach 8 Monaten nur 45 pCt., nach weiteren 
6 Monaten nur 25 pCt. Einbusse an Einkommen. 5. Verlust des rechten 
Armes und der oberen Hälfte des Vorderarmes, keine Einbusse an Lohn. 
6. Verlust des rechten Armes und zugleich des linken Zeigefingers, 
keinerlei Behinderung in der früheren Röntgen- und Photographen¬ 
tätigkeit. 

Schüle - Freiburg i. B.: Ueber die unklaren Begnt&ehtungsfälle. 
(Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1912, Nr. 22.) Es werden Fälle besprochen, 
in denen sich für die subjektiven .Beschwerden der Patienten keine ob¬ 
jektiven Unterlagen finden lassen. Es wäre falsch, in solchen Fällen 
kritiklos das wirkliche Vorhandensein von Beschwerden zu leugnen. Man 
soll unter diesen Umständen eine Rente bewilligen, es sei denn, dass 
zuverlässige Zeugen übereinstimmend feststellen, dass der Betreffende 
tatsächlich seine Arbeit leisten kann. 

E. Bloch - Kattowitz: Traumatische Neurosen ohne Rentenansprnch. 
(Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1912, Nr. 24.) Neuerdings hat man den Vor¬ 
schlag gemacht, die traumatische Neurose nicht für eine entsebädigungs- 
pflichtige Unfallsfolge anzuerkennen, mit der Begründung, dass es ohne 
Unfallgesetz keine traumatische Neurose gäbe. Hiergegen macht Verf. 
Front und teilt fünf Fälle mit, in denen es nach einem Unfall zum 
typischen Symptomenkomplex einer traumatischen Neurose gekommen 
war, obwohl die Verletzten gar keine Rentenansprüche stellen konnten. 

Marcus - Berlin: Zur Frage der Linkshändigkeit in der Unfall¬ 
versicherung. (Monatsschr. f. Unfallheilk., 1912, Nr. 11.) Da die Ent¬ 
schädigungen für rechtsseitige Arm- und Handverletzungen durchschnitt¬ 
lich um 10 pCt. höher sind wie die linksseitigen, ist es für die Unfall¬ 
heilkunde von Wichtigkeit, Linkshänder und Rechtshänder voneinander 
zu unterscheiden. Es kann Vorkommen, dass Linkshänder mit links¬ 
seitigen Verletzungen höhere Renten verlangen, es gibt Berufe, in denen 
auch bei Rechtshändern die linke Hand bei der Arbeit eine führende 
Rolle spielt und schliesslich ist es auch möglich, dass Linkshänder bei 
Verletzung der rechten oberen Extremität dissimulieren, ihre tatsächlich 
bestehende Linkshändigkeit verschweigen und auf diese Weise sich in 
den Besitz einer Rente setzen, die sie gar nicht verdienen. Verf. be¬ 
rechnet, dass auf 170 000 rechtshändig verletzte Rentenempfänger 5100 
Linkser kommen dürften. Die bisher zur Entdeckung der Linkshändig¬ 


keit angegebenen Methoden von Käppel, Brüning und Engel werden 
geschildert. Doch sind dieselben noch nicht eindeutig in ihren Er¬ 
gebnissen. 

Lu barsch: Geschwülste und Unfall. (Monatsschr. f. Unfallheilk., 
1912, Nr. 9 u. 10.) Lubarsch erörtert in einem gelegentlich der Er¬ 
öffnung des III. internationalen medizinischen Unfallkongresses gehaltenen 
Vortrag die Beziehungen zwischen Geschwülsten uud Unfall. Da wir 
über die Ursache der Geschwülste überhaupt noch nichts wissen und 
keine der aufgestellten Theorien bewiesen ist, steht auch die trauma¬ 
tische Aetiologie noch auf schwankenden Füssen. Ein sicherer wissen¬ 
schaftlicher Beweis dafür, dass einmalige Gewalteinwirkungen die Ent¬ 
stehung von krankhaften Gewächsen direkt auszulösen vermögen, ist 
bisher nicht gebracht. Als beweisend angeführte klinische Beobachtungen 
und Statistiken sind deswegen nicht beweiskräftig, weil die anatomische 
Erfahrung immer mehr gezeigt hat, dass alle Arten von krankhaften 
Gewächsen e>ne lange Latenzzeit besitzen und zunächst auch nur lang¬ 
sam wachsen. Experimentelle Untersuchungen an Tiergewächsen, sowie 
Erfahrungen über den Einfluss selbst wiederholter Reizungen an mensch¬ 
lichen Gewächsen sprechen zum mindesten nicht für einen wachstums- 
beschleunigenden Einfluss einmaliger Unfälle. Nach L. ist ein ursäch¬ 
licher Zusammenhang zwischen einmaligem Trauma und maligner Ge¬ 
schwulst uur dann als einigermaassen wahrscheinlich anzusehen, wenn 
das Trauma derartig stark und so lokalisiert war, dass es eingreifende 
und länger dauernde Veränderungen an der Stelle hervorzurufen geeignet 
war, an der späterhin die Entwicklung des Gewächses beobachtet wurde, 
und wenn der zwischen Trauma und Manifestwerden des Tumors liegende 
Zeitraum ein derartiger ist, dass er mit Grösse, Art und histologischem 
Bau der Neubildung in Einklang gebracht werden kann. Eine Ver¬ 
schlimmerung uud eine Wachstumsbeschleunigung durch ein Trauma 
ist nur dann anzunehmen, wenn die Gewalteinwirkung geeignet war, 
eine starke Störung im Gewächs hervorzurufen, das Wachstum nach dem 
Trauma ein ungewöhnlich beschleunigtes war und die histologische Unter¬ 
suchung des Gewächses deutliche Spuren einer Gewalteinwirkung und 
Zeichen ungewöhnlichar Wachstumsbeschleunigung aufdeckt. 

G. Hirsch: Ueber Folgezustände nach Schädeltraumen und ihren 
Einfluss auf die Rentenfestsetzung. (Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1912, Nr. 23.) 
Verf. macht auf die grosse Wichtigkeit spezialohrenärztlicher Unter¬ 
suchungen bei Schädelverletzten aufmerksam. Unsere Methoden sind 
jetzt so verfeinert, dass man in vielen Fällen die Diagnose einer trauma¬ 
tischen Schädigung des inneren Ohres stellen kann. Ausführlich be¬ 
spricht er drei Fälle: vollkommene Taubheit und schwerste Gleichgewichts¬ 
störungen infolge doppelseitiger Labyrinthzerstörung; doppelseitige Mittel¬ 
ohrschwerhörigkeit verbunden mit doppelseitiger Labyrintherschütterung, 
vestibuläre Funktion erhalten; schwere Kommotionsneurose und drittens 
eine Erschütterung des rechten Ohrlabyrinths. 

Gr über-München: Angeblicher Unfall als paralytischer Anfall 
mit tödlichem Ausgange erklärt. (Monatsschr. f. Unfallheilk., 1912, 
Nr. 11.) In dem mitgeteilten Falle fiel die Wassermann’sche Reaktion 
an der Leiche positiv aus, und die Untersuchung des Gehirns ergab pro¬ 
gressive Paralyse. Aeussere Zeichen eines Schädeltraumas wurden nicht 
gefunden. Auch hatte das Benehmen des Verletzten bei dem angeb¬ 
lichen Unfall durchaus für einen paralytischen Anfall gesprochen. Nach 
Annahme des Verf. hat der paralytische Anfall als solcher zum Tode 
geführt. 

Harms - Tübingen: Ein- und doppelseitige Erblindung bzw. hoch¬ 
gradige Sehstörung unter dem ophthalmoskopischen Bilde des plötzlichen 
Verschlusses (der sogenannten Embolie), der Arteria centralis retinae 
nnd Unfall. (Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1912, Nr. 23.) Es werden vom 
Verfasser drei Fälle von Embolie der Arteria centralis retinae vom Stand¬ 
punkte der Unfallheilkunde besprochen. Es wird gezeigt, dass sowohl 
körperliche Anstrengungen wie Fremdkörperverletzung zu dieser Augen¬ 
affektion Veranlassung geben können. Es sind das wohl die ersten Fälle 
dieser Art, weiche zur Begutachtung gekommen sind. 

Mohr-Bielefeld: Dauernder Diabetes insipidus rach Schädelgrund- 
brach. (Monatsschr. f. Unfallheilk., 1912, Nr. 12.) Zwei bis drei Wochen 
nach einem Schädelbasisbruch trat bei einen 47 jährigen Steinbruchs¬ 
arbeiter ein enormes Durstgefühl auf, und die Urinmenge stieg schliess¬ 
lich auf 11—13 Liter in 24 Stunden. Dieser Zustand, ein zweifelloser 
Diabetes insipidus, bestand noch 14 Jahre nach dem Unfall, während 
die übrigen, direkten Folgeerscheinungen des Schädelbruches längst ge¬ 
schwunden waren. Trotz des Diabetes insipidus konnte der Verletzte 
aber andauernd schwere Arbeit verrichten. Der Körper kann sich also 
in weitgehendstem Maasse an die Polyurie gewöhnen. 

Mohr-Bielefeld: Poliomyelitis aaterior acata nnd Unfall. (Monats¬ 
schrift f. Unfallheilk., 1912, Nr. 12.) Den vier in der Literatur be¬ 
schriebenen Fällen von traumatischer akuter Poliomyelitis anterior fügt 
Verf. einen fünften hinzu, einen 20jährigen Mann betreffend, bei dem 
nach einen Sturz von 3 m Höhe von einer Leiter am darauffolgenden 
Tage Rückenschmerzen und 2 Tage später unter Kopfschmerzen, Er¬ 
brechen und Fieber eine vollständige Lähmung beider Arme auftrat. 
Die Lähmungen gingen nur teilweise zurück, so dass dauernd eine 
recht erhebliche Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit beider Arme 
zurückblieb. 

Speck-Leipzig: Amyotrophische Lateralsklerose nach Trauma. 
(Monatsschr. f. Unfallheilk., 1912, Nr. 11.) Den zehn bekannten Fällen 
von traumatischer amyotrophischer Lateralsklerose fügt Verf. einen 


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27. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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elften hinzu. Nach einem ziemlich heftigen Fall auf die linke Schulter, 
dessen Folgen eine medico-mechanische Behandlung erforderten, ent¬ 
wickelte sich etwa im Verlaufe von 8 Wochen zunächst ein Schwund 
der linken Armmuskulatur, kurz darauf Schwäche und Spannungsgefübl 
im linken Bein, dann ähnliche Erscheinungen in der rechten Körper¬ 
hälfte und schliesslich Schluckbeschwerden und Sprachstörungen. Der 
Muskelschwund und die starke Reflexerhöhung führten zur Diagnose: 
amyotrophische Lateralsklerose. 

Ru bin-Essen: Zur Kritik des Tranmas bei der Pnenmonie durch 
körperliche Anstrengung. (Monatsschr. f. Unfallheilk., 1912, Nr. 12.) 
In dem mitgeteilten Fall handelt es sich um die Frage, ob eine trau¬ 
matische Pneumonie zustande kommen kann ohne direkte Gewaltein¬ 
wirkung auf den Thorax lediglich infolge starker körperlicher Anstrengung 
durch heftige Anspannung aller Muskeln hei gleichzeitigem Glottisver¬ 
schluss. Die Möglichkeit dieses Mechanismus einer traumatischen Pneu¬ 
monie ist von Litten und Plehn zugegeben worden. Der Fall des 
Verf. liefert insofern einen wichtigen Beitrag für diese Streitfrage, als 
hier bei der Sektion starke Blutungen in dem rechten Rectus abdominis 
stattgefunden hatten. Auf solche Gefäss- und Muskelverletzungen in 
den Bauchmuskeln wird man in zukünftigen Fällen von traumatischer 
Pneumonie achten müssen. 

Thiem-Cottbus: Traumatische Lungenentzündung. (Monatsschr. 
f. Unfallheilk., 1912, Nr. 11.) Am 29. November 1911 erlitt ein 41 jäh¬ 
riger Former beim Tragen eines schweren Kastens einen Stoss an der 
rechten Brustseite. Er klagte sofort über Schmerzen und erbrach am 
Nachmittag schon Blut. Abends bestand bereits Fieber und blutiger 
Auswurf und über der rechten Lunge waren zahlreiche kleinblasige 
feuchte Rasselgeräusche zu hören. Schon am Abend des folgenden 
Tages trat Lungenödem ein, und Patient starb. Die Sektion ergab eine 
croupöse Pneumonie des rechten Oberlappens, ein schlaffes Herz und ein 
pleuritisches Exsudat. Th. erklärt diese Beobachtung für einen Schul¬ 
fall traumatischer Lungenentzündung: Schmerzen nach dem Stoss, wieder¬ 
holte Klagen über Brustschmerzen im Laufe des Tages und Arbeits¬ 
unlust, Bluthusten schon 6 Stunden nach der Verletzung, kein beginnen¬ 
der Schüttelfrost, sehr frühzeitiger und heller blutiger Auswurf, schneller 
Tod. 

Lossen - Coblenz: Zur traumatischen Entstehung der Pankreas- 
apnplexie. (Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1912, Nr. 22.) Pankreasapoplexien 
treten am häufigsten nach direkter Gewalteinwirkung auf die obere 
Bauchregion ein, weit seltener erfolgen sie im Anschluss an eine schwere 
Körperanstrengung. Einen Fall letzterer Art beschreibt Lossen. Ein 
30jähriger Kutscher empfindet beim Heben einer schweren Last plötz¬ 
lich äusserst heftige Schmerzen in der linken Bauchseite, die ihn sofort 
zur Niederlegung der Arbeit zwingen, innerhalb zwei Tagen verschlechtert 
sich der Zustand rapide, es kommt unstillbares Erbrechen hinzu, der 
Leib wird aufgetrieben und sehr druckschmerzhaft, der Puls wird hoch¬ 
frequent und sehr klein, und der Tod erfolgt. Die Sektion ergibt eine 
Hämorrbagie, welche den Schwanzteil des Pankreas zertrümmert hat und 
in das retroperitoneale Gewebe eingedrungen ist. Man findet ferner 
zahlreiche Fettgewebsnekrosen und eine Peritonitis. 

H. Hirschfeld. 

Siehe auch Pathologie: Fauth, Trauma und Syringomyelie. 


Technik. 

E. Plate: Ueber einen nenen Vibrator mit erhöhter Erschüttertings- 
zahl. (Zeitschr. f. pbysikal. u. diätet. Therapie, Januar 1913.) Mit 
den schnell aufeinanderfolgenden Reizen der Vibration gelingt es einmal, 
eine der Massage ähnliche resorptionsbefördernde Wirkung zu erzielen, 
die sich auch auf tiefe Gewebsschichten erstreckt, ausserdem lindert die 
Vibration Schmerzen. P. hat einen „Rapidvibrator“ konstruiert, der 
eine erhöhte Erschütterungszahl ermöglicht. Die verschiedensten thera¬ 
peutischen Versuche sind damit im Gange. 

S. Auerbach: Eine praktische Untersnchongselektrode. (Zeit¬ 
schrift f. pbysikal. u. diätet. Therapie, Januar 1913.) A. bespricht zu¬ 
nächst den Vorzag, den abgeklemmte Elektroden vor geraden haben: 
Schatten fallen fort, man ermüdet nicht so leicht ... Er hat diese 
Elektrode nun noch weiter modifiziert und an der rechteckigen Ab¬ 
biegung ein Kugelgelenk hergestellt, in welchem die Elektrode nach 
allen Richtungen bin beweglich ist. Durch einen kleinen Schraubstift 
kann sie in jeder beliebigen Stellung fixiert werden. E. Tobias. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 15. Januar 1913. 

Vorsitzender: Herr Orth. 

Schriftführer: Herr F. Krause. 

Vorsitzender: Ausgetreten ist krankheitshalber Herr Geheimrat 
Prof. Dr. Küster, seit 1866 Mitglied. 

Vor der Tagesordnung. 

Hr. S. Rasenkerg: Die Erkenntnis von der ausserordentlichen Be¬ 
deutung der endokrinen Drüsenprodukte für die Oekonomie des Körpers 


hat dazu geführt, in immer steigendem Ausmaasse diese Hormone bzw. 
die Drüsen selbst der Therapie zugängig zu machen, und es gibt heute 
wohl wenig Aerzte, die nicht schou Gelegenheit gehabt hätten, den Aus¬ 
fall von Schilddrüsen- oder Ovarialfunktion durch Verfütterung der ent¬ 
sprechenden Drüsen auszugleichen. Nun können wir aber eine derartige 
direkte Therapie allemal nur da in Anwendung bringen, wo die Funktion 
der Drüse herabgesetzt oder aufgehoben ist, nicht aber in jenen Fällen, 
wo ein Krankheitszustand die Folge einer Ueberfunktion einer Drüse ist, 
wie das bei der Basedow’schen Krankheit der Fall ist. Unter solchen 
Umständen müssen wir andere Bahnen einschlagen, und da kommt uns 
zustatten, dass manche Drüsen in anderen drüsigen Gebilden ihre Anta¬ 
gonisten finden, so dass man daran denken kann, diese Antagonisten 
für die Therapie nutzbar zu machen. Die Basedow’sche Krankheit be¬ 
ruht, wie das ja allgemein bekannt ist, auf einer Ueberfunktion der 
Thyreoidea. Andererseits ist durch die wissenschaftliche Forschung fest¬ 
gestellt worden, dass die Thyreoidea in den Beischilddrüsen, den Para¬ 
thyreoideae oder Epithelkörperchen ihre Antagonisten findet. So lag der 
Gedanke sehr nahe, einmal den Versuch zu machen, durch Epithel¬ 
körperchenbehandlung die Basedow’sche Krankheit zu beeinflussen. 

Als ich an diese Frage herantrat, war mir nicht bekannt, dass sie 
von anderer Seite schon in Angriff genommen war. Ich 'habe später 
beim Studium der Literatur gefunden, dass einige Autoren sich mit 
dieser Therapie bereits beschäftigt hatten, und dass andere Autoren so¬ 
gar soweit gegangen sind, den Nutzen des Moebius’schen Serums und 
des Rodagens auf zufällige Beimengungen von Epithelkörperchenextrakt 
zu beziehen, eine Auffassung, die sicher weit über das Ziel hinaussebiesst. 
Immerhin ist aber diese Therapie bisher sehr wenig geübt und vielleicht 
noch weniger bekannt geworden. Ich glaubte daher, dass es für Sie als 
Praktiker von Interesse sein würde, einmal zu sehen, was man mit dieser 
Therapie erreichen kann. 

Dieses junge Mädchen, das jetzt 18 Jahre alt ist, erkrankte vor zwei 
Jahren mit starken Herzpalpitationen, Schwellung des Halses und Vor¬ 
wölbung der Augen. Sie wandte sich an die hiesige chirurgische Poli¬ 
klinik, wo man ihr sagte, dass sie basedowkrank sei. Dann ging sie in 
das Krankenhaus Westend, wo man kurzerhand, wie Sie das aus den 
Narben am Halse sehen können, die ganze rechte Hälfte der Thyreoidea 
entfernte. Der Erfolg dieser Operation war absolut gleich null, auch in 
bezug auf die subjektiven Beschwerden. Obwohl dann die Patientin 
nachher vom Krankenhaus noch iü ein Erholungsheim kam, wo sie fünf 
Wochen vollständig ohne jede Anstrengung leben konnte, liess sich nicht 
der geringste Einfluss auf ihren subjektiven und objektiven Zustand er¬ 
kennen. Sie litt in den folgenden zwei Jahren ausserordentlich unter 
Herzbeschwerden, so dass die Aerztin, welche sie behandelte, Frau 
Dr. Cronheim, die mir die Patientin auch zugewiesen hat, sie dauernd 
unter Herzmitteln halten musste. Im November des eben vergangenen 
Jahres kam die Patientin dann zu mir, und ich hatte nun Gelegenheit, 
die Epithelkörpercheotherapie bei ihr zu versuchen. 

Was das Präparat anlangt, so kann man Epithelkörperchen in 
Tablettenform hier in Berlin sehr wohl bekommen. Ich habe mich aber 
bei physiologischen Untersuchungen von der ausserordentlichen Ueber- 
legenheit injizierbarer Präparate gegenüber den innerlich verwendeten 
überzeugen können, und so hatte ich den Wunsch, auch bei dieser 
Patientin ein flüssigos, injizierbares Präparat anzuwendeo. Ein solches 
war aber nirgends zu haben; daher wandte ich mich an die Firma 
Hoffmann, La Roche & Co. in Basel und Grenzach mit der Anfrage, ob 
man mir ein derartiges Präparat hersteilen könnte. Die Herren von der 
wissenschaftlichen Abteilung dieser Firma gingen mit der grössten Bereit¬ 
willigkeit auf meinen Wunsch ein, und ich bin ihnen zu ausserordent¬ 
lichem Danke für die viele Mühe verpflichtet, die sie sich gegeben haben, 
und für ihr Entgegenkommen, durch das sie es mir ermöglichten, diese 
Therapie zu üben und mich mit diesen Dingen zu beschäftigen. Die 
Herren stellten mir also die Präparate, deren ich benötigte, her und 
Hessen sie gleich von ihrem eigenen Physiologen untersuchen. Da 
stellte sich eine ausserordentlich bemerkenswerte Tatsache heraus. Es 
fand sich nämlich, dass die Epithelkörperchen in bezug auf ihr physio¬ 
logisches Verhalten ausserordentlich unter sich differieren. Es gibt 
Epithelkörperchenextrakte, die, wenn man sie an der Uterusmuskulatur 
der Ratte oder der Dünndarmmuskulatur des Meerschweinchens prüft» 
den Tonus der Muskulatur herabsetzen, und es gibt andere, die dent 
Tonus erhöhen. Entsprechend dieser physiologischen Differenz habe ich 
denn auch in bezug auf die therapeutische Wirkung Unterschiede fest¬ 
stellen können. 

Es wurde mir zunächst ein Präparat geschickt, welches von Schafs¬ 
drüsen gewonnen war, und welches den Tonus herabsetzte. Dieses 
Präparat prüfte ich zunächst an einem Falle von Spasmopbilie und fand 
es absolut unwirksam. Dann wurde mir ein anderes Präparat geschickt,, 
welches von Schweinedrüsen gewonnen worden war, und welches im 
Gegensatz zu dem ersten Präparat den Tonus der Muskulatur erhöhte. 
Auch dieses Präparat prüfte ich an einem Falle von Spasmopbilie und 
fand es wirksam. Dieses Präparat, „Paraglandol Roche“, wie die Fabrik 
es genannt hat, ist auch das Präparat, das ich bei dieser Patientin mit 
gutem Erfolg angewandt habe. Ich machte der Patientin zunächst 
12 Injektionen, täglich eine von 1 ccm, entsprechend 0,1 frischer 
Epithelkörperchensubstanz. Dann war ich gezwungen, die Therapie zu 
unterbrechen, weil mein Material ausgegangen war. Erst nach zehn¬ 
tägiger Pause konnte ich die Behandlung wieder aufnehmen. 

Nun machte sich aber eine ausserordentlich unangenehme Er¬ 
scheinung bemerkbar. Unmittelbar nach der ersten Injektion der zweiten 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 4. 


Serie schwoll der Arm der Patientin, in den ich injiziert batte, sehr 
stark an und wurde dunkelblaurot. Es sprossen Urticariaquaddeln auf, 
und die Patientin wurde von heftigem Jucken und heftigen Schmerzen 
geplagt. Die Erscheinungen dauerten bis zum nächsten Morgen, dann 
klangen sie wieder ab. Als ich am Nachmittag eine neue Injektion 
machte, traten die gleichen Erscheinungen wieder auf, und das ging die 
nächsten 10 Tage so fort; allerdings in der Weise, dass die genannten 
Symptome immer mehr abnahmen und nach der zehnten Injektion der 
zweiten Serie nicht mehr zur Beobachtung kamen. 

Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass es sich hier um eine 
Erscheinung der Anaphylaxie gehandelt habe. Und wenn diese anaphy¬ 
laktische Erscheinung lokalisiert blieb und nicht der Patientin einen 
schweren Allgeraeinschaden zufügte, so ist das vielleicht einem be¬ 
sonderen Umstand zuzuschreiben. Ich hatte nämlich von Anfang an der 
Patientin neben dem Epithelkörperchenextrakt innerlich noch Calcium¬ 
chlorid gegeben, und zwar dreimal täglich 1 g, um die Erregbarkeit des 
Nervensystems herabzustimmen und um tonisierend auf das Herz zu 
wirken. Sie wissen, dass nach beiden Richtungen hin das Chlorcalcium 
empfohlen worden ist. Nun ist aber auch bekannt, dass das Calcium¬ 
chlorid ein wirksames Antianaphylakticum sein soll. Vielleicht ist es 
diesem Umstand zuzuschreiben, dass die Patientin von schweren all¬ 
gemeinen Erscheinungen verschont geblieben ist. 

Was den Effekt der Behandlung anbelangt, so wird er deutlich 
werden, wenn ich nebeneinanderstelle, wie das Befinden der Patientin 
vor und nach der Behandlung war. Als die Kranke in meine Behand¬ 
lung eintrat, klagte sie über sehr heftige Herzpalpitationen; sie litt bei 
der geringsten Bewegung an heftiger Atemnot und war von Schweiss 
bedeckt; ihr Schlaf war unruhig, weil sie dauernd von wüsten, lebhaften 
Träumen geplagt wurde. Diese Erscheinungen sind vollkommen ge¬ 
schwunden. Die Patientin hat jetzt subjektiv keine Spur von Herz¬ 
klopfen mehr, sie schläft ausgezeichnet, und sie hat mir erst vorgestern 
gesagt, dass sie jetzt mit der grössten Bequemlichkeit 3 Treppen hinauf¬ 
laufen kann und erst bei der 4. Treppe kurzatmig wird. Die Schweiss¬ 
ausbrüche sind zurückgegangen, sie merkt bei der Arbeit so gut wie gar 
nichts mehr davon. 

Was die objektiven Symptome anbelangt, so zeigte die Patientin 
einen ausserordentlich hochgradigen Exophthalmus, so dass sie die Vor¬ 
wölbung des Auges als heftige Spannung in den oberen Augenlidern 
empfand, und dass sie im Schlaf die Augen nicht vollkommen schliessen 
konnte, wie ihre Mutter konstatierte. Die Augen blieben halb offen, 
weil die oberen Augenlider nicht imstande waren, den Bulbus zu be¬ 
decken. — Die Augenlidspalten waren sehr ungleich, derart, dass die 
rechte Spalte erheblich weiter war als die linke. Die Patientin, die 
diese Erscheinung beobachtete und nicht richtig deutete, glaubte, ein 
schiefes Gesicht zu haben. Der Glanz der Augen war verstärkt, Stell- 
wag’sches und Graefe’sches Symptom waren positiv. Nun, diese Er¬ 
scheinungen sind zurückgegangen. Die Protrusion der Bulbi ist jetzt 
nur noch ausserordentlich gering. Die Patientin schläft, wie ihre Mutter 
feststellte, mit geschlossenen Augen, sie empfindet nicht mehr die 
Spannung in den oberen Augenlidern, die Lidspalten sind beinahe gleich 
geworden; Stellwag’sches Symptom ist ganz negativ, Graefe’sches Sym¬ 
ptom ist nur noch hin und wieder positiv. Moebius’sches Symptom ist 
negativ. Ich habe leider bei Beginn der Behandlung versäumt, darauf 
zu achten, ob es damals positiv war. 

Was die Verhältnisse des Halses angeht, so hörte man früher über 
der Struma der linken Halsseite bei leichtestem Ansatz des Stethoskops 
ein ausserordentlich lautes Brausen und Rauschen. Das ist so zurück¬ 
gegangen, dass man bei leisem Auskultieren überhaupt nichts mehr 
hört und bei festem Aufsetzen des Stethoskops nur noch leise Geräusche 
wahrnimmt. 

Der Halsumfang ist um 1 cm zurückgegangen. Das ist an und für 
sich wenig, aber sie müssen bedenken, dass sich dieser Rückgang nur 
auf die linke Halsseite bezieht, und dass auf der rechten Seite 
Thyreoideamasse, die hätte zurückgehen können, gar nicht mehr vor¬ 
handen ist. — Bei Beginn der Behandlung zeigte die Patientin an den 
ausgestreckten Händen einen ausserordentlich lebhaften, kleinwelligen 
Tremor. Wenn die Patientin jetzt die Hände ausstreckt, so sehen 
Sie, dass davon in irgendeiner pathologischen Weise gar nicht mehr die 
Rede ist. 

Das einzige Symptom, das völlig unbeeinflusst geblieben ist, sind 
die Verhältnisse am Herzen. Die Patientin hatte, als sie in die Be¬ 
handlung eintrat, eine Pulsfrequenz von 134 Schlägen im Sitzen und 
124 im Liegen. Im Anfang der Behandlung ging diese Pulsfrequenz bis 
auf 118 Schläge zurück, dann stieg sie wieder an und liegt jetzt ge¬ 
wöhnlich zwischen 125 und 130. Heute ist sie besonders hoch. Die 
Patientin ist gerade menstruiert, vielleicht hat sie sich auch wegen der 
Vorstellung etwas aufgeregt. Ich habe vorhin 140 Schläge im Sitzen 
und 136 Schläge im Liegen gezählt. Das ist das einzige Symptom, das 
durch die Behandlung nicht gebessert wurde. 

Was die Prognose des Falles anlangt, so müssen wir von der Tat¬ 
sache ausgehen, dass die Patientin eine Uebererregbarkeit des sym¬ 
pathischen Systems heute noch zeigt. Das dürfte es sehr wahrschein¬ 
lich erscheinen lassen, dass, wenn mit der Therapie vollkommen auf¬ 
gehört wird, dann wohl auch ein Recidiv nicht ausbleiben wird. Aber 
ich bitte Sie zu bedenken, dass hier ein ungewöhnlich schwerer Fall 
vorliegt, der durch eine ausgedehnte Operation nicht im geringsten be¬ 
einflusst worden ist. Schliesslich können wir Aerzte auch nicht jede 
Krankheit, die uns zugeht, vollkommen heilen, sondern müssen uns oft 


zufrieden geben, wenn es uns gelingt, das Los der Patienten zu er¬ 
leichtern, ihre Beschwerden zu mindern und ihre Arbeitsfähigkeit zu 
erhöhen. Und dass dies bei der Basedow’schen Krankheit auf dem ein¬ 
geschlagenen Wege möglich ist, das wird Ihnen der vorgestellte Fall 
wohl bewiesen haben. 

Diskussion. 

Hr. F. Krause: Darf ich zunächst fragen, wann die Operation aus¬ 
geführt ist, und wann die Injektiousbehandlung angefangen wurde? 

Hr. S. Rosenberg: Die Operation ist vor 2 Jahren ausgeführt 
worden, die Injektionsbehandlung habe ich Ende November 1912 be¬ 
gonnen. Die erste Injektion habe ich am 25. November 1912 gemacht 
und bis heute 32 mal wiederholt. 

Hr. F. Krause: Dann ist es allerdings wohl unzweifelhaft, dass 
die Injektionstherapie den Nutzen gestiftet hat. Sonst, wenn die Operation 
näher an der Iojektionstherapie herangelegen hätte, würde man zweifeln 
können, von welcher Art der Behandlung der Nutzen ausgegangen wäre. 
Denn an sich ist die Exstirpation der halben Struma bei schwerer 
Basedowerkrankung rationell, und wir sehen davon zuweilen ausgezeichnete 
Erfolge. Aber so gut wie niemals sofort, sondern wir müssen monate¬ 
lang warten, weil es sich um eine schwere Intoxikationskrankheit 
handelt, die erst sehr langsam abklingt. Da der Herr Kollege erst 
2 Jahre nach der Operation mit der Injektionstherapie begonnen hat, 
muss ich doch gestehen, dass diese hier den Nutzen geschaffen zu haben 
scheint. 

Tagesordnung. 

1. HHr. Morgenroth und Giesberg: 

Homhaatanästhesie dnreh Chinaalkaloide. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

Diskussion. 

Hr. Ernst Unger: Herr Morgenroth hat mir vor mehreren 
Wochen eine 2 prom. Lösung des Isoamylhydrocupreinchlorhydrat zur 
Verfügung gestellt, um es au einem chirurgischen Material zu probieren. 
Ich habe in meiner Klinik uud in der Klinik des Herrn Ludwig Meyer 
an einer Anzahl Hernien, Varicen, Tumoren usw. das Mittel als Lokal- 
anästheticum benutzt. Man kann — uud das ist vielleicht ein Vorzug 
dieses neuen Präparats — sehr grosse Mengen verwenden, sicher bis 
500 g. Wir sind bei den übrigen bisher gebräuchlichen Anästhetica ja 
an gewisse Mengen gebunden, um nicht die toxische Dosis zu erreichen, 
z. B. bei dem 1 J 2 proz. Novocain bis 300 g. Nimmt man das Präparat 
ohne Adrenalin, so tritt eine störende Hyperämie auf. Nimmt man es 
dagegen mit Adrenalin, das sich vollkommen damit verträgt, so ist die 
Blutung gering. Das Präparat wirkt aber später wie Novocain, die 
Anästhesie tritt mehrere Minuten später ein, scheint aber länger vorzu¬ 
halten. 

Einen Vorteil glaube ich konstatieren zu können — das Material 
ist natürlich noch nicht gross —, dass die Nachschmerzen geringer sind 
als bei Novocain-Adrenalin. 

Wenn auch eigentlich unser Bedarf an neuen Anästhetica für die 
Chirurgie nicht gerade so sehr gross ist, so glaube ich doch, dass es 
sich verlohnt, das Präparat einmal an einem grösseren Material zu 
prüfen. Wir können gar nicht wissen, welche Vorteile es uns gibt, be¬ 
sonders bei solchen Operationen, bei welchen grosse Mengen Flüssig¬ 
keiten notwendig sind. Ich würde also empfehlet), es an einem grossen 
Material zu prüfen. 

2. HHr. H. Oppenheim und F. Krasse: 

Partielle Entfernung des Wnrms wegen Oeschwnlstbildong unter 
breiter Eröffnung des vierten Ventrikels. (Mit Krankenvorstellung.) 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift. 

Diskussion. 

Hr. Max Rothmann: Der schöne Fall, den die Herren Oppen¬ 
heim und Krause heute vorstellten, ist nach mancher Richtung be¬ 
sonders bemerkenswert. Zunächst, weil er wiederum zeigt, dass in der 
menschlichen Hirnchirurgie die an den höheren Tieren gewonnenen 
Erfahrungen der Hirnpbysiologie ausserordentlich beachtet werden 
müssen, da die Verhältnisse in weitgehendem Maasse gleichartige 
sind. Denn das, was hier so neu und überraschend erscheint — die 
Freilegung des vierten Ventrikels —, ist eine Operation, die seit langem 
in der Hirnphysiologie geübt wird. Der Vater der modernen Kleinhirn¬ 
physiologie, Luciani, hat an Affen den ganzen Kleinhirnwurm in toto 
entfernt, nicht nur die Rinde, sondern auch die Kerne, und hat, was 
ausserordentlich bemerkenswert ist, nachweisen können, dass schon am 
dritten oder vierten Tage die Lokomotion und das Greifvermögen mit 
gewissen Schädigungen, aber doch weitgehend erhalten war und sich 
sehr schnell beinahe zur Norm restituierte. 

Nun ist, wenn man diesen Fall hier wissenschaftlich verwertet, 
daran zu erinnern, dass wir heute genau wissen, dass wir bei der Klein- 
hirnfunktion die Rinde und die Kerne streng unterscheiden müssen. 
Wenn man den Wurm ausgedehnt exstirpiert, so muss man den medianen 
Kern, den Nucleus fastigü, mit zerstören. Das scheint mir nun in 
diesem Fall nicht geschehen zu sein; nur der dorsale Abschnitt der 
Rinde des Kleinhirnwurms ist geschädigt, die Kerne sind völlig intakt 
geblieben. Das erklärt sehr gut die verhältnismässig schnelle voll¬ 
kommene Restitution in diesem Falle. Ich glaube, dass man auch bei 
einer Geschwulst, die weiter nach vorn reichte, die also tatsächlich den 
Wurm bis in die Kernregion hinein ergriffen hätte, eine Exstirpation 
vornehmen dürfte. Nach den Versuchen, die am Affen vorliegen, sind 


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UNIVERSITÄT OF IOWA 



27. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


181 


auch so weitgreifende Operationen ohne Schädigung für die Atmung und 
die Pulsfrequenz, ohne Glykosurie usw. gut ausführbar. Abor sowie die 
Kleinhirnkerne mit befallen sind, ist die funktionelle Schädigung ausser¬ 
ordentlich schwer, während bei Intaktsein derselben sich Ausfalls¬ 
erscheinungen sehr schnell zurückbilden. 

Zum Schluss möchte ich nur noch eine Frage an die Herren Vor¬ 
tragenden richten: ob in diesem Fall auf die modernen Untersuchungen 
von Bäräny geachtet worden ist? Sie wissen, dass Bäräny ausser¬ 
ordentlich wertvolle Untersuchungen angegeben hat, einmal um Ausfalls¬ 
erscheinungen im Gebiet der Kleinhirnhemisphären nachzuweisen durch 
die spontanen und vestibulär ausgelöston Ausfallserscheinungen in den 
Zeigerichtungen der Arme, eventuell auch der unteren Extremitäten, 
dass er aber ausserdem neuerdings darauf hingewiesen hat, dass solche 
Störungen der Zeigerichtung sich auch am Kopf nachweisen lassen, und 
zwar speziell bei Wurmschädigungen. In diesem Falle, in dem die 
ganze vordere Wurmpartie intakt war, ist es nicht wahrscheinlich, dass 
sich solche Zeigestörungen des Kopfes fanden. Da aber die linken 
Extremitäten sicher geschädigt waren, da sich eine Adiadochokinesis fand 
— die bekannte von Babinski angegebene Erscheinung des Ausfalls 
der Antagonistenbewegungen —, so ist es sehr wahrscheinlich, dass in 
diesem Fall bei darauf gerichteter Untersuchung vor der Operation sich 
solche Zeigestörungen der Extremitäten nachweisen Hessen. Wenn auch 
zuzugeben ist, dass in diesem Falle die diagnostische Bedeutung nicht 
beträchtlich ist, weil sowohl die Kopfregion des Wurms als auch die 
Hemisphären intakt geblieben sind, so ist doch immer wieder zu be¬ 
tonen, dass diese Baräny’schen UntersuchungsmethodeB, wie ich mich 
selbst oft überzeugt habe, von ausserordentlich grosser diagnostischer 
Bedeutung sind. Ich glaube, dass wir heute — und darin wird Herr 
Oppenheim mit mir vollständig übereinstimraen — diese Untersuchungen 
bei Kleinhirnaffektionen nicht mehr entbehren können. 

Hr. H. Oppenheim (Schlusswort): Ich will mit der letzten Frage zu¬ 
erst beginnen. Natürlich haben wir an die Bäräny’schen Versuche ge¬ 
dacht, wenn auch in der Zeit, als die Kranke zu uns kam, über die 
Zeigeversuche noch nichts bekannt war. Es lagen aber die Unter¬ 
suchungen vor, welche sich auf den kalorischen Nystagmus beziehen, 
und dessen Einfluss auf das Verhalten des Patienten. Wir haben uns 
aber bei einem so sensiblen Individuum, wie es die vorgestellte Dame 
ist, gescheut, diese Untersuchung vorzunehmen, zumal sie durch ihr 
Leiden überaus gequält war. Wir haben uns jetzt darauf beschränkt, 
den spontanen Zeigeversuch zu machen. Der ist ganz normal aus¬ 
gefallen. Ich habe es aus dem angeführten Grunde immer noch hinaus¬ 
geschoben, die etwas eingreifenderen Ausspritzungsversuche, deren Wert 
ich sehr hoch stelle, bei ihr vorzunehmen. 

Dann hat Herr Rothmann darauf hingewiesen, dass die Physio¬ 
logen seit langem den Boden des vierten Ventrikels freilegen, ohne dass 
dadurch eine Schädigung des Versuchstieres bedingt wird. Aber die 
Verhältnisse, wie sie hier vorliegen, dürfen damit nicht vollkommen ver¬ 
glichen werden. Han kann sich doch nicht vorstellen, dass die Aus¬ 
räumung einer solchen Geschwulst mit alledem, was dazu gehört, ganz 
spurlos an dem vierten Ventrikel vorübergeht. Sie wissen und haben 
es aus der Darstellung vorhin entnommen, dass im Anschluss daran eine 
lebhafte Vermehrung des Liquor cerebralis entstanden ist. Es muss 
doch dabei zu Veränderungen in der Umgebung kommen, und gerade das hat 
uns so befremdet, dass diese sich nicht durch alarmierende Symptome 
geäussert haben. 

Hr. F. Krause (Schlusswort): Ich möchte bloss noch ein Wort 
über den vierten Ventrikel auf Grund der Aeusserungen des Herrn 
Rothmann hinzufügen. In diesem Falle habe ich zunächst gar nicht 
gewusst, dass ich den vierten Ventrikel geöffnet hatte. Ich habe, als 
die Geschwulst herausgenommen war, wegen der Blutung einen Tampon, 
natürlich zart, aufgedrückt, und erst als ich den Tampon wegnahm, sah 
ich zu meinem Erstaunen die Rautengrube vor mir. Also ist in diesem 
Falle ein gewisser mechanischer Reiz, wenn auch geringer Art, auf den 
Boden des vierten Ventrikels, in dem ja diese gefährlichen Kerne liegen, 
ausgeübt worden. In unseren späteren Fällen, die der Herr Kollege 
Oppenheim erwähnt hat, namentlich in dem letzten, wo ich, um dem 
Knaben wegen seiner grossen Qualen zu helfen, in ausgedehnter Weise 
den vierten Ventrikel und den Aquaeductus Sylvii freilegte, habe ich 
gleichfalls jede Schädigung der Rautengrube vermieden. Das Dach des 
vierten Ventrikels kann man fortnehmen, aber die Basis, wo die Kerne 
liegen, darf man nicht verletzen. In dem letzten Fall, bei dem zwölf¬ 
jährigen Knaben, habe ich niemals den Finger oder einen Tupfer auf 
den Boden des vierten Ventrikels, auf die Rautengrube gebracht; diese 
Vorsicht halte ich für durchaus notwendig. 

Ich stimme auch mit Herrn Oppenheim darin überein, dass eine 
dauernde Tamponade, in dieser Gegend angelegt, unzweifelhaft den Tod 
infolge der sekundären traumatischen Einflüsse herbeiführen würde. 
Daran ist ja mein erster so operierter Kranker gestorben, ein neun¬ 
jähriger Knabe. Damals habe ich wegen der venösen Blutungen, die ich 
nicht sofort stillen konnte, einen Tampon eingelegt und liegen lassen. 
Der Knabe hat sieben Tage im besten Wohlbefinden gelebt. Als ich 
an diesem Tage den Tampon entfernte, ging es ihm noch gut. Bald 
darauf bekam er einen Krampfanfall und starb unter den Erscheinungen 
der Erstickung. Ich bin fest überzeugt, dass die Tamponade, auch wenn 
sie aseptisch ist, eine traumatische Erweichung, und sei sie auch mini¬ 
mal, hervprzubringen vermag. Das ist der Grund, weshalb ich immer 


betone: aseptische Hirn wunden sollen nicht tamponiert werden, auch 
wenn grosse Höhlen Zurückbleiben. Es soll kein Drain und kein Tampon 
im Gehirn zurückgelassen werden. 


Gesellschaft der Charitö-Aerzte. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 5. Dezember 1912. 

Vorsitzender: Herr Franz. 

Schriftführer: Herr Buth. 

Tagesordnung. 

1. Hr. Ascliheim: 

Demonstration eines retroperitonealen Sarkoms. 

M. H.! Das Präparat, das ich Ihnen hier vorstelle, betrifft einen 
Fall von primärem retroperitonealen Sarkom. Es stammt von einer 
54 jährigen Frau, aus deren Krankengeschichte ich nur folgendes hervor¬ 
hebe: Die Patientin ist sechsmal entbunden worden. Innerhalb der 
letzten sechs Jahre sind ihr von ihrem Hausarzt dreimal Polypen am 
Uterus entfernt worden. Sie kam in die Charite, weil sie in den letzten 
acht Wochen dauernd Schmerzen im Unterleib hatte und über Ver¬ 
stopfung sowie Mattigkeit klagte. Bei der Untersuchung zeigte sich der 
Uterus unerheblich vergrössert; aus dem äusseren Muttermunde ragten 
Polypen heraus. Rechts neben dem Uterus war ein über faustgrosser 
Tumor zu fühlen. In Narkose wurden die Polypen abgetragen. Dann 
wurde durch Querschnitt der Leib eröffnet. Es zeigte sich, dass Uterus 
und Adnexe normal waren, während rechts auf dem Psoas ein über 
faustgrosser Tumor sass. Dieser war mit den Dünndarmschlingen und 
dem Netz fest verwachsen. Nach Lösung der Adhäsion zeigte sich ein 
grosser weicher, stark blutender, leicht zerreissender Tumor. Schon bei 
der Operation konnte man sehen, dass es sich um einen malignen Tumor 
handelte. Er war mit der Scheide der Ureteren und der grossen Ge- 
fässe in grossem Umfange fest verwachsen. Von diesen wurde er vor¬ 
sichtig abgetrennt. Dann liess er sich ziemlich in toto entfernen. 
Einige kleine Reste wurden noch herausgenommen, so dass am Schlüsse 
der Operation im Wundbett nichts von Tumor mehr zu sehen war. Da 
aber Malignität vorlag und auch der Verdacht bestand, dass der ent¬ 
fernte Polyp malign war, so wurde die Totaloperation des Uterus und 
der Adnexe angeschlossen. 

Das Präparat stellt nun den Uterus dar, an dem man noch an der 
Hinterwand im Corpus die Basis des Polypen sieht. Mit dem Uterus 
im Zusammenhänge sind die linken Adnexe, die nichts Besonderes auf¬ 
weisen. Der Tumor selbst ist über faustgross, sehr stark zerrissen und 
zerklüftet, mit Netzadhäsionen bedeckt. An ihm haften noch, deutlich 
von ihm durch Teile des Ligamentum latum getrennt, das rechte Ovarium 
und die rechte Tube. Mikroskopisch erweist sich der Haupttumor als 
Sarkom, und zwar überwiegen im mikroskopischen Präparat die Spindel¬ 
zellen; bei einigen Partien sind auch reichliche Mengen Riesenzellen zu 
sehen, in anderen wiederum Rundzellen. Es handelt sich also um ein 
gemischtzelliges Sarkom mit überwiegenden Spindelzellen oder um ein 
Spindelzellensarkom mit Einschluss von Riesenzellen. Von dem übrigen 
mikroskopischen Befunde ist hervorzuheben, dass der Polyp ein fibro- 
adenomatöser ist; er zeigte an der Basis einige zellreichere Partien. 
Jedoch sind in diesem die Kerne alle gleichmässig gestaltet und gefärbt, 
so dass nicht eine sarkomatöse Degeneration in Betracht kommt. An 
der Tube ist nichts Besonderes zu bemerken. Ich hebe nun noch hervor, 
dass an dem einen Ovarium sehr hübsch zwei gestielte Corpora lutea 
zu sehen sind. 

Die Neubildungen im Beckenbindegewebe sind nicht gar so selten. 
Wir unterscheiden vier Arten, nämlich die im Bindegewebe primär ent¬ 
standenen, Fibrome, Sarkome, Lipome, dann die aus embryonalen Organ¬ 
resten bervorgegangenen, aus dem Parovarium entstandenen Parovarial- 
cysten, Cysten des Gärtnerganges; ferner die aus Urnierenresten und 
versprengten Nebennierenteilen entstandenen Gebilde. Weiter kommen 
im Ligamentum latum Tumoren vor, die aus der Nachbarschaft hinein¬ 
gewachsen sind, also Myome, die sich im Ligamentum latum entwickelt 
haben, Ovarialtumoren, solide oder cystische, die in das Ligamentum 
hineingewachsen sind; endlich metastatische Tumoren, die entweder per 
continuitatem oder auf dem Lymphwege vom Uterus, Rectum, von der 
Blase oder von den Ovarien in das Ligament metastasiert sind. Die 
Ausbreitung der Tumoren im Beckenbindegewebe erfolgt entweder in 
die freie Bauchhöhle unter Entfaltung des Peritoneums oder gegen den 
Beckenboden zu, in unserem Falle war die Entwicklung mehr über dem 
Psoas zu entstanden, und hier war es r zu einer starken Verwachsung 
mit den Ureterengefässen gekommen. 

Die Prognose der bösartigen Tumoren, der Sarkome, ist recht 
schlecht. In der Literatur sind etwa 30 Fälle beschrieben, von denen 
über 13 näheres berichtet ist. Diese sind entweder primär bald nach 
der Operation an Peritonitis oder Shock oder kurze Zeit nach der Ope¬ 
ration an Recidiven gestorben. Besonders bieten diese markigen Tumoren 
wie der unsrige eine schlechte Prognose. Wenn auch unsere Patientin 
bei der Entlassung noch keinen Recidivtumor hatte, so dürfen wir die 
Prognose nicht gut stellen. 

Ueber die Therapie ist man sich einig. Es muss abdominal vorge¬ 
gangen werden, am besten gleich die Totalexstirpation des Uterus mit 
Exstirpation des Tumors ausgeführt werden. Beim vaginalen Vorgehen 
wird entweder nicht radikal operiert, oder die Gefahr der Nebenver- 


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UNIVERSUM OF IOWA 





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BERLINER KLINISCHE WOCHEN SCHRIFT. 


Nr. 4. 


letzung der Ureteren und der grossen Gelasse, die mit dem Tumor ver¬ 
wachsen sind, ist ausserordentlich gross. 

Demonstration der mikroskopischen Präparate und einer Lumiere- 
platte des Sarkoms. 

2. Hr. Franz: Ich stelle Ihnen hier eine Frau vor, die im Mai 
wegen eines Carcinoms des Uterns abdominal operiert worden ist. Sie 
kam im November mit einem Recidiv herein, einem Knoten, der beweg¬ 
lich über dem Scheidengewölbe sass und die Grösse eines Hühnereies 
hatte. Wir haben das Recidiv abdominal entfernt und dabei gefunden, 
dass es sehr fest mit der Blase verwachsen war. Es war vorher cysto- 
skopisch bereits festgestellt worden, dass das Recidiv in die Blase hinein- 
gewuohert war. Zunächst wurden die Ureteren freigelegt, wie man das 
immer tun muss, weil man nicht weiss, wie weit sie in die Carcinom- 
entwicklung hineingezogen sind, und es nicht geraten ist, aufs Gerade¬ 
wohl einen solchen Tumor herauszuschneiden. Wir waren darauf gefasst, 
dass ein grosser Teil der Blase mit reseziert werden müsste. Das ge¬ 
schah auch, und zwar ist der ganze Blasenboden von dem einen Ureter 
bis zum anderen und bis zur Hälfte der hinteren Blasenwand aufwärts 
reseziert und vernäht worden. Die Patientin ist am 20. Tage entlassen 
worden. Ich bitte die Herren, die sich dafür interessieren, das cysto- 
skopische Bild anzusehen. Sie können darin sehr schön die Blasennaht 
sehen. 

Ueber den Wert der Recidivoperationen bestehen keine allgemein 
gültigen Anschauungen. Die Meinungen sind sehr geteilt. Es gibt 
überhaupt nicht viele, die Recidivoperationen ausführen, entweder weil 
sie von der Wertigkeit dieser Operation nicht überzeugt sind, oder weil 
sie sich technisch nicht an diese Fälle heranwagen. Es mag gesagt 
sein, dass die Technik dieser Operationen ausserordentlich schwierig ist. 
Ich glaube, ich bin der einzige, der eine grössere Erfahrung in diesen 
Operationen hat. Es sind von niemand grössere Serien von Recidiv¬ 
operationen mitgeteilt worden. Ich habe jetzt 25 solcher Operationen 
gemacht. Sie müssen zum Teil mit ausgedehnten Resektionen der Or¬ 
gane, der Blase, der Ureteren, des Darms, ausgeführt werden. Ich bin 
der Meinung, dass man jedes operable Recidiv angehen soll. Es kommen 
Fälle vor, wo Frauen auch nach ausgedehnten Resektionen sehr lange 
gesund bleiben. Ein Fall, der bereits siebenmal operiert war, und wo 
ich im Jahre 1905 die Primäroperation gemacht habe, war im Mai 
dieses Jahres noch gesund. Eine zweite Frau, bei der die Recidiv- 
operation vier Jahre zurückliegt, war ebenfalls im Mai noch gesund. 
Im erstgenannten Falle ist eine Ureterresektion gemacht worden und 
eine Dünndarmresektion. Bei der zweiten sind die halbe Blase und 
beide Ureteren reseziert, die Ureteren wurden in den Blasenrest einge¬ 
näht, die Frau ist kontinent und gesund. Jedenfalls beweisen diese 
Fälle, dass man solche Recidivoperationen machen muss. Ueber Indi¬ 
kation und Ausführung will ich heute nicht reden; es handelt sich zu¬ 
nächst nur darum, Ihnen den Fall zu demonstrieren. (Demonstration.) 

3. Hr. Wolff: 

Ueber Heilkunde, Geburtshilfe uud Männerkindbett in China. 

Wenn ich mir erlaube. Ihnen am heutigen Abend einiges über 
ärztliche Erfahrungen und Beobachtungen zu erzählen, die ich im Laufe 
einer mehr als dreijährigen Tätigkeit in China habe machen dürfen, so 
bin ich mir wohl bewusst, dass diese Ausführungen, rein ärztlich ge¬ 
nommen, nur von geringem Interesse sein können. Um so eher dürfen 
sie aber auf ein gewisses ethnologisches Interesse rechnen, und dies um 
so mehr, als ja die Art und Weise, in der die Heilkunst in China von 
Chinesen betrieben wird, charakteristisch ist für die sonderbaren Wege, 
die das ganze Denken und Fühlen der Chinesen genommen hat. Es ist 
der Heilkunst ähnlich gegangen wie allen anderen Wissenschaften in 
China: sie alle sind charakterisiert durch einen gewissen Prozess der 
Versteinerung. Wenn man sich überlegt, dass China eines der ersten 
Länder gewesen ist, in dem die Heilkunst gepflegt wurde, dass in China 
schon vor mehr als 3000 Jahren die Natur zahlreicher Krankheiten er¬ 
kannt und bekannt war, so erscheint es um so unbegreiflicher, wie ein 
so vollständiger Stillstand aller Forschungen hat eintreten können, dass 
eine Nation, deren Bevölkerung fast ein Viertel der Gesamtbevölkerung 
der Erde ausmacht, heute — wenn ich von den letzten 10 bis 15 Jahren 
absehe — noch auf demselben Standpunkt steht wie zu Beginn unserer 
Zeitrechnung. 

Sektionen sind in China in früheren Zeiten nur selten, in den letzten 
200 Jahren überhaupt nicht mehr gemacht worden. Das erscheint be¬ 
greiflich in einem Lande, in dem ja die Verehrung der Verstorbenen 
und der Ahnenkult einen der integrierendsten Bestandteile der Religion 
bildet. So kommt es, dass alle anatomischen und physiologischen Vor¬ 
stellungen der chinesischen Aerzte ausserordentlich dürftig sind. Alle 
ärztlichen Theorien sind — ebenfalls chinesischen Anschauungen ent¬ 
sprechend — das Produkt leerer, zum Teil spitzfindiger Grübeleien und 
einer ungezügelten Einbildungskraft. Um nur einiges herauszugreifen 
und zu zeigen, wie absurd teilweise alle diese Vorstellungen sind, möchte 
ich erwähnen, dass sich chinesischer Vorstellung zufolge der Körper aus 
fünf Elementen zusammensetzt, aus Erde, Feuer, Holz, Metall und 
Wasser. Die wichtigste Stelle des menschlichen Körpers ist miDg men, 
nämlich die Eintrittspforte des Geistes, welche sich bezeichnenderweise 
bei der Frau in tsu kung, der Gebärmutter, beim Manne im linken 
Hoden befindet. Der Geist circuliert in allen Organen, seine Menge ist 
proportional der Menge des Samens. Allen Organen verleiht er eine 
spezifische Kraft. Durch die Atmung wird dieser Geist vom Himmel 
angesogen. Wenn er im Körper in die Höhe steigt, so bringt er Freude 


oder Zorn mit sich; dringt er herab, so verursacht er Furcht; stösst er 
hinab, so verursacht er Schreck, wodurch der unwillkürliche Abgang 
von Exkrementen bei derartigen Gelegenheiten erklärt wird. Bei allzu 
starkem Nachdenken verursacht der Geist Milzkrankheit. Der Sitz der 
Seele ist nach chinesischer Vorstellung die Leber, während alles Denken 
und Empfinden im Magen seinen Ursprung hat. Der Magen ist gleich¬ 
falls der Sitz des Atemcentrums und ebenso der Sitz der Freude, 
während der Mut seinen Sitz in der Gallenblase hat. Die Eingeweide 
hängen in irgendeiner Weise mit Herz und Lungen zusammen, wie, das 
ist dem chinesischen Arzt nicht näher bekannt. Von der Existenz 
unseres Blutkreislaufs wissen die chinesischen Aerzte nichts, trotzdem 
das Pulsfühlen fast die einzige Arzt der ärztlichen Untersuchung ist. 
Dabei ist es keineswegs gleich, ob sie den Puls links oder rechts, ob 
am Arm oder Bein fühlen. Es ist das ein wesentlicher Unterschied 
für Diagnose wie Prognose. Die Krankheiten werden im allgemeinen 
verursacht durch Mangel oder Ueberfluss an Wärme und Kälte. Dem¬ 
entsprechend bezweckt auch die Therapie, das Blut entweder zu er¬ 
wärmen oder abzukühlen, ferner, den Atem zu stärken, das Phlegma zu 
vertreiben und die Harmonie der fünf Elemente wieder herzustellen. — 
Alle diese Theorien sind durch ausserordentlich spitzfindige und für ein 
europäisches Gehirn manchmal sehr schwer verständliche Kombinationen 
und Gedankengänge in bestimmte Systeme gepresst worden, und diese 
Systeme, von Generation zu Generation weiter vererbt, sind die Grund 
läge dessen, was der chinesische Arzt wissen muss. Alle diese Systeme 
sind übrigens in zum Teil von den Kaisern selbst herausgegebenen 
chinesischen klassischen Werken niedergelegt worden, und es gibt 
keinen im Reiche der Mitte, der gegen diese Ideen anzukämpfen gewagt 
hätte. 

Ebenso ist es auch mit allen geburtshilflichen Vorstellungen. Diese 
sind ein merkwürdiges Sammelsurium von teils verstandenen, teils un¬ 
verstandenen Naturbeobachtungen, von spekulativen Betrachtungen und 
von meist echt chinesisch ausgefallenen Versuchen, das Beobachtete zu 
erklären. Es ist für einen europäischen Arzt nicht leicht, in China 
Geburtshilfe zu treiben bei der ausserordentlichen Scheu der chinesischen 
Frauen und der abergläubischen Furcht, die sie dem Fremden entgegen¬ 
bringen. Die wenigen Untersuchungen, die man zu machen Gelegenheit 
hat, gelingen einem eigentlich nur bei Frauen, deren Männer europäisch 
aufgeklärt sind, während jede wirkliche Chinesin schon die blosse Zu¬ 
mutung einer ärztlichen Untersuchung als eine Beleidigung empfindet. 
Dem chinesischen Arzt gegenüber bedient sie sich im allgemeinen einer 
Elfenbeinfigur oder eiaer in Elfenbein geschnitzten Darstellung der 
Genitalien, und auf dieser Darstellung deutet sie dem Arzt den an¬ 
geblichen Sitz ihrer Erkrankung an. Ich selber habe also wenig 
Gelegenheit gehabt, bei Geburten zugegen zu sein; es ist mir vielleicht 
im ganzen fünfzehn- bis zwanzigmal geglückt. Das meiste von dem, 
was ich Ihnen über Geburtshilfe in China erzählen will, verdanke ich 
Ermittelungen, die der frühere Gesandtsohaftsarzt Stabsarzt Gau pp in 
verdienstvoller Weise dadurch gemacht hat, dass er noch jetzt in Geltung 
befindliche chinesische geburtshilfliche Schriften hat übersetzen lassen. 

Die chinesischen geburtshilflichen Anschauungen basieren in der 
Hauptsache auf zwei Voraussetzungen, die beide nicht zutreffen: einmal 
der Voraussetzung, dass sich das Kind im Mutterleibe bis zum Eintritt 
der Wehen in senkrechter Stellung, also nach unserer Nomenklatur in 
Fusslage befindet, und zweitens, dass der gesamte Geburtsmechanismus 
ein willkürlicher Akt des Kindes ist, welches durch sein Bestreben, die 
Gebärmutter zu verlassen, die Wehen erregt. Die ersten Wehen — bei 
den Chinesen Probewehen genannt — sind nichts anderes als eine 
Uebung des Kindes in Bewegungen. Dann dreht sich erst das Kind in 
die Schädellage, in der es im allgemeinen geboren wird. Es kann bei 
dieser Umdrehung auf halbem Wege stehen bleiben, und auf diese Weise 
entsteht die Querlage. Es gibt gleich ein gutes Mittel, dieser Querlage 
abzuhelfen: man fordert die Kreissende auf, kräftig mitzupressen; dann 
kann aus der Querlage die gewünschte Schädellage werden. Woran man 
erkennen kann, ob das Kind in Querlage steht oder nicht, ist nicht 
gesagt. Im übrigen aber wird von allen chinesischen Geburtshelfern 
besonders vor zu frühem Mitpressen gewarnt, denn dadurch entstehen 
eben nach chinesischer Anschauung Geburten in Fusslage oder Früh¬ 
geburten. Die chinesische Mutter soll sich im Gegenteil möglichst still 
und ruhig verhalten und soll, ohne überhaupt zu pressen, das Ende 
ihrer Entbindung abwarten. Dadurch wird auch die vermeintlich 
leichtere Entbindung unehelicher Mütter erklärt. Die uneheliche Mutter 
verhält sich nämlich ruhig und still, weil sie ihre Schande vor der 
Welt verheimlichen will; deshalb hat sie eine leichtere Entbindung. 
Wenn eine chinesische Mutter in Wehen kommt, so wird zunächst die 
Hebamme gerufen. Die Hebamme hat auf ihrem Türschilde den be¬ 
zeichnenden Namen „flinkes Ross“ oder „leichtes Gefährt“. Sie kommt 
also an und lagert zunächst die Kranke auf dem Kang, dem Ofenbett, und 
bringt sie dort in eine sitzende Lage. In früheren Jahrhunderten sollen 
nach Ploss auch Gebärstühle in China vorhanden gewesen sein; ich 
habe keinen gesehen. Eine Desinfektion wird nicht vorgenommen. Doch 
kann man wohl annehmen, dass im allgemeinen die Chinesinnen, die 
auch in den kleinsten Dörfern Badeanstalten haben, von denen sie recht 
ausgiebig Gebrauch machen, bis zum Ende ihrer Schwangerschaft regel¬ 
mässig wenigstens wöchentlich einmal gebadet haben. Ist das Kind geboren, 
so erfolgt die Abnabelung dadurch, dass die Nabelschnur an vier ver¬ 
schiedenen Stellen mit Seide oder mit zusammengedrehten Papierröllchen 
abgebunden, dann mit glühenden Eisenstäbchen durchsengt oder mit 
Alaunkristallen durchgeätzt wird. 


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27. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


183 


Sehr gering ist die chinesische operative Geburtshilfe entwickelt. 
Eine Zange gibt es nicht, ich habe nie eine gesehen, habe auch in 
Büchern nichts finden können, was für das Vorhandensein einer Zange 
spricht. Wie Lau ff er beschreibt, ist in Tibet eine Zange schon seit 
Jahrhunderten vorhanden und im Gebrauohe. Ebenso ist eine Wendung 
nicht bekannt. Die chinesische Hebamme ist gehalten, beim Vorfall 
kleiner Teile oder der Nabelschnur die kleinen Teile nach Möglichkeit 
zurückzudrängen; gelingt ihr das nicht, so darf sie die kleinen Teile 
abschneiden. Nachgeburtsblutungen werden so behandelt, dass die 
sitzende Stellung der Kreissenden noch verstärkt wird; in dieser Stellung 
wird sie dann durch zwei Frauen auf ihrem Lager, auf dem sie ange¬ 
bunden ist, gehalten. Ebenfalls eine Folge des zu frühzeitigen Mit- 
pressens ist nach chinesischer Vorstellung die Retention der Placenta. 
Beim Geburtsakt öffnen sich nämlich nach chinesischer Vorstellung die 
Beckenknochen. Der Arzt, der zur Chinesin gerufen wird, gibt Pulver 
ein, um die Backenknochen in ergiebiger Weise zu eröffnen, und wenn 
die Patientin zu frühzeitig mitgepresst hat, so wird das Kind heraus¬ 
getrieben, die Placenta hat aber nicht folgen können. Man hilft sehr 
zweckmässig dem dadurch ab, dass man ein Gewicht an die freihängende 
Placenta hängt und so lange wartet, bis die Placenta geboren ist. 

Im allgemeinen kann man wohl sagen, dass die Entbindungen in 
China leichter sind als in Europa. Das liegt wohl daran, dass die 
Chinesen doch noch mehr Naturvolk sind als die verweiohlichteren 
Europäer. Gaupp sagt, er wenigstens habe oft versichern hören, dass 
äusserst selten Todesfälle bei der Geburt Vorkommen. Man dürfe aller¬ 
dings derartigen Versicherungen bei der Indifferenz der Chinesen und 
der geringen Wertschätzung, die sie dem Menschenleben, speziell dem 
Frauenleben, entgegenbringen, nicht allzu viel Geltung beilegen. Eins 
ist sicher, die Beckenmaasse sind dieselben wie bei den Europäerinnen. 
Gaupp, der Gelegenheit hatte, einige neugeborene Kinder zu messen, 
meint, der chinesische Neugeborene könne vielleicht etwas kleiner sein 
als das europäische Kind. 

Ist die operative Geburtshilfe nur eine ausserordentlich beschränkte, 
so ist natürlich um so grösser das Heer der diätetischen und rituellen 
Vorschriften für die Mutter nach der Geburt, und man findet da die 
allerabsurdesten Vorschriften. Zum Beispiel Grube und v. Martius 
erzählen, dass die Frischentbundene nach der Geburt nicht schlafen 
darf, sondern mit angezogenen Beinen auf dem Kang liegend wach- 
gehalten werden muss. Die ersten fünf Tage nach der Geburt bekommt 
sie dreimal Wein mit warmem Knabenurin gemischt zu trinken. In 
manchen Gegenden bekommt sie gleich am ersten Tage ein Spitzglas 
warmen Knabenurins. Gefährlich für die Mutter sind nach v. Martius 
die Besucher, welche zu ihr kommen. Diese Besucher müssen am ersten 
bis dritten Tage dagewesen sein; kommen sie später, so gerät die 
Mutter in Gefahr, dass ihr die Milch weggetrampelt wird. Besonders 
gefährlich ist ein vieräugiger Besuch, nämlich eine Schwangere; die 
trampelt ihr die Milch so lange weg, bis sie selber niederkommt. Auch 
der Arzt darf nicht, wenn er nicht bis zum dritten Tage dagewesen ist, 
später wiederkommen. Die Nachgeburt wird von der Mutter selbst am 
dritten Tage in ein Loch gegraben, wenn nicht Unglück über die Familie 
kommen soll. Gaupp erzählt aus seinen eigenen Beobachtungen, dass 
von chinesischen Wochenbettpfiegerinnen, die Europäerinnen zu pflegen 
hatten, streng darauf gehalten wurde, dass die Nachgeburt von der 
Wöchnerin eingegraben wurde. In vielen Fällen sei allerdings auch die 
Nachgeburt verschwunden, und dann sei sie wahrscheinlich gestohlen 
worden, um Arznei daraus zu fabrizieren. Ich komme noch später darauf 
zu sprechen. Das Kind wird am dritten Tage nach der Entbindung ge¬ 
waschen, am zweiten Tage wird es wie bei uns angelegt. Die chinesi¬ 
schen Mütter stillen im allgemeinen ihre Kinder selber, und zwar setzen 
sie das Stillgeschäft — wenigstens die ärmeren Volksklassen — bis zum 
dritten, vierten Lebensjahre des Kindes fort. Man kann häufig in Peking 
sehen, wie eine Chinesin in hockender Stellung sitzt und vor ihr ein 
grosser drei- bis vierjähriger Junge steht, der in aller Gemütsruhe seine 
Mahlzeit einnimmt. Dementsprechend sind Mastitiden ziemlich häufig. 
Allerdings wird als Aetiologie für Mastitis ein eigentümlicher Grund an¬ 
geführt. Die Chinesen nehmen an, dass das Kind Luft in die Warze 
puste. 

Eine grosse Rolle spielt natürlich auch bei einem abergläubischen 
Volke, wie es die Chinesen sind, die Frage der Vorherbestimmung des 
Geschlechts. Es gibt ein chinesisches Sprichwort, das lautet: Eine 
Matter, welche einen Knaben gebiert, gehört ins Bett, eine Mutter, 
welche ein Mädchen gebiert, gehört unters Bett. Bei dieser Missachtung 
des weiblichen Geschlechts kann es natürlich für eine Mutter nicht ganz 
gleichgültig sein, was sie zu erwarten bat. Es gibt da eine ganze Reihe 
von Theorien, die in Geltung sind. Weit verbreitet ist in China ein 
Buch, welches für alle Mädchen zwischen dem 15. uud 50. Lebensjahr 
für jeden Empfängnismonat in diesen Jahren das Geschlecht voraussagt. 
Wenn also z. B. ein junges Mädchen 18 Jahre alt ist und im fünften 
Monat empfangen hat, so ist das Kind männlichen Geschlechts. Einzelne 
Jahre sind danach besonders günstig, sie haben vorwiegend Kinder 
männlichen Geschlechts, andere sind wieder besonders ungünstig gestellt. 
Eine andere Theorie regelt das kommende Geschlecht nach dem Tage 
des die Empfängnis mit sich bringenden Beischlafs: am ersten, dritten 
und fünften Tage nach der Menstruation werden Knaben, am zweiten 
und vierten Tage Mädchen erzeugt. Der Beischlaf nach dem sechsten 
Tage ist nicht nur zwecklos, sondern sogar schädlich, und vom sechsten 
Tage ab hat der Beischlaf überhaupt keine konzeptionellen Folgen. Be¬ 
sonders günstig ist der erste Tag nach der Menstruation, und besonders 


empfehlenswert an diesem Tage wiederum die frühe Morgenstunde. Die 
Hebammen haben es besonders gut mit der Bestimmung des Geschlechts; 
sie können schon in dem Moment, wo der kindliche Kopf durch¬ 
geschritten ist, sagen, welchen Geschlechts das Kind ist: sieht das Kind 
zur Erde, sieht es somit das weibliche Prinzip an, so ist es ein Junge, 
sieht es zum Himmel — das ist das männliche Prinzip —, so ist es ein 
Mädchen. 

Ausserordentlich gross ist natürlich der Arzneischatz, der im 
Woohenbett und bei der Geburt seine Verwendung findet. Ich brauche 
darauf wohl nicht weiter einzugehen. Es ist bekannt, dass die 
chinesische Pharmakopoe eine grosse Reihe von pflanzlichen Stoffen ent¬ 
hält und dass daneben auch die absurdesten und für einen Europäer 
widerwärtigsten und ekelhaftesten Substanzen darin enthalten sind. 
Gerade für die Geburtshilfe sind derartige Substanzen vorhanden. Es 
werden z. B. empfohlen getrocknete Seidenwürmer, getrocknete Regen¬ 
würmer, Tausendfüssler, auch schlimmere Dinge, getrocknete Placenta. 
Ein merkwürdiges Rezept ist: 17 Pillen aus männlichem Rattenkot auf 
einmal zu nehmen. Ferner gibt es Pillen aus Kopfgrind, dann die 
Zehennägel schwangerer Frauen und ähnliche unappetitliche Dinge mehr. 
Allgemein ist auch bekannt, dass z. B. das Blut Hingerichteter eine aus¬ 
gezeichnete Medizin bei Verdauungsschwäche ist. Der Verkauf dieser 
kostbaren Arznei ist eine der Einnahmequellen des Henkers. 

Ich möchte nicht sohliessen, ohne noch auf einen sehr merkwürdigen 
Geburtsgebrauch hinzuweisen, einen Gebrauch, der allerdings nur bei 
einigen im Innern von China wohnenden, von aller Kultur abgeschlossenen 
Stämmen in den Provinzen Jünnan, Kuangtung und Kuangchi im 
Schwange ist, aber ein Gebrauch, der darum von so ausserordentlichem 
ethnologischen Interesse ist, weil er vielleicht im Zusammenhänge steht 
mit sozialen Einrichtungen, die im Kindesalter des Menschengeschlechts 
bestanden haben. Es ist das sogenannte Männerkindbett. Wenn eine 
Frau niederkommt, so muss sich der Ehemann in einen dunklen Raum 
zurückziehen. Er legt sich sofort nieder. Hat die Frau geboren, so 
wird das Kind zum Manne ins Bett gelegt, die Frau steht wieder auf, 
und der Mann, der sich nun jämmerlich anstellen und so gebärden muss, 
als ob er das Kind bekommen habe, bleibt 40 Tage im Bett liegen. 
Während dessen arbeitet die Frau und kocht dem Manne seine Lieblings¬ 
speisen. Dieses Männerkindbett ist nicht nur bei den Urvölkern Chinas, 
die sich von den Miaotse herleiten, sondern auch bei anderen Volks¬ 
stämmen, z. B. bei den Drawidas in Indien, den Karaiben in Südamerika 
und vor 50 Jahren noch bei den Basken der Pyrenäen in Gebrauch ge¬ 
wesen. Dort wurde es Convade genannt. Die Ethnologen nehmen nun 
an, dass dieses Männerkindbett ein Ueberbleibsel des uralten Matriarchats 
sei, also der Mutterfamilie, in der der Mittelpunkt und Repräsentant der 
Familie nicht der Vater, sondern die Mutter ist. Während in den Zeiten, 
die dem Zustande des Matriarchats vorangingen, also auf der Primär¬ 
stufe menschlicher sozialer Entwicklung, bei dem freien Geschlechtsverkehr 
der Mädchen und Männer, die Kinder vaterlos waren, sei diese Sitte ein¬ 
geführt worden, um beim Uebergange zum Matriarchat die Männer an 
die Mutterfamilie zu fesseln und vom Männerhause fern zu halten. Diese 
Sitte sei also der Anstoss dazu gewesen, dass mit dem alten Prinzip 
des freien Geschlechtsverkehrs gebrochen worden sei und mit dem 
Matriarchat jedes Kind seinen eigenen Vater bekommen habe und da¬ 
durch zum ersten Male die Familie in unserem heutigen Sinne geschaffen 
worden sei. 

Ich bin am Schlüsse meiner Ausführungen angelangt. Ich möchte 
nur noch eins hinzufügen. Heutzutage, namentlich in den letzten zwölf 
Jahren, die in China ebenso wie im ganzen fernen Osten einen gewaltigen 
Umschwung herbeigeführt haben, ist vieles anders geworden, namentlich 
in den Küstenstädten, und dass es anders geworden ist, ist nicht zum 
wenigsten dem deutschen Einfluss zu verdanken, der in Shanghai eine 
Medizinschule gegründet und in Tsingtau eine Universität, die allerdings 
noch in der Entwicklung begriffen ist, errichtet hat. 

Diskussion. 

Hr. Runge: Ich möchte Herrn Wolff fragen, wie sich denn die 
Chinesen bei Querlage verhalten. (Hr. Wolf: Sie machen gar nichts! 
Sie riskieren, dass es zu einer Ruptur kommt!) Zweitens wollte ich 
mitteilen, dass sich in dem Werke von Ploss über die Frau eine Ab¬ 
bildung findet, welche darstellt, wie eine Chinesin ihre Schwiegermutter 
an den Brüsten weiternähren muss, wenn die Schwiegermutter keine 
Zähne mehr hat. 

Hr. Gottschalk: Ich wollte mir nur die Frage erlauben, ob der 
Kaiserschnitt in China bekannt ist. (Wird vom Vortragenden verneint.) 

Hr. Zinsser: Die Anschauung, dass das Kind am Geburtsakt be¬ 
teiligt sei und sich im Moment der Geburt aus einer Fusslage in die 
Schädellage herumdreht, ist keine rein chinesische, sie findet sich auch 
bei abendländischen Völkern, so bei Hippokrates. Auch in dem ältesten 
deutschen Hebammenlehrbuoh, das existiert und, ich glaube, 1215 er¬ 
schienen ist, ist dieser Geburtsmechanismus zugrunde gelegt. Der so¬ 
genannte Kindssprung ist in einem sohönen Holzschnitt dargestellt. 

Ich finde überhaupt, dass wir nicht berechtigt sind, über die chi¬ 
nesischen geburtshilflichen Dinge, die uns Herr Wolff erzählt hat, so 
mit dem souveränen Lächeln des gebildeten Mitteleuropäers hinwegzu¬ 
gehen. Wenn wir daran denken, dass bei uns z. B. in Ostpreussen 
20 pCt. aller Geburten von Pfuscherinnen geleitet werden, so ist das 
doch eiu recht bedauerliches Kultursymptom, und wenn man erst das 
zusammenstellen wollte, was auch bei uns noch an Aberglauben in den 
geburtshilflichen Dingen herrscht, so könnte man allein über das Kapitel 


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184 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 4. 


der Vorausbestimmung des Geschlechts einen abendfüllenden Vortrag 
halten. Die moderne Geburtshilfe, auf die wir hier so stolz sind, ist eine 
ganz auffallend junge Kunst; ihre Anfänge stammen erst aus dem ganz 
späten Mittelalter, eigentlich erst aus der Neuzeit. Die geburtshilflichen 
Bücher, auch Hebammenlehrbücher, die man noch im 18. Jahrhundert 
findet, enthalten zum Teil ganz haarsträubende Dinge. Ich möchte nur 
als Pendant zu den chinesischen Arzneien, die uns Herr Wolff ange¬ 
führt hat, mitteilen, dass ich in einem Hebammenlehrbuch, das ein 
Herr Korfmann in Erfurt im Jahre 1725 hat erscheinen lassen, die 
Empfehlung gefunden habe, bei Wehenschwäche den Kreissenden den 
ausgepressten Saft eines frischen Pferdeapfels zu trinken zu geben. Die 
grossen Fortschritte, die bei uns die geburtshilfliche Kunst gemacht hat, 
kamen erst auf, als sich die Aerzte systematisch mit der Geburtshilfe 
beschäftigten, als sie erst an das Kreissbett herangelassen wurden. Dass 
die Geburtshilfe solange im Argen gelegen hat, ist darauf zurückzu¬ 
führen, dass die Aerzte überhaupt nicht in die Kreissstube hineingelassen 
wurden. 

Ich möchte mir an Herrn Wolff die Frage erlauben, wie in China 
die Arbeitsteilung zwischen Arzt und Hebamme ist, wie weit der Arzt 
überhaupt die normale Geburt sieht. 

Hr. Wolff: Der Arzt kommt hinzu, fühlt im allgemeinen nur den 
Puls und stellt sowohl die Diagnose wie die Prognose aus dem Puls 
und aus dem Aussehen des Gesichts. Dann verschreibt er das becken- 
öfinende Pulver und verlässt den Schauplatz seiner Tätigkeit. Der Arzt 
muss dann zwischen dem ersten und dritten Tage wiederkommen. Im 
allgemeinen kommt er aber nicht wieder. Mir selber ist es wiederholt 
passiert, dass, als ich am zweiten Tage zur Wöchnerin kam, die Tür 
verschlossen war. Ich klopfte, und da hiess es: Wer ist da? Antwort: 
Der Arzt. — Was will er? — Ich will die Wöchnerin sehen. — Dann 
werde ich fragen gehen, wurde mir geantwortet. Die Leute waren gar 
nicht daran gewöhnt, dass der Arzt sich um die Wöchnerin kümmert. 
Die Hebamme bleibt bei der Kreissenden und leitet die weitere Geburt. 

Hr. Eckert: Es ist, wie Herr Wolff schon auseinandergesetzt hat, 
ausserordentlich selten, dass ein europäischer Arzt in rein chinesischem 
Milieu zu einer Entbindung zugezogen wird. Ich darf deshalb vielleicht 
hier eine von mir selbst in Tientsin erlebte Episode kurz schildern. Es 
handelte sich um die Frau eines armen Kulis. Ich ritt hin mit meinem 
Boy als Hebamme — Waschbecken, Seife und Bürste wurden mit¬ 
genommen. Die niedrige Lehmhütte war von Männern und Frauen, jung 
und alt gefüllt. Es wurde das erste Kind erwartet, und das musste ja 
ein Junge sein. Die Frau selbst lag auf dem niederen, estradenähn¬ 
lichen Ofen, dem Kang, mit ihren dick wattierten Hosen bekleidet. Zu 
ihren Häupten sassen die beiden Hebammen — um mich des Ausdrucks 
des Herrn Wolff zu bedienen: die beiden springenden Rosse. Von Zeit 
zu Zeit schlugen sie der Frau mit der flachen Hand auf die Stirn, sie 
behaupteten, dass dies das vorzüglichste Mittel sei, um Wehen zu er¬ 
zeugen. Eine innere Untersuchung machten sie nicht. Das hielten sie, 
wie sie mir versicherten, für sehr gefährlich. Sie beschränkten sich 
darauf, die Sekrete mit unbearbeitetem Papier zu entfernen, das in 
Holzkübeln vor ihnen stand. Dieses Papier kann ja praktisch als steril 
angenommen werden. Ich stellte einen vorzeitigen Blasensprung fest, 
gab eine Morphiumspritze und hatte den Erfolg, dass in einer halben 
Stunde der Schädel des Kindes sichtbar wurde. Alles staunte, und ich 
war der grosse Arzt. Als aber das Kind geboren war, war es ein 
Mädchen. Es ist ja bekannt, dass der Chinese als erstes Kind unbedingt 
einen Jungen wünscht. Das für uns in mehr als in dieser Hinsicht be¬ 
wundernswerte Volk der Chinesen hat eben das für uns so schwierige 
Problem der Alter- und Invaliden-Staatsversicherung schon seit Jahr¬ 
hunderten durch das einfache Sitteugesetz der kindlichen Pietät gegen 
die Eltern gelöst: die Eltern müssen einen Jungen haben, der für sie 
im Alter sorgt. So ist die Enttäuschung bei der Geburt eines Mädchens 
nur natürlich. Dass das aber geradezu als Verbrechen betrachtet wird, 
war mir doch etwas überraschend. Als ich die Hütte verliess, war 
niemand mehr im Zimmer ausser der Mutter, meinem Boy und mir. 
Es herrschte nach dem vorhergehenden Lärm eine unheimliche Stille, 
als sei ein Verbrechen geschehen, nur die Mutter schrie: Mein Vater 
wird mich verprügeln! Ich wollte ihr das Kind geben, aber sie stiess 
mich zurück, sie wollte es nicht haben. Am nächsten Tage kam ich 
wieder. Sie lag auf dem Kang, drehte sich um, zeigte auf die Stelle, 
wo ich ihr die Morphiumeinspritzung gemacht hatte, und sagte: Wenn 
Du mir das nicht eingespritzt hättest, wäre es ein Junge geworden. 
Ich bin in 5 Jahren nie wieder zu einer chinesischen Entbindung gerufen 
worden. 

Hr. Franz: Nur eine kurze Bemerkung. Ich kann das bestätigen, 
was Herr Zinsser gesagt hat, dass bereits Hippokrates die Vor¬ 
stellung von dem Selbstgebären des Kindes, der Drehung des Kindes 
am Ende der Schwangerschaft hatte und so auch den Vorgang bei der 
Geburt eines toten Kindes erklärte. Wenn das Kind tot ist, so kann 
es sich nicht aus der Gebärmutter herausdrücken, und die Geburt dauert 
lange. Er hat natürlich Wirkung und Ursache verwechselt. 

Eine Bemerkung des Herrn Zinsser kann ich nicht unwidersprochen 
lassen, nämlich die, dass unsere Geburtshilfe so jung sei. Das stimmt 
nicht ganz. Die geburtshilfliche Kunst ist nur vergessen worden; sie 
ist wieder gut geworden von dem Augenblick an, wo die Geburtshilfe 
in die Hände der Aerzte gekommen ist. Bereits die Alexandriner, also 
Ende des 6., 7. Jahrhunderts, kannten die Wendung; sie haben ganz 
gewiss auch zangenähnliche Instrumente besessen, mit denen sie imstande 


waren, ein am Beckenausgang stehendes Kind bei erweitertem Mutter¬ 
munde zu extrahieren. Erst später sind mit dem Wechsel der Anschau¬ 
ungen diese Kenntnisse vergessen worden. Man könnte boshaft sein und 
sagen: von dem Augenblicke an, wo die Geburtshilfe eine rein weibliche 
Tätigkeit gewesen ist, ist sie 1000 Jahre ungefähr stehen geblieben, was 
gut war, ist vergessen worden, und von der Zeit an, wo die Aerzte sich 
wieder mit Geburtshilfe beschäftigt haben, wo also nicht nur die Chir¬ 
urgen hinzugezogen wurden, um ein im Uterus steckendes, nicht zur 
Geburt kommendes Kind zu zerstückeln, da hat man aogefangen, wieder 
Geburtshilfe zu treiben im Sinne des modernen Geburtshelfers. Was im 
Laufe der Jahrhunderte neu hinzugekommen ist, ist nichts anderes als 
die Asepsis. Die Zange war bereits Anfang des 17. Jahrhunderts er¬ 
funden worden, und Ambroise Pare hat Mitte des 16. Jahrhunderts 
die Wendung auf die Füsse der Geburtshilfe wiedergegeben. 

(Schluss folgt.) 


Verein für innere Medizin nnd Kinderheilkunde zn Berlin. 

Sitzung vom 13. Januar 1913. 

Demonstrationen vor der Tagesordnung. 

1. Hr. Dorner: 

Sehr seltene Komplikation eines Aortenaneurysmas. 

Es wird ein Fall von Aortenaneurysma geschildert, einen 61jährigen 
Mann betreffend, bei dem jedes Schlucken fester oder flüssiger Speisen 
einen sofortigen Hustenreiz auslöste. Die Diagnose schwankte zwischen 
Oesophaguskrebs, Mediastinaltumor und Aortenaneurysma. Die Sektion 
ergab, dass ein Aortenaneurysma vorlag, welches zu einer Usur mehrerer 
Wirbelkörper, zu einem Decubitalgeschwür und einer Fistel zwischen 
linkem Bronchus und Speiseröhre geführt hatte. Vortr. hat nur zwei 
ähnliche Fälle in der Literatur gefunden. 

2. Hr. Ewald: Ein Fall von Milztnmor mit tödlicher Blutung. 

Vortr. beobachtete einen 48jährigen Mann, der über leichte dys¬ 
peptische Beschwerden klagte und eine grosse Geschwulst im Leibe 
fühlte. Die klinische Untersuchung ergab einen gewaltigen Milztumor, 
Achylie, fehlende Patellarreflexe, llOpCt. Hämoglobin, 5 280 000 rote 
und 20 000 weisse Blutkörperchen bei normaler Leukocytenzahl. Der 
Patient starb plötzlich nach heftigem wiederholten Bluterbrechen. Die 
Obduktion ergab eine kanalisierte Pfortaderthrombose, aber keinerlei 
Veränderungen an der Darm- und Magenschleimhaut, die für Quellen 
der Blutung hätten angesprochen werden können. Lues lag nicht vor. 
Man muss daher annehmen, dass eine parenchymatöse Magenblutung 
stattgefunden hat. 

Diskussion. 

Hr. Fürbringer berichtet von einem Fall, der klinisch ähnlich 
verlief, dessen Sektion aber ergab, dass ein latenter Magenkrebs in die 
Milz perforiert und eine Milzarterie arrodiert hatte. 

Hr. A. Fränkel erinnert an eine Demonstration, die er vor 20 Jahren 
in diesem Verein veranstaltet hatte. Es handelte sich damals um ein 
junges Mädchen, das unter heftigstem Bluterbrechen zugrunde gegangen 
war, und dessen Sektion eine kolossale Dilatation des Magens ergab. 
Infolge einer atonischen Dilatation war es zu zahlreichen kleinen 
capillären hämorrhagischen Erosionen der Magenschleimhaut gekommen. 
Aus diesen hatte offenbar die Blutung stattgefunden. Rein parenchy¬ 
matöse Blutungen könne man sich eigentlich nicht vorstellen. 

Hr. Ewald meint, dass die menstruelle Blutung doch auch als 
parenchymatöse aufgefasst werde. 

Tagesordnung. 

HHr. C. Posner und W. Sehelfer (a. G.): 

Zar klinischen Mikroskopie nnd Mikrophotographie. 

Herr Posner will die Aufmerksamkeit weiterer Kreise darauf lenken, 
dass einige neuere optische Methoden, insbesondere die Dunkelfeldmikro¬ 
skopie, bei der Untersuchung des Harns eine Reihe interessanter, mit 
anderen Methoden nicht sichtbarer struktureller Einzelheiten zur Dar¬ 
stellung bringen. Besonders lassen sich aber Dunkelfeldbilder ausser¬ 
ordentlich gut und scharf photographieren. Er demonstriert Dunkelfeld¬ 
photographien von Nubeculae, Urethralfäden, Cylindern und Cylindroiden, 
hämorrhagischer Cystitis, gewöhnlicher Cystitis, Cytolyse der Eiterkörper 
im ammoniakalischen Urin, verschiedene Formen von Epithelien, auch 
solche von Blasencarcinom und endlich einige Sedimente. Bemerkens¬ 
wert ist, dass manche Cylinder bei Dunkelfeldbeleuchtung eine eigen¬ 
tümliche wurzelartige Auffaserung an einem Ende zeigen, die man bei 
gewöhnlicher Mikroskopie nicht sieht. Vielleicht wird es möglich sein, 
über die Beziehungen zwischen Cylindern und Cylindroiden mit dieser 
neuen optischen Methode Aufklärung zu bekommen. 

Diskussion: HHr. Fürbringer, Kraus, Posner. 

H. Hirschfeld. 


Berliner Gesellschaft für Chirurgie. 

Sitzung vom 20. Januar 1913. 

Gemeinsame Sitzung mit dem Verein für innere Medizin. 
Vorsitzender: Herr Sonnenburg. 

Hr. Sonnenburg: Es handelt sich heute um ein Thema der Grenz¬ 
gebiete äusserer und innerer Medizin. Das Thema ist so umfangreich, 
dass es in einer Sitzung nicht erschöpft werden kann. Die einzelnen 


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27. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


185 


gemeldeten Redner müssen daher, da die Zeit bemessen ist, sich kurz 
fassen. 

Vor Eintritt in die Tagesordnung teilt Hr. Kraus mit, dass Herr 
Heubner zur Feier seines 70. Geburtstages zum Ehrenmitgliede des 
Vereins für innere tfedizin gewählt sei. 

1. Hr. Kateensteia: 

Beitrag zur Entstehug aad Behandlung des Uleas ventriculi. 

Zweierlei gedenkt er heute vorzutragen: 1. Die Experimente über 
Entstehung des Ulcus ventriouli, die er seit mehreren Jahren angestellt 
hat 2. Die Konsequenzen, die er daraus gezogen im Hinblick auf die 
Erfahrungen der inneren Hedizin. 

Das Ulcus ventriculi entsteht vor allem durch eine Schleimhaut- 
Schädigung irgendwelcher Art. Notig zur Entstehung ist die Anwesen¬ 
heit von Magensaft, von Verdauungssaft. Das Ulcus ventriculi ist dem¬ 
nach ein Verdauungsgeschwür. Es ist oft die Frage aufgeworfen und er 
selbst hat sich experimentell damit beschäftigt: Warum ist die eigene 
Schleimhaut des Magens der Verdauung nicht unterworfen? Warum 
verdaut sich der Magen nioht selbst? 

Seit 5 Jahren hat er experimentell festgestellt: Wenn Darm und 
Milz in den Magen eingepflanzt werden, werden sie verdaut. Magen 
selbst, auch tote Magenschleimhaut, wird nicht verdaut. Es muss also 
ein Unterschied zwischen Magenschleimhaut und anderem tierischen Ge¬ 
webe bestehen. Der Grund ist in der Beschaffenheit der Schleimhaut 
selbst zu suchen, ihrer antiseptischen Wirkung. Die wirksame Substanz 
selbst ist das Antipepsin, das nur in alkalischer Lösung wirksam ist, 
also die Magenschleimhaut vor Verdauung schützt. Es muss eine An¬ 
häufung von Antipepsin angenommen werden, damit die Verdauung nicht 
zustande kommt. Seine Resultate sind von anderen leider nicht be¬ 
stätigt worden. 

In weiteren 20 Experimenten hat er zunächst den Effekt bei Atropin¬ 
wirkung studiert. Ein eingepflanzter Processus vermiformis wurde bei 
gleichseitiger Anwendung von Atropin nicht verdaut, ohne Atropin 
wurde eine eingenähte Darmschlinge verdaut. 

Dann hat er Magen bzw. Duodenum und Dünndarm zugleich ein¬ 
gepflanzt; dabei fand sich, dass Duodenum nioht, Darm aber verdaut 
wurde. Beim Ulcus bandelt es sich um eine Schleimhautstörung, bei 
der gleichzeitig der Antipepsingehalt herabgesetzt ist So kommt die 
Verdauung der verletzten Schleimhaut zustande. 

In einer weiteren Versuchsreihe hat er eine Abschwäohung des 
Antipepsins durch Einspritzen von Säure bewirkt. Er erzielte so 
typische Uloera. (Demonstration.) Ein typisches Ulcus callosum war 
bis ins Pankreas durobgedrungen. 

Endlich erzielte er eine Schädigung der Magenschleimhaut durch 
den Paquelin, der bis zur Schleimhaut per os eingeführt und durch 
elektrischen Strom zum Glühen gebracht wurde. Nach 10—12 Tagen 
entstanden typische Ulcera. Der Verbrennungsschorf selbst ist arm an 
Antipepsin. Die Folge ist, dass auch er verdaut wird und ein reines 
Ulcus erscheint. 

Vergleichs versuche hat er nach zwei Richtungen gemacht (6 positiv, 
1 negativ): 1. Der Schleimhautdefekt, der nicht mit Säure geätzt war, 
war nach 7 Tagen geheilt. Nach Aetzen mit Säure blieb ein Defekt 
länger bestehen. 2. Die Defekte wurden teils mit Säure, teils mit 
Lauge eingespritzt. Die Lauge zeigt zunächst stärkere Aetzwirkung, 
der Laugenschorf bleibt erhalten; es kommt aber nie ein Ulcus zu¬ 
stande, da der Antipepsingehalt nicht gestört wird. Bei Säureschorf ist 
der Antipepsingehalt zerstört. (Demonstration.) 

Dieselben Resultate ergaben sich auch bei Anwendung von */ 10 Natron¬ 
lauge: kein Ulcus, Vio Salzsäure: Ulcus. 

Was die Lokalisation betrifft, so waren bei 120 Versuchen nur 
präpylorische Ulcera zu erzeugen, also dort, wo die Säure- und 
Antipepsin Wirkung am ausgesprochensten ist. 

Drei Faktoren sind also bei der Entstehung der Ulcera maassgebend: 

1. die verletzte Schleimhaut, 2. wirksamer Magensaft, 3. das Antipepsin 
der Magenschleimhaut. 

Das Kaninchen hat im Magensaft kein Pepsin. Wenn Pepsin vor¬ 
handen und der Antipepsingehalt gestört ist, kommt ein Ulcus zustande. 
Der Magensaft des Kaninchens enthält kein Pepsin, also auch kein Anti- 
pepsin. Nur wenn Magensaft vom Hunde zugeführt wurde, entstand ein 
Ulcus callosum. Die Wirkung des Pepsins tritt ein bei Substanzen, die 
Antipepsin nicht enthalten. Als Körte vor Jahren seine Versuche 
machte, verwandte er cur Säure, erzielte daher kein Ulcus. Es muss 
eben Pepsin dazugetan werden. Hätte Körte dies getan, so hätte er 
damals sicher auch Ulcera erzeugt. 

Zur Therapie ist zu sagen: Die Behandlung des Ulcus mit internen 
Mitteln kann auf zwei Wegen angestrebt werden: 1. durch Abschwächung 
der Säure, 2. durch Stärkung des Antipepsiugehalts. Letzteres ist ver¬ 
sucht durch Diät, ferner durch Darreichung von Antipepsin per os. 
Sowohl die Diät von Lenhartz, die eiweissreich ist, als die von Leube 
(Bouillon) sind unzureichend, weil einseitig. Die Bouillon regt viel zu 
sehr die Magensaftsekretion an. Er schlägt darum eine gemischte Diät, 
Gemüse und Fett, vor, die nicht reizt. 

Beim Ulcus der Chlorotischen ist die Behandlung der Chlorose 
selbst die Hauptsache. Das Antipepsin per os zu geben, haben die 
Engländer versucht, indem sie Pferdeblutserum verabreichten. 

Die interne Therapie bat im allgemeinen nicht gute Resultate. 
In einer grossen Zahl treten Recidive auf. Vielfach handelt es sich da¬ 


bei jedoch nicht um Recidive, sondern wohl um nioht geheilte Ulcera, 
die dann später wieder Erscheinungen machen. 

Die chirurgische Therapie soll eingreifen, wenn alle interne The¬ 
rapie erfolglos war. Er hat in 72 Fällen, die er operierte, keinen Todes¬ 
fall, dann bei 4 folgenden ebensoviele Todesfälle. 

An Komplikationen der Operation können auftreten: 

1. Circumscripte Atonie bei Durchschneidung des Pylorus oder der 
kleinen Curvatur. Es ist zu berücksichtigen, dass dabei viele Nerven 
durchschnitten werden. In einem Falle mit Pylorusdurchschneidung trat 
nach 6 Stunden Atonie ein, Rückfluss, kein Circulus vitiosus, da der 
Pylorus durchschnitten war. In einem anderen Falle war der Grund 
der Atonie eitrige Infiltration der Magenwand, 90 dass nach 12 Tagen 
nochmals operiert werden musste. 

2. Herzschwäche. Darum hat in jedem Falle eine funktionelle 
Prüfung voranzugehen. 

3. Embolie. Es muss eine genaue Gerinnungsprüfung vor der Ope¬ 
ration vorgenommen werden. 

4. Pneumonie. 

Am aktuellsten ist die Frage: ob nur Gastroenterostomie oder Re¬ 
sektion zu wählen sei. Er bat 4 Fälle von Circulus vitiosus chronicus 
(d. h. spät auftretend) gesehen. Die Pylorusausschaltung ist daher meist 
auszulühren, da die anfänglichen Stenosen nach der Gastroenterostomie 
oft zurückgehen. Bei sohweren Fällen, bei Ulcus pylori, das in9 Duo¬ 
denum übergeht, Ulcus der kleinen Curvatur ist besser die Gastroentero¬ 
stomie mit Pylorusausschaltung zu vereinen. Eventuell kommt die Re¬ 
sektion des Pylorus in Frage. 

Hr. E. Schlesinger: 

Ergebnisse der Röntenantersnchnng beim Ulens ventriculi. 

Zunächst sind durch das Röntgenverfahren einfache Schleim- 

hautulcera nicht darstellbar; callöse auch nicht immer. Nur bei 
tieferer Zerstörung, beim Ulcus penetrans, sind die Resultate gute; 

auch beim Sanduhrmagen. Die einen bewerten die Röntgendiagnose 

sehr hoch, meinen, dass das Röntgenbild allein schon genüge, alles 

andere, Anamnese U9W. überflüssig mache. Die anderen halten den Wert 
nur für klein. Die Röntgenuntersuchung muss genau sein, um ein ob¬ 
jektives Bild zu geben. Durch den Speisebrei wird der Spasmus all¬ 
mählich gehoben. Darum soll man in Abständen je ein Viertel des 
Breies nacheinander geben und durchleuchten, beim vierten Viertel Kon¬ 
traktionen der Bauchdecken machen lassen, danach den Patienten auf 
die rechte Seite drehen. Hierauf legt Schl, besonderen Wert. Erst wenn 
die Durchleutung nicht zum Ziele führt, sollen Aufnahmen gemacht 
werden in drei Richtungen: 1. dorso-ventral; 2. frontal; 3. in rechter 
Seitenlage. Bei letzterer wird der Ausfluss aus der Pars pylorica deut¬ 
lich; es gelingt, den Unterschied zwischen maligner und benigner Stenose 
zu erkennen. Es ist möglich, das Verfahren zu individualisieren und 
abzukürzen. 

Die Palpation ist bei Verwachsungen sehr zweckmässig; S. wendet 
sie aber nicht mehr an, weil er Verbrennungen am eigenen Arm dabei 
erlebte. 

Ein Unterschied zwischen offenem und geheiltem Ulcus (beim 
offenen: Pylorospa9mu9) ist nicht zu diagnostizieren. S. hat ihn fallen 
lassen, da er bei frischen Ulcera das Gegenteil sah, andererseits Kon¬ 
trakturen auch nach der Heilung bestehen. 

Für Ulcus duodeni ist die Antiperistaltik von Bedeutung, Steilheit 
und Hypertonie des Magens, nach links gerichteter Pylorus. 

Nach Untersuchung mehrerer Hundert Ulcera kommt S. zu folgenden 
Resultaten: 

1. Die Röntgenuntersuchung ist erst naoh Erledigung aller klinischen 
Untersuchungen vorzunehmen. 

2. Sie kann dann dazu dienen, eine zweifelhafte Diagnose sicher¬ 
zustellen. 

Es ergeben sich 4 Gruppen von Symptomen: 

1. Die typischen Symptome; deren Zahl ist grösser, als an¬ 
genommen wird. 

2. Ein oder zwei atypische Symptome. 

3. Völlig negativer Befund. 

4. Zweifelhafte Symptome; zweifelhaft deshalb, weil sie nicht scharf 
ausgeprägt sind, ferner weil die pathologischen Funktionen röntgenologisch 
noch gar nicht klargestellt sind. (Demonstration.) 

Diskussion. 

Hr. Boas will nur einige wenige Gesichtspunkte hervorheben. Die 
Aetiologie ist eine komplizierte, es ist kein einheitliches Moment an- 
zuführon. Die Anwesenheit von Magensaft überhaupt, nioht von über¬ 
schüssigem, ist von Bedeutung. Bei Anacidität sind Ulcera selten, ob¬ 
wohl hierbei gerade die Magenwand leicht vulnerabel ist Die Ulcera 
heilen schnell und symptomlos. 

Auch für die Therapie ist der Gehalt an Säure von Wichtigkeit. 
Wichtig sind ferner die okkulten Blutungen. Aus ihnen allein 
kann man schon eine Diagnose stellen, wie Boas seit 12 Jahren 
betont. 

Die Therapie ist quoad Heilung des Ulous durchaus günstig. Es 
verschwinden die Begleiterscheinungen. Nach Gastroenterostomie und 
Resektion treten häufig Blutungen auf. Die Hypersekretion war bisher 
keiner Therapie zugänglich. Hier hat die Therapie einzugreifen. Payr 
hat hier an dieser Stelle vor einigen Jahren angegeben, dass die Be¬ 
handlung sich nioht in einer Operation erschöpfen köune, sondern dass 
naohher eine Weiterbehandlung nötig sei. Die Operation ist indiziert 


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186 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 4. 


bei kompliziertem Ulcus. Beim Ulcus simplex ist die soziale Stellung 
vor allem maassgebend. Die Operation ist dann am Platze, wenn der 
Patient sich nicht den Luxus einer lange dauernden Diät leisten kann. 

Hr. Bier: Eine Atonie tritt nach Operation eines Ulcus an der 
kleinen Curvatur ein, nach Exstirpation des Ulcus. Wenn man ein 
kleines Ulcus herausschneidet, weitet sich plötzlich die Oeffnung, so dass 
man die Faust hindurcbstecken kann, weil man die ganzen Narben¬ 
kontrakturen mit fortgeschnitten hat. Bei Naht in Längsrichtung kommt 
es dann zum Sanduhrmagen, in Querrichtung zum Beutelmagen. Der 
Circulus vitiosus wird vermieden, wenn man eine ganz kurze Schlinge 
des obersten Jejunum wählt, nicht etwa im Sinne der Isoperistaltik 
dreht, eine breite Anastomose mit einer tiefen Stelle der hintern Magen¬ 
wand herstellt. Die Diagnose ist meist mit grosser Schärfe zu stellen. 
Der Chirurg kann sich selbst am besten kontrollieren. Die Diagnose 
muss vielseitig sein, auch die Röntgenstrahlen zu Hilfe nehmen. Eine 
geschickte Anamnese führt oft schon zur Diagnose. Wichtig sind die 
okkulten Blutungen nach Boas. Die Säurebestimmung ist zweifelhaft, 
lässt oft im Stich. 

Hr. Kraus: Die Frage der Pathogenesis der Ulcera hat schon viele 
beschäftigt. Er hat sich selbst bei einer Anzahl von Versuchen davon 
überzeugt, dass Herr Katzenstein wirklich Ulcera macht. Daran ist 
kein Zweifel. Er glaubt aber nicht, dass Katzenstein eine allgemein 
gültige Formel gefunden hat, vor allem nicht für menschliche Ulcera. 
Wichtig sind die Untersuchungen von Payr und Aschoff, die das 
mechanische Moment bei Entstehung der Ulcera betonen. Es steht 
dahin, ob der Satz richtig ist, dass das Ulcus callosum als ein werdendes 
Carcinom angelegt ist. Die innere Therapie leistet nach Katzen¬ 
stein nicht sehr viel. Demgegenüber muss gesagt werden: Was uns 
Internen die Chirurgen zurückgeben, ist auch nicht allemal das, was wir 
wünschen. Der Behauptung, die Leube’sche und die Lenhartz’sche Diät 
taugen beide nichts, muss Redner widersprechen. Er urteilt vor allem 
als Hospitalarzt. Im Hospital sind beide als zweckmässig erprobt, im 
allgemeinen ist das Lenhartz’sche Schema vorzuziehen. Wenn beide die 
Hyperacidität nicht herabsetzen, so wäre Kraus Herrn Katzenstein 
dankbar, wenn er ihm eine sichere Methode angäbe, die dies bewirkte. 

Für die Diagnose sind die okkulten Blutungen und die Röntgen¬ 
untersuchung wichtig. Das Lenhartz’sche Schema ist darum wertvoll, 
weil Eiweiss das beste Bindungsmittel für die Säure ist. Es ist als gut 
erprobt, die Patienten fühlen sich wohl dabei, das ist die Hauptsache. 
Für die Behandlung nach den Blutungen gibt es kein Schema. Es ist 
ein glücklicher Gedanke, den Magensaft herauszusuchen, der sich am 
besten für den ganzen weiteren Succursus morbi eignet. Was die 
chirurgische Therapie betrifft, so ist er sich mit den Chirurgen immer 
einig gewesen; zu spät hat er sicher niemals einen Patienten dem Chir¬ 
urgen zugeschickt, eher zu früh. Es ist aber zu verlangen, dass die 
Chirurgen uns die Kranken nachher zurückschicken zur weiteren Unter¬ 
suchung und Behandlung. Wenn Herr Bier die Säurebestimmung für 
die Diagnose für wertlos erachtet, so ist zu erwidern, dass doch die 
fortdauernde Untersuchung für die Beurteilung der ganzen Krank¬ 
heit von Wichtigkeit ist. In der Aetiologie spielt in letzter Zeit das 
Trauma eine grosse Rolle. Bei traumatischer Läsion ist Insuffizienz des 
Pylorus oft beobachtet, auoh durch Sektion bestätigt. 

Hr. Sultan spricht zur Frühdiagnose des perforierten Magen¬ 
geschwürs. Diese kann bei genügender Anamnese sehr leicht sein, 
bei benommenen Patienten mit ausgebreiteter Peritonitis sehr schwer. 
Ein wichtiges klinisches Symptom ist die Gasansammlung zwischen Leber 
und Zwerchfell, die, ausser dem Verschwinden der Leberdämpfung, auch 
röntgenologisch nachgewiesen werden kann. Gasansammlung auch in 
der linken Zwerchfellkuppe. Das Verschwinden der Leberdämpfung kann 
durch Meteorismus vorgetäuscht werden, andererseits kann sie vorhanden 
sein trotz Gasansammlung. Dabei ist der positive Röntgenbefund ver¬ 
wendbar. Demonstration von 2 Fällen (Röntgenbilder). Bei dem zweiten 
Falle war Gasansammlung nicht nachweisbar, weder perkutorisch, noch 
röntgenologisch. Die Sektion ergab, dass breite Verklebungen nach der 
Leber zu die Gasansammlung verhinderten. Selbst geringe Gasmengen 
sind im Röntgenbilde erkennbar, so in einem Falle, wo Ventrofixatio 
üteri ausgeführt war, die dabei eingedrungene Luft konnte man unter 
dem Zwerchfell nachweisen. (Demonstration.) 

Hr. Federmann: Das Ulcus simplex geht nur bis zur Sub- 
mucosa, bildet also eigentlich nur eine oberflächliche Erosion, die leicht 
ausheilt. Es ist nicht Gegenstand der chirurgischen Behandlung, weil 
dies unnötig und zwecklos ist. Das beweisen zwei seiner Fälle, die 
keine Besserung post operationem zeigten. Die Blutungen blieben be¬ 
stehen. Das Ulcus callosum ist, im Gegensatz zum Ulcus simplex, 
meist solitär; es ist interner Behandlung nicht zugänglich. Soll nur 
Gastroenterostomie ausgeführt werden? Wichtig für diese Frage ist die 
Kraus’sche Statistik, nach der von 12 so operierten Fällen 5 geheilt, 
3 recidiviert, 4 gestorben sind. Es empfiehlt sich also dringend, den 
Pylorusverschluss gleichzeitig vorzuoehmen. Operationstabelle von Feder¬ 
mann: Bei Ulcus pylori, des Fundus, duodeni, superficiale, Sanduhr¬ 
magen: 27 Gastroenterostomien, 16 mit, 11 ohne Pylorusverschluss, 
8 Resektionen, 4 quere, 4 Pylorusresektionen. Nachuntersucht 25, davon 
21 völlig geheilt; 12 von diesen zeigten Hyperacidität; 1 Fall gebessert, 
2 ungeheilt, 1 Fall in Care, übergegangen. 2 Todesfälle = 5,7 pCt 
Mortalität (1 nach drei Wochen an Parotitis, 1 Alterschwäche). Seine 
Indikationen sind: Bei callösem Ulcus pylori, praepylorischem Ulcus: 
Pylorusrcsektion ohne Gastroenterostomie. Bei Ulcus des Körpers und 


Sanduhrmagen: quere Resektion oder Billroth. Bei narbiger Stenose des 
Pylorus: Gastroenterostomie; wenn daneben ein Ulcus: Gastroenterostomie 
und Pylorusverschluss. 

Hr. Fuld: Für die Aetiologie ist die direkte Schädigung durch 
die Nahrung nicht hoch anzuschlagen, da sie als dünner Speisebrei den 
Pylorus verlässt. Demnach ist das chemische Verhalten von grösserer 
Bedeutung. Zur Frage des Antipepsins ist zu sagen: Pepsin und Lab 
gehen zusammen, also ist statt des Pepsins Lab zu setzen. Antilab 
hat das Kaninchen nicht. Die jungen Tiere haben nur einen geringen 
Antilabtiter. Anders beim Menschen. Nach Finkelstein u. a. ist 
gerade das Ulcus duodeni bei Kindern recht häufig. Zur Therapie ist 
Belladonna in grossen Dosen zu verwenden. Die Diät ist von 
Wichtigkeit. Von internen Mitteln kommen in Frage: das Neutraion; 
es gehört zu den Absorbentien, wirkt ähnlich wie Tierkohle; es bindet 
Salzsäure. Antipepsin haben bereits die Engländer in Gestalt des Pferde¬ 
serums gegeben. Ein ähnliches Präparat hat Vortr. selbst angegeben, 
das Amynin, das aus Schweineserum hergestellt wird. 

Hr. Körte: Für die Frühdiagnose ist eins von nioht zu be¬ 
streitender Wichtigkeit, der Patient selbst, der eben nioht frühzeitig zum 
Arzt mit seinen Beschwerden kommt, lange Zeit nicht behandelt wurde 
und womöglich erst nach Perforation des Ulcus sich in Behandlung be¬ 
gibt. Nach Gastroenterostomie werden neue Ulcera beobachtet, auch 
nach Resektion, ln einem Falle von Resektion konnte Vortr. nach 
10 Jahren ein neues Ulcus pylori und starke Verengerung konstatieren. 
Die Normaltherapie ist die Gastroenterostomie. Die Carcinom- 
entwicklung bei Ulcus callosum ist doch relativ selten, wie Obduktionen 
beweisen. Die Resektion ist weit gefährlicher. Auch der Pylorus¬ 
verschluss ist ein erheblicher Eingriff und nur bei Ulcus duodeni an¬ 
zuraten. 

Hr. Schmieden: Seltener Sitz eines Ulcus ventriouli im 
Fundus; Perforation ins Pankreas. (Demonstration.) Schm, 
weist auf die Multiplizität der Ulcera hin. So kann bei der Operation 
ein solches übersehen werden. Die Säurebestimmung ist in den 
Fällen von Wichtigkeit, wo sich langsam ein Carcinom ans dem Ulcus 
entwickelt. Hierbei gibt das Aufhören des Salzsäuregehaltes einen Hin¬ 
weis. Diese Entwicklung ist selten; nicht, wie behauptet wird, in 30 bis 
40 pCt der Fälle. Bei gewaltiger Dilatation mit Salzsäuremangel ist 
auf Carcinom zu schliessen. Die quere Resektion ist beim Sanduhr¬ 
magen und bei Ulcus der kleinen Curvatur dringend anzuraten. Die 
Röntgenuntersuchung lässt bei Adhäsionen im Stich. 

Hr. Cohnheim: Gegen Hyperacidität ist die Oe 1 kur empfohlen. 
Er wendet sie oft an, nicht in so grossen Mengen als früher: dreimal 
täglich je eine Stunde vor dem Essen einen Esslöffel Süssmandelöl in 
100 g warmen Wassers. 

Hr. Katzenstein: Schlusswort. Holler. 


Medizinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für vater¬ 
ländische Kultur zu Breslau. 

(Offizielles Protokoll.) 

Gemeinsame Sitzung der medizinischen und der staats- und rechtswissen¬ 
schaftlichen Sektion vom 15. November 1912. 

Vorsitzender: Herr Minkowski. 

Schriftführer: Herr Rosenfeld. 

Hr. Julias Wolf: Der Geburtenrückgang und seine Bekämpfung. 

(Der Vortrag ist in Nr. 49 und 50, 1912, dieser Wochenschrift bereits 
abgedruckt.) 

Diskussion. 

Hr. Küstner: Die Beobachtungen eines einzelnen müssen hinter 
den umfänglichen statistischen Erhebungen, welche vom Herrn Vor¬ 
tragenden in seiner Monographie niedergelegt und in seinem Vortrage 
dargestellt sind, zurücktreten. Nichtsdestoweniger sind sie vielleicht 
nicht ganz bedeutungslos. 

Obschon Hasse-Mensinga sein Okklusivpessar bereits vor Jahr¬ 
zehnten empfahl und diese Empfehlung in den breitesten Schichten mit 
Interesse aufgenommen wurde, wurde damals im gynäkologisch-geburts¬ 
hilflichen Unterricht über neomalthusianistische Regungen kaum oder 
überhaupt nicht gesprochen. Höchstens dass vielleicht die Aeusserung 
Hegar’s dazu in Beziehung steht, dass es der Norm entspräche, wenn 
eine Frau im zeugungsfähigen Alter, also zwischen dem 20. und 40. Lebens¬ 
jahre, unter Berücksichtigung der Zeit für Wochenbett und Stillgeschäft 
etwa 8 Kinder gebären müsse; höchstens dass ich mich darauf besinne, 
dass gewisse anticonceptionelle Gepflogenheiten den Nervenapparat von 
Mann und Frau schädigen und mit Rücksicht darauf unterbleiben müssen. 
Das hat sich geändert. Heute wird im gynäkologisch-geburtshilflichen 
Unterricht gelegentlich über die Vermeidung von Conception gesprochen, 
und das geschieht auch von mir, aber doch nur insofern, als wir heut¬ 
zutage mit Nachdruck betonen, dass für gewisse krankhafte Zustände 
eine Schwangerschaft eine Steigerung, Verschlimmerung und mithin eine 
Vergrösserung der Gefahr bedeutet. Das gilt in erster Linie für die 
Tuberkulose. Wir halten uns für verpflichtet, darauf unsere Schüler 
hinzuweisen und ihre Pflegebefohlenen unter genannten Verhältnissen 
vor dem Zustandekommen von Schwangerschaft zu schützen zu versuchen. 
Wir gehen noch weiter; wir erzwingen gelegentlich, wenn andere Mittel 
erfolglos sind, die Zeugungsunfähigkeit der Frau duroh eingreifende 


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27. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


187 


Operation. Andere Gelegenheiten gibt uns oder gab mir bisher unsere 
Disziplin, neomalthusianistische Bestrebungen zu berühren, nicht. Eine 
gelegentliche Bemerkung, wie ich sie erst heute morgen in der Klinik 
maohte, wo eine Frau mit bereits unoperierbarem Magenkrebs, welche 
bereits 8 lebende Kinder hat und jetzt mit lebensfähigen Drillingen 
□iedergekommen war, indem ich sagte: »Und das in einer Zeit, in 
welcher der Geburtenrückgang in Deutschland aller Kreise Interesse auf 
das lebhafteste in Anspruch nimmt“, kann als belanglos gelten. Ich 
kann sonach die Aeusserung des Herrn Vortragenden, nach welcher 
aoticonceptionelle Bestrebung der stille Gast der gynäkologischen 
Kliniken sei, auf meine Klinik und meinen Unterricht nicht beziehen. 

In einem anderen, und das ist im Kernpunkte der Fragestellung, 
pflichte ich dem Herrn Vortragenden unbedingt bei. Die Rationalisierung 
des Sexuallebens ist es, was den Geburtenrückgang in erster Linie ver¬ 
schuldet, der Umstand, dass in vielen Ehen nicht mehr als eine be¬ 
stimmte Anzahl von Nachkommen gewünscht wird. Wenn ich auch in 
Betracht ziehe, dass dem älteren Arzte darauf bezügliche Wünsche und 
Aeusserungen häufiger zugehen als dem jüngeren, so glaube ich dennoch, 
dass auch besonders aus privatärztlicher Tätigkeit die Zunahme anti- 
eonceptioneller Verfahren ersiohtlich wird. Dass die marktschreierische 
Anpreisung wirkungsvoller und auch indifferenter Mittel im gleichen 
Sinne von Einfluss ist, bezweifle ich keinen Augenblick. Ob die straf¬ 
rechtliche Verfolgung derartiger Anpreisungen, wie sie in den Vereinigten 
Staaten geplant ist, Erfolg verspricht, weiss ich nicht. Eine gewisse 
Gruppe von Mitteln, die als anticonceptionell angepriesen werden, 
würde schon naoh bestehendem Gesetz einer richterlichen Beurteilung 
xogängig sein. Das sind alle diejenigen, welche in die Gebärmutter 
selbst eingelegt werden. Sie alle verhindern im allgemeinen die Con- 
ception Dicht. Es gehört eine beträchtliche Naivität dazu, anzunehmen, 
dass z. B. die kleine, wenige Centimeter Durchmesser haltende Platte 
eines sogenannten Steriletts die mehrhundertmillionenfache Möglichkeit 
einer Conception verhindern könnte. Alle diese Mittel sind in viel 
höherem Maasse Abortivmittel. Sie erzeugen Abort mit beträchtlicher 
Sicherheit, nachdem eben eine Gravidität zustande gekommen ist. Wir 
Aerzte haben, fühlen und erfüllen auch die Aufgabe, vor diesen Mitteln 
auf das nachdrücklichste zu warnen. Denn nicht nur dass sie meist 
Abort erzeugen, so veranlassen sie auch häufig Infektion, welche schwere, 
ja lebensgefährliche Erkrankung der inneren Generationsorgane der Frau 
zur Folge haben kann. 

Der Herr Vortragende hat den statistischen Beweis geliefert, dass 
in einer Population dem Fortsohreiten der Emanzipation von der Kirche 
ein Rückgang der Geburtenzahl entspricht. Die Aufzeichnungen, welche 
man in ärztlicher Tätigkeit zu machen pflegt, würde ich, soweit es sich 
um solche eines einzelnen handelt, nicht für belangreich halten. Das 
eine aber ist für uns, die wir vielfach auch von Kranken aus dem 
russischen Reiche in Anspruch genommen werden, auffallend, dass eine 
Bevölkerungsschicht, in welcher die Tenacität am Glauben der Väter 
offensichtlich ist, von den Ideen der Beschränkung der Kinderzabl noch 
völlig unberührt geblieben ist Das sind die orthodoxen russischen 
Juden. Es ist nichts Seltenes, wenn eine Frau dieser Bevölkerungs- 
gruppe, obwohl sie vielleicht 10 Kinder geboren hat, lediglich deshalb 
konsultiert, weil sie einige Jahre lang nicht concipiert bat. 

Hr. Partsch: Wenn ich mir erlaube, zu dem heutigen Vortrage 
das Wort zu ergreifen, so geschieht es deshalb, weil ich als Vertreter 
der schlesischen Aerztekammer die Verhandlungen der wissenschaft¬ 
liehen Deputation über den Gegenstand mitgemacht habe und mir aus 
denselben .Tatsachen bekannt geworden sind, welche einigen Auf¬ 
fassungen des Herrn Vortragenden zu widersprechen scheinen. 

Der Herr Vortragende stellte einen Gegensatz auf zwischen den 
Gebieten, wo Centrumswähler vorhanden sind, und den sozialdemokratisch 
wählenden Bezirken, indem er meinte, dass in ersteren die Verminderung 
der Kinderzabl nicht so erheblich sei als in den letzteren. Bei dieser 
Behauptung müsste doch in Rücksicht gezogen werden, dass die 
katholische Richtung in allen Schichten der Bevölkerung vertreten ist, 
während die sozialdemokratischen Wähler hauptsächlich in den Arbeiter¬ 
kreisen zu finden sind. Es könnte demgemäss die Anschauung Platz 
greifen, dass gerade in den Arbeiterkreisen die Beschränkung der Kinder¬ 
zahl eine besonders hohe ist. Eine umfangreiche Statistik darüber, wie 
sich auf die einzelnen Gesellschaftsschichten die Verminderung der 
Kinderzahl verteilt, besteht noch nicht. Sie ist nur vorliegend für eine 
Stadt, und zwar für Halle a. S. Dort sind statistische Erhebungen über 
die Geburtenzahl unter Berücksichtigung der Stellung des Vaters im 
Beruf angestellt worden; es ergab sich, dass 1909 und 1910 die Zahl 
der Geburten in Familien von Selbständigen 17,2 und 17,8pCt., bei An¬ 
gestellten 15 und 14,9 pCt., bei Arbeitern 38,9 und 37,6 pCt. war, das 
würde gegen die Annahme spreohen, dass in Arbeiterkreisen die gewollte 
Beschränkung der Kinderzahl stärker sei als in den wirtschaftlich besser¬ 
gestellten Schichten der Gesellschaft. 

Zu der Frage der Wege, auf denen man dem beklagenswerten Uebel- 
stande der Verminderung der Geburtenzahl am besten begegnen könnte, 
möchte ich bemerken, dass der deutsche Aerztetag es gewesen ist, der 
seit vielen Jahren auf die geradezu schamlose Reklame in der An¬ 
kündigung anticoDceptioneller und abtreibender Mittel hingewiesen hat 
und auf die schweren Schädigungen, die gerade auf diesem Gebiete dem 
Voikswohl aus der Tätigkeit der Kurpfuscher erwachsen. Durch die 
Sammlung eines die Ausdehnung dieser Reklame in erschreckender 
Weise beleuchtenden Materials, durch Veranstaltung von Ausstellungen 


dieses Materials hat der Aerztestand auf eine Einschränkung des Krebs¬ 
schadens unausgesetzt hingewiesen und sie gefordert. Lebhaft zu be¬ 
klagen bleibt, dass der im vorigen Jahre dem Reichstag vorgelegte Ent¬ 
wurf eines Gesetzes, betreffend die Ausübung der Heilkunde durch nicht- 
approbierte Personen und den Geheimmittelverkebr, der in seinem § 7 
die Ankündigung und Anpreisung von Mitteln und Gegenständen, die 
Verfahren, die zur Verhütung, Linderung oder Heilung von Geschlechts¬ 
krankheiten, zur Behebung geschlechtlicher Schwäche oder zur Hervor- 
rufung geschlechtlicher Erregung, sowie zur Verhütung der Empfängnis 
oder zur Beseitigung der Schwangerschaft dienen sollen, mit Gefängnis 
bis zu 6 Monaten und mit Geldstrafe bis zu 1500 M. bedroht, im 
Deutschen Reichstag eine Behandlung erfahren hat, die einerseits die 
mangelnde Kenntnis der grossen Schäden, die das Kurpfuschertum am 
Volkswohl anrichtet, verriet und andererseits die Hoffnung nicht auf- 
kommen lässt, dass dieser Entwurf bald Gesetz werden wird. 

Es lässt sich darüber streiten, ob ein Verbot der Ankündigung 
conceptionsverhindernder Mittel und Verfahren eine durchgreifende 
Wirkung haben würde, aber darüber kann kein Zweifel sein, dass mit 
dem Verschwinden der verblümten und unverblümten Anzeigen schon 
dadurch viel genutzt werde, dass nicht immer die breite Oeffentlichkeit 
auf diese Dinge dauernd hingewiesen und gleichsam ihr Gebrauch als 
eine allgemein geübte Sitte hingestellt würde. 

Ein Verschwinden dieser Reklame ist im Interesse unseres Volks¬ 
lebens dringend wünschenswert. Schon seit langem auf die aus ihr er¬ 
wachsenden Schäden aufmerksam gemacht zu haben, bleibt ein Verdienst 
des Aerztestandes. 

Hr. M. Chotzen: Der vorgerückten Stunde wegen will ich heute 
nur auf den einen vom Herrn Vortragenden erwähnten Punkt eingehen, 
wonach er die Zunahme der Geschlechtskrankheiten als erwiesen an¬ 
nimmt. Diese Annahme halte ich nicht für richtig. Ueber die Häufigkeit 
der Geschlechtskrankheiten in der Zivilbevölkerung gibt es nur eine 
Feststellung, die auf Ersuchen des preussischen Kultusministers am 
30. April 1900 von den Aerzten vorgenommen wurde. Die bei dieser 
Momentaufnahme gewonnenen Ziffern haben aber bisher noch keine 
Wiederholung gefunden, d. h. die Medizinalabteilung hat sich seit 1900 
noch nicht entschlossen, eine erneute Feststellung der Verbreitung der 
Geschlechtskrankheiten vornehmen zu lassen. Nach dieser Richtung 
fehlt also die Unterlage für die Annahme einer Vermehrung der Ge¬ 
schlechtskranken. 

Anders liegt es bei der Armee und Marine. Hier besteht seit 
ca. 1880 eine dauernd fortgeführte Statistik. Diese ergibt, dass die 
Geschlechtskranken ganz wesentlich abgenommen haben und im letzten 
Jahrzehnt sich auf einer verhältntsmässig niedrigen Stufe halten. Dieser 
Befund gestattet aber auch einer! Rückschluss auf die Häufigkeit der 
Geschlechtskrankheiten in der Zivilbevölkerung. Es ist einwandsfrei er¬ 
wiesen, dass die in der Armee während der Dienstzeit erworbenen 
venerischen Erkrankungen weniger auf frische Infektionen zurückzuführen 
sind, sondern dass sie in überwiegender Menge von den Rekruten vor 
Eintritt in die Armee erworben werden, also noch aus dem Zivilleben 
stammen. Aus dem Sinken oder Stehenbleiben der Geschlechtskrank¬ 
heiten in der Armee ist also auf ein Sinken oder Stehenbleiben der 
Geschlechtskrankheiten in der Zivilbevölkerung zu schliessen. Diese 
Schlussfolgerung findet ihre Bestätigung in den Statistiken der Kranken¬ 
kassen, wonach auch bei solchen ein Stillstehen oder geringes Hin- und 
Herschwanken der Gescblechtskrankenziffer festzustellen ist, aber durch¬ 
aus nicht eine Zunahme. 

Aber ganz abgesehen davon, ob eine Zunahme, ein Stillstehen oder 
ein Sinken der venerischen Erkrankungen angenommen wird, ist es nur 
sehr fraglich, ob den Geschlechtskrankheiten für den Rückgang der 
Geburten die Bedeutung beizumessen ist, die der Herr Vortragende 
annimmt. Meinem Ermessen nach ist die Geburtenabnahme weit weniger 
eine gesundheitliche als eine wirtschaftliche Folge. 

Hr. S. Wolffberg hält ebenfalls den für die neuere Zeit fest¬ 
gestellten Geburtenrückgang für bedrohlich. Um aber diesen Rückgang 
quantitativ zu bewerten, erscheine es in wissenschaftlicher Betrachtung 
noch zweifelhaft, ob man berechtigt sei, die neueren Geburtenzahlen 
mit denen des Jahrzehnts 1871/1880 zu vergleichen. Die Geburtsziffer 
haben in den 70er Jahren eine ganz besondere Höhe erreicht, wodurch 
sie aus dem Rahmen der Geburtenzahlen hervortrete. Dies gelte ebenso 
für das Deutsche Reich wie für einzelne grosse deutsche Städte, z. B. 
Breslau. In Breslau waren von 1821 ab bis 1870 die Geburtsziffern im 
allgemeinen nicht höher als nach 1880 bis gegen Ende des Jahrhunderts. 
Redner verweilt kurz bei den vermutlichen Ursachen des Geburten¬ 
anstiegs in den siebziger Jahren und hebt insbesondere die ungewöhn¬ 
liche Zahl von Eheschliessungen hervor, die in Breslau (ebenso auch in 
Berlin) von 1872 ab bis einschliesslich 1877 stattfanden. Diese Zahl 
von Eheschliessungen ist in Breslau in keinem folgenden Jahre auch nur 
annähernd erreicht worden. Man kann hier zu den von dem Herrn 
Vortragenden sogenannten »organischen“ und »physiologischen“ Ursachen 
des Geburtenrückganges eine »autonome“ Regulierung der Geburten¬ 
zahlen hinzufügen, die lediglich durch die Ereiguisse in der Bevölke¬ 
rungsbewegung ohne krankhafte Einflüsse und unabhängig von der 
willkürlichen Beschränkung der Geburtenzahl — hervorgerufen wird. 
Diese ursächliche Betrachtung dient für Breslau wesentlich zur Be¬ 
ruhigung, da der Geburtenrückgang gegenüber früheren Zeiten viel 
geringer ist, als wenn die siebziger Jahre zum Vergleiche benutzt 
werden, und — wenigstens in Breslau — nach den vorliegenden Zahlen 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 4. 


erst seit kaum 20 Jahren, erheblicher aber erst in diesem Jahrhundert 
zur Beobachtung kommt. 

Im übrigen aber teilt Redner die Befürchtungen des Vortragenden, 
dass die gewollte Einschränkung der Kinderzahl weiterhin dem Vater¬ 
lande zum Schaden gereichen müsse. Man müsse offen aussprechen, 
•dass gerade in den gebildeteren Kreisen das Zweikindersystem seit 
längerer Zeit viel verbreitet sei; erst in neuerer Zeit gewinne die ge¬ 
wollte Beschränkung auch in der ärmeren Bevölkerung an Boden. Den 
Präventiv verkehr hält Redner für schädlich und unsittlich. Grossen 

Schaden hätten gewisse Erzeugnisse der „naturheilkundlichen“ Literatur 
gestiftet wie das so überaus verbreitete Buch von Bilz. Besonders aber 
wirkten neuerdings die zahllosen Zeitungsankündigungen von „Rat 
und Hilfe, die öffentlichen Ausstellungen von Schutzmitteln und 

„hygienischen Artikeln“, die gelegentlich geradezu als Abtreibemittel zu 
bezeichnen wären, schädlich. Redner glaubt, dass gegen diese Aus¬ 
wüchse behördliche Maassnahmen notwendig und möglich sind. 

Hr. Oettinger erinnert an die bekannte Forderung der Statistik, 
Geburtenziffern nicht in Prozenten der Gesamtbevölkerung anzugeben, 
sondern sie auf die Zahl der gebärfäbigen Frauen zu beziehen. Wenn 
diese 'Forderung auch für die Geburtenzahlen ganz Deutschlands ohne 
Belang sein dürfte, so kann sie geradezu entscheidende Bedeutung haben, 
wenn man einen bestimmten, engumschriebenen Bezirk herausgreift. 
Wenn also in Schöneberg die Geburtenzahl in den letzten 40 Jahren 
von 500 bis auf 140 (auf 10 000 Einwohner) zurückgegangen ist, so 

drückt sich darin wohl die Tatsache aus, dass der Zuzug von aussen, 

der die Entwicklung Schönebergs aus einer kleinen Dorfgemeinde zur 
Grossstadt bewirkte, eine ganz andere Alterszusammensetzung hatte, als 
die ursprüngliche Bevölkerung. Diese Zahlen aber mit Herrn Wolf dahin 
zu interpretieren, dass Schöneberg einen Geburtenrückgang um 75 pCt. er¬ 
fahren habe, ist kaum zulässig; und ebenso unberechtigt ist es, die 
Geburtenziffern dieser oder irgendeiner anderen deutschen Gemeinde mit 
irgendeinem französischen Departement von gleichfalls unbekannter Zu¬ 
sammensetzung zu vergleichen. Aus diesem Vergleich noch den Schluss 
zu ziehen, dass die Entwicklung in Deutschland sich nicht nur den 
französischen Zuständen näherte, sondern sie teilweise bereits erreicht 
oder sie übertroffen hätte, entbehrt mithin gleichfalls der sicheren Be¬ 
gründung. Dagegen wendet Herr Wolf allerdings ein, auch an mehreren 
Stellen seines Buches, dass die Alterszusammensetzung der Bevölkerung 
sich gerade im entgegengesetzten Sinne geändert habe. Der Rückgang 
der Mortalität sei in den fortpflanzungsfähigen Altersstufen viel stärker 
gewesen als in den nichtfortpflanzungsfähigen, und daraus sei zu folgern, 
dass sich der Anteil der Fortpflanzungsfähigen an der Gesamtbevölkerung 
gegen früher vergrössert habe. Der Rückgang der Geburtenzahl sei 
daher in Wirklichkeit noch grösser als er in der Statistik erscheint. 
Aber ganz abgesehen davon, dass das für einzelne Gebietsteile oder 
Gemeinden gar nicht in Betracht kommt, beruht diese Behauptung auf 
einem statistischen Trugschluss. Da sie anscheinend in der Literatur 
bisher ohne Widerspruch geblieben ist, sei das hier kurz dargelegt. 
Richtig ist, dass die Mortalität der fortpflanzungsfähigen Altersstufen in 
viel höherem Maasse zurückgegangen ist als die der Nichtfortpflanzungs¬ 
fähigen. Daraus folgt aber durchaus nicht, dass sich das Mischungsver¬ 
hältnis zugunsten der ersteren verschoben hätte. Wenn z. B. die Mortalität 
der Fortpflanzungsfähigen im Jahre 1895 6 pM. betrug und bis 1900 
um lOpCt. zurückging, so bewirkte dieser Rückgang einen jährlichen 
Zuwachs von 6 auf 10 000 Fortpflanzungsfähige. Die Mortalität der 
Nichtfortpflanzungsfähigen verringerte sich nun zwar im gleichen Zeit¬ 
raum in viel geringerem Maasse, etwa um 4pCt. Da sie aber vorher 
viel grösser war, etwa 40 pM. jährlich, so bewirkte die prozentual ge¬ 
ringere Abnahme einen viel grösseren Zuwachs, etwa von 16 auf 
10 000 Nichtfortpflanzungsfähige. Es muss also — wie auch vorher 
das Mischungsverhältnis zwischen Fortpflanzungsfähigen und Nichtfort¬ 
pflanzungsfähigen war — der Anteil der letzteren gestiegen sein. Im 
übrigen sind die statistischen Nachweise — wenigstens so weit sie von 
Herrn Wolf benutzt sind — entschieden korrekturbedürftig. In diesen 
kommt nämlich der behauptete kontinuierliche, seit 40 Jahren fort¬ 
schreitende Geburtenrückgang gar nicht zum Ausdruck. Denn die 
deutschen Geburtenzahlen, die auf Seite 2 des Wölfischen Buches für 
die Jahrfünfte 1871—75 und 1891—95 angegeben sind, sind wesentlich 
kleiner, als die auf Seite 3 mitgeteilten deutschen Geburtenzahlen der 
Jahrzehnte 1871—80 und 1891—1900. Danach müsste jedesmal in der 
zweiten Hälfte des Jahrzehnts eine starke Vermehrung der Geburten ein¬ 
getreten sein. Aber eine weitere Tabelle, in der die Zahlen für die 
einzelnen Jahre mitgeteilt sind, zeigt davon nichts und ergibt sowohl 
für die Jabrfünfto, als auch für die Jahrzehnte ganz andere Durchschnitts¬ 
zahlen als die erst erwähnten Tabellen. 

Aber noch nach einer anderen Richtung scheint die Statistik einer 
Erweiterung zu bedürfen. Dass die Tatsache des Geburtenrückgangs 
eine so verschiedene Beurteilung erfährt, von den einen als verderblich, 
von den anderen als segensreich bezeichnet wird, beruht offenbar darauf, 
dass er sich aus zwei ganz verschiedenen Vorgängen zusammensetzt, die 
ganz verschiedene Bewertung verdienen. Zum Teil beruht er zweifellos 
darauf, dass das Zwei-Kinder- und Ein-Kind-System nicht mehr auf die 
Kreise der Gebildeten und Wohlhabenden beschränkt bleibt, sondern in 
immer weiteren Kreisen zur Herrschaft gelangt; zum Teil dürfte es aber 
auch darauf beruhen, dass die Ehen mit besonders grosser Fruchtbarkeit, 
mit exzessiv hohen Geburtenzahlen seltener werden. Während der erste 
Vorgang allgemein mit schwerer Sorge erfüllen dürfte, muss der zweite 


als ausserordentlich zweckmässig und günstig bezeichnet werden. Wir 
sehen darin nichts anderes als den Versuch, Energie zu sparen, den 
grössten möglichen Effekt mit dem geringsten möglichen Aufwand zu 
erzielen. Eine richtige Bewertung des Geburtenrückgangs wird erst dann 
möglich sein, wenn statistisch festgestellt wird, wie weit jeder dieser 
beiden Vorgänge daran beteiligt ist. 

Der Rückgang der Säuglingssterblichkeit scheint von Herrn Wolf 
in seiner Bedeutung etwas unterschätzt zu werden. Würden alle Kinder 
gerettet werden, die bei vollster Lebensfähigkeit vermeidbaren Schädlich¬ 
keiten erliegen, so würde der dadurch erzielte Gewinn etwa l /s bis 2 / 5 
des gesamten Geburtenrückgangs der letzten 40 Jahre ausgteichen. 


Wissenschaftlicher Verein der Aerzte zn Stettin. 

Sitzung vom 5. November 1912. 

Vorsitzender: Herr Haeckel. 

Schriftführer: Herr Richter. 

Hr. Gehrke: a) In den 4 Wochen vom 6. Oktober bis zum 2. No¬ 
vember v. Js. — 41. bis 44. Jahreswoche — sind in Stettin sanitäts¬ 
polizeilich gemeldet worden: 

219 (176) Fälle von übertragbaren Krankheiten und zwar: 


G.-A.i) 

Pol.-Präs. 2 ) 
1912 | 1911 


62 

83 

120 

Fälle von Diphtherie 

97 

127 

1 31 

„ „ Scharlach 

1 

6 

19 

„ „ Typhus 

2 

2 

6 

„ „ Kindbettfieber 

1 

1 1 

— 

„ „ Kinderlähmung 

11 

15 

25 

Todesfälle an Tuberkulose 


b) Statistische Erhebugen über die Verbreitnng der Geeehlechta- 

krankheiten. 

Ueber die Häufigkeit der Geschlechtskrankheiten, ihre Verbreitung 
in den einzelnen Alters- und Berufsklassen sind wir bisher nur sehr 
mangelhaft unterrichtet. Das Gesetz, betreffend die Bekämpfung der 
übertragbaren Krankheiten, hat aus sehr begreiflichen Gründen die 
Meldepflicht für diese Krankheiten nicht gebraoht. So sind wir denn 
bisher nur auf die Zahlen des Jahres 1900 angewiesen, die in Preussen 
dadurch gewonnen sind, dass die Aerzte über die Zahl der an einem 
bestimmten Tage in ihrer Behandlung befindlichen Geschlechtskranken 
befragt wurden. Diese Statistik hat ihre sehr grossen Mängel gehabt. 
Eine für das Jahr 1912 beabsichtigte erneute allgemeine Erhebung ist 
nicht zur Ausführung gelangt. 

Um wenigstens für die Grossstädte einigermassen richtige Zahlen zu 
erlangen, hatte die Vereinigung der statistischen Aemter deutscher 
Grossstädte beschlossen, eine solche Erhebung zu veranstalten. Die Er¬ 
hebung soll im März 1913 stattfinden. Da solche Erhebungen nur 
einen Erfolg versprechen, wenn die Aerztoschaft der Sache ihr volles 
Interesse entgegen bringt, ist es notwendig, die bestehenden Aerzte- 
vereinigungen für die Frage zu gewinnen. 

c) Forderung des Selbststilleis durch Anwendung einer lenen Milch- 

pnnpe. 

In der Säuglingsfürsorge hat sich häufiger die Notwendigkeit er¬ 
geben, Müttern, die glauben, nicht stillen zu können, da sie keine 
Nahrung hätten, den Beweis zu führen, dass sie doch genügend Nahrung 
haben. Die im Handel vorhandenen Milcbpumpen, die, soweit erhältlich, 
demonstriert werden, waren dazu nicht geeignet. Vortragender hat sich 
daher selbst eine Milcbpumpe konstruiert, die sich vorzüglich bewährt 
hat, zuletzt auch in einem Falle, wo ein mit doppelseitiger Hasenscharte 
und Gaumenspalte geborenes Kind, das absolut unfähig war, zu saugen, 
bis fast zum 7. Monat durch die mit der Milcbpumpe gewonnene 
Muttermilch ernährt wurde. Im Anfang wurde noch ein kräftiger Säug¬ 
ling mit angelegt, das erwies sich später als unnötig; die in drei, 
später zwei Sitzungen aus beiden Brüsten gewonnene Milchmenge betrug 
bis über ein Liter. 

Die Milchpumpe besteht aus einem birnenförmigen Hohlkörper, der 
graduiert ist, und ca. 70 ccm fasst. Am spitzen Teil der Birne setzen 
in einem stumpfen Winkel an: das Ansatzstück, das auf die Brustwarze 
gesetzt wird, gegenüber ein Ansatzrohr, an dem ein kräftiger Gummiball 
angebracht ist. Am stumpfen Ende der Birne ein Glasstutzen, der für 
gewöhnlich durch Gummischlauch und Quetschhahn verschlossen ist und 
zum Abfliessenlassen der Milch dient 8 ). 

Glasbläser Greiner-Stettin, Paradeplatz, liefert die sehr kräftig ge¬ 
arbeitete Milchpumpe zum Preise von 6 M. 

1) Ermittelt im Gesundheitsamt auf Grund der einzelnen abschriftlich 
mitgeteilten Anzeigen. 

2) Zusammengestellt auf Grund der Wochennaohweise des Königl. 
Polizei- Präsidiums. 

3) Im hiesigen Säuglings- und Mütterheim (Dr. Freund) hat sich 
der Milcbpumpe inzwischen vorzüglich bewährt. 


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UNIVERSUM OF IOWA 








27. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


189 


Diskussion. 

Hr. Richter macht darauf aufmerksam, dass durch unzweckmässige 
Anwendung (zu starkes Ansaugen der Warzen) der Milchpumpen öfter 
so erhebliche Einrisse in zarte Warzen erfolgen, dass dadurch ein 
weiteres Nähren unmöglich wird. Ferner weist er darauf hin, dass die 
im Handel erhältlichen Saugpfropfen für Milobflaschen nicht nur durch 
die zu grossen Löcher, sondern auch durch viel zu grosse Länge den 
physiologischen Bedingugen nicht entsprechen. 

Hr. Freund jun. rät, das Absetzen des Säuglings und die An¬ 
wendung der Milchpumpe nur im Notfälle vorzunehmen, um ein Ver¬ 
siegen der Brust zu vermeiden. 

Hr. Bo eck jun. bemerkt, dass die vom Vortragenden besonders ge¬ 
lobte Milchpumpe nicht neu sei, sondern schon 1909 von Jaschke in 
Wien angegeben und empfohlen sei. Nur mit dem Unterschiede, dass 
dieser statt des Gummiballs eine gewöhnliche Strauss’sche Luftpumpe 
mit einem besonders konstruierten Kugelventile verwandt habe, um das 
störende öftere Abnehmen der Milchpumpe, welches zum längeren 
Funktionieren nötig sei, zu vermeiden. Für besser hält er aber ein 
Modell, welches von Scherbak in Brünn angegeben sei, und zwar aus 
dem Grunde, weil das Kind direkt aus dieser Milchpumpe trinken kann; 
aber auch hier soll statt des Gummiballs eine Luftpumpe mit Ventil 
benutzt werden. 

Zu dem Gummihütchen „Infantibus“ bemerkt er, dass er einmal 
bei nur einer kleinen Fissur an der Warze das Stillen nicht habe durch¬ 
führen lassen können, da die Schmerzen mindestens ebenso gross waren 
wie beim Anlegen direkt. Nach Erkundigung soll dies an der Hebammen¬ 
lehranstalt ähnlich gewesen sein, weshalb man von dem Brusthütchen 
dort Abstand genommen habe. 

Hr. Schwarzwäller macht darauf aufmerksam, dass man bei 
Milchpumpen, bei denen mit dem Münde die Milch angesogen wird, das 
EinÜiessen von Speichel in die Milch verhindern müsse, und beschreibt 
ein in seiner Klinik übliches Modell, bei dem dies verhindert wird. 

Hr. Kalb demonstriert drei Fälle von Fremdkörpern im Magen¬ 
darmkanal. Er erwähnt zunächst die Möglichkeit der Entstehung von 
Fremdkörpern im Darmkanal selbst (Magensteine, Kotsteine) oder in 
dessen Umgebung (Gallensteine) und weist auch hin auf die Möglichkeit 
des Durchwanderns von intraperitonealen Fremdkörpern, z. B. zurück¬ 
gelassenen Tupfer in den Darmkanal. Sodann wird die wichtigste 
Gruppe von Fremdkörpern besprochen, soweit sie per os oder per rectum 
in den Darm gelangen, die Einteilung derselben nach ihrer Form und 
Grösse in bezug auf ihre Gefährlichkeit erwähnt und die Prädilektions¬ 
stellen der Einklemmung, sowie die Indikationen zu chirurgischen Ein¬ 
griffen besprochen. Mitteilung der Krankengeschichten, Demonstration 
von Röntgenbildern und Fremdkörpern, welche in zwei Fällen durch 
Enterostomie mit Erfolg entfernt worden waren. 

Hr. Gehrke: In den 4 Wochen vom 3. November bis zum 30. No¬ 
vember d. Js. — 45. bis 48. Jahreswoche — sind in Stettin sanitäts¬ 
polizeilich gemeldet worden. 

170 (194) Fälle von übertragbaren Krankheiten und zwar: 


G.-A.i) 

Pol.-Präs. 1 2 ) 



1912 

1911 


54 

61 

101 

Fälle von Diphtherie 

95 

107 

79 

„ „ Scharlach 

1 

1 

10 

„ „ Typhus 

1 

1 

3 

„ „ Kindbettfieber 

— 

— 

1 

„ „ Körnerkrankheit 

20 

22 

24 

Todesfälle an Tuberkulose 


Natnrhistorisch-medizinischer Verein za Heidelberg. 

Sitzung vom 10. Dezember 1912. 

Vorsitzender: Herr Bett mann. 

Schriftführer: Herr Fi sch ler. 

Demonstrationsabend der chirurgischen Klinik. 

1. Hr. Krall: 

a) Lnigei- iad Zwerehfellstieh. b) Stremitis substernalis. Spaltung 
des Manabrinm sterni. 

Es ist verhältnismässig selten, dass bei intrathoracalen Operationen 
ein Unter- oder Ueberdruckapparat unbedingt nötig ist. Doch gibt es 
eine Reihe von Fällen, bei denen die Verwendung des Druckdifferenz¬ 
verfahrens für den Patienten von grossem Nutzen ist, z. B. zur Auf¬ 
blähung der Lunge nach der eigentlichen Operation zwecks Vermeidung 
des Pneumothorax, der eine Infektion begünstigt. Ausserdem werden 
durch Aufblähen der collabierten Lunge nach der Operation die Ge¬ 
fahren der etwaigen Pneumonie der intakten Lunge vermindert. Auch 


1) Ermittelt im Gesundheitsamt auf Grund der einzelnen abschriftlich 
mitgeteilten Anzeigen. 

2) Zusammengestellt auf Grund der Wochennacbweise des Königl. 
Polizei- Präsidiums. 


können bei Anwendung des Ueberdruckapparates erstickende Personen 
so lange am Leben erhalten werden, bis das Atemhindernis beseitig ist, 
wie es bei einem der vorgestellten Patienten der Fall war. 

Vortr. bespricht den Unterdruckapparat von Sauerbruoh, die 
Ueberdruckapparate von Engelken, Brauer und Tiegel und den der 
Drägerwerke und beleuchtet die Vor- und Nachteile jedes dieser 
Apparate. Besonderen Vorteil scheint ihm der Apparat der Drägerwerke 
zu bieten, der zugleich eine Vorrichtung für künstliche Atmung besitzt. 
Es wird im Anschluss daran ein Lungen- und Zwergfellstich demoustiert, 
bei dem die Blähung der Lunge vor Schluss der Brusthöhle den Vorteil 
brachte, dass trotz der Infektion nur ein partielles Empyem zustande 
kam. Die Lunge hat sich nach Beendigung der Eiterung gut ausgedehnt. 
Bei dem zweiten Fall bestand infolge eines von der Schilddrüse aus¬ 
gehenden Tumors grosse Erstickungsgefahr, doch gelang es, die Pat. durch 
den Sauerstoffüberdruck so lange am Leben zu erhalten, bis die Atmung 
durch Sternumspaltung wieder frei geworden war. Die direkt an¬ 
schliessende, schwere Eiterung sowie das klinische Bild lassen eine 
Strumitis substernalis wahrscheinlicher erscheinen, als eine Struma 
maligna substernalis. Die Exstirpation des Tumors war technisch wegen 
Verwachsungen und des Zustandes unmöglich. 

2. Hr. Neonaan bespricht das Prinzip des Ueberdruckapparates und 
im Anschluss daran den Dräger’schen Kombiaationsapparat. Die Kom¬ 
bination von Sauerstoff- und Luftzufuhr durch einen einzigen Mechanismus 
erscheint ihm besonders günstig. Er selbst hat eine Vorrichtung an¬ 
bringen lassen, durch die die Luftzufuhr bei Arbeiten im Lungencollaps, 
bei dem reiner Sauerstoff nötig ist, in beliebiger Menge variiert bzw. 
ganz abgestellt werden kann. 

Diskussion. 

Hr. Cohn heim fragt an, ob das Meltzer’sehe Insufflationsverfabren 
beim Menschen angewendet worden sei, das bei Tieroperationen so gute 
Dienste leistet. 

Hr. Wilms glaubt, dass die Insufflation grössere Gefahren bringe 
als die Anwendung des so bequemen Dräger’schen Apparates. Derselbe 
hat’ gegenüber den grösseren Ueberdruckkammern unbedingt den Vor¬ 
zug, da man die Lage des Patienten bei etwa eintretender Störung noch 
ändern kann. Die Behinderung bei Anwendung der grösseren Kammern 
ist für den Operateur sehr störend. 

3. Hr. Willis: a) Hyperästbetisehe Zonen bei Sehnss Verletzung 
des Gehirns. 

Vortr. führt das Auftreten hyperästhetischer Zonen auf Verletzung 
des Sympathicus zurück. Die Ausbreitung der Zonen entspricht nicht 
dem Ausbreitungsgebiet einzelner Nervenäste, sondern hat einen seg- 
mentalen Charakter (Demonstration). 

b) Pat. mit Stenose des Oesophagus, deren benigne Natur durch 
digitale Palpation von einer Gastrotomie aus festgestellt werden konnte. 
Vortr. hat diese digitale Untersuchung, bei der der Finger in die Gastro- 
tomieöffoung eingebunden wird, besonders auch für die Entfernung von 
Fremdkörpern am unteren Oesophagus empfohlen. 

c) Pat. mit Knochentransplantation: Ersatz des oberen Humerus- 
drittels durch das obere Drittel der Fibula nach Entfernung eines Riesen¬ 
zellensarkoms des Numerus. 

d) Pat. mit Knochentransplantation: Ersatz des mittleren Drittels 
beider Vorderarmknochen wegen Spindelzellensarkoms durch zwei Stücke 
der Fibula. In beiden Fällen heilten die transplantierten Stücke ein. 
Konsolidation ist in letztem Falle noch nicht eingetreten. 

e) Pat. mit Palliativtrepanation bei Tumor cerebri unbekannten 
Sitzes. Besserung der Stauungspapillen, Verschwinden aller subjektiven 
Beschwerden, Arbeitsfähigkeit (2 Fälle). 

f) Kind mit Blaeenektopie, bei dem die Einpflanzung der Ureteren 
in den Mastdarm gemacht wurde, da die Operation der Blasenektopie 
nach Trendelenburg wegen Mangels des Sphincter vesicae nicht mehr 
möglich war (2 Operationen waren vorher auswärts gemacht worden). 
Für die häufigere Anwendung der Trendelenburg’schen Operation spricht 
die Tatsache, dass die guten Erfolge der übrigen Methode keine Dauer¬ 
erfolge sind, denn die Pyelitis hat doch meist nach wenigen Jahren den 
Exitus der Kinder bedingt. Im allgemeinen plädiert Vortr. für die ideale 
Methode der Blasenektomie nach Trendelenburg. Die Beckendurch- 
trennung ist nicht schwierig, man verwendet zur Kompression des Beckens 
in der Nachbehandlung den schon früher vom Vortr. angegebenen Kom¬ 
pression sapparat, bei dem ein Decubitus ausgeschlossen und die Heilung 
wesentlich vereinfacht ist. 

g) Pat. mit Ischaria paradox» bei Prostataatrophie wahrscheinlich 
kongenitalen Ursprungs, wobei das Hauptgewicht der Störung weniger 
auf die Atrophie als vielmehr auf den spastischen Zustand der Prostata 
gelegt werden muss. Partielle Entfernung der Prostata. 

h) Totalexstirpation der Blase wegen Carcinou bei einem Anilin¬ 
arbeiter auf pararectalem Wege mit Voelcker’scbem Schnitt. Es gelang, 
die Blase mit Prostata extraperitoneal auszuschälen. Die Ureteren 
müssen noch in einer zweiten Sitzung in den Lendengegenden her¬ 
ausgeleitet werden. Die erste Operation wurde sehr gut überstanden. 

Diskussion. Hr. Voelcker: Wenn ein Ueberdruckapparat nicht 
zur Verfügung steht, zieht man bei Lungenverletzungen am besten die 
verletzte Lunge vor und näht sie in die Wunde ein, wodurch das 
Mediastinalflattern bekämpft und die Tamponade der Lungenwunde 
ermöglicht wird. V. hat dieses Verfahren in drei Fällen zweimal mit 
gutem Erfolg angewandt. — V. hat auf pararectalem Wege ebenfalls Blasen¬ 
resektionen ausgeführt. In anderen Fällen ist er auf ventralem Wege 


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UMIVERSITY OF IOWA 





190 BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. _ Nr. 4. 


vorgegangen und hat Totalexstirpationen der Blase ausgeführt, nachdem 
er die Blase zunächst durch Herabnähen des Peritoneus gegen den 
Douglas aus der Peritonealhöhle ausgeschaltet hatte. Bei Anilintumoren 
hat er auch auf unblutigem Wege durch Aetzung Erfolge erzielen können. 
Papillome empfiehlt er auf endovesikalem Wege mit der Schlinge ab¬ 
zutragen. Kolb-Heidelberg. 


Göttinger medizinische Gesellschaft. 

Sitzung vom 5. Dezember 1912. 

Hr. Lichtwitz: 

Entstehnng von Niederschlägen nnd Concrementen im Harn nnd in 
den Harn wegen. 

Der Harn stellt eine übersättigte Lösung der als Steinbildner in 
Betracht kommenden Stoffe (Harnsäure, oxalsaurem Kalk, phosphorsaurera 
Kalk) dar. Die Löslichkeit dieser Stoffe wird von der Reaktion des 
Harns beeinflusst, jedoch ist letztere, wie Vortr. an verschiedenen Bei¬ 
spielen zeigt, nicht allein maassgebend für das Auftreten dieser Stoffe 
als Sedimente im Ham (Demonstration von Mikrophotogrammen). Der 
Grund für die Entstehung eines Sediments liegt vielmehr in einer all¬ 
gemeineren physikalisch-chemischen Veränderung des Harns, welche die 
kolloidalen Stoffe des Harns betrifft. Ein Sediment entsteht durch eine 
Verschlechterung des Lösungszustandes der Schutzkolloide, wodurch der 
Harn einer wässrigen Lösung ähnlicher wird. 

Vortr. spricht sodann über die Beschaffenheit des Harns bei den 
sogenannten steinbildenden Diathesen. Bei der Phosphaturie besteht 
eine Steigerung der Kalkausscheidung in der Niere und eine Ver¬ 
minderung derselben durch den Darm. Er sieht in der Phosphaturie 
eine Sekretionsneurose der Niere (Minkowski), d. h. eine Störung in 
der Ausscheidung der Wasserstoffionen, die er als eine der verschieden¬ 
artigen Partialfunktionen der Niere auffasst. Das Verhalten der Kalk¬ 
ausscheidung erklärt er von dem Gesichtspunkt des allgemeinen Ionen¬ 
gleichgewichts. Uraturie und Oxalurie sind keine selbständigen Kränk- 
heitsbilder. Die Uratsteindiathese hat keine Beziehung zur gichtischen 
Diathese und ist von dieser zu trennen. Bei der Oxalurie ist das Aus¬ 
fallen des oxalsauren Kalks in weiten Grenzen unabhängig von der 
Harnreaktion. Die Nahrung ist von grossem Einfluss auf das Auftreten 
von oxalsaurem Kalk im Urin. Leim erhöht nach Lichtwitz’ Unter¬ 
suchungen die Oxalsäureausscheidung, dagegen tut dies nicht Glykokoll, 
wie Klemperer und Tritschler behaupten. Bei Icterus war nach 
des Vortr. Untersuchungen die Oxalsäureausscheidung in mehreren Fällen 
erhöht. 

Schliesslich verbreitet sich Vortr. über die Verhältnisse bei der 
Steinbildung, die mit der Sedimentbildung nicht identisch ist. Ein 
Steinkern entsteht durch Haften eines Sediments an einer fremden Ober¬ 
fläche; eine solche ist gegeben durch Veränderungen in der Beschaffen¬ 
heit der ableitenden Harnwege. Normaler Harn benetzt die normalen 
Harnkanälchen nicht. Das Wachsen eines Steins darf nicht dem eines 
Kristalls gleichgesetzt werden; es geschieht dadurch, dass gleichzeitig 
Kristalloide und Kolloide an einer solchen Oberfläche festgehalten 
werden, doch können bei der sekundären Steinbildung auch Steinbildner 
in die an solchen Oberflächen gefällten Kolloidschichten hineiudiffundieren. 
Auf diese Weise lässt sich die eigentümliche Struktur mancher Steine 
erklären. In ätiologischer Hinsicht unterscheidet Vortr. mit Asch off 
und Kleinschmidt entzündliche und nicht entzündliche Steinbildung, 
doch äussert er grosse Bedenken gegen die Kriterien, nach denen letztere 
die Bildungsarten abgreuzen. 

Hr. Goeppert: 

Die Bedeutung der Darmbefnnde bei foudroyant verlaufenen In¬ 
fektionskrankheiten. 

Bei foudroyant verlaufenen Fällen von epidemischer Genickstarre 
fand Vortr. im Darm eine starke Erweiterung der Schleimhautcapillaren 
ohne Entzündungserscheinungen, ausserdem eine Schwellung der 
Mesenteriallymphdrüsen. Die gleichen Darmbefunde lassen sich bei 
Meerschweinchen durch Abrin-, Sepsin- und Arsen Vergiftung, also durch 
ausgesprochene Capillargifte, hervorrufen; auch sie bewirken eine starke 
Schwellung der Mesenterialdrüsen, die durch eine Sinusitis bedingt ist. 
Diese Anhäufung von Zellen in den Sinus hält Vortr. für eine entzünd¬ 
liche Erscheinung. Ebenso wie bei der Genickstarre fanden sich auch 
bei anderen Infektionskrankheiten (Pneumonie, Diphtherie, Scharlach) in 
foudroyanten Fällen diese Drüsenveränderungen. Auch die Erscheinungen 
der Capillarlähmung in der Haut, die sich bei den foudroyant ver¬ 
laufenden Fällen von Genickstarre und Scharlach finden, berechtigen zu 
dem Vergleich mit den Wirkungen der Capillargifte. Vortr. glaubt, 
dass bei jeder foudroyant verlaufenden Infektionskrankheit die Vergiftung 
durch denselben Vorgang wie bei der Bildung des Anaphylatoxins, also 
durch ein wesentlich unspezifisches Gift, bedingt wird. Bei Genickstarre- 
kranken, die erst später starben, fand Vortr. noch Reste der be¬ 
schriebenen Darmveränderungen; er glaubt, dass in solchen Fällen die 
Giftwirkung zu gering war, um den Tod herbeizuführen. 

Hr. Blübdorn' 

Die Stillung von Oberflächenblutungen im Säuglinggal ter. 

(Ist als Originalartikel in Nr. I, S. 14 dieser Wochenschr. erschienen.) 


Medizinische Gesellschaft zn Basel. 

Sitzung vom 12. Dezember 1912. 

Hr. Leueiberger: 

Ueber die bei der synthetischen Farbenindnstrie beobachteten B lasen- 
geschwülste. 

Aus statischen Erhebungen — Vergleich der gesamten männlichen 
Bevölkerung in einem bestimmten Zeitraum mit der Zahl der Farb- 
arbeiter und Gegenüberstellung der Todesfälle an Harnblasentumoren — 
gebt hervor, dass diese Arbeiter 33 mal häufiger an Blasentumoren starben. 

Die Hälfte der in 50 Jahren in der Baseler chirurgischen Klinik 
beobachteten Harnblasentumoren gehörten Anilinarbeitern und Tuch¬ 
färbern an. 

18 Fälle kamen zur Beobachtung, papilläre Epitheliome, Carcinome, 
Sarkome, Carcinomsarkom. (Demonstration.) 

Klinische Symptome: Dysurie und Hämaturie. Diese Symptome 
bei Anilinfarbarbeiten oder Färbern erfordern genaue Inspektion der 
Harnwege. 14 wurden operiert, 5 mal partielle Blasenexstirpation, 6 mal 
Tumorexstirpation, 2 mal Probelaparotomie, 2 mal Sectio alta. 9 mal 
konnte radikal operiert werden, davon leben noch sechs. Drei Papillom¬ 
kranke 8, 8, 7 Jahre postoperationem gesund. Ein Papillomfall recidivierte 
mit UebergaDg in Carcinom, lebt aber noch 8 Jahre nach der ersten 
Operation. Zwei Carcinomfälle leben Quarantäne noch zu kurz. 

Prognose muss als infaust bezeichnet werden. 

Prophylaxe: besondere Arbeitskleider, Vollbäder, Ventilation, Schutz¬ 
masken. Anstellung von gesunden Leuten, Entfernung aus dem Betrieb 
bei Krankheitsverdacht. 

Von bis jetzt noch nicht bekannten tumorerregenden Substanzen 
kommen in Betracht: Safranin, Dehydrothioxylidin, Kongorot und Benzo- 
purpurin. Das Studium der tumorerregenden Substanzen führte zu der 
These: Die Geschwulstbildung in den Harnwegen der Anilinfarbarbeiter 
und Stoffiärber wird durch ein- und mehrkernige, bydroxilierte aroma¬ 
tische Amidoverbindungen hervorgerufen. 

Ein gehäuftes Auftreten der Tumorbildung war in Basel im Zu¬ 
sammenhang mit der Verwendung von Paramidophenol und Dinitrooxydi- 
phenylamin in der Färbeindustrie zu erkennen. 

Hr. Iselin: 

Die Entgiftung des tuberkulösen Herdes durch Röntgenbestrahlung. 

An Hand der in der Baseler Poliklinik behandelten Fälle bespricht 
Ref. nach kurzen theoretischen Erörterungen seine therapeutischen Er¬ 
fahrungen. Röntgenbestrahlung des tuberkulösen Herdes hat günstigen 
Einfluss auf Allgemeinbefinden, das sich in Gewichtszunahme äussert. 
In 70—80pCt. der Fälle initiale Gewichtszunahme, in €0 pCt. der Fälle 
andauernde Zunahme des Körpergewichtes, nimmt bei 70—80 pCt. nach 
jeder Bestrahlung zu. Chirurgische Tuberkulosen, welche sonst nicht 
geheilt werden können, werden durch Röntgentherapie günstig beein¬ 
flusst. Röntgenbestrahlung jedenfalls intensivere Wirkung als Sonnen¬ 
licht. Bei leichten Fällen wiederholte Bestrahlung mit schwächeren 
Dosen, bei schweren stärkere Dosen, welche zu Gefässschädigung und 
Heilung unter Narbenbildung führen. Zweimal wurde die vorher negative 
Pirquet-Reaktion positiv, Steigerung der Tuberkulinisierung durch Be¬ 
strahlung. 

Einmal Erscheinungen von miliarer Tuberkulose durch Bestrahlung, 
welche trotzdem in Heilung überging. Ref. kommt zu der Ansicht, dass 
bei seinem ambulanten Material, welches draussen unter relativ un¬ 
günstigen Verhältnissen lebte und arbeitete, gute Resultate erzielt 
wurden. 

Hr. de Quervain: 

Ueber die Knickungen des unteren Dfinndarmendes. 

Erörtert die von Lane beschriebenen Dünndarmknickungen, speziell 
die im unteren Ileum, welche nach Lane Stase bedinge und durch un¬ 
nötige Resorption Körper und Allgemeinbefinden (Tuberkulose) schädige, 
deshalb auch der therapeutische Vorschlag von Lane: Dünndarm in 
S romanum einzupflanzen, de Quervain suchte 120Röntgenbilder vom 
Darme 5—9 Stunden nach Einnahme der Kontrastmahlzeit auf diese 
Knickung durch. Dreimal war sie vorhanden, in 12 Fällen Vorhanden¬ 
sein möglich und in 9 Fällen war sie nicht sicher auszuschliessen. Ref. 
mahnt zur Vorsicht bei Stenosendeutungen, Kontrollen. 

Schuld an dieser speziellen Knickung sind: 1. Kongenitale abnorme 
Veranlagungen. 2. Ptose, Sinken des Coecums. 3. Residuen alter Ent¬ 
zündungen, Narbenstränge. 

Demonstration der Platten eines Falles bei einem 22 jährigen Mann, 
welcher an chronischen Appendicitisbeschwerden ohne typischen Anfall 
litt. Resistenz innen vom Coecum. Röntgenbild ergab Knickung. 

Knickung war bedingt durch drei verkäste tuberkulöse Drüsen, eine 
zweite Knickung weiter oben war ebenfalls durch verkäste Drüsen be¬ 
dingt. Lane’sche Knickung infolge tuberkulöser Prozesse. Ebenfalls 
könnten tuberkulöse Geschwüre Ursache davon werden. Durch diese 
Knickungsform können die Fälle vermehrt werden, welche chronische 
Appendicitis Vortäuschen. 

Hr. Bieder gibt Daten über die jüngst gesehenen Zwillings¬ 
schwestern Blazek. Wo 1 fer - Basel. 


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UNIVERSUM OF IOWA 



27. Januar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


191 


Aerztlicher Yereln zu München. 

Sitzung vom 18. Dezember 1912. 

1. Hr. Kiellenthner: 

(Jeher den Wert der endovesiealen Operatiovsmethoden. 

Für die endovesicale Operation kommen vor allem die Blasensteine 
in Betracht, deren Entfernung bei Anwendung stärkerer Instrumente als 
die früher gebräuchlichen meist in einer Sitzung gelingt. Zunächst 
Cystoskopie, dann durch vorbereitende Asepsis und Antisepsis erleichtert 
Lithotripsie, hierauf Evakuation und schliesslich Cystoskopie, um das 
Zurückbleiben von Splittern auszuschliessen. Die Genesungsdauer be¬ 
trägt nur wenige Tage. Grösse und Härte des Steins, seine Lage in 
Divertikeln und in dem Recessus hinter einer hypertrophischen Pro¬ 
stata, Enge des Orificium urethrae ezternum können Hindernisse bilden; 
Kleinheit der Blase, Erkrankung der Nieren, starke Entzündung der 
Harnwege sind Gegenindikationen. 

Fremdkörper, die meist auf natürlichem Wege eingeführt werden, 
lassen sieb bei besonderer Kleinheit aspirieren, sehr häufig können sie 
mit dem Operationscystoskop oder dem Lithotriptor gefasst und ex¬ 
trahiert werden. Bei Frauen genügt manchmal eime schmale Fass¬ 
zange. 

Für Tumoren ist die endovesicale Operationsmethode erst neueren 
Datums. Theoretisch kämen natürlich nur gutartige Papillome in Be¬ 
tracht, doch lässt die Besichtigung allein kein Urteil über die Benignität 
oder Malignität eines Papilloms zu. Die Grösse soll die einer Walnuss 
nicht überschreiten, am besten geeignet sind gestielte Tumoren. 

2. Hr. Y. Kutschera- Innsbruck (a. G.): 

Gegen die Wasserätiologie des Kretinismos und des Kropfes. 

Kretinismus kommt nur da vor, wo auch Kropf vorkommfc. Das 
strumigene Agens noch unbekannter Art wirkt auf dem Umwege über 
das Nervensystem auf die Schilddrüse ein und wird bei Kindern zum 
kretinoiden Agens, während es bei älteren Leuten nur zu allgemeiner 
Neuropathie oder häufig zur Kropfentwicklung führt. Die Annahme so¬ 
genannter Kropfgegenden, ein Hauptstützpunkt der Wassertheorie, ist 
unrichtig, denn Kropf kann in neue Gegenden ein wandern und aus 
Gegenden verschwinden, in denen er lange geherrscht hat. Ferner ist 
der Kropf in sogenannten Kropfgegenden und an gewisse Häuser und 
Wohnungen gebunden. Kropf und Kretinismus kommen meist familiär 
vor, indessen spielt die Heredität keine grosse Rolle, denn aus kretini- 
schen Familien entfernte Kinder bleiben gesund, während gesunde, in 
solche Familien aufgenommene Kinder oft kropfig bzw. kretinisch werden. 
Dass die Kropfbäuser im Gegensatz zu den kropffreien von einer be¬ 
sonderen getrennten Wasserversorgung abhängig gewesen wären, konnte 
nie beobachtet werden. Die „Dortenhuben“, schon in alter Zeit so ge¬ 
nannte Kropfwohnungen in Endemiegegenden konnte der Vortr. jetzt 
meist frei yoo Kropf finden, und zwar dann, wenn diese Wohnungen 
nach Bränden neu aufgebessert waren oder lange Zeit leer gestanden 
hatten, obwohl noch jetzt das gleiche Wasser Verwendung findet. 
Andererseits kann durch Kropfträger die Uebertragung von Kropf in 
Gegenden oder Wohnungen beobachtet werden, wo er vorher nicht vor¬ 
handen gewesen war. Alle diese Momente sprechen für Kontaktinfektion. 
Dass gerade abgelegene Gebirgstäler und Inseln häufig endemischen Kropf 
aufweisen, erklärt sich durch die Abgeschlossenheit solcher Orte und 
den äusserst geringen Wohnungswechsel. Aehnlich sind in Bosnien die 
streng abgeschlossen lebenden Mohammedaner sehr stark mit Kropf und 
Kretinismus behaftet, gar nicht dagegen die Serben und eingewanderten 
Oesterreicher. 

Die sogenannten Kropfbrunnen kennt man gewöhnlich an Ort und 
Stelle überhaupt nicht und Kropf ist dort meist gar nicht endemisch. 
Die Kropfepidemien sind an sich schon ein Beweis gegen die Wasser¬ 
theorie, denn sie betreffen immer eine Wohnungs-, nie eine Wasser¬ 
gemeinschaft. Was die experimentellen Versuche betrifft, so ist auf¬ 
fallend, dass Versuche mit Kropfwasser in kropffreien Gegenden nie ge¬ 
lingen. 

In der Kagaskrankheit in Brasilien kennt man eine Kropfkrankheit, 
die durch Trypanosomen übertragen wird, vielleicht kommt auch für 
den Kropf in unseren Breiten eine ähnliche Aetiologie in Frage. 

Diskussion. HHr. Littmann, Madlener (a. G.). 

H. Bachhammer - München. 


Berichtigung zum Referat yom 4. Dezember 1912. 

2. Hr. Carl Sraegel demonstrierte Serien röntgenkinemato- 
grapfcisefcer Anfnahmen eiaer Groppe Yen pathologischen Mägen. 

Diese Untersuchungen waren dadurch ausgezeichnet, dass bei sämtlichen 
Fällen einige Tage später die Laparotomie ausgeführt und so eine 
Kontrolle der röntgenologischen Diagnose vorgenommen worden 
war. Es zeigte sich auf allen Phasenbildern ein gemeinsames, 
charakteristisches diagnostisches Merkmal: eine breite, scharfe, 
horizontale Begrenzungslinie im antralen Magenteil gegen den 
Pylorus zu. Die Autopsie in vivo ergab callöse Ulcera, Wandinfiltrate 
oder grössere Narben, meist verbunden mit Verwachsungen. Ein Fall 
verdient besonders erwähnt zu werden. Auf Grund der Serienaufoahmen 
hatte der Vortr. die Diagnose: präpylorisches callöses Ulcus an der 
kleinen Curvatur gestellt. Bei der Operation fand sich im präpylorischen 
Magenteil weder ein Infiltrat noch sonst eine Wandveränderung. Es 
bestanden lediglich flächenhafte Verwachsungen mit Gallenblase und 


Duodenum. Dieselben wurden gelöst, der Magen war somit wieder 
mobilisiert. Eine Gastroenterostomie wurde mangels der Notwendigkeit 
nicht ausgeführt. Wenn nun Verwachsungen allein imstande sind, 
die Antrumsilhouette so zu verändern, dass diese breite, horizontale 
Abschlusslinie gegen den Pylorus zu entsteht, so muss die letztere 
logischerweise jetzt nach Lösung der Verwachsungen verschwunden sein. 
Und so war es auch, wie eine neue kinematographische Aufnahme 
nach der Operation und 14 Tage später eine dritte einwandfrei be¬ 
stätigte. Die ursprünglich auf allen Phasenbildern vorhanden gewesene, 
breite Begrenzungslinie war verschwunden. Bruegel konstatiert 
auf Grund seiner durch Kinematogramme belegten Untersuchungen 
erstens, dass dieser breiten, bewegungslosen Abschlusslinie gegen den 
Pylorus zu erhebliche diagnostische Bedeutung zukommt, zweitens, dass 
die Methode der Serienaufoahmen infolge ihrer Objektivität, ihrer Zu¬ 
verlässigkeit und ihrer Präzision alle anderen radiologischen Unter¬ 
suchungsarten über trifft. Er stellt die Forderung auf, dass die Kine¬ 
matographie in allen Fällen, bei denen die anderen Methoden nicht 
Klarheit verschaffen, Verwendung finden muss. Eine wirkliche Früh¬ 
diagnose und die Diagnose feinerer anatomischer Veränderungen sind 
nur mittels Serienaufnahmen möglich. 


Gesellschaft für Morphologie und Physiologie zu München. 
Sitzung vom 14. Januar 1913. 

Fräulein you Sehustow: 

Zellteilungen in der Wurzel des Lauchs (Allium cepa). 

Eine Chromosomenachse konnte nie wahrgenommen werden. Die 
Prophase enthält keinen Teilungsvorgang. 

Hr. Escher (a. G.): 

Gelbe Pigmente der Pflanzen, des Eidotters und des Corpns latenm. 

Historisch-kritische Uebersicht über die bisherigen Forschungen über 
die Luteine. Die Stellung zu Bilirubin und Hämatoidin wird erörtert. 
Das Carotin scheint ein mehrkerniger Terpenkohlenwasserstoff zu sein. 

K. Süpfle-München. 


Aus dem Laboratorium für medizinische Diagnostik, 
Berlin (Dr. Koenigsberger). 

Eine neue Modifikation der Wassermann’schen 
Reaktion. 

Von 

Josef Portmann. 

Infolge gewisser theoretischer Ueberlegungen kam ich auf den 
Gedanken, dass bei der Wassermann’schen Reaktion der hämolytische 
Amboceptor durch destilliertes Wasser ersetzt werden könne. 

Es wurden von Dr. Koenigsberger und mir daraufhin über 
100 Sera untersucht. Die Methode ist folgende: Die Wassermann’schc 
Reaktion wird wie gewöhnlich angestellt, jedoch nimmt man statt des 
hämolytischen Amboceptors 1 / 2 ccm destillierten Wassers bei einer Serum¬ 
menge von 0,1 ccm, Gesamt flüssigkeitsmenge 2,5 ccm. Wir stellten 
hierbei fest, dass unsere Resultate mit denen der Originalmethode über¬ 
einstimmten. 

Differenzen fanden sich nur in vier Fällen: zwei Sera reagierten bei 
uns negativ, die nach der Originalmethode positiv waren; hierbei könnte 
aber ein Irrtum unterlaufen sein, so dass wir glauben, diese beiden Fälle 
unberücksichtigt lassen zu dürfen. Die beiden anderen Sera waren 
nach der Originalmethode negativ und ergaben bei uns schwach positive 
Reaktion. Ferner wurde eine Lumbalflüssigkeit bei uns positiv, die 
nach der Originalraethode negativ reagierte. Das Blutserum dieses 
Falles war nach beiden Methoden positiv. 

Herr Professor L. Michaelis, dem ich diese Tatsache vortrug, 
stellte mir in Aussicht, seine Ansicht über die theoretische Erklärung 
selbst zu berichten. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass die oben 
geschilderte Modifikation eine Reihe wichtiger Konsequenzen in sich birgt. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. In der Sitzung der Berliner medizinischen Gesell¬ 
schaft vom 22. Januar demonstrierte vor der Tagesordnung Herr Kraus 
Mediastinaltumoren. (Diskussion: die Herren Orth, Kraus, Fuld.) 
Hierauf hielt Herr Engel den an gekündigten Vortrag: Wirkung der 
Venenstauung auf die Pulskurven Herzkranker, und Herr Frenkel- 
Heiden seinen Vortrag über die Behandlung schwerster Formen von 
Ataxie bei Tabes. (Diskussion: die Herren Leo, Eckstein, Frenkel- 
Heiden.) 

— Drei bekannten Berliner Aerzten, Kalischer, Tb. Landau 
und H. Wossidlo, wurde der Professortitel verliehen. 

— Der Senior und Führer der deutschen Kinderärzte, Otto 
Heubner, beging am 21. d. M. fern von Berlin seinen 70. Geburtstag 


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192 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 4. 


— noch einmal ein Tag der Freude für seine zahlreichen Schüler und 
Verehrer, die in kurzem den Rücktritt des Meisters von seiner Lehr¬ 
tätigkeit mit Wehmut werden begleiten müssen. Ihnen gesellt sich diese 
Wochenschrift hinzu mit dem herzlichen Wunsche, dass es dem Jubilar 
noch lange Jahre vergönnt sein möge, sich seiner bisherigen ungewöhn¬ 
lichen Frische und Gesundheit zu erfreuen. 

— Drei neue Privatdozenten haben sich in der medizinischen 
Fakultät unserer Universität habilitiert: Dr. Friedrich Gudzent 
(Antrittsvorlesung: Ernährung und Stoffwechselkrankheiten), Dr. Ludwig 

F. Meyer (Die Bedeutung des Wassers für den wachsenden Organismus), 
Dr. Joh. Eckert (Das Problem der Pathogenese der Ernährungsstörungen 
im Kindesalter). 

— Der 42. Kongress der Deutschen Gesellschaft für 
Chirurgie findet vom 26. bis 29. März 1913 unter dem Vorsitz von 
Geheimrat v. Anger er im Beethovensaale der Philharmonie statt. Als 
Hauptthemata sind aufgestellt: 1. Ulcus duodeni (Referent: Küttner- 
Breslau), 2. Hirn- und Rückenmarkschirurgie (Referenten: v. Eiseisberg 
und Ranzi-Wien), 3. Die Behandlung der Gelenk- und Knochentuber¬ 
kulose (Referent: Garre-Bonn). 

— Einen Tag vor der Eröffnung des Chirurgenkongresses, also am 
25. März, tagt im Langenbeckhaus der 12. Kongress der Deutschen 
Gesellschaft für orthopädische Chirurgie, dem Prof. Spitzy- 
Graz präsidieren wird. Zum Hauptthema „Die Behandlung der 
chronischen Arthritis (Arthritis deformans)“ wird Friedr. Kraus- 
Berlin einleitend über „Symptomatologie, Pathogenese und interne Therapie 
der chronischen Arthritis“ sprechen, im Anschluss daran Ibrahim- 
München über „die chronische Arthritis im Kindesalter“ sowie 
Preis er - Hamburg über „die orthopädische Behandlung der 
chronischen Arthritis“. 

— Für den IV. Internationalen Kongress für Physio¬ 
therapie (26.—30. März) ist neben zahlreichen Referaten als Thema 
für die allgemeine Sitzung bestimmt: Die physikalische Behand¬ 
lung der Kreislaufsstörungen (Referenten: 0. Müller - Tübingen; 
Vaquez - Paris; Wide - Stockholm''. Die zahlreichen übrigen Referate 
und Vorträge müssen im Programm eingesehen werden, das vom 
Generalsekretär Herrn Dr. Immelmann, Berlin, Lützowstr. 72, zu er¬ 
halten ist. 

— Die Bauarbeiterhygiene auf der Internationalen Bau¬ 
fachausstellung Leipzig 1913. Wir erhalten folgende Zeilen mit 
der Bitte um Veröffentlichung: Es wäre undenkbar, wenn auf einer 
Internationalen Baufachausstellung nicht auch auf die gesundheit¬ 
lichen Verhältnisse der Bauarbeiter Rücksicht genommen würde. Aller¬ 
dings ist es nicht leicht, diesem Gedanken in der umfassenden Weise, in der 
es jetzt geschehen soll, Geltung zu verschaffen, und zwar liegen hierfür 
Gründe innerer und äusserer Art vor. Daher werden alle Herren 
Kollegen, die in irgendeiner Weise einen Beitrag zu der Gruppe „Bau¬ 
arbeiterschutz“ und besonders zu der Abteilung „Bauarbeiterhygiene“ zu 
liefern imstande sind, höfiichst gebeten, sich mit Dr. med. Wilh. 
Kühn-Leipzig, zweiter Vorsitzender der Gruppe „Bauarbeiterschutz“ 
und Leiter der Abteilung „Bauarbeiterhygieue“ auf der Internationalen 
Baufachausstellung Leipzig, in Verbindung zu setzen, der sehr gern den 
Arbeitsplan sowie nähere Erörterungen umgehend übersenden wird. In 
der Hauptsache wird es sich um anatomisch-pathologische Präparate, 
Abbildungen, Photographien, auch Röntgenaufnahmen, Moulagen, 
Statistiken usw. handeln, ferner um in das betreffende Gebiet schlagende 
praktische Vorführungen und Instrumente aus der Hygiene und Physio¬ 
logie. 

Hochschulnachrichten. 

Berlin. Der Privatdozent für Dermatologie, Dr. Frank Schulz, 
ist gestorben. — Leipzig. Geheimrat Hofmann, Direktor des 
hygienischen Instituts, tritt vom Lehramt zurück. — Kiel. Der 
Privatdozent für Chirurgie, Prof. Noesske, ist in Greifswald ge¬ 
storben. — Würzburg. Prof. M. B. Schmidt in Marburg hat den 
Ruf als Direktor des pathologischen Instituts angenommen. — München. 
Die Professoren v. Angerer, Döderlein, Romberg und Richter 
wurden zu Mitgliedern des Obermedizinalausschusses ernannt. — 
Heidelberg. Prof. Schoetensack, der bekannte Anthropologe, ist 
gestorben. 


Gang der Volkskrankheiten. 

Pest. Aegypten (28. XII. 1912 bis 3.1. 1913) 12 und 10 f. 
Britisch-Ostindien (8.—21. XII.) 6671 und 5062 f. Brasilien 
(3.—23. XI.) 6 und 2 +. Peru (17.—23. XI.) 5 und 2 +. — Cholera. 
Straits Settlements (18. XI.—13. XII.) 9. Japan (seit 25. XI.) 36 
und 30f. — Pocken. Schweiz (29. XII. 1912 bis 4. I. 1913) 2. 
Hongkong (24. XI.—14. XII.) 4 und 4 f. — Fleckfieber. Oester¬ 
reich (29. XII. 1912 bis 4.1. 1913) 28. — Genickstarre. Preussen 
(5.—11. I.) 2. — Spinale Kinderlähmung. Preussen (5.— 11.1.) 1. 
— Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb an Masern und 
Röteln in Gladbeck, Kaiserslautern, Oberhausen; an Diphtherie und 
Krupp in Erfurt, Hildesheim. 


Amtliche Mitteilungen. 

Personalien. 

Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 4. Kl.: Geh. San.-Rat Dr. 
0. Boden in Schönbeck (Kreis Kalbe). 

Prädikat Professor: San.-Räte Dr. Th. Landau in Charlottenburg 
und Dr. H. Wossidlo in Berlin-Schöneberg, Aerzte Dr. N. Gierlich 
in Wiesbaden und Dr. 0. Kalischer in Berlin. 

Niederlassungen: Arzt P. Siegfried in Königsberg, Dr. B. Zabel 
in Danzig, Dr. F. Friedland in Cottbus, Dr. W. Unruh in Barth, 
Dr. R. Pipenberg in Rankau (Kreis Nimptsch), Aerztin Dr. A. 
Clausen in Sonderburg, Dr. C. A. E. L. Schlitt in Laboe, Dr. J. 
Müller in Sievershausen, Dr. F. Wehl in Celle, Dr. H. Klein in 
Walsrode, Dr. G. Quellhorst in Scharnebeck, Arzt C. Palm in 
Amelinghausen, Dr. W. Brauss in Dortmund, Dr. F. Jaspert in 
Soest, Dr. K. Voss in Werl. 

Verzogen: Dr. A. v. Danarus von München, Dr. J. Meyer von 
Heide und Dr. K. Steindorff von Berlin nach Charlottenburg, Dr. 
R. Czwiklitzer von Berlin nach Neukölln, Dr. L. Adler und 
Dr. G. Erlanger von München, Dr. K. Laffert von Stargard i. P. 
und Arzt H. Priebatsch von Berlin nach Berlin-Scböneberg, Dr. 
0. Elch lapp von Berlin und Dr. F. Thomme von Charlottenburg 
nach Hamburg, Dr. W. Liepmann von Berlin nach Berlin-Wilmers¬ 
dorf, Dr. R. Lutz von Berlin nach München, Dr. B. v. Petersenn 
von Berlin nach Russland, Arzt J. Naumann von Levern und Dr. 
A. Neumann von Schivelbein nach Karlshorst, Arzt K. Schweinitz 
von Orzesche nach Eberswalde, Dr. F. Löffler von Berlin nach Nauen, 
Dr. W. Gross und Dr. A. Rosenberg von Berlin nach Berlin- 
Friedenau, Dr. S. Löwen stein von Hoym nach Berlin-Steglitz, Prof. 
Dr. W. Röpke von Jena, Arzt F. Osthoff von Elberfeld und Dr. 

G. Coester von Bödinghausen nach Barmen. Dr. P. Bergerhoff 
von Bonn nach Bedburg, Dr. H. G. Hauser von Rheydt, Dr. E. Bay 
von Hannover, Dr. 0. Blank von Nürnberg und Dr. C. Men de von 
Berlin nach Düsseldorf, Dr. H. Decius von Heiligenhaus nach Bor¬ 
beck, Oberstabsarzt a. D. R. Grass mann von Metz nach Wesel, Dr. 
F. Bierschenk von Düsseldorf nach Chemnitz, Privatdozent Dr. L. 
Borchardt von Heidelberg und Dr. G. Kecker von Nordenburg 
nach Königsberg, San.-Rat Dr. F. Barczewski von Thiergart nach 
Elbing, Oberstabsarzt Dr. B. Kahle von Ratzeburg nach Marienburg, 
Dr. K. Ulmer von Hamburg nach Dühringshof a. Ostb., Dr. F. Pio- 
trowski von Jutroschin nach Hamburg, Dr. A. Sommerfeld von 
St. Petersburg und Dr. W. E. Menne von Zehden N.-M. nach Posen, 
Dr. H. Golla von Reisen nach Breslau, Dr. G. Richter von Bischofs¬ 
werda i. S. nach Wölfeisgrund (Kreis Habelschwerdt), Dr. H. K. 
Schubert von Hattorf nach Kunzendorf (Kreis Habelschwerdt), Dr. 

H. Ch. Reifenstuhl von Grosslogisch (Kreis Glogau) nach Carolath 
(Kreis Freystadt), Dr. A. Tschierske von Görlitz nach Kotzenau 
(Kreis Lüben), Arzt E. H. A. Rein icke von Leipzig und Stabsarzt 
Dr. K. Münnich von Berlin nach Erfurt, Arzt E. Saatmann von 
Erfurt nach München, Dr. H. Schlathölter von Langensalza nach 
Heidelberg, Dr. 0. Kleider von Nordhausen nach Klingenthal i. V., 
Arzt P. Gosch von Flensburg nach Altona, Arzt W. Kallina von 
Flensburg und Dr. K. Heinemann von Altona nach Hamburg, Arzt 
R. Bech von Niebüll nach Langenhorn b. Hamburg, Oberarzt Dr. H. 
Puck von Schwerin nach Lockstedter Lager, Dr. J. F. Th. Piening 
von Rendsburg nach Elmshorn, Marinestabsarzt Dr. B. Nerger von 
Breslau und Dr. J. Hermanns von Bonn nach Kiel, Dr. E. Osann 
und Dr. W. Stahl von Frankfurt a. M., Dr. F. Colemann von 
Leipzig und Kreisarzt a. D. Med.-Rat Dr. A. Ri eck von Springe nach 
Hannover, Oberstabsarzt a. D. Dr. G. Fuchs von Merseburg nach 
Springe, Dr. W. Gordon von Posen nach Hildesheim, Dr. H. Lucca 
von Gehrde nach Hamburg, San.-Rat Dr. K. Kalkschmidt von Stre- 
litz nach Ibbenbüren, Dr. H. Paal von Bonn nach Münster, Dr. W. 
Arenhövel von Dielingen nach Legden, Stabsarzt Dr. A. Pfennig 
von Fraulautern-Saarlouis nach Hervest-Wenge, Dr. E. F. Heeger von 
Mesum nach Telgte, Dr. F. Niedieck von Münster nach Werne, Dr. 
W. Wiemann von Duisburg-Ruhrort und Dr. F. Udewald von 
Berlin nach Dortmund, Dr. E. Fischer von Leipzig nach Gelsen- 
kircheD, Dr. F. Obländer von Karlsruhe nach Altena, Dr.H.Schmits 
von Cöln nach Hellersen, Dr. F. Keetmann von Abbehausen in 
Oldenburg und Dr. J. Risch von Giessen nach Cassel, Arzt Ch. Both 
von Marburg nach Oberkaufungen. 

Praxis aufgegeben: Kreisarzt a. D. Geh. Med.-Rat Dr. A. Noeth- 
lichs in Heinsberg. 

Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. H. Junglöw 
von Wölfeisgrund (Kreis Habelschwerdt), Dr. V. Saal mann von 
Breslau auf Reisen als Schiffsarzt, Dr. K. Scharff von Sievers¬ 
hausen. 

Gestorben: Dr. H. Goldschmidt in Breslau, San.-Rat H. Postler 
in Rankau (Kreis Nimptsch), San.-Rat Dr. W. Cohnheim in Lieg- 
nifz, San.-Rat Dr. P. Lange in Warmbrunn, San.-Rat Dr. 0. Holm 
io Eckernförde, Geh. San.-Rat Dr. H. Litzmann in Altona, Dr. L. 
Rummel in Bissendorf, San.-Rat Dr. J. Hain in Neumagen. 


Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hans Hohn, Berlin W., Bayroather Strasse 43. 


Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4. 


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UNIVERSUM OF IOWA 





Di« Berliner KHoiaclie Wochenachrift encbeint jeden 
Monte* in Hämmern von ea. 5—6 Bogen gr. 4. — 
Freie vierteljährlich 6 Merk. Bestellungen nehmen 
eile Buchhandlungen and Postenstelten en. 


BERLINER 


ktle Blneendungen fOr die Redaktion and Expedition 
wolle men portofrei an die Verlagsbuchhandlung 
August Hirschwald in Berlin NW., Unter den Lindon 
No. 68, adressieren. 


KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Organ für praktische Aerzte. 


Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 

Redaktion: Expedition: 

Geb. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posner und Dr. Haus Kohn. August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin. 


Montag, den 3. Februar 1913. 


Jlli 5. 


Fünfzigster Jahrgang. 


I N H 

Origiaaliei: Brunton: Funktionelle Krankheiten der Arterien. S. 193. 
Hess: Der Einfluss des Druckes auf den Koeffizienten der Blut- 
viscosität. S. 197. 

Hahn und Heim: Die Bestimmung der Kohlensäurespannung 
in der Alveolarluft mittelst des Interferometers. (Aus dem 
hygienischen Institut der Universität Freiburg i. B.) (Ulustr.) 
S. 197. 

Glaser: Das histologische Blutbild in schweren Fällen von in¬ 
fantilem Skorbut (Möller-Barlow’sche Krankheit) und das Auf¬ 
treten dieser Krankheit im schulpflichtigen Alter. (Aus der 
zweiten inneren Abteilung des Auguste Viktoria-Krankenhauses, 
Berlin-Schöneberg.) (Illustr.) S. 200. 

Seefelder: Zur Kenntnis der degenerativen Hornhauterkrankungen. 

(Aus der Universitäts-Augenklinik zu Leipzig.) (Illustr.) S. 204. 
Schischlo*. Ueber die Heilung des Juckens mit autogener Vaccine. 
S. 209. 

Beckers: Ueber Dosierung von Arzneimitteln in Tropfenform. S.210. 

Bleherbespreehnngen : Obersteiner: Arbeiten aus dem neurologischen 
Institut an der Wiener Universität. S. 211. Rädl: Neue Lehre 
vom centralen Nervensystem. S. 211. Bury: Diseases of the 
nervous System. S.211. (Ref. Rothmann.) — Boruttau und Mann: 
Handbuch der gesamten medizinischen Anwendung der Elektrizität, 
einschliesslich der Röntgenlehre. S. 211. (Ref. Nicolai.) — Sud¬ 
hoff: Graphische und typographische Erstlinge der Syphilisliteratur 
aus den Jahren 1495 und 1496. S. 212. (Ref. Holländer.) — 
Ferrarini: La Teoria tossica nella patogenesi della morte in seguito 
ad ustioni. S. 212. (Ref. Fischer.) — Stier: Ueber Linkshändigkeit 
in der deutschen Armee. S. 212. (Ref. Schnütgen.) — Born¬ 
träger: Der Geburtenrückgang in Deutschland, seine Bewertung 
und Bekämpfung. S. 213. Medizinalstatistische Nachrichten. S. 213. 
Grotjahn und Kriegei: Jahresbericht über soziale Hygiene, Demo¬ 
graphie und Medizinalstatistik. S. 213. (Ref. Weinberg.) 


ALT. 

Literatur-Auszüge : Physiologie. S. 213. — Pharmakologie. S. 213. — 
Therapie. S. 214. — Allgemeine Pathologie und pathologische 
Anatomie. S. 214. — Diagnostik. S. 214. — Parasitenkunde und 
Serologie. S. 214. — Innere Medizin. S. 216. — Psychiatrie und 
Nervenkrankheiten. S.218. — Kinderheilkunde. S.218. — Chirurgie. 
S. 219. — Röntgenologie. S. 220. — Urologie. S. 221. — Haut- 
und Geschlechtskrankheiten. S. 221. — Geburtshilfe und Gynäko¬ 
logie. S. 222. — Augenheilkunde. S. 222. — Hals-, Nasen- und 
Ohrenkrankheiten. S. 223. — Hygiene und Sanitätswesen. S. 224. — 
Technik. S. 224. 

Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften: Berliner medizinische 
Gesellschaft. Kraus: Demonstration einer Frau mit intra¬ 
thorakalem Tumor. S. 224. Engel: Demonstration der Wirkung 
der Venenstauung auf die Pulskurven Herzkranker. S.224. Frenkel- 
Heiden: Die Behandlung schwerster Formen von Ataxie bei Tabes. 
S.224. — Gesellschaft derCharit6- Aerzte. S.225. — Berliner 
Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 
S. 230. — Berliner otologische Gesellschaft. S. 231. — 
Gynäkologische Gesellschaft zu Berlin. S. 233. — Hygie¬ 
nische Sektion der schlesischen Gesellschaft für vater¬ 
ländische Kultur zu Breslau. S. 233. — Aerztlicher Verein 
zu Hamburg. S.234. — AerztlicherVerein zu Frankfurt a. M. 
S. 235. — Nürnberger medizinische Gesellschaft und Poli¬ 
klinik. S. 286. — Freiburger medizinische Gesellschaft. 
S. 237. — K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. S. 237. 

Bier: Erklärung zu dem Tuberkulosemittel von F. F. Friedmann. S. 238. 

v. Düngern: Zu Edzard’s Mitteilung: Ueber die Serodiagnostik des 
Carcinoms nach v. Düngern. S. 238. — Hahn und Edzard: Er¬ 
widerung zu Vorstehendem. S. 239. 

Zaloziecki: Bemerkungen zu J. Portmann’s Notiz in Nr. 4 d. W. S. 239. 
— Portmann: Erwiderung auf vorstehende Bemerkungen. S. 239. 

Tagesgeschichtl. Notizen. S.239. — Amtl. Mitteilungen. S.240. 


Funktionelle Krankheiten der Arterien. 

Von 

Sir Lauder Brunton, Bart. M. D., F. R. S., London. 


Der Reichtum der Literatur über die organischen Krankheiten 
des Herzens, des Blutes und der Gefässe ist ein sehr grosser. Ab¬ 
gesehen von den organischen ist aber auch sehr viel über die 
funktionellen Herzkrankheiten geschrieben worden; die funktio¬ 
nellen Krankheiten der Arterien haben jedoch eine relativ geringe 
Beachtung gefunden. Sie sind indes wahrscheinlich nicht nur 
sehr viel häufiger, sondern auch die Ursache viel grösserer Leiden 
als die funktionellen Krankheiten des Herzens, und auf eine 
Person, welche an Herzpalpitationen leidet, kommen wenigstens 
drei, die an Kopfschmerzen leiden. Das ganze Arteriensystem, 
von der Aorta abwärts bis zu den kleinsten Arteriolen, besitzt 
die Fähigkeit zur Kontraktion; die Aorta hat jedoch eine grössere 
Elastizität und eine geringere Kontraktilität als die Arteriolen, 
deren Kontraktilität gross and deren Elastizität relativ gering ist. 

Das ganze System ist reichlich mit Nerven versehen, von 
welchen die einen, die vasomotorischen Nerven, die Kontraktion 
herbeiföhren, während die anderen, die Vasodilatatoren, eine ent¬ 
gegengesetzte Wirkung haben. 

Die Arterien haben drei Funktionen: Erstens mittels ihrer 
Elastizität die Energie aufzuspeichern, welche der linke Ventrikel 


während seiner Systole entwickelt und sie wieder abzugeben, 
indem sie den Blatfluss während der Diastole aufrecht erhalten, 
wo der Ventrikel vollständig von der Aorta durch den Schluss 
der Sigmoid&lklappen abgesperrt ist. Die zweite Funktion besteht 
in der Regulierung des Blutstroms zu denjenigen Teilen, welche 
seiner bedürfen, durch diejenigen Gefässe, welche die tätigen 
Organe versorgen, indem sie sich erweitern, während diejenigen 
anderer Körperteile sich kontrahieren. Die dritte Funktion, welche 
weniger allgemein bekannt ist, besteht darin, das Blut aus den 
Arterien mittels Peristaltik in die Venen zu treiben, eine Tätig¬ 
keit, die bewirkt, dass die Arterien nach dem Tode leer sind, 
und die dahin geführt hat, dass die Arterien den Namen erhalten 
haben, welchen sie tragen. Obwohl die Aorta viel elastisches 
Gewebe, weniger Muskelfasern besitzt, so hat sie doch die Fähig¬ 
keit, sich zu kontrahieren. Denn im Falle einer Hinrichtung, 
welche 1854 in Würzburg vollzogen wurde, fand man, dass sie 
sich bei Anwendung von Elektrizität kurze Zeit nach dem Tode 
kontrahierte. 

Wahrscheinlich besteht eine tonische Kontraktion der Aorta 
auch im gesunden Zustande, und ihr Fehlen ist wohl die Ursache 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


des sonderbaren Phänomens der Abdominalpulsation. Dieses 
Leiden findet sich ganz allgemein bei Frauen, selten bei Männern. 
Bei diesem Zustande kann man fühlen, dass die Aorta heftig 
pulsiert, oft so stark, dass es sichtbar wird, sobald der Patient 
auf dem Rücken liegt. Oft führt es zu der Annahme, dass ein 
Aneurysma besteht. 

Dieser Zustand war wahrscheinlich Hippokrates bekannt, 
und Morgagni hat einen ungewöhnlichen Fall davon be¬ 
schrieben, in welchem die Pulsation sich vom Herzen bis zum 
Nabel erstreckte und ftusserlich sichtbar war. Bei der Sektion 
wurden das Herz, die Baucheingeweide und grossen Gefässe alle 
in vollkommener Gesundheit befunden, und Morgagni selbst 
war der Ansicht, dass das arterielle Leiden durch Nervenreizung 
bedingt sei. Dr. AIbers-Bremen beschrieb einen sehr beachtens¬ 
werten Fall, bei welchem der Patient wahrscheinlich an Duodenal¬ 
geschwür litt, da Melaena ein hervorstechendes Symptom war, 
und Dr. Allen Bruns besprach das Leiden und war der Ansicht, 
dass es von einer nervösen Affektion der Aorta selbst abhängig 
Wäre. Es wurde mit bekannter Klarheit von Sir James Paget 
beschrieben, welcher erwähnte, dass man hier bei der Aus¬ 
kultation oft ein Geräusch über der Aorta hören könne. Bei 
der Palpation fühlt sich die Arterie weit und voll, aber weich 
und kompressibel an. Der Puls schreitet nur nach einer Richtung 
vorwärts, wie der einer tätigen atheromatösen Arterie des Hand¬ 
gelenks, anstatt sich nach allen Richtungen zu verbreiten, wie es 
beim Aneurysma der Fall ist. Das ist ein diagnostisch wichtiger 
Punkt zur Unterscheidung der pulsierenden Aorta vom Aneurysma; 
andere sind, dass keine seitliche Ausbuchtung besteht, und dass sie 
Finger und Daumen nicht trennt, wenn sie sie seitlich komprimieren. 
Die geraden Linien können an den Seiten der Aorta verfolgt 
werden, und die Pulsation hört ganz oder nahezu ganz auf, sobald 
der Patient vornüber geneigt sitzt. 

Die Pathologie der Erscheinung ist unsicher, ich glaube je¬ 
doch, dass Morgagni recht hat, wenn er sie einer Nerven¬ 
reizung zuschreibt. Natürlich war zu jener Zeit nichts über 
vasomotorische oder vasodilatatorische Nerven bekannt, und ich 
bin der Ansicht, dass man jetzt mit ziemlicher Sicherheit diesen 
Zustand auf einen Tonusverlust der vasomotorischen Nerven der 
Bauchaorta zurückführen kann. Dieser wird wahrscheinlich durch 
einen Reiz hervorgerufen, der zu einer reflektorischen Hemmung 
durch die Ganglien des Plexus solaris führt. Er schien mir oft 
mit einer Reizung im Magen und Duodenum in Zusammenhang 
zu stehen und besonders in solchen Fällen vorzukommen, wo 
ein Verdacht auf ein Ulcus in diesen Organen bestand. Dies 
trifft auch auf den von AIbers beschriebenen Fall zu, wo, wie 
ich erwähnte, die Melaena ein hervorstechendes Symptom war. 

Eine abnorm grosse Pulsation beschränkt sich nicht immer 
auf die Bauchaorta, sondern kann auch andere Arterien ergreifen. 
So beobachtete sie Morgagni in der Carotis, den Temporal- und 
Radialarterien. Sir James Paget beobachtete sie in den Arteriae 
subclaviae und innominatae, ebenso in den Carotiden, wo sie auch 
Anlass zum Verdacht auf ein Aneurysma geben kann. Es besteht 
hier aber keine seitliche Dilatation, und die Pulsation pflegt 
aufzuhören, wenn die Arterie erschlafft ist. In einigen Fällen ist 
das Pulsieren gleichzeitig an mehreren Arterien zu fühlen: in der 
Innominata, Carotis und Subclavia. Bei der Basedowschen Krank¬ 
heit besteht häufig ein abnormes Pulsieren der grossen Arterien. 

Bisweilen scheint auch eine Erweiterung der Arterien durch 
den ganzen Körper sich zu erstrecken, wobei die Haut ungewöhn¬ 
lich warm und zugleich feucht ist. ich habe diesen Zustand bei 
langem Gebrauch von Schilddrüsentabletten als Mittel gegen 
Myxödem auftreten gesehen. Es muss das mehr oder weniger als 
Symptom einer Vergiftung angesehen werden. 

Ich bin nicht der Ansicht, dass das Klopfen der Carotiden 
beim Basedow durch eine Streckung der Arterie in die Länge 
bedingt sei wie bei der Aortenpulsation, weil die Arterien, wenn 
auch nicht immer, so doch wenigstens oft während der Pulsation 
seitlich erweitert sind. Ich habe einen ähnlichen Zustand in der 
Carotis auf einer Seite bei Migräne beobachtet, ein Zustand, auf 
welchen ich später zurückkommen werde. Diese lokale Pulsation 
einer Carotis zeigt, dass der Zustand wenigstens zum Teil von 
dem Nervensystem abhängig ist, obwohl auch ein gewisser Grad 
von Toxämie möglicherweise vorliegt. Dasselbe trifft auch wahr¬ 
scheinlich auf die Pulsation beim Basedow zu. Es gibt aber 
Zustände von GefässerWeiterung, die, wie es scheint, nur vom 
Nervensystem, nicht von einer Toxämie abhängig sind. Wenn die 
peripheren Gefässe einer Seite dilatiert sind, so besteht auch die 
Neigung der grossen, diesen Teil versorgenden Arterie, sich zu 


dilatieren und zu pulsieren. So habe ich bei mir selbst beob¬ 
achtet, dass, wenn ich meine Füsse in ein heisses Bad stellte, 
so dass die Gefässe des Fusses sich erweiterten und die Haut 
rot wurde, dann auch die Pulsation der Femoralarterie grösser 
und stärker als zuvor zu fühlen war. 

Die Wirkung der Gemütsbewegung auf die Arterienerweiterung 
ist als Erröten wohlbekannt. Das war auch Harvey gut bekannt, 
welcher sagt: „Bei der Bescheidenheit sind die Wangen mit roten 
Flecken übergossen, bei der Furcht und unter dem Gefühl der 
Schmach und Schande wird das Gesicht bleich, die Ohren jedoch 
brennen ob des Bösen, welches sie hören oder hören sollen; wie 
schnell schwillt das Glied bei der Wollust durch das Blut und 
wird aufgerichtet.“ 

Obwohl das Erröten oft nur vom Nervensystem abhängig ist, 
kann es auch künstlich durch Inhalation von Amylnitrit hervor¬ 
gerufen werden. Diese Droge hat eine zweifache Wirkung auf 
die Gefässerweiterung, indem sie zunächst auf das Erweiterungs¬ 
centrum im Gehirn wirkt, alsdann auf die peripheren Gefässe 
selbst. 

Ihre centrale Wirkung wurde von Fi leb ne bewiesen, welcher 
fand, dass die Ohrgefässe des Kaninchens sich nicht erweitern, 
wenn das Amylnitrit enthaltende Blut durch sie hindurchgebt, 
jedoch durch die Ligatur der Hirnarterien verhindert wird, das 
Gehirn zu erreichen. Andererseits wurden sie erweitert, wenn 
das Blut, welches sie durchströmte, rein war, jedoch Amylnitrit 
enthaltendes Blut das Hirn durchströmt hatte. Die Fähigkeit 
dieses Mittels, eine periphere Erweiterung hervorzurufen, war 
schon durch einige Experimente bewiesen worden, welche ich im 
Jahre 1869 in Ludwig’s Laboratorium ausführte. Ich fand, 
dass der Blutdruck sank, wenn das vasomotorische Centrum von 
dem übrigen Körper mittels Durchscbneidung des Rückenmarks 
getrennt wurde. Diese Experimente und die von Fi lehne zeigen, 
dass die Erweiterung der Arterien einen mehrfachen Ursprung 
haben kann, einen centralen oder peripheren oder auch einen 
kombinierten. 

Bei manchen Personen tritt das Erröten so schnell und in 
solcher Ausdehnung ein, dass es denjenigen, welche darunter 
leiden, die grösste Unannehmlichkeit bereitet. Es ist sehr be¬ 
kannt bei jungen Frauen, kommt jedoch auch bei jungen Männern 
vor. Bei manchen besteht es das ganze Leben hindurch, wenn 
auch solche Fälle selten sind. Das Erröten bängt gewöhnlich 
von einer Gemütsbewegung irgendwelcher Art ab und besonders 
bei Bescheidenheit und Schüchternheit; bei der Menopause jedoch 
tritt das Erröten plötzlich ohne jede Gemütsbewegung und oft 
auch ohne jede wahrnehmbare Ursache auf. Sowohl beim Er¬ 
röten als auch bei den Kopfkongestionen in der Menopause ist 
die Gefässerweiterung von einem Hitzegefühl begleitet; das ist 
jedoch nicht unweigerlich der Fall. Die Kopfkongestionen, wie 
sie oft von den Patienten bezeichnet werden und in der Meno¬ 
pause Vorkommen, sind wahrscheinlich bedingt durch eine Art 
von Toxämie, die ihren Ursprung in einer Störung der inneren 
Sekretionen in dieser Periode hat. Die funktionellen Störungen 
des arteriellen Systems, welche zu Erweiterung führen, sind 
jedoch weniger häufig und von geringerer Bedeutung als die 
durch Kontraktion der Arterien. Der erste, welcher die Be¬ 
deutung der arteriellen Kontraktion als eine Ursache von Schmers 
betonte, war der verstorbene Prof. E. duBois-Reymond, in 
dessen Laboratorium ich den Vorzug hatte, im Jahre 1868 zu 
arbeiten. Er litt sehr an Migräne, und der Schmerz wurde bisher 
als durch Neuralgie bedingt erklärt. Er bemerkte jedoch, dass 
während des Schmerzanfalls, welcher die rechte Kopfseite betraf, 
das Gesicht blass und eingesunken, das rechte Auge klein und 
gerötet und die Pupille erweitert war. Der Schmerz wurde durch 
alles gesteigert, was den Blutdruck im Kopfe erhöhte, wie Bücken 
oder Husten. Er wurde mit jedem Herzschlag grösser, und die 
Arterie in der Schläfe glich einem barten Strang auf der rechten 
Seite, während sie auf der linken von normalem Kaliber war. 
Daraus schloss er, dass seine Migräne durch einen Tetanus der 
Muskelwand der Gefässe in dem Gebiete des Halssympathicos 
der rechten Seite bedingt war. Den Schmerz bei diesem Tetanus¬ 
zustande der Gefässe schrieb er dem Druck auf die sensiblen 
Nerven in ihrer Muskelwand zu. 

Einige Autoren haben diese Ansicht bestritten, weil sie bei 
der Migräne die Temporalarterie erweitert und pulsierend fanden, 
nicht kontrahiert, wie sie du Bois-Reymond beschrieben hatte. 
Leider litt ich selbst ebensosehr an Migräne, und aus Beobachtungen 
an meinem eigenen Kopfe kann ich nicht nur die Behauptung 
du Bois-Reymonds bestätigen, sondern auch die scheinbaren 


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3. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


195 


Widersprüche bei denen der anderen erklären. Bisweilen fand 
ich, wenn ich an Kopfschmerzen litt, die Temporalarterie quer 
über dem Temporalmuskel wie einen Strang kontrahiert, so wie 
es du Bois-Reymond beschrieb. Andere Male, wenn der 
Schmerz genau denselben Charakter hatte, fand ich die Arterie 
an dieser Stelle weit dilatiert und pulsierend; wenn ich jedoch 
den Lauf ein wenig weiter verfolgte, bis sie zur Stirn aufzu¬ 
steigen begann längs der rechten Seite des Stirnbeins, fand ich, 
dass sie kontrahiert und vollkommen hart war, so dass sie einer 
Klaviersaite glich. In anderen Fällen, wo der mittlere Teil der 
Temporalarterie kontrahiert war, fand ich, dass die entsprechende 
Carotis, wenn man sie am Halse fühlte, auf nahezu ihren 
doppelten Durchmesser erweitert schien und heftig pulsierte. 
Die Richtigkeit der du Bois Reymond’schen Idee betreffs der Ur¬ 
sache des Schmerzes wird durch meine Beobachtung bestätigt, 
dass, wenn ich auf meine Carotis so drückte, dass ich den Ab¬ 
fluss des Blutes in die Temporalarterie hemmte, der Schmerz so¬ 
fort wie durch einen Zauber verschwand. Leider konnte ich 
jedoch die Carotis nicht komprimieren, ohne zugleich auf den 
Nervus vagus zu drücken, und das brachte ein solches Angst¬ 
gefühl in der Brust hervor, dass ich gezwungen war, den Druck 
zu mässigen. Unmittelbar nach Rückkehr der Circulation kehrte 
der Schmerz mit plötzlichem Klopfen zurück und schien weit 
grösser zu sein als die vorhergehende Besserung. Ich konnte in 
meinem Falle weder die deutliche Blässe, noch die Erweiterung 
der Pupille beobachten, wie das bei du Bois-Reymond der 
Fall war. Mit Recht aber verlegt er die Ursache des Gefäss- 
krampfes in die Ciliospinalgegend, und seine Ansicht erfährt 
durch die Beobachtung, welche ich bei mir selbst machte, dass 
der Schmerz bisweilen plötzlich die Stirngegend verlassen nnd 
im Hinterhaupt auftreten kann oder umgekehrt, eine kräftige 
Stütze. 

Die Aetiologie solcher Kopfschmerzen ist, wie ich glaube, 
eine zwiefache: 1. besteht ein gewisser Grad von Toxämie, be¬ 
dingt durch die Anhäufung von Toxinen in der Leber durch Diät- 
fehler oder mangelnde Darmtätigkeit, 2. ist eine lokal be¬ 
stimmende Ursache vorhanden. Am meisten kommt hierfür in 
Betracht Ueberanstrengung des Auges infolge von Ungleichheit 
beider Augen hinsichtlich der Fokaldistanz oder Astigmatismus 
oder in einigen Fällen mangelhafte Konvergenzkraft. Wird das 
schwächere Auge durch das Bestreben, mit dem kräftigeren 
Schritt zu halten, angestrengt, so tritt gewöhnlich auf der Seite 
des schwächeren Auges der Schmerz auf. Zuweilen jedoch be¬ 
fällt der Kopfschmerz erst die eine Seite und darauf die andere, 
ln einigen Fällen dürfte ein cariöser Zahn oder eine Reizung der 
Nasen- oder Ohrenschleimhaut die Seite bestimmen, auf welcher 
die Migräne auftritt. Uebermässige Anstrengung beim Sehen ruft 
oft Migräne hervor, so z. B. bei einer Eisenbahnreise, wenn der 
Fahrgast aus dem Fenster blickt und beständig die Augen vor- 
und rückwärts auf Gegenstände der Landschaft, welche in schneller 
Folge vorüberziehen, richtet, oder wenn die leichte Vibration die 
Augen anstrengt, sobald der Reisende zu lesen versucht. Augen¬ 
überanstrengung kommt auch oft vor, wenn man Gemälde in 
einer Gallerie besichtigt oder die Schauspieler im Theater eifrig 
beobachtet. Es spielt jedoch auch der toxische Faktor eine Rolle 
bei der Migräne. Denn wenn der Anfall vorüber ist, besonders 
wenn er von Diarrhöe, Erbrechen oder beidem begleitet wird, so 
ist die betreffende Person eine Zeitlang immun und kann unge¬ 
straft alles das tun, was sonst den Anfall auslösen würde. Seh- 
scbwäcbe und eigentümliche Lichterscheinungen begleiten oft die 
Migräne. Letztere führt du Bois-Reymond auf ein Sinken des 
Blutdrucks im Gehirn infolge der Kontraktion der Arterien zurück. 
Diese Erscheinungen sind sehr genau von Hubert Airy in den 
Philosophical transactions of the Royal society 1870 be¬ 
schrieben und abgebildet worden. Sie haben gewöhnlich die 
Gestalt einer Sichel, welche an dem einen Ende verbreitert ist 
und sich nach dem anderen hin spitz verjüngt. Das Blatt der 
Sichel besteht aus zickzack förmigen- Lichtlinien, die oft stellen¬ 
weise rot oder grün gefärbt sind und beständig flackern. Im 
Centrum der Sichel befindet sich oft ein Stern. Die Erscheinung 
spielt sich jedoch nicht in der Netzhaut ab. Denn ich fand, 
dass Druck auf den Augapfel, welcher die Sehaxe verschiebt und 
das Aussehen der realen Objekte verändert, keine Wirkung auf 
diese subjektiven Lichter ausübte. 

Nicht selten besteht an Stelle derselben oder zusammen mit 
ihnen vollständige Hemianopsie und zuweilen, wenn aueh selten,- 
totale Blindheit. Der Geschmack und der Geruch sind seltener 
beteiligt; ich habe jedoch einen Fall gesehen, bei welchem 


während des Anfalls von Kopfschmerz weder Geschmack noch 
Geruch vorhanden waren, um jedoch ganz schnell wiederzukehren, 
sobald der Anfall vorüber war. Das Tastgefühl in den Fingern 
ist auch bisweilen vermindert. Diese Symptome sind wahr¬ 
scheinlich bedingt durch eine Kontraktion der Gefässe, welche 
die sensiblen Hirnpartien versorgen. 

Die Amblyopie wurde oft und sehr wahrscheinlich mit Recht 
auf einen Spasmus der Netzhautarterien zurückgeführt; die zick¬ 
zackförmigen Lichtlinien und die Hemianopsie sind fast sicher 
cerebralen Ursprungs und die Folge der Kontraktion der Arte¬ 
rien, welche die Sehcentren und besonders den Hinterhauptslappen 
versorgen. 

Die motorischen Hirncentren dürften gleichfalls durch den 
Krampf der Blutgefässe, welche sie versorgen, affiziert werden. 

Das erkannte du Bois-Reymond, welcher der Ansicht war, 
dass die Krämpfe bei Epilepsie höchstwahrscheinlich durch den 
Krampf der die motorischen Centren versorgenden Gefässe bervor- 
gerufen würden, welche ihre ßlutversorgung abschneiden und eine 
ähnliche Wirkung ausüben, wie sie Kussmaul und Tenner 
nach Ligatur der Hirnarterien beobachteten. Epilepsie und 
Migräne seien, wie er meinte, nahe verwandt und unterscheiden 
sich nur dem Grade, nicht der Art nach. 

Aphasie ist keineswegs unbekannt bei Migräne, nnd jüngst 
bat Dr. Russell Fälle nicht nur von Aphasie, sondern auch von 
Monoplegie und selbst Hemiplegie beschrieben, welche aller 
Wahrscheinlichkeit nach durch den Krampf der die motorischen 
Gebiete versorgenden Gefässe bedingt waren. 

Die Wirkung der peripheren Arterienkontraktion kann an 
den Extremitäten des Körpers beobachtet werden, wenn sie 
schwerer Kälte ausgesetzt werden. Wenn die sie versorgenden 
Gefässe sich kontrahieren, werden die Finger und Zehen anfäng¬ 
lich weiss wegen Mangels an Blut und aldann blau durch Stauung 
desselben in den venösen Capillaren. Darauf kann eine Dilatation 
aller Gefässe eintreten, und es zeigt sich eine hellrote Färbung 
der Haut, gewöhnlich mit Hitze und bisweilen mit heftigen 
Schmerzen verbunden. Ist die Kälte sehr streng, so bleibt die 
Kontraktion der Gefässe bestehen, die Gewebe selbst werden 
durch die Kälte geschädigt, und es tritt die Form der Gangrän 
ein, welche als Frostgangrän bekannt ist. Die Empfindlichkeit 
für Kälte ist bei den verschiedenen Personen sehr verschieden; 
denn manche zeigen eine grosse Widerstandskraft gegen dieselbe, 
während andere darunter sehr zu leiden haben. Bei manchen 
Individuen treten ähnliche Symptome ohne jede erkennbare 
Ursache auf. 

Dieses Leiden wurde 1862 von Raynaud beobachtet und 
trägt seinen Namen. Ich selbst sah, dass die Fingerspitzen bei 
einer Frau weiss und runzelig wurden, so dass sie denen einer 
Leiche glichen. Wie ich sah, schritt die Blässe und das Runzelig¬ 
werden langsam auf die Hand bis znm Handgelenk fort, welches 
sie in weniger als zehn Minuten erreichten. In schweren Fällen 
von Raynaud’scher Krankheit kann der Prozess in Gangrän über¬ 
gehen wie bei der Erfrierung. Die Schwere der Kontraktion kann 
an verschiedenen Teilen der Haut verschieden sein. So beschrieb 
Osler einen Fall, bei welchem ein Finger weiss und die be¬ 
nachbarten rot und blau waren. 

Er erwähnte auch, dass einige der bereits beschriebenen 
Symptome, wie Amblyopie infolge von Krampf der Netzhaut- 
gefässe, temporäre Aphasie und Hemiplegie in Fällen von 
Raynaud’scher Krankheit Vorkommen können. Ebenso erklärt er, 
dass Epilepsie sehr gewöhnlich dabei sei, und dass sie in einem 
Falle nur im Winter zu derselben Zeit wie die anderen Symptome 
der Raynaud’schen Krankheit auftrat. 1866 beschrieb Noth¬ 
nagel ähnliche Fälle, bei welchen der periphere Gefässkrampf 
Verlust der -Sensibilität, Steifigkeit, Kältegefühl und schwere 
neuralgische Schmerzen bervorrief. Im Verfolg dieser Beob¬ 
achtungen kam er zu dem Schluss, dass eine Anzahl von Fällen 
von Angina pectoris primär von einem Krampf der kleinen 
Arterien herrühre, und dass die Herzsymptome mehr sekundäre 
wären. 

Während die Anfälle von echter Angina pectoris gewöhnlich 
durch Ueberanstrengung oder Aufregung bervorgerufen werden, 
entstanden die von Nothnagel beschriebenen fast stets dadurch, 
dass sich die Patienten der Kälte ausgesetzt hatten. Sie waren 
auch oft von Schwindel begleitet, und in einem Falle wurden 
Konvulsioneo beobachtet. Diese Symptome führte er auf eine 
Kontraktion der Hirnarterien zurück. In einem Falle von Angina 
pectoris, welchen ich Gelegenheit hatte, im Winter 1866/67 su 

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196 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 5. 


behandeln, and bei welchem ich zuerst Amylnitrit als Heilmittel 
anwandte, fand ich, dass während des Anfalls der Puls sehr 
schnell wurde und seine Spannung sehr beträchtlich anstieg. 

Wenn man sieht, wie die Gefässe des Kopfes und der Ex¬ 
tremitäten so leicht zum Krampf neigen, wäre es verwunderlich, 
wenn die Abdominalgefässe nicht auch bisweilen davon befallen 
würden. 

Im Jahre 1899 beschrieb ich einen Fall von plötzlichem 
Schmerz im Abdomen und benannte ihn, aus Mangel an etwas 
Besserem, zu jener Zeit als „Kopfschmerz im Bauche u und führte 
ihn auf eine krampfartige Kontraktion der Arterien im Bauche 
zurück in derselben Weise wie im Kopf bei Migräne. Eine 
Beobachtung, welche ich machte, und welche diese Annahme zu 
bestätigen scheint, ist die, dass bisweilen der Schmerz vom Kopf 
zum Bauche übertragen werden kann, wenn man Phenacetin 
nimmt. 

In meinem eigenen Falle beobachtete ich, dass, wenn ich 
0,6 g Phenacetin nahm, der Schmerz im Kopfe sich besserte, aber 
fast zu gleicher Zeit, wie der Schmerz aus dem Kopfe verschwand, 
er im Bauch auftrat: eine Uebertragung von Schmerzen, die 
auffällig dem ähnelt, was ich bereits erwähnte, dass nämlich 
beim Kopfe der Schmerz von der Stirn nach dem Hinterhaupt 
wandert. 

Fast zu derselben Zeit beschrieb Huchard solche Fälle 
unter dem Namen „Angina pectoris pseudogastrica“, und fast drei 
Jahre später gab Baccelli ihnen den Namen „Angina abdominis u . 
Pal beobachtete eine Anzahl Fälle von Tabes, bei welchen dieses 
Symptom vorhanden war. Er teilte diese Fälle in zwei Klassen: 
eine solche, bei welcher Erbrechen mit oder ohne Schmerzen, 
aber ohne Blutdrucksteigerung bestand, und eine zweite, bei 
welcher Schmerz und hoher Blutdruck bestand und der Schmerz 
durch Amylnitrit geradeso wie bei Angina pectoris gehoben 
wurde. 

Ich habe in diesen Fällen nicht Ueberanstrengung als Ur¬ 
sache der Schmerzen erwähnt gefunden, aber in einem von 
Dr. E. W. Williams und mir beschriebenen Falle traten Schmerzen 
in der Nabelgegend auf unmittelbar darauf, wenn der Patient zu 
gehen begann. Der Schmerz wurde sofort durch Nitroglycerin 
beseitigt, wie das bei Angina pectoris der Fall gewesen wäre. 

Ich glaube, es besteht Grund zur Annahme, dass in vielen 
Fällen ein Gefässkrampf Vorkommen und die bereits beschriebenen 
cerebralen, abdominalen und peripheren Symptome erzeugen kann, 
obwohl die Gefässe gesund sind. In manchen Fällen schwindet 
vielleicht die Tendenz zu Krämpfen, weil die Arterien mit zu¬ 
nehmendem Alter weniger elastisch werden. Denn man findet 
oft, dass Menschen, welche in ihrer Jugend sehr von Migräne 
geplagt waren, mit zunehmendem Alter weit weniger darunter 
zu leiden haben. 

Andererseits wird, wenn die Arterien, zum Teil durch Atherom, 
verengt sind, die Wirkung des Spasmus viel ausgesprochener sein 
und in Fällen, in welchen solche Symptome wie Schwindel, transi¬ 
torische Aphasie, Monoplegie oder Hemiplegie bei Patienten, 
welche an Atherom leiden, Vorkommen, wird es sehr schwer oder 
unmöglich sein, zu bestimmen, wie weit die Hemmung der Circu- 
lation in einem der Cerebral gefässe Folge des bestehenden Spasmus 
und wie weit die Verengerung durch Atherom oder durch Embolie 
atberomatöser Massen bedingt ist. 

Was die Behandlung des Kopfschmerzes betrifft, so ist zu¬ 
nächst jede Reizquelle, wie Ungleichheit der Fokallänge, Astigma¬ 
tismus oder Konvergenzfehler der Augen, durch eine passende 
Brille zu beseitigen, ein cariöser Zahn zu extrahieren oder zu 
plombieren und jede lokale Reizquelle in der Nase und im Ohr 
zu entfernen. Beim Migräneanfall sind die Mittel, welche am 
schnellsten Heilung bringen, Phenacetin oder Antipyrin, allein 
oder mit Coffein kombiniert. Sie sollen genommen werden, so¬ 
bald das erste Anzeichen von Kopfschmerz sich einstellt, und, 
wenn irgend möglich, soll der Patient wenigstens 20 Minuten 
nach dem Einnehmen liegen. 0,6—1,2 Natr. salicylicum und die¬ 
selbe Menge Bromkalium werden gleichfalls oft Besserung bringen, 
und Personen, welche oft morgens mit Kopfschmerzen aufwacben, 
können einem Anfall Vorbeugen, wenn sie das Mittel nachts ein¬ 
nehmen. In Fällen, in welchen die Migräne mit Erbrechen ver¬ 
bunden ist, werden die Mittel, per os gereicht, wenig oder gar 


keinen Erfolg erzielen. Gibt man sie per os, nachdem der Anfall 
eingetreten ist, so werden sie vom Magen aus nicht resorbiert. 
Eine Resorption tritt aber vom Rectum aus selbst auf der Höbe 
des Anfalls ein, und verabfolgt man die Mittel per Klysma, so 
kann man Besserung erzielen. 

Bei manchen Personen geht dem Kopfschmerz Reizbarkeit, 
Schläfrigkeit und Müdigkeit oder das Gegenteil, nämlich starke 
Aufregung, einige Stunden voraus. Gibt man Bromkalium und 
Natr. salicylicum, sobald diese Symptome sich einstellen, so werden 
sie nicht nur gehoben, sondern man beugt auch dem Kopfschmerz 
vor. Ja diese Medikamente bessern oft das reizbare Temperament, 
mag es von Kopfschmerz begleitet sein oder nicht. Trägheit, 
Mattigkeit und Appetit Verlust werden bisweilen bei Personen, 
welche an Kopfschmerzen leiden, ein oder zwei Tage, bevor sie 
eintreten, beobachtet. Diese prämonitorischen Symptome sind 
wahrscheinlich die Folge einer Anhäufung von Toxinen in der 
Leber und können durch Darreichung eines merkuriellen Abführ¬ 
mittels zur Nacht mit nachfolgendem Salinum des Morgens be¬ 
seitigt werden, so dass der Kopfschmerz ausbleibt. 

Wallungen in der Menopause sind oft ausserordentlich schwer 
und mühsam zu behandeln. Bromide werden in den verschiedensten 
Formen reichlich angewendet; Jaborandi, Pulsatilla und Ovarial- 
extrakte sollen erfolgreich sein, wenn die anderen Mittel ver¬ 
sagen. Bei der Bauchpulsation muss die Diät bland und reizlos 
sein, Magen und Darm sollen durch Wismut und Natr. bicarb., 
wenn nötig in Verbindung mit einem leichten Laxans, beruhigt 
und die Refiexerregbarkeit durch Bromide und Baldrian herab¬ 
gesetzt werden. Bei peripherem Gefässkrampf, der zu Frostbeulen 
führt oder die Symptome der Raynaud’schen Krankheit hervor¬ 
ruft, fand ich, dass Natr. salicylicum, entweder allein oder in 
Verbindung mit Bromiden, eins der besten von allen Heilmitteln 
war, welche ich anwandte. Bei Angina pectoris ist ein anderes 
Mittel sehr nützlich, um die Tendenz zum Muskelkrampf herab¬ 
zusetzen, nämlich die Schilddrüse, sei es in Form von Tabletten 
oder der getrockneten Drüse oder eines der zahlreich daraus her¬ 
gestellten Extrakte. Gibt man das Mittel in kleinen Dosen, wie 
etwa 0,06 g der getrockneten Drüse, so verhütet man das Auf¬ 
treten von Frostbeulen bei vielen Personen, die sonst sehr daran 
litten. Ich glaube auch bei älteren Personen, welche an Arterio¬ 
sklerose mit hohem Blutdruck litten, damit Besserung erzielt zu 
haben. Man muss jedoch seine Wirkung sorgfältig überwachen, 
und eine der ersten Indikationen zum Aussetzen desselben ist das 
Auftreten von Nervosität und Reizbarkeit. 

In Fällen von Angina pectoris, welche mit einer Steigerung 
des Blutdrucks beim Anfall verbunden sind, ist es ratsam, ihn 
niedrig zu erhalten, indem man den Patienten empfiehlt, sich 
ganz des Fleiscbgenusses und kräftiger Brühen zu enthalten, 
mässig Alkohol zu sich zu nehmen und jede körperliche oder 
geistige Anstrengung zu vermeiden. Natr. nitricum, Nitroglycerin, 
Nitroerythrit, Nitromannit und bippursaures Natrium und Ammonium 
sind alle zweckmässig. Jodide, entweder in der Form von Jod¬ 
natrium oder Jodkalium, oder ihre organischen Verbindungen sind 
gleichfalls sehr gute Heilmittel. 

Guipsin ist sehr empfohlen worden, gab jedoch unter 
meinen Händen einige Enttäuschung. Vielleicht liegt es an der 
fehlerhaften Verabreichung und nicht an der Güte des Mittels. 
In jedem Fall ist es sehr wichtig, eine Anhäufung von Toxinen 
in der Leber zu verhüten, und sehr zweckmässig, eine Queck- 
silberpille, zwei- oder dreimal die Woche, mit einem nachfolgenden 
salinischen Abführmittel des Morgens mit den anderen Heilmitteln 
zu verbinden. 

Bleibt der Blutdruck trotz des Gebrauchs von Arzneimitteln 
hoch, so ist eine gelegentliche Blutentziehung, wie ich sie in 
meiner Arbeit über Angina pectoris im Jahre 1887 empfohlen 
habe, sehr nützlich. 

Bei fortgesetzter Beobachtung einer sorgfältigen Diät und 
täglichem Gebrauch von gefässerweiternden Mitteln, wie Nitrate 
und Jodide, kann der Blutdruck bei älteren Leuten bisweilen in 
mässigen Grenzen gehalten werden. 

Die Hirnblutung, welche sonst leicht eintreten würde, kann 
auf diese Weise abgewendet und das Leben auf Jahre hinaus ver¬ 
längert werden. 


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3. Februar 1913._BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 197 


Der Einfluss des Druckes auf den Koeffizienten 
der Blutviscosität. 

Von 

W. R. Hess- Zürich. 

Id Heft 42, Jahrg. 1912 dieser Wochenschrift erschien eine Arbeit 
von I. Glaubermann (aus dem chemisch-bakteriologischen Institut von 
Dr. Ph. Blumenthal in Moskau), welche sich mit der Divergenz der 
Angaben des Determann’schen Viscosimeters und des von mir kon¬ 
struierten beschäftigt. Glaubermann führt den Unterschied darauf 
zurück, dass beim Blut (wie auch bei anderen untersuchten Suspensionen) 
die den Wandungen zunächstliegende Flüssigkeitsschicht nicht in Ruhe 
verbleibe, wie bei homogenen Flüssigkeiten, sondern eine Verschiebung 
gegenüber der Wand erfährt. Fine solche Verschiebung hebt natürlich 
die Gültigkeit des Poiseuill’schen Gesetzes auf, woraus wiederum 
Glaubermann folgert, dass der Verwertbarkeit meines Viscosimeters 
Beschränkungen aufzuerlegen sind, da bei diesem mit ziemlich erheb¬ 
lichen Druckdifferenzen gearbeitet wird. 

Die der Deduktion zugrunde gelegte Annahme ist entschieden un¬ 
begründet, und Glaubermann bleibt den Beweis schuldig, dass Gleit¬ 
erscheinungen in messbaren Beträgen unter den in Frage kommenden 
äusseren Umständen auftreten. 

Da nach den Arbeiten verschiedener Autoren der Druck bei dem 
Zustandekommen der Differenz eine erhebliche Rolle spielt, so ist es 
das naheliegendste, Serienversuche auszuführen mit variablem Druck, um 
durch die Variation des als Ursache aDgesprochenen Momentes seinen 
Einfluss zu studieren. 

Bei dieser Grundbedingung für eine einwandfreie Klärung der Ver¬ 
hältnisse sind die Druckbestimmungen, die Glaubermann fast aus¬ 
schliesslich anwendet: „starkes Ansaugen“ und „schwaches Ansaugen“ 
ungenügend. 

Dementsprechend bringt er experimentelle Belege nur für die schon 
zur Genüge bekannte Tatsache, dass zwischen den Resultaten der Vis- 
cositätsbestimmungen Differenzen auftreten, wenn niedrige und hohe 
Druckwerte in Anwendung gebracht werden, und dass die Differenzen 
im allgemeinen steigen mit zunehmendem Visoositätsgrad der unter¬ 
suchten Blutprobe. Darüber, welche Werte — die bei den hohen Druck¬ 
differenzen oder bei den niedrigen gewonnenen Werten — als die rich¬ 
tigen anzusehen seieD, können die Experimente Glaub er man n’s keinen 
Aufschluss geben. Hätte Glaubermann bereits vorhandene eingehende 
Untersuchungen gerade über dieses Thema nicht ausser acht ge¬ 
lassen, so wäre er vielleicht zu einer anderen Auffassung gelangt. Zur 
Erhärtung meiner Worte gebe ich nachstehend eine Versuchsserie wieder, 
welche ich mit anderen zusammen publiziert habe 1 ). 

Die aufgefubrten Zahlen beziehen sich auf Kaninchenblut, das durch 
Centrifugieren an Blutkörperchen bereichert wurde, da die Differenzen 
am grössten bei hochviscösem Blute ausfallen. Die Viscosität dieser 
Blutprobe wurde unter verschiedenen Druckverhältnissen (Angaben in 
Centimeter Quecksilber) auf seine Viscosität geprüft. 

Versuchstemperatur 22°. 

Druckdiff.-+65,0 +42,4 +28,0 + 17,6 + 10,6* +5,6 1+60,6 
Viscosität 6,84 6,84 6,84 6,90 7,14 7,64 1 6,64 

Die Resultate zeigen einmal den eben in Frage stehenden Unter¬ 
schied der Viscositätswerte, welche z. B. beim grössten und geringsten 
Drucke gemessen wurden. Wenn wir aber auch die Werte ins Auge 
fassen, die bei den dazwischenliegenden Druckdifferenzen gefunden sind, 
so erkennen wir die wichtige Tatsache, dass es gerade die grossen 
Druckdifferenzen sind, welche unter sich übereinstimmende Werte 
liefern, und dass diese Konstanz der Werte verloren geht, sobald wir 
uns in das Gebiet der niedrigen Druckdifferenzen begeben. Die be¬ 
deutenden Differenzen der bei niedrigen Druckwerten gewonnenen Zahlen 
sind so eklatant, dass man gar nicht daran denken darf, einem solchen 
Wert eine andere als eine accidentelle Bedeutung beizumessen. Dass 
als Ursache der Differenz nicht eine Veränderung des Blutes im Sinne 
der Gerinnung verantwortlich gemacht werden darf, zeigt die letzte Zahl, 
welche einem am Schlüsse eingefügten erneuten Versuch mit wieder 
hoher Druckdifferenz entspricht. Das Resultat bei diesen schliesst sich 
wieder den ersten bei hohen Druckdifferenzen gewonnenen niedrigen 
Viscositätswerten an. 

Nicht minder deutlich sprechen ferner die Resultate, welche bei 
einer aoderen Versuchsanordnung gewonnen wurden. Ich entnehme die¬ 
selben meiner Publikation: Der Strömungswiderstand des Blutes gegen¬ 
über kleinen Druckwerten 2 ). 

Diese neue Versuchsordnung bestand darin, dass bei drei neben¬ 
einander gelagerten parallelen Capillaren A, B und C Durchflusszeiten 
bestimmter Volumina gemessen wurden, wieder bei wechselnden Druck¬ 
werten. 

Die für ein bestimmtes Durchflussvolumen notierten Durchfluss¬ 
zeiten wurden mit dem jeweilig angewandten Druck multipliziert, also 
das Produkt: Druck x Zeit gebildet. Nach dem Poiseuill’schen Gesetz 
muss dieses Produkt für konstante Durchflussvohimina selbst kon¬ 
stant sein. 


1) Reibungswiderstand des Blutes und Poiseuill’sches Gesetz. Zeit¬ 
schrift f. klin. Med., Bd. 71, H. 5 u. 6. 

2) Archiv für Anatomie und Physiologie, physiologische Abteilung 
1912. 


Druck X Zeit pro Maasseinheit 

Druck 

A 

B | 

C 


80 

122 

97 

62 0 

79 

121 

94 

38-8 

78 

121 

94 

27-2 

80 

123 

96 

22*8 

82 

129 

| 99 

14-7 

87 

133 

; 104 

10-8 

91 

141 i 

111 

6-8 

102 

153 

125 

4 2 

115 

170 ! 

141 

2-25 

85 

130 ! 

103 

61-9 


Diese Tabelle zeigt wieder für alle drei Capillaren A, B und C das 
Hervortreten einer Differenz der bei hohen und der bei niedrigen Drucken 
gewonnenen Resultate (Produktzahlen). Da das Poiseuill’sche Gesetz 
eine Gleichheit der Produktzahlen fordert, so muss also von einer Un¬ 
stimmigkeit des Poiseuill’schen Gesetzes gesprochen werden. Die zwischen 
der höchsten und niedrigsten Druckdifferenz eingeschalteten Werte 
zeigen wieder, dass diese bedeutende Unstimmigkeit besteht, wenn wir 
uns im Gebiete der niedrigen Druckwerte befinden. Für die grossen 
Druckwerte dagegen, und dies ist hier das Ausschlaggebende, 
gilt das Poisseui 1 l’sche Gesetz. Zu diesem selben Resultat sind 
auch Münzer und Bloch auf Grund ihrer eingehenden Experimente ge¬ 
kommen !). 

Endlich sei noch erwähnt, dass bei einem Vergleich der drei ver¬ 
schiedenen Capillaren ein quantitativ übereinstimmendes Verhalten zutage 
tritt, ein Verhalten, das wieder mit der Glaubermann’schen Hypothese 
unvereinbar ist. Denn nach dieser müsste wegen der Aenderung des 
Verhältnisses Querschnitt zu Oberfläche eine Aenderung des Ausschlages 
eintreten. 

Genauere Angaben über die Versuchsanordnung, über die Kontrolle 
der benutzten Apparate und über die von mir vermutete Ursache finden 
sich in den angegebenen Arbeiten. Nur so viel will ich hervorheben, 
dass das erwähnte Verhalten des Blutes zu erwarten ist bei allen den¬ 
jenigen „Flüssigkeiten“, die infolge von Kohäsionserscheinungen im Innern 
der Flüssigkeit eine gleiche oder ähnliche Stabilität in der Nähe des 
Rubepunktes aufweisen wie eine sehr dünnflüssige Gallerte. Stärkeren 
Krafteinflüssen gegenüber gebahren sich solche wie eigentliche Flüssig¬ 
keiten. Bei geringen Krafteinwirkungen dagegen kommen 
neben den Reibungswiderständen messbare Kohäsionskräfte 
zum Ausdruck. 

Doch Theorie beiseite; wir wollen uns nur an Tatsachen halten, 
und diese zeigen, dass bei Viscositätsuntersuchungen des Blutes 
erhebliche Druckdifferenzen nicht nur zulässig sind, sondern ge¬ 
fordert werden müssen. Denn die Gültigkeit des Poiseuill’schen 
Gesetzes ist bei Blut nicht nur wie bei allen Flüssigkeiten (durch die 
sogenannte kritische Geschwindigkeit Reynold’s) nach oben begrenzt, 
sondern auch nach unten. Die Gültigkeit des Poiseuiil’schen Ge¬ 
setzes und damit die Berechtigung von Apparaten, welche auf dasselbe 
begründet sind, existiert nur io einem dazwischen liegenden Gebiet, in 
welchem jeder brauchbare Viscosimeter arbeiten muss, um 
richtige Resultate zu geben, eine Bedingung, welche beim Deter- 
mann’schen Apparat nicht erfüllt ist. 


Aus dem hygienischen Institut der Universität 
Freiburg i. B. (Direktor: Prof. Dr. M. Hahn). 

Die Bestimmung der Kohlensäurespannung in 
der Alveolarluft mittelst des Interferometers. 

Von 

Martin Hahn und Rudolf Heim. 

Seit längerer Zeit wird in der analytischen Chemie, besonders 
in der Nahrungsmittelchemie die Bestimmung des Brechungs¬ 
index von Flüssigkeiten und leicht schmelzbaren Körpern bereits 
dazu verwandt, um ihre Reinheit oder den Prozentgehalt an be¬ 
stimmten Körpern oder schliesslich die gleichmässige Zusammen¬ 
setzung zu ermitteln. Für die Gase sind solche Refraktometer 
erst in neuerer Zeit auf Veranlassung von Haber und Löwe*) 
durch die Firma Zeiss konstruiert worden, die neuerdings 
dabei im wesentlichen einer von Lord Rayleigb gegebenen Ver¬ 
suchsanordnung folgten und einen Interferenzapparat herstellten, 
das sogenannte Interferometer. Dieses Instrument findet bereits 


1) Weitere Beiträge zur Kritik der Viscositätsbestimmungsmethoden. 
Zeitschr. f. experim. Pathologie u. Therapie, 1912. 

2) Zeitschr. f. angewandte Chemie, 1910. Physikal. Zeitsohr., 1910. 
Zeitschr. f, Instrumentenkunde, 1910. 

2 


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198 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 5. 


zur Untersuchung von Industriegasen vielfache Verwendung, 
namentlich, seitdem es in neuester Zeit in eine tragbare Form 1 ) 
umgewandelt ist, die zwar keine so grosse Genauigkeit wie der 
ältere Laboratoriumsapparat ermöglicht, aber dafür eine 
ambulante Ausführung der Analyse, auch direkt am Kranken- 
bette, gestattet. Es war naheliegend, das Instrument nunmehr 
auch für die biologische Gasanalyse zu verwenden, und die 
folgenden Untersuchungsresultate beweisen, dass der Apparat in der 
Tat für die Bestimmung der Kohlensäure in der Alveolarluft, der 
gerade jetzt von seiten der Kliniker grosse Bedeutung beigemessen 
wird, vollkommen genügende Genauigkeit besitzt. Zum besseren 
Verständnis sei hier das Prinzip und die Konstruktion des 
Apparates kurz auseinander gesetzt. 

Das Prinzip des Interferometers beruht auf der Interferenz 
zweier Beugungsspektren, die bekanntlich dadurch zustande 
kommen, dass man Lichtstrahlen durch einen Spalt treten lässt. 
Bei einfarbigem, z. B. rotem Licht erhält man so auf einem Schirm 
eine Lichterscheinung, die sich abwechselnd aus hellen und dunklen 
Streifen zusammsnsetzt und dadurch erzeugt wird, dass die ein¬ 
zelnen Strahlen Gangunterschiede zeigen, welche die Lichtwirkung 
bald verstärken, bald aufheben. Die Breite dieser Streifen ist 
bei Anwendung von rotem Licht grösser als bei blauem Licht. 
Wird weisses, also gemischtes Licht verwandt, so überlagern sich 
die den verschiedenen Farben zugehörigen Streifensysteme. Wären 
diese letzteren gleich breit, so müssten aus ihrer Uebereinander- 
lagerung schwarze und weisse Streifen entstehen. Da aber die 
Streifen breite für die verschiedenen Farben different ist, so ent¬ 
stehen auch verschieden gefärbte Streifen, die das Beugungs¬ 
spektrum darstellen. 

Ersetzt man nun den einfachen Spalt durch zwei parallele 
Spalte von genau gleicher Breite und schickt durch diese beiden 
weisses Licht hindurch, so entstehen zwei Beugungsspektren, 
die miteinander interferieren. In einem Punkte, in dem der 
Gangunterschied der Strahlen gleich Null ist, verstärken sich die 
weissen Spaltbilder und bilden das Maximum Oter Ordnung. 
Jn zwei symmetrischen Punkten zu beiden Seiten dieses Maximums 
beben sich die beiden Spaltbilder auf und erscheinen als zwei 
schwarze Linien, die sogenannten Minima Oter Ordnung. Die 
nächstfolgenden Streifen und Linien erscheinen farbig, weil nicht 
mehr völlige Deckung bei der Interferenz erreicht wird. Da 
dieses Interferenzbild sich wie ein reelles Bild verhält, kann es 
im Fernrohr durch eine Lupe betrachtet werden. Ist das Auge 
auf unendlich akkommodiert, so sieht es die Erscheinung so, wie 
sie sich auf einem im Brennpunkt der Lupe befindlichen Schirm 
darstellen würde. 

In dem von Löwe konstruierten, von Zeiss hergestellten 
tragbaren Interferometer wird der Lichtstrahl durch ein Osram¬ 
lämpchen geliefert, dessen Licht durch einen Spiegel, der sich 
am unteren Ende des Apparates befindet, wieder in den Apparat 
zurückgeworfen wird. Das Strahlenbündel der Lampe wird in 
drei Teilen zum Beobachtungsfernrohr geleitet. Der eine obere 
Teil geht dauernd und ungehindert durch eine Doppelblende in 
das Fernrohr und zum Auge des Beobachters, das die in der 
Brennebene des Fernrohrobjektivs entstehende Interferenzerschei¬ 
nung durch eine Cylinderlinse als Ocular betrachtet: dieCylinder- 
linse vergrössert nur den Abstand und die Breite, aber nicht die 
Länge der Streifen, wodurch deren Helligkeit beeinträchtigt 
werden würde. In dieser feststehenden Interferenzerscheinung, 
welche bei der Betrachtung die eine Hälfte des Gesichtsfeldes 
einnimmt, ist eine 0 Marke gegeben, ähnlich wie durch den 
Strich einer Mikrometerteilung. Der untere Teil des Strahlen¬ 
bündels wird, nachdem er die Doppelblende passiert hat, durch 
zwei Messingkammern geleitet. Dadurch wird die bisher ein¬ 
heitliche Interferenzerscheinung in zwei Hälften geteilt, deren eine 
dem oberen frei durch die Luft gehenden Strahlenbündel entspricht, 
während die andere von dem durch die Messingkammern gehenden 
Strahlenbündel erzeugt wird. Sie sind getrennt durch eine 
schwarze Linie, welche durch die undurchsichtigen oberen Längs¬ 
wände der beiden Kammern hervorgerufen wird. Solange in den 
beiden Messingkammern, durch welche das untere Strahlenbündel 
geht, das gleiche Gas oder das gleiche Gasgemisch vorhanden 
ist, wird das in der einen Hälfte des Gesichtsfeldes erscheinende 
Beugungsspektrum sich in keiner Weise von dem anderen, durch 
das obere Strahlenbündel erzeugten, unterscheiden: die beiden 
Minima Oter Ordnung werden sich in beiden Spektren als zwei 
deutlich schwarze Streifen genau einander gegenüberstehen, sich 


1) Klemperer, Chemikerzeitung, 1911. 


gegenseitig verlängern. Befindet sich aber in der einen Kammer 
ein Gas von anderer Konzentration oder Zusammensetzung wie in 
der anderen, ist also der Brechungsexponent verschieden, so 
differiert auch die optische Weglänge, und die Deckung der ver¬ 
schiedenfarbigen Strahlen kann in dem einen Beugungsspektrum, 
welches dem unteren Strahlenbündel entspricht, nicht mehr am 
gleichen Punkte stattfinden wie vorher. Die Maxima und Minima 
Oter Ordnung wandern also in diesem Spektrum zur Seite, während 
das dem oberen Strahlenbündel entsprechende Spektrum völlig 
unverändert bleibt und fest steht. 

Gelingt es die zur Seite gewanderten Minima Oter Ordnung 
wieder zurück in die Stellung, genau gegenüber den schwarzen 
Streifen des feststehenden Beugungsspektrums zu bringen, so ist 
damit offenbar eine Messmethode gegeben: denn der Weg, der 
hierfür zurückgelegt werden muss, ist durch die Differenz der 
Brechungsexponenten bedingt. In dem Zeiss’schen Interferometer 
wird dies durch einen optischen Kompensator bewirkt, bestehend 
aus zwei planparallelen Glasplatten, die sich vor den Messing- 
kammern befinden und deren eine durch eine Mikrometerschraube 
um eine Achse quer zur Achse des Fernrohrs gedreht, damit in 
ihrer Neigung verändert werden kann und somit auch den Licht¬ 
strahlen einen Glasweg von veränderlicher Länge entgegensetzt. 
Durch die Drehung der Mikrometerschraube, die an einer Trommel¬ 
teilung messbar ist, kann man also den optischen Weg, den die 
Strahlen in den Medien von verschiedenen Brechungsexponenten 
zu durchwandern haben, wieder gleicbgestalten, und die Grösse 
der Drehung, die hierfür erforderlich ist, ist ein Maass für die 
Differenz der Brechungsexponenten, also auch der Zusammen¬ 
setzung der beiden Gase, die sich in den Messingkammern be- 
fiuden. Ist diese Differenz ausgeglichen, so stehen sieb wie in 
der O-Lage des Instrumentes die schwarzen Streifen der beiden 
Beugungsspektren genau gegenüber und sind in Ruhe. Will man 
also z. B. den Gehalt an schwefliger Säure in einer Luft be¬ 
stimmen, so muss man zunächst die Nulllage des Apparates durch 
Füllung der Kammern mit gleichen Gasen oder Gasgemischen 
z. B. gewöhnlicher Luft festlegen. Dann kann man die eine 
Kammer mit der S0 2 haltigen Luft, die andere mit der gleichen, 
aber durch Absorption von SO a befreiten Luft füllen und bat nun 
nichts weiter zu tun, als die Mikrometerscbraube so lange zu 
drehen, bis die beiden Minima Oter Ordnung sich wieder genau 
gegenüberstehen. 

Wegen der Möglichkeit von Wasserdampfkondensation ist es 
notwendig, alle zu untersuchenden Gase vorher zu trocknen. Da 
die ganze Funktion des Instrumentes auf den Unterschieden der 
Brechungsindices verschiedener Gase oder Gasgemische, die sich 
in den Kammero befinden, beruht, so ist es leicht verständlich, 



iTr 


Laboratoriums-Interferometer im Aufriss und Grundriss: Das aus dem 
Kollimator Kl austretende parallelstrahlige Büschel geht zum Teil durch 
die Kammern L, G und die Kompensatorplatten PI, Pg, zum Teil über 
den Kammern hin durch dia Hilfsplatte H in das Fernrohr F, das mit 
einem Cylinderokular Ok ausgerüstet ist. Tr ist die 100 teilige Trommel 
der Mikrometerschraube des Kompensators. Die Doppelblende ist auf 
das Objektivende des Fernrohres aufgeschoben. Die Cylinderachse steht 
parallel der Längsrichtung des Spaltes und der Doppelblende. 

Figur 2. 

l~ö~Pn 

B 

Querschnitt durch die Gaskammer G und die Luftkammer L (etwa l /*nat.Gr.), 


Figur 1. 


Kl 


FT E T =, T^fiir 


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3. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


199 


Figur 3. 



Blick durch die Hülse des herausgezogenen Okulars in das Innere des 
Fernrohres auf dessen Objektiv. Der Querschnitt der Kammern ist 
punktiert, soweit sie durch die rechteckige Doppelblende verdeckt sind. 
0 0 sind die Querschnitte der oberen durch Luft gehenden Strahlen- 
büscbel, L und G diejenigen der die Luft- und die Gaskammer durch¬ 
setzenden Strahlenbüschel. 


Figur 4. 



Tragbares Interferometer (Schema). 

Der ßeleuchtungsapparat B ist in einem kleinen Tubus neben dem Fern¬ 
rohre angebracht. Das auf den Spiegel S nahezu senkrecht auffallende 
Licht wird zurückgeworfen und durch das Objektiv zu einem Interferenz¬ 
bilde vereinigt, das dicht neben dem Spalte liegt und mittels des Oku¬ 
lares Ok betrachtet wird. Der Kompensator K ragt nur mit dem oberen 
Ende des Hebels und mit der Mikrometerschraube mit Trommel M und 
Umdrehungszähler Z aus dem Gehäuse heraus. Die Schutzkappe bat 
einen kräftigen Bügel zum Tragen. 


Figur 5. 



Tragbares Interferometer (ohne Schutzkappe dargestellt). 

dass man 1. nur eineu Bestandteil eines Gasgemisches gleich¬ 
zeitig genau bestimmen kann, 2. der Apparat die Ermittelung 
der betreffenden Komponente mit um so grösserer Genauigkeit 
gestatten wird, je grösser die Weglänge, d. h. die Länge der 
Gaskammern ist, 3. dass für jedes Gas, auf welches untersucht 
werden soll, der Apparat eine besondere Eichung erfordert, da 
natürlich der Ausschlag (den man nach Eichung für ein Gas 
allerdings auch für andere vorher berechnen kann), d. h. die 


Zahl der Tromraelteile, die z. B. einem Prozent Kohlensäure ent¬ 
sprechen, ganz wesentlich verschieden sein muss von derjenigen, 
die einem Prozent Sauerstoff entsprechen. 

Die Eichung des Apparates wurde für unseren Zweck mit 
Kohlensäure vorgenommen und derart ausgeführt, dass Luft¬ 
kohlensäuregemische von verschiedener Konzentration, meist Atem¬ 
luft zunächst in Absorptionsröhren durch Bimsstein und Schwefel¬ 
säure getrocknet in die Kammer eingeführt und dann durch 
Pettenkofer Röhren, die mit Barytwasser gefüllt waren, aspiriert 
wurden. Die nunmehr von Kohlensäure befreite Luft wurde 
direkt von den Pettenkofer-Röhren in die andere Kammer des 
Apparates geleitet und diente als Vergleichsgas. Die Kontrolle 
durch die Pettenkofer-Bestimmung ergab, dass im Bereiche von 
1 bis 8 pCt. 1 pCt. Kohlensäure in trockener Luft 20 Teilstrichen 
der Trommel entsprachen, so dass die Eichungskurve für diesen 
Bereich durch eine Gerade darzustellen ist. Daraus ergibt sich, 
dass ein Teilstrich = 0,05 pCt. Kohlensäure und die Empfindlich¬ 
keitsgrenze des Apparates damit erreicht ist. Diese Genauigkeit 
liess den Apparat in der vorliegenden Konstruktion nicht, wie 
anfangs gehofft wurde, als geeignet für die Kohlensäurebestimmung 
in der Zimmerluft erscheinen; denn die mit viel einfacheren 
Hilfsmitteln leicht auszuführende Bestimmung von Lunge- 
Zeckendorf gestattet schon eine Genauigkeit von 0,02 pCt., und 
das Interferometer würde höchstens den Vorzug bieten, dass man 
mit Schnelligkeit feststellen könnte, ob der Pettenkofer’sche 
Grenzwert von 1 pM. in der Zimmerluft bereits überschritten ist. 
Das Interferometer würde damit nicht viel mehr leisten als der 
Wolpert’sche Luftprüfer, eine Vereinfachung der Lunge-Zecken- 
dorf’schen Methode. 

Die hier ermittelte Genauigkeit von 0,05 pCt. Kohlensäure 
kann aber sehr wohl mit derjenigen konkurrieren, welche durch 
die gewöhnlich für diese Zwecke gebrauchten gasanalytischen 
Methoden erreicht wird, und damit wird das Interferometer auch 
für die Untersuchung der Respirationsluft brauchbar. Für eigent¬ 
liche Respirationsversuche kann es freilich mit den obengenannten 
Methoden deshalb nicht in Wettbewerb treten, weil eine gleich¬ 
zeitige genaue Bestimmung des Sauerstoffs mit dem tragbaren 
Interferometer vorliegender Form nicht auszuführen sein würde. 
Man kann berechnen, dass die Genauigkeit der Sauerstoffbestimraung 
bei der geringen Verschiedenheit des Brechungsindex von Sauer¬ 
stoff und Stickstoff nur ungefähr 0,3 pCt. betragen und damit 
nicht genügend sein würde. Die Untersuchungen von Plesch 1 ) 
sowie von Leimdörfer und seinen Mitarbeitern 2 ) haben nun 
aber ergeben, dass bei mannigfachen Krankheitszuständen, wie 
z. B. bei Diabetes, cardialer Dyspnoe, Carcinom, die Bestimmung 
der Kohlensäurespannung in der Alveolarluft beim Menschen von 
grossem Interesse sein kann, weil sie ein Bild von der Alkalescenz 
des Blutes gibt und damit auch von einer eventuellen Vermehrung 
der sauren Valenzen im Blute. Die H-Ionenkonzentration des Blutes 
reguliert nach Haldane, Leiradörfer usw. die Spannung, reizt 
die Atmung zu vermehrter Tätigkeit, wodurch eine kompensa¬ 
torische Herabsetzung der Kohlensäurespannung in der Atemluft 
und damit auch der sauren Valenzen im Blute eintritt. Bezüglich 
der näheren theoretischen Darlegungen sei auf die Arbeiten von 
Haldane und Priestley 3 ) und Poulson sowie von Leim¬ 
dörfer und seinen Mitarbeitern verwiesen. Wir haben uns zu¬ 
nächst darauf beschränkt, die Angaben der genannten Autoren 
über die Kohlensäurespannung in der Alveolarluft bei Gesunden, 
Graviden sowie bei mit Carcinom behafteten Patienten nach¬ 
zuprüfen, was uns durch das Entgegenkommen der klinischen 
Direktionen ermöglicht wurde. 

Die Entnahme der Alveolarluft erfolgte nach dem Verfahren 
von Plesch, das von Leimdörfer und seinen Mitarbeitern 
genau geprüft und dauernd angewandt worden ist. Der Patient 
atmet bei geschlossener Nase durch ein Mundstück 20—25 Se¬ 
kunden lang mehrere Male in einen Gummisack ein und aus, 
bis sich der Ausgleich zwischen der Kohlensäurespannung des 
venösen Blutes und derjenigen der geschlossenen Alveolarluft 
hergestellt hat. Da zur Erzielung richtiger Werte eine ruhige 
Atmung vor dem Versuch unerlässlich ist, so wurde der Ver¬ 
schluss der Nase erst unmittelbar vor dem Versuch und statt 
mit einer Nasenklemme mit der Hand vorgenommen, da erstere 
bei empfindlichen Personen unangenehme Sensationen hervorruft, 
die den Atemtypus beeinflussen können. 


1) Zeitschr. f. experirnent. Pathol. u. Therapie, 1909. 

2) Zeitschr. f. blin. Med., Bd. 73 u. 75. Biochem. Zeitschr., Bd. 22 u. 40. 

3) Journ. of pbysiol., Bd. 32 u. 37. 

2 * 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. ß. 


200 


Die Bestimmung mit dem Interferometer erfolgte dann in 
der Weise, dass der Gummisack an den Apparat angeschlossen 
wurde, wobei die daraus aspirierte Atemluft zunächst einen Ab* 
Sorptionsapparat mit Bimsstein und Schwefelsäure, dann die eine 
Gaskammer, hierauf erst einen Absorptionsapparat mit Natron¬ 
kalk, sodann einen mit Bimsstein und Schwefelsäure, schliesslich 
die andere Gaskammer zu passieren hatte. Die Aspiration wurde 
durch ein kleines Gummigebläse bewerkstelligt und die Ab¬ 
sorptionsapparate — schlangenförmig gebogene U Röhren — so 
klein gewählt, dass für die Durchspülung des gesamten Systems 
eine etwa fünf- bis zehnmalige Füllung des etwa 100 ccm fassenden 
Gummigebläses genügte. Die Absorptionsapparate können bequem 
zusammen in einem kleinen Kästchen neben dem Apparat unter¬ 
gebracht werden. Die ganze Handhabung des Apparates erwies 
sich als so einfach, dass die eigentliche Analyse nur 2 bis 
3 Minuten dauerte, und der ganze Versuch inklusive der Samm¬ 
lung der Alveolarluft in ca. 15 Minuten dreimal wiederholt werden 
konnte, was für die Genauigkeit der Bestimmungen, wie schon 
Plesch hervorgehoben hat, eigentlich unbedingt erforder¬ 
lich ist. Das Resultat wurde erst dann als gültig angesehen, 
wenn mindestens drei Versuche fast völlig übereinstimmten, und 
unter den gewonnenen Werten wurde der höchste ausgewählt. 
Kinder und andere leicht erregbare Personen atmen mitunter 
recht unregelmässig, und weniger intelligente Personen müssen 
die Technik des Ein- und Ausatmens gewissermaassen erst er¬ 
lernen, so dass schon aus diesen Gründen eine öftere Wieder¬ 
holung der Versuche notwendig wird. Welchen Wert diese 
Möglichkeit, in kurzer Zeit die Versuche zu wieder¬ 
holen, für die Sicherheit der Resultate besitzt, braucht 
kaum besonders betont zu werden. 

Da das Interferometer nur das Verhältnis von kohlensäure- 
freier zu koblen8äurehaltiger Luft angibt, unabhängig von Druck 
und Temperatur, so ist stets nur zu berücksichtigen, dass die 
Gase in den beiden Kammern unter gleichem Druck und 
gleicher Temperatur stehen müssen. Der Temperaturausgleicb 
zwischen den beiden Kammern wird dadurch beschleunigt, dass 
die beiden Kammern mit Silber verlötet sind. Einen etwaigen 
durch die Aspiration entstandenen Unterdrück kann man leicht 
beseitigen, wenn man zum Schluss noch einen kurzen Druck mit 
der Hand auf den Gummisack ausübt. Bei der Berechnung ist 
zu berücksichtigen, dass die Werte für die getrocknete Atem¬ 
luft erhoben werden und demgemäss für die feuchte Atemluft ent¬ 
sprechend der Wasserdampfsättigung bei 37° (47 mm) reduziert 
werden müssen. 

Schon die Erhebung der Werte bei normalen Personen zeigte, 
dass die Einflüsse, welche Haldane und Leimdörfer mit ihren 
Mitarbeitern in bezug auf Ernährung und Arbeit festgestellt haben, 
sich in der Tat auch hier wieder fanden. Den Einfluss des Ge¬ 
schlechts haben wir nicht ermitteln können, weil unsere Unter¬ 
suchungen fast ausschliesslich an Frauen vorgenommen wurden. 
Da sich herausstellte, dass selbst relativ kleine Anstrengungen 
den Kohlensäurewert durch Erhöhung der Lungenventilation herab- 
setzen, dass ferner, wie schon von Leimdörfer usw. ermittelt, 
die Verdauung die Werte etwas steigert, haben wir als Normal¬ 
werte nur diejenigen betrachtet, die von in vollkommener Ruhe, 
meist Bettruhe, befindlichen, nüchternen Frauen erhoben wurden, 
die sich nach kleinen Operationen, wenig eingreifenden Behand¬ 
lungen usw. in voller Rekonvaleszenz befanden, keinerlei Be¬ 
schwerden, namentlich zur Zeit der Untersuchung keine Schmerzen 
aufwiesen und nicht mit irgendwelchen chronischen, allgemeinen 
Leiden behaftet waren. (Tabelle.) 


C0 2 -Spannung in der feuchten Alveolarluft. 




Maximum 

Minimum 

Mittel 



pCt. 

pCt. 

pCt. 

1 

Normale, nüchterne Frauen 

7,23 

6,23 

6,66 

2 

{«ÄS.: 

6,37 
6,37 ! 

5,20 

5,70 


5,43 

5,82 

3 

Wöchnerinnen, nüchterne . . 

6,84 

6,04 ‘ 

6,50 

4 

Carcinomkranke Frauen . . . 

6,28 

4,08 ! 

5,74 

0 

Myomkranke Frauen .... 

7,13 

1 

5,62 

6,38 


Bei 15 derartig ausgewählten Personen erhielten wir als 
Kohlensäurespannung in der feuchten Alveolarluft im Mittel 
6,66 pCt., ein Wert, der den von Leimdörfer gefundenen Mittel¬ 
wert von 6,05 pCt. nur wenig, den von Haldane und Fitz¬ 


gerald 1 ) ermittelten für Frauen 4,78 pCt. aber erheblich über¬ 
schreitet. Dabei ist aber zu bedenken, dass eigentlich nur die 
Leimdörfer’schen Werte, bei denen die Alveolarluft in derselben 
Weise entnommen wurde, mit den unsrigen vergleichbar sind, 
nicht aber die mit einer anderen Methode festgestellten Haidane¬ 
schen. Die Abweichung von den Leimdörfer’schen Werten ist 
vielleicht dadurch zu erklären, dass wir erstens dreimal hinter¬ 
einander untersucht haben, zweitens alle Personen mit auch nur 
leichten Schmerzen ausgeschaltet haben. Es stellte sich heraus, 
dass die durch Schmerzen bewirkte höhere Lungen Ventilation den 
Kohlensäurewert nicht unbeträchtlich berabsetzen kann. 

Bei Graviden und Carcinomatösen 2 ) hatten Leimdörfer und 
seine Mitarbeiter eine Herabsetzung der Kohleusäurespannung in 
der Alveolarluft gefunden, für deren theoretische Begründung auch 
auf die Originalarbeiten verwiesen sei. Auch dieses Resultat 
konnten wir bestätigen. Wir fanden bei 11 Erstgebärenden im 
8. bis 10. Monat der Schwangerschaft einen Mittelwert von 
5,70 pCt., bei 10 Mehrgebärenden in der gleichen Schwanger¬ 
schaftszeit einen solchen von 5,82 pCt. Auch den von Leim¬ 
dörfer usw. angegebenen Anstieg der Kohlensäurewerte im 
Wochenbett konnten wir ermitteln. 10 derartig untersuchte Fälle 
ergaben vor der Geburt im Mittel einen Wert von 5,83 pCt.. nach 
der Geburt von 6,49 pCt., der sich also dem normalen Mittel¬ 
werte wieder stark nähert. Die Untersuchungen wurden am 4 bis 
13. Wochenbettstag angestellt. 6 Carcinome mit vollkommen 
sicherer Diagnose ergaben bei zum Teil wiederholter Untersuchung 
an verschiedenen Tagen insgesamt einen Mittelwert von 6,74 pCt. 
Aber die Untersuchung von 6 Myomen zeigte, dass auch hier die 
Kohlensäurespannung recht beträchtlich herabgesetzt sein kann, 
so dass die diagnostische Verwertbarkeit dieses Faktors in Zweifel 
gezogen werden muss. Dagegen erscheint es durchaus nicht aus¬ 
geschlossen, namentlich nach dem Anstieg, den der Kohlensäure¬ 
wert im Wochenbett erfährt, dass man die Untersuchung der 
Alveolarluft prognostisch insofern verwerten kann, als sich da¬ 
durch der günstige Einfluss bestimmter Behandlungsmethoden 
(Operation, Bestrahlung) feststellen lassen müsste. 

Untersuchungen hierüber sind im Gange, und ebenso solleu 
auch die oben bezeichneten Mittelwerte noch durch weitere Unter¬ 
suchungen, über die der eine von uns eingehender berichten wird, 
vervollständigt werden. Wenn unsere absoluten Werte bei Nor¬ 
malen, Carcinomatösen und Graviden auch höher ausgefallen sind, 
so bewegen sich die Abweichungen von der Norm bei den letzt¬ 
genannten beiden Gruppen doch annähernd innerhalb der gleichen 
Grenzen wie bei Leimdörfer und Beinen Mitarbeitern. 

Jedenfalls haben die bisherigen Untersuchungen bewiesen, 
dass wir in dem tragbaren Interferometer ein äusserst hand¬ 
liches Instrument vor uns haben, um ambulant, namentlich für 
klinische Zwecke, die Kohlensäurespannung in der Alveolarluft 
bequem, schnell und mit genügender Genauigkeit zu 
ermitteln. Es sei noch hinzugefügt, dass die Ablesung schon 
nach kurzer Uebung gar keine Schwierigkeiten mehr bietet. Aber 
auch für theoretische Untersuchungen, namentlich pharmakologi¬ 
scher Art, erscheint das Instrument geeignet, und auch nach dieser 
Richtung bin haben wir Versuche in Gemeinschaft mit Herrn 
Prof. Straub in Aussicht genommen. 


Aus der zweiten inneren Abteilung des Auguste 
Viktoria-Krankenhauses, Berlin-Schöneberg. 

Das histologische Blutbild in schweren Fällen 
von infantilem Skorbut (Möller-Barlow’sche 
Krankheit) und das Auftreten dieser Krankheit 
im schulpflichtigen Alter. 3 ) 

Von 

Dr. F. Glaser, 

Oberarzt der inneren Abteilung. 

Das sieben Monate alte Mädchen, das ich mir erlaube. Ihnen hier 
vorzustellen, fällt durch seine wachsähnliche Blässe besonders auf. Die 
Blutarmut bei Säuglingen ist ja ein häufiges Erkrankungssymptom, neigt 
doch das Blut im frühen Kindesalter ebenso häufig zu Erkrankungen 
wie das Knochengewebe (Rachitis) und das Nervensystem (Spasmophilie). 


1) Journ. of Physiology, Bd. 32. 

2) Beitr. z. Carcinomforsch., H. 8. 

3) Nach Krankenvorstellungen auf Demonstrationsabenden im Auguste 
Viktoria-Krankenhause zu Berlin-Schöneberg. 


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3. Februar 1013. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


201 


Dass es sich in unserem Falle nicht etwa um eine sogenannte „Schein¬ 
anämie“, wie sie bei allgemeinen Ernährungsstörungen oder neuropathi- 
scben Kindern vorkoramt, handelt, dafür spricht, dass der Häraoglobin- 
gehalt bis auf 40 pCt. herabgesetzt ist. Auch um eine Säuglingschlorose, 
die von französischen Autoren besonders als „Anemie des nourissons ä 
type chlorotique“ beschrieben wurde und auf zu lange fortgesetzte ein¬ 
seitige Milcbernährung, zum Teil wohl auch auf besondere Momente 
konstitutioneller Art zurückzuführen ist, kann es sich nicht nach dem 
erhobenen Blutbefund handeln, da neben dem stark verminderten Hämo- 
globingehalt eine exzessive Herabsetzung der Zahl der roten Blut¬ 
körperchen konstatiert wurde. 800 000 Erythrocyten wurden in einem 
Kubikmillimeter gefunden. 12 000 Leukocyten wurden ausserdem ge¬ 
zählt. Das gelärbte Blutpräparat ergab 40 pCt. Polynucleäre, 60 pCt. 
Lymphocyten, 1 pCt. Eosinophile. Geringe Poikilocytose und Poly- 
chromatophilie. Zahlreiche Megaloblasten und Normoblasten und Kern¬ 
teilungsfiguren *). Wir haben es also mit einer äusserst schweren Blut¬ 
erkrankung zu tuD, und würde es sich um ein älteres Individuum handeln, 
so müssten wir unbedingt an eine pernieiöse Anämie denken, fordern 
doch die Megaloblasten, die Poikilocytose, der erhöhte Färbeindex zu 
der Annahme einer Birmer’schen Erkrankung gerade heraus. Nur die 
fehlende Leukopenie müsste auch beim Erwachsenen etwas gegen eine 
derartige Annahme sprechen. Nun kommen im Säuglingsalter echte 
pernieiöse Anämien fast nie vor, und deswegen wäre diese Diagnose 
a priori abzulehnen; aber auch diejenige Bluterkrankung des Säuglings¬ 
alters, bei der besonders zahlreich die Megaloblasten auftreten, die An- 
aemia pseudoleucaemia infantum, kommt nicht in Frage, da das Haupt¬ 
symptom dieser Krankheit bei unserem Kinde fehlt, d. h. der Milztumor. 
Eine sogenannte dyspeptische Anämie lässt sich aussebeiden, da unsere 
Patientin keinen schweren Darmkatarrh durchgemacht hat. An Rachitis 
leidet unsere Kleine auch nicht; dies ist besonders hervorzuheben, da 
bei der englischen Krankheit kernhaltige rote Blutkörperchen selbst mit 
Kernteilung'figuren häufig gefunden werden. Auch die hereditäre und 
erworbene Syphilis kann ähnliche Blutbilder wie bei unserem Säugling 
in diesem Kindesalter hervorrufen. 

Die negative Wassermanu’sche Reaktion spricht in unserem Falle 
gegen eine derartige Aetiologie; auch eine Tuberkulose kommt nicht in 
Frage, da die Pirquet’sche Reaktion negativ ausgefallen ist. Schwere 
Blutveränderungen sieht man im Säuglingsalter nur bei langdauerndeu 
Eiterungen entstehen, und bei unserem Kinde hat mau ausserhalb des 
Hospitals an eine derartige Grundkrankheit gedacht. Da der linke Unter¬ 
schenkel stark anschwoll und schmerzhaft wurde, dachte man an eine 
Osteomyelitis; aber der 5 cm lange, bis auf die Tibia geführte Schnitt 
zeigte keinen Eiterherd, sondern eine Blutgeschwulst. Häufig kommt es 
ja vor, dass im Säuglingsalter die Diagnose auf eine lokale entzündliche 
Knochenerkrankung gestellt wird, wenn es sich gerade um eine allge¬ 
meine Erkrankung des Skelettsystems, nicht um Rachitis, sondern um 
Barlow handelt. An dieser Krankheit leidet unsere Patientin; diese 
Krankheit hat die schwere Blutveränderung gesetzt. 

Die genaue Krankenvorgeschichte ergibt, dass das acht Monate alte 
Kind etwa acht Wochen vor der Krankenhausaufnahme an Appetit¬ 
losigkeit und Blasse erkrankte. Die Blutarmut nahm immer mehr und 
mehr zu, vier Wochen vor der Aufnahme in das Hospital bildete sich 
eine Geschwulst am linken Unterschenkel. Zehn Tage vor der Kranken¬ 
bausaufnahme wurde das Kind wegen der Geschwulst operiert. Dieselbe 
stellte sich angeblich als Bluterguss heraus. Was die Ernährung des 
Kindes betrifft, so hatte dasselbe bis zum sechsten Lebensmonate 
*/j Milch und ] /a Theinhardtmischung erhalten, allmählich wurde zu 
2 /a Milch übergegangen, vom siebenten Lebensraonat an erhielt das Kind 
Vollmilch. Die Milchraischungen wurden im Soxhlelapparat drei Minuten 
gekocht. Frühere Krankheiten hat das Kind sonst nicht durchgemacht 
und stammt aus gesunder Familie. 

Die Untersuchung des acht Monate alten Kindes ergab folgendes: 

Temperatur 37—38°, Gewicht 5700 g, auffallende Blässe von ex¬ 
tremstem Grade, Respiration 72, Puls 116. An den zwei unteren 
Schneidezähnen frische Zahnfleischblutungen, an Zungenspitze und linkem 
Augenlid desgleichen kleine blutunterlaufene Stellen. Herz: Töne rein, 
keine Verbreiterung. Lungen: reines vasiculäres Atmen, kein Katarrh, 
keine Schallabschwächung. Leber, Milz nicht vergrössert. Keine Drüsen¬ 
schwellungen. Bewusstsein klar, Pupillen reagieren auf Licht, Patellar- 
reflexe wegen zu starker Schmerzhaftigkeit nicht zu prüfen. Stuhlgang 
von gelber Farbe und normaler Konsistenz. Urin: Spuren Eiweiss, zahl¬ 
reiche rote Blutkörperchen, viele Blutkörperchencylinder und granulierte 
Cyliuder. Das auffallendste Symptom ist das starke Wimmern, sobald 
man nur an das Bett des Kindes herantritt. Beide untere Extremitäten 
liegen wie vollkommen gelähmt auf der Unterlage, und sowohl beide 
Ober- als Unterschenkel sind stark geschwollen. Bei Berührungen der 
unteren Drittel der Oberschenkel tritt eine starke Zuckung im ganzen 
Körper auf (Hampelmannsymptom von Heubner). Auch die oberen 
Extremitäten werden spontan nicht bewegt, da die distalen Enden der 
Vorderarme deutlich geschwollen und schmerzhaft sich erweisen. Gelenk¬ 
schwellungen sind nicht vorhanden. 

Der Umfang des linken Oberschenkels beträgt 25 cm, der des rechten 
23 cm. An der Innenseite des linken Unterschenkels befindet sich in 
der Mitte eine 5 cm lange, 2 cm breite und 1 cm in die Tiefe führende 
Wunde, welche den blossliegendcn Knochen zeigt. Die grosso Fontanelle 

1) Normoblasten finden sich beim gesunden Kinde nur in den ersten 
LebenswocbeD in spärlicher Anzahl. 


ist drei Qucrtinger gross, an den Rippen ist kein Rosenkranz wahrzu- 
nehraen. Die Röntgenuntersuchung ergibt an den Dia-Epiphysengrenzen 
beider Oberschenkel (sowohl distal als auch proximal), an beiden Tibien 
und beiden Fibulae und an den distalen Dia-Epiphysengrenzen der Ulna 
und des Radius die typischen Schatten (Figur 1 und 2), welche in der 
Mitte breiter erscheinen und nach den Seiten zu sich verschmälern. Die 
Blutuntersuchung ergab den schon oben erwähnten Befund. Die Dia¬ 
gnose konnte demnach mit Sicherheit auf Barlow’sche Krankheit gestellt 
werden, und es wurde eine antiscorbutische Diät eingcleitet, welche in 
roher Milch, Apfelsinensaft, Fleischsaft, Spinat und Kartoffelbrei bestand. 
Drei Tage, nachdem das Kiud im Krankenhause war, fing es an, die 
Hände zu bewegen, die Zahrifleischblutungen verschwanden. Nach einer 
Woche war die Schwellung der unteren Extremitäten bedeutend zurück¬ 
gegangen, und der Häraoglobingehalt hatte sich von 40 auf 55 pCt. ver¬ 
mehrt Ara zwölften Tage der antiscorbutischen Therapie fing das Kind 
wieder an, die Beine zu bewegen, Normoblasten und Megaloblasten 
waren jedoch im Blute noch nachweisbar. Zwölf Tage später betrug 
der Hämoglobingehalt 75 pCt., kernhaltige rote Blutkörperchen konnten 
nicht mehr gefunden werden, die unteren und oberen Extremitäten 
wurden jetzt deutlich ohne Schmerzen bewegt. Die starke Blässe ist im 
Rückgang begriffen. 


Figur 1. 



Figur 2. 


In der vierten Beobachtungswoche ergaben die Röntgenbilder, dass 
die Trümmerfeldzonen beider Vorderarme fast vollkommen geschwunden 
waren, die der Oberschenkel, Tibien und Fibulae hatten an Inten¬ 
sität abgenommen. Die Zahl der roten Blutkörperchen betrug zwei 
Millionen, die der Leukocythen 10 000. Sechs Wochen nach der Kranken¬ 
hausaufnahme wurde das Kind gebessert entlassen. Der Hämoglobin¬ 
gehalt betrug 90 pCt., die Erythrocyten betrugen 2 300 000, die Leuko¬ 
cyten 10 000, kernhaltige rote Blutkörperchen konnten nicht mehr ge¬ 
funden werden. Eine Verdickung oder Schwellung oder Schmerzhaftig¬ 
keit der unteren und oberen Extremitäten (Umfang der Oberschenkel 

3 



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202 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 5. 


18 cm) war nicht mehr vorhanden. Das nicht mehr blass aussehende 
Kind bewegte ohne Schmerzen die Glieder. Die Wunde war gut geheilt. 

Dass es sich in der Tat bei unserem Kinde um einen typischen 
Barlow handelte, dafür sprechen 1. die Schleimhautblutungen, 
2. die starken Schmerzen bei Bewegung der Glieder, 3. die starke 
Anschwellung der unteren Extremitäten bei Freibleiben der Ge¬ 
lenke, 4. die Hämaturie, 5. der typische Röntgenbefund, d. h. die 
E. Fränkel’scben Trümmerfeldschatten an der Knorpelknochen¬ 
grenze der Unterschenkel, Oberschenkel und Vorderarmknochen, 
6. die schnelle Abheilung der Krankheitssymptome unter roher 
Milch. 

Ich habe mir erlaubt, Ihnen diesen Fall von Barlow’scher 
Krankheit wegen des eigenartigen Blutbefundes zu zeigen. All¬ 
gemein bekannt ist das Symptom der hochgradigen Blässe. Auch 
mannigfache Blutveränderungen werden von den Autoren be¬ 
schrieben, aber nicht allgemein bekannt ist die Tatsache, dass 
im Verlaufe des Morbus Barlowii histologische Blutbilder auf- 
treten, wie wir sie bei den schwersten Blutkrankheiten beob¬ 
achten. So fand Heubner 1 ), dass man bis jetzt am Blutbild 
irgendwelche erhebliche Abweichungen von der Norm nicht beob¬ 
achten konnte. Auch an einem eigenen Fall, wo diese Unter¬ 
suchung in der Klinik möglich war, konnte er dies bestätigen. 
Ritter 2 3 ) konnte keine Erkrankung des Knochenmarks feststelien, 
da Myelocyten, Makrocyten, Megaloblasten in seinem Falle fehlten. 
Senator fand es im Jahre 1903 auffällig, dass bisher beim 
Barlow keine Blutuntersuchungen gemacht waren; er fand keine 
kernhaltigen roten Blutkörperchen, dagegen nur 14 pCt. Poly- 
nucleäre, und ist geneigt, diese Erscheinung mit einer primären 
apiastischen Umwandlung des Knochenmarks in Verbindung zu 
bringen. Auch Pfaundler 8 ) führt die kernhaltigen roten Blut¬ 
körperchen nicht als Befund des Barlow’schen Blutbildes an, er 
konstatiert als anämische Zeichen in einer Minderzahl der 
Fälle Veränderungen des Blutes, wie Oligochromämie, Oligo 
cytose, Poikilocytose und relative Lymphocytose. Finkei¬ 
stein 4 ) beschreibt den Blutbefund als den einer einfachen 
Anämie, deren Grad von der Dauer der Krankheit und der je¬ 
weiligen Gegenwart und Stärke von Blutverlusten abbängt. Das 
Verhalten der Lenkocyten scheint, abgesehen von einer relativen 
Lymphocytose nach Finkeistein der Norm zu entsprechen. 
Auch v. Starck 5 ) sah nicht das Auftreten von kernhaltigen roten 
Blutkörperchen beim Morbus Barlowii. Die Untersuchung des 
Blutes nach v. Starck ergibt Herabsetzung des Hämoglobin¬ 
gebaltes (bis 40 pCt.) mässige Verringerung der Zahl der Ery- 
throcyten, geringe Poikilocytose und Leukocytose mit starker 
Vermehrung der einkernigen Formen zuungunsten der polymorph¬ 
kernigen; also verhältnismässige unbedeutende Blutveränderungen 
mit Ausschluss abnormer Zell formen. Dagegen führt Freund 6 ) 
de Bruin, Rotch und Lehndorf an, die bei Blutuntersuchungen 
kernhaltige rote Blutkörperchen fanden. Der einzige Autor, der 
in neuester Zeit auf das Auftreten von Knochenmarkselementen 
aufmerksam macht, ist Eugen Fränkel 7 ). Er fand bei den 
lokalen Blutuntersuchungen — wie ein dänischer Autor Meyer 
— neben einer mehr oder weniger ausgesprochenen Poikilocytose 
die Anwesenheit meist nicht sehr zahlreicher kernhaltiger Elemente 
vom normo- und megaloblastischen Typus. Dass die meisten 
Autoren die kernhaltigen Elemente bis jetzt nicht gesehen haben, 
liegt vielleicht an fehlenden Untersuchungen, wahrscheinlich 
werden bei genaueren Prüfungen schwererer Fälle sich häufiger 
Erythro- und Megaloblasten im Blute nachweisen lassen. Auf¬ 
fallend ist es jedoch jedenfalls, dass die Reaktion des Knochen¬ 
marks beim Morbus Barlowii sehr gering ist, besonders wenn 
man die Reaktionsfähigkeit des kindlichen Alters in Rechnung 
zieht. Denn nach den Sektionsresultaten Eugen Fränkel’s 
bleiben grosse Teile des Skeletts ganz normal und sowohl inner¬ 
halb dieser, als auch in jenen von Krankheitsherden freien Re¬ 
gionen sonst kranker Knochen erweist sich das hier vorhandene 
Mark als unverändert. Jedenfalls beweist das Auftreten von 
kernhaltigen roten Blutkörperchen, dass die Erkrankung mit einer 
apiastischen Umwandlung des Knochenmarks, wie Senator es 
ausgesprochen hat, nichts zu tun hat, und ich komme zu dem 


1) Lehrb. d. Kinderkraokh., 1911. 

2) Verhandl. d. Berliner med. Gesellsch., 1903. 

3) Lehrb. d. Kinderkrankh. von Feer. 

4) Lehrb. d. Säuglingskrankh., 1912. 

5) Handb. d. Kinderkrankh. von Pfaundler-Schlossmann, 1910. 

6) Zur Kenntnis der Barlow’schen Krankheit. Deutsches Archiv f. 
klin. Med., Bd. 86. 

7) Die Möller-Barlow’sche Krankheit, 1908. 


Schlüsse, dass io schweren Fällen von Morbus Barlowii 
Knochenmarkselemente, d. h. abnorme Zeitformen, wie Normo- 
blasten, Megaloblasten, Kernteilungsfiguren im Blote aoftreten 
können, und dass demnach auch im histologischen Blutbilde er¬ 
hebliche Abweichungen von der Norm beim infantilen Scorbut 
beobachtet werden können 1 ). 

Den zweiten Fall von Möller-Barlow’scher Krankheit erlaube 
ich mir Ihnen deswegen zu zeigen, weil er erst im siebenten 
Lebensjahre in Erscheinung trat. Im allgemeinen ist ja diese 
Krankheit auf das erste und zweite Lebensjahr beschränkt, am 
häufigsten tritt sie in den letzten vier Monaten des ersten Lebens¬ 
jahres auf. Fälle im schulpflichtigen Alter gehören zu den ex¬ 
tremsten Seltenheiten, ln der gesamten Literatur sind bis jetzt 
nur vier derartige Beobachtungen beschrieben worden. In 
Amerika 2 ) wurde ein Fall von Möller-Barlow’scher Krankheit bei 
einem neunjährigen Jungen gesehen; Eugen Fränkel 8 ) verfügt 
über zwei Beobachtungen, bei denen die Kinder das sechste 
Lebensjahr überschritten batten, und schliesslich demonstrierte 
Knöpfelmacher 4 ) im Wiener Verein für innere Medizin und 
Kinderheilkunde kurz die Knochen eines sechsjährigen Knaben, 
der an Barlow’scher Krankheit zugrunde ging. Mein Patient 
würde demnach den fünften beobachteten Fall von Barlow’scher 
Krankheit im schulpflichtigen Alter darstellen. 

Der sechsjährige Junge erkrankte 6 Wochen vor der Aufnahme 
unter Schmerzen, die zuerst im rechten Unterschenkel auftraten und 
dann auch auf das linke Bein Übergriffen; schliesslich hatte der Knabe 
in allen Gliedern Schmerzen. Ein hinzugezogener Arzt verordnete 
Aspirin und Rheumasan. Das Leiden verschlimmerte sich jedoch, eine 
Zahnfleischentzündung trat hinzu, und da die Schmerzen und der All¬ 
gemeinzustand immer bedrohlicher wurden, empfahl der Arzt Kranken¬ 
hausaufnahme. Aus der Anamnese geht nun hervor, dass dieser sechs¬ 
jährige Junge bis zur Hospitalaufnabrae nur von gekochter Milch und 
Semmel ernährt wurde, jede andere Nahrung, wie Fleisch, Eier, Suppen, 
Gemüse, Obst, Butter wurden refüsiert. Da der Junge nur Milch und 
Semmel haben wollte, begnügte sich die etwas beschränkte Mutter mit 
dieser einseitigen Ernährung. Von früheren Krankheiten seien Brech¬ 
durchfall und Masern erwähnt. Hereditäre Belastung liegt nicht vor. 
Bei der Untersuchung am 13. V. konnte folgendes konstatiert werden: 
1. eine mässige Blässe des Kindes, 2. eine hämorrhagische Schwellung 
und Auflockerung des Zahnfleisches, 3. Hämaturie, 4. Schmerzen bei 
Berührungen der unteren Extremitäten und der Vorderarme, besonders 
in der Dia-Epiphysengegend, keine Gelenkschwellung. Auch das Brust¬ 
bein und die Rippen sind auf Druck empfindlich. 

Die Diagnose wurde auf Barlow gestellt, und schon am 15. V. 
konnte unter roher Milch und Zitronensaft eine bedeutende Besserung 
konstatiert werden. Am 16. V. konnte der Junge auf Aufforderung beide 
Arme hochheben, auch die Beine konnten wieder auf Verlangen bewegt 
werden. Bei Versuch, sich aufzusetzen, tritt noch lebhaftes Schreien 
auf. Die Zahnfleischwucherung ist im Rückgang begriffen. Im Urin 
nur vereinzelt rote Blutkörperchen. Blutpräparat (wie am 13. V.) 
4 Millionen rote, 6200 weisse Blutkörperchen, Bämoglobingehalt 75pCt. 5 ). 
Die Röntgenaufnahmen ergeben die unten näher beschriebenen Schatten¬ 
zonen an der Knorpelknochengrenze, besonders der Vorderarmknochen. 
18. V. Die Bewegungsfähigkeit der Beine bat sich bedeutend gebessert, 
die unteren Extremitäten werden nur unter ganz geringen Schmerzen 
bewegt. Das Betasten der Knochen ist heute viel weniger empfindlich 
als an den vorhergehenden Tagen; Aufsetzen ist noch nicht möglich, 
jedoch kann der Junge sich im Bett nach links und rechts umdrehen. 
20. V. Wassermann negativ. 21. V. Der Knabe sitzt allein im Bett. 
28. V. Zahnfleischaffektion abgeheilt. 29. V. Der Junge spielt den 
ganzen Tag im Bett, bewegt Arme und Beine ohne Schmerzen, kann 
jedoch Doch nicht stehen. 5. VI. Kind steht auf, fängt an, umher¬ 
zulaufen. 10. VI. Vergnügte Stimmung, kann auf Aufforderung im Bett 
schon hopsen. 12. VI. Der Junge fängt an der Hand an zu laufen. 
14. VI. Trümmerfeldzonen an dem Vorderarmknochen und Fibulae ge¬ 
schwunden. 19. VI. Der Junge läuft allein, gute Gewichtszunahme. 
5. VII. Heilung, Mundhöhle vollkommen normal, im Urin wie schon seit 
Ende Mai keine pathologischen Bestandteile mehr nachweisbar. 14. VIII. 
Geheilt entlassen. Blutbild ohne Veränderungen. 

Die Diagnose lautete in unserem Falle auf Möller-Barlow’sche 
Krankheit. Vielleicht wäre noch die Frage aufzuwerfen, ob es 
sich etwa um einen Fall von Skorbut handelte. Die Diskussion 
über diesen Gegenstand erübrigt sich, da sowohl durch die 
Forschungen von Eugen Fränkel als auch besonders durch die 


1) Noböcourt, Hämatologie und Knochen Veränderungen bei Barlow- 
soher Krankheit (cit. nach Med. Klinik, 1912, S. 2006), kommt xu ähn¬ 
lichen Resultaten. 

2) Arch. of pediatr., 1898. 

3) E. Fränkel, Die Möller-Barlow’sche Krankheit. 

4) Wiener klin. Wochenschr., 1911, Nr. 27. 

5) Das gefärbte Blutpräparat ergab 60pCt. Polynucleäre, 40pCt, 
Lymphocyten, vereinzelte Normoblasten. 


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3. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


203 


neuesten schönen Untersuchungen von Hart 1 ) nachgewiesen wurde, 
dass „beim Skorbut und der Möller-Barlow’schen Krankheit die 
gleichen Knochenveränderungen auftreten und so die Identität für 
beide Affektionen erbracht wurde. Hart schlägt vor, an Stelle 
des nichtssagenden Verlegenheitsausdruckes Möller-Barlow’sche 
Krankheit nur vom kindlichen Skorbut zu sprechen. 

Pathologisch-anatomisch beruht der Skorbut der Kinder auf 
einer Knochenmarkserkrankung besonders an der Dia-Epiphysen- 
gegend. An Stelle des zellreichen lymphoiden Marks tritt ein 
gefäss- und zellarmes Gerüstmark auf. Infolge Verschwindens 
der Osteoblasten tritt eine Brüchigkeit der Knochen ein; in 
unserem Falle konnten derartige Infraktionen nicht beobachtet 
werden. Auch die infolge der Brüchigkeit auftretenden sub¬ 
periostalen Hämatome wurden im Röntgenbilde nicht gesehen. 
Dagegen traten bei der Durchleuchtung Schatten an der Grenze 
der Dia-Epiphyse, an der sogenannten Trümraerfeldzone auf, welche 
von E. Fränkel zuerst beschrieben wurden und ira allgemeinen 
als schmale, unregelmässig begrenzte Schatten auftreten sollen, 
die in der Mitte etwas breiter und an den Seitenteilen schmäler 
erscheinen. Dieselben finden ihre Erklärung in der anatomischen 
Tatsache, dass gerade an diesem Abschnitte der Diaphyse nach 
den Untersuchungen von E. Fränkel ein wirres Durcheinander 
von regellos angeordneten Kalkbälkchen, Knochentrabekeln, Kalk- 
und Knochentrümmern sowie von Blut- und Pigmentmassen durch¬ 
setztem Gerüstmark besteht, und dass die hier befindlichen 
Trabekeln meist eng aneinander gedrängt und gepresst erscheinen. 

In unserem Falle konnten nun auch an den distalen Ab¬ 
schnitten der Vorderarmknochen und der Fibulae derartig schmale 
Schatten an der Knorpelknochengrenze nachgewiesen werden 
(Figur 3 bis 6). Wie aus der Abbildung hervorgeht, unter¬ 
scheidet sich der von uns beobachtete Schatten etwas von den 


Figur 3. 



15. Mai 1911. 


Figur 4. 



15. Mai 1911. 


1) Hart, Ueber die experimentelle Erzeugung der Möller-Barlow’schen 
Krankheit und ihre endgültige Identifizierung mit dem klassischen Skorbut. 
Virchow’s Archiv, Bd. 208. 


Figur 5. 



15. August 1911. 


Figur 6. 



15. August 1911. 


typisch bei Säuglingen beobachteten Trümmerfeldzonen. Bei 
Säuglingen wurde der Schatten meist in der Mitte breiter als an 
den Seitenteilen beschrieben. Ein welliger, auch nach der Dia¬ 
physe hin unregelmässiger Verlauf wurde meist beobachtet. In 
unserem Falle sind diese Schatten gradliniger, schärfer begrenzt 
und in der Mitter nicht breiter. 

Schattenbildungen in diesen Gebieten sind nun im Kindes¬ 
alter besonders bei zwei Krankheiten noch beobachtet worden: 
bei der kongenitalen Lues und bei Rachitis. Eine Osteochondritis 
syphilitica kommt nicht in Frage, da erstens die Wassermann’sche 
Reaktion negativ war, zweitens ohne luetische Therapie die 
schwere Knochenaffektion abheilte und drittens die Osteochondritis 
syphilitica in den ersten Lebenswochen auftritt. 

Um eine schwere Form von Rachitis kann es sich sicherlich 
nicht gehandelt haben: dagegen spricht erstens die schnelle Ab¬ 
heilung der akuten Erkrankung unter antiskorbutischer Diät; bei 
Rachitis zieht sich der Prozess über Monate und Jahre hin. 
Zweitens fehlten bei unserem Patienten, abgesehen von einem 
geringen Rosenkranz, schwere Zeichen von englischer Krankheit, 
und drittens sehen die Röntgenbefunde bei florider Rachitis anders 
aus als in unserem Falle. 

Bei schwerer englischer Krankheit beobachtete E. Fraenkel 
eine Auffransung der proximalen oder distalen Schaftenden; 
ausserdem konstatierte er ein absolutes Fehlen jeder röntgeno¬ 
logisch erkennbaren Kalkmenge in dem nur Andeutung an die 
Struktur darbietenden, an die Epiphyse grenzenden Schaftteile. 
Derartige Befunde Hessen unsere Röntgenbilder nicht erkennen. 
Aber auch um eine heilende Rachitis im Beginn kann es sich 
nicht handeln. Abgesehen davon, dass der Junge auf der Höhe 
der Krankheit in das Hospital kam, haben die durch die Wieder¬ 
ablagerung von Kalksalzsn auftretenden Schatten bei Rachitis 
einen unregelmässigen, vielfach gewellten, zickzackförmigen Verlauf 

3* 


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204 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 5. 


im Gegensatz zu den Schalten, die wir beobachtet haben, die 
sich gerade durch ihren regelmässigen und scharf begrenzten 
Rand auszeiebneten. Ausserdem wird bei der Heilung der Rachitis 
das Kalkband immer breiter und dichter, im Gegensatz zum 
Möller-Barlow, bei dem der Schatten, wie in unserem Falle, wenn 
Heilungsprozesse auftreten, verschwindet. Die an den distalen 
Enden der Vorderarniknochen und der Fibulae von uns beob¬ 
achteten Schattenbildungen bildeten sich, wie die Abbildungen 
beweisen, unter der antiskorbutischen Therapie im Verlauf von 
3—4 Wochen zurück, und schon diese Tatsache spricht dafür, 
dass es sich um Knochenveräuderungen handeln musste, die auf 
infantilem Skorbut beruhten. Nur die Veränderungen an den 
distalen Knorpelknochengrenzen der Oberschenkel machten eine 
Ausnahme, und ich stehe nicht an, die hier beobachteten Ver¬ 
änderungen für leicht rachitische zu erklären. Der gewellte Ver¬ 
lauf des Schattenbandes, die etagenweise Schichtung der Kalk¬ 
streifen, wobei der distale breiter erscheint als die proximale 
Schattenbildung, spricht für eine rachitische Actiologie. Auch 
das Fortbestehen dieser Schatten nach Ablauf der klinischen 
Krankheitssymptome kann dafür verwertet werden, dass diese 
Knochenveränderungen keine skorbutische waren. Aus dem 
Röntgenbefund geht demnach hervor, dass in unserem Falle der 
infantile Skorbut bei einem leicht rachitischen Individuum auf¬ 
trat. Auch andere Beobachter fanden, dass diese Erkrankung 
häufig mit Rachitis kombiniert aufiritt. Die amerikanische 
Sammelforschuug ergab, dass in 45 pCt. der Fälle beide Krank¬ 
heiten zusammen vorkamen, und E. Fraenkel konnte in 17 
anatomisch untersuchten F'ällen von Möller-Barlow’scber Krankheit 
8 mal rachitische Zeichen finden. Auch die Betrachtung der 
Knochenkerne der Handwurzelknocheu spricht dafür, dass rachi¬ 
tische Symptome bei dem Jungen zu konstatieren siud. Von den 
im siebenten Lebensjahre normalerweise vorhandenen 6 — 6 Ver¬ 
knöcherungskernen der Handwurzelknochen waren bei dem 
Kranken nur 2 angelegt. Ein normales einjähriges Kind hat 
schon ebensoviel Knochenkerne an den Handwurzelknochen wie 
unser Kranker. 

Ich komme daher zu dem Schlüsse, dass bei unserem im 
siebenten Lebensjahre stehenden Knaben ein echter Fall von in¬ 
fantilem Skorbut vorlag. Die Schwellung des Zahnfleisches, die 
starke Knochenempfindlicbkeit bei Freibleiben der Gelenke, der 
Blutnachweis im Urin, die einseitige Milch-Semmelnahrung 
während der vorhergehenden Jahre und die schnelle Abheilung 
unter roher Milch sprechen mit absoluter Sicherheit für die 
Diagnose von infantilem Skorbut. Auch die Röntgenaufnahmen, d. h. 
die Schattenbildungen in der sogenanuten Trümmerfeldzone, an 
den Vorderarmknochen und den Fibulae sprechen besonders des¬ 
wegen für diesen Charakter der Erkrankung, weil die Schatten¬ 
bildungen in 6 Wochen unter antiskorbutischer Ernährung ver¬ 
schwanden. Daneben konnten leichte rachitische Veränderungen 
aufgedeckt werden. 


Aus der Universitäts-Augenklinik zu Leipzig (Direktor: 
Geheiinrat Prof. Dr. H. Sattler). 

Zur Kenntnis der degenerativen Hornhaut¬ 
erkrankungen. 

Von 

Stabsarzt Dr. R. Seefelder-Leipzig, Privatdozent. 

Die vorliegende Mitteilung verfolgt den Zweck, einem grösseren 
und vor allem nichtophtbalmologischen Leserkreise über zwei 
degenerative Hombauterkrankungen zu berichten, die auch 
uns Ophthalmologen erst verhältnismässig kurze Zeit genauer 
bekannt sind und es meines Erachtens verdienen, auch weiteren 
ärztlichen Kreisen bekannt zu werden, da es sich bei ihnen durch¬ 
aus nicht immer um leichte und gleichgültige, sondern vielfach 
um ernste Veränderungen handelt, die sowohl die Funktion als 
den Bestand des betreffenden Auges schwer gefährden können. 

Ich beginne mit dem zurzeit besser bekannten und, wie es 
scheint, häufigeren Krankheitsbilde, der 

Randdegeneration der Hornhaut. 

(Randsklerose und Randatrophio [Fuchs], chronische peri¬ 
phere Rinnenbildung und Atrophie der Hornhaut, Dystrophie 
marginale de la cornee [Terrien]). 


Das Verdienst, die Randdegeneration der Hornhaut zuerst 
richtig gedeutet zu haben, gebührt Terrien (2) und Fuchs (3). 
Es liegt zwar eine ältere Mitteilung von Frank (1) vor, in der 
die Veränderungen der Randdegeneration beschrieben worden 
sind, doch ist das Wesen der Erkrankung von Frank nicht richtig 
erkannt worden. 

Während Terrien (2) nur über einen einzigen Fall zu be¬ 
richten wusste, liegen der Fuchs’schen Mitteilung (3) mehrere 
Fälle zugrunde, von denen der eine sogar anatomisch untersucht 
werden konnte und die Diagnose einer degenerativen Hornhaut- 
erkrankung erhärtete. Es blieb dann mehrere Jahre still, bis 
im Jahre 1905 die Arbeit Lauber’s (4) und 1906 die Aibeit 
von Seefelder (6) erschien, auf die dann vom Jahre 1907 ab 
in rascher Aufeinanderfolge eine Flut von Mitteilungen folgte, 
durch die unsere Kenntnisse von dem ganzen Krankheitsbilde 
derartig gefördert und erweitert wurden, dass ich mich in die 
Lage versetzt fühle, im folgenden eine fast in allen Stücken er¬ 
schöpfende Schilderung seines klinischen und anatomischen Ver¬ 
hallens bieten zu können. 

Ohne äussere Veranlassung und besonders ohne nennenswerte 
Entzündungserscheinungen entwickelt sich in der Hornhautperi¬ 
pherie, und zwar zumeist zuerst am oberen Hornhautrande eine 
konzentrisch zum Limbus verlaufende rinnenförmige Vertiefung 
der Hornhaut. Die Oberfläche der Rinne sowie der ganzen 
übrigen Hornhaut ist stets glatt und spiegelnd. Der centrale 
Rand der Rinne ist gewöhnlich scharf von dem Übrigen Hornhaut- 
gewebe abgesetzt und steigt steil stufenförmig au, wogegen der 
periphere ganz allmählich in die äusserste Hornhaulperipberie 
übergeht. Die Hornhaut ist im Bereich der Rinne stets reichlich 
vascularisiert, und zwar handelt es sich in der Hauptsache um 
oberflächliche Gefässe, die von der Bindehaut und Episklera in 
die Rinne hineinziehen und sich dort vielfach verästeln. Am 
centralen Rande der Rinne, manchmal auch an dem peri¬ 
pheren, ist gewöhnlich eine mehr oder weniger dichte bogen¬ 
förmige, gerontoxonähnliche Trübung der Hornhaut nach¬ 
zuweisen. Nicht selten, zumal bei alten Leuten, liegt die Rinne 
inmitten eines Greisenbogens. Im Gegensatz dazu ist das den 
Boden der Rinne bildende Hornbantgewebe verhältnismässig 
klar und durchsichtig und dies um so mehr, je tiefer die 
Rinne bzw. je dünner das dort befindliche Hornbautgewebe ist. 

Die Ausdehnung der Rinne ist verschieden gross 
gefunden worden. Neben sehr seichten und sehr wenig aus¬ 
gedehnten Rinnen, die man nur bei aufmerksamer Untersuchung 
findet, sind grosse und tiefe Substanzverluste beobachtet worden, 
die die ganze llornliautperipberie einnebmen und eine solche 
Breite besitzen, dass nur ein kleiner unverdünnter centraler Horn¬ 
hautbezirk erbalten geblieben war, der gewöhnlich [z. B. in 
Fällen von Seefelder (8), Markus (25) und Passera (14)] 
selbst krankhafte Veränderungen (Trübungen) aufwies. 

In solchen schweren F'ällen gelingt es übrigens nicht immer, 
eine rinnenförmige Vertiefung nachzuweisen, vielmehr war z. B. 
in einem Falle Seefelder’s (8) die Rinne vollkommen ver¬ 
strichen und das unverdünnte Hornhautcentrum derart bervor- 
getrieben, dass die ganze Hornhaut ein keratokonusähnliches Aus¬ 
sehen zeigte. 

ln einer Reihe von Fällen ist aber an der Stelle der ver¬ 
dünnten Hornhautzone weder eine riunenförmige Vertiefung noch 
das zuletzt beschriebene Verhalten, sondern eine scharf um¬ 
schriebene Ektasie der Hornhaut nachzuweisen. Es ist dies 
in stark vorgeschrittenen Fällen eine sehr auffällige Verände¬ 
rung, die einen höchst eigenaitigen Anblick gewährt. Wir finden 
hier die Hornhaut in einer gewissen Ausdehnung, die anscheinend 
nie ein Viertel der Hornhautperipherie überschreitet, von einer 
glänzenden blasigen Vorwölhung eingenommen, in deren Bereich 
die Hornhaut eine ganz auffällige Transparenz aufweist, während 
sie am centralen Rande der Ektasie wie bei der Rinnenbildung 
intensiv getrübt zu sein pflegt. Im übrigen verhält sich das 
Hornhautgewebe im Bereiche der Ektasie genau so wie im 
Bereiche der Rinne, insbesondere ist es hier wie dort stark 
vascularisiert. Die starke Verdünnung der Hornhaut im Bereiche 
der Ektasie gibt sich sehr deutlich dadurch kund, dass sich die 
ektatische Zone schon bei Ausübung eines schwachen Druckes 
auf ihre Oberfläche, z. B. mit einem Glasstäbchen, leicht ein- 
drücken lässt. 

In manchen Fällen war auf einem Auge eine rinnen¬ 
förmige Vertiefung, auf dem anderen dagegen eine 
Ektasie der Hornhaut nachzuweisen. 


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Solche Beobachtungen lehren ohne weiteres, dass die Ektasie 
ans einer rinnenförmigen Vertiefung hervorgegangen ist. 

Die Entstehung der Ektasie haben wir uns dabei so vorzu¬ 
stellen, dass die Ausdehnung des Hornhautdefektes an einer um 
scbriebenen Stelle sowohl der Fläche als der Tiefe nach so weit 
fortschreitet, dass die stark verdünnte Horuhautzone dem intra- 
ocularen Drucke nicht mehr standzuhalten vermag und sich nach 
Art einer Descemetocele blasenförmig vorwölbt. 

Eine in verhältnismässig vielen Fällen beobachtete Begleit¬ 
erscheinung der Randdegeneration [Fälle von Axenfeld (11), 
Fleischer (13), Passera (14), Seefelder (5 und 8) usw] 
besteht darin, dass die Bindehaut nach Art eines Ptery- 
giums über die Rinne hinüberwächst und einen Teil von ihr und 
der angrenzenden Hornhaut überkleidet (siehe Figur). Diese 



Pterygien unterscheiden sich klinisch von den sogenanten echten 
Pterygien dadurch, dass ihr Kopf, wenigstens in stark vor¬ 
geschrittenen Fällen, sehr breit ist, und dass ihre seitlichen 
Ränder nicht umgeschlagen sind. Im übrigen haben sie mit jenen 
manches gemeinsam, so z. B. das Vorhandensein von Hornhaut¬ 
trübungen vor dem Kopfe des Pterygiums, die langsame Entstehung, 
die enge Verwachsung mit der Hornhaut in ihrer ganzen Aus¬ 
dehnung und die Bevorzugung des lateralen Lidspaltenbereichs 
und eines etwas darunter befindlichen Bezirkes. Es überwiegen 
also die gemeinsamen Merkmale über die unterschiedlichen, eine 
Tatsache, die mir auch einen Hinweis auf die Genese der echten 
Pterygien zu enthalten scheint. 

Dagegen unterscheiden sich die beiden Pterygien von den 
sogenannten Narbenpterygieu prinzipiell dadurch, dass es unmög¬ 
lich ist, unter ihrem Halse eine Sonde hindurchzuschieben, weil 
sie überall mit ihrer Unterlage fest verwachsen sind. 

Der Verlauf des Leidens ’ ist im allgemeinen ein sehr 
chronischer. So habe ich Rinnen jahrelang verfolgt, ohne eine 
merkliche Aenderung feststellen zu können. Andererseits haben 
aber sowohl Fleischer (13) als auch ich Fälle beobachtet, bei 
denen innerhalb weniger Jahre infolge einer Zunahme des Horn¬ 
hautastigmatismus eine wesentliche Verschlechterung des Sehens 
eingetreten war. 

Was die Häufigkeit des Leidens anbetrifft, so kommt so 
ziemlich io allen Publikationen die Meinung zum Ausdruck, dass 
es sich um eine sehr seiiene Hornhautveränderung bandelt. 
Diese Meinung ist, was die schwereren Grade des Leidens anbe¬ 
trifft, sicherlich zutreffend. Hingegen möchte ich die leichteren 
Fälle von Rinnenbildung nicht mehr zu den seltenen 
Hornhautveränderungen zählen. Wenn man nämlich alte Leute 
mit Greisenbogen systematisch daraufhin untersucht, so ist man 
überrascht, wie verhältnismässig häufig innerhalb der Greisen 
bogen kleine Substanzverluste gefunden werden. 

Der Zeitpunkt der Entstehung der Rauddegeneration 
fällt aber nicht ausschliesslich in das Senium, sondern unter 
Umständen bereits in das jüngere oder mittlere Lebensalter. 

So standen die jüngsten von Fleischer (13) und Frank (1) 
beobachteten Fälle im Alter von 24, 28 und 29 Jahren. Im all¬ 
gemeinen überwiegen aber begreiflicherweise die Fälle im höheren 
Lebensalter. 

Bezüglich der Verteilung auf die Geschlechter hat Gil¬ 
bert (12) ein beträchtliches Ueberwiegen des männlichen Ge- 


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schlechts (22:8) über das weibliche festgestellt, doch bemerkt 
dieser Autor selbst mit Recht, dass die Zahl der publizierten 
Fälle noch zu klein ist, um irgendwelche wichtige Schlussfolge¬ 
rungen zu gestatten. Dies gilt meines Erachtens auch heute noch, 
obwohl mittlerweile ungefähr die doppelte Anzahl von Fällen 
bekannt geworden ist. 

Wie leicht hier der Zufall eine Rolle spielen kann, sieht 
man z. B. an den sechs in der Statistik Gilbert’s nicht eiube- 
griffenen Fällen Fleischer’s, von denen die Hälfte weiblichen 
Geschlechts ist. 

Wie schon in der Einleitung hervorgehoben wurde, stellt die 
Randdegeneration durchaus keine gleichgültige Veränderung 
dar, sondern kann eine Reihe von Unannehmlichkeiten 
und Gefahren zur Folge haben. 

Eines der ersten Symptome, das den Patienten zum Arzt 
führt, ist das Auftreten eines Hornhautastigraatismus 
und einer entsprechenden Herabsetzung des Sehver¬ 
mögens. Der Astigmatismus ist fast durchgehends ein perverser, 
weil das Leiden fast immer in der oberen oder unteren (hier viel 
seltener) Hornhautperipherie beginnt und somit zu eiuer Ab¬ 
flachung des vertikalen Hornhautmeridians führt. 

Bei dieser Gelegenheit möchte ich auf eine zuerst von Pfalz 1 ) 
und später auch von mir 2 ) beschriebene häufige A Itersveränderung 
der Hornhaut aufmerksam machen, die dann besteht, dass sich der 
vertikale Hornhautmeridian ohne sonstige sichtbare Ilornhautveranderungen 
abflacht, woraus naturgemäss eine je nach der Stärke der Abflachung 
verschiedene Aenderung des Brechungszustandes des betreffenden Auges 
resultiert. Die Abflachung der Hornhaut kann so beträchtlich sein, dass 
ein schwacher regulärer Hornhautastigmatismus in einen perversen über¬ 
gehen kann. Da ferner der dadurch entstehende perverse Totalastigma¬ 
tismus infolge eines gleichzeitigen perversen Linsenasiigmatismus ge¬ 
wöhnlich noch grösser ist als der Uornhautastigmatismus allein, so leuchtet 
ein, dass die genannte Abflachung der Hornhaut mit einer recht be¬ 
trächtlichen Verminderung der Sehleistung einhergehen kann. Die bereits 
Brillen tragenden Patienten kommen dann mit der Klage, dass ihr Glas, 
das ihnen jahrelang gute Dienste getan habe, nicht mehr passe, und 
zwar habe ich diese Klagen besonders häufig von Personen am Ende 
der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre gehört, die infolge ihres 
Berufes (z. B. Offiziere) oder ihrer Passionen (z. B. Jäger) aut ein be¬ 
sonders gutes Sehvermögen angewiesen waren. In solcheu Fällen genügt 
nun häufig die Korrektion des erworbenen perversen Astigmatismus, um 
die Sehschärfe wieder auf die frühere Höhe zu bringen. Man kann da 
vielfach schon mit schwachen Cylindergläsern ausgezeichnete Erfolge er¬ 
zielen. So gehören Besserungen der Sehschärle von e / 12 auf 6 /* nach 
meinen Beobachtungen nicht zu den Seltenheiten. Ganz besonders an¬ 
genehm wird die Korrektion eines solchen erworbenen perversen Astigma¬ 
tismus auch beim Arbeiten in der Nähe empfunden, worauf schon 
Siegrist 8 ) aufmerksam gemacht hat. 

Zu beachten ist ferner, dass in Fällen von erworbenem perversen 
Totalastigmatismus manchmal kein perverser, sondern sogar noch ein 
ganz schwacher regulärer Hornhautastigmatismus uachweUbar ist. In 
solchen Fällen besteht eben ein stärkerer perverser Linsenastigmatismus, 
der vorher durch einen stärkeren regulären Hornhautastigmatismus kom¬ 
pensiert war, durch die Abflachung des vertikalen Hornhautmeridians 
aber manifest geworden ist. Dementsprechend ist auch, wie schon ge¬ 
sagt, beim Vorhandensein eines perversen Hornhautastigmatismus der 
Totalastigmatismus sehr häufig, wenn auch nicht immer, höher als der 
Hornhautastigmatismus allein. 

Ich habe mir aus diesen Erfahrungen die Lehre gezogen, dass ich 
bei allen Patienten der vierziger Jahre und darüber, die keinen regulären 
Totalastigmatismus aufweisen, nach der Korrektion einer vorhandenen 
Ametropie noch ein schwaches Cylinderglas in der der Regel entgegen¬ 
gesetzten Richtung Vorhalte und mich davon überzeuge, ob damit besser 
gesehen wird oder nicht. 

Nun hat Hand mann die Ansicht ausgesprochen, dass die 
beschriebene Abflachung des vertikalen Hornhautmeridians im 
Alter vielleicht nur als eine Vorstufe der Randdegeneration 
zu betrachten sei. Ich glaube ihm darin beipflichten zu dürfen 
und erblicke eine Stütze für diese Anschauung vor allem in der 
neuerdings von Attias 4 ) festgestellten Tatsache, dass die Horn¬ 
haut bei der anatomischen Untersuchung bereits die Anzeichen 
der sowohl für die Randdegeneration als den Greisenbogen cha¬ 
rakteristischen Fettdegeneration aufweisen kann, während sie kli¬ 
nisch noch vollkommen klar und durchsichtig erscheint. 

Der Astigmatismus erreicht allerdings bei der 
Randdegeneration der Hornhaut wesentlich höhere Grade 
als bei der einfachen Altersabflachung. 


1) Zeitscbr. f. Augenheilk., 1900, Bd. 3. 

2) Klio. Monatsbl. f. Augenheilk., 1907, Bd. 45. 

3) Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., 1906, Beilageh., Jahrg. 44. 

4 ) v. Graefe’s Archiv f. Ophthalmol., 1912, Bd. 81. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


Seine Höhe geht gewöhnlich mit der Schwere der sichtbaren 
klinischen Veränderungen Hand in Hand, und sie ist am beträcht¬ 
lichsten in den Fällen von Ektasie der Hornhaut Hier findet 
man Astigmatismen, die mit dem Ophthalmometer von Javal 
unter Umständen gar nicht mehr messbar sind und z. B. in ein¬ 
zelnen Fällen von Lauber (4), Vogel (22) und mir schätzungs¬ 
weise gegen 20 D. betrugen. Dass so exzessive Anomalien der 
Hornhautkrümmung durch Gläser nicht mehr völlig ausgeglichen 
werden können, liegt auf der Hand. Die Gebranchsfähigkeit der¬ 
artiger Augen ist also unter allen Umständen schwer beein¬ 
trächtigt. 

Die enorme Verdünnung des Hornhautgewebes im 
Bereiche der degenerierten Zone birgt aber auch für die be¬ 
treffenden Augen eine grosse Gefahr in sich, da die sonst so 
widerstandsfähige Hornhaut an der exzessiv verdünnten Stelle 
schon bei geringen Insulten einreisst, wodurch das Auge allen 
Gefahren einer perforierenden Verletzung ausgesetzt wird. 

Und in der Tat ist ein derartiges Vorkommnis verhältnis¬ 
mässig häufig beobachtet worden, wie die folgenden Beispiele be¬ 
weisen : 

Fall 2 der zweiten Publikation Seefeld er’ s (S) erlitt durch eioen 
Stoss mit einer Türklinke eine perforierende Verletzung des linken 
Auges, die eine allmähliche Schrumpfung dieses Auges zur Folge hatte. 

Der gleiche Patient erlitt 22 Jahre später eine perforierende Horn¬ 
hautverletzung des anderen Auges dadurch, dass ihm beim Holzhacken 
ein 10 cm langes Stück Holz gegen das Auge flog. Die Wunde befand 
sioh innerhalb der verdünnten Hornhautzone. In diesem Falle trat 
glatte Heilung ein. S = 6 /ioo 

Im Falle 4 der gleichen Publikation genügte nach der Angabe des 
Pat. ein leichter Stoss mit der Hand des Kindes, um die verdünnte 
Hornhaut zum Bersten zu bringen, ln der Wunde lagen die Iris und 
getrübte Linsenmassen. Trotz Abtragung des Irisprolapses und Deckung 
der Hornhautwunde vermittels Kuhnt’scher Plastik kam das Auge nicht 
zur Ruhe und musste schliesslich wegen sympathischer Entzündungs¬ 
erscheinungen auf dem anderen Auge enucleiert werden. 

In dem Falle der dritten Publikation Seefel der’s (10) war auf 
einem Auge im Verlauf einer die ganze Hornhautperipherie einnehmen¬ 
den tiefen Rinne oben ein grosser vernarbter Irisprolaps eingeschaltet, 
über dessen Entstehung der Mann keine bestimmten Angaben zu machen 
wusste. Er erinnerte sich nur, dass ihm vor drei oder vier Jahren Sand 
in die Augen gefallen war. 

In dem Falle Vogel’s (22) wurde eine Perforation der verdünnten 
Hornbautzone dadurch herbeigeführt, dass der betreffende Pat. beim 
Bücken mit dem rechten Auge gegen den Stiel eines Holzlöffels ge- 
stossen war. 

In der Wunde lagen Blutgerinnsel, Iris und Glaskörper. Da bei 
der Schwere der Verletzung keine Aussicht auf Erhaltung des Bulbus 
vorhanden war, wurde sofort die Enucleation ausgeführt. 

Bei der Patientin Komoto’s (18) hatte ein Stoss mit einem Buche 
gegen das Auge eine lange Wunde am oberen Hornhautrande zur Folge. 
Eine Verdünnung war uuf diesem Auge zwar nicht nachweisbar, aber 
auf dem anderen deutlich ausgeprägt. Man wird deshalb wohl auch hier 
nicht fehlgehen, wenn man die Herabsetzung der Widerstandsfähigkeit 
der Hornhaut des verletzten Auges auf den gleichen Prozess zurückführt. 
In diesem Falle erfolgte eine Heilung ohne schädliche Folgen. 

Die Arbeit von Schultz (27) war mir leider nicht zugänglich, doch 
lässt schon ihr Titel darauf schlossen,* dass hier ebenfalls eine Per¬ 
foration im Bereiche einer Hornhautektasie stattgefunden hat. 

Eine bemerkenswerte Ausnahme macht lediglich ein Fall von 
Passera (24). Hier führte eine Kuhhornstossverletzung zu einer typi¬ 
schen Scleralruptur, trotzdem auf dem betreffenden Auge eine ziemlich 
weit vorgeschrittene Rinnenbildung vorhanden war. 

Ueber eine sehr unerwünschte, wenn auch nicht gerade 
folgenschwere Komplikation bei einer Staroperation berichtet 
Axenfeld (11). 

Die Operation war bei einer 65jährigen Dame ausgeführt worden, 
deren Hornhautperipherie beiderseits eine fast circuläre Rinne aufwies. 
Nach der glatt verlaufenen Operation bildete sich ein Zustand heraus, 
der zu den ernstesten Befürchtungen Anlass gab. „Die Hornhaut wurde 
matt, grau, undurchsichtig; entlang dem Rande, besonders unten, nahm 
die Trübung in erheblicher Breite einen Stich ins Gelbliche an, und hier 
bildete sich eine Anzahl schnell zu einem Ring konfluierender Infiltrate, 
der in den nächsten Tagen oberflächlich exulcerierte.“ Vom sechsten 
Tage ab gingen zwar die Veränderungen zurück, ohne ernstere Folgen 
zu hinterlassen, doch lag die Gefahr, dass der ganze Hornhautlappen 
nekrotisierte, nahe genug. Axenfeld ist der Ansicht, dass diese Gefahr 
lediglich durch die ungünstigen Ernährungsverhältnisse des Hornhaut¬ 
lappens heraufbeschworen war, „weil nach Abtrennung der einen Hälfte 
durch den Starschnitt die anhaftende Hälfte infolge der peripheren 
Rinnenbildung nicht genügte, um die Ernährung ungestört weiter¬ 
zuführen “. 

Wir haben aus diesem Falle die Konsequenz gezogen, bei 
der Extraktion eines Falles von hochgradiger Ektasie der 


oberen Hornhautperipberie [Fall meiner ersten Publikation (5)] 
den Lappenscbnitt nach unten anzulegen und dadurch die von 
Axenfeld’* Patientin glücklich überstandenen Gefahren ver¬ 
mieden. 

Schliesslich wäre noch der Vollständigkeit halber ein eben¬ 
falls staroperierter Fall von Hand mann (13a) zu erwähnen, bei 
dem mir allerdings der Zusammenhang zwischen Randdegene- 
ration und Komplikation nicht so klar auf der Hand zu liegeo 
scheint. 

In diesem Falle drängten sich unmittelbar nach der Vollendung des 
Lappenschnittes Iris und Glaskörper in die Wunde, so dass die Ex¬ 
traktion schwierig und kompliziert gestaltet wurde, wenn auch keine 
schädlichen Folgen für den Endausgang eintraten. Hand mann glaubt, 
dass ausser der Randdegeneration auch noch anderweitige Degenerations¬ 
vorgänge im Auge vorhanden waren und zu dem komplizierten Verlaufe 
Veranlassung gegeben haben. 

Die geschilderten unangenehmen und gefährlichen Folge¬ 
erscheinungen der Randdegenerationen lassen es begreiflich er¬ 
scheinen, dass einige Autoren auch zu therapeutischen 
Maassnahmen und Vorschlägen angeregt worden sind, die 
bei der Art des Leidens nur operative sein können, weil eine 
friedliche Therapie, z. B. Salbenmassage u. dgl., von vornherein aus¬ 
sichtslos erscheinen muss. Leider liegen in dieser Beziehung bis¬ 
her nur sehr spärliche Erfahrungen vor, doch genügen bereits 
die bisherigen Versuche, um zu beweisen, dass wir dem Leiden 
nicht ganz wehrlos gegenüberstehen. Unser therapeutisches 
Streben wird dabei in erster Linie darauf gerichtet sein, dadurch, 
dass wir an der Stelle des verdünnten Bezirkes eine feste Narbe 
erzeugen, die hochgradige Krümmungsanomalie der Hornhaut zu 
beseitigen. 

Dies gelang Terrier (2) durch wiederholte Kauterisationen des 
ektatischen Bezirkes iu so ausgezeichneter Weise, dass der auf einem 
Auge vorhandene perverse Astigmatismus von 11 D. in einen regulären 
von 1 D. übergeführt wurde, und dass die Sehschärfe von Vao auf Vs 
stieg. 

Das gleiche Verfahren wurde auch von Adamantiades (19) mit 
einigem Erfolg angewendet. Der Astigmatismus ging von 15 D. auf 
9 D. zurück, die korrigierte Sehschärfe stieg von Vs auf Vs- 

In unserem bereits oben erwähnten Falle (10), in dem der obere 
Abschnitt einer circular verlaufenden Rinne durch einen alten Iris¬ 
prolaps eingenommen war, haben wir dadurch einen sehr guten Erfolg 
erzielt, dass der Irisprolaps abgetragen und auf die defekte Stelle Binde¬ 
haut (nach Kuhnt) überpflanzt wurde. Die Sehleistung dieses Auges 
stieg vom Fingerzählen in P/s m auf ®/eo und liess sieb durch kombi¬ 
nierte Gläser noch auf 6 /is korrigieren. Der vorher nicht messbare per¬ 
verse Astigmatismus betrug nach den Operationen noch 12 D. 

Ein ähnlicher Effekt dürfte von einer Exzision im Bereiohe der 
ektatischen Hornhautzone zu erwarten sein [Lauber (4)], doch wäre 
ein solcher Eingriff nach unserer Ansicht unbedingt mit einer Kuhnt- 
schen Bindehautplastik zu kombinieren, um die operierte Hornhautpartie 
unter günstigere Ernährungsbedingungen zu versetzen und einen rascheren 
Wundschluss zu erzielen. 

Auf diese Unterlassung möchten wir es auch zurückführen, dass die 
Heilung in dem von Fisher (17) nach dieser Methode operierten Falle 
sehr langwierig verlaufen ist. Immerhin war auch hier ein gutes End¬ 
resultat zu verzeichnen, da die Sehschärfe von < Veo vor ä 0r Operation 
auf */i« nach der Operation gestiegen ist, und mit —4,0 Cyl. feinster 
Druck (Jäger I) gelesen wurde, während vorher nur grössere Druck¬ 
schrift (Jäger XII) entziffert werden konnte. 

Trotz dieser unbestreitbaren Erfolge dürfte eine Operation 
doch erst in den Fällen anzuraten sein, in denen eine dringende 
Veranlassung zur Herstellung günstigerer optischer Bedingungen 
(z. B. bei hochgradiger doppelseitiger Randdegeneration) vor¬ 
handen ist. 

Die richtige Diagnose der Randdegeneration dürfte nach 
den vorstehenden Ausführungen keine nennenswerten Schwierig¬ 
keiten bereiten. Differentialdiagnostisch kommen höchstens Rand¬ 
geschwüre der Hornhaut in Betracht, mit denen die Randdegene¬ 
ration früher (z. B. von Franke 1896) auch tatsächlich zu- 
sammengeworfen worden ist. Es ist auch zuzugegeben, dass 
Randgeschwüre auch zu tiefgreifenden und ausgedehnten Substanz- 
verlusten der Hornhautperipherie führen können, doch kann eine 
Verwechslung mit ihnen schon aus dem Grunde nicht leicht 
Vorkommen, weil sie doch stets mit mehr oder weniger heftigen 
Entzündungserscheinungen einhergehen, während bei der degene- 
rativen Rinnenbildung höchstens leichtere Reizerscheinungen und 
zumeist nicht einmal diese beobachtet worden sind. Wir haben 
auch nie aus Randgeschwüren, selbst wenn sie noch so tief 
waren und noch so lange bestanden hatten, einen solchen bleibenden 
Substanzverlust hervorgehen sehen, der nicht von den degene- 
rativen Defektbildungen zu unterscheiden gewesen wäre. Die 


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3. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


207 


Dich geschwürigen Prozessen zurückgebliebenen Substanzverluste 
waren durchweg sehr seicht, nicht so typisch durch einen grauen 
Raum von der übrigen Hornhaut abgegrenzt, und vor allem war 
die Hornhaut stets in ihrem Bereiche diffus getrübt, während die 
starke Transparenz eines der wesentlichsten und augenfälligsten 
Symptome im Bereiche der degenerativen Substanz verloste bildet. 

Immerhin kommen in der Peripherie der Hornhaut ober¬ 
flächliche Geschwürsbildungen vor, die einen sehr torpiden und 
chronischen Verlauf zeigen und eine gewisse Aehnlichkeit mit 
rein degenerativen Prozessen besitzen können. In derartigen 
Fällen vermag ein einfaches diagnostisches Hilfsmittel, dessen 
Einführung wir E. v. Hippel 1 ) verdanken, rasch aus jeder Ver¬ 
legenheit zu helfen. Bringen wir einen Tropfen einer kon¬ 
zentrierten Fluorescinlösung in den Bindehautsack, so färbt sich 
die Hornhaut im Bereiche von epithelialen oder geschwürigen 
Sabstanzverlusten grün. Im letzteren Falle nehmen gewöhnlich 
auch noch die angrenzenden infiltrierten Hornhautteile eine schön 
grüne Färbung an. Im Gegensatz dazu erfolgt in den Fällen von 
rein degenerativer Defektbildung keine GrüDfärbung der Horn¬ 
haut, weil über ihnen das Epithel stets vollkommen erhalten ist. 

Die sichere Erkenntnis des Wesens der beschriebenen Er¬ 
krankung verdanken wir in erster Linie pathologisch¬ 
anatomischen Untersuchungen. Sie allein konnten die 
Frage entscheiden, ob der graue Grenzsaum zwischen der ver¬ 
dünnten Zone und der normal erscheinenden Hornhaut auf eine 
Narbenbildung oder eine dem Greisenbogen analoge Trübung zu¬ 
rückzuführen sei. Was diesen betrifft, so war uns durch die 
Untersuchungen von de Lieto Vollaro, Fuchs und Takayasu 
schon lange bekannt, dass sein wesentlichstes pathologisch¬ 
anatomisches Substrat in einer fettigen Degeneration der Horn- 
bautgrundsubstanz bestehe. Ich habe infolgedessen schon bei 
dem ersten mir von Herrn Geheimrat Sattler zur anatomischen 
Untersuchung überlassenen Falle von Rinnenbildung der Hornhaut 
mein Hauptaugenmerk auf den Nachweis von Fett gerichtet und 
konnte denn auch sowohl in diesem verhältnismässig jugendlichen 
Falle (37jähriger Mann) als auch später bei einem älteren In¬ 
dividuum (21) sowohl im Bereiche der DefektbilduDg als in der 
angrenzenden trüben Hornhautzone eine ausgesprochene Fett¬ 
degeneration des Hornhautgewebes nachweisen. Der 
degenerative Charakter des Leidens war somit einwandfrei er¬ 
wiesen und fand eine Bestätigung durch die von anderer Seite 
teils vorher (Rupprecht [6]), teils nachher (Vogel [22], Coats 
[26]) ausgeführten anatomischen Untersuchungen, wenn auch bei 
diesen der Nachweis von Fett auf Grund der angewandten Ein¬ 
bettungstechnik nicht gelingen konnte. Dafür wurde aber auch 
von diesen Autoren das Fehlen von solchen Entzündungserschei- 
nungen konstatiert, die mit der Defektbildung der Hornhaut in 
einen causalen Zusammenhang zu bringen gewesen wären. Er¬ 
wähnenswert düifte hier ferner noch sein, dass die Hornhaut in 
den stark vorgeschrittenen Fällen von Vogel (22), Rupprecht (6) 
und Coats (26) im Bereiche der Defektbildung so exzessiv 
verdünnt war, dass vor der Descemet’schen Membran nur eine 
minimale Schiebt von Hornhautgrundsubstanz vorhanden war. 
Die Descemet’sche Membran wies in den Fällen von Rupprecht 
und Coats Kupturen auf. 

Noch weiter in das Wesen dieses eigenartigen und, wie mir 
scheint, interessanten Krankheitsbildes einzudringen, ist uns bis 
jetzt leider nicht gelungen. Insbesondere ist uns die eigentliche 
Ursache der Degeneration selbst noch unbekannt geblieben, zomal 
auch der naheliegende Gedaoke (Eversbusch citiert von Gilbert), 
sie in arteriosklerotischen Veränderungen der Limbusgefässe zu 
suchen, weder durch klinische noch durch anatomische Befunde 
eine wesentliche Stütze erfahren konnte. 

Die Dystrophia epithelialis corneae (Fuchs). 

Das Krankheitsbild der Dystrophia epithelialis corneae ist 
vor kurzem (1910) von Fuchs in die ophthalmologische Diagnostik 
eingeführt und gleich so vollständig beschrieben worden, dass 
die folgenden Autoren bis jetzt nichts prinzipiell Neues binzu- 
zufügen hatten. 

Die Dystrophia epithelialis corneae ist eine ernste Erkrankung 
der Hornhaut, die nach unseren bisherigen Kenntnissen langsam, 
aber sicher und unaufhaltsam zu einer intensiven Hornhauttrübung 
führt und dadurch das Sehvermögen des betreffenden Auges schwer 
beeinträchtigt. 

1) v. Graefe’s Archiv f. Ophthalm., Bd. 19. 


Die klinischen Erscheinungen und der Verlauf dieser eigen¬ 
artigen Hornhauterkrankung sind von Fuchs (1) am Schlüsse 
seiner ausführlichen Mitteilung in so präziser und vollkommener 
Weise zusammengefasst worden, dass ich dem Leser am besten 
zu dienen glaube, wenn ich diesen Abschnitt der Fuchs’schen 
Arbeit wörtlich citiere: 

„Die Dystrophia epithelialis corneae ist eine degenerative 
Erkrankung, welche nur ältere Personen l ) und zwar vorwiegend 
weiblichen Geschlechts befällt. Bald sind beide Augen, bald 
nur eins erkrankt. Die Krankheit beginnt mit Abnahme der 
Empfindlichkeit der Hornhaut gegen Berührung. Später kommt 
eine Trübung der Hornhaut hinzu, welche bald mit leichten 
Reizerscheinungen auftritt, bald ohne solche, in welch letzterem 
Falle der Kranke erst durch die Sehstörung auf sein Leiden auf¬ 
merksam wird. Die Trübung der Hornhaut ist oberflächlich 
und für das freie Auge diffus. Sie ist am stärksten im 
Pupillarbereich der Hornhaut und verliert sich ohne scharfe 
Grenze nach dem durchsichtigen Rande. In der Regel erstreckt 
sich die Trübung nach unten am weitesten, während der obere 
Rand der Hornhaut am meisten klar bleibt. Am stärksten ist 
das Epithel verändert. Die Oberfläche desselben ist matt und 
grob uneben, es ist trüb und sieht wie gequollen aus und zeigt 
deutliche Blasen oder feine, mit der Lupe erkennbare dunkle 
Punkte, welche kleinen Hohlräumen innerhalb des Epithels ent¬ 
sprechen. Diese und die grösseren Blasen erscheinen, gegen die 
Pupille als Hintergrund gesehen, schwarz, woraus man schliessen 
kann, dass die Trübung der Hauptsache nach im Epithel sitzt. 
Nach Entfernung desselben zeigt aber die Hornhaut gewöhnlich 
auch eine sehr zarte, oberflächliche feinfleckige Trübung. Die 
Oberfläche der Hornhaut ist gegen Berührung ganz unempfindlich, 
und in den einseitigen Fällen zeigt auch die anscheinend normale 
Hornhaut des anderen Auges einen hohen Grad von Unempfind¬ 
lichkeit. Die tiefen Teile des Auges sind normal bis auf jene 
Fälle, welche mit Drucksteigerung kompliziert sind. In der 
Mehrzahl der Fälle bleibt aber der intraoeulare Druck dauernd 
normal. Die Trübung der Hornhaut nimmt im Laufe der Jahre 
langsam, aber stetig zu. Zuletzt bildet sich im Pupillarbereich 
der Hornhaut eine etwas schärfer abgegrenzte, starke graue 
Trübung, welche etwas über das Niveau der nur zart getrübten 
Randteile erhaben ist und einer Auflagerung neugebildeten Binde¬ 
gewebes auf die Hornhaut, zwischen der Bowman'schen Membran 
und dem Epithel, entspricht. Das Sehvermögen ist dann auf 
Fingerzäblen in ganz kurzer Distanz gesunken. — Die Ursache 
der Krankheit ist ebenso unbekannt wie eine wirksame Therapie.“ 

Der Arbeit von Fuchs (1) liegt die für einen einzelnen 
Beobachter stattliche Anzahl von 13 Fällen zugrunde. Je ein 
weiterer Fall ist von Knapp (2), Pfalz (8), Bergmeister (4), 
Hoppe (6), Koapp (6) und Troncoso (7) beschrieben worden, 
zu denen ich heute noch zwei eigene Beobachtungen hinzuzufügen 
vermag, so dass im ganzen 21 Fälle bekannt sind, falls mir nicht 
irgendein Fall in der Literatur entgangen ist. 

Das Verhalten der nach Fuchs beschriebenen Fälle ent¬ 
spricht dem von Fuchs gegebenen Symptomenkomplex in allen 
wesentlichen Punkten. 

Ich beschränke mich deshalb hier darauf, einige Abweichungen 
bzw. Besonderheiten dieser Fälle hervorzubeben. 

Als solche wäre zu erwähnen, dass Hoppe (5) in seinem 
Falle, einem 70 jährigen Manne, den er 10 Jahre hindurch beob¬ 
achtete, im Anfang der Beobachtung keine Unterempfindlichkeit 
der Hornhaut gegen Berührung, ja sie auf dem rechten Auge 
sogar erst 1 1 / 2 Jahre später feststellen konnte. 

Im Falle Troncoso’s (7) verdient das jugendliche Alter 
(28—30 Jahre) der Patientin hervorgehoben zu werden, da die 
sonstigen Fälle durchwegs betagte Individuen gewesen sind. 

Tn dem Falle Bergmeister’s (4) ist das gleichzeitige Vor¬ 
handensein einer anderen degenerativen Hornhautveränderung, der 
sogenannten gürtelförmigen Hornhauttrübung, bemerkenswert, 
ferner in dem Falle von Hoppe (6) eine eigenartige Veränderung 
im Aussehen des ganzen Augapfels, „gekennzeichnet durch grau¬ 
gelbe Verfärbung des Augapfels, fast vollständiges Verschwinden 
der unter gewöhnlichen Verhältnissen an seiner Oberfläche sicht¬ 
baren Gefässe, matten Glanz der Bindehaut und herabgesetzte 
Empfindlichkeit gegen Berührung mit feinen Reishaaren“. 

Ueberraschend ist auch bei diesem Material das beträcht¬ 
liche Ueberwiegen des weiblichen Geschlechts über 
das männliche (5: 1), wie denn auch die beiden von mir be- 


1) Vergleiche den Fall Troncoso (?). 

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208 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 5. 


obachteten und im folgenden etwas näher zn beschreibenden 
Fälle weiblichen Geschlechts waren. 

Fall 1. Marie J., 62 Jahre alt, kam in die Klinik, um auf Grund 
ihres schlechten Sehens ein Invaliditätszeugnis zu erhalten. Sie gab an, 
dass ihr rechtes Auge bereits seit 21 Jahren trübe sei, und dass die 
Trübung im Anschluss an ihre letzte Entbindung aufgetreten sei. 

An der etwas dürftig genährten, im übrigen aber nicht kränklich 
aussehenden Patientin fiel ohne weiteres das eigenartige Aussehen des 
rechten Auges auf. Das Auge befindet sich in starker Divergenzstellung, 
die Hornhautoberfläche war im ganzen grob chagriniert, völlig glanzlos, ja 
beinahe xerotiscb, die Grundsubstanz ebenfalls diffus getrübt, so dass 
die ganze Cornea und damit das ganze Auge einen eigentümlichen 
matten, fast leblosen Eindruck erweckten. An der Lupe löste sich die 
Trübung der Hornhautgrundsubstanz, soweit das stark veränderte Epithel 
genauere Feststellungen erlaubte, in zahllose feine Punkte auf, deren An¬ 
ordnung an die punktförmige Zusammensetzung der bekannten Trübung 
des Greisenbogens erinnerte. Ferner erstreckte sich noch eine strich¬ 
förmige, nicht ganz scharf begrenzte Trübung in schräger Richtung von 
aussen oben nach unten innen über die ganze Hornhaut hinüber, die 
den tieferen Hornhautschichten angehörte. Die Hornhaut erschien voll¬ 
kommen gefässlos. 

Der matte und leblose Ausdruck des Auges wurde noch gesteigert 
bzw. im wesentlichen mit bedingt durch das vollständige Fehlen jeder 
entzündlichen Reaktion im Bereiche der angrenzenden Conjunctiva und 
Episclera. 

Die Regenbogenhaut war zwar nur undeutlich zu sehen, reagierte 
aber prompt auf Lichteinfall und Konvergenz. 

Die Spannung des Augapfels erwies sich bei der Palpation so 
niedrig, dass der anfängliche Verdacht auf Glaukom sofort fallen gelassen 
und selbst auf die Anwendung des Schiötz’schen Tonometers ver¬ 
zichtet wurde. 

Abweichend von dem Fuchs’schen Symptomenkomplex war die 
Sensibilität erhalten, ja nicht einmal stark herabgesetzt. 

Die Sehschärfe dieses Auges betrug Finger in 1 m, die des 
anderen vollkommen normal erscheinenden Auges e /s* 

Unser Fall ist im Januar 1910 zur Beobachtung gelangt, 
die Fachs'sehe Mitteilung war also damals noch nicht erschienen. 
Trotzdem waren wir uns nach der ganzen Lage des Falles darüber 
klar, dass es sich nur nm degenerative Veränderungen handeln 
konnte, und trugen als Diagnose im Krankenbuch „Totale degene¬ 
rative Hornhauttrübung“ ein, weil auch die Hornhautgrundsubstanz 
in ganz offenkundiger Weise stark beteiligt war. Trotzdem wir uns 
von einer Therapie keinen Erfolg versprachen, haben wir doch 
versuchsweise Diouin angewendet, aber, wie erwartet, ohne jeden 
merklichen Erfolg. 

Fall 2. Bald nach dem Erscheinen der Fuchs'schen Mit¬ 
teilung hatte ich Gelegenheit, einen zweiten Fall, und zwar 
diesmal ein Frühstadium der Erkrankung zu beobachten. 

Die 60 jährige Patientin stammt aus meiner Privatklientel und wurde 
mir von ihrem Hausarzt zur Untersuchung des Augenhintergrundes zu- 
gescbickt. Die Frau gab an, seit elf Jahren zuckerkrank zu sein (8 bis 
9 pCt. Zucker im Urin) und seit vier Monaten eine derartige Abnahme 
der Sehkraft erlitten zu haben, dass sie nicht mehr gewöhnliche Druck¬ 
schrift lesen könne. Im übrigen fühle sie sich durchaus wohl, eine An¬ 
gabe, die durch den frischen und rüstigen Eindruck der Patientin be¬ 
stätigt wurde. 

Beide Augen erschienen vollkommen reizlos und auf den ersten 
Blick 1 ) ohne Besonderheit. Auch beim Skiaskopieren, durch das beider¬ 
seits eine Myopie von 6 D. festgesteilt wurde, fiel keine stärkere Unregel¬ 
mässigkeit in der Scbattenbildung auf. Hingegen erwies sich die Hornbaut- 
.oberfläche bei der Untersuchung mit der Zeiss’schen Lupe beiderseits 
matt und chagriniert, stellenweise waren sogar kleine Bläschen zu kon¬ 
statieren, die, wie in einigen Fuchs’schen Fällen, im Pupillargebiet rein 
schwarz erschienen, ein Beweis, dass die Durchsichtigkeit der Hornhautgrund¬ 
substanz nicht gelitten batte. Die ganzen Veränderungen waren auf 
das Hornhautoentrum beschränkt, nahmen aber einen ziemlich 
grossen Bezirk ein, so dass nur eine schmale periphere Zone vollkommen 
intakt erschien. Die an und für sich nicht scharfe Abgrenzung des 
normalen und krankhaft veränderten Hornbautbezirkes wurde wesentlich 
deutlicher nach der Einträufelung von Fluoreszin, durch das der 
matte Hornhautbezirk intensiv grün gefärbt wurde. Die Grün¬ 
färbung beschränkte sich auf die Hornhautoberfläcbe bzw. das Epithel. 

Die Sensibilität der Hornhaut erwies sich beiderseits stark 
herabgesetzt, aber nicht ganz aufgehoben. 

Da sich die beschriebenen Hornhautveränderungen bei dem Ver¬ 
suche, zu spiegeln doch ziemlich störend bemerkbar machten, träufelte 
ich Cocain (5pCt.) und Homatropin (1 pCt.) ein, sah mich aber ge¬ 
zwungen, um eine genügende Erweiterung der Pupille zu erzielen, zum 
Atropin (1 pCt.) zu greifen, worauf eine starke Mydriasis erfolgte. Ich 
erwähne diese Beobachtung deshalb, weil diese Resistenz gegen die 
schwächeren pupillenerweiternden Mittel kein Zufall zu sein scheint, da 


1) Die Untersuchung wurde des Abends im künstlich erleuchteten 
Raum ausgeführt. 


auch Hoppe in seinem Fall die gleiche Tatsache aasdrüoklioh her¬ 
vorhebt. 

Im Augenhintergrunde fanden sich die für Diabetes typischen re¬ 
tinalen Veränderungen, kleine Blutungen und weissglänzende Herde regellos 
über den Fundus verstreut, besonders zahlreich aber in der Gegend der 
Macula lutea, in der auch eine Andeutung der bekannten Sternfigur zu 
sehen war. 

Der Sehnerv erhielt sich normal, vor allem fehlte eine glaukomatose 
Excavation. 

Der Druok erwies sich bei der Palpation wie in meinem ersten 
Falle so niedrig, dass ich ihn viel eher für herabgesetzt als für gesteigert 
halten musste. 

Da unter diesen Umständen jeder Glaukomverdacbt ausgeschlossen 
war und insbesondere die Hornhautmattigkeit keinesfalls glaukomatöser 
Natur sein konnte, habe ich auch in diesem Falle von der Anwendung 
des Schroetz’schen Tonometers abgesehen. 

Die Sehschärfe betrug mit den korrigierenden Gläsern rechts Ä /t 5 » 
links '/iS- 

In der Nähe wurde eigentümlicherweise auch gröbere Druckschrift 
nicht gelesen. 

Am nächsten Tage war die Ausdehnung des krankhaft veränderten 
Hornhautbezirks zu meiner Ueberraschung beiderseits viel kleiner ge¬ 
worden, ja auf dem linken Auge auf ein Minimum zurückgegangen. 

Trotzdem war der Fernvisus unverändert, während in der Nähe links 
Jäger 9 und rechts Jäger 14 fliessend gelesen wurden. 

Ich habe auch bei dieser Patientin mit Salbenmassage und Dionin 
eine Besserung herbeizuführen versucht, sie aber von vornherein auf die 
voraussichtliche Erfolglosigkeit aller therapeutischen Bemühungen auf¬ 
merksam gemacht. Diese Vorhersage hat sich leider nur zu sehr be¬ 
stätigt, so dass ich schon nach ganz kurzer Zeit von jeder Behandlung 
Abstand genommen habe. 

Im weiteren Verlaufe zeigten die Hornhautveränderungen ständige 
Schwankungen. 

Als mich die Patientin zum letztenmal in der Sprechstunde be¬ 
suchte, betrug die Sehschärfe rechts e / 38 , links 9 j H . Immerhin kann der 
Rückgang der Sehschärfe nicht als Maassstab für die Verschlimmerung 
des Hornhautleidens gelten, weil der Fall durch die Augenhintergrunds¬ 
veränderungen kompliziert ist. 

Ich habe dann die Patientin fast ein ganzes Jahr lang nicht mehr 
gesehen, sie aber vor wenigen Tagen in ihrer Wohnung besucht, um mich 
von dem jetzigen Stande des Leidens zu überzeugen. Zu meiner Ueber¬ 
raschung waren mit blossem Auge fast gar keine Veränderungen nach¬ 
weisbar, ein Fortschreiten des Leidens also nicht zu konstatieren. Doch 
lehrten die Angaben der Patientin, dass das Sehen zeitweilig schlechter 
sei, dass dann ein grauer Nebel vor dem Auge liege, sowie die jetzt 
vollständige Unempfindlichkeit der Hornhaut in eindringlicher 
Weise, dass von einer Heilung des Leidens keine Rede sein konnte. 

Wie schon ein flüchtiger Vergleich mit der wörtlich an¬ 
geführten Fuchs’schen Beschreibung zeigt, stimmen die Symptome 
meiner Fälle fast in allen Punkten mit ihr überein. Eine wesent¬ 
liche Abweichung bietet lediglich mein erster Fall dadurch, dass 
bei ihm die Sensibilität der Hornhaut, trotz des langen Bestehens 
des Leidens, nicht nennenswert beeinträchtigt war. Trotzdem 
kann er, was seine übrigen Veränderungen anbetrifft, geradezu 
als Typus eines stark vorgeschrittenen Falles von Dystrophia 
epithelialis corneae gelten. Selbst die von Fuchs in einigen 
Fällen erwähnte eigentümliche streifige Trübung der Hornhaut¬ 
grundsubstanz, die ich in dieser Art bei keinem anderen Horn¬ 
hautleiden gesehen habe, ist bei ihm vorhanden. 

Mein zweiter Fall ist vielleicht dadurch von Interesse, dass 
er gleichzeitig diabetische Veränderungen aufweist. Da es sich 
bei Diabetes um eine schwere Stoffwechselerkrankung bandelt, 
könnte der Fall als Stütze für die Anschauung gelten, dass dem 
ganzen Prozesse Ernährungsstörungen der Hornhaut zugrunde 
liegen. Auch mein erster Fall scheint in dieser Hinsicht eine 
Handhabe zu bieten, da ein den ganzen Organismus schwächender 
Einfluss einer Entbindung immerhin denkbar ist. Unerklärlich 
bleibt aber in diesem Falle die Einseitigkeit des Prozesses, und 
gegen eine eventuelle Bedeutung der diabetischen Erkrankung 
meines zweiten Falles ist der schwerwiegende Einwand zu er¬ 
heben, dass es so viele Diabetiker ohne Dystrophia epithelialis 
corneae gibt, dass ein Spiel des Zufalls nicht ausgeschlossen ist, 
sowie dass die Fuchs’schen Patienten zum grössten Teil gesunde, 
kräftige Leute waren. Nur ein Fall litt an einer arteriosklero¬ 
tischen Schruropfniere und an sogenannter Retinitis albuminurica. 

Wir tasten also, was die Entstehungsursache des Leidens an¬ 
betrifft, noch vollkommen im Dunkeln, und auch seine patho¬ 
logisch-anatomische Grundlage bedarf noch trotz der Mitteilungen 
von Fuchs der Aufklärung. Für zweifellos halte ich, dass in den 
vorgeschrittenen Fällen die Hornhautgrundsubstanz stark betei¬ 
ligt ist, und zwar vielleicht weniger in der Form von auffälligen 
Strukturveränderungen als in Gestalt einer Fettdegeneration wie 
beim Gerontoxon. Wenigstens scheint mir. das Aussehen der 


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8. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Hornhauttrübung, zumal ihre punktförmige Zusammensetzung sehr 
darauf hinzuweisen, und es dürfte sich bei künftigen anatomischen 
Untersuchungen gewiss verlohnen, bei der Fixierung und Härtung 
des Präparates auf die Möglichkeit des Nachweises von Fett be¬ 
dacht zu sein. 

Wichtig ist im Interesse der Autorität des Arztes und des 
Wohles des Patienten, dass das Leiden frühzeitig erkannt wird. 
Vor einer Verwechslung mit Glaukom und eventuellen dies¬ 
bezüglichen operativen Eingriffen schützt ja heutzutage in zweifel¬ 
haften Fällen die Untersuchung mit dem Schioetz’schen Tono¬ 
meter, das ja jedem Augenarzt auch sonst unentbehrlich sein 
wird, doch ist nicht ausser acht zu lassen, dass das Leiden zu¬ 
weilen mit Glaukom kompliziert sein kann. Haben doch von den 
bis jetzt bekannten 23 Fällen nicht weniger als 5 Drucksteigerung 
gezeigt. 

Es scheinen demnach, wie schon Fuchs bemerkt, zwar Be¬ 
ziehungen zwischen der Dystrophia epithelialis corneae und dem 
Glaukom zu bestehen, doch keinesfalls in dem Sinne, dass die 
Hornhautveränderungen dieser beiden Krankheiten von derselben 
Art wären. Ihre markantesten Unterschiede werden von Fuchs 
in mehreren Sätzen zusammengefasst, auf deren Anführung ich 
an dieser Stelle verzichten zu dürfen glaube, weil die Stellung 
der Differentialdiagnose in so schwierigen Fällen doch wohl aus¬ 
schliesslich Sache des spezialistiscb ausgebildeten Arztes ist. Aus 
dem gleichen Grunde glaube ich auch von der Besprechung der 
Differentialdiagnose gegenüber anderen Erkrankungsformen der 
Hornhaut, z. B. der Keratitis disciformis und profunda, der 
Keratitis vesiculosa usw., abseben und mich in dieser Hinsicht 
mit einem Hinweis auf die grundlegende Fuchs'sche Arbeit be¬ 
gnügen zu dürfen. 

Wichtig ist vor allem auch, zu wissen, dass die übliche 
Therapie zur Aufhellung von Hornhauttrübungen bei diesem Leiden 
vollkommen versagt. Auch die von Knapp ausgeführte energische 
Massage der Cornea hat nur rasch vorübergehende und demnach 
bedeutungslose Erfolge gezeigt. 

Geradezu tragisch mutet es aber an, wenn man liest, dass 
die Patientin Troncoso’s auf Anordnung ihres zuerst zu Rate 
gezogenen Arztes (in Mexiko) lange Dunkelkuren durchzumachen 
hatte und dabei eine schwere Anämie, aber keine Besserung 
ihres Leidens erzielte, so dass sie in ihrer Verlegenheit die weite 
Reise nach der Hauptstadt antrat und sich dort Rat holte. 

Vor solchen diagnostischen und therapeutischen Irrwegen zu 
warnen und zu schützen, soll, wie schon eingangs erwähnt, der 
Hauptzweck meiner heutigen Mitteilung sein. 


Literatur. 

I. Randdegeneration der Hornhaut. 

1. Frank, Beiträge zu den Erkrankungen der Hornhaut. Chro¬ 
nische periphere Furchenkeratitis usw. Inaug.-Diss., Würzburg 1896. — 
2. Terrien, Dystrophie marginale symEtrique des deux cornEes, avec 
astigmatisme regulier conseoutif et guärison par la cautErisation ignöe. 
Archives d’ophtalmologie, 1900. — 8. Fuchs, Ueber Randsklerose und 
Randatrophie der Hornhaut, v. Graefe’s Archiv f. Ophthalm., 1901, 
Bd. 52. — 4. Lauber, Ueber periphere Hornhautektasie. Klin. Monats¬ 
blätter f. Augenheilk., 1905, Bd. 43. — 5. Seefelder, Zur Entstehung 
der peripheren Hornhautektasie. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., 1906, 
Bd. 44. — 6. Rupprecht, Pathologisch-anatomische Beiträge zur 
Kenntnis der peripheren Hornhautektasie. Klin. Monatsbl. f. Augenheil¬ 
kunde, 1907, Bd. 45. — 7. Isohreyt, Ein Fall von peripherer Horn¬ 
hautektasie infolge von Trachom. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., 1907, 
Bd. 45. — 8. Seefelder, Klinisches und Anatomisches über periphere 
Rinnen bi Idung und periphere Ektasie der Hornhaut. — 9. Früchte, 
Klinische Mitteilungen über einige seltene Hornhauterkrankungen. Klin. 
Monatsbl. f. Augenheilk., 1907, Bd. 45. — 10. Seefelder, Nochmals 
über periphere Rinnenbildung und periphere Ektasie der Hornhaut. 
Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., 1907, Bd. 45. — 11. Axenfeld, Zur 
chronischen peripheren Rinnenbildung der Cornea. Klio. Monatsbl. f. 
Augenheilk., 1907, Bd. 45. — 12. Gilbert, Ueber die Beziehungen der 
peripheren Rinuenbildung und peripheren Ektasie der Hornhaut zum 
Arcus senilis und zur chronisch-peripheren Furchen keratitis. Klin. 
Monatsbl. f. Augenheilk., 1908, Bd. 46. — 13. Fleischer, Ueber peri¬ 
phere Ektasie bzw. Atrophie der Hornhaut. Ophthalm. Klinik, 1908, 
12. Jabrg. — 13a. Handmann, Klinischer Beitrag zur Aetiologie der 
chronischen peripheren Rinnenbildung der Hornhaut. Klin. Monatsbl. 
f. Augenheilk., 1908, Bd. 46. — 14. Vaudetti e Passera, Contributo 
elinica alle conoscenza dell* assottigliamento cronico periferico e delP 
ectasia marginale della cornea. Ophthalmologica, 1909, Vol. I, Fase. II. 

— 15. H. Laub er, Randatrophie der Cornea und hochgradige Kerat- 
ektasia peripherica. Ref. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., 1909, Bd. 47. 

— 16. Holodenkowa, Periphere Hornhautektasie. Ref. Klin. Monats¬ 
blätter f. Augenheilk., 1909, Bd. 47 . — 17. Fisher, Case of marginal 


&)9 


keratektasia bilateral. Transact. of the ophth. Soc. of the United 
Kingdora, 1909—1910. — 18. Korooto, Zur Kasuistik und Differential¬ 
diagnose der peripheren Rinnenbildung der Hornhaut. Klin. Monatsbl. 
f. Augenheilk., 1909, Bd. 47. — 19. Adamantiadis, Un cas d’6ctasie 
circonscripte de la cornee. Archives d’ophtalmologie, 1910, T. XXX. — 

20. Van Duyse, DegcnErescence marginale des cornEes (Dystrophie 
marginale symetrique de Terrien). Archives d’opht., 1910, T. XXX. — 

21. Seefelder, Weiterer Beitrag zur pathologischen Anatomie der Rand¬ 
degeneration der Hornhaut. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., 1910, Bd. 48. 
— 22. Vogel, Anatomischer Beitrag zur Kenntnis der chronischen peri¬ 
pheren Hornhautektasie. Inaug.-Diss., Tübingen 1910. — 23. Zent- 
mayer, Entartung des Hornhautrandes. Annals of Ophthalm., 1910. 
Ref. Centralbl. f. prakt. Augenheilk., 1911, S. 286. — 24. Passera, 
Contributo clinico allo studio della degenerazione marginale della cornea. 
Giornale di medicine militare, 1911, Fase. IV. — 25. Markus, Case of 
peripheral and central bulging of the cornea bilateral. Transsact. 
ophth. soc. of the United Kingdom, 1911, S. 1. — 26. Coats, Exami- 
nation of specimen of marginal keratectasia. Ophthalm. soc. of the United 
Kingdom, 1911. Diskussion hierzu: Treacher Collins, Fisher. — 
27. Schultz, Bilateral marginal thinning and keratectasia with Per¬ 
foration on one side. Archives of ophthalmology, Vol.XI. — 28. Zent- 
mayer, Entartung des. Hornhautrandes. Annals of ophthalm., 1910. 
Ref. Centralbl. f. prakt. Augenheilk., 1911. — 29. Junius, Dystrophia 
marginalis corneae bei einem jugendlichen Manne. Zeitschr. f. Augen¬ 
heilk., 1912, Bd. 28. 

II. Dystrophia epithelialis corneae. 

1. Fuchs, Dystrophia epithelialis corneae, v. Graefe’s Archiv f. 
Ophthalm., 1910, Bd. 76. — 2. Knapp, Kasuistischer Beitrag zur Frage 
der Dystrophia epithelialis corneae, v. Graefe’s Archiv f. Ophthalm., 
1911, Bd. 78. — 3. Pfalz, Vorstellung eines Falles von Dystrophia 
epithelialis corneae. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., 1911, 49. Jahrg. — 
4. Bergmeister, Vorstellung eines Falles von Dystrophia epithelialis 
corneae. Zeitschr. f. Augenheilk., 1911, Bd. 25. — 5. Hoppe, Klinischer 
Beitrag zur Kenntnis der Dystrophia epithelialis corneae (Fuchs). Klin. 
Monatsbl. f. Augenheilk., 1912, 50. Jahrg.* — 6. Knapp, Dystrophia 
epithelialis corneae (Fuchs) with raport of case. Archives of ophthalmo¬ 
logy, 1911, Bd. 60. — 7. Troncoso, Sur un cas de dystrophie Epi¬ 
theliale de la cornee. Annal. d’ocul., 1912, T. 130. 


Ueber die Heilung des Juckens mit autogener 
Vaccine. 

Von 

A. Sehischlo -Wladiwostok (Marinehospital). 

In der umfangreichen Literatur über die Vaccinetherapie bei ver¬ 
schiedenen Erkrankungen finden wir nirgends einen Hinweis auf die Mög¬ 
lichkeit ihrer Anwendung beim Jucken (Pruritus cutaneus). Allem An¬ 
scheine nach aber kann diese Heilmethode in manchen Fällen von hart¬ 
näckigem Jucken das einzige Rettungsmittel sein. Der Erfolg einer Kur 
des Juckens hängt natürlich von der Erkenntnis seiner Aetiologie ab; 
das ist aber oft eine Frage, die schwer zu beantworten ist. Darum 
dürfte die Beobachtung, die ich zu machen Gelegenheit hatte, einer 
Publikation wert sein, da sie gerade vom ätiologischen Gesichtspunkte 
aus ein besonderes Interesse darbietet. 

Unter dem Ausdruck „Pruritus cutaneus“ versteht man eine selb¬ 
ständige Neurose der Haut, die gewöhnlich ohne jede andere Haut¬ 
verletzung einhergeht. Dieses Jucken, das bald allgemein, bald örtlich 
ist, findet sich oft bei Parasiten, chronischen Verstopfungen, Tripper, 
Hämorrhoiden. Grosse Bedeutung haben im Sinne des ätiologischen 
Moments die neuropathische Vererbung, die Intoxikationen bei Verdauungs¬ 
störungen. Diabetes, Leberkrankheiten, Nierenentzündung, Podagra, 
Leukämie, Krebs, Pseudoleukämie, Schwindsucht werden, wie bekannt, 
häufig von heftigem Jucken begleitet. Endlich können Opium, Morphium, 
Kaffee, Tabak, Alkohol, Fleisch, Gewürze, Wärme und Kälte auch manch¬ 
mal Grund des Hautjuckens sein. Diese kurze Darstellung zeigt, wie ver¬ 
schiedenartig die Ursachen der Krankheit sein können. Daher ist es 
selbstverständlich, dass der Kranke häufig gezwungen ist, viele Mittel 
durchzuprobieren, ehe er die Heilung erreicht. Mein Fall erscheint als 
beredte Bestätigung der angeführten Erwägungen. 

Es handelt sich um einen 31 Jahre alten, kräftig gebauten Infanterie¬ 
offizier. Der Ernährungszustand ist gut; seitens der inneren Organe 
sind keine Abweichungen von der Norm wahrzunehmen; der Magen¬ 
darmkanal ist in Ordnung; das Nervensystem ist leicht erregbar. Im 
Jahre 1900 erkrankte er an zahlreichen Furunkeln der Brust- und 
Bauchhaut, die von Jucken begleitet waren; die Furunkel verschwanden 
unter dem Einfluss der Behandlung, aber das Jucken blieb be¬ 
stehen und wurde allmählich schlimmer. Auf dem behaarten Teil des 
Kinns entstanden kleine Eiteransammlungen, welche noch gegenwärtig 
mehr od^r weniger fortdauern. Bei Zunahme der Eiterblattern ver¬ 
stärkt sich das Jucken; ausserdem ist die Intensität des Juckens von 
Aufregung, Kälte und Wärme abhängig. In der letzten Zeit wird Pat. reiz¬ 
bar, wenig mitteilsam; es stellen sich trübe Gedanken und Sohwermut ein. 

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210 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 5. 


Er kurierte sich selbst mit Hydrotherapie, Schwefelbädern in Japan 
und im Kaukasus, mit Röntgenstrablen, mit ultraviolettem Licht, mit 
Seebädern im Schwarzen Meere, mit galvanischem Hochspannungs¬ 
strom (d’Arsonval), mit den verschiedensten Salben und Einreibungen. 
Es wurde auf dem behaarten Teil des Kinns eine Epilation ausgeführt. 
Innerlich nahm er Brom, Arsenik, Phenol und viele andere Mittel ein. 
Nachdem alle Versuche feblgeschlagen waren, wandte sich Pat. auf den 
Rat eines Spezialisten an mich mit der Bitte, ihn mit Autovaccin zu be¬ 
handeln. Ich entnahm steril aus einer der frischen Eiterbildungen ein 
Tröpfchen Eiter zur Aussaat auf eine neutrale Seetanggallerte. Am 
folgenden Tage wuchsen viele Kolonien feiner Diplokokken, die sich nach 
Gram färbten. Dann wurde die Vaccine angefertigt, 100 Millionen Mikroben 
in einem Kubikzentimeter enthaltend (die Bestimmung der Vaccine ist 
nach Wright hergestellt), die durch Erwärmung bei 60° C im Laufe einer 
Stunde getötet wurden. Die Kur bestand aus 10 Einspritzungen. Diese 
wurden alle drei Tage subcutan zwischen den Schulterblättern gemacht. 
Zuerst wurden 10 Millionen Mikroben injiziert, dann wurde die Dosis um 
je 5 Millionen bis zur Grenzdosis von 55 gesteigert. Nach der ersten 
Vaccineeinspritzung traten Kopfschmerzen und allgemeine Zerschlagen¬ 
heit ein. Auf dem behaarten Teil des Kinns entstanden zahlreiche 
Eiterbläschen. Bei fortgesetzten Einspritzungen war keine weitere all¬ 
gemeine Reaktion vorhanden; der Ausschlag wurde geringer; nach der 
fünften bis sechsten Einspritzung fingen die bis dahin hartnäckigen Eiter¬ 
bildungen allmählich an einzutrocknen und sich zu verlieren. Am Ende 
der Behandlung waren die Eiterbildungen auf dem Kinn total ver¬ 
schwunden. Der opsonische Index fiel gewöhnlich nach der Einspritzung, 
um am dritten Tage wieder bedeutend höher als die Norm zu steigen; 
jedes nachfolgende Fallen des Indexes war schwächer als das vorher¬ 
gegangene, jedes nachfolgende Steigen des Indexes war dagegen stärker 
als das vorherige. 

Nach der dritten Vaccination gab der Kranke an, dass das Jucken 
sich beträchtlich gemindert hätte, besonders in den Achselhöhlen und in 
der Analgegend. Bei weiterer Behandlung wurde das Jucken immer 
geringer, und nach 7 Einspritzungen verschwand es vollständig. 

Man kann mit einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit an¬ 
nehmen, dass bei unserem Patienten das Hautjucken durch Toxine von 
Mikroben bedingt war, die aus dem beständigen Herde auf der Haut 
des Kinns ins Blut gelangten und die empfindliche Hautneurose an den 
mehr von dem Jucken betroffenen Stellen (Achselhöhlen, die Haut um 
die Afteröffnung) hervorriefen. Infolge der Vaccinekor heilte der pustu- 
löse Prozess am Kinn a^, so dass auch keine neuen Toxine mehr ins 
Blut gelangen konnten. Dass es sich nur um eine psychische Therapie 
dabei handelte, glaube ich ausschliessen zu können, da die Vaccine¬ 
therapie ausschliesslich die Entfernung der Eiterbildungen im Auge hatte. 

Jedenfalls mochte ich auf Grund meiner Erfahrung die Kollegen 
anregen, im entsprechenden Falle einen Versuch mit autogener Vaccine 
zu machen. 


Ueber Dosierung von Arzneimitteln in 
Tropfenform. 

Von 

Wilhelm Beckers* Aachen, Chemiker und Apotheker. 

Bei Ausführung nachfolgender ärztlicher Ordination: Oleum Cheno- 
podii anthelmintic. gtt. VIII, Menthol 0,05 fiat caps. gelatinosa, dent. tal. 
dos. VI konnte ich die Beobachtung machen, dass die zur Herstellung 
der Kapseln benutzte Menge Oleum Chenopodii nicht etwa 2,4 g wog, 
sondern nur 1,2 g. Sie betrug nur die Hälfte derjenigen Menge, die ich 
nach den allgemeinen Bestimmungen der Deutschen Arzneitaxe zu be¬ 
rechnen verpflichtet und berechtigt war. Als Ursache dieser Ungleich- 
mässigkeit konnte ich die mangelhafte Beschaffenheit des sogenannten 
Normaltropfenzählers bezeichnen, der nach dem Brüsseler Ueberein- 
kominen 20 Tropfen von fetten und ätherischen Oelen gleich 1 g geben 
soll; Zum Abtröpfeln des Wurmsamenöles hatte ich einen solchen 
Normaltropfenzähler benutzt. Die nähere Untersuchung mit diesen 
Normaltropfenzählern hat gezeigt, dass diese Instrumente fast niemals 
exakt gearbeitet sind. Dieselben werden als normal bezeichnet und von 
den Glashütten als solche abgegeben, sind aber in Wirklichkeit die un¬ 
genauesten Instrumente. Ich habe nun den Versuch gemacht, die Unter¬ 
schiede zwischen Normaltropfenzählern und Pipetten, wie sie für die 
Applikation von Augentropfen in Betracht kommen, unter gleichzeitiger 
Berücksichtigung der Anzahl Tropfen, die man aus den Standgefässen 
in der Apotheke erhält, festzulegen. Ich bin dabei auf so grosse Unter¬ 
schiede gestossen, dass ich es für meine Pflicht halte, meine Versuche 
in einer medizinischen Zeitschrift zu veröffentlichen im Interesse der 
Aerzte und der Patienten. Nachfolgende Tabelle lässt die Unterschiede 
leicht erkennen, welche sich bei Anwendung der verschiedenen Tropf- 
vorrichtungen in bezug auf die Anzahl der Tropfen ergeben. 

Zunächst ist aus der Tabelle ersichtlich, dass die Art des Tröpfelns 
von grossem Einfluss auf das Gewicht der Tropfen ist. Jedenfalls ist es 
nötig, dass man bei Benutzung eines Normaltropfenzählers sowie der 
Augenpipetten stets senkrecht die Tropfen ablaufen lässt. Aus der 
Tabelle ergibt sich ferner, dass man in bezug auf die Anzahl und das 
Gewicht der Tropfen auf grosse Unterschiede stösst. Die Gründe hierfür 




Anzahl der Tropfen 

Name der Flüssigkeit 

«Q 

‘5 

Normal- 

Pipette mit Durchmesser 

® 

o 

tropfen- 

1 

1 mm , 

1,5 mm 

i 

2 mm 

1 

Aus d. 


Zähler 

Stand- 

gefäss 

Aqua dest. 

1,0 

24 gtt. 

s. 36 

s. 23 

1 

s. 19 

14 

senkrecht 







getropft 



i 




15 gtt. 
wagerecht 
getropft 

w. 27 

! 

w. 14 

w. 14 


Tinctura Opii spl. 

1,0 

s. 48 

s. 50 

s. 38 

s. 35 

26 


w. 36 

w. 33 

w. 30 

w. 28 


Tinctura Jodi 

1,0 

s. GS 

s. 66 

s. 50 

s. 49 

34 


w. 46 

w. 52 

w. 49 

w. 38 | 


Oleum Menth, pip. 

1,0 

s. 58 

s. 54 

s. 42 

s. 30 , 

29 


w. 38 

w. 42 

w. 30 

w. 22 ! 


Acid. Carbol. liq. 

1,0 

s. 40 

s. 38 

s. 32 

s. 27 ; 

22 


w. 25 

w. 28 

w. 26 

w. 22 ; 


Extr. Beilad. sol. 1 + 1 

1,0 

s. 25 

s. 38 

s. 80 

s. 28 i 

20 


w. 20 

w. 27 

w. 23 

w. 22 1 

i 

Tinctura Strychni 

1,0 

s. 58 

s. 76 

s. 58 

s. 46 i 

| 30 

w. 44 

w. 64 

w. 40 

w. 34 

1 

Tinctura Pimpinellae 

1,0 

s. 62 

s. 62 

s. 49 

s. 42 

! 32 


w. 44 

w. 41 

w. 35 

w. 34 

I 

Tinctura Belladonnae 

1,0 

s. 56 

s. 58 

s. 53 

s. 49 

| 36 



w. 40 

w. 42 

w. 40 

w. 36 


Acid. Muriat. offic. 

1,0 

s. 22 

s. 24 

8. 21 

s. 18 

! io 



w. 16 

w. 16 

w. 13 

w. 10 

i 

1 proz. Cocain- und Zink¬ 

1,0 

s. 24 

s. 28 

s. 23 

8. 21 

| — 

sulfatlösung 


w. 15 

w. 18 

w. 15 

w. 14 


Liquor Kalii arsenicosi 

1,0 

s. 35 

s. 35 

s. 28 

s. 24 

15 



w. 22 

w. 22 

w. 20 

w. 17 

1 


liegen zum Teil darin, dass das Gewicht der Tropfen nicht allein ab¬ 
hängig ist von der Grösse der Tropfen und dem spezifischen Gewichte 
der betreffenden Flüssigkeit, sondern, und das hauptsächlich wohl, von 
der Grösse der Ausflussöffnung. Die Anzahl der Tropfen ist umgekehrt 
proportional der Grösse der Ausflussöffnung, während die Grösse der 
Tropfen proportional ist der Grösse der Ausflussöffnung; je grösser die 
Öffnung, je grösser die Tropfen, um so weniger Tropfen sind dann 
nötig, um ein bestimmtes Gewicht auszumachen. Es ist daher anzu¬ 
streben und zu verlangen, dass genau hergestellte, exakt gearbeitete 
Normaltropfenzähler von stets gleichbleibender Tropfengrösse in den 
Handel gebracht werden, welche einen vom Arzte gewünschten .Zusatz 
eines Arzneimittels zu einer Mixtur in genau dosierter Form gestattet. 
Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch noch auf einen anderen Uebel- 
stand aufmerksam machen, der unter Umständen grosse Bedeutung er¬ 
langen kann. Ich habe einmal die Patenttropfgläser von verschiedener 
Grösse auf ihre Richtigkeit und Gleichmässigkeit in bezug auf Anzahl 
der Tropfen studiert und dabei gefunden, dass keineswegs diese Tropf¬ 
gläser den Anforderungen entsprechen, die an dieselben gestellt werden 
können und gestellt werden müssen. Nachstehende Zahlen mögen die 
Unterschiede deutlich erkennen lassen: 


Inhaltsgrösse des 
Tropfglases 

Anzahl der Tropfen 

Gewicht der Tropfen 

Tropfglas von 10 g 

14 

1,0 g 

* ■ 15 g 

16 

1,0 g 

* ■ 20 g 

15 

1,0 g 

„ » 50 g 

13 

1,0 g 


Dass auch Patenttropfgläser gleichen Rauminhaltes unter sich in 
bezug auf Gewicht und Anzahl der Tropfen sehr verschieden sind, er¬ 
hellt aus folgender Zusammenstellung. Bei fünf Patenttropfgläsern von 
10 g Inhalt kamen auf 1,0 g destilliertes Wasser: 12, 13, 2 mal 14 und 
1 mal 15 Tröpfen. Bei vier Tropfgläsern von 20 g Inhalt erhielt ich 
folgende Werte: 11, 13, 15 und 18 Tropfen = 1,0 g destilliertes Wasser. 
Bei sechs Tropfgläsern von 30 g konnte ich konstatieren: In zwei Fällen 
kamen 12 Tropfen auf 1,0 g, in einem Falle 13, dann 14, ferner 15 
und in einem letzten Falle 16 Tropfen = 1,0 g. Mit 50 g Patent¬ 
tropfgläsern erzielte ich folgende Resultate: Im ersten Falle kamen auf 
1,0 g Aqua dest. 13 Tropfen, im zweiten Falle 15 Tropfen und bei 
einem dritten Glase 13 Tropfen. Bei einem vierten Tropfglase konnte 
ich die Beobachtung machen, dass 9 Tropfen schon 1,0 g wogen, also 
weniger als die Hälfte des normalen Zustandes. Bei dem Versuch, die 
Ursache zu eruieren, bemerkte ich, dass die Verschlussöffnung nachlässig 
angefertigt war, so dass die Tropfen erst noch etwas tiefer am Flaschen¬ 
hals herunterliefen und dann erst abtropften. Also auch bei diesen 
Tropfenzählern kann man grossen Unterschieden begegnen, und es 


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3. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


211 


müsste darauf gedrängt werden im Interesse des arzneibedürftigen 
Publikums, dass diese Tropfgläser in stets gleichmässiger Beschaffenheit 
von den Glashütten geliefert würden; diese müssen den Abmachungen 
der Brüsseler Konvention möglichst genau entsprechen. 

Von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit ist auch die Tatsache, 
dass die Anzahl der Tropfen, welche ein bestimmtes Gewicht ausmachen 
sollen, auch verschieden ist, je nachdem man aus einer wenig oder halb 
oder ganz gefüllten Flasche tropft. So konnte ich feststellen, dass ein 
Tropfglas von 10 g Inhalt folgende Zahlen ergab: Füllte ich 2,5 g 
Aqua dest. in ein solches Glas, so kamen auf 1,0 g 13 Tropfen, füllte 
ich 5 g Aqua in dasselbe, so gaben 16 Tropfen 1,0 g, bei 7,5 g Wasser 
kamen 15 Tropfen auf 1,0 g; füllte ich das Gläschen mit 10 g Wasser, 
so waren 18 Tropfen = 1,0. Ganz gefüllt waren 15 Tropfen = 1,0 g. 

Ein 20 g-Glas gab gefüllt 17 Tropfen = 1,0 g 

» 20 „ „ halb „ 14 „ =1,0« 

„ 20 „ „ viertel „ 16 „ = 1,0 g. 

Diese Versuche lehren also, dass wir in bezug auf die Herstellung 
der Tropfgläser noch nicht auf der Höhe sind, da erfahrungsgemäss diese 
Gläser nicht bloss in bezug auf Anzahl der Tropfen unter sich verschieden 
sind, sondern auch noch an dem ganz besonderen Uebelstande leiden, 
dass 20 Tropfen, welche durch diese Tropfgläser abgezählt werden, nicht 
etwa annähernd 1,0 g wiegen, wie man annehmen müsste, sondern 
meistenteils mehr, sogar oft fast das Doppelte. Nun ist es aber noch 
lange nicht einerlei, ob man von einer stark wirkenden Lösung grössere 
oder kleinere Tropfen einnimmt bzw. in die Augen oder Ohren träufelt. 
Wenn auch schliesslich ein einzelner Fall keine besondere Wirkung 
hervorrufen kann, so ist doch die Möglichkeit nicht ausser acht zu 
lassen, dass bei einem länger oder anhaltend gebrauchten Arzneimittel 
die Erscheinung der Kumulativwirkung hinzukommen kann, so dass auf 
die Dauer die unangenehmsten Wirkungen durch ungleichmässige Be¬ 
schaffenheit der Tropfgläser ausgelöst werden könnten. Nehmen wir 
als Beispiel folgendes Rezept, welches mir kürzlich zur Anfertigung vor¬ 
gelegt wurde: Morphin, mur. 0,5, Aqua dest ad 15,0, S. 3 mal täglich 
10 Tropfen zu nehmen, so müssten 10 Tropfen nach dem Brüsseler 
Uebereinkommen 0,016 Morphin entsprechen. Aber hier wäre in dem 
Falle, wo schon 10 bzw. 9 Tropfen gleich 1,0 g waren, die Maximal¬ 
dosis schon überschritten, ohne dass der Arzt eine Ahnung davon hätte. 
Man sieht also, dass derartige Ungleichmässigkeiten von ganz eminenter 
Wichtigkeit sein können. Ich rate daher, stark wirkende Arzneien nie¬ 
mals in Tropfenform zu verordnen, weil eben die Patentgläser niemals 
in gleichmässiger Beschaffenheit geliefert werden. Erst wenn dies er¬ 
reicht ist, wird man jedes Bedenken gegen die Verordnung eines Arznei¬ 
mittels in Tropfenform fallen lassen können. Was den tropfenweisen 
Zusatz eines starkwirkenden Arzneimittels zu einer Mixtur anbelangt, so 
halte ich es für viel richtiger, wenn die Aerzte derartige Substanzen 
stets nach Gewicht verordnen würden. Am praktischsten wäre es, wenn 
starkwirkende Arzneimittel in Pulver- oder Pillenform verordnet würden, 
da diese Arten der Medikation eine sehr genaue Dosierung der Arznei¬ 
stoffe gestatten. 


Bücherbesprechungen. 

Heinrich Obersteiner: Arbeiten ans den neurologischen Institut an 
der Wiener Universität. Bd. 19, H. 2 und 3. 1912. Franz 
Deuticke. 

Anatomische, physiologische und pathologische Arbeiten auf dem 
Gebiete des Nervensystems werden auch in diesen Heften in seltener 
Reichhaltigkeit geboten. Die Arbeiten von Leszlönyi über die ver¬ 
gleichende Anatomie der Lissauer’schen Randzone des Hinterhorns, von 
Kr umholz zur Frage der hinteren Grenzschicht des Rückenmarks, 
von Wakushima über den Kielstreifen des Ammonshorns, von Roth- 
feld zur Kenntnis der Nervenfasern der Substantia gelatiuosa centralis 
haben rein anatomisches Interesse. Bauer und Arnes setzen die Studien 
über Quellung von Nervengewebe fort, indem sie am menschlichen Gehirn 
festste!len, dass die Quellung in Säuren von der Konzentration Viooo D 
aufwärts geringer als in Wasser ist, mit Ausnahme der Borsäure. Io 
schwachen NaOH- und KOH Lösungen ist die Quellung stärker als in 
Wasser. Die graue Substanz hat geringeres Quellungsvermögen als die 
weisse, die Hirnrinde des Säuglings quillt weniger als die des Er¬ 
wachsenen. Die Quellung von Nervengewewebe ist ein grösstenteils 
reversibler Prozess. Die Kleinbirnrinde quillt etwas stärker als die 
Grosshirnrinde. Muraohi’s Arbeit über die titrierbare Acidität und die 
Quellungsfähigkeit des urämischen Gehirns zeigt das urämische Nerven¬ 
gewebe gegen Wasser in seiner Quellungsfäbigkeit herabgesetzt, gegen 
starke Säuren sogar gesteigert. Die titrierbare Acidität nimmt bei der 
Urämie nicht zu. Murachi zeigt dann zur Frage der Autolyse des 
Rückenmarks, dass die Fasern der Wurzeleintrittszone des Hinterstrangs, 
des sulcomarginalen Gebiets des Vorderstrangs u. a. m. rascher zugunde 
gehen als andere Gebiete. Physiologisch wichtig ist die Arbeit von 
Bauer und Leidler über den Einfluss der Ausschaltung verschiedener 
Hirnabschnitte auf den vestibulären Augenreflex. Zur Pathologie leitet 
die Untersuchung Zappert’s über die Spinalganglien im Kindesalter 
über, bei der neben den normalen Befunden Veränderungen bei heredi¬ 
tärer Lues, Tetanie, meningitischen Prozessen usw. geschildert werden. 
Klinisch wichtig ist die Arbeit Marburg’s zur Klinik und Pathologie 
der Myatooia congenita und die von Zutelli zur Klinik der familiären, 


frühinfantilen, spinalen progressiven Muskelatrophie (Werdnig-Hoff- 
mann), in denen die Stellung dieser Krankheitsformen zueinander und 
zur Poliomyelitis ausführlich behandelt werden. Endlich seien die Unter¬ 
suchungen Sakai’s zur Pathologie der Arachnoidea cerebralis mit Be¬ 
rücksichtigung der Epitbelzellen, des Bindegewebes und der freien Elemente 
an einem reichen pathologischen Material und die experimentelle Studie 
Spitzer’s zur Pathogenese der Trigeminusneuralgie, bei der schwere 
Veränderungen in den Trigeminusästen bis zum Ganglion Gassen nach 
toxischen Läsionen der Zabnpulpa beim Hunde erzielt wurden, besonderer 
Berücksichtigung empfohlen. 


Em. MdI: Nene Lehre vom centralen Nervensystem. Leipzig 1912, 
Wilh. Engelmann. 

Den gegenwärtig herrschenden Anschauungen, welche die anato¬ 
mische Entwicklung des Nervensystems und seiner Teile auf der Grund¬ 
lage physiologischer und psychologischer Forschungen zu erklären suchten, 
stellt Radi eine rationelle Morphologie gegenüber, die, frei von phylo¬ 
genetischen Spekulationen als selbständige Wissenschaft nach den Gründen 
der Formen sucht, indem sie über die einzelnen materiellen Erschei¬ 
nungen hinaus ihren Plan zu ermitteln bestrebt ist. Die nach Begriffen 
eingeteilte exakte Morphologie muss Gesetze aufstellen, die für alle 
Organismen gelten. Die Ermittlung der Strukturelemente des organischen 
Körpers, die Lehre von der Koordination und Subordination der Eigen¬ 
schaften, die Analyse der Symmetrie des Körpers sind wichtige Ab¬ 
schnitte der Morphologie. Die vergleichende Methode ist hier das einzige 
Mittel der Forschung. An den Augen der Tiere im Bereich der Wirbel¬ 
losen und der Wirbeltiere und den Typen der Sehcentren bei den 
Würmern, den Mollusken, den Spinnen, den Wirbeltieren führt Verf. 
seine Anschauungen durch. Die Kaskaden fasern, die invertierten Nerven¬ 
bahnen und Ganglien, die lichtempfindliche Schicht des Auges werden 
geschildert. Verf. geht dann auf die Frage nach der Ursache der Nerven- 
kreuzungen ein, weist die Theorien von Ramön y Cajal und Spitzer 
zurück und sucht die Kreuzungen durch eine Umkehrung der Orientierung 
eines Ganglion zu erklären, indem die frühere Innenseite zur Äussen- 
seite wird und so die Nervenbahnen zur Kreuzung gezwungen werden. 
Verf. kommt zu dem Schluss, dass es bestimmte morphologische Gesetze 
gibt, die die äussere Konfiguration des Körpers sowohl als auch die 
Lagebeziehungen seiner feinsten Bestandteile beherrschen. Die Identität 
der strukturellen Gesetze bedingt die Einheit des Plans der gesamten 
Tierwelt. Verf. betrachtet die Sinnesorgane nicht als von der Aussen- 
welt dem organischen Körper aufgepräpt, sondern als Produkte des 
Organismus selbst, aus der inneren Gesetzlichkeit des organischen Wesens 
geprägt. Allerdings dürfte Verf. bei seinen Anschauungen die Bedeutung 
der Funktion für die morphologische Ausgestaltung des Centralnerven¬ 
systems unterschätzen. 


Judson S. Bnry: Diseases of the nervons System. Manchester 1912, 
University press. 

Nach einer kurzen anatomischen und physiologischen Einteilung 
werden die einzelnen Symptome der Nervenkrankheitep behandelt. Es 
folgen die spastischen Lähmungen, dann die schlaffen und atrophischen 
Lähmungen bei den verschiedenen peripheren und spinalen Affektionen. 
Die eigentlichen Rückenmarksaffektionen, Myelitis und Syringomyelie, 
Kompressionsmyelitis, Tabes dorsalis, hereditäre Ataxie, kombinierte 
Strangerkrankung folgen. Die verschiedenen Formen der Muskelspasmen, 
dann die Ermüdungszustände der Muskulatur werden zusammengefasst. 
Dann kommen als intermittierende und paroxysmale Neurosen Neuralgien, 
Migräne, Epilepsie, Raynaud’scheKrankheit, Erythromelalgie, rekurrierende 
Lähmung. Es folgen Aphasie und Apraxie. Den Erkrankungen der 
Hirnnerven folgen die verschiedenen Formen der Meningitis. Die cere¬ 
bralen vascnlären Läsionen, Hämorrbagie, Thrombose und Embolie der 
verschiedenen Hirnabsobnitte, Sinusthrombosen und Hirnaneurysmen 
werden zusammengefasst. Es folgen die Hirntumoren in ihren ver¬ 
schiedenen Lokalisationen, die Hirnabscesse, die Dementia paralytica. 
Nach kurzer Schilderung von Hysterie und Neurasthenie macht die 
cerebrospinale Syphilis den Schluss. Das in seiner Anordnung originelle 
Werk ist anregend und präzis geschrieben; zahlreiche, teils schematische, 
teils nach klinischen Fällen und pathologischen Präparaten angefertigte 
Abbildungen erhöhen die praktische Brauchbarkeit. 

M. Rothmann. 


H. Boro Han und L. Mann: Handbuch der gesamten medizinischen 
Anwendung der Elektrizität, einschliesslich der Rdntgenlehre. 

Bd. II, zweite Hälfte. Leipzig 1911, W. Klinkhardt. 

Von dem schon mehrfach angezeigten Handbuch ist die zweite Hälfte 
des zweiten Bandes erschienen, welche die elektrotherapeutischen Methoden 
umfasst. In einem einleitenden Kapitel behandelt J. K. A. Wertheim 
Salomonson die allgemeine Elektrotherapie, es folgen dann die An¬ 
wendung der Elektrotherapie bei den einzelnen Organerkrankungen von 
Maurice Mendelsohn, Ludwig Mann, Giovanni Galli, Arthur 
Alexander, 0. Fehr, Gustav Brühl, A. Laquierriere. Ohne 
auf Einzelheiten einzugehen, kann man wohl sagen, dass hier der 
Praktiker alles findet — von der eigentlichen Elektrotherapie bis zur 
elektrischen Epilation —, was er in einem solchen Buch sucht. 

Zwei Kapitel über die Franklinisation von A. von Luzenberger 
und über Hochfrequenzströme von J. Bergoniö, die beide auch vom 

5* 


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212 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


physikalisohen Standpunkt aus sehr gut geschrieben sind, beschliessen 
diesen Abschnitt. 

In demselben Band schreibt dann noch H. Boruttau über Be¬ 
leuchtung, Heizung und Elektromotoren, P. Meissner über Elektrolyse, 
Katapborese und Galvanokaustik und R. Steiner über Phototherapie. 

Hiermit ist das eigentliche Werk über die Elektrizität in gewissem 
Sinne abgeschlossen, denn der dritte Band soll nur die Röntgenkunde 
behandeln. 

Bei Durchsicht des ganzen stattlichen Buches wird man dem Ver¬ 
fasser gern zugestehen, dass sein im Beginn des Erscheinens ausge¬ 
sprochener Wunsch, ein Werk zu schaffen, welches die Beziehung der 
Elektrizität zur Heilkunde, vor allem vom praktischen Gesichtspunkte 
aus in vollständiger Form und erschöpfender Weise behandeln will, in 
vollem Maasse gelungen ist. G. F. Nicolai. 


Graphische uad typographische Erstlinge der Syphilisliterator ans 
den Jahren 1495 nnd 1496. Zusammengetragen und ins Licht 
gestellt von Karl SodholT. (Januar 1912.) Mit 24 Tafeln. 
München 1912, Druck und Verlag von Carl Kuhn. 

Das vierte der Gross-Foliohefte aus der Gustav Klein’schen Faksimile¬ 
ausgabe liegt vor uns, und Karl Sudhoff hat diesen ebenso seltenen 
wie berühmten Blättern eine Begleitschrift mitgegeben, welche jeden 
Arzt auf das höchste interessieren muss. Sudhoff beschränkt sich auf 
die Jahre 1495 und 1496 und glaubt unter anderem auch einige nicht 
datierte religiöse Flugblätter in diese Jahre ansetzen zu müssen, so das 
Gebet zum heiligen Minus von Wolfgangk Hamer gegen die grausam- 
liebe Krankheit der Blattern, in Welisch genannt Mala frantzosa, ferner 
das Gebet zum heiligen Dionysius und das gleichfalls undatierte Einblatt 
„für die Blattern mala frantzosa mit der Darstellung der Krankheit des 
biblischen Job“. Diese und ähnliche Inkunabeldrucke in das Jahr 1495 
bis 1497 anzusetzen, sucht Sudhoff innerlich zu begründen, ohne aber 
meines Erachtens hierfür andere als Wahrscheinlichkeitsgründe und 
-beweise zu erbringen. Es ist klar, dass ein Mann von Sudhoff’s Art 
sich nicht damit begnügt, diese Dokumente nebeneinander zu stellen, 
sondern er sucht sie durch einen Faden zu einer Perlenschnur zu ver¬ 
einigen. Er benutzt diese ersten graphischen und typographischen Doku¬ 
mente zur Unterstützung seiner Zweifel betreffs der dominierenden Auf¬ 
fassung der amerikanischen Einschleppung der Syphilis in ein jungfräu¬ 
liches Europa mit dem Beginn einer wirklichen Syphilisepidemie in 
Neapel. Da es wesentlich zeitliche Dissonanzen sind, die diese Zweifel 
stützen und nähren, so wären natürlich nur sicher datierte Dokumente 
eine wünschenswerte Unterlage. Das Gotteslästerungsedikt des Kaisers 
Maximilan vom 7. August 1495 ist für Sudhoff der Ausgangspunkt 
kritischer Ueberlegung. In diesem Edikt wird zunächst daran erinnert, 
dass ein Vorfahr des Kaisers, nämlich Justinianus, bei Strafe gefäng¬ 
licher Einziehung und Hinrichtung alle lästerlichen Worte und Schwüre 
beim Namen Gottes verboten habe, mit dem Hinweis, dass der schwer 
ergrimmte und beleidigte Gott den Menschen als Strafe schon allerlei 
Pestilenz, Erdbeben, Hungersnöte usw. geschickt habe. In diesen Tagen 
habe er die „bösen Blattern“ geschickt, die vorher seit Menschengedenken 
nie gewesen. Es ist immerhin auffällig genug, dass der Redakteur des 
Kaisererlasses sich der Konjunktur einer so jungen Krankheit bedient 
habe; eine nachdrückliche Wirkung konnte doch nur angenommen werden 
in der Voraussetzung, dass die Krankheit damals schon ziemlich verbreitet 
und bekannt gewesen war. Auch die Enarratio satyrica des Georgio 
Sommariva (Summarippa) vom Dezember 1496 überrascht durch die 
genaue und eingehende Erfahrung des Veroneser Patriziers in der ganzen 
Sy phi lissy mptom ato logie. 

Es ist von kulturhistorischer Bedeutung und namentlich in medizin¬ 
historischer ein erfreulicher Beweis ihrer Lebenskraft, dass heute nach 
Entdeckung des Syphiliserregers nicht mit einem Schlage der alte 
Streit ad acta gelegt ist, nachdem auch das letzte Fetzchen praktisch¬ 
epidemiologischen Interesses weggeblasen ist. Jetzt hat die rein histo¬ 
rische Forschung das Wort und nimmt es gleich mit einer so monumen¬ 
talen Veröffentlichung der ersten Dokumente. Obwohl diese durch die 
Arbeit von Fuchs 1853 bekannt waren, war bisher ihre vergleichende 
Betrachtung erschwert oder unmöglich, denn zum Teil handelt es sich 
hier um einzige Dokumente, zum Teil ist ihr Erwerb auch für öffent¬ 
liche Sammlungen unerschwinglich. Hier wenigstens ist der amerikanische 
Einfluss unleugbar. Die vorzüglichen Kopien ersetzen uns die Originale. 
Das Studium der 24 Tafeln und ihre klare Erklärung und Deutung 
für die historische Syphilisforschung sei auch den Praktikern empfohlen, 
sie werden Anregung genug finden zur eigenen Belehrung und Weiter¬ 
arbeit. Holländer. 


Gnido'.Ferrarini: La Teoria tossica nella patogenesi della morte 
in segnito ad nationi. Ricerche e studi critiche e sperimentali. 
(Die Theorie des Verbrennungsgiftes als Ursache des Todes in¬ 
folge von Verbrennungen.) Mailand 1912 (86 Seiten). (Aus der 
Glinica chirurgica, Jahrgang 1912.) 

Verf. gibt in dieser Arbeit zunächst eine sehr umfassende und 
detaillierte Uebersicht über die zahlreichen Theorien, welche die ver¬ 
schiedensten Autoren über die Ursache des Todes nach Verbrennungen 
aufgestellt haben, speziell über die Theorien des supponierten „Ver¬ 
brennungsgiftes“. Ueber die Natur dieses Giftes, über den Ort 
seiner Bildung und die Art und Weise, wie es sich bilden soll, herrschen 
die widerstrebensten Ansichten, ebenso wie über die Art und Weise seiner 


Wirksamkeit, und nicht zuletzt über — den Nachweis dieses Giftes. Die Auf¬ 
zählung dieser unendlich vielen verschiedenen Anschauungen legt schon von 
vornherein die Vermutung nahe, dass dieses Verbrennungsgift etwas recht 
Hypothetisches sein müsse. F. weist gleich darauf hin, dass auch die 
Symptome nach Verbrennungen und der pathologisch-anatomische Befund 
bei Verbrannten keineswegs einen Anhaltspunkt dafür gebe, dass hier 
Vergiftungsprozesse im Spiele seien. F. bespricht ferner die zahl¬ 
reichen experimentellen Arbeiten, die sich mit dem Nachweis und der 
Wirkung dieses hypothetischen Verbrennungsgiftes beschäftigt baben. Er 
hat jeweils die wichtigsten Versuche an zahlreichen Tieren (Meer¬ 
schweinchen) nachgeprüft. Er findet: 1. Wird bei Meerschweinchen eine 
tödliche Verbrennung gesetzt, so lässt sich im Extrakt aus den der Ver¬ 
brennung ausgesetzten Weichteilen keinerlei Toxin nachweisen, das, 
intravenös oder subcutan, irgendwelche Vergiftungserscheinungen be¬ 
wirkte. 2. Aus diesen Geweben lassen sich weder mit der Brieger’schen, 
noch mit der Stas-Otto’schen Methode Substauzen extrahieren, die nicht 
auch in normalen Geweben vorhanden wären: der Nachweis der 
Ptomainbildung durch Verbrennung ist demnach nicht zu erbringen. 
3. Auch das Blut von Tieren mit tödlich endigenden experimentellen 
Verbrennungen enthält keinerlei spezifisches Gift. 4. Ebensowenig ge¬ 
lingt es, mit dem Urin von Versuchstieren (8 bis 14 Stunden nach Ver¬ 
brennung) bei anderen Tieren derselben Spezies irgendwelche Ver¬ 
giftungssymptome hervorzubringen. 5. Ebensowenig liess sich nachweisen, 
dass beim Verbrennungstode es sich um eine anaphylaktische Reaktion 
bandle. 

Nach F. ist demnach der Nachweis eines „Verbrennungsgiftes“ in 
keiner Weise bis jetzt erbracht, und die sämtlichen experimentellen 
Untersuchungen F.’s sind in dieser Hinsicht negativ ausgefallen; auch 
der pathologisch-anatomische Befund bei Verbrennungen liefert keinerlei 
Beweis für die Annahme eines solchen Giftes. Trotzdem will F. keines¬ 
wegs ausschliessen, dass, vielleicht nur in manchen Fällen, vielleicht 
nur in geringen Mengen, irgendwelche giftige Stoffe infolge des Eiweiss¬ 
zerfalls nach Verbrennungen entstehen können. 

W. Fischer - Göttingen. 


Stier-Berlin: Ueber Linkshändigkeit ii der deatsckei A mm. Auf 

Grund amtlichen Materials. Mit 2 Abbildungen im Text und 
3 farbigen Tafeln. (Sonderabdruck des Anhanges von „Unter¬ 
suchungen über Linkshändigkeit und die funktionellen Diffe¬ 
renzen der Hirnhälften“.) Jena 1911, Verlag von Gustav Fischer. 
55 Seiten. 

Von 266270 Mann wurden 10292 als Linkshänder angesprochen. 
Die Zahl ist ausserordentlich gross. Die Zählung geschah nach Frage¬ 
bogen (Angabe). Die geeignetsten Fragen zur Erkennung und Ab¬ 
grenzung der Linkshänder sind die nach Schuheputzen und Brot¬ 
schneiden, bei den sozial besser gestellten Volksschichten nach Stein* 
werfen, doch sind auch geeignet die nach Nähen, Einfädeln, Peitschen¬ 
knallen und Kartenmischen. Die Unterschiede in der Geschicklichkeit 
der Hände sind dabei bei den Ersatzrekruten am grössten, bei den Ein¬ 
jährig-Freiwilligen etwas, bei den Mehrjährig-Freiwilligen deutlich und 
bei Unteroffizierschülern erheblich geringer, somit erhöht sich die Diffe¬ 
renzierung mit dem Lebensalter auch noch nach der Pubertät. Die 
Unterschiede der Händedruckkraft sind am grössten bei den Ersatz¬ 
rekruten, am geringsten bei den Unteroffizieren und Mehijährig- Frei¬ 
willigen, wohl als Zeichen der mit dem Alter zunehmenden Differen¬ 
zierung. Linkshändigkeit ist am häufigsten in Süddeutscbland (speziell 
in Württemberg), am seltensten in Ostpreussen und überhaupt im Nord¬ 
osten Deutschlands zu finden. Aus der Beantwortung des Fragebogens 
erhellt, dass das männliche Geschlecht fast doppelt so häufig Links¬ 
händigkeit aufweist als das weibliche. Die Linkshändigkeit ist eine ex¬ 
quisit erbliche Eigentümlichkeit. Der Linkshänder ist um so weniger 
zum Soldaten geeignet, je mehr seine Familien und sein Heimatland mit 
Linkshändern durchsetzt ist. Der Einfluss der Mutter scheint für die 
Vererbung grösser zu sein als der des Vaters. Die Zahl der körper¬ 
lichen Degenerationszeichen ist bei Linkshändern doppelt so gross als bei 
Rechtshändern. 

Zum Nachweis der Geschicklichkeit der Beine sind die Fragen nach 
dem beim Weitspringen, Schlittern und Ballstosseu vorgeworfenen bzw. 
bevorzugten Bein geeignet. Die letzte von diesen Fragen lässt die 
grössten, die erste die geringsten Unterschiede erkennen. Die grösseren 
Geschicklichkeitsunterschiede findet man dabei bei den Ersatzrekruten, 
die geringsten bei den Mehrjährig- Frei willigen und Unteroffizierschülern. 
Hiernach nehmen also auch die corticalen Centren der Beine an der 
funktionellen Differenz der Hirnhälften teil, und auch hier steigert sich 
die Differenzierung mit den Jahren. 

Einen gleichsinnigen, aber erheblich geringeren Unterschied hat die 
Untersuchung des Mundfacialis (Fähigkeit, den Mund nach rechts oder 
links zu verziehen) ergeben; für den Augenfacialis konnte dieser Beweis 
nicht mit Sicherheit geführt werden. Sprachstörungen fanden sich bei 
linkshändigen Soldaten fast viermal und auch bei ihren Verwandten 
drei- bis viermal so häufig als bei den Rechtshändern. Die Einjahrig- 
Freiwilligen waren kaum mehr als halb so oft beteiligt. Stottern tritt 
dabei viermal so häufig bei Männern als bei Frauen auf. Ein kleiner 
Prozentsatz linkshändiger Soldaten konnte auch mit der linken Hand 
besser, ebensogut oder fast so gut schreiben als mit der rechten. 

_____ Schnütgen. 


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3. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


213 


Beratrüger: Der Gehnrtoarüekgaag ia Deitsehlaad, seine Bewertung 
■ad Bekämpfaag. Veröffentlichungen aus dem Gebiet der Medizinal- 
Verwaltung. I. Band, 13. Heft. 

Der Verfasser schildert mit grossem Eifer die Wirkungen der 
malthusi&nischen und neomalthusianischen Lehren auf die Geburtenziffer 
des deutschen Volkes und macht eine grosse Reihe von Vorschlägen zu 
ihrer Bekämpfung. Wenn man auch über einzelne Punkte anders 
denken mag, so wird man doch im ganzen anerkennen müssen, dass er 
die Quellen dieser traurigen und zweifellos gefährlichen Erscheinung ohne 
Nachsicht aufdeckt. Symptomatisch ist es als erfreulich zu bezeichnen, 
dass die Staatsverwaltung, die an dem Eindringen malthusianischer Ideen in 
die Beamtenkreise nicht ohne Schuld ist, nunmehr zu einer anderen 
Auffassung des Problems übergeht. Möge sie damit nicht zu spät 
kommen. 


Mediziaalstattatigeke Nachricht©«. Im Aufträge des Herrn Ministers 
des Innern herausgegeben vom Königl. preussischen statistischen 
Landesamte. IV. 1912/13, 1. Heft. 

I. Bewegung der Bevölkerung in Preussen unter Hervorhebung der 
wichtigsten Todesursachen in den einzelnen Vierteljahren für 1910 
und 1911. 

II. Die Heilanstalten im preussischen Staate 1910. 

III. Die Sterblichkeit in der Kreisbevölkerung des preussischen 
Staates nach Todesursachen und Altersklassen 1911. 

IV. Geburten, Ebesohliessungen und Todesfälle mit Hervorhebung 
wichtiger Todesursachen im preussischen Staate, Regierungsbezirken und 
Stadtkreisen für das 1. Vierteljahr 1912. 

V. Verschiedenes. Von Dr. Robert Behla, Regierungs- und 
Geheimer Medizinalrat. 1. Taubstumme und Blinde in Preussen 1900 
und 1905. 2. Die Säuglingssterblichkeit in Ostafrika. 3. Diphtherie* 
erkrankungen und Sterbefälle im preussischen Staate und Stadtkreise 
Berlin 1901—1911. 4. Die in Preussen an der Zuckerkrankheit Ge¬ 
storbenen nach Zahl und Beruf sowie nach Altersklassen und Geschlecht 
für 1908—1910. 

Das Vorwort weist auf eine bereits eingeführte und weitere be¬ 
absichtigte Neuerungen hin. 

ad I. 1911 ist die Zahl der Lebendgeborenen mit 1 186 000 = 
29,5 pM. der Bevölkerung gegen das Vorjahr um 30 585 gesunken, 
während die Ehen auf 321 183 = 7,99 pM., also um 10 804 stiegen. 
Gestorben sind 696 372 = 17,32 pM., 58 517 mehr als im Vorjahr. Die 
Todesfälle im ersten Lebensjahr stiegen von 31019 auf 211182 = 
186,49 pM. gegen 156,31 pM. der Lebendgeborenen im Vorjahr. Die 
Hauptschuld an diesem ungünstigen Ergebnis trägt die grosse Sommer¬ 
hitze des Jahres 1911, im 8. Quartal starben 1911 311,7 pM. der 
Lebendgeborenen gegen 184,65 pM. des Vorjahres. Dementsprechend ist 
auch die Häufigkeit des Brechdurchfalls gestiegen. 

ad II—IV siehe Original. 

ad V, 1. Eine Zunahme der Blinden und Tauben trat nicht ein. 

ad V, 2. Die Sanitätsdienststellen verzeichnen 1910/11 in Pro¬ 

zenten der Lebendgeborenen 83,3 pCt. Todesfälle bis zum ersten, 
58 pCt. bis zum zehnten Lebensjahr, die Missionsstatistiken 41,4 pCt. 
bzw. 54,5 pCt. 

ad V, 3. Im Staate findet sich eine Zunahme der Meldungen bei 

Abnahme der Zahl der Todesfälle, während in Berlin die Todesfälle 

weit stärker Zunahmen als die Meldungen. 

ad V, 4. Die Zahl der Todesfälle an Zuckerkrankheit bat in 
Preussen wie auch sonst erheblich zugenommen. Ob sie deshalb, wie 
Behla meint, im Wachsen begriffen ist, erscheint trotzdem fraglich. Die 
Unterschiede in der Belastung verschiedener Berufe sind so gross, dass 
sie teilweise nach Berücksichtigung des Altersaufbaues, der hier wiederum 
fehlt, nicht ausgeglichen würden. Trotz der vorauszusehenden Unvoll¬ 
kommenheiten einer Sammelforschung über Zuckerkrankheit will Behla 
doch einer solchen das Wort reden. Der Misserfolg der deutschen 
Krebsenquete scheint ihn also nicht belehrt zu haben. Selbst¬ 
verständlich taucht auch hier das Wort Fürsorge auf, wie wenn nicht 
schon jetzt alles geschehen könnte, wenn die Herren Zuckerkranken 
darauf Wert legen wollten. Dass man in der Zuckerkrankheit auch gesetz¬ 
geberisch nur ein Symptom statt des Grundübels bekämpfen würde, 
wird nicht berücksichtigt. 

Hrotjah* und Kriegei : Jahresbericht über soziale Hygiene, Deno- 
graphie and Medizinalstatistik. XI. 1911. 877 S. Preis 13 M. 

Der Jahresbericht ist für die Interessenten auf den genannten Ge¬ 
bieten nachgerade unentbehrlich geworden und zeichnet sich wiederum 
durch grosse Reichhaltigkeit der angeführten Literatur aus. Er verdient 
daher auch einen möglichst grossen Absatz. 

Da es nicht möglich ist, alles zu referieren, dürfte es sich empfehlen, 
Unwichtiges ganz unreferiert zu lassen, auch wenn dabei einige treffende 
Bemerkungen von erfreulicher Schärfe verloren gehen. Auch durch zu¬ 
sammenfassende kurze Uebersichten mit Hervorhebung des wichtigsten 
statt der Eiozelreferate, bei denen die Titel unverhältnismässig viel 
Platz wegnehmen, könnte der verfügbare Raum noch ergiebiger aus¬ 
genutzt werden. Bei den Kongressen würde neben dem Titel die Stelle 
genügen, wo der Bericht erscheint. 

Allen sehr willkommen wird die Bibliographie Gottstein’s sein. 

We i n b e r g - Stuttgart. 


Literatur-Auszüge. 

Physiologie. 

L. Kirchheim-Marburg: Ueber den Schatz der Darmwaad gegen 
das Trypsin des Paakreassaftes. (Archiv f. experim. Pathol. u. Pharma¬ 
kologie, Bd. 71, H. 1, S. 1—22.) Eine organspezifLcbe, antitryptische 
Immunität des Darmes gegenüber dem Trypsin ist nicht anzunehmen. 
Schützt sich die Blase und der Oesophagus durch mangelude Resorption, 
so der Darm vielleicht bei schneller Resorption durch prompten Ab¬ 
transport. Auch epithelloses, lebendes Gewebe ist relativ sehr resistent, 
wenn es das Ferment von der Oberfläche her langsam aufnimmt. Wird 
Pankreatin direkt injiziert, erfolgt typische Schädigung io jedem Gewebe. 
Dünndarminhalt, wie er physiologisch mit der Darmwand in Berührung 
kommt, ist auch injiziert ohne Wirkung. Der Darm bedarf gegen seinen 
Inhalt keines Schutzes. 

A. y. Konsohegg-Graz: Ueber die Zackerdichtigkeit der Niereu 
nach wiederholten Adrenalininjektionen. (Archiv f. experim. Pathol. 
u. Pharmakol., Bd. 70, H. 5, S. 311—322.) Die nach Adrenalininjektion 
auftretende Diurese ist von der Glykosurie unabhängig. Auch durch 
aufgesetzte Salzdiurese gelingt es nicht, bei Tieren, die durch wieder¬ 
holte Adrenalininjektionen zuckerdicht gemacht worden sind, Glykosurie 
zu erzeugen. Im Blute solcher Tiere ist eine abnorme Blutzucker¬ 
verteilung nicht nachweisbar, die Nieren enthalten mehr Zucker als in 
der Norm. Die Glykosuriehemmung ist demnach nicht dadurch bedingt, 
dass die Nieren unfähig geworden wären, Zucker aus dem Blut aufzu¬ 
nehmen. Jacoby. 


Pharmakologie. 

K. Schübel-Würzburg: Zur Biochemie der Termitea. (Archiv f. 
experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 70, H. 5, S. 303—310.) Pharma¬ 
kologisch interessante Substanzen Hessen sich nicht nachweisen. 

C. Cervello und C. Varvaro-Palermo: Ueber das Oxydations- 
v er mögen einiger Schwermetalle in Verbindung mit Eiweiss und einige 
physikalisch-chemische Eigenschaften derselben. II. Mitteilung. (Archiv 
f. experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 70, H. 5, S. 369—374.) Fort¬ 
setzung der früheren Untersuchungen der Verfasser. Das Oxydations- 
vermögen der untersuchten Metalle wird durch die Verbindung mit 
Eiweiss nicht gestört. 

0. Gros-Leipzig: Ueber den Wirkungsmechanismus kolloidaler 
Silberhalogenide. (Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 70, 
H. 6, S. 375—406.) Kolloidales Chlorsilber und colloidales Jodsilber 
wirken intravenös beim Kaninchen stark toxisch. Das Chlorsilber ist 
giftiger als das Jodsilber, obwohl die Silberionenkonzentration einer ge¬ 
sättigten Lösung von Chlorsilber und Jodsilber im Plasma die gleiche 
ist. Im Plasma bildet sich mit den Chloriden des Plasmas eine kom¬ 
plexe Chlorsilberverbindung, wodurch der Transport zu den silber- 
empfindlichen Zellen beschleunigt wird. Entsprechend erhöht die gleich¬ 
zeitige intravenöse oder subcutane Injektion für sich allein unschäd¬ 
licher Jodnatriummengen stark die Giftigkeit des Jodsilbers. Auch hier 
ist Koraplexbildung das maassgebende. Mit der Komplexbildung hängt 
auch die schnellere hämolytische Wirkung des Chlorsilbers gegenüber 
dem Jodsilber zusammen. Zusatz kleiner Mengen von Jodnatrium ver¬ 
stärkt die Wirkung des Jodsilbers auf das Nervensystem. Die Wirkung 
des Jodsilbers auf die roten Blutkörperchen in vitro wird auch durch 
Jodnatrium beeinflusst. Hierbei ist eine Reihe von Faktoren zu berück¬ 
sichtigen. — Der pharmakodynamische Grenzwert einer Substanz ist 
gegeben durch die Grenzkonzentration, bei welcher diese Substanz gerade 
auf die betreffende Zelle, Organ oder Organismus nicht mehr schädigend 
wirkt, d. b. nicht mehr damit reagiert. 

0. Loewi-Graz: Untersuchungen zur Physiologie and Pharma¬ 
kologie des Herxvagas. I. Mitteilung. Ueber den Einflnss von Chloral- 
hydrat aaf dea Erfolg der Vagnsreiznag. (Archiv f. experim. Pathol. 
u. Pharmakol., Bd. 70, H. 5, S. 323—342.) Intravenöse Injektion von 
Chloralbydrat in so kleinen Dosen, dass Pulsfrequenz und Blutdruok 
nicht oder kaum beeinflusst werden, hemmt zunächst hochgradig oder 
total das Wiederschlagen des Herzens während der Vagusreizung. Dann 
wird die Wirkung der Vagusreizung abgeschwächt, sie kann aber jetzt 
durch erneute Injektion von Chloralbydrat wieder wie vorher gesteigert 
werden. Grosse Dosen heben die Vaguserregbarkeit dauernd auf. 
Caropher hebt ohne gleichzeitige Beeinflussung der Pulsfrequenz oder 
des Blutdrucks den Erfolg der Vagusreizung ganz oder teilweise, aber 
immer nur vorübergehend auf. Chloralbydrat beeinflusst ähnlich die 
Wirkung von Pilocarpin und Muscarin. Die Intensität der Reizbildung 
des Herzens kann geändert werden, ohne dass es in einer Frequenz¬ 
änderung zum Ausdruck kommen müsste. Die Ursache des Wieder¬ 
beginnes der Herztätigkeit während fortdauernder Vagusreizung ist eine 
wachsende durch die Hemmung gesetzte, Intensitätssteigerung der Funk¬ 
tion der reizbildenden Apparate. 

0. Loewi-Graz: Untersuchungen zur Physiologie aad Pharma¬ 
kologie des Herzvagas. II. Mitteilung. Ueber die Bedeutung des 
Caleiam8 für die Vagoswirkuag. (Archiv f. experim. Pathol. u. 
Pharmakol., Bd. 70, H. 5, S. 843 — 350.) Geringgradige Calciument¬ 
ziehung durch kleine Oxalatmengen steigert im Gegensatz zu hoch¬ 
gradiger oder totaler Caloiumentziehung beim Warmblüter die Erregbar¬ 
keit für elektrische Reizung, am stärksten die des Nervus vagus. Diese 

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214 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 5. 


Erregbarkeitssteigerung ist durch Calcium nicht zu hemmen. Die Mus- 
carinwirkung am Froschherzen kommt auch am kalkfreien Herzen zu¬ 
stande. Die Pilocarpin- und Muscarinvaguslähmung bei Säuger und 
Frosch wird durch Calcium nicht beeinflusst. 

0. Loewi-Graz: Untersuchungen zur Physiologie nad Pharma¬ 
kologie des Herzvagas. III. Mitteilung. Yagaserregbarkeit and 
Vagusgifte. (Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 70, H. 5, 
S. 351—368.) Pilocarpin steigert wie Muscarin in sehr kleinen Mengen 
die Erregbarkeit des Vagus beim Frosch. Im Stadium der Vagus¬ 
lähmung während Muscarin- oder Pilocarpinwirkung existiert weder beim 
Frosch noch beim Kaninchen Ventrikelautomatie, Sinus, Atrium und 
Ventrikel werden gleichmässig von der Vaguslähmung betroffen. Eine 
aufgesetzte Muscarin- und Pilocarpindose kann den Effekt der elek¬ 
trischen Vagusdauerreizung steigern oder ohne Wirkung bleiben, je nach 
Stadium und Intensität der Dauerreizung und Grösse der aufgesetzten 
Giftdose. Superposition von Pilocarpin oder Muscarin auf Pilocarpin 
oder Muscarin wirkt ganz analog wie Superposition von elektrischer 
Vagusreizung auf eine bereits bestehende elektrische Vagusreizung. 
Physostigmin sensibilisiert im Gegensatz zu der elektrischen Vagus¬ 
reizung nicht für die Wirkung des Pilocarpins oder des Muscarins. Die 
Wirkung von Pilocarpin oder Muscarin ist als Reizung des Vagus mit 
Sitz au der myoneuralen Verbindung aufzufassen. 

A. Holste-Strassburg: Systole nad Diastole des Herzeas unter 
dem Einfluss der Digitalinwirknng. (Archiv f. experim. Pathol. u. 
Pharmakol., Bd. 70, H. 6, S. 439—446.) Die kolloidalen Bestandteile 
des Blutes verhindern bei der Durchspülung des Herzens den Durchtritt 
der Digitaliskörper durch die Herzwand. Bei künstlicher Durchspülung 
muss man kolloidale Substanzen der isotonischen Flüssigkeit zufügen, 
damit sie auch isoviscös ist. 

A. Holste-Strassburg: Ueber den Einfluss der Giftnenge und 
Giftkoazeatration der Stoffe der Digitaliagrappe auf die Wirkung am 
Froschherzen. (Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 70, H. 6, 
S. 435—438.) Das wesentliche für die Herzwirkung der Digitaliskörper 
ist die Giftkonzentration. Jacoby. 

L. Arzt und W. Kerl-Wien: Zur Kenntnis der parasitotropea 
Wirkuag des Atoxyls und Neosalvarsans. (Wiener klin. Wochenschr., 
1913, Nr. 1.) Die parasitotrope Wirkung des Atoxyls kann durch Ver¬ 
mengung mit Lecithin erhöht werden, in geringerem Grade auch durch 
Versetzung mit Glykogen. Dagegen wird die parasitotrope Wirkung des 
Neosalvarsans durch diese Zusätze herabgesetzt. P. Hirsch. 

A. R. Cushny: Zur Arbeit von E. Hug: „Ueber die Wirkung des 
Seopolamias“. (Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 70, H. 6, 
S. 433—434.) d-Hyoscin ist praktisch unwirksam. Daher ist i-Hyoscin 
quantitativ ebenso wirksam wie l-Hyoscin. Jacoby. 

Siehe auch Augenheilkunde*. Horovitz, Einfluss von Cocain 
und Hermatropin auf Akkommodation und Pupillengrösse. 


Therapie. 

0. A. Kowanitz-Wiener Neustadt: Unsere Erfahrungen mit Hexal. 
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Das Hexal (Riedel) stellt eine 
Kombination des Hexamethylentetramins mit der Sulfosalicylsäure dar, 
soll also ein Blasenantisepticum und Analgeticum sein. Seine Wirkung 
ist nach K.’s Erfahrungen eine promptere als die des Hexamethylen¬ 
tetramins allein, ist auch angenehmer zu nehmen. P. Hirsch. 

Siehe auch Innere Medizin: Roepke, Mesbe bei Lungen- und 
Kehlkopftuberkulose. Möllers und Wolff, Das Zeuner’sche Tuber¬ 
kulosepräparat „Tebesapin“. — Haut- und Geschlechtskrank¬ 
heiten: Bäumer, Behandlung der Syphilis mit Hg-Glidine. Lob, 
Heilung der Verrucae planae mit Salvarsan. Klausner, Behandlung 
der Syphilis mit Kontraluesin. Bruck und Glück, Wirkung von Aurum 
kalium cyanatum bei Tuberkulose und Lues. 


Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. 

G. Kelling-Dresden: Neue Versuche zur Erzengang von Ge¬ 
schwülsten mittels arteigener and artfremder Embryonalzellen. 

(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 1 u. 2.) K. kommt durch seine 
Versuche zu folgenden Sätzen: Artfremde Stoffe können Wucherungs¬ 
reize abgeben für embryonale Zellen, und die Wucherungen können er¬ 
folgen sowohl im arteigenen als auch im artfremden Organismus, voraus¬ 
gesetzt, dass die Gegenreaktion nicht zu stark ist. Die ganze Ge¬ 
schwulstwucherung basiert nach des Verf. Ansicht auf einer bestimmten 
Reaktionsfähigkeit der einer selbständigen Verdauung fähigen embryo¬ 
nalen Zellen gegenüber gewissen Nährstoffen, in erster Linie wahrschein¬ 
lich artfremden Eiweissstoffen. Der Mensch kann sich gegen Geschwulst¬ 
krankheiten schützen, wenn er artfremde embryonale Zellen vom Körper 
fernhält: man vermeide rohes Fleisch wegen der darin enthaltenen Para¬ 
siten, dann rohe Eier, unsaubere Gemüse, unreines und madiges Obst 
und unreines Wasser. Eingeweidewürmer sind abzutreiben, stechende 
Insekten nach Möglichkeit vom Körper fernzuhalten. 

P. Hirsch. 

Ferguson-Kairo: Veränderungen bei Bilharzia. (Glasgow med. 
journ., 1913, Nr. 1.) Mit vorzüglichen Tafeln zeigt F. die pathologischen 
Veränderungen bei Bilharzia. In der Einleitung gibt Verf. interessante 


Notizen über die geographische Verbreitung der Krankheit, die nach 
Befunden an Mumien zu urteilen, bereits in den frühesten Zeiten im 
Niltal heimisch war und wahrscheinlich sowohl dem Heere Alexanders 
des Grossen wie Napoleons verhängnisvoll wurde. Sehe lenz. 

P. Zander: Zur Histologie der Basedowstrana. (Mitteil. a. d. 
Grenzgeb. d. Med. u. Chir., Bd. 25, H. 4 .) Die verschiedenartigen histo¬ 
logischen Ergebnisse, zu denen die verschiedenen Autoren bei der Unter¬ 
suchung von Basedowkröpfen kommen, erklären sich wohl zum Teil aus 
der häufig mangelhaften Anamnese, die dem Pathologen manche „Base¬ 
dowstruma“ liefert, welche gar keine ist, und aus Vernachlässigung der 
Forderung, dass die Untersuchung sich nicht nur auf einen Teil der 
Drüse erstreckt. Untersucht man aus kropffreien und kropfreichen 
Gegenden stammendes Material in dieser Weise, so ergibt sich, dass sich 
zwar eine einheitliche, für Morbus Basedowii charakteristische Form 
nicht aufrollen lässt, aber doch Unterschiede zwischen Basedowstruma 
und gewöhnlichen Strumen bestehen: Proliferations- und Hyperplasie¬ 
zustände der Schilddrüsenbläschen und ihrer Epithelien, Verflüssigung 
des Kolloids wurde stets, Vermehrung der lymphatischen Elemente 
meistens gefunden, während bei 500 basedowfreien Sohilddrüsen diese 
Befunde nicht erhoben werden konnten. 

G. B. Grub er: Zur Kasuistik der Pfortaderthroartose. (Mitteil. a. 
d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., Bd. 25, H. 4.) Krankengeschichte einer 
49 jährigen Frau, die schon längere Zeit wegen unbestimmter Schmerzen 
im Bauch in ärztlicher Behandlung stand uud nach mehrtägigem ge¬ 
steigerten Uebelbefinden mit Erbrechen, starker Druckempfindlichkeit 
im Epiga9trium und Stuhl Verhaltung erkrankte. Nach kurzdauernder 
Besserung trat plötzlich Exitus im Collaps ein. Bei der Obduktion 
zeigte sich Hyperplasie des Lobus Spigeli bei Persistenz des Lobus 
posterior der Leber und abnormer Pfortaderbildung. Die Venae coro- 
nariae ventriculi und ein abnormer Querast dieser Vene, der zur Leber¬ 
pforte führte, waren ausserordentlich varicös und thrombosiert; die 
Thrombosierung reichte rückläufig bis in die äusseren Pfortaderäste, die 
Milzvene und die Venae mesaraicae. Ein causaler Zusammenhang 
zwischen der abnormen Leberbildung, die als atavistische Erscheinung 
zu deuten ist, und der abnormen Ausbildung eines Gefässastes, aus der 
Vena coronaria des Magens zu dem genannten Lappen führend, ist 
nicht zu konstruieren. Chronische Stauungszu*tände mögen für die 
Thrombosierung in Frage gekommen sein. Zwei Zeichnungen des Verf. 
illustrieren den abnormen Situs. Tb. Müller. 

Siehe auch Parasitenkundc und Serologie: Izar, Wirkung 
des kolloidalen Schwefels auf Rattensarkome. Citron, Zur Biologie des 
Mäusecarcinoms. — Chirurgie: Luce, Sogenannte primäre Carcinome 
(Schleimhautnaevi nach Asch off) und primäre Carcinome des Wurm¬ 
fortsatzes. — Röntgenologie: Frattin, Myositis ossificans progressiva. 


Diagnostik. 

Siehe auch Haut- und Geschlechtskrankheiten: Fischer 
und Klausner, Cutanreaktion der Syphilis. 


Parasitenkunde und Serologie. 

A. Josefson - Stockholm: Experimentelle Untersuchungen über die 
Möglichkeit einer Uebertragang der Kiaderlähmang dureh tote Gegen¬ 
stände nad Fliegen. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 2.) Es 
gelang J. mit einem Taschentuch und Handarbeit, die mit einem Polio¬ 
myelitiskranken in Berührung gekommen waren, durch Ueberimpfen auf 
Affen Poliomyelitis zu erzeugen. Auch durch Ueberimpfen von Staub, 
der aus dem Zimmer von Poliomyelitiskranken stammt, gelingt es, die 
Krankheit experimentell hervorzurufen. Das Virus haftet also an t toten 
Gegenständen. An Fliegen gelingt der Nachweis nicht. 

Dünner. 

“ C. Kling-Stockholm: Die Aetiologie der Kiadorlähinnng. (Wiener 
klin. Wochenschr., 1913, Nr. 2.) Vortrag, gehalten in der 15. allgemeinen 
Aerzteversammlung zu Stockholm. Im akuten Stadium der Kinder¬ 
lähmung kommen die Mikroben mit grosser Wahrscheinlichkeit konstant 
vor im Sekret der Mund , Nasen- und Rachenschleimhaut, ferner im 
Darminhalt und, wie Leichenuntersuchungen gezeigt haben, auch im 
Tracheal- und Bronchialsekret. Sie wurden auch nachgewiesen bei ganz 
gesunden Personen in der nahen Umgebung von Poliomyelitiskranken 
(Mikrobenträger). Es ist praktisch unmöglich, einen Kranken so lange 
zu isolieren, bis er mikrobenfrei ist, denn die Mikroben bleiben nach 
Ablauf des akuten Stadiums noch längere Zeit auf den Schleimhäuten, 
wenn sie auch nicht mehr sehr virulent sind. P. Hirsch. 

R. Gon der-Frankfurt a. M.: Experimentelle Studien mit Trypaae- 
somen und Spironemen (Spirochäten). (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., 
Bd. 15, H. 2 u. 3.) Normale Trypanosomen färben sich mit gewissen 
orthochinoiden Substanzen bereits vital, arsenfeste dagegen färben sich 
erst nach dem Tode. Durch bestimmte Färbesubstanzen wird der 
Blepharoplast mancher Trypanosomen zum Verschwinden gebracht. Eine 
Autooxydation scheint dabei nicht stattzufinden. Trypanosomen, welche 
in vitro mit Trypoflavin, Arsenophenylglycin und Salvarsan behandelt 
werden, können Mäuse nicht mehr infizieren. Das Serum der mit 
Salvarsan intravenös injizierten Tiere ist bald nach der Injektion auch 
noch in vitro auf Spirochaete recurr. und gallinar, wirksam- 


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UNIVERSUM OF IOWA 





3. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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H. Bontemps-Altona: lieber Auflösnngsversiclie vom Tuberkel- 
baeillea ia Neurin und verschiedenen anderen Alkalien und Säuren. 
(Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 15, Nr. 4 u. 5.) Durch Weinsäure, 
Zitronensäure, Milchsäure (50proz.) werden trockene Tuberkclbacillen 
bei 56° stark zerstört, makro- und mikroskopisch, desgleichen durch ein 
Pepsin-Salzsäuregemiscb, während alkalisches Trypsingemisch so gut wie 
wirkungslos blieb. 

K. Meyer-Stettin: Ueber antigene Eigenschaften von Lipoiden, 
Immunisierungsversuche mit Tuberkelbacillen, Tuberkelbacillenlipoiden 
und lipoidfreien Tuberkelbacillen. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 15, 
H. 2 u. 3.) 

H. Ritz-Frankfurt a. M.-. Ueber die Inaktivierung des Komple¬ 
ments dnreh Schütteln. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 15, Nr. 2 
und 3.) Es gelingt, durch Schütteln im Kinotherm Meerschweinchen¬ 
serum in relativ kurzer Zeit zu inaktivieren (Jakoby, Schütze), am 
besten bei zehnfacher Verdünnung des Serums. Das inaktive Serum 
kann durch Endstück und Mittelstück reaktiviert werden. Die Frage 
des Phänomens nach einer Erklärung durch Alkali- bzw. Säurewirkung 
oder durch Oxydation wird diskutiert. 

J. Husler-München: Ueber die Inaktivierung hämolytischer Kom¬ 
plemente durch Erwärmen. (Zeitscbr. f. Immunitätsforsch., Bd. 15, 
H. 2 u. 3.) H. konnte, ebenso wie Ritz, Meerschweinchenserum durch 
Erwärmen derart inaktivieren, dass seine Mittelstück- und Endstück- 
wirkuDg nicht mehr ausgeübt wurde, wohl aber die komplementierende 
Kraft des durch Kobragift inaktivierten Meerschweinchenserums erhalten 
blieb. Es wurde dies durch Va ständiges Erwärmen auf 54° oder 
Vi ständiges auf 55 0 am besten erreicht. Bei weniger starken Wärme¬ 
eingriffen gelang noch ein gewisser Nachweis der Mittelstück Wirkung. 
Das Mittelstück besitzt demnach eine relative Thermostabilität. 

W. Pfeiler und G. Weber - Bromberg: Ueber die Herstellung von 
Bacillenextrakten zu Ablenkungszwecken. (Zeitschr. f. Immunitäts¬ 
forsch., Bd. 15. H. 2 u. 3.) Bei der Herstellung von Antigenextrakten 
aus Bacillen kann man die umständlichen Schüttelprozeduren entbehren. 
Ein blosses Extrahieren der Bacillen mit Kochsalzlösung erfüllt den¬ 
selben Zweck. Einfache Extrakte und Kochextrakte aus Rotzbacillen 
sind als vollkommener Ersatz für Schüttei ex trakte anzusehen. Das lässt 
sich auch auf die anderen pathogenen Erreger übertragen. 

E. Friedberger und T. Ito-Berlin-Tokio: Die Beeinflussung der 
Körpertemperatur durch Salze nach Untersuchungen am Meerschweia- 
Chei. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 15, Nr. 4 u. 5.) Die Verff. 
haben Meerschweinchen verschiedene Salze intraperitoneal einverleibt 
und dann die Einwirkungen auf die Körpertemperatur studiert. Zu¬ 
fuhr von 3 ccm artgleichem Serum lässt die Temperatur unbeeinflusst. 
Destilliertes Wasser (0,5—8,0) bewirkt Fieber. Ausser dem Kochsalz 
kommen noch andere Salze als fiebererregend in Betracht. Sie erregen 
in grösseren Dosen akuten Tod bzw. Temperatursturz, io mittleren Dosen 
erst Temperatursturz, dann Fieber, in kleineren Dosen sogleich Fieber. 

T. Ito-Tokio: Ueber die Konzentration der Seromqaalitäten darch 
Gefrieren und über den Einfluss hoher Kältegrade (flüssige Luft) auf 
die Antikörper. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 15, Nr. 2 u. 3.) 
Untersuchungen über das Verhalten des Komplements, der Agglutinine, 
Hämolysine, Präcipitine und der anaphylaktogenen und Anaphylaxie aus¬ 
lösenden Komponente des Serums beim Erfrieren, sowie über das Ver¬ 
halten gegenüber flüssiger Luft. 

G. Bayer - Innsbruck: Beitrag zur Frage nach der Bedeutung des 
Komplementes für das Agglntinationsphänomen. (Zeitschr. f. Im¬ 
munitätsforsch., Bd. 15, Nr. 2 u. 3.) Die Globulinfraktion des Komple¬ 
ments (Mittelstück) hat eine agglutinationsbefördernde Wirkung. Durch 
Erwärmen auf 56° geht diese Einwirkung verloren, desgleichen bei Auf¬ 
bewahren in Salzmedien. Für sich allein (ohne Endstück) behält das 
Mittelstück die Wirkung lange Zeit (3 mal 24 Stunden mindestens). 

E. Friedberger-Berlin: Anaphylaxie und Anaphylatoxinver- 
(Zeitschr. f. Immuuitätsforscb., Bd. 15, Nr. 4 u. 5.) Entgegen 
den Ausführungen von Biedl und Kraus hält F. an der Identität von 
Anaphylaxie und Vergiftung mit Anaphylatoxin fest. Die Versuche der 
beiden Autoren sind nicht beweisend, da sie die quantitativen Verhält¬ 
nisse nicht genügend berücksichtigen. 

A. Biedl und R. Kraus-Wien: Die Kriterien der anaphylakti- 
achea Vergiftaag. (Zeitsohr. f. Immunitätsforsch., Bd. 15, Nr. 4 u. 5.) 
Nach B. und K. sind die Vergiftungen durch Rinderserum, Kaninchen,- 
Hammelserum und Friedberger’s Anaphylatoxin keine echten ana¬ 
phylaktischen Zeichen. Es fehlt bei den Meerschweinchen der Broncho¬ 
spasmus (durch künstliche Atmung auslösbar), bei Hunden die Blutdruck¬ 
senkung und Ungerinnbarkeit des Blutes. Die echte anaphylaktische 
Vergiftung wird durch ein Gift ausgelöst, das im Pepton vorhanden ist, 
ohne mit diesem identisch zu sein. Am wahrscheinlichsten ist das Gift 
identisch mit dem /i-Imidoazolyläthylaminchlorhydrat, da diese Substanz 
in minimalen Dosen bei Tieren eine Vergiftung hervorruft, die der Ana¬ 
phylaxie vollkommen gleicht. 

N. Pokschischewsky - Berlin: Ueber vergleichende Immani- 
aieraagsversaehe mit Toxopeptideu (Anaphylatoxin) und künstlichen 
Aggressiven. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 15, TT. 2 u. 8.) Die 
schützende Wirkung des Toxopeptids und Aggressins ist vollkommen 
gleich. Es bietet demnach keinen Vorteil, zum Zweck einer aktiven 
Immunisierung Komplement hinzuzufügen. Wolfsohn. 


H. Schlecht und G. Schwenker - Kiel: Ueber die Beziehungen 
der Eosinophilie zur Anaphylaxie. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 
Bd. 108, H. 5 u. 6.) Wird intraperitoneal sensibilisierten Tieren Serum 
in die Luftwege inhaliert, so wird Anaphylaxie erzeugt. Dabei entsteht 
eine eosinophile Infiltration der Lungen, die auf eine allgemeine Blut¬ 
eosinophilie zurückzuführen ist. Bei intraperitonealer Erst- und Re- 
injektion tritt auch Eosinophilie im Peritonealexsudat auf. Beim experi¬ 
mentell erzeugten Artbus’schen Phänomen bestehen die Zellen des ent¬ 
zündlichen Oedems in der Hauptsache aus eosinophilen Zellen. In der 
Darmschleimhaut der Hunde mit Enteritis anaphylactica ist ebenfalls 
eine lokale Eosinophilie in der Submucosa nachweisbar. Eine lokale 
hisiiogene Entstehung der Eosinophilen kam bei allen diesen Zuständen 
nicht zur Beobachtung. Es kommt also der eosinophilen Zelle bei der 
Anaphylaxie eine gewisse Rolle zu. Wahrscheinlich entstehen bei dem 
parenteralen Eiweissabbau irgendwelche Abbauprodukte, die auf die 
eosinophilen Zellen chemotaktisch wirken. Diese werden aus dem Blut 
und Knochenmark angelockt. Die Natur der Abbauprodukte ist noch 
unbekannt. G. Eisner. 

v. Gonzenbach und Hirschfeld - Zürich: Untersuchungen über 
die Rolle des Komplementes bei der Anapbylatoxinbildnng. (Zeitschr. 
f. Immunitätsforsch., Bd. 15, Nr. 4 u. 5.) 

J. Felländer und C. Kling-Stockholm: Untersuchungen über die 
Bildungsstätten des anaphylaktischen Reaktionskörpers. (Zeitschr. f. 
Immunitätsforsch., Bd. 15, Nr. 4 u. 5.) Der anaphylaktische Reaktions¬ 
körper lässt sich ausser im Blutserum auch in polymorphkernigen Ex- 
sudatleukocyten von sensibilisierten Kaninchen durch passive Ueber- 
tragung auf Meerschweinchen nachweisen. Auch im roten Knochenmark 
gelingt der Nachweis, nicht aber in Gehirn, Rückenmark, Milz, Leber, 
Niere und Nebenniere. 

Fr. Graetz - Hamburg: Sind die bei Punktionen oder Rupturen 
von Hydatidencysten aaftretenden Shockzastände als Anaphylaxie zu 
deuten? (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 15, Nr. 1.) Die Flüssigkeit 
von Hydatidencysten erweist sich im Tierexperiment selbst in grossen 
Dosen als ungiftig, auch bei intravenöser und intraperitonealer Injektion. 
Das Tierexperiment ist allerdings nur mit grösster Vorsicht zu ver¬ 
werten, da der menschliche Organismus bedeutend empfindlicher zu sein 
scheint. G.’s Versuche, verschiedene Cystenflüssigkeit durch Präcipitation, 
Komplementbindung und Anaphylaxie zu analysieren, ergaben keine bio¬ 
logischen Unterschiede vom Einweiss des Cystenträgers. Es erscheint 
ihm demnach auch nicht bewiesen, dass bei der Echinokokkenerkran¬ 
kung die Anapbylaiie eine Rolle spielt. Möglich wäre indes wohl ein 
anaphylaktischer Vorgang, der sich gegen das eigene Eiweiss des Cysten¬ 
trägers richtet, bzw. eine anaphylaxieartige Vergiftung durch Eiweiss¬ 
spaltprodukte, die in der Cystenflüssigkeit entstehen und gelegentlich 
bei Punktionen oder Rupturen resorbiert werden. Mittels der Kyrin- 
inethode (Siegfried) gelingt es in der Tat, Eiweissspaltprodukte zu 
isolieren, welche im Tierversuch ein der Anaphylaxie ähnliches Bild aus- 
lösen. 

W. Barikine - Kasan: Untersuchungen über die Toxia-Antitoxin- 
re&ktioa bei Diphtherie. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 15, Nr. 4 
u. 5.) Der Heilwert des Diphtherieserums ist unabhängig von seinem 
Antitoxingehalt. Man muss auch die Avidität bestimmen, eine Eigen¬ 
schaft, dank welcher das Serum Toxin aus seiner Verbindung mit der 
toxinbaltigen Zelle extrahiert. Die möglichst schnelle Bindung liegt in 
den Grenzen einer bestimmten Konzentration der beiden Komponenten. 
Ein Ueberschuss an Antitoxin kann zuweilen die Reaktion hemmen. Die 
Bindung ist eine reversible Reaktion. Auf diese Tatsache können viel¬ 
leicht die postdiphtherischen Lähmungen zurückgeführt werden. 

H. Dold und K. Aoki-Strassburg: Weitere Studien über das 
Bakterieaanapbylatoxia. (Zeitscbr. f. Immunitätsforsch., Bd. 15, H. 2 
u. 3.) Die Verff. fanden bei Vorbehandlung von Paratyphus B-Bacillen 
mit 40 proz. Formaldehyd eine geringe Beeinflussung der Anaphylatoxin- 
bildung, bei Behandlung mit 10 proz. Sublimat gar keine, ebensowenig 
mit 15 proz. Salpetersäure, hingegen waren die mit 15 proz. Natronlauge 
vorbehandelten Bacillen kaum mehr imstande, Anaphylatoxin zu bilden. 
Monatelanger Aufenthalt in 70 proz. Alkohol stört die Anaphylatoxin- 
bildung nicht, wohl aber Schütteln der Bacillen in Oelen. In vielen 
Fällen unterbleibt dann die Giftbildung überhaupt. Wolfsohn. 

E. Manoiloff: Asthma bronchiale als anaphylaktische Erschei¬ 
nung. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., I. Abt., Originalien, Bd. 63, H. 7, 
S. 564.) M. hält nach dem Ergebnis eigener Untersuchungen und dem 
anderer Autoren Asthma bronchiale höchstwahrscheinlich für eine tempo¬ 
räre anaphylaktische Erscheinung. Bierotte. 

S. Abramow-Moskau: Pathologisch-anatomische Studien über ex¬ 
perimentelle Diphtherieintoxikation and Diphtherieimmnnität. (Zeit¬ 
schrift f. Imraunitätsforsch., Bd. 15, Nr. 1.) Das Diphtherietoxin ist ein 
exquisites Gift für die chromaffine Substanz der Nebennieren. Unter 
dem Einfluss grosser Toxindosen versiegte die Adrenalininjektion. Nach 
subletalen Dosen und bei der Immunisierung nimmt sie zu. Der Tod 
bei akuter Vergiftung ist durch Adrenalinmangel bedingt, der eine hoch¬ 
gradige Störung der Circulation nach sich zieht. Der Tod bei subakuten 
Erscheinungen ist durch regressive Veränderungen des Herzmuskels in¬ 
folge von Adrenalinmangel bedingt. Die entzündlichen Veränderungen 
im Endocard und Myocard hingegen sind direkt durch das Diphtherie¬ 
toxin hervorgerufen. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


B. Galli - Valerio und M. Bornaud - Lausanne: Untersuchungen 
über Präcipitation mit Sonnenblomensamen. (Zeitschr. f. Immunitäts¬ 
forsch., Bd. 15, H. 2 u. 3.) Mit dem Eiweiss von Sonnenblumensamen 
ist es möglich, ein spezifisches präcipitierendes Serum zu bereiten; aber 
dies Serum gibt ein geringeres uud sich langsamer bildendes Präcipitat 
auch mit Eiweiss von Pflanzen derselben Familie. Mit dem Serum ist 
es nichts möglich, Sonnenblumensamenöl zu identifizieren. 

C. Hosenthal-Budapest: Differenzierung von Eiweissarten liit 
der Epiphaninreaktion. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 15, Nr. 1.) 
Immununisiert man Meerschweinchen mit homologer Niere, so lassen sich 
mit Hilfe der Epiphaoinreaktion im Immunserum spezifische Nieren¬ 
eiweissantikörper nachweisen. Auch wenn das eigene Nierenparenchym 
zerfällt und resorbiert wird, gelingt dieser Nachweis. Die entsprechenden 
Versuche mit Meerschweinchenleber fielen negativ aus. Nach Immuni¬ 
sierung mit Tumormaterial zeigt die Epiphaninreaktion spezifische, gegen 
Tumoreiweiss gerichtete Antikörper im Blutserum der Meerschweinchen. 

G. Izar - Catania: Wirkung kolloidalen Schwefels auf Ratten- 
sarkome. (Zeitschr. f. Immunitätsiorsch., Bd. 15, H. 2 u. 3.) Einmalige 
intravenöse Injektion von 0,5 ccm ungiftigem Schwefelkolloid bewirkt 
bei Sarkomratten, je nach der Grösse der Geschwulst, vollständigen oder 
partiellen Rückgang, Wachstumshemmung, Einschmelzung des Tumors. 

H. Citron-Berlin: Ein Beitrag zur Biologie des Mäosecareinoms. 
(Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 15, Nr. 1.) Bei der von C. an¬ 
gegebenen Technik wird die Maus laparotomiert, der Magen durchbohrt 
und mit einem Catgutfaden durchzogen, der mit Tumormasse imprägniert 
ist. Mit Hilfe dieser Methode gelang es, in 30 pCt. der Fälle einen 
Magentumor zu erzeugen. Ein positiver Palpationsbefund war in einigen 
Fällen schon nach 12 Tagen vorhanden. Die Sektion zeigte in den 
inneren Organen (besonders Leber) öfter richtige Metastasen. 

Tb. Messerschmidt:Strassburg i. E.: Die ehemotherapentische 
Beeinflassiug der Hiilinerspiroehätenkranklieit durch die im Handel 
befindlichen Jodpräparate. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 15, Nr. 2 
u. 3.) M. konnte eiuen günstigen Einfluss nur erzielen mit Sozojodol- 
Natrium, bei präventiver und nachfolgender kurativer Behandlung von 
Tieren. Nur kurativ, d. h. post infeotionem angewandt, hat das Prä¬ 
parat keinen wesentlichen Einfluss auf den Krankheitsverlanf. 

H. Reiter-Königsberg: Beeinflusst das S&lvarsaa die Intensität 
der Antikörperkildnag? (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 15, Nr. 2 
und 3.) Ein deutlicher Einfluss besteht nicht. Die Wirkung des 
Salvarsans scheint demnach eine direkte zu sein. Wird die Salvarsan- 
einspritzung mit Injektion bakterieller Substanzen kombiniert, so wird 
die Giftigkeit des Salvarsans manchmal erheblich vermehrt. Es gibt 
Tiere, die besonders zur Bildung von Antikörpern neigen. 

Wolfsohn. 

Siehe auch Innere Medizin: Haupt, Wirkung des Tuberkulins 
gegen die Tuberkulose des Meerschweinchens und Kaninchens. 


Innere Medizin. 

Berlin: Klinische Erfahrungen mit der Longensangmaske. (Beitr. 
z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 23, H. 3.) An 52 klinisch bis zur Dauer 
von 107? Monaten beobachteten und auch röntgenologisch genau fixierten 
einwandfreien Fällen von Lungentuberkulose ist die Saugmaskenbehand¬ 
lung angewandt und nach allen Richtungen hin eingehend geprüft 
worden mit nachstehenden Resultaten: Die Maskenbehandlung wird sub¬ 
jektiv von der Mehrzahl der tuberkulösen Lungenkranken gut vertragen 
und gern übernommen. Jedoch ist sie bei warmem Wetter für die 
Patienten keine angenehme Behandlungsart, weil dieselben namentlich 
unter Schweissausbruch und unter Umständen unter einem dadurch 
hervorgerufenen lästigen Ekzem sehr zu leiden haben. Das Allgemein¬ 
befinden der mit Maske behandelten Kranken hat sich bei der grossen 
Mehrzahl wesentlich gebessert, jedoch nicht mehr, als infolge der Kranken- 
hausbehandlung sonst der Fall zu sein pflegt. Die schlafmachende 
Wirkung der Saugmaske hat sich nicht in allen Fällen bewährt, ebenso¬ 
wenig die appetitvermehrende Wirkung. Entfieberung ist während der 
Maskenbehandlung nicht in allen Fällen erfolgt. Die Wirkung der mit 
Liegekur vereinigten Maskenkur ist in dieser Beziehung nicht grösser 
als die Wirkung der Liegekur allein. Husten und Auswurf sind bei 
einer Reihe von Kranken während der mit Liegekur einhergehenden 
Maskenbehandlung vollkommen verschwunden, bei zahlreichen anderen 
mehr oder weniger verringert, nur in vereinzelten Fällen unbeeinflusst 
geblieben. Scheinbar hat die Maskenbehandlung bei einer Reihe von 
Fällen Husten und Auswurf schneller beseitigt als die einfache Kranken¬ 
hausbehandlung in Verbindung mit Liegekur. Jedoch war diese Besserung 
keine anhaltende. Eine bacillenvernichtende oder -vermehrende Wirkung 
der Maske hat sich nicht nachweisen lassen. Katarrhalische Geräusche 
werden in den meisten Fällen des 2. und 3. Stadiums der Zahl nach 
vermindert, in denen des 1. Stadiums nur sehr selten. Jedoch ist bei 
einer Reihe von Fällen in allen drei Stadien deutliche Verschlimmerung 
beobachtet worden. Der Auffassung, dass die Maske in jedem Falle 
unschädlich sei, kann der Verf. nicht beitreten. Bei allen Kranken, 
die Einschmelzungserscbeinungcn haben, ist die Maske kontraindiziert. 
Gegen Lungenblutungen ist die Maske kein sicheres Hilfsmittel; in 
einzelnen Fällen sind während der Maskenbehandlung Blutungen auf¬ 
getreten, bei welchen vorher keine bestanden hatten. Der Hämoglobin¬ 


gehalt steigt in der grossen Mehrzahl der Fälle, die Vermehrung der 
Erythrocyten und der Leukocyten ist unsicher. J. W. Samson. 

L. M. Breed - Pomona: Klinische und experimentelle Beobach¬ 
tungen an Saccharomyceten. (Arch. of interoat. med., Bd. 10, Nr. 2.) 
Der Nachweis von Saccharomyceten konnte bei einer Anzahl von 
Patienten, die an Lungenleiden erkrankt waren, im Sputum geführt 
werden. Ferner wurden Saccharomyceten gefunden in Fällen von 
membranöser Tonsillitis, im Vaginalsekret und im Eiter eines Haut- 
abscesses. Meist handelte es sich dabei um MischinfektiODen. In ver¬ 
einzelten Fällen schienen sie die alleinigen Krankheitserreger zu sein, 
und hier war ihr Schwinden auch von einer Besserung resp. Heilung 
gefolgt. Während durch Autobakterioe in drei Fällen Besserung erzielt 
wurde, trat in einem vierten Falle Verschlimmerung ein. Grosse Jod¬ 
dosen schienen den besten Erfolg zu haben. Durch einen aus diesen 
Saccharomyceten hergestellten Extrakt konnte bei zwei Patienten eine 
leichte Cutanreaktiou hervorgerufen werden. Das Serum von vier 
Patienten gab mit diesem Hefepilze eine positive Agglutinationsprobe. 

C. Kayser. 

T. Sasaki und J. Otsuka-Tokio: Experimenteller Beitrag zur 
Kenntnis des patriden Sputums. (Deutsche med. Wochenscbr., 1913, 
Nr. 4.) Bei putrider Bronchitis riecht das Sputum zuweilen fast ganz 
nach reinem Skatol. Die Veiff. haben einen derartigen Fall beobachtet. 
Die experimentelle Untersuchung des Sputums ergab ihnen, dass unter 
mehreren Bakterien, die sich aus dem Sputum rein züchten Hessen, nur 
der Bacillus pyocyaneus imstande war, aus 1-Tryptophan Skatol zu 
bilden. Wolfsohn. 

H. Haupt: Untersuchungen über die therapeutische Wirkung des 
Tuberkulins gegen die Tuberkulose des Meerschweinchens und 
Kaninchens. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 23, H. 4.) Durch 
Tuberkulinkuren konnte bei den behandelten Versuchstieren gegenüber 
Kontrollmeerschweinchen weder das Lebensalter verlängert noch die 
Ausbreitung der Tuberkulose gehemmt noch der Ernährungszustand ge¬ 
bessert bzw. gut erhalten werden. Bei den Sektionen konnte niemals 
gesteigertes Heilbestreben des Organismus festgestellt werden. Eine 
heilende Wirkung von Tuberkulinkuren konnte bei künstlich infizierten 
Meerschweinchen nicht beobachtet werden. Das gleiche gilt von Kaninchen. 

J. W. Samson. 

B. Möllers und G. Wo 1 ff-Berlin: Experimentelle Untersuchungen 
mit dem Zeuner’schen Tuberkulosepräparat „Tebesapin“. (Deutsche 
med. Wochenscbr., 1913, Nr. 4) Zeuner’s Tebesapin ist eine Emulsion 
von Tuberkelbacillen, die durch siebentägige Einwirkung von ölsaurem 
Natrium und einstüudiges Erhitzen auf 70—72° abgetötet sind. Die 
Verff. konnten durch ihre Tierversuche nicht die Ueberzeugung gewinnen, 
dass das Tebesapin mehr leistet als andere Tuberkulinpräparate. Ins¬ 
besondere ist der immunisatorische Effekt bei infizierten Tieren kein 
sehr ausgeprägter. Ein in Pillenform verabreichtes Tebesapin, das 
„Molliment“ (Deutsche Schutz- und Heilserum-Gesellschaft), dürfte sich 
ebenso verhalten. Die stomachale Anwendung von Tuberkulinpräparaten 
ist zudem überhaupt nicht zu empfehlen, da sie noch weniger wirkungs¬ 
voll ist als die subcutane bzw. intravenöse. 

0. Roepke-Melsungen: Erfahrungen mit Mesbd bei Lungen- und 
Kehlkopftnberknlo86. (Deutsche med. Wochenscbr., 1913, Nr. 4.) 
Mesbe ist das Extrakt einer amerikanischen Malvaceenart. Eine genaue 
Analyse fehlt bisher, auch seine Wirkungsweise ist unbekannt. Es ist 
kein Tuberkuloseheilmittel, überhaupt kein wirksames Tuberkulosemittel. 
Inhalationen und Trinkkuren gaben Verf. bei Lungentuberkulose durch¬ 
aus negative Resultate. Auch die lokale Applikation bei Kehlkopf¬ 
tuberkulose bringt keine Besserung, bedingt jedoch häufig Verschlechte¬ 
rungen. Die Mesliöbehandlung ist demnach für Tuberkulöse in Heil¬ 
stätten energisch abzulehnen. Wolfsohn. 

Schnitter: Klinische Beobachtungen über das Verhalten des 
Blutdrncks während der Lungentuberkulose. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., 
Bd. 23, H. 2.) Während der akuten und chronischen Lungentuberkulose 
ist das Absinken des systolischen und diastolischen Blutdrucks in der 
Mehrzahl der Fälle, besonders bei den unter dem Bilde schwerer Tox¬ 
ämien verlaufenden febrilen Erkrankungen, eine so regelmässige Er¬ 
scheinung, dass sie diagnostisch verwertet werden kann. Der Blutdruck 
sinkt aller Wahrscheinlichkeit nach schon ganz im Frühstadium der 
Tuberkulose und hält sich fast immer, einerlei, ob die Erkrankung 
tödlich verläuft oder gutartig ist und Heilungstendenz aufweist, auf der¬ 
selben Höhe. Gesetzmässig feste Beziehungen zwischen Blutdruck und 
Fieberverlauf bestehen nur ausnahmsweise. Man findet auch beim 
gleichen Falle hohen Blutdruck bei niedriger Temperatur wie umgekehrt. 
Gleiches gilt von Blutdruck und Pulsfrequenz und von Blutdruck und 
Schweissen. Bei akuter Miliartuberkulose kann der vorher normale oder 
erniedrigte Blutdruck stark ansteigen. Lungenblutungen werden nicht 
durch absolut oder relativ hohen Blutdruck begünstigt. 

J. W. Samson. 

M. C. Wintunitz - Baltimore: Ueber Miiztuberkulose. (Arch. 
of internat. med., Bd. 9, Nr. 6.) Bericht über einen Fall von primärer Milz¬ 
tuberkulose bei einem 34 jährigen Mann. Es sind bisher 50 derartige 
Fälle in der Literatur niedergelegt. Das Alter der Erkrankten schwankt 
zwischen 1—80 Jahren, die relativ grösste Häufigkeit liegt zwischen der 
3. und 4. Lebensdekade. Klinisch zeigen die Patienten in chronischen 
Fällen Milzvergrösserung und Schmerzhaftigkeit der Milzgegend, ferner 
bisweilen Störungen von seiten des Digestions- wie Respirationstractus. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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3. Februar 1913. 


Gleichseitig besteht Mattigkeit und Gewichtsabnahme. In den akuten 
Fällen beobachtet man ausserdem Fieber mit Schüttelfrost und Rücken- 
scbmerzen. Im Blutbilde sind die Veränderungen inkonstant. Die 
Therapie besteht einzig in Milzexstirpation, deren Mortalität 41 pCt. be¬ 
trag. In der weitaus überwiegenden Mehrzahl der Fälle ist gleichzeitig 
eine Leber-, in 40 pCt. eine Lungentuberkulose nachweisbar gewesen, 
nur ein Fall isolierter Milztuberkulose existiert bis jetzt 

C. Kayser. 

Schlayer-München: Quellen dauernder Blatdrickateigernng. 
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 2.) Verf. bespricht haupt¬ 
sächlich die dauernde Blutdrucksteigerung bei Nierenschädigung. Aller¬ 
dings gehen die autoptischen Befunde der Niere nicht immer mit der 
Höbe des Blutdrucks parallel. Die Cohnheim-Traube’sche Theorie, die 
die Blutdruckerböhung auf mechanischem Wege durch die Erhöhung des 
Widerstandes der Blutcirculation in dem verödeten Nierengewebe zu er¬ 
klären sucht, passt also nicht für alle Fälle. Gegen diese Theorie 
spricht auch die klinische Erfahrung, dass ein sehr hoher Druck nach 
einiger Zeit bedeutend niedriger sein kann. Inwieweit das Adrenalin 
am Zustandekommen der Blutdruckerhöhung beteiligt ist, kann zurzeit 
nicht entschieden werden; wohl aber kann man eine vermehrte Empfind¬ 
lichkeit der Angriffsorgane, der Gefässe und des Herzens vermuten; es 
bestünde dann also eine erhöhte Reizbarkeit des sympathischen Systems. 
Für die Praxis soll man jedenfalls daran festhalten, dass jede dauernde 
Hypertension über 160 mm Hg den Verdacht auf eine Nierenbeteiligung 
wachrufen muss. Dünner. 

W. Kaess: Untersuchungen über die Viscosität des Blotes bei 
Xerbus Basedowii. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 82, H. 1.) 
Bei 16 untersuchten Fällen fand Verf. in 19 pCt. normale, in 50pCt. 
verminderte und in 31 pCt. vermehrte Viscosität. Er schliesst daraus, 
dass in den meisten Fällen von Morbus Basedowii eine Veränderung der 
Viscosität, und zwar hauptsächlich im Sinne einer Verminderung statthat; 
diese Verminderung kommt nach Ansicht des Verf. den sympathico- 
tonischen Formen zu, während bei Vorherrschen der vagotonischen 
Erscheinungen die Viscosität nur gering herabgesetzt, normal oder (bei 
ausgesprochener Vagotonie) sogar gesteigert ist, wahrscheinlich durch 
den bei dieser Form des Morbus Basedowii eintretenden Wasserverlust. 
Da meist beide Formen gemischt Vorkommen, dürften die durchschnitt¬ 
lichen Viscositätswerte nahe der Norm gefunden werden mit einer deut¬ 
lichen Tendenz zur Herabminderung. Wenn der Morbus Basedowii ein 
Hyperthyreoidismus wäre, so müsste nach Ansicht des Verf. eine ge¬ 
steigerte Viscosität angetroffen werden. Der Einfluss der Basedow¬ 
schilddrüse auf die Blutviscosität ist noch nicht geklärt; vielleicht wird 
durch den gesteigerten Eiweissabbau eine stärkere Verflüssigung des 
Blutes verursacht. Drei Wochen nach der Operation nähern sich die 
Viscositätswerte wieder der Norm; besonders ist dies bei den vago¬ 
tonischen Fällen zu konstatieren. 

M. Flesch: Ueber den Blntznckergeh&lt bei Morbus Basedowii 
und über thyreogene Hyperglykämie, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 
1913, Bd. 82, H. 1.) Spontane Hyperglykämie gehört nicht zum Bilde 
des Morbus Basedowii. Doch war in 60,7 pCt. der Fälle nach Zufuhr 
von 100 g Traubenzucker eine Hyperglykämie nachweisbar. Diese 
alimentäre Hyperglykämie, die diagnostischen Wert hat, steigt noch 
kurze Zeit nach der Operation an, um dann langsam zur Norm zurück- 
zukebren. Ein auffallend rasches Absinken der alimentären Hyper¬ 
glykämie zur Norm wurde in 5 Fällen von sekundärem Basedow beob¬ 
achtet. Zwei Fälle, die vor der Operation normal waren, zeigten nach 
derselben hyperglykämische Werte; eine Erklärung hierfür steht noch 
aus. Zwei Myxödemfälle zeigten ebenfalls eine alimentäre Hyperglykämie; 
dies spräche vielleicht dafür, dass auch das Myxödem wie der Basedow 
als Dysthyreoidismus aufzufassen ist. Nach Tbyreoidinzufuhr konnte 
Verf. auch an sieb selbst eine alimentäre Steigerung des Blutzucker¬ 
gebalts feststellen. Zum Schluss macht Verf. darauf aufmerksam, dass 
bei hoher Glykämie geringe Lymphocytose und umgekehrt starke Lympho- 
eytose bei niedrigem Blutzuckergehait bestand. 

Fr. Schulze: Ueber die alimentäre Glykosnrie nid Adrenalin- 
glykosnrie beim Morbus Basedow und ihre operative Beeinflussung, 
(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 1.) Bei 16 Fällen 
warde in 25 pCt. nach Gabe von 100 g Traubenzucker eine alimentäre 
Glykosurie festgestellt, bei der jedoch eine gewisse Inkonstanz der 
Intensität zu konstatieren war. Nach der Operation war jedesmal das 
Verschwinden der Glykosurie e saccharo zu konstatieren. Bei Adrenalin- 
Injektion reagierten alle bis auf 3 Fälle mit einer Glykosurie, besonders 
stark die Fälle mit alimentärer Glykosurie, die als die schwersten Fälle 
anzusehen sind. Schwere des Falles und Intensität der Glykosurie 
stehen in direktem Verhältnis zueinander. Die Glykosurie ist nicht 
durch eine vermehrte Adrenalinämie zu erklären, sondern einmal durch 
ein Ueberwiegen des Sympathicustonus über den Vagustonus (Unterschied 
zwischen vagotonischem und sympathicotonischem Basedow), wodurch 
zunächst eine relative Pankreasinsuffizienz resultiert; ausserdem durch 
eine spezifische bei Morbus Basedow noch gesteigerte Eigenschaft des 
Schilddrüsensekretes, das die Verarbeitung überschüssig mobilisierten 
oder eingefübrten Zuckers in den Körper hemmt, welch letztere Tat¬ 
sache auch bei der Ablehnung des Morbus Basedow als Hyperthyreoidismus 
zu erklären ist. Baldige chirurgische Therapie, durch die eine Ent¬ 
lastung des Pankreas erreicht wird, ist angebracht, da mit Zunahme der 
thyreogen bedingten Störungen im Koblehydratstoffwechsel auoh die 
Operatioosgef&hr steigt. W. V. Simon. 


P. Grosser und G. Schaub: Zur Pathologie des Morbus Banti. 
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 2.) Zehnjähriges Kind im 
ersten Stadium der Krankheit. Lebervergrösserung und Urobilin im 
Urin waren nicht nachweisbar. Exstirpation der Milz brachte Heilung. 
Die angestellten Stoffwechsel versuche zeigten, dass kein Eiweisszerfall 
besteht; es ist nur vor der Operation der Stickstoff, Phosphorsäure und 
Kalkansatz geringer als nach der Operation. Dieser Befund steht im 
Gegensatz zudem von Umber, der eine Stickstoffunterbilanz bei seinen 
Fällen konstatierte. Die Verff. glauben, dass dieser Befund von Umber 
so zu erklären ist, dass es sich bei seinen Fällen um schon vor¬ 
geschrittene handelt, dass der toxische Ei weisszerfall für das zweite 
Stadium der Krankheit charakteristisch ist. Daraus lässt sich auch der 
Schluss ziehen, dass die Erkrankung der Milz das Primäre und Essentielle 
ist, dass die Lebererkrankung ein sekundäres Symptom der Banti’schen 
Krankheit ist. Dünner. 

A. F. Hess-New York: Beobachtungen am Pankreas and seinem 
Ausführungsgange bei kongenitaler Obliteration der Gallenwege. (Arch. 
of internat. med., Bd. 10, Nr. 1.) Es handelte sich um ein 4 Monate 
altes Kind, das bei angeborener GallengaDgsobliteration auf dem Ob¬ 
duktionstische einen Verschluss des Ductus Wirsungianus und einen 
offenen, accessorischen PaDkreasausfübrungsgaDg zeigte. Klinisch hatte 
starker Icterus, Leber- und Milzschwellung bestanden, sowie subcutane 
und intestinale Hämorrbagien. Im Duodenalinhalt war intra vitam 
Trypsin, Amylase und Lipase nachgewiesen worden. Trotz vollständigen 
Choledochusverschlusses enthielten Stuhl und Mageninhalt Gallenfarbstoff, 
der, möglicherweise aus dem Blut stammend, durch die Darmwand ge¬ 
treten war. C. Kayser. 

E. Maliwa- Greifswald: Der kongenitale familiäre Icterus. (Deutsche 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) Vortrag, gehalten im Medizinischen 
Verein zu Greifswald, Juni 1912. Der kongenitale Icterus ist eine 
primäre Bluterkrankung, die mit Anämie und typischen Veränderungen 
der roten Blutkörperchen einhergeht (Herabsetzung der Resistenz, Auf¬ 
treten von vital verschieden färbbaren Elementen). Der Icterus dabei 
ist als pleiochromer, der Milztumor als spodogener aufzufassen. 

Wolfsohn. 

L. Baumann und C. P. Ho ward - Iowa City: Stoffwechsel- 
Untersuchung bei Skorbut. (Arch. of internat. med., Bd. 9, Nr. 6.) 
Die zum ersten Male ausgeführten exakten Stoffwechseluntersuchungen 
bei einem an Skorbut leidenden erwachsenen Menschen ergaben, dass 
bei Zugabe von Fruchtsaft (Citrone und Apfelsine) eine bessere 
Nahrungsausnutzung stattfindet. Während der Fruchtsaftperiode kam es 
zu starker Retention von Chlor und Natrium, die vorher überreichlich 
ausgeschieden worden waren. Ebenso liess sich, während der Patient 
Fruchtsaft erhielt, eine Retention von Kalium, Calcium und Magnesium 
nachweisen. Der Gesamtschwefelstoffwechsel war dauernd abnorm. 

C. Kayser. 

Th. Hausmann und J. Mein er tz - Rostock: Radiologische Kon- 
trolluntersuchungen, betreffend die Lageb«Stimmung des Magens nnd 
Dickdarms mittels der topographisehen Gleit- nnd Tiefenpalpation. 
(Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 108, H. 5 u. 6.) Verff. zeigen in 
objektiver Weise durch radiologische KontrollUntersuchungen, dass die 
Gebilde, die bei der topographischen Gleit- und Tiefenpalpation als 
Curvatura major, Pylorus, Colon transversum, Coecum, S. romanum ge¬ 
tastet und gedeutet werden, tatsächlich diese Teile sind. Bei richtiger 
Ausübung des Tastverfahrens ist eine Verwechslung des einen Teils mit 
einem anderen nicht zu befürchten und auch hei erheblichen Verlage¬ 
rungen durchaus vermeidbar. Die Lage von Magen und Darm sowie 
ihre Verlagerungen können nicht nur mit Hilfe des Röntgenverfabreus, 
sondern auch mit der Tastmethode sioher festgestellt werden. 

Th. Hausmann - Rostock: Die topographische Gleit- und Tiefen- 
palpation des Verdannngsschlanches und ihre Ergebnisse. (Mit 8 Ab¬ 
bildungen.) Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 108, H. 5 u. 6.) Die 
Prinzipien der topographischen Gleit- und Tiefenpalpation beruhen auf 
folgendem: 1. Die einzelnen Abschnitte des Gastrointestinalkanals 
kommen in plastischer Weise zu tasterischer Wahrnehmung mit Hilfe 
von quer zur Achse des betreffenden Abschnittes gerichteten Gleit¬ 
bewegungen. Der Moment des aneinander Vorbeibewegens der 
Finger und des zu tastenden Teils spielt eine wesentliche Rolle beim 
Tastbarwerden der letzteren. Während die Finger beckenwärts gleiten, 
steigen die Organe im Exspirium nach oben. 2. Die Tiefenpalpation 
will auch tiefer gelegene und der hinteren Baucbwand anliegende Teile 
tastbar machen. Dazu versenkt man bei der im Exspirium erfolgenden 
Bauchwanderschlaffung die Haud allmählich in die Tiefe und führt dann 
die obengenannten Gleitbewegungen aus. 3. Die topographische Pal¬ 
pation bezweckt, alle der Tastung zugänglichen Teile des Gastro¬ 
intestinalkanals in ihrer Lage und in ihrem Verlauf zu bestimmen. So 
werden die palpatorischen Befunde nicht nur bei normaler Lagerung der 
Bauchorgane, sondern auch hei Lageabnormitäten richtig gedeutet. 
Gastroptose, Coloptose, Coecum mobile, Tumoren werden mit grosser 
Sicherheit lokalisiert. Die Methode gestattet es ferner, den oft irre¬ 
führenden Mac Burney’schen Punkt zu vernachlässigen und viel sicherer, 
als es auf andere Weise möglich wäre, eine chronische oder larvierte 
Appendicitis zu diagnostizieren. Die palpatorisch erkennbaren Eigen¬ 
schaften des Gastrointestinaltractus sind: 1. Akustische Phänomene 
(Plätschern, Quatschen, feuchtes und trockenes Gurren). 2. Konsistenz- 
und Volumenwechsel. 3. Respiratorische Verschieblichkeit. 4. Passive 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 5. 


Verschieblichkeit. 5. Spontane Verschieblichkeit. Als einzig brauchbare 
Kontrollmethode für die palpatorisch testgestellte Lage des Verdauungs¬ 
schlauches gilt die Röntgenuntersuchung. G. Eisner. 

Ch. H. Sandford und J. Rosenbloom - New-York: Die Glycyl- 
tryptophan- and die Tryptophanreaktion beim Mageneareinom. (Arcb. 
of internat. med., Bd. 9, Nr. 4.) Die Autoren haben die von Neu¬ 
bauer und Fischer angegebene Reaktion, die auf der Zerlegung des 
Glycyltryptophans durch carcinomatösen Magensaft beruht, nachgeprüft, 
ferner die von verschiedenen anderen Seiten angegebenen Modifikationen 
einer Kritik unterzogen und ausserdem das Vorhandensein von Trypto¬ 
phan selbst als diagnostisches Hilfsmittel zu verwerten gesucht. 
Zwischen Tryptophanprobe und Glycyltryptophanspaltung haben sich, 
soweit aus den Tabellen der Verff. hervorgeht, keine nennenswerten 
Unterschiede ergeben (?). Abgesehen davon, dass die Autoren sich 
nicht an die Vorschriften von Neubauer und Fischer streng gehalten 
haben, konnte Ref. teils einige der hier erhobenen Einwände in einer 
ungefähr gleichzeitig erschienenen Arbeit (Deutsche med. Wochenschr., 
1912, Nr. 12) widerlegen, teils gelangte er zu besseren Resultaten. 
Die Verff. sprechen der Reaktion eine Zuverlässigkeit nicht zu, Ref. 
fand sie bei sicherem Carcinom fast stets positiv. C. Kays er. 

P. Schaefer - Frankfurt a. M.: Malaria tertiana und deren 
Heilung durch Neosalvarsan. Mit 2 Kurven. (Deutsches Archiv f. klin. 
Med., Bd. 108, H. 5 u. 6.) Verf. beschreibt einen Fall von Malaria 
tertiana, der bereits 3 Wochen lang Chinin bekommen hatte, aber mit 
nur vorübergehendem Erfolg. Er bekam 0,6 g Neosalvarsan intravenös 
mit der Wirkung, dass das Fieber nach der Injektion nicht wieder auf¬ 
trat. Das Blutbilld zeigte an den Tagen nach der Neosalvarsangabe 
keine Zeichen für noch latente Malariainfektion, also keine Eosinophilie 
und Mononucleose, sondern normale Verhältniszahlen der Leukocyten. 
Zehn Tage nach der ersten Injektion wurde eine zweite von 0,9 g ge¬ 
macht. Bis 3 Monate nach der Behandlung ist kein Recidiv mehr auf¬ 
getreten; das Blutbild ist weiter normal, so dass man an einen Dauer¬ 
erfolg glauben kann. G. Eisner. 

J. B. Herrick - Chicago: Ueber die Beeinflussung eines Falles von 
Diabetes insipidas durch die Lumbalpunktion. (Arch. of internat. 
med., Bd. 10, Nr. 1.) Es handelt sich um einen 43 jährigen Mann, der 
täglich zwischen 7500—11 000 ccm Urin bei einem spezifischen Gewicht 
von 1001 ausschied. Das Leiden bestand seit 4 Jahren. Nach einer 
Lumbalpunktion, bei der 5 ccm Flüssigkeit unter niedrigem Druck ent¬ 
leert wurden, trat zunächst für einige Tage eine schmerzhafte Pro¬ 
station auf, doch schwand dann der Durst, und die Menge des aus¬ 
geschiedenen Urins betrug während 4 Wochen nicht mehr als 1800 ccm 
pro die, bei einem spezifischen Gewicht von 1015. Verf. glaubt, dass, 
zum mindesten für diesen Fall, die Theorie von Erich Meyer, der in 
der Unfähigkeit der Niere, einen konzentrierten Urin abzusondern, die 
Ursache des Diabetes insipidus sieht, keine Geltung behalte. 

C. Kays er. 

Siehe auch Parasitenkunde und Serologie: Manoiloff, 
Asthma bronchiale als anaphylaktische Erscheinung. — Röntgenologie: 
Kienböck, Sigma elongatum mobile. Lippmann und Quiering, 
Röntgenuntersuchung der Aortenerkrankungen, speziell der Aortenlues. — 
Geburtshilfe und Gynäkologie: Schickele, Pyelitis und Nieren¬ 
beckenerweiterung während und ausserhalb der Schwangerschaft. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde, Bd. 45, H. 4 
bis 6, enthält das Protokoll der sechsten Jahresversammlung der Ge¬ 
sellschaft deutscher Nervenärzte in Hamburg am 27. bis 29. Sep¬ 
tember 1912 (bereits referiert in dieser Wochenschr., 1912, Nr. 43 u. 44.) 

K. Kroner. 

J. Reich: Ueber Gelbfärbnng der Cerebrospinalflüssigkeit. (Mit¬ 
teilungen a. d. Grenzg. d. Med. u. Chir., Bd. 25, H. 4.) R. fand in drei 
Fällen von Hirngeschwülsten diese Färbung der Cerebrospinalflüssigkeit 
und vermehrt damit die eingangs der Arbeit referierten anderweitigen 
Beobachtungen von einer Gelbfärbung der Cerebrospinalflüssigkeit bei 
Hirntumoren. Diese eigentümliche Verfärbung ist durch Blutbei¬ 
mischungen bedingt und tritt bei Prozessen auf, die zu Hämorrhagien 
in den Liquor geführt haben, am häufigsten bei Tumoren des Hirns und 
Rückenmarks und da vornehmlich bei solchen, die mit ihrer Oberfläche 
mit dem Liquor in Berührung sind und so leicht Blutfarbstoff an ihn 
abgeben können. Th. Müller-Augsburg. 

Sarbo-Budapest: Klinisch reiner Fall von spastischer Spinal¬ 
paralyse (Erb) als Unfallfolge. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilb., 
Bd. 46, H. 1.) Die einzige Ursache war eine mehrmalige ausserordent¬ 
lich starke Ueberanstrengung der Beine, die nach Verf. auch ohne An¬ 
nahme einer angeborenen Minderwertigkeit der Pyramidenbahn zu einer 
fortschreitenden organischen Störung führen kann. 

B. Doinikow - Frankfurt a.M.: Zur Histopathologie der Neuritis 
mit besonderer Berücksichtigung der Regenerationsvorgänge. (Deutsche 
Zeitschr. f. Nervenheilk., Bd. 46, H. 1.) Beim Zerfall markhaltiger 
peripherer Nervenfasern erscheinen verschiedenartige Fettsubstanzen 
(Fettsäuren, Glycerinester und schliesslich Cholesterinester). Mikro¬ 
skopisch sieht man an Fibrillenpräparaten dünne marklose Axonen, die 
zum Teil sicherlich auf Regenerationserscheinungen hinweisen (durch 
Sprossung aus erhalten gebliebenen Fasern). K. Kroner. 


Bierm an n-Heidelberg: Ueber metapneumoniseke Braehialplexus- 
neuritis and -polynenritis. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) 
Drei kasuistische Mitteilungen. Die neuritischen Symptome entwickelten 
sich nach Ablauf der Pneumonie. In den beiden ersten Fällen waren 
hauptsächlich die Arme und Schultergürtel befallen, im dritten |Falle 
die Unterschenkel und Füsse. Schwere sensible und motorische Störungen 
sowie Atrophien. Allmähliches Zurückgehen der Erscheinungen. In 
Fall 3 waren auch Hirnnerven mitbeteiligt. Wolfsohn. 

Margulis - Moskau: Die pathologisch-anatomischen Veränderungen 
bei Cysticerken des Grosshirns. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk., 
Bd. 46, H. 1.) Die Reaktionserscheinungen sind in der Hirnrinde die 
gleichen wie in den centralen Partien. Der Parasit befindet sich in 
einem mit Bindegewebe ausgekleideten Hohlraum, das an der Peripherie 
in Form von Zügen liegt. Die reaktive Kapsel kommt zustande durch 
Nekrose der angrenzenden Hirnsubstanz und durch chronisch entzünd¬ 
liche Reizung. Die Bindege webskapsel geht aus Granulationsgewebe 
hervor, das bei toten Cysticerken schmäler ist als bei lebenden. Eine 
Ependymitis granularis konnte Verf. nicht beobachten. 

Rönne und Wimmer - Kopenhagen: Akute disseminierte Sklerese. 
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk., Bd. 46, H. 1.) Verff. treten für die 
Abgrenzung dieses Krankheitsbildes von der akuten Myelitis ein, wenn 
auch bistopathologisch alle Charakteristika der Entzündung gegeben sind. 
Sie weisen besonders darauf hin, dass auch bei der typischen dissemi- 
nierten Sklerose in den frischeren Plaques dieselben Veränderungen sich 
finden. Besonders besprochen werden die neuerdings immer mehr be¬ 
achteten Augenerscheinungen bei dieser Krankheit. K. Kroner. 

E. Schlesinger-Berlin: Ueber den Schwellenwert der Popillen- 
reaktion and die Ausdehnung des papille-notorischen Bezirkes der 
Retina. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) Vortrag, gehalten 
auf der 6. Jahresversammlung der Gesellschaft Deutscher Nervenärzte in 
Hamburg, am 29. September 1912. Wolfsohn. 

Behr-Kiel: Die Bedeutung der Pnpillenstornngen für die Herd- 
diagnose der hononymen Hemianopsie und ihre Beziehungen zur Theorie 
der Pnpillenbewegang. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk., Bd. 46, 
H. 1.) Auf Grund mehrerer genau analysierter Fälle kommt Verf. zu 
folgendem Ergebnis: Besteht bei einer homonymen Hemianopsie eine 
ausgesprochene Pupillendifferenz mit der weiteren Pupille auf der dem 
Herd gegenüberliegenden Seite, ist ausserdem auf diesem Auge die direkte 
Lichtreaktion weniger ausgiebig und die hemianopische Starre weniger 
deutlich bei monocularer Prüfung als auf dem anderen Auge, und findet 
sich ausserdem eine gleichsinnige Lidspaltendifferenz, dann kann mit 
grosser Wahrscheinlichkeit eine Tractusläsion als Ursache der Hemianopsie 
angenommen werden. Es ergibt sich daraus, dass die in einem Tractus 
vereinigten von zwei homonymen Netzhauthälften ausgehenden Bündel 
central als geschlossener Faserzug eine Kreuzung vornehmen und in das 
Oculomotoriuskerngebiet der gegenüberliegenden Seite einstrahlen. 

K. Kroner. 

Siehe auch Augenheilkunde: Rönne, Pathologische Anatomie 
der Sehnerven-Chiasmaleiden bei akuter assiminierter Sklerose. Cramer, 
Neuritis bulbaris bei infektiöser multipler Neuritis. — Chirurgie: 
Leriche, Durchschneidung der hinteren Wurzeln. Härtel, Leitungs- 
anästbesie und Iojektionsbehandlung des Ganglion Gasseri und der 
Trigeminusstämme. — Röntgenologie: Köhler, Vollständige proximale 
Metacarpalepipbysen.— Innere Medizin: Bier mann, Metapneumonische 
Brachialplexusneuritis und Polyneuritis. 


Kinderheilkunde. 

v. Planta: Akklimatisation und Hygiene des kranken Kindes 
in den Hochalpen. (Zeitschr. f. Balneologie, Klimatologie und Kurort¬ 
hygiene, 5. Jahrg., Nr. 18.) Verf. konnte in seinem Kinderheim in 
St. Moritz die Erfahrung machen, dass die Kinder ein ausgesprochenes 
Anpassungsvermögen haben und keine namhafte Akklimatisierungs¬ 
schwierigkeiten zeigen. Trotzdem sollen schwächliche Kinder, besonders 
in gewissen Krankheitsfällen, den schroffen Uebergang von der Tiefe 
nach der Höhe durch eine Zwischenstation mildern, die auch für die 
Rückreise zu empfehlen ist. Erst wenn Akklimatisation erfolgt ist, soll 
der Unterricht der Kinder beginnen, der besonders in den Morgenstunden 
stattfinden muss. . Von den Sportarten ist für das Kind das Eisläufen, 
dann das Rodeln zu nennen. Auch Bewegungsspiele haben vorzüglichen 
Einfluss. E. Tobias. 

R. Lawatsshek - Prag: Zur Prognose der Säuglingstuberkulose. 
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 2.) Die Prognose der Tuberkulose 
ist abhängig vom Alter, in welchem die Infektion erfolgt. Dieser Satz 
gilt besonder für die Säuglingszeit. Angeborene oder im ersten Lebens¬ 
vierteljahre erworbene Tuberkulose gibt natürlich die grösste Mortalitäts¬ 
ziffer; die meisten Autoren geben sie mit 100 pCt. an. In der deutschen 
Universitätskinderklinik an der Landesfindelanstalt in Prag wird jedes 
tuberkulosebelastete, tuberkuloseverdächtige und dystrophische Kind der 
Pirquet’sehn Cutanreaktion unterworfen; die früheste positive Reaktion 
wurde am 38. Lebenstage erhalten. P. Hirsch. 

Siehe auch Parasitenkunde und Serologie: Josefson, 
Uebertragung der Kinderlähmung durch tote Gegenstände. Kling, 
Aetiologie der Kinderlähmung. — Innere Medizin: Bauraann und 
Howard, Stoffwechseluntersuchung bei Skorbut. — Chirurgie: 
Schubert, TrachealVerdrängung bei Thymus hyperplasticus. 


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3. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


219 


Chirurgie. 

Lin zenmeier und Brandes: Extraehoriale Fruchtentwiekluug 
und ihre Bedeutung für die Entstehung kongenitaler Deformitäten, 
(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 1.) Die Verff. machen 
auf die Notwendigkeit aufmerksam, einerseits nach der Geburt miss- 
bildeter Früchte eine genaue Eruierung etwa vorhanden gewesener patho¬ 
logischer Schwaogerschaftszustände vorzunehmen, andererseits fordern sie 
die genaue Beschreibung aller nach extraohorialer Schwangerschaft mit 
rolligem Fehlen des Fruchtwassers geborenen Kinder. Denn gerade 
diese Schwangerschaftsanomalie ist am ehesten zur Erforschung des Ein¬ 
flusses des Fruchtwassermangels und des abnormen intrauterinen Druckes 
auf die Entwicklung von Missbildungen geeignet. In ihrem Gefolge 
kommen auffallend oft meist multiple typische Deformitäten (Klump- 
füsse, Starre der Gelenke, Kontrakturen usw.) vor. Zusammenstellung 
der bisher publizierten Fälle. 

P. Kranz: Innere Sekretion, Kieferkildnng nnd Dentition. 

(t. Bruns* Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 1.) Verf. beweist an 
Hand der Literatur und eigener experimenteller Erfahrungen und klini¬ 
scher Beobachtungen den Zusammenhang zwischen innerer Sekretion und 
Dentition und Kieferbildung. Er beweist vor allem die ursächliche 
Wirkung der angeborenen Schwäche auf die Dentitionsanomalien. So 
wird gesondert der Zusammenhang von krankhafter Veränderung von 
Schilddrüse, Epithelkörperchen, Thymus, Keimdrüsen, Hypophysen, 
Pankreas und Nebennieren zu den Dentitionsanomalien besprochen. 
Verf. stellt weitere spezielle Arbeiten über dieses interessante Gebiet in 
Aussicht. W. V. Simon. 

A. W. Meyer: Zur Behandlung der Clavieularluxationen. (Deutsche 
Zeitschr. f. Chir., 1912, Bd. 119, H. 5 u. 6.) Verf. empfiehlt ein bei 
einem Fall von sternaler Luxation erprobtes Verfahren, das, nachdem 
die Clavicula reponiert ist, dieselbe durch eine Naht der sternalen Partie 
des Pectoralis mit dem sternalen und olavicularen Ansatz des Hals¬ 
nickers an ihrer richtigen Stelle fixiert. Danach wird auch der Schlitz 
zwischen beiden Partien des Sternocleido geschlossen. Fritsch. 

W. Kauert: Zur Therapie der Pseudarthrosen dnrch Osteoplastik, 
(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 1.) Mitteilung eines 
Falles von Tibiapseudarthrose aus der Freiburger Klinik, bei dem mit 
Erfolg eine Autoplastik aus der Fibula desselben Beines vorgenommen 
wurde, und zwar so, dass das transplantierte Knochenstückchon mit den 
Weichteilcn locker verbunden blieb, welche Methode bessere Aussicht 
auf Erfolg hat als die freie Autoplastik. Auch bei der angegebenen 
Operationsmethode kommt es zur völligen Resorption des Implantats 
und Ersatz desselben durch neugebildete Knochen. 

S. Ponomareff: Ueber die Behandlung infizierter Verletzungen 
ie« Kniegelenks mit Bier’seher Staanngsbyperämie. (v. Bruns’ Beitr. 
z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 1.) Von 54 Kniegelenkverletzungen des 
Obuchow-Krankenhauses wurde 34 mal Bier’sche Stauung angewandt, die 
jedoch nach Ansicht des Verf. nicht allein zur Behandlung genügt. Es 
soll auf jeden Fall das Glied immobilisiert werden (Gips, Schiene). Die 
Eröffnung des vereiterten Gelenks und paraartikulärer Abscesse darf bei 
der Staubehandlung (was auch die Bier’sche Schule stets fordert. Ref.) 
nicht vernachlässigt werden. Passive Bewegungsversuche sind erst nach 
Ablauf aller entzündlichen Erscheinungen vorzunehmen, da sonst er¬ 
hebliche Verschlimmerungen eintreten können. Deutlich war fast stets 
die schmerzstillende Wirkung der Stauung. W. V. Simon. 

G. Perthes-Tübingen: Ueber die Behandlung der Knocken- nnd 
Gelenktuberkulose. (Schluss.) (Therapie d. Gegenw., Dezember 1912.) 
Nach Ansicht des Verf. ist es unmöglich, für die Entscheidung zwischen 
operativem und konservativem Verfahren bestimmte Regeln aufzustellen. 
Es kommen nur einige Gesichtspunkte für die Indikationsstellung in 
Betracht. 1. Bei Kindern wird die konservative Methode bevorzugt, 
weil die Heilungstendenz hier eine grössere ist als bejm Erwachsenen 
und die Resultate der Gelenksresektionen besonders ungünstige sind. 
2. Die Entscheidung richtet sich auch nach dom Gelenk. Beim Knie¬ 
gelenk ist am ehesten zur Resektion zu raten, während beim Hüft- und 
Handgelenk besser konservativ zu behandeln ist. 3. Eine wesentliche 
Rolle bei der Indikationsstellung spielt der Zustand der erkrankten Ge¬ 
lenke, über den die Röntgendurchleuchtung Aufschluss gibt. Eine rein 
synoviale Form der Tuberkulose eignet sich im allgemeinen für die 
konservative Methode, während grössere tuberkulöse Knochenherde 
operiert werden müssen. 4. Bei ungünstigen sozialen Verhältnissen 
schreitet Verf. von vornherein zur Operation. R. Fabian. 

R. Pürckhauer-München: Verletzungen der Ligamenta ernciata 
des Kniegelenks. (Münchener med. Wochensehr., 1913, Nr. 2.) 3 Fälle, 
von denen der eine entstand durch Hyperextension, der zweite durch 
Hyperfiexion, wobei gleichzeitig beim Beugen des Knies sich der andere 
Fuss als Keil in die Kniekehle legte. Der dritte Fall kam durch Ueber- 
streckung und gleichzeitige hochgradige seitliche Abduktion zustande. 

Dünner. 

V. Schmieden und F. Erkes-Berlin: Klinische Studien über die 
Keibildugavorginge am Hüftgelenk im Anschluss an die Resektion. 
(Archiv f. klin. Chir., 1912, Bd. 100, H. 1, S. 114.) Es ergab sich die 
überraschende Tatsache, dass auch bei sehr ausgedehnter Resektion unter 
bestimmten Bedingungen eine vielfach an normale Verhältnisse erinnernde 
Wiederbildung der Gelenkpfanne, namentlich des femoralen Teils, ein- 
tritt, und dass io anderen Fällen der Körper imstande ist, der Funktion 


in bester Weise dienende, neuartige Knochenformen entstehen zu lassen, 
die ihr Analogon in normalen Verhältnissen finden. Gelegentlich kehrt 
sich der Mechanismus in wunderbarer Weise um, so dass eine Art Pfanne 
am Femur, eine Art Gelenkkopf am Becken ausgebildet wird, vielfach 
bildet sich der Trochanter minor in einen Processus articularis um. — 
Bei jugendlichen Personen sind die Regenerationsvorgänge c. p. inten¬ 
siver und hinsichtlich der Funktion erfolgreicher. Funktion und anato¬ 
mische Gestaltung gehen nicht immer parallel; von wesentlicher Be¬ 
deutung ist eine auf aktive und passive Beweglichkeit gerichtete Nach¬ 
behandlung und eine frühzeitige Belastung. Die Verff. erblicken nicht 
nur in dem Funktionsreiz, sondern auch in der Einwirkung des Muskel¬ 
zuges, der Inanspruchnahme durch Druck und Zug usw. die wichtigsten 
Faktoren für eine Wiederbildung brauchbarer Knochenforraen. Aus den 
Ausführungen ergibt sich der Rat für die praktische Durchführung der 
Hüftresektion, dass sich der Operateur von vornherein klar sein muss, 
ob er ein bewegliches oder ein ankylosiertes Hüftgelenk anstreben will. 
Diese Frage entsteht weniger bei Fällen von Tuberkulose, wo das Augen¬ 
merk in erster Linie auf die Ausrottung des Krankheitsherdes gerichtet 
sein muss, sondern namentlich bei Fällen von Arthritis deformans, ver¬ 
alteter Schenkelhalspseudarthrose u. dgl.; hier ist vor allen Dingen ein 
mittlerer Zustand zu vermeiden, der zu beständigen Reizerscheinungen 
und sekundärer Arthritis deformans Anlass gibt. F. Härtel. 

E. Hesse: Ueber die klinische Anwendung der Gefässnaht auf 
Grund eines Materials von 60 Fällen, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 

1912, Bd. 82, H. 1.) Das Hauptmaterial des Verf. (Obuchow-Kranken- 

haus) betrifft die Ausführung der Delbet’schen Operation bei Varicen, 
die bei jedem Fall mit positivem Trendelenburg ausgefübrt wird und 
deren Dauerresultate während drei Jahren vorzüglich seien. Dagegen 
lehnt H. die Wieting’sche Operation bei angiosklerotischer Gangrän in 
Uebereinstimmung mit den Erfahrungen der Küttner’schen Klinik ab; 
die Unterbindung der Vene müsse den gleichen Erfolg wie die Anasto- 
mosenbildung haben. Bei der Aneurysmaoperation wird häufig die Ge- 
fässnaht unmöglich sein. Kommt es nach einer solchen zu einer Arterien¬ 
thrombose, so ist die Venenunterbindung indiziert. Bei Verletzungen 
grösserer Gefässe soll die Naht versucht werden, ausser bei infiziertem 
Terrain. Von 33 Herznähten genasen 10. W. V. Simon. 

F. Härtel-Berlin: Die Leitnngsanästhesie nnd Injektionsbehaud- 
lnng des Ganglion Gasseri nnd der Trigeminisst&mnie. (Archiv f. 
klio. Chir., Bd. 100, H. 1, S. 193.) Die Arbeit entstammt der Bier- 
schen Klinik, der anatomische Teil wurde im Waldeyer’schen Institut 
bearbeitet. Ausführliche Darstellung der Anatomie der Trigeminus¬ 
stämme und des Ganglion Gasseri unter steter Berücksichtigung der 
Injektionstechnik. Des Verf. Methode der Ganglienpunktion wird ana¬ 
tomisch begründet und ihre klinische Verwendbarkeit dargetan. Sie 
eignet sich für alle grossen Operationen im Trigeminusgebiet, doppel¬ 
seitige Injektion erhöht die Verwendbarkeit. Besonders geeignet ist sie 
für die Operation von grossen, auf die Schädelbasis übergreifenden Ober¬ 
kiefertumoren und Orbitaltumoren, während bei der ZuDgenexstirpatioo, 
wo ausser dem Trigeminus noch andere Nervengebiete in Frage kommen, 
die bisherigen Methoden ebensoviel leisten. Versager sind selten, Neben¬ 
erscheinungen vermeidbar. In einer Reihe von Fällen schwerer Trigeminus¬ 
neuralgie wurde mit gutem Erfolg die Alkoholinjektion in das Ganglion 
ausgeführt. Dabei ist Vorsicht geboten wegen der Keratitis neuro- 
paralytica. Für die endoneurale Punktion des N. maxillaris im Foramen 
rotund. wird ein neuer, durch die Orbita führender Weg angegeben, der 
jedoch wegen der Hämatomgefahr nur in Ausnahmefälleu anzuwenden 
ist. Alle bisher geübten Verfahren der Trigerainuspunktionen werden 
einer eingehenden Kritik unterzogen und in ihrer klinischen Verwendbar¬ 
keit gezeigt. Cf. Gesellschaftsbericht der Chirurgischen Gesellschaft zu 
Berlin in dieser Wochenschr., 1912, Nr. 49 u. 51. F. Härtel. 

R. Leriche: Ueber einige neue Indikationen der Dnrchschneidung 
der hinteren Wurzeln. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., 1912, Bd. 119, 
H. 5 u. 6.) Ausgehend von der Behauptung, dass der Herpes inter- 
cosialis eine Entzündung der Nervenwurzeln ist, hat der Verf. in einem 
Fall von schwerem Herpes, bei dem der Thorax wie infiltriert war, jede 
Berührung heftige Schmerzen auslöste und lanzinierende Paroxysmen 
die Patienten andauernd belästigten, die vierte und fünfte Dorsalwurzel 
der entsprechenden Seiten durchschnitten und damit Heilung erzielt. 
Verf. empfiehlt deshalb, die Operation vorzunehmen bei hartnäckigen peri¬ 
pheren Läsionen, die sich als Erscheinungen von seiten der Wurzeln 
und Nerven ergeben, z. B. ausser dem Herpes intercostalis bei Mal 
perforant der Planta pedis und hartnäckiger Hyperchlorbydrie. 

Fritsch. 

H. Lucas-Trier: Zur Herzchirurgie. (Deutsche med. Wochenschr., 

1913, Nr. 4.) 1. Herzverletzung mit einem Brieföffner. Längsschnitt 

neben dem Sternum. Durch trenn ung der dritten bis sechsten Rippe. 
Blutcoagula im Epicard. 2 cm langer Schnitt im linken Ventrikel. 
Kein Pneumothorax. Naht der Herzwunde. Direkte Herzmassage. 
Heilung. 2. Schussverletzung der Atrioventrikulargrenze. Naht. Starke 
Blutung; steht auf Kompression des Atrium venosum dextrum. Aus¬ 
schussöffnung an der Rückwand. Naht. Perforation durch das Zwerch¬ 
fell in die Leber, woselbst die Kugel stecken blieb. Ausgang in Heilung. 
3. Stichverletzung des Herzbeutels, 3 Tage alt, mit eitriger Pericarditis. 
Trotz Inzision Tod an Sepsis. Verf. empfiehlt stets die Drainage des 
Pericards, am besten der hinteren Pericardhöhle. 

C. Melchior-Breslau: Ueber die erhöhten Gefahren operativer 
Blutverluste hei angeborener Enge des Aortensystems. (Deutsche med. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 5. 


Wochenschr., 1913, Nr. 4.) Zwei beachtenswerte „Uuglückfälle“ aus der 
Breslauer chirurgischen Klinik: 1. 23 jähriger Mann mit Struma vasculosa. 
Hemi8trumektomie. Mehrfache parenchymatöse Nachblutungen, 10 Stunden 
post operationem beginnend. Exitus letalis. 2. 18jähriger Patient mit 
Kniegelenkstuberkulose. Knieresektion. Parenchymatöse Nachblutung 
massigen Grades. Exitus letalis trotz Kochsalzinfusion. In beiden 
Fällen ergab die Sektion eine abnorme Enge der Aorta und der peri¬ 
pheren Arterien. M. weist auf den Zusammenhang dieses Befundes mit 
dem tödlichen Ausgang hin. Derartig gebildete Individuen besitzen 
wahrscheinlich eine mangelnde Widerstandsfähigkeit auch gegen mässige 
Blutverluste. Vielleicht ist bei ihnen auch eine abnorme Zerreisslichkeit 
der kleineren Arterien vorhanden. Von der Hämophilie sind derartige 
Zustände jedenfalls zu trennen. Der Chirurg muss in Fällen, in denen 
eine abnorme Enge der Gefässe vermutet wird, mit seiner Indikations¬ 
stellung besonders vorsichtig sein. Wolfsohn. 

A. Schubert: Ueber TrachealverdräagBBg bei Thymi hyper- 
plastiens. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 1.) Mit¬ 
teilung eines Falles, bei dem röntgenologisch neben der starken Mittel¬ 
schattenverbreiterung als weiteres wichtiges Symptom eine deutliche 
Verschiebung der Trachea nach der rechten Seite zu konstatieren war. 
Verf. geht näher auf die röntgenologische Diagnose der vergrösserten 
Thymus ein, die bei Kindern wahrscheinlich ist, wenn der Mittelschatten 
nach der linken Seite vergrössert ist, während die Verschiebung nach 
rechts verschiedene Deutungen zulässt. Die TrachealVerschiebung, die 
sich am leichtesten durch das Röntgenbild erkennen lässt, siebt Verf. 
als wichtiges Symptom für die mechanische Druckwirkung der hyper¬ 
plastischen Thymus an und als erklärendes Moment für das Zustande¬ 
kommen des Thymustodes analog dem Kropftod. Hervorzuheben ist 
noch, dass bei dem Kinde eine Lymphocytose bis 75 pCt. bestand, die 
nach der Enucleation des hypertrophischen Tbymuslappens langsam zu 
sinken scheint. W. V. Simon. 

H. v. Haberer-Innsbruck: Ueber «Bilaterale Pylorusaisschaltung. 
(Archiv f. klin. Chir., Bd. 100, H. 1, S. 161.) Verf. empfiehlt, die Gastro¬ 
enterostomie mit der Ausschaltung des Pylorus nach v. Eiseisberg 
auszufübren in allen Fällen von Ulcus duodeni und in denjenigen Fällen 
von Ulcus ventriculi, wo die Resektion aus technischen Gründen un¬ 
ausführbar ist. Besonders bei Komplikation des Ulcus mit Perigastritis 
ist die Pylorusausscbaltung der einfachen Gastroenterostomie vorzu¬ 
ziehen. 24 eigene Operationsberichte zeigen den Erfolg der Operation. 

F. Härtel. 

E. Hesse: Ueber den Wert der freien Netttransplantation im 
Dienste der Banehchirnrgie nach den Erfahrungen des Obuchow-Kranken- 
hauses. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 1.) Verf. be¬ 
tont den grossen hämostatischen Wert der freien Netztransplantation, 
deren Hauptanwendungsgebiet als „lebende Tamponade“ in der Leber¬ 
chirurgie (Verletzungen, Resektionen), dann auch in der Chirurgie der 
Gallenblase (Exstirpation) und Milz liegt. Bei der Magen-Darmchirurgie 
scheint die gestielte Netztransplantation eher am Platze zu sein. 

W. V. Simon. 

H. J. Lam£ris: Zur Behandlung der iBdirekteB Leistenhernie. 
(Deutsche Zeitschr. f. Chir., 1912, Bd. 119, H. 5 u. 6.) Auf Grund seiner 
Beobachtungen an einem grossen Material kommt Verf. zu folgenden 
Schlüssen: In statistischen Zusammenstellungen, die den Zweck haben, 
die Erfolge von Hernienoperationen zu studieren, müssen die direkten 
und indirekten Brüche streng auseinandergehalten werden. Für die 
Heilung indirekter Hernien genügt die alleinige und möglichst voll¬ 
ständige Eistirpation des Bruchsackes. Die Torsionsligatur erfüllt am 
besten diesen Zweck. Jede Radikalnaht oder plastische Operation im 
Leistenkanal ist als überflüssig zu betrachten. Fritsch. 

G. Luce: Ueber sogeaaBBte primäre Carcinome („Schleimhaut¬ 
naevi“ nach Asch off) und primäre Carrioome des Warmfortsatzes. 

(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 1.) Verf. fordert eine 
scharfe Unterscheidung zwischen den sehr seltenen echten malignen 
Krebsen des Wurmfortsatzes und den relativ häufigen, angeborenen 
benignen carcinoiden Tumoren der Appendix, für welche er in Ueber- 
einstimmung mit Aschoff den Namen „Scbleimhautnaevi“ vorschlägt. 
Den eventuellen Zusammenhang zwischen diesen beiden Arten denkt er 
sich derart, dass die Naevi später unter Umständen maligne degenerieren 
können, wie man es auch von Hautnaevi her kennt. Es ist wahrschein¬ 
lich, dass in einzelnen Fällen Coecumcarcinome von Appendixkrebsen 
ihren Ausgang nehmen können, doch ist dies bisher für die Mehrzahl 
der Fälle fraglich. Was die Frage der Entzündung angeht, so bilden 
die Naevi in einer Reihe von Fällen ähnlich wie Stenosen usw. eine 
Prädisposition dafür; andererseits ist es auch nicht unwahrscheinlich, 
dass auf dem Boden dieser wiederholten Entzündungen der Naevus zu¬ 
weilen maligne werden kann. Mitteilung zweier Naevusfälle und zweier 
echter Krebsfälle, welch letztere der Verf. von der Appendix ausgehend 
betrachtet. W. V. Simon. 

A. Fromme: Soll im Iotermediärstadiom der akaten Appendieilis 
operiert werden? (Deutsche Zeitschr. f. Chir., 1912, Bd. 119, H. 5 u. 6.) 
Verf. kommt auf Grund seiner Statistik der Jahre 1910/1911 zu dem 
Resultat, dass das bis jetzt an der Göttinger Klinik geübte Verfahren 
bei Appendicitis im Intermediärstadium das richtige ist: Im Intermediär¬ 
stadium, also am 3., 4. und 5. Tage, ist die Therapie streng konservativ, 
und Operation findet nur aus vitaler Indikation statt, d. b. wenn diffuse 


Peritonitis besteht oder mau bei abgekapseltem Exsudat eventuell nach 
kurzer Beobachtung den Eindruck gewinnt, dass der Prozess im Fort¬ 
schreiten ist. Fritsch. 

W. Gundermann: Ueber Ectopia testia periaealis. (v. Bruns’ 
Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 1.) Verf. kommt zu folgenden 
Schlüssen: Die Ectopia testis perinealis ist eine Unterart der Ectopia 
proc. vagin. perineal., die als primäre innere Anomalie vorkommt und 
vielleicht eine atavistische Bildung darstellt. Auch eine fötale Peri¬ 
tonitis kann wahrscheinlich perineale Richtung des Scheidenfortsatzes 
zur Folge haben. Ectopia perinealis und Retentio testis können durch 
die gleiche Ursache hervorgerufen werden, doch besteht sonst zwischen 
beiden kein Zusammenhang. Nie ist die Ectopia perinealis eine Folge 
der Retentio testis. Die Fragen, ob die Haltung der Frucht in den 
letzten Monaten der Gravidität einen Einfluss auf die Richtung des 
Proo. vagin. hat, und ob eine primäre falsche Insertion des Leisten¬ 
bandes vorkommt, sind noch nicht geklärt. — Mitteilung eines Falles 
aus der Witzel’schen Klinik. W. V. Simon. 

J. E. Schmidt: Beiträge zur Bewertung der koBflcrvativcB Hodea- 
Chirurgie, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 1.) Der 
reife Hoden, gleichgültig ob er mit oder ohne Tunica vag. comm. ver¬ 
lagert wird, degeneriert und regeneriert sich nicht wieder; der jugend¬ 
liche Hoden entwickelt sich zunächst weiter bis zur Ausbildung von 
Spermatocyten, um dann gleichfalls zu degenerieren. Nach Total- 
exstirpatiou des Nebenhodens wird das Wachstum des Hodens nicht ge¬ 
stört, beim reifen Hoden bleibt die Spermatogenese erhalten. Die Unter¬ 
suchungen über die Wirkung der Explorativspaltung des Hodens ergaben, 
dass beim Sektionsschnitt nur eine relativ geringe, beim jugendlichen 
Hoden eine sehr geringe Schädigung des Gesamtparenchyms resultiert. 
Bei den Anastomosieruugsversuchen zwischen Duct. deferens und Hoden 
gelang es niemals, eine Kommunikation zwischen ersterem und den Hoden¬ 
kanälchen zu erzielen. Der Spermabefund im unteren Deferensende, auch 
nach längerer Zeit, ist kein Beweis einer noch bestehenden Anastomose. 
Nach der Kastration ergab sich sowohl für Nebenniere als Hypophyse 
ein relatives Gewichtsplus gegenüber den Kontrollieren. Bei Zerstörung 
nur des generativen Hodenanteils (durch Röntgenbestrahlung) ergab sich, 
dass die Nebennieren an Gewicht nicht Zunahmen, sondern nur die Hypo¬ 
physen, wonach der Schluss nahe liegt, dass auch der regenerative An¬ 
teil mit zu den Organwechselbeziehungen beiträgt, was noch weiter zu 
prüfen ist. W. V. Simon. 

Flath-Königsberg: Zur Kasuistik der sabcataaea Leberraptar. 
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 2.) Dünner. 

Siebe auch Augenheilkunde: Liebrecht, Schädelbruch und 
Sehnerv. _ 

Röntgenologie. 

M. Levy-Dorn: Ein universelles Uatersaehaagsstativ und die 
Gesichtspunkte bei seinem Bau. (Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr., 
Bd. 19, H. 4.) Levy-Dorn hat ein neues Untersuchungsstativ kon¬ 
struiert, das sich einerseits an sein früheres anschliesst, aber die auch 
von anderen Autoren erkannten Vorzüge der weiten Benutzung des 
Holzes anstatt der Metalle ausnutzt. Die Hilfsapparate, welche benutzt 
werden, sind sehr einfach. Es genügt eine Wand, an welche sich der 
Patient im Stehen oder Sitzen anlehnen kann. Ein Blendenhalter für 
stehende oder sitzende Patienten empfiehlt sich ebenfalls. Besondere 
Apparate für Fernaufnahmen hält der Autor für entbehrlich. 

F. Oehlecker: Zur AafnihmeteehBik der Halswirbetaftale. (Fort¬ 
schritte a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 4) Oehlecker hat, in 
der Erkenntnis, dass die gebräuchlichen Kassetten sich schwer bei Auf¬ 
nahmen der Halswirbelsäule verwerten lassen, eine neue Kassette kon¬ 
struiert, die einen Schulterausschnitt enthält und dadurch gestattet, 
die Kassette in eine bessere Lage zur seitlichen Fixation der Halswirbel¬ 
säule zu bringen. Man kann bei Verwendung dieser Kassette stets eine 
Uebersichtsaufnahme über die sieben Halswirbel und den ersten Brust¬ 
wirbel bekommen. 

A. Köhler: Vollzählige proxiaiale Metacarpalepiphysen. (Fort¬ 
schritte a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 4.) Bei einem Fall von 
infantilem Myxödem fand sich eine vollständige Missbildung der proxi¬ 
malen Metacarpalepiphysen. K. bespricht sehr eingehend die ver¬ 
gleichende Anatomie der in Frage kommenden Tiere mit dem hier be¬ 
obachteten Phänomen und findet eine Aehnlichkeit mit den Wasser¬ 
säugern, die ähnliche Epiphysen haben; er sieht darin eine Anpassungs¬ 
erscheinung an das Wasserleben. Die Beobachtung des seltenen 
Röntgenbefundes bei den Myxödempatienten sieht er deswegen nicht als 
einen geringen Zufallsbefund an. 

J. Frattin: Beitrag zur Kenntnis der Myositis ossifieaas pro¬ 
gressiva. (Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 4.) F. be¬ 
spricht die verschiedenen Theorien. Er glaubt selbst, dass es sich um 
eine relative Unzulänglichkeit im Metabolismus der Gewebselemente 
handelt, die von ursprünglicher lokaler oder allgemeiner Entwicklungs¬ 
hemmung des Mesenchyms herrührt, derartig, dass, sobald in einem 
gewissen Zeitpunkt das Gewebe mit den Forderungen des allgemeinen 
Zunehmens des Organismus nicht mehr standhalten kann, sich ein Zustand 
mangelhafter Ernährung einstellt, der sieh im Beginn entzündlicher 
Phänomene kundgibt, woraus dann die Atrophie und die fibröse Re¬ 
traktion und schliesslioh die Verknöcherung resultiert. 


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3. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


221 


A. Li pp mann und W. Quiering: Die Röntgenuntersuchung der 
Aorteiorkrankmngen mit spezieller Berücksichtigung der Aortenlues. 
(Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 4) Zur exakten Fest¬ 
stellung beginnender Aortenerkrankungen genügen nicht Durchleuch¬ 
tungen, sondern es sind Momentaufnahmen, und zwar Teleaufnahmen im 
ersten schrägen Durchmesser erforderlich. Es gelingt hierbei, die Aorta 
ascendens, Arcus und die descendens ungefähr in natürlicher Grösse und 
isoliert darzustellen. Die Aorta ascendens ist ausmessbar. Die normale 
Aorta nimmt mit zunehmendem Alter nicht erheblich an Breite zu. Die 
luetische Aorta zeichnet sich durch Zunahme der Breite und Schatten¬ 
tiefe aus. Die luetische Erkrankung ist eine der häufigsten, wenn nicht 
die häufigste Erkrankung der Aorta. Es ist daher auch bei gering ab¬ 
weichenden Aortenbefunden stets an Lues zu denken. 

F. Schultz: Die Röntgentherapie der malignen Hanttumoren und 
der Grenzfälle. (Fortsohr. a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 4.) 
Schultz weist mit Recht darauf hin, dass die Literatur über das 
behandelte Gebiet einen enormen Umfang angenommen hat und zum 
grossen Teil kasuistisches Material enthält, und dass trotzdem noch 
grosse Unterschiede in der Bewertung der Heilmethode liegen. Er führt 
das darauf zurück, dass keine einheitlichen Methoden angewandt würden. 
Es ist bei jeder Bestrahlung wünschenswert, zu wissen, wie viel Strahlen 
gegeben werden, welchen Härtegrad die Hauptmenge der Strahlen hat, 
ob das Strahlengemisch neben den Hauptstrahlen viel oder wenige andere 
Strahlen enthält. Ferner kann es von Bedeutung sein, in welcher Zeit 
eine bestimmte Dosis erreicht wird, und wie weit das Objekt vom Focus 
der Röhre entfernt ist. Unter Beobachtung dieser Voraussetzung be¬ 
spricht er die Chance der Röntgentherapie bei den verschiedenen Haut¬ 
erkrankungen. Gutes wird erreicht beim Epitheliom, Wechselndes beim 
Sarkom; weniger Befriedigendes bietet die Therapie der Tuberkulose, 
der Lepra und des Xeroderma pigmentosum. Das Röntgencarcinom 
darf natürlich nicht mit Röntgenstrahlen behandelt werden. 

M. Cohn. 

R. Kienböck-Wien: Sigma elongatam mobile. (Münchener med. 
Wochenschrift, 1913, Nr. 2) 42 jähriger Mann, bei dem Verdacht auf 
Perityphlitis bestand. Bei der Röntgenaufnahme sah man, dass ein sehr 
langes Colon sigmoideum besteht, welches sich auf der rechten Seite des 
Abdomens als langgestreckte Schlinge bis unter die Leber und nahe an 
die rechte Zwerchfellkuppe erstreckt, dann bis zur Nabelgegend zurück¬ 
geht Hier ist die Uebergangsstelle des Colon descendens, das von der 
linken Flexur nach unten medial verläuft. Die Beschwerden des Patienten 
werden wohl durch Lageveränderungen des Sigma hervorgerufen worden sein. 

Dünner. 


Urologie. 

Siebe auch Therapie: Kowanitz, Erfahruogen mit Hexal. — 
Geburtshilfe und Gynäkologie: Schickele, Pyelitis und Nieren¬ 
beckenerweiterung während und ausserhalb der Schwangerschaft. Bret- 
schneider, Dystopie der Niere. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

P. G. Unna und L. Golodetz - Hamburg: Zur Chemie der Haut. 
Ueher Granoplasma und eine allgemeine Methode zur mikrochemischen 
Erforschung eiweissartiger Zellbestandteile. (Dermatol. Wochenschr., 
1913, Bd. 50, Nr. 1.) Granoplasma ist ein in den meisten Zellen, be¬ 
sonders den voluminöseren, mehr oder minder reichlich vorhandener, 
sauerer Eiweisskörper, welcher es möglich macht, dass wir den Zelleib 
intensiv mit basischen Farben färben können. Das Granoplasma ist, 
wie aus seinen LöslichkeitsVerhältnissen in heissem Wasser usw. hervor¬ 
geht, eine aus Akroalbumose hervorgegangene Denteroalbumose, und zwar 
eine Cyste. 

A. Nanta - Toulouse*. Studium der Lymphodermien und derMyelo- 
dermien (Hautmanifestationen der leukämischen und aleukämischen Zu¬ 
stände). (Aanales de dermatol. et de sypbiligr., Oktober, November u. 
Dezember 1912.) Die entzündlichen Lymphodermien und die Lympho¬ 
granulomatose sind infektiöse Prozesse mit Lokalisationen in den 
Drüsen und auf der Haut. Sie haben ein entzündliches Aussehen und 
stellen histologisch eine lymphatische Hyperplasie vor. Die Lympho¬ 
matösen sind Krankheiten, welche in multiplen Lymphdrüsen lokalisiert 
sind, sie sind nicht entzündlicher Natur und haben histologisch den 
Charakter einer reinen lymphoiden Hyperplasie. Die Hauterscheinungen 
sind meist sekundärer Natur. Das Lymphosarkom ist eine Neubildung mit 
sekundären Hauterscheinungen. Die Mycosis fungoides ist eine Haut- 
erscheinung vielleicht entzündlicher, vielleicht neoplastischer Natur; 
histologisch handelt es sich um eine bindegewebige und eine lymphoide 
Hyperplasie. Immerwahr. 

0. Fischer und E. Klausner - Prag: Ein Beitrag zur Catan- 
nakliei der Syphilis. Vorläufige Mitteilung. (Wiener klin. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr 2.) Die mit dem Extrakt aus syphilitischen Lungen 
ausgeführte Cutanreaktion nach Noguchi (Journ. of experim. med., 
1911, Bd. 14, Nr. 6) fiel positiv aus bei allen Fällen von tertiärer 
Syphilis und Lues hereditaria tarda. Es hat also den Anschein, dass 
dieser Reaktion eine klinische Spezifität zukommt. P. Hirsch. 

E. Bäum er-Berlin: Die Behandlung der Syphilis mit Hg- 
filidiie. (Dermatol. Wocheoschr., 1912, Bd. 55, Nr. 51b.) Das Hg- 


Glidine ist als ein ausgezeichnetes, prompt, aber milde wirkendes Queck¬ 
silberpräparat für Zwischenkureu und zur Abheilung von Schleimhaut¬ 
papeln zu empfehlen. 

J. Almkvis t - Stockholm: Ueber die Bedeutung des 8alvarsans 
und Neosalvarsans bei der Behandlung der Syphilis. (Dermatol. 
Wochenschr., 1913, Bd. 56, Nr. 2.) Die Kombination von Quecksilber 
und Salvarsan bzw. Neosalvarsan repräsentiert einen bedeutenden thera¬ 
peutischen Fortschritt. 

L. Brocq-Paris: Wie wir meinen, dass man augenblicklick das 
Salvarsan an wenden kann und soll. (Annales de dermatol. et de 
syphiligr., Dezember 1912.) Es bedarf noch viele Jahre einer genauen 
Beobachtung, um die Indikationen für Salvarsan festzusetzen, für seine 
Anwendung, seine Dosierung usw. in den verschiedenen Stadien der er¬ 
worbenen und der vererbten Syphilis. Immerwahr. 

H. Loeb -Mannheim: Heilnng der Verrucae planae durch Sal- 
varsaD. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) In zwei Fällen 
heilten Verrucae planae nach einmaliger Salvarsaninjektion aus, in 
einem Fall trat deutliche Rückbildung ein. Verrucae vulgares werden 
nicht beeinflusst. L. empfiehlt die intravenöse Salvarsanbehandlung. 

Wolfsohn. 

F. Lube - Braunsohweig: Ueber epileptiforme Anfälle nach Sal¬ 
varsan. (Dermatol. Zeitschr., Januar 1913.) Die bisher in der Literatur 
beschriebenen Fälle von epileptiformen Anfällen nach intravenösen Sal- 
varsaninjektionen stimmen untereinander und mit Lube’s Fall in allen 
wesentlichen klinischen und anatomischen Kriterien so überein, dass man 
von einem typischen Krankheitsbiid und einem typischen Sektions¬ 
befunde sprechen kann. Es findet sich bei der Autopsie ein hoch¬ 
gradiges Oedem der weichen Hirnhäute und des Gehirns selbst nach 
mehr oder weniger starke Hyperämie und Blutungen. Immer wahr. 

R. Fried: Toxische Erscheinungen nach wiederholten subeutanen 
Embarininjektionen. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) Nach 
der 5., 6. und 7. Embarininjektion entstand jedesmal Schüttelfrost, 
hohes Fieber, starke Kopf- und Gliederschmerzen, nach einigen Stunden 
vorübergehend. Trotz dieser Erscheinungen hat sich F. zu einer noch¬ 
maligen Injektion verstanden (!!) mit dem Erfolg, dass „das be¬ 
ängstigende Bild eines schwersten Collapses“ hervorgerufen wurde, mit 
40° Fieber, starken Kopfschmerzen, vollständiger Bewusstlosigkeit. 
Jedesmal trat auch eine Art Herxheimer’scher Reaktion an den sicht¬ 
baren Papeln auf. Es handelt sich demnach um „Embarinüberempfind- 
lichkeit“. Wolfsohn. 

E. Klausner - Prag: Die Behandlung der Syphilis mit Kontra- 
luesiu (Richter), einem molekular zerstäubten Quecksilber. (Münchener 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 2.) Das Richter’sche Kontraluesin ist nach 
den Erfahrungen K.’s ein sehr gutes Antilueticum, das die luetischen 
Krankheitserscheinungen aller Stadien der Syphilis zur Abheilung bringt 
und wegen seiner bequemen, schmerz- und gefahrlosen Applikation zur 
ausgebreiteten Anwendung in der Behandlung der Syphilis empfohlen 
werden kann. 

C. Bruok und A. Glück - Breslau: Wirkung von intravenösen In¬ 
fusionen mit Aurum kaliam cyanatnm (Merck) bei äusserer Tnberkalose 
and Lues. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 2.) Die Verff. 
wandten Aurum calium cyanatum bei Lupus nicht lokal als Salbe ao, 
sondern injizierten es intravenös. Die Erfolge, die sie mit dieser Chemo¬ 
therapie erreichten, sind sehr gute. Sie injizierten hei Erwachsenen 
0,02—0,05 pro dosi jeden 2.-3. Tag, im ganzen 12 Injektionen. 
Schädigungen beobachteten sie nie. Nach den Erfahrungen erscheint 
eine Behandlung von Lungentuberkulose mit Aurum calium cyanatum 
vielversprechend. In einer weiteren Versuchsreihe haben die Verff. 
das Medikament mit Tuberkulin kombiniert. Sie "gingen dabei von der 
Vorstellung aus, das Tuberkulin als „Leitschiene“ für das Gold zu be¬ 
nützen oder wenigstens die nach Tuberkulin eintretende, mit starker 
Durchblutung des erkrankten Gewebes einhergehende Lokalreaktion zur 
Hinlenkung des Goldes nach dem Krankheitsherd zu verwerten. In der 
Tat zeigte sich bei diesen Fällen schnellere Besserung als bei einfacher 
Goldbehandlung. Schliesslich wandten B. und G. das Aurum calium 
cyanatum bei Lues an; auch hier sind Erfolge zu verzeichnen, die zeigen, 
dass das Aurum als Antisyphiticum anzusehen ist. Dünner. 

K. Soheven - Dresden: Die ethischen Wirkungen der Reglemen¬ 

tierung. (Dermatol. Wochenschr., 1913, Bd. 56, Nr. 1 u. 2.) Verf. er¬ 
blickt in der Reglementierung ein durch und durch unethisches Prinzip, 
das nach den verschiedensten Richtungen hin verhängnisvolle Wirkungen 
ausstrahlt, das auf beide Geschlechter in verschiedener Weise kor¬ 
rumpierend einwirkt und deshalb das allgemeine sittliche Niveau eines 
Volkes herabdrücken muss. Das System der Reglementierung demorali¬ 
siert alle, die mit ihm in Berührung kommen, nicht nur die Prosti¬ 
tuierten, sondern auch die Beamten, die es handhaben, die Aerzte, die 
ihm dienen und, last not least, die Männer, zu derem Schutze es er¬ 
funden ist. Immerwahr. 

V. Klingmüller • Kiel: Die Behandlung der Dermatomykosen. 
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) Klinischer Vortrag. 

Wolfsohn. 

Siehe auch Pharmakologie: Arzt und Kerl, Parasistotrope 
Wirkung des Atoxyls und Salvarsans. — Parasitenkunde und Sero¬ 
logie: Reiter, Beeinflusst Salvarsan die Intensität der Antikörper? — 
Röntgenologie: Schultz, Röntgentherapie der malignen Hauttumoren. 


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222 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 5. 


Geburtshilfe und Gynäkologie. 

Schickele Strassburg: Beitrag zur Kenntnis der Pyelitis und 
Nierenbeckenerweiterongen während und ausserhalb der Schwanger¬ 
schaft. (Archiv f. Gynäkol., B. 98, H. 2.) Die Pyelographie, d. h. die 
Röntgenaufnahme des mit Collargollösung gefüllten Nierenbeckens und 
Ureters zeigte in manchen gynäkologischen Fällen, in denen die sub¬ 
jektiven Beschwerden auf die mögliche Beteiligung einer Niere hinwiesen, 
Erweiterung des Nierenbeckens und des zugehörigen Ureters, manchmal 
auch Torsion und Schlängelung des letzteren. Da der Urin keine Leuko- 
cyten, Epithelien oder Bakterien enthielt, waren die Schmerzen nicht 
durch eine Entzündung, sondern durch die Stauung hervorgerufen. Aehn- 
liches konnte auch für die pyelitischen Beschwerden im Verlauf der Gravi¬ 
dität und des Wochenbettes nachgewiesen werden. In bezug auf die 
Aetiologie der wirklichen Infektionen der oberen Harnwege konnte fest¬ 
gestellt werden, dass für die ascendierende Infektion, die meist durch 
Bacterium coli bedingt wird, eine Insuffizienz des Ureterostiums anzu- 
nebmen ist, bedingt durch topographische Verlagerung der Blase und 
besonders des Trigonums, wie sie im Verlauf der Gravidität und von 
gynäkologischen Erkrankungen nachweisbar ist. Eine hämatogene Ent¬ 
stehung kann für die während und bald nach der Geburt auftretenden 
Pyelitiden angenommen werden. Endlich ist bei Obstipation eine Ver¬ 
schleppung von Bacterium coli aus dem Colon ascendens in das rechte 
Nierenbecken auf dem Wege der Lymphgefässe eher wahrschein leih. 

Rübsamen - Bern-Dresden : Ueber SchilddriseierkrankuBgen in 
der Schwangerschaft. (Archiv f. Gynäkol., Bd. 98, H. 2.) Bei Frauen 
mit Cachexia strumipriva verstärkt die Schwangerschaft die Symptome; 
Kretinoide werden unter dem Einfluss der Schwangerschaft zu Kretinen 
und bessern sich nach Ablauf der Schwangerschaft wieder. Morbus 
Basedowii wird durch Gravidität nicht verschlimmert, so dass derselbe 
keine Indikation zur Unterbrechung der Gravidität bildet. Unter 718 
graviden Frauen der Berner Klinik — also in ausgesprochener Kropf¬ 
gegend — hatten 643, d. h. 89,5 pCt. eine deutliche Vergrösserung der 
Thyreoidea, 246 = 34,2 pCt. eine ausgesprochene Erkrankung der 
Thyreoidea. Nur 7 von diesen Frauen zeigten erhebliche Störungen 
unter der Geburt; bei einer musste wegen schwerster Dyspnoe bei 
Struma substernalis die Zwillingsschwangerschaft im siebenten Monat 
durch vaginalen Kaiserschnitt unterbrochen werden. Von 14 vor der 
Schwangerschaft wegen Struma operierten Frauen kam es bei 8 Erst¬ 
gebärenden zweimal, bei sechs Mehrgebärenden viermal in der Gravidi¬ 
tät zum Recidiv. Neun Kinder wurden mit Struma congenita geboren, 
zwei von ihnen in Gesichtslage. 

Persson-Sundsvall: Eelampsia gravidarum nadParesis paerperalis. 
(Archiv f. Gynäkol., Bd. 98, H. 2.) Die Paresis puerperalis der Kühe 
und die Eklampsie werden wahrscheinlich durch im Blute retiuierte, 
milchbildende Substanzen hervorgerufen. Wiederholte Ausmelkungen 
der Mamma können bei drohender Puerperaleklampsie als Prophylakticum, 
bei ausgebrochener heilend wirken. Auch die Jodkaliumzufuhr scheint 
günstig zu wirken; diese beruht darauf, dass die Viscosität des Blutes 
herabgesetzt wird. Zufuhr von Chlornatrium ist, als die Viscosität 
steigernd, contraindiziert. L. Zuntz. 

R. Th. Jaschke - Giessen: Verwendung des Narkopbins in der 
GebDrtshilfe. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 2.) In den 
meisten Fällen trat Stunde nach der Injektion Schläfrigkeit ein; die 
Frauen überkam eine angenehme Schlaffheit; schon nach einer halben 
Stunde wurden die Wehen weniger schmerzhaft und die Frauen äusserten 
keinerlei Schmerzen. Die Wehen blieben unverändert kräftig, aber 
weniger sehmerzbaft. Nachblutungen oder Störungen im Wochenbett 
kamen nicht zur Beobachtung. Dünner. 

Bretschneider - Leipzig: Beitrag zur kongenitalen Dystopie der 
Niere (Beckennierc). (Archiv f. Gynäkol., Bd. 98, H. 2.) Bei der be¬ 
treffenden Patientin wurde die Laparotomie unter der Diagnose Ex¬ 
trauteringravidität vorgenommen. Es fand sich ein retrouteriner Tumor. 
Bei dem Versuch der Ausschälung kam es zu einer so profusen Blutung, 
dass man ihrer nur durch schnellste Ausschälung des Tumors und Unter¬ 
bindung des Stiels Herr werden konnte. Die Untersuchung des Tumors er¬ 
gab eine Niere mit beginnender Hydronephrose. Da die andere Niere 
normal war, war die Exstirpation unbedenklich. Man muss aber mit der 
Exstirpation von Beckennieren sehr zurückhaltend sein, da häufig die 
andere Niere verändert ist oder fehlt. Die Diagnose auf Beckenniere 
kann eventuell erleichtert werden durch Röntgenphotographie bei in die 
Uretheren eingeführten Kathetern mit Metallmandrins. L. Zuntz. 

A. Theilhaber - München: Die Prophylaxe der Cardnome. 
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Als häufigste Ursache für die 
Entstehung des Krebses ist wohl eine hochgradige Atrophie des sub- 
epitbelialen Bindegewebes mit Schrumpfung der Bindegewebszellen, Ver¬ 
minderung ihrer Zahl und Stenose der Blutgefässe anzusehen. In der 
Mehrzahl der Fälle wird diese Bindegewebserkrankung bedingt durch 
Traumen, Narben und chronische Entzündungen. Wenn es möglich ist, 
die Erkrankung des Bindegewebes rechtzeitig zu heilen, seine Ernährung 
zu bessern, so wird man häufig die „carcinoraatöse Degeneration“ ver¬ 
hindern können. So z. B. ist jede Verletzung der Mamma so lange 
energisch zu behandeln (Massage, Saugglocke, Heissluft, Diathermie), bis 
jede Spur von Schwellung und Empfindlichkeit geschwunden ist. Um 
Reoidive nach Carcinomoperationen zu verhindern, sind die durch das 
Messer bedingten Narben auch als traumatische Narben aufzufassen und 
ebenso zu behandeln, P. Hirsch. 


E. Bumm: Zur Frage der WindverflOrgBBg bei der Radikal- 
operation des Carcinoma colli nteri. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, 
Nr. 1.) Die Mortalität bei dieser Operation war früher unter 128 Fällen 
29,7 pCt., Verf. schiebt dies wenig gute Resultat zumeist auf die un¬ 
günstige Einwirkung der Tamponade. Nachdem er diese fortliess, sank 
die Mortalität bei 131 Fällen auf 21 pCt. Er ging nun dazu über, einen 
möglichst festen Abschluss der Bauchhöhle durch doppelte Peritoneal¬ 
naht gegen die Vagina zu bewirken, eine gründliche Blutstillung und 
Bedeckung aller Wunden mit Peritoneum durchzuführen, und so gelang 
es, die Mortalität auf 6 pCt. herabzudrücken, was man noch vor wenigen 
Jahren nicht für möglich gehalten hätte. Bakteriologische Untersuchungen 
wiesen nach, dass das Peritoneum sogar mit Streptokokken fertig wird, 
und dass alles darauf ankomrat, dass diese, wie sonstige Infektionskeime 
keinen günstigen Nährboden finden, wie er ihnen in Sekretstauung durch 
Nachblutungen usw. geliefert wird. Dazu kommen noch viele andere 
Dinge, auf welche peinlichst zu achten ist, wie namentlich der Wund¬ 
schutz und die Vorbereitung, bei welcher besonders wichtig ist, dass das 
Carcinom abgeschabt oder excidiert und mit Paquelin verschorft wird, 
sowie, dass die Scheide mit Sublimatalkohol abgespült und mit lOproz. 
Argent. nitr.-Lösung geätzt wird so lange, bis sie eine graue Farbe an- 
nirnmt. Endlich werden noch eingehende Vorschriften darüber gegeben, 
wie man sich während der Operation vor Infektion des Operationsgebietes 
zu schützen hat, und wie die extraperitonealen Wunden zu schützen 
sind, und wie Neben Verletzungen zu vermeiden sind. Siefart. 

F. Orthner - Ried i. I.: Zur Kasuistik der PfihliBgsverletZBBgei. 

(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 2.) 0. hat einen Fall von 

Pfählungsverletzung bei einer 19 jährigen Patientin beobachtet, wobei es 
zur Perforation in den hinteren Douglas kam. Die Patientin wurde 
durch Spülungen vom Mastdarm aus und Drainage geheilt. Der Fall 
zeigt, dass die Bakterienflora des gesunden Darmes für das Peritoneum 
nicht so gefährlich* ist, als man im allgemeinen annimmt, und dass ein 
expektatives Verhalten mitunter gerechtfertigt ist. P. Hirsch. 


Augenheilkunde. 

A. Vogt - Aarau: Einige Messungen der Diatkermansie des mensch¬ 
lichen Augapfels und seiner Medien, sowie des menschlichen Oberlides, 
nebst Bemerkungen zur biologischen Wirknng des Ultrarot. (Graefe’s 
Archiv, Bd. 83, H. 1.) Untersuchungen an fünf noimalen, bald p. m. 
enucleierten menschlichen Augen mittels der Thermosäule und einem 
hochempfindlichen Engelmann’schen Galvanometer. V. fand, dass der 
grösste Teil des zur Retina gelangenden Glühlampenlichtes, nämlich 80 
bis 90pCt., dunkle Wärmestrahlen sind; von dieser Strahlung absorbiert 
Glas nichts, wohl aber einen sehr beträchtlichen Teil des langwelligeren, 
das Auge nicht penetrierenden Ultrarot. Von der gesamten den Bulbus 
treffenden Strahlung der Glühlampe erreichen etwa 28 pCt. die Retina. 
Von den die Cornea durchdringenden 20—25 pCt. sind 4 /$ dunkel, und 
das Kammerwasser absorbiert 30—20 pCt. des Lichts, das die Cornea 
passierte. Cornea, Iris und Linse lassen nur noch etwa 6 pCt. der auf 
den Bulbus auffallenden Strahlung durch. Die Iris absorbiert 60 pCt. 
des zu ihr gelangenden Lichts, die Linse 30 pCt., der Glaskörper doppelt 
so viel wie Cornea, Kammerwasser, Iris und Linse zusammen, die Sclera 
so viel wie die Cornea, der Tarsalteil des Oberlids 6 pCt. Isolierte Be¬ 
strahlung der Lider, besonders der Haut, temporal vom Lidcanthus er¬ 
zeugt Pupillenreaktion, reines Ultrarot aber nicht. Den Frübjahrs- 
katarrh hält V. für eine Wärme-, nicht für eine Lichtaffektion. Von der 
auffallenden Strahlung gelangt 1 pCt. in die Orbita, 90 pCt. davon sind 
ultrarot. Das unsere Augenmedien durchdringende Ultrarot ist um so 
reichlicher vorhonden, je höher die Temperatur der Lichtquelle ist. 
Höhere Intensitäten langwelligen Ultrarots wirken toxisch auf die äusseren 
Augenteile, kurzwelligen auf die Iris. 

Clausen: Aetiologische, experimentelle und therapeutische Beiträge 
zur Kenntnis der Keratitis iflterstitialis. (Graefe’s' Archiv, Bd. 83, 
H. 3.) Von 82 Fällen parenchymatöser Keratitis hatten 69 (84,15 pCt) 
positive Wassermann-Reaktion; von den Testierenden 13 sind noch 5 auf 
hereditäre Lues zurückzuführen. Die Lues war bei 9 Patienten acqui- 
riert = 10,98 pCt., bei 65 = 79,27 pCt. ererbt. Bei den letzteren 
handelt es sich 5 mal um Recidive, 17 mal war die positive Wassermann- 
Reaktion das einzige die Lues beweisende Symptom. Die Iris war in 
12 Fällen mitbeteiligt, Chorio-Retinitis fand sich 3 mal, Störungen und 
Hemmungen im Körperwachstum 18 mal, Hutchinson’sche Zähne 10 mal, 
Anomalien in Gesichts- und Schädelbildung 9 mal usw. Die Hutchinson- 
sche Trias fand CI. nur 3 mal; er erwähnt noch zahlreiche andere Kom¬ 
plikationen. Im Kammerwasser fand CI. keine Spirochäten — ein Be¬ 
weis gegen die Endothelialtheorie von der Entstehung der Keratitis 
interstitialis. Die Verimpfung menschlichen Kammerwassers Luetischer 
auf Kaninchenaugen erzeugt keine luetischen Veränderungen. In der 
Cornea finden sich keine Spirochäten bei Keratitis interstitialis, die also 
den sogenannten metasyphilitischen Erkrankungen zuzurechnen ist. 
Wenn auch nach Ueberimpfung syphilitischen Materials in die Cornea 
bzw. vordere Kammer bei Kaninchen und Affen eine Keratitis inter¬ 
stitialis mit positivem Spirochätenbefund zur Folge haben, so ist diese 
doch mit der menschlichen Keratitis interstitialis nicht in Parallele zu 
setzen. Die Keratitis interstitialis beruht auf einer durch Peri- und 
Endovasculitis der Gefässe des Randschlingennetzes bedingten Ernäh¬ 
rungsstörung der Cornea. Auch in den durch Tuberkulose hervor- 


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3. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


223 


gerufenen Fällen von Keratitis interstitialis ist es nicht die Einwande¬ 
rung der Erreger in die Cornea, die die Entzündung verursacht, sondern 
es sind ihre Toxine. In den seltenen Fällen, in denen Salvarsan die Ent¬ 
zündung günstig beeinflusst, ist es nicht die spezifische Therapie, sondern 
die roborierende Wirkung der im Salvarsan vorhandenen As-Komponente, 
die den Erfolg bedingt. Vor allem ist für günstige LebeusbedingungeD, 
Kräftigung und Hebung des Allgemeinzustandes zu sorgen, dann erst 
tritt die antiluetische bzw. antituberkulöse Kur in ihre Rechte. CI. sah 
Aufhellung sehr derber Narben durch Keratoplastik. 

K. Steindorff. 

Höhl - München: Zur Kenntnis der Neosalvarsauwirkiug bei 
Keratitis pareuchymatasa. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 2.) 
Die von Rosenmeyer angewandte lokale Behandlung der Keratitis 
parenchymatosa wurde von H. in 7 Fällen nachgeprüft; er träufelte 
zweimal täglich 1—2 Tropfen einer 2Y*proz. Neosalvarsanlösung ein. 
Io keinem der Fälle war eine günstige Beeinflussung bzw. Beschleuni¬ 
gung des Heilungsprozesses nachweisbar. Dünner. 

Horovitz-Berlin: Der Einfluss von Ceeaia and Homatropin auf 
Akkommodation and Popilleugrösse. (Zeitscbr. f. Augenheilk., Dezember 
1912.) An einem gesiebten Material wurde die Wirksamkeit der genau 
dosierten Tabloids (Burroughs, Wellcome and Co.) von Cocain und 
Homatropin geprüft. Es handelte sich hauptsächlich um die Feststellung 
der zeitlichen Beziehungen zwischen Beginn, Maximum und Abklingen 
der Mydriasis uod der Akkommodationslähmung. Das Akkommodometer 
von Adam wurde verwendet. Das Cocain führt immer eine Akkommo¬ 
dationslähmung herbei, die bei grossen Dosen total sein kann. Die 
Mydriasis setzt nach kurzer Latenz mit der Akkommodationslähmung 
ein, erreicht nach ihr den Höhepunkt und besteht noch, wenn die 
Akkommodationslähmung abnimmt. Die Mydriasis ist bei starker Dosis 
dem Maximum genähert, erreicht es jedoch nicht. Homatropin bringt 
eine Lähmung der Akkommodation bis zu 25 Stunden hervor. Bei 
grösserer Dosis wird immer totale Akkommodationslähmung erzeugt. Die 
Mydriasis beginnt ebenfalls wie bei Cocain mit der Akkommodations¬ 
lähmung, reicht aber über das Ende derselben um 1—2 Stunden hinaus. 
Die Versuche ergaben auch die Möglichkeit der Erhöhung der Akkommo¬ 
dationsbreite durch intensive Uebung. Der Zusammenhang zwischen 
Akkommodationsbreite und Refraktion ist nur kurz gestreift. 

G. Erlanger. 

B. Stoelting: Ueber die innere Seleralruptur nebst Bemerkungen 
über den Riugabseess. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., Januar 1913.) 
Veröffentlichung von zwei Fällen. 

A. Lutz: Ueber einen Fall von Mitbeweging des Oberlides, die 
auch willkürlich hervorgerufen werden kann. (Klin. Monatsbl. f. Augen¬ 
heilk., Januar 1913.) Der vom Verf. veröffentlichte Fall des 27jährigen 
Patienten hat 1. gemein mit der Mehrzahl der bisher beschriebenen 
Fälle, a) dass es sich wahrscheinlich um ein angeborenes Leiden handelt, 
b) dass Ptosis und Paresis eines anderen Hirnnerven vorhanden ist, 
und dass die Prinzipalbewegungen keinen Einfluss besitzen, c) die reflex¬ 
artige, nicht zu unterdrückende Auslösung der Mitbewegung; 2. unter¬ 
scheidet er sich von allen bisher beschriebenen durch die Fähigkeit, die 
Mitbewegung willkürlich hervorzurufen. 

Landolt: Behandlung der Divergenz durch überkorrigierende 
Konkavgläser. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., Januar 1913.) Weit 
bessere Erfolge als mit den Prismenbrillen lassen sich mit Konkavgläsern 
erzielen, welche stärker sind, als der Refraktion der Augen entspricht, 
und die durch die dadurch vermehrte Akkommodationsanstrengung auch 
einen stärkeren Konvergenzimpuls zur Folge haben. Diese Behandlung 
kann vollen Erfolg haben, nicht nur bei Insuffizienz der Konvergenz, 
sondern auch bei Strabismus divergens. Das Tragen der überkorrigierten 
Gläser brachte keinen Schaden. Eine Emmetropie wird dadurch nicht 
in Myopie verwandelt, eine Myopie durchaus nicht vergrössert. 

G. Weill*. Ueber Operation des Altersstares mit der Lause. (Klin. 
Monatsbl. f. Augenheilk., Januar 1913.) Auf Grund von 50 mit der 
Lanze extrahierten Staren rät Verf., das Verfahren nachzuprüfen. Die 
Wundlippen waren meist nach einigen Stunden glatt angelegt, die 
vordere Kammer normal, das Auge nach wenigen Tagen vollkommen 
reizlos. Die Lanze wird an der Grenze zwischen Hornhaut und Leder¬ 
haut angesetzt und möglichst weit in die vordere Kammer eingefübrt. 
Daon wird die Lanze nicht mehr auf demselben Wege herausgezogen, 
sondern es wird beim Ausziehen der Schnitt in der Hornhautbasis so 
weit verlängert, bis er die gewünschte Ausdehnung hat. 

F. Mendel. 

G. Bebr: Besteht beim Menschen ein Abfluss aus dem Glaskörper 
in den Sehnerven? (Graefe’s Archiv, Bd. 83, H. 3.) Injektionen von 
Tusche und Methylenblau in den Glaskörper menschlicher Augen, die 
der Enucleation verfallen waren, zwingen zu der Annahme, dass beim 
Menschen eine Kommunikation zwischen N. opt. und Corpus vitreum 
fehlt. Auch Injektionsversuche an Leichen und klinische Beobachtungen 
sprechen gegen die Existenz eines solchen Abflussweges. 

Liebrecht: Sehädelbrueh und Sehnerv. (Graefe’s Archiv, Bd. 83, 
H. 3.) In 5 Fällen sah L. Papillenschwellung nach Schädelbrucb; sie 
erscheint meist erst eine Reibe von Tagen nach dem Unfall. Sehr häufig 
zeigen sich ausgedehnte Blutungen und weisse Herde auf und neben der 
Papille nach längerem Bestehen der Stauungspapille. L. beobachtete 
ferner in 3 Fällen doppelseitige Schädigung des Sehnerven bzw. des 
Chiasma naeh Schädelbruch. K. Steindorff. 


A. Purtseher: Thrombose der Centralvene und metastatische 
Ophthalmie. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., Januar 1913.) Bei der 
70 jährigen Patientin war eine Thrombose des unteren Astes der Central- 
vene auf dem linken Auge eingetreten. Später erkrankte sie an einer 
croupösen Pneumonie des linken Unterlappens, und im Anschluss daran 
entwickelte sich auf dem linken Auge eine regelrechte Panopbthalmie, 
zu welcher sich ein ganz typischer Ringabscess der Hornhaut gesellte. 

Cramer-Cottbus: Neuritis bnlbaris mit achttägiger Amaurose und 
schwersten Gehirnerscbeinungen als Folge von infektiöser multipler 
Neuritis. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., Januar 1913.) Der 36jährige 
Patient hatte Erbrechen, heftigste Kopfschmerzen, die temporalen 
Pupillenhälften waren erheblich abgeblasst, keine Spur von Sehnen¬ 
reflexen, vollständiges Fehlen des Knie- und Achillessebnenreflexes. Die 
Krankengeschichte ergibt die Gewissheit, dass die Annahme einer rasch 
wachsenden Gehirngeschwulst eine irrige war, da alle sichtbaren Seh¬ 
nervenerscheinungen fehlten. Verf. glaubt den Fall für einen solchen 
von mit ungewöhnlich schweren Gehirnerscheinungen verbundener multipler 
Neuritis zu erklären, bei dem die Herde in den Sehnerven am längsten 
Bestand hatten und daher dauernde Störungen zurückliessen. 

F. Mendel. 

H. Rönne: Zur pathologischen Anatomie der Sehnerven-Chiasma- 
leiden bei akuter disseminierter Sklerose. (Graefe’s Archiv, Bd. 83, 
H. 3.) Die wichtigste Augenkomplikation bei akuter Myelitis und bei 
multipler Sklerose ist eine akute retrobulbäre Sehnervenentzündung, 
deren besondere Eigentümlichkeiten bei beiden Nervenleiden dieselben 
sind; die Differenzen spielen demgegenüber keine Rolle. Das Sehnerven¬ 
leiden ist in beiden Fällen eine Lokalisation des Prozesses in der Seh¬ 
bahn und nicht etwa eine Komplikation. Die Identität oder wenigstens 
nahe Verwandtschaft der Opticusaffektion bei beiden Nervenkrankheiten 
rückt diese auch in der neurologischen Systematik einander näher. 

Löh lein: Ueber Blntuntersuchungen hei Glaukomkraukeu. 

(Graefe’s Archiv, Bd. 83, H. 3.) Weder mit den chemischen Methoden 
noch mit der Froschbulbusreaktion fand L. bei 20 verschiedenartigen 
Fällen von primärem Glaukom den Adrenalingehalt des Blutserums 
verändert. Klecykowski’s entgegengesetzte Ergebnisse beruhen auf 
Nichtberücksichtigung der vielen Fehlerquellen, die bei diesen Unter¬ 
suchungen unterlaufen können. K. Steindorff. 

Birch-Hirschfeld - Leipzig: Zum Kapitel der Sonneublenduig. 
(Zeitschr. f. Augenheilk., Dezember 1912.) Im Original zu lesen. 

G. Erlanger. 

W. Reitsch: Zur Lagebestimmung im Augenhintergrund. (Klin. 
Monatsbl. f. Augenheilk., Januar 1913.) Verf. hat einen Apparat, der 
ähnlich gebaut ist wie ein Perimeter, konstruiert. 

B. Agricola und 0. Thies: Zur Kenntnis der seknnd&ren Netz- 
hanttnberkulose. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., Januar 1913.) Verf. 
stellt sich die Vorgänge — schematisiert — etwa folgendermaassen vor: 
ln der äussersten Peripherie findet ein Uebergreifen des Prozesses von 
der Aderhaut oder dem Ciliarkörper aus auf die Netzhaut statt. In 
leichten Fällen werden die anatomischen Veränderungen auf die Stelle 
der Uebertragung beschränkt bleiben. Aber die von dem Herd während 
der Dauer seiner Aktivität abgeschiedenen Toxine werden ihre schädigende 
Wirkung in weiterem Umkreis entfalten, und zwar hauptsächlich an den 
feinsten, leicht lädierbaren Gefässendigungen. In Fällen schwererer 
Infektion mit reichlicherer Produktion von Toxinen werden diese nicht 
nur in die Saftlücken der Peripherie abströmen, sondern bald von dem 
Lymphstrom der Gefässwandungen erfasst und centralwärts geführt werden. 

F. Mendel. 

Siehe auch Psychiatrie und Nervenkrankheiten: Behr, 
Bedeutung der Pupillenstörungen für die Herddiagnose der homonymen 
Hemianopsie und ihre Beziehungen zur Theorie der Pupillenbewegung. 


Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 

Herzog-München: Kritisches zur Verkürzung der Knochenleitnng 
bei normalem Gehör. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 1 u. 2.) 
Der Symptomenkomplex „Verkürzung der Knochenleitung bei normalem 
Gehör“ ist weder pathologisch-anatomisch noch klinisch genügend be¬ 
gründet. Verkürzung der Knochenleitungsdauer vom Scheitel (für tiefe 
Stimmgabel A) mag nach Schädeltraumen Vorkommen. Bei ihrer dia¬ 
gnostischen Verwertung für intracranielle Erkrankungen, insbesondere 
in Fällen mit mangelnden objektiven Symptomen des Central nerven- 
systems, ist Vorsicht geboten, da derartige Verkürzungen der Leitungs¬ 
dauer nach kürzerer oder längerer Zeit vollkommen verschwinden können, 
da die Verkürzung der Knochenleitung ein Frübsymptom einer Erkran¬ 
kung des inneren Ohres (labyrinthäre Schwerhörigkeit) darstellen kann. 

Dünner. 

A. Zografides-Athen: Bilaterales Ecchondrom der Ohrmuschel. 
(Wiener klin. Wochenschrift, 1918, Nr. 1.) Bei dem 12 jährigen Mäd¬ 
chen trat ein Jahr vor Z.’s Beobachtung symmetrische Abscessbildung 
an den Ohrmuscheln auf, nach deren Inzision sich die etwa taubenei¬ 
grossen Tumoren bildeten. Der Fall ist sehr selten. 

P. Hirsch. 


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224 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


Hygiene und Sanitätswesen. 

Siehe auch Kiuderheilkuude: v. Planta, Akklimatisation und 
Hygiene des kranken Kindes in den Hochalpen. Lawatsshek, Prognose 
der Säuglingstuberkulose. 

Technik. 

Harmsen: Radfahren unter aktiver Beteiligung eines Beines mit 
steifem Kniegelenk. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 2.) 

Dünner. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 22. Januar 1913. 

Vorsitzender: Herr Orth. 

Schriftführer: Herr Hotter. 

Vorsitzender: lob habe der Gesellschaft mitzuteilen, dass gestern 
unser Mitglied, Herr Heubner, seinen 70. Geburtstag gefeiert hat. Es 
ist ihm eine Glückwunschdepescbe gesandt worden, da er Berlin ver¬ 
lassen batte. 

In der vorigen Sitzung der Aufnahmekommission sind folgende 
16 Doktoren aufgenommen: Bernhard Berliner, Erich Leschke, 
Willy Katz, Frank, Adolf Levy, Neumann, Mai Wunsch, 
A. Weber, Geh. Regierungsrat, Hans Sachs, Erich Stern, Max 
Ehrenreich, Albert Kowarsky, Kirchberg, Georg Eisner, 
Rudolf Schilling, Richard Peters. 

Vor der Tagesordnung. 

Hr. Krane: 

Demonstratio! einer Frnn mit intrathorakalem Tnmor. 

54jährige Arbeiterfrau. Wassermann’sche Probe mit drei Plus¬ 
zeichen. Sechsmal abortiert. Schon seit 10 Jahren krank, häufig Luft¬ 
mangel, trockener Husten; sehr wechselndes Befinden. Bedenkliche Zu¬ 
nahme der Beschwerden im Juli 1912. Seither auch auffallendes 
Schwanken des Körpergewichts: 10 kg Abnahme, dann wieder Zunahme 
um 6 kg, usw. 

Die Betrachtung der Patientin lehrte sofort, dass ein wachsendes 
Etwas im Thoraxinnern sein müsse. Bei der Aufnahme fand sich sehr 
ausgeprägt der sogenannte Stokes’sche Kragen, jetzt ist dieses Symptom 
etwas zurückgegangen. Unverändert besteht eine collaterale Ausdehnung 
auch der subcutanen Bauch- (teilweise der Oberschenkel-) Venen, ent¬ 
sprechend dem Gebiet der uuteren Hohlader. Also (der Intensität nach 
wechselnd) starke Kompression der Venae cavae im Thorax. Der Druck 
in der Brachialvene beträgt bei der Patientin 190 Aq. (gegenüber 40 
bis 80 der Norm). Keine Vorwölbung, keine pulsierende Stelle an der 
Brust. Kein Oliver-Cardarelli. Stimmbänder normal. Rigide Ar¬ 
terien, ziemlich stark erhöhter arterieller Druck. Perkussorisch: Um¬ 
schriebene relative Dämpfung rechts vorn und hinten. Leber weder 
verlagert noch vergrössert, kein Tumor in hepate. Während der kli¬ 
nischen Beobachtung ist ein kleiner pleuraler Erguss rechts aufge¬ 
treten; die Probepunktion wurde zur Ursache, dass noch eine Luftblase 
hinzukam. 

Sehr aufklärend ist nun in diesem Falle die Röntgenuntersuchung 
gewesen. (Demonstration.) Die sagittane Durcbstrahlung von vorn nach 
hinten ergab nicht viel mehr wie die Perkussion. Viel lehrreicher waren 
die schrägen Durchleuchtungen. 

Im ersten schrägen Durchmesser (Holzknecht) sieht man sofort 
die Geschwulst. Sie erkennen auch gleich die Kugelform; die Schirm¬ 
untersuchung überzeugt uns, dass eine bei der Respiration schwach 
„erzitternde“ Blase vorliegt. Der Tumor liegt ganz unten im hellen 
Mittelfeld neben und hinter dem Herzschatten, oben ist das Helle des 
Mittelfeldes erhalten, man sieht da etwas wie eine Adhäsion. Die Kugel¬ 
geschwulst scheint einen „Stiel“ (?) zu haben, der zum Zwerchfell 
(Leberschatten) geht. „Stiel“ ist natürlich Deutungssache. Die Kugel 
ist bei verschiedenen Durchleuchtungen in nicht völlig denselben Durch¬ 
messern entsprechenden Richtungen immer bestimmter hervorgetreten. 
Das Aortenband lässt sich gut zur Darstellung bringen, es sieht ganz 
normal aus, zum Tumor hat es keine Beziehung. Die „Blase“ pulsiert 
nicht. Man gewinnt ferner den Eindruck, dass die fragliche Kugel an 
verschiedenen Tagen den Platz und die Form ein wenig wechselt (fort¬ 
laufende Durchleuchtungen). Die „Blase“ ist gewöhnlich in dieser An¬ 
sicht etwas platt gedrückt; ihr Schatten ist central viel weniger dicht 
als am Rande. 

Auch die Durchleuchtung im vierten schrägen Durchmesser (Holz- 
knecht), den ich für viele Dinge (besonders für die Oesophagusunter- 
suchung im untersten Abschnitt) bevorzuge, ergibt das Vorhandensein 
der Blase, nur der Blase, nichts vom „Stiel“. Der Herzschatten (das 
Herz) nach vorn, rechts verlagert, schwimmt im Schatten des Ergusses. 
Es ist nicht zu erkennen, dass die ganz eigenartig begrenzte „Blase“ 
(kugelige Geschwulst) zum Herzen Beziehungen hat. Den (mit Bismut 
gefüllten) Oesophagus sehen Sie an dem Turaorschatten (links) ge¬ 
schlängelt herablaufen; die Speiseröhre im oberen Abschnitt ist diffus 
dilatiert. Ein Zusammenhang ist ausgeschlossen. Der Schatten der 


kugeligen „Blase“ ist nicht gleich dicht; unten (Sedimentierung?) ist er 
viel dichter. Das Zwerchfell sieht eingedrückt aus. 

Es gibt natürlich im Thorax auch „kugelrunde“ (nach dem Röntgen¬ 
schatten beurteilt) solide Tumoren. Beispiele: (sekundäre) Sarkome 
(Demonstration), Dermoide. Die Lungen- (Bronchial-)Carcinome sehen aber 
(gewöhnlich) ganz anders und recht charakteristisch aus. Die Geschwulst 
unserer Patientin, die der Hauptsache nach im Mitlelfellraum (hi) liegen 
wird, macht den bestimmten Eindruck einer hohlen Kugel („Blase“). 
Für ein Aortenaneurysma spricht nichts. Die Speiseröhre kann auch 
nicht in Betracht kommen. Dass ein Aneurysma cordis (rechte Kammer) 
vorliegt, ist nach Krankheitsgeschichte, physiologischem Befund und 
Röntgenuntersuchung unwahrscheinlich. Dermoide kenne ich bloss im 
oberen Abschnitt des vorderen Mediastinums. Die kugelige „Blase“, 
der eigentümliche Kontur und die „zitternde“ Beweglichkeit beim Atmen 
usw. lassen am ehesten an Echinococcus denken. 

Ich zeige Ihnen hier andere Platten von verschiedenen intrathora¬ 
kalen Echinokokken, die in meiner Klinik beobachtet worden sind (De¬ 
monstration eines von Herrn Hildebrand erfolgreich operierten Echino¬ 
coccus der rechten Lunge und eines solchen mit ausgehusteten Blasen 
in der linken Lunge, glücklich geheilt durch eine Operation v. Berg- 
mann’s). Ich sah übrigens auch einen Leberechinococcus mit tödlichen 
Lungenblutungen. Die rechte Lunge schien frei. Links an der Basis 
eine Dämpfung und ein nicht scharf konturierter Schatten. In den 
ersten beiden Fällen ist, wie Sie erkennen, das Röntgenbild höchst 
charakteristisch. 

Wir haben natürlich versucht, dem Vorhandensein eines Echino¬ 
coccus noch in anderer Weise näherzukommen. Das Blut enthält 
6pCt. Eosinophile. Damit ist nichts anzufangen. Die Probe von Wein¬ 
berg und Ghedini (Komplementbindung) ist mit dem Blute negativ, 
was natürlich nichts entscheidend beweist. Als die Patientin das Ex¬ 
sudat bekam, wurde dieselbe Probe mit dem Erguss gemacht. Da fiel 
sie unzweifelhaft positiv aus. Mangels Erfahrungen mit Exsudaten usw. 
ist dieser positive Ausfall leider nicht zu verwerten. 

Die Diagnose muss in unserem Fall forciert werden, denn es hängt 
vielleicht das Schicksal der Patientin davon ab. Zieht man alle Schlüsse 
aus dem Befunde, muss der Echinococcus diagnostiziert werden. Aber 
bitte: dekapitieren Sie mich nicht, wenn nicht alles so genau stimmt. 
Bei denen, die Aehnliches gesehen, möchte ich gern hier ein Consilium 
profitieren. 

Diskussion. 

Hr. Orth: Ist schon an die Operation gedacht, Herr Kollege 
Kraus? 

Hr. Kraus: Ja freilich; aber bevor sie mit Zustimmung der 
Patientin gemacht ist, möchte ich lieber nichts darüber sagen. 

Hr. Fuld: Es ist im Jahre 1908 von de Renzi publiziert worden, 
dass innerliche Darreichungen von Extractum filicis auch bei Echino¬ 
coccus erfolgreich ist. Ich möchte Herrn Kraus fragen, ob er diese 
Behandlungsweise in Aussicht genommen hat? 

Hr. Kraus: Ich werde vielleicht der Anregung des Herrn Fuld 
folgen. 

Tagesordnung. 

Hr. C. S. Engel: 

Demonstration der Wirknng der Venenstanung auf die Palsknrven 
Herzkranker. (Kurzer Vortrag mit Projektionen.) 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

Hr. Frevel -Heiden: 

Die Behandlong schwerster Formen von Ataxie hei Tabes. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

Diskussion. 

Hr. Leo: Hat Herr Frenkel bei seinem grossen Tabesmaterial 
den Eindruck gewonnen, dass eine im Anfangsstadium der Tabes vor¬ 
genommene gründliche antiluetische Kur den Ausbruch schwerer Ataxie 
verhüten kann? 

Hr. Eckstein: Ich möchte nur ein paar Worte zu der Behandlung 
mit orthopädischen Apparaten sagen. Was Herr Frenkel da gesagt hat, 
war mir aus der Seele gesprochen. Ich glaube, dass diese Behandlung 
sich ausserordentlich nützlich erweist, vor allem bei Hypotonie der 
Gelenke. 

Ich möchte aber bemerken, dass diese Behandlung keineswegs ganz 
neu ist. Ich erinnere mich eines Falles aus der Praxis des verstorbenen 
Orthopäden Beely. Es handelte sich da um einen General mit schweren 
Genua recurvata, die fast bis zum rechten Winkel gestreckt werden 
konnten, der vollkommen gehunfähig geworden war und durch ortho¬ 
pädische Apparate, die er von Beely vor Jahrzehnten erhielt, und mit 
denen er immerhin 78 Jahre alt geworden ist, wieder recht gut zum 
Gehen gebracht werden konnte. 

Ich glaube, dass speziell bei den Knie- und Fussgelenken die 
Schädigungen durch die übertriebenen Bewegungen sich auf diese Weise 
leicht vermeiden lassen. Aber auch bei den anderen spezifisch tabischen 
Gelenkerkrankungen — die allerdings in das Thema der Herrn Vortr- 
tragenden nicht hineingehören, und die ich deswegen nur ganz kurz 
streifen möchte — nämlich bei den tabischen Arthropathien haben sich 
alle chirurgischen Eingriffe, die man zur Beseitigung der oft kolossalen 
Ergüsse und Deformitäten angewandt hat, als vergeblich erwiesen, wo¬ 
gegen sich die Behandlung mit orhopädischen Apparaten ausgezeichnet 
bewährt hat. 


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3 Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


225 


Herr Frenke 1 hat sich gewundert, dass das Genu recurvatum, wenn 
er es in Apparaten behandelt hat, sich nachher besserte. Ich finde das 
weniger auffällig, finden wir dabei doch eine ausserordentliche Schlaffheit 
der Gelenkkapsel, die zu gleicher Zeit auch kombiniert sein muss mit 
einer Ueberdehnung der Muskulatur, die die Kniegelenke beugt. Wenn 
wir hier ähnlich so, wie wir es in der Orthopädie bei der Korrektur der 
Deformitäten speziell an den Füssen durch Redressement machen, den 
überdehnten Muskeln gestatten, sich wieder entsprechend zu kontra¬ 
hieren, dann sehen wir eine Besserung der Deformitäten, die sich dann 
aufrecht erhalten lässt. So wird wohl auch beim tabischen Kniegelenk, 
dem man längere Zeit hindurch keine pathologischen Exkursionen ge¬ 
stattet, eine Schrumpfung der Kapsel und eine Verkürzung und damit 
kräftigere Funktion der Beugemuskeln ein treten, die im Sinne einer 
Heilung wirken muss. 

Hr. Frenkel-Heiden (Schlusswort): Ich möchte nur auf die 
Frage des Herrn Leo antworten, dass er damit ja die schwierigste von 
allen Tabesfragen angeschnitten hat. Ich muss sagen, ich weiss es nicht; 
ich glaube aber, dass eine antiluetische Behandlung mit Mitteln, wie 
wir sie bis jetzt angewandt haben, nämlich mit Jod und Quecksilber, 
dem Ausbruch der Ataxie nicht Vorbeugen kann, und zwar auf Grund 
ron ein paar Fällen, die jahrelang von dem Moment der Infektion an 
von Fournier, also gewiss einem strengen Mercurialisten, ununter¬ 
brochen behandelt worden sind, und bei denen ich die schwersten 
ataktischen Zustände habe entstehen sehen. Ob sich die Erfolge nun 
bei der Salvarsantherapie bessern werden, weiss ich nicht, aber jeden¬ 
falls ist jede prinzipielle Ablehnung dieser Therapie meiner Ansicht nach 
nicht zu verantworten. 


Gesellschaft der Charltd-Aerzte. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 5. Dezember 1912. 

(Schluss.) 

4. Hr. Ohse: 

Eatxfiadliehe Adnexerkraakoagea, ihre Behaadlaag nad Resultate. 

Der gewaltige Aufschwung der operativen Technik hatte in der 
Mitte der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zum weit¬ 
gehendsten Radikalismus in der operatiren Behandlung entzündlicher 
Adnexerkraukungen geführt. Die erzielten Erfolge entsprachen jedoch 
nicht den gehegten Erwartungen, und die Veröffentlichungen der folgenden 
Jahre brachten den auch heute allgemein gültigen Standpunkt zur 
Anerkennung, dass neben operativem Vorgehen auch andere therapeu¬ 
tische Maassnahmen konservativer Natur eine sehr gewichtige, ja wohl 
die wichtigste Rolle als Heilfaktor spielen. 

Auf Grund der gemachten Erfahrungen bat sich eine strengere In¬ 
dikationsstellung für das operative Handeln zugunsten der organschonen¬ 
den konservativen Therapie herausgebildet 

Der in der Frage der Behandlung entzündlicher Adnextumoren an 
hiesiger Klinik vertretene Standpunkt ist folgender: 

Zwingen nicht Symptome allgemein peritonitischer ReizuDg oder der 
Verdacht auf eine gleichzeitig bestehende Appendicitis zur sofortigen 
Operation, so ist die Behandlung zunächst eine konservative. 

Erst das Versagen oder die Unmöglichkeit der Durchführung einer 
sachgemässen konservativen Krankenhausbehandlung gibt die Indikation 
zur Operation ab. 

Die Ursachen, welche die Durchführung einer konservativen Kur 
hindern, sind häufig sozialer Natur; jedoch spielt auch die Ungeduld der 
Patientinnen und der bei der Grossstadtbevölkerung nicht allzu selten 
beobachtete Arztwechsel eine nicht zu unterschätzende Rolle. 

Bezüglich der Frage der Gefährlichkeit der Operation ist es von 
ausschlaggebender Bedeutung, ob in den erkrankten und zu entfernenden 
Adoexen noch virulenter Eiter oder virulente Keime vorhanden sind, und 
in diesem Punkte bewegt sich unser diagnostisches Können noch in sehr 
bescheidenen Grenzen. 

Die Leukocytenzählung hat den gehegten Hoffnungen nicht ent¬ 
sprochen. Sie versagt völlig, wenn der Eiter längere Zeit in der Tube 
eingeschlossen und das herumliegende Gewebe weniger beteiligt ist. Im 
allgemeinen wird man sagen können, dass ein positiver Leukocytenbefund 
die Anwesenheit virulenter Eiteransammlung vermuten lässt, während 
ein negativer Befund das Vorhandensein von infektiösem Eiter nicht 
ausschliesst und nicht zur Annahme von Avirulenz berechtigt. 

Die von anderer Seite vorgeschlagene Probepunktion zwecks bak¬ 
teriologischer Untersuchung muss als nicht ganz ungefährlich abgelehnt 
werden; denn niemals kann die Gefahr der sekundären Injektion oder 
peritonealer Ausbreitung eines vorhandenen infektiösen Prozesses sicher 
ausgeschaltet werden. 

Ob auf serologischem Wege oder durch Einspritzung von Bakterien¬ 
vaccinen zur Hervorrufung von Herdreaktionen in dieser Beziehung 
Fortschritte gemacht werden können, wage ich zurzeit nicht zu ent¬ 
scheiden. 

Der einzige Anhaltspunkt ist für uns die genaue Beobachtung der 
Körpertemperatur. Bleibt diese in einer Reihe von Tagen trotz mehr¬ 
facher Untersuchungen und bei körperlicher Bewegung regelrecht, so 
wird man Avirulenz vermuten dürfen, wenngleich es auch in vereinzelten 
Fällen naobzuweisen ist, dass eine infektiöse Beschaffenheit des Eiters 


ohne Temperaturerhöhung möglich ist. Vielleicht gibt die während der 
Periode exakt durebgeführte Temperaturmessung einen Fingerzeig. 

Diese Unsicherheit in der Virulenzbestimmung muss uns veranlassen, 
besonders bei den aus relativer Indikation ausgeführten Operationen 
eine sich auf mehrere Tage erstreckende Krankenbausbeobachtung mit 
zuverlässiger Temperaturmessung, die völlige Fieberfreiheit ergeben muss, 
zu fordern. 

Eine gesonderte Stellung unter den entzündlichen Adnextumoren 
nehmen die grösseren Pyosalpingen ein, die ihrer fieberfreien Trägerin 
häufig keine Beschwerden machen, aber doch stets die Gefahr des 
Platzens in sich tragen. Dass dieselbe nicht allzu gering einzuschätzen 
ist, geht aus einer Statistik des Wiener pathologischen Instituts hervor 
(Mandl und Bürger), wonach unter 10955 Gestorbenen bei 18 ge- 
schlechtsreifen Frauen zerplatzte Pyosalpinx als Todesursache ver¬ 
zeichnet ist. Eine klinische Arbeit von Lamourouse stellt 78 Fälle 
rupturierter Pyosalpingen zusammen. Hiervon wurden 47 operiert, mit 
einer Mortalität von 75 pCt.; 31 Nichtoperierte starben. 

Aus diesem Grunde dürften grössere eitrige Lactosalpingen, auch 
wenn sie ihren Trägerinnen keine Beschwerden macheD, zumal man nach 
einem mehrmonatigen Abwarten und bei Fieberfreiheit ihre Avirulenz 
annehmen kann, eine Indikation zu ihrer Entfernung abgeben. 

Allzu langes Abwarten empfiehlt sich in diesen Fällen nicht, da er- 
fahrungsgemäss die Verwachsungen mit der Zeit zunehmen und kompli¬ 
zierende Durchbrüche nicht mit Sicherheit vermieden werden können. 

Noch offen ist die Frage, inwieweit eine eventuelle Mitbeteiligung 
des Appendix bei Adnextumoren die Indikationsstellung beeinflussen 
kann. Während einzelne Autoren gleichzeitig beobachtete entzündliche 
Erscheinungen an dem Appendix nur als ein zufälliges Zusammentreffen 
ansehen, glauben andere dies Moment in ätiologischer Beziehung be¬ 
sonders hoch bewerten zu müssen. Die Frage dürfte so ihre Lösung 
finden, dass in allen Fällen, in denen eine Erkrankung des Appendix 
als das Primäre vermutet wird, nach chirurgischen Grundsätzen zu ver¬ 
fahren ist. Die sekundäre Beteiligung durch Hineinziehen des Appendix 
in den rechtsseitigen Entzündungsprozess könnte dann zu einem aktiven 
Vorgehen Veranlassung geben, wenn zahlenmässig nachgewiesen ist, dass 
die Entzündung der Adnexe durch Uebergreifen auf den Appendix unter¬ 
halten wird oder zu einer chronischen Wurmfortsatzentzündung mit allen 
ihren Schädigungen, Beschwerden und Gefahren führt oder ihr Auftreten 
begünstigt. Die Möglichkeit, ja die Wahrscheinlichkeit muss zugegeben 
werden; die Schwierigkeit liegt in der Diagnosenstellung. 

Das Material, das meinem heutigen Vortrag zugrunde gelegt ist, 
umfasst alle entzündlichen Adnexerkrankungen, die in den letzten zwei 
Jahren, vom 1. Oktober 1910 bis 30. September 1912 auf der Frauen¬ 
klinik der Königlichen Charitö zur Aufnahme kamen. Es sind ins¬ 
gesamt 271 Fälle, von denen 190 konservativ, 81 operativ behandelt 
worden sind. 

Ehe ich auf eine Besprechung der Ergebnisse der Behandlung ein¬ 
gehe, will ich kurz die geübten Methoden besprechen. 

Was die konservative Behandlung anlangt, so ist im akuten 
Stadium eine Hauptbedingung für den Erfolg zunächst absolute Bettruhe 
uud eine Regelung der Darmtätigkeit, die am besten durch zweck¬ 
mässige Diät und leichte Abführmittel erreicht wird. Gegen die selten 
fehlenden Schmerzen wirkt die Eisblase in günstiger Weise, vergesell¬ 
schaftet mit Stuhlzäpfchen von Morphium, Opium und Belladonna. Nach 
dem Abfall des Fiebers, was gewöhnlich in einigen Tagen eintritt, wird 
die Eisblase durch allmählich immer heissere Priessnitz-Umschläge er¬ 
setzt, die in Form von Halbpackungen angewendet werden. Als lokale 
Behandlung finden heisse Scheidenspülungen von 40° Wärme Verwendung. 
Weiterhin wird die Wärme, die sich bei der Behandlung der entzünd¬ 
lichen Adnexerkrankungen in besonderer Weise bewährt hat, ausser 
durch Priessnitz-Umschläge, elektrisch durch den Heizbügel und durch 
elektrische Heizplatten appliziert. Unter dem Heizbügel, der täglich 
zweimal eine halbe Stunde gegeben wird, sind Temperaturen bis 130° 
gemessen worden. Die Oberhaut muss zur Vermeidung von Ver¬ 
brennungen durch ein Flanelltuch geschützt werden. Die Heizplatte, 
die durch elektrische Widerstandswärme erhitzt wird, erreicht Tempera¬ 
turen bis 90°. Sie wird täglich 3—4 Stunden lang auf den Leib auf¬ 
gelegt. Ein kleiner Rheostat, der von der Patientin selbst ohne 
Schwierigkeit bedient werden kann, sorgt für Regulierung. 

Bei alten starren Exsudaten, Schwielen und Verwachsungen leistet 
die Belastungstherapie gute Dienste, die in Form des Quecksilber- 
colpeurynters Verwendung findet und sehr zweckmässig zu gleicher Zeit 
mit der Heizkörperbehandlung kombiniert wird. 

Hin und wieder wird auch von der bimanuellen Massage Gebrauch 
gemacht, deren Ausführung besondere Sorgfalt erfordert. Vorhandene 
Eiterherde bilden eine Kontraindikation. 

Dass nebenbei der Besserung und Hebung des Allgemeinbefindens bei 
den im allgemeinen sehr heruntergekommenen Patientinnen besondere 
Aufmerksamkeit zugewendet wird, braucht wohl nicht besonders hervor¬ 
gehoben zu werden. 

Bezüglich des operativen Verfahrens möchte ich vorausschicken, dass 
die Operation im allgemeinen unter Rückenmarksanästhesie ausgeführt 
wird, das«, wenn nicht besondere Gründe vorhanden sind, der abdominale 
Weg gewählt wird unter Anwendung des Fascicnquerschnittes. 

Die Frage, ob abdominal oder vaginal operiert werden soll, hat leb¬ 
haft zur Diskussion gestanden; unter Zunahme des Konservativismus in 
der Behandlung und der dadurch bedingten Ausschaltung der akuten, 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 5. 


infektiösen Fälle hat sich die abdominale Methode mit ihrer besseren 
Uebersiohtlichkeit immer mehr Anhänger erworben. 

Von der Verwendung des Fascienquerschnittes abzugehen, haben 
wir bisher keine Veranlassung gehabt. 

Selbst zugegeben, dass derselbe mit seinen zahlreichen Wundnischen 
bei unreinen Fällen für eine Infektion günstigere Bedingungen schafft 
als der glatte Medianschnitt, so ist trotz einmal eingetretener Infektion 
die Gefahr eines Bauohbruches nur gering. 

Das Wesen des an der Klinik geübten operativen Vorgehens liegt 
darin, die Operation auf die Entfernung der siehtbar Kranken zu be¬ 
schränken, unter möglichster Schonung eines oder beider Ovarien oder 
wenigstens eines kleinen Stückes funktionierender Ovarialsubstanz. Zu 
diesem Vorgehen haben die besonders bei jugendlichen, in der Ge¬ 
schlechtsreife stehenden Frauen nach Kastration beobachteten nervösen 
Ausfallserscheinungen geführt. In zahlreichen Fällen waren radikal 
operierte Frauen durch diese nervösen Störungen in ihrem Allgemein¬ 
befinden mehr beeinträchtigt als durch ihre häufig recidivierende Adnex¬ 
erkrankung vor der Operation. 

Die Erfahrungen, die in der Olshausen’schen und Rehns’schen Klinik, 
am Material der Leipziger und Jenaer Klinik gemacht sind, geben dieser 
konservativen Methode recht. 

Man sucht auf diese Weise jugendlichen Personen Heilung zu 
schaffen unter Erhaltung der Menstruationsmöglichkeit und unter Ver¬ 
meidung nervöser Ausfallserscheinungen. 

Zur Verhütung nachfolgender Adhäsionsbeschwerden und sogenannter 
Stumpfexsudate wird auf exakte Blutstillung und Peritonealisierung des 
Wundbettes sowie auf Verwendung von resorbierberem Naht- und Unter- 
bindungsmaterial, unter möglichster Vermeidung von Massenligaturen 
geachtet. 

Ausschlaggebend für eine eventuelle Drainage, die im allgemeinen 
durch das hintere Scheidengewölbe hindurchgeführt wird, ist nicht allein 
der Umstand, dass während der Operation Eiter in die Bauchhöhle ge¬ 
flossen ist; massgebend hierfür ist der Zustand des Peritoneums im 
Wundgebiet. Ist die Peritonealisierung gut gelungen und sind durch 
Nachblutungen keine Sekretanbäufungen mit ihren für Bakterien günstigen 
Nahrungsbedingungen zu befürchten, so wird die Bauchhöhle völlig ge¬ 
schlossen. Von einer Drainage durch die Bauch wunde wird nur selten 
Gebrauch gemacht, meist sind es Fälle, in denen grosse, durch Eiter 
verunreinigte Wundflächen vom Peritoneum unbedeckt bleiben, oder 
grössere Reste von der Tumorwandung, die wegen inniger Verwachsung 
mit anderen Organen sich nicht haben entfernen lassen. 

Wende ich mich nun den Ergebnissen der Behandlung zu, so sind 
190 Fälle konservativ behandelt worden. Davon standen 18,4 pCt. im 
2. Lebensdezennium, 64,7 pCt. im 8. Lebensdezennium, 11,6 pCt. im 
4. Lebensdezennium und 5,3 pCt. hatten das 40. Lebensjahr über¬ 
schritten. 

Die Mehrzahl der Erkrankungen, wie dies auch die Zusammen¬ 
stellungen von anderen Autoren ergeben haben, fallt also in das ge¬ 
nerationsfähige Alter. In den meisten Fällen handelte es sich um erst¬ 
malig behandelte Patientinnen; nur in 12pCt. war bereits anderweitig 
der Versuch konservativer Behandlung gemacht worden. 

Was die Aetiologie anlangt, so wurde in 30 Fällen Gonorrhöe 
nachgewiesen, 24 mal trat die Erkrankung im Anschluss an Geburten, 
33 mal im Anschluss an Abort, 6 mal im Anschluss an Curettage auf; 
33 mal machten sich die ersten Beschwerden im Anschluss an die Periode 
bemerkbar. 

Die angegebene Zahl, in denen der Gonococcus als Erreger gefunden 
wurde, entspricht nicht den tatsächlichen Verhältnissen. Sicherlich 
spielt er bei der Entstehung entzündlicher Adnextumoren die Hauptrolle, 
wie dies die eingehenden Untersuchungen Pankow’s ergeben haben, 
der in 43 pCt. der Fälle (einschliesslich der tuberkulösen) gonorrhoischen 
Ursprung nachgewiesen hat. 

Die Dauer der Behandlung betrug im Durchschnitt 24 Tage. 

Der erzielte Erfolg wird durch folgende Zahlen registriert: 46,5 pCt. 
unserer Kranken waren am Ende der Behandlung fieber- und grösstenteils 
beschwerdefrei (d. h. also im allgemeinen auch arbeitsfähig), ohne 
dass eine wesentliche objektive Aenderung im Genitalbefund nachweis¬ 
bar war. 36,3 pCt. waren fieber- und beschwerdefrei; bei ihnen war 
auch eine Verkleinerung der Adnextumoren festzustellen. 1,6 pCt. waren 
völlig geheilt, bei ihnen war der Touohierbefund ein regelrechter. 
15,3 pCt. blieben von der Therapie unbeeinflusst. 

Diese 15,3 pCt. machen diejenigen Fälle aus, die nur durch Operation 
geheilt werden können. 

Zu ähnlichem Resultat kommt Gerlach an dem Material der Jenaer 
Klinik, der durch konservative Behandlung in 82,7 pCt. der Fälle 
Arbeitsfähigkeit erreicht hat, und unsere Zahlen nähern sich den von 
Prochownik gefundenen Daten, der in 20pCt. der Fälle eine Operation 
für nötig hält. 

Man wird also im allgemeinen nicht fehlgehen, wenn man annimmt, 
dass etwa 20 pCt. aller Fälle von entzündlicher Adnexerkrankungen nur 
durch Operation heilbar sind. 

Worauf das Versagen der konservativen Therapie in diesen Fällen 
beruht, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. 

Prochownik nimmt an, dass es sich teils um Fälle handelt, bei 
denen der Wurmfortsatz mitbeteiligt ist, teils um Mischinfektion von 
Gonorrhöe und Tuberkulose. Unser Material gibt in dieser Hinsicht 
keine Anhaltspunkte. 

Operativ behandelt wurden in der gleichen Zeit 81 Falle. 


Bezüglich des Lebensalters gehörten 8,7 pCt. dem 2. Lebens¬ 
dezennium, 39,5 pCt. dem 3. Lebensdezennium, 33,3 pCt dem 4 . Lebens¬ 
dezennium, 23,5 pCt. dem 5. und späteren Lebensdezennien an. 

Wir sehen also, dass unterhalb des 20. Lebensjahres nur selten 
operiert wird, und dass im dritten Lebensdezennium besonders die kon¬ 
servative Therapie zu ihrem Recht kommt, dass im vierten Dezennium 
die Zahl der Operationen zunimmt. 

Gestorben sind von den 81 Operierten 6. 

Bei den sechs Gestorbenen — was einer Mortalität von 7,4 pCt 
entspricht — war 4 mal abdominal, 1 mal vaginal operiert worden. Ein¬ 
mal war die Operation vaginal begonnen und abdominal beendet worden. 
Wollte man geneigt sein, dem abdominalen Vorgeben die Schuld an den 
tödlichen Ausgängen beizumessen, so muss dem entgegengehalten werden, 
dass bei den vier abdominalen Operationen 2 mal Serosaverietzungen des 
verwachsenen Darmes vorkamen und dass 1 mal der schwer veränderte 
Wurmfortsatz mitentfernt werden musste, beides Umstände, die bei 
vaginalem Operieren wohl sicher die nachträgliche Eröffnung vom Ab¬ 
domen her erheischt hätten. 

Bei zwei der Gestorbenen bestanden neben Adnextumoren Uterus¬ 
myome, die in einem Fall die Totalexstirpation der Gebärmutter, im 
anderen die Enucleation des Myoms nötig machten. 

Bei einer Gestorbenen fand sich neben doppelseitiger schwer ver¬ 
wachsener Pyosalpinx ein Ovarialdermoid und chronische Appendicitis, 
die die Appendektomie nötig machte. 

In einem Falle musste wegen Rectumverletzung der Mastdarm 
reseziert werden. Die heruntergeholte Flexur wurde durch den Analring 
hindurchgezogen. Infolge Durchschneidens der Haltefäden in den'gangränös 
gewordenen Randzonen schlüpfte das durchgezogene Darmstück zurück, 
und es kam zur Peritonitis mit Exitus letalis. 

In den beiden letzten Todesfällen waren eitergefüllte Tubensäcke 
bei ihrer Ausspülung zerplatzt und hatten zur allgemeinen, tödlichen 
Bauchfellentzündung geführt. 

Durch die Vagina war in 5 Fällen, in 2 Fällen ausserdem durch 
die Bauchdecken vermittels des Mikulicz-Beutels drainiert worden. 

Fünfmal war reichlich Eiter in die Bauchhöhle geflossen. 

Vergleichen wir unsere Mortalität mit den Zahlen anderer Kliniken, 
so finden wir gleiche Zahlen bei Esoh. Amberger stellt an dem von 
ihm untersuchten Material eine Mortalität von 10,3 pCt fest. Andere 
Veröffentlichungen weisen niedrigere Sterblichkeitsziffern auf, wie die 
aus der Zweifel’schen, Sohauta’schen und Rosthorn'sehen Klinik. 
Franz bat in der Jenaer Klinik bei 136 operierten Fällen an entzünd¬ 
lichen Adnexerkrankungen eine Mortalität von 2 pCt. gehabt 

Der Umstand, dass bei vier der Gestorbenen der Beginn der Er¬ 
krankung 19, 9, 8, 8 Jahre zurüokliegt und bei allen Eitertuben vor¬ 
handen waren, dürfte vielleicht eine Stütze abgeben für die auch von 
Zinsser vertretene Ansicht, dass man bei sicherer Pyosalpinx, die 
konservativer Behandlung trotzt, mit der Operation nicht allzu lange 
zögern soll. Je früher — relativ gesprochen — wir operieren, desto 
geringere Veränderungen werden wir finden, um so schonender werden 
wir operieren können. 

Vielleicht wäre bei frühzeitiger Operation der Verlauf dieses oder 
jenes Falles ein günstigerer gewesen. 

Folgende Operationen wurden im einzelnen ausgeführt: einseitige 
Salpingektomie 5 mal, doppelseitige Salpingektomie 16 mal, einseitige 
Salpingo-Oophorektomie 9 mal, doppelseitige Salpingo-Oophorektomie 4mal, 
Entfernung beider Adnexe unter Belassung von Ovärialresten 39 mal, 
Totalexstirpation des Uterus mit Adnexen 5 mal, Totalexstirpation mit 
einseitiger Adnexentfernung 1 mal, Totalexstirpation mit beiderseitiger 
Adnexentfernung unter Belassung von Ovarialstücken 2 mal. 

Als Nebenoperationen wurden ausgeführt: 11 mal Appendektomie, 
10 mal Alexander-Adams, 1 mal Mastdarmresektion. 

74 mal wurde abdominal, 7 mal vaginal operiert. Bei den 7 vagi¬ 
nalen Operationen ist ein Todesfall zu verzeichnen. Grund für vaginales 
Vorgehen gab in 2 Fällen Myombildung des Uterus; die Adnextumoren 
wurden als Nebenbefund erhoben, in 3 Fällen Metritis uteri, die seine 
Entfernung angezeigt erscheinen liess. 

Die Dauer der Behandlung betrug bei den Operierten im Durch¬ 
schnitt 16 Tage. Sie ist also um 50pCt. kürzer als bei konservativer 
Methode. 

39 Patientinnen, also annähernd die Hälfte, machten eine völlig 
fieberfreie Rekonvaleszenz durch. Abgesehen von den Gestorbenen hatte 
nur eine Patientin länger dauerndes Fieber durch Exsudatbildung; in 
den übrigen Fällen finden wir 1—3—4 Tage dauerndes Fieber verzeichnet. 

Die meisten Operierten verliessen die Klinik besohwerdefrei, meist 
noch erholungsbedürftig. 

3 mal stand der Uterus in Retroflexionsstellung, 17 mal in Mittel¬ 
stellung, die übrigen Male in Anteflexion. Gerade die Retroflexio uteri 
wird für die späteren Beschwerden nach der Operation verantwortlich 
gemacht. In dieser Beziehung war der Zustand unserer Operierten also 
sehr günstig. 

17 mal finden wir verzeichnet, dass der Douglas schwielig verdickt 
war. Davon waren 12 mal vaginal tamponiert, 1 mal war ein Mikulicz- 
Beutel eingelegt Diese Schwielen dürfen also in der Mehrzahl der Fälle 
nicht als entzündliche Nachschübe der ursprünglichen Erkrankung an¬ 
gesehen werden, sondern für die nachträgliche Folge der Drainage. 
Nach einiger Zeit versohwinden dieselben, nachdem die ursächliche 
Schädigung, der Tampon, beseitigt ist, völlig. 


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3. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


227 


Einmal ist eine walnussgrosse Verdickung des Parametriums fest¬ 
gestellt, dreimal war Verdickung des Parametriums und des Douglas 
verzeichnet. Hiervon waren 2 Fälle vaginal drainiert, und in einem 
Falle war eine ausgedehnte Serosanaht am Rectum ausgeführt worden. 

ln 5 Fällen fand sich ein geringes Stumpfezsudat. 

Die Nachuntersuchungen Zinsser’s am Jenaer Material haben er¬ 
geben, dass diese Schwielen und Stumpfexsudate bei der Nachunter¬ 
suchung nicht mehr vorhanden waren. 

Unter dieser Voraussetzung dürfte unser operatives Ergebnis als 
günstig zu bezeichnen sein. 

Um Nachuntersuchungen über die Späterfolge anzustellen, ist die 
seit der Operation verstrichene Zeit zu kurz. Im allgemeinen kann man 
sagen, dass während des ersten Jahres nach der Operation die Rück¬ 
fälle eintreten. Von diesem Gesichtspunkte aus käme nur die Hälfte 
unserer Fälle in Betracht, eine Zahl, die wohl nicht ausreicht, um ein 
definitives Urteil zu fällen. 

Als Ergebnis meiner Untersuchungen möchte ich folgende Schluss¬ 
folgerungen ziehen: 

1. Die Behandlung entzündlicher Adnexerkrankungen soll im all¬ 
gemeinen zunächst eine konservative sein, sofern nicht akute, allgemein 
peritonitisehe Symptome zur sofortigen Operation drängen. 

2. Erst die ergebnislose, sachgemäss durchgeführte konservative 
Behandlung indiziert die Operation, die, nach Möglichkeit konservativ, 
sich auf die Entfernung alles Kranken beschränken soll mit Erhaltung 
der Menstruationsmöglicbkeit und unter Vermeidung von nervösen Aus¬ 
fallserscheinungen. 

3. In etwa 20pCt. der Fälle versagt die konservative Behandlung; 
diese von vornherein zu erkennen, ist bisher nicht möglich. 

4. Eine Sonderstellung nehmen die grösseren Pyosalpingen ein, mit 
deren Operation beim Versagen der konservativen Behandlung zur Ver¬ 
meidung innigerer Verwachsungen mit Nachbarorganen nicht allzu lange 
gewartet werden soll. 

5. Bei Verdacht auf Mitbeteiligung des Appendix wird man sich 
leichter zur Operation entschliessen, da sie in der Regel auf abdominalem 
Wege ausgeführt wird. 

5. Br. ZiMser: 

Kriniieller Abtreibaigsversneh bei Extrauteringravidität. 

M. H.! Ich zeige Ihnen hier eine Kranke, an der ausser einem 
primär verheilten Querschnitt nichts zu sehen ist. Was sie von Interesse 
bietet, ist besser in absentia der Patientin zu erörtern. Es ist eine 
32 jährige Frau. Sie hat im Jahre 1899 im Februar einmal geboren und 
ist dann nie wieder in andere Umstände gekommen. Sie hat gemeint, 
wie sie mir erzählte, dass sie überhaupt nicht mehr in die Lage kommen 
würde, ein Kind zu gebären. Ende Oktober dieses Jahres stellte sich 
die erwartete Menstruation nicht wieder ein, und etwa acht Tage nach 
dem fälligen Menstruationstermin trat eine ganz geringe Blutung ein, 
gleichzeitig mit einem Gefühl des Unbehagens im Leibe. Am dritten 
und vierten Tage dieser Blutung fanden sich einige Gerinsel dabei, und 
die Patientin besprach sich über diesen Fall mit einer Nachbarin, die 
meinte, es wäre wohl ein Abort gewesen; sie selbst hätte die Gewohnheit, 
dass sie jedesmal, wenn die Menstruation überfällig würde, sich mit einer 
Spritze namens Frauenwohl eine Injektion in den Uterus mache, sich 
dann zwei Tage zu Bett lege, und der gewünschte Effekt bleibe nie aus. 
Unsere Patientin tat darauf dasselbe, sie lieh sich die Spritze und machte 
sich am 10. November eine Einspritzung mit SeifenlÖsung. Io der folgenden 
Nacht erkraukte sie mit sehr heftigen kolikartigen Schmerzen, mit Er¬ 
brechen und einem Ohnmachtsanfall. Die Leibschmerzen hielten an, die 
Ohnmachtsanfälle wiederholten sich. Am 12. November holte sie einen 
Arzt, dem sie offen erzählte, was sie gemacht hatte. Er nahm einen 
kriminellen Abort an, der zu peritonitischen Reizen geführt hatte, und 
verordnete nur Eisblase. Am 13. November verschlimmerte sich der 
Zustand, es traten wiederholte Ohnmachtsanfälle auf. Der Arzt über¬ 
wies uns die Patientin. Sie kam herein mit stark aufgetriebenem Leibe, 
einer Temperatur von 38°, einem Puls von 130, der schliesslich auf 
140 in die Höhe ging. Sie hatte einen Tumor neben und hinter dem 
Uterus. Der Tumor hinter dem Uterus wuchs nach zweitägiger Beob¬ 
achtung, bis er schliesslich den Douglas erreichte. Bei der Probepunktion 
ergab sich reines Blut. Es handelte sich um extrauterine Schwanger¬ 
schaft, eine Diagnose, die sich bei der Laparotomie am 16. bestätigte. 

Die Operation wurde typisch ausgeführt; die Patientin ist mit leicht 
fieberhaftem Verlauf genesen. Das Besondere bei dem Falle ist, dass 
die Frau der Meinung war, sie wäre intrauterin schwanger und daher 
einen Abtreibungsversucb unternommen hat, dass jedoch bei ihr eine 
ertrauterine Gravidität, d. h. Schwangerschaft der linken Tube vorgelogen 
hat Wahrscheinlich war schon ein tubarer Abort im Gange, als die 
Frau den Versuch mit der intrauterinen Injektion vornahm. Der tubare 
Abort ist dadurch beschleunigt worden und die Frau mit einer schweren 
abdominellen Blutung, gleichzeitig aber auch mit peritonitischen Reiz¬ 
erscheinungen schwer erkrankt. Wenn man bedenkt, wie gewohnheits- 
mässig und wie schamlos hier in Berlin ahgetrieben wird, dann kann es 
einen nicht wundern, dass dieser Versuch auch einmal am untauglichen 
Objekt wie in diesem Falle, vorgenommen wird, ln der letzten Zeit 
lind eine ganze Reihe von Fällen veröffentlicht worden, wo Frauen in der 
Meinung, schwanger zu sein, Abtreibungsversuche gemacht haben, ohne 
dass überhaupt eine Schwangerschaft Vorgelegen hat, und wo sie sich 
selbst an ihrer Gesundheit schwer, in einem Falle sogar tödlich ge¬ 
schädigt haben. 


Z Fälle von Abtreibungsversuchen bei extrauteriner Gravidität sind 
ebenfalls gar nicht selten. In der letzten Zeit hat Hirsch vier der¬ 
artige Fälle aus Berlin veröffentlicht Wir können diesen Fall als 
fünften hinzufügen. Der Fall bietet ausserdem noch das Besondere, 
dass der Patientin ihr offenes Eingeständnis eines kriminellen Vorgehens 
beinahe zum Verhäognis geworden ist. Sie hat dem sie behandelnden 
Arzt offen gesagt, dass sie die Injektion gemacht hätte, und infolge¬ 
dessen lag die Diagnose eines uterinen Abortes mit entzündlicher Ver¬ 
änderung an den Adnexen wesentlich näher als die einer extrauterinen 
Gravidität. Der Kollege hat das auch angenommen und bat die Resistenz 
im Douglas für einen Douglasabscess gehalten; er hatte die Absicht, 
ihn draussen aufzumachen, hat aus rein äusseren Gründen darauf ver¬ 
zichtet und die Patientin zu uns geschickt, wo sie auoh erst mit zweifel¬ 
hafter Diagnose lag und durch die Punktion erst die Diagnose gesichert 
wurde. Wäre der vermeintliche Douglasabscess draussen aufgemacht 
worden, so wäre bei der sehr stark intraabdominellen Blutung, die die 
Patientin hatte, der Eingriff ihr vielleicht verhängnisvoll geworden. 

6. Hr. Dahlmann: Aknte postoperative Magendilatation. 

M. H.! Ich will Ihre Aufmerksamkeit nur für kurze Zeit auf ein 
relativ seltenes und sehr interessantes Krankheitsbild richten, das wir 
im August dieses Jahres hier auf der Woebenbettstation beobachten 
konnten. Eine 31jährige Erstgebärende war von ihrem toten Kinde 
durch Perforation entbunden worden. Bei der Perforation, die die 
übliche Zeit dauerte, war Chloroformnarkose angewandt und bei dieser 
auch die üblichen Mengen. Die Vorbereitung für den Darm zu dieser 
Operation besteht in einem Einlauf, wie ihn alle Frauen erhalten. Da¬ 
bei wurde nur massige Menge von Stuhl entleert. Die Perforation 
wurde nachmittags um 5 Uhr ausgeführt. Am folgenden Tage war kein 
Stuhl erfolgt und keine Blähung abgegangen. Am nächsten Tage bot 
die Kranke ein ziemlich apathisches Bild. Mittags um 12 Uhr setzte 
ein sehr heftiger Brechreiz ein und nicht sehr reichliches Erbrechen. 
Zwei Stunden später war das Abdomen ausserordentlich druckempfind¬ 
lich, und es bot sich ein eigentümliches Bild: ein mächtig meteoristisch 
aufgetriebener Bauch, auf dem vor allen Dingen die Konturen des Magens 
sehr deutlich bis zwei Querfinger unterhalb des Nabels siohtbar waren. 
Das Abdomen war äusserst schmerzhaft, die Temperatur nicht erhöht, 
Puls um 120. Die Frau lag jetzt im Collaps und bot ein schwer- 
krankes Bild. Die Diagnose schwankte zwischen einer peritonitischen 
Reizung und einem Ileus. Zur Klärung des Bildes zog ich in Ab¬ 
wesenheit des Herrn Geheimrat Franz vor, Herrn Professor Fromme 
zu fragen. Dieser erklärte, es sei einer jener relativ seltenen Fälle von 
akuter Magendilatation und empfahl Einnahme der Knieellenbogenlage. 
Dieser einfache Eingriff wirkte fast Wunder. Nach ungefähr 10 Minuten 
gingen ausserordentlich grosse Mengen Gas per os ab. Die Kranke 
fühlte sich subjektiv stark erleichtert Abgang von Blähungen oder 
Stuhl wurden nicht beobachtet. Ebenso ging nur seröse schleimige 
Masse aus dem Magen ab, keine blutigen oder fäkulenten Massen. Ich 
muss noch hinzufügen, dass in dem Erbrochenen zuerst weder chemisch 
noch mikroskopisch Blut nachzuweisen war. Als die Knieellenbogenlage 
eine halbe Stunde eingehalten war, liess es der Puls ratsam erscheinen, 
mit der Lage aufzubören; die Patientin sollte in Rückenlage zurück¬ 
gebracht werden. Bemerkenswert ist noch, dass in einer Zwischenlage, 
als die Symphyse vielleicht handbreit von der Unterlage entfernt war, 
nochmals ausserordentlich viel Luft aus dem Magen und Darm entleert 
wurden. Nach dieser Therapie war der Magen als solcher nicht mehr 
nachweisbar, das Abdomen war vollständig weich. Immerhin bestand 
noch ein erhöhter Puls und geringer Collaps. Eine Stunde später war 
bei Auscultation des Abdomens schon deutlich Darmgeräusch zu hören, 
und es gingen Blähungen ab. Am nächsten Morgen bot die Frau wieder 
ein ziemlich apathisches Bild, und eigentümlicherweise zeigte sich drei 
Tage nach der Perforation — zwei Tage nach der beobachteten akuten 
Magendilatation — sehr heftig einsetzender Icterus, acholischer Stuhl 
und Gallenfarbstoff im Urin. Ileus ist bei akuten Magendilatationen 
nicht naebgewiesen. Es hat sich also in diesem Falle um einen leichten 
Fall von sicher vorliegender akuter Magendilatation gehandelt. Als aus¬ 
lösendes Moment darf man wohl sicher die Perforation ansehen, und der 
Ausdruck postoperativ ist wohl auch berechtigt, wenn auch andere Be¬ 
obachter diesen Ausdruck nur in den Fällen angewandt wissen wollen, 
wo am Peritoneum operiert ist. Da die Funktion des Darmes schon 
einige Stunden nach dieser Komplikation nachweisbar war, hatte man 
zuerst geglaubt, es würde zu dem sich an die akute Magendilatation 
sehr häufig anschliessenden oder gleichzeitig vorkommenden oder durch 
sie ausgelösten akuten arteriomesenterialen Duodenalverschluss nicht 
kommen. Es ist aber doch dazu gekommen. Das zeigt die Störung, 
die im Duodenum hervorgerufen ist, und die ihrerseits wieder die Stö¬ 
rung in der Lymphbewegung und Blutströmung der Leber hervor¬ 
gerufen hat. 

Es ist sehr schwer zu sagen, was das Primäre und was das Sekun¬ 
däre an diesem Krankheitsbilde ist, ob primär die akute Magendilatation 
oder der arteriomesenteriale Duodenal Verschluss ist. Im ersten Falle 
müsste man annehmen, dass ein Splancbnicusreiz ausgeübt ist, vielleicht 
durch die Chloroformnarkose. Es ist aber wieder naebgewiesen, dass 
Chloroform allein als solches nicht derartige Reize auf die Nerven der 
Eingeweide ausübt, dass auch andere Narkosemittel, also Soopolamin 
oder Aether, dasselbe tun können. Für die Annahme, dass es sich 
primär um einen arteriomesenterialen Duodenalverschluss gehandelt hat, 
müsste man die Ueberlegung so führen, dass es durch die bei der Per- 


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UNIVERSITÄT OF IOWA 



228 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


foration sehr schnell zustande kommende Eatleerung der Bauchhöhle 
und durch die Veränderung der Druckverhältuisse in derselben zu einer 
Zerrung des Netzes durch die Dünndarmschlinge gekommen ist und da¬ 
durch das Duodenum temporär verschlossen ist. Ob überhaupt beides 
zusammengehört, und ob der Icterus nicht eine ganz zufällige Kompli¬ 
kation ist, ist ja schliesslich auch noch zu erwägen. Zum Glück ist es 
in diesem Falle nicht zur Erhebung eines pathologischen Befundes auf 
dem Sektionstisch gekommen. Es wäre dann auch nicht leicht gewesen, 
zu entscheiden, was das Primäre war. 

Die Hauptsache in diesem Falle ist der eklatante Erfolg der einge¬ 
schlagenen Therapie, die von Schnitzler angegeben ist, allerdings in 
der Annahme, dass durch die veränderte Lage die Dünndarmschliogen 
aus dem kleinen Becken nach oben fallen, dadurch, dass das Duodenum 
entlastet und wieder für die Passage durchgängig gemacht wird. In 
diesem Falle ist absichtlich keine andere Therapie als diese eingeschlagen 
worden. In anderen Fällen hat die Magenspülung ausgezeichnete Er¬ 
folge gehabt. Es ist zu bemerken, dass dieser Fall gegenüber anderen 
als sehr leicht zu betrachten ist; denn das Krankheitsbild mit dem 
schweren Eindruck hat nur wenige Stunden gewährt, während bei 
anderen Krankheitsbildern das Erbrechen bis zu zehn Tagen beobachtet 
worden ist. 

Diskussion. 

Hr. Gottschalk: Ich habe vor einigen Jahren in konsultativer 
Praxis einen Fall im Wochenbett beobachtet, der unter ganz ähnlichen 
Erscheinungen verlaufen ist. Er beruhte aber auf einem Ileus, der durch 
retrovertierte Lage des puerperalen Uterus bedingt war. Die Frau er¬ 
brach seit drei, vier Tagen, hatte einen ganz elenden Puls, dabei nor¬ 
male Temperatur. Auch hier half die Knieellenbogen läge sofort. Inner¬ 
halb einer Stunde ging Flatus ab, und das ganze Krankheitsbild war 
mit einem Schlage am nächsten Tage gut. Also ich meine, aus dem 
Erfolge, den die Ellenbogenlagerung hatte, darf man nicht immer auf 
eine Magenatonie schliessen, sondern es kann auch gerade im Puerperium 
ein direkter obturierender Ileus vorliegen durch retrovertierten Uterus. 
Wendet man die Knieellenbogenlage an, so fällt der Uterus nach vorn, 
und es kann die Passage wie in diesem Falle frei werden. 

7. Hr. Braeht: Hoher Geradstand. 

M. H.! Bei dem hohen Geradstand handelt es sich um eine eigen¬ 
tümliche, etwas seltene Einstellung des Kopfes oberhalb des Becken¬ 
eingangs. Vielleicht ist aber diese Abweichung vom Normalen nicht so 
selten, wie es nach den ganz spärlichen Aufzeichnungen in der Literatur 
zu sein scheint. Einmal wird man darauf schon durch die Zahl gelenkt, 
die jeder der Autoren, der darüber überhaupt veröffentlicht hat, beob¬ 
achten konnte. Meistens handelt es sich um mehrere, drei, ja sechs 
Fälle, die in kurzer Zeit von demselben Untersucher beobachtet wurden. 
Die erste Veröffentlichung über dieses Thema reicht bis zur Mitte des 
vorigen Jahrhunderts zurück. Es ist nicht uninteressant, dabei zu er¬ 
wähnen, dass die ursprüngliche Anschauung von dem Eintritt des 
Schädels in das Becken die war, dass der Kopf mit geradgerichteter 
Pfeilnaht in das Becken hineindrang, und es war noch Smellie, der 
mit der herrschenden Anschauung zu kämpfen hatte und selbst seinen 
Lehrer Levret nicht davon zu überzeugen vermochte, dass der Kopf 
querstehend den Beckeneingang passiere. 

Um die Einstellung im geraden Durchmesser des Beokeneingangs 
genau zu charakterisieren, so handelt es sich zunächst darum, dass der 
längsovale Schädel in gerader Richtung auf den querovalen Becken¬ 
eingang zu stehen kommt. Es ergaben sich hier die beiden Möglich¬ 
keiten, dass einmal das Hinterhaupt nach vorn, zweitens, dass es nach 
hinten gerichtet ist. Das wissen wir von den übrigen Scbädellagen 
auch, dass die Inkongruenz der vorderen und hinteren Beckenhälfte eine 
ganz wesentliche Rolle spielt, und so finde ich auch in der Literatur 
nicht besonders darauf hingewiesen, welch gewaltiger Unterschied im 
klinischen Verlaufe der beiden Bilder sich zeigt. Betrachten wir zu¬ 
nächst den einfachsten dieser beiden Mechanismen, denjenigen, bei dem 
das Hinterhaupt nach vorn gerichtet ist, so sollte eigentlich der Eintritt 
des Kopfes in dieser Richtung unmöglich erscheinen. Denn wenn wir 
wissen, dass ein Becken nur um wenige Zentimeter in seinen Aus¬ 
messungen reduziert zu sein braucht, um einem selbst quer sich stellen¬ 
den Kopf die Passage zu verwehren, so scheint wohl zunächst — an¬ 
genommen, es handelt sich um normale Maasse des Kopfes und 
Beckens — ein Geradstand oberhalb des Beckens den Eintritt voll¬ 
kommen zu verhindern. Ueberlegen wir uns, welche Stellung der Kopf 
wohl einnehmen müsste, um jetzt eintreten zu können, so scheint als 
das Plausibelste, dass er sich vielleicht den Diameter suboccipito-breg- 
maticus zunutze macht, der relativ gering ist, nämlich 9*/2 cm im 
Durchmesser beträgt. Falls es ihm gelingt, diesen zur Einstellung in 
die Conjugata zu bringen, so müsste wohl ein Durchtritt in dieser merk¬ 
würdigen Stellung möglich sein. Und das ist in der Tat der Fall. Bei 
der Mehrzahl der Fälle, bei denen ein spontaner Verlauf beobachtet ist, 
ist der Hergang so, dass das Hinterhaupt unter starker Abflachung 
hinter der Symphyse sich nach abwärts drängt, dann meistens unter 
einer kleinen Exkursion zur Seite, die zu gleicher Zeit dem Stirn- und 
Gesichtsschädel ein Tiefertreten in der Sacroiliacalgegend der gegenüber¬ 
liegenden Seite gestattet, nach dieser kurzen Drehung sich alsbald wieder 
gerade richtet und gewöhnlich normal den Austritt vollführt. Das ist 
wohl der häufigste Verlauf, der bei dieser Positio occipitalis pubica, wie 
man sie nennt, beobachtet wird. 


Bedeutend ungünstiger stellt sich die zweite Modifikation dieser 
Lage, die Positio occipitalis sacralis. Hier tritt zunächst das Hinter¬ 
haupt tiefer, findet aber alsbald in der Beckenhöhle am Sacrum einen 
Widerstand und kann jetzt nicht der Stirn, die hinter der Symphyse 
tiefer treten will, Platz schaffen, indem es etwa naoh hinten ausweicht 
In diesem Falle kann nur unter einer ganz aussergewöhnlioh starken 
Konfiguration des Kopfes, einer Verkürzung des frontooccipitalen Durch¬ 
messers der Kopf in das Becken eintreten. Es kommt erschwerend 
hinzu, dass diese Lage meistens Erstgebärende betrifft und hier ins¬ 
besondere platte Becken bevorzugt, im Gegensatz zur ersterwähnten 
Lage, die Mehrgebärende mit sehr weitem Becken trifft 

Was die Aetiologie einer solchen merkwürdigen Einstellung anlangt, 
so sind darüber im allgemeinen nur Vermutungen angegeben worden. 
Der einzige, der näher darauf eingebt, ist Olshausen. Er macht diese 
merkwürdige Einstellung des Kopfes mit gerade gerichteter Pfeilnaht 
oberhalb des Beokeneingangs geltend für seine Lehre über das Ab¬ 
hängigkeitsverhältnis der Stellung des Kopfes von der des Rumpfes. 
Wenn er auch sonst mit dieser Lehre wenig Anklang gefunden hat, so 
pflichten ihm doch für den Kopf oberhalb des Beckens eine grosse 
Anzahl Autoren bei. Auch ich kann sagen, dass die vier Fälle, die ich 
an dem poliklinisoben Material zu beobachten Gelegenheit hatte, auch 
für diese Aetiologie angeführt werden können. Es handelt sich nämlich 
in dreien von diesen um einen ausgesprochenen Hängeleib. Olshausen 
nimmt an, dass in dem Hängeleib der kindliche Rücken mit seiner Kon¬ 
vexität am geeignetsten Platz findet, dass das Hinterhaupt mit ihm 
nach vorn geht und die Positio occipitalis pubica auf diesem Wege zu¬ 
stande kommt, ln manchen Fällen glaube ich wohl, dass auch ein 
Wechsel der Lage, wie er sonst anderwärts beobachtet worden ist, von 
der ersten zur zweiten mit eine Rolle spielt, indem nämlich der Kopf 
gewissermaassen bei einem Stande mit gerade gerichteter Pfeilnaht ober¬ 
halb des Beckeneingangs plötzlich von dem Blasensprung überrascht 
und jetzt fixiert wird. Für die andere Aetiologie spricht auch noch ein 
weiterer von mir beobachteter Fall, der eine Erstgebärende betraf. Es 
handelte sich um ein aussergewöhnlich starkes Hydramnion, das, auch 
was die Konfiguration des Leibes anlangt, die Parturiens einer Mehr¬ 
gebärenden gleichmachte. 

Entsprechend dieser grossen klinischen Verschiedenheit der beiden 
Typen des hohen Geradstandes muss sich auch die Therapie ganz ver¬ 
schieden verhalten. Vielleicht geht Liepmann etwas weit, wenn erden 
grössten Teil der Positiones occipitales pubicae ganz spontan verlaufen 
lassen will. Jedenfalls hatten wir in dem grösseren Teil der Fälle Ein¬ 
griffe notwendig. Wir wurden auoh gerufen, weil die Geburt nicht 
voranging. In unseren Fällen handelte es sich zweimal um eine Korrektur 
dieser Lage, der dann selbstverständlich auch eine Korrektur der Lage 
des kindlichen Rumpfes folgen musste. Io einem dritten Falle, wo das 
vergessen worden war, war in der Tat die Stellung des Kopfes in Gerad¬ 
stand oberhalb des Beckens wieder von neuem eingenommen, da, wie 
gesagt, die Korrektur der Lage des kindlichen Rumpfes nicht die des 
Kopfes begleitet hatte. Ein vierter Fall verlief spontan. 

Es ist wohl ganz zweifellos, dass diese seltene Einstellung ein etwas 
grösseres Interesse verdient und nicht diese Vernachlässigung, die sie 
oft über Jahre hinaus erfahren hat. Es fragt sich dann, ob sich durch 
die Mehrung des Materials der Versuch als berechtigt erweist, für diesen 
Durchtrittsmeohanismus einen bestimmten Typus aufzustellen, der ähn¬ 
lich wie der der engen Becken ganz für sich eigentümlich verläuft, einen 
bestimmten Eintrittsmechanismus, eine bestimmte Konfiguration des 
Kopfes und bestimmten Sitz der Kopfgeschwulst in sich schliesst. 

Diskussion. 

Hr. Schäfer: Im Anschluss an die interessanten Ausführungen des 
Herrn Bracht möchte ich über einen Fall von Positio occipitalis 
sacralis berichten, den ich auf dem Gebärsaal der Charite-Frauenklinik 
zu beobachten Gelegenheit hatte. 

Es bandelte sich um eine 20jährige Erstgebärende, die ihre letzte 
Menses am 15. März 1911 gehabt batte. Die Schwangerschaft war ohne be¬ 
sondere Störungen verlaufen. Am 9. November 1911 wurde ihr von 
einem Mitarbeiter eine grosse Eisenplatte kräftig gegen den Leib ge¬ 
worfen. Sie wurde ohnmächtig und hatte beim Erwachen heftige 
Schmerzen im Leib, die im Laufe des Nachmittags nachliessen, um 
abends wieder stärker zu werden. Am nächsten Morgen bemerkte sie 
eine leichte Blutung und hatte Kreuzschmerzen. Sie blieb deswegen 
zu Bett liegen und suchte am 11. November 1911 vormittags, da sich 
ihr Befinden nicht änderte, ihren Arzt auf, der sie der Klinik überwies. 

Status bei der Aufnahme am 11. November 1911, 3 Uhr 30 Min. 
nachmittags: Graziles Mädchen mit bleicher Gesichtsfarbe. Temperatur 
37,7, Puls 96. Bauchdecken straff gespannt. Durch die äussere Unter¬ 
suchung wurde eine I. Schädellage festgestellt. Kindliche Herztöne links, 
etwas unterhalb des Nabels, 144 pro Minute. 

Beckenmaasse: Dist. spin. 26,5, Dist. rist. 29,5, Dist. troch. 32, 
Conjug. extern. 21. Das Promontorium war nioht zu erreichen. Bei 
der inneren Untersuchung fanden sich in der Scheide einige grössere 
Blutgerinnsel. Die Portio war verstrichen, der Muttermund dreimark¬ 
stückgross, die Blase gesprungen. Placentargewebe war nicht zu fühlen. 
Der Kopf war mit gerader Pfeilnaht auf den Beckeneingang aufgepresst, 
die grosse Fontanelle unter der Symphyse zu fühlen. •— 

Es wurde versucht, mit der inneren Hand den Kopf quer zu stellen, 
jedoch ohne Erfolg. 


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UMIVERSITY OF IOWA 







3. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


‘229 


Nachdem unter kräftigen Wehen, die alle 5—7 Minuten einsetzten, 
die Kreissende während des ganzen Abends immer etwas geblutet hatte, 
wird um 2 Uhr 25 Minuten morgens (12. XI. 1911) ein grosses Blut* 
coagulum ausgestossen. Der Muttermund war jetzt handtellergross, der 
Kopf war konfiguriert und stand genau wie am Nachmittag vorher fest 
auf den Beckeneingang aufgepresst. Kindliche Uerztöne gut. Bei 
weiteren Untersuchungen um 8 Uhr 80 Minuten vormittags und 3 Uhr 
SO Minuten nachmittags war trotz kräftiger Wehen der Kopf nicht merk¬ 
lich tiefer getreten. Der Muttermund war handtellergross erweitert. 
Kreissende war äusserst matt, ln letzter Zeit hatten auch die Wehen 
an Stärke nachgelassen. Um 6 Uhr 30 Minuten nachmittags verliert 
Kreissende dauernd etwas dunkles Blut. Kindliche Uerztöne wechselnd. 
Es werden erst 96, dann 80, dann wieder 156 gezählt. Von aussen war 
noch ein Teil des Kopfes zu fühlen. Bei der inneren Untersuchung ist 
eine starke Kopfgeschwulst zu fühlen, so dass die Pfeilnaht nicht mehr 
zu tasteo ist. Die grosse Fontanelle ist unverändert unter der Symphyse 
zu fühlen. Der Kopf reicht bis an die Spinallinie. 

In Chloroformnarkose wird, um die Geburt zu beenden, die 
Tarnier’sche Achsenzugzange im queren Durchmesser an den im Becken¬ 
eingang stehenden Kopf angelegt. Es gelingt nur unter grosser Kraft¬ 
anwendung, den Kopf zu entwickeln. Auch im Beckenausgang liegt 
die Zange dabei noch völlig quer. Der Schädel ist turmartig aus¬ 
gezogen, die Kopfgeschwulst liegt zwischen grosserund kleiner Fontanelle. 
Die Druckmarken der fest zugeschraubten Zangenlöffel befinden sich 
symmetrisch über beiden Ohren. Das Kind, ein Knabe, ist aspbyktiscb, 
wird auf Hautreize zum Leben gebracht; er ist 47 cm lang, wiegt 
2340 g. Wegen Blutung wird nach 7 Minuten die gelöst in der Scheide 
liegende Placenta exprimiert. Mit der Placenta folgen mehrere grosse 
Blutcoagula. Die Placenta wiegt 700 g, ist 3 cm dick, 13:29 cm breit 
und zeigt etwas vou der Mitte entfernt eine deutliche wellenförmige 
Impression, in der ein altes Blutgerinnsel dem Gewebe fest anhaftet. 

Das Wochenbett verlief ohne Störung; Mutter und Kind konnten 
gesund aus der Klinik entlassen werden. 

Wodurch in meinem Falle die abnorme Einstellung des kindlichen 
Kopfes bedingt war, konnte nicht festgestellt werden. Eine Becken¬ 
verengerung, die als Hauptursacbe angegeben wird, lag nicht vor. 

Da der Kopf schon fest auf den Beckeneingang aufgepresst war, 
kam eine Wendung nicht mehr in Frage. Auch der Versuch, den Kopf 
in den queren Durchmesser zu drehen, eine Korrektion, die Henckel 
mit Erfolg ausführte, erwies sich nicht mehr als möglich. Es blieb also 
nichts weiter übrig, als abzuwarten und schliesslich nach 24 stündiger 
Webentätigkeit aus kindlicher Indikation und im Interesse der Mutter 
die Geburt künstlich zu beenden. Dass in meinem Falle die hohe 
Zange gelang, findet wohl seine Erklärung darin, dass es sich um kein 
grosses Kind mit weichen und leicht verschiebbaren Schädelknochen 
handelte. Es musste aber wie io den meisten anderen beobachteten 
Fällen mit äusserater Kraftanwendung gezogen werden. 

8. Hr. Klages: Lebeisbed rohliehe Blatnagen in Spät Wochenbett. 

Es ist stets ein alarmierendes Ereignis, wenn nach einer normal 
verlaufenen Geburt, nach einem in den ersten Tagen ganz normalen 
Wochenbett ganz plötzlich, ohne alle Vorboten, Blutungen auftreten, 
die in einzelnen Fällen das Leben der Wöchnerin unmittelbar bedrohen 
können. Treten diese Blutungen nach dem achten Tage des Wochen¬ 
bettes auf, so werden sie nach v. Winokel als Blutungen im Spät¬ 
wochenbett oder einfach Spätblutungen bezeichnet. Glücklicherweise 
sind sie ein nicht allzu häufiges Vorkommnis. Braun-Fernwald sah 
unter 20 000 Geburten nur 3 Fälle von akut lebensgefährlichen Blutungen. 

Wir hatten in letzter Zeit in der Klinik zwei Fälle zu beobachten 
Gelegenheit; ich habe daraufhin unser Geburtsmaterial der letzten zwei 
Jahre, vom 1. Oktober 1910 ab, durebgesehen und finde unter 6026 Ge¬ 
burten 4 Fälle von abundanten lebensbedrohlichen Blutungen ver¬ 
zeichnet. 

Wie gesagt, können diese Blutungen ganz plötzlich, wie aus heiterem 
Himmel auftreten; meist aber senden sie doch ihre Vorboten voraus: 
die Lochien bleiben über die Normalzeit hinaus blutig, sind stärker, als 
es der Norm entspricht, der Uterus involviert sich schleobt, er bleibt 
weicher, behält eine mehr kugelige Gestalt, der Cervicalkanal ist länger 
geöffnet, auch nach dem achten Tage noch für den Finger durchgängig, 
kurz, es geben solchen Hämorrhagien die Zeichen mangelhafter Involution 
voraus. In manchen Fällen traten auoh wohl in gewissen Intervallen 
weniger heftige Blutungen auf, deren Summierung jedoch genügt, um 
Zeichen der Anämie bei der Wöchnerin zu zeitigen; Wiederholung würde 
auch hier ernste Gefahren mit sich bringen können. 

Die Aetiologie der Spätblutungen ist eine recht mannigfache. 
Als letzte, als Grundursache ist jedoch in den allermeisten Fällen mangel¬ 
hafte Rückbildung des Uterus anzusehen, die ihrerseits entweder in 
krankhaften Veränderungen des Uterus selbst bzw>. seiner Anhänge oder 
in abnormem Inhalte der Uterushöhle sich begründet findet. 

Dass Lagereräoderungen des Uterus, eine im Wochenbett sich aus¬ 
bildende Inversio uteri, Tumoren des Uterus, Myome, Carcinome usw., 
Spätbildungen machen können, liegt auf der H^nd. Ebenso dass Erosionen 
der Portio, Venenektasien, Arrosionen von Gefässen der Uteruswandungen 
solche Blutungen veranlassen können. Als seltenere Ursachen findet 
man in der Literatur geplatzte Aneurysmen. Und in einem Falle wurde 
Loslösung eines Bronchus aus einem Cervixriss beobachtet. 

Die maogelhafte Rückbildung des Uterus, wohl die häufigste Ursache 
von Spätblutungen, kann wieder bedingt sein durch andauernde Füllung 


von Blase und Mastdarm oder durch Muskelschwäche des Organs 
selbst. 

Entzündungsprozesse an und in der Nähe des Uterus stören seine 
normalen Rückbildungsvorgänge in ganz besonders hohem Maasse. In 
erster Linie aber ist es abuormer Inhalt, der jede normale Rückbildung 
hintanhält, also zurückgebliebene Eiteile. 

Nun machen retinierte Eihäute und auch grössere Deciduamassen 
für gewöhnlich keine Blutungen, anders dagegen Placentarreste. Sie 
machen fast regelmässig Störungen. 

Allerdings kann man wohl die spontane Ausstossung von Placentar- 
teilen während des Wochenbettes auch ohne giössere Blutung erleben, 
aber in der Mehrzahi der Fälle geht es nicht so gut ab. 

Die Folge der Retention von Placentarleilen ist also mangelhafte 
Rückbildung, die ihrerseits wieder läogerdauernde und stärker blutige 
Lochien zeitigt. Und hieraus entwickelt sich dann eine weitere Erschei¬ 
nung, die in ganz besonders hohem Maasse die Involution des Uterus 
hintanhält, das ist die Bilduog eines Placentarpolypen. Sie geschieht, 
um es kurz anzudeuten, in der Weise, dass sich Blutmassen an den auf 
der Oberfläche des Uterus haftenden Placentarresten niederschlagen und 
durch immer neue Apposition sein Wachstum fördern. 

Welches ist nuu aber die unmittelbare Veranlassung zu den er¬ 
wähnten abundanten Blutungen? Die schlechten Rückbildungsver¬ 
hältnisse des Uterus, die mangelhafte Involution, bringen es mit sich, 
dass die Gefässlumina sich nicht durch unmittelbares Aufeinanderlegen 
ihrer Wände schliessen, sondern durch Thrombenbildung. Diese Thromben 
können, falls sie nicht konsolidiert werden, bei Rückbildung des Uterus 
in seine Höhle ausgestossen werden. Die Folge eines solchen Er¬ 
eignisses ist dann eben die Blutung. Aber noch eine andere zeitigt die 
Subinvolutio uteri, eine Folge, die uns die Wahl unserer therapeutischen 
Maassnahmen sehr erschweren kann, das ist die Begünstigung der In¬ 
fektion. Die Cervix bleibt, wie ich schon erwähnte, länger geöffnet, 
und so haben Bakterien jedweder Herkunft die beste Gelegenheit in den 
Uterus ungehindert einzudringen, wo sie dann in dem Vorgefundenen In¬ 
halt die besten Vorbedingungen für ihre verderbenbringende Fortent¬ 
wicklung finden. So sehen wir auch nicht allzu selten Spätblutungen 
mit Infektionsprozessen parallel laufen. 

Es ist nicht immer leicht, im Einzelfalle die Ursache der Blutung 
festzustellen, meist bleibt nicht genügend Zeit für eine eingehendere Unter¬ 
suchung. Der Zustand der Wöchnerin drängt zu eiligstem Handeln. 
Und unser äusserstes und letztes diagnostisches Hilfsmittel, nämlich das 
Eingehen des Fingers in die Uterushöhle, fällt schon mit den therapeuti¬ 
schen Maassnabmen zusammen. Wir können uns also in der Mehrzahl 
der Fälle, wenn wir Lageveränderungen ausgeschlossen haben, nur durch 
direktes Betasten der Innenfläche des Uterus einige Klarheit verschaffen. 
Aber auch dann noch kann uns der Grund der Blutung verborgen bleiben, 
wenn wir den Uterus leer oder höchstens mit frischen Blutgerinnseln 
angefüllt finden. 

Die Therapie hat die Aufgabe, die Involutionsverhältnisse des 
Uterus zu bessern, wochenlang also krankhaften Inhalt zu entfernen und 
danach kräftige Kontraktionen anzuregen, wie es durch heisse Spülungen, 
Kälteapplikation, Massage und kräftige Secalegaben geschehen kann. 

Ich möchte hier in aller Kürze unsere beiden letzthin beobachteten 
Fälle charakterisieren. 

Im ersten Falle trat bei einer 38 jährigen Primipara 19 Tage nach 
ganz normaler Geburt und bis dahin fast normalem Wochenbett — die 
Lochia cruenta batten etwas länger angedauert — ganz plötzlich morgens 
nach dem Aufstehen eine abundante Blutung auf, die in wenigen Minuten 
die Patientin pulslos und auch sonst ernsteste Erscheinungen schwerer 
Anämie machte. Sie ist fieberfrei, wie überhaupt während .des ganzen 
Wochenbetts. Blutverlust etwa l 1 /* Liter schätzungsweise. In Narkose 
wird unverzüglich in den Uterus eingegaDgen, nachdem Lageverände¬ 
rungen, Tumorbildungen, Entzündungsprozesse ausgeschlossen sind. Es 
finden sich keine Placentarreste vor, doch ist die Placentarstelle deutlich 
an leichten knotig buckeligen Hervorragungen kenntlich, die, äusserst derb 
und hart, sich ohne Gefahr, die Uterusw&nd zu perforieren, nicht ent¬ 
fernen lassen. Nach dem Eingehen mässige Blutung aus dem Uterus, 
nach reichlicher Alkobolspülung werden wegen Fortdauer der Blutung 
der Uterus und die Vagina fest tamponiert, darauf Bekämpfung der 
Anämie. Danach steht die Blutung, ln den nächsten Tagen hohes 
Fieber mit Schüttelfrösten, dann Abfall. Infolge Lungeninfarktes Pneu¬ 
monie, langwierige Rekonvaleszenz. 

Im zweiten Falle trat bei einer 22 jährigen Primipara am 13. Tage 
nach der Geburt ganz plötzlich, nach nur an einem Tage, und zwar am 
sechsten, durch Temperatur gestörten Wochenbett, ganz plötzlich eine 
schwere Blutung auf. Verlust etwa 1 1 / 4 Liter. Auoh hier wird aus¬ 
getastet. Auch in diesem Falle ist der Uterus, abgesehen von frischen 
Blutgerinnseln, ganz leer, seine Innenfläche glatt. Am 1. und 2. Tage 
nach der Austastung hohes Fieber, dann Abfall. Rekonvaleszenz durch 
leicht pleuritiscbe Reizung gestört. 

Also in beiden Fällen fand sich nichts im Uterus vor, was als 
Grund und Ursache der Blutung hätte entfernt werden müssen. 

War nun unser Eingehen nutzlos, vergeblich? Gewiss nicht! 

Einmal gelangten wir so zu einer Diagnose: Keine Placentarreste, 
keine Lageveränderungen usw., also mangelhafte Retraktionsverhältnisse, 
Lösung von Thromben. Zum anderen hat unsere Manipulation ganz 
sicherlich den Effekt gehabt, energische Kontraktionen anzuregen und so 
die Gefahr erneuter Blutung zu beseitigen. 


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230 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 5. 


Aber unser Eingehen ist seitens der Patientinnen mit Fieber be¬ 
antwortet worden. Zweifelsohne befanden sich zu dieser Zeit Iofektions- 
keime im Genitaltractus, die wir durch unser Hantieren in die BLutbahn 
eingeimpft haben. Sie waren jedoch von nicht allzu hoher Virulenz, 
so dass es also zu ernsteren Erscheinungen nicht kam. 

Wie aber wäre der Ausgang gewesen, wenn septische Prozesse im 
Genitalkanal bestanden hätten? 

Hätten wir der Frau nicht doch mit einer an Sicherheit grenzenden 
Wahrscheinlichkeit eine Sepsis, eine Pyämie einimpfen können? 

In solchem Fällen würde unsere Therapie doch zwischen zwei 
Feuern schweben: Gehen wir ein, droht die Gefahr der Infektion, gehen 
wir nicht ein, verbleibt im Uterus der verderbliche Inhalt, kann eine 
Wiederholung der Blutung das Leben der Wöchnerin vernichten. 

Diese Sachlage hat den Vorschlag gezeitigt, in Fällen von Spät¬ 
blutungen bei gleichzeitig bestehender Infektion die Totalexstirpation 
des Uterus vorzunehmen. Ich erinnere mich eines solchen Falles, wo 
von anderer Seite bei einem 18jäbrigen Mädchen aus dem eben ge¬ 
nannten Grunde der Uterus entfernt wurde. 

Da müssen wir uns denn doch fragen: Ist eine solche verstümmelnde 
Operation wirklich der einzige Weg zur Rettung? Die Veranlassung zu 
dem genannten Vorschläge gab wohl eine Statistik Winter’s. Und 
wenn man nur diese Statistik durchsieht, so mag die Idee der Operation 
nicht so absurd erscheinen. Es bandelt sich um 15 Fälle manueller 
Entfernung retinierter Placentarreste: In 7 Fällen trat mehr oder weniger 
schweres Resorptionsfieber auf, 4 mal Parametritis, 4 mal Pyämie, davon 
endeten 2 Fälle tödlich. Winter nimmt auf Grund seiner Statistik 
an, dass relativ häufig nach Entfernung von Placentarstücken und 
leichten fieberhaften Zuständen schwere, ja nicht selten tödliche In¬ 
fektionen enstehen können. 

Demgegenüber steht eine Statistik Hörmann’s aus der Münchener 
Klinik mit weit grösserem Material. Hörmann teilt die pessimistische 
Anschauung Winter’s nicht, gibt nur das gelegentliche Vorkommen 
von Infektion nach Ausräumung von Placentarresten zu. 

Puppel rät zwar auf Grund seiner Untersuchungen an dem Königs- 
berger Material zu einer möglichsten Beschränkung der Ausräumung von 
Placentarresten, für Fälle von Blutung und schwerem Fieber lässt er 
sie jedoch ohne weiteres zu. Aus den Puppel’schen Mitteilungen ver¬ 
dient als interessant hervorgehoben zu werden, dass bei tödlichem Puer¬ 
peralfieber nur in 8,7 pCt. Placentarreste gefunden wurden und dass, 
wenn Fieber bei Retention auftrat, es sich zumeist um Resorptionsfieber 
handelte. 

Unsere Fälle in der Klinik geben der Hörmann’schen bzw. 
Puppel’schen Auffassung recht. Wir haben in unseren vier Fällen 
stets sofort digital ausgetastet und in keinem Falle einen schwereren In¬ 
fektionsprozess erlebt. Und dabei bestand in zwei Fällen vorher Fieber, 
das als vom Genitale ausgehend angesehen werden musste, zwei Fälle 
waren fieberfrei. 

Somit glaube ich, dass die Totalexstirpation sich zunächst noch auf 
solche Fälle beschränken wird, wo alle Versuche, eine Blutung zum 
Stehen zu bringen, fehlschlugen, ln Fällen aber, wo bereits septische 
Allgemeinerscheinungen bestehen, wird auch einerseits eine Totalexstir¬ 
pation den im Vordergrund stehenden Infektionsprozess nicht aufhalten. 
Auf der anderen Seite wird eine digitale Ausräumung ihn kaum ver¬ 
schlimmern können. Und dann werden wir doch auch Fälle erleben, 
wo der völlig hinfällige Zustand der Patientin eine vaginale Totalexstir¬ 
pation nicht mehr zulässt und wir somit zu äusserstem Konservatismus 
gezwungen sind. 

Es ist ohne weiteres klar, dass uns hier eine gute Prophylaxe vor 
diesen gefahrvollen Ereignissen, wenn nicht in vollstem Umfange, so 
doch in hohem Maasse schützen kann. Sie hat schon während der Ge¬ 
burt einzusetzen: strenge Ueberwachung der Nacbgeburtsperiode muss 
hier erstes Erfordernis sein, um so jeder Störung der Placentarlösung 
vorzubeugen. Gleich wichtig ist die Nachschau der Placenta auf Voll¬ 
ständigkeit; sie wird hier in der Klinik aufs Peinlichste und Sorgfältigste 
ausgeführt, und schon bei Verdacht auf Retention wird unmittelbar nach 
Geburt der Placenta eingegangen und die Uterushöhle ausgetastet. 

Es ist dies eine Operation, die zu dieser Zeit des Wochenbetts als 
relativ harmlos angesehen werden kann. Wir haben in der Klinik trotz 
nicht allzu seltenen Eingehens in den Uterus sofort nach der Geburt 
kaum jemals irgendwelche Wochenbettskomplikationen, beobachtet. 

Von ebensolcher Wichtigkeit ist eine strenge Ueberwachung der 
Rückbildungsvorgänge des Uterus. 

Es scheint so, als ob Atonien für Spätblutungen eine gewisse ätio¬ 
logische Bedeutung zukäme, da nach ihnen meist die Rückbildung des 
Uterus mangelhaft ist; in solchen Fällen, ebenso bei Infektions¬ 
verdächtigen, bei reichlich blutigem Lochialfluss, längerer Dauer der 
blutigen Ausscheidungen pflegen wir frühzeitig durch Anwendung von 
Kälte, eventuell durch Secalegaben die Involution des Uterus zu unter¬ 
stützen, um so dem Auftreten der so gefürchteten Spätblutungen zu be¬ 
gegnen; und zwar dadurch, dass wir einen Verschluss der Gefässe 
durch Thromben, wenigstens in allzu ausgedehntem Maasse, ver¬ 
hindern. 

Zu diesem Zwecke und auch, um akute schwerere Blutungen zu 
stillen, habe ich vor Zeiten Versuche angestellt mit einer Kombination 
von Secale und hypertonischen Cblornatriumlösungen, die ich in einem 
bestimmten Mischungsverhältnis intravenös injizierte. Ich habe in 
einigen Fällen von Blutungen, z. B. bei entzündlichen Adnexerkran¬ 
kungen, bei chronischen Motritiden, im Klimakterium usw. frappierende 


Wirkung gesehen. Ich würde deshalb nicht abgeneigt sein, auch bei 
Spätblutungen mit diesen Injektionen einen Versuch zu machen. Ich 
glaube, es könnte doch in manchen Fällen gelingen, einer Blutung 
Herr zu werden und vielleicht auch bisweilen eine Auskratzung zu um¬ 
gehen. _ 


Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 9. Dezember 1912. 

Vorsitzender: Herr Liepmann- 
Schriftführer: Herr Henneberg. 

Vor der Tagesordnung. 

1. Hr. 0. Maas demonstriert Präparate von einem Fall, in dem das 
klinische Bild einer spastischen Spinalparalyse bestand. Die histo¬ 
logische Untersuchung des Rückenmarks ergab einen normalen Befund. 
Als Kind Gehirnhautentzündung (?), danach Vergrösserung des Kopfes, 
Krämpfe und Gehstörung, in der Schule leicht gelernt. Bei der Unter¬ 
suchung im 46. Lebensjahre: spastisch paretischer Gang, Steigerung der 
Reflexe, Babinski, keine Atrophien, Sensibilität intakt, keine Ataxie, 
Zittern der Hände, Pupillenreaktion normal, Kopfumfang 61,5 cm, Tod 
an Hirnblutung. Befund: Hydrocephalus, frisches Blut in den Ven¬ 
trikeln, Rückenmark normal bei allen angewandten Methoden. 

Vortr. demonstriert weiter einen 55jährigen Patienten, der nach 
Apoplexie dauerndes typisches Stottern zeigt. Keine aphasischen 
Störungen, geringe Schwäche des linken Beines. Der Fall ist bemerkens¬ 
wert wegen der organischen Grundlage des Stotterns und des rechts¬ 
seitigen Sitzes der Gehirnläsion. 

Vortr. zeigt sodann die Photographie eines im 81. Lebensjahre ge¬ 
storbenen Mannes Bit sehr stark entwickelten Brüsten. Die Behaarung 
war schwach, die Hoden etwas klein, Anomalien von seiten des Nerven¬ 
systems bestanden nicht. 

Ferner demonstriert Vortr. einen 32jährigen Mann, bei dem nach 
Exstirpation beider Hoden wegen Tuberkulose Verringerung des Bart¬ 
wuchses und Haarlosigkeit der Brust aufgetreten war, sodann zwei 
Eunuchoide. Bei dem einen liess sich Vergrösserung der Sella turcica, 
Aufhebung des Geruchvermögens und Fettleibigkeit konstatieren. Der 
andere, 61jährige Patient zeigt Hochwuchs, Schwachsinn, Kleinheit der 
Hoden, mangelhafte Behaarung, relativ lange Extremitäten, ovale Pupillen, 
die rechte Pupille liegt exzentrisch. 

Diskussion. 

Hr. L. Jacobsohn stellt die Frage, ob sich in dem ersten von 
Herrn Maas besprochenen Falle vielleicht Stauungserscheiuungen im 
Gehirn oder Rückenmark gezeigt hätten. Dadurch könnte ein leichter 
Druck auf das Rückenmark ausgeübt worden sein, der, ohne anatomische 
Veränderungen zu bewirken, doch die spastischen Erscheinungen hervor¬ 
gerufen haben könnte. 

Hr. Stier fragt, ob das Stottern im Fall 2 sich direkt an den 
Insult angeschlossen oder erst später sich eingestellt habe. 

Hr. Lewandowsky hat einen Fall beobachtet, in dem nach einem 
doppelseitigen Stirnschuss Aphasie und danach Stottern auftrat. Das 
Stottern wurde für organisch erachtet, es stellte sich jedoch weiterhin 
eine zweifellos hysterische Störung des Farbensinnes heraus, so dass 
auch die organische Natur des Stotterns zweifelhaft wurde. Er fragt, 
ob in dem Falle Maas’ die organische Natur des Stotterns gesichert sei. 

Hr. Kempner: Da mir das Stottern des von Herrn Maas demon¬ 
strierten Patienten den Eindruck einer funktionellen und nicht einer 
organischen Störung macht, möchte ich fragen, ob Linkshändigkeit bei 
dem Patienten oder in dessen Familie vorgekommen ist. 

Hr. Maas (Schlusswort): In dem Fall .von organischem Stottern 
scheint Linkshändigkeit nicht vorzuliegen. Man muss annehmen, dass 
für die Sprache in dem vorliegenden Falle die rechte Hemisphäre nicht 
ohne Bedeutung war. Eine hysterische Grundlage des Stotterns ist un¬ 
wahrscheinlich. In dem Fall von spastischer Spinalparalyse ohne Rücken¬ 
marksbefund fanden sich keine Anzeichen von Stauung im Rückenmark. 

2. Hr. Bonhoeffer stellt eine Patientin mit periodischer tirftbel- 
sneht vor. Die Zwangsvorstellungen beziehen sich u. a. auf das Atmen, 
Gehen, Schlucken usw. Der zurzeit bestehende Anfall schloss sich an 
eine Bemerkung an, die jemand über die Frisur der Patientin machte. 
Die Vorstellungen haften manchmal sehr, manchmal besteht eine An¬ 
deutung von Ideenflucht. Aehnliche Anfälle hatte Pat. mit 16 und 
22 Jahren. Besonders zu beachten ist in dem Falle die Periodizität 
und der depressive Affekt, beide Erscheinungen weisen auf die Zugehörig¬ 
keit des Falles zum manisch-depressiven Irresein hin. Sexuelle Kom¬ 
plexe im Sinne Freud’s spielen dabei keine Rolle. 

Diskussion. 

Hr. Liepmann fragt, ob die Patientin im Klimakterium stehe, 
und ob ein besonderer Anlass den Anfall ausgelöst habe. 

Hr. Bonhoeffer (Schlusswort): Ein äusserer Anlass lag nicht vor. 
Pat. ist jetzt 50 Jahre alt, die Menopause trat bereits im 40. Jahre ein. 
8. Hr. Oppenheim: 

Ueber klinische Eigentümlichkeiten kongenitaler Hirngeschwfilste. 

(Krankendemonstrationen.) 

(Der Vortrag ist bereits ausführlich im Neurologischen Centralblatt, 
1918, S. 8, erschienen.) 


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3. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


231 


Diskussion. 

Hr. H. Roth mann fragt, ob in dem letzten Falle, in dem der 
Vortr. ein Fehlen der Pyramidenkreuzung vermutet, eine Linkshändigkeit 
besteht. In den wenigen in der Literatur vorhandenen derartigen Fällen, 
x. B. in dem Falle vod Charcot und Pitres, ist hierauf nicht ge- 
achtet worden. Bei der grossen Seltenheit dieser Abnormität wird man 
aber doch mit der Möglichkeit rechnen müssen, dass die cerebrale 
Gefässveränderung die gekreuzte Hemisphäre betroffen hat. 

Hr. K. Mendel fragt den Vortr., ob im ersten Falle Hemicranie in 
der Familie des Patienten zu eruieren ist, oder ob Pat. selbst Anzeichen 
von Migräne bot. Es ist ja bekannt, dass in hemieranischen Familien 
oder bei an Hemicranie Leidenden ähnliche — teils vorübergehende, 
teils bleibende — halbseitige Störungen, wie sie Pat. zeigt, Vorkommen. 

Hr. Oppenheim (Schlusswort) ergänzt seine Mitteilungen und er¬ 
widert, dass der Patient rechtshändig sei. Ueber Hemicranie in der 
Ascendenz hat er nichts in Erfahrung gebracht. 

Tagesordnung. 

1. Hr. Lewandowsky: 

Die aeiere Entwicklung userer K enteis vem sympathischen Nerven¬ 
system. 

Vortragender gibt einen Ueberblick über den Stand der allge¬ 
meinen Physiologie und Pathologie des sympathischen Systems. 
Er bespricht zuerst die cerebrale Beeinflussung, die corticalen und 
subcorticalen Centren und die Bahnen, welche das Gehirn mit den Ur¬ 
sprüngen der sympathischen Nerven im Rückenmark und Hirnstaram 
verbinden. Er wendet sich dabei gegen die Anschauungen, die L. R. 
Müller entwickelt hat. Vortragender wendet sich dann zur Besprechung 
der Sensibilität des sympathischen Systems. Eine Sensibilität 
der inneren Organe steht fest. Die Leitung erfolgt ebenso durch die 
hinteren Wurzeln und die sensiblen Hirnnerven wie die aller anderen 
Sensibilität. Die Wirksamkeit der Foerster’schen Operation beruht bei 
der Tabes darauf, dass sie an einer Stelle vorgenommen wird, wo der 
centrale Teil des sensiblen Neurons degeneriert. Nach der Bosse-Einer- 
schen Operation am Vagus, die peripher vom Ganglion jugulare aus¬ 
geführt wird, ist das nicht der Fall. Es werden dann die Head’schen 
Zonen erwähnt, die durch Irradiation zustande kommen, und speziell 
auch auf die Head’schen Kopfzonen hingewiesen, die vielleicht das Sub¬ 
strat für manche Reflexneurosen sind, und vielleicht auf einer Irradiation 
vom sensiblen Vagus auf das Trigeminusgrau beruhen. Nach einer Dar¬ 
stellung der grundlegenden Forschungen Gaskeils undLangleys über 
die vier Ursprungsstätten der sympathischen Fasern im Hirnstamm 
und Rückenmark (mesencephaler, bulbärer, lumbodorsaler, sacraler An¬ 
teil) wird die Bedeutung der sympathischen Ganglien besprochen, 
denen wohl auch die sympathischen Zellgeflechte zuzureebnen sind. 
Trotzdem eine Unterbrechung der Fasern hier durch die Nikotinmethode 
naebgewiesen ist, scheint es, dass die Erregung im Ganglion keine wesent¬ 
liche Veränderung erleidet. Auch scheinen sich Reflexe in den eigent¬ 
lichen Ganglien nicht zu schliessen, für die Geflechte ist das noch nicht 
auszuschliessen. Indessen ist es z. B. für die Blase nachgewiesen, dass 
sich die geregelte Reflextätigkeit nur im Rückenmark abspielt, da nach 
Durchschneidung aller Blasennerven diese geregelte Tätigkeit aufhört. 
Für die rhythmisch arbeitenden Organe — Herz, Darm — kommt den 
Ganglien indessen wahrscheinlich die Aufgabe der Erzeugung der rhyth¬ 
mischen Reize zu. Eine Art der Funktionsbeeinflussung, die beim quer¬ 
gestreiften Muskel nicht vorkommt, ist die aktive Hemmung, d. h. 
die Hemmung nicht durch Nachlass eines centralen Tonus, sondern durch 
Zuführung spezifisch hemmend wirkender Erregungen zur Peripherie — 
Darm, Herz, Blase usw. Das bängt zusammen mit einer Selbständig¬ 
keit der Peripherie, wie sie sich am cerebrospinalen System nicht 
findet. Diese Selbständigkeit ist zwar bei den einzelnen Organen sehr 
verschieden gross, lässt sich aber bei allen, z. B. durch Denervierung, 
steigern, und eine solche Uebererregbarkeit spielt vielleicht bei einer 
grossen Anzahl von Krankheitszuständen (Spasmen, Anfällen) auf dem 
Gebiete der Organneurosen und vasomotorischen Neurosen eine Rolle. 
Weiter erklärt sich dadurch z. B. die Tatsache, dass nach Nervendurch¬ 
schneidung je nach der Grösse des einwirkenden Reizes die bezüglichen 
Organe bald eine Unter-, bald eine Ueberfunktion zeigen (z. B. Gefässe 
nach Sympathicusdurchschneidung). Vortragender wendet sich dann 
zur Besprechung der sogenannten Vagotonie und Sympathicotonie. 
Der Begriff der Vagotonie beruhe auf einer scharfen Gegenüberstellung 
des dorsolumbalen Teils des sympathischen Systems gegen die Gesamt¬ 
heit der drei anderen Unterabteilungen. Diese Gegenüberstellung sei 
weder vom anatomischen, noch vom physiologischen, noch vom allgemein 
klinischen Standpunkte aus berechtigt. Vielmehr handelt es sich dabei 
um pharmakologische bzw. toxikologische Einheiten, die speziell mit 
den anatomischen nicht übereinstimmten. Die Theorien, welche den rein 
pharmakologischen Charakter der Vagotonie nicht anerkennen wollen, 
sind falsch. Die Anwendung dieser Einheiten sei daher nur gerecht¬ 
fertigt, wo es sich um die Wirkung von Giften oder das Fehlen von 
Tonicis im Körper handele (Addison’sche Krankheit, vielleicht ana¬ 
phylaktischer Shock u. a.). Für alle anderen Probleme, speziell für die 
Einteilung der centralen Neurosen wäre diese pharmakologische 
Einteilung von vornherein zurüokzuweisen. Denn selbst den einfachsten 
psychischen Vorgängen entsprächen sehr viel differenziertere Zustände 
des sympathischen Systems, als sie durch die Begriffe Vagotonie und 
Sympathicotonie bezeichnet werden, und die Neurosen sind psychische 
Krankheitseinheiten. Man könne rieb daher auch nicht wundern, dass 


weder der Begriff einer vagotonischen Disposition und einer sympathico- 
tonischen im Bereich der normalen Persönlichkeiten ihre Bestätigung 
finden, noch auch, dass die pharmakologischen Versuche noch dazu mit 
den Mitteln, welche wesentlich auf die Peripherie wirken (Adrenalin 
und Pilokarpin), zu brauchbaren Resultaten auf diesem Gebiete geführt 
haben. Der Vortrag erscheint in der Zeitschr. f. d. ges. Neurologie u. 
Psychiatrie. (Autoreferat.) 

Die Diskussion wird vertagt. 


Berliner otologische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 6. Dezember 1912. 

Vorsitzender: Herr Passow. 

Schriftführer: Herr Beyer. 

Der Vorsitzende berichtet, dass ein Aufruf zur Teilnahme an der 
Sammlung für ein Robert Koch-Denkmal eingegangen ist. Im Zu¬ 
sammenhänge damit empfiehlt er die Errichtung eines Denkmals für 
Schwartze. 

Die Angelegenheit wird auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung 
gesetzt. 

Auch die Frage der etwaigen Ernennung von korrespondierenden 
Mitgliedern, die duroh eine Anfrage aus Paris angeregt worden ist, 
soll in der nächsten Sitzung verhandelt werden. 

Desgleichen wird auf die nächste Sitzung verschoben die Verhand¬ 
lung über ein Anerbieten der Laryngologischen Gesellschaft, über das 
Herr Blau berichtet, dahingehend, dass Mitglieder der Otologischen und 
der Laryngologischen Gesellschaft berechtigt sein sollen, auch die der 
anderen Gesellschaft gehörenden Bücher mit nach Haus zu nehmen. 

Hr. Blau teilt mit, dass nach einer Mitteilung der allgemeinen 
Ausstellung, die in Verbindung mit dem Internationalen medizinischen 
Kongress in London veranstaltet werden soll, die Otologen und die Mit¬ 
glieder der Sektion für Hautkrankheiten und Syphilis davon ausgeschlossen 
sein sollen. Der Vorsitzende wird beauftragt, nach den Gründen für den 
Ausschluss der Otologen zu fragen. 

Vor der Tagesordnung. 

Hr. Wagener demonstriert ein Instrameit zur Erleichterung der 
Intabatioisnarkose. 

Die Einführung des Kuhn’schen Intubationsrohres in den Kehlkopf 
stösst oft auf Schwierigkeiten, ebenso das Heraasnehmen des starren 
Mandrins aus dem Rohre. W. gebraucht als Mandrin eine biegsame 
Kupfersonde mit verdickter und durchbohrter Spitze, die für alle drei 
Rohrgrössen passt. Die Einführung des Intubationsrohres in den Kehl¬ 
kopf geschieht unter Leitung des Auges mittels des Röhrenspatels oder 
eines ähnlichen Instrumentes. Auch das Herausziehen der biegsamen 
Sonde bereitet nicht die geringsten Schwierigkeiten. Das Instrument 
ist zu kaufen bei Pfau-Lieberknecht, Berlin N.W. 6, Luisenstr. 49. 

Diskussion. 

Hr. Sturmann: Ich wende die Kuhn’sohe Tubage sehr oft an und 
weiss, dass sie recht schwer ist und von verschiedenen Kollegen nach 
den ersten missglückten Versuchen aufgegeben wurde. Es gehört eben 
einige Uebuog dazu, um die Tubage sicher auszuführen. Nach meiner 
Meinung ist die starke Krümmung des Instrumentes unbedingt nötig. 
Ich mache die Tubage immer in Narkose, weil ich die Vorstellung 
habe, dass man einem Patienten nicht gut vor einer Operation, be¬ 
sonders wenn es sich nicht um eine Halsoperation handelt, zumuten 
kann, sich erst cocainisieren zu lassen; jedenfalls wird dadurch die 
Aufregung bedeutend gesteigert. Wenn man aber das Instrument ein¬ 
führt, nachdem der Patient tief narkotisiert ist, dann liegt er so, dass 
der Kehldeckel der hinteren Rachenwand dicht anliegt. Man muss daher 
ein Instrument haben, das, nachdem es über den Kehldeckel gelangt 
ist, ihn stark nach vorn drängt, sonst kommt man an der hinteren 
Rachenwand entlang in den Oesophagus hinein. Das Instrument von 
Wagen er verbiegt sich aber, wenn man den erforderlichen Druck 
ausübt. 

Der Patient muss so tief narkotisiert sein, dass er wirklich reflex¬ 
frei ist. Die Zeit, während deren er nicht atmen kann, bedeutet nichts. 
Man kann die Einführung ganz langsam machen und braucht keine 
Sorge zu haben. Tatsächlich wird neben dem Tubus immer noch ge¬ 
atmet. Ich habe nur ein Instrument, das ich anwende, und zwar die 
stärkste Nummer, und finde, dass es auch bei zarten Frauen, die einen 
kleinen Kehlkopf haben, ihn niemals ganz verschliesst. Im Gegenteil 
muss man immer, besonders wenn man Nebenhöhlen operiert, noch den 
Hals abdiebten, indem man ein Viertel meterstück Gaze in den Rachen 
bineinsohiebt, damit nicht Sekrete oder Blut neben dem Tubus in die 
Trachea fiiessen. 

Da die Tubage grosse Schwierigkeiten macht, so beschäftigen sich 
verschiedene Kollegen, wie mir bekannt ist, mit Verbesserungen, loh 
habe auoh allerlei Versuche gemacht, bin aber bis jetzt noch nicht 
damit zustande gekommen. Es ist möglich, dass man mit dem Rinnen¬ 
spatel bequemer einen Tubus einführen kann. 

Hr. A. Bruck: Bieneiwachs als Fremdkörper im Gehörgaag. 

Die stark nervöse Dame, die ich Ihnen vorstelle, hat sich vor 
§ Tagen — in Anlehnung an die Notiz eines Wocbenunterhaltungsblattes — 


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232 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 5. 


eine Art Antiphone aus Bienenwachs gefertigt und diese vor dem 
Schlafengehen in die Ohren, wenn ich so sagen darf, hineinmodelliert. 
Es handelte sich um eine minderwertige, ausserordentlich weiche Sorte, 
die schon in der warmen Hand butterartig weich wurde. Ich erwähne 
nebenbei, dass der Schmelzpunkt des reinen gelben Bienenwachses 
zwischen 61° und 64° C liegt. Die Wachsverschlüss9 funktionierten denn 
auch zunächst zur Zufriedenheit, ln der Nacht indessen wachte die 
Patientin von einem heftigen Sausen und Klingen in beiden Obren auf; 
rasch entfernte sie die Wachsverschlüsse, wobei sie sich einer Locken¬ 
nadel bediente. Links gelang ihr das auch mit dem Erfolg, dass die 
Geräusche hier alsbald schwanden; rechts blieb dagegen etwas von der 
Masse zurück. Bei dem wiederholten Extraktionsversuch hatte die 
Patientin Schmerzen, und es blutete ein wenig aus dem Ohr. Ein am 
nächsten Tage aufgesuchter Arzt spritzte das Ohr zweimal mit warmem 
Wasser aus; allein die Ohrgeräusche wurden eher heftiger. Als ich die 
Patientin sah, fand ich in der Tiefe des Gehörgangs — ausser einer 
minimalen Erosion nahe dem Eingang — eine graugelbliche homogene 
Masse, die da9 Trommelfell vollkommen verdeckte, bis auf einen winzigen 
Saum au der hinteren Circumferenz. Dass es sich hier um eine Wachs- 
ablagerung bandelte, konnte man ohne weiteres an den eigenartigen 
weissen Rillen erkennen, die sich mit einer Sonde ziehen Hessen. Da 
Bienenwachs als ein fettähnlicher Körper löslich in Chloroform, Schwefel¬ 
kohlenstoff, warmem Benzin und ätherischen Oelen ist, so benutzte ich 
gereinigtes Terpentinöl. Ich konnte mit einiger Mühe auch soviel ent¬ 
fernen, dass die hinteren Randpartien des Trommelfells sichtbar wurden. 
Die stärkere Reizung schob allerdings weiteren Versuchen der Art einen 
Riegel vor. Man sieht jetzt noch die vordere Partie mit einer grauen 
Masse bedeckt, deren Farbstoff durch das Oel mehr oder weniger extrahiert 
worden ist. Es wäre mir lieb, zu hören, ob einer von Ihnen etwas 
Aehnlicbe9 gesehen und welche Erfahrung er bezüglich der Behandlung 
gemacht bat. Ich selbst will noch Instillationen von angewärmten 
Benzin machen, in welchem sich das Wachs in der Tat gut zu lösen 
scheint. Auf alle Fälle dürfte der vorliegende Fall zur Vorsicht mahnen 
bezüglich der Verwendung derartiger Weichwachsantiphone, wie sie ja 
gelegentlich auch beim Baden zum Schutze persistenter Trommelfell¬ 
perforationen benutzt werden. 

Diskussion. 

Hr. Passow: Ich würde die Ohrmuschel vorklappen und die fremden 
Massen berausnebmen. 

Hr. Halle: Vor dem Gebrauch von Benzin für das Ohr möchte 
ich sehr warnen. Benzin verursacht im äusseren Gehörgange manchmal 
furchtbare Schmerzen, selbst beim vorsichtigen Auswischen mit Watte. 
Mehrfach musste ich stundenlang spülen und Eingiessungen machen 
lassen, um den Schmerz herabzusetzen. 

Was die Antiphone anlangt, so hat sich mir seit Jahren das Hart¬ 
paraffin sehr bewährt. Ich befestigte an einem Wattekern eine Schleife 
aus einem Seidenfaden, tauchte diesen in erhitztes Paraffin und formte 
Kugeln von entsprechender Grösse. 

Dieses Antiphon formt sich beim Erwärmen im äusseren Gehörgang 
etwas nach diesem und schliesst ausgezeichnet ab. An dem Seiden¬ 
faden ist er leicht zu entfernen. 

Wachs ist allerdings für diesen Zweck sehr unzweckmässig, und 
auch das Sprengerische patentierte Antipbon, das au9 weichem Paraffin 
hergestellt wird und in eine Seidenhülle geschlossen ist, erscheint nicht 
sehr geeignet. Denn erstlich fettet es, und wenn, was möglich ist, die 
Hülle platzt, die das Paraffin umgibt, könnte das leicht Vorkommen, 
was soeben Kollege Bruck beschrieben hat. 

Hr. Passow: Von den Antiphonen, die ich kenne, ist das aller- 
zweckraässigste der Gummipfropfen vom Perkussionshammer, der mit 
einem Seidenfaden durchzogen wird und den man ein wenig mit Oel 
anfeuchtet. 

Hr. Beyer: Ich möchte die Bemerkung des Kollegen Bruck 
wegen der Gefährlichkeit dieser Antiphone bestätigen, da auch wir im 
letzten halben Jahre zweimal solche Fälle gesehen haben. Wir haben 
das Antiphon das erste Mal durch kontinuierliche Warmwasserspülungen 
herausbekommen. Das zweite Mal wurde bei einem Kollegen durch eine 
Ausspülung ein sehr grosser Trommelfellriss gemacht. 

Hr. Sonntag: Kontinuierliche Spülungen mit 50 gradigem Wasser, 
eventuell eine Stunde oder zwei Stunden fortgesetzt, würden vielleicht 
Erfolg haben, da das zur Verwendung gekommene Wachs ja bei Körper¬ 
temperatur seinen Schmelzpunkt haben soll. 

Hr. A. Bruck: Es ist mir nicht gelungen, die Wachsmasse durch 
Ausspritzungen mit hoch temperiertem Wasser zu lösen und zu entfernen. 

Tagesordnung. 

Hr. Beyer: Fall von Cholesteatoma venm. 

Bei Patienten, der nie ohrenkrank gewesen, bildete sich im Laufe 
eines Vierteljahres allmählich eine wenig schmerzhafte Anschwellung 
hinter dem rechten Ohr oberhalb des Planums. Trommelfell getrübt 
und Herabsetzung der Hörfähigkeit beiderseits im Sinne einer Interna. 
In der Anschwellung eine ältere Inzisionswunde, bei deren Sondierung 
man auf rauhen Knochen stösst. Keine fieberhaften oder cerebralen Er¬ 
scheinungen. Die Operation deckt ein Cholesteatom von kolossaler 
Grösse auf, das die ganze Vitrea usuriert hat, so dass die in toto ver¬ 
dickte Dura nach oben bis zum Schläfenlappen, nach hinten über die 
Mittellinie hinaus, nach unten bis zum Foramen magnum, nach vorne 
bis an die knöcherne Gehörgangswand freiliegt. Im Kuppel- und Pauken¬ 


raum kein Cholesteatom, keioe Granulationen, Hammer und Amboss 
nicht cariös. Es handelte sich also wohl um ein Cholesteatoma verum, 
das ohne vorbergegangene oder folgende Ohreiterung sich im Winkel 
von Scheitel-, Schläfen- und Hinterhauptbein unter allmählicher Usur 
der Tabula vitrea entwickelt hat. 

Diskussion. 

Hr. Passow: Kollege Lehmann hat vor einiger Zeit einen Fall 
vorgestellt, den ich eine Stunde, bevor der Vortragende seinen Fall 
operierte, operiert hatte, bei dem das Cholesteatom die ganze Spitze des 
Felsenbeins vollständig zerstört hatte. Es schien mir, dass es sich auch 
da um ein wahres Cholesteatom handelte. Es steht nun noch die Frage 
aus, wie der Verschluss des Defektes geschehen soll. 

Hr. Schwabach: Ich habe nicht recht verstanden, wie Kollege 
Beyer die Entstehung dieses Cholesteatoms erklärt? 

Hr. Beyer: Ich habe schon gesagt, dass es 9ich meiner Meinung 
nach um ein Cholesteatoma verum handelt, wofür auch der Ort des 
Wachstums am Asterium spricht. Inbetreff der Frage des Verschlusses, 
die der Herr Vorsitzende anregte, muss erwähnt werden, dass eine Fett¬ 
transplantation beschlossen wurde, die aber wegen der grossen Aus¬ 
dehnung der freiliegenden Dura nach Ansicht von Prof. Schmieden 
doch ausgeschlossen erscheint. Er plädiert mehr dafür, den Knochen 
zu frakturieren und eine Knochennaht anzulegen. Bis jetzt sind wir 
der Frage vollständig enthoben, da sich der Patient absolut gegen 
jeden Verschluss seiner Schädelhöhle wehrt. Bis jetzt sind zweimal 
Säcke von Cholesteatomen entfernt worden, die ungefähr die Grösse von 
Handtellern hatten; nunmehr ist die Wunde absolut trocken. 

Hr. Brühl: 

Demoistratioa mikroskopischer Apparate am Projektionsapparat. 

(Mikroskopische Demonstration eines in vivo diagnosti¬ 
zierten Falles von beiderseitiger Otosklerose.) 

B. demonstriert eine Reihe von Präparaten mit dem Projektions¬ 
apparat über Otosklerose, die an einer 39 jährigen Patientin zu Lebzeiten 
mittels der Funktionsprüfung diagnostiziert worden war. Die aus¬ 
gezeichneten Präparate, deren Abbildungen in der M. f. 0. miss¬ 
lungen sind, beweisen die Richtigkeit der Diagnose. Ausserdem zeigt 
B. noch acht von ihm untersuchte Fälle von Knocbenalterationen im 
Felsenbein: fünf ohne Otosklerose (Stapesankylose), drei mit Otosklerose. 
Von letzterer waren zwei taub (alte Leute), einer schwerhörig 
(jugendlich); auch in diesem Fall wurde in vivo die richtige Diagnose 
gestellt. Die Prädilektion der Knochenalterationen an dem Vorhofs¬ 
fenster erklärt B. mit der schweren funktionellen Belastung dieser Stelle; 
dieselbe zeigt sich daraus, dass erst beim hörenden Menschen das Ring¬ 
band des Steigbügels vorn breiter wird wie hinten, während es beim 
nicht hörenden neugeborenen vorn und hinten gleich lang ist. 

Diskussion. 

Hr. Wagener: Fast bei allen Präparaten, die eben demonstriert 
wurden, konnte man erkennen, dass der hintere Teil des Steigbügels, ob 
er nun ankylosiert war oder nicht, weiter ins Vestibulum hineingerückt, 
der vordere herausgehebelt war. Ich habe es mir so erklärt, dass der 
Zug des Musculus stapedius dies bewirkt. Besonders wichtig ist, dass 
dies auch an den Präparaten zu verfolgen ist, wo die Ankylosierung 
stattgefunden hat. Da siebt man hinten in9 Vestibulum den Buckel 
vorspringen, während der Steigbügel vorn berausgehebelt ist. Dieses 
Heraushebeln erklärt mir auch die grössere Länge des Bandes vorn. 

Hr. Beyer: Der Stapedius wird nach hinten beruntergezogen, und 
die obere Kante der Stapesplatte dreht sich dabei ins Vestibulum so, 
dass zu gleicher Zeit eine Rotation und Einsenkung des hinteren Pols 
resultiert. Deswegen ist auch der vordere Teil des Ligamentums immer 
länger. 

Hr. Wagener: Es ist sehr merkwürdig, dass sich dieser Befund 
histologisch so häufig findet. 

Hr. Boyer: Weil die Erkrankung an diesem Teil anfängt. 

Hr. Wagener: Dies findet sich auch fast regelmässig bei normalen 
Felsenbeinen. Das ist mir schon seit vielen Jahren aufgefallen, und ich 
habe mich immer gefragt, wie diese Stellung des Steigbügels am histo¬ 
logischen Präparat zu erklären ist. Ist dies durch die Totenstarre des 
Musculus stapedius hervorgerufen? Am Lebenden scheint ja die Zug¬ 
wirkung des Stapedius wesentlich die Steigbügelsteliung zu bewirken. 
Ich glaube aber, dass hier noch andere mechanische Momente in Betracht 
kommen, über die wir noch nicht genauer orientiert sind. 

Hr. Brühl: Ich habe am menschlichen Embryo gezeigt und halte 
es für wertvoll, das genauer zu untersuchen, dass eine funktionelle An¬ 
passung des Ligamentum annulare an das Hören wahrscheinlich die Ur¬ 
sache von der grösseren Länge des Ringbandes ist. Durch die all¬ 
mählich eintretende Funktion des Steigbügels und durch die einseitige 
Drehung des Steigbügels durch den Steigbügelmuskel wird vorn das 
Ligamentum annulare gezerrt und gedehnt. Ich habe ja selbst versucht, 
die Aetiologie gewisser Formen der Stapesankylose auf die funktionelle 
Belastung der Gegend vor dem Vorhofsfenster zurückzuführen, lege aber 
keinen Wert auf die Hypothese. Eine funktionelle Anpassung des Liga¬ 
mentum annulare vorn beim Hören scheint mir aber dafür zu sprechen. 
Auf Verschiebungen des Steigbügels lege ich keinen Wert; die normale 
Lage des Steigbügels im Vorhoffenster ist mir ein Kriterium für ein 
gutes Gelingen der Präparate. Man findet nicht selten auch die Basta 
des Steigbügels vollkommen artificiell verbogen. 


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3. Februar 1Ö13. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


233 


Gynäkologische Gesellschaft za Berlin. 

Sitzung vom 10. Januar 1913. 

Vorsitzender Herr Bumm widmet den verstorbenen Mitgliedern 
Beoecke und Bosse einen Nachruf. Das Andenken der Toten wird 
in üblioher Weise geehrt. Es werden ferner an die neu aufgenommenen 
Mitglieder die Diplome überreicht. 

Demonstrationen. 

1. Hr. Siefart demonstiert eine von ihm exstirpierte schwangere 
Take (mit Ovarien). Am abdominalen Ende sieht man eine trichter¬ 
förmige Erweiterung. Dies ist das Bett des Eies. Dieselbe ist von 
einem mitexcidierten Stück Uterusgewebe umgeben. An der hinteren 
konvexen Fläche der Tube sieht man ein von ausgezacktem Rande um¬ 
gebenes Loch. Dieses ist die Rupturstelle. Aus Lage und Befund muss 
man scbliessen, dass es sich um eine interstitielle Gravidität handelt. 
Es ist dies eine ausgesprochene Seltenheit. So gibt Werth an« dass er 
unter 120 Fällen von ektopischer Schwangerschaft nicht einen Fall von 
interstitieller gesehen bat, und dass Martin unter 77 Fällen bis zum 
Jahre 1895 nur einen Fall sah. Da die Tube 1 cm weit innerhalb der 
Uteruswand verläuft und das Ei mehr nach dem Cavum uteri oder mehr 
nach den Ostien abdominale zu liegen kann, so ergibt sich daraus, dass 
mehrere Spielarten möglich sind. Vortr. verbreitet sich ferner über die 
anatomische Untersuchung und Therapie sowie über den Verlauf des 
betreffenden Falles und kommt zu dem Schluss, dass es ein grosser 
Fehler ist, wenn immer wieder in der Literatur die Ansicht auftaucht, 
man solle mehr exspectativ verfahren. Im Gegenteil dazu steht er auf 
dem Standpunkte, dass jede diagnostizierte ektopische Schwangerschaft 
nicht früh genug operiert werden kann und jede Stunde einen Verlust 
bedeutet, und sogar ein geringes Hinzögern schon den Exitus herbei¬ 
fuhren kann. 

2. Hr. Heiusius demonstriert a) eine Cystenniere. Bei einer Kreissenden 
wird rechts vom Uterus eine grosse Geschwulst gefunden. Urin ent¬ 
hält viel Albumen. Am fünften Tage war der Urin leicht blutig ge¬ 
färbt. Nach einigen Tagen Temperatursteigerung bis 39,8°, Schwellung 
des rechten Beins und der rechten Lendengegend. Die Geschwulst 
reichte bis Nabelhöhe. Man nahm Pyonephrose an. Statt der Fett¬ 
kapsel nur Stränge und Verwachsungen vorhanden. Es handelt sich um 
Cystenniere. Exstirpation, nach 24 Stunden Exitus. Die Sektion ergab 
auch Cystenniere der anderen Seite und cystische Degeneration der 
Leber. Die Ursache ist in angeborenen Abnormitäten zu erblicken. Die 
Kombination mit Gravidität ist selten, die Diagnose wird meist erst bei 
der Operation gestellt. Im ganzen ist der Fall selten. Die Erfolge sind 
schlecht. 

b) Niereaexstirpatioi bei Pyelonephritis, Ureterfistel, sekundäre Er¬ 
krankung der anderen Niere. 

Eine 87 Jahre alte Frau, die siebenmal entbunden ist, zuletzt 
vor drei Monaten, ein leicht fieberhaftes Wochenbett durcbgemacht 
hat, bemerkte, dass sie nachts stets nass war. Es wurde eine Fistel 
konstatiert, aus der sich Urin entleerte. Cystoskopisch als Ureterfistel 
erkannt. Die Füllung der Blase war trotzdem normal. Der von der 
gesunden Seite entleerte Urin betrug nur 500 ccm. Es trat Schüttel¬ 
frost und erhöhte Temperatur ein. Die tägliche Urinuntersuchung wies 
granulierte Cylinder nach. Es wurde linksseitige Pyelitis angenommen 
und die linke Niere exstirpiert. Die rechte Niere übernahm nun all¬ 
mählich die Funktion der linken Niere mit. Es trat Heilung ein. Es 
mahnt dies zur Vorsicht bei Implantation des Ureters. Die Exstirpation 
war lebensrettend, obwohl nacbgewiesenermaassen die andere Niere 
auch erkrankt war. Die Rettung war nur durch die Exstirpation 
möglich. 

Diskussion. 

Hr. Gottschalk hat einen ähnlichen Fall von doppelseitiger Pyelo¬ 
nephritis nach Verletzung eines Ureters bei Laparotomie gesehen. Die 
nicht verletzte Seite war ebenfalls erkrankt. G. hat dieselbe nicht ex¬ 
stirpiert, sondern abgewartet. Es kam schliesslich zum Verschluss des 
Ureters und zur sekundären Atrophie. Die andere Niere heilte völlig 
aus. Er hat die Ueberzeugung, dass die Exstirpation für die Patientin 
den Tod bedeutet hätte. Ein solches Prinzip kann man jedenfalls nicht 
allgemein aufstellen. 

Hr. Heinsius gibt zu, dass ein solcher Fall selten ist. Maass¬ 
gebend ist, dass die Erkrankung der anderen Niere sekundär ist. Ist 
dies der Fall, so ist die Operation berechtigt. 

Hr. Schülein zeigt ein 18 Pfund schweres Myom. Stammt von 
einer 48 jährigen Patientin. Schwierigkeit bot nur die Unterbindung der 
Adnexe. 

Hr. Moliiari: Zar Aelielogie der Narkosen! ähm ungen. 

Der Name stammt von Braun, der eine doppelte Plexuslähmung 
der Arme sah. Er nahm als Ursache die Haltung der Arme über den 
Kopf hinweg an. Viele andere sehen als Ursache den Druck der Clavi- 
cula an, welche auf die Nerven zwischen 5. und 6. Halswirbel drückt 
und andere wieder Druck auf den Erb’schen Punkt. Rudinger ver¬ 
legt die Druckstelle zwischen Clavicula und 2.-3. Wirbel. Er stellte 
auch Versuche an Skeletten mit dazwischen gelegtem Papier an. Barden- 
heuer dagegen legt mehr Wert auf die Üeberdehnung. Gaupp brachte 
Klarheit in die Sache durch direkte Untersuchungen der Armbewegungen 
und zeigte, dass bei höchster Erhebung des Armes die Clavicula gar 
nicht io die Lage kommt, eine Kompression auszuüben. Andere wieder 


legten Wert auf den Schwund des Fettgewebes. Ausser den Lähmungen 
des ganzen Plexus treten auch Lähmungen einzelner Nerven auf, sowohl 
an den oberen, wie an den unteren Extremitäten. Vieles hierbei auch 
unerklärt. Das Resultat ist: Die Narkosenläbmungen sind mechanische 
Lähmungen, hervorgerufen durch die Haltung des Armes. Der Einfluss 
der Narkose ist nur sekundär. Prädisponiert sind Frauen, namentlich 
magere. Das Wahrscheinlichste ist, dass die Quetschung, soweit sie in 
Betracht kommt, zwischen Clavicula und erster Rippe statthat. Ganz 
sicher ist aber, dass auch die Üeberdehnung mitspricht. Er hat selbst 
6 Falle beobachtet. In 3 Fällen fand Totallähmung statt, in 3 Fällen 
nur Lähmung des 5. und 6. Cervicalnerven. Bei den 3 Fällen von 
Totallähmung war sogar die übermässige Dehnung vermieden und nur 
eine mässige Hebung des Armes gemacht. Manchmal ist das Verschwinden 
des Pulses ein Vorbote von zu starker Erhebung und nachfolgender 
Lähmung. In den ersten 3 Fällen glaubt Vortragender an Druck-, in 
den drei anderen an Dehnungslähmung. Er macht an einer Pat. die 
Haltung der Arme vor und zeigt photographische Aufnahmen von Pat. 
und anatomischen Präparaten. Endlich spricht er darüber, wie die 
Lähmung zu vermeiden ist. Am besten ist es, die eine Hand unter 
das Gesäss der Pat zu legen, die andere auf die Brust der Pat. Pro¬ 
gnose ist im allgemeinen gut. Nötig ist zeitige Faradisation, danach 
fast stets Genesung. 

Diskussion. 

Hr. Gottschalk hat 2 Fälle gesehen, in denen sicher die hohe 
Extension über den Kopf hinweg schuld war. 

Hr. Saniter hält die Quetschung zwischen zwei Knochen für ganz 
unmöglich, sondern als Aetiologie nur die Herumspannung um einen 
Knochen für zulässig. 

Hr. Strassmann hält ebenfalls nur die Dehnung für maassgebend. 
Besondere Vorsicht ist bei Mammaoperationen nötig. Zu verwerfen sind 
vor allem die schmalen Tische. Für die untere Extremität kommt der 
Druck durch die Assistenz in Betracht. Er sah einen solchen Fall, der 
nicht heilte. 

Hr. Gerstenberg hat eine partielle Unterschenkellähmung bei 
einer sehr kurzen Operation gesehen. 

Hr. Molinari hält an der Möglichkeit der Quetschung fest. 

Hr. Bumm bemerkt, dass die NarkosenIähmung oft zu gericht¬ 
lichen Verhandlungen führt. Es h$t, wenn man dann als Sachverständiger 
vernommen wird, keinen Zweck, zu leugnen, dass die Lähmung ihre 
Ursache in der Operation hat. Es ist ohne weiteres zuzugeben, jedoch 
ist es nicht als Schuld oder Versehen zu betrachten, sondern liegt eben 
im Bereich des Risikos, das jeder bei einer Operation übernimmt. Er 
ist mit dieser Deduktion vor Gericht stets durchgekommen. 


Hygienische Sektion der schlesischen Gesellschaft für vater¬ 
ländische Kultur zu Breslau. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 4. Dezember 1912. 

Vorsitzender: Herr Pfeiffer. 

Hr. Koeiigsfeld: 

Ueber den Darehtritt von Infektionserregern durch die Hant 

Manche Erfahrungen sprechen dafür, dass Mikroorganismen durch 
die unverletzte Schleimhaut in den menschlichen Organismen dringen 
können. Doch auch die äussere Haut bietet in unverletztem Zustande 
keine absolut sicher schützende Decke gegen die Invasion gewisser Krank¬ 
heitserreger, wie zuerst von Garrö durch seine klassischen Versuche 
mit Staphylokokken nachgewiesen wurde. Auch für viele andere 
Bakterien wurde gezeigt, dass sie die unverletzte Haut zu durchdringen 
vermögen, worunter besonders die Versuche mit Pestbacillen wegen 
ihrer epidemiologischen und diagnostischen Wichtigkeit hervorzuheben 
sind. Eine grosse Anzahl Autoren beschäftigte sich mit Versuchen über 
Tuberkelbacillen. Die Versuche ergaben fast stets einen positiven Aus¬ 
fall, doch ist die Versuchsanordnung in den meisten Fällen nicht ge¬ 
nügend einwandfrei. Vortr. hat daher neue Versuche angestellt, unter 
möglichster Vermeidung früherer Fehlerquellen. Durch diese Experi¬ 
mente wurde festgestellt, dass die Tuberkelbacillen imstande sind, die 
unverletzte Haut von Meerschweinchen auf dem Wege der Haarfollikel 
und Lymphspalten zu durchdringen. Siebeneinhalb Stunden nach der 
Impfung befinden sie sich bereits im Unterhautzellgewebe, nach vier 
Tagen sind sie in den regionären Drüsen nachzuweisen. Von 12 Tieren, 
die mit Perlsuchtbacillen geimpft wurden, zeigten 6 nach kürzerer oder 
längerer Zeit Tuberkulose der inneren Organe, von 9 mit humanen 
Bacillen geimpften Tieren wurden 8 tuberkulös. Eine Versuchsreihe 
mit einem Sputum, das nur spärliche Bacillen enthielt, fiel völlig negativ 
aus; von 6 Tieren, die mit einem bacillenreichen Sputum cutan geimpft 
wurden, wurden 5 tuberkulös. Die Tiere nahmen während der ganzen 
Beobachtungszeit fast stets, manchmal beträchtlich an Gewicht zu, und 
machten durchaus keinen kranken Eindruck. Die Sektion ergab immer 
eine ganz beträchtliche Vergrösserung der regionären — inguinalen — 
Lymphdrüsen, nächst diesen scheinen zuerst die Iliacaldrüsen befallen 
zu werden, dann die Mesenterial- und Netzdrüsen, die Lungen und oft 
auch die Leber. Niemals zeigten sich an der Haut tuberkulöse Verände¬ 
rungen. Dieser letztere Befund steht in Widerspruch zu einigen früheren 
Beobachtungen und zu Baumgarten’s Lehre, dass die Tuberkelbacillen 


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UNIVERSUM OF IOWA 




234 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. S. 


nirgends in den Körper eindringen können, ohne an der Eintrittstelle 
tuberkulöse Veränderungen zu hinterlassen. Nach Ansicht des Vor¬ 
tragenden dringt das tuberkulöse Virus in den Körper ein, ohne Spuren 
an der Eintrittsstelle zu hinterlassen, wenn diese intakt ist. Ist die 
Eintrittsstelle dagegen lädiert, so stören die Tuberkelbacillen die 
Prima intentio und rufen spezifische tuberkulöse Veränderungen 
an der Eintrittspforte hervor. Mit der Annahme der Möglich¬ 
keit eines Durchtritts von Tuberkelbacillen durch die unverletzte 
Haut auch beim Menschen wird das Verständnis für die Entstehung 
mancher isolierter Drüsentuberkulosen sehr einfach. Gerade bei Kindern, 
deren zarte Haut die Tuberkelbazillen leicht durchtreten lässt, tritt die 
Scrophulose auf, und besonders bei Kindern tuberkulöser Eltern der 
ärmeren Bevölkerung, wo die Kinder durch Herumspielen auf dem Boden 
leicht Gelegenheit haben, sich mit tuberkulösem Sputum zu infizieren. 
Auch stellt die Scrofulose eine sehr benigne tuberkulöse Erkrankung dar, 
ebenso wie in den vorgetragenen Versuchen die sonst für Tuberkulose so 
empfindlichen Meerschweinchen ein sehr benignes Krankheitsbild boten. 

Weitere Versuche wurden mit Lyssavirus angestellt. Dieses ist an¬ 
scheinend nicht imstande, die unverletzte Haut zu durchdringen, dagegen 
kommt es zu einer Infektion von Skarifikationswunden der Haut aus. 
Es gelingt auch mit verfaultem Material, bei dem eine Diagnose durch 
mikroskopische Untersuchung oder durch intramuskuläre Tierimpfungen 
wegen der dabei oft auftretenden Sepsis nicht möglich ist, durch cutane 
Impfung zu einer Diagnose zu kommen, indem das Lyssavirus die 
Haut durchdringt und eine Wuterkrankung des Tieres hervorruft, 
während die Begleitbakterien zurückgehalten werden. 

Hr. Eisenberg: 

Ueber die Vererbing erworbener Eigenschaften bei Bakterien. 

Die Frage nach der Vererbbarkeit erworbener Eigenschaften, eine 
der vielumstrittenen in der modernen Biologie, muss für die Bakterien 
zweifellos bejaht werden. Das fast immense Beobachtungsmaterial, das 
die Wandelbarkeit fast aller morphologischen und physiologischen Merk¬ 
male dartun soll, leidet aber an dem Umstand, dass in den meisten 
Fällen Auslesevorgänge, bewirkt durch den angewandten Umwandlungs¬ 
faktor, nicht streng ausgeschlossen werden können. Vortr. hat eins der 
klassischen Beispiele, die durch dysgenetische Faktoren erzielte Asporo- 
genie der Milzbrandbacillen, einer Revision im Sinne der exakten Forde¬ 
rungen der modernen Vererbungslehre unterzogen. Voruntersuchungen 
haben nun hier ergeben, dass in den Laboratoriumskulturen mehr oder 
minder konstante sporogene und asporogene Rassen nebeneinander 
existieren können sowie dass Auslesevorgänge je nach den Versuchs¬ 
bedingungen eine Unterdrückung der asporogenen oder sporogenen 
Anteile herbeiführen können. Um nun derartige Vorgänge beim Um¬ 
wandlungsversuch sicher ausschliessen zu können, müsste als Ausgangs¬ 
punkt eine „reine Linie“ der sporogenen Rasse gewählt werden. Von 
einer Plattenaussaat einer solchen Rasse wurde Material einer einzelnen 
gut sporogenen Kolonie entnommen und in NaCl-Lösung zehn Minuten 
lang auf 80° erhitzt, damit wieder Platten bestrichen — von einer ein¬ 
zelnen Kolonie Material wieder erhitzt, ausgesät und so fort. Diese 
strenge Auslese wurde 18 mal wiederholt, von der 18. Aussaat wurde 
eine Kolonie als Ausgangspunkt der Passagen gewählt. Eine grosse 
Plattenaussaat von dieser Kolonie zeigt, dass unter 1000 untersuchten 
Einzelkolonien alle sich als sporogen erwiesen und durchschnittlich 
93 pCt. versporter Stäbchen enthielten. Diese Kultur wurde nun einer¬ 
seits jeden Tag von einem Glycerinagarröhrohen auf ein frisches (bei 
35° G) übertragen, anderseits ebenfalls täglich Passagen auf gewöhn¬ 
lichem Agar, aber bei 42° C, unterworfen. In beiden Reihen wurde der 
Verlauf des Versuchs durch Plattenaussaat auf gewöhnlichem Agar bei 
35° C und Untersuchung einer Reihe von Einzelkolonien auf ihre Sporo- 
genität kontrolliert. Bereits bei der 13. Passage in der ersten Reihe, 
bei der 16. in der zweiten erwies sich die Kultur als ganz asporogen. 
Zur Kontrolle wurde bei Abschluss des Versuches von der 20. Glycerin¬ 
agarpassage sowie von der 33. 42°-Agarpassage eine grosse Aussaat vor¬ 
genommen und je 1000 Kolonien von jeder Reihe untersucht — in beiden 
Reihen waren alle asporogen. Zur Bekräftigung dieser Resultate wurde 
in jeder Reihe an 100 Kolonien durch deD Erhitzungsversuch bewiesen, 
dass keine Dauerformen in ihnen enthalten waren. 

Die so erhaltenen asporogenen Kulturen erwiesen sich bis jetzt als 
konstant asporogen — je 50 Agarpassagen und 7 bis 10 Mäusepassagen 
vermochten nicht, ihnen die Sporogenität wiederzugeben. Es erscheint 
somit für das Sporenbildungvermögen (in Analogie mit dem berühmten 
Hansen’schen Versuch bei Hefen) der exakte Nachweis einer Umwand¬ 
lungsmöglichkeit und Vererbbarkeit der so erhaltenen Umwandlung 
erbracht. 

Aussser diesen konstant erblichen Umwandlungen können durch ver¬ 
schiedene dysgenetische Faktoren auch beschränkt erbliche Umwand¬ 
lungen erzeugt werden, die eine Reibe von Generationen sich erhalten, 
um dann allmählich oder plötzlich zum Arttypus zurückzukehren. Solche 
vorübergehende Einbusse an Sporenbildungsvermögen wird bei Milzbrand¬ 
bacillen oft durch langes Aufbewahren von trockenem Sporenmaterial, 
durch Temperaturen, die der Abtötungstemperatur für Sporen oder 
Bacillen nahekommen, u. a. erzeugt. Eine Häufung solcher Einwirkungen 
festigt natürlich die hervorgebrachte Aenderung des betreffenden Merk¬ 
mals. Mit der Asporogenie geht meist, wenn auch nicht immer, eine 
Aenderung vieler morphologischer und physiologischer Eigenschaften 
Hand in Haud, darunter die wiohtgiste, die Herabsetzung der Patho¬ 
genität. 


Besondere Beachtung verdient die Schnelligkeit, mit der so tief¬ 
greifende Aenderungen des Arthabitus erzielt werden — einzelne 
asporogene Kolonien werden schon nach einigen Glyoerinargar- oder 
42°-Passagen beobachtet. Vielleicht hängt dies damit zusammen, dass 
bei Bakterien Soma und Keimplasma nicht so streng geschieden sind, 
wie bei höheren Lebewesen, dass also leicht eine „Parallelinduktion des 
Keimplasmas“ vor sich geht bei allen Einwirkungen, die das Soma treffen. 
Nun sind zwar bei 3 bis 4 Passagen gleich 60 bis 100 Bacillengenera¬ 
tionen, aber es ist zu bedenken, dass eine Bakteriengeneration derjenigen 
eines höheren Metazoons durchaus nicht gleichwertig ist, sondern eigent¬ 
lich einer Zellgeneration in so einem Zellstaate. Es wächst ja hier ein 
„Halbindividuum“ zu einem „Ganzindividum“ innerhalb der Generations¬ 
dauer heran. Man kann also eine Bakterienkultur einem ausgewachsenen 
Tier, den Einzelkeim oder die wenigen Keime, aus denen sie heran¬ 
gewachsen ist, einer Keimzelle gleichsetzen. Auf diese Weise betrachtet, 
entspräche eine Agarpassage einer Generation der höheren Lebewesen — 
wir ständen also vor der Tatsache, dass innerhalb einiger Generationen 
durch äussere Einflüsse höchst bedeutsame Aenderungen an den Bakterien 
vor sich gehen können — ein Beweis für grosse Plastizität des Keim¬ 
plasmas auf dieser Entwicklungsstufe. 

Die Tatsache der Vererbbarkeit erworbener Eigenschaften und die 
Leichtigkeit, mit der manche Merkmale beeinflusst werden können, muss 
natürlich bei der Beurteilung der Artkonstanz und der Artunterscbeidung 
mit berücksichtigt werden. Verschiedene Merkmale zeigen bei Bakterien 
eine verschiedene natürliche Variationsbreite und eine verschiedene Be- 
einflussbarkeit durch äussere Faktoren. Pathogenität, Farbstoffbildung, 
manche Ferment- und Stoffwechselfunktionen scheinen im allgemeinen 
leicht zu variieren und leicht beeinflussbar. Manche Merkmale wieder 
werden starr festgehalten und lassen sich nur mit grosser Mühe, wenn 
überhaupt, umwandeln. So bedürfte Twost zweier Jahre, um dem 
Typhusbacillus das Vermögen der Milchzuckervergärung anzuerziehen. 
So sah Vortr., dass Typhusbacillen bei langem Fortzüchten bei 42° die 
auftretende Hypagglutinabilität mit der Zeit überwinden und normal 
agglutinabel werden. Eine eingehende Analyse der differentialdiagnostisch 
wichtigen Merkmale nach dieser Richtung hin ist für praktische wie die 
theoretische Bakteriologie von allergrösster Bedeutung. 


Aerztllcher Verein zu Hamburg. 

Sitzung vom 17. Dezember 1912. 

Demonstrationen. 

1. Hr. Lackmui: 7 jähriger Junge mit doppelseitiger Coxa Taiga 
congenita. Im Röntgenbild starke Steilstellung des Schenkelhalses und 
Drehung des oberen Femurabschnittes um die Längsachse. Notwendig 
sind stets zwei Röntgenbilder: eines in Mittelstellung und eines in Innen¬ 
rotation. Die Pfannenstellung lässt sich berechnen aus dem „Becken¬ 
index“, dem Verhältnis zwischen Distanz der Cristae und Distanz der 
Spinae. 

2. Hr. Lauenstein : a) 17 jähriger Klempner mit BlosenEorreissiiBg 
nach Quetschung des Leibes. In der Bauchhöhle Blut und Urin. Schluss 
des Blasenrisses, Heilung. 

b) Junger Mann, der sich im November eine 7 mm-Kogel in die 
rechte Schläfe geschossen hatte. Nach 14 Tagen wurde die Kugel, 
über dem linken Scheitelbein oberflächlich liegend, extrahiert Be¬ 
schreibung des Weges, den die Kugel vermutlich durch das Gehirn hin¬ 
durch genommen hatte. 

3. Hr. Roedelins zeigt einen erfolgreich wegen Rhinophyms operierten 
Patienten (Decortikation in Narkose mit Rasiermesser). 

4. Hr. Simmonds demonstriert die Mikrophotogramme dreier Fälle 
von Myoearditis lnica hei congenitaler Lnes. Makroskopisch zeigt das 
Herzfleisch diffus oder in Flecken fahlgelbe Färbung, histologisch besteht 
eine schwere diffuse interstitielle Myositis mit grossen Mengen von 
Spirochäten darin, und zwar nur in den erkrankten Partien. 

5. Hr. Thost zeigt Bilder einer älteren Patientin mit MyxSdent. 
Seit 15 Jahren in seiner Behandlung, befindet sie sich unter Schild¬ 
drüsenbehandlung ausgezeichnet. 

6) Hr. Nonne: 43jähriger Mann, seit dem 14. Lebensjahr Potator 
strenuus, war sechsmal wegen Delirium tremens in Eppendorf auf N.’s 
Abteilung, immer mit ungewöhnlich schweren halluzinato¬ 
rischen Angstzuständen und Selbstverstümmelungen (durch¬ 
stach sich beide Trommelfelle mit Nadeln, schnitt sich den Penis ab, 
riss sich sechs gesunde Backen- und Vorderzähne aus); dabei keinerlei 
Schmerz; nacbberige Erinnerung an das im Delirium Verübte. Diese 
seltene Form des Deliriums findet sich im allgemeinen nur bei belasteten 
Alkoholisten; dies trifft hier jedoch nicht zu. Auch keine Komplikation 
mit Syphilis. 

7. Hr. Paschen zeigt Bilder von zwei im Eppendorfer Krankenhause 
zur Beobachtung gekommenen Fällen von Infektion mit echten origi¬ 
nären Knbpocken. 

a) 59jährige Frau eines Landmannes, mit Diagnose „Milzbrand am 
Finger“ aufgenommen. In der Tat konnte zunächst an Anthrax gedacht 
werden. Am Anus eine Anzahl Impfpusteln, die in ihrem Aussehen 
sehr an breite Condylome erinnerten. Anamnese ergab, dass der Mann 
einige Zeit vorher eine Kuh mit einer Erkrankung des Euters gekauft 
hatte; Patientin hatte diese Kuh gemolken und sich dabei an der Hand 


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UMIVERSITY OF IOWA 








3. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


235 


infiziert; sekundäre Uebertragung auf die Analgegend. Blutbild: 8000 
Leukocyten, 15 pCt. Mononucleäre. 

b) Tochter dieser Patientin, wurde einige Zeit später wegen „Pana- 
ritiums an beiden Zeigefingern u aufgenommen. Guarnieri’scher Versuch 
von den Vaccinepusteln ergab positives Resultat. 

Im Anschluss daran werden Bilder einer 51jährigen Frau gezeigt, 
die, an Diabetes und Pruritus vulvae leidend, die Genitalien mit einem 
Taschentuch abgewischt hatte, mit dem sie soeben die Impfpusteln 
ihres zuvor geimpften Enkelkindes „gereinigt“ hatte. Typische Vaccine¬ 
eruption. 

Diskussion zum Vortrag des Herrn Deneke: Die syphilitische 
Aertenerkranknng. 

Hr. Schottmüller: Die Wasserraann’sche Reaktion hat für die 
Diagnose der luischen Gefässerkrankung sehr Wesentliches geleistet. Bei 
1194 männlichen Patienten wurde in den letzten drei Jahren 1014 mal 
Wassermannprobe gemacht, sie war 189 mal positiv (18,6 pCt.); von 
diesen 189 positiven Fällen hatten 28 = 14pCt. eine Aortitis luioa, 
6 = 3 pCt. Tabes, 7 = 4 pCt. Paralyse, 10 = 5 pCt. Lues cerebri 
und 18 = 9 pCt. Lues anderer Organe. Unter 2150 Patienten fanden 
sich 134 Herzkranke; von letzteren litten 40 pCt. an Aortitis luica! 
Hellklingender II. Aortenton ist häufig im Initialstadium zu beobachten. 
Die Prognose möchte er ernster stellen als Herr Deneke. Die Hilfe 
liegt nicht in der Behandlung, sondern in der Prophylaxe. Positive 
Wassermannprobe findet sich in 86 pCt der Fälle von Gefässlues; so¬ 
lange sie positiv ist, sollte immer wieder aufs neue antiluisch behandelt 
werden. 

Hr. Nonne: Unter 114 Tabes- und 79 Paralysefällen seiner Privat¬ 
praxis (1. Januar 1910 bis 31. Oktober 1912) hatten 32 = 17 pCt. 
Aortenerkrankung! 3 mal bestand Nikotin-, 1 mal Alkoholabusus; nur 
in 8 Fällen war die Lues überhaupt, nur 2 mal war sie gut behandelt. 
Von 125 Tabes- und 96 Paralysefällen im Krankenhaus hatten 24 pCt. 
der ersteren, 0 pCt. der letzteren Aortitis. Die Wassermannreaktion des 
Blutes war in sämtlichen Fällen von Kombination der spinalen und Ge¬ 
fässerkrankung positiv, während sie bei Tabes allein in 30 bis 40 pCt. 
negativ ist. 

Hr. Gerstein weist neben einigen klinischen Bemerkungen auf ein 
abnorm lautes, oft musikalisohes, singendes Distanzgeräusch über der 
Aorta hin, das sich oft früh bei der Aortenlues nachweisen lässt. 

Hr. Weygandt berichtet über das Material der Friedrichsberger 
Irrenanstalt. Es ergibt sich, dass die Aortitis b6i den syphilidogenen 
Psychosen klinisch keine grosse Rolle spielt. 

Hr. Preis er erwähnt einen Fall von Aortenaneurysma mit Arrosion 
des 3. und 4. Brustwirbels. 

Hr. Hahn berichtet ebenfalls über einen solchen Fall. Er beob¬ 
achtete im letzten Jahre 5 Fälle von Aortenlues. Bei der Behandlung 
lässt die Wassermannreaktion oftmals im Stich. 

Hr. Allard bespricht die Differentialdiagnose bei Aortitis luica. 

Hr. Jacobsthal berichtet über die Resultate der verfeinerten 
Wassermannreaktion, die fast immer positive Resultate gibt, auch bei 
behandelten Patienten. 

Hr. Delbanco: Positive Wassermannreaktion besagt nur, dass der 
Körper einmal mit dem Luesgift in Berührung kam; prognostisch und 
therapeutisch ist kein Schluss daraus zu ziehen. Delbanco würde 
demgemäss auch trotz positiven Wassermanns den Heiratskonsens geben, 
wenn sonst die alten klinischen Bedingungen einer ausgeheilten Syphilis 
erfüllt sind. Er schlägt vor, zu berufen: 1. eine Kommission aus Sero¬ 
logen, welche die Standardliste der Kontrollen usw. festlegt; 2. eine 
Kommission von Klinikern, Syphilidologen und Serologen, welche sich 
mit der Frage der Bewertung der Wassermannreaktion befasst, damit 
die Hamburger Behörden, Gerichte usw. zu einem einheitlichen Stand¬ 
punkte kommen. 

Hr. Fraenkel kommt auf Grund der auch an Leichenmaterial sehr 
gut ausführbaren Wassermannreaktion ebenfalls zu dem Schluss, dass 
die Lues bei allen Aortenerkrankungen die häufigste Ursache ist. 

Hr. Deneke: Schlusswort. 


(Biologische Abteilung.) 

Sitzung vom 7. Janaur 1913. 

1. HHr. Saeiger und Bernstein: 

Ueber des Tremor and dessen Untersuchung mittels des Saiten- 
galvanometers. 

Die mechanische Registrierung der verschiedenen Tremorformen, wie 
sie seinerzeit Charcot zuerst versuchte, ist eine zu grobe; mittels des 
Saitengalvanometers von Einthoven lassen sich die Muskelaktions¬ 
ströme von verschiedenen Stellen der verschiedenen Muskeln ableiten. 
Hiermit ist eine bedeutend bessere Uebersicht der Kontraktionsvorgänge 
möglich. An zahlreichen Diapositiven werden die dabei erhaltenen 
Kurven der normalen Willkürkontraktion, bei Paralysis agitans, Chorea 
electrica, Hysterie, Alkoholismus, multipler Sklerose usw. erläutert. Bei 
jeder Tremorbewegung handelt es sich um einen Tetanus. Beim 
Patellarreflex, Fussclonus usw. ergeben sich ziemlich regelmässig wieder¬ 
kehrende Bilder. 

Diskussion. 

Hr. Fraenkel fragt, ob aus den Kurven sioh schon ein Sohluss 
auf die Natur des Tremors ziehen lasse? 


Hr. Weygandt begrüsst die neue Methode als Bereicherung unserer 
noch recht geringen Kenntnisse über die Formen des Tremors; speziell 
für Unterscheidung des Aggravationstremors u. a. dürften sich wichtige 
Schlüsse noch ergeben. 

Hr. Saenger (Schlusswort): Die Untersuchungsreihen sind vorläufig 
noch zu klein, um sicheres daraus zu schliessen; der tierexperimentelle 
Weg (Vergiftungen usw.) soll beschritten werden. Wichtig sind die 
Unterschiede des peripher und des central bedingten, sowie des hyste¬ 
rischen und organischen Tremors. 

2. Hr. Simmonds: Ueber Carcinosarkom der Schilddrüse. 

Die histologische Untersuchung des bei einer älteren Dame ex- 
stirpiertpn Tumors der Schilddrüse ergab zum Teil echtes Adeno- 
carcinom mit Schläuchen, dazwischen ein Stroma mit Spindelzellen, teil¬ 
weise aber auch reines Sarkoragewebe. Am wahrscheinlichsten erscheint, 
dass hier eine echte Kombinationsgeschwulst vorliegt, indem von vorn¬ 
herein beide Tumoren vertreten sind. Für diese Annahme spricht auch 
ein kürzlich von S. beobachteter Fall: Nach Röntgenschädigung der 
Hand kam es gleichzeitig und unabhängig voneinander zum Auftreten 
eines Carcinoms und Sarkoms. 

3. Hr. Schmielinsky*. 

Ueber doppelte Gastroenterostomie beim Sandahrmagen. 

Eine seit langer Zeit magenleidende 63 jähiige Frau erkrankte Früh¬ 
jahr 1912 neuerdings mit Bluterbrecben, Nachtschmerz. Es fand sich 
ein Tumor im Epigastrium, Anacidität; Sonde stösst bei 50 ccm auf 
Widerstand. Röntgenbild bestätigt die Diagnose: Ulcus callosum mit 
Sanduhrmagen, vielleicht in carcinomatöser Umwandlung. In Anbetracht 
des hohen Alters, der Anacidität und der Gefahr der Eröffnung des 
Ulcus callosum führte Sch. nicht die Querresektion, sondern eine doppelte 
Gastroenterostomie mit Erfolg aus. 

Diskussion. 

Hr. Haenisch weist darauf hin, dass die Perforation eines Ulcus 
callosum häufiger in das Pankreas als in die Leber erfolgt und wirft 
die Frage auf, wieviel von der im Röntgenbild sichtbaren Sanduhrform 
organisch bzw. durch Spasmus bedingt sei. 

Hr. Fraenkel hat ebenfalls häutiger ein Vordringen (nicht „Per¬ 
forieren“) in das Pankreas als in die Leber gesehen. Der viel ver¬ 
breiteten Ansicht, dass die meisten Ulcera callosa krebsig entartete 
Geschwüre seien, widerspricht seine Erfahrung; nur die histologische 
Untersuchung kann hier entscheiden. 

Hr. Simmonds schliesst sich dieser Auffassung vollkommen an, 
er fand bei den früher von ihm untersuchten Ulcera callosa nie Car- 
cinom. 

Hr. Sohmielinsky (Schlusswort). C. Hegler. 


Aerztliclier Verein zu Frankfurt a. M. 

Sitzung vom 16. Dezember 1912. 

1. Hr. Fischer demonstriert zahlreiche pathologisch-anatomische 
Präparate, u. a. a) eine 38 g wiegende Thymus eines einhalbjährigen 
Kindes, das plötzlich zu Tode kam. Die eigentliche Ursache des Thymus¬ 
todes ist bis heute nicht geklärt. 

b) Fibromyom des Duodenums, das durch Druck von aussen eine 
Stenosierung dieses Darmabschnittes verursacht batte. 

2. Hr. Franz M. Groedel: 

Seltenere Befunde bei der Röntgenuntersuchung des Schädels. 

G. demonstriert zahlreiche Schädelaufnahmen und zeigt Schuss¬ 
verletzungen des Schädels, mehrere Aufnahmen von Abflachung 
derSella turcica bei Hypophysentumoren, Gummata der Schädel- 
decke und Variationen in der Grösse der Stirn-, Keilbein- und 
Kieferhöhlen. Als besonders seltener Befund ist ein Fall zu er¬ 
wähnen, bei dem entlang dem aufsteigenden Unterkieferast mehrere tiefe 
Schatten, wie von Fremdkörpern herrührend, gefunden wurden. Der 
Pat. bekam vor langen Jahren bei einem Ohrenleiden medikamentöse 
Einträufelungen in das Ohr. Es ist anzunehmen, dass es Depots von 
Medikamenten (Jod, Hg?) sind, ähnlich wie man sie bei Jodipin- 
injektionen gesehen hat. Mehrere Fälle von Tumoren in der Hypo¬ 
physengegend werden demonstriert, in denen das Röntgenbild'wichtigen 
Aufschluss über Sitz und Beschaffenheit des Tumors gegeben hat. In 
einem Falle, der von Knoblauch publiziert worden ist, war der Tumor 
(eine Cyste in der Hypophysengegend) selbst gut sichtbar, da er eine 
verkalkte Cystenwand hatte. In anderen Fällen musste aus Abflachung 
der Sella turcica oder sonstigen Deformitäten an der Schädelbasis auf 
Sitz des Tumors geschlossen werden. 

3. Hr. Ridolf Oppenheimer: Die Pyelitis. 

Auf Grund von 96 beobachteten Fällen bespricht Vortr. ausführlich 
das Krankheitsbild der Pyelitis. Die Pyelitis entsteht stets durch In¬ 
fektion, in 80— 85 pCt. durch B. coli. In 2 Fällen konnte das B. faecal. 
aloaligenes nachgewiesen werden. Auf experimentellem Wege gelang es nie, 
vom Blut aus Bakterien ins Nierenbecken zu bringen. Zur Entwicklung 
einer Pyelitis sind zwei Faktoren notwendig, einmal eine lokale Disposition 
(Stauung, Hyperämie, Gravidität, Menstruation) und zweitens eine all¬ 
gemeine Disposition. Der Entwicklung und dem Verlauf nach unter¬ 
scheidet man akute und chronische Falle. Die Diagnose ist aus Fieber¬ 
verlauf und Harnanalyse unschwer zu stellen. Differentialdiagnostisch 
in Betracht kommen Blinddarmentzündung und Gallenblasenaffektionen 


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UNIVERSUM OF IOWA 





236 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 5. 


Die Prognose ist bei B. coli quoad vitam günstig, weil das B. coli 
nicht ins Gewebe eindringt. Eine Restitutio ad integrum ist selten. 
Was die verschiedenen Formen der Pyelitis anbetrifft, so ist sehr häufig 
die gonorrhoische Pyelitis, die vom Vortr. nicht besprochen wird, da 
sie vor einiger Zeit Gegenstand eines Spezialvortrags im Verein war. 
Häufig ist die Pyelitis nach Darmstörungen. Normale Darmwand 
lässt B. coli nicht durch, dagegen entsteht die Pyelitis häufig bei 
chronischen Darmobstipationen und Darmkatarrhen. Die Deflorations¬ 
und Kinderpyelitis ist von geringerer Bedeutung. Die Schwanger- 
schaftspyelitis entsteht durch Stauung des Ureters infolge Drucks des 
Uterus auf den rechten Ureter am Beckeneingang. Ein grosses Kontingent 
stellte die Wochenbettspyelitis. Zur Therapie bemerkt. Vortr.: 
Jede Pyelitis soll konservativ behandelt werden. Bettruhe, Flüssig¬ 
keitszufuhr und Harnantiseptiea! Salol pro die 4—5,0 (!) reichte in fast 
allen Fällen aus, sonst wurde Urotropin gegeben. Vergiftungs¬ 
erscheinungen wurden nie beobachtet. In den Fällen, in denen man 
mit dieser Therapie nicht auskam, wurde Ureterenkatbeterismus bzw. 
Dauerdrainage ausgeführt. Zu einem operativen Eingriff (Nierenspaltung) 
sah sich Vortr. nie genötigt. Er bezeichnet dieses Vorgehen als fast 
überflüssig und nicht ungefährlich. 

Diskussion: Hr. Sippel. 


Sitzung vom 6. Januar 1913. 

1. Hr. Fischer demonstriert zahlreiche pathologisch - ana¬ 
tomische Präparate, darunter einen Fall von malignem Granulom, 
das kombiniert ist mit frischer Miliartuberkulose der Lunge. Der 
Fall wird vom Vortr. als Beweis für seine Ansicht der nahen Verwandt¬ 
schaft zwischen Tuberkulose und malignem Granulom angesehen. 

2. Hr. A. Bloch demonstriert: 

a) Totale Nieren-Ureterexstirpation bei Nieren-Uretertuberkulose 
mit Ureterstriktur. 

b) Ureterplastik uni Pyelotomie bei infizierter Hydronephrose. 
Die Hydronephrose war in diesem Falle durch abnormen Verlauf zweier 
zur Niere laufenden Arterien, die den Ureter gabelförmig umfassten, ent¬ 
standen. Durch Unterbindung und Durchschneidung dieser Arterien und 
gleichzeitiger Pyelotomie konnte Dauerbeilung erzielt werden. 

c) Perforation einer Hydronephrose. 

3. Hr. W. Hanauer: Abnahme der Geburten in Frankfort a. M. 

Die Geburtenziffer hat schon einmal am Anfang des 19. Jahrhunderts 
einen starken Rückgang erfahren. Im Jahre 1800 betrug die Geburten¬ 
ziffer in Frankfurt a. M. 30 pro Tausend. Sie fiel in den nächsten 
50 Jahren konstant bis auf 19,116 im Jahre 1850, hob sich sodann bis 
zum Jahre 1900 auf 30 und fiel dann in den letzten 10 Jahren wieder 
bis auf 24. Frankfurt a. M. bat überhaupt im Verhältnis zu anderen 
Städten eine sehr niedrige Geburtenziffer. Während die Geburtsziffer 
bei Verheirateten von 21 auf 15 gefallen ist, ist sie bei den Unehelichen 
von 1.8 auf 2,5 gestiegen. Was die verschiedenen Bevölkerungsschichten 
anbetrifft, so muss man sagen, dass sowohl in den Arbeitervierteln wie 
in der westlichen Aussenstadt die Ziffer gesunken ist, in den Arbeiter¬ 
vierteln ist die Geburtsabnahme noch stärker als im Westen. So sank 
die Geburtsziffer in den letzten 10 Jahren in der „ Altstadt“ von 32 auf 24, 
in „Bernheim“ von 40 auf 31, in „Oberrad“ von 46 auf 23, dagegen in 
der „westlichen Aussenstadt“ von 17,2 auf 9,8. Den Einfluss der Kon¬ 
fession zeigt die Abnahme bei den Katholiken von 25 auf 23, bei den 
Protestanten von 23 auf 20, bei den Juden von 19 auf 13. 

Die Ursache der starken Geburtenabnahme scheint in Frankfurt ä. M. 
einmal auf dem Ueberwiegen der evangelischen und jüdischen Bevölkerung 
zu liegen, dann in der Abnahme der Ebeschliessungen, vor allem aber 
an den sozial-wirtschaftlichen Verhältnissen, Steigerung der Lebens¬ 
mittelpreise, hohe Wobnungsmieten, Zunahme der Frauenarbeit. Viel¬ 
leicht spricht auch die Zunahme des Stillens eine Rolle. Die Geburten¬ 
abnahme beruht auf freiwilliger Abstinenz und den allgemeinen sozialen 
Verhältnissen, nicht aber auf einer physischen Degeneration der Be¬ 
völkerung. Vortr. beleuchtet dann noch die Stellung des Arztes zui 
Abnahme der Geburten. 

4. Hr. Boehnke: 

Kombinationsmethode der Pnenmokokkeninfektion (Sero- und Chemo¬ 
therapie). 

Die mangelhaften Erfolge der experimentellen Therapie der Pneumo¬ 
kokkeninfektionen durch das Pneumokokkenserum haben den Vortr. 
veranlasst, einen Versuch mit der Kombination der Serumtherapie mit 
der Chemotherapie zu machen. Die Arbeiten von Morgenroth und 
Kaufmann haben die recht günstigen Erfolge des Aethylcupreins 
bei Pneumokokkeninfektion gezeigt. Doch zeigte sich das Aethyl- 
cuprein in einem grossen Prozentsatz unwirksam. Desgleichen liess sich 
nur bei 60pCt. der mit Serum behandelten Tiere'^Heilung erzielen. Die 
Kombination der Sero- und Chemotherapie führte in fast allen Fällen 
zur Heilung. L. 


Nürnberger medizinische Gesellschaft und Poliklinik. 

Sitzung vom 12. Dezember 1912. 

Hr. J. Steinhardt demonstriert ein zwei Monate altes Kind mit 

spontan cur Heilung gekommenen Missbildungen. 


Die Hasenscharte ist vollkommen noch intrauterin zur Verheilung 
gekommen, der kosmetische Effekt ist besser als der der bestgelungensten 
Operation. Der Wolfsrachen ist gleichfalls zur Verheilung gekommen bis 
auf einen kleinen Teil des weichen Gaumens und der Uvula, die Ränder 
liegen aber sehr nahe aneinander. 

Hr. Grtinbanm: Die Fehldiagiose der Extranteringraviditttt. 

Vortr. behandelt das Thema an der Hand nachfolgender Fälle: 

1. 39 jährige Frau, zunächst zwei Geburten normal, danach fünf bis 
sechs Aborte. Ursache derselben linksseitige Ovarialcyste, die operiert 
wurde. Danach zwei normale Geburten. Juni 1912 Menses ausgeblieben, 
Beschwerden im Unterleib, fuhr zum Arzt, der Retrofiexio uteri kon¬ 
statierte. Nach der Untersuchung stellten sich Schmerzen ein, 24 Stunden 
danach Collaps. Vortr., gerufen, stellt die Diagnose auf Tubenruptur, 
Operation IO 1 /« Uhr nachts in einem Bauernhaus. Genesen. 

2. In diesem Falle wirkte die Anamnese verwirrend. 32 jährige 
Frau, die zwei Kinder hat, geht, da Periode ausgeblieben, zum Arzt. 
Derselbe fand den Uterus vergrössert und nahm Gravidität an. Patientin 
verlangte vom Arzt, er solle den Abort einleiten, sie wolle unter keinen 
Umständen mehr eine Schwangerschaft durchmachen« Vom Arzte ab¬ 
gewiesen, machte sie selbst intrauterine Einspritzungen mit Seifenlösung, 
danach Blutung nach aussen. Vier Tage danach Leib aufgetrieben, 
druckempfindlich, subfebrile Temperaturen. Patientin gibt an, ausser 
Blut sei noch etwas abgegangen, was sie nicht für Blut gehalten habe. 
Es wird das Krankheitsbild für einen Abort gehalten. Nach zwei Tagen 
derselbe Befund, doch hat Patientin apathischen, kleinen, flatternden Puls. 
Bimanuelle Untersuchung wegen Schmerzen nicht möglich. Operation: 
Tubenruptur, das Ei sass im interstitiellen Teil. Resektion der Tube. 
Genesung. 

In den folgenden Fällen war intakte Extrauteringravidität nicht er¬ 
kannt worden. 

Bei der ersten Patientin wurde wegen vermeintlichen Aborts 
Dilatatio und Abrasio uteri ausgeführt. Nach diesem Eingriff collabiert 
Patientin, hinter dem Uterus grosser, weicher Tumor. Operation. 
Genesung. 

Die zweite Patientin blutet seit acht Tagen und behauptet, es sei 
etwas abgegangen. Untersuchung ergibt Uterus vergrössert, descendiert, 
Parametrien frei. Abrasio uteri wegen angenommenen inkompletten 
Aborts. Nach drei Wochen Adnextumor, subfebrile Temperaturen. 

Die dritte Patientin wurde über drei Monate ärztlich beobachtet, 
ohne dass die Diagnose gestellt wurde. 29 Jahre alt; vor fünf Jahren 
einmal geboren. Periode war acht Tage ausgeblieben, Auftreten von 
Schmerzen im Leibe, Meteorismus. Nach einiger Zeit wieder Blutung 
aus den Genitalien, die wieder verschwindet. Magen-Darmerscbeintmgen. 
Abgang von Membranen mit dem Stuhl führen sie zu einem Spezialarzt 
für Magen-Darmkranke. Aufnahme in die Klinik. Heilung der Colitis 
membranacea. Als sie zum ersten Male in den Klinibgarten ging, bekam 
sie einen Ohnmachtsanfall. Dem rasch herbeigerufenen nächsten Arzte 
erzählte sie, sie erwarte ihre Periode, der Ohnmaohtsanfall und die 
Schmerzen im Leibe kämen daher. Der Nothilfe leistende Arzt gab ihr 
eine Morphiuminjektion. Zunehmender rascher Collaps. Als Vortr. zu- 
gezogen, befand sich Patientin in sehr desolatem Zustand. Sofortige 
Operation. Intakte Frucht vom dritten Schwangerschaftsmonat, Ruptur 
entlang der ganzen Placenta. Patientin starb vier Stunden nach der 
Operation an den Folgen des allzu grossen Blutverlustes. 

Zum Schluss berichtet Vortr. noch über drei Fälle, in denen MRgen- 
Darmstörungen im Vordergründe standen und nie die Diagnose Extra¬ 
uteringravidität gestellt wurde. 

1. Vortr. wurde gerufen, weil Geburt nicht von statten ging. Oedeme 
der Beine, aufgetriebener Leib, keine kindlichen Herztöne, kleiner Uterus, 
daneben grosser Tumor. Vortr. nahm Ovarialtumor an, Operation ergab 
Extrauteringravidität. Vor der vermeintlichen Geburt bestanden nur 
Störungen von seiten des Magens und Darms. 

2. Frau, sechsmal geboren, eine Fehlgeburt, letzte Menses vor acht 
Wochen. Vor vier Wochen schwollen die Krampfadern. Der konsultierte 
Chirurg schlug Operation vor und führte sie auch aus. Drei Wochen 
danach 38,5*. Diffuse Schmerzen im ganzen Leib. Es wurde Appen- 
dicitis vermutet, Operation verweigert. Nach zwei Tagen blasser, Puls 
kleiner. Vortr. zugezogen, bis dahin Collaps. 

3. 32 jährige Frau. 1904 Blinddarmentzündung, 1909 Recidiv, 
operiert. Im Anschluss an letzte Periode Blutung, die nicht mehr auf¬ 
hörte. Doppelseitiger Adnextumor, zwecks Operation in die Klinik auf¬ 
genommen. ln den nächsten Tagen Stuhlverhaltung, ileusartige Er¬ 
scheinungen. Operation in der Meinung einer doppelseitigen Pyosalpinx, 
es ergab sich aber links Pyosalpinx, rechts Hämatocele. 

Hr. Zaeharias demonstriert das durch Operation gewonnene Pr&parat 
einer Tnbargravidität. 

Fötus 1 cm lang. Der Hausarzt (Herr Kreitmair) war wegen 
peritonitischer Attacken konsultiert worden, die alle vier Wochen auf¬ 
traten. Bei der innerlichen Untersuchung konstatierte er einen kleinen 
Tumor seitlich des Uterus. Wegen Verdachts von Extrauteringravidität 
wurde Vortr. hinzugezogen, trat der Diagnose bei und operierte. 

Hr. Kraus: . 

Ueber Pnpiilenstornngen, ihre diagnostische Bedenting and die 
Methodik ihres Nachweises. 

Kraus, 


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3. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


237 


Freiburger medizinische Gesellschaft. 

Sitzung vom 17. Dezember 1912. 

1. Hr. Kahler: Die Sckwebelaryagoskopie nach Killian. 

Die neue Killian’sche Methode ist eine direkte Laryngoskopie. Vor¬ 
tragender demonstriert die Apparate und zeigt ihre Anwendung an 
einem besonders darauf eingeübten nur cocainisierten Patienten. In 
andern Fällen ist die Methode nur in Narkose oder unter Morphium- 
Scopolamin anzuwenden. Die Methode ist für endolaryngeale Operationen 
(Aetzungen, Excochleationen usw.), besonders an der hinteren Comissur, 
zu reservieren, für die sie einen vorzüglichen Ueberblick über den Kehl¬ 
kopf gewährt. Ferner ist sie geeignet zu vorbereitenden Eingriffen bei 
grösseren Operationen (Laryngofissur und Totaleistirpation). 

2. Hr. Fühaer: 

Demonstration der Morphinm-Scopolamin Wirkung im Tierversuch. 

Drei Mäuse, die 2 mg Scopolamin, 2 mg Morphin und die dritte je 
1 mg Scopolamin und Morphin erhalten haben, werden in dieselbe Aether- 
atmosphäro gebracht, die zur Narkose einer normalen Maus nicht genügt. 
Die Scopolaminmaus bleibt munter, die Morphinmaus wird ebenfalls 
wenig alteriert, während die Morphin-Scopolamin-Maus in tiefe Narkose 
verfällt. Dieser Versuch demonstriert die Potenzierung zweier Gifte, 
die durch Hemmung der Sekretion oder Oxydation oder durch Be¬ 
schleunigung der Resorption erklärt werden kann. 

3. Hr. Mangold: 

Willkürliche Kontraktionen des Tensor tympani nnd die Aufzeichnung 
toi Drnekschwaikungen im äusseren tiehürgang (Mit Demonstrationen). 

Der Vortragende demonstriert an einer Versuchsperson die während 
ihrer willkürlichen Tensorkontraktionen sichtbaren Schwankungen in 
einem in den Gehörgang eingeführten, mit Methylenblaulösung gefüllten 
Manometer. Die photographische Registrierung dieser Druckschwankungen 
hatte eine überraschende Fähigkeit der Abstufung der Dauer und Stärke 
der willkürlichen Tensorkontraktionen ergeben, die ebenso wie die 
Unabhängigkeit der beiderseitigen Innervation durch Uebung beträchtlich 
gesteigert werden kann. Bei längeren Versuchsreihen Hess sich die Er¬ 
müdung an der Abnahme der Kurvenböhe beobachten, entsprechend 
auch die Erholung nach kurzer Pause. Der Grad der Unabhängigkeit 
der beiderseitigen Innervation wurde zum Teil auch mit gleichzeitiger 
Registrierung der Druckschwankungen von beiden Ohren aus untersucht. 
Anderweitige Druckschwankungen im äusseren Gehörgange, wie sie durch 
positiven oder negativen Valsalva, Schluck-, Ohr- oder Kopfbewegungen 
bedingt wurden, ergaben ebenfalls bei der manometrischen Registrierung 
charakteristische Bilder. Auch mittels der Marbe’schen Russringmethode 
wurden die durch die willkürlichen Tensorbewegungen verursachten 
Druckschwankungen aufgenommen. Während der Tensorkontraktionen 
waren auch Einziehung des Trommelfells, Herabsetzung der Hörschärfe 
und Dämpfung der musikalischen Töne zu beobachten. 

Diskussion. 

Hr. Schilling zieht die Möglichkeit einer Mitwirkung des Stapedius 
in Erwägung in dem Falle, wo durch willkürliche Bewegung der Ohr¬ 
muschel ein positiver Ausschlag des Manometers erfolgte. Ferner beim 
Hinhorchen auf das Ticken einer Uhr bei der Hörprüfung während einer 
willkürlichen Tensorkontraktion, wobei eventuell die Wirkung des Lausch¬ 
muskels gehemmt wird. Er bezeichnet ferner die kurze Dauer der will¬ 
kürlichen Tensorkontraktionen und die rasche Ermüdbarkeit des Muskels 
gegenüber der geringen Ermüdbarkeit bei reflektorischer Kontraktion als 
bemerkenswert. 

Hr. Mangold erklärt, bei seiner Versuchsmethode könne er über 
eine Mitwirkung des Stapedius nichts aussagen. Fromherz. 


K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. 

Sitzung vom 13. Dezember 1912. 

(Eigener Bericht.) 

Hr. Freud berichtete über die Wirkung des Radiums auf die 
dareh Adreaalia anämisch gemachte Halt. 

Durch das Anämisierungsverfahren wird erreicht, dass die Röntgen¬ 
strahlen von der Haut weniger absorbiert werden, demnach weiter in 
die Tiefe dringen. F. hat je einer Person eine Adrenalinlösung bzw. 
destilliertes Wasser unter die Haut injiziert. Die Wirkung des Radiums 
war bei den unbehandelten Patienten stärker als bei den nicht un¬ 
behandelten. 

HHr. Redlich und v. Eiseisberg demonstrierten ein 15jähriges 
Mädchen, bei welchem ein Rückeamarkstamor operativ entfernt wurde. 

Pat. bekam vor ungefähr 2 Jahren Schwäche in der linken Hand, 
Schmerzen und Parästhesien, dann kam es zur Anästhesie des Rumpfes 
und der Extremitäten sowie zur spastischen Parese zuerst des linken 
und dann des rechten Beines. Die Symptome wiesen auf einen extra¬ 
medullären Tumor in der Höhe des 8. Cervicalsegmentes hin (Progredienz 
der Symptome, Beginn links, dann Uebergang auf die linke untere und 
die rechte untere Extremität, Verengerung der linken Lidspalte, Hyp- 
ästhesie am linken Arm mit Ausnahme der Ulnarseite, geringere Hyp- 
ästhesie am rechten Arm, Atrophie der kleinen Handmuskeln mit Krallen¬ 
stellung der Finger). Für einen Tumor sprachen weiter die Erschei¬ 
nungen einer Querschnittsunterbrechung des Rückenmarkes: Spastische 
Parese beider Beine, Sensibilitätsstorung der unteren Extremitäten und 
des Rumpfes. Es wurde in der Gegend des 5.-7. Halswirbels die Dura 


freigelegt, nachdem die Operationsstelle mit V 2 proz. Novocainlösung um¬ 
spritzt worden war; dadurch wurde die Blutung wesentlich eingeschränkt. 
Nach Laminektomie war durch die Dura ein grosser Tumor sichtbar, 
dieser Hess sich leicht aussebälen. Die Dura mater wurde vernäht, dann 
wurde ein Glasdrain in die Wunde eingefübrt. Der Heilungsverlauf war 
reaktionslos, und die Wunde ist gegenwärtig verheilt. Schon am nächsten 
Tage nach der vor 5 Wochen vorgenommenen Operation waren die Sen¬ 
sibilitätsstörung und die Spasmen geringer, dann besserten sich auch 
die motorischen Erscheinungen, so dass Pat. gegenwärtig alle Bewegungen 
mit den Händen ausführen und mit Unterstützung geben kann. Es ist 
noch ein geringer Grad von Spasmus der unteren Extremitäten vorhanden, 
die Patellarreflexe sind noch gesteigert. Die Aussichten auf Heilung 
sind bei extramedullären Tumoren sehr günstig. — Auf der Klinik 
Eiseisberg wurden bisher 6 Rückenmarkstumoren operiert, von welchen 
5 geheilt wurden, ein Fall ist schon vor 3 Jahren operiert worden. In 
einem Falle sass der Tumor intramedullär, die ersten Zeichen der 
Besserung traten erst 8 /4 Jahre nach der Operation auf, Pat. ist gegen¬ 
wärtig geheilt. In 5 Fällen, welche unter der Diaguose Rückenmarks¬ 
tumor operiert wurden, Jag kein Tumor vor, sondern Adhäsionen oder 
eine circumscripte Meningitis serosa. Auch in diesen Fällen erfolgte 
Heilung. Ungünstiger sind die Resultate bei Tumoren der Wirbelsäule, 
von 4 Fällen sind 3 gestorben. Sehr wenig günstig wirkt die Operation 
bei Wirbelverletzungen, denn man operiert entweder zu spät, und es ist 
schon eine Infektion eingetreten, oder es ist das Rückenmark hochgradig 
verletzt. 

Hr. Loewi führte einen 28 jährigen Mann mit einem Osteoidfibrn- 
sarkom der rechte! Fibala vor. 

Pat. bekam vor 6 Jahren heftige Schmerzen im rechten Bein, welche 
stetig Zunahmen. Vor IV 2 Jahren trat an der rechten Fibula eine Ge¬ 
schwulst auf, gleichzeitig stellte sich trockener Husten ein. Der Tumor 
war hart und druckempfindlich. Das Röntgenbild zeigte, dass die Fibula 
durch eine Tumormasse ersetzt war, und dass die Geschwulst auch auf 
die Tibia Übergriff. Die Lungen zeigten circumscripte, dichte Schatten, 
besonders zahlreich an der Basis. Pat. hat Trommelschlägelfinger. 
Die Probeexzision ergab, dass der Tumor ein Osteoidfibrosarkom ist, 
welches von einer Knochenschale umschlossen ist. Bemerkenswert ist der 
ziemlich benigne Verlauf. 

Hr. Albrecht stellte einen 15jährigen Knaben aus Bosnien mit 
Elephantiasis des Penis nnd des Serotnms vor. 

In der Scrotalhaut sitzen Lympbocyten, die Lymphstauung ist auch 
am rechten Bein deutlich zu erkennen. 

Derselbe demonstrierte eine 32jährige Frau mit Lymphocavernom 
der Mamma. 

Nach einer kleinen Verletzung nahm der Umfang der linken Mamma 
zu; bei Probeinzisionen wurde das Ausfliessen einer gelblichen, wässerigen 
Masse beobachtet. Die Venen der linken Mamma sind ausgedehnt, die 
Mamma ist weich und lässt sich durch Druck auf die Hälfte verkleinern. 
Die Drüsen in der linken Axilla sind vergrössert. 

Hr. Ktinigstein demonstrierte einen Mann mit einem syphilitischen 
Primär affekt auf dem rechten oberen Augenlide. 

Man siebt einen schmierig-eitrig belegten Substanzverlust, dessen 
Grund und Umgebung stark infiltriert sind. Zur Seite des linken 
Masseters ist eine vergrösserte indolente Lymphdrüse tastbar. 

Hr. v. Eiseisberg demonstrierte einen Apparat xar Trepanation. 

Der Antrieb erfolgt in ähnlicher Weise wie bei den zahnärztlichen 
Maschinen, die Trepanation wird binnen kürzester Zeit durch einen 
Trepan ausgeführt, wobei eine Verletzung der Dura ausgeschlossen ist, 
da der Trepan selbsttätig zu rotieren aufhört, sobald der Knochen 
durchbohrt ist Vorher wird natürlich der Knochen freigelegt. Zur 
Durchscbneidung der Knochenbrücken zwischen den einzelnen Trepan- 
löchern dient eine Fräse, welche in derselben Weise wie der Trepan an¬ 
getrieben wird. Vortr. hat mit diesem Apparate bereits 4 Sohädeltrepa- 
nationen ausgeführt. 

Hr. Haudek sprach über die klinische Diagnose des nach hinten 
übergreifenden Magengeschwürs. 

Eine 54 jährige Frau hatte seit mehreren Monaten Magenbeschwerden, 
die Röntgenuntersuchung ergab einen atonischen Magen und eine mit 
Wismut gefüllte Nische über der kleinen Curvatur; es handelte sich 
also um ein tiefgreifendes Magengeschwür. Die Beobachtung zahlreicher 
Fälle von Magengeschwüren, von denen mehrere operiert wurden, ergab 
dem Vortr. folgende Symptome für ein nach hinten übergreifendes Magen¬ 
geschwür: Häufig links im Rectus einen exquisiten Druckpunkt, oft 
daselbst Defense musculaire, Boas’schen Druckpunkt und, wenn der 
Ulcus auf die Leber übergreift, eine Head’sche Zone. Es handelt sich 
vorwiegend um Personen über 40 Jahre, in der Mehrzahl Frauen. Das 
Nischensymptom kann auch verschwinden; es entsteht dadurch, dass 
durch spastische Kontraktion der umgebenden Muskulatur die Ränder 
des Geschwürs einander genähert werden, so dass über dem Geschwür 
ein Raum entsteht, in welchem eine Gasblase und Wismut zurück- 
gehalten werden. Hört der Krampf auf, so wird das Wismut frei und 
vom Mageninhalt entfernt. Das Nischensymptom ist für die Operation 
allein nicht entscheidend. 

Hr. Ullmana: 

Zar Parasitotropie and Toxicität des Salvarsaas (Neosalrarsans). 

Vortr. hat schon in früheren Versuchen nachgewiesen, dass Arsen 
hauptsächlich in der Leber und in der Niere aufgespeicbert wird, aus 


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238 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 5. 


letzterer wird es bald abgegeben. Im Gehirn und in den Nerven wird 
es nur in geringen Spuren abgelagert. Der grösste Teil des durch intra¬ 
venöse Injektion einverleibten Salvarsans wird schon in den ersten Tagen 
ausgeschieden. Unter Parasitotropie versteht Ehrlich einen Vorgang, 
bei welchem das Salvarsan bzw. seine Derivate sich mit den Parasiten 
von Spirillencharakter binden. Die Untersuchungen mehrerer Autoren 
zeigen, dass Parasiten durch Salvarsan beeinflusst werden. Vortr. hat 
durch längere Zeit einschlägige Versuche über die Parasitotropie und 
die Toxicität des Salvarsans angestellt. Zum Nachweis des Arsens in 
den Organen hat er einen modifizierten Marsh’schen Apparat angewendet; 
der Arsenspiegel schlägt sich in sehr dünnen Röhrchen nieder, er wird 
mit Arsenspiegeln verglichen, welche durch eine genau bestimmte Menge 
Arsen hervorgerufen wurden. Es war auf diese Weise möglich, selbst 
die minimalsten Mengen von Arsen ziemlich genau nach dem Gewichte 
zu bestimmen. Die Versuche ergaben, dass naoh Einverleibung von 
Salvarsan Arsen im Blutserum, aber auch in den roten Blutkörperchen 
zu finden ist; bei Tieren, welche mit Spirillen infiziert sind, enthalten 
die Blutkörperchen grössere Mengen von Arsen als das Serum. Arsen 
wird ferner im luetischen Primäraffekt aufgespeichert, während es sonst 
in der normalen Haut und auch in gewöhnlichen Entzündungsprodukten 
nicht zu finden ist. Der normale Testikel speichert kein Arsen, dagegen 
ist dies beim luetischen Testikel der Fall. Im Rückenmark und in der 
Nebenniere erfolgt keine Speicherung, dagegen erfolgt solche im Opticus, 
in der Sclera und Retina, in geringerem Grade in der Urea, während 
das Rammerwasser und die Linse des Auges fast kein Arsen enthalten. 
Die Leber und die Niere speichern stark Arsen. Durch die Unter¬ 
suchungen des Vortr. ist nachgewiesen, dass das Salvarsan parasitotrop 
wirkt. (Der Vortrag wird in der nächsten Sitzung fortgesetzt werden.) 

H. 


Erklärung zu dem Tuberkulosemittel von 
F. F. Friedmann. 

Von 

A. Bier. 

(Verlesen in der Berliner medizinischen Gesellschaft am 29. Januar 1913.) 

M. H.! Ich bin gezwungen, folgende Erklärung abzugeben: Fort¬ 
gesetzt bekomme ich Briefe aus dem Auslande, besonders aus Amerika 
und aus Spanien, in denen ich gefragt werde, ob wirklich das Fried - 
mann’sehe Mittel gegen die Tuberkulose eine so hervorragende Erfindung 
und so vortrefflich sei, wie ich nach den Zeitungsberichten der betreffenden 
Länder öffentlich bestätigt habe. Vorgestern wurde mir nun von einem 
spanischen Offizier aus Huelva, der mich persönlich in derselben An¬ 
gelegenheit mit seiner tuberkulös erkrankten Tochter hier aufsuchte, 
ein Artikel des „Diario de Huelva“ übergeben; darin steht in bezug auf 
meine Person: 

„Bier versichert vor seinen Kollegen, dass eine grosse Zahl seiner 
Klienten, die an Tuberkulose in den verschiedenen Formen litten, und 
die er Herrn Dr. Friedmann geschickt hat, geheilt wurden. Er ver¬ 
sichert, er sei sehr angenehm berührt von dem bei seinen Patienten er¬ 
haltenen Resultat.“ Im nächsten Satze heisst es dann allerdings: „Wenn 
ich auch nicht versichern kann, bemerkte Bier, dass Dr. Fried mann 
die Tuberkulose heilt, so kann ich es auch nicht verneinen, solange 
nicht andere Aerzte die Gelegenheit hatten, seine Resultate zu bestätigen. 
Hoffen wir also, mit der Zeit unser Urteil abgeben zu können.“ 

Der Laie wird natürlich aus solchen Artikeln lesen, dass ich das 
Mittel empfehle. Das beweist auch schon die Menge der mir zugehenden 
Anfragen. 

M. H.! Sie alle, die Sie bei der Diskussion über Friedmann’s 
Vortrag zugegen gewesen sind, wissen, dass das ungefähr das Gegenteil 
von dem ist, was ich wirklich geäussert habe. Ich sagte damals: „Ich 
habe eine Anzahl der von Herrn Friedmann behandelten Fälle ge¬ 
sehen. Sie stammen zum Teil aus unserer Poliklinik, zum Teil aus der 
Praxis des Herrn Dr. Friedmann selbst. Ich muss gestehen, dass ich 
den Eindruck bekommen habe, dass eine Heilwirkung entschieden vor¬ 
handen ist, aber einen beweisenden Fall habe ich nicht gesehen. Es 
handelte sich meist um fistulöse, zum grössten Teile schon operierte 
Fälle, die heilen aber, wie wir alle wissen, häufig ganz von selbst sehr 
schnell aus.“ Ferner sagte ich: „Einstweilen kann ich also, wie ich 
Herrn Friedmann auch schon persönlich gesagt habe, als Zeuge für 
eine besondere Wirksamkeit des Mittels nicht auftreten.“ 

Ich habe also ausdrücklich betont, dass ich eine besondere Heil¬ 
wirkung des Friedmann’schen Mittels nicht bezeugen könnte. Ich 
habe nur zugestanden, dass ich den Eindruck von einer Heilwirkung 
bekommen habe. Was besagt das aber? Man tue doch nicht so, als 


ob wir gegen die chirurgische Tuberkulose machtlos seien. Wir haben 
eine ganze Menge von Mitteln, mit denen wir bei ihr vortreffliche Heil¬ 
wirkungen erzielen. Und dass Friedmann mit seinem Mittel mehr oder 
auch nur dasselbe leistet als diese, bat er mir nicht bewiesen, zumal er 
nach Aussage meiner Assistenten ihm angebotene Fälle von schwerer 
Tuberkulose, die wir doch mit unserem bisherigen Mittel in einem sehr 
grossen Prozentsatz der Fälle heilen oder bessern, abgelehnt bat. Dazu 
ist noch zu bemerken, dass eine Heilwirkung noch keineswegs eine 
Heilung ist. 

M. H.! Es ist gewiss bedauerlich, dass ein noch nicht genügend er¬ 
probtes Mittel in der ausländischen Tagespresse als grosse Erfindung 
und hervorragendes Heilmittel gepriesen wird. Bisher hat es doch seine 
Probe noch keineswegs bestanden, zumal es sich nur in der Hand eines 
einzelnen Arztes befindet und eine genügende Nachprüfung noch nicht 
möglich gewesen ist. Sollte es sich, wie in vielen früheren ähnlichen 
Fällen, nun her ausstellen, dass das Mittel sich nicht bewährt, so bedeutet 
es einen grossen Schaden für das Ansehen der deutschen medizinischen 
Wissenschaft und des deutschen Aerztestandes, wenn überall in der 
ausländischen Presse unwidersprochen gestanden hat, dass in der grössten 
deutschen medizinischen Gesellschaft von bekannten Berliner Aerzten 
für das Mittel ein günstiges Zeugnis abgelegt sei. Denn, dass in unserer 
Gesellschaft die angesehensten Aerzte gewichtige Bedenken gegen das 
Friedmann’sche Mittel geäussert haben, scheint nicht in die aus¬ 
ländische Presse gelangt zu sein. Wenigstens habe ich im „Diario de 
Huelva“ vergeblich danach gesucht. 

Ich muss deshalb öffentlich Verwahrung dagegen ein legen, dass 
mein Name missbraucht wird, um ein Mittel zu empfehlen, von dessen 
Wirksamkeit ich noch keineswegs überzeugt biu. 

Ich hoffe, dass diese Erklärung ihren Weg ebenso schnell und 
ebenso verbreitet in die ausländische Tagespresse finden möge, wie meine 
angebliche Empfehlung des Mittels. 

Es würde mich auch der Mühe überheben, fortgesetzt Briefe dahin 
beantworten zu müssen, dass ich bisher keine Beweise für die hervor¬ 
ragende Heilwirkung des Friedmann’schen Mittels gesehen habe. 

Natürlich soll diese Erklärung keinerlei Urteil über den Wert des 
Mittels sein. 


Zu Edzard’s Mitteilung: Ueber die Serodiagnostik 
des Carcinoms nach v. Düngern. 

Von 

Prof. v. Dangen. 

Edzard hat versucht, meine Methode der Serodiagnostik des Car.- 
cinoms nachzuprüfen und berichtet in Nr. 53, 1912, dieser Wochenschrift 
über Resultate, die meinen Angaben durchaus widersprechen. Die 
Reaktion ist in Freiburg aber so vorgenommen worden, dass sie der 
meinigen nicht entspricht. Wenn man unspezifisebe Hemmungen ver¬ 
meiden will, so müssen selbstverständlich alle Kontrollen Lösung zeigen. 
Nach den Angaben von Edzard war dies aber nur ausnahmsweise der 
Fall. Er gibt an, dass unter 18 untersuchten normalen Sera nur eines 
in den Kontrollen überall Lösung zeigte. Dieses war also das einzige 
Serum, das nach meiner Methode untersucht worden ist. Alle anderen 
Sera zeigten in der Kontrolle ohne Extrakt und ohne Natronlauge 
Hemmungen; bei einem Teil derselben wurde die Hemmung durch 
Natronlaugezusatz aufgehoben. Edzard rechnet nun in allen Fällen, 
wo die Serumkontrolle mit Natronlauge gelöst hat, dagegen unter den 
gleichen Bedingungen mit Extrakt Hemmung eingetreten ist, die Tumor¬ 
reaktion für positiv, während tatsächlich alle seine Versuche unbrauchbar 
sind und nur so viel beweisen, dass die Reaktion nicht richtig ein¬ 
gestellt worden ist. Es handelt sich immer um Additionswirkungen. 
Additionswirkungen können auch eintreten, wenn die Serum- und Extrakt- 
koutrollen gerade noch Lösung ergeben, wenn aber die Kontrollen 
Hemmungen aufweisen, dann sind solche beim Hinzufügen von Extrakt 
fast selbstverständlich. 

Aus Edzard’s Angaben geht ferner hervor, dass seine Resultate 
unregelmässig waren. Ein normales Serum, das vorher positiv reagierte, 
reagierte bei nochmaliger Prüfung am dritten Tage negativ, und auf¬ 
fallend ist es auch, dass bei schwerer Tuberkulose mehr negative 
Resultate verzeichnet werden als bei Gesunden. Es ist daher an¬ 
zunehmen, dass die Reaktion zeitweise richtiger eingestellt war. Im 
allgemeinen hat er zu starke Hemmungen gehabt. Im Anfang hat in 
Freiburg das Extrakt schon für sich allein gehemmt, so dass die Re¬ 
aktion, wie Prof. Hahn mir mitteilte, nicht ausgeführt werden konnte. 
Prof. Hahn ist dann mit Herrn Edzard nach Heidelberg gekommen 
und hat sich überzeugt, dass bei uns die Reaktion meinen Angaben 
entsprechend funktioqiert, und seitdem haben schon viele Aerzte und 


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3. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


289 


Studenten die Reaktion in meinem Laboratorium geübt und ohne auf 
Schwierigkeiten zu stossen die Brauchbarkeit konstatiert. Zur Erklärung 
der Misserfolge in Freiburg haben wir damals angenommen, dass das 
Komplement der in Freiburg benutzten Meerschweinchen aus irgend¬ 
welchem Grunde unbrauchbar war, da die Hemmung des Extraktes auch 
stattfinden sollte, wenn mit meinem Amboceptor sensibilisiert wurde 
und mein Extrakt zur Verwendung kam. Ich habe auf diese Fehler¬ 
quelle bisher noch nicht hingewiesen, da sie sich in unseren so zahl¬ 
reichen Versuchen noch niemals gezeigt hat. Wir haben, wenn wir 
richtig sensibilisieren, niemals Hemmungen durch das Extrakt allein, noch 
auch durch die Sera allein, weder mit noch ohne 2 /io Natronlauge. Ich habe 
aber von anderer Seite erfahren, dass man auch bei Anstellung der Wasser- 
mann’schen Reaktion unbrauchbare Meerschweinchensera beobachtet hat. 
Es ist daher wohl möglich, dass wenigstens zeitweise solches Serum in Frei¬ 
burg benutzt worden ist. Es braucht dies aber nicht der einzige Fehler zu 
sein, den Edzard bei seinen Untersuchungen gemacht hat. Die Sensi¬ 
bilisierung muss, wie ich angegeben habe, so vorgenommen werden, dass 
die Lösung in den Kontrollen nicht nur überhaupt zu irgendeiner Zeit, 
sondern rechtzeitig, d. h. mindestens nach einer Stunde bei Zimmer¬ 
temperatur erfolgt, damit Additionswirkungen vermieden werden. Wir 
brauchen dazu im allgemeipen die doppeltlösende Dose, und wer weiss, 
ob nicht bei weniger gutem Amboceptor oder bei leicht modifiziertem 
Komplement eine grössere Dose notwendig ist. Edzard hat nach seiner 
Angabe nur die ein- bis eineinbalbfache Dose benutzt und daher, selbst 
wenn er gutes Komplement verwandte, zu schwach sensibilisiert. Bei 
mir ist die Reaktion so eingestellt, dass die Sera erwärmt >/ 10 noch mit 
V« Meerschweinchenserum Lösung ergeben. Bei Edzard trat im all¬ 
gemeinen nicht einmal mit Vzo Lösung ein. Seine Reaktionen ent¬ 
sprechen daher ebensowenig der meinigen, wie wenn man die Wasser- 
mann’schen Reaktion mit Vso bis 1 f 40 Meerschweinchenserum vornehmen 
wollte. Selbstverständlich darf auch die Menge der Natronlauge nicht 
herabgesetzt werden. Es ist nicht erlaubt, einen Fehler durch einen 
zweiten auszugleichen. Dadurch erklärt sich wohl der geringe Prozent¬ 
satz (70 pCt.) der positiven Fälle bei Garcinom. Ich muss daher der 
Prüfung Edzard’s jede Beweiskraft absprechen und hoffe, dass meine 
Reaktion in der vereinfachten Form, die ich in Nr. 52 der Münchener 
medizinischen Wochenschrift, 1912, mitgeteilt habe, bei der Nachprüfung 
nicht mehr so vielen Fehlerquellen ausgesetzt sein wird. 


Erwiderung zu Vorstehendem. 

Von 

V. Haha und D. Edzard. 

1. Wir haben in unserer Arbeit ein Versuchsschema gegeben, nach 
welchem die Resultate der Untersuchungen als positiv oder negativ be¬ 
urteilt worden sind. Gegen dieses Schema erhebt Herr 
v. Düngern keine Einwendungen. Damit entfällt sein Einwurf, 
dass wir Sera und Extrakte zur Beurteilung der Reaktion herangezogen 
haben, die mit oder ohne Natronlauge allein gehemmt haben. Nur bei 
vier normalen Seren, in denen die Kontrollen nicht gestimmt hatten 
und die wir als negativ berechnet, also für eine günstige Beurteilung 
der Reaktion herangezogen haben, könnte dieser Vorwurf stimmen. 
Wenn in der Arbeit von Edzard gesagt ist, dass nur eines der Sera 
von 18 in allen Proben glatte Lösung zeigte, so bezieht sich das selbst¬ 
verständlich auf die eigentlichen Reaktionsproben, nicht auf die 
Kontrollen, die in allen überhaupt erwähnten Fällen mit 
Ausnahme der obigen vier glatt gelöst waren, und zwar nicht zu 
irgendeiner Zeit, wie v. Düngern ganz willkürlich annimmt, 
sondern entsprechend seinen Vorschriften spätestens nach einer 
Stunde. 

2. v. Düngern bemängelt die geringe Menge (1—lVsfach) des 
zur Sensibilisierung benutzten Amboceptors: Wir haben diese Menge 
auf seine ausdrückliche mündliche Angabe hin verwandt, übrigens haben 
auch vielfache Versuche mit höheren (2—8 fachen) Amboceptordosen 
keine Aenderung der Resultate gebracht. 

3. Ebenso wurde die Dosis der Natronlauge herabgesetzt, nachdem 
Herr v. Düngern uns mündlich mitgeteilt hatte, dass einer seiner aus¬ 
wärtigen Korrespondenten die gleiche Hemmung mit hohen (0,2 ccm) 
Dosen beobachtet hatte, wie wir, und mit niederen (0,1) günstigere 
Resultate erhalten hätte. 

4. Was unter „brauchbarem Meerschweinebenserum“ in diesen 
Fällen, wo selbstverständlich die komplementäre Wirkung des Serums 
in Vorversuchen kontrolliert wurde, zu verstehen ist, dürfte schwer zu 
definieren sein — oder aber auch sehr leicht: brauchbar ist es, wenn 
die v. Dun gern’sehe Reaktion beim Carcinom positiv, beim Normalserum 
negativ ausfallt 

5. Wir haben uns ebenso, wie „viele Aerzte und Studenten“, die 
Herr v. Düngern anführt, überzeugt, dass die Methode im v. Dungern- 
schen Laboratorium seinen Angaben entsprechend in einigen Fällen 
funktionierte. Eine Erklärung dafür abzugeben, weshalb dies in unserem 
Laboratorium trotz Benutzung der v. Dun gern’sehen Reagentien und 
strikter Innebaltung der durch mündliche Mitteilungen ergänzten Vor¬ 
schriften nicht der Fall war, sind wir leider nicht in der Lage. Wir 
trösten uns, bis bessere Vorschriften kommen, in dem Bewusstsein, 
dass es auch anderen Nachuntersuchern, die nicht im v. Dungern’schen 
Laboratorium gearbeitet haben, ebenso gegangen ist: Wolfsohn hatte 
auch nur 76,8 pCt. positive Reaktionen bei klinisoh sioheren und suspekten 


Carcinomen (wir bei klinisch sicheren 70 pCt.) und, wie wir einem Referate 
in der Zeitschr. f. Chemotherapie, Bd. 1, H. 12, entnehmen, sind die 
Resultate von Isabolinsky und Dichno gleichfalls ungünstige gewesen. 
Eine volle Bestätigung der v. Dungern’schen Beobachtungen ist uns 
in der Literatur bis jetzt nicht entgegengetreten. 

Wir benutzen die Gelegenheit, zwei Druckfehler zu korrigieren: In 
dem Versucbsschema fällt bei Probe 13 die Erhitzung auf 56° weg; im 
letzten Absatz der Arbeit muss es heissen: „Praktisch weniger be¬ 
deutungsvoll, aber recht unbefriedigend ist die Tatsache, dass nicht 
alle Carcinome die Reaktion geben.“ 


Bemerkungen 

zu J. Portmann’s Notiz: Eine neue Modifikation der Wasser- 
mann’schen Reaktion. 

Von 

Alex. Zalozieeki (medizinische Klinik, Leipzig). 

P. teilt in Nr. 4 dieser Woohenschrift mit, dass er „infolge ge¬ 
wisser theoretischer Ueberlegungen“ den Immunamboceptor bei der 
Wassermann’schen Reaktion durch destilliertes Wasser ersetzt und hierbei 
in 96 von 100 Fällen Uebereinstimmung der Resultate mit der Original¬ 
methode erzielt habe. 

Es kann niemandem, der mit den einschlägigen Verhältnissen ver 
traut ist, zweifelhaft sein, dass in der vorgeschlagenen Versuchsanordnung 
die Lösung der Hammelblutkörperchen durch die in den meisten mensch¬ 
lichen Seren vorhandenen Normal am boceptoren erfolgt und dass 
der Zusatz des destillierten Wassers bestenfalls dem Versuch nichts 
schadet, auf alle Fälle aber überflüssig ist. Da die Lumbalflüssigkeit 
Hammelbluthämolysine nicht oder nur in Spuren enthält, muss sie bei 
der angegebenen Anordnung ein positives Resultat Vortäuschen, wie dies 
auch der Autor in einem Falle fand. 

Es handelt sich also nicht um irgendeinen Ersatz des Immun- 
amboceptors, sondern einfach nur um ein Fortlassen desselben, d. h. um 
denselben Vorgang, der kurz nach der Entdeckung der Wassermann- 
Reaktion von Bauer als eigene Modifikation vorgeschlagen wurde, auf 
den aber bereits vorher von M. Neisser und Sachs bei der Bordet- 
Gengou’schen Komplementbindungsreaktion hingewiesen worden war. 

Portmann’s Vorschlag steht also auf gleicher Stufe mit dem 
Brieger und Renz 1 )« die den Amboceptor durch eine Kalichloricum- 
lösung 1:150 ersetzen wollten, und dem von Manoiloff 2 ), der ihn gar 
durch Hundemagensaft (!) 1:100 ersetzte, weil er beobachtet hatte, 
dass man syphilitischen Kranken, die an Magenstörung litten, mit Erfolg 
natürlichen Magensaft verordnen könne, was ihn an einen chemischen 
Zusammenhang zwischen Magensaft und Luestoxin denken liess (!!). — 
Brieger und Renz mussten vier Wochen nach ihrer ersten Publikation 
diese zurücknehmen 8 ), über Manoi loff’s Arbeit ist man, soweit ich die 
Literatur übersehen kann (wohl mit Recht), stillschweigend zur Tages¬ 
ordnung übergegangen. 

Schürmann’s Farbenreaktion und deren Fiasko ist noch in aller 
Erinnerung. 

Angesichts all dieser Tatsachen, die keineswegs geeignet sind, das 
Ansehen unserer Wissenschaft zu heben, dürfte es wohl berechtigt sein, 
den Wunsch auszusprechen, dass sich die Autoren erst mit den 
theoretischen Grundlagen und der Geschichte jenes Gebietes vertraut 
machen, das sie mit neuen Methoden zu bereichern gedenken. Dies war 
ehedem selbstverständlich. 


Erwiderung auf vorstehende Bemerkungen. 

Von 

Josef Portmani. 

Die Deutung der Wirkung des destillierten Wassers ist nach einer 
Auffassung, die Herr Professor L. Michaelis mir mündlich mitteilte 
und zu veröffentlichen mich ermächtigt hat, in einer Kombination zweier 
hämolytischer Agentien zu suchen: des natürlichen Amboceptors und 
der Anisotonie. Jeder einzelne dieser Faktoren reicht bei der gegebenen 
Versuchsanordnung nicht aus, um selbst in negativ reagierenden Fällen 
die Hämolyse hervorzurufen, wohl aber die Kombination beider. Die 
Auffassung, dass diese Modifikation mit der Bäuerischen im Wesen ver¬ 
wandt ist, ist daher berechtigt, auch die Auffassung, dass die Methode 
für Cerebrospinalflüssigkeit nicht angewendet werden kann. Dagegen 
trifft es nicht zu, dass man bei der beschriebenen Anordnung das 
destillierte Wasser auch weglassen könne. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. In der Sitzung der Berliner medizinischen Gesell 
schaft vom 29. Januar gab vor der Tagesordnung Herr Bier eine Er¬ 
klärung über das.Friedmann’sche Mittel gegen Tuberkulose ab (s. oben). 


1) Deutsche med. Woohenschr., 1909, Nr. 50. 

2) Central bl. f. Bakteriol., I., Orig., Bd. 57, S. 4G3 f. 

3) Deutsche med. Wochenschr., 1910, Nr. 2. 


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240 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 5. 


Herr M. Wolff demonstrierte eine Pneumothoraxoperation bei Tuberkulose. 
Hierauf hielt Herr Abel den angekündigten Vortrag: Die Elektrokoagu- 
lation bei der operativen Behandlung des Krebses, speziell des Gebär¬ 
mutterkrebses (Diskussion: die Herren Holländer, Hammerschlag, 
Buoky, James Israel, Falk, Borohardt, Abel). 

—* In der Sitzung der Hufelandischen Gesellschaft vom 
23. Januar erstattete nach Verlesung des Protokolls der vorjährigen 
Generalversammlung Herr Karewski den Jahresbericht, Herr M. Cohn 
den Kassenbericht, dessen Richtigkeit von den Kassenrevisoren, den 
Herren Gust. Simon und Hirsch, bestätigt wurde. Zum 1. Vorsitzenden 
wurde Herr Strauss, zu stellvertretenden Vorsitzenden die Herren 
Oppenheim, Ewald und v. Hansemann gewählt, zu Schriftführern 
die Herren Patschkowski, J. Ruhemann und Stornier wieder¬ 
gewählt, in die Aufnahmekommission die Herren Gust. Simon, Hirsch, 
Alb. Cohn, Casper, Bein, Finkeistein und W. Alexander, zu 
Kassenrevisoren die Herren Hirsch und Gust. Simon. Ein Antrag, 
die Sitzungen künftig schon um VzS Uhr beginnen zu lassen, wurde ab¬ 
gelehnt. Herr Kraus sprach über Lungenabscess (Diskussion: Herr 
Strauss). Herr Brugsch beleuchtete die Differentialdiagnose der 
chronischen Gelenkentzündungen (Diskussion: die Herren Goldscheider, 
Hildebrand, Umber, Oppenheim, Buttermilch). Herr Citron 
empfahl die externe Behandlung der Plaut-Vincent’scben Angina mit 
Salvarsan (Diskussion: Herr S. Hirsch). Herr Peritz demonstrierte 
aus dem Gebiete der Hypophysiserkrankungen (Diskussion: die Herren 
Gottschalk, Kraus, Hänisch, E. Schlesinger, Goldscheider, 
Oppenheim, Strauss, Mosse). Herr Plesch entwickelte das Krank¬ 
heitsbild der Hemipathie (Diskussion: die Herren Peritz, Förster, 
Goldscheider, Kraus, W. Alexander). 

— In der ordentlichen Generalversammlung der Berliner uro- 
logischen Gesellschaft am 28. d. M. wurden anstelle des statuten- 
mässig ausscheidenden Vorsitzenden, Herrn Posner, Herr L. Casper 
und an dessen Stelle HerrWossidlo zum stellvertretenden Vorsitzenden 
gewählt. Die übrigen Mitglieder des Vorstandes und Ausschusses wurden 
wieder- und in letzteren Herr C. Ben da neugewählt. Vor der Tages¬ 
ordnung demonstrierte Herr Rumpel einen Fall von operierter Pyo- 
nephrose; sodann hielt Herr A. Lewin den angekündigten Vortrag über 
Blasenkrebs bei Anilinarbeitern (Diskussion: die Herren Rumpel, Man- 
kiewicz, J. Israel, Casper). Herr Strauss sprach über die Prognose 
der Nephritis (Diskussion: die Herren Roth, Schneider-Brückenau, 
Casper). Zum Schluss demonstrierte Herr W. Israel eine Reihe von 
Präparaten zur Nierenchirurgie. 

Giessen. Unter dem Vorsitz des Geheimen Medizinalrats Professor 
Dr. Vossius - Giessen hat sich am Sonntag, den 19. Januar a. c., eine 
Vereinigung der hessischen und hessen-nassauischen Augen¬ 
ärzte konstituiert, der bisher 60 Herren beigetreten sind. Es ist eine 
zweimalige Zusammenkunft der Mitglieder im Jahre zu wissenschaftlichen 
Sitzungen beabsichtigt, die abwechselnd in Giessen, Marburg und den 
grösseren Städten des Bezirks abgebalten werden sollen. 

— Ara 1. Februar feiert Hofrat Ottokar Chiari, der gegenwärtig 
den Lehrstuhl der Laryngologie an der Wiener Universität bekleidet, 
seinen 60. Geburtstag. Am Vormittage findet in der Klinik eine Feier 
statt, bei der ihm eine Festschrift von seinen Schülern überreicht wird, 
und der Abend wird seine zahlreichen Freunde und Verehrer zu einem 
Bankett im Riedehof vereinigen. 

— Als Nachfolger des verstorbenen Pädiaters Soltmann in 
Leipzig war an erster Stelle Finkelstein vorgeschlagen. Wie wir 
heute hören, ist aber Thiemisch - Magdeburg berufen. Dass Herr 
Finkeistein seinem Berliner Wirkungskreis erhalten bleibt, wird in 
den Kreisen seiner Kollegen und Klienten sicherlich mit Freuden be- 
grüsst werden. 

— In der ordentlichen Mitgliederversammlung des Aerzte-Vereins 
des Berliner Retttungswesens, am 28. Januar, wurde zuuächst der 
Jahresbericht erstattet, hierauf der Kassenbericht und der Bericht über 
die Tätigkeit der Rettungswachen. Im laufenden Jahre wurden die Ein¬ 
richtungen des Aerzte-Vereins in 20 863 Fällen (einschliesslich Kranken¬ 
transporte) in Anspruch genommen, von denen 15 607 auf die sechs 
vom Verein verwalteten Berliner Hilfswachen entfallen. Seit dem 
1. Dezember 1897 bis 81. Dezember 1912 ist seitens des Aerztevereins 
in 193 879 Fällen (einschliesslich Krankentransporte) Hilfe geleistet 
worden. Der bisherige Vorstand wurde durch Zuruf wiedergewählt, und 
zwar die Herren Geheimräte L. Alexander (Vorsitzender), Henius 
(stellvertretender Vorsitzender), Professor George Meyer (ärztlicher 
Direktor), Dr. 0. Salomon (Kassenführer), Dr. P. Jacobsohn (Schrift¬ 
führer), ferner die Herren Dr. Baron, Geheimrat Phil. Herzberg, 
H. Rosenberg, Thiele als Beisitzer. Eine lebhafte Erörterung fand 
bei der Frage der Verstadtlichung des Rettungswesens statt. Es wurden 
gegen die Durchführbarkeit einzelner Punkte der Vorlage für die Stadt¬ 
verordnetenversammlung, besonders gegen einen dreistündigen Wacht- 
dienst und gegen das festgesetzte Stundenhonorar lebhafte Bedenken in 
der Versammlung geäussert. — Seitens der Stadtverordnetenversammlung 
wurde übrigens die Vorlage am 20. Januar angenommen. 

— Dem Orchesterverein Berliner Aerzte wird sich nun auch 
ein Chorverein von Aerzten zugesellen. Recht so! Lange Zeit ge¬ 
nossen die Berliner Kollegen wegen ihrer Zerrissenheit eines wenig 
freundlichen Rufes in der deutschen Aerztewelt. Jetzt hat die Not 
sie nicht bloss gemeinsam beten, sondorn auch geigen und singen ge¬ 
lehrt. Der genannte Orchester verein veranstaltet übrigens am 14. Februar 


im Thiergartenhof sein erstes Konzert, mit dem er zunächst in Form eines 
„Familienabends“ vor eine engere Oeffentlichkeit tritt. Ein Tanz und 
musikalische Vorträge heiteren Charakters nach der Don Juan-Ouvertüre, 
Mozart’s D-Moll-Konzert für Klavier (Dr. Vollmann) und Orchester und 
Mozart’s Symphonie Nr. 40 sind in das Programm mitaufgenommen. 

— Wie sich aus einer von der „Frau in Haus und Beruf“ ver¬ 
anstalteten Umfrage ergibt, sind von 125 Aerztinnen (die übrigen 50 unter- 
liessen eine Antwort) 47 verheiratet, von denen fast alle (43) auch in 
der Ehe ihren Beruf weiter ausüben und 28 mit Aerzten verheiratet sind. 

— Im deutschen Reichstag wurde am 28. Januar über die Aus¬ 
übung des Krankenpflegeberutes verhandelt und damit eine Ange¬ 
legenheit berührt, die schon lange die Aufmerksamkeit der Aufsichts¬ 
behörden verdient; denn wer in grösseren Krankenhäusern tätig war, 
kennt die maasslosen Anforderungen, die an unsere Krankenschwestern 
bei miserabler Bezahlung gestellt werden. Mit Recht wies der Präsi¬ 
dent des Reichsgesundbeitsamtes, Geheimrat Bumm, auf das hohe Maass 
körperlicher Leistungen und Pflichterfüllung hin, die vor diesem Beruf 
die grösste Hochachtung abnötigt. Auch ist beizustimmen, dass die 
weiblichen Krankenpfleger im allgemeinen schlechter gestellt sind als 
die männlichen. Arbeitszeiten von 12, 13, ja 16 Stunden kommen vor, 
und, wie wir hinzufügen können, Nachtwachen von 3-, 4- und 6 wöchiger 
Dauer, wobei überdies, zum Teil mangels geeigneter Räume, uicht einmal 
in ausreichender Weise für die nötige Erholung und Ruhe bei Tage ge¬ 
sorgt ist. Diese aufopferungsvollen jungen Damen sind im allgemeinen 
viel schlechter gestellt als Dienstmädchen, und die Zustände erheischen 
dringend der Abhilfe. Aus den Ausführungen von Gebeimrat Bumm 
ist mit Genugtuung zu entnehmen, dass nunmehr Vorschläge zur Rege¬ 
lung des Dienstes seitens der Reichsbehörde gemacht worden sind. Ob 
dies durch Reichs- oder Landesgesetze erfolgen wird, hängt noch von 
den Aeusserungen der Einzelstaaten ab. 

— Eine Neuordnung des Oberamtsarztdienstes in Württem¬ 
berg tritt am 1. April d. J. in Kraft, wonach eine grosse Anzahl von 
höher besoldeten Aerzten angestellt werden. 

— Ein eigenartiges Testament hat ein dänischer Arzt gemacht: 
Dr. Roh me II stiftete 10 000 Kronen, aus deren Zinsen für die armen 
Insassen der Irrenanstalt Roskilde und des „Allgemeinen Krankenhauses“ 
Kautabak gekauft werden soll. 

Hochschulnachrichten. 

Dresden. Der frühere Direktor der Universitäts-Frauenklinik in 
Königsberg, Geheimrat Dohrn, feierte hier sein goldenes Professoren¬ 
jubiläum. — Breslau. Der Privatdozent Dr. Forschbach erhielt den 
Titel Professor. — Frankfurt a. M. Zum Prosektor am Senckenberg- 
schen pathologischen Institut wurde Dr. E. Goldschraidt in Bern er¬ 
nannt. — Wien. Dr. Mitlacher, ao. Prof, der Pharmakologie, ist 
gestorben. 


Amtliche Mitteilungen. 

Personalien. 

Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 3. Kl.: ausserordentl. Pro¬ 
fessor, Geh. Med.-Rat Dr. K. Sudhoff in Leipzig. 

Stern zum Königl. Kronen-Orden 2. Kl.: Leibarzt S. M. des 
Königs von Sachsen, Generalarzt z. D. Dr. W. S e 11 e in Dresden. 

Königl. Kronen-Orden 2. Kl. mit dem Stern: Ministerialdirektor, 
Geh. Rat Dr. Rumpelt in Dresden. 

Königl. Kronen-Orden 3. Kl.: Privatdozent, Geh. San.-Rat Dr. K. 
Seeger in Kiel, Geh. Med.-Rat Dr. A. Tenholt in Münster i. W. 

Königl. Kronen-Orden 4. Kl.: Oberarzt Dr. H. Koeppen an der 
Militärtechnischen Akademie. 

Charakter als Geheimer Medizinalrat: Kreisärzte, Med.-Räte Dr. 
Moritz in Halberstandt, Dr. Hesse in Lüneburg, Dr. Hunnius in 
Wandsbek, Dr. Lernmer in Alfeld, Dr. Platten in Berlin-Schöneberg, 
Dr. Kühn in Calbe a. S., Dr. Racine in Essen, Dr. Ziehe in Hom¬ 
burg v. d. H. und Dr. Wolff in Elberfeld. 

Prädikat Professor: Privatdozent Dr. J. Forschbach in Breslau, 
Oberstabsarzt Dr. Sinnhuber in Königsberg i. Pr. 

Niederlassungen: Dr. S. Meyersohn in Schivelbein. 

Verzogen: Generaloberarzt a. D. K. Plagge von Giessen nach Bad 
Homburg v. d. H., Dr. P. B. Schulz von Freiburg nach Saarbrücken, 
Dr. F. Weins von Gross-Tychow nach Neumagen, Dr. F. Lüttig 
von Bochum und Dr. X. F. Steber von Nürnberg nach Aachen, Dr. 
H. Lessing von Reisen als Schiffsarzt und Dr. E. Meyer von Frei¬ 
burg i. Br. nach Berlin, Dr. B. Lewin von Amerika nach Belgard 
a. Pers., Dr. W. Urtel von Bielschowitz nach Neudorf, Dr. M. Zehbe 
von Breslau nach Kattowitz, Arzt A. Solger von Kattowitz nach 
Rostock, Arzt F. Meyer von Neuheiduk nach Chemnitz, Arzt E. 
Janik von Breslau nach Orzesche, Dr. R. Obst von Neuheiduk nach 
Mikultschütz, Dr. F. Neumann von Lützen nach Mühltroff i. S., Dr. 
W.Zedelt von Karlsruhe nach Merseburg, Dr. K. 0. Weidenmüller 
von Eisleben nach Schkeuditz, Dr. F. Aussendorf von Loschwitz 
nach Artern, Dr. F. Möller von München nach Halle a. S., Dr. E. 
Przygode von Halle a. S. nach Stuttgart, Dr. A. Laabs von Halle 
a. S. nach Bremen, Dr. F. Maier von Zeitz nach Weissenburg in 
Bayern, Dr. H. Kölle von Breslau nach Cassel. 

Gestorben: San.-Rat Dr. L. Falk in Hamm. 


Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hans Hohn, Berlin W., Bayreutlier Strasse 42. 


Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4. 


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Dl« B«r!ln«r KlloUcb« Wo«h«n5ohrifl erscheint Joden 
Montag In Nummern von ea. ft—6 Bogen gr. 4. — 
Preis TierteIJihrlich 6 Mark. Bestellungen nehmen 
alle Bachhandlungen und Postanstalten an. 


BERLINER 


Alle Binsendungen für die Redaktion and Sxperfftfofl 
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung 
August Hirschwald In Berlin NW., Unter den Linder 
No. 68, adressieren. 


KUN ISCHE WOCHENSC HBIFT. 


Organ für praktische Aerzte. 

Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen« 

Redaktion : Expedition: 

Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posner und Dr. Hans Kohn. August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin. 


Montag, den 10. Februar 1913. JK6. 


Fünfzigster Jahrgang. 


INHALT. 


Origiaaliei: Rehn: Die Chirurgie des Herzens und des Herzbeutels. 
S. 241. 

Klieueberger: Ueber Narkolepsie. (Aus der psychiatrischen und 
Nerrenkiioik zu Königsberg. (Illustr.) S. 246. 

Behrend: Ein Fall von isolierter traumatischer Lähmung des Nervus 
suprascapularis. (Aus dem Kreis-Krankenhaus in Frauendorf bei 
Stettin.) S. 249. 

Loewenthal und Seligmann: Ein Paratyphusbacillus ohne Gas¬ 
bildung. (Aus der bakteriologisch-hygienischen Abteilung des 
Untersuchungsamtes der Stadt Berlin.) S. 250. 

Rabinowitsch: Leprabacillen im kreisenden Blute der Lepra¬ 
kranken und im Herzblute eines Leprafötus. (Aus der chemisch¬ 
bakteriologischen Abteilung des Gouvernements Semstwo-Kranken- 
hauses in Charkow.) S. 252. 

Aronson: Ueber die Giftwirkung normaler Organ- und Muskel¬ 
extrakte. (Aus dem Laboratorium des Kaiser und Kaiserin 
Friedrich Kinder-Krankenhauses in Berlin.) S. 253. 

Segäle: Ueber die biochemische Differentialdiagnose bei Toxi- 
peptiden- und Methylalkoholvergiftungen. S. 255. 

Bly: Gelenktuberkulose. (Illustr.) S. 256. 

Pilf: Ueber die Ursachen des Geburtenrückganges in Deutschland. 
S. 261. 

Bficherbesprechugen: Abderhalden: Fortschritte der naturwissen¬ 
schaftlichen Forschung. S. 264. Pinoussohn: Medizinisch-chemi¬ 
sches Laboratoriums - Hilfsbuch. S. 264. (Ref. Wohlgemuth.) — 
Cornet: Die Scrofulose. S. 264. (Ref. Klotz.) — Pfeiffer: Ueber 
den Selbstmord. S. 264. Levy-Suhl: Die Prüfung der sittlichen 
Reife jugendlicher Angeklagter und die Reformvorschläge zu § 56 
des Deutschen Strafgesetzbuches. S. 265. (Ref. Marx.) — Neisser 
und Jaoobi: Iconographia dermatologica. S. 265. (Ref. Joseph.) 


Literatur-Auszüge: Physiologie. S. 265. — Pharmakologie. S. 267. — 
Therapie. S. 267. — Allgemeine Pathologie und pathologische 
Anatomie. S. 268. — Diagnostik. S. 269. — Parasitenkunde und 
Serologie. S. 269. — Innere Medizin. S. 269. — Psychiatrie und 
Nervenkrankheiten. S. 271. — Chirurgie. S. 272. — Röntgenologie. 
S. 273. — Haut- und Geschlechtskrankheiten. S. 273. — Geburts¬ 
hilfe und Gynäkologie. S. 273. — Augenheilkunde. S. 274. — Hals-, 
Nasen- und Ohrenkrankheiten. S. 274. — Hygiene und Sanitätswesen. 
S. 275. — Gerichtliche Medizin. S. 275. — Unfallheilkunde und 
Versicherungswesen. S. 275. — Militär-Sanitätswesen. S. 275. — 
Technik. S. 275. 

Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften: Berliner medizinische 
Gesellschaft. Bier: Erklärung über das Friedmann’sche Mittel 
gegen Tuberkulose. S. 276. Wolff: Pneumothoraxoperation bei 
Tuberkulose. S. 276. Abel: Die Elektrocoagulation bei der ope¬ 
rativen Behandlung des Krebses, speziell des Gebärmutterkrebses. 
S. 277. — Physiologische Gesellschaft zu Berlin. S.279. — 
Schlesische Gesellschaft für vaterländische Kultur zu 
Breslau. Medizinische u. staats- u. rechtswissenschaft¬ 
liche Sektion. S. 279. — Verein der Aerzte Wiesbadens. 
S. 282. — K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. S. 283. 

Leo: Carl Binz +. S. 284. 

Hoffmann: Ueber die Notwendigkeit der besseren Ausbildung der 
deutschen Studierenden in Haut- und Geschlechtskrankheiten. S. 285. 

Goldstein: Erwiderung auf die Artikel des Herrn Geheimrats Wolf in 
Nr. 49 und 50, 1912, dieser Wochenschrift. S. 286. — Wolf: Ent¬ 
gegnung auf vorstehende Erwiderung. S. 287. 

Samson: Zur Entfieberung Lungentuberkulöser mittels kleinster Tuber¬ 
kulindosen. S. 287. ' 

Tagesgeschiohtl. Notizen. S.287. — Amtl. Mitteilungen. S.288. 


Die Chirurgie des Herzens und des Herzbeutels. 

Von 

Hi* Rehn. 


Dar Zweck dieser Zeilen ist, dem Leser einen kurzen Ueber- 
blick über den derzeitigen Stand der Herz- nnd Herzbeutel- 
Chirurgie zu geben, ferner hier und da darauf binzudeuten, was 
für die nächste Zeit erstrebenswert ist. Die Hoffnungen, welchen 
•ich v. Micnlicz hingegeben hat, haben sich nicht verwirklicht. 
Nach wie vor stehen die Herzklappenfehler als ein Noli me 
tangere da. Auch die neuesten Bestrebungen einiger amerikani¬ 
scher Chirurgen, das Herzinnere operativ anzugreifen, werden 
daran nichts ändern. Sehr wohl aber könnte gelegentlich die Ent¬ 
fernung einer Kugel aus den Herzkammern in Betracht kommen, 
veil hier die Gefahr einer tödlichen Embolie besteht. Derartige 
Embolien sind einige Male beobachtet worden von Schlofer nnd 
anderen. Bei kleinkalibrigen Geschossen wird ein Znwarten 
vielleicht weniger Gefahren in sich schliessen als ihre Ent¬ 
fernung ans den Ventrikeln. Wie wir durch Trendelenburg 
wissen, werden Kugeln wie Schrote lebhaft in der Herzkammer 
kin- und hergeworfen. Mit der Zeit werden diese Fremdkörper 
durch Fibrinniederschläge eingekapselt nnd fixiert 

Gewisse Hersverletznngen finden noch nicht die genügende 
Aufmerksamkeit der Aerzte. Die Art ihrer Entstehung und die 


Seltenheit ihres Vorkommens machen dies erklärlich. Doch sind 
zweifellos Fälle darunter, die gerettet werden könnten. Es sind 
einmal die Verletzungen des Herzens durch stumpfe Gewalt, die 
in ihrer Art sehr wechseln. Platzrupturen mit grosser Zerreissung 
der Herzmuskulatur kommen nicht auf den Operationstisch, sie 
enden zu rasch tödlich. Allein es sind eine Anzahl Verletzungen 
des Herzens durch stumpfe Gewalt beschrieben worden, die sehr 
wohl einen rettenden Eingriff erlaubt hätten. Zum anderen habe 
ich Fälle im Auge, wo verschluckte Nadeln vom Oesophagus aus 
in den Herzbeutel eingedrungen sind und durch Verletzung des 
Herzens oder durch eitrige Pericarditis den Tod herbeiführten. 
Auch hier kann eine Operation sehr wohl lebensrettend wirken. 

Ganz gewiss sind weitere Fortschritte hinsichtlich der ent¬ 
zündlichen Prozesse des Pericards wünschenswert und zu erwarten. 
Ich verweise hier zum Studium auf die vortreffliche Arbeit des 
verstorbenen Curschmann in der deutschen Klinik. Noch sterben 
zu viele Fälle von Pericarditis ohne Diagnose, d. h. ohne einen 
Versuch, zu helfen. Die Erkrankung ist allerdings nicht so 
häufig, dass der einzelne Arzt imstande wäre, sich eine reichere 
Erfahrung zu sammeln. Auch bei richtig und zeitig gestellter 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


242 


Diagnose der Pericarditis bleibt bezüglich der Behandlung noch 
manches za wünschen und manches Wichtige strittig. Bezüglich 
der Stellen, wo ein Herzbeutel punktiert und nicht punktiert 
werden darf, ist wohl jetzt Klarheit geschaffen. Strittig bleibt, 
ob bei serösen und hämorrhagischen Exsudaten nicht statt der 
Punktion öfter die Pericardiotomie angewendet werden soll. Noch 
in letzter Zeit ist, wie früher schon Brentano, v. Walzel, 
gestützt auf Fälle aus der v. Eiselsberg’schen Klinik, für eine 
erweiterte Anwendung des Schnittes eingetreten. Bemerkenswert 
sind Wenckebach’s Versuche, durch Einführung steriler Luft in 
den Herzbeutel eine raschere Ausheilung der exsudativen Peri¬ 
carditis berbeizuführen. Es ist in der Tat keineswegs gleich¬ 
gültig, ob ein Pericardialexsudat längere oder kürzere Zeit be¬ 
steht, ganz abgesehen von etwaigen Bewegungshemmungen des 
Herzens durch das Exsudat oder von den Gefahren des Herz¬ 
druckes. Jede entzündliche Affektion im Pericard zieht, wie wir 
schon von Virchow wissen, das Myocard mehr oder weniger io 
Mitleidenschaft. Wir fanden bei unseren Experimenten eine Be¬ 
stätigung dieser längst bekannten, aber therapeutisch zu wenig in 
Betracht gezogenen Tatsache. Je länger ferner eine Pericarditis 
besteht, desto sicherer müssen wir auf spätere ausgedehnte intra- 
pericardiale Verwachsungen, sowie auf eine Beteiligung der 
Pleurae mediastinales am Entzündungsprozess rechnen. Ais End¬ 
produkt der letzteren entsteht die schwielige Mediastinopericar- 
ditis. Es muss ein Hauptziel unserer Bestrebungen sein, diese 
fatalen Folgezustände der Pericarditis zu vermeiden oder auf ein 
möglichst geringes Maass zu beschränken. Wir haben bei unseren 
Experimenten in dem Jodipin ein Mittel kennen gelernt, welches 
in dieser Beziehung Erfolg verspricht. 

Wir kommen nun zur Sache selbst und beginnen mit den 
Verletzungen des Herzens. 

Die erste glückliche Herznaht hat der operativen Behand¬ 
lung der Herzverletzungen den Weg gebahnt. Die Notwendigkeit, 
blutende Herzwunden, gleichviel welcher Art, operativ anzu¬ 
greifen, ist wohl zurzeit allgemein anerkannt. Es ist zwar richtig, 
dass gewisse Herzwunden einer Spontanheilung fähig sind, allein 
auf einen so seltenen, glücklichen Zufall dürfen wir uns nicht 
verlassen. Die Statistik, zuletzt von E. Hesse bearbeitet, lehrt 
uns, dass von 219 operativ behandelten Herzverletzungen 47 pCt. 
heilten und 53 pCt. starben. Es ist begründete Hoffnung vor¬ 
handen, dass die Mortalität noch weiter herabgesetzt werden 
wird. Die Misserfolge bei Herzoperationen beruhen wesentlich 
auf zwei Ursachen, dem Blutverlust und der Infektion. Diesen 
beiden Gefahren haben wir vor allen Dingen zu begegnen. Was 
den Blutverlust während der Operation betrifft, so haben wir ge¬ 
lernt, durch eine Kompression der Hoblvenen fast blutleer am 
Herzen zu operieren. Dass während einer Herzoperation die 
allersorgfältigste Asepsis am Platze ist, versteht sich von selbst. 
Wenn irgend möglich, sollte unter Druckdifferenz operiert werden. 

Die Diagnose und Behandlung der Herzwunden. 

Wir unterscheiden Stich-, Schnitt-, Schusswunden des Herzens 
und Verletzungen durch stumpfe Gewalt. Borchardt hat eine 
Pfählungsverletzung geheilt. Die Herzwunden können penetrierende 
und niebtpenetrierende sein. Ein Projektil, eine Messerklinge 
kann die Scheidewand des Herzens durchbohren, ohne die Herz¬ 
kammern zu eröffnen. Es gibt Rinnenschüsse der Ventrikel, 
welche nicht perforieren. Allein bei weitem die meisten Herz¬ 
wunden sind penetrierende. Am häufigsten sind die Stich- und 
Schnittwunden des Herzens. Die Statistik zeigt weiter, dass die 
Verletzungen der Herzkammern bei weitem überwiegen. Zuweilen 
betrifft die Verletzung nur eine Wand des Herzens, nicht selten 
aber durchsetzen ein langes Messer oder eine Kugel die vordere 
und hintere Herzwand. Auf dieses Vorkommnis muss jeder ge¬ 
fasst sein, der ein verletztes Herz freilegt. Ebenso muss man 
wissen, dass eine Herzwand durch eine Kugel durchbohrt werden 
kann, ohne dass der Herzbeutel eine Schussöffnung aufweist. 
Praktisch wichtig ist ferner, zu wissen, ob ein Instrument abge¬ 
brochen ist und im Herzen steckt. Niemals darf der Arzt das 
steckengebliebene Instrument eher entfernen, bis das Herz zur 
Naht freiliegt, weil bei der Entfernung des Instruments aus dem 
Herzen momentan eine vehemente Blutung einsetzt, die den Tod 
herbeiführt ehe wir helfen können. 

Die Symptome der Herzverletzungen. 

In der Regel ist die Herz Verletzung mit einem ausgesprochenen 
Shock verbunden. Die weiteren Erscheinungen sind durchaus 
wechselnde. Die Verwundungen des Herzens haben an sich 


durchaus kein charakteristisches Zeichen, es sei denn, dass das 
verletzte Herz stossweise direkt nach aussen blutet oder ein 
systolisches Spritzgeräusch zu hören ist. Beides ist äusserst 
selten. Die Blutung beherrscht das Symptomenbild. Mit dem 
Moment der Eröffoung einer Herzkammer schiesst systolisch ein 
Blutstrahl hervor. Es entsteht eine momentane Blutdrucksenkung, 
und es erfolgt ein Shock. Der Shock ist vielleicht auch als 
Reflexwirkuog von seiten des Epicard aufzufassen. Er kann 
vollkommen febleo, wenn die Herzwunde nicht blutet, so, wenn 
der Herzmuskel schief durchbohrt ist. Es ist natürlich auch 
ein Unterschied, ob das Herz durch ein feines, schmales Messer 
gewissermaassen nur punktiert wurde, oder ob ein Schnitt die 
Herzmuskelfasern ausgiebig getrennt bat. Abgesehen davon ist 
die Blutung nach dem Sitz der Herzwunden verschieden. Aus dem 
rechten dünnwandigen Ventrikel blutet es bei einer Verletzung 
stärker als aus dem linken, dessen kräftige Muskulatur sich besser 
zusammenschliesst. Die Verletzung der Vorhöfe macht stärkere 
Blutung als eine Ventrikelverletzung. Eine Verletzung derArteria 
coronaria kann je nach ihrem Sitz zu starken Blutungen Veran¬ 
lassung geben. Man hat aber sogar durch Verletzung der Coronar- 
venen pralle Füllung des Herzbeutels mit Blut enstehen sehen. 

Das aus dem Herzen strömende Blut verursacht sehr häufig 
Herzgeräusche. Es kann sich ergiessen je nach der Verletzung 
in den Herzbeutel, in den Pleuraraum, in das Abdomen, in das 
Mediastinum oder nach aussen. Am häufigsten finden wir das 
ergossene Blut im Herzbeutel und im Thorax. Ausserordentlich 
charakteristisch wird das Bild der Herzverletzungen, wenn das 
Blut aus der Herzwunde ausschliesslich oder vorwiegend in den 
Herzbeutel fiiesst. Es kommt dann zu den Erscheinungen des 
Herzdruckes, der Herzkompression oder der Herztamponade. 
Dieses Bild sollte jeder praktische Arzt kennen. Es tritt blitz¬ 
ähnlich auf, wenn eine starke Blutung in den geschlossenen Herz¬ 
beutel erfolgt, wie z. B. beim Platzen eines Aneurysma. Auch 
durch eine Herzverletzung kann ein Patient in kürzester Frist 
durch Herzdruck zugrunde gehen. Je derber der Herzbeutel, je 
rapider die Blutung, desto eher kommt es zu einer verhängnis¬ 
vollen Spannung im Pericard, die schon an sich die Herz¬ 
bewegungen mächtig erschwert. Sobald aber der Druck im Peri¬ 
card den Druck in den grossen Venen und den beiden Vorhöfen 
übersteigt, wird der Blutzufluss zum Herzen aufgehoben, das Herz 
pumpt leer und steht still. Das sind die grfnz schlimmen Fälle. 
Es gibt andere, die sich über Stunden, über Tage, ja über Wochen 
und Monate hinausziehen, bevor sie tödlich endigen (chronischer 
Herzdruck, Fischer). Verschiedene Ursachen wirken dahin, das 
Krankheitsbild zu variieren. Einmal kann es langsam in den 
Herzbeutel bluten, so dass der Herzbeutel Zeit hat, sich ent¬ 
sprechend zu dehnen. Zum anderen kann die Wunde im Pericard 
sich der Spannung nachgebend erweitern. Das Blut bat einigen 
Abfluss, so dass der Herzdruck nur eine gewisse Höhe erreicht. 
Endlich ist es möglich, dass durch die Spannung im Herzbeutel 
die Blutung aus dem Herzen gemässigt wird. Es bildet sich ein 
Thrombus in der Herzwunde. Die Blutung aus dem Herzen steht 
definitiv oder, wie es die Regel ist, für kurze Zeit. Das gefähr¬ 
liche Spiel wiederholt sich. 

Woran erkennen wir nun die Spannung im Herzbeutel? Wo 
es möglich ist, muss eine Röntgendurchleuchtung vorgenommen 
werden. Es gibt aber auch klinische Symptome, die vollwertig 
sind. Die Spannung des Herzbeutels verursacht Oppressionsgefühl 
und Schmerzen in der Herzgegend, die in den linken Arm und 
in die Oberbauchgegegend ausstrablen. Die Muskeln der Ober¬ 
bauchgegend sind gespannt. Die Leber schwillt an. Die Halsvenen 
sind stark gefüllt. Der Puls ist dünn, aussetzend. Es ist Atem¬ 
not vorhanden. Es kommt zu heftigen Angstzuständen, ja Kon¬ 
vulsionen. Perkutorisch erkennt man die wachsende Herzdämpfung. 

Wenn der Herzdruck fehlt, und E. Hesse hat ihn in 40 pCt. 
seiner Fälle vermisst, dann sind wir bei einer Herzverletzung, 
abgesehen von etwaigen Herzgeräuschen, auf die Zeichen der an¬ 
dauernden, inneren Blutung hingewiesen. Wir richten unser 
Augenmerk in erster Linie auf einen wachsenden Hämothorax. 
Nach E. Hesse’s Berechnung aus dem relativ grossen Material 
des Obuchow-Krankenhauses in Petersburg werden etwa 30pCt. 
aller Herzverletzten in bewusstlosem Zustande dem Krankenhause 
zugeführt. Solche Patienten machen den Eindruck eines 
Sterbenden, aber man braucht an ihrer Rettung nicht zu ver¬ 
zweifeln. Für die Diagnose einer Herzverletzung kommt endlich 
die Lage der äusseren Wunde und die Art der Verletzung sehr 
in Betracht. Die Erfahrung hat gezeigt, dass in 62 pCt. der 
Stich- und Schusswunden des Herzens die äussere Wunde der 


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10. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


243 


Herzgegend entsprach. Relativ selten finden wir bei Herz- 
verletzungen die Symptome eines Hämopneumopericards (Mühlen¬ 
geräusch). Die Verletzung der Pleura, die in etwa 80 pCt. der 
Fälle vorhanden ist, verläuft meist symptomlos. Wir müssen 
aber gestehen, dass eine Anzahl Hersverletzungen nach wie vor 
bezüglich der Diagnose unsicher bleiben wird. Bei sicherer Dia¬ 
gnose ist ein sofortiger Eingriff geboten. 

Allerdings wird es Verhältnisse geben, z. B. auf dem Lande, 
die gebieterisch ein Zu warten verlangen. Wendel freilich hat 
auf dem Lande unter beschränkten Verhältnissen eine lebens¬ 
rettende Operation vorgenommen, und ich muss zugestehen, dass 
uns die Notwendigkeit auch auf dem Lande zu einem Eingriff 
iwiogen kann, will aber zugleich betonen, dass zunehmende 
Herzbeutelspannung mit gefährlichen Herzdrucksymptomen besser 
durch eine Herzbeutelpunktion beseitigt werden sollte. Wir ge¬ 
winnen dann eine kostbare Zeit zur Ueberführung des Patienten 
in ein Krankenhaus. Ich würde im allgemeinen lieber das Be¬ 
denkliche eines Transportes anf mich nehmen, als die Gefahren 
einer Operation auf dem Lande. Man erhöht wesentlich die Aus¬ 
sichten einer Herzoperation, wenn man den Patienten in der 
Klinik bei peinlichster Asepsis, genügender Assistenz und unter 
Druckdifferenz operieren kann. Wie soll man sich bei zweifel¬ 
haften Fällen verhalten? Kranke mit Verdacht auf eine Herz¬ 
verletzung bedürfen einer andauernden, ärztlichen Ueberwacbung. 
Alles muss zur Operation vorbereitet, der Kranke in der Nähe 
des Operationsraumes untergebracht sein. Bei zunehmender 
Anämie, bei wachsendem Hämothorax wird sofort zur Operation 
geschritten. Bin Bluterguss im Herzbeutel indiziert in gleicher 
Weise einen Eingriff, auch wenn die Herzdrucksymptome gering 
Bind. Im längeren Zuwarten liegt eine grosse Gefahr für den 
Patienten. Wir wissen durch die Veröffentlichung Fischer’s, 
dass es Fälle gibt, in denen eine Herzwunde durch lang an¬ 
haltende Blutung nach monatelangem Verlauf unter der Er¬ 
scheinung der Herzinsuffizienz zum Tode führte. Unser Stand¬ 
punkt, möglichst frühzeitig zu operieren, wird endlich noch 
dadurch gestützt, dass ein Patient mit gut vernähter Herzwunde 
für die Zukunft besser daran ist, als ein Patient mit spontan 
geheilter Wunde. Die experimentellen und anatomischen Unter¬ 
suchungen lehren uns, dass der Herzmuskel nur in ganz be¬ 
scheidenem Maasse befähigt ist, sich zu regenerieren. Die Defekte 
werden durch Granulations- und Narbengewebe geschlossen, dessen 
Neigung zur Aneurysmabildung mit der Breite der bindegewebigen 
Narbe zanimmt. 

Welche allgemeinen Grundsätze lassen sich für die Operation 
einer Herzverletzung aufstellen? 

Ich hebe hervor, dass es keine Methode gibt, die allen Herz¬ 
verletzungen gerecht wird. Der einzelne Fall entscheidet über 
die Art des Eingriffes. Hat die äussere Verletzung ihren Sitz 
in der Herzgegend, so wird man die Wunde erweitern und dem 
Wnndkanale folgend weiter Vordringen. Auf diese Weise kommt 
man mit Sicherheit zu dem verletzten Herzteil. Je dringender 
der Fall ist, desto weniger Rücksicht kann auf die Pleura ge¬ 
nommen werden. Bs gilt dann nur ein Gebot: „Rasches Vor¬ 
dringen auf den Herzbeutel, genügend Platz schaffen für die 
Herznaht! u Dann erst soll der Herzbeutel angeschnitten werden. 
Gibt ein grosser lntercostalschnitt nicht genügend Raum, und 
das ist öfters der Fall, so müssen die Rippen am Sternum ab¬ 
getrennt werden, eventuell sind Stücke des Brustbeines zu ent¬ 
fernen. Es gibt Fälle, die ein anderes Vorgehen erheischen. Bs 
sind die zweifelhaften Fälle, welche wohl den Verdacht auf eine 
Herzverletzung nahelegen, aber keine Zeichen eines erheblichen 
Hämothorax aufweisen. Hier scheint mir eine Operationsmethode 
ata Platze, die sehr rasch und einfach auszuführen und relativ 
wenig verletzend ist. Die Pleurahöhle muss geschont werden. Es 
soll sich um eine probeweise Eröffnung der Pericardialhöhle handeln. 

Pericardiotomie im Angulus costo-xyphoideus. 

Ein Hautschnitt verläuft in 8—10 cm Ausdehnung parallel 
dem linken Rippenbogen über die Basis des Processus xyphoideus. 
Durchtrennung der Bauchmuskulatur dem Hautschnitt entsprechend. 
Indem man direkt subcostal und substernal weiter vordringt, 
kommt man auf den Zwerchfellansatz und die sogenannte Larrey- 
zche Spalte. Die Zwerchfellfasern müssen genügend weit getrennt 
werden, dann liegt die Basis des Herzbeutels frei von Pleura vor. 
Man muss wissen, dass der gefüllte Herzbeutel recht erheblich 
in das Abdomen hineinrückt und die Leber herabdrängt. Je ge¬ 
füllter also der Herzbeutel, desto leichter ist die geschilderte 
Operation. Mao kann nun den Herzbeutel an seiner vorderen 

, . i! 


Basis abtasten, bei emporgedrängtero Herzen punktieren und be¬ 
liebig weit quer einschneiden. Man hat den Herzbeutel an seinem 
tiefsten Punkt eröffnet. Die Operation kann unter Lokalanästhesie 
in wenigen Minuten ausgeführt werden. Findet man Blut im 
Herzbeutel und will unter Schonung der Pleura das Herz weit 
blosslegen, so werden durch einen zweiten Schnitt dem linken 
Rande des Sternums entlang die Knorpelansätze der Rippen bis 
etwa zur vierten Rippe aufwärts blossgelegt. Indem man sich 
mit einem Blevatorium dicht an die hintere Brustbeinfläche hält, 
löst man die unteren Zacken des Mnaculus transversus thoracis 
vom Brustbein und schiebt die Pleura vorsichtig nach aussen. 
Unter dem Schutze des Fingers werden die einzelnen Rippen von 
unten nach oben hin vom Sternum abgetrennt, bis man genug 
Platz hat. Ist bisher die Schonung der Pleura gelungen, so 
deckt man mit Kochsalztampons die abgelöste Pleura, drängt sie 
weiter zurück und trennt zwischen dritter und vierter Rippe Haut 
und Intercostalmuskulatur, so dass man bequem den Knochen- 
weichteillappen nach aussen ziehen kann. Wenn es nötig ist, so 
kann man durch Resektion des Sternums sich leicht weiter Platz 
schaffen. Der Herzbeutel liegt in grosser Ausdehnung frei, und man 
kann ihn getrost öffnen. Bs wird alles zur Herznaht vorbereitet sein. 

Ausser zur Probepericardiotomie eignet sich die extrapleurale 
Operation besonders für die Fälle, welche vorwiegend die Zeichen 
einer Blutung in das Pericard aufweisen. Bin einfacher Pneumo¬ 
thorax bildet keine Kontraindikation. Die Methode ist aber 
kontraindiziert, wenn anderweitige Verletzungen im Thorax oder 
im Abdomen nicht mit Sicherheit auszuschliessen sind. 

Die meisten Lappenmethoden, die zur Freilegung des 
Herzens in verschiedenster Form empfohlen worden sind, wurden 
in letzter Zeit mehr und mehr verlassen. Pleurahöhle und Peri¬ 
card sind nach der Herznaht von Blut zu reinigen und ohue 
Drainage zu verscbliessen. 

Eine besondere Würdigung verdienen endlich die Herz- und 
Herzbentelverletzungen durch stumpfe Gewalt. Infolge der 
Unfallgesetzgebung bat man ihnen grössere Aufmerksamkeit ge¬ 
schenkt. Für das Verständnis derselben muss man dm Auge be¬ 
halten, dass die Elastizität des Thorax eine grosse Rolle 
spielt. Bei einem jugendlichen, elastischen Brustkorb kann man 
das Brustbein derartig nach hinten drücken, dass es die Wirbel¬ 
säule berührt. Auf diese Weise kann bei einem Unfall das Herz 
zwischen Brustbein und Wirbelsäule gequetscht werden. Bei 
einem starren Thorax wird diese Art der Verletzung kaum zu¬ 
stande kommen, dagegen können durch eine Fraktur des Brust¬ 
beines oder durch Kippensplitter Herzbeutel und Herz verletzt 
werden.. Nach Einwirkung von stumpfer Gewalt auf die Herz¬ 
gegend, seltener indirekt, wie durch einen Fall auf dass Gesäss, 
hat man die verschiedenartigsten Läsionen des Herzens bis zu 
den schwersten Platzrupturen entstehen sehen. Direkt im An¬ 
schluss daran kann sich ein Hämopericard entwickeln. Es ist 
ein Fall mitgeteilt, wo ohne jede Verletzung der Weichteile und 
Knochen ein Riss im rechten Herzohr zustande kam. 

Es ist selbstverständlich, dass bei beginnenden Symptomen 
von Herzdruck unverzüglich die Spannung im Herzbeutel zu be¬ 
seitigen eventuell eine Herzwunde zu schliessen ist. Es ist auch 
zu betonen, dass seröse, hämorrhagische und eitrige Entzündungen 
des Herzbeutels, die im Anschluss an solche Verletzungen ent¬ 
stehen können, zur rechten Zeit einer chrirurgiscben Behandlung 
unterworfen werden müssen. Es soll hier nur mit wenigen Worten 
auf die isolierten Verletzungen der Herzklappen und des Myocards 
hingewiesen werden, die durch stumpfe Gewalteinwirkungen zu¬ 
stande kommen. An den Klappen können Hämatome, vorzugs¬ 
weise an der Aorta, sowie Blutungen unter das Endocard zustande 
kommen, Klappenzipfel können abreissen. Im weiteren Verlauf 
kann sich eine Thromboendocarditis ausbilden, so dass richtige 
Klappenfehler entstehen. Neuerdings wurde mehrfach die Ent¬ 
wicklung von Aortenaneurysmen beobachtet. Heller nimmt an, 
dass unter dem Einfluss der Kompression des Thorax und einer 
plötzlichen Erhöhung des intraventriculären Druckes eine Ueber- 
dehnung der Aorta zustande komme, und dieser Ueberdehnung 
folge die Entwicklung des Aneurysmas. Praktisch ebenso wichtig 
sind auch die Fälle, wo nach Brustkontusion mehr oder weniger 
ausgedehnte Blutungen in das Myocard erfolgen, welche weiterhin 
zu Narbenbildungen mit den entsprechenden Folgezustäuden 
führen. Külbs hebt hervor, dass, je elastischer der Brustkorb 
ist, um so eher Herzschädigungen zustande kommen können. Er 
bat bei seinen Experimenten kleinere und grössere Verletzungen 
im Myocard hervorbringen können. Er sowie Eppinghaus 
stellten mikroskopisch fest, dassi sich mehr oder weniger grosse 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


Mengen roter Blutkörperchen zwischen die Muskelfibrillen ein- 
schieben und diese oft in grosser Ausdehnung verdrängen. Folge- 
zustände sind myocarditische Schwielen. Die in Rede stehenden 
Verletzungen zeichnen sich nun dadurch aus, dass sich mehr oder 
weniger lange Zeit nach der Verletzung Herzstörungen bemerkbar 
machfen, welche nnr durch eine Schädigung des Myocards zwang¬ 
los zu erklären sind. Eine ganze Reihe von Soldaten, die mit 
absolut leistungsfähigem Herzen eingestellt waren, wurden infolge 
von Herzschädigungen nach Brustkontusionen dauernd dienst¬ 
unfähig. F. W. Schulze hat 31 Fälle aus den Sanitätsberichten 
in der preussischen Armee gesammelt. Nach Kontusionen der 
Herzgegend trat Unregelmässigkeit und Beschleunigung der Herz¬ 
tätigkeit ein, und schliesslich entwickelte sich eine mehr oder 
weniger hochgradige Herzstörung, die meist die Entlassung der 
Soldaten veranlagte. In 15 Fällen bandelte es sich um einen 
Stoss mit dem Bajonettiergewehr auf die Herzgegend, in 7 Fällen 
wurde ein Hufschlag auf die linke Brustseite Grund zu der Er¬ 
krankung, in 7 Fällen ein Fall auf die liuke Brustseite. Be¬ 
zeichnenderweise wurden nur dreimal Rippenläsionen gefunden. Die 
jungen Soldaten erfreuen sich eben eines sehr elastischen Brustkorbes. 

Die chirurgische Behandlung der Pericarditis, der 
Lungenarterienembolie und'd^r Herzsynkope. 

Es steht fest, dass eine Pericarditis leichteren Grades, die 
meistens auf tuberkulöser Basis beruht, ohne chirurgische Ein¬ 
griffe mehr oder weniger völlig zur Ausheilung kommen kann. 
Etwa bei 80 pCt. aller Sektionen findet man Residuen dieser 
Erkrankung, die nie Beschwerden im Leben verursacht haben 
(Aschoff). Je länger aber der Entzfindungsprozess anhält, je 
intensiver er war, desto sicherer werden Residuen Zurückbleiben, 
die zu sekundären Cardiopathien führen. Das Myocard wird bei 
einer Pericarditis mehr oder weniger in Mitleidenschaft gezogen, 
so dass sich bei schwereren Formen der Pericarditis nach Ablauf 
der Entzündung Zeichen einer Herzmuskelerkrankung, even¬ 
tuell eine Dilatation des Herzens einstellen. Man kann zwei 
grosse Gruppen von Herzstörungen als Folgeerschei¬ 
nung einer Pericarditis unterscheiden, und zwar 

1. Herzmuskelschädigungen, welche durch den Entzündungs¬ 
prozess im Pericard und durch das die Herzbewegung er¬ 
schwerende Exsudat hervorgerufen werden, 

2. Behinderung der Herzbewegungen und der Füllung des 
Herzens durch pericardiale Verwachsungen und mediastino peri- 
cardiale Schwielen. 

Wie ich bei unseren Tierexperimenten sehen konnte, zeigen 
die pericardialen Verwachsungen die verschiedensten Abstufungen. 
Wir konnnten experimentell nachweisen, dass sich das Fibrin in 
dickeren Schichten zuerst an der Basis des Herzbeutels, sodann 
im Sinus transversus pericardii und präarteriellen Raum anbäuft. 
Hiermit stimmen die Erfahrungen bei Sektionen überein, dass wir 
an diesen Stellen die ersten Verwachsungen finden. Derartig 
lokalisierte Verwachsungen können unter Umständen zu schweren 
Folgeerscheinungen Veranlassung geben, so wenn die Cava inferior, 
oder seltener die Cava superior, durch Verwachsungen beengt 
wird (Pick’sche Krankheit). Wenn ein Teil des Pericards oblite- 
riert und im anderen Teil der exsudative Prozess weiter besteht, 
so kommt es zu partieller Ausbuchtung der Herzbeutelwand, zu 
einer Art Cystenbildung mit oft hämorrhagischem Inhalt. Ein 
weiterer Ausgang der exsudativen Pericarditis ist gekennzeichnet 
durch die Obliteratio sive concretio pericardii totalis. Endlich 
zieht eine Pericarditis entzündliche Prozesse in der Umgebung des 
Herzbeutels nach sich. Es bilden sich im Mediastinum binde¬ 
gewebige Narben und Schwarten. An diesem Prozess kann auch 
das Zwerchfell und die Leber teilnehmen. Es ist in letzter Zeit 
besonders durch Pick darauf hingewiesen, dass infolge von peri- 
carditischen Verwachsungen eine Stauung im Pfortadergebiet her¬ 
vorgerufen wird, so dass eine täuschende Aehnlicbkeit mit der 
bekannten Lebercirrhose gegeben ist. Die Beengung der Vena 
cava im Herzbeutel durch Narbenstränge braucht aber nicht die 
einzige Entstehungsart für die pericarditische Pseudolebercirrbose 
zu sein. Es gibt Fälle, wo die Leber primär mit in den Ent¬ 
zündungsprozess hineingezogen wird in Form der Zuckergussleber. 
Die Krankheit findet sich nach Pick besonders bei jungem Indi¬ 
viduen. Die Leber ist anfänglich vergrössert, bei längerer Dauer 
der Erkrankung auch geschrumpft. Es besteht nur Ascites ohne 
Oedeme. Bald wurde die Milz vergrössert, bald normal gefunden. 
Die geschilderten Erscheinungen haben als Gemeinsames die 
Stauung im Pfortadergebiet. Die grosse Bedeutung der Pick- 


schen Arbeit liegt, wie mir scheint, darin, dass es Folgezustände 
einer Pericarditis gibt, die sich nur im Stromgebiet der Pfortader 
bemerkbar machen. 

Aus den geschilderten Verhältnissen ergeben sich unsere 
Aufgaben in therapeutischer Beziehung. Sie zerfallen in zwei 
Teile, und zwar erstens in die Behandlung der Pericarditis 
exsudativa. Wir wollen vorwegnehmen, dass die eitrige Form 
der Pericarditis nach allgemeiner Uebereinstimmung mittels Schnitt 
und Drainage behandelt werden muss. Bei Pericarditis serosa, 
serofibrinosa, eveotuell haemorrhagica (Pericardialexsudate haben 
relativ häufig eine mehr oder weniger stark blutige Beimischung, 
offenbar infolge der Herzbewegungen; man darf in diesem Falle 
nicht gleich an eine maligne Grundlage denken) bedient man sich 
meist der Pericardiocentese. Als Indikation gelten einmal gefähr¬ 
liche Drucksymptome von seiten des Pericardialexsudates (indicatio 
vitalis), zum anderen, wenn die Aufsaugung eines Exsudates zu 
lange auf sich warten lässt. 

Bei der Entleerung eines Pericardialexsudates muss die Ver¬ 
letzung des Herzens unter allen Umständen vermieden werden. 
Es ist sicher, dass ein Kranker durch Punktion des Herzens so¬ 
fort getötet werden kann. Zweifellos sind weit mehr Todesfälle 
nach Herzpunktion vorgekommen, als publiziert wurden. Es 
scheint ein Widersprach darin zu liegen, dass nach einem Stieb 
der Punktionsnadel io das Herz ein rascher Tod eintritt, während 
dies bei Stich- und Schussverletzungen nur in einer Anzahl sehr 
schwerer Herzwunden vorkommt. Die Erklärung liegt darin, 
dass es sich in einem Fall um gesunde, im anderen um schwer 
geschädigte Herzen handelt. Eine kleine Blutung in den Herz¬ 
beutel genügt, uro ein schwer krankes Herz zum Stillstand zu 
bringen. Wir wissen, dass die Hauptmasse des Herzens bei einem 
Pericardialexsudat an ihrem normalen Platz bleibt, dass ferner 
das Herz der vorderen Brustwand dicht anliegt Als ich vor 
Jahren auf diese wichtige Tatsache hinwies, erhob sich vielfacher 
Widerspruch. Es wurden zahlreiche Versuche angestellt. Jetzt 
kann über die Lage des Herzens bei pericardialen Exsudaten 
nicht mehr gestritten werden. Wir dürfen also nicht an den 
Stellen punktieren, wo das normale oder das vergrösserte Herz 
getroffen werden kann. Diese kritischen Stellen müssen unbe¬ 
dingt vermieden werden. Drei Stellen eignen sich vor¬ 
nehmlich zur Entleerung den Herzbeutels: 

1. Eine Stelle ausserhalb des Spitzenstosses, bzw. wenn dieser 
nicht zu ermitteln ist, ausserhalb der' linken Mammillarlinie 
(Curschmann). 

2. Eine Stelle an der Basis des Herzbeutels, und zwar in 
dem Winkel, den der Ansatz der siebenten linken Rippe mit der 
Basis des Processus xyphoideus bildet. 

3. Kann man den linken grossen Recessus des Herzbeutels 
von der hinteren Thoraxwand aus anstechen (von Cursch¬ 
mann jun. ausgefübrt). 

Der letzte Einstich kommt besonders dann in Frage, wenn 
durch die massige Anfüllung des Herzbeutels der linke untere 
Lungenlappen komprimiert ist. Bei den unter 1 und 3 genannten 
Punktionsstellen wird die Pleura bzw. die komprimierte Lunge 
unter allen Umständen durchstochen, was bei eitrigen pericardialen 
Exsudaten vermieden werden muss. Bei Punktionsstelle 2 wird 
die Pleura sicher vermieden. Im Einzelfall wird man sich über¬ 
legen müssen, welche Einstichstelle gewählt werden soll. Bei 
Zweifel bezüglich der Natur des Exsudates empfiehlt es sich, den 
Herzbeutel blosszulegen und dann erst zu punktieren. Das kann 
leicht unter Lokalanästhesie geschehen. Es sind im allgemeinen 
nicht die Fälle mit grossem Exsudat, die uns bei der Pericardio¬ 
centese Schwierigkeiten bereiten. Es empfiehlt sich, stets zuerst 
mit einer dünnen Nadel zu punktieren, ehe man einen Troicart 
einsticht. Saugapparate sind unzweckmässig und unnötig. Man 
lässt das Exsudat unter den üblichen Kautelen abfiiessen, indem 
man den Troicart mit einem Schlauch armiert und das untere 
Schlauchende in ein Gefäss mit steriler Kochsalzlösung eintaucht. 

Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass wir auf das 
Eifrigste danach streben müssen, einen entzündlichen Prozess im 
Pericard möglichst rasch zu beseitigen, und es fragt sich, ob eB 
Mittel und Wege gibt, dies zu erreichen. 

Die Pericardiocentese bedeutet gewiss, sofern man genau die 
gebotenen Vorsichtsmaassregeln innehält, einen geringen Eingriff. 
Sie hat aber auch ihre Nachteile. Ihre Anwendung ist beschränkt 
auf die grossen Exsudate, d. h. auf die Fälle, bei denen der Herz¬ 
beutel weit über die Herzgrenzen hinaus erweitert und gefüllt ist. 
Die Punktion bei mässig gefülltem Herzbeutel ist gefährlich, weil 
das Herz allzuleicbt verletzt werden kann. Die Pericardiocentese 


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10. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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mit Durchbohrung der Pleura ist bei Exsudaten zweifelhafter 
Natur, d. b. wenn es sich um einen eitrigen Prozess bandeln 
kann, kontraindiziert. Sie muss öfters wiederholt werden, bis sie 
zur Heilung fuhrt. Sie ist also zeitraubend und überhaupt in 
ihrer Wirkung oft ungenügend. Wenckebach hat deshalb ein 
kombiniertes Verfahren eingeschlagen, indem er der entleerten 
Plüssigkeitsmenge entsprechend sterilisierte Luft in den Herz- 
beutel eintreten liess. Das Verfahren sollte weiterhin geprüft 
werden. Die Pericardiocentese muss endlich mit ganz besonderer 
Vorsicht ausgeführt werden, wenn der Herzbeutelerguss durch 
Verwachsungen eine atypische Form angenommen hat. 

Die geschilderten Nachteile machen es begreiflich, dass er¬ 
fahrene Autoren auch bei nicht eitrigen Ergüssen im Pericard für 
eioe ausgedehntere bzw. absolute Anwendung der Pericardiotomie 
eintreten. Die Methode, welche wir bevorzugen, haben wir bereits 
beschrieben. Die Vorteile einer Pericardiotomie sind in der Tat 
nicht gering einzuschätzen. Natürlich ist Vorbedingung, dass sie 
anter Schonung der Pleura ausgeführt wird. Der Schnitt kann 
frühzeitig, d. h. also bei kleinen Exsudaten in Anwendung kommen. 
Eioe Verletzung des Herzens ist ausgeschlossen. Er garantiert 
eine weit bessere Entleerung des Herzbeutels und erlaubt eine 
Reinigung von Blut- und Fibringerinnseln durch Ausspülen mit 
physiologischer Kochsalzlösung. Er bietet deshalb weit günstigere 
Aussichten für eine raschere Ausheilung der Erkrankung. Diesen 
Vorteilen gegenüber stehen auch Schattenseiten. Der Schnitt 
führt zu einem Pneumopericard. Entsprechend der Entleerung 
des Exsudates tritt Luft in den Herzbeutel ein. Die Gefahr einer 
sekundären Eiterung ist nicht auszuschHessen, um so weniger, 
wenn durch eine Drainage der Herzbeutel offengehalten wird. Es 
gibt freilich Mittel, die erwähnte Gefahr auf ein geringes Maass 
herabzusetzen, v. Walzel (v. Eiseisberg) hat darauf hin¬ 
gewiesen, dass bei Verwendung von Ueberdruck der angeschnittene 
Herzbeutel sehr gut entleert wird. Das kommt daher, dass die 
Lungen durch den Ueberdruck wie Luftkissen dem Herzbeutel 
angepresst werden. Wenn das Drainrohr mit einem Condom ver¬ 
sehen wird, so kann man auch späterhin das Eindringen von 
Luft verhüten. Die ersten Verbände sind unter Ueberdruck zu 
wechseln! 

E#9 ist weiter vorgeschlagen, ein solches Pericard nach der 
Bauchhöhle hin zu drainieren, und der Gedanke hat etwas für 
sich. A. v. Bergmann hat darauf hingewiesen, wie rasch sich 
ein Herzbeutelerguss, der nach der Pleura zu Abfluss hat, dort 
resorbiert. Dasselbe wird wohl auch bei dem Peritoneum der 
Fall sein. 

Wir haben bei unseren Tierversuchen in dem Jodipin ein 
Mittel gefunden, welches, in den Herzbeutel eingeführt, imstande 
ist, Verwachsungen im Herzbeutel zu bindern, bzw. sie auf ein 
geringes Maass herabzusetzen. Bei Menschen ist das Mittel noch 
nicht zur Anwendung gekommen. Wenn es hält, was es ver¬ 
spricht, so würden wir einen guten Schritt weiterkommen. 

Der zweite Teil unserer therapeutischen Aufgabe hat die 
Beseitigung der schlimmen Folgen einer Pericarditis, der intra- 
und extrapericardialen Verwachsungen, zum Gegenstand. Wir 
müssen feststellen, dass wir dieser Aufgabe zurzeit gar nicht oder 
nur sehr unvollkommen gerecht werden können. Freilich, die 
Möglichkeit, einzelne schnürende Stränge, sowohl im Pericard als 
ausserhalb desselben zu durchscbneiden, ist gegeben. Ein in 
bindegewebige Schwarten eingemauertes Herz können wir nicht 
befreien. Es ist ohne weiteres zuzugeben, dass die schwere Er¬ 
krankung auch einen grossen Eingriff rechtfertigt. So will 
Delorme das Herz aus seinen Verwachsungen ausschälen. Die 
Operation ist teils undurchführbar, teils nutzlos, wenn es nicht 
gelingt, neuen Verwachsungen vorzubeugen. Dazu könnte wohl 
eine Fettplastik von Nutzen sein. Soviel mir bekannt ist, hat 
man von Resultaten der Delorrae’schen Operation bisher noch 
nichts gehört. Wir müssen dankbar sein, dass uns Brauer 
wenigstens für einen Teil der Fälle ein Verfahren angegeben hat, 
das bereits recht gute Erfolge erzielte (Küttner u. a.). Brauer 
nannte seine Operation eine Cardiolysis. Der Name ist vielleicht 
nicht ganz zutreffend, aber man kann ihn schliesslich gelten 
lassen. Kocher hat den Namen Thoracolysis praedardiaca vor¬ 
geschlagen. Die Fälle, bei denen die Operation am Platze ist, 
kennzeichnen sich durch eine mehr oder weniger starke systolische 
Einziehung der Brustwand mit entsprechendem diastolischen 
Zurückfedern. Diese Erscheinung kann nur dadurch Zustande¬ 
kommen, dass erstens das Herz mit dem Herzbeutel verwachsen, 
zweitens der Herzbeutel an die vordere Brustwand gezogen und 
dort straff angeheftet ist. Wenckebach macht in diagnostischer 


Beziehung darauf aufmerksam, dass bei der Inspiration die der 
Herzgegend entsprechende Thoraxpartie wenig oder gar nicht be¬ 
wegt wird. 

Wir haben hier stets mit einem erkrankten Herzmuskel zu 
rechnen, dessen Diastole und ganz besonders dessen Systole er¬ 
schwert ist. Die Ventrikel können sich nur dadurch kontrahieren, 
dass sie die Brustwand mit nach innen ziehen. Es ist klar, dass 
eine Befreiung des Herzens von dieser Mehrarbeit in geeigneten 
Fällen von grossem Vorteil ist. Darüber ist nicht mehr zu 
streiten. Es ist aber begreiflich, dass auch Misserfolge beob¬ 
achtet wurden. Sie beruhen darauf, dass der Herzmuskel ent¬ 
weder schon zu weit geschwächt war, oder dass anderweitige 
Krankheitsprozesse es nicht zu einer Erholung des Herzens kommen 
Hessen. 

Die Brauer’sche Operation besteht darin, dass durch eine 
Rippenresektion, welche die Grenzen der systolisch eingezogenen 
Thoraxpartie gehörig weit überschreitet, die Thoraxwand nach¬ 
giebig gemacht wird. Die Einziehung der Weichteile macht 
fortan dem Herzen wenig oder gar keine Schwierigkeiten. Man 
hat früher grossen Wert darauf gelegt, das Rippeoperiost sorg¬ 
sam zu entfernen, um späterer Knochenneubildung vorzubeugen. 
Eine Erfahrung von Fritz König hat bewiesen, dass man das 
hintere Rippenperiost zurücklassen kann, ohne den Zweck der 
Operation zu gefährden. Dadurch wird das Verfahren sehr viel 
einfacher und gefahrloser. Man kann sich ganz gut der Lokal¬ 
anästhesie bedienen. 

Einen Weg, reich an Schwierigkeiten und noch zu lösenden 
Aufgaben, bedeutet die Operation der Lungenarterien¬ 
embolie nach Trendelenburg. Der Gedanke Trendelen- 
burg’s, die verstopfte Arteria pulmonalis von ihrem Gerinnsel 
zu befreien, ist genial. Wir müssen aber zunächst dahin streben, 
eine präzise Diagnose zu stellen. Busch berichtet aus Körte’s 
Klinik über zehn Fälle mit den Erscheinungan der Lungenarterien- 
embolie. Eine Operation wäre möglich gewesen. Vier Fälle er¬ 
wiesen sich auf dem Sektionstisch als Fehldiagnosen. Ritz¬ 
mann kam zu ähnlichen Resultaten. Küttner operierte, und es 
fand sich kein Embolus. Ein anderes Bedenken besteht darin, 
dass in der Tat eine Anzahl schwerer Lungenembolien 
ohne Operation genesen. Garre hat ans verschiedenen Zu¬ 
sammenstellungen einen Heilungsprozentsatz von mindestens 
17 pCt. berechnet. Es wäre wahrlich der Mühe wert, wenn man 
einen Teil der 83 pCt. Verlorenen retten könnte. 

Der Gang der Operation ist kurz folgender: Das Ostium der 
Arteria pulmonalis liegt hinter dem Sternalansatz der 3. linken 
Rippe. Durch einen geeigneten Schnitt — zur Orientierung für 
den praktischen Arzt will ich hier nur das wesentliche er¬ 
wähnen — wird der Herzbeutel eröffnet. Mit Hilfe einer ge¬ 
bogenen Sonde, welche durch den Sinus transversus pericardii 
geführt werden muss, wird ein Gummischlaucb um Aorta und 
Arterie pulmonalis gelegt. Der Schlauch wird kräftig angezogen 
und das Blut nach dem Herzen hin abgestaut. Die Arteria pul¬ 
monalis wird rasch eingestochen und die Thrombuszange ein¬ 
geführt. Man sucht den Embolus zu fassen und zu extrahieren. 
Es genügt, den Hauptembolus zu entfernen. Auf keinen Fall 
darf die Abstauung des Blutes länger als */« Minute dauern, 
eventuell soll man das Blut wieder einströmen lassen und den 
Versuch, den Embolus zu entfernen, wiederholen. Ueber einer 
Klemmzange wird schliesslich die Arteria pulmonalis durch Nähte 
geschlossen. Die grosse Gefahr der Operation beruht auf dem 
Versagen des Herzens. Als rein mechanisches Moment kommt 
die Ueberdehnung des Herzens in Betracht, wobei zu berück¬ 
sichtigen ist, dass bereits die Embolie in diesem Sinne wirkt. 
Den Folgen der Kohlensäurevergiftung in dem versagenden Herzen 
muss durch künstliche Sauerstoffatmung begegnet werden. 

Es will mir scheinen, dass es besser ist, die Arterienkom- 
pression ganz aufzugeben und durch Abklemmen der Hohlvenen 
das Blut vom Herzen abzustauen. Die Kompression der Hohl¬ 
venen wird besser vertragen als die Abklemmung der grossen 
Arterien. Will man nach diesem Vorschlag operieren, so bedarf 
es allerdings einer ausgedehnteren Freilegung des Herzens, als 
sie der Trendelenburg’sche Schnitt gibt. 

In der medizinischen Tagespresse wird in der letzten Zeit 
öfter über die direkte Herzmassage geschrieben. Die An¬ 
gaben über den Nutzen dieses jetzt wieder in den Vordergrund 
getretenen chirurgischen Eingriffs am Herzen sind so wider¬ 
sprechend, dass der Praktiker sich kaum ein Urteil bilden kann. 
Die direkte Herzmassage soll nach meinem Dafürhalten nur in 
verzweifelten Fällen versucht werden. Ganz besonders betone 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


ich, dass die Massage des Herzens durchaus keinen gleichgültigen 
Eingriff darstellt. Schwere Herzveränderungen, wie Blutungen in 
das Myocard, sind danach festgestellt worden (Roessle). Man 
bat demnach die Herzmassage sehr schonend auszuführen. 

Von den verschiedenen Verfahren ist die subdiaphragma¬ 
tische Methode von Lane am einfachsten und am wenigsten 
gefährlich. Das Abdomen wird über dem Nabel durch einen 
Längsschnitt geöffnet. Der Operateur geht mit der Hand unter 
das Zwerchfell nach dem Herzboden hin, umfasst das Herz und 
komprimiert es rhythmisch. Zum Gelingen gehört eine Er¬ 
schlaffung des Zwerchfells. Ich habe in einem Falle ein völlig 
starres Zwerchfell gefunden, so dass ein Umgreifen des Herzens 
unmöglich war. Wenn man in einem solchen Falle nicht zum 
Ziele kommt, so empfiehlt es sich, das Zwerchfell einzuschneiden 
und den Herzbeutel von der Bauchhöhle aus zu eröffnen. 
Mauclaire schneidet das Zwerchfell in seiner Mitte ein (trans- 
diaphragmatische Methode). Es ist einfacher, den Herzbeutel 
quer an der vorderen Brustwand einzuschneiden, wie ich es bei 
der Pericardiotomie empfohlen habe. 

Eine dritte Methode geht transthorakal vor. Man wird 
sich ihrer bedienen, wenn während eines Eingriffs am Herzen 


selbst oder bei geöffneter Pleurahöhle Herzstillstand eintritt. Der 
Intercostalscbnitt genügt, um vom Thorax aus auf das Herz vor¬ 
zudringen. Der Herzbeutel braucht in diesem Falle zur Herz¬ 
massage nicht eröffnet zu werden. 

v. Cachovic hatte unter seinen 46 Fällen 10 Erfolge zu 
verzeichnen, wobei der Hauptanteil auf die subdiaphragma¬ 
tische Methode fällt. Je früher die direkte Massage des 
Herzens beginnt, desto eher ist ein Erfolg zu hoffen. Wann soll 
nun die Massage beginnen? Zweifellos sind erst die übrigen 
Methoden zur Wiederbelebung anzuwenden. Es empfiehlt sich 
jedoch keinesfalls, länger wie 10 Minuten damit zu verbringen. 
Tritt die Synkope ein bei einem Bauchschnitt, so geht man, wenn 
künstliche Atmung nicht zum Ziele führt, sofort zur Herz¬ 
massage über. 

Ich fühlte in einem solchen Falle von Synkope durch das 
Zwerchfell hindurch das schlaffe, völlig unbewegliche Herz. 
Nach einigen sanften rhythmischen Kompressionen kam die Herz¬ 
tätigkeit wieder in Gang, und die Operation konnte ruhig be¬ 
endet werden. Der Kranke blieb am Leben. Dieser Fall ist 
jedoch nicht beweisend, da ich bei der Bauchoperation sofort nach 
Eintreten der bedrohlichen Symptome zur Herzmassage Oberging. 


Aus der psychiatrischen und Nervenklinik zu Königs¬ 
berg (Direktor: Prof. Dr. Ernst Meyer). 

Ueber Narkolepsie. 1 ) 

Von 

Privatdozent Dr. Otto Klieoeberger. 

M. H.! Ich möchte mir erlauben, Ihnen einen Kranken zu 
demonstrieren, der eine Reihe eigenartiger und nicht gerade 
häufiger Erscheinungen bietet. Es handelt sich um einen jungen, 
zwanzigjährigen Menschen mit narkoleptischen Anfällen, der am 
11. Oktober 1912 in die hiesige städtische Krankenanstalt auf¬ 
genommen und am 29. Oktober von Herrn Professor Hilbert der 
Nervenklinik überwiesen wurde. 

Gestatten Sie, bitte, dass ich Ihnen vor der Demonstration 
kurz mit einigen Worten über Geschichte und Klinik der 
Narkolepsie berichte. 

Der Name Narkolepsie ist vor etwa 30 Jahren von dem 
Franzosen Gelineau geprägt worden. Er verstand darunter ein 
Schlafbedürfnis, das sich vom natürlichen Schlaf wesentlich da¬ 
durch unterscheidet, dass es plötzlich sich einstellt, dass es in 
kurzen oder längeren Pausen sich wiederholt und dass sich ihm 
der Kranke in keiner Weise zu entziehen vermag; die Anfälle 
kamen ohne vorhergehende Ueberanslrengungen oder längeres 
Wachen, oft aber im Anschluss an Gemütsbewegungen, sie über¬ 
mannten den Kranken in allen Stellungen mit zwingender Gewalt, 
dauerten Sekunden, Minuten, selten länger und waren meist leicht 
zu unterbrechen. Gölineau unterschied diese Anfälle, die übri¬ 
gens bereits früher von Westphal beobachtet und als „eigen¬ 
tümliche Schlafzustände“ beschrieben worden waren, sehr wohl 
von der Epilepsie und Hysterie und kennzeichnete sie als eine 
spezifische Neurose, eine Erkrankung sui generis. In der Folge¬ 
zeit wurde eine Reihe meist kasuistischer Mitteilungen veröffent¬ 
licht, es wurden aber allmählich nicht mehr nur diese kurzen 
Schlafanfälle, sondern überhaupt alle möglichen pathologischen 
Schlafzustände der Narkolepsie zugerecbnet, es wurden immer 
wieder Gründe für und gegen Gelineau ins Feld gestellt, es 
wurde gestritten, ob die Narkolepsie wirklich eine selbständige 
Erkrankung oder nur ein Symptom darstellt; Verfechter der 
letzteren Anschauung subsumierten sie bald der Hysterie, bald 
der Epilepsie, bald brachten sie sie in Zusammenhang mit kata¬ 
tonischen uud anderen psychischen Störungen oder mit Stoff¬ 
wechselerkrankungen. 

In dieses Chaos brachte erst 1905 der Mannheimer Nerven¬ 
arzt Friedmann 2 ) Ordnung, indem er ausführte, dass „insbe¬ 
sondere bei jüngeren Personen und bei Kindern kurze eigentüm¬ 
liche Anfälle“ Vorkommen, „welche dem petit mal der Epileptiker 
ähnlich sind, aber doch symptomatisch weder diesem ganz 
gleichen, noch in der Regel ätiologisch mit der Epilepsie zu- 


1) Erweiterte Ausführung eines am 9. Dezember 1912 im Verein 
für wissenschaftliche Heilkunde gehaltenen Demonstrationsvortrages. 

2) Ueber die nicht epileptischen Absencen oder kurzen narko¬ 
leptischen Anfalle. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk., Bd. SO. 


sammenhängen. Die Anfälle sind im allgemeinen als kurze, oft 
nur Bruchteile einer Minute dauernde einfache psychische Starre¬ 
zustände zu beschreiben, welche sich vom nervösen Schwindel durch 
das Fehlen einer wirklichen Gleichgewichtsstörung-unter¬ 

scheiden, vom epileptischen petit mal dagegen durch das wohl¬ 
erhaltene Bewusstsein während der Anfälle“. Fried mann ver¬ 
fügte über 15 eigene Beobachtungen, 11 bei Erwachsenen, 4 bei 
Kindern, und konnte aus der Literatur 9 weitere zugehörige Fälle 
beibringen. Es bandelt sich in allen diesen Fällen nicht um 
eigentliche oder scblafähnliche Schlafzustände, „sondern vielmehr 
um eine kurzdauernde und unvermittelt einsetzende Hemmung 
der Herrschaft über die Sprache und die Glieder“. Für diese 
Zustände, die er als eine vorübergehende Hemmung der Hirn¬ 
rindenfunktion auffasst, will Friedmann die Bezeichnung narko- 
leptisch gewahrt wissen, und diese Einschränkung und Um¬ 
grenzung des Krankheitsbildes hat sich denn in der Tat seit der 
ausführlichen und kritischen Veröffentlichung Friedmann’s in 
der Literatur eingebürgert. 

In ganz vereinzelten Ausnahmen glaubt Friedmann Be¬ 
ziehungen der Narkolepsie zur Epilepsie feststellen zu sollen; in 
der weitaus überwiegenden Mehrheit seiner Fälle stellt die Narko¬ 
lepsie eine selbständige Neurose dar, oder sie ist endlich nur 
Ausdruck, Symptom einer bestehenden allgemeinen Nervosität 
oder Neurasthenie. Sie entsteht häufig auf dem Boden der er¬ 
erbten nervösen Disposition; familiäre Belastung durch ähnliche 
Anfälle, durch Epilepsie und nervöse Störungen ist durchaus nicht 
ungewöhnlich. Ihre Prognose ist immer günstig; und gerade die 
günstige Prognose rechtfertigt die Einräumung einer Sonderstellung 
für das den petit mal-Anfällen der Epilepsie so ähnliche Krank- 
beitsbild und lässt seine Kenntnis in weiteren Kreisen als 
wünschenswert erscheinen. Niemals führt die Narkolepsie zu 
irgendwelchen Störungen des Allgemeinbefindens oder zur Beein¬ 
trächtigung der geistigen Funktionen. Tritt sie als eine selb¬ 
ständige Neurose auf, so kann sie sich zwar über Jahre er¬ 
strecken, sie pflegt aber auch dann in der Regel noch auszuheilen. 
Ist sie nur Symptom einer bestehenden Neurasthenie, so klingt 
sie ab, wenn es gelingt, den Allgemeinzustand zu heben und die 
Nervosität zu bessern. Von der Hysterie unterscheidet sie sich 
darch die Gleichartigkeit und Einförmigkeit der einzelnen Anfälle 
sowie durch das Fehlen aller sonst für Hysterie charakteristischen 
Erscheinungen; von der Epilepsie durch die Beeinflussbarkeit der 
Anfälle im Auftreten und Verschwinden, durch ihre Vorliebe, in 
bestimmten Situationen (vorwiegend bei Beschäftigungen, Essen, 
Anziehen, sowie nach Aufregungen) aufzutreten, durch ihre Gleich¬ 
förmigkeit und die stets erhaltene Erinnerung sowie durch das 
Fehlen der bei so gehäuften epileptischen petit mal-Anfällen stets 
nachweisbaren psychischen Alteration im Sinne der epileptischen 
Cbarakterveränderung. Die Anfälle sind vorwiegend bei Jugend¬ 
lichen, Kindern und jungen Leuten unter 80 Jahren, beobachtet 
worden; sie kommen nur selten vereinzelt vor, meist treten sie 
gehäuft, oft bis über 100 an einem Tage auf. Eine besondere 
Therapie hat sich bisher nicht bewährt. 

Auch nach der Klärung der Narkolepsiefrage durch Fried¬ 
mann sind die Veröffentlichungen über Narkolepsie ausserordent- 


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lieh spärlich geblieben. Weiteie analoge Fälle sind erst einige 
Jahre später von Heilbronner 1 ) mitgeteilt worden} aus den 
letzten Jahren sind, soweit ich die Literatur übersehe, nur eine 
Beobachtung von Bonhoeffer 2 ), zwei von L. Mann 3 ) und einige 
weitere von Friedmann 4 ) hinzugekommeu. Mann konnte in 
seinen Fällen eine ausgesprochene Steigerung der elektrischen, 
insbesondere der galvanischen Erregbarkeit nach weisen und ist 
daher geneigt, „das Krankheitsbild der Narkolepsie in eine Be¬ 
ziehung zu den tetanoiden bzw. spasmophilen Zuständen zu 
bringen“. Die Beobachtung von Mann konnte bisher nur in 
zwei Fällen nachgeprüft werden; in einem Fall von Friedmann 
wurde sie bestätigt, in dem Fall von Bonhoeffer war eine 
Steigerung der elektrischen Erregbarkeit nicht nachzuweisen. 

Ich möchte Ihnen nunmehr über den Kranken berichten, der 
in unserer Klinik zur Beobachtung gekommen ist. 

Anamnestisch erfuhren wir vom Vater des Patienten, dass der 
nun 20jahrige Otto K. der älteste von 7 Geschwistern ist; er wurde 
einige Jahre vor der Verheiratung seiner Eltern geboren, da sein Vater 
zunächst der Militärpflicht genügen musste, unbemittelt war und nicht 
vorher heiraten konnte. Eine erbliche Belastung ist nicht nachweisbar; 
insbesondere könuen Epilepsie, Nervenleiden und Konstitutionskrankheiten 
in der Familie ausgeschlossen werden. Bereits bei Geburt des Patienten 
fiel auf — und Sie werden es wohl auch schon bemerkt haben (Figur 1) 
—, dass die linke Lidspalte enger war als die rechte, dass das linke 
obere Augenlid herabhing. Er entwickelte sich normal, lernte aber erst 
gegen Ende des zweiten Lebensjahres sprechen und laufen. Ausser 
Keuchhusten und Masern während der Schulzeit war er nie krank. In 
der Schule hat er nur mittelmässig gelernt; nach der Schulzeit war er 
zuerst in einer Zuckerfabrik, die letzten 6 Jahre in einer Möbelfabrik 
tätig. 

Figur 1. 



Vor einem Jahre erkrankte Patient an einer Lungenentzündung, er 
lag etwa vier Wochen zu Bett, sei aber auch danach noch einige Monate 
lang matt und kränklich gewesen. Seit dieser Zeit klagte er ab und 
zu über Kopfschmerzen und Frost und zeitweise auch über Schwindel¬ 
gefühl. Dann sei er allmählich anders, stiller und wortkarg geworden, 
weinte auch mitunter. Seit etwa dreiviertel Jahren ist den Eltern auf¬ 
gefallen, dass er langsamer wurde, zeitweise, besonders beim Anziehen, 
wie in Gedanken versunken stehen blieb, mitten in einer Bewegung. 
Es habe ausgesehen, als ob er manchmal ein Kleidungsstück nicht finde. 
Auch beim Essen habe er plötzlich Pausen gemacht. Vor etwa einem 
halben Jahre sei er wegen Misshelligkeiten im Geschäft, die ihn be¬ 
greiflicherweise sehr aufregten (es war ihm Unterschlagung vorgeworfen 
worden), entlassen worden. Seitdem haben die Anfälle beträchtlich zu- 
genoramen, so dass er keine neue Tätigkeit habe finden können. Die 
Anfälle seien an Häufigkeit sehr wechselnd. Wenn er im Zuge sei, 
gehe es besser; wenn er einmal irgendwo angestossen habe, an Tisch 
oder Schrank, gehe es gleich wieder schlechter. Zweimal sei er morgens, 
kurze Zeit nach dem Aufwachen, offenbar in solchen Anfällen, mit Urin, 
einmal mit Stuhl unsauber gewesen. Irgendwelche epileptischen 
Antecedentien waren nicht zu eruieren. Der Patient wird von seinem 
Vater als ein in jeder Beziehung sehr ordentlicher und solider Mensch 
geschildert; er habe sich auch seit seiner Krankheit nicht verändert, sei 
nicht reizbarer noch leichter erregbar geworden. 


Die uns von dem Patienten selbst gemachten Angaben 
decken sich im wesentlichen mit den anaranestischen Erhebungen. Er 
berichtet zudem, dass er bereits vor drei Jahren eine Zeitlang sehr 
häufig und sehr stark an Schmerzen im Hinterkopf und der Stirn ge¬ 
litten habe. Seit etwa einem Jahre hätten sich diese Schmerzen wieder 
eingestellt, sie treten einige Wochen hindurch wöchentlich etwa einmal 
auf, dauern wenige Stunden bis zu zwei Tagen, bleiben dann gewöhn¬ 
lich einige Wochen aus, um in der gleichen Art wieder zu kommen. 
Flimmern vor den Augen, Uebelkeit, Erbrechen u. a. seien dabei nicht 
vorgekommen. An den erwähnten Anfällen leide er seit etwa einem 
Jahre; seit Ostern, d. h. seit der Entlassung aus dem Geschäft, seien sie 
wesentlich häufiger geworden. Sie kommen ohne alle Vorboten, ganz 
plötzlich, aber nur, wenn er sich bewege, nicht beim Sprechen. Oft 
denke er noch, er wolle sich anstrengen, es müsse doch gehen; aber 
dann gehe es doch nicht. Besonders häufig seien sie beim Anziehen, 
namentlich morgens, sodann beim Essen und überhaupt bei allen Be¬ 
wegungen. Oft, wenn er aus dem Bett gehe, vom Stuhl, vom Klosett 
aufstehe, stocke er auf einmal mitten in einer Bewegung und komme 
nicht weiter. Während des Anfalls sei ihm schwindlig, die Augen sehen 
gar nicht dahin, wo sie hinsehen sollen; er habe die Hände und Augen 
gar nicht in Gewalt, „die gehen immer weg“; er komme sich mit einem 
Male ganz blöd vor. In einem solchen Anfälle könne er nichts tun, 
da sei mit einem Male „Halt“, dann könne er nicht mehr weiter, müsse 
warten, bis es vorbei sei. Besonders gern kommen die Anfälle, wenn 
über ihn geredet werde oder wenn ihm jemand zusehe. Während des 
Anfalls habe er auch oft ein Gefühl von Zucken in den Gliedern und 
könne nur schwer denken; ja, er habe überhaupt im Anfall ganz andere 
Gedanken, oder die Gedanken seien auf einer anderen Stelle. Das Be¬ 
wusstsein verliere er im Anfall nie, wisse vielmehr immer, was um ihn 
vorgehe, merke auch stets, dass der Anfall da sei. Er sei nie um¬ 
gefallen, habe sich nie auf die Zunge gebissen, auch nie etwas, das er 
gerade in den Händen hielt, fallen lassen. Einige Male sei es ihm, 
wenn er morgens habe aufstehen und schnell zum Klosett gehen wollen, 
passiert, dass er nicht mehr habe einhalten können und mehrmals Urin 
und einmal auch Stuhl unter sich habe gehen lassen; damals habe er 
gerade an Durchfall gelitten; es sei aber jedesmal nur ganz wenig ge¬ 
wesen, nach dem Anfall habe er vielmehr sein Bedürfnis normalerweise 
zu Ende verrichtet. 

Gleich im Anfang des Anfalls könne dieser, wenn ihn jemand an- 
rufe oder anstosse, unterbrochen werden; wenn der Anfall schon einige 
Zeit dauere, nutze Rufen und Anstossen nichts mehr. Nachts habe er 
nie Anfälle gehabt. 

Die Anfälle nun, über die uns von verschiedener Seite be¬ 
richtet wurde, sind auch von uns unzählige Male beobachtet 
worden. Beim An- und Ausziehen, beim Schreiben wie beim 
Essen und anderen Bewegungen verharrt der Patient plötzlich in 
beliebigen Stellungen einige Sekunden ganz regungslos oder zu¬ 
weilen die Hände in leicht deliranter Unruhe bewegend. Die 
Anfälle treten täglich auf, ausserordentlich gehäuft, bis zu 100 
und mehr, und zwar, wie bereits vermerkt, bei allen möglichen 
Bewegungen, nicht aber bei rhythmischen Bewegungen, z. B. bei 
Versuchen mit dem Ergographen u. a.; auch beim Lesen wurden 
Anfälle nicht beobachtet. Es gelang sehr häufig, aber durchaus 
nicht immer, den Anfall zu koupieren, sowohl durch die Auf¬ 
forderung, in der Bewegung fortzufahren oder irgendwelche andere 
Bewegungen auszuführen oder auf Fragen zu antworten, als auch 
zuweilen durch einfaches Anrufen. Das ganze Bild des Anfalls 
erweckt den Anschein, als ob der Patient plötzlich den Impuls 
zu einer bestimmten Bewegung verliere und eines neuen Impulses 
oder kurzer Ruhe bedürfe, um fortfahren zu können. Dadurch 
zeigen diese Zustäude eine gewisse Aehnlichkeit mit den bei 
Arteriosklerotikern beobachteten Schwankungen der Hirnrinden¬ 
funktion. 

Wir haben vier verschiedene Arten von Anfällen bei unserem 
Kranken beobachten können: 

1. Zuweilen sieht es aus, als ob der Kranke plötzlich in einer 
Bewegung langsamer wird, um sie nach kurzer Zeit wieder in 
schnellerem Tempo fortzusetzen. 

2. Der Kranke hält plötzlich mitten in einer Bewegung inne, 
verharrt mehrere Sekunden regungslos in derselben und fährt 
dann fort, als ob nichts gewesen sei (Figur 2). 

3. Der Kranke wiederholt plötzlich nach kurzem Stocken 
mehrmals die zuletzt ausgeführte Bewegung in kurzen ruckweisen 
Absätzen, ohne dass es zu einem Fortschreiten in der Bewegung 
kommt. 


1) Ueber gehäufte kleine Anfälle. Deutsche Zeitschr. f. Nerven- 
heilk., Bd. 31. 

2) Ein Fall von Narkolepsie. Diese Wochenschr., 1911, Nr. 27, 
Sitzungsbericht. 

3) Erregbarkeitssteigerung bei narkoleptischen Anfällen. Zeitschr. 
f. med. Eiektrol., 1911, Bd. 13. 

4) Zur Kenntnis der gehäuften nicht epileptischen Absencen im 
Kindesalter. Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie, 1912, Bd. 9. 


4. Der Krauke verharrt plötzlich in einer Bewegung und 
macht mit den Fingern leicht delirante Bewegungen, umfährt 
z. B. spielend mit Daumen und Zeigefinger einen Knopf oder 
macht feine Tastbewegungen mit den Fingern oder streckt die 
Finger eigentümlich spreizend aus, wie es auf Figur 3 und 4 sehr 
deutlich zum Ausdruck kommt, u. a. m. 

Eine Veränderung der Farbe des Kranken im Anfall oder 


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Nr. G. 


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Figur 2. 



des Aussehens überhaupt, Zuckungen und dergleichen konnten 
nicht festgestellt werden. Zuweilen bemerkte man ein aus¬ 
gesprochenes Grimassieren, eine zunehmende Unruhe der Mund- 
muskulatur, die auch sonst in der Ruhe häutig eine leicht 
vibrierende Bewegung zeigte, und ein lebhafteres Vibrieren und 
Zwinkern der Augenlider, eine Erscheinung, die übrigens auch 
Heilbronner beobachtet hat. Die Pupillen, die stets weit 
waren, die rechte weiter als die linke, schienen zuweilen im An¬ 
fall sich noch mehr zu erweitern; die Lichtreaktion war nach 
dem Anfall und so oft die Prüfung ira Anfall gelang, stets vor¬ 
handen. Auch Schmerzreize wurden im Anfall ebenso gefühlt 
wie sonst. 

Bemerken möchte ich noch, dass geistige Störungen bei dem 
Patienten nicht nachzuweisen sind. Er will übrigens auch selbst 
keine Aenderung an sich bemerkt haben; vielleicht sei er ver¬ 
gesslicher geworden, auch gehe es mit dem Denken nicht mehr 
so wie früher; er fühle sich nicht mehr sicher und denke viel 
darüber nach, wie er sich werde anziehen können und wie alles 


Figur 4. 



andere werde funktionieren. Meikfähigkeit und Gedächtnis sind 
gut. Die Stimmung war stets gleichraässig. 

Ich möchte mir jetzt erlauben, Ihnen den Kranken zu de¬ 
monstrieren, indem ich ihn auffordere, sich aus- und dann wieder 
anzuziehen 1 ). 

M. H.l Dass es sich bei dem Kranken nicht um epileptische 
pctit mal-Anfälle handelt, ist nach dem, was ich anfangs aus¬ 
geführt habe, wohl ohne weiteres einleuchtend. Es spricht da¬ 
gegen die Beeinflussbarkeit der Anfälle und vor allem die Tat¬ 
sache, dass sich der Kranke dieses Zustandes als krankhaft deut¬ 
lich bewusst und zwar immer bewusst ist. Es liegt ferner 
keine eigentliche Bewusstseinstrübung, sondern nur 
eine Bewegungshemmung vor. Die Anfälle sind weiterhin 
ausserordentlich häufig und haben trotzdem und trotz ihres langen 
Bestehens noch zti keiner epileptischen Charakterveränderung ge¬ 
führt. Sie sind endlich durch Brom nicht zu beeinflussen. 

Ebensowenig liegen Anhaltspunkte vor, die Anfälle als 
psychogen oder gar als hysterisch aufzufassen, wenngleich sie 
offenbar ira Anschluss an eine psychische Erregung sich ein¬ 
gestellt oder zum mindesten sich beträchtlich vermehrt haben 
und obwohl sie eine grosse Beeinflussbarkeit zeigen. Nicht nur 
dass sonst hysterische Stigmata fehlen, und dass das ganze Wesen 
des Patienten nicht das eines Hysterikers ist, auch die grosse 
Regelmässigkeit der Anfälle, von denen Sie sich ja selbst 
haben überzeugen können, ihre Eigenart, die gelegentliche In¬ 
kontinenz, die übrigens auch bei dem Kranken von Bonhoeffer 
beobachtet wurde, rechtfertigen die Annahme einer spezifischen 
Neurose im Sinne des von Friedmann aufgestellten Krankheits¬ 
bildes der Narkolepsie. Die Erkrankung stellt bei unserem 
Patienten auch nicht etwa ein Symptom bestehender Nervosität 
dar, sie muss vielmehr als ein selbständiges Leiden angesprochen 
werden. 

Ob die einzigen subjektiven Beschwerden, über die der Kranke 
zu Zeiten klagt, die in gewissem Sinne periodisch auftretenden 
Kopfschmerzen, mit der Narkolepsie ira Zusammenhang stehen, 
lasse ich dahingestellt. Jedenfalls scheint es mir nicht angängig, 
sie etwa als epileptische Aequivalente zu deuten; sie bieten an 
sich nichts Charakteristisches, auch zeigt Patient zurzeit der 
Kopfschmerzen, wie wir wiederholt feststellen konnten, weder im 
geistigen noch im körperlichen Befund irgendwelche Aenderungen. 

Auch in unserem Falle, und das macht ihn noch besonders 
interessant, ist die Narkolepsie, wenngleich eine erbliche Be¬ 
lastung nicht nachgewiesen werden konnte, doch wohl auf dem 
Boden einer psychopathischen Veranlagung gewachsen. So deutet 
nicht nur die Tatsache, dass Patient in der Schule schlecht ge¬ 
lernt hat, auf eine angeborene Schwäche der Hirnfunktion hin, 
dafür spricht auch der einleitende Depressionszustand (vergleiche 
den Kranken von Bonhoeffer), ferner die bei dem Patienten 

1) Bei der folgenden Demonstration, während des Anziehens, konnten 
deutliche Anfälle von Typus 2 und 4 der geschilderten Art gezeigt 
werden. 


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vorhandene leichte Asymmetrie des Kopfes, die geringe Diffe¬ 
renzierung der Ohren, das Angewachsensein der Ohrläppchen, 
vor allem aber eioe seit Geburt bestehende linksseitige Ptosis 
mit gleichseitiger Pupillenverengerung und Enophthalmus geringen 
Grades, also der bekannte Homerische Symptomenkomplex, der 
auf eioe (hier angeborene) Sympathicuslähmung 1 ) hinweist, die 
auch nach Ansicht der hiesigen Augenklinik (Prof. Schi eck) 
ihren Grund in einer kongenitalen Aplasie bat; auf dem rechten 
Auge besteht zudem eine Andeutung von Keratokonus und eine 
latente Divergenz, und endlich treten beiderseits bei seitlicher 
Blickrichtung nystaktische Zuckungen auf. 

Es fällt weiterhin eiue Blässe der Haut auf, der Hämoglobin¬ 
gehalt beträgt 70 pCt. (nach Sahli gemessen), der Blutdruck 
(nach Riva-Rocci) 105; die mikroskopische Betrachtung des 
Blutes ergibt normalen Befund. Blot und Liqnor verhalten sich 
serologisch nach .Wassermann negativ, der Liquor zeigt nor¬ 
malen Druck-, Zell- und Eiweissgehalt. Der Urin ist frei von 
Eiweiss und Zucker, auch alimentäre Glykosurie ist nicht vor¬ 
handen. 

Es finden sich weiterhin bei dem Kranken eine Neigung zu 
Zittern, Lidflattern, Lebhaftigkeit der Reflexerregbarkeit und vor 
allem eine Steigerung der mechanischen Muskelerregbarkeit, die 
wenigstens gelegentlich auch in einer Andeutung von Facialis- 
phänomen zum Ausdruck kam und somit vielleicht geeigoet ist, 
die von Mann behauptete Anschauung zu stutzen. Hingegen 
konnte die von Mann gefundene Steigerung der elektrischen Er¬ 
regbarkeit auch bei wiederholten Untersuchungen in unserem 
Falle nicht nachgewiesen werden. 

Auf vasomotorische Störungen, die gleichfalls als Ursache 
der narkoleptischen Anfälle angesprochen worden sind, deuten 
bei unserem Kranken eine Neigung ?u Kopfkongestionen, eine er¬ 
hebliche Steigerung der Herzerregbarkeit schon nach kleinen An¬ 
strengungen, zu der sich alsdann zugleich eine leichte Unregel¬ 
mässigkeit der Herztätigkeit gesellt, sowie die Beobachtung, dass 
sich bei und nach längerem Bucken die Anfälle zu häufen scheinen. 

Sonst sind von seiten des Nervensystems oder der inneren 
Organe krankhafte Veränderungen nicht nachzuweisen. 

Therapeutisch (Brom, Bettruhe, Suggestivbehandlung) konnten 
bisher Erfolge nicht erzielt werden; mit Rücksicht auf den viel¬ 
leicht bestehenden Zusammenhang mit vasomotorischen Störungen 
wurde eine entsprechende Behandlung (Nitroglycerin, später Pilo¬ 
carpin) eingeleitet; auch diese blieb zunächst ohne Erfolg. 


Aus dem Kreis-Krankenhaus in Frauendorf bei Stettin. 

Ein Fall von isolierter traumatischer Lähmung 
des Nervus suprascapularis. 

Von 

Chefarzt Dr. Bohrend. 

Im Januar 1911 wurde der Arbeiter Otto W. in das hiesige Kranken¬ 
haus aufgenommen mit folgender Anamnese: im Sommer 1910 — den 
Tag weiss er nicht genau ansugeben, da er dem Unfall zunächst 
keine Bedeutung beimass — war er dabei beschäftigt, in der Schmiede 
auf eine ihm hingehaltene Eisenstange zu hämmern. Dicht neben ihm 
standen an der Wand mehrere andere Eisenstangen von 3 m Länge und 
2 */* Zoll Dicke. Eine derselben fiel durch Zufall um und fiel dem W. 
angeblich von hinten auf die rechte Schulter, und zwar ungefähr auf 
die Mitte der Spina scapulae und die Mitte der Fossa supraspinala bis 
dieht an das Schlüsselbein heran. Die gestroffenen Teile schwollen 
angeblich an und schmerzten, W. blieb eine Woche zu Hause. 

Späterhin klagte er zwar noch über Schmerzen an der Schulter, 
diese Schmerzen behinderten ihn zunächst aber nicht nennenswert in der 
Arbeit. Erst nach einiger Zeit trat eine Schwäche des rechten Armes 
auf, so dass W. den Hammer nicht mehr ordentlich heben konnte. 
Wegen dauernder Zunahme dieser Schwäche des rechten Armes wurde 
W. endlich im Januar 1911, also ein halbes Jahr nach dem behaupteten 
Unfall, dem hiesigen Krankenhause überwiesen. 

Befund bei der Aufnahme: Es handelte sich um einen mittel¬ 
grossen, massig kräftig gebauten Mann mit gesunden inneren Organen. 
Bei Besichtigung des Pat. fiel sofort auf, dass die Fossa infraspinata 
dextra stark abgefiaeht war. Betastung ergab, dass die äussere Haat 


1) Andere Sympatbicusstörungen wurden bei dem Patienten nicht 
beobachtet; nach subcutaner Injektion von 2proz. Pilocarpin kam es zu 
gleichmässigem Schwitzen des ganzen Körpers, auch des Gesiehts; nach 
wiederholter Einträufelung von 1 prom. Adrenalin ins Auge trat keine 
nennenswerte Papillenerweiterung auf. 


über der Fossa dem Knochen in ganzer Ausdehnung der Fossa dicht 
anlag, dass also Teile des M. infraspinatus nicht mehr fühlbar waren. 
Auch die Fossa supraspinata erschien etwas abgeflaoht, wenn auch nicht 
in hohem Maasse. Alle übrigen Muskeln des Schultergürtels erschienen 
völlig intakt. Erheben des Armes fiel dem W. schwer und machte ihm 
anscheinend Schmerzen; der Arm konnte selbsttätig nur bis 45° über 
die horizontale Ebene erhoben in dieser Stellung aber längere 
Zeit festgehalten werden. Aus- und Einwärtsdrehung des Armes 
im Schultergelenk wurden völlig in normalen Grenzen ausge¬ 
führt, doch geschahen diese Bewegungen langsam und lösten an¬ 
scheinend erhebliche Schmerzen aus. Das Eintreten einer Subluxation 
im Schultergelenk beim Erheben des Arms war nicht nachweisbar, eben¬ 
sowenig wurden knackende Geräusche beim Erheben des Armes wahr¬ 
genommen. Störungen der Sensibilität an der Schulter lagen nicht vor. 

W. wurde ein Vierteljahr mit Massage und Elektrizität behandelt, 
mit sehr geringen Erfolge. 

Wichtig für die Beurteilung des Falles nun ist die Tatsache, dass 
bei einer jetzt im November 1912 erfolgten Nachuntersuchung der gleiche 
Befund erhoben wurde wie im Januar 1911. Nach wie vor handelt es 
sich nur um eine Lähmung der Mm. supraspinatus und infraspinatus. 
Alle übrigen benachbarten Muskeln sind völlig intakt. Dies wurde be¬ 
stätigt durch eine genaue elektrische Untersuchung; diese ergab im 

M. supraspinatus völlige Entartungsreaktion, der M. infraspinatus re¬ 
egierte auf^ elektrische Reize überhaupt nicht mehr. Alle übrigen be¬ 
nachbarten Muskeln aber reagierten völlig normal auf elektrische Reize. 

Es handelt sich also um eine isolierte Lähmung der von dem 

N. suprascapularis dexter versorgten rechtsseitigen Mm. supraspinatus 
und infraspinatus. Begonnen haben dio Krankheitserscheinungen Ende 
des Jahres 1910, nachdem im Sommer 1910 ein zunächst wenig be¬ 
achteter Unfall, bestehend in Fall einer Eisenstange von hinten auf 
die Spina scapulae und die Fossa supraspinata, stattgefunden. Die 
Folgen der Verletzung sind: Schwäche des rechten Armes, die sich be¬ 
sonders beim Erheben schwerer Gegenstände bemerkbar macht, Unfähig¬ 
keit, den Arm selbsttätig mehr wie 45° über die horizontale Ebene zu 
erheben, Verlangsamung der Aus- und Einwärtsdrehung des Armes im 
Schultergelenk, verbunden mit Schmerzen bei diesen Bewegungen. 

Dass besagte Krankheitserscheinungen Folgen des im Sommer 1910 
stattgehabten Unfalls sind, dürfte kaum zu bezweifeln sein. Die Eisen¬ 
stange ist auf die Fossa supraspinata gefallen, kann also durchaus das 
Endstück des N. suprascapularis getroffen und gequetscht haben. Ganz 
allmählich nach dem Unfall hat sich die Muskelschwäche eingestellt. 
Bei der Aufnahme des W. im Krankenhaus wurde das Bestehen eines 
Unfalls erst nach Befragen angegeben, W. hatte noch keine Schritte ge¬ 
tan, um eine Rente zu bekommen, Ünfallmeldung geschah erst auf meine 
Veranlassung nach genauer Feststellung des Befundes. 

Eine Erkältung war anamnestisch nicht feststellbar. 

Angaben über die isolierte Lähmung des N. suprascapularis 
habe ich gefunden erstens im Lehrbuch der Nervenkrankheiten 
von Professor Dr. H. Oppenheim im 1. Band, S. 507 der 5. Auf¬ 
lage und zweitens in einer vorzüglichen ausführlichen Arbeit, ent¬ 
haltend Beschreibung dreier Fälle dieses Leidens, in der Revue 
d’orthopödie, 1912, S. 213, La paralysie du nerv susscapulaire 
par le Dr. M.Guibe. Ich möchte nur einige, mir am wichtigsten 
erscheinende Punkte aus diesen Arbeiten hervorheben: veröffent¬ 
licht sind im ganzen 26 Fälle, davon betreffen 22 Männer, vier 
Frauen. Als Ursache der Erkrankung wird meist ein Trauma 
bezeichnet, in einigen Fällen soll es sich um eine Neuritis handeln, 
hervorgerufen z. B. durch Alkohol oder Erkältung, doch scheint 
eine derartige Aetiologie des Leidens nicht sicher bewiesen. 
Glaubhafter erscheint das Vorhandensein einer Neuritis in den 
Fällen, wo ein chronischer Reiz auf den Nerven ausgeübt 
wird, z. B. durch konsequentes Tragen schwerer Lasten auf dem 
hinteren Teil der Schulter. 

Das Trauma soll zur Lähmung führen in erster Reihe durch 
gewaltsame Senkung der Schulter und dadurch verursachte 
Zerrung bzw. Zerreißung des kurzen und ziemlich straff ge¬ 
spannten Nerven. 

Die Motilitätsstörungen sind überaus variabel, schon deshalb, 
weil die Funktionen der beiden gelähmten Muskeln nicht so 
wichtig sind, dass sie nicht von anderen gesunden Muskeln über¬ 
nommen werden könnten. In einer grossen Zahl von Fällen kann 
der Arm selbsttätig völlig bis zur Senkrechten erhoben werden, 
in einer kleineren Zahl von Fällen (wie im obigen) ist dieses 
selbsttätige Erbeben mehr oder minder beschränkt, der Arm kann nur 
bis 40 bis 50° über die Horizontale erhoben werden. Am aus¬ 
geprägtesten ist stets die Schwäche beim Erheben des Armes, wie 
ja auch unserem Patienten zuerst auffiel, dass er den Hammer 
nicht mehr recht erheben konnte. 

Was die Beschränkung der Aussenrotation betrifft (die beiden 
Muskeln werden ja hauptsächlich als Auswärtsroller bezeichnet), 
so besteht in den meisten Fällen, genau wie in dem unseren, 
keine Einschränkung des Bewegungsradius, sondern nur eine Ver¬ 
minderung der Kraft der Bewegung und Schmerzen bei der Aus- 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


führung der Bewegung. Ganz vereinzelt ist, wie auch in unserem 
Falle, eine Verminderung der Kraft bei der Innenrotation des 
Armes beobachtet worden, doch wird diesem Symptom keine Be¬ 
deutung beigelegt, es wird als Ausdruck einer traumatischen 
Hysterie erachtet. 

ln einigen Fällen ist eine Subluxation im Schultergelenk 
beim Erheben des Armes beobachtet worden, angeblich wegen 
Ausfall der Fuuktion des M. supraspinatus, der den Oberarm¬ 
kopf fest gegen die Gelenkpfanne drucke, ln meinem Falle habe 
ich, wie gesagt, derartiges nicht beobachtet. Die Atrophie des 
M. infraspinatus ist meist so ausgeprägt wie im vorliegenden Falle, 
die Atrophie des M. snpraspinatus nicht so ausgeprägt, weil der 
M. trapecius über ihm liegt. 

In vereinzelten Fällen soll Besserung, in zweien sogar Heilung 
erfolgt sein. 

Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass Herr Dr. Guibe 
für Fälle mit hochgradigen funktionellen Störungen die operative 
Therapie empfiehlt, die in vereinzelten Fällen mit mehr minder 
zweifelhaftem Erfolge eingeleit etworden ist. Diese Therapie besteht 
entweder in Intervention am Nerven oder an den Muskeln. Bei 
Intervention am Nerven kommt in erster Reihe die Neurolysis, 
die Befreiung aus Narbensträngen, in Betracht, in zweiter Reihe 
Naht des durchgerissenen Nerven oder Plastik aus einem anderen 
Ast des Plexus cervicalis. Bei Intervention an den Muskeln 
handelt es sich um Plastiken aus den Mm. trapecius und latissimus 
dorsi. Am meisten empfohlen wird, wenn der Nerv nur gequetscht 
ist, die Neurolysis, bei durchrissenero Nerven Plastik aus einem 
anderen Ast des Plexus; für Anwendung des letzteren Verfahrens 
wird aber darauf aufmerksam gemacht, dass man nicht einen 
Ast nehme, der andere wichtige Muskeln versorgt. 

Mir scheint nach kritischer Betrachtung meines Falles und 
nach Durchsicht von 28 in der französischen Arbeit referierten 
Krankengeschichten, dass derartige komplizierte Operationen wenig 
angebracht sind bei einem Leiden, das doch so relativ geringe 
Funktionsstörungen hervorruft wie das beschriebene. 


Aus der bakteriologisch-hygienischen Abteilung (Abt.- 
Vorst.: Prof. Dr. Sobernheim) des Untersuchungsamtes 
der Stadt Berlin (Dir.: Geh. Reg.-Rat Prof. Proskauer). 

Ein Paratyphusbacillus ohne Gasbildung. 

Von 

Dr. Waldemar Loewenthal und Dr. Erich Seligmaan. 

(Vorgetragen am 12. Dezember 1912 in der Berliner mikrobiologischen 
Gesellschaft.) 

Die Bezeichnung „Paratyphusbacillus ohne Gasbildung“ er¬ 
scheint vielleicht paradox. Denn eines der Hauptmerkmale, das 
allen Paratyphus- und paratyphusähnlichen Bakterien gemeinsam 
zukommt, ist gerade ihre Fähigkeit, aus Traubenzucker Gas zu 
bilden; und wenn ein Bakterienstamm, der keinerlei eingreifenden 
Prozeduren unterworfen war, diese Fähigkeit nicht besitzt, dann 
ist er nach bisheriger Anschauung kein Paratyphusstamm. Trotz¬ 
dem halten wir uns für berechtigt, den hier zu beschreibenden 
Organismus als Paratypbus B-Bacillus anzusprechen. 

Es handelt sich um ein bewegliches, gramnegatives Stäbchen, 
das auf der Conradi-Drigalskiplatte io durchscheinenden, blauen 
Kolonien wächst. Das Verhalten in den gebräuchlichen Diffe¬ 
rentialnährböden nach 24 Stunden ist aus der folgenden Tabelle 
(Tabelle 1) ersichtlich, in der zum Vergleich neben dem hier 
interessierenden Stamm („Müggelsee gaslos“) die durch Typhus- und 
Paratyphus B-Bacillen hervorgerufenen Reaktionen angeführt sind. 

Der Vergleich ergibt nach 24 Stunden vollständige Ueber- 
einstimmung mit dem Verhalten von Typhusbacillen. Trotz¬ 
dem ist es nicht möglich, die Diagnose Typhusbacillus zu stellen. 
Dagegen spricht nicht nur die mangelnde Agglutinierbarkeit 
durch Typhusimmunserum, sondern auch das abweichende Ver¬ 
halten bei länger fortgeführter Beobachtung. Denn auf der 
Gelatineplatte zeigt der Stamm im Gegensatz zu den charakte¬ 
ristischen, weinblatttörmigen Typhuskolonien kreisrunde, erhabene, 
undurchsichtige Kolonien, und auf der Agarplatte tritt nach etwa 
5 Tagen exquisite Schleimwallbildung auf, wie sie für Paratyphus¬ 
bacillen beschrieben wird. Auch in den Differentialnährböden 
treten pach 8—40 Tagen mehrere der für Paratyphus B-Bacillen 
charakteristischen Veränderungen auf (Tabelle 2) (Umschlag in 


Lackmusmolke, Aufhellung der Milch und der Grönlösung 2); 
immerhin sind aber die kulturellen Abweichungen, die fehlende 
Gasbildung aus Traubenzucker und aus Mannit, gewichtig genug, 
um den Organismus nicht als Paratyphusbacillus erscheinen zu 
lassen. 

Für die diagnostische Tätigkeit, bei der Züchtung aus einem 
Krankheitsfall oder aus einem Tier, würde solch ein Bakterien- 
stamm, der sich keiner bekannten Art einwandfrei einordnen 
lässt, erhebliche Schwierigkeit verursachen. Auch die Aggluti¬ 
nationsprüfung ist nicht imstande, sichere Aufklärung zu bringen. 
Die Prüfung mit einer grösseren Anzahl von Paratyphus B-Sera 
(ein Teil derselben ist in Tabelle 4 verzeichnet) ergibt freilich 
in den meisten Fällen Agglutination bis zur Titergrenze; doch 
können wir angesichts der starken kulturellen Abweichungen 
daraufhin immer noch nicht den Stamm mit Sicherheit als Para¬ 
typhus B-Bacillus ansehen; wissen wir doch, aus den Unter¬ 
suchungen über „Paragglutination“ [Kuhn und Woithe 1 ), Rim- 
pau 2 ), Ditthorn und Neumark 3 )], dass selbst Colibacillen 
durch verschiedene heterologe Sera bis zur Titergrenze agglutiniert 
werden können. 

Näheren Aufschluss gibt die Herkunft des Stammes. Er 
wurde im Jahre 1908 im Städtischen Untersuchungsamt als Er¬ 
reger einer grösseren Fleischvergiftungsepidemie gefunden und 
seither in den Sammlungen fortgeführt, in denen er alle 6 bis 
8 Wochen auf Schrägagar überimpft wurde. Der Stamm hatte 
sich immer als Paratyphus B-Bacillus erwiesen, wie aus den ver¬ 
schiedenen Tabellen bei Sobernheim und Seiigmann 4 ) hervor¬ 
geht, wo er unter der Bezeichnung „Müggelsee“ aufgefübrt ist. 
Seit Mitte 1911 wurde dieser Paratyphusstamm für den täglichen 
diagnostischen Dienst verwendet, indem mehrere Unterkulturen 
angelegt wurden, die in den einzelnen Laboratorien des Unter¬ 
suchungsamtes etwa zwei- bis dreimal wöchentlich überimpft 
wurden. Wiederholte Kontrollen ergaben nie etwas Auffälliges, 
bis im Juli 1912 bei erneuter Prüfung der eine von uns (L.) 
fand, dass sämtliche Kulturen des täglichen Gebrauchs 
aus Traubenzucker kein Gas bildeten, während die 
drei seltener überimpften Sammlungsstämme kräftige 
Gasbildung zeigten. Es wurden von den gasbildenden Samm¬ 
lungsstämmen neue Unterkulturen angelegt, zwei davon hatten 
nach wiederholter Ueberimpfung innerhalb von 6 Tagen das Ver¬ 
mögen der Gasbildung wieder verloren, die anderen besitzen es 
trotz häufiger Ueberimpfung noch heute unvermindert Ans den 
gasbildenden Stämmen konnten durch Plattenaussaat und Prüfung 
von je 20—30 Einzelkolonien keine Tochterstämme mit ver¬ 
minderter oder fehlender Gasbildung herausgezüchtet werden, 
ebensowenig nach Tierpassage. 

Die Stämme ohne Gasbildung wurden ebenfalls durch Tier¬ 
passage (Maus, Meerschweinchen, Kaninchen) in keiner Weise 
verändert. Dies steht in gewissem Gegensatz zu den Befunden 
von Bernhardt 5 ), der Ruhrbacillen, die ein Spaltungsvermögen 
für eine Zuckerart (Maltose) neu erworben batten, durch Tier¬ 
passage zur Norm zurückkehren sah. 

An eine Verunreinigung der Kulturen kann man nicht wohl 
denken, sondern muss annehmen, dass der Stamm ohne Gas¬ 
bildung sich aus dem gasbildenden Paratyphusbacillus entwickelt 
hat. Diese Annahme findet eine Stütze in den Versuchen von 
Penfold 6 ), in denen Paratyphusbacillen durch Züchtung auf 
cbloressigsäurehaltigem Agar ihr Traubenzucker-Vergärungsver¬ 
mögen verloren, dagegen im Unterschied zu unserem Stamm aus 
Mannit noch Gas bildeten. Während jedoch bei Penfold’s 
Kulturen die Gasbildung durch einen Gewalteingriff unterdrückt 
wurde, ging sie bei unserem Stamm trotz optimaler Bedingungen 
verloren. Penfold erwähnt freilich auch eine andere Kultur, 
die ihm von Dr. Bainbridge überlassen wurde, und die von 
vornherein kein Gas bildete. Eine genauere Untersuchung dieses 
„Aertryk-Stammes“ hat er jedoch nicht veröffentlicht, so dass ein 
Urteil über seine Eigenschaften und besonders über ihre Konstanz 
(Tierpassage usw.) nicht möglich ist. 


1) Kuhn und Woithe, Centralbl. f. Bakteriol., 1909, Referate, 
Bd. 44, Beiheft. 

2) Rimpau, Arbeiten a. d. Kaiser]. Gesundheitsamt, 1911, Bd. 38. 
8) Ditthorn und Neumark, Centralbl. f. Bakteriol., 1912, Referate, 

Bd. 54, Beiheft. 

4) Sobernheim und Seligmann, Zeitsohr. f. Immunitätsforsch., 
1910, Bd. 6. 

5) Bernhardt, diese Wochensohr., 1912, Nr. 15. Verhandlungen 
der Berliner mikrobiol. Gesellsch.-vom *7. Marz 1912. 

f 6) Pefifold, Journ. ofhygietoe, 1911, Bd. li, Nr. 4. 


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10. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


251 


Tabelle 1. 

Differentialnährböden nach 24 Stunden. 



Trauben¬ 

zucker 

Barsi 

Milch¬ 

zucker 

iekow 

Lackmns- 

molke 

Milch 

Mannit- 

Bouillon 

Löffler- Grünlösung 
mit | ohne 

Traubenzucker 

Trauben¬ 

zuckeragar 

Neutralrot¬ 

agar 

Müggelsee gaslos 

Rötung und 
Gerinnung 

unverändert 

rot 

unverändert 

kein Gas 

klare Aus- 
fällung, grün 

unverändert 

kein Gas 

unverändert 

Typhus . 

Rötung und 
Gerinnung 

unverändert 

rot 

unverändert 

kein Gas 

klare Aus¬ 
füllung, grün 

unverändert 

kein Gas 

unverändert 

Paratyphus B . . 

Rötnng und 
Gerinnung 

unverändert 

rot 

unverändert 

Gas 

schmutzige 

Gerinnung, 

Scbaumring 

unverändert 

Gas 

Gas, geringe 
Entfärbung 


Tabelle 2. 

Differentialnährböden nach 10 Tagen. 



Trauben¬ 

zucker 

Barsi 

Milch¬ 

zucker 

iekow 

-1 

Lackmus¬ 

molke 

Milch 

1 

Mannit- 

Bouillon 

Löffler-Grünlösung 
mit | ohne 

Traubenzucker 

Trauben- 

zuokeragar 

Neutralrot¬ 

agar 

Müggelsee gaslos 

Rötung und 
Gerinnung 

unverändert 

blau, 

Kahmhaut 

aufgehellt 

kein Gas 

klare Aus¬ 
füllung, 
gelblich 

gelb 

kein Gas 

unverändert 

Typhus . 

Rötung und 
Gerinnung 

unverändert 

rot 

unverändert 

kein Gas 

klare Aus¬ 
fällung, grün 

unverändert 

kein Gas 

unverändert 

Paratyphus B . . 

Rötung und 
Gerinnung 

unverändert 

blau, 

Kahmhaut 

aufgebellt 

Gas 

schmutzige 

Gerinnung, 

gelblich 

gelb 

Gas 

Gas, 

Entfärbung 


Es bietet sich aber noch ein weiterer, ziemlich schlüsssiger 
Beweis dafür, dass unser gasloser Stamm ein echter Paratyphus¬ 
bacillus ist: das mit ihm erzeugte Immunserum ist ein 
Paratyphus B-Serum, wie die Tabelle 3 zeigt. Es agglutiniert 
nicht nur den homologen und den Ausgangsstamm, sondern in 
genau der gleichen Weise eine ganze Reihe von Paratyphus B- 
Kulturen; drei solcher Stämme haben wir als Beispiel heraus¬ 
gegriffen. 

Tabelle 3. 


Stamm 

Serum Müggelsee gas 

los 

NaCl 


500 

| 1000 

2000 | 

4000 


Müggelsee gaslos 

+4-4- 

+++ 


1 

4- 

_ 

Müggelsee Ausgangsstamm 

+++ 

+++ 


1 _+ 

— 

Paratyphus B, 1 

1 +++ 

++ 

+ i 

4- 

— 

* . 2 

+++ 

++(+)' 

++ 1 

+ 

— 

, „ 3 

+++ 

++ 1 

+ 

4- 



Wir haben also einen Stamm vor uns, der sich durch den 
Mangel der Gasbildung kulturell wesentlich vom Paratyphus B 
unterscheidet (das abweichende Vei halten in der traubenzucker- 
haltigen Löffler’schen Grünlösung steht wohl hiermit in Zusammen¬ 
hang), in seinen agglutininbindenden und -bildenden 
Eigenschaften aber vollkommen mit ihm übereinstimmt. Be¬ 
rücksichtigt man dazu die Herkunft des Stammes, so wird ein 
Zweifel an der Diagnose „Paratyphus B-Bacillus ohne Gasbildung“ 
kaum noch möglich sein. Es ist hier, vielleicht ausgelöst durch 
häufiges Ueberimpfen, ein neuer Typus entstanden, der sich bisher 
konstant gehalten hat. 

Demnach muss sich der Ausgangsstamm in einem Zustand 
besonderer Labilität befunden haben. Für diese Labilität hat 
sieb später ein weiterer Beweis geboten. Es war im Juli 1912 
auf die gasbildendeo SammluDgskulturcn des Stammes Müggelsee 
zurückgegriffen und neue Unterkultoren für den täglichen dia¬ 
gnostischen Gebrauch angelegt worden. Nach etwa 3 Monaten 
stellte der eine von uns (S.) fest, dass seine Kultur agglutinatorisch 
nicht mehr einheitlich war und beim Ausstrich auf der Agar- oder 
Conradi-Drigalski-Platte neben zahlreichen typischen, d. b. durch¬ 
sichtigen, ruüden Kolonien einzelne undurchsichtige, granulierte, 
zackige Kolonien mit trockener Oberfläche enthielt, die aber auf 
den Differentialnährböden weitere Abweichungen vom Verhalten 
normaler Paratyphusbacillen nicht aufwiesen. Ihre Besonder¬ 
heiten bestanden vielmehr im agglutjnatorischen Verhalten; sie 
wurden nur schwach von ParatyphuBserum, beträchtlich dagegen 


durch Gärtnersera beeinflusst, entsprachen daher jenen eigentüm¬ 
lichen Variationsformen, die Sobernheim und Selig mann 
früher bereits beschrieben und als „Doppelstämme“ bezeichnet 
hatten. Hier wie dort Abschwäcbung der Agglutinierbarkeit für 
Paratypbus B-Sera; hier wie dort gesteigerte Agglutinabilität 
durch Gärtnersera. Auch das antigene Verhalten war ent¬ 
sprechend; das Serum des „Doppelstammes Müggelsee“ beeinflusste 
gut und bis zur Titergrenze nur Doppelstämme, mässig und ver¬ 
schieden hoch die meisten echten Paratyphen, gar nicht Typhus-, 
Gärtner- und andere Kulturen. Also ein zwar abgeschwächtes, 
aber doch reines Paratyphusserum; genau wie bei den früher be¬ 
schriebenen Doppelstämmen. 

Die geschilderten Eigenschaften blieben auch nach Tier¬ 
passage unverändert. 

Tabelle 4. 


Müggelsee 


Para¬ 
typhus B 


Doppel- 

stamm 


Gärtner 


Serüm 

Ausgangs¬ 

stamm 

Müggelsee 

Gaslos 

Doppel¬ 

stamm 

Para¬ 

typhus 

/ Ausgangsstamm 
\ (Titer 40 000) 

40 000 

5 000 

40 000 

40 000 

) Gaslos 

\ (Titer 4000) 

4000 

4 000 

0 

4 000 

I Doppelstamm 
[ (Titer 2000) 

500 

0 

2 000 

(1 000) 

/ Hulda 

(Titer 3000) 

3 000 

2 000 

3000 

8 000 

1 Halle 

J (Titer 3000) 

3000 

3 000 

0 

3 000 

) Königsberg 

1 (Titer 2000) 

2000 

2 000 

0 

2 000 

f Saarbrücken 

V (Titer 3000) 

8 000 

3000 

(500) 

3 000 

/ Mäusetypbus 28 a 
1 (Titer 3000) 

3000 

(100) 

3000 

3 000 

I Schottmüller VI 
\ (Titer 1000) 

(100) 

(100) 

1000 

100 

/ Aertryk 

[ (Titer 3000) 

(1000) 

100 

1 

3 000 

(2 000) 

/ Drigalski 

\ (Titer 2000) 

(500) 

! 

(100) 

2 000 

(500) 


Die Zahlen bezeichnen die Serumverdünnungen, bis zu denen die ein¬ 
zelnen Stämme agglütiniert werden; die Klammer bedeutet atypische, 
> 1.’ lunvollkodimene Agglutination. 


3* 


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252 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


Es war nun interessant, die beiden aus demselben Ausgangs¬ 
stamm hervorgegangenen Abänderungsformen, den gaslosen und 
den Doppelstamm, biologisch miteinander zu vergleichen. Tabelle 4 
enthält nur Beispiele der verschiedenen von uns geprüften Sera; 
zum Vergleich ist in der letzten Rubrik ein sicherer Paratyphus B- 
Stamm anderer Herkunft aufgeführt. 

Wie ersichtlich, ist der Ausgangsstamm Müggelsee in seinem 
agglutinatorischen wie agglutinogenen Verhalten ein Paratyphus B- 
Stamm, der nichts Auffälliges bietet. Der Stamm ohne Gas¬ 
bildung und der Doppelstamm bilden stark ausgeprägte biologische 
Gegensätze: das Serum des einen agglutiniert den anderen gar 
nicht, und jedes Serum, das den einen gut beeinflusst, zeigt sich 
dem anderen gegenüber weniger wirksam. Die beiden Stämme 
sind also biologisch sowohl wie kulturell toto coelo verschieden. 
Dabei ergibt sich die merkwürdige Tatsache: der kulturell so 
stark abweichende gaslose Stamm steht der Ausgangskultur 
biologisch sehr nahe, er ist agglutinatorisch durchaus als 
Paratyplius B anzusprechen; der kulturell mit dem Ausgangs¬ 
stamm fast identische Doppelstarom zeigt dagegen weit¬ 
gehende biologische Abweichungen; nur wenige Para¬ 
typhussera beeinflussen ihn typisch; eines dieser wenigen ist 
auffallenderweise gerade das Serum der Ausgangskultur Müggelsee. 

Die kulturelle Differenziertheit des gaslosen Stammes zeigt 
sich auch noch in einer anderen Hinsicht: nur er besitzt die 
Fähigkeit der Schleimwallbildung, die dem Doppelstamm und 
der AusgangskultQr mangelt. Die Schleimwallbildung soll nur 
echten Paratyphusbacillen, nicht aber Fleischvergiftern zukommen 
und bei längerer Fortzüchtung verloren gehen; hier sehen wir sie 
im Gegenteil neu auftreten bei einem länger fort¬ 
gezüchteten Fleischvergifter. 


Aus der chemisch-bakteriologischen Abteilung des 
Gouvernements Semstwo-Krankenhauses in Charkow. 

Leprabacillen im kreisenden Blute der Lepra¬ 
kranken und im Herzblute eines Leprafötus. 

Von 

Dr. Marens Rabinowitsch, 

Leiter der Abteilung. 

Die Forschungen der letzten Jahre haben den Beweis dafür 
geliefert, dass zahlreiche Infektionskrankheiten, wie Unterleibs¬ 
typhus, Pneumonie, chronische Tuberkulose u. a. m., die bis 
dabin als lokale Erkrankungen betrachtet wurden, allgemeine 
Erkrankungen sind, da der entsprechende Erreger im Blute der 
Kranken circuliert. 

Was die chronische Lungentuberkulose anbelangt, so habe 
ich zuerst bei meinen Untersuchungen über die Identität der 
Tuberkelbacillen verschiedenster Herkunft den experimentellen 
Beweis dafür geliefert, dass in den meisten Fällen die Tuberkel¬ 
bacillen im Blute der Kranken kreisen. Es ist mir gelungen, die 
Tuberkelbacillen in einigen Fällen aus dem Blute in Reinkultur 
zu züchten, in anderen durch Verimpfung des Krankenblutes an 
Meerschweinchen und Kaninchen dieselben naebzuweisen 1 ). 

Diese, zuerst von mir festgestellte Tatsache wurde, wie 
bekannt, wiederholt von zahlreichen Autoren mit Hilfe des Uhlen- 
hutb'sehen Antiformin verfahrene bestätigt. 

Diese Beobachtungen bei der Tuberkulose ins Auge fassend, 
drängte sich der Gedanke auf, dass auch bei der Lepra, die aus¬ 
nahmslos als eine chronische Allgemeinerkrankung verläuft, die 
Leprabacillen im Blute kreisen müssen. Einige Leprakranke, die 
im Laufe der letzten 2 Jahre ins Krankenhaus aufgenommen 
wurden, boten mir Gelegenheit zur Nachprüfung dieser Ver¬ 
mutung. 

Im ganzen wurden das Blut von acht Kranken und einem 
Fötus, der während der Sektion im Uterus einer verstorbenen 
Leprakranken gefunden worden war, untersucht. 

Nähere Angaben über den klinischen Befund dieser Kranken 
sind folgende: 

1. Patient B., 23 Jahre alt. Die Stirn, Augenbrauen, Wangen, 
Ohren, der Hals, Rumpf und Extremitäten sind überall mit bräunlichen 
Flecken und Knoten von verschiedener Grösse bedeckt. Stellenweise 
Ulcerationen und Narben. Sattelnase. Die Fingerenden kolbig an- 

1) Zeitscbr, f. Tuberku!., 1906, Bd. 9, H. 4, 5 u. 6. 


geschwollen und ulceriert, an einigen Fingern fehlen ganze Phalangen. 
Ulcerationen der Enden der Zehen. Im Rachen zahlreiche Narben und 
Ulcerationen. Die Zunge stark geschwollen und mit Knoten bedeckt. 
Uvula fehlt. Stellenweise vollständige Anästhesie. Stimme heiser. 

2. Patient T., 54 Jahre alt. Das Gesicht, der Rumpf und die Ex¬ 
tremitäten sind mit zahlreichen Flecken von livider Farbe und Schuppen 
bedeckt. Stellenweise Anästhesie. 

3. Patient M., 13 Jahre alt. Das ganze Gesicht und die Ohren 
sind von zahlreichen erbsen- bis bohnengrossen Knötchen und Flecken 
von bräunlicher Farbe bedeckt. An den Nasenflügeln und der Gluteal- 
gegend sind Ulcerationen vorhanden. Die Hautdecken sind überall stark 
verdickt und mit Flecken und ScbuppeD, die Extremitäten ausserdem 
mit kleinen Knötchen bedeckt. Kleine Knötchen befinden sich auch am 
harten und weichen Gaumen, von denen einige ulceriert sind. Eine 
bohnengrosse Ulceration befindet sich an der Uvula. Der Zungengrund 
ist stark verdickt und gerötet, die hintere Rachenwand ist angeschwollen 
und intensiv rot verfärbt. 

4. Patientin K., 41 Jahre alt. Die Gesichtshaut ist wulstig ver¬ 
dickt, am stärksten an den Augenbrauen, die haarlos sind, wodurch 
der Gesichtsausdruck ein böser geworden ist. Aehnliche Wülste, wie 
auch Narben und bräunliche Flecke sind zahlreich über die Hautober- 
fläche des Rumpfes und der Extremitäten zerstreut; diese Stellen der 
Haut sind vollständig anästhetisch. Die Schleimhaut des Mundes und 
der Nasen-Rachengegend ist stellenweise wulstig verdickt. 

5. Patientin B., 49 Jahre alt. An den oberen und unteren Ex¬ 
tremitäten sind gelblich-bräunliche Flecken und Schuppen von Zehn¬ 
pfennig- bis Dreimarkstückgrösse zerstreut. Sensibilität an diesen Stellen 
vorhanden. 

6. Patientin S., 26 Jahre alt, schwanger. An Stirn, Nase, 
Wangen und Kinn zahlreiche dunkelrote, erbsen- bis baselnussgrosse 
Knötchen. Aehnliche Knötchen und bräunliche Flecke sind überall an 
Rumpf, oberen und unteren Extremitäten zerstreut, wie auch im Rachen, 
am harten und weichen Gaumen. Augenbrauen haarlos, verdickt. An¬ 
ästhesie stellenweise. 

7. Fötus der Patientin 6. Gefunden im Uterus während der 
Sektion, Alter ca. 6 Monate. An der Hautoberfläche, an den Schleim¬ 
häuten wie auch in den inneren Organen sind weder lepröse noch irgend¬ 
welche anderen Veränderungen bei der makroskopischen Untersuchung 
konstatiert worden. 

8. Patient Sch., 34 Jahre alt. An Stirn, Wangen, oberen und 
unteren Extremitäten wie auch an Bauch- und Rückenhaut sind dunkel¬ 
rote Flecke, die mit zahlreichen bis erbsengrossen Knötchen bedeckt 
sind, wahrzunehmen. 

9. Patientin W., 57 Jahre alt. Zahlreiche bis bohnengrosse 
Knötchen an Stirn, Wangen und Kinn. Verdickung der Ohrmuscheln. 
Sattelnase. Aehnliche Knötchen und livide Flecke an Rumpf und Ex¬ 
tremitäten. Einige Finger und Zehen sind ulceriert, an anderen fehlen 
schon Phalangen. Die Haut der beiden Unterschenkel ist ulceriert, 
atrophisch und anästhetisch. Ulcerationen der Mund- und Nasenschleim¬ 
haut. Uvula fehlt, an deren Stelle Ulceration. Stimme heiser, kaum 
hörbar. 

Das Blut wurde zur Untersuchung bei den Kranken aus der 
Armvene und beim Fötus aus dem Herzen mit einer sterilen 
10 ccm-Rekordspritze entnommen und sofort in ein Erlenmeyer- 
Kölbchen mit 10 ccm destilliertem Wasser, dem 1 pCt. Natrium 
citricum und 1 pM. Sapotoxin zugesetzt wurde, gebracht. 

Nach kräftigem Schütteln wurde diese Mischung in Centri- 
fugengläser gegossen und 15 Minuten in der elektrischen Centri- 
fuge centrifugiert. 

Der erhaltene Niederschlag wurde mit destilliertem Wasser 
gewaschen und wieder centrifugiert. 

Nach Abgiessen des Wassers wurde in jedes Centrifugen- 
gläschen zum Niederschlag je 5 ccm lOproz. Antiforminlösung 
zugesetzt, tüchtig mit einem sterilen Glasstab umgerührt und eine 
Stunde im Thermostaten bei 37° gelassen. Aus dem Thermostaten 
kamen die Gläschen auf 20 Minuten in die elektrische Centrifuge, 
dann wurde die Antiforminlösung abgegossen, der Niederschlag 
mit destilliertem Wasser gewaschen und wieder centrifugiert. 

Dieser zuletzt erhaltene gewaschene Niederschlag wurde auf 
Objektträger ausgestrichen, mit Carboifuchsin unter Erwärmen 
gefärbt, kurz mit 3proz. Salzsäurealkohol entfärbt und mit 
Methylenblau nachgefärbt. 

In der beschriebenen Weise wurde das Blut von den Patienten 1, 
2, 3, 4 und 6 im Laufe von 3 bis 4 Monaten je dreimal und 
von den Patienten 5, 8 und 9 und vom Fötus je einmal unter¬ 
sucht. 

Die Ergebnisse der Untersuchungen sind folgende: 

1. Von den Kranken, bei denen das Blut wieder¬ 
holt untersucht wurde, sind die Leprabacillen bei den 
Kranken 1, 3 und 6 jedesmal, beim Kranken 2 keinmal und beim 
Kranken 4 nur einmal naebgewiesen worden. 

2. Von den Kranken, bei denen das Blut nur einmal 
untersucht worden ist, sind die Leprabacillen nur bei den 


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10. Februar 1U13. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Kranken 8 und 9 wie auch im Herzblute des Fötus beobachtet 
worden. 

Im ganzen sind also von den untersuchten 8 Kranken 
und einem Fötus die Leprabacillen im kreisenden Blute 
von 6 Kranken und im Herzblute des Fötus nach¬ 
gewiesen worden. 

Aus den Ergebnissen der Untersuchung kann man, wie mir 
scheint, mit Recht den Schluss ziehen, dass die Leprabacillen 
im Krankenblute kreisen und auf hämatogenem Wege 
von der Mutter dem Kinde intrauterin übertragen 
werden können. 


Aus dem Laboratorium des Kaiser und Kaiserin 
Friedrich Kinder-Krankenhauses in Berlin (Direktor: 
Geheimrat Prof. Dr. A. Baginsky). 

Ueber die Giftwirkung normaler Organ- und 
Muskelextrakte. 

Von 

Dr. Hans Aronson. 

(Nach einem am 12. Dezember 1912 in der Berliner mikrobiologischen 
Gesellschaft gehaltenen Vortrage.) 

Ueber die Giftigkeit normaler Organextrakte sind in den 
letzten Jahren eine Reihe von Arbeiten erschienen, die viele 
interessante Tatsachen zutage förderten, ohne dass in manchen 
wichtigen Fragen eine Einigkeit erzielt wurde. Cesa Bianchi 
hat sich wohl zuerst eingehender mit diesem Problem be¬ 
schäftigt. Seine Versuche sowie die zahlreicher französischer 
Autoren (Roger, Champy et Gley, Lambert, Ancel et Bouin), 
auch diejenigen von Do Id beziehen sich in der grossen Mehrzahl 
auf Kaninchen. Dies ist nicht wunderbar, da bei keiner anderen 
Tiergattung der toxische Effekt ein so akuter ist und mit so 
kleinen Dosen erzielt wird. Hierdurch ist jedoch eine gewisse 
Einseitigkeit in dieses Forschungsgebiet gebracht worden. 

Bianchi stellte fest, dass die mit physiologischer Kochsalz¬ 
lösung aus normalen Kaninchenorganen (speziell Lunge; Roger 
fand auch den Processus vermiformis sehr wirksam) gewonnenen 
Auszüge Kaninchen nach intravenöser Injektion schon in Dosen 
von etwa l j 2 ccm sehr akut unter Krämpfen töten. Die Wirkung 
der Extrakte aus verschiedenen Organen zeigte nur quantitative 
Unterschiede. Bei der Sektion fand er, dass das Herz noch 
schlägt und die Blutgerinnung bedeutend verzögert ist. Er stellte 
ferner fest, dass mit untertödlichen Dosen vorbebandelte Kaninchen 
schon nach einer halben Stunde anstandslos die einfache bis 
doppelte sonst tödliche Giftmenge vertrugen, ein Vorgang, für 
den französische Autoren besondere Worte (Tachyphylaxie, Skepto- 
phylaxie) geprägt haben. Diese so schnell eintretende beträcht¬ 
liche Resistenzerhöhung war auch gegen den Extrakt eines 
anderen Organes gerichtet, wie des zur ersten Injektion gebrauchten. 

Eine echte Immunisierung gegen dieses Toxin konnte Bianchi 
nicht erzielen, ebensowenig trat eine Ueberempfindlichkeit ein. 
Das Serum eines Kaninchens, das, auf die eben geschilderte Weise 
vorbehandelt, schliesslich eine mehrfach tödliche Dosis vertrug, 
entfaltete bei anderen Kaninchen keine Schutzwirkung. 

Im wesentlichen dieselben Ergebnisse hatte Dold bei seinen 
Untersuchungen, der weiter die interessante Tatsache fand, dass 
das Gift durch Einwirkung von frischem Kaninchenserum un¬ 
wirksam gemacht wird; mit inaktiviertem Serum gelang dies 
nicht. In einer neuen Arbeit konnte Bianchi die Giftneutrali¬ 
sierung durch das Serum nicht bestätigen. Er ist geneigt, diese 
Wirkung auf eine einfache Verdünnung zurückzuführen. 

Meine eigenen Versuche bestätigten durchaus die Resultate 
Dold’s Ich fand, dass durch 2 x j 2 stündige Einwirkung von 2 ccm 
Serum bei 87° selbst ein grosses Multiplum bis zur fünfzehn¬ 
fach tödlichen Dosis (10 ccm Lungenextrakt, tödliche Dosis 
1 / 2 — 3 / 4 ccm) unwirksam gemacht wird. Die negativen Resultate 
Bianchi ’s beruhen wohl auf einer zu kurzdanerden Einwirkung 
des Serums und auf der Anwendung zu niedriger Temperatur, 
eine Ansicht, die unterdes auch von Dold ausgesprochen 
worden ist. 

Ebenso wie Dold führe ich den nach intravenöser Injektion 
akut eintretenden Tod der Kaninchen auf eine Thrombosierung 
der Lungenarterien zurück. Bei schnell vorgenommener Sektion 
fand ich diese Arterien stets durch Thromben verstopft, dagegen 


253 


beobachtete ich keine Gerinnsel im rechten Herzen und in der 
Vena cava. 

Dieser Befund ist ausserordentlich merkwürdig, da das sonst 
bei der Sektion gewonnene Blut, besonders nach der Einspritzung 
einer mehrfach tödlichen Dosis, 24 Stunden und länger flüssig 
bleibt. Wie diese Thrombosierung gerade in den Lungen¬ 
arterien bei der im übrigen eintretenden fast kompletten Auf¬ 
hebung der Blutgerinnung entsteht, ist noch völlig unaufgeklärt; 
diese Erscheinung bedarf weiterer Studien. 

Bei intraperitonealer Injektion vertragen Kaninchen selbst 
das zehnfache der vom Blut aus tödlichen Dosis. Auch hieraus 
geht hervor, dass bei Kaninchen die Gerinnselbildung in den 
Lungenarterien die hauptsächlichste Ursache des Todes nach intra¬ 
venöser Injektion der Organextrakte ist. 

Im Einklänge hiermit steht es, dass nach vorhergehender 
Injektion eines frischen Extralftes von Blntegelköpfen, wie schon 
andere Autoren (Blaizot, Gley, Dold und Ogata) festgestellt 
haben und ich bestätigen kann, eine folgende Einspritzung der 
einfachen bis doppelten sonst tödlichen Dosis vertragen wird. 
Ein grösseres Multiplum führt jedoch stets den Tod herbei. 

Ebenso ist die so schnell nach Beibringung einer untertöd¬ 
lichen Menge des Organextraktes auftretende Widerstandsfähigkeit 
meiner Ansicht nach zu erklären; denn auch hierdurch wird die 
Gerinnungsfähigkeit des Blutes herabgesetzt. Bei der neuen Ein¬ 
spritzung kommt es dann nicht so leicht zur Thrombenbildung 
in den Lungenarterien wie bei normalen Kaninchen. 

Es ist nicht wunderbar, dass Peptonlösungen, wie ich ge- 
gefunden habe, in gleicher Weise wirken wie Extrakte von Blut¬ 
egeln (bzw. Hirudin). 

Injiziert man einem Kaninchen (etwa 1000 g Gewicht) 
5—6 ccm einer 10 proz. Lösung von Witte’schem Pepton, so kann 
man nach kurzer Zeit die einfache bis doppelte Menge, die 
Kontrolltiere tötet, intravenös einspritzen, ohne dass das Tier 
stirbt. Der Schutz des Peptons ebenso wie der des Hirudins geht 
aber weiter. Auch Mischungen von 5 ccm einer 10 proz. Pepton¬ 
lösung mit der ein- bis zweifachen sonst tödlichen Dosis des 
Organextraktes werden nach meinen Feststellungen von Kaninchen 
vertragen. 

Ganz andere Resultate ergaben meine Versuche an Meer¬ 
schweinchen. Die Lösungen wurden, ebenso wie bei Kaninchen, 
durch zweistündige Extraktion der steril entnommenen, mit der 
Schere möglichst fein zerkleinerten Organe mit der gleichen oder 
doppelten Menge physiologischer Kochsalzlösung gewonnen; die 
Gemische wurden durch mehrfache Lagen sterilen Mulls gegossen, 
der zurückbleibende Brei mit einer kleinen Presse ausgepresst, 
die gesammelten Auszüge durch Papier filtriert. Die Giftwirkung 
zeigt bei Meerschweinchen eine ganze Reihe prinzipiell wichtiger 
Unterschiede: 

1. Der Tod nach intravenöser Injektion selbst grosser Dosen 
von Organextrakten (auch hier zeigt sich die Lunge am wirk¬ 
samsten) tritt nie so akut ein wie bei Kaninchen, sondern 
frühestens nach 7—10 Minuten. Untertödliche Dosen verursachen 
Temperaturerniedrigung; bei Kaninchen fehlt dieser Effekt. 

2. Wenn sich auch oft bald nach der Einspritzung Zuckungen 
und krampfartige Erscheinungen zeigen, beobachtet man doch 
stets vor dem Tode einen lähmungsartigen Zustand bei tiefem 
Temperatursturz. 

3. Das Serum der Meerschweinchen zeigt keine ausge¬ 
sprochene giftneutralisierende Wirkung. 

Nach Injektion einer Mischung der einfach tödlichen Extrakt¬ 
dosis -f- 2 ccm Meerschweinchenserum (nach einer 2—2 1 / 2 ständigen 
Einwirkung bei 37°) blieben bei drei Versuchsreihen die Tiere 
allerdings am Leben. Selbst diese einfach tödliche Menge wurde 
jedoch durch frisches Serum nicht völlig unwirksam gemacht; 
denn die Meerschweinchen wurden sehr schwer krank und zeigten 
eine längerdauernde starkeTemperaturerniedrigung. In zwei anderen 
Experimenten konnte die einfach tödliche Dosis durch 2 ccm 
Serum nicht neutralisiert, d. h. auch der Tod nicht verhindert 
werden. 

Bei Anwendung selbst nur der doppelten tödlichen Giftmenge 
konnte ich niemals einen hemmenden Einfluss des Serums im 
Gegensatz zu meinen oben erwähnten Versuchen an Kaninchen 
konstatieren. Nach meiner Ansicht spielt diejenige Quote des 
Giftes, die bei Kaninchen durch Thrombosierung der Lungen¬ 
arterien akut tödlich wirkt, bei Meerschweinchen nur eine unter¬ 
geordnete Rolle. Diese allein aber ist es, die durch das Serum 
neutralisiert wird. 

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UNIVERSUM OF IOWA 






254 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 0. 


Es Ist also durchaus nicht angängig, allgemein von einer 
entgiftenden Wirkung des Serums auf wässrige Organ¬ 
extrakte zu sprechen. Dieselbe tritt vielmehr aus dem eben 
angegebenen Grunde deutlich nur bei Kaninchen in Erscheinung. 

4. Extrahiert man kleine Mengen von Meerschweinchen¬ 
organen (es genügt schon 0,1 g Lunge) 2 Stunden bei 37° statt 
mit physiologischer Kochsalzlösung mit frischem Meerschweinchen¬ 
serum, so erhält man gleichfalls ein tödliches Gift. Behandelt 
man in gleicher Weise Kaninchenorgane mit Kanincbensernm, so 
zeigen sich die Auszüge bei der Prüfung an diesen Tieren 
völlig unwirksam. Dies stimmt mit der von mir konstatierten 
geringen Wirkung des Meerschweinchenserums auf den tödlichen 
Effekt der Organextrakte von Meerschweinchen überein. 

5. Nimmt man die Extrahierung der Organe mit physio¬ 
logischer NaCI* Lösung nicht bei gewöhnlicher Temperatur, sondern 
bei 100° (in strömendem Dampf) vor, so erhält man, anders wie 
bei gleichen Versuchen an Kaninchen, giftige, ja vielleicht noch 
wirksamere Lösungen (vgl. unten). In scheinbarem Gegensatz 
hierzu steht es, dass die in gebräuchlicher Weise hergestellten 
wässerigen Organauszüge durch Kochen bedeutend an Wirk¬ 
samkeit verlieren. Dies liegt jedoch darin, dass die hierbei ent¬ 
stehenden Ei weissniederschläge die wirksame Substanz mechanisch 
mit niederreissen, was durch Erfahrungen mit anderen Nieder¬ 
schlägen bestätigt wird. 

6. Nach Ueberstehen einer Vergiftung mit untertödlicher 
Dosis zeigt sich zunächst keine Widerstandsfähigkeit bei er¬ 
neuter Injektion, selbst nur der einfach tödlichen Giftmenge. 
Wartet man mit der erneuten Beibringung des Organextraktes, bis 
die nach der vorhergehenden Einspritzung stets eintretende Tempe- 
raturernidrigung gerade geschwunden ist (2—3 Stunden), so findet 
sich keine Resistenz. 

Anders ist es, wenn man die Reinjektion am nächsten Tage 
vornimmt. Dann zeigen sich die Tiere widerstandsfähig gegen 
eine sonst sicher und schnell tödliche Organextraktmenge. Dieser 
Schutz ist um so grösser, je schwerer die frühere Erkrankung 
war. Es kommt vor, dass Tiere, die 1—2 Stunden bei verlang¬ 
samter Atmung und tiefem Temperatursturz völlig bewegungslos 
auf der Seite liegen, sich doch noch erholen; sie sind am 
nächsten Tage völlig munter und können dann die erneute In¬ 
jektion sogar symptomlos vertragen. Tiere, die zuerst weniger 
schwer erkrankt waren, zeigen nach der Reinjektion am folgenden 
Tage Temperatursturz, bleiben jedoch am Leben. 

Das Verhalten der Meerschweinchen ist also völlig ent¬ 
gegengesetzt dem der Kaninchen, bei denen der Schutz gegen 
eine erneute Einspritzung so schnell (schon nach J / a Stunde) ein* 
tritt und am nächsten Tage schon fast völlig geschwunden ist. 

7. Bei Meerschweinchen ist das Gift auch bei intraperitonealer 
Injektion, natürlich in etwas erhöhter Dosis, wirksam, bei 
Kaninchen nicht (vgl. oben). 

8. Weder eine vorhergehende Peptoneinspritzung noch eine 
solche des Extraktes von Blutegelköpfen bewirkt eine Resistenz 
gegen eine nachfolgende Vergiftung mit Organextrakten, gleich¬ 
gültig, ob die zweite Injektion bald darauf oder am folgenden 
Tage vorgenommen ist. Die Unwirksamkeit der Peptonlösung 
in dieser Hinsicht ist schon von Busson festgestellt worden. 

Gleich nach der intravenösen Injektion einer tödlichen Gift¬ 
dosis zeigen die Meerschweinchen krampfartige Zuckungen 
(manchesmal Sprünge), die sehr an die beim anaphylaktischen 
Anfall auftretenden erinnern. Es tritt jedoch nie selbst bei An¬ 
wendung grösserer Giftmengen ein ganz akuter Tod ein, sondern 
es vergehen bis zum Tode, wie schon oben erwähnt, mindestens 
7—10 Minuten, meist ein bis mehrere Stunden. Die Tiere liegen 
dann unter starkem Sinken der Temperatur und verlangsamter 
Atmung bewegungslos auf der Seite. Einige Zeit vor dem Tode 
entleert sich oft eine schaumig-blutige Flüssigkeit aus dem Munde. 
Bei der Sektion schlägt das Herz noch, die Lunge ist stark ver- 
grösser! und starr, zeigt jedoch stets eine ödematöse Durcb- 
träokung und zahlreiche Blutextravasate, Unterschiede gegenüber 
dem Verhalten bei anaphylaktischem Tode, auf die auch Busson 
aufmerksam gemacht bat. 

Die Entstehung der Organextraktgifte beruht nicht etwa auf 
autolytischen Vorgängen; denn die ganz frisch hergestellten 
Auszüge sind mindestens ebenso wirksam wie die nach längerem 
Stehen der Organe (unter Toluolzusatz) bereiteten. 

In gleicher Weise wie die Organextrakte wirken auch 
Muskelextrakte sowohl bei Kaninchen wie bei Meerschweinchen 
giftig und tödlich. Bei Kaninchen tritt der oben geschilderte 
akute Tod ein, beim Meerschweinchen erfolgt der Tod unter 


Lähmungserscheinung und Temperatursturz meist erst nach 
mehreren Stunden. Extrakte, mit der halben Menge (ent¬ 
sprechend dem Gewicht der angewandten Muskeln) physiologischer 
Kochsalzlösung gewonnen, oder Muskelpresssäfte wirken fast 
gleichmässig. Die erhaltenen Lösungen müssen zur Entfernung 
der Milchsäure, der Fleiscbbasen usw. vor der Anwendung sorg¬ 
fältig dialysiert werden. 

Bei Gelegenheit dieser Versuche nahm ich eine vergleichende 
Prüfung der Auszüge resp. Presssäfte von Muskeln normaler 
Meerschweinchen und solcher Tiere vor, die an künstlich herbei¬ 
geführter Ermüdung gestorben waren. Der Tod an Ermüdung 
wurde nach der Methode von Weichardt (durch Zurückziehen 
der Meerschweinchen auf rauhem Kokusteppich, eventuell noch 
mit nachfolgender Faradisierung) erreicht. 

Wider Erwarten zeigten sich sowohl io der Giftwirkung 
(Lähmungserscheinung, Temperatursturz) als auch in dem töd¬ 
lichem Effekt bei Anwendung normaler Muskeln und der er¬ 
müdeten nur ganz geringfügige Unterschiede. Es sind von 
mir mit demselben Resultat vier solche vergleichende Untersucbs- 
reihen ausgeführt worden. In der letzten z. B. tötete unter 
typischen Erscheinungen und in fast genau gleicher Zeit 4% ccm 
frischer Presssaft von normalen Muskeln (die Kontrolliere wurden 
sowohl vorher als bei der Tötung durch Kopfschlag vor Muskel¬ 
bewegungen möglichst geschützt), wie 4 ccm eines, der von einem 
an Ermüdung gestorbenen Meerschweinchen stammte. — 

Auch bei intraperitonealer Injektion von Mäusen zeigte sich 
kein Unterschied in der Wirkung der beiden Presssäfte. 

Der tödliche Effekt der forcierten Ermüdung beruht wohl 
sicher, wie auch Weichardt annimmt, auf einer Vergiftung mit 
Eiweissspaltprodukten (darauf deuten auch die klinischen Er¬ 
scheinungen, Temperatursturz usw.). Meine Versuche ergeben 
aber, dass es bei der Ermüdung zu keiner Anhäufung der 
Spaltprodukte in den Muskeln selbst kommt. Das nach 
Weichardt’s Methode aus ermüdeten Muskeln hergestellte und 
von ihm Kenotoxin genannte Gift ist vielmehr in fast genau 
derselben Menge auch in normalen Muskeln vorhanden und wird 
nicht erst durch die Ermüdung gebildet. Es gleicht in seiner 
physiologischen Wirkung durchaus und völlig dem durch Ex¬ 
traktion aus anderen Organen gewonnenen Gift. 

Nach meinen Versuchen ist die Gewinnung eines Antitoxins 
gegen das in ermüdeten und ebenso in normalen Muskeln ent¬ 
haltene Gift auf dem bekannten serumtherapeutischen Wege 
nicht möglich. 

Wie ich oben erwähnt habe, wirken auch Lösungen, die 
durch Extraktion der Meerschweinchenorgane mit der gleichen 
oder doppelten Menge physiologischer Kochsalzlösung bei 100° 
(im strömenden Dampf) hergestellt sind, bei intravenöser In¬ 
jektion stark giftig und verursachen akuten Tod. Da das native 
Eiweiss hierbei zerstört wird, so wurden aus naheliegenden 
Gründen zur weiteren Untersuchung dieses Toxins auf dieselbe 
Weise gewonnene Extrakte von Organen grösserer Tiere (speziell 
Rindern) benutzt. 

Die mittels Fleischhackmaschine zerkleinerten frischen Organe 
werden mit derselben Menge schwach angesäuerter physiologischer 
Kochsalzlösung eine Stunde im Dampfapparat behandelt. Durch 
den vorhergehenden Zusatz einer geringen Menge Salzsäure oder 
Salpetersäure wird das Eiweiss beim Erhitzen völlig entfernt und 
die nachfolgende Filtration sehr beschleunigt. Durch eine zweite 
gleiche Behandlung der auf dem Filter zurück bleibenden Massen 
erhält man nochmals dieselbe Menge einer fast ebenso wirk¬ 
samen Flüssigkeit. 

Die durch Filtration gewonnenen Lösungen werden vor der 
Injektion schwach alkalisch gemacht. Die wirksamsten Extrakte 
erhält man aus Lungen. Weiter folgt dann in der Reibe der 
Giftigkeit Milz, Pankreas, Thymus, Gehirn, Nieren, Muskeln. Am 
wenigsten giftig sind die aus def Leber gewonnenen Extrakte. 
Wir finden hier genau die gleiche Reihe wie bei den in gewöhn¬ 
licher Weise bergestellten wässrigen Organauszügen; auch hier ist 
die Leber weitaus am geringsten wirksam. 

2—3 ccm eines so hergestellten Lungenextraktes töten Meer¬ 
schweinchen nach intravenöser Injektion unter den typischen 
Erscheinungen des anaphylaktischen Anfalls. Es treten 
Zuckungen und charakteristische Springkrämpfe ein; nach wenigen 
Minuten sterben die Tiere. Bei der Sektion schlägt das Herz 
noch, die Lungen sind ad maximum gebläht, überlagern weit das 
Herz und sehen genau so aus, wie bei anaphylaktischen Tieren. 
Die Blutgerinnung ist nicht verzögert. Auch die mikroskopische 


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UNIVERSITÄT OF IOWA 



10 Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


255 


Untersuchung der Schnitte in Paraffin eingebeiteter Lungen zeigt 
in allen Punkten völlige üebereinstimmung mit dem Befuuil 
bei Tieren, die an einem anaphylaktischen Sbock gestorben sind 
(Demonstration zweier mikroskopischer Präparate). 

Untertödliche Dosen bewirken Temperaturerniedrignng. Nach 
Ueberstehen einer solchen Vergiftung findet sich keine Resistenz 
gegen eine erneute Injektion mit der tödlichen Minimaldosis, auch 
keine Resistenz gegenüber der Serumreinjektion vorher sensibili¬ 
sierter Meerschweinchen. 

Kaninchen sind diesem Gift gegenüber, selbst auf das Körper 
gewicht berechnet, weniger empfindlich als Meerschweinchen* 
Kleine Tiere (etwa 600 g schwer) sterben akut nach intravenöser 
Einspritzung von 8 ccm einer guten Lösung. Auch hier schlägt 
das Herz noch, die Lunge ist deutlich gebläht, wenn auch nicht 
so stark wie bei Meerschweinchen; die Blutgerinnung ist nicht 
verlangsamt. 

Nach Injektion des vierten Teiles bis der Hälfte der töd¬ 
lichen Giftmenge sieht man bei Kaninchen stets eine deutliche 
Anregung der Peristaltik (am besten zu beobachten bei laparoto- 
mierten Tieren in einem Bade von 38° warmer physiologischer 
Kochsalzlösung). Diese Wirkung eines aus Därmen hergestellten 
Extraktes hat zuerst Zülzer beobachtet und sie als Ausdruck 
eines spezifischen Hormons angesehen. Die gleiche Eigenschaft 
zeigten später ans Milz gewonnene Lösungen. Es handelt sich 
jedoch hierbei weder um ein Hormon noch um ein typisches Zell¬ 
produkt der Milz; denn die aus anderen Organen (speziell aus 
der Lunge) hergestellten Lösungen sind mindestens ebenso wirksam 
wie die eben genannten. 

Popielski hat gezeigt, dass die Extrakte aus normalen 
Organen nach intravenöser Injektion bei Hunden Blutdruck¬ 
erniedrigung erzeugen. Er gab der in diesen Extrakten ent¬ 
haltenen wirksamen Substanz den Namen Vasodilatin. Der Körper, 
der bei Hunden die Blutdruckerniedrigung bewirkt, und derjenige, 
der nach meinen Befunden bei Meerschweinchen das Krankheits¬ 
bild des anaphylaktischen Shocks erzeugt, sind wahrscheinlich 
identisch. 

Durch die bei der Extraktion der Organe angewandte erhöhte 
Temperatur (100°) wird die wirksame Substanz, die sich bei den 
gewöhnlichen Organauszügen in komplexer Bindung befindet, ge¬ 
spalten. Hierfür spricht die Tatsache, dass die Giftigkeit der 
Lösungen, die durch Extraktion der Organe bei gewöhnlicher 
Temperatur gewonnen sind, selbst durch langdauernde Dialyse 
nicht wesentlich herabgemindert wird, während das Gift der 
zuletzt besprochenen Extrakte wenigstens bei Anwendung dünner 
Membranen (am besten guter Condoms) fast völlig in das 
Dialysat übergeht. 

Ob die Hemmung der Blutgerinnung, die, besonders bei 
Kaninchen und Hunden, ein typisches Symptom der Vergiftung 
mit den bei niedriger Temperatur hergestellten Organextrakten ist, 
nur der komplexen Verbindung als solcher, die durch Anwendung 
der erhöhten Temperatur gespalten wird, zukommt oder ob es 
sich um zwei verschiedene Substanzen, von denen nur die eine 
bitzebeständig ist, handelt, ist noch ungewiss. 

Die wirksame Substanz der zuletzt geschilderten Organ¬ 
extrakte ist jedenfalls eine giftige organische Basis. Die physio¬ 
logische Wirkung derselben gleicht in jedem einzelnen Punkte 
derjenigen des /l-Imidazolyläthylamins (Histamin). Ich habe ge¬ 
funden, dass auch dieser Körper, in einem viertel bis halben 
Teile der tödlichen Dosis Kaninchen intravenös eingespritzt, 
genau dieselbe Anregung der Peristaltik hervorruft, wie der 
beim Menschen therapeutisch angewandte Milzextrakt (Hormonal). 
Es ist daher wahrscheinlich, dass auch der im Hormonal und 
in den Extrakten anderer Organe wirksame Körper das /9-Imid- 
azolylätbylamin oder eine ähnlich konstituierte organische Basis 
ist, eine Frage, die nur durch chemische Untersuchungen, mit 
denen ich im Verein mit Dr. Sommerfeld beschäftigt bin, gelöst 
werden kann. Wir haben schon jetzt aus Organextrakten Lösungen 
erhalten, die in geringer Menge den oben geschilderten akuten 
Tod der Meerschweinchen und die Anregung der Darmperistaltik 
bei Kaninchen erzeugen, ohne dass sie eine Biuretreaktion 
geben, Lösungen, die also frei von Albumosen, Pepton, Poly¬ 
peptiden und ähnlichen Körpern sind. 

Die in den wässrigen Organauszügen enthaltenen Gifte spielen 
sicher auch eine Rolle in der Pathologie des Menschen. Gewiss 
beruhen auf ihnen jene schweren Störungen, die wir nach dem 
Zugrnndegehen von Teilen innerer Organe oder von Muskeln ein- 
trcten sehen, sei es nun, dass dieses auf traumatischem oder 


anderem Wege zustande kommt, wie z. B. bei der Behandlung 
der leukämischen Milz mit Röntgenstrahlen, die ja, wenn sie 
rapide vorgenommen wird, sogar zu Todesfällen Veranlassung 
gegeben hat. 


Ueber die biochemische Differentialdiagnose bei 
Toxipeptiden- und Methylalkoholvergiftungen. 

Von 

Dr. Mario Segäle, 

Privatdozent der ailgemeinen Pathologie an der Universität Genua. 

In der Praxis bestehen bekanntlich bei der Unterscheidung 
akuter Metbylalkobolvergiftungen von Intoxikationen in der Art 
der Toxipeptiden (Pepton, verdorbenes Fleisch, Botalismus, per¬ 
akute Cholera) grosse Schwierigkeiten sowohl wegen der ähnlichen 
Symptomatologie als auch wegen der manchmal vorhandenen 
Unmöglichkeit, die Aetiologie aufzndecken, falls die bakeriologi- 
schen Proben misslingen. Deshalb habe ich als Fortsetzung 
einiger meiner früheren Arbeiten, die auf Grund physikochemischer 
Befunde des Serums das Peptonintoxikationsbild zu erklären an¬ 
streben, untersucht, ob diese Methoden, bei welchen man mit 
kleinsten Mengen arbeiten kann, zur Erklärung obiger Frage 
heraugezogen werden können. Ich erinnere beiläufig, dass das 
pharmakodynamische Studium der Aetbyl- und Methylalkohole 
aus den Arbeiten Sabbataoi’s hervorgiug, welcher in scharf¬ 
sinniger Weise das bedeutende Missverhältnis zwischen dem 
chemischen Verhalten der Aetbylalkoholmolekülen und der von 
ihnen erzeugten schweren pharmakologischen Wirkungen feststellte. 
Er vermutete und bewies, dass die pharmakologische und toxische 
Wirkung des Alkohols nicht wesentlich von chemischen Eigen¬ 
schaften, seinen Molekülen oderOxydationsprodukten abhängen könne, 
sondern davon, dass sich infolge des Vorhandenseins dieser Sub¬ 
stanzen im Serum ganz neue physikochemische pathogenetische 
Momente auslösen, nämlich starke Erhöhung der molekularen Kon¬ 
zentration, bedeutende Verringerung der elektrischen Leitfähigkeit 1 ) 
und dadurch Schwankungen des physikochemischen Zustandes 
der Kolloide and der Beschaffenheit des Protoplasmas wegen der 
veränderten Verhältnisse der Löslichkeit in hydroalkoholischer 
Flüssigkeit anstatt in normaler wässeriger Flüssigkeit des Blutes. 

Ich verabreichte' bei meinen Versuchen Hunden per os eine 
gewisse, dem Tiergewichte entsprechende Quantität reinen, in 
zwei Teilen Wasser verdünnten Methylalkohol. 

Die Tiere wiesen grösstenteils sehr schwere Erscheinungen 
akuter Intoxikation auf und starben meistens in weniger als 
12 Stunden. Einige wiesen zwar bei den gleichen oder ver¬ 
hältnismässig höheren Dosen nur vorübergehende Erscheinungen 
nach der ersten Verfütterung auf, zeigten sich aber grösstenteils 
für eine zweite sehr empfindlich. Manches Tier war wiederaro 
ausserordentlich widerstandsfähig. Es bestehen eben individuelle, 
in der Literatur wohlbekannte Verschiedenheiten, bei denen ich 
nicht verweilen will (Tabelle 1). 

Ans den Werten der Tabelle 1, welche einige typische Ver¬ 
suche zusammenfasst, erhellt die gewaltige und rasche Erhöhung 
des osmotischen Druckes nach Verabreichung von Methylalkohol; 
es ergeben sich auch Veränderungen der elektrischen Leitfähigkeit, 
welche, wenn sie beständig sind und Wert für den Einzelfall be¬ 
sitzen, doch nicht solche Tragweite haben, um als absolut be¬ 
weisend augesprochen werden zu können, wenn der Anfangswert 
unbekannt ist, wie das praktisch beim Menschen vorkommt 2 ). 

Im refraktometrischen Index kommen auch noch klare und 
bestimmte Schwankungen vor hinsichtlich der Verdünnung des 
Serums 8 ) und Veränderungen, die in der Wasserstoffionen¬ 
konzentration (17 H) kaum wahrnehmbar sind. 


1) Die Versuche von Sabbataui, Buglia und Simon (Arch. fisiol., 

Vol. 5 und 7, Lincei Vol. 1907) beweisen Erhöhung des J bis zu — 1,12 
und — 2,35, sowie bemerkenswerte Veränderungen der elektrischen Leit¬ 
fähigkeit (Aetbylalkohol von = 141 bis X™-» = 134). 

2) Ueber die Sohwankungsgrenzen der normalen Werte und über 
die Vorsicht, die ich vor der Annahme von Schwankungen in Fällen für 
geboten erachte, in denen die stets individuellen Anfangswerte un¬ 
bekannt sind, verweiseich auf: M. Segäle, Bull, accad. med. Genova, 1906. 

3) Die Veränderungen des refraktometrischen Index abhängig zu 
machen von der ausschliesslichen Schwankung des Eiweisses halte ich 
nicht für passend; meine Untersuchungen über die Reaktionsgeschwindig¬ 
keit der autolytischen Prozesse haben dies genau festgestellt. (Siehe 
Congr. soc. ital. progresso della scienze, Firenze, und Cougr. Ass. fran<?. 
p. l’Avanc. des Sciences, Lille 1911.) 

4* 


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UMIVERSITY OF IOWA 



250 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. Nr. 0. 


Tabelle 1. 

Vergiftungen auf gastrischem Wege mit Methylalkohol. 



J 

n o 37° 

7/H 

Xi"-4 

37° 

I. 

Gesund. 

-0,62 

1,34454 

0,140 

148,7 


Nach 20 Minuten . . 

— 0,95 

1,34354 

0,162 

141,6 


Tot. 

— 1,10 

1,34291 

0,158 

146,4 

II. 

Gesund. 

— 0,62 

1,34506 

0,180 

— 


Nach 45 Minuten . . 

— 1,02 

1,34364 

— 

— 


Nach 48 Stunden . . 

— 0,80 

1,34349 

0,175 

— 


Wiedervergiftung: 

Nach 1 Stunde . . . 

— 1,14 

| 1,34233 

0,172 



Tot. 

— 1,33 

1,34241 j 

0,170 


III. 

Gesund. 

— 0,60 

1,34415 

0,168 

156 


Tot. 

— 0,98 

1,34366 

0,161 

144 

IV. 

Gesund. 

— 0,57 

1,34390 ’ 

— 

— 


Tot. 

- 2,07 

1,3422 

— ! 

— 

V. 

Gesund. 

— 0,58 

1,34431 

_ 

145 


Tot. 

- 0,98 

1,34349 ! 

— 

136 

VI. 

Gesund. 

-0,56 

1,34502 

0,175 

— 


Nach 1 Stunde . . . 

— 1,16 

1,34412 : 

— 

— 


Tot. 

— 1,04 

1,34420 | 

0,167 | 

— 


Hinsichtlich der Prüfungstechnik weicht diese im wesentlichen nicht 
von der von Ostwald-Luther empfohlenen ab; die refraktometrischen 
Bestimmungen wurden mit einem Refraktometer Pulfrich-Zeiss, grosses 
Modell bei 37 0 ausgeführt, die Bestimmungen der Wasserstoffionenkonzen¬ 
tration mit dem von C. Foä vorgeschlagenen Apparat zur Bestimmung 
der Gasketten, den ich besonders vorziehe. Als Wasserstoffionenkonzen¬ 
trationswert beschränke ich mich, das mit der Kompensationsmethode 
gemessene Kontaktpotenzial anzugeben; von ihm kann der absolute Wert 
leicht berechnet werden, der indes praktisch nur relative Wichtigkeit 
besitzt, da es sich um Vergleichungswerte handelt. Der Wasserstoff ist 
mittels eines besonderen von Grandis erdachten Apparates elektro¬ 
lytisch vollständig rein hergestellt worden. — Weitere technische Einzel¬ 
heiten finden sich in: Segäle, Tecnica di esame ecc. Accad. raed. di 
Genova, Bd. 21, H. 2, und Pathologica, 1912, Nr. 76, S. 12. 

Beim Vergleiche dieser Bestimmungen mit jener experimentell 
beim Hunde darch Intoxikation mit Toxipeptiden (Peptone, 
Anaphylaxie) erhaltenen and mit der Kurve der beim Menschen 
während einer schweren, rein toxipeptischen Vergiftung, wie die 
Cholera, beobachteten Schwankungen, finden wir wichtige und 
wesentliche Unterschiede 1 ). (Tabelle 2.) 

In der Tabelle Nr. 2 sind nur die Ausgangswerte verzeichnet; 
die Zwiscbenwerte interessieren hinsichtlich des Refraktionsindex, 
der in umgekehrtem Sinne in den ersten Perioden schwankt. 
Dieser Punkt wurde übrigens von mir schon an anderer Stelle 
ausgeführt (Pathologica, Nr. 76). 

Bei Zusammenfassung der beobachteten Tatsachen kann man 
sagen, dass bei akuter Vergiftung mit Toxipeptiden der 
osmotische Druck, die Konzentration der Ionen 2 3 * ) und der Re¬ 
fraktionsindex zunehmen, die elektrische Leitfähigkeit sich wenig 
verändert, und dass bei akuter Vergiftung mit Methylalkohol 
der osmotische Druck äusserst hohe Werte erreicht, die Kon¬ 
zentration der Ionen sich nicht verändert, der Refraktionsindex 
sich verringert, die elektrische Leitfähigkeit sich wenig verändert. 

Diese Momente geben einer Reihe von Schlüssen und Be¬ 
stimmungen Raum über die Gründe des verschiedenen Verhaltens 
des Serums in den beiden Gruppen von Fällen. Bezüglich der 
Toxipeptide glaube ich, dass eine explosive Spaltung der Eiweiss- 
Moleküle anzunehmen sei, wie es vernünftigerweise durch die 
Unterscheidung der gefundenen physikochemischen Werte und 
einiger unmittelbarer Bestimmungen der Aminsäuren im Serum 
und der Stickstoffausscbeidung im Harn 8 ) zugegeben werden kann. 


1) Da es sich um schon veröffentlichte Werte handelt (M. Segäle, 
Pathologica, Nr. 62, 64, 67, 76), beschränke ich mich, einige typische 
Fälle anzuführen. Bezüglich der Cholera hatte ich besonders Gelegenheit, 
von diesem Gesichtspunkte aus 60 Fälle bei Erwachsenen und Föten 
zu studieren (siehe Pathologica, 1912, Nr. 77, und 1913, Nr. 105). 

2) Die Wasserstoffionenkonzentration nimmt zu, d. h. die Reaktion 
neigt zur Säure, folglich verringert sich der Wert der 77 H (Kontaktpotential 
zwischen dem mit Wasserstoff gesättigten palladierten Goldstift und der 
Flüssigkeit). 

3) Atti del J. Congr. della Soc. Ital. chimica biolologica, 1911, und 

Pathologica, Nr. 76. 


Tabelle 2. 



J 

| ni 37® 

77 H 

X10-4 

37* 

Hunde. 



I 


I. Anaphylaxie vor d. endo- 


1 

i 


venösen Einspritzung . 

-0,61 

1,34447 

— 

— 

Tot . . 

— 0,80 

1,34806 

! — 

— 

II. Anaphylaxie vor d. endo- 

1 


venösen Einspritzung . 

— 0,60 

1,34349 

— 

147 

Tot . . 

- 0,67 

j 1,34546 

— 

142 

III. Anaphylaxie vor d. endo- 

I 


venösen Einspritzung . 

- 0,64 

! 1.34597 

0,158 

— 

Tot . . 

- 0,72 

: 1,34764 

0,092 

— 

IV. PeptonWittevord.endo- 

i 


venösen Einspritzung . 

— 0,61 

! 1,34555 

0,183 

156 

Tot . . 

— 0,68 

! 1,34848 

0,137 

145 

Menschen-Cholera. 



Normale Grenzwerte . . . 

f —0,56 
l —0.60 

/ 1,35103 
\ 1,34939 

j 0,140 
\ 0,170 

o o 

(M 

Fall Scotto: gefährlich . . 

- 0,75 

1,35610 

0,064 

114 

rekonvaleszent 

— 0,54 

1,34597 

0,164 1 

131 

„ Papis: gestorben . . . 

— 0,78 

1,35490 

0,076 i 

120 

„ Pasqui: sehr schwer 

— 0,73 

1,35970 

0,078 

117 

„ Bavari Blitzcholera 1 ) . 

— 0,79 

1,35188 

0,034 | 

142 


Betreffs des Methylalkohols steheu wir vor einer ganz ver¬ 
schiedenen Ideenreihe und ohne näher in die Materie einzugehen, 
scheint es mir, dass die unter gleichen Versucbsbedingungen an- 
gestellten, den meinen analogen Untersuchungen von Grignolo 2 ) 
grossen Wert besitzen. Aus ihnen erhellt, dass sich die wirksame 
Substanz bei den Toxipeptidvergiftungen nicht bis zum Auge 
verbreitet, dagegen jene wirksame Substanz bei den Intoxikationen 
durch Methylalkohol äusserst diffusibel ist 2 ). 

Bis jetzt konnte ich noch nicht auf hinreichend breiter Basis 
die spontanen Vergiftungen beim Menschen studieren; ich ver¬ 
danke jedoch meinem Kollegen, Prof. Tomellini, eine Blut¬ 
probe einer Person, welche nach der Krankheitsgeschicbte und 
den gesammelten Daten an ganz akuter Methylalkoholvergiftung 
verstorben war. Ich konnte in diesem Falle die refraktometrische 
Prüfung nicht machen, da das Serum sehr hämolytisch war; die 
Vorgefundenen Werte waren d —0,98, 77 H 0,141. 

Aus diesen Tatsachen (der starken Schwankung des d und 
der unveränderten Wasserstoffionenkonzentration) zog ich die später 
bestätigte Vermutung, dass nicht eine Vergiftung toxipeptischer 
Art die Todesursache gewesen war. 

Diesen Werten und Bestimmungen muss Rechnung getragen 
werden, im Falle sich der zu untersuchende Organismus bei der 
Obduktion gesund erweist, nämlich keine solchen anatomischen 
Läsionen zeigt, welche auf Veränderungen der physikochemischen 
Konstante des Organismus zurückgeführt werden müssten; endlich 
noch in den Fällen, bei denen der Einfluss von Verwesnngs- 
erscheinungen ausgeschlossen werden kann. 


Gelenktuberkulose. 

Vod 

Dr. Leonard W. Ely-Denver (Colorado). 

In den meisten Lehrbüchern und Zeitschriften wird zu viel 
Nachdruck auf die klinische Beobachtung im Vergleich zu den. 
pathologisch anatomischen Verhältnissen gelegt. So gehen die An¬ 
schauungen verschiedener Autoren mit den meinigen weit auseinander, 
nicht bloss im Bereiche der Pathologie, sondern auch was die Dia¬ 
gnose, Aetiologie, Prognose und Therapie anbelangt. Ich begann etwa 
vor vier Jahren meine eingehenden Arbeiten auf diesem Gebiete, 
die mir so manche Aufklärung und Belehrung brachten, und die 
ich in vorliegendem Artikel veröffentlichen will. 

Meine Methode war folgende: Ich sammelte etwa 100 Fälle 
von tuberkulösen und tuberkulös verdächtigen Gelenken. 


1) Typischer Fall eines gesunden Cholerabacillenträgers; in einer 
halben Stunde mit heftigem funktionellen Emphysem gestorben. 

2) Klin. Monatsbl. f. Augenbeilk., 1913. 


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10. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Einen Teil bildeten die von mir selbst operierten Fälle, den 
anderen lieferten mir Kollegen. Soweit möglich erhielt ich die 
Krankengeschichten und beobachtete auch den Heilungsverlauf, 
nachdem die Patienten das Spital verlassen hatten. Es liegt auf 
der Hand, dass ich bei Untersuchung dieser Objekte kein Vor¬ 
urteil in bezug auf eine der angewandten Behandlungsmethoden 
fasste; gingen ja die Ansichten der verschiedenen Operateure 
über Pathologie und Therapie vielfach weit auseinander. Die 
Objekte wurden mir zur Untersuchung in die Laboratorien der 
Universität von Columbia, später von Denver gesandt, wo genaue 
makroskopische und mikroskopische Untersuchung ausgeführt 
wurde (etwa 400 Schnitte in Hämatoxylineosinfärbung). Kurze 
Zeit schon nach Beginn dieser meiner Arbeiten verwarf ich eine 
ganze Reihe von Ansichten, die ich in Jahren an Kliniken ge¬ 
sammelt hatte, und kam zur Ueberzeugung, dass viele Irrtümer 
zu korrigieren wären. Erstens ist es falsch anzunehmen, dass 
man von blosser klinischer Beobachtung zu positiven Schlüssen 
kommen kann in bezug auf Aetiologie, Symptomatologie, Patho¬ 
logie und Diagnose der Gelenktuberkulose. Zweitens ist es falsch, 
eine korrekte Pathologie nur auf makroskopischer Untersuchung 
der Objekte zu begründen. 

Nach dieser kurzen Einleitung will ich nun zur eigentlichen 
Besprechung meines Themas übergehen. 

Definition. Gelenktuberkulose ist eine Reihe von Erschei¬ 
nungen in den Gelenken, die durch Tuberkelbacillen und deren 
Toxine hervorgerufen werden. 

Aetiologie. Der positive Krankheitserreger ist. zweifellos 
der Tuberkelbacillus, der auf dem Wege der Blutbahn die Gelenke 
infiziert. Ob der Bacillus frei in den flüssigen Bestandteilen des 
Blutes schwimmt, oder ob er in den weissen Blutzellen transportiert 
wird, ist ungewiss, keinesfalls aber ist anzunehmen, dass die In¬ 
fektion im Sinne einer Embolie, der Verstopfung einer Endarterie 
mit einem tuberkulösen Pfropfen, erfolgt. 

Pathologie. Der primäre tuberkulöse Herd ist entweder im 
Mark der Knochenenden oder in der Synovia zu suchen. Im Kindes¬ 
alter ist der Lieblingssitz der Knochen, später in ziemlich gleicher 
Frequenz Knochen und Synovia, in seltenen Fällen allerdings auch 
die innere Lage des Periosts. Solange keine sekundäre Infektion 
hinzutritt, wird kein anderes das Gelenk bildende Gewebe er¬ 
griffen. Knochen, Ligamente und Knorpel spielen eine nur passive 
Rolle im Verlaufe der Krankheit. Allerdings greift die Erkran¬ 
kung bald von dem eigentlichen Herde auf das Nachbargewebe 
über, namentlich wenn der Herd im Knochenmarke liegt. 

Der Knochen. Bei primärer Tuberkulose des Knochen¬ 
markes zeigen die Knochentrabekel deutlich die Zeichen der pro¬ 
duktiven oder rarefizierenden Osteitis. Wuchern Granulationen in 
grossen Massen, dann wird die Ernährung der Trabekel gehemmt, 
und sie zerfallen in kleinere oder grössere Stücke, aber von einer 
Tuberkulose des Knochens selbst kann nicht die Rede sein. 
(Figur 1—8.) 

Figur 1. 



a = 2 Tuberkelknötchcn im Knochenmark. 


257 


Figur 2. 



Tuberkulose der Mctaearpophalangea. 


Figur 3. 



Nekrotische Wandung eines Knochenabscesses. 


Der Knorpel. Im Gegensatz zu König fand ich, dass 
der Knorpel niemals von Exsudaten in den Gelenken infiziert 
wurde. Nie kann der Knorpel vom Gelenk aus erkranken. 
Die von einzelnen Autoren erwähnten Fibrinauflagerungen auf der 
Knorpeloberfläche beruhten meist nur auf Täuschung. Ich konnte 
sie nie finden. Die Ruhigstellung des Gelenks bedingt eine 
Faserung des Knorpels, und diese Faserung wurde dann fälschlich 
als Fibrinauflagerung gedeutet. Auch der erkrankten Synovia 
schreibt man bei Gelenkstörungen zu, sie überwuchere den Knorpel 
im Sinne eines Pannus und verzehre ihn. Die tuberkulöse Synovia 
tut dies aber meiner Ansicht nach in keinem Falle, ln einem 
immobilsierten Gelenke substituiert die Synovia die Knorpelränder 
gerade im Sinne eines Pannus. Ist die Beweglichkeit wieder her- 
gestellt, so dehnt der Knorpel wieder seine Ränder aus und drängt 
die Synovia wieder zurück. Die Synoviafalten verdecken oft den 
Knorpel, ohne aber die Struktur desselben zu verändern oder mit 
dem Knorpel zu verkleben. Selbst wenn jahrelang ein tuber¬ 
kulöses Exsudat im Gelenk vorhanden ist, findet man doch die 
Gelenksknorpel glatt und glänzend, vorausgesetzt, dass die Be¬ 
wegungsfreiheit des Gelenks erhalten blieb. Die einzige wirkliche 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


Tuberkulöse Synovialis. Die Entzündung sistiert bei_dein Bindegewebs- 
lager der Kapsel. 


Figur 7 


Knochentuberkulose. Auffaserung und Degeneration des Knorpelgewebes. 
Aufzehren des Knorpels durch die vorwuchernden Granulationen. 

Figur 5. 


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Schädigung des Knorpels erfolgt nur durch Ernährungsstörung, 
bedingt durch Granulationsbildung im darunterliegenden Knochen¬ 
mark, was man mikroskopisch an der Knorpelgrenze beobachten 
kann. (Figur 4.) Diese tuberkulösen Granulationen heben den 
Knorpel manchmal wie ein Blatt oder eine Flocke ab, bisweilen 
durchbrechen sie ihn auch und bedingen eine Usur. (Figur 5.) 

Figur 4. 


Tuberkulöse Synovialis. 


Figur G. 


Tuberkulose des Knochenmarks. Degeneration und Abhebung des ge¬ 
samten Knorpels. 

Die Synovia erscheint verdickt, gewuchert und gefaltet, 
meistens mit Zotten bedeckt. Die Tuberkel findet man im Gewebe, 
einzelne schon im Zerfalle. Bisweilen lässt sich mit grosser 
Sicherheit das Fortschreiten der Erkrankung aus der Masse 
des fibrösen Gewebes in der Synovia demonstrieren. Langsam 
schleichende Fälle sind charakterisiert durch die Bildung reich¬ 
lichen Bindegewebes und die Tendenz der Tuberkel, sich einzu 
kapseln; rasch verlaufende Fälle durch die Neigung zu Abscess- 
bildung, die Einkapselungen beobachtet man selten. (Figur G u. 7.) 

Oft sieht man in einem Teile des erkrankten Gelenks die 
Krankheit im Fortschreiten, in einem anderen im Aus¬ 
heilen begriffen. Daraus ergibt sich, dass es keinen Zweck hat, 
im Verlaufe der Krankheit verschiedene Stadien zu unterscheiden 


und dieselben mit verschiedenen Namen zu belegen, wie „Gelenk¬ 
fungus“, „Caries sicca“ usw. Ebenso findet man an einzelnen 
Objekten, ich selbst beobachtete es mehrere Male, dass eine 
Region des Gelenks tuberkulös erkrankt ist, während eine andere 
vollständig intakt ist. Die verschiedentlich gebrauchten Namen 
sind nur Ueberreste aus Zeiten, da die genaue Kenntnis der Krank¬ 
heit noch beschränkt war. In der Tat sind alle nur Formen der 
Tuberkulose. Die vielen verschiedenen Namen erzeugen nur 
Konfusion. 

Die Ligamente sind bisweilen verdünnt, bisweilen ver¬ 
dickt. Bildet sich im Gelenk ein kalter Abscess, so bahnt sich 
derselbe seinen Weg durch das Ligament nach aussen. Geht 
die Erkrankung vom Knochenmark auf die Synovia über, so er¬ 
folgt dieser Durchbruch entweder an der Anheftungsstelle der 
Synovia am Rande des Knorpels oder häufiger durch die Usur 
im Knorpel, entstanden durch die durchwuchernden tuberkulösen 
Granulationen. 

Reiskörperchen. In einem der von mir beobachteten Fälle 
fand ich die Reiskörperchen in grösserer Anzahl eingeschlossen 
in eine Kapsel, wie die Samen in einem Granatapfel. Die Reis- 






BERLINER KLINISCHE WOCHENSCIIRIFT. 


259 


10. Februar 1913. 


körperchen finden sich besonders in verhältnismässig gutartigen 
Formen der Erkrankung, bei denen Tendenz zur Heilung besteht. 
(Figur 8.) 

Tuberkulöse Sinuse. Die allgemeine Ansicht ist, dass 
in den Wandungen tuberkulöser Sinuse sich Tuberkeln finden. 
Dies trifft zwar zu, doch ist das Antreffen von Tuberkeln immer 
nur Folge einer sekundären Infektion, eine Tatsache, die von 
grösster Wichtigkeit ist in bezug auf die Therapie. 


Figur 8. 



Reiskörperchen in gemeinsamer Kapsel. (Schwache Vergrösserung.) 

(40 mm-Objektive.) 

Kran k hei tsver lauf. Der ganze Krankheitsprozess in Ge¬ 
lenken zeigt deutlich die Absicht der Natur zu heilen, und zwar 
auf dem Wege der Biudegewebsneubildung. Bei Kindern kommt es 
auch wirklich oft zur vollständigen Wiederherstellung mit nur 
geringer Bewegungseinscbränkung. Knöcherne Ankylose entsteht 
in wenigen Fällen, und da nur infolge sekundärer Infektion. Bei 
Erwachsenen kommt es wohl selten zu spontaner Heilung, auch 
ist wenig von konservativer Therapie zu erwarten. Knöcherne 
Ankylosen sieht man nur nach Resektionen. 

Grunde für das Auftreten der Gelenktuberkulose. 
Bis vor kurzem kannte man keinen stichhaltigen Grund, warum 
die Erkrankung nur in den Enden der Röhrenknochen und nicht 
auch in den Schäften bei Erwachsenen auftritt. Einige dieser 
Theorien will ich hier erörtern. 

1. Aktive Blutcirculation in der unmittelbaren Nachbarschaft 
der Epiphysen. Nun kann aber aktive Circulation nie Grund für 
Tuberkulose sein, im Gegenteil gerade die Körperpartien mit 
aktiver Circulation sind am meisten widerstandsfähig gegen die 
Erkrankung. 

2. Kongestionen im Anschluss an Verletzungen. Traumen 
bilden auch keinen Grund für das Auftreten der Tuberkulose, 
und Kongestionen werden als Therapeuticum gegen Tuberkulose 
angewandt. Das Knochenmark wiederum ist gegen Verletzungen 
leichterer Natur wohl geschützt. 

3. Mangel an Anastomosen in den Endgefässen der Epiphysen. 
Dieser Grund mag berechtigt sein für Fälle, bei denen die Erkrankung 
darch Embolie von tuberkulösem Material bedingt ist; allerdings 
nur im Kindesalter, später entwickelt sich eine vollständige 
Anastomose. Und selbst angenommen, dass mangelhafte Anastomose 
eine gewisse Disposition bilden würde, so müsste man auch in 
anderen Organen, wo sich Endarterien vorfinden, z. B. im Gehirn, 
derartige primär tuberkulöse Herde entdecken, was aber nicht 
der Fall ist. Aus demselben Grunde müsste man auch Herde 
von akut infektiöser Osteomyelitis und anderer Krankheiten auf¬ 
finden in den Knochenenden. 

4. Das gleiche gilt für schwammigen Zustand der Knochen¬ 
enden mit verlangsamter Blutcirculation. Nach dieser Theorie 
müsste die akute infektiöse Osteomyelitis speziell in den Knochen¬ 
enden auftreten. Und wäre der Grad der Circulationsgeschwindig- 
keit von Bedeutung, so müsste man erwarten, dass die Krank¬ 
heit schliesslich auch in dem Knochenschafte auftreten werde. 


Dies kommt aber nur im Kindesalter vor, wo die Röhrenknochen 
rotes Mark enthalten oder wo in jedem Alter eine sekundäre In¬ 
fektion stattfindet. 

Die Ursache für das Auftreten der Krankheit in der Nachbar¬ 
schaft der Gelenke ist in*der geringen Widerstandsfähigkeit der 
Synovia und des roten oder lymphoiden Knochenmarkes gegen 
den Tuberkelbacillus zu suchen. Binde- und Fettgewebe, Knochen 
und Knorpel sind immun, und nur eine sekundäre Infektion 
kann diese Gewebe verletzen. Nur Knochen, welche lymphoides 
Mark führen, werden von der Tuberkulose ergriffen. Die Knochen¬ 
schäfte enthalten gelbes Fettmark und sind deshalb immun. Des¬ 
halb findet man die Krankheit in den Knochenenden und in den 
kurzen und flachen Knochen, im Brustbein, den Wirbeln, Rippen, 
der Scbädeldiploe usw. 

Die Untersuchung der resezierten Gelenke führte mich zu 
dem Schlüsse, ganz gleichgültig, was der Operateur vorhatte, ob 
er nun versucht hatte, jede Spur des erkrankten Gewebes zu ent¬ 
fernen oder weniger, oder ob er sich um die Masse des erkrankten 
Gewebes gar nicht gekümmert hat, dass, wenn er nur das Gelenk 
reseziert und eine primäre Ausheilung der Wunde erzielt hätte, 
die Krankheit geheilt wurde. Die einzige Ausnahme bildete 
die verminderte Lebenskraft einzelner Patienten, die Knochen¬ 
enden heilten nicht zusammen, die Gelenke vereiterten und eine 
Amputation der Extremitäten war geboten. Ich fand ferner, 
dass es manchmal unmöglich war, alles erkrankte Gewebe 
zu entfernen. Es gibt eben noch keine Methode, die uns genaue 
Aufschlüsse darüber gibt, wie weit tuberkulöse Granulationen 
in das Mark hineinwuchern. Und trotzdem wäre es zur Ausheilung 
gekommen, wäre nur das Gelenk operativ zerstört worden. 
Das möge folgendes Beispiel illustrieren: Wenn ein Knie¬ 
gelenk reseziert wird, so entwickelt sich schliesslich eine Anky¬ 
lose. Die gesamte Struktur des beteiligten Knochens verändert 
sich nach Mauclaire, Ollier und anderen Autoren in der Weise, 
dass der spongiöse Knochen dicht wird, das lymphoide Mark sich in 
gelbes Fettmark umwandelt und die Synovia bindegewebig degene¬ 
riert. (Figur 9.) Mit anderen Worten: Die einzigen Gewebe, die 


Figur 9. 



Knöcherne Ankylose als Effekt einer vor 2 Jahren vorgenommenen 
Gelenkresektion. Beachte die Dichte des Knochens. 

im Gelenk zur Tuberkulose inklinieren, verschwinden, und damit 
verschwindet auch die Erkrankung. Die Krankheit endigt, nach¬ 
dem ihr die Lebensbedingungen abgeschnitten wurden. Wir haben 
daher bei Gelenkresektion uns nur zwei Endziele zu stellen: 
knöcherne Vereinigung und Vermeidung einer sekundären Infektion. 
Im Kniegelenk erzielt man beides am leichtesten. Dasselbe 
Prinzip hat man auch bei allen anderen Gelenken zu befolgen. 
Beim Hüftgelenk erzielt man Ausheilung entweder durch eine 
reine Ankylose oder durch Resektion eines genügend grossen An¬ 
teiles des Femurkopfes, um eine Dislokation herbeizuführen. Bei 


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260 


Nr. 6. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Erkrankung der Carpus- und Tarsusknochen erhält man nur gute 
Resultate, wenn man sehr bald operiert und wirklich auch jede 
Spur erkrankten Gewebes entfernt; sonst wird eine Amputation 
unvermeidlich. 

jp:t Was nun die Wirbelsäule bei Etwachsenen angeht, so war 
die Prognose in Fällen, wo tiefe Gewebszerstörung stattfand, 
immer eine schlechte, da wir keine richtige Methode hatten, alles 
tuberkulös erkrankte Gewebe zu entfernen und die erwünschte 
Veränderung der Synovia und des lymphoiden Markes herbeizu¬ 
führen. Erst in letzter Zeit eröffnete die Methode der Knochen¬ 
transplantation bessere Aussichten auf die Ausheilung. 

All das bisher Gesagte bezieht sich nur auf die Gelenk¬ 
operationen bei Erwachsenen. Bei Kindern erzielt man oft 
glänzende Resultate mit konservativer Therapie. Wenn möglich, 
vermeide man die Operationen. Diese sind geradezu kontra¬ 
indiziert, bedingen Verkrüppelungen und Wachstumsstörungen und 
selten eine wirkliche Heilung, da ja auch in den Schäften der 
Röhrenknochen noch lymphoides Mark sich findet. Die einzige 
berechtigte Radikaloperation an dem Gelenke eines Kindes ist 


Figur 10. 



Alter, abgekapselter Tuberkelknoten im Bindegewebe eines resezierten 
Sprunggelenkes. 


Figur 11. 



Alter, eingekapselter Tuberkulose-Herd im Knochen,^unter dem Knorpel, 
a = Knorpelinseln. (Beaohte das dichte fibröse Gewebe und die Ver¬ 
dickung der Knochentrabekel!) 


die Amputation, und diese nur, wenn es sich darum handelt, das 
Leben des Kindes zu erhalten. So lange also nicht jede Hoffnung 
geschwunden ist, ein Gelenk zu erhalten, oder der Patient er¬ 
wachsen ist, beschränke man sich auf die konservative Be¬ 
handlung. 

Auf Grund eingehenden Studiums im Laboratorium und am 
Krankenbette kam ich zu dem Schlüsse, dass die konservative 
Therapie bei Erwachsenen nur in ganz leichten Synovialerkran¬ 
kungen am Platze ist. Nach meiner Ansicht waren die angeblich 
tuberkulösen, durch konservative Therapie ausgeheilten Gelenke ent¬ 
weder überhaupt nicht tuberkulös, oder aber sie kamen in ein Ruhe¬ 
stadium, um später wieder aktiv zu werden. (Figur 10 u. 11.) Die 
Statistik der resezierten, angeblich tuberkulösen Gelenke zeigt nach 
genauer mikroskopischer Untersuchung, dass in ca. 35 pCt. der Fälle 
überhaupt keine Tuberkulose vorlag. Diese Erkenntnis muss uns 
aber sehr skeptisch machen in bezug auf die Möglichkeit einer positiv 
sicheren klinischen Diagnose, namentlich in den sogenannten ab¬ 
geschlossenen Fällen. Mit Rücksicht auf die Schwierigkeit der 
Diagnose ist es daher ratsam, zunächst ca. 6 Monate konservativ 
zu behandeln, in der Zwischenzeit alle zu Gebote stehenden dia¬ 
gnostischen Hilfsmittel, auch das Tierexperiment, anzuwenden, 
um die Diagnose zu sichern. Sollte nach Ablauf dieser Zeit sich 
keine deutliche Besserung einstellen, und wir halten noch an der 
Diagnose Tuberkulose fest, dann möge man zur Radikaloperation 
schreiten. Nur in Fällen der Tarsal- und Carpalgelenkerkrankung, 
wo jedes Abwarten ein Risiko wäre, das Glied zu verlieren, 
operiere man so bald als möglich. 

Kurze Zusammenfassung. 

Reine primäre Gelenktuberkulose tritt nur auf in der Synovia 
und dem lymphoiden Mark. 

Das Vorhandensein dieser zwei Gewebe steht in Wechsel¬ 
beziehung mit der Funktion des Gelenkes: hört diese auf, ver¬ 
schwinden beide Gewebe. 

Mit dem Verschwinden dieser Gewebe erstirbt auch die Er¬ 
krankung. Daher ist die Hauptsache in der Therapie der Gelenk¬ 
tuberkulose, die Funktion des Gelenkes aufzuheben. Bei Kindern 
genügt konservative Behandlung, bei Erwachsenen ist die Ge¬ 
lenksfunktion durch Radikaloperation vollständig aufzuheben. 

Gesellt sich zur Tuberkulose eine sekundäre Infektion, 
werden auch die sonst immunen Gewebe ergriffen, dann tritt an 
die Stelle einer rein lokalen und verhältnismässig harmlosen Er¬ 
krankung eine sich ausbreitende und gefährliche. 

Daher gilt als zweiter Grundsatz: Vermeide sekundäre Infektion. 

Pathogenesis: Meine Ausführungen werden von jedem wohl 
als richtig angesehen, der genügend klinische Erfahrung hat und 
sich die Mühe nimmt, die resezierten tuberkulösen Gelenke 
mikroskopisch zu untersuchen. Wenn wir un9 auch das Auf¬ 
treten der Erkrankung im lymphoiden Gewebe und das Sistieren 
derselben nach Verschwinden dieses Gewebes erklären können, so 
kommen wir doch endlich zu einem Manko. Es ist schwer zu 
verstehen, gerade mit Rücksicht auf die vorherrschende Idee der 
Beziehung der Lymphzelle zum Tuberkelbacillus, warum die Krank¬ 
heit verschwinden sollte nach Schwinden des Gewebes im Gelenke, 
das geradezu die Bestimmung hat, sich gegen die Krankheit zu 
wehren. Meine Ausicht ist so grundverschieden von allen bis¬ 
herigen Theorien, dass ich sie nur mit Vorbehalt jetzt veröffent¬ 
lichen will, bis ich sie vollständig wissenschaftlich begründen 
kann. Sollte mir dies gelingen, so bin ich auch imstande, eine 
ganze Reihe von Hindernissen, die sich noch derzeit dem Ver¬ 
ständnis über das Wesen der Gelenktuberkulose entgegenstellen, aus 
dem Wege zu räumen. Ich vermute, dass die bestehende An¬ 
schauung über die Wechselbeziehung zwischen Lymphzelle und 
Tuberkelbacillus unrichtig ist. Die Lymphzelle ist nicht der an¬ 
greifende Gegner, sondern das Opfer. Mit anderen Worten: Die 
Lymphzelle steht im selben Verhältnis zum Tuberkelbacillus wie 
die rote Blutzelle zum Plasmodium der Malaria. Das lymphoide 
Gewebe bildet im ganzen Körper die Eingangspforte für die Er¬ 
krankung. Wäre die alte Theorie richtig, warum, so müsste 
man fragen, tritt die Erkrankung gerade in demjenigen Gewebe 
zuerst auf, dessen Zellen eigentlich die Bestimmung haben, die 
Erkrankung abzuwehren? Und warum sollte die Krankheit nicht 
auch auftreten (unvermischt) in Geweben, die keine solchen 
Zellen führen? 

Unter Zugiundelegung dieser meiner Hypothese lassen sich 
die meisten Phänomene der Gelenktuberkulose erklären. 


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UMIVERSITY OF (OWA 




10. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


201 


Ueber die Ursachen des Geburtenrückganges 
in Deutschland. 

Von 

Kreisarzt Trangott Pilf-Wiesbaden. 

(Vortrag, gehalten im Verein der Aerzte Wiesbadens am 16. Oktober 1912.) 

M. H., der Minister des Innern in Preussen hat in einem 
Erlass vom 1. April 1912 den Wunsch ausgesprochen, über die 
Ursachen des Geburtenrückganges unterrichtet zu sein; er hat die 
Behörden beauftragt, die nötigen Feststellungen vorzunebmen und 
sich zu diesem Zwecke mit verschiedenen Schichten der Bevölke¬ 
rung in Verbindung zu setzen, besonders auch mit Aerzten, Geist¬ 
lichen, Lehrern, Standesbeamten, Anwälten usw. 

Der Magistrat der Stadt Wiesbaden hat die Fragen des 
Ministers unserem Verein der Aerzte zur Aeusserung vorgelegt, 
und Sie, m. H., haben mir den ehrenvollen Auftrag erteilt, einen 
zusammen fassenden Bericht zu erstatten. Ich will versuchen, 
Ihrem Aufträge wenigstens einigermaassen gerecht zu werden; 
ich weise jedoch schon jetzt darauf bin, dass ich keineswegs in 
der Lage sein werde, Ihnen etwas Neues zu sagen; ich werde nur 
das zusammen fassen können und das in Ihre Erinnerung zurück- 
rufen, was Sie längst wissen. Der Hauptzweck unserer heutigen 
Zusammenkunft soll ja der sein, dass Sie nachher selbst Ihre Er¬ 
fahrungen und Ansichten äussern. 

Damit Sie, m. H., unterrichtet sind, lese ich Ihnen zu¬ 
erst die für uns in Betracht kommenden Fragen des Herrn 
Ministers vor; 

„Es wird festzustellen sein, 

a) ob und in welchen Bevölkerungsschichten eine gewollte 
Beschränkung der Kinderzahl schon früher üblich war oder 
erst neuerdings hervorgetreten ist oder zugenommen hat, 

b) ob sie auf soziale Ursachen und auf welche zurückzuführen 
ist; insbesondere, ob sie im Interesse der Eltern (Abneigung 
gegen allznviel Geburten, Bequemlichkeit und Luxus der 
Lebenshaltung, Berufstätigkeit der verheirateten Frau) oder 
im Interesse der heranwachsenden Generation (Vergrösserung 
des Erbteils, Ermöglichung einer besseren Erziehung und 
ähnliches) geübt wird; 

c) ob etwa die Propaganda der Ideen des Neumalthusianismus 
oder die Anpreisung von Anticonceptionsmitteln in der 
Presse nach dieser Richtung gewirkt haben. 

Besonderes Augenmerk ersuchen wir darauf zu richten, 
ob der Rückgang der Geburten sich wesentlich in den 
Schichten des sogenannten Mittelstandes oder auch in den 
arbeitenden Klassen zeigt. u 

Noch eine kurze persönliche Bemerkung: Wenn ich fast gar 
keine Fremdwörter gebrauche, so bitte ich, trotzdem meine Aus- 
drucksweise nicht für unwissenschaftlich zu halten; ich habe mich, 
meiner Dienstanweisung für die Kreisärzte folgend, nach der die 
Sprache frei von entbehrlichen Fremdwörtern sein soll (§ 116), 
bereits so sehr an mein „geliebtes Deutsch“ gewöhnt, dass ich 
kaum noch anders kann. Die in den soeben gelesenen Fragen 
enthaltenen, sehr entbehrlichen Fremdwörter kommen nicht auf 
meine Kappe. 

Dass seit etwa 30 Jahren ein ganz erheblicher Rückgang 
der Gebarten in allen Kulturstaaten vorliegt, ist unbestreitbar. 
Der Reichsanzeiger gibt für Deutschland folgende Zahlen: 

Auf 1000 Lebende kamen Geburten 


1870-1880 . 

. 40,7 

1881—1890 . 

. 38,2 

1891-1900 . 

. 37,4 

1903 

. 83,0 

1909 

. 31,9 

1910 

. 30,7 


Ein Vergleich mit anderen Staaten während der letzten 
30 Jahre ergibt folgendes: 

Auf 1000 Einwohner kamen im Jahre 1909 



Lebendgeboren 

Geburtenrückgang in den 
letzten 30 Jahren 

Russland . . . 

48,0 

1 

pCt. 

Oesterreich . . 

33,6 

13 

»i 

Italien . . . . 

32,4 

13 

n 

Finnland . . . 

31,3 

13 

n 

Deutsche Reich 

31,0 

18 

n 

Niederlande . . 

29,1 

19 


Dänemark . . . 

28,3 

12 




Lebendgeboren 

Geburtenrückgang in den 
letzten 30 Jahren 

Schweiz . . . 

26,3 

12 

pCt. 

Norwegen . . . 

26,2 

16 

n 

Schweden . . . 

26,6 

14 


England . . . 

25,6 

25 

» 

Belgien .... 

24,9 

21 


Frankreich . . 

19,6 

21 

n 


Dass diese Abnahme eine für unser Volk sehr bedenkliche 
Erscheinung ist, kann kaum bezweifelt werden; jedem, dem daran 
gelegen ist, dass Deutschland im Wettbewerb der Völker, ohne 
den es doch nun vorläufig noch nicht geht, vorwärts kommt, 
muss diese Tatsache mit grosser Sorge erfüllen. Es würde noch 
viel bedenklicher seiD, wenn nicht die Sterblichkeit in den letzten 
30 Jahren um ein Drittel gesunken wäre. Das ist neben der 
geringeren Kinderzahl in den französischen Familien mit ein 

Grund, dass die Bevölkerungszahl Deutschlands die Frankreichs 
so ausserordentlich überholt bat, denn während Frankreich 1840 
noch 33,4 Millionen Einwohner und Deutschland nur 32,8 Millionen 
hatte, waren die Zahlen 1844 schon gleich, nämlich 34,0 Millionen. 
1910 betrug der Geburtenverlust schon 650 000. 

1870 hatte Deutschland 46,8 Mill., Frankreich 36,8 Mill. 

1890 „ „ 49,2 „ „ 38,8 „ 

1910 „ „ 64,6 „ „ 39,3 „ 

Es ist leider mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, dass das nicht 
so günstig für uns bleiben wird; verschiedene Anzeichen deuten 
darauf hin, dass Frankreich durch die vielen und zweckmässigen 
Maassregeln sich bereits etwas zu erholen beginnt, während 
Deutschland dazu bestimmt zu sein scheint, vielleicht noch tiefer 
zu sinken, mit der dem Deutschen eigenen Gründlichkeit, mit der 
er alles betreibt, auch das für ihn Verderbliche. 

Auf wie eigenartige Weise Frankreich seine Bevölkerungs¬ 
zahl zu heben versucht, geht aus einer Mitteilung der Zeitschrift 
für Säuglingsschutz, 1912, H. 10, hervor: 

„Aus den Bergmannsdörfern Spiessen und Elversberg sind 
sieben Bergarbeiter mit ihren Familien nach Frankreich ausge¬ 
wandert. Die Leute erhalten bei dreijähriger Verpflichtung freie 
Reise; an Verdienst ist ihnen ein Schichtlohn von 10 bis 12 Frcs. 
in Aussicht gestellt. Die abziehenden Bergleute haben sich alle 
verpflichten müssen, sich in Frankreich zu naturalisieren. Für 
die Kinder erhalten die Auswanderer eine jährliche Prämie von 
100 M. Wie einer der französischen Agenten mitteilte, legen die 
französischen Behörden Wert darauf, viele deutsche Arbeiter¬ 
familien mit möglichst grossem Kinderreichtum zu gewinnen. 
Diesen werden daher auch wesentliche Vorteile gewährt, ln allen 
Bergmannsdörfern der Saar und der Pfalz sollen die Agenten 
eifrig tätig sein.“ 

Für den Geburtenrückgang in Grossstädten sind recht be¬ 
zeichnend die Zahlen, die Landsberg für Magdeburg festgestellt 
hat. Auf 1000 Ehefrauen unter 45 Jahren entfielen eheliche 
Geburten: 

1890/1891 . . 272,3 

1895/1896 . . 238,0 

1900/1901 . . 205,9 

1905/1906 . . 174,1 

1910/1911 . . 144,1 

Das ist ein ganz ungeheuerlicher Rückgang! 

Ich gebe Ihnen jetzt einige Uebersichts- und Zahlentafeln 
herum, aus denen Sie mancherlei ersehen werden. Beachten Sie 
beispielsweise, dass in Frankreich 1911 auf 1000 Einwohner nur 
18,9 Kinder geboren wurden. Ganz auffallend ist eine Tatsache, 
auf die ich besonders hinweiscn möchte: Das ist der auffallende 
Rückgang bei den Juden. Die Juden haben 1910 mit 17,6 Ge¬ 
burten auf 1000 Einwohner den niedrigsten Stand erreicht, und 
wenn das so weitergeht, kann man sich der Annahme nicht ver- 
schliessen, dass das jüdische Volk im Aussterben begriffen ist. 

Die erste Frage, ob und in welchen Bevölkerungsschichten 
eine gewollte Beschränkung der Kinderzahl schon früher üblich 
war oder erst neuerdings hervorgetreten ist oder zugenommen 
hat, ist gerade die, über die ich in erster Linie die Herren aus 
der Praxis, aus dem tätigen ärztlichen Leben bitten möchte, sich 
gründlich auszusprechen und ihre eigensten persönlichen Er¬ 
fahrungen nachher hier bekanntzugeben. Ich selbst kann nach 
meinen theoretischen und praktischen Erfahrungen sagen, dass 
die absichtliche Beschränkung der Kinderzahl früher besonders in 
den sogenannten besseren Ständen — man sollte sie richtiger die 
wohlhabenderen oder mehr begüterten nennen — um sich ge- 

6 



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2G2 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


griffen hat; in diesen Ständen hat sie in der letzten Zeit merk¬ 
lich zugenommen, und ich glaube kaum fehlzugehen, wenn ich 
behaupte, dass in diesen Bevölkerungsschichten Familien mit 
mehr als drei Kindern recht selten sind. Vielleicht fangen wir 
einmal im eigenen Hause an und betrachten den Kinderreichtum, 
richtiger leider die Kinderarmut des Aerztestandes. Es wäre eine 
sehr interessante Aufgabe, för grössere Landesteile festzustellen, 
wieviele Kinder in den Aerztefamilien zu linden sind. Man wurde 
zweifellos zu der sicheren Feststellung kommen, die man jetzt 
nur vermutungsweise treffen kann, dass die Kinderzahl der Aerzte 
verhältnismässig recht gering ist. Ich bin in den mehr als 
20 Jahren meiner Tätigkeit in vielen Gegenden des Reiches in 
zahlreiche Aerztefamilien hineingekommen und habe rundum 
Nachfragen gestellt, da ich für diese Sache stets Teilnahme hegte; 
selten habe ich mehr als zwei Kinder gefunden, oft eins oder 
keins. Die Gründe dieser Tatsachen können nachher gemeinsam 
im zweiten Abschnitt erörtert werden. Leider ist es mir bei der 
verhältnismässigen Kürze der mir zur Verfügung stehenden Vor¬ 
bereitungszeit und bei meinem stetigen Ueberfluss an Zeitmangel 
nicht möglich gewesen, festzustellen, ob sichere Angaben über die 
Kinderzahl einzelner Stände und Berufeklassen vorhanden sind, 
und ich wäre sehr dankbar, wenn nachher einige der Anwesenden 
mit bestimmten Angaben aushelfen könnten. Meine eigenen, 
allerdings nicht zahlenmässigen Beobachtungen haben ergeben, 
dass beispielsweise bei der Geistlichkeit, die bisher als Hochburg 
der Fruchtbarkeit galt, ein bemerkenswerter Rückgang zu sehen 
ist, ebenso auch im Lehrerstande, und das arme Dorfschulmeister¬ 
lein, das trotzdem zehn bis zwölf Kinder hat, ist längst eine 
Fabel. Nur über einen Beruf kann ich sichere Angaben machen. 
1911 geriet mir ein Heft in die Hände von Dr. med. Eisen¬ 
stadt und Dr. phil. H. Guradze: Beitiäge zu den Krankheiten 
der Postbeamten, mit Angaben über die Kinderarmut der mittleren 
Postbeamten. Der Verband mittlerer Reichs-, Post- und Tele¬ 
graphenbeamten hatte durch Zählkarten einwandfrei festgestellt, 
dass die durchschnittliche Kinderzahl der verheirateten mittleren 
Postbeamten 1,62 bis 1,77 beträgt; das ist also eine sehr geringe 
Zahl. Eine ähnliche Statistik war 1908 bereits hinsichtlich der 
Kinderzahl der Postassistenten und Oberassistenten aufgestellt, 
und auch hier kam man nur bis zu 1,77 Kinder auf ein Ehe¬ 
paar. Was die bäuerliche Bevölkerung und die Arbeiterbevölke¬ 
rung auf dem Lande anbetrifft, so hat mir mein jahrelanger 
ärztlicher Verkehr deutlich gezeigt, dass eine gewollte Beschrän¬ 
kung der Kinderzabl schon vor etwa 20 Jahren auch da begonnen 
und allmählich immer mehr zugenommen hat, und bei der 
Arbeiterbevölkerung in den Städten, besonders in den Gross¬ 
städten, scheint das Zeitmaass noch viel geschwinder zu sein. 
Hierüber möchte ich ganz besonders die Herren nachher um 
Aeusserung bitten, wozu Sie durch täglichen Verkehr mit diesen 
Schichten hervorragend befähigt sind. Dass es sich in den weit¬ 
aus meisten Fällen um eine gewollte Beschränkung der Kinder¬ 
zahl handelt, darüber sind wir uns wohl alle einig, und ich 
brauche die Zeit darum nicht mit Erörterungen zu verlieren; 
ausserdem steht diese Frage nicht zur Verhandlung. Jedenfalls 
steht bei den verhältnismässig sehr günstigen allgemeinen Ge¬ 
sundheitsverhältnissen, bei der allgemeinen Aufklärung über ge¬ 
schlechtliche Zzstände, der weitverbreiteten Gelegenheit zu ärzt¬ 
licher Behandlung und zur Abhilfe der Unfruchtbarkeit, und be¬ 
sonders bei der hochgesteigerten ärztlichen Leistungsfähigkeit auf 
diesem Gebiete die krankhafte, nicht absichtliche, die körper¬ 
liche Unfruchtbarkeit in keinem Verhältnis zu der absichtlichen, 
die man hiernach auch die seelische, geistige, moralische Un¬ 
fruchtbarkeit nennen könnte. Auf eine eigenartige Tatsache 
möchte ich hier noch aufmerksam machen, dass vielfach in 
Kreisen mit vorwiegend katholischer Bevölkerung die Geistlich¬ 
keit als wichtiger Faktor bei der Zunahme der Geburten in Be¬ 
tracht kommt. Es ist mehrfach sicher festgestellt, dass die 
Geistlichen durch ihre Predigten und Ermahnungen zu ehelicher 
Fruchtbarkeit Erfolg haben; in Anrath, einer Bürgermeisterei im 
Bezirk Düsseldorf, stieg die Geburtenziffer 1909 von 28,5 auf 
33,0 pCt., nachdem 1908 die Missionare dort gepredigt hatten; 
diese Betrachtungen sind auch an vielen anderen Orten gemacht 
worden, ln evangelischen Kreisen findet man oft das Gegenteil. 
Ganz auffallend nimmt, wie erwähnt, die Geburtenzahl bei den 
Juden ab, und man prophezeit deshalb den Juden in Deutsch¬ 
land einen baldigen sicheren Untergang. 

Die zweite Frage lautet, ob die gewollte Beschränkung der 
Kinderzahl auf soziale Ursachen, und auf welche, zurückzu¬ 
führen ist; insbesondere, ob sie im Interesse der Eltern (Ab¬ 


neigung gegen allzuviel Geburten, Luxus der Lebenshaltung und 
Bequemlicbheit, Berufstätigkeit der verheirateten Frau) oder ira 
Interesse der heran wachsenden Generation (Vergrösserung des 
Erbanteils, Ermöglichung einer besseren Erziehung und ähnliches) 
geübt wird. 

Man kann im allgemeinen diese Frage, die die Antworten 
schon in sich birgt, mit ja beantworten, denn alle diese an¬ 
geführten Ursachen kommen mehr oder weniger, nur nach den 
einzelnen Verhältnissen verschieden in Betracht. 

Die sozialen Ursachen dürfen wir in keiner Weise unter¬ 
schätzen. Ich erinnere hier kurz an den Boden- und Mietwucher, 
an die unmässige Steigerung der nötigen Lebensbedürfnisse. Nie¬ 
mand kann bestreiten, dass an die Lebensführung Ansprüche ge¬ 
stellt werden, denen viele nicht ohne die äussersten Anstrengungen 
genügen können, so dass tatsächlich in vielen Fällen ein gewisser 
Zwang vorliegt, die Kinderzabl zu beschränken, wenn nicht die 
Eltern und die schon vorhandenen Kinder geradezu in einen Not¬ 
stand geraten sollen. Es gibt ja zum Glück noch viele über 
dem Durchschnitt stehende Menschen, die sich den Einflüssen des 
Zeitgeistes entziehen können, aber wir können das von der 
grossen Masse nicht verlangen. Die grosse Menge lässt sich von 
dem Strome treiben und von dem Zeitgeist beherrschen, und 
dieser jetzige Geist der Zeit steht im Zeichen der äusseren, der 
technischen Kultur, der Kultur der Oberfläche, und die echte 
Kultur des Geistes, der Seele, des Gemütes steht in einem 
bedauerlichen Missverhältnis dazu, denn sie entwickelt sich viel 
langsamer und zeigt stellenweise sogar beschämende Rück¬ 
schritte. 

Ein Vorwurf kann dem Staate nicht erspart werden. Der 
Staat klagt über die abnehmende Kinderzahl seiner Bürger, aber 
was tut er denn zur Abhilfe? Man hört viele Worte, Vorträge, 
man erfährt von Versammlungen und erhält Drucksachen ge¬ 
schickt, aber die Taten fehlen. Warum verbessert der Staat 
nicht die soziale Lage der Familien, die sich durch Kinder¬ 
reichtum auszeichnen? Warum werden z. B. die verheirateten 
und die kinderreichen Beamten, denn die Beamten machen sicher 
einen bedeutenden Teil des Staates aus, in den Einkünften nicht 
besser gestellt als die unverheirateten, kinderlosen und kinder¬ 
armen? Liegt denn nicht ein gewisser Widersinn darin, dass der 
Staat einem unverheirateten Beamten beispielsweise 4000 M. be¬ 
zahlt und von einem gleichalterigen, der 6 Kinder hat, verlangt, 
dass er ebenfalls mit 4000 M. standesgemäss leben soll? Muss 
da nicht in dem Sinne dieses kinderreichen Beamten eine ge- 
wissermaassen berechtigte Missstimmung auftauchen, wenn er 
sehen muss, wie sich sein kinderloser Amtsgenosse sein Leben 
sorglos und behaglich einrichtet, während er selbst für seine 
Kinder vielleicht sechsmal soviel Schulgeld bezahlt als jener 
Steuern? Wir können eben leider bei diesen Leuten jene höheren 
ethischen Anschauungen nicht voraussetzen, die eine grosse 
Kinderzahl als etwas Erstrebenswertes erscheinen lassen. Be¬ 
achtenswert ist auch die Tatsache, dass der Geburtenrückgang 
besonders vorliegt in äusserlich hoch kultivierten, dicht be¬ 
völkerten, industriellen Landesteilen, auch in solchen, die als 
stark sozialdemokratisch und politisch freisinnig bekannt sind. 
Wolf sagt: „Die Sozialdemokratie übt sich in der Abstinenz. 1 * 

Es ist natürlich hier nicht meine Sache., die Maassregeln zu 
erörtern, die der Staat zur Abhilfe oder wenigstens zur Besse¬ 
rung tun könnte; es ist zu hoffen, dass hier Berufenere am Werk 
sind. Ich möchte nur erwähnen, dass ich schon vor 6 Jahren 
in einer allerdings wenig gelesenen, halb volkstümlich, halb 
ärztlich wissenschaftlichen Zeitschrift empfohlen habe, die Jung¬ 
gesellen, die kinderlosen und die kinderarmen Ehen kräftig zu 
besteuern, ebenso vielleicht auch die nicht zum Soldatendienst 
tauglichen Männer. In Frankreich teilweise schon jetzt zur Aus¬ 
führung gelangt, sind diese Maassregeln auch für uns beachtens¬ 
wert. Der bereits bestehende Steuernachlass, den der Staat für 
eine gewisse Kinderanzahl gewährt, ist so lächerlich gering, dass 
er nachgewiesenermaassen auf die Geburtenzahl ohne jeden Er¬ 
folg geblieben ist. Mit solchen Spielereien erreicht man nichts. 
Man sollte sein Augenmerk auch auf die Bestrebungen auf dem 
Gebiete der Boden- und Wohnungsfürsorge richten und hier den 
kinderreichen Familien wirklich merkliche Erleichterungen 
schaffen. Ich hoffe, Sie nicht zu sehr zu langweilen, wenn ich 
hier ganz kurz meine eigenen, überaus bezeichnenden Erfahrungen 
in der Stadt Wiesbaden andeute. Ich musste vom Frühling 1908 
bis Frühling 1910 zweimal wegen meiner 6, echt kindlichen, 
natürlich lebhaften, gesunden Kinder umziehen, was mit grossen 
Kosten und Nachteilen verbunden war. Die Hausbesitzer setzten 


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10. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2G3 


uns einfach an die Luft, und der eine zwang mich sogar zu 
einem erheblichen sogenannten „Schadenersatz“. Danach wurden 
wir von zahllosen Hausbesitzern abgewiesen. „Was, 6 Kinder 
haben Sie? Ja, wenn es 2 waren!“ Ich war gezwungen, ein 
Landhaus vor der Stadt zu mieten, weil es unmöglich war, in 
der Stadt selbst eine passende Wohnung zu finden. Ein wunder¬ 
sames, recht bezeichnendes Ereignis soll hier noch angeführt 
werden: Eine Landesversicherungsanstalt verweigerte die Her¬ 
gabe einer Hypothek auf ein Haus, in dem Familien wohnten, 
die zusammen ungefähr 20 Kinder hatten, und zwar so lange: 
„bis die Zahl der Kinder auf ein erträgliches Maass herab¬ 
gesetzt worden sei“. Ich enthalte mich hierzu jeder Be¬ 
merkung. 

Diese Wohnungsnot ist neben der allgemeinen Teuerung 
ganz gewiss ein sehr wichtiger Grund in der Beschränkung der 
Kinderzahl. 

Ausser diesen sozialen Ursachen, die zum grössten Teil be¬ 
gründet sind, verdienen aber auch ebenso viel Beachtung die 
übrigen bereits in der zweiten Frage erwähnten, und diese sind 
zum grössten Teil nicht begründet, wenigstens nicht vom all¬ 
gemein menschlichen, vom vaterländischen, vom sittlichen Stand¬ 
punkte aus. Die Eltern wollen in ihrem eigenen Interesse keine 
Kinder mehr; manche junge, gesunde Frau, die, natürlich im 
Dämmerschlafe, weil sie zu feige war, die natürlichen Schmerzen 
auszuhalten, ihr erstes Kind geboren bat, sagt im Einverständnis 
mit ihrem ebenso weichlichen Gatten: „Ich will kein Kind 
mehr.“ Diese seelische Schlaffheit, diese Unmoralität und Weich¬ 
lichkeit, diese Bequemlichkeit, diese Kraftlosigkeit, irgendwelche 
Entbehrungen auf sich zu nehmen, diese Unfähigkeit, in die 
eigene Zukunft und in die des ganzen Volkes zu sehen, sie alle sind 
Stützen der gewollten Kinderlosigkeit. Es gilt für unanständig 
und dumm, viele Kinder zu haben. Es ist die Selbstsucht des 
Einzelnen, die ihn Volk und Vaterland vergessen lässt, dieses 
„punktförmige Dasein des Einzelnen, der nur auf sein eigenes 
bisschen zwischen Geburt und Tod eingeschlossenes Leben sieht“, 
wie Siebert in München sich ausdrückt, die vollkommene Kraft¬ 
losigkeit, die die Kinder ungeboren lässt und ihnen das Leben 
nicht gönnt; diese Selbstsucht und Kraftlosigkeit ist es, die sich 
in so bedauernswerter Weise äussert. Ich muss nun hier offen 
gestehen, dass ich es für keinen so grossen unwiederbringlichen 
Schaden für unser Land, für unser Volkstum halten kann, wenn 
sich diese selbstsüchtigen Schwächlinge nicht oder wenigstens 
nicht genügend fortpflanzen; sie bedenken es meist selbst nicht, 
dass sie entweder sogleich oder sehr bald aussterben, oder, wie 
der bayerische Bezirksarzt Grassl sagt, „ansgeboren“ werden. 
Noch nie ist ein Name, eine Familie zugrunde gegangen wegen 
zu grosser Kinderzahl, stets wegen zu kleiner. Kein Stamm, 
keine Familie „stirbt aus“, sondern wird „ausgeboren“. Diese 
Weichlinge also, die keine Kinder wollen, brauchen sich nicht 
fortzupflanzen, sie brauchen keine Kinder zu haben, die doch 
ebenso meist wieder solche Weichlinge werden. Es ist gut, wenn 
diese lebenverneinenden Familien möglichst bald von der Bild¬ 
fläche verschwinden; sie machen dann den Kindern der leben¬ 
bejahenden Familien den erwünschten Platz. Dann wird sich 
Deutschland wieder erholen, wenn diese Menschen, aus Genuss¬ 
sucht und Mehlbrei geformt, verschwunden sind. 

Ob die Berufstätigkeit der verheirateten Frau, die übrigens 
mehr zu den sozialen Ursachen zu rechnen ist, eine bedeutsame 
Rolle bei der Beschränkung der Kinderzahl spielt, weiss ich 
nicht; ich bitte nachher auch darüber um Aeusserungen. Im 
allgemeinen ist es wohl sicher, dass Frauen, die durch einen 
Beruf in Anspruch genommen werden, weniger Neigung zur Ehe 
haben; Kinder hindern ausserdem die Erwerbstätigkeit. 

Mehr in den Hintergrund zu treten scheint das Interesse der 
Kinder selbst, wenn auch nicht bestritten werden kann, dass es 
vielen Eltern mit unrichtigen oder falsch gedeuteten Erziehungs¬ 
grundsätzen sehr wünschenswert erscheint, ihre wenigen Kinder 
von vornherein möglichst sicherzustellen, ihnen durch ein grosses 
Gelderbteil den Kampf ums Dasein zu erleichtern und ihnen das 
zu schenken, zu erwerben, was sich ein echter Mensch lieber 
selbst erwirbt, weil nur das wirklichen Wert hat, was man sich 
selbst erkämpfte. Die Bestrebungen dieser zärtlichen Eltern ge¬ 
hören in dasselbe bereits betretene Gebiet der Kraftlosigkeit und 
Bequemlichkeit. Der schon erwähnte Grassl sagt an einer 
anderen Stelle: „Die aus einer grossen Kinderscbar hervorgehende 
Bevölkerung ist von Jugend auf an Entbehrungen gewöhnt und 
daher viel konkurrenzfähiger im Kampf ums Dasein der Völker 
als Völker mit geringer Kinderzahl.“ 


Dass die Grundgedanken des Neumalthusianismus einen wesent¬ 
lichen Anteil an der gewollten Beschränkung der Kinderzahl 
haben, lässt sich nicht bestreiten; ob hier in Wiesbaden diese 
Gedanken besonders verbreitet worden sind, weiss ich nicht; ich 
möchte es von Ihnen hören. Ich darf aber wohl darauf hin- 
weisen, dass, nachdem der ursprüngliche Malthusianismus im 
grossen und ganzen überwunden ist, dieser Neumalthusianismus 
viele Anhänger zählt. Es ist hier keineswegs erwünscht und 
möglich, dass ich mich über diese Grundgedanken mit Für oder 
Wider verbreite, wir haben uns heute mit der Tatsache ab¬ 
zufinden, dass die Beschränkung der Nachkommenschaft durch 
Ehelosigkeit oder „kluge Vorsicht nach der Heirat“, wie die Liga 
sich schon 1877 ausdruckte, zahlreiche bewusste oder unbewusste 
Anhänger hat. Eine Tatsache ist es, dass in allen Schichten der 
Bevölkerung die Kenntnis der empfängnisverhindernden Mittel 
immer mehr zun imrat und damit natürlich auch ihre Verwendung; 
ich brauche Ihnen keine Uebersicht über alle diese zahlreichen 
Arzneimittel und Gebrauchsgegenstände zu geben, die von dem 
bekannten Mensinga an eine lange Reihe bilden. Sogar die 
Röntgenstrahlen müssen berhalten: in Paris ist das Unfruchtbar¬ 
machen durch Röntgenstrahlen nicht ganz selten. Meyerhoff 
hat schon 1899 in der Deutschen medizinischen Wochenschrift 
(Nr. 36) lesenswerte Auseinandersetzungen über den Präventiv- 
verkebr gegeben; er weist nach, dass schon in den achtziger 
Jahren unter der Landbevölkerung empfängnishindernde Mittel 
üblich waren. Bei der ungarischen Landbevölkerung ist der 
unterbrochene Beischlaf geradezu als Volkssitte anzusehen; Ver¬ 
lobte verkehren auf diese Weise jahrelang vor der Ehre geschlecht¬ 
lich, ohne Kiuder zu erzeugen, und in einer etwaigen späteren 
Ehe wird dann dieser geheiligte Brauch, der von manchen 
Spöttern als eine Art von verbesserter Onanie aufgefasst wird, 
wohl vielfach weitergepflegt. 

Vor einigen Tagen ist ein Buch des Regierungs- und Geheimen 
Medizinalrats Born träger in Düsseldorf erschienen, „Der Ge¬ 
burtenrückgang in Deutschland“, das den ganzen Stoff in sehr 
angemessener und erschöpfender Weise behandelt und deshalb 
eine allgemeine Würdigung verdient, die ich ihm leider heute 
nicht mehr zuteil werden lassen kann. Eine gewisse Einseitig¬ 
keit seiner Betrachtungsweise ist gegenüber einer überwältigenden 
Tatsachensammlung belanglos. 

ßornträger hat beispielsweise die Erfahrung gemacht, dass 
Damen der besten Gesellschaft von ihren Badereisen ihren Ehe¬ 
männern grosse Vorräte von Condoms mitbringen, und dass 
selbst Theologen eifrige Käufer dieser Gebrauchsgegenstände sind. 
Dass die Kurpfuscher, die Naturheilkundigen, besonders die weib¬ 
lichen, durch Vorträge usw. für die nötige Aufklärung auf diesem 
Gebiete sorgen, ist allseitig bekannt. 

Selbstverständlich kommt der grossen Verbreitung der An¬ 
zeigen empfängnisbindernder Mittel durch die Presse eine grosse 
Wirkung zu; Sie wissen ja alle, dass man kein Zeitungsblatt in 
die Hand nehmen kann, ohne auf solche Anzeigen zu stossen, 
die in offener und verblümter Art behandelt sind. Ganz besonders 
ist die sozialdemokratische Presse bestrebt, durch Broschüren und 
in den Zeitungen selbst zur Beschränkung der Kinderzahl auf¬ 
zufordern. Bornträger erwähnt eine in vielen Tausenden ver¬ 
breitete sozialdemokratische Broschüre: „Kindersegen und Arbeiter¬ 
klasse“, oder „Wie schütze ich mich vor starkem Familienzuwachs? 
Für junge Eheleute des Arbeiterstandes.“ Der Haupinhalt ist 
folgender: 

„Durch das Zwei- bis Dreikindersystem wird es 

a) viel soziales Elend nicht geben. 

b) Die Tuberkulose wird bekämpft. 

c) Die Mutter wird weniger gezwungen, um das tägliche Brot 
zu arbeiten. 

d) Die Zahl der jugendlichen Verbrecher wird stark herab¬ 
gemindert. 

e) Die Degeneration der Frau wird herabgemindert. 

f) Schwierigkeiten bei Wohnungsbeschaffungen werden ver¬ 
mieden. 

Diese Gründe sind der geistigen Höhe der Leute, für die sie 
bestimmt sind, entsprechend; sie erinnern vielfach an unseren 
gemeinsamen Freund und Kollegen Doktor Eisenbart. 

Damit noch nicht genug: Reisende ziehen mit Mitteln und 
Spritzen von Haus zu Haus. Gelegentlich eines Abtreibungs¬ 
prozesses hier ist bekannt geworden, dass eine einzige Frau 
innerhalb eines halben Jahres 900 Spritzen zur Abtreibung oder 
mindestens zur Verhinderung der Empfängnis allein in Wiesbaden 
verkauft hat. Brautpaare oder junge Ehepaare, Eheleute erhalten 

6 * 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 0. 


nach Geburt des ersten Kindes Angebote über empfängnis¬ 
hindernde Mittel; in manchen Landesteilen hat sich die Behörde 
deshalb bereits veranlasst gesehen, die Veröffentlichung der 
standesamtlichen Geburtslisten zu verbieten. Auch Sie werden 
vielleicht mancherlei Erfahrungen aus Ihrer Tätigkeit roitteilen 
können und bestätigen, wieviel Abtreibungen Vorkommen, wie das 
keimende Leben und die Mutterschaft immer mehr entwertet 
werden. 

Bertillon schätzt die Zahl der in Paris vorgenommenen 
Abtreibungen jährlich auf 50 000. Hebammen und Aerzte sind 
hauptsächlich daran beteiligt. Es gibt in Paris sogar eine Ver¬ 
sicherungsgesellschaft für junge Eheleute, die auf mehrere Jahre 
kinderlos bleiben wollen; ein augestellter Arzt besucht monatlich 
die Familien. In Elberfeld wurden in den letzten drei Jahren 
241 Verfahren wegen Abtreibung eingeleitet. 

Ob der Rückgang der Geburten sich wesentlich in den 
Schichten des sogenannten Mittelstandes oder auch in den so¬ 
genannten arbeitenden Klassen zeigt, darüber möchten wir Ihre 
Aeusserungen und die Bekanntgabe Ihrer Erfahrungen hören; ich 
selbst neige auf Grund meiner Beobachtungen zu der Ansicht, 
dass der Mittelstand besonders stark dabei beteiligt ist, während 
in dem sogenannten Arbeiterstande die absichtliche Beschränkung 
noch nicht ihren Höhepunkt erreicht hat. 


BQcherbesprechungen. 

Enil Abderhalden: Fortschritte der naturwissenschaftlichen For¬ 
schung. Sechster Band. Mit 20 Textabbildungen. Berlin-Wien 
1912, Urban & Schwarzenberg. 300 S. Preis 15 M. 

Dieser Band enthält eine Reihe hochinteressanter Aufsätze, von 
denen namentlich die Abhandlungen von Bumke-Freiburg: „Zur Frage 
der funktionellen Psychosen“, von Barfurth-Rostock: Regene¬ 
ration und Verwandtes“, von Hahn und Meitner-Berlin: Grund¬ 
lagen und Ergebnisse der radioaktiven Forschung“ dem 
Mediziner lebhaft interessieren dürften. 

Die Abhandlung von Bumke führt uns mitten hinein in die noch 
immer umstrittene Frage, ob der Begriff „funktionelle Psychosen“ auf¬ 
recht erhalten werden soll oder nicht. Verf. kommt auf Grund ein¬ 
gehender Reflexionen zu dem Resultat, dass man heute „weiter als je 
davon entfernt ist, den Begriff der funktionellen Psychosen aufzugeben“. 
Zu dieser Gruppe von Krankheiten gehören die Krankheitsformen, welche 
die moderne Nomenklatur als Manien, Melancholien oder mechanisch¬ 
depressives Irresein, als Paranoia, als Querulantenwahn, als Hysterie 
oder Entartungsirresein im engeren Sinne bezeichnet. Bei keiner von 
ihnen darf man eine pathologische Anatomie im Sinne der paralytischen 
Hirnveränderung erwarten. Darin aber liegt ein durchgreifender Unter¬ 
schied gegenüber den organischen Psychosen; denn es ist etwas anderes, 
ob die materiellen Zustandsänderungen, die alle seelischen Vorgänge 
begleiten, etwas zu- oder abnehmeD, oder ob ein fremder Krankheits¬ 
prozess nervöses Gewebe zerstört oder verändert. 

Für den Biologen und den Chirurgen dürften von besonderem Inter¬ 
esse sein die Ausführungen Barfurth’s über Regeneration und Ver¬ 
wandtes. Sie beziehen sich nicht allein auf die Tierwelt, sondern auch 
auf die entsprechenden Vorgänge bei Pflanzen und niederen Lebewesen. 
Auch die Regenerationserscheinungen an Kristallen, festen sowohl wie 
flüssigen, werden eingehend besprochen. Näher auf alle diese Dinge ein¬ 
zugehen, ist hier nicht möglich. Nur soviel sei gesagt, dass es dem 
Verf., dessen grundlegende Arbeiten auf diesem Gebiet allgemein be¬ 
kannt sein dürften, in schönster Weise gelungen ist, uns einen Ueber- 
blick über den augenblicklichen Stand der Forschung zu geben. 

Nicht weniger biologisches Interesse verdient der Artikel von Haus¬ 
mann, der sich mit tierischen und pflanzlichen Sensibilisatoren befasst. 
Unter diesen Substanzen versteht man solche, bei deren Anwesenheit 
Lichtstrahlen Wirkungen zu entfalten vermögen, die sie an sich nicht 
besitzen. Als solche sind bisher erkannt worden Hämatoporpbyrin, 
Chlorophyll, alkoholische Auszüge etiolierter Pflanzen, fluorescierender 
Farbstoff aus dem Bacterium pyocyaneum, alkoholische Auszüge des 
Bacillus prodigiosus, ferner Aescuiin, Chinin u. a. m. An der Hand von 
Beispielen wird gezeigt, wie diese Körper unter physiologischen und 
pathologischen Bedingungen imstande sind, ihre Wirkung zu entfalten. 

Endlich sei dem Leser noch die lehrreiche Abhandlung von Hahn 
und Meitner empfohlen, in der alles theoretisch Wissenswerte über 
das Radium und die ihm verwandten Stoffe Uran, Jonium, Thorium und 
Aktinium klar und übersichtlich dargestellt sich findet. 

Ausser diesen den Mediziner interessierenden vier Beiträgen enthält 
der Band noch eine interessante Abhandlung von Halbfass-Jena: 
„Der gegenwärtige Stand der Seenforschung“ und eine nicht 
minder lesenswerte, durch zahlreiche Illustrationen geschmückte Ab¬ 
handlung von Rühl-Berlin: „Eine neue Methode auf dem Gebiete 
der Geomorphologie“. 


L. Piaeissobs: Medizinisch-chemisches LoboratoriimsHilfsbnch. 

Mit 75 Figuren und einer Spektraltafel. Leipzig 1912, F. C. W. 

Vogel. Preis 13,50 M. 

Das vorliegende Buch stellt sich die Aufgabe, dem Mediziner, der 
sich mit physiologisch-chemischen Untersuchungen befassen will, zur 
Hand zu gehen. Dem Neuling soll es ratend zur Seite stehen, und dem 
weiter Fortgeschrittenen soll es als Nachschlagebuch dienen. Man kann 
wohl sagen, dass der Verf. sich dieser nicht ganz leichten Aufgabe mit 
vielem Geschick entledigt bat. Denn es ist kein so einfaches Unter¬ 
nehmen, das ungeheure Gebiet der biochemischen Arbeitsmethoden in 
einem so engen Rahmen zur Darstellung zu bringen. Dass dabei das 
eine oder andere Kapitel etwas zu kurz gekommen ist, ist nur zu natür¬ 
lich. Im grossen und ganzen aber ist es dem Verf. doch gelungen, den 
wesentlichsten Anforderungen, die man an ein solches Hilfsbuch stellen 
muss, gerecht zu werden. Die Einteilung und Anordnung des Stoffes 
ist durchaus zweckmässig und übersichtlich, die Art der Darstellung 
klar und präcise. Eine grosse Reihe wichtiger Tabellen mathematischen, 
physikalischen und chemischen Inhalts vervollständigen das Buch in 
erfreulicher Weise. Wohlgemuth. 


Cornet: Die Serofnlose. Wien und Leipzig 1912, Alfred Holder. 

520 Seiten. 12 M. 

Cornet definiert die Scrofulose als eine, unter dem Einflüsse einer 
besonderen Diathese entstandene pyogene, tuberkulöse oder Misch¬ 
infektion. W r ir haben daher zwischen einer tuberkulösen Scrofulose, 
einer nichttuberkulüsen pyogenen Scrofulose und einer kombinierten 
Form zu unterscheiden. Die Prädilektion der Scrofulose für das jugend¬ 
liche Alter erklärt sich durch die auf anatomischen Grundlagen ruhende, 
Haut, Schleimhaut und Lymphbahnen betreffende Krankheitsbereitschaft 
(Steigerung der schon normalerweise erhöhten Durchlässigkeit, grössere 
Weite der Lymphwege). Cornet nennt diesen Zustand „gesteigerten 
Infantilismus oder besser Embryonalismus“. 

In den einleitenden Worten spricht Cornet die Ansicht aus, dass 
die zahlreichen Widersprüche der klinischen, statistischen und experi¬ 
mentellen Angaben es nicht leicht machen, sich zu einem klaren Bild 
durchzuarbeiten, dass wir aber diesem Ziele Schritt für Schritt näher¬ 
zukommen scheinen. 

Der Referent bezweifelt diese Hoffnung des Autors. Es dürfte 
kaum ein Problem der Pathologie geben, über welches die Ansichten 
so auseinander gehen, wie bei der Scrofulose. Cornet versucht, dem 
altehrwürdigen Begriff neues Leben zu verleihen. Die eingangs wieder¬ 
gegebene Auffassung des Wesens der Scrofulose ist die Quintessenz des 
bedeutsamen Werkes, in welchem der Autor mit ausserordentlicher Ge¬ 
schicklichkeit und eminentem Fleisse — umfasst das Literaturverzeichnis 
doch allein 87 Seiten — das klinische Beobachtungsmaterial, die ex¬ 
perimentellen Ergebnisse usw. kritisch sichtet und zu seiner Auffassung 
der Scrofulose in Beziehung bringt. 

Zur Definition Cornet’s an diesem Ort Stellung zu nehmen, ist 
einerseits unmöglich, da diese komplizierte Frage eine breite Aus¬ 
sprache verlangt, und wäre andererseits wenig vereinbar mit der Achtung, 
die man einer Zeile für Zeile durchdachten und durchfeilten, muster¬ 
gültigen Arbeit, wie es Cornet’s Monographie ist, schuldig ist. Es wird 
endlich auch für den Leser wenig Interesse haben, ob der Referent die 
Cornet’sche Auffassung teilt oder nicht. 

Ist man am Schluss des grossen Werkes angelangt, dann wollen 
auf der einen Seite die Skrupel und Zweifel nicht verstummen und anf 
der anderen Seite wirkt die Kompliziertheit des Lehrgebäudes nieder¬ 
drückend. Ist denn wirklich in unserer Wissenschaft jede Erkenntnis 
nur nach Erklimmung mühseliger Höben möglich? Fast mit Sehnsucht 
dachte ich während der Lektüre des Cornet’schen Buches an die Vor¬ 
lesungen, in welchen Ad. Czerny seine Auffassung der Scrofulose vor¬ 
trug. Eine Auffassung, welche klar und durchsichtig und unendlich 
einfach ist, welche zwischen exsudativer Diathese und Tuberkulose 
unterscheidet und den Namen Scrofulose mit guten Gründen ignoriert. 
Die Lehre von der oxsudativen Diathese ist noch jungen Datums, aber in 
ihrer Simplizität steckt eine gewaltige Werbekraft, und Referent will 
ein schlechter Prophet sein, wenn die Czerny’sche Lehre, die bisher nur 
bescheiden in der Provinz blühte, jetzt sich nicht verdientermaassen die 
Welt erobern wird. Klotz - Schwerin. 


Hermann Pfeiffer - Graz: Ueber den Selbstmord. Eine pathologisch¬ 
anatomische und gerichtlich-medizinische Studie. Mit 7 Tafeln 
und 3 Textfiguren. Jena 1912, Gustav Fischer. 195 S. Preis 
6,50 M. 

Pfeiffer hat ein Material von 595Fällen bearbeitet, und zwar bat 
er als Erster da9 Material nach den Geschlechtern getrennt. Es handelt 
sich um 443 männliche und 152 weibliche Leichen, die im gerichtlich¬ 
medizinischen Institut in Graz zur Obduktion gekommen sind. Zugleich 
führt er eine Einteilung nach Altersklassen ein. 

Das Beobachtungsmaterial Pfeiffer’s ist ausserordentlich lehrreich 
und interessant, es führt ihn zu der Bestätigung der Ansichten, die 
wohl zum ersten Male von Heller ausgesprochen sind, dass nämlich 
die Selbstmörder fast ausnahmslos kranke Menschen sind, so dass der 
Satz ausgesprochen werden kanD, dass der Selbstmord so gut wie aus¬ 
nahmslos im Zustande geistiger Störung geschehen ist. Zu der Tätig¬ 
keit des Obduzenten muss selbstverständlich eine anamnestiscbe Er- 


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10. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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gänzung hinzutreten, die allerdings, streng genommen, nicht in den 
Tätigkeitsbereich des Obduzenten gehört, die uns aber erst, wie das bei 
Ueberlebenden vonStelzner und Gaupp ähnlich schon ausführlich ge¬ 
schehen ist, manche Fälle richtig erkennen lässt und uns davon über¬ 
zeugt, dass sie in das Gebiet der Psychosen zu verweisen sind. Den 
Beschluss des wertvollen, lebendig geschriebenen Buches bilden warm¬ 
herzige Ausführungen des Verf. über die Prophylaxe des Selbstmordes. 
Anthropologisch betrachtet Pfeiffer den Selbstmord als eine der vielen 
Formen der Selbstreinigung des Menschengeschlechts von konstitutionell 
geschädigten und erkrankten, also sozial unbrauchbaren Individuen. 

Die beigegebenen vortrefflichen Tafeln illustrieren eine Anzahl be¬ 
sonders seltener Arten der Selbsttötung, so einen Selbstmord durch 
Beilhiebe, einen Selbstmord durch elektrischen Starkstrom, kombinierten 
Selbstmord durch Schnitt und Erhängen, durch Ertrinken mit Selbst¬ 
fesselung, durch Einstechen eines Zimmermannsnagels. 


X. Levy-Snhl - Berlin-Wilmersdorf: Die Prüfung der sittlichen Reife 
jugendlicher Angeklagter and die Reformvorsehlüge zu § 56 
des Deutsch®» Strafgesetzbuches. Stuttgart 1912, Ferdinand 
Enke. 41 S. 

Es ist jetzt wohl allgemein anerkannt, dass die von dem § 56 des 
geltenden Strafgesetzbuches geforderte formale Einsicht in die Strafbar¬ 
keit einer vom Gesetz verbotenen Handlung ein durchaus unzulängliches 
Kriterium ist für die Beurteilung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit 
eines Jugendlichen. 

Man ist immer mehr zu der Ueberzeugung gelangt, dass die ge¬ 
samte Persönlichkeit des jugendlichen Rechtsbrechers in den Kreis der 
Untersuchung einzubeziehen ist, und dass vor allen Dingen die sittliche 
Reife, das sittliche Anschauungsvermögen des zu Untersuchenden zu 
prüfen und zu bewerten ist. 

Der Verf. hat nun durch Ausfrageversuche bei 120 Jugendlichen das 
Vermögen an sittlichen Anschauungen zu ermitteln versucht. Er ist da¬ 
bei zu dem Resultat gekommen, dass die ethischen Motivierungen für 
das Handeln um so seltener zum Vorschein kamen, je jünger die be¬ 
treffenden Individuen waren. So fand er ethische Motivierungen im Alter 
von 11 bis 13 Jahren nur in 17V 2 pCt. der Fälle, während sie für die 
beiden nächst höheren Jahre in 40 pCt. vorkamen und in den Stufen 
von I 6 V 2 bis 18 Jahren ein Aufstieg bis zu 52 pCt. an sozial ethischen 
Motivierungen hervortrat. Im Konfirraationsalter sinkt der Anteil der 
reinen Egoisten, weil um diese Zeit in starkem Maasse religiöse Moti¬ 
vierungen hinzutreten. 

Als besonders charakteristisch für das Material seiner Untersuchungen 
bezeichnet der Verf. im übrigen eine Mangelhaftigkeit in religiösem 
Wissen und Fühlen. 

Auf Grund seiner Erfahrungen kommt der Verf. zu dem Schluss, 
dass die Wiedereinführung der relativen Strafunmündigkeit für die über 
14 Jahre alten Jugendlichen und die obligatorische Mitberücksichtigung 
des sittlichen Reifegrades berechtigt und notwendig sei. Es sei nicht 
nur der Verstand, sondern auch das Gemüts- und Willensleben des 
Jugendalters ganz allgemein von ärztlicher wie von richterlicher Seite 
zu erforschen. Marx-Berlin. 


Jeanographia dermatologica. Atlas seltener, neuer und diagnostisch 
unklarer Hautkrankheiten. Herausgegeben von A. Neisser und 
Ed. Jaeabi. 1912, Bd. 6 , 85 Seiten. Urban & Schwarzenberg, 
ln dieser neuesten Lieferung beschreiben de Beurmann und 
Gougerot einen seltenen Fall von Sporotriohosis verrucosa. 
Dieselben Verff. haben früher schon über eine andere neue Mykose, die 
Hemisporose berichtet, davon geben Schramek und Weidenfeld 
nunmehr ein Beispiel aus der Riehl’schen Klinik. Eine eigentümliche 
Art von Tuberkulid beschreibt Bruck als Dermatitis nodularis 
necrotica suppurans et ulcerosa. Das von Boeck zuerst ge¬ 
zeichnete multiple benigne Sarkoid der Haut wird in seinen Be¬ 
ziehungen zur Tuberkulose in je einem Falle vonNobl und Wolfheim 
skizziert. Einen akuten Rotz bildet Low ab, und Pernet beschreibt 
ein ungewöhnliches morphaeaähnliches Ulcus rodens. Zum Schluss 
veröffentlicht Sowade eine Hautatrophie mit symmetrischer Hy- 
perkeratose der Handteller und Fusssohlen. Max Joseph-Berlin. 


Literatur-Auszüge. 

Physiologie. 

J. Schneller- Erlangen: Zur Methode der Harnsäurebestimmung 
ia Urin and im Blut. (Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 12, 
H. 2, S. 341—347.) Die von Ruhemann und Röthlisberger an¬ 
gegebenen einfachen Harnsäurebestimmungen sind zu ungenau. Es wird 
empfohlen, die Harnsäure durch ihre Ueberführung in die Formaldehyd¬ 
verbindung der quantitativen Darstellung zugänglich zu machen, und eine 
entsprechende Methode beschrieben. 

K. Retzlaff-Berlio; Die Atophanwirknng beim Gesunden und 
Giebftikar. (Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 12 , H. 2, 
S. 307 —816.) Die Wirkung des Atopbans ist nicht als elektive Nieren¬ 
wirkung, sondern als direkte Beeinflussung des Purinstoffwechsels 


aufzufassen. Das Atophan bringt die harnsäurebildenden Substanzen 
zum Zerfall und mobilisiert die Harnsäure und ihre Vorstufen. 

Jacoby. 

K. Sakaguchi: Ueber den Fettgehalt des normalen und patho¬ 
logischen Harns. (Biochem. Zeitschr., Bd. 48, S. 1.) Der Fettgehalt 
des 24 ständigen Harns gesunder Erwachsener beträgt im Durchschnitt 
0,0085 g. Nach reichlicher Fettaufnabme ist die Fettausscheidung ver¬ 
mehrt. Bei Nepbritikern ist die Fettmenge im Harn sehr verschieden, 
es werden Fälle beobachtet, in denen viel Fett, und solche, in denen 
überhaupt kein Fett ausgeschieden wurde. Bei Diabetes, Lungentuber¬ 
kulose, Lebercirrhose und Icterus konnte eine deutlich vermehrte Fett¬ 
ausscheidung im Harn nicht nachgewiesen werden. Wohlgemuth. 

G. E wald - Erlangen: Ueber intravenöse Verabreiehang von 
Nacleinsüure und ihren Abbauprodukten beim Hund. (Zeitsohr. f. ex¬ 
perimentelle Pathol. u. Therapie, Bd 12, H. 2, S. 348—359.) Bei intra¬ 
venöser Einverleibung von Nucleinsäure kommt es zu einer sehr starken 
Leukocytose und beträchtlicher Zunahme des Purinstickstoffs im Harn. 
Die Zunahme betraf in erster Linie den Allantoinstickstoff. Auch auf 
die intravenöse Injektion von Xanthin und Guanin folgt eine Leuko¬ 
cytose. Es kommt zu einer erheblichen Steigerung der Stickstoffaus¬ 
scheidung, so dass also eine Alteration des Stoffwechsels sich einstellen 
muss. Auch hier ist am Purinstickstoff in der Hauptsache das Allantoin 
beteiligt. Ganz ähnliche, wenn auch geringere Ausschläge verursacht 
die intravenöse Harnsäureinjektion, selbst Piperazin, das als Lösungs¬ 
mittel benutzt wurde, machte allein eine nachweisbare Stoffwechselstörung. 

Jacoby. 

E. Reale: Untersuchungen über den Kohlenstoffwechsel. Labiler 
und stabiler Kohlenstoff des Harns. (Biochem. Zeitschr., Bd. 47, S. 355.) 
Unter labilem Kohlenstoff des Harns versteht Verf. den Anteil, der sich 
mittels H 2 0, verbrennen lässt, unter stabilem Kohlenstoff den Rest. 
Diese Bezeichnung lehnt sich an die für den Eiweissschwefel gebräuch¬ 
liche an. Es gibt nun im Harn eine Fraktion des in dem Harnstoff 
nicht gebundenen C, die sich vom Sauerstoff in statu nascendi angreifen 
lässt und sich deutlich vom übriggebliebenen C, der sich nur durch die 
vollständige Verbrennung des Harns ermitteln lässt, unterscheidet. 

Wohlgemuth. 

A. Schittenhelm und R. Ullmann-Erlangen: Ueber den Nuclein- 
stoffwechsel unter dem Einflüsse des Atophans. (Zeitschr. f. experim. 
Pathol. u. Therapie, Bd. 12, H. 2, S. 360—379.) Die Arbeit bringt 
Material zu der Frage der Harnsäureausscheidung und der Ausscheidung 
der übrigen Purinkörper bei der Behandlung von Patienten mit Atophan. 
Interessant ist, dass ein Patient während der Atophankur einen akuten 
Gichtanfall bekam. 

H. Jastrowitz-Halle: Experimentelle Untersuchungen über die 

therapeutische Wirkungsweise des Hafermehls. (Zeitschr. f. experim. 
Pathol. u. Therapie, Bd. 12, H. 2, S 207—220.) Beim Pankreasdiabetes 
findet sich gelegentlich unter Haferfütterung Glykogen in der Leber; bei 
diesen Tieren steigt nach der Haferfütterung der Blutzucker. Bei 
Phloridzin- und Pankreastieren tritt nach Haferfütterung eine Erhöhung 
des Zuckergehalts der Pfortader ein. Bei Pankreashunden wird ein Teil 
des Hafers oxydiert. Jacoby. 

L. Michaelis und P. Rona: Ueber die Umlagerang der Glukose 
bei alkalischer Reaktion, ein Beitrag zur Theorie der Katalyse. 
(Biochem. Zeitschr., Bd. 47, S. 447.) Die Geschwindigkeit der Um¬ 
wandlung der Glukose durch Alkali ist proportional der Hydroxylionen- 
konzentration oder umgekehrt proportional der Wasserstoffionenkonzen¬ 
tration. Ferner wird die Säurenatur der Glukose erwiesen und ihre 
Dissoziationskonstante = 5.10 —13 gefunden. Daraus wird gefolgert, 
dass die katalytische Wirkung der OH 1 -Konzentration darauf beruht, 
dass sie die Konzentration der Zuckerionen nach dem Massenwirkungs¬ 
gesetz erhöht und diese Zuckerionen sich spontan umlagern. 

H. Elias: Ueber die Rolle derSänre im Kohlenhydratstoffwechsel. 
Ueber Säurediabetes. (Biochem. Zeitschr., Bd. 48, S. 120.) Auch ver¬ 
hältnismässig geringe Säuremengen sind imstande, Glykogen aus der 
Leber in grösseren Mengen zu mobilisieren. Die Folge davon ist Hyper¬ 
glykämie und Glukosurie. Die Nebennieren sind dabei nicht beteiligt, 
auch das Adrenalin hat an diesen Wirkungen keinen Anteil. Vielmehr 
ist der Angriffspunkt der Säurewirkung die Leber selbst. Bei der 
Glykogenmobilisierung durch Säure tritt das Glykogen mindestens zum 
grossen Teil ungespalten als solches aus der Leberzelle aus. 

P. Rona und F. Arnheim: Beiträge zur Frage der Glykolyse. 
III. (Biochem. Zeitschr., Bd. 48, S. 35.) Verdünnt man defibriniertes 
Blut mit physiologischer Kochsalzlösung, so ist die Glykolyse mehr oder 
weniger stark vermindert. Setzt man dagegen bestimmte Mengen eines 
Phospbatgemisches zu, so erleidet die Glykolyse trotz der Verdünnung 
keine Einbusse. An der Glykolyse beteiligen sich in dem gleichen 
Maasse wie die roten Blutkörperchen auch die weissen. Das konnte in 
getrennten Versuchen einwandfrei nachgewiesen werden. Für das Ge¬ 
lingen dieses Nachweises war von grosser Wichtigkeit eine geeignete 
Reaktion des Mediums und eine ausreichende Konzentration an Phosphaten. 

Wohlgemuth. 

H. E. Hering-Prag: Zur Erklärung des Herzalternans. (Zeitschr. 
f. eiperim. Pathol. u. Ther., Bd. 12, H. 2, S. 325—327.) Kritik der 
von H. Fredericq geäusserten Ansichten. Jacoby. 

A. Saraojloff: Ueber einige Punkte des Saitengalvanometers. 
(Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 9 u. 10.) Eine ausführliche Kritik der Ein- 


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Nr. 6. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


wände, die Cybulski gegen früher von S. mitgeteilte Versuche und 
Anschauungen über das Saitengalvanometer vorgebracht hat. 

A. Loewy. 

J. fl olmgreen - Stockholm: Ueber den Einflass der weissen Blnt- 
körperchtn anf die Viscosität des Blntes. (Deutsche med. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 5.) Nach Gelatineinjektionen beobachtete Verf. das 
Auftreten einer Leukocytose mit vornehmlicher Beteiligung der poly- 
nucleären Leukocyten. Dieser Befund regte ihn dazu aD, die Beziehungen 
der weissen Blutkörperchen zur Viscosität des Blutes zu bestimmen. 
Es ergab sich dabei die äusserst interessante Tatsache, dass die Yis- 
cosität unabhängig ist von der absoluten Zahl der Leukocyten, wohl 
aber in direktem Abhängigkeitsverhältnis steht zu dem Quotienten Poly- 
nucleäre: Lymphocyten; d. h. je grösser die Prozentzahl der Poly- 
nucleären, desto grösser die Viscosität. Wolfsohn. 

J. Rihl-Prag: Ueber anfallsweise auftretende regelmässige Kammer- 
tachysystolie in Fällen von lrregnlaris perpetons. (Zeitschr. f. experim. 
Pathol. u. Therapie, Bd. 12, H. 2, S. 303—306.) Bei Patienten mit 
Pulsus irregularis perpetuus kann es auch zu tachycardischen Anfällen 
kommen, bei denen die Kammern ganz regelmässig schlagen. Gelegent¬ 
lich gelang es, lange andauernde tachycardische Anfälle durch Vagus¬ 
druck zum Verschwinden zu bringen, wobei der Anfall meistens erst 
einige Sekunden nach Beendigung des Druckes aufhörte. Die Anfälle 
sind als paroxysmale Kammertachysystolien aufzufassen. Jacoby. 

E. S. London und M. A. Wersilowa: Zur Lehre von der Re¬ 
sorption des Fettes and der Lipoide. (St. Petersburger med. Zeitschr., 
1912, Nr. 22.) In der oberen Hälfte des Dünndarms wird die Stearin¬ 
seife eher resorbiert als ihre Fettsäure. Die resorbierte Seife passiert 
wohl die Darmwand teilweise in uogespaltcnem Zustande; zum Teil 
wird sie gespalten, wobei freie Salzsäure entsteht, welche in Neutral fett 
synthetisiert wird. Cbolestearin wird wohl bis zum Ende des Dünndarms 
weder gespalten noch resorbiert. Warten sieben. 

H. M. Vernon: Die Abhängigkeit der Oxydasewirknng von Lipoiden. 
(Biochem. Zeitschr., Bd. 47, S. 374.) Wenn man zerhackte Niere — 
oder ein anderes Gewebe — V 2 Stunde lang in einem Gemisch mit 
einem Narkoticum von irgendwelcher, bis zu einer gewissen Stärke an¬ 
steigenden Konzentration verweilen lässt, so findet man nach dem 
Auswaschen des Narkoticums aus dem Organ die oxydierende Kraft der 
Gewebe entweder unbeeinträchtigt oder etwas erhöht. Bei grösserer 
Konzentration erleidet die Oxydase Schädigungen. Die Konzentrationen 
der Narkotica, welche die Anfangswirkung verursachen, sind nur wenig 
höher als diejenigen, welche rote Blutkörperchen lackfarben machen. 
Hieraus schliesst Verf., dass die Wirkung der untersuchten Indophenol¬ 
oxydase von Lipoiden abhängig ist, vielleicht von Lipoidmembranen, 
welche die Gewebsoxygenase und Peroxydase Zusammenhalten und ihre 
gemeinsame enzymatische Tätigkeit ermöglichen. W T ohlgemutb. 

E. Zander jr.-Berlin': Zur Frage der Salzwirkung auf die Funktion 
insnffizienter Nieren. (Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 12, 
H. 2, S. 317—324.) Sowohl bei der Stauungsniere des Herzkranken wie 
bei der nephritischen Niere hat das Kochsalz einen ausgesprochen anti¬ 
diuretischen Effekt. Den Chloriden scheinen antidiuretische Wirkungen 
zuzukommen. Jacoby. 

B. P. Babkin: Sekretorische und vasomotorische Erscheinungen 
in den Speicheldrüsen. (Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 9 u. 10.) B. fütterte 
Hunde mit Speicbelfisteln mit Fleischpulver oder goss ihnen dünne Salz¬ 
säurelösungen ins Maul. Die Mengen waren derart gewählt, dass an¬ 
nähernd in beiden Fällen die gleiche Menge Speichel sezerniert wurde. 
Dabei enthielt der „Fleischspeichel“ etwa vier- bis fünfmal soviel 
organische Stoffe wie der „Säurespeichel“. Die Blutdurchströmung der 
Drüse war dabei nach beiderlei Speichelanregung gesteigert, und zwar 
annähernd in gleichem Maasse. Eine Verengerung der Speichel- 
gefässe, wie sie vielfach noch angenommen wird für die Bildung des 
Speichels, der reich an organischen Substanzen ist, besteht also nicht. 

B. P. Babkin: Die Arbeit der Speicheldrüsen beim Hunde nach 
Entfernung des Ganglion cervicale superior sympathici. (Pfliiger’s 
Archiv, Bd. 149, H. 9 u. 10.) Die Absonderung des Speichels nach Menge 
und Zusammensetzung ist, wie B. weiter findet, die gleiche wie in der 
Norm, wenn das zugehörige sympathische oberste Halsganglion exstirpiert 
ist, nur dass die Menge der organischen Substanzen nach der Ex¬ 
stirpation häufig vermehrt ist. Da nach Fortnahme des Ganglions die 
sympathische Innervation fortfällt und damit die trophischen Fasern 
Heidenhains, dürfte die Lehre des letzteren von der doppelten 
Innervation der Speicheldrüsen (sekretorisch und trophisch) nicht mehr 
haltbar sein. Es scheint, als ob nur die Chorda tyrapani die Sekretion 
anregt, und dass sie qualitativ verschiedene Impulse vermitteln kann. 

A. Loewy. 

W. E. Ringer und H. van Trigt: Einfluss der Reaktion anf die 
Ptyalinwirknng. (Zeitschr. f. pbysiol. Chemie, Bd. 82, S. 484.) Es 
wurde die Lage der für Ptyalin optimalen Reaktion in Phosphat-, Citrat- 
und Acetatgemischen bestimmt und festgestellt, dass Phosphat- und 
Acetatgemische die Ptyalinwirkung in gleicher Weise hemmen, die 
Hemmung der Citratlösungen aber eine weit stärkere ist. Für die beiden 
erstgenannten Mischungen wurde als Optimum bei einer Digestionszeit 
von 20 Minuten bei 37° gefunden pH = 6,00. Iu Citratlösungen zeigte 
sich die Lage der optimalen Reaktion von der Concentration des Riffer- 
systems abhängig. Wohlgemuth. 


E. Babak: Einfluss des Lichtes auf die Vermehrnng der Hait- 
ehromatophoren. (Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 9 u. 10.) Im Anschluss 
an frühere Versuche über Pigmentverschiebungen in den Haut- 
chromatophoren bei Ambystomalaiven unter dem Einfluss von Liebt und 
Dunkelheit hat B. jetzt feststellen können, dass dauernde Expansion 
der Chromatophoren, sei sie an normalen Larven durch Dunkelheit 
oder an geblendeten durch Belichtung hervorgebracht, zu Vermehrung 
des Pigmentes der Haut führt. Dagegen bewirkt dauernde Kontraktion 
der Chromatophoren bei normalen Larven im Licht oder bei geblendeten 
in Dunkelheit meist Piementabnahme. Licht bzw. Dunkelheit üben 
also einen trophischen Einfluss auf die Hautchromatophoren aus. 

J. S. Szymanski: Ein Versuch, die für das Liebesspiel charakte¬ 
ristischen Kb'rperstellangen and Bewegungen bei der Weinbergschnecke 
künstlich hervorzurufen. (Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 9 u. 10.) S. be¬ 
schreibt zunächst die für das Liebesspiel der Weinbergschnecke charakte¬ 
ristischen Bewegungen der Tiere. Es gelang ihm, durch taktile Er¬ 
regungen der Haut (Berühren mittels Pinsels) reflektorisch jede der 
einzelnen Bewegungen zu produzieren und durch geeignete Folgen von 
Berührungen willkürlich alle beim Liebesspiel in Betracht kommenden 
zu erzeugen. Instinktive Bewegungsausführungen konnten also in eine 
Reihe von Reflexen zerlegt werden. 

J. Rothfeld: Ueber die Wirkung eiliger Körper ans der Gruppe 
des Chloroforms anf die vestibulären Angcureflexe. (Pflüger’s Archiv, 
Bd. 149, H. 9 u. 10.) Beobachtungen an Kaninchen über den während 
der Narkose auftretenden Nystagmus. Chloroform und Aether bewirken 
spontanen rotatorischen Nystagmus nach rückwärts. Rotatorischer 
Nystagmus nach rückwärts tritt auch nach Koptbewegungen ein. Der 
Nystagmus verschwindet nach dem Erlöschen der Cornealrcflexe. Nach 
Chloralbydrat findet sich kein spontaner Nystagmus, nur aasuahmsweise 
einer nach Kopfbewegungen. Nach Paraldebyd kommt horizontaler, 
diagonaler, vertikaler Nystagmus zustande nach Kopfbewegungen, zuweilen 
spontaner rotatorischer nach rückwärts. 

R. Magnus und C. G. L. Wolf: Weitere Mitteilungen über den 
Einflass der Kopfstellnngen anf den Giiedertonns. (Pflüger’s Archiv, 
Bd. 149, H. 9 u. 10.) Wie M. und W. finden, lassen sich auch an 
einzelnen freipräparierten Muskeln der Katze die tonischen Erregungen 
und Hemmungen durch Aenderung der Kopfhaltung hervorrufen, die M. 
früher an decerebrierten, aber sonst unversehrten Tieren beobachtet 
hat. Bei Vergiftung mit Strychnin lassen sich, selbst wenn die Ver¬ 
giftung zu heftigen Krämpfen geführt hat, die durch die Kopfdrehungen 
hervorgerufenen Hemmungen nicht in Erregungen umkehren. 

A. Loewy. 

T. Sasaki: Abbau einiger Polypeptide durch Bakterien. II. Mit¬ 
teilung. (Biochemische Zeitschr., Bd. 47, S. 402.) Die nicht ver¬ 
flüssigenden Bakterien spalten Glycyl-l-Tyrosin und Glycylglyein hydro¬ 
lytisch in ihre Komponenten Tyrosin und Glykokoll. Wahrscheinlich 
kommt ihnen deshalb diese Fähigkeit zu, weil sie ein crepsinartiges 
Enzyera besitzen. 

A. Schulz-Briesenitz: Zur Kenntnis der Fermente der Pnrinreihe. 
(Biochem. Zeitschr., Bd. 48, S. 86.) Die Tätigkeit der harnsäurebilden¬ 
den Fermente der Rindermilz wird durch Radiumemanation gesteigert. 
Diese Wirkung trat deutlich hervor bei der Harnsäurebildung aus binzu- 
gesetzten Amidopurinen und bei der autolytischen Harnsäureentstebung. 
Bei der Autolyse addiert sich die spezifische Wirkung der Emanation 
auf die Fermente der Purinreihe zur allgemeinen Aktivierung der pro¬ 
teolytischen Fermente, die ihren Ausdruck in einer Vermehrung des 
nicht coagulierbaren Gesamtstickstoffs findet. Die Versuche, am Kanin¬ 
chen durch Einverleibung von uricolytischem Ferment ein Antiferraent 
zu erzeugen, fielen trotz langdauernder und recht intensiver Behandlung 
durchaus negativ aus. 

N. Ssobolew: Ueber die Milchsänrebildung bei der antiseptischen 
Organautolyse. (Biochem. Zeitschr., Bd. 47, S. 367.) Die Milchsäure¬ 
bildung bei der Autolyse ist zweifellos ein Vorgang, der unabhängig von 
jeder Mitwirkung von Mikroorganismen vor sich geht. Die sich in dem 
autolysierenden Organ vollziehende Milchsäureanbäufung schreitet lang¬ 
sam und kontinuierlich fort und erreicht ihr Maximum meist erst nach 
Ablauf von 4 bis 7 Wochen. Bei allen Versuchen von langer Dauer ist 
im Brutschrank eine ausgesprochene Milchsäureabnahme wahrnehmbar, 
die nicht etwa durch eine vermehrte Milchsäurebindung durch Eiweiss 
vorgetäuscht wird. Wohlgemuth. 

v. Bergmann-Altona: Zur Wirkung der Regulatoren des Intestinal- 
tracles. — G. Katsch und E. Borchers: Beiträge zum Studium der 
Darmbewegungen. 1. Mitteilung: Das experimentelle Baachfenster. 
— II. Mitteilung: Ueber physikalische Beeinflussung der Darmbewe- 
gangen. — 111. Mitteilung: G. Katsch: Pharmakologische Einflüsse 
auf den Darm. — IV. Mitteilung: Psychische Beeinflussung der Darm- 
molililät. (Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 12, D. 2, 
S. 221—294.) v. Bergmann gibt als Einleitung eine Darlegung der 
leitenden Gesichtspunkte der zusammenhängenden Arbeiten. Katsch 
hat eine Methode ersonnen, durch ein experimentelles Celluloidfenster 
die MagendarmbcweguDgen direkt zu beobachten. Dieses ausgezeichnete 
Verfahren ermöglicht es, den Einfluss von Agentien unter wahrhaft 
physiologischen Bedingungen zu studieren. Jacoby. 

L. Pollini: Die katalytische Wirkung der Eisensalze hei der 
Leberantolyse. (Biochem. Zeitschr., Bd. 47, S. 396.) Durch Zusatz 
von kleinen und grossen Mengen von Eisenoxydulsulfat und Eisenchlorid 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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zu einem der Autolyse überlassenen Kalbsleberbrei wird die Bildung 
des Gesamtstickstoffs, des N der Monoaminosäuren, der Albumosen und 
der Purinbasen gefördert. Kleine Mengen von Eisencitrat üben eine 
schwach hemmende Wirkung, mittlere Mengen hingegen eine begünsti¬ 
gende aus, während starke Mengen die Autolyse wieder hemmen. Eisen- 
lactat in ausserst geringen Mengen fordert die Autolyse, hemmt aber 
bei Zusatz wachsender Mengen. 

E. S. London und N. A. Dobrowolskaja: Zur Chemie des 
Pfortaderblutes. I. Mitteilung. Eine Pfortaderflstel. (Zeitscbr. f. 
pbysiolog. Chemie, Bd. 82, S. 415.) Die Pfortaderlistel wird in der 
Weise angelegt, das3 man durch die Vena lienalis eine kurze Glaskanüle 
in die Pfortader einführt, die Kanüle in das Gelass einbindet und an 
das freie Ende der Kanüle einen dickwandigen Gummischlauch befestigt, 
den man durch die Hautwunde nach aussen leitet. Die Oeffnung des 
Schlauches verschliesst man mit einen Glasstopfen. Will man nun Blut 
aus der Pfortader entnehmen, so eutfernt man den Stopfen und das im 
Schlauch sitzende Gerinnsel und kann nun Pfortaderblut nach Belieben 
bekommen. Die Methode gestattet auch, fremde Substanzen direkt in 
die Pfortader einzuführen. Wohlgemuth. 

H. Pech stein-Berlin: Zur Frage des experimentellen Diabetes. 
I. Mitteilung. Znekermobilisation durch Adrenalin in Leberdnrch- 
blitungsversuchen. (Zeitschr. f. cxperim. Pathol. u. Therapie, Bd. 12, 
H. 2, S. 380—388.) Adrenalin zeigt bei der Leberdurchblutung eine 
den Glykogenabbau erhöhende Wirkung. Nikotin wirkt bei dieser Ver- 
snchsanordnung dem Adrenalin nicht entgegen, was damit übereinstimmt, 
dass nach anderen Versuchen das Nikotin auf die Zuckerdurchlässigkeit 
der Niere ein wirkt. 

K. Basch-Prag: Beiträge zur Physiologie und Pathologie der 
Thymus. III. Die Beziehung der Thymus zur Schilddrüse. (Zeitschr. 
f. experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 12, II. 2, S. 180—206.) Die Schild¬ 
drüse steht der Thymus nahe. Beide Organe haben funktionelle Be¬ 
ziehungen zum Knochensystem, Nervensystem und dem Pupillarsystem 
des Auges. Die Ausfallserscheinungen nach Tbymusexstirpation treten 
nur nach frühzeitiger und vollständiger Wegnahme des Organs auf und 
scheinen mit den Kalkstoffwechsel zusammenzuhängen. Die Thymus hat 
auch innige Beziehungen zum Lymphapparat des Körpers. Nach Ent¬ 
fernung der Schilddrüse schwindet, wie Blumreich und Jacoby vor 
langer Zeit fanden, und wie es neuerdings allgemein bestätigt worden 
ist, die Thym'is. Umgekehrt scheinen auch die Organe in bezug auf 
Hyperplasie parallel zu gehen. Wahrscheinlich kommt es so beim Morbus 
Basedowii parallel zur Vergrösserung der Schilddrüse und zur Hyperplasie 
der Thymus. Jacoby. 

E. Starkenstein und M. Henze: Ueber den Nachweis von 
Glykogen bei Meeresmoilnsken (speziell den Cephalopoden und 
Aplysien). (Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 82, S. 417.) Die Cephalo¬ 
poden uad Aplysien, die bisher als glykogenfrei galten, besitzen reich¬ 
lich Glykogen. Dieses lässt sich unter gewissen Bedingungen rein dar¬ 
stellen. Eia Unterschied zwischen den beiden Glykogenarten besteht nicht. 

M. Kashiwabara: Ueber den Einfluss des Jods auf die Antolyse. 
(Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 82, S. 425.) Jod ist nur in geringem 
Maasse imstande, die Autolyse zu fördern, mag man mit alkalischen 
oder neutralen Gemischen arbeiten. Von einer starken Beeinflussung 
der autolytischen Vorgänge durch Jod kann keine Rede sein. 

G. Buglia und A. Constantino: Beiträge zur Mnskelehemie. 
IV. Mitteilnng. Der Extraktivstolf und der frei durch Formol titrier¬ 
bare Aminostickstoff in der Muskulatur verschiedener Tierarten. (Zeit¬ 
schrift f. physiol. Chemie, Bd. 82, S. 439.) Es bestehen beträchtliche 
Unterschiede in der chemischen Zusammensetzung des Muskelgewebes 
höherer Tiere im allgemeinen (Vertebraten) und desjenigen der niederen 
Tiere (Invertebraten). So wurde unter anderem gefunden, dass die 
Menge des freien, durch Formol titrierbaren Aminostickstoffs wie auch 
die des Extraktivstoffs in Muskelextrakten von Invertebraten bedeutend 
höher ist als bei den Vertebraten. Wohlgemuth. 


Pharmakologie. * 

C. L. v. Lhota: Versuche über die Fixation des Digitoxins (Merck) 
im Organismus des Kaninchens nach intravenöser Injektion nebst ver¬ 
gleichenden Versuchen mit Strophantin g. (Biochem. Zeitscbr. Bd. 48, 
S. 144.) Injiziert man Digitoxin (Merck) intravenös einem Kaninchen, 
so verschwindet dasselbe sofort aus dem Blut, selbst in der zehnfach 
letalen Dosis. Es wird fast momentan von den Organen, speziell dem 
Herzen und den Gefässen fixiert, doch müssen die Organe unversehrt 
funktionieren. Ist das nicht der Fall, so kann man schon die doppelte 
letale Dosis des Digitoxins im Blute nachweisen. Nach grossen Dosen 
begegnet man dem Digitoxin ausser im Herzen auch in der Leber. 
Intravenös injiziertes Strophantin g verschwindet aus dem Blute sofort 
nur in sehr geringfügiger Menge. Wohlgemuth. 

R. Kaufmann - Hamburg: Ueber den Einfluss des Schmerzes und 
der Digitalis auf die Herzarbeit des normalen Menschen. (Zeitschr. f. 
experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 12, H. 2, S. 165—179.) Intravenöse 
Digaleninjektionen bewirken beim gesunken Menschen Herabsetzung der 
Pulsfrequen z, Steigerung des Blutdrucks, Herabsetzung des Minuten¬ 
volumens bei gleichbleibendem Schlagvolumen und Erhöhung der Herz¬ 
arbeit pro Schlag bei gleichbleibender Herzarbeit pro Minute. Die Ver¬ 


suche sprechen datfür, dass auch beim normalen Menschen eine aus¬ 
gesprochene Herzwirkung der Digitalis vorhanden ist. Jacoby. 

Semibratoff-Kronstadt: Zur Frage über die baktericiden und 
antiparasitären Eigenschaften des Phosgens (fOCI*). (Centralbl. f. Bak- 
teriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 63, H. 4—6, S. 479 ) Phosgen, ein 
farbloses Gas von erstickendem Geruch und starker Reizwirkung auf die 
Schleimhäute, ist als Mittel zur Vernichtung von Ratten, eventuell auch 
als Desinfektionsmittel vorgeschlagen worden. Wenn es auch nach den 
Untersuchungen des Verf. in bestimmten Konzentrationen einige bakteri- 
cide Eigenschaften besitzt und selbst in schwachen Lösungen Nagetiere 
tötet, so ist es doch weder zur Desinfektion noch zur ltattenvertilgung 
praktisch geeignet, einmal wegen seines hohen Preises, sodann wegen 
seiner höchst schädlichen Wirkung auf deu menschlichen Organismus. 

Bierotte. 

S. Ogawa-Heidelberg: Ueber die Resorption wirksamer Bestand¬ 
teile aus Digitalisblättern und Digitalispräparaten. (Deutsches Archiv 
f. klin. Med., Bd. 108, H. 5 u. 6.) Die Glykoside werden im Magen 
überhaupt nicht, im Darm nur relativ langsam resorbiert. Auf der 
langsamen Resorption beruht jedenfalls ein grosser Teil der Verzögerung 
der Digitaliswirkung bei interner Einführung. Es ist möglich, dass 
manche Misserfolge der internen Digitalismedikation bei abdominaler 
Stauung auf abnormer Verlangsamung in der Resorption der wirksamen 
Bestandteile und auf ihre allmähliche Zerstörung bei allzu langdauern¬ 
dem Kontakt mit den Darmfermenten zurückzuführen sind. 

G. Eisner. 

M. Steiger und A. Döll-Bcrn: Desinfektionkraft des Sublimats. 
(Zeitschr. f; Hyg., 1912, Bd. 73, H. 2, S. 324.) Die bisher geltende An¬ 
nahme, dass Sublimat in wässeriger Lösung von 1: 1000 innerhalb 
kurzer Zeiträume die pathogenen Bakterien abtötet, ist nach den Unter¬ 
suchungen der Verff. nicht mehr aufrecht zu erhalten. Da das Sublimat 
in Gegenwart von Eiweiss viel weniger wirksam ist als in rein wässerigen 
eiweissfreien Medien, so ist trotz der Anschauung, dass es eins der 
wirksamsten Desinfektionsmittel in der chirurgischen Praxis sei, die Des¬ 
infektion mit Quecksilberbichlorid jedenfalls da, wo Blut, Eiweiss usw. 
vorhanden ist, nicht sehr hoch einzuschätzen. Möllers. 

A. Bickel und M. Pawlow: Untersuchungen zur pharmakologischen 
Wirkung des p-Oxyphenylaethylamins. (Biochem. Zeitschr. Bd. 47, 
S. 345.) Die intravenöse Iojektion einer schwachen Lösung von p-Oxy- 
pheoylaethylamin bewirkt beim Kaninchen und beim Hund nach einer 
rasch vorübergehenden leichten Blutdrucksenkung eine Steigerung des 
arteriellen Blutdruckes, die sich einige Zeit unverändert hält, dann aber 
wieder zur Norm zurückkehrt. Diese Blutdrucksteigerung wird bedingt 
durch eine Stauung im Arteriensystem infolge einer Verengerung der 
Capillaren und einer Blutverarmung des Venensystems, was durch die 
Messung des aus einer Vene abfliesseoden Blutes mit Sicherheit fest¬ 
gestellt werden konnte. Mit dieser BlutverarmuDg geht einher eine 
Volumabnahmo aller derjenigen Organe, die von Venen stark durch¬ 
blutet sind. An der Niere konnte da9 durch Messung des Volumens 
direkt konstatiert werden. Wohlgemuth. 

H. Hirsch: Alkohol nnd Nerven. (St. Petersburger med. Zeit¬ 
schrift, 1912, Nr. 21.) Ein aus der Literatur über Alkohol zusammen- 
gestelltes Referat. Verf. kommt zu dem Schluss, dass Alkohol möglichst 
zu vermeiden ist, als Genussmittel aber, in mässigen Mengen aufgenommen, 
nicht schadet. 

K. Dehio: Der Alkohol und der menschliche Organismus. 
(St. Petersburger med. Zeitschr., 1912, Nr. 20.) Der Alkohol schadet 
fast immer dem Körper. Es werden experimentelle Untersuchungen und 
die pathologischen Veränderungen der Organe angeführt. Der Alkohol 
als Genussmittel ist nur in massigem Quantum und bei nicht gewohn- 
heitsmässiger Aufnahme zu gestatten. Wartensleben. 

M. Kochmann - Greifswald: Beiträge zur Pharmakologie der 
Mischnarkose. I. Wirkuog von Narcoticagemischen auf poikilotberme 
Wassertiere. (Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 12, H. 2, 
S. 328—340.) Chloralhydrat und Urethan addieren sich bei ihrer Kom¬ 
bination in ihrer Wirkung auf Fische und Kaulquappen. Bei der Kom¬ 
bination des Morphins mit Urethan, Chloralhydrat und besonders mit 
Scopolamin ist ein potenzierter Synergismus zu konstatieren. Aeltere 
Tiere werden schneller narkotisiert als jüngere. Kochmann lehnt die 
Bürgi’sche Hypothese über die Mischnarkosen ab. Jacoby. 


Therapie. 

R. Rendu: Inhalationen mit heisser Lnft io der Behandlung der 
Diphtherie. Technik. Resultate. (Lyon möd., 1913, Nr. 2.) Empfehlung 
von Heissluftinhalationen bei Diphtherie, die mit der Serumtherapie zu 
kombinieren sind. Schilderung der Technik und der klinischen Re¬ 
sultate. A. Münzer. 

H. Passler - Dresden: Radikale Tonsillektomie oder konservative 
Behandlung der chronischen Tonsillitis. (Therapeut. Monatsh., 
Januar 1913.) 1. Die chronische Tonsillitis führt in der Mehrzahl der Fälle 
nach kürzerer oder längerer Zeit zu erheblichen allgemeinen Gesund¬ 
heitsschädigungen. 2. Die Beseitigung der chronischen Tonsillitis ist in 
den meisten Fällen die Vorbedingung für eine dauernde Heilung der 
von ihr abhängigen sekundären Krankheitszustände. Wo Heilung aus¬ 
bleibt, ist nach dem Bestehen noch anderer chronischer Infektions- 


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2G8 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


zustande (Nebenhöhlen, Rachenmandel, Zähne) zu forschen. 3. Die 
einzig sichere Methode zur Heilung der chronischen Tonsillitis ist die 
radikale Tonsillektomie. Weder die sogenannten konservativen, noch die 
verstümmelnden operativen Behandlungsmethoden lassen einen Erfolg 
mit nur einiger Sicherheit erwarten. 4. Kontraindikationen der 
radikalen Tonsillektomie ergaben sich weder aus praktischen, 
noch aus theoretischen Gründen. 

H. Putzig - Berlin: Zur Behandlung des Pylorospasmus (Pylorus- 
sondierung). (Therapeut. Monatsh., Januar 1913.) Die Methode der 
Pylorussondierung verdient bei diätetischer Behandlung des Pyloro- 
spasmus den Vorzug vor anderen Maassnahmen. Auf Grund der vom 
Verf. beobachteten geringen Anzahl von Fällen lässt sich noch kein 
abschliessendes Urteil darüber gewinnen, ob sie bei jedem Fall gelingt. 
Die Betrachtung anatomischer Präparate der Mägen von an dieser 
Affektion gestorbenen Kindern macht das nicht wahrscheinlich. 

C. Bruck - Breslau: Die Behandlnog der Gonorrhöe und ihrer 
Komplikationen. (Therapeut. Monatsh., Januar 1913.) Nach den Er¬ 
fahrungen der Neisser’sehen Klinik in Breslau stellt Verf. folgende 
Prinzipien für die heutige Tripperbehandlung auf: 1. Rein antiseptische 
Behandlung: Abtötung der Gonokokken auf der Oberfläche uud möglichst 
in der Tiefe ohne Unterdrückung der Entzündung (Silbereiweissverbin¬ 
dung: Protargol, Argonin usw.). 2. Uebergang zu einer antiseptischen 
und leicht adstringierenden Behandlung: Vernichtung etwa noch übrig 
gebliebener Gonokokken und massige Eindämmung der Entzündung 
(Arg. nitr., Ichthargan, Albargin, Argentamin usw.). 3. Beschluss der 
Behandlung mit nicht mehr antiseptiseber, sondern rein adstringierender 
Therapie (Zinc. sulf., Wismut, Alaun). H. Knopf. 

L. Zweig-Dortmund: Die Behandlung der Foranknlose und der 

Sycosis coecogenes mit dem Stapfaylokokkenvacein „Opünogen“. 
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) Gute Erfolge in 9 Fällen. 
(Die Wright’schen Anschauungen und Experimente betr. die Opsonine 
sind vom Verf. unrichtig wiedergegeben. Die OpsoDine sind Serum¬ 
stoffe! Ref.) Wolfsohn. 

Jarosch-Friedrichsheim: Blesbd bei Lnngentnberknlose. (Deutsche 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) Von einer Heilwirkung des Mesbe bei 
Tuberkulose ist nicht die geringste Rede. Das Mittel scheint eher zu 
schaden als zu nützen. 

M. Joseph-Berlin: Die WassermaDn’aehe Histopintherapie iu der 

Dermatologie. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) Das Histopin 
wird empfohlen zur Verhütung neuer Furunkel in der Umgebung eines 
Herdes, weiterhin als Heilmittel bei Impetigo, Pemphigus vulgaris, 
Ekzem und anderen Stapbylokokkeninfektionen. Der Preis des Mittels 
ist leider viel zu hoch. Wolfsohn. 

Butzengeiger-Elberfeld: Erfahrungen mit MeBbä in der Behand¬ 
lung chirurgischer Tuberkulosen. (Münchener med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 3.) B. wandte Mesbö, das aus einer zentralamerikanischen Mal- 
vacee gewonnen wird, bei sieben Fällen von fistulösen Knochentuber¬ 
kulosen an, und zwar lokal als reines Mesbe oder als 50 proz. Salbe. 
Bei vier Patienten erfolgte eine eklatante günstige Beeinflussung. 

W. Schüffner und H. Vervoort-Deli: Das Oleom Chenopodii 
gegen Aokylostomiasis und eine neue Methode der Wertbestimmung 
von Wurmmitteln. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Das 
Oleum Chenopodii ist als Wurmmittel stärker wirkend als Thymol, 
Eukalyptus -f- /LNapblbol. Es ist gleich kräftig gegen Ankylostoraeu 
und gegen Askariden. Es ist sehr angenehm zu nehmen; man lässt am 
besten hinterher Ricinusöl trinken. Es ist allerdings relativ teurer als 
die anderen Wurmmittel. Die Vorschrift lautet: Zweistündlich dreimal 
hintereinander je 16 Tropfen Oleum Chenopodii mit Zucker; zwei Stun¬ 
den nach letzter Dosis 17 g Ricinusöl + 3 g Chloroform. 

B. Hildebrand-Freiburg: Beitrag zur Behandlung der Erkrankung 
an Oxyoris vermieularis. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 3.) 
Um eine Reinfektion durch Berührung der Hände mit den Oxyuren, die 
sich in der Analgegend festsetzen, zu verhindern, empfiehlt H. eine 
Salbe, die aus Campher, Chiuin und Thymol besieht. Sie wird unter 
dem Namen „Vermiculin“ in den Handel gebracht. Sie wird morgens 
und abends, womöglich nach dem Stuhlgang, in der Umgebung des 
Afters (nach voraufgegangener gründlicher Reinigung mit Seife und 
Wasser) eingerieben. Nach jeder Mahlzeit ist die Prozedur zu wieder¬ 
holen. Vor jeder Mahlzeit sind Hände und Nägel gründlich zu reinigen. 
Diese Maassnahmen müssen 2—3 Wochen täglich fortgesetzt werden. 
Zur Heilung genügen meist 1—2 Tuben. Dünner. 

Siehe auch Geburtshilfe und Gynäkologie: Fieux, Sero¬ 
therapie gegen unstillbares Erbrechen. 


Allgemeine Pathologie u. pathologische Anatomie. 

A. Fröhlich und E. P. Pick-Wien: Die Folgen der Vergiftung 
durch Adrenalin, Histamin, Pituitrin, Pepton, sowie der anaphylak¬ 
tischen Vergiftung in bezug auf das vegetative Nervensystem. (Archiv 
f. experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 71, H. 1, S. 23—61.) Durch 
intravenöse Applikation von Histamin, Adrenalin und Witte-Pep toD, 
sowie als Folgeerscheinung des anaphylaktischen Shocks erfahren die 
vegetativen Nervenendapparate eine Verminderung der Erregbarkeit. 
Bei Anwendung verschiedener auf die Nervenendigungen einwirkender 
Agentien spielt die Reihenfolge der Applikation eine grosse Rolle. Vor¬ 


behandlung mit einer Base schwächt auch die Erregbarkeit gegenüber 
anderen Basen ab. Es muss hier eine Gemeinsamkeit der Wirkung vor¬ 
liegen, die von den elektiven Wirkungen auf die nervösen Endapparate 
verschieden ist. Nach Vorbehandlung mit Histamin ist Adrenalin und 
Pilocarpin ohne Wirkung auf den puerperalen Uterus, während andere 
Basen nicht gegeneinander abstumpfen. Nach Vorbehandlung mit Pepton 
verlieren Pituitrin, Thyramin und Adrenalin ihre Wirksamkeit, Adrenalin 
beruhigt den durch Pepton erregten Uterus. Jacoby. 

L. Loeb-St. Louis: Quantitative Untersuchungen über Immunität 

gegen Tumoren bei Mäusen. I. Ueber die gegenseitige Beeinflussung 
des Wachstums zweier Tumoren mit variabler Wachstumsenergie. Von 
Moyer S. Fleisher, E. P. Corson White und L. Loeb. (Centralbl. 
f Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 63, H. 4—6, S. 450.) Aus den 
Untersuchungen der Verff. ergibt sich, dass es möglich ist, die Immunität 
gegen Tumoren quantitativ zu untersuchen und auf diesem Wege Wider¬ 
sprüche zu klären. Ganz eiakt lässt sich feststellen, dass nur bei Er¬ 
füllung gewisser quantitativer Bedingungen das Wachstum eines Tumors 
das eines anderen verhindert. Die Verff. stellen es ferner als sehr wahr¬ 
scheinlich hin, dass Tumoren zweierlei Einwirkungen auf das Resultat 
einer vorangehenden oder nachfolgenden Inoculation ausüben können, 
eine begünstigende oder hemmende, je nach der Kombination der 
Tumoren; doch sollen diese Resultate vorläufig nur als bedingungsweise 
betrachtet werden. Eodlich ergibt sich aus den Versuchen, dass die 
mit der Rückbildung der Tumoren verbundene Immunität gegen das 
Wachstum eines anderen Tumors verschieden ist, je nach der Ab¬ 
schwächung, die der sich zurückbildende Tumor vor der Inoculation er¬ 
fahren hatte. Bierotte. 

K. Ulesko - Stroganowo: Die epithelialen Geschwilite der Mänse. 
(Zeitschr. f. Krebsforscb., Bd. 12, H. 3.) Zusammenstellung der Lite¬ 
ratur, besonders der russischen, über das Mäusecarainom uud seine Be¬ 
obachtungen an 200 Mäusen. 

U. Wells und R. E. Long: The pnrines and pnrine metabolism of 
timore and the Chemical relations of priraary and secondary tumors. 
(Zeitschr. f. Krebsforscb., Bd. 12, H. 3.) Die leider in englischer Sprache 
abgedruckte Arbeit enthält Untersuchungen über den Gehalt bösartiger 
Geschwülste an Purinkörpern und die Beziehungen der Primär- zu den 
Sekundärturaoren in bezug auf diesen Puringehalt. Der Puringehalt der 
Tumoren ist der gleiche wie im normalen Gewebe, auch scheinen die 
Enzyme, die auf Purinkörper wirken, dieselben zu sein wie im normalen 
Gewebe. A. W. Pinner. 

E. G. Oser und E. E. Pribram - Wien: Ueber die Bedeutung der 

Milf in dem an malignem Timor erkrankten Organismus und die Be¬ 
einflussung von Tumoren durch Milzbrei. (Zeitschr. f. experim. Pathol. 
u. Therapie, Bd. 12, II. 2, S. 295—302.) Splenektoraierte Ratten zeigen 
ein rascheres Tumorwachstum. Bei Sarkomratten kann durch Injektion 
von Milzbrei eine Rückbildung oder ein Wacbstumsstillstand des Tumors 
bewirkt werden. Injektionen in die malignen Tumoren selbst sind zu 
vermeiden. Das von Oestreicb angegebene Antituraan, das aus 
Chondroitinschwefelsäure besteht, entfaltet keine Heilwirkungen. Be¬ 
merkenswert ist aber, dass die Patienten etwa noch eine Stunde nach 
der Injektion über Schmerzen im Tumor klagen und Temperatursteige- 
rungen und Pulsbeschleunigung zeigen. Jacoby. 

F. W. Strauch: Uebertragnngsvergnch von Mänsecarcinom aif 
Kaninchen. (Zeitschr. f. Krebsforsch., Bd. 12, H. 3.) Trotz der be¬ 
kannten Tatsache, dass Mäuse sich gegen die Impftumoren fremder, z. B. 
ausländischer Mäusestämme, refraktär verhalten, ist der Beweis geliefert 
worden, dass sich das Mäusecarcinom auf das artverwandte (Nagetier), 
aber phylogenetisch fernerstehende Kaninchen übertragen lässt. Damit 
ist die Behauptung Sticker’s widerlegt, dass Gescbwulstgewebe im 
Körper eines artfremden Individuums nicht weiterwaebsen, sondern 
höchstens als Fremdkörper entzündliche Wucherungen erzeugen könne. 
Der histologische Bau des Kaninchentumors wich von dem der Maus er¬ 
heblich ab, ebenso wurde der bei der Maus gutartige Tumor beim Kanin¬ 
chen bösartig. 

M. Landau: Zur onkologischen Stellung der sogenannten ver¬ 

kalkte! Epitheliome. . (Zeitschr. f. Krebsforsch., Bd. 12, H. 3.) Be¬ 
schreibung der Geschwulst und Betrachtung ihrer Stellung im System 
der Tumoren. A. W. Pinn er. 

A. J. Hall - Sheffield: Zwei Fälle von Kolloidgeschwnlst des 
dritten Ventrikels, die den Tod verursachten. (Lancet, 11. Januar 
1913, Nr. 4663.) 

A. Keith - London: Geschichte und Natur einiger Präparate, die 
von der Sektion der Leiche Napoleons I. stammen sollen. (Brit. med. 
journ., 11. Januar 1913, Nr. 2715.) Es handelt sich um zwei Stücke 
Dünndarm mit kleinen Tumoren im Museum des Royal College of Sur- 
geons, die nach einer Bemerkung von Sir Astley Cooper von der 
Leiche Napoleons des Ersten stammen sollen. Die Tumoren sind ge¬ 
schwollene Peyer’sche Plaques. Man hat die Identität der Darmstücke 
angezweifelt auf Grund des offiziellen Sektionsberichts, nach dem der 
Darm Napoleons gesund gewesen ist. Keith weist in ausführlicher Dar¬ 
legung nach, dass die Stücke sehr wahrscheinlich echt sind und dass 
Napoleon ausser an Magenkrebs auch an einer Infektionskrankheit ge¬ 
litten hat, die vermutlich chronisches Maltafieber oder etwas Aebnliches 
gewesen sein muss. Wey dem an n. 

R. Bayer-Bonn: Zur Histologie des BasedowthymuB. (v. Bruns’ 
Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 2.) Verf. liefert zu der aktuellen 


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10 Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


269 


Frage des Basedowthymus an Hand eines beobachteten Falles einen 
wichtigen Beitrag. Zu kurzem Referat nicht geeignet. 

W. V. Simon. 

Siehe auch Geburtshilfe und Gynäkologie: Todyo, Ein 
junges pathologisches menschliches Ei. 


Diagnostik. 

Bütte er-Wobst: Die v. Pirquet’sehe Catanreaktion im Dienste 
der SehwiBdsBchtsprophylaxe. (Münchener med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 3.) Bei einem 26 jährigen Manne, an dem oft die Pirquet’scbe 
Reaktion positiv ausgefallen war, wurde sie plötzlich negativ. Bald 
darauf trat bei ihm eine tuberkulöse Erkrankung der Lunge auf. Verf. 
empfiehlt nun, bei Tuberkuloseverdächtigen die Pirquet’sche Reaktion 
systematisch durchzufübren und eine entsprechende Therapie einzuleiten, 
sobald die Reaktion negativ wird. Dünner. 


Parasitenkunde und Serologie. 

P. Nits che-Dresden: Verwendung kolloider Metalle an Stelle 
der Tusche bei ßnrri-Präparaten. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, 
Orig., Bd. 63, H. 7, S. 575.) Collargol, in destilliertem Wasser gelöst, 
hat sich dem Verf. noch besser für die Anfertigung von Präparaten be¬ 
währt als das Burri’sche Tuscheverfahren. Bierotte. 

C. J. Martin-London: Insekten als Träger von Bakterieninfek¬ 
tionen. I. (Lancet, Nr. 4662, und Brit. med. journ., Nr. 2714, 4. Januar 
1913.) Die Stubenfliegen, deren Entwicklung und Anatomie der Verf. 
kurz darstellt, kommen in Betracht bei der Uebertragung der Darm- 
infektionen. Wenn sie auch diese Krankheiten übertragen können, so 
spielen sie doch bei der Verbreitung von Cholera, Typhus, Ruhr usw. 
keine grosse Rolle. Anders scheint es zu sein in militärischen Lagern. 
Im spanisch-amerikanischen und im Bauernkriege hat man beobachtet, 
dass beim Eintritt kühleren Wetters und mit den ersten Frostnächten 
die Fliegenplage aufhörte und bald nachher auch die typhösen Erkran¬ 
kungen. Die Sommerdiarrhöe der Kinder scheint aber in engem Zu¬ 
sammenhang mit der Menge der Fliegen zu stehen, denn beide haben 
zu derselben Zeit ihr Maximum. Die Epidemie nimmt aber früher ab 
als die Zahl der Fliegen. 

Cb. J. Martin-London: Iisektea'als Träger von Bakterieiinfek- 
tioBCB. II. (Lancct, Nr. 4663, und Brit. med. journ., Nr. 2715, 11. Ja¬ 
nuar 1913.) Weydemann. 

D. H. Cuvrie, M. T. Clegg und H. T. Hollmann-Honolulu: 
Züehtaag des Leprabacillas. (Lepra, Bibliotheca internationale, 1913, 
Bd. 13, fl. 2.) Den Verif. ist es gelungen, einen dem Leprabacillus 
morphologisch gleichen, säurefesten Bacillus in Reinkultur zu züchten, 
den sie für den Leprabacillus ansprechen müssen. 

R. Stunziale-Neapel: Neue Untersuchungen über die Einiatpfaag 
voa Lepramaterial in die vordere Aogenkammer von Kaninchen. 
(Lepra, Bibliotheca international«, 1913, Bd. 13, H. 2.) Verf. erreichte 
eine Vermehrung der Leprabacillen, Entwicklung von Granulomen in der 
Cornea und auf der Oberfläche der Iris. Ausserdem gelang die Weiter¬ 
impfung von Kaninchen auf Kaninchen. In diesen letzteren Fällen war 
die Wassermann’sohe Reaktion positiv. 

E. Marchouse und F. Sorel-Paris: Die Lepra der Ratten 

(Lepra murium). (Lepra, Bibliotheca international«, 1913, Bd. 13, H. 3.) 
Die Lepra der Ratten ist ubiquitär. 5 pCt. der Ratten sind Träger des 
Stefansky’schen Bacillus, aber nur 0,6 pCt. Ratten sind leprös. Die 
Inguinaldrüsen sind zuerst befallen. Die Stefansky’sche Rattenlepra ist 
eine nur bei Ratten beobachtete Erkrankung. Mäuse können infiziert 
werden, aber nicht so leicht als Ratten. Immerwahr. 

Y. Ternuchi und 0. Hi da-Tokio: Beitrag zur bakteriologischen 
Choleradiagnostik. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 63, 
H. 7, S. 570.) Die Verff. empfehlen als einen hochelektiven Nährhoden 
für Choleravibrionen ein von ihnen naoh umfangreichen Versuchen er¬ 
probtes „Caseintrypsinpeptonwasser", dessen genaue Herstellung sie an¬ 
geben. 

E. Hailer und E. Ungermann-Berlin: Ueber die Empfänglichkeit 
der Ziege für die Infektion mit TyphasbaeilleB. (Centralbl. f. Bakteriol. 
usw., Abt. 1, Orig., Bd. 63, H. 4—6, S. 337.) Versuche, Ziegen per os 
oder intravenös mit Typhusbacillen zu infizieren, wie sie Scordo nach 
seinen Mitteilungen gelungen sein sollen, schlugen den Verff. vollständig 
fehl: in keinem Falle gelang es, die Bacillen im Ziegenorganismus zum 
Haften zu bringen; ebensowenig konnte eine Ausscheidung derselben 
durch Kot, Urin oder Milch festgestellt werden. Bierotte. 

L. S. Dudgeon, W. 0. Meek und H. B. Weir-London: Eine vor¬ 
läufige Untersuchung über den Wert der KomplemeBtbindBBgSBnter- 
siekiagei bei Tuberkulose. (Lancet, 4. Januar 1913, Nr. 4662.) 
In weitaus den meisten untersuchten Fällen von Tuberkulose war die 
Reaktion positiv; die Stärke der Reaktion stand aber in keinem Ver¬ 
hältnisse zur Schwere und Dauer der Krankheit. Weydemann. 

P. Esch: Experimentelle Untersuchungen über den beschleuBigtea 
Nachweis tob Taberkelbacilleu durch dea MeerschweiBcheBvenuch. 
(Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., Bd. 25, H. 4.) Verf. bringt 
das zu untersuchende Material duroh intraoardiale Infektion der Ver¬ 


suchstiere direkt in die Blutbahn, um möglichst schnell eine generalisierte 
Tuberkulose bei diesen zu erreichen. Zur Erkennung des tuberkulösen 
Prozesses beim Versuchstier in seinem Frühstadium verwendet er die 
intracutane Injektion von 0,02 ccm Tuberkulin, deren Ueberlegenheit 
über die subcutane Infektion an einer Reihe von Tabellen nachgewiesen 
wird; sie ist bei weitem die brauchbarste und zuverlässigste der bis¬ 
herigen Methoden, den Tierversuch möglichst abzukürzen. 

Th. Müller. 

T. Germ an-Budapest: Ueber die KreatiniobildaBg der Bakteriea 
(als differentialdiagDOstisches Merkmal mancher Bakterien). (Centralbl. 
f. Bakteriol. usw., Abt. 1. Orig., Bd. 63, H. 7, S. 545.) 6. untersuchte 
eine ganze Reihe verschiedener Bakterien auf ihre Fähigkeit, in pepton¬ 
haltigen Nährböden Kreatinin zu bilden, und benutzt dieses Verhalten 
in differentialdiagnostischer Hinsicht. Der Nachweis des Kreatinins er¬ 
folgte mit der Weyl’schen Reaktion, in Zweifelsfällen mit der Salkowsky- 
chen Reaktion, die noch empfindlicher ist. 

B. Kl ein-Kiew: Zur Beobachtung der Zersetzung von Kohle¬ 
hydrates durch Bakterien. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., 
Bd. 63, H. 4—6, S. 321.) Um die Zersetzung von Kohlehydraten durch 
Bakterien innerhalb möglichst kurzer Zeit feststellen zu können, impfte 
der Verf. grosse Mengen von Kulturen des Bacterium coli, bzw. Bacillus 
typhi, paratyphi und dysenteriae in relativ kleine Quantitäten des Nähr¬ 
mediums und konnte so in wenigen Stunden zu einem Ergebnis kommen, 
was unter Umständen, z. B. zu einer schnellen Differenzierung von Kul¬ 
turen, recht vorteilhaft ist. Bierotte. 

E. Küster und Rothaub-Freiburg i. B.: Verlauf des Adsorptions¬ 
prozesses bei der Einwirkung des Phenols aaf Bakteriea. (Zeitschr. f. 
Hyg., 1912, Bd. 73, H. 2, S. 205.) Der Aufnahmeprozess des Phenols 
durch Bakterien erfolgt rasch in den ersten Stunden der Einwirkung 
(steiler Abfall der Kurve), sehr langsam in den folgenden Stunden. 
Eine bestimmte Menge Phenol, sowie ein Minimum des Konzentrations¬ 
grades ist unbedingt erforderlich, um den Tod der Bakterien herbei- 
zufübren. Bei Behandlung vorher abgetöteter Bakterien mit Phenol¬ 
lösung wird eine bestimmte Menge des Phenols von den toten Bakterien 
adsorbiert und nicht wieder abgegeben. Möllers. 

J. v. Zubrzycki und R. Wolfgruber-Wien: Nonaale Hämagglu- 
tifliae iB der Frauenmilch und ihr Uebergang auf das Kind. (Deutsche 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) Normale Hämagglutinine sind in der 
Frauenmilch vorhanden, und zwar besonders in den ersten Tagen post 
partum. Die Agglutinationskraft verhält sich verschiedenen Blutkörper¬ 
chen gegenüber verschieden. Im Serum der Säuglinge sind diese Agglu- 
tinine in den ersten 14 Tagen post partum nicht nachzuweisen. 

Ellermann - Kopenhagen: Quantitative Ansflocknngsreaktionen 
bei Syphilis. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) 

Wolfsohn. 

H. Handovsky und E. P. Pick-Wien: Ueber die Entstehung 
vasokonstriktorischer Substanzen durch Veränderung der Serum- 
kolloide. (Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 71, H. 1, 
S. 62—88.) Lässt man Sera unter Verhinderung bakterieller Zer¬ 
setzungen einige Tage stehen, so nehmen ihre vasokonstriktorischen 
Fähigkeiten beträchtlich zu. Ebenso wird Serum verändert, wenn man 
es mit Kieselgur, Kaolin oder Fibrin schüttelt. Die Wirkung ist in 
erster Linie an die löslichen kolloiden Bestandteile gebunden. Auch 
das Anaphylatoxin besitzt eine gefässverengernde periphere Wirkung. 
Die Serumveränderung scheint in einer Desaggregation (Entmischung) 
kolloider Komplexe zu bestehen. Die Wirkungsart der veränderten 
Sera ist vielfach dem Mechanismus des Adrenalis ähnlich. 

_ Jacoby. 


Innere Medizin. 

N. D. Bardswell - Midhurst: Einige Beobachtungen über die Be¬ 
handlung der Lungentuberkulose mit kleinen Taberkulingaben. (Lancet, 
4. Januar 1913, Nr. 4662.) Versuche an 30 Patienten, die nach Wright 
mit kleinen Tuberkulingaben (Viooo—Veoo m K trockenes Tuberkelbaclllen- 
pulver) behandelt wurden. Es fand sich naoh jeder Injektion eine be¬ 
friedigende Steigerung des opsonischen Index, aber keinerlei Heilwirkung 
auf die klinischen Erscheinungen. 

E. E. A. T. Rigg-London: Ueber den angeblichen diagnostischen 
Wert provokatorischer Injektionen vob Alttuberkuliu in Fällen, die 
auf geschlossene Lungentuberkulose verdächtig sind. (Lancet, 
11. Januar 1913, Nr. 4663.) Nach sorgfältigen Untersuchungen an 
61 Fällen stellt der Verf. fest, dass von derartigen Injektionen nach 
keiner Richtung hin für die Diagnose geschlossener Lungentuberkulose 
etwas zu erhoffen ist. 

E. F. Maynard - London: Salvarsaa bei pernieiöser Anämie. 
(Brit. med. journ., 11. Januar 1913, Nr. 2715.) Io dem kurz mitge¬ 
teilten Falle von pernieiöser Anämie hat Salvarsan völlig versagt. 

Weydemann. 

S. Isaac und E. Handrick-Wiesbaden: Beziehungen anämischer 
Zustände sam Kohlehydratstoffwechsel. (Deutsches Archiv f. klin. 
Med., Bd. 109, H. 1 u. 2.) In fünf Fällen von pernieiöser Anämie 
stellen die Verff. fest, dass die Durchschnittszuckerwerte für das Gesamt¬ 
blut sowohl wie für das Blutplasma beträchtlich überschritten werden. 
Bei leichteren Anämien konnte keine wesentliche Erhöhung des Blut¬ 
zuckerspiegels konstatiert werden. -j ■ 


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270 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


K. Oczesalski und St. Sterling-Warschau: Experimentelle Unter¬ 
suchungen über den Einfloss der Blateatziehangen und subperitonealen 
Blotinjektionen auf die Zahl und Resistenz der roten Blutkörperchen. 
(Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 109, H. 1 u. 2.) Blutentziehungen, 
sogar grosse, aber in nicht zu kleinen Zeitabständen ausgefübrt, bringen 
dem tierischen Organismus nicht nur keinen Schaden, sondern rufen 
noch eine Vermehrung der Erythrocytenresistenz hervor. Die Aderlässe 
in Verbindung mit Injektionen des eigenen Blutes bringen dem gesunden 
Tiere keinen Schaden, steigern dagegen die Resistenz und die Zahl der 
roten Blutkörperchen. 

A. Spuler und A. Schittenbelra - Erlangen: Ueber die Herkunft 
der sogenannten „Kern“- bzw. „Zellschollen bei lymphatischer Lenk- 
ämie und die Natur der eosinophilen Zeilen, zugleich ein Beitrag zur 
diagnostischen Knochenmarkspunktion. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 
Bd. 109, H. 1 u. 2.) Die als „Zellschollen“ bezeichneten Gebilde, 'wie 
man sie namentlich im Blute lymphatischer Leukämien findet, entstehen 
aus Lymphocyten mit relativ pyknotischen Kernen. Auch zeigt sich 
deutlich der Zusammenhang von Blutzerfall mit Bildung von eosinophilen 
Leukocyten; diese entstammen also nicht dem Knochenmark. 

G. Eisner. 

R. Strisower - Wien: Beitrag zur Kasuistik hochgradiger Blnt- 
eosinophilie bei einer Carcinomatose und einem Lymphogrannlom. 
(Wiener kin. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Kasuistik. 

A. Pappenheim - Berlin: Benseibehanfllang der Leukämie und 
sonstiger Blutkrankheiten. (Vorläufige Mitteilung.) (Wiener klin. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 2.) P. hat das von Koranyi empfohlene Benzol nach¬ 
geprüft und auch das besser verträgliche Benzin angewendet und ge¬ 
funden, dass die bei Menschen ohne Schaden gereichten Dosen zu klein 
sind, um einen therapeutischen Effekt im Sinne einer Unterdrückung der 
Knochenmarkszellenbildung zu haben, dass aber bei grösseren Dosen die 
Gefahr einer schweren Leber- und Nierenschädigung besteht. Beide 
Mittel sind in ihrer Wirkung minderwertig gegenüber den radioaktiven 
Substanzen. P. Hirsch. 

C. H. Treadgold-London: Myeloide Leukämie bei einem Kinde 
mit dem Blutbilde der sogenannten megaloblastisehen Degeneration. 
(Lancet, 11. Januar 1913, Nr. 4663.) 

Sir B. Moynihan: Gallensteine. (Brit. med.journ., 4. Januar 1913, 
Nr. 2714.) Klinische Vorlesung nach den persönlichen Erfahrungen des 
Verfassers. Wey dem an n. 

F. Schultze-Bonn: Ueber heilbare aknte Hepatitis. (Deutsches 
Archiv f. klin. Med, Bd. 108, H. 5 u. 6.) Beschreibung eines Falles 
von akuter Hepatitis. Die Diagnose konnte erst durch die Probelaparo¬ 
tomie gestellt werden, bei der sich ein abnorm grosser, geschwollener 
Leberlappen fand. Stein und Abscess war auszuschliessen gewesen. 
Die mikroskopische Untersuchung des herausgeschnittenen Leberstück¬ 
chens ergab interstitielle Entzündungsherde. Auffallend war die nach 
der Laparotomie einsetzende und fortschreitende Heilung. 

F. Fischler und F. Grafe: Der Einfluss der Leberausschaltung 
auf den respiratorischen Stoffwechsel. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 
Bd. 108, H. 5 u. 6.) Verff. schalteten an Hunden die Leber vollständig 
aus dem Kreislauf aus, indem sie in der ersten Sitzung eine Eck’sche 
Fistel anlegten, in einer zweiten Sitzung, einige Wochen später, die 
Leberarterie unterbanden und durch trennten. Eine sichere der Leber- 
arterienunterbindung direkt folgende Veränderung des Organs konnte 
nicht konstatiert werden. Der Einfluss auf den respiratorischen Gas- 
wechsei ist in den einzelnen Stunden nach der Operation ein ganz ver¬ 
schiedener. Die Oxydationsfähigkeit für Eiweiss und Fett hat nach Aus¬ 
schaltung der Leber nicht in erheblicher Weise gelitten. Die Wärme¬ 
produktion sinkt in ungewöhnlich starkem Maasse (30—70pCt.) ab. Es 
scheint, dass die Leberausschaltung auf indirektem Wege zu der schweren 
Schädigung der Wärmeproduktion führt, möglicherweise durch den 
Fortfall der entgiftenden Wirkung der Leber. G. Eisner. 

H. M. Cargin-Birmingham: Ein Fall von diphtherischer Enteritis. 
(Lancet, 4. Januar 1913, Nr. 4662.) Im Anschluss an eine Rachendiph¬ 
therie trat eine Darmerkrankung auf, wobei membranartige Ausgüsse 
des Darmes entleert wurden, aus denen sich Diphtheriebacillen züchten 
Hessen. Wey dem an n. 

R. Rössle: Das rnnde Geschwür des Magens nnd des Zwölffinger¬ 
darmes als „zweite Krankheit“. (Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. 
Chir., Bd. 25, H. 4.) Die beiden Affektionen erscheinen sehr häufig als 
„zweite Krankheit“ nach irgendwelchen anderen Schädigungen der Ge¬ 
sundheit, und zwar soll nicht auf dem Wege der Blutbahn, sondern 
durch reflektorische Nervenreize (Vagusgebiet!) die Schädigung derMagen- 
bzw. Duodenalschleimhaut zustande kommen. Die makroskopisch ver¬ 
schiedenen Bilder, von der einfachen Erosion bis zum tiefgreifenden Ge¬ 
schwür sind nur Stadien desselben Prozesses. Krämpfe in der Muscularis 
mucosae sollen besonders Anlass zur Ausbildung von Erosionen sein, 
insofern durch sie Gefässchen abgeklemmt werden, was wiederum hämor¬ 
rhagische Infarcierung oder Ischämie des versorgten Bezirkes zur Folge hat. 

Th. Müller. 

L. Rogers: Behandlung von Amöbenrnhr mit subcutanen Ein¬ 
spritzungen von Emetine. (Therapeutic Gazette, 1912, Nr. 12.) Ent¬ 
gegen der älteren Behandlung der Amöbenruhr mit Ipecacuanba zieht 
Verf. subcutane Injektionen von Emetine (dem Alkaloid der Ipecacuanha) 
in salzsaurer Lösung yor, un<| zwar meist iöh-0,5 gTDosen zweimal täglich. 


Er berichtet von sehr guten Erfolgen nicht nur bei der Amöbenrubr, 
sondern auch den hierbei auftretenden Hepatitiden und Leberabscessen. 

Schelenz. 

E. Schum ach er-Trier: Eine Gruppe von sechs klassischen Botl- 
lismaserkrankungen in der Eifel und der Naohweis ihres Erregers, des 
Bacillus botulinus. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Neu 
ist, dass es io einem der sechs Fälle gelang, aus dem bei der Sektion 
des Patienten erhalteuen Milzblut den Botulinusstamm zu züchten. 

Dünner. 

H. Hemsted*. Eine gebellte infektiöse Endocarditis. (Lancet, 

4. Januar 1913, Nr. 4662.) 21jährige Frau mit monatelang dauernder 

Endocarditis, die durch den Streptococcus salivarius von einem Zabn- 
abscess aus verursacht war. Sehr viele Lungeninfarkte machten die 
Diagnose sehr schwierig gegenüber einer Lungentuberkulose. Erst die 
Kultur des Streptococcus aus dem Blute klärte die Diagnose. Völlige 
Heilung durch monatelange, kombinierte Behandlung mit einer autogenen 
Vaccine und einem eigens mit dem gefundenen Streptococcus bergestellten 
Serum. Weydemann. 

E. Schott- Cöln: Die Erhöhung des Dnckes im venösen System 
bei Anstrengung als Maass für die Funktionstüchtigkeit des mensch¬ 
lichen Herzens. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 108, H. 5 u. 6.) 
Herzgesunde Individuen erfahren bei Anstrengung keine oder nur eine 
sehr geringe Drucksteigerung im venösen System. Erklärung schwierig. 
Verf. neigt am meisten der Ansicht zu, dass kranke Herzen, selbst wenn 
sie niemals dekompensiert gewesen sind, nicht imstande wären, ein 
Stromvolumen zu garantieren, welches dem bei der Anstrengung nötigen 
entspräche, dass also in der Zeit der Anstrengung eine relative Ver¬ 
minderung des Stromvolumens statthätte. 

R. Kaufmann und Popper-Wien: Beiträge zum Studium der 
Pulsarhythmien. I. Mitteilung: Analyse des Mechanismus der Her*- 
aktion in einem Falle von atrioveotriculärer paroxysmaler Tacfay- 
cardie. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 108, H. 5 u. 6.) Be¬ 
schreibung eines Falles von paroxysmaler Tachycardie und Beibringung 
eines grossen Kurvenmaterials, welches eine genaue Analyse des Herz¬ 
mechanismus darstellt. G. Eisner. 

G. Baer-Davos: Das Perkussionsqnantimeter. (Münchener med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Muss im Original gelesen werden. 

Dünner. 

Pol latschek: Diätsebema'für Diabetiker. (Zeitsohr. f. Balneol., 

5. Jahrg., Nr. 19.) E. Tobias. 

G. v. Bergmann und Fr. W. Strauch - Altona: Die Bedeutung 
physikalisch feia verteilter Gemüse für die Therapie. (Therapeut. 
Monatsh., Januar 1913.) Io lange fortgesetzten Stoffwecbselversucben 
ergab sich bei Verwendung von Bohnenpulver im Vergleich zu frischem 
Bohnengemüse eine doppelt so gute Ausnutzung des Pulvers. Nicht nur 
die Ausnutzung auf Grund der Kotuntersuchungen beurteilt, sondern 
auch die Stickstoffbilanz zeigte die Möglichkeit ausgiebigen Stickstoff¬ 
ansatzes durch Zulage von Bohnenpulver. Die gereichten Mengen über¬ 
treffen das, was in der Norm in 24 Stunden an Gemüse sonst genossen 
werden kann. Damit ist die Möglichkeit gegeben, an Gemüsestickstoff, 
Gemüsesalzen usw. wesentlich mehr zu reichen, als sonst möglich ist 
Die Zellulose in den Gemüsepulvern wurde dreimal so gut ausgenutzt 
wie bei frischem Gemüse. Die untersuchten Gemüsepulver sind auch in 
Mengen von 300 g entsprechend 3 kg frischen Gemüses absolut unschäd¬ 
lich. Die Zuführung geringer Quantitäten ist fast bei jedem Kranken 
diätetisch durchführbar. In Fällen von Magen- und Darmkrankheiten, 
in denen Gemüse nicht vertragen werden, können die Gemüsepulver 
ohne Nachteil gegeben werden. Endlich in Krankheitsfällen, in denen 
die Anwendung von viel Gemüsesubstanz besonders erwünscht ist, kann 
man ohne Schädigung des Magen-Darmkanals erheblichere Quantitäten 
bei kleineren Volumen zuführen. 

v. Noorden - Wien: Ueber die Wahl von Nahrungsstoffen in 
Krankheiten. (Therapeut. Monatsh., Januar 1913.) Referat, erstattet 
in der Sektion für Diätetik auf dem Hygienekongress in Washington am 
26. September 1912. H. Knopf. 

M. Cloetta-Zürich: In welcher Respirationsphase ist die Lange 
am besten darchblntet? (Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., 
Bd. 70, H. 6, S. 407—432.) Die durch die Respiration bedingten Volum¬ 
veränderungen der Lunge haben, abgesehen von den im Thorax dabei 
erzeugteu Druckunterschieden, einen ausgesprochenen Einfluss auf dieBlut- 
durchströmung der Lunge. Auf der Höhe der Inspiration ist die Durch¬ 
blutung am schlechtesten, viel besser bei der Exspiration, am voll¬ 
kommensten beim Beginn der Inspiration. Jacoby. 

0. Bruns - Marburg: Blutcirculation in der atelektatisebea Lange. 
(Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 108, H. 5 u. 6.) Verf. zeigt an 
Tierexperimenten, dass in der ausgedehnten atmenden Lunge sich in 
einem gegebenen Augenblick mehr Blut befindet als in der collabierten, 
atelektatischen Lunge, und dass die physiologisch gedehnte Lunge in 
der Zeiteinheit ausgiebiger durchblutet wird als die atelektatiscbe Lunge. 
Noch viel mehr als beim frischen Lungencollaps wird die Durchblutung 
der Lunge bei der heute üblichen Art der Pneumothoraxtherapie ein¬ 
geschränkt, bei der man bestrebt ist, im Pneumothoraxraum dauernd 
einen leichten Ueberdruck zu erhalten. Die Capillarschlingen einer luft¬ 
leeren Pneumothorax!upge sind, fast völlig blutleer. Diese energische 


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10. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


271 


Einengung des kleinen Kreislaufs kann leicht zu Hypertrophie des rechten 
Herzens fuhren. G. Eisner. 

G. M. Balboni: Behandlung der Lungentuberkulose mit künst¬ 

lichem Pnenmothorax. (Boston med. journ., 1912, Nr. 22—26.) 
Historische Einleitung und Beschreibung der Technik. Bericht über 
21 eigene Beobachtungen; in der Mehrzahl offensichtlicher Erfolg, wobei 
die Patienten während der Behandlung ihrer Arbeit nachgingen. In 
einem Falle worden 50 Insufflationen von im ganzen 35000 com N ge¬ 
macht — Literaturverzeichnis. Sehe lenz. 

C. Stäubli-Basel: Zur Kenntnis und Therapie des Asthma. 
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Therapeutisch bewährt 
sich besonders Adrenalin, zu dessen Applikation er einen besonderen 
Spray-Apparat verwendet, oft kombiniert mit Atropin und Cocain. 

Dünner. 

E. Pagenstecher: Da9 Verhalten traumatischer Blutergüsse, 
speziell in den Gelenken und der Pleura. (Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. 
Med. u. Chir., Bd. 25, H. 4.) Die Flüssigkeit die man bei Punktion 
eines Hämarthros gewinnt ist kein reines Blut, sondern ein Gemisch 
ton ungeronnenem Blut Blutkörperchen und Plasma einerseits und Serum 
und Synovia andererseits. Gewisse, noch unbekannte physikalische Ver¬ 
hältnisse spielen beim Flüssigbleiben des Blutergusses in Gelenkhöhlen 
eine wesentliche Rolle. Die Resorption dieser Flüssigkeit geht sehr 
langsam vor sich; als Regel folgt daraus, einen grösseren Bluterguss ins 
Gelenk aseptisch zu punktieren. Das gleiche gilt für Hämatothorax- 
flüssigkeit. 

E. Jacobsohn: Arthritis bypertrophicans. (Mitteil, a- d. Grenzgeb. 
d. Med. u. Chir., Bd. 25, H. 4.) Dieses Krankheitsbild und das verwandte 
der Arthritis atrophicans müsste nach Ansicht des Verf. das verschwommene, 
nicht scharf umgrenzte Bild der „ Arthritis deformans“ ersetzen. 

Th. Müller. 

H. Lüdke und L. Schüller-Würzburg: Untersuchungen über 

Nephrelysine. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 108, H. 5 u. 6.) 
Injiziert man normalen Hunden ein nephrolytisches Serum, das durch 
wiederholte Injektionen einer Hundenierenemulsion von Kaninchen ge¬ 
wonnen wird, so treten echte nephritische Störungen auf, bestehend in 
tage- und wochenlang anhaltender Albuminurie und Cylindrurie, ferner 
in ausgesprochener Schwäche und Abmagerung des Versuchstieres. Der 
anatomische Nierenbefund bestätigte die klinische Diagnose. Eine Ein¬ 
wirkung des Nephrolysins auf das Blut im Sinne von Hämolyse war 
stets vorhanden; weiter Giftwirkung auf das Nervensystem und mässige 
Steigerung des Blutdrucks. Die Herzgrösse wurde nur in geringfügigem 
Maasse verändert (Verbreiterung). G. Eisner. 

Gay et und Boulud: Die Ambard’scbe Konstante der Harnstoff¬ 
sekretion. Einige klinische Anwendungen in der Chirurgie der Harn¬ 
wege. (Lyon mödical, 1913, Nr. 3.) Die Ambard’scbe Methode, welche 
eine exakte Wertbestimmuog der Harnstoffsekretion der Niere ermög¬ 
licht, wird auseinandergesetzt und an klinischen Beispielen erläutert. 

A. Münzer. 

E. Sommer: Ueber Emanationsperlbäder. (Zeitschr. f. Balneol., 
5. Jahrg., Nr. 19.) Die Wirkung der Radiumemanationsbäder kommt 
zustande durch Absorption oder Resorption der Emanation durch die 
unverletzte Haut des Badenden, durch die Inhalation der aus einem 
Emanationsbad io den Luftraum des Badezimmers austretenden Ema¬ 
nation, ferner durch die Beteiligung der durch innere Umsetzung der 
Emanation entstehenden strahlenden Körper. Dies alles sei nur im 
Emanationsperlbad zu erreichen. E. Tobias. 

R. S. Frew und A. E. Garrod - London: Glykosnrie bei tuber¬ 
kulöser Meningitis. (Lancet, 4. Januar 1913, Nr. 4662.) Beobachtungen 
an 41 Fällen, davon 15 mit 0,25—1 proz. Dextrose, 11 mit weniger, 
15 mit keiner. Der Zucker trat in weitaus den meisten Fällen 48 Stunden 
vor dem Tode auf und blieb bis zum Ende vorhanden. 

Weydemann. 

M. Simmonds-Hamburg: Hypophysis und Diabetes insipidus. 
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Vorgetragen in der bio¬ 
logischen Abteilung des ärztlichen Vereins zu Hamburg am 10. Dezember 
1912. Cf. Gesellschaftsbericht in dieser Wochenschr., 1913, Nr. 3, S. 139.) 

Dünner. 

Kloidt: Wintersport und Kurarzt. (Zeitschr. f. Balneol., 5. Jahrg., 
Nr. 18.) Die modemässigen, reklamehaften Uebertreibungen des Sports 
sind zu verwerfen. Den Bobsleighsport lehnt K. gänzlich ab — als 
Hygieniker und Arzt, er unterscheidet sich von anderen Sportbetätigungen 
durch die Passivität der Ausübenden. Kranken sollte der Kurarzt spezielle 
Anweisungen geben, ob sie Zuschauer sein müssen oder inwieweit sie 
sich selbst sportlich betätigen dürfen. Meist ist Wioterkur richtiger als 
Wintersport. E. Tobias. 

Sherman: Ein Fall von Pellagra. Cohoon: Pellagra. (Boston 
med. journ., 1913, Nr. 2.) Kasuistische Beiträge der früher in Amerika 
unbekannten Krankheit. In der Arbeit von Cohoon (17 Fälle) genaue 
Angaben über Blutuntersuchungen und Lumbalpunktat. Schelenz. 

Siehe auch Physiologie: Retzlaff, Atopbanwirkung bei Ge- 
sonden und Gichtikern. ■ Zander, Salzwirkung auf die Funktion in¬ 
suffizienter Nieren. — Therapie: Jarosch, Mesb6 bei Lungentuber¬ 
kulose. Hildebrand, Behandlung der Oxyuris vermicularis. Schüffner 


und Vervoort, Oleum chenopodii gegen Ankylostomiasis. — Dia¬ 
gnostik: Büttner-Wobst, Die Pirquet’sche Reaktion im Dienste der 
Schwindsuchtsprophylaxe. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Sinn-Neu-Babelsberg: Beitrag zur Kenntnis der Mednlla oblongata 
der Vögel. (Monatsschr. f. Psych. u. Neurol., Januarheft 1913.) 

Roth mann - Berlin: Elektrische Erregbarkeit der Central- 
Windungen. (Monatsschr. f. Psych. u. Neurol., Dezemberheft 1912.) 
Verf. konnte in verschiedenen Versuchen beim Affen eine schwache, aber 
deutliche elektrische Erregbarkeit der hinteren Central Windung 2 l /a bis 
3 Monate nach der Totalexstirpation der vorderen Centralwindung fest- 
steilen, was er dahin deutet, dass die Restitution der motorischen 
Funktion von wesentlicher Bedeutung für den Umfang der Wiederkehr 
der elektrischen Reizeffekte ist. Bei der vorderen Central Windung über¬ 
wiegt der motorische, bei der hinteren der sensorische Anteil, aber nach 
Ausschaltung der vorderen Windung werden nach und nach deren 
motorische Funktionen von der hinteren Windung übernommen. 

E. Loewy-Berlin: Beitrag zum Verhalten des Cremasterreflexes 
bei funktionellen und organischen Nervenkrankheiten inklusive Psychosen. 
(Monatsschr. f. Psych. u. Neurol., Dezemberheft 1912.) Verf. kommt zu 
folgenden Schlüssen: Das Reflexcentrum liegt im ersten bis dritten 
Lumbalsegment. Diagnostisch wichtig ist nur doppelseitiges Fehlen. 
Der Reflex hat ungefähr dieselbe Bedeutung wie der Bauchdeckenreflex, 
er verschwindet bei der multiplen Sklerose noch häufig früher als dieser. 
Er ist auch in normalen Fällen oft von der Planta aus erregbar. (Aus¬ 
führliche Literatur.) 

M. Hirschfeld und E. Burchard-Berlin: Zu Dr. Stier’s Artikel: 
„Ueber die Aetiologie des konträren Sexualgeffihls“. (Monatsschr. f. 
Psych. u. Neurol., Dezemberheft 1912.) Polemik gegen Stier und die 
Psychiater überhaupt, die durch ihr eigenartiges Beobachtungsraaterial 
fälschlich zur Ansicht kommen, dass die Homosexualität ein „exogen 
bedingtes Produkt pathologischer Entwicklung oder psychosexueller Dis¬ 
harmonie“ sei. 

Heilbronner-Utrecht: Zur Psychologie der Alexie. (Monatsschr. 
f. Psych. u. Neurol., Dezemberheft 1912.) Bei einem Luetiker wird eine 
rechtsseitige Hemiplegie mit aphasisch-agraphisch-alektischen Störungen 
trotz negativem Wassermann für luetisch bedingt gehalten, „zumal da 
damals nicht ausgewertet wurde“, Für die Annahme eines Herdes in 
den lateralen Partien des Scheitel-Hinterhauptlappens sprach eine gleich¬ 
zeitige Quadrantenhemiopie. Genauere Abgrenzung dieses Falles von 
„Alexie und Agrapbie“ und theoretische Betrachtungen. Zurzeit müsse 
ein Versuch genauerer anatomischer Lokalisation aussichtslos erscheinen. 

E. Loewy-München. 

J. Cluzet, J. Froment und Mazet: Ein Fall von Thomsen’scher 
Krankheit. (Lyon med., 1912, Nr. 52.) Der Fall zeigte folgende Be¬ 
sonderheiten: Fehlen des familiären Charakters, der Muskelatrophie und 
der mechanischen Erregbarkeit der Muskeln. Anderseits war Dauer¬ 
kontraktion der Muskulatur nicht nur wie gewöhnlich durch die elek¬ 
trische Reizung des Muskels, sondern auch durch diejenige des Nerven 
zu erzielen. Hinsichtlich der Pathogenese wird die Möglichkeit einer 
intoxikation, vielleicht ausgehend von den Drüsen mit innerer Sekretion, 
In Betracht gezogen. A. Münzer. 

Röper-Jena: Zur Aetiologie der multiple! Sklerose. (Monatsschr. 
f. Psych. u. Neurol., Januarheft 1913.) (Vortrag in Halle, Oktober 1912.) 
Verf. kommt bei reichem eigenen Material und nach Durchsicht der 
Literatur zu dem Schluss, dass eine angeborene oder erworbene ver¬ 
ringerte Widerstandsfähigkeit des Centralnervensystems mit einer exogenen 
Schädigung zur Aetiologie der multiplen Sklerose notwendig ist. Zu 
diesen Schädigungen rechnet er Infektionskrankheiten, Traumen jeder Art, 
Partus, Graviditäten, auch Erkältungen. Er glaubt, dass man die 
Edinger’sche Aufbrauchtheorie gut auf diese Krankheit anwenden kann. 
Das Leiden sei bei Geschwistern nicht allzu selten! 

Kutzinski-Berlin: Ueber die Beeinflussung des Vorstellungs- 
ablaufes durch Geschiehtskomplexe bei Geisteskranke!. (Monatschr. 
f. Psych. u. Neurol., Januarheft 1913.) Schluss folgt. 

Schöenhals-Jena: Ueber einige Fälle vo! indiziertem Irresein. 
(Monatsschr. f. Psych. u. Neurol., Januarheft 1913.) Verschiedene Fälle 
aus der Jenenser Klinik, wo „eine suggestive Beeinflussung mehrerer dis¬ 
ponierter, geistig minderwertiger Individuen durch den — Autorität und 
Einfluss geniessenden — Geisteskranken stattfand, dessen krankhafte 
Wahnideen als solche zu erkennen, ihre kritische Veranlagung als solche 
nicht ausreichte“. E. Loewy-München. 

J. Burgart: Ein Beitrag zur Frage der Behandlung gastro¬ 
intestinaler Krisen bei Tabes dorsalis durch Resektion hinterer 
Dorsalwirxeln. (Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., Bd. 25, 
H. 4.) In zwei Fällen von Tabes mit schweren Krisen trat nach der 
Operation ein voller Erfolg ein, der dritte blieb auch von gastro¬ 
intestinalen Beschwerden verschont, litt aber sehr an dem laDgen 
Krankenlager, das hartnäckigen Decubitus verursachte. 

„ . Th. Müller. 

Weddy-Po-enieke-Breelau: Zu* 'Differentialdiagnose der Tabes 
nnd Lies spinalis. (Monatsschr. /. Psych. u. Neurol., Dezember¬ 
heft 1912.) 5 Fälle mit der anatomischen Diagnose Lues spinalis, die 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


klinisch nur in einem Fall gestellt werden konnte, da neben den meningo- 
myelitischen Prozessen noch tabiforme Entartungen in den Hinter¬ 
strängen'vorhanden waren, die klinisch als echte Tabes imponierten. 
Verf. kommt wegen der diagnostischen Schwierigkeit und der Häufigkeit 
der Koinzidenz der Tabes mit echt luetischen Begleiterscheinungen — mit 
Erb — zu dem Schlüsse, bei jeder Tabes eine energische spezifische 
Kur einzuleiten. E. L oewy- München. 

Schumacher und Roth: Thymektomie bei einem Fall von 
Morbns Basedowii mit Myasthenie. (Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. 
u. Chir., Bd. 25, H. 4.) Bei einer an schwerem Basedow mit aus¬ 
geprägten Motilitätsstörungen erkrankten Patientin brachte Ligatur der 
A. thyreoidea nur vorübergehende lokale Besserung; man machte mit 
Rücksicht auf den behaupteten Zusammenhang zwischen Myasthenie und 
Thymushyperplasie die Thymektomie und erzielte damit dauernde 
subjektive wie objektive Besserung. Im Blutbild fand diese Besserung 
dadurch Ausdruck, dass die anfangs beträchtliche Lymphocytose, die im 
Anschluss an die Operation einige Tage einer neutrophilen Hyper- 
leukocytose Platz gemacht hatte, bei Nachuntersuchung nach 8 bzw. 
14 Monaten einem völlig normalem Blutbild gewichen war. 

Th. Müller. 

W. Geisler-Stettin: Bl nt in der Spinalfliissigkeit. (Münchener 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Zum Referat nicht geeignet. 

D ü n n er. 

Siehe auch Innere Medizin: Frew und Garrod, Glykosurie 
bei tuberkulöser Meningitis. Simmonds, Hypophysis und Diabetes 
insipidus. — Militär-Sanitätswesen: Bernstein, Kleinhirnblutung 
als Ursache plötzlichen Todes. 


Chirurgie. 

W. Keppler und F. Breslauer - Berlin: Zur Frage der intra¬ 
venösen Narkose. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 120, H. 3 u. 4.) 
Von den gebräuchlichen Gruppen der intravenösen Narkose kommen im 
wesentlichen drei Formen in Betracht: Erstens die Totalanästhesie 
durch Injektion von Cocain ins Blut nach Ritter, die bis jetzt nur am 
Tier erprobt wurde; zweitens die. Narkose, von Chloroform oder Aether 
intravenös nach Burkhardt; drittens die Narkose durch Injektion ge¬ 
löster Schlafmittel aus der Gruppe der Harnstoffderivate (Urethan, 
Hedonal). Allen diesen Gruppen haften noch grosse Mängel an, die eine 
allgemeinere Anwendung nicht haben aufkommen lassen. Von allen 
Mitteln, die sie auf die gestellten Forderungen hin untersuchten, ent¬ 
spricht das Pantopon, intravenös angewandt, am ehesten den An¬ 
forderungen. Sie konnten in 50 Versuchen beim Hund ideale Resultate 
erzielen, vor allem ist die toxische Breite des Mittels eine grosse. 
Versuche beim Menschen ergaben Versager. Es trat nur leichte Be¬ 
nommenheit und lange dauernder (2 Tage!) postoperativer Schlaf auf. 

A. de Cortes - Bergamo: Die angebliche Orchitis par effort vor 
der Pathologie, der Klinik und dem Unfallgesetz. (Deutsche Zeitschr. f. 
Chir., Bd. 120, H. 3 u. 4.) Das von französischer Seite aufgestellte 
Krankheitsbild wird zunächst theoretisch-ätiologisch besprochen. Einzel¬ 
heiten hierüber müssen im Original nachgelesen werden. Die Orchitis 
par effort charakterisiert sich durch hochgradige akute Schmerzhaftigkeit 
und durch verschiedengradige Anschwellung. Es fehlen stets gesteigerte 
Temperatur und Allgemeinerscheinungen. Das Scrotum beteiligt sich 
nicht an dem Prozess, es dehnt sich nur entsprechend der Vergrösserung 
des Hodens aus. AusgaDg besteht stets in Heilung mit restitutio ad 
integrum. Pathologisch-anatomisch beruht die Orchitis auf Kongestion 
oder auf endo- oder peritestikulären Blutungen infolge Anstrengung. 
Die Prognose ist gut, die Behandlung hat symptomatisch zu erfolgen. 
Als Unfallfolge ist die Orchitis par effort anzuerkennen und zu ent¬ 
schädigen. J. Becker- Halle a. S. 

R. Bayer: Einiges über das Sarkom der Schleimhaut des Hodens 

nnd des Samenstranges. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, 
H. 2.) Bei der Beurteilung der Frage, von wo der Tumor ausgegangen 
ist, scheint es dem Verf. gerechtfertigt, die Forderung zu erheben, dass 
sioh bei den Sarkomen des Samenstranges wegen des lockeren Gewebes 
desselben makro- oder mikroskopisch neoplastische Vorgänge in dem 
ober- oder unterhalb der Geschwulst liegenden Strangabschnitt oder in 
dem Gewebe des mit dem Funiculus in engster Beziehung stehenden 
Nebenhoden finden. Die neoplastischen Vorgänge fehlen eher, wenn es 
sich um Sarkome der Hodenscheidehaut handelt. Bei diesen müssen da¬ 
gegen wieder Wucherungen an der Tunica selbst Vorkommen. Verf. be¬ 
leuchtet von diesem Gesichtspunkt aus bisher veröffentlichte Fälle und 
teilt zwei neue, von den Samenstranghüllen ausgehende Sarkome mit. 
Weitere Beobachtungen müssen ergeben, ob den oben angegebenen 
pathologischen Betrachtungen Beweiskraft für die Genese der Samen¬ 
strangtumoren zugesprochen werden kann. W. V. Simon. 

S. Pringle - Dublin: Radikale Operationen bei Hodenerkranknngen. 

(Lancet, 4. Januar 1913, Nr. 4662.) Entfernung sämtlicher mit dem 
Hoden in Verbindung stehender Lymphgefässe und -Drüsen bis zu den 
Nierengefässen hinauf auf extraperitonealem Wege. Krankengeschichte 
und Beschreibung der Operationstechnik. Weydemann. 

Krabbel - Bonn: Tuberkelbaeillen im strömenden Blnt bei 
chirurgischen Tnberknlosen. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 120, 
H. 3 u. 4.) Es wurden in 18 Fällen sicherer Knochentuberkulose 12 mal, 
in 5 Fällen von Drüsen tuberkulöse 1 mal, in 4 Fällen von Weich- 


telltuberkulose 1 mal Tuberkelbacillen im Blut nachgewiesen. Es lässt 
der positive Bacillennachweis keinen Schluss auf die Prognose zu. Der 
positive Bacillenbefund sichert nur in den Fällen die Diagnose, bei 
denen klinisch eine Lungentuberkulose noch nicht nachweisbar ist. 

J. Becker - Halle a. S. 

R. Hage mann: Ueber die Diagnose chirnrgischer Tnberknlosen 
ans den pathologischen Ausscheidungen mit Angabe eines neuen Ver¬ 
fahrens im Tierversuch, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, 
H. 1.) Selbst bei positivem Ausfall des Kulturverfahrens oder Tier¬ 
versuches ist der direkte Nachweis von Tuberkelbacillen in den Aus¬ 
scheidungen chirurgischer Tuberkulosen oft unmöglich: die besten 
Resultate lieferte das Chloroformverfahren. Nach Besprechung der ver¬ 
schiedenen Färbe- und Kulturverfahren schlägt Verf. zur Stellung der 
Diagnose die intracutane Impfung des zu untersuchenden Materials auf 
hochempfindliche tuberkulöse Meerschweinchen vor; schon nach 24 bis 
spätestens 78 Stunden reagieren diese in positivem Falle mit einer 
spezifischen Entzündung der Haut an der Injektionsstelle, die ganz der 
nach intracutaner Impfung von kleinsten Tuberkulindosen beobachteten 
Reaktion gleicht. Die vorgeschlagene Methode ist sehr scharf und gibt 
gute Resultate. 

A. Weiter: Beitrag zur Kenntnis und Kasuistik der Eehinokokkei- 
kraakheit. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 2.) Mit¬ 
teilung zweier Fälle von primärem Leberechinococcus mit Durchbruch in 
die rechte Pleurahöhle. 

E. Sonntag: Beitrag zur Semmdiagnostik der Eehiioeoeens- 
infektion mittels der Komplementbindungsmethode, (v. Bruns’ Beitr. 
z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 2.) Die Serumdiagnostik der Echino- 
coccuskrankheit mittels der Komplementbindungsmethode ist spezifisch. 
Die Cystenflüssigkeit von Organen erkrankter Tiere ist ein brauchbares 
Antigen, dagegen eignet sich Blasenwand-Alkoholextrakt weniger, da 
auch luetische Seren reagierten und daher auch Paralleluntersuchungen 
mit Cystenflüssigkeiten und Luesantigenen sowie mit luetischen Seren 
anzustellen sind. 

H. Köttner: Beiträge zur Kenntnis und Operation der Struma 
suprarenalis eystica haemorrhagica. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 
Bd. 82, H. 2.) Bei der 43 jährigen Frau bildete sich in der rechten 
Bauchseite eine Geschwulst aus, die zuerst langsam, dann rapide bis 
Mannskopfgrösse anwuchs. Es handelte sich um eine Struma supra¬ 
renalis cystica haemorrhagica, die mit Erfolg total exstirpiert wurde; 
der Tumor war an der Nebenniere so fest adhärent, dass diese — das 
erste Mal in der Literatur — mitentfernt werden musste. Glatte Re¬ 
konvaleszenz. Sehr interessant ist ferner an dem Fall, dass beiderseits 
cystoskopisch und röntgenologisch je zwei Ureteren festgestellt wurden, 
die alle annähernd normal funktionierten. Nach dem mikroskopischen 
Befund hat es sich in dem mitgeteilten Fall zuerst um eine echte Struma 
suprarenalis gehandelt, aus der sich durch wiederholte Blutungen eine 
grosse Blutcysto gebildet hat. Verf. geht auf die wenigen bisher publi¬ 
zierten Fälle ein (12, davon 9 operiert). Therapeutisch soll die Mar¬ 
supialisation nur ganz ausnahmsweise beim Misslingen der Totalexstirpation 
angewandt werden, welch letztere die Methode der Wahl ist, deren 
Mortalität sogar geringer ist als bei der Marsupialisation. Die — im 
Gegensatz zu sämtlichen publizierten Fällen — glatte Rekonvaleszenz 
führt Verf. auf die Operationsmethode (kombinierte extra- und intra- 
peritoneale Operation von dem Lumbalscbnitt aus gegenüber der sonst 
angewandten vorderen Laparotomie) zurück, die er für alle noch so 
schwierigen Exstirpationen aller seitlich gelegenen retroperitonealen Ge¬ 
schwülste empfiehlt. 

K. Kolb: Ein Beitrag zu den Knocheitamoren thyreogener Nntar. 
Cf. Originalartikel dieser Wochenschr., 1912, Nr. 38, S. 5160: F. Regens¬ 
burger: Schilddrüsenraetastasen im Knochen, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. 
Chir., 1912, Bd. 82, H. 2.) Bei allen sarkomähnlichen Knochentumoren, 
besonders des Kopfes, soll man an die Möglichkeit eines thyreogenen 
Tumors denken, auch wenn die Schilddrüse nicht vergrössert ist. Aetio- 
logisch spielt das Trauma scheinbar eine Rolle, vielleicht selbst zuweilen 
eine vorangegangene Strumaoperation. Die Metastasierung findet auf 
dem Blutwege statt, zuweilen wohl auch retrograd (Schädel). Die Vor¬ 
liebe der Knochenlokalisation ist bisher ungeklärt. Solitäre thyreogene 
Knochentumoren sind frühzeitig radikal zu operieren, für multiple ist 
Röntgenbehandlung empfehlenswert. Die Prognose ist wegen der lang¬ 
samen Recidivierung nicht ganz ungünstig. 

H. Lindner: Ueber Leberresektion. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 
1912, Bd. 82, H. 2.) Bemerkungen zur Indikationsstellung und OperatioDS- 
technik bei ausgedehnten Leberresektionen wegen Tumorbildung. 

P. Bull: Thrombosen und Embolien nach Appendieitisoperatioien. 
(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 2.) Unter 185 Appendek¬ 
tomien hatte Verf. 22 (11,7 pCt.) Thrombosen, unter diesen 15 (8 pCt.) 
Lungenembolien. 13 Fälle gehörten zu den nicht palpablen Thrombosen. 
Das Alter der Patienten spielt eine wesentliche Rolle insofern, als vor 
dem 20. Jahr keine Thrombose, von 21 bis 30 Jahren häufiger, von 81 
bis 50 Jahren am häufigsten Thrombosen Vorkommen. Frauen über¬ 
wiegen scheinbar etwas. Zwischen Appendektomien ä froid und im 
akuten Anfall ausgefübrten scheinen keine wesentliche Unterschiede zu 
bestehen, doch scheint andererseits bei den akuten Fällen die Zahl der 
Thrombosen mit ihrer Schwere zu wachsen; auch ihr klinischer Verlauf 
scheint ernster zu sein. Es folgt die Besprechung der Symptome der 
palpablen und nicht palpablen Thrombosen sowie der Diagnosenstellung 


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Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 





BERLINER KLINISC! IE WOC’HKNSCH RI ET. 


10. Februar 1913. 


und Prognose, irobei die Lungenembolie stets besonders berücksichtigt 
wird. W. V. Simon. 

Dobbertin - Berlin-Oberschönweide: Sehnittlänge, Bauchspttlnug, 
fiekämpffcug der Darmlähmung bei Appendieitis-Peritonitis. (Deutsche 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) Verf. hat die Länge des Riedel’schen 
Wechselschnitts für alle Appendicitisfälle auf 4—5 cm reduziert und 
trotz ausgedehnter Schwielenbildung auch im Intermediärstadium den 
Wurmfortsatz fast ausnahmslos primär exstirpiert. Gegen Darmlähmung 
bevährt sich Glycerin (25—50 ccm) ins Coecum oder den Dünndarm. 

Wolfsohn. 

S. Jourdan: Erfahrungen über den transperitonealen Weg bei 
Operationen an der Wirbelsäule, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, 
Bd. 82, H. 2.) Die Rostocker Klinik verfügt nunmehr über 9 in der an¬ 
gegebenen Weise operierte Fälle (darunter 2 Tumoren), über die Verf. 
Bericht erstattet. Der transperitoneale Weg eignet sich bei Lokalisation 
von tuberkulösen Herden in den drei untersten Lenden* oder zwei 
obersten Kreuzbeinwirbeln, wenn beginnende Abscessbildung besteht 
und alle Reizsymptome des Rückenmarks fehlen, die auf Sitz der Herd¬ 
erkrankung im hinteren Abschnitt der Wirbelkörper schliessen lassen. 
Bei vorgeschrittenen Fällen, besonders mit sekundär infizierten Fisteln, 
sind die Aussichten schlechter. Die transperitoneale Freilegung ist 
zwar mit Gefahren verknüpft, gibt aber auch unter Umständen über¬ 
raschend gute Erfolge. Die Indikation bei Tuberkulose wird natürlich 
nur ausnahmsweise gestellt werden dürfen, besonders bei Kindern, wo 
ja ziemlich gute Tendenz zur Spontanheilung besteht. 

W. V. Simon. 

Saal mann - Breslau: Kasuistischer Beitrag zur Kenntnis der Spiua 
bifida. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 120, H. 3 u. 4.) Röntgeno¬ 
logisch wird eine Spina bifida festgestellt, nachdem man vorher an einen 
tuberkulösen Prozess gedacht hatte. 

Nobe - Cuxhaven: Ein seltener Fall von Laxation im Talonavi- 
ealargelenke. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 120, H. 3 u. 4.) 
Kasuistische Mitteilung eines weiteren in der Literatur immerhin seltenen 
Falles obiger Verletzung. J. Becker-Halle a. S. 

E. Pagenstecher: Zur Klinik und Histologie schwerer Rtintgen- 
vcrbrennangeo. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 2.) 
Verf. fordert bei allen Röntgenverbrennungen vierten Grades die gründ¬ 
liche frühe Exzision alles Kranken mit sofort nachfolgender Thiersch’scher 
Transplantation. Kasuistik. 

C. Licini: Ein floss der Magensäfte auf lebende Gewebsorgane 
mit gesundem oder zerstörtem Peritonealüberzng. (v. Bruns’ Beitr. z. 
klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 2.) Mit Hilfe einer neuen Versuchs¬ 
anordnung tritt Verf. der Frage der verdauenden Wirkung der Magen¬ 
säfte auf Netz, Milz, Pankreas und Magendarmkanal näher und kommt 
zu dem Schluss, dass alle lebenden Organgewebe ebenso widerstands¬ 
fähig gegen die Verdauungssäfte sind, als die sie erzeugenden oder die 
beständig von ihnen bespülten Gewebe. Der Magensaft, der mit lebendem 
Organgewebe in Berührung kommt, maceriert zuerst die ganze ober¬ 
flächliche Schicht. Gleichzeitig tritt aber eine entzündliche Reaktion 
des darunter liegenden Gewebes auf, das zur Bildung einer binde¬ 
gewebigen Scheidewand führt, welche die darunter liegenden Schichten 
gegen die weitere Magensaftwirkung schützt. Nach 5—6 Wochen bildet 
sich darauf eine Epithelschicht. Die Serosa schützt das Organ nicht, 
veil sie von den Magensäften maceriert und als die ihnen zuerst aus¬ 
gesetzte Gcwebsschicht zerstört wird. W. V. Simon. 

P. Klemm: Indikationen zur Operation beim Ulcus ventrienli. 
(St. Petersburger med. Zeitschr., 1912, Nr. 20.) Der Eingriff ist be¬ 
rechtigt, wenn quälende Schmerzen sich durch keinerlei Maass¬ 
nahmen beseitigen lassen; wenn häufiger geringfügige Blutungen oder 
lebensgefährliche Hämorrhagie auftreten. Ferner indiziert bei Magen¬ 
perforation, bei Ulcus callosum und bei stenosierenden Prozessen im 
Magen. Ferner soll gegebenenfalls Laparotomie zur Stellung der Diagnose 
gemacht werden. Wartensleben. 

E. Scott - Carmichael-Edinburg: Primäres Sarkom beider Biceps- 
maakell. (Brit. med. journ., 4. Januar 1913, Nr. 2714.) Symmetrisch 
sitzende Sarkome der beiden Bicepsmuskeln. Sie wurden mit einem 
grossen Ruck von den Muskeln entfernt und der Patient dann mitCaley’scher 
Flüssigkeit behandelt. Nach 4 Monaten gute Funktion und kein An¬ 
zeichen eines Recidivs. Weydemann. 

L. Kredel-Hannover: Zar Behandlung der Kieferspalten aad 
Hasenscharten. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) Be¬ 
merkungen zu W. Neumann (Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 52). 
Die Neumann’sche Methode ist entbehrlich und für die Naht nicht ganz 
ungefährlich. Wolfsohn. 

Geb eie: Ueber die deutsche ärztliche Studienreise nach Amerika 
im Jahre 1912. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 2.) 

W. V. Simon. 

Siebe auch Innere Medizin: Moynihan, Gallensteine. Pagen¬ 
stecher, Verhalten traumatischer Blutergüsse, speziell in Gelenken und 
in der Pleura. — Psychiatrie und Nervenkrankheiten: Burgart, 
Behandlung gastrointestinaler Krisen bei Tabes durch Resektion der 
hinteren Wurzeln. Schumacher und Roth, Thymektomie bei einem 
Fall von Basedow und Myasthenie. — Therapie: Butzengeiger, 
Mesbe in der Behandlung chirurgischer Tuberkulose. 


273 

Röntgenologie. 

Siehe auch Militär-Sanitätswesen: Hufnagel, Röntgenauf¬ 
nahmeverfahren. 

Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

Siehe auch Militär-Sanitätswesen: Has, Schwefelbehandlung 
der Krätze. — Therapie: Zweig, Behandlung der Furunkulose und 
der Sycosis coccogenes mit dem Stapbylokokkenvaccin Opsonogen. 
Joseph, Die Wassermann’sche Histopintherapie in der Dermatologie. 


Geburtshilfe und Gynäkologie. 

Todyo-Dresden: Ueber ein junges pathologisches menschliches Ei. 
(Archiv f. Gynäkol., Bd. 98, H. 2 .) Das wenige Millimeter messende 
Eichen zeigt die ersten Stadien der Blasenmolenbildung. Dabei laufen 
nicht nur degenerative Prozesse am Zottenstroma ab, sondern auch pro¬ 
liferative, und es finden sich sehr hochgradige Wucherungen an der 
epithelialen Bekleidung der Zotten, insbesondere an der Syncitialschicht. 

L. Zuntz. 

P. E. Goulliond-Lyon: Missbildnng des Uterus und ihre Behand¬ 
lung durch Laparotomie. (Annales d. gyn. et d’obst., November— 
Dezember 1912.) Technik der verschiedenen Missbildungen. 

Pin grd-Paris: Eugenetik. (Aonales d. gyn., et d’obst., Dezember 
1912.) Ueberblick über die Selektionstheorie. Die Zivilisation befördert 
mehr die Erhaltung des Individuums als die der Art. Erste Anfänge 
zur Zuchtwahl finden sich schon im Altertum (Aussetzungen bei den 
Spartanern). Die Eugenie (Galton) umfasst das Studium derjenigen 
Faktoren, die geeignet sind, die sozialen Fähigkeiten — geistige und 
körperliche — der zukünftigen Geschlechter zu mehren oder zu be¬ 
einträchtigen. P. verlangt Berücksichtigung dieser Fragen in jedem 
Lehrbuche der Geburtshilfe. F. Jacobi. 

Stroganow: Zar Frage über das frühe Aafstehen nach der Ge¬ 
hurt. (Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., Dezember 1912.) Seit 
Jahren stehen die Mehrgebärenden am dritten, die Erstgebärenden am 
fünften, neuerdings auch am dritten Tage auf. Das Aufsitzen im Bett 
wird schon am ersten Tage erlaubt. Der Einfluss auf Mutter und Kind 
erwies sich als sehr günstig; die Rückbildung der Genitalien wird be¬ 
schleunigt, Verlagerungen vorgebeugt. Kontraindikationen sind erhöhte 
Temperatur, Infektionskrankheiten, starke Blutverluste, Eklampsie, Herz¬ 
fehler und Risse des Genitalkanals. 

Weill - Bad Elster: Zur Entwicklungsmechanik des Geschlecht». 
(Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., Dezember 1912.) Das Geschlecht 
wird entschieden durch einen Kampf zwischen männlicher und weib¬ 
licher Generationszelle. 

Below - Charkow: Glandula latea und Ovarian in ihrem Ver¬ 
halten zu den normalen physiologischen und pathologischen Vorgängen 
im weiblichen Organismus. (Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., 
Dezember 1912.) Extrakte aus gelben Körpern (Lutcovar) und solche 
aus der eitrigen Masse der Eierstocke (Proprovar) haben in vieler Be¬ 
ziehung entgegengesetzte Wirkungen. Erstere setzen den Blutdruck und 
die Assimilationsprozesse herab, letztere steigern beides. Unter dem 
Einfluss der ersteren steht der weibliche Organismus während der 
Menstruation, der Gravidität und der Lactatiön; das Proprovarin be¬ 
herrscht den weiblichen Organismus während der Intermenstrualzeit. 
Hypersekretion der Ovarioluteine führt zu Uebelkeit und Erbrechen, 
Harniukontinenz, bei stärkeren Graden zu Eklampsie, Hypoluteinismus 
bedingt Amenorrhoe, Sterilitas oder frühzeitige Aborte. Hyperovariismus 
bedingt Lebhaftigkeit der Empfindungen bis zur Nymphomanie, Ab¬ 
magerung, Sexualpsychosen, Hypoovariismus trägen Stoffwechsel, Impotentia 
coeundi. Durch Injektionen der betreffenden Stoffe bzw. ihrer Anti¬ 
körper lassen sich therapeutisch Erfolge erzielen. 

Elten - Charlottenburg; Das Placentarangiom — eine echte Ge¬ 
schwulst. (Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., Dezember 1912.) Verf. 
stützt diese seine Auffassung, die sich in Uebereinstimmung mit den 
meisten anderen Autoren, aber im Gegensatz zu der neuerdings von 
Gräfenberg aufgestellten befindet, durch Beschreibung zweier Fälle. 

Barchet-Hamburg: Gravidität in einem Uterusdivertikel. (Monats¬ 
schrift f. Geburtsh. u. Gynäkol., Dezember 1912.) Der Fall wurde als 
rupturierte Tubar- oder Nebenhorngravidität operiert. 

Rüh 1 - Dillenburg: Uterusperforationen bei Ausräumung von Aborteu 
und Vorschläge zu deren Verhütung. (Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., 
Dezember 1912.) Aerzte sind in solchen Fällen zivil- und strafrechtlich 
haftbar zu machen, wenn sie die Perforationen verschulden bei Aus¬ 
führung von Operationen, wozu sie nicht die erforderliche Technik und 
Erfahrung besitzen. L. Zuntz. 

G. Fieux-Paris: Seratherapie gegen uustillhares Schwaiger- 
schaftserbrechen. (Annales d. gyn. et d’obst., Dezember 1912.) Zwei 
neue Fälle von Heilung, die F. einmal durch Einspritzung mit Pferde- 


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UNIVERSUM OF IOWA 



274 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


serum (nach dem Vorgang von Freun d - Berlin), einmal durch je eine 
Einspritzung von Pferdeserum und Serum einer Schwangeren der ersten 
Monate erreicht hat. F. Jacobi. 

M. Stolz-Graz: Hypereuesis gravidarum. (Centralblatt für 
Gynäkol., 1913, Nr. 3.) Therapeutisch kommen in Betracht: 1. Causale 
in Form der Aborteinleitung oder 2. symptomatische Behandlung durch 
Zufuhr grosser Dosen von Narcotica, und zwar: Opium, Pantopon, 
Chloral, Morphium per rectum, bis eine grössere Toleranz erreicht und 
die Ueberempfindlicbkeit des Organismus beseitigt ist. 

M. Sperling-Königsberg i. Pr.: Ein Fall von unstillbarem Er* 
brechet bei Retroflexio Uteri puerperalis. (Centralbl. f. Gynäkol., 
1913, Nr. 2.) 23 Jahre alte Patientin, im dritten Monat der Gravidität 
unstillbares Erbrechen, bald nach der Untersuchung spontaner Abort. 
Wegen Nachblutung naoh 3 Wochen Curettement. Die anfänglich ver¬ 
schwundenen Blutungen kehrten wieder; jetzt Uterus sehr schlaff be¬ 
funden, um 1,5 cm verkürzt und retroflektiert. Uterus liess sich jetzt 
gut aufrichten, und bei ruhiger Rückenlage schwand das Erbrechen 
völlig. Verf. hält dies für einen Beweis dafür, dass das Erbrechen nicht 
immer eine Autointozikation zur Voraussetzung hat, sondern auch auf 
rein reflektorischem Wege entstehen kann. Siefart. 

Esch-Marburg: Verhalten der Harngiftigkeit in der Schwanger¬ 
schaft, in der Gebart und im Wochenbett, mit Berücksichtigung der 
Eklampsie. (Archiv f. Gynäkol., Bd. 98, H. 2.) Die intracardiale In¬ 
jektion von Harn, der teils von gesunden, nicht graviden und von uterus- 
carcinomkranken Frauen, teils von normalen Schwangeren, Kreissenden, 
Wöchnerinnen und von Eklamptischen stammte, erzeugte bei Meer¬ 
schweinchen je nach dem Grade der Harntoxizität mehr oder weniger 
schwere Symptome eines anaphylaktischen Shooks. Die Giftwerte des 
Harns waren bei gesunden Schwangeren kaum erhöht, bei Kreissenden 
im allgemeinen herabgesetzt und bei Wöchnerinnen anscheinend etwas 
gesteigert. Bei zwei Fällen von schwerer Eklampsie war der Harn 
exorbitant toxisch, in einem leichten Falle war die Toxizität nicht ge¬ 
steigert. L. Zuntz. 

Plenz - Charlottenburg: Zur Entstehung von Dermoidkngeln. 
(Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., Dezember 1912.) In seltenen 
Fällen, deren einen Verf. beschreibt, finden sich im Innern von Dermoid¬ 
cysten aus Fett bestehende Kugeln. Für die Entstehung derselben ist 
notwendige Voraussetzung das Eindringen von seröser Flüssigkeit, wie 
sie durch Stieltorsion (Stauungsödem) oder durch Einbruch einer ein¬ 
fachen Cyste erklärt werden kann. Es muss ein Teil des Fettes ver¬ 
seift worden sein, entweder vorher oder durch lipolytische Eigenschaften 
des Transsudates. Mechanische Einwirkungen auf die so in der Flüssig¬ 
keit suspendierte Fettmasse führen dann zur Kugelbildung, wie man 
experimentell nachahmen kann. L. Zuntz. 

H. Rotter-Budapest: Verfahren zur Heilung enger Becken. (Central¬ 
blatt f. Gynäkol., 1913, Nr. 2.) Bei einer Frau, die mehrfach schwere 
Geburten durchgemacht hat, betrug die Conj. diagon. 9,3, die vera 7,8 cm. 
Das Promontorium ragte stark hervor. Nach Eröffnung der Bauchhöhle 
und Beiseiteschieben der Därme wurde das Peritoneum durchtrennt, die 
rückwärts liegenden Gefässe in toto unterbunden, dann das Promontorium 
mit einem scharfen Meissei abgemeisselt. Nach 17 Tagen verliess die 
Pat. die Klinik geheilt. An Stelle des Promontoriums fand sich eine 
glatte Fläche. Siefart. 

P. Baumm - Breslau: Erfahrungen über den extraperitonealen 
Kaiserschnitt. (Deutsche med. Woohenschr., 1913, Nr. 5.) Der extra¬ 
peritoneale Kaiserschnitt bzw. Suprasymphysärschnitt ist dreimal lebens¬ 
sicherer als der transperitoneale. Leider lässt sich das extraperitoneale 
Vorgehen nicht immer durchführen. In ca. Vs der Fälle reisst das 
Peritoneum ein, besonders bei der Extraktion des Kindes. Mit diesem 
Faktor müssen wir, bei dem jetzigen Stande der Technik, immer rechnen. 
Es eignen sich deswegen für den Suprasympbysärschnitt nur Frauen 
ohne höheres Fieber und ohne zersetzten Uterusinhalt. Operiert man 
trotz dieser Zeichen suprasymphysär, so beträgt die mütterliche Mortalität 
ca. 8 pCt. Für die Kinder gibt der gut ausgeführte Suprasymphysär¬ 
schnitt dieselben Resultate wie die Sectio caesarea. Nur soll man 
nicht zu spät operieren. Auch von Lumbalanästhesie der Mutter ist im 
Interesse der Kinder abzuraten. 

S. Herzberg• Greifswald: Klinische Versuche mit den isolierten 
wirksamen Substanzen der Hypophysen. (Deutsche med. Wochenschr., 
1913, Nr. 5.) Versuche mit „Hypopbysin“ an der Greifswalder Klinik 
in 32 Fällen. Wirkung nach intramuskulärer Injektion schon nach 
2—3 Minuten, bestehend in der Erzeugung regelmässiger kräftiger Wehen. 
Auch zur Einleitung von Geburten erwies sich „Hypophysin“ als sehr 
geeignet. Bei schwerer Uterusatonie waren Injektionen durch die Bauoh- 
decke hindurch, direkt in die Uterusmuskulatur, von gutem Erfolg. 

Wolfsohn. 

Eckstein - Teplitz: Scbntzpessare. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, 
Nr. 3.) Verf. empfiehlt zur Verhütung der Schwangerscheft ein Pessar, 
welches die Patienten sich selbst ein legen können. Er lässt über ein 
Hodgepessar ein Gummicondom ziehen. Es ist dies aber nur eine Modi¬ 
fikation des viel besseren Enletpessars. Wir möchten meinen, dass 
Apparate, die die Frauen sich selbst einlegen können, nicht gerade be¬ 
sondere Verbreitung verdienen. Ganz abgesehen davon, dass dieser 
Apparat nach der hier gegebenen Beschreibung diese Aufgabe absolut 


nicht besser erfüllt als andere ähnliche, würde damit der leider sobon 
so verbreiteten künstlichen Verhütung der Schwangerschaft ohne be¬ 
rechtigten Grund Vorschub geleistet werden. Und mit welchem Recht 
sollen wir Aerzte diese auf Schwangerschaftsverhütung abzielenden 
Machenschaften der Kurpfuscher bekämpfen, wenn wir selbst dem 
Publikum einen Apparat in die Hände geben, den es ohne Zutun des 
Arztes handhaben kann? Aber es wird wohl dahin kaum kommen, denn 
lücklicherweise lässt sich bei den physiologischen Vorgängen die Natur 
och nicht so ohne weiteres ins Handwerk pfuschen. 

M. Krüger-Cottbus: Ueber eine seltene Erkrankung eines neu¬ 
geborenen (akute Tetanie). (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 2.) 
Zwillingsgeburt bei einer 33 Jahre alten Erstgebärenden. Es wurde ein 
mazeriertes Kind durch Extraktion am Steiss entleert. Das zweite Kind 
kam durch innere Wendung lebend zur Welt Es war aber gleich eigen¬ 
tümlich somnolent und schrie nicht. Aus Mund und After entleerte 
sich stark übelriechende Flüssigkeit, und das Kind bekam tetanische 
Zuckungen. Nach zwei Tagen Exitus. Es wurde keine vollständige 
Sektion gemacht, sondern nur ein Stück Dünndarm entnommen. In 
diesem wurden massenhaft Streptokokken gefunden. Verf. ist der An* 
sicht, dass das Kind diese bei der Geburt aspiriert hat, und meint, dass 
eine so rapid verlaufende Erkrankung septischer Natur bei Neugeborenen 
noch nicht beschrieben ist. Siefart. 

Jianu-Bukarest: lntraabdominale Myorrhaphie des Mige. levator 
ui bei Uternsvorfällea. (Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., De¬ 
zember 1912 ) Die Prolapse sind Hernien des Beckenbodens. Zu ihrer 
Heilung ist daher die Naht des Levator ani und gleichzeitig die Ver¬ 
kürzung der Ligamenta rotunda notwendig. Beides lässt sich am besten 
auf abdominalem Wege vornehmen. L. Zuntz. 


Augenheilkunde. 

Igersheimer-Halle: Ueber das Verhalten der Körpertemperatur 
bei Erkranknngen des Aiges. (Zeitschr. f. Augenheilk., Januar 1913.) 
Bei eitrigen Hornhautgesohwüren kommt es häufig zu einer typischen 
subfebrilen Temperatur, die mehrere Tage anhält und Allmählich mit 
der Heilung des Geschwürs normal wird. Alle anderen Hornhaut- 
afiektionen führen zu keiner Temperatursteigerung. Eine solche haben 
noch im Gefolge Panophthalmie, eventuell Infektionen nach Star¬ 
extraktionen, die Parinaud’sche Conjunctivitis. Interessant ist, dass 
gerade tuberkulöse Entzündungen des Auges keine Temperaturerhöhung 
aufweisen. 

Dalmer-Giessen: Ueber einen Fall von Pseudokeratoconus. (Zeit¬ 
schrift f. Augenheilk., Januar 1918.) Während beim echten mensch¬ 
lichen Keratoconus eine Verdünnung des Hornbautgewebes vorhanden ist, 
konstatiert man beim experimentellen Kaninchenkeratoconus und in 
einigen seltenen Fällen eine Verdickung. Beschreibung eines derartigen 
Falles. Es handelte sich um eine Ruptur der Descemet’schen Membran 
mit kegelförmiger Aufquellung der Hornhaut. Die Vorwölbung ging 
unter Eserin und Druckverband zurück. Eine bestehende zarte Trübung 
nahm dagegen zu. 

G uzmann-Wien: Ueber epibulbire Tuberkulose. (Zeitschr. f. 
Augenheilk., Januar 1918.) Bei einer an Miliartuberkulose verstorbenen 
Patientin fand sich während der Erkrankung „auf der temporären Hälfte 
des Bulbus im Bereich der Sclera nahe dem Limbus ein erbsengrosses, 
blass rötliches Knötchen mit oberflächlichem Zerfall,“ das pathologisch- 
anatomisch untersucht wurde und neben Exsudatbildung und Leukocyten, 
epitheloide Zellen, zwei Riesenzellen und Tuberkelbacillen enthielt. 

Kaelin-Benziger-Zürich: Beiträge zur Behandlung der Stauungs¬ 
papille, insbesondere bei Hirntnmoren, durch Dekompressiv( Palliativ-) 
Trepanation mit temporärer extracranieller Drainage eines Seiten¬ 
ventrikels. (Zeitschr. f. Augenheilk., Januar 1913.) Der Verf. steht auf 
dem Standpunkt, dass die Ophthalmologen die Palliativtrepanation bei 
Stauungspapille selbst ausführen sollten, da dadurch der Charakter des 
Palliativen beträchtlich gewahrt bliebe. So wie die Dinge jetzt liegen, 
erblinden viele an Stauungspapille leidende Patienten deshalb, weil sie 
nicht rechtzeitig zur Operation gelangen. 

Salzmann-Graz: Ueber den anämischen Fnndns. (Zeitschr. f. 
Augenheilk., Januar 1918.) Leichte Grade von Anämie lassen sich 
ophthalmoskopisch nicht feststellen. Dies ist erst möglich, wenn der 
Hämoglobingehalt ungefähr die Hälfte des normalen beträgt. 

G. Erlanger. 


Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 

C. Lüders-Wiesbaden: Die syphilitische Mittelohrentzündung. 
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) Vortrag, gehalten in der 
Vereinigung westdeutscher Hals- und Ohrenärzte in Köln a. Rh. am 
17. November 1912. Wolfsohn. 

L. Haymann-München: Zur Pathologie und Klinik der otogenen 
Grosshirnah8ces8e. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 2 u. 3.) 

Dünner. 


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10. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


275 


Hygiene und Sanitätswesen* 

Aumann - Hamburg: Ueber ein Berkefeldfilter mit automatischer 
Heiligung. (Zeitschr. f. Hyg., 1912, Bd. 73, H. 2, S. 2G0.) Das „Berke- 
feldfilter mit automatischer Reinigung D. R. P.“ gewährleistet in Ver¬ 
bindung mit der Sterilisierung eine einfache und saubere Reinigung 
unter Wiederherstellung der vollkommenen Filtrierfähigkeit. Gebrauchs« 
fahigkeit etwa 24 Stunden. Anwendungsgebiet aber wegen bakteriologi¬ 
scher Kontrolle beschränkt. 

N. Mur ata - Port Arthur: Die epidemiologischen Beobachtungen 
anlässlich der Pestseuche in der Südmandsehurei, und zwar im Kaiser¬ 
lich japanischen Verwaltungsdistrikte. (Zeitschr. /. Hyg., 1912, Bd. 78, 
R 2, S. 245.) 

G. Hödrcn - Stockholm: Pathologische Anatomie und Infektions¬ 
weise der Tuberkulose der Kinder, besonders der Säuglinge. (Zeitschr. 
/. Hyg., 1912, Bd. 78, H. 2, S. 278.) Zwischen Säuglingen und Kindern 
der ersten Kindheit bestehen keine grösseren prinzipiellen Verschieden¬ 
heiten hinsiohtlich der Tuberkuloseinfektion. Die wichtigste Infektions- 
weise der Tuberkulose ist auch bei Kindern die Aspirationstuberku¬ 
lose. Bei dieser zeigen in der Regel die Lungen primäre Lokalisation 
der tuberkulösen Infektion. Das häufigste und typische pathologisch- 
anatomische Bild der Tuberkulose der Säuglinge und Kinder aus der 
ersten Kindheit ist demnach nicht Bronchialdrüsentuberkulose, sondern 
Lungen-Bronchialdrüsentuberkulose. Erweichungsherde der tuberkulösen 
Lungenherde mit Cavernenbildunk kommen bei Kindern häufig vor, be¬ 
sonders gerade im Säuglingsalter. Schon bei Säuglingen liegt natürliche 
Resistenz in gewissem Grade vor, die bei älteren Kindern noch deut¬ 
licher hervortritt. Möllers. 


Gerichtliche Medizin. 

Nippe - Königsberg: Ueber die gerichtsärztliche Bedeutung neuerer 
Methoden für die Unterscheidung mütterlichen und fötalen Blutes. 
(Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1918, Nr. 1.) Nach den Untersuchungen des 
Verf. ist weder die von Neumann und Herrmann angegebene Methode, 
nach welcher die Lipoide des kindlichen und des hocbgraviden Blutes 
in bezug auf die Menge von Cholesterinester und Neutralfett stark diffe¬ 
rieren, noch die Methode von Abderhalden, nach welcher das Serum 
von Schwangeren das Placentaeiweiss abbaut, für die Zwecke der ge¬ 
richtlichen Medizin praktisch zu verwerten. 

H. Marz und H. Arnheim - Berlin: Halshlutuugen hei Er¬ 
trunkenen. (Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1913, Nr. 1.) Die Verff. teilen 
weitere 14 Palle mit, in denen sie die schon früher von ihnen be¬ 
schriebenen Halsblutungen an den Leichen Ertrunkener gefunden haben. 
Sie fassen dieselben als Erstickungsblutungen auf und sehen in den¬ 
selben eia sicheres Zeichen einer dem Tode kurz voran gegangenen Er¬ 
schwerung der Atmung. Sie sind ein wertvolles Zeichen für den Tod 
durch Ertrinken. Auch Blutungen in die Brustmuskulatur, die schon 
von Paltauf und Reuter beobachtet wurden, haben sie wiederholt ge¬ 
sehen. 

Dyrenfurth-Berlin: Ueber Simulation im Gefängnis. (Aerztl. 
Sachverst.-Ztg., 1918, Nr. 2.) Beschreibung verschiedener Fälle. 

H. Hirsohfeld. 


Unfallheilkunde und Versicherungswesen. 

A. Ra dtke -Berlin: Die Reiehsversieherungsordnung. Unfall¬ 
versicherung. (Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1913, Nr. 2.) Kurze Zusammen¬ 
fassung der wichtigsten neueren Bestimmungen. 

Weiss - Zwickau: Eine den Symptomen der Klnmpke’scken 
Lähmung ähnliche Unfallfolge. (Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1913, Nr. 2.) 
Weiss schildert bei einem durch Kohlen verschütteten Arbeiter eine an 
Klumpke’sche Lähmung erinnernde Störung. Es besteht reohterseits eine 
starke Miosis, eine Verkleinerung der Lidspalte, eine starke Rötung der 
rechten Ohrmuschel und ferner eine Alteration der sensiblen Aeste der 
achten Cervical- und der ersten Dorsalwurzel. 

Engels-Saarbrücken: Unfall und progressive Paralyse. (Aerztl. 
Sachverst.-Ztg., 1913, Nr. 2.) .l a / 4 Jahre naoh Unfall eines Syphiliti¬ 
schen Tod an Paralyse. 

P. Fürbringer - Berlin: Zur Kenntnis des Hirnubscesses als 
Unfallfolge. (Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1913, Nr. 1.) Die Bedeutung des 
Unfalles lür die Entstehung von Hirnabscessen wird nach F. zu wenig 
gewürdigt. Er teilt deshalb aus seiner eigenen Erfahrung auszugsweise 
zehn Gutachten mit, welche er über derartige Fälle erstattet hat. In 
allen wurde die Entschädigungspflicht anerkannt. H. Hirschfeld. 


Militär-Sanitätswesen. 

Brunslow: Die Vereiiignng „Jungdeutsehland“ und die Sauitäts- 

oflsiero. (Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1912, H. 22.) Der jetzt 
maassgebenden Generation, auch der Sanitätsoffiziere Aufgabe ist es, 
den bösen Mächten des modernen Lebens entgegenzutreten und eine 
körperlich and seeliseh gesunde, stahlharte, zähe Jungmannschaft heran- 
zuzieheo, das Ziel und die Arbeit des Jungdeutschlandbundes zu unter¬ 
stützen. 


Schoen hals-Spandau: Eine Kriegslazarettanlage in Zelten. 
(Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1912, H. 22.) 

Hufnagel-Trier: Die Verwendbarkeit des direkten Räntgenanf- 
nahneverfahrens (ohne Trocken platten) im Felde. (Deutsche militär¬ 
ärztliche Zeitschr., 1912, H. 20.) Ein Stück Bromsilberpapier mit glatt¬ 
matter Oberfläche wird wie die Trockenplatte in die Aufnabmekassette 
gelegt, exponiert, entwickelt, fixiert und gewässert. Das Negativ ist 
gleich auf Papier. Winke zur Herstellung. Man kann so rasch und 
billig in den Besitz eines Bildes gelangen zu jeder Tageszeit und bei 
dunklem Wetter. Man kann zwei Aufnahmen gleichzeitig herstellen usw. 

Pöhn: Einfacher, zusammenlegbarer Instramententisch. (Deutsche 
militärärztl. Zeitschr., 1912, H. 23.) 

v. Tobold-Berlin: Zur Frage der Eichung von Spritzen zu Ein¬ 
spritzungen unter die Haut (Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1912, 
H. 21.) Eine Prüfung derartiger Spritzen hat ergeben, dass der Raum¬ 
inhalt, namentlich der kleinsten Spritzen, in zum Teil recht erheblichem 
Grade (10—SOpCt.) vom Sollwert abweicht. Es war deshalb vorge¬ 
schlagen, die Spritzen einer amtlichen Eichung zu unterziehen. 

Schöppler-Münohen: Ans den Feldzugsbriefen (1870/71) eines 
bayerischen Sanitätsoffiziers. (Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1912, 
H. 21.) Es geht daraus hervor, dass die Militärärzte von den Gefechten 
und den Mühsalen eines Feldzuges nichts weniger als eine besondere 
Schonung zu verzeichnen hatten. 

Blau: Ueber Krankheitsvortänscknng und Selbstverstümmelung. 

Sammelreferat .111. (Deutsche miltärärztl. Zeitschr., 1912, H. 20.) 
(Sammelreferat I und II Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1909, H. 13, 
bzw. 1910, H. 14.) 

Tüshaus-München: Die Zahnpflege im Heere. (Deutsche militär- 
ärztliche Zeitschr., 1912, H. 20.) 

K. E. Mayer: Die Frage der Zunahme der Nerven- und Geistes¬ 
kranken. (Eine kritische Studie über die Statistik unter Benutzung 
von Krankenblättern des XIII. Armeekorps.) (Deutsche militärärztl. 
Zeitschr., 1912, H. 23.) 

Bernstein: Kleinhirnblntnng als Ursache plötzlichen Todes. 

(Deutsche militärärztli. Zeitschr., 1912, H. 22.) Mitteilung eines ein¬ 
schlägigen Falles, in dem eine chronische parenchymatöse Nephritis vor¬ 
handen war. 

Has-Oranienstein: Eine noch einfachere Schwefelbehandlnng der 
Krätze. (Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1912, H. 20.) Erzielung vor¬ 
züglicher Resultate. Halbstündiges warmes Vollbad mit Schmierseifen- 
abbürstung. Einreiben mit: Sulf. praecip. 160,0 + Menthol 4,0 -f- Kali 
carbon. 40,0 + Lanolin und Ad. suill. ü ad 1000,0. Auf 2 Stunden 
Einpackung ins Bett. Wiederholung der Salbeneinreibung. Nochmals 
auf 2 Stunden Einpackung ins Bett. Ein halbstündiges Reinigungsbad. 
Einpinselung mit Zinc. oxydat. -f- Talcum -f- Glycerin -+- Aqua dest. a&. 
Eventuell empfiehlt sich noch zur Vermeidung der Reinfektion Aus¬ 
bügeln der am Leibe befindlichen Wäsohe und der Uniform mit heissem 
Bügeleisen. 

Graf-Düsseldorf: Wasserbruch nnd Unfall. (Deutsche militärärztl. 
Zeitschr., 1912, H. 20.) Der in der Armee beobachtete Wasserbruch ist 
häufig (42,2 pCt.) ein traumatischer. Der Reitdienst bringt keine grösseren 
Gefahren wie der Fussdienst. Er ist rechterseits häufiger als linkerseits. 
Wahrscheinlich hat in einer grossen Zahl traumatischer Wasserbrüche 
ein leichter Grad von Hydrocele schon vor dem Unfall bestanden. Das 
Trauma ist in 53,8pCt. direkt. Schnütgen. 


Technik. 

K. Bürker: Ueber eine angebliche Verbesserung der Blnftmisch- 
pipette. (Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 9 u. 10.) B. wendet sich gegen 
die Kritik, die Roerdansz (Pflüger’s Archiv, Bd. 145) seiner neuen 
Methode der Blutkörperohenzählung mit Hilfe von zwei Pipetten an¬ 
gedeihen liess. Diese Kritik ist nach B. unberechtigt und die eigenen Blut- 
misohpipetten, die Roerdansz angab, sind ungeeignet A. Loewy. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 29. Januar 1913. 

Vorsitzender: Herr Orth. 

Schriftführer: Herr v. Hansemann. 

Vorsitzender: M. H.l Es ist ein Dankschreiben von Herrn Ge¬ 
heimrat Heubner eingegangen, der sich für die Glückwünsche zu seinem 
Geburtstag bedankt. 

Als Gast begrüsse ioh Herrn Dr. Margolin aus Russland. 

Ich habe dann eine geschäftliche Mitteilung zu machen. Es ist an 
den Vorstand ein Antrag eingegangen von Herrn Lazarus, der lautet: 

„Die letzte Sitzung in jedem Monat soll für Demonstrationen aller 
Art reserviert werden. Deren Dauer darf 5 bis höchstens nach Ermessen 
des Vorsitzenden 10 Minuten betragen. Bei Mangel an Demonstrationen 


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276 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


können kurze Vorträge, 10 bis 12 Minuten lang, angesetzt werden. Die 
Diskussionsreden dürfen nur bis 5 Minuten dauern.“ 

Statutengemäss ist dieser Antrag von dem Vorstande in Verbindung 
mit dem Ausschuss besprochen worden; sie haben beschlossen, der Ge¬ 
sellschaft die Ablehnung auzuraten, teils aus inneren Gründen, teils, 
weil bereits einmal unter Herrn v. Bergmann der Versuch gemacht 
worden ist, derartige Abende einzurichten, der Versuch aber aufgegeben 
werden musste, da er sich als undurchführbar erwies. 

In unseren Statuten heisst es: „Beschiiesst der Vorstand und Aus¬ 
schuss, der Gesellschaft die Ablehnung anzuraten, so wird in der nächsten 
Sitzung der Gesellschaft“ — das ist heute — „darüber abgestimmt, ob 
der Antrag zur Verhandlung kommen soll“; also keine Diskussion, son¬ 
dern nur Abstimmung. 

Ich bitte diejenigen, die dem Vorstand und Ausschuss zustimmen, 
die Hand zu erheben. (Geschieht.) Das ist zweifellos die Majorität. 
Damit ist der Antrag erledigt. 

Für die Bibliothek sind eingegangen: Von Herrn P. Hey¬ 
mann: Festschrift gewidmet den Teilnehmern der 84. Versammlung 
Deutscher Naturforscher und Aerzte in Münster i. Westf. Münster 1912. 

— Von Herrn J. Hirschberg: Frankreichs Augenärzte 1800 — 1850. 
Leipzig 1912. — Von Herrn Kurt Mendel: Die Paralysis agitans. 
Berlin 1911. — Von Herrn M. Mosse: Berichte der Deutschen chemi¬ 
schen Gesellschaft 1901—1903. Krankheit und soziale Lage. Heraus¬ 
gegeben von M. Mosse und G. Tugendreich. Lief. 2 u. 3. München. 

— Von Herrn A. Silberstein: Lehrbuch der Unfallheilkunde. Berlin 
1911. — Von Herrn E. Simonson: Der Organismus als kalorische 
Masohine und der zweite Hauptsatz. Berlin-Cbarlottenburg 1912. — Von 
Herrn J. Kastan: Plaut, Theodor, Der Gewerkschaftskampf der deut¬ 
schen Aerzte. Karlsruhe i. B. 1913. — Von Karger’s Verlag: Ameri¬ 
can Gynecology, Vol. 1, 1902 u. Vol. 2, 1903. — British Gynaecological 
journ., Vol. 13, 16, 18—21. — Archives general de Chirurgie, 1907 u. 
1908 fehlen Titel und Register. — Annali di Ostetricia e Ginecologia, 
1897. — Compt. rendus de la sociötö d’Obstetrique de Gynöcol., T. 2, 

1900 bis T. 8, 1906. T. 1, 1899 fehlt F. 1; T. 9, 1907 fehlt F. 8 bis 
Schl. — Gynaecologia Helvetica, 1906, 1910. — La clioica ostetrica, 
1901; Vol. 4 fehlt Tit. u. Reg. — Journ. de med. legale psych., 1906. 

— Hygia, 1896, 1897, 1898. — Saint Bartholomew’s Hospital reports, 
Vol. 40, 1904; Vol. 42, 1906, 1908, 1909 u. 1911. — Nederlandsch Tijd- 
schrift voor Verloskunde en Gynaecologie, 1896—1899; 1900 fehlt No. 4; 

1901 fehlen Titel u. Register. — Von Börsenverein der Deutschen 
Buchhändler zu Leipzig: Deutsche Bücherei des Börsenvereins der 
Deutschen Buchhändler zu Leipzig. Leipzig 1912. 

Vor der Tagesordnung. 

1. Hr. Bier: 

Erklärung aber das Friedm&nn’sche Mittel gegen Tuberkulose. 

(Ist in Nr. 5 dieser Wochenschrift bereits abgedruckt.) 

2. Hr. M. Wolff: 

Pneumothoraxoperation bei Tuberkulose. (Demonstration.) 

Die Collapstberapie bei Lungentuberkulose durch künstlichen 
Pneumothorax soll bekanntlich durch Kompression und Ruhigstellung 
der erkrankten Lunge zur Heilung führen. Die verlangsamte Blut- 
durchströmung, die Hemmung der Lymphbewegung und die damit ver¬ 
bundene verminderte Fortschwemmung der Toxine aus dem Erkrankungs¬ 
herd in den allgemeinen Kreislauf — die erhöhte Tendenz zur Binde¬ 
gewebsbildung und Abkapselung der tuberkulösen Herde in der 
retrahierten Lunge — schliesslich die verminderte Sekretion in den 
Bronchien und dadurch die verminderte Gefahr der Sputumaspiration 
und neuer Krankheitsherde —, das sind mit Wahrscheinlichkeit die 
wirksamen Momente, die die tuberkulöse Erkrankung günstig beein¬ 
flussen. 

Ich habe im Laufe des letzten Jahres 27 Fälle von Lungentuber¬ 
kulose mit künstlichem Pneumothorax zu behandeln Gelegenheit gehabt, 
und zwar 15 Fälle nach der einfachen Forlanini’schen Methode, 12 Fälle 
nach Brauer durch Schnitt bis auf die Pleura und stumpfe Sprengung 
derselben und dann nachfolgende Injektion von Stickstoff. 

Bei allen Fällen ist mit besonderem Gewicht auf die Manometor- 
schwankungen geachtet worden. Nur dann, wenn nach Einführung der 
offenen Kanüle zunächst ein negativer Druck und dann die bekannten 
negativen und positiven Atemschwankungen in ausgiebiger Weise er¬ 
folgten, Hessen wir die Injektion von Stickstoff nachfolgen; denn nur 
dann hatten wir die Sicherheit, dass wir uns in einem freien Pleura¬ 
spalt befanden. Sind die Schwankungen nicht deutlich, dann injizierten 
wir an dieser Stelle nicht den Stickstoff, sondern versuchten die Punktion 
an anderer Stelle. 

Der Druck in allen Fällen ist stets ein sehr geringer gewesen, ein 
Druck von 1 bis 3 bis 4 mm; nur einige Male stieg er auf 10 bis 15 mm. 
Höher zu steigen habe ich nicht gewagt wegen der Gefahr der Luft¬ 
embolie; denn dieselbe steigert sich ja mit der Steigerung des Druckes. 

Die Dosen, die in diesen Fällen injiziert wurden, waren stets 800 
bis 1000 ccm zu Anfang, später wurden sie geringer und gingen auf 
400 ccm herab. Wir sind aber doch im Laufe der Nachfüllung zu 
grossen Gesamtdosen bis zu 12 000 und 18 000 ccm Stickstoff gelangt, 
wobei selbstverständlich immer zwischen den einzelnen Nachfüllungen 
Resorption stattgefunden hatte. Die Intervalle zwischen den einzelnen 
Nachfüllungen waren anfangs 2—4 Tage, je länger hinaus, um so grösser, 
zwischen 7—21 Tagen. 

Was den klinischen Verlauf bei diesen Fällen anbetrifft, so haben 


wir niemals nach einem künstlichen Pneumothorax das Schreckbild ge¬ 
sehen, das Sie bei dem spontanen Pneumothorax bei Lungenphthise ja 
alle kennep. Wir haben niemals den hochgradigen Schmerz, den die 
Leute nach spontanem Pneumothorax an der Durchbruchsstelle emp¬ 
finden, wir haben niemals die bis zur Orthopnoe gesteigerte Atemnot, 
niemals die Cyanose, den kleinen Puls und auch niemals bis jetzt 
glücklicherweise den Tod gesehen, der ja bei natürlichem Pneumothorax 
nicht selten bereits nach einigen Tagen eintritt. Der Verlauf nach 
künstlichem Pneumothorax war ein verhältnismässig milder. Plötzlicher 
Tod durch Luftembolie, wie solcher mehrere Male sicher beobachtet ist, 
haben wir bei dem geringen Druck, unter dem wir arbeiteten, bisher 
glücklicherweise niemals gesehen. Meine früheren dahingehenden Be¬ 
fürchtungen auf Grund von eigenen Kaninchenversuchen sind beim 
Menschen bisher nicht eingetreten. 

Von besonderer Wichtigkeit ist die stete Kontrolle durch Röntgen¬ 
untersuchungen, um den Effekt und die Notwendigkeit der Nachlüllung 
konstatieren zu können, und ich möchte mir erlauben, von diesen 
Kranken, die hier mitgebracht sind, einige Röntgenbilder zu demonstrieren. 

1 . Der erste Fall betrifft eine Patientin, die Husten und Auswurf 
mit reichlichen Tuberkelbacillen hatte. Sie sehen in dem ersten Röntgen¬ 
bilde vor der Operation rechts in der Scapulargegend einen Schatten¬ 
herd und einen zweiten grösseren Schattenherd ebenfalls rechts mehr 
nach der Lungenbasis zu. Ueber beiden Schattenherden Dämpfung, 
Bronchialatmen und feuchter Katarrh hörbar. Die Operation wird nach 
Brauer ausgeführt, rechts in der mittleren Axillarlinie. Es sind bis 
jetzt im Laufe von 6 Monaten 14 Nachfüllungen gemacht, im ganzen 
dabei 13 200 ccm N eingeführt. Die 6 Röntgenaufnahmen, die ich Ihnen 
hier zeige, ergeben eine zunehmende Grösse des Pneumothorax, eine zu¬ 
nehmende Kompression der Lunge und eine zunehmende Verdrängung 
von Mediastinum und Herz nach der linken, gesunden Seite. 

Das letzte Bild, 6 Monate nach der Operation, ergibt: sehr grossen 
rechten Pneumothorax, rechter Lungenschatten schmal, blass, gegen die 
Wirbelsäule komprimiert, mit einzelnen Vorsprüngen in den rechten 
Pneumothoraxraum hinein. Mediastinum und Herz stark nach links 
verschoben 

Dem Röntgenbefund entspricht auch der klinische Befund. Rechts 
überall, vorn und hinten, tiefer, lauter Schall; nur neben der Wirbel¬ 
säule schwaches Atmen hörbar, sonst kein Atemgeräusch. Spitzenstoss 
im 5. Intercostalraum in der Axillarlinie. 

Was das Allgemeinbefinden nach 6 V 2 monatiger Behandlung betrifft, 
so ist Patientin völlig Symptom los geworden; sie hat keinen Husten, 
keinen Auswurf, also auch keine Tuberkelbacillen mehr, ist fieberfrei und 
völlig arbeitsfähig. Nichtsdestoweniger werden wir den Pneumothorax noch 
nicht der Selbstresorption überlassen und die Patientin noch in Behand¬ 
lung behalten. Es ist besser, man erhält den Pneumothorax durch 
Nachfüllung etwas länger als zu kurze Zeit. Ich glaube, dass die 
mittlere Zeit, in der mau die Behandlung festsetzen soll, s / 4 bis 1 Jahr 
sein wird. Wenn Ihnen das zu lang erscheint, möchte ich bemerken, 
dass man auch aus Davos so schwere Patienten nicht viel früher zurück- 
schickt als nach einem Jahre. 

2. Der zweite Fall betrifft einen 12jährigen, hereditär belasteten 
Knaben mit Infiltration des rechten Oberlappens (Dämpfung, Bronchial¬ 
atmen, Katarrh). Starke Abmagerung, Husten, Auswurf, reichlich 
Tuberkelbacillen. Links Katarrh in der Spitze. 

Das erste Röntgenbild vor der Operation zeigt Ihnen, der In¬ 
filtration entsprechend, rechts vorn oben eine starke Schaitenbildung. 
Operation nach Brauer. 

Das zweite Bild, 4 Tage nach der Operation, bei der 800 ccm N 
beigebracht wurden, ergibt bereits rechts einen ziemlich breiten, hellen 
Luftraum, beinahe von der Spitze bis zur Basis reichend, die Rippen¬ 
schatten aufgehellt, deutliche Kompression der Lunge medianwärts, Herz 
noch nicht verschoben. 

Die weiteren Bilder 3 bis 5, die nach der ersten, dritten, sechsten 
Nachfüllung aufgenommen sind, zeigen fortschreitende Kompression der 
Lunge und stark zunehmende Verschiebung von Mediastinum und Herz 
nach links und, dem Röntgenbilde entsprechend, die bekannten klinischen 
Symptome des Pneumothorax: tiefen, lauten, vollen Schall, über dem¬ 
selben stark abgeschwächtes bzw. ganz aufgehobenes, stellenweise schwach 
amphorisches Atmen. 

Bild Nr. 6 , das nach der 12. Nachfüllung, 5 Monate nach der Operation, 
aufgenommen ist, zeigt, dass der Pneumothoraxraum kleiner ge¬ 
worden ist. Es ist nämlich neu hinzugekommen rechts unten 
in den abhängigen Partien der befallenen Thoraxhälfte ein pleu- 
ritisches Exsudat mit dem bekannten pleuritischen Exsudatschatten, 
der bei jeder Körperlage immer eine absolut horizontale obere Grenze 
beibehält, und der beim Schütteln des Patienten deutlich Wellen¬ 
bewegungen zeigt. 

Das letzte Bild, Nr. 7, das nach der 13. Nachfüllung, 6 V 2 Monate 
nach der Operation, im ganzen nach Beibringung von 7300 ccm N auf¬ 
genommen ist, zeigt, dass das pleuritische Exsudat etwas gestiegen, 
der Pneumothoraxraum infolgedessen etwas kleiner geworden ist. Der¬ 
selbe reicht klinisch und im Röntgenbilde etwas unterhalb des Angulus 
scapulae. 

In bezug auf das pleuritische Exsudat wollte ich bemerken, dass 
ich solche ganz fieberlos oder nur mit sehr geringem Fieber verlaufende 
seröse Exsudate mehrfach nach künstlichem Pneumothorax gesehen habe. 
Ein purulentes oder jauchendes Exsudat habe ich bisher nie gesehen. 


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10. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


277 


Dasselbe schädigt auch nicht die Therapie mit Hilfe des Pneumothorax; 
im Gegenteil, die Flüssigkeitsschioht unterstützt durch Ruhigstellung der 
Lunge den therapeutischen Zweck des Pneumothorax. 

Auch dieser Patient ist bisher, 67s Monate nach der Behandlung, 
in bezug auf seine Erscheinungen symptomlos: kein Fieber, kein 
Husten, keine Tuberkelbacillen mehr, auch nicht bei wiederholter Unter¬ 
suchung des Sputums mit Antiformin; er befindet sich im übrigen wohl, 
bleibt aber noch in Behandlung. 

Diese beiden Fälle sind nach Brauer operiert worden. Ich möchte 
Ihnen jetzt ganz kurz einen Fall zeigen, der nach Forlanini, also mit 
einfacher Punktion, behandelt worden ist. 

8. Patientin, 29 Jahre alt, erkrankt im Anschluss an Influenza. 
Links hinten Infiltration vorwiegend in der Scapulargegend, Dämpfung, 
Katarrh, der aber auch noch weiter nach abwärts reicht. 

Links vorn supra- und infraclavicular Verkürzung und spärlicher 
Katarrh. 

Reichlich Tuberkelbacillen, viel Husten, sehr matt. Rechte Lunge frei. 

Das erste Röntgenbild vor der Operation: in der linken Spitze zwei 
dunkle Schatten knoten, in der linken Scapulargegend marmorierte 
Schattenbildung. 

Operation nach Forlanini. 

Es werden im ganzen innerhalb etwa 3 Monate 8 Nachfüllungen 
gemacht, in Einzeldosen von 800—1000 ccm N., die stets ohne Schwierig¬ 
keit hineingingen. Gesamtdosis 7600 ccm N. 

Das Bild Nr. 5 nach der achten Nachfüllung zeigt Ihnen einen aus¬ 
gedehnten Pneumothorax, sehr schmalen an die Wirbelsäule angedrückten 
Lungen schatten, die in den vorher demonstrierten Bildern sichtbare 
Adhäsion an das Diaphragma lösgelöst, ebenso eine Adhäsion in der 
Scapulargegend nur noch al9 ganz feinen Schattenstrich sichtbar. Klinisch 
ist der linke Pneumothorax in grosser Ausdehnung nachweisbar. 

Patientin gibt regelmässig an: viel besseres Allgemeinbefinden als vor 
der Operation. Es besteht kein Fieber, kein Husten, kein Auswurf, keine 
Tuberkelbacillen mehr. 

Zum Schluss möchte ich nur noch bemerken, dass man so schnell 
und sicher, wie in den mitgeteilten Fällen, den Pneumothorax nicht 
immer erreichen kann; es gibt eine Reihe von Fällen, bei denen die 
Verwachsungen so stark sind, dass man immer und immer wieder in¬ 
jizieren kann, und nur ganz allmählich ein Pneumothorax nachweisbar 
wird und schliesslich auch solche, in denen man gar keinen Pneumo¬ 
thorax bekommt trotz wiederholter Injektionen. 

Die Pneumothoraxoperation bei Lungentuberkulose ist in Deutsch¬ 
land noch ziemlich neu; erst in der letzten Zeit mehren sich die Mit¬ 
teilungen. Ich bin auf Grund meiner bisherigen Erfahrungen der 
Meinung, dass das Vorfahren berechtigt ist, bei einseitiger tuberkulöser 
Lungenerkrankung und auch dann, wenn die andere Lunge nicht aktive 
oder ausgedehnte tuberkulöse Prozesse aufweist 

Tagesordnung. 

Hr. Abel: 

Die Elektroeoagnlatioa bei der operativem Behaidlang des Krebses, 
speiiell des Gebärmatterkrebses. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

Diskussion.- 

Hr. Holländer: Ich möchte mir erlauben, einige prinzipielle Be¬ 
merkungen zu machen. 

Ich habe mich seit langer Zeit mit der chirurgisch-thermischen Be¬ 
einflussung befasst und so war es mir von vornherein sehr interessant, 
die damaligen Ausführungen des Herrn Nagelsohmidt über Diathermie 
zu hören, und ich reiste auch zu Doyen, um die von ihm bi9 in das 
Letzte verfeinerte operative Technik der unipolaren Elektrocoagulation 
kennen zu lernen. Dann habe ich die Methode ein Jahr angewandt. 

Wenn wir nun eine neue Methode kritisieren wollen, so müssen wir 
sie zunächst mit den alten vergleichen und uns fragen: leistet diese 
Methode mehr und leistet sie etwas Anderes? 

Die Pyrotechnik, die jahrhundertelang Triumphe gefeiert hat, leistet 
verschiedenes. Das eine ist die zerstörende Kraft der Hitze, und auch 
diese Methode gehört ohne Zweifel unter den Begriff des Cauterium 
actuale. Das andere ist die umstimmende Kraft des Feuers. 

Wenn wir zunächst die zerstörende Kraft der Hitze betrachten, auf 
die Herr Abel ja auch aufmerksam gemacht hat, so hatten die alten 
Aerzte — und viele von Ihnen werden das selbst noch gesehen haben, 
namentlich beim inoperablem Uteruscarcinom — sich mit Vorteil des 
Ferrum candens bedient. Der sehr schwächliche Erbe desselben ist der 
Paquelin, und es muss sofort zugegeben werden, das9 der Paquelin 
lange nicht das kann, was das Ferrum candens leistet. Mir fällt dabei 
immer ein Wort von Nussbaum ein, der, wenn er ein Uteruscarcinom 
ausbrannte, sagte: „Ich habe auch immer den Paquelin daneben, aber 
bloss zur Beleuchtung der Vagina, brennen tue ich mit dem Ferrum 
candens“; denn tatsächlich ist das kompakte Glüheisen in seiner Wir¬ 
kung hervorragend allen anderen derartigen Maassnahmen überlegen. 
Vor allem ist durch den Paquelin, wie das Herr Abel ja auch be¬ 
gründet hat, die zerstörende Kraft des Feuers in Misskredit gekommen. 
Nach dieser Richtung leistet die neue Methode entschieden erheblich 
mehr. Es ist zwar kein Verschorfen, sondern eine Verkochung, doch 
auf Einzelheiten will ich hier nicht eingehen. Auch die hämostatische 
Kraft, die bei dem Ferrtim candens in Betracht kommt,' tritt bei der 
Blektrocoagulation ia gahz anderer Form in Erscheinung. ’ > 


Was nun dieser Fortschritt der neuen Methode bedeutet, so wird 
er wohl von den Chirurgen nicht sehr erheblich eingeschätzt werden, 
da unsere neue, moderne, operative Technik mit den Wucherungen an 
der Portio und an anderen Stellen ohne technische Schwierigkeiten 
fertig wird. 

Es bleibt also übrig da9 Prinzip der Umstimmung. Die älteren Aerzte, 
bis in das 19. Jahrhundert hinein, hatten vielfach gesehen, dass, wenn Ge¬ 
schwüre ausgebrannt waren, seien es nun schankröse, tuberkulöse, sep¬ 
tische oder andere, die Basis gesund wird; da nahmen sie an, dass durch 
Nervenreiz eine Umstimmung des Geschwürs durch das Ferrum candens 
erfolge. Es sind dabei um die Mitte des 19. Jahrhunderts grössere 
Arbeiten gemacht worden über die Tiefenwirkungen, die vom Ferrum 
candens ausgehen, und auf diese Studien muss man zunächst zurück¬ 
kommen, wenn man jetzt, bevor man weitere theoretisch gewagte 
Schlüsse zieht, die Prinzipien einer solchen thermischen Tiefenwirkung 
erprobt. 

Denn es handelt sich bei dieser ganzen Frage um das zweifelsohne 
sehr wichtige Prinzip der elektiven Kraft. Bei mykotischen Pro¬ 
zessen und parasitären infiltrierenden, aber oberflächlich gelegenen Krank¬ 
heiten hat sich durch meine Heissluftkauterisation unzweifelhaft die elektive 
Kraft der Hitze bewiesen, d. b.: innerhalb einer wohl bei den einzelnen 
Krankheitserregern verschieden liegenden Breite gibt es ein Maass von 
thermischer Beeinflussung, bei welchem der Erreger abstirbt, das Gewebe 
aber, wenn auch geschädigt, doch lebendig bleibt. Bei dem Lupus z. B. 
liegen erfahruDgsgemäss die Verhältnisse so, dass sowohl der Tuberkel¬ 
bacillus als auch das durch ihn produzierte Gewebe der Tuberkel weniger 
Hitze erträgt, als das gesunde Zwischengewebe. Die Folge davon ist, 
dass nach diffuser Erhitzung ein durchaus tuberkulös verändertes Gewebe 
wie mit einem Schlage nach der Erhitzung gesund regeneriert. Die Vor¬ 
aussetzung der Krebsbeeinflussung durch die zehnmal grössere Tiefen¬ 
wirkung der Elektrocoagulation ist eine geringere Widerstandsfähigkeit 
der Krebszelle bzw. des fraglichen Krebserregers gegen Hitze als das 
gesunde Gewebe. Ist diese Voraussetzung erfüllt, so müsste allen tech¬ 
nischen Schwierigkeiten zutrotz die thermische Operation die Operation 
der Wahl beim Carcinom sein. Es fragt sich nun, ob diese elektive 
Kraft der Hitze, welche sich durch viele Tausende von Heissluftkauteri¬ 
sationen bei anderen parasitären Krankheiten bewährt hat, auch beim 
Krebs wirksam ist. Doyen behauptet das, indem er angibt, dass die 
tödliche Hitzedosis für seinen Micrococcus neoformans und für die Krebs¬ 
zelle selbst zwischen 52 und 55 0 liegt, dass aber die gesunden Zellen 
60° ertragen. Nachdem ich zunächst zum Nachprüfen dieser Verhält¬ 
nisse an inoperablen Mastdarmcarcinomen die Technik ausprobiert hatte, 
ging ich daran, frei zutage liegende ausgedehnte Carcinome und Epi¬ 
theliome zu kochen; um einen genauen Status zu haben, Hess ich die 
Fälle vorher photographieren und reiche Ihnen die Bilder herum. An 
der Ausdehnung der Erkrankung ersehen Sie schon, dass keine Aussicht 
war, einen Fall zu heilen. Es kam nur darauf an, ob es durch 
die grosse Tiefenwirkung der Hitze gelingen würde, an 
irgendeiner Stelle, namentlich am Rande die carcinösen 
Geschwüre „umzustiramen“ und gesunde Granulationen zu 
erzielen. Ich muss leider bekennen, dass mir das an keiner 
einzigen Stelle gelungen ist. Auch nicht, nachdem ich die ge¬ 
kochten Massen ausgelöffelt und wiederum elektrocoaguliert hatte. Bevor 
man also auf das Prinzip der elektiven Wirkung der Hitze bei Carcinomen 
Operationen baut, muss zunächst das Prinzip als solches weitere Prüfungen 
erfahren. Obwohl durch meinen Apparat Kochungen zustande kamen, 
erfüllte er doch wie auch der hier demonstrierte, nicht die Ansprüche von 
Doyen, der mit 20 Ampere arbeitet. 

Die Ueberlegenheit der Methode gegenüber der Heissluftkauterisation 
erprobte ich auch beim Lupus. Einen Lupus des Fussrückens heilte 
ich in einer Sitzung. Aber trotz angewandter Vorsicht lagen nach Ab- 
stossung des Gekochten die ganzen Strecksehnen frei; ich habe deshalb 
Abstand genommen, mit dieser Methode der thermischen Tiefenwirkung 
weiter zu arbeiten, bis eine genaue Dosierbarkeit erreicht ist. Der 
Methode selbst aber verspreche ich nach ihrem technischen Ausbau eine 
grosse Zukunft. 

Hr. Hammerschlag: Ich möchte mir erlauben, vom Standpunkt des 
Gynäkologen zu den Ausführungen des Herrn Abel das Wort zu nehmen. 

Er hat als Hauptindikation für sein Verfahren den Schutz gegen die 
Impfrecidive angegeben und hat sich dabei auf die Lehre meines früheren 
Chefs Winter in erster Linie gestützt. In der hiesigen gynäkologischen 
Gesellschaft hat etwa vor einem Jahre Herr Schäffer einen oder zwei 
Fälle von wirklichem Impfrecidiv besprochen, und in der darauffolgenden 
Diskussion, in der auch ich mir erlaubte, das Wort zu nehmen, trat 
ganz allgemein die Ansicht hervor, dass Impfrecidive zwar Vorkommen, 
aber ausserordentlich selten sind, jedenfalls nur einen ganz minimalen 
Bruchteil der Recidive darstellen, die wir nach Carcinomoperationen 
sehen. Damals konnte ich anführen, dass auch mein früherer Chef 
Winter, der die Frage des Impfrecidivs gerade beim Uteruscarcinom 
als einer der ersten bearbeitet hat, von den Ansichten, die er urspüng- 
lich über die Häufigkeit der Impfrecidive hatte, ganz bedeutend zurück¬ 
gekommen ist. Wir sind ganz allgemein der Ansicht, wenigstens was 
das Uteruscarcinom anbetrifft, dass alle anderen Recidive viel häufiger 
Vorkommen als das Impfrecidiv. Wenn wir darüber einig sind, so dürfen 
wir, glaube ich, aus Furoht vor dem Impfrecidiv keine Maassnabmen 
aufbauen, die irgendwie different sind, und different 9ind die Maass¬ 
nahmen des Herrn Abel ganz entschieden, und zwaf aus folgenden 


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Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 





278 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


Gründen. Einmal, man mag die Technik der Diathermie beherrschen, 
wie man will, es wird dadurch die Operation nicht unbedeutend ver- 
längert, und ich brauche nicht auseinanderzusetzen, dass das natürlich 
eine Erhöhung der Gefahr bedeutet. Zweitens, das, was ich hier gehört 
und gesehen habe, zeigt mir doch, dass bei vorgeschrittenen Carcinomen, 
etwa bei solchen, die das Parametrium und das Paracolpium infiltriert 
haben, es ausserordentlich schwer sein würde, die Diathermie anzu¬ 
wenden. Aber diese/technischen Fragen mögen ja vielleicht zukünftig 
gelöst werden. Etwas, was aus den Ausführungen des Herrn Abel 
schon jetzt hervorgeht, spricht direkt gegen die Operation mit der Dia¬ 
thermie, wenn er nämlich anführt, dass der Uterus so morsch und weich 
wird, dass alle eingesetzten Haltezangen ausreissen. Wie man in 
schwierigen Fällen den Uterus, den man nicht anfassen kann, von der 
Bauchhöhle aus exstirpieren will, wenn das Parametrium infiltriert ist, 
wenn man die Ureteren freipräparieren muss, das kann ich mir nicht 
vorstellen. 

Ich muss also sagen: einmal die technischen Schwierigkeiten, 
zweitens die geringe Häufigkeit der Impfrecidive beim Uteruscarcinom 
lassen mir doch die Wichtigkeit der Methode für die Uteruscarcinom- 
operationen noch zweifelhaft erscheinen. 

Hr. Bucky: Der letzte Herr Redner hat die Wichtigkeit der Methode 
für chirurgische Zwecke in Frage gestellt. Nicht mit Recht, wie mir 
scheint, namentlich da ein Punkt heute Abend relativ wenig betont 
worden ist; das ist der Umstand, dass man unter absoluter Blutleere 
arbeitet. Wenn man wirklich etwas mehr Zeit brauchen sollte, um die 
Coagulation auszuführen, so wird der Zeitverlust dadurch wieder aus¬ 
geglichen, dass man sich um die Blutstillung durchaus nicht in dem 
Maasse zu bemühen braucht, wie es beim Messer der Fall ist. 

Ich möchte dann auf die Ausführungen des Herrn Dr. Abel betreffs 
der Durchkochung eines Tumors zurückkommen. Es ist technich un¬ 
möglich, und es wird auch in Zukunft trotz der Verbesserung der 
Apparate unmöglich sein, beim lebenden Menschen einen grossen Tumor 
vollkommen zu coagulieren; und zwar aus folgenden Gründen: Herr 
Abel ist leider von dem Techniker etwas schlecht beraten worden. In 
der Tat ist der Verlauf der Stromlinie kein absolut gerader von Elektrode 
zu Elektrode, sondern die Streuung der Stromlinien ist eine ziemlich 
erhebliche; wir haben also auch noch Stromlinien, die gebogen verlaufen, 
ähnlich den magnetischen Kraftlinien. Diese Streuung ist so erheblich, 
dass die Stromlinien bei lokaler Applikation durch den ganzen Körper 
des Menschen hindurcbgehen. Die Folge davon ist, dass die Hitze nicht 
etwa entsprechend der ganzen Elektrodenfläche in gleicher Weise den 
Körperteil durchsetzt, sondern die Hitzeentwicklung schreitet nach der 
Mitte zu kegelförmig vor, und zwar liegt die Spitze des Kegels ungefähr 
in der Mitte des Querschnittes bei gleich grossen Elektroden. 

Betrachten wir dann die Verhältnisse im Tumor, so haben wir auch 
hier wieder den Fortgang der Hitzeentwicklung kegelförmig. Wir würden 
also im Innern keine vollkommene Coagulation haben, sondern die 
Coagulation wird in der ganzen Elektrodenbreite nur eine gewisse Tiefe 
erreichen. Das stimmt überein mit den erwähnten histologischen Be¬ 
funden, wonach sich in den Schnitten Gewebe gefunden hat, das nicht 
coaguliert war. Man könnte diesem Uebelstande abhelfen, indem man 
sehr grosse Elektroden anwendet. Diese sehr grossen Elektroden ge¬ 
statten eine sehr grosse Strommenge hindurchzuschicken. Kleine Elek¬ 
troden gestatten es nicht. Wenn man kleine Elektroden nimmt, so be¬ 
kommt man schliesslich eine so grosse Erhitzung, dass das Gewebe an 
den Auflagestellen verkohlt, und wenn es verkohlt ist, haben wir einen 
sehr hohen Widerstand: es findet eine Funkenbildung statt, es gibt 
Nekrosen, und diese Nekrosen machen natürlich den Stromverlauf voll¬ 
kommen unkontrollierbar. 

Allerdings könnte man grosse Elektoden auflegen und dem Tumor 
dadurch erheblich grössere Strommengen zuführen. Theoretisch ist das 
ohne weiteres möglich. Man würde auch die Coagulation der Tumoren 
ohne weiteres bekommen, aber es tritt dann eine weitere Gefahr auf, 
die auch noch nicht genügend betont worden ist. Die Gefahr besteht 
darin, dass bei diesen grossen Stromraengen eine grosse Hitzeentwicklung, 
eine plötzliche Zufuhr einer grossen Menge Calorien auftritt, und dass 
damit auch die Körpertemperatur stark in die Höhe geht. Man würde 
also den Patienten überhitzen; das scheint meiner Meinung nach doch 
Gefahren in sich zu bergen, die zu beachten sind. 

Aber ich sehe auch gar nicht den Grund ein, warum man einen 
Tumor mit einem Schlage durchkochen soll. Man kann ja viel besser 
und viel sicherer stufenweise Vorgehen, indem man einfach die Ober¬ 
fläche zunächst coaguliert, dann stumpf abträgt, dann wieder coaguliert 
und wieder stumpf abträgt und so durch den ganzen Tumor durch. Auf 
diese Weise würde man die Gefahren vermeiden, die unbedingt bei einer 
zu grossen, plötzlichen Erwärmung auftreten müssen und doch keine 
Lyrapb- oder Blutbahnen eröffnen. 

Hr. Israel: Ich begreife vollständig den hohen Wert der Diathermie 
für Tumoren, welche man nicht exstirpieren kann. Dagegen ist es mir 
nicht ganz klar geworden, welcher Wert der präliminaren Verkochung 
einer Geschwulst zukommen soll, welche man chirurgisch entfernen kann, 
denn das Mangelhafte unserer Resultate bei der Exstirpation maligner 
Tumoren liegt doch im wesentlichen, abgesehen von bereits vorhandenen 
Metastasen, darin, dass wir Gefahr laufen, selbst in ziemlicher Entfernung 
von dem Tumor Geschwulstkeime zurückzulassen, welche wir nicht er¬ 
kennen können. Gegen eine derartige Eventualität, welche doch unter 
100 Fällen 'mindestens 99 mal die Schuld d6f Lokalrecidive ist, kann nun 


eine präliminare Coagulation des Tumors in keiner Weise schützen. Das, 
was wir coagulieren, fällt ja ohnedies bei der Operation fort. 

Ich halte ferner, selbst die Voraussetzungen des Herrn Abel als 
richtig zugegeben, technisch ein derartiges Verfahren nur für diejenigen 
Fälle möglich, wo es sich um ein abgegrenztes Organ handelt, welches, 
wie z. B. Uterus oder Niere, leicht in toto vom Strome zu durebfliessen 
ist; dagegen bei einem Carcinom von diffusen Grenzen, wie z. B. einem 
Mammacarcinom, ist ja doch ein derartiges Verfahren vollkommen aus¬ 
geschlossen oder erst dann möglich, wenn wir bereits operativ das Carcinom 
losgelöst haben, damit wir von allen Seiten den Strom heranbringen 
können. Dann brauchen wir es aber nicht mehr. 

Also ich meine, zweifellos hat die Diathermie eine sehr grosse Zu¬ 
kunft, und wir sind ja auch auf dem Wege, Tumoren in Hohlorganen, 
z. B. Blasentumoren usw. damit anzugreifen. Aber der Nutzen der 
diathermischen Coagulation einer Geschwulst ist meines Erachtens immer 
nur für die Fälle zuzugeben, wo man mit dem Messer entweder nicht Vor¬ 
gehen kann, oder nicht vorgehen soll. Dagegen wäre es denkbar, dass sich 
die Diathermie nützlich erweisen würde für die Zerstörung mancher in 
und jenseits der Exstirpationsfläche zurückgebliebener Geschwulstkeime. 

Hr. Falk: Wenn auch die Impfrecidive nicht so häufig sind, wie 
Herr Abel annimmt, so ist doch absolut sicher, dass derartige Impf¬ 
recidive nach Carcinomoperation Vorkommen. In der Diskussion in der 
Gynäkologischen Gesellschaft besprach ich selbst einen Fall, in dem nach 
einem paravaginalen Schnitt nach Carcinomoperation ein Recidiv in der 
Narbe aufgetreten war, und ich habe vor 8 Tagen einen ganz analogen 
Fall, der von sehr bekannter Seite operiert worden, gesehen, bei dem 
in der ganzen Ausdehnung des paravaginalen Schnittes sich drei isolierte 
Carcinomknoten fanden. Also haben zweifellos sämtliche Bestrebungen, 
welche darauf hinausgehen, derartige Impfrecidive zu verhüten, ihre Be¬ 
rechtigung. Es fragt sich nur, ob das Verfahren von Herrn Abel in 
der Art, wie er es an wenden will, das erreichen kann, was Herr Abel 

vorhat. Es ist unzweifelhaft ein Fortschritt, wenn Herr Abel das 

carcinomatöse Gewebe, in dem infektiöse Keime sitzen, mittels Diathermie 
radikal entfernt. Was will er aber damit bezwecken, wenn er den ganzen 
Uterus, der bei diesen leichten Fällen keine Keime in der Muskulatur 

enthält, verschorft? Er setzt dadurch nur gewisse Gefahren für die 

Operation und macht die Operation viel schwieriger, da eventuell tiefer¬ 
gelegene Keime, die ja bei der Methode nicht verschorft werden, erst 
recht naoh aussen gelangen. Die Gefahr liegt ja in den infektiösen 
Keimen im Parametrium und im Paracolpium; diese Teile sind sehr 
schwer ohne Verletzung des Ureters zu verschorfen; wenn es aber wirk¬ 
lich gelingt, muss Herr Abel doch noch lateral von diesen Teilen die 
Parametrien unterbinden, er muss mit der Nadel durch das Gewebe 
hindurch und hat dann natürlich wieder genau dieselben Gefahren, wie 
wenn er dieses ganze Gewebe nicht verschorft hätte. 

Ich stehe also auch auf dem Standpunkt des Herrn Israel, dass 
wir bei inoperablen Tumoren mit allen denjenigen Methoden, welche 
eine energische Verbrühung resp. Verschorfung hervorrufen, vor allem 
auch mit der Diathermie viel erreichen können, dass wir wahrscheinlich 
auch durch Vorbereitung des Carcinoms mittels Diathermie bei Radikal¬ 
operationen gutes erreichen können, für die eigentlichen Operationen 
aber bedürfen wir derselben nicht. 

Wenn ich noch ein Wort zu dem Thermokauter sagen soll, so 
stimme ich mit Herrn Holländer vollständig überein, dass das Glüh¬ 
eisen viel bessere Wirkung hat wie der Thermokauter. Ich habe seit 
langer Zeit das alte Glüheisen wieder eiDgeführt und kann Ihnen ein 
kleines technisches Hilfsmittel empfehlen. Man musste früher einen 
grossen Blasebalg haben, um das Glüheisen in Glut zu halten. Ich 
nehme einfach meinen Sauerstoffapparat, den ich zur Narkose benutze, 
verbinde diesen mit einem doppelläufigen Bunsenbrenner und erreiche 
hierdurch das Glühen des Glüheisens. 

Hr. Borchardt: Ich habe mich auch seit langer Zeit mit der 
Methode beschäftigt und eine Reihe von Fällen mit Herrn Kollegen 
Nagelschmidt und Herrn Bucky zusammen operiert. Ich würde es 
für falsch halten, wie es Herr Israel auch schon betont hat, wenn man 
ein operables Carcinom in der Weise vorbehaudeln würde, wie es hier 
vorgeschlagen wird. Dazu brauchen wir Chirurgen, meine ich, die 
Methode nicht. Ich stehe übrigens auf demselben Standpunkt, den einer 
meiner Vorredner, Herr Hammerschlag, schon betont hat, dass ich 
Impfrecidive bei vorher gut operablen Carcinomen für verhältnismässig 
selten halte. Denken Sie doch an die zahllosen Recidive, die wir leider 
nach der Mammaamputation zu sehen bekommen; wie wenig sind da 
echte Impfrecidive. Ich habe mich also auch immer auf den Standpunkt 
gestellt, nur inoperable Fälle mit dieser Methode zu behandeln, und 
zwar deswegen, weil sie meiner Ueberzeugung nach in bezug auf 
Coagulation und Zerstörung mehr leistet als irgend eine andere, in den 
letzten Jahren empfohlene Methode, die ich fast alle durchprobiert habe. 

Zu meinem Bedauern muss ich aber bekennen, dass ich auch in 
keinem einzigen Falle eine überraschende Dauerwirkung gesehen habe. 
Alle die Fälle, die ich operiert habe, sind schliesslich doch recidiviert. 
Es mag das ja an der Ungunst der Fälle gelegen haben. Aber ich 
schätze an der Methode eines sehr, und das ist die blutstillende Wirkung; 
weniger für das Carcinom; denn da haben wir im allgemeinen mit 
Blutungen ja gar nicht so sehr viel zu tun als z. B. bei den Cavernomen. 
Ich habe mit Herrn Kollegen Nagelschmidt schon vor länger als einem 
Jahr ein ungeheuer blutreiches Cavernoto der, Nade exstirpiert.*; Dabei 
wurde zuerst das Cavernom vollkommen coaguliert, dann die Coagulations- 


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Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



10. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


279 


masseo mit dem scharfen Löffel ausgekratzt und die ganze Operation 
bei minimaler Blutung vollendet, was sonst nur unter sehr starker 
Hämorrhagie möglich gewesen wäre. Dafür schätze ich die Methode und 
werde sie auch weiter bei inoperablen Carcinomfällen anwenden, da sie 
meiner Ueberzeugung nach bisher das beste Zerstörungsmittel ist, welches 
wir haben; aber grosse Hoffnung, dass wir mit ihrer Hilfe Recidive ver¬ 
hindern werden, habe ich nicht. 

Hr. Abel (Schlusswort): Ich möchte an die letzten Worte von 
Herrn Borchardt anknüpfen, dass mit der Elektrocoagulation eine sehr 
starke oder vielleicht die stärkste Zerstörung erreicht werden kann, die 
man bisher kennt. Dies hat mich ja dazu bewogen, gerade für operable 
Fälle diese Methode vorzuschlagen. Inoperablen Fällen gegenüber sind 
wir leider in einer sehr traurigen Lage. Da können wir nur symptomatisch 
etwas helfen. Deshalb habe ich gar nicht von den verschiedenen in¬ 
operablen Fällen gesprochen, die ich mit dieser Methode operiert habe. 
Dass wir ein Mammacarcinom zum Beispiel in der gesunden Haut um- 
schneiden können, das habe ich auch gewusst. Ich glaube nur, dass 
wir auch dann noch sehr leicht durch Druck Krebskeime in die durch 
den Schnitt geöffneten Gefässe hineinbringen können, und deshalb fordere 
ich eben, dass vorher das carcinomatöse Gewebe vernichtet wird. Wenn 
man hier die Herren hört, so macht es beinahe den Eindruck, als wenn 
die Operation des frühen Garcinoms eine sichere Heilung gewährt. 
Darüber wollen wir uns aber doch nicht täuschen, dass bis jetzt die 
Resultate, die wir bei unseren Carcinomoperationen haben, recht schlecht 
und im voraus unberechenbar sind. Woran liegt das? Ist das Garcinom 
über den Ort seiner Entstehung hinaus, dann wird nur die Methode den 
betreffenden Kranken heilen, die durch ein internes Mittel elektiv die 
Carcinomzellen tötet; wenn aber das Garcinom ursprünglich eine lokale 
Erkrankung ist und, fortgenommen, doch wieder Recidive gibt, dann 
muss dies eine Ursache haben, und ich habe eben geglaubt, dass diese 
Ursache darin liegt, dass wir direkt Krebskeime in die Schnittlinie über¬ 
impfen, ferner aber, dass wir bei der Operation Keime in den Blut¬ 
kreislauf hineinbringen. 

Was die Impfrecidive betrifft, trifft das doch nicht ganz zu, was 
Herr Hammerschlag gesagt hat. Wenn auch Winter, wie ich eben 
höre, seine ursprüngliche Meinung geändert bat, so glaube ich doch, 
dass seine frühere Ansicht nicht unberechtigt war. Ich erinnere an die 
Peritonealcarcinose, bei der nach der Punktion Garcinom an der Punktions¬ 
stelle entsteht. Bei Gelegenheit der Fulgurationsbebandlung exstirpierte 
ich vor mehreren Jahren einen Uterus nach Erweiterung des Operations¬ 
gebietes durch den Schuchardt’sehen Schnitt. Obgleich das Garcinom 
vorher ausgekratzt und ausgebrannt war, traten schon nach gar nicht 
langer Zeit Garcinomknoten genau im Verlauf der Schnittlinie auf. Das 
war ein Impfrecidiv, wie es im Buche steht. 

Nun, der Zweck meiner Mitteilung war tatsächlich nicht, die Methode 
etwa für inoperable Fälle zu empfehlen, sondern sie nach möglichst früh¬ 
zeitig gestellter Diagnose anzuwenden. Ist das Garcinom, dessen Grenzen 
wir noch erkennen können, vernichtet und operieren wir dann in einem 
absolut toten Gewebe, dann haben wir die Möglichkeit, durch die ein 
Recidiv entstehen kann, meines Erachtens erheblich herabgesetzt. 


Physiologische Gesellschaft zu Berlin. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 10. Januar 1913. 

1. Hr. Rothnami: Weitere Beiträge zur Kleinhirulokalisation. 

(Erscheint ausführlich in dieser Wochenschrift.) 

2. HHr. L. Michaelis und Rona: 

lieber die Wirkung der Alkalien auf Glukose. (Ein Beitrag zur Theorie 
der Katalyse.) 

Glukose hat nach den Untersuchungen von Lobry de Bruyn die 
Neigung, in alkalischer Lösung sich zum Teil in Fruktose und Mannose 
umzuwandeln. Dieser Vorgang kann als eine durch OH-Ionen hervor¬ 
gerufene Katalyse betrachtet werden. Es wird nuu experimentell er¬ 
wiesen, dass die Geschwindigkeit dieser Umwandlung der OH'-Konzen- 
tration der Lösung genau proportional, d. h. der H'-Konzentration 
umgekehrt proportional ist. Der Vorgang wird unter folgenden An¬ 
nahmen verständlich. Glukose ist eine schwache Säure. Dies wird zu¬ 
nächst durch Messung ihrer Dissoziationskonstanten auf elektrometrischem 
Wege erwiesen; sie wird = ca. 5.10~ 13 gefunden. Infolgedessen 
existieren neben der gewöhnlichen Glukose in der Lösung stets auch 
Glukose-Anionen, in einer Konzentration, die der H-Konzentration um¬ 
gekehrt proportional sein muss. Bei dem auch im chemischen Gleich¬ 
gewicht stets vor sich gehenden Prozess: Glukose ^ Glukose-Ion -{- H-Ion 
muss nun bei der Reaktion im Sinne von links nach rechts nicht immer 
wieder Glukose entstehen, sondern es können auch andere Zucker ent¬ 
stehen, weil das Ion wahrscheinlich eine Enolkonstitution besitzt und 
diese identisch für Glukose, Mannose und Fruktose (naoh Neuberg und 
Wohl) ist. Die Umlagerung der Glukose geht also über das Ion der¬ 
selben, muss daher der Konzentration dieser Zucker-Ionen proportional 
sein, und diese sind der H*-Konzentration umgekehrt proportional. Die 
katalytische Wirkung der Alkalien auf Zucker wird so in letzter Linie 
auf die, wenn auch sehr geringe Elektrolytnatur derselben zurückgeführt, 
und diese Annahme auch für andere Katalysen durch Säuren und 
Alkalien wahrscheinlich gemacht. - ^ ^ 


Schlesische Gesellschaft für vaterländische Kultur zu Breslau. 
Medizinische und staats- und rechtswissenschaftliche Sektion. 

(Offizielles Protokoll.) 

Fortsetzung der gemeinsamen Sitzung am 22. November 1912. 

Vorsitzender: Herr Vierhaus. 

Schriftführer: Herr Rosen feid. 

Auf den Wunsch des Vorsitzenden gibt Herr J. Wolf nochmals ein 
Resumö seines Vortrages unter Hinzufügung einer Anzahl weiterer Daten 
und antwortet gleichzeitig auf die am ersten Abend von den Diskussions¬ 
rednern gebrachten Fragen und Einwände. 

Gegen Herrn Wolffberg führt er an, dass die Entwicklung der Ge¬ 
burten nicht „aus sich“ und in diesem Sinne „autonom“ erklärt werden 
könne, als Zufalls- oder irreguläre Erscheinung. Gegen eine solche 
Deutung spreche die Konstanz des Rückgangs und die Tatsache, dass in 
der bisher statistisch kontrollierten Zeit sich eine so niedrige Geburten¬ 
quote wie gegenwärtig niemals gezeigt habe. Zur Acusserung des Herrn 
Partsch macht er darauf aufmerksam, dass man Arbeiter und Sozial¬ 
demokraten nicht identifizieren dürfe, Deutschland habe eine grosse Zahl 
Arbeiter, die nicht Sozialdemokraten seien, und die, wie eine Auszählung 
der in den Reichstagswahlen abgegebenen Stimmen zeige, eine wesentlich 
höhere durchschnittliche Geburtlichkeit haben als die der spezifisch so¬ 
zialdemokratischen Bezirke. Die Feststellung Herrn Chotz en’s, wonach 
die Frequenz der Geschlechtskrankheiten abnehme, vermag der Referent 
nur für die Städte und auch da nicht für alle zuzugeben, im Reichs¬ 
und Landesdurchschnitt dagegen steige zweifellos fürs erste noch die 
Krankheitafrequenz in Zusammenhang mit der Wanderung vom Lande 
in die Städte und mit der ungeheuer viel grösseren Krankheitsfrequenz 
der ersteren. Auf die Aeusserungen Herrn Oettinger’s erwidert 
Ref., dass die von ihm vorgebrachte Annahme, der Rückgang der Ge¬ 
burten führe sich im Wesen auf eine Verschiebung in der Alters¬ 
schichtung zuungunsten der fortpflanzungsfähigen Klassen zurück, längst 
widerlegt sei, das Gegenteil sei in Wirklichkeit der Fall. Die Bezug¬ 
nahme auf Schöneberg war durchaus berechtigt, da dieser Fall zur Be¬ 
leuchtung einer Sonderentwicklung herangezogen und gleichzeitig mit¬ 
geteilt wurde, dass der Reichsdurchschnitt der Geburten — nicht etwa 
wie in Schöneberg um 75 pCt. —, sondern um etwa 25 pCt. gesunken 
sei. Zu dem beispiellosen Geburtenabsturz habe die Verschiebung des 
Altersaufbaus nur sehr wenig beigetragen. Es sei überaus gewagt, jenen 
mit letzterer zu erklären. Insgesamt wäre Ref. aber besonders dankbar, 
wenn in diesem Kreise ein Austausch ärztlicher Erfahrungen erfolgen wolle, 
da er mit Rücksicht auf diese Möglichkeit als Nichtarzt in diesem Kreise 
erschienen sei. Er bitte die Herren darum, der Mitteilung von Wahr¬ 
nehmungen, die sie in ihrem ärztlichen Berufe gesammelt hätten, in der 
Debatte die erste Stelle einräumen zu wollen. 

Hr. Kayser: Die Hauptursache des willkürlich herbeigeführten 
Geburtenrückganges bilden wirtschaftliche Motive, die Herr Wolf in 
seinem Vortrage nur kurz gestreift, in seinem Buche ausführlich erwähnt 
hat. Mit Rücksicht auf die Tatsache, dass die ärmsten Klassen, die 
Pauperes, immer eine unbeschränkt grosse Zahl von Kindern erzeugen, 
lässt sich das wirtschaftliche Motiv etwa so präzisieren: Sobald die 
Masse des Volkes zu einer höheren Wirtschaftslage, mit einem gewissen 
Lebenskomfort gelangt und die Aufrechterhaltung der erreichten Lebens¬ 
haltung durch eine grössere Kinderzahl empfindlich erschwert wird, tritt 
der Wille zur Verminderung der Geburten zutage. Hiermit ist aufs 
engste ein ideelles Moment verbunden, von Herrn Wolf treffend als das 
rationalistische bezeichnet, die rationelle Denkweise und Lebensführung. 
Aus der bei einer gewissen Kulturhöhe nahezu notwendigen Verknüpfung 
beider Momente lassen sich die Besonderheiten des Geburtenrückganges 
leicht ableiten. 1. Der Zeitpunkt des Beginnes im letzten Viertel des 
vorigen Jahrhunderts, wo die Entpauperung des industriellen Proletariats 
in erheblichem Maasse begonnen hat, 2. die Progressivität, 3. die Diffe¬ 
renzen der einzelnen Länder, 4. die Differenzen zwischen Stadt und Land. 
Dazu kommen noch als wichtig in Betracht: die Besitzverhältnisse der 
Bauern auf dem Lande, die rapide Steigerung der selbständigen Berufs¬ 
arbeit der Frauen zugleich mit einer ideologischen Veränderung der 
weiblichen Lebensauffassung. Dinge, die Herr Wolf auch in seinem 
Buche erwähnt. Meine Differenz mit ihm erstreckt sich auf folgendes: 
Herr Wolf hat in seinem Vortrag mit besonderer Ausführlichkeit und 
Betonung einen ursächlichen Zusammenhang zwischen religiös-politischer 
Gesinnung und Geburtenziffer zu statuieren versucht. Ich halte diese 
Ansicht für nicht richtig bzw. für enorm übertrieben. Religiöspolitische 
Gesinnung bestimmter Art und die erwähnten wirtschaftlichen Momente 
fallen aus verschiedenen Gründen häufig zusammen, da tritt ein Zu¬ 
sammenhang scheinbar zutage. Die wirtschaftlich - ideellen Momente 
äussern sich auch z. B. in der von Herrn Wolf erwähnten Abnahme 
des Analphabetismus oder in der Verkürzung der Arbeitszeit, die man 
aber doch nicht als direkte Ursachen des Geburtenrückganges ansehen 
wird. Die statistischen Beweise des Herrn Wolf sind nicht stichhaltig. 
Als Hauptbeispiel gilt ihm das protestantische und stark sozialdemo¬ 
kratische Königreich Sachsen gegenüber dem katholischen und wenig 
sozialdemokratischen Bayern. Sachsen hatte 1910 eine Geburtenziffer 
von 27,2, Bayern von 32,4. Aber im Jahre 1900, wo doch die gleichen 
religiös-politischen Gegensätze hätten wirksam sein müssen, hatte nach 
S. 20 und 21 des Wolt’schen Buches Sachsen 39,4 und Bayern 37,9 
als Geburtenziffern. Die Intensität de» Geburtenrückganges ist aller¬ 
dings in Sachsen in den 10 Jahren viel grösser: vnrt 39,3 auf 27,2, 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


während die Geburtsziffer in Bayern von 37,9 nur auf 32,4 zurückgeht. 
Aber das erklärt sich einfach aus der ökonomischen Verschiedenheit. 
In Sachsen, mit seinem sehr zahlreichen industriellen Proletariat, muss 
dessen Entpauperung viel intensiver wirken als in dem industriell viel 
schwächeren Bayern. (Man kann zugeben, dass die katholische Kirche 
unter besonderen Umständen vereinzelt die Erhöhung der Geburtenziffer 
begünstigen kann. Aber das ist für das Gesamtresultat verschwindend.) 
Herr Wolf hat selbst auf Frankreich hingewiesen. Ein anderes Beispiel 
ist Oesterreich. (S. 79 des Wolfschen Buches steht Oesterreich an der 
Spitze der „Völker katholischen Bekenntnisses mit anerkannter Kirch¬ 
lichkeit der Masse“. Und doch erklärt Herr Wolf S. 226 und 229, dass 
der Geburtenrückgang in Oesterreich in gleicher Weise vor sich gehe wie 
in Preussen und: „es bestehe nicht die geringste Berechtigung zur An¬ 
nahme, dass die Geburtenziffer in Oesterreich einen wesentlich anderen 
Gang gehen werde als im Deutschen Reich“.) Wendet man die von 
Herrn Wolf geübte Zahlengrugpiernng auf die Sterblichkeitsziffer an, 
die durch ähnliche wirtschaftlich-ideelle Momente bestimmt mit der Ge¬ 
burtenziffer parallel sinkt, so kommt eine entgegengesetzte Bewertung 
heraus. Sachsen hatte 1810 eine Sterblichkeitsziffer von 16,1, Bayern 
dagegen 20,0. ln Herrn Wolf’s Buch (S. 75) wird als besonders „über¬ 
raschende“ Uebereinstimmung bezeichnet, dass Berlin bei 66 pCt. sozial¬ 
demokratischer Wahlstimmen eine Geburtenziffer von 23,9, dagegen die 
Provinzen Westpreussen und Posen bei 7 bzw. 9 pCt. sozialdemokratischer 
Stimmen Geburtenziffern von 58,5 bzw. 39,7 aufweisen. Nimmt man 
aber die Sterbeziffern pro 1910 hinzu, so lauten sie für Berlin 16,3, für 
Posen 20,2, für Westpreussen 21,3, also eine noch genauere Ueberein¬ 
stimmung. Man könnte auch hier eine Phantasierechnung anstellen, wie 
viel Hunderttausende von Menschenleben dem Vaterlande durch die 
protestantisch - sozialdemokratischen Grossstädte wie Berlin, Hamburg, 
Dresden usw. erhalten würden im Vergleiche mit Westpreussen und 
Posen. Die von Herrn Wolf so in den Vordergrund gehobene Zahlen¬ 
gruppierung mit ihren Konsequenzen bietet eine gewisse Gefahr. S. 154 
des Wolfschen Buches wird auf eine Skala hingewiesen, welche die 
einzelnen politischen Parteien Deutschlands nach der Geburtenfrequenz 
ordnet. S. 202 wird als Mittel zur Bekämpfung des Geburtenrück¬ 
ganges, „nach den hier gepflogenen Untersuchungen“, die Entwindung 
„des rationalistischen Arguments“ und „die Pflege der Kirchlichkeit“ 
besonders hervorgehoben. Auf der rationellen Denkweise beruht aber 
im wesentlichen die moderne Kultur, die also bedroht wird, um Jahr¬ 
hunderte zurückgeschraubt zu werden. 

Der von Herrn Wolf an die Aerzte gerichtete Appell ist acceptabel, 
soweit die Aerzte in Wort und Schrift die Wöchnerinnensterblichkeit, 
die Geschlechtskrankheiten mit ihren Folgen für die Fortpflanzungs¬ 
fähigkeit, die gesundheitsgefährlichen Abortivmittel usw. bekämpfen 
sollen, was ja schon seit langem in grösserem Umfang geschieht. Der 
Appell will aber offenbar weitergehend, dass die Aerzte in der Familie 
und öffentlich auf eine grössere Geburtenzahl in der Ehe hinwirken. 
Das ist aber undurchführbar. Jeglichen Präventivverkehr überhaupt als 
krankmachend hinzustellen, ist unzulässig, weil dessen gesundheits¬ 
schädliche Wirkungen doch sehr problematisch sind. (Dass recht zahl¬ 
reiche Geburten für die Lebensdauer, die Gesundheit und das Wohl¬ 
ergehen der Mütter und Kinder besonders günstig sind, ist unmöglich 
zu behaupten.) 

Schliesslich könnte jede Arbeiterfrau die Frage entgegenhalten: 
wie es dann mit dem Kinderreichtum bei den Aerzten selbst stehe? 
Nach S. 119 des Wolfschen Buches haben Aerzte und Apotheker die 
geringste Anzahl Kinder. Bei den anderen höheren Berufsarten steht es 
aber ganz ähnlich. S. 43 des Wolf’schen Buches wird die geringe 
Fruchtbarkeit der Ehen von Universitätslehrern und Lehrern an höheren 
Anstalten erwähnt und S. 135 gesagt, dass bei Lehrern und kleinen 
Beamten „die Kinderzahl vielleicht die grösste Verminderung erfahren 
hat“. Der Appell müsste sich also an alle höheren Klassen richten. 
Bei der Bekämpfung des Alkoholismus und der künstlichen Ernährung 
der Säuglinge ist für den Erfolg das Beispiel der Aerzte selber resp. 
ihrer Frauen von Einfluss. Auch in bezug auf die Geburtenziffern muss 
dem Beispiel, speziell der sogenannten intellektuellen Klassen eine er¬ 
hebliche Bedeutung zuerkannt werden. 

Hr. Carl Alexander: Die Frage, wie wir uns zu dem Geburten¬ 
rückgang zu stellen und inwieweit wir ihn zu beklagen haben, wird 
nicht eindeutig beantwortet. Dem fanatischen Standpunkte Born- 
träger’s stehen Ansichten anderer Männer gegenüber, darunter solcher, 
die, wie z. B. Elster, im Hinblick auf ihre Stellung der Verantwort¬ 
lichkeit ihrer Aeusserungen bewusst sind und doch offen aussprechen, 
dass das Dogma von Kindersegen in jedem Falle nicht haltbar ist, und 
dass nicht bloss die Quantität, sondern auch die Qualität der Nach¬ 
kommen in Betracht zu ziehen ist (siehe Eröffnungssitzung der „Ver¬ 
einigung für staatswissenschaftliche Fortbildung“). Die durch zu viele 
Kinder bewirkte Verelendung der Massen und die bei den heutigen 
schweren Erwerbsverhältnissen durch zu viele Kinder eintretende Pro¬ 
letarisierung des Mittelstandes kann gerade auch vom nationalen Stand¬ 
punkte aus nicht gleichgültig sein, weil es sich dann um Vermehrung 
des Volkes durch Elemente handelt, deren durch Not unterbliebene Er¬ 
ziehung und deren aus einer freudlosen Jugend entsprungene staats¬ 
feindliche Gesinnung sie zu gefährlichen Gegnern der Gesellschaft macht. 
Zudem sterben in sehr kinderreichen Ehen prozentual viel mehr Kinder 
als in denen mit weniger Kindern (Untersuchungen von Hamburger - 
Berlin in Arbeiterfamilien). Es handelt sich also bei zu vielen Ge¬ 


burten um nutzlose Verschwendung mütterlicher Energie und erhöhte 
gesundheitliche Gefahren. Schliesslich kann zur Zeit die Gefahr des 
Geburtenrückganges nicht allzu gross sein, weil vor noch nicht langer 
Zeit, als es sich um Förderung der Kolonialbewegung handelt, sogar die 
Gefahr der Uebervölkerung Deutschlands als wesentliches Moment in den 
Vordergrund gerückt worden ist. 

Auch das Gutachten der „Wissenschaftlichen Deputation für das 
Medizinalwesen in Preussen“ besagt im Leitsatz V, „dass die Abnahme 
der Geburtenziffer mit Rücksicht auf die ausgleichende Erniedrigung der 
Sterbeziffer nicht bedrohlich ist“. 

Aber diese ausgleichende Erniedrigung der Sterbeziffer wird, wie 
das Gutachten weiter sagt, „ihre natürliche Begrenzung erreichen.“ 
„Deshalb erfordert es das Staats- und Volkswohl, auf geeignete Maass¬ 
nahmen rechtzeitig Bedacht zu nehmen.“ 

Und so werden auch diejenigen, welche sich der Wucht der Gründe 
für die Zweckmässigkeit einer relativen Beschränkung der 
Kinderzahl beugen, sich doch der Einsicht nicht verschliessen 
können, dass diese eine Grenze finden muss und nicht zu 
weit gehen darf; Unheil erwächst uns hieraus nicht bloss in bezug 
auf unsere Kriegsbereitschaft, sondern auch noch aus einem anderen 
nationalen Grunde: das Fehlen von Arbeitern würde den leider schon 
jetzt bei Landwirtschaft und Industrie starken Import ausländischer 
Arbeiter (Polen usw.!) zum Schaden des Deutschtums noch weiter 
steigern. 

Zur Bekämpfung des Geburtenrückganges sind verschiedene Mittel 
angegeben worden; aber nicht genügend bekannt ist die Notwendigkeit 
des Vorgehens gegen gewisse kurpfuscherisch-naturheilkundliche Bücher 
und Schriften, die Anweisungen zum Präventivverkehr und zur Ab¬ 
treibung angeben, wie z. B. das „Bilz’sche Naturheil verfahren“, das in 
mehr als einer Million Exemplaren verbreitet ist (worauf die Herren 
WoIffberg und Partsch in der Diskussion schon hingewiesen haben). 
Ebenso schlimm, vielleicht noch schlimmer sind die zahlreichen eigen¬ 
artigen Annoncen in gewissen Tagesblättern — so z. B. im 
Breslauer General - Anzeiger Nr. 319 vom 20. November 1912 und 
an anderen Tagen wiederholt nicht weniger als zehn derartiger 
Annoncen in einer Nummer — in denen Frauen durch bestimmte 
Personen angelockt und auf Mittel und Methoden zur Verhütung der 
Conception und zur Abtreibung aufmerksam gemacht werden. Der 
Wunsch zur Verhütung der Conception und zur Abtreibung würde gar 
nicht in solchem Umfange sich geltend machen oder zum mindesten 
nicht so häufig in die Wirklichkeit umgesetzt werden können, wenn 
nicht durch die grosse Zahl derartiger Annoncen die Frauen auf diese 
Frage hingelenkt werden würden und sich die Kenntnis der ent¬ 
sprechenden Mittel und Methoden verschaffen könnten. 

Wie skrupellos die betreffenden Zeitungen in der Aufnahme der¬ 
artiger Annonoen sind, geht u. a. aus einem Berichte des „Gesundheits¬ 
lehrers“ (Organ der „Deutschen Ges. z. Bek. d. Kurpf.“, November- 
Heft 1912) hervor, wonach in Hannover der Aerzteverein dortige 
Zeitungsredaktionen auf die Gefahr derartiger Annoncen aufmerksam 
gemacht, aber nicht den mindesten Erfolg damit erzielt hat, da trotz 
der Aufklärung der Redakteure diese Annoncen weiter erschienen. Des¬ 
halb ist ein Verbot derartiger Annoncen — wie es im Kur¬ 
pfuscherei-Gesetzentwurf vorgesehen war — durchaus nötig, eventuell 
durch landesgesetzliche Regierungs-Polizeiverordnungen, die sich auf 
§ 10, II, 17 des Allg. Land-R., bzw. d. Allg. Polizeiverwalt.-Gesetz 
vom 11. März 1850 stützen; noch besser wäre ein Verbot der Be¬ 
handlung aller Leiden und Störungen an den Geschlechts¬ 
organen durch Nichtärzte, weil sonst die Abtreiberinnen die Aus¬ 
rede geltend machen könnten, dass sie die betreffenden Mittel nur „zur 
Behandlung“ von Frauenleiden angewandt hätten. Jedenfalls sollte 
man zur Beeinflussung des allzu schnellen Geburtenrückganges derartige- 
gesetzliche Maassnahmen versuchen und sie nicht von vornherein als 
erfolglos ablehnen. 

Hr. Asch: In klarster Weise hat Herr Küstner schon seine 
Stellungnahme als klinischer Lehrer zur Frage des Geburtenrückganges 
beleuchtet. Wenn nun auch Herr Kayser die Stellung des Praktikers 
nach vielen Richtungen hin klargelegt hat, so glaube ich doch, dem 
noch einige aus meiner Erfahrung und unserer Stellung zu den praktischen 
Aerzten hinzufügen zu dürfen. Wir sind ja doch vom Herrn Vortragenden, 
direkt als Hilfstruppe aufgerufen. 

Die Aerzte empfinden ihre Pflicht zum Eingreifen schon lange, er¬ 
kennen aber auch recht wohl ihre Verpflichtung als Berater der Frau 
und der Familie nach einer Richtung hin, die von mancher Seite kaum 
als Kampf gegen den Geburtenrückgang aufgefasst werden kann. Es 
vergeht wohl kein Aerztekurs, in dem ich nicht von einigen Aerzten 
gefragt werde, welche Präventivmittel als sicher und unschädlich zu 
empfehlen sind. Nun, diese ernsten, strebsamen Kollegen, die auf ihre 
Fortbildung nach jeder Richtung bin bedacht sind, wollen ihrerseits 
keineswegs die Geburtlichkeit bekämpfen; sie stehen der Tatsache des 
Willens der Betreffenden gegenüber, ohne ihn beeinflussen zu können; 
es leitet sie der Drang des hygienisch denkenden Arztes, an Stelle der 
die Gesundheit schädigenden Maasnahmen, anstatt der unsicheren Mittel 
sicher wirksame zu setzen. Nicht eine Folge der Präventivmittel ist 
der Geburtenrückgang, sondern der mehr und mehr zunehmende Wunsch 
nach Einschränkung der Kinderzahl hat das Erfinden von Präventiv¬ 
mitteln zur Folge gehabt, deren Anwendung nicht an die Stelle der 
Conception, sondern an Stelle des von alters her geübten Coitus resoivatu» 


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10. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


281 


hu interraptus trat. Kann der Arzt den festentschlossenen Mann nicht 
anders von der Ausübung der nervenzerrüttenden Maassnahme abbringen, 
so muss er ihm Mittel zeigen, seinen Vorsatz ohne Schaden zu er¬ 
reichen. Eine zeitliche Begrenzung des Fortpflanzungsgoschäfts wird 
immer Platz greifen müssen. Mit zunehmender Kultur sind unsere 
Frauen tatsächlich nicht mehr tauglich, alljährlich Kinder zu bekommen. 
Kein Geburtshelfer, kein Gynäkologe, kein Arzt kann auf die Dauer 
aoch der sonst gesunden Frau das zumuten, seit die Frau nicht mehr 
durch körperliche Muskelarbeit gestählt, durch körperliche Vollendung 
io den geistigen Erziehungsjahren zur unentwegten Fortpflanzung ge¬ 
eignet ist. Damit ist der Präventivverkehr aber im Prinzip als schwer 
rermeidlich anerkannt. Wohl soll Enthaltsamkeit an Stelle der Vor¬ 
beugung treten, doch wird auch diese nur für gewisse Zeiten verlangt; 
eine irgend erhebliche Sicherheit ist damit nicht gegeben. 

Der Kulturfortschritt, das Zusammenschieben der Bevölkerung in 
die grossen Städte hat auch der Frau geistige Waffen zum Kampfe ums 
Dasein aufgezwungen und damit ihren Körper weniger tauglich zum 
fortwährenden Fortpflanzungsgeschäft gemacht. Er ist wohl fähig zur 
Fortpflanzung, aber die dauernde Betätigung macht die Frau unfähig, 
andere, nicht weniger notwendig erscheinende Lebensaufgaben zu erfüllen. 
Nicht aus Luxus, nicht aus Bequemlichkeit neigen die Frauen zu immer 
grösseren Pausen in der Gebärarbeit, sondern aus Not des Lebens, 
wenigstens das Gros der Frauen, die bei grossen statistischen Nach¬ 
weisen in Betracht kommen. So sehen wir, dass der Geburtenrückgang 
sich nicht erst an das Auftauchen der Präventivmittel anschliesst; die 
Möglichkeit, der Gonception vorzubeugen, besteht, so lange es Menschen 
mit Willensbetätigung gibt, das gebräuchlichste Mittel zur Erreichung 
des Zwecks seit über 200 Jahren. Der Geburtenrückgang aber ist ein 
Zeichen neuerer Kulturentwicklung, höherer Anforderungen auch an die 
Frau. Weil sie ihre Mutterpflichten erfüllen muss (Kindererziehung in 
körperlicher wie geistiger Beziehung), dem Manne eine Hilfe im Berufs¬ 
leben sein muss und dabei die Gebärlicbkeit früherer Zeiten nicht ohne 
Schaden beibehalten kann, muss der Arzt oft dem Individuum gegenüber 
auf die Erfüllung seiner nationalen und sozialen Wünsche verzichten. 
Wir Aerzte haben auf der anderen Seite genug zu tun, um dem Geburten¬ 
rückgang zu steuern: Bekämpfung der Sterilität, der Einkindsterilität 
durch prophylaktische Pflege, durch Bekämpfung der Verbreitung der 
Geschlechtskrankeiten, ihre Heilung und Verhütung ihrer Folgen sind 
Aufgaben, die wohl geeignet sind, eine hygienische Tätigkeit auf oben 
gekennzeichnetem Gebiet für die Allgemeinheit wieder wett zu machen. 
Gegen die physiologischen und pathologischen Gründe des Geburten¬ 
rückganges finden Sie die Aerzte allezeit auf dem Kampfplatz, gegen 
die sozialen Gründe, gegen die gewollte, aus Not gewollte Einschränkung 
der Minderzahl sind andere Trappen aufzubringen. Darüber noch einige 
Worte: 

Ein gut Teil der Gründe des Geburtenrückganges liegt in dem Zu- 
nehmen der Eheschliessungen in höherem Alter. Die Frau fühlt sich 
nicht mehr so geeignet, viele Kinder in die Welt zu setzen, der Mann 
fürchtet, die Erziehung der Kinder nicht mehr erleben zu können. 
Daher hat auch bei Unehelichen der Geburtenrückgang sich nicht so, 
meines Wissens gar nicht, bemerkbar gemacht, wo junge Mütter in Frage 
kommen. Hier aber zeigt sich die Sterblichkeit am grössten; hier wird 
es Aufgabe aller Schichten der Bevölkerung sein, das, was in aus¬ 
reichender Zahl geboren wird, am Leben zu erhalten. Zu Unrecht ist 
dem Deutschen Bund für Mutterschutz der Vorwurf gemacht worden, 
er unterstütze durch seine Bestrebungen die Geburtlichkcit. (Man 
könnte ebensogut der Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger vorwerfen, 
dass sie Schiffbrüchen Vorschub leiste.) Wohl aber hat der Bund durch 
eine Petition an den Reichstag eine Forderung gestellt, die wohl ge¬ 
eignet wäre, dem Geburtenrückgang zu steuern. Er will durch eine 
ausgedehnte Mutterschaftsversioherung einen Teil der Ursachen des 
Geburtenrückganges aus der Welt schaffen und greift damit das Uebel 
an der Wurzel an. Ich muss mir hier das nähere Eingehen auf dieses 
Thema versagen und will nur noch kurz auf einen anderen Punkt hin- 
weisen, auf den mich mein spezieller Beruf und meine Tätigkeit am 
Krankenhause lenkt. 

Nicht sowohl die Einschränkung der Gonception hat den Geburten¬ 
rückgang zur Folge als zum guten Teil die vorzeitige kriminelle Unter¬ 
brechung der eingetretenen Schwangerschaft. Der kriminelle Abort 
nimmt in wahrhaft erschreckender Weise zu. Nicht allein die von Herrn 
Küstner geschilderten sogenannten anticonceptionellen Mittel, wie 
Sterilet usw., sind in Wahrheit Abortiva, sondern es werden ganz offen 
Spritzen überall feilgeboten, die nur zum Zweck der Abtreibung dienen 
nnd dienen können. Ich möchte den dankenswerten Mitteilungen von 
Herrn Wolffberg nur noch hinzufügen, dass in Leipzig der Kampf 
hiergegen mit Erfolg aufgenommen worden ist. Dazu bedarf es keines 
gesetzlichen Verbots anticonceptioneller Mittel, dazu genügen ge¬ 
eignete Maassnahmen der Verwaltungsorgane. Bilz’ Buch, aus dem 
unzählige Frauen lernen, sich die Frucht selbst abzutreiben, in dem 
sogar die Bezugsquellen angegeben werden, das Feilhalten von Mutter¬ 
spritzen kann man verbieten, den Goitus interraptus und den Gebrauch 
des Gondoms nicht. 

Ob aber überhaupt durch belehrende, geistliche oder religiöse Ein¬ 
flüsse ein Erfolg zu erzielen ist, dafür müsste eine spezielle Statistik 
Aufschluss geben. Nicht der Vergleich der Zahlen des Geburtenrück¬ 
ganges in vorwiegend katholischen Ländern oder Landesteilen mit anders 
bewohnten vermag ausschlaggebendes Material zu liefern, weil hier noch 
eine Menge anderer Faktoren (Landbevölkerung, Industriearbeiter usw.) 


mitsprechen; aber es wäre vielleicht möglich, festzustellen, ob in Landes¬ 
teilen, in Städten, wo gemischt religiöse Bevölkerung zusammenwohnt, 
der Geburtenrückgang bei Katholiken ein wesentlich niedrigerer ist, als 
bei den Angehörigen anderer Konfessionen. Dieser Nachweis muss durch 
die Standesämter möglich sein und erbracht werden. Vielleicht gibt 
der Herr Vortragende darüber noch nähere Aufschlüsse. 

Hr. Vier ha us führte aus: Wenn der Herr Berichterstatter in einigen 
Beziehungen auch auf Abhilfe durch die Gesetzgebung verwiesen habe, 
so dürfe man hiervon nicht zu viel erhoffen. Dabei kämen steuerliche 
Maassnahmen (Bevorzugung der Verheirateten und der Väter von Kin¬ 
dern, Benachteiligung Ehe- und Kinderloser) nicht in Frage, sondern 
nur Aenderungen der Rechtsordnung. Aber es bewahrheite sich stets, 
dass Gesetze zwar eine vorhandene Volksanschauung weiter zu ent¬ 
wickeln und auszugestalten vermöchten, nicht aber eine allgemeine 
Ueberzeugung erst schaffen könnten. 

Gesetzgeberische Maassnahmen allgemeiner Art, durch die die Recht¬ 
stellung der Verheirateten und Väter von Kindern besser gestellt würden, 
seien schwer durchführbar. Ein grosses Beispiel biete die Rechts¬ 
geschichte in der Gesetzgebung des Kaisers Augustus, der Lex Julia et 
Papia Poppaea, die er übrigens erst nach langem Widerstande des 
Senats durchzuführen vermocht habe. 

Ausser öffentlich-rechtlichen Nachteilen für Ehelose (caelibes) und 
Kinderlose (orbi) sei insbesondere deren Fähigkeit, Erbschaften und Ver¬ 
mächtnisse zu erwerben, eingeschränkt worden. Was sie nicht hätten 
erwerben können, sei in demselben Testament bedachten Vätern von 
Kindern oder dem Fiskus zugefallen. Diese Gesetzgebung habe 300 Jahre 
bestanden, wesentliche Wirkungen aber nicht gehabt. Auch beruhe sie 
auf Voraussetzungen, an denen es bei uns fehle. 

Eine mittelbare Hilfe der Gesetzgebung gegen die geschilderten 
Missstände sei möglich durch strafrechtliche Maassnahmen gegen Prä¬ 
ventiv- und Abortivmittel. Aber man solle sich hiervon nicht zu viel 
versprechen. Zunäohst würden solche Gesetze als sogenannte Polizei¬ 
gesetze bei der parlamentarischen Beratung lebhaftem Widerstand be¬ 
gegnen; leider sei man bei uns gewohnt, die Möglichkeit einer miss¬ 
bräuchlichen Anwendung einer Polizeivorschrift stets als das grössere 
Uebel gegenüber der Verhütung von Schäden in zahlreichen anderen 
Fällen anzusehen. Einen Beleg biete das leider gescheiterte Kur¬ 
pfuschereigesetz. Dann werde es schwer halten, den Tatbestand, den 
man bestrafen wollte, genau genug und umfassend genug zu formulieren. 
Endlich falle schon nach der Natur der zu bestrafenden Handlungen 
der Beweis der Tatbestandsmerkmale im einzelnen Strafverfahren ausser¬ 
ordentlich schwer. 

Damit solle einem Vorgehen der Gesetzgebung keineswegs wider¬ 
raten werden; man solle sich nur darüber klar werden, dass man damit 
nur beschränkte Erfolge erzielen könne. 

Eine Abhilfe der von den Vorrednern geschilderten Nachteile sei 
nur von einer Aenderung der Anschauungen und Sitten zu erwarten; 
auf diese einzuwirken, sei die zu lösende Aufgabe. 

Hr. M. Chotzen: Die Auffassung des Herrn Vortragenden von der 
Gefahr, die der bisherige Geburtenrückgang in sich birgt, weicht wesent¬ 
lich ab von der, die die Wissenschaftliche Deputation in ihren Schluss¬ 
sätzen bekundete: sie hält die Abnahme der Geburtenziffer nicht für 
bedrohlich. Auch die Annahme des Herrn Vortragenden, dass wir 
uns mit Riesenschritten französischen Verhältnissen nähern, dass z. B. 
in Sachsen, wie er sagt, wir in 50 Jahren schon den jetzt in Frankreich 
bestehenden Zustand haben werden, wird von anderer maassgeblicher 
Seite nicht geteilt: Würzburger berechnet bei unveränderter Andauer 
der Geburtenabnahme in Sachsen erst in 150 Jahren einen Stillstand. 

Die willkürliche Unterbrechung der Schwangerschaft ist in Amerika, 
wo sie gesetzlich nicht verboten ist, für den Geburtenrückgang von 
immer steigenderer Bedeutung, bei uns von nur geringer. 

Geschlechtskrankheiten können nur nach zwei Richtungen für die 
vorliegende Frage ins Gewicht fallen: durch vorzeitiges Aufhören der 
Schwangerschaft oder durch Entwicklung dauernder Unfruchtbarkeit. 
Die Wissenschaftliche Deputation erklärt aber in ihren Schlusssätzen 
ausdrücklich, dass eine Abnahme der Fortpflanzungsfähigkeit beider 
Geschlechter in Preussen und Deutschland sich nicht sicher beweisen 
lässt. 

Von den zur Bekämpfung des Geburtenrückganges vorgeschlagenen 
Maassnahmen halte ich die Einführung einer allgemein unentgeltlichen 
Behandlung von geschlechtskranken Personen für überflüssig. Bei der 
zurzeit gültigen Krankenkassenversorgung und bei der Ausdehnung, die 
sie vom 1. Januar 1914 ab erreichen wird, gibt es in den breiten Volks¬ 
schichten kaum noch Menschen, die gegen persönliches Entgelt behandelt 
werden. Für die untersten Schichten und für den Mittelstand, der von 
Geschlechtskrankheiten ergriffen sein sollte, ist also bereits hinlänglich 
gesorgt; ärztliche Beratung und Heilmittellieferung steht ihnen aus- 
giebigst zur Verfügung. Ueberdies gibt es in jeder grösseren Stadt — 
und nur in diesen ist infolge des Ansteigens der Industriearbeiterschaft 
zeitweise ein Anschwellen der venerischen Erkrankungen wahrzunehmen — 
staatliche oder städtische oder private Polikliniken für Geschlechtskranke, 
die jetzt schon jeden ohne Unterschied, selbst wenn er nicht einer 
Krankenkasse angehört, unentgeltlich behandeln. 

Eine Einschränkung der absichtlichen Befruchtungsverhütung ist von 
polizeilichen Maassnahmen, die die Ankündigung von Präventivmitteln 
verhindern sollen, nicht zu erwarten. Es muss mit der Tatsache ge¬ 
rechnet werden, dass der Präventiwerkehr von breiten Schichten der 


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282 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


Bevölkerung ausgeübt wird, die nicht erst durch öffentliche Ankündigung 
der Präventivmittel dazu angeregt werden. Es sind nicht die untersten 
Schichten, die sich dazu entschlossen, etwa ungelernte Tagearbeiter, 
sondern gerade bessere, gelernte Arbeiter, untere Privatbeamte, untere 
Staatsbeamte. Sie entschlossen sich dazu nicht aus Uebermut oder 
Laune, sondern aus bitterer Not. Sie wissen, dass eine Steigerung 
ihres Einkommens nicht zu erwarten ist, dass sie mit den vorhandenen 
Mitteln eine zahlreiche Nachkommenschaft selbst im Rahmen ihrer bis¬ 
herigen bescheidenen Lebensführung nicht erhalten und zu einem Auf¬ 
wärtsschrauben vieler Kinder in eine höhere Bildungsstufe und bessere 
Erwerbsklasse es nicht bringen können. Wirtschaftliche Sorgen sind es, 
die sie zum Präventivverkehr bestimmen, und nur wirtschaftliche Maass¬ 
nahmen können — wie auch die Herren Pistor und Dilturch in der 
Wissenschaftlichen Deputation betont haben — Abhilfe schaffen. 

Durch die gesetzgebenden Körperschaften wird jenen unteren 
Schichten eine wirtschaftliche Hilfe, die die Aufziehung zahlreicher 
Kinder ermöglichen würde, kaum gewährt werden. Eine Volksvertretung, 
die bei der Beratung der Reichsversicherungsordnung die beantragte 
Wochenbettpräraie ablehnt, beweist, dass ihr das Verständnis für die 
Notwendigkeit eines Schutzes der untersten Schichten zum Zwecke der 
Hebung der Bevölkerungsziffer fehlt. 

Hr. Bondy: Gegen die Berechnung der Zahl der Fruchtabtreibungen 
durch den Herrn Vortragenden muss ein Eiuwand gemacht werden. Er 
legt derselben die bekannte Schätzung Hegar’s u. a., wonach auf 8 bis 
10 Geburten ein Abort kommt, zugrunde und berechnet danach die Zahl 
der Fruchtabtreibungen mit etwa 200 000 für Deutschland. Hier liegt 
aber augenscheinlich eine Verwechselung von Abort und Abtreibung 
vor, und wenn man auch zugeben muss, dass besonders in Grossstädten 
ein grosser Teil der Aborte krimineller Natur ist, so bleibt doch noch 
eine genügend grosse Zahl von spontanen Schwangerschaftsunter¬ 
brechungen übrig, um die angenommene Zahl von 200 000 wesentlich 
zu reduzieren. 

Hr. S. Wolffberg stellt gegenüber der von dem Vortragenden 
gegebenen Zusammenfassung der bisherigen Erörterung fest, dass er die 
künstliche Beschränkung der Geburtenzahl keineswegs bestritten habe; 
das Gegenteil sei richtig. Nur hält Redner daran fest, dass es noch nicht 
feststehe, ob man berechtigt sei, den Geburtenrückgang durch Vergleich 
mit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zu messen. Die 
hohen Geburtsziffern der siebziger Jahre beweisen keineswegs eine be¬ 
sonders hohe Fruchtbarkeit dieser Jahre. Redner wolle an dieser Stelle 
lediglich die Verhältnisse in Breslau besprechen. Für Breslau liegen 
zuverlässige statistische Feststellungen vor, die für unsere Frage wichtig 
sind. So hat beispielsweise in Breslau die Zahl der älteren Frauen 
zugenommen: im Jahre 1880 gab es 193 von 1000 Frauen, die älter 
als 45 Jahre waren, im Jahre 1910 aber 224, also 31 pM. mehr; und 
Prof. Ncefe, dessen Untersuchung diese Zahlen entnommen sind, fügt 
selbst hinzu, dass hierauf neben anderen Gründen der Rückgang der 
Geburtsziffer zurückgeführt werden kann. Geht man also in vergleichender 
Beurteilung der heutigen Geburtsziffer bis auf 1880 zurück, so spielen — 
im Gegensätze zu der gewollten Einschränkung der Kinderzahl — die 
„autonomen“ Einflüsse sicher eine gewisse, anscheinend nicht unerhebliche 
Rolle. Andererseits aber kann man in Breslau für das Ende des Jahr¬ 
hunderts und weiterhin aus statistischen Beziehungen zwischen Geburtsziffern 
und der Zahl der jungen Ehefrauen mit Wahrscheinlichkeit auf störende 
Einflüsse schliessen, welche dio Zahl der Geburten herabsetzen. Hierbei 
sei bemerkt, dass in Breslau, wie die Zahlen sicher zeigen, der Geburten¬ 
rückgang ausschliesslich die eheliche Geburtsziffer betrifft. Also auch 
die Verhältnisse in Breslau geben uns alle Veranlassung, der Geburten¬ 
verminderung unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Abgesehen von dem 
absoluten Verluste an Nachwuchs sind die üblen Nebenerscheinungen 
besonders zu beklagen, die Vergiftung der öffentlichen Sittlichkeit, die 
sich in der öffentlichen Anpreisung und Ausstellung von sogenannten 
Schutzmitteln und in der Zunahme der verbrecherischen Aborte kundgibt. 

Hr. J. Wolff gab in seinem Schlusswort zu erkennen, dass die 
Diskussion den mit ihr verfolgten Zweck erfüllt habe. Sie habe gezeigt, 
dass der Neomalthusianismus in der Tat ausserordentliche Verbreitung 
habe und in die Volkspsyche dermaassen eingedrungen sei, dass ein 
Kampf mit ihm auf ganzen Erfolg nicht rechnen könne. Das sei be¬ 
dauerlich, weil hier wirklich nationale Werte auf dem Spiele stehen. 
Insgesamt sei bei der Beurteilung der Frage der nationale und soziale 
Standpunkt zu unterscheiden. Beide Standpunkte seien hier zum Worte 
gekommen. Der Neomalthusianismus bedeute eine einseitige Ueber- 
spannung des sozialen Standpunkts auf Kosten des nationalen. 

Was die dem Referenten im einzelnen vorgelegten Fragen betreffe, 
so antwortete er dem letzten Redner, Herrn Wolffberg, dass der 
Hochstand der Ehescbliessungen und der Geburten in den siebziger 
Jahren und der darauffolgende Niedergang den Zusammenhang mit der 
wirtschaftlichen Konjunktur verraten. Eine Hochkonjunktur sei damals 
von einer Zeit tiefer wirtschaftlicher Depression abgelöst worden. 
Letztere habe den Stein des Geburtenrückgangs ins Rollen gebracht. 
Die Aeusserungen Herrn Kays er’s hätten eine politische Färbung ge¬ 
habt und müssten in dem Bilde, das sie von den Ansichten des Re¬ 
ferenten gaben, als eine Karikatur derselben bezeiohnet werden. Er 
stelle es so dar, als ob die Symptome der Rationalisierung vom Re¬ 
ferenten als Ursachen des Geburtenrückgangs bezeichnet worden seien. 
Referent habe sich aber deutlich dahin ausgesprochen, dass die Rationali¬ 


sierung und nicht die Symptome derselben die Ursachen seien. Es sei 
danach auch ganz falsch, zu meinen, dass Referent die durch die Religion 
repräsentierte Weltanschauung im wesentlichen allein die Höhe der Ge- 
burtlichkeit bestimmen lasse, in seinem Buche „Der Geburtenrückgang“ 
werde vom Referenten vielmehr einem reichlichen Dutzend Faktoren ein 
Einfluss beigemessen; wenn aber die Ziffern den Katholizismus dem 
Protestantismus bei ungefähr gleichen wirtschaftlichen Verhältnissen im 
Punkte der Geburten überlegen zeigen und etwa auch noch den Pro¬ 
testantismus gegenüber dem Atheismus, so sei der Vortragende nicht in 
der Lage, diese Ziffern zu „korrigieren“. Der entgegengesetzte Tat¬ 
bestand würde auf seine Anerkennung genau so zu rechnen gehabt 
haben wie der Vorgefundene. Im übrigen habe Referent sehr scharf 
zwischen blosser äusserlicher Religionszugehörigkeit und gläubiger An¬ 
hängerschaft unterschieden und nur letzterer eine Bedeutung bei¬ 
gemessen, womit sich fast alle der von Herrn Kayser gebrachten Ein¬ 
wände widerlegen. Was die Zukunft betrifft, so wird sie auch von 
anderen Männern für nichts weniger als gesichert angesehen. Wir be¬ 
finden uns nun einmal auf der schiefen Ebene und ein baldiges Ende 
der Abwärtsbewegung sei in hohem Grade unwahrscheinlich. Insgesamt 
habe die Diskussion aber weiteren Kreisen einen teilweise überraschen¬ 
den Einblick in die Situation eröffnet unter Bestätigung der Annahmen, 
von deneu der Referent ausgegangen sei, so dass er sich den Diskussions¬ 
teilnehmern zu Dank verpflichtet fühle. 

Sitzung der medizinischen Sektion vom 22. November 1912. 

Vorsitzender: Herr Rosen fei d. 

Schriftführer: Herr Röhmann. 

Vor der Tagesordnung. 

Hr. Somner: 

Ueber das Ehrmanrsche Froschaugenphäiomen in Blutserum bei 
Psoriasis. 

(Ist in Nr. 2 dieser Wochenschrift bereits abgedruckt.) 

Tagesordnung. 

1. Die Wahlen für die Präsidialdelegierten werden durch Akkla¬ 
mation vollzogen, alle früheren Delegierten werden wiedergewählt; es 
sind die Herren Küttner, Neisser, Partsch, Tietze, Uhthoff. 

2. Diskussion zum Vortrage des Herrn Rosenfeld: Ueber fleischlose 
Ernährung. 

Hr. Rosenfeld (Schlusswort). (Schon in der Sitzung vom 1.November 
wiedergegeben.) 

3. Hr. Tietze: Ueber llens. 

(Ist in Nr. 53 [1912] dieser Wochenschrift bereits abgedruckt.) 


Yerein der Aerzte Wiesbadens. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 18. Dezember 1912. 

Vorsitzender: Herr R. Schütz. 

Hr. Christ stellt einen Fall vor, welcher verschiedene, bis jetzt 
ganz selten beschriebene angeborene Abnormitäten aufweist, ausserdem 
aber auch einige an sich oder in ihrem Zusammentreffen mit den 
anderen vorhandenen Hemmungsbildungen als Nova zu bezeichnende 
pathologische Verhältnisse zeigt. 

Es handelt sich um einen 13 1 /* jährigen Jungen, welcher unzweifel¬ 
haft bei seiner Geburt kongenitale Lues hatte und bei welchem die 
Schweissdrüsen gänzlich fehlten, desgleichen die Haarkeimanlage 
völlig fehlte, mit Ausnahme des Trigeminusgebietes; ausserdem besass er 
sowohl im Milchgebiss als im bleibenden nur für die beiden mittleren 
oberen Incisivi keilförmig zugegespitzte Zähne, während im übrigen 
sämtliche Zahnkeime (Röntgenbild) nicht angelegt sind. 

Die Wassermann’sche Serumuntersuchung ergab negatives Resultat, 
ebenso wie eine zwei Jahre vorher vorgenommene. 

Da sowohl bei einem verstorbenen Brüderchen sowie in einer weiblichen 
Seitenlinie bei einem Knaben dieselbe Anomalie vorlag, so scheidet die 
Lues als Ursache aus; es liegt ein familiäres Auftreten der Hemmungs¬ 
bildung mit deutlicher Korrelation zum männlichen Geschlecht vor. 

Neu war das deutlich nachweisbare vicariierende Auftreten von 
Pigment für Haarbildung an zwei symmetrischen Stellen innerhalb des 
Trigeminusgebietes und ausserdem das gleichzeitige Vorhandensein von 
Xeroderma pigmentosum congenitale in der Augengegend. Eine dabei 
vorhandene Ozaena lässt mit Rücksicht auf das mehrfache Vorkommen 
der Ozaena in den bisher beschriebenen Fällen von gleichzeitigem Fehlen 
der Schweissdrüsen, Haar- und Zahnkeime den Vortragenden zu dem 
Schluss kommen, dass die Ozaena als eine auf kongenitaler Anlage be¬ 
ruhende Neigung zu einer Umwandlung des Flimmerepithels in Platten¬ 
epithel aufzufassen sei. 

Christ führt ausserdem den Nachweis, dass unter Berücksichtigung 
der komplementären Ausfallserscheinungen bei den ektodermalen Hem¬ 
mungsbildungen die Pigmentbildung der Haut als physiologisch gleich¬ 
wertig mit der Bildung der anderen Epithelialprodukte zu betrachten sei. 

(Der Vortrag soll anderweit veröffentlicht werden.) 

Diskussion. 

Hr. Blumenfeld: Eine vor der Sitzung vorgenommene Uuter- 


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10. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


283 


sucbuog ergab, dass typische Ozaena vorhanden ist, die Schleimhaut des 
Rachens und Kehlkopfs ist atrophisch. 

Hr. Vogt weist darauf hin, dass Störungen wie die vom Vortr. er¬ 
wähnten, dass der feinere Bau der Missbildungen überhaupt sehr häufig 
einen Fingerzeig dafür geben, zu welcher Zeit eine Entwicklungsstörung 
eingesetzt hat. Da sich vom äusseren Keimblatt zuerst das Central¬ 
nervensystem abspaltet, und da erst später die sekundären Hautprodukte 
angelegt werden, so muss die Störung notwendigerweise in diese Zeit 
fallen. Auch am Centralnervensystem sieht man sehr häufig, dass 
scheinbar unentwirrbare Verhältnisse auf diese Weise eine Klärung finden. 

Hr. Dünschmann: Aus dem Schweigen des Herrn Vortragenden 
über pathologisch-anatomische Befunde bei der interessanten Hem¬ 
mungsbildung, die wir heute zu sehen Gelegenheit haben, darf wohl 
geschlossen werden, dass diesbezügliche Beobachtungen bisher nicht vor¬ 
liegen. Es wäre wohl wünschenswert, dass bei künftigen Nekropsien 
derartiger Fälle ein besonderes Augenmerk auf diejenigen Organe ge¬ 
richtet würde, bei denen wir, nach dem heutigen Stande unserer Kennt¬ 
nisse, zufolge dem Gesetze von der Korrelation der Teile, eine korrelative 
sei es Hypoplasie, sei es andersartige Abweichung von der Norm er¬ 
warten oder für möglich halten dürfen. Dies sind zunächst die Neben¬ 
nieren, deren Beziehungen zum Hautorgane durch die Befunde, z. B. bei 
Addison’scher Krankheit erwiesen sind; sodann die Schilddrüse, bei der 
ein Gleiches durch das Myxödem dargetan ist; endlich die Hypophyse, 
deren Zusammenhang mit der Hauteroährung sich aus den pathologisch¬ 
anatomischen Befunden bei Akromegalie ergibt. Da es sich bei der 
Korrelation dieser sogenannten endokrinen Drüsen mit der Haut¬ 
ernährung nicht lediglich nur um humorale Einflüsse, sondern viel¬ 
mehr ausserdem namentlich um solche trophische Einwirkungen 
handeln dürfte, bei denen das sympathische Nervensystem das ver¬ 
mittelnde Band darstelit, eine Auffassung, die bei der Nebenniere, so¬ 
weit sie den wesentlichsten Teil des chromaffinen Systems ausmacht, 
wohl allgemein anerkannt ist, so würde man bei der Autopsie derartiger 
Fälle namentlich auf die Entwicklung des Sympathicus und die Ver¬ 
teilung des mit ihm zusammenhängenden chromaffinen Systems achten 
müssen. Der Herr Vortragende hat in seinen interessanten Ausführungen 
diese Auffassung bereits gestreift, indem er im vorliegenden Falle auf 
die Beziehungen der Hypoplasie der Hautanhangsgebilde zum Trigeminus 
binwies. Unter allen Rirnnerven sind bekanntlich dem Trigeminus die 
zahlreichsten trophischen Fasern beigemischt, deren ausschliessliche 
Abstammung aus dem Halssympathicus wohl nicht mehr bezweifelt 
werden dürfte. Die Untersuchung des Sympathicus und der eventuellen 
Abweichung in der Entwicklung und Verteilung des in ihn sozusagen 
eingestreuten chromaffinen Systems, dessen Korrelation zur Haut und 
den HautanhaDgsgebilden uns in dem vorliegenden Fall wohl am 
meisten interessieren dürfte, scheint freilich zur Zeit noch auf grosse 
Schwierigkeiten zu stossen, während diejenige der anderen genannten 
Drüsen mit innerer Sekretion nicht besonders schwer sein kann, wenn 
man von vornherein ein besonderes Augenmerk darauf richtet. 

Hr. Herxheim er: Wenn auch die Bedeutung der Drüsen mit 
innerer Sekretion im extrauterinen Leben, soweit es sich um reale be¬ 
wiesene Verhältnisse — was bei einem grossen Teile der Annahmen 
nicht der Fall ist —- handelt, sicherlich nicht zu unterschätzen ist, so 
glaube ioh doch, dass der eben angeregte Gedankengang uns nicht 
weiter brächte. Ueber die Korrelationen der einzelnen Organe (ins¬ 
besondere der Drüsen mit innerer Sekretion) untereinander, soweit die 
intrauterine Entwicklung in Betracht kommt, ist uns so gut wie nichts 
Positives bekannt. Eine Autopsie ist auch noch in keinem der Fälle, 
um welche es sich bei der Vorstellung des Herrn Vortragenden handelt, 
vorgenommen worden. Es liegt hier sicher eine entwicklungsgeschicht¬ 
liche Missbildung im Sinne einer Hemmungsbiidung vor. 

Ich habe Gelegenheit gehabt, durch die Güte des Herrn Christ 
Schnitte des exzidierten Hautstückchens herzustellen und zu unter¬ 
suchen. Die Schweissdrüsen fehlen hier, und dem klinischen Bilde 
nach ebenso am ganzen übrigen Körper, vollständig. In der Gegend, 
wo die Exzision vorgenommen wurde, findet sich auch keinerlei An¬ 
deutung eines Haares oder Haarfollikels oder von Talgdrüsen. Auch 
die Arrectores pilorum fehlen vollständig, und es lässt dieser letztere 
Pankt eine in verschiedener Hinsicht interessante Deutung zu. Die 
Papillen sind unternormal entwickelt, ebenso die feinen in die Papillen 
hineinführenden Capillaren. Auch die elastischen Fasern, speziell das 
feine Netz, dicht unterhalb der Palissadenzellen ist, soweit ich dies 
mit normaler Haut derselben Stelle und desselben Alters bisher ver¬ 
gleichen konnte, unterentwickelt. Zusammengenommen mit der Zahn¬ 
anomalie liegt hier sicher eine Hemmungsbildung des Ektoderms 
aber nur in besonderer Richtung -7 die Entwicklung der Palissaden¬ 
zellen zu Stachelzellen, die Verhornung usw., also überhaupt die 
Epidermis selbst, entspricht durchaus der Norm — vor, deren 
teratogenetiscbe Terminationsperiode ich ebenso wie Herr Vogt für eine 
relativ späte halten möchte. 

Hr. Christ: Schlusswort. 

K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. 

Sitzung vom 20. Dezember 1912. 

(Eigener Bericht.) 

demonstrierte ein Kind mit Hirsehsprnng’seher 
den ersten Lebenswochen eine vollständig normale 


Hr. Salzer 
KraaUeit. 

Es hatte in 


Stuhlentleerung, allmählich bildete sich eine hartnäckige Obstipation 
aus, so dass Stuhl nur auf Klysma oder Abführmittel erfolgte. Seit vier 
Tagen hatten sich bedrohliche Erscheinungen eingestellt, es bestand 
vollständige Verhaltung von Stuhl und Winden. Jn der Narkose wurden 
aus dem Rectum Kotballen entfernt, der Zustand ist aber weiter unver¬ 
ändert geblieben, das Abdomen ist kolossal aufgetrieben. Vielleicht ist 
noch von einer chirurgischen Therapie eine Besserung zu erwarten, die 
Aussichten sind aber nicht günstig. 

Hr. Demmer beschrieb einen Apparat für tiefe Inhalationen mit 
welchem er seit zwei Jahren Versuche anstellt. 

Er besteht aus einem Vernebelungsrezipienten, es strömt Sauerstoff 
durch einen schmalen Spalt nach oben in Form eines Kegelmantels aus, 
der Gasstrom reisst Flüssigkeit mit sich und zerstäubt sie äusserst fein, 
der Wasserdampf kann mit einem Medikament imprägniert werden, z. B. 
mit Adrenalin. Die Versuche ergaben, dass durch Inhalation mit 
adrenalinhaltiger Flüssigkeit akute katarrhalische Erkrankungen inner¬ 
halb eines Tages zum Verschwinden gebracht werden können. Bei ent¬ 
zündlichen infiltrierenden Prozessen erfolgt die Heilung in 2 bis 3 Tagen. 
Die Wirkung beruht auf dem Sauerstoff, auf der äusserst feinen Zer¬ 
stäubung der Flüssigkeit, welche bis in die feinsten Bronchien eindringt, 
und auf dem Zusatz von Adrenalin zum Spray, welches die Bronchial¬ 
schleimhaut anämisch macht. Die Inhalation wird dreimal 3 Minuten in 
einer halben Stunde vorgenommen. Das Fieber fällt ab, die Geräusche 
verschwinden, und der objektive Befund wird normal. Vortr. demon¬ 
striert Kurven von Bronchitiden und Pneumonien, welche mittelst In¬ 
halation behandelt wurden. Bei einer traumatischen Bronchitis (Rippen¬ 
fraktur und Hämatothorax) wurde unter dem Einfluss der Inhalationen 
die Temperatur am dritten Tage normal. Dasselbe war der Fall bei 
einer Bronchitis, die infolge der Inaktivität der Lunge wegen Schmerzen 
nach Gastrotomie eingetreten war; die schwere Dyspnoe wurde behoben, 
und der hohe Puls wurde normal. Ein gutes Resultat hatte die Me¬ 
thode auch in einem Falle von diffuser Bronchitis und Unterlappenpneu¬ 
monie nach Narkose, ferner bei Aspirationspneumonie. 

Hr. Koffer demonstrierte zwei Kinder, bei welchen Fremdkörper 
ans dem Bronchus entfernt wurden. 

Ein IV 2 jähriges Mädchen hatte eine Bohne aspiriert und bekam 
darauf Husten und Aterabeschwerden. Da die Einführung des Kilian- 
schen Rohres nicht gelang, so musste das Kind tracheotomiert werden, 
worauf die Asphyxie verschwand. Die Bronchoskopie ergab jetzt, dass 
die Bohne im rechten Hauptbronchus eingekeilt war; sie wurde mittelst 
einer Pinzette entfernt. Die bessere Atmung nach der Tracheotomie 
wäre vielleicht dadurch zu erklären, dass die Luft jetzt einen kürzeren 
Weg zur Lunge zurückzulegen hat, oder vielleicht, dass die Passage 
durch die Stimmritze ausgeschaltet ist, welche reflektorisch auf die An¬ 
wesenheit des Fremdkörpers reagiert. 

Der zweite Fall betraf einen 4 jährigen Knaben, welcher eine Glas¬ 
perle aspiriert hatte. Er hatte wohl Husten, aber keine Atemnot. Die 
Perle sass im rechten Bronchus und wurde mittelst einer gebogenen 
Sonde herausgezogen. 

Hr. Albrecht demonstrierte das Lymphocavernom der Mamma, 
welche durch Operation der in der vorhergehenden Sitzung vorgestellten 
Patientin gewonnen wurde. 

Hr. Finsterer zeigte ein durch Operation gewonnenes Präparat von 
Darmverklebnng nach Hernienoperation. 

Eine 70 jährige Frau wurde wegen incarcerierter Hernie operiert, 
der eingeklemmte Darm war lebensfähig. Der Verlauf nach der Operation 
war einen Tag gut, dann aber trat fäkulentes Erbrechen auf, und eine 
Stuhlentleerung konnte nicht mehr erzielt werden. Es wurde die 
Laparotomie ausgeführt, bei welcher die Bruohpforte frei gefunden wurde. 
Es war jedoch mit der eingeklemmt gewesenen Schlinge ein benachbartes 
Darmstück durch Adhäsionen verklebt und abgeknickt. Die Darm¬ 
schlinge wurde reseziert und eine seitliche Anastomose angelegt. Seither 
ist Pat. gesund. 

Hr. Ullmami: 

Zar Parasitotropie nid Toxizität des Salvarsans. (Schluss.) 

Vortr. hat nacbgewiesen, dass das Salvarsan parasitotrope Eigen¬ 
schaften hat, welche auf einen biochemischen Vorgang zwischen den 
Spirochäten und den Arsenresten des Salvarsans beruhen. Wenn man 
Tiere mit Spirillen infiziert, das mit Spirillen beladene Blut derselben 
in die Bauchhöhle eines gesunden Tieres einspritzt und diesem Salvarsan 
injiziert, so werden die Parasiten agglutiniert und sterben ab. Bei Pro¬ 
zessen, welche durch andere Erreger als durch Spirillen hervorgerufen 
werden (Eiterungen, Sporotrichose, Ulcus venereum, Tuberkulose) findet 
keine Aenderung der Mikroben durch das Salvarsan statt. Infiltrate 
einer anderen als einer luetischen Provenienz werden durch Salvarsan 
nicht beeinflusst. Vortr. hat auch die Schädigungen studiert, welche 
durch das Salvarsan hervorgerufen werden. Sie ergaben, dass Tiere viel 
höhere Dosen von Salvarsan vertragen als Menschen, dass es aber auch 
bei diesen Ausnahmen von der Toleranz gibt wie auch bei Menschen. 
Intoleranzerscheinungen sind Spätexantheme, Polyneuritis, Zustände von 
Gastricismus, Schwäche, leichter Icterus, Diarrhöe, sogar Icterus gravis; 
es sind auch Fälle bekannt, in denen der Tod an akuter gelber Leber¬ 
atrophie erfolgte. Die Neurorecidive am Opticus, Acusticus und Facialis 
stehen im Zusammenhänge mit der Lues, da sie durch vorsichtige anti¬ 
luetische Behandlung beseitigt werden können. Es ist fraglich, ob das 
Arsen dabei eine Rolle spielt. Zu den Neurorecidiven sind wohl auch 
Gehirnerscheinungen zu rechnen, unter ihnen Encephalitis haemorrhagica. 


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UNIVERSUM OF IOWA 





284 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


Manchmal findet man auch Krämpfe, Nackensteifigkeit und Blasen¬ 
beschwerden. Die vom Vortr. beobachteten unangenehmen Folgen nach 
Salvarsaninjektionen bestanden nur in vorübergehendem Gastricismus 
und Exanthem. Die nach intravenöser Injektion manohmal eintretenden 
Erscheinungen, welche auf eine Reizung der Vasomotoren, des Rücken¬ 
marks und der Medulla hinweisen (Parästhesien, Kopfschmerz, Tempe¬ 
ratursteigerung, Polyurie, Herpes zoster usw.) sind nicht auf Arsen¬ 
vergiftung zurückzuführen. Eine rasche Abspaltung einer erheblichen 
Menge Arsens aus dem Arsenobenzol ist nicht wahrscheinlich, da die 
grösste Menge mit dem Harn ausgeschieden wird. Nach den Tier¬ 
versuchen det Vortr. zeigt das Salvarsan keine Organotropie. Vielleicht 
spielt das Benzol bei der Salvarsanwirkung eine Rolle. Die Unter¬ 
suchung des Auges der mit Salvarsan behandelten Tiere ergab, dass 
der Opticus und die Retina in bemerkenswerter Weise Arsen speicherten; 
es ist daher unmöglich, dass bei einer unvorsichtigen Behandlung mit 
grossen Dosen der Opticus geschädigt werden kann. Das Salvarsan hat 
eine neurotrope Wirkung bezüglich der peripheren Sinnesnerven, viel¬ 
leicht haben auch sonstige periphere Nerven eine erhöhte Affinität für 
das Arsen. H. 


Carl Binz f. 

Am 11. Januar ist der Geh. Med.-Rat und emeritierte Ordinarius 
der Pharmakologie Dr. Carl Binz im 81. Lebensjahre nach lange 
dauernder Krankheit gestorben. Damit ist der älteste Vertreter und 
einer der Mitbegründer der modernen Pharmakologie dahingeschieden. 

Der grösste Teil seines Lebens, seine ganze akademische Laufbahn 
hat sich in Bonn abgespielt. Ein Sohn der Rheinlande, geboren am 
1 . Juli 1832 in dem an der Mosel gelegenen Bernkastel, kam er, nach¬ 
dem er die ersten Semester in Würzburg studiert hatte, nach Bonn, 
um seine medizinischen Studien fortzusetzen und im Jahre 1855 zum 
Doktor promoviert zu werden. 

Er wandte sich anfangs der praktischen Medizin zu, erst als Assistent 
der Bonner medizinischen Klinik, später, bis 1861, als Arzt der deutschen 
Kolonie in Neapel Nachdem er hierauf in Berlin in den Vorlesungen 
und Kliniken von Virchow, Frerichs und Henoch sich weiter aus¬ 
gebildet hatte, kehrte er nach Bonn zurück, um sich im November 1862 
als Privatdozent für innere Medizin und „Materia medica“ zu habilitieren. 
Im Jahre 1868 wurde er Extraordinarius, 1873 Ordinarius, und er ist, 
trotzdem zweimal Berufungen an andere Universitäten an ihn herantraten, 
der rheinischen Alma mater bis zu seinem Tode treu geblieben. Erst ein 
paar Monate sind verstrichen, seitdem er, bald nach Vollendung des 
80. Lebensjahres, auf eine 50 jährige Dozentenlaufbahn zurückblicken 
konnte. 

Während dieser langen Zeit hat er eine sehr erfolgreiche Tätigkeit 
als Forscher und Lehrer entfaltet. 

Der Umstand, dass Binz anfänglich mehrere Jahre als Arzt am 
Krankenbett tätig gewesen, kam seiner späteren Tätigkeit, besonders als 
akademischer Lehrer, sehr zugute. Er blieb dadurch andauernd in 
Fühlung mit den Bedürfnissen der Praxis, die er durch viele seiner 
Arbeiten zu fördern suchte, und war immer bestrebt, der Tatsache 
gerecht zu werden, dass seine Zuhörer nicht zu Pharmakologen, sondern 
zu praktischen Aerzten herangebildet werden, also ausser den theoretischen 
Ergebnissen der pharmakologischen Forschung besonders auch die Grund¬ 
sätze für die praktische Anwendung der Arzneimittel kennen lernen sollten. 

Sein Lehrtalent prägte sich nicht nur in seinem Unterricht selbst 
aus, den er durch Vorführung vieler Experimente möglichst anschaulich 
zu gestalten suchte und der auf seine Zuhörer überaus anregend wirkte, 
sondern auch in seinen beiden grösseren Einzelwerken: „Vorlesungen 
über Pharmakologie“ und „Grundzüge der Arzneimittellehre“. 

In dem erstgenannten Werke (2. Aufl. 1890) verfolgte er den Zweck, 
abgerundete* und möglichst demonstrative Bilder des pharmakologischen 
Wissens zu geben. Er hat das erreicht durch ansprechende, vielfach mit 
historischen Rückblicken und mit interessanten kasuistischen Mitteilungen 
verflochtene Schilderungen der Wirkungsweise und Anwendung der ein¬ 
zelnen Pharmaca und durch die Beschreibung höchst instruktiver, zur 
Demonstration sehr geeigneter Vorlesungsversuche. Die „Grundzüge der 
Arzneimittellehre“ erschienen zuerst im Jahre 1866 und haben 14 Auf¬ 
lagen sowie die Uebersetzung in 7 fremde Sprachen erlebt, so dass ausser 
durch seine Forschungen auch hierdurch der Name von Binz in der 
ganzen medizinischen Welt bekannt wurde. 

Was seine Forschertätigkeit betrifft, so war dieselbe zu der Zeit, 
als Binz seine akademische Laufbahn begann, mit ungleich grösseren 
Schwierigkeiten verbunden, als das heutzutage der Fall ist. Denn die 
Pharmakologie fing erst an, eine wirkliche Wissenschaft zu werden, und 
pharmakologische Institute gab es damals, wenn man von Dorpat ab¬ 
siebt, bei uns überhaupt nicht. 

Wie die Verhältnisse vor 50 Jahren hier und wohl auch an den 
anderen Hochschulen lagen, davon macht man sich heutzutage nur schwer 
einen Begriff. Binz hat darüber in der Eröffnungsrede seines neuen 
Institutes im Jahre 1890 höchst drastische Mitteilungen gemacht. 

Freilich bestand seit Gründung der Universität (1818) ein Ordinariat 
der Pharmakologie. Es war auch ein sogenannter „pharmakologischer 
Apparat“ vorhanden, mit einem Etat von 50 Talern. Dieser pharma¬ 
kologische Apparat bestand aus einer Sammlung von pharmaceutischen 
Präparaten und einigen Büchern und war in einem Hörsaal des Uni¬ 
versitätsgebäudes untergebracht, in dem ausser pharmakologischen 


auch theologische, juristische und philosophische Vorlesungen gehalten 
wurden. 

Das mochte bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts gegangen sein, 
wo die Tätigkeit des Pharmakologen nur darin bestand, in referierenden 
Vorlesungen die ärztlichen Erfahrungen über die Anwendung der ein¬ 
zelnen Medikamente, eventuell unter Vorzeigung der betreffenden Prä¬ 
parate, vorzutragen. 

Als aber die Pharmakologie begann, sich zu einer wirklichen Wissen¬ 
schaft zu entwickeln, als das Experiment als wichtigstes Mittel zur Er¬ 
forschung der Arzneiwirkung an die Seite der klinischen Erfahrung trat, 
da war ein Wandel unbedingt notwendig. 

Binz, der (selbst Autodidakt auf experimentellem Gebiete) zu den 
Männern gehörte, die durch ihre experimentelle Tätigkeit zur Schaffung 
der modernen Pharmakologie das Fundament legten, erkannte von 
vornherein die absolute Unzulänglichkeit der damaligen Verhältnisse und 
die Notwendigkeit, Arbeitsräume zu experimenteller Forschung und 
Demonstration zu schaffen. 

Nachdem ihm 1867 als Nachfolger von Albers die Leitung des 
pharmakologischen Apparates übertragen worden war, gelang es ihm 1869, 
die Begründung eines wirklichen pharmakologischen Instituts an der 
hiesigen Universität, des zweiten in Deutschland (das erste war 1867 in 
Marburg errichtet worden) durchzusetzen, und er hat sich auch dadurch 
ein bleibendes Verdienst erworben. Das Institut war anfangs allerdings 
noch in durchaus unzureichenden Räumen untergebracht. Nach lang¬ 
dauernden barten Kämpfen erreichte er es, dass das Institut verlegt 
wurde, zuerst 1876 in den ehemaligen Convictsflügel des Universitäts¬ 
gebäudes und schliesslich 1890 in das jetzige Gebäude, das früher das 
pathologisch-anatomische Institut beherbergt hatte. 

Bis zum Jahre 1908, wo er sich vom Lehramte zurückzog, hat das 
von ihm begründete Institut seiner Leitung unterstanden. Hier bat der 
Verstorbene in unermüdlichem Schaffen vielseitige Gebiete der Heil¬ 
mittel- und Giftlehre bearbeitet, teils allein, teils mit zahlreichen 
Schülern, denen er auch ebenso wie anderen Gelehrten die Möglichkeit 
zu eigenen experimentellen Arbeiten in grösster Liberalität darbot 

loh erwähne die Namen Schulz, Bod länder, Ungar, v.Noorden, 
Geppert. v. Behring, Dreser, Wendelstadt, A. Peters, A.Binz, 
Laar, Bachem. In einem, ihm gelegentlich seines 50jährigen Doktor¬ 
jubiläums 1905 gewidmeten Festbande der Arch. internst, de Pharmaco- 
dynamie et de Thörapie sind die Titel von gegen 300 Arbeiten zu¬ 
sammengestellt, die aus seinem Institut hervorgegangen sind. 

Was seine eigenen Arbeiten betrifft, so war es zunächst die Chinin¬ 
wirkung, deren Erforschung ihn viele Jahre intensiv beschäftigte. Er 
wies nach, dass Chinin ein Protoplasmagift ist und noch in starken Ver¬ 
dünnungen ab tötend auf Protozoen ein wirkt. Hierauf fussend, stellte er 
1867 die Hypothese auf, dass auch die Heilwirkung des Chinins bei 
Malaria auf einen analogen Vorgang zurückzuführen sei, und sprach des¬ 
halb die Ansicht aus, dass die Malaria durch die Invasion kleiner tierischer 
Parasiten hervorgerüfen werde. Er hatte dann die Freude, dass diese 
Annahme durch die glänzenden Untersuchungen von Laveran 1882 
als tatsächlich zu Recht bestehend erwiesen wurde. 

Gross ist auch die Zahl seiner Arbeiten über den Alkohol. Er 
zeigte, dass derselbe fast vollständig im Körper verbrannt wird und 
dabei Eiweiss, Fett und Kohlehydrate spart Er nannte ihn deshalb ein 
„respiratorisches Nährmittel“ und trat für seine therapeutische Anwendung 
bei fieberhaften Krankheiten ein. 

Sein in zahlreichen Arbeiten geführter Nachweis, dass Atropin und 
Morphin in mancher Beziehung antagonistisch wirken, war von praktischer 
Bedeutung für die Bekämpfung der Vergiftungen durch diese beiden 
Alkaloide. 

Von seinen vielen sonstigen Arbeiten erwähne ich die Untersuchungen 
über Campher und ätherische Oele, über Jodide, Coffein, Amylnitrit, 
Narcotica, Salicylsäure, Arsenverbindungen, Halogene usw. Auch durch 
diese Arbeiten hat er wichtige Tatsachen über die Wirkungsweise der 
Heilmittel und Gifte erschlossen und zur Förderung der experimentellen 
Pharmakologie wesentlich beigetragen. 

Seit 1879 war er Mitglied der ständigen Kommission zur Bearbeitung 
des deutschen Arzneibuches und bat auch dadurch auf die Entwicklung 
der Arzneimittellehre günstig eingewirkt. Im Jahre 1900 wurde er zum 
Mitglied des neubegründeten Reichsgesundheitsrates ernannt. 

Die literarische Tätigkeit von Binz beschränkte sich aber nicht auf 
die Pharmakologie. Besonders fühlte er sich hingezogen zur Geschichte 
der Medizin. Die Ergebnisse seiner diesbezüglichen Studien hat er in zahl¬ 
reichen Publikationen niedergelegt. Ich erwähne seine Arbeiten über 
die Einschleppung der Syphilis in Europa, über die Seekrankheit, über 
die Genfer Konvention. Ferner seine Monographien über den Traum 
(Bonn 1870, A. Markus) und wider den Hexen wahn (1888), sowie seine 
biographischen Veröffentlichungen über den Clever Leibarzt Joh. Weyer 
(2. Aufl., Berlin 1896), den tapferen Bekämpfer des Hexenwahns, über 
seinen Landsmann Nie. Cusanus und über A. Lerchheimer. Im 
Alter von 70 Jahren veröffentlichte er über „Heinrich Heine als Patriot“ 
einen kleinen Aufsatz („Deutsche Stimmen“, 1902, Nr. 19), in dem er 
mit förmlich jugendlicher Begeisterung die Angriffe auf die deutsche 
Vaterlandsliebe des vielgeschmähten Dichters zurückwies. 

In diesen seinen historischen Schriften prägt sich auch für den 
Fernstehenden in besonders ausgesprochener Weise das hohe Rechtlich¬ 
keitsgefühl und das Streben nach Erforschung der Wahrheit aus, das 
den Verstorbenen bei allen seinen Arbeiten beseelte. Die ihm Näher-, 
stehenden, speziell seine Schüler, empfanden das in noch höherem Maasse. 


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10. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Auf sie übte die ganze, durob grosse Liebenswürdigkeit und vornehme 
Gesinnung ausgezeichnete Persönlichkeit von Binz einen bezwingenden 
Reiz aus. 

So ist es denn verständlich, dass dem Verstorbenen nicht nur die 
höchsten Ehren zuteil wurden, die ein Universitätsprofessor erlangen 
kann, sondern dass ihm auch von allen Seiten die Zeichen höchster 
Verehrung dargebraoht wurden, und dass die Tausende von Aerzten, die 
als Studenten zu seinen Füssen gesessen, ihm in Dankbarkeit und 
wahrer Zuneigung für das Leben zugetan geblieben sind. 

H. Leo-Bonn. 


Ueber die Notwendigkeit der besseren Aus¬ 
bildung der deutschen Studierenden in Haut- 
und Geschlechtskrankheiten. 

Von 

Prof. Dr. Erich Hoffmann, 

Direktor der Hautklinik an der Universität Bonn. 

Die Frage, ob die gegenwärtig in Deutschland vorgeschriebene Aus¬ 
bildung der deutschen Studierenden in Haut- und Geschlechtskrankheiten 
ausreichend ist und der Bedeutung dieser Fächer für die Praxis und 
Volkswohlfahrt entspricht, hat schon mehrfach die Dermatologen ein¬ 
gehend beschäftigt; zuletzt haben im Juli 1909 alle Vertreter dieser 
Disziplin an deutschen Universitäten in einer Eingabe an den Reichs¬ 
kanzler auf die Notwendigkeit einer wirklichen Fachprüfung 
biogewiesen und um die Gleichstellung der Dermatologie mit der längst 
voll anerkannten Ophthalmologie nachgesucht. Der Umstand, dass 
gerade jetzt die Schweiz, dem Beispiel der meisten europäischen 
Länder folgend, ein der' modernen Entwicklung der Dermatologie ent¬ 
sprechendes Reglement für die ärztlichen Prüfungen ausgegeben hat, 
macht es zur Pflicht, diese für die Volksgesundheit wichtige Frage von 
neuem zu erörtern und einen Vergleich mit den Bestimmungen anderer 
europäischer Staaten anzustellen, um so mehr, als gerade jetzt wieder 
Erwägungen über die Umgestaltung des nicht bewährten praktischen 
Jahres schweben, die vielleicht Anlass zu einer AenderuDg der Prüfungs¬ 
ordnung geben können. 

Gewiss darf die vorliegende Frage nicht einseitig und rein vom 
spezialistischen Standpunkte aus betrachtet werden, sondern es muss 
nacbgewiesen werden, dass die Dermatologie auch für die allgemeine 
Praxis erhebliche Bedeutung besitzt und Krankheiten umfasst, deren Er¬ 
kennung und saobgemässe Behandlung für die Erhaltung der Volks¬ 
gesundheit besonders wichtig ist, und ob zutreffenden Falles die jetzt 
gültige Prüfungsordnung diesen Umständen Rechnung trägt. 

Die grosse Bedeutung der Dermatologie für die allgemeine Praxis 
kann heute kein Sachverständiger mehr leugnen; umfasst sie doch nicht 
nur die ungeheure Zahl mannigfachster und zum Teil sehr häufig vor¬ 
kommender Hautkrankheiten, verschiedene Harnleiden und 
Störungen der Geschlechtsfunktion, sondern auch die Strahlen- 
therapie (Licht-, Röntgen- und Radiumbehandlung) und vor allem die 
ausserordentlich verbreiteten Geschlechtskrankheiten, die bei Ver¬ 
kennung und unzureichender Behandlung die schwersten Folgen nach 
sich ziehen. Es entspricht daher nicht den tatsächlichen Verhältnissen, 
wenn die ärztliche Prüfungsordnung die Dermatologie zum Spezialfach 
stempelt, die Augenheilkunde aber nicht so bezeichnet; eher ist 
das Gegenteil richtig: Ophthalmologie und Otorhinologie sind 
wirkliche Spezialfächer, sie handeln nur von den Krankheiten der 
betreffenden Organe und erfordern zur Diagnose und Therapie vielfach 
besondere schwierige spezialistische Methoden, die der praktische Arzt 
nicht leicht beherrschen kann; die Dermatologie aber umfasst neben den 
zum Teil sehr verbreiteten Hautleiden mehrere allgemeine In¬ 
fektionskrankheiten von grösster Bedeutung (Syphilis, Gonor¬ 
rhöe, Lepra, Pocken), und einfache jedem Praktiker zugängliche 
Methoden genügen im allgemeinen zu ihrer Erkennung und Behandlung. 
Nirgends kann ferner der Studierende eine so unmittelbare Anschauung 
von den wichtigsten allgemein-pathologischen Vorgängen erhalten wie im 
dermatologischen Unterricht; alle Formen akuter und chronischer Ent¬ 
zündung, der Gewebszerstörung vom kleinsten Geschwür bis zum 
schwersten Brand, alle Arten von gutartigen und bösartigen Neu¬ 
bildungen kann er hier am Lebenden verfolgen und sich einprägen. 
Hier wird sein Auge am besten in der Beobachtung krankhafter Pro¬ 
zesse geübt, so dass ihm später auch die Erkennung der exanthemati- 
schen Krankheiten (Masern, Scharlach, Pocken, Windpocken) keine 
Schwierigkeit bereitet. 

Dazu kommt, dass auf diesem Gebiete mehrere glückliche 
und wichtige Entdeckungen gemacht worden sind, die besonders 
die frühzeitige Erkennung und wirksame Bekämpfung der Geschlechts¬ 
krankheiten in ganz anderer Weise wie früher ermöglichen, und die uns 
andererseits darüber aufgeklärt haben, wie sehr verbreitet diese Seuchen 
sind, und wie sie, oft schleichend und fast unmerklich beginnend, am 
Marke der Volkskraft zehren. Wie der ungemein häufige Tripper die 
Arbeitsleistung des Volkes vermindert, Frauen oft Monate und Jahre 
siech und bettlägerig macht, die Geburtenzahl durch Erkrankung der 
Zfeugungsorg&ne stark herabsetzt, Blindheit und Versteifung der Gelenke 
nach sich ziehen kann, ist nun allgemein bekannt. Noch grösser aber 


sind die Gefahren der Syphilis, vor deren verhängnisvollen Wirkungen 
kein Organ des Körpers sicher ist, und die selbst die Frucht im Mutter¬ 
leibe nicht verschont. Zahllos sind die Opfer, die sie heute immer noch 
in der Blüte der Jahre dahinrafft; neben Leber-, Nieren-, Herz- und 
Gefässkrankheiten sind besonders die Hirn- und Nervensyphilis, die 
Rückenmarksschwindsuoht und Gehirnerweichung ihre verderblichsten 
Folgen. 

Und doch stehen uns heute gegen diese die Volksgesundheit unter¬ 
grabenden Seuchen wirksame Mittel zur Verfügung. Ja, mit Hilfe 
einfacher mikroskopischer Untersuchung können wir sie von 
ihren allerersten Erscheinungen an sicher feststellen, die 
Kranken absondern und sogleich eine wirksame Behandlung ein¬ 
leiten, um der weiteren Verbreitung vorzubeugen. Durch die Ent¬ 
deckung des Gonococcus, den Ausbau der antiseptischen 
Tripperbehandlung, die Entdeckung der Syphilisspirochäte, 
der Wassermann’schen Reaktion uud des Ehrlich’schen Sal- 
varsans und den Ausbau der kombinierten Quecksilber- 
salvarsanbehandlung hat die Wissenschaft alles getan, um der 
Verbreitung der Geschlechtskrankheiten Einhalt zu gebieten. Was aber 
fehlt, ist die genügende Ausbildung der Aerzte. Noch immer er¬ 
leben wir es Tag für Tag, dass die ersten Zeichen dieser Leiden für 
harmlos angesehen und das unheilvolle Gift in die Familie und Um¬ 
gebung des Kranken verschleppt wird und unsagbares Elend nach sich 
zieht; noch immer müssen wir es mitansehen, dass die günstigste 
Chance der Frühbehandlung versäumt, die volle Ausheilung dadurch 
erschwert oder in Frage gestellt und die weitere Verbreitung nicht ver¬ 
hindert wird. Hier kann und wird erst Wandel geschaffen werden, wenn 
alle Aerzte die elementaren Kenntnisse von diesen Seuchen 
erwerben und in der Prüfung nachweisen müssen. 

Wie steht es nun aber hiermit nach den jetzt geltenden Bestim¬ 
mungen? Die Prüfungsordnung für Aerzte schreibt in §25,2 vor, 
dass dfer Kandidat ein Semester in einer Hautklinik praktizieren muss 
und darüber eine Bescheinigung vorzulegen bat, und fügt in § 35 und 39 
hinzu, dass er vor einem Examinator der Chirurgie — eventuell an 
seiner Stelle vor einem solchen der inneren Medizin — „die für einen 
praktischen Arzt erforderlichen Kenntnisse in der Erkennung und Be¬ 
handlung der Haut- und venerischen Krankheiten darzutun“ hat. Da¬ 
nach scheint die Dermatologie im Staatsexamen Berück¬ 
sichtigung zu finden; tatsächlich ist das aber nicht der 
Fall. Denn erstens ist der Umfang der Chirurgie und inneren Medizin 
so gross, dass die Prüfung in allen ihren Zweigen während der kurzen 
Examenszeit nicht möglich ist, zweitens ist die Dermatologie so weit 
ausgebaut und so umfangreich, dass der Chirurg oder interne Mediziner 
sie nicht beherrscht, drittens ist es im Interesse eines gedeihlichen 
Unterrichts notwendig, dass der Fachlehrer auch die Prüfung abhält, 
und viertens fehlen an den meisten Universitäten dem chirurgischen und 
internen Examinator entsprechende Krankheitsfälle, da diese in die Haut¬ 
klinik aufgenommen oder verlegt werden. 

Dementsprechend findet an den meisten deutschen Universitäten 
eine Prüfung in Dermatologie und Syphilidologie entweder gar nicht 
oder doch nur ganz nebenbei und oberflächlich statt, und es muss offen 
ausgesprochen werden, dass heute in Deutschland die staatlich 
geprüften Aerzte keine Gewähr bieten, dass sie so verderb¬ 
liche Volksseuchen, wie Tripper und Syphilis, und so ver¬ 
breitete Krankheiten, wie viele Hautleiden, genügend sicher 
zu erkonnen und sachgemäss zu behandeln vermögen 1 ). Daher 
rührt das Misstrauen, das weite Volkskreise den Aerzten in dieser Hin¬ 
sicht entgegenbringen, daraus folgt die grosse Inanspruchnahme der 
Spezialärzte, und dadurch wird auch die Tatsache, dass so viele Haut- 
und Geschlechtskranke zu Kurpfuschern ihre Zuflucht nehmen, bis zu 
einem gewissen Grade verständlich. 

Endlich ist nicht zu verkennen, dass allein der Prüfungszwang 
den Studierenden zur gewissenhaften Durcharbeitung einer Disziplin an- 
bält, da er ja noch gar kein Urteil über die praktische Bedeutung eines 
Faches haben kann und seine Wichtigkeit lediglich danach einzuscbätzen 
pflegt, wie weit es im Examen Berücksichtigung findet. Daher kommt 
es, dass die Studierenden die Klinik für Haut- und Geschlechtskrank¬ 
heiten wohl gern und zahlreich besuchen, weil sie der Gegenstand inter¬ 
essiert, aber es an häuslicher Arbeit fehlen lassen und beim Praktizieren 
gewöhnlich grosse Unkenntnis verraten; die Praktikantentätigkeit aber in 
eine Art Prüfung während des Unterrichts zu verwandeln und die Er¬ 
teilung des Praktikantenscheins von deren Ergebnis abhängig zu machen, 
entspricht nicht den Gepflogenheiten und dem Wesen des klinischen 
Unterrichts und würde mit Recht von den Studierenden abgelehnt 
werden. Auch die Stellung des Dermatologen als klinischer Lehrer wird 
bei dem jetzigen Modus den Studenten gegenüber herabgesetzt, wenn er 
erfährt, dass wohl Privatdozenten der inneren Medizin und Chirurgie als 
Examinatoren berufen werden, der etatsmässige Professor und Leiter 
einer grossen Hautklinik aber zurückstehen muss. 

Neuerdings sind übrigens doch einige Anzeichen wahrzunehmen, die 
die Hoffnung auf eine baldige Beseitigung dieser Missstände 
erwecken. Soviel mir bekannt, haben bisher zwei deutsche medizinische 
Fakultäten den Dermatologen in die ärztliche Prüfungskommission ge¬ 
wählt, und zwar die Rostocker und Breslauer, deren auf die 
modernen Errungenschaften Rücksicht nehmendes Verhalten von allen 

1) Uebrigens werden auch die Spezialärzte nioht geprüft und haben 
zum Teil eine ganz unzureichende Ausbildung. * 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


deutschen Dermatologen mit grösster Dankbarkeit begrüsst worden ist. 
Ergibt sich doch daraus die äusserst wichtige Schlussfolgerung, dass 
schon jetzt Fakultät und Ministerium wenigstens an einzelnen Universi- 
täten die Notwendigkeit der dermatologischen Prüfung durch 
den Fachprofessor anerkennen, und dass im Rahmen der gegenwärtig 
gültigen gesetzlichen Bestimmungen eine ausreichende Prüfung sich er* 
möglichen lässt, wenn die Fakultät das Bedürfnis anerkennt und ent* 
sprechende Vorschläge macht. 

Noch verheissungsvoller ist aber die Tatsache, dass naoh der 
neuen Prüfungsordnung für Zahnärzte yom 15. März 1909 die 
praktische Prüfung „in der Erkennung von Haut- und syphi- 
litischen Krankheiten“ vorgeschrieben ist, und dass dement¬ 
sprechend der Dermatologe an Universitäten, wo er die Vollmediziner 
nicht prüfen darf, in die zahnärztliche Prüfungskommission be¬ 
rufen worden ist 1 ). Damit ist aber, wie jeder zugeben muss, ein un¬ 
haltbarer Zustand geschaffen; denn so bedeutungsvoll die Kenntnis 
der Syphilis und der mit Munderscheinungen eiuhergehenden Hautleiden 
für den Zahnarzt auch sein mag, ungleich wichtiger ist sie doch für den 
allgemeinen Arzt, dem allein ihre Behandlung anvertraut bleibt. Staats¬ 
behörden, Fakultäten und die Aerzte selbst können es nicht zulassen, 
dass die Zahnheilkundigen künftig eine besser garantierte Ausbildung 
in der Dermatologie erhalten oder doch zu bekommen scheinen als die 
Vollmediziner. 

Endlich kommt aber noch ein Umstand hinzu, der eine Reform 
ebenso dringend notwendig und unaufschiebbar macht. Fast alle 
unsere Nachbarländer, alle grösseren Staaten Europas haben eine 
bessere Ausbildung und die Fachprüfung iii Dermatologie als 
notwendig erkannt und eingefübrt, wie ich durch Fragebogen, die 
ich an die hervorragendsten Dermatologen aller Kulturnationen gesandt 
habe, feststellen konnte. 

In Oesterreioh findet längst eine Prüfung in Haut- und Ge¬ 
schlechtskrankheiten am Krankenbett durch den Fachprofessor statt; 
dieser ist ferner meist Ordinarius, und in Wien gibt es deren gar zwei. 

In Frankreich hören die Studierenden zwei Semester Dermato¬ 
logie und werden durch den Fachvertreter, der meist vollberechtigtes 
Mitglied der Fakultät ist, geprüft. 

Italien hat für die Dermatologie an allen Universitäten Ordinariate 
geschaffen und schreibt neben einjährigem Hörzwang eine gründliche 
Prüfung durch den zuständigen Professor vor. 

ln Russland ist der Dermatologe ebenfalls vollberechtigtes Mit¬ 
glied der Fakultät und gehört der Prüfungskommission an; diese ist 
streng und hat die Vorlegung von zwei Praktikantenscheinen zur Voraus¬ 
setzung. 

Für Griechenland gilt das gleiche; auch hier sind zwei Certifikate, 
darunter ein Praktikantenschein, vorgeschrieben. 

In Norwegen ist der Dermatologe den übrigen Professoren gleich¬ 
gestellt; die Studierenden hören drei Semester die Hautklinik und haben 
einen Praktikantenschein beizubringen. Die Prüfung ist gründlich und 
sowohl eine praktische wie theoretische. 

Endlich bestimmt das für die Schweiz jetzt eingeführte neue 
Reglement, dass nach genügender Vorbildung (also ein Semester Aus¬ 
kultieren) die Studierenden ein Semester praktizieren und darüber einen 
Nachweis vorlegen müssen; sie werden alsdann durch den Fachprofessor, 
der an einzelnen Universitäten Ordinarius ist, theoretisch und praktisch 
geprüft, und dies Examen wird mit einer Facbnote berechnet. Auf 
diese Weise ist die Dermatologie der Augenheilkunde völlig gleich¬ 
gestellt. 

Auch in einigen anderen Ländern, wie Schweden, Rumänien, den 
Vereinigten Staaten von Nordamerika, Argentinien, bestehen ähnliche 
Bestimmungen; indessen erübrigt es sich, darauf weiter einzugeben. 

Was ist nun das Ergebnis meiner Ausführungen? 

Es besteht die Tatsache, dass nach der jetzt geltenden ärztlichen 
Prüfungsordnung die deutschen Studierenden der Medizin in 
dem für die Praxis und Erhaltung der Volksgesundheit gleich wichtigen 
Fach der Haut- und Geschlechtskrankheiten nicht genügend aus¬ 
gebildet und entweder gar nicht oder nur flüchtig und neben¬ 
bei geprüft werden, während in fast allen Nachbarländern un'd 
den grösseren Kulturstaaten die Dermatologie die ihr ge¬ 
bührende Stellung in der Fakultät völlig oder nahezu er¬ 
rungen bat und hinsichtlich des Examens der Ophthalmologie meist 
gleichgestellt worden ist. Wenn binnen kurzer Zeit die neue Prüfungs¬ 
ordnung für Zahnärzte zur Geltung kommt, werden die Studierenden 
der Zahnheilkunde in Dermatologie und Syphilidologie 
praktisch und theoretisch geprüft werden, während das bei Voll¬ 
medizinern nicht geschieht. Vereinzelte deutsche Fakultäten (Breslau, 
Rostock) haben, den Forderungen der Zeit in verständnisvoller Weise 
Rechnung tragend, den Dermatologen neben dem Chirurgen oder 
dem inneren Mediziner in die Prüfungskommission berufen. 
Da dies nur mit Genehmigung des Ministeriums geschehen kann, ist klar 
erwiesen, dass nach den gegenwärtig gültigen Bestimmungen 
ein solches dem Zeitbedürfnis wenigstens einigermaassen entsprechendes 
Verfahren statthaft und leicht durchführbar ist. 

Die hier geschilderten Missstände lassen cs unumgänglich notwendig 
erscheinen, dass die deutsche Prüfungsordnung für Aerzte, die 
auch die Otorhinologie za wenig berücksichtigt, baldigst ergänzt 
wird und der Dermatologie dieselbe Stellung einräumt wie der Ophthalmo- 


1) Z. B. in Bonn. 


logie; denn es ist ein unhaltbarer Zustand, dass nach den gegen¬ 
wärtigen Bestimmungen die Zahnärzte künftig als in Haut- und 
Geschlechtskrankheiten besser ausgebildet angesehen werden müssen 
als die allgemeinen Aerzte, und dass unsere Nachbarländer fast 
durchweg in dieser Hinsicht uns vorangeschritten sind und überholt 
haben. 

Dazu kommt, dass an zwei preussischen Universitäten, nämlich 
Göttingen und Greifswald, nicht einmal ein Fachdozent für Dermatologie 
vorhanden ist, und auch an anderen deutschen Universitäten selbstständige 
Kliniken und Polikliniken für Haut- und Geschlechtskrankheiten fehlen, 
so dass selbst der vorgeschriebene Unterricht sehr erschwert ist. 

Die gewaltigen Fortschritte, weiche die Dermatologie dank 
den Forschungen eines Neisser, Schaudinn, Wassermann, Ehr¬ 
lich u. a. in den letzten Jahrzehnten gemacht hat, werden unter den 
bestehenden Verhältnissen gerade in ihrem Ursprungsland, dem Deutschen 
Reich, der allgemeinen Aerzteschaft nicht genügend zugänglich gemacht 
und können deshalb zur Bekämpfung der so verbreiteten und folgen¬ 
schweren ansteckenden Geschlechtskrankheiten nicht voll aus¬ 
genutzt werden. Die deutsche Wissenschaft hat das Ihre getan und 
die Waffen zum Kampf gegen diese Volksseuchen geschmiedet und bereit¬ 
gestellt; mögen nun die Staatsbehörden, die gesetzgebenden Körper¬ 
schaften und die medizinischen Fakultäten dafür sorgen, dass durch 
diese schleichenden Uebel, die auch die Fruchtbarkeit und Aufzucht 
kräftiger neuer Geschlechter untergraben, die Volksgesundheit nicht ferner¬ 
hin schweren Schaden leidet. 


Erwiderung 

auf die Artikel des Herrn Geheimrats Wolf: Ueber den 
Geburtenrückgang. 

Von 

Dr. Ferdiaand GoMsteii. 

Da mir die Redaktion nur einen kleinen Raum zur Verfügung stellen 
konnte, so kann ich zu meinem lebhaften Bedauern auf die Ausführungen 
von Herrn Geheimrat Wolf in Nr. 49 und Nr. 50 der vorliegenden 
Wochenschrift (1912) nicht so ausführlich antworten, wie ich möchte, 
und muss mich auf einige Punkte beschränken. 

Zunächst muss ich berichtigend bemerken, dass ich kein Schüler 
Brentano’s bin. Herr Geheimrat Wolf hat mich vermutlich mit 
Josef Goldstein - Moskau verwechselt 

Wolf begründet die Notwendigkeit, den Geburtenrückgang zu be¬ 
kämpfen, mit dem Verlust sittlicher Werte, den wir erleiden müssten, 
wenn die Kinder aus den Familien verschwänden, ferner mit der Nach¬ 
barschaft Russlands, das heute schon vor Deutschland einen Vorsprung 
von 100 Millionen Personen hat. 

Der erste Grund ist vollständig hinfällig, denn selbstverständlich 
bedeutet Einschränkung der Kinderzahl nicht ihr Verschwinden. Davor 
schützt uns schon die Kindersehnsucht der Frauen. Aber natürlich 
wollen sie durch deren Befriedigung nicht sich und ihre Kinder ins Ver¬ 
derben stürzen. Auf solch tiefes Niveau wird niemals ein Mensch frei¬ 
willig hinabsteigen, dazu ist der Zwang des Gesetzes notwendig. 

Das Wettgebären mit Russland schmeckt erstens nach den demo¬ 
graphischen Vorschlägen Berger’s und Bornträger’s und ist zweitens 
zwecklos, da Russland ja schon einen Vorsprung von 100 Millionen 
Menschen hat. Ich richte aber.an Herrn Geheimrat Wo 1 f die Frage, wo 
er die Tauschwerte hernehmen will, um im Falle eines Krieges die in¬ 
ländische Bevölkerung zu ernähren, da hier doch mit einem Moratorium 
nicht zu rechnen ist. Ein militärischer Industriestaat ist eine Monstrosi¬ 
tät, die nur ein Gewaltsmensch wie Fürst Bismarck erzeugen konnte. 
Eine ähnliche Monstrosität ist das Anwachsen der deutschen Bevölke¬ 
rung auf 100 Millionen. Graf Posadowsky hat eine solche Volksmenge 
schon vor Jahren das denkbar grösste Unglück genannt, und eine Reibe 
führender Nationalökonomen und Staatsmänner haben sich ihm jetzt an¬ 
geschlossen, so Elster, Schmoller, Adolf Wagner. 

Herr Geheimrat Wolf hält es für sehr unwahrscheinlich, dass fast alle 
Frauen des Verbrechens gegen § 218 StGB, schuldig sind, wie ich ge¬ 
sagt habe, obgleich er zugibt, dass die Schwangerschaftsunterbrechung 
sehr weit verbreitet ist. Aber es wird doch nicht nur die erfolgreich 
durebgefübrte Entfernung der Frucht sondern auch der Versuch be¬ 
straft, und welches geschwängerte Mädchen und welche Frau, für die 
eine Empfängnis eine Last ist, hat wohl nicht den Versuch gemacht, 
„ihre Periode wiederzuerlangen!“ 

Aber das Reichsgericht ist ja noch viel weiter gegangen. Es hat 
den Zweck des Strafrechts vollständig beiseite gesetzt und die Stimme 
des Volkes vollständig überhört und entsohiedeu, dass auch eine Nicht¬ 
schwangere, die sich für schwanger hält, gegen § 218 verstösst, wenn 
sie selbst mit ganz harmlosen Mitteln sich ihrer vermeintlichen Last zu 
entledigen trachtet. Das ist wieder eine Monstrosität, hervorgerufen 
durch die cirkulierenden demographischen Irrlehren, und dass durch 
solche Bestimmungen so gut wie alle Frauen zu Verbrecherinnen im 
Sinne des Gesetzes gemacht werden, wird mir Herr Geheimrat Wolf 
vielleicht selber zugeben. 

Die Berufung auf die Bibel ist in der Wissenschaft überhaupt und 
in der Bevölkerungskunde besonders unstatthaft; denn der Noachiscbe 


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Segensspruch: „Seid fruchtbar und mehret euch" ist erstens für poly¬ 
gamische Völker getan und zweitens durch die Warnung des Apostels 
Paulus vor der Ehe (l. Cor. VII, 88) paralysiert worden. Der Klerus 
richtet sich nach den Paulioisohen Vorschriften aufs strengste. Kerner 
findet sich in der Bibel nirgends ein Verbot der Schwangerschaftsunter¬ 
brechung. Der Gebärzwang ist also keine geoffenbarte sondern eine 
priesterliche Vorschrift. 


Entgegnung anf vorstehende Erwiderung. 

Von 

Prof. Jaliu Wolf, Geh. Regierungsrat. 

Herrn Dr. Ferdinand Goldstein muss ich erwidern* 

1. Dass ich es nach wie vor für unwahrscheinlich halte, dass „fast 
alle deutschen Frauen", wie er behauptet, des Verbrechens gegen 
§218 StGB, sohuldig sind, 

2. dass ich ein Anwachsen der Bevölkerung Deutschlands auf 
100 Millionen nicht kommen sehe, wir vielmehr, wie ich wiederholt an 
anderen Stellen ausgesprochen habe, bei 75 bis 80 Millionen die Grenze 
finden dürften, von wo aus dann aber wieder ein Rückgang, ein Ab¬ 
bröckeln beginnen dürfte, während 

8 . Russland seine Bevölkerung auch auf 250 und 300 Millionen zu 
steigern vermag. Ich sehe darin in der Tat eine nationale Gefahr, 
während ich 

4. keine Schwierigkeiten darin finden kann, selbst im Falle eines 
Krieges auch mehr als 80 Millionen Deutsche aus einem Volksvermögen 
von dann sicher über 300000 Millionen Mark — soviel ist es heute! — 
und einem Nationaleinkommen von über 30000 Millionen Mark — so viel 
ist dieses gegenwärtig — zu erhalten. 

Näheres über meine Auffassung der Dinge findet sich in meiner 
Broschüre „Das Zweikindersystem im Anmarsch und der Feldzug da¬ 
gegen", welche die von Herrn Dr. F. Goldstein herangezogenen Vor¬ 
träge etwas ausführlicher und mit Anmerkungen wiedergibt. 


Zur Entfieberung Lungentuberkulöser mittels 
kleinster Tuberkulindosen. 

Erwiderung auf die Bemerkung des Herrn Geheimrat Aufrecht 
in Nr. 52, 1912, dieser Wochenschrift. 

Von 

Dr. J. W. Sansoi-Berlin. 

Aus den Bemerkungen Aufreoht’s auf der Naturforscherversammlung 
in Meran, 1905, wo er „schon nach zweimaliger Injektion von 0,0002 mg 
Alttuberkulin" bei einem 57 Tage lang ohne Unterbrechung fiebernden 
Manne einen Temperaturabfall bis zur Norm beobachtete, sowie aus der 
Bezugnahme anf einen Fall Cornet's (Tuberkulose, 1899, S. 542) 
musste man den Eindruck gewinnen, dass es sich hier trotz der 
„minimalen" Dosis um Tuberkulinmengen handelte, die angesichts der 
hohen Empfindlichkeit des Kranken noch zu gross waren und infolge¬ 
dessen zu dem bekannten Temperatursturz führten. Bestärkt wurde 
man in dieser Auffassung durch die der Aufrecht’schen „Pathologie und 
Therapie der Lungenschwindsucht" (1905) beigegebenen Kurventafeln, 
wo auf Kurve 1 nach der zweiten Injektion von 0,0002 mg rapider Ab¬ 
fall erfolgt, auf Kurve 3 vor dem rapiden Abfall zunächst am Tage 
nach der Injektion eine Reaktion von 37,8 auf 38,6 ein tritt, um dann 
steil auf 36,8 zu fallen. Gerade diejenigen Autoren aber, die diese 
Form der Entfieberung mit relativ hohen Dosen und mit plötz¬ 
lichem Temperatursturz, eventuell unter vorherigem Fieber¬ 
anstieg ausüben, habe ich absichtlich nicht in meine Arbeit mit hinein¬ 
genommen, weil sie nicht in den Rahmen der von mir gemachten Mit¬ 
teilungen hineingehörten und weil ich sie nicht für ganz gefahrlos halte, 
wie ich das früher auch schon betont habe (vgl. Med. Klinik, 1910, 
Nr. 47, und Deutsche med. Wochenschr., 1911, Nr. 9, Verein f. innere 
Medizin). Nicht unerwähnt lassen möchte ich aber, dass Aufrecht in 
der neuesten Auflage des genannten Werkes (1913), die bei der Ab¬ 
fassung meiner Arbeit noch nicht vorlag, sich auch gegen eine Ent¬ 
fieberung mit einer einmaligen grösseren Dosis ausspricht. Zu meiner 
Freude darf ich nunmehr also auch die Erfahrungen des hervorragenden 
Magdeburger Klinikers als Stütze für meine Behauptungen anführen. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. In der Sitzung der Berliner medizinischen Gesell¬ 
schaft vom 5. Februar demonstrierte vor der Tagesordnung Herr 
Schönstadt: Kontinuitätsresektion des Humerus wegen Sarkoms mit 
Kranken Vorstellung; dazu Vorlegung eines Bulbus, den ein Geisteskranker 
sieb selbst herausgerissen hat; ferner Vorlegung einer Affenniere 
(nekrotisch), die einem sublimatvergifteten Mädchen an die Arteria und 
Vena brachialis transplantiert war. In der Tagesordnung hielt 1. Herr 


Ernst R. W. Frank den angekündigten Vortrag: Ueber seltene Ver¬ 
letzungen der Harnblasenschleimhaut, und 2. Herr v. Hansemann 
seinen Vortrag über das Schicksal von Gallensteinen (Diskussion: die 
Herren Arthur Frankel, Kraus, v. Hansemann). 

— In der von Prof. Dr. L. Pick geleiteten Sitzung der Vereinigung 
zur Pflege der vergleichenden Pathologie vom 30. Januar 1913 
gab Herr Max Koch unter Vorlegung der Präparate eine Uebersicht 
der von Dr. Schaf und ihm unter 500 methodisch untersuchten 
Hunden gefundenen 35 Neubildungen der Schilddrüse (28 gut¬ 
artige) und erörterte die Wege der Metastasierung (Diskussion: Herr 
Schmey). Herr Erwin Christeller zeigte an vortrefflichen Projektions¬ 
bildern die in der Natur idiopathisch vorkommenden Missbildungen 
der Schmetterlinge und verglich sie mit den von ihm vermittels 
eines neuen eigenen Verfahrens experimentell erzeugten. Er zeigte, dass 
die Einwirkung des äusseren Druckes die mannigfachsten pathologischen 
DefektbilduDgen bei denLepidopterenauslöst (Diskussion: Herr van Hofft). 
Herr L. Pick erörterte die verschiedenen Formen des Riesenwuchses 
beim Menschen und zeigte einen bisher noch nie beschriebenen 
halbseitigen Riesenwuchs des Kopfes und der Wirbelsäule 
eines Kalbes. Herr Schmey sprach über die aus pathologischen 
Präparaten vom Menschen (Cystenniere) und vom Pferde (Hamartome) 
sich ergebenden Schlüsse für die Theorie der Nierenentwicklung. Herr 
Felix Pinkus schilderte unter Demonstration von Plattonmodellen und 
Abbildungen die von ihm beim Menschen und einer ganzen An¬ 
zahl von Tieren entdeckten Haarscheiben. 

— Der nächste Kongress der Deutschen dermatologischen Gesell¬ 
schaft findet in Wien am 19. und 20. September unmittelbar vor der 
Naturforscherversammlung statt. Angemeldete Vorträge, die auf dem 
Kongress nicht zur Verhandlung kommen, können in den Sektions¬ 
sitzungen der Naturforscherversammlung gehalten werden. Etwaige An¬ 
fragen sind zu richten entweder an Prof. Ehr mann, Wien IX, Kolin- 
gasse 9, oder Geheimrat Neisser, Breslau 16, Fürstenstr. 112. 

— Die XXXVIII. Wanderversammlung der südwestdeutsohen 
Neurologen und Irrenärzte wird in diesem Jahre am 24. und 25. Mai in 
Baden-Baden im Konversationshause abgehalten werden. 

— Die Ferienkurse der Berliner Dozentenvereinigung 
finden in diesem Jahre in der Zeit vom 3. März bis 5. April statt (mit 
Ausschluss der Osterfeiertage vom 21. bis 24. März). Im Anschluss hieran 
vom 7. bis 12. April wird ein Gruppenkurs über „Magendarmkrank¬ 
heiten" stattfinden, zu dem sich zusammengeschlossen haben: die Herren 
Bickel, Brugsch, L. Kuttner, Ehrmann, Strauss, Ewald, 
Albu, Umber, Bessel - Hagen, Zinn, Mühsam, Benda, Roth- 
mann, Rosenheim, Nicolai, Finkeistein, Klapp und Schmieden. 
Das Honorar für diesen Kurs, der volle 6 Tage in Anspruch nimmt und 
Vorträge, Demonstrationen und praktische Uebungen umfasst, be¬ 
trägt 30 M. 

— Ein interessanter Ferienkurs findet vom 17. März bis 1. April 
im Hotel Dieu in Paris statt, in welchem unter Leitung von Professor 
M. A. Gilbert und Mitwirkung hervorragender Fachgenossen die Krank¬ 
heiten der Leber, des Pankreas und der Niere systematisch durch¬ 
genommen werden. Meldungen unter Einsendung von 200 Mark an 
M. Deval, Hotel Dieu. 

— Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung des Kur¬ 
pfuschertums. Wechsel des Sitzes. Einem sohon früher ge- 
äusserten Wunsche der Dresdner Ortsgruppe folgend, dass der Sitz der 
D. G. B. K. wechseln möge, hat die am 18. d. M. abgehaltene General¬ 
versammlung entsprochen und für die nächsten Jahre Dresden zum 
Vorort gewählt. Die bisherige Vorstandschaft hatte, da der bisherige 
erste Vorsitzende, Dr. Siefart, seine schon wiederholt geäusserte Ab¬ 
sicht, den Vorsitz niederzulegen, nach zehnjährigem Ausharren auf seinem 
mühevollen Posten nicht mehr rückgängig machen liess, den Vorschlag 
sich zu eigen gemacht. Nach warmer Anerkennung der unermüdlichen 
Arbeit des bisherigen Vorsitzenden wurde die neue Vorstandschaft ge¬ 
wählt, der in Dresden unter anderen die Herren Wirkt. Geh. Rat Exzellenz 
Prof. Dr. Fiedler, Geh.-Rat Prof. Dr. Schmorl, Prof. Beythien, 
ifed.-Rat Thiersch angeboren. Zum provisorischen Vorsitzenden mit 
Leitung der Geschäfte wurde Dr. Neustätter - Dresden-Hellerau ge¬ 
wählt, an den bis auf weiteres alle für die Deutsche Gesellschaft zur 
Bekämpfung des Kurpfuschertums bestimmten Zuschriften, Sendungen 
und Anfragen zu richten sind. 

— Am 28. Januar fand eine Verbandssitzung der Centralstelle 
für das Rettungswesen an Binnen- und Küstengewässern statt 

— Der ausgezeichnete Kieler Pathologe Arnold Heller ist in 
diesen Tagen im 73. Lebensjahre gestorben. Heller hatte gleich seinem 
Lehrer F. A. v. Zenker sein besonderes Interesse immer den tierischen 
Parasiten des Menschen zugewandt. Zahlreiche andere Arbeiten be¬ 
treffen das Gebiet der Entzündung, der Syphilis, die Pathologie des Ge¬ 
hirns und die Lehre von der Tuberkulose, speziell mit Rücksicht auf 
deren intestinalen Ursprung. Das Schwergewicht seiner Tätigkeit legte 
er auf den Unterricht, den er in ausgezeichneter Weise geleitet hat. 

— Herr Prof. Hermann Kümmell, der Chirurg des Eppendorfer 
Krankenhauses in Hamburg, ist zum Geheimen Sanitätsrat ernannt. 

— Der Direktor der Königl. chirurgischen Universitätsklinik zu 
Breslau, Geheimer Medizinalrat Prof. Dr. Küttner, wurde zum Marine- 
Generalarzt ä la suite des Marine-Sanitätskorps ernannt. 

— Die Adelheid Bleichröder-Stiftung hat auch im laufenden 
Jahre Unterstützungen in der Gesamthöhe von 5790 M. für wissenschaft- 


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UNiVERSmf OF IOWA 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


288 


liebe Arbeiten auf dem Gebiete der Medizin und der angrenzenden 
naturwissenschaftlichen Fächer zu vergeben. Gesuche sind in fünf Ab« 
Schriften bis spätestens 31. März 1918 an den Vorstand der Gesellschaft 
deutscher Naturforscher und Aerzte, zu Händen des geschäftsführenden 
Sekretärs Prof. Dr. B. Rassow, Leipzig, Stephanstr. 8, zu richten. Von 
dieser Stelle können auch die Satzungen der Stiftung kostenlos bezogen 
werden. Die Verleihung der Subventionen geschieht auf der 85. Versamm¬ 
lung Deutscher Naturforscher und Aerzte zu Wien am 25. September 1913. 

Hochschulnachrichten. 

Strassburg. Prof. Salge in Freiburg hat den an ihn ergangenen 
Ruf als Direktor der Kinderklinik angenommen. — Heidelberg. Habili¬ 
tiert: Dr. Lust für Pädiatrie. — Würzburg. Zum Ordinarius für 
Ophthalmologie wurde der bisherige Privatdozent an der hiesigen Uni¬ 
versität, Prof. Dr.Wessely, ernannt. — Prag. Prof. R. Schmidt in Inns¬ 
bruck wird Direktor der medizinischen Klinik. — St. Petersburg. 
Podwyssozky, der experimentelle Pathologe, ist gestorben. 


Gang der Volkskrankheiten. 

Pest. Russland (5.—12.1.) 9. Britisch-Ostindien (29. XII. 
1912 bis 4.1.1913) 5621 und 4561 f. China. Auf der Iosel Hainan 
ist die Pest ausgebrochen. Brasilion (16.—30. XL) 1 undSf. — 
Cholera. Türkei (7.—20.1.) 51 und 32 f. — Pocken. Oester¬ 
reich (5.—18.1.) 18. Brasilien (XI.) 65f. — Fleckfieber. Oester¬ 
reich (5.—18.1.) 110. — Genickstarre. Preussen (19.—25.1.) 4 und 2f. 
Oesterreich (5.—11.1.) 1. — Spinale Kinderlähmung. Preussen 
(19.—25. I.) 1+. Oesterreich (29. XII. 1912 bis 11. I. 1913) 6. — 
Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb an Masern und Röteln 
in Oberhausen; an Diphtherie und Krupp in Dortmund, Heilbronn. 


Amtliche Mitteilungen. 

Personalien. 

Auszeichnungen: Stern zum Roten Adler-Orden 2. Kl. mit 
Eichenlaub: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. R. v. Olshausen in Berlin. 

Roter Adler-Orden 2. Kl. mit Eichenlaub: ordentl. Professor, 
Geh. Med.-Rat Dr. L. Hermann in Königsberg i. Pr. 

Roter Adler-Orden 3. Kl. mit der Schleife: Kreisarzt a. D., 
Geh. Med.-Rat Dr. 0. Risel in Halle a. S. 

Roter Adler-Orden 4. KL: Arzt, Prof. Dr. H. Hoeftmann in Königs¬ 
berg i. Pr., Privatdozent, Prof. Dr. L. Langstein in Berlin- 
Wilmersdorf. 

Königl. Kronen-Orden 3. KL: Geh. San.-Rat Dr. A. Cohn in 
Berlin. 

Rote Kreuz-Medaille 2. Kl.: Generalarzt z. D. Dr. G. Körting 
in Berlin, Arzt Dr. G. Brauner in Guben, Oberstabsarzt I. Kl. a. D. 
Dr. R. Kühne in Charlottenburg, Arzt, Stabsarzt d. R. Dr. P. Baehr 
in Erfurt, Stabsarzt d. R. a. D. Dr. A. Lieven in Aachen, Geh. San.- 
Rat Dr. J. Kribben in Brühl, Landkreis Cöln, Oberarzt Dr. H. G. 
Luce in Hamburg. 

Rote Kreuz-Medaille 3. Kl.: Arzt Dr. F. Gehrke io Danzig, 
Prof. Dr. R. Kutner in Berlin, Arzt Dr. J. Schwieder in Kalk¬ 
berge, San.-Rat und Oberstabsarzt I. Kl. a. D. Dr. 0. Freund in 
Pankow, Arzt Dr. K. Boseck in Stolp i. Pomm., Arzt, Stabsarzt d. L. 
I. Aufgebots Dr. P. T sch marke in Magdeburg, Oberstabsarzt Dr. P. 
Oberbeck in Gnesen, Kreisarzt, Med.-Rat Dr. F. Neu mann in Leob- 
schütz, Arzt Dr. N. Maassen in Heide, Kreis Norderditbmarschen, 
Arzt Dr. F. Wahrendorf in Hannover, Arzt, Stabsarzt d. L. II. Auf¬ 
gebots Dr. A. Flügge in Gronau, Arzt Dr. J. Wibel in Wiesbaden, 
Arzt Dr. A. Henrichsen in Schwanheim a. M., Arzt Dr. W. Mentler 
in Hörde, San.-Rat und Kreiskommunalarzt Dr. M. Borchmeyer in 
Recklinghausen, Arzt Dr. E. Klug in Westhofen, Arzt Dr. J. Hünten 
in CöId, Reg.- und Med.-Rat Dr. J. Demuth in Speyer, Arzt Dr. C. A. 
Fröhlich in Lengsfeld i. Erzgeb., Arzt Dr. E. Zürn in Lichtenstein, 
Oberstabsarzt Dr. K. Th. Mantel in Karlsruhe, Arzt Dr. G. Lenz in 
Homberg, Amt Triberg, Professor, Direktor des zahnärztl. Iostituts, 
Stabsarzt a. D. Dr. G. A. J. Port in Heidelberg, Kammerherr, Kreis¬ 
arzt Freiherr Schenk zu Schweinsberg in Alzey, Arzt Dr. L. 
Orth in Darmstadt, Arzt Dr. W. Sch aller in Obermassfeld. 

Charakter als Geheimer Sanitätsrat: den San.-Räten Dr. G. 
Belke in Essen a. d. Ruhr, Dr. H. Burgmann in Lennep, Dr. J. 
Eichhoff in Elberfeld, Dr. F. W. Fabricius, Direktor der Provinzial- 
Heilanstalt in Düren, Dr. W. Fey in Cassel, Dr. K. Gerster in 
Braunfels, Dr. M. Kaufmann in Aachen, Dr. H. Köhler in Ebers¬ 
walde, Dr. W. Lenzmann in Kamen, Dr. H. Löwenthal in Berlin, 
Dr. A. Schmitz in Bernkastel-Cues, Dr. P. Semrau in Danzig-Lang- 
fuhr, Dr. K. Stein in Ehringshausen, Dr. M. Strauss in Königs¬ 
steele, Dr. E. Thalheim in Norderney, Dr. A. Voormann in Hagen, 
dem Prof. Dr. H. Kümmel 1, Oberarzt des Allgemeinen Krankenhauses 
in Hamburg-Eppendorf, dem Prof. Dr. G. Spiess, Direktor der städti¬ 
schen Hals- und Nasenklinik in Frankfurt a. M., und dem Arzt Dr. 
0. Hieber in Königsberg i. Pr. 


Charakter als Sanitätsrat: den Aerzten Dr. E. Althen in Wies¬ 
baden, Dr. Chr. Bahn in Cöln, Dr. 0. Bahr in Hirschberg i. Scbl., 
Dr. M. Bayer in Esch, Dr. G. Beyer io Branitz, Dr. J. Bodenbach 
in Coblenz, Dr. G. Böttcher in Wiesbaden, Dr. B. Bruhn in Mel- 
dorf, Dr. M. Bukoffzer in Königsberg i. Pr., Dr. E. Cahen in 
Frankfurt a. M., Dr. W. Claus in Mörs, Dr. J. Cohn in Berlin- 
Schöneberg, Dr. A. Dan ne io Altenbrucb, Dr. F. Demmer in 
Kirchen, Dr. K. Ebermaier in Düsseldorf, Dr. J. Eekerlein in 
Königsberg i. Pr., Dr. A. Ehrenberg in Stettin, Dr. W. Einhaus in 
Ratiogen, Dr. H. Eysel in Cassel, Dr. F. Fallmeier in Hessisch- 
Oldendorf, Dr. F. Fischer in Halle a. S., Dr. H. Flatow in Berlin- 
Schöneberg, Dr. M. da Fonseca -Wollheim in Altona, Dr. B. 
Gabel in Ossig, K. Geissler in Grimmen, Dr. J. Gerland in 
Dingelstädt, Dr. K. Gerling in Elmshorn, Dr. H. Gerth in Dort¬ 
mund, Dr. B. Gödde in Hovestadt, Dr. M. Haagen in Gerdauen, 
Dr. E. Hagel weide in Lunow, Dr. Th. Harke in Friedeburg, Dr. 0. 
Hauchecorne in Berlin-Schöneberg, Dr. H. Heckei in Breslau, Dr. 
K. He er lein in Beuel, Dr. J. Herting, Direktor der Provinzial-Heil¬ 
anstalt in Galkhausen, Dr. R. Hildebrand in Frankfurt a. M., Dr. 
S. Hirschland in Essen a. d. Ruhr, Dr. E. Honcamp in Catern- 
berg, Dr. F. Hünnemeier in Münster i. W., Dr. A. Jacobowitz 
in Berlin-Schöneberg, Dr. W. Jänicke in Körlin a. P., Dr. J. 
Jürgensmeyer in Bielefeld, Dr. J. Kaloff in Warendorf, Dr. J. 
Katz in Beuthen O.-S., D. W. Kaute in Charlottenburg, Dr. J. 
Kemper in Geseke, Dr. W. Höhne in Weidenau, Dr. R. Kukulus 
in Gross-Schönebeck, Dr. L. Lazarus in Berlin, Dr. J. Littauer in 
Berlin-Schöneberg, Dr. A. Löwe in Bunzlau, Dr. L. van de Loo in 
Coblenz, Dr. R. Lorenz in Berlin-Wilmersdorf, Dr. E. Martini in 
Hagen, Dr. A. van Meenen in Wiesbaden, Dr. F. Michaelsen in 
Görlitz, Dr. K. Michels in Suhl, Dr. F. Mönnikes in Nieheim, Dr. 
M. Morris in Berlin, Dr. W. Müller in Vlotho, Dr. E. Mürau in 
Stettin, Dr. M. Neubauer in Pobethen, Dr. J. Ne über in Neisse, 
Dr. V. Neumann in Wormditt, Dr. J. Odenthal in Cöln, Dr. R. 
Pfeiffer in Düsseldorf, Dr. 0. Podlewski in Berlin-Schöneberg, Dr. 
A. Proske in Bobrek, Dr. W. Recken in Münster i. W., Dr. M. 
Salomon in Hirschberg i. Schl., Dr. H. Sch edel in Bad Nauheim, 
Dr. H. 0. Sohedtler, Direktor der Laodesbeilanstalt in Merxhausen, 
Dr. J. Schmalmack in Altona, Dr. W. Schubert, Direktor der 
Provinzial-Heilanstalt in Kreuzburg O.-S., Dr. A. Schürhoff in Soest, 
Dr. R. Schütz in Stettin, Dr. A. Schroers in Crefeld, Dr. J. Stern¬ 
berg in Cöln, Dr. F. Strunden in Horst-Emscher, Dr. B. Wiecher- 
kiewicz in Posen, Dr. 0. Wigand in Fronhausen, Dr. E. Zabel 
in Halle a. S. 

In den Ruhestand getreten: Kreisarzt Med.-Rat Dr. L. Denck- 
mann in Burgdorf; Vorsteher des Medizinaluntersuchungsamts in 
Gumbinnen, Kreisarzt Dr. A. Kehler. 

Versetzt: Gerichtsarzt Dr. Klein von Essen a. d.Ruhr nach Gleiwitz; 
Gorichtsarzt Dr. Leers von Gleiwitz nach Essen a. d. Ruhr; Kreis¬ 
arzt Dr. Gun dl ach von Ueckermüode nach Wernigerode; Kreisarzt, 
Med.-Rat Dr. E. Wolff von Cosel nach Neisse; Kreisarzt Dr. D ec kn er 
von Heydekrug nach Cosel. 

Ernennungen: Kreisassistensarzt Dr. Stoll in Charlottenburg zum 
Kreisarzt in Heydekrug; Kreisassistenzarzt Dr. Boege in Sierakowitz 
zum Kreisarzt in Ueckermünde; Kreisassistenzarzt Dr. W. Moeller in 
Saarbrücken zum Kreisarzt in Burgdorf; Kreisassistenzarzt Dr. 
Schablowski in Gumbinnen zum Kreisarzt und Vorsteher des Medi- 
zinaluntersuchungsamtes daselbst; Wissenschaftl. Hilfsarbeiter an der 
Königl. Versuchs- und Prüfungsanstalt für Wasserversorgung und Ab¬ 
wässerbeseitigung Dr. V. Grimm in Charlottenburg zum Kreisassistenz¬ 
arzt daselbst; Arzt Dr. 0. Wen ge 1 in Löbau (Westpr.) zum Kreis¬ 
assistenzarzt in Sierakowitz. 

Niederlassungen: Dr. V. Kasior in Filehne, Dr. H. Luyken in 
Niedersessmar. 

Verzogen: Dr. F. Domanski von Usch nach Kletzko, Dr. K. Schrö¬ 
der von Altscherbitz nach Uchtspringe, Dr. M. Poppel von Vohburg 
(Bayern) nach Vallendar, Dr. P. G. H. Eltze von Hannover nach 
Coblenz, A. M. Keller von Berlin nach Lutzerath, Dr. 0. Maren¬ 
bach von Dierdorf nach Andernach, Dr. B. Füchte von Ahlen i. W. 
nach Goch, Dr. H. Fischer von München nach Düsseldorf, Dr. F. 
Conzen von Cöln und Dr. F. Knotte von Berlin nach Essen, Dr. W. 
Macke von Herschbach nach Burgwaldniel, Arzt W. Krüger von 
Prenzlau nach Oberhausen, Dr. E. Eisenlohr von Barmen nach 
Würzburg, Dr. W. Deissler von Wiesdorf nach Iffezheim, Dr. K. F. 
Seer von Ohligs nach Laichlingen, Dr. A. Ruete von Strassburg i. E. 
und Dr. W. Hilgers von Hamburg nach Bonn, Dr. K. Weih von 
Aachen und Dr. M. Westenberger von Manderscheid nach Cöln, Dr. 
E. Hoestermann von Bonn nach Heidelberg, Dr. H. Schricker 
von Mülheim a. Rh. nach Erlangen, Dr. F. Eyles von Cöln nach 
Bonn. 

Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. G. Uhl von 
Bockenem, Dr. A. Ostermann von Boppard, Dr. B. Mutterer von 
Coblenz, Dr. F. Carnap von Barmen auf Reisen als Schiffsarzt, Dr. 
H. Rubin von Oberhausen auf Reisen. 

Gestorben: Dr. A. Ohlmer in Hildesheim. 

Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hans Kohn, Berlin W., Bayreuther Strasse 43. 


Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4. 


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Dl* Berliner Klinisch» Wochenschrift enohelnt Jeden fv<wiXVT %T T1 T\ 411« Btnsendnngen Ar dl« Redaktion und Bxpadltion 

Konti« in Nummern von ea. 5—6 Bogen gr. 4. — II I fl II ■ I IV ] Ifl II volle man portofrei in die Verlagsbuchhandlung 

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KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Organ für praktische Aerzte. 

Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 


Redaktion: 

Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posncr und Dr. Hans Rohn. 


Expedition: 

August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin 

Montag, den 17. Februar 1913. 

M 7. 

Fünfzigster Jahrgang. 


I N H 

Origiiftliei : Fibiger: Ueber eine durch Nematoden (Spiroptera sp. n.) 
hervorgerufene papillom&töse und carcinomatöse Geschwulst¬ 
bildung im Magen der Ratte. (Aus dem pathologisch-anatomischen 
Institut der Universität Kopenhagen.) (Illustr.) S. 289. 
Axhausen: Ueber das Wesen der Arthritis deformans. S. 298. 
Wolff: Beitrag zur Fäcesuntersuchung auf Parasiteneier. (Aus dem 
Institut für Hygiene und Bakteriologie Gelsenkirchen.) S. 301. 
Münzer: Innere Sekretion und Nervensystem. S. 302. 

Aron: Zur Pneumothorax-Therapie. (Illustr.) S. 305. 

Manoiloff: Ueber die Magensaftanaphylaxie. (Aus dem hygienischen 
Laboratorium des klinischen Institutes der Grossfürstin Helena 
Pawlowna zu St. Petersburg.) S. 307. 

Ros enstein: Ein dritter Weg zur totalen Rhinoplastik. (Aus der 
chirurgischen Abteilung des jüdischen Krankenhauses in Posen.) 
(Illustr.) S. 309. 

Weisz: Beitrag zur Behandlung versteifter Fussgelenke. (Aus 
Dr. E. Weisz’ Heilanstalt in Pöstyön.) (Illustr.) S. 309. 
Klausner: Ueber einen haltbaren Gramfarbstoff für Gonokokken-, 
Pilz-, und Spirochätenfärbung. (Aus der deutschen dermato¬ 
logischen Klinik in Prag.) S. 310. 

Wolff-Eisner: Zur Vaccinationstherapie. S. 310. 

BfiehertesprechangeB: Fehling: Die operative Geburtshilfe der Praxis 
und Klinik. S. 311. (Ref. Liepmann.) — Keller und Klumker: 
Säuglingsfürsorge und Kinderschutz in den europäischen Staaten. 
S. 311. (Ref. Tugendreich.) — Klotz: Die Bedeutung der Getreide¬ 
mehle für die Ernährung. S. 312. (Ref. Ewald.) — Dannemann: 
Die Naturwissenschaften in ihrer Entwicklung und in ihrem 
Zusammenhang. S. 312. (Ref. Buttersack.) — Löhner: Die 

Sehschärfe des Menschen und ihre Prüfung. S. 312. (Ref. 

Steindorff.) 


ALT. 

Literatur-Auszfige: Physiologie. S. 312. — Pharmakologie. S. 313. — 
Therapie. S. 313. — Allgemeine Pathologie und pathologische 
Anatomie. S. 313. — Diagnostik. S. 313. — Parasitenkunde und 
Serologie. S. 313. — Innere Medizin. S. 315. — Psychiatrie und 
Nervenkrankheiten. S. 315. — Kinderheilkunde. S. 316. — Chirurgie. 
S. 316. — Röntgenologie. S. 317. — Haut- und Geschlechtskrank¬ 
heiten. S. 817. — Geburtshilfe und Gynäkologie. S. 318. — Augen¬ 
heilkunde. S. 318. — Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. S. 318. 
— Hygiene und Sanitätswesen. S. 318. — Technik. S. 318. 

VerhandlnngeB ärztlicher Gesellschaften : Berliner medizinische 
Gesellschaft. Schönstadt: Kontinuitätsresektion des Humerus 
wegen Sarkoms, mit Krankenvorstellung, dazu Vorlegung zweier 
anderer Präparate. S. 318. Frank: Ueber seltene Verletzungen 
der Blasenschleimhaut. S. 318. v. Hansemann: Ueber die Auf¬ 
lösungsfähigkeit von Gallensteinen. S. 320. — Laryngologische 
Gesellschaft zu Berlin. S.320. — Hufe ländische Gesell¬ 
schaft. S. 323. — Berliner mikrobiologische Gesellschaft. 
S. 325. — Berliner Gesellschaft für Chirurgie. S. 826. — 
Gesellschaft für soziale Medizin, Hygiene und Medizinal¬ 
statistik zu Berlin. S. 327. — Berliner ophthalmologische 
Gesellschaft. S. 328. — Medizinische Sektion der schlesi¬ 
schen Gesellschaft für vaterländische Kultur zu Breslau. 
S. 328. — Verein der Aerzte Wiesbadens. S. 329. — Aerzt- 
licher Verein zu Essen-Ruhr. S. 329. — Aerztlicher Verein 
zu Hamburg. S.330. — Naturwissenschaftlich-medizinische 
Gesellschaft zu Jena. S.330. — Aerztlicher Verein zu 
München. S. 331. — K. k. Gesellschaft der Aerzte zu 
Wien. S. 331. 

Tagesgeschichtliche Notizen. S. 331. 

Amtliche Mitteilungen. S. 332. 


Aus dem pathologisch-anatomischen Institut der Universität Kopenhagen (Dir.: Prof. Dr. Johannes Fibiger). 

Ueber eine durch Nematoden (Spiroptera sp. n.) hervorgerufene papillo¬ 
matöse und carcinomatöse Geschwulstbildung im Magen der Ratte. 1} 

Von 

Dr. Johannes Fibiger, 

ordentl. Professor der pathologischen Anatomie an der Universität Kopenhagen. 


Bei Untersuchungen von Geschwülsten und geschwulst- 
ähnlichen Neubildungen hat man zuweilen im Geschwulstgewebe 
selbst oder in dessen Umgebungen hochstehende, tierische Para¬ 
siten, namentlich Helminthen, nachweisen können. Man hat daher 
vermutet, dass solche Schmarotzer in einem causalen Verhältnis 
zu der Geschwulstentwicklung stehen und auf gleiche Weise 
wirken könnten wie chronische Irritamente anderer Art, die eine 
bisweilen von Geschwulstbildung begleitete Entzündung hervor- 
nifen. So ist bekanntlich die Fähigkeit, maligne Geschwulst- 
bilduyg hervprzurufen, dem Bilharziapärasiten (Distomum haema- 
tphium) zagescbrieben worden. Die Berechtigung difeser An- 

1) Als Vortrag in der Sitzung der 'medizinischen Gesellschaft zu 
Kopenhagen am 7. Januar 1913 mitgeteilt. Ausführliche Mit¬ 
teilung erfolgt später in der Zeitschrift für Krebsforschung. 


schauung kann keinem Zweifel unterliegen, nachdem nachgewiesen 
ist, dass nicht nur die Bilharziagescbwülste in der Harnblase im 
Bau mit Carcinomen und Sarkomen übereinstimmen können 
(Kartulis, Goebel u. a.), sondern dass auch diese primären 
Blasengeschwülste häufig metastasieren (Ferguson). 

Pathogenetische Bedeutung für die Entwicklung von Ge¬ 
schwülsten bei Menschen sind ferner anderen Trematoden(Opistorchis 
felineus, Distomum japonicum) zugeschrieben worden, ohne dass 
es doch als ausgeschlossen betrachtet werden kann, dass es sich 
io den einzelnen beschriebenen Fällen um etwas anderes als ein 
zufälliges Zusammentreffen von Geschwülsten und Parasiten bei 
demselben Individuum gehandelt habe. 

Im Institut Pasteur ist endlich von Borrel eine Hypo¬ 
these aufgestellt worden, die hochstehenden tierischen Parasiten 


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UNIVERSUM OF IOWA 






290 


Nr. 7. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


eine weitgehende Bedeutung in bezug auf den Ursprung der Ge¬ 
schwülste beimisst. 

Dass die Krebsleiden des Menschen mit wechselnder Häufigkeit 
Vorkommen und zuweilen, wie Krebs bei Mäusen, endemisch auftreten 
können, macht es, nach Borrel, wahrscheinlich, dass äussere, dem 
Organismus fremde Ursachen ihre Entwicklung bedingen können. 

Borrel vermutet, dass Schmarotzer, wie Sarkoptiden, Demo¬ 
dex, Nematoden und Cysticercen ein unbekanntes Virus über¬ 
tragen können, das Geschwulstbildung hervorruft. Borrel gründet 
diese Hypothese darauf, dass Parasiten, wie die genannten, 
bei verschiedenen Tieren, namentlich bei Mäusen, die an Ge¬ 
schwülsten verschiedener Art (Carcinomen, Sarkomen, Lymphomen) 
leiden, nicht selten in dem Geschwulstgewebe selbst oder in seiner 
unmittelbaren Nähe nachgewiesen werden können, und dass man 
bei Menschen in Epitheliomen der Gesichtshaut sowie bei Brust¬ 
krebs häufig Demodex in grösserer Menge findet als unter 
normalen Verhältnissen. 

BorreTs Hypothese ist unzulänglich begründet. Die not¬ 
wendigen Kontrolluntersuchungen in bezug auf die Häufigkeit der 
genannten Parasiten bei gesunden Tieren sind nicht hinreichend 
oder fehlen ganz, und Orth und Tsunoda haben Demodex ebenso 
häufig und auf dieselbe Weise lokalisiert in der Mamilla bei 
Frauen mit und ohne Carcinoma mammae gefunden. 

Die Vermutung, dass Nematoden den Anstoss zu der Ent¬ 
wicklung von Mammakrebs bei Mäusen geben, ist ebenfalls von 
Haaland auf Grund von in „the Imperial cancer fund’s Labora¬ 
torium“ (Bashford) vorgenommenen Untersuchungen aufgestellt 
worden. Haaland vermutet, dass die Nematoden als Irritamente 
wirken, die Entzündung bzw. Sklerose des die Brustdrüsen umgebenden 
subcutanen Gewebes, sowie cystische und hypertrophische Ver¬ 
änderung desselben hervorrufen, die Vorstadien zu wirklicher 
Geschwulstentwicklung sein können. 

Ausser diesen Beobachtungen enthält die Literatur einzelne zer¬ 
streute Mitteilungen (Loewenstei n, Wasielewsky u.a.) über den 
Befund von Nematoden inGeweben mit gcschwulstartigerUmbildung. 

Es Ist jedoch weder durch diese noch durch die oben¬ 
erwähnten Untersuchungen festgestellt worden, dass in solchen 
Fällen etwas anderes als ein zufälliges Zusammentreffen von 
Parasiten und Neubildungen vorzuliegen braucht, selbst wenn die 
Beobachtungen, namentlich falls sie mit unserer Kenntnis von 
den Wirkungen des Bilharziaparasiten zusammengestellt werden, 
darauf hindeuten, dass Nematoden wirklich einen pathogenetischen 
Einfluss auf die Entwicklung von Geschwülsten besitzen könnten. 
Es ist aber auf alle Fälle berechtigt, in Uebereinstimmung mit 
Haaland und Wasielewsky die vorliegenden Beobachtungen 
als Basis für eine Arbeitsbypothese zu betrachten. 

Der Zweck der Untersuchungen, die hier in verkürztem Aus¬ 
zuge mitgeteilt werden sollen, ist der Nachweis, dass Nematoden 
wirklich die pathogenetische Bedeutung haben können, 
die ihnen beigelegt wird. 

Der Ausgangspunkt für diese Untersuchungen waren einige 
Beobachtungen, die ich zu Ende des Jahres 1907 anzustellen 
Gelegenheit hatte. Bei der Sektion von 3 wilden Ratten (Mus 
decumanus), die ursprünglich zu subcutaner Injektion von Tuberkel¬ 
bacillen benutzt waren und die später in dem gleichen Käfig gelebt 
hatten* ergab es sich, dass der Fundusteil des Magens (des 
Vormagens) der Sitz gewaltiger papillomatöser Veränderungen 
war, so dass die Wand des Ventrikels ausserordentlich verdickt 
und sein Hoblraum fast ganz obliteriert oder sehr stark ver¬ 
kleinert war. Der übrige Teil des Verdauungskanals war normal. 
Auch in den anderen Organen fanden sich keine krankhaften 
Veränderungen, ausgenommen, dass die Lungen pneumonische 
Partien enthielten. Von Tuberkulose war keine Spur vorhanden. 
Metastasen waren nicht nachzuweisen. 

Das Magenleiden machte bei allen drei Tieren den Eindruck 
einer fibro-epitbelialen Geschwulst von ganz der gleichen, 
möglicherweise malignen Natur. Dieser Eindruck ward nicht ab¬ 
geschwächt durch eine vorläufige mikroskopische Untersuchung. 
Um zu erforschen, ob sich die Geschwulst transplantieren liess, 
wurde nun im Anschluss an die Sektionsuntersuchung eine Reihe 
von Versuchen vorgenommen, bei denen Geschwulstgewebe teils 
subcutan, teils intraperitoneal gesunden Ratten verschiedener Art 
(Mus decumanus, Mus rättus, bunten Laboratoriumsratten) ein¬ 
geimpft wurde. Ausserdem wurden vier von diesen Ratten mit 
Geschwulstgewebe gefüttert. 

Keiner von diesen Versuchen ergab jedoch ein positives Re¬ 
sultat. Auch kamen keine Geschwulstbildungen bei Ratten vor, 


die in verschiedenen Zeiträumen (Maximum ein Jahr) in dem un¬ 
gereinigten Käfig eingesperrt gehalten wurden, in dem die Ratten 
mit Magenleiden gehalten worden waren. 

Die mikroskopische Untersuchung des Magens der drei 
Ratten ergab, dass die bedeutende Verdickung der Magenwände 
hauptsächlich durch epitheliale Hyperplasie und Papillombildung, in 
geringerem Grade durch akute und chronische Entzündung hervor¬ 
gerufen war. Unregelmässig verzweigte, röhren-, platten- oder 
kraterförmige bindegewebige Ausläufer der Submucosa bildeten 
zusammen mit spärlichen Muskelfasern der Muse, mucosae den 
Grundstock der mit dicken Schichten von Plattenepithel be¬ 
kleideten Papillome. Mächtige Epithelzapfen drängten von der 
Oberfläche hiuab, die Muse, mucosae vor sich herschiebend. 

Die Muse, mucosae war an einzelnen Stellen durchbrochen 
und die Submucosa enthielt dann Zapfen und Inseln von Platten¬ 
epithel. Bei Proliferation des heterotopisch gelagerten Epithels 
wurden stellenweise mit verhornten Zellen gefüllte Cysten ge¬ 
bildet. Die grössten Cysten komprimierten Submucosa und Muscu- 
laris stark, so dass diese Häute atrophisch waren. Die Cysten 
ragten dann auf der Aussenseite des Ventrikels hervor, nur be¬ 
deckt von Serosa und Resten von Muscularis und Submucosa. 
Das Bindegewebe der Submucosa war überall der Sitz schwächerer 
oder stärkerer Entzündungserscheinungen (Proliferation der festen 
Bindegewebselemente, Anhäufung von Leukocyten und Plasma¬ 
zellen), auch in der Schleimhaut und dem Epithel sah man hie 
und da Leukocyteninfiltrationen. 

Infiltratives, carcinomatöses Wachstum wurde nicht nach¬ 
gewiesen. Die pars pylorica war normal. Metastasen fanden sich 
in keinem Organ. 

In dem Epithel fanden sich hier und dort runde oder ovale 
Löcher unmittelbar unter dem Stratum corneum gelagert. Andere 
dieser Hohlräume enthielten Körperchen von einer komplizierten 
Struktur, die den Gedanken auf hochorganisierte, eihaltige Para¬ 
siten lenkten. Durch Schnittserien gelang es alsdann naebzu- 
weisen, dass es sich wahrscheinlich um eine Nematode bandelte, 
und durch Rekonstruktion einer grösseren Serie wurde festgestellt, 
dass dies wirklich der Fall sein und dass die Länge der an¬ 
wesenden Nematode nach der Rekonstruktion auf etwa 1,6 cm, 
ihr Durchmesser auf höchstens 0,25 mm geschätzt werden müsse. 

Die Eier waren doppelt konturiert und enthielten einen 
schleifenförmig aufgerollten Embryo. Sie fanden sich 
nicht selten freigelagert zwischen den obersten Schichten des 
Plattenepithels. 

Bei weiteren Untersuchungen gelang es später, aus einem der 
fixierten Ventrikel drei Nematoden herauszupräparieren, die zu 
eingehenderem Studium benutzt werden konnten. 

Infolge des oben Entwickelten lag es nahe vorauszusetzen, 
dass diese Nematoden die Ursache der krankhaften Verände¬ 
rungen des Ventrikels sein könnten; es konnte sich aber selbst¬ 
redend auch um ein zufälliges Zusammentreffen handeln. 

Um diese Fragen genauer zu ergründen, sind eine Reihe von 
Untersuchungen angestellt worden, über die in dem folgenden, so 
kurz wie möglich, Bericht erstattet werden soll. 


Ein Magenleiden, wie das hier besprochene, ist, so weit es 
sich übersehen lässt, früher nicht bei Ratten beobachtet worden. 
Um die Häufigkeit des Leidens festzustellen und Material zu 
weiterer Bearbeitung zu gewinnen, nahm ich dann eine Reibe von 
Versuchen vor, bei denen eine genaue Untersuchung der Magen¬ 
schleimhaut von 1144 Ratten (Mus decumanus, Mus rattus, Mus 
alexandrinus und bunte Laboratoriumsratten) angestellt wurde. 

Es wurden hierbei — im ganzen bei elf Ratten (Mus 
decumanus) — naebgewiesen: ganz kleine, begrenzte Epithelhyper¬ 
plasien, minimale Ulcerationen (zuweilen um in die Schleimhaut 
eingebohrte Haare gelagert) oder vereinzelte, stecknadelkopf¬ 
grosse papillomatöse Excreszenzen, am häufigsten auf der Grenze 
zwischen dem Fundusteil und der Pars pylorica. 

Ein Leiden, wie das oben beschriebene, wurde aber bei diesen 
Ratten nicht gefunden, und Nematoden waren nicht nachweisbar. 

Bei 12 Ratten enthielt das Epithel der Schleimhaut eine 
Nematode, die sich jedoch, namentlich durch den Bau der Eier, 
als weit verschieden von der gesuchten erwies, und die von Mag. 
scient. Ditlefsen, Assistenten an dem zoologischen Museum der 
Universität, t als wahrscheinlich dem Genus Trichosoma zugehörig 
bestimmt wurde. Bei zehn anderen Ratten fand sieb, frei im 
Magen gelagert, eine dicke Nematode, die ebenfalls keine 
Aehnlichkeit mit der gesuchten aufzuweisen hatte und als eine 
Ascaride angesehen werden musste. 


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17. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


291 


Das Ergebnis dieser Untersuchungen war ja insofern ein 
negatives, als der Magen nur bei einer sehr kleinen Anzahl 
von Ratten minimale krankhafte Veränderungen enthielt, bei 
keinem einzigen Tier jedoch solche Papillomatosen oder Nema¬ 
toden, auf die gefahndet worden war. 

Es war also festgestellt worden, dass das beschriebene 
papillomatöse Magenleiden nicht allgemein bei Ratten hierzulande 
vorkommt. Versuche, die Krankheit auf dänische Ratten zu über¬ 
tragen, waren ferner, wie oben bereits erwähnt, misslungen, und da 
die ursprünglich untersuchten Tiere, soweit dies nachgewiesen werden 
konnte, aus Dorpat eingeführt waren, lag die Annahme nabe, dass 
dänische Ratten überhaupt unempfänglich für die Krankheit waren. 

Ging man davon aus, dass die nacbgewiesene Nematode die 
Ursache der Krankheit war, so war auch eine andere Erklärung 
naheliegend, nämlich, dass der Parasit nicht direkt übertragbar 
war, sondern eines Zwischenwirtes bedurfte, in dem die in 
den Eiern enthaltenen Embryonen ein für die Ratte infektiöses 
Entwicklungsstadium durchmachen mussten. 

Zufolge einer Mitteilung Galeb’s 1 ) war die Annahme gegeben, 
dass der Zwischenwirt in der gewöhnlichen Küchenschabe (Peri- 
planeta orientalis) zu suchen sei, indem Galeb nach der Fütterung 
von Ratten mit diesen Tieren in dem Magen der Ratten eine 
Nematode batte nachweisen können, die mit der von Deslong- 
champs beschriebenen Filaria rbytipleurites, die in den Fett¬ 
körperchen der Periplaneta orientalis schmarotzt, übereinstimmte. 

Ich verschaffte mir nun wilde Ratten (Mus decumanus) aus 
einer Lokalität in Kopenhagen, wo die Periplaneta orientalis in 
grossen Mengen vorkam, aber es gelang weder Nematoden noch 
geschwulstähnliehe Bildung bei nur einer einzigen dieser Ratten 
naebzuweisen. Versuche mit Fütterung von Ratten (Mus decu- 
manus, bunten Laboratoriumsratten) ergaben gleichfalls negative 
Resultate, obwohl zur Fütterung jedes einzelnen Tieres Schaben 
in grosser Anzahl verwendet worden waren. 

Einen ganz anderen Ausfall ergaben Untersuchungen 
von Ratten, die aus einer anderen Lokalität (einer grossen 
Zuckerraffinerie) berrührten, obwohl hier nicht die von Galeb be¬ 
sprochene Periplaneta orientalis, sondern die Periplaneta ameri- 
cana mit im Spiele war. 

In dem Zeitraum vom 2. März bis 12. Dezember 1911 wurden 
in dieser Lokalität 61 Ratten (Mus decumanus) eingefangen, von 
denen ca. 25 gleich nach dem Einfangen getötet wurden, während 
der Rest im Institut isoliert gehalten und erst untersucht wurde, 
wenn sie spontan starben. 

Bei 21 von diesen 61 Ratten war der Fundusteil des Magens 
normal und enthielt keine Parasiten. Bei 40 fanden sich dahin¬ 
gegen in dem Epithel des Fundusteils Nematoden, die in bezug 
auf Grösse und Form den gesuchten entsprachen, und deren 
Eier ganz mit denjenigen dieser Parasiten übereinstimmten. Bei 
18 von diesen 40 Ratten fanden sich im Magen krank¬ 
hafte Veränderungen, die in 9 Fällen Geschwülste von 
demselben Typus waren wie die oben erwähnten, und 
in den übrigen Fällen als Vorstadien zu diesen be¬ 
trachtet werden mussten. 

Der Ausfall dieser Untersuchungen deutete natürlich in hohem 
Grade darauf hin, dass bei diesen Ratten kein zufälliges Zu¬ 
sammentreffen von Gescbwulstbildung und Nematoden vorlag, und 
dass die Periplaneta americana der Zwiscbenwirt war. Um dies 
festzustellen und um, wenn möglich, maligne epitheliale Neu¬ 
bildungen hervorzurufen, wurden nun Versuche angestellt, indem 
Ratten mit Schaben aus dieser Lokalität gefüttert wurden. Hierbei 
wurden in einem Versuch 4 wilde Ratten (Mus decumanus) ver¬ 
wendet, in anderen 4 Versuchsreihen im ganzen 53 bunte Labora¬ 
toriumsratten, die hier in dem neuen pathologisch-anatomischen 
Institut der Universität, in dessen bisher nicht benutzten Tierställen 
keine Schaben gewesen, geboren und grossgezogen waren. 

Die Ratten wurden ein- oder zweimal, jedesmal im Laufe 
von 5 bis 25 Tagen mit Schaben in verschiedener Anzahl ge¬ 
füttert Eine Ratte erhielt 94, die übrigen weniger. Die Ratten 
wurden isoliert gehalten und nicht getötet, falls nicht der Todes¬ 
kampf eingetreten war. Sie haben also alle so lange gelebt, wie 
sie konnten. Die fünf Versuchsreihen (1. Februar 1911 bis 9. Juli 
1912) ergaben im ganzen folgende Resultate: 

Bei 3 Ratten fand sich nichts Abnormes im MageD, und 
namentlich keine Nematoden. Nematoden wurden dahin¬ 
gegen bei 54 Ratten naebgewiesen. Bei 18 von diesen 
war der Vormagen normal, bei 36 aut dieselbe Weise 


1) Compt. rend. des s&ances de l’&cad. des Sciences, 1878. 


wie bei den oben erwähnten Ratten krankhaft ver¬ 
ändert. Bei einem Teil fanden sich gleichzeitig Parasiten und 
schwächere Veränderungen derselben Art in der Speiseröhre und 
bei einzelnen ausserdem in dem Epithel der Zunge und der Mundhöhle. 

Bei 7 Ratten fand sich im Ventrikel bedeutende Ge¬ 
schwulstbildung von demselben Typus wie die früher be¬ 
schriebene. Die Nematoden entsprachen an Grösse und Form 
den früher naebgewiesenen, wie auch das Aussehen der Eier das 
gleiche war. 

ln der folgenden Tabelle 1 ist die ganze Untersuchungsreihe 
zusammengestellt. 

Tabelle 1. 



Zahl 

Die ge¬ 
suchte Ne¬ 
matode 
fand sich 
bei 

Die ge¬ 
suchte Ge¬ 
schwulst 
fand sich 
bei 

Vorstadien 
zu Ge¬ 
schwulst¬ 
bildung 
fanden sich bei 

Wilde Ratten .... 

867) 

I 



Bunte Laboratoriums¬ 

Sl 144 

0 1 

0 

0 

ratten . 

277 J 




Wilde Ratten aus einer 


i 



Lokalität mit Peri¬ 


1 



planeta americana 

61 

40 i 

9 

9 

Laboratoriumsratten, mit 


1 



Periplaneta americana 


i 



aus obenerwähnter 


l 



Lokalität gefüttert 

57 

54 

7 

29 


Hiernach konnte kein Zweifel herrschen, weder 
darüber, dass die Geschwulstentwicklung von dem Vor¬ 
handensein der Nematoden abhängig war, noch darüber, 
dass diese durch die Periplaneta americana übertragen 
wurden. 

Wie bereits früher erwähnt, war bei der Untersuchung der 
ursprünglich untersuchten 3 Ratten naebgewiesen, dass das Platten- 
epitbel in den papillomatös ungebildeten Mägen nicht selten 
freie embryohaltige Eier enthielt. Dies wurde ferner bestätigt 
durch Untersuchungen von Ventrikeln der zuletzt erwähnten 
Ratten, und ausserdem wurde naebgewiesen, dass die Eier, ohne 
anscheinend eine weitere Entwicklung durchgemacht zu haben, 
fast konstant in den Exkrementen der infizierten Tiere nach¬ 
gewiesen werden können. Es zeigte sich ebenfalls, dass die Eier 
selbst nach Verbleiben in feuchten Rattenexkrementen im Labo¬ 
ratorium während eines Zeitraums von 1 j 2 Jahr sich nicht im 
mindesten veränderten, und dass die Fäces auch dann keine freien 
Embryonen enthielten. 

Bei Fütterung mit embryohaltigen Eiern gelang es ebenfalls 
nicht, Nematoden auf gesunde Ratten zu übertragen. 

So unterlag es denn keinem Zweifel, dass die Peri¬ 
planeta americana der Zwischenwirt in des Wortes 
eigentlicher Bedeutung sein musste. In diesem Falle 
aber musste der Parasit in ihrem Körper nachgewiesen werden 
können. 

Mikroskopische Untersuchungen sowohl von den Fettkörperchen 
der Schaben wie von ihrem Magendarmkanal ergaben negative Resul¬ 
tate, wohingegen es mir ohne Schwierigkeit gelang, in der quer¬ 
gestreiften Muskulatur der Extremitäten und im Prothorax 
spiralförmig aufgerollte, trichinenähnliche Nematoden nachzu¬ 
weisen, die oft von einer ganz feinen Bindegewebskapsel umgeben 
waren und der Grösse und Form nach sehr wohl, weiterentwickelte 
Stadien von den in den Eiern des Parasiten enthaltenen Em¬ 
bryonen sein konnten. 

Um darzulegen, dass es sich hier um keinen anderen Para¬ 
siten handelte, wurde ferner eine Reihe von Versuchen ange¬ 
stellt, deren Zweck es war, den Parasiten auf Schaben zu über¬ 
tragen, von deren Muskulatur man mit Sicherheit annehmen 
konnte, dass sie vor der Ueberführung keine Nematoden enthielt. 

Zu den Versuchen benutzte ich Periplaneta orientalis, die 
teils mit Eiern von Nematoden, teils mit eihaltigen Ratten¬ 
exkrementen gefüttert wurden. Die Schaben wurden 42 bis 
60 Tage nach der Fütterung untersucht. (Tabelle 2.) 

So gelang es denn ohne Schwierigkeit, durch die. Fütterung 
eine Ablagerung von Nematoden in der Muskulatur zu erzielen. 

Diese wichen in keiner Hinsicht von den bef der Periplaneta 
americana gefundenen ab. 

Es musste folglich als äusserst wahrscheinlich angesehen 

1 * 


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Nr. 7. 


Tabelle 2. 



_ 

Nematoden 


Zahl 

wurden 



gefunden in 

Die Schaben wurden mit Eikrementen gefüttert 

18 

17 

Die Schaben wurden mit Eiern gefüttert . . . 

9 

9 

Nicht gefütterte Kontrollschaben. 

101 

0 


werden, dass die bei Ratten nacbgewieseneNematode als Zwischen¬ 
wirt nicht nur die Periplaneta americana, sondern auch die Peri- 
planeta orientalis benutzen kann. Dies wurde ferner durch den 
unten angeführten Versuch bestätigt, bei dem gesunde, im Institut 
gezüchtete bunte Ratten mit Schaben (Periplaneta orientalis) ge¬ 
füttert wurden, die ebenso wie die oben erwähnten Schaben 6 bis 
7 Wochen zuvor mit Exkrementen von infizierten Ratten oder mit 
Eiern von Nematoden gefüttert worden waren. Bei 11 bisher unter¬ 
suchten Ratten, die mit durch Rattenexkremente infizierten Schaben 
gefüttert waren, fanden sich bei 7 Nematoden, bei 3 ausgesprochene 
Epithelhyperplasien und Verdickung der Schleimhaut des Fundus¬ 
teils, von derselben Art wie die früher beschriebenen. Bei 
12 Ratten, die mit durch Eier infizierten Schaben gefüttert waren, 
fanden sich Parasiten bei 3, bei 1 ausserdem ausgesprochene ana¬ 
tomische Veränderungen von derselben Art, wie bei den vorher¬ 
gehenden. Zur Fütterung von 6 von diesen Ratten war für eine 
jede nur die Muskulatur von der Hälfte des Prothorax einer ein¬ 
zelnen Schabe benutzt worden 1 ). 

Als Kontrollversucbe wurden 43 Laboratorienratten mit 
Schaben derselben Art und Herkunft, die aber mit Nematoden 
nicht künstlich infiziert waren, gefüttert. Jede Ratte bekam 
11—60 Schaben. Bei keiner dieser Ratten wurden Nematoden 
oder krankhafte Veränderungen des Magens vorgefunden. 

Die üebertragung von Nematoden durch die Periplaneta 
orientalis verursacht folglich keine Mühe, und wird jetzt ganz 
regelmässig hier im Laboratorium bewerkstelligt. 

Dass die Ratten infiziert sind, kann leicht dadurch festgestellt 
werden, dass ihre Exkremente 6—8 Wochen nach der Fütterung 
anfangen, die leicht erkennbaren Eier der Nematoden zu enthalten. 

Die Entwicklungsgeschichte der Nematode muss also 
folgendermaassen zusammengefasst werden. Sie lebt in dem Platten¬ 
epithel des Rattenmagens und der Speiseröhre, in seltenen Fällen 
auch in dem Epithel der Zunge und der Mundhöhle, erlangt in 
diesen Organen Geschlechtsreife und scheidet embryohaltige 
Eier aus, die mit abgestossenem Epithel abgehen nnd mit den 
Exkrementen entleert werden. Wenn die Schaben (Periplaneta 
americana und orientalis) diese verzehren, entwickeln sich die 
Eier, und freie Embryonen wandern in die quergestreifte Musku¬ 
latur des Prothorax und der Extremitäten der Schaben, wo sie 
nach etwa 6 Wochen oder nach Verlauf eines längeren Zeit¬ 
raumes als trichinenähnliche, spiralförmig aufgerollte Larven 
nacbgewiesen werden können. Werden nun die Schaben von den 
Ratten gefressen, so werden die Larven aus ihren Kapseln be¬ 
freit und wandern nun in den Fundusteil des Rattenmagens (zu¬ 
weilen auch in die Speiseröhre, in das Epithel der Mundhöhle 
und der Zunge), wo die Weibchen ungefähr nach Verlauf von 
2 Monaten anfangen, embryohaltige Eier auszuscheiden. 

Das Maass der Nematoden im vollentwickelten Zustand: 

Das Männchen V 2 —1 cm lang; Diameter 0,1—0,16 mm 
,, Weibchen 4—6 „ „ „ 0,2—0,26 „ 

Die Eier sind oval, klar, von einer doppeltkonturierten 
Membran umgeben, die an den Polen ein wenig dicker ist als 
an dem übrigen Teil des Umfangs. 

Sie messen 0,06x0,04 mm und enthalten einen schleifen¬ 
förmig aufgerollten Embryo mit ringgeteilter Cuticula. 

Die zoologische nähere Untersuchung der Nematoden ist von 
mir Herrn Mag. scient. P. H. Ditlefsen, Assistenten am zoologi¬ 
schen Museum der Universität Kopenhagen, übertragen worden. 
Er hat die Nematoden der Ratten aus Dorpat, der Ratten aus 
der Zuckerraffinerie und der Ratten der verschiedenen Versuchs¬ 
reihen untersucht und festgestellt, dass es sich um ein und die¬ 
selbe Art aus dem Genus Spiroptera handelt. Das Männchen 
ist ausgestattet mit einer grossen Bursa, zwei Spikein von ver¬ 
schiedener Länge und vier präanalen sowie vier postanalen 
Papillen an jeder Seite. Es unterscheidet sich hierdurch so- 


1) Wenn nur eine geringere Zahl dieser letzten Ratten infiziert wurde, 
so hatte das wahrscheinlich seinen Grund darin, dass die verwendeten 
Schaben nur mit einer geringen Zahl reifer Eier gefüttert worden waren. 


wohl von der Spiroptera obtusa wie von der von Galeb be¬ 
schriebenen Filaria rhytipleurites und ist eine bisher nicht be¬ 
schriebene Art, über deren nähere Morphologie später ein aus¬ 
führlicher Bericht erscheinen wird. 

So war es denn gelungen, die ursprünglich nach¬ 
gewiesene Nematode wiederzufinden. Dass diese in cau- 
salem Verhältnis zu den Geschwulstbildungen stand, ging nicht 
nur daraus hervor, dass Geschwülste nur zusammen mit Para¬ 
siten gefunden waren, sondern auch daraus, dass es gelungen 
war, Geschwülste von ganz demselben Typus hervorzurufen, indem 
man den Parasiten auf gesunde Laboratoriumratten übertrug. 

Unter den im ganzen untersuchten 118 Ratten (61 wilde 
aus der Zuckerraffinerie, 67 mit Schaben gefütterte Ratten) befanden 
sich 94, deren Magenfundusteil Spiroptera enthielt. Bei 40 war 
der Parasit die einzige Abnormität des Magens, bei 64 
fanden sich gleichzeitig anatomische Veränderungen. Es zeigte 
sich, wie bereits erwähnt, dass sich der Parasit auch in der 
Speiseröhre vorfinden kann, in einzelnen Fällen ausserdem in 
dem Epithel der Zunge und der Mundschleimhaut. 

Unter 34 mit Schaben gefütterten Laboratoriumratten fanden 
sich 22, bei denen nicht nur der Magen, sondern auch die 
Speiseröhre Nematoden enthielt, bei 4—6 fanden sich solche auch 
in dem Zungenepithel, bei einer ferner in dem Epithel der Mund¬ 
höhle. Im Pylorusteil des Magens sowie im Darmkanal ist der Parasit 
nie nachgewiesen worden, ebensowenig wie in einem einzigen der 
inneren Organe. Folglich schmarotzt der Parasit nur in 
dem obersten mit Plattenepithel bekleideten Teil des 
Verdauungskanals. Man findet ihn so gut wie konstant zwischen 
dem Stratum corneum und Stratum granulosum gelagert, wo er 
unregelmässig gewundene Kanäle zwischen den Zellen hervor- 
bringt. In seltenen Ausnahmefällen habe ich ihn ein wenig tiefer 
im Epithel angetroffen, ein einziges Mal habe ich ihn in einer 
Vene in der Schleimhaut gesehen. 

Die anatomischen Veränderungen im Magen sind allein 
auf den Fundusteil lokalisiert, wo auch allein die Parasiten sich 
vorfinden; die Pars pylorica ist immer normal. 

Sie können der Uebersicht halber eingeteilt werden in erstens 
leichte Veränderungen, zweitens beginnende und ausgesprochene 
Papillomatosen, drittens starke Papillomatosen und Geschwulst¬ 
bildungen. Diese Gruppen gehen glatt ineinander über, ohne 
scharfe Grenzen. Sie weichen makroskopisch nur quantitativ ab, 
bei mikroskopischen Untersuchungen wurden hingegen andere Ab¬ 
weichungen gefunden, die später besprochen werden sollen. 

Leichte Veränderungen fanden sich bei 15 Ratten vor. Die 
Schleimhaut ist leicht verdickt, weniger durchsichtig als in 
normalen Ventrikeln. Die Verdickung tritt fleckweise oder diffus 
ausgebreitet auf, in ersterem Falle auf Partien lokalisiert, deren 
Epithel Nematoden enthält. 

Ausgesprochene Veränderungen fanden sich bei 23 Ratten 
vor. Die Verdickung der Schleimhaut ist stärker und diffus ver¬ 
breitet. Die Oberfläche ist uneben, faltig, mit kraterförmigen, 
wallförmigen oder längslaufenden Vorsprüngen und kleinen 
Papillomen. 

Auch zwischen dieser und der dritten Gruppe ist der Ueber- 
gang ganz glatt. 

Als starke Papillomatosen und Geschwulstbildungen 
können die Veränderungen bei 16 Ratten bezeichnet werden. Die 
Schleimhaut ist mit einer Unmenge von kleineren und grösseren 
Papillomen bedeckt. Die Ventrikelwand ist ausserordentlich ver¬ 
dickt (sie maass bei mehreren Ratten über 1 cm). 

Mächtige fibroepitheliale Excrescenzen ragen in der Höhle 
des Fundusteiles auf und verkleinern sie stark. In vier Fällen 
war die Höhle vollkommen obliteriert von mächtigen, unregel¬ 
mässig verzweigten papillomatösen Vorsprüngen und Wällen, die 
die Mündung der Speiseröhre ganz oder teilweise absperrten und 
von dem Fundusteil in die Pars pylorica hineinragten. (Figur 1.) 

Der Magen war in allen diesen Fällen gross, schwer, dick 
und fest, seine Aussenseite war buckelig, mit gelblichweissen, 
flachen Prominiscenzen, in ein paar Fällen ausserdem mit ge¬ 
stielten kleinen Knoten besetzt. In drei Fällen fand sich 
ein etwas abweichendes Bild, indem der Ventrikel bei diesen 
Ratten nicht von multiplen Papillomen, sondern von einer ein¬ 
zelnen kolossalen, fast walnussgrossen, knollenförmigen, von der 
Umgebung der Cardia ausgehenden Bindegewebsgeschwulst ; aus¬ 
gefüllt war,, die sich von hier aus nicht nur in den Fundusteil 
hinein erstreckte, sondern auch den grössten, Teil des Pylorueab- 
Schnitts ausfüllte. Veränderungen im Oesophagus mussten auf alle 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


293 


Figur 1. 



Kolossale Papillomatose des Magens. (Natürl. Grösse.) 

Fälle als leichte oder raässige bezeichnet werden; nur bei einer 
Ratte wurde hier bedeutende Papillomatose gefunden. 

Bei mikroskopischer Untersuchung fand sich, dass 
die Verdickung der Schleimhaut des Fundusteils ihren Grund nur 
in Proliferation des Oberflächenepithels, namentlich des Stratum 
corneum hatte. In den meisten Fällen fanden sich gleichzeitig 
entzündliche Veränderungen, die in einer Anhäufung teils von 
eosinophilen Leukocyten in der Tunica propria der Schleimhaut, 
teils von Plasmazellen, eosinophilen wie spärlichen neutrophilen 
Leukocyten und Lymphocyten in der Submucosa bestanden, die 
in einigen Fällen zugleich auch ödematös war. 

Solche Veränderungen waren oft ausschliesslich auf Stellen 
lokalisiert, wo das Epithel Nematoden enthielt, die in diesen 
Fällen häufig nur in sehr geringer Anzahl nachgewiesen werden 
konnten. 

In Fällen mit ausgesprochenen Veränderungen wurden 
teils dieselben Erscheinungen, nur stärker entwickelt, teils Ent¬ 
zündungsprozesse von mehr chronischer Art nacbgewiesen. 

Das Epithel war ungeheuer verdickt, es war eine sehr starke 
Proliferation vorhanden, nicht nur der Hornschicht, sondern auch 
der tieferen Schichten, namentlich des Stratum spinosum. Die 
oberste desquamierende Hornschicht war häufig ödematös und ent¬ 
hielt nicht selten polymorphkernige Leukocyten wie kleine Abscesse, 
zwischen nekrotische Hornlamellen gelagert. Die Epithelzapfen 
wuchsen in die Tiefe und drängten die Muscularis mucosae vor 
sich her. 

Nicht selten war diese Haut so durchbrochen, dass sich 
Epithelinseln unterhalb der Muskelfasern gelagert fanden, mit dem 
Oberflächenepithel durch einen Epithelstrang verbunden. 

In vereinzelten Fällen wurden starke Epithelproliferation und 
heterotopes Tiefenwachstum als einzige krankhafte Erscheinungen 
gefunden. Entzündliche Veränderungen wurden dabei nicht beob¬ 
achtet. In anderen Fällen traten die Entzündungserscheinungen 
nur wenig hervor. 

In einem einzigen Magen glich die Ausbreitung des Epithels 
in der Submucosa ganz dem infiltrativen Wachstum einer be¬ 
ginnenden malignen Neubildung, aber in den übrigen Fällen 
bildete das heterotop wachsende Epithel geschlossene und von dem 
Bindegewebe abgegrenzte Massen. (Figur 2.) 

Der Uebergang zwischen den Fällen dieser Gruppe und der 
letzten wird von Fällen vertreten, in denen sich durch starke 
Proliferation des Epithels und des Bindegewebes der Submucosa 
kleinere Papillome entwickeln. 

Der Grundstock in diesen besteht hauptsächlich aus dem 
Bindegewebe, dessen fixe Elemente in lebhafter Neubildung be¬ 
griffen und oft mit eosinophilen Leukocyten und Plasmazellen in¬ 
filtriert sind. In der Regel enthält der Grundstock zugleich 
mehr oder weniger Muskelfasern der Muscularis mucosae. 

Bei weiterer Entwicklung dieser verschiedenen Prozesse treten 
die gewaltigsten Veränderungen auf, teils enorme Papillom¬ 
bildungen (bis zu 1^2 cm Höhe), teils Bildung sehr grosser 
Epithelkrypten. Diese entstehen dadurch, dass das heterotop 
gelagerte Epithel unter weiterer starker Proliferation, nament¬ 
lich der Zellen der Hornschicht, die Fasern der Muscularis 
musco8ae zersprengt, das Bindegewebe der Submucosa zusammen¬ 
drückt und es nach den Seiten schiebt, bis die wachsenden 
Epithelmassen an Steilen gelangen, wo das Bindegewebe selbst 


Figur 2. 



Heterotopes Tiefenwachstura des Epithels, die Muse, mucos. durchbrechend. 

Im Stratum corneum zahlreicbe^Nematoden. (Starke Vergr.) 

in starkemjWachstum begriffen ist. Hier werden den Epithel¬ 
massen laterale Grenzen gesetzt, sie werden von dem ringsherum¬ 
liegenden proliferierenden Bindegewebe eingeschlossen. Schreitet 
die Proliferation fort, so leiden die tiefsten Bindegewebsbündel 
in der Submucosa gleich wie die Fasern der Muscularis. Diese 
Elemente werden atrophisch, können vollständig schwinden, und 
die Magenwand besteht dann aus cystischen divertikelähnlichen 
Epithelkrypten, die nach innen zu mit dem Lumen des Magens 
kommunizieren, nach aussen nur durch Serosa begrenzt werden 
und sich auf der Aussenseite des Magens als gelblichweisse 
Knoten oder Erhöhungen abheben. In Schnittpräparaten sieht 
man die Krypten oft als abgeschlossene Cysten (bis zu 5 mm 
Durchmesser) mit concentrischen Lagen verhornter flacher, kern¬ 
loser Zellen angefüllt und mit einer Wandbekleidung von Zellen, 
die zu den tiefen Schichten des Oberflächenepithels gehören. 

Bei den erwähnten drei Ratten, deren Ventrikel nur eine 
vereinzelte knollenförmige Geschwulstbildung enthielt, fanden sich 
entsprechende histologische Abweichungen, die dadurch verursacht 
waren, dass die Neubildung des Bindegewebes in diesen Fällen 
ganz dominierte, während die Epithelproliferation und das hetero- 
tope Tiefenwachstum weit weniger hervortrat. Das Bindegewebe 
des Grundstocks war fibrös, an einzelnen Stellen auch hyalin ver¬ 
ändert. Die Struktur erinnerte an ein paar Stellen an Sarkom, 
doch Hessen sich keine sicheren sarkomatösen Veränderungen 
nachweisen. 

Diese Fälle wichen also in Wirklichkeit nur in geringerem 
Maasse von den übrigen der obengeschilderten Typen ab. Rechnet 
man diese drei Fälle mit, so sind es bisher im ganzen zwölf. 
Auch die Ventrikel der Ratten aus Dorpat zeigten dieselbe 
Struktur. 

Alles in allem können dieseVeränderungen zusammen¬ 
gefasst werden als gewaltige Papillomenbildungen mit 
akuter und chronischer Entzündung sowie Epithel- 
heterotopie. 

Absolut gutartig kann der Prozess jedoch nicht genannt 
werden, insofern als durch die heterotope Epithelproliferation eine 
bedeutende Destruktion der Magenwand bedingt ist. Von echtem, 
infiltrativ carcinomatösem Epithel wachstum war jedoch 
keine Rede, und Metastasen wurden nicht gefunden, trotz 
systematischer Untersuchung aller Lymphdrüsen und 
aller Organe. 

Anders war dahingegen das Verhältnis in vier 
weiteren Fällen. 

Es handelte sich in diesen allen um ursprüglich gesunde, bunte 
Laboratoriumratten, die im Institut mit Schaben (Periplaneta 
americana) aus der Zuckerraffinerie gefüttert waren (Tabelle 3). 

Bei diesen vier Ratten, bei denen das makro¬ 
skopische Aussehen des Magens nicht von dem der 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT, 


Beginnende Carcinomentwicklung. Links zwei quergeschnittene Nematoden. 
(Starke Vergr.) 

£Eigur 5. 


1. 30. VIII. bis 20. IX. 30. XL. 1911 bis 4. II. 1. VI. 1912 (275 

1911 mit 25 bis 1912 mit 34 Schaben Tage nach Anfang 
26 Schaben d. erst. Fütterung) 

2. 21. IX. bis 30. IX. 30. XL 1911 bis 4. II. 28. V. 1912 (250 

1911 mit 42 bis 1912 mit 40 Schaben Tage nach Anfang 

44 Schaben d. erst. Fütterung) 

3. wie obenstehend wie obenstehend 30. V. 1912 (252 

Tage nach Anfang 
d. erst. Fütterung) 

4. wie obenstehend wie obenstehend 22. IV. 1912 (214 

Tage nach Anfang 
d. erst. Fütterung) 


wie obenstehend 


wie obenstehend 


wie obenstehend 


übrigen in dieser Gruppe abwich (s. Figur 3), fand 
sich auf begrenzten Partien ein infiltratives Wachs¬ 
tum des heterotop gelagerten Epithels von ganz 
demselben Typus, wie es beim gewöhnlichen 
Plattenepithelcarcinom beobachtet wird. 


Figur 3. 


Digitized fr, 


Gougle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 


Magen mit Papilloraatose'und metastasierendem Carcinom, durch Fütterung 
mit nematodenhaltigen Schaben hervorgerufen. (Ratte 3.) (Natürl. Grösse.) 


Bei Ratte 1 waren diese Erscheinungen jedoch nur in ver¬ 
einzelten Stellen eines Papilloms vorhanden, bei den übrigen war 
der Prozess von grösserer Ausdehnung und nicht allein an 
Papillome gebunden. (Figur 4.) 

In der Schleimhaut und der Submucosa fanden sich hier, von 
dem hyperplastischen Oberflächenepithel ausgehend, Inseln und 
Züge von Plattenepithelzellen sowie isolierte Epithelzellen, unge¬ 
ordnet verbreitet und innig vermischt mit feinen Fibrillen des 
Bindegewebes, das in allen Fällen mehr oder weniger verändert 
und der Sitz von ausgesprochenen Entzüodungserscheinungen 
war (Anhäufung von Leukocyten, Plasmazellen, jungen Binde¬ 
gewebszellen, epitheloiden Zellen und einzelnen Riesenzellen). 
Die Epithelzellen waren in grosser Ausdehnung verhornt. An 
zahlreichen Stellen fanden sich typische Zwiebelschalenbildungen 
zwischen den Zellenhaufen, die im übrigen annähernd von dem¬ 
selben Typus wie im Stratum spinosum und germinativum waren. 
Von Muscularis mucosae ward keine Spur gefunden, von den 
Elementen der Submucosa nur Reste. Das carcinomatöse Tiefen¬ 
wachstum nahm die Submucosa in ihrer ganzen Ausdehnung ein, 
während Muscularis und Serosa keine Epithelzellen enthielten 
und annähernd normal waren. (Figur 5, 6 und 7.) 

Bei sehr sorgfältiger mikroskopischer Untersuchung von sämt¬ 
lichen Lymphdrüsen und Organen fanden sich keine Metastasen 
bei Ratte 1. Bei Ratte 2 fanden sich Veränderungen, die 
wahrscheinlich Metastasen waren, bei den Ratten 3 
und 4 wurden dahingegen Metastasen mit Sicherheit 
nachgewiesen. 


Carcinom in der Schleimhaut und Submucosa des Magens der Ratte Nr. 3. 

Bei Ratte 2 enthielt die Harnblase eine blumenkohlförmige, 
papillomatöse Geschwulst, die von der Schleimhaut im Vertex 
und den angrenzenden Partien ausging. Die Geschwulst war im 
ganzen etwa von der Grösse einer Erbse, sie ragte ungefähr 5 mm 
in die Höhlung der Blase hinein und verringerte diese fast um die 
Hälfte ihrer ursprünglichen Grösse. (Figur 8 und 9.) 

Bei sagittalem Schnitt durch die Blase zeigte sich die Geschwulst 
aus einem unregelmässig verzweigten Bindegewebsgrundstock auf¬ 
gebaut, aus dem Bindegewebe der Schleimhaut und der Submucosa 
hervorgegangen und bekleidet mit einem verhornten Plattenepilhel von 
demselben Bau wie das Epithel in den Papillomen des Ventrikels. An 
mehreren Stellen fand sich Zwiebelschalenbildung. 

Die Blasenschleimhaut war in beträchtlicher Ausdehnung vollkommen 
normal und mit dem gewöhnlichen Uebergangsepithel bekleidet, au 
anderen Stellen fanden sich Anhäufungen von Lymphocyten in der 
Schleimhaut und kleine polypöse Eicrescenzen. Die Geschwulst zeigte 
kein infiltratives Wachstum, in dem Grundstock fanden sich aus¬ 
gesprochene Entzündungserscheinungen (Lymphocyten und Plasmazellen 
in beträchtlicher Menge), doch nirgends heterotopes Epithel. Auch die 
Muscularis enthielt solches nicht. Entzündung fand sich ebenfalls in 
dem obersten Teil der Uretra. 















17. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


295 




Figur 6. 


Die Geschwulst in der Harnblase machte ganz den Eindruck, 
als sei sie von derselben Natur wie das Carcinom des Magens 
wenn man davon absah, dass kein infiltratives Wachstum nach¬ 
gewiesen werden konnte. 

Es schien an und für sich natürlich, diese Geschwulst als 
eine Metastase aufzufassen, es konnte sich aber auch um eine 
entzündliche Metaplasie des Blasenepithels handeln. Dagegen 
sprach jedoch, dass die Blasenschleimhaut, wie besprochen, in 
grosser Ausdehnung ganz normal war. Trichosoma (Löwen- 
stein) fand sich nicht vor. 


Dasselbe Präparat. (Starke Vergr.) 

Figur 7. 


Carcinom in der Schleimhaut und Submucosa des Magens dei Ratte Nr. 4. 


Papillomatose (wahrscheinlich metastatisches Epitheliom) der Harnblase 
bei Ratte Nr. 2. (Zweimal. Vergr.) 

Von Interesse war ferner, dass in beiden Vesiculae semi- 
nales Veränderungen ähnlicher Art nachzuweisen waren wie in der 
Harnblase. Das normale Epithel war an zahlreichen Stellen von 
einem verhornten Plattenepithel verdrängt. An einer einzelnen 
Stelle waren typische Hornperlen vorhanden. 


Keinem Zweifel aber unterliegt es, dass bei den Ratten 3 
und 4 Metastasen gefunden wurden. Bei Ratte 4 fand sich bei 
der mikroskopischen Untersuchung in der linken Lunge ein ovaler 
Knoten, der in der grössesten Ausdehnung etwa 0,8 mm maass 
und aufgebaut war aus konzentrischen Schichten verhornter Zellen, 
die von Plattenepithel umgeben waren, dessen Bau genau dem 
der Zellen im Stratum spinosum und germinativum entsprach. 
(Figur 10.) 

Bei Ratte 3 enthielt eine l 1 / 2 cm lange, 8 mm breite und 
v 2 cm dicke retroperitoneale Lymphdrüse, die in der Nähe der 
Milz beim Ansatz des Omentums gelegen war, zwei ungefähr 
kugelförmige, weisse, feste Knoten, von l 1 /* bis l 1 ^ mm Durch¬ 
messer. (Figur 11 und 12.) 

Diese Knoten, die schon bei der Sektion nacbgewiesen wurden, 
ergaben bei der mikroskopischen Untersuchung, dass sie auf ganz 
dieselbe Weise aus centralen, konzentrischen Hornscbichten auf- 
I „ gebaut waren, die, von typischem Platteuepithel um¬ 

geben, den tieferen Schichten des Ventrikelepithels ent¬ 
sprachen. 

Bei keinem dieser Tiere wurden anderswo Metastasen 
nachgewiesen. 

In diesen vier Fällen fand sich also wirk¬ 
lich ein Carcinom, das in einem Fall wahrschein- 
lich, in zwei Fällen sicher metastasierend war. 

Von besonderem Interesse ist es, dass die übrigen 
Veränderungen in diesen Fällen, wenn auch sehr be¬ 
deutend, so doch keineswegs so gewaltig, wie in mehreren 
anderen Fällen waren, in einem Falle sogar schwächer 
als in den anderen Magen dieser Gruppe. 

Auch enthielten diese vier Ventrikel nicht mehr 
Parasiten als die übrigen, wie auch die Parasiten nicht 
an anderen Stellen gelagert waren als in den übrigen 
Magen. 

Von ganz besonderem Interesse ist es, dass keine 
Nematoden in den Metastasen gefunden wurden. 

Von der Harnblase von Ratte 2 wurde eine ununter¬ 
brochene Serie von ca. 800 Schnitten (ä 10 //) an¬ 
gefertigt. Die Serie umfasste das Organ in toto, kein 
Schnitt ging verloren. Von der Lungenraetastase von 
Ratte 4 wurde ebenfalls eine Schnittserie untersucht, 
die jedoch nicht komplett werden konnte, und endlich 
wurde die retroperitoneale, geschwulsthaltige Lymph¬ 
drüse von Ratte 3 sowie eine Nachbardrüse in Serien¬ 
schnitt vollständig zerlegt. 

Die Serie zählte 967 Schnitte (ä 10 //). Ein Schnitt 
ging verloren. Es fanden sich weder bei den zuerst erwähnten 
Untersuchungen noch bei der Untersuchung der Lymphdrüse 
Parasitenteile oder Eier in einem einzigen Schnitt. 

Hiermit ist festgestellt, dass Metastasen in des 
Wortes strengster Bedeutung Vorlagen. 

In der Magenschleimhaut kommen die Spiropteren in sehr 
wechselnder Anzahl vor, in acht Ventrikeln fand sich nur eine 
einzige, in zahlreichen nur einige wenige, in einem Teil 15—20, 
in anderen so viele, dass sich die Zahl nicht bestimmen liess. 

Uebersieht man aber die gesamte Reihe der Ratten, die mit 
Schaben gefüttert sind, so zeigt es sich, dass als allgemeine 
Regel ein einfaches proportionales Verhältnis zwischen der Anzahl 
von Würmern, der Zeit, die diese im Magen schmarotzt haben, 
und dem Grad der anatomischen Veränderungen besteht. Dies 
geht aus folgender Tabelle 4 hervor, in der eine Reihe von mit 
Schaben gefütterten bunten Ratten zusammengestellt ist, die zu¬ 
fällig spontan ungefähr zu denselben Zeitpunkten nach der Fütte¬ 
rung gestorben sind. 

Auch eine Zusammenstellung der ganzen Versuchsreihe er¬ 
gibt dasselbe Resultat, doch müssen drei Fälle ausgenommen 


Figur 8. 


2 * 


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Original fro-m 

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296 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 7. 


Figur 9. 



Dasselbe Präparat. (Mikrosk. Schnitt.) 


Tabelle 4. 



Anzahl von 
Parasiten 

Zeitraum zwisrh. 
dem Anfang der 
ersten u. letzten 
Fütterung u. dem 
Eintreten d.Todes 

Veränderungen 

im Magen Speiseröhre 

Bunte 

Hatte 

1 

42*) 

0 

0 

do. 

2 

75-54 

schwache 

0 

do. 

1 

78-57 

0 

0 

do. 

einzelne 

80-59 

0 

0 

do. 

einzelne 

80-59 

schwache, lokale 

0 

do. 

1 

82-61 

0 

0 

do. 

ein Teil 

82-61 

aus- 

mässige 

do. 

zahlreiche 

82-61 

gesprochene 

sehr 

massige 

do. 

3 

83-62 

bedeutende 

schwache 

0 

do. 

einzelne 

84- 82 

0 

0 

do. 

zahlreiche 

84-80 

sehr 

? 

k do. 

1 

100*) 

bedeutende 

0 

0 

do. 

3 

266-108 

leichte 

0 

do. 

5-6 

294-136 

leichte 

0 

do. 

6 

304—146 

leichte 

0 

do. 

4 

307-147 

0 

0 

do. 

zahlreiche 

276—116 

Geschwulst 

0 

do. 

1 

277-50 

schwache, lokale 

0 


*) Nur einmal gefüttert. 






Figur 10. 


Carcinommetastase in der Lunge der Ratte Nr. 4. (Starke Vergr.) 

Figur 11. 


werden, in denen der Ventrikel trotz ausgesprochener Verände¬ 
rungen nur einige wenige Parasiten enthielt, und ausserdem ein 
Fall, in dem eine Anzahl Parasiten nur schwache Veränderungen 
hervorgebracht hatten. 


In den sieben Fällen, in denen die stärksten Papillomatosen 
auftraten, waren diese entwickelt 344—214 Tage und 118 bis 
77 Tage nach dem Beginn bzw. der ersten und letzten Fütterung. 

Auffallend ist, dass in einigen von diesen Fällen der Magen, 
nach den Schnittpräparaten zu urteilen, offenbar nur eine relativ 
geringe Zahl Würmer (ca. 20—25) enthielt. In einem der 

Ventrikel der ursprünglich untersuchten Ratten aus Dorpat ge¬ 

lang es überhaupt nicht, in grossen Partien der Schleimhaut 
Würmer nachzuweisen, und bei einer anderen von diesen Ratten 
fanden sich in ca. l / 3 der ganzen Schleimhaut im ganzen nur 

drei männliche Parasiten. Auch der Nachweis von Parasiten in 
Schnittpräparaten dieser 3 Ventrikel hatte ursprünglich Schwierig¬ 
keiten bereitet. 

Dies braucht jedoch keine wirkliche Abweichung von dem 
einfachen Verhältnis zu bedeuten, das im allgemeinen zwischen 
der Menge von Parasiten und dem Entwicklungsgrad der 

Papillomatosen zu bestehen scheint. Man könnte die Erklärung 
natürlich in einer besonderen Empfänglichkeit dieser Ratten für 
die Wirkungen des Parasiten suchen, die Abweichung könnte aber 
auch ganz einfach eine Folge davon sein, dass die Magen bei der 
Untersuchung nach dem Tode des Tieres weniger Nematoden ent¬ 
hielten als in einem früheren Stadium der Geschwulstentwicklung. 
Falls diese Annahme richtig ist, muss man freilich voraussetzen, 
dass eine beginnende oder entwickelte Papilloraatose sich fortsetzt 
und nicht etwa abnimmt oder aufhört, weil ein Teil der Parasiten 
den Magen verlassen hat; wenn man aber bedenkt, dass die Epithel- 
zellen desVentrikels, wie oben nachgewiesen, ohne Hilfe des Para¬ 
siten in fremden Organen proliferieren und Metastasen bilden 
können, so ist es wenig wahrscheinlich, dass die 
Zellen nicht auch im Magen selbst die Fähigkeit 
erlangen sollten, selbständig weiter zu wachsen, 
und dass sie, nachdem sie zu einem gewissen 
Zeitpunkt den nötigen Impuls empfangen haben, 
nicht imstande sein sollten, ihre abnorme Prolife¬ 
ration auch unabhängig davon fortzusetzen,ob ein 
Teil der Parasiten den Magen verlässt oder nicht. 

Der Beweis für die Richtigkeit dieser An¬ 
nahme muss natürlich geführt werden, indem 
man feststellt, dass die anatomischen Verände¬ 
rungen nicht gehemmt werden oder gar völlig 
aufhören, sobald die Parasiten vertrieben werden. 
Es ist mir jedoch vorläufig nicht möglich gewesen, 
ein Antbelminthicum zu finden, das die Parasiten 
beeinflusst, ohne gleichzeitig die Ratten zu töten. 

Es muss infolge der hier und in dem 
Vorgehenden mitgeteilten Untersuchungen als 
nachgewiesen betrachtet werden, dass die Entwicklung der ge¬ 
schilderten Ventrikelaffektion abhängig ist von der gefundenen 
Spiroptera. Eine genauere Erklärung dieses Vorganges kann jedoch 
vorläufig nicht gegeben werden. 


Retroperitoneale Lymphdrüse mit metastatischem Carcinom der Ratte Nr. 3. 
(Schwache Vergr.) 


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Original from 

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17. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


297 


Figur 12. 



Dasselbe Präparat. (Stärkere Vergr.) 


Wenn man bedenkt, eine wie grosse Bedeutung man in der 
neueren Zeit der Produktion von toxischen Stoffen durch die 
Helminthen beimisst, so liegt es nahe, auch für die Wirkung der 
hier beschriebenen Spiroptera die Erklärung in einer Gift¬ 
produktion zu suchen. 

Hierfür spricht das einfache Verhältnis, das, wie oben ge¬ 
zeigt, zwischen der Anzahl von Parasiten, ihrem Aufenthalt im 
Ventrikel und der Entwicklung der anatomischen Veränderungen 
in der Regel nacbgewiesen werden kann. 

Auch die lokale Eosinophilie, die sich konstant in der 
Schleimhaut nachweisen lässt, kann in Analogie mit Eosinophilie 
beim Schmarotzen anderer Helminthen durch eine Giftproduktion 
erklärt werden. 

Einer Bakterieninfektion grössere Bedeutung beizulegen, 
scheint aus verschiedenen Gründen kaum berechtigt. Es ist nicht 
wahrscheinlich, dass eine Proportionalität wie die nachgewiesene 
vorhanden sein würde, falls eine bakterielle Infektion den Ver¬ 
änderungen zugrunde läge. Nur eine einzelne oder ganz wenige 
Nematoden dürften genügen, um auf Grund ihrer im Verhältnis 
zum Ventrikel kolossalen Grösse hinreichend gute Bedingungen 
für eine Bakterieninvasion zu schaffen und da mit auch für die Ent¬ 
wicklung bedeutender Veränderungen; aber, wie bereits erwähnt, be¬ 
dingen wenige Parasiten in der Regel nur schwache Veränderungen 1 ). 

Von grösserer Bedeutung als diese Betrachtungen ist jedoch 
die Tatsache selbst, dass es durch mikroskopische Untersuchungen 
von etwa 30 Ventrikeln mit anatomischen Veränderungen ver¬ 
schiedenen Grades nur in zwei Fällen möglich war, Bakterien 
anderswo als in den oberflächlichsten Schichten des Epithels nach¬ 
zuweisen. In dem einen Fall fanden sich einzelne Bakterien im 
Stratum germinativum und in der Submucosa, in dem anderen 
allein in der letzteren. Diese Fälle unterschieden sich in keiner 
Beziehung von den übrigen. 

Ich halte es daher vorläufig für wahrscheinlich, dass die In¬ 
vasion von mikroskopisch nachweisbaren Bakterien in der Regel 
keine wesentliche Bedeutung für die Entwicklung der patho¬ 
logischen Veränderungen spielt; es lässt sich jedoch natürlich 
nicht leugnen, dass gelegentlich Infektionen Vorkommen. 

Weitere Untersuchungen werden angestellt werden, um so mehr, 
als die Möglichkeit, dass ultramikroskopische Mikroben vielleicht 
eine Rolle spielen könnten, nicht von der Hand zu weisen ist, ob¬ 
wohl auch diese Möglichkeit mir nicht gerade wahrscheinlich ist. 


1) Wie bereits mitgeteilt, fand sich im Magen bei einem Teil wilder 
Ratten (M. decumanus) eine Nematode, die infolge des Baues der Eier 
als zu dem Geschlecht der Trichosoma gehörig bestimmt werden musste. 
Die Vorgefundene Art ist ungefähr von derselben Grösse, wenn auch ein 
wenig kleiner als die hier besprochene Spiroptera und wurde in einzelnen 
Ventrikeln in zahlreichen Exemplaren gefunden. Dessenungeachtet war 
die Schleimhaut in diesen Fällen ganz normal. Auch dies scheint dafür 
zu sprechen, dass die Spiroptera eine besondere Wirkung ausüben muss, 
da die Fähigkeit, gute Invasionsbedingungen für Bakterien zu schaffen, 
offenbar ungefähr dieselben für diese beiden Nematodenformen sein müsste. 


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Erwähnt werden muss noch ein Faktor, der vielleicht in ge¬ 
wissen Fällen zu der Destruktion der Ventrikelwand beigetragen 
haben kann, nämlich die Rattenbaare, die fast immer in den 
Wänden der kranken Ventrikel vorhanden sind. Haare sind 
jedoch auch unter normalen Verhältnissen ein äusserst gewöhn¬ 
licher Befund in dem Magen der Ratte, sind jedoch nur aus¬ 
nahmsweise imstande (wovon ich mich durch Fütterungsversuche 
überzeugt habe), die Schleimhaut zu verletzen, falls diese normal 
ist. Anders stellt sich natürlich das Verhältnis in Ventrikeln mit 
bedeutender Geschwulstbildung, deren Kontraktionsfähigkeit sicher 
gehemmt ist und die sich infolgedessen schwieriger von Haaren 
zu befreien vermögen. In solchen Fällen werden die Haare 
mehr oder weniger die Häute der Magenwand durchbohren. 
Dass hierdurch Beschädigungen oder Entzündungen hervorgerufen 
werden können, unterliegt keinem Zweifel. Dass diese Verände¬ 
rungen eine wesentliche Rolle spielen, ist jedoch nicht anzunehmen. 

Das Tiefenwachstum des Epithels und seine heterotope Pro¬ 
liferation vollziehen sich ebenso wie seine infiltrative epithelio- 
matöse Verbreitung unabhängig von den Haaren, und wenn in 
grossen Epithelkrypten ganz allgemein Haare gefunden werden, 
so wird dies sicher am häufigsten durch eine Retention bedingt 
und darf nicht als ätiologisches Moment aufgefasst werden, das 
eine wesentliche Bedeutung für die Entwicklung der Krypten ge¬ 
habt hat, selbst wenn es in einzelnen Fällen zu der Destruktion 
der Wände beigetragen hat. 

Nach den hier mitgeteilten Untersuchungen halte ich es, 
alles in allem, vorläufig für das Wahrscheinlichste, dass die Ur¬ 
sache der erwähnten Magenveränderungen in einer Giftproduktion 
seitens der Vorgefundenen Spiroptera zu suchen ist. 

Dass die Veränderungen in einzelnen Fällen Abweichungen 
von dem gewöhnlichen Bilde aufweisen, könnte seinen Grund in 
Variationen der Giftproduktion haben, analog den Variationen, 
von denen man angenommen hat, dass sie Verschiedenheiten in 
der Wirkung anderer Helminthen (wie Botriocephalen), über deren 
Giftproduktion kein Zweifel herrschen kann, bedingen können. 
Man muss natürlich auch annehmen, dass die Empfänglichkeit 
der Ratten variieren kann. 

Es liegt kein zwingender Grund vor zu der Annahme, dass 
in den Fällen, wo sich Epitheliome mit infiltrativem Wachstum 
und Metastasen entwickelten, andere spezielle Ursachen Vorgelegen 
haben als die hypothetische Giftwirkung der Nematoden. Freilich 
wurde in der Submucosa dieser Ventrikel eine besonders stark 
ausgesprochene Entzündung akuten und chronischen Charakters, 
sowie hyaline Degeneration vorgefunden, aber auch hier Hessen 
sieb, ausser in den oberflächlichen Epithelschichten, nirgends 
Bakterien nachweisen. Es ist ja möglich, dass gerade die starken 
Veränderungen des Bindegewebes eine mitwirkende Rolle bei der 
Entwicklung der malignen Heterotopie des Epithels gespielt 
haben, es erscheint aber doch ebenso berechtigt, die bedeutenden 
Umbildungen des Epithels wie des Bindegewebes als nebengeord¬ 
nete und untereinander unabhängige Aeusserungen einer besonders 
intensiv toxischen Beeinflussung zu betrachten. Eine sichere Deutung 
gestatten die vorliegenden Beobachtungen selbstverständlich nicht. 

Die anatomische Untersuchung der Organe dieser Ratten er¬ 
gab keinen Anhaltspunkt zu der Annahme von irgendeiner Kon¬ 
stitutionsanomalie. Auch ist es nicht wahrscheinlich, dass diese 
Tiere demselben Wurf angehörten oder von derselben näheren 
Abstammung waren. 

Die Ergebnisse der ganzen Untersuchungsreihe können 
folgendermaassen zusammengefasst werden: 

1. Eine endemisch auftretende, bisher unbekannte Krankheit 
im Vormagen und der Speiseröhre der Ratte (Mus decumanus) 
wird hervorgerufen durch eine bisher nicht beschriebeneN ematode, 
die dem Genus Spiroptera angehört, und die in entwickeltem 
Zustand in dem Plattenepithel der Schleimhäute der genanntenörgane 
schmarotzt. Der Zwischen wirt bei der Entwicklung der Nema¬ 
tode ist die Schabe (Periplaneta americana, Periplaneta orientalis). 

2. Die Krankheit wurde beobachtet teils als endemisch unter 
wilden Ratten (Mus decumanus) in einer einzelnen, begrenzten 
Lokalität auftretend, teils wurde sie bei bunten Laboratoriums¬ 
ratten experimentell hervorgerufen, indem man die Nematoden 
mittels Fütterung mit dem Zwischenwirt auf diese Ratten übertrug. 

3. Die Krankheit besteht in ihren initialen Stadien aus 
Epithelhyperplasie und Entzündung, in ausgesprochenen 
Fällen schliesst sich hieran PapiII ombildung, die eine kolossale 
Entwicklung erlangen und fast den ganzen Ventrikel ausfüllen kann. 

Die Papillomatose kann das Vorstadium zur Entwicklung 

3 

Original fram 

UNIVERSITÄT OF IOWA 









298 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 7. 


maligner Epitheliome mit infiltrativem heterotopen 
Wachstum des Epithels sein, so wie es bei mindestens 
vier durch Schaben infizierten Laboratoriumsratten 
beobachtet wurde. 

Die maligne Geschwulstbildung scheint verhältnismässig spät 
nach der Einführung der Nematoden zur Entwicklung zu kommen, 
und es ist daher möglich, dass maligne Geschwülste sich bei 
noch mehr Versuchstieren entwickelt haben würden, wenn nicht 
eine grössere Anzahl derselben schon kürzere Zeit nach der 
(Jebertragung der Nematode intercurrenten Krankheiten anderer 
Art erlegen wäre. 

4. Bei mindestens zwei, wahrscheinlich bei drei 
von den mit Schaben gefütterten Laboratoriumsratten 
mit malignem Epitheliom liessen sich in anderen Or- 

anen Metastasen nachweisen. Es ist somit durch diese 
ntersuchungen zum ersten Male gelungen, experi¬ 
mentell bei gesunden Tieren metastasierendes Carcinom 
hervorzurufen. 

5. ln den Metastasen wurden keine Parasiten oder 
Parasiteneier gefunden. Die Entwicklung der Metastasen ist 
daher zurückzuführen auf eine Fähigkeit der Epithelzellen des 
Magens, sich selbständig, ohne Hilfe eines Parasiten, in fremden 
Organen weiterentwickeln zu können. 

6. Soweit es sich nach den vorliegenden Untersuchungen 
beurteilen lässt, kann man annehmen, dass sämtliche anatomische 
Veränderungen durch Giftproduktion der Nematoden hervorgerufen 
werden. Die Genese der malignen Neubildung lässt sich vorläufig 
nicht genauer erläutern. 

7. Die von Borrel und Haaland aufgestellte Hypothese, 
dass Nematoden Entwicklung von malignen Geschwülsten 
bei Mäusen und Ratten hervorrufen können, muss durch 
diese Untersuchungen als bewiesen betrachtet werden, 
ebenso wie 

8. Börrel’8 Hypothese über die Bedeutung der 
Nematoden für das endemische Auftreten von Geschwülsten 
unter Mäusen wahrscheinlicherweise richtig ist. 

Auch Beobachtungen anderer Forscher müssen nach dem 
Ausfall der hier mitgeteilten Untersuchungen in einem anderen 
Licht betrachtet werden. Es ist schwer anzunehmen, dass in 


Fällen, wo im Geschwulstgewebe Nematoden oder andere Hel¬ 
minthen nachgewiesen sind, es sich nur um ein zufälliges Zu¬ 
sammentreffen handeln sollte. Eher muss man von der Annahme aus- 
geben, dass die Parasiten wirklich pathogenetische Bedeutung haben. 

Dies gilt ausser den früher erwähnten, von Borrel zu¬ 
sammengestellten Beobachtungen, 1 ; von Wasielewsky’s Nachweis 
einerDispharagusart bei papillomatöser Geschwulstbildung im Magen 
der Taube, Tsukioka’s Beobachtung von Epitbelheterotopie bei 
Parasitismus von Ascariden im Ventrikel von zwei Affen, und 
Löwenstein’s Mitteilung von Epithelbyperplasie und Papillo- 
matose beim Schmarotzen von Trichosoma in der Harnblase von 
Ratten, ferner von dem Auftreten primärer Carcinome in der 
Leber bei Kühen, die an Distomatose leiden (Haaland, Bashford), 
sowie von mehreren anderen Beobachtungen. 

Auch die Pathologie des Menschen enthält solche Beobach¬ 
tungen. Diese gelten in erster Reihe den Trematoden. Die Be¬ 
deutung des Bilharziaparasiten muss, wie bereits früher erwähnt, 
als bewiesen betrachtet werden. Es lässt sich ferner kaum be¬ 
zweifeln, dass Opistorchis felineus, wie von Askanazy angenommen, 
pathogenetische Bedeutung für das primäre Carcinom in der 
Leber hat, und dass dieselbe Bedeutung, auf Grund von Be¬ 
obachtungen von Katsurada, Fuzii, Yamagi wa und Watanahe, 
dem Distomum spatulatum und Distomum japonicum gebührt. 

Zweifelhafter erscheint es, ob man den Nematoden bei 
Menschen eine pathogenetische Rolle für die Entwicklung von 
Geschwülsten zuschreiben kann. Es muss jedoch daran erinnert 
werden, dass bereits Klopsch im Jahre 1863 sich die Mög¬ 
lichkeit eines causalen Zusammenhanges zwischen Trichinen 
und Carcinom vorstellte, und dass die Literatur eine Reihe von 
Beobachtungen enthält (Langenbeck, Klopsch, Linstow, 
Babes, Groth, Strandgaard), die darlegen, dass bei In¬ 
dividuen mit ausgesprochen chronischer Trichinose Carcinom in 
Organen gefunden wurde, die den trichinenhaltigen Muskeln nahe¬ 
liegen, namentlich in der Mamma. 

Alles in'allem ist es wahrscheinlich, dass auch in der Pathologie 
des Menschen den Helminthen ein, wenn auch bescheidener Platz 
unter den Erregern der Geschwülste zukommt. Ebenso ist es nicht 
ausgeschlossen, dass auch bei Krebsendemien unter den Menschen es 
sich herausstellen wird, dass das verbindende Glied zwischen den 
in Gruppen auftretenden Fällen bisweilen Helminthen sein können. 


Ueber das Wesen der Arthritis deformans. 

Von 

Prof. Alhausen-Berlin. 

(Vortrag, gehalten in der Berliner medizinischen Gesellschaft am 
8. Januar 1913.) 

Angesichts der Tatsache, dass es sich bei der Arthritis de¬ 
formans um ein enorm verbreitetes und durch seine schweren 
Folgezustände verhängnisvolles Leiden handelt, muss es wunder¬ 
nehmen, dass wir bisher eine überzeugende Erklärung des Zu¬ 
standekommens dieser markanten Krankheit nicht besitzen; und 
dies um so mehr, als die Erkrankung nicht nur den Pathologen, 
sondern auch den Kliniker — den inneren Mediziner in gleicher 
Weise wie den Chirurgen, Orthopäden und Röntgenologen — 
interessieren. Das Verlangen nach einer Klärung ist heutzutage 
um so dringender, als wir — nicht zum letzten durch die Ent¬ 
wicklung der Röntgenlehre — das klinische Bild in allen Einzel¬ 
heiten auf das genaueste kennen. 

Wir kennen die degenerativen Zustände am Knorpel bis zum 
Knorpelverlust, die Knorpelusur, die den Gelenkfläcben beginnen¬ 
der Fälle das bekannte unregelmässig-höckrige Aussehen ver¬ 
leiht. Wir kennen die atrophischen Zustände des unterliegenden 
Knochens bis zur Ausbildung grosser Hohlräume und im Gegen¬ 
satz dazu die Proliferationsbilder des Markes der subchondralen 
Knochenschicht bis zur Ausbildung kleiner Enchondrome und 
fibröser Herde im Inneren und der rasch verknöchernden Aus¬ 
wüchse am Rande, der Randosteophyten. Wir kennen im Gegen¬ 
satz zur Atrophie an den belasteten Stellen umfangreicherer 
Knorpel Verluste die Sklerose des freigelegten Knochens bis zur 
Bildung der makroskopisch sofort auffälligen Schleiffurchen. Wir 
kennen die Abnutzung des freiliegenden Knochens unter der 
ständigen Friktion bis zur makroskopischen schweren Deformie¬ 
rung der Gelenkenden. 

Angesichts dieser in der Form reichen, aber woblumgrenzten 
und durchaus gesetzmässigen Veränderungen muss die Frage 


urgent erscheinen: Worin liegt die letzte Ursache der Um¬ 
wandlungen, oder wenigstens, was ist das auslösende 
Moment und die weitere Triebkraft für alle diese Er¬ 
scheinungen? 

Aus der klinischen und makroskopischen Betrachtung werden 
wir allein die Lösung nicht erwarten können. Wenden wir uns 
aber den histologischen Bildern zu, so finden wir eine über¬ 
raschende Reichhaltigkeit und eine scheinbare Ordnungslosigkeit 
der histologischen Bilder. 

Ist es möglich, eine auf dem Kausalitätsbedürfnis sich auf¬ 
bauende Ordnung in den bunten histologischen Bildern festzu¬ 
stellen, und was vor allem ist das Primäre des histo¬ 
logischen Zustandes? 

Ich glaube in der Lage zu sein, auf Grund eingehender 
histologischer und experimenteller Studien alle diese Fragen einer 
befriedigenden Lösung entgegenzuführen, und ich werde mir er¬ 
lauben, Ihnen beweisende Präparate in Diapositiven zu demon¬ 
strieren. 

Ich brauche wohl nicht erst zu betonen, dass selbstverständ¬ 
lich Vermutungen über das Wesen der Arthritis deformans schon 
häufig ausgesprochen wurden — ihre Zahl ist Legion; nur von 
zwei Seiten aber ist der Versuch einer wissenschaftliche Stütze 
gemacht worden. Ich meine die Anschauungen, die sich in der 
vasculären Theorie Wollenberg’s und der statischen Theorie 
Preiser-Walkhoff’s verdichtet haben. 

Ich übergehe die Theorie Wollenbergs, nach der die 
regressiven und progressiven Vorgänge bei der Arthritis defor¬ 
mans die Folge einer Unter- bzw. Ueberernährung sind, die ihrer¬ 
seits sich wiederum von einer Ischämie bzw. Hyperämie der Ge* 
fässe ableitet. Nach den Feststellungen, die ich in einer etwa 
vorJahresfrist erschienenen Arbeit 1 ) niedergelegt habe, und nach 
den bestätigenden Angaben Walkhoff’s 2 ) ist die vasculäre 


1) Axhausen und Pels, Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 110. 

2) Walkhoff, Ewald und Preiser, Zeitschr. f. orthopäd. Chir., 
Bd. 28. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


299 


Theorie vom pathologisch*anatomischen Standpunkt aus nicht 
mehr als haltbar anzusehen. 

Auch die statische Theorie Preiser-Walkboff’s, nach der 
alle Erscheinungen bei der Arthritis deformans einem statischen 
Missverhältnis, das der Körper auszugleichen bestrebt sei, ihre 
Entstehung verdanken, auch dieser Theorie stehen gewichtige 
Bedenken entgegen. Erstlich haben wir, was Wollenberg bereits 
betonte, in manchen Fällen — so z. B. bei difform geheilten 
Oberschenkelschaftfrakturen — trotz schwer gestörter Statik 
keine Arthritis deformans der anstossenden Gelenke, und in 
anderen Fällen haben wir ausgesprochene Arthritis deformans 
ohne statisches Missverhältnis — so z. B. bei unkomplizierten 
und frisch reponierten Schulterluxationen und nach milden Gelenk¬ 
entzündungen. 

Vor allem aber bedenklich muss die Stellung erscheinen, die 
Preiser in seiner Lehre zu gewissen regelmässigen histologischen 
Befunden bei der Arthritis deformans einnimmt, nämlich zu den 
Knorpelnekrosen. Ihre Entstehung leitet er ebenfalls von der 
Statik ab; nach ihm sollen.solche Knorpelteile, die sich normaler¬ 
weise berühren, durch die fehlerhafte Stellung des Gelenkes aber 
ausser Kontakt kommen, demzufolge der Nekrose verfallen. Irgend¬ 
einen Einfluss auf das Gelenk leitet Preiser aus der Existenz der 
Knorpelnekrosen nicht ab; sie sind ihm, wie allen übrigen Unter¬ 
suchern, Nebenbefunde. 

Es ist aber nach allgemein-pathologischen Vorstellungen 
kaum angängig, aus einem statischen Missverhältnis in einem 
sonst unveränderten Gelenk einen umfangreichen Gewebs- 
tod abzuleiten. Die Anschauung, dass grössere Gewebs- 
abschnitte, weil sie nicht mehr untereinander in Berührung 
stehen, dem Tode verfallen, findet in unseren sonstigen allgemein¬ 
pathologischen Gesetzen kein Analogon. Und welch fundamentale 
Bedeutung allein die Existenz von Knorpelnekrosen für die ana¬ 
tomische und histologische Gestaltung eines Gelenkes hat, das 
werden Sie alsbald aus meiner Demonstration entnehmen. 

Nach meinen Untersuchungen muss ich gerade in den 
Knorpelnekrosen den Angelpunkt der gesamten ana¬ 
tomischen und histologischen Veränderungen, das 
Primäre des gesamten histologischen Vorganges er¬ 
blicken, der selber in allen Einzelheiten nur die natürliche 
und gesetzmässige Konsequenz jener primären Knorpel¬ 
nekrosen, d. h. die Reaktion des umgebenden lebenden 
Gewebes auf die Existenz der Knorpelnekrosen dar¬ 
stellt. 

Auch ich muss der Statik eine Bedeutung zuerkennen, 
nicht aber als auslösendes, sondern nur als formgebendes 
Moment. Das auslösende Moment ist die Existenz nekrotischer 
Knorpelabscbnitte. Oder mit anderen Worten: Die Existenz von 
nekrotischen Knorpelabschnitten in einem Gelenk führt gesetz- 
mässigerweise zu reaktiven Erscheinungen in der Umgebung, die 
anatomisch und histologisch das Bild der Arthritis deformans 
ausmachen; die Statik beeinflusst nur die äussere Form der 
weiteren Umwandlungen. Und der zweite wichtige Punkt: Auch 
die Ursache für die Entstehung der Knorpelnekrosen werden 
wir in anderen als statischen Momenten finden! 

Ich bin zu diesen Tatsachen auf einem indirekten Wege ge¬ 
kommen. 

Im Anschluss an die systematischen experimentellen Studien, 
die mich vor einigen Jahren zur Aufstellung der heute allgemein 
anerkannten feineren Gesetze der freien Osteoplastik führten, bin 
ich einem Vorgänge der Knocbenpathologie nachgegangen, dessen 
Bedeutung noch nirgends hinreichende Würdigung gefunden bat. 
Es ist dies die einfache Knochennekrose. 

Sehr zu Unrecht finden wir den Begriff der Knochennekrose 
immer wieder identifiziert mit Knocbeninfektion und Sequester¬ 
bildung. Knochennekrose und Sequester sind zwei verschiedene 
Begriffe! Nirgends finden wir die Tatsache genügend betont, dass 
es auch eine einfache Knochennekrose gibt, ohne Infektion und 
ohne Sequestrierung. Nun, sie existiert nicht nur, sondern 
sie ist sogar häufig und spielt für die Pathologie des Knochens 
eine ausserordentlich wichtige Rolle. Ich werde hierauf in einem 
Vortrage anderen Ortes näher einzugehen haben. Uns interessieren 
hier nur die gesetzmä9sigen Folgeerscheinungen der Knochen¬ 
nekrose. 

Gleich welcher Genese — ob bei der Knochentrans- 
plantation, ob bei Fraktur, ob bei Knochentumor oder bei 
Knochensypbilis —: Wo eine Knochennekrose vorhanden ist, 
bildet sie einen mächtigen Anreiz auf das umgebende ossi¬ 
fikationsfähige Gewebe zu intensiver Wucherung und Knocben- 


nenbildung, wobei dann das neugebildete Knocbengewebe sich 
nicht jiur als Mantel dem toten in organischer Verbindung auf¬ 
lagert, sondern ihn auch allseitig durchdringend ersetzt. 

Nach der Aufdeckung dieser mächtigen Wirkung der ein¬ 
fachen Knochennekrose innerhalb des lebenden Organismus musste 
mit Rücksicht auf die Befunde von nekrotischen Knorpelpartien 
bei der Arthritis deformans notwendigerweise die Frage auf¬ 
tauchen, was denn die Wirkung der Knorpelnekrose auf 
die umgebenden lebenden Gelenkanteile sei, und ob nicht 
den bisher als Nebenbefunden registrierten Knorpelnekrosen bei 
der Arthritis deformans eine bedeutungsvolle Rolle im Ablauf der 
histologischen Vorgänge zokäme. 

Zur Prüfung der Wirkung der Knorpelnekrose auf das um¬ 
gebende Gewebo benutzte ich drei Wege. 

Der erste ist durch die von Wollenberg eingeschlagene 
Technik der Patellarumnähung gegeben. Hierbei wird die 
Patella von Versuchstieren nach Ablösung der deckenden Haut 
ringsum von einer kontinuierlichen Reihe von durchgreifenden 
Seidenknopfnäbten umgeben. Gelingt die Umnähung, werden alle zur 
Patella herantretenden Gefässe ausgeschaltet, so muss die Patella 
ausser Girculation gesetzt werden. Sie werden aber sehen, dass 
der Patellarknorpel nur teilweise der Nekrose verfällt. Die 
Gewebe der Umgebung uod die Synovia erhalten Teile des 
Knorpels am Leben, und so können wir den Einfluss der nekrotischen 
Anteile auf die lebengebliebenen gut studieren. 

Der gleichmässige Befund ist nun der, dass die leben¬ 
gebliebenen Knorpelzellen in zunehmender Intensität, zuletzt in 
exorbitantem Grade zu wuchern beginnen und gegen den toten 
Knorpelanteil substituierend Vordringen. 

Genau die entsprechenden Befunde erhalten wir bei der 
zweiten Versuchsanordnung, bei der homoplastischen Ver¬ 
pflanzung ganzer Gelenkenden. 

Ueberpflanzt man ein Gelenkende oder eine Patella des einen 
Tieres auf ein anderes gleicher Spezies irgendwo in die Weich¬ 
teile, so geht das Knochengewebe vollkommen zugrunde, während 
das Knorpelgewebe sich in den oberflächlichen Partien am Leben 
erhält. Nur die tiefer gelegenen Teile verfallen der Nekrose. 
Auch hier ist also die Prüfung der Einwirkung der- Nekrose auf 
die lebengebliebenen Zellen möglich. 

Auch hier sehen Sie, wie Sie meiner Demonstration ent¬ 
nehmen werden, eine zunehmende, zuletzt manchmal abundante 
Proliferation der am Leben gebliebenen Knorpelzellen. Und was 
schon nach den Umnähungsversuchen wahrscheinlich war, wird 
hier zur Gewissheit: der tote Knorpelanteil wird durch die Ein¬ 
wanderung der wuchernden Zellen ersetzt oder, wenn man will, 
reorganisiert. Es handelt sich also um eine celluläre Sub¬ 
stitution des toten Knorpels vom lebengebliebenen her 
unter Persistenz der Grundsubstanz. Auf die feineren 
Vorgänge gehe ich nicht ein; ich habe über sie an anderem Orte 
berichtet 1 ). 

Gleichwohl aber gestatten diese Befunde noch keinen unein¬ 
geschränkten Rückschluss auf die Verhältnisse bei der Arthritis 
deformans. Denn in diesen Versuchen stand als einziges aktions¬ 
fähiges Material, an dem sich die reaktiven Einwirkungen des 
nekrotischen Knorpels äussern konnten, eben die lebengebliebenen 
Knorpelzellen zur Verfügung, da der unterliegende Knochen und 
vor allen Dingen das Markgewebe der subchondralen, d. h. an 
den Knorpel angrenzenden Knochenspongiosa in den Versuchen 
selbst nekrotisch war. Um eine experimentelle Analogie zu den 
Knorpelnekrosen zu erzeugen, die bei der Arthritis deformans ge¬ 
funden werden, musste also die Wirkung der einfachen Knorpel¬ 
nekrose an einem sonst intakten Gelenkende, d. h. bei lebendem 
unterliegenden Knochen und lebendem subchondralen Markgewebe 
studiert werden. 

Dies ist in einer umfangreichen Versuchsreihe geschehen, in 
der ich an dem normalen Kniegelenk von Hunden mit Hilfe des 
elektrolytischen Verfahrens umschriebene Knorpelnekrosen von 
Linsen- bis Kleinbohnengrösse erzeugte und dann die Befunde 
nach kürzerer, nach langer und nach sehr langer Zeit nachprüfte. 
Hierbei habe ich eine bis ins kleinste Detail gehende 
Uebereinstimmung der erzielten histologischen Bilder 
mit denen der Arthritis deformans feststellen können. 

Auch hier finden wir, wie Sie sehen werden, die Wucherung 
der lebengebliebenen Knorpelzellen in der Umgebung des Toten. 
Weitaus im Vordergründe aber stehen die Veränderungen in dem 
an den Knorpel angrenzenden Markgewebe, dem Markgewebe der 


1) Axhausen, Langenbeck’s Archiv, 1912, Bd. 99, S. 1. 

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Nr. 7. 


subchoDdralen Knochenspongiosa. Hier geht das Markgewebe 
alsbald in starkfaseriges Bindegewebe über, und von diesem sich 
ausdehnenden subcbondralen Bindegewebe gehen, genau wie bei 
der Arthritis deformans, die weiteren Veränderungen aus. Wir 
sehen unter der Wirkung dieses subchondralen Bindegewebes 
Resorptions- und Dissektionsvorgänge des deckenden nekrotischen 
Knorpels; wir sehen die Entstehung der Knorpelusur mit der 
periostähnlichen Decke und an anderen Stellen grösserer mecha¬ 
nischer Inanspruchnahme die Sklerose des freiliegenden Knochens 
bis zur Ausbildung richtiger „Scbleiffurcben“ zuweilen mit Knorpel¬ 
einsprengungen, genau wie bei der Arthritis deformans. Weiter 
sehen wir die Metaplasie des wuchernden subchondralen Binde¬ 
gewebes im Knorpel- und Knochengewebe bis zur Bildung der 
von der Arthritis deformans her bekannten Rnchondrome in der 
Tiefe. Weiter sehen wir den Zerfall und die Verflüssigung dieses 
metaplastischen Knorpels bis zur Bildung grosser cystischer 
Räume. Wir sehen schliesslich auch durch eine Fernwirkung 
Zottenbildung der Synovialis und die Bildung ausgesprochener 
Randosteophyten. Kurz, wir sehen eben den ganzen Ablauf des 
histologischen Bildes der Arthritis deformans in allen Einzel¬ 
heiten. Alles dies werde ich Ihnen sogleich demonstrieren. 

Es bliebe noch eine vierte Versuchsmöglichkeit, nämlich 
die Schaffung oberflächlicher Knorpelnekrosen durch Injektion 
ätzende? Flüssigkeiten in das Gelenk. Auch hier würde sich die 
Reaktion der tiefer gelegenen Teile auf den durch Aetzung 
nekrotischen Knorpel gut studieren lassen. Diesbezügliche Ver¬ 
suche sind im Gange, aber noch nicht beendigt. Doch finden wir 
in der älteren Literatur eine in dieser Hinsicht interessante An¬ 
gabe. Bei den zahlreichen Versuchen, die Riedel in den 
achtziger Jahren zur Feststellung des Schicksals von Blut, Fremd¬ 
körpern und dergl. in Gelenken anstellte, machte er eine be¬ 
merkenswerte Beobachtung. Er sagt folgendes: „Ganz ab¬ 
weichende Resultate gab die Anwendung von Liquor ammon. 
caust, auf das Gelenk. Das Tier, dessen Gelenke nach je 0,2 ccm 
alsbald stark geschwollen waren, behielt permanent die Schwel¬ 
lung, und es ergab sich bei der erst 1 / 2 Jahr später vorgenommenen 
Obduktion, dass die Gelenke schwer gelitten hatten und in einen 
der Arthritis deformans ähnlichen Zustand übergeführt waren. 
Knochen und Knorpel vielfach geschwunden, letzterer aufgefasert, 
ebenso die Bandscheiben, leichte Randwucherungen zur Seite der 
Fossa patellaris usw.“ Ich zweifle nicht, dass unsere Versuche 
das gleiche Resultat haben werden. 

Kehren wir zu meinen eigenen Versuchen zurück, so finden 
wir als wichtige Tatsache, dass eine Knorpelnekrose im sonst 
intakten Gelenk in der Umgebung als Reaktionswirkung die 
wohlbekannten histologischen Bilder der Arthritis deformans 
hervorruft. 

Ich füge hinzu, dass es mir in einer weiteren Versuchsreihe 
gelungen ist, durch Herstellung mehrerer, über das Gelenk ver¬ 
streuter Knorpelnekrosen nach einem Jahre das ausgesprochene 
klinische, röntgenologische und anatomische Bild der 
menschlichen Arthritis deformans genu zu erzeugen, bis auf 
die samtartige Auffaserung erhaltener Knorpelteile, bis auf be¬ 
ginnende Scbleiffurchen und gestielte und ungestielte Gelenk¬ 
körper. 

Um nun den Ring der Tatsachen zu schliessen, muss der 
strikte Beweis geführt werden, dass erstens Knorpelnekrosen bei 
der menschlichen Arthritis deformans in hinreichender Anzahl 
und Häufigkeit existieren, und zweitens dass in der Umgebung 
dieser Nekrosen im einzelnen die gleichen reaktiven Bilder ge¬ 
funden werden, die wir nach den geschilderten experimentellen 
Erfahrungen erwarten müssen. 

Dass dieser Beweis lückenlos geführt werden kann, werde 
ich Ihnen in einer weiteren kleinen Serie von Präparaten demon¬ 
strieren. 

Und um auch der kausalen Klärung des Krankheitsbildes, 
der Frage nach der Genese der Knorpelnekrosen bei der 
Arthritis deformans gerecht zu werden, so kann ich Ihnen zu¬ 
nächst an einigen Präparaten demonstrieren, dass tatsächlich zwei 
Momente, die klinisch als Ursache der Arthritis deformans an¬ 
erkannt sind, nämlich das Trauma und die milde Entzündung, 
umschriebene resp. ausgedehnte oberflächliche Knorpelnekrosen 
erzeugen. Und schliesslich kann ich Sie auf Tatsachen binweisen, 
die auch zur Erklärung der Entstehung der Knorpelnekrosen bei der 
sogenannten genuinen Arthritis deformans eine gesicherte Basis 
abgeben. 

Damit wird der Ring geschlossen; und nun zur Demonstration 
selber! 


Ich möchte nur noch erwähnen, dass alle 32 Diapositive, die 
ich zeige, mit einer einzigen Ausnahme Mikrophotogramme dar¬ 
stellen, dass also an ihrer Beweiskraft wohl nicht zu zweifeln 
ist. [Demonstration.] 1 ) 

Ich glaube, dass nach diesen Präparaten weder ein Zweifel 
an der Existenz der Knorpelnekrosen bei der Arthritis deformans 
bestehen wird, noch auch ein Zweifel daran, dass wir tatsächlich 
in der Umgebung solcher Nekrosen bei Arthritis deformans alle 
die Bilder vorfinden, die wir experimentell als die reaktiven 
Folgeerscheinungen der Knorpelnekrosen — einzig und allein nur 
durch die Existenz der Nekrosen bedingt — vorher kennen ge¬ 
lernt haben; ebenso wie wir in den vorgerückten Stadien der 
Arthritis deformans Bilder antreffen, die wir als Endausgang der 
experimentellen Kuorpelnekrose kennen gelernt haben. 

Danach dürfte wohl der Schluss sich von selbst ergeben, 
dass die typischen histologischen Bilder bei der Arthritis 
deformans in der Tat der Existenz der Knorpelnekrosen 
als ursächliches Moment allein ihre Entstehung ver¬ 
danken. 

Damit hätte das vielgestaltige Bild der Arthritis deformans 
nach der formalen Seite hin seine volle Aufklärung gefunden. 
Können wir eine gleich befriedigende Aufklärung auch für die 
Entstehung der Knorpelnekrosen geben, d. h. können wir auch 
das Krankheitsbild nach der causalen Seite hin aufhellen? 

Leicht ist dies für die Arthritis deformans nach Trauma 
und Gelenkentzündung. Hier ist die Knorpel nekrose, von der ich 
Ihnen Bilder demonstriert habe, sofort erklärt: das eine Mal 
durch die Gewaltwirkung resp. die Unterbrechung der Circu- 
lation, das andere Mal durch die Bakterientoxine. 

Aber auch bei der sogenannten genuinen Arthritis deformans 
ist die Entstehung der Knorpelnekrosen verständlich. Wir haben 
es ja bei dem Gelenkkuorpel mit einem Gewebe zu tun, bei dem 
die Ernährung trotz erheblicher Dicke ausschliesslich durch 
Diffusion erfolgt. Es dürfte also a priori begreiflich sein, dass 
es unter den herabgesetzten Ernährungsbedingungen des höheren 
Alters gelegentlich zu oberflächlichen und auch tiefer greifenden 
Knorpelnekrosen kommen kann. Doch nicht genug damit! 

Mit einer solchen Auffassung befinden wir uns sogar auf der 
Basis feststehender Tatsachen. Denn durch die schönen Unter¬ 
suchungen Weichselbaum’s über die senilen Veränderungen des 
Gelenkknorpels ist sichergestellt worden, dass eine bis zurNekrose 
gehende Degeneration der oberflächlichen Knorpelzellagen zum 
Ablauf der physiologischen Greisenveränderungen gehört. Sogar 
gewisse Knorpelzellwucherungsbilder in den unterliegenden, leben¬ 
gebliebenen Knorpelschichten, analog meinen experimentellen Be¬ 
funden, wurden von ihm festgestellt. Immer aber blieb die 
Nekrose bei den physiologischen Greisengelenken auf 
die oberflächlichste Schicht beschränkt. Dass solche Er¬ 
nährungsstörungen aber in manchen Fällen graduell gesteigert 
sein können, ist selbstverständlich. Bestehen aber tiefergehende 
Nekrosen, so müssen nach meinen experimentellen Erfahrungen 
die ausgesprochenen Bilder der Arthritis deformans entstehen. 

So bleibt die pathologischerseits oft betonte Kontinuität der 
Bilder von den Greisengelenken bis zur ausgesprochenen Arthritis 
deformans gewahrt. Gerade von Weichselbaum wurde es klipp 
und klar ausgesprochen, dass die Arthritis deformans in anato¬ 
mischer Beziehung nichts anderes darstellt als einen höheren 
Grad der einfachen senilen Veränderungen. Bedeutungs¬ 
voll auch erscheint in dieser Richtung, dass von klinischer Seite 
immer wieder auf den Zusammenhang der präsenilen Arthritis 
deformans mit solchen konstitutionellen Erkrankungen hingewiesen 
wird, die erfahrungsgemäss die Ernährung der einzelnen Gewebe 
schwer gefährden, die Arteriosklerose und die Syphilis. 

Aus der neuen Erkenntnis heraus begreift sich auch die schon 
lange bekannte, früher überraschende Tatsache, dass das formal ein¬ 
heitliche Krankheitsbild der Arthritis deformans ätiologisch so viel¬ 
gestaltig ist, dass wir als klinische Aetiologie desselben Gelenk¬ 
leidens die verschiedensten Faktoren: Trauma, akute Gelenk¬ 
entzündung, konstitutionelle Allgemeinerkrankungen und Seninm 
— von selteneren abgesehen — anerkennen müssen. Das Binde¬ 
glied in allen diesen Fällen sind eben die Knorpel¬ 
nekrosen. 

Ich erinnere schliesslich zum Verständnis der Vorgänge bei 
der genuinen Arthritis deformans an ein anderes Gebilde, bei 

1) Der stenographische Text der Demonstration findet sich im 
Sitzungsbericht (s. Nr. 3 dieser Wochenschrift); die Mikrophotogramme 
▼erden alsbald in einer pathologisch-anatomischen Zeitschrift reprodu¬ 
ziert werden. 


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dem ähnliche Ernährungsbedingungen wie beim Knorpel vorhanden 
sind. Es ist dies die Linse im Auge. Auch hier sehen wir 
eine mit dem Alter zunehmende Veränderung des von den Er- 
nährnngsfiüssigkeiten am weitesten entfernt liegenden Abschnittes, 
des Kernes, die bei weitem nicht bei allen, aber bei manchen 
Menschen bis zu Zerfall und Nekrose (Verlust der Kernfärbung) 
fortschreitet. Und in noch weitergehender Analogie finden wir, 
wie ich nebenbei erwähnen möchte, auch bei solchen „Starlinsen“ 
in Reaktion anf die EruährungsstÖrungen der Linse selbst reaktive 
Vorgänge, Zellwucberung an der Linsen kapsel. 

M. H.! Mit der eben gegebenen Auffassung soll keineswegs 
Ober den Einfluss der. statischen Momente der Stab gebrochen 
werden; das möchte ich doch ganz besonders betonen. Es geht 
ja auch aus meinen Experimenten hervor, dass das Schicksal 
des Knorpeldefektes sich ganz verschieden verhält, je nachdem 
er mechanischer Inanspruchnahme ausgesetzt war oder nicht. 
Selbstverständlich wird sich auch bei allen weiteren Vorgängen 
des Umbaues, und nicht zum wenigsten in der Gestaltung der 
Randosteophyten, der Einfluss der Statik geltend machen. 

Es wird weiter sicher die allmähliche Abnutzung des frei¬ 
gelegten Knochens, die zum langsamen, aber stetigen Schwund 
des ganzen Gelenkendes führt, in allererster Linie nach den Ge¬ 
setzen der Belastung, des Druckes und der Reibung erfolgen. 
Aber es ist ein wesentlicher Unterschied, ob die statischen 
Einwirkungen die Gestaltung des Vorganges beein¬ 
flussen oder erst die Entstehung des ganzen Prozesses 
veranlassen. Die entere Einwirkung werde ich nie bestreiten, 
ich halte sie im Gegenteil für sicher erwiesen und für sehr be¬ 
deutungsvoll. Die Auslösung des ganzen histologischen Vor¬ 
ganges und damit das erste Moment für die Entstehung der Er¬ 
krankung kann ich aber nach den vorliegenden Untersuchungen 
in statischen Momenten nicht finden, sondern nur in dem Auf¬ 
treten von Knorpelnekrosen und in ihren gesetzmässigen Folge¬ 
erscheinungen. 

Ich halte mich nach allen diesen Tatsachen für voll be¬ 
rechtigt, die Klärung des Krankheitsbildes der Arthritis deformans 
in der Auffassung zu erblicken, dass die Arthritis deformans 
einen Symptomenkomplex darstellt, der hervorgerufen 
wird durch die Anwesenheit mehr oder weniger aus¬ 
gedehnter Knorpelnekrosen nnd der in seiner äusseren 
Gestaltung bestimmend beeinflusst wird durch die Ge¬ 
setze der Statik. 

Ich halte diese Auffassung nach meinen histologischen und 
experimentellen Untersuchungen für die zurzeit am besten ge¬ 
stützte. Ob sie in der Tat der Wahrheit entspricht, das festzu¬ 
stellen wird die Aufgabe weiterer Forschung sein. 


Aus dem Institut für Hygiene und Bakteriologie 
Gelsenkirchen (Direktor: Prof. Dr. H. BrunsJ. 

Beitrag zur Fäcesuntersuchung auf 
Parasiteneier. 

Von 

Dr. P. Wolff, 

' Aui.tM.uxt .m Institut 

Der Nachweis von Parasiteneiern in Fäces mit Hilfe der 
direkten mikroskopischen Untersuchung ist nicht immer leicht, 
besonders, wenn solche nur spärlich vorhanden sind, und doch 
gibt uns oft genug erst die Auffindung derselben die Richtlinie 
für die einzuschlagende Therapie. Man hat darum nach Verfahren 
gesucht, die uns die sichere Diagnose erleichtern helfen. 

Das von Tele mann 1 ) in Nr. 85 der Deutschen med. Wochen¬ 
schrift, 1908 angegebene Verfahren: „Auflösen der zu untersuchenden 
Fäces in einem Reagensglas mit einer Mischung von reiner Salzsäure und 
Aether, Filtrieren der Lösung durch ein Haarsieb und Mikroskopieren des 
erhaltenen Sediments“ hat verschiedene Nachteile. Durch die reine Salz¬ 
säure wird das natürliche Aussehen der Parasiteneier zum Teil be¬ 
einflusst und durch den immerhin nooh relativen Reichtum des Sedi¬ 
ments an Nahrungsresten leidet die Durchsichtigkeit, und der Nachweis 
der Eier wird dadurch erschwert. Yaoita*) schob diese Nachteile auf 
die von Tele mann verwandte Salzsäure; er suchte sie durch ein anderes 
Auflösungamittel zu ersetzen und benutzte zu diesem Zweck das Änti- 
formin. "Die Wirkung des Antiformins liegt wohl in seiner chemischen 

)) Telemann, Deutsche med. Wochenschr., 1908. 

2) Yaoita, Deutsche med. Wochenschr., 1912. 


Zusammensetzung (Alkalihydrat + Natriumhypochlorat); höchst wahr¬ 
scheinlich beruht sie auf der dauernden Entwicklung von Chlorgas (und 
Sauerstoff?) in Statu nasoendi. Das von mir benutzte Antiform ergab 
bei der Austritierung einen Gehalt an freiem Chlor von 4,183 bis 
5,87 pCt. Die im hiesigen Institut ausgeführten Fäcesuntersuchungen 
gaben mir Gelegenheit die Yaoita’sohe Methode nachzuprüfen. Seine 
Ausführung unserscheidet sich kaum von der von Telemann an¬ 
gegebenen; sie ist kurz folgende: Von fünf verschiedenen Stellen der 
möglichst frischen Fäces entnimmt man je eine erbsengrosse Partie; 
diese werden dann in einem Reagensglas mit einer Mischüog von 25proz. 
Antiformin (reines Antiformin zerstört die Eier) und Aether zu gleichen 
Teilen stark geschüttelt. Die Fäces lösen sich in diesem Reagens unter 
starker Gasbildung auf. Alsdann wird die Lösung durch ein Haarsieb 
filtriert, um die gröberen Nahruogsschlacken zurückzuhalten, das 
Filtrat wird eine Minute lang centrifugiert und da9 im Eudconus des 
Centrifugiergläschens verbleibende Sediment enthält nun neben den un¬ 
löslichen Teilen der Fäces (Zellulose, Epithelien, Salze, elastische Binde¬ 
gewebs- und Muskelfasern) die Parasiteneier. 

Es wurden bis jetzt nach diesem Verfahren 500 Untersuchuogen aus- 
geführt. Neben ein bie zwei Präparaten aus dem Sediment wurden 
stets drei bis sechs frische, mikroskopische Präparate zur Kontrolle 
untersucht. In diesen 500 Fäces fanden sich: 



Yaoita 

positiv 

Mikroskop 
. positiv 

A8oarislumhr.-Eier 

50 

48 

Trich. 

178 

62 

Taenia nana . . 

1 (lEii.Gesichtsf.) 

1 (sehr reichlich) 

Oxyuris .... 

3 

I 

Ankylostom. duo¬ 
denale .... 

8 

5 


Zu erwähnen ist, dass die mikroskopische Untersuchung 11 mal ein 
positives Resultat ergab, wo das Yaoita’sche Verfahren im Stich liess, 
während andererseits die direkte Untersuchung 132 mal negativ war, wo 
mit der Yaoita’schen Methode ein positives Ergebnis erzielt wurde. Aus 
den angestellten Versuchen habe ich den Eindruck gewonnen, dass die 
Yaoita’sehe Methode eine recht brauchbare ist, und dass die beiden ein¬ 
gangs erwähnten Nachteile des Telemann’schen Verfahrens weit geringer 
sind. Auf diese Nachteile wurde übrigens schon von L. Qu ad flieg 1 ) 
aufmerksam gemacht, der die Methode Telemann ’s im hiesigen In¬ 
stitut bei 600 Untersuchungen nachprüfte. Er fand in den 600 Fäces- 
proben: 



Mikroskop 

positiv 

Zentrifugat 

positiv 

Trich. 

161 

348 

Ascarideneier . . 

103 

74 

Oxyureneier. . . 

3 

3 

Tänieneier . . . 

— 

2 

Ankylostom. . . 

41 

56 


Qu ad flieg hebt dann weiter hervor, dass nicht in allen Fällen, 
wo die mikroskopischen Präparate ein positives Ergebnis lieferten, es 
auch in den Zentrifugaten der Fall war. Er hält ferner das Verfahren 
für wenig günstig für die Auffindung von Ascarideneiern. 44 mal 
konnten Ascarideneier in den frischen Präparaten nachgewiesen werden, 
wo das zugehörige Sediment negativ austiel. 18 mal dagegen ergab das 
Sediment ein positives Resultat, wo in den frischen Präparaten nichts ' 
gefunden war. Das negative Ergebnis führt Qu ad flieg auf die ge¬ 
ringe Resistenz der Eischalen gegenüber dem Salzsäureäthergemisch zu¬ 
rück. Wir fanden öfter die äussere gefaltete Hülle in dem Sediment zum « 
Teil geschwunden, zum Teil schleierartig neben den Eiern liegend oder - 
ihnen noch stückweise anhäogend. Auch hellt Salzsäureäther die Farbe 
etwas auf, wodurch das Ascaridenei oft seine braune Farbe verliert und . 
nach Verlust der äusseren Hülle einem in der Furchung weit fort¬ 
geschrittenen Ankylostomumei sehr ähnlich wird, wovon sie jedoch durch 
die doppelte Kontur des Randes leicht unterschieden werden können. 
Diese Nachteile treten also bei dem neuen Verfahren nicht so hervor. 
Nur in elf Fällen mit positivem mikroskopischen Befund versagte das 
Sediment; sonst konnte ich stets eine gute Anreicherung konstatieren. 
Auffallend ist der Befund bei dem zufällig zur Beobachtung gelangten 
Fall von Taenia nana; während sich in den mikroskopischen Präparaten 
ungezählte Eier fanden, konnte man mit beiden Anreicherungsverfahren 
stets höchstens ein Ei im Gesichtsfeld feststellen. Vielleicht liegt dies 
daran, dass die Eier dieses in Deutschland sehr selten beobachteten 
Parasiten wenig widerstandsfähig sind. Besonderes Interesse hatten 
natürlich die Befunde von Ankylostomaeiern in den Fäces. Auch hier 
gab die Yaoita’sche Methode gute Resultate; dass Qu ad flieg bei seinen 
.Untersuchungen bedeutend mehr positive Resultate hatte, liegt e^en 
.daran, dass mein verarbeitetes Material von Personen stammt, die einen 
geringeren Prozentsatz -an Parasiteneiern aufwiesen. Viel bessere Re- 


1) L. Qu ad flieg, Deutsche med. Woshenschr., 1909. 

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Nr. 7. 


sultate erzielten wir natürlich auch wieder mit dem von Loos an¬ 
gegebenen Kulturverfahren, dessen wir uns stets bedienen. Nach der 
mikroskopischen Untersuchung wird der Kot mit Knochenkohle verrieben, 
in den Brutschrank von 25° für 4 bis 5 Tage verbracht; die Kultur- 
schalen werden mit Wasser gefüllt und 10 bis 80 Minuten stehen ge¬ 
lassen. Die Larven wandern nun in das darüber stehende Wasser und 
können hierin leicht nachgewiesen werden. Mit Hilfe dieses Verfahrens 
fanden wir unter den 500 Untersuchungen 16 positive Resultate, denen 
8 nach Yaoita und 5 bei der direkten mikroskopischen Untersuchung 
gegenüberstehen. 

Fasse ich zum Schloss zusammen, dann kann ich das 
Verfahren von Yaoita besonders für die Klinik und die Präzis 
empfehlen, denn es erleichtert die Auffindung der Para- 
8iteneier, die Präparate sind klar, die Besichtigung ist 
mühelos und die Anreicherung ist eine recht gute. Aller¬ 
dings möchte ich nicht diese Methode ausschliesslich anwenden, 
sondern stets einige direkte mikroskopische Präparate mit zur 
Untersuchung heranziehen. 


Innere Sekretion und Nervensystem. 

Von 

Dr. Arthur Münzer -Berlin-Schlachtensee. 

Wer staunend je vor einer kunstvoll gefügten Maschine ge¬ 
standen, hineingeschaut in der Räder schnelles Getriebe, den 
wird Bewunderung erfüllen für die reine, durch das ganze System 
hindurcbklingende Harmonie; und nicht genug wird er die strenge 
Ordnung rühmen, die das scheinbar regellose Gewirr fest und 
ßicher beherrscht. — Häufig schon ist der menschliche Organismus 
mit einer Maschine verglichen worden, und das neuerdings ge¬ 
prägte Wort „Maschinenorganismus“ verleiht dem Vergleiche 
einen charakteristischen Ausdruck. Ueber die Berechtigung dieser 
Auffassung ist gestritten worden, nicht mit Unrecht. Trotz aller 
Einwendungen aber ist sie, von einem rein äusserlichen Stand¬ 
punkt, zulässig. Denn auch der menschliche Körper repräsentiert 
ein kompliziertes Gefüge von Teilen, deren planmässige Arbeit in 
einheitlichem Zusammenwirken die Aufrechterbaltung des indi¬ 
viduellen Daseins gewährleistet. Nirgends als im menschlichen 
Organismus herrscht eine genauere Präzision der einzelnen Arbeits¬ 
leistung, nirgends eine uneingeschränktere Unterordnung aller 
Teile unter das leitende Prinzip. — Wie aber wir bei der Maschine 
vor allem jene Kraft bewundern, welche alle feinen und feinsten 
Rädchen zur gemeinsamen Arbeit aneinanderscbliesst, so fesselt 
uns bei der Betrachtung des menschlichen Körpers zunächst jene 
starke Macht, welche seine Teile zu einem harmonischen Ganzen 
bindet, sie einspannt in den regelmässigen Gang der Maschine, 
das Nervensystem. Das Nervensystem erst schafft ans einem 
planlosen Nebeneinander von Arbeitswerkzeugen den lebensfähigen 
Organismus, erst seiner Triebkraft gelingt es, das grosse Werk in 
Bewegung zu setzen. 

Dem Nervensystem ist neuerdings ein mächtiger Konkurrent, 
in der inneren Sekretion erstanden. Die von Brown-Söquard be¬ 
gründete Lehre basiert bekanntlich auf der Annahme, dass die ein¬ 
zelnen Organe des Körpers gewisse chemische Produkte ausscheiden, 
welche, vom Blutstrom mitgeführt, auf andere Organe bestimmte 
Wirkungen ausüben. Somit fände also eine gegenseitige Be¬ 
einflussung der Körperorgane nicht nur durch das Nervensystem, 
sondern auch durch Vermittlung eben jener Sekrete — Hormone, 
wie sie Bayliss und Starling genannt haben — statt. — In 
schnellem Siegeslauf hat sich die Lehre von der inneren Sekretion 
zu allgemeiner Anerkennung durcbgerungen; zu einem mächtigen 
Wissensgebiet ist sie in kurzer Zeit angewachsen und beherrscht 
als eines der führenden Probleme die Medizin der Gegenwart 

So hoch nun auch die eminenten Fortschritte, die wir der 
neuen Lehre verdanken, zu veranschlagen sind, so sehr müssen 
wir uns bemühen, ihren Gesetzen die scharfe 1 Grenze zu ziehen. 
Sie darf, indem sie den Bannkreis der inneren Sekretion stets 
und ständig erweitert, doch niemals die Funktionen des Nerven¬ 
systems ausser acht lassen, darf nicht in'eine unfruchtbare 
Einseitigkeit verfallen. Erst aus neuerer Zeit datieren systematische 
Versuche, den Zusammenhang beider Systeme klarzulegen, und 
hier sind es besonders die ausgezeichneten Untersuchungen der 
Wiener Schule, die eitie Fülle wertvoller Ergebnisse beigebracht 
haben. : 

Nervensystenf und innöre Sekretion sind physiologisch gleich¬ 
wertige Faktoren; ihnen beiden liegt die Uebertragung von 


Reizen ob. Beider Funktionen verflechten sich in Erfüllung dieser 
Aufgabe vielfach miteinander, sind voneinander abhängig. Im 
folgenden wird versucht werden, diese wechselseitigen Beziehungen 
zur Darstellung zu bringen. Das ganze grosse Gebiet zu durch¬ 
wandern, scheint kaum möglich; nur kurze Wegstrecken zurück¬ 
zulegen wird uns vergönnt sein, um dann, an diesem oder jenem 
Meilenstein rastend, Ausschau zu halten io entlegenere Fernen. 

Der eigentlichen Besprechung seien einige Bemerkungen über 
das Wesen der inneren Sekretion vorausgeschickt. Es ist an- 
zunebmen, dass alle Organe des Körpers, ganz abgesehen von 
ihrer spezifisch-physiologischen Stellung, mit der Fähigkeit einer 
inneren Sekretion ausgestattet sind, ln besonderem Maasse wird 
dieses Vermögen gewissen Drüsen ohne Ausführungsgang zu¬ 
gesprochen, welche die Physiologie mit Rücksicht auf die Gleich¬ 
artigkeit ihrer Funktionen zu der besonderen Gruppe der Drüsen 
mit innerer Sekretion (Blut- oder Stoffwechseldrüsen) vereint hat. 
Die Tätigkeit der Blutdrüsen kann nur und ausschliesslich unter 
dem Gesichtswinkel der inneren Sekretion verstanden werden. 
Da einerseits die einzelne Drüse eines Ausführungsganges er¬ 
mangelt, da andererseits an ihrer überragenden Bedeutung Klinik 
und Experiment nicht mehr zweifeln lassen, so bleibt nur die 
Annahme übrig, dass die Sekrete direkt in den Kreislauf über¬ 
geführt werden und alsdann ihre Wirksamkeit entfalten. 

Wenn wir von irgendeiner bestimmten Reaktion behaupten, 
dass sie durch innere Sekretion einer Drüse erzielt sei, so kann 
und darf diese Reaktion nach Maassgabe unserer Theorien nur 
durch die Ausscheidung der spezifischen Drüsenstoffe in das 
Circulationssystem zustande kommen; jeder andere Faktor muss 
ausgeschaltet bleiben. Andererseits muss, wenn die betreffenden 
Drüsenstoffe in den Kreislauf gelangen, jedesmal die gleiche 
Reaktion wieder erzielt werden. Wir sind, um zu einwandfreien 
Resultaten zu gelangen, gezwungen, an diesen Postulaten un¬ 
bedingt festzuhalten. Ob die von den einzelnen Drüsen produ¬ 
zierten Substanzen als Hormone in positivem (produktivem) Sinne 
wirksam sind, oder ob sie der Entfernung bzw. Entgiftung 
toxischer Stoffwechselprodukte dienen (negative innere Sekretion), 
ist für unsere Betrachtung zunächst gleichgültig. 

Legen wir uns jetzt, ohne auf die bekannten klinischen 
Krankbeitsbilder vorerst Rücksicht zu nehmen, die Frage vor, 
nach welcher Richtung die innere Sekretion einer Gefäss- 
drüse gestört sein kann, so sind hier mehrere Möglichkeiten in 
Betracht zu ziehen. Zunächst kann eine quantitative Ver¬ 
änderung in der Produktion vorliegen; und zwar kann es sich in 
solchen Fällen um eine vermehrte oder verminderte Ausscheidung 
der Drüsensekrete handeln — Hyper- und Hyposekretion. Zweitens 
kann ihre Qualität geschädigt sein — Dyssekretion. Schliess¬ 
lich kann man sich eine vermehrte oder verminderte Absonderung 
qualitativ veränderter Sekrete vorstellen — Hyperdyssekretion 
oder Hypodyssekretion; indessen haben diese Variationen mehr 
theoretische Bedeutung. Wir haben also im wesentlichen drei 
Modifikationen der inneren Sekretion zu unterscheiden, vermehrte, 
verminderte und qualitativ veränderte Absonderung — Hyper-, 
Hypo- und Dyssekretion. 

Wenn wir nun weiter, der Ergebnisse der Klinik vorläufig 
nicht gedenkend, zu erforschen streben, ob und in welcher Weise 
eine Beseitigung der vorerwähnten Sekretionsstörungen möglich 
sei, so scheint die theoretische Lösung des Problems nicht schwer. 
Findet sich eine Sekretionsverminderung, so wird durch Zufuhr 
wirksamer Drüsensubstanz die pathologische Störung völlig be¬ 
hoben werden. Eine Sekretionssteigerung wäre entweder durch eine 
Volumenreduktion der erkrankten Gefässdrüse zu bekämpfen 
oder durch Substanzen, die, in entgegengesetztem Sinne 
wirksam, die überschüssigen Sekretmengen zu neutralisieren im¬ 
stande sind. Alle diese Möglichkeiten sind a priori wohl denk- 
und vorstellbar. 

Die Schwierigkeit beginnt erst — immer in theoretischem 
Sinne — bei der Bekämpfung einer Dyssekretion. Denn nun, da 
nicht mehr die Möglichkeit einer einfach quantitativen Regulation 
gegeben ist, stellen sich der absoluten Behebung der Störungen 
naturgemäss schwer zu überwindende Hindernisse entgegen 1 ). — Bei 
allen diesen Erörterungen haben wir, wie ich besonders betone, 
die Gefässdrüsen als chemisch funktionierende Glieder des 


1) Durch die bahnbrechenden Forschungen Abderhalden’s wird 
vielleicht auöh das Wesen der Dyssekretion geklärt:, es handelt sieh 
hier möglicherweise um Ausscheidtitog thangelhaft abgebauter Drüsen¬ 
produkte. Mit dieser Erkenntnis wäre dann auch die Möglichkeit einer 
Behebung der Störung gegeben. 


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17. Febroar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


303 


Organismus betrachtet; die mechanische Rolle, die ihnen 
v. Cyon vindizierte, wurde ausser acht gelassen. 

Wie erfüllt nun aber die Praxis die hier gestellten theoreti¬ 
schen Forderungen? Mit welchen Argumenten stützen Physiologie 
und Pathologie die herrschenden Anschauungen, und erweisen sie 
auch tatsächlich, dass es sich immer und ausschliesslich um eine 
rein innersekretorische Tätigkeit der Gefässdrüse handelt? Den 
Postulaten einer strengen Kritik hält eigentlich nur ein einziges 
Organ stand, und das ist die Schilddrüse. Die Pathologie der 
Thyreoidea hat die allgemeine Aufmerksamkeit hauptsächlich auf 
drei Krankheitsbilder gelenkt, Basedow, Myxödem und Kretinismus; 
sie hat die Entstehung des ersteren aus einer Hypertrophie, 
die der beiden letzteren aus einer Atrophie der Schilddrüse 
hergeleitet. Sie lehrte uns Kretinismus und Myxödem durch Ver¬ 
abreichung von Schilddrüsensabstanz heilen; sie erwies die Heil¬ 
barkeit bzw. Milderung der Basedowerscheinungen durch die 
operative Reduktion der hypertrophischen Drüse einerseits, durch 
wirksame, das Uebermaass der Gifte neutralisierende Stoffe 
(Antithyreoidin Moebius) andererseits. Durch eine einfache 
quantitative Regulation der Drüsenprodukte werden demnach die 
krankhaften Erscheinungen beseitigt und hiermit der einwandfreie 
Beweis für die innersekretorischen Funktionen der Gefässdrüse 
erbracht. 

Schon hier sind wir an der Grenze des exakten Wissens an¬ 
gelangt, und nnr unsichere Pfade leiten zu der Erkenntnis des 
Funktionsmechanismus der übrigen Blutdrüsen. Für keine einzige 
anter ihnen kann in gleicher Weise wie bei der Schilddrüse eine 
ausschliesslich innersekretorische Tätigkeit so klar ad oculos 
demonstriert werden. Hypophyse und Zirbel sind nicht nur Blut¬ 
drüsen, sondern auch Hirnteile: hier muss von vornherein mit 
zwei maassgebenden Faktoren gerechnet werden, deren Wirkungs¬ 
grösse daher auch schwerer zu beurteilen sein wird. Weiter ist 
die Physiologie des Pankreas, der Nebennieren, der Nebenschild¬ 
drüsen, der Thymus, der Keimdrüsen in ihren Einzelheiten noch 
längst nicht geklärt; vielfach stimmen hier klinische und experi¬ 
mentelle Ergebnisse nicht überein. Auch dort, wo langjährige 
Arbeit die Annahme einer Hyper- bzw. Hyposekretion wahrschein¬ 
lich machte, ist es häufig nicht gelungen, durch die quantitative 
Regulation der Sekretstörung die Norm wiederherzustellen. Und 
wenn wir auch mit Biedl betonen, dass die Wirkungslosigkeit 
der Substitutionstherapie nicht als Beweisgrund gegen die inner¬ 
sekretorische Tätigkeit eines Organs angesehen werden darf, so 
kann eben diese Tatsache doch als gewichtiges Argument gegen 
das ausschliessliche Vorwalten einer inneren Sekretion heran¬ 
gezogen werden. Es bleibt, um das Wesen gewisser vitaler Er¬ 
scheinungen zu deuten, nichts übrig, als das Inkraftreten eines 
zweiten Mechanistnus anzunehmen, und als solcher kommt nur 
das Nervensystem in Betracht. Eine Schilderung der Beziehungen 
zwischen beiden Systemen muss einesteils die vielfachen Be¬ 
rührungspunkte, in welchen sie beide Zusammentreffen, einfach 
registrieren, wobei sowohl das centrale wie das sympathische 
Nervensystem zu berücksichtigen sind. Andererseits müssen alle 
Phänomene, welche aus einer innersekretorischen Tätigkeit der 
Gefässdrüsen allein nicht zu erklären sind, besonders hervor¬ 
gehoben werden. ~ 

Langjährigen klinischen Erfahrungen danken wir die Lehre, 
dass speziellen Funktionsstörungen der Thyreoidea drei wichtige 
Krankheitsbilder, Basedow, Myxödem und Cretinismus, entsprechen. 
Ihnen reihen sich in weiterer Folge, jedoch ohne die gleiche 
schwerwiegende Bedeutung, die Adipositas dolorosa, manche 
Formen des Infantilismus, Hypothyreoidie bönigne chronique 
(Hertoghe) u. a. an. Die genannten Krankheiten lassen sich in 
eine Reihe von Symptomengruppen bzw. Einzelsymptomen auf- 
lösen, aus deren Charakter wir die Wirkungsweise des Schild¬ 
drüsensekretes erscbliessen können. Da hierbei eine Influenzierung 
so wohl des Gehirns wie auch des autonomen und sympathischen 
Systems zutage tritt, so muss, wie Epp in ge r und Hess schon 
betont haben, mit einer Polyvalenz des Schilddrüsensekretes 
gerechnet werden. 

In prägnantester Weise lässt sich der Einflass der Schild¬ 
drüse auf den Ablauf psychischer Funktionen an den Symptomen- 
bildern des Basedow und des Myxödems erläutern 1 ). Gerade hier, 
wo der Antagonismus der Symptome ein derart ausgeprägter ist, 
gelingt es leicht, den Normaltypus der Drüsenwirkung festzu- 

--- • •' I I £ >) 4 

1)p€L hierzu auch die neuerdings erschienene Arbeit v. Frankl- 
Hochwart, „Ueber den Einfluss dqr iqperen Sekretion auf die Psyche“ 
(Med. Klinik, 1912, Nr. 48), die leider im Text nicht mehr berücksichtigt 
werden konnte. 


stellen. Auf der einen Seite sehen wir Unruhe, Hast, unstätes 
Wesen, auf der anderen Apathie, Schwerfälligkeit und Teilnahms¬ 
losigkeit. Sind hier alle Empfindungen gesteigert, wird die ge¬ 
samte Aktion der Kranken von einer unverkennbaren Rastlosigkeit 
beherrscht, drückt dort eine müde Trägheit dem Gebaren des 
Kranken ihren charakteristischen Stempel auf. Kann hier die 
Unruhe sich steigern bis zu den höchsten Graden der Exaltation 
und ihren typischen Ausdruck finden im Krankheitsbilde der 
Manie, seltener der Melancholie, so wächst dort unter Umständen 
die Apathie und Indolenz des Kranken mehr und mehr und geht 
schliesslich in einen Zustand vollständiger gemütlicher Erstarrung 
über. Schlaflosigkeit oder aufgeregten Schlaf finden wir beim 
Basedowkranken, Schlafsucht und Schläfrigkeit beim Myxödem. 

In einer früheren Arbeit über die Einwirkungen der Blut¬ 
drüsen auf die Psyche hatte ich bereits Gelegenheit, darauf hin¬ 
zuweisen, dass nach unseren klinischen Erfahrungen die Schild¬ 
drüse in erster Linie die gemütlichen Funktionen beeinflusse. 
Schon früher haben Löopol-Levi und H. v. Rothschild 
diese Tatsache gebührend bervorgehoben und die Schilddrüse als 
Glande de l’ömotion bezeichnet. Das Affektleben ist nun, wie 
von altersher gelehrt wird, an das Grosshirn gebunden. Es muss 
also, wie ich mich früher ausdrückte, die Schilddrüse diejenigen 
Grosshirnpartien, an welche der Ablauf der Affekte geknüpft ist, 
in einem beständigen Tonus erhalten; dieser wird natürlich bei 
Sekretionsstörungen der Thyreoidea beeinträchtigt, wodurch im 
weiteren Verlauf schwerere Hirnerscheinungen entstehen müssen. 

Nun sehen wir aber bei einzelnen Erkrankungen der Schild¬ 
drüse, z. B. beim Cretinismus, beim Infantilismus, die Altera¬ 
tionen der Psyche über einfache Affektstörungen hinausgreifen. 
Indessen liegen hier die Verhältnisse wesentlich anders. Einer¬ 
seits wurde in fast allen diesen Fällen schon im jugendlichen 
Alter die Entwicklung der Schilddrüse gehemmt. Gerade die 
Thyreoidea aber nimmt an der natürlichen Reifung des Orga¬ 
nismus so wohl in somatischer wie io psychischer Hinsicht regen 
Anteil; daher müssen auch bei mangelhafter Ausbildung derselben 
umfassendere Schädigungen eintreten. 

Andererseits kommen vielfach komplementäre Störungen 
anderer Blutdrüsen hinzu, es werden polygianduläre Symptomen- 
komplexe geschaffen, so dass zweifellos eine einheitliche Auf¬ 
fassung des Krankheitsbildes erschwert wird. 

Die engen Wechselbeziehungen zwischen Schilddrüse und 
nervösem Centralorgan sind weiterhin aus dem Umstande ersicht¬ 
lich, dass psychische Insulte nicht selten den Anlass zur Ent¬ 
stehung eines Basedow oder eines Myxödems herbeiführen. Diese 
aus der Klinik geschöpfte Erfahrung ist übrigens nicht nnr wichtig, 
um das gegenseitige Abhäogigkeitsverhältnis beider Organe vor 
Augen zu führen, sie zeigt auch, dass in demselben, gleich wie 
bei zwei miteinander in Korrelation stehenden Blutdrüsen, bald 
das eine, bald das andere Glied die führende Rolle übernehmen 
kann. In letzter Linie ist sie, speziell für die Lehre vom Basedow 
und Myxödem, befähigt, die allbeherrschende Stellung der 
Thyreoidea zu erschüttern. Denn es kommen tatsächlich Fälle 
vor, in denen der cerebrale Ursprung des Leidens fast unab¬ 
weisbar und die Funktionsstörung der Schilddrüse als sekundär 
anzusehen ist. (Oppenheim^ Neurosentheorie des M. Basedowii.) 

Aeltere Theorien vermuteten io der Schilddrüse ein Regula¬ 
tionsorgan für die Hirncirculation. Neuerdings hat v. Cyon diese 
Lehre wiederum zu stützen versucht. In dem er die Wirkungen 
des Jodothyrins auf den Circulationsapparat genauer analysierte 
— wir werden davon weiter unten noch handeln — erkannte er 
der Thyreoidea die mechanische Rolle zu, bei plötzlichen 
Drucksteigerungen im Gehirn durch ihre Gefässe grössere 
Blutungen abzuleiten und dergestalt das gefährdete Centralorgan 
sicher und schnell zu entlasten. Im Sinne des Autors müssten 
also für Störungen der psychischen Funktionen bei Schilddrüsen- 
erkrankuogen zuvörderst Unregelmässigkeiten der Hirncirculation 
verantwortlich gemacht werden. Ganz abgesehen von der all¬ 
gemeinen Berechtigung oder Nichtberechtigung einer mechanischen 
Theorie der Scbilddrüsenfunktion, ist es schwer, die in Rede 
stehenden cerebralen Störungen auf Unregelmässigkeiten der 
Hirncirculation zurückzuführen. Gerade der Antagonismus der 
Hauptsymptome bei Morbus Basedow und Myxödem drängt geradezu 
zu der Hypothese rein cerebraler Prozesse, deren Kontrastwirkung 
niqbt nur durch grob mechanische Momente — Ve^mebrungjbzw. 
Verminderung der Blutzufuhr — bedingt, sondern nur aus einer 
feinen Abstufung chemisch wirksamem, Störungen der Hirnfunk* 
tionen erklärt werden kaon, 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 7. 


Wir schliessen hiermit die Diskussion über die Hirnwirkungeo 
des Schilddrüsensekrets auf die cerebralen Prozesse. Eine nicht 
'minder weittragende Bedeutung gewinnen die Produkte der Drüsen 
für dasjenige Nervensystem, welches die vegetativen Funktionen 
des menschlichen Organismus, also Blutkreislauf, Thoprik und 
Wachstum der Körpergewebe beherrscht; sie sind für dessen Wirk¬ 
samkeit unumgänglich notwendig. Das vegetative Nervensystem 
gliedert sich in zwei Abschnitte, einen sympathischen und einen 
autonomen Anteil. Der Einfluss der Schilddrüse macht sich in 
erster Linie im Gebiet des sympathischen Nervensystems geltend. 
Klinik und Experiment haben in gleicher Weise dessen Wesen zu 
klären versucht. Von früheren Untersuchern bat sich v. Cyon 
intensiv mit diesem Problem befasst. Nach seiner Ansicht ist 
Jodothyrin, der aktive Körper der Schilddrüse, dazu bestimmt, die 
Erregbarkeit der regulatorischen Herznervenapparate auf normaler 
Höhe zu erhalten. Im Bereich des sympathischen Systems 
manifestiert sich diese Wirkung dadurch, dass die Tätigkeit 
der Nn. accelerantes und der Vasokonstriktoren herabgesetzt wird. 
Demgemäss soll durch Exstirpation der Schilddrüse die Aktion 
der herzbeschleunigenden und gefässvereDgernden Nerven erhöht 
werden. Diese Ergebnisse stimmen indessen nicht mit den Er¬ 
fahrungen der Klinik überein, wie noch gezeigt werden wird. 

Mancherlei Fortschritte brachten in der Erkenntnis der 
Sympathicusfunktionen die künstlichen Hyperthyreoidisationsver* 
suche an Tieren. Durch fortgesetzte Zufuhr von Schilddrüsen¬ 
präparaten wird oft Pulsbeschleunigung hervorgerufen. Es 
wird Erweiterung der Lidspalte, Hervortreten des Bulbus, Re¬ 
traktion der Membrana nictitans und Pupillenerweiterung beob¬ 
achtet 1 ). Bei normalen und schilddrüsenlosen Hunden haben 
Eppinger, Falta und Rudinger durch fortgesetzte Behandlung 
mit Schilddrüsensaft Adrenalinmydriasis erzeugt. Die letzt¬ 
genannten Autoren beurteilen die Symptome des Hyperthyreoi- 
dismus als Ansdruck eines erhöhten Erregungszustandes des 
Sympatbicus. 

Der Wegfall der Schilddrüse beim Tier bedingt eine Ver¬ 
minderung des Sympathicustonus, dessen Aeusserungen wir in 
der trägen Circulation und in einer Reihe von tropischen Störungen 
erkennen. Eppinger, Falta und Rudinger haben nacbgewiesen, 
dass beim schilddrüsenlosen Hund Adrenalin keine Glykosurie 
verursacht, ein Symptom, welches hei normalen Tieren durch Ver¬ 
mittelung des Sympathicus in der Regel aufzutreten pflegt. 

Wichtige Stützpunkte für die engen Zusammenhänge zwischen 
Schilddrüse und sympathischem Nervensystem liefert in der 
menschlichen Pathologie der Morb. Basedowii. Ist doch diese 
Krankheit überhaupt als eine Affektion des sympathischen Nerven¬ 
systems aufgefasst worden. Und wenn wir auch von dieser An¬ 
schauung zum Teil zurückgekommen sind, so finden zweifellos 
eine Reihe von Einzelsymptomen ihre Begründung in Funktions¬ 
störungen des Sympathicus. Da haben wir die Tacbycardie, da 
die äusserst gesteigerte vasomotorische Erregbarkeit. Wir ge¬ 
denken ferner der sekretischen Störungen, die sich insbesondere in 
starker Hyperidrosis äussern, der Protrusio bulbi, bedingt durch 
Kontraktion des sympathisch innervierten Müller’schen Muskels, 
wir verweisen auf die vermehrte Wärmebildung, auf die Tendenz 
zu Körpertemperatursteigerungen, alles Symptome, die nach 
Biedl auf einen erhöhten Sympathicustonus bezogen werden 
können. Auch die von 0. Löwi gefundene Adrenalinmydriasis 
bei Basedow kann als Sympathicusreizsymptom gelten. Alle auf 
das sympathische Nervensystem zu beziehenden Störungen 
können bei verschiedenen Individuen naturgemäss in wechselnder 
Intensität auftreten; prävalieren sie bei einem Patienten gegen¬ 
über anderen Krankheitserscbeinungen, so handelt es sich um 
den sympathicotonischen Typus der Basedowschen Krankheit 
(Eppinger und Hess), während die vorwiegende Beteiligung 
des autonomen Nervensystems die vagotonische Gruppe der 
Krankheitsfälle charakterisiert. Auch Ascher hat im Tierversuch 
nachweisen können, dass es individuell vsrschieden sei, ob bei 
intravenöser Injektion von Jodthyreoglobulin das autonome oder 
sympathische Nervensystem stärker beeinflusst wird. Für diese 
Differenzen, die also in der menschlichen wie tierischen Patho¬ 
logie deutlich genug hervortreten, lassen sich unserer Auffassung 
nach drei Momente verantwortlich machen: 1. Die Beschaffenheit 
des Schilddrüsensekrets (es ist möglich, dass geringgradige indi¬ 
viduelle Unterschiede in der chemischen Zusammensetzung der 
Drüsenprodukte bestehen). 2. Die Gesamtkonstitution des Körpers, 
genauer die Summe aller in der Organisation der Individums ge- 

1) Kraus und Friedenthal, cit. nach Biedl, 


legenen Momente (abgesehen von der Schilddrüse), welche es eben zu 
einem mehr vagotonischen oder sympathicotonischen disponieren: 
Blutbeschaffenheit, Zustand des Gesamtnervensystems sowie der 
anderen Blutgefässdrüsen üsw. 8. Der momentane Erregbarkeits¬ 
zustand des sympathischen bzw. des Vagussystems zu Beginn der 
Krankheit bzw. der Injektion 1 ). 

Der verminderte Erregungszustand des Sympathicus findet 
in klinischer Beleuchtung seinen prägnantesten Ausdruck im Myx¬ 
ödem. Der langsame Puls, die Kälte der Körperoberfläche mit 
dem Fehlen jeglicher Blutwallungen, die Trockenheit, das Rauh¬ 
werden und Abschilfern der Haut, das Ausfallen der Nägel und 
Haare, die unter die Norm sinkende Temperatur sprechen deut¬ 
lich genug. Augenscheinlich ist der Kontrast zu den entsprechen¬ 
den Basedowsymptomen. 

Der vollgültige Beweis dafür, dass es sich beim Basedow 
bzw. Myxödem tatsächlich um Sympathicussymptome handelt, 
wurde durch die experimentelle Reizung bzw. Durchschneidung 
des Halssympathicus erbracht. Erstere bewirkt Erweiterung der 
Pupille und Lidspalte, Protrusio bulbi, Schwitzen der entsprechen¬ 
den Kopfbezirke; bezüglich der Gefässerscheinungen divergieren 
die Ansichten der Autoren insofern, als teilweise Gerfässverenge- 
rung mit Temperaturherabsetzung, teils Gefässerweiterung der 
betreffenden Gesichtshälfte angegeben wird. 

Die experimentelle Durcbschneidung des Halssympathicus be¬ 
wirkt nach Claude Bernard (cit. nach Oppenheim) Erweite¬ 
rung der Blutgefässe mit Temperaturerhöhung der Haut, Verenge¬ 
rung der Pupille und Lidspalte, zuweilen auch Zurücksinken des 
Bulbus. Bei klinischer Lähmung des Sympathicus cervicalis wird 
an Stelle der Gefässerweiterung zuweilen Gefässverengerung beob¬ 
achtet. Als ganz inkonstantes Symptom kommt bei Sympathicus- 
lähmung Anidrosis der entsprechenden Gesicbtshälfte vor (Oppen¬ 
heim). 

Mit Rücksicht auf neuerdings mehrfach geäusserte Be¬ 
hauptungen ist schliesslich noch die Frage zu erwägen, ob die 
beim Hyperthyreoidisraus hervortretenden Sympathicussymptome 
wirklich auch auf das vermehrte Schilddrüsensekret oder nicht 
vielmehr auf Adrenalin, dessen Vermehrung beim Basedow nacb¬ 
gewiesen wurde, zu beziehen seien. Die Schilddrüsenprodukte 
würden also in diesem Falle lediglich das sympathische System 
sensibilisieren und es somit der Adrenalinwirkung zugänglich 
machen. Hier ist wiederum mit vollem Nachdruck auf den Anta¬ 
gonismus der Hauptsymptome bei Myxödem und Basedow hinzu¬ 
weisen, der seine ungezwungenste Erklärung findet in dem 
scharfen Kontrast der Schilddrüsensekretion einerseits, in dem 
gegensätzlichen Verhalten des Sympathicustonus andererseits. Im 
übrigen ist zwar beim Basedow eine Steigerung des Adrenalin¬ 
gehalts im Blut festgestellt worden, nicht aber, soweit mir be¬ 
kannt, eine Verminderung derselben beim Myxödem. Schliesslich 
wurde erst neuerdings wieder von Kahn betont, dass die biologi¬ 
schen Methoden des Adrenalinnachweises im Blute noch keines¬ 
wegs mit der wünschenswerten Schärfe und Präzision arbeiten; 
es können daher auch bezüglich einer Aenderung des Adrenalin¬ 
gehalts noch keine einwandfreien Feststellungen erwartet werden. 
Also bleibt für die Aenderung des Sympathicustonus bei Basedow 
und Myxödem bisher nur der Einfluss der Schilddrüsenabsonde- 
rung als zureichender Grund bestehen. 

Eine Reihe von Symptomen, die bei Erkrankungen der 
Schilddrüse auftreten, müssen als Reizerscheinungen des autonomen 
Nervensystems aufgefasst werden. Allerdings treten die Vagus¬ 
symptome für gewöhnlich in den Hintergrund, und nur bei den 
besonders disponierten vagotonischen Individuen beherrschen sie 
von Anbeginn der Krankheit die Szene. 

Wie bereits hervorgehoben, hat v. Cyon dem Jodothyrin einen 
mächtigen Einfluss auf die regulatorischen Nerven der Herztätig¬ 
keit — vor allem auf Vagus und Depressor — zugesprochen; das 
Schilddrüsensekret soll die Erregbarkeit der centralen und peri¬ 
pheren Endorgane, wahrscheinlich auch die der Stämme des Herz¬ 
vagus und des Depressor erhöhen. Es war nämlich v. Cyon ge¬ 
lungen, durch intravenöse Injektionen von Jodothyrin bzw. Jod- 


1) Der Begriff der Vagotonie und Sympathicotonie wird in jüngster 
Zeit vielfach angefochten. Auch mir scheint es, als ob die Autoren die 
Ursache für diese Differenzen zu einseitig in eine spezielle Disposition 
der Erfolgsorgane projizierten, dabei aber die veränderte Arbeits¬ 
leistung, die aus der Störung des polyglandulären Systems resultiert, 
ausser acht Hessen. Gerade das Wechseln und Intermiltieren der Basedow 
Symptome z. B. zeigt, dass für bestimmte Kradkheitsersebeinungefa nicht 
nur die spezielle Disposition eines Nerven, sondern auch cfie jeweilige 
Arbeitsleistung des gestörten Systems ausschlaggebend ist. 


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17. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


305 


thyreoglobulin eine Blutdrucksenkung und eine Verlangsamung 
sowie Verstärkung der Herzaktion (Aktionspulse) herbeizuführen. 

Io mannigfachen Untersuchungen ist die Einwirkung des 
Jodothyrins auf das Herznervensystem nachgeprüft worden; doch 
ist bisher noch keine volle Einigung, erzielt worden. Von den 
einen wurde eine Steigerung des Blutdrucks, von den anderen 
wiederum eine Senkung beobachtet; eine Reihe von Experimenta¬ 
toren faod Pulsbeschleunigung, andere hingegen Pulsverlang- 
samnng. Eine charakteristische Wirkung des Jodothyrios auf den 
Circulationsapparat von Hunden und Kaninchen ist nach den 
heutigen Erfahrungen nicht sichergestellt (Biedl). Nur das 
Kreislaufsystem der Katze scheint in typischer Weise durch Jodo- 
thyrin beeinflusst zu werden: deutliche Biutdrucksenkung sowie 
Auftreten grosser, langsamer Vaguspulse (Biedl); letztere 
kommen durch eine Reizung des Vaguscentrums in der Medulla 
oblongata zustande. Spätere Untersuchungen lehrten indessen, 
dass diese Symptome nicht als spezifische Wirkungen des Jodo- 
thyrius aufzufassen, sondern auch durch Injektion jodierter 
Eiweisskörper hervorzurufen seien (Biedl). Das Thierexperitnent 
hat uns mithin noch nicht zu einer sicheren Erkenntnis der Beein- 
flassuog des Vagussystems durch das Schilddrüsensekret ver¬ 
boten. 

Auch die klinischen Befunde bringen noch keine feststehenden 
Ergebnisse. Ist doch gerade die Tachycardie, also ein Sympathicus- 
symptom, eine Kardinalerscheinung der Basedowschen Krankheit, 
durch welche möglicherweise die Vagusreizung verdeckt wird. 
Auch die Blutdruckbestimmungen haben nicht zu einheitlichen 
Resultaten geführt; Oppenheim fand meist Blutdrucksteigerung. 

Wenngleich auch bei der Basedowschen Krankheit die Be¬ 
teiligung des autonomen Herznervenapparates nicht so deutlich 
bervortritt, so bleiben immerhin noch eine ganze Reibe von 
Symptomen, welche wahrscheinlich auf eine Reizung des auto¬ 
nomen Nervensystems bezogen werden können (Eppinger und 
Hess). Da werden die Erweiterung der Lidspalte, da die Diar¬ 
rhöen (vermehrte Vagustätigkeit), da Störungen der Atmung, 
welche sich gelegentlich in Dyspnöe äussern können, erwähnt; 
vielleicht ist auch das Gräfe’sche Phänomen als eine Reix- 
encheinung des autonomen Systems zu deuten. Hingegen werden 
wir andere Erscheinungen, welche Eppinger und Hess — wohl 
etwas willkürlich, wie Biedl sagt — als Vagussymptome auf¬ 
gefasst haben, vermehrte Schweisssekretion, Kongestionen und 
circum8cripte Oedeme eher auf Rechnung des modifizierten Sym- 
pathicustonus setzen. 

Auch bei Athyreosis finden sich einzelne Symptome, die auf 
einen veränderten Tonus des autonomen Nervensystems sch Hessen 
lassen. Als solche sind nach Biedl anzusprechen die Trägheit 
der Darmbewegungen, die geringen Wirkungen des speziell den 
Vagus beeinflussenden Pilocarpins und die gesteigerte Wirkungs¬ 
intensität des Atropins auf das 'Auge schilddrüsenloser Tiere. 

Eine kurze Diskussion über die Aetiologie der Basedow’scben 
Krankheit möge das Schilddrüsenkapitel schliessen. Im Mittel¬ 
punkt des Basedow steht nach wie vor die Hypersekretion der 
Schilddrüse. Mit dieser Erkenntnis aber ist der alte Streit, ob 
denn die letzte Ursache des Leidens in der Schilddrüse selbst 
oder ausserhalb derselben gelegen sei, noch nicht geschlichtet. 
In seinem schon oft erwähnten Buch hat Biedl wiederum der 
schon früher geltenden Anschauung Ausdruck verliehen, dass die 
Ursache der Sekretionsanomal re der Schilddrüse möglicherweise 
in einer primären Erkrankung des Sympatbicus oder seiner Ur¬ 
sprungsgebiete im Nervensystem zu suchen, dass also eine neurogen- 
thyreogene Theorie des Basedow denkbar sei. 

Hierzu bemerke ich folgendes: 

Unter den auslösenden Ursachen der Krankheit stehen an 
erster Stelle heftige Gemütserschütterungen. Besonders exponiert 
ist das weibliche Geschlecht, das von vornherein psychischen 
Insulten gegenüber weniger widerstandsfähig ist. Das häufige 
Einsetzen des Leidens im Anschluss an die Menstruation und 
nach Geburten, also Perioden, in denen die psychische Energie 
erheblich vermindert ist, verdient besonders hervorgehoben zu 
werden. Die genannten Momente deuten auf die schon früher 
geäusserte Wahrscheinlichkeit hin, dass die eigentliche Ursache 
des Leidens häufig cerebral bedingt sei. Gewiss mag es eine 
Reihe von Fällen geben (Kocher), in denen die Schilddrüse 
direkt angegriffen wird (Jodbasedow, Basedow im Anschluss an 
Infektionskrankheiten). Aber für eine grosse Reihe von Fällen 
scheint unserer Auffassung nach der cerebrale Ursprung ziemlich 
gesichert. Kaum möglich erscheint es nach Lage der Dinge, 
eine primäre Erkrankung des sympathischen Systems anzunehmen. 


Psychische Traumen köonen ibter Natur nach nur aof das 
Centralorgan einwirken, nicht aber . am sympathischen 
Nervensystem angreifen. Wir schljessen folgendermaassen; Der 
Basedowschen Krankheit liegt eine Hypersekretion der Schild¬ 
drüse zugrunde, welche einen spezifisch reizenden Einfluss einer¬ 
seits auf das Gehirn, andererseits auf das vegetative Nerven¬ 
system ausübt und im weiteren Verlauf die Tätigkeit bestimmter 
anderer Blutdrüsen modifiziert; das vegetative Nervensystem wird 
hauptsächlich in seinem sympathischen, zum Teil auch in seinem 
autonomen Anteil betroffen. Die Ursache der Schilddrüsenhypetv 
Sekretion liegt entweder in der Schilddrüse selbst (Fäjle von 
Jodbasedow, Basedow nach Infektionskrankheiten), in einer grossen 
Anzahl von Fällen aber scheint das Leiden cerebralen Ursprungs, 
die vermehrte Sekretion der Schilddrüse erst sekundär bedingt 
zu sein. . 

(Fortsetzung folgt.) 


Zur Pneumothorax-Therapie. 

Von 

Dr. E. Aron, 

Leitender Arzt an) Krankenhaus der JQdiQchen Gemeind# zu Berlin. 

Während in früheren Jahren nur selten die Gelegenheit ge¬ 
boten wurde, Messungen des intrapleuralen Druckes und graphische 
Aufzeichnungen desselben am Menschen auszufübren, ist es heut¬ 
zutage häufiger möglich, derartige, nicht uninteressante Unter¬ 
suchungen vorzunehmen. Dies ist in allen den Fällen ausführ¬ 
bar, welche mit Stickstoffinsufflationen in die Brusthöhle behandelt 
werden. Was früher nur im Tierexperimente statthaft war, ist 
heute infolge der Pneumothorax-Therapie am Menschen naebzu- 
ahmen zulässig. Ich selbst habe vor längerer Zeit 1 ) eingehend? 
Stadien über den Pneumothorax bei Kaninchen aogestellt und 
veröffentlicht und habe such beim Menschen, so weit dies an¬ 
gängig war und sich mir die Gelegenheit dazu bot, Bestimmungen 
des Pleuradruckes und graphische Aufzeichnungen bei den verr 
sebiedenen Pneumothoraxformen publiziert. Später habe, ich dies? 
Studien in einem kleinen Buche „Die Mechanik und Therapie des 
Pneumothorax 11 (Berlin 1902) zusammengefasst« Ich möchte be¬ 
sonders auf die Tafel II in diesem Buche hiuweisen, welche uns 
über den intrapleuralen Druck beider Brusthöhlen und über den 
Blutdruck hei den verschiedenen Formen des Pneumothorax Auf¬ 
schluss gibt. 

Ich bin auf Grund meiner Tierversuche zu der Ueberzeugung 
gekommen, dass es für den Tierkörper gefährlich wird, wenn wir 
den Pleuradruck einseitig (durch immer neue Lufteiublasungen) 
positi v gestalten. Wird der Pleuradruck stärker positiv, so dass 
die Atmung dieser Seite ganz aufhört, so treten sehr bald all¬ 
gemeine Krämpfe ein, der Blutdruck fällt und weist bedrohliche 
Schwankungen auf. Die Atmung wird beängstigend langsam und 
tief. (Die näheren Angaben finden sich auf Seite 19, 25 und 26 
meines Buches.) Diese Erfahrungen, welche ich vielfach kn Tier¬ 
experiment gesammelt habe, sollten wir bei der Pneumothorax- 
Therapie beherzigen. Dann werden weniger zahlreiche Unglücks¬ 
fälle sich bei dieser Art Therapie ereignen. ' Sobald der Druck 
in der Brusthöhle infolge der N-Einführung positiv wird, muss 
man mit der Fortsetzung derselben/sehr vorsichtig sein. Hat 
man sich davon überzeugt, dass der Patient die N-lnsufflation 
gut verträgt, so kann man gradatim damit weiter gehen und 
kann den Pleuradruck nach und nach sogar stärker positiv 
machen. Man muss jedoch stets den Blutdruck, die Atmung un<J 
das Allgemeinbefinden des Patienten im Auge behalten. Sobald 
sich irgendwelche Störungen einstellen, muss man sofort die Ein¬ 
blasungen unterbrechen. Man darf unter keinen Umständen die 
Collapstberapie von vornherein so weit treiben, dass die be¬ 
handelte Lunge bei der Atmung absolut stille steht. Das wäre 
im höchsten Grade gefährlich. Das Allgemeinbefinden und der 
Kräftezustand des Herzens sind von sehr wesentlicher Bedeutung 
und bestimmen, wie weit in jedem Falle mit der Pneumothorax- 
Therapie gegangen werden darf. Man muss hierbei streng indi¬ 
vidualisieren. Das Manometer muss unter allen Umständen 
stets bei den N-Einblasungen unser Berater und Führer sein. Ich 
halte es für fehlerhaft und gefährlich, auf das Manometer bei 


1) Vifohow’s Archiv, 1896, Bd. 145. Experimentelle Studien über 
den Pneumothorax. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 7. 


der Collapstherapie za verzichten, wie dies verschiedentlich vor- 
geschlagen worden ist. Es liegt aach gar kein ersichtlicher 
Grund dazu vor. Die Therapie als solche wird dadurch in keiner 
Weise kompliziert. 

Ich habe die Stickstoffinsufflation dazu benutzt, um in ähn¬ 
licher Weise, wie ich es seinerzeit beim Kaninchen ausgeführt 
habe, nun auch beim Menschen den normalen Druck in der Pleura¬ 
höhle zu messen und Kurvenzeichnungen des normalen Pleural¬ 
druckes herzustellen, sowie Messungen und Zeichnungen des Pleura¬ 
druckes beim geschlossenen Pneumothorax am Menschen auszu- 
fÖhren. Die hierför erforderliche Technik war eine recht ein¬ 
fache. Statt des Wassermanometers, welches bei den Stickstoff¬ 
einblasungen meistens gebraucht wird, verwendete ich ein Glycerin¬ 
manometer mit Schwimmer und Zeichenfeder, so dass auf einer 
rotierenden Kymographiontrommel sich die Schwankungen des 
Druckes in der Brusthöhle in Form einer Kurve aufzeichnen. 
(Unsere Kurven sind von rechts nach links zu lesen. Bin Queck¬ 
silbermanometer zu verwenden, empfiehlt sich nicht, da dann die 
Ausschläge und Kurven zu niedrig werden.) Bevor ich mit den 
N-Einblasungen anfing, habe ich eine Kurve der Schwankungen 
des Pleuradruckes bei meinem Phthisiker gezeichnet Als Mittel¬ 
wert ergab sich: 

för die Inspiration — 7,49 mm Hg 
„ „ Exspiration — 6,83 „ „ 

Schon fröher 1 ) habe ich einmal den intrapleuralen Druck 
bei einem lebenden, normalen Menschen bestimmt und damals 
folgende Mittelwerte erhalten: 

för die Inspiration — 4,64 mm Hg 
und „ „ Exspiration — 3,02 „ „ 

Wenn meine heutigen Werte des Pleuradruckes nicht un¬ 
wesentlich grösser ausgefallen sind als bei dem früheren Versuche, 
so werden wir in Betracht ziehen müssen, dass ein gesunder 
Mensch im allgemeinen oberflächlicher atmet als ein lungenkrankes 
Individuum. 

Dann wurde N in die Pleurahöhle hineingelassen. Ich liess 
jedesmal, wenn 100, später 200 ccm N in die Brusthöhle hinein¬ 
getreten waren, die N-Zufuhr unterbrechen und verzeichnete eine 
neue Kurve des Pleuradruckes bei meinem Patienten. Im ganzen 
wurden 1000 ccm N insuffliert. Ich bekam also Kurven des 
Pleuradruckes bei einem geschlossenen Pneumothorax von einem 
Menschen, und zwar näherte sich der Pleuradruck bei dem Ver¬ 
suche allmählich immer mehr der Nullhöhe. Ich hörte mit der 
N-Einblasung auf, bevor der Pleuradruck positiv wurde. Ich 
lasse die Werte des Pleuradruckes, welche sich bei der Aus¬ 
messung der Kurven bei dem Pneumothorax ergeben haben, 
folgen: 



Inspiration 
mm Hg 

Exspiration 
mm Hg 

Tiefe der 
Respiration 

Normaler Pleuradruck . . 

- 7,49 

— 6,88 

0,66 

100 ccm N injiziert . . 

-7,00 

-5,94 

1,06 

200 „ „ n . • 

! - 5,85 

-4,55 

0,80 

400 , „ * 

! — 4,18 

— 8,44 

0,74 

600 , „ „ 

— 2,25 

— 1,53 

0,72 

800 „ „ „ 

i -2,12 

— 1,26 

0,86 

1000 nt) n 

i - wi 

-0,66 

0,75 


Auch am Ende der N-Insufflation zeigt die Lunge der be¬ 
handelten Seite noch deutliche Ausschläge des Manometers, d. h. 
sie nimmt noch an der Atmung teil. Wird die Collapstherapie 
(bei späteren Nachfullungen) sehr weit getrieben, so wird schliess¬ 
lich ein Stadium erreicht werden, in dem die behandelte Lunge 
gar nicht mehr mitatmet. Dann verzeichnet das Manometer eine 
annähernd horizontale Linie, wie ich dies seinerzeit bei den 
Tierversuchen gesehen habe (cf. cit. Buch, Tafel II, nach Injektion 
von 90 ccm Luft). Einige Kurven finden sich am Ende der 
Arbeit. 

Was die Indikationsstellung der Collapstherapie betrifft, 
so will ich hierauf nur insoweit eingehen, als ich hierför aus 
meinen früheren Tierexperimenten gewisse Anhaltspunkte erhalten 
habe. Wir bezwecken bekanntlich mit der Stickstoffinsufflation, 
die kranke Lunge möglichst ruhig zu stellen, um so die Möglich¬ 
keit för die Ausheilung des krankhaften Prozesses zu schaffen. 


1) Der intrapleurale Druck beim lebenden, gesunden Menschen. 
Virchow’s Archiv, 1900, Bd. 160. Die Kurve selbst findet sich in 
Virchow's Archiv, 1902, Bd. 170, S. 269. 


Es wurde ursprünglich beabsichtigt, nur einseitige Erkrankungen 
dieser Behandlungsart zu unterwerfen. Später sind die Indikationen 
dieser Therapie weiter gefasst worden, und man hat auch Fälle 
von Lungentuberkulose zugelassen, welche doppelseitige Erkran* 
kungen derart aufweisen, dass die eine Seite wesentlich stärker 
affiziert ist. Man hat behauptet, dass auch die andere, nicht be¬ 
handelte Seite ausheile, bzw. sich bessere. Wie das zustande 
kommen soll, auch dafür bat man sich Theorien zurechtgemacht 
Wenn man sich jedoch vor Augen führt, was mit der anderen 
Lunge geschieht, wenn man eine Lunge ausser Funktion stellt 
so scheinen mir die Aussichten für eine Ausheilung auch der 
anderen Seite recht wenig verheissungsvoll zu sein. Auch aof 
diese wichtige Frage geben meine früheren Tierexperimente eine 
eindeutige Antwort (cf. Monographie, Tafel II). Die Exkursionen 
der anderen Lunge werden grösser, die andere Lunge atmet tiefer, 
je mehr wir die eine Lunge durch Lufteinspritsungen von der 
Atmung ausscbalten. Dies prägt sich klar und deutlich an jener 
Kurve 11 aus. Während die Ausschläge des Pleuradruckes infolge 
der Luftinjektion auf der behandelten Seite successive immer kleiner 
und oberflächlicher werden, vertiefen sich die Druckschwankungen 
der anderen, nicht injizierten Seite. Mit anderen Worten: die 
nichtbehandelte Lunge atmet um so tiefer, je mehr die behandelte 
Lunge von der Atmung ausgeschaltet wird. Am ausgeprägtesten 
und deutlichsten trifft dies zu, wenn wir den Pneumothorax durch 
immer erneute Lufteinspritzung in die Brusthöhle so weit steigern, 
dass die Lunge dieser Seite gar nicht mehr atmet; dann führt 
die andere Lunge bei der Atmung besonders tiefe Exkursionen 
aus. Dieses Stadium ist für das Fortbestehen des Lebens der 
Kaninchen besonders gefährlich. (So weit sollte nach meinem 
Dafürhalten die Pneumothorax-Therapie beim Menschen niemals 
getrieben werden. Zum mindesten ist dann grosse Vorsicht ge¬ 
boten.) Wenn wir uns die Frage vorlegen: was besagen diese 
tiefen Exkursionen der nicht injizierten Seite? Für eine gesunde 
Lunge mag diese tiefe Respiration keine besondere Bedeutung 
haben. Wie verhält es sich jedoch, wenn diese Lunge gleichfalls 
erkrankt ist? Für eine kranke Lunge bestehen bei exzessiver 
Atmung derselben grosse Gefahren. Es ist sehr wahrscheinlich, 
dass durch diese forcierte Atmung die Lungensekrete in tiefere, 
bisher vielleicht gesunde Teile der Lunge aspiriert werden und diese 
infizieren. Wenn wir die Kompressionstherapie deshalb empfehlen, 
um die kranken Teile ruhig zu stellen und so die Chancen für 
eine Ausheilung anzubahnen, so werden wir uns logischerweise 
wohl vorstellen müssen, dass auf der anderen Seite infolge der 
vertieften Atmung eine Ausheilung geradezu undenkbar wird. 
Wenn es also erlaubt ist, aus diesen experimentellen Beobachtungen 
einen praktischen Schluss zu ziehen, so darf man zur Pueumo- 
thoraxbehandlung nur wirklich einseitige Lungenprozesse aas¬ 
wählen, da man sonst Gefahr läuft, dass die andere Seite kränker 
wird. Wenn wir die Indikation für die Collapstherapie der 
Lunge wirklich streng ziehen und nur schwere, fieberhafte, ein¬ 
seitige, herabgekommene, progrediente Fälle, welche allen 
anderen Mitteln getrotzt haben, zulassen, so werden diese Fälle 
nicht eben zahlreich sein. Bei derartigen Patienten wird eben sehr 
oft schon die andere Lunge miterkrankt sein. 

Wenn die Pneumothoraxtherapie sich nur recht langsam ein¬ 
bürgert, so liegt das an verschiedenen Ursachen. Zunächst liegt 
dies daran, dass die Indikationsstellung bis heute noch eine recht 
strittige ist. Für den in dieser Therapie noch Unerfahrenen 
wird es daher schwer, sich wirklich aussichtsvolle Fälle heraus- 
zusueben. Für den inneren Arzt bietet die Pneumothoraxtherapie 
insofern einige Schwierigkeiten, als die Technik nicht so ganz 
einfach erscheint. Sie ist jedoch nicht schwer zu erlernen. Aller¬ 
dings gebraucht man Assistenz und die Einrichtungen eines 
Krankenhauses oder Sanatoriums mit Röntgeninstitut. Trotz 
genauer vorheriger Untersuchung wird man nie mit absoluter 
Sicherheit Voraussagen können, dass die N-Einblasung auch 
wirklich gelingen wird. Es werden immer mal Versager Vor¬ 
kommen, in denen unvorhergesehene Verwachsungen den Erfolg 
unmöglich machen. Dann sind Unglücksfälle bei dieser Behand¬ 
lungsart berichtet worden, und gerade dieser Umstand mag wohl 
manchen Arzt jabgeschreckt haben. Ich glaubo jedoch, dass sich 
die Unglücksfälle im allgemeinen vermeiden lassen, wenn man 
nie ohne Manometer arbeitet und mit den Stickstoffeinblasungen 
nur dann beginnt, wenn man sich an dem Manometer vergewissert 
hat, mit der Hohlnadel wirklich in der Brusthöhle zu sein. Das 
Manometer muss sowohl in- wie auch exspiratorisch einen 
negativen Stand haben. Schliesslich hat wohl auch die Vor¬ 
stellung, dass ein Pneumothorax eine unheilvolle Komplikation 


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17. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


807 


der Lungentuberkulose sei, manchen Arst von dieser Therapie 
abgeschreckt. So begreiflich auch diese Anschauung nach dm 
Erfahrungen am Krankenbette sein mag, so wenig ist sie gerecht¬ 
fertigt, wenigstens in diesem weiten Sinne. Was wir bei unseren 
Tuberkulösen zu sehen gewöhnt sind, das ist fast stets ein Ventil¬ 
pneumothorax mit seinen allerdings bedeutenden Gefahren. Ganz 
anders liegen jedoch die Verhältnisse, wenn wir bei unseren 
N-Insufflationen einen geschlossenen Pneumothorax mit 
nicht hohem Pleuradruck etablieren. Der Ventilpneumothorax 
wirkt deshalb so verhängnisvoll, weil bei ihm ein hoher positiver 
Pleuradruck entsteht mit seinen deletären Konsequenzen fQr die 
Atmung und den Blutdruck. Deshalb werden wir bei unseren 
therapeutischen Bestrebungen den Pleuradruck niemals so hoch 
treiben dürfen. Wenn wir v aber dies als Regel beherzigen, so 
brauchen wir die Anlegung eines geschlossenen Pneumothorax mit 
niedrigem Pleuradruck nicht zu fürchten. 

Die ganze Pneumothoraxtherapie basiert bekanntlich auf den 
freilich nicht gar zu häufigen Erfahrungen, welche besagen, dass 
das Entstehen eines Pneumothorax im Verlaufe einer Lungentuber¬ 
kulose zuweilen keine Verschlimmerung der Krankheit be¬ 
deute, sondern direkt die Krankheit im günstigen Sinne beeinflusse. 
Diese Beobachtung ist schon ziemlich alten Datums (Stokes, 
Wintrich). So konnte es nicht fehlen, dass die künstliche 
Herstellung eines Pneumothorax zu Heilzwecken auch schon vor 
Forlanini vorgeschlagen worden ist. Weil 1 ) kritisiert diesen 
Vorschlag freilich als „Kuriosität“. Heute stehen wir diesen 
Dingen doch etwas anders gegenüber. Wir ahmen mit der 
Pneumothoraxtherapie also nur das nach, was uns die Natur 
gelehrt hat. Wenn die Natur diese Heilung bei einem Phthisiker 
in die Wege leitet, indem ein Pneumothorax entsteht, so ist diese 
Naturheilung meist mit so grossen Gefahren verbunden, dass die 
Kranken oft an den Folgen des Pneumothorax zugrunde gehen. 
Es musste daher das Bestreben sein, diese Naturheilmethode, 
möchte ich sagen, derart zu gestalten, dass sie ihrer vitalen 
Gefahren beraubt wurde. Und dies ist wohl dank der Arbeiten 
vieler Forscher, besonders Forlanini’s und Brauer’s, zum 
grössten Teil gelungen. 

Kurve 1 ist gewonnen, bevor mit den N-Einblasungen be¬ 
gonnen wurde; sie ist also eine Kurve der Druokschwankungen 
des normalen Pleuradrucks unseres Patienten. 

Kurve 2 drückt die Schwankungen des Pleuradrucks aus, 
nachdem 400 ccm N injiziert waren. 

Kurve 8 wurde gezeichnet, nachdem 1 1 N in die Brusthöhle 
eingeführt war. Die horizontale Linie ist die Nuliinie sämtlicher 
Kurven. 



Zusammenfassung. 

Die Pneumothoraxtherapie soll nur Verwendung finden bei 
einseitigen, progredienten Fällen von Lungentuberkulose, welche 
jeder anderen Therapie getrotzt haben. Mit den N-Insufflationen 
darf nur begonnen werden, wenn man sicher ist, wirklich in der 
Pleurahöhle mit der Nadel zu sein. Man darf die Einblasungen 
nie forcieren und soll stets ein Manometer verwenden. Sobald 
der Pleuradruck sich der Nuliinie nähert, ist besondere Vorsicht 
erforderlich. 


1) Zur Lehre vom Pneumothorax. Leipzig 1882, S. 166. 


Aus dem hygienischen Laboratorium des klinischen 
Institutes der Grossfiirstin Helena Pawlowna zu 
St Petersburg (Vorstand: Prof. Dr. G. W. Chlopin; 
Leiter der bakteriologischen Abteilung; Assistent 
Privatdozent Dr. G. D. ßelanowsky.) 

Ueber die Magensaftanaphylaxie. 

Von 

Dr. E. Manoiloff. 

Anaphylaxie oder Ueberempfindlicbkeitsreaktion ist ein bio¬ 
logisches Phänomen, welches im Laufe der letzten Jahre näher 
studiert und erkannt wurde. Dieses neue biologische Phänomen 
hat man für die biologische Eiweissdifferenzieruog verwertet. 
Aus den bisherigen Forschungen ist bekannt, dass auf jede fremde 
Eiweissart, die nicht durch den Magendarmkanal geht, der Orga¬ 
nismus antwortet mit der Bildung spezifischer Substanzen — der 
Antikörper, die bestimmt sind, diese Eiweisse zu verarbeiten und 
sie assimilierbar zu machen. 

Ublenhuth hat zuerst auf Grund diesbezüglicher, in Gemein¬ 
schaft mit Haendel angestellter Versuche auf die allgemeine 
Bedeutung der Reaktion für praktische Zwecke, speziell auch für 
die forensische Praxis zur Differenzierung von Blut- und Fleisch¬ 
sorten hingewiesen, dabei zugleich auch auf ihre Nachteile auf¬ 
merksam gemacht 1 ). Den Gedanken einer praktischen Verwertung 
der Reaktion haben ferner Hermann Pfeiffer, Thomson und 
Sleeswick bei ihren Untersuchungen verfolgt. Die praktische 
Anwendung der Reaktion ist jedoch bisher nur auf einzelne Ver¬ 
suche beschränkt geblieben; allgemeine Anwendung hat die Re¬ 
aktion in der Praxis noch nicht gefunden. In den bisher er¬ 
schienenen allgemeinen Uebersichten (Doer, Otto, Besredka, 
Levaditi) über die Anaphylaxie finden sich daher in dieser 
Hinsicht auch noch keine näheren Angaben. Sleeswick, 
Hermann Pfeiffer und Thomson haben die Reaktion zunächst 
nur in forensischer Hinsicht zur Untersuchung von Blutarten zu 
verwenden versucht. 

Thomson 1 ) gelang es mit Hilfe der Reaktion, 2—8 Monate 
alte, an Leinwandstücken angetrocknete Blutflecke von Menschen-, 
Affen-, Hühner-, Tauben-, Schaf- und Ziegenblut bezüglich ihrer 
Herkunft zu identifizieren. 

Von gewisser Bedeutung für die Beurteilung der Verwertbar¬ 
keit der Reaktion in forensischer Hinsicht ist aber die Beob¬ 
achtung, dass auch mit normalem, nachweislich nicht eiweiss¬ 
haltigem menschlichen Urin vorbehandelte Meerschweinchen bei 
Nachprüfung mit menschlichem Serum, nicht aber bei Nach¬ 
prüfung mit Urin passiv reagierten. 

Eine umstrittene Frage bildet noch die Organspezifität der 
Tumorzellen. Nach v. Düngern und Coca*), Jamanouchi 8 } 
sollen tumortragende Menschen und Tiere anaphylaktischer gegen 
ihr Tumoreiwei88 sein; dieses müsste sich also biologisch von dem 
übrigen Körpereiweiss unterscheiden. Hermann Pfeiffer und 
Finsterer 4 ) glauben durch diese Methode der passiven Ana¬ 
phylaxie im Serum von Krebskranken Antikörper gegen Krebs¬ 
gewebe nachgewiesen zu haben. Diese Angaben werden aber 
von Apolant 6 ), Ranzi*), Elias 7 ) u. a. bestritten. 

Spiro Levierti konnte in geistreichen Versuchen mittels 
Magensaftes von Krebskranken die passive Anaphylaxie auf Tiere 
übertragen. Dieser Forscher spritzte subdural den Meerschweinchen 
Carcioomsaft ein und reinjizierte nach bestimmter Zeit den Ver- 


1) Uhlenhuth und Weidanz, Praktische Anleitung zur Aus¬ 
führung des biologischen Eiweissdifferenzierungsverfährens. 1909. 

2) v. Düngern und Coca, Ueber Massensarkome, die in Kaninchen 
wachsen, und über das Wesen der Geschwulstimmunität. Zeitschr. f. 
Immunitätsforsch., Bd. 2, S. 891. 

8) Jamanouchi, Sur la Diminution de l'excitabilitö des nerfs ches 
les animaux preparös aveo le s£rum d’une espeoe 6trangere. Ann. 
Pasteuri, 1909, Bd. 28, S. 7. 

4) Hermann Pfeiffer und Finsterer, Ueber den Naohweis eines 
gegen das eigene Caroinom gerichteten Antikörpers im Serum von Krebs¬ 
kranken. Zeitschr. f. Immunitätsforsch., 1910, Bd. 45. 

5) Apolant, Ueber die Empfindlichkeit von Krebsmägen gegen 
intraperitoneale Tumorinjektionen. Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 8. 

6) Ranzi, Zur Frage des Nachweises eines spezifischen ana¬ 
phylaktischen Reaktionskörpers im Blute von Tumorkranken. Wiener 
klin. Woohenschr., 1909, Nr. 28. 

7) Elias, Die temperaturherabsetzende Wirkung von Gewebspress- 
säften und Lipoiden und ihre Bedeutung für die Pfeiffersche Reaktion 
Beitr. z. Caroinomforsch., Bd. 1, H. 2. 

5* 


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308 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 7. 


suchstieren Magensaft von Krebskranken. Als Resultat stellte 
sich heraus, dass die vorbereiteten Tiere allgemeine anaphylak¬ 
tische Erscheinungen zeigten mit charakteristischem Sinken der 
Temperatur. 

Auf Grund seiner Versuche zieht Levierti folgende Schluss¬ 
folgerungen: 

1. dass der Magensaft von Krebskranken, bei denen der Krebs 
in anderen Organen bsw. Gegenden als dem Magen lokali¬ 
siert war, gesunden Tieren (Meerschweinchen) subdural ein¬ 
gespritzt, bei diesen, selbst io der Dose von 1 ccm keine 
toxische Wirkung entfaltet; 

2. dass der Magensaft von Krebskranken (drei seiner Patienten) 
mit extrastornachalem Krebs bei durch Mammacarcinom- 
extrakt vorbereiteten Tieren, subdural eingespritzt, selbst 
in der Dosis von 1 ccm keine anaphylaktischen Erschei¬ 
nungen hervorrief; 

3. dass hingegen der Magensaft eines Magenkrebskranken, 
gesunden Tieren subdural eingespritzt, selbst in der Dosis 
von 0,05 ccm, eine starke Giftwirkung entfaltete, welche 
den Exitus letalis zur Folge hat; 

4. dass derselbe Magensaft bei durch Mammaoarcinomextrakt 
vorbereiteten Tieren, subdural eingespritzt, selbst in der 
minimalen Dosis von 0,2 ccm, ganz deutliche anaphylak¬ 
tische Erscheinungen herbeiführt. 

Aus seinen Versuchen ging hervor, dass der Magensaft der 
drei von ihm untersuchten Krebskranken mit extrastomachaler 
Lokalisierung des Carcinoms sich in derselben Weise verhielt 
wie der Magensaft normaler Individuen. Dagegen rief der Magen¬ 
saft Krebskranker bei vorbebandelten Tieren deutliche anaphylak¬ 
tische Erscheinungen hervor, ; 

Spiro Levierti ist deshalb der Ansicht, dass die durch 
Magensaft der Magenkrebskranken hervorgerufenen anaphylak¬ 
tischen Erscheinungen streng spezifisch sind für Magencarcinom. 

In den letzten Jahren habe ich' Gelegenheit gehabt, einige 
Patienten zu beobachten, die teils an Magencarcinom litten, teils 
Geschwülste an anderen Organen trugen. Ich stellte mir die 
Aufgabe, zu untersuchen, ob es möglich wäre, mittels Magensaftes 
von Krebskranken passive Anaphylaxie bei Tieren hervorzurufen 
und zugleich die Levierti’schen Versuche über Magensaftanaphylaxie 
zu prüfen* _ ... ■ 

Der Zweck der vorliegenden Arbeit, ist also in erster Linie 
der, unsere^ Beobachtungen bezüglich der Magensaftanaphylaxie 
als serodiagnoslisches Mittel in den von mir beobachteten Fällen 
Magenkrebskranker bekannt zu machen. 

Eigene Untersuchungen. 

Im ganzen habe ich 11 Personen untersucht, und zwar: 
8 Carci nomkranke, davon 4 Magenkrebskranke, eine Mamma- 
qarcinompatientin, 3. Uteruscarcinomkranke und 2 Patienten mit 
Ulcus yentriculi. 

' ' Herstellung der einzelnen Magensäfte. 

In der Herstellung der Magensäfte habe ich mich im allgemeinen an 
die Angaben von Spiro Levierti gehalten. Da es aber auf die 
Methodik der Versuche viel ankommt, so muss sie eingehend beschrieben 
werden. 

Von 8 Uhr. abends an bis zum nächsten Morgen hatten meine 
Patienten nichts genossen. Um V 2 3 Uhr morgens verabreichte ich den¬ 
selben das bekannte Ewald’sche Probefrühstück, was ich nach dreiviertel 
Stunden wiederholte. 

Bei der Gewinnung des Magensaftes befolgte ich selbstverständlich 
alle'möglichen Maassregeln der Asepsis. Die Sonde sowie die Gläser 
sind sterilisiert worden. Das gewonnene Material wurde zweimal durch 
das sterile Filterpapier filtriert und danach durch Zusatz einiger Tropfen 
von gesättigter Sodalösung neutralisiert und etwas leicht alkalisiert. 

Der Magensaft wurde nur von solchen Magenkrebskranken genommen, 
bei. denen die Diagnose durch die Feststellung der klinischen find 
chemischen Untersuchungen sichergestellt war. Ausserdem wurde zu 
Kontrollversuohen Magensaft von gänzlich normalen Individuen- ge¬ 
nommen. und ferner von zwei Patienten, eines mit Gastritis chronica 
byperacid. und eines mit Gastritis chronica... . 

. Herstammung und Herstellung des Krebssaftes. 

Das Material, mit welchem ich meine Tiere vorbereitete, stammte 
von einem typischen Larynxcarcinom, dessen Diagnose durch die histo¬ 
logische Untersuchung sichergestellt war, und wurde mir in freundlicher 
Weise von Herrn Marinestabsarzt Dr. Krawtschenko aus dem hiesigen 
Obuchow-Hospital nach der Operation (herausgenommen) gleich über¬ 
geben. Aus dieser Geschwulst stellte ich ein wässeriges Extrakt in 
steriler physiologischer Kochsalzlösung her. Die Gescbwult wurde zuerst 
mit einer, sterilen Schere zerschnitten, dann mit einem sterilen Glas¬ 
stäbchen fein zerrieben. Dieser Extrakt wurde duroh steriles Filterpapier 


zweimal filtriert, auf verschiedene 5 ccm haltige Fläschchen verteilt, 
zugeschmolzen und in den Eisschrank gestellt. 

Allgemeine Technik der subduralen Injektion des Magen¬ 
saftes. 

Ich bediente mich eines gewöhnlichen Trepans und ging ganz genau 
so vor, wie man bei rotiatischen Zwecken vorgeht. 

Aus meinen Versuchsprotokollen will ich folgende Tatsachen dar¬ 
stellen: 

1. Magensaft von N. P., Unteroffizier, 49 Jahre alt, leidet seit einem 
Jahre an Magencarcinom. 

Es wurde drei gesunden Meerschweinchen subdural Carcinomsaft 
eingespritzt. Meerschweinchen Nr. 1 bekam 0,15, Nr. 2 0,8 und Nr. 8 
0,75 ccm des Saftes. 

Nach 14 Tagca wurde den Meerschweinchen intravenös in steigenden 
Dosen Magensaft eingespritzt (Meerschweinchen Nr. I 0,2, Nr. 2 0,5 und 
Nr. 3 1 ccm). Das Versuchstier Nr. 1 blieb gesund ohne jedes Symptom, 
jedoch die Meerschweinchen Nr. 2 und Nr. 3 zeigten sofort typische 
anaphylaktische Erscheinungen. Temperatur vor Reinjektion 33,6 stand 
nach der Injektion auf 36,5. 

2. Magensaft von Frau A. P., 51 Jahre alt, leidet seit einem 
Jahre an Magencarcinom. 

Es wurde drei gesunden Meerschweinchen (Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 8) 
subdural 0,2 (Nr. 1), 0,3 (Nr. 2) und 0,5 (Nr. 3) Carcinomsaft eingespritzt. 

Nach 48 Stunden wurde intravenös in steigenden Dosen Magensaft 
als Reinjektion 0,05 (1), 0,15 (2) und 0,50 (8) eingespritzt. Resultat: 
Sowohl bei Meerschweinchen Nr. 2 als auch Nr. 3 bildeten sich typische 
anaphylaktische Erscheinungen. Nach wenigen Minuten erfolgte Exitus. 
Meerschweinchen Nr. 1 gab anaphylaktische Erscheinungen, jedoch mit 
schwachen Krämpfen. Temperatur vor Reinjektion 39, sank nach der 
Injektion auf 37,2. 

3: Magensaft von K. J., 58 Jahre alt, leidet seit 8 Monaten an 
Magencarcinom, stark kachektisch. 

Drei gesunde Meerschweinchen erhielten Nr. 1 0,03, Nr. 2 0,1 und 
Nr. 3 0,75 ccm Carcinomsaft. 

Nach 14 Tagen wurde als Reinjektion den Meerschweinchen in 
Dosen Nr. 1 0,3, Nr. 2 0,75 und Nr. 3 1 ccm Magensaft intravenös 
eingespritzt. Die Temperatur sank von 38,8 auf 86,7. 

Resultat: Es bildeten sich ganz deutliche anaphylaktische Erschei¬ 
nungen bei Meerschweinchen Nr. 1, bei den übrigen Meerschweinchen 
(Nr. 1 und 2) erfolgte in wenigen Sekunden Exitus. 

4. Magensaft von Frau D. L., 42 Jahre alt, leidet seit l 1 /* Jahren 
an Magencarcinom. 

Es wurde drei gesunden Meerschweinchen Krebssaft je 0,5 «cm sub¬ 
dural eingespritzt. 

Nach 14 Tagen wurde Magensaft in Dosen 0,2, 0,8 und 1,0 
intravenös eingespritzt. Resultat: Bei allen drei Meerschweinchen 
bildeten sich typische anaphylaktische Erscheinungen. Temperatur, vor 
dem Versuch 38,4, sank lach der Reinjektion auf 37. 

5. Magensaft von Lina H., 50 Jahre alt, leidet seit 7 Monaten an 
Uteruscarciuom. 

Es wurde ganz genau dasselbe vorgenommen wie oben. Resultat: 
Die Versuchstiere blieben vollständig gesund. 

6. Magensaft von Herrn Max J., 51 Jahre alt, leidet seit 1 */* Jahren 
an Zungenepiteloma. 

Drei gesunden Meerschweinchen wurde Caroinomsaft in steigenden 
Dosen 0,3, 0,5 und 0,75 ccm subdural injiziert. Nach 48 Stunden 
wurde Magensaft in steigenden Dosen 0,5, 0,75 und 1 ccm intravenös 
reinjiziert. 

Resultat: Keine krankhaften Symptome, Temperatur unverändert. 

7. Magensaft von Sophie T., 61 Jahre alt, leidet seit einem Jahre 
an Mammacarcinom. 

Es wurde dasselbe vorgenommen wie in den Fällen Nr. 4 und 5. 
Resultat dasselbe; keine anaphylaktischen Erscheinungen, die Temperatur 
unverändert. 

8. Magensaft von Herrn P. G., 70 Jahre alt, leidet seit 9 Monaten 
an Peniscarcinom. 

Es wurde dasselbe vorgenommen wie in den Fällen 4, 5, 6 und 7. 
Resultat dasselbe: Keine anaphylaktischen Erscheinungen, die Tempe¬ 
ratur unverändert. 

9. Magensaft von Frau D. D., 39 Jahre alt, leidet seit einem Jahre 
an Magencarcinom. 

Es wurde dasselbe vorgenommen wie oben. Resultat: Keine 
anaphylaktischen Erscheinungen. 

10. Magensaft von S. J., 36 Jahre alt, leidet seit Jahren an Gastritis 
chronica hyperacid. Der untersuchte Magensaft gab freie Salzlösung 
0,06 pCt. Gesamte Säure 37. 

Es wurde dasselbe vorgenemmen wie oben. Resultat: Keine 
anaphylaktischen Erscheinungen. 

11. Magensaft von R., leidet seit längerer Zeit an Gastritis chronica. 
Magensaft zeigte freie Salzsäure 1,12 pCt., gesamte Säure 48. 

Zu Kontrollversuchen wurden zwei Patienten mit vollständig normalem 
Magensaft untersucht und in Versuchsprüfung gezogen. 

Bei Meerschweinchen, die mit Carcinomsaft vorbehandelt waren, und 
nach 48 Stunden oder 14 Tagen als Reinjektion mit Normalmagensaft 
injiziert wurden, traten keine anaphylaktischen Erscheinungen auf. 

Aus meinen Beobachtungen geht deutlich hervor: 1. Mit Carcinom¬ 
saft vorbehandelte Meerschweinchen geben bei Reinjektion mit Magensaft 


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17. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


von Carcinomkranken extrastomaohalen Ursprungs keine anaphylak¬ 
tischen Erscheinungen. 2. Mit Carcinomsaft vorbehandelte Meer¬ 
schweinchen geben wohl bei Reinjektion (nach 14 Tagen, ja selbst 
24 Stunden) mit Magensaft von Kranken, die an Magenkrebs leiden, 
anaphylaktische Erscheinungen. 

Schlussfolgerungen. 

Die Angaben von Spiro Levierti, dass Magenanaphylaxie 
bei Magencarcinomkranken eine streng spezifische ist, ist richtig. 
Aus meinen Versuchen geht hervor, dass man mittels Magensafts 
der Magencarcinomkranken bei den mit Krebssaft vorbehandelten 
Tieren anaphylaktische Erscheinungen hervorrufen kann, dass 
aber keine anaphylaktischen Erscheinungen bei Reinjektion mit 
Magensaft der extrastomachalen Krebskranken entstehen. 


Aus der chirurgischen Ateilung des jüdischen Kranken¬ 
hauses in Posen. 

Ein dritter Weg zur totalen Rhinoplastik. 

Bemerkungen zu der Arbeit von E. Holländer in Nr. 3 dieser 
Wochenschrift. 

Yon 

A. Roseistein. 

Es ist Holländer entgangen, dass vor etwa zwölf Jahren 
Steinthal in den Beiträgen zur klinischen Chirurgie, Bd. 29, eine 
Arbeit: „Rhinoplastik aus der Brusthaut“ veröffentlicht hat. 
Ein Wanderlappen von der Brust wurde auf den Arm, von dort 
in das Gesicht verpflanzt. 

Schon vor Steinthal’s Veröffentlichung hatte ich Gelegen¬ 
heit, eine totale Rhinoplastik mit Material aus der Brustbein 
gegend in der Weise auszuführen, dass der umgeklappte Lappen 
(um dem Kranken die stets unangenehme Immobilisierung des 
Armes zu ersparen) in einen Querschnitt der Submentalgegend 
eingepflanzt und von dort in einer zweiten Sitzung an die Stelle 
des Defektes geführt wnrde. 


Figur 1. Figur 2. 



Der zu* Nasenbildung benutzte Teil des Lappens kann aus 
Haut oder Haut mit Periost bzw. auch mit Knochen bestehen. 
Die Nase kann in situ oder am Bestimmungsort modelliert werden. 
An der Einpflanzungsstelle der Unterkinngegend — median, oder 
etwas seitlich, um das Herabhängen des Lappens vor dem Munde 
zu vermeiden — lässt sich durch Exzision und Naht eine lineäre 
Narbe erzielen, die bei Männern noch durch den Bart ver¬ 
deckt wird. Auf der Brust bleibt eine Narbe genau in der 
Mittellinie. . 

Die Wanderlappenmethode gestattet die Brosthaut auch m 
denjenigen Fällen zu benutzen, in denen, wie dies bei Männern 
häufig der Fall seiin wird, das H.’sche Verfahren wegen zu grosser 
Länge des Halses nsw. nicht angewandt werden kann. 

In der geschilderten Ausführung ist das Maass der Kopf¬ 
fixierung und der damit verbundenen Belästigung des Kranken 
das denkbar geringste. 

Aus Dr. E. Weisz’ Heilanstalt in Pöstyen. 

Beitrag zur Behandlung versteifter Fuss- 
gelenke. 

Von 

Dr. Eduard Weis*- Bad Pöstyen. 

Versteifungen der verschiedenen Fussgelenke werden selbst 
bei äusserüch normalem Aussehen des Fusses ausserordentlich 
lästig empfunden. Das Fussgewölbe wird auf Schritt und Tritt 


durch die ganze Körperlast in Anspruch genommen; und ist ein¬ 
mal die Dehnbarkeit und Widerstandsfähigkeit, mit einem Wort 
die Elastizität des Bandapparates dahin, muss die Belastung die 
entsprechenden Punkte gewissermaassen als Angriffsstellen treffen 
und dort Spannungen, Ueberdehnungen, also mehr oder minder 
grosse Schmerzen hervorrufen. 

Bei Terrainschwierigkeiten ist dies noch mehr der Fall. 
Sind die Fussgelenke nicht geschmeidig, wird vorzüglich das 
Bergsteigen, das Gehen auf schiefer Ebene, das Treppensteigen, 
namentlich abwärts, ausserordentlich schmerzhaft empfunden. 
Dies gilt in erster Reihe für die Versteifungen des Sprunggelenks. 
Allein auch andere Versteifungen, sie mögen wo immer im Ge¬ 
füge des Fusses sitzen, machen sich durch Störung der normalen 
Fussmechanik recht unangenehm bemerkbar. 

Die Ursachen der VeiSteifung sind bekanntlich sehr mannig¬ 
faltig. Traumen, allerlei Gelenkerkrankungen, die entzündlichen 
Formen von Plattfuss usw. können über kurz oder lang die Be¬ 
weglichkeit an der einen oder anderen Stelle mehr oder minder 
auf heben. 

Der Kranke will nun alles aufbieten, um seine Beschwerden, 
die ihn nicht selten im Berufe stören, los zu werden. Und der 
Arzt muss sich oft alle Mühe geben, mit passiven manuellen 
Uebungen, Pendelapparaten, Herz’schen und Zander’schen Maschinen 
Hilfe zu schaffen. 

Wer mit vielen derartigen Fällen zu tun hat, empfindet zwei 
Momente recht störend. Zunächst können sowohl die manuellen 
wie maschinellen Uebungen gewöhnlich nur verhältnismässig 
kurze Zeit täglich gemacht werden. Dann ist auch die Art und 
Weise der Behandlung, die aus ruckweisem Her- und Hinbewegen 
besteht, gewöhnlich mit recht empfindlichen Schmerzen ver¬ 
bunden. 

Es entsteht das Bedürfnis, den Kranken möglichst auch zu 
Hause im Sinne der Mobilisierung zu beschäftigen und die Kraft 
statt in raschem Nacheinander in mehr kontinuierlicher Art 
wirken zu lassen. Kein Zweifel, dass die gleichmässige Steige¬ 
rung der Kraft in derselben Richtung besser vertragen wird 
— und dies gilt für sämtliche Versteifungen — als in raschem 
Wechsel von Beugung und Streckung. 

Ungefähr aus diesen Prinzipien ging die zu beschreibende 
Schiene hervor, die ich nun schon seit längerer Zeit in einer 
Reihe schwerster Fälle mit bestem Erfolge angewandt habe, aller¬ 
dings mit Zuhilfenahme von Massage und unserer, in puncto 
Resorption und Schmerzlinderung hervorragend wirkenden Schlamm- 
bäder. 

Figur 1 zeigt die Schiene mit zwei Bügeln, die, in ent¬ 
sprechendem Abstande zueinander, den Fuss zwischen sich auf- 
nebmen. Figur 2 zeigt deo centralwärts wirkenden Zug der 


Figur 1. 



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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 7. 


Gnmmibinde im Sinne der Dorsalflexion, Figur 3 den peripher- 
wärts wirkenden Zug im Sinne der Plantarflexiou. 

Diese einfache Einrichtung hat vielen anderen Apparaten 
gegenüber auch noch den Vorzug, dass sie nicht allein das Sprung- 
gelenk, vielmehr auch das Tarsometatarsalgelenk usw. in Angriff 
nehmen kann. Ja, man kann auch die einzelnen Teile des Fusses 
in seitlicher Richtung zueinander verschieben, indem man die 
eine Binde an der rechten, die andere Binde an dem linken 
Teile je eines Bügels befestigt. Auf diese Weise ist man in der 
Lage, auch die komplizierten drehenden Bewegungen der ärzt¬ 
lichen Hand singemäss nachzuabmen resp. zu ersetzen. 


Aus der deutschen dermatologischen Klinik in Prag 
(Vorstand: Prof. C. Kreibich). 

Ueber einen haltbaren Gramfarbstoff für Gono¬ 
kokken-, Pilz- und Spirochätenfärbung. 

Von 

Dr. E. Klausner. 

In Nr. 35, 1912, dieser Wochenschrift berichtet Jensen über eine 
Modifikation der Gramfärbung, die der Hauptsache nach darin besteht, 
dass auf den Zusatz einer Beize zum Farbstoff verzichtet und statt der 
Vorfärbung mit dem schlecht haltbaren Anilinwasser-Gentianaviolett eine 
Va proz. Methylviolettlösung verwendet wird. 

Ieh selbst habe in dieser Wochenschrift, Nr. 4, 1911, über eine 
Schnellfärbung der Spirochaeta pallida mit einer von mir zu diesem 
Zwecke angegebenen Anilinwasser-Gentianaviolettmisohung berichtet. Im 
Laufe von zwei Jahren habe ich mit dem inzwischen von der Firma 
Dr. Grübler & Cie. in Leipzig hergestellten Farbstoff eine Beobachtung 
gemacht, die mir angesichts der Modifikationsvorschläge Jensen’s der 
Veröffentlichung wert erscheint. Es zeigte sich nämlich, dass diese 
geringe Modifikation des Gramfarbstoffes, welche sich hauptsächlich auf 
das Verhältnis zwischen Anilinwasser und alkoholischer Gentianaviolett- 
lösung bezieht, imstande ist, den sonst in wenigen Wochen unbrauch¬ 
baren Gramfarbstoff viele Monate lang haltbar zu gestalten. Damit wäre 
die Frage eines haltbaren Gramfarbstoffes gelöst, und ich erwähne des 
Interesses halber, dass sich der Farbstoff weiter zur Schnittfärbung, 
speziell zur Darstellung von Hyphomyceten im Schnittpräparate nach 
Wae 1 sch sehr gut eignet. Zur Färbung der Pilze in den Schuppen 
verfahre ich folgendermaassen: Auf einen Objektträger gebe ich einige 
Tropfen des Farbstoffes und färbe darin die zu untersuchende Schuppe 
etwa eine Minute, differenziere hierauf in 96 proz. Alkohol bis keine 
Farbwolken mehr abgehen; dann Xylol, Kanadabalsam. Die Mycelien 
und Conidien der Pilze erscheinen distinkt violett gefärbt, die Hornzellen 
sind entfärbt. Ferner erwähne ich nochmals, dass sioh der Farbstoff zur 
Schnellfärbung der Spirochaeta pallida verwenden lässt und sich uns in 
Hunderten von Fällen, besonders bei der Untersuchung von auf Sklerosen 
verdächtigen Geschwüren, bewährt hat. Die Färbung geschieht in der 
Weise, dass der mit dem Reizserum beschickte Objektträger über Osmium 
fixiert und hierauf über der Flamme, in der Wärme, eine Minute gefärbt 
wird. Dann wird mit Wasser abgespült und das Präparat zwischen 
Filterpapier getrocknet. In dem leicht rosa gefärbten Serum erscheint 
die Spirochaeta pallida in allen ihren Feinheiten als zartviolettes Ge¬ 
bilde und ist von der viel intensiver gefärbten Spirochaeta refringens 
gut zu unterscheiden. 

Nach diesen Erfahrungen glaube ich das unter dem Namen „Halt¬ 
barer Gramfarbstoff“ von der Firma Dr. Grübler & Cie. in den 
Handel gebrachte Anilinwasser-Gentianaviolett al9 dauerhaften und 
mannigfach verwendbaren Laboratoriumsfarbstoff empfehlen zu dürfen. 


Zur Vaccinationstherapie. 

Von 

Dr. Wolff-Eisner-Berlin. 

Die Bemerkungen des Herrn Bockenheimer (vgl. diese Wochen¬ 
schrift, 1912, Nr. 50), die mir nicht in allen Punkten von einer richtigen 
Voraussetzung auszugehen scheinen, geben mir Veranlassung, auf die 
Vaccinationstherapie und auf die von Herrn Bockenheimer angezogenen 
Fälle etwas ausführlicher einzugehen, als es im Rahmen meiner kurzen 
Diskussionsbemerkung in der Berliner medizinischen Gesellschaft mög¬ 
lich war. 

Ich habe dort ausgeführt, dass nach meinen Erfahrungen der Vacci¬ 
nationstherapie auch in Fällen Erfolge beschieden sind, wo der Vor¬ 
tragende, Herr Dr. Wolfsohn, ausdrücklich solche niemals hat sehen 
können, z. B. in Fällen von Osteomyelitis und von recidivierender 
Mastitis. Herrn Wolfsohn gegenüber habe ich hervorgehoben, dass die 
von ihm gewählten Anfangsdosen von Vaccinen, z. B. bei Stapbylokokken- 
vaccin, ca. 5 Millionen Keime noch eine ausserordentlich hohe Dosis 
darstellen, und dass sich die Erfolge verbessern lassen, wenn man noch 


wesentlich kleinere Dosen nimmt loh führe wohl mit Recht die von mir 
in einer ganzen Anzahl von Fällen erzielten Erfolge auf die gewählten 
viel kleineren Dosen zurück. 

So habe ich schon in der betreffenden Diskussion einen Fall von 
subakuter Staphylokokkensepsis angeführt, bei welchem schon vor einem 
Jahr nach der minimalen Injektion von 500 000 Keimen hohes Fieber 
auftrat. Da inzwischen klinische Heilung eingetreten war, wurden die 
weiteren Injektionen — nicht meinen Intentionen entsprechend — unter¬ 
lassen. Nach etwa Jahresfrist stellte sich ein Recidiv ein. Bei diesem 
Recidiv erfolgte wieder nach der Injektion von 100 000 Keimen eine 
Temperaturerhöhung auf 38,5°, die eine Woche anhielt, und erst die 
später verabreichte Dosis von nur 20000 Keimen wurde reaktionslos 
vertragen. 

Es muss nun mit aller Entschiedenheit hervorgehoben werden, dass 
eine solche Vaccinationsbehandlung, welche die Entstehung eines Reci- 
divs verhindern soll, lange Zeit, etwa 1V*—2 Jahre, fortgesetzt werden 
muss. Es hat eine solche Fortführung der Behandlung auch keinerlei 
Bedenken, da bei reaktionsloser Durchführung den Patienten keinerlei 
Schaden oder Unbequemlichkeit aus den Injektionen erwächst; wir haben 
das beste Analogon für die Notwendigkeit einer so langen Dauer der 
Behandlung in der Tuberkulinbehandlung, bei welcher nach meinen Er¬ 
fahrungen, die sich mit denen vieler maassgebenden Autoren decken, 
eine reaktionslose Behandlung ebenfalls, eventuell mit ganz kurzen 
Unterbrechungen, jahrelang hindurch fortgeführt werden muss. 

Ebenso wie Sahli iür die Tuberkulinbehandlung das Postulat einer 
Behandlung aufgestellt hat, welche absolut klinische Reaktionen ver¬ 
meidet, so muss das gleiche Postulat mit der grössten Sorgfalt bei der 
Vaccinationstherapie erfüllt werden. Ich muss es hier zum Aus¬ 
druck bringen, dass in den von Wolfsohn angeführten Fällen dieses 
Postulat nicht in allen Fällen durchgeführt worden ist, da er mehrfach 
über klinisch wahrnehmbare Allgemein- oder Lokalreaktionen berichtet 
hat. loh sehe hier einen Widerspruch zu dem von ihm selbst ausge¬ 
sprochenen Grundsatz, bei der Vaccinationstherapie negative Phasen der 
Opsoninkurve im Sinne Wright’s zu vermeiden. Zwar hat Wolfsohn 
ausdrücklich hervorgehoben, dass sich an diese von ihm beobachteten 
Reaktionen niemals Schädigungen des Patienten angeschlossen haben. 
Aber auch im Anschluss an Tuberkulinreaktionen sehen wir häufig, dass 
erkennbare Schädigungen nicht in Erscheinung treten und trotzdem ver¬ 
meiden heute die zahlreichen Anhänger der reaktionslosen Tuberkulin¬ 
behandlung mit grösster Sorgfalt jede Reaktion. Als solche Reaktion 
hat Sahli auch mit Recht die „subjektiven“ Reaktionen, die sich nicht 
in Temperatursteigerungen usw., sondern in Abgesohlagenheit, Herz¬ 
klopfen, Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit usw. äussern, gerechnet. Wer 
nun die biologischen Reaktionen der Vaccinationstherapie an den Kurven 
des opsonischen Index prüft, wird mir zustimmen, wenn ich ausspreche, 
dass negative Phasen und Beeinflussung der opsonischen Kurve in nicht 
gewünschtem Sinne schon eintreten können, ohne dass subjektive oder 
objektive Reaktionserscheinungen auftreten, dass aber solche Stö¬ 
rungen der Opsoninkurve sich mit Konstanz finden, wenn 
subjektive oder objektive Reaktionen beim Patienten als 
Folge der Vaccineinjektion sioh zeigen. 

Ich stimme mit Wolfsohn darin überein, dass es praktisch nicht 
durchführbar ist, in allen Fällen die opsonische Kurve zu bestimmen, 
weil sonst die Vaccinationstherapie, von wissenschaftlichen Versuchen 
abgesehen, nur für sehr wohlhabende Patienten in Betracht kommen 
könnte, die in der Lage sind, den grossen, mit der Aufstellung der 
opsonischen Kurve verbundenen Zeitaufwand zu bezahlen. Aber trotz¬ 
dem glaube ich, das9 Vaccinationstherapie nur derjenige Arzt treiben 
sollte, der sich längere Zeit mit der Bestimmung des opsonischen Index 
vertraut gemacht hat, weil nur der Arzt, der diese Erfahrungen ge¬ 
sammelt hat, in der Lage ist, sich ein Bild davon zu machen, 
dass minimale Mengen eines Vaccins im Körper sehr erheb¬ 
liche biologische Umsetzungen zu schaffen in der Lage sind. 
Bei schwierigen Fällen, d. h. bei solchen, wo Fieber besteht, und die 
Frage, ob eine Vaccinationstherapie indiziert ist, nicht mit absoluter 
Sicherheit zu beantworten ist, wird es immer noch von Zeit zu Zeit 
nötig sein, den opsonischen Index zu bestimmen. 

Es ist nach meiner Ansicht die Vaccinationsbehandlung trotz dieser 
in der Sache selbst liegenden Schwierigkeiten ein wichtiges Gebiet, auf 
welchem der praktische Arzt Erfolge erringen kann. Der Praktiker sollte 
sich unter keinen Umständen diese Therapie vollkommen aus der Hand 
nehmen lassen, da er hier in der Lage ist, eine häufig von Erfolg be¬ 
gleitete aktive Therapie bei seinen Patienten durchzuführen. Demgegen¬ 
über ist es aber andererseits dem Praktiker dringend anzuraten, dass 
er besonders bei schweren und mit grosser Verantwortung belasteten 
Fällen von Zeit zu Zeit für die Bestimmung der Dosierung die Unter¬ 
stützung eines Arztes io Anspruch nimmt, welcher auf diesem Gebiet 
spezialistische Erfahrungen besitzt. 

Zum Beweise, dass sehr kleine Dosen zur Herbeiführung eines Er¬ 
folges ausreichen, ja unter Umständen diese minimalen Dosen schon die 
Maximalgrenze dar9tellen, kann auch der von Herrn Bockenheimer 
angeführte Fall dienen. Die gewählten Injektionsmengen waren in etwa 
fünftägigen Abständen 250 000, 250000, 500 000, 500 000, 750000, 
700 000, 1 Million, 1 Million, 1 »/ # Millionen, 27a Millionen, 2*/* Millionen, 
5 Millionen, l l j 2 Millionen Keime. Der opsonische Index stieg unter 
der Behandlung von 1 auf 1,8. 

Die hier gewählten minimalen Dosen waren für den vorliegenden 
Fall nooh eher etwas zu gross als zu klein, denn regelmässig 5 Stunden 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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nach der Injektion trat eine leichte Temperaturerhöhung, Kopfschmerzen 
und leichtes Uebelbefinden ein, das in kurzer Zeit wieder vorüberging. 
Ich glaube sicher, dass bei der Wahl einer grösseren Dosierung ein Er¬ 
folg im vorliegenden Fall nicht eingetreten wäre. Gegenüber den Aus¬ 
führungen des Herrn Bookenheimer sei die Krankengeschichte des 
betreffenden Falles etwas ausführlicher erwähnt. 

Es handelte sich tatsächlich um eine doppelseitige recidivierende 
Mastitis puerperalis phlegmonosa. Es war mehrere Wochen lang eine 
chirurgische Behandlung eiDgeleitet und diese nach allen Regeln der 
Kunst von Herrn Kollegen Bockenheimer durchgeführt worden. Es 
waren an beiden Brüsten 10 bis 12 sehr ausgedehnte Inzisionen durch¬ 
geführt worden, und die Brüste der Patientin boten ein schreckliches Bild 
dar. Der Zustand der Patientin war ein durchaus ernster, und es war nicht 
su ersehen, weshalb eine noch häufigere Wiederholung der Inzisionen den 
fortschreitenden Prozess zum Stillstand bringen sollte. Nach Einleitung 
der Vaccinationsbehandlung war io den ersten Tagen noch eine kleine 
Inzision in den Axillardrüsen erforderlich, seitdem wurde bei der 
Patientin kein operativer Eingriff mehr vorgenommen. Nach einigen 
Wochen stellte sich noch eine Thrombophlebitis in beiden Oberschenkeln 
ein, die jedoch ohne jede schwerere Störung des Allgemeinbefindens ein¬ 
herging. Die Temperatur war nur vorübergehend auf 38* erhöht, und 
es kam zu keinerlei Metastasen an irgendeiner Stelle des 
Körpers. 

Ich bin allerdings der Ansicht, dass hier in der Vaccinations- 
bebandlung die Ursache zu sehen ist, dass die durch das Vaooin ge¬ 
setzte Umstimmung des Körpers im Sinne einer Immunität die Ursache 
dafür gewesen ist, dass die so gefährliche Thrombophlebitis bei diesem 
Prozess uninfiziert geblieben und somit diese gefährliche und ge¬ 
fürchtete Komplikation ohne Nachteile für die Patientin verlaufen 
ist. Ich sehe in diesem Verlauf allerdings den Beweis dafür, dass 
eine richtig durchgeführte Vaccinationstherapie in der Lage ist, 
ausserordentlich günstige Erfolge zu erzielen, denn es handelte sich 
offenbar um einen Fall, wo die chirurgische Tätigkeit allein einen Erfolg 
zu erzielen nicht in der Lage war. 

In der Berliner medizinischen Gesellschaft, in der ich kurz über 
meine Erfolge mit Vaooination berichtete, handelt es sich nun um erfahrene 
Aerzte, und keiner dieser Aerzte wird angenommen haben, dass ich in 
jedem Fall einer einfachen Mastitis an Stelle der chirurgischen Behand¬ 
lung die Vaccinationstherapie empfohlen habe, und kein Arzt wird 
daraus entnommen haben, dass mir die sonst geübte chirurgische 
Therapie überflüssig erscheint. Denn ihrem ganzen Wesen nach 
ist die Vaccinationstherapie nicht in der Lage, einen vor¬ 
handenen Eiterherd zur Ausheilung zu bringen und den 
bewährten chirurgischen Grundsatz ubi pus, ibi evacua 
ausser Kraft zu setzen, sondern sie ist nur in der Lage, 
durch Herbeiführung eines Immunitätszustandes metasta¬ 
sierenden und propagierenden Prozessen eine Schranke zu 
setzen. Und weil es so ist, darum sollte häufiger von den 
Möglichkeiten, welche die Vaccinationstherapie bei richtiger 
Durchführung bietet, Gebrauch gemacht werden, und gerade 
darum habe ich mir erlaubt, in der betreffenden Sitzung 
der medizinischen Gesellschaft darauf aufmerksam zu machen, 
da ein so moderner und erfahrener Kollege wie HerrBocken- 
beimer diese Therapie nicht in Deutschland, wie man er¬ 
warten sollte, sondern zuerst in Indien zu sehen Gelegen¬ 
heit hatte. 

In dem zweiten Fall handelt es sich, wie Herr Bockenheimer 
ausführte, um eine chronische recidivierende Osteomyelitis bei einem 
etwa 8 jährigen Knaben, bei dem mehrere Knochen der Reihe nach er¬ 
krankt und verschiedene operative Eingriffe notwendig waren. Die Vacci¬ 
nationstherapie bedeutete selbstverständlich nur einen unterstützenden Ein¬ 
griff in dem von mir erwähnten Sinne, um durch Herbeiführung eines 
Immunitatszustandes weitere Metastasen der Infektion zu verhüten und 
weitere Eingriffe unnötig zu machen. Auch dies ist im vorliegenden 
Fall gelungen, da zwischen dem 8. Oktober 1909 und dem 20. Mai 1910 
keine Eingriffe mehr nötig wurden. Die Weiterführung der Behandlung 
wurde aber wegen des guten Befindens des Knaben von den Eltern ab¬ 
gelehnt, obwohl ich den obigen Ausführungen entsprechend darauf hin¬ 
wies, dass eine längere Behandlung unbedingt erforderlich sei. Erst aus 
der jetzigen Mitteilung des Herrn Kollegen Bockenheimer erfahre ich, 
dass nach Aussetzen der Behandlung ein Recidiv aufgetreten ist. Gerade 
dieses Recidiv beweist die Richtigkeit meiner Erfahrung 
über die Notwendigkeit, die Behandlung bei anscheinend 
schon vollkommener klinischer Ausheilung fortzusetzen, 
weon ein endgültiges Resultat erzielt werden soll. Es ist zuzugeben, 
dass dies bei den Patienten stets auf Schwierigkeiten stösst, die natür¬ 
lich geneigt sind, sich der Behandlung zu entziehen, wenn sie sich im 
Zustand völliger Gesundheit glauben. Aber ebenso wie bei der Pneumo¬ 
thorax- und der Tuberkulinbehandlung* es eine lohnende Aufgabe für 
den Arzt ist, mit Hilfe seiner Autorität die Weiterführung der Behand¬ 
lung so lauge zu ermöglichen, als es nach den theoretischen Voraus¬ 
setzungen und den praktischen Erfahrungen erforderlich ist, gilt das 
gleiche für die Vaccinationsbehandlung. Gerade dem Hausarzt, der sich 
mit dem Wesen der Vaccinationstherapie vertraut gemacht bat, dürfte 
es möglich sein, am ehesten die Therapie bis zu dem erforderlichen 
Ende durebzuführen. 


Bücherbesprechungen. 

H. Fehling: Die operative Gebnrtehilfe der Praxis and Klinik. 

In 22 Vorträgen. Zweite umgearbeitete und vermehrte Auflage. 

Wiesbaden 1912, J. F. Bergmann. 

Dieses 220 Seiten starke Buch bringt dem Praktiker mehr, wie es 
verspricht. In klarer Darstellung und sehr anregender Weise gibt es 
nicht nur die Technik der vom Praktiker und Spezialisten zu leistenden 
Kunsthilfe, sondern behandelt auch noch eingehend die Indikationen der 
verschiedenen Methoden, und der Autor gibt am Ende noch zusammen¬ 
fassende Betrachtungen über die wichtigsten Geburtsanomalien: 
Eklampsie, Placenta praevia und das enge Becken. Sehr erfreulich ist, 
dass der Verfasser immer versucht, die Grenzen zu ziehen zwischen 
Praxis und Klinik und nioht durch einen unberechtigen 
Optimismus den Praktiker Methoden im Privathause aus¬ 
führen lassen will, welche entschieden der Klinik und dem 
Operateur gehören. 

Der Stil ist überall klar und frisch, und obwohl in der Wahl der 
Methoden der Verfasser natürlich subjektiv ist, was bei seiner Erfahrung 
für den Leser grossen Wert hat, wird er doch den anderen Methoden 
in der Darstellung ihrer Leistungsfähigkeit im Grossen und Ganzen ge¬ 
recht. Es hat daher keinen Wert, das Buch in seinen Einzelheiten zu 
besprechen und von dem Autor abweichende Ansichten, welche übrigens 
nur wenige unwichtige Punkte betreffen, zu erwähnen. In der Ein¬ 
leitung behandelt der Autor die Desinfektion, Instrumente und Narkose 
und vergisst bei der Zusammenstellung des Inhalts des Geburtskoffers 
auch das Pituitrin nicht, dessen Gebrauch er auch bei dem Kaiser¬ 
schnitt empfiehlt. In der Handschuhfrage sind wir nicht ganz seiner 
Meinung und glauben, dass der Gebrauch von Handschuhen bei jeder 
geburtshilflichen Untersuchung und Eingriff einen wesentlichen Fortschritt 
bedeutet. 

Der erste Teil handelt von den Entbindungen, Operationen der prak* 
tischen Geburtshilfe: F. bespricht nacheinander die Extraktion, die 
Zange und die verkleinernden Operationen. Dass der Autor hierbei die 
Möglichkeit, für den Praktiker gezwungen zu sein, gelegentlich die Per¬ 
foration des lebenden Kindes auszuführen, annimmt, wird wohl nicht 
allgemein gewürdigt werden. Weiter behandelt er in diesem Teil noch 
die künstliche Früh- und Fehlgeburt, die Behandlung des Aborts und 
die Blutungen in der Nachgeburtsperiode. 

Im zweiten Teil bespricht er die Hilfsoperationen der praktischen 
Geburtshilfe, um im folgenden Teil die mehr klinischen Methoden, den 
Kaiserschnitt, wobei er sich für den cervikalen Kaiserschnitt ausspricht, 
die Symphyseotomie und Hebosteotomie zu behandeln. Er bespricht 
alsdann die wichtigsten Komplikationen der Schwangerschaft und Geburt, 
die Tumoren, die Extrauteringravidität und die Uterusruptur und gibt 
im vierten Teil zusammenfassende Darstellungen über die Eklampsie, 
wobei er der Schnellentbindung energisch das Wort redet, die Placenta 
praevia und das enge Becken. 

So ist dies Buch mit seinen 80 sehr instruktiven Bildern eine wirk* 
liehe Bereicherung und durch die Klarheit und Frische der Darstellung 
sowohl dem Praktiker wie dem Spezialisten aufs wärmste zu empfehlen. 

W. Liepmann- Berlin. 


A. Keller und Chr. J. Klomker: Sänglingsftirsorge und Kinder- 
sehntz in den europäischen Staaten. Unter Mitarbeit zahlreicher 
Fachgenossen. I. Bd., Spezieller Teil, 2 Hälften. XI und 1578 S. 
Mit 79 Textfiguren. Berlin 1912, Julius Springer. 62 M. 

Die Bedeutung der Säuglings- und Kinderfürsorge wird von Tag zu 
Tag mehr gewürdigt als die natürliche Grundlage der Fürsorge für die 
späteren Altersklassen. Das Anschwellen der einschlägigen Literatur 
ist nur ein getreues Spiegelbild davon. Die deutsche Literatur hat sich 
naturgemäss wesentlich mit deutschen Zuständen und Einrichtungen be¬ 
fasst und nur gelegentlich auf das Ausland hingewiesen. Dabei bestand 
schon beim Beginn der modernen Säuglingsfürsorge das Bedürfnis, auch 
die Erfahrungen der anderen Länder zu vernehmen und geeigneten falls 
zu verwerten. Das beweisen die bisher abgehaltenen drei internationalen 
Kongresse für Säuglingsschutz. 

Wenngleich die Verhandlungsberichte dieser Kongresse ein recht 
umfangreiches Material über die Einrichtungen fast aller Kulturländer 
enthalten, so war es doch ein begrüssenswertor Gedanke der Herren 
Keller und Klumker, uns im speziellen Teil ihres gross angelegten 
Handbuchs in systematischer Weise die Maassnahmen des Säuglings¬ 
und Kindersohutzes in den europäischen Staaten vor Augen zu führen; 
und zwar so, dass jedes Land einen namhaften einheimischen Mit¬ 
arbeiter stellte. Um die Uebersetzung der fremdsprachlichen Beiträge 
hat sich Emmy Keller-Schwangart verdient gemacht. So haben, 
um nur einige Namen herauszugreifen, mitgearbeitet: Berend-Budapest, 
Dotti-Florenz, Graanboom-Amsterdam, Hagenbach-Bnrckhardt- 
Basel, Johannessen-Kristiania, J. Meier-München, Moll-Wien, News- 
holme-London, Violi-Konstantinopel. Deutschland bat Keller 
selbst bearbeitet. 

Der spezielle Teil zerfällt in 2 Hälften. Die 1. Hälfte, von Keller 
redigiert, behandelt die sozialhygienischen Einrichtungen, diezweite 
Hälfte, redigiert von Klumker, die sozialrechtlichen Maassnahmen. 
Diese 2. Hälfte ist nicht so vollständig wie die erste, da z. B. Belgien, 
Spanien fehlen und England nur ganz dürftig behandelt ist. 

Ueberhaupt ist die Beschränkung auf europäische Staaten bedauer- 

6 * 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT 


Nr. 7. 


lieh. Die sozialhygienischen Einrichtungen der Vereinigten Staaten (ihre 
sozialrechtlichen sind ausnahmsweise kurz geschildert) oder Australiens, 
um nur einige Beispiele zu nennen, hätten sicherlich viel Interessantes 
für deutsche Leser. 

Alles in allem jedoch bildet dieser Band eine notwendige Ergänzung 
der kinderfürsorgerischen Bibliothek. 

Wir werden auf das Werk noch zurückkommen, wenn es abge¬ 
schlossen vorliegt. Der 2. Band soll im Frühjahr 1913 erscheinen. 

_ Tugendreich-Berlin. 


M. Klotz: Die Bedeutung der tietreidemehle für die ErnäbroBg. 

Berlin 1902, J. Springer. Gr. 8. 119 Seiten. Preis 4,80 M. 

Diesem Buch und seinem Verfasser darf man eine sehr gute Pro¬ 
gnose stellen. Dem Autor gegenüber will ich nicht prophezeien, ich 
kenne ihn nicht und seine Ambitionen, aber seine Monographie wird 
sicherlich eine weite Verbreitung finden. Sie gibt eine gründliche, durch 
eigene Arbeiten auf dem fraglichen Gebiete legitimierte und durch eine 
begründete Kritik wertvolle Darstellung der in Betracht kommenden Ver¬ 
hältnisse. Sie versucht, wie der Verf. sagt, zum ersten Male die Be¬ 
deutung der Getreidemehle für den Stoffhaushalt des Menschen und der 
höheren Organismen zu einem abgerundeten Bilde zusammenzufassen. 
Dass dabei die Säuglings- und Kinderernährung und ihr Stoffwechsel 
den breitesten Raum einnehmen, ist bei der Rolle, die die Getreide¬ 
mehle gerade in diesem Alter spielen, nicht verwunderlich. Das Buch 
wird daher auch in erster Linie die Kinderärzte interessieren, aber es 
hat darüber hinaus für jeden Arzt seinen Wert. Denn es behandelt 
Fragen, die erst in neuerer Zeit in ihrer Wichtigkeit erkannt und dem¬ 
entsprechend in grösserem Umfange bearbeitet sind. Hierher gehört vor 
allem das verschiedene Verhalten der einzelnen Getreidemehle, als deren 
Repräsentanten das Weizen- und Hafermehl anzusehen sind, sowohl 
untereinander als in ihren Beziehungen zur Milch und dem Eiweiss-, 
Fett- und Aschegehalt der Nahrung. 

Als Ausgangspunkt dient dem Verf. dabei der geistreiche Versuch 
0. Rosenfeld’s über die Oxydationswege der Kohlehydrate, wonach der 
Zucker einerseits und die Kohlebydratsäuren andererseits sich verschieden 
verhalten. Der erstere geht den hepatischen, glykogenen Weg durch die 
Leber, die letzteren den anhepatischen aglykogenen Weg, denn per os ge¬ 
gebene Dextrose vermag die Phlorieinfettleber zu verhüten, indem sie als 
Glykogen in der Leber abgelagert wird, was mit den Abbauprodukten 
des Zuckers von dem Charakter einer Säure, Glykonsäure, Glykosamin, 
Zuckersäure nicht der FalL ist. Dasselbe Verhalten hat K. für Weizen- 
und Hafermehl festgestellt und leitet daraus u. a. den Nutzen der Hafer¬ 
kur ab. 

Es werden ferner die Beziehungen' der Darmfiora zum Mehlabbau ein¬ 
gehend erörtert, wobei sich dem Verf. die Ueberzeugung aufdrängt, dass 
die Aktion der Darmflora von grösserer Bedeutung für den Ablauf der 
Darmverdauung als die Fähigkeit der diastasierenden Fermente sei. 

Er betont besonders auch die Verschiebungen in der Fähigkeit der 
Sacharolytischen und amylopbilen Bakterienflora und die dadurch be¬ 
dingte Allergie gewissen Nahrungsmitteln gegenüber und illustriert dieses 
Verhalten durch die Ergebnisse der Ernährung mit einer Kombination 
von hepatischem (Zucker) und anhepatischem Kohlehydrat (Mehl). 
Freilich sagt der Verf. selbst, dass die Rolle des Mehls bei der Säug¬ 
lingsernährung noch keineswegs klargestellt ist, aber er darf es als ein 
Verdienst für sich in Anspruch nehmen, auf die springenden Punkte 
dieses Problems mit Schärfe hingewiesen und selbst an ihrer Lösung 
sich beteiligt zu haben. Eingehend werden auch die Gärungsprodukte 
und die Verwertung der Cellulose besprochen. Ersteren misst der Verf. 
einen „über die subalternen Beziehungen zur Peristaltik“ weit hinaus¬ 
gehenden Einfluss auf die proteolytischen und amylolytischen Vorgänge 
im Darmkanal zu und meint, dass die Anschauung, welche in den 
Gärungssäuren nur Abfallsprodukte sieht, nicht mehr an der Zeit 
ist. Sie sind nicht nur an und für sich keineswegs nutzlos für den 
Energiebestand des Organismus, sondern sie gewinnen durch ihre (im 
Original genauer dargelegten) Wechselbeziehungen zum Stoffwechsel an 
allgemeinem Nutzungswert. Recht niedrig werden die „Kindermehle“ 
bewertet, für die K. dem Ausspruch von Roux beistimmt: il n’y a 
aucune raison pour les pröferer aux farines simples“, aber doch hinzu¬ 
fügt, sie (sc. die künstlichen Präparate) ganz auszuschalten wird nie 
erreicht werden, so lange Uneinigkeit selbst in ärztlichen Kreisen über 
ihren Wert oder Unwert herrscht und eine rücksichtslose Reklame für 
die Fabrikanten arbeitet. Man wird aus diesen wenigen Angaben er¬ 
sehen, dass die Schrift ven Klotz ein lesenswerter und schätzbarer 
Beitrag zu dem Kapitel der Ernährungslehre und wie schon gesagt nicht 
nur den Kinderärzten zum Studium zu empfehlen ist. Ewald. 


Friedrich Dannemann: Die Naturwissenschaften in ihrer Entwicklung 
und in ihrem Zusammenhang. Leipzig, W. Engelmann. 3 Bände 
ä 9 M. 

Gegenüber der politischen und der Kulturgeschichte ist die Ge¬ 
schichte der Naturwissenschaften bis jetzt bedauerlich zu kurz gekommen. 
Wir benutzen tagtäglich wie etwas Selbstverständliches das Barometer, 
die Eisenbahn, den Telegraph, die Brille und das Fernglas und können 
uns die Welt kaum mehr ohne Dynamomaschine vorstellen. Aber in 
welch hartem Ringen alle diese Dinge erworben werden mussten, daran 
denkt kaum jemand. Und doch dürfte kaum einer anderen Entwicklungs¬ 
geschichte — der biologischen ausgenommen — gleichviel Interesse 


entgegengebracht werden und gleichviel erzieherischer Gehalt innewohnen. 
Wir erkennen, dass manche Probleme ebenso wie uns, so auch schon 
früher gescheite Menschen beschäftigt haben, und lernen uns bescheiden 
in dem Gedanken, dass auch wir nur eine Stufe auf dem Weg des Fort¬ 
schritts darstellen. Das vorliegende Werk ist der erste Versuch einer 
Encyklopädie des Werdens und Wachsens der Naturwissenschaften. Es 
führt in 3 Bänden bis zur Renaissance, bis zur Mitte des XVIIL Jahr¬ 
hunderts und bis zum Energie-Prinzip. Der 4. Band wird dann der 
neuen und neuesten Zeit gewidmet sein. Buttersack-Trier. 


Leopold Lühier: Die Sehschärfe des Measchea lud ihre Prüfug. 

(Eine physiologisch-ophthalmologische Studie.) Leipzig-Wien 1912, 
Verlag von Franz Deuticke. 

Verf. sucht zunächst den Begriff der Sehschärfe zu umgrenzen und 
zu definieren. Die Erörterung des einzelnen Komponenten führt zu 
einer recht allgemeinen Fassung des Begriffs, unter dem er die Seh¬ 
leistung des dioptrisch normalen Auges versteht. Keine der gebräuch¬ 
lichen Methoden der Sehschärfeprüfung erfüllt alle idealen Anforderungen 
des Theoretikers, die eine berücksichtigt zu sehr diesen, die andere jenen 
Faktor, deren Summe die Sehschärfe ist. In das Lob, das der Verf. 
den „Internationalen Lehrproben“ zollt, kann Ref. keineswegs einstimmen. 
Punkt- und Buchstabenprnben sind nicht einander gleichwertig, jene 
decken manche Variationen der Sehschärfe auf, die dem, der nur mit 
Buchstabenproben untersucht, entgehen. Kurt Steindorff. 


Literatur-Auszüge. 

Physiologie. 

Tb. Schwartze: Die nathematische Methode der Physio-Psyeho- 
logie. (Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 11 u. 12.) Mathematische Ab¬ 
leitungen, die der Erkenntnis der Mechanik des Geistes dienen sollen. 

S. Samkow: MaskelaktionastrÖBO bei einigen pathologisches 
Zaständen des Ceatralflervensystems. (Pflüger’s Archiv, Bd. 149, 
H. 11. u- 12 ) Bei Kranken mit Muskelrigidität konnte S. feststellen, 
dass der Muskeltonus sich unabhängig von der Kontraktionsfunktion 
ändern kann. Bei Schlag auf den rigiden Muskel konnte man eine ganze 
Reihe von rhythmischen Zuckungen hervorrufen, während der Muskel¬ 
tonus zunahm. Das Elektromyogramm wies regelmässige Wellen (11 bis 
12 pro Sekunde) auf. Bei reflektorisch hervorgerufener Kontraktion des 
hypertonischen Muskels traten Aktionsströme mit zweipbasischen Wellen 
auf, die länger sind als die normalen und unbeständig ( l l n bis Vso Se¬ 
kunde). 

E. Mangold: Willkürliehe Koatraktioien des TeBSor tynpasf 
und die graphische Registrierung von Druckschwankungen im äusseren 
Gehörgang. (Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 11 u. 12.) M. hat an zwei 
Personen, die ihren Tensor tympani willkürlich kontrahieren konnten, 
die Folgen dieser Kontraktionen untersucht, speziell auch die zustande 
kommenden Druckschwankungen im äusseren Gehörgang graphisch dar¬ 
gestellt. Subjektiv wurde ein brausendes, dem Muskelgeräusch ähn¬ 
liches Geräusch wahrgenommen, dabei besteht vermehrte Speichelsekretion. 
Auscultatorisch (mittelstSchlauch) ist bei kurzer Tensorkontraktion 
nur eine schnelle Trommelfellbewegung zu spüren, bei längerer ein 
Geräusch wie von fernem Donner. Otoskopisch sieht man eine, be¬ 
sonders nach voraufgegangenem Valsalva’schen Versuch deutliche, Ein¬ 
wärtsbewegung des Trommelfells. Es besteht während der Tensorkon¬ 
traktion Verminderung der Hörfähigkeit. An einem mit dem Gehörgang 
verbundenen Manometer traten charakteristische Schwankungen auf, die 
zeigen, dass bei Uebung willkürlich Dauer und Stärke der Tensorkon¬ 
traktion in weiten Grenzen variiert werden können. Die längste Kon¬ 
traktionsdauer war 15 Sekunden, die Druckschwankungen betrogen 5 bis 
9 mm Wasser. 

H. E. Hering: Ueber die vorhofdiastolisehe WeUe ad, eine neue 
Welle des Venenpulses. (Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 11 u. 12.) Bei 
den grösseren Säugetieren und beim Menschen kann man am Venen- 
pulse eine gewöhnlich am absteigenden Schenkel der a-Welle auftretende 
kleine Welle beobachten, die in die Vorhofdiastole fällt und von HL 
als ad-Welle bezeichnet wird. Sie hängt nicht mit der Tätigkeit der 
Kammer zusammen; sie ist eine Rückstosswelle, die dadurch entsteht, 
dass das aus dem Vorhol in die Kammer tretende Blut vorübergehend 
zurücktritt. A. Loewy. 

Fernau, Schranek und Zarzycki-Wien: Ueber die WirkiBg 
vob »dozierter Radioaktivität. (Vorläufige Mitteilung.) (Wiener klin. 
Wochensehr., 1913, Nr. 3.) Kaninchen versuche ergaben, dass kleine 
Dosen induzierter Aktivität Leukocytose, grössere Dosen Leukopenie be¬ 
wirken. Dabei tritt in beiden Fällen relative Lymphocytose auf. So¬ 
bald die Dosis eine gewisse Höhe überschreitet, ist der Grad des Ab¬ 
falls der weissen Blutkörperchen der Dosis nicht mehr proportional. 

P. Hirsch. 

Di 1 ger - Heidelberg: Ueber GewebskaltoreB in vitro unter be¬ 
sonderer Berücksichtigung der Gewebe erwachsener Tiere. (Deutsche 
Zeitschr. f. Chir., Bd. 120, H. 3 u. 4.) Nach Harrison’s und Carrel’s 
Vorgang Versuche mit embryonalem Gewebe. Carrel glaubte in seinen 


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17. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Präparaten ProliferationsVorgänge der Zellen gesehen zu haben, die er für 
Bindegewebs- und Epithelzellen halten zu können glaubt. D. konnte sich 
hiervon nicht überzeugen, sah vielmehr Degeneration an den Zellen auf- 
treten. „Es ist somit bisher noch von keiner Seite der Nachweis eines 
echten Wachstums von Gewebskulturen erwachsener Tiere gebracht worden. 
Vielmehr deutet alles auf einen mehr passiven Prozess hin, bei welchem 
vielleicht die lockeren Zellen bei der Gerinnung des Plasmas mechanisch 
aus dem Gewebe herausgepresst werden, vielleicht aber auch fermentative 
Prozesse, vielleicht auch rein osmotische Prozesse im Spiele sind.“ 

J. Becker - Halle a. S. 

Siehe auch Kinderheilkunde: Dubois und Stolte, Abhängig¬ 
keit der Kalkbilanz von der Alkalizufuhr. C. Meyer, Mineralstoffwechsel 
bei Bachitis. 


Pharmakologie. 

C. Reibel-Berlin: Erfahrungen mit dem Erystypticam „Roche“ 
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 6.) Erystypticum „Roche“ wird 
als vollwertiges, weit billigeres Ersatzmittel gegen Hydrastin empfohlen. 
Keine üblen Nebenwirkungen. 

M. Kaufmann-Mannheim: Beobachtungen über Arsenüberempflnd- 
Hchkeit. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 6.) Verf. hat nach 
Kakodylinjektionen an der Einspritzungsstelle mehrmals lokale Re¬ 
aktionen gesehen, die erst bei der zweiten bis vierten Einspritzung auf¬ 
traten und von ihm als Ueberempfindlichkeitssymptom gedeutet werden. 

Wolfsohn. 

Siehe auch Innere Medizin: Reichmann, Blutbefund bei 
Schwefelsäure- und Kupfersulfatvergiftung. 


Therapie. 

J. v. Zubrzycki und R. Wölfsgruber-Wien: Beitrag zur Be- 
ktapfug der Aaämien durch intramuskuläre Injektionen von de- 
übriniertem Menschenblnt. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 3.) 
Die nach Esch (Münchener med. Wochenschr, 1911, Nr. 41.) ausgeführten 
intramuskulären Injektionen wurden in sechs Fällen zur Anwendung 
gebracht. Es handelte sich um sehr ausgeblutete Frauen; der Erfolg 
war ein vorzüglicher. Die intramuskulären Injektionen sind absolut un¬ 
gefährlich, schmerzlos und einfacher als intravenöse Transfusionen, 

P. Hirsch. 

E. Härtel -Breslau: Salvarsan bei Chorea gravidarum. (Münchener 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) Ein Fall von Chorea gravidarum wurde 
durch Salvarsan geheilt. Verf. empfiehlt daher, erst einen Versuch mit 
Salvarsan zu machen, bevor die Schwangerschaft unterbrochen wird. 

G. Eisner. 

F. Johannessohn-Berlin: Klinischer Beitrag zur Bewertung von 

Ureabramin (Bromcalciumharnstoff). (Deutsche med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 6.) Günstige Wirkung bei epileptiformen Krämpfen, nervösen Er¬ 
regungszuständen, nervösen Tacbycardien und Arhythmien, nervöser 
Schlaflosigkeit, Hysterie und Neurasthenie. Wolfsohn. 

E. Eich mann-Osnabrück: SchwangersehaftsUxikodermien durch 
Ringer’sche Lösung geheilt. (Münchener med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 4.) Drei Fälle von Schwangerschaftstoxikodermien wurden durch 
subcutane Injektion von Ringerlösung geheilt. Daneben wurde streng 
vegetarische Diät gegeben, da Verf. die Toxikodermien zum grossen Teil 
auf alimentäre Intoxikation zurückfübrt. G. Eisner. 

Schurig - Berlin: Zur therapeutischen Verwendnng der Hoeh- 
frefuenutröme. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 6.) Sch. hatte 
gute Erfolge bei. Neurasthenie, Ischias, Klimax, psychischer Impotenz, 
Arteriosklerose, Herzneurosen, Hämorrhoiden, Hämophilie. 

Wolfsohn. 


Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. 

R. H. Jaffe und W. Löwenfeld: Versuch einer Anwendung der 
Uina*PappeBheim r sehen Färbnog an drüsigen Organen. (Virchow’s 
Archiv, Bd. 210, H. 3.) Die Verff. haben Pankreas, Speicheldrüse, Neben¬ 
niere, Epithelkörperchen, Ovarien, Hoden, Thymus, Thyreoidea, Magen, 
Hypophyse nach Unna-Pappenheim gefärbt. Die Präparate waren 
vorher in einem Gemisch von zwei Teilen Müller’scher Flüssigkeit und 
einem Teil XOproz. Formalins fixiert worden. E9 ergab sich, dass sich 
stark alkalische Zellarten und Sekrete rot färbten, während Gehalt an 
freiem Sauerstoff Blau- bis Grünfärbung bewirken, 

Chiari: Zur Kenntnis der „senilen“ grnbigeu Atrophie an der 
Anssenflftehe des Sehädels. (Virchow’s Archiv, Bd. 210, H. 3.) Verf. 
beschreibt einige Schädel mit grnbiger Atrophie und kommt zu dem 
Schluss, dass die gleiche Grubenbildung, wie sie als „senile“ „sym¬ 
metrische“ Atrophie der Scheitelbeine in der Literatur geführt wird, 
auch in weiterer Ausdehnung an der Aussenfläche des Schädels Vor¬ 
kommen kann, und dass sie sich auch auf die Plana temporalia er¬ 
strecken kann. 

H. Heidkamp: Zur Tnherknlose der Hypophyse. (Virchow’s 
Archiv, Bd. 210, H. 8.) Verf. fügt den sieben in der Literatur be¬ 
schriebenen Fällen von Hypophysen tuberkulöse einen achten hinzu, be¬ 


schreibt ihn ausführlich und kommt zu dem Schluss, dass die tuber¬ 
kulöse Erkrankung des Hirnanhanges eine sehr seltene sei. Die Gründe 
dafür seien wohl hauptsächlich anatomische (Durakapsel, geringe 
Kommunikation). Spezifische klinische Erscheinungen bei dieser Krank¬ 
heit seien nicht bekannt. 

H. Korn: Ueber die Bedeutung des Fibrins im Gallenstein. 
(Virehow’s Archiv, Bd. 210, H. 3.) Bei der Concrementbildung der Gallen¬ 
steine spielt das Fibrin eine wichtige Rolle. In dem Bilirubinkalkstein 
bildet das Fibrin ein organisches Stützgewicht für die amorphen Pigment¬ 
kalkmassen, bei dem reinen Choiestearinstein bildet es eine dünne 
Kapselschicht. 

Geipel: Beitrag zur Kenntnis der BlutgefÜsserkranknng der Milz. 
(Virchow’s Archiv, Bd. 210, H. 3.) Zwei Fälle jener merkwürdigen Er¬ 
krankung des Gefässsystems der Milz, die Blutungen mit sekundärer 
Höhlenbildung in dem Organ darzustellen scheinen. In der Literatur 
sind nach Verf. Angaben nur zwei derartige Fälle noch beschrieben. 
Verf. sieht in einer Varicositas der Milz den Ausgangspunkt für die 
Blutungen. 

B. Wolff: Ueber ein Blastom bei einem Aal (Anguilla vulgaris) 
nebst Bemerkungen zur vergleichenden Pathologie der Geschwülste. 
(Virchow’s Archiv, Bd. 210, H. 3.) Verf. beschreibt einen Tumor, der 
sich bei einem Aal fand, der nicht domestiziert, sondern in voller Frei¬ 
heit gewesen war. Verf. schildert den Tumor als ein Fibrosarkom, 
dessen Ausgangspunkt vom mesenterialen Gewebe hinter dem Darm an¬ 
zunehmen sei. Metastasen waren hier, wie bei allen bekannten Fisch¬ 
tumoren, nicht vorhanden. Jedoch war das Tier stark abgemagert, was, 
wie Verf. meint, vielleicht für die bösartige Natur der Neubildung spricht. 

Hässner: Ueber Chordome unter gleichzeitiger Mitteilung eines 
Falles von seltener Grösse. (Virchow’s Archiv, Bd. 210, H. 8.) Verf. 
bespricht kurz die nicht sehr umfangreiche Literatur über Chordome, 
beschreibt dann einen Fall von Chordom, das im Durchmesser 5,5 bis 
6,5 cm maass. Sein Sitz war ein atypischer insofern, als die meisten 
beschriebenen Chordome von der Mitte des Clivus und der Sella turcica 
ausgiDgeo, während dieses von der Oberfläche der Sphenooccipitalfuge 
seinen Ausgang nahm. 

Geipel: Ueber metastatische Geschwulstbildang in der Milz. 

(Virchow’s Archiv, Bd. 210, H. 3.) Drei Fälle von allgememeiner Carcino- 
matose bzw. Sarkomatose, wo er in der Milz, die makroskopisch völlig 
intakt erschien, eine dichte Füllung der Billroth’schen Capillaren mit 
Gesehwulstmassen fand. Als Entstehungsweg sieht Verf. die retrograde 
Einschwemmung von der Pfortader her an. Benn. 

R. Mareseh-Wien: Lipoidgehalt der sogenannten Appendixcarci- 
nome. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) Es muss als fest¬ 
stehend angesehen werden, dass der Lipoidgehalt der sogenannten 
Appendixcarcinome eine diesen Geschwülsten charakteristische Erscheinung 
darstellt, die sie vor anderen Dickdarmcarcinomen auszeiohnet. 

Dünner, 

Th. v. Marohaikö und D. Veszprömi-Kolozsvar: Histologische 
und experimentelle Studien über den Salvarsanted. (Archiv f. Dermatol, 
u. Syphilis, 1913, Bd. 114, H. 2.) Die sogenannten Enoephalitistodes- 
fälle nach Salvarsaninfusionen sind durch die toxische Wirkung des 
Mittels bedingt. Der sogenannte Wasserfehler spielt bei diesen Intoxi¬ 
kationen keioe Rolle. Vielmehr scheint diesen Vergiftungen eine zu 
hohe und unvorsichtige Dosierung zugruode zu liegen. Es ist demnach 
dringend geboten, zu kleineren, vorsichtigeren Dosen überzugehen, be¬ 
sonders bei den erstmaligen intravenösen Infusionen. Immer wahr. 

Siehe auch Kinderheilkunde: Lebedev, Seltene Kombination 
von angeborenen Anomalien. 


Diagnostik« 

Siehe auch Parasitenkuude und Serologie: Esch, Tuber¬ 
kulosenachweis durch beschleunigten Tierversuch. 


Parasitenkunde und Serologie. 

E. J. Marzinowsky-Moskau: Biologische Färbung der Schimmel¬ 
pilze. (Zeitschr. f. Hyg., 1912, Bd. 78, H. 2,-S. 191.) Die Schimmel¬ 
pilze können den Pigmentbakterien den Farbstoff entziehen und ver¬ 
schiedene Farben aus dem Nährboden in sich aufsaugen. Damit kann 
die Mutation ihrer Verfärbung erklärt werden, die in der Natur so 
häufig beobachtet wird. 

F. K. Kleine und W. Fischer-Udjidji (Deutsch-Ostafrika): Schlaf¬ 
krankheit and Tsetsefliegen. (Zeitschr. f. Hyg., 1912, Bd. 73, H. 2, 
S. 253.) Verff. stehen auf Grund ihrer Untersuchungen bei der Schlaf¬ 
krankheitsbekämpfung in Deutsch-Ostafrika bis auf weiteres auf dem 
Standpunkt, dass in Afrika unter geeigneten klimatischen Bedingungen 
jede der bekannten Trypanosomenarten, wie Trypanosoma brucei, gara- 
biense, congolense, cazalboni, nanum, sich in jeder Glossinenspezies ent¬ 
wickeln kann. Die Art der Seuchenbekämpfung in Deutsch-Ostafrika 
wird durch diesen veränderten Standpunkt nicht berührt, denn praktisch 
ist in der Kolonie die Schlafkrankheit in überwiegender Wichtigkeit 
durchaus an die Anwesenheit der Glossina palpalis gebunden. 

Möllers. 


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UNIVERSUM OF IOWA 



314 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 7. 


C. Kling, W. Wernstedt und A. Petterson-Stockholm: Ver- 
breitongsmodos der epidemischen Kinderlähmung. (Zeitschr. f. Im¬ 
munitätsforsch., Bd. 16, Nr. 1.) Untersuchungen an 9 Rekonvaleszenten. 
In 8 Fällen konnten die Verff. noch mehrere Wochen und Monate nach 
Ablauf des akuten Stadiums in den Sekreten das Virus durch Tier¬ 
versuch nachweisen. Es ändert aber bald seinen Charakter derart, dass 
es bei den Tieren keine Entzündung mH zellulärem Exsudat, sondern 
nur Entartung der Nervenzellen hervorrief (Abschwächung des Virus). 

Wolfsohn. 

K. Dohi und S. Hidaka-Tokio: Sind die Spirochäten den Proto¬ 
zoen oder den Bakterien verwandt? (Archiv f. Dermatol, u. Syphilis, 
1913, Bd. 114, H. 2.) Die Versuche, welche auf serologischem Wege 
die Frage entscheiden sollten, ob die Spirochäten zum Tierreich oder 
zum Pflanzenreich gehören, sprechen für verwandtschaftliche biologische 
Beziehungen zwischen dieser Gruppe von Krankheitserregern und den 
Protozoen. Zwischen Bakterien und Spirochäten lassen sich mit Hilfe 
der Immunitätsreaktionen Beziehungen nicht nachweisen. 

Immerwahr. 

W. Knoll-Unterägeri: Morphologische Beiträge zu den Beziehungen 
zwischen Organismus und Tnberknloseerreger. (Deutsches Arohiv f. 
klin. Med., Bd. 109, H. 1 u. 2.) Durch Versuche mit Tuberkelbacillen¬ 
kulturen, tuberkulösen menschlichen Sputis, tuberkulösen Sekreten und 
Schnittpräparaten tuberkulöser Organe hat Verf. gezeigt, dass eine granu¬ 
läre Form des Tuberkulosevirus tatsächlich existiert und sicher einen 
Zusammenhang mit den Koch'schen Stäbchen hat. G. Eisner. 

Deycke und Much: Einiges über Tuberkulin und Tnberknlose- 
immuiität. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) Muss im 
Original nachgelesen werden. 

P. Esch - Marburg: Zur Frage des Tnberknlosenachweises durch 
beschleunigten Tierversuch. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) 
Weitere Polemik gegen R. Oppenheimer. Dünner. 

E. J. Marzinowsky-Moskau: Zur Frage über die bakterielogische 
Diagnostik der Diphtherie. (Zeitschr. f. Hyg. 1912, Bd. 73, H. 2, 
S. 185.) Verf. stellt das Vorhandensein einer nicht virulenten Form des 
Diphtheriebacillus zwar nicht in Abrede, spricht sich aber doch zu¬ 
gunsten des Vorhandenseins von Mikroben aus, die den Diphtherie¬ 
bacillen vollkommen ähnlich, aber mit denselben nicht identisch sind, 
und welche vielleicht in der Pathologie des Menschen eine grosse Rolle 
spielen, indem sie entweder selbst als Erreger einzelner Krankheits¬ 
formen auftreten oder andere Erkrankungen komplizieren. 

Möllers. 

F. So-Tokio: Ueber die Verwertbarkeit der modifizierten Präei- 

pitation8methode nach Porges. (Gentralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt., 
Orig., Bd. 63, H. 4—6, S. 442.) Die Porges’sche Präcipitationsmethode 
ist nach den Untersuchungen des Verf., soweit es sich um die Zahl der 
positiven Resultate bei Luesseris handelt, der Wassermann’schen Reaktion 
entschieden nicht gleichwertig; näher kommt ihr schon die neue Modi¬ 
fikation mit Cholesterin, doch vermag auch diese nicht die Wasser- 
mann’sche Reaktion zu ersetzen. Vorsioht ist auch besonders deshalb 
geboten, weil bisweilen anscheinend nioht luetische Sera mit der 
Präcipitationsmethode deutlich positiv reagieren bei negativem Wasser¬ 
mann. Bierotte. 

H. Pfeiffer und A. Jarisch-Graz: Zur Kenntnis der Eiweiss- 
cerfallstoxikosen. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 16, H. 1.) Mittels 
Abderhalden’s Dialysiermethode lassen sich sowohl der anaphylaktische 
Temperatursturz des Meerschweinchens als auch der nach Einverleibung 
aktiven Normalhämolysins mit den übrigen Krankheitsersoheinungen durch 
prophylaktische Darreichung von Chlorbaryum aufheben. Bei beiden 
Vergiftungen kommt es auch unmittelbar nach der Einverleibung zu 
einem Emporschnellen des antitryptischen Serumtiters, also zu einer 
Steigerung der parenteralen Zerfalls Vorgänge am Eiweissmolekül. Witte¬ 
pepton, Ergamin und giftige Harnrückstände setzen im Gegensatz dazu 
den antitryptischen Serumtiter primär herab. Bei der Anaphylaxie und 
Hämolysinvergiftung muss demnach zunächst die Bildung eines Giftes 
(Pepton) angenommen werden, welches seinerseits durch die Auslösung 
der schweren Krankheitsersoheinungen den weiteren Eiweisszerfall bremst 
und so gewissermaassen einen automatischen Selbstschutz des Organis¬ 
mus bedingt (sekundäre, negative Phase der Antitrypsinkurve). Man 
muss zwischen primären und sekundären Eiweisszerfallstoxikosen unter¬ 
scheiden. Unter ersteren wird die primäre Vergiftung darch die torische 
Substanz der Zerfallsgifte verstanden, unter letzteren toxische Erschei¬ 
nungen derselben Art, die aber erst dadurch zustande kommen, dass 
im Tierkörper durch vermehrten Eiweisszerfall das Gift sich bindet. 
Durch genaue Beachtung der antitryptischen Serumkurve können beide 
scharf getrennt werden. 

Z. Szymanowski-Krakau: Können eiweissfällende Mittel ana¬ 
phylaxieähnliche Erscheinungen erzeugen? (Zeitschr. f. Immunitäts- 
forschuog, Bd. 16, Nr. 1.) S.’s Versuche ergaben, dass Sublimat, Tannin 
und Phosphormolybdänsäure nach intravenöser Einspritzung beim Meer¬ 
schweinchen einen dem anaphylaktischen Shock sehr ähnlichen Zustand 
hervorrufen. Es entsteht auch eine typische Temperatureinwirkung 
(Senkung bei grossen, Steigerung bei schwächeren Dosen) sowie Verlang¬ 
samung der Blutgerinnung. 

Z. Szymanowski-Krakau: Zur Frage des Bakterienanaphyla- 
toxins. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 16, Nr. 1.) Im Anaphylaxie¬ 


versuch von Friedberger ist der Peptongehalt des Nährbodens keine 
unumgängliche Bedingung für das Giftigwerden des Meerschweinchen- 
serums. Wolfsohn. 

W. Spät-Prag: Untersuchungen über die Wirkungsweise des 
Sehweinerotlanf-IniMansernnis. (Zeitschr. f. Hyg., 1912, Bd. 73, H. 2, 
S. 224.) Verf. vertritt auf Grund von neuen Reihen von Erschöpfungs- 
Versuchen, entgegen der Behauptung von Neufeld und Kandiba, die 
Anschauung, dass absorbierte Sera trotz ihrer Entblössung von den ge¬ 
wöhnlichen Immunkörpern ihr Schutzvermögen unverändert beibehalten. 
Die erschöpften Sera erzeugen sogar in der Regel einen erhöhten Schutz, 
welcher auf den Gehalt der Sera an Extraktstoffen der Bacillenleiber 
zurückzuführen ist. Diese Tatsache wäre ein Fingerzeig für ein neues 
Immunisierungsverfahren (eine kombinierte wiederholte Behandlung mit 
Immunserum und starken Bakterienextrakten), welches für die geimpften 
Tiere und ihre Umgebung vollkommen gefahrlos wäre. Der Schutzwert 
des Schweinerotlaufserums beruht auf seiner antiaggressiven Eigenschaft 

Möllers. 

H. Miessner-Bromberg: Die Bedeutung der Agglutinations-KoH- 
pleMentbindungsnethode nid Coijanctivalprobe für die Diagnose des 
Rotzes. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 63, H. 4—6, 
S. 482.) Bei einer grossen Zahl von Untersuchungen von Pferden auf 
Rotz lieferte die besten Resultate die Komplementbindungsmethode: kein 
gesundes Pferd wurde der Krankheit verdächtigt, umgekehrt wurden 
sämtliche rotzigen Pferde als solche erkannt Die Agglutinationsmethode 
war weniger sicher: ein kleiner Prozentsatz der untersuchten Pferde 
musste danach als rotzverdächtig angesprochen werden; andererseits 
wurden aber nicht sämtliche kranken Pferde ermittelt. Die Conjunctival- 
probe war bei allen gesunden Tieren negativ, versagte jedoch in einem 
kleinen Prozentsatz bei kranken. Besonders bewährt hat sich dem Verf. 
zur Sicherstellung der Diagnose die gleichzeitige Anwendung der Agglu- 
tinations- und Komplementbindungsmethode. Bierotte. 

Th. Engwer-Berlin: Beiträge zur CheMO- ««4 Serotherapie 4er 
Pneunokokkeninfektionen. (Zeitschr. f. Hyg., 1912, Bd. 73, H. 2, S. 194.) 
Das Aethylhydrocuprein (Morgenroth) zeigt seine chemo-therapeutische 
Wirkung nicht nur bei der Pneumokokkensepsis der Maus, sondern auch 
bei der experimentellen Pneumonie des Meerschweinchens; je nach der 
Schwere der Infektion wird, während die Kontrolliere regelmässig sterben, 
ein grösserer oder kleinerer Prozentsatz der behandelten Tiere gerettet. 
Unter geeigneten Bedingungen verstärken sich die Wirkungen des Aetbyl- 
hydrocupreins und des Pneumokokkenimmunserums gegenseitig. Die 
Wirkung des Aethylhydrocupreins beruht nicht aut Anregung der Phago- 
cytose, sondern auf extracellulärer Abtötung der Pneumokokken. 

Möllers. 

J. C. Riquier-Pavia: Das „606“ bei der experimentellen Infektion 
durch Trypanosoma Bracei und durch Trypanosoma eqaipedam. (Zeit¬ 
schrift f. Immunitätsforsch., Bd. 16, Nr. 1.) Nach Einführung von „606* 
wirkte das Blut des infizierten Kaninchens in einer Zeitperiode von 1 bis 
6 Tagen auf die Ratte nicht infizierend. Das Wiederauftreten der In¬ 
fektion im Kaninchen kann nur von Knochenmark, Lymphdrüsen und 
Milz ausgehen. In den Bindegewebs- und Endothelzellen dieser Organe 
konnte R. kugelförmige Gebilde nachweisen, welche bei infizierten und 
nichtbehandelten Tieren auch in anderen Organen sich finden. Typische 
Trypanosomen sind weder in Ausstrichpräparaten noch an Schnitten der 
drei genannten Organe vorhanden. Die intracellulären Kugeln stellen 
möglicherweise eine Entwicklungsphase der Trypanosomen dar, auf welche 
„606* nicht einwirken kann. Uebergangsformen hatR. jedoch nie gesehen. 

H. Wern er-Hamburg: Ueber menschliche Trypanosomiasis mit 
Schlafkrankheitssymptomen ans Portugiesisch-Ostafrika, verursacht 
durch Trypanosoma rhodesiense, und über Lumbal pnnktatsbefnnde, 
insbesondere die Nonne-Apelt’sehe Phase I-Reaktion, bei Schlafkrank¬ 
heit. (Deutsche raed. Wochenschr., 1913, Nr. 6.) In einem durch 
Trypanosoma rhodesiense verursachten Fall wurden gegen Ende der 
Krankheit ausgesprochene Symptome von Schlafkrankheit beobachtet. 
Es bestand absolute Resistenz gegen Atoxyl und Tartarus stibiatus. 
18 Stunden vor dem Tode verschwanden die Trypanosomen völlig aus 
dem Blute und der Lumbalflüssigkeit. In drei weiteren Fällen von 
Trypanosomiasis erwies sioh die Nonne-Apelt’scbe Phase l-Reaktion des 
Lumbalpunktats als parallel gehend mit der klinischen Beteiligung des 
Centralnervensystems. Die Lymphocytenreaktion und die Wasser- 
mann’sche Reaktion zeigten diesen Parallelismus nicht. Eine Ver¬ 
mehrung der Eosinophilen im Blute wurde nicht gefunden. Das Lumbal¬ 
punktat erwies sich auch in diesen Fällen vor dem Tode als bakterienfreL 

H. Ziemann - Charlottenburg: Uetier die künstliche Weiter¬ 
entwicklung (in vitro) des Tertian-Malariaparasiten. (Deutsche med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 6.) Um Tertiana-Malariaparasiten aus dem Blute 
in vitro zu kultivieren, muss man, nach Bass, möglichst frisches, vor 
Abkühlung streng zu hütendes Blut verwenden, und zwar von Patienten, 
welche noch kein Chinin erhalten haben. Das Blut wird bei 39,5°, nach 
Beimengung bestimmter Dextrosemengen, unter Luftabschluss aufbewahrt. 
Es gelang Z. in einem Falle von Tertian-Malaria eine deutliche Weiter¬ 
entwicklung der Parasiten in den roten Blutkörperchen zu beobachten. 

M. Oker-Blom-Helsingfors: Ueber den Einfluss der chronischen 
Quecksilber-, Blei- und Alkoholvergiftung auf die natürlichen Abwehr- 
vorrichtnngen des Tierkörpers. (Zeitsohr. f. Immunitätsforsch., Bd. 16, 
Nr. 1.) Chronische Blei- und Quecksilbervergiftung beeinflusst die Abwehr¬ 
vorrichtungen des Meerschweinchens nur wenig, abgesehen von einer ge- 


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17. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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wissen Leukooytose. Unter dem chronisohen Einfluss des Alkohols 
leiden die blutbildenden Organe derart, dass eine Hyperleukocytose 
(s. B. im Kampfe gegen Staphylokokken) herabgesetzt wird. 

Wolfsohn. 


Innere Medizin. 

L. Kurt-Wien: Zur dorsalou Auskultation des Honens «ad der 
Qeflsse. (Wiener klin. Wochensohr., 1913, Nr. 3.) Die dorsalen Herz- 
und Gefässerscheinungen sollten mehr berücksichtigt werden, denn in 
manchen Fällen kann deren genaue Beobachtung die Diagnose erleiohtern. 
Die Herztöne sind dorsal — unter normalen Verhältnissen — im Kindes¬ 
alter in der Regel zu hören, in vorgeschritteneren Lebensperioden sel¬ 
tener. P. Hirsch. 

Th. Groedel und Fr. Groedel-Nauheim: Kombinierte röntgen- 
kiaematographiseho und elektrokardiographisehe Horinntersuchnugen. 
(Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 109, H. 1 u. 2.) Kombination des 
RöotgenkinematogTamms mit dem Elektrokardiogramm, um so zu er¬ 
mitteln, welcher Phase der Herzbewegung die einzelnen Aufnahmen der 
kinematographisohen Serie angehören, und um aus der feinsten Zergliede¬ 
rung der Herzbewegungsvorgänge Rückschlüsse auf das Elektrokardio¬ 
gramm selbst ziehen zu können. Die Ergebnisse sind folgende: 1. Die 
Annahme anderer Autoren, dass die A-Zacke (Vorhofszacke) der Vorhofs¬ 
kontraktion entspricht, wird bestätigt. 2. Die Kontraktion des Herz¬ 
muskels ist an dem Zustandekommen der I-Zacke (Initialzacke) beteiligt. 
Es lässt sich jedoch nicht sicher entscheiden, welche Faktoren sonst 
daran beteiligt sind (Erregungsleitung, chemische Umänderung, Wärme¬ 
bildung und mechanische Kontraktion). 3. Im Verlauf der F-Zacke 
(Finalzacke) steigert sich die Ventrikelkontraktion zu maximaler Höhe. 
Mit dem Ende der F-Zacke setzt sofort die Ventrikeldiastole ein. Es 
zeigt sich also aus den Untersuchungen, dass die Potentialscbwankungen, 
wie sie sich im Elektrokardiogramm zu erkennen geben, synchron mit 
der Herzaktion einhergehen. 

H. Stursberg und H. Schmidt - Bonn: Ueber Blutdruckmessung 
nach Körperarbeit und ihre Bedeutung für die Beurteilung der Arbeits¬ 
fähigkeit. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) Ein Kranker, 
der unter unbedeutenden körperlichen Anstrengungen eine beträchtliche 
Blutdrucksteigerung erleidet, wird duroh schwere Arbeit leichter ge¬ 
schädigt werden als ein Kranker, bei dem die gleiche Leistung keine 
oder nur eine unbedeutende Blutdrucksteigerung auslöst. Als besonders 
schonungsbedürftig sind Kranke zu betrachten, bei denen starke Erreg¬ 
barkeit des Blutdruckes und des Pulses gefunden wird. 

G. Eisner. 

A. Bauer-Roemhild: Skrofulöse Erwachsener. (Beitr. z. Klinik 
d. Tuberk., Bd. 24, H. 1.) Trotz gewisser allgemeiner Unterschiede sind 
die infantile Skrofulöse und die der Erwachsenen ihrem innersten Wesen 
naeh gleich. Auch für die Skrofulöse Erwachsener gilt der Satz: „Stets 
muss man mit Tuberkulose rechnend 

Werner: Die Sterblichkeit der Bevölkernag der Bauerscbaften 
Schlangen und Kohlstädt an Tuberkulose von 1801 bis 1908 inklusive. 
(Beitr. z. Klinik d. Tuberk., Bd. 24, H. 1.) 

Dietl und Hamburger: Ueber tuberkulöse Ezacerbatien. Ex¬ 
perimentelle Studie. (Beitr. z. Klinik d. Tuberk., Bd. 24, H. 1.) Ist im 
Original nachzulesen. 

Meyerstein: Experimentelle Untersuchungen über die Resorption 
und Ezsndation bei künstliche« Pnenaothorax. (Beitr. z. Klinik d. 
Tuberk., Bd. 24, H. 1.) Flüssigkeit und Luft im Pleuraraum hat für die 
Resorption ungefähr gleichen Effekt. Kleinere und mittlere Mengen ver¬ 
ändern die Resorption nicht, grössere verschlechtern sie, desgleichen ein 
offener Pneumothorax. Die Exsudation bleibt bei offenem und ge¬ 
schlossenem Pneumothorax unbeeinflusst, durch Kompression der Lungen 
wird sie vermindert. Die Einführung von Luft oder Gas in die Pleura 
macht an und für sich keine Trans- bzw. Exsudation. Für die Praxis 
ergibt sich für grosse, recidivierende Pleuritiden nachträgliche Gas¬ 
einfüllung, also Ersatz durch künstlichen Pneumothorax, worüber schon 
von verschiedenen Autoren günstige Berichte vorliegen, gleiohes gilt für 
die einfache Punktion von Empyemen. 

Bochalli: Zur Pneumothoraxbehandluiig schwerer Lungentuber- 
kalase. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkulose, Bd. 24, H. 1.) Verf. hat aus¬ 
schliesslich ganz desolate Fälle in Behandlung genommen, die alle schon 
längere Zeit mit anderen Mitteln erfolglos behandelt waren. Zwei Fälle 
davon waren trotz der Pneumothoraxbehandlung nicht zu halten, in dem 
einen Fall bandelt es sich um Komplikation mit schwerer Kehlkopftuber¬ 
kulose, in dem anderen Fall war wohl die nicht kollabierte Seite zu 
stark ergriffen. Von den anderen 4 Fällen ist einer „praktisch“ geheilt, 
drei beachtenswert gebessert, wie aus deo mit genauen Druoktabellen 
und vorzüglichen Röntgenbildern versehenen Krankengeschichten her¬ 
vorgeht. 

Neumann und Matson: Ueber LkBgeataberknlosefoniea mit aus¬ 
schliesslichem Vorkommen Mack’seher Granula. (Beitr. z. Klinik der 
Tuberk., Bd. 24, H. 1.) Die Granula finden sioh mit der Doppelfärbung 
nach Much-Weiss, wo die übrigen Bacillenfärbungen und Antiformin 
versagen. Die Infektion ist meist sehr gutartig und verläuft unter dem 
klinischen Bilde einer Bronchitis mit Asthma und Emphysem, eventuell 
Bronohiektasien (Phthisis fibrosa). Die Granula sind virulent für Meer¬ 


schweinchen. Ihre Erkennung ist wiohtig, weil diese Sputa sonst nicht 
besonders beachtet werden. Die Erkrankungen sind nicht durch die 
spezifischen Reaktionen erkennbar. 

F. Tobiesen: Ueber akute hänorrbagisehe Nephritis bei Lungen¬ 

tuberkulose. (Beitr. z. Klinik d. Tuberk., Bd. 24, H. 1.) 21 Fälle, da¬ 
von nur 2 im ersten, die übrigen im dritten Stadium. Die Erkrankung 
nimmt schleichenden Verlauf und wird meist nur zufällig entdeckt. Aus¬ 
gesprochene Tendenz zur Heilung, gelegentlich Uebergang in Amyloid¬ 
entartung (drei Fälle). J. W. Samson. 

E. Pflanz-Marienbad: Zur Balneotherapie von Nierenleiden. 
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Bei 129 Fällen kam es unter 
dem Gebrauch des Marienbader Wassers in 30 Fällen zum vollkommenen 
Verschwinden und in 59 Fällen zur Verminderung des Eiweisses; in 
54 Fällen konnten nach beendeter Kur Cylinder nicht mehr nachge¬ 
wiesen werden, in 89 Fällen nur noch in verminderter Anzahl. Der 
durch die Kur erreichte günstige Harnbefund blieb noch längere Zeit 
unverändert. Unter dem Gebrauch von Glaubersalz wässern scheint eine 
Ausscheidung von Abfallstoffen, welche sonst der Niere zukommt, durch 
den Darm zu erfolgen („Ableitung auf den Darm“). P. Hirsch. 

Albu: Die Wirkungsweise und die Heilfaktorea der Triakkaren. 
(Zeitschr. f. Balneol., Klimatologie u. Kurorthyg., Jahrg. V, Nr. 20.) A. 
beschäftigt sich in seinen Ausführungen mit den „spezifischen“ Wirkun¬ 
gen der Heilquellen. Erwiesen ist ein spezifischer Einfluss einzig und 
allein bei den Stahlquellen. Sonst kommt die überwiegende Zahl der 
Heilwirkungen lediglich auf mechanischem Wege zustande, d. h. durch 
Auswaschung, AuslauguDg, Durchspülung der Schleimhäute, der Hohl¬ 
kanäle, der Gewebe. Das Prinzip oder Kennzeichen der meisten Mineral¬ 
wässer ist in der Vermehrung der Diurese zu sehen. Mit einer ver¬ 
stärkten Auslaugung der Körpergewebe geht eine erhöhte Ausscheidung 
der Stoffwechselendprodukte Hand in Hand. Unter diesem Gesichtspunkt 
verschwindet die „spezifische“ Wirkung. Nicht zu vergessen ist, dass 
es Kontraindikationen für Trinkkuren gibt, dass in manchen Fällen z. B. 
Sanatoriumsbehandlung vorzuziehen ist. 

G. Mayer: Die Anforderungen an Fleisehkoiserven. (Zeitschr. f. 

Balneol., Klimatologie u. Kurorthyg., Jahrg. V, Nr. 20.) M. stellt eine 
Reihe von Forderungen auf, die Konservenfabriken erfüllen müssen, um 
einwandfreie Ware zum Markt zu bringen. E. Tobias. 

G. v. Bergmann - Altona: Das spasmogene Ulcus peptienn. 
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) Sehr häufig findet man 
bei Patienten mit Ulcus ventriculi Zeichen von Vagotonie. Zeichen all¬ 
gemeiner Neurosen sind nicht gegen, sondern gerade für die Diagnose 
eines Ulcus zu verwenden. Patienten mit Ulcus ventriculi und duodeni 
haben fast stets allgemeine Zeichen gestörter Harmonie zwischen Sym- 
pathicus und autonomem (erweitertem Vagus-)System oder im vegetativen 
Nervensystem überhaupt. Daneben sind am Magen und Duodenum 
selbst die vom vegetativen Nervensystem beherrschten Funktionen gestört, 
und zwar im Sinne von übererregter Drüsen- und Muskelfunktion. 
Speziell das Pylorusverhalten ist disharmoniert. Der Magenschmerz 
fällt nachweislich oft mit einem Krampf der Muscularis propria zeitlich 
zusammen. Eine vermehrte Neigung zu Spasmen der Muscularis ist bei 
den Individuen vorhanden, die am Magen und Duodenum auch andere 
Zeichen gestörter motorischer und sekretorischer Funktion bieten, die 
ausserdem sonst im vegetativen System stigmatisiert sind. Ausser dieser 
Störung im Nervensystem bedarf es zur Entstehung des Ulcus noch 
eines „ersten Krankseins“, eines „primum movens“, das reflektorisch den 
Spasmus auslöst. Spastische Zustände am Magen führen durch Ab¬ 
klemmung der zuführenden Gefässe zu lokaler Ischämie. Die von der 
Ernährung ausgeschalteten Schleimhautpartien werden angedaut, Re¬ 
sultat: Erosionen und Ulcera. Vagusreizmittel können im Tierexperiment 
Ulcera und Erosionen des Magens erzeugen (Westphal). Therapeutisch, 
ergibt sich aus alledem: energische und systematische Atropi nkur 

V. Reichmann - Jena: Kurze Mitteilung über eine akute Schwefel¬ 
säure- und Kupfersulfatvergiftnng mit besonderer Berücksichtigung des 
Blutbefundes. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) Verf. be¬ 
richtet über einen Fall von Schwefelsäurevergiftung und über einen Fall 
von Kupfersulfatvergiftung; beide Male erhebliche Leukocytose und 
charakteristische Veränderung des Blutbildes. Genaueres siehe Original¬ 
arbeit. G. Eisner. 

0. Jacobson-Berlin: Zur Diagnostik der Brouehostenose. (Dtsch. 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 6.) Bei Bronchostenose lässt sich eine 
inspiratorische Verschiebung der Mediastinalorgane und des Herzens in 
die kranke Seite perkutorisch und röntgenologisoh nach weisen. Dieses 
Symptom hält J. für pathognomonisch und konstant. Wolfsohn. 

Siehe auch Physiologie: Hering, Die vorhofdiastolische Wello 
ad, eine neue Welle des Venenpulses. — Hygiene und Sanitäts¬ 
wesen: Louis und Combe, Typhusvacoination. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

H. Deutsch-Brünn: Alkohol und Homosexualität. (Wiener klin. 
Wochenschr., 1913, Nr. 3.) D. hat einen Fall latenter Homosexualität 
bei einem 80jährigen Mann beobachtet. Die homosexuellen Neigungen 
(einmal kam es nur zur Betätigung) zeigten sich ausschliesslich nach 
dem Genuss massiger Alkoholmengen, duroh welche die Hemmungen des 
sehr intelligenten Patienten beseitigt wurden. P. Hirsch. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 7. 


E. Loewy: Die plaütAre Relexzone für den ITusculus quadriceps. 
(Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 2.) Bei Beklopfen bestimmter Stellen der 
Planta pedis tritt in vielen Fällen eine reflektorische Kniestreckung ein; 
die Stellen sind als reflexogene, unter bestimmten Umständen wirksame 
Zonen (plantare bzw. distale Zone) für den Patellarreflex anzusehen. 
Bei über die Norm gesteigerten Kniereflexen kann die plantare Zone 
zwar vereinzelt fehlen, meist ist sie aber vorhanden. Bei normalen 
Fällen und Fällen mit nicht gesteigertem Kniereflex ist sie nie mit 
Sicherheit beobachtet worden. Beiderseitiges Fehlen der Plantarzone ist 
diagnostisch nicht zu verwerten. Bei Pyramidenbahnerkrankungen ist 
sie oft nachweisbar, aber nicht immer. Als alleiniges Zeichen ist sie 
nicht zu verwenden, mit anderen unterstützt sie die Diagnose. 

0. Sittig: Ueber eine besondere Reflexerscheinung (dorsaler Fass 
eloiis). (Neurol. Centralbl., 1913, Nr, 2.) Fasst man den Fuss und 
streckt man ihn kräftig plantarwärts, so kommt es zu rhythmischen Kon¬ 
traktionen der Dorsalflektoren des Fusses (M. tibialis anticus und 
M. extensor digitorum communis) und zu ähnlichen Bewegungen wie 
beim Fussphänomen. Der Reflex ist gewissermaassen das Negativ vom 
Fussphänomen. S. fand den Reflex in der Pragor psychiatrischen Klinik 
nur in zwei Fällen von Paralyse, nie bei spastischen Zuständen wie 
Hemiplegien und multipler Sklerose. In den beiden Fällen befanden 
sich analoge Reflexerscheinungen an anderen Muskelgebieten. 

K. Boas: Zur Kasuistik des pontobalbüren Typus der multiplen 
Sklerose. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 2.) Ungewöhnlicher Fall von 
multipler Sklerose: Schubweise progredienter Verlauf, spastisch-paretischer 
Gang, beiderseitiger Nystagmus, leichte euphorische Demenz, Vorhanden¬ 
sein der Bauchreflexe, beiderseitiger Babinski und Oppenheim, Fehlen 
des rechtsseitigen Patellar- und beider Achillesreflexe, vorübergehende 
Läsion des rechten Facialis und Acusticus, Schluckbeschwerden. 

Karplusund Kreidl: Ueber experimentelle reflektorische Pnpillea- 
starre. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 2.) Es gelang, bei Katzen und 
Affen experimentell eine andauernde und isolierte reflektorische Pupillen¬ 
starre hervorzurufen, und zwar gelangten sie dazu im Laufe von syste¬ 
matischen Untersuchungen über die Bahn der centripetalen Pupillar¬ 
fasern. Nach Durchschneidung beider vorderer Vierhügelarrae ist die 
Lichtreaktion der Pupillen vollkommen aufgehoben. Der Affe zeigt acht 
Monate nach der Operation bei gutem Sehvermögen, prompter Konvergenz¬ 
reaktion der Pupillen linksseitige Lichtstarre, rechts träge, unausgiebige 
Reaktion. 

Gregor und Schilder: Zur Theorie der Myotonie. Vorläufige Mit¬ 
teilung. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 2.) Wir haben in der Ableitung 
der Aktionsströme zum Saitengalvanometer ein Mittel zur Entscheidung 
darüber, ob eine Muskelkontraktion durch Innervation zustande kommt 
oder rein myogener Natur ist. Untersuchungen an einem Falle aus¬ 
geprägter Myotonie mit dem Saitengalvanometer haben nun ergeben, 
dass die Myotonia congenita keine rein muskuläre Erkrankung ist. 

E. Tobias. 

Siehe auch Chirurgie: Stoffel, Rationelle Nervenchirurgie. 


Kinderheilkunde. 

Dm. Lebedev - Moskau: Eine seltene Kombination von angeborenen 
Anomalien — Urachusfistel, Nabelstrangbrach nnd Cryptorchismns — 
bei einem Kind. (Archiv f. Kinderheilk., 1912, Bd. 59, S. 233.) 

R. Weigert. 

D. Fraenkel-Borgsdorf bei Berlin: Ueber die nomale Körper¬ 
temperatur der Kinder nnd ihr Verhalten bei Bewegung and Rahe. 

(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 6.) Körperbewegung ruft bei 
allen Kindern eine Temperatursteigerung bis 38° und mehr hervor, die 
bei Ruhe wieder zur Norm herabsinkt. Die Steigerung ist unabhängig 
von der Aussentemperatur. Bei nenropathischen Kindern ist die Be¬ 
wegungstemperatur im allgemeinen höher als bei nicht neuropathischen. 
Die normale Temperatur in der Ruhe überschreitet in der Regel 
nicht 37,2°. Wolfsohn. 

A. Molodenkoff - Moskau: Das Fleckfieber bei Kindern nach 
dem Material des Morosoff’schen Kinderkrankenhauses in Moskau während 
der Epidemie des Jahres 1911. (Archiv f. Kinderheilk., 1912, Bd. 59, 
S. 199.) 118 Fälle. Obwohl die Erkrankung in einer Reihe von Be¬ 
obachtungen durch andere akute Infektionskrankheiten (Scharlach, 
Diphtherie, Pertussis, Dysenterie) kompliziert war, was nach früheren 
Autoren nie beobachtet war, blieben alle Patienten am Leben. 

J. Takeno - Tokio (z. Z. Berlin): Verhalten des Blutes bei den 
Rheumatosen. (Jahrb. f. Kinderheilk., 1913, Bd. 77, S. 53.) Unter 
dem Namen Rheumatosen fasste T. den Rheumatismus, die Chorea und 
die Endocarditis zusammen. „Die Zahl der Erythrocyten und die Hämo¬ 
globinmenge bewegt sich in gleichem Verhältnis wie die Schwere der 
Erkrankung; verschlechtert sich das klinische Bild, so sinkt die Hämo¬ 
globin- und Erythrocytenkurve; bessert sich der klinische Zustand, so 
beobachten wir ihr Ansteigen.“ (Bei einem Fall von Pseudochorea (post- 
hemiplegisch) war dieses Verhalten des Blutes nicht zu beobachten.) 
Bei Verschlimmerung des Leidens tritt eine Vermehrung der Leuko- 
cyten, besonders des Prozentsatzes an Neutrophilen ein, die bei Besserung 
der klinischen Erscheinungen wieder zurückgeht. 

D. Rabinowitsch - Kischinew: Die Leakocyten verschiedener 
Altersstufen. Untersuchungen über die Leukocyten gesunder Kinder. 


(Archiv f. Kinderheilk., 1912, Bd. 59, S. 161.) Gesunde Kinder beiderlei 
Geschlechts im Alter von 1—15 Jahren haben 6—7000 Leukocyten. 
Die Zahl der neutrophilen Leukocyten beträgt in den ersten Lebens¬ 
jahren ca. 30 pCt. aller Leukocyten und erreicht mit 15—16 Jahren, 
allmählich ansteigend, 70 pCt. Die Lymphocyten betragen im ersten bis 
zweiten Jahre 60 pCt. und sinken auf 30 pCt. Die eosinophilen Zellen 
betragen durchschnittlich 4—6 pCt., die Uebergangsformen 2—3 pCt., die 
Mastzellen 0,3—0,6 pCt., die grossen Mononuoleären 1—3,3pCt. bei 
Kindern aller Altersstufen. 

C. Meyer-Rummelsburg b. Berlin: Zur Kenntnis des MiaeralstolT- 
weehsels bei Rachitis. (Jahrb. f. Kinderheilk., 1913, Bd. 77, S. 28.) 
Stoffwechselversuche an Säuglingen mit Raohitis, die mit molken¬ 
adaptierter Milch ernährt wurden, zwei von ihnen unter Zugabe von 
Lebertran. Die Untersuchungen erstrecken sich auf Stickstoff, Fett, 
Gesamtasche, Kalk, Magnesia, Alkalien, Phosphor und Chlor. Die 
Stickstoff- und die Cl-Bilanz und die Fettresorption wurde in allen 
Fällen leidlich gut, die Gesamtaschenretention wenig befriedigend ge¬ 
funden. Die Kalkbilanz balancierte in den lebertranfreien Fällen um 
Null; durch den Lebertran wurde sie ausserordentlich gebessert, dabei 
war die Wirkung von Lebertran und Phosphorlebertran fast gleich. 
Magnesia wurde stets genügend retiniert, sie ging mit Kalkretention 
durchaus nicht parallel. Die Alkalibilanz zeigt einen Antagonismus zu 
der der Erdalkalien. Der Phosphor verhielt sich ähnlich wie der Kalk. 

M. Dubois und K. St ölte-Strassburg: Abhängigkeit der Kalk- 
bilanz von der Alkalizafahr. (Jahrb. f. Kinderheilk., 1913, Bd. 77, 
S. 21.) Stoffwechsel versuche, die dartun, dass der Gewinn des Körpers 
an Kalk bei Zugabe von Malzextrakt und Gemüse oder Obst zur Nahrung 
wahrscheinlich auf dem Alkaligehalt dieser Nahrungsmittel beruhe. 

0. Heubner - Berlin: Ueber chronische Nephrose im Kindesalter. 
(Jahrb. f. Kinderheilk., 1912, Bd. 77, S. 1.) Ausführung eines auf der 
Naturforscherversammlung in Müuster gehaltenen Vortrages (cf. diese 
Wochenschr., 1912, S. 2156). R. Weigert. 

W. Braun-Berlin: Die Bedeutung und Durchführbarkeit von Pro¬ 
phylaxe and Frühbehandlung der Diphtherie. (Deutsche med. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 6.) B. hat schon früher den Beweis geführt, dass 
übergrosse Serumdosen bei der Diphtheriebehandlung unnötig sind. Mit 
1500—3000 I.-E. kommt man stets aus. Viel wichtiger ist eine mög¬ 
lichst frühzeitige Behandlung. Kranke, welche innerhalb der ersten 
36 Stunden mit Serum behandelt wurden (775 Fälle), gaben eine Mor¬ 
talität von nur 6,7 pCt., während die durchschnittliche Sterblichkeit 
15,5 pCt. betrug. In Berlin ist die Frühbehandlung noch immer nicht 
hinreichend durchgeführt. Auf Grund mehrfacher trauriger Erfahrungen 
warnt B. dringend davor, die Seruminjektion lediglich von der bakterio¬ 
logischen Untersuchung abhängig zu machen. Weiterhin wird auf die 
prophylaktische Spritzung von Familienangehörigen besonderer Wert ge¬ 
legt. 600—1000 I.-E. sind hierfür ausreichend. Auch unter schwierigen 
lokalen und sozialen Verhältnissen lässt sich das durchführen, voraus¬ 
gesetzt, dass die Stadt eine relativ geringe Summe dafür bewilligt, und 
dass die gesamte Aerzteschaft entschlossen zusammen dahin wirkt. 

Wolfsohn. 

W. Beyer - Rostock: Beweist der Aufsatz von Kleinschmidt (im 
Heft vom 3. Juli dieser Wochenschrift) etwas „Zur Frage der Wirk¬ 
samkeit des Diphtherieserams bei Beteiligung des Nervensystems 
an der Erkrankung?“ (Jahrb. f. Kinderheilk., 1913,. Bd. 77, S. 65.) 

H. Kleinschmidt: Erwiderung auf die vorstehenden Bemerkungen. 
(Jahrb. f. Kinderheilk., 1913, Bd. 77, S. 69.) Polemik. 

L. M. Pussep: Operative Behandlung des Hydroeephalus 
internus bei Kindern. (Archiv f. Kinderheilk., 1912, Bd. 59, S. 172.) 
Trepanation in der Regio occipitoparietalis-Oeffnung ca. 3 cm Durch¬ 
messer; Ausschneidung eines zungenförmigen Lappens aus der Dura 
mater: Punktion mit einer 3 mm starken, aus 3 je 3 cm langen Teilen 
bestehenden Nadel, bis die Flüssigkeit abfliesst; Entfernung des über¬ 
flüssigen Teiles der Nadel; Vernähung der Hautdecken oberhalb der 
Nadel. Das Röhrchen kann nach 2—4 Monaten entfernt werden, da 
sich dann ein stabiler Kanal von gliösem Gewebe gebildet hat. Verf. 
berichtet dann ausführlich über 14 von 18 operierten Kindern mit chronischem 
und akutem Hydroeephalus und Hirntumoren. Soweit Erfolge zu er¬ 
reichen waren, waren sie nur palliativer, nicht curativer Art. 

R. Weigert. 


Chirurgie. 

Becker: Der neue Myomotor. (Zeitschr. f. orthopäd. Chir., Bd. 31, 
H. 1 u. 2.) Beschreibung des Apparats und seiner Anwendung. 

Galeazzi: Neuer Artrogoniometer. (Zeitschr. f. orthopäd. Chir., 
Bd. 31, H. 1 u. 2.) Beschreibung des Instruments. 

Hadda: Der totale angeboreoe Rippendefekt. (Zeitschr. f. ortho¬ 
pädische Chir., Bd. 31, H. 1 u. 2.) Der totale Defekt einer oder 
mehrerer Rippen wird häufiger festgestellt werden, wenn prinzipiell von 
alten Skoliosen Röntgenaufnahmen gemacht werden; er ist fast stets mit 
anderen Missbildungen kombiniert und demnach als Teilerscheinung einer 
ausgedehnten Missbildung zu betrachten. 

Kauffmann: Zur Kasuistik der kongenitalen 8koliose. (Zeitschr. 
f. orthopäd. Chir., Bd. 31, H. 1 u. 2.) Drei Fälle. Trotz aller Neben¬ 
erklärungen wird man auch bei der kongenitalen Skoliose wohl dauernd 


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17. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


817 


an der Annahme einer abnormen eigentümlichen Keimbeschaffenheit, 
einer bestimmten Keimvariation als aer vorherrschenden Ursache der 
morphologischen Anomalien festhalten müssen. 

Doerr: Beitrag zur statische! Skoliosen frage. (Zeitschr. f. orthopäd. 
Chir., Bd. 31, H. 1 u. 2.) Der Prozentsatz der statischen Skoliosen 
betrug beim Material der Lange’schen Klinik 7 pCt. Das Vorkommen 
der statischen Skoliose ist häufiger, als von vielen Seiten angenommen 
wird. Um einer Fehldiagnose aus dem Wege zu gehen, ist bei jeder 
Skoliose eine genaue Messung des Beckenstandes erforderlich. 

Bai sch: Die kongenitale radio-ulnare Synostose. (Zeitschr. f. 
orthopäd. Chir., Bd. 31, H. 1—2.) 

Trillmich: Beitrag zur Madelnng’schen Deformität. (Zeitschr. f- 
orthopäd. Chir., Bd. 31, H. 1 u. 2.) Die Entstehung der Madelung’schen 
Deformität geschieht auf mechanischer Basis. Voraussetzung zur Ent¬ 
stehung wird immer eine verringerte Knoohenfestigkeit sein müssen, sei 
-es eine verringerte physiologische Knochenfestigkeit zur Zeit der 
Pubertät, sei es Rachitis oder Osteomalacie. 

Könne: Die Kombination der „angeborenen" Luxation des Radius- 
köpfebeus mit der Little’schen Krankheit. (Zeitschr. f. orthopäd. Chir., 
Bd. 31, H. 1 u. 2.) Zwei Fälle von Luxation des Radiusköpfchens bei 
Little. Diese Verrenkungen sind nicht angeboren, sondern haben ihre 
Ursache in einer Innervationsdifferenz antagonistischer Muskelgruppen; 
es handelte sich also um „spastische" Luxationen. 

Reiner: Beiträge zur Architektur des Galcanens. (Zeitschr. f. 
orthopäd. Chir., Bd. 31, H. 1 u. 2.) Ohne Rücksicht auf die Ursache 
folgt einer Aenderung von Grösse und Richtung der Belastung auch eine 
Veränderung von Form und Architektur des Caloaneus. Die Architektur 
ist kein von Anfang an festgesetztes unverrückbares Gebäude, sie ist 
einem ständigen Wechsel unterworfen, je nach der Inanspruchnahme 
und der Funktion des betreffenden Knochens. 

Bai sch: Bau und Mechanik des normalen Fasses nnd des Platt- 
fassen. (Zeitsohr. f. orthopäd. Chir., Bd. 81, H. 1 u. 2.) B.’s kon¬ 
sequente Röntgenuntersuchungen haben den Fortschritt in der Röntgeno¬ 
logie des Plattfusses gebracht, dass nunmehr von einer Röntgendiagnose 
des Plattfusses gesprochen werden kann. Pes valgus und Pes planus 
sind röntgenologisch scharf zu trennen. Die Untersuchungen haben er¬ 
geben, dass beim normalen Fuss unter der Belastung ein Zusammen¬ 
schluss des Fusses ©intritt, wodurch die Wölbung erhalten wird; beim 
Plattfuss tritt ein Auseinanderweichen mit gesetzmässigen Faktoren ein. 

Möhring: Zur Technik des Klnmpfussverbaades. (Zeitschr. f. 
orthopäd. Chir., Bd. 31, H. 1 u. 2.) Zur Erhaltung der Redressions¬ 
stellung bedient sich M. eines Trikotscblauchzügels. 

Wo h lauer: Beitrag zur Frage der Kb’hler’schen Erkrankung des Os 
■aviculare pedif. (Zeitschr. f. orthopäd. Chir., Bd. 31, H. 1 u. 2.) 
Drei Fälle. W. fasst das Wesen der Köhler’schen Krankheit so auf, 
dass eine primäre fehlerhafte Bildung des Os naviculare vorliegt, während 
die Beschwerden durch ein leichtes Trauma ausgelöst werden. 

Schoenenberg: Beitrag zur Arthrodese des Fassgelenks. (Zeit¬ 
schrift f. orthopäd. Chir., Bd. 31, H. 1 u. 2.) Durch die Cramer’sche 
Methode hält S. die Technik der Fussarthrodese für verbessert; es ist 
möglich, den Fuss durch Ueberpflanzung eines Periostknochenlappens 
zu ankylosieren-, diese Methode ergibt knöcherne Ankylose auch bei 
Kindern unter 8 Jahren. S. glaubt, dass der Gang bei ankylosiertem 
Fuss um so leichter wird, je kleiner die den Boden berührende Fläche 
der Planta pedis ist, vorausgesetzt, dass diese Stelle sich zum Auftreten 
eignet. Was die Steilstellung des Calcaneus betrifft, so glaubt S., dass 
ein feststehender steiler Calcaneus das Resultat der Arthrodese nicht 
beeinträchtigt. Egloff-Berlin. 

Molineus: Das Endresultat bei doppelten Knb'ckelbrüchcn. 
(Deutsche Zeitschr. f. Chir., 1912, Bd. 120, H. 1 u. 2.) Die doppelten 
Knöchelbrüche bedürfen spezialistischer Behandlung in einem Kranken¬ 
hause. Die Prognose richtet sich nach der Behandlung, die vor allem 
in einer guten Reposition durch Ueberkorrektionsstellung in gutsitzendem 
Verbände zu bestehen hat. Der Pes abductus pronatus planus, der 
auch nach langer Zeit noch eintreten kann, muss vermieden werden. 
Es ist stets mit dem Vorhandensein eines dritten Fragments und der 
Diastase zwischen Tibia und Fibula zu rechnen. Fritsch. 

Galeazzi: Ueber die unblutige Behandlung der kongenitalen 
flüftgelenkverrenkung. (Zeitsohr. f. orthopäd. Chir., Bd. 81, H. 1 u. 2.) 
Io allen Fällen, die man als Subluxation bezeichnet, empfiehlt G. eine 
einfache Detorsion des Femur; Gips in Innenrotation, leichter Flexion 
nnd Abduktion. 

Mosental: Fixation von Oberschenkel und Hüfte im Kniependel¬ 
apparat. (Zeitschr. f. orthopäd. Chir., Bd. 31, H. 1 u. 2.) Beschreibung 
der Methode. Egloff-Berlin. 

E. Fritzsche: Ueber die Frakturen des Zabnfortsaties des 
Epistrophevs. Neue röntgenographische Darstellung des Processus 
odontoideus. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., 1912, Bd. 120, H. 1 u. 2.) 
Durch einen in den Epipharynx eingeführten Film, der nun unmittelbar 
vor dem Dens, epistr, lag, konnte F. die Bruchlinie am Epistropheus 
röntgenologisch darstellen. , , < Fjitscb. 

W. Körte - Berlin: Typische Fraktur des Gesichtsschädelfi.. 
(Deutsche me& "Wochenschr., 1918 t Nf. 6).' r Vortrag in der Berliner Ge¬ 
sellschaft für Chirurgie am 13. Januar 1913. Wolfsohn. 


Chlumsky: Therapeutische Mitteilnngen. (Zeitschr. f. orthopäd. 
Chir., Bd. 31, H. 1—2.) Bei der Behandlung von Hernien rät Chi., bei 
Kindern unter drei Jahren mit dem Operieren nicht zu eilig zu sein; bei 
Patienten bis zu 20 Jahren ist eine Verkleinerung der Bruchpforten eventuell 
möglich, Operation aber ratsamer. — Zur Behandlung der Hammerzehe 
empfiehlt er eine modifizierte Thiersch’sche Einschubsohle. — Zur Kopf¬ 
extension benutzt er eine von ihm konstruierte Schlinge. — Bei älteren 
angeborenen Hüftluxationen empfiehlt er vor der Einrenkung acht Wochen 
Extension mit 4—5 kg. Egloff-Berlin. 

R. Sievers: Übertragung gestielter Hautlappen aus der Haut des 
vorderen Brustkorbes auf Fingerdefekte. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., 
1912, Bd. 120, H. 1 u. 2.) Inhalt ergibt sich aus der Uebersohrift. 

Fritsch. 

W. Kausch - Schöneberg: Erfahrungen über Tuberkulin Rosen¬ 
bach. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 6.) Vortrag in der 
Berliner Gesellschaft für Chirurgie am 9. Dezember 1912. 

Wolfsohn. 

H. Finsterer-Wien: Seltene Komplikation nach der Herniotomie 
einer eingeklemmten Leistenhernie. (Wiener klin. Wochenschr., 1912, 
Nr. 3.) Demonstration in der Sitzung der k. k. Gesellschaft der Aerzte 
zu Wien am 20. Dezember 1912; Referat siehe den Sitzungsbericht. 

P. Hirsch. 

Gärtner: Primäres Lymphosarkom des Dünndarms. (Deutsche 
Zeitschr. f. Chir., 1912, Bd. 120, H. 1 u. 2.) Kasuistische Mitteilung. 

Rittershaus: Zur Kasuistik der Herzverletzungen. (Deutsche 
Zeitschr. f. Chir., 1912, Bd. 120, H. I u. 2.) Mitteilung einer Herznaht 
nach Herzschuss. Der Patient, bei dem auch die Pleura verletzt war, 
ging unter septischen Erscheinungen am zweiten Tage zugrunde. Verf. 
empfiehlt deshalb bei Pleuraverletzungen stets Drainage und würde die¬ 
selbe nur fortlasseo, wenn extrapleurales Operieren möglich war. 

E. Lange: Stanungsblutungen infolge traumatischer Rumpf¬ 
kompression. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., 1912, Bd. 120, H. 1 u. 2.) 
Bei traumatischen Rumpfkompressionen kann die durch sie infolge 
Druckes hervorgerufene rückläufige Blutwelle Stauungsblutungen erzeugen. 
Die Verteilung der Hautecchymosen hängt dabei von den Venenklappen 
ab, die bei sehr grosser Höhe der rückläufigen Blutwelle insuffizient 
werden können. Die relative Seltenheit der intraoculären und intra¬ 
cerebralen Blutaustritte ist bedingt durch den infolge des dort normalen 
bestehenden Druckes hervorgerufenen Gegendruck und durch eine ventil¬ 
artige Vorrichtung an der Einmündungsstelle des Sinus sigmoideus in 
die Vena jugularis. 

R. Bayer: Ein peritheliomartig gebauter Tumor der Glutäal- 
gegend. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 120, H. 1 u. 2.) Kasuistische 
Mitteilung. Fritsch. 

A. Stoffel-Mannheim, früher Heidelberg: Beiträge zu einer ratio¬ 
nellen Nervenchirnrgie. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) 
Die Fehlschläge der Nervenchirnrgie beruhen auf nicht genügend aus¬ 
gebildeter Technik und auf noch mangelhaften Kenntnissen über den 
Bau und die Physiologie der peripheren Nerven. Zu beiden Punkten 
werden vom Verf. Beiträge geliefert, die zur Hebung der Nervenchirurgie 
dienen. Näheres ist im Original selbst nachzulesen. G. Eisner. 

Siehe auch Kinderheilkunde: Pussep, Operative Behandlung 
des Hydrocephalus internus. 


Röntgenologie. 

E. B r u e g e 1-München: Bewcgnngsvorgänge am pathologischen Magen 
anf Grund röntgenkinematographischer Untersuchungen. (Münchener 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) Verf. empfiehlt die Methode der Serien¬ 
aufnahmen und zeigt an der Hand von 4 Fällen, dass sie alle anderen 
einschlägigen Untersuchungsmethoden übertrifft. Eine wirkliche Früh¬ 
diagnose kann nur mit Serienaufnahmen gestellt werden. In verdächtigen 
und diagnostisch unklaren Fällen ist die Methode stets anzuwenden. 

G. Eisner. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

Go Idstein: Zur Behandlung von Hautkrankheiten in Kurorten. 
(Zeitschr. f. Balneol., Klimatol. u. Kurorthyg., 5. Jahrg., Nr. 20.) Gold¬ 
stein bespricht die bisher nicht genügend gewürdigte Bedeutung der 
Kurorte für die Behandlung von Hautkrankheiten. Das Epitheliom, der 
Lupus vulgaris, Hauttuberkulosen sind die Domäne für die Allgemein¬ 
behandlung in klimatischen Kurorten, besonders zur Winterszeit, auch 
in prophylaktischer Hinsicht. Für klimatische Winterstationen eignen 
sich auch die Kombinationen von Organtuberkulose mit Lues. Wichtig 
ist Klimatotherapie für Dermatosen, bei denen die nervöse Komponente 
eine grosse Rolle spielt. E. Tobias. 

K. Herxheimer-Frankfurt a. M.: Ueber Carboneol. (Archiv f. 
Dermatol, u. Syphilis, 1913, Bd. 115, H. 2.) Carboneol ist ein relativ 
reizloser Teer, aer eine vielfältige Verwendung bei entzündlichen und 
juckenden Hautkrankheiten gestattet. ]Jj; 

Kreibich-Prag: Zur Aetiologie des Molluscum contagiosum. (Archiv 
f. Dermatol, u. Syphilis, 1913, Bd. 115, H. 4.) In, den Mollusoum- 
körperchen finden sich kleinste Gebilde, welche mit Dunkelfeldbeleuch- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 7. 


tung sichtbar zu machen sind, dieselben entsprechen dem Strongylo- 
plasma hominis von Lipschütz und sind vielleicht als Erreger des 
Molluscum contagiosum aDzusprechen. 

K. Ullmann-Wien: lieber Ansscheidnngswerte and Speicherungs- 
Verhältnisse nach Einfahr von Salvarsan in den menschlich-tierischen 
Organismus. (Archiv f. Dermatol, u. Syphilis, 1913, Bd. 114, H. 2.) Das 
Salvarsan ist eine im Verhältnis zu anderen organischen Arsen- und 
insbesondere Quecksilberverbindungen schwer zersetzliche bzw. schwer 
resorptionsfähige Substanz. Unter den einzelnen Organen kommt bei 
Entgiftung und Ausscheidung, Leber und Nieren, in Betracht, welche 
stets relativ geringe Mengen organischen, wie auch anorganischen Arsens 
fixiert enthalten. Relativ viel As gelangt durch den Magendarmtrakt 
zur Ausscheidung. Das Gehirn enthält jedoch selten und nur minimale 
Mengen. Diese Tatsache spricht gegen die Neurotropie des Salvarsans. 
Im Blute finden sich nach der intramusculär-subcutanen Einführung 
stets nur sehr geringe Mengen von As; nach intravenöser Einführung 
anfangs recht grosse, bald aber nur mehr minimale Mengen. Das Blut 
stellt also nur eine Durchgangsstation für mobilisiertes As dar. 

Immerwahr. 

K. Herxheimer - Frankfurt a. M.: Nachtrag zu meiner Mitteilung 
„Heilung eines Falles von Hantsarkomatose durch Thorium X“. (Mün¬ 
chener racd. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) Der Erfolg, den H. bei einem 
seinerzeit mitgeteilten Falle von Hautsarkoraatose mit Injektionen von 
Thorium X erzielt hatte, war nur ein vorübergehender. Es entstanden 
bald neue Metastasen, denen schliesslich der Patient erlag. 

Dünner. 

Siehe auch Allgemeine Pathologie und pathologische 
Anatomie: Marschalkö und Veszpremi, Salvarsantod. 


Geburtshilfe und Gynäkologie. 

A. Hippel - Frankfurt a. M.: Ueber differentiell-diagnostische 
Schwierigkeiten in der Gynäkologie. (Deutsche med. Wochenschr., 
1913, Nr. 6.) Die Diagnose „Hysterie“ wird bei Schmerzen in der weib¬ 
lichen Genitalsphäre viel zu häufig gestellt. Um sich vor Irrtümern 
nach dieser Hinsicht zu schützen, empfiehlt S. die Einleitung einer 
leichten Narkose bis zum Schwinden der Reflexerregbarkeit. Auch 
Untersuchung in steiler Beckenhochlagerung kann gelegentlich wichtige 
Anhaltspunkte geben. So hätte in einem mitgeteilten Fall, bei dem 
eine Gravidität im Uterushorn vermutet wurde, das bewegliche Eier¬ 
stocksteratom schon vor der Laparotomie leicht diagnostiziert werden 
können. 

S. Gottschalk-Berlin: Ueber die Ursachen und die Behandlung 
des Ausflusses ans dem weiblichen Genitale. (Deutsche med. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 6.) Klinischer Vortrag. Wolfsohn. 

Siehe auch Therapie: y. Zubrzycki und Wolfsgruber, Be¬ 
kämpfung von Anämie durch intramuskuläre Injektionen von defibriniertera 
Menschenblut. Härtel, Salvarsan bei Chorea gravidarum. Eichmann, 
Sohwangerschaftstoxikodermien durch Ringer’sche Lösung geheilt. 


Augenheilkunde. 

E. Bachstez-Wien: Ueber lokale Behandlung der Keratitis par- 
enehymatosa mit Neosalvarsan. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, 
Nr. 3.) Es wurden zwei Applikationsmethoden versucht: Das Einträufeln 
einer 2,5 proz. Lösung in Aqua destillata und das Einlegen einiger 
Körnchen in Substanz. Bei neun Fällen sicherer Keratitis parencbyma- 
tosa wurde ein günstiger Erfolg nicht erzielt. P. Hirsch. 

Siehe auch Technik: Büoky, Augenelektrode und Augenirri- 
gationsgefäss. 

Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 

Siehe auch Physiologie, Mangold, Willkürliche Kontraktionen 
des Tensor tympani. 


Hygiene und Sanitätswesen. 

Akademie der Wissenschaften in Paris: Die Anzeigepflicbt 
der Tnberknlose. (Revue d’hyg., Bd. 34, Nr. 11.) Cf. Pariser Gesell¬ 
schaftsbericht in dieser Wochenschr., 1913, Nr. 1, S. 43, und Nr. 3, 
S. 93. Viereck. 

H. Pondet: Einige Betrachtungen über die verschiedenen Arten 
der Infektion beim Typhns. (Lyon med., 1913, Nr. 1.) Uebertragungs- 
erfolge entweder durch Trinkwasser oder durch die Hände. Dement¬ 
sprechend müssen die Maassnahmen sein, die auch auf die Bacilleuträger 
auszudehnen sind. Nicht durch die neuerdings inaugurierte Vaccination, 
sondern nur durch eine geeignete Belehrung des Volkes werden sichere 
Erfolge errungen werden. A. Münzer. 

J. Louis und E. Combe: Indikationen und Technik der Typhns- 
vaeoination mit dem pplyvalenten Vaccin von Vincent. (Revue d’hyg., 
Bd. 34, Nr. 12.) Der Impfung dürfen ausnahmslos nur g^uz Gesunde 
unterworfen werden, vor allem kein Tuberkulöser, da die Impfung wie 
eine Tuberkulinimpfung wirkt. Fieberfreie Malariakranke dürfen geimpft 


werden, ebenso nicht kachektische Syphilitiker, während der Menstruation 
ist die Impfung zu unterbrechen. Bei der Impfung soll es nicht zu 
einer negativen Phase kommen. Das Vaccin kommt in Ampullen von 
2, 5, 10, 20 ccm in den Handel, es muss kalt und dunkel aufbewahrt 
werden und darf nicht älter als drei Monate sein. Die Injektion wird 
hinter dem hinteren Ende des Deltoideus zwei Querfinger oberhalb der 
Achselfalte gemacht. Um jede Erhitzung des Vaccins zu vermeiden, 
versehen die Autoren den Hals der Ampulle mit einem Jodanstrich, den 
sie antrocknen lassen, ehe sie dieselbe öffnen. Auch auf die Stich- 
Öffnung kommt ein Jodanstricb, Massieren der Stelle ist zu vermeiden. 
Es werden in einwöchigen Zwischenzeiten vier Injektionen von je J /*> 
1, 1 Vs- 2Va ccm gemacht, die beste Zeit ist abends zwischen 4 und 
6 Uhr: Anstrengungen und Alkohol sind an den Tagen zu vermeiden, 
gegen Kopfschmerz und Fieber empfehlen sie Antipyrin. Alle vier In¬ 
jektionen werden an derselben Seite gemacht. Der Schutz beginnt drei 
Wochen nach der letzten Injektion und währt 2 Vs Jahr wenigstens. 
Verff. haben 1366 Mann geimpft mit keinem Erkrankungsfall, während 
von 637 nicht Geimpften 155 erkrankten und 21 starben. 

Mosny und Märtel: Die Trinkwasserversorgung von Tonlos und 
Staubecken von Dardenne. (Revue d’hyg., Bd. 34, Nr. 12.) Beschreibung 
mit Bildern und Begutachtung. 

A. Man au d: Meteorologische nnd klimatische Faktoren in der 
Aetiologie der Pest. (Revue d’hyg., Bd. 34, Nr. 11.) Verf. geht von 
der Feststellung aus, dass in den warmen Ländern und im Sommer die 
Bubonenpest vorwiege, in kalten Ländern und im Winter die Lungen¬ 
pest. An der Hand der Seuchen geschieh te führt er aus, dass die 
Bubonenpestepidemien sich bei einer Temperatur zwischen 10 und 30° 
entwickelten, in der gemässigten Zone im Hochsommer, in den heissen 
Klimaten im Februar, März, April, je nach der Lage des Ortes. Der 
Regen hat keinen Einfluss. Die Lungenpest hat dagegen stets einen 
winterlichen Charakter gezeigt. Die Ursache dieser Erscheinung sieht 
er darin, dass die Bacillen sowohl wie die Flöhe (bzw. deren Eier) sich 
bei dieser Temperatur am besten entwickelten. Die winterlichen Pest¬ 
pneumonien vergleicht er mit den winterlichen Pneumokokkenepidemien. 
Erkältungskrankheiten begünstigten ihre Entstehung, er will auch dem 
Einfluss der Kälte auf die Bacillen und die Phagocytose noch eine Be¬ 
deutung zuschreiben. Viereck. 

Siehe auch Innere Medizin: Werner, Sterblichkeit der Be¬ 
völkerung der Bauernschaften Schlangen und Kohlstädt an Tuberkulose. 
— Psychiatrie und Nervenkrankheiten: Deutsch, Alkohol und 
Homosexualität. 


Technik. 

Wolff - Karlsruhe: Eine einfache, neue Bestrahlnngslampe für 
Gleich- und Wechselstrom. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) 

G. Bucky - Berlin: Kombinierte Angenelektrode nnd Angen- 
irrigationsgefäss. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) 

Dünner. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 5. Februar 1913. 

Vorsitzender: Herr Orth. 

Schriftführer: Herr F, Krause. 

Für die Bibliothek ist eingegangen: Von Herrn Ridder: 
F. Kraus und Ridder, Die Erkrankungen der Speiseröhre. 2. Auflage. 
Wien und Leipzig 1913. 

yor der Tagesordnung. 

Hr. Sehönstadt: 

Kontinnitätsresektion des Hamerns wegen Sarkoms, mit Krankenvor- 
stellung, daza Vorlegung zweier anderer Präparate. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

Tagesordnung. 

1. Hr. Ernst R. W. Frank: 

Ueber seltene Verletzungen der Blasenschleimhant. 

Das Lebenswerk Nitze’s ist so sehr unser aller Gemeingut ge¬ 
worden, dass es eines Hinweises auf die Bedeutung desselben heute 
nicht mehr bedarf. Haben wir doch gerade von dieser Stelle aus 
Nitze’s Munde erfahren und gelernt, ein wie bedeutsamer Spiegel die 
Blasenschleimhaut ist für wichtige pathologische Prozesse und inter¬ 
essante klinische Zusammenhänge im Organismus. In diesem Sinne und 
diesem Zusammenhänge bitte ich, Ihnen im Bilde eine Anzahl von 
Läsionen der Blasenschleimhaut vorführen zu dürfen, deren nicht alltäg¬ 
liches Vorkommen Ihre Aufmerksamkeit für kurze Zeit in Anspruch zu 
nehmen berechtigt. , , , 

Indem ich beginne mit einigen Bildern aus £em interessanten. 
Kapitel der Schleimhauterkrankungen <}jds Blasenbodenj, weise ich darauf 
hin, dass nach Ernst Zuckerkandl die A. vesic. inf., entspringend aus 
dem Verzweigungsgebiet der A. hypogastrica, die untere Blasenhälfte 


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17. Februar 1913. 


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versorgt, und dass dieselbe sehr häufig gemeinsam mit der A. haemorrhoid. 
med. bzw. mit der Uterina entspringt. 

Ferner stehen die um das Orific. vesic. besonders reichlich ent¬ 
wickelten Venen der Schleimhaut im Zusammenhang mit denen der 
P. prostatic. urethr. Ausserdem ist die Schleimhaut in der Umgebung 
des inneren Blasenmundes reich an drüsigen Bildungen, teils in Form 
von soliden Epithelzapfen, teils in der von sekrethaltigen Hohlräumen. 
Daneben kommen auch wirkliche Drüsen vor, bestehend aus mit 
Cylinderepithel ausgekleideten Hohlräumen, welche sich zu einem Aus- 
fübrungsgang vereinigen. 

Dies vorausgesetzt, zeige ich Ihnen hier ein Bild des Blasengrundes, 
auf welchem Sie neben einer erheblichen venösen Hyperämie der ver¬ 
dickten Uebergangsfalte eine Reihe erweiterter und strotzend gefüllter 
Gefasse des Blasengrundes erkennen. Solche Zustände sieht man über¬ 
aus häufig bei Personen, welche lange Zeit hindurch missbräuchlich das 
bestehende Urinierbedürfnis gewaltsam unterdrückt haben. 

Eine ganz eigenartige Form der Gefässinjektion zeigt Ihnen das 
nächste Bild: Die Schleimhaut bis zum Lig. interureteric. ist von einem 
überaus feinen Netz injizierterGefässe übersponnen, an rotes Chagrinleder er¬ 
innernd. Solche Bilder habe ich häufig bei Menschen gefunden, welche 
längere Zeit hindurch den Coitus interruptus ausgeübt hatten. Die ge¬ 
machten anatomischen Vorbemerkungen erklären Ihnen ohne weiteres 
den ursächlichen Zusammenhang dieser Zustände. 

Wird die Sohleimhaut des Blasenbodens von infektiösen oder ent¬ 
zündlichen Vorgängen getroffen, so entwickeln sich wiederum ent¬ 
sprechend der anatomischen Grundlage äusserst vielgestaltige Bilder, 
welche zu einer umfangreichen Einteilung des Kapitels „Cystitis“ ge¬ 
führt haben. Dasselbe erfährt eine erhebliche Vereinfachung durch den 
von Orth gewählten, leider in die Urologie noch zu wenig eingeführten 
Begriff der „produktiven Cystitis“. 

Das folgende Bild charakterisiert eine, besonders bei der Frau 
überaus häufige Erkrankung des Blasenausganges. Es ist ein Fall von 
sogenannter proliferierender Cystitis, deren Ursache vielfach auf Adnex- 
«rkrankungen zurückzuführen ist. Dass hier neben der Entzündung die 
Stauung eine Rolle spielt, erkennen Sie an der varicös erweiterten Vene, 
welche sich wie eine Schlange über den Blasenboden windet. 

Auch beim Manne spielen derartige Gefässerweiterungen eine Rolle. 
Sie sehen solche hier, wie sie bei der Prostatahypertrophie eine häufige 
Quelle schwerer Blutungen bilden. 

In manchen Fällen beherrschen die verdickten und vermehrten 
Lymphknötchen das Bild. Solche sehen Sie auf diesem Bilde, das von 
der Blasenschleimhaut eines elfjährigen Mädchens stammt, bei welchem 
Stauungsverhältnisse in der Blase dadurch geschaffen waren, dass ein 
bohnengrosses gestieltes Papillom den Blasenausgang ventilartig ver¬ 
schloss, und in dem folgenden Bilde, in welchem eine Adnexentzündung 
das ursächliche Moment für die Blasenerkrankung bildet, wie Sie das 
auch aus der starken Verziehung und Deformierung des Blasendaches 
erkennen können. 

Bestehen die genannten entzündlich infektiösen Prozesse des Blasen¬ 
bodens längere Zeit hindurch, so können sich zahlreiche papilläre Ver¬ 
änderungen der Schleimhaut entwickeln. Solche zeigt Ihnen in grösserer 
Ausdehnung das nächste Bild. Dieselben haben durch Epithelverdickung 
ein eigentümlich warzenartiges Aussehen erhalten. 

Zu schweren Ernährungsstörungen der Blasenschleimbaut führen in 
unmittelbarer Nachbarschaft der Blase sich abspielende, entzündliche 
und infiltrative Vorgänge. Dabei kommt es zu einem Exsudat, durch 
welches das Schleimhautepithel blasig emporgehoben wird, dem zuerst 
von Kolischer so bezeichneten „Oedema bullosum“. Sie sehen ein 
solches hier veranlasst durch ein kurz vor dem Durchbruch in die Blase 
stehendes Uteruscarcinom. 

Als Pendant dazu zeige ich Ihnen gleichfalls durch schwere Er¬ 
nährungsstörungen bedingte, überaus groteske Veränderungen am männ¬ 
lichen Blasenscheitel, verursacht durch ein soeben durcbgebrochenes 
Darmcarcinom. 

Die Ihnen soeben gezeigten Lymphknötchen, welche zu der Be¬ 
zeichnung der „Cystitis granulosa“ geführt haben, sind häufig irrtüm¬ 
licherweise als Manifestationen der tuberkulösen Erkrankung auf der 
Blasenschleimhaut angesprochen worden. Ich zeige Ihnen deshalb zum 
Vergleich das Bild einer ganz frischen tuberkulösen Erkrankung, eine 
Gruppe kleinster Tuberkeln, von denen einige durch den gelblichen 
Schimmer den käsigen Zerfall verraten, der zum tuberkulösen Geschwür 
fuhrt. Die kleinen Knötchen sitzen endständig an den feinen Gefäss- 
schlingen, so das hämatogene Vordringen dieser Form der Blasentuber- 
kulose deutlich kennzeichnend. Es kann Vorkommen, dass die Luftblase 
sich in vielfache kleinste Bläschen teilt, und solche können, wenn sie, 
wie hier, zufällig über Gefässschlingen sitzen, bei oberflächlicher Be¬ 
trachtung Knötchen Vortäuschen. 

Besteht der Prozess längere Zeit, so kommt es zu dem charakte¬ 
ristischen Geschwürszerfall, welcher häufig der befallenen Schleimhaut 
ein honigwabenartiges Aussehen verleiht. ' 

Auch bei einer anderen Infektionskrankheit ist die hämatogene Ver¬ 
breitung ihrer Erreger gerade auf der Blasensohleiiqhaut überaus schön 
zu erkennen, bei der Syphilis. Sie sehen hier gleichfalls an Gefäss- 
endigungen sitzend charakteristische luetische Schleimhaqtpapeln im 
Beginn ge%öhwürigen Zerfalls. 1 

Das nächste Bild zeigt Ihn&i eih stark zerfalleneis syphilitisches 
Geschwür von deutlich serpiginösem Charakter. Dass beide Fälle (ich 
habe im ganzen sechs solcher beobachtet) duroh den positiven Ausfall 


der Wassermann’schen Reaktion und den rapiden Erfolg der Salvarsan- 
therapie diagnostisch sichergestellt wurden, sei nebenbei erwähnt. 

Aus dem grossen Kapital der Cystitis führe ich Ihnen ein Bild vor, 
das der rein gonorrhoischen Cystitis des Corpus vesicae, welche im 
Gegensatz zur Trippererkrankung des Blasenhalses nach meiner Er¬ 
fahrung als seltene Erkrankung zu bezeichnen ist. Sie sehen ohne 
weiteres das charakteristische inselförmige Auftreten der Entzündungs¬ 
herde im Gegensatz zu der mehr flächenhaften Ausbreitung fast aller 
übrigen Formen des Blasenkatarrhs. Die scharf umschriebenen Fleckchen 
und Pünktchen ergeben ein Bild, welches etwa mit dem der Petechien 
einer Purpura zu vergleichen wäre. Im stark sauren Urin fanden sich 
bakteriell ausschliesslich Gonokokken. % 

Das folgende Bild ist ein typisches Specimen der Einwirkung einer 
im Zeitraum von zwei Jahren fast täglich erfolgten Applikation einer 
starken Höllensteinlösung auf die infolge von schweren Harnröhren- 
strikturen stark veränderte Blasenschleimhaut. Das tief graublaue 
Kolorit zeigt Ihnen, dass es sich um eine Argyrose der Blasenschleimhaut 
handelt. 

Zum Schluss dieser Kategorie von Schleimhautveränderungen noch 
zwei Bilder einer Blasenschleimhauterkrankung, welche bei uns zu den 
seltenen gehört. Sie sehen auf dem einen Bilde eigenartige Inkrustationen 
der verdickten, stellenweise mit feinsten zottigen Granulationen be¬ 
deckten Blasenschleimhaut, hervorgerufen durch die Eier des Distomum 
haematobium. Es ist das typische Bild der „Sandybladder“. An ein¬ 
zelnen Stellen haben dieselben zur Bildung von hahnenkammartigen 
Excrescenzen von breit aufsitzenden Tuberositäten und Knötchen ge¬ 
führt, aus welchen sich, wie Sie sehen, kleine Geschwülste entwickelt 
haben. 

Die nächste Abbildung zeigt Ihnen dann in einem weiteren Stadium 
die charakteristische Tumorbildung der Bilbarziakrankheit. 

Als Uebergang zu den traumatischen Verletzungen der Blasen¬ 
schleimhaut zeige ich Ihnen ein Bild, welches uns älteren Kystoskopikern 
als Ulcus kystoscopicum wohl bekannt war aus der Zeit, in der die so¬ 
genannten „kalten Lampen* 5 noch nicht existierten. Stoeckel hat diese 
Form, welche man häufig in kystoskopischen Kursen zu sehen Gelegen¬ 
heit hatte, nicht mit Unrecht als Testimonium paupertatis für die 
Untersuchungstechnik bezeichnet. Charakteristisch für die Geschwüre 
ist ihr Vorkommen auf völlig intakter Blasenschleimhaut. Die Geschwürs¬ 
fläche ist mit einem festhaftenden weissen Brandschorf bedeckt. In ihrer 
Umgebung ist die Schleimhaut leicht ödematös. Die kleine Stelle zeigt 
Ihnen deutlich das Abbild der mit unverständiger Energie in die Blasen¬ 
schleimhaut hineingedrückten Kystoskoplampe. 

Das folgende Bild zeigt Ihnen eine seltene Form des Blasen¬ 
geschwürs, welche von Nitze als „Cystitis totalis circumscripta“ be¬ 
zeichnet worden ist, charakterisiert durch wenig ausgedehnte, aber fast 
die ganze Blasen wand durchsetzende scharfrandige Geschwürchen mit 
meist schiefriggrauem torpiden Grunde und einer eigenartig geröteten 
Umgebung, die aussieht wie mit rotem chinesischen Lack bestrichen. 
Typisch ist auch die Ausheilung mit Narbensträngen, deren Ausdehnung 
im Verhältnis zu den Geschwürchen eine sehr beträchtliche ist. Die 
fast ausschliesslich traumatische Aetiologie konnte ich auch in meinem 
Falle feststellen. 

Das folgende Bild zeigt Ihnen einen eigenartigen Befund bei einem 
Manne von 52 Jahron, welcher mich wegen Blasenblutungen aufsuchte. 
Anamnestisch war nichts von ihm zu ermitteln. Ich fand dann bei der 
kystoskopischen Untersuchung dieses tiefe Geschwür mit aufgeworfenen 
Rändern, dessen mit gangränösen Fetzen bedeckter Grund und dessen 
stark ödematöse Umgebung mir den Verdacht einer krebsigen Neu¬ 
bildung erweckten. Derselbe wurde allerdings hinfällig, als unter ge¬ 
eigneter Spülbehandlung der Prozess vollständig ausheilte. Mehrere 
Monate darauf ersohien der Patient wiederum mit dem Zeichen einer 
frischen Blasenblutung, für die er auch diesmal einen Grund nicht zu 
kennen behauptete. Ich fand nun unterhalb der rechten Harnleiter¬ 
mündung dieses kleine, scharfrandige Geschwürchen mit anhaftendem 
Schorf und oberhalb der Mündung des linken Harnleiters diese eigen¬ 
artigen, petechienähnlichen Fleckchen, während die übrige Blasen¬ 
schleimhaut völlig intakt war. Mehrfache Untersuchungen führten mich 
zu dem Verdacht, besonders da die Läsionen in der Umgebung der 
Harnröhrenachse lagen, es könne sich um Verletzungen durch per 
urethram eingeführte spitze Gegenstände handeln. Als ich dies dem 
Patienten auf den Kopf zusagte, gestand er sehr betroffen derartige 
Manipulationen ein. Die weitere Untersuchung stellte fest, dass es sich 
um einen sadistisch veranlagten Menschen handelte, welcher sich zu 
onanistischen Zwecken spitze Holzstäbchen eingeführt hatte. 

Zum Schluss zeige ich Ihnen einige Bilder, welche ätiologisch zu 
der gleichen Gruppe gehören. 

Der erste dieser Fälle betraf ein 20 Jahre altes Hausmädchen, 
welches wegen einer Cystitis mit terminaler Hämaturie im städtischen 
Krankenhause in der Gitschiner Strasse aufgenommen worden war. Von 
Herrn Kollegen Bleichröder um eine kystoskopische Untersuchung 
gebeten, fand ich eigenartig flache, unregelmässige Geschwüre an fast 
symmetrischen Stellen der Blasenschleimhaut, welche in der Umgebung 
derselben stark blutig verfärbt war. Besonders das eine der Geschwürchen 
gewährte fast den Anblick einer klaffenden Risswunde. In der Uiif- 
gebung beider war die Schleitnbat0i cystitisch verändert, und man sah 
eigenartige rote Punkte, kleinen Petechien ähnlich, umgeben von Gefäss¬ 
schlingen. Da das Symptom der terminalen Hämaturie duroh diesen 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 7. 


Befund nicht genügend aufgeklärt war, untersuchte ich die Harnrohre 
mit dem Irrigationsurethroskop und fand die Schleimhaut der Ueber- 
gangsfalte stark hyperämisch geschwollen und eigenartig zerrissen, als 
ob sie von den Zinken eines Kammes verletzt worden wäre. Sie sehen 
in dem Irrigationsstrom unzählige feine Schleimhautfetzen flottieren und 
dazwischen anhaftende kleine Blutgerinnsel. Tuberkulose, Gonorrhöe, 
Lues und andere Infektionen waren anamnestisch auszuschliessen. Als 
einzige Möglichkeit gab die Patientin zu, sich erkältet zu haben. Nach 
dem Grund dieser Erkältung befragt, gab sie an, sich dieselbe nach 
einem sehr heissen Bade zugezogen zu haben. Das veranlasste mich, 
ihr zu sagen, dass dann wohl die Menstruation ausgeblieben war, und 
als sie dies zugab, sagte ich ihr in der Rückerinnerung an den vor 
Jahren beobachteten, Ihnen vorher demonstrierten Fall auf den Kopf zu, 
dass sie sich ein spitzes Instrument selbst eingeführt haben müsse. 
Darauf gestand die Patientin tatsächlich, dass sie durch das mehrfache 
Ausbleiben der Menstruation in die Furcht gesetzt, in anderen Um¬ 
ständen zu sein, in einem Buch aus der Bibliothek ihres Dienstherrn, 
der Arzt war, nachgelesen und sich daraufhin, auf einem Stuhl sitzend, 
eine hölzerne Reihnadel eingeführt habe. Dabei hätte sie dann starke 
Schmerzen gespürt, und als es zu bluten angefangen hätte, habe sie er¬ 
schreckt von weiteren Manipulationen Abstand genommen. Als sie die 
in den nächsten Tagen sich einstellenden, immer stärker werdenden 
Beschwerden nicht mehr ertragen konnte, suchte sie ärztliche Hilfe auf. 

Wie Sie aus den beiden folgenden Abbildungen, die ich ohne 
weitere Beschreibung Ihnen im Bilde vorführe, ersehen, ähneln sich der¬ 
artige Fälle durch ihr charakteristisches Aussehen. Besonders fehlen 
nie die teils durch Holzstäbchen, teils durch Stricknadeln hervor¬ 
gebrachten kleinen Verletzungen. Ich habe 5 Fälle dieser Art mit 
gleicher Aetiologie beobachtet, für welche ich in der Literatur kein 
Analogon gefunden habe, und ich glaube, dass solche Blasenbefunde 
für die forensische Beurteilung von Abtreibungsversuchen von Bedeutung 
sein können. 

2. Hr. D. v. Hansemann: 

Ueber die Aafldsangsfähigkeit von Galleasteiaea. 

Schon Frerichs hatte behauptet, dass Galleusteine in der Gallen¬ 
blase löslich seien. Auf Veranlassung von Naunyn wurden wiederholt 
Versuche aDgestellt, z.B.vonLawes, menschliche Gallensteine in dieGallen- 
Blase von Hunden zu bringen, um dadurch ein Kristallationscentrum für die 
bildung von Gallensteinen abzugeben. Es stellte sich jedoch heraus, 
dass dabei die Gallensteine aufgelöst wurden und verschwanden. 
Naunyn aber und alle folgenden Autoren bis in die neueste Zeit, sind 
der Meinung, dass zwar eine Auflösung von Gallensteinen möglich sei, 
eine solche aber praktisch nicht in Betracht käme, da sie zu selten vor¬ 
komme. Nur Löwy konnte zeigen, dass mit Galle berieselte Gallen¬ 
steine sich auflösen. 

Durch Versuche an Hunden konnte ich zeigen, dass menschliche 
Gallensteine, die operativ in die Gallenblase von Hunden gebracht 
werden, einer ziemlich schnellen Lösung entgegengehen und zwar 10 bis 
15 mg Substanz pro Tag. Alle mit Cholestearin behafteten Gallensteine 
verhalten sich in dieser Beziehung gleichartig. Nur die reinen Pigment¬ 
steine und die sehr seltenen reinen Kalksteine sind vielleicht unlöslich 
in normaler Galle. Ich bin der Ansicht, dass diese durch das Tier¬ 
experiment aufs neue bestätigte Lösung der Gallensteine für die mensch¬ 
liche Pathologie eine erhebliche Rolle spielt und zwar deswegen, weil 
Lösungserscheinungen an menschlichen Gallensteinen sehr viel häufiger 
sind, als von allen Autoren bisher angegeben wurde. Offenbar wurden 
die Lösungsformen der Gallensteine bisher nicht richtig als solche er¬ 
kannt. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie sehr unregelmässige, 
abgerundete oder abgeflachte Formen haben, Dellenbildung bis zur Per¬ 
foration. Auch können Gallensteine, die schon natürliche Spalten in 
ihrem Inneren haben, bei der Auflösung ihrer Randschichten in der 
Gallenblase durchbrechen. Solche durchgebrochenen Gallensteine werden 
ebenfalls nicht selten gefunden. Dass es sich hierbei wirklich um 
Lösungsformen handelt, geht aus zweierlei hervor. Wenn man Schliffe 
von solchen Gallensteinen herstellt, so kann man sehen, dass die Dellen 
an der Oberfläche bis in die tieferen, konzentrischen Schichten des 
Gallensteines hineingehen, während bei nicht gelösten Gallensteinen 
diese Schichten mit der Oberfläche parallel laufen. Natürliche Schliffe 
von Gallensteinen, die durch gegenseitiges Reiben entstehen, kommen 
auch vor und lassen sich von den gelösten Formen sehr leicht unter¬ 
scheiden. Sie führen nicht zu sehr wesentlichen Verkleinerungen der 
Steine. 

Zweitens kann man nachweisen, dass es sich hier um Lösungs¬ 
formen handelt, dadurch, dass man eiförmige Zuckerstücke in grösserer 
Zahl in wenig Wasser auflöst. Dann bekommt man die gleichen 
Lösungsformen, wie an den Gallensteinen, die Dellenbildung, unregel¬ 
mässige Formen, auch platte und solche, die kleine stumpfe Vorsprünge 
an der Oberfläche haben, ebenso, wie man es bei der natürlichen Lösung 
von Gallensteinen auch findet. 

Bei der Häufigkeit solcher in Lösung befindlichen Gallensteine 
muss man der Therapie der Gallensteine mit der Aussicht auf Auf¬ 
lösung derselben optimistischer gegenüberstehen, als dies augenblicklich 
geschieht. Die Indikation zu Operationen wird durch diese Befunde 
nioht tangiert. 

Die Untersuchungen werden ausführlich mit Abbildungen in 
Virchow’s Archiv erscheinen. 


Diskussion. 

Hr. Arthur Fränkel: In dem Schicksal der Gallensteine gibt es 
eine Möglichkeit, die der Auflösung gerade entgegengesetzt ist, nämlich 
die Kalkeinhüllung. Herr v. Hansemann bat schon betont, dass bei 
den kalkhaltigen Gallensteinen die Auflösungsmöglichkeit nicht vorliegt. 
Wenn nun die Feststellungen des Herrn Vortragenden einem gewissen 
Optimismus für diejenige Therapie Raum geben, die auf die Auflösung 
gerichtet ist, so wäre es ein praktischer Fortschritt, wenn wir im lebenden 
Körper die sicher unauflöslichen Gallensteine als sicher unauflöslich 
erkennen könnten. Denn die so ausgesonderten Fälle würden dann von 
vornherein kein Objekt der Lösungstherapie sein können. Ein solches 
Unterscheidungsmittel haben wir; es ist das Röntgenbild. Jeder ge¬ 
wöhnliche Gallenstein besteht zunächst aus organischer Substanz. Die 
Mehrzahl bleibt auch so und ist röntgenologisch nicht darstellbar. WeDn 
aber die Gallenwege auf dem Gallenstein, den sie umschliessen, Ent¬ 
zündungsprodukte ablagern, so kann sich daraus im Wege der regressiven 
Metamorphose um den organischen Kern herum eine Kalkschale bilden. 
Diese Kalkschale ist im Körper unlöslich und gibt bei geeigneter Technik 
einen deutlichen Röntgenscbatten. Jeder mit Röntgenstrahlen 
naebgewiesene Gallenstein ist also ein unlösbarer Gallen¬ 
stein. Da nun der organische Kern des Gallensteins im wesent¬ 
lichen Kugelgestalt hat, und da der Kalkmantel eine Kugelschale dar¬ 
stellt, so erscheint das Röntgenbild eines solchen Gallensteins in der 
Form eines Kranzes. Es finden nämlich die Röntgenstrahlen beim Durch- 
dringen des Steins an der Kugelperipherie mehr Kalkmaterial vor sich 
als beim Durchdringen der Kugelmitte (Zeichnung). Die eigenartige Ent¬ 
stehung des Kalkmantels der Gallensteine bewirkt also ein für Gallen¬ 
stein charakteristisches Röntgenbild (Projektion). Wir haben dem¬ 
nach in der Röntgenuntersuchung ein differenzialdiagnostisches Hilfsmittel 
für die Concremente der rechten Oberbauchgegend und, was im heutigen 
Zusammenhänge wichtiger ist, ein Erkennungsmittel für sicher unlösliche 
Gallensteine. 

Hr. Kraus: Wir besitzen in der inneren Medizin leider keine 
Mittel, die* Gallensekretion des kranken Menschen therapeutisch plan- 
mässig zu steigern und gerade in der Hinsicht normal zu machen, dass 
die Bildung der Cholesterinsteine unmöglich würde oder deren 
Lösung mit angebbarer Sicherheit resultieren müsste. Die Beeinflussung 
der Infektion der Gallenwege gehört auf ein anderes Gebiet. Solange 
wir die Lösung der Concremente (Cholesterin) den von Herrn v. Hanse¬ 
mann dargelegten, praktisch allerdings hoffnungerweckenden, natür¬ 
lichen Bedingungen zu überlassen genötigt sind, wird, fürchte ich, die 
chirurgische Behandlung sehr oft maassgebend bleiben. 

Hr. v. Hanse mann (Schlusswort): Ich habe nur wenige Worte 
hinzuzufügen: Als den Schwerpunkt meiner Auseinandersetzungen be¬ 
trachte ich nicht, dass ich die Tierversuche nachgemacht habe, die be¬ 
stätigten, dass sich Gallensteine auflösen, auch nicht, dass ich zeigen 
konnte, dass es sich wirklich um Lösungsformen handelt, sondern der 
Schwerpunkt liegt für mich darin, dass diese Lösungsformen so überaus 
häufig sind, dass es also ein Irrtum ist, wenn man annimmt, die Wieder¬ 
herstellung des guten Gallcnflusses sei schwer zu erreichen. Ich glaube, 
das ist eine Täuschung. Denn es kommt bei Leuten, die vielleicht gar 
nicht behandelt sind, so häufig vor, dass Gallensteine tatsächlich in 
Lösung übergehen, dass man das sicherlich durch Kunsthilfe auch erreichen 
muss. Ich bitte, dass Sie alle, die Sie Gelegenheit haben, Gallensteine 
zu sehen, doch einmal darauf achten, wie häufig das in Wirklichkeit 
vorkommt. 


Laryngologtache Gesellschaft za Berlin. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 13. Dezembor 1912. 

Vorsitzender: Herr Killian. 

Schriftführer: Herr Grabow er. 

Vor der Tagesordnung. 

Antrag des Herrn A. Kuttner: Die Gesellschaft wolle folgende 
Abänderung der Geschäftsordnung beschliessen: „Bei Demonstrationen 
und in der Diskussion zu Demonstrationen und Vorträgen dürfen die 
Redner die Zeit von 5 Minuten nicht überschreiten.* 

Der Antrag wird nach kurzer Begründung durch den Antragsteller 
angenommen. 

Eingegangen ist ein Dankschreiben des Komitees für Errichtung 
eines Robert-Koch-Denkmals für die dem Komitee überwiesene Spende. 

Demonstrationen. 

1. Hr. Hölseher: M. H.! Ich möchte mir erlauben, Ihnen einen 
Fall von Kehlkopftnberkiilose vorzustellen, der dadurch ein besonderes 
Interesse gewinnen dürfte, dass er mit den Friedmann’schen In¬ 
jektionen, über die in der letzten Zeit in der medizinischen Gesell¬ 
schaft mehrfach verhandelt worden ist, behandelt wurde. Der Patient 
litt seit einer Reihe von Jahren an Lungenkatarrh und war deswegen 
im Jahre 1905 in der Lungenheilstätte Grabowsee. Dann is^ es ihm 
längere Zeit gut gegangen. Vor fünf Jahren hat er T sich wieder er¬ 
kältet, und im Anschluss daran traten Erscheinungen seitens des Kehl¬ 
kopfes auf. Der Zustand verschlechterte sich ohne Behandlung bei ihm 
rasch. Am 11. November v. J. kam er dann in die Behandlung eines 


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17. Februar 1913. 


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hiesigen Spezialkollegen, der ihn am 8. Februar 1912 zum erstenmal 
mit dem Friedmann’sehen Mittel behandeln Hess. Nach der Angabe des 
Patienten seien auf diese erste Einspritzung vorübergehende subjektive 
Besserungen des Zustandes eingetreten. Eine zweite Injektion wurde am 
20. April d. J. gemacht. Nach dieser Injektion will er keine Besserung, 
sondern eine erhebliche Verschlechterung verspürt haben; insbesondere 
seien Atembeschwerden und Luftbeklemmungen bei ihm aufgetreten. 

Der Patient wurde mir am 26. September zugewiesen. Der Kehl¬ 
kopfbefund war damals: erhebliche Schwellung der linken Keblkopfseite, 
die die linke Stimmlippe vollständig verdeckte. Die linke Kehlkopfseite 
stand vollständig unbeweglich; die Schleimhaut zeigte über der Ary- 
gegend keine Ulceration, sie sah etwas uneben und höckrig aus, so dass 
ich beim ersten Anblick des Patienten glaubte, es bandle sich bei ihm 
um einen malignen Tumor, um ein Carcinom. Die rechte Keblkopfseite 
war beweglich, die Schleimhaut über der Arygegend und über der 
Taschenfalte zeigte eine massige Rötung und Infiltration; an der Stimm¬ 
lippe waren einige Ulcerationen und Granulationen zu erkennen. Es 
bestand hochgradige Atemnot. Am 28. September machte ich in der 
Nord-West-Klinik einen grösseren operativen Eingriff in Schwebelage. 
Ich entfernte die Granulationen auf der rechten Stimmlippe und kratzte 
die Ulcerationen aus. Auf der Schwebe sah man auch, wie der Kehl¬ 
kopf etwas auseinander gedrückt wurde, dass die linke Stimmlippe von 
ausgedehnten typischen tuberkulösen Ulcerationen und Granulationen 
eingenommen war. Es wurde die ganze Masse entfernt. Da ich, wie 
vorhin erwähnt, bei der Spiegeluntersuchung den Verdacht auf eine 
maligne Neubildung gehabt hatte, übergab ich das gesamte entfernte 
Material dem pathologischen Institut zur Untersuchung. Dort wurde ein 
maligner Tumor ausgeschlossen und erklärt, dass man eine absolut 
sichere Diagnose auf Tuberkulose stellen könne. Der Lungenbefund war 
nach der Mitteilung der ersten medizinischen Klinik: diffusses bronchi- 
tisches rauhes Atmen, besonders über dem Oberlappen, keine Dämpfung, 
keine Rasselgeräusche. Nach dem verhältnissmässig ziemlich grossen 
Eingriff ging es dem Patienten recht gut. Er bekam bedeutend besser 
Luft und konnte nach etwa 8 Tagen aus der Klinik entlassen werden. 
Ich bekam ihn dann wieder Ende Oktober zu sehen. Der Zustand hatte 
sich in der Zwischenzeit wieder erheblich verschlechtert. Die Schwel¬ 
lungen waren besonders auf der linken Seite stärker geworden, so dass 
die Atmung durch den Kehlkopf nahezu unmöglich geworden war. Ich 
machte deshalb am 29. Oktober eine Tracheotomie. Diese hat bis jetzt 
bei dem Patienten einen sehr guten Einfluss gehabt; er hat sich 
wesentlich erholt und sieht weit besser aus. Er hat noch etwas Schluck¬ 
beschwerden, und zeitweise klagt er noch über spontan auftretende 
Schmerzen im Kehlkopf. (Demonstration des Patienten.) Er atmet jetzt 
durch seine Kanüle recht gut; er hat gelernt, sie sich zuzuhalten, und 
spricht dann auch ganz deutlich. Wer den Patienten vor dem Eingriff 
gesehen hat und ihn jetzt sieht, wird überrascht sein über den günstigen 
Erfolg, den der verhältnismässig einfache Eingriff hier gehabt hat. Der 
örtliche Befund im Kehlkopf zeigte noch keine wesentliche Besserung, 
insofern die Schwellung noch nicht zurückgegangen ist und die linke 
Seite noch unbeweglich ist. Ulcerationen und Granulationen sind da¬ 
gegen zur Zeit nicht mehr vorhanden. 

Ich habe den Patienten deshalb hier vorgestellt, um zu zeigen, dass 
die Behandlung mit den Friedmann’schen Injektionen in diesem Falle 
eigentlich vollständig wirkungslos geblieben ist, und dass wir uns bei der 
Kehlkopftuberkulose noch nicht auf eine Heilung durch das neue Mittel 
verlassen können. 

2. Hr. Halle: M. H.! Das junge 19 jährige Mädchen, das ich mir 
erlaube. Ihnen vorzustellen, wurde am 27. Oktober von mir wegen eines 
Uberknldsen Infiltrats and Ulcus an der hinteren Larynxwand 
operiert. Es wurde mit der Landgraf-Krause’schen Curette nur ziemlich 
oberflächlich das nicht tiefgreifende Infiltrat entfernt und die Wundfläche 
mit dem Galvanokauter an verschiedenen Stellen kauterisiert. Die 
Diagnose des Infiltrats und Ulcus auf Tuberkulose ist durch mikro¬ 
skopische Untersuchung sichergestellt. Patientin ging es anfangs sehr 
gut Aber ungefähr drei Wochen nach der Operation traten Erschei¬ 
nungen einer scheinbaren doppelseitigen Posticusparalyse auf. Beide 
Stimmbänder waren absolut einander genähert, bewegten sich nicht, 
auch nicht bei vertiefter Atmung, die Patientin atmete stark stridorös. 
Der Zustand wurde durch die Borkenbildung, die schon vorher be¬ 
standen batte, verschlimmert, so dass man unbedingt vor der Frage 
einer Tracheotomie stand. Diese wurde verweigert. Wir behandelten 
die Patienten längere Zeit mit Inhalationen, Jod innerlich, Lugol usw.; 
ich habe sie auch lange elektrisiert — alles ohne Erfolg. Sie wurde 
dann von der Mutter nach Hause genommen und mir am 19. Juni d. J. 
in einem elenden Zustande wiedergebracht; sie machte den Eindruck 
eines Menschen, der an Lufthunger in kurzer Zeit zugrunde zu gehen 
droht. An Tracheotomie war in dem Moment kaum zu denken, weil 
man den Verlust jedes Blutstropfens fürchten musste. Um sie vor Er¬ 
stickung zu bewahren, führte ich eine grosse O’Dwyer’sche Kanüle ein, 
die ich 8 Tage liegen Hess. Patientin erholte sich langsam. Als ich 
zum ersten Male die Kanüle entfernte, sah ich mit einiger Uebcrraschung, 
dass die Stimmbänder etwas auseinander gewichen waren und in dieser 
Stelluog stehen blieben. Nun versuchte ich, mit Schrötter’schen Bougies 
die Stimmbänder weiter auseinander zu drängen, allerdings mit massigem 
Erfolg. Jedoch genügt der mässige Spalt, der seit Monaten sich 
nicht verengt bat, der Patientin zur Atmung vollständig, wenn sie sich 
nicht überanstrengt, und sie hat sich seither glänzend erholt. Man 


braucht zur Zeit wohl kaum zu befürchten, dass die Glottis sich soweit 
schliessen wird, dass ein gefahrdrohender Zustand heraufbeschworen wird, 
und kann sie deshalb aus der Beobachtung entlassen. 

Ich möchte Sie bitten, den Fall anzusehen. 

Diskussion. 

Hr. Schötz: Eine Posticusparalyse kann meines Erachtens hier 
gar nicht in Frage kommen. Wenn man aber die hintere Larynxwand 
sehr tief curettiert und die Wunde nachher noch kräftig brennt, so 
entsteht natürlich eine konstringierende Narbe, die wohl dazu an¬ 
getan ist, die Stimmbänder in Adduktion zu bringen. 

Hr. Grabe wer: Der Fall ist meines Erachtens so zu erklären, 
dass nach dem Curettement und der Galvanokaustik der hinteren Larynx¬ 
wand sich daselbst ein Entzündungsherd gebildet, welcher sich nach 
beiden Cricoarytenoidgelenken fortgesetzt und dort durch ein um die 
Basis der Aryknorpel gesetztes Exsudat eine Ankylose der Arygelenke 
mit consecutiver Medianstellung der Stimmlippen bewirkt hat. Man sieht 
auch die Basis der Aryknorpel in ihrer ganzen Circumferenz stark ge¬ 
schwellt. 

8. Hr. Killian: Ich wollte Ihnen kurz einen Patienten vorstellen, 
bei dem ich den Schnitt ausführte, von dem Herr Wagner in der letzten 
Sitzung gesprochen hat. Die Operation ist zehn Tage her, die Haut¬ 
wunde ist primär geheilt. (Demonstration.) Der Patient hatte zehn 
Jahre lang an Nasenpolypen gelitten, auf Grund von chronischen Neben¬ 
höhlenkatarrhen, und ist vielfach operiert worden. In letzter Zeit hat 
sich in der rechten Nase ein maligner Tumor eingestellt. Die mikro¬ 
skopische Untersuchung ergab, dass es sich um ein Carcinom handelte. 
Es war notwendig, radikal vorzugehen. Da eine genaue Untersuchung 
ergab, dass der Tumor hauptsächlich in der Siebbeingegend sass, konnte 
man von einer totalen Resektion des Oberkiefers Abstand nehmen. Es 
schien zweckmässiger, unter Benutzung der erwähnten Schnittführung 
die Wange nach aussen zu klappen, den Bulbus nach der Seite zu ziehen 
und das ganze erkrankte Gebiet zu exstirpieren. 

So bin ich denn auch vorgegangen. Der Schnitt wurde wie bei meiner 
Stirnhöhlenoperation innerhalb der Augenbraue begonnen, im Bogen an 
der Nasenseite nach abwärts und dann um den Nasenflügel herum und 
durch die Mitte der Oberlippe geführt. Dann wurde die Oberlippe mit¬ 
samt der Wange nach aussen geklappt, wobei natürlich die Mundschleim¬ 
haut durchschnitten werden musste. Wir hatten danach das ganze Ge¬ 
biet der Oberkieferhöhle, der Siebbeinzellen und der Stirnhöhle frei vor 
uns. Nun wurde nach Denker von dem Rande der Aperturapyriformis 
aus mit der Knochenzange aufgebrochen. Im medialen Teil des Antrum 
maxillare fand sich Tumor, im lateralen nur ödematöse chronisch ent 
zündete Schleimhaut. Dann ging ich auf das Siebbein über, entfernte 
dieses ganz mitsamt der Lamina papyracea, nachdem die Periorbita ab¬ 
geschoben war. Es zeigte sich, dass der Tumor nicht bis an die Schädel¬ 
basis reichte. Wir hatten oben überall die Sieb beinzellen nur angefüllt 
mit ödematöser Schleimhaut. Nun ging ich auf die Stirnhöhle ein vom 
Stirnhöhlenboden aus. Es zeigte sich, dass die Stirnhöhle sehr gross 
war; sie erstreckte sich noch bis weit auf die linke Seite hinüber. 
Auch sie war nur mit ödematöser Schleimhaut ausgekleidet. Aus 
der temporalen Bucht kam ein ganzer Schuss Eiter. Ich musste 
eine Spange bilden und die vordere Stirnhöhlenwand resezieren. Dann 
konnte der Tumor mit dem scharfen Löffel herausgehoben werden. Als 
er entfernt war, zeigte sich, dass auch der obere Teil der Nasen¬ 
scheidewand befallen war, welcher der Siebbeingegend entsprechend 
nach oben hin bis dicht an die Lamina cribrosa ging und von dem 
Tumor sogar nach der anderen Seite hinübergewachsen war. Nun 
wissen Sie, dass dies eine gefährliche Gegend ist: alle Olfaktoresäste 
haben weite, mit dem Subduralraum kommunizierende Lymphscheiden, 
welche leicht infiziert werden und dann Meningitis herbeiführen. Man 
musste auch hier mit dieser Möglichkeit rechnen, denn es war Infektions¬ 
material und Eiter genug vorhanden. Wir haben deswegen die ganze 
Wunde zunächst mit Wasserstoffsuperoxyd mehrfach gründlich desinfiziert, 
dann das Operationsgebiet am Septum mit Jodtinktur bepinselt und 
möglichst radikal alles an der Schädelbasis abgeschnitten. Dann wurde 
das ganze Gebiet der Lamina cribrosa noch einmal mit Jodtinktur be¬ 
strichen und sorgfältig abtamponiert. Dass das nützlich war, sehen Sie: 
Der Patient hat keine Meningitis bekommen. Die Heilung nimmt einen 
regulären Verlauf. 

4. Hr. West: Demonstration zweier Patieatinaen, denei der 
Tränensack operiert worden ist. Eine ist jetzt über ein Jahr geheilt 
geblieben. Ein Beweis dafür, dass der Fluorescinversuch positiv ist. 

Bei der zweiten Patientin wurden gestern in einer Sitzung die Scheide¬ 
wand reseziert und beide Tränensäcke eröffnet. Wie mansehen kann, 
ist die Operation ohne Reaktion verlaufen. 

Tagesordnung. 

Hr. Halle: 

Die Tonsillenexstirpation, ihre Gefahren und deren Bekämpfung. 

Die Tonsillenexstirpation ist seit einer Reihe von Jahren in den 
Vordergrund des Interesses getreten. Es gibt eine grosse Reihe von 
Autoren, die sie prinzipiell ausfübren, andere verlangen strikte Indika¬ 
tionen dafür, noch andere behaupten, immer mit konservativen Methoden 
auskommen zu können. Die prinzipielle Operation ist durchaus abzu¬ 
lehnen. Denn wenn man auch nach Entfernung der Tonsille keine greif¬ 
baren Ausfallserscheinungen nachweisen kann, so steht es doch ausser 
Zweifel, dass der Tonsille eine nicht unwesentliche, allerdings noch 


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322 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 7. 


nicht sicher festgestellte physiologische Aufgabe zufällt. Anderseits ist 
durch zahlreiche klinische Beobachtungen und pathologisch-anatomisehe 
Untersuchungen als bewiesen anzunehmeD, dass eine Reibe ernster All- 
gemeinerkrankungen von den Tonsillenaffektionen ihren AusgaDg nehmen 
können. Durch konservative Behandlung ist man jedoch nicht imstande, 
diese Krankheiten zu heilen oder wenigstens Recidive zu verhindern. 
Deswegen muss für viele Fälle eine Exstirpation der Tonsille als wohl 
indizierter Eingriff gelten. 

Für die Operation wird eine grosse Anzahl von Methoden empfohlen. 
Vortr. hat alle wesentlichen durcbgeprobt. Er hält für die besten die¬ 
jenigen, welche möglichst schnell und sicher zu operieren gestatten und 
keine grossen Reaktionen hervorrufen. Von diesem Standpunkt hat sich 
ihm am besten die Methode nach West bewährt und eine vom Vortr. 
selbst seit Jahren erprobte, die er kurz beschreibt. 

In den sehr seltenen Fällen, wo eine Exstirpation bei Kindern an¬ 
gezeigt ist, bewährte sich als einfachstes und bestes Verfahren das 
nach Sluder. 

Eingehend bespricht Vortr. dann die Gefahren, die aus der immer 
als nicht gleichgültigen Eingriff zu betrachtenden Operation erwachsen 
können. Verletzungen der Gaumenbögen können ernste Beschwerden 
veranlassen und müssen durchaus vermieden werden. 

Die erheblichste Gefahr geht von Blutungen bei der Operation und 
von Nachblutungen aus. Wiederholt sind Todesfälle beobachtet worden. 
Vortr. selbst sah auch bei scheinbar geringer, unbemerkter Nachblutung 
sehr ernste Gefahr entstehen. Er verlangte deswegen aufs nachdrück¬ 
lichste, dass man sich nie auf Stillung der Blutung durch Tamponade 
verlassen dürfe. Vielmehr müsse jede blutende Stelle mit langen 
Anterienklemmen gefasst und durch Torsion gestillt werden. Eine Um¬ 
stechung hat er nie nötig gehabt. Die hauptsächlichsten Blutungen 
kommen am oberen Pol, in der Mitte der Wunde und an der hinteren 
Wand des Arcus palatoglossus vor. Diese müssen deswegen durch Vor¬ 
ziehen ganz sichtbar gemacht werden. 

Fernerhin wird die Gefahr der Wundinfektion und deren Verhütung 
besprochen. 

Zum Schluss betont Vortr., es stehe unzweifelhaft fest, dass die 
Tonsillenexstirpation einen segensreichen Eingriff vorstellen könne. Doch 
erwartet er, dass die Berliner laryngologische Gesellschaft warnend ihre 
Stimme erhebe sowohl gegen die prinzipielle als auch gegen die nicht 
indizierte Tonsillenexstirpation. 

(Erscheint ausführlich in der Deutschen med. Wochenschrift.) 

Auf Vorschlag des Vorsitzenden wird die Diskussion nach drei 
Gesichtspunkten getrennt: 1. Indikation und Kontraindikation, 2. Me¬ 
thodik, 3. Gefahren. 

1. Indikation und Kontraindikation. 

Hr. M. Senator: Wenn immer gesagt wird, dass bis jetzt von der 
Totalexstirpation keine Nachteile gesehen worden und die Patienten voll¬ 
kommen bei Wohlbefinden geblieben sind, so möchte ich demgegenüber 
doch das Bedenken aussprechen, ob die Zeit der Beobachtung bisher 
ausgereicht hat. Die Tonsillenexstirpation ist doch erst jüngeren Datums, 
und unsere Beobachtungen reichen nur über wenige Jahre. Jedenfalls 
ist das, was Herr Halle gesagt hat, dass die Tonsillen irgendeine 
Funktion haben müssen, ein vollkommen berechtigter Standpunkt. 

Dass man die Tonsillen, wenn sie total vereitert oder septisch er¬ 
krankt sind, zugunsten des Allgemeinzustandes opfern muss, wobei man 
namentlich Rheumatismus, septische Infektion im Auge hat, ist als 
Grundsatz einleuchtend, und auch ich bekenne mich dazu. Ich meine 
aber, man kann diese Frage nicht ohne das Urteil der inneren Mediziner 
entscheiden. Interessant war es mir daher, als ich Anfang dieses Jahres 
im hiesigen Verein für innere Medizin einen Vortrag 1 ) über ein ähnliches 
Thema, über Rheumatismus in ätiologischer Beziehung zur Nase, hielt, 
dass in der Diskussion auch die Frage der Tonsillenexstirpation gestreift 
wurde, und dass sich überraschenderweise sämtliche inneren Kliniker 
der Totalexstirpation gegenüber ablehnend verhielten. Uebereinstiramend 
begründeten sie diesen Standpunkt damit, dass sie keinen Erfolg gesehen 
hatten; einzelne hatten sogar von der Tonsillenexstirpation eine Ver¬ 
schlimmerung des Allgemeinleidens beobachtet. Die Angaben müssen 
hingenommen werden, eine Möglichkeit der Nachprüfung ist uns nicht 
gegeben, die Herren haben auch ihre Ansicht nur im allgemeinen be¬ 
gründet. Wir können aber jedenfalls nur durch ein Handinhandgehen 
mit den inneren Medizinern die Frage lösen. 

Hr. Hölscher: Ich kann mich der Auffassung des Herrn Halle, 
dass die Tonsillektomie ein erheblicher Eingriff ist, dessen Indikation in 
jedem einzelnen Falle sorgfältig gestellt werden muss, nur anschliessen. 

Was das Verhalten der inneren Kliniker zu der Frage der Tonsill¬ 
ektomie betrifft, so möchte ich bemerken, dass, soviel ich weiss, eine 
grosse Anzahl von inneren Klinikern auf dem Standpunkt steht, dass 
man die Tonsillektomie machen soll. Ich erinnere mich z. B. daran, 
dass mir während meiner Tätigkeit in Ulm von inneren Klinikern Fälle 
zur Tonsillektomie zugewiesen wurden, und dass bei diesen, die schon 
ziemlich laDge zurückliegen, der Erfolg in bezug auf das Allgemeinleiden, 
dessentwegen der Eingriff gemacht wurde, sehr zufriedenstellend war. 

Man soll selbstverständlich für den einzelnen Fall auch mit der 
Prognose etwas vorsichtig sein. 


1) Deutsche med. Wochensohr., 1912, Nr. 9, oder Verhandl. d. Vereins 
f. innere Med., 1911/12, Jahrg. 31. 


Hr. Levy: Was die recidivierende Peritonsillitis betrifft, so möchte 
ich aus meiner persönlichen Erfahrung erklären, dass ich dafür die totale 
Tonsillektomie nicht für erforderlich halte. Wir wissen doch alle, dass 
in diesen Fällen die Infektion gewöhnlich von der Fossa supratonsillaris 
ausgeht. Mir bat sich in solchen Fällen immer die Entfernung des oberen 
Lappens vollständig bewährt, ich habe nie nötig gehabt, die ganze Ton¬ 
sille zu entfernen. 

Hr. Sobernheim: Ich wollte nur betonen, dass mir die Indikations¬ 
stellung bei der Nephritis eigentlich immer zweifelhaft erschienen ist und 
auch heute noch so erscheint. Wenn die Infektion, die zu einer Nephritis 
geführt bat, von der Tonsille ausgegangen ist, dann wird die Nephritis 
nicht dadurch heil werden, dass man die Tonsille entfernt, und sollte 
die Nephritis zur Heilung gekommen sein, dann besteht noch lange 
keine Indikation für eine so eingreifende, etwa vorbeugende Operation. 
Bei der chronischen Nephritis scheint mir der sichere Beweis bisher 
nicht erbracht zu sein, dass Exacerbationen durch das Bestehen oder 
die Verschlimmerung einer chronischeu Tonsillitis bedingt sind. 

Hr. Hölscher: Noch einige Worte zu der eben gehörten Ein¬ 
schränkung der Indikation. Ich erinnere mich eines Falles aus meiner 
früheren Privatpraxis: Eine Dame, die häufig an recidivierender peri- 
tonsillitischer Entzündung und Tonsillitiden litt, die in allen möglichen 
Bädern gewesen war, jahrelang behandelt worden war, entschloss sich 
endlich, die Tonsillektomie machen zu lassen. Es fand sich zwischen 
der Tonsille und dem umgebenden Gewebe auf beiden Seiten ein Abscess 
von erheblicher Ausdehnung. Eine Heilung war in solchem Falle nur 
möglich durch gänzliche Entfernung, durch Tonsillektomie. Derartige 
Beobachtungen habe ich mehrfach gemacht. 

Hr. Schötz: Ich möchte Herrn Hölscher fragen, weshalb eine 
Heilung da nur möglich war durch vollständige Entfernung der Tonsille? 
Ich habe neulich einen ganz ähnlichen Fall geheilt durch einfaches 
breites Aufschlitzen des Abscesses mit dem Mandelschlitzer. (Herr 
Hölscher: Er sass ganz in der Tiefe!) Der meine auch. 

Hr. Hölscher: Aussen war gar nichts zu merken, was auf das 
Vorhandensein eines Abscesses hindeutete. In dem Falle, den ich eben 
erwähnte, wäre es also gar nicht möglich gewesen, die Stelle des 
Abscesses zu finden, wenn man Dicht die Tonsillektomie gemacht hätte. 

Hr. Schötz: Genau so ist es mir gegangen. Trotzdem absolut 
nichts Besonderes zu sehen war, klagte Patient, ein kräftiger jünger 
Mann, über fortdauernde heftige Schmerzen in der linken Mandelgegend. 
Ich suchte nach Concrementen und fiel dabei ganz in der Tiefe zwischen 
Mandel und vorderem Gaumenbogen in einen ansehnlichen Abscess, der 
sich durch keine Rötung usw. verraten hatte. Ich erweiterte die Oeffnung, 
und bald war Patient geheilt. Warum soll denn auch ein Abscess nicht 
heileD, wenn man ihn weit eröffnet? 

Hr. Hölscher: Ich glaube sehr gern, dass in einem solchen Falle 
der Abscess heilt; aber es scheint mir Zufall zu sein, dass man gerade 
in einen derartigen Abscess hineinkommt, der verhältnismässig klein 
ist. Um solchen Abscess zu suchen, müsste man doch die Mandeln 
nach allen möglichen Richtungen durchstechen, um den Herd nachher 
doch nicht zu finden. 

Hr. Wagen er: Das Auftreten von Peritonsillitiden ist ganz sicher 
nicht in eine Linie zu stellen mit dem Auftreten von Gelenkrheumatis¬ 
mus und ähnlichen Erkrankungen. Das Auftreten von Peritonsillitiden 
wird mit grosser Sicherheit durch eine Tonsillenexstirpation zu verhüten 
sein. Wir wissen aber durch pathologisch-anatomische Untersuchungen, 
dass nicht allein die Tonsillen die Aufnahmestellen bilden für die 
Bakterien, die z. B. den Gelenkrheumatismus hervorrufen, sondern dass 
es in genau der gleichen Weise die Rachenmandel ist, der ganze lym¬ 
phatische Rachenring. Wir können also gar nicht von vornherein die 
Forderung stellen und dem Patienten versprechen, durch die Tonsill¬ 
ektomie das Wiederauftreten dieser Erkrankung zu verhindern. Nur für 
Peritonsillitiden können wir eine gewisse Garantie übernehmen. 

Hr. Levy: Ich wollte nur zur Klarstellung bemerken, dass ich für 
manche Fälle von recidivierender Peritonsillitis die Berechtigung der 
totalen Tonsillektomie wohl anerkenne, nur muss man nicht wahllos in 
allen Fällen die ganze Tonsille wegnehmen. Wenn man den oberen 
Pol als Ausgangspunkt erkennt, wenn man die Pfropfe auch nachher 
noch nachweisen kann, so ist es doch genügend, wenn man den Sitz 
des eigentlichen Krankheitsherdes beseitigt; da haben wir nicht nötig, 
die ganze Tonsille herauszunehmen. 

Hr. Killian: Zunächst möchte ich mit Genugtuung konstatieren 
dass man sich bei uns betrebt, nur nach strenger Indikationsstelluog 
an diese Operation heranzugehen. Wenn man es wie ich im Auslande 
gesehen hat, wie weit man kommt, wenn die strenge Indikationsstelluog 
aufhört, freut man sich doppelt darüber, dass bei uns noch gewissen¬ 
haftes Abwägen Geltung hat. Ich habe draussen tatsächlich sagen 
hören: die Tonsillen sind schädlich, deswegen müssen sie heraus. 
Danach müsste jeder Mensch operiert werden. Ich möchte die Herren 
dazu anregeD, dass Sie alle helfen, eine gute wissenschaftliche Basis für 
die Indikationsstellung der Tonsillektomie zu schaffen, indem Sie Ihre 
Krankengeschichten recht genau führen, die Anamnesen genau erbeben 
und kritisch naebprüfen, dann Arbeiten veröffentlichen, in denen in 
ganz kurzer Form recht viele Krankengeschichten enthalten sind. Bei 
den Diskussionen fällt mir immer auf, dass mehr im allgemeinen ge¬ 
sprochen wird; auch bei den Arbeiten, die wir lesen, ist es meist so. 


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17. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


323 


Mao mochte mehr wissenschaftliches Beweismaterial zu sehen bekommen. 
Auf diesem sollen sich unsere Schlüsse aufbauen. 

2. Methodik. 

Hr. Hölscher: Ich darf mit wenigen Worten auseinandersetzen, 
wie ich mir allmählich auch eine Methode für die Tonsillektomie ge¬ 
macht habe. Ich operiere fast immer in Lokalanästhesie ( l / 2 proz. Novo- 
cainiösuDg mit Suprarenin) und vermeide nach Möglichkeit auch heute 
noch in der Tiefe scharfe Instrumente. Ich ziehe die Tonsille möglichst 
stark vor und treuoe sie mit dem spitzen Messer, das Herr Halle eben 
vorgezeigt hat, vorsichtig vom Rande des Gaumenbogens ab, möglichst 
ohne den Gaumenbogen zu verletzen. Dann führe ich ein kleines ge¬ 
knöpftes Messerchen (Demonstration), das Ihnen ja allen bekannt ist, 
zwischen die Tonsille und den Gaumenbogen ein und trenne mit der 
Schneide alle Stränge, die sich anspannen, durch. Ich mache das, von 
oben angefangen, zuerst auf der vorderen Seite, dann gebe ich am 
hinteren Gaumenbogen entlang. Hängt dann die Tonsille frei in der 
Nische, so lässt sie sich mit Leichtigkeit mit der Brünings’schen Schlinge 
fassen und abtragen. Ich ziehe auch heute noch die Schlinge zur Ent¬ 
fernung der Tonsille dem Messer vor. Ich mache stets eine gründliche 
Desinfektion der Höhle mit konzentriertem Wasserstoffsuperoxyd. Dann 
ist fast nie eine Blutung da. 

Ich stehe auf dem Standpunkt, dass die Tonsillektomie nie ambulant, 
sondern grundsätzlich nur klinisch gemacht werden darf. 

Hr. Wagen er: Nach sorgfältiger Ablösung vom vorderen und 
hinteren Gaumenbogen ziehe ich die Tonsille stark mit einer Fasszange 
heraus und gehe mit grossem scharfen Löffel hinter die Tonsille. Ich 
drücke ihn einfach stark herunter und kann in den meisten Fällen die 
Tonsille leicht herauslösen, ln der letzten Zeit habe ich das Instrument 
noch in der Weise abgeändert, dass ich den Löffel in eine scharfe 
Curette umgewandelt habe. Wenn ich die Curette auf die vordere 
Kante stelle, kann ich am vorderen Gaumen entlangschneiden, stelle 
ich sie auf die hintere, kann ich am hinteren Gaumenbogen entlang¬ 
gehen, durch seitliche Bewegung kann ich auch hinten schneiden. Ich 
kann also die Curette wie ein Messer benutzen. 

Hr. Peyser: M. H.J Ich benutze nach Hopmann eine über die 
Fläche abgebogene Schere, sie dient gleichzeitig als Elevatorium und 
zom Durchtrennen von festeren Verwachsungen. Das Wichtigste ist, 
wie es der jüngere Hop mann noch in seiner letzten Publikation mit 
Recht betont, das tiefe Fassen der Tonsille mit einer dreizinkigen Zange. 
Wenn man tief genug fasst, reisst das Gewebe auch gewöhnlich nicht 
aus. Um zuletzt kleine Gewebsreste zu entfernen, bediene ich mich 
einer Doppelourette in etwa dreieckiger Form. 

Hr. Claus: M. H.! Ich wollte zunächst fragen, ob einer oder der 
andere von Ihnen Erfahrungen mit der Auslösung der Tonsille mit dem 
Finger besitzt. Ich habe bisher auch immer die Tonsille stets scharf 
herausgenommen, in den letzten, vielleicht sechs Fällen aber die Aus¬ 
lösung mit dem Finger versucht Die Vorbereitung ist natürlich genau 
dieselbe, auch die Ablösung. Ich habe gefunden, dass die Heraus¬ 
schälung ausserordentlich schnell und glatt geht. Man kann vorzüglich 
fühlen, hat ein ähnliches Gefühl, wie wenn man einen Abort ausräumt; 
man fühlt sehr deutlich die Wandung. Dagegen ist zu sagen, dass es 
vielleicht für die Patienten unangenehmer ist, wenn man ihnen mit der 
Hand in dem Munde herumarbeitet. Warnen möchte ich davor, es mit 
der unbekleideten Hand zu machen. Ich habe stets einen dicken 
Gummihandschuh genommen. Ein mir befreundeter Kollege hat diese 
Vorsicht ausser acht gelassen und sich eine schwere Infektion dadurch 
zugezogen; er hat schon die Endphalange seines Zeigefingers opfern 
müssen. Es hätte leicht noch schlimmer enden können. 

Sodann möchte ich mich noch der Meinung des Herrn Hölscher 
anschliessen, dass man die Exstirpation der Tonsille, die doch nach 
unser aller Meinung einen erheblichen Eingriff darstellt, nur klinisch, 
und zwar mit mehrtägigem Aufenthalt, ausführen solle. 

Hr. West: Die Methode der Exstirpation mit dem Finger ist eine 
alte Methode, die vor etwa 2 Jahren schon von Mathews in New York 
empfohlen worden ist. 

Zuerst mache ich hinter der Mandel einen Schnitt in 5—10 Sekunden. 
Damit ist dann der gefährlichste Teil (hintere Gaumenbogen) schon von 
derTonsilla getrennt, als erstes Stadium der Operation, bevor der Patient 
blutet. Der Punkt, von dem die stärkste Blutung dann kommt, liegt 
nahe am Zungengrund. Deswegen wird als zweites Stadium der Operation 
die Tonsilla vom Zungengrund getrennt und dieser zweite Schnitt um 
die Tonsilla nach oben verlängert, bis die ganze Tonsilla Umschnitten 
ist Nur wenn die ganze Schleimhaut durchgeschnitten worden ist, ist 
es ganz gleich, ob es stark oder wenig blutet, die Tonsilla kann in den 
Mund gezogen und die peritonsillären Bindegewebe durchgeschnitten 
werden. Die ganze Operation dauert 40—50 Sekunden. Der Vorteil des 
scharfen Messers liegt nur darin, dass im grossen und ganzen ein mit 
einem scharfen Messer hervorgebrachter Schnitt besser heilt, als ein mit 
einem stumpfen Instrument ausgeführter. Wenn er besser heilt, dann 
haben wir weoiger Reaktionen, und je weniger Reaktion, desto weniger 
Infektion. 

Hr. A. Meyer: Als ich einmal in der ophthalmologischen Gesell¬ 
schaft über eine Methode sprach, die 20 Jahre alt sein sollte, stand 
Herr Geheimrat Hirschberg auf und sagte*. Methoden, die angeblich 
20 Jahre alt sind, sind gewöhnlich 200 Jahre alt, und wenn man glaubt, 


sie sind 200 Jahre alt, dann sind sie gewöhnlich 2000 Jahre alt. So 
ist es auch mit der Methode, von der Herr West sagte, dass sie 2 Jahre 
alt sei; sie ist schon von Celsus vor 2000 Jahren ausgeübt worden, und 
dann ist sie vor etwa 50 Jahren ausgegraben worden. — Herrn Claus 
möchte ich erwidern, dass auch ich die Fingermethode versucht und gute 
Erfahrungen damit gemacht habe. 

Hr. Killian: Ich darf auch bemerken, dass wir gelegentlich nötig 
haben, eine Operation in Narkose auszufübren. Denken Sie nur an die 
Kinder: da gibt es manchmal Fälle mit recidivierenden Anginen, wo 
nichts anderes zu machen ist als die Tonsillektomie und die Operation 
in Narkose, von der heut wenig gesprochen wurde. Im Ausland, nament¬ 
lich in England und Amerika, wendet man fast immer die Aethernarkose 
an und operiert am hängenden Kopf. Da spielt auch der Finger eine 
grosse Rolle. Nun fragt es sich: wie sollen wir uns dazu stellen? 

Sie erinnern sich, dass ich in meiner Arbeit über Schwebelaryngoskopie 
am Schlüsse erwähnte, man könnte vielleicht auch die Tonsillektomie 
mit Vorteil in Narkose in der Schwebe ausführen. Das haben Al brecht 
und ich auch gemacht. Wir haben das narkotisierte Kind an den Haken 
gehängt, und zwar wurde dazu eine einfache Zungenplatte wie beim 
Türk’scheu Spatel verwandt. Darauf wurde ein nelatorischer Katheter 
durch die Nase gesteckt und mit dem Gebläse weiter chloroformiert. 
Natürlich ist die Situation umgekehrt, der untere Pol der Tonsille oben, 
der obere unten. Aber ich kann versichern, dass sich die Operation in 
dieser Lage sehr nett und mit Sicherheit durchführen lässt. Man geht 
natürlich am besten langsam vor, was ich überhaupt dem Rekordoperieren 
bei der Tonsillektomie vorziehe. Man löst dann am besten stumpf. 
Wenn man langsam operiert, sieht man auch die Arterien und Venen, 
man kann sie fassen, ehe man sie durchschneidet. So lässt sich die 
Operation sehr gut ausführen. Ich möchte Ihnen das doch empfehlen. 
Vielleicht kommen Sie gelegentlich in die Lage, diese Methode anwenden 
zu müssen. 

Hr. Hölscher: Ich hatte vergessen, das Zusagen, was Herr Geheim¬ 
rat Killian jetzt noch besonders erwähnt hat. Ich kann aus meiner 
eigenen Erfahrung auch nur bestätigen, dass es sehr leicht und sehr 
angenehm ist, in Narkose auf dem Schwebeapparat die Tonsillektomie 
und andere Operationen an den Mandeln und Gaumenbögen zu machen. 

(Die weitere Diskussion wird vertagt.) 


Hofelandisclie Gesellschaft 

(für Demonstrationen und Vorträge aus der gesamten praktischen Medizin). 
(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 12. Dezember 1912. 

Vorsitzender: Herr Brieger. 

Schriftführer: Herr J. Ruhemann. 

Tagesordnung. 

1. Hr. M. Litthiaer: 

Exstirpation einer im Becken liegenden Steinniere. 

Wenn Nieren an dem Orte der primären Anlage liegen bleiben, so 
entstehen die angeborenen Dystopien derselben, welche meist durch 
Sektionen gefunden werden, da bei Lebzeiten keine Störungen entstehen; 
diese treten erst auf, wenn sich Raumbeengung geltend macht, Geburts¬ 
hindernis verursacht wird usw. In den verlagerten Nieren kann sich 
Tuberkulose, Eiterung, Steinbildung entwickeln wie in normal liegenden. 

21 jähriger Patient, hatte seit seinem 6. Lebensjahre linksseitige 
Schmerzanfälle. Januar 1912 Blässe, Schmerzen in der linken Unter¬ 
bauchgegend, blut- und eiterhaltiger Urin. Schmerzhafte Stelle an der 
dem rechten Mc Burney’schen Punkt entsprechenden Partie. Das 
Röntgenbild ergab nach Einführung des Ureterenkatbeters einen sehr 
stark gewundenen Ureter. Bei der gewöhnlichen Schnittführung wurde 
die Niere nicht erreicht, erst als bis zu der Mittellinie eingeschnitten 
wurde, traf man auf die im Becken liegende Steinniere, welche einen 
Ureter und zwei Gefässe besass. Seit der Operation blieben alle Stö¬ 
rungen fort. 

Diskussion. 

Hr. Zondek: Zu dem ebenso lehrreichen wie überaus seltenen Fall, 
in dem der Herr Vortragende bereits vor der Operation die richtige 
Diagnose gestellt hat, bitte ich, mir nur ganz kurz folgende Bemerkung 
zu gestatten: Ich habe einmal Gelegenheit gehabt, eine intermittierende 
Hydronephrose einer kongenital heterotropeu Niere zu diagnostizieren, 
und zur Diagnose der kongenitalen Verlagerung der Niere 
führten mich zwei Momente, die ich als besonders charakteristisch hier¬ 
für angegeben habe: die tiefliegende Niere ist hochgradig medialwärts 
und nach vorn verlagert. 

Dementsprechend ist auch die Lage des Ureters verändert. Durch 
Collargoleinspritzung in den Ureter und darauffolgende Radiographie 
kann man deu Verlauf des Ureters erkennen. 

Ferner habe ich in diagnostischer Hinsicht darauf hingewiesen: 
Wenn die kongenitale Verlagerung nicht nur für eine, sondern für beide 
Nieren festgestellt wird, so kann man daraus mit Wahrscheinlichkeit die 
Diagnose auf eine Hufeisenniere stellen; von besonderem Nutzen für 
diese Diagnose ist die Feststellung des Verlaufs der Ureteren. 

2. Hr. Piorkowski: Heber biologische Reaktioiea. 

Der Vortragende erörtert einleitend die Schutzkräfte des Blutserums, 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 7. 


die er nach der Theorie von Ehrlich rubriziert. Besonders interessieren 
die Präcipitine, mittels deren man biologische EiweissdifferenzieruDgen, 
Identitätsbestimmungen der Sera, namentlich auch eine grosse Reihe von 
Infektionskrankheiten erkennen kann. In neuerer Zeit ist auch die Milz- 
braoddiagoose besonders gestützt worden, da man imstande ist, nach 
As coli mit einem von Kaninchen oder Eseln durch Injektion von miti¬ 
gierten Milzbrandbacillen gewonnenen Serum und Organextrakt binnen 
weniger Minuten einen spezifischen Präzipitationsvorgang hervorzurufen. 
Auch die Trübungsreaktion von Freund-Kaminer und die Staramler- 
sche Tumorenreaktion gehören hierher. Gut praktisch hat sich ferner 
die Meiostagrainreaktion von Ascoli erwiesen, wobei mit dem Traube- 
schen Stalagmometer beim Zusammenbringen von aufeinander einge¬ 
stelltem Antigen und Antikörper eine verminderte Oberflächenspannung 
und daher eine vermehrte Tropfenzahl gegenüber normalen Flüssigkeiten 
sich konstatieren lässt. 

Io jüngster Zeit haben die Abdcrhalden’schen Untersuchungen 
grosses Interesse erweckt. Der Vortragende hat sowohl die optische wie 
auch die Dialysiermethode für die Frühdiagnose der Schwangerschaft 
verwendet und konnte die Uebereinstimmuug der Methoden bestätigen. 
Es war bereits nach 3 Wochen eine sichere Diagnose zu stellen, und 
zwar gelang eine solche in ungefähr 9G pCt. der Fälle. Wie hei der 
Gravidität, so gelingt es auch bei Carcinora, indem coagulierte Krebs¬ 
organe zur Verwendung gelangen, Diagnosen zu stellen, und wird dies 
wahrscheinlich auch bei einer Anzahl anderer pathologischer Zustände 
möglich sein, da bei dem ausserordentlich weitgehenden Abbau des Ei- 
weisses die praktische Diagnosestellung gute Ausblicke erwarten lässt. 

Diskussion. 

Hr. Evler (Berlin-Friedenau): Es ist ein grosses Verdienst von 
Abderhalden, aus den verschiedenen Schutzstoffen des Körpers die 
Schutzfermente herausgehoben und die Versuchstechnik für biologische 
Reaktionen vereinfacht zu haben. Aber selbst diese einfache Versuchs¬ 
anordnung gibt noch zu vielen Fragestellungen und Deutungen Anlass. 

Wenn man Schwangerenplasma oder Serum und Placenta 24 Stunden 
aufeinander einwirken lässt, wobei es gleich ist, ob mit oder ohne Dia¬ 
lyse, so wird nicht nur Placentaeiweiss abgebaut, sondern es zeigt auch 
das Serum hochgradige Veränderungen. 

Die für die einzelnen Bausteine des Eiweisskörpers typischen Reak¬ 
tionen fallen vor- und nachher erheblich anders aus. Dasselbe tritt ein, 
wenn wir statt Schwangerenserum tuberkulöses oder carcmoraatöses, 
luetisches und Basedow-Serum nehmen und statt Placenta das ent¬ 
sprechende Antigen. 

Bleiben wir auf dem Boden der Abderhalden’schen Anschauungen, 
dass das spezifische Plasma spezifisches Organgewebe abbaut, nehmen 
wir also einen cytolytischen Prozess an, dann könnte der Abbau des 
Plasmas durch die giftigen Zerfallsprodukte der Placenta bzw. des ent¬ 
sprechenden Antigens nach Art der Endotoxinwirkung stattfinden. 

Da krankes Serum gegenüber gesundem mehr oder weniger Aeude- 
rungen im Kohlehydratkomplex, Cystin- oder Tryptophanbaustein usw. 
zeigt, ist es erforderlich, eine Kontrollprobe des zu prüfenden Serums 
vor Zusatz des entsprechenden Antigens vorzunehmen. 

Diese Reagensglasversuche deuten uns den toxischen Ei weisszerfall 
des Körpers, den wir bei Infektionskrankheiten oder malignen Erkran¬ 
kungen täglich sehen, und auch sie führen uns vor Augen, dass ein 
krankes Serum weniger ein geschütztes, vielmehr ein geschädigtes ist. 
(Demonstration.) 

8. Hr. Kloninger: Adipositas dolorosa. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

Diskussion. 

Hr. Patschkowski hält es für angezeigt, bei dem Leiden Ovarial- 
extrakt zu geben. 

Hr. Ewald hat einen ähnlichen wie den vorgestellten Fall beob¬ 
achtet, der gut beeinflussbar war, und zwar mit Thyreoidinpräparaten, 
die andauernd gegeben wurden. Das spricht wieder für die Correlation 
mit inneren Sekretionsanomalien. Die Franzosen haben den starken 
Gegensatz, der sich aus dem Freibleiben der Hand- und Fussgelenke zu 
den hypertrophischen Partien der Extremitäten ergab, in den Eindruck 
zusammengefasst, als hätten die betreffenden Patienten Manschetten und 
Beinkleider an. 

Hr. Kloninger: Ausser Thyreoidin sind alle anderen Extrakte, 
auch die der Ovarien, ohne Erfolg versucht worden. Die Manschetten¬ 
form war hier nicht vorhanden. 

Hr. Wiszwianski bemerkt, dass man mit der Diagnose Adipositas 
dolorosa, der sog. Dercum’schen Krankheit, sehr vorsichtig sein müsse. 
Die Krankheit sei überaus selten, als ein ernstes Leiden des Nerven¬ 
systems aufzufassen und ende meist letal, so dass man die richtige Dia¬ 
gnose eigentlich erst post mortem stellen könne. Viele Fälle seien be¬ 
schrieben worden, die durchaus nicht dem von Dercura aufgestellten 
Krankheitsbild entsprächen. Meist handelte es sich um eine von den 
schwedischen Massageärzten beschriebene Schmerzhaftigkeit des Fett¬ 
gewebes, der sog. „Cellulitis“ oder „Panniculitis“, welches Symptom der 
dänische Arzt Dr. Erik E. Faber in der Zeitschrift f. physikalische u. 
diätet. Therapie als „Adiposalgie“ bezeichnet hat. Herr Wiszwianski 
fragt den Vortragenden, ob er bei der Patientin das subcutane Fett¬ 
gewebe auf jene bei Panniculitis charakteristischen Konsistenzverände¬ 
rungen untersucht habe, was Vortr. verneint. 

Hr. Ewald betont, dass die Dercum’sche Krankheit nur intra vitam 


zu diagnostizieren wäre, da die Schmerzhaftigkeit doch nur bei den 
Lebenden besteht. 

Hr. Wiszwianski: Er wollte nur auf die Seltenheit der Erkran¬ 
kung und den deletären Verlauf hinweisen. An dem Namen liege ihm 
gar nichts; schliesslich sei auch die Adipositas dolorosa eine Adiposalgie. 
Eine Diagnose der Dercum’schen Krankheit könne man aber nur dann 
stellen, falls ausser den Schmerzen und der Schwellung des Fettgewebes 
auch schwere Schädigungen des Nervensystems und psychische Störungen 
vorhanden wären. Letztere vermisse er auch in dem eben vorgestellten 
Falle. 

4. Hr. A. Laqneur- Berlin: 

Ueber den Einfluss physikalischer Maassaahaen anf die natürlichen 
Abwehrkräfte des Blntes. 

Bei Patienten, die den verschiedenen hydrotherapeutischen und 
sonstigen physikalischen Prozeduren unterzogen wurden, untersuchte Vor¬ 
tragender das Verhalten derjenigen Eigenschaften des Blutserums, die 
als Maassstab für die Schlitzkraft des Blutes Infektionen gegenüber 
angesehen werden können (Komplementgehalt, Agglutination, Phago- 
cytose). Es ergab sich, dass der Komplementgehalt durch allgemeine 
Wiirmeanwenduugen nur unwesentlich verändert wird, nur nach russisch- 
römischen Bädern fand sich das (hämolytische) Komplement erhöht. 
Von lokaleu Wärmeprozeduren führten Fango Umschläge eine leichte 
Komplementverstärkung herbei. Die Agglutination Typhusbacillen 
gegenüber wurde sowohl nach heissen Vollbädern wie auch (in geringerem 
Maass») nach kühlen Bädern mit Uebergiessungen öfters erhöht ge¬ 
funden; auch eine Serie von 3 Lichtbädern erhöhte den agglutinieren¬ 
den Titer bei einem Rekonvaleszenten nach Paratyphusinfektion. Die 
Phagocytose der Leukocyten wurde durch Lichtbäder fast stets 
erhöht, unter der Anwendung kalter Duschen blieb sie unver¬ 
ändert. Fangoumschläge erhöhten die phagocytären Eigenschaften 
der Leukocyten; weniger deutlich und regelmässig fand sich diese Er¬ 
höhung auch nach lokalen Heiss luftbädern und nach Thermo- 
penetration. Besonders bemerkenswert ist ferner die Erhöhung der 
Phagocytose nach Inhalation von Radiumemanation. 

Sind die gefundenen Veränderungen auch zum Teil nur gering und 
haben sich auch keine solche Ausschläge gefunden, wie bei Wärme- 
anWendungen an künstlich immunisierten Tieren im Tierexperiment, so 
weisen die Resultate der Untersuchungen des Vortragenden doch darauf 
hin, dass die verschiedenen Maassnahmen der physikalischen Therapie 
auch direkt die Schutzkräfte des Blutes im günstigen Sinne beeinflussen 
können, und zwar kommt diese Eigenschaft wohl weniger der einzelnen 
Applikation, als vielmehr der zweckentsprechenden öfteren Wieder¬ 
holung der Prozeduren zu. 

5. Hr. A. Flpstenberg-Berlio: 

Ueber Körper- und tiewebetenperatar des Hinsehen. 

Eichler, Schemel und Vortragender haben das Verhalten der 
Körper- und Gewebetemperatur des Menschen unter dem Einfluss ver¬ 
schiedener physikalischer Prozeduren studiert. Dabei hat sich gezeigt, 
dass hydrotherapeutische Maassnahmen sowie die Diathermie die Körper- 
und Mageninneutemperatur in beträchtlichem Umfange verändern. Be¬ 
nutzt wurde ein Registrierapparat von Siemens und Halske, der sehr 
exakt arbeitet. 

Diskussion. 

Hr. Max Levy-Dorn-Berlin: Ich möchte mir die Frage erlauben, 
ob der Herr Vortragende entscheiden kann, unter welchen Bedingungen 
in seinen Beobachtungen die Wärmeerhöhung oder -erniedrigung durch 
unmittelbare Uebertragung oder durch Reflexe hervorgerufen wurde. 
Sind diesbezügliche Experimente angestellt worden und bejahendenfalls 
welche? 

Hr. Ewald spricht seine Bewunderung für den auf diesem Gebiete 
ermöglichten technischen Fortschritt aus; seine vor vielen Jahren in 
gleicher Richtung vorgenommenen Versuche mit Thermoelektroden und 
Galvanometer waren zu umständlich, um zu Resultaten zu führen. 

Hr. Bucky: Bei Diathermie des Auges wurde die Temperatur des 
Glaskörpers konstant gefunden. 

Im Schlusswort bemerkte Herr Fürstenberg, dass Herr Prof. 
Levy-Dorn ihn missverstanden haben müsse. Nur bei der Diathermie, 
nicht bei den hydrotherapeutischen Prozeduren zeigen sich die auf¬ 
fallenden Temperaturkurven. Die Körper- und Mageninnentemperatur 
steigt nämlich bei der Thermopenetration nicht parallel mit der ge¬ 
gebenen Stromintensität. Herr Bucky darf die Resultate, die sich am 
Auge bei der Diathermie zeigten, nicht auf den Thorax und das Ab¬ 
domen übertragen, wo ganz andere Verhältnisse vorliegen. Es sei dabei 
nur an die Grössenunterschiede der Elektroden erinnert. 

6. Hr. Brieger: 

Physikalische Behandlung der chronischen Versteifung der 
Wirbelsäule. 

Hr. Brieger stellt einen Patienten vor, bei dem sich seit 9 Jahren, 
uöd einen anderen, bei dem sich seit 6 Jahren eine völlige Versteifung 
und Starrheit der gesamten Wirbelsäule trotz anderweitiger Behandlung 
entwickelt hatte. Daneben waren auch Hüften, Knie, Schulter- und 
Ellenbogcngelenk schmerzhaft ergriffen. Die Atmung war auffallend ver¬ 
langsamt und mühevoll. Boreits nach 9 Wochen wurde der erste Patient 
und nach 6 Wochen der zweite, die bisher hilflos und von Schmerzen 
arg geplagt, ans Bett gefesselt waren, soweit hergestellt, dass sie wieder 
herumgeken konnten und jetzt bereits seit mehreren Monaten sich wieder 


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17. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


325 


völlig bis sur Erde mit ausgestreckten Händen zu buoken imstande sind, 
sich aufreoht halten und frei nach Belieben bewegen. Die Behandlung 
bestand in konsequent durchgeführter Applikation des Dampfstrahls, 
kombiniert mit dem von Brieger angegebenen Bewegungsbad, dem sich 
leichte Streichmassage der Wirbelsäule und später auch noch gymnasti¬ 
sche Uebungen anschlossen. Bei einer Reihe anderer Patienten mit 
dieser sog. Bechterewschen Erkrankung hat diese Behandlung uns schon 
seit Jahren sich bewährt. Die neuerdings von Birschberg für solche 
Erkrankungen empfohlene kalkarme Diät lässt sich mit dieser physi¬ 
kalischen Behandlung natürlich ohne weiteres verbinden. Wie die von 
Levy-Dorn angefertigten und demonstrierten Röntgenaufnahmen des 
Brustbildes zeigen, sind bei dem ersten Patienten die Rippenansatzstellen 
nicht verknöchert. 

Diskussion. 

Hr. Max Levy-Dorn-Berlin: Zur Demonstration der Veränderun¬ 
gen, welche sich bei der Erkrankung des vorgestellten Patienten, bei 
der Spondylarthritis im Röntgenbilde verraten, habe ich einige Auf¬ 
nahmen mitgebracht. (Demonstration.) Man sieht, dass sich an den 
Ecken der Wirbel knöcherne Vorsprünge bilden. Die unteren und oberen 
Prominenzen benachbarter Wirbel wachsen sich entgegen, bis sie Zu¬ 
sammenflüssen und eine knöcherne Brücke entsteht. In selteneren 
Fällen kommt es zu reichlichen paravertebralen Verknöcherungen, welche 
in ihrer Art sehr an die ausgeprägtesten Formen der Arthritis deformans 
der grossen Gelenke, insbesondere bei Tabes erinnern. Bei den vorge¬ 
stellten Patienten fehlen die Verknöoherungen an den Wirbelgelenken. 
Die Prognose wird hierdurch als nicht ungünstig bezeichnet werden 
dürfen. 

Hr. Alfred Lindemann - Berlin berichtet über einen auf der 
I. inneren Abteilung des Rudolf Virchow*Krankenhauses (Professor L. 
Kuttner) beobachteten, durch Röntgenuntersuchung bestätigten Fall 
von Versteifung des unteren Teils der Wirbelsäule und der Beckenkreuz- 
bein- und Hüftgelenksverbindung. Derselbe betrifft eine 27 Jahre alte 
Patientin, die seit ihrem 6. Lebensjahre auffallende blutende, schwer 
heilende, blitzfigurenartige Hautveränderungen an den Beinen und eine 
fortschreitende Versteifung des unteren Teils der Wirbelsäule zeigte. 
Die Periode setzte im 12. Lebensjahre ein, kehrte regelmässig wieder, 
brachte aber jeweilig eine weitere Verschlechterung des Zustandes. Die 
Stoffwechselüntersuchung ergab eine ziemlich starke Retention von Kalk 
sowie eine Retention der Harnsäure im ektogenen Stoffwechsel. Die 
gleichzeitige Störung des Kalk- und des Harnsäurestoffwechsels, vor 
allem in Verbindung mit der auch jetzt noch zu beobachtenden je¬ 
weiligen akuten Verschlechterung zur Zeit der Periode lässt als Grund¬ 
ursache eine Störung der inneren Sekretion vermuten. Durch wechselnde 
Verfütterung einer kalkarmen und purinfreien Diät wurde eine auffallende 
wesentliche Besserung erzielt Die Untersuchung eines zweiten ein¬ 
schlägigen Falles ist noch nicht bis zu Ende durobgeführt, doch wird 
dieselbe in gleioher Weise in Bezug auf Kalk- und Purinstoffwechsel 
vorgenommen werden. Die zweite Patientin ist 50 Jahre alt und datiert 
ihre ersten Beschwerden 12 Jahre zurück (Präklimakterium). 

7. Hr. Hertaeil: 

DeatMtratlei der Direhleaehtug des Aigeahiitergriades vom 
Rachen ans. 

Vortragender bespricht das* Wesen der vor 4 Jahren in dieser 
Wochenschrift, 1908, Nr. 47, von ihm angegebenen Durchleuchtungs¬ 
methode des Augenhintergrundes und erläutert an der Hand von Licht¬ 
bildern die neuerdings von Langenhan-Berlin mit dieser Methode er¬ 
haltenen Resultate (Zeitschr. f. Augenheilk., Bd. 24, S. 94 u. 512). Die 
Technik der Methode wurde an normalen Fällen gezeigt. 

8. Hr. Jolowicz stellt einen 51jährigen Patienten (Maler) vor, der 
an einer schweren Bleigieht leidet. Es fanden sich ausserdem an den 
Pupillen, an den Reflexen und im Liquor cerebrospinalis Zeichen, die 
auf eine abgelaufene Lues cerebri oder Tabes binwiesen. Ferner bestand 
bei dem Patienten eine doppelseitige, chronische, spontan entstandene 
Luxatio humeri, für die eine ausreichende Erklärung (auch im Röntgen¬ 
bilde) nicht gefunden werden konnte. 


Berliner mikrobiologische Gesellschaft* 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 9. Januar 1913. 

Vorsitzender: Herr Abel. 

Schriftführer: Herr Friedberger. 

Der Vorsitzende führt zu Beginn der Sitzung aus, dass die Gesell¬ 
schaft auf ein erfolgreiches erstes Arbeitsjahr zurüokblioken könne, das aller¬ 
dings vielleicht etwas einseitig gewesen sei, indem sie bisher überwiegend 
wissenschaftliche Ergebnisse aus dem Gebiete der menschlichen und 
tierischen Pathologie behandelt habe. Vorstand und Ausschuss schlügen 
vor, künftig den Arbeitsbereich der Gesellschaft weiter auszudebnen. Bei 
der Bedeutung, die der Mikrobiologie auf botanischem und zoologischem 
Gebiete, für Land- und Forstwirtschaft, Gewerbe und Industrie und vieles 
andere mehr zukomme, erscheine es wünschenswert, auch diese Gegen¬ 
stände zu berücksichtigen. Es könne für alle Beteiligten nur nützlich 
sein, wenn die Vertreter der verschiedenen Zweige der Mikrobiologie sich 
persönlich näher träten und über die oft so ganz spezifische Unter¬ 
suchungsmethodik, die Richtlinien und Resultate ihrer Arbeit sich gegen¬ 
seitig belehrten. Sohon die heute auf der Tagesordnung stehenden Vor¬ 


träge bedeuteten eine Ausdehnung des bisherigen Arbeitsfeldes der Ger 
Seilschaft, und auch für die ferneren Sitzungen sei in gleichem Sinne 
bereits vorgesorgt worden. Nützlich könnte es weiterhin sein, wenn die 
Gesellschaft neben wissenschaftlichen Gegenständen auch mehr praktische 
Fragen, die zur Mikrobiologie in Beziehung ständen, in den Bereich ihrer 
Verhandlungen ziehe, derart, dass sie geeignete Themata auswähle und 
Referenten für sie zu gewinnen suche. Daran könnten sich dann ge¬ 
legentlich Besichtigungen interessanter Einrichtungen, Institute usw. an- 
schliessen. 

Die Versammlung erklärte ihr Einverständnis zu dem skizzierten 
erweiterten Programm. 

Demonstrationen vor der Tagesordnung. 

Hr. Friedberger: 

1. lieber intravenöse Timorimpfuig bei der Mats. 

Im Anschluss an die Versuche von Herrn Dr. H. Ci ton, der in unserem 
Institut durch Einimpfuog von Krebsmaterial in die Magenwand multiple 
Carcinome in den verschiedensten Organen und auch echte Metastasen 
erzeugt hat 1 ), habe ich durch Injektion von mit Kochsalzlösung fein 
zerriebenem und durch starkes Gentrifugieren von den gröberen Partikeln 
befreitem Tumormaterial in die Schwanzvene bei der Maus das gleiche 
zu erreichen versucht. 

Ich demonstriere Ihnen hier zwei Mäuse, von denen die eine zahl¬ 
reiche Tumorknoten bis übererbsengross in der Leber und kleine Knötchen 
in der Milz zeigt. Bei der zweiten Maus haben Sie eine ganz andere 
Lokalisation. Hier sitzt ein etwa klein bohnengrosser primärer Tumor 
im hinteren Mediastinum, und Sie sehen, wie die Pleura über dem 
Sternum eine Reihe stecknadelkopfgrosser Knötchen aufweist. 

Herr Prof. Westenhöfer hatte die Freundlichkeit, die Tumor¬ 
massen bei der letzteren Maus zu untersuchen. Nach seinem Urteil 
handelt es sich um typischen Mäusekrebs. 

Bei Gelegenheit der intravenösen Injektion der Emulsion aus diesem 
Tumor wurden Beobachtungen über die Giftigkeit des Tumorextraktes 
gemacht. Es ergab sich, dass der Tumorextrakt für normale Mäuse von 
der Blutbahn aus eine erhebliche Giftigkeit besitzt. Beim Meerschweinchen 
ist sie geringer. 

Nach den Versuchen, die Herr Dr. Poor in unserem Laboratorium 
angestellt hat, beträgt die Toxicität des Tumorextraktes l J l0 für Mäuse 0,2, 
für Meerschweinchen > 2,0. 

Diskussion. 

Hr. Gaspari fragt an, mit welcher Regelmässigkeit ein Angehen 
derart übertragener Tumoren erfolgt, ob sich also diese Art der Ueber- 
impfung mit einiger Sicherheit bei experimentellen Garciomstudien ver¬ 
wenden lässt. 

Hr. Friedberger beantwortet die Anfrage des Herrn Caspari 
dahin, dass es bei intravenöser Injektion offenbar viel länger dauert, 
als bei der subcutanen Impfung, bis sich die Tumoren entwickeln. 
Ueber die Häufigkeit der positiven Impfung können noch keine be¬ 
stimmten Zahlenangaben gemacht werden. Aber jedenfalls scheint der 
Tumor seltener anzugehen als bei Hautimpfung. (Kleine Menge des 
Impfmaterials!) 

Hr. Friedberger: 

2. Die Uebereapfindlichkeit bei neogeborenen Meerschweiichei. 

Wenn man die Fälle von schwerer Serumkrankheit bei erstmaliger 


Tabelle. 

Tödliche Reinjektionsdosis bei Tieren verschiedenen Alters. Alle Meer¬ 
schweinchen vor 18 Tagen mit 0,01 Hammelserum subcutan vorbehandelt. 


Gewicht 

Reinjektions- 

dosis 

Resultat 


275 . * 

0,005 

lebt 



315 äS 

0,01 

lebt (krank) 

Dosis let. f. 

d. frr. Tiere 

330 '§" 

0,01 

tot 4' 

0.01 pro Tier 

248 || 

0,02 

tot 5' 

= 0,03 

„ kg 

345 * * 

0,02 

tot 372' 



275 W §, 

0,02 

tot 4' 






Die jungen Tiere er- 




tragen Multipl. der obigen 




Dosis let. 




pro Tier 

pro kg 

143 

j 

0,03 

lebt 

3 

7 

112-5 

0,04 

tot 4' 

— 

— 

137 -2 

0,04 

tot 4' 

— 

— 

127 | 

0,04 

lebt 

4 

10 

114 

0,05 

lebt 

5 

15 


0,05 

lebt (krank) 

5 

10 

128 -5 co 

0,07 

lebt (krank) 

7 

17 

120 

0,07 

tot 4' 

— 

— 

114 2 

0,1 

tot 3' 

— 

— 

155 £ 

0,1 

tot 4' 

— 

— 

117 

0,1 

tot 8' 

_ 



1) Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 15, H. 1. 


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UNIVERSUM OF IOWA 




326 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 7. 


oder wiederholter Zufuhr von Diphtherieheilserum betrachtet, so fallt es 
auf, dass es sich in der Mehrzahl der Fälle um ältere Kinder oder um 
Erwachsene handelt. Das gab uns Veranlassung, einmal die Ueber- 
empfindlichkeit bei ganz jungen Meerschweinchen im Vergleich mit 
älteren zu untersuchen. Die Versuche wurden in Gemeinschaft mit 
Herrn cand. med. Simmel angestellt. Er wurden 3—5 Tage alte 
Meerschweinchen zugleich mit älteren mit Hammelserum präpariert, und 
dann wurde nach einer bestimmten Zeit bei beiden Gruppen die tödliche 
Reinjektionsdosis ermittelt. Die Resultate zeigt die hier demonstrierte 
Tabelle, aus der sich ergibt, dass die Meerschweinchensäuglinge 
pro Tier bis zum 7fachen, auf das Körpergewicht berechnet 
sogar bis zum 17 fachen der für ältere Tiere tödlichen Dosis 
vertragen. Diese Versuche sind geeignet, uns entsprechend der von 
mir vertretenen Auffassung der Infektion als eine mildere protrahierte Form 
der Anaphylaxie Aufschluss zu geben, wieso die Säuglinge bei manchen 
Krankheiten, wie ich das speziell bei der Cholera gesehen habe, besonders 
häufig Bacillenzwisohenträger sind ohne irgendwelche Krankheits¬ 
symptome. 

Tagesordnung. 

1. Hr. Magnus: Ueber pflanzliebe Tumoren. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

2. Hr. Lindner: Ueber gärungsbakterialogische Methoden. 

Einleitend gab Vortr. an der Hand von zahlreichen Mikro¬ 
photogrammen einen Ueberblick über die allgemeine Naturgeschichte 
der Gärung und der Gärungsorganismen. Bei der ausserordentlichen 
Mannigfaltigkeit der GärungslHissigkeiten verstehe es sich von selbst, 
dass eine jede derselben besondere Arten begünstige, andere ausschliesse. 
Die gehopfte Bierwürze z. B. sei für viele Bakterien kein günstiger 
Nährboden infolge der antiseptischen Wirkung des Hopfens. Die 
gärungsbakteriologischen Methoden dienten zum Teil dem Nachweis von 
Infektionskeimen, dann aber zur Herstellung von Reinkulturen. Im 
Gegensatz zur medizioischen Bakteriologie bediene man sich bei diesen 
Methoden fast ausschliesslich flüssiger Nährmedien, die jedoch den 
Mikroben nur in kleinsten Mengen geboten werden, wie bei der 
Tröpfchen- und Adhäsionskultur, die Vortr. eingeführt, und die im 
Gärungsgewebe eine allgemeine Verbreitung gefunden haben. Zum 
Studium pathogener Mikroben ist die erstere auch schon von Dr. Dreuw 
als sehr zweckmässig empfohlen worden. Das eigenartige dieser 
Kulturen besteht darin, dass in den dünnen Flüssigkeitsschichten, die 
auf ein trockenes Deckglas mit einer Zeichenfeder aufgetragen oder 
gleichmässig auf der ganzen Fläche verteilt werden, die Nachkommen¬ 
schaft sich um die Mutterzelle sammelt und zu einer scheibenförmigen 
Kolonie heranwächst, in der jede Zelle mikroskopisch betrachtet und 
photographisch fixiert werden kann. Gerade die Mikrophotographie 
kommt hier zur Geltung, und die erhaltenen Bilder sind durchaus natur¬ 
getreu, da keine Zellen verletzt und aus ihrem natürlichen Zusammen¬ 
hang herausgerissen erscheinen. Es kommen sehr charakteristische 
Habitusbilder zum Vorschein, die diagnostisch sehr gut zu verwerten 
sind. Wissenschaftlich besonders wertvoll sind beide Methoden deshalb, 
weil sie es ermöglichen, die in den natürlichen Säften des tierischen 
und pflanzlichen Körpers vorkommenden Mikroben in diesen Säften selbst 
heranwachsen zu lassen. Will man z. B. die Vegetation des Zungen¬ 
speichels studieren, so genügt es, ein entfettetes Deckgläschen auf die, 
vielleicht vorher etwas mit sterilisiertem Wasser angefeuchtete Zunge zu 
drücken und dieses Deckgläschen auf einem hohlen Objektträger mittels 
Vaseline aufzukitten. 

Am folgenden Tage bereits werden wir Hunderte von einzelnen 
Kolonien entwickelt sehen in ganz flachen Scheibchen mit spezifisch 
verschiedener Anordnung der einzelnen Individuen. Eine besondere Be¬ 
deutung haben diese Methoden beim Unterricht erlangt, da sie den 
Schüler auf eigene Füsse stellen und ihm zur fortlaufenden Beobachtung 
der sich entwickelnden Vegetationen Gelegenheit geben. Was im Unter¬ 
richt bereits mit diesen Methoden erreicht ist, davon geben am besten 
die Abbildungen in dem „Atlas der mikroskopischen Grundlagen der 
Gärungskunde“, Verlag Paul Parey, Berlin, eine Vorstellung, da ein 
grosser Teil derselben von Schülerpräparaten herstammt. Bei der 
biologischen Analyse, z. B. von Wein oder Bier oder sonstigen gärenden 
oder vergorenen Getränken, genügt es meist schon, das vorliegende 
Material, so wie es ist, zu verarbeiten, ohne Zugabe von sterilen Flüssig¬ 
keiten, mit Ausnahme vielleicht von Wasser, um eine gute Verdünnung 
zu haben. Bei aller Einfachheit der Methoden muss aber doch gesagt 
werden, dass manche kleine Tricks dabei zur Geltung kommen, die (sich 
nicht gut schildern lassen, die man eben am Laboratoriumstisch selbst 
in Augenschein nehmen muss. Zum Schluss des Vortrages wurden 
auch eine Anzahl Momentaufnahmen von verschiedenen beweglichen 
Organismen wie Oscillaria, Beggiatoa, Infusionstierchen, Rädertierchen, 
Mückenlarven, Schneckenembryonen und farbige Aufnahmen von Pilz¬ 
rosenkulturen vorgeführt und auf die Symbiose der Hefen in ver¬ 
schiedenen Tieren, wie Blatt- und Schildläuse, Corethralarven usw., 
hingewiesen. Die letztere Entdeckung ist von hervorragendem all¬ 
gemeinen Interesse und verspricht ganz neue Aufschlüsse über die Be¬ 
deutung der Hefen in der Natur und für den tierischen Organismus. 


Berliner Gesellschaft für Chirurgie. 

Sitzung vom 10. Februar 1913. 

Vorsitzender: Herr Sonnenburg. 

Schriftführer: Herr Hermes. 

1. Hr. Maass: Kranken verstell Mg: 

a) Kongenitale Vorderarnsynostose. (Kind.) Es handelt sich um 
eine äusserst seltene kongenitale Erkrankung, die nicht nur den Ortho¬ 
päden interessiert, sondern auch den Chirurgen. Es sind von Mikulicz, 
Helferich u. a. Fälle veröffentlicht, neuerdings von Joachimsthal. 
Vorstellung eines Kindes von 11 Monaten. Aus der Vorgeschichte ist 
zu sagen: das Kind stammt von gesunden Eltern ab. Die Geburt war 
leicht. Nach Aussage der Hebamme war bei der Geburt der linke Arm 
in der Ellenbeuge stark gebeugt, die linke Hand lag dem Gesicht an, 
der linke Handteller war in abnormer Weise nach vorn gekehrt. Demon¬ 
stration: Der rechte Arm ist normal. Links besteht ausgesprochene 
Pronationsstellung. Passive Supination ist fast unmöglich. Hand- und 
Schultergelenk sind frei. Der linke Vorderarm ist um 1V 2 —2 cm kürzer 
als der rechte. Bei der Palpation fühlt man eine Auftreibung am 
oberen Teile des Vorderarmes; das Capitulum radii ist nicht durcbzu- 
fühlen. Die kongenitale Synostose betrifft immer den proximalen Teil 
des Vorderarmes. Bevor man durch Röntgenstrahlen die Aetiologie 
kannte, bezeichnete man das Leiden als angeborene Supinations- 
behinderung. 

Demonstration der Röntgenbilder, die im achten Monat aufgenommen 
wurden. 

Das Röntgenbild macht es wahrscheinlich, dass die Knochenneu¬ 
bildung hauptsächlich von der Ulna ausgeht Es handelt sich um ab¬ 
norme mechanische Wachstumsstörungen der Ulna, die in ihrem Längen¬ 
wachstum behindert wird, jedoch in die Breite wächst. Als Ursache ist 
intrauterine Belastungsdeformität anzusehen, nicht durch Reizzustand 
verursachte Knochenwucherung. Therapeutisch ist zunächst die Durch- 
meisselung der Knochenbrücke versucht worden, die aber keine guten 
Resultate ergeben hat. Die Synostose hat sich mehrfach wiederhergestellt, 
die Funktionsbehinderung wurde dieselbe wie zuvor. Vortr. will in 
diesem Falle jedoch versuchen, durch Osteotomie ein besseres funktio¬ 
nelles Resultat zu erzielen. 

Diskussion. 

Hr. Joachimsthal: Demonstration und Bericht über zwei Fälle, 
von denen bei dem zweiten ein familiäres Auftreten zu konstatieren ist. 
Die Vererbung erfolgte vom Vater auf die Kinder. Sämtliche Defekte 
betrafen nur Vorderarm und Hand. Also im Gegensatz zu Herrn Maass 
ist hier eine endogene Ursache anzunehmen. J. rät von jeder Operation 
ab. Bei dem yorgestellten Kinde ist die Brauchbarkeit des Armes eine 
ziemlich gute; die fehlende Funktion des Vorderarmes wird durch andere 
Bewegungen ausgeglichen. 

Hr. Klapp hat in einem Falle das obere Radiusende reseziert, 
orthopädisch nachbehandelt und so schliesslich ein leidlich gutes 
funktionelles Resultat erreicht. 

Hr. Maass (Schlusswort): Er will nicht für alle Fälle die endogene 
Entstehung ausschliessen. Für seinen Fall scheint nur die intrauterine 
Belastungsdeformität in Betracht zu kommen. Diese Erklärung stimmt 
auch mit den Resultaten überein, die er durch Tierexperimente gewonnen. 
Hr. Maass: b) Seltene Geschwulst im Kindesalter. 

Fibromyxom bei einem 3*/2 jährigen Kinde. Der Tumor machte 
klinisch einen malignen Eindruck, hat sich mikroskopisch als benigner 
herausgestellt. Entstanden ist er im siebenten bis achten Lebensmonat. 
Als das Kind ein Jahr war, wurde eine Probeexzision gemacht (linke 
Halsseite). Ueber die damalige Diagnose ist nichts Genaues bekannt. 
Nach der Exzision ist der Tumor in excessiver Weise gewuchert. Ende 
November 1912 schien er inoperabel zu sein. Er sass mit breitem Stiel 
an der linken Halsseite, nach aufwärts bis zum Ohr, abwärts bis auf die 
Schulter reichend, so dass der Kopf des Kindes nach rechts geneigt war. 
Der Tumor wurde an der Basis mit Paquelin abgetragen; das benigne 
Aussehen des Stumpfes veranlasste Totalexstirpation, die überraschend 
leicht gelang; nur mit der Haut waren Verwachsungen. Demonstration 
eines mikroskopischen Präparates. 

2. Hr. M. Cohn: Die Appendix im Rfintgenbilde. 

Die systematische Darstellung des Wurmfortsatzes ist bisher ein 
frommer Wunsch der Radiologen gewesen. Das änderte sich, als es, 
häufiger als früher, gelang, bei schattengebenden Eingiessungen vom 
Mastdarm aus den Wurmfortsatz mit dem Kontraststoff zu injizieren. 
Was man bisher erreichte, war die Darstellung der Appendix in wenigen 
seltenen Fällen, ein Zufallsbefund, und so nicht geschaffen, Anatomie 
und Funktion genauer zu untersuchen. 

Die neuere Untersuchung der Appendix ist gewissermaassen eine 
Entdeckung: Dr. Grigorieff, Arzt in Charkow, der früher im Institut 
des Vortragenden arbeitete, besitzt eine ausserordentlich röntgenempfind¬ 
liche Retina. Er nimmt alles wahr, was man sonst nur auf photo¬ 
graphischer Platte fixieren kann. So sah er in jahrelangem Bemühen 
mit Aufopferung seiner Gesundheit, dass sich der Wurmfortsatz füllt und 
entleert, dass er eine lebhafte Eigenbewegung hat und sehr vielseitig 
seine Lage verändert. Er bediente sich eines Apparates, ähnlich einem 
Spezialtrochoskop und legte grosses Gewicht auf das mechanische Moment, 
die Massage des Coecums. 

Vortr. ist den Mitteilungen Grigorieff’s gefolgt, hat aber von der 
Massage des Coecums Abstand genommen. Die Untersuchung geht so 


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17. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


327 


Tor sich: Der Patient nimmt die schattengebende Speise am Morgen, 
nach 4 Stunden (wo sich das Coecum zu füllen beginnt) wird mit der 
Untersuchung begonnen; wiederholte Durchleuchtung, Blendenaufnahme 
bei genauer Einstellung der Appendixregion in der Mitte des Blenden¬ 
feldes. Der Patient liegt auf dem Rücken, leicht nach rechts gedreht. 
Die Resultate bei Operationen sind nicht maassgebend, da die Mani¬ 
pulationen die topographischen Verhältnisse stören. Es ergibt die 
Röntgenuntersuchung, dass die Lage des Organs sich verändert mit der 
horizontalen oder vertikalen Lage des Individuums. Der Wurmfortsatz 
bevegt sich zusammen mit dem Coecum, er führt andererseits Be¬ 
wegungen um das Coecum, als Fixpunkt gedacht, aus. Die Bewegungs¬ 
möglichkeit in weiten Grenzen ist ein Novum. Man kann Schlüsse 
ziehen, ob der Wurmfortsatz verwachsen ist oder mit dem Coecum selbst 
durch Verwachsungen verbunden ist. Eine wichtige Frage ist, ob bei 
negativem Ausfall geschlossen werden darf, dass der Wurmfortsatz 
obliteriert ist. Grigorieff behauptet, dass die Füllung in allen Fällen 
gelingt, wo ein Lumen frei ist. 

Die Füllung der Appendix vollzieht sich meist erst nach 7 bis 
8 Stunden, während das Coecum schon nach 4 Stunden bedeutende 
Ingesta aufweist. Nicht selten kommt es vor, dass erst am Tage nach 
der Untersuchung ein Schatten im Wurmfortsatz auftritt. Ebenso bei 
der Entleerung. Wir können den Wurmfortsatz schon wieder leer finden, 
wenn das Coecum noch gefüllt ist, und wir . können den Wurmfortsatz 
noch tagelang gefüllt sehen, wenn die Wismutmahlzeit schon den Darm 
verlassen hat. In einem Falle (chronische Appendicitis, coecale Schmerz¬ 
haftigkeit und Obstipation) blieb der Wurm 120 Stunden von einer 
einzigen Wismutmablzeit aus gefüllt. Grigorieff sah ihn während 
eines Verdauungsaktes verschiedentlich sich füllen und wieder entleeren. 
Wir müssen an nehmen, dass die Ingesta, die in ihn gelangen, wieder 
durch seine Eigenbewegung aus ihm herausbefördert werden. Für die 
Anschauung, dass die Füllung der Appendix meohanisch, aber die Ent¬ 
leerung durch Eigenbewegung zustande kommt, spricht eine Beob¬ 
achtung bei einer Patientin mit einer Coecalfistel: bei dieser entleerte 
sich nach Verabreichung einer Wismutmahlzeit der Kot aus dem künst¬ 
lichen After nicht konform mit der Coecumfüllung, sondern erst, nach¬ 
dem das Colon transversum etwa bis zur Hälfte gefüllt war. Dies ist 
ein Hinweis, dass die Antiperistaltik des Colon von ausserordentlicher 
Bedeutung für die Funktion des Wurmfortsatzes ist. Der Wurm wird 
oft ohne Veränderungen bei der Operation gefunden; denn die voran¬ 
geschickte Darmentleerung entleert auch die Appendix. Völlige Heilung 
der Beschwerden wird dann nicht erzielt, wenn sie nur Teilersoheinung 
einer Colitis sind, was Herr Sonnenburg immer betonte. 

Der Wurmfortsatz im Röntgenbilde zeigt uns ein überaus beweg¬ 
liches Organ. Die Bewegungen sind teils Veränderung seiner Lage 
in toto, teils veränderte Konfiguration des Organs. So erscheint er ein¬ 
mal langgestreckt, ein andermal in Windungen gekrümmt, auch in Post¬ 
hornform. Aus der Formveränderung darf man aber nicht auf pathologische 
Verhältnisse schliessen. Andererseits kann man aus einer konstanten 
abnormen Form mit einer ziemlichen Sicherheit auf adhäsive Verände¬ 
rungen schliessen, die das Organ in einer bestimmten Lage festhalten. 

Von den Bewegungen, die der Wurmfortsatz in sich macht, spielt 
diejenige eine besondere Rolle, die der haustralen Segmentation des 
Colon gleichkommt. Man sieht dann drei- bis vierfache Einschnürungen 
des Organs, die manchmal so tief sein können, dass der Wurmfortsatz 
auf dem Röntgenbilde ein Aussehen gewinnt wie die voneinander ge¬ 
trennten Glieder eines Bandwurms. Man muss längere Zeit beobachten; 
es wäre ein Kunstfehler, wenn man aus einem Bilde eine Diagnose oder 
gar eine Indikation stellen würde. 

Vortr. unterbreitet sein Material mit der Bitte, die Resultate nach¬ 
zuprüfen und sich durch die Schwierigkeiten der Technik nicht ab- 
schrecken zu lassen. (Demonstration einer grossen Zahl vorzüglicher 
Röntgenbilder.) 

Diskussion. 

Hr. A. Frankel (als Gast): Er betont die volle Uebereinstimmung 
seiner Resultate mit denen des Vorredners; namentlich legt auch er 
sieh in der Beurteilung der Röntgenbilder, was Pathognomie und Indi¬ 
kation betrifft, volle Reserve auf. Das lange Verweilen der Ingesta im 
Wurmfortsatz hat er in einem Falle beobaohtet, der klinisch als chro¬ 
nische Appendicitis diagnostiziert war. Der Fall wurde von Herrn 
Hermes operiert, die Diagnose bestätigt, ln anderen Fällen (z. B. ein¬ 
mal 11 mal 24 Stunden) ist gleichfalls langes Verweilen sicher konsta¬ 
tiert, ohne dass klinisch eine Erkrankung nachweisbar war. Also aus 
dem langen Verweilen kann kein sicherer Schluss auf Erkrankung ge¬ 
zogen werden. Eines aber scheint festzustehen, dass eine schnelle Ent¬ 
leerung für einen gesunden Wurmfortsatz spricht. 

Hr. Cohn: Schlusswort. 

3. Hr. B. Unger: Totale Migenresektion. 

Er hatte in letzter Zeit Gelegenheit, eine totale Magenresektion mit 
gutem Erfolge auszuführen. Es handelte sich um eine 42 jährige Frau, 
die längere Zeit Magenbeschwerden hatte. Es war ein deutlicher Tumor 
zu fühlen. Die chemische Untersuchung des Mageninhaltes ergab keinen 
sicheren Anhalt für die Natur des Leidens. Bei der Operation zeigte 
sich, dass der ganze Magen in einen wustförmigen Tumor umgewandelt 
war, der knollig in das Lumen hineinragte. Es waren wenig Drüsen in 
der Pylorusgegend zu fühlen; in der Umgebung keine Verwachsungen, 
nach dem Zwerchfell hin leidliche Beweglichkeit. Der Magen wurde 
vom Pylorus her reseziert, der Uebergang in den Magen liess sich leicht 


mobilisieren. Der Magen wurde in toto reseziert. Dass nichts vom 
Magen stehen geblieben, kann mit Sicherheit gesagt werden; der Ueber¬ 
gang von Magen in Oesophagus konnte aus der Verschiedenheit des 
Epithels erkannt werden. Es war kaum möglioh, Duodenum an Oeso¬ 
phagus, wegen der Spannung, anzunäben. Es wurde aber dennoch ver¬ 
sucht; die Naht hat glücklicherweise gehalten. Nur trat nach 10 Tagen 
eine Bauchdeokenfistel auf, die sich nach einigen Tagen wieder schloss. 
Jetzt, d. h. nach 7 Monaten, ist Patientin fast beschwerdefrei, sie 
kann alle Speisen essen. Bei der Durchleuchtung sieht man, wie 
der Speisebrei in senkrechter Richtung nach unten fällt und sich 
schnell im Dünndarm verbreitet. Pepsin und Lab sind im Urin nicht 
nachzuweisen, auch nicht in kleinsten Mengen, ein Beweis, dass keine 
Spur sezemierender Magenschleimhaut mehr vorhanden sein kann. 
In der Literatur sind 26 Fälle von totaler Magenresektion mit 13 Todes¬ 
fällen verzeichnet, die wenigsten aber sind totale zu nennen, meist bleibt 
doch ein Stüok Magenschleimhaut zurück. Ein einziger Fall von 
Moynihan scheint einwandsfrei zu sein, der nach 3v 2 Jahren an 
chronischer Anämie zugrunde ging. Bei der Operation wurden beide 
Vagi durchschnitten. Das scheint unumgänglich zu sein, trotz gegen¬ 
teiliger Berichte anderer Autoren. Als Folge davon machte sich in der 
ersten Zeit Meteorismus des Darmes geltend, der aber bald verschwand, 
ganz analog den Beobachtungen bei Tierexperimenten. Bei diesen ist 
Unger transpleural vorgegangen, andere (Moynihan) transperitoneal. 
Er hat neuerdings auch transperitoneal operiert, was er, bei Anwendung 
des Druckdifferenzverfahrens, empfehlen kann. 

Diskussion. Hr. Zeller: Er hatvor kurzem im Moabiter Kranken¬ 
hause eine Magenresektion vorgenommen, die aber keine totale war. Im 
Röntgenbild zeigte sich ein grosser Defekt, der auf einen grossen Tumor 
schliessen liess. Bei der Operation fand sich ein grosser Tumor des 
Corpus, es wurde ein Stück des cardialen Teiles erhalten, der Pylorus 
und ein Stück des Querkolon, auf dass der Tumor übergegangen, gleich¬ 
falls reseziert. Der Magenstumpf wurde mit Duodenum vereinigt. Der 
Tod trat nach ganz kurzer Zeit ein. Bei der Sektion fand sich, dass 
am Fundus eine kleine Nahtstelle perforiert war. Vortr. hat den Stand¬ 
punkt, dass trotz grosser Tumoren immer die Resektion zu versuchen 
sei, da die Magencarcinome wenig zu Metastasen neigen und es Tat¬ 
sache ist, dass auch die schwer zu exstirpierenden oft recidivfrei bleiben. 
Er wandte den Scbrägschnitt längs des linken Rippenbogens ah, liess 
eine Rolle unterlegen, so dass der Körper in Dorsalflexion lag, und 
hatte so eine genügende Uebersicht. Bei zu grosser Spannung soll 
man aber doch nicht Magenstumpf oder Oesophagus mit Duodenum, 
sondern mit einer freieren Schlinge vereinigen. Herr Unger könne von 
Glück sagen, dass in seinem Falle die Naht gehalten hat. 

4. Hr. E. Joseph: Zar Technik der Gastroenterostomie. 

Demonstration eines Instrumentes, das er schon früher angegeben, 
das aus zwei halbrunden Branchen, mit Charnier gegeneinander beweg¬ 
lich, besteht. An der einen sitzt ein Messer auf, das iu einer Führung 
hin und her bewegt werden kann. Nach der ersten Serosanaht wird 
das Instrument durch zwei seitliche Oeffnungen beiderseits parallel der 
Nahtlinie unter die Schleimhaut geführt, das Instrument durch eine 
zweite Serosanaht eingestülpt und nun in der Tiefe die Anastoraose 
durch das hin und herbewegte Messer hergestellt. Vortr. rühmt die 
Vorzüge seiner Methode. Holler. 


Gesellschaft für soziale Medizin, Hygiene und Medizinalstatistik 
zu Berlin. 

Sitzung vom 29. Dezember 1912. 

Vorsitzender: Herr Gottstein. 

Schriftführer: Herr Lennhoff. 

Tagesordnung. 

1. Diskussion über den Vortrag des Herrn Theilhaber: Neue sta¬ 
tistische Berechnungsmethoden der Fortpflanzung. 

Hr. Grotjahn: Wie wichtig das Problem, eine Norm für die Fort¬ 
pflanzung aufzustellen, ist, erhellt aus der Unterscheidung der beiden 
Typen der Volksvermehrung, der primitiven und der rationellen. Der 
primitive besteht darin, dass man so viel Kinder zur Welt kommen 
lässt, als die natürliche Fruchtbarkeit zulässt; er ist nur erträglich unter 
rein agrarischen Verhältnissen und bei allgemeinem Stillen der Säug¬ 
linge, das die Kinderzahl in gewisser Weise beschränkt. Demgegenüber 
steht der rationelle Typus vermittels der Geburtenprävention. Hierfür 
die richtigen Regeln aufzustellen, sind statistische Unterlagen, wie sie 
Theilhaber vorgeschlagen, unerlässlich, denn das Zweikindersystem 
reduziert nach den Berechnungen des schwedischen Statistikers Fahl- 
beok die Bevölkerung nach ungefähr 77 Jahren auf die Hälfte. Ebenso¬ 
wenig als Regel brauchbar ist das von Hamburger aufgestellte Drei- 
oonceptionssystem. Grotjahn hat als Regel in seiner „sozialen Patho¬ 
logie“ folgenden Satz aufgestellt: Jedes Ehepaar hat die Pflicht, eine 
Mindestzahl von drei Kindern über das fünfte Lebensjahr hinauszubringen, 
und jedes Ehepaar, das sich durch besondere Rüstigkeit auszeiohnet, hat 
das Recht, die Mindestzahl drei um das Doppelte zu überschreiten und 
für jedes überzählige Kind eine materielle Gegenleistung in Empfang zu 
nehmen, die von allen Ledigen oder Ehepaaren, die hinter der Mindest¬ 
zahl Zurückbleiben, beizusteuern ist Auf Grund der Thei 1 habet*’sehen 
Berechnungsmethoden hat er seine Regel geprüft und für geeignet be- 


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UNIVERSITÄT OF IOWA 





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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 7. 


funden, dem Volke einen erheblichen Bevölkerungszuwachs zu gewähr¬ 
leisten. 

Hr. Guradze: Die Mortalitätsstatistik ist nicht absolut unabhängig 
von der Geburtlichkeit und wird auch von den Wanderungen stark be¬ 
einflusst. Bei der von Theilhaber angegebenen zweiten Methode, die 
Fortpflanzung nach der Geburtenfolge zu berechnen, hält er die Art 
der Berechnung für nicht ganz einwandsfrei. 

Hr. Gottstein hält die Theilhaber’sche Formel für falsch und 
praktisch unbrauchbar. 

Hr. Crzellitzer hält im Gegensatz zu Gottstein den Vorschlag 
von Theilhaber für prinzipiell nützlich und macht auf einige rechne¬ 
rische Fehler aufmerksam, die zweite Methode der Berechnung sei da¬ 
gegen verfehlt. 

Hr. Blaschko macht darauf aufmerksam, dass infolge der sinkenden 
Säuglingssterblichkeit trotz der Abnahme der Geburten der Bevölkerungs¬ 
zuwachs im Jahre 1910 um 200 000 grösser ist als im Jahre 1875, und 
dass im Jahre 1910 142 036 Todesfälle von Kindern im ersten Lebens¬ 
jahre erspart geblieben sind. Vielleicht zielt die Tendenz der Bevölke¬ 
rungspolitik dahin, dass ein Teil der Bevölkerung, die ländliche, die 
Geburtenvermehrung übernimmt, während anderen Teilen andere Auf¬ 
gaben zufallen. Die Theilhaber’schen Zahlen ergeben nicht die Fest¬ 
stellung der Fruchtbarkeit, sondern eines Ergänzungswertes, d. h. der 
Ziffer, die ausreicht, die Bevölkerung konstant zu erhalten. 

Hr. Tugendreich: Geburtenziffer und Säuglingssterblichkeit gehen 
nicht immer parallel. Der Rückgang der Sterblichkeit findet einmal 
eine Grenze, während der Rückgang der Geburtenziffer theoretisch auf 
0 gehen kann. 

Hr. Theilhaber (Schlusswort). 

2. Hr. Mamlock: 

Aztliches aus dem Versicherungsgesetz für Privataugestellte. 

Vortr. beschränkt sich nur auf einige wichtige Fragen, die sich auf 
die ärztliche Tätigkeit beziehen. Eine der Hauptaufgaben für die Aerzte ist 
die Entscheidung über die Berufsunfähigkeit, die im Anfang sehr schwierig 
sein wird, da das Gesetz die verschiedensten Berufe umfasst, soweit sie 
ein Einkommen bis zu 5000 M. haben. Im Gegensatz zur RVO., wo 
Invalidität als Folge von Krankheit oder anderen Gebrechen anzunehmen 
ist, tritt Berufsunfähigkeit des neuen AVG. nicht nur ein im Gefolge 
körperlicher Gebrechen, sondern auch wegen Schwäche der körperlichen 
und geistigen Kräfte. Dieser Zustand kann eine Alterserscbeinung sein 
und ist auch dann als Grund der Berufsunfähigkeit zu berücksichtigen, 
wenn eine Krankheit als solche nicht objektiv feststellbar ist. Als 
dauernd gilt die Berufsunfähigkeit, wenn ihre Beseitigung in absehbarer 
Zeit nach menschlicher Voraussicht unmöglich ist. Für den Eintritt der 
Berufsunfähigkeit ist maassgebend der Zeitpunkt, von dem an die Pro¬ 
gnose der Unheilbarkeit objektiv begründet war, nicht deijenige, in dem 
sie zuerst gestellt war. 

Die Berufsunfähigkeit ist anzunehmen, wenn die Arbeitsunfähigkeit 
auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig ge¬ 
sunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kennt¬ 
nissen und Fähigkeiten herabgesetzt ist, während der Arbeiter nach der 
RVO. als invalide angesehen wird, der ausserstande ist, ensprechend 
seinen Kräften und Fähigkeiten unter billiger Berücksichtigung seiner 
Ausbildung und seines bisherigen Berufes ein Drittel dessen zu erwerben, 
was geistig und körperlich Gesunde derselben Art mit ähnlicher Aus¬ 
bildung in derselben Gegend durch Arbeit zu verdienen pflegen. Der 
Arbeiter ist dann invalide, wenn er zur Ausübung irgendeiner Tätigkeit, 
die ihm billigerweise zugemutet werden kann, nicht fähig ist, während 
der Angestellte Anspruch auf Rente hat, wenn er für seinen Beruf un¬ 
fähig ist oder für einen derjenigen Berufe, für die das AVG. bestimmt 
ist. Dadurch ist die Frage viel komplizierter als in der RVO. Hinzu 
kommt, dass Berufsunfähigkeit nicht begründet ist bei Krankheiten, die 
zwar die Arbeitsfähigkeit nicht beeinträchtigen, dagegen die Möglichkeit 
zur Erlangung von Arbeitsgelegenheit beschränken, z. B. zahlreiche 
Dermatosen, Ozaena, entstellende Affektionen. 

Zur Verhütung der Berufsunfähigkeit kann ein Heilverfahren ein¬ 
geleitet werden, doch besteht kein Anspruch darauf. Für gewisse Fälle 
ist die Zustimmung des Kranken erforderlich, doch darf sie nur ver¬ 
weigert werden, wenn die Heilbehandlung mit einem operativen, das 
Leben oder die Unversehrtheit des Körpers beeinträchtigenden Eingriff 
verbunden ist oder eine durch das Heilverfahren bedingte Aussetzung 
der Berufstätigkeit für den Erkrankten unwiederbringliche Nachteile im 
Gefolge haben würde, oder wenn dem Erkrankten bei dem Heilverfahren 
eine seiner sozialen Stellung nicht entsprechende Lebensweise zugemutet 
wird, oder wenn es ihm mehr Beschränkungen und Unbequemlichkeiten 
auferlegt, als der erstrebte Heilzweck solche unbedingt erfordert. 

Hierdurch wird die Tätigkeit des Arztes noch mehr erschwert, be¬ 
sonders wenn die Angestellten zugleich dem AVG. und der RVO. unter¬ 
stehen. Zu wünschen ist, dass für die Gutachtertätigkeit keine Mono¬ 
polisierung geschaffen wird und der Kreis der zur Begutachtung zu be¬ 
stellenden Aerzte nicht zu eng gezogen wird. 

(Die Diskussion wird vertagt.) J. Lilienthal. 


Berliner^ophthalmologlsche Gesellschaft. 

Sitzung vom 21. November 1912. 

1. Hr. Fehr: Zar operatives Behandlung der Netzhautablösung. 

F. kombiniert Skieralpunktion und Druckverband. Bei der Punktion 


fliesst nur so viel subretinale Flüssigkeit ab, wie unter dem Druck der 
Bulbushüllen steht, der Rest wird durch einen exakt angelegten und 
während dreier Tage erneuerten Druckverband ausgesperrt; am vierten 
und fünften Tage folgen leichte Verbände, dann bleibt das Auge frei. 
Bei 47 so behandelten Fällen sah er 30 pGt Dauererfolge (Beobacbtungs- 
zeit 1 Vs Monate bis 4 Jahre), 86 pCt. Besserungen, 33 pCt. blieben 
unverändert. 

Diskussion. 

Hr. F. Schoeler sah von Birch-Hirschfeld’s Verfahren Erfolg in 
zwei Fällen. 

Hr. Halben empfiehlt wiederholte Punktionen, weil die Netzhaut 
die Punktionswunde verlegen könnte. 

Hr. Hirschberg hält dieses Bedenken Halben’s für unbegründet. 

2. Hr. Liepaann berichtet über zwei Fälle von Rindeihliidheit und 
demonstriert Gehirnschnitte von denselben, aus denen hervorgeht, dass 
bei beiden die centrale Sehstrablung völlig zerstört war. Beide Patienten 
zu Lebzeiten stockbl\nd, bei beiden war der Pupillenreflex auf Belichtung 
erhalten. 

Hr. Levinsohn teilt mit, dass in einem Falle der Blinzelreflex auf 
Belichtung mit relativ schwacher Lichtquelle geschwunden, in dem 
anderen Falle erhalten war. Und zwar handelte es sich nicht um die 
geringe Bewegung des Unterlides, die L. früher beobachtet und als sub- 
corticalen Blinzelreflex beschrieben hat, sondern um einen typischen 
Lidschlussreflex bei Belichtung. Der Fall beweist somit, dass auch der 
typische Blinzelreflex bei Belichtung nicht immer an den Cortex oerebri 
gebunden zu sein braucht, also für das Vorhandensein von Sehen nicht 
geltend gemacht werden kann. 

In der Diskussion widerlegen die beiden Vortragenden, Liep- 
mann durch Beziehung auf Versuche von Eckhard, Levinsohn in¬ 
dem er auf eigene Experimentaluntersuchungen hinweist, die Vermutung, 
dass in dem demonstrierten Falle der Blinzelreflex durch Vermittelung 
des Trigeminus zustande gekommen wäre. Kurt Steindorff. 


Medizinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für vater¬ 
ländische Kultur zu Breslau. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 6. Dezember 1912. 

Vorsitzender: Herr A. Neisser. 

Schriftführer: Herr Rosenfeld. 

Vor der Tagesordnung demonstriert Hr. Heiarieh flarttung einen 
Fall von Sputangaugrän des Zeigefingers. 

(Ist in Nr. 4 dieser Wochenschrift bereits abgedruokt.) 
Tagesordnung. 

Hr. Peafiek: 

Ueber Merkas Brightii von Erwachsenen and Kindern, dessen Ent¬ 
stehung und Ausgänge. (Mit Demonstration.) 


Sitzung vom 10. Januar 1913. 

Vorsitzender: Herr Rosenfeld. 

Schriftführer: Herr Partsch. 

Hr. J. Pohl: 1. Demonstration ftber die Wirkung der Balsamiea. 

(Vgl. Therapeutische Monatshefte, 1912, H. 12.) 

2 . Ueher Kombination des Methylalkohols mit anderen Alkoholen. 

Die letzten Massenvergiftungen mit Methylalkohol haben aufe neue 
die Aufmerksamkeit auf diesen durch Eigenart, Dauer und Schwere seiner 
Wirkung besonders verhängnisvollen Stoff gelenkt Da die Berliner 
Asylisten meist notorische Gewohnheitstrinker, Schnapsbrüder gewesen, 
so wäre an dem so rasch zum Tode führenden Verlauf vielleicht die 
Kombination mit anderen Alkoholen schuld. Herr cand. med. Asser 
hat deshalb eine Reihe von quantitativen Versuchen über die variierende 
Oxydation des Methylalkohols nach gewissen Zusätzen ausgeführt, ins¬ 
besondere mit Bestimmung der Formiatausscheidung im Harn. Ueber- 
raschenderweise ergab es sich, dass Aethylalkohol, Amylalkohol, Aceton 
die Formintausscheidung im Harn herabdrücke, die Alkoholoxydation 
also steigert. Gegenüber der beliebten Verallgemeinerung, dass Alkohol 
die Oxydationen hemme nach Analogie mit der durch ihn bedingten 
Störung der Benzoloxydation zu Phenol, ein nicht uninteressanter Be¬ 
fund! Die analytischen Belege sowie die Erfahrungen mit an Alkohol 
gewöhnten Tieren werden in der Dissertation des Genannten veröffent¬ 
licht werden. 

Hr. Hetze: Sehädelhusisfraktur ui Gehirnnervenverletzug. 

Vortragender bespricht den Mechanismus der Schädelbasisbrüche 
und schildert an der Hand von Zeichnungen eine Reihe von Experi¬ 
menten, die er bezüglich dieser Frage vorgenommen hat. Die Wirkung 
einer auf den Schädel gerichteten Gewalt wird leicht verständlich, wenn 
man sich dieselbe nach dem Gesetz von dem Parallelogramm der Kräfte 
in ihre Komponenten aufgelöst denkt. Die Richtung, in welcher die 
Gewalt wirkt, bildet dann die Achse eines Kraftkegels, dessen Kraft¬ 
linien nach allen Seiten ausstrahlen. Besonders wertvoll wird diese 
Vorstellung zur Erklärung der am Gegenpol beobachteten Erscheinungen, 
d. h. also zur Erklärung und Demonstrationen „der Frakturen duroh 
Contrecoup“. Vortragender hat zu diesem Zwecke folgendes Experi- 


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17. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


329 


ment angestellt: Um die Wirkung der „Kraftlinien“ sichtbar zu machen, 
wurde ein mit gefärbter Gelatine bis zu dem offenen Hals (bei ge¬ 
schlossenem explodiert er) gefüllter Kolben beschossen. Tesching 6 mm 
82 Schritt. Der Schuss traf den Kolben fast genau in der Mitte, die 
Kugel prallte ab und perforierte das Glas nicht, vielmehr fand sich an 
der Aufschlagstelle eine zierliche Sternfraktur mit mehlartig zerstäubtem 
Centrum, durch welches nur eine feine Präpariernadel in die Gelatine 
eindringen konnte. Genau in geradliniger Verlängerung durchsetzte ein 
Sprung die Gelatine bis zur gegenüberliegenden Glaswand. An dieser 
fand sich nun, nur etwas vergröbert, ein fast genaues Spiegelbild der 
gegenüberliegenden Fraktur, aber hier fand sich im Centrum ein etwas 
grosseres Loch, die Glassplitter waren leicht nach aussen gebogen. 
Ausserdem fanden sich einige grobe Sprünge in der Glaswand, nament¬ 
lich an der Rückwand, und einige Risse in der Gelatine abseits von dem 
medialen Kraftstrahl. Der Stoss, den eine unipolare Kraft auf den 
Schädel ausübt, ist also nicht am Angriffspunkt erschöpft, sondern setzt 
sich noch weiter durch den Schädel fort, eventuell bis zur Gegenwand. 
Ob eine Leistung durch diese Kraft erzielt wird, bängt von ihrer Stärke 
ab. Es werden dadurch besonders die Hirnverletzungen am Gegenpol 
verständlich: Das Gehirn prallt an den starreren Schädel an. (Demon¬ 
stration von Abbildungen des Experiments in natürlicher Grösse.) Uebri- 
gens ist ja jede Kugel, die in den Schädel eindringt, eine deutliche 
Marke für die Richtung und Wirkung der „Kraftstrahlen“. Redner ver¬ 
weist auf die experimentellen Arbeiten von Ti 1 mann. 

Im zweiten Teil seines Vortrages gibt Redner einen Ueberblick über 
Art der Entstehung, pathologische Anatomie und Symptomatologie der 
Gehirnnervenverletzungen bei Schädelbasisbrüchen. Letztere wird an der 
Hand von Abbildungen namentlich für den Opticus und Facialis er¬ 
läutert. Unter 130 Schädelbasisbrüchen des Allerheiligenhospitals fanden 
sich in 40 Fällen Verletzungen eines oder mehrerer Gehirnnerven. Auch 
hier waren Opticus und Facialis am häufigsten betroffen. 

Diskussion. 

Hr. Ubthoff geht vom ophthalmologischen Standpunkte auf die 
Schädigungen des Opticus und Augenbewegungsnerven bei den Schädel¬ 
frakturen näher ein und verweist besonders auf eine jüngst erschienene 
Bearbeitung des Themas durch seinen Assistenten Herrn Dr. Boehm 
(Inaug.-Dissertation), in der ein grösseres Material von Schädelfrakturen 
aus der Breslauer chirurgischen Universitätsklinik und aus der Universitäts- 
Augenklinik sorgfältig verarbeitet worden ist. Er verweist ferner auf 
seine früheren Mitteilungen über Sehnervenscheidenhämatom und tempo¬ 
rale Hemianopsie bei Schädelfrakturen, die zum Teil schon weit zurück¬ 
liegen. Auch auf die Lähmung der Augenbewegungsnerven bei Schädel¬ 
brüchen geht Redner noch etwas näher ein und speziell auf die 
Abducenslähmung als die häufigste der hierbei vorkommenden Augen- 
muskelläbmungen. 


Verein der Aerzte Wiesbadens. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 8. Januar 1913. 

Vorsitzender: Herr G. Meyer. 

1. Hr. Herxkeimer: Pathologisch-anatomische Demonstrationen. 

Vortr. demonstriert 5 Carcinome des Verdauungstractus: 
a) Careinom des Oesophagus in der Höhe der Trachealbifurkation mit 
stenosebewirkender Metastase, dicht oberhalb der Gardia; so be¬ 
wirkte die Metastase den Tod, während der Primärtumor noch klein war. 
Dass es sich um eine echte Metastase, nicht etwa um sogenannte Impf¬ 
metastase handelte, liess sich deutlich verfolgen. Vortr. weist hierbei 
auf die Untersuchungen, vor allem Borrmann’s, hin. 

b) Oesophagoalcarcinom und uoabhäogig hiervon Careinom der 
8ehilddrnse, also zwei benachbarte Primärcarcinome. Dos Tbyreoidal- 
earcinom war vor einigen Monaten exstirpiert worden und erwies sich 
bei mikroskopischer Untersuchung als Adenocarcinom. Das nunmehr im 
Oesophagus und Sinus pyriformis auftretende Careinom wurde klinisch 
für ein Recidiv des Schilddrüsencarcinoms gehalten, erwies sich aber bei 
der Sektion als zweiter Primärtumor, mikroskopisch als Cancroid mit 
enormer Verhornung. Von Interesse ist, dass das Oesophaguscarcinom 
nach Exstirpation des anderen Tumors sich erst entfaltet zu haben und 
rapide gewachsen zu sein scheint 

c) Es werden drei Fälle demonstriert, in welchen relativ kleine 
Careiiome des Magefls, an der kleinen Curvatur gelegen, zum Teil 
offenbar auf Grund peptiseber Geschwüre zu enormen Leber- 
metastasen führten. Gerade die Magen carcinome mit diesem Sitz 
scheinen in der Regel keinerlei Symptome zu machen und wurden auch 
in den vorliegenden Fällen niemals klinisch diagnostiziert, andererseits 
aber sehr schnell zu besonders ausgedehnten Metastasen in der Leber 
zu führen. 

2. Hr. Vagt: Ueber isoliert« seelische Defekte. 

Vortr. berichtet über einen 11jährigen Jungen, der körperlich und 
geistig wohl entwickelt ist and eine mehr als durchschnittliche Intelligenz 
för sein Alter besitzt, der aber nicht imstande ist, Lesen und Schreiben 
ordentlich za lernen. Während der Junge kaum richtig abschreibeu 
kann, nach Diktat nur mangelhaft schreibt, ist er aber imstande, gut 
zd zeichnen; namentlich die abstrakte Wiedergabe gewonnener Ein¬ 
drücke, das koitotruktive Zeichnen steht im Vordergrund, wie überhaupt 
ein ausserordentlioh grosses Interesse für Konstruktionen und Maschinen 


vorhanden ist. Dabei besteht natürlich keine Seelenblindbeit, so dass 
etwa unter Anwendung der Bitdchenschrift oder anderer komplexer Ein¬ 
drücke auch beim Lesen and Schreiben eine Störung wohl nicht zu er¬ 
kennen wäre. Was gestört ist, ist hauptsächlich der literale Teil der 
Sprache, die Zusammenfügung und Zerlegung des Wortes aus Buchstaben. 
Der Junge lernt leicht, wenn ihm vorgelesen wird, durch eigenes Lesen 
ist es ihm sehr schwer. Eine Lokalisation dieser Störung erscheint kaum 
möglich. 

3. Hr. Ohlemana: 

Ueber Aogeiverletzongeii durch sogenannte water core und Zodiak 
Golfbälle. 

Im Oktoberheft 1912 des Ophthalmie record in Chicago berichtet 
Casey Wood über schwere Augenverletzungen durch sogenannte water 
core Golfbälle, Bälle, deren Kern nicht wie bei den bisher benutzten und 
auch in Deutschland gebrauchten aus reinem Gummi besteht, sondern, 
angeblich wegen grösserer Elastizität, flüssig ist. Dieser flüssige Kern ist 
aber nicht Wasser, wie der Name sagt, sondern eine Flüssigkeit mit 
stark ätzenden Eigenschaften und von hohem spezifischem Gewicht. 
Sie ist in einem kleinen hohlen Gummiball, der mit Gummibändern 
fest umwickelt wird, enthalten. Darüber kommt ein weisser Ueberzug. 
Diese Bälle werden maschinell und fabrikmässig hergestellt. Wird ein 
solcher Ball, berichtet Casey Wood, angeschnitten oder sonst irgendwie 
geöffnet, dann spritzt der Inhalt explosionsartig heraus und verletzt 
Gesioht und Augen iu erheblicher Weise. Starke Chemosis der Binde¬ 
häute, Hornhautentzündung und -trübungen, Iritis, Iridocyclitis, selbt 
mit HypopyoD, sind die Folgen, die viele Wochen dauern. Eine andere 
Ursache des explosiven Vorgangs ist nicht genannt. Einige Wochen 
später berichteten ähnliche Vorkommnisse die Mitteilungen vom College 
of physicians in Philadelphia, nur dass es sich hier um sogenannte 
Zodiak Golfbälle handelte. Sie unterscheiden sich von den vorigen da¬ 
durch, dass der Kern nicht aus einer Flüssigkeit besteht, sondern aus 
einer kittartigen grauen Paste von stark alkalischer Reaktion. Auch 
hier konnte über die Ursache des explosiven Vorgangs nichts weiter 
mitgeteilt werden. 

Es besteht nun aber die Möglichkeit, dass künftig derartige Golfbälle 
unter wiederum anderen Namen in den Handel kommen, ähnlich wie 
dies auch bei den Metbylalkobolintoxikationen der Fall war, der anfangs 
als Wood-Alkohol, dann als Spirits of Columbia, später als Essence of 
peppermint, Essence of Jamaica u. a. m. bezeichnet wurde, wie ich schon 
1903 mitteilte. 

Sicherstes Schutzmittel würde sein, wenn beim Import ein halbierter 
Ball der Sendung beigefügt würde, ähnlich wie man dies beim Handel 
mit Apfelsinen sieht. G. Herxheimer. 


Aerztlicher Verein zn Essen-Ruhr. 

(Wissenschaftliche Abteilung.) 

Sitzung vom 3. Dezember 1912. 

Vorsitzender: Herr Schüler. 

1. Hr. Gminder: Bericht über zwei weitere Nierendekapsnlationen 
wegen Eklampsie post partum. Bei beiden Frauen gingen die Anfälle 
weiter; beide Frauen kamen ad eiitum. 

5 Dekapsulationeu, 5 Todesfälle. Bei einem vor kurzem beob¬ 
achteten Eklampsiefalle (Sectio caesarea Ende des 8. Monats) Dekapsu- 
lation unterlassen. Exitus. 

2. Besprechung der Operation eines grossen Banehbraches im An¬ 
schluss an Kaiserschnitt (längs) nach Menge-Grauer. Resultat nicht 
ganz gut. Es blieb ein Loch in der Fascie übrig, in das sich der Uterus 
(nach Tubenunterbindung, die rechte fehlend!) wie eioe Pelotte einnähen 
liess. Glatte Heilung. Ende der 4. Woche Abortus mensis I, der wegen 
starker Blutung ausgeräurat werden musste. (Frau batte 3 Tage vor 
der Krankenbausaufnahme noch die Menses gehabt!) An der Stelle der 
Uteruseinnähung ist nun wieder ein markstückgrosses Locb, das wohl 
auf den Abort zurückzu führen ist. 

8. Demonstration einer 40jäbrigen Frau; vor 2 Monaten Kaiser¬ 
schnitt wegen engen Beckens (7 ccm vera!). Verlauf glatt. Fall 
dadurch interessant, dass er vor 2 Jahren von anderer Seite hebotomiert 
und das Kind dann nach 7 Stunden noch perforiert worden war. Aus 
den demonstrierten Röntgenbildern ergibt sieb, dass damals nur der 
variceutrale Schambeinast durch trennt war; der Schnitt war zu weit 
nach aussen gelegt worden. 

Präparate. 

1. Gut faustgrosser Adaextnmor (Hämatosalpiux, Stieldrehung). 
Diagnose war auf Extrauterine gestellt. Querschnitt. Glatte Heilung. 

2. Zwei Cervixearciaoue, erweiterte Operation nach Wertheim. 
Glatte Heilung. 

Bei dem einen Fall nach 7 Wochen Fadeneinwanderung in Blase 
(Seide!). Cystoskopie: kirschgrosser Stein. Wurde spontan mitsamt 
dem Faden ausgestossen. 

3. Ein manuskopfgrosser solider Ovarialtamor (Fibrom), stammt 
von 70jähriger Frau. Ein bestehender Ascites war durch Stiefdrehung 
hervorgerufen. Glatte HeiluDg. 

r 4 i Kiudskopfgrosses glanduläres Ovarialkystom, stammt von 
69jähriger Frau. (Vor 20 Jahyen Totalexstirpation des Uterus wegen 
Myoms!) Glatte Rekonvaleszenz. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 7. 


5. Vier kindskopfgrosse Uteri uyomatosi. Radikaloperationen. 
Glatte Heilungen. 

6. Faustgrosser Uterus mit multiplen kleinen Myömcben durch¬ 
setzt. Auslösung schwer wegen der Verwachsungen. War vor 5 Jahren 
von mir operiert wegen Perforationsperityphlitis. Links auf Beckenboden, 
direkt über Ureter, ein gut bohnengrosses, hartes Gebilde mitgenommen 
(erweist sich als Knocbendermoid). Glatte Heilung. 

7. Grosses, stielgedreht gewesenes Ovarialkystom (wegen Perityphlitis, 
Peritonitis eiugeliefert). Es fand sich auch ein steif entzündeter Wurm, 
in dessen Spitze ein grösserer Emaillesplitter (Demonstration). Glatt 
geheilt. 

8. Verschiedene, bei jungen Frauen doppelseitig vorhanden gewesene 
Ovarialkystome. Es wurde eine kleine Platte Ovarialgewebes zurück- 
gelassen (Resektion nach Menge). Drei Operationen liegen 10 Wochen 
zurück. Hatten keine Menses wieder. 

9. Zwei roptnrierte Tnbensäcke (Gravidität 9. Woche). Quer¬ 
schnitte mit glatter Heilung. (Autoreferat.) 

Diskussion. 

Hr. Linde mann berichtet über Steinbildung an Seidenfäden in 
der Blase nach Carcinomoperation und empfiehlt daher für solche Fälle 
die Naht mit Catgut. 

Sodann fragt er an, ob es eine Hämatosalpini ohne Gravidität gebe, 
was von Herrn Gmindcr bejaht wird, da er nach Stauung, Drehung 
und Verwachsungen entstehen könne. Diese Frage ist wichtig für eine 
eventuelle Unfallsentschädigung. Schüler. 


Aerztlicher Verein za Hamborg. 

Sitzung vom 14. Januar 1913. 

Demonstrationen. 

1. Hr. Werner stellt einen jungen Mann mit Verrnga peraviana 
vor. Derselbe war Frühjahr 1912 durch das Ohajathal (Peru) gewandert 
und an typhusähnlichem Fieber erkrankt, lag 80 Tage in Lima krank, 
wurde damals ohne Erfolg mit Chinin behandelt. Gebessert entlassen 
trat später sechswöchiges Fieber auf, mit grosser Prostration, gleich¬ 
zeitig ein Hautausschlag, dessen Reste jetzt noch zu sehen sind. Pat. 
wurde vor 4 Wochen in das tropenhygienische Institut aufgenommen 
und bot (neben einer auf Chinin prompt zurückgehenden Tertiana) die 
typischen Hautveränderungen der Verruga peruviana (Demonstration der 
Moulage), warzige Effloreszenzen von Stecknadelkopf- bis Walnussgrösse, 
häufig gestielt, mit starker Neigung zu Blutungen, an den Streckseiten 
des Unterarms und der Unterschenkel lokalisiert. Kurze Besprechung 
der Aetiologie und des klinischen Bildes. Uebertragungsversuche auf 
Tiere gelangen hier nicht. 

2. Hr. Kropeit: 43 jährige Frau, welcher er einen apfelgrossen 
Blasentamor (breit aufsitzendes Papillom) mittels kalter Schlinge partien¬ 
weise endovesikal entfernt hat. 

3. Hr. Albanns zeigt mehrere Kranke mit Hetero- and Aotoplastik 
(Paraffininjektion, Hautperiostlappen, künstliche Nasen aus Hartgummi 
und Celluloid). 

4. Hr. Plate: 63 jähriger Mann, vor 2 1 j 2 Jahren mit Kreuzschmerzen 
und linksseitiger Ischias erkrankt, bot damals geringe Reflexanomalien, 
Wassermann negativ. Vor 2 Jahren ist spontan eine Fistel am Sternum 
entstanden. Eude 1912 in St. Georg aufgenommen: Senil, indolente 
Bubonen, Fistel am Sternum (im Eiter keine Tuberkelbacillen, keine Akti- 
nomycose), Wirbelsäule steif, nicht klopfempfindlich, Reflexstörungen, 
Wassermann wiederum negativ. Im Röntgenbilde der Lendenwirbelsäule 
zwei Wirbelkörper zusammengefallen. Später Fieber, Schüttelfröste, An¬ 
schwellung der Leber. Auf Hg schon am zweiten Tage Fieberabfall und 
völlige, dauernde Genesung! Das ganze Krankheitsbild muss doch wohl 
(obwohl Infektion strikte negiert und Wassermann zweimal negativ aus¬ 
fiel) als auf luischer Basis entstanden angesehen werden. 

5. Hr. Rittershaus : Puella publica in mittlerem Alter, die seit 
3 Jahren, angeblich nach einem Kopftrauma, eine Hemiparese hat, ohne 
dass sie hierdurch im Erwerb beschränkt wurde. 

6. Hr. Deseniss demonstriert ein Uterascarcinom, welches nur 
warzengross lediglich auf die Muttermundlippe beschränkt war. Es 
wurde sehr frühzeitig operiert (Wertheim’sche Operation), trotzdem fand 
sich schon ein grosses Drüsenpaket an der Hypogastrica, das sich histo¬ 
logisch als Carcinom erwies. 

Hr. Rieck: 

Zar Therapie übermässig starker menstrueller Blutungen. 

Nach einem Hinweis auf die oftmals schwer zu erlangenden ana¬ 
mnestischen Angaben bezüglich übermässiger Regeln bespricht R. im 
einzelnen die zu Gebote stehenden Mittel. Für eine Reihe von Fällen, 
in welchen die Abrasio kein Dauerresultat liefert und die Röntgen¬ 
bestrahlung nicht in Betracht kommt, empfiehlt er die von ihm kürzlich 
empfohlene teilweise Wegnahme des Corpus uteri (schräge Resektion des 
Fundus samt Fundushöhle), die sogenannte Defundatio. Dadurch lässt 
sich die Menorrhagie vermindern, eventuell fast ganz einschränken. Das 
Problem einer Dosierung der Regel scheint ihm damit gefunden zu sein, 
gleichgültig, welches die Aetiologie der Menorrhagie war. Nachteil: 
die Patientin ist zugleich sterilisiert. Vorteil gegenüber Totalexstir¬ 
pation: leichterer Eingriff, die Menses bleiben erhalten. 


Indikation: a) Alle Fälle, bei welchen bisher die Totalexstirpation 
wegen zu starker Blutung gemacht wurde, b) Mittelschwere Fälle im 
mittleren Alter (30—40 Jahre), bei welchen bisher Abrasio ausgeführt 
wurde, falls durch Fortbestehen der Menorrhagien Arbeitsfähigkeit und 
Lebensfreude allzusehr beeinträchtigt wird. — Bei schon im Klimakterium 
stehenden Frauen ist Röntgenbestrahlung als einfacher vorzuziehen. 

Diskussion. 

Hr. Kümmell: Wegnahme eines Stückchens Schleimhaut durch 
Defundation ist doch wohl etwas zu teuer verkauft! Vorher ist die 
Röntgenbehandlung zu versuchen; neuerdings ist dabei eine Dosierung 
möglich, so dass die Menses normal werden, ohne dass es zur Sterili¬ 
sation kommt. 

Hr. Mathäi hält die Defundation im fortpflanzungsfähigen Alter 
nicht für angezeigt; die Röntgentherapie muss jetzt mehr herangezogen 
werden. Vielfach liegt der Grund für dauernde Menorrhagien in ent¬ 
zündlichen Prozessen der Umgebung des Uterus. 

Hr. Rüder hatte ebenfalls bisher keine Veranlassung gehabt, eine 
Defundation auszuführen; er kam stets mit einer in Narkose vorge¬ 
nommenen gründlichen Auskratzung aus. Wie sind die Dauerresultate 
der Defundation? Da der Eingriff immerhin ein ziemlich grosser ist, 
wird sich im speziellen Falle doch die Totalexstirpation mehr empfehlen 
(Gefahr eines späteren Carcinoms usw.). 

Hr. Hänisch: Die Röntgentherapie, die jetzt nur noch eine Oligo¬ 
menorrhoe (nicht mehr, wie anfangs, eine Amenorrhoe) erstrebt, ist ein¬ 
facher und ungefährlicher, besonders bei der vorsichtigen Hamburger 
Technik (80—100 Einheiten insgesamt). 

Hr. Grube empßehlt in Narkose genaueste Untersuchung; dann 
Abrasio mit nachfolgender mikroskopischer Untersuchung; ungeheilt 
blieben dann nur ganz wenige Fälle, er selbst batte drei solche inner¬ 
halb 11 Jahren. Als Ersatz für die Totalexstirpation kann die Defun¬ 
dation in einzelnen, wohl ausgewählten Fällen in Betracht kommen. 

Hr. Lomer hat, im Gegensatz zu allen übrigen Diskussionsrednern, 
die Operation selbst mehrmals ausgeführt, sie ist technisch leicht und 
empfiehlt sich als Mittelding zwischen Abrasio und Totalexstirpation. 

Hr. Rieck (Schlusswort) betont, dass die Endikationsstellung, wie 
er auch hervorhob, eine vorsichtige sein muss; bei jungen Mädchen 
empfiehlt er die Defundation nicht. Er hat die Operation in den letzten 
3 Jahren sechsmal ausgeführt. C. He gl er. 


Naturwissenschaftlich-medizinische Gesellschaft za Jena. 

Sitzung vom 16. Januar 1913. 

Vorsitzender: Herr Lex er. 

1. Hr. Reha: Ueber Oesophagusplastik. 

R. demonstriert einen Hund, bei welchem die Resektion des cardialen 
Abschnittes der Speiseröhre mit bestem Erfolg ausgeführt wurde. Der 
Eingriff fand vor 14 Tagen statt und wurde gut vertragen. Vortr. 
schreibt diesen Erfolg dem Umstand zu, dass er auf die direkte Ver¬ 
einigung der Resektionsstürapfe verzichtete und die Speiseröhre in toto 
(Schleimhautschlauch) entfernte, ein Verfahren, welches er mit wesent¬ 
lichen Abweichungen und unabhängig von ähnlichen 1897 von Levy 
ausgeführten Hundeversuchen mittels zahlreicher Experimente ausgearbeitet 
hat. Vortr. verspricht sich bei der experimentell begründeten ausge¬ 
zeichneten Brauchbarkeit und Modifikationsfähigkeit der Methode gute 
Erfolge von ihrer Uebertragung in die klinische Anwendung. 

Diskussion. Hr. Lex er hat bei vier Operationen sehr ausgedehnter 
Speiseröhrenkrebse trotz des schliesslich ungünstigen Ausgangs die feste 
Ueberzeugung gewonnen, dass mit Hilfe der Durchziehmethode Rehn’s 
jedes nicht allzu grosse Carcinom radikal zu entfernen ist. Auf jeden 
Fall bedeutet das Rehn’sche Verfahren einen Fortschritt Nach der 
Heilung ist die Bildung einer neuen Speiseröhre nach der Lexer’scben, 
bereits in einigen Fällen erprobten Methode möglich. 

2. Hr. Lexer: Mammaplastik bei Mammahypertrophie. 

Wiedervorstellung der am 7. November 1912 gezeigten Patientin 

zur Demonstration des guten Erfolges der ausgeführten Resektion bzw. 
Plastik. 

3. Hr. Hesse: Prothese bei halbseitiger Oberkieferresektion. 

Durch eine kleine Modifikation der gebräuchlichen Prothesen wird 
ein besserer kosmetischer Erfolg erzielt. Die ohne Prothese unverständ¬ 
liche Sprache wird nach ihrer Einführung ganz verständlich. 

4. Hr. diese: a) Differeatialdiaguose zwischen Tod durch Er¬ 
hängen and Erwürgen. 

Nach einem übersichtlichem Referate über Sitz, Verlauf und Form 
der Druckfurchen am Halse Erhängter und Erdrosselter berichtet G. 
über einen Fall aus seiner gerichtsärztlichen Praxis, bei dem durch ein 
unklares gerichtsärztliches Protokoll verschleiert war, ob Mord oder Selbst¬ 
mord vorlag. Durch umsichtige nachträgliche Erhebungen gelang es, 
das Protokoll zu ergänzen, den Fall zu klären und einen Mord aufzu¬ 
decken. 

b) Perforationsperitonitia nach Stampfer Banchverletznng. 

Der aus der Gutachtertätigkeit stammende Fall lehrt, dass ein 
leichtes Trauma, das den Bauch betrifft, und das zu äusserlich wahr¬ 
nehmbaren Verletzungen nicht führt, gelegentlich durch ftarmperforation 
eine tödliche Peritonitis hervorrufen kann. Die klinischen Symptome 


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17. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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waren so gering, dass eine Peritonitis nicht vermutet werden konnte. 
Auch dieser Fall demonstriert den Wert einer eingehenden gerichtsärzt- 
licheo Obduktion. 

5. Hr. Gumprecht: 

S&nglingssterbliehkeit im GrosBherzogtnm Sachsen-Weimar. 

Der an interessanten Einzelheiten reiche Vortrag eignet sich nicht 
für ein kurzes Referat. Zweifellos haben regionäre Eigentümlichkeiten 
Einfluss auf die Säuglingssterblichkeit. Die auf den ersten Blick para¬ 
doxe Erscheinung, dass in dem für den Vortrag berücksichtigten Bezirke 
die Zahl der unehelichen Geburten sehr gross, die Säuglingssterblichkeit 
unehelicher Rinder aber gegenüber dem Durchschnitt auffallend gering 
ist, erklärt sich aus den Gebräuchen der ländlichen Bevölkerung vor 
der Hochzeit. 

6. Hr. Berger: Mensag der Reflexzeit. 

Durch graphische Registrierung des reflexauslösenden Reizes und 
des Reizerfolges maass Vortr. die Zeitdauer des Drohreflexes (Lidschluss 
bei einer Drohbewegung in das fixierte Gesichtsfeld.) Er ist ein aus¬ 
gesprochen corticaler Reflex. Bei gesunden Individuen und zwei Para¬ 
lytikern ergab sich kein Unterschied, so dass die klinische Bedeutung 
der Bestimmung der Reflexveränderung sehr gering ist. 

7. Hr. Ahrens: Fall von Hiroabscess. 

Im Anschluss an einen Vortrag Binswanger’s wird ein Gehirn 
eines Epileptikers gezeigt, das verschiedene Herde in centralen Ab¬ 
schnitten aufweist. Der Fall stützt die von Binswanger vertretene 
Ansicht, dass corticale Herde zu clonischen, centrale Herde zu tonischen 
Krämpfen führen. 


Aerztlicher Verein zu München. 

Sitzung vom 15. Januar 1913. 

1. Hr. Mader*. Demonstration eines Falles mit doppelseitiger Atresie 
des Gehdrganges. 

2. Hr. Spiel meyer: 

Spastische Lähmangen bei intakten Pyramidenbahnen. 

Vortr. beobachtete spastische Lähmungen bei Intaktsein der Pyra¬ 
midenbahnen zunächst bei einer Patientin, die an Epilepsie litt und im 
Status epilepticus länger und kürzer dauernde spastische Hemiplegien 
zeigte. Nach dem in einem solchen Anfall von Hemiplegie erfolgten 
Tode fanden sich keine Veränderungen im ganzen Verlauf der Pyramiden¬ 
bahnen, sondern primäre Prozesse atrophischer Art in den obersten Hirn¬ 
rindenschichten, besonders in der Körnerschicht vorzugsweise der Central¬ 
windungen einer Hemisphäre, ohne Zerstörung oder Veränderung der 
tieferliegenden Pyramidenzellen. Also Veränderungen jenseits des centralen 
motorischen Neurons; Zugrundegehen der die Pyramidenzellen um¬ 
flechtenden Gliafasern und Ausläufer der weiter peripher liegenden 
Riodenzellen, eine Art Isolierung der Pyramidenzellen aus ihren corti- 
ealen Verbänden. 

Zwei weitere Fälle spastischer Lähmungen, und zwar spastischer 
Paraplegien, ergaben ebenfalls corticale suprapyramidale Läsionen, d. h. 
ausschliessliche Rinden Veränderungen der geschilderten Art bei Intakt¬ 
sein der Pyraraidenzellen und -bahnen. 

3. Hr. Isserlin: Psychoanalyse. 

Nach Darlegung der historischen Entwicklung der Lehre von der 
Psychoanalyse und ihrer verschiedenen Stufen bringt Vortr. eine ein¬ 
gehende Kritik der Methode. Er betont vor allem die Bedenklichkeit 
des Verfahrens und erkennt ihm weder grösseren wissenschaftlichen 
Wert noch genügende therapeutische Bedeutung zu. 

Hans Bachhammer-München. 


K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. 

Sitzung vom 10. Januar 1913. 

(Eigener Bericht.) 

Hr. BArAny demonstrirrte eine Frau mit einer Ohraffektion infolge 
LifaeraiMmmlBBg im Kleinhirnbriickenwinkel. 

Pat. hatte im Jahre 1911 eine Mittelohreiterung, welche ausheilte. 
Dann bekam sie Schmerzen im Hinterkopf, rechts Ohrensausen und 
Schwerhörigkeit sowie Schwindel; der Zeigeversuch ergab Vorbeizeigen 
im rechten Handgelenk. Unter der Annahme, dass es sich um eine 
seröse Meningitis im Bereiche des Kleinhirn-Brückenwinkels handle, 
wurde eine Lumbalpunktion ausgeführt. Als diese keinen Erfolg hatte, 
wurde die Dura in der rechten Schädelgrube vom Warzenfortsatz aus 
freigelegt, worauf die krankhaften Erscheinungen verschwanden. Hierauf 
traten dieselben Erscheinungen auf der linken Seite auf. Es wurde daher 
vor einigen Monaten die Lumbalpunktion und hierauf die Durafreilegung 
in der linken hinteren Schädelgrube ausgeführt, als jedoch die Krank¬ 
heitssymptome fortbestanden, wurde die Dura inzidiert. Hierauf trat 
eine wesentliche Besserung ein, nur die Schwerhörigkeit blieb weiter 
bestehen. Plötzlich stellte sich vor 14 Tagen das Gehör ein, dann trat 
wieder vorübergehend Schwerhörigkeit auf und hierauf wieder Genesung. 
Pür Hysterie bestehen keine Anzeichen. Es dürfte sich um eine Liquor¬ 
ansammlung in, den Gisternae pontis laterales infolge Verklebungen der 
Meningen handeln. Die Behandlung derartiger Fälle besteht in Lumbal¬ 
punktion, eventuell in der Freilegung der Dura in der hinteren Schädel- 
grube. 


Vortr. hat bisher 35 Fälle mit diesem Symptomenkomplex gesehen, 
unter ihnen waren zwei rudimentär; in dem einen Falle bestand anfangs 
nur Ohrensausen, dann gesellten sich die anderen Symptome hinzu, im 
zweiten Falle hörte Pat. tiefe Töne schlecht, auf Lumbalpunktion er¬ 
folgte Heilung. 

Hr. Fleschner führte einen Mann vor, welcher eine traumatische 
intraperitoneale Blasenrnptnr erlitten hatte. 

Pat., welcher vor einem Jahre durch einen Unfall beide Beine ver¬ 
loren hatte, stürzte auf das Abdomen und konnte spontan nicht urinieren, 
dann entleerte er blutigen Harn. Das Allgemeinbefinden war gut, es 
bestanden nur eine leichte Druckschmerzhaftigkeit in der linken Bauch¬ 
seite und eine Dämpfung über der Symphyse. Nach 24 Stunden ging 
jedoch der Puls auf 54 herunter, und es stellte sich Schüttelfrost ein. 
Es wurde daher die Blase freigelegt, an ihr fand sich ein 10 cm langer 
Riss, in der Bauchhöhle waren etwa n /2 Liter blutigen Harns, aber 
keine Zeichen von Peritonitis. Nach Reinigung der Bauchhöhle wurden 
das Peritoneum und die Blase genäht, es folgte reaktionslose Heilung. 
An der Klinik wurden in der letzten Zeit drei derartige Fälle beobachtet, 
von welchen zwei gestorben sind. 

Hr. Teleky stellte zwei Feilenhauer mit isolierter Atrophie kleiner 
Handmnskeln vor. 

Bei dem ersten Pat. ist links der Flexor pollicis brevis stark und 
der Adductor pollicis brevis leicht atrophisch. Beim zweiten Pat. sind 
an der rechten Hand der untere Teil des Adductor pollicis brevis und 
ein Teil des Opponens pollicis atrophisch. Hinsichtlich der Aetiologie 
ist das Leiden bei dem ersten Pat. auf Ueberanstrengung der atrophischen 
Muskeln beim Halten des Meisseis und auf Bleivergiftung zurückzuführen, 
beim zweiten auf die Anstrengung der Muskeln der rechten Hand bei 
der Führung des Hammers. Dieser ist etwa 5 kg schwer und wird im 
Tag ungefähr 25 000 mal gehoben. In Oesterreich arbeiten gegenwärtig 
die Feilenhauer ohne Bleiunterlage. 

Hr. Sternberg demonstrierte Präparate von eigentümlichen 
Körperchen in der Milz und den Lymphdrüsen bei Pemphigus. 

Diese Körperchen hat B. Lipschütz vor einiger Zeit beschrieben. 
Die vom Vortr. demonstrierten Ausstrichpräparate stammen von einem 
Säugling, welcher an Pemphigus gestorben ist. Die mikroskopischen 
Körperchen haben einen Kern und Protoplasma, sie liegen manchmal in 
kleinen Häufchen beieinander. Vortr. lässt die Entscheidung offen, ob 
diese Körperchen als Protozoen anzusehen sind, und ob sie mit der 
Aetiologie des Pemphigus etwas zu tun haben. 

Hr. Koeh: 

Ent8tehnng8ursache der Meningitis tnbercnlosa bei Kindern. 

Diese Krankheit gehört in die Gruppe der akuten Miliartuberkulose. 
Vortr. hat 350 Fälle der Klinik Escherich und 50 Fälle aus der Ab¬ 
teilung Moser zusammengestellt. Die Häufigkeit der Krankheit zeigt in 
den einzelnen Jahren keine besonderen Unterschiede, dagegen steigt die 
Häufigkeitskurve innerhalb eines Jahres zu Beginn des Winters an und 
erreicht den höchsten Stand im April, um dann wieder abzusinken. Es 
zeigt sich hier ein Parallelisraus mit der Häufigkeit der Lungenkrank¬ 
heiten. Die Meningitis tuberculosa ist eine Erkrankung der frühesten 
Kindheit, am häufigsten kommt sie im'zweiten Lebensjahre vor, und ihre 
Häufigkeit sinkt allmählich in den späteren Lebensjahren ab. Dieses 
Verhalten dürfte mit dem Grade der Resistenz des kindlichen Organismus 
gegen die Tuberkuloseinfektion Zusammenhängen, diese Resistenz nimmt 
mit dem Körperwachstum zu. Die Zusammenstellung von Tuberkulose¬ 
todesfällen ergab, dass der Tod im ersten Lebensjahre in 40 pCt. an 
Meningitis tuberculosa, in 60 pCt. an anderen tuberkulösen Affektionen 
erfolgte, im zweiten Lebensjahre stieg der Anteil der Todesfälle an 
Meningitis auf 58 pCt. In 70 pCt. der Fälle fand sich hereditäre Be¬ 
lastung, das Geschlecht zeigte betreffs der Erkrankungshäufigkeit keinen 
Unterschied. Bei 10 pCt. der Kinder war ein guter Ernährungszustand 
vorhanden, ein schlechter Ernährungszustand bildete die Regel. Sechs 
Kinder erkrankten an der Brust der Mutter. Unter Erkrankungen, 
welche der Meningitis vorausgingen, waren am häufigsten (in 130 Fällen) 
Masern, ferner Keuchhusten, LungenkrankheiteD, Diphtherie, Scharlach 
und verschiedene tuberkulöse Erkrankungen zu finden, ln einigeu Fällen 
war ein Hirntuberkel vorhanden, in anderen war ein Trauma voraus¬ 
gegangen. Der primäre tuberkulöse Herd fand sich vorwiegend in der 
Lunge, sekundäre Herde waren in den Drüsen und Knochen. Die Herde 
waren verkäst, also aktiv, nur in sieben Fällen waren sie verkalkt. Die 
miliare Aussaat der im Körper vorhandenen Tuberkelbacillen kann durch 
verschiedene Umstände herbeigeführt werden. H. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. Unsere Leser finden an erster Stelle dieser Nummer einen 
Bericht über die ausserordentlich bedeutungsvollen Carcinomforschungen 
des Herrn Prof. Fibiger, Direktors des pathologischen Instituts in 
Kopenhagen. Ausgehend von dem zufälligen Befunde von Parasiten in 
einer papillomatösen Geschwulst im Magen Yon Ratten, hatte er nach 
mühsamen Versuchen diesen Parasiten näher festgestellt, den Zwischen¬ 
wirt für ihn gefunden und endlich durch Fütterung des Zwischenwirts 
mit Parasiteneiern und von Ratten mit den Zwischenwirten künstlich 


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332 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 7. 


mit grosser Sicherheit Papillome und echte Carcinome erzeugt. So ist 
es hier zum ersten Male gelungen, experimentell echte Carcinome zu er¬ 
zeugen, nicht bloss zu transplantieren, wie es bisher immer nur möglich 
war, und zwar mittels eines Contagium vivum. Wer diese Mitteilung 
aufmerksam durcbgelesen, dem wird sich unwillkürlich die Erinnerung 
aufdrängen an die Methodik, mit der Robert Koch für alle Zeiten die 
Grundlagen der ätiologischen Forschung geschaffen hat. Und er wird 
bei voller Würdigung der Zurückhaltung des Verfassers und seiner 
wohl berechtigten Abneigung gegen weitgehende Verallgemeinerung doch 
die Arbeit nicht aus der Hand legen ohne den Gedanken, dass mit ihr 
die Krebsforschung um neue wichtige Tatsachen bereichert worden ist. 

H. K. 

— In der Sitzung der Berliner medizinischen Gesell¬ 
schaft vom 12. Februar demonstrierte vor der Tagesordnung Herr 
Eugen Joseph cystoskopische Bilder von Bilharzia der Blase. Hierauf 
hielt Herr Rothmann den angekündigten Vortrag: Gegenwart und Zu¬ 
kunft der Rückenmarkschirurgie. (Diskussion: die Herren Stadelmann, 
Borchardt, Oppenheim, Maass.) 

— In der unter Vorsitz des Herrn v. Hansemann tagenden 
Hufelandischen Gesellschaft vom 13. Februar sprach Herr Klapp 
über ein Verfahren der Tonsillektomie, Herr Schmieden demonstrierte 
an einem Patienten den Ersatz eines grossen Mundschleimhautdefektes 
durch Stiellappenbildung vom Oberarm aus (Diskussion: Herr v. Hanse¬ 
mann). Herr v. Hansemann berichtete über das Vorkommen von Ge¬ 
schwülsten, besonders den bösartigen in den Tropen, unter Zugrundelegung 
eines reichen pathologisch-anatomischen Materials (Diskussion: Herr 
König). Herr Adler brachte Demonstrationen zur Chirurgie der 
Gallenblase (Diskussion: Herr'Ewald). Die Herren H. Strauss und 
S. Brandenstein resümierten die Ergebnisse von Röntgenuntersuchungen 
bei chronischer Obstipation. Die Herren Hiltmann und Weinberg 
legten Material vor, das sich auf Perforationsprozesse bezog. Herr 
v. Milecki zeigte das Präparat von Magengeschwüren bei einem Neu¬ 
geborenen. 

— In der Sitzung der Berliner dermatologischen Gesell¬ 
schaft vom 11. Februar 1913 demonstrierte Herr Blaschko eine neue 
juckende Hautkrankheit; Herr Löhe einen Mann mit Acrodermatitis 
chronica atrophicans, verbunden mit sklerodermieähnlichen Streifen und 
Verdickungen der Hände; Herr Heller einen Fall von Erythema sycosi- 
forme. Herr G. Fritsch hielt einen Vortrag mit Projektion vieler Photo¬ 
graphien über die Besonderheiten des Haupthaares der menschlichen 
Rassen und seine Bildungsstätte. 

— Der neunte Kongress der Deutschen Röntgen-Gesell¬ 
schaft findet am Sonntag, den 30. März 1913, morgens 9 Uhr pünktlich, 
in Berlin im Langenbeckhause statt. Demselben wird, wie im vorigen 
Jahre, am Tage vorher, also am Sonnabend, den 29. März, abends 8 Uhr, 
ein Demonstrationsabend vorausgehen, an welchem diejenigen Verträge, 
bei welchen Diapositive projiziert werden müssen, vorweggenommen 
werden sollen, um den Sonntag nach Möglichkeit zu entlasten. 

— Am 7. und 8. Mai findet in Stuttgart unter Vorsitz von 
Prof. Siebenmann - Basel die 20. Tagung des Vereins Deutscher 
Laryngologen statt. Vorträge oder Demonstrationen sind bis zum 
1. April beim Schriftführer, Dr. Richard Hoffmann, Dresden 1, 
Grunaerstrasse 8, l, anzumelden. An diesen sind auch Meldungen zur 
Mitgliedschaft zu richten. 

— In Berlin hat sich eine „Aerztliche Gesellschaft für 
Sexualwissenschaft“ konstituiert, als deren Vorstand die Herren 
Geheimrat Prof. Dr. Eulen bürg, Dr. Iwan Bloch, Dr. Magnus 
Hirschfeld, Sanitätsrat Dr. H. Koerber, Dr. Herrn. Rohleder, 
Dr. Otto Adler und Dr. Otto Juliusburger fungieren. Die erste 
öffentliche Monatssitzung der neuen Organisation findet in dem kleinen 
Saale des Langenbeckhauses am Freitag, den 21. Februar d. Js., abends 
8 Uhr statt. Auf der Tagesordnung steht ein Vortrag von Dr. Iwan 
Bloch: „Die Aufgaben der ärztlichen Gesellschaft für Sexualwissen¬ 
schaft“ und Demonstrationen von Dr. M. Hirschfeld: Hermaphroditen- 
Moulagen. 

— Der neunte Internationale Physiologenkongress wird 
vom 2. bis 6. September d. J. in Groningen unter dem Vorsitz vön Prof. 
H. J. Hamburger abgehalten werden. 

— In New York wurde eine „Gesellschaft zur Erleichterung 
klinischer Studien“ gebildet, die in der Academy of Medicine, 
19 West 43. Street ein Auskunftsbureau für fremde Aerzte ein¬ 
gerichtet hat. 

— Die Deutsche Gesellschaft für Züchtungskunde ver¬ 
anstaltet am Donnerstag, den 20. Februar, vormittags 9 1 /» Uhr, im 
grossen Saale des Künstlerbauses, Berlin, Bellevuestrasse 3, anlässlich 
des Regierungsjubiläums Sr. Majestät des Kaisers eine Festversammluug, 
zu der der Vorsitzende der Gesellschaft, Königl. Oekonomierat Hoesch- 
Neukirchen, die festliche Ansprache halten wird. Zwei bedeutsame Vor¬ 
träge werden dann folgen. Geheimer Medizinalrat Prof. Dr. Rubner, 
Vorsteher des physiologischen Institutes der Berliner Universität, wird 
über das Wesen des Wachstums, und der landwirtschaftliche Sach¬ 
verständige Dr. Frost - Stockholm über die Herkunft der skandinavischen 
Rinder und deren noch heute vorkommende Urformen, mit Lichtbildern, 


sprechen. Mitglieder, Freunde und Gönner der Gesellschaft, Landwirte, 
Tierzüchter, Naturforscher werden um ihr Erscheinen gebeten. Die Ver¬ 
sammlung wird gewiss alle Teilnehmer befriedigen und der vorwärta- 
strebenden Gesellschaft, die mit ihren 2500 Mitgliedern heute auf dem 
ganzen Erdball die grösste Vereinigung zur Förderung tierzüchterischer 
Fragen geworden ist, neue Freunde und Mitarbeiter zuführen. Auskunft 
über Mitgliedschaft gibt die Geschäftsstelle, Berlin-Halensee, Halber¬ 
städterstrasse 3. 

— Prof. Dr. Erich Hoffmann, Direktor der Universitäts-Haut¬ 
klinik in Bonn, ist von der Dermatologischen Sektion der American 
Medical Association zu ihrer vom 17. bis 20. Juni stattfindenden Jahres¬ 
versammlung in Minneapolis als Ehrengast geladen und aufgefordert 
worden, einen Vortrag zu halten. 

— Herr Dr. Peter Röna, Leiter der chemischen Abteilung des 
städtischen Krankenhauses Am Urban in Berlin, erhielt einen Ruf als 
Professor der medizinischen Chemie in San Paolo. 

— Die Möbius-Stiftung gibt soeben ihren zweiten Bericht heraus. 
Es erhellt daraus, dass neben einem Geldpreis eine'kunstvolle, von Bild¬ 
hauer Prof. Max Lange entworfene und gestiftete Plakette demjenigen 
verliehen wird, der eine für würdig befundene Preisarbeit einschickt. 
Sie ist an Herrn Prof. v. Strümpell-Leipzig in der üblichen Weise 
(das Kuvert trägt ein Motto) bis zum l. Oktober d. J. einzusenden. 

— Auch in Berlin hat sich jetzt eine Klinikerschaft gebildet, 
wie sie seit längerer Zeit schon an anderen Hochschulen bestehen. 
Gerade in Berlin mit seiner grossen Studentenschaft könnte eine solche 
Vereinigung viel zur Ueberbrückung unnötiger Gegensätze beitragen und 
bei Einigkeit manche Missstände beseitigen, unter denen die Studenten 
hier zu leiden haben. 

— Mit Genehmigung des bayerischen Kultusministeriums wird an 
der Königlichen Landesturnanstalt in München ein Labora¬ 
torium zu Untersuchungen und Messungen bezüglich der Wirkung 
der Turnarten und Sportspiele errichtet, das der Privatdozent für 
Chirurgie Hans v. Baeyer leiten wird. 

H och schul nachr ich ten. 

Königsberg. Habilitiert: Dr. Meyer-Betz für innere Medizin.— 
Rostock. Habilitiert: Dr. Burchard für Röntgenologie. — Freiburg. 
Der Privatdozent für innere Medizin, Dr. Samueli, erhielt den Titel 
Professor. — Marburg. Der ao. Professor Römer, Abteilungsvorsteher 
am hygienischen Institut der hiesigen Universität, wurde vom Kultus¬ 
ministerium für die Dauer eines Jahres zu einem Studienaufenthalt an 
die hygienischen Institute der Universitäten Bonn und Berlin beurlaubt. 
— Prag. ao. Prof, der Anatomie Dr. Weigner wurde Ordinarius. 
Habilitiert: Dr. Sertoli für externe Pathologie. — Privatdozent J. Lovrich 
wurde zum Direktor der Hebammenanstalt in Budapest ernannt. 


Amtliche Mitteilungen. 

Personalien. 

Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 2. Kl.: Rittergutsbesitzer 
und Arzt Dr. Lange in Lonkorrek (Westpr.) 

Roter Adler-Orden 3. Kl. mit der Schleife: Generalarzt Dr. 
Schlacke, Divisionsarzt der 1. Division. 

Roter Adler-Orden 4. Kl.: San.-Rat Bludau in Guttstadt, Direktor 
der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt in Allenberg, San.-Rat Dr. 
Dubbers, Kreisarzt, Med.-Rat Dr. Forstreuter und San.-Rat Dr. 
Ebel in Königsberg, Stadtverordnetenvorsteher, San.-Rat Dr. Gr über 
in Marggrabowa, ordentl. Professor Dr. Henke in Königsberg, Erster 
Oberarzt an der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt in Kortau, San.- 
Rat Dr. Lullies, Reg.- und Med.-Rat Dr. Meyen in Allenstein, 
San.-Rat Dr. Michalik in Marggrabowa, Direktor der chirurgischen 
Abteilung des städtischen Krankenhauses in Königsberg, Prof. Dr. 
Samter, Aerzte Dr. Theodor und Dr. Wollenberg in Königsberg, 
San.-Rat Dr. Van gehr in Tilsit, Oberstabsärzte Dr. Grässner im 
Infanterie-Regiment 18, Dr. Melot de Beauregard im Infanterie- 
Regiment 151 und Dr. Lackner im Grenadier-Regiment 3, Ober¬ 
stabsarzt Dr. A. Thalmann im Grenadier-Regiment 100. 

Königl. Kronen-Orden 2. Kl. mit dem Stern: Obergeneralarzt 
Dr. B. Müller in Dresden. 

Königl. Kronen-Orden 3. Kl.: ordentl. Professoren, Geh. Med.-Räte 
Dr. Friedrich und Dr. Winter, ausserordentl. Professor, Geh. Med.- 
Rat Dr. Schreiber, Generaloberarzt Dr. Krause und Oberstabs¬ 
arzt z. D. Dr. Körner, sämtlich in Königsberg. 

Königl. Kronen-Orden 4. Kl.: Aerzte Dr. Hundsdörffer in Tapiau 
und Dr. Will in Königsberg. 

Charakter als Geheimer Sanitätsrat: San.-Rat Dr. 0. Schel- 
long in Königsberg, Direktor der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt 
in Kortau, San.-Rat Dr. Stoltenhoff, Arzt, Prof. Dr. Unterberger 
in Königsberg. 

Charakter als Medizinalrat: Kreisarzt Dr. v. Petrykowski in 
Orteisburg. 

Charakter als Sanitätsrat: Arzt Dr. Eckermann in Königsberg. 

Ernennungen: Arzt Dr. St. Leonhard in Bonn zum Kreisassistenz¬ 
arzt io Saarbrücken. 


Für die Redaktion verantwortlich Dr. Haus Rohn, Berlin W., Bayrouther Strasse 42. 


Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4. 


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BERLINER 


Dta Berliner KUnfeehe Woebenaehrift enehelnt Jeden 
MnU( in Nummern von ea. 5—6 Bogen gr. 4. — 
Piek TiertelJihHieh 6 Mark. Bestell nagen nehmen 
alle Bnehhaadlungen und Poetanaulten an. 


Alle Btnaenduagen (Br die KedaMon und Bxpedftfoa 
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung 
August Mischwald in Berlin NW., Unter den Linden 
No. 68, adressieren. 




Organ für praktische Aerzte. 

Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 

Redaktion: Expedition: 

6eh. Mcd.-Rat Prof. Dr. C. Posncr und Dr. Hans Kohn. August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung iu Berlin. 


Montag, den 24. Februar 1913. M 8. 


Fünfzigster Jahrgang. 


INHALT. ' 


Ofigiaaliei: Oppenheim und Krause: Partielle Entfernung des Wurms 
wegen Geschwulstbildung unter breiter Eröflnung des vierten 
Ventrikels. S. 833. 

Roth mann: Zur Kleinhirnlokalisation. (Aus dem physiologischen 
Laboratorium der Nervenklinik der Konigl. Charitö.) S. 386. 
Wohlgemuth: Pankreas, Leber und Kohlehydratstoffwechsel. (Aus 
der experimentell-biologischen Abteilung des Kgl. pathologischen 
Instituts der Universität zu Berlin.) (Illustr.) S. 339. 
Morgenroth und Ginsberg: Hornhautanästhesie durch China* 
alkaloide. (Aus der bakteriologischen Abteilung des Pathologischen 
Instituts der Universität Berlin.) S. 343. 

Sieskind, Wolffenstein und Zeltner: Ueber externe Salicyl- 
Präparate. S. 346. 

Bickel: Weitere Beiträge zur Thorium X-Therapie hei Anämie, 
Leukämie und rheumatischen Erkrankungen. (Aus der experi¬ 
mentell-biologischen Abteilung des Königl. pathologischen Instituts 
der Universität Berlin.) S. 846. 

Theilhaher: Zur Frage von der operationslosen Behandlung des 
Carcinoms. S. 348. 

Münzer: Innere Sekretion und Nervensystem. (Fortsetzung.) S. 349. 
Künne: Die angeborene Hüftgelenkverrenkung. S. 353. 

Bleherbesprechangen : v. Bruns, Garrö und Küttner; Handbuch der 
praktischen Chirurgie. S. 355. Albert: Diagnostik der chirurgi¬ 
schen Krankheiten. S. 855. Lewy: Die ärztliche Gipsteohnik. 
S. 355. Th öle: Die Verletzungen der Leber und der Gallenwege. 
Weil. Hoffa: Technik der Massage. S. 355. (Ref. Adler.) — 
Lagleyze: Du str&bisme. S. 355. (Ref. Seefelder.) 

Litoratar-Anszüge : Anatomie. S. 856. — Physiologie. S. 356. — 
Pharmakologie. S. 356. — Therapie. S. 856. — Allgemeine Patho¬ 
logie und pathologische Anatomie. S. 356. — Parasitenkunde und 
Serologie. S. 357. — Innere Medizin. S. 858. — Psychiatrie und 
Nervenkrankheiten. S. 859. — Kinderheilkunde. S. 359. — Chirurgie. 


Partielle Entfernung des Wurms wegen Ge¬ 
schwulstbildung unter breiter Eröffnung des 
vierten Ventrikels. 

Von 

H. öppeahei* und F. Krame. 

(Vortrag mit Demonstration der Operierten, gehalten in der Berliner 
medizinischen Gesellschaft am 15. Januar 1913.) 

I. Neurologischer Teil. 

Von 

H. Oppeaheim. 

M. H.f Wir wollen Ihnen heute an der Hand der Demon¬ 
stration über einen Krankheitsfall berichten, der zwar schon in 
Krause’s Chirurgie des Gehirns und Rückenmarks 1 ) erwähnt ist, 
aber ein besonderes Interesse durch die nachträgliche Beob¬ 
achtung, durch den weiteren decursns morbi erhalten hat. Es 
handelt sich, nm das Wesentliche gleich vorwegzunehmen, um 
eine Patientin, bei der ich im April 1911 die Diagnose eines 
Tnmor cerebelli hemisphaereos sinistrae gestellt habe 
und Gebeimrat F. Kranse dann im Juni 1911 bei der Radikal¬ 
operation den Tumor zwischen linker Kleinhirnhemisphäre und 

1) Bd. ff, S. 598. 


S. 860. — Röntgenologie. S. 860. — Urologie. S. 860. — Haut- und 
Geschlechtskrankheiten. S. 860. — Geburtshilfe und Gynäkologie. 
S. 361. — Augenheilkunde. S. 362. — Hals-, Nasen- und Ohren¬ 
krankheiten. S. 362. — Hygiene und Sanitätswesen. S. 362. — 
Technik. S. 363. 

Verhandlangei ärztlicher Gesellschaften: Berliner medizinische 
Gesellschaft. Joseph: Demonstration cystoskopischer Bilder 
von Bilharzia der Blase. S. 368. Rothmann: Gegenwart und 
Zukunft der Rückenmarkschirurgie. S. 363. — Physiologische 
Gesellschaft zu Berlin. S. 365. — Gesellschaft der Charit6- 
Aerzte. S. 365. — Berliner orthopädische Gesellschaft. 
S. 368. — Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde 
zu Berlin. S. 869. — Berliner urologisohe Gesellschaft. 
S.370. — Gynäkologische Gesellschaft zu Berlin. S. 370. — 
Medizinische Sektion der sohlesisohen Gesellschaft für 
vaterländische Kultur zu Breslau. S. 871. — Aerztlicher 
Verein zu Hamburg. S. 872. — Medizinische Gesellschaft 
zu Kiel. S. 378.— Aerztlicher Bezirksverein zu Zittau. 
S. 874. — Naturwissenschaftlich - medizinische Gesell¬ 
schaft zu Jena. S. 874. — Aerztlicher Verein za Frank¬ 
furt a. M. S. 375. — Naturhistorisch-medizinischer Verein 
zu Heidelberg. S. 375. — Nürnberger medizinische Gesell¬ 
schaft und Poliklinik. S. 376. — Freiburger medizinische 
Gesellschaft. S. 376. — Medizinische Gesellschaft zu 
Basel. S. 377. — K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. 
S. 377. — Gesellschaft für innere Medizin und Kinder¬ 
heilkunde zu Wien. S. 878. 

Schreiber: Wilhelm Ebstein f» S. 378. 

Gebele: In eigener Sache. S. 379. — Adler: Erwiderung auf vor¬ 
stehende Erklärung. S. 379. 

Tagesgeschichtliche Notizen. S. 379. 

Amtliche Mitteilungen. S. 380. 


Vermis cerebelli gefunden and exstirpiert hat unter Eröffnung 
des Raumes des vierten Ventrikels. 

Sie begreifen, dass eine derartige Beobachtang viel Lehr¬ 
reiches bietet und eine gewisse Bedeatang hat. 

Die Krankheitsgeschichte gebe ich kurz. 

Das 30jährige Fräulein wurde mir am 28. April von ihrem Haus¬ 
arzt Dr. Baender zur Begutachtung in die Sprechstunde geschickt. 
Sie gab über die Entwicklung ihres Leidens folgendes an: 

Vor ca. 3 Jahren erkrankte sie naoh Genuss kalten Getränkes mit 
Magenschmerzen, Erbrechen und Kopfschmerzen; diese Symptome wurden 
als gastrische gedeutet; es trat auoh unter entsprechender Behandlung 
Besserung ein. 

Vor l 1 /* Jahren kehrten Kopfschmerz und Erbrechen wieder, 
letzteres besonders am frühen Morgen; diese Erscheinungen blieben nun, 
wenn auoh unter Intermissionen, bestehen. Dazu kam vorübergehende 
Diplopie und ein an Heftigkeit zunehmender Schwindel; zeitweilig 
Singultus und Ohrensausen, letzteres besonders links, in letzter Zeit 
Abmagerung. 

Ueber meinen Befand bei der ersten Untersuchung gibt der 
Bericht Aufschluss, mit dem ich die Patientin an ihren Hausarzt 
zurücksandte: 

„Der objektive Befund ist doppelseitige Stauungspapille, 
leichter Exophthalmus, Hypalgesie in der linken Gesichtshälfte (?), 
Adiadochokinesis im linken Arm und auch im linken Bein, 
Druckschmerzhaftigkeit der linken Hinterbauptsgegend. Das Ver¬ 
halten des Cornealreflexes ist zwar kein eindeutiges, aber es fällt 


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384 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 8. 


jedenfalls auf, dass sich in der rechten Seitenlage eine Areflexie 
der linken Cornea einstellt. Es besteht auch ein Schwanken bei 
Augenschluss, das aber hysterischen Charakter hat 1 ). 

Die geschilderte Symptomatologie macht es wahrscheinlich, 
dass ein Tumor im Bereich der linken Cerebel larhälfte vorliegt. 
Es lässt sich aber eine Meningitis serosa chronica nicht mit 
Sicherheit aasschHessen. 

Ich würde deshalb zunächst noch eine Mercnrialknr empfehlen. 
Wenn diese jedoch innerhalb eines Zeitraums von 8 bis 4 Wochen 
nicht zu einer evidenten Besserung führt, oder wenn die Sehkraft 
rasch nachlassen sollte, ist die operative Behandlung indiziert. 

Ich bitte Sie, die Patientin mit diesem Bericht Herrn 
Geheimrat Krause zu überweisen. u 

Die weiteren Untersuchungen, die ich dann in den ersten 
Tagen des Mai in der Poliklinik vornahm, hatten im ganzen 
dasselbe Ergebnis; aber es wurde die Sicherheit der topischen 
Diagnose dadurch etwas in Frage gestellt, dass bei der Konstanz 
der allgemeinen Hirndrucksymptome die Herderscheinungen un¬ 
beständig waren. Insbesondere gilt das für die Hypalgesie der 
linken Gesichtsbälfte, die Hyporeflexie der linken Cornea, die 
Deviation des Unterkiefers nach links; diese Symptome waren 
bald vorhanden oder wenigstens angedeutet, bald fehlten sie. 
Nimmt man dazu, dass das Kardinalsymptom der Kleinhirn¬ 
erkrankungen, die cerebellare Ataxie — nachdem das hysterische 
Schwanken suggestiv zurückgetreten war — und der Nystagmus, 
fehlte, so wird man begreifen, dass ich mich eine Zeitlang im 
Stadium der diagnostischen Unsicherheit befand. 

Indes erwiesen sich in der ganzen Zeit doch zwei Symptome 
als konstant oder nahezu konstant: die Areflexie der linken 
Cornea in der rechten Seitenlage und die Adiadochokinesis 
der linken Hand bzw. der linken Extremitäten. 

Dazu kamen als unsicher, schwankend oder subjektiv: Schmerzen 
in der linken Gesichtshälfte, Schwindel, Ohrensausen links, leichte Hyp- 
ästhesie in der linken Wange, Deviation des Unterkielers nach links, 
geringe Parese des linken Gaumens; einige Male liess sich Patientin 
nach links leichter aus dem Gleichgewicht bringen wie nach rechts. 

Als nun auch dem Einfluss der Mercurialbebandlung diese 
KraDkbeitser8cheiuungen standgehalten hatten, die Sebstörung und 
die allgemeine Entkräftung zunahm, war ein längeres Zuwarten 
nicht mehr berechtigt, und ich musste die Trepanation über der 
linken Kleinhirnhemisphäre empfehlen. 

Am 28. und 80. Juni wurde diese Operation in meiner 
Gegenwart von Krause ausgeführt. Den Bericht wird er Ihnen 
selbst geben. Ich beschränke mich darauf, auszuführen, dass er 
die Geschwulst — ein Lymphangiosarcoma plexiforme — 
zwischen linker Kleinhimbäifte und Vermis cerebelli sowie im 
Velum medulläre posticum gefunden hat, und dass bei dieser 
Gescbwulstexstirpation der vierte Ventrikel eröffnet wurde. 

Was nun den weiteren Verlauf anlangt, so ist es zunächst 
besonders bemerkenswert, dass die schweren Folgeerscheinungen, 
die man auf den vierten Ventrikel und die Medulla oblongata 
zu beziehen gewohnt ist, weder sofort nach der Operation noch 
während des ganzen weiteren Krankheitsverlaufs hervorgetreten 
sind; insbesondere wurden Respirationsstörungen sowie schwere 
Störungen der Girculation dauernd vermisst; jedenfalls ging die 
Pulsfrequenz nur ausnahmsweise über 100 hinauf, nur bei den 
ersten Versuchen des Sichaufrichtens, Stehens und Gehens wurde 
der Puls frequenter. Wohl stellte sich periodisch Singultus ein, 
ebenso Uebelkeit, Erbrechen, Parästhesien in der linken Körper¬ 
hälfte, Empfindlichkeit gegen Licht und Geräusch, auch folgten 
dem Eingriff naturgemäss zunächst die der Kleinbirnläsion ent¬ 
sprechenden Reiz- und Ausfallserscheinungen: Nystagmus, 
Schwindel, besonders beim Aufrichten, Gleichgewichts¬ 
störung, Zunahme der Adiadochokinesis, Bewegungsataxie 
der linken Hand usw.; ferner kam es temporär zu Temperatur- 
Steigerung durch Liquorverhaltung. Auch hatte Patientin, die 
ein sich auf Monate erstreckendes schweres Krankenlager durch¬ 
zumachen hatte, eine am fünften Tage auftretende und einige 
Wochen dauernde Psychose (akute Hallucinose) zu überstehen 2 ). 

1) Dieses Schwanken konnte dann auch suggestiv beseitigt werden. 
Auch die Diplopie, über welche die Patientin klagte, erwies sich als 
eine Polyopia monocularis. 

2) Es ist schwer zu entscheiden, ob der traumatische Eingriff oder 
die lnanition oder die Liquor Vermehrung den Anstoss zur Entwicklung 
der Psychose gegeben hat. Jedenfalls lag eine Disposition vor (Hysterie). 
Auffallenderweise hat es sich in allen den Fällen (8 oder 4), in denen 
wir eine Psychose nach Hirnoperation beobachteten, um Operationen in 
der hinteren Schädelgrube gehandelt, aber alle waren zu Psychosen 
disponierte Individuen. 


Dann aber folgt schon Ende Juli, besonders aber in den 
nächsten Monaten, eine fortschreitende Besserung, zuerst 
Rückbildung der Stauungspapille, dann des Nystagmus, der Comeal- 
reflex kehrt wieder, die Ataxie in den linken Gliedmaassen bildet 
sich zurück, Patientin lernt erst stehen, dann gehen, nach und 
nach verliert sich die Unsicherheit usw. 

Im November 1911 kann sie sich schon in meiner Poliklinik 
vorstellen, ist beim Gehen nicht mehr wesentlich behindert. Die 
Menses kommen wieder, bleiben in der Folgezeit regelmässig. 
Sie nimmt andauernd an Gewicht zu. 

Immer kehren noch zeitweilig die Klagen über Kopfschmerz 
und VnmitU8 matutinus wieder, aber diese Beschwerden haben 
ebenso wie die Polyopia monocularis, über die sie noch im Januar 
dieses Jahres klagt, anscheinend hysterischen Charakter. 

Der Puls wird normal. Der Prolaps verkleinert sich. 

Ich kann nun zur Vorstellung der Patientin übergehen und 
lasse gleichzeitig das Präparat circulieren. 

Sie sehen ein blühend aussehendes Mädchen, das seit der 
Operation 25 Pfund an Gewicht zugenommen hat. Augenhinter¬ 
grund und Sehschärfe normal, ebenso die Augenbewegungen; kein 
Nystagmus. Cornealreflex normal, auch in der Seitenlage. Steht 
und geht sicher, auch bei Augenscbluss. 

Keine Bewegungsataxie in den Gliedmaassen, keine Adiadocho¬ 
kinesis. Kopfbewegungen frei. 

Subjektiv im ganzen Wohlbefinden, nur in der Frühe noch 
einmal nach dem Aufstehen Würgen von Schleim, auch noch 
schmerzhafte Empfindungen in der rechten Hinterhauptsgegend. 
Ob diese Beschwerden noch organisch bedingt sind durch den 
Narbenprozess und den Prolaps, oder auf ihrer Hysteroneurasthenie 
beruhen, ist nicht ganz sicher zu entscheiden. Sie ist auch noch 
leicht ermüdbar, empfindlich, kann noch nicht unter vielen 
Menschen sein, so dass sie sich erst einmal ins Theater gewagt 
bat. Alle objektiven Krankheitserscheinungen sind ge¬ 
schwunden. 

Auf die B&räny’schen Untersuchungen mit Ausspritzen des 
Ohres haben wir gerade wegen der Empfindlichkeit der Patientin 
verzichtet; der spontane Zeigeversuch ist aber normal. 

Die Hirnbernie ist mässig gross und nicht gespannt, sie 
misst von rechts nach links 65, von oben nach unten 60 mm 
und ist über dem umgebenden normalen Niveau der Kopfhaut 
l l f 2 Querfinger breit erhaben. Sie hat sich in den letzten neun 
Monaten während unserer Beobachtung in keiner Weise ver¬ 
ändert. 

Auf die diagnostische Seite will ich nicht mehr eingehen, 
zumal ich 1 ) vor einigen Monaten in der Hufei an dischen Gesell¬ 
schaft bei einer ähnlichen Demonstration diese Frage berührt habe. 

Beachtenswert ist es aber jedenfalls, dass eine Geschwulst 
im Wurmgebiet so geringfügige Lokalsymptome verursacht und 
sich weder durch Nystagmus noch durch die cerebellare In¬ 
koordination kundgegeben hat. 

Der besondere Wert dieses Falles beruht aber darin, dass 
eine Geschwulst dieses Sitzes mit einem derartigen Heilerfolg hat 
enucleiert werden können, und dass selbst die Entfernung des 
Daches vom vierten Ventrikel und die Freilegung dieses Raumes 
das Leben nicht gefährdet hat. Die alte Vorstellung, dass dies 
ein „Weg ins Unbetretene, nie zu Betretende“ sei, muss also 
definitiv aufgegeben werden. 

Die Kühnheit der modernen Chirurgie hat auch mit diesem 
Vorurteil aufgeräumt. Ich hatte Gelegenheit, noch in drei 
weiteren von Kollegen Krause und Heymann operierten Fällen, 
in denen ich einen Tumor des Vermis cerebelli oder vierten 
Ventrikels bzw. einen verwandten Prozess (Cysticercus) dieses 
Sitzes diagnostiziert batte, Zeuge davon zu sein, dass der Boden 
des vierten Ventrikels freigelegt und in seiner nächsten Nachbar¬ 
schaft, z. B. im Bereich des Corpus restiforme, Eingriffe vor- 
geuommen worden. 

Wir haben dabei nicht nur den ganzen Boden des vierten 
Ventrikels übersehen, sondern auch in den stark • erweiterten 
Aquaeductus Sylvii hineinsehen können. Zwei dieser Patienten 
haben nicht nur die Operation überstanden, der eine, beute vor¬ 
gestellte, mit Heilerfolg, der andere mit Erhaltung des Lebens 
für viele. Monate, der dritte für 7—8 Tage —, was mich und 
meine Mitarbeiter noch mehr überrascht bat, ist, dass von den 
Folgezuständen, die wir auf Grund unserer physiologischen und 
klinischen Schulung zu erwarten und zu fürchten hatten, nichts 


1) Ueber einen Fall operativ behandelter Kleinhirngeschwulst mit 
Heilerfolg. Diese Woohensohr., 1912, Nr. 50. 


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24. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


336 


eintrat, weder schwere Störungen der Respiration and Circalation 
noch Glykosurie. 

Wenn man bedenkt, dass doch in der unmittelbaren Nach¬ 
barschaft der Vaguskerne, der Atemcentren, der vasomotorischen 
Centren, wenn auch mit aller Vorsicht, manipuliert worden ist, 
und dass doch auch sicher die diesen Eingriffen folgenden reaktiven 
Prozesse gewisse Veränderungen in den lebenswichtigen Centren 
hervorgerufen haben müssen, so muss die relative Geringfügigkeit 
der klinischen Folgeerscheinungen Befremden erregen. 

Ich will gewiss nicht daraus die Folgerung herleiten, dass 
wir unseren alten eingewurzelten Respekt vor dieser geweihten 
Stätte verlieren sollen. Aber wir dürfen doch so viel sagen, 
dass die Chirurgie mit ihren Indikationen vor diesem Gebiet nicht 
Halt zu machen braucht, so dass z. B. der schon von Bruns ge¬ 
machte Vorschlag, den Cysticercus des vierten Ventrikels operativ 
anzugreifen, in diesen unseren Erfahrungen eine tatsächliche Unter¬ 
lage erhält. _ 

II. Chirurgischer Teil. 

Von 

F. Krause. 

Am 23. Juni 1911 nahm ich die Trepanation über der linken 
hinteren Scbädelgrube, etwas auf die rechte Seite hinübergreifend, 
also einschliesslich der Crista occipitalis, vor. Am 30. Juni 
folgte die zweite Zeit. Nach Herabscblagen des Hautknochen¬ 
lappens zeigte sich die linke Hemisphäre sehr stark gespannt, 
so dass beim Umschneiden der Dura in typischer Weise das 
Kleinhirn sich mit äusserster Gewalt in die obere Schnittfläche 
vorpresste und die Arachnoidea und Pia einrissen. Als der 
mediane Duraschnitt mit der Schere gebildet wurde, entleerte 
sich in starkem Strahl Liquor unten aus den Arachnoideal- 
mascheD, schätzungsweise 150 ccm. Der Duralappen wurde schnell 
vollendet und nach uuten geschlagen. Dabei zeigte sich im 
Oberwurmgebiete hinten unten ein kleinkörniger, gelblichroter 
Tumor, dessen Oberfläche vom Aussehen einer Brombeere war. 
Um die Geschwulst in allen Grenzen freizulegen, wurde nach 
Verlängerung des oberen Schnittes und Ablösung der Weichteile 
von der rechten Schuppe noch ein Randteil von 2 cm fort- 
genommen, da ja die in der Mitte liegende Crista schon in der 
ersten Zeit herabgeschlagen worden war. Nun wurde zur Unter¬ 
bindung der Falx cerebelli und des Sinus occipitalis die Dura 
der rechten Kleinhirnhemisphäre oben unter dem Sinus transversus 
quer inzidiert. Die Spannung war vollkommen verschwunden, 
uod das Gehirn lag der Dura nicht mehr an. In typischer Weise 
wurde der Sinus occipitalis samt der Falx cerebelli zwischen zwei 
Ligaturen durch trennt, so dass das ganze Wurmgebiet frei zu¬ 
gänglich war. 

Genau in der Mittellinie unten, nach der Medulla oblongata 
zu, lag der von grauweisslicher Arachnoidea bedeckte Tumor. Er 
hatte jetzt in situ eioe freiliegende Oberfläche von 2 cm Breite; 
seine Höbe konnte noch nicht genau bestimmt werden, da er 
pach der Medulla oblongata zu tief berabreichte, maass aber 
mindestens 3 cm. Nach Entfernung der Arachnoidea wurde ver¬ 
sucht, die Geschwulst von unten her auszulösen, damit die ein¬ 
tretende Blutung die Uebersicht nicht störte, und zwar stumpf 
mit kleinen in anatomische Pinzetten gefassten Tupfern. Dabei 
kam links unten ein auffallend grosses geschlängeltes Gefäss von 
2 mm Durchmesser zum Vorschein, wahrscheinlich eine Arterie. 
Dieses Gefäss wurde mit Descbamps’scher Nadel doppelt unter¬ 
bunden und zwischen den Ligaturen durchtrennt; hierbei entleerte 
sich noch etwas Liquor aus den Arachnoidealmaschen. Der Tumor 
liess sich in ganzer Breite übersehen, nachdem die beiden Klein¬ 
hirnhemisphären mit stumpfen Hebeln vorsichtig auseinander¬ 
gezogen waren. In der oben angegebenen Weise wurde er vor¬ 
sichtig ausgelöst, was sich gut auRführen liess, weil er ab¬ 
gekapselt uod io seiner Konsistenz erheblich härter als die 
umgebende Hirnsubstanz war. Die Maasse der exstirpierten Ge¬ 
schwulst betrugen: Länge, vonoben nach unten, reichlich 40 mm, 
Dicke, von vorn nach hinteu, 25 mm, Querdurchmesser 30 mm. 
Die Neubildung hatte zwischen Unterwurm und linker Hemi¬ 
sphäre gelegen und besass die Grösse einer sehr grossen Wal¬ 
nuss. Die geringe Blutung aus dem Geschwulstbett stand auf 
leichte Tupferkompression. Nach Entfernung der Tupfer zeigte 
sieb der vierte Ventrikel breit offen, so dass man die 
Rantengrube an ihrer charakteristischen Form er¬ 
kannte und in voller Deutlichkeit Übersah. 

Somit batte der Tumor im Dach des vierten Ventrikels 


seinen Sitz gehabt und dieses, d. b. das Velum medulläre poste¬ 
rius, war mitentfernt worden. Die Rautengrube wurde genau auf 
Tumorreste revidiert, indem die Crura cerebelli ad medullam ob- 
longatam mit zwei kleinen Hirnspateln vorsichtig auseinander- 
gezogen wurden. Dabei zeigte sich, dass die Geschwulst voll¬ 
kommen entfernt war. 

Zum Schutz und zur Deckung der Rautengrube wurden die 
beiden Kleinhirnhemisphären, die ja vollkommen unverletzt waren, 
zusammen mit den Pedunculi cerebelli ad medullam oblongatam 
von beiden Seiten her über sie zusammengelagert, so dass vom 
vierten Ventrikel nur ein schmaler Spalt zu sehen blieb. Die 
kleine Knochenplatte, die von der linken hinteren Schädelgrube 
herstammte, wurde entfernt und die Dura folgendermaassen nach 
oben gelagert. Die durchschnittene Falx cerebelli schlug ich zu¬ 
nächst herauf, so dass sie die schmale offene Stelle der Rauten¬ 
grobe vollkommen deckte, und liess sie oben mit der Haken¬ 
pinzette festhalten. Ebenso wurden die beiden seitlichen Dura¬ 
lappen nach oben gehalten und in dieser Stellung bei hinten¬ 
übergeneigtem Kopf der Hautmuskellappen ohne Drainage ein- 
genäbt. 

Trotz der Freilegung der Rautengrube kam es nach der 
zweiten Operation weder am Tage selbst noch im weiteren Ver¬ 
laufe zu Störungen von seiten der Atmung oder des Herzens. Die 
Temperatur erreichte einmal, am sechsten Tage nach der Ope¬ 
ration, abends 38,2°, wie sie auch nach der ersten Operation am 
zweiten Abende bis 37.6° gestiegen war, hielt sich aber im 
übrigen in den ersten zehn Tagen zwischen 36,5° und 37,9°, um 
dann normal zu werden. Geringfügige Pulsschwankungen waren 
gleichfalls festzustellen, jedoch überschritt seine Frequenz nie¬ 
mals 100, blieb vielmehr durchschnittlich auf 80—90 Schlägen. 
Die Wunde verheilte nach der zweiten Operation glatt. In den 
ersten Tagen floss eine mässige Menge Liquor ab, so dass der 
Verband in den ersten vier Tagen täglich gewechselt werden 
musste. Am achten Tage waren nur die auf der Haut selbst 
liegenden Gazeschicbten durchtränkt, der Verband konnte daher 
nach Herausnahme der meisten Nähte drei Tage liegen bleiben. 
Der Rest der Nähte wurde am zwölften Tage entfernt. 

Infolge der von Oppenheim erwähnten psychischen 
Störungen nahm sich die Kranke in der neunten Nacht nach der 
Operation in einem unbewachten Augenblick den Verband ab, 
wie sie sagte, „auf Wunsch des Tapezierers“; da aber die Wunde 
bereits primär verklebt war, hat dieses Unterfangen keinen 
Schaden angerichtet. Später schwanden die psychischen Störungen 
wieder. 

Am 15. Juli 1911 hatten sich alle subjektiven Beschwerden 
der Kranken wesentlich vermindert; der Verband war trocken 
geblieben. Die Kranke erschien in besserer Stimmung und klagte 
nur noch über geringfügige Störungen. 

In der Zeit vom 15. Juli bis zum 9. August änderte sich 
das Allgemeinbefinden der Kranken insofern, als der Appetit 
sich vermehrte, der Kopfschmerz nnd das Schwächegefühl ab- 
nahmen und in der Nacht meistens Schlaf ohne Betäubungs¬ 
mittel erzielt werden konnte. Im linken oberen Wundwinkel 
hatte sich vom 20. Juli ab ein anfangs erbsengrosser Hirnprolaps 
gebildet, der bis zum 9. August die Grösse einer Haselnuss er¬ 
reichte. Auf der Höhe dieser Vorwölbung bildete sich ein deut¬ 
lich sichtbarer Punkt, aus dem Liquor heraustropfte. Sobald auf 
den eingeheilten Hautlappen ein mässiger Druok ausgeübt wurde, 
spritzte Flüssigkeit im Strahl hervor. Der Verband musste in¬ 
folge des Liquorflusses jeden zweiten Tag gewechselt werden. 
Blieb er gelegentlich zwei Tage trocken, so nahmen die Kopf¬ 
schmerzen an Heftigkeit zu, und die Kranke erbrach dann wieder 
morgens und abends. Sie klagte bisweilen über wechselndes 
Kälte- und Hitzegefühl am ganzen Körper, über Schwäche im 
linken Arm und linken Bein und empfand jede stärkere Licht¬ 
einwirkung als schmerzhaft. An einigen Tagen konnte die Kranke 
das Bett für eine halbe Stunde mit dem Lehnstuhl vertauschen, 
fühlte sich aber noch zu schwach, um längere Zeit aufzusitzen. 

Die Temperaturkurve zeigte vom 22. Juli ab zunächst Zacken 
und Remissionen, die zwischen 36,6 und 39,0° schwankten; vom 
6. August war die Temperatur wieder normal (abends nicht über 
37,2°). Die Kranke konnte sich allein ohne jedes Schwindel¬ 
gefühl im Bett aufsetzen. 

Seit dem 10. August besserte sich der Zustand wesentlich, 
Stimmung und Appetit wurden gut, Kopfschmerzen und Schwindel¬ 
gefühl schwanden, ebenso wurde das Blendungsgefühl gering. 
Die Pulszahl sank auf 76, die Temperatur auf 86,8°. Diese auf- 
fallende^Besserung ging mit Verschwinden des Liquorflusses und 

1 * 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 8. 


starker Verkleinerung des Prolapses einher and schritt im weiteren 
Verlauf ständig fort. 

Die Tatsache, dass der vierte Ventrikel ohne unmittelbare 
Lebensgefahr breit eröffnet werden kann, verdient um so grössere 
Beachtung, wenn man bedenkt, welche lebenswichtigen Nerven- 
elemente dem Boden der Rautengrube eingelagert sind. 

Das gute Ergebnis ist meines Erachtens nur dadurch erreicht 
worden, dass ich nach Beendigung der Exstirpation die Rauten¬ 
grube durch Deberlagerung mit den beiden Kleinhirnhemisphären 
und der Dura sofort vollkommen geschlossen habe. Auf diese 
Weise ist einer sekundären postoperativen Erweichung vorgebeugt 
worden, die doch auch in mildester Form an dieser Stelle un¬ 
zweifelhaft den Tod herbeigeföhrt haben würde. In einem früheren 
Falle, in dem ich wegen einer ähnlichen Neubildung den Aquae¬ 
ductus Sylvii eröffnen musste, habe ich wegen der nicht unbe¬ 
trächtlichen Blutung einen kleinen Gazetampon zurückgelassen, 
und, während der Verlauf in den ersten fünf Tagen ausgezeichnet 
war, den elfjährigen Knaben sieben Tage nach der Operation 
unter allgemeinen Krämpfen plötzlich verloren, nachdem ich zwei 
Tage zuvor die Bindengaze herausgezogen hatte. Offenbar sind 
hier Erweichungen die Folge der Tamponade gewesen, die durch 
ihren auf Pyramide und Medulla oblongata ausgeübten Reis zu 
den tödlichen Krämpfen geführt haben. Nach meinen Erfah¬ 
rungen muss ich immer wieder mit aller Schärfe betonen, dass 
die operativen Hirn- und auch Rückenmarkswunden, natürlich im 
Vertrauen auf eine streng durchgeführte Asepsis und nach ge¬ 
nauester Blutstillung ohne jede Drainage oder Tamponade, sofort 
durch die primäre Naht geschlossen werden sollen. 


Aus dem physiologischen Laboratorium der Nerven* 
klinik der Königl. Charite (Dir.: Geh.-Rat Bonhoeffer). 

Zur Kleinhirnlokalisation. 1 ) 

Von 

Max Rcthmana. 

In früheren Demonstrationen, die zum Teil in der Physio¬ 
logischen Gesellschaft stattfanden, hatte ich einige Tatsachen 
mitteilen können, die auf eine weitgehende Lokalisation der 
Funktion in der Rinde des Kleinhirns hinwiesen und nach dieser 
Richtung die auf vergleichend-anatomischen Untersuchungen sich 
aufbauenden Schlösse Bolk’s sowie die ersten Exstirpations¬ 
versuche van Rijnbeck’s bestätigen konnten (1). Es zeigte 
sich tatsächlich, dass beim Hunde im Crus primum des Lobus 
ansiformis (Lobus quadrangularis) des Kleinhirns ein Centrum 
für die vordere Extremität der gleichen Seite, im Crus secundum 
des Lobus ansiformis (Lobus semilunaris superior) ein Centrum 
für die hintere Extremität nachweisbar ist. Ganz in Ueberein- 
Stimmung damit liessen sich auch beim Affen durch Läsionen im 
Gebiet des Lobus quadrangularis Störungen im gleichseitigen Arm, 
durch Läsionen im Gebiet des Lobus semilunaris Störungen im 
gleichseitigen Bein erzielen. 

Während die früheren Untersucher, vor allem vanRijnbeck 
und Hulshoff-Pol bei den Läsionen des Lobus ansiformis eine 
Dysmetrie der Bewegungen der betreffenden Extremität, Habnen- 
sehritt, Hochheben der Pfote bis zum Salute militare beobachtet 
hatten, konnte ich feststellen, dass bei auf die Rinde des be¬ 
treffenden Kleinhirnabschnittes lokalisierten Exstirpationen der¬ 
artige Symptome durchaus uicht regelmässig und nur in der 
ersten Zeit der Beobachtung auftraten. Dagegen findet sich als 
konstantes Symptom der Ausschaltung des Lobus quadrangularis 
beim Hunde die Verstellbarkeit der vorderen Extremität der 
gleichen Seite nach allen Richtungen, am stärksten nach hinten 
und aussen, verbunden mit der Möglichkeit, das Bein am Tisch¬ 
rand zu versenken. Wenn auch diese Symptome bei längerer 
Lebensdauer wesentlich an Intensität abnehmen, so lassen sich 
doch noch nach Monaten deutliche Residuen derartiger Störungen 
nachweisen. 

ln der gleichen Weise wie durch Ausschaltung der Rinde 
des Lobus quadrangularis (Cras I des Lobus ansiformis) Störungen 
der vorderen Extremität, waren durch die Zerstörung der Rinde 
des Grus II des Lobus ansiformis des Hundes die gleichartigen 
Ausfallserscheinungen in der gleichseitigen hinteren Extremität 


1) Nach einem in der Physiologischen Gesellschaft zu Berlin am 
16. Januar 1913 gehaltenen Vortrag. 


zu erzielen. Die Erscheinungen erinnern weitgehend an die Lage¬ 
gefühlsstörungen in den gekreuzten Extremitäten nach Aus¬ 
schaltung der Extremitätenregion der Grosshirnrinde, nur dass 
bei dieser Grosshirnläsion die Schädigung des Lagegefühls sich 
durch abnorme Stellung der Glieder, Stehen auf dem Fussrücken 
usw. bereits spontan auffälliger bemerkbar macht. Auch ist der 
Versenkungsversuch bei Fortfall der Grosshirnkomponente von 
einer ausgesprochenen Streckstellung der Extremitäten begleitet, 
während der cerebellare Ausfall mit einer Flexionsstelluog der 
versenkten Extremitäten einhergeht. Immerhin schien es mir 
berechtigt, bei diesen cerebellaren Ausfallserscheinungen von 
Störungen des Lagegefühls zu sprechen, die auf dem Fortfall 
einer unter der Schwelle des Bewusstseins gelegenen Komponente 
des Muskelsinus beruhten. Die weitgehende Regulierung der 
Haltung der Extremitäten bei dem Hunde ohne Grosshirn weisen 
ja auch auf eine derartige Funktion des Kleinhirns hin. 

Es lag nun nahe, anzunehmen, dass im Gebiet dieser Extre¬ 
mitätenregionen der Kleinhirnrinde eine weitergehende Lokali¬ 
sation besteht, derart, dass die Regulierung bestimmter Muskel¬ 
gruppen von bestimmten Abschnitten des cerebellaren Vorderbein- 
bzw. Hinterbeincentrums abhängig ist. Auf eine solche feiner 
ausgearbeitete Lokalisation weisen auch die Ergebnisse der elek¬ 
trischen Reizung im Gebiet der vorderen Kleinhirnpartien hin, 
indem mit dem faradischen Strom von der unteren Partie des 
Lobus quadrangularis eine Aufwärtsbewegung der Zehen, gefolgt 
von einer Vorwärtsbewegung des ganzen gleichseitigen Vorderbeins, 
von der oberen Partie ein Auseinanderspreizen der Zehen mit 
Hochbeben des gleichseitigen Vorderbeines erzielt wurde, während 
Reizung des Lobus anterior eine Abwärtsbewegung der Zehen 
beider Vorderbeine mit Zurückziehen derselben auslöste. Trotz 
darauf gerichteter Aufmerksamkeit war es mir aber in früheren 
Versuchen nicht gelungen, eine weitergehebende Lokalisation im 
Gebiet des Lobus quadrangularis nachzuweisen. Nur fiel es auf, 
dass bei Läsionen der dorsalen oberen Abschnitte des Lobus 
quadrangularis eine besonders starke Beugekontraktur des Vorder¬ 
beines in den ersten Tagen auftrat, die an den Salute militare 
erinnerte. 

Inzwischen hat Barany (2) in der Fortsetzung seiner Ver¬ 
suche über die Beziehungen des Vestibularisapparates zu den 
Kleinhirnfunktionen und vor allem zu den Zeigefunktionen der 
Arme bzw. des Kopfes beim Menschen eine weitgehende Lokali¬ 
sation im Gebiet der cerebellaren Centren für die Extremitäten¬ 
bewegungen angenommen. Kommt es beim normalen Menschen 
bei Ausspülung eines Ohrs mit kaltem Wasser zum Vorbeizeigen 
des gleichseitigen Armes nach aussen, so treten bei Läsion einer 
Kleinhirnhemisphäre solche abnormen Zeigereaktionen des Armes 
bald nach aussen, bald nach innen spontan auf, während die 
Ohrausspülung sie nicht mehr auslöst. Bäräny konnte nun bei 
Menschen, deren Cerebellum nach osteoplastischen Operationen 
hinter dem Ohr von dem Knochen entblösst und nur von der 
Haut bedeckt war, durch die Trendelenburg’sche Abkühl ungs- 
metbode nachweisen, dass Abkühlung bestimmter Stellen der 
unteren Partien der Kleinbirnhemisphären mit dem Aethyl- 
chloridspray zum Vorbeizeigen des gleichseitigen Armes in be¬ 
stimmter Richtung führte. Bärany schloss aus seinen Er¬ 
gebnissen, dass an der Unterfiäche des Kleinhirns lateral das 
Centrum für die Bewegungen des Armes nach einwärts, etwas 
nach innen davon das Centrum für die Handgelenksbewegung 
nach einwärts gelegen wäre, und dass demnach die Hemispbären- 
rinde des Kleinhirns mit Centren für die einzelnen Gliedabschnitte 
in den verschiedenen Richtungslinien besetzt wäre. So müssen 
nach Bäräny für jedes Gelenk im Kleinhirn vier selbständige 
Centren für die Bewegung nach rechts, nach links, nach oben 
und nach unten vorhanden sein. 

Bei Versuchen, die ich in letzter Zeit wieder aofgenommen 
habe, um im Gebiet des Lobus quadrangularis des Hundes bald 
nur den medialen Teil, bald den lateralen Teil, bald die obere 
und bald die untere Hälfte der Kleinhirnrinde zu zerstören, ist 
es nun auch beim Hunde gelungen, zu positiven Resultaten hin¬ 
sichtlich einer weitergehenden cerebellaren Lokalisation im Gebiete 
der Extremitätenfunktionen zu gelangen. 

Wird bei einem Hunde nach Freilegung des Lobus quadran- 
gularis von vorn her nur der lateral gelegene Teil dieses 
Kleinhirnabschnittes zerstört, so zeigt ein solcher Hund bei dem 
im übrigen ungestörten Laufen eine etwas schleudernde Bewegung 
des gleichseitigen Vorderbeins, das bei der Vorwärtsbewegung 
etwas nach aussen geht. Es lässt sich aber weiterhin feststellen, 
dass das betreffende Vorderbein weit nach aussen bzw. nach 


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24. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


337 


aussen and hißten verstellt werden kann, ohne dass diese ab¬ 
norme Stellung korrigiert wird. Bisweilen gelingt es sogar, das 
Bein dabei auf den Fussrücken zu stellen. Auch vermag man 
das Vorderbein nach aussen und vorn zu verstellen; dasselbe 
verharrt einige Zeit in dieser abnormen Stellung, die dann aber 
doch korrigiert wird. Versucht man jetzt das Vorderbein nach 
inoen zu verstellen, so gelingt das absolut nicht; im Moment der 
Innenbewegung tritt eine starke Innervation der Abduktoren des 
Vorderbeins auf, die dasselbe in die Normalstellung zurückführen. 
Sehr prompt gelingt nach dieser Operation auch der Versenkungs¬ 
versuch, bei dem das Vorderbein in der typischen cerebellaren 
Beugestellung am Tischrand berabhängt. Wird die Intensität dieser 
Erscheinungen auch allmählich geringer, so lassen sich doch noch 
nach Monaten die Störungen des Vorderbeins deutlich nachweisen. 

Wird bei einem Hunde der mediale, dem Lobus anterior 
unmittelbar benachbarte Teil des Lobus quadrangularis zer¬ 
stört bei lotaktlassen der äusseren Lamellen desselben, so ist das 
betreffende Vorderbein absolut nicht nach aussen verstellbar. Bei 
jedem Versuch hierzu macht sich die starke Innervation der Ad¬ 
duktoren bemerkbar, die das Bein sofort in die Normalstellung 
zurück führen. Dagegen gelingt es jetzt, das gleichseitige Vorder¬ 
bein nach innen zu verstellen, am besten nach innen und hinten, 
weniger sicher auch nach innen und vorn. Dabei macht sich 
häufig eine Neigung, das Vorderbein böcbzuheben, bemerkbar; 
man muss dann das Abklingen derselben abwarten, um die Ver¬ 
stellung des Beins nach innen deutlich in die Erscheinung treten 
zu sehen. Es gelingt nun auch, bei dem gleichen Hunde links 
den lateralen Teil des Lobus quadrangularis, rechts den medialen 
Teil desselben zu zerstören und so am gleichen Tier das Ver¬ 
stellen des einen Vorderbeins nach, aussen, des anderen nach 
innen so demonstrieren. Der Versenkungsversuch gelingt auch 
bei der Zerstörung des medialen Abschnitts des Lobus quadran¬ 
gularis in den ersten Tagen; doch kommt es allmählich zur 
Restitution, so dass das versenkte Bein wieder gehoben wird. 
Ueberhaupt sind die Folgen der medialen Zerstörung schwächere 
als die der lateralen Partien. Die Verstellung des Beines nach 
innen nimmt schon nach wenigen Tagen an Intensität ab; doch 
ist sie auch nach mehreren Wochen noch deutlich vorhanden. 
Aber selbst in der ersten Zeit nach der Operation lässt sich die 
Intensität des Verstellens des Beins nach innen nach medialer 
Ausschaltung mit der nach aussen- nach lateraler Ausschaltung 
gar nicht vergleichen; es bängt dies offenbar mit der bereits 
unter normalen Verhältnissen grösseren Exkursionsbreite derBein- 
beweguDg nach aussen zusammen. 

Es wurde nun weiterhin versucht, den oberen bzw. den 
unteren Teil des Lobus quadrangularis isoliert zu zerstören. 
Der obere Teil macht bei der Operation Schwierigkeiten, weil 
dabei leicht der hinterste, am Sulcus intercruralis (Sulc. sup. 
post.) gelegene Teil des Lobus quadrangularis stehen bleibt. Greift 
die Zerstörung etwas tiefer, so kommt es häufig zu einer abnormen 
Hebung des gleichseitigen Vorderbeins (Pagano’s Pose, Salute 
militare), die aber bei reioer Rindenläsion höchstens angedeutet 
ist. Trotzdem besteht eine Neigung des betreffenden Vorderbeins 
zu abnormer Hebung, die sich aber bisweilen nur nachweisen 
lässt, indem man bei nach hinten geneigtem Kopf des Hundes 
den Vorderkörper hebt und dann wieder langsam senkt. Dann 
kommt das gesunde Vorderbein in normaler Stellung als Stütz¬ 
bein auf die Tischplatte zu stehen, während das Vorderbein der 
operierten Seite in gebeugter Stellung lange Zeit verharrt. Hier 
macht sich der Einfluss der Kopfhaltung auf die Gliederstellung, 
der bei den ßäräny’schen Prüfungen am Menschen und bei den 
Tierversuchen von Magnus und de Rleijn (3) eine so grosse 
Rolle spielt, in deutlicher Weise bemerkbar. Ein Verstellen der 
Extremität nach den Seiten ist in den ersten Tagen nach der 
Operatiou in der Regel schwach nachweisbar, bildet sich aber in 
der Folgezeit rasch zurück. Ebenso ist der Versenkung«versuch 
nur io der ersten Zeit schwach positiv, während in der Folge das 
Bein prompt gehoben wird. 

Wird der uotere Teil des Lobus quadrangularis zerstört, 
so macht sich gleichfalls nur eine Andeutung von Verstellen nach 
deu Seiten bemerkbar, die rasch zurückgeht. Dagegen ist das be¬ 
treffende Vorderbein auffallend stark versenkbar, hängt schlaff 
in leichter Beogestellung herab ohne jeden Versuch der Korrektur. 

Fassen wir noch einmal die Ergebnisse dieser partiellen 
Exstirpationen im Gebiet des Lobus quadrangularis zu¬ 
sammen, so macht sich ein deutlicher Unterschied der Ausfalls¬ 
erscheinungen, je nach der Lage des exstirpierten Rindengebiets, 
bemerkbar. Nach Zerstörung der lateralen Hälfte ist das gleich¬ 


seitige Vorderbein nach aussen bzw. nach aussen-hinten, weniger 
nach aussen-vorn verstellbar und am Tischrand zu versenken; 
nach Zerstörung des medialen Teils besteht Verstellen des Beins 
nach inneu bzw. innen-hinten in etwas geringerer Intensität mit 
leichter Neigung zur Hebung des Beins und der Möglichkeit des 
Versenkens. Wird nur der obere Abschnitt zerstört, so besteht 
ausgesprochene Neigung zur Hebung des Vorderbeins bei nur an¬ 
gedeutetem Verstellen und Versenken desselben; wird der untere 
Abschnitt zerstört, so ist das betreffende Vorderbein stark zu ver¬ 
senken, obwohl es nach der Seite kaum verstellbar ist. Andere 
Ausfallserscheinungen werden bei diesen partiellen Exstirpationen 
des Lobus quadrangularis nicht beobachtet. 

Ganz in der gleichen Weise ergeben nun beim Hunde die Ver¬ 
suche an dem als cerebellares Hinterbeincentrum festgestellten Grus 
secundum des Lobus ansiformis (Lobus semilunaris superior). dass 
Zerstörung der lateralen Hälfte desselben zum Verstellen des gleich¬ 
seitigen - Hinterbeins nach aussen bzw. nach aussen vorn und 
aussen-hinten führt; zugleich wird beim Laufen das betreffende 
Hinterbein etwas geschleudert und ungeschickt aufgesetzt. Auch 
ist der Versenkungsversuch positiv. Wird der mediale Teil des 
Crus II zerstört, so ist das gleichseitige Hinterbein nach innen 
verstellbar. Auch hier besteht zugleich eine Neigung des Hinter¬ 
beins, gehoben zu werden; erst nach Abklingen dieses Reizes tritt 
die abnorme Innenstellung des Beins deutlich hervor. Der Ver¬ 
senkungsversuch ist dabei nur angedeutet. Dieses Verstellen des 
Hinterbeins nach innen ist nicht so stark ausgeprägt wie das ent¬ 
sprechende Verhalten des Vorderbeins und ist nach einigen Wochen 
nur noch angedeutet nachweisbar. Dagegen ist die Verstellung 
des Hinterbeins nach aussen nach Zerstörung des lateralen Ab¬ 
schnitts des Crus secundum noch nach Monaten deutlich zu de¬ 
monstrieren. 

Auch hier kann man bei Kombination der Zerstörung des 
lateralen Abschnitts des Crus secundum der einen Seite und des 
medialen Abschnitts der anderen Seite die laterale Verstellbarkeit 
des einen und die mediale des anderen Hinterbeins an dem 
gleichen Hund demonstrieren. Endlich gelingt es auch, durch 
kombinierte Partial Zerstörungen eines cerebellaren Vorderbein¬ 
centrums und eines cerebellaren Hinterbein centrums, gleichseitig 
oder gekreuzt, Auswärtsstellung eines Vorderbeins und Einwärts¬ 
stellung eines Hinterbeins am gleichen Tier zu erhalten. Stets 
kann man die streng lokalisierte, auf bestimmte Muskelkombi¬ 
nationen einer gleichseitigen Extremität begrenzte Störung nach 
diesen Zerstörungen im Gebiet eines cerebellaren Extremitäten¬ 
centrums konstatieren. 

Ist nach diesen Ergebnissen an einer weitergehenden Lokali¬ 
sation im Gebiet der als Extremitätencentren der Kleinhirnrinde 
anzusprechenden Regionen nicht zu zweifeln, so gestatten uns 
diese Resultate ausserdem, die Ausfallserscheinungen im Gebiet 
der Extremitäten nach Ausschaltung der betreffenden Rinden- 
centren der Kleinhirnhemisphäre etwas anders als bisher aufzu¬ 
fassen. Sb errington (4) bat neben den oberflächlichen Re- 
ceptorenorganen, die teils von der äusseren Oberfläche als Extero- 
ceptoren, teils von der intestinalen Oberfläche als Interoceptoren 
wirken, ein proprioceptives System der tiefen Reizwirkungen 
aufgestellt, das primär durch den Organismus selbst und höchstens 
sekundär durch die Umgebung gereizt wird. Die Proprioceptoren 
unterhalten den Reflextonos der Glieder, der aber auch vom 
Labyrinth abhängig ist. Das Labyrinth gehört zum propriocep- 
tiven System, indem es durch Wirkung auf die Kopfstellung das 
ganze System beeinflusst. Endlich ist das Kleinhirn als ein 
centrales Organ des proprioceptiven Systems aufzufassen, das den 
Tonus der Skelettmuskulatur beherrscht. 

Verstellen wir einem normalen Hunde eine Extremität aus 
der Ruhehaltung nach aussen oder innen, so treten sofort die 
Reflexe der antagonistischen Muskelgruppen als Proprioceptoren 
in Aktion und führen da9 Glied in die statotonische Normal¬ 
stellung zurück. Wird ein ganzes Extremitätencentrum im Gebiet 
der Rinde der Kleinhirnhemisphäre zerstört, so kommt es zur 
weitgehenden Ausschaltung des ganzen proprioceptiven Systems 
der betreffenden Extremität, die daher nach allen Seiten zu ver¬ 
stellen ist. Doch stellen sich die proprioceptiven Reflexe allmäh¬ 
lich bis zu einem gewissen Grade, wahrscheinlich mit Hilfe des 
Grosshirns, wieder her. Wird nur der laterale Abschnitt des 
Vorderbeincentrums exstirpiert, so kommt es zum Fortfall der 
proprioceptiven Antagonistenreflexe der Adduktoren; das Bein 
kann nach aussen verstellt werden. Wird der mediale Abschnitt 
zerstört, so fallen die „proprioceptiven^ Reflexe der Adduktoren 
fort; das Bein kann nach innen verstellt werden. In gleicher 

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338 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 8. 


Weise erklären sich die Lagestörungen bei Fortnahme der oberen 
bzw. der unteren Partie des Vorderbeincentrnms durch Fortfall 
bzw. Abschwächung der entsprechenden Antagonistenreflexe. 

Bei dieser Auffassung ist es nicht erforderlich, mit einem 
unter der Schwelle des Bewusstseins gelegenen Muskelsinn oder 
Lagegefuhl zu arbeiten. Die reflektorische Regulierung des Stato- 
tonus (Edinger) der betreffenden Extremität, indem bestimmte 
Rindenabschnitte bestimmten Proprioceptoren derselben vorstehen, 
die bei Zerstörung der ersteren zum Fortfall kommen, genügt 
vollkommen zur Erklärung der Lokalisation hinsichtlich der 
Funktion der cerebellaren Kleinhirnhemisphären. 

Damit wird aber auch eine Brücke geschlagen zu den Beob¬ 
achtungen beim Menschen, bei dem eigentliche Muskelsinnstörungen 
bei cerebellaren Herdaffektionen niemals zur Beobachtung kommen. 
Auch beim Menschen ist die normale Haltung und die Sicherheit 
der Bewegung der Extremitäten an die auf dem System der 
Proprioceptoren aufgebauten Antagonistenreflexe geknüpft. Daher 
kommt es bei bestimmten Defekten der Kleinhirnhemisphären oder 
bei den von Bär an y bewirkten temporären Abkühlungen der 
Kleinhirnrinde zu den eigenartigen Abweichungen des Armes bzw. 
der Hand in einer bestimmten Richtung. Es lässt sich aber er¬ 
warten, dass bei der weit höheren Entwicklung der Extremitäten¬ 
funktionen beim Menschen, vor allem im Gebiet des Armes, und 
bei der im Vergleich zum Hunde enormen Ausbildung der mensch¬ 
lichen Kleiohirnhemisphären hier ein viel komplizierterer und viel 
weitergehender lokalisierter Apparat derartiger Antagonistenreflexe 
vorhanden ist. Es ist eine der wichtigsten Aufgaben der 
menschlichen Kleinhirnforschung, hier zu sicheren Ergebnissen zu 
kommen. 

Weiterhin erfährt ein wichtiges cerebellares Symptom, dessen 
Kenntnis wir Babinski (5) verdanken, durch diese Erkenntnis 
von der Störung der Antagonistenreflexe bei cerebellaren Affektionen 
weitgehende Aufklärung. Das ist die Adiadochokinesis, 
d. h. die Unmöglichkeit, vor allem der Arme, antagonistische Be¬ 
wegungen, wie Flexion und Extension, Supination und Pronation, 
mehrmals schnell hintereinander auszuführen. Zu der schnellen 
Aufeinanderfolge dieser antagonistischen Bewegungen ist ein be¬ 
sonders gutes Funktionieren der Antagonistenreflexe erforderlich; 
eine auch nur geringe Unsicherheit derselben führt zur Unfähig¬ 
keit, derartige Bewegungen rasch hintereinander auszuführen. Es 
ist daher vollkommen verständlich, dass dieses Symptom bei 
cerebellaren Prozessen häufig zur Beobachtung gelangt. Nur wird 
man erwarten dürfen, dass bei genauer Beobachtung, je nach dem 
Sitz der cerebellaren Affektion, nur bestimmte antagonistische Be¬ 
wegungen die Adiadochokinesis zeigen werden und man hierdurch 
Anhaltspunkte für eine feinere cerebellare Rindenlokalisation ge¬ 
winnen wird. 

Auch beim Affen, dessen cerebellare Einrichtungen denen 
des Menschen weitgehend angenähert sind, habe ich bei Eingriffen 
in das Kleinhirn wiederholt neben ataktischen Störungen ein Vor¬ 
beigreifen an vorgehaltenen Gegenständen beobachtet. So griff 
ein Affe, dem Rindenzerstörungen in beiden Lobi quadranguläres 
gesetzt waren, mit den Armen stets unter die vorgehaltenen 
Gegenstände; ein Affe, dem auf einer Seite vorderer und hinterer 
Kleinbirnschenkel durchtrennt waren, fuhr öfter am Vorgebaltenen 
vorbei. Endlich griff ein Affe mit doppelseitig durchtrennten 
vorderen und hinteren Kleinhirnschenkeln stets über die Gegen¬ 
stände hinaus. Hier müssen weitere, streng lokalisierte Rinden¬ 
exstirpationen im Gebiet der Kleiohirnhemisphären zeigen, inwie¬ 
weit auch beim Affen feste Beziehungen bestimmter Kleinbirn- 
rindenläsionen zu bestimmten Richtungsstörungen der Extremitäten 
beim Greifen bestehen. 

Diese feinere Lokalisation im Gebiet der Kleinhirnrinde ist 
aber keinenfalls auf die Extremitätencentren der Hemisphären 
beschränkt. Hatte Luciani bereits bei Wurmläsionen das „Nein¬ 
schütteln“ des Kopfes (Ropfastasie) beobachtet, so konnte 
van Rijnbeck (6) dasselbe durch eine isolierte Exstirpation im 
Gebiet des Lobus simplex, das er als ein Halsmuskelcentrum an- 
sprach, erzielen. Doch zeigten die anatomischen Untersuchungen 
von Binnerts (7), dass nur beiderseitige tiefgreifende Läsionen 
des Lobulus simplex das Kopfscbütteln hervorrufen, während es 
bei oberflächlichen Läsionen nicht zu beobachten ist. Demgegen¬ 
über erzielte Louriö (8) bei Läsionen im Gebiet des Lobus 
anterior dicht oberhalb des Velum medulläre anterius einen Kopf¬ 
tremor, der Monate hindurch zu beobachten war und im wesent¬ 
lichen in einer *Ja w -Bewegung des Kopfes bestand. Also auch 
hier scheinen durch Läsion zweier verschiedener Stellen der Klein¬ 
hirnrinde zwei in ihrer Anordnung voneinander wesentlich ab¬ 


weichende Störungen der Kopfhaltung ausgelöst zu werden, die 
auf Differenzen in der Lokalisation der Innervation der Nacken¬ 
muskulatur im Gebiet des Lobus anterior bzw. Lobulus simplex 
hinzuweisen scheineu. 

Endlich möchte ich noch mit einigen Worten auf die von 
Katzenstein und Rothmann (9) festgestellte Lokalisation der 
Kehlkopfinnervation im Lobulus centralis des Lobus anterior 
eingehen. Ausgehend von der von Bolk ausgesprochenen Ver¬ 
mutung, dass im Lobus anterior eine Vertretung für die Innervation 
von Kehlkopf und Zunge vorhanden sein dürfte, fanden wir bei der 
planmässigen Durchforschung der Kleinhirnrinde des Hundes, dass 
Zerstörung des im unteren Teil des Lobus anterior gelegenen Lobulns 
centralis regelmässig zu einer eigenartigen Störung der Kehlkopf¬ 
innervation führt, die sich in einem nicht festen Stimmlippen¬ 
schluss und einer sakkadierenden Auswärtsbewegung der Stimm¬ 
lippen äussert. Zugleich gehen die Stimmlippen nach aussen 
nicht wesentlich über die Cadaverstellung hinaus. Neben dieser 
Erschlaffung und Ataxie der Stimmlippen, die auch mit einem 
Fortbleiben des Beilens für l 1 /»—2 Monate und einer eigentüm¬ 
lich hohen, blechernen Stimme verbunden ist, kommt es regel¬ 
mässig bei Zerstörung des ganzen Lobus anterior oder des Lobulus 
centralis allein zu einer ausgesprochenen Schwäche der Kiefer¬ 
muskulatur. Die Kiefer setzen der Oeffnung des Maules keinen 
Widerstand entgegen; ja oft bängt der Unterkiefer direkt etwas 
herab. Zugleich macht häufig auch die Zunge einen schlaffen, 
zurückgesunkenen Eindruck. Wurde nur der obere Teil des Lobus 
anterior zerstört, so traten diese Störungen gar nicht oder nur 
schwach und vorübergehend auf. Auch die Läsionen der übrigen 
Kleinhirnrinde führten niemals zu gleichartigen Störungen. So 
konnte ich wiederholt bei völliger Rindenzerstörung des Lobus 
medianus posterior normale Keblkopfbewegung und kräftiges 
Bellen nach wenigen Tagen feststellen. Demgegenüber bat nun 
Grabower (10) in einer Reihe von Versuchen den „vordersten 
und nach unten in die Ventrikelhöhle hineinsebauenden“ Teil des 
Lobus anterior mit einem scharfen Löffel oder mit einer Haken¬ 
pinzette zerstört und danach keine Störung der Stimmlippen¬ 
innervation naebgewiesen. Da er aber wiederholt Innervations¬ 
störungen der Stimmlippen durch die Narkose allein bedingt sab, 
so nahm er an, dass Rothmann und Katzenstein bei ihren 
Versuchen den Einfluss der Narkose unbeachtet Hessen. Zu dieser 
Annahme konnte Grabower nur gelangen, weil er unsere Publi¬ 
kation nicht abwartete, sondern unsere Angaben einem kurzen 
Autoreferat entnahm. Er hätte sonst leicht feststellen können, 
dass wir die Stimmlippenbewegungen in der Narkose vor der 
Operation stets sorgfältig kontrollierten, ferner aber, dass es 
sich bei den von uns beobachteten Kehlkopfstörungen nicht 
um vorübergehende Erscheinungen in der Narkose nach der Ope¬ 
ration, sondern um Monate hindurch anhaltende Abweichungen 
von der Norm handelte. Bei der abnormen Kieferschwäche der 
von uns derart operierten Hunde gelang es ausserdem, eine grosse 
Zahl derselben in den Tagen nach der Operation ohne Narkose 
zu autoskopieren und so die Abweichungen der Stimmlippen von 
der Norm ganz unbeeinflusst von der Narkose zu beobachten. 
Nun ist es aber sehr auffällig, dass Grabower auch die Kiefer- 
schwäcbe bei seinen Versuchen nicht feststellen konnte. Bei 
dem einzigen Versuch, bei dem ein von ihm operierter Hund die 
Operation zwei Tage überlebte, bellte der Hund am Tage nach 
der Operation kräftig; die Kiefer konnten nur mit grosser Mühe 
auseinandergehalten werden, auch die Zunge zeigte kräftige Inner¬ 
vation. 

Nach diesem Ergebnis Grabower’s lässt sich mit Bestimmt¬ 
heit sagen, dass seine Experimente nicht mit den unsrigen über¬ 
einstimmen. In einigen Präparaten von operierten Hunden, die 
mir Herr Grabower zeigte, und an denen er unsere Angaben 
widerlegt haben wollte, konnte ich ihm das Erhaltensein des 
Lobulus centralis demonstrieren. Die weiteren Präparate habe 
ich nicht gesehen; aber es ist mir nach den vorliegenden klinischen 
Resultaten nicht wahrscheinlich, dass die Exstirpationen in aus¬ 
reichender Weise diese Gebiete des Lobus anterior zerstört haben. 
Jedenfalls muss ich auch nach meinen weiteren Erfahrungen an 
der Beeinflussung der Kehlkopfinnervation von den unteren Ab¬ 
schnitten des Lobus anterior des Kleinhirns (Lobulus centralis) 
aus unbedingt festhalten*). 


1) In einem Referat von van Rijnbeck (11) ist die Frage auf¬ 
geworfen worden, warum ich die Angabe Louri6’s, dass die Hunde 
nach Exstirpation des Oberwurms nicht mehr bellten und Cadaver- 
t Stellung des Kehlkopfes zeigen (Pflüger’s Archiv, Bd. 133, S. 282), nicht 


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24. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


339 


Wenn es gelangen ist, die Lehre von der Lokalisation in 
der Kleinhirnrinde durch die vorliegende Versuchsreihe zu be¬ 
festigen und zu erweitern, so sehen wir hier im Bereich des 
Kleinhirns dieselben anatomischen und physiologischen An¬ 
schauungen zur Herrschaft gelangen, um die der Kampf im Gebiet 
der Grosshirnrinde so lange und heftig getobt hat. Hatte mein 
soeben dahingegangener verehrter Lehrer Hermann Munk von 
Anfang seiner Tätigkeit auf diesen Gebieten an die Lokalisation 
der Funktionen in der Grosshirnrinde als ein physiologisches 
Postulat bezeichnet, dessen Befestigung er seine Lebensarbeit 
widmete, so ist diese Erweiterung der Lehre von der Hirnlokali¬ 
sation durch die moderne Kleinhirnforscbung die schönste Be¬ 
stätigung dafür, dass der lokalisatorische Grundgedanke das ganze 
Centralnervensystem beherrscht und für Physiologie und Patho¬ 
logie in gleicher Weise ausserordentlich fruchtbringend ge¬ 
worden ist. 

Die Arbeit ist mit Unterstützung der Gräfin Bose-Stiftnng 
ausgeführt worden. Dem Kuratorium derselben sage ich meinen 
verbindlichsten Dank. 

Nachtrag bei der Korrektur. Nach Abschluss der Arbeit 
erhalte ich Kenntnis von einer neuen Arbeit Bäräny’s, „Lokali¬ 
sation in der Rinde der Kleinhirnhemisphären des Menschen“ 1 ), 
in der Bäräny auf Grund seiner reichen Erfahrung bereits bestimmte 
Centreu für den „Auswärtstonus“, „Einwärtstonus“, „Abwärts¬ 
tonus“ der verschiedenen Gelenke des Arms bzw. des Beins auf der 
Kleinhirnrinde des Menschen bezeichnet. Kann man in der all¬ 
gemeinen Auffassung eine erfreuliche Uebereinstimmung der Er¬ 
gebnisse beim Menschen mit den Resultaten der experimentellen 
Kleinhirnphysiologie, die ja Bäräny reiche Anregung verdankt, 
feststellen, so halte ich es doch für wahrscheinlich, dass in den 
Einzelheiten die „Foci“ beim Menschen noch Korrekturen erfahren 
werden. Wenigstens ist es mir unwahrscheinlich, dass Centren 
für Armgelenk und Hüftgelenk derart benachbart in dem gleichen 
Kleinbirnabschnitt lokalisiert sind, wie Bäräny dies angibt. Bei 
den komplizierten Verhältnissen der menschlichen Pathologie ist 
es ja auch durchaus verständlich, dass hier grosse Schwierigkeiten 
zu überwinden sind. Jedenfalls haben wir diese ersten positiven 
lokal isatorischen Ergebnisse Bäräny’s beim Menschen als einen 
grossen Fortschritt in der Erkenntnis der menschlichen Klein- 
hirnfunktion zu begrüssen. 


Literatur. 

1. Max Rothmann, Ueber die Funktion der Rinde der Kleinhirn¬ 
hemisphären. VerhandJ. d. Berliner physiol. Gesellschaft. Med. Klinik, 
1910, Nr. 25. Derselbe, Zur Funktion des Kleinhirns. Deutsche 
Zeitschr. f. Nervenheilk., Bd. 41, S. 105. — 2. Bäräny, Ueber Lokali¬ 
sation in der Kleinhirnrinde. Wiener med. Wochenscbr., 1911, Nr. 34. 
Derselbe, Funktionelle Prüfung des Vestibularapparats. Ref. Verband!, 
der Deutschen otolog. Gesellschaft, 1911, S. 1. — 8. R. Magnus und 
A. de Kleijn, Die Abhängigkeit des Tonus der Extremitätenmuskeln von 
der Kopfstellung. Tflüger’s Archiv,Bd. 145, S.455. — 4. C.S.Sherrington, 
On the proprioceptive System, especially in its refiex aspect. Brain, 
1906, Bd. 29, S. 467. — 5. J. Babinski, Quelques documents relatifs 
ä l’histoire des foncthms de l’appareil cäröbelleux et de leurs per- 
turbations. Rev. mensuelle d. mäd. interne et de therapeutique, 1909. — 
6. G. van Rijnbeck, Over functioneele Localisatie in het cerebellum. 
Rotterdam 1906. — Derselbe, Das Lokalisationsproblem im Kleinhirn. 
Ergehn, d. Physiol., 1908, Bd. 7, S. 653—698. — 7. A. Biunerts, Over 
localisatie von funoties in het cerebellum. Amsterdam 1908. — 8. A. 
Louriä, Partielle Kleinhirnexstirpation. Verhandl. d. Berliner physiol. 
Gesellsch., Jabrg. 34, 1910, S. 92. — 9. J. Katzenstein undM. Roth¬ 
mann, Zur Lokalisation der Kehlkopfinnervation in der Kleinhirnrinde. 
Beitr. z. anatom. Physiol. usw. des Ohres, der Nase u. des Halses, 1912, 
Bd. 5, S. 880. — 10. Grabo wer, Zur Frage eines Keblkopfcentrums in der 
Kleinhirnrinde. Archiv f. Laryngol. u. Rhinol., Bd. 26, H. 1. — 11. van 
Rijnbeck, Weitere Beiträge zum Lokalisationsproblem im Kleinhirn. 
Folia neurobiol., 1912, Bd. 6, Ergänzungsheft. 


berücksichtigt habe. Hierauf kann ich nur erwidern, dass Louriä, der 
damals im gleichen Laboratorium wie wir arbeitete, nicht richtig zu¬ 
gehört hat; sonst hätte er die Stimmlippen nicht in Cadaverstellung 
stehen lassen, sondern sie, wie Katzenstein und Rothmann fest- 
stellten, niobt wesentlich über die Cadaverstellung sich hinausbewegen 
lassen. Im übrigen ist mir von einer „Arbeit“ des Herrn Louriä 
über die cerebellare Kehlkopfinnervation nichts bekannt. 

1) Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 52. 


Aus der experimentell-biologischen Abteilung des 
Kgl. pathologischen Instituts der Universität zu Berlin. 

Pankreas, Leber und KohlehydratstoffwechseL 

Von 

Prof. Dr. J. WohlgCMth, 

Assistent am Institut. 

Seit der Entdeckung von v. Mering und Minkowski, dass 
totale Pankreasexstirpation einen schweren Diabetes des Tieres 
zur Folge hat, ist man allgemein davon überzeugt, dass dem 
Pankreas im Kohlehydratstoffwechsel eine dominierende Stellung 
zukommt. Wie man sich aber die Wirkung des Pankreas zu er¬ 
klären bat, darüber sind die Ansichten noch sehr geteilt; ja man 
kann ohne Uebertreibung sagen, dass man heute mehr denn je 
von einer einheitlichen Auffassung der Pankreasfunktion entfernt 
ist. Denn je tiefer man in das Problem eindringt, um so kom¬ 
plizierter und verwickelter erweisen sich die Verhältnisse. Das 
haben besonders deutlich die Arbeiten der letzten Jahre gezeigt, 
die einen nahen Zusammenhang zwischen Pankreas, Nebenniere 
und Schilddrüse sehr wahrscheinlich machen konnten. Es würde 
zu weit führen, auf diese und ähnliche Punkte, die, wenn man 
sie auch als ganz einfach darzustellen sucht, doch noch recht 
dunkler Natur sind, des näheren einzugehen. Ich kann mir das 
um so eher ersparen, als erst vor kurzem eine ausgezeichnete 
kritische Darstellung aller dieser Verhältnisse von S. Rosen¬ 
berg in der Medizinischen Klinik, Jahrgang 1912, Nr. 42, 43, 45, 
erschienen ist. 

Zu den Organen, die zu dem Pankreas in enger Beziehung 
stehen, gehört zweifelsohne auch die Leber. Darauf deutet ein¬ 
mal schon die Tatsache hin, dass alles Blut, welches aus dem 
Pankreas kommt, auf dem Wege über die Pfortader erst die Leber 
passieren muss, ehe es in die Vena cava gelangt. Sodann hat 
gerade das Studium des experimentellen Diabetes ergeben, dass 
die Leber die Fähigkeit der Glykogensynthese einbüsst, sobald 
man das Pankreas aus dem Körper entfernt hat. 

Es war nun von Interesse zu untersuchen, wie der Glykogen¬ 
bestand der Leber bzw. der Kohlehydratstoffwechsel überhaupt 
sich gestalten würde, wenn man, statt das Pankreas aus dem 
Körper auszuschalten, im Gegenteil noch dafür sorgt, dass ausser 
dem sogenannten inneren Sekret auch das durch die Pankreas¬ 
gänge sonst nach aussen in das Darmlumen abfliessende Sekret 
in den Blutkreislanf Übertritt, wenn man also den tierischen 
Organismus mit Pankreassekret gleichsam überschwemmt. Hierfür 
haben wir ein bequemes und sicheres Mittel in der Unterbindung 
der Pankreasgänge. 

Versuche mit Einführung von Fremdkörpern in den Aus- 
führungsgang der Pankreasdrüse zwecks Verschluss derselben bzw. 
mit Unterbindung der Pankreasgänge waren schon früher ans¬ 
geführt worden in der Absicht, eine Verödung der Drüsensubstanz 
zu erzielen, und um festzustellen, ob bei allmählichem Eintritt 
einer Atrophie der Drüse sich ein ähnlicher Diabetes entwickelt 
wie nach einer Pankreasexstirpation. Demnach war auch die 
Aufmerksamkeit bei diesen Versuchen, an denen sich namentlich 
französische Autoren wie Wedon, Gley und Thiroloix be¬ 
teiligten, fast ausschliesslich auf das Auftreten von Zucker im 
Harn gerichtet, ohne dass sie einen Anhaltspunkt für einen ge¬ 
störten Znckerabban gegeben hätten. 

Lepine und Bonlud gingen einen Schritt weiter and fanden, 
dass der Blutzuckergebalt solcher Tiere vermindert und ihre 
glykolytische Kraft verstärkt war. Ich muss gestehen, dass mir 
die Arbeit von Lepine and Boulud völlig entgangen war, und 
dass ich erst Kenntnis von ihr erhielt, als meine Versuche bereits 
abgeschlossen waren. Ich bedauere das aber keineswegs, zumal 
ich zu Resultaten gekommen bin, die von den ebengenannten 
wesentlich differieren. 

Ueberdies habe ich auch von ganz anderen Gesichtspunkten 
ans meine Untersuchungen angestellt, nnd zwar liess ich mich 
von folgender Ueberlegung leiten: 

Dass das diastatische Ferment an dem Kohlehydratstoffwechsel 
aktiv beteiligt ist, dürfte wohl kaum einem Zweifel unterliegen. 
Wenn man nun für einen Uebertritt von Pankreassekret in die 
Blutbahn sorgt, so bewirkt man damit gleichzeitig, dass sich im 
Blute ungeheure Mengen an diastatischem Ferment ansammeln. 
Die Mengenverhältnisse gestalten sich nach meinen Erfahrungen 
so, dass beispielsweise beim Hand, der normaliter in seinem Blut 
einen Diastasegehalt von D^° = 320 hat, nach erfolgtem Ueber- 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 8. 


340 

tritt von Pankreassaft ins Blut Diastasewerte amotreffen sind, 
welche den Normal wert um das 20- bis 30 fache, ja 60 fache über¬ 
steigenkönnen = 6120—10 240—20 480). Ganz ähnliche, 

wenn auch nicht ganz so grosse Differenzen gegenüber der Norm, 
findet man auch beim Kaninchen nach Uebertritt von Pankreas- 
sekret ins Blut. Dass nun so gewaltige Verschiebungen im Ferment¬ 
gehalt des Blutes für den Glykogen- bzw. Kohlehydratbestand 
des tierischen Organismus nicht gleichgültig sein konnten, lag 
auf der Hand, und es war um so verlockender, diesem Gedanken 
experimentell nachzugehen, als das bisher noch von keiner Seite 
geschehen war. 

Zu meinen Untersuchungen, die ich in Gemeinschaft mit 
den Herren Lenard - Budapest, Geyelin-Villa Nova (Penn¬ 
sylvania), Minami-Tokio vornahm, und über die hier nur ganz 
kurz, an anderer Stelle aber ganz ausführlich berichtet werden 
soll, benutzte ich ausschliesslich Hunde und Kaninchen. Um 
das Pankreassekret in das Blut überzuleiten, wurden den Tieren 
die Paukreasausführungsgänge unterbunden. Schon wenige Stunden 
darauf erfolgte der Uebertritt des Sekrets ins Blut, ln der Mehr¬ 
zahl der von mir beobachteten Fälle konnte ich schon nach 
6 Stunden, in manchen bereits nach 4, bisweilen sogar schon 
nach 3 Stunden das Auftreten der ersten Mengen von Pankreas- 
sekret im Blut mit Sicherheit feststellen. Nach Verlauf von 
24 Stunden ist die Fermentmenge im Blut für gewöhnlich schon 
so gross, dass der Diastasegehalt des Blutes um das zehnfache 
des ursprünglichen Wertes gestiegen ist, nach 48 bzw. 72 Stunden 
erreicht er meist seinen Höhepunkt, uud nachdem er sich einige 
Tage auf dieser Höhe gehalten, geht er allmählich nieder zurück 
und erreicht schliesslich nach 10—12—14 Tagen wieder seine 
normale Grösse. Meist begannen wir mit unseren Versuchen 
24 Stunden nach der Pankreasgangunterbindung, nachdem wir uns 
zuvor am normalen Tier über die uns interessierenden Punkte 
eingehend orientiert hatten. 

Um Aenderungen im Kohlebydratstoffwechsel mit Sicherheit 
zu erkennen, hat man verschiedene Mittel und Wege. Man kann 
den Glykogengehalt der Leber feststellen, die Wirkung des 
Zuckerstichs verfolgen, den Blutzucker quantitativ bestimmen, die 
Toleranz für Traubenzucker prüfen und endlich den respira¬ 
torischen Quotienten vorher und nachher ermitteln. Wir be¬ 
gütigten uns nun nicht damit, nur die eine oder die andere 
Methode zur Anwendung zu bringen, sondern um einen möglichst 
klaren Einblick in die Verhältnisse zu bekommen, vor allem 
aber, um keiner Täuschung zum Opfer zu fallen, bedienten wir 
uns sämtlicher der hier ebengenannten Methoden. 

Zunächst ermittelten wir, welchen Effekt der Claude Bernard- 
sche Zuckersticb hat bei Tieren, denen die Pankreasgänge zuvor 
unterbunden worden waren. Zu diesen Versuchen verwandten 
wir in erster Reihe Kaninchen. Es zeigte sich nun, dass, wenn 
man 24 bzw. 48 bzw. 72 Stunden nach Unterbindung der Pankreas¬ 
gänge den Zuckerstich ausführte, in der Mehrzahl der Fälle kein 
Zucker im Urin auftrat, und zwar war die Piqüre bei 18 Fällen 
13 mal negativ, 5 mal positiv. Aber auch der positive Ausfall 
war meist nicht positiv im Sinne von Claude Bernard, denn 
für gewöhnlich trat in diesen Fällen der Zucker sehr verspätet 
und nur sehr spärlich im Urin auf. 

Was besagt nun dieses Resultat? Claude Bernard hat 
bekanntlich gezeigt, dass bei Tieren, die gut ernährt sind und in 
ihrer Leber einen reichen Glykogenvorrat besitzen, der Zucker¬ 
stich stets positiv ausfällt, bei Tieren dagegen, die durch längeres 
Hungern ihr Leberglykogen zum grössten Teil eingebüsst batten, 
der Zuckerstich regelmässig negativ ausfällt. Diese Erfahrung 
auf unsere Versuche übertragen, würde somit besagen, dass die 
Tiere nach Pankreasgangunterbindung sich wie Hungertiefe ver¬ 
halten, d. h. kein oder fast kein Glykogen in ihrer Leber ent¬ 
halten. Um möglichst sicher zu gehen, hatten wir einen Teil 
der Tiere mehrere Tage unmittelbar vor dem Versuch reichlich 
mit Traubenzucker gefuttert; auf diese Weise war eine starke 
Glykogenanreicherung in der Leber garantiert. Trotzdem fiel 
auch bei diesen Tieren nach vorhergegangener Unterbindung des 
Pankreasganges der Zuckerstich meist negativ aus. 

Das gleiche Verhalten wie Kaninchen zeigten auch Hunde. 
Hier untersuchten wir nur 6 Tiere und führten bei ihnen, nach¬ 
dem wir ihnen zuvor die Pankreasgänge unterbunden hatten, den 
Zuckerstich nach der Vorschrift von Eckard aus. Bei 4 Tieren 
war die Piqüre negativ, bei einem positiv. 

Wenngleich aus diesen Versuchen an Hunden und Kaninchen 
mit fast überzeugender Sicherheit hervorging, dass die Pankreas- 


gangunterbindung in der Mehrzahl der Fälle einen Glykogen- 
schwund in der Leber zur Folge bat, so konnte uns diese Beob¬ 
achtung allein nicht genügen. Wollten wir volle Gewissheit 
haben, mussten wir das Lebergtykogen solcher Tiere direkt 
bestimmen. Za dem Zweck wurde eine Serie von 12 Kaninchen, 
die unter gleichen Ernährungsbedingungen gehalten waren, reich¬ 
lich mit Traubenzucker gefüttert, 9 von ihnen wurde der Pankreas¬ 
gang unterbunden, und die anderen 3 dienten als Kontrolliere. 
24 Stunden nach der Unterbindung wurden 3 der operierten 
Tiere gleichzeitig mit einen) Kontrollier getötet, 48 Stunden 
später, während die Ernährungsbedingungen unverändert bei¬ 
behalten wurden, wiederum 3 operierte Tiere mit einem Kontroll¬ 
ier und 72 Stunden post operationem die letzten 3 Tiere mit 
dem letzten Kontrollier und jedesmal unmittelbar nach Eintritt 
des Todes die Leber der Tiere quantitativ auf Glykogen nach 
Pflüger verarbeitet. Schon bei der Feststellung des Gewichts 
der Lebern zeigte sich ein wesentlicher Unterschied insofern, als 
die Lebern der operierten Tiere viel leichter an Gewicht und 
auch von viel schlafferer Konsistenz waren als die der Kontroll¬ 
iere, und bei der Analyse der Organe ergab sich, dass die 
Kontrolliere 10 mal so viel Glykogen und noch mehr in ihrer 
Leber besassen als die operierten. Bei 3 der operierten Tiere 
waren überhaupt nur noch Spuren von Glykogen in ihrer Leber 
nachweisbar. Andererseits beobachteten wir auch Tiere, die trotz 
der Gangunterbindung noch reichliche Glykogenmengen in ihrer 
Leber aufzuweisen hatten. Damit ist unsere oben ausgesprocheneVer- 
mutung einwandfrei bewiesen, dass Tiere, denen man den Pankreas¬ 
gang unterbindet, in der Mehrzahl der Fälle einen grossen Teil 
ihres Leberglykogens schon nach kurzer Zeit verlieren können. 

Von grosser Wichtigkeit für den Ausfall der Resultate ist 
die Wahl des Zeitpunktes, in dem man die operierten Tiere tötet 
und ihre Leber auf Glykogen untersucht. Geschieht das, wie 
hier angegeben, 1—2—3 Tage nach Unterbindung der Gänge, so 
kann man im grossen und ganzen sicher sein, eine mehr oder 
weniger grosse Abnahme des Leberglykogens konstatieren zu 
können. Wartet man aber mit der Untersuchung 6, 8 oder gar 
10 Tage, so wird man meistens Glykogenwerte finden, die von 
denen der Kontrolliere wenig differieren. Das gleiche gilt auch 
für den Zuckerstich. Am ersten, zweiten oder dritten Tage nach 
der Gangunterbindung fällt er meist negativ aus; nimmt man ihn 
aber erst später, etwa 6—6—8 Tage post operationem vor, so 
ist er immer positiv. Diese Tatsache findet ihre Erklärung darin, 
dass, wie schon oben auseinandergesetzt, unmittelbar nach der 
Gangunterbindung die Diastase im Blut rapid ansteigt, 2—3 Tage 
sich auf der Höhe hält, dann absinkt und allmählich wieder zur 
Norm zurückkehrt. Solange nun viel Diastase im Blute kreist, 
wird Glykogen aus der Leber in grossen Men'gen ausgeschwemmt, 
und erst wenn die Werte sich der Norm nähern, ist auch die 
Leber wieder imstande, grosse Mengen an Glykogen in ihren 
Zellen aufzuspeichern. 

Bei den Glykogen versuchen machten wir noch folgende inter¬ 
essante Beobachtung. Hatten wir den Versuchstieren die Gänge 
unterbunden und fütterten sie in der gleichen Weise mit Trauben-, 
zucker wie vor der Unterbindung, so schieden die Tiere nunmehr 
grosse Mengen an Traubenzucker durch den Urin ans, während 
sie vorher die dargereichte Traubenzuckermenge glatt verbrannt 
batten. Das deutete darauf hin, dass infolge der Gangunter¬ 
bindung bei den Tieren auch die Toleranz für Traubenzucker ge¬ 
litten hatte. Um das exakt festzustellen, wurden mehrere 
Kaninchen eine bestimmte Zeit unter stets gleichen Ernährungs¬ 
bedingungen gehalten uod ihre Toleranz für Traubenzucker er¬ 
mittelt. Alsdann wurde ihnen der Pankreasgang unterbunden 
und nun unter genauer Innehaltung der nämlichen Ernährungs¬ 
bedingungen wie vor der Operation wieder die Zuckertoleranz 
ermittelt. Dabei stellte Bich in der Tat heraus, dass die Tiere, 
die früher 12 — 16—20 g Traubenzucker restlos verbrannten, nun¬ 
mehr schon nach 6 g, manchmal sogar bereits nach 8 g Glukose 
eine deutliche Glukosurie zeigten. Ein Resultat, das nach den 
Erfahrungen, die wir bei den Glykogen versuchen gesammelt 
hatten, nichts Ueberraschendes für uns hatte, und das seine Er¬ 
klärung eben darin fand, dass unter dem Einfluss der grossen im Blute 
kreisenden Diastasemengen die Leber die Fähigkeit eingebüsst hatte, 
Zucker in grösserer Menge als Glykogen in sich aufzuspeichern. 

Die Beobachtung, dass schon 24 Stunden nach Unterbindog 
des Pankreasganges mitunter die Hauptmenge des Glykogens aus 
der Leber verschwinden kann, legte den Gedanken nahe, dass 
gleichzeitig auch in dem Gehalt des Blutzuckers wesentliche Ver¬ 
schiebungen gegenüber der Norm zutage treten müssten. Wir 


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24. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


341 


untersuchten deshalb bei einer Reihe von Tieren den Blutzucker¬ 
gehalt zunächst in der Norm und dann nach Unterbindung der 
Pankreasgänge. Und zwar verwandten wir für diese Versuche 
ausschliesslich Hunde, da wir für jede Blutuntersuchung — wir 
führten stets Doppelbestimmungen aus — ca. 60 ccm Blut be¬ 
nötigten. Es würde viel zu weit führen, wenn ich über jeden 
Versuch einzeln berichten wollte, das soll an anderer Stelle aus¬ 
führlich geschehen. Hier will ich mich damit begnügen, nur an 
zwei Beispielen die Wirkung der Pankreasgangunterbindung auf 
den Blutzucker zu demonstrieren, und ich glaube, dass mir das 
am besten gelingen wird, wenn ich statt der Zahlen die ent¬ 
sprechenden Kurven bringe. 


Kurve 1. 



mg Glukose ■ ■ Blutzucker Diastase- 

in 20 ccm konz. im 

BIat - Diastase im Blut Blut 

® Unterbindung zweier 
Pankreasgänge 


Aus dieser Kurve 1 ist ersichtlich, wie sich vor der Opera¬ 
tion Zucker- und Diastasegehalt des Blutes in normalen Grenzen 
bewegen, und wie unmittelbar nach Unterbindung der Pankreas¬ 
gänge die Diastase rapid ansteigt und parallel mit ihr der Blut¬ 
zucker. Einen Tag später ist eine weitere Zunahme der Diastase 
und des Zuckers im Blut zu konstatieren, dann aber sinken beide 
Werte und kehren allmählich zur Norm zurück. 

Mit noch grösserer Schärfe tritt dieser Parallelismus zwischen 
Blutzucker und Blutdiastase zutage bei dem nächsten Versuch. 
Hier wurden dem Tier nicht sofort die Pankreasgänge unterbunden, 
sondern zuDächst erst eine Drüsenpartie durch Ligatur abgeschnürt, 
dann nach Ablauf der Wirkung wieder eine Drüsenpartie abge¬ 
bunden und zum Schluss die Pankreasgänge unterbunden. Der 
Effekt war folgender (Kurve 2). 


Es führte somit jedes neue Hindernis, welches man dem zum 
Darm zustrebenden Pankreassekret entgegenstellte, zu einer Ver¬ 
mehrung der Diastase im Blut und gleichzeitig zu einem Anstieg 
des Blutzuckers, und in dem Maasse, wie die Blutdiastase 
sich wieder der Norm näherte, nahm auch der Blutzucker 
wieder ab. 

Beide Fälle illustrieren also ganz unzweideutig, dass jede 
Steigerung der Diastase im Blut eine Steigerung des Blutzuckers 
zur Folge hat, und in dem gleichen Sinne sind auch alle anderen 
Versuche ausgefallen. Woher dieser Zuwachs an Blutzucker 
stammt, darüber kann nach dem, was wir über das Verhalten des 
Leberglykogens bei Verschluss der Pankreasausführungsgänge in 
Erfahrung gebracht haben, kein Zweifel sein. 

Der Impuls, den die Ueberschwemmung des Blutes mit dia- 
statischem Ferment auf die Glykogeudepots in der Leber und 
sicherlich auch auf die in anderen Organen befindlichen Ablage¬ 
rungsstätten des Glykogens ausübt, ist ein so gewaltiger, dass 
alle anderen Momente, welche die entgegengesetzte Wirkung, also 
einen den Blutzucker erniedrigenden Einfluss haben, dagegen voll¬ 
kommen zurücktreten dürften. Für einen ganz bestimmten Fall 
haben wir das direkt beweisen- können, und zwar für die von 
Lüthje, Embden und Liefraann gemachte Beobachtung, dass 
hohe Temperaturen den Blutzuckergehalt des Tieres wesentlich 
herabsetzen. Wenn wir einen Hund in einen Wärmekäfig brachten, 
— wir bedienten uns stets eines elektrischen, dessen Temperatur 
wir ganz nach Belieben regulieren konnten — und für eine Tem¬ 
peratur von durchschnittlich 32—35° C. sorgten, so konnten wir 
in jedem Falle nach Unterbindung der Pankreasgänge genau den 
gleichen Anstieg und genau das gleiche Verhalten des Blutzuckers 
in den darauffolgenden Tagen beobachten, wie wenn wir den 
Hund bei gewöhnlicher Zimmertemperatur gehalten hätten. Die 
Blutzucker erniedrigende Wirkung der Hitze wurde somit durch 
die Blutzucker steigernde Wirkung der Diastase nicht nur para¬ 
lysiert, sondern noch weit übertroffen. Nebenbei sei bemerkt, 
dass die Beobachtung von Lüthje, Embden und Liefmann 
keineswegs für alle Hunde zutrifft. Wir haben verschiedentlich 
Tiere angetroffen, die bezüglich ihres Blutzuckergehalts weder auf 
Hitze noch auf Kälte in dem obengenannten Sinne reagierten, 
sondern sich vollkommen refraktär verhielten. Deshalb haben 
wir uns in jedem einzelnen Falle erst davon überzeugen müssen, 
ob das Versuchstier für unseren Zweck geeignet ist oder uicht. 

Es blieb nun noch zu untersuchen, ob die Steigerung des 
Blutzuckers nach Unterbindung der Pankreasgänge gleichzeitig 
eine gesteigerte Zuckerverbrennung zur Folge hat. War das der 
Fall, so müsste sich dies durch ein Ansteigen des respiratorischen 
Quotienten dokumentieren. Wir haben nach dieser Richtung ver¬ 
schiedentlich Hunde untersucht und bei diesen Tieren unter allen 
Cautelen erst im normalen Zustand den respiratorischen Quotienten 
mit dem von Zuntz und Geppert angegebenen Apparat be¬ 
stimmt. Dann wurden ihnen die Pankreasgänge unterbunden und 
nun unter den nämlichen Ernährungsbedingungen der respirato¬ 
rische Quotient ermittelt. Es zeigte sich aber bei sämtlichen Tieren, 
dass die Werte nach der Gangunterbindung um nichts grösser 


Kurve 2. 



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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 8. 


waren als vor der Operation. So ermittelten wir bei dem einen 
Hund norraaliter den Wert von 0,732, nach der Unterbindung 
den Wert von 0,746, bei einem anderen Hund vorher 0,768, nachher 
0,749, und die gleiche Uebereinstimmung zeigten die Werte bei 
den anderen Tieren. In keinem Falle also fanden wir nach Gang¬ 
unterbindung eine gesteigerte Zuckerverbrennung, obwohl der 
Zuckergehalt des Blutes beträchtlich vermehrt war. Daraus folgt 
mit Notwendigkeit, dass der tierische Organismus unter dem Ein¬ 
fluss der Pankreasgangunterbindung die Fähigkeit verloren hat, 
den Zucker im gleichen Maasse zu oxydieren wie im normalen 
Zustand. Denn wenn man bei einem normalen Hund durch intra¬ 
venöse Traubenzuckerinjektion den Blutzuckerspiegel auf etwa die 
gleiche Höhe bringt, wie mit Hilfe der Gangunterbindung, so 
würde das Tier sofort mit einer gesteigerten Zuckerzerstörung und 
dementsprechend mit einer Erhöhung der respiratorischen Quo¬ 
tienten antworten. Da aber ein gesteigerter Zuckerabbau bei 
unseren Hunden nicht stattfindet, so wird man zu der Annahme 
gedrängt, dass mit dem Pankreassekret eine Substanz in das Blut 
kommt, welche auf die Zuckeroxydation im Organismus hemmend 
wirkt. Um diese Annahme vollkommen zu sichern, dürften noch 
weitere Untersuchungen nach dieser Richtung hin erforderlich 
sein, beispielsweise wie der respiratorische Quotient sich bei einem 
normalen Tier gestaltet, wenn man ihm Traubenzucker intravenös 
zuführt, und wie beim selben Tier nach Unterbindung der Pan¬ 
kreasgänge die Zuckerverbrennung verläuft. Derartige Versuche 
sind bereits im Gange. 

Nun hätte man meinen sollen, dass der Organismus sich des 
Überschusses an Traubenzucker im Blut, den er zu oxydieren 
nicht imstande ist, mit Hilfe der Nieren durch den Harn ent¬ 
ledigt. Das ist aber nicht der Fall. Ich habe bei keinem 
einzigen Tier — die Zahl der von mir untersuchten ist wahrlich 
keine kleine — nach Gangunterbindung, solange der Blutzucker 
erhöht war, Zucker im Urin nachweisen können, und wir wissen 
auch, dass Gangunterbindung bei Hunden niemals, bei Kaninchen 
erst nach Verlauf vieler Wochen, also lange nachdem der Blut¬ 
zucker wieder zur Norm zurückgekehrt ist, Glykosurie auftritt. 
Diese Tatsache lässt keine andere Deutung zu, als dass unter 
dem Einfluss des im Blute kreisenden Pankreassekretes die Durch¬ 
lässigkeit der Niere für Traubenzucker gelitten bat. Diese 
Störung in der Durchlässigkeit der Niere ist sicherlich nicht die 
gleiche, wie man sie bei Nephritis beobachtet, wo ebenfalls die 
Ausscheidung von Zucker beispielsweise nach Phloridzininjektion 
gehemmt ist. Denn bei Nephritis ist meist auch die Ausscheidung 
des diastatischen Fermentes durch den Urin stark beeinträchtigt, 
während wir gerade nach Gangunterbindung ganz enorme Mengen 
von diastatischem Ferment im Urin antreffen. Möglicherweise 
haben wir es in dem vorliegenden Fall mit einer spezifischen, 
direkt gegen den Blutzucker gerichteten Hemmung der Nieren¬ 
funktion zu tun, bewirkt durch den im Blute kreisenden Pankreas¬ 
saft. Dafür spricht auch die von mir gemachte Beobachtung, 
auf die ich an anderer Stelle ausführlich zurückkommen werde, 
dass Tiere, denen der Pankreasgang unterbunden ist, in den 
ersten Tagen post operationem nach Adrenalininjektion oft keine 
Glukosurie bekommen, nach Phloridzin dagegen stets grössere 
Mengen von Traubenzucker durch den Harn ausscheiden. Darauf 
deutet ferner auch hin die von de Meyer an überlebenden Nieren 
festgestellte Tatsache, dass Zuckerlösungen von nur 0,005 pCt. 
das Nierenfilter passieren, dass aber Beimengungen von Pankreas¬ 
extrakt zur Durchströmungsflüssigkeit die Permeabilität der Nieren¬ 
zellen für Traubenzucker sofort herabsetzen. Allerdings muss 
man hier auch an die Möglichkeit denken, dass das zugesetzte 
Pankreasextrakt einen Teil des Traubenzuckers zerstört hatte, 
und dass deshalb weniger Zucker die durchbluteten Nieren passierte. 
Die von v. Fürth und Schwarz mitgeteilten Erfahrungen, nach 
denen Adrenalin und Pankreasextrakt, intraperitoneal injiziert, 
wohl eine Hyperglykämie, aber keine Glukosurie bewirken, sind 
in dem von uns angedeuteten Sinne weniger gut zu verwerten. Denn 
in diesen Versuchen wirkt das Pankreasextrakt als peritonealer 
Reiz in dem nämlichen Sinne wie Terpentinöl und Aleuronat, das 
sie den Tieren gleichfalls mit Adrenalin in die Bauchhöhle 
spritzten, während bei der von uns gewählten Versuchsanordnung 
der Reiz auf die Nieren durch das Blut vermittelt wird. 

Zusammenfassend haben also unsere Untersuchungen 
ergeben, dass Tiere, bei denen man durch Unterbindung 
der Pankreasgänge für einen Uebertritt des Pankreas¬ 
sekretes in das Blut und damit für eine Ueberschwem- 
mung des Blutes mit diastatischem Ferment sorgt, in 
ihrem Kohlenhydratstoffwechsel eine beträchtliche 


Umwälzung erleiden. Das Glykogen aus der Leber ver¬ 
schwindet zum grössten Teil — mitunter bis auf 
Spuren —, was einerseits mit Hilfe des Zuckerstiches, 
andererseits durch direkte Glykogenanalyse erwiesen 
werden konnte. Ferner ist die Zuckertoleranz erheblich 
gestört, und die Blutzuckermenge ist gegenüber der 
Norm wesentlich gesteigert, und zwar haben sich hier 
nahe Beziehungen zur Blutdiastase ergeben. Denn es 
hat sich gezeigt, dass parallel mit der Zu- bzw. Ab¬ 
nahme der Diastase im Blut auch die Menge des Blut¬ 
zuckers steigt und sinkt. Die Blutzockersteigerung 
geht nicht einher mit einer gesteigerten Zucker¬ 
verbrennung, diese scheint vielmehr ebenfalls gestört 
zu sein, falls die bezüglich des respiratorischen 
Quotienten bisher ermittelten Tatsachen schon bindende 
Schlüsse gestatten. Andererseits führt die Blutzucker¬ 
steigerung auch niemals zu einer Glukosurie. Und 
doch wissen wir, dass der tierische Organismus, solange 
seine Funktionen normale sind, das Bestreben hat, den 
Blutzuckerspiegel ständig in gleicher Höhe zu halten 
und jede Zuckervermebrung im Blut entweder durch 
eine gesteigerte Zuckerverbrennung oder durch eine 
Zuckerausscheidung mit Hilfe der Nieren zu beseitigen. 
Da aber für unsere Tiere weder das eine noch das 
andere zutrifft, so wird daraus gefolgert, dass das 
Nierenfilter sich verdichtet hat, und dass es wahr¬ 
scheinlich eine im Pankreassaft enthaltene Substanz 
ist, welche in diesem Sinne auf die Nieren einwirkt. 

Diese auf rein experimentellem Wege ermittelten Tatsachen 
entbehren keineswegs des klinischen Interesses. Denn es kommt 
auch beim Menschen nicht gar selten vor, dass der Abfluss des 
Pankreassekretes nach dem Darm teilweise oder sogar auch ganz 
behindert ist, mögen sich in der Drüse streng lokalisierte ent¬ 
zündliche Prozesse beispielsweise infektiöser Natur abspielen und 
nur einen Seitenast des Ductus Wirsungianus verschliessen, oder mag 
ein Tumor im Pankreaskopf oder ein Stein im Ausführungsgang 
oder ein katarrhalischer Prozess an der Papille den Ausführungs¬ 
gang total verlegen. In allen diesen Fällen können mehr oder 
weniger grosse Mengen an Pankreassaft in die Blutbahn über¬ 
treten und, wenn auch nur vorübergehend, zu ähnlichen Störungen 
im Kohlehydratstoffwechsel führen, wie wir sie bei unseren 
Tieren geschildert haben. Diese Störungen brauchen sich aber 
keineswegs sofort durch einen Uebertritt von Zucker in den Harn 
zu erkennen zu geben, wohl aber durch Verschiebungen in den 
Mengenverhältnissen des Blutzuckers, und man wird nur dann 
einen Einblick in diese Vorgänge auch beim Menschen bekommen, 
wenn man sich dazu entscbliesst, in solchen Fällen im Blute 
selber den Zucker quantitativ zu bestimmen. 

Noch auf ein anderes klinisches Moment werfen die vor¬ 
liegenden Untersuchungen einiges Licht. Es ist eine vielfach ge¬ 
machte Erfahrung, dass im Verlauf eines Diabetes der durch den 
Urin ausgeschiedene Zucker geringer wird, während der Blut¬ 
zucker nach wie vor erhöht bleibt. Diese Erscheinung wird von 
v. Noorden und seinen Schülern, welche diese Verhältnisse an 
einem grossen Diabetikermaterial besonders eingehend studiert 
haben, so erklärt, dass das Nierenparenchym unter dem Einfluss 
des ständig hohen Blutzuckergehaltes sich allmählich auf einen 
höheren Schwellenwert einstellt, d. h. dass bei langer Dauer der 
Erkrankung das Nierenfilter für Traubenzucker weniger durch¬ 
lässig wird. Das mag wohl für viele Fälle zutreffen. Für die¬ 
jenigen Fälle aber, bei denen eine Beteiligung des Pankreas an 
der Erkrankung vorliegt, möchten wir auf Grund unserer Er¬ 
fahrungen nicht den hohen Blutzuckergehalt, sondern eine vom 
Pankreas an das Blut abgegebene Substanz als Ursache dafür an- 
sehen, dass die Nieren den Traubenzucker nicht mehr in der¬ 
selben Weise wie früher passieren lassen. 

Eingangs ist darauf hingewiesen worden, wie bei dem tieferen 
Eindringen in die Erkenntnis der Pankreasfunktionen sich die 
Verhältnisse immer komplizierter gestalten. Die vorliegenden 
Untersuchungen dürften insofern einen weiteren Beleg hierfür 
bringen, als aus ihnen hervorgeht, dass das Pankreas ausser zur 
Leber, zu den Nebennieren und zur Schilddrüse auch zu den 
Nieren in naher Beziehung steht. 


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UMIVERSITY OF IOWA 









24. Febroar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


848 


Aus der bakteriologischen Abteilung des Pathologischen 
Instituts der Universität Berlin. 

Hornhautanästhesie durch Chinaalkaloide. 1 ) 

2. Mitteilung. 2 * ) 

lieber die Wirkung der Chinaalkaloide auf die Cornea. 

Von 

J. Morgenroth und S. Ginsberg. 

in Anschluss an Morgenroth’s und HalberstaedterV) 
systematische chemotherapeutische Studien über die Wirkung von 
Cbinaalkaloiden auf die Trypanosomeninfektion der Maus hatten 
Morgenroth und R. Levy 4 ) die eminente chemotherapeutische 
Wirkung des Aethylhydrocuprein auf die experimentelle Pneu¬ 
mokokkeninfektion aufgefunden, eine Entdeckung, die inzwischen 
durch Neufeld und Engwer 5 ) Bestätigung und wertvolle Er¬ 
gänzung erfahren hat, durch Morgenroth und seine Mitarbeiter 6 ) 
nach den verschiedenen Richtungen hin fundiert und ausgebaut 
worden ist. Die sorgfältige und möglichst erschöpfende Be¬ 
arbeitung des Gebietes entspricht seiner Bedeutung als Ausgangs¬ 
punkt für die experimentelle Chemotherapie bakterieller In¬ 
fektionen. 

Für die Anwendung des neuen Heilmittels beim Menschen 
kann das Tierexperiment immer nur Vorfragen erledigen. 
Bezüglich der Pneumonie sind die verdienstvollen Untersuchungen 
von NeufeId und Engwer einer der wichtigsten dieser Vorfragen 
mit Erfolg nähergetreten, indem sie zeigten, dass nicht nur die 
Pneumokokkenseptikämie, wie sie Morgenroth’s und seiner 
Mitarbeiter Versuchsobjekt bildete, sondern — beim Meer¬ 
schweinchen — eine Pneumonie durch das Mittel günstig be¬ 
einflusst wird; besonders bemerkenswert ist die erstmalige erfolg¬ 
reiche Kombination von Chemotherapie und Serumtherapie durch 
diese Autoren. 

Wir haben uns besonders die Aufgabe gestellt, die uns 
auch noch weiterhin beschäftigt, der Chemotherapie des 
U1 cos serpens beim Menschen die Wege zu ebnen ond die 
Vorbedingungen für die lokale Anwendung des Aethylhydrocuprein 
und der geeigneten höheren Homologen am Auge, soweit dies 
eben im Tierversuch angeht, festzustellen. Dass a priori die 
Möglichkeit einer spezifischen lokalen Desinfektion gegeben ist, 
dürfte nach unseren Tierversuchen und angesichts der ungemein 
interessanten Reagensglasversuche Wrights 7 ) über die Wirkung 
des Aethylhydrocupreinchlorhydrat auf die Pneumokokken nicht 
zweifelhaft sein. Für ganz besonders wichtig halten wir Wrigbt’s 
Feststellung, dass die Desinfektionswirkung des Aethylhydro¬ 
cuprein auf die Pneumokokken im Reagensglas durch die Gegen¬ 
wart des eiweisshaltigen Serums in keiner Weise beeinträchtigt 
wird. Daraufhin dürfen wir mit Recht erwarten, dass auch auf 
und in der Cornea der Eiweissgehalt (des Gewebes und der 
Flüssigkeit) der spezifischen Wirkung des Mittels auf die Pneumo¬ 
kokken nicht hindernd in den Weg tritt. Auch die partielle 
Ausfällung der durch die alkalische Tränenflüssigkeit frei ge¬ 
machten Alkaloidbase dürfte der antiseptischen Wirkung kein 
Hindernis sein; dies darf man mit ziemlicher Sicherheit gerade 
aus dem Umstand schliessen, dass auch die anästhetische Wirkung 
auf die Cornea nicht beeinträchtigt wird. 

Angesichts der Schwierigkeit, beim Tier das Ulcus serpens 
corneae des Menschen in einer sicheren und regelmässigen Ver- 
suchsanOrdnung nachzuahmeD, sind wir zunächst damit beschäftigt, 

1) Etwas erweitert nach einer, in der Sitzung der Berliner med. 
Gesellschaft vom 15. Januar 1913 vorgetragenen kurzen Mitteilung. 

2) 1. Mitteilung siehe diese Wocbenschr., 1912, Nr. 46, S. 2183. 

8) Siehe Morgenroth und Halberstaedter, diese Wochenschr., 

1911, Nr. 34. 

4) Morgenroth und R. Levy, diese Wochenschr., 1911, Nr. 84 
und Nr. 44. 

5) Siehe Neufeld und Haendel, Handb. von Kolle-Wassermann, 
2. Aufl., 24. Lieferg., Bd. 4, S. 581; Neufeld und Engwer, diese 
Wochenschr., 1912, Nr. 50, S. 2381; Engwer, Zeitschr. f. Hygiene, 

1912, Bd. 73, S. 194. 

6) Morgenroth und M. Kaufmann, Zeitschr. f.Immunitätsforsch., 
1912, Bd. 15, H. 6, S. 610; Gutmann, ebenda, S. 625; siehe auch 

R. Levy, diese Wochenschr., 1912, Nr. 53, ferner die Zusammenfassung 
F. RosenthaTs in der Zeitschr. f. Chemotherapie, 1912, Bd. 1, Ref., 

S. 1150. 

7) Sir A. E. Wright, Lancet, 14. und 21. Dezember 1912. 


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die Bedingungen für die Abtötung von Pneumokokken innerhalb 
des Hornhautgewebes zu untersuchen. 

Vor allem glaubten wir die Wirkung des Aethylhydrocuprein 
auf die normale Hornhaut des Kaninchens untersuchen zu sollen, 
um einen Anhaltspunkt zu gewinnen, welche lokalen Neben¬ 
wirkungen dem Mittel zukommen, in welcher Konzentration das¬ 
selbe allenfalls angewandt werden dürfte, welche Bedeutung die 
Dauer der Einwirkung hat. 

Wir konnten io dieser Hinsicht in unserer ersten Mitteilung 
berichten, dass die eine Minute währende Einwirkung von Lösungen, 
die weniger als 2,5 pCt. der Chlorhydrate der untersuchten 
Alkaloide enthielten, für die Kaninchencornea ohne Nachteil blieb, 
konnten aber auch auf die Hornhauttrübungen und vor allem 
auf die mit diesen Hand in Hand gehende unerwünschte, wochen¬ 
lang dauernde Anästhesie hinweisen, die sich bei Anwendung zu 
hoher Konzentration oder sogar weniger konzentrierter Lösungen 
bei allzu langer Einwirkung einstellt. Uebrigens rufen sämt¬ 
liche bekannten Anaesthetica, wie auch Best 1 ) hervorhebt, bei 
genügend intensiver Einwirkung Hornhauttrübung und Gewebs¬ 
schädigung hervor. 

Die bei diesen Versuchen beobachtete hervorragende an¬ 
ästhetische Wirkung der untersuchten Chinaalkaloide 
erschien als ein in theoretischer und praktischer Hinsicht keines¬ 
wegs wertloses Nebenprodukt unserer chemotherapeutischen 
Arbeiten. Eine systematische Untersuchung mit Berück¬ 
sichtigung des Zusammenhangs zwischen chemischer Konstitution 
und anästhesierender Wirkung war geboten und wurde uns durch 
die dauernde Mitarbeit der Vereinigten Chininfabriken Zimmer & Co. 
in Frankfurta.M. — wir sind besonders Herrn Direktor Dr. Weller 
und Herrn Dr. Thron zu Dank verpflichtet — ermöglicht 

Analog dem früher bei chemotherapeutischen Versuchen ein¬ 
geschlagenen Verfahren wurden zunächst Veränderungen an einer 
bestimmten Stelle des Alkaloidmoleküls vorgenommen, und zwar 
gingen wir von den bereits untersuchten Verbindungen, dem 
Hydrochinin und dem Aethylhydrocuprein, aus. Die im folgenden 
wiedergegebenen drei Konstitutionsformeln (nach Rabe) veran¬ 
schaulichen am einfachsten die Beziehungen zwischen Chinin einer¬ 
seits, Hydrochinin und seinen Derivaten andererseits. 

Aus dem Chinin (Formel I) entsteht zunächst durch Reduktion 
das Hydrochinin (Formel II), indem unter Addition von einem 
Molekül Wasserstoff die Doppelbindung der Vinylseitenkette (* in 
Formel 1) gelöst wird, so dass an Stelle von —CH=CH 2 (Vinyl) 
das Radikal Aethyl —CH 2 —CH 8 tritt. 

Formel 1 (Chinin). 

CH 2 -CH— ch-cb=ch 2 

I 

ch 2 

I 

ch 2 

I 

CH—N—CH 2 

I 

CH—OH 



Formel II (Hydrochinin). 

CH 2 -CH-CH-CH 2 -CH s 

I 

CH, 

I 

ch 2 

I 

CH—N—CH 2 

I 

CH-OH 



\/l\/ 


N 

1) Best, Die lokale Anästhesie in der Augenheilkunde. Halle a, S. 
1905, S. 14. 

3 * 


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UNIVERSUM OF IOWA 




344 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 8. 


Alle weiterbin in Betracht kommenden Veränderungen be¬ 
schränken sich nun auf den Chinolinrest des Hydrochinin, 



N 


dessen Zusammenhang mit dem zweiten Kern, dem sogenannten 
Loiponrest, aus den obigen Formeln leicht ersichtlich ist. 

Der Chinolinanteil enthält als Seitenkette eine Methoxy- 
gruppe — OCH 3 , welche durch Entmethylierung in die Hydroxyl¬ 
gruppe überzuführen ist. In diese lassen sich nun höhere 
Alkyle einführen, und man gelangt so zu einer homologen Reihe, 
von welcher wir früher schon (siehe erste Mitteilung) das Aethyl- 
hydrocuprein (Formel 111) untersucht haben. 

Formel III (Aethylhydrocuprein). 

CU 2 -CH-CH-CH 2 -CH 3 

I ! 

ch 2 

I I 

, ch 2 i 

I ! 

CH—N—CH 2 

I 

CH-OH 

I 

w /'n/x 

! 1 

\/'\/ 

N 

Die neuerdings untersuchten Verbindungen der Reihe 
schliessen sich, wie unter Berücksichtigung dieser Formel zu er¬ 
sehen ist, dem Aethylhydrocuprein an. Es sind dies Isopropyl- 
hydrocuprein (— OC 3 H 7 ), lsobutylhydrocuprein (— OC 4 H 9 ) 
und Isoamylhydrocuprein (— OCsHn). 

Was die Methodik der Versuche betrifft, so haben uns 
sehr ausgedehnte Erfahrungen bei der Fortführung der Experi¬ 
mente gelehrt, dass im wesentlichen die in der ersten Mitteilung 
beschriebene Versnchsanordnung beizubebalten ist. Es hat sich als 
durchaus zweckmässig erwiesen, die Alkaloidlösung eine Minute auf 
dieHornhaut (unterZurückbalten der Nickhaut mit einemDesmarres- 
schen Lidhalter) einwirken zu lassen, und zwar wurde die Zeit mit 
Hilfe eines Metronoms, das Sekunden schlug, genau eingehalten. 

Je grösser die Zahl unserer Versüche wurde, desto mehr trat 
das schon früher betonte individuell verschiedene Verhalten der 
Kaninchen hervor, welches die ganz exakte Feststellung von 
Grenzwerten ungemein erschwerte. Eine Verkürzung der Ein¬ 
wirkungsdauer, z. B. auf 12 Sekunden, die wir in zahlreichen 
Versuchen durchführten, wurde wieder aufgegeben, weil hierbei 
die individuellen Schwankungen nur noch mehr accentuiert 
wurden. Diese machen es unmöglich, als den Grenzwert für 
die Wirkung der Anaesthetica diejenige Konzentration zu 
definieren, welche eben überhaupt noch vollständige Anästhesie 
hervorbringt. Man macht die Erfahrung, dass eine derartige 
schwache Lösung, welche in der grossen Mehrzahl der Versuche 
eine vollständige Anästhesie von mehreren Minuten hervorruft, 
wider Erwarten bei einem Tier eine vollständige Anästhesie von 
etwa halbstündiger Dauer bewirkt, bei einem anderen hingegen 
vollkommen versagt. 

Wir haben mit Rücksicht darauf bei der Definition der 
Grenzwerte die höchsten Anforderungen an unsere An- 
aethetica gestellt und als die niedrigste wirksame Konzentration 
diejenige gewählt, welche bei der beschriebenen Versuchsanord¬ 
nung in allen Einzel versuchen ohne Ausnahme eine voll¬ 
ständige Anästhesie der Cornea von etwa halbstündiger 
bis anderthalbstündiger Dauer hervorbrachte; diese An¬ 
ästhesie wird als „Normalanästhesie“ bezeichnet. 

Die schwankende individuelle Reaktion der Tiere kommt hier in 
der verschiedenen Dauer der vollkommenen Anästhesie innerhalb 
der angegebenen Grenzen zum Ausdruck, aber die Wirkung ver¬ 
sagt in keinem der ungemein zahlreichen Versuche. 

Die Prüfung der Anästhesie der Cornea wurde wie früher 
durch Berühren mit einer Augensonde vorgenommen, als Reaktion 
diente der Lidschlag. Als vollständige Anästhesie wurde der Zu¬ 
stand dann bezeichnet, wenn selbst bei stärkerem Eindrücken der 
Cornea oder Ueberstreichen durch die Sonde keine Reaktion er¬ 


folgte, und zwar wurde sorgfältig darauf geachtet, dass wirklich 
die Cornea in gesamter Ausdehnung unempfindlich war. 

Das wechselnde Verhalten der Tiere dürfte schwer zu 
analysieren sein. Bei darauf gerichteten Versuchen zeigte es 
sich vielfach, dass ein abnorm wenig empfindliches Tier auch 
bei späteren Versuchen diese Unempfindlichkeit beibehielt; es kam 
aber auch vor, dass ein solches bei einem späteren Versuch in 
normaler Weise reagierte. Beide Augen verhielten sich gleichartig. 

Was das Eintreten und Abklingen der Anästhesie 
betrifft, so ist die von uns als Maasstab gewählte, 30 bis 
90 Minuten dauernde vollkommene Anästhesie („Normalanästhesie“) 
ca. 2—8 Minuten nach beendigter Einwirkung der Alkaloid¬ 
lösung ausgebildet. Das Abklingen dagegen erfolgt bedeutend 
langsamer und nicht gleichmässig an allen Stellen der Cornea: 
es kommt häufig vor, dass z. B. die vordere Hälfte der Cornea 
noch vollkommen anästhetisch ist, während die hintere Hälfte 
schon die normale Empfindlichkeit wieder erlangt hat, oder um¬ 
gekehrt. Daneben werden häufig beim Abklingen der Anästhesie 
die schon in der ersten Mitteilung erwähnten Oscillationen be¬ 
obachtet, d. b. die Erscheinung, dass eine Stelle der Cornea 
mehrmals die Unempfindlichkeit verliert, um sie kurz darauf 
wieder zu gewinnen, bevor sie definitiv in den normalen Zustand 
xurückkehrt. Diese Verhältnisse lassen es als besonders not¬ 
wendig erscheinen, dass man nur die vollkommene Anästhesie 
der gesamten Hornhaut als Maasstab annimmt.' 

Ueber die anästhesierende Wirkung des Chinin und 
der ersten Glieder der hier zu behandelnden homologen Reihe, 
des Hydrochinin und des Aethylhydrocuprein, haben wir 
schon in der ersten Mitteilung berichtet. Da uns speziell das 
Hydrochinin als Grundlage der neuen vergleichenden Versuche diente 
und auch das Verhalten des Aethylhydrocuprein in dem erweiterten 
Zusammenhang an Bedeutung gewann, haben wir die Untersuchung 
dieser beiden Verbindungen durch eine grössere Anzahl neuer 
Versuche ergänzt, die unsere früheren Resultate im wesentlichen 
bestätigten*). 

Die oben definierte „Normalanästhesie“ wird hervorgebracht 
durch eine 3 proz. Lösung des salzsauren Chinins, durch eine 
1—1,25proz. Lösung des Hydrochininum und Aethylhydrocupreinum 
hydrochloricum. Hydrochinin und Aethylhydrocuprein zeigen 
demnach keinen wesentlichen Unterschied in der anästhesierenden 
Wirkung, sind aber beide 2 l / 2 —3 mal stärker wirksam als das Chinin. 

Geht man nun zu den höheren Homologen, und zwar eben¬ 
falls zu deren salzsauren Salzen, über und prüft zunächst das 
Isopropylhydrocuprein, so erfolgt eine ganz überraschende Wendung: 
mit dem Uebergang von der Aethyl- zur Propyl¬ 
verbindung tritt sprunghaft eine enorme Steigerung 
der anästhesierenden Wirkung, nämlich um das Zehn¬ 
fache, ein. 

Während zur Erzeugung der „Normalanästhesie“ durch 
Aethylhydrocuprein eine mindestens 1,0—1,26 proz. Konzentration 
notwendig ist, genügt vom Isopropylhydrocuprein eine 0,1 bis 
0,125 proz. Lösung. 

Hiermit ist für die anästhetische Wirkung von 
Chinaalkaloiden und wohl für die Wirkung von Lokal- 
anaestheticis überhaupt eine neue Grössenordnung ge¬ 
wonnen. 

In dieser Grössenordnung verharrt dann auch die 
Wirkung der beiden in der Reihe folgenden Homologen, 
des Isobutylhydrocuprein und Isoamylhydrocuprein. 

Man kann den Grenzwert dieser drei Verbindungen mit 
ungefähr 0,1 pCt. ansetzen; beim Isopropylhydrocupreiu 
liegt er etwas höher — 0,125 pCt., beim Isoamylhydro¬ 
cuprein sogar noch etwas niedriger —0,08 bis 0,1 pCt. 2 ). 

Was beim Studium dieser homologen Reihe besonders in die 
Augen fällt, ist der jähe Sprung, durch welchen beim UebergaDg 
von den ungefähr gleich wirksamen Methoxy- und Aethoxyverbin- 
dungen zur Isopropylverbindung und den höheren Homologen eine 
Gruppe von Anaestheticis erreicht wird, deren Wirkung auf die 
Kaninchencornea die aller bisher untersuchten Lokalanaesthetica 
überragen dürfte. 


1) In dem Vortrag erwähnten wir, dass einige der Vergleichswerte, 
wie sie in einer Tabelle mitgeteilt wurden, vorläufig durch eine vor¬ 
sichtige Interpolation eingesetzt wären. Nur der hier mitgeteilte Wert 
für Hydrochinin musste auf Grund einer speziell darauf gerichteten 
Untersuchungsreihe etwas geändert werden. 

2) Zu Anfang arbeiteten wir mit schwach sauren Lösungen — durch 
Beimischung von zweisäurigem Salz —, deren Wirkung wohl etwas 
geringer war als die der entsprechenden neutral reagierenden Lösungen 


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24. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


345 


In ein volles Licht wird die Stärke dieser Anaesthetica ge¬ 
rückt durch den Vergleich mit dem gebräuchlichsten 
Angen-Anaestheticum, dem Cocain. 

Wir gingen zunächst darauf aus, diejenige Lösung von salz- 
saurem Cocain festzustellen, welche noch eine „Normalanästhesie“ 
im oben definierten Sinne hervorbringt. Hierbei zeigte sich, dass 
selbst bei Anwendung einer 3 proz. Lösung die Höchstdauer der 
totalen Anästhesie 30—40 Minuten nicht überschritt. Nimmt man 
eine halbstündige Anästhesie als Vergleichswert gegenüber dem 
etwas grösseren Durchschnittswert der Normalanästhesie, so ist 
die geringste, hierzu notwendige Konzentration die der 2 proz. 
Lftsnng. 

Es erweist sich demnach bei unserer Versuchs* 
anordnung z. B. das lsoamylhydrocuprein mindestens 
20—25 mal wirksamer als das Cocain. Die Wirksamkeit 
des Cocains nimmt also hier nur eiue Mittelstellung zwischen der 
des Chinins und des Hydrochinins ein. 

Es wurde schon eben erwähnt, dass bei den untersuchten 
Ckinaalkaloiden eine absolut sichere Wirkung nur dann zu er¬ 
warten ist, wenn man Konzentrationen wählt, die in der Regel 
eine Anästhesie von 30—90 Minuten Dauer erzeugen. Es ist 
selbstverständlich ein Leichtes, mit diesen Verbindungen auch 
vollständige Anästhesien von kurzer Dauer, 10—20—30 Minuten, 
zu erzielen, aber man muss bei Verwendung der hierzu geeigneten 
geringeren Konzentrationen (z. B. IsoatnylVerbindung in 0,04proz. 
Lösung) gewärtig sein, dass dann, wie schon ausgeführt, die 
Wirkung nicht mehr ganz sicher ist, d. h. bei einzelnen Tieren 
die Anästhesie ausbleibt oder nur unvollständig wird. Beim Cocain 
ist zur Erzielung einer entsprechenden Minimalwirkung eine ganz 
erheblich höhere Konzentration (0,3—0,4 pCt.) nötig. Auch beim 
Cocain werden dann in diesem Bereich ähnliche Schwankungen zu 
erwarten sein, wie sie ja auch die tägliche Erfahrung beim 
Menschen zeigt. 

Dass die intensiven anästhetischen Wirkungen der China- 
Alkaloide unter Umständen das erwünschte Maass über¬ 
schreiten können, wird neben der absolut ausserordentlich hohen 
anästhesierenden Kraft dieser Verbindungen durch ein Verhalten 
bedingt, welches wir schon in unserer ersten Mitteilung bezüglich 
des Chinin, Hydrochinin und Aethylhydrocuprein besprochen haben 
und das, wie sich weiterhin zeigte, auch den höheren Homologen 
zukommt. 

Man erhält nämlich bei Einwirkung von Lösungen, deren 
Konzentration über die zur Erzeugung der Normalanästhesie 
dienende mehr oder weniger erheblich binausgeht, eine Dauer- 
anästbesie, die sich auf mehrere Tage erstrecken kann. 
So machte eine 2,5 proz. Lösung der Isopropylverbindung (also 
das 20fache der zur Normalanästhesie notwendigen Konzentration) 
eine länger als 40 Stunden dauernde Anästhesie. 

Besonders nabe liegen die entsprechenden Werte bei der 
Isoamylverbindung beieinander, indem in zwei Versuchen eine 
0,2 proz. Lösung (der als wirksame Konzentration eine 0,08 bis 
0,1 proz. Lösung gegenübersteht) eine Anästhesie erzeugt, die nach 
40 Stunden noch unverändert vorhanden, nach 72 Stunden ver¬ 
schwunden war. In noch viel höherem Maasse als in den Grenz¬ 
werten der Normalanästhesie kommt hier die ausserordent¬ 
liche Anästbesierungsintensität des Isoamylbydro- 
cuprein, selbst gegenüber der Isopropyl Verbindung, 
zum Ausdruck. 

Was schädliche Nebenwirkungen am Kaninchenauge 
betrifft, so konnten wir vor allem feststellen, dass die eine Minute 
währende Anwendung der Grenzkonzentration weder Trübung noch 
Conjunctivitis hervorbringt. 

Auch die doppelte Konzentration erwies sich als unschädlich. 
Gebt man dagegen zu stärkeren Lösungen über, so zeigt sich eine 
deutliche Divergenz der verschiedenen Verbindungen. 

Bei der Isoamylverbindung kann bereits eine 0,2proz. Lösung 
eine geringe Hornhauttrübung hervorrufen, stärkere Konzentra¬ 
tionen machen erhebliche Trübung und Chemosis. Bedeutend 
grösser ist dagegen das Intervall zwischen wirksamer und schäd¬ 
licher Konzentration bei der Isopropylverbindung. Hier macht 
selbst eine 1,25 proz. (übersättigte) Lösung (das lOfache der wirk¬ 
samen Konzentration) nur eine vorübergehende Trübung. 

Die Löslichkeit der von uns benutzten salzsauren Salze 
der wirksamsten Anaesthetica in Wasser ist eine sehr begrenzte. 
Während das salzsaure Hydrochinin und Aethylhydrocuprein sehr 
leicht und reichlich in Wasser löslich sind, ändert sich beim 
Uebergang zur IsopropylVerbindung auch die Löslich¬ 
keit sprungweise, um bei der Isoamylverbindung auf ungefähr 


0,33 pCt. zu sinken. Die praktische Verwertbarkeit wird dadurch 
nicht beeinträchtigt, da ja die wirksamen Konzentrationen durch¬ 
aus im Bereich der Löslichkeit liegen. Uebrigens ist die Erzielung 
besserer Löslicbkeitsverhältnisse ein rein technisches Postulat, das 
in Bälde erfüllt sein dürfte. 

Dass in den hier zum ersten Male beschriebenen Anaesthetica 
Präparate vorliegen, welche die Aufmerksamkeit des Arztes 
in vollem Maasse verdienen, darf mit Bestimmtheit behauptet 
werden. Die intensive anästhesierende Wirkung unge¬ 
mein schwacher Lösungen, die Möglichkeit einer lange 
andauernden Anästhesie, die Stabilität der Lösungen 
bei der Sterilisation durch Hitze bilden unverkennbare 
Vorzüge, zu denen sich voraussichtlich eine relativ ge¬ 
ringe Giftigkeit gesellen dürfte 1 ). 

In dieser letzteren Hinsicht kann schliesslich allerdings nur 
der vorsichtig geleitete Versuch am Menschen die entscheidenden 
Daten liefern, wenn auch vorauszusehen ist, dass hier Verbin¬ 
dungen vorliegen, deren absolute Toxicität beim Menschen weit 
hinter der des Cocains zurücksteht, während das Verhältnis der 
wirksamen zu den toxischen Dosen ein ausserordentlich viel 
günstigeres sein dürfte als beim Cocain. 

ln Versuchen an Mäusen bei subcutaner Injektion 
erweisen sich die beschriebenen höheren Homologen auf keinen 
Fall als giftiger wie das Chinin oder Hydrochinin, so dass die 
Dosis tolerata für 1 kg Maus auf 0,16 g anzusetzen wäre. Wollte 
man diese Beziehung auf den Menschen übertragen, so käme man 
auf ausserordentlich höbe Dosen. Es braucht nicht bervor- 
gehoben zu werden, dass dies angesichts der beim Menschen in 
Frage kommenden Nebenwirkungen des Chinins und seiner 
Derivate unzulässig wäre. Immerhin darf erwartet werden, dass 
unerwünschte Nebenwirkungen erst bei recht grossen Dosen in 
Frage kommen. Bei der innerlichen Darreichung des Aethyl- 
hydrocupreins kommen Idiosynkrasien, die sich im Auftreten von 
rasch vorübergehenden Amblyopien äussern, wohl erst bei Dosen 
von 1,5 g und mehr zur Geltung. 

Als Anwendungsbereich dürfte vor allem die Infiltra¬ 
tionsanästhesie 2 ) in Frage kommen; ebenso wäre zu unter¬ 
suchen, ob auch bei innerlicher Darreichung die analgetischen 
und antinenralgischen Eigenschaften des Chinins in den 
neuen Verbindungen stärker accentuiert sind. Betont muss immer 
wieder werden, dass der Uebergang vom Tierversuch zur Anwendung 
beim Menschen sich nur auf die besonderen Methoden der Klinik 
gründen kann, und dass weder die Menge noch die Mannigfaltig¬ 
keit der Tierversuche den Arzt der Notwendigkeit enthebt, noch¬ 
mals sozusagen von vorn anzufangen, und zwar auf eigene Ver¬ 
antwortung. 

Die theoretische Bedeutung der neuen Anaesthetica 
ist mit dem hier Mitgeteilten natürlich noch bei weitem nicht 
erschöpft. Tiefere Einsicht in den Zusammenhang zwischen 
anästhetischer Wirkung und chemischer Konstitution 
wird das Studium zahlreicher weiterer Derivate gewähren, wie 
sie gerade jetzt durch P. Rabe’s völlige Ermittelung der Kon¬ 
stitution der Chinaalkaloide und die dadurch von neuem an¬ 
geregte chemische Erforschung des Gebietes zur Verfügung stehen. 

Von ganz besonderem theoretischen Interesse ist es, dass 
hier, durch die engsten chemischen Beziehungen ver¬ 
bunden, in einer und derselben homologen Reihe Mittel 
von hervorragender chemotherapeutischer und an¬ 
ästhetischer Wirkung enthalten sind. Aebnliche Zu¬ 
sammenhänge sind bei länger bekannten Verbindungen ganz 
anderer chemischer Konstitution schon angedeutet; es sei nur an 
die chemotherapeutische und antiueuralgische Wirkung der Salicyl- 
säure und des Methylenblau erinnert. Besonders interessieren 
dürfte es in diesem Zusammenhänge, dass nach unveröffentlichten 
Beobachtungen von Morgenroth und Halberstaedter auch der 
Muttersubstanz des Cocains, dem.Ecgonio, eine, wenn auch schwache, 
chemotherapeutische Wirkung bei experimenteller Trypanosomen¬ 
infektion zukommt. 

Betrachtet man dieVerteilung der chemotherapeutischen 
und anästhetischen Wirkung innerhalb der hier # be- 
handelten homologen Reihe, so ergeben sich höchst merk- 


1) Von grossem'Interesse ist die geringe Bitterkeit des Isoamyl- 
hydrocuprein. 

2) Es sei hier auf die Bemerkungen Unger’s zu diesem Vortrag 
hingewiesen, der als erster das Isoamylhydrocuprein (0,2 proz. Lösung 
des Chlorhydrats) zur Infiltrationsanästhesie verwendete. Diese Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 4, Sitzungsbericht der Berliner medizinischen Gesell¬ 
schaft vom 25. Januar 1913. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 8. 


würdige Verhältnisse, als deren besonderes Charakteristicnm das 
sprunghafte Auftreten neuer Eigenschaften erscheint. In 
der Methoxyverbindung, dem Hydrochinin, haben wir zunächst 
eine Substanz vor uns, die chemotherapeutisch dem Chinin bei 
Protozoeninfektionen überlegen ist. Dies haben Morgenroth 
und Halberstaedter 1 2 ) für die Trypanosomeninfektion der Maus 
gezeigt, und Versuche von Giemsa und Werner 1 ) haben ihre 
Vermutung, dass dies auch für die Malaria des Menschen zuträfe, 
als richtig erwiesen, ln der Aethoxyverbindung, dem Aethyl- 
hydrocuprein, ist die Trypanosomenwirkung noch weiter gesteigert; 
auch für die Malaria ist nach Analogie mit den Beobachtungen 
von Grimaux 3 ) und seinen Mitarbeitern bei den entsprechenden 
Homologen des Chinins und nach unseren Versuchen mit dem 
Grimaux’schen Cbinaetbylin bei Trypanosomeninfektion dasselbe 
Verhalten zu erwarten. Hier tritt aber mit einem Male eine 
ganz neuartige chemotherapeutische Wirkung auf, die 
bei der Methoxyverbindung nur eben angedeutet ist — die intensive 
Wirkung gegenüber der Pneumokokkeninfektion. Diese 
Wirkung bleibt beim Uebergang zu dem nächst höheren 
Homologon im wesentlichen erhalten, in welchem zu¬ 
gleich der unvermittelte Uebergang zu den hochwirk¬ 
samen A □ aesth eticis liegt. Während nun die an¬ 
ästhetische Wirkung bis zur Isoamylverbindung noch 
etwas ansteigt, fällt schon beim Uebergang zur Iso- 
butyl Verbindung die chemotherapeutische Wirkung 
gegenüber den Pneumokokken jäh ab. 

Es besteht also ein eigenartiger Zusammenhang chemo¬ 
therapeutischer und anästhesierender Wirkung oder, um 
es in Ehrl ich’s Terminologie auszudrücken, parasitotroper und 
neurotroper Beziehungen in einer homologen Reihe. Inwieweit 
der Mechanismus dieser beiden Funktionen zusammenhängt, und 
inwiefern das Studium der einen auch für die Erkenntnis der 
anderen Funktion Aufklärung bringt, dies werden weitere Unter¬ 
suchungen lehren. 


Ueber externe Salicylpräparate. 

Von 

Dr. Sieskind, Prof. Dr. R. WoltfensteiD, Dr. J. Zeltler. 

Die souveräne Wirkung der Salicylsäure bei akutem Gelenkrheuma¬ 
tismus hat schon seit langen Jahren zu einer intensiven inneren Ver¬ 
wendung derselben geführt. Diese bringt nun einige Missstände mit 
sich, da Salicylsäure in grösseren Mengen, besonders auf Magen, Darm 
und Nieren reizend wirkt. Man ist deswegen in den letzten Jahren da¬ 
zu übergegangen, statt der internen Verwendung der Salicylsäure eine 
externe einzuführen. Es wird dadurch der Vorteil erreicht, mit einer 
geringeren Menge Salicylsäure auszukommen, da man sie nur gerade auf 
diejenigen Stellen, welche der Einwirkung unterliegen sollen, zu applizieren 
braucht. 

Nun löst aber die Salicylsäure bei ihrer externen Verwendung Reiz¬ 
erscheinungen auf der Haut aus, ein Umstand, der bei der Salicyl¬ 
säure als einer starken Phenolcarbonsäure nicht verwundern kann. Herr 
Dr. Sauer 1 and 4 ), der sich speziell mit der Ueberempfindlichkeit 
der Haut gegen Salicylsäurepräparate beschäftigt hat, teilt uns dies¬ 
bezüglich mit, dass 1 / 2 g einer 1 proz. Salicylsäurevaselinsalbe auf den 
Oberschenkel verrieben und 24 Stunden mit einem kleinen Heftpflaster¬ 
verband darauf belassen, eine Reizreaktion ergab, ja dass schon 1 j 2 g 
einer J / 2 pro?. Salicylsäurevaselinsalbe eine leichte Hautrötung ver¬ 
ursachte. 

Die hautreizende Wirkung der Salicylsäure steht jedenfalls fest, 
und man bemühte sich daher wiederholt, Salicylsäurederivate herzu¬ 
stellen, welche diesen Reizeffekt nicht besitzen. 

Eine gewisse Reihe derartiger Präparate wurde so geschaffen, 
welche ihrer chemischen Zusammensetzung nach Ester der Salicylsäure 
vorstellen; als Prototyp dieser Ester darf wohl der Salicylsäure- 
methylester, das bekannte Gaultheriaöl, gelten. Man sieht aus diesem 
typischen Beispiel, dass bei der Herstellung der Salicylsäureester der 
pharmakodynamische Effekt der eingeführten Estergruppe vollständig ver¬ 
nachlässigt wurde; im Gaultheriaöl ist es z. B. die indifferente Methyl¬ 


1) 1. c. 

2) Giemsa und Werner, Archiv f. Schiffs- u. Tropenhyg., 1912, 
Bd. 16, Beiheft 4, S. 65. 

3) Grimaux, Compt. rend. acad. sc., 1894, Bd. 118, S. 1303. Hier 
ist, wie wir nachträglich ersehen, die langdauernde anästhesierende 
Wirkung von Chinaalkaloiden wohl zuerst, also noch vor Thibault, 
vermerkt. 

4) F. Sauerland, Ueber die Resorption von Arzneimitteln aus 
Salben bei Anwendung verschiedener Salbengrundlagen. Biochem. Zeit¬ 
schrift, 1912, Bd. 40, S. 56. — Erworbene Ueberempfindlichkeit der Haut. 
Diese Wochenscbr., 1912, Nr. 14. 


gruppe. Und doch sollte man durch entsprechende Verwendung einer 
neuen wirksamen Gruppe in das Molekül der Salicylsäure noch eine 
zweite spezifisch wirkende Komponente einführen können. 

In dieser Beziehung schien es nun in Rücksicht auf die Verwen¬ 
dung der Salicylsäurepräparate gegen schmerzhafte Gelenkaffektionen 
von besonderem HeilefLkt zu sein, eine schmerzstillende, anästhesierend 
wirkende Komponente einzufübren, damit sich unter dem Schutze der 
Anästhesie die spezifische Wirkung der Salicylsäure entfalten kann. 
Dadurch soll dem Präparat auch zugleich jede Reizwirkung genommen 
werden. 

Zur Herstellung eines derartigen Esters schien une die Kombination 
der Salicylsäure mit dem tertiären Trichlorbutylalkobol sehr geeignet, 
weil dieser Körper schon an und für sich starke schmerzstillende Wirkung 
zeigt. Der Trichlorbutylalkobol nimmt überhaupt in therapeutischer Be¬ 
ziehung eine ganz besondere und hervorragende Stellung ein, indem er 
zu den wenigen Stoffen zählt, die bei innerer Darreichung eine all¬ 
gemeine Anästhesie erzeugen, und welche äusserlich appliziert, 
lokal anästhesieren. Es war deswegen von vornherein anzunehmen, dass 
der mit Salicylsäure dargestellte Ester, auf die Haut gebracht, keine Reizung 
hervorbringen würde. In Erweiterung des vorliegenden Prinzips be¬ 
nutzten wir aber zur Herstellung der Salicylsäureester nicht bloss die 
Salicylsäure als solche, sondern auch die Acetylsalicylsäure unter der 
Annahme, dass die Vorteile des Aspirinprinzips sich auch hier äussern 
würden. So werden in der Tat Verbindungen erhalten, die ohne jede 
Reizwirkung in den höchsten Konzentrationen ertragen werden können. 
Herr Dr. Sauerland, der die Freundlichkeit hatte, anch diese Ver¬ 
bindungen in gleicher Weise wie die obenerwähnte Salicylsäure zu 
prüfen, fand dabei, dass weder eine 10-, noch 20-, noch 50 proz. Vaselin- 
salbe, auf den Vorderarm appliziert, irgendeine Reizerscheinung hervor¬ 
bringt. Pharmakologisch wurden die vorliegenden Verbindungen im 
Hygienischen Institut Bremen von Herrn Prof. Tjaden geprüft. Eine 
gewisse Schwierigkeit bot die Herstellung der Präparate, die im 
Organischen Laboratorium der Königl. technischen Hochschule aus¬ 
gearbeitet wurde, doch soll auf diese hier nicht eingegangen werden, 
sondern vor allem soll die medizinische Untersuchung, die im Rudolf 
Virchow-Krankenbause zu Berlin vorgenommen wurde, besprochen werden. 

Das Anwendungsgebiet für die vorliegende Esterkombination liegt 
bei spezifisch rheumatischen Krankheiten, akutem und chronischem Ge¬ 
lenkrheumatismus, Lumbago, besonders auch bei gonorrhoischen Gelenk¬ 
erkrankungen, und bei allen Formen von Muskelrheumatismus. Speziell 
ist das Präparat zu verwenden in denjenigen Fällen, wo durch die rheu¬ 
matische Ursache eine Entzündung von Gelenken eingetreten ist. Auf 
diesem Anwendungsgebiet wurde es in etwa 30 Fällen benutzt Es 
beseitigt vor allen Dingen alsbald den Schmerz! Das ist bei diesen 
rheumatischen Erkrankungen das erste Haupterfordernis, und dadurch 
unterscheidet es sich von denjenigen Präparaten, deren Effekt allein auf 
der Salicylwirkung beruht. 

Diese mehr wie schmerzlindernde, vielmehr schmerzstillende Wirkung 
bei akuten und subakuteu Muskel- und Gelenkrheumatismen hebt auch 
nach seinen Erfahrungen Dr. E. Unger hervor. 

Das Präparat zeichnet sich gegenüber den sonst gebräuchlichen 
schmerzlindernden Einreibungen, wie z. B. Chloroformöl, Bilsenkrautol, 
flüchtiges Liniment, durch seine gleichzeitige Salicylwirkung aus, während 
bei den eben genannten schmerzlindernden Einreibungen nicht die rheu¬ 
matische Ursache als solche beseitigt wird und daher die Wirkung auch 
nur vorübergehender Natur ist. Die Wirkungsweise des Präparats ist 
im allgemeinen die, dass die Kranken, die etwa nachmittags damit be¬ 
handelt werden, bald schon bzw. über Nacht die helfende Wirkung er¬ 
fahren. Das Präparat wird als 10 proz. Salbe eingerieben, gut ein¬ 
massiert, und zwar mehrfach am Tage; in der Nacht, oder bei bett¬ 
lägerigen Patienten zweckmässig mit einem schützenden oder wärmenden 
Verband versehen. In keinem Falle waren Reizwirkungen entstanden 
oder Exautheme aufgetreten, wie auch weder eine nierenreizende Wirkung 
noch eine sonstige Kontraindikation beobachtet wurde. 

Ueber die Verwendung des Präparats 1 ) bei gichtischen Erkrankungen 
hat vor einiger Zeit Prof. Brugsch in dieser Wochenschrift kurz be¬ 
richtet 3 ). _ 


Aus der experimentell - biologischen Abteilung des 
Königl. pathologischen Instituts der Universität Berlin. 

Weitere Beiträge zur Thorium X-Therapie bei 
Anämie, Leukämie und rheumatischen 
Erkrankungen. 

Von 

Prof. A. Bickel. 

(Vortrag, gehalten in der Sitzung der Charitö-Gesellschaft am 9. Jan. 1913.) 

Der Inhalt meines heutigen Vortrages knüpft an diejenigen 
Mitteilungen an, die ich zur Thorium X - Therapie im verflossenen 
Jahre in der Berliner medizinischen Gesellschaft gemacht habe. 

1) Von der chemischen Fabrik Athenstädt & Redeker „Perrbeumal* 
benannt. 

2) Diese Wochenscbr., 1912, S. 1597. 


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UNIVERSITÄT OF IOWA 




24. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


347 


Ich batte unterdessen Gelegenheit, teils neue Erfahrangen an 
einem grösseren Kranken material zu sammeln, teils früher ge¬ 
wonnene Beobachtungen in der einen oder anderen Richtung 
weiter tu verfolgen. 

Nach wie vor wird das Thorium X vor allem in der Therapie 
dreier Gruppen von Erkrankungen angewandt; es sind das die 
rheumatischen Erkrankungen, die Erkrankungen des Blutes und 
der lymphatischen Apparate, wie endlich die Geschwulsterkran- 
kungen. 

Bei den rheumatischen Erkrankungen hat eine wochen- oder 
monatelang fortgesetzte Trinkkur wohl allein praktische Be¬ 
deutung. Das gilt speziell für den chronischen Gelenkrheuma¬ 
tismus, die Arthritis deformans und die Neuralgien, die ich dieser 
Gruppe zuzählen will. 

Ich habe in einem Falle einer mittelschweren Arthritis 
deformans bei einer ca. 60 jährigen Frau einmal versuchsweise 
eine intravenöse Injektion von 2 Millionen Macheeinheiten 
Thorium X gemacht, aber danach keinen nennenswerten Erfolg 
gtoehen. Es scheint bei diesen Erkrankungen nicht so sehr auf 
die einmalige intensive und kurzdauernde Thorium X-Wirkung 
anzukommen, als vielmehr darauf, dass die erkrankten Gewebe 
längere Zeit einer mässigen Thorium X-Wirkung ausgesetzt 
werden. Das erreicht man aber, wie gesagt, am besten durch die 
Trinkkur, bei der ich die Tagesration des Medikaments in drei 
Portidnen nach den drei Hauptmahlzeiten nehmen lasse. 

Was die Dosierung anlangt, so fand ich, dass eine generelle 
Anordnung sich hierfür nicht aufstellen lässt. Man muss bei 
jedem Kranken mehr oder weniger die optimale Arzneidosis ap¬ 
probieren. 

Ich rate, etwa mit 5000 Macheeinheiten als Tagesdosis anzu- 
fangen und allmählich aufzusteigen; ich bin bis 50 000 Mache¬ 
einheiten, ja in einzelnen Fällen bis 100 000 Macheeinheiten 
Thorium X pro Tag gestiegen und habe diese Dosis wochenlang, 
ja monatelang nehmen lassen. Denn man sieht eben in manchen 
Fällen erst nach der Gabe einer derartig grossen Dosis und nach 
einer längere Zeit konsequent durchgeführten Behandlung Erfolg. 

Wie ich in einem früheren Vortrage ausführte, verhält sich 
ein gewisser Bruchteil der Rheumatiker refraktär gegen die 
Thorium X - Behandlung. So habe ich auch bei meinem neueren 
Material Misserfolge zu verzeichnen. Besonders denke ich da an 
eine etwa 50 jährige Dame mit einer schweren chronischen 
rheumatischen Monarthritis im Hüftgelenk, bei der eine monate- 
lange Behandlung mit Tagesdosen bis zu 100 000 Macheeinheiten 
ganz erfolglos blieb. 

Andererseits will ich aber hier auch eine positive Beobach¬ 
tung nicht unerwähnt lassen, die einen Patienten mit schwerer 
Bechterew’scher Krankheit, der fortschreitenden Versteifung der 
Wirbelsäule, Schulter und Oberarmgelenke betrifft. Bei diesem 
Kranken trat eine sehr merkbare Besserung ein, die sowohl sich 
in einem Nachlassen der Schmerzen, wie in einer Hebung der 
Beweglichkeit der erkrankten Gelenke äusserte, eine Besserung, 
die allerdings erst nach vielwöchiger Behandlung gerade mit 
den grösseren Dosen von etwa 50000 Macheeinheiten erzielt 
wurde. 

Ich wiederhole also: bei allen diesen rheumatischen Er¬ 
krankungen verdienen konsequent durchgeführte Trinkkuren von 
Thorium X mit steigender Dosierung ernsteste Beachtung. 

Die zweite Gruppe von Erkrankungen, die ich vorhin nannte, 
sind die Erkrankungen der lymphatischen Organe und des Blutes. 

Bei einer jungen Frau mit multiplen LymphdrüsenschWel¬ 
lungen und unregelmässigen Temperatursteigerungen führte die 
«inmalige intravenöse Injektion von 1500 000 Macheeinheiten 
Thorium X zu einer sichtbaren Erweichung und Verkleinerung 
der grossen Lymphdrüsenpakete am Halse. 

Unter den Fällen von myelogener Leukämie, die ich behandelte, 
verdienen zwei besondere Beachtung. Der eine betraf einen 
ca. 17 jährigen jungen Mann mit schwerer akuter Leukämie, 
grossem Milztumor, Lebertumor, Schwellung der Füsse und Unter¬ 
schenkel, grossem Ascites, lauten anämischen Herzgeräuschen und 
schwerer Atemnot. 10 Tage nach einer einmaligen Injektion von 
2000 000 Macheeinheiten waren die Oedeme, der Ascites und die 
Herzgeräusche vollständig geschwunden, so dass der Junge ausser 
Bett sein konnte. Milz und Lebertumor aber blieben bestehen. 
Fünf Wochen später war wieder der schwere Allgemeinzustand 
vorhanden, ging aber auf eine abermalige intravenöse Injektion 
-von 1 500 000 Macheeinheiten zurück. Die Besserung hielt wieder 
einige Wochen an, ein zweites Recidiv setzte ein, und jetzt blieb 
eine erneute Thoriuminjektion so gut wie ohne Erfolg, und der 


Kranke starb bald darauf. Es sei noch erwähnt, dass die Zahl 
der weissen Blutkörperchen vor allem nach der ersten Injektion 
stark absank. Leider verfüge ich nicht über eine genaue Tabelle 
des Blutbefundes bei diesem Kranken, da ich den Patienten kon¬ 
sultativ ausserhalb von Berlin behandelte. Den Krankheitsbericht 
verdanke ich dem Hausarzt des Patienten. 

Dieser Fall ist darum bemerkenswert, weil er zeigt, dass 
auch bei einer so schweren Form der Leukämie das Thorium 
noch ganz frappante Wirkungen vollbringen kann, dann aber 
auch, weil er ein Schulbeispiel für die vorübergehende Wir¬ 
kung eben dieses Medikaments ist. Die Wirkung der einmaligen 
Injektion hielt jedesmal ca. 1 Monat an. Zweimal half das Mittel, 
beim letzten Recidiv aber versagte es. 

Der andere Fall von myelogener Leukämie, den ich be¬ 
sonders hervorheben wollte, ist dadurch ausgezeichnet, dass ich 
bei ihm die Thoriumbehandlung bis jetzt über 11 Monate fort¬ 
setzte. Im Verlaufe des ersten Monats bekam die 56 jährige 
Patientin Tagesdosen von 12 000 bis 20 000 Macheeinheiten, ohne 
dass sich die Zahl der weissen Blutkörperchen nennenswert 
änderte; alsdann machte ich eine intravenöse Injektion von 
1 500 000 Macheeinheiten. Auch danach sank die Zahl der weissen 
Blutkörperchen nur wenig, aber die Milz wurde merklich 
kleiner. 14 Tage nach der Injektion liess ich die Patientin täglich 
100 000 Macheeinheiten trinken. Ein Monat später wurde aber¬ 
mals eine Injektion von 1000 000 Macheeinheiten gemacht. 
Wiederum verkleinerte sich die Milz; die Zahl der weissen Blut¬ 
körperchen ging ein wenig zurück. Vier Wochen später liess ich 
von neuem mit der Trinkkur bei einer Tagesdosis von 100 000 Mache¬ 
einheiten beginnen und setzte diese Trinkkur bis heute fort. Die 
Zahl der weissen Blutkörperchen schwankte während der ganzen 
Zeit zwischen 160 000 und 465 000, gewöhnlich betrug sie etwa 
260 000. Die Patientin befindet sich in leidlicher Verfassung, 
geht ihrem Beruf nach, die Milz ist in den letzten Monaten nicht 
nennenswert grösser geworden. Ich will noch erwähnen, dass 
die Patientin etwa am vierten Tage nach den intravenösen In¬ 
jektionen Temperatursteigerungen bekam mit schlechtem Allgemein¬ 
befinden und Appetitlosigkeit. Zweimal im Verlauf der Trinkkur 
klagte die Patientin über Durchfälle, die dann nach mehrtägigem 
Aussetzen des Medikaments aufhörten. Jedenfalls lehrt diese 
Krankengeschichte, dass auch ein beinahe jahrelanger Gebrauch 
des Thorium X in den genannten Dosen dem Körper nicht schäd¬ 
lich ist; ich lasse es dahingestellt, ob die mitgeteilte Beobachtung 
zu der Hoffnung berechtigt, dass es bis zu einem gewissen Grade 
gelingen kann, in geeigneten Fällen den leukämischen Prozess 
eine Zeitlang durch eine derartige chronische Thorium X-Behand- 
lung in Schach zu halten. 

Unter den Fällen von perniciöser Anämie, die ich mit 
Thorium X behandelte, habe ich bis jetzt eigentlich nur einen 
Fall mit absolut negativem Erfolg gehabt. Es handelte sich um 
einen PatienteD, der etwa seit l l / 2 Jahren erkrankt war. Weder 
nach der intravenösen Injektion einer Dosis von 40 000 Mache¬ 
einheiten, noch auch nach einer über vier Wochen fortgesetzten 
Trinkkur mit einer Tagesdosis von 50 000 Macheeinheiten sah ich 
irgendeine Besserung im Blutbilde auftreten. Trotz der Thorium X- 
Behandlung verschlechterte sich das Blut fortwährend, und der 
Kranke starb. Bei einer anderen, 60 jährigen Patientin trat nach der 
ersten Injektion von 30 000 Macheeinheiten unmittelbar eine leichte 
Besserung in den ersten drei Tagen ein, dann erfolgte bei gleich¬ 
zeitiger Trinkkur von 50 000 Macheeinheiten pro Tag ein Still¬ 
stand und geringer Rückschritt, dann aber, etwa 14 Tage später, 
bei fortgesetzter Trinkkur eine fortschreitende Besserung im Blut¬ 
befund. Leider starb die Patientin einige Wochen darauf an 
einem Herzschlag; das Blut war jedenfalls besser geworden. 

Einen anderen Patienten, dessen Krankengeschichte mir be¬ 
merkenswert scheint, behandelte ich von vornherein nur mit der 
Trinkkur und setzte diese Behandlung, bei der er täglich 
50 000 Macheeinheiten bekam, bis jetzt über zehn Monate fort. 
Nach sechswöchiger Behandlung war der Blutbefund normal, 
die Zahl der roten Blutkörperchen war von 960 000 auf 4 610 000 
heraufgegangen, ebenso hatte sich der Hämoglobingehalt von 50 
auf 90 pCt. erhöht, die Poikilocyten waren schliesslich ganz ver¬ 
schwunden. Genau sechs Monate nach Beginn der Behandlung 
und genau vier Monate nachdem das Blutbild normal geworden 
war, setzte das Recidiv ein, bei dem innerhalb von 14 Tagen die 
Zahl der roten Blutkörperchen von 4 920 000 auf 2 080 000 sank 
und die Poikilocytose sich wieder einstellte. In der Folgezeit 
zeigte das Blutbild noch einige Male vorübergehende Besserungen, 
denen aber immer wieder Verschlechterungen nachfolgten. Das 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 8. 


alles ereignete sieb, obschon das Tborinm X täglich und von 
Anfang an ohne Unterbrechung in der genannten Dosis gegeben 
wurde, und obsebon der Kranke nach Beginn des Recidivs täglich 
100 ccm 1 proz. Cholesteariuöls per os dazu erhielt. 

Indessen ermuntern zur Behandlung der pernieiösen Anämie 
auch dann noch immer die positiven Erfolge der Thorium X- 
Behandlung, wenn wir auch von ihnen wissen, dass sie nur 
vorübergebend sind. Denn wir haben es in den Fällen, in denen 
das Thorium X überhaupt hilft, in der Hand, die Kranken wieder 
durchaus leistungsfähig zu machen. Ich könnte dafür Beispiele 
anführen. So war z. B. einer meiner amerikanischen Patienten, 
ein Universitätsprofessor, seit ca. 2 Jahren nicht mehr fähig, 
seinem Beruf nachzugehen. Trotz aller anderen Therapie machte 
die Blutbildung keine rechten Fortschritte. In ca. sechswöchiger 
Thorium X- Behandlung bei der täglichen Gabe von 50 000 Mache¬ 
einbeiten per os stieg die Zahl der roten Blutkörpereben von 
1200000 auf 5 280 000, und der Patient geht heute wieder 
seinem Berufe nach. 

Ein noch dankbareres Feld für die Thorium X-Bebandlung aber 
dürften wohl alle jene Anämien abgeben, die nicht zu der Gruppe 
der pernieiösen Anämien gehören, und denen auch keine andere 
maligne Ursache zugrunde liegt. 

So behandele ich eben ein 19 jähriges psychotisches junges 
Mädchen, das infolge mangelhafter Nahrungsaufnahme auf 51 Pfund 
abgemagert war und bei dem die Zahl der roten Blutkörperchen 
bei normaler Form 1 700 000 betrug. Der Hämoglobinwert war 
46 pCt. 

Eine erstmalige Injektion von 50 000 Macheeinheiten und 
eine später vorgenommene Trinkkur von täglich 80—50 000 Mache¬ 
einheiten brachte das Blut successive in die Höhe. Nach sechs¬ 
wöchiger Behandlung hatte die Kranke 3 560 000 rote Blut¬ 
körperchen und 65 pCt. Hämoglobin, weitere 4 Wochen später 
batte sie 5 200 000 rote Blutkörperchen und 80 pCt. Hämoglobin. 

Ich glaube, dass gerade in solchen Fällen das Thorium X 
ein Mittel ist, das, wie kein anderes, dem Körper den nötigen 
ersten Anstoss zur Regeneration des Blutes und damit indirekt 
auch zur Hebung der Ernährung liefert. 

Wenn wir aber das Thorium X bei solchen schweren Fällen 
von Anämie anwenden, dann müssen wir in der Dosierung äusserst 
vorsichtig sein. Wir müssen fortlaufend, mindestens wöchentlich 
einmal, das Blut zählen, um sicher zu sein, ob wir die für den 
vorliegenden Fall richtige Reizdosis gewählt haben. Ich habe 
den Eindruck gewonnen, dass gerade bei der Behandlung der 
Anämien der individuelle Faktor eine wichtige Rolle spielt, und 
dass man in jedem Fall vorsichtig tastend ausprobieren muss, 
was man dem Knochenmark an Reizung zumuten kann. Die Ge¬ 
fahr einer Ueberreizung liegt nämlich nahe, besonders bei einem 
schon lange und schwer geschädigten Marke. 

Die letzte der obengenannten Krankheitsgruppen, bei denen 
das Thorium X angewandt wird, ist die Gruppe der bösartigen 
Geschwülste, besonders des Carcinoms. 

leb kann mich hierbei kurz fassen: Mit der intravenösen 
Thorium X-Therapie heilen wir keine inoperablen Carcinome. 
Eine gewisse Beeinflussung ist möglich; das gebe ich zu. Aber 
auch die scheint mir recht selten zu sein, wenn man von ihr eine 
Verlängerung des Lebens der Patienten fordert, und wenn man 
sich nicht zufrieden gibt mit kleinen Scheinerfolgen, von denen 
die Radium-Geschwulstdoktoren bei inoperablen Carcinomen so viel 
Wesens machen. 

Nur in einem Falle habe ich einen Effekt nach der Thorium X- 
Behandlung gesehen: ob post hoc oder propter hoc bleibe dahin¬ 
gestellt. Immerhin sei aus der Krankengeschichte folgendes mit¬ 
geteilt: Es handelt sich um einen 29 jährigen Menschen, der mir 
wegen inoperablen Mastdarmkrebses zugeschickt war. Der be¬ 
handelnde Chirurg batte ihm einen Anus praeternaturalis an¬ 
gelegt. 

Der Effekt einer */ 4 jährigen Behandlung, bei der teils intra¬ 
venöse Injektionen von sehr grossen Thorium X- Dosen gemacht 
wurden, teils das Thorium X per os in grösseren Dosen längere 
Zeit verabreicht wurde, war der, dass der Patient noch lebt, gut 
genährt ist, und dass nach Aussage des Chirurgen der Tumor auf 
Vs der ursprünglichen Grösse zurückgegangen ist. Ich beob¬ 
achtete, dass, solange der Körper unter der Wirkung grösserer 
Thorium X-Mengen stand, aus dem ausgeschalteten Darmstück sich 
regelmässig blutig-schleimige Massen entleerten. Dass man auch 
sonst nach der Darmausschaltung unter analogen Verhältnissen 
ein Zurückgehen der Geschwülste gelegentlich sieht, ist wohl 
bekannt. 


M. H.! Ich komme zum Schluss. Die bunte Folge der kleinen 
kasuistischen Mitteilungen, die ich heute abend mir Ihnen vor¬ 
zutragen erlaubte, werden, so glaube ich, auch in Ihnen die Ueber- 
zeugung befestigt haben, dass wir in dem Thorium X ein inter¬ 
essantes und in vielen Fällen symptomatisch vortrefflich wirkendes 
Heilmittel besitzen, auf das wir bei der Behandlung der genannten 
Krankheitskategorien so lange nicht verzichten möchten, bis wir 
etwas Besseres haben, da9 den Bedürfnissen der ätiologischen 
Therapie gerechter wird. 


Zur Frage von der operationslosen Behandlung 
des Carcinoms. 

Von 

Hofrat Dr. A. Theilltber in München. 

Die Versuche, die in der allerneuesten Zeit gemacht wurden, 
das Carcinom ohne Operation zu heilen, batten sich zum grösseren 
Teil die Aufgabe gestellt, sämtliche Zellen der Neubildung zu 
zerstören. Für tiefliegende Carcinome ist dies wohl meist eine 
sehr schwierige Aufgabe. Es ist wahrscheinlich, dass die Heilung 
des Carcinoms leichter durch Nachahmung der Naturheilungs¬ 
bestrebungen gelingen wird. Wohl für jede Erkrankung haben 
sich im Laufe der Hunderttausende von Jahren, seitdem es Lebe¬ 
wesen gibt, automatisch einsetzende Korrektivmaassregeln heraus¬ 
gebildet. Würden diese fehlen, so würden bei den vielen Schäd¬ 
lichkeiten, denen sie täglich ausgesetzt sind, die lebenden Wesen 
bald wieder aussterben. NaturheiluDgen kommen beim Carcinom 
wahrscheinlich viel häufiger vor, als man glaubt, doch ist im 
Gegensatz z. B. zum Myom die Naturheilung durch primäre Zell¬ 
atrophie oder primären Zelltod ein selteneres Vorkommnis. Der 
Vorgang, der zur Spontanheilung führt, scheint meist anders zu 
verlaufen: Wahrscheinlich ist es gar nicht selten, dass das Epi¬ 
thel seine Grenzen überschreitet, in das Bindegewebe vordringt 
und sich dort sehr stark vermehrt. Es geschieht dies namentlich 
dann, wenn die Proliferationsfähigkeit der in dem subepithelialen 
Bindegewebe befindlichen Bindegewebszellen durch chronische 
Entzündungen, Narben usw. geschwächt ist. Das Bindegewebe 
empfindet das an abnormer Stelle liegende Epithel als einen 
Fremdkörper und reagiert darauf mit Hyperämie; letztere führt 
non zu lokaler Hyperleukocytose, ausserdem steigert sie die Pro¬ 
liferationskraft der Bindegewebszellen. Die Folge ist, dass das 
weitere Vordringen des Epithels durch gewissermaassen als Gegen¬ 
gift wirkende zahlreiche Bindegewebszellen verlangsamt, gehemmt 
und zuweilen aufgehalten wird und in letzterem Falle meist die 
Wucherung sich langsam wieder zurückbildet. Ist jedoch die 
Proliferationsfähigkeit der Bindegewebszellen auf weite Strecken 
gehemmt und sind die Blutgefässe weithin verengt und unfähig, 
sich zu dilatieren, ist auch bei sehr geschwächten Individuen die 
Reaktionsfähigkeit überhaupt sehr gering, so kommt es nicht 
mehr zu ausgiebiger Steigerung der Vermehrung der Bindegewebs¬ 
zellen, auch nicht zu ergiebiger lokaler Hyperleukocytose, die 
Wucherung der Epitheizelleu gebt weiter, es bildet sich allmählich 
„das Carcinom“ heraus. 

Es kommt nun recht bald zu einer Anschwellung der benach¬ 
barten Lymphdrüsen. Bei einer grossen Anzahl von solchen 
Lymphdrüsenschwellungen, namentlich aus der früheren Zeit der 
Carcinomhildung, batten bisher die meisten Aerzte angenommen, 
dass sie durch Entzündung verursacht seien. Letztere sei durch 
das Eindringen von Krebstoxinen veranlasst. Wir haben nun bei 
zahlreichen „entzündlichen Drüsen“ viele Serienschnitte gemacht, 
wir untersuchten z. B. auf diese Weise gleich 6, 8 und mehr 
Lymphdrüsen, die von einem einzigen primären Tumor ausge¬ 
gangen waren. Diese sämtlichen Drüsen waren vergrössert, zum 
Teil sehr beträchtlich, ausserdem waren sie stark hyperämisch. 
Bei makroskopischer Untersuchung und bei oberflächlichen mikro¬ 
skopischen Besichtigungen liess sich nichts vom Carcinom kon¬ 
statieren, so dass es entzündliche Drüsenschwellungen zu sein 
schienen. Bei sehr sorgfältigem mikroskopischen Studium wurden 
jedoch regelmässig im Bindegewebe zerstreut einzelne Carcinom- 
zellengruppen gefunden; letztere waren immer umgeben von Stroma, 
das zahlreiche Bindegewebszellen und ausserdem Rundzelleninfil¬ 
trationen aufwies. Die Blutgefässe des Stromas waren weit, ihre 
Wände dünn. Es ist doch nicht anzunehmen, dass die hier ge¬ 
fundenen Carcinomzellen sich in progressiver Wucherung befanden. 
Ebensowenig handelte es sich wohl bei dem ganzen Charakter 


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24. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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des Proiesaes um „schlummernde Carcinomzellen“. Es lagen hier 
also höchstwahrscheinlich Ruckbildungsprozesse, Heilungsvorgänge 
des Carcinoma vor. 

Den Klinikern ist es ja schon lange bekannt, dass carcinoma- 
töse Lymphdrüsentumoren, namentlich nach der Exstirpation des 
primären Tumors, häufig spontan heilen. 

Zweifellos ist bei vorgeschrittener carcinoraatöser Infil¬ 
tration die Heiliingstendenz des Primärtumors eine sehr geringe, 
die des Lymphdrusentumors eine weit grössere. Nach unseren 
Untersuchungen scheint mir die Ursache in folgendem zu liegen: 
Der Primärtumor entsteht nur dort, wo schon lange Zeit die Blut- 
circulation spärlich, die Gefässe eng, die Proliferationsfähigkeit 
der Bindegewebszellen gering ist. Daher auch die geringere 
Neigung des Primärtumors zur spontanen Heilung, dagegen erfolgt 
„die Metastase“ sehr häufig in Organe hinein, die bis dahin nor¬ 
male Textur, normale Blutversorgung, deren Blutgefässe normale 
Wände batten. Daher die grössere Neigung der sekundären Tu¬ 
moren, die zur Heilung notwendige Hyperämie, Hyperleukocytose 
usw. zu entwickeln. Natürlich können auch in normalen Organen 
zuletzt die Naturbeilungsprozesse versagen, wenn der Import der 
Carcinomzellen zu häufig erfolgt and allzu reichliche Zellenmassen 
importiert werden. 

Es scheinen also die Heilbestrebungen der Natur zu gipfeln 
in Hyperämie, Hyperleukocytose und Vermehrung der 
Bindegewebszellproliferation, sowohl in der Umgebung des 
Primärtumors, als in den (häufig bald erfolgenden) Metastasen. 
Möglicherweise wirkt auch die reichliche Lymphocytenproduktion 
in den geschwollenen Lymphdrüsen noch auf dem Blutwege günstig 
auf die lokale Hyperleukocytose in der Nähe des Primärtumors. 
— Die Ursache des Carcinoms ist also meines Erachtens eine 
Erkrankung des Bindegewebes, die sich äussert in Atrophie des 
subepUbelialen Bindegewebes bei schlechter Ernährung desselben, 
spärlichen atrophischen Bindegewebszellen mit verminderter Pro¬ 
liferationsfähigkeit, engen Blutgefässen. Wenn die Genesung er¬ 
folgt, werden die Bindegewebszellen reichlich, die Blutgefässe 
weit, es stellt sich also der normale Status des Bindegewebes 
wieder her, ja es erfolgt, wie so häufig in der Natur, eine Ueber- 
kompensation. Das krankmachende Agens selbst (die an fremden 
Orten befindlichen Epitbelzellen) ist bestrebt, letzteren Prozess 
hervorzurufen. Ob ihm dieä gelingt, hängt von der Ausdehnung 
und Intensität des krankhaften Prozesses, von der Erweiterungs- 
fäbigkeit der Gefässe, von der Beschaffenheit des Blutes, der 
leukocytenbildenden Organe usw. ab. 

Bei den Myomen ist es umgekehrt wie bei den Carcinomen. 
Das Myom bildet sich nur in der Zeit, wo der Uterus sehr gut 
mit Blut versehen ist, wo seine Zellen starke Proliferationskraft 
besitzen, d. b. zwischen der Menarche und der Menopause. Wenn 
der Uterus anämisch ist (vor der Menarche und nach der Meno¬ 
pause), entwickelt sich kein Uterusmyom. Solange das Myom 
kräftig wächst, also in den jüngeren Jahren, ist auch das inter¬ 
stitielle Bindegewebe des Myoms blutreich, reich an Leukocyten 
und Bindegewebszellen. Nach der Menopause wird der Uterus 
anämisch, gewöhnlich geht damit Hand in Hand eine Atrophie 
der Muskelfasern des Myoms, das interstitielle Bindegewebe ist 
zwar reichlich, aber zellarm. 

Hegar hat uns schon vor 40 Jahren mit einer Methode der 
Myombehandlung beschenkt, die auf dieser Tatsache beruht. Er 
bat die beiden Ovarien exstirpiert, dann wird der Uterus anämisch, 
die interstitiellen Myome wachsen nicht weiter, sie schrumpfen 
meist. Er hat also den Naturheilungsprozess der Myome mit Er¬ 
folg nach geahmt. 

In ähnlicher Weise ist es wohl auch aussichtsreich, den 
NaturheilungsprozesB der Carcinome nachzuahmen. Es ist dies, 
allerdings meist unbewusst, schon vielfach geschehen. Die In¬ 
jektion von Emmerich’8chem Erysipelserum, die Einspritzungen 
von Prodigiosus- und auch von manchen anderen Toxinen haben 
manche Besserungen hergerufen. Die Ursache lag wohl in der 
durch diese Toxine verursachten lokalen Hyperämie und der 
lokalen und allgemeinen Hyperleukocytose. Aehnlicb sind wohl 
auch die Spontanheilungen der Carcinome nach Erysipel, Pocken 
und anderen fieberhaften Erkrankungen zu erklären. In ähnlicher 
Weise wirkt wohl auch das von Otto Schmidt hergestellte 
Antimeristem, das ebenfalls einzelne Heilungen aufzuweisen hat. 
Aebnliche Wirkung haben wahrscheinlich manche Sera, Organ¬ 
extrakte, vielleicht auch beruht zum Teil hierauf die Wirkung 
des von Werner empfohlenen Cholin. Wie ich mich durch Ver¬ 
suche am Kaninchen überzeugte, sind die Röntgenstrahlen im¬ 
stande, bei geeigneter Anwendung starke Hyperämie, diacutan 


auch an Uterus und Ovarien zu erzielen; hierauf ist vielleicht 
auch ein Teil ihrer Wirkungen zurückzuführen. Aehnlich ist 
wahrscheinlich auch die Wirkung der Thermopenetration, der 
Fulguration zu erklären, ebenso die günstigen Erfolge, die 
Christoph Müller in Immenstadt mit der Kombination von 
Hochfrequenz, Diathermie nnd Röntgenstrahlen hatte. Wahrschein¬ 
lich beruht auch auf den gleichen Ursachen der günstige Einfluss 
des Radium, Actinium, Thorium und Mesothorium, in ähnlicher 
Weise ist vielleicht die günstige Wirkung des von mir ange¬ 
wandten Uterusextraktes. der Nucleinsäure, das Natrium caco- 
dylidum zu erklären. Die günstigen Erfolge, die ausser mir auch 
Christoph Müller mit der Hyperämisierung der Narben nach 
Radikaloperationen behufs Verminderung der Recidive erreichte, 
mögen manchmal auch darauf zurückzuführen gewesen sein, dass 
es uns gelang, durch diesen Prozess die Resorption kleinster zu¬ 
rückgebliebener Krebskeime zu begünstigen. 

Gewöhnlich wird es notwendig sein, wie es Czerny mit 
Recht betont, mehrere solcher Mittel zu kombinieren. Die Wirkung 
wird dann eine viel intensivere. Solange allerdings diese Mittel 
nur bei sehr vorgeschrittenen Fällen angewandt werden, werden Miss¬ 
erfolge noch nicht absolut beweisend für den geringen Effekt der 
Therapie sein. Man verlangt von der unblutigen Krebstherapie 
viel zu viel. Die günstigen Fälle werden mit Recht dem Ope¬ 
rateur überwiesen; die sehr vorgeschrittenen Fälle sind ebenso 
schwer zu heilen, wie etwa Tuberkulose, die bereits beide Lungen 
ausgiebig durchsetzt hat; die für die Bewältigung solcher kolossaler 
Quantitäten von Krebszellen notwendige Hyperämie und Hyper¬ 
leukocytose kann eben von dem schwachen Körper meist nicht 
mehr geliefert werden. Man müsste die unblutige Therapie weit 
häufiger in leichteren Fällen, etwa bei kleinen Hautcarcinomen 
versuchen, bei denen ja doch eine Zeitversäumnis von einigen 
Wochen nicht sehr ins Gewicht fällt. 

Sind die oben entwickelten Anschauungen richtig, so ist es 
nicht schwer, noch eine ganze Reihe von Mitteln zu finden, die 
wert sind, versucht zu werden. Ich selbst habe auch noch einige 
weitere in Reserve. Welche von diesen Mitteln die besten Resul¬ 
tate ergeben nnd in welcher Kombination dieselben am zweck- 
mässigsten anzuwenden sind, das bedarf jahrelanger Untersuchungen 
an dem grossen Material vieler Anstalten. Ich möchte hier das 
wiederholen, was Czerny vor kurzem gesagt bat (Münch, med. 
Wocbenschr., 1912, Nr. 41): 

„Die Prüfung der Mittel auf ihren Wert, die Ausbildung der¬ 
selben zu einer wirksamen Behandlungsmethode erfordert eigene 
Krebsinstitute, welche sich dieser schwierigen Aufgabe widmen. 

.Die Bekämpfung des Krebsleidens wird bloss durch 

ausgedehnte emsige Zusammenarbeit der Aerzte und Forscher ge¬ 
lingen, und zwar um so schneller, je mehr Forschungsinstitute, 
die mit Heil- und Pflegeslätteu für die Krebsbehandlung verbunden 
sind, errichtet werden.“ 

Für die meisten grossen Städte wäre es mit relativ geringen 
Kosten möglich, zunächst einmal in ihren Krankenhäusern eigene 
Krebsabteilungen zu errichten und mit der Behandlung der Kranken 
Aerzte zu beauftragen, die sich auch der Behandlung vorge¬ 
schrittener Fälle vermittels der operationslosen Methoden gern 
unterziehen. Aehnliches scheint ja jetzt in Hamburg geplant zn 
sein. Der aus einem solchen Vorgehen für die Kranken, für die 
Allgemeinheit und für die Krebsforschung entstehende Nutzen 
würde den Vorteil, den z. B. die Lungenheilstätten hatten, wahr¬ 
scheinlich bedeutend überragen. 


Innere Sekretion und Nervensystem. 

Von 

Dr. Arthur Mttnzer-Berlin-Schlachtensee. 

(Fortsetzung.) 

Ueber die Bedeutung der Epithelkörperchen für die Oekonomie 
des tierischen Organismus haben uns insbesondere experimentelle 
Beobachtungen wertvolle Aufklärung verschafft. Zwar sind die 
Folgen der Entfernung der Glandulae parathyreoideae, wie Biedl 
hervorhebt, beim Tier je nach der Species und dem Lebensalter 
einigermaassen verschieden; jedoch zieht in den meisten Fällen 
eine derartige Operation das Auftreten schwerer Muskelkrämpfe 
nach sich, wie sie für das Krankheitsbild der akuten Tetanie 
charakteristisch sind. Zuweileu zeigt sich nur eine in Ueber- 
erregbarkeit der Nerven sich äussemde latente Tetanie; bei einigen 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 8. 


Tieren auch eine von verschiedenen trophischen Störungen be¬ 
gleitete chronische Tetanie (Biedl). Das9 alle diese Krankheits¬ 
erscheinungen nur durch die Entfernung der Epithelkörperchen 
bedingt sind, dafür liefert das Experiment den unwiderleglichen 
Beweis. 

Auch beim Menschen ist das Auftreten der Tetanie nach 
Strumaoperation zweifellos auf eine Mitentfernung bzw. Verletzung 
der Epithelkörperchen zurückzuführen. Aber auch für andere 
Tetanieformen, so für die beim Kinde, die bei Frauen während 
der Menstruation, Gravidität und Laktation auftretenden, für die 
Tetanie gastrointestinalen Ursprungs besteht heutzutage die Neigung, 
sie der Insuffizienz der Nebenschilddrüsen zur Last zu legen, und 
sicherlich hat die einheitliche Auffassung der Pathogenese des 
Leidens ihre volle Berechtigung. 

In welchem inneren Zusammenhänge steht nun die mangel¬ 
hafte Funktion der Glandulae paratbyreoideae zur Genese der 
Tetanie? Die Frage ist bereits vielfach diskutiert, bis jetzt aber 
noch nicht einer endgültigen Lösung entgegengeführt worden. Die 
allgemeine Annahme der Autoren geht dabin, dass nach Ent¬ 
fernung der Epithelkörperchen ein Toxin unbekannten Ursprungs, 
ein Tetanietoxin sich bilde (Biedl), welches normalerweise durch 
dieselben neutralisiert wird. Neue Gesichtspunkte wurden jüngst 
noch in die Lehre der Tetanie durch die Untersuchungen von 
Falta und Kahn getragen. Die beiden Autoren konnten an einer 
Reihe von Fällen zeigen, dass bei der Tetanie eine allgemeine 
Uebererregbarkeit bzw. Uebererregung des Nervensystems bestehe, 
und zwar nicht nur der motorischen, sensiblen und sensorischen, 
sondern auch der vegetativen Nerven. Gerade das letztgenannte 
System wurde bei den bisherigen Untersuchungen völlig vernach¬ 
lässigt, und erst in der vorerwähnten Arbeit von Falta und 
Kahn konnte festgestellt werden, dass an den Erfolgsorganen 
vegetativer Nerven sich zahlreiche Symptome gesteigerter Er¬ 
regung bei Tetanie nachweisen lassen. 

Eine besondere Bedeutung haben die Untersuchungen der 
beiden Autoren auch für die Frage der Lokalisation der tetanischen 
Veränderung gewonnen. Biedl ist neuerdings geneigt, eine 
Beteiligung höherer Nervencentren, speziell im Gross- und Klein¬ 
hirn, anzunehmen. Falta und Kahn hingegen verlegen den Sitz 
der tetanischen Veränderung der Extremitäten in die Ganglien¬ 
zellen des Rückenmarks; letztere befinden sich in einem Zustand 
gesteigerter Erregbarkeit, und diese teilt sich im weiteren Verlauf 
den peripheren Nerven mit. Von diesen Erwägungen aus ge¬ 
langen Falta und Kahn zu der Annahme, dass das Epithel¬ 
körperchenhormon normalerweise den Erregungszustand der 
Ganglienzelle dämpfe. Möglicherweise kommt dieser Vorgang 
durch Förderung der Kalkassimilation zustande, eine Hypothese, 
die durch die nach Exstirpation der Drüsen konstatierte Ver¬ 
ringerung des Gesamtkalkgehaltes nahegelegt wurde. Die Aus¬ 
führungen von Falta und Kahn, auf die hier nur ganz kurz 
eingegangen wurde, verdienen jedenfalls aufmerksame Beachtung. 
Insbesondere ist die Betonung der engen Beziehungen zwischen 
Epithelkörperchen und Rückenmark hervorzuheben. 

Es ist bekannt, dass in letzter Zeit (zum ersten Male von 
Lundborg) die Paralysis agitans in Verbindung mit einer In¬ 
suffizienz der Nebenschilddrüsen gebracht wurde. Bei der 
mangelnden Einheitlichkeit der anatomischen Befunde im Nerven¬ 
system einerseits, bei der offenbar organischen Natur des Leidens 
andererseits ist das eifrige Bestreben, den Krankheitsprozess zu 
lokalisieren, wohl verständlich. Gerade im Licht der Falta- 
Kahn’schen Hypothese hat die Theorie vom parathyreoidalen 
Ursprung des Leidens ihre gewisse Berechtigung: Sobald der 
dämpfende Einfluss des Epithelkörpercbenhormons auf die Ganglien¬ 
zellen des Rückenmarkes wegfällt, werden diese übererregbar und 
übermitteln ihre Hypertonie dem peripheren Nervensystem. Hier 
kommen vorwiegend zunächst die motorischen Nerven in Betracht, 
welche vermöge ihres erhöhten Tonus die abnorme Spannung 
der Muskulatur bewirken würden, dann auch das vegetative 
Nervensystem in seinem sympathischen Anteil (Vasomotoren), 
dessen gesteigerte Erregbarkeit die oftmals starken Hitzewallungen 
und die vermehrten Schweissausbrüche bedingen mag, schliesslich 
vielleicht die der Sensibilität dienenden Nerven, durch deren er¬ 
höhte Spannung die nicht selten beobachteten Extremitäten¬ 
schmerzen verursacht sein können. Die ganze Frage ist jedoch 
noch nicht über das Stadium der Arbeitshypothese hinausgekommen 
und bedarf noch weiterer gründlicher Klärung. 

Noch verschiedene andere nervöse Krankheitszustände (Myo¬ 
tonie, Myoclonie, Myasthenia gravis pseudoparalytica) wurden auf 
Veränderungen der Nebenschilddrüsen bezogen; aber auch hier 


trennt uns noch eine breite Kluft von der Sicherheit einer über¬ 
zeugenden Beweisführung (bezüglich der Myasthenie cfr. Tobias 1 ). 

Wir wenden uns nunmehr der Besprechung der Nebennieren 
zu. Gerade diese Organe sind durch so weitverzweigte Beziehungen 
mit dem Nervensystem verknüpft, dass wir nur das Allerwesent- 
lichste hervorheben können. Noch völlig ungeklärt ist der Zu¬ 
sammenhang zwischen Nebennieren und Gehirn. In vielen Fällen 
von Missbildungen, insbesondere bei Heini- und Anencephalie 
wurde Hypoplasie der Nebennieren festgestellt. Diese Beobachtung 
ist in letzter Zeit dahin korrigiert worden (Veit), dass nichteine 
gleichmässige Hypoplasie von Rinde und Mark vorhanden ist, 
sondern dass nur die Rinde mangelhaft ausgebildet, apiastisch, hin¬ 
gegen das Mark stärker entwickelt, hyperplastisch sein soll. Die 
Aplasie der Rinde wird folgendermaassen erklärt: Beim normalen 
Neugeborenen erfolgt während der Embryonalzeit eine Aufspeiche¬ 
rung von Lipoidsubstanzen in der Nebennierenrinde. Nach der 
Geburt, wenn sich das Gehirn entwickelt, beginnt der Abbau 
dieser Substanzen; hierdurch die Degeneration der Rindenschicht 
in den ersten Lebensjahren. Beim Hemicepbalen bedarf es aber 
dieser Aufspeicherung nicht, wodurch die Rindenaplasie bedingt 
wird. Die Hyperplasie der Marksubstanz erklärt Veit mit einer 
Beeinflussung der Medulla infolge der Grosshirndefekte und der 
hierdurch verursachten Reizung des Sympathicus, welche in der 
starken Entwicklung des chromaffinen Systems zum Ausdruck 
kommt. 

Die experimentelle Exstirpation der Nebennieren eneugt beim 
Tier ausser verschiedenen anderen charakteristischen Symptomen 
eine tiefe Apathie. Ob diese auf Rechnung des Funktionsausfalls 
oder auf diejenige der eingreifenden Operation zu setzen ist, lässt 
sich bis jetzt noch nicht sicher entscheiden. Auch bei der 
Addison’scben Krankheit werden mitunter schwere cerebrale Er¬ 
scheinungen (Delirien, Krämpfe, depressiver Symptomenkomplex) 
beobachtet. Diese Symptome sind aber vielleicht weniger der 
Destruktion der Nebennieren als vielmehr der durch die Krankheit 
bedingten Allgemeinerschöpfung zur Last zu legen. 

Auf experimentellem Wege hat Connor (cit. nach Ascher) 
zeigen können, dass infolge von Emotionen eine vermehrte 
Sekretion von Adrenalin ins Blut stattfinde. — Aus alledem erhellt, 
dass bestimmte Hirnprozesse auf die Sekretion der Nebennieren 
modifizierend einwirken und umgekehrt. 

Viel fester als zwischen Hirn und Nebennieren sind die Fäden 
geknüpft, welche diese Organe an das sympathische Nervensystem 
binden. Insbesondere muss hier unsere volle Aufmerksamkeit sich 
auf die Marksubstanz der Nebenniere richten. Das Nebennieren¬ 
mark ist, um dies kurz zu rekapitulieren, zusammengesetzt aus 
einem gefäss- und nervenreichen Gewebe von rundlichen Zell¬ 
balken und Strängen, dessen Zellen eine spezifische Affinität zu 
Chromsalzen besitzen. Indessen bilden die im Nebennierenmark 
eingeschlossenen chrombraunen Zellen nicht die einzigen Bausteine 
jenes grossen Adrenalsystems, welches für den Körperhaushalt 
eine hervorragende Bedeutung gewinnt; denn fast überall, wo 
nur sympathische Fasern und Zellen liegen, finden sich die 
gleichen Zellelemente. Ja, man kann sogar kaum einen Zweifel 
darüber hegen, dass die freien Anteile des Adrenalsystems die in 
den Nebennieren enthaltenen an Masse funktionsfähigen Gewebes 
übertreffen (Biedl). Das chromaffine Zellsystem erwächst aus 
einer mit den sympathischen Ganglien gemeinsamen Anlage — 
schon in der Genese also tritt die nahe Verwandtschaft zwischen 
Adrenal- und sympathischem System mit voller Deutlichkeit in 
die Erscheinung. Während des ganzen postfötalen Lebens offen¬ 
bart sich der innige Zusammenhang zwischen beiden Systemen: 
Das Adrenalin beeinflusst nur die vom Sympathicus innervierten 
Gewebe, und zwar ist diese chemische Wirkung völlig identisch 
mit derjenigen, welche durch die elektrische Reizung des sympa¬ 
thischen Nerven des betreffenden Gewebes hervorgebracht wird. 

Ehe wir nun die Wirkungen des Adrenalins besprechen, sei 
noch kurz hervorgehoben, dass das Adrenalsystem selbst unter 
der Herrschaft des sympathischen Nervenapparates steht. Durch 
die Versuche von Biedl wurde wahrscheinlich gemacht, dass in 
der Bahn des Splanchnicus sekretorische Fasern für die Neben¬ 
nieren verlaufen, und noch jüngst gelang es Ascher, durch 
dauernde Reizung des Splanchnicus Adrenalinsekretion zu er¬ 
zeugen. 


1) Dass die Epithelkörperchen auch in Beziehungen zum Gehirn 
treten, erhellt einerseits aus den von v. Frankl - Hoch wart be¬ 
schriebenen Tetaniepsychosen, andererseits aus der noch neuerdings von 
Curschmann ausführlich abgehandelten Tetanieepilepsie. 


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Die Wirkungen des Adrenalins — ich halte mich im folgenden 
io der Hauptsache an die Darstellung von Biedl — machen sich 
einerseits am Circulationsapparat, andererseits im Bereich aller 
vegetativen Organe mit auserordentlicher Schärfe geltend. Am 
meisten in die Augen springend ist die durch Adrenalin herbei¬ 
geführte Beeinflussung des Kreislaufs. 

Spritzt man einem Tiere intravenös ein gewisses Quantum 
Adrenalin ein, so tritt momentan eine erhebliche Blutdrucksteige- 
rung ein, die indessen bald wieder verschwiudet. Die Druck¬ 
steigerung ist bedingt durch die Kontraktion der peripheren Ge- 
fässe, welche in erster Linie die kleinen Arterien und Capillaren 
betrifft. Das Adrenalin greift nicht, wie man vielleicht vermuten 
möchte, an der Muskulatur der Gefässe an, sondern an jenen 
Apparaten, welche mit den sympathischen Nervenendigungen in 
Verbindung stehen (Biedl). 

Charakteristisch ist die Wirkung, welche Adrenalin auf das 
Herz ausübt: sie besteht in einer Beschleunigung der Herzaktion 
und in einer Verstärkung der Kammersystolen, ln ihrem vollen 
Umfang wird sie jedoch erst manifest, sobald die hemmenden 
Vagusfasern durch Atropin gelähmt worden sind. Die Herz¬ 
wirkung des Adrenalins ist zweifellos auf eine Reizung der 
sympathischen Nn. accelerantes zu beziehen. 

# Auf den Verdauungstractus übt Adrenalin eine deutlich 
hemmende Wirkung aus. Die spontanen Bewegungen des Magens, 
die Peristaltik des Darmes werden zum Stillstand gebracht, die 
Muskulatur des ganzen Mageudarmkanals erschlafft. Auch hier 
lässt die Identität zwischen elektrischer Sympathicusreizung 
(Splanchnicus) und Adrenalinwirkung den engen Zusammenhang 
zwischen Nebenniere und sympathischem Nervensystem klar hervor¬ 
treten. 

Der Einfluss des Adrenalins auf die Harnblase ist bei ver¬ 
schiedenen Säugetierklassen ein differenter, da die Blaseninner¬ 
vation sich als nicht einheitlich erweist. Jedenfalls aber lässt 
sich sagen, dass Adrenalin dort hemmend auf die Blasen- 
mnskulatur einwirkt, wo auch der Sympathicus sie hemmend 
beeinflusst. 

Eine mächtige Einwirkung entfaltet das Nebennierensekret 
auf die Oterusmuskulatur, die es in die hochgradigste Kontraktion 
versetzt. Das Phänomen tritt hauptsächlich am graviden Uterus 
in die Erscheinung. Gerade dieser Wirkung des Adrenalins ist 
stets besondere Aufmerksamkeit geschenkt worden, weil sie für 
die geburtshilfliche Therapie auch eine praktische Bedeutung er¬ 
langen musste. 

Recht charakteristisch sind die Wirkungen, welche das Neben¬ 
nierensekret am Auge hervorruft. Die intravenöse Injektion von 
Adrenalin erzeugt eine Retraktion der Nickhaut, Oeffnung des 
Augenlides, Protrusio bulbi und Dilation der Pupille. Die gleichen 
Erscheinungen kommen durch die elektrische Reizung des Hals- 
sympathicus zustande. 

Auch der Stoffwechsel wird in bestimmter Weise modifiziert, 
Fett- und Eiweissumsatz sowie der Salzstoffwechsel werden durch 
Adrenalin gesteigert. Wichtiger noch erscheint die Beeinflussung 
des Koblehydratstoffwechsels. Seit längerer Zeit ist bekannt, dass 
nach intravenöser bzw. subcutaoer Injektion von Adrenalin 
Glykosurie eintritt. Die Adrenalinglykosurie ist insofern beachtens¬ 
wert, als zwischen ihr und der Claude Bernard’schen Piquü e weit¬ 
gehende Analogien bestehen sollen. Schon Blum, der Entdecker der 
Adrenalinglykosurie, hat die Meinung ausgesprochen (cit. nach 
Biedl), dass der Zuckerstich auf dem Wege über die Nebennieren 
wirksam sei, und diese Vermutung ist von späteren Untersuchern be¬ 
stätigt worden. Die Differenz in der Genese beider Anomalien besteht 
darin, dass Adrenalin durch periphere Sympathicusreizung wirkt, 
während der Zuckerstich eine centrale Erregung des Sympathicus 
berbeiführt (Biedl). Adrenalin wirkt, wie eine Reihe von Unter¬ 
suchungen gelehrt haben, nicht direkt auf die Bildung des 
Zockers, sondern auf dessen Verteilung im Blut; es führt im 
weiteren Verlauf zur Hyperglykämie, der die Ausscheidung des 
Zockers im Urin unmittelbar folgt (Biedl). Also reguliert die 
Nebenniere dauernd den Zuckertonus im strömenden Blut und 
beherrscht hierdurch in hervorragender Weise den Kohlehydrat¬ 
stoffwechsel. 

Die obigen Erörterungen, die allerdings nur kurz und unvoll¬ 
ständig den Zusammenhang zwischen Ad renal- und sympathischem 
System darstellen, haben uns mit der heute allgemein gültigen 
Anschauung vertraut gemacht, dass das Adrenalin ein für die 
normale Funktion des sympathischen Systems notwendiges Hormon 
repräsentiert; in mannigfachen Lebenserscheinungen wird uns die 


strikte Abhängigkeit des Sympathicus von der Nebenniere immer 
wieder vor Augen geführt. Nach Abwägung aller experimentellen 
und klinischen Ergebnisse kommen wir zu der bereits von Biedl 
geäusserten Ansiebt: das Adrenalsystem dient als Regulator des 
Sympathicustouus; der Nebenniere fällt die gewichtige Aufgabe 
zu, den Erregungszustand des sympathischen Systems dauernd 
auf gleichmässiger Höhe zu halten. Die Regulierung des 
Sympathicustouus findet einerseits in einer Förderung von 
Orgaufunktionen ihren Ausdruck, andererseits tritt sie als 
Hemmung von Organtätigkeiten in die Erscheinung. 

Am Schlüsse dieses Abschnitts bietet sich Gelegenheit, noch¬ 
mals auf das Verhältnis zwischen Schilddrüse uud Nebenniere 
zurückzukommen; speziell bezüglich der Theorie, welche die 
Sympathicu8symptome des Basedow als Adrenalinwirkungen auf¬ 
fasst, während sie dem Schilddrüsensekret nur die Rolle einer 
sensibilisierenden Substanz zuerkennt. Wenn wirklich es 
sich beim Basedow nur um reine Adrenalinsymptome handelte, 
so dürfte auch eine der konstantesten und wesentlichsten 
Adrenalinwirkungen, nämlich die Blutdrucksteigerung, niemals 
vermisst werden. Gerade das Verhalten des Blutdrucks ist aber 
beim Basedow wechselnd; zum mindesten ist eine eindeutige 
Blutdrucksteigerung nicht nachgewiesen. Dieses Moment spricht 
entschieden gegen die zu hohe Bewertung der Adrenalin Wirkung 
beim Basedow und weist erneut auf die bedeutungsvolle Position 
der Schilddrüse hin. 

Im Lichte unserer Betrachtung kommt der Hyperpbyse eine 
prinzipielle Ausnahmestellung zu. Denn in ihr ist die Kombi¬ 
nation von Blutgefässdrüse und Hirnabschnitt realisiert und hier¬ 
mit von vornherein ihre dominierende Stellung gekennzeichnet. 
Die Hypophyse gliedert sich bekanntlich in zwei Teile, einen 
Vorder- und Hinterlappen; neuerdings wird auch dem sie ver¬ 
bindenden Abschnitt, der Pars intermedia, eine selbständige 
Stellung eingeräumt. Während der Vorder-(Drüsen-)lappen ent¬ 
wicklungsgeschichtlich dem Kopfdarm zugehört, ist der Hinter¬ 
lappen (Pars iufundibularis) ein echter Hirnteil. Beide Lappen 
stehen infolge ihrer topographischen Zusammengehörigkeit in 
engen Wechselbeziehungen zueinander; beide müssen nach neueren 
Erkenntnissen als echte sezernierende Drüsen angesehen werden. 
Der Vorderlappen ist für die Erhaltung des Lebens unentbehrlich; 
für den Hinterlappen ist dies noch nicht mit der gleichen Sicher¬ 
heit erwiesen. Auf eine gewisse vitale Bedeutung desselben 
glaube ich aus folgenden Ergebnissen schliessen zu können: Die 
Durchtrennung des Hypophysenstiels ist nach Augabe einzelner 
Autoren (Paulesco, cit. nach Biedl) ein zum Tode führender 
Eingriff, selbst wenn die Drüse im Organismus zurückgelassen 
wird. Diese Tatsache musste bisher ohne weitere Erklärung 
registriert werden. 

Wenn man sich aber an die neueren Befunde Herring’s (cit. 
nach Crowe, Cushing und Homans), welche die selbständige 
Sekretion des Hinterlappens darstellen, hält, so muss die Deutung 
des Experiments lauten: Durch die Durchtrennuug des Hypo¬ 
physenstiels wird der reguläre Sekretabfluss von der Pars infundi- 
bularis in den dritten Ventrikel plötzlich unterbrochen, und dem 
Organismus werden infolgedessen Substanzen entzogen, von deren 
Vorhandensein die Aufrechterhaltung der normalen Lebensfunk¬ 
tionen abhängt. 

Die systematische Hypophysenforschung nimmt ihren Ur¬ 
sprung von der Marie’schen Entdeckung, welche die Akromegalie 
mit bestimmten pathologischen Veränderungen des Hirnanhanges 
in Beziehungen brachte. Aus der unendlichen Zahl der seither 
erschienenen Publikationen erscheint eine für unsere Zwecke 
brauchbare Auswahl recht schwer. 

Hinweisen möchte ich zunächst auf die auch in weiteren 
Kreisen bekannt gewordenen Arbeiten v. Cyon’s. Dieser Forscher 
stellte, gestützt auf die Ergebnisse seiner direkten Reizversuche 
an der Glandula pituitaria die Theorie auf, dass die Hypophyse 
dazu bestimmt sei, automatisch deu intracraniellen Blutdruck zu 
regulieren. Jede Druckerhöhung im Innern der Schädelkapsel 
errege auf mechanischem Wege die Hypophyse, diese Erregung 
werde reflektorisch auf die Vaguscentren übertragen und somit 
eine Verlangsamung und Verstärkung der Herzschläge herbei¬ 
geführt. Zu gleicher Zeit wurde durch die im Vagus verlaufenden 
Vasodilatatoren eine Erweiterung der Schilddrüsengefässe hervor¬ 
gerufen und hierdurch eine Ableitung überschüssiger Blutmengen 
vom Gehirn in entlegenere Rörpergebiete bewirkt. In Durch¬ 
führung dieser wichtigen Aufgaben würde also die Hypophyse 
bis zu einem gewissen Grade die Aktionsfähigkeit des Central- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 8. 


organs beherrschen; ihre Integrität würde den normalen Ablauf 
der Hirnfunktiouen gewährleisten. 

Die mechanische Theorie ist heute fast allgemein verlassen, 
da sie, wie eine Reihe von Untersuchungen gezeigt haben, auf 
falschen Fundamenten aufgebaut ist (cf. Biedl). Die Hypophyse 
wirkt nur durch die in den Kreislauf abgesonderten chemischen 
Sekrete. Auch die überragende Bedeutung, die v. Cyon der 
Drüse für den Ablauf der normalen Hirnfunktionen zuschreibt, 
wird schwerlich anerkannt werden, wenngleich ihr machtvoller 
Einfluss auf das organische Geschehen überhaupt nicht unterschäzt 
werden darf. 

In seinem kürzlich erschienenen Buche über die Gefässdrüsen 
verleiht v. Cyon weiterhin der Meinung Ausdruck, dass die 
Hypophyse vielleicht befähigt sei, in gewissem Sinne die Rolle 
zu erlüllen, die Descartes der Zirbel zugeschrieben hat; die 
Hypophyse könne als Verbindungsknoten gelten, in dem sämt¬ 
liche Lebensfäden zusammeuträfen, sie sei der Sitz der „Lebens¬ 
seele“. 

Die geistreichen Spekulationen v. Cyon’s ermangeln indessen 
einer tieferen Begründung. Zunächst möchte es überhaupt ver¬ 
fehlt erscheinen, den Sitz der Seele in einen kleineren Hirn¬ 
abschnitt zu verlegen, während die Erfahrungen der Physiologie 
und Pathologie uns zwingen, nur das Gesamtgehirn als Seelen¬ 
organ anzusprechen. Fernerhin zeigen alle bisherigen Forschungen, 
dass die Hypophyse im wesentlichen Circulaiion und Stoffwechsel¬ 
vorgänge beeinflusst, dass ihr hingegen an der Regulation der 
psychischen Funktionen nur ein beschränkter Anteil zu¬ 
kommt. 

Weit wichtiger als die Theorien v. Cyon’s erscheinen seine 
Feststellungen wichtiger Einzelsymptome, die sich bei zahlreichen 
Versuchsreihen ergaben. Die direkte Reizung der Hypophyse be¬ 
wirkte häufig das Auftreten clonischer oder epileptischer Krämpfe, 
die besonders gegen Ende der Reizung die Versuchstiere befielen. 
Zweifellos spielt hier die durch die Hypophysenreizung bedingte 
Sekretionsveränderung eine hervorragende Rolle; und im Einklang 
mit dem Experiment stehen die klinischen Erfahrungen, welche 
in der Aetiologie der Epilepsie den Stoffwechselvorgängen einen 
breiten Spielraum zumessen. Ausserdem sah v. Cyon nach 
länger dauernder Reizung der Hypophyse beim Kaninchen deut¬ 
liche Erektionen 1 ). Auch diese Tatsache scheint von grosser Be¬ 
deutung, da die Hypophyse, wie wir noch sehen werden, in engem 
Konnex mit den Sexualfunktionen steht. 

Bemerkenswerte Aufschlüsse über den Zusammenhang zwischen 
Hypophyse und Psyche vermitteln uns die Exstirpationsversuche, 
die in letzter Zeit von mehreren Autoren unternommen worden 
sind. Das Bild der Cachexia hypophysipriva (Cusbing) 
wie es nach Totalentfernung des Hirnanhangs zutage tritt, offeu- 
hart uns tiefgreifende Veränderungen. Die Versuchstiere verfallen 
io einen Zustand völliger Indoleuz und stumpfen Trägheit, werden 
apathisch, interesselos und enden schliesslich im Coma. Auch 
Aschner fand seine Hunde, denen die Hypophyse exstirpiert 
worden war, auffallend still, indolent und bewegungsarra. 

Die partielle Exstirpation des Hypophysenvorderlappens ergab 
ähnliche Ausfallerscheinungen. Auch hier zeigten sich mehr oder 
minder grosse Stumpfheit und Lethargie. Ausserdem macht sich 
ein deutlicher Rückgang der sexuellen Funktionen geltend. Wir 
verzeichnen also bei allen Exstirpationsversuchen vor allem eine 
wesentliche Abschwächung des Affektlebens. 

Wichtige Anhaltspunkte für die Beurteilung der Hypo- 
pbysenfunktionen liefern die Erfahrungen der Klinik. Zwei 
Krankbeitsbilder sind es, die wir von einer pathologischen Ver¬ 
änderung der Hypophyse abhängig zu machen gewohnt sind, die 
Akromegalie und die Dystrophia adiposo-genitalis. Die Patho¬ 
genese der Akromegalie ist in wesentlichen Punkten klargelegt, 
wenngleich auch hier noch manche prinzipielle Streitfrage un¬ 
gelöst bleibt. Soviel ist jedenfalls sicher, dass der Hypersekretion 
der Hypophyse ein nicht zu unterschätzender Anteil an der Ent¬ 
stehung des Leidens zukommt. Insbesondere deuten die jüngst 
bei Akromegalie erzielten Operationserfolge auf die essentielle 
Bedeutung des Hirnanhangs. Ich möchte aber nicht unterlassen, 
im Gegensatz hierzu auf den unverkennbar polyglandulären 
Charakter des Leidens hinzuweisen. 

Anders liegen die Verhältnisse bei der Dystrophia adiposo- 
genitalis. Hier wird einerseits die verminderte Sekretion des 


Vorderlappens, andererseits die Hoposekretion des Hinterlappens 
angeschuldigt. Von einer dritten Gruppe von Autoren wird die 
Ursache der Krankheit in ausserhalb der Hypophyse gelegene 
Schädlichkeiten verlegt. Wie bekannt, hat Erd heim, gestützt 
auf die völlig negative Hypophysenbefunde in einzelnen Fällen 
von cerebraler Fettsucht, die Entstehung des Leidens auf eine 
Schädigung der Hirnbasis zurückgeführt und hierbei besonders 
eine Läsien des Infundibulums in Erwägung gezogen. Um 
gleich mit der letztgenannten Theorie anzufangen, so lässt sich 
hierzu, speziell wenn man sich die Herring’schen Ergebnisse be¬ 
züglich der Sekretion des Hypophysenhinterlappens gegenwärtig 
hält, folgendes sagen: Durch die Läsion resp. Kompression des 
lufuudibulums wird der Sekretabfluss aus dem Hinterlappen in den 
dritten Ventrikel behindert und hierdurch dem Organismus ein not¬ 
wendiges Drüsenprodukt entzogen, es besteht also ein zweifel¬ 
loser Hypopituitarismus (in bezug auf den Hinterlappen). Dem¬ 
nach würde also auch in den Fällen, in denen die Hypophyse 
intakt gefunden wird, die Krankheit durch eine indirekte Schädi¬ 
gung der Drüse hervorgerufen, so dass die Annahme einer 
extrahypophysären Ursache sich hiermit erübrigte 1 ). 

Aeusserst schwierig ist bei dem heutigen Stand der Dinge 
die Entscheidung, ob Vorder- oder Hinterlappen. Bei der quali¬ 
tativen Differenz beider Hypophysenabschnitte erscheint . es 
duichaus notwendig, die Erkrankung von einem derselben ab¬ 
hängig zu machen, nicht etwa wahllos bald von dem einen, bald 
von dem andern. Von diesem unitaristischen Standpunkt aus kann 
man die Tatsache, dass ein und derselbe Krankheitsprozess so¬ 
wohl vom Vorder- als vom Hinterlappen erzeugt worden ist, zu¬ 
nächst mit der Annahme eines eugen Wechsel Verhältnisses 
zwischen beiden Drüsenlappen erklären. Der Umstand, dass je¬ 
weils die experimentelle resp. klinische Hyposekretion eines 
der beiden Lappen die Krankheit hervorrief, kann so gedeutet 
werden, dass beide Hypophysenabschnitte sich gegenseitig in 
ihrer Tätigkeit unterstützen: steigert sich die Sekretion des einen, 
wird auch die des zweiten zunehmen; wird hingegen die des 
ersten reduziert, so verringert sich auch die des anderen. Um 
nunmehr auf den Kernpunkt des Problems zu kommen, so 
möchten wir uns — entgegen einer früher geäusserten Ansicht — 
jetzt zu der Anschauung bekennen, dass eine Hyposekretion des 
Hinterlappens die Entstehung der Dystrophia adiposo-genitalis 
veranlasst (Fischer). Zu dieser Ueberzeugung führen uns einerseits 
die Experimente Cushing’s, der durch operative Ausschaltung 
des Hiuterlappens das Krankheitsbild erzeugte, andererseits jene 
Minderzahl von Fällen, in denen die Hypophyse selbst intakt ge¬ 
funden, dielnfundibularregion jedoch durch einenTumorkomprimiert 
wurde. Es ist das also gerade jene Gruppe, in der Erd heim 
eine Schädigung der Hirnbasis supponiert hat. Es wurde 
weiter oben darauf hingewiesen, dass in diesen Fällen durch 
den auf den Trichter ausgeübten Druck wahrscheinlich der 
Sekretstrom aus dem Hinterlappen in dem dritten Ventrikel ge¬ 
hemmt und hierdurch ein zweifelloser Hypopituitarismus (notabene 
nur in bezug auf den Hinterlappen) geschaffen wird. Die Fälle, 
in denen die Krankheit sich scheinbar nach einer Verringerung 
der Vorderlappensekretion entwickelt, kommen nach unserer Auf¬ 
fassung nur durch die korrelative Funktionsverminderung des 
Hinterlappens, welche der des Vorderlappens unmittelbar folgt, 
zustande. — In der heutigen Zeit, in der Klinik und Experiment 
uns unaufhörlich eine Fülle neuer und unerwarteter Ergebnisse 
liefern, werden selbstverständlich auch die Auffassungen über die 
Pathogenese der Hypophysenerkrankungen ständig wechseln. Wir 
alle sind gezwungen, unsere theoretischen Deduktionen den prak¬ 
tischen Erfahrungen unterzuordnen, behalten aber dabei im Auge, 
dass all unsere Reflexionen nur Augenblickswerte repräsentieren 
und lediglich einen Schritt aufwärts zu immer vollkommenerer 
Erkenntnis bedeuten. Tagtäglich stürzt mühsam errungenes 
Wissen, und für kurze Zeit strahlt dann der Schimmer einer 
neuen Lehre, bis wieder, verdunkelt von hellerem Schein, auch 
ihr Licht erbleicht. 

(Schluss folgt.) 


1) A sehn er verwertet die Erdbeim’sche Hypothese für die nach 
Abschluss des Wachstums auftretende Dysplasia adiposo-genitalis. Cfr. 
hierzu die neuesten Versuche A sehn er ’s, in denen es ihm gelang, bei 
erwachsenen Hunden nach Hypothalamusverletzung Genitalatropbie zu 
erzeugen. 


1) Neuerdings von Aschner nicht bestätigt. 


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24. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


353 


Die angeborene Httftgelenkverrenkung. 

Kritisches Uebersichtsreferat. 

Von 

Dr. Bruno Kinne. 

Uosere Kenntnisse von der angeborenen Hüftverrenkung haben 
io den letzten Jahren relativ reiche Förderung von seiten ver¬ 
schiedener Forscher erfahren. Die Aetiologiefrage ist freilich 
trotz mannigfacher darauf gerichteter Untersuchungen ihrer end¬ 
gültigen Entscheidung noch keinen sicheren Schritt näher ge¬ 
kommen. Nach wie vor ist die alte Streitfrage lebendig, welche 
schon seit lange die Forscher in zwei Lager spaltet, in die Ver¬ 
treter der Belastungstheorie und die des Vitium primae forroationis. 

Neuerdings sind die Verfasser in ihrem Urteil zurückhaltender 
geworden, indem sie nur für die von ihnen vorgebrachten Fälle 
zur Annahme eines primären oder sekundären ätiologischen 
Faktors sich bekennen. So schliesst Landwehr aus dem Fehlen 
reaktiver Vorgänge im Acetabulum an den von ihm beschriebenen 
fötalen Luxationspräparaten, dass „in solchen Fällen“ die Luxation 
nicht auf eine primäre Keimesvariation zurückzuführen sei. Die 
Japaner Hayashi und Matsuoka, welche die bisher zur Sektion 
gekommenen 56 Fälle angeborener Hüftverrenkung in verdienst¬ 
voller Weise zusammengestellt und ein eigenes einschlägiges 
Präparat anatomisch und radiologisch genau untersucht haben, 
sind dagegen geneigt, die anatomischen Veränderungen von Kopf 
and Pfanne als primäre anzusprechen, während sie die Luxation 
selbst als sekundär durch andere Momente, z. B. Uterusdruck usw., 
entstanden sehen wollen. Galeazzi ist geneigt, seine günstigen 
Heilerfolge mittels einfacher Detorsion des Femurs, welche es 
wahrscheinlich machen, dass die Antetorsion des oberen Femurendes 
das hauptsächlichste Element der Deformität ist, als Beweis für 
die anthropologische Theorie von Le Damany anzuseben. Die 
Zusammenstellung der japanischen Autoren gewährt jedenfalls 
in bezug auf Häufigkeit und Charakter der pathologisch anatomi¬ 
schen Veränderungen der angeborenen Hüftverrenkung in den ver¬ 
schiedenen Lebensaltern einen äusserst instruktiven Ueberblick. 
Als Hauptergebnisse seien hier angeführt: 

Die Luxationspfanne und der Schenkelhals weisen schon bei 
Föten — mit Ausnahme des Grawitz’schen Falles — deutliche 
Deformierung auf. Das Ligamentum teres erweist sich schon 
fötal bald zerrissen, bald verlängert, bald verdickt. Aus der Be¬ 
schreibung geht ferner hervor, dass das Ligament beim Fötus 
nie fehlt, was übrigens Landwehr besonders hervorhebt. Bei 
den noch nicht gehenden Kindern finden sich alle Deformierungen 
entsprechend fortgeschritten. Bei den gehenden Kindern und Er¬ 
wachsenen nehmen die knöchernen Formveränderungen mehr und 
mehr zu bis zum Verschwinden des Kopfes und zur völligen 
Planierung der Pfanne. Schon beim Fötus findet sich häufig die 
Pfanne mit pathologischer Gewebswucherung, meist Fettgewebe, 
angefüllt. 

Ob an dieser Wucherung ausser dem Fett noch andere 
Gewebsarten teilnehmen, wird nicht erörtert, ist wohl auch nicht 
in das Bereich der Untersuchung gezogen worden. Jedenfalls 
betonen Ludloff und Landwehr auf Grund ihrer Befunde, dass 
die knöchernen Pfannen teile bei sehr jungen Präparaten über¬ 
raschend geringe Veränderungen aufweisen. Insbesondere ver¬ 
missen sie in der Tiefe der Pfanne knöcherne oder knorpelige 
Excrescenzen vollständig, und Laudwehr konstatiert durch 
Messung bei einer einseitigen fötalen Luxation eine vollständige 
Uebereinstimmung in der Dicke des Pfannenbodens. Diese Fest¬ 
stellung verdient eine besondere Unterstreichung gegenüber der 
allgemein in Geltung befindlichen Anschauung, dass die kon¬ 
genitale Hüftluxation von der spastischen röntgenologisch sich 
durch die Verdickung des Pfannenbodens, die doppelte Kon¬ 
turierung des vorderen unteren Pfannendaches und andere 
Wachstumsstörungen auszeichne. Im Einzelfall ist jedenfalls die 
Unterscheidung der kongenitalen von der spastischen Luxation 
nicht immer so einfach und sicher, zumal wenn man sich ver¬ 
gegenwärtigt, dass selbst schwere Pfannenveränderuogen nicht 
notwendig primäre Hemmungsbildungen repräsentieren, sondern 
erfahrungsgemäss ebensogut sekundärer Natur sein können. Auch 
die gar nicht so seltenen Kombinationen der angeborenen Hüft¬ 
verrenkung mit anderen angeborenen Deformitäten, wie Klutnpfuss, 
Schiefhals, Ulnadefekt, Luxation der Hand, haben bisher das 
ätiologische Problem in keiner Weise zu klären vermocht, da 
auch für jene Begleitdeformitäten die Frage der endogenen oder 
exogenen Entstehung strittig geblieben ist. Die angeborene Ver¬ 


renkung des Hüftgelenks kann aber auch mit einer andersartigen 
Erkrankung desselben Zusammentreffen; hierher gehört eine Mit¬ 
teilung Chlumsky’s, der an einem noch nicht reponierten Gelenk 
eine Coxitis tuberculosa sich etablieren sah. Was die Sympto¬ 
matologie betrifft, so nehmen die meisten Autoren neuerdings an, 
dass die schon längst bekannte, aber nicht genug gewürdigte 
Antetorsion des oberen Femurendes eines der wesentlichsten 
Elemente der Deformität darstellt. Galeazzi misst diesem 
Symptom bezüglich Indikation und Therapie eine so hohe Be¬ 
deutung bei, dass er, wie weiter unten ausgeführt werden soll, 
ein besonderes Einrenkungsverfahren darauf begründet bat. Als 
ein neues diagnostisches Zeichen einseitiger kongenitaler Hüft¬ 
luxation bei kleinen Kindern erklärt Savariaud die Längen¬ 
differenz der Beine, die am deutlichsten hervortreten soll, wenn 
das ausgestreckt liegende Kind den Oberkörper aufrichtet, während 
der Untersucher die Knie des Kindes fest auf die Unterlage drückt. 

In der Therapie bat die unblutige Einrenkung sich gegenüber 
den Vorschlägen blutiger Eingriffe nicht nur behauptet, sondern 
mehr und mehr an Boden gewonnen. Die blutige Operation 
kommt demnach nur noch für die veralteten Fälle angeborener 
Hüftausrenkung in Betracht. Mit der Vervollkommnung der 
Technik ist auch die Zahl der Heilerfolge beträchtlich gestiegen. 
Im Durchschnitt werden heute 60—80 pCt. anatomische Heilungen 
mit dem unblutigen Verfahren erzielt. Böcker berichtet über 
65 pCt. vollständige Heilungen, Stumme-Leipzig kann sogar bei 
einseitiger Affektion 90 pCt., bei doppelseitiger 80 pCt. Heilresul¬ 
tate verzeichnen. Unangenehm wurde von jeher bei Arzt und 
Publikum die lange Dauer des an sich schon mit viel Belästigung 
verbundenen Verfahrens empfunden. Schon frühzeitig hat es des¬ 
halb nicht an Bestrebungen gefehlt, hierin Wandel zu schaffen. 
So bat Schanz wohl als einer der ersten eine Herabsetzung der 
Fixationsdauer nach der Reposition empfohlen. Redard verwirft 
eine allzulange fortgesetzte Immobilisation, besonders aus dem 
Grunde, weil durch sie die Wahrscheinlichkeit des Eintritts schäd¬ 
licher Folgezustände, auf die ich noch zu sprechen kommen werde, 
erhöht wird. Gaugele zeigt neuerdings, dass es möglich sei, 
wenn auch nicht die ganze Behandlungsperiode, so doch wenigstens 
die Zeit der Gipsfixation zu verkürzen. Er appliziert einen Gips¬ 
verband nur für 15 Wochen und verabfolgt dann einen von ihm 
konstruierten, mit Oberschenkelhülsen versehenen Beckenkorb, mit 
dem die Kinder vom ersten Tage an gehen. Der Verfasser be¬ 
hauptet, bei dieser Methode auch den Vorteil zu haben, dass eine 
eigentliche Nachbehandlung des reponierten Gelenkes uonötig 
werde. Neuere therapeutische Vorschläge richten sich gegen die 
erwähnte Antetorsion des oberen Femurendes, die oft genug die 
anfänglichen Erfolge der Reposition später in Frage stellt. D reese¬ 
mann, Lange und anderen zufolge soll allerdings nach der Ein¬ 
richtung des Gelenkes häufig eine spontane Besserung in der 
Richtung des Femurendes eintreten. Galeazzi meint dagegen, 
dass die Spontanheilungen seltener seien, als man annimmt. 
Lorenz hält eine ausgesprochene Antetorsion überhaupt keiner 
freiwilligen Besserung fähig; von den leichteren lässt er es da¬ 
hingestellt; jedenfalls seien letztere allem Anschein nach mit einer 
dauernden Reposition vereinbar. Bezüglich der hochgradigeren 
Antetorsion hat heute die Ansicht die Oberhand gewonnen, dass 
sie operativ korrigiert werden müsse. Schede empfahl als geeig¬ 
netes Verfahren bekanntlich die Detorsio tarda, während Reiner 
der präliminären Detorsion des Femur, an welche sich erst die 
eigentliche Reposition anzuschliessen habe, den Vorzug gibt. So¬ 
wohl der Schede’schen wie der Reiner’schen Methode ist der 
Nachteil gemeinsam, dass sie zwei Sitzungen erfordern, was auf 
die Eltern oft abschreckend wirkt. Dass sich beide Akte in einer 
Operation vereinigen lassen, zeigt Lorenz mit seiner Detorsio 
simultanea, welche er auf dem vorjährigen Orthopädenkongress 
empfahl. Er nimmt zunächst eine provisorische Einrenkung vor, 
welche er dann wieder reluxiert. Es folgt die supracondyläre 
Osteoklase des Femur und die Drehung des Unterschenkels nach 
aussen, bis die Condylenachse mit dem Schenkelhals parallel 
steht. Als dritte Phase schliesst sich die definitive Reposition 
und der Gipsverband an. Gegen die präliminäre Osteoklase haben 
sich Lange und Böcker ausgesprochen, indem sie behaupten, 
dass derartige Fälle durch blosse Einwärtsrotation im Gipsverband 
meist ausgezeichnete funktionelle Resultate ergeben. Galeazzi 
legt in seiner kürzlich veröffentlichten Methode der unblutigen 
Behandlung der angeborenen Hüftverrenkung das Hauptgewicht 
auf die Beseitigung der Schenkelantetorsion, welche er, wie schon 
angedeutet, als das wichtigste Element der Deformität anzusehen 
geneigt ist,- Mit Hilfe eines von ihm angegebenen Torsionsgonio- 

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354 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 8. 


meters stellt er zunächst genau den Grad der Antetorsion fest, 
ln Narkose wird nun das Femur zu einer Rotation nach innen 
gezwungen, und zwar im Verhältnis zu dem jeweiligen Grade der 
Antetorsion. In dieser Stellung wird bei leichter Flexion und 
Abduktion der Höfte und leicht gebeugtem Knie der Gipsverband 
angelegt. Der Verband wird nach 12—15 Tagen entfernt, die 
Stellung des Kopfes durch Röntgenaufnahme kontrolliert, darauf 
ein zweiter Gips für 60—70 Tage appliziert. Der dritte Gips¬ 
verband wird in gleicher Innenrotation bei verminderter Abduk¬ 
tion für 1 Monat getragen. Verf. hat aus seinen Erfahrungen 
mit der Methode die Ueberzeugung gewonnen, dass die prolon¬ 
gierte Innenrotation in Verbindung mit Abduktion und leichter 
Flexion die Aufgabe erfülle, die Verkürzung und Spannung der 
Aussenrotatoren zu bessern und der vorderen Kopfhaube der 
Kapsel die Erlangung der nötigen Widerstandskraft zu ermög¬ 
lichen, eine Ansicht, die Lorenz übrigens nicht teilt. Die Heilung 
geht dann nach Galeazzi weiter so vor sich, dass das untere 
Femurende von selbst, und auch durch die verordneten Detorsions- 
übnngen darin unterstützt, allmählich wieder zur Mittelstellung 
zorückkehrt. Verf. hat von SO Patienten 22 auf diese Weise 
vollständig geheilt, weitere 7 befinden sich noch in gleicher Be¬ 
handlung und versprechen denselben Erfolg. Verf. betont, dass 
bei frühem Eingreifen mittels der einfachen Detorsion völlige 
Heilung der angeborenen Hüftverrenkung erzielt werden könne, 
allerdings seien auch nur bestimmte Fälle dieser einfachen Ein¬ 
renkungsmethode zugänglich. Wenn Galeazzi eine starke Ab¬ 
duktionsstellung des Schenkels für die Retention des Kopfes nicht 
immer für nützlich hält, so stimmt er darin mit neuerlichen Aus¬ 
lassungen von Lorenz überein. Auch v. Ohlumsky ist der 
Meinung, dass durch allzu starke Abduktionshaltung des Beines 
die konzentrische Einstellung des Kopfes oft unmöglich gemacht 
wird. Redard schlägt vor, die Patienten erst gehen zu lassen, 
wenn die Stellung der Hüfte normal ist, in der Ueberzeugung, 
dass vor allem die Belastung in anormaler Stellung sowie die 
lange dauernde Immobilisation es seien, welche für die Entstehung 
der unangenehmen Spätfolgen, die an reponierlen Hüftgelenken 
nicht selten beobachtet werden, verantwortlich gemacht werden 
müssten. Mit diesen sehr beachtenswerten Spätfolgen der un¬ 
blutigen Reposition sind wir erst durch neuere Arbeiten ver¬ 
schiedener Autoren bekannt geworden. Die Veränderungen, deren 
relative Häufigkeit jetzt von den verschiedensten Kliniken, an 
denen darauf gerichtete Untersuchungen angestellt wurden, be¬ 
stätigt wird, scheinen zunächst gegen die in Geltung stehende 
Anschauung zu sprechen, dass durch das Einstellen des form¬ 
gebenden Kopfes in die Pfanne eine Umwandlung der Gelenkteile 
im Sinne normaler Umgestaltung zustande kommen soll. E9 er¬ 
hebt sich die Frage, wie denn dasselbe „Repositionstrauma“, 
welches so deletäre und degenerative Wirkungen nach sich zieht, 
zugleich den Anlass und die Vorbedingungen für eine wunderbar 
vollendete biologische Regeneration der Gelenkteile geben soll. 
Andererseits ist aber auch die letztere Erscheinung durch viel¬ 
fache und zuverlässige Beobachtungen anerkannt worden. Noch 
kürzlich sah Vulpius anlässlich der Sektion eines von ihm vor 
3 Jahren eingerenkten Patienten völlig normale Gelenkverhältnisse 
vorliegen. Böcker, der seine Patienten bis 10 Jahre nach der 
Reposition nachuntersuchte, findet ebenfalls 3 Jahre nach der 
Einrenkung keine Unterschiede vom Normalen mehr und äussert 
sich dahin, dass in der Mehrzahl der Fälle auch später sich keine 
Veränderungen mehr einstellen. Weil hält es für erwiesen, dass 
die verkümmerte Hüftpfanne in dem Moment sich normal auszu¬ 
bilden beginne, wo der Kopf an seinen richtigen Platz zurück¬ 
gebracht sei. Ihm widerspricht Redard, nach dem diese gün¬ 
stigen Veränderungen nur sehr langsam und unvollkommen vor 
sich gehen. Den günstigen Spätfolgen steht eine grosse Reihe 
ungünstiger gegenüber. Als häufigste werden von den Unter¬ 
suchern angegeben Coxa vara, sehr selten Coxa valga, Verkürzun¬ 
gen des Schenkelhalses, Deformierung und völliges Verschwinden 
des Kopfes, bisweilen deformierende Gelenkentzündung. Böcker 
berichtet über einen sehr seltenen Fall, einen Patienten betreffend, 
bei dem sich 5 Jahre nach erfolgter Reposition infolge fortge¬ 
schrittener Deformierung des Kopfes und der Pfanne sowie der 
Antetorsion des oberen Femurendes eine willkürliche Luxation 
entwickelt hatte. Lange fand in 47,5 pCt. seiner Fälle eine spät 
einsetzende Verbiegung des anfänglich normalen Schenkelhalses, 
ebenso häufig Kopfdeformierungen und Kopfverlust. Pürckhauer 
und ßgloff kommen sogar auf 62,5 pCt., ein Resultat, wie es 
ähnlich vorher von Horvarth, Froelich und Redard ange¬ 
geben worden ist. Von Preiser werden 2 Fälle beschrieben, bei 


denen die anfangs vorhandene Knochenkernanlage des Schenkel¬ 
kopfes sich zuiückbildete. Ludloff führt das Entstehen der 
Coxa vara auf eine Loslösung und Verschiebung der Epiphyse 
zurück, Horvarth glaubt an eine akute reflektorische Knochen¬ 
atrophie als Folge des Repositionstraumas. Redard nimmt da¬ 
gegen eine Art destruierender Ostitis an, die zu Kalkveraimung, 
Widerstandseinbusse bzw. partieller oder vollständiger Resorption 
des Femurendes führt. Als Hauptursache der Komplikationen 
betrachtet er die lange dauernde Immobilisation sowie das Gehen 
bei anormaler Stellung der Gelenkteile. 

Nach Bibergeil bietet ein Teil der Gelenkveränderungen 
das typische Bild der Arthritis deformans, welcher Affektion sie 
auch zugerechnet werden müssen. Aus Bibergeil’s, Egloff’s 
und Pürckhauer’s Untersuchungen geht als wichtige neue Er¬ 
kenntnis hervor, dass nicht in erBter Linie die Pfanne sich nach 
dem Kopf bildet, sondern dass umgekehrt meist der weichere 
Kopf von den Unebenheiten der Pfanne zurecbtgeschliffen wird. 
Bibergeil meint, dass durch das Repositionstrauma nur die 
Disposition geschaffen werde, während die eigentliche Ursache 
der deformierenden Arthritis wohl auf eine Gelenkflächeninkongruenz 
im Sinne Preiser’s zurückzuführen sei. Wie nun diese Ent- 
artungserscheinungen reponierter Hüftgelenke mit den ebenfalls 
gesicherten Beobachtungen einer Umwandlung zu normalen Formen 
in Einklang zu bringen sind, bleibt vorläufig unklar und muss 
künftiger Formulierung überlassen bleiben. Vorläufig fehlt es an 
der rechten Motivierung, warum Kopf und Pfanne zunächst schön 
normal werden sollen, um dann plötzlich nach einer Reihe von 
Jahren, bei annähernd normal gewordener Funktion, ohne rechten 
Anlass pathologischer Wachstumsänderung und Zerstörung an¬ 
heimzufallen. 

Aus der übereinstimmend angenommenen Häufigkeit der Ver¬ 
änderungen scheint hervorzugeben, dass man die Prognose der 
unblutig eingerenkten angeborenen Hüftgelenkverrenkung bisher 
zu günstig angenommen hat. Hingegen betonen die Autoren, 
dass es sich doch vorwiegend um rein anatomische Veränderungen 
handelt, während nach allgemeiner Erfahrung die Funktion des 
Gelenks meist keine wesentliche Beeinträchtigung erfährt. 

Ueber eine ganz andersartige, bisher nicht bekanntgewordene 
Komplikation nach gelungener Einrenkung berichtet Springer, 
welcher unter 150 Patienten 5 mal im Anschluss an die Reposition 
das Auftreten eiuer Cystitis beobachtete. Alle 5 Kinder waren 
Mädchen; bei 4 von ihnen war die Affektion doppelseitig, bei 
einem einseitig. Auf 34 Mädchen mit doppelseitiger Luxation 
entfielen 4 Cystitiden, also 12pCt. Springer erklärt sich das 
Zustandekommen der Blasenaffektion aus der Spreizstellung der 
Beine, dem dadurch bewirkten Klaffen des Anfangsteils der 
Urethra in Verbindung mit einem Oedem dieses Organteils, welches 
sich infolge Drucks der prominenten Femurköpfe auf die Schenkel¬ 
venen entwickelt. Die Komplikation pflegt unter interner Behand¬ 
lung in kurzer Zeit wieder zu verschwinden. 


Literatur. 

Bibergeil, Spätfolgen nach unblutig reponierter Hüftverrenkung. 
Verhandl. d. Ges. f. orthopäd. Cbir., 1912. Derselbe, Weitere Mit¬ 
teilungen über Osteoarthritis deformans coxae juvenilis, zugleich ein Bei¬ 
trag zu den Spätfolgen nach unblutig reponierter Hüftluxation. Zeit¬ 
schrift f. orthopäd. Cbir., 1912, Bd. 30, S. 162. — Böcker, Ueber eine 
seltene Spätkomplikation nach unblutig eingerenkter angeborener Hüft¬ 
verrenkung. Archiv f. Orthopäd., 1912, Bd. 11, S. 339. — v. Cblumsky, 
Beiträge zur Aetiologie und Therapie der kongenitalen Hüftgelenkluxation. 
Centralbl. f. chir. u. mechan. Orthopäd., 1912, Bd. 5, H. 10. — Galeazzi, 
Ueber die unblutige Behandlung der kongenitalen Hüftgelenkverrenkung. 
Zeitschr. f. orthopäd. Cbir., 1913, Bd. 81, S. 202. Derselbe, Contri- 
buto alla cura incruenta della lussazione congenita doll’ anca. Soc. 
Lombarda di scienze med. e biolog. di Milano, 15 febbraio 1912. — 
Gaugele, Ueber die Abkürzung der Gipsfixationsdauer bei der an¬ 
geborenen Hüftverrenkung. Zeitschr. f. orthopäd. Chir., 1912, Bd. 30, 
S. 375. — Hayashi und Matsuoka, Anatomische und radiologische 
Untersuchungen der Knochengerüste der kongenital verrenkten Hüft¬ 
gelenke. Zeitschr. f. orthopäd. Chir., 1912, Bd. 30, S. 197. — Land¬ 
wehr, Beiträge zur Anatomie der Luxatio coxae congenita. Zeitschr. f. 
orthopäd. Chir., 1912, Bd. 30, S. 55. — Lorenz, Ueber die künstliche 
Detorsion des Schenkelhalses bei kongenitaler Hüftverrenkung. Verhandl. 
d. Deutschen Ges. f. orthopäd. Chir., 1912. — Preiser, Coxa vara 
nach Einrenkung von angeborener Hüftluxation« Aerztlicber Verein zu 
Hamburg, 5. Dezember 1911. — Savariaud, Diagnostic de la luxation 
congenitale unilaterale chez le jeune enfant. Description d’un Symptome 
nouveau. Soc. de chir. de Paris, 20. Dezember 1911. Rev. de chir., 
Bd. 45, S. 350. — Warren Sever, The causes and treatraent of para- 
lytic dislocations and subluxations of the hip-joint. Boston med. and 


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24. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


366 


surg. journ., Bd. 165, Nr. 9. — Springer, Cystitis im Gefolge der un¬ 
blutigen Einrichtung der angeborenen Hüftverrenkung. Zeitschr. f. 
ortbopäd. Chir., 1912, Bd. 30, S. 257. — Stumme, Kongenitale Hüft¬ 
gelenk luxationen. Med. Ges. zu Leipzig, 23. Januar 1912. — Redard, 
Ueber die Spätresultate bei unblutig behandelten Hüftgelenkluxationen. 
Zeitschr. f. orthopäd. Chir., 1912, Bd. 30, S. 43. — Vulpius, Ein 
Präparat von reponierter kongenitaler Hüftluxation. Centralbl. f. chir. 
u. mechan. Ortbopäd., Bd. 5, H. 12. 


Bücherbesprechungen. 

P. t. Brus, C. darre und H. Küttaer: Handbuch der praktischen 
Chirurgie. Vierte umgearbeitete Auflage. 5 Bände. 1. und 
2. Lieferung. Stuttgart 1912, F. Enke. Je 224 Seiten. Preis 
je 6 Mark. 

Das „Handbuch der praktischen Chirurgie“ erscheint in wesentlich 
verjüngter Form jetzt bereits in der 4. Auflage. Es hat seit seinem 
ersten Erscheinen eine stetig zunehmende Verbreitung gefunden und ist 
auch im Auslande durch Uebersetzung in fast alle Weltsprachen weithin 
bekannt. Nach dem Heimgange von E. v. Bergmann sind Gar re - 
Bonn und Küttner-Breslau als Mitherausgeber gewonnen worden. Die 
Neuauflage ist in allen Abschnitten wesentlich verbessert, zum Teil neu 
bearbeitet und mit zahlreichen neuen Illustrationen ausgestattet. Zu 
den bisherigen Mitarbeitern sind noch v. Brunn-Tübingen, Heineke- 
Leipzig, Rehn und Klose-Frankfurt a. M., Perthes-Tübingen, Sauer¬ 
bruch und Schumacher-Züricb, Stoeckel-Kiel, Voelcker-Heidel- 
berg und 0. Zuckerkandl-Wien hinzugetreten. Zwei Abschnitte, „Die 
Chirurgie der Thymusdrüse“ und „Die Chirurgie der weiblichen Harn- 
organe“ sind gänzlich neu eingefügt worden. Die erste Lieferung ent¬ 
hält die Chirurgie des Schädels und der weichen Schädeldecken; sie bat 
durch Küttner eine umfangreiche Neubearbeitung erfahren; zahlreiche 
Ergänzungen im Text, Einfügung neuer Kapitel und vorzügliche Figuren 
aus der Breslauer Klinik lassen Küttner’s ordnende Hand erkennen. 
Die zweite Lieferung enthält die Chirurgie der Bauchdecken (Steinthal- 
Stuttgart), des Peritoneums (Körte-Berlin), des Magens und Darms 
(Kausch-Berlin); auch hier finden wir allenthalben das Bestreben, 
die Materie dem neuesten Stande unseres Wissens und Könnens ent¬ 
sprechend darzustellen, bestens verwirklicht. 

Das Handbuch der praktischen Chirurgie ist keineswegs nur zum 
Gebrauche für den Spezialchirurgen bestimmt. Es will ebenso den an¬ 
gehenden, wie den beschäftigten Praktiker jederzeit in den Stand setzen, 
sich auf jedem Gebiete der Chirurgie, wie es die Arbeit am Krankenbett 
oder das Studium erfordert, schnell und ausreichend zu orientieren. 
Ein genaues alphabetisches Register zu jedem Band erleichtert das rasche 
Auffinden des Gesuchten. Die wichtigen Hinweise auf die einschlägige 
Literatur sind am Schlüsse jedes Kapitels enthalten. Hinweise auf die 
gerichtsärztliche Beurteilung und die Begutachtung vor den Versicherungs¬ 
behörden finden sich bei den bezüglichen Kapiteln. 

Soweit nach den bisher erschienenen Lieferungen ein Urteil erlaubt 
ist, wird sich auch die neue Auflage voll auf der Höhe präsentieren. 
Wir behalten uns vor, auf die folgenden Lieferungen an dieser Stelle 
noch zurückzukommen. 


E. Albert: Diagnostik der ekirnrgischen Krankheiten. Zehnte ver¬ 
mehrte Auflage, herausgegeben von Prof. Karl Ewald. Mit 
55 Holzschnitten. Wien und Leipzig 1912, Alfred Holder. 373 S. 
Preis 7,80 Mark. 

Zwölf Jahre nach E. Albert’s Tod wird seine Diagnostik zum 
zweitenmal von Ewald berausgegeben und ist jetzt bei der zehnten 
Auflage angelangt. Hieraus ist schon ersichtlich, dass die überaus grosse 
Beliebtheit, welcher sich dieses Werk bei Lebzeiten des Meisters erfreute, 
sich bis auf den heutigen Tag erhalten hat. Will mau diesem Werke 
Gerechtigkeit widerfahren lassen, so darf man es nur unter dem Gesichts¬ 
punkt tun, von welchem Ewald bei der Neubearbeitung geleitet wurde. 
In verständlicher Pietät gegen den Meister hat der Schüler sich ledig¬ 
lich auf die Ausgestaltung beschränkt und jede Aenderung des Vor¬ 
handenen nach Möglichkeit vermieden. So vorzüglich nun auch die dia¬ 
gnostischen Methoden dargestellt sind, wie sie Albert in glänzender, 
geistvoller Dialektik vorzutragen verstand, so wenig kann man heut¬ 
zutage mehr ein Buch als Diagnostik der „chirurgischen Krankheiten“ 
bezeichnen, welohes die Errungenschaften der letzten 12 Jahre, wie 
Röntgenuntersuchung, Cystoskopie, Harnleiterkatheterismus, Oesophago- 
und Bronchoskopie, Rectoskopie, die Diagnose der Appendicitis usw. 
gänzlich unberücksichtigt lässt. Gegenüber dem kategorischen Imperativ 
der rastlos fortschreitenden wissenschaftlichen Forschung ist kein Still¬ 
stand, kein Festbalten an Althergebrachtem erlaubt, und auch die Pietät 
findet da ihre Grenzen. Der Herausgeber sollte sich nicht abbalten 
lassen, Albert’s verdienstvolles Werk durch Einfügung der unbedingt 
erforderlichen Ergänzungen der jetzigen Generation als ein modernes 
Buch und nicht als Torso von historischer Bedeutung zu präsentieren. 

J. Lewy: Die ärztliche Gipsteehaik. Ein Leitfaden für Aerzte und 
Studierende. Mit 203 Textabbildungen. Stuttgart 1912, F. Enke. 
165 S. Preis 7 M. 

Die immer mehr an Ausdehnung gewinnende Anwendung des Gips¬ 
verbandes auf den verschiedensten Gebieten der Chirurgie und vor allem 


der Orthopädie haben den Verf. veranlasst, das bisher an vielen Orten 
zerstreute Material zu sammeln und im Verein mit den eigenen, im 
langjährigen Dienste der orthopädischen Universitätsklinik in Freiburg 
gewonnenen Erfahrungen herauszugeben. Auf diese Weise ist ein Lehr¬ 
buch entstanden, welches in Wort und Bild die Technik der mannig¬ 
faltigen, den verschiedensten Zwecken dienenden Gipsverbände und 
-apparate in einer Vollkommenheit darstellt, wie wir sie in den Lehr¬ 
büchern der Chirurgie und Orthopädie vergeblich suchen dürften. Auch 
die Herstellung von Gipsmodellen wird anschaulich geschildert Anhangs¬ 
weise wird auch die Frage der Kunstfehler und der Verantwortlichkeit 
des Arztes beim Anlegen von Gipsverbänden erörtert. Ritschl hebt 
mit Recht in dem der Arbeit gewidmeten Geleitwort hervor, dass das 
Gelingen des Gipsverbandes oft von der Beobachtung einer Summe 
kleiner Kunstgriffe abhängt und der Verf. citiert treffend die Worte von 
Lorenz: „Wem hier pedantische Technizismen kleinlich Vorkommen, 
wird sich in der Praxis sehr bald davon überzeugen, dass das ganze 
Gelingen von denselben abhängt.“ 

Diesen wichtigen Tatsachen trägt Verf. in gewissenhafter Weise 
Rechnung. Die allgemeine Darstellung der Verband- und Modelltechnik, 
der speziellen Verbände, insbesondere auch der Technik des Gipskorsetts 
und des Gipsbettes kann als mustergültig bezeichnet werden. Das Buch 
sei allen, welche auf diesem Gebiete arbeiten, insbesondere auch dem 
praktischen Arzte und den Studierenden, aufs wärmste empfohlen. 

F. Thüle-Hannover: Die Verletzugei der Leber ind der Gallen¬ 
wege. Stuttgart 1912, F. Enke. 204 S. Preis 8,20 M. 

Als 4. Band der von P. v. Bruns herausgegebenen „Neuen deut¬ 
schen Chirurgie“, welche die Fortsetzung des von Billroth und Lücke 
begründeten Sammelwerkes, der „Deutschen Chirurgie“, bildet, sind jetzt 
die „Verletzungen der Leber und Gallenwege“ erschienen. Mit welchem 
Fleiss der Verf. sich der Bearbeitung dieses Gegenstandes gewidmet hat, 
zeigt schon das 48 enggedruckte Seiten umfassende Literaturverzeichnis. 
Der klinischen Bearbeitung der Sticbverletzungen der Leber liegen 
292 Fälle zugrunde; 200 Schussverletzungen und 260 Fälle subcutaner 
Leberruptur hat Tb. aus der Literatur gesammelt. Die Diagnose der 
subcutanen Bauchverletzungen im allgemeinen und der Leberverletzung 
im besonderen, die Gefahren der Leberruptur und des intraabdominellen 
Galleergusses, .der Venenthrombose, Lungenembolie und Leberinfektion 
sind überaus anschaulich geschildert. Der zweite Abschnitt beschäftigt 
sich mit den Indikationen zum operativen Vorgeben und der Technik der 
operativen Behandlung der Leberverletzungen, während der dritte Ab¬ 
schnitt den Verletzungen der Gallenblase und der extrahepatischen 
Gallengänge gewidmet ist. 

Das Werk ist nicht nur für den Kriegschirurgen von grösstem Wert, 
es bildet auch für die Friedenspraxis die wichtigste Fundgrube in allen 
einschlägigen Fällen. _ 


Weil. Albert Hoffa: Technik der Massage. Sechste verbesserte Auf¬ 
lage. Herausgegeben von G. Joacbimsthal. Mit 44 teilweise 
farbigen Abbildungen. Stuttgart 1912, F. Enke. 93 S. Preis 
3 M. 

Albert Hoffa’s „Technik der Massage“ erfreut sich dank ihrer 
knapp gefassten vorzüglichen Darstellung der „anatomischen Massage“ 
in Wort und Bild der grössten Verbreitung in Aerztekreisen. Hoffa 
bat stets den Standpunkt vertreten, dass die Massage lediglich durch 
Aerzte geübt werden solle, und dass ein gänzliches Verbot der Laien¬ 
massage anzustreben sei. Noch in der Vorrede zur letzten Auflage hat 
H. diese Forderung warm befürwortet. Wie man darüber auch denken 
möge: jedenfalls ist der Arzt für die korrekte Ausführung der Massage 
durch Laien verantwortlich; jedenfalls soll ferner der Arzt verant¬ 
wortungsvolle Massagen selbst ausführen. Die auf anatomischen Grund¬ 
lagen sich aufbauende Technik muss er unbedingt beherrschen, und 
hierbei kann ihm kaum ein besserer Führer empfohlen werden als 
Hoffa’s Buch, welches jetzt durch Joachimsthal in sechster Auflage 
herausgegeben worden ist. Adler-Berlin-Pankow. 


P. Lagleyie: Da strabisae. Paris, Jules Rousset. 409 Seiten. Preis 
15 Frs. 

In dem vorliegenden Werke schildert Lagleyze seine Anschauungen 
über das Wesen und die Therapie des Schielens an der Hand eines 
grossen, in zwanzigjähriger Praxis als Augenarzt und Vorstand einer 
Universitäts-Augenklinik gesammelten Beobachtungsmaterials. 

Der Inhalt des Buches ist in drei grosse Kapitel mit zahlreichen 
Unterabteilungen eingeteilt. 

In dem ersten Kapitel — Reoherches ötiologiques — wird 
das ganze dem Werke zugrunde liegende Material (3791 Fälle) nach 
allen möglichen Gesichtspunkten (Art des Strabismus, Refraktion, Seh¬ 
schärfe, Therapie usw.) sorgfältig und übersichtlich geordnet dem Leser 
vorgeführt, und die unvermeidliche Monotonie dieses Kapitels durch die 
Mitteilung von zahlreichen eigenen interessanten Beobachtungen in wohl¬ 
tuender Weise da und dort unterbrochen. 

In dem zweiten Kapitel — Patbogeuie — erörtert der Autpr 
in eingehender Weise seine Anschauungen über die absolute Ruhelage 
des Auges und über die Beziehungen zwischen Akkommodation und Kon¬ 
vergenz, wobei er besonders die Ansicht von Donders bekämpft, dass 
der Parallelismus der Blicklinien bei allen Individuen der Ruhelage des 
Auges entspreche. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 8. 


Weiterhin folgt eino Besprechung der Beziehungen zwisohen Re¬ 
fraktion und Sehschärfe, ferner der kongenitalen Amblyopie. 

Der noch viel umstrittenen Frage gegenüber, ob es eine Amblyopia 
ex anopsia gebe, und ob diese durch den Gebrauch des betreffenden 
Auges heilbar bzw. besserungsfähig sei, nimmt er einen durchaus ab¬ 
lehnenden Standpunkt ein. 

Die bisherigen Theorien über die Genese des Strabismus werden 
samt und sonders für unzureichend erklärt, da sie in einseitiger Weise 
nur auf einzelne Faktoren Rücksicht nähmen, während eine ganze Fülle 
von Umständen (Refraktion bzw. Achsenlänge, Bau der Orbita, < y, Be¬ 
ziehungen zwischen Akkommodation und Konvergenz usw.) in Betracht zu 
ziehen seien. 

Das dritte Kapitel — Mecanisme du traitemenfc — behandelt 
die Therapie des Schielens. 

Das Vorkommen von Spontanheilung, die Beeinflussung des Schielens 
durch Atropinisierung, durch Gläserkorrektion werden der Reihe nach 
besprochen. 

Die Bedeutung der von anderen Autoren, z. B. Worths, Krusius 
und anderen warm empfohlenen funktionellen Therapie (bestehend in 
Uebungen am Amblyoskop, Stereoskop usw.) wird von L. gering ein¬ 
geschätzt. 

Die in zahlreichen Fällen geübte chirurgische Therapie wird nur in 
grossen Zügen besprochen und nicht einzeln analysiert. 

Neben den allgemein gebräuchlichen Eingriffen (Vorlagerung und 
Rücklagerung bzw. Tenotomie) werden die Technik und Wirkung der 
von L. eingeführten, aber, wie es scheint, sonst nur wenig geübten Ver¬ 
kürzung (Raccourcissement; eines Muskels ausführlicher beschrieben. 

Die Wirkung der Gläserkorrektion und der operativen Eingriffe wird 
an der Hand von einfachen optischen Konstruktionen bzw. schematischen 
Abbildungen demonstriert. 

Das Buch ist im allgemeinen fesselnd, klar und präzis geschrieben. 
Die vorgetragenen Anschauungen sind in einer Weise begründet, dass 
sie auch ihren Gegnern Stoff zum Nachdenken bieten werden. Die an 
anderen Anschauungen geübte Kritik ist vielfach scharf, aber maassvoll 
und sachlich. 

Die Literatur ist nur zum kleinen Teil, die neuere deutsche z. B. 
gar nicht erwähnt, doch scheint eine umfassende Literaturberücksichti¬ 
gung nicht in der Absicht des Verfassers gelegen zu haben. 

Die Lektüre des Buches ist für den Forscher auf dem Gebiete der 
Muskelgleichgewichtsstörungen als unentbehrlich und für jeden Augen¬ 
arzt als lehrreich und interessant zu bezeichnen. R. Seefelder. 


Literatur-Auszüge. 

Anatomie. 

M. Land au-Freiburg i. Br.: Zur Entwicklung der Nebennieren¬ 
rinde. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) Vortrag, gehalten 
in der Freiburger medizinischen Gesellschaft am 19. November 1912. 

Wolfsohn. 


Physiologie. 

H. Iscovesco: Physiologische Eigentümlichkeiten gewisser Lipoide. 
(Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 1912, Nr. 22.) Injiziert man 
längere Zeit Tieren das aus den Ovarien resp. den Hoden extrahierte 
Lipoid, so findet man bei der Autopsie die Genitalorgane sehr stark 
hypertrophisch gegenüber denen unbehandelter Tiere. Injiziert man das 
aus der Thyreoidea gewonnene Lipoid, so tritt wenige Minuten danach 
Tachycardie und Exophthalmus auf, die aber nach 15—-20 Minuten nicht 
mehr nachweisbar sind. Setzt man die Injektionen zwei Monate lang 
fort, so findet man nicht nur Hypertrophie der Thyreoidea (Homo¬ 
stimulans), sondern auch des Herzens, der Nebennieren, des Genital¬ 
apparates und der Tränendrüsen, daneben Exophthalmus (Hetero¬ 
stimulans). 

Desgrez und Dorlöans: Die Konstitution der Parinkörper und 
ihre Wirkung auf den Blutdruck. (Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 
1913, Nr. 1.) Während Guanin, intravenös injiziert, eine Senkung des 
arteriellen Blutdrucks macht, steigt dieser, je weiter die Oxydation des 
Purinkörpers vor sich geht. Es wird also der Blutdruck progressiv er¬ 
höht durch Injektion von Hypoxanthin, Xanthin und Harnsäure. Das 
stimmt auch mit der von ßouchard klinisch beobachteten Hypertension 
bei Arthritis überein. 

L. Lindet: Ueber die Art der Bindung von Phosphor und Calci am 
im Casein der Milch. (Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 1912, 
Nr. 19.) Etwa die Hälfte des im Casein enhaltenen Phosphors ist ent¬ 
halten in Calciumphosphat; die andere Hälfte ist als P 2 0 5 organisch 
gebunden. Vom Calcium sättigen 8 / 5 die Phosphorsäure, die übrigen 2 / 5 
sind gebunden an die freie Säure im Casein. 

C. Delezenne und M. Lisbonne: Wirkung der ultravioletten 
Strahlen auf den Pankreassaft. (Compt. rend. de l’aaad. des Sciences, 
1912, Nr. 19.) Wird der Saft 2—3 Stunden bestrahlt, so verliert er 
vollkommen die Fähigkeit, durch die Kalksalze aktiviert zu werden. 
Aussgrdem verliert er sein fettspaltendes Vermögen. Das Trypsinogen 
wird schwerer zerstört, während die Amylase kaum durch die Strahlen 
beeinflusst wird. Wartensleben. 


W. Buettner - Riga: Einige Fragen aus der Physiologie «ad 
Pathologie der Verdannng und der Resorption im Lichte moderier 
serologischer Lehren. (Wiener klin. Wochenschr., 1918, Nr. 4.) Nach 
einem Vortrage in der Gesellschaft praktischer Aerzte zu Riga am 
21. März (a. St.) 1912. Es besteht wohl eine Impermeabilität des Dünn¬ 
darmepithels gegenüber hohen Eiweissabbauprodukten (z. B. Peptonen) 
und löslichem nativen Eiweiss. Eine weitere Schutzwehr besitzt der 
Organismus in der Leber. Versagen diese beiden Schutzwehren, so ge¬ 
langen die artfremden Stoffe in den Kreislauf und können eventuell 
schädigen (z. B. Anaphylaxie). Das Zustandekommen der Anaphylaxie 
bei Ueberfütterung beruht auf einer durch übermässige Inanspruchnahme 
hervorgerufenen Dünndarmepithelschädigung und gleichzeitiger Insuffizienz 
der schützenden Leberfunktion. P. Hirsch. 

J. P. Langlois und G. Desbouis: Ueber die Dauer der Lugei- 
circulatioi. (Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 1912, Nr. 22.) Ein 
Glasrohr mit zwei seitlichen Ansatzstücken, in denen Platinelektroden 
sind, die mit einer Wheatstone’scher Brücke in Verbindung stehen, wird 
in die Carotis geschoben. Injiziert man dann in Saphena oder Jugularis 
konzentrierte Salzlösungen, so machen diese eine Verschiebung der 
Galvanometernadeln. Es wurde so gefunden, dass bei Asphyxie und 
Cbloroforminhalation eine Verlangsamung, bei Aetherinhalation eine Be¬ 
schleunigung der Lungencirculation erfolgt. Adrenalin in einer Dose 
von 1 mg und Digitalis in toxischer Dosis macht eine Verlangsamung, 
1 / 40 mg Adrenalin und Digitalis in therapeutischer Dose dagegen Be¬ 
schleunigung der Lungencirculation. Wartensleben. 


Pharmakologie. 

Tiffeneau und Busq uet: Die Rolle des Coffeins ii der diuretisekei 
Wirkung des Kaffees. (Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 1912, Nr. 18.) 
Die Entfernung des Coffeins aus dem Kaffee macht, dass dieser den 
grössten Teil seiner Wirkung auf die Urinsekretion verliert. Das Coffein 
ist also das ausschliessliche oder zum mindesten das hauptsächliche 
Prinzip der diuretischen Wirkung des Kaffees. Wartensleben. 

Schuster-Chemnitz: Ueber Melubrii. (Deutsche med. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 7.) Vortrag, gehalten in der medizinischen Gesellschaft 
zu Chemnitz am 13. November 1912. Wolfsohn. 

Siehe auch Innere Medizin: Bardach, Phenolphthaleinspektrum 
und dessen Einfluss auf die spektroskopische Harnuntersuchung. — 
Chirurgie: Sehrwald, Verätzungen durch Benzin. 


Therapie. 

E. Hartung - Bernburg: Ueber die Wirkung des Limiials. 
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) Bei Schlaflosigkeit ist 
0,1—0,3 von gutem Erfolg. Bei Erregungszuständen beginne man mit 
0,5—0,7, um später auf 0,3 herunterzugehen. Die Wirkung tritt 2 bis 
3 Stunden nach der Darreichung ein und hält 7—8 Stunden vor. Am 
nächsten Tage ist häufig noch Somnolenz vorhanden. Wolfsohn. 


Allgemeine Pathologie u. pathologische Anatomie. 

F. Kroh-Cöln: Experimentelle Studien zur Lehre von der ischämischen 
Muskellähmuug und Muskelkontraktur. (Deutsche Zeitscbr. f. Chir., 
Bd. 120, H. 3 —6.) 1. Die ischämische Muskelkontraktur wird nicht aus¬ 
schliesslich hervorgerufen durch vorübergehende oder langdauernde 
partielle Entziehung von 0 und Nährstoffen, sondern ein sehr gewichtiges 
Moment für die Degeneration besteht in der Inaktivierung des Muskels. 
2. Durch Circulationsstörungen, besonders hervorgerufen durch inter¬ 
stitiellen Blut- und Lympherguss, werden Kompressionen lebenswichtiger 
Venen und Arterien herbeigeführt. Hierdurch wird ein Expansions¬ 
bestreben der Gewebe hervorgerufen, das dann eingeschränkt wird, wenn 
man die Gewebe mit einem unverrückbaren Widerstand (Gipsverband) 
umgibt. So kommt es dann zu schwersten Circulationsstörungen und 
Gewebsschädigungen. 3. Neben den durch die Circulationsstörungen be¬ 
dingten Muskelschädigungen gehen auch Nervenläsionen einher. Selten 
dürfte ein motorischer Nerv der Presswirkung und nachfolgenden fibrösen 
Degenerationen entgehen. 4. Mit der Inaktivierung eines durch Gewebs- 
ergüsse geschädigten Muskels wird die in der Muskelbewegung liegende 
transformierende Kraft geschädigt. J. Becker-Halle a. S. 

H. Chiari - Strassburg: Familiäre Chondrodystrophia foetalis. 
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) Nach einem Vortrag im unter- 
elsässischen Aerzteverein in Strassburg am 30. November 1912. 

Dünner. 

K. Motzfel dt - Cbristiania: Ueber Eventratio diaphragmatiea. 
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) Kasuistischer Beitrag mit 
Sektionsprotokoll. M. hält den Zustand für angeboren. 

Wolfsohn. 

C. Rittet - Posen: Kriti&che Bemerkungen zu den kritischen und 
und experimentellen Untersuchungen über das Entstehen nnd Ver¬ 
schwinden von Lymphdriiseii. (Deutsche Zeitscfir. f. Chir., Bd. 120, 
H. 5 u. 6.) R. weist darauf hin, dass seine Arbeiten über Lymphdrüsen- 
neubildung bekannt seien, und dass er es unverständlich findet, dass 
de Groot diese nicht genügend in seiner gleichartigen Arbeit berück- 


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24. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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riehtigt hat (diese Zeitschr., Bd. 119, H. 5). Was die Frage der Lymph- 
drüsenneubildung betrifft, so hat man dafür noch keinen sicheren Beweis 
erbracht. Man muss infektiöse Prozesse für die Neubildung von richtigem 
Lymphdrüsengewebe verantwortlich machen. 

E. S c h e p e 1 m a n n - Halle a. S.: Herxklappenchirnrgie. (Deutsche 
Zeitschr. f. Chir., Bd. 120, H. 5 u. 6.) Die interessante experimentelle 
Arbeit des Verfassers stellt eine Kommunikation zwischen den Ventrikeln 
und zwischen den Herzohren durch Einfügung eines Aortenstückes 
zwischen die beiden Herzohren dar. Einzelheiten der Teohnik sind im 
Original nachzulesen. J. Becker -Halle a. S. 

P. Henschen: Melanose der Dickdarmschleimhant. (Nord. med. 
Arkiv, 1912, H. 2, Nr. 6.) Unter 7 Fällen von Pigmentierung der Dick- 
darmsohleimhaut konnte viermal makroskopisch, mikroskopisch und 
chemisch eine Melanose der Dickdarmschleimhaut im Sinne von Pick 
und Solger festgestellt werden. In einem dieser Fälle handelt es sich 
um das bisher noch nicht beobachtete Anfangsstadium. Aetiologisch 
scheint die chronische Obstipation bei dieser Affektion von Bedeutung 
zu sein. E. Herzfeld. 


Parasitenkunde und Serologie. 

B. Saucon: Ueber die nineralische Erilhrag des Taberkel- 

bacillns. (Compt. rend. de Pacad. des Sciences., 1912, Nr. 18.) Im 
Nährboden muss neben Glycerin Kalium und Phosphor enthalten sein. 
Ebenso ist das Vorhandensein von Magnesium und Schwefel erforderlich, 
während Spuren von Eisen eine reichliche Entwicklung der Kultur be¬ 
günstigen. Wartensleben. 

A. Weber-Gross-Lichterfelde: Zur Tuberkulose des Menschen und 
der Tiere. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., I. Abt., Orig., Bd. 64, Löffler- 
Festschrift, S. 243.) W. untersucht an der Hand der in den letzten 
Jahren erschienenen Arbeiten über die Beziehungen zwischen der Tuber¬ 
kulose des Menschen und der Tiere die Frage, ob bzw. inwieweit sich 
die heutige Anschauung gegenüber derjenigen des Jahres 1905 ver¬ 
sohoben und geändert hat. In einzelnen Abschnitten werden behandelt 
die Berechtigung der Typentrennung, die Differentialdiagnose zwischen 
den Bacillen des Typus humanus und den Bacillen des Typus bovinus, 
die Infektion des Menschen mit den Bacillen des Typus bovinus. Im 
einzelnen kann hier nicht auf die Ergebnisse eingegangen werden; ganz 
allgemein kommt W. zu dem Schluss, dass R. Koch’s Ansicht nach wie 
vor zu Recht besteht, dass den bovinen Bacillen im Vergleich zu den 
humanen nur eine untergeordnete Rolle bei der Entstehung der mensch¬ 
lichen Tuberkulose beizumessen sei, und dass sich die Bekämpfung der 
Tuberkulose in erster Linie gegen die Ansteckung von Mensch zu Mensch 
zu richten habe. Bierotte. 

H. Agulhon und R. Sazerac: Einleitung gewisser von Mikroben 
»■geregter Oxydatioasprozesse dnreh die Uransalze. (Compt. rend. 
de Pacad. des Sciences, 1912, Nr. 23.) Die Acetate und Nitrate von 
Uranium vermögen in kleiner Dosis die Oxydationsprozesse anzuregen, die 
auf gewisse Fermente und Bakterien zurückzuführen sind. 

Wartensleben. 

E. Walter - Greifswald: Die Verwendung der Färbemethoden, im 
besonderen der Körnehenfürbang, zum kulturellen Nachweis der 
Dipbtkeriebaeillen. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., I. Abt., Orig., Bd. 64, 
Löffler-Festschrift, S. 136.) Unterschiede zwischen Diphtheriebacillen 
und ihnen ähnlichen, die typischen Polkörperchen aufweisenden Stäbchen 
sind mit Hilfe der Doppelfarbungsmethoden nicht festzustellen. Erst die 
Färbung mit Löffler’s Methylenblau macht geringe morphologische 
Unterschiede deutlich. Zur Sicherstellung der bakteriologischen Diagnose 
der Diphtherie auf Grund des färberischen Verhaltens müssen deshalb 
mindestens zwei Präparate, eins mit Löffler’s alkalischem Methylen¬ 
blau, das andere mit einem Doppelfärbungsverfahren gefärbt, mitein¬ 
ander verglichen werden. Unter Umständen muss noch eine Unter¬ 
suchung aer verdächtigen Kolonie im hängenden Tropfen angeschlossen 
werden, da manche der diphtherieähnlichen Stäbohen Eigenbewegung 
besitzen. 

P. Ublenhuth und P. Mälzer - Strassburg: Veriaipfaagea yoh 
Blut «ad anderen Körperflüssigkeitea syphilitischer Menschen in die 
Hoden yon Kaninchen. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., I. Abt., Orig., 
Bd. 64, Löffler-Festschrift, S. 165. Blut von Syphilitikern der primären 
Krankheitsperiode erzeugte bei Verimpfung in die Hoden von Kaninchen 
typische spirochätenhaltige Hodensyphilome; es kann also schon zu einer 
Zeit infektiös sein, wo noch keine deutliche lokale Lymphdrüsenschwellung 
bei dem Pat., noch positive Wassermann’sche Reaktion vorhanden ist. 
Auch die Verimpfung von Syphilitikerblut der sekundären Periode er¬ 
gab positive Resultate; ebenso kann das Blut latent syphilitischer Per¬ 
sonen unter Umständen infektiös sein. Dagegen erwiesen sich Blut und 
Krankheitsprodukte von Syphilitikern der tertiären Periode nicht als in¬ 
fektiös. Positive Ergebnisse lieferten Verimpfung von Blutserum ver¬ 
schiedener sekundär-syphilitischer Menschen sowie von Sperma eines all- 
gemeiosyphilitischen Mannes, während negativ die Versuche mit Milch 
u»d Spina! Flüssigkeit syphilitischer bzw. metasypbilitischer Patienten aus- 
fieitap. In einem Falle hatte die spezifische Behandlung anscheinend 
einen Einfluss auf die Infektiosität, des Blutes^ indem der Prozentsatz 
der erkrankten Tiere geringer war. 

Jos. Koch-Berlin: Ueber die Entstehung der akntcn Paraplcgic 
nach Ljaaainfektitn. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., I. Abt., Orig., 


Bd. 64, Löffler-Festschrift, S. 199.) Zu der Frage, ob die nach Biss¬ 
verletzungen wutkranker Tiere in seltenen Fällen auftretenden akuten 
Lähmungen als eine abortiv verlaufende Strassenwutinfektion (Jos. 
Koch) oder als eine Folge der Wutschutzimpfung (ToxinWirkung, 
Babes) aufzufassen sind, bringt der Verf. durch Mitteilung eines Falles 
einen neuen Beitrag, der seine ebengenannte Auffassung stützt. Er 
konnte den Beweis erbringen, dass die Paraplegie des betreffenden Pat. 
durch den Erreger der Wut verursacht worden ist, dass sie aber nichts 
mit der Wutschutzimpfung zu tun hat. Bierotte. 

W. Lindemann-Halle: Vereinfachung der Anaörobenzfichtnng 
nebst Angabe eines praktisch verwertbaren neuen Kaltarverfabreas. 
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) Dünner. 

H. Schottmüller - Hamburg: Ein aaaörober Staphyloeoeeas 
(Stapbylococcus aerogenes) als Erreger von Puerperalfieber. (Centralbl. 
f. Bakteriol. usw., I. Abt., Orig., Bd. 64, Löffler-Festschrift, S. 270.) In 
einer grösseren Zahl von Fällen von Salpingitis purulenta, Peritonitis 
purulenta und Puerperalfieber fand Sch. einen anaeroben Staphylococcus, 
den er als Erreger der Krankheit nachweisen konnte. Er beschreibt ihn 
eingehend nach seinem morphologischen und kulturellen Verhalten und 
nach seiner Pathogenität. Bierotte. 

A. Desmouliere: Das Antigen bei der Wassermann’schea Re¬ 
aktion. (Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 1912, Nr. 19.) Gepulverte 
Leber eines heredosypolitischen Kindes wird mitAether behandelt, dann 
in der Luft und bei 37° getrocknet. Ein Gramm dieses Pulvers maceriert 
man 72 Stunden bei 37° mit 20 ccm Alkohol abs. Zu 10 ccm dieser 
Flüssigkeit setzt man 0,1 g reines Cholestearin. Statt der kongenital¬ 
luetischen Leber kann man auch die vom Schwein nehmen und erhält 
die gleichen Resultate. Solches Antigen gibt bei dem gleichen Falle 
immer dieselbe Reaktion; die Reaktion fällt schon in den ersten Tagen 
der Infektion positiv aus, das Resultat ist einwandfrei, wo es mit der 
alten Methode zweifelhaft oder negativ war. 

A. Desmouliere: Das Antigen in der Wassermaan’schea 
Reaktion. (Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 1912, Nr. 22.) Ver¬ 
wendet man für die vom Verf. beschriebene Herstellung des Antigens 
an Stelle des linksdrehenden rechtsdrehendes Cholestearin, so wird die 
Empfindlichkeit im Ausfall der Reaktion viel geringer. Statt der 
heredosyphilitischen Leber kann man auch solche von Nichtsyphilitikern 
48 Stunden nach dem Tode nehmen, ohne den Ausfall der Reaktion zu 
stören. Wartensleben. 

H. C. Plaut-Hamburg: Zur Wertschätzung der Brendel-Müller- 
Sehen Reaktion. (Münchener med.Wochenschr., 1913, Nr. 5.) Die Brendel- 
Müller’sche Reaktion (Princip: Aktives Patientenserum wird mit einer vorher 
eigens für dasselbe Patientenserum austitrierten Menge von Hammelblut¬ 
körperchenaufschwemmung zusammengebracht, nachdem 25 Minuten lang 
Gelegenheit zur Komplementbindung bei 38° C mit einem erprobten 
Extrakt gegeben war) ergab 49 mal dieselben Ausschläge wie die 
Original-Wassermannmethode, in 21 Fällen diametrale. Dünner. 

W. Drügg-Düsseldorf: Untersuchungen mit der Y. Danger’schen 
Vereinfachung der Wassermann’sehen Reaktion. (Deutsche med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 7.) Die v. Dungern’sche Methode gibt gute 
Resultate, wenn man die unzweifelhaft positiven und negativen Ausfälle 
verwertet. Für praktische Aerzte und kleine Krankenhäuser kann die 
Methode empfohlen werden. Für serologische Laboratorien kommt sie 
nicht so sehr in Betracht. Wolfsohn. 

Prof6-Köln: Beitrag zur Kenntnis der Präsipitinreaktion als Hilfs¬ 
mittel für die Milabrandaiagnooe. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., I. Abt, 
Orig., Bd. 64, Löffler-Festschrift, S. 185.) Wiederholtes Aufkochen des 
von an Milzbrand eingegangenen Tieren stammenden Untersuchungs¬ 
materials in Wasser oder Kochsalzlösung über der Flamme wie auch 
Einbringung in siedendes Wasser während 5 bis 45 Minuten schädigt 
die Präzipitinogene keineswegs. Gegenüber der Erhitzung hat das 
Chloroformausfällungsverfahren den Vorteil, dass es im allgemeinen mehr 
wasserklare Extrakte liefert, die eine deutlichere, schärfere Reaktion 
geben als die mehr opalescicrenden, durch Erhitzung gewonnenen. Eine 
vom Verf. angegebene Modifikation des letzgenannten Verfahrens liefert 
gleich gute Resultate wie die ursprüngliche Methode, jedoch in erheb¬ 
lich kürzerer Zeit. 

R. Pfeiffer und G. Bessau - Breslau: Ueber die aagebliche 
Trennung der toxischen und der immnnisierenden Bestandteile des 
Typhasbaeillas. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., I. Abt., Orig., Bd. 64, 
Löffler-Festschrift, S, 172.) In den Versuchen der Verff. verhielt sich 
das immunisierende Prinzip der Typhusbacillen genau so, wie es von 
der toxischen bekannt ist. Sie sind beide durch Erhitzung der Bacillen¬ 
substanz auf 58° C auslaugbar, der ausgelaugte Bakterienrückstand, der 
an Toxioität eingebüsst hat, wirkt auch nicht mehr immunisierend. 
Durch wenig intensive Extraktion hergestellte, relativ ungiftige Extrakte 
wirken entsprechend schwach immunisierend. Es muss deshalb an¬ 
genommen werden, dass das immunisierende und das toxische Prinzip 
der Typhusbacillen identisch ist. 

Zibell-’Emden: Pyrothea, ein neues Desinfektionsmittel. (Central¬ 
blatt f. Bakteriol. usw., I. Abt;, Orig.; Bd. 64, Löffler - Festschrift; 
S. 266.) ’Pyrothen, ein in flüssiger wie in fester Form hergestelltes neuOs 
Desinfektionsmittel, stellt ein Kresolpräparat dar, das nach den Unter¬ 
suchungen des Verf. gegen vegetative Bakterienformen eine gleichmäßige, 
sichere und sohnelle Wirkung entfaltet; es wirkt auch schon in geringer 
Konzentration desodorisierend. Bierotte. 


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358 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 8. 


G. Laroche, Ch. Riebet fils und Fr. Saint-Girons: Die 
alimentäre Anaphylaxie. (Gaz. des höpitaux, 1912, Nr. 140.) Sehr inter¬ 
essante Zusammenstellung über die bis jetzt bekannten Facta. Es 
werden unterschieden eine grosse, eine kleine, eine chronische und eine 
hereditäre Form der alimentären Anaphylaxie. Als hauptsächliche 
Ursachen der Anaphylaxie werden angeführt übermässige Ernährung und 
Insuffizienz der Verdauungssäfte. Anaphylaxie kann angenommen werden, 
wenn bei erstmaliger Aufnahme der Speise keine oder nur sehr geringe 
Beschwerden auftraten, wenn bei jedem späteren Genuss die typischen 
Beschwerden, und zwar unmittelbar Dach dem Essen, sich einstellen. 

Wartensleben. 

A. Fauser-Stuttgart: Weitere Untersuchungen (3. Liste) auf Grund 
des Abderhalden’schen Dialysierverfahrens. (Deutsche med. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 7.) Diese „3. Liste“ umfasst 33 weitere Fälle von 
Schilddrüsenerkrankungen, Dementia praecox, Lues und Metalues, manisch- 
depressivem Irresein und andere Psychosen, die F. nach dem Dialysier- 
verfahren Abderhalden’s untersucht hat. Als „Antigene“ wurden 
hauptsächlich Schilddrüse, Hirnrinde und Geschlechtsdrüsen verwendet. 
Während bei manisch-depressivem Irresein Schutzfermente niemals nach¬ 
weisbar waren, ergaben sich bei Dementia praecox und thyreogenen 
Psychosen fast durchweg positive Resultate mit dem einen oder anderen 
der genannten Organe. Man wäre berechtigt, von einer pathologischen 
Serologie der betreffenden Psychosen zu sprechen. Wahrscheinlich 
rufen bestimmte Organzellen (Schilddrüse, Geschlechtsdrüsen) oder 
Mikroorganismen (Spirochäte) die Produktion eines spezifischen Ferments 
hervor, das jenes Organeiweiss spaltet. Die dabei auftretenden Zwischen¬ 
produkte wirken dann weiterhin schädigend auf die Hirnrinde und be¬ 
wirken auch hier eine „Dysfunktion“. Serologisch ist dieselbe durch 
ein zweites Schutzferment nachweisbar, das sich gegen Hirneiweiss 
äussert. Wolfsohn. 

Siehe auch Physiologie: Büttner, Fragen aus der Physiologie 
und Pathologie der Verdauung und der Resorption im Lichte moderner 
serologischer Lehren. 


Innere Medizin. 

0. Lerch - New Orleans (z. Z. Berlin): Ueber eine neue Perknssions- 
methode. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 109, H. 1 u. 2.) Verf. 
empfiehlt die „Fallperkussion“. Es werden Hammer und Plessimeter 
verwendet, doch statt des Schlages ein Fall. Alle subjektiven Faktoren 
werden so ausgeschaltet. Auch soll der Ton ein schärferer und feinerer 
und die Tonunterschiede von weit grösserer Bestimmtheit sein. Bei¬ 
bringung von Material, das die Vorzüge der Methode beleuchten soll. 

J. Bauer und Fr. Helm - Innsbruck: Ueber Röntgenbefaade bei 
Kropf herzen. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 109, H. 1 u. 2.) 
Die Untersuchungen wollen feststellcn, ob sich den einzelnen klinischen 
Typen des Kropfherzens entsprechende Formveränderungen des Herzens 
röntgenologisch Dachweisen lassen, und ob sich aus dem Röntgenbild des 
Herzens Anhaltspunkte für das Zustandekommen der einzelnen physi¬ 
kalischen Symptome gewinnen lassen. Die Befunde ergeben: Bei Indi¬ 
viduen mit Kropfherzen wird häufig eine bestimmte Herzkonfiguration im 
Röntgenbild angetroffeD, ohne dass dieselbe konstant und stets voll¬ 
kommen ausgebildet und für das Kropfherz spezifisch wäre. Diese Herz¬ 
konfiguration ist gekennzeichnet: Vorwölbung des linken mittleren Herz¬ 
schattenbogens, vorwiegend dessen oberen Anteils (Pulmonalisbogen), 
lebhafte Pulsation desselben, sowie des ganzen Herzrandes. Aorta hoch¬ 
stehend, häufig schmal. Herzspitze meist plump, dabei die grösste 
quere Herzbreite den normalen Durchschnittswert meist nicht überragend, 
oft sogar nicht erreichend. Anhaltspunkte für das Zustandekommen der 
einzelnen physikalischen Symptome lassen sich aus dem Röntgenbild 
nicht gewinnen. G. Eisner. 

Plate und Bornstein: Ueber den Einfluss der Herzvibration 
mit hoher Frequenz auf den Kreislauf. (Zeitschr. f. physikal. u. diätet. 
Therapie, Februar 1913.) Auch Erschütterungen hoher Frequenz ver¬ 
mögen auf den Blutdruck wie auf nicht erhöhte Pulsfrequenz keinerlei 
Einfluss auszuüben. E. Tobias. 

S. E. Henschen: Sport und Herzdilatation. (Nord. med. Arkiv, 
1912, H. 2, Nr. 8 a). Bei Sportanstrengungen wurden beim Menschen 
mit Hilfe der Perkussion, Palpation und des Orthodiagramms Ver- 
grösserung, Verkleinerung und unverändertes Volumen des Herzens 
beobachtet. Welches Volumen das Herz annimmt, hängt ab von dem 
Grad der Leistung, der Kraft und Konstitution des Wettstreitenden und 
dem Zustande des Herzens. Eine Herzdilatation tritt vorzugsweise bei 
schwachen und jungen Herzen ein, bei kräftigen Leuten nur nach ganz 
besonders starken Anstrengungen.. Eine Herzverkleinerung ist die Folge 
einer verminderten diastolischen Füllung im Zusammenhang mit sehr 
schnellem Puls. E. Herzfeld. 

J. Schürer-Heidelberg: Bedeutung der Antikörper bei der Tuber¬ 
kulose. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 109, H. 1 u. 2.) Es ist 
bei der Tuberkulose nicht angängig, aus dem Auftreten von Agglutininen, 
Präcipitinen, komplementablenkenden Stoffen und Bakteriotropinen 
irgendwelche Schlüsse auf den Grad der erreichten Immunität zu ziehen. 
Die klinischen Erfahrungen bestätigen, dass hoch gegen Tuberkulin 
immunisierte Menschen einer akuten Disseraination oder einer miliaren 
Aussaat von Tuberkelbacillen erliegen können. G. Eisner. 


E. H. Black - Hereford: Die qualitative und quantitative Wirklug 
des Tnborknlins auf die polymorphkernigen neutrophilen Lenkoeytea 

bei der Behandlung der Tnberknlose. (Brit. med. joum., 18. Januar 
1913, Nr. 2716.) Der phagocytische Wert der polymorphkernigen neutro¬ 
philen Leukocyten steigt mit der Zunahme der Zahl der Kerne. Das 
Auftreten mehrerer Kerne kann also kein Degenerationszeichen sein. 
Wiederholte Gaben von Tuberkulin bei Tuberkulösen, deren polymorph¬ 
kernige Leukocyten nur geringes phagocytisches Vermögen hatten, Hessen 
die Zahl der Kerne in ihnen zunehmen, so dass sie mehr Tuberkel¬ 
bacillen in sich aufnehmen konnten als vor der Tuberkulinbebandlung. 

Wey demann. 

Goldschmidt: Ueber Asthma. (Zeitschr. f. BalneoL, Jahrg. V, 
Nr. 21.) G. bespricht die verschiedenen Asthmaarten, das Asthma epi- 
leptiforme, das Asthma bronchiale, das Asthma chronicum und das 
Asthma permanens und schliesst daran einige symptomatologische und 
therapeutische Betrachtungen. E. Tobias. 

0. David-Halle a. S.: Die therapeutische Verwertung sauerst#f- 
armer Luft bei Anämien. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 109, 
H. 1 u. 2.) Entsprechend den vorgenommenen Tierversuchen gelingt es 
auch bei menschlichen Anämien, durch tägliche ein- bis zweistündige 
Atmung 0 2 -armer Luft das Blutbild zu beeinflussen. Die Reaktions¬ 
fähigkeit der einzelnen Blutbestandteile zeigt bei den verschiedenen 
Krankheitsgruppen Unterschiede, und zwar sind die am schwersten ge¬ 
schädigten Funktionen am wenigsten beeinflussbar und umgekehrt. Ein¬ 
fache Anämien zeigen eine ziemlich gleichmässige Zunahme der roten 
Blutkörperchen und des Hämoglobins; dadurch blieb der Färbeindex, 
falls er aufangs stark herabgesetzt war, unter 1. Bei schweren An¬ 
ämien von pernieiösem Charakter mit hohem Färbeindex fiel dieser 
wegen der guten Erythropoiese zwar anfangs, doch stieg er bald wieder, 
da auch die Häraoglobinbildung sehr angeregt wurde. Entgengesetzt 
verhielten sich die Chlorosen, bei denen infolge der Zunahme der 
Erythrocyten und der schleppenden Produktion von Farbstoff der Färbe¬ 
index herabgesetzt blieb. G. Eisner. 

S. Wachtel-Krakau: Zur Frage der Beiz#ltberapie der Leukftmift 
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) Nach dem Vorschlag von 
Koranyi hat W. einen hartnäckigen Fall von myelogener Leukämie 
mit Benzol behandelt. Dosierung: 3 g täglich, später 4 g. Der Erfolg 
war ein ausserordentlich guter. Das Allgemeinbefinden besserte sich 
bald, die Leukocytenzahl ging innerhalb weniger Wochen von 140 000 
auf 13 000 (später 8000) herunter. Diese Besserung war nach 4 Wochen 
nach Aussetzen der Therapie vorhanden. Vergiftungserscheinungen 
traten nicht auf. Erythrocytenzahl und Hämoglobingehalt sind sogar 
gestiegen. In einem zweiten Fall musste die Behandlung bald aus¬ 
gesetzt werden, da Albuminurie auftrat. Eine genaue Beachtung ein¬ 
tretender IntoxikationserscheinuDgen ist dringend notwendig. 

Wolfsohn. 

E. Wulff: Ueber Pseudoleikäntift. (St. Petersburger med. Zeitschr., 
1912, Nr. 24.) Die von Naegeli vorgeschlagene Unterscheidung der 
Pseudoleukämie in Lymphocytome und Granulome lässt sich klinisch 
noch nicht aufrecht erhalten. Bei einem Falle begann das Leiden mit 
Schwellung der HalslymphdrüseD, bald wurden alle peripheren Drüsen 
befallen, Leber und Milz schwollen mächtig an, die Temperatur wurde 
febril, der Verlauf war maligne. Während all das für malignes Granulom 
sprach, ergab der Sektionsbefund das Bestehen einer Lymphadenosis 
aleucaemica. Für letztere sprach auch intra vitam der Blutbefund: 
Leukocytose, relative Lymphocytose, pathologische Lymphocytenformen. 

Wartensleben. 

G. Mansfeld: Blatbildeng und Schilddrüse. (Zeitschr. f. Balneol., 
Jahrg. V, Nr. 21.) M. bespricht an der Hand einiger Versuche die Be¬ 
deutung der Schilddrüse für die Blutbildung. E. Tobias. 

R. Mc. Carrisan: Die Aetiologie des endeMisehen Kropfes. L 
(Lancet, 18. Januar 1913, Nr. 4664.) Der endemische Kropf im Himalaya- 
gebiete ist dieselbe Krankheit wie der in Europa. Der Verfasser berührt 
die Verbreitung des Kropfes. Am meisten leiden die, die mit dem Erd¬ 
boden irgendwie beschäftigt sind. Die Endemien zeigen Schwankungen 
in der Ausbreitung und Intensität. Die Krankheit kann verschleppt 
werden. Die Fälle sind in Indien am häufigsten während der kühleren 
Jahreszeit, in Europa in der wärmeren. Empfängliche Neuankömmlinge 
in Kropfgegenden erkranken sehr leicht, und zwar in der Zeit voa 1 */ t 
bis 3 Monaten nach ihrer Ankunft. Beginnender Kropf verschwindet 
beim Verlassen der Kropfgegend; sonst nimmt er schubweise im Frühjahr 
und Herbst zu. Bei Tieren ist der sichtbare Kropf nicht so häufig, als 
man meist annimmt. Frauen erkranken im allgemeinen häufiger als 
Männer; je häufiger irgendwo der Kropf ist, desto häufiger erkranken 
hier auch die Männer, bis die Zahl der Erkrankten bei beiden Ge¬ 
schlechtern gleich ist in den am stärksten verseuchten Orten. Kinder 
erkranken sehr häufig; der Kropf kommt auch bei Brustkindern vor, 
aber nur in Dörfern, wo die Krankheit sehr reichlich und schwer auf- 
tritt, und ist dann angeboren. Ueber die Rolle des Wassers bei der 
Entstehung des Kropfes ist noch viel zu untersuchen, aber es ist sicher, 
dass es auf irdendein? Art das toxische Agens des Kropfes verbreiten 
kann. Wey demann. " 

L. Saathoff-Oberstdorf: Thyreose and Tnberkaloie. (Münchener 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) Die Tuberkulose spielt eine wesent¬ 
liche ursächliche Rolle für die Entstehung der Thyreosen einschliesslich 
des Basedow. Es bandelt sich hier meistens um initiale, prognostisch 


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24. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


359 


güüstige Formen der Tuberkulose, progressive Formen gehen seltener 
mit thyreotoxischen Symptomen einher. Temperatursteigerungen bei 
anderweitig nicht komplizierten Thyreosen sind fast immer auf eine be¬ 
gleitende oder zugrunde liegende Tuberkulose zu beziehen. Die Existenz 
eines reinen Basedow Gebers wird mit Möbius nioht anerkannt. Jeder 
Fall von gesicherter oder auch nur verdächtiger Thyreotoxie ist auf 
Tuberkulose zu untersuchen und bei positivem Ausfall auf Tuberkulose 
zu behandeln. Für sohwerere oder hartnäckige Fälle bleibt die chir¬ 
urgische Behandlung angezeigt. Dünner. 

N. Mutch und J. H. Ryffel - London: Der Nutzen der reetalen 
KnÜrnBg für den Stoffwechsel. (Brit. med. journ., 18. Januar 1913, 
Nr. 2716.) Vom Rectum resorbierte Dextrose kann den täglichen Gehalt 
des Urins an Kreatin und Stickstoff ebenso herabsetzen, wie wenn sie per os 
gegeben wird, ist aber wiel weniger wirksam bei der Bekämpfung der 
Acidose und der Bildung der Acetonkörper. Eine 6proz. Dextroselösung 
io Leitungswasser ist mit dem Blute isotonisch und reizt weniger als 
eine lOproz. Sie lässt sich zu Klysmen vorteilhafter verwenden als 
Kochsalzlösung, da die Dextrose im Organismus oxydiert wird, so dass 
eine stärkere Wasserresorption vom Rectum aus eintritt, als wenn Koch¬ 
salzlösung benutzt wird. Weydemann. 

Hinstede: Untersuchungen über die Verdaulichkeit einiger Brot- 
sortea. (Zeitschr. f. physikal. u. diätet. Therapie, Februar 1913.) Die 
Trockensubstanzbestimmung gibt ein genaues und zuverlässiges Bild von 
der Verdaulichkeit eines Nahrungsmittels. Tabellarisch wird dann über 
die Ausnutzbarkeit der einzelnen Brotsorten anschaulich berichtet. 

Schütze: Ueber Calciantherapie. (Zeitschr. f. Balneol., Jahr¬ 
gang V, Nr. 21.) Schütze hat Versuche mit einer neutralen löslichen 
Ichthyol-Calciumlösung gemacht und in 80 Fällen über 375 Injektionen 
zu 5 ccm einer 5proz. Lösung vorgenommen, über deren Resultate bei 
Asthma bronchiale, Tuberculosis pulmonum, Bronchitis usw. er eingehend 
berichtet. E. Tobias. 

Lindemann - Essen: Zur Pathogenese und Klinik der Nieren- 
heckenentzflidangen. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 120, H. 5 u. 6.) 
Pyelitiden fasst man i. A. als mit dem Genitaltractus in Zusammenhang 
stehend auf, doch müssen auch andere Krankheiten, wie die der Lungen, 
des Magendarmkanals und des Nierenparenchyms selbst ätiologisch in. 
Betracht gezogen werden. Die Infektion, meist mit Coli, erfolgt auf 
dem Lymph- bzw. Blutwege. L. tritt therapeutisch für Ureteren- 
katheterismus mit nachfolgender Spülung ein. 

J. Becker - Halle a. S. 

B. Bardach-Wien: Ueber ein Phenolphthaleinspektram und 
dessen Einfluss auf die spektroskopische Harnuntersuchung. (Wiener klin. 
Wochenschr., 1913, Nr. 4.) Nach der Verabreichung phenolphthalein¬ 
haltiger Medikamente (Purgen usw.) kann unzersetztes Phenolphthalein 
in den Harn übertreten. Bei der spektroskopischen Untersuchung zeigen 
solche Urine eine Auslöschung bei der Linie E, die besonders breit bei 
alkalischen Harnen zu sein pflegt. Das Spektrum ähnelt dem Urobilin- 
und Hämoglobinspektrum. Um diesen Einfluss des Phenolphthaleins auf 
das Spektrum auszuschalten, genügt es, bei spektroskopischen Unter¬ 
suchungen auf Urobilin oder Blut die Flüssigkeit mit einigen Tropfen 
Salzsäure anzusäuern. P. Hirsch. 

H. Ellern - Frankfurt a. M.: Ein Beitrag zum ätiologischen Studium 
des Diabetes insipidns. (Deutches Archiv f. klin. Med., Bd. 109, H. 1 
u. 2.) Verf. liefert an der Hand dreier Fälle einen Beitrag zur Diffe¬ 
rentialdiagnose zwischen Polydipsie und echtem, meist unheilbarem Dia¬ 
betes insipidus, d. h. primärer Polyurie. Näheres ist in der Arbeit 
nachzulesen. G. Eisner. 

Ardin-Delteil, L. Negre und M. Raynaud: Ueber die Vaccine- 
therapio beim Typbas abdominalis. (Compt. rend. de l’acad. des scienoes, 
1912, Nr. 23.) Die von Besredka vorgeschlagenen Injektionen von 
lebenden sensibilisierten Typhusbacillen bei Typhösen scheinen sehr 
günstig zu wirken. Von 37 Behandelten starb keiner. Die Dauer der 
Krankheit wird abgekürzt, Recidive werden selten beobachtet. Nament¬ 
lich das bakteriolytische Vermögen des Serums wird ausserordentlich 
gesteigert. 

J. Louis und E. Combe: Die antityphöse Vacciaatioa. (Gaz. des 
höp., 1912, Nr. 137.) Von den im Gebrauch befindlichen Vaccinen 
scheinen die besten die beiden nach der Vorschrift von Vincent her¬ 
gestellten zu sein: das polyvalente Bacillenvaccin und besonders das 
polyvalente Autolysat. Eine Injektion darf nur vorgenommen werden 
bei einer im übrigen vollkommen gesunden Person, und zwar am besten 
durch subcutane Applikation. Sie ist indiziert zur Prophylaxe, aber 
auch dann, wenn schon Krankheitssymptome bestehen. Von mehr als 
20000 mit Vincent’schem Vacoin Geimpften ist nicht einer an Typhus 
erkrankt. 

A. Lumiere und J. Chevrotier: Ueber die PolyvaleiK der 
Äatityphissera, (Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 1912, Nr. 21.) 
Ein aus 17 verschiedenen Stämmen von Typhus-, Paratyphus- und Coli- 
bacilleu hergestelltes Gemisch wurde in steigenden Dosen Ejseln injiziert. 
Das dann gewonnene Serum wurde Meerschweinchen injiziert und be¬ 
wirkte, dass die Dosis letalis gegenüber diesen Bakterien stark gesteigert 
wurde. 

H. Vincent: Ueber die Wirkung des polyvalenten Antitypbna- 
•erami bei Personen im Stadium der latenten Infektion durch den 
Typhusbacillus. (Compt. rend. de l’aoad. des Sciences, 1912, Nr. 17.) 


Bei Epidemien besteht durch Impfung mit dem polyvalenten Serum noch 
24 oder 48 Stunden nach der Infektion die Möglichkeit, den Ausbruch 
der Krankheit zu verhüten. Im Inkubationsstadium tritt durch die 
Impfung keine negative Phase ein; es kann eine günstige Wirkung er¬ 
zielt werden dadurch, dass die Neubildung von Antikörpern und der 
Beginn der Immunität angeregt werden und so die Schwere und Dauer 
der Infektion vermindert wird. 

H. Vincent: Ueber die MihdiagnoBtik beim Typhas abdominalis. 
(Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 1912, Nr. 20.) Typhus- oder Para¬ 
typhusbacillen wurden drei Tage mit physiologischer NaCl-Lüsung maceriert, 
dann centrifugiert. Die überstehende Flüssigkeit sterilisiert man mit 
Aether. Injiziert man von diesem Macerat, so tritt gewöhnlich 10 bis 
18 Stunden später bei bestehender Infektion eine Vergrösserung der 
Milz um 1—2 cm in beiden Durchmessern auf, oft auch eine solche der 
Leber. Diese Reaktion ist bei Injektion von Typhus- oder Paratyphus¬ 
bacillenextrakt spezifisch für eine Infektion mit einer dieser Bacillen¬ 
arten und ist 2—3 Tage lang nachweisbar. In zweifelhaften Fällen 
ist sie ein gutes Mittel zur Sicherung der Diagnose. 

R -J. Weissenbach und J. Bonhoure: Die Spondylitis typhosa. 
(Gaz. des höp., 1912, Nr. 128.) Allgemeine und erschöpfende Uebersicht 
über diese seltene Komplikation des Typhus. Es sind etwa 100 Fälle 
aus der Literatur zusammengestellt, die eine positive Widal’sche Reaktion 
ergaben und zur Heilung kamen. Wartens leben. 

Flatow und Brünell-Cöln: Eine klinisch einfache Methode quanti¬ 
tativer Urobilinogenbestimmang. (Münchener med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 5.) Die Verff. benutzen die Eigenschaft des Urobilinogens, mit p- 
Dimethylamobenzaldebyd sich rot zu färben, zur quantitativen Bestimmung. 
An Stelle des teuren p-Dimethylamobenzaldehyd benutzen sie das billige 
Phenolphthalein, das in seinen Farbenuancen fast denen des p-Dimetbyl- 
amobenzaldehyd entspricht. Mit Hilfe des Autenrietb-Königsberger’schen 
Kolorimeters erfolgen dann die Bestimmungen. Dünner. 

E. Kindborg-Bonn: Zur Prophylaxe und Therapie der Hämor- 
rboideo durch Aniknre. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) 
Miniaturbesteck zur Ausführung von Klystieren. Wolfsohn. 

Siehe auch Physiologie: Desgrez und Dorlöans, Wirkung 
der Purinkörper auf den Blutdruck. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Determann: Zur Hydrotherapie der nervösen Schlaflosigkeit. — 

Pototzky: Entgegnung. (Zeitschr. f. physikal. u. diätet. Therapie, 
Februar 1913.) Pototzky ist und bleibt bei der Anschauung: Vorsicht 
vor abendlichen differenteren bydriatischen Prozeduren bei der Behand¬ 
lung der nervösen Schlaflosigkeit. Determann glaubt, dass bei indi¬ 
vidueller Beobachtung des Einzelfalles sich sehr wohl auch abendliche 
Prozeduren rechtfertigen lassen, die auch oft von dem gewünschten Er¬ 
folge begleitet sind. 

M. Bernhardt: Weiterer Beitrag zur Lehre von der Haemato- 
myelia traumatica. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 3.) Ein vorher ganz 
gesunder Mann fällt von bedeutender Höhe auf Füsse und Kreuz und 
ist vollkommen paraplegisch. Blasenlähmung nur kurzdauernd. Von 
Beginn an fehlen Zeichen einer Verletzung der Wirbelsäule. Anfäng¬ 
liche Bewusstlosigkeit spricht für erhebliche Commotio von Gehirn und 
Rückenmark. Fast vollständige Restitutio spricht gegen Zerreissung, für 
Blutung. Von Interesse ist noch neben dem genauen neurologischen 
Befund eine partielle myotonische Reaktion an einzelnen Muskeln der 
unteren Extremitäten. E. Tobias. 

Siehe auch Kinderheilkunde: Johannessen, Poliomyelitis 
acuta in Norwegen. 


Kinderheilkunde. 

E. Moro-Heidelberg: Ueber rectale Hyperthermie im Kindesalter. 
(Monatsscbr. f. Kinderheilk., 1913, Orig., Bd. 11, S. 430.) M. berichtet 
über einige Beobachtungen langandauernden Fiebers bei rectaler Messung, 
die zu grosser Beunruhigung der Umgebung und eingreifenden Maass¬ 
nahmen bei den Kindern führten. Kontrollmessungen ergaben, dass es 
sich hier um eine lokale Hyperthermie im Rectum handelte. Die Tem¬ 
peratur in der Achsel war bis 1,7* C niedriger. Die Differenz kommt 
nach Verf. wahrscheinlich (bei muskelschwaohen Individuen) durch die 
viel grössere Muskelarbeit zustande, die die untere Körperhafte beim 
Gehen, Laufen, Springen, Treppensteigen usw. zu leisten bat. Für diese 
Anschauung bringt Verf. auch einige experimentelle Untersuchungen, in 
denen speziell bei Kindern mit orthotischer Albuminurie diese „topische 
Anisothermie tt zu provozieren war. 

A. Benfey-Berlin: Eosinophilie and exsudative Diathese. Er¬ 
gänzende Bemerkungen zu der unter obigem Titel erschienenen Arbeit 
von Aschenheim in Nr. 6 dieser Monatsschrift. (Monatsschr. f. Kinder¬ 
heilk., 1913, Orig., Bd. 11, S. 421.) B. regt an, an Säuglingen aus 
Familien' mit exsudativer Diathese fortlaufende Untersuchungen auf 
Eosinophilie zu machen, um die Frage des Zusammenhanges dieser 
Anomalie mit den exsudatiten aufzuklären. Er selbst hat bei einem 
Neugeborenen aus einer solchen Familie keine Eosinophile gefunden. 
Das Kind bekam im zweiten Lebensjahr ein Ekzem hinter den Ohr- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 8. 


muscheln, im übrigen blieb es im Gegensatz zu seinen älteren Ge* 
schwistern von schweren Symptomen der Diathese verschont, wie Yerf. 
glaubt, infolge einer rechtzeitig einsetzenden Ernährungstherapie in Ge¬ 
stalt einer sinngemässen Beschränkung der Nahrungszufuhr. 

R. Weigert. 

DelSarde und G. Hallez: Die Pirpnra chronica der Kindheit. 
(Gaz. des höp., 1912, Nr. 149.) Es werden unterschieden eine Purpura 
chronica simplex, die selten ist und ohne Affektion der Schleimhäute 
verläuft, und eine Purpura chronica haemorrhagica, die bisweilen wohl 
auf eine latente Tuberkulose zurückzuführen ist. 

R. Crömieu und A. Lacassagne: Die Gelenkkomplikatioien 
der Masern. (Gaz. des hop., 1912, Nr. 136.) Gelenkaffektionen sind 
sehr selten und treten erst spät nach dem Eruptionsstadium der Masern 
auf. Sie sind mon- oder oligartikulär und befallen nur die grossen Ge¬ 
lenke. Bisher waren nur beschrieben: Leichte Arthritis, die spurlos 
heilt; Empyem der Gelenke oder scrofulo-tuberkulöse Arthritiden. Es 
werden zwei Beobachtungen angeführt, deren erste ein tuberkulöses 
Individuum betrifft, bei dem ein Hydarthros genu auftrat. In dem 
zweiten Falle bestand intermittierende Arthritis der beiden Kniegelenke, 
die exquisit chronisch verlief und noch nach mehr als zwei Jahren nicht 
geschwunden war. Wartensleben. 

A. Johann essen-Christiania: Poliomyelitis acuta in Norwegen. 
(Monatsschr. f. Kinderheilk., 1913, Orig., Bd. 11, S. 424.) Mitteilungen 
über den geschichtlichen Verlauf der Poliomyelitisepidemien in Norwegen, 
die Wege ihrer Verbreitung und die getroffenen Schutzmaassnahmen: 
Isolierung der Kranken in der akuten Periode bis zu 3 Wochen, Des¬ 
infektion der Sekrete und Exkrete sowie der toten Gegenstände der Um¬ 
gebung; Aufmerksamkeit auf die Möglichkeit der Uebertragung durch 
Abortivfälle und Gesunde; Anzeigepflicht und Schliessung der Schulen. 

E. Döbeli-Bern: Ueber die Verwendung von Opiaten im Kindes- 
alter. (Monatsschr. f. Kinderheilk., 1913, Orig., Bd. 11, S. 439.) Verf. 
hat eine Umfrage über den Gebrauch von Opiaten im Kindesalter ge¬ 
macht, die ergab, dass nicht wenige Pädiater Opiate jenseits des Kindes¬ 
alters ungescheut gebrauchen lassen, im Säuglingsalter aber nur wenige. 
Dabei wird aber von einer Reihe von Vergiftungsfällen von den be¬ 
treffenden Aerzten selbst berichtet. Verf. selbst vertritt in dieser Frage 
den Standpunkt, Opiate auch im frühen Kindesalter anzuwenden, wenn 
Aussicht besteht, dadurch lebensgefährliche Zustände mit Erfolg zu be¬ 
kämpfen, gegenüber denen die Gefahr der Opiumtherapie nicht ins Ge¬ 
wicht fällt (schwerste Stadien von Pertussis, Croup, Pylorospasmus). 

R. Weigert. 

Siehe auch Physiologie: Lindet, Phosphor und Calcium im 
Casein der Milch. — Hygiene und Sanitätswesen: Beyer, Diphtherie¬ 
bacillen im Urin. 


Chirurgie. 

Y. Ozaki-Kyoto: Ueber die Alkoholdesinfektion. (Deutsche Zeit¬ 
schrift f. Chir., Bd. 120, H. 5 u. 6.) Die Arbeit bestätigt nur Bekanntes, 
nämlich dass konzentrierter Alkohol keine keimtötende Wirkung hat, 
dass diese vielmehr weniger konzentrierten Alkoholen zukommt. Verf. 
empfiehlt vor der Alkoholdesinfektion eine kurze Seifenwaschung ohne 
Bürste. J. Becker-Halle. 

E. Sehrwald-Strassburg: Verätzungen dnreh Benzin. (Deutsche 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) Benzin macht gelegentlich starke Haut¬ 
reize mit Nekrosen, besonders wenn es am Verdunsten verhindert wird. 
Verf. sah eine starke Reizung des äusseren Gehörganges nach Reinigung 
des Ohrläppchen im Liegen. Vielleicht lässt sich die nekrotisierende 
Eigenschaft des Benzins therapeutisch, als ableitendes Heilverfahren, 
verwenden. Wolfsohn. 

P. Wolf-Berlin: Zur Catgotfrage. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., 
Bd. 120, H. 5 u. 6.) Verf. kommt im Gegensatz zu Kuhn auf Grund 
seiner Versuche zu dem Resultat, dass eine sichere Sterilisation des 
Catguts auch am fertigen Faden gelingt. Die einfachste und sicherste 
Sterilisationsmethode ist die nach Claudius. J. Beck er-Halle. 

E. Weisz-Pöstyön: Eine einfache Schiene znr Streckung nnd 
Beiging des Kniegelenks. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) 
Oberschenkelhülse mit Ansatz eines rechten Winkels. Der Unter¬ 
schenkel kann abwechselnd gebeugt und gestreckt werden und wird 
durch Gummizug gehalten. 

H. Sehr ick er-Mühlheim a. Rh.: Zwei Beiträge zu den Schuss- 
Verletzungen des Bauches. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) 

1. Schussverletzung im oberen Jejunum. Die Kugel perforierte den 
Darm nur einmal und blieb dann im Darmkanal stecken. Die Darm¬ 
wunde wurde übernäht. Nach einigen Tagen ging das Geschoss per 
rectum ab. 2. Bauchschuss mit Perforation des Zwerchfells, der Speise¬ 
röhre und Verletzung der Brustschlagader. Der Tod trat erst 
18 l / 2 Stunden nach der Verletzung ein. Das Geschoss lag dem Aorteu- 
riss auf und wirkte wahrscheinlich als Selbsttamponade. Das Blut er¬ 
goss sich durch den Schusskanal in die Bauchhöhle und wurde dort bei 
der Laparotomie gefunden. Nach Tamponade der Bauchhöhle entstand 
dann ein grosses Hämatom im Mediastinum. Wolfsohn. 

Ingebrigtsen: Erlebnisse von 295 in derZeit von 1900 bis 1909 
operativ behandelten Leisten- nnd Sehenkelbrüchen. (Nord. med. 
Arkiv, Afd. 1, H. 8, Nr. 5.) Unter 208 radikal operierten und naoh- 


untersuchten Leisten- und Schenkelbrüchen ergab sich ein Recidiv- 
prozentsatz von 1,47 pCt. Die Nachuntersuchung fand im Jahre 1911 statt. 

E. Herzfeld. 

W. G. Spencer-London: Appendieostonrfe statt Colostonüe bei 
Darmverengernng dnreh inoperablen Krebs des Mastdarms und Dick¬ 
darms. (Brit. med. journ., 18. Januar 1918, Nr. 2716.) Um die grossen 
Unannehmlichkeiten einer Colostomie zu vermeiden, macht der Verf. 
statt dessen eine Appendicostomie bei unterhalb sitzenden inoperablen 
Krebsen. Die Oefinung liegt an der Vereinigungsstelle des Blinddarmes 
mit dem Wurmfortsätze, und es liegt darin ein Gummi- und Glasdrain. 
Durch dieses kann Gas abgelassen oder Fäkalinhalt herausgespült werden; 
es kann aber auch Oel, Ricinusöl, Bittersalzlösung oder Seifenwasser 
eingegossen werden, wodurch oft eine Entleerung durch das Rectum er¬ 
möglicht wird. Weydemann. 

A. Wagner-Lübeck: Ueber das akut in die freie Bauchhöhle 
perforierende Magengeschwür. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 120, 
H. 5 u. 6.) Die rationelle Therapie ist Laparotomie und Naht der Per¬ 
forationsstelle. Die Gastroenterostomie gleichzeitig auszuführen, verwirft 
Verf. Sie ist nur auszuführen bei Pylorusstenose oder Sanduhrmagen. 
Die Bauchhöhle soll mit Kochsalzlösung ausgewaschen, das Peritoneum 
drainiert werden. In der Nachbehandlung reichliche Applikation von 
Kochsalzeinläufen. J. Becker-Halle. 

v. Hof meister - Stuttgart: Beiträge zur Chirurgie des Chole- 
doehns. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) 1. Totale Zer¬ 

störung des Cysticus und partielle des Choledochus durch Steine. 

2. Totale eitrige Zerstörung der Gallenblase, Choledochusstein, abge¬ 
kapselte gallige Peritonitis unter der Leber und im kleinen Becken. 

3. Entzündlicher Choledochusverschluss; beginnende biliäre Leberdegene¬ 

ration. 4. Choledochussteine, Recidiv nach dreimaliger Choledochotomie, 
Narbenstenose der Papille; Choledochotomie, Duodenotomie, Dilatation 
der Papillenstenose, Hepaticusdrainage, Choledochoduodenaldrainage. 
5. Chronische Cholecystitis calculosa; intermittierender Choledochus¬ 
verschluss, Choledochuspfortaderfistel; Heilung durch Cholecystektomie, 
Choledochotomie und Naht der Pfortaderperforation. — Plaidoyer für 
Frühoperation. Dünner. 

S. Porta-Siena: Neues Verfahren zur GefKssvereinignng. (Deutsche 
Zeitschr. f. Chir., Bd. 120, H. 5 u. 6.) Verf. bildet an jedem Gefäss- 
stumpf durch vier einander entsprechende vertikale Einschnitte vier 
gleiche, einige Millimeter hohe Läppchen. Von der Mitte der Basis eines 
jeden Läppchens wird von aussen nach innen ein Seidenfaden durchgestochen, 
der von innen nach aussen in der Mitte der Basis des entsprechenden 
Lappens des anderen Stumpfes herausgeführt wird. Verf. gibt an, dass 
dies Verfahren sich nicht zur Naht kleiner Gefasse eigne. 

J. Becker-Halle a. S. 

Siehe auch Geburtshilfe und Gynäkologie: Bleek, Ex¬ 
duralanästhesie. Küster, Indikationen und Resultate abdominaler Tampon¬ 
drainage. _ 


Röntgenologie. 

Siehe auch Innere Medizin: Bauer und Helm, Röntgen : 
befunde bei Kropfherzen. — Geburtshilfe und Gynäkologie: Krönig 
und Gaus: Strahlentherapie in der Gynäkologie: Röntgen- oder Radium¬ 
therapie? _ 


Urologie. 

Feiber-Wildungen: Litbotripsie «der Lithoftonie? (Münchener med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 5.) F. redet der Litbotripsie unbedingt das Wort; 
unter 900 Operationen nur 4 Todesfälle, also V 2 pCt. Mortalität. 

Dünner. 

Siehe auch Innere Medizin: Lindemann, Pathogenese und 
Klinik der Nierenbeckenentzündung. — Geburtshilfe und Gynäko¬ 
logie: Wolkowitsch, Operationsmethode bei schwerer Blasenfistel. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

0. Kren-Wien: Schlussbericht über unsere Erfahrungen mit 
Salvarsan. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) An der Riehl- 
schen Universitätsklinik sind bis jetzt über 600 Salvarsaninjektionen 
ausgeführt worden. Salvarsan hat sich als ein äusserst wirksames Anti- 
lueticum erwiesen, dessen therapeutischer Wert am grössten bei der 
Anwendung während des Primärstadiums ist Bei frischen Sklerosen, 
die serologisch noch negativ reagierten, ist es — mit seltenen Aus¬ 
nahmen — imstande, den Ausbruch der Sekundärerscheinungen hintan¬ 
zuhalten. Einige solcher Fälle sind über 2 Jahre beobachtet und frei 
von Sebundärerscheinungen geblieben. Der Effekt bei Anwendung im 
Sekundärstadium ist weniger energisch. Besonders günstig aber ist die 
Anwendung im Tertiärstadium und bei hereditärer Lues. Ein Todesfall 
nach Salvarsan wurde nicht beobachtet. Die früher aufgestellten Kontra¬ 
indikationen für die Anwendung des Salvarsans sind wesentlich einzu¬ 
schränken, vor allem bedarf das Neurorecidiv einer energischen Salvarsan- 
QuecksiIbertherapie. P. Hirsch. 


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24. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Geburtshilfe und Gynäkologie. 

Cohn-Greifswald: Die innersekretorischen Beziehungen zwischen 
Kaum und Ovarinm. (Monatsschr. f- Geburtsh. u. Gynäkol., Januar 
1913.) Bei einem Fall von Fehlen der Vagina und des Uierus bei 
normal entwickelten Ovarien waren die Brustdrüsen kräftig entwickelt. 
Dieser Fall und andere klinische Beobachtungen beweisen, dass für die 
Entwicklung der Brustdrüse die Ovarien notwendig sind, und zwar 
ohne eine vermittelnde Einwirkung des Uterus. Andererseits wird durch 
einen Fall von Galaktorrhoe bei Atrophie der Ovarien die auch sonst 
klinisch gestützte Tatsache illustriert, dass zwischen der Funktion der 
Mamma und den Ovarien ein grosser Antagonismus besteht. 

Wald stein-Wien: Ueber Brens’sche Molen nnd retinierte Eier im 
allgemeinen. (Monat sehr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., Januar 1913.) In dem 
einen Fall blieben die Menses 2V 2 Monate aus; dann erfolgte eine 
Blutung, mit der eine Verkleinerung der Gebärmutter einherging; nach 
weiteren 2 Monaten wurde eine Breus’sche Mole entfernt. Der Embryo 
war lange zuvor abgestorben und geschrumpft; seine Innenstruktur ent¬ 
spricht einem Embryo von achtwöchigem Alter. Einzelne Gewebsanteile 
überlebten den Fruchttod, differenzierten sich sogar nach demselben 
weiter. Gleiches gilt von der Flacenta, welche bis zu ihrer Entfernung 
weiter lebte und sioh in einzelnen Teilen weiter differenzierte. Als ver¬ 
mutliche Ursache des Fruchttodes wurden schwere Veränderungen an den 
Zotten festgestellt. Der zweite Fall war eine einfache Fleischmole; den 
Unterschied beider kann man dahin definieren, dass letztere ein durch¬ 
blutetes, die Fleischmole ein aneurysmatisches Ei ist. — In Experimenten 
mit Föten und Placenten, die in Serum, Ringerlösung u. dergl. ver¬ 
schieden lange Zeit aufbewahrt wurden, ergab sich, entsprechend den 
mikroskopischen Befunden an den retinierten Eiern, dass die verschie¬ 
denen Gewebe verschieden lange den Tod des Individuums zu überleben 
imstande sind. 

Wo lff-Heidelberg: Oxydasenreakt^ü in der Flacenta. (Monats¬ 
schrift f. Geburtsh. u. Gynäkol., Februar 1913.) Bei Färbung nach 
Gierke (Münchener med. Wochenschrift, 1911) lassen sich im Syncytium 
sowohl der wachsenden, wie der reifen Placenta, in den Langhanszellen, 
weniger konstant in der Decidua, granuläre Substanzen finden, an welche 
die Fähigkeit geknüpft ist, oxydative Synthesen zu vollbringen. 

Sarateanu und Velican-Bukarest: Die Wassermann’sche Reak¬ 
tion in der Schwangerschaft der Frauen und bei den Wöchnerinnen. 
(Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., Januar 1913.) Die Reaktion wurde 
bei 27 auf Lues verdächtigen Frauen (Frühgeburten, macerierte Kinder, 
Aborte) angestellt; in 19 Fällen war sie positiv; von den 8 negativen 
hatten 2 sicher Lues gehabt, die anderen wahrscheinlich nicht. Die 
positive Reaktion ist ein sicheres Zeichen für bestehende Lues; der nega¬ 
tive Ausfall schliesst die Lues nicht absolut sicher aus. 

Zwei fei-Leipzig: Ueber die Behandlung der Eklampsie. (Monats¬ 
schrift f. Geburtsh. u. Gynäkol., Januar 1912.) Unbefriedigt von den 
Ergebnissen der operativen Schnellentbindung, wendet Z., gestützt auf 
den Nachweis von Lichtenstein, dass bei der operativen Entbindung 
der Blutverlust das Wesentliche ist, den primären Aderlass (ca. 500 ccm) 
und die milde narkotische Behandlung nach Stroganoff mit Morphium 
und Chloralhydrat an. Auf 84 so behandelte Fälle kommen 5 Todes¬ 
fälle; die letzten 64 Fälle sind hintereinander geheilt. Dass die Ent¬ 
leerung des Uterus nicht der maassgebende Heilungsfaktor sein kann, 
beweisen einerseits die Fälle interkurrenter Eklampsie, d. h. diejenigen, 
in denen die Erkrankung bei fortdauernder Gravidität ausheilt, anderer¬ 
seits die häufig so schweren Wochenbettseklampsien. 

Sonnenfeld-Berlin: Intakte Tnbargravidität trotz intrauterinen 
Eingriffs und wiederholter bimanneller Untersuchungen nebst Be¬ 
merkungen zur Diagnostik der Tubargravidität. (Monatsschr. f. Geburtsh. 
u. Gynäkol.. Februar 1913.) Kasuistische Mitteilung. In Ausnahme¬ 
fällen kann man zur Sicherung der Diagnose eine Abrasio vornehmen. 
Vorbedingung ist strengste Asepsis und die Möglichkeit, bei negativem 
Ausfall der Abrasio sofort die Laparotomie anschliessen zu können. 

Vogt-Dresden: Zur Kenntnis der Weichteildefekte am Kopfe Neu¬ 
geborener. (Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., Januar 1913.) Drei 
Fälle, die nicht traumatischen, sondern amniogenen Ursprungs waren; 
sie entstehen durch Zerreissung amnialer Verwachsungen. 

Puppet-Mainz: Wiederholte Tubargravidität. (Monatsschr. f. 
Geburtsh. u. Gynäkol., Februar 1913.) P. polemisiert gegen Hirsch, 
der bei der Frage, ob man bei der Operation einer Tubargravidität die 
Tube der anderen Seite ebenfalls entfernen soll, auch soziale Momente 
berücksichtigen will. Nach P. dürfen bei dieser Frage rein sachliche 
Erwägungen mitsprechen, wie er sie in einer früheren Arbeit erörtet hat. 

L. Zuntz. 

G. Linzenmeier-Kiel: Die Bedeutung der Hypophysenpräparate 
fir die Hebosteotomie. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 5.) Nach 
wohlgelangener Hebosteotomie macht die eigentliche Geburt oft die 
grössten Schwierigkeiten. Bei der Anwendung der Zange oder der 
Wendung und Extraktion gibt es oft schwere Zerreissungen, andererseits 
durfte man bei völligem Fehlen der Weben auch nicht zu lange warten, 
und es war schwer, hier das richtige Mittelmaass zu finden. Hierin 
hat der Hypophysenextrakt Wandel geschaffen, der schnell gute Wehen 
bewirkt. 


L. Stolper-Wien: Hypophysenextrakt und Spätgeburt. (Central¬ 
blatt f. Gynäkol., 1918, Nr. 5.) Im Anschluss an die Mitteilungen von 
Hager hat Verf, das Pituitrin in Fällen versucht, in denen nach der 
üblichen Berechnung eine Uebertragung stattgefunden hatte. Es war 
ursprünglich zweifelhaft, ob man berechtigt sei, nur zum Zweck der 
Einleitung der Geburt das Hypophysenextrakt anzuwenden, und ob man 
nicht dadurch Gefahr lief, einen mehr oder weniger heftigen Tetanus 
uteri zu machen, eine Möglichkeit, für welche die Erfahrungen, die 
einzelne Autoren beim Abort gemacht hatten, wohl sprachen. Es zeigte 
sich aber, dass ein deutlicher Unterschied in der Beziehung zwischen 
Abort und übertragenem Kinde besteht. In beiden Fällen, in denen 
die Frucht übertragen war und 4200 und 4500 g wog, fand eine glatte 
Spontangeburt in einigen Stunden naeh Anwendung der zweiten Injektion 
statt. Verf. glaubt danach, das Hypophysenextrakt als eventuellen 
Ersatz für die künstliche Frühgeburt empfehlen zu sollen. 

Spaeth-Hamburg: Hat das Pituitrin einen nachteiligen Einfluss 
auf das Kind? (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 5.) Eine 20jährige 
Erstgebärende mit Steisslage der Fiucht erhält nach zweimal 0,5 g Pi¬ 
tuitrin kräftige Wehen, die den Steiss des Kindes auf den Beckenboden 
beförderten. In leichtem Aetherrausch wird das Kind extrahiert. Die 
Nabelschnur ist zweimal um den Hals geschlungen. Das Kind stirbt 
tief asphyktisch trotz aller Belebungsversuche. Bei der sofort vor¬ 
genommenen Sektion wird keine Todesursache gefunden. Verf. glaubt 
den Tod des Kindes auf die Wirkung des Hypophysenextraktes schieben 
zu müssen. Den Beweis dafür bliebt er schuldig. 

Giesel-Wilchingen: Ueber die Wirkung von Pantopon nnd Pitu* 
glandol in der Geburtshilfe. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 5.) 
Verf. redet der Kombination von Pantopon und Pituglandol das Wort. 
Während ersteres die Schmerzen absturapft, bewirkt letzteres ein ver¬ 
stärktes Auftreten der Wehen. Die erstgenannte Wirkung ist ebenfalls 
ein© Beförderung der Geburt, namentlich in der Austreibungsperiode, 
denn es bewirkt, dass nicht, wie man das so oft sieht, infolge der 
Schmerzhaftigkeit die Kreissende das Mitpressen versäumt und gegen die 
Wehen direkt ankämpft. Auch bei Atonie ist es anzuwenden, jedoch 
nicht, wenn der Uterus entleert ist, denn dann wollen wir ja gerade 
dauernde Kontraktion haben, und diese bewirkt besser das Secale. Aller¬ 
dings kann auch das Pituglandol wesentlich die Wirkung verstärken. 
Asphyxie der Kinder hat Verf. nicht beobachtet. Siefart. 

K lein -München: Adrenalin and Pituitrin bei Dysmennorrhöe. 

(Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., Februar 1913.) Gesundheit ist 
Gleichgewicht der Hormone. Die Dysmenorrhöe beruht häufig auf einer 
Ueberproduktinn der Oophorine. Adrenalin ist deren Antagonist. Dem¬ 
entsprechend wurde in zahlreichen Fällen mit Adrenalin in Dosen von 
1—5 Decimilligramm ausgezeichnete Resultate erzielt. In anders ge¬ 
arteten Fällen wurden auch mit Pituitrin gute Erfolge erzielt. 

Daniel-Jassy: Die elephantiastische Tiberknlose der Vulva 
(primäre tuberkulöse Elephantiasis). (Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gyn., 
Jan. 1913.) Die Tuberkulose der Vulva kommt vor als Lupus, in ulce- 
röser Form und sehr selten als hypertrophische oder elepbantiastiscbe. 
Ein derartiger Fall wird beschrieben. Die Behandlung bestand in Ex- 
cision der Vulva samt den Leistendrüsen. Die Dauerresultate bei dieser 
Behandlung sind meist wenig erfreuliche. 

Bretschneider-Leipzig: Ueber die Ursachen, Therapie und die 
forensische Bedeutung der violenten Gebärmntterverletznngen. (Monats¬ 
schrift f. Geburtsh. u. Gyn., Jan. 1913.) 4 selbst behandelte Fälle. Bei 
violenten Uterusrupturen usw. muss man in voraussichtlich nicht infi¬ 
zierten Fällen den Riss nähen und von der Totalexstirpation absehen. 
Die instrumenteile Perforation eines gesunden Uterus ist stets als 
Kunstfehler anzusehen, die eines kranken oder senil atrophischen nicht. 
Ein grober Kunstfehler ist es, wenn die Perforation nicht erkannt und 
weiter gearbeitet wird; dies führt zu den prognostisch ungünstigsten 
Fällen. An jede Perforation, die mit grösseren Instrumenten als wie die 
Sonde ausgeführt ist, ist die Laparotomie sofort anzuschliessen (ein Stand¬ 
punkt, der von den meisten Gynäkologen für reine Fälle wohl nicht ge¬ 
teilt wird. Der Ref.). Bei reinen Fällen ist der Riss zu nähen, bei 
verdächtigen oder infizierten der Uterus zu exstirpieren. 

L. Zuntz. 

Krönig und Gaus-Freiburg: Die Strahlentherapie in der Gynäko¬ 
logie: Röntgen- oder Radinmtherapie? (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, 
Nr. 5.) Die Radiumtherapie kann mit schwach gefilterten und stark ge¬ 
filterten Strahlen geübt werden. Erst allmählich ging man von der 
Oberflächen- zur Tiefenwirkung über. Durch Tierversuche wurde anfäng¬ 
lich festgestellt, dass bei Anwendung der stark gefilterten Strahlen, 
ebenso wie dies bei den Röntgenstrahlen der Fall ist, die Haut weniger 
geschädigt wird als bei schwach gefilterten. Es ergaben die Versuche, 
dass das Optimum der Filterung bei 10 mm Aluminiumfilterung lag. Die 
anatomischen Untersuchungen an den Versuchstieren Hessen ferner den 
Schluss zu, dass es durchaus aussichtsvoll sei, die ultrapenetrierenden 
Strahlen in der Radiumtherapie anzuwenden. Verff. verfügen jetzt über 
56 Fälle, die alle der Radiumbestrahlung mit und ohne Kombination 
mit Röntgenbestrahlung ausgesetzt sind. Die Anwendung gestattet den 
Schluss, dass diese Therapie bei Myomen und Metropathien ausserordent¬ 
lich prompt wirke, ja dass die Anwendung der Radiumstrablen derjenigen 
der Röntgenstrahlen sogar noch überlegen ist, namentlich in bezug auf 
die Schnelligkeit des Erfolges. Trotz der erzielten Amenorrhoe wurde 
aber eine so weitgehende Rückbildung der Tumoren, wie beim Röntgen- 


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Nr. 8. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


verfahren, nicht erreicht. Es wird sich also empfehlen, neue Erfahrungen 
darüber zu sammeln, wie man es anzustellen hat, der Radiumlherapie 
gleich ausgedehnte Anwendung zu verschaffen, wie der Röntgentherapie. 
So lange, bis dies geschehen, wollen sich die Autoren mit eiuer Kombi¬ 
nation beider begnügen. 

F. Lehmann: Klimakterische Blutungen and Carcinomprophylaxe. 

(Centralbl., f. Gynäkol., 1913, Nr.3.) KUmabterischeBlutuugeu gibt es nicht; 
es ist nur eine Eigentümlichkeit des klimakterischen Alters, dass gerade in 
diesem Alter häutig Endometritis auftritt. Es ist wohl berechtigt, von 
einer hämorrhagischen Metropathie zu sprechen. Nun fällt aber unglück¬ 
licherweise ius Klimakterium sehr häutig der Beginn des Carcinoms. So 
können sehr leicht Täuschungen über die Art der Blutung Vorkommen. 
Wenn man also etwas erreichen will, müssen Arzt und Patient lernen, 
jedo Blutung im Klimakterium gründlichst zu untersuchen bzw. zu be¬ 
handeln. Siefart. 

Dubois-Bern*. Zur Frage der sogenannten AasfallserscheinaBgen. 
(Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., Februar 1913.) In Ueberein- 
stimmung mit Wallhard wendet sich D. gegen die allgemein herrschende, 
neuerdings wieder von Schi ekele besonders betonte Anschauung, dass 
die Beschwerden des Klimakteriums allein auf dem Fortfall der inneren 
Sekretion der Ovarien beruhten. Vielmehr spielen nach D. dabei psy¬ 
chische Momente die Hauptrolle, und dementsprechend kann man durch 
eine vernünftige Psychotherapie ausgezeichnete Heilerfolge erzielen. 

Neu-Heidelberg: Zur spezifischen Diagnostik and Therapie der 
weiblichen Adnexgonorrhöe. (Monatssehr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., 
Februar 1913.) Zur Verwendung kam das Bruck’sehe Arthigon. Die 
damit erzielten Resultate waren zusammengefasst, dass wir in der 
Vaccination ein sicheres klinisches Diagnosticura nicht besitzen, und dass 
der von anderer Seite (Fromme, Collmanu usw.) berichtete Heil wert 
nicht festgestelit werden konnte. 

Wo 1 ko witsch-Kiew: Ein Fall von hartnäckiger Harninkontinenz 
bei einer Frau, der durch die von mir vorgeschlagene Operationsracthode 
bei schweren Blasenfisteln geheilt wurde. (Monatsschr. f. Geburtsh. u. 
Gynäkol., Februar 1913.) Die Methode besteht darin, dass der Uterus 
als Stütze für die Urethra bzw. Blase verwandt wird. L. Zuntz. 

Juble: Zur Kenntnis der Hypertrophia ntamnae. (Nord. med. 
Arkiv, 1912, Afd. I, H. 2, No. 4.) Kasuistik. Aetiolog'sch spielt in 
vereinzelten Fällen familiäre Disposition eine Rolle. Der Beginn der 
Erkrankung fällt in der Mehrzahl der Fälle entweder mit der Pubertät 
oder mit dem Eintreten einer Gravidität zusammen. Die Hypertrophien 
machen häufig heftige Schmerzen; infolge des Druckes kommt es bis¬ 
weilen zu Atemnot. Ein spontanes teilweises Zurüekgehen wird nur bei 
der Hypertrophie, die im Anschluss an eine Gravidität entstanden ist, 
beobachtet. Therapeutisch kommen Bandagenbehandlung, Mastopexie 
und in den schwersten Fällen Ablatio maramae in Betracht. 

E. Uerzfeld. 

Bleek-Bonn-Bielefeld: Uebcr Extraduralanästhesie für chirurgische 
und gynäkologische Operationen. (Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., 
Januar 1913.) Bei 2*2 auf das Gebiet der Sakralnerven beschränkten 
Operationen versagte die Methode nie; bei Leistenbruch-, Blasen- und 
Alexander-Adams-Opcrationen genügten minimale Aethermengen zur 
Unterstützung. Für alle derartigen Operationen ist das Verfahren die 
Methode der Wahl. Es wurden 20 ccm eiuer 2 proz. Novocaiulösung in¬ 
jiziert. Der Versuch, durch grössere Dosen und steile Beckenhoch Lage¬ 
rung eine hohe extradurale Anästhesie zu erzielen, ist zu verwerfen, 
ebenso die Kombination mit dem Skopolamin-Dämmerschlaf. 

L. Zuntz. 

H. Küster-Breslau: Indikationen nnd Resultate abdominaler 
Tampondrainage. (Münchener med. Wocheuschr., 1913, Nr. 5.) 1. Die 

Tampondrainage nach Mikulicz ist wirksam zur Beherrschung der sog. 
parenchymatösen Blutungen im kleinen Becken, wenn die sonst üblichen 
Blutstillungsmethoden nicht ausreichen. 2. Sie ist ein sicheres Mittel 
zur Erzeugung eines gegen das freie Peritoneum geschlossenen Kanals, 
durch den Wundsekret aus der Beckenhöble abgeleitet werden kann, 
nicht dagegen vermag sie eine dauernde Ableitung von Flüssigkeit aus 
dem Peritonealraum zu garantieren. 3. Nachteile sind die Verlängerung 
des Krankenlagers und die Gefahr der HernienbilduDg. 4. Angezeigt ist 
die Tampondrainage a) bei Blutungen, b) wenn viel Wundsekret zu er¬ 
warten ist und c) bei Infektion bzw. Infektionsverdacht. 5. Kontra- 
indiziert ist die Tampondrainage bei diffuser Peritonitis und Ascites. 

Dünner. 

L. Salle und A. Forraz: Die Tuberkulose der Adnexe. (Gaz. 
de9 hop., 1912, Nr. 143.) Die Infektion erfolgt wohl meist auf endo¬ 
genem Wege. Hauptsymptome sind neben dem palpatorischen Befund: 
Schmerzen, weisser und eitriger Fluor, Störungen der Menstruation, Ab¬ 
magerung, Schwäche und Labilität der Temperatur. Klinisch werden 
unterschieden: Pelveoperitonitis mit Ascites, Perisalpingitis, die eitrig 
werden kann, seLten chronisch-parenchymatöse Salpingitis, um so häufiger 
aber der kalte Abscess der Tuben, endlich noch entzündliche Genital- 
tuberkulose. Eine wirksame Therapie kann im allgemeinen nur in mehr 
oder minder radikalem chirurgischen Eingriff bestehen. 

Wartensleben. 


Augenheilkunde. 

E. Thon?son-GIasgow: Myoeloaus des .Inges., (Lancet, 18. Januar 
1913, Nr. 4664.) Der Kranke hatte von der Geburt an unter Kopf¬ 
schmerzen und Ucbelkeit, Anfällen von rhythmischen Kontraktionen des 
linken Orbicularis palpebr. und des Occipito-frontalis zu leiden. Die 
Lidspalte wurde nicht völlig geschlossen. Zuweilen wurde der Krampf 
unregelmässig. Wenn der Patient nicht accomm edierte und wenn das 
Lieht nicht zu hell war, zogen die Pupillen sich ebenso rhythmisch zu¬ 
sammen wie die beiden Muskeln. Das Nervensystem war sonst gesund. 
Brom brachte Linderung der Anfälle. Die Erscheinungen dieses Falles 
entsprachen der Theorie von Mendel, dass normal vom Oculomotorius- 
centrura Innervationen zum Orbicularis und Occipito-frontalis gehen. 

Weydemann. 

E. G uz m an n - "Wien: Ueber hereditäre, familiäre Sehnervei- 
atropbie. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) Der von G. beob¬ 
achtete Fall ist der sechste in einer Familie. Er betrifft ein weibliches 
Mitglied dieser Familie in der lünften Lebensdekade, was einen ausser¬ 
ordentlich späten Termin für das Auftreten dieser Krankheit bedeutet. 

P. Hirsch. 


Hals-, Nasen- und Ohrenkrankhelten. 

R. Bäräny-Wien: Ueber einen Fall von vollständiger Wieder- 
herstellang des Gehörs na:h kompletter, nahezu ein Jahr dauernder 
Taubheit bei dem von Bär.iuy beschriebenen Symptomenkomplex. 
(Wiener kliu. Wochenschr., 1913, Nr. 4) Nach einer in der Sitzung 
der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien am 10. Januar 1913 abge- 
halteuen Demonstration. Referat siehe den Sitzungsbericht. 

P. Hirsch. 

Brandenburg - Cassel: Eine exzessive knorpelige Schiefnase. 

(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) Der Nasenrücken war stark 
verbogen, das Septum war in mehreren Ebenen und Richtungen geknickt 
Es bestand eine Luxation der parallel dem Nasenrücken laufenden 
Randzone der Cartilago quadrangularis. Es wurde zunächst diese 
Luxation durch Keilexzision beseitigt und dann über korrigiert Weiter¬ 
behandlung mit dem Scbiefnasenapparat nach Joseph. Gutes Resultat 
Abbildung. Wolfsohn. 


Hygiene und Sanitätswesen. 

Gärtner-Jena: Ueber Infektionen mit Typhas durch Quellen. 
(Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt 1, Orig., Bd. 64, Löffler-Festschrift, 
S. 214.) An der Hand von besonders eigenartigen Beispielen zeigt G., 
dass Quellen häufiger als man denkt Typhus vermitteln, und weist 
darauf hin, wie vorsichtig man in der Beurteilung von Quellen überhaupt 
sein muss; nur genaueste Untersuchung in regnerischen Zeiten und vor¬ 
sichtige Abschätzung aller Verhältnisse bei genau untersuchter Oertlich- 
keit können vor Irrtüraern schützen. 

W. Stein brück-Stolzenhagen bei Stettin: Zur Bekämpftng dop 
Diphtherie. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig., Bd. 64, 
Löffler Festschrift, S. 207.) Mitteilung der Erfahrungen, die der Yerf. 
in seiner langjährigen Tätigkeit als praktischer Arzt auf dem Lande bei 
der Bekämpfung der Diphtherie sammeln konnte. Behandlung und 
Prophylaxe sind hierbei nach ihm die ausschlaggebenden Faktoren. 

R. Abel-Berlin: Erfolge und Mängel der Diphtheriebekämpfuug. 
(Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig., Bd. 64, Löffler-Festschrilt, 
S. 229.) In Deutschland ist die Sterbeziffer für Diphtherie in den 
letzten Jahrzehnten und namentlich nach Einführung der Serumtberapie 
zwar sehr wesentlich herabgegangen, liegt aber immer noch über der¬ 
jenigen des Scharlachs. In den letzten Jahren ist sie kaum noch ge¬ 
sunken; auch ist sie in Deutschland höher als in anderen europäischen 
Staaten. Selbst unsere grossen Städte mit ihrer guten Sanitätspolizei 
haben noch beträchtlich unter der Diphtherie zu leiden. Es scheint 
sogar, als ob einige Anzeichen für ein neuerdings einsetzendes Umsich¬ 
greifen und Schwererwerden der Krankheit sprechen. Von den gegen 
die Weiterverbreitung der Diphtherie erforderlichen seuchenpolizeilichen 
Maassregeln muss zunächst die Anzeigepilicht für jeden Krankheitsfall 
unbedingt erfüllt werden; jetzt entgehen oft nicht ärztlich behandelte 
Fälle der Meldung. Die Handhabung der weiteren Maassnahmen muss 
schärfer sein. Die Bekämpfung sollte mehr als bisher auf die bakterio¬ 
logische Untersuchung gestützt werden. Bei Schulepidemien müsste auf 
das Vorhandensein von Bacillenträgern gefahndet werden; die Wieder¬ 
zulassung Genesener zum. Schulbesuch sollte erst nach mehrmaligem 
negativen Ausfall der bakteriologischen Untersuchung gestattet werden. 
Es wäre wünschenswert, wenn die Kosten der Schlussdesinfektion auf 
allgemeine Kosten übernommen würden; auch für Beschaffung von Heil¬ 
serum zu prophylaktischen Injektionen sollten öffentliche Mittel in weit 
grösserem Maasstabe als bisher verfügbar gemacht werden. 

Bierotte. 

W. Beyer-Rostock: Diphtheriebacillen im Harn. (Münchener 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) Bei allen seinen untersuchten Fällen 
fand B. Diphtheriebacillen im UHd. Auch bei einem Bacillen träger 
gelang der Nachweis. Bei vielen Patienten erstreckt sich die Bacillen¬ 
ausscheidung durch den Harn auf Monate. Eine Beeinflussung durch 
Urotropimnedikation Hess sich nicht erzielen. Irgendwelche Schluss- 


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24. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


363 


folgeraogen Ober Internierung von Bacillenausscbeidern lassen sich nicht 
ziehen, da man, was wohl verständlich ist, auf einen unüberwindlichen 
Widerstand von seiten der Patienten stossen wird. 

A. Hegar-Wieslocb: Beitrag zur Frage der Sterilisierung ans 
rftMthygienischen Gründen. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) 
Eine wesentliche Reinigung des Volkes und Verringerung der Zahl der 
Insassen von Gefängnissen und Irrenanstalten durch die Sterilisation von 
geisteskranken Rechtsbrechern ist nicht zu erwarten. Die Kriminalität 
ist als Anzeige für die rassehygienische Sterilisation nicht zu verwerten. 
Man müsste mit der Sterilisation, um überhaupt etwas zu erzielen, schon 
in früheren Lebensjahren beginnen; es käme dann aber auch die Steri¬ 
lisation der Erzeuger von defekten Individuen in Frage mit Rücksicht 
auf weitere Nachkommen. Dünner. 


Technik. 

Gersing - Kreuznach: Eine KiüBstfltze zur Verhinderung des 
Schiarchens. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) Stehkragen¬ 
artige Halsbinde mit Auflagen für das Kinn. Der Kopf muss so ge¬ 
lagert werden, dass er nicht zurücksioken kann. Wolfsohn. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 12. Februar 1913. 

Vorsitzender: Herr Orth. 

Schriftführer: Herr Israel. 

Vorsitzender: In der Sitzung der Aufnahmekommission am 
5. Februar 1913 wurden nachstehende Herren Doktoren aufgenommen: 
Willy Misch, Max Glass, Paul Leubuscher, Aloys Wagner, 
A. Gottheiner, Ritter (Zahnarzt), Edwin Silbermann, J. Gold- 
stein, Bruno Moses, Tachan, Prof. Cremer, Fritz Munk, San.- 
Rat Sand. 

Als Gast befindet sich unter uns Herr Dr. Edwin Pfister aus 
Cairo. Ich begrüsse ihn. 

Für die Bibliothek ist eingegangen: Von Herrn A. Albu: 
Grundzüge für die Ernährung von Zuckerkranken. Halle a. S, 1912. 

Tagesordnung. 

1. Hr. Engen Joseph: 

Demonstration eystoskopiseher Bilder von Bilharzia der Blase. 

(Kurze Demonstration.) 

Ich batte vor ungefähr zwei Monaten Gelegenheit, einen ägyptischen 
Herrn zu untersuchen, der an Blasenbeschwerden litt. Es war bereits 
vor der Cystoskopie klar, dass die Ursache dieser Blasenbeschwerden 
die Bilharzia haematobium war, die ägyptische Krankheit, weil die 
Herren, die den Patienten mir zur Untersuchung überwiesen, Bilharzia- 
eier im Urin uod im Stuhlgang gefunden hatten. Die Herren Albu 
und Kalemann, welche diesen Befund erhoben hatten, wollten sich nur 
über die Ausdehnung der Erkrankung in der Blase informieren. 

Die Bilder, die ich bei der Cystoskopie erhielt und zeichnen liess, 
sind deshalb besonders charakteristisch ausgefallen, weil die Bilharzia 
in diesem Falle völlig unkompliziert war, weder durch Neoplasma¬ 
bildung noch durch Concrementbildung, so dass die Bilder, die ich vor¬ 
fand, reine Bilharziabilder waren. 

Ich möchte Ihnen diese Bilder wegen der Seltenheit der Erkrankung 
hier kurz demonstrieren. 

Man sah in der Blase massenhaft Eier als rundliche, an Schnee¬ 
beeren erinnernde Gebilde. Sie sind glänzend, prominent unter der 
Schleimhaut, sehen etwas blasig aus, und auf den ersten Blick miliaren 
Tuberkeln ähnlich. Sie sind allerdings etwas grösser, aber die Unter¬ 
scheidung ist doch leicht, weil die miliaren Tuberkel gewöhnlich dicht 
an den Gefässschlingen sitzen. Das kann man von den Bilharziaeiern 
nicht sagen. Es ist ein relativ seltener Befund, dass die Eier sich so 
frei durch die Schleimhaut hindurch präsentieren, wie es hier der Fall 
ist. Für gewöhnlich sind die Eier als Fremdkörper von festen Granu¬ 
lationen umschlossen und werden von ihnen vollkommen verborgen. 

Das zweite Bild zeigt den richtigen Bilharziatumor, wie ihn nament¬ 
lich die auf diesem Gebiete an Erfahrungen sehr reichen Franzosen be¬ 
schrieben haben. Sie haben sehr passend diesen Tumor, der sehr 
charakteristisch ist, mit einem Champignon verglichen, dieser Ausdruck 
stammt von Legen. 

Hier sehen Sie schliesslich einen etwas cyanotischen Tumor, der 
etwas länglicher gestaltet ist und an der Oberfläche dieses eigentümliche, 
erdbeerformige Gebilde trägt. Es kommt dadurch zustande, dass die 
Granulationen frei an die Oberfläche durchbrechen. Das Rote, Körnige 
sind Granulationen, richtige, echte ‘Granulationen, Fremdkörpergranu¬ 
lationen, wie sie sich um jeden Fremdkörper im Organismus bilden. 
Diese freien Granulationen können Sie auch länglicher angeordnet finden, 
und dann kommt das zustande, was die Franzosen als Hahnenkarara be¬ 
schrieben haben. Diese freie Granulationsfläche ist ebenfalls für Bilharzia 
charakteristisch. Sie gibt gleichzeitig eine Erklärung für die häufigen 


Blutungen bei Bilharzia. Durch die Zersetzung des Urins zerfallen die 
Granulationen; die zarten Gefässschlingen fangen zu bluten au und geben 
dadurch zu operativen Eingriffen Anlass. 

Ich möchte noch binzufügen, dass die Behandlung dieser Fälle, so¬ 
weit sie nicht durch Concrement- oder maligne TumorbilduDg oder sehr 
starke Blutungen oder sehr starken Harndrang kompliziert sind, so dass 
die Patienten sich sehr quälen oder sich in ihrem Leben bedroht fühlen, 
zunächst rein konservativ sein soll. Auch dieser Patient wird zunächst 
konservativ mit Copaivbalsam oder Methylenblau behandelt. Man würde 
erst später daran denken, wenn er sich unter dieser Behandlung nicht 
bessert, ihn etwas eneigischer anzufassen. Es ist ja verschiedentlich die 
Sectio alta bei diesen Erkrankungen gemacht worden. Wie mir Herr 
Kollege Pfister auf Grund seiner reichen, in Cairo gesammelten Er¬ 
fahrungen sagte, empfiehlt sich auch Extraetum filieis maris bei 
Bilharzia. 

Diskussioo. 

Hr. Ernst R. W. Frank: Ich möchte im Anschluss an die inter¬ 
essante Demonstration darauf hinweisen, dass die Engländer, die auf dem 
Gebiete der Bilharzia aus ihren Kolonien grosse Erfahrungen besitzen, 
die Beobachtung gemacht haben, dass Menschen, welche in Aegypten, 
in Natal und in anderen Distrikten Afrikas schwer an Bilharzia der 
Harnwege erkrankt waren, die an schweren Blutungen gelitten hatten, 
sich, sobald sie Dach Europa zurückkehren und also vor der Möglichkeit 
neuer Infektion geschützt sind, sich so rasch und so erheblich bessern, 
dass bei kolonialen Soldaten zum Beispiel Bilder sehr schwerer Blasen¬ 
erkrankung niemals gesehen werden. Ich habe Gelegenheit gehabt, in 
London eine Reihe einschlägiger Fälle zu untersuchen und konnte Ihnen 
in der vorigen Sitzung auch einige der von mir dort aufgenommenen 
Blasenbilder zeigen. Diese erheblichen Granulome hatten sich so zurück¬ 
gebildet, dass man nur relativ geringfügige Affektionen fand, und dass 
die Leute dementsprechend auch im grossen und ganzen keine Blutungen 
hatten und frei von Beschwerden waren. Sie gaben mir allerdings an, 
dass ohne irgendwelche Ursache, auch ohne irgendwelche besonderen 
subjektiven Erscheinungen von Zeit zu Zeit ganz leichte Blutungen sie 
daran erinnerten, dass sie nicht ganz geheilt seien, und auf diesem 
Gebiet besonders erfahrene Londoner Kollegen berichten mir von so er¬ 
heblichen Besserungen, dass die Leute gar keiner Behandlung bedürften, 
dass aber ein objektiver Beweis für die Ausheilung der Krankheit bis 
jetzt noch nicht erbracht worden wäre. 

Ich will noch erwähnen, dass zwei in Natal erkrankte Soldaten an- 
gaben, dass die Eingeborenen sich mit Erfolg durch reichlichen Genuss 
von Salzwasser behandeln. Es waren damals Versuche in dieser Richtung 
im „Milbank“ in London im Gange. Ich habe aber bisher über ein Er¬ 
gebnis noch nichts erfahren können. 

2. Hr. M. Rothmann: 

Gegenwart and Zukunft der Räckenmarkschirargie. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

Diskussion. 

Hr. Stadelmann: Herr Kollege Rothmann bat auf Grund seiner 
sehr schönen Tierexperimente gewisse Rückschlüsse auf die Verhältnisse 
beim Menschen gemacht, wie ich anerkenne in durchaus sehr vorsichtiger 
Weise, und er bat uns die Verhältnisse klargelegt, wie sie sich da bei 
den Menschen gestalten würden. Nun ist mir ein PuDkt besonders auf¬ 
gefallen. Herr Kollege Rothmann hat, soviel ich von ihm gehört und 
verstanden habe, nur Durchschneidungsversuche gemacht. Bei Tumoren 
wäre ja die Sache so, dass man da nicht eine Durchschneidung machen, 
sondern grössere Stücke herausschneiden müsste. Es wäre doch von 
ausserordentlichem Interesse, wenn Herr Kollege Rothmann auch der¬ 
artige Experimente bei Tieren machte. Vielleicht hat er das schon 
getan, dann möchte ich um eine Mitteilung darüber bitten, ob sich 
nicht die Verhältnisse ganz anders gestalten, wenn er bei Tieren gewisse 
Teile des Rückenmarks in grösserer Ausdehnung herausschneidet, als 
wenn er nur Durohtrennungsversuche macht. Um das auf den Menschen 
anwenden zu können, wären gerade solche Versuche von eminenter Be¬ 
deutung. 

Hr. Borchardt: Ich glaube, wir alle, namentlich wir Chirurgen, 
müssen Herrn Rothmann sehr dankbar sein für die vielfachen An¬ 
regungen, die uns sein Vortrag gebracht hat. 

Dass er mit seinem Vorschläge im Jahre 1907, man solle intra¬ 
medulläre Tumoren operieren, recht behalten hat, das haben Sie aus 
der Kasuistik ersehen. 

Vor allem müssen wir Herrn Rothmann dankbar sein, für die 
interessanten Mitteilungen, die beweisen, dass das Rückenmark doch 
sehr viel mehr verträgt, als wir Chirurgen bisher annabmen. Wir haben 
das Rückenmark immer als ein viel subtileres Organ betrachtet als das 
Gehirn, und haben jedwede, auch die kleinste Verletzung nach Mög¬ 
lichkeit zu vermeiden gesucht. 

Ich möchte nur auf einen Punkt hier noch eingehen, das sind die 
intramedullären Tumoren. Herr Kollege Rothmann hat uns eine ver¬ 
hältnismässig grosse Kasuistik, die innerhalb weniger Jahre erschienen 
ist, mitgeteilt. Ich glaube, wenn man diese Kasuistik liest, so muss 
man vorsichtig sein in der Bewertung der Fälle. Es ist meiner 
Ueberzeugung nach durchaus nicht für alle Fälle ganz sicher erwiesen, 
dass es sich wirklich um echte intramedulläre Tumoren gehandelt hat. 
Ich sehliesse das aus meinen eigenen Erfahrungen. Ich habe eine ganze 
Reihe von Rückenmarkstumoren operiert. Da habe ich in einigen 
Fällen, die ich mit Herrn Prof. Oppenheim zusammen beobachtet 


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Nr. 8. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


habe, als sicher angenommen, ich hätte intramedulläre Tumoren operiert, 
deshalb, weil ich an den Tumor gar nicht anders herankam, als mittels 
Durchschneidung von Rückmarkssubstanz, und doch habe ich dann 
namentlich auf Grund eines Sektionsbefuudes, den wir gemeinsam er¬ 
hoben, gesehen, dass ich mich geirrt hatte, dass es keine intramedullären 
Tumoren waren, sondern extramedulläre, die allerdings so in die Medulla 
hineingewachsen waren, dass man Rückenmarkssubstanz durchtreunen 
musste, um sie ausschälen zu können. 

Ich meine, man darf nur die Fälle als intramedulläre Tumoren be¬ 
zeichnen, bei denen sich nach Herausnahme der Geschwulst wirklich an 
allen Seiten Rückenmarkssubstanz findet, und ich möchte aonehmeu, 
dass die Zahl derartiger Tumoren doch nicht so gross ist, als es nach 
der Kasuistik den Anschein haben könute. 

Ich selbst habe leider bisher circumscripte, echte intramedulläre 
Tumoren nicht gesehen. Die intramedullären, die ich gesehen habe, 
sind alle mehr oder weniger diffus gewesen, und ich habe, wie gesagt, 
den Verdacht, dass es sich bei manchen Fällen von scheinbar intra¬ 
medullären Tumoren um Geschwülste gebandelt hat, die von der Rücken¬ 
markshaut ausgingen und nur in das Rückenmark hineingewachsen 
waren. Ich möchte an die Herren Pathologen die Bitte richteu, wenn 
Sie in Ihren Sammlungen circumscripte, intramedulläre Tumoren habeD, 
uns diese einmal zu demonstrieren. 

Hr. Oppenheim: Das, was ich sagen wollte, hat im wesentlichen 
Herr Borchardt mitgeteilt. Aber ich möchte doch noch einige er 
gänzende Bemerkungen machen. 

Zunächst will ich anführen, dass ich persönlich, als die Frage der 
Operation der intramedullären Tumoren auftauchte, mich ablehnend ver¬ 
halten bzw. mich sehr skeptisch ausgesprochen habe, weil nach der bis 
dahin vorliegenden allgemeinen Erfahrung diese Geschwülste gar kein 
Objekt der chirurgischen Therapie bilden konnten. Aber man kann 
dagegen den Einwand erheben, dass diese Erfahrungen doch nur an 
Leichen gewonnen waren. Es handelt sich da um langgestreckte Ge¬ 
schwülste, um Geschwülste, die den Typus des langgestreekteu Glioms 
haben, oder um diffuse, sarkomatöse Geschwülste, während wir über die 
circurascripten, ganz scharf abgegrenzten so gut wie gar nichts wussten, 
und gerade diese wie die centralen Tuberkeln für diese Behandlung aus¬ 
geschlossen zu sein schienen. Aber die Erfahrung geht doch schliesslich 
über alles. Das, was wir gerade in den letzten Jahren erfahren haben, 
und was Herr Roth mann so schön zusammengefasst hat, hat auch 
mich zu der Ueberzeugung gebracht: es gibt eine operative Therapie 
der intramedullären Tumoren, aber sie wird sich doch immer nur auf 
eine ganz kleine Gruppe von Affektionen erstrecken, und ich stütze 
mich dabei nicht nur auf die von anderen gebotenen Mitteilungen, 
sondern auch auf eigene Erfahrungen, auf die Herr Borchardt zum 
Teil schon hingewiesen hat. 

Es wird Sie vielleicht interessieren, über die beiden Fälle, die ich 
mit Herrn Borchardt beobachtet habe, etwas Näheres zu erfahren. 

In dem einen dieser Fälle hatte ich geschwankt zwischen der An¬ 
nahme eines extra- oder eines intramedullären Tumors am Halsmark. 
Herr Borchardt hat die Operation ausgeführt und einen intramedullären 
Tumor gefunden, der allerdings von den Meningen ausgegangen zu sein 
scheint. Der Tumor konnte glatt entfernt werden. Es war aber ein 
68jähriger Mann; es kam eine Pneumonie hinzu, und daran ist er zu¬ 
grunde gegangen. 

In dem zweiten Falle, den wir dann beobachtet haben, ist indes 
der Verlauf doch günstiger gewesen. Die Verhältnisse lagen ganz analog: 
wiederum eine Geschwulst, die im Halsmark sass, scheinbar ganz von 
dem Mark umgeben. Ich lasse es aber auch hier dahingestellt, ob nicht 
doch die Meningen der Ausgangspunkt gewesen sind und ein Hinein¬ 
wuchern in das Mark stattgefunden hat. Kurz und gut, hier konnten 
wir so recht erkennen, wie die Enucleation einer derartigen, vom Rücken¬ 
mark umschlossenen, wachsenden Geschwulst doch nur unter sehr 
schweren Läsionen der Gesamtsubstanz möglich ist. Es ist gelungen, 
das Leben zu erhalten und das Leiden zum Stillstand zu bringen. Aber 
ein so schöner Ausgleich der Funktionsstörungen, wie wir ihn fast immer 
bei der Wegnahme der extramedullären Geschwülste beobachten, ist hier 
nicht erfolgt. 

Ich gebe also, um zum Schluss zu resümieren, Herrn Roth mann 
zu: es gibt intramedulläre Neubildungen, die der chirurgischen Therapie 
zugänglich sind. Es bleibt der weiteren Entscheidung Vorbehalten, ob 
diese einen extra- oder einen intramedullären Ursprung haben. Das 
würde aber schliesslich für die Praxis keine wesentliche Rolle spielen, 
es ist mehr eine wissenschaftliche Frage. Die Indikationen werden 
jedoch immer nur begrenzt sein, und die Resultate werden sich jeden¬ 
falls mit denen, welche auf dem Gebiete der extramedullären Geschwülste 
erzielt werden, nicht messen können. 

Eiue kurze Bemerkung muss ich aber noch zu einer anderen Frage 
machen, die Herr Roth mann angeregt hat. Er deutete an, dass man 
eventuell die Athetose, die ja ein ungemein quälendes Leiden ist, für 
die wir gar zu gern eine Therapie haben möchten, durch eine Durch¬ 
schneidung des Seitenstranges bessern, bzw. heilen könne. Es wäre 
wirklich ein Glück, wenn uns ein solcher Weg zu Gebote stände. Ich 
muss da aber doch starke Zweifel aussprechen. Erstens ist die Athetose 
ein Leiden, welches fast immer den Arm, diesen ganz vorwiegend und 
fast ausschliesslich befällt, das Bein in zweiter Linie und selten in so 
quälender Form. Dann aber bin ich durchaus nicht sicher, ob die Aus¬ 
schaltung des SeitenstraDges einen heilenden Einfluss haben wird. Ich 


erinnere da an die bekannten Fälle von spastisch-athetotischer Diplegie, 
bei denen die Natur schon das geschaffen hat, was Herr Roth mann 
als Therapie vorgeschlagen hat. Es scheint also der Symptomenkomplex 
der Athetose bestehen zu können trotz bestehender Seitenstrangsdegene¬ 
ration. Deshalb ist es mir recht unwahrscheinlich, dass eine Durch¬ 
schnei düng der PyramidenbabD, die doch ein immerhin bedeutender 
Eingriff ist, hier zu einem curativen Erfolge führen wird. 

Hr. Otto Maas: Im Hinblick auf den Vorschlag des Herrn Roth- 
mann, intramedulläre Geschwülste operativ zu entfernen, möchte ich 
darauf hinweisen, dass es sicherlich Fälle gibt, in denen eine grosse 
intramedulläre Geschwulst besteht, wo somit starke Kompression ein- 
gewirkt haben muss, wo aber dennoch die Vernichtung von Rücken¬ 
markssubstanz keine allzu grosse Ausdehnung genommen hat. 

So habe ich vor einigen Jahren (Monatsschr. f. Psychiatrie u. Neu¬ 
rologie, 1910, Bd. 28, Ergänzungsh.) einen Fall vod Recklinghausen’scher 
Krankheit demonstriert, bei dem im Cervicalmark ein sehr grosser intra¬ 
medullärer Tumor lag, um den nur ein ganz schmaler Streifen von Rücken¬ 
markssubstanz erhalten war; man musste demnach eine starke ab¬ 
steigende Degeneration erwarten, und ich war sehr überrascht, bei der 
histologischen Untersuchung des Falles zu sehen, dass im Dorsal- und 
Lurabalmark nur ganz unbedeutende absteigende Degeneration be¬ 
stand. Meines Erachtens zeigt ein derartiger Fall, dass unter Um¬ 
ständen, vielleicht infolge langsam eingetreteuer Kompression, auch bei 
grossen intramedullären Geschwülsten nur ein kleiner Teil des Rücken¬ 
marks völlig zerstört ist, so dass nach Entfernung des Tumors weit¬ 
gehende Besserung eintreten könnte. 

Hr. Roth mann (Schlusswort): Ich bin den Herren, die zu dieser 
Frage das Wort genommen haben, für ihre Anregungen sehr dankbar. 
Im allgemeinen möchte ich betonen, dass meine Ausführungen wohl zum 
Teil durch die klinische Erfahrung unterstützt werden, zum Teil aber, 
so vor allem hinsichtlich der „physiologischen“ Eingriffe bei der 
Athetose, nur Anregungen für die Zukunft darstelleu. 

Was zunächst die Frage des Herrn Stadelmann betrifft, so habe 
ich bei den experimentellen Eingriffen allerdings nicht ganze Stücke 
herausgenommen, aber ich habe wiederholt den gleichen Rückenmarks- 
abschuitt in zwei Segmenten untereinander durchschnitten. Das macht 
in bezug auf die Ausfallserscheinungen keinen Unterschied. Da es sich 
nun bei den intramedullären Tumoroperationeu um Eingriffe in ein, 
höchstens aber zwei Rückenmarkssegmente bandeln dürfte, so bann, in¬ 
soweit die Rückenmarksläsion auf bestimmte Stränge beschränkt bleibt, 
keine wesentliche Differenz gegenüber den Schnitten des Experiments 
bestehen. Das beweisen ja auch die schon vorliegenden günstigen 
Operationsergebnisse. 

Ich freue mich, dass Herr Borchardt bereit ist, solche Operationen 
in geeigneten Fällen auszuführen. Was die von den Herren Borchardt 
und Oppenheim behandelte Frage betrifft, ob die im Rückenmarks¬ 
gewebe eingeschlossenen Tumoren echte Rückenmarkstumoren sind oder 
nur sekundär von den Häuten aus in das Rückenmark eingedrungen 
sind, so weise ich vor allem auf den erfolgreich operierten Fall von 
Veraguth und Brun hin. Hier fand sich zuerst nach Eröffnung der 
Dura gar nichts, und erst nach längerem Sueben entdeckte man am 
Riichenmark einen kleinen Fleck, von dem aus man auf den Tumor, der 
makroskopisch völlig intramedullär lag, eindrang und ihn entfernen 
konnte. Früher hätte man einen solchen Fall seinem Schicksal über¬ 
lassen, ob er nun von den Häuten ausging oder intramedullär entstanden 
war. Praktisch ist also dieser Unterschied gleichgültig. Muss man den 
Tumor aus dem Rückenmark herausschneiden, so handelt es sich um 
einen intramedullären Eingriff. Es liegen aber bereits einige glücklich 
operierte Fälle vor, bei denen an dem rein medullären Sitz der Ge¬ 
schwulst nicht gezweifelt werden kann. Hierher gehören unter anderen 
der Fall von Eisberg und Beer mit einem Gliom der Hinterstränge 
und der Fall von Schultze mit einem in den Hintersträngen gelegenen 
Angiom. 

Unbedingt gebe ich Herrn Oppenheim zu, dass die Operationen 
viel schwieriger sind als bei den extramedullären Geschwülsten und die 
Erfolge dementsprechend geringere sein werden. Aber es handelt sich 
um ohne Eingriff verlorene Menschen, und die vorliegenden Operationen 
beweisen, dass man in geeigneten Fällen solche Kranke operieren und 
zur Heilung bringen kann. 

Was endlich den Eingriff bei der Athetose betrifft, so habe ich mich 
sehr vorsichtig ausgedrückt. Ich habe zunächst zu dem Versuch einer 
partiellen Durchscbneidung der Pyramidenseitenstrangbahn im unteren 
Brustmark nur in den nicht häufigen Fällen von einseitiger Athetose 
des Beins geraten. Die häufigeren und schwereren Atbethosen des Arms 
sollte man zunächst ganz beiseite lassen und erst die nötigen Erfahrungen 
am Bein sammeln. Nun hat Herr Oppenheim die Fälle schwerer 
cerebraler Diplegie mit Athetose angeführt, bei denen die Athetose 
trotz Pyramidendegeneration besteht. Das 9ind die schweren angeborenen 
Fälle mit Hemmungsbildungen in der Hirnrinde und den grossen Ganglien, 
die hier natürlich nicht in Frage kommen. Bei den einseitigen Fällen 
von Athetose ohne schwere spastische Erscheinungen dürfte aber die 
Einengung der motorischen corticospinalen Leitung, wie sie die Partial- 
durchtrennung des Hinterseitenstranges darstellt, von günstigem Einfluss 
sein. Das letzte Wort muss hier der praktische Erfolg sprechen. 


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24. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


365 


Physiologische Gesellschaft zu Berlin. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 7. Februar 1013. 

1. Hr. J. Wohlgenullt: Untersnchongen Aber Blutgerinnung. 

Vortr. schildert eingehend seine Methoden der quantitativen Be¬ 
stimmung des Fibrinferments und des Fibrinogens. Sie sind Reihen¬ 
methoden und eignen sich sehr gut für den Vergleich verschiedener 
Fibrinferment- und Fibrinogenlösungen. Die Ausführung beispielsweise 
der Fibrinfermentbestimmung gestaltet sich im Prinzip so, dass eine 
Reibe von Reagenzgläsern mit absteigenden Mengen der Fibrinferment- 
lösuQg (Serum) beschickt und jedem Gläschen die nämliche Menge eines 
verdünnten Magnesiumsulfatplasmas zugesetzt wird. Hiernach kommt 
die Reihe auf 24 Stunden in den Eisschrank, und nach Ablauf der 
Frist wird festgestellt, welche Fibrinfermentmenge noch genügt, um ein 
Gerinnsel zu erzielen. Diese gilt als Ff-Einheit, und man berechnet 
nun, wieviel solcher Einheiten in 1 ccm der Fibrinfermentlösung ent¬ 
halten sind. Ganz analog ist die Methode der Fibrinogenbestimmung. 
Mit Hilfe dieser Methode wurde zunächst die noch immer strittige Frage 
zu entscheiden versuoht, ob der Gerinnungsprozess ein fermentativer ist 
oder nicht. Es konnte gezeigt werden, dass bei der Gerinnung Thrombin 
nicht verbraucht wird, es verhält sich also wie ein Ferment. Sodann 
gelang der Nachweis einer gerinnungshemmenden Substanz in der frischen 
Intima der Aorta von Hund und Kaninchen, bisweilen auch in der 
menschlichen Aorta. Doch war der Befund hier kein regelmässiger, 
wahrscheinlich deshalb, weil das zur Verwendung gekommene mensch¬ 
liche Material stets von Leichen stammte, die längere Zeit gelegen 
hatten. Man geht wohl nicht fehl, wenn man annimmt, dass diese 
gerinnun gshemmende Substanz an der Erhaltung des flüssigen Zustandes 
des Blutes beteiligt ist. Als Bildungsstätte des Fibrinogens dürfte in 
erster Reihe die Leber in Betracht kommen. Dafür spricht die Beob¬ 
achtung, dass die Unterbindung des Pankreasganges, die eine Mobili¬ 
sierung des Leberglykogens bedingt, auch eine starke Ausschwemmung 
des Fibrinogens aus der Leber zur Folge hat. Auch Versuche an 
Hunden, bei denen sämtliches Blut der Vena cava in die Vena portarum 
und durch die Leber geleitet wurde, scheinen dafür zu sprechen. Im 
Harn findet sich eine gerinnungshemmende Substanz, die in Alkohol 
leicht, io Aetber etwas schwerer löslich ist, die dialysiert und koch¬ 
beständig ist. 

2. Hr. Friedenthal trägt einige kleinere Mitteilungen ans dei 
verschiedensten Arbeitsgebieten der Physiologie vor. 

a) Rotationsfilter zur Ultrafiltration. Der Bechhold’sche Apparat 
für Ultrafiltration ist etwas schwierig zu handhaben. Man kann den 
notwendigen Ueberdruck bei der Filtration ersetzen durch Centrifugal- 
druck. Filter aus gepresstem Papier können durch Einsaugen von 
Gelatinelösungen jeden beliebigen Grad der Undurchlässigkeit erhalten. 
Je schneller der Apparat rotiert, desto reichlicher ist die Trennung von 
Lösungsmittel und Suspension. Der Apparat wird von den Vereinigten 
Fabriken für Laboratoriumsbedarf, Berlin N., Soharnhorststr. 22, an¬ 
gefertigt. 

b) Demonstration einer Wandtafel, welche die Formverwandtschaft 
des menschlichen Embryo mit anderen, oft zoologisch weit entfernten 
Tieren demonstriert. Verblüffend ist die Aehnliohkeit junger Crecilier- 
embryonen (Amphibien) mit Menschenembryonen, welche die Richtigkeit 
der jetzt häufig angezweifelten biogenetischen Entwicklungsregel aufs 
neue vor Augen führen. Es erscheint nicht selbstverständlich, dass ein 
Tier mit später winzigem Gehirn in der Grösse der Anlage des Gehirns 
beim Embryo nicht zurücksteht hinter dem Menschenembryo mit seiner 
voluminösen Hirnanlage. Vortr. zeigt, dass sich die Richtigkeit der 
biogenetischen Ent wicklungsregel auch an der Bildung der Blutelemente 
bequem demonstrieren lässt, und zeigt die Aehnlichkeit der Blut¬ 
körperchen junger menschlicher Embryonen mit den Blutkörperchen von 
Petromyzon, eine Aehnliohkeit, welche selbst auf die absolute Grösse 
sich erstreckt. 

c) Demonstration der Haarverwandtschaft zwischen Mensch und 
Menschenaffe als Beweis für die Richtigkeit der Huxley’schen Regel, 
dass Mensch und Menschenaffe in vielen Punkten einander ähnlicher 
sind als Menschenaffe und niederer Affe. Zur Frage der Aehnlichkeit 
der Haarläuse führt Verf. an, dass er Läuse von der Gattung Pediculus 
auch beim Hylobates gefunden hat, auch deren Eier schon 1908 bei 
Akles, einem amerikanischen Affen. Im übrigen Tierreich ist die Gattung 
Pediculus bisher nirgends nachgewiesen. Von Dr. Pfungst erhielt 
Vortr. vom Mantelpavian Exemplare einer Art von Chirodectes einer 
haarfressenden, nicht blutsaugenden Läuseart, welche bisher wohl bei 
Hunden, niemals aber bei einer Affenart gefunden worden sind. Vortr. 
fand beim Menschen entsprechend den drei Hauptformen der Behaarung 
verschiedene Formen der GattuDg Pediculis capitis. Die Kopfläuse der 
kraushaarigen Menschenstämme gehen nicht über auf Individuen der 
schlichthaarigen und stoffhaarigen Menschenstämme. Die Läusegattung 
Phtirius ist bisher nur bei Australiern und schliohthaarigeu Rassen ge¬ 
funden worden, niemals bei kraushaarigen Rassen. Ob Phtirius bei den 
Ostasiaten gefunden wird, scheint nicht bekannt zu sein. Die spezifische 
Anpassung blutsaugender Parasiten geht aber noch weiter, als man 
bisher geglaubt hatte, doch gibt es ganz spezifisch angepasste, ebenso¬ 
wohl wie sehr wenig wählerische Parasitenarten. 

d) Für Anregung des Wachstums bei Säuglingen durch vermehrte 
Zufnhr von Nervenreizen empfiehlt Vortr. den Gebrauch einer Haar¬ 


bürste aus feinen, weichen Drähten mit Anregung schwacher tetani- 
sierender elektrischer Ströme, ferner den Gebrauch eines Strampel¬ 
korbes zur Befreiung der Beine der Säuglinge von dem Gewioht der 
Bettdecke und macht noch einmal aufmerksam auf die Wichtigkeit der 
Innehaltung der Temperatur der gereichten Nahrung, weil die Süssigkeit 
des Milchzuckers ganz anders als bei vielen anderen Zuckerarten ausser¬ 
ordentlich von der Temperatur abhängt. Die Zufuhr der Geschmacks- 
reize für die süss empfindenden Geschmackspuukte ist für den Säugling 
nötig zur reflektorischen Erzeugung und Stärkung einer stärkeren Magen¬ 
darmdurchblutung, ohne welche die Nahrung nicht genügend ausgenutzt 
werden kann. Bisher ist dieser Punkt nicht immer genügend beachtet. 
Vortr. liess Doppelmilchflaschen herstellen, welche die Milch be¬ 
deutend länger warm halten, ohne evakuiert oder versilbert zu sein. 

e) Durch Verwendung von Farbgemischen, welche mehrere basische 
Farbstoffe enthalten, z. B. Methylenblau und Neutralrot oder Nilblau¬ 
sulfat und Neutralrot, kann man eine vorläufige Differenzierung von 
Bakterienkolonien auf Agarplatten und Gelatineplatten erzielen, da die 
Mehrzahl der Kolonien aus der Mischung nur einen Farbstoff anzieht 
und man bei Kot- und Milchuntersuchungen leuchtendrote, ganz blaue 
und violette Kolonien mit blossem Auge unterscheiden kann. 

3. Demonstration einiger neuer von Herrn Oehmke gebauter Apparate 
zur Blutdruckbestimmung beim Menschen. 


Gesellschaft der Gharitd-Aerzto. 

(Offizielles Protokoll.) 

SitzuDg vom 9. Januar 1913. 

Vorsitzender: Herr Scheibe. 

Tagesordnung. 

1. Hr. Orth: 

Demonstration topographisch-pathologisch-anatomischer Präparate. 

M. H.! Die Herstellung topographisch - pathologisch - anatomischer 
Präparate ist nichts Neues. Kollege Ponfick hat schon vor Jahren 
einen Atlas herausgegeben, den er in der Weise hergestellt hat, 
dass er von gefrorenen Leichen Schnitte anfertigte. Auf dem Deutschen 
Pathologentage in Erlangen hat Herr Hauser die Sache wieder auf¬ 
genommen; er hat vor allen Diugen auch angegeben, wie man, ohne das 
Aeussere der Leiche gar zu sehr zu schädigen, das knöcherne Skelett, 
wenigstens den Thorax, herausnehmen, gefrieren lassen und zu Prä¬ 
paraten herstellen kann. Ich war auf dem Pathologentage nicht an¬ 
wesend, und wie das so geht, man liest nachher die Sache auch nicht 
genügend, so dass diese Anregung zunächst bei mir unfruchtbar ge¬ 
blieben ist. Ich hatte dann aber Gelegenheit, auf meiner Reise im 
vorigen Herbst einige so hergestellte Präparate zu sehen, und die haben 
mir so gefallen, dass ich sofort, als ich hierher kam, die Saohe in die 
Hand genommen habe. Wir haben nun schon eine Anzahl Leiohen be¬ 
nutzt, um derartige topographische Schnitte herzustellen. Ueber die 
Weiterbehandlung der Schnitte wird nachher Herr Prof. Kaiserling 
noch ein paar Worte sagen. Ich habe eine ganze Anzahl von Prä¬ 
paraten im Nebenraum aufstellen lassen, an denen Sie sich überzeugen 
können, dass diese Schnitte in der Tat äusserst lehrreich sind. Wir 
haben uns nicht mit einem Schnitte begnügt, sondern wir haben mehrere 
gemacht, so dass wir Serienschnitte von etwa Zweifingerdicke bekommen 
haben. Da hat sich eine Schwierigkeit herausgestellt, dass nämlich die 
Lunge, wenn die Schnitte nachher wieder aufgetaut waren, nicht recht 
in ihrer Lage bleiben wollte. Herr Kaiserling wird diesem Uebel- 
stande zu begegnen versuchen. Von einem Teil unserer Präparate habe 
ich Diapositive herstellen lassen und möchte Ihnen ein paar von diesen 
Fällen vorführen. Die Diapositive mussten sehr schnell hergestellt 
werden, es war nicht immer das geeignete Wetter; einige sind nicht so 
gut geworden, wie wir gewünscht hätten, aber man wird auch bei ihnen 
das Wesentliche sehen können. Wir haben die Schnitte teils horizontal, 
teils frontal gemacht. 

Demonstration und Erläuterung von Lichtbildern: Käsige Pneumonie. 
Es folgte bei einem Kinde einseitige tuberkulöse Spitzenschrumpfung, 
doppelseitige Lungenschwindsucht mit Cavernen, desgl. mit links¬ 
seitigem Pleuraexsudat, desgl. mit linksseitigem Pyopneumothorax, desgl. 
mit linksseitigem Pneumothorax, Hydrothorax duplex bei Schrumpfniere 
mit Herzhypertrophie, Aneurysma der Aorta bis in den Wirbelkanal und 
unter die Rückenhaut vorgedrungen, Pankreaskrebs mit Leber-, Lungen-, 
Lymphdrüsenmetastasen. 

Ich glaube, diese paar Präparate werden Ihnen gezeigt haben, dass 
man mit dieser Methode in der Tat sehr schöne Präparate gewinnen 
kann. Man kann sie gewinnen, ohne dass der Leiche aussen anzusehen 
ist, welche grosse Entnahme bei den Körpern gemacht worden ist. Im 
Nebenraum sind noch mehr Schnitte aufgestellt, darunter auch ein 
schönes Präparat von Mediastinaltumor, der in den Herzbeutel ge¬ 
wachsen ist und eine schwere hämorrhagische Pericarditis erzeugt hat. 

Diskussion. 

Hr. Kaiserling: M. H.! Eigentlich hatte ich nicht die Absicht, 
Ihnen heute einiges über die Methodik und unsere Kniffe bei der Her¬ 
stellung der topographischen Präparate mitzuteilen. Dass ich doch der 
sanften Gewalt meines Herrn Chefs schleunigst gewichen bin, hat seinen 
Grund darin, Sie alle von den Herren Direktoren dor Charitd ab bis zu 
den Stationsärzten für die Sache.su interessieren, weil wir ohne Ihre 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 8. 


Mithilfe nicht weiterkommen können. Wir haben nämlich noch grosse 
Pläne, und um Sie dafür zu interessieren, möchte ich Ihnen einige Hin¬ 
weise geben, wie wir fernerhin verfahren wollen. 

Zunächst handelt es sich bei diesen eben besprochenen, nach der 
alten Methode hergestellten Präparaten um Gefrierschnitte. Das Ge¬ 
frieren können wir hier sehr bequem machen, da wir einen Kühlkeller 
haben und eine Zelle bis auf minus 16° abkühlen können. Es wird 
einfach der herauspräparierte Thorax in der betreffenden Lage, wie man 
ihn untersuchen will, entweder senkrecht oder wagerecht, zum Gefrieren 
gebracht und der ganze Eisblock mit der rotierenden Bandsäge ge¬ 
schnitten. Nur ist nötig, dass er sehr stArk gefroren ist, denn wenn 
man schwach gefrieren lässt, fasern die Weichteile sehr. Das ist sehr 
unangenehm; namentlich wenn man Photogramme von den Schnitten 
macht, sieht man viele bindegewebigen Weichteile wie Serosa, 
Diaphragma, Fascien, Sehnen und dergl. ausgefranst über das Präparat 
herübergezogen. Das ist uns bei unserem ersten Präparat, das auf Be¬ 
treiben des Herrn Geheimrat Heubner gemacht wurde, passiert. Das 
wissen wir jetzt dadurch zu vermeiden, dass wir die Stücke stark ge¬ 
frieren lassen. Dann wird das Präparat konserviert. Wir müssen da 
auch sehr vorsichtig verfahren. Zunächst darf das Präparat nur ganz 
langsam auftauen. Jetzt kommt die erste Bitte an Sie. Wenn Sie als 
klinische Beurteiler des Falles beim Sägen sind, dann interessiert er sie 
gewaltig, dass Sie so lange gucken, bis das Präparat zu tauen anfängt. 
M. H., gucken Sie bitte künftig etwas schneller, denn wenn wir an¬ 
getaute Präparate bekommen, so können wir sie sehr schlecht fixieren; 
dann schrumpfen die Teile verschieden stark. Am besten ist es, das 
gefrorene Stück in stark abgekühlte Flüssigkeit hineinzubringen. Wir 
nehmen die von mir früher angegebene erste Lösung. Am liebsten habe* 
ich es, wenn mau etwa bei 1 0 Kälte zu konservieren anfängt und dann all¬ 
mählich im Laufe von zwei Tagen das Präparat auftauen lässt. Darin 
fixiert gar nichts, das Präparat bleibt weich. Erst wenn die Lösung 
5 — 6° warm wird, fängt es an, zu fixieren, die Flüssigkeit hat Zeit ge¬ 
habt, einzudringen, und wenn wir das Präparat erwärmen und auf 
Zimmertemperatur bringen, wird es in kurzer Zeit hart. Nun wird 
selbstverständlich alle Flüssigkeit, Eiter, wässerige Flüssigkeit und was 
man da auf den Bildern vorhin gesehen bat, auftauen und in die 
Fixierungsflüssigkeit hineinschwimmen. Wenn wir das Präparat aus der 
erwärmten Flüssigkeit herausnehmen, so fehlen diese Dinge. Die müssen 
ersetzt werden, und wir machen da einige kleine Schönheitskorrekturen. 
Den Eiter, den Sie draussen sehen, haben wir nachträglich wieder hinein¬ 
gebracht. Der Eiter ist kein Eiter, sondern ist mit Milch gefärbte 
Gelatine. Wenn man etwa 5proz. Gelatine mit Milch mischt, so 
intensiv, wie der betreffende Eiter ausgesehen hat, bekommt man einen 
für die Augen durchaus eiterähnlichen Zustand. Haben wir eine klare 
Flüssigkeit, dann nehmen wir reine Gelatine; die opalesziert leicht, wie 
es meist die seröse Flüssigkeit tut. Ist der Eiter grün, so färben wir 
ihn grün, am besten mit Metallsalzen. Wir haben bei diesen Versuchen 
Kupfersulfat und Chromsäure genommen. Um den Eiter hineinzubringen, 
müssen wir alle jene kleinen Kniffe anwenden, die heim Gelatineformen 
in der Moulagetechnik angewendet werden. Man muss sich genau ein 
Zeichen machen, wo die Flüssigkeit zu Ende war, muss die Grenze aus¬ 
bauen mit Plastelin oder Modellierton, muss alle Nebenwege richtig 
verstopfen. Dann giesst man den Raum ohne Luftblasen aus und fixiert 
den Schnitt zu Ende, und dann wird die Gelatine ganz unlöslich. In 
Formalin fixierte Gelatine ist bekanntlich selbst über der Flamme un¬ 
löslich. Darauf wird das Präparat wie gewöhnlich in Alkohol gebracht 
und mit der definitiven Aufbewahrungslösung durchtränkt. Haben wir 
ein Hämopericard — draussen ist noch ein neuer Fall aufgestellt, wo 
ein starker hämorrhagischer Erguss in den Herzbeutel hinein erfolgt 
war —, dann nehmen wir zu der Gelatine Blut und färben sie künstlich. 
Das sieht kein Mensch, dass es eine künstliche Färbung ist. Wenn ich 
es Ihnen nicht gesagt hätte, würden Sie auf diese Tücke nicht ver¬ 
fallen sein. 

Sie haben schon vorhin gehört: wenn kleine Lungenstücke und der¬ 
gleichen bei diesen Schnitten abgelöst werden, so schwimmen sie beim 
Auftauen fort. Wir müssen unsere Technik noch etwas vervollkommnen. 
Dass es möglich ist, ist gar kein Zweifel; nur brauchen wir dazu wieder 
die Mitwirkung der schon genannten Instanzen. Zunächst muss die hohe 
Cbaritödirektion uns einige ganze Leichen stiften. Wenn also eine 
namenlose Leiche vorhanden ist, die sonst verbrannt wird, wären wir 
ausserordentlich dankbar, wenn wir sie zunächst auf einige Monate zur 
Verfügung gestellt bekämen, um sie zu injizieren. Es kommt nämlich 
darauf an, die Leiche starr zu machen, ehe wir sie gefrieren lassen, und 
das gelingt, wie ich mich seit 1895 überzeugt habe, durch sogenannte 
Einbalsamierung. Ich habe mir da ein Verfahren ausgearbeitet, das bis 
jetzt noch nicht publiziert ist, welches gestattet, io relativ kurzer Zeit 
eine Leiche so zu härten, dass sie beinahe steinhart wird; sie hält sich 
so ausgezeichnet, dass ich bei meinen Einbalsamierungen nicht einmal 
den Inhalt des Darmes herausnehme. Es wird nur in die Carotis hinein 
eine Injektion einer bestimmten Flüssigkeit gemacht, die im wesentlichen 
aus einer sehr conceutrierten Lösung von Forraaliu-Alkohol-Glycerin und 
einem arsenigen Präparat besteht. Die Leiche ist in etwa 2 Stunden 
vollkommen hart. Dass diese Einbalsamierung hält, habe ich auf eine 
merkwürdige Art erfahren. Es ist nämlich eine Reklamation bei mir 
eingetroffen wegen einer Einbalsamierung, die ich gemacht hatte, und 
zwar 12 Jahre nach der Einbalsamierung. Da stellte sich in der be¬ 
treffenden Gruft ein eigentümlicher Geruch heraus, und der Ehemann 
der Ein balsamierten veranlasste die Reklamation; ich hätte ihm ver¬ 


sprochen, die Einbalsamierung hielte ewig. Ewig habe ich es ihm nun 
nicht versprochen, bloss so lange, wie er lebte. Was war geschehen? 
Der Sarg war durchgerostet, der Holzsarg vermodert, und dann war eine 
Verschimmelung eingetreten. Die Leiche war tadellos. Wir haben den 
Schimmel abgeputzt, und nun liegt die Leiche weiter. Sie sehen, dass 
man eine Leiche ohne jede Einlegung in Flüssigkeit an der Luft er¬ 
halten kann. Es war nicht einmal eine Mumifikation eingetreten. Ich 
habe solche Leichen im Juli nach Buenos Aires verschickt; sie sind 
tadellos angekommen; kein Mensch hat gesehen, dass au den Leichen 
irgend etwas gemacht worden war. 

So ähnlich müssen wir auch unsere Leichen erst behandeln, dass 
alle Organteile in dem Körper selber hart werden. Dann tritt eine so 
exakte Fixation ein, dass eine nachträgliche Schrumpfung nicht mehr 
statthat. Wenn jetzt etwas schrumpft, dann schrumpft der ganze 
Cadaver gleichmässig, und alle Teile bleiben in der relativen Position 
zueinander. 

Unsere Bitte geht nun dahin, dass diejenigen Herren, die eine 
geeignete Leiche haben, auf die sofortige Sektion verzichten und erst 
einmal diese Einbalsamierung machen lassen. Dann werden wir die 
Leiche gefrieren lassen. Kopf, Arme, Beine und Rückenmuskulatur 
stellen wir anheim; aber das übrige möchte ich haben, inklusive Becken. 
Das kann man alles herauspräparieren, nachdem diese Fixation gemacht 
ist, nicht vorher, und dann wollen wir den ganzen Thorax und das Ab¬ 
domen in toto schneiden. 

Die weitere Konservierung kann nun so geschehen, dass man die 
Präparate im luftdichten Verschluss aufhebt. Man braucht keine Flüssig¬ 
keit. Das wird z. B. für die Gynäkologen nicht ganz unangenehm sein, 
wenn in den seltenen Fällen, wo intra partum ein Todesfall ejntritt, 
ein Gefrierschnitt gemacht werden kann. Man kann dann die Leiehe 
viel bequemer ohne die sonst nötige Flüssigkeit aufheben. Das Aufheben 
ist ein ziemlich teures Vergnügen. Die Menge von Konservierungsflüssig- 
keit läuft erheblich ins Geld. Jedes Präparat repräsentiert ungefähr 
einen Wert an eigenen Kosten von 30 bis 40 Mark. Das kann man 
also etwas billiger machen, wenn man die Organe ohne Flüssigkeit auf- 
aufhebt. Man durchtränkt sie mit der betreffenden Flüssigkeit und hebt 
das Präparat im luftdichten Behälter auf. Das Demonstrieren wird 
immer am besten in Flüssigkeit geschehen, weil da die Oberflächen- 
transpareuz am deutlichsten hervortritt und die Farbe am sohönsten er¬ 
scheint. 

Das sind die wenigen Dinge, die ich Ihnen mitteilen wollte. Ich 
glaube, dass Sie durch die Demonstration des Herrn Geheimrat Orth 
gesehen haben, dass auch Sie sehr viel an diesen Präparaten lernen 
können. Als Gegenleistung werden wir gern bereit sein, Ihnen für Ihre 
klinischen Unterriohtszwecke die Präparate zur Demonstration anheim 
zu stellen oder auch Ihnen freizugeben, hier im Museum die etwa 
schwer transportablen Objekte durch Ihre Schüler besichtigen zu lassen. 

Hr. Kraus: Ich glaube, wir können dem pathologischen Institut 
sehr dankbar sein, dass es sich entschlossen hat, derartige in situ ge¬ 
machte Präparate herzustellen. Gelegentlich eines Vortrags des Herrn 
Hans Virchow im Verein für innere Medizin habe ich neulich diesen 
Wunsch ausgesprochen, und ich freue mich, dass damals schon dieser 
Wunsch erfüllt gewesen ist, ohne dass ich es wissen konnte. Für uns 
ist diese Art der Sektion unzweifelhaft weit lehrreicher als eine gewöhn¬ 
liche Obduktion. Selbstverständlich wünschen wir bei der Obduktion 
zunächst unsere Diagnose bestätigt; aber noch mehr wollen wir doch 
etwas lernen, und dass man aus einer solchen topographischen Ob¬ 
duktion, wenn man auch ein halbes Jahr darauf warten müsste, weit 
mehr profitiert, darüber kann kein Zweifel sein. Mich haben die Fälle 
von Pleuritis ausserordentlich interessiert Ich habe mich bemüht, solche 
Situsphantome, möchte ich sagen, herzustellen aus Röntgenbildern, und 
ich freue mich, dass wenigstens zu einem Teile das, was man mit dem 
Röntgeninstrumentarium feststellen kann, hier greifbar anatomisch sicht¬ 
bar sichergestellt ist. Ich glaube, dass die Studenten und vor allen 
Dingen auch wir sehr viel aus solchen Thoraxobduktionen profitieren 
können, und ich würde von meinem Standpunkt aus bitten — das ist 
natürlich ein etwas egoistischer Standpunkt —, dass man da systema¬ 
tisch vorgeht, d. h. dass man bei der Bescheidenheit der zur Verfügung 
stehenden Mittel zunächst einmal eine Körperhöhle berücksichtigt, um 
zunächst ein Museum, möchte ich sagen, dieser Veränderungen zu er¬ 
halten. Wenn man alle Vitia cordis in solchen Beispielen hätte, wäre 
das für uns, für den klinischen Unterricht sehr wertvoll. Das gilt 
natürlich auch für andere Dinge, für den Bauch usw. Aber wenn man 
nur erst eine Summe von solchen Thoraxpräparaten hätte, so wäre uns 
damit ausserordentlich gedient. Ich bin einfach erstaunt, wie billig das 
ist. Ich finde es gar nicht teuer, was uns der Herr Vorredner da an¬ 
geführt hat. Man kann es sehr gut rechtfertigen, dass dieses Geld be¬ 
schafft wird. Wir könnten da noch verschiedene Instanzen in Bewegung 
setzen; denn es ist eine ganz andere Art des Unterrichts, die auf diese 
Weise ermöglicht wird. 

Hr. Davidsohn: Ich möchte in Ergänzung der in natürlichen 
Farben konservierten Präparate und der schönen Diapositive, die wir 
gesehen haben, nur noch auf ein weiteres Hilfsmittel aufmerksam machen, 
das bei Herrn Prof. Ponfick in Breslau zu sehen ist und mir sehr 
gelobt wurde. Das sind die von Herrn Dr. Löschmann gemalten 
Aquarelle nach diesen natürlichen Präparaten. Die Farben sind aller¬ 
dings sehr grell und übertrieben. Aber die schwarz-weisse Diapositiv- 
zeiohnung ist ja auch nioht natürlich. Bei dem einen fehlt etwas, bei 


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24. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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dem anderen ist etwas sagesetzt. Aber wenn man einen Hydrothorax 
siebt: das rote Herz, die blauen Langen und den grünen Magen — das 
ist so auffallend und prägt sieb so dem Gedächtnis ein, dass man dieses 
Hilfsmittel noch binzunehmen könnte, um noch besser das Bild in Er¬ 
innerung zu behalten. 

2. Frau Rabinowitsch: Blutbefunde bei Tnberkulose. 

(Ist in Nr. 8 dieser Wochenschrift bereits abgedruckt.) 

8. Hr. Biekel: Oeber Thoriam. 

(Ist unter den Originalien dieser Nummer abgedruckt.) 

Diskussion. 

Hr. Plesoh: Die Versuche von Falta-Zehner sind nicht be¬ 
weisend dafür, dass das Thorium X auf die Löslichkeit der Harnsäure 
und auf organische Substanzen einen Einfluss hätte. Alle Versuche, die 
Falta und Zehner in Nr. 52, 1912; dieser Wochenschrift beschreiben, 
sind mit H 2 0 2 oder 0 8 ausführbar. Da sich nach den Untersuchungen 
von Karozag und mir aber auch durch Thorium H 2 0 2 und O s bildet, 
so ist es, so lange das Gegenteil uns nicht von den genannten Autoren 
gezeigt wird, zumindest zweifelhaft, ob wir es bei den Versuchen mit 
einer Thoriam X-Wirkung oder mit einer Wirkung des entstandenen 
B 2 0 2 oder 0 8 zu tun haben. 

Hr. Hirschfeld: M. H.! Die Erfahrungen mit der Röntgentherapie 
bei der Leukämie haben uns gezeigt, dass es Fälle von myeloischer 
Leukämie gibt, in welchen die Röntgenbestrahlung, sehr lange fortgesetzt, 
zu einem Umschlag des Blutbildes der gewöhnlichen myeloischen Leuk¬ 
ämie in eine sogenannte Myeloblastenleukämie führt. Bei dieser Form 
verschwinden die granulierten Leukocyten, und es werden nur noch die 
Vorstufen der granulierten Elemente, die sogenannten Myeloblasten, ge¬ 
bildet Ein solcher Zustand ist ein höchst ungünstiges Zeichen, und in 
allen Fällen der Literatur ist auch sehr bald danach der Tod ein- 
getreten. Es fragt sich nun, ob wir einen solchen Umschlag des Blut¬ 
bildes der myeloischen Leukämie in Myeloblastenleukämie auch vom 
.Thorium X zu erwarten haben. Das ist theoretisch sehr wahrscheinlich 
und durch eine Beobachtung, über die ich berichten möchte, erwiesen. 
Es handelt sich um ein 17jähriges Mädchen mit myeloisoher Leukämie, 
welche ich im Krankenhause Reinickendorf auf der Abteilung des Herrn 
Felix Klemperer beobachten konnte. Diese Patientin, die im Anfang 
etwa 200000 Leukocyten hatte, bekam eine Dose 2 Millionen Mache¬ 
einheiten Thorium X. Der Erfolg war günstig. Die Leukocytenzabl 
ging allmählich bis auf 80000 herunter. In der Folgezeit traten öfter 
kleine Erhöhungen wieder ein, und sie bekam deshalb wiederholt Tho¬ 
rium X. Etwa ein halbes Jahr nach der ersten Injektion stieg die 
Leukocytenzabl wieder bis auf 250000. Jetzt bekam sie nooh einmal 
Thorium X, und zwar etwa 3 Millionen Macheeinheiten. Nach dieser 
Injektion trat — ich glaube, etwa 8 Tage später — eine plötzliche 
Steigerung der Leukooytenzahl bis auf eine halbe Million ein und, wie 
die Blutpräparate zeigten, ein Umschlag der myeloischen Leukämie in 
Myeloblastenleukämie. Wenige Tage später trat der Exitus ein. Ich 
meine nach dieser Erfahrung, dass man auch beim Thorium X auf diese 
üble Nebenwirkung, die wir von den Röntgenstrahlen her kennen, ge¬ 
fasst sein muss und, soweit es möglich ist, das zu verhüten suchen soll, 
indem wir namentlich in refraktären Fällen und besonders dort mit 
Thorium X vorsichtig sind, wo die Betrachtung des Blutbildes zeigt, 
dass schon eine grosse Zahl von Myeloblasten vorhanden ist. Natürlich 
wird es manche Fälle geben, wo man dies Ereignis nicht verhüten kann. 
Ob sie häufig Vorkommen, weiss ich nicht, da die Erfahrungen erst 
gering sind. Jedenfalls lehrt die Beobachtung, dass sich das Thorium X 
in dieser Beziehung ganz ähnlich den Röntgenstrahlen verhält. 

Hr. Noeggerath: Herr Plesch hat an der Falta’schen Arbeit 
Kritik geübt, indem er das entstehende Wasserstoffsuperoxyd als Ursache 
der von ihm beobachteten Wirkungen hinsteUt. Nun ist es sehr wahr¬ 
scheinlich, dass sich Wasserstoffsuperoxyd in einer derartigen Lösung 
bildet. Es fragt sich aber, ob damit wirklich die Wirkung geklärt ist. 
HerrPlesoh hat uns das zu demonstrieren gesucht, indem er Methylen¬ 
blau zu entfärben suchte. Die Entfärbung ist ihm, wie Sie gesehen 
haben, nicht gelungen. Es könnte also wohl möglich sein, dass es mit 
den ThoriumlösuDgen ganz ähnlich ist, dass zwar Wasserstoffsuperoxyd 
in ihnen ist, aber nicht genügend, um die Entfärbung und die weiteren 
Reaktionen zu erklären. Ich glaube doch, dass man diesen Einwand 
erheben muss. 

Hr. Plesch: Herr Noeggerath bemängelt, dass die ihnen hier 
vorgeführte Reaktion von H*0 2 auf Methylenblau nicht völlig entfärbt, 
sondern nur tief gelb geworden ist. Darauf kann ich nur erwidern, dass 
in der Chemie schon von einer Entfärbung gesprochen wird, wenn sich 
die Farbe ändert. Ich könnte aber Herrn Noeggerath, wenn er es 
wünscht, zeigen, dass die Farbe beim Kochen oder bei längerem Stehen 
verschwindet. Im übrigen sind die Reaktionen mit anderen Farbstoffen 
und mit allen von Falta angeführten organischen Substanzen so leicht 
auszuführen, dass sich der Diskussionsredner, wenn er meinen Versiehe-' 
rangen nicht trauen sollte, selbst davon überzeugen kann, dass H 2 0 2 
irreparabel die Farbstoffe zersetzt. 

Hr. Noeggerath: Dem möchte ich entgegenhalten, dass das 
Methylenblau ein leicht reagierender Farbstoff ist. Da es also Herrn 
Plesch nicht gelungen ist, uns die Reaktion mit reiner Wasserstoff¬ 
superoxyd lösung zu demonstrieren, so glaube ich nicht, dass er mit so 
apodiktischer Gewissheit behaupten darf, dass die Falta’sche Meinung 
falsch sei. Das ist ja möglich; aber man müsste es doch durch spätere 


Untersuchungen erst feststellen, die nachzuweisen hätten, dass erstens 
die so gebildeten Wasserstoffsuperoxyd men gen allein die beschriebenen 
Reaktionen auszulösen imstande sind, und dass zweitens diese Erschei¬ 
nungen wirklich ausschliesslich an das Auftreten dieses Stoffes ge¬ 
bunden sind. 

4. HHr. Morgenroth und Tngendreich: 

Zar Chemotherapie der Trypaioseveaiifektien. 

Hr. Morgenroth: Die Versuche, über die ich Ihnen möglichst 
kurz berichten möchte, bilden eine Fortsetzung der seit mehreren Jahren 
unternommenen chemotherapeutischen Versuche (Morgenroth, Halber¬ 
städter, R. Levy, Kaufmann) nach einer ganz bestimmten Richtung 
hin. Man darf wohl für die Gesamtheit dieser Versuche den Ausdruck 
Chemotherapie, den die Vorrednerin Frau Rabinowitsch mit leisem 
Tadel als „modern“ bezeichnet hat 1 )* ruhig gebrauchen. Wenn Frau 
Rabino witsch, wie ich vermute, bei ihrer Aeusserung an die bisher 
bekanntgewordenen chemotherapeutischen Versuche bei Tuberkulose 
dachte, so muss ich bemerken, dass diesen eben das fehlt, was die 
Chemotherapie im Sinne Ehrliob’s charakterisiert, und zwar als 
etwas Neues charakterisiert, nämlich das engste Zusammenwirken von 
Chemie und Biologie und die gegenseitige Anregung, die Chemiker und 
Biologen sich geben. Dieser Chemotherapie im eigentlichen Sinne, für 
welche ich die Bezeichnung „modern“, d. h. der wechselnden Mode 
unterworfen, nicht gebrauchen möchte, gehören meine und meiner Mit¬ 
arbeiter Untersuchungen über die Wirkung von Chininderivaten 
an. Sie wissen aus früheren Publikationen, dass es sich hier auch um 
besonders eklatante Erfolge, auf die ich heute abend nicht eingehen 
kann, bei der Pneumokokkeninfektion (Morgenroth und R. Levy) 
handelt, die wir auf der Grundlage chemotherapeutischer Studien bei 
der Trypanosomeninfektion der Maus (Morgenroth und Halberstädter) 
erzielten. 

Die Versuche, die ich Ihnen heute an der Hand von Tabellen 
demonstrieren möchte, liegen nicht in der geraden Linie unserer chemo¬ 
therapeutischen Bestrebungen, sondern sie bilden gewissermaassen eine 
Abzweigung von denselben insofern, als es sich hier um Kombinations¬ 
therapie handelt; durch gleichzeitige Anwendung mehrerer chemo¬ 
therapeutisch wirksamer Substanzen werden bessere Effekte als durch 
die Anwendung dieser Substanzen allein erzielt. Laveran und Mesnil 
und viele andere Experimentatoren haben Versuche in dieser Richtung 
gemacht, und besonders Ehrlich hat vielfach auf ihre Bedeutung hin¬ 
gewiesen. Wir verfügen neuerdings über eine Anzahl sorgfältiger Ver¬ 
suche von Tsuzuki 2 ), der mit der Kombination dreier verschieden¬ 
artiger Agentien sehr gute Resultate erzielte. 

Zu unseren Versuchen gab den Anstoss eine Beobachtung, die ich 
gemeinsam mit Dr. Rosenthal 8 ) im vorigen Jahre hier vortragen 
konnte, dass nämlich die Salicylsäure, ein inneres Antisepticum, dessen 
Wert ja schon, wenigstens für den akuten Gelenkrheumatismus, bekannt 
war, auch auf die Trypanosomeninfektion eine zweifellose Wirkung 
ausübt. Wir haben uns damals entschlossen, systematisch eine grosse 
Anzahl von synthetisch dargestellten Substanzen, speziell aromatische 
Oxysäuren, zu prüfen.. Zunächst ging unser Bestreben dahin, diese 
nicht sehr erhebliche Wirkung der Salicylsäure möglichst eklatant zu 
machen, und das ist tatsächlich ganz gut mit Hilfe der Kombinations- 
metbode gelungen. 

Sie sehen hier einen Versuch, in dem eine starke Infektion der 
Mäuse mit Naganatrypanosomen gleichzeitig mit einer Lösung unseres 
bisher besten Trypanosomenmittels aus der Reihe der Cbinaalkaloide, 
Aethylhydrocuprein, und zwar der in Oel gelösten Base, und mit 
Natrium salicylicum behandelt wurde. Die Menge des Aethyl- 
hydrocupreins, die wir anwenden, ist so klein — es ist etwas mehr als 
die Hälfte der Dosis tolerata —, dass sie an und für sich eine Ver¬ 
minderung der Trypanosomen nicht hervorbringt, wie aus den beiden 
Kon troll versuchen zu ersehen ist, wo die Tiere nach 4 und 5 Tagen der 
Trypanosomeninfektion erliegen. Beinahe die grösste Menge von Natrium 
salicylicum, die angewandt werden kann, macht bei dieser fortgeschrittenen 
Infektion auch keine Wirkung, wie aus den beiden Kontrollen und ausser¬ 
dem aus den zahlreichen Erfahrungen, die wir weiterhin gemacht haben, 
zu ersehen ist. Die Kombination beider Mittel führt zu einem temporären 
Freisein des Blutes von Trypanosomen. Sie sehen aber, dass immerhin 
eine Maus dauernd geheilt ist, d. h. dass sie nach viermonatiger Beob¬ 
achtung noch keine Trypanosomen enthält. Die übrigen bekommen 
zwischen dem 8. und 15. Tage Recidive. Jedenfalls gelingt es durch 
die Anwendung der beiden Mittel, das Blut vorübergehend, und zwar 
zum Teil durch eine einzige Injektion — die dauernd geheilte Maus ist 
dreimal injiziert worden —, frei von Trypanosomen zu raaohen. Diese 
Kombination mit Aethylhydrocuprein wird das weitere Studium gerade 
von Substanzen aus der Salicylsäurereihe und ähnlichen Reihen uns er¬ 
leichtern und eine klare Beurteilung der Resultate erlauben. 

Diese Kombination von Chinaalkaloiden und Natrium salicylicum 
ergab bei entsprechender Variation ein Resultat, das gewisse Schwierig¬ 
keiten beseitigte, auf die ich gleich zurückkoromen will. Hier ist ein 
Versuch, der ganz genau in der Anordnung dem Versuche von vorhin 
entspricht, nur dass an Stelle des Aetbylhydrocupreins die freie Base 
des Chinins genommen ist. Sie sehen, dass hier trotz der dreimaligen 
Injektion eine Beeinflussung des Verlaufs der Infektion überhaupt 

1) Diese Woohenscbr., 1913, Nr. 3, S. 110. 

2) Tsuzuki, Zeitschr. f. Hyg. u. Infektionskr., 1911, Bd. 68, S. 864. 

8) Morgenroth und Rosenthal, diese Woohensehr., 1912, Nx. 3. 


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368 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 8. 


nicht stattgefunden hat, sondern dass zwischen dem dritten und fünften 
Tage sämtliche Tiere der Infektion erliegen. Es sind das zwei Ver¬ 
suche, die, gegeneinandergehalten, besonders geeignet sind, die Ueber- 
legenheit des Aethylhydrocupreins gegenüber dem Chinin 
selbst zu zeigen, und sie waren um so erwünschter, als wir bei der 
Anwendung der öligen Lösung der freien Base, um die es sich hier 
handelt, nach dem zuerst von Halberstädter und mir geübten Vor¬ 
gehen auf eine Art Misserfolg gestossen waren. 

Wenn man nämlich die Behandlung mit den wässrigen Lösungen 
der Salze durchführt, so findet man, wie das schon früher von Morgen - 
roth und Halberstädter beschrieben wurde, dass das Aethylhydro- 
cuprein das wirksamste Präparat darstellt, während dem Chinin selbst 
eine ausserordentlich schlechte Wirkung zukommt. 

Bei der Anwendung der öligen Lösung versobob sich das Bild 
etwas, wenn auch nicht vollständig. Das Chinin blieb immer das 
schlechtere Präparat, aber die Distanz zwischen den drei untersuchten 
Präparaten Chinin, Hydrochinin und Aethylbydrocuprein schrumpfte in 
auffallender Weise zusammen. Wenn man die Kombinationstherapie an¬ 
wendet, dann zeigen sich wieder die ursprünglichen Verhältnisse und, 
wie Sie hier sehen, die ganz erhebliche grosse Ueberlegenheit des Aetbyl- 
hydrocupreins. Uebrigens ist es durch Versuche von Morgenroth und 
Spanjer-Herford inzwischen gelungen, die Ursache dieser Abweichung 
zu finden; sie besteht darin, dass die Löslichkeit der Aetbylhydrocuprein- 
base in Oel gegenüber der Löslichkeit der Chininbase ausserordentlich 
gross ist und dass, wenn man die ölige Lösung, wie wir es machen, 
subcutan injiziert, wenig von dem Aethylhydrocuprein in einem be¬ 
stimmten Zeitintervall in die Blutbahn übergeht. Also unter diesem 
Gesichtspunkt betrachtet — man kann diese Verhältnisse direkt durch 
Ausschüttelungsversuche zeigen — sind die vorliegenden Versuche be¬ 
sonders geeignet, die Ueberlegenheit des Aethylhydrocupreins noch mehr 
in das Licht zu rücken. 

Nun möchte ich noch eine zweite Reihe von Kombinations versuchen 
demonstrieren, deren Effekt — immer unter dem Gesichtspunkt des Tier¬ 
versuchs betrachtet — ein ausserordentlich glänzender ist. Es handelt 
sich hier um die Kombination der Aethylhydrocupreinbase, 
des Natrium salioylicum und von sehr geringen Mengen von 
Salvarsan bei nur einmaliger Injektion. Die Heilversuche sind 
alle gleichzeitig bei ungemein weit fortgeschrittener Infektion 
angestellt. Sie sehen hier an diesen sieben Mäusen, was die angewandte 
Menge Salvarsan allein leistet. Das ist nicht viel; bei vier Tieren er¬ 
leidet die Infektion kaum eine Verzögerung, bei drei Tieren kommt man 
vorübergehend auf 0, aber am 6. und 15. Tage beginnen die Recidive, 
denen dann die Tiere erliegen. Die Kombination von Natrium salicylicum 
und Salvarsan gibt kaum bessere Resultate, dagegen zeigten Aetbylhydro- 
cuprein mit Salvarsan allein eine bedeutende Verbesserung der Wirkung. 

Diesen massigen Erfolgen steht nun gegenüber der Erfolg bei sieben 
Tieren — und wir haben mehrere Versuche dieser Art —, die mit den 
drei Mitteln einmal behandelt worden sind, die trotz der weit fort¬ 
geschrittenen Infektion am nächsten Tage ihre sämtlichen Trypanosomen 
verloren haben und auch jetzt nach einer Beobachtungszeit von etwa 
vier Monaten — diese muss als mehr denn genügend angesehen werden — 
alle dauernd geheilt sind. Das ist eines der besten Resultate, welche 
die Kombinationstherapie bis jetzt erzielt hat, ein Resultat, das nach 
mancher Hinsicht hin Interesse hat und, wie ich glaube, dazu führen 
wird, bei der Behandlung der Krankheiten, bei denen jetzt vor allem das 
Salvarsan angewandt wird, die Unterstützung mit Chininderivaten, speziell 
mit Aethylhydrocuprein und auch mit Salicylderivaten zur Anwendung 
zu bringen. Die Verwendung des Chinins bei der Syphilisbehandlung, 
wie sie besonders von Lenzmann propagiert wird, ist im übrigen ja 
bekannt. 

Es ist kein Zweifel, dass es nach diesen Versuchen gerechtfertigt 
erscheint, in der menschlichen Therapie die Kombination dieser drei 
Substanzen zu untersuchen. Nur darf man nicht glauben, dass wir vom 
Laboratoriumstisch aus irgendein Rezept geben können, wie die An¬ 
wendung geschehen muss. Diese Fragen muss der Kliniker ganz von 
neuem und auf eigene Faust untersuchen. Ich glaube, es ist um so be¬ 
rechtigter, Chininderivate als Adjuvantien zu verwenden, als wir neuer¬ 
dings gut gelungene Versuche ausgeführt haben, das Eintreten der Recidive 
bei Trypanosomeninfektion nach ungenügender Behandlung mit Salvarsan 
durch mehrmalige Injektion von relativ geringen Dosen von Aethyl¬ 
hydrocuprein zu verhüten. Das ist uns bei der überwiegenden Mehrzahl 
der Tiere gelungen, während unsere sämtlichen Kontrolliere Recidive 
bekamen, denen sie dann erlegen sind. Wenn sich beim Menschen diese 
Anwendungsweise durchführen lässt, so hat sie ihre Berechtigung auf 
einem ziemlich weiten Gebiete, bei der Schlafkrankheit, bei der Malaria 
und vielleicht — das muss man natürlich auf Grund der Trypanosomen¬ 
versuche mit besonderer Reserve aussprechen — auch bei der Syphilis. 


Berliner orthopädische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Ordentliche Sitzung und Generalversammlung vom 6. Januar 1913. 
Vorsitzender: Herr Joachimsthal. 

Schriftführer: Herr Böhm. 

Der Vorsitzende, Herr Joachimsthal, hält einen warmempfundenen 
Nachruf auf den verstorbenen Kollegen Bosse, der seit Gründung der 
Gesellschaft derselben angehört. 


Neu aufgenommen werden die Herren Dr. Kardamatis und 
Dr. E vier-Treptow. 

Der Schriftführer, Herr Böhm, erstattet sodann einen Bericht 
über die wichtigsten Ereignisse des vergangenen Jahies. 
Es wurden im ganzen fünf ordentliche und eine ausserordentliche Sitzung 
abgehalten. Die Sitzungen waren zahlreich besucht, dankenswerterweise 
auch von unseren auswärtigen Mitgliedern. Dreimal hatte die Gesell¬ 
schaft die Ehre, Gäste als Redner begrüssen zu dürfen, die Herren Ge¬ 
heimrat H. Virchow, Professor W. A. Freund und Dr. W. Alexander. 

Zur Frage des orthopädischen Schulturnens hat die Gesell¬ 
schaft im vergangenen Jahre Stellung genommen, indem sie die nötigen 
Schritte zur Erhebung einer Statistik über die Verbreitung der Rück¬ 
gratsverkrümmungen in den Berliner Schulen traf. Der neue Band 
der Verhandlungen ist bereits erschienen. 

Die Gesellschaft trat mit 59 alten Mitgliedern in das Geschäftsjahr 
1912, nahm 10 neue Mitglieder auf, so dass sich nun der Mitglieder¬ 
bestand nach dem Tode des Kollegen Bosse auf 68 beläuft 

Bericht des Schatzmeisters Herrn Biesalki: 

Die Gesellschaft beginnt im Jahre 1912 mit einem Bar¬ 
bestand von. 830,92 M. 

wozu bemerkt werden muss, dass darin schon ein 
Teil von Mitgliedsbeiträgen von 1912 enthalten sind. 

Durch weitere Mitgliedsbeiträge erhöht sich die Summe 

auf. 422,92 „ 

Für die laufenden Ausgaben wurden verausgabt . . . 59.25 „ 

so dass am Ende des Jahres ein Bestand von . . 363,67 M. 

vorhanden war. 

Die Rechnung ist von den Herren Köl liker und Ruhemann ge¬ 
prüft und für richtig befunden worden. 

Auf Antrag des Vorsitzenden, Herrn Joachimsthal, bewilligt die 
Gesellschaft 50 M. für das Koch-Denkmal. 

Bei der nunmehr statutengemäss erfolgenden Neuwahl wird der ge¬ 
samte Vorstand durch Akklamation wiedergewählt. 

Hr. Edmund Falk-Berlin: 

Fötale Eitwieklinggstörungei an Beekes «ad an der Wirbelsäule 
als Ursache von Deformitätea, iasbesoadere voa Skoliosea aad an¬ 
geborener Hüftluiationen. 

Falk gibt unter Hinweis auf die Untersuchungen, welche er bei 
seinen Studien über die BeckenentwickluDg gemacht hat, eine durch zahl¬ 
reiche Abbildungen und Röntgenbilder anschaulich gemachte Uebersicht 
über Ossifikationsstörungen, welche zu Störungen der Form und Gestalt 
des Körpers führen. Zunächst zeigt er, wie durch die während des intra¬ 
uterinen Lebens nachgewiesene Höherentwicklung des Beckens an der 
Wirbelsäule es zu numerischen Variationen an der lumbosakralen Grenz- 
region kommt, dass wir aber in der Lage sind, aus dem Nachweis der 
Knochenkerne in den Flügelteilen des Kreuzbeins stets festzustellen, 
welcher Wirbel während der ersten Entwicklung dieser Knochenkerne — 
also im siebenten Monat — der eigentliche Stützwirbel des Kreuzbeins 
war. Kommt es nach dieser Zeit noch zur Aufnahme eines Lenden¬ 
wirbels in das Kreuzbein, was wir aus dem Fehlen eines Knochenkernes 
in dem Flügelteil dieses Wirbels nachweisen können, so wird, falls nicht 
eine Kompensation an der lumbodorsalen Grenzregion durch Umwandlung 
eines Brustwirbels in einen Lendenwirbel eintritt, durch das Vorhandensein 
von nur vier Lendenwirbeln ein kurzer Lendenteil der Gestalt ein cha¬ 
rakteristisches Gepräge geben, wie umgekehrt, wenn der 25. Wirbel sich 
als Lendenwirbel erhalten hat, das Bestehen von sechs Lendenwirbeln 
infolge eines abnorm langen Lendenteils die Gestalt beeinflussen wird. 
Besonders wird dieses der Fall sein, wenn die Vermehrung der Lenden¬ 
wirbel auf Kosten der Brustwirbel geschieht (11 Brustwirbel.-}-6 Lenden¬ 
wirbel), da alsdann eine kurze Taille, ein langer Lendenteil die Folge 
sein wird. Unregelmässige Assimilationen, d. h. teilweise Umwandlungen 
eines Kreuzwirbels in einen Lendenwirbel, werden dadurch, dass die 
proximale Fläche des assimilierten Wirbels eine mehr oder minder starke 
Neigung gegen die Horizontale zeigt, die Disposition zur Skoliosenbildung 
geben. 

Skoliosen können aber auch durch eine andere intrauterine Ent- 
wioklungsstörung direkt entstehen, nämlich durch das Vorhandensein von 
Halbwirbeln. Derartige Halbwirbel können, wie Falk an präparierten 
Becken zeigt — im Gegensatz zu Fischei —, auch aus normal 
segmentierten Wirbeln dadurch entstehen, dass der Knochenkern in 
seinem Bogen nicht zur Entwicklung kommt. Durch Ausbleiben der 
bilateralen Anlage der Wirbelsäule entstehende Spaltbildungen führen 
zur Spina bifida mit consecutiver Meningocele, zur Beckenspaltung mit 
consecutiver Blasenspaltung. Falk demonstriert eine Wirbelsäule, die 
neben Spaltbildung der Brust-, Lenden- und Kreuzbeinwirbel durch un¬ 
vollkommenes Längenwachstum das Fehlen des letzten Kreuzbeinwirbels 
und des Steissbeins zeigt. Derartige dyspygische Missbildungen sind 
bisher erst fünfmal beschrieben, davon zwei bei lebensfähigen Kindern. 

Dass angeborene Hüftluxationen ihre prädisponierende Ursache in 
einer vorzeitigen Ossifikation der Pfanne haben können, welche bewirkt, 
dass die Pfanne einen normalen Schenkelkopf nicht fassen kann, dass 
also auch ohne mechanische Ursachen Luxationen entstehen können, wird 
vielfach bestritten. Falk zeigt ein Becken mit Ablagerung von osteo¬ 
plastischer Substanz im Y-förmigen Knorpel, welches zur vorzeitigen Ver¬ 
knöcherung hätte führen müssen. Durch Demonstration eines Beckens 
einer Phokomole, bei der es durch Erkrankung des skelettogenen Ge* 


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24. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


869 


wehes überhaupt nicht zur Ausbildung einer Pfanne kam, wird bewiesen, 
dass auch Entwicklungsstörungen, welche das Blastem der Pfanne im 
Sinne Holzmann’s, Vogel’s treffen, die Disposition zur Hüftluxation 
abgeben können. In derartigen Fällen von Entwicklungsstöningen der 
Pfanne, welche jedoch nur für eine Minderzahl von angeborenen 
Luxationen in Betracht kommt, genügt die normale Haltung des Fötus 
mit stark flektiertem Obersohenkel, um eine Luxation zu erzeugen. In 
den Fällen aber, in denen bei spärlichem Fruchtwasser die Zwangs* 
baltung in Beugeadduktionsstellung eine Abflachung der Pfanne durch 
veränderte Stellung des Pfannenkopfes erzeugt, wirkt der Knochenkern 
des Schambeines als GLeitschiene, wenn durch den Druck des Pfannen¬ 
kopfes eine Abflachung des am caudalen Pfannenrande besonders niedrigen 
Knorpelringes hervorgerufen wird. 

Auf Störungen der intrauterinen Entwicklung, und zwar auf eine 
qualitative Vegetationsstörung des Knorpels, sind die chondrodystrophi¬ 
schen Zwergformen zurückzuführen. Die Form Veränderungen bei diesen 
Zvergen werden gewöhnlich auf mechanische Ursachen infolge der 
mangelnden Widerstandsfähigkeit der Knochen zurückgeführt. An dem 
chondrodystrophischen Becken, das wohl charakterisierte Formverände- 
rungen zeigt, weist Falk nach, dass hier mechanische Ursachen über¬ 
haupt keine Rolle spielen, sondern einzig und allein zwar von der Norm 
abweichende, aber in der Entwicklung begründete Wachstumseinrichtungen; 
diese geben also die Erklärung- für mannigfache pathologische Verände¬ 
rungen am Skelettsystem. 

(Der Vortrag erscheint ausführlich in der Zeitschrift für orthopädische 
Chirurgie.) 

Hr. Joachimsthal verweist auf die Widersprüche, welche sich 
bei der Annahme von Ossifikationsstörungen im Bereiche des Pfannen¬ 
knorpels als Ursache angeborener Hüftluxation ergeben. An Röntgen¬ 
bildern von Kindern zeigt sich der V-förmige Knorpel bei der Luxation 
stets erhalten. Das von Falk demonstrierte Präparat sei nicht beweisend. 

Diskussion. 

Hr. Böhm: Gegenüber einer Reihe von Arbeiten, die nach meinen 
Untersuchungen über den Zusammenhang von Rückgratsverkrümmungen 
und Varietäten der Wirbelsäule erschienen sind, muss ich heute immer 
noch meine Untersuchungsergebnisse vollkommen aufrecht erhalten, und 
gern ergreife ich hier die Gelegenheit, noch einmal einige Punkte be¬ 
sonders zu erwähnen, die vielfach durchaus missverstanden worden sind. 
Jeder, der viel Gelegenheit hat, das Rumpfskelett und die inneren Organe 
röntgenologisch zu untersuchen, wird zweifellos finden, dass recht häufig 
Varietäten der Wirbelsäule vorhanden sind, ohne dass eine Verkrümmung 
vorliegt, und in der Tat, nie habe ich die Behauptung aufgestellt, dass 
jede Varietät der Wirbelsäule eine Skoliose zur Folge haben muss, ganz 
im Gegenteil: ist eine Varietät der Wirbelsäule und gleichzeitig eine 
Skoliose vorhanden, so darf man die letztere erst dann als Ursache der 
Deformität betrachten, wenn die morphologischen Verhältnisse voll¬ 
kommen die Deformität erklären. Nie z. B. oder fast nie ist ein lumbo- 
sacraler Uebergangswirbel direkt die Ursache einer Lendenskoliose, 
sondern erst dann entsteht die letztere, wenn in Verbindung mit der 
Varietät auch eine primäre asymmetrische Entwicklung der Kreuzbeinflügel 
oder der Beckenhälften oder der Extremitäten vorhanden ist. So haben wir 
den Zusammenhang von lumbosacralen Varietäten und Skoliosen zu ver¬ 
stehen. Nie ist fernerhin in ganz analoger Weise die Halsrippe als Ursaohe 
einer Skoliose allein zu betrachten, sondern erst dann kann sie als ätio¬ 
logischer Faktor für die Deformität herangezogen werden, wenn gleichzeitig 
die typischen Rippenasymmetrien vorhanden sind, wie ich sie früher be¬ 
schrieben habe. Naturgemäss kann auch in Verbindung mit der Halsripppe 
eine Wirbelmissbildung jeder Art vorliegen, die die Skoliose erklärt. Ich 
freue mich, dass diese Verhältnisse von Herrn Kollegen Falk richtig ge¬ 
würdigt worden sind, und wünsche ihm, dass die Gynäkologie in der Lehre 
von den Beckendeformitäten dahin gelangen möge, wohin die Orthopädie 
augenscheinlich mehr und mehr in der Lehre von den Wirbelsäulenver¬ 
krümmungen gelangt, nämlich zu der Erkenntnis, dass für einen grossen 
Teil dieser Deformitäten eine blosse mechanische Erklärung nicht aus¬ 
reicht, dass vielmehr die primäre congenitale Entwicklungsstörung eine 
viel bedeutendere ätiologische Rolle spielt, als wir bisher geglaubt 
haben. 

Hr. Kölliker weist darauf hin, dass er schon vor Jahren fest* 
gestellt hat, dass die angeborene Hüftverrenkung bei Kindern, die noch 
nicht gegangen sind, auf die Bezeichnung der traumatischen Luxation 
übertragen, eine Luxatio supracotyloidea ist; erst durch die Belastung 
beim Gehen tritt der Schenkelkopf nach hinten, und es wird aus der 
Luxatio supracotyloidea eine Luxation nach hinten, eine Luxatio iliaca. 
Ein derartiges Verhalten lässt sich ungezungen durch fötale Entwicklungs¬ 
störungen am Becken, insbesondere an der Pfanne, erklären, während 
intrauterine Feststellung des Beines in Flexion, Adduktion und Innen¬ 
rotation niemals eine Luxatio supracotyloidea hervorbringen kann. 

Hr. Peltesolm: 

Vorstellung eines Falles von kongenitaler Missbildung. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

Hr. C. Kardamatis: 

Anatomische Befände bei Osteogenesis imperfecta. 

(Erscheint ausführlich in Virchow’s Archiv für mikroskopische 
Anatomie.) 

Hr. Kardamatis berichtet über seine anatomischen Befunde bei 
einem intra vitam von Joachimsthal beobachteten Kinde. 


Indem Vortr. bezüglich des klinischen Befundes und Verlaufes auf 
den Bericht Jo ach i ms thal’s *) verweist, macht er hier nur über die 
anatomischen Befunde Mitteilung. 

Mikroskopische Längsschnitte am Humerus und Femur ergaben: 

Die Epiphysen wie die endochondrale Ossifikation sind ausser kleinen 
Blutungen normal, ebenso wie die Epiphysenfugen und die verkalkte 
Linie. Die Corticalis ist sehr dünn und stellenweise durch Periost er¬ 
setzt. Mikroskopisch erinnert nichts an frühere Gallusbildungen, nur 
die Blutungen, die man hier und da sieht, können auf Frakturen bzw. 
Infraktionen hinweisen. Die Spongiosa erweist sich als normal, und 
nur an den oberen Dritteln der Diaphysen sind grössere gallertartige 
Flecken zu sehen. 

In dem mikroskopischen Bilde ist ausser der dünnen Corticalis der 
Diaphysen und den vielen alten Blutungen das Merkwürdigste, dass 
viele Cysten mit geronnenem Serum gefüllt anzutreffen sind. Derartige 
kleine und grosse Cystenbildungen sind fast überall zu sehen, sogar in 
der endochondralen Ossifikation. Die meisten weisen ein Reticulum auf, 
einige erweiterte Blutgefässe haben denselben Cysteninhalt. 

In der Spongiosa finden sich vielfach Bindegewebsfasern, die nach 
Looser eine Folge der Frakturen bzw. Infraktionen sind. Diese Binde¬ 
gewebsfasern haben wahrscheinlich die Lymph- und Blutgefässe kom¬ 
primiert oder ganz abgeschnürt, wodurch es zu Cysten bi 1 dun gen ge¬ 
kommen ist. Ueber das Verhalten der Osteoplasten und Osteoklasten 
und überhaupt der Markzellen kann Vortr. heute noch nichts Ausführ¬ 
liches berichten, da seine diesbezüglichen Untersuchungen noch nicht 
abgeschlossen sind. 


Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde zu Berlin. 

Sitzung vom 8. Februar 1918. 

Demonstrationen vor der Tagesordnung. 

1. Hr. Plehn: 

Ein Fall von Herzbloek mit Adam-Stokes’sehem Symptomenkomplex. 

Die Patientin, ein 29 jähriges Mädchen, war plötzlich mit Herz¬ 
schmerzen und Ohnmachtsanfällen erkrankt. Die Pupillen waren in 
diesen Anfällen reaktionslos. Der Radialpuls wurde unregelmässig. Die 
Pulszahl ging bis auf 28 in der Minute herunter, später sogar auf 13 
bis 14. Konstant war Venenpuls vorhanden, und das Röntgenogramm 
ergab eine starke Erweiterung des rechten und linken Vorhofs. Man 
fand post mortem an den Herzklappen eine Randfibrose, ferner fibröse 
Veränderungen an den Papillarmuskeln und darf wohl gleiche Verände¬ 
rungen auch am His’schen Bündel erwarten. Die Dissoziation zwischen 
Vorhof und Ventrikelkontraktion wird an Kurven demonstriert. 

Diskussion: HHr. Rehfisch und Plehn. 

2. Hr. Ziemann: 

Ueber künstliche Weiterestwieklang der Malariaparasiten in vitro. 

In Blutegeln war die Vermehrung von Malariaplasmodien bisher 
niemals beobachtet worden. Bass ist die Kultur des Malariaplasmodiums 
gelungen, und zwar wurde als Kulturmedium Blut mit 50 pCt. Dextrose¬ 
zusatz benutzt. Auch dem Vortragenden ist die Kultur gelungen, und 
er demonstriert an LumiÖreaufnahmen den Entwicklungsgang von Per¬ 
niciosa- und Tertianakulturen (Sporulationsformen, Merozoiten, absterbende 
Formen usw.). Letztere kann man im strömenden Blut nicht nach- 
weisen, weil sie in der Milz abgefangen werden. Der Dextrosezusatz hat 
nach Bass vielleicht die Wirkung, die Lipoidsubstanzen vor der Wirkung 
des Serums zu schützen oder aber die Klebrigkeit der Erythrocyten zu 
erhöhen. 

Diskussion: HHr. Plehn und Ziemann. 

Tagesordnung. 

Hr. Tachan: 

Klinische Untersuchungen über den ßlutznckergehalt. 

Beim Gesunden schwankt der Blutzuckergehalt in engen Grenzen, 
auch nach Zufuhr grosser Kohlehydratmengen (100 g Traubenzucker) 
treten keine wesentlichen Steigerungen ein, in den meisten Fällen wurden 
dabei Werte gefunden, die in denselben Grenzen lagen, wie die beim 
nüchternen Gesunden festgestellten, nur selten wurde 0,1 pCt. um ein 
Geringes überschritten. Bei fieberhaften Krankheiten sind die Blutzucker- 
werte in nüchternem Zustande erhöht, nach Aufnahme von 100 g Trauben¬ 
zucker treten weitere erhebliche Steigerungen der Hyperglykämie ein. 
Diese alimentären Hyperglykämien beim Fieber stehen nicht in konstanter 
Beziehung zur Höhe der Temperatur. Bei chronischen Nephritiden 
wurden in einer Anzahl von Fällen geringe Erhöhungen des Blutzucker¬ 
gehaltes in nüchternem Zustande gefunden. Nach 100 g Traubenzucker 
traten in unkomplizierten Fällen keine wesentlichen Erhöhungen der 
Werte ein, nur wenn gleichzeitig anderweitige, mit Zuckerstoffwechsel¬ 
störungen einhergehende Erkrankungen vorhanden waren, wurden erheb¬ 
liche alimentäre Hyperglykämien beobachtet. Bei Leberkranken und 
Patienten mit alimentärer Glykosurie wurden ausgesprochene Hyper¬ 
glykämien eine Stunde nach der Aufnahme des Zuckers festgestellt. 
Systematische Untersuchungen haben nun ergeben, dass in vielen Fällen 
erhebliche alimentäre Hyperglykämien auftrateD, in denen keine Zucker¬ 
ausscheidung mit dem Harne erfolgte. Die Untersuchung auf alimentäre 
Glykosurie genügt zur Prüfung des Zuckerstoflwechsels also nur dann, 


1) Diese^Wochenscbr., 1912, Nr. 17. 


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370 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 8. 


wenn dabei Zucker im Harne gefunden wird. Fehlt die Zuckerausscheidung, 
so ist damit noch nicht gesagt, dass der intermediäre Zuckerstoffwechsel 
normal verläuft, es muss weiter untersucht werden, ob das Verhalten 
des Blutzuckers ein normales ist oder pathologische Erhöhungen ein- 
treten. 

Klinische Bedeutung hat die Blutzuckeruntersuchung besonders beim 
Diabetes mellitus. Man findet hier erhebliche Hyperglykämien. Beim 
Herabgehen der Glykosurie sinken gewöhnlich auch die Blutzuckerwerte 
ab. Auch bei zuckerfreiem Harne können erhebliche Hyperglykämien be¬ 
stehen. Für die Prüfung auf alimentäre Hyperglykämie kommt beim 
Diabetiker die Darreichung von Traubenzucker nicht in Betracht, da sie 
oft ungünstig auf die Toleranz wirkt. Vortr. hat deshalb eine Stunde 
nach Aufnahme von 50 g Weissbrot zum ersten Frühstück untersucht. 
Dabei wurden in allen Fällen Steigerungen der Hyperglykämie fest¬ 
gestellt, deren Grösse anscheinend gewisse Schlüsse auf die Schwere der 
Stoffwechselstörung zulässt. Die Höhe der Hyperglykämie in nüchternem 
Zustande steht nicht in konstanter Beziehung zu der Grösse der Zucker¬ 
ausscheidung. Besonders beobachtet man oft Fälle, wo bei erheblicher 
Hyperglykämie die Zuckerausscheidung gering ist oder sogar völlig fehlt. 
Gerade für diese Fälle ist die Blutuntersuchung von grosser klinischer 
Bedeutung, da durch sie erst die wahre Schwere der Erkrankung fest¬ 
gestellt wird. 

Zum Schluss wird über Untersuchungen über die Verteilung des 
Blutzuckers auf Blutkörperchen und Plasma berichtet. In nüchternem 
Zustande wurden nur geringe Unterschiede zwischen dem Zuckergehalt 
des Gesamtblutes und dem des Plasmas gefunden; auf der Höhe der 
alimentären Hyperglykämie war die Differenz oft ganz erheblich grösser. 
(Autoreferat.) H. Hirschfeld. 


Berliner urologische Gesellschaft. 

Sitzung vom 28. Januar 1913. 

Vorsitzender: Herr C. Posner. 

Schriftführer: Herr R. Kutner. 

Die Sitzung ist zugleich Generalversammlung. Nach Erstattung des 
Geschäftsberichts durch Schriftführer, Schatzmeister und Bibliothekar 
werden die revidierten Statuten einstimmig genehmigt. Die Gesellschaft 
beschliesst auf Antrag des Vorstandes, 100 M. für das Robert Koch- 
Denkmal zu bewilligen. Bei den Wahlen zum Vorstand wird an Stelle 
des statutenmässig ausscheidenden Herrn Posner Herr L. Casper zum 
ersten Vorsitzenden, an seiner Stelle Herr H. Wossidlo zum stellver¬ 
tretenden Vorsitzenden gewählt. Die übrigen Mitglieder des Vorstandes 
werden wieder- und in den Ausschuss Herr G. Ben da neugewählt. 

Demonstration vor der Tagesordnung. 

Hr. Raspel: 1. Pyurie mit Schüttelfrost nach normales Abort. 
Tumor der rechten Niere. Ureterenkatheterismus zugleich mit Ein¬ 
spritzung von 80 ccm Collargollösung ins Nierenbecken. Exslirpation 
der Niere. Heilung per primam. Demonstration des Röntgenbildes: 
Vereitertes Nierenbecken. 

2 . Ureter8teiademoistratioB im Röntgenbilde. 

Tagesordnung. 

Hr. A. Lewin: 

Blaseagesebwülste bei Arbeiten ia Anilinfabriken. 

ln der Statistik von Rehn 41 Beobachtungen in der Zeitvon 1895 
bis 1910. Leuenberger stellte aus der Baseler chirurgischen Klinik 
in kurzer Zeit 18 Fälle zusammen, nicht nur bei Anilinarbeitern, son¬ 
dern auch bei Tuchfärbern usw. AniJinarbeiter sterben 33 mal häufiger 
an Blasentumoren, als Arbeiter anderer Berufe. Mehr als die Hälfte 
aller Fälle von Blasentumoren auf der Baseler Klinik betrafen Anilin¬ 
arbeiter. Aetiologisch kommt für die Bildung der Tumoren in Betracht 
das Anilin, das Naphthylamin und das Toluidin. Die Arbeiter haben 
bei Entstehung der Tumoren bereits viele Jahre mit den reizenden 
Stoffen gearbeitet. Fall von Lewin, seit 26 Jahren in der Anilinfabrik 
beschäftigt, erkrankte an Dysurie und Hämaturie. Cystoskopisch sieht 
man infiltrierenden Tumor der ganzen Blasenschleimhaut vom Orificium 
internum bis zum Vertex. Von einer Operation wegen bestehender 
Drüsenmetastasen Abstand genommen. Der Kranke erinnert sich aus 
seiner langjährigen Tätigkeit an acht Kameraden mit Blasenerkrankungen. 
Von den 18 von Leuenberger gesammelten Fällen wurden 14 operiert. 
Von diesen leben sechs. Vier von den Lebenden hatten Papillome, 
zwei Carcinome. Demonstration des Tumors durch Projektionsapparat. 

Diskussion. 

Hr. Rumpel hat drei Arbeiter aus Anilinfabriken wegen Blut- 
harnens behandelt. Zwei hatten Cystitis haemorrhagica, einer Carcinom. 
Letzterer mit Erfolg operiert, später trat bei Fortarbeit in der Anilin¬ 
fabrik Recidiv auf, ging daran zugrunde. Demonstration des Tumors. 

Hr. Mankiewicz: Die in der Statistik aufgeführten Tumoren sind 
nicht alle Carcinome, ein Teil ist unbestimmten Charakters, vier sind 
Sarkome. 

Hr. Israel hat den Direktor einer Anilinfabrik mit Blasenerkrankung 
beobachtet, der nur gelegentlich in seinem Privatlaboratorium mit Anilin 
gearbeitet hat. 

Hr. Casper bestätigt diese Mitteilung. Es erkranken nicht nur 
Arbeiter, sondern auch Leute, die in der Fabrik beschäftigt sind. Beob¬ 
achtung von zwei Fällen, die starben. 


Hr. H. Straiss: Zar Prognose chreiiseher Nephritiden. 

Wichtig für die Prognose ist die Bestimmung des Reststickstofis 
im Blut. Bei normalen Menschen beträgt er ca. 50 mg, bei Uräraikem 
bis 250 mg. Hohe Werte von Reststickstoff im Blut sind ein Signum 
mali ominis. Von anderer Seite (Vidal) wurde der Harnstoff im Blute 
als Indikator empfohlen. Bei Stickstoffbestimmungen braucht man 
60—70 ccm Blut. Dies ist sehr umständlich. Follin hat ein neues 
Verfahren angegeben, bei dem nur 5—10 ccm Blutserum erforderlich 
sind. Dies ist empfehlenswert. Nur hohe Werte von Reststickstoff, 
75—150 mg, sind prognostisch als Kriterium zu benutzen. Ueber 150 mg 
machen die Prognose quoad tempus schlecht. Harnstoffbestimmung des 
Blutes ist nicht zu benutzen, da der Harnstoffgehalt nicht mit dem 
Reststickstofi parallel geht. 

Diskussion. 

Hr. Roth empfiehlt zur Bestimmung der Nierenprognose die Phenol- 
sulfophthaleinmethode. 

Hr. Schneider empfiehlt den Jodkaliversucb, den Durstversuch, 
Milchzuckerversuch. Durch Kombination dieser Methoden erhält man 
ein gutes Bild über die Nierenfunktion. 

Hr. Casper fragt, ob bei Gesunden der Reststickstoff eine konstante 
Zahl sei. 

Hr. Strauss (Schlusswort): Bei Gesunden ist der Reststickstoff 
ca. 30—50 mg, bei Carcinom, Anämie usw. geht er bis 75—100 mg. 
Alle Fälle mit über 150 mg kommen bald ad exitum. Es ist viel 
sicherer, sich bei Prüfungen an das Blut als an den Urin zu halten. 
Die Phenolsulfophthaleinprobe, die Jodkali-, Wasser-,Milchzuckerinjektions- 
probe, Kochsalzversuch gaben wechselnde Resultate. Bei Milchzucker¬ 
injektionen, intravenös verabfolgt, tritt Fieber auf. Gegen den Jodkali¬ 
versuch ist nichts einzuwenden. 

Hr. Ullraann (Assistent von Hrn. Strauss) berichtet zur Ergänzung 
folgendes: Die Phenolsulfophthaleinprobe ist unzuverlässig, denn die 
Menge des ausgeschiedenen Farbstoffs ist schwer zu bestimmen, weil er 
zum Teil durch Urinfarbstoff verdeckt wird. Die Ausscheidung ist nicht 
allein eine aktive, sondern auch eine passive Tätigkeit der Nieren. Es 
kommt auch auf die eingenommenen Wassermengen an. Kranke Nieren 
scheiden den Farbstoff manchmal schuell, gesunde Nieren sehr langsam 
aus. Die Jodkaliprobe ist einfach. Die Kochsalzprobe gibt ein gutes 
Bild der Nierenfunktion. Die Wasserprobe hat sich in einer Reihe von 
Fällen bewährt. 

Hr. Wilhela Israel: Denoastratisnea z«r Nierenehirurgie. 

1. Niere mit gelben, bräunlichen Nierenpapillenspitzen. Dies wird 
durch Hämatin bewirkt. 

2. Dieser Fall zeigt die Entstehung einer tuberkulösen Hydro- 
nephrose durch Vorhandensein einer Narbe am Ureteranfang. 

3. Völlige Atrophie und Verödung einer tuberkulösen Niere. 

4. Pyonephrosis calculosa occlusa. 

5. Selten grosse Hydronephrose bei einem 40jährigen Arzt. Das 
Leiden ist bis auf die Kindheit zurückzuführen. Im Alter von 24 Jahren 
nach Stoss Hämaturie, kindskopfgrosser Tumor der linken Seite. Im 
vorigen Jahr nach starker Körperanstrengung Fieber. Nach Eröffnung 
Punktion des Nierenbeckens, Entleerung von 7 Litern bräunlicher Flüssig¬ 
keit. Nephrektomie. Heilung nach 18 Tagen. 

6. Hypernephrom. Der Fall zeigt infolge Circulationsstauung 

Blutungen aus der Parenchyma ins Nierenbecken, ohne Zusammenhang 
des Tumors mit letzterem. L. Lipman-Wulf. 


Gynäkologische Gesellschaft za Berlin. 

Sitzung vom 24. Januar 1913. 

Vorsitzender: Herr Buram. 

Demonstrationen. 

Hr. Kan8ch: Nabelschnurumschlingung. 

Redner hat einen Fall beobachtet, in welchem die Nabelschnur um 
das Bein des Kindes geschlungen war. Dieser Vorfall ist seltener als 
die Umschlingung um den Hals. Diese Umschlingungen wirken ähnlich 
wie die Simonart’scben Bänder. 

Er zeigt ferner die Photographie eines Cyklopen. Es ist ein tod- 
geborener Fötus, der nur eine Orbita und nur ein Auge hat. Von dem 
zweiten ist nur eine Andeutung vorhanden. 

Hr. Hallaaer stellt eine Patientin vor, welche eine ziemlich tiefe 
Tracheotomienarbe und eine zu beiden Seiten davon sichtbare Struma 
aufweist. Jedesmal, wenn sie gravide wird, treten erhebliche Atem¬ 
beschwerden auf, ohne dass eigentlich ein rechter Grund dafür vorhanden 
ist. Die Atembeschwerden sind aber so heftig, dass er es für eine Indi¬ 
kation für den artefiziellen Abort hält. 

Hr. Bdoiid macht auf einige Patienten aufmerksam, welche nach 
Anwendung von Mesothorium Verbrennungen erlitten haben. Es wäre 
so sehr wünschenswert, dass man für die sehr teure Anwendung der 
Röntgenstrahlen einen Ersatz hätte, aber auch das Radium und das 
Mesothorium sind immer noch recht teuer. Das wichtigste ist, die Zeit 
der Einwirkung festzustellen, die für den Erfolg nötig ist, ohne dass 
Schaden entsteht. Das ist aber sehr schwer, da die individuelle Tole¬ 
ranz in sehr weiten Grenzen schwankt. Die anzuwendende Dosis ist 
20—25 mm in silbernen Kapseln. Während einige Patienten die An¬ 
wendung längere Zeit hindurch vertragen, treten bei anderen schon 


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24. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


371 


nach 9—12 Stunden Nekrosen der Schleimhaut auf. Der Durchschnitt 
der Anwendungszeit ist 6 Stunden. Es wird darauf ankommen, wie 
lange man das Mesothorium liegen lassen kann.. Die Resultate sind 
ähnlich denen bei Anwendung der Röntgenstrahlen, namentlich bei 
Blutungen, bei Endometritis, Myomen usw. 

Hr. Ziasser: Ueber die Sehftdignag der Niere bei Eklampsie. 

Es ist jetzt wohl als entschieden anzusehen, dass ein direkter Zu¬ 
sammenhang der Erscheinungen, welche die Eklampsie darbietet, mit 
der dabei beobachteten Nephritis nicht besteht. Zu entscheiden sind 
zwei Fragen: 1. Hängt die Schwere der Nierenerkrankung mit der 
Schwere der Eklampsie zusammen? 2. Hat die Schädigung der Niere 
auf den Verlauf einen wesentlichen Einfluss? 

Der Satz, dass mit steigender Diurese Besserung eintritt, hat keine 
allgemeine Geltung. Ebensowenig kommt nach Zangemeister dem 
Grad der Albuminurie eine prognostische Bedeutung zu. Auch die 
stickstoffhaltigen Harnsalze und das Kochsalz sind ohne Bedeutung. 
Eher ist der Kochsalztiter noch bei den mit Oedem verbundenen Fällen 
masssgebend. Ein niedriger Kochsalztiter ist ungünstig. Jedoch setzt 
die Schädigung durch Kochsalzretention erst spät ein. Die Kochsalz¬ 
bestimmung kann uns daher nur momentan über den Stand aufklären. 
Redner belegt diese Behauptungen durch Demonstration von mehreren 
Kurven. 

Was die zweite Frage anlangt, so kommen bei der sekundären 
Urämie als Retentionsprodukte in Betracht: Das Wasser, die Chloride 
und die stickstoffhaltigen Substanzen. Die beiden letzteren sind ohne 
Bedeutung, da die Niere für sie ein gutes Ausscheidungsvermögen be¬ 
hält Ausserdem dauert die Retention nie so lange, dass sie zu 
fürchten wäre. 

Auch alle Blutuntersuchungen waren bisher ohne Ergebnis. Die 
urämischen Formen verhalten sich allerdings etwas anders. Als Para¬ 
digma kann die Scharlacbniere angesehen werden, weicher die Eklampsie- 
niere noch am nächsten steht. Dass das Oedem an den Krämpfen 
schuld hat, dagegen spricht, dass oft andere Oedeme fehlen. Es ist 
aber nicht einzusehen, warum gerade das Gehirn ödematös sein sollte, 
wenn alle anderen Organe es nicht sind. Es kann in Betracht kommen 
für diejenigen Fälle, welche sich aus der Nephritis gravidarum ent¬ 
wickeln. Jedoch spricht auch dagegen, dass die Lumbalpunktion, welche 
bei der Scharlachniere so gute Erfolge aufweist, bei der Eklampsie fast 
stets ohne Erfolg ist. In Fällen von stärkerer Erkrankung sind auch 
andere Organe mit erkrankt. Man kann also nicht sagen, was nun 
eigentlich im Vordergrund steht. Kürzlich sind wieder Publikationen 
von Franz und Esch erschienen über giftige Harnstoffbestandteile, aber 
es hat sich diese Publikation keine Anerkennung verschafft. Die 
Eklampsie kann ohne Nierenschädigung entstehen, kann also nicht 
von ihr abhängig sein. Man kommt also zu dem Resultat, dass die 
Nierenerkrankung nur eine Episode in dem grossen Drama der 
Eklampsie ist. 

Diskussion. 

Hr. Liepmann kann die Ansicht des Vortr. nur bestätigen. Die 
Nierenerkrankung ist nur eine Episode. Er hat auch Fälle gesehen, die 
ungünstig verliefen, obgleich die Diurese stieg. Auch die Albuminurie 
gestattet keine Prognose. Er vermutet das Gift in der Placenta. 

Hr. Bumm glaubt, dass die Nierenerkrankung doch einen gewissen 
Zusammenhang mit den Anfällen hat. Eine grosse Reihe von Fällen 
zeigt eine Nierenschädigung und fängt mit der Erkrankung der Niere 
an. Durch einfaches Experiment ist das nicht zu widerlegen. Auch an 
dem Wert der Zunahme der Diurese hält er fest. 

Hr. Nagel weist darauf hin, dass es Fälle gibt, in denen Cylinder 
ohne sonstige Erscheinungen auftreten. 

Hr. Liepmann: Der Zusammenhang zwischen Nierenerkrankung 
und Eklampsie ist sicher, aber unbekannt. Nach den bisherigen Unter¬ 
suchungen ist anzunehmen,' dass die Giftquelle wo anders, nämlich in 
der Placenta liegt 

Hr. Bumm: Die Gifte sind eben unbekannt. Bisher hat sie ausser 
Herrn Liepmann noch niemand gesehen. 

Hr. Zinsser meint er habe nicht geleugnet, dass die Nieren¬ 
erkrankung von Wichtigkeit sei, jedoch wiese eben diese Erkrankung 
noch eine so grosse Reihe anderer Erscheinungen auf, dass man sie 
nicht als das ursprünglich maassgebende ansehen könne. 

Siefart. 


Medizinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für vater¬ 
ländische Kultur zu Breslau. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 17. Januar 1913. 

Vorsitzender: Herr Neisser. 

Schriftführer: Herr Partsch. 

Hr. Dfirthle: 

Ueber Aazeieheu eiier Förderung des Blutstromes durch aktive 
pulsatoriseke Tätigkeit der Arterien. 

Der Vortragende teilt das Ergebnis von Versuchsreihen mit, die 
alle zugunsten der Hypothese verwertet werden können, dass auch die 
Arterien durch aktive pulsatorische Tätigkeit an der Bewegung des Blut¬ 
stromes beteiligt sind. Ein Teil der Versuche wird demonstriert. Da 
aber bei einzelnen Versuchen die Möglichkeit einer anderen Deutung 


nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann und auch einzelne 
widersprechende Befunde vorliegen, hält der Vortragende den ein¬ 
wandfreien Nachweis der Richtigkeit der Hypothese nicht für erbracht. 

Die erste Versuchsreihe bildet eine Fortsetzung der vom Vortragenden 
schon veröffentlichten Versuche über die Beziehung zwischen Druck 
und Geschwindigkeit des Blutes in den Arterien, in der neue 
Versuche mit Lähmung und Erregung der Gefässwand an¬ 
gestellt wurden. Die Lähmung erfolgte durch mehrstündige Absperrung 
der Blutzufuhr, die Erregung durch Adrenalin, Pituitrin und Digitalis. 
Dabei ergab sich, dass nach Lähmung der Gefässe die registrierte Strom¬ 
kurve sehr gut mit derjenigen übereinstimmt, welche unter der Voraus¬ 
setzung berechnet wird, dass die Stromstärke vom arteriellen Druck, den 
Widerständen und der Elastizität der Bahn abhängt. Nach Anwendung 
der erregenden Mittel aber weicht die registrierte Stromkurve von der 
berechneten sehr stark in der Richtung ab, dass die systolische Strom¬ 
stärke grösser, die diastolische kleiner ist als die berechnete, An der 
Grenze von Systole und Diastole tritt eine deutliche rückläufige Be¬ 
wegung des Blutstromes auf. Dieser Rückstrom lässt sich auch in den 
Arterien des Froschmesenteriums nach Anwendung von Adrenalin bei 
mikroskopischer Beobachtung feststellen. 

In einer weiteren von Herrn oand. med. Schäfer durohgeführten 
Versuchsreihe werden die bei künstlicher Durchströmung unter 
konstantem und rhythmischem Druck durch die Gefässe der 
Hinterbeine des Frosches getriebenen Flüssigkeitsmengen verglichen. 
Während diese ohne weitere Eingriffe merklich gleich gefunden werden, 
ändern sie sich beim Zufügen erregender Substanzen zur Durch- 
strömungsfiüssigkeit in der Richtung, dass bei pulsatoriscber Strömung 
unter gleichem mittleren Druck erheblich mehr durchfliesst als bei 
konstantem. 

Ein ähnliches Ergebnis erhält man am lebenden Hund bei 
Registrierung von Druck und Stromstärke in der Artcria cruralis, wenn 
man die pulsatorische Druckschwankung durch Einschaltung 
einer Blende und eines Windkessels in den Blutstrom ab¬ 
dämpft; das systolische Stromvolum wird relativ kleiner. 

Da durch diese Versuchsreihen die Möglichkeit einer aktiven 
pulsatorischen Tätigkeit der Arterienwand nahegelegt wird, wurde nach 
Zeichen einer solchen, zunächst nach Aktionsströmen gesucht. Tat¬ 
sächlich gelang es, kurze systolische Bewegungen der Saite des Galvano¬ 
meters zu registrieren bei künstlicher rhythmischer Durchströmung des 
Froscbkörpers nach Entfernung des Herzens, an ausgeschnittenen 
Arterien vom Hund, sowie am Hinterbein des lebenden Hundes. Da 
aber noch keine Kontrollversuche angestellt werden konnten, kann nicht 
als sichergestellt angenommen werden, dass die Saitenbewegungen durch 
Aktionsströme veranlasst sind und keine andere Ursache haben. 

Während die genannten Versuche in einer aktiven pulsatorischen 
Tätigkeit der peripheren Arterien eine einfache Erklärung finden 
würden, spricht eine letzte Versuchsreihe für die Möglichkeit einer 
solchen Funktion bei den centralen Arterien: Die Verfolgung der auf¬ 
fallenden Erscheinung, dass die Druckschwankung in der Crural- 
arterie grösser ist als in der Carotis, ergibt nämlich, dass das 
Verhältnis der beiden Pulsamplituden experimentell inner¬ 
halb weiter Grenzen abgeändert werden kann. Setzt man die 
Aplitude in der Carotis = 1, so beträgt die beim gleiche Pulse in der 
Cruralis registrierte im Mittel etwa 1,4, erhebt sich aber bei Anwendung 
gefässerregender Mittel auf 2 und darüber und sinkt andererseits nach 
Anwendung lähmender Mittel unter den Wert 1, d. h. es wird in diesem 
Falle die bei Anwendung der Wellenlehre auf den Blutstrom zu er¬ 
wartende Dämpfung der Welle tatsächlich beobachtet. Da aber die 
Möglichkeit zugegeben werden muss, dass beim Zustandekommen dieser 
Erscheinung Wellenreflexion beteiligt ist, kann die Tatsache vorläufig 
gleichfalls nicht als einwandfreier Beweis für eine aktive Tätigkeit der 
Gefässe angesehen werden. Das gemeinsame Ergebnis der Versuchs¬ 
reihen aber, dass durch ganz verschiedene Methoden Tatsachen fest¬ 
gestellt sind, welche sioh durch die Annahme einer aktiven pulsatorischen 
Tätigkeit der Arterien relativ einfach verstehen lassen, fordert zu einer 
weiteren und ernsten Prüfung der Hypothese auf, 

Diskussion. 

Hr. Bittorf hat völlig unabhängig vom Vorredner, zum Teil 
von anderen Voraussetzungen ausgehend, nach Erwerb eines Saiten¬ 
galvanometers durch die medizinische Klinik im Sommer 1912 mit 
diesem ebenfalls die aktive pulsatorische Betätigung der 
Arterien nachgewiesen. 

Seine zuerst am Menschen (Normalen unter verschiedenen Ver- 
suohsbedingunger, Herz-Nierenkranken) angestellten Versuche fielen zwar 
noch meist negativ oder wenigstens zweifelhaft aus, jedoch erhielt er in 
einzelnen Fällen sicher positive Resultate und pulsatorische Fadenaus¬ 
schläge; Elektroangiogramm (Demonstration Kurve 1, oben Elektro- 
angiogramm, unten Pulskurve). 

Die längst beabsichtigten Tierversuche wurden später ausgeführt, 
und zwar zeitlich nach einem Gespräch mit Herrn Hürthle, 
in dem Bittorf von seinen bereits seit längerer Zeit durchgeführten 
Untersuchungen am Menschen erzählte und von seinen beabsichtigten 
Tierversuchen und deren Methodik sprach. Dabei erfuhr er von den 
gleichgerichteten Untersuchungen und Resultaten des Herrn Hürthle, 
ohne Kenntnis von dessen Versuchsanordnung zu erlangen. 

Es wurden bei seinen Tierversuchen von der am lebenden Tiere 
(Kaninchen und Hunden) freigelegten und isolierten Femoralarterie mit 


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372 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 8. 


Kurve 1. 




Kurve 2. 


. - 



unpolarisierbaren Elektroden abgeleitet und Kurven gewonnen, die 
ebenfalls eine Aenderung des Erregungszustandes der Gefässmuskulatur 
bei jedem Pulse zeigten (Demonstration Kurve 2, oben Elektroangio- 
gramme, unten Pulskurve). 

Es scheint ihm damit die aktive pulsatorisch erfolgende Tätigkeit 
der Arterien bewiesen. 

Hr. Strassburger weist auf die klinische Bedeutung der vom 
Vortr. behandelten Frage hin. So gewinnt die vasomotorische Kreislauf¬ 
insuffizienz ein anderes Ansehen, wenn man ihr Wesen nicht nur in 
einer übermässigen Erweiterung des Gefässsystems, sondern auch in dem 
Ausbleiben einer aktiven rhythmischen Fördertätigkeit desselben sieht. 
In der Hydrotherapie spielt- weiterhin vielfach die Vorstellung eine Rolle, 
dass man durch Kaltwasserprozeduren mit guter reaktiver Gefässerweiterung 
eine aktive, der Vorwärtsbewegung des Blutes dienende Tätigkeit der 
Blutgefässe erhöhen und damit den Kreislauf verbessern könne. Irgend¬ 
welche Beweise für diese Annahme haben bis jetzt gefehlt. 

Ferner macht Redner darauf aufmerksam, dass bei der Annahme 
ryhythmischer, mit dem Puls zusammeegehender Kontraktionen der 
Arterien die Druckaraplitüde des Pulses hierdurch bedingte Verände¬ 
rungen erleiden muss. Will man also aus der Höhe des Pulsdruckes 
Rückschlüsse auf das Schlagvolumen des Herzens machen, so muss man 
mit der Möglichkeit rechnen, dass ausser der Weitbarkeit des Gefäss¬ 
systems auch noch der genannte Faktor das Resultat beeinflussen kann. 
Es ist dies wieder ein Hinweis darauf, dass es erforderlich ist, bei 
Druckmessungen, soweit sie über das Verhalten des Herzens Auskunft 
geben sollen, die Messung so nahe als möglich am Herzen vorzunehmen. 

Man sollte eigentlich meinen, dass pulsatorische Kontraktionen am 
deutlichsten an denjenigen Arterien zum Ausdruck kommen müssten, 
welche im Verhältnis die meiste Muskulatur enthalten. Es sind dies 
die kleinsten peripher gelegenen Arterien, und im Anschluss hieran 
sollte man schon normalerweise, oder nach kalten Bädern, Diagitalis usw. 
das Vorhandensein eines im Bereich der Capillaren sichtbaren Pulses er¬ 
warten. Ein Capillarpuls tritt aber bekanntlich beim Menschen gerade 
unter anderen Verhältnissen auf. 


Aerztliclier Verein zu Hamburg. 

(Biologische Abteilung.) 

Sitzung vom 21. Januar 1913. 

1. Hr. Unna sen.: 

Die praktische Anwendung der Sauerstoffreagentien. 

Während bei der accessorischen Atmung Oxydationsfermente 
wirksam sind, die, von der Zelle loslöslich, auf bestimmte Stoffe spezi¬ 
fisch eingestellt sind (z. B. Urikase u. a.) und mit der Zelle als solcher 
nichts zu tun haben, spielt sich die Hauptatmung im Innern der Zelle 


selbst ab. Die Beobachtung der letzteren gestattet also eine Analyse 
der Zelle selbst. Dabei muss die Wirkung der auf die Zellbestandteile 
einwirkenden Stoffe eine automatische sein, unbeeinflusst durch äussere 
Faktoren (Wärme usw.). In zahlreichen Lumierebildern werden zunächst 
die hauptsächlichsten Reduktionsorte vorgeführt: das Spongioplasma, 
Nerven, wogegen rote Blutkörperchen und Elastin nur etwas, Knorpel 
fast gar nicht reduzieren. An zahlreichen Beispielen wird die Wichtig¬ 
keit der mit Hilfe von Rongalitweiss leicht nachzuweisenden Sauerstoff¬ 
orte dargetan: die Kerne sind nicht lediglich als Substrat der Mitosen, 
sondern auch als O-Träger wichtig. Bei Gonokokkeneiter erscheinen 
Kerne und Gonokokken blau, als O-Orte; Stapbyloc. aur. verhält sich 
anders. Ein allgemein gleichmässiges Sauerstoffbedürfnis des Körpers 
besteht nicht. Bei einfachst organisierten Lebewesen besteht keine be¬ 
sondere Differenzierung von O-Orten, da sie gewissermaassen „im Sauer¬ 
stoff schwimmen“; Nuclein, Cytose, Mastzellenkörner wurden allmählich 
die O-Orte der höheren Tiere. Beispiele einiger O-Orte in inneren 
Organen: in der Niere die Glomeruli und geraden Harnkanälchen. In 
lelzteren wird also der Harn oxydiert, wie aus Ehrliches früheren 
Untersuchungen schon geschlossen werden musste. Die Wichtigkeit der 
langen Ausführungsgänge von Drüsen ist damit klargelegt. In den 
Lungen sind die Bronchen grosse O-Orte; ebenfalls wichtige 0 Orte sind 
die Mastzellen. 

Neben diesen „aktiven O-Orten“ gibt es im Körper noch weiterhin 
O-Speicherorte, z. B. Plasma- und Ganglienzellen, sowie Knorpel. 

Nach viertägiger aseptischer Aufbewahrung sind die O-Orte der 
Niere noch darstellbar, vom 6. Tag ab nicht mehr; es handelt sich also 
nicht um die Wirkung eines oxydierenden Fermentes, sondern wohl um 
einen mineralischen Aktivator. Die Rongalitweissmethode stellt nicht 
einfach eine Methylenblaufärbung dar, denn diese O-Orte lassen sich 
z. B. durch Cyankalium u. a. „vergiften“. 

Diskussion. 

Hr. E. Fraenkel frägt den Vortr., ob alle Rnorpelarten, oder nur 
der hyaline als O-Ort anzusehen sei. Bezüglich der Stabilität der O-Orte 
nach dem Tode wäre die Frage aufzuwerfen, ob es sich nicht vielleicht 
um postmortale Aufnahme von Sauerstoff handle. 

Hr. Moeller berichtet über Untersuchungen, die er auf Ver¬ 
anlassung von Herrn Unna an der Mundschleimhaut angestellt hat. 
Dieselbe reduziert fast bei allen Gesunden stark; desgleichen der Speichel 
von 40 Patienten. 

Hr. Jakobsthal bemerkt, dass die zwei funktionell verschiedenen 
Kerne des Trypanosoma sich als O-Orte erweisen. 

Hr. Unna (Schlusswort): Hyaline und elastische Knorpel sind 
O-Orte. Zutritt von Luft zu den Geweben ist notwendig, um die O-Orte 
post mortem nachzuweisen. 

2. Hr. K. Reicher-Bad Mergentheim (a. G.): 

Die Bedeutung von Blutzuckerbestimmungen bei Diabetes. 

Vortr. empfiehlt die von ihm (ursprünglich gemeinsam mit Stein) 
angegebene und neuerdings verbesserte kolorimetrische Methode der 
„Blutzucker“-Bestiramung. Ausser Glykose werden damit auch Pentose, 
Glykuronsäure und andere Kohlehydrate nachgewiesen; Genauigkeit be¬ 
trägt 1,8 pCt., „Fehler erst von der 4. Decimale ab“. Einarbeiten in die 
Methode (1—2 Monate lang) erforderlich. Die Methode gestattet häufig 
wiederholte Blutzuckerbestimmungen, da sie nicht mehr als 4 ccm Blut 
erfordert. Klinische Ergebnisse: der Gesunde zeigt hiermit Werte von 
0,09—0,15 pCt.; nach 100 g Dextrose Anstieg auf 0,2—0,25 pCt. Beim 
Diabetiker 0,2 —0,4 pCt., nach Zuckerzulage erheblicher Anstieg der 
„Blutzucker“-Kurve, sowie der Kurve des respiratorischen Quotienten. 
Aus dem Verhalten der beiden Kurven lassen sich Schlüsse auf die 
Schwere des Diabetes, auf den Einfluss von therapeutischen Maassnabmen 
ziehen. Vortr. bespricht im einzelnen die günstige Einwirkung von Kur¬ 
orten, speziell von Bad Mergentheim, auf das Befinden des Diabetikers 
an Hand von 30 eingehend untersuchten Fällen, ln einem Falle war 
aus dem verspätet auftretenden Anstieg des „Blutzuckers“ nach Plasmon¬ 
verabreichung auf eine Zuckerbildung aus Eiweiss zu schliessen. Hinweis 
auf die Möglichkeit, Fälle von latentem Diabetes damit zu klären. Im 
Coma diabetic. sinkt der Harnzucker, der Blutzucker steigt an. Nach 
Versuchen am Hunde ist bei den oftmals wiederholten Blutentnahmen 
zwecks Zuckerbestimmung eine „Aderlasshyperglykämie“ nicht zu be¬ 
fürchten. 

Diskussion. 

Hr. Schümm weist auf die scharfe Verurteilung der Methode durch 
Forschbach und Severin-Breslau hin. Er selbst hält die Methode 
für jedenfalls bedeutend weniger zuverlässig, als dies nach den Aus¬ 
führungen des Herrn Vortr. anzunehmen wäre. 

Hr. Hegler weist auf die ausgedehnten Untersuchungen hin, über 
welche er, gemeinsam mit Schümm, im Biologischen Verein am 
2. November 1911 ausführlich berichtete. Diese Untersuchungen (an 
über 300 Fällen) wurden mit der Bang’schen Methode, vielfach mit 
nachfolgender Vergärung und Bestimmung der „Restsubstanz“ ausgeführt. 
Die damit erhaltenen Werte sind durchweg niedriger als die des Herrn 
Vortr. Bei Gesunden stieg der Blutzucker eine Stunde nach 100 g 
Dextrose niemals über 0,12 pCt.; eine erhöhte alimentäre Hyperglykämie 
war nicht bloss beim Diabetes, sondern auch bei zahlreichen anderen 
Krankheiten (Pneumonie, Infektionskrankheiten u. a.) nachzuweisen. Als 
Schwellenwert ergab sich 0,2 pCt. Blutzucker; wo dieser Wert über¬ 
schritten war, trat regelmässig auch im Harn Zucker auf. 


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UNIVERSUM OF IOWA 





























































24. Februar lö 13. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


373 


Hr. AUard hat den in Breslau aasgeführten Nachuntersuchungen 
der Reicber'schen Methode selbst beigewohnt und kann danach Zweifel 
an der Genauigkeit derselben nicht unterdrücken. In seiner vom Herrn 
Vortr. citierten Arbeit habe er die stark abführende Wirkung der 
Mergentheimer Karlsquelle als wahrscheinliche Hauptursache des Rück¬ 
gangs der Glykosurie bezeichnet. 

Hr. Reicher (Schlusswort) betont nochmals die Genauigkeit seiner 
Methode — „die reduzierenden Methoden sind noch schlechter als die 
kolorimetrische!“) —; Werte von 0,4 pCt. Blutzucker und höher ohne 
Glykosurie habe er öfter beobachtet. Herrn AUard gegenüber betone 
er, dass dieser selbst in seiner früheren Publikation sich dahin aus¬ 
gesprochen habe, dass nicht ausschliesslich das Eintreten von Durch¬ 
eilen die günstige Wirkung der Mergentheimer Kur auf den Diabetiker 
erklären könne. 


Sitzung vom 28. Januar 1913. 

Demonstrationen: 

1. Hr. KeUenberg zeigt ein Instrumentarium, mit welchem er einem 
8jährigen Jungen mit Athyreosis congenita ein Stück Schilddrüse der 
Matter ia die Milz eingepflanzt hat. Zweizeitiges Operieren: die Milz 
wird vor das Peritoneum gelagert, eine. Tasche gebildet und hierin 
transplantiert. Grösse des Transplantates 3:1 cm. Psychische und 
somatisohe Besserung, die bisher anhielt. Bei einem anderen, kleineren 
Kind wurde die Transplantation in die Tibia gemacht. 

2. Hr. Kümmell zeigt a) älteren Herrn, welchem er vor 5 /« Jahren 
wegen Careinons die Zunge total exstirpiert hat (nach Spaltung der 
Wange und Unterbindung der Art. lingualis). Patient spricht jetzt sehr 
verständlich, bisher keine Drüsen zu fühlen. Sehr bewährt hat sich hier¬ 
bei die intravenöse Narkose mit Isopral. b) Präparat einer Zunge, die 
bei Carcinom des Mundhöhlenbodens sich in toto als fester Körper mit 
der Pincette hervorziehen liess. 

3. Hr. Sadeck demonstriert verschiedene Patienten und Röntgen¬ 
bilder von Unterkieferresektion wegen maligner Tumoren, sowie die 
dabei verwandten Prothesen. 

4. Hr. Hegler: 35jähriger Steinhauer mit Morbns Addison (zum Ver¬ 
gleich ein 62jähriger Kranker mit hochgradiger Argyrosis). Katarrh über 
beiden Lungen, Tendovaginitis crepitans, Asthenie, erhebliche gleich- 
mässige Pigmentierung des Rumpfes, Schleimhäute nicht pigmentiert; 
Subacidität; Blutdruck 90—130 ccm Wasser; Blutzucker vor und nach 
100 g Dextrose: 0,086pCt. bzw. 0,125pCt. Blutbild: 70pCt. Hb; 
4,7 Millionen Erythrocyten, 6600 Leukooyten, wovon 70 pCt. Neutro¬ 
phile, 20 pCt. Lymphocyten, 7 pCt. grosse Mononuoleäre und 3 pCt. 
Eosinophile; kein Anhaltspunkt für Status thymioo-lymphaticus. Be¬ 
sprechung der Therapie, die eventuell eine Nebennierentransplantation 
in Erwägung zu ziehen hat. 

Hr. Lonaitz: 

Ueber die verschiedenen Formel der chronischen Obstipation. 

Von den beiden Formen der Obstipation: der primären und der 
sekundären, wird letztere ausgelöst durch Störungen der Zwerohfells- 
bewegung, dekoropensierte Herzfehler, Erkrankungen der Leber- und 
Gallenwege, des Magens (Achylie, aber auoh Hyperacidität); „rektogen“ 
bei entzündlichen Prozessen im kleinen Becken und der Umgebung des 
Anus. Alle anderen Fälle von primärer Obstipation werden am besten 
als „funktionelle“ Obstipation (Nothnagel und Simon) abgegrenzt. 
Besprechung der Scbmidl’schen Theorie vom Zustandekommen der funk¬ 
tioneilen Obstipation; dieselbe ist durch die modernen Röntgenbefunde 
nicht unerheblich erschüttert worden. Hinweis auf die Untersuchungen 
von Schwarz, v. Bergmann u. a. Die eigentliche Ursache der funk¬ 
tioneilen Obstipation ist auch hiermit noch nicht geklärt. 

Diskussion. 

Hr. v. Bergmann stimmt mit dem Vortr. darin überein, dass die 
scharfe Trennung zwischen spastischer und atonischer Verstopfung weg¬ 
fallen muss und die Auffassung von A. Schmidt durch die Röntgen¬ 
befunde stark erschüttert ist. Die neuerdings am Colon festgestellten 
Bewegungsformen müssen zur Grundlage der Beurteilung der chronischen 
Obstipation gemacht werden. An Hand einer Reihe von Röntgenbildern 
wird der Einfluss von Arzneimitteln (Pilocarpin, Adrenalin, Atropin) auf 
die Darmbewegung demonstriert, es ergeben sich jeweils bestimmte, 
immer wiederkehrende Typen. 

Hr. Neu mann bespricht die Therapie der chronischen Obstipation. 

C. Hegler. 


Medizinische Gesellschaft za Kiel. 

Sitzung vom 19. Dezember 1912. 

Hr. ▼. Stock spricht über StilPsche Krankheit, eine Form des 
chronisehen Gelenkrheumatismus im Kindesalter, berichtet über einen 
geheilten und demonstriert einen zurzeit in Behandlung befindlichen Fall. 
Diskussion: HHr. Hoppe-Seyler, Brandes, Lüthje, Haussen. 

Hr. Lüthje: Ueber Hyperaeidit&t. 

(Veröffentlicht in der Therapie der Gegenwart, 1913, H. I.) 

Hr. Birk: 

Ern&hrangssttfringen heia Säugling infolge parenteraler Infektion. 

Vortr. demonstriert ein 2 Monate altes Kind und drei Säuglinge mit 


eitriger Pyelonephritis bzw. Bronchopneumonie, akuter Encephalitis und 
Masern. Die Kinder hatten gleichzeitig Erscheinungen eines Magendarm¬ 
katarrhs, der unter dem Einfluss der bakteriellen Infektion wie durch 
eine Art Fernwirkung von dem „parenteralen“ Entzündungsherd aus zu¬ 
stande kommt. 


Sitzung vom 16. Januar 1913. 

Hr» Lüthje: 1. Ueber Typhosdiagnose. 

Vortr. weist in Anbetracht der zurzeit in Kiel gehäuften Typhus¬ 
falle darauf hin, wie häufig die einzelnen klinischen, bakteriologischen 
und serologischen Symptome uns bei der Typhusdiagnose im Stich lassen. 

Dr$i Symptome sind es, die, wenn sie gleichzeitig vorhanden sind, 
nach Ansicht des Vortr. die Diagnose absolut sichern, nämlich 1. die 
relative Pulsverlangsamuug (in 88 pCt. der Kieler Fälle vorhanden), 
2. die Diazoreaktion (in 73 pCt. der Fälle positiv), 3. die Leukopenie (in 
90pCt. positiv). 

Der Bakteriennachweis gelingt im Blut nur in der ersten Woche, 
der Nachweis in den Fäoes ist schwieriger zu führen. Die Widal’sche 
Reaktion tritt relativ spät auf und fehlte in Kiel in 25,5 pCt. der Fälle 
völlig. 

2. Demonstration eines Falles von Dermatitis exfoliativa lack 
Salvarsaninjektioo. 

Der Kranke, der an Incontinentia urinae infolge von Tabes litt, 
bekam viermal 0,4 g Salvarsan intravenös bei einer gleichzeitigen Queck¬ 
silberkur. Im Anschluss an die letzte Injektion bildete sich ein maculo- 
papulöses Exanthem an den Extremitäten und am Stamm aus mit nach¬ 
folgender Bläschenbildung; ausserdem traten auf: Stomatitis und Con¬ 
junctivitis, Hämorrhagien an Haut und Schleimhäuten, Oedeme, Eiweiss 
im Urin und ein Zustand leichter Benommenheit. Zur Zeit befand sich 
der Kranke im Zustand starker Hautabscbuppung und anscheinend auf 
dem Wege der Besserung. Trotzdem ist die Proguose ungünstig, wie 
ein anderer Fall gezeigt hat, bei dem noch in diesem Stadium Ver¬ 
schlimmerung und Exitus eintrat. 

Diskussion. 

Hr. Schlecht konnte bei dem demonstrierten Fall von Salvarsan- 
exanthem eine periphere Eosinophilie (20—25pCt.) feststellen, sowie 
eine lokale Eosinophilie in den Hautblasen und im subcutanen Gewebe, 
ähnlich der von ihm beschriebenen lokalen experimentellen Eosinophilie 
beim sogenannten Arthus’schen Phänomen. 

Hr. Bering hat in der Kieler Hautklinik gleichfalls einen Fall von 
Salvarsanexanthem gesehen. 

Hr. Weiland: Ueber Reizleitangsstürnngen bei Diphtherie. 

Bericht über den Krankheitsverlauf bei einem Knaben, der 14 Tage 
nach überstandener Rachendiphtherie (Juli 1912) Anfälle von Benommen¬ 
heit, Krämpfen, Cyanose mit den auskultatorischen und palpatorischen 
Erscheinungen der queren Dissoziation des Herzens darbot, die sich 
täglich, 6 Tage lang, häufig wiederholten; danach erholte sich das Herz, 
und der Knabe bekam die ganze Reihe der postdiphtherischen Naoh- 
krankbeiten, die ebenfalls restlos verschwanden. Die Therapie der 
Diphtherie (ausserhalb der Klinik) bestand in Injektion von 600 I.-E., 
die Behandlung während der Adam Stokes’schen Anfälle in Campher, 
Coffein, Atropininjektionen. Hinweis auf die wechselnde Schwere der 
Diphtherieepidemien, auf die Vorteile der Serumbehandlung mit grossen 
Dosen. Besprechung des totalen und partiellen Herzblocks. Im vor¬ 
gestellten Falle sind klinisch und elektrocardiographisch keine Reiz¬ 
leitungsstörungen mehr nachweisbar (Nachuntersuchung im Januar 1913). 

Diskussion: HHr. v. Starck, Bethe, Weiland. 

Hr. Hadenfeldt: Zar Therapie des Keaehhasteas. 

Vortr. berichtet über seine guten Erfolge, die er mit dem neuen 
Keuchhustenmittel Tussalvin (Hydrochinin, bydrochlor.) an 12 Patienten, 
darunter seine drei Kinder, gehabt hat und empfiehlt das Mittel an¬ 
gelegentlichst zur Nachprüfung. Bei Kindern unter 10 Jahren kommen 
0,02—0,05, von 10—14 Jahren 0,1—0,2 g intravenös zur Anwendung. 

Diskussion: HHr. v. Starck, Wulf, Hadenfeldt. 

Hr. Kahl: Ueber häBolytisehea Icteras. 

Bei dem 19 jährigen Patienten besteht seit 6 Jahren ein chro¬ 
nischer, an Intensität wechselnder Icterus mit leichter Anämie ohne 
sonstige ernsthafte Krankbeitserscheinungen. Zwei Brüder des Patienten 
und eine Schwester der Mutter sind ebenfalls gelbsüchtig, die Mutter 
(gestorben mit 42 Jahren an einem Herzleiden) und die Grossmutter des 
Patienten (gestorben an Altersschwäche mit 72 Jahren) waren ebenfalls 
chronisch ikterisch. Wir finden bei dem Patienten einen grossen Milz¬ 
tumor, geringe Leberschwellung, Urobilin, Urobilinogen im Harn, Bili¬ 
rubin im Serum, im Blute die Zeichen leichter Anämie (Hämoglobin 
65pCt.) mit Anisocytose und Mikrocytose (keine kernhaltigen Elemente, 
keine Einschlüsse in den Erythrocyten). 

Es handelt sich um einen typischen Fall von familiärem, hämo¬ 
lytischem Icterus. Auch das Kardinalsymptom dieser Krankheit, nämlich 
die Herabsetzung der osmotischen Resistenz der roten Blutkörperchen 
gegen hypotonische Kochsalzlösung war in charakteristischer Weise aus¬ 
geprägt. Die Hämolyse begann in wiederholten Untersuchungen bei 
0,54 bis 0,64 pCt (normal bei 0,42 bis 0,48 pCt.) Kochsalzlösung und 
war bei 0,40 bis 0,46 pCt. vollendet (normal bei 0,28 bis 0,32 pCt.). 

Ob für die Pathogenese dieser Krankheit primär eine gesteigerte 
hämolytische Tätigkeit der Milz in Frage kommt, oder ob eine an¬ 
geborene Minderwertigkeit der Erythrocyten die primäre Ursache dar- 


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374 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 8. 


stellt, ist noch fraglich. Vielleicht liegt die Ursache des Leidens noch 
in einer allgemeineren Konstitutionsanomalie. Denn in meiner Beob¬ 
achtung konnte ich Störungen des Kohlehydratstoffwechsels oachweisen 
(hoher Blutzuckerspiegel von 0,2 pCt., alimentäre Glykosurie bei 100 g 
Dextrose). Im selben Sinne spricht auch die überaus stürmische Reaktion 
auf 1 mg Adrenalin subcutan. 

Diskussion. 

Hr. Schlecht berichtet über drei Fälle von familiärem hämo¬ 
lytischem Icterus (Mutter und zwei Kinder). Bemerkenswert ist be¬ 
sonders, dass bei den Kindern der Milztumor lange Jahre vor Auftreten 
des Icterus und der Anfälle bestand, dass bei den Kindern ein schwerer 
Anfall fast gleichzeitig ohne sicher erkennbare äussere Ursache einsetzte. 
Bei allen Fällen bestanden Milztumor, Mikrocytose, chronischer Icterus, 
Urobilinurie, eigenartig eosinfarbenes Sediment im Urin. Bei der Mutter 
nahm der Icterus in der Gravidität zweimal stark zu und verschwand 
vollständig bei einem schweren Blutverlust. Schwankungen fanden sich 
auch bei psychischen Erregungen. Die Resistenzprüfung bei den Kindern 
ergab starke Herabsetzung der maximalen und minimalen Resistenz. Die 
Präexistenz des Milztumors bei den Kindern ist nur unsicher für die 
Bedeutung einer primären Milzaffektion zu bewerten. Für wichtig hält 
S. die genauere physikalisch-chemische Untersuchung der Erythrocyten, 
da es sich wohl um Produktion abnormen Eiweisses handelt. 

E. Richter. 


Aerztlicher Bezirksverein zu Zittau, 
Krankenhausabend vom 9. Januar 1918. 

Vorsitzender: Herr Körner. 

Schriftführer: Herr Klieneberger. 

1. Hr. Moser: 65jähriger Patient, der links vor 18 Jahren, rechts 
im Sommer des vergangenen Jahres eine Patellarfraktur erlitten hatte. 
Links besteht eine Diastase der Fragmente von 10 cm, die Vorderfläche 
des Kniegelenks ist nur von dünner Haut bedeckt. Es besteht eine er¬ 
hebliche Atrophie, besonders der Oberschenkelstreckmuskeln, weiche 
selbsttätige Streckungen fast unmöglich macht. Die rechtsseitige 
Patellarfraktur, deren Sehnen- und Kapselnaht vom Vortr. ausgeführt 
wurde, ist fast verheilt, das Knie ist selbsttätig frei beweglich, die 
Muskulatur in gutem Zustande. 

2. Hr. Peppnüllor: 26 jähriger Mann mit doppelseitigem Kerato- 
eoius. Vor 8 Jahren war die Sehschärfe des rechten Auges durch 
starke Conusbildung und ausgedehnte Trübung mit heftiger Erosions¬ 
reizung bis auf Erkennen von Handbewegungen gesunken. Durch Ex¬ 
zision der Conusspitze und spätere optische Iridektomie hob sich die 
Sehschärfe mit Korrektion bis auf V20* Am linken Auge hat die Conus¬ 
bildung in letzter Zeit zugenommen, und es hat sich eine Erosion mit 
Trübung der Spitze eingestellt. Deswegen soll das Kauterisations¬ 
verfahren nach Elschnig vorgenommen werden. Vortr. bespricht die 
verschiedenen Behandlungsmethoden unter besonderem Hinweis auf das 
neueste von Grunert angegebene Verfahren. Im Anschluss hieran be¬ 
rührt er die Anschauungen über die Aetiologie des Keratoconus, wobei 
er besonders auf die Blutbefunde hinweist, über die Siegrist berichtet 
hat (Lymphocyten und beschleunigte Blutgerinnung). Diese Blutver- 
änderungen lassen die Möglichkeit eines Zusammenhanges der Kerato- 
conusbildung mit Hypothyreoidismus denken. 

8. Hr. Klieneberger: 

a) Ansgedehnte Thoracotomie mit Thoraeoplastik. 

26 jähriger Weber, der vor 11 Jahren eine schwere rechtsseitige 
Lungen- und Rippenfellentzündung mit anschliessender Abscessbildung 
durchmachte. Mehrfache Operationen wegen lange bestehender Fistel¬ 
bildung, endlich ausgedehnte Thoraeoplastik waren erforderlich. Seitdem 
(6 Jahre) bestehen Schwächeerscheinungen, Atembeschwerden, häufiger 
Katarrh. Bei dem dürftig genährten Patienten (48 Kilo) fehlt die rechte 
Thoraxhälfte nahezu zu 2 / 8 ; es besteht eine starke linkskonvexe Skoliose, 
Emphysem der linken Lunge mit abgeschwächtem Atmen. Der schleimige 
Auswurf ist frei von Tuberkelbacillen (Anreicherung). 

Das Röntgenbild ergibt ausgedehnte Rippenresektion der 2. bis 
10. Rippe rechts. Einzelne Rippenreste sind durch Spangen miteinander 
verbunden. Der rechte überlappen ist weniger luftreich und zeigt 
fleckige Herde im 2. und 3. Intercostalraum, wie man sie bei Tuber¬ 
kulose findet. Im linken Oberlappen und linken Hilus sehr deutliche 
Bronchialzeichnung, Herzlage normal, Ueberempfindlichkeitsreaktionen 
negativ. Temperaturmessungen ergaben keinerlei Anhalt für das Vor¬ 
handensein aktiver Tuberkulose. 

Der schonungsbedürftige Kranke hat bei entsprechender Ernährung 
in 10 Tagen bereits 4 Pfund zugenommen. Es kommt also leichte Be¬ 
schäftigung, Ernährung, Pflege therapeutisch einzig in Frage. 

b) Myokarditis chronica, Thrombosen. 

50 jähriger Knecht, der, abgesehen von Typhus und Rippenfellent¬ 
zündung, bis vor einem Vierteljahre gesund war; seitdem Erscheinungen 
von Herzinsuffizienz: Mattigkeit, Husten, Atembeschwerden, zunehmende 
Schwellungen. Bei der Aufnahme starke Oedeme der abhängigen 
Teile, rechtsseitiges Transsudat, Katarrh, starke Herzdehnung, Erscheinung 
von Tricuspidalinsuffizienz. Unter Digitalistherapie rascher Rückgang 
der Oedeme. Plötzlich Schmerzen im rechten Unterschenkel und rechten 
Fuss, allmählich sioh ausbildende Erscheinungen von arteriellem Gefäss¬ 


verschluss: Blutungen, Blasenbildungen, Oedeme, brandige Verfärbung 
der peripheren Teile. Bei dem besonderen Befallenbleiben der äusseren 
Teile des rechten Fusses muss trotz der ziemlich plötzlichen Entstehung 
des Leidens an einen thrombotischen Gefässverschluss der Arteria 
dorsalis pedis und der Arteria plantaris gedacht werden, ein höherer 
Verschluss der Unterschenkelarterien vor der Teilung hätte Erschei¬ 
nungen auch jenseits des Fusses auslösen müssen. Die Annahme von 
Embolie aber in zwei Arterienäste derselben Extremität ist unwahrschein¬ 
lich. Da die Wassermann’sche Reaktion mit mehreren Extrakten stark 
positiv bei dem Kranken ausfiel, liegt die Deutung des ganzen Krank¬ 
heitsbildes als postluetisch nahe. Therapeutisch kommen bei der 
bleibenden Tricuspidalinsuffizienz neben Diuretin und Jodkali nur lokale 
Maassnahmen (Wärme, Umhüllungen usw.) in Frage, 

c) Demonstration anatomischer Präparate. 

1. Apoplexia cerebri. Riss der linken Arteria fossae Sylvii hatte 
blutige Durchsetzung der ganzen inneren Kapsel und der centralen 
Ganglion zur Folge. Es füllte sich nicht nur der linke Seitenventrikel 
mit Blutcoagulis, sondern es floss Blut auch in den rechten Ventrikel 
hinüber. Ursache der innerhalb 5 Tagen zum Tode führenden schweren 
Blutung (allmählicher Fieberanstieg bis fast 41°) war lange bestehende 
Schrumpfniere. 

2. Brttckenblntnng. Diffuse, hochgradig blutige Infiltration der 
Brücke, links etwas umfangreicher noch als rechts, die binnen 12 Stunden 
zum Tode führte. Der 42 jährige Kranke (positive Wassermann’sche 
Reaktion) war plötzlich mit linksseitiger Lähmung, mit Unvermögen zu 
sprechen zusammengestürzt, verlor sehr rasch auch die Herrschaft über 
die rechten Gliedmaassen und sank bewusstlos zusammen. Bei der 
Krankenhausaufnahme bestand Sopor, die Augen waren nach links ab¬ 
gelenkt, der linke Mundwinkel stand offen. Es bestand tonische Starre 
aller Extremitäten; tiefe Nadelstiche lösten ausgiebige Abwehrbewegungen 
der Gliedmaassen, rechts mehr als links aus. Es fand sich beiderseits 
Babinski, Patellar- und Fussclonus, normale Reaktion der Pupille und 
der Coujunctiva, sonst fehlende Reflexe. Nieren- und Herzveränderungen 
liessen sich nicht nachweisen. Auf Grund dieses Symptomenbildes 
wurde eine luetische Brückenbildung angenommen, die durch die Autopsie 
bestätigt werden konnte. 

3. iliraoklerofle. Ausserordentlich starke Arteriosklerose der Arteria 
basilaris, der Arteria carotis interna und ihrer Aeste. Die Hirnwin¬ 
dungen sind enorm verschmälert und eingesunken, insbesondere die 
Gegend des motorischen Sprachcentrums erweist sich als hochdradig 
atrophisch (tief eingefallene schmale Windungen). Der Kranke hat seit 
15 Jahren wiederholt apoplektiforme Anfälle gehabt und war seit etwa 
einem Jahre ziemlich verblödet. Erst seit einem halben Jahre war er 
dauernd bettlägerig und fremder Pflege und Wartung bedürftig. Der 
zum Tode führende letzte apoplektiforme Anfall (der sonst etwa all¬ 
wöchentlich auftrat) bot die Erscheinungen einer Brückenläsion (ge¬ 
kreuzte Hirnnerven- und Extremitätenlähmung). 


NatanrissenschafUick-medlziuische Gesellschaft zu Jena. 

Sitzung vom 30. Januar 1918. 

Vorsitzender: Herr Lexer. 

Hr. Bennecke: a) Streptomyeosifl oralis fehrilis. 

19 jähriges Mädchen mit Angina phlegmonosa, von der Streptococcus 
longus und Stapbylococcus pyog. aureus gezüchtet wurde. Daneben 
beetförmige Erhabenheit an der rechten Hälfte der Unterlippe mit In¬ 
filtration, geringer Rötung und Schwellung in der Umgebung, an Primär- 
affekt erinnernd; Wassermann und Stern, sowie Anamnese, jedoch 
negativ. Kulturell hier Streptococcus longus in Reinkultur. Am nächsten 
Tage Ausbreitung auf die Gingiva des Unterkiefers, die mit zahlreichen 
weissen Placques wie bespritzt aussieht. Deshalb, sowie in Rücksicht 
auf die Literatur und eigene Beobachtungen wurde die Diagnose auf 
Streptomycosis gestellt, die eine Teilerscheinung der Streptococcenangina 
sein dürfte. 

b) Zip Bearteilug von Unfallsfolgen. 

19 jähriger Arbeiter, der sich als Schulknabe den linken Zeige¬ 
finger, als Schlosserlehrling den rechten Mittelfinger abgequetscht hat 
Er bekommt deshalb eine vierteljährliche Rente von 12,50 M. Um in deren 
Genuss zu bleiben, hat er die Stellung gewechselt, in der er bei vollem 
Lohne als Waagenbauer feine und schwere Arbeit verrichten kann, also 
keine Erwerbsbeschränkung durch die Verletzungen. — 65 jähriger Hand¬ 
arbeiter, der vor 30 bis 40 Jahren im Anschluss an Typbus eine 
Osteomyelitis und Versteifung des linken Kniegelenkes acquirierte. 
Trotz Eiterung aus der Fistel und Beschränkung der Beugungsfähigkeit 
auf 10° bisher arbeitsfähig. Jetzt Invalidenrente wegen Arteriosklerose, 
Schrumpfniere, Blutdrucksteigerung und Emphysem. 

c) Symptomatischer Scharlach hei Typhis. 

Fünfjähriger Knabe mit klinisch und bakteriologisch einwandfreiem 
Typhus, bekam in Anschluss an eine durch Stapbylococcus pyog. aureus 
bedinkte Furunkulose eine Angina, Himbeerzunge und scarlatiniformes 
Exanthem. In Rücksicht auf frühere ähnliche Beobachtungen, wo 
Scarlatina auszuschliessen ist, sowie die deutliche Leukocytose und ge¬ 
wisse Hinweise in der Literatur scheint echter Scharlach ausgeschlossen, 
weil bei der durch den Typhus bedingten Vasomotorensohädigung durch 
die Staphylokokkeninfektion das scarlatiniforme Krankheitsbild hervor¬ 
gerufen wurde. 


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UNIVERSUM OF IOWA 




24. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


876 


Hr. Jank«: Ktiistlicher Paeumothorax. 

17 jähriger Zementarbeiter mit Bronchiektasien und Bronchitis 
foetida. Da die üblichen Mittel erfolglos blieben, Einblasung von Stick» 
stofi. Neun Punktionen von etwa 5 1 Stickstoff wurden gemacht. Seit 
mehreren Wochen ist Auswurf und Geruch geschwunden. Jetzt hat sich 
auch die Lunge wieder fast völlig ausgedehnt. Patient hat sich vor¬ 
züglich erholt. — 15 jähriger Junge mit Phthisis pulm., der eben¬ 
falls mehrfach mit Stickstoffeinblasungen behandelt wurde. Auch hier 
in die Augen fallende Besserung, so dass die Pneumothoraxbehandlung 
als die aussichtsreichste noch fortgesetzt werden soll. 

Hr. Leier: a) Schädel Verletzung durch Browningpistole. 

Jugendlicher Selbstmörder; Schuss in die Schläfe. Das Geschoss 
ging quer durch das Stirnhirn und wurde aut der gegenüberliegenden 
Seite herausgeholt. Patient war bei der Einlieferung stark benommen. 
Wegen des ungünstigen Allgemeinzustandes konnte eine Trepanation 
zunächst nicht ausgeführt werden. Erst 14 Tage nach dem Schuss 
wurde wegen Fortbestehens der Druckerscheinungen trepaniert. Die 
Druckerscheinungen schwanden, auch das Doppelsehen, das vorher be¬ 
standen hatte. Die Bedeutung des Falles liegt in dem günstigen Er¬ 
folge trotz der späten Operation. 

b) Mann mit Schussverletzuug des Halses. Einschuss am Vorder¬ 
rande des Sternocleidomastoideus. Die Kugel ist hinten unter dem 
Trapezius zu fühlen. Trotz der ausserordentlich gefährlichen Lage des 
Schusskanals keine Verletzung des Nervengefässstranges. 

c) Patient mit Einklenmnuig eines Steines in rechten Ureter. 
Der Ureterkatheter stiess ganz vorn auf ein absolutes Hindernis. Das 
Nierenbecken wurde geöffnet und keine Steine in ihm gefunden. 
Sondierung des Ureters vom Nierenbecken, ohne dass die schrotkorn¬ 
grossen Steine blasenwärts getrieben werden konnten. Daher Resektion 
des mit Steinen behafteten Ureterstückes und Implantation des Ureters 
in den Blasensoheitel. Vollkommener Erfolg trotz langwierigen Heil¬ 
verlaufes. 

d) Exstirpatioi der Zange wegen Carcinoms, das lange als syphi¬ 
litische Leukoplacie behandelt worden war. Besprechung der Differential¬ 
diagnose. 

e) Exstirpation der Zange wegen Carcinoms im Mai 1911. Patient 
spricht jetzt laut und deutlich. Keine Störung beim Schlucken. 

f) Ersatz der Harnröhre dnrch Appendix. Wiedervorstcllung des 
am 18. Mai 1911 an dieser Stelle demonstrierten Kranken, dem wegen 
Harnröhren defektes die eigene Appendix transplantiert wurde. Lumen 
für Harn im Strahl und Katheter noch jetzt durchgängig. Bericht, dass 
in einem zweiten Falle der Erfolg nur ein teilweiser war. 

Hr. Henkel: a) Demonstration des Blasensteines im cystoskopischen 
Bilde. 

b) Isehiassjmptome durch Uternscarcinom. 70 jährige Frau mit 
ausgedehntem, zerfallenem, die Parametrien infiltrierendem ^Uterus- 
carcinom, das lange Zeit als Ischias behandelt wurde. Zur Stillung der 
Blutung bei der Beckenausräumung wandte H. in diesem, wie in anderen 
Fällen mit günstigem Erfolge Tampons an, die mit artfremdem Serum 
getränkt waren. 

c) Ascites dnrch Myom. Vortragender erklärt das Auftreten des 
Ascites bei dem gutartigen, aber gestielten Utcrusmyom dadurch, dass 
das Peritoneum dadurch gereizt und die Lymphgefässstigmata so verlegt 
würden. Infolge Behinderung der Resorption soll sich der Ascites ent¬ 
wickelt haben. 

d) Dermoid des Ovariums. 16 jähriges Mädchen mit unregel¬ 
mässiger Menstruation. Im Leib fühlte man einen Tumor, der in seiner 
Grösse einem Uterus im vierten Monat der Gravidität entsprach. Auf¬ 
tretende Blutungen Hessen einen Abort vermuten. Operation ergab dann 
aber eine Dermoidcyste. 

e) Uterus duplex im Rdntgeuhild. Fall von doppeltem Uterus 
und teilweise doppelter Scheide. Nachweis durch röntgenographische 
Darstellung der eingelegten Metallsonden. 

f) Röitgenologisehe Beckenmes9wag. H. bespricht die Fehler¬ 
quellen der Darstellung des Beckeneinganges mittels Teleaufnahmen. 
Er glaubt, dass die Methode für die Praxis von geringer Bedeutung sein 
wird, falls nicht die Fehlergrenzen der Beckenmasse sich auf weniger 
als 0,5 cm herabsetzen lassen. 

Hr. Maurer*. 

Schilddrüse, Thymus und ihre Nebendrüsen bei Menschen und Tieren. 

Auf Grund sehr mühseliger Untersuchungen an der ganzen Wirbel¬ 
tierreihe bis zum Menschen weist Vortragender nach, dass die Epithel¬ 
körperchen genetisch zum Thymus gehören, und dass sie erst bei den 
höheren Wirbeltieren in den Bereich der auch hier getrennt angelegten 
Schilddrüse geraten. Hierdurch wird die sehr variable Lago dieser 
Elemente erklärt Demonstration eines Neugeborenen mit Epithel¬ 
körperchen am unteren Rande der Schilddrüse und dem oberen Pol des 
Thymus, die durch einen, wohl durch Hemmungsbildung zu erklärenden 
Strang verbunden sind. Vortragender diskutiert die Frage, weshalb der 
postbronchiale Körper, der bei den niederen Wirbeltieren als morpho¬ 
logisch und funktionell selbständiges Organ angelegt wird und erhalten 
bleibt, bei den höheren Wirbeltieren und dem Menschen nicht mohr 
nacbzuweisen ist. Wahrscheinlich ist die morphologische Uebereinstim- 
mung dieses Gebildes mit der Thyreoidea so gross, dass es von letzterer 
nicht mehr getrennt werden kann, zumal von einer verschiedenen physio¬ 
logischen Wirkung bisher nichts bekannt geworden ist. 


Aerztlicher Verein zn Frankfurt a« M. 

Sitzung vom 20. Januar 1913. 

1. Hr. Fisehcr demonstriert zahlreiche pathologisch-anatomische 
Präparate, u. a. einen Tumor der Aypophysengegeid. 

Der Tumor besteht aus einer mehrkammerigen Cyste mit verkalkter 
Wandung, der klinisch das Bild der Akromegalie und der Dystrophia 
genitalis gemacht hatte. Es fand sich eine hochgradige Atrophie des 
Hodens, mikroskopisch eine Atrophie der Samenkanälchen, wie man sie 
ähnlich bei der Idiotie findet. 

Diskussion: die Herren Siepel und Knoblauch. 

2. Diskussion zu dem Vortrage des Herrn Bios aus der 
vorigen Sitzung. 

Hr. Heichelheim. 

3. Diskussion zu dem Vortrage des Herrn Hanauer aus 
der vorigen Sitzung. 

Hr. Rothschild warnt vor dem von der Regierung den Aerzte- 
kammern empfohlenen Buch von Bornträger. 

4. Diskussion zu dem Vortrage des Herrn Boehnke aus 
der vorigen Sitzung. 

Hr. Weisbecker macht darauf aufmerksam, dass bei den auf seine 
Veranlassung am Seruminstitut vor 10 Jahren angestellten Tierversuchen 
mit Rekonvaleszentenserum bei Pneumonie gleich günstige Resultate er¬ 
zielt worden sind wie bei der Kombinationstberapie des Herrn Boehnke. 

5. HHr. Altmann und Georges Drei fass: 

Salvarsan und Liquor cerebrospinalis bei Frischsyphilis. 

Die Häufung der cerebralen Symptome bei Frischsyphilis ver- 
anlassten die Vortr. zu genauen Untersuchungen über den Liquor cerebro¬ 
spinalis in 154 Fällen von Frischsyphilis. Die Fälle wurden alle unter¬ 
sucht 1. vor der Salvarsanbebandlung, 2. nach 3—4 Salvarsaninjektionen 
und 8. nach Abschluss der Salvarsanbehändiung, aber noch vor Ab¬ 
schluss der Hg-Therapie. Es zeigte sich hierbei, dass nur in 14pCt. 
der Fälle der Liquorbefund normal war, während in den übrigen Fällen 
der Liquor pathologisch verändert war, und zwar, je weiter vorgeschritten 
die Fälle waren, um so schwerer waren auch die Veränderungen am 
Liquor. In den Fällen von Lues I war bei fast allen der Druck mässig 
gesteigert, während der chemisch - cytologische Befund normal und 
die Wassermann’sche Reaktion negativ war. Diese Drucksteigerung ist 
als ein prämonitorisches Symptom der Erkrankung des Liquors an¬ 
zusehen. Bei den Fällen von Lues I und II war der Druck weniger 
häufig gesteigert, dagegen zeigte eine grosse Anzahl schon einen mässig 
pathologisch veränderten Liquor, während die Wassermann’scbe Reaktion 
vorläufig noch negativ blieb. Bei den vorgeschritteneren Fällen von 
Lues II zeigten sich schwerere chemisch-oytologische Veränderungen, 
auch war bei den schwersten cytologisch veränderten Fällen die Wasser- 
mann’scbe Reaktion positiv. Das Salvarsan beeinflusst die Liquor¬ 
verhältnisse in dem Sinne, dass alle krankhaft veränderten Liquore 
eventuell nach vorhergehender Verschlechterung (Provokation) normal 
werden, wenn genügend Salvarsan gegeben wird. Diese Provokation ist 
vom Vortr. ebenfalls bei nicht ausreichender reiner Hg-Behandlung 
beobachtet worden. Vortr. schliesst aus seinen Untersuchungen, dass 
durch 6—8 Salvarsaninjektionen (3—4 g) in 4—6 Wochen, kombiniert 
mit Hg (0,8 Kalomel), eine Heilung der Syphilis im Frühstadium erzielt 
werden kann, und dass nach Abschluss dieser Behandlung die Liquor¬ 
verhältnisse normal sind. Für die Praxis stellt Vortr. die Forderung 
auf, dass nach Abschluss der kombinierten Salvarsan- und Hg-Kur not¬ 
wendig eine Untersuchung der Liquorverhältnisse vorgenomroen werden 
müsse. Im ersten Stadium der Syphilis sei die Liquoruntersuchung 
nicht erforderlich, dagegen sei es ratsam, sie im zweiten Stadium aus¬ 
zuführen, um dann durch vorsichtige Dosen vor cerebralen Erscheinungen 
geschützt zu sein. 

Wegen vorgerückter Zeit wird der zweite Teil des Vortrags von 
Herrn Dreifuss auf die nächste Sitzung verschoben. L. 


N&turhlstorisch-medizinischer Verein zn Heidelberg. 

Sitzung vom 14. Januar 1913. 

Vorsitzender: Herr Bett mann. 

Schriftführer: Herr Fischler. 

1. HHr. Bettnann und Zade: 

Ein Fall vsn Ailgeneinerkranknng bei Gonakokkeninfektion. 

Hr. Bettmann: Nicht frischer Fall von eitriger Urethritis, der im 
Stadium einer Urethritis posterior mit Cystitis purulenta et haemor- 
rhagica zur Behandlung kam. Gonokokkennachweis im Harnröhreneiter 
nicht ganz sicher, aber wahrscheinlich. Septisches Fieber. Gleichzeitig 
akute doppelseitige Conjunctivitis und Arthritis des rechten Handgelenks. 
Zwanglos anzunebmen, analog bekannten Fällen, dass es sich um eine 
endogene Gonokokkenerkrankung der Gelenke und der Bindehaut bandelt. 
Die Blutuntersucbung ergab Streptokokken. Deshalb wohl eher anzu¬ 
nehmen, dass eine Mischinfektion mit Streptokokken vorliegt, die zur 
Sepsis mit Arthritis und Conjunctivitis geführt hat. 

Hr. Zade: Eodogene Conjunctivitis ist bei Gonokokken bekannt, 
aber nicht bei Streptokokken. Trotzdem Annahme, dass endogene 
Streptokokkenconjunctivitis vorliegt, da die Streptokokken sehr avirulent 
sind. (Versuch an Mäusen, ferner sehr stark phagocytabler Stamm.) 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 8. 


2. Hr. humt: Ueber Mobilisierang des Glykogens. 

Es gibt gewisse Zeiten im Leben des Frosches, in denen der post* 
mortale Glykogenschwund durch Unwirksamkeit des diastatischen Fer¬ 
mentes aufhört. Bei Zerstörung der Zellstruktur kommt doch noch der 
Glykogenschwund zustande, dadurch, dass das diastatiscbe Ferment nioht 
mehr von dem Glykogen getrennt ist. Während beim überlebenden 
Organ im Dezember und Januar die Anoxybiose keinen Glykogenschwund 
mehr erzeugt, bewirkt die Sauerstoffentziehung beim lebenden Tiere noch 
Glykogenschwund, wahrscheinlich infolge der Circulation. Vortr. weist 
auf etwaige Beziehungen dieser Tatsache zum Diabetes mellitus hin. 

3. Hr. Fischler: Zar Funktion der Leber. 

Bei der Portalausschaltung der Leber mittels der Eck’schen Fistel 
haben sich Vortr. folgende Ergebnisse gezeigt. Die Auffassung, dass 
die Portalausschaltung einer vollständigen Ausschaltung der Leber und 
somit aller ihrer Funktionen gleichkommt, ist nicht richtig. Da anzu- 
nehmen ist, dass wie bei anderen Organen die Leber funktionell nie 
völlig in Anspruch genommen wird, so wird daraus verständlich, dass 
auch nach der völligen Ableitung des Blutes der Porta noch nicht ein 
völliges Versagen der Leberfunktionen eintreten muss. Man wird daher 
auch verstehen, dass es nötig ist, an das Organ Ansprüche zu machen, 
wenn man ein Versagen der einen oder anderen Funktion hervor- 
rufen will. 

Die Fleischintoxikation, die älteste bekannte Funktionsstörung, tritt 
auf, wenn die Tiere mit einer grossen Menge Fleisch gefüttert werden. 
Sie ist keine anaphylaktische Erscheinung, da alle typischen Symptome 
des anaphylaktischen Shocks fehlen. Der Beginn ist meist laugsam, 
häufig fehlt die Inkubationszeit, stets der Temperatursturz, die Leuko¬ 
penie. Auch tritt keine Antianaphylaxie auf. Auch ist besonders das 
klinische Bild anders als bei der Anaphylaxie. Die Ataxie, die Amau¬ 
rose, die Sensibilitätsstörungen und das Coma weisen dem Bilde eine 
andere klinische Dignität an, als sie die Erscheinungen bei Anaphylaxie 
beanspruchen. Auch die Ansicht, dass die Fleischvergiftung eine In¬ 
toxikation durch Spaltprodukte des Darmes ist, ist abzulehnen, da nach 
den Erfahrungen des Vortr. Vergiftungen vom Darme aus bei Eck’scher 
Fistel ganz anders verlaufen. Die Ansicht scheint am wahrscheinlichsten 
zu sein, dass es sich um eine durch die Ausschaltung der Leber ver¬ 
ursachte abnorme Mischung des Portalblutes handelt im Sinne einer 
Gleichgewichtsstörung des Säurebasenbaushaltes. 

Auch die Ausführung der Fistel ist manchmal schuld daran, dass 
keine Fteischintoxikation eintritt. Durch die Erfahrung wissen wir, dass 
nur bei grossen Fisteln die Intoxikation eintritt, bei schlechten Fisteln 
nicht. Das stimmt mit der Ansicht übereiü, dass quantitative Verhält¬ 
nisse in der Zufuhr der Spaltprodukte des Darmes maassgebend sind. 
Ferner tritt die Fleischintoxikation bei Tieren auf, deren Lebern schon 
stark in Anspruch genommen worden sind. 

Durch die Portalausschaltung der Leber wird eine besondere 
Empfindlichkeit des Organismus gegen gewisse Schädlichkeiten, die auf 
ihn einwirken, hervorgerufen. Wird der Eck’sche Hund phloriziniert, so 
tritt eine Vergiftung auf, die wir als Säurewirkung auffassen. Dabei 
degeneriert die Leber unter Auftreten von Fettsäure in den centralen 
Bezirken centroacinär. Auch nach anderen Schädigungen der Leber, 
z. B. durch die Fettgewebsnekrose, wurden die gleichen Erscheinungen 
beobachtet. . Sowohl nach Chloroform-, als auch nach Aethernarkose 
kann die centrale Läppchennarkose eintreten. Im Chloroform ist nur 
eine Hilfsursache zu sehen, da es die Leber in der Tat schädigt. Diese 
Erfahrungen zeigen an, dass eine durch die verschiedensten Ursachen 
geschädigte Leber einem gemeinsamen Mechanismus der Degeneration 
unterliegen muss, der den Abbau des Lebergewebes bewirkt. Vor allem 
denkt Vortr. dabei an tryptische Einflüsse. Seine Untersuchungen tun 
zur Genüge dar, dass eine Leberscbädigung durch Trypsin stark ver¬ 
mehrt werden kann. 

Die Ausscheidung der Harnsäure ist nach Anlegung der Eck’schen 
Fistel bei demselben Tier um 50 und mehr Prozent vermehrt. Dextrose 
und Lävulose werden fast normal ausgenützt, während Laktose öfter zu 
einem erheblichen Teil, bis 20 pCt., wieder erscheint. Galaktose erscheint 
bis Zu 70 pCt. im Urin wieder. Nach Anlegung der Eck’schen Fistel 
ist zweifelsohne keine wesentliche Veränderung der Galleosekretion zu 
konstatieren. Auch das Blut zeigt keine abnorme Zusammensetzung 
der Formelemente und des Hämoglobingehaltes. Bei Verfolgung der 
Aetherschwefelsäureausscheidung lässt sich feststellen, dass sie völlig 
unabhängig von der partiellen Leberausscbaltung ist. 

Vortr. fasst seine Erfahrungen dahin zusammen, dass das Studium 
der partiell ausgeschalteten Leber doch geeignet erscheint, wichtige 
Vorstellungen über die Physiologie und Pathologie des Organs ableiten 
zu können. Kolb-Heidelberg. 


- Nürnberger medizinische Gesellschaft und Poliklinik. 

Sitzung vom 9. Januar 1913. 

Hr. Griinbanai demonstriert ein 35 jähriges Individuum mit Psendo- 
hermapbroditi8mii8 externns and internns (■asenlinns?) eam Hypo- 
spadia peniscrotalis, Sinns urogenitalis et Anns vestibnloperineali*. 

Von Beruf Gärtner, konsultierte er vor einem Jahre zum ersten Male 
den Arzt, da Blutungen aus dem Genital erfolgten, seit dieser Zeit 
wiederholen sie sich alle 4 Wochen und währen 4 Tage. Bei rectaler 
Untersuchung sind die Müller’scben Gänge zu fühlen. Hoden sind 
deutlich in den scheinbaren grossen Labien zu palpieren. Becken er¬ 


scheint weiblich, Behaarung männlicher Typus. Stimme heiser seit 
Auftreten der menstruellen Blutungen. Hatte nie Ereotion, Ejaculation. 

Hr. Kraft demonstriert einen Patienten, dessen Papille rechts über 
■ittelweit, reflektorisch starr ist, Verengung und Konvergenz gering, 
desgleichen Lidschlussreaktion. Auf dem rechten Auge alle Reaktion 
stark verlangsamt, wenig ausgiebig. Keinerlei Symptome von Tabes. 

Hr. Kraft demonstriert einen ansnehmend grossen Obrpolypea und 
spricht über ihre Entstehung. 

Hr. Kronheimer berichtet über einen Fall von schweren Arsen* 
▼ergiftnngserscheinnngen bei CareiaombehandJang nach Zeller. 

19. XI. Beginn der Behandlung eines kirsebgrossen cirrbösen 
Mammacarcinoms, das nur wenig exulceriert, bei einer 78 jährigen, schwer 
herzleidenden Frau, die jeden operativen Eingriff ablchnte. Die ersten 
8 Tage wenig Beschwerden. Bei Abnahme des Verbandes zeigt sich 
Demarkierung, Erneuerung des Verbandes. In den nächsten Tagen 
heftige Schmerzen in der Brust, die anschwoll. Am 14. Tage nach Be¬ 
ginn der Behandlung Durchfälle, Schwächezustände. Bei Abnahme des 
Verbandes Tumor schwarz, Umgebung schokoladenbraun, Demarkierung, 
aber Tumor noch keineswegs sequestriert. Fortlassen des Arsen, Um¬ 
schläge mit Erg. alum., auch meist zu gleichen Teilen verdünnt, dann 
unverdünnt. 

Am 6. I. 1913 Tumor herausgehoben. Tumor wird sequestriert. 
In der ersten Zeit war innerlich nach Vorschrift Silicium verabreicht 
worden, später vermochte es Patientin nicht mehr zu nehmen. Die Er¬ 
scheinungen seitens des Darmkanals und die hochgradigen Schwäche 
zustände sind nach Ansicht K.’s As-Wirkung, deshalb sei die Methode 
doch nicht als harmlos zu bezeichnen. 

Diskussion: Hr. L. Burkhardt bat im Krankenhause das 
Zeller’sche Verfahren bis jetzt in vier Fällen bei inoperablen Carcinomen 
angewandt, Vergiftungserscheinungen wurden keine beobachtet, Silicium 
wurde immer verabreicht und vertragen. Ein abschliessendes Urteil 
kann er über die Methode nicht geben; die Wirkung kann natürlich nur 
bei ulcerierten Carcinomen entsprechend sein. 

Hr. Wilk. Vnit: Knraistfaehee mr Pathologie der GallenblaM. 

1. Vortragender wurde zu einer Frau, Mitte der dreissiger Jahre, 
gerufen wegen Erbrechen, Durchfällen, Schmerzen im Leib. Letztere 
waren nicht lokalisiert, bei Palpation nichts Sicheres festzustellen, 
Temperatur 38,4°. Diagnose: Fieberhafter Magen dar mkatarrh. Lang¬ 
same Besserung. Nach ca. 8 Wochen wird er wiederum zu derselben 
Patienten gerufen wegen ähnlicher Beschwerden wie das erste Mal, nur 
stärker. Temperatur über 38°, Puls über 80. Am darauffolgenden Tage 
wieder alles erbrochen, Schmerzen intensiver, Stuhl war da. Am dritten 
Tage Leib härter und schmerzhaft. Puls unter 100, abends Leib auf¬ 
getrieben, keine Flatus, heute kein Stuhl, weiter Erbrechen. Am vierten 
Tage Leib hoch, Puls 100 und darüber, starke Schmerzen, kein Stuhl. 
Hohe Darmeingiessungen, Atropin. Abends Befinden besser. Puls kaum 
mehr 80, Flatus abgegangen, Temperatur unter 38°. Nach mehrmaligen 
Einläufen, die ohne Erfolg, fiel ein harter Gegenstand in die Bett- 
scbüssel. Es war ein Gallenstein von solcher Grösse, dass man nicht 
verstehen kann, dass er auf natürlichem Wege in den Darm gelangte, 
andererseits kann man eine Perforation nicht annehmen. Der Stein wird 
demonstriert. 

2. Patientin erkrankte unter allgemeinem Uebelsein, heftigen 
Schmerzen im Leib, Kolik, Gallenblasengegend druckempfindlich. 
Morphium. Am näohsten Tage Schmerzen stärker. Flatus und Stuhl 
nicht mehr abgegangen, ganze rechte Bauchseite schmerzhaft. Als Vortr. 
zugezogen wurde, bestand rechts deutliche Spannung und Druck¬ 
empfindlichkeit des Abdomens. Erbrechen. Puls 100. Diagnose: 
Gallenblasenentzündung, eventuell Gangrän. Herr Heini ein operierte 
die Patientin, es fand sich eine Gallenblase von enormer Grösse, stark 
mit Steinen angefüllt, an einigen Stellen Verfärbung der Gallenblasen 
wand, die als beginnende Gangrän anzusprechen ist. Demonstration. 

Kraus. 


Freiburger medizinische Gesellschaft. 

Sitzung vom 21. Januar 1913 (Stiftungsfestsitzung). 

Hr. Hocke: Ueber die Langeweile. 

Mit „Langeweile“ bezeichnen wir eine Erscheinung unseres Zeit¬ 
sinns, die schwer näher zu definieren ist. Als objektiv „langweilig* be¬ 
zeichnen wir Vorgänge, z. B. Reden, die unsere Zeit nicht mit uns 
interessierenden Wahrnehmungen füllen, subjektive Langeweile empfinden 
wir, wenn wir Zeit verbringen müssen, die nicht mit genügend Erleb¬ 
nissen ausgefüllt ist, es wird dadurch ein Unlustgefühl und im weiteren 
ein Ermüdungsgefühl hervorgerufen. Ungeduld und Spannung sind ver¬ 
wandte Begriffe. Verschiedene Menschen neigen verschieden stark zu 
Langerweile: Kinder und besonders beschäftigungslose Gefangene sind 
häufig von diesem Zustand geplagt, auch Hunde zeigen bisweilen Miss¬ 
stimmung über schlecht ausgefüllte Zeit. Alte Leute und Geisteskranke 
leiden darunter selten. 

Langeweile ist eine Verlängerung der subjektiven Zeit. Die sub¬ 
jektive Zeit ist eine Folge, eine eindimensionale Linie, die unser Be¬ 
wusstsein, wie die Tangente den Kreis, nur an einem Punkt berührt. 
Ganz ohne etwas von dem Vorher und Nachher ist jedoch der Punkt, 
das Jetzt, überhaupt nicht wahrnehmbar, sondern nur im Zusammenhang 
mit möglichst vielen Nachbarpunkten. Ein Mensch, der an der Korsakow- 


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24. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


377 


sehen Psychose leidet und nur das punktförmige Jetzt siebt, lebt nur 
im Moment, für ihn existiert schon das allernächste Vorher nicht mehr, 
für ihn gibt es auoh keine Langeweile. Zeit ist nur verbunden mit 
Wahrnehmungen denkbar; eine leere Zeit, in der nichts geschieht, ist 
keine Zeit. Für einen, der von aller Verbindung mit der Aussenwelt 
abgesohnitten ist, verschwindet die objektive Zeit. Eine objektive Zeit 
gibt es nicht; es kann dafür auch weder ein mathematisch genaues 
Messinstrument noch überhaupt ein mathematisch genaues Maass, noch 
eine Definition gegeben werden. 

Zeitsinn ist kein Sinn im eigentlichen Sinn des Wortes, wir be¬ 
zeichnen damit die Fähigkeit, äussere Vorgänge bezüglich ihrer zeit¬ 
lichen Verknüpfung zu beurteilen. Die zeitliche Dauer eines Erlebnisses 
entspricht seiner Dauer in der Erinnerung meistens nicht, ist ihr viel¬ 
mehr gewöhnlich umgekehrt proportional. Eindrucksarme Ereignisse 
werden in der Erinnerung gekürzt, abwechslungsreiche gedehnt. Das 
subjektive Maass für die Zeit ist unbestimmt, dementsprechend beruht 
wohl auch die sogenannte unterbewusste Zeitschätzung in weitaus den 
meisten Fällen auf unterbewusst empfundenen Sinneseindrücken. Die 
Beurteilung von Zeitabschnitten ist gewissen Gesetzmässigkeiten unter¬ 
worfen, was von forensischem Interesse ist. Kürzere Zeiten werden über¬ 
schätzt, längere werden unterschätzt, Aehnlioh gibt es bei der Beob¬ 
achtung von Zeitpunkten gesetzmässige Fehler, deren Grösse mit dem 
rhythmischen Schwanken der Aufmerksamkeit wechselt. 

Der Eindruck, den wir von dem zeitlichen Ablauf einer Erscheinung 
haben, ist ein durchaus subjektiver; er hängt ab von der Zahl der 
fiinzelempfindungen, deren wir in der Zeiteinheit fähig sind. Denken 
wir uns diese Zahl stark vergrössert oder verkleinert, dann änderte sich 
für uns das Bild der uns umgebenden Welt vollkommen (die bekannte 
Ueberlegung von K. E. v. Baer). Zum Zweck des Studiums des zeit¬ 
lichen Ablaufs von Vorgängen sind wir gewohnt, durch graphische Me¬ 
thoden (Kymographion) uns künstlich die Wahrnehmungen in der Zeit¬ 
einheit zu vermehren, quasi die Zeit zu mikroskopieren, ebenfalls mit 
dem Erfolg einer Veränderung der Form des Ablaufes eines Vorganges. 

Fromherz. 


Medizinische Gesellschaft zu Basel. 

Sitzung vom 23. Januar 1913. 

1. Hr. Villiger: Nachruf auf Herrn Prof. Wille. 

2. Hr. Hediiger: Pathologisch-anatomische Demonstrationen. 

a) Fall von üternscarcinom mit gleichzeitigem Uterussarkom. 
Klinisch zuerst Myom mit intensiven Blutungen, dieses wurde bestrahlt, 
im Verlauf der klinischen Beobachtung maligne Degeneration. Vortr. 
spricht sich dahin aus, dass theoretisch eine maligne Degeneration nach 
Bestrahlung nicht abzuweisen sei. 

b) Plenenta mit Bildung grosser Knoten, subcoriale Blutungen, 
Hernien der Placenta. 

c) Demonstration von Präparaten einer alten Salpingitis mit 
Xanthomzellen. 

d) Chronische Salpingitis et Oophoritis, hervorgerufen durch Actino- 
mykose. 

e) Chronische Salpingitis mit zahlreichen Lymphfollikeln und 
Keimcentren. 

i) Hämorrhagische Knoten in Leber, Lnnge, Niere. Mikroskopisch 
ergibt sich Chorioepitheliom, Ausgangstumor wurde nicht gefunden, 
dürfte jedoch im Hoden gesessen haben. Einer der seltenen Fälle von 
Chorioepitheliom beim Mann, welche erweisen, dass Synoitialgewebe aus 
fötalen Geweben stammt. Wolf er-Basel. 


K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. 

Sitzung vom 16. Januar 1913. 

(Eigener Bericht.) 

Hr. Dimmer stellte einen Mann mit horizontalem Nystagmns vor. 

Der Nystagmus besteht seit frühester Jugend des Kranken, auch 
sind zeitweise zitternde Kopfbewegungen vorhanden, Sehschärfe 0,2. Um 
lesen zu können, hält der Kranke die Zeilen vertikal vor dem Auge und 
liest von oben nach unten. 

Hr. Schwarz zeigte Röntgenbilder von direkter Irrigationsradio¬ 
skopie des Kolons. 

Es wird eine hohe Darmeingiessung mit einer Wismutaufschwemmung 
gemacht und das Abdomen mit Röntgenstrahlen durchleuchtet. An den 
Bildern siebt man die Rectumsampulle und die über dieser befindlichen 
Teile des Dickdarms. Dickdarniverschluss und Dickdarmstenose sind 
leicht nachzuweisen. 

Hr. Hofbaner demonstrierte zwei Fälle, bei welchen er Lnngcn- 
atoloktaso durch Lagerung behandelt hat. 

Vortr. lässt die Pat. auf der kranken Seite liegen; das Zwerchfell 
wird infolge des Druckes der Baucheingeweide in die Höhe gedrängt, die 
Atmungsexkursionen werden stärker. Bei den vorgestellten Pat. handelte 
es sich um ein pleuritisches Exsudat bzw. um eine pleuritische Schwarte. 
Das Exsudat wurde rasch zum Schwinden gebracht, die Verwachsungen 
wurden gedehnt. 

HHr. Euer und H. Heyrovsky: Kriegsehirnrgische Erfahrungen. 

Vortr. berichtet über die Erfahrungen, welche er im Alexander-Spital 


in Sofia gesammelt hat. Dieses Spital besteht aus 6 Pavillons, von 
denen 4 als Verwundetenspital eingerichtet wurden. In den ersten vier 
Wochen (November) war der Zuzug der Verwundeten gross, er nahm dann 
rapid ab, als in Sofia Cholerafälle vorkamen. Die Verwundeten waren 
2 bis 6 Tage auf dem Transport, sie kamen aus der Gegend von 
Adrianopel, Losengrad, Lülle Burgas und noch aus weiteren Ent¬ 
fernungen. Die Verwundeten wurden in offenen Büffelwagen transportiert 
und kamen infolgedessen erschöpft an. Die Mehrzahl derselben war vom 
medizinischen Standpunkt nicht gut versorgt. Vortr. sah niemals ein 
Verbandpäckchen, obwohl ein grosser Teil der bulgarischen Armee mit 
solchen ausgerüstet gewesen sein soll. Der Verband wurde bei längerem 
Transport wiederholt gewechselt, oft sah man ausgiebig tamponierte 
Wunden, infizierte Knochenbrüche, Extremitätenfrakturen, welche nur 
mit einigen kurzen Schusterspänen versorgt waren. Bei vielen Ver¬ 
wundeten war die Wunde mit Jodtinktur versorgt worden, bei einigen 
kam es infolgedessen zu Jodekzemen. Vortr. konnte die grosse Bedeu¬ 
tung der absoluten Ruhe für die Heilung der Wunden beobachten, auch 
leicht infizierte Wunden heilten ziemlich rasch, so dass Amputationen 
nicht notwendig wurden, der Eiter wurde durch ausgiebige Inzisionen 
entleert. Für die Widerstandskraft der Soldaten sprachen zwei Fälle, 
in welchem ein Pat. mit einer infizierten Oberschenkelfraktur das 
Krankenzimmer verliess, ein anderer mit einer Gangrän weit über die 
Mitte des Unterschenkels direkt aus dem Verwundetenzug sich in ein 
Kaffeehaus begab. Vortr. sah etwa 1200 Fälle, von diesen ungefähr 300 
nur ein einziges Mal, weil sie als Leichtverletzte in ein Provinzspital 
transportiert wurden. 900 Fälle wurden stationär behandelt, von diesen 
ist bei 617 die Behandlung abgeschlossen. Auf die letztere Anzahl be¬ 
ziehen sich die weiteren Ausführungen des Vortragenden. Es 
waren 487 durch Gewehrschüsse, 148 durch Artilleriegeschosse, 6 durch 
Hieb- oder Stichwaffen verletzt. Vortr. demonstriert Geschosse, welche 
duroh Aufschlagen auf den Knochen oder auf den Erdboden (Gellschüsse) 
deformiert waren. Bei Gewehrschüssen kamen Steckschüsse nur in 
12 pCt. vor, bei Artilleriegeschossen in 27 pCt. Von spezifischen Infek¬ 
tionen wurden einige Fälle von Erysipel und 12 Fälle von Tetanus be¬ 
obachtet, von letzteren starben 10 trotz sofortiger AntitoxinanwenduDg; 
die Infektion dürfte auf dem Transport zustande gekommen sein, auf 
welchem die Leute auf Stroh gelagert waren. Von den Wunden durch 
Gewehrschüsse waren 32 pCt. infiziert, von Artillerieverletzungen 40pCt.; 
Oettingen gibt für den russisch-japanischen Krieg die erste Zahl mit 15, 
die zweite mit 40 pCt. an. Die kleinere Anzahl der infizierten Artillerie¬ 
verletzungen ist wohl darauf zurückzuführen, dass die Schwerverletzten 
gar nicht nach Sofia kamen, sondern schon früher starben. Vortr. war 
bestrebt, extrem-konservativ zu behandeln. Es wurden nur dreimal 
Amputationen durchgeführt, einmal wegen Gangrän, zweimal wegen Ver¬ 
eiterung von Gelenken. Von infizierten Schusswunden der Extremitäten 
wurde ausser den Tetanusfällen kein Fall verloren, durch tiefe Inzisionen 
konnte die Infektion beherrscht werden. Die Heilung wurde duroh Ruhe 
und langes Liegenlassen der Verbände sehr gefördert. Vortr. hat den 
Eindruck gewonnen, dass bei dieser Behandlung Splitterfrakturen rascher 
heilten als subcutane Querbrüche; das lag vielleicht daran, dass es sich 
um junge, kräftige Männer handelte und die Knochensplitter mit dem 
Periost im Zusammenhang blieben. Nur in wenigen Fällen kamen Ex¬ 
traktionen von Geschossen, Nervennaht und Aneurysmenoperationen vor. 
Von den 80 Lungenschüssen gaben nur wenige die Indikation zum 
operativen Einschreiten, bei schwerem Hämothorax wurde meist mit der 
Aspiration das Auslangen gefunden, worauf das Fieber definitiv zurück¬ 
ging. Während die infizierten Verletzungen einer Lunge relativ harm¬ 
los waren, waren Verletzungen beider Lungen schwer wegen der Atem¬ 
behinderung durch den Pneumothorax. Verletzungen durch Dum-Dum- 
Geschosse konnte Vortr. nicht beobachten, Verletzungen, welche ihnen 
ähnlich sahen, waren durch Gellschüsse erzeugt. Bei Schädelver¬ 
letzungen wurde selten eingegriffen, meist nur wegen Abscesse. In einem 
Falle von Schädelschuss wurde ein Wandern des Geschosses im Gehirn 
beobachtet; die Obduktion ergab eine grosse Trümmerhöhle im Gehirn. 
Die Spitzgeschosse rotierten nach Eindringen in dem Körper manchmal 
um ihre Querachse, so dass sie mit dem stumpfen Ende vorausgingen 
und grosse Zerstörungen anrichteten; diese Geschosse wirken weniger 
human als die Mannlicher-Geschosse. Vortr. konnte an einigen Fällen 
die Gefahr der Anwendung der Carbolsäure beobachten: Ein Mann, 
welcher Carbolsäure wegen eines Hordeolum an einem Augenlide auf¬ 
legte, verlor das Auge durch Gangrän; zwei Soldaten, welche sich wegen 
Intertrigo Umschläge mit Carbolsäure machten, bekamen an dieser Stelle 
eine ausgedehnte Gangrän. Wiederholt wurde beobachtet, dass die Ver¬ 
wundeten Zigarettentabak als Stypticum verwendeten, bei kleineren 
Wunden wirkte er wirklich blutstillend, die Anwendung war aber nicht 
ohne Gefahr, da die beim Feuchtwerden des Tabaks entstehende Lauge 
zur Gangrän der Wundumgebung führte. Als geübte Pflegerin hatte 
Vortr. in den ersten vier Wochen nur eine Schwester aus dem Wiener 
Rudolphinerbause, dann kamen als klaglos funktionierende Pflegerinnen 
Damen der Sofioter Gesellschaft hinzu, welche auf Anregung der Königin 
einen Samariterinnenkursus durchgemacht hatten. Aus seiner zwei¬ 
monatigen Tätigkeit im Alexanderspital zieht Vortr. folgende Schlüsse: 
Die grössten Schwierigkeiten des Sanitätsdienstes im Krieges sind selbst¬ 
verständlich unmittelbar nach einer grossen Schlacht zu überwinden. 
Was hier durch Irrigieren und Tamponieren der Wunde gesündigt wird, 
lässt sich im Spital schwer wieder gut machen; hier lagen Schäden des 
bulgarischen Sanitätsdienstes unzweifelhaft vor. Wichtig ist die Be¬ 
schaffung genügender Fixationsmittel (Gips, Schusterspäne usw.) für die 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 8. 


▼ordere Linie, an diesen hat es in Bulgarien sehr gemangelt. Kautschuk¬ 
material, z. B. Drains, war sehr häufig infolge zu langer Lagerung un¬ 
brauchbar; dem wäre dadurch abzuhelfen, dass alle für den Krieg vor¬ 
bereiteten Kautschukvorräte fortwährend neu ergänzt werden, während 
die längere Zeit lagernden an Krankenanstalten abgegeben werden. 
Das zweckmässige Zusammenarbeiten einer aneinander gewohnten Gruppe 
von Aerzten und Pflegerpersonen bietet grosse Vorteile und sichert eine 
rasche Erledigung der Arbeit; dieser Punkt wäre den Militärbehörden 
zur grösstmöglichen Berücksichtigung zu empfehlen. 

Hr. Heyrovsky sprach über seine Erfahrugen im Spital la 
Hlikako. 

Sanitätsmaterial war nicht immer in genügender Menge vorhanden. 
Da das Spital als Evakuationsspital diente, sah er viele Fälle nur ein¬ 
mal, 360 hat er längere Zeit behandelt. Von diesen waren 223 Schuss¬ 
wunden durch Gewehrkugeln, 108 durch Schrapuels, 22 durch stumpfe 
Gewalt, 7 durch Hieb- und Stichwaffen erzeugt. Zu den schweren Ver¬ 
letzungen gehörten 22 Thoraxschüsse, ferner Bauchschüsse, 4 Schädel¬ 
schüsse, 4 Verletzungen des Rückenmarkes, 85 Schussfrakturen. Hinter 
der Linie scheint es an chirurgisch geschulten Aerzten und Sanitäts¬ 
material gefehlt zu haben, der Verletztentransport war mit grossen 
Schwierigkeiten verbunden. In 48pCt. der Schusslrakturen trat Eiterung 
ein, die schwersten Infektionen kamen bei Wunden vor, welche sondiert 
oder tamponiert worden waren. Die Verletzungen der Weichteile, des 
Thorax und des Bauches durch Spitzgeschosse nahmen zumeist einen 
guten Verlauf. Verletzungen der grossen Arterien sah Vortr. nun in 
7 Fällen, in 4 Fällen trat Gangrän des Unterschenkels nach Verletzung 
der Arteria poplitea auf, in 2 Fällen kam es zu einem Aneurysma an 
der verletzten Arteria femoralis, in einem an der Arteria subclavia. 
Von peripheren Nerven wurden am häufigsten der Radialis und Ulnaris 
getroffen. Von 22 penetrierenden Schussverletzungen des Thorax heilten 
19 ohne Komplikationen, 2 Fälle waren durch Spannungspneumothorax 
und ein Fall durch Empyem kompliziert. Von neun penetrierenden 
Bauchverletzungen kamen zwei mit diffuser Peritonitis an, so dass sie 
nicht mehr operiert werden konnten, die anderen sieben kamen ohne 
Komplikationen durch. Von vier Schussfrakturen des Schädels, die 
schwer infiziert waren, starben zwei an Meningitis. Bei der Therapie 
der Schussfrakturen wurde möglichst konservativ vorgegangen, und selbst 
bei schweren Infektionen konnte Vortr. mit grösseren Inzisionen aus- 
kommen. Bei sechs Schussfrakturen mit feuchter Gangrän musste bei 
schwer septischem Zustand des Patientin die Amputation vorgenommen 
werden, zwei Fälle starben. 

Die Vorträge wurden durch zahlreiche Bilder und Röntgenphoto¬ 
graphien von Frakturen und sonstigen Verletzungen erläutert. H. 


Gesellschaft für innere Medizin nnd Kinderheilkunde zu Wien. 

Sitzung vom 16. Januar 1913. 

(Eigener Bericht.) 

Hr. Deutseh demonstrierte einen 39jährigen Mann mit überstandener 

Poliomyelitis anterior acuta. 

Der Kranke, welcher die typischen Symptome aufwies, wurde mit 
Diaphorese und Atropininjektionen behandelt. Nach einer vorüber¬ 
gehenden Steigerung der Lähmungserscbeinungen gingen dieselben zu¬ 
rück; nur der Supraspinatus, Infraspinatus und ein Teil des Deltoideus 
blieben gelähmt. 

Derselbe demonstrierte einen Mann mit myelogener Leukämie, 
welcher mit Benzol behandelt wurde. 

Der Kranke zeigte hochgradige Vergrösserungen der Milz und der 
Leber, gedämpften Perkussionsschall über beiden Lungenspitzen und 
konstantes Fieber. Im Blute fanden sich 836 000 Leukocyten und etwas 
über 1 Million roter Blutkörperchen. Nach Einleitung der Benzoltherapie 
nahmen die Leukocyten ab, die Erythrocyten zu; gegenwärtig werden 
nur mehr 7000 Leukocyten gezählt. Leber- und Milztumor sind zurück¬ 
gegangen. 

Hr. Blaschkes zeigte einen Fall von Hydrops adiposns der Pleura. 

Der Kranke zeigt Symptome der Tabes. Vor einiger Zeit bekam er 
einen linksseitigen Pleuraerguss mit einem gelblichen rahmigen Exsudat, 
welches sich beim Stehen in ein Sediment aus zeitigen Elementen und 
eine fettig aussehende klare Flüssigkeit scheidet. Im Exsudat finden 
sich Eiweiss, Fett und Blutspuren. Der Fettgehalt entsteht durch fettige 
Degeneration des Exsudates oder der Pleuraauskleidung. Bei dem Kranken 
wird eine Rippenresektion vorgenommen werden. 

Hr. Weiser demonstrierte Kurven von Pulsus irregil&ris perpetuus. 

Bei einem Manne mit Herzbeschwerden wurden zeitweise ein irregu¬ 
lärer Radialispuls und Vorhofflimmern konstatiert. Als Ursachen werden 
ausserhalb des Sinus gelegene Reize angesprochen. 

Bei einer Frau, welche 70—80 Pulse hatte, stieg die Pulszahl beim 
Anfall sehr hoch an; auf Digitalis nahm die Pulsfrequenz ab. An die 
Anfälle schloss sich ebenfalls Vorhofflimmern an. Hier scheint eine 
Vagusaffektion vorzuliegen. 

Hr. Fleckseder demonstrierte einen Mann mit chronischer par¬ 
enchymatöser Nephritis und einem erweichten 8rhädeigamma. 

Der Kranke hatte bereits vor 10 Jahren eine luetische hämorrhagi¬ 
sche Nephritis, welche zurückging. Es wird eine Funktionsprüfung der 
Niere durchgeführt werden. Ob das derzeitige Nierenleiden luetischer 
Natur ist, kann nicht entschieden werden. - 


Hr. Tärk: Thorapio der Lenkimie. 

Türk hat mehrere Fälle von Leukämie mit Benzol behandelt. In 
vier Fällen musste die Therapie wegen Magenbeschwerden aufgegeben 
werden, in einem Falle wurden 99 Kapseln ä 0,5 g ohne Erfolg gegeben. 
Auf Röntgenbestrahlung trat Besserung ein. In einem anderen Falle 
stieg nach Benzoltherapie die Leukocytenzabl an; doch wurde auch (nach 
292 Benzolkapseln) das Abfallen der Leukocyten zahl auf 7000 beob¬ 
achtet. 

Der Zweck der Leukämietherapie ist nicht die Erreichung einer 
möglichst niedrigen Leukocytenzabl, sondern einer Besserung des All¬ 
gemeinbefindens. Vor einer zu energischen oder fortgesetzten Therapie 
mit irgendeinem Mittel ist zu warnen, da es zu einer akuten Exacerba¬ 
tion kommen kann. Das Benzol ist imstande, die Leukocytenzabl herab¬ 
zudrücken; es wirkt schwächer als die Röntgenstrahlen, ist jedoch eine 
wertvolle Ergänzung derselben. Durch zu starke Bestrahlung der Knochen 
wird eine Schädigung des Knochenmarks herbeigeführt. H. 


Wilhelm Ebstein f- 

Am 22. Oktober entschlief nach einem arbeitsreichen, aber auch an 
Erfolgen gesegneten Leben der Senior der Göttinger medizinischen 
Fakultät, Geheimrat Ebstein. 

Am 27. November 1836 in Jauer als Sohn eines Kaufmanns ge¬ 
boren, besuchte er das Gymnasium zu Liegnitz und studierte dann von 
1855 ab in Breslau und später in Berlin. Hier hatte er das Glück, 
Männer wie Schönlein, Freriohs, Virchow und Romberg als 
Lehrer zu haben, zu deren grössten Schülern er zweifellos gehörte. Am 
11. Juli 1859 promovierte er mit der Arbeit: De mutationibus micro- 
scopicis cocti crudique amyli fluido oris tractati. Ein Jahr darauf be¬ 
stand er die Staatsprüfung, um wieder ein Jahr später in Breslau am 
Allerheiligen-Hospital angestellt zu werden, an dem er 1864 die Pro- 
sektur übernahm. Am 12. Juni 1869 habilitierte er sich für innere 
Medizin auf Grund seiner Schrift „Die Recidive des Typhus“. Schon 
zwei Jahre später übernahm er naoh der Rückkehr aus dem Kriege die 
Stelle des leitenden Arztes am Breslauer Siechenhaus. Mit besonderer 
Freude gedachte er stets dieser Zeit, da er in ihr den erkrankten patho¬ 
logischen Anatom Gohnheim vertreten konnte. 1874 wurde er dann 
als Ordinarius nach Göttingen berufen, um zunächst bis zum Winter 1876 
die medizinische Poliklinik und nach dem Abgang Hasses die Klinik 
selbst zu übernehmen, deren Leitung er im Oktober 1906, fast 70 Jahre 
alt, niederlegte. Während dieser Zeit war es ihm vergönnt, die neue 
Klinik, die sein ganzer Stolz war, zu bauen und mit der Vorlesung 
„Unsere Heilmethoden“ zu eröffnen, in ihr hat er ja dann auch im 
Kreise zahlreicher dankbarer Schüler und Freunde am 9. November 1900 
sein 25jähriges Jubiläum gefeiert, bei dessen Gelegenheit er über 
„Leben und Streben in der inneren Medizin“ sprach. 

Mit Ebstein verliert die deutsche medizinische Wissenschaft einen 
ihrer hervorragendsten Vertreter, der als klinischer Lehrer, zielbewusster 
Forscher und menschenfreundlicher Arzt gleich geschätzt war, und dem 
die Georgia-Augusta noch besonders für die Entwicklung der medizi¬ 
nischen Fakultät vieles zu verdanken bat. 

Wer das Glück gehabt bat, Jahre hindurch Ebstein am Kranken¬ 
bett oder in den Vorlesungen zu hören, ist erst in der Lage, seine 
Grösse voll und ganz zu ermessen. Er war ein geborener klinischer 
Lehrer, der es verstand, seinen Schülern auch die kompliziertesten 
Krankheitsbilder klar vor Augen zu führen, gestützt auf seine reiche 
Erfahrung aus der Praxis, auf seine Kenntnisse in der pathologischen 
Anatomie und seine physiologischen Arbeiten unter Heidenhain. Be¬ 
sonders überraschend war seine meisterhafte Kunst der Diagnose. Wenn 
heute vielfach darüber geklagt wird, dass die alte feine Kunst des 
Diagnostizierens immer mehr verloren geht, so muss man ihn als Bei¬ 
spiel eines scharfsinnigen Diagnostikers hinstellen, der insonderheit die 
physikalische Diagnostik wahrhaft beherrschte, bei dem aber auch die 
vielen neueren Methoden und Hilfsmittel voll und ganz ihre Würdigung 
erfuhren. Zweifellos war er auch ein Meister in der Kunst des Heilens. 
Durfte er sich doch insbesondere auf seinen Lieblingsgebieten, den Stoff- 
wechselerkrankungen und Krankheiten des Magendarmkanals auf eine 
ausgedehnte therapeutische Erfahrung stützen. Den neueren Bestrebungen 
in unserer Heilkunde stand er dabei durchaus nicht fremd gegenüber, 
allerdings regte er stets zu einer strengen, heute mehr wie je nötigen 
Kritik an. Stets wies er darauf hin, dass es nicht nur darauf 
ankommt, welche Mittel man anwendet, sondern auch darauf, wie man 
sie gebraucht, und dass es nötig sei, zu individualisieren. 

Dabei verstand er es, seine Schüler immer wieder zu wissenschaft¬ 
lichen Arbeiten anzuregen, ging er ihnen doch selbst als leuchtendes 
Beispiel eines unermüdlichen und zielbewussten Forschers voran, der 
unsere Wissenschaft durch grundlegende Arbeiten gefördert hat, deren 
Zahl nahezu 300 beträgt. Wenn es auch insonderheit die Stoffwechsel¬ 
krankheiten waren, deren wissenschaftliche Grundlagen er geschaffen hat, 
und die er mit Vorliebe weiter ausgebaut hat, so gibt es doch kaum 
ein Gebiet der Medizin, auf dem er nicht durch hervorragende Arbeiten 
mitgewirkt hätte. Es würde hier zu weit führen, alle seine Arbeiten 
aufzuzählen, es sei nur an die wichtigsten erinnert, wie „die Fett¬ 
leibigkeit und ihre Behandlung, die Lebensweise der Zuckerkranken, die 
Zuckeiharnruhr, die Natur und Behandlung der Gicht (Bergib&nn, 


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24. Februar 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


379 


Wiesbaden), die Tastperkussiön, der Leitfaden der ärztlichen Unter¬ 
suchung (Enke, Stuttgart), die Leukämie, die Nierenkrankheit in 
t. Ziemssen’s Handbuch der Pathologie, und endlich das Handbuch 
der praktischen Medizin, das er mit J. Schwalbe herausgab. Nicht 
weniger beachtenswert sind auch seine populären Schriften, wie „die 
Dorf- und Stadthygiene, die Kunst das menschliche Leben zu ver¬ 
längern, und ferner die medizinisch-historischen Arbeiten, denen er sich 
mit unermüdlichem Eifer und grosser Liebe, besonders in den letzten 
Jahren seines Lebens widmete, wie „die Medizin im alten Testament 
und die Medizin im neuen Testament und Talmud, die Krankheit 
Luthers, die Pest des Thukydides“ usw. 

Alle Arbeiten Ebstein’s legen Zeugnis ab von einer tiefen Kenntnis 
der Pathologie wie der Physiologie, einer reichen praktischen Erfahrung, 
und einer ausserordentlich weitgehenden Kenntnis der Literatur, 
die ich oft, wenn ich ihm bei seinen literarischen Studien helfen konnte, 
bewundert habe. 

Sein Leben war seiner Wissenschaft geweiht, nur in seinen Müsse* 
stunden bildete die Musik eine Erholung für ihn, und mit besonderer 
Liebe gab er sich der Brahm’schen Kunst hin. Wir, die wir in seinem 
Hause verkehren durften, werden sicherlich die genussreichen Stunden 
nicht vergessen, die wir dort im Kreise der Seinen verlebt haben, in 
denen wir einen Einblick tun durften in das ausserordentlich glückliche 
Familienleben, das ihm beschieden war, stand ihm doch eine Gattin zur 
Seite, die volles Verständnis für seine Arbeiten hatte, und die ihm 
jeder Zeit eine hilfreiche Mitarbeiterin war. 

Nun hat das arbeits- und erfolgreiche Leben Ebstein’s in einem 
ruhigen Tode seinen harmonischen Abschluss gefunden. Wir, seine 
Schüler werden ihm über sein Grab hinaus in steter Dankbarkeit ein 
treues Gedenken bewahren. Sein Geist aber wird in uns nie erlöschen, 
er wird uns stets mahnen, in seinem Sinne zu arbeiten und zu lehren, 
und, «wie er, lauter und rein unsere Wissenschaft fördern zu helfen. 

Schreiber - Magdeburg. 


ln eigener Sache. 

Von 

Prof. Dr. Hebele. 

Zur Kritik meines Buches in dieser Wochenschrift, 1912, Nr. 50, in der 
mir eine unzulässige Benutzung bzw. ungenügende Citierung des Buches 
von Mans zum Vorwurf gemacht wird, bemerke ich: 

Die von mir für meine chirurgischen Untersuchungsmethoden be¬ 
nutzte gesamte Literatur ist im Anschluss an das Vorwort aufgeführt, 
darunter 0. Manz, Die chirurgischen Untersuchungsarten, 1906 (Gust. 
Fischer). Da dieses zweibändige Werk bisher das einzige in der deutschen 
Literatur war, das einen Teil des von mir behandelten Stoffes in er¬ 
schöpfender Weise zur Darstellung gebracht hatte, hielt ich mich für 
verpflichtet, den Grund für die Verfassung meines Buches anzugeben. 
Dies tat ich in einer Fussnote des Vorwortes, die keine persönliche 
Spitze haben sollte, und in der ich auch die Vorzüge des ausgezeichneten 
Werkes von Manz anerkannte. Anlehnungen an das Manz’sche Buch 
gebe ich ohne weiteres zu. Trotzdem wird kein unparteiischer Beurteiler 
bestreiten, dass es sich bei meinen Untersuchungsmethoden um eine 
selbständige Arbeit handelt. 


Erwiderung auf vorstehende ErkHfcjing. 

Von 

Dr. Adler-Berlin-Pankow. 

In Nr. 50 dieser Wochenschrift, Jahrgang 1912, habe ich, wie ich 
glaube, in überzeugenderWeise die eklatante Anlehnung an das Manz- 
sehe Werk in der Darstellung des Buches von Gebele nachgewiesen. 
Wenn ich mich aber bisher darauf beschränkt habe, die auffallende 
Uebereinstimmung von einzelnen Wendungen, Sätzen oder Beispielen 
darzutun, so kann ich jetzt, da Gebele auf seiner Originalität besteht, 
niobt umhin, den Leser zu bitten, mir durch die einzelnen Abschnitte 
der beiden Werke ein wenig zu folgen: Die durchaus originelle Ein¬ 
teilung von Manz, welche bisher in keinem Buche zur Anwendung ge¬ 
langt ist: „krankhafte Farben, krankhafte Formen, krankhafte Bewegungs¬ 
vorgänge, Messung“ kebrt genau in derselben Folge bei Gebele wieder, 
und die Ueberschriften lauten hier: „Farbenanomalien, Formanomalien, 
Bewegungsanomalien, Messung“. Beim Kapitel Palpation sind zwar nicht 
alle, aber doch die Mehrzahl der Absohnitte aus Manz entnommen, 
nämlich: Verschieblichkeit, Verdrängbarkeit, Fluktuation, Bewegungs¬ 
abweichung, Krepitation, Druckempfindlichkeit. Dann folgen bei Manz 
gesondert besprochen die Läsionen der Körperoberfläche (Arische Wunden, 
Geschwüre, Fisteln); bei Gebele sind merkwürdigerweise auch an dieser 
Stelle frische Wunden, Geschwüre und Fisteln erörtert, nur schliesst er 
sie unter einer im übrigen falschen Begründung dem Kapitel Inspektion- 
Palpation an. „Krepitation“ und „falsche Stellung“ sind genau wie bei 
Manz dargestellt. Sehr interessant ist auch ein Vergleich des Kapitels 
„Bewegungsanomalien“: Nach Manz (S. 178) sind „die Bewegungs¬ 
beschränkungen maximalster Art, die kleinsten Bewegungsreste“ eines 
Gelenkes ein regelmässiges Objekt des palpatorischen Nachweises. Sehen 
wir, was bei Gebele (S. 54) daraus geworden ist: „Die maximalen Be¬ 
wegungen sowie Bewegungsreste eines Gelenkes sind oft nicht zu sehen, 


aber zu fühlen“. Hier ist Gebele augenscheinlich bei der Anlehnung 
an Manz ein Lapsus calami passiert und dadurch eine Sinnwidrigkeit 
entstanden. 

Ist es da ein Wunder, wenn der Referent der „Deutschen Zeit¬ 
schrift für Chirurgie“ (Bd. 117, S. 599) zu dem Schlüsse kommt, 
dass Gebele nicht nur die gleiche Einteilung befolgt wie Manz, sondern 
dass er nur in äusserst knapper Form das bringt, was Manz in grosser 
Ausführlichkeit bringt? Dass er über den Wert des Buches im ganzen 
ein äusserst scharfes und abfälliges Verdikt ausspricht, sei nur nebenbei 
erwähnt. 

Aus der Fussnote io dem Vorwort bei Gebele ist keineswegs eine 
Anerkennung des ausgezeichneten Werkes von Manz zu entnehmen, wie 
in obiger Erklärung von Gebele behauptet wird. Die Fussnote sagt uns 
nur, dass das Buch zwar sehr inhaltsreich, aber für den jungen Mediziner 
zu abstrakt gehalten sei und nur wenige schematische Abbildungen ent¬ 
halte. Der Zweck dieser eigenartigen „Anerkennung“ ist offenkundig: Der 
junge Mediziner mit seiner notorischen Vorliebe für kurze Kompendien 
mit vielen Abbildungen und seiner Abneigung gegen alles Abstrakte soll 
auf die Mängel des Buches von Manz und die Vorzüge des Buches von 
Gebele hingewiesen werden. In dem Vorworte aber, welches sonst 
nach allen Seiten hin freigebig Dankesworte spendet, wird Manz, welchem 
Gebele gewiss am meisten Dank schuldet, gar nicht erwähnt! 

Die Grenzen von „Anlehnung“, „starker Benutzung“ und „Plagiat“ 
sind nicht durch scharfe Linien gekennzeichnet, und dem subjektiven 
Eindruck wird hier ein gewisser Spielraum niemals abzuspreeben sein. 
Wer aber das Werk eines Vorgängers in solch ausgedehntem Maasse 
verwertet, hat die Verpflichtung, ausdrücklich zu betonen, bei welchen 
Abschnitten er der ausgezeichneten Darstellung seines Vorgängers in 
allen wesentlichen Punkten gefolgt ist. Eine derartige offene Anerkennung 
hätte dem didaktischen Werte des Buches in keiner Weise geschadet; 
der Lehrzweck steht bei einem Lehrbuch im Vordergründe des Interesses, 
und um dieses hohen Zweckes willen mag der Verfasser eines Lehrbuches 
die vorhandenen Quellen in weitgehendstem Maasse benutzen. Er möge 
aber dabei nie vergessen, die Quellen bei fast wörtlicher Uebernahme 
auch im Text durch Namensbeifügung in Klammer so kenntlich zu 
machen, dass eigenes und fremdes Gut für den Leser unschwer zu unter¬ 
scheiden ist. 

Zum Schluss sei noch bemerkt, dass beide Autoren dem Referenten 
persönlich vollkommen fernstehen. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. In der Sitzung der Berliner medizinischen Gesell¬ 
schaft vom 19. Februar demonstrierte vor der Tagesordnung Herr 
Gasper Harnblasenausschaltung wegen Tuberkulose. Hierauf hielt Herr 
E. Aron den allgekündigten Vortrag: Zur Aetiologie der Gefässerkran- 
kungen bei Diabetes (Diskussion: die Herren Muskat, F. Hirschfeld, 
J. Israel), und Herr Orth seinen Vortrag: Ueber die Bedeutung der 
Rinderbacillen für den Menschen. 

— Die nächste Jahresversammlung des Deutschen Vereins für 
Psychiatrie wird am 15. und 16. Mai 1913 in Breslau stattfinden. 
Es sind zwei Referate vorgesehen: I. Bleuler-Zürich und Hoche- 
Freiburg: Der Wert der Psychoanalyse. II. Stier-Berlin und Mönke- 
möIler-Hildesheim: Psychiatrie und Fürsorgeerziehung. Ferner liegen 
bisher zwei Vortragsanmeldungen vor: 1. Starlinger-Mauer-Oehling 
(auf Veranlassung des Vorstandes): Ueber die zweckmässige Grösse von 
Anstalten für Geisteskranke. 2. Reichardt-Würzburg: Physikalische 
Hirnuntersuchung an der Leiche. Anmeldung weiterer Vorträge wird 
erbeten an Sanitätsrat Dr. HansLaehr in Zehlendorf-Wannseebahn, 
Schweizerhof. 

— Das Deutsche Centralkomitee für ärztliche Studien¬ 
reisen hat für dieses Jahr eine Reise arrangiert, welche zunächst einen 
Aufenthalt in London, während der Kongresstage (6. bis 12. August), 
vorsieht und dann England, Schottland, Irland, die Kanalinseln, 
Rotterdam und Scheveningen umfasst. Sie beginnt am 8. August 
mit einer Fahrt nach London mittels eines Dampfers der Hamburg- 
Amerika-Linie und endet am 28. Augnst abermals in Hamburg. Die 
Preise bewegen sich zwischen 875 und 1400 M.; den Ehefrauen ist 
diesmal die Teilnahme gestattet. Anmeldungen sind an das Central¬ 
komitee (Berlin W. 9, Potsdamerstr. 134 B) zu richten. — Wir bemerken 
in Anschluss hieran, dass deutsche Kongressmitglieder, welche nicht 
an dieser gemeinsamen Fahrt teilzunehmen gedenken, Näheres über 
Reise- und Wohnungsangelegenheiten durch den Schatzmeister des 
Deutschen Reichskomitees, Herrn Kommerzienrat E. Stangen, Berlin, 
Friedrichstr. 72, erfahren. 

— Das exekutive Komitee des II. Internationalen Unfallkongresses 
hat aus dem aktiven Ueberschuss des Kongresses zwei Prämien zu je 
1000 Fr. bestimmt. Da keine Arbeit eingegangen ist über das Thema: 
„Die funktionelle Anpassung der traumatisierten Glieder 
und die Schätzung derselben“, so wird die PreisbewerbuDg er¬ 
neuert, und zwar ausschliesslich für obengenanntes Thema mit folgenden 
Normen: Die Arbeiten müssen original sein und in italienischer oder 
französischer Spraohe abgefasst, gedruckt oder in Maschinenschrift in 
drei Exemplaren an das Gerichteärztliche Institut der R. Universität 
Rom, isola Tiberina, gesandt werden, und zwar bis zum 81. Januar 1914, 
1 Uhr mittags. 


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380 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 8. 


— Das Permanente Komitee für die internationalen medi¬ 
zinischen Kongresse (Haag, Hugo de Grootstr. 10) erinnert daran, 
dass bei der diesjährigen Tagung in London drei Preise zur Verteilung 
kommen, nämlich der Preis der Stadt Moskau (5000 Fr. für die beste 
Arbeit auf medizinischem oder hygienischem Gebiete oder für hervor¬ 
ragende Verdienste um die leidende Menschheit); der Preis von Paris 
(4000 Fr. für Entdeckungen oder wichtige Arbeiten auf dem Gebiete der 
Medizin, Chirurgie, Geburtshilfe, Anatomie, Biologie im Laufe der letzten 
10 Jahre); der Preis von Ungarn (3000 Fr. für eine medizinische Leistung 
in der Zeit zwischen zwei internationalen Kongressen). Die Preis Verteilung 
ist durch besondere Statuten geregelt. Das Bureau des Permanenten 
Komitees nimmt Vorschläge von Kandidaturen bis 1. Juni entgegen. 
Wir geben diese Mitteilung wieder mit der Bitte an die deutschen 
Kollegen, etwaige Vorschläge zunächst dem permanenten deutschen 
Komitee (z. H. von Herrn Posner) einzureichen, welches sich bereits 
mit der Angelegenheit beschäftigt. Unseren Lesern wird im Gedächtnis 
sein, dass bisher von deutschen Gelehrten Ehrlich und Oscar Hertwig 
Preise erhalten haben. 

— Der seit dem Jahre 1891 für die Förderung der Volks- und 
Jugendspiele und verwandter Leibesübungen in freier Luft in Deutsch¬ 
land unter dem Vorsitz des Abgeordneten Dr. v. Schenckendorff mit 
grossem Erfolge wirkende Centralausschuss hat sich jetzt in einen 
Verein umgewandelt, damit er noch nachdrücklicher als bisher seinen 
vaterländischen Aufgaben dienen kann. Er fordert alle deutschen Frauen 
und Männer auf, sich als Mitglied, Förderer, lebenslänglicher Förderer 
oder Ehrenförderer anzuschliessen. Die Mitglieder zahlen 5 M., die 
Förderer 10 M. jährlichen Beitrag und die lebenslänglichen und Ehren- 
forderer einmalig 300 M. bzw. 1000 M. Die Mitgliedschaft wird durch 
Anmeldung unter gleichzeitiger Einsendung des Beitrages an den Schatz¬ 
meister, Herrn Oberbürgermeister Dominicus, Berlin-Schöneberg, er¬ 
worben. 

— DieBerlin-BrandenburgiscbeKrüppel-Heil-und Erziehungs¬ 
anstalt verschickt soeben ihren 4. Jahresbericht, aus dem die erfreu¬ 
liche Entwicklung des Vereins zu ersehen ist und dass er mit dem Neu¬ 
bau seines Heims begonnen hat. 

— In Nr. 3 haben wir auf die wichtigen präliminarischen Ver¬ 
einbarungen zwischen dem Deutschen Aerztevereinsbund und dem 
Reiohspostamt hingewiesen. Auf der damals skizzierten Grundlage 
ist nunmehr zwischen dem Verein der freigewählten Kassenärzte 
in Berlin und den Unterbeamten der Reichspost ein Vertrag abgeschlossen 
worden. 

— Am 14. d. M. fand das in Nr. 5 angekündigte erste Konzert 
unseres ärztlichen Orchestervereins in der bescheidenen Form 
eines „Familienabends* statt. Statt der erwarteten 200 Besucher hatten 
sich aber gegen 500 eingefunden, und sie alle zollten dem Orchester 
und dem Klaviersolisten Herrn Kollegen Voll mann stürmischen Beifall. 
Tanz und eine altberliner „Kaffeepause* hielt Jung und Alt noch lange 
nach dem Konzert in fröhlichem Kreise zusammen. 

— Anlässlich des 50jährigen Jubiläums der weltbekannten „Farb¬ 
werke vorm. Meister Lucius & Brüning* haben die Leiter des Unter¬ 
nehmens ein kleines Prachtwerk herausgegeben, das die Entwicklung der 
Anstalt aus kleinen Anfängen heraus bis zur heutigen Höhe schildert 
und einen interessanten Ueberblick über seine gewaltigen Leistungen 
und seine Wohlfahrtseinrichtungen bietet. 

— Herr Friedrich Franz Friedmann ersucht uns um Aufnahme 
folgender Zeilen: „Im Laufe der letzten 3 Monate hat eine grosse Zahl 
leitender Aerzte des ln- und Auslandes schriftlich und telegraphisch der 
Ueberzeugung Ausdruck gegeben, dass das von mir für die menschliche 
Tuberkulose inaugurierte therapeutische Prinzip mit lebendem, aviru- 
lenten Material der richtige Weg für die Heilung der Tuberkulose sei, 
und mich gleichzeitig ersucht, sie hier in Berlin in die Einzelheiten 
meiner Behandlungsmethode einzuweihen, um die Grundsätze dieser neuen 
Therapie zu erlernen. Und in der Tat hätte es keinen Zweck, das Mittel 
früher der allgemeinen Aerztewelt abzugeben, als bis dies geschehen ist. 
Denn jeder einzelne Organismus verlangt unbedingt je nach der be¬ 
sonderen Art, wie er gerade das Mittel aufnimmt und verarbeitet, eine 
ganz individuelle Art der Weiterbehandlung. Dosierung, Zeitpunkt und 
Modus der Weiterbehandlung können nur am Patienten selbst bestimmt 
und durch keine noch so ausführliche Beschreibung, sondern nur durch 
persönliche Beobachtung und Verfolgung des einzelnen Falles erlernt 
werden. Denn da sich hier absolut keine allgemein gültige schematische 
Regel für die Anwendung der nach meinem Verfahren hergestellten 
Heilstoffe angeben lässt, wie etwa für sonstige Injektionstherapien 
(Tuberkuline, Sera usw.), so genügt es nicht, das richtige Mittel 
in der Hand zu haben, sondern es ist auch erforderlich, dasselbe 
richtig anzuwenden. Bevor man fähig ist, ein neues Prinzip zu 
„prüfen“, muss man zunächst das Prinzip studieren, er¬ 
lernen. Die genaue Herstellung meines Heilmittels, sowie seine 
Dosierungen und Indikationen habe ich bisher nur Herrn Prof. Schleich 
mitgeteilt, der auch während meiner vorübergehenden Abwesenheit von 
Berlin die Leitung meines Institutes gütigst übernommen hat. Meine 
Kultur habe ich, einer Weisung der Königlich preussischen Medizinal¬ 
verwaltung gemäss, Exzellenz Ehrlich, dem Leiter des staatlichen 
Instituts für experimentelle Therapie in Frankfurt a. M., persönlich über¬ 
geben. Derselbe hat bereits die Güte gehabt, die einleitenden Schritte zu tun.* 


Hochschulnaohriohten. 

Berlin. Dr. Knuth, Vorsteher der Abteilung für Tropenhygiene 
am hygienischen Institut der Tierärztlichen Hochschule, wurde der 
Professortitel verliehen. — Breslau. Als Nachfolger Ponfick’s, der 
am Ende dieses Semesters vom Lehramt zurücktritt, ist Prof. Henke- 
Königsberg berufen. — Kiel. Als Nachfolger Heller’s soll Lubarsch- 
Düsseldorf berufen sein. — Leipzig. Die Privatdozenten DDr. Läwen 
(Chirurgie) und Stadler erhielten den Titel Professor. — Marburg. 
An Stelle des nach Würzburg übersiedelnden Pathologen M. B. Schmidt 
wurde Jores-Cöln berufen. — Rostock. Habilitiert: Dr. Hauser für 
Gynäkologie. — Würzburg. Dr. Flury, Privatdozent für Pharmako¬ 
logie, erhielt einen Arbeitsplatz an der zoologischen Station in Neapel. 

Gang der Volkskrankheiten. 

Cholera. Türkei (21.—27. I.) 4 und 2f. — Gelbfieber. 
Venezuela (XI.) 7 und 1 +. — Pocken. Deutsches Reich (2. bis 
8. II.) 1. Oesterreich (19.—25.1.) 5. Schweiz (19.—25.1.) 1. 
Hongkong (29. XII. 1912 bis 4.1. 1918) 2 und 2f. — Fleckfieber. 
Deutsches Reich (2.—8. II.) 1. Oesterreich (19.—25. I.) 77. 
Serbien (4. II.) 320, davon 142 f. — Genickstarre. Preussen 
(26.1.—1. II.) 2 und 1 f- — Spinale Kinderlähmung. Oesterreich 
(12.—18.1.) 2. — Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb an 
Sobarlach in Graudenz, Rostock; an Masern und Röteln in Glad¬ 
beck; an Diphtherie und Krupp in Erfurt, Hamborn, Mülheim (Rhein), 
Remscheid. 


Amtliche Mitteilungen. 

Personalien. 

Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 4. Kl. mit der Konigl. 
Krone: San.-Rat Dr. 0. Wimmer in Berlin. 

Roter Adler-Orden 4. Kl.: ordentl. Professor, Geh. Med.-Rat Dr. 
E. Lesser in Berlin, San.-Rat Dr. M. Schnitze in Berlin-Grunewald, 

Oberstabsarzt a. D. Dr. E. Spangenberg in Kehl, bisher im Feld¬ 
artillerie-Regiment 69. 

Königl. Kronen-Orden 2. Kl.: Reg.- und Med.-Rat a. D., Geh. Med.- 
Rat Dr. 0. Schwartz in Cöln. 

Königl. Kronen-Orden 8. Kl.: Geh. San.-Rat Dr. L. Wolff in 
Berlin. 

Ernennungen: Privatdozent Prof. Dr. B. Schöndorff in Bonn zum 
ausserordentl. Professor daselbst. 

Zu besetzen: Die Stelle des Kreisassistenzarztes und Assistenten bei 
dem Medizinal untersuchungsamte in Koblenz. Jahresremuneration 
2000 M. Bakteriologische Vorbildung erforderlich. Die Stelle kann 
auch einem noch nicht kreisärztlich geprüften Arzte vorläufig kom¬ 
missarisch übertragen werden, wenn er den Bedingungen für die Zu¬ 
lassung zur kreisärztlichen Prüfung genügt und sich zur alsbaldigen 
Ablegung der Prüfung verpflichtet. 

Niederlassungen: Dr. W. Wesenberg und Dr. E. Pinczakowski 
in Hannover, Dr. J. Möllering in Bersenbrück, Arzt K. Dittrich 
in Guttstadt, Dr. M. Conrad in Tilsit, Dr. R. Horn in Rhinow, Arzt 

G. Liese in Ennigerloh, Dr. S. Strauss in Hersfeld, Dr. E. W. Dub 
in Ems. 

Verzogen: Dr. P. Gericke von Londorf nach Mülheim (Ruhr), Dr. M. 
Arnold von Birkenhof nach Rauschen, Dr. K. Loewer von Darm¬ 
stadt nach Danzig, Dr. A. Ketteier von Zwischenabn nach Zoppot, 
Geh. San.-Rat Prof. Dr. G. Pannwitz von Charlottenburg nach 
Hohenlychen, Dr. K. Schmidt von Klingenmünster nach Berlin- 
Rosentbal (Nordend), Dr. K. Sitzler von Lüneburg nach Eberswalde, 
Dr. H. Heine von Saarbrücken nach Luckenwalde, San.-Rat Dr. Chr. 
Fassbender von Ibbenbüren nach Südende, Dr. A. Albrecht von 
Trebnitz nach Berlin-Steglitz, Dr. R. Bulla von Mülheim a. Rh., 
Aerztin Dr. Ch. Sternberg von Berlin und Dr. K. Bösenberg von 
Berlin-Reinickendorf nach Berlin-Schmargendorf, Dr. F. Kühl mann 
von Berlin nach Berlin-Friedenau, Marineoberstabsarzt a. D. Dr. K. 
Rechenbach von Kiel nach Gerswalde, Dr. K. Lorenz von Bad 
Rehburg nach Beelitz, Stabsarzt Dr. 0. Geissler von Neuruppin nach 
Dom. Brandenburg, Dr. J. Brennecke von Kiel nach Brandenburg 
a. H., Dr. G. Lochner von Berlin nach Sternberg, Dr. F. Sarrazin 
von Köslin nach Landsberg a. W., Dr. G. Pordom von Wiesbaden 
nach Arensdorf (Kr. Lebus), Dr. E. Götze von Arensdorf nach Seelow. 

Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. R. Statt¬ 
müller von Brachelen, Dr. W. Quilitz von Rauschen, Dr. K. Faltz 
von Zoppot, Dr. L. Elpers von Dortmund, Dr. K. Caspar von 
Altena, Dr. H. Trümper von Witten, Dr. Eyselein von Herne, Dr. 

H. Reeder, Dr. 0. Harrwig, Dr. R. Kayser und Dr. R. Kra¬ 
mer von Bochum, Dr. H. Fimmen von Frankfurt a. M., Dr. M. Lud¬ 
wig von Wiesbaden auf Reisen. 

Gestorben: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Heller in Kiel, Arzt E. Wirth 
in Beelitz, San.-Rat Dr. D. E. Hertling in Caub, San.-Rat Dr. L. 
Müller und Geh. San.-Rat Dr. B. Steinheim in Wiesbaden. 

— --- — = — ■ ===== == -a 

Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hans Kohn, Berlin W n Bayreother Strasse 49. 


Verlag und Eigentum von August Hirschwald in-Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4. 


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UNIVERSUM OF IOWA 




01« Berliner Klinische Woehenschrift erscheint Jeden 
Montag ln Nummern von cs. i —6 Bogen gr. 4. — 
Preis Tierteljihriich 6 Hark. Bestellungen nehmen 
alle Buchhandlungen und Posten «alten an. 


BERLINER 


Alle fiinsendungen für die Redaktion und Expedition 
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung 
August Hirsehwald in Berlin NW., Unter den Linden 
No. 68, adressieren. 


KLINISCHE WOCHENSCimiET. 


Organ für praktische Aerzte. 


Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 


Redaktion: 

fiel). Med.-Rat Prof. Dr. C. Posncr and JDr. Hans Kohn. 


Expedition: 

Aagast Hirschwald, Verlagsbachhandlang in Berlin. 


Montag, den 3. März 1913. M 9 . 


Fünfzigster Jahrgang. 


INHALT. 


Originalien : Pousson: Beitrag zur Chirurgie der Nephritiden. S. 381. 
Zinsser: Ueber die Schädigung der Niere bei der Eklampsie. 
(Aus der Universitäts - Frauenklinik der Königlichen Charite.) 
S. 388. 

Weil: Beitrag zur Statistik der Magenresektion. (Aus der Königl. 

chirurgischen Universitätsklinik zu Breslau.) S. 390. 

Engel: Demonstration der Wirkung der Venenstauung auf die Puls¬ 
kurven Herzkranker. (Illustr.) S. 392. 

Abel: Die Elektrocoagulation bei der chirurgischen Behandlung des 
Krebses, speziell des Gebärmutterkrebses. S. 394. 

Falta und Zehner: Ueber chemische Einwirkungen des Thorium X 
auf organische Substanzen, besonders auf die Harnsäure. (Aus 
der ersten medizinischen Universitätsklinik in Wien.) S. 395. 
Schwarz: Zur Frage des wirksamen Prinzips biochemischer 
Strahlenreaktionen. (Aus der I. medizinischen Klinik zu Wien.) 
S. 396. 

Münzer: Innere Sekretion und Nervensystem. (Schluss.) S. 396. 
Holste: Vorschläge zur Verbesserung des neuen preussischen Heb- 
ammenlehrl)uchs. (Aus der Provinzial-Hebammenlehranstalt zu 
Stettin.) S. 400. 

Scharfe: Der Scheidentrockner. (Illustr.) S. 402. 

Bfleherkesprechingeii : Lenz: Ueber die krankhaften Erbanlagen de» 
Mannes und die Bestimmung des Geschlechts beim Menschen. 
S. 402. Heilbronner: Ueber Gewöhnung auf normalem und patho¬ 
logischem Gebiete. S. 403. Semon: Das Problem der Vererbung 
„erworbener Eigenschaften“. S. 403. Schwalbe: Die Morphologie 
der Missbildungen des Menschen und der Tiere. S. 403. Crocher: 
Studies in Cancer and allied subjects. Pathology. S. 403. (Ref. 
?. Hansemann.) — Grafe: Einführung in die Biochemie. S. 403. 


Hirsch: Der elektrochemische Betrieb der Organismen. S. 403. 
(Ref. Jacoby.) 

Literatur-Auszüge: Physiologie. S. 403. — Pharmakologie. S. 404. — 
Therapie. S. 404. — Allgemeine Pathologie und pathologische 
Anatomie. S. 404. — Diagnostik. S. 406. — Parasitenkunde und 
Serologie. S. 406. — Innere Medizin. S. 406. — Psychiatrie und 
Nervenkrankheiten. S. 408. — Kinderheilkunde. S. 409. — Chirurgie. 
S. 409. — Röntgenologie. S. 410. — Urologie. S. 411. — Haut- und 
Geschlechtskrankheiten. S. 411. — Geburtshilfe und Gynäkologie. 
S. 411. — Augenheilkunde. S. 411. — Hals-, Nasen- und Ohren¬ 
krankheiten. S. 413. — Hygiene und Sanitätswesen. S. 413. — 
Militär-Sanitätswesen. S. 413. — Technik. S. 413. 

Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften: Berliner medizinische 
Gesellschaft. Casper: Vorstellung eines Falles von lumbaler 
Ureterfistel nach Blasenexstirpation wegen Tuberkulose. S. 414. 
Aron: Zur Aetiologie der Gefässerkrankungen beim Diabetes. 
S. 414. Orth: Ueber die Bedeutung der Rinderbacillen für den 
Menschen. S. 414. — Laryngologische Gesellschaft zu 
Berlin. S. 414. — Berliner mikrobiologische Gesellschaft. 
S. 418. — Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde 
zu Berlin. S. 419. — Berliner Gesellschaft für Chirurgie. 
S. 420. — Breslauer chirurgische Gesellschaft. S. 421. — 
Wissenschaftlicher Verein der Aerzte zu Stettin. S.423. — 
Medizinische Gesellschaft zu Leipzig. S. 424. — Frei¬ 
burger medizinische Gesellschaft. S. 424. — K. k. Gesell¬ 
schaft der Aerzte zu Wien. S. 425. 

Hirschberg: Anutius Foesius. S. 426. 

Zum Wahlmodus in der Berliner medizinischen Gesellschaft. 
S. 427. 

Tagesgeschichtl. Notizen. S.427. — Amtl. Mitteilungen. S.428. 


Beitrag zur Chirurgie der Nephritiden. 

Von 

Prof. Alfred Pousson-Bordeaux. 


Die Zukunft der chirurgischen Behandlung der Nephritiden 
beruht ganz und gar auf der Festlegung ihrer Indikationen und 
Kontraindikationen. Wenn die Chirurgen bestrebt sind, ihr diese 
solide Basis zu geben, dann wird es ihnen gelingen, die Aerzte, 
welche bisher grösstenteils dieser neuen Therapie feindselig gegen¬ 
überstanden, dazu zu bestimmen, sie in Erwägung zu ziehen und 
zu der Operation ihre Zuflucht zu nehmen, sobald die interne 
Behandlung versagt hat. Ohne mir die grosse Schwierigkeit zu 
verhehlen, welche diese Frage darbietet, die ich in diesem 
Artikel zu behandeln beabsichtige, und ohne mir anmaassen zu 
wollen, sie zn lösen, wünsche ich dennoch zu ihrem Studium einen 
Beitrag durch einige persönliche Bemerkungen zu liefern. 

Ich werde nacheinander die chirurgische Behandlung der 
akuten und der chronischen Nephritiden in Betracht ziehen. 

Akute Nephritiden. 

Es ist zweckmässig, vom Standpunkte der operativen'Indi¬ 
kationen die toxischen Nephritiden von den infektiösen zu trennen. 


In meiner ersten, im Jahre 1899 veröffentlichten Arbeit 
schrieb ich, dass bei den toxischen Nephritiden, wie sie z. B. durch 
Absorption von Kanthariden, Phosphor, Arsenik, Sublimat usw. 
erzeugt werden, eine Nephrotomie wegen der rapiden Nekrobiose 
der Epithelien von gar keinem Nutzen sein könne. Jetzt jedoch, 
gestützt auf zahlreiche experimentelle Untersuchungen, besonders 
auf die von Castaigne und Rathery, welche gezeigt haben, 
dass die Läsionen der Epithelien nach Intoxikation durch diese 
Substanzen an gewissen Punkten relativ wenig intensiv and einer 
Wiederherstellung fähig sind — denn man hat gesehen, dass die 
Kranken, wie in dem Falle, den ich beobachtete, die Intoxikation 
überleben —, muss ich meine frühere Ansicht aufgeben. In der 
Tat erfüllen die Nierendecapsulation und Nephrotomie sehr gut 
die Indikationen, welche die Behandlung der in der Niere durch 
die toxische Imprägnation ihrer Elemente gesetzten Störungen er¬ 
forderlich macht. Diese Dnrcbtränkung führt zuerst zum Ab¬ 
sterben der Epithelien der gewundenen Kanälchen, der Henle- 
schen Schleifen und der geraden Kanälchen und infolgedessen 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 9. 


zur mechanischen Verstopfung der Nierenkanälchen, als deren 
Symptom Oligurie und selbst Anurie in die Erscheinung treten. 
Wenn jedoch der Kranke die Insuffizienz der Nierenausscheidung 
ubersteht, so kann man sehen, wie die Kanälchen unter dem An¬ 
dringen der sezernierten Flüssigkeit im Gebiet der sehr oft in¬ 
takten Glomeruli frei werden und die Epithelien der Kanälchen 
sich regenerieren und die Niere ihre Funktionen wieder auf¬ 
nimmt. Die therapeutische Indikation erfordert also, die Harn¬ 
sekretion durch Diuretica und das Ansetzen von Schröpfköpfen 
anzuregen; Skarifikation und selbst Blutegel in der Lumbal¬ 
gegend sind in dieser Beziehung gute Mittel. Wenn sie jedoch 
versagen, muss ohne Zögern der chirurgische Eingriff an 
ihre Stelle treten. Was nun die Decapsulation und die Nephro¬ 
tomie betrifft, so glaube ich, dass letztere aus Gründen der patho¬ 
logischen Physiologie, auf welche ich bei Gelegenheit der Be¬ 
handlung der infektiösen Nephritiden eingehen werde, den Vorzug 
verdient. 

Welches auch das pathogene Agens sein mag, das sie hervor¬ 
ruft, welchen Weg auch (seien es die Blutgefässe, Lympbgefässe 
oder der Ureter) dieses Agens wählt, um die Niere zu ergreifen, 
man kann, wie ich glaube, zum besseren Studium den anatomi¬ 
schen Prozess der infektiösen akuten Nephritiden in vier Phasen 
einteilen: Die Phase der Kongestion, die Phase der Diapedese, 
die Phase der purulenten Infiltration und die Phase der dissemi- 
nierten Abscesse im Parenchym. Alle Nephritiden durchlaufen 
nicht diese vier Entwickelungsstadien. Diejenigen, welche im Ver¬ 
lauf der exanthematiscben Fieber (wie Scharlach, Pocken, Masern) 
auftreten, ebenso bei Typhus, bei Diphtherie, Pneumonie und 
allgemein bei anderen schweren Arzneiinfektionen verbleiben sehr 
häufig in der kongestiven oder besser degenerativen Phase, indem 
die anatomischen Störungen mehr die Epithelien als die Gefässe 
ergreifen. Dagegen erreichen diejenigen Nephritiden, welche die 
chirurgische Infektion und ganz besonders die Infektionen der 
unteren Harnwege betreffen, die Endstadien der purulenten In¬ 
filtration und der Abscesse. 

Nichts ist jedoch schwieriger, als in der Klinik die ver¬ 
schiedenen Perioden der nepbritischen Prozesse zu erkennen, und 
zahlreiche Beobachtungen lehren, dass man oft Nieren vor sich 
hat, von denen man glaubt, dass sie sich im Stadium der Kon¬ 
gestion befinden, während sie bereits in der Phase der purulenten 
Infiltration und Miliarabscesse sind. Tatsächlich hat jedoch diese 
Diagnose nur eine sekundäre Bedeutung. Denn wenn auch der 
chirurgische Eingriff bessere Resultate bei nichteiterigen Nephritiden 
liefert, so hat er auch sehr schätzenswerte Erfolge bei den 
eiterigen Nephritiden. Es geht dies deutlich aus einer Statistik 
von 26 Fällen hervor, in welchen ein Eingriff im Verlauf akuter 
Nephritiden gemacht wurde, und die ich in meinem Buche „Chir¬ 
urgie des nöphrites“ veröffentlicht habe. Davon bezogen sich 
11 Operationen auf nichteiterige Nephritiden und gaben 0 pCt. 
operative Mortalität, während 15 eiterige Nephritiden betreffen mit 
2 operativen und 2 späteren Todesfällen. Demnach darf der 
Chirurg, sobald eine akute Nierenentzündung vorliegt, sich nicht 
um die anatomische Phase der Infektion kümmern, sondern er 
soll nicht mit dem Eingriff zögern, wenn die Indikation sonst 
geboten erscheint. 

Selbstverständlich wird man nur dann seine Zuflucht zu einer 
Operation nehmen, wenn man die inneren Mittel ausgiebig ver¬ 
wandt hat. Dahin gehören in erster Reihe die Diuretica, der 
Aderlass und die funktionelle Anregung der Organe, welche 
vicariierend für die Niere eintreten. Aber nichts ist schwieriger, 
als die Insuffizienz oder das Versagen dieser Mittel zu erkennen. 
Aus den Beobachtungen, welche ich gelesen habe, geht hervor, 
dass, wenn auch einige Operateure sich zu sehr mit dem Eingriff 
übereilt haben, die grosse Mehrheit nur unter dem Druck 
schwerer Symptome oder Zufälle, wie schweres Fieber, beun¬ 
ruhigendes Allgemeinbefinden, lebhafte und andauernde Schmerzen 
der Lendengegend, Abnahme der Urinsekretion und drohende 
Anurie gehandelt haben. Weit gefehlt, eine operative Kontra¬ 
indikation abzugeben, bilden gerade die Intensität des Fiebers und 
Schwere des Allgemeinbefindens eine Indikation, welche man 
rechtzeitig beachten muss. Besonders aber verlangt die Abnahme 
der Harnsekretion aufs dringlichste den Eingriff bei akuten 
Nephritiden. Wenn man neben der Oligurie im Urin eine starke 
Eiweissmenge, sehr zahlreiche Leukocyten, hyaline und Wachs- 
cylinder findet und mit diesem Befund, welcher auf eine tiefe 
anatomische Störung der Nieren , hinweist, sich Fieber ijind 
schlechter AH$ en ?einzustapd verbilden, die elqe zunejimend^ In¬ 
toxikation und Infektion des Organismus verraten, dann darf man 


den Kranken nicht der Chancen berauben, die ihm eine Operation 
bieten kann. An die Seite der Oligurie tritt der Lumbalschmerz 
wegen seiner Hartnäckigkeit ond Heftigkeit in der Reihe der 
Indikationen, welche für den chirurgischen Eingriff am 
günstigsten sind. 

Die Operationen, zu welchen man zurzeit seine Zuflucht bei 
den akuteu medizinischen Nephritiden nimmt, sind die Nephrek¬ 
tomie, die Nephrotomie und die Decapsulation. 

Die Nephrektomie kann natürlich nur dann in Frage kommen, 
wenn es sich um eine einseitige akute Nephritis handelt, oder 
wenn zwar die Läsionen beide Nieren betreffen, jedoch nur das 
eine dieser Organe tief verändert, das andere relativ wenig be¬ 
troffen ist. Es ist das eine Ausnahmeoperation, deren unmittel¬ 
bare und entferntere Resultate nach den Studien, welche ich 
gemacht habe, weit hinter der Nephrotomie zurücksteben. Denn 
während die 9 Nephrektomien, über welche ich berichtet habe, 
2 Todesfälle, d. h. eine Mortalität von 22 pCt. ergaben, haben 
21 Nephrotomien nur dieselbe Totenzahl gebracht, d. h. eine 
Mortalität von 10 pCt. 

Die Nephrotomie muss also, meiner Meinung nach, die Ope¬ 
ration der Wahl in der Behandlung der akuten Nephritiden sein. 

Diese Schlussfolgerung, welche zunächst überraschen kann, 
und welche der Regel für die Behandlung der Nierentuberkulose 
ganz und gar entgegen tritt, ergibt sich aus vielen Gründen. Der 
erste liegt in der Tatsache, dass während der durch den Koch- 
schen Bacillus erzeugte anatomische Prozess in der Niere, wie in 
allen übrigen Organen, vielleicht nur durch die vollständige Ver¬ 
nichtung der kleinsten Drüsen und Tuberkelkeime beseitigt werden 
kann, der der banalen, colibacillären und anderen Infektionen 
durch die Zerstörung der pathogenen Agentien in situ gehemmt 
werden kann. Ein anderer Grund, welcher zugunsten der Nephro¬ 
tomie gegen die Nephrektomie spricht, ist der, dass in der Mehr¬ 
zahl der Fälle die Infektion nicht gerade in der Niere lokalisiert 
ist, sondern dass die Läsionen dieses Organs nur das Resultat 
der Ausscheidung der toxisch-infektiösen Prinzipien sind, welche 
ihren Ursprung im Organismus haben. Wenn man also eine Niere 
entfernt, so belastet man die andere allein mit der Reinigung des 
Blutes. Sieht man also nicht ein, welche böse Chancen diese 
Läsionen haben, sich zu verschlimmern oder sich zu bilden, wenn 
sie noch nicht vorhanden waren? Anstatt also durch die Nephrek¬ 
tomie den für die Ausscheidung der Mikroben und ihrer Toxine 
offeuen Weg zu zerstören, sollte man sich nicht vielmehr bemühen, 
ihn so lange wie möglich durch die Inzision der kranken Niere zu 
erhalten, welche neben den auf dem Wege der Zerstörung befind¬ 
lichen Territorien immer noch eine gewisse Zahl intakter enthält? 
Zur Rechtfertigung des Vorzugs, welchen ich der Nephrotomie in 
der Behandlung der akuten Nephritiden gebe, erscheint es mir 
zweckmässig, die Wirkungsweise der Inzision des Nierenparen¬ 
chyms auf den Krankheitsprozess ins Gedächtnis zurückzurufen. 
Sie wirkt zunächst durch Behebung der intrarenalen Spannung, 
wie sie durch die Zunahme des Nieren Volumens innerhalb der 
undehnbaren Kapsel durch Proliferationsprozesse der Harnkanälchen, 
Blutgefässe und des Bindegewebes, isoliert oder miteinander ver¬ 
bunden, partiell oder total, erzeugt wird, und welche das ana¬ 
tomische Substrat aller Nierenentzündungen bilden. Abgesehen 
von der Beseitigung der intrarenalen Spannung besitzt die In¬ 
zision der Kapsel und des Parenchyms selbst den noch weit 
grösseren Vorteil, dass sie eine reichliche Blutentleerung herbei¬ 
führt. Dieser reichliche Aderlass hat nicht nur die Wirkung, 
die Niere zu entlasten und überall die Diapedese zu regulieren, 
sondern er begünstigt weiter die Auswanderung der Mikroben 
und der die Röhrchen verstopfenden Epithelabgänge, welche bis¬ 
weilen die Ursache einer sogenannten tubulären Anurie werden. 
Das aber bleibt zweifellos nicht ohne Wirkung auf die Toxine, 
welche auch eine gewisse Rolle in der Pathogenese der infek¬ 
tiösen Nephritiden spielen. Eine methodische, mässige Knetung 
eines jeden Nierenscbnittes kann, wenn man sie gut abwägt, 
dieses Resultat begünstigen. Obwohl man die Antisepsis nur in 
geringem Maasse verwenden kann, so gestattet doch die Nieren¬ 
inzision eine sorgfältige Reinigung der Kelche und des Beckens, 
und selbst der Nierenschnitte mit schwachen, die histologischen 
Elemente nicht angreifenden antiseptischen Lösungen. Endlich, 
und das ist meiner Meinung nach eine unerlässliche Ergänzung 
der Nephrotomie, sichert die prolongierte Drainage des Beckens 
den Abfluss der durch die kranke Niere abgesonderten, ver¬ 
änderten Sekrete und gestattet ihre Auswaschung. 

J$s er,füll£ also die Nephrotomie, abgesehen von de* beaonr 
deren Indikation für alle in einer undehnbaren Hülle gelegenen 


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3. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


883 


entzündeten Organe, nämlich der Freilegung, die drei fundamen¬ 
talen Indikationen, die für die Therapie der Entzündungen aller 
Gewebe aufgestellt sind: Abschwellung, Antisepsis und Drainage. 

Die Decapsulation, welche nur in einer sehr kleinen Zahl 
von Fällen zur Behandlung der akuten Nephritiden ausgeführt 
wurde, tritt in ihrer Wirkung sehr gegen die Nephrotomie zurück. 
Denn sie bringt nur die Befreiung der in ihre Kapsel eingesperrten 
Niere, erfüllt also nur eine der Indikationen der Therapie der 
Entzündung im allgemeinen. Es verdient indessen bemerkt zu 
werden, dass die Blutung, welche auf der Nierenoberfläche der 
stark hyperämischen Niere stattfindet, ihre abschwellende Wirkung 
zu der Druckentlastung hinzufügt, und dass der Blutstrom ge¬ 
eignet ist, die Mikroben und Toxine, welche die Rindenschicht 
infizieren, hinwegzuschwemmen. Wie gering sind aber ihre Wir¬ 
kungen im Vergleich zur Inzision der Kapsel und des Nieren¬ 
parenchyms! Was vermag die Decapsulation in den Fällen, in 
welchen miliare Abscesse bestehen, die so oft bei akuten Nephri¬ 
tiden Vorkommen? Ferner bei denjenigen, in welchen die Kelche 
nod das Becken an der Entzündung beteiligt sind? 

Chronische Nephritiden. 

Die chirurgische Behandlung der chronischen Nephritiden 
findet ihre Indikationen in den schweren Zufällen, welche der 
internen Behandlung widerstanden, wie lebhafte und anhaltende 
Schmerzen, profuse Blutungen von langer Dauer, heftige Krisen, 
bedingt durch Ansammlung von Stoffwechselprodukten im Orga¬ 
nismus. Aber neben dieser Palliativbehandlung hat ein kühner 
Erfinder, Georges Edebobls New York, eine Heilbehandlung 
vorgeschlagen, welche nichts weniger bezweckt, als den ana¬ 
tomischen Prozess im Innern der entzündeten Niere zum Still¬ 
stand und in den schon davon befallenen Partien zum Rückgang 
zu bringen. 

a) Chronische schmerzhafte Nephritiden. 

Der Schmerz kann ein solches Uebergewicbt in der Sympto¬ 
matologie gewisser chronischer Nephritiden erlangen, dass er zu 
seinen Gunsten die ganze Aufmerksamkeit des Kranken und des 
Arztes auf sich lenkt. Ausnahmsweise gehören die Nephritiden, 
welche den Beinamen „schmerzhafte“ verdienen, in die Kategorie 
der von Bright beschriebenen Nephritiden, welchen die Nachwelt 
den Namen des berühmten englischen Arztes beigelegt hat. Unter 
19 Fällen, welche ich von diesem Gesichtspunkte aus analysiert 
habe, habe ich nur vier gefunden, welche durch den Symptoroen- 
komplex, den sie darboten und ihre Aetiologie als Bright’sche 
Nephritiden angesehen werden können. Bei elf von diesen Beob¬ 
achtungen konnte man nur einige vage Umrisse des klinischen 
Bildes der Bright’scken Krankheit auffinden; dagegen wiesen die 
Antecedentien und die Symptomatologie auf Steinkrankbeit bin. 
Bei den vier letzten schien mir die Nephritis dreimal von ent¬ 
zündlichen Läsionen der Adnexe und des Beckenzellgewebes und 
einmal von einem schweren Trauma der Regio intercostalis-iliaca 
abhängig gewesen zu sein. 

Ebenso wie die Ursachen der chronischen schmerzhaften 
Nephritiden sich von denen unterscheiden, welche man gewohnt 
ist, bei der Bright’schen Krankheit anzutreffen, ebenso sind anch 
die anatomischen Läsionen ein wenig verschieden. Der erste 
Unterschied besteht in der Lokalisation des Entzündungsprozesses 
an einer bestimmten Stelle der Niere, die in einer gewissen An¬ 
zahl von Fällen beobachtet wurde. Der zweite, sicherlich der 
bedeutendste Unterschied betrifft die Veränderungen der eigent¬ 
lichen Nierenkapsel. Diese ist verdickt und erreicht eine Stärke 
von mehreren Millimetern, stellenweise stark sklerosiert in Form 
von milchigen Plaques oder weisslichen Streifen von narbigem 
Aussehen, welche die Niere einengen und ihr ein beulenförmiges, 
gelapptes Aussehen geben. Der Skleroseprozess erstreckt sich 
auch oft auf die Fettkapsel, welche an Stelle ihrer gelblichen 
Farbe und ihrer gewöhnlichen Konsistenz grau, fest und dicht 
wird, durchzogen von fibrösen, über die Organe verbreiteten 
Strängen, welche die Nierenbekleidung in der Niere selbst be¬ 
schränken. 

Diese Läsionen erklären die Pathogenese der Schmerzet* und 
die Wirkung der gegen sie gerichteten Operation. Sie kommen 
von dem Druck her, welcher von der sklerosierten Kapsel auf 
das Nierenparenchym ausgeübt wird. Aber diese Rolle der 
fibrösen, indurierten und verdickten Kapsel ist eine passive; die 
aktive spielt in Wirklichkeit das Nierenparenchym mit seiner 
ßinzwängung durch die kongestiven Schübe, welchen es durch 
seine chronische ‘Entzündung ausgesetzt ist. Diese Rolle der 
Kongestion fei der Path<%enesb der Schmerzen stimmt ifiit ihrem 


klinischen Bilde überein: Dumpf und anhaltend bei einigen 
Kranken, äussern sie sich in der grossen Mehrzahl der Fälle in 
Gestalt von akuten, paroxysmalen Krisen, welche unter denselben 
Einflüssen und bisweilen in regelmässigen Intervallen auftreten. 
Was aber ihre Existenz in unwiderleglicher Weise bekräftigt, das 
sind die Feststellungen, welche man an den Kranken in vivo im 
Verlauf der Operationen selbst macht. Am häufigsten findet man 
tatsächlich die aus ihrer Hülle befreite Niere hart, verdünnt, 
kongestioniert, bläulich oder rötlich, und beim Einschnitt in ihre 
Kapsel hat das Gewebe die Neigung, eine Hernie durch die 
klaffenden Lippen zu bilden. 

Die Operationen, welche bei den chronischen schmerzhaften 
Nephritiden empfohlen werden, sind die Nephrektomie, die 
Capsulotomie, die Decapsulation, die Nephrolyse und die Nephro¬ 
tomie. 

Die Nephrektomie hat vor allen anderen Operationen den 
Vorzug, schnell und definitiv den Nierenschmerzen, welches auch 
ihr Ursprung sein mag, ein Ende zu machen; aber sie ist an sich 
eine zu schwere Operation, als dass man ihr den Vorrang geben 
sollte. In den beiden Fällen, in welchen sie ausgeführt worden 
war, brachte sie, nach einem Bericht, den Operationstod. Es ist 
eine Operation des Zwanges, zu welcher man sich nur als einer 
letzten Zuflucht entscbliessen wird, sobald alle anderen chirur¬ 
gischen Mittel versagt haben und nur dann, wenn man sich ge¬ 
nügend über die funktionelle Kraft der anderen Niere verge¬ 
wissert hat. 

Obwohl die Capsulotomie, indem sie den Gürtel erschlafft, 
welcher die Niere einzwängt, eine der Indikationen erfüllt, welche 
aus der Deutung der Pathogenese der Schmerzen hervorgeht, so 
glaube ich dennoch, dass man ihr die Capsulektomie vorziehen 
soll, welche die Niere nicht nur von der Umschlingung ihrer 
eigenen Kapsel befreit, sondern auch von dem Einfluss, welchen 
die fibröse Degeneration der Fettkapsel auf sie auszuüben vermag. 

Die Nephrolyse, welche die Verwachsungen zerstört, welche 
die Niere mit den Wänden ihrer Hülle verbindet, steht hinsicht¬ 
lich ihrer Wirkung auf gleichem Fusse mit der Decapsulation. 

Aber alle diese Operationen, welche mir besonders in den 
Fällen indiziert erscheinen, in welchen die eigene sehr verfettete 
und sehr veränderte Kapsel der einzige Faktor der schmerzhaften 
Erscheinungen zu sein scheint, und bei denen, in welchen die 
Zerreissung der in der Fettkapsel entwickelten Stränge die Haupt¬ 
rolle in der Genese der Leiden spielt, dürften, meiner Ansicht 
nach, in der Mehrheit der Fälle von der Nephrotomie übertroffen 
werden. Die tiefe Inzision des Nierenparenchyms ist tatsächlich 
die zweck massigste Operation, um die Erdrosselung der ver¬ 
schiedenen Elemente der eng in ihre verdickte und undebnbare 
Kapsel eingeschlossenen Niere und insbesondere die der Nerven- 
verzweigungen zu beseitigen. Aber nicht nur auf diese statische 
Ursache der Schmerzen bei den Nephritiden wirkt die Nephro¬ 
tomie, indem sie die Circulation der Niere reguliert, sondern sie 
wirkt auch zweifellos, wie wir bei Besprechung der Behandlung 
der bämaturischen Nephritiden sehen werden, auf die dynamische, 
Scbmerzkrisen erzeugende Ursache, nämlich die Kongestionsschübe, 
ein. Diese schmerzstillende Wirkung der Nephrotomie scheint 
nur eine temporäre sein zu können. Wenn man jedoch sich auf 

die Gründe stützt, welche ich anfübren werde, um die bämo- 

statiscbe Dauerwirkung dieser Operation bei den hämaturiseben 
Nephritiden zu erklären, so ist die Annahme möglich, dass sie 
eine definitive sein kann. Die Inzision der Niere hat ausser 
anderem den grossen Vorteil, dass sie gestattet, die Diagnose zu 
bestätigen oder zurückzuweisen, welche selbst dann noch dunkel 
bleiben kann, wenn man das freigelegte Organ einer Palpation 
oder Probepunktion unterworfen hat. Endlich ist sie nützlich, 
um die Wiederkehr der Erdrosselung der Niere durch ihre Kapsel 

zu verhüten. Um die glücklichen Wirkungen der peripheren 

Komplementärcirculation auf die Heilung der Nephritis nach den 
von Edebohls verteidigten, aber von sehr vielen Experimentatoren 
und Klinikern bestrittenen Ideen zu sichern, kann man ohne 
Gefahr die. Capsulektomie mit der Nephrotomie verbinden. Zu 
diesen beiden kombinierten Operationen habe ich meine Zuflucht 
bei drei Kranken genommen, und zwar mit vollem Erfolg. Der 
eine von ihnen, seit 7 Jahren operiert, hat seit jener Zeit nicht 
über das geringste Leiden zu klagen gehabt. 

b) Hämaturische Nephritiden. 

Die Hämorrhagien im Verlauf der chronischen Nephritiden, 
welche von Richard Bright selbst angegeben worden waren, 
bildeten 1 in tien letzten Jdbren'^en Gbge^stand des Studiums einer 

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384 BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. Nr. 9. 


gewissen Anzahl von Klinikern, welche eine neue nosologische 
Gruppe von chronischen hämaturischen Nephritiden aufgestellt 
haben. Diese Gruppe muss ihre Stelle neben den chronischen 
schmerzhaften Nephritiden einnehmen, und die Fälle, aus welchen 
sie bestehen, sind der eine und der andere nicht ohne Analogie. 
Der Schmerz und die Blutung verbinden sich auch zuweilen bei 
derselben Person, ein Umstand, welcher zur Prägung des Namens 
hämaturische Nephralgie geführt hat. 

Ebenso wie die chronischen schmerzhaften Nephritiden unter¬ 
scheiden sich die chronischen hämaturischen Nephritiden sehr oft 
in ihrer Aetiologie, pathologischen Anatomie und Symptomato¬ 
logie von den Bright’schen Nephritiden. Wenn ich von diesem 
Gesichtspunkte aus 37 Fälle studiere, so finde ich darunter nur 8, 
welche als Bright’scbe Krankheit anzuseben wären. Bei den 
übrigen 29 Fällen konnte ich, obwohl die Läsionen doppelseitig 
waren, bei 5 Kranken in ihrer Geschichte kein Symptom von 
Brightismus entdecken; ebenso verhielt es sich bei den 24 anderen, 
welche nach dem klinischen Befunde wie nach der Entwicklung 
der Affektion von einseitiger Nephritis befallen zu sein schienen. 

Man weiss seit langer Zeit, dass die Verbreitung der Läsionen 
in den subakuten und chronischen Nephritiden, statt eine globäre 
zu sein und sich auf alle Glomerulussysteme, deren Gesamtheit 
die Niere bilden, auszubreiten, oft eine partielle ist und sich auf 
einige dieser Systeme beschränkt, während die benachbarten 
Systeme ihre volle Integrität bewahren. Diese Beschränkung des 
Krankheitsprozesses findet sich noch mehr bei den hämaturischen 
Nephritiden und ist gewissermaassen ihr Cbaracteristicum. Die 
hämaturischen Nephritiden sind partielle, ja selbst Parzellen- 
nephritiden. 

In einer gewissen Anzahl von sehr stark blutenden Nieren 
sind die Läsionen so beschränkt, dass sie ganz unbemerkt bleiben 
können, nicht nur im Verlauf der Nephrotomie, so dass, wenn 
man sich bemüht, die Nierenarterie zu komprimieren, man die 
Zweige des inzidierten Parenchyms zum Schwinden bringen kann, 
sondern auch nach der Nephrektomie, wenn man sich nicht die 
Mühe gibt, die histologischen Schnitte ad infinilum fortzusetzen. 

Viele Mechanismen wurden zur Erklärung der Hämaturien 
bei den chronischen Nephritiden berangezogen: Mechanismen, die 
man kennen muss, um die Wirkungsweise der gegen sie gerichteten 
Operationen zu verstehen und eine zweckmässige Auswahl der¬ 
selben treffen zu können. Bei den chronischen doppelseitigen 
Nephritiden, die von einer mehr oder minder grossen Anzahl von 
Symptomen der Bright’schen Krankheit begleitet sind, kann man 
die Blutungen auf Rosten der Abnahme der Eiweisselemente des 
Blutes setzen oder auf seine Veränderung durch die Toxine, 
welche darin enthalten sind. Bei den chronischen einseitigen 
Nephritiden mit auf einige Glomerulusbezirke beschränkten, den 
Parzellennephritiden, bestehen die ganz lokalen Ursachen der 
Blutung in den anatomischen Veränderungen der Nierengefässe 
und in der Störung, welche die Sklerose des Parenchyms im 
Circulationsapparat hervorruft. In der Tat, was auch immer die 
Ursache der nephritischen Prozesse sein mag, die Gefässläsionen 
nehmen stets eine wichtige Stelle in der allgemeinen Desorgani¬ 
sation der Gewebe ein. Die Capillaren gewisser Glomeruli und 
der Rindensubstanz erscheinen in der parenchymatösen Form 
stellenweise mit Blut vollgepfropft, und man sieht dort sogar 
Kanälchen, welche durch die Blutmassen erweitert sind. Die¬ 
selben Gefässe sind dagegen atrophisch und die zu- und ab¬ 
führenden kleinen Arterien von Endoperiarteriitis in interstitieller 
Form befallen. Man sieht also ein, dass die Circulation, welche 
zu gewöhnlichen Zeiten noch hinreicht, um in diesem so tief 
veränderten Gefässsystem sich geltend zu machen, bei der ge¬ 
ringsten Störung in Unordnung gerät. Daher die Blutanschoppungen, 
welche um so leichter zu Blutungen durch Ruptur führen, als 
die Gefässwände infolge von Arteriosklerose brüchiger sind. 

Die Operationen, zu welchen die Chirurgen bei den chronischen 
hämaturischen Nephritiden ihre Zuflucht nehmen, sind die 
Nephrektomie, die Nephrotomie, allein oder in Verbindung mit 
der Decapsulation, die Decapsulation. Die Nephrektomie ist 
augenscheinlich das sicherste Mittel, um die aus der chronisch¬ 
entzündlichen Niere herstammenden Blutungen zu beseitigen, und 
zu ihr haben auch die ersten Operateure ihre Zuflucht genommen. 
Sie ist jedoch voller Gefahren. Denn unter 12 Malen, die sie in 
meinen Erhebungen ausgeführt wurde, gab sie einen tödlichen 
Ausgang bei der Operation und drei spätere Todesfälle infolge 
von urämischen Anfällen durch entzündliche Affektionen der 
anderen Niere. Aus Furcht vor diesem Ausgang, gegen welchen 
die gegenwärtigen Mittel der Untersuchung der Nierenfunktion 


nicht immer Schutz gewähren, verwerfen die Chirurgen fast ein¬ 
mütig die Nierenexstirpation, abgesehen von besonderen In¬ 
dikationen, wenn z. B. die genaue Untersuchung der blutenden 
Niere ausgedehnte Läsionen feststellen sollte. Das bestimmte 
mich, bei einem meiner Kranken die rechte Niere zu exstirpieren, 
welche mehrere gesonderte Cysten in dem makroskopisch sehr 
veränderten Parenchym darbot. 

Die Nephrotomie allein, 9 mal ausgeführt, hatte einen 
Operationstod zur Folge. Bei den 8 überlebenden Kranken war 
das therapeutische Resultat nur zweimal temporär, zweifellos 
weil die Läsion doppelseitig und nur eine Niere inzidiert worden 
war. Bei den 6 anderen hielt es sich 1 und 2 Jahre und bei 
4 Fällen, welche mir persönlich bekannt sind, 4 Jahre. 

Die Nephrotomie in Verbindung mit der Decapsulation, 6 mal 
ausgeführt, ergab 1 Operationstodesfall und 6 überlebten sie, von 
denen 3 gebessert und 2 geheilt sind. 

Die Decapsulation, 6 mal ausgeführt, brachte in einem Falle eine 
leichte Besserung und die 5 anderen Kranken, deren Beobachtungen 
ich gesammelt habe, wurden zu kurze Zeit beobachtet, als dass 
man das therapeutische Resultat beurteilen könnte. 

Die Lehren der pathologischen Physiologie, welche ich früher 
in Erinnerung brachte, in Verbindung mit den Resultaten, welche 
ich soeben mitteiltc, scheinen mir geeignet zu sein, der Nephro¬ 
tomie in der Behandlung der chronischen hämaturischen Nephri¬ 
tiden den Vorzug zu geben. Die Niereninzision wirkt tatsächlich 
auf alle Faktoren der Nierenblutung ein. Vor allem bringt sie. 
durch die Blutentleerung, welche sie im Niveau der Niere selbst 
herbeifübrt, eine Abschwellung ihres Parenchyms und gestattet 
so der Circulation des Organs, sich zu regulieren und im Gleich¬ 
gewicht zu erhalten dadurch, dass sie die Hypertension der Ge¬ 
fässe herabsetzt und die Blutextravation in diejenigen Teile ihres 
Territoriums vermindert, dessen anatomische Elemente, und be¬ 
sonders Gefässe, erkrankt sind. Das Sinken des Blutdrucks im 
gesamten Circulationssystem, wie sie durch die reichliche Blut¬ 
entziehung bewirkt wird, hat gleichzeitig die glückliche Wirkung, 
die Ursache der Blutung zu beseitigen, welche durch den erhöhten 
Blutdruck des gesamten Gefässsystems und der Herzhypertrophie 
bedingt ist. Die Nephrotomie wirkt zweifellos ebenso nachdrück¬ 
lich auf die Innervation der Niere ein, indem sie die gepressten 
Nervenfasern ebenso wie die anderen anatomischen Elemente der 
geschwollenen, in ihre undehnbare Kapsel eingezwängten Niere 
vom Druck befreit. Ebenso darf man behaupten, dass die Ope¬ 
ration eine erhebliche Wirkung auf die Blutveränderung ausüben 
kann. Auch ist die Annahme wohl gestattet, dass sie nicht ohne 
Wirkung auf die Symptome der Nierenintoxikation bleibt, welche 
durch die Bespulung des Parenchyms mit einem mehr oder weniger 
verunreinigten Blute entstanden war. 

Die hämostatische Wirkung der Nephrotomie, welche an¬ 
scheinend nur eine temporäre sein kaon, gestaltet sich, wie aus 
zahlreichen klinischen Beobachtungen bervorgeht, zu einer defini¬ 
tiven. Ich glaube, dass man den Grund hierfür in dem Umstande 
finden kann, dass die Läsionen der hämaturischen Nephritiden 
beschränkt, parzellenartig sind, wie ich mitgeteilt habe, und dass 
sie deshalb sich zurückziehen oder vielmehr in Cysten oder in 
fibröse intravasculäre Klumpen sich verwandeln können, während 
die benachbarten Partien kompensatorisch hypertrophieren. 

c) Chronische Nephritiden, kompliziertdurch schwere 
und bedrohliche symptomatische Zufälle (Palliativ¬ 
behandlung). 

Ohne den Nutzen zu verkennen, welchen man aus den neuen, 
in den letzten Jahren erworbenen Kenntnissen betreffs der Patho¬ 
genese und der pathologischen Physiologie der Zufälle, welche 
durch die Ansammlung der Stoffwechselprodukte im Organismus 
für die Behandlung der schweren Krisen der Bright’schen Krank¬ 
heitgewonnen hat, muss man dennoch zugeben, dass die rationellste 
interne Therapie zu oft wirkungslos bleibt. So ist die Wirksam¬ 
keit gewisser Medikamente, die bestimmt sind, auf die Störungen 
der anatomischen Elemente und besonders der Epithelien einzu¬ 
wirken, bestreitbar; ebenso versagen allzu oft bedauerlicherweise 
die Medikamente, welche die Oligurie, die Oedeme, die urämische 
Intoxikation bekämpfen wollen. Die Ohnmacht dieser verschiedenen 
internen, sorgfältig versuchten Mittel bildet die Rechtfertigung des 
chirurgischen Eingriffes. 

Wenn man das elende Leben in Parallele stellt, welches die 
Kranken führen, welche an chronischer Nephritis leiden, wie sie 
monate-, ja jahrelang den Anasarka und Organödemen, deq serösen 
| Ergüssen, den Störungen der grossen Apparate der CizculatioB, 


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UNIVERSUM OF IOWA 



3. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


385 


Respiration und Verdauung, den verschiedenen Symptomen des 
Hirnleidens preisgegeben sind — ein chronischer Zustand, zu dem 
sich noch plötzlich die akuten Krisen der Urämie hinzugesellen —, 
wenn man, sage ich, dieses Leben in Parallele zu den Gefahren stellt, 
welche der Operation anhaften, den temporären, wenn nicht de¬ 
finitiven Nutzen, welcher daraus entstehen kann, wird man nicht 
zögern können, die Berechtigung des chirurgischen Eingriffes an¬ 
zuerkennen. Auf 153 Beobachtungen, welche ich analysiert habe, 
habe ich nur 63 operative Todesfälle gezählt, das ist eine Mortalität 
von 41 pCt. Was das spätere Resultat betrifft, so erlagen von 
92 Fällen, die längere Zeit beobachtet werden konnten, 25 in 
einem Zeitraum, der zwischen drei Monaten und zwei Jahren 
schwankte, und 67 lebten noch zur Zeit der Veröffentlichung 
dieser Beobachtungen. 

Unter den vielen Symptomen der Bright’schen Nephritiden 
gibt es drei, welche sich durch ihre Wichtigkeit von allen anderen 
abbeben und, wenn sie ihr Intensitätsmaximum erreicht haben, 
diese furchtbaren Krisen erzeugen, welche in kurzer Zeit das 
Leben in Gefahr bringen. Diese Symptome sind die Oedeme, die 
Urämie und die Oligurie. Sie können zwar isoliert auftreten, 
aber meistenteils verbinden sie sich miteinander in der ver¬ 
schiedensten Art derartig, dass man die folgenden klinischen 
Typen aufstellen kann: Nephritiden mit Oederaen ohne Oligurie, 
Nephritiden mit Urämie ohne Oligurie, Nephritiden mit Oedemeu 
und Urämie ohne Oligurie, Nephritiden mit Oedemen und Oligurie, 
Nephritiden mit Urämie und Oligurie, Nephritiden mit Oedemen, 
Urämie und Oligurie. 

Es erschien mir von Interesse, die operative Sterblichkeit 
und die späteren Erfolge bei jedem dieser verschiedenen klinischen 
Typen festzustellen. Denn es können daraus nützliche Schlüsse 
hinsichtlich der Indikationen und Kontraindikationen des Eingriffes 
gezogen werden. 

Aus diesen Erhebungen geht hervor, dass die Sterblichkeit, 
welche auf die Operation folgt, aber nicht immer ihr zur Last 
zu legen ist. ihr Minimum bei den Kranken zeigt, welche an 
Oederaen allein leiden, dass sie um ein Drittel bei denen zu¬ 
nimmt, welche gleichzeitig Oedeme und Urämie haben, dass sie 
ungefähr um das Doppelte wächst in den Fällen mit alleiniger 
Urämie, mit Oedemen und gleichzeitiger Oligurie, bei Kombination 
von Oedemen, Urämie und Oligurie, und dass sie endlich ihr 
Maximum erreicht, wenn Urämie und Oligurie ohne Oedem sich 
vereinigen. 

So trübt die Urämie, wenn sie sich mit anderen Symptomen 
der akuten Krisen bei den Brightikern vereinigt, ganz besonders 
den Ausgang des Eingriffes. Sie trübt ihn im höchsten Grade, 
wenn sie mit Abnahme der Urinsekretion ohne Oedem ver¬ 
bunden ist. 


Das Geschenk, welches die seröse Infiltration des Zellgewebes 
in jeder Art besitzt, nämlich die Gefahr des chirurgischen Ein¬ 
griffes bei den akuten Krisen der chronischen Nephritiden zu ver¬ 
mindern, erklärt sich aus der Rolle, welche diese Infiltration in 
dem Schutz des Organismus gegen die organischen Gifte spielt, 
welche sie dem Blut entzieht, indem sie sie temporär aufspeichert. 
Bei den Kranken, welche von nephritischem Hydrops befallen 
sind, befinden sich die Gewebe, und besonders das Nervengewebe, 
welches nur einer leichten Intoxikation unterliegt, in weit besserer 
Lage, den organischen Erschütterungen zu widerstehen, welche 
jede Operation hervorruft, als dieses bei denjenigen Personen der 
Fall ist, deren anatomische Elemente mit den Harngiften durch¬ 
tränkt sind. 

Mit Rücksicht auf die späteren Resultate bei den ver¬ 
schiedenen klinischen Typen der Bright’schen Krankheit habe ich 
die analysierten Operationen in zwei Kategorien eingeteilt: die 
der Kranken, welche bis zu ihrem Tode verfolgt wurden, und die 
der Kranken, welche noch zur Zeit der Publikation ihrer Beob¬ 
achtung lebten. 

Die beiden folgenden Tabellen enthalten die aus dem Auszug 
der Beobachtungen gewonnenen Resultate. 

Aus der Tabelle 1 , welche die späteren Resultate und die 
Todesursache bei 24 in den akuten Krisen operierten Brightikern 
enthält, geht hervor, dass nach einer mehr oder weniger deut¬ 
lichen Besserung — ausgenommen 2, wo sie gleich 0 war (es 
handelte sich bei dem einen um die ödema»öse, bei dem anderen 
um die ödematöse Form in Verbindung mit Urämie)—, 12 Kranke 
später an Zufällen zugrunde gingen, welche zwar der chronischen 
Nephritis anhaften, jedoch nicht direkt von der Nierenläsion ab¬ 
hängig sind; 12 andere wurden durch Recidive der Zufälle renalen 
Ursprungs hingerafift. 

Die Analyse dieser letzten 12 Fälle gestattet, die Zeit fest¬ 
zustellen, welche die Kranken gelebt haben vor der Wiederkehr 
der Zufälle, um derentwillen der Chirurg den Eingriff gemacht 


hatte. 

Die mittlere Ueberlebensdauer betrug: 

bei 2 wegen Oedem Operierteu. 8^2 Mon. 

„ 2 „ Urämie Operierten.lö 1 ^ Mon. 

„ 2 „ Oedem und Urämie Operierteu . 4 Mon. 

„ 3 „ Oedem und Oligurie Operierten . 7 Mon. 10 Tage 

„ 1 „ Urämie und Oligurie Operierten . 9 Mon. 

„ 2 „ Urämie, Oedem und Oligurie Ope¬ 
rierten . 6 Mon. 


Vom Gesichtspunkt der Lebensdauer nach der Operation aus 
nimmt die klinische Urämie den ersten Rang ein, und zwar weit 
vor den anderen; darauf folgt die urämische und oligurische 


Tabelle 1. 

Spätere Resultate und Todesursache bei 24 Fällen operierter Bright’scher Krankheit. 


Oederaatöse Form 
4 Fälle 


Urämische Form 
5 Fälle 


XI CU 

ÜO 


Oederaatöse und 
urämische Form 
6 Fälle 

o | *2 fl I 


u 2 « 

<v cx, 

T3 — O 

— £ u 


Oederaatöse Form 
mit Oligurie 
3 Fälle 


o> u, 
X © 
© 

D 


Urämische Form 


mit Oligurie 

2 Fälle 

; -q i 
© o a 

— rt o © 

ru I c •- x 


<■£ a. 
— O 


x © 


mit Oligurie u. Oedem 
4 Fälle 


o 2 

© o> 

X Q, 

-20 


Erhebliche 

Besserung 


Besserung 


Leichte 

Besserung 

Keine 

Besserung 


l5Mon. Hirn- 
1 embolie 


2 1 4 Mon. 

13Mon. 
1 4 Mon. 


Reoidiv 
der Zufälle 
do. 

Akute 

Herzerwei- 

teiung 


4 9 Mon. Apoplexie 
IJahr Urämie 
| 1 Jahr Apoplexie 

7 »ton. } Uräraie 

1 j 31/2 M. ? 


9 Mon. Recidiv 
.der Zufälle! 


4 | 5 Mon. ! Erschöpfung] 
5 Mon. | Urämie 
7 Mon. ! Erschöpfung 

2 Jahre! Apoplexie 


1 | 3 Mon. 1 Urämie 


1 9 Mon. Recidiv 

der Zufälle! 


1 9 Mon. Urämie 


4 Mon. Recidiv 
der Zufälle! 


2 1 9 Mon 
2 Jahre] 
6 Mon. 


Hydrops 

Apoplexie 


4 | 6 
6 

6 
4 


Mon. 

Mon. 

Mon. 

Mon. 


Recidiv der 
Zufälle 
Lungentuber¬ 
kulose 
Urämie 
Pneumonie 


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UMIVERSITY OF IOWA 



















386 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 9. 


Tabelle 2. 

Spätere Resultate bei 66 Kranken, welche wegen Bright’scher Krankheit 
operiert wurden und die Operation überlebt haben. 



Oedematöse 1 
Form, | 

11 Falle 

Urämische Form [ 
12 Fülle 

Form von Oedem j 
mit Urämie 

17 Fälle 

Form von Oedem 1 
mit Oligurie 1 
10 Fülle | 

Form von Urämie 
mit Oligurie, 

9 Fälle 

Form von Urämie 
mit Oedem und , 
Oligurie, 7 Fälle ; 

Heilung 

0 Fall 

2 Fülle, i 

3 Fälle, 

j 1 Fall, 

2 Fülle, ! 0 Fall 

8 Fülle 


7 J., 3 J.[ 

8 J. 4 M., 

2 J.3M 

8 J., 4 J.i 



verfolgt j 

2 J., 4 M. 

! verfulgt 

i verfolgt 




verfolgt 

j 


Sehr grosse 

3 Fälle, 

2 Fülle, 

1 Fall, 

[ 3 Falle, 

2 Fülle, 0 Fall 

Besserung 

6M., 5M., 

2 J. 2 M.J 

jl J. 6 M 7M.. 4 M., 

1 6. J., 

11 Fülle 

einige 

1 J. 2 M. 

verfolgt 

? verfolgt 

11 J. 5 M. 


Monate 

verfolgt 


i 

1 verfolgt 


verfolgt 





Grosse 

3 Fälle, 

4 Fülle, 

6 Fülle, 

3 Fülle, 

3 Fülle. 4 Fülle, 

Besserung 

9 M., 8M., 

2 J. 2 M., 

1 J,9M.. 

2 J., ?, ? 

1 J., 6M., 1 J„ 9M, 

23 Fülle 

? M. ver¬ 

2 J., 1 J. 

8M.,6M.. 

verfolgt 

? verfolgt 8 M., ? 


folgt 

8 M, 1 J. 

3 M., ? 


i i verfolgt 



6 M. ver¬ 

verfolgt 


I 



folgt 


1 


Besserung 

3 Fälle, 

2 Fülle, 

3 Fülle, 

2 Fülle, 

■ 2 Falle, 3 Fülle, 

15 Fälle 

?,?, ? ver- 

? V ver¬ 

l J., 1 J., 

1 10 M., ? 

1 J. 4 M 3 M., V, ? 


folgt 

folgt 

8 M. ver¬ 

. verfolgt 

jv verfolgt | verfolgt 




folgt 



Leichte 

1 Fall, 

1 Fall, 

0 Fall 

1 1 Fall, 

! 0 Fall 0 Fall 

Besserung 

2 J. 3 M. 

einige 


i? verfolgt 

i i 

3 Fülle 

verfolgt 

Monate 


1 

1 1 



verfolgt 



i 

Keine 

1 Fall, 

1 Fall, 

4 Fülle, 

1 0 Fall 

' 0 Fall ! 0 Fall 

Besserung 

1 J 3 M 

? verfolgt 

1J..6M, 


1 

| | 

6 Fülle 

verfolgt 


5 M., ? 

i 

i 




verfolgt 

1 

1 



Form, die ödematöse Form, die ödematöse und oligurische Form 
und schliesslich die ödematöse und urämische Form. 

Man wird zweifellos finden, dass die späteren Resultate der 
in der-Tabelle 1 vereinigten Operationen mässig sind. Dagegen 
sind die späteren Resultate der in Tabelle 2 angegebenen 66 Ope¬ 
rierten, welche längere Zeit verfolgt wurden und noch zur Zeit 
der Veröffentlichung dieser Beobachtungen leben, weit ermutigen¬ 
der. Man sieht dort tatsächlich 8 Heilungen, 11 sehr erhebliche 
Besserungen, 28 erhebliche Besserungen, 15 Besserungen, 3 leichte 
Besserungen und 6 ohne Besserung verzeichnet. 

Dieselbe Tabelle zeigt die späteren Resultate je nach den 
verschiedenen klinischen Formen der Nephritis an. Bei ihrer 
Lektüre kann man sich Rechenscbft davon geben, dass diese Re¬ 
sultate deutlich dieselben bei allen klinischen Formen der chro¬ 
nischen Nephritis sind. 

Die Daten, welche man aus der Analyse der Beobachtungen 
ziehen kann, die ich gesammelt habe, um einen Beitrag zur 
Lösung der operativen Indikationen bei den verschiedenen klini¬ 
schen Formen der chronischen Nephritis zu liefern, sind sicher¬ 
lich sehr unbestimmter Natur. Ich hielt es jedoch für zweck¬ 
mässig, diese Analyse zu machen. Denn ich bin in der Tat der 
Ansicht, dass wir auf Grund der Erwägung der grossen Symptome 
der Bright’scheD Krankheit, der Ausbreitung der subcutanen 
Oedeme und ihres Uebergangs auf die inneren Organe, des Zu 
Standes der Harnsekretion hinsichtlich seiner Quantität und 
Qualität, mit einem Wort: auf Grund aller der Umstände, 
welche das Maass der Störung der Organe nnd Gewebe, und be¬ 
sonders des funktionellen Zustandes der Niere anzeigen, eines 
Tages dahin kommen werden, die Indikationen und Kontra¬ 
indikationen der operativen Behandlung der schweren Kompli¬ 
kationen der chronischen Nephritiden auf eine ebenso solide Basis 
zu stellen, wie es unsere chirurgischen Eingriffe sein können. 

Das Anasarka, wie ausgebreitet es auch sein mag, scheint 
mir keine Kontraindikation gegen die Operation abzugeben. 
Ebenso verhält es sich mit dem Ascites, und ich habe eine ziem¬ 
lich grosse Anzahl von Fällen gesammelt, bei welchen mehrere 
Paracentesen mehrere Wochen, ja selbst einen Abend vor der 
Operation gemacht worden waren, ohne dass das Resultat der¬ 
selben ungünstig davon beeinflusst worden wäre. Die Ergüsse in 
die Pleuren nnd das Pericardium haben eine ganz andere Be¬ 
deutung hinsichtlich der Operationsgefahr. Ich meinerseits hätte 


den Tod von zwei Operierten zu beklagen, bei welchen sieb ein 
Hydropericardium zu einem doppelseitigen Hydrothoraz hinzu¬ 
gesellt hatte, während ich andererseits so glücklich war, erfolg¬ 
reich die Nephrotomie der rechten Niere bei einem Manne aus¬ 
zuführen, welcher gleichzeitig einen Erguss in das Pericardiom 
und die beiden Pleuren hatte. 

Die verschiedenen symptomatischen Erscheinungon der Urämie 
können vielleicht eines Tages nützliche Daten für die Lösung des 
Problems der Indikationen und Kontraiudikationen bei den chro¬ 
nischen Nephritiden liefern; aber bei dem jetzigen Zustande 
unserer Kenntnisse von der so oft zu erforschen gesuchten Patho¬ 
genese dieser Komplikation der Brigbt’schen Krankheit ist es 
nicht möglich, sich darauf zu stützen. Neben Beobachtungen von 
Kranken, die tiefe cerebrale, cardiopulmonäre und gastrointesti¬ 
nale Störungen bei Urämie darboten und schnell nach der Ope¬ 
ration starben, habe ich andere gefunden, welche unter denselben 
klinischen Verhältnissen operiert wurden, die Operation überlebt 
haben und durch sie gebessert wurden. Mit Rücksicht auf die 
grosse Häufigkeit der Sehstörungen im Verlauf der Bright’schen 
Krankheit begreift man die hohe Bedeutung, welche sie für die 
Ausführung der Operation habeu können. In dieser Hinsicht ist 
es geboten, zu unterscheiden zwischen den rein funktionellen Seh-- 
Störungen, Abnahme der Sehschärfe, Diplopie, Hemiopie, Ambly¬ 
opie und Amaurose, als deren Ursache die Wirkung des urämi¬ 
schen Giftes auf die Nervencentren anzunehmen ist, und den 
anatomischen Störungen, welche auf eine Erkrankung der in der 
Papillarzone gelegenen Gefässe des Augenhintergrundes hinweisen. 
Erstere, temporär und veränderlich, haben, obwohl sie eine 
schwere Intoxikation anzeigen, keine prognostische Bedeutung; 
letztere, dauernd und fortschreitend, sind ein Zeichen dafür, dass 
der Skleroseprozess sich auf die kleinen Hirngefässe ausgedehnt 
hat und lassen in kurzer Zeit schwere Komplikationen seitens des 
Gehirns und anderer Organe befürchten. Die funktionellen Seh¬ 
störungen können auf Grund ihrer Genese eher als eine Indi¬ 
kation zur Operation angesehen werden; die anatomischen 
Störungen müssen uns, obwohl man nicht jeden Eingriff verwerfen 
soll, dennoch grosse Reserve über den unmittelbaren oder späteren 
Ausgang auferlegen. 

An die Seite der Kenntnisse, wie sie durch das Studium der 
blutreinigenden Funktion der Niere gewonnen werden, stellt sich 
als von gleichwertiger Bedeutung der Zustand des cardiovascu- 
lären Apparates, um die Frage der Zweckmässigkeit der Ope¬ 
ration zu entscheiden. Dieser Apparat muss mit Rücksicht auf 
den anatomischen Zustand des Herzmuskels und der Gefässe und 
ebenso auf den des Blutdrucks studiert werden. 

Die Myocarditis, besonders wenn sie von einer Herzdilatation 
begleitet wird, ist eine unbedingte Kontraindikation der Operation. 
Denn sie führt zum plötzlichen Tode im Verlauf der Operation, 
sei es durch die Anästhesie, sei es durch die Erschütterung des 
Organismus. Die Herzhypertropbie mit starkem Spitzenstoss und 
Galopprhytbmus, weit entfernt, den Eingriff zu verwerfen, muss 
im Gegenteil den Chirurgen antreiben, zu ihm seine Zuflucht zu 
nehmen. Tatsächlich haben die verschiedenen an der Niere aus¬ 
geführten Operationen, und besonders die Nephrotomien dadurch, 
dass sie den intrarenalen Druck herabsetzen, die Aufgabe, eine 
der pathogenetischen Ursachen der Hypertrophie zu beseitigen 
und das Organ zu seinem natürlichen Volumen zurückzuführen. 

Die atberomatöse Degeneration der grossen Gefässe hat für 
den chirurgischen Eingriff dieselbe prohibitive Bedeutung wie die 
Affektionen des Myocardiums. Was die Arteriosklerose der 
kleinen Arterien betrifft, so muss ihre Ausdehnung auf eine 
grosse Zahl von Organen und besonders auf das Nervensystem 
des Gehirns zu einer Verwerfung des chirurgischen Eingriffs 
führen. 

Das Sinken des Blutdrucks macht, wenn als Ursache des¬ 
selben anatomische Veränderungen des Herzens anzusehen sind, 
wie z. B. Degeneration der Muskelfasern, den Eingriff unnütz und 
gefährlich. Es verhielt sich vielleicht aber nicht ebenso mit 
der Blutdruckerniedrigung durch Asthenie, Insuffizienz des Herzens 
und der Gefässe, welche man ausnahmsweise bei der urämischen 
Intoxikation beobachten kann. Io solchem Falle ist eine Operation 
an den Nieren, wie an allen anderen Organen zwar schwierig; 
es würde aber, meiner Ansicht nach, nicht irrationell sein, sie zu 
versuchen; denn unter dem Einfluss der Entgiftung des Organismus 
ist der Gefä-sstonus imstande, sich zu heben. 

Die erhöhte Arterienspannung mit echter Herxhypertrophie 
ist von allen Symptomen seitens des cardiov'asculären Apparates 
dasjenige, welches am meisten zum chirurgischen Eingriff aus 


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3. Mär* 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


387 


den von mir bei der Herzbypertrophie entwickelten Gründen 
auffordert. 

Ausser dem Zustande des Herzens und der Gefässe muss 
der Zustand der Lunge vorwiegend den Chirurgen beschäftigen, 
wenn er einen Eingriff bei den chronischen Nephritiden vor¬ 
nehmen will. Wie bekannt, sind die Lungenaffektionen der 
Brigbtiker zweierlei Art: die einen hängen von der Intoxikation 
des Organismus ab, ohne irgendwelche materielle Störung des 
Respirationsapparates. Die anderen können gleichfalls das Re¬ 
sultat derselben Intoxikation sein, aber hierzu treten fast stets 
Herzzufälle, deren anatomisches Substrat das Oedem, die Kon¬ 
gestion, die Entzündung der Lunge und Bronchien bilden. 

Die Störungen der ersteren Art, charakterisiert durch Dyspnöe 
bei Anstrengungen, Anfälle von Asthma und Orthopnöe, Cbeynes- 
Stockes'sche Atmung geben, weit entfernt davon, eine tiefe In¬ 
toxikation des Organismus zu bilden, keine absolute Kontraiudi- 
kation gegen den chirurgischen Eingriff ab. 

Die Störungen der zweiten Art verraten sich durch 
Bronchorrhöe, albuminöse und sanguinolente Expektoration, feuchte, 
über die ganze Ansdehnung beider Lungen verbreitete Rassel¬ 
geräusche und scheinen mir jeden Eingriff zu verbieten. 

Während die Decapsulation in einer sehr grossen Anzahl 
von Fällen zur Behandlung der Zufälle bei der Bright’schen 
Krankheit zur Anwendung kam, wurde die Nephrotomie nur bei 
einer sehr kleinen Zahl von Fällen verwendet: 153 Decapsula- 
tionen gegen 11 Nephrotomien nach meinen Untersuchungen. Auf 
Grund dieser numerischen Ueberlegenheit der Decapsulation er¬ 
scheint es mir nicht möglich, die Wahl zwischen diesen beiden 
Eingriffen auf den Vergleich ihrer operativen Mortalität oder auf 
ihre therapeutischen Resultate zu stützen. Diese Wahl, scheint 
mir, müsse auf der pathologischen Physiologie dieser Operationen, 
d. h. den Faktoren der Pathogenese der Nierenzufälle bei der 
Bright’schen Krankheit basiert sein. 

Unter diesen Faktoren ist sicherlih der wichtigste die Zu¬ 
nahme der intrarenalen Spannung, eine Folge des anatomischen 
Prozesses jeder chronischen Nephritis. Diese erhöhte Nieren- 
Spannung bei den sogenannten parenchymatösen Nephritiden ist 
bedingt durch die Volumenzunahme der Niere auf dem Wege der 
aktiven Proliferation im Innern der undehnbaren Kapsel und bei 
den sogenannten interstitiellen Nephritiden durch die Retraktion 
der eigentlichen Kapsel and des Bindegewebes. So sind, wie 
beim Glaukom, nach dem Vergleich von Harrison, die Gefässe 
und Nerven der Niere stark komprimiert und ihre Circulation 
und Innervation überall stark herabgesetzt. Unter diesen Ver¬ 
hältnissen vermag zwar das Organ seine blutreinigende Wirkung 
aaszuüben, solange nichts hinzukommt, was die so prekäre 
Circulation verändert; sie versagt aber in ihrer Aufgabe beim ge¬ 
ringsten Zufall, der sie zu stören vermag. Auf diese Weise er¬ 
klären sich die plötzlichen Sehwellungen, welche unter dem Ein¬ 
fluss der Kälte oder irgendwelchen anderen Ursachen sich in einer 
Abnahme und Veränderung der Harnsekretion äussern, während 
gleichzeitig zuweilen foudroyante Anfälle von Urämie auftreten. 
Die Inzision des Nierenparenchyms ist die Operation, welche, wie 
mir scheint, am meisten geeignet ist, die Erdrosselung zu heben, 
die Circulation zu regulieren, die Innervation wiederherzustellen, 
desgleichen die Funktion der Epithelien, indem sie ihnen die 
Elemente ihrer Vitalität zuführt. 

Die Nephrotomie hat nicht nur diese Hauptwirkung, sie hat 
auch noch Nebenwirkungen, die sie auf die eigentliche Intoxi¬ 
kation der Nierengewebe, auf die Oedeme und Herzhypertrophie 
aus&bt. 

Zur Erklärung der Genese der schweren Krisen der Toxämie 
bei den Brightikern stellt Dieulafoy neben der ihre Funktionen 
hemmenden Nierenschwellung noch die These eines Spasmus der 
kleinen Gefässe des Organs oder auch die einer Intoxikation der 
sezernierenden Elemente durch ein urämisches Gift auf. Die 
breite Inzision des Organs erscheint mir als das beste Mittel, 
um den angenommenen Krampf zu lösen und das Parenchym von 
den Giften zu befreien, welche es imprägnieren. 

Aus einer gewissen Anzahl von Fällen, welche ich Gelegen¬ 
heit hatte, zu beobachten, und bei welchem das Anasarka auf der, 
der einzigen incidierten Niere entsprechenden Seite zu schwinden 
begann, am sogleich auf der anderen aufzutreten, glaube ich, 
schliessen zu können, dass die Wirkung der Nephrotomie an dem 
Schwinden der Oedeme nicht unbeteiligt ist. Diese Wirkung 
würde eine der zahlreichen Hypothesen bekräftigen, welche über 
die Pathogenese der Oedeme bei Brightikern aufgestellt wurden. 
Diese-Hypothese ist die von Potain, welcher die seröse In¬ 


filtration des Zellgewebes bei den Nierenkrankheiten auf eine 
Paralyse der Capillargefässe unter dem Einfluss eines Reflexes 
zurückführt, welcher, von diesen Organen ausgehend, mittels der 
vasomotorischen Nerven auf sie übertragen wird. Indem sie den 
Ausgangspunkt dieses Reflexes, welcher bei der Bright’schen 
Kraukheit in der intrarenalen Hypertension gelegen ist, unter¬ 
drückt, gestattet sie der peripheren Circulation, sich normal zu 
gestalten, und überall der serösen Infiltration, sich zu lösen. 

Die Herzhypertrophie kann auch von der Nephrotomie günstig 
beeinflusst werden. In der Tat, diese Hypertrophie, welche in 
einer grossen Zahl von Fällen die Folge der arteriellen Hyper¬ 
tension zu seio scheint, könnte nur dann die Tendenz haben, sich 
zu bessern und selbst sich zurückzubilden — vorausgesetzt, dass 
die Läsionen des Myocards noch besserungsfähig sind —, wenn 
die Spannung in den Nieren uud im peripheren Capillarnetz zur 
Norm zurückkehrt. . 

Die Decapsulation setzt zweifellos die intrarenale Spannung 
herab, indem sie eine Ausdehnung des Parenchyms gestattet, und 
mit dieser Wirkung verbindet sich die Abschwellung der Niere 
infolge der Knetungen, welchen sie während der Manöver, sie von 
dem benachbarten Geweben zu trennen und von ihrer Hülle zu 
befreien, ausgesetzt ist. 

Wie nützlich diese doppelte Wirkung der Capsulektomie auch 
sein mag, man wird mir, wie ich glaube, beipflichten, dass sie 
nicht allen Indikationen der Behandlung der Zufälle bei 
Brightikern genügt, und dass sie gegen die Nephrotomie zu¬ 
rücksteht. 

Die Anschauungen, welche ich soeben über die Wirkungs¬ 
weise der Niereninzision und der Exstirpation der Nierenkapsel 
zur Behandlung der Zufälle bei Bright’scber Krankheit geäussert 
habe, führen dahin, dass jede dieser Operationen ihre Indikationen 
bei der Verschiedenheit der klinischen Fälle finden kann. 

Bei wenig schweren Fällen wird man seine Zuflucht zu der 
Capsulektomie nehmen können, welche nur einen der Faktoren 
der Zufälle, nämlich die Spannung und Kongestion der Niere be¬ 
rücksichtigt. Wenn jedoch die urämische Intoxikation eine tiefe 
ist, wenn die subcutanen Oedeme und die der Organe intensiv 
sind, wenn nur ganz kleine Mengen Urin sezerniert werden und 
er nur wenig Ausscheidungsprodukte enthält, besonders wenn die 
Gefässspannung erhöht und das hypertrophische Herz sich zu 
diiatieren droht, dann, meine ich, wird man besser tun, die Nieren¬ 
inzision zu machen, welche aufs schnellste und vollkommenste 
die Druckentlastung und Abschwellung des Organs berbeiführt, 
die Ausscheidung der die anatomischen Elemente imprägnierenden 
Toxine erleichtert und durch die reichliche Blutenleerung, welche 
sie bewirkt, die gesteigerte Herz- und Gefässspannung her¬ 
absetzt. 

Will man den Patienten die problematischen Vorteile der 
Decapsulation zukommen lassen, um eine definitive Heilung der 
Nephritis zu bewirken, so wird man die Schwere der Inzisiou der 
Niere nicht verstärken, wenn man die Exzision ihrer Kapsel 
hinzufügt. 

d) Chronische Nephritiden, durch keine Zufälle 
kompliziert (Heilbehandlung). 

Kann der chirurgische Eingriff, welcher in der grössten An¬ 
zahl von Fällen, bei denen er zur Anwendung kam, so ermuti¬ 
gende Erfolge hinsichtlich des Schwindens der schweren und hart¬ 
näckigen symptomatischen Störungen der Bright’schen Krankheit 
zeitigte, noch mehr leisten? Ist es erlaubt zu hoffen, dass hier¬ 
durch der anatomische Prozess der chronischen Nephritiden ge¬ 
hemmt wird, ja dass er sich zurückbildet und dass mit einem 
Wort ihre Heilung erzielt wird? 

Ich kann keine persönlichen Beiträge zur Lösung dieser Frage 
liefern. Aber nach Kenntnisnahme einer grossen Anzahl von 
Fällen, bei welchen nicht nur die grossen Symptome der Bright- 
schen Krankheit verschwanden und die Gesundheit im allgemeinen 
vollkommen wiederkehrte, sondern auch die Harnsekretion nichts 
zu wünschen übrig Hess, Eiweiss und Zylinder selbst total ver¬ 
schwanden, erscheint es mir nicht möglich, der Decapsulation, 
zu welcher, von Edebohls empfohlenen, Operation die Chirurgen 
in den vorher bezeichneten Fällen ihre Zuflucht genommen haben, 
einen günstigen Einfluss auf den Verlauf der Nierenleiden abzu¬ 
sprechen. Ohne jedoch den Enthusiasmus Edebohls’ und seiner 
Landsleute hinsichtlich der chirurgischen Heilbehandlung der 
chronischen Nephritiden zu teilen, halte ich dafür, dass bei 
Kranken, welche zwar keine schweren Symptome darbieten, je¬ 
doch solche, welche sie in ihrem Erwerbs- und sozialen Leben 

2 * 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 9. 


behindern, der Chirurg durchaus in seinem Recht ist, einzagreifen, 
sobald die Hilfsmittel der innereu Medizin erschöpft sind. Es 
gibt eine Phase der Bright’schen Krankheit, welche meiner An¬ 
sicht nach ganz besonders zu einem Eingriff berechtigt. Das ist 
die Phase der Cachexie, welche sieb äussert in Blässe der äusseren 
Haut, leichter Gedunsenheit des Gesichts, flüchtigen Oedemen der 
unteren Gliedmaassen, grosser Schwäche, Atemlosigkeit bei ge¬ 
ringer Anstrengung, Hypoglobulie usw., alles dieses mit einer 
sehr kleinen Menge Eiweiss, oft mit wenigen Zylindern, aber mit 
einer ständigen, obwohl wenig ausgesprochenen Abnahme des 
Harnstoffs und der Harnsalze. 

Die Idee, die chronischen Nephritiden chirurgisch zu heilen, 
ist Edebohls von der Vorstellung eingegeben worden, welche er 
sich von der Rolle der eigenen Nierenkapsel machte. Nach ihm 
isoliert diese Kapsel das Organ, welches sie bekleidet, vollständig 
von dem Fettzellgewebslager, in das es eingesenkt ist, derartig, 
dass es normalerweise keine Gefässverbindung gibt und eine 
solche zwischen ihm und dem Nierenparenchym nicht zu sehen 
ist. Wenn man jedoch die eigene Kapsel beseitigt, dann ent¬ 
wickeln sich in den narbigen Verwachsungen neue Gefässe, welche 
in das Parenchym eindringen und sich dort verzweigen. Diese 
durch die Dekapsulation bei den chronischen Nephritiden erzeugte 


Arterialisierung begünstigt die Resorption der entzündlichen Inter¬ 
stitiellen und interlobulären Produkte und Exsudate, befreit die 
Kanälchen und die Glomeruli von der arteriellen Kompression 
und gestattet die Wiederherstellung der Circulation in ihrem 
Innern. Die Folge davon ist die Regeneration eines Epithels, 
welches imstande ist, die sekretorische Funktion sicherzustellen. 
Die zahlreichen Versuche, welche fast in allen Ländern unter¬ 
nommen wurden, um die Existenz der von Edebohls nach seiner 
Operation gefundenen Gefässanastomosen festzustellen, wider¬ 
sprechen einander. Nimmt man an, dass diese Anastomosen sich 
bilden, so erscheint es mir schwierig, die Deutung des ameri¬ 
kanischen Chirurgen betreffs der Rückbildung der interstitiellen 
Sklerose und der degenerativen Veränderungen der Epithelien, 
welche deren Folge ist, zu verstehen. Meiner Ansicht nach kann 
man ganz anders und weit logischer die Art verstehen, in welcher 
die Decapsulation und die nachfolgende Vascularisation des 
Parenchyms wirken. Während die Druckentlastung der Niere 
und ihre komplementäre Arterialisierung ohne Einfluss auf die 
schon schwer veränderten Glomerulus«ymptome bleiben, gestatten 
sie den noch ungesebädigten Gebieten, eine kompensatorische 
Hypertrophie einzugehen und sie durch den reichlichen Blutzufluss 
vor allen späteren Störungen zu schützen. 


Aus der Universitäts-Frauenklinik der Königl. Charite 
(Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Karl Franz). 

Ueber die Schädigung der Niere bei der 
Eklampsie. 1 ) 

Von 

Dr. A. Zinsser. 

M. H.l Der Zusammenhang zwischen Eklampsie und Nieren¬ 
schädigung hat im Lanf der Jahre bei vielfacher Bearbeitung die 
verschiedenste Deutung erfahren. Wenn man wohl auch allgemein 
den Standpunkt verlassen hat, der Eklampsie und Urämie identi¬ 
fizieren wollte, so ist man doch immer noch geneigt, die Nieren¬ 
schädigung Eklamptischer als mehr wie ein rein sekundäres Sym¬ 
ptom aufzufassen, und der Vorschlag der Decapsulation hat noch 
in nicht allzu ferner Zeit gezeigt, dass noch immer die Neigung 
besteht, die Eklampsie von der Niere aus zu beurteilen und zu 
behandeln. 

Dass das Studium der Eklampsieniere einmal die Lösung des 
Eklampsieproblems bringen wird, ist nicht anzunebmen. Hier 
dürfte uns vielleicht die serologische Forschung in der nächsten 
Zeit Neues bringen. Insbesondere knüpfen wir manche Erwartung 
an die optische Methode Abderbalden’s, deren erste Anwendung 
auf geburtshilfliche Fragen wir in einer Arbeit von R. Freund, 
Abderhalden und Pincussohn (1) finden. 

Solange wir aber noch, wie beute, bei der Eklampsie vor 
lauter ungelösten Fragen stehen, verdient das Studium eines 
jeden Symptoms unsere volle Aufmerksamkeit. Von diesem Ge¬ 
sichtspunkt aus, sowie besonders im praktischen klinischen Inter¬ 
esse, müssen wir uns mit der Niere als dem am augenfälligsten 
geschädigten und unserer Untersuchung am zugänglichsten Organ 
beschäftigen. 

Ich möchte im Rahmen des heutigen Vortrags im wesent¬ 
lichen zwei Fragen erörtern: 

1. Geht der Grad der Nierenschädigung der Schwere 
der eklamptischen Erkrankung parallel? Und 

2. Kann die Schädigung der Niere das Krankheits- 
bild ausschlaggebend beeinflussen? 

Die erste Frage, ob Grad und Schwere der eklamptischen 
Erkrankung Hand in Hand gehen, läuft im wesentlichen darauf 
hinaus, ob wir in der Beobachtung der Nierentätigkeit ein 
brauchbares Prognosticum besitzen. Ich habe sie in einer anderen 
Arbeit (2) ausführlicher erörtert und möchte hier nur darüber 
rekapitulieren. 

Während wir früher den Grad der Erkrankung einer Niere 
nur nach Albuminurie, Sedimentbild und Diurese beurteilen 
konnten, stehen uns heute, seit der Ausarbeitung der Funktions¬ 
prüfungen, eine Reibe feinerer Methoden zur Verfügung. Leider 
kommen davon die meisten für die Eklampsie nicht in Betracht, da 


1) Vorgetragen in der Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie 
zu Berlin. 


ihre Ausführung Zeit erfordert und sich bei einer so schnell und 
stürmisch verlaufenden Erkrankung verbietet. 

Es bleiben uns nach wie vor für die Eklamptische die Kon¬ 
trolle der Albuminurie, der Ausfuhr des Wassers und der festen 
Harnbestandteile und eventuell die Untersuchung des Blutes auf 
Retentionserscheinungen. 

Der alte Satz, dass mit steigender Diurese die Prognose einer 
Eklampsie sich bessere, und umgekehrt, mag für eine grosse 
Reihe von Fällen stimmen. Dass er aber durchaus keine allge¬ 
meine Gültigkeit hat, konnte Zangemeister (3) an einer grossen 
Reihe von Fällen zeigen und einer unserer Doktoranden (4) 
bestätigen. Der Ueberblick über ein grosses Material wird stets 
vier Gruppen von Fällen unterscheiden lassen. 

Im allgemeinen besteht während der Dauer der eklam¬ 
ptischen Anfälle Oligurie, die mit Aufhören der eklam¬ 
ptischen Symptome von einer Harnflut abgelöst wird. Da¬ 
neben sehen wir aber einmal Fälle, bei denen die Oligurie 
erst geraume Zeit nach Auftreten der Krämpfe einsetzt, 
und andererseits ist das Aufhören der Krämpfe durch¬ 
aus nicht and das Auftreten einer Harnflut gebunden. 
Im Gegenteil, wir sehen bei einer ganzen Anzahl von Fällen 
Oligurie und auch vorübergehende Anurie die eklam¬ 
ptischen Symptome überdauern. Schliesslich kommen 
Eklampsien mit zahlreichen Anfällen vor, ohne dass 
überhaupt eine wesentliche Oligurie beobachtet wird. 

Die Kontrolle der Diurese gewinnt etwas an prognostischer 
Bedeutung, wenn man gleichzeitig das spezifische Gewicht 
beobachtet. Im allgemeinen hat die Eklampsieniere die Fähig¬ 
keit, bei sinkender Wasserausscheidung die Konzentration der 
Harnsalze kompensatorisch zu steigern, so dass wir meist ent¬ 
sprechend dem Sinken der Diurese ein Ansteigen des spezifischen 
Gewichts beobachten. Gehen Wasserausscheidung und 
spezifisches Gewicht gleichzeitig herunter, so trübt 
dies die Prognose. 

Bezüglich der Albuminurie hat ebenfalls Zange¬ 
meister (5) gezeigt, dass ihr eine Bedeutung für die Beurteilung 
eines Eklampsiefalles nicht zukommt. Fälle mit hochgradiger 
Eiweissausscheidung können prompt genesen, während tödlich 
verlaufende Erkrankungen mit nur geringer oder gar ohne Albu¬ 
minurie beobachtet worden sind. 

Es bleibt die Kontrolle der Harnsalze. Für die stickstoff¬ 
haltigen Körper kam Zangemeister (6) in seiner ausführ¬ 
lichen Arbeit zu dem Ergebnis, dass ihre Verfolgung uns 
prognostische Anhaltspunkte in sicherer Weise auch nicht 
geben kann. 

Ich selbst habe mich, einer Anregung meines Lehrers nnd 
Freundes Franz Volhard-Mannheim folgend, eingehender mit 
dem Verhalten der Chloride befasst. Sie schienen mir mehr, 
als dies bisher geschehen war, Aufmerksamkeit zu verdienen, da 
die meisten Eklampsien das klinische Bild einer bydropiseben 
Nephrose, charakterisiert durch die als Oedem sichtbare 
Retention von Wasser und Kochsalz, bieten. 

Wie ich anderenorts (7) ausgeführt habe, kommt der Re- 


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3. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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tentioo der Chloride ebensowenig wie der der Stickstoffkörper 
eine ätiologische Bedeutung zu. Dagegen fand ich im Verlauf 
meiner Untersuchungen, dass uns die Verfolgung der Kochsalz¬ 
aasfuhr bei den Eklampsien, die mit Oedemen einhergehen, ein 
wenigstens einigermaassen zuverlässiges Prognosticum geben kann. 

Sinkt bei einer ödematösen Eklamptischen nach 
der Entbindung der Kochsalztiter des Urins plötzlich 
und dauernd auf Bruchteile der Norm (unter 0.1) ab, so 
trübt dies die Prognose wesentlich, während ein 
dauernd mittlerer Kochsalztiter auch bei klinisch 
schwerstem Krankheitsbild eine gute Prognose stellen 
lässt. 

Es scheint, dass die Niere auf gewisse Gifte und auch auf 
das supponierte Eklampsiegift am spezifischsten mit ihrem Ver¬ 
mögen, Kochsalz auszuscheiden, reagiert, und dass eine schwere, 
meist irreparable Organschädigung zuerst durch das Sinken des 
Kocbsalztiters angezeigt wird. 

Das ideale Verfahren zur Beurteilung der Schwere eines 
Eklampsiefalles ist aber auch die Bestimmung des Kochsalztiters 
nicht, da der Kocbsalzsturz erst auftritt, wenn die Schädigung 
des Organismus einen gewissen Grad erreicht hat. Einer in 
unsere Behandlung tretenden Eklampsie anzusehen, ob sie im 
weiteren Verlauf diesen Grad erreichen wird oder nicht, dazu 
sind wir bis jetzt mit keiner klinischen Untersucbungsmethode 
imstande. Es ist dies ein Punkt, auf den heute, in der Zeit des 
Streites um den Wert verschiedener Behandlungsmethoden, nicht 
genug hingewiesen werden kann, Solange wir keine derartige 
Methode besitzen, sind wir bei der Beurteilung jeder therapeuti¬ 
schen Maassnahme nach wie vor lediglich auf die Statistik trotz 
aller ihr anhaftenden Mängel angewiesen. 

Man kann mit der Kochsalzmethode auch nicht die Fälle 
herauslesen, die als leichte ohne jede Therapie gesund werden, 
and wenn man eine Behandlungsmethode dadurch erproben wollte, 
dass man sie erst in Anwendung brächte, nachdem die Kochsalz¬ 
bestimmung den Fall als schwer hat erscheinen lassen, so wird 
man bei ungünstigem Ausgang mit Recht einwenden können, dass 
es dann für jede Therapie zu spät gewesen sei. 

Der Wert der Kochsalzbestimmung liegt darin, dass sie uns 
für eine ganze Reihe von Fällen sicherer wie alle anderen 
klinischen Momente über den jeweiligen Stand der Erkrankung 
urteilen lässt. 

Ich komme nun zu der zweiten Frage: Kann die Schädi¬ 
gung der Niere das Krankheitsbild ausschlaggebend 
beeinflussen? Sie ist von grosser praktischer Bedeutung in¬ 
sofern, als sich aus ihr die weitere Frage ergibt: Können wir 
durch therapeutische Berücksichtigung der Niere auf 
den Verlauf einer Eklampsie einwirken? 

Theoretisch möglich wäre dies in zweifacher Beziehung. 
Einmal könnte einer Eklamptischen eine sekundäre Urämie ge¬ 
fährlich werden, und zweitens wäre es a priori nicht aus- 
zuschliessen, dass die Elimination des hypothetischen Eklampsie¬ 
giftes durch die Schädigung der Niere hintenangehalten würde. 

Die Furcht vor einer sekundären Urämie hat uns in früherer 
Zeit die Hauptaufgabe der Therapie in einer Förderung der 
Diurese sehen und als Extrem noch in jüngster Zeit die Decapsu- 
lation der Niere vorschlagen und ausführen lassen. 

Ueberlegen wir uns zunächst, wie eine solche sekundäre 
Urämie zustande kommen könnte. Zangemeister hat in der 
citierten Arbeit nachgewiesen, dass die Eklampsieniere Stick¬ 
stoffkörper relativ gut auszusebeiden vermag. Trotzdem 
findet wohl meist eine Retention von N-Körpern statt, da bei 
länger dauernder Oligurie die Kompensation durch eine Steigerung 
de9 spezifischen Gewichts keine vollständige ist. Die Retention 
dauert aber so kurze Zeit und erreicht infolgedessen 
nie so hohe Werte, als dass wir N-urämische Zustände 
als Begleitsymptom der Eklampsie zu befürchten 
hätten. 

Dem entspricht auch, dass die Kryoskopie des Blutes eine 
erhebliche oder konstante Erniedrigung des Gefrierpunktes nicht 
ergeben hat. Zangemeister hat auch den Reststickstoff bei 
Eklamptischen nicht wesentlich erhöht gefunden. 

Ausserdem pflegen aber auch die urämischen Zustände, die 
sich aus einer für Stickstoff insuffizienten Niere ergeben, ein von 
der Eklampsie vollkommen verschiedenes Krankheitsbild zu zeitigen. 

Die Formen der Urämie, die der Eklampsie klinisch am 
nächsten stehen, die Krampf- oder eklamptisebe Urämie der 
Inneren, pflegt vielmehr im Verlauf derjenigen Nephrosen auf¬ 


zutreten, bei denen eine Insuffizienz der Niere für Koch¬ 
salz und Wasser (Oedera) im Vordergrund der funktio¬ 
nellen Störung steht. Als ihr Paradigma kann die Schar- 
lachniere gelten. Sie geht einher mit akutem Sinken des 
Kochsalztiters, starker Herabsetzung der Wasserausscbeidung, 
Oedemen und schliesslich Krämpfen, die die Inneren als die Folge 
eines Gehirnödems anzusprechen geneigt sind. 

Ihr steht klinisch die Eklampsieniere am nächsten. Auch 
bei ihr steht im Vordergrund die Retention von Wasser und 
Kochsalz in der Form des Oedems, und wenn man bei 
beiden Krämpfe beobachtet, so könnte man geneigt sein, auch 
die Krämpfe der echten Eklampsie mit dem Oedem in ätiologischen 
Zusammenhang zu bringen. 

Dem widerspricht aber, dass die echte Eklampsie^mit’ihren 
Krämpfen auch ohne voraufgehende Nierenschädigung und Oedem 
auftreten kann. Ausserdem konnte ich zeigen, dass bei Eklampsien 
ohne sichtbares Oedem auch im Stoffwechsel versuch eine Retention 
von Kochsalz sich nicht nachweisen lässt. 

Immerhin mag in dieser Frage das letzte Wort noch nicht 
gesprochen sein. Es ist nicht auszuschHessen, dass in den Fällen 
von Eklampsie, die sich aus einer Schwangerschaftsnepbrose mit 
starkem Oedem entwickeln, das Gehirnödem als krampferregender 
Faktor bis zu einem gewissen Grad beteiligt ist. 

Allein selbst wenn diese Möglichkeit für vereinzelte Fälle 
vorliegen sollte, so ist es für sie sicher rationeller, 'weniger die 
Niere wie das Oedem selbst therapeutisch anzugeben. Zange¬ 
meister (8) bat, von dieser Voraussetzung ausgehend, die Trepa¬ 
nation in Vorschlag gebracht. Im Effekt gleich und weniger 
eingreifend ist die Lumbalpunktion, deren Erfolge bei der 
Scharlachniere zuweilen erstaunliche sind. Für eine kleine Zahl 
Eklamptischer wird sie vielleicht ebenfalls Erfolge bringen. Wir 
müssen versuchen, diese durch klinische Beobachtung herauslesen 
zu lernen. 

Für die grosse Mehrzahl der echten Eklampsien halte ich 
aber auch die Lumbalpunktion für zwecklos. Sie wird ebenso¬ 
wenig nützen wie die einseitige Behandlung der Niere von der 
einfachsten diaphoretischen Maassnahme bis zur Dekapsulation. 
Die Schädigung der Niere ist eben nur eine Episode im Drama der 
Eklampsie, und wenn sie eine so weitgehende wird, dass der Orga¬ 
nismus ihr allein erliegen würde, so sind auch in anderen Organen 
(Leber!) die Zerstörungsprozesse so weit vorgeschritten, dass 
von der Niere allein aus nichts mehr zu retten ist. Wenn 
es überhaupt eine Therapie gibt, so bat sie einzusetzen, ehe es 
zu so weitgehenden Zerstörungen kommt. 

Eine therapeutische Berücksichtigung der Niere kann aber 
auch vom Gesichtspunkt der Elimination des hypothe¬ 
tischen Giftes aus abgelehnt werden. Wenn, wie wir eingangs 
gesehen haben, bei manchen Eklampsien die Krämpfe früher er¬ 
setzen wie die Nierenscbädigung, und wenn bei einer nicht 
geringen Anzahl von Fällen die Krämpfe schon vor dem Ein¬ 
setzen der Harnflut sistieren, so erhellt daraus ohne weiteres, 
dass die Eklampsie weder durch die renale Retention eines 
Giftes entstehen, noch durch dessen Ausscheidung durch den 
Urin geheilt werden kann. 

Ich hätte diese letzte Frage als längst in negativem Sinn 
entschieden nur gestreift, wenn nicht in allerletzter Zeit von 
Ruppert Franz (9) und Esch (10) wieder über das Vorkommen 
eines spezifischen Giftkörpers im Harn Eklamptischer berichtet 
worden wäre. Esch betont allerdings ebenfalls, dass mit Rück¬ 
sicht auf die eben angeführten Gründe das Gift als Eklampsie¬ 
erreger nicht in Betracht kommen könne. 

Die grosse Bedeutung der Befunde liegt darin, dass, sollten 
sie sich an grösserem Material bestätigen, sie uns die Aussicht 
eröffnen, wir könnten vielleicht doch noch auf dem Weg über 
die Niere zu einem Prognosticum und zu einer exakten klinischen 
Kontrolle unserer Therapie gelangen. 

Meine eigenen dahin gebenden Versuche sind leider bisher 
von wenig ermutigendem Erfolg gewesen. Ich möchte mich aber 
darüber nicht bindend äussern, ehe die Vorfrage, wieviel die Aus¬ 
scheidung dieses Giftkörpers ihrerseits wieder durch die Nieren¬ 
störung beinflusst wird, gelöst ist. Entsprechende Versuche sind 
im Gange, und ich hoffe, später einmal weiter darüber berichten 
zu können. 


Literatur. 

1. Abderhalden, Freund und Pincussohn, Prakt. Ergebnisse d. 
Geburtsh. u. Gynäkol., Bd. 2. — 2. Zinsser, Zeitschr. f. Geburtsh. u. 
Gynäkol., Bd. 70, S. 201. — 3. Zangemeister, Zeitsohr. f. gynäkol. 

3 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 9. 


Urologie, Bd. 2. — 4. Katzenstein, Inaug.-Diss., Kiel 1911. — 5. und 

6. Zangemeister, Zeitschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., Bd. 50, S. 385. — 

7. Zinsser, 1. o. uud Verhandl. d. Deutschen Gesellsch. f. Gynäkol., 
Bd. 14, S. 706. — 8. Zangemeister, Deutsche med. Wocbenschr., 
1911, S. 1879, und Festschrift, Marburg 1911. — 9. R. Franz, Archiv 
f. Gynäkol., Bd. 96, H. 2, und Münchener med. Wocbenschr., 1912, 
Nr. 31.— 10. Esch, Archiv f. Gynäkol., Bd. 98, Nr. 2, und Münchener 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 2. 


Aus der Königl. Chirurg. Universitätsklinik zu Breslau 
(Direktor: Geh. Rat Prof. Dr. H. Köttner). 

Beitrag zur Statistik der Magenresektion. 

(Auf Grund von 157 in den letzten b l j 2 Jahren ausge- 
führteu Resektionen.) 

Von 

Dr. 8. Weil, Assistenzarzt der Klinik. 

Trotz aller Krebsheilmittel ist zur Zeit die operative radikale 
Entfernung immer noch die einzige Therapie, die beim Magen- 
carcinom eine Heilungsmöglichkeit gibt. Immer noch stehen viele 
Interne und manche Chirurgen der radikalen chirurgischen Be¬ 
handlung des Magencarcinoms und den Dauererfolgen der Resek¬ 
tion recht skeptisch gegenüber, während andere einen nicht un¬ 
beträchtlichen Prozentsatz von Heilungen konstatieren. Diese 
Differenz der Meinungen kann nur durch grössere Statistiken ge¬ 
klärt werden. 

In den letzten & l J 2 Jahren wurden an der Küttner’schen 
Klinik über 900 Patienten mit Magenleiden behandelt und rund 
800 Operationen am Magen uud wegen Magenleidens ausgeführt. 
157 dieser Operationen waren Magenresektionen. Aus der Be¬ 
trachtung scheiden 8 dieser Resektionen aus, da es sich um 
atypische Eingriffe handelte, 4 mal um Cardiaresektionen, 2 mal 
um Magenduodenumresektionen wegen Ulcus duodeni, 1 mal um 
die Exstirpation eines Carcinoms, das von der Gallenblase auf 
den Magen übergegriffen hatte, und 1 mal um eine Resektion 
wegen Säureverätzung des Magens. 

Es bleiben für die Besprechung also 149 Fälle typischer 
Magenresektionen. 14 dieser Fälle wurden wegen gutartigen 
Magenleidens, wegen Ulcus callosum ausgeführt, wobei die 
einfachen Ulcusexcisionen nicht berücksichtigt sind. Es sei 
hier sofort bemerkt, dass die Ulcera callosa nur deshalb zur Re¬ 
sektion kamen, weil es sich weder durch die Untersuchung vor 
der Operation noch durch den Befund während der Operation mit 
Sicherheit entscheiden liess, ob das vorliegende Leiden gutartiger 
oder bösartiger Natur sei. Es muss immer wieder von neuem 
betont werden: in einer grossen Anzahl dieser Fälle sind 
wir nicht imstande, eine Entscheidung zu treffen. Auch 
unter den Patienten mit Magenresektion wegen Carcinoms finden 
sich 5 Patienten, bei denen es noch während der Operation als 
das Wahrscheinlichste erschien, dass es sich um ein gutartiges 
Magenleiden bandle. Um sicher zu geben und da wir uns eine 
Entscheidung nicht zutrauten, haben wir reseziert. Die histo¬ 
logische Untersuchung ergab zu unserer Ueberraschung, dass doch 
ein Carcinom vorlag. Wir lassen demnach in dieser Hinsicht 
weitgehende Vorsicht walten, und trotzdem ist uns einmal ein 
bedauerlicher Irrtum unterlaufen. Bei einem Patienten mit einer 
Verhärtung vor dem Pylorus meinten wir ganz sicher sagen zu 
können, dass es sich um ein einfaches Ulcus bandeln müsse. Wir 
haben nicht die technisch relativ leicht ausführbare Resektion 
gemacht, sondern uns mit der Gastroenterostomie begnügt, ent¬ 
fernten aber eine scheinbar chronisch-entzündlich veränderte Drüse 
zur histologischen Untersuchung. Diese ergab ein Carcinom. 
Jetzt schlugen wir natürlich dem Patienten eine zweite, radikale 
Operation vor, konnten ihn aber nicht mehr zu diesem Eingriff 
veranlassen. Einige Zeit später sahen wir ihn wieder mit aus¬ 
gedehnten Metastasen. 

Von den 14 Patienten mit Ulcusresektion sind infolge der 
Operation 3 gestorben, einer an Pneumonie, ein zweiter an Lungen¬ 
gangrän und ein dritter an Blutung aus einem weiteren Magen- 
ulcus, ein Beweis, dass vor diesem UDglücksfall auch die Resek¬ 
tion nicht immer schützt. 

Von den 135 Patienten mit Magencarcinom, dib mit Resektion 
behandelt worden, waren fast 2 / 3 Männer, nur J / 3 Frauem 

Ueber 50pCt. der Patienten waren< noch nicht 50 Jahre alt, drei 
Kranke noch nicht 30 Jahre. 


Nach der Dauer der Erkrankung konnte man versuchen, zwei 
Gruppen aufzustelleD, eine grössere, bei der das Leiden erst kurze Zeit, 
Monate oder 1 bis höchstens 2 Jahre zurückliegt, während früher der 
Magen immer gesund gewesen war, und eine zweite Gruppe, etwa 25pCt. 
der Resezierten, die schon jahre- oder jahrzehntelang magenkrank ge¬ 
wesen waren, Patienten, bei denen wir vermuten, dass sich der Krebs 
auf Grund einer alten Anacidität oder eines alten Magenulcus ent¬ 
wickelt hat. 

In dem allergrössten Teil der Fälle waren Magen sch merzen vor¬ 
ausgegangen, nur in etwa lOpCt. hat sich das Leiden schmerzlos ent¬ 
wickelt. Erbrechen fehlt in der Anamnese nur in 20pCt. der Fälle, 
Abmagerung bestand fast stets, und meist betrug sie 10—30 Pfund, 
einmal 60 Pfund, ln ganz wenig Fällen äusserte sich das Leiden nur 
in Müdigkeit und Abmagerung, während eigentliche Magenbe¬ 
schwerden fehlten. 

In 4 /5 der resezierten Fälle ergab der Untersuchungsbefund 
einen Tumor oder doch wenigstens eine sichere Resistenz in den 
oberen Teilen des Bauches, so dass bei etwa 80 pCt. der Fälle 
die Diagnose bereüs vor der Operation zweifellos war. Nur in 
Vs der Fälle machte die Erkennung Schwierigkeiten. Relativ 
häufig musste man auf Grand der jahrelang dauernden Magen¬ 
erscheinungen und wegen höherer Salzsäuremengen ein Magen¬ 
geschwür bzw. eine Ulcusstenose annebmen, während doch ein 
Krebs vorlag. Häufig entschied Verschlimmerung in der letzten 
Zeit und ausgesprochene Kachexie für Carcinom. Nur in ganz 
wenigen Fällen, 4—5 mal, deckte eine diagnostische Laparo¬ 
tomie, wegen unklarer Beschwerden ausgeführt, ein resezierbares 
Carcinom auf. 

Energisch muss immer wieder der weit verbreiteten Ansicht 
widersprochen werden, dass bei fühlbarem Tumor die Radi¬ 
kaloperation eines Magencarcinoms unmöglich sei; im 
Gegenteil, die leicht fühlbaren Pylorustumoren geben die beste 
Möglichkeit der Resektion. Aber auch die gegenteilige, ebenfalls 
zuweilen geäusserte Ansicht, dass nur bei fühlbarem and leicht 
verschieblichem Tumor eine Radikaloperation ausführbar sei, ist 
nicht zutreffend. Auch bei undeutlichen Resistenzen, die gewöhn¬ 
lich von Tumoren der kleinen Kurvatur hervorgerufen werden, 
haben wir in zahlreichen Fällen die Resektion vollziehen können. 
Schmieden hat neuerdings in seiner Arbeit über die Röntgen¬ 
diagnose von Magenulcus und Magencarcinom versucht, gewisse 
Fälle von Carcinom von der Probelaparotomie auszuschalten, 
nämlich solche, bei denen 1. eine Gastroenterostomie nicht indi¬ 
ziert ist und bei denen 2. das Röntgenbild zeigt, dass das Car¬ 
cinom sich hoch an der kleinen Curvatur hinauf erstreckt. Wir 
können uns bisher noch nicht entschHessen, auf Gmnd des Radio¬ 
gramms allein die einzige Möglichkeit der Lebensrettung un¬ 
versucht zu lassen, und überzeugen uns durch Probelaparotomie 
von der Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Radikaloperation. 
Eine Frühdiagnose des Magencarcinoms durch das Röntgenbild 
haben wir noch nicht gesehen. Bei fortgeschrittenen, auch sonst 
leicht diaguostizierbaien Magenkrebsen gibt allerdings die Röntgen¬ 
untersuchung sehr charakteristische Bilder. 

Die Operation wurde von uns fast stets in der Weise aus- 
gefübrt, wie sie Geheimrat Küttner 1 ) bereits geschildert hat Im 
allgemeinen sind wir Anhänger der Methode Billrotb’s II, die 
wir mit dem Graser’schen Instrumentarium vornehmen. Ich halte 
es für bedeutungsvoll, das9 die Operation möglichst stets in 
gleicher Weise und typisch vollzogen wird, weil nur dann Ope¬ 
rateure und Assistenten in der idealen Weise Zusammenarbeiten, 
welche bei einem Wechsel der Methoden nicht möglich ist. Ich 
glaube, dass dadurch die Operationsdauer erheblich abgekürzt 
wird; wir haben in einigen besonders günstig liegenden Fällen 
nur 45—50 Minuten für den ganzen Eingriff nötig gehabt. 

In der letzten Zeit haben wir allerdings einige Male, um auch 
dieses Verfahren kennen zu lernen, die Schoemaker’sche Modifikation 
der Methode Billroth I ausgeführt. Ein Patient starb dabei an Naht¬ 
insuffizienz an der gefürchteten Kreuzungsstelle von Magen- und Duo¬ 
denumnaht. Die beiden anderen machten eine glatte Genesung durch. 
Da keine Magenklemme angelegt wird, so kommt man an der kleinen 
Curvatur sehr hoch hinauf. Wir möchten das Sohoemaker’sche Ver¬ 
fahren für die Fälle, die an der kleinen Curvatur eine besonders weit¬ 
gehende Krebsentwicklung zeigen, empfehlen. 

Die Kocher’sche Methode haben wir nicht verwandt. Gewöhnlich 
sind unsere Resektionen so gross, das9 die Spannung, unter der die 
Magenduodenumnabt stehen würde, auch hei weitgehender Duodenum¬ 
ablösung zu stark würde. 

Die neueren Methoden von Reichel und Wilms, Einpflanzung 
des Jejunums in den Magenstumpf, halten wir für keinen wesent¬ 
lichen Fortschritt, und die ; in der letztep Zeit empfohlenen Methoden 

; • ^ . t- 

1) Therapie d. Gegenwart, Januar 1911, S. 1. 


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3. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


391 


zur Sicherung des Duodenalstumpfes bestehen insgesamt in einer 
möglichst starken Einstülpung und Ueberdeckung des Duodenums mit 
Bauchfell, wie wir sie hier schon stets mit der allergrössten Sorgfalt 
geübt haben. Das von Faykiss wieder empfohlene Verfahren, das 
Pankreas über den Duodenalstumpf zu nähen, haben wir in Notfällen 
bei mangelnder geeigneter Bedeckung ebenfalls von jeher ausgeübt. Auf 
Grund zweier Fälle von consecutiver Fettgewebsnekrose hüten wir uns 
aber davor, die Nähte tief durch die Pankreassubstanz selbst hindurch¬ 
zuführen. Neuerdings hat Kelling wieder dafür plädiert, eine Eutero- 
aoastomose zwischen zu- und abführender Schlinge am Jejunum anzu- 
briogen, in der Voraussetzung, dass die gefürchtete Insuffizienz am 
Duodenalstumpf durch eine Ueberfüllung der zuführenden Schlinge hervor¬ 
gerufen werde. Bei unseren Fällen von Insuffizienz des Duodenal¬ 
stumpfes ist fast stets in der Krankengeschichte notiert, dass die Ver¬ 
sorgung des Duodenums grosse Schwierigkeiten gemacht hat, so dass wir 
eher mangelhafte Uebernähung des Stumpfes als Ursache der Komplikation 
ansehen möchten. 


dass 12 verschiedene Operateure an diesen Operationen beteiligt 
waren. Die Todesursache war 1 mal Hirnembolie, 2 mal Operations- 
shock, 1 mal Enteritis acutissima, 1 mal „Cacbexie 14 bei einem 
Patienten, der nicht zur Sektion kam, 8 mal mussten Lungen¬ 
komplikationen als Todesursache angesehen werden, und 18 mal 
eitrige Prozesse im Leib. 

Gewöhnlich ist die Todesursache nicht eine einfache, einheit¬ 
liche. Häufig finden sich Lungenerkrankungen mit Peritoueal- 
eiterungen kombiniert. Nicht weniger als 22 mal bei 29 Sezierten 
fanden sich Eiterungen oder Reste von Eiterungen in der Bauch¬ 
höhle, d. h. in 75 pCt. der sezierten Fälle. Wir glauben, dass 
teilweise die Lungenerscheinungen Folge dieser entzündlichen Vor¬ 
gänge im Leibe sind; denn nur 5 der Patienten, die an Lungen¬ 
erkrankung gestorben sind, wiesen eine einwandfreie Bauch¬ 
höhle auf. 


Unsere Magenresektionen waren zum grössten Teil schwierige 
Operationen, nur in einem Drittel der Fälle ist vermerkt, dass 
der Eingriff sich relativ leicht und einfach vollziehen liess. Die 
Schwierigkeiten bestanden darin, dass in etwa 20 pCt. der 
resezierten Fälle der Tumor auf Leber und Pankreas Übergriff, 
in 3 / 4 der Fälle ist ausgedehntere Lymphdrüsen metastasierung 
erwähnt, so dass ausser der gewöhnlichen typischen Ausräumung 
der Lymphdrüsen auch noch grössere Pakete unter schwierigen 
Verhältnissen entfernt werden mussten. 

Eine Resektion ist als fast totale Magenexstirpation 
zu bezeichnen. Der Patient überstand den Eingriff, bekam aber 
eine Magenfistel, die eine Jejunumfistel zur Ernährung möglich 
machte. 

Fünfmal musste gleichzeitig mit dem Magen das von der 
Neubildung ergriffene Colon reseziert werden. Drei Patienten 
erlagen diesem sehr grossen Eingriff. Ein Patient lebt jetzt, 
1 Jahr nach der Operation, noch gesund, eine zweite Patientin 
war über 2 Jahre lang gesund und arbeitsfähig, bekam aber dann 
doch noch ein Recidiv, das zu Choledochuskompression und Icterus 
führte. 

In 3 Fällen sind wir, weil die Patienten eine Resektion nicht 
ausgehalten hätten, zweizeitig vorgegangen und machten in der 
ersten Sitzung nur die Gastroenterostomie. Ein Patient ist danach 
seit 4 Jahren geheilt, ln einem zweiten Fall ist das Resultat 
bis jetzt ebenfalls günstig, während wir in einem dritten Fall 
3 Wochen nach der ersten Operation ganz unerwartete Schwierig¬ 
keiten fanden, weil in der Zwischenzit der Tumor sich ausser¬ 
ordentlich vergrössert hatte. 

Es wird dieses Verfahren von einigen Seiten als Normal- 
verfahren empfohlen; dem können wir uns jedoch auf Grund 
dieses Falles und wegen der Tatsache, dass ein zweiter Eingriff 
nach guter Erholung infolge der Gastroenterostomie leicht ab¬ 
gelehnt wird, nicht anschliessen. Bei einem weiteren Patienten, 
einem hochgradig anämischen Manne, trat nach der Gastroentero¬ 
stomie eine so geringe Erholung ein, dass wir überhaupt von dem 
geplanten zweiten Eingriff absehen mussten. 

In etwa 50pCt. der Fälle sass dsr Tumor am Pylorus und in 
der Regio praepylorica, 80 pCt. der Fälle betrafen die kleine Cur- 
vatur, der Rest sass an der grossen Gurvatur, an der Vorder- oder Hinter¬ 
wand des Magens. 

Die histologische Untersuchung ergab in 
32 pCt. Carcinoma tubuläre 


22 

» 

» 

simplex 

12 

» 

n 

medulläre 

8 

ff 

n 

alveolare 

2 

» 


papillare 

16 

» 


gelatinosum 

8 

» 


scirrhus. 


Es sei schon hier bemerkt, dass der histologische Charakter des 
Tumors uns Schlüsse in prognostischer Hinsicht nicht ziehen lässt. 

Der postoperative Verlauf bei den Fällen, die zur Heilung 
kamen, wird 75 mal als glatt und ungestört geschildert; kompli¬ 
ziert war er 6 mal durch stärkere Magenatouie und lange fort¬ 
gesetztes Erbrechen, 4 mal durch grössere Bauchdeckenabscesse, 
3 mal durch Duodenal- und Kotfisteln, 1 mal bildete sich eine 
Magenfistel, 1 mal eine Ascitesfistel aus, 2 mal liess sich die 
Temperatursteigerang auf Duodenalabscesse, die allmählich zurück¬ 
gingen, zurückführen, 2 mal erlebten wir eine postoperative Venen¬ 
thrombose und ebenso oft eine postoperative Parotitis. Schwere 
Lungenkomplikationen fanden sich 8 mal in den geheilten Fällen. 

Von den 135 Patienten mit Resektion wegen Carcinom sind 
31, also ca. 22‘pCt., dem Eingriff erlegen. Diese Zahl ist 
als relativ günstig zu betrachten, besonders wenn man erwägt, 


Die 22 Eiterungen der Bauchhöhle setzen sich folgender- 
maassen zusammen: 14 mal fand sich eine freie Peritonitis, die 5 mal 
trotz einer möglichst sorgfältigen Nahttechnik sicher durch Nahtinsuffi¬ 
zienz bedingt war; 1 mal war sie Folge einer Colongangräu, 2 mal war 
es zweifelhaft, ob die Eiterung auf Nahtinsuffizienz an der Anastomose 
zwischen Magen und Darm zurückzuführen war, während in 6 weiteren 
Fällen die Nähte zweifellos gehalten hatten, so dass diese Peritonitiden 
als operativ entstanden anzusehen sind. In den Krankengeschichten 
sind in diesen Fällen besonders langdauernde Eingriffe und Ausfliessen 
von Mageninhalt notiert. Zweimal, bei partieller Resektion des Pankreas, 
fand sich die Peritonitis kombiniert mit ausgedehnten Fettnekrosen in 
der Bauchhöhle. Achtmal bestand eine umschriebene Eiterung in der 
Bauchhöhle, 6 mal spielte sich diese Eiterung in der Umgebung des 
Duodenalstumpfes ab, war also vermutlich von diesem ausgegangen. In 
2 Fällen war allerdings dieser Stumpfabscess bereits fast völlig zur Aus¬ 
heilung gekommen. 


Lungenerscheinungen fanden sich beider Sektion 18 mal, 
bei völlig normaler Bauchhöhle, wie oben schon gesagt, nur 5 mal. 
Sechsmal handelte es sich um Lungengangrän, 5 mal um Pneu¬ 
monie, 5 mal um eitrige Pleuritis, 2 mal um eitrige Bronchitis. 
Bemerkt sei hier, dass wir stets in minimaler Aethernarkose 
operieren, die nur für die Durchtrennnng und Wiedervereinigung 
der Bauchdecken vertieft wird. 

Die Dauerresultate unserer Magenresektionen sind 
kurz zusammengefasst folgende: Die 11 Patienten mit Ulcus- 
resektion, die den Eingriff überstanden, leben sämtlich noch, 
und alle fühlen sich vollkommen wohl. Das Allgemeinbefinden 
und die Tätigkeit des Verdanungstractus wird also durch eine 
Resektion des Magens nicht im mindesten beinträchtigt. Von 
den 104 Patienten mit Resektion wegen Carcinomen, die 
die Klinik verliessen, leben jetzt noch 40 (von 6 hatten wir keine 
Nachricht). 

Von den im Jahre 1907 Operierten lebt keiner 


1908 

1909 

1910 

1911 


leben 4 


5, darunter 1 mit 

Recidiv 

5, darunter 2 mit 

Recidiv 

13, darunter 3 mit 

Recidiv 


n n n . ii 1912 „ „ 13. 

Länger als 3 Jahre geheilt und recidivfrei sind 8 Patienten, 
d. h. von den 74 Resezierten, deren Operation mehr als 3 Jahre 
zurückliegt, sind etwa lOpCt. durch die Operation geheilt 
worden. 16 pCt. dieser Operierten haben den Eingriff 
um mehr als 3 Jahre überlebt, indem mindestens 4 weitere 
Patienten erst nach Ablauf dieser Frist ein Recidiv bekamen. 

Von der Gesamtzahl der Kranken, die 1907, 1908 
and 1909 mit Magencarcinom in Behandlung der Klinik 
kamen, konnten nur 2—3 pCt. von ihrem Leiden dauernd 
geheilt werden. 

Diese an sieb höchst unerfreulichen Resultate werden etwas 
weniger nnbefriedigend, wenn man bedenkt 

1. dass die Resektion des Magens als Palliativoperation den 
Znstand der Patienten für längere Zeit recht günstig be¬ 
einflusst, viel besser als die Gastroenterostomie, 

2. dass jeder einzelne geheilte Fall als absoluter Gewinn an- 
znsehen ist, und dass 

3. bei der ausserordentlichen Häufigkeit des Magenkrebses (im 
Deutschen Reiche sterben jährlich über 15 000 Menschen an 
diesem Leiden) auch dieser geringe Heiiungsprozentsatz nicht 
ganz za unterschätzen ist. 

Wenn wir nnsere Zahlen mit denen vergleichen, die Makkas 
früher aus der Breslauer Klinik veröffentlicht bat, so ergibt sich 

" 3* 1 


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m 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 9. 


1. die operative Mortalität bat abgenommen, 

2. die Zahl der Dauerheilungen ist etwa die gleiche geblieben 
wie früher and 

3. die Zahl der Patienten mit Magencarcinom, bei denen eine 
Radikaloperation möglich war, ist im Verhältnis cur Ge¬ 
samtzahl der Magenkrebskrankeo trotz weitgehender In- 
dikationsstellungen nicht gestiegen, sondern eher zurück¬ 
gegangen. 

Fortschritte auf diesem Gebiete sind nur dann zu erwarten, 
wenn viel häufiger als bisher das Magencarcinom im frühesten 
Stadium dem Operateur zugefübrt wird. 


Demonstration der Wirkung der Venenstauung 
auf die Pulskurven Herzkranker. 

Von 

Dr. C. S. Engel-Berlin. 

(Nach einem am 22. Januar 1918 in der Berliner medizinischen Gesell¬ 
schaft gehaltenen Vortrage.) 

In allen Fällen, in denen das Herz, sei es infolge von Endo- 
card-, sei es von Myocard- oder Pericarderkrankungen, verhindert 
ist, die nötige Blutmenge in das Gefässsystem hineinzuwerfen, 
muss eine Rückstauung des Blutes nach den Venen die Folge 
sein. Die Herabsetzung der Druckdifferenz zwischen dem arteriellen 
und dem venösen Blutstrom ist eine der schwersten Folgen dieses 
Zustandes. Wegen der Schwäche seiner Muskulatur muss von 
den Herzhöhlen der rechte Vorhof unter dieser venösen Druck¬ 
erhöhung am meisten in Mitleidenschaft gezogen werden, und 
doch liegen gerade in der Wand des rechten Vorhofs die für die 
regelmässige Herztätigkeit in erster Linie verantwortlichen Ueber- 
reste des primitiven Herzschlauchs, der Sinoaurikulär- und der 
Tawara’sche Atrioventrikularknoten. 

Um dieser Stauung im rechten und linken Herzen entgegen¬ 
zutreten, sind verschiedene Vorschläge gemacht worden. Am 
radikalsten geht v. Tabora vor. Er entnimmt dem Kranken 
300—500 ccm Blut mittelst Aderlasses. Nach den bisherigen 
Erfahrungen wird durch die Blutentnahme die Dehnung der 
rechten Herzwand geringer und die erforderliche Druckdifferenz 
zwischen dem arteriellen und dem venösen Kreislauf durch eine 
Kräftigung der Kammersystole zeitweise wiederhergestellt. 

Es braucht nicht erst darauf hingewiesen zu werden, dass 
eine derartige Blutentziebung nicht bei jedem angebracht ist und 
sich nicht zu einer laufenden Behandlung eignet. 

Geeigneter hierfür ist die Kuhn’scbe Lungensaugmaske und die 
Bruns’sche Unterdruckatmung. Bei beiden Behandlungsmethoden 
wird Blut in die Lungen hineingesogen und das vom gestauten 
Blute gefüllte Herz etwas entlastet. Doch abgesehen davon, dass 
einzelne Herzkrankheiten, wie die Mitralinsuffizienz — bei der 
das Blut an und für sich schon in den linken Vorhof zurück¬ 
strömt —, dadurch nicht günstig beeinflusst werden, gibt es viele 
Herzkranke mit Atemnot, welche diese Verstärkung des Luft¬ 
hungers zu therapeutischen Zwecken nicht vertragen. 

Ein anderes, äusserst einfaches und, wie ich mich in zahl¬ 
reichen Fällen überzeugen konnte, sehr wirksames Mittel, dem 
blutüberladenen Herzen Ruhe zu verschaffen, ist die zuerst von 
Tornai und von Lilienstein empfohlene Stauung des Blutes 
in den Venen der Extremitäten. Tornai staut mittelst finger¬ 
dicker elastischer Gummischläuche so weit, dass er den Radialis- 
puls noch fühlt, 20 bis 30 Minuten lang. Lilienstein benutzt 
zur Stauung zwei bis drei Recklinghausen’sche Manschetten, 
welche mittelst Schläuche mit einem Gummigebläse und zur 
Registrierung des Druckes mit einem v. Basch’schen Sphygmo¬ 
manometer verbunden sind. Mit diesem als Pblebostat — 
Demonstration — bezeichneten Apparat staut er die Venen bis 
zum Verschwinden des Radialispulses — 120 — 180 mm Hg —, 
entfernt nach 2—3 Minuten vorsichtig mittelst einer Schlauch¬ 
klemme die Luft find wiederholt die Manipulation vier- bis 
fünfmal. 

Für meine Beobachtungs- und Bebandlungsversuche benutzte 
ich gewöhnlich ebenfalls den Phlebostaten mit zwei grösseren 
Manschetten zur Kompression der Venen oberhalb der Kniee und 
einer dritten zum Verschliessen der Venen eines Oberarms, 
während ich den andern Arm zur sphygmographischen Auf¬ 
zeichnung des Radialispulses vor und nach der Venenstauung be¬ 
nutzte. Ich staue jedoch "den Oberarm nur bis 60—80. mm Hg 


und die Oberschenkelvenen nur bis ca. 100 mm Hg, so dass in 
die Extremitäten Blut durch die Arterien einströmen kann, während 
es durch die Venen nicht abgeleitet wird. Auf diese Weise ent¬ 
steht in den Armen und in den Beinen ein Blutreservoir, durch 
welches das Herz mit jedem Herzschlage entlastet wird. Nach 
2—4 Minuten wird dann langsam und vorsichtig die Luft aus 
den Gummimanschetten herausgelassen. Doch kann man die 
Abbindung der Venen auch einfach mittelst Tücher oder Binden 
vornehmen, wobei mau darauf zu achten bat, dass die Arterien 
pulsierend bleiben. 

Von fast allen gestauten Personen wurden von mir sphygmo- 
graphische Radialis- und, wenn möglich, auch Jugularispulskurven 
aufgenommen, uud zwar sowohl vor als auch während als auch 
kürzere und längere Zeit nach der Stauung. Selbstverständlich 
wurden die schreibenden Stellen während eines Versuchs nicht 
gewechselt, um Vergleiche anstellen zu können. 

Es kann nicht meine Absicht sein, die zu demonstrierenden 
Kurven einer genauen sphygmographischen Analyse zu unter¬ 
ziehen.' Hier kommt es nur darauf an zu zeigen, dass, wie 
gleich vorweggenommen werden soll, die Venenstauung nicht nur 
in subjektiver Hinsicht, im Hinblick auf Atemnot, Herzklopfen, 
Cyanose, Leberstauung, Völle im Abdomen häufig von sehr 
günstiger Wirkung ist. An der Hand einiger Kurven soll gezeigt 
werden, dass die durch die sphygmograpbische Kurve fixierten 
Blutdruckschwankungen durch die Stauung zuweilen erheblich 
beeinflusst werden, so dass man auch aus der Kurve auf eine 
Beruhigung des Herzens und Besserung der Circulation schliessen 
kann. 

Vorerst soll mit wenigen Worten auf die Bedeutung der 
einzelnen Kurvenabschnitte eingegangen werden. 

Bekanntlich hat die sphygmographiscbe Arterienkurve (z. B. 
Kurve 12) einen aufsteigenden, anakroten, und einen absteigenden, 
katakroten Schenkel. Der erstere hat nur selten wellige Erhebungen, 
der letztere fast stets. Der Gipfel der Kurve ist normalerweise 
spitz; auf dem absteigenden Schenkel beobachtet man beim Ge¬ 
sunden gewöhnlich etwa in der Mitte eine stärkere und ober- und 
unterhalb derselben kleinere Wellenerhebungen. Die grössere der¬ 
selben wird als dikrote Welle, die kleineren (Kurve 4) als 
Elastizitätselevationen bezeichnet. Die dikrote Welle, welche von 
Landois Rückstosselevation genannt worden ist, und die durch 
Anprallen der Blutsäule an die geschlossenen Semilunarklappen 
entstehen soll, steht mit den Elastizitätsschwankungen, die den 
Schwankungen des elastischen Arterienrohrs ihren Ursprung ver¬ 
danken, in der Weise in Beziehung, dass im grossen und ganzen 
bei starker Pulsspannung die dikrote Welle klein, die Elastizitäts¬ 
elevation gross ist, bei wenig gespanntem Puls die dikrote Welle 
gross und die Elastizitätsschwankungen klein sind. Die stark aus¬ 
geprägte Rückstosselevation spricht also für eine schwache 
Spannung der Arterienwand, vorausgesetzt dass die Herzkraft zur 
Hervorbringung einer genügend starken Blutwelle ausreicht. 
Ferner unterscheidet man einen dikroten, unterdikroten und über- 
dikroten Puls, je nachdem die dikrote Welle mit der Hauptwelle 
den gleichen Fusspunkt hat bzw. auf dem absteigenden oder auf 
dem aufsteigenden Schenkel liegt. Wichtig auch für unsere 
Kurven ist, dass selbst nach den Untersuchungen von v. Frey 
und Krehl, welche die Erhebungen auf dem katakroten Kurven¬ 
schenkel etwas anders als Landois erklären, aus einer Kurve 
mit breiter, plateauförmiger Spitze (Kurve 3 und 4) und hoch¬ 
stehendem Elastizitätsausschlag, wie man sie bei Arteriosklerose 
bei Nierenschrumpfung und auch bei Bleikolik findet, auf einen 
hohen Blutdruck geschlossen werden darf, während Tiefstehen 
der Aortensenkung (Kurve 2) nach Mackenzie einen niederen 
Blutdruck erkennen lässt, der besonders bei fieberhaften Krank¬ 
heiten prognostische Schlüsse erlaubt. 

Ein Eingehen auf die Bedeutung der Zacken des Venen¬ 
pulses liegt nicht im Rahmen unserer kurzen Demonstration. 
(Demonstration.) 

Es sollen zuerst zwei Kurven (Kurve 1 and 2) eines länger be¬ 
obachteten Kranken mit starkem systolischen Geräusch über der 
Herzspitze und schwerer Anämie infolge starker Blutungen vor und 
nach der Stauung gezeigt werden. Vor der Stauung (Kurve 1) zeigt 
die Radialiskurve an ihrem Gipfel eine spitze Zacke, welche durch 
das Schleudern des Hebels infolge stossweiser Kontraktion des 
Herzens hervorgerufen wird. Die stark ausgeprägte dikrote Welle 
weist anf eine schwache Spannung der Arterien wand hin. Wenige 
Minuten nach der Stauung ist von den Schleuderzacken der 
Kurvenspitze nichts mehr IQ sehen, die erbeblich niedrigere 
Kur re (Kurve 2 ) • zeigt eine normale Spitze und eine bedeutende 


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3. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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PÜj 1 


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Stauung (Kurve 6) trat eine erhebliche Verstärkung der dikroten 
Welle ein, was auf einen günstigen Stand der Blutdruck¬ 
verhältnisse zu ach Hessen gestattete. 

Weniger Erläuterungen erfordert die folgende Kurve (Kurve 7 
und 8) eines 80 jährigen Mannes mit Mitralstenose und Extra¬ 
systolen. Während die obere einen gespannten Puls anzeigende 
Kurve (Kurve 7) vor der Stauung unter 18 Herzkontraktionen 
4 Extrasystolen erkennen lässt, ist die untere Kurve (Kurve 8) 
unmittelbar nach der Stauung völlig frei davon. Dieselben traten 
jedoch nach einiger Zeit wieder auf. 


Verkleinerung der dikroten Welle. Es hat also eine erhebliche 
Beruhigung des Herzens stattgefunden. Der gut ausgebildete 
Jugularispuls zeigt in beiden Kurven wenig Verschiedenheit von¬ 
einander. 

ln dem folgenden Falle handelt es sich um einen 70 jährigen 
Mann mit leichten Erscheinungen der Coronarsklerose; Blutdruck 
170 mm Hg. Die Kurve vor der Stauung (Kurve 3) zeigt eine 




plateauartige Spitze, jedoch mit nicht sehr erhöhter Aortensenknng 
und mässiger Dikrotie. Elastizitätsschwankungen sind fast nicht 
vorhanden. Während und nach der Stauung (Kurve 4) lässt die 


Kurve eine lebhaftere Herztätigkeit erkennen, die Aortensenkung 
vertieft sich, während die Zahl der Elastizitätselevationen nach 
der Stauung erheblich zunimmt. Es liegt also im grossen und 
ganzen das Bild einer kräftigen Herzarbeit bei hohem Arterien¬ 
druck vor. 

In einem gewissen Gegensatz zu der letzten Kurve steht die¬ 
jenige eines jungen Mannes mit Pneumonie (Kurve 5 und 6). 
Die Pulswellen sind vor der Stauung (Kurve 5) ziemlich niedrig 



und zeigen nur eine Andeutung von Dikrotie, keine Elastizitäts- 
Schwankungen. Gerade bei fieberhaften Krankheiten ist die | 
Stellung der dikroten Welle, da sie auf den Blutdruck 
während der Diastole hinweist, nach Mackenzie besonders 
wichtig, weil ihr Fehlen oder ihr Schleifen am Fusse der Kurve 
nach ihm von ominöser Bedeutung ist und für ein asthenisches 
Fieber spricht. Da sich in unserer Kurve die dikrote Welle 
nicht am Boden, sondern etwa in der Mitte des absteigenden 
Schenkels befindet, liegt kein asthenisches Fieber vor. Nach der 


Kurve 11. 




\ZV\J^\(VIW^ a/WWWWWW' wwvjwwwwwwww 


Kurve*<12. 




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Original from 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 9. 


Zuletzt sollen noch die interessanten Kurven (Kurve 9—12) 
eines Kranken mit Aorteninsuffizienz demonstriert werden, die in 
einer und derselben Sitzung während der länger hingezogenen 
Stauung einen ganz verschiedenen Charakter zeigten. Wie die erste 
Kurve (Kurve 9) erkennen lässt, hat der Kranke vor der Stauung 
den bekannten Pulsus celer der Aorteninsuffizienz. Die Kurve zeigt 
ausserdem das ganz charakteristische Bild des öberdikroten Pulses, 
der dadurch zustande kommt, dass die folgende Herzkontraktion 
schon da ist, bevor noch die dikrote Welle den Fuss der Kurve 
erreicht hat. Ein Yenenpuls ist nicht vorhanden. Auf der 
zweiten Hälfte dieses Blattes ist statt der V. jugularis, die nicht 
pulsiert, die A. carotis aufgenommen worden. 2 Minuten nach 
der Stauung beruhigt sich das Herz soweit, dass der uberdikrote' 
Puls in den dikroten übergegangen ist (Kurve 10). Nach 5 Minuten 
(Kurve 11) erreicht der absteigende Schenkel der systolischen 
Hauptwelle den Fuss der Kurve nicht mehr, wodurch ein unter- 
dikroter Puls resultiert. Nach 8 Minuten erniedrigt sich die 
lange spitze Welle, die scharfe Spitze ist in eine mehr abgerundete 
übergegangen, und der absteigende Schenkel zeigt mit der klein 
gewordenen dikroten Welle ein fast normales Aussehen. Nachdem 
die Pulskurve die folgenden Minuten hindurch diese fast normale 
Form gezeigt bat, tritt allmählich nach im ganzen 15 Minuten 
(Kurve 12) über dem Bulbus jugularis, der bisher nur den Carotis¬ 
puls hatte erkennen lassen, ein Venenpuls auf. Offenbar hatte 
die vor der Stauung lebhaft schlagende Carotis auch noch in den 
ersten Minuten nach der Stauung eine Venenpulskurve nicht auf- 
kommen lassen, die nach Beruhigung des Herzens und weniger 
lebhaftem Schlagen der Arterien, speziell der Carotis, zur Auf¬ 
zeichnung kommen konnte. Aehnliche Veränderungen durch 
Venenstauung Hessen sich in vielen anderen Fällen nachweisen. 

Zum Schluss stelle ich einen Kranken mit starkem diastoli¬ 
schen Geräusch an der Spitze vor, das unter der Stauung zum 
grossen Teil verschwindet und einem diastolischen Ton Platz 
macht. Bei den anderen anwesenden Herzkranken beobachtet man 
nach der Stauung eine erhebliche Beruhigung des Spitzenstosses. 


Die Elektrocoagulation bei der chirurgischen 
Behandlung des Krebses, speziell des Gebär¬ 
mutterkrebses. 1 ) 

Von 

Dr. Abel. 

Schon vor einer grossen Reihe von Jahren hat Winter- 
Königsberg darauf hingewiesen, dass ein Teil der Scheidenrecidive 
nach Operation des Gebärmutterkrebses als Impfrecidiv aufgefasst 
werden müssten. Wenn trotz der daraufhin geübten Vorsichts¬ 
maassregeln diese Recidive immer wieder auftreten, die sich vor 
allem als Narbenrecidive kennzeichnen, und die Sie ebensogut 
nach Uteruskrebsoperationen wie nach Mammacarcinomoperationen 
und Operationen an anderen Organen beobachten können, so gibt 
es nur zwei Erklärungen dafür: entweder ist die oben aus¬ 
gesprochene Ansicht falsch, oder die Mittel, die wir bisher an¬ 
gewendet haben, um diese Recidive zu verhüten, waren nicht 
ausreichend. Ich glaube auch, dass nicht nur die Scheiden¬ 
recidive, sondern auch ein Teil der Metastasen in den Drüsen 
und in entfernteren Organen sehr leicht dadurch entstehen können, 
dass wir bei der Operation Blut- und Ly mph bahnen eröffnen, in 
welche Krebspartikel verschleppt werden. Man bat doch gar 
nicht selten den Eindruck, dass ein verhältnismässig kleines 
Mammacarcinom, welches die Patientin vielleicht schon eine 
ganze Zeitlang mit sich herumgetragen hat, erst nach der 
Operation rapide zu wuchern anfängt und schnell zum Tode führt. 
Und wenn wir heute an die Operation eines Carcinoms heran- 
gehen, so wissen wir, dass es sich trotz ausgedehntester radikaler 
Operation immer um ein Va-banque-Spiel handelt und wir nie 
eine Recidivfreiheit garantieren können. 

Solange wir daher kein internes Mittel besitzen, welches 
elektiv die Krebszellen vernichtet, muss unser Bestreben dahin 
gehen, unsere Operationsmethoden so weit zu vervollkommnen, 
um nach Möglichkeit Recidiven vorzubeugen. Denn bis jetzt 
bietet immer noch die rechtzeitig ausgeführte Operation des in 
den Anfangsstadien diagnostizierten Krebses die beste Chance auf 


1) Vortrag, gehalten in der Berliner medizinischen Gesellschaft am 
29. Januar 1913. 


Heilung. Virchow’s Anschauung, dass der Krebs in seinen 
Anfangsstadien eine lokale Erkrankung ist, besteht immer noch 
zu Recht. Dafür sprechen die operativen Dauerheilungen. Ist 
der Gedanke richtig, dass die zum Teil schlechten operativen 
Resultate dadurch veranlasst werden, dass bei der Operation 
eine Dissemination von Krebskeimen stattfindet, so müssen wir 
uns fragen, ob es kein Mittel gibt, dies zu verhüten. Wenn wir 
imstande sind, das carcinomatös erkrankte Gewebe vollständig 
zu vernichten, bevor wir es aus dem Körper entfernen, so dass 
wir also nur an einem vollkommen abgetöteten Gewebe operieren, 
dann haben wir die Hoffnung, wenigstens die Recidive zu ver¬ 
meiden, die durch eine Verbreitung von Krebskeimen während 
der Operation entstehen. 

Eine solche vollkommene Vernichtung des Gewebes können 
wir durch Anwendung der elektrischen Coagulation mittels Hoch¬ 
frequenzströmen erreichen, wie wir sie in der Diathermie besitzen. 
Es ist das Verdienst von Nagelschmidt und Zeynek, im 
Jahre 1907 als erste auf die klinische Bedeutung der Diathermie 
aufmerksam gemacht zu haben, und zwar beide unabhängig von¬ 
einander. Nagelschmidt hat dann weiter in unausgesetzter 
Arbeit in Wort und Schrift diese Methonde ausgebildet und in 
einem Vortrage auf der Naturforscherversammlung in Königsberg 
im Jahre 1910 die klinische Bedeutung der Diathermie von 
neuem hervorgehoben. Trotzdem hat die Methode, wie es mir 
scheinen will, noch nicht diejenige Beachtung gefunden, die ihr 
entsprechend ihrer Bedeutung zukommt. Sie ist ausser von 
Czerny-Heidelberg, seinen Schülern im Samariter-Krankenhause 
und von Doyen-Paris nur wenig angewendet worden. Der 
Grund hierfür ist mir nicht recht ersichtlich. Vielleicht lag es 
daran, dass das Instrumentarium noch nicht ganz auf der Höhe 
war. Nagelschmidt benutzte ein nach seinen Angaben von 
Siemens & Halske zusammengestelltes Instrumentarium, mit welchem 
er sehr zufrieden ist, während Czerny und ich das Instrumen¬ 
tarium von Reiniger, Gebbert & Schall haben, das ebenfalls ganz 
einwandfrei ist und eine ausserordentlich exakte Dosierung er¬ 
möglicht. 

Damit Sie sich selbst von den ganz kolassalen Wirkungen 
dieser Methode überzeugen können, habe ich das Instrumentarium, 
das ich benutze, hier aufgestellt. Von der einfachen Erwärmung 
der einzelnen Körperteile zwischen zwei grossen Elektroden kann 
man, je mehr man die Grösse der Elektroden herabsetzt, je 
kleiner also die Elektroden sind, immer mehr Hitze hervorrufen, 
so dass es schliesslich zur Coagulation des ganzen Gewebes kommt 
Die letztere Methode, die sogenannte Elektrocoagulation, benutzen 
wir für unsere chirurgischen Maassnahmen. Ich will es Ihnen 
hier ganz kurz zeigen. (Zeichnung.) 

Wenn Sie annebmen, dass hier ein Stück Fleisch ist, unten 
eine grosse Elektrode anlegen, hier oben dagegen eine kleine, 
und nun den Strom hindurchgehen lassen — ich will mich hier 
auf die physikalischen Einzelheiten nicht einlassen —, so wird 
eine Verbrennung bzw. eine Coagulation hervorgerufen; eine Ver¬ 
brennung dann, wenn Sie etwas mit der Elektrode von dem 
Gewebe abgehen, eine Coagulation, wenn Sie dieselbe fest auf¬ 
setzen. Das Gewebe coaguliert dann ungefähr in dieser Tiefe. 
(Erläuternd.) Sie können das coagulierte Gewebe dann einfach 
mit dem scharfen Löffel fortnehmen und dann wieder eine tiefere 
Schicht coagulieren. Die Verschorfung ist aber nicht der Zweck 
der Coagulation, denn dadurch wird im Gegenteil der Strom ver¬ 
hindert, weiter zu wirken. 

Benutzen Sie nun zwei gleich kleine Elektroden, so geht die 
coagulierende Wirkung von einer Elektrode zur anderen. Dies 
ist das Interessante und Wichtige der ganzen Methode. Man 
kann also, wenn ein Organ oder Tumor freigelegt ist, die Tiefen¬ 
wirkung genau dirigieren. Wie mir ein bekannter Physiker ge¬ 
sagt hat, geht der Strom nicht ganz gerade von einer Elektrode 
zur anderen, sondern verläuft in einer kleinen Kurve nach aussen. 
Das benachbarte Gewebe wird zwar etwas erwärmt, aber nicht 
mehr coaguliert. % 

Wenn man nun statt ejner Elektrode die sogenannte 
de Forest’sche Nadel nimmt, so entsteht ein Lichtbogen, mit dem 
man schneller als mit dem Messer schneidet, ohne eine Blutung 
hervorzurufen; die Blut- und Lympbgefässe werden coaguliert und 
daher sofort wieder geschlossen. Das ist ein grosser Wert dieser 
Methode. 

Ich möchte Ihnen nun über den Fall von Uteruscarcinom 
berichten, den ich so operiert habe, und glaube, dass dies die 
erste derartige Exstirpation isL ' , > ■ , 

Es handelt sich um eine 33 jährige, also verhältnismässig 


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3. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


895 


junge Frau. Das Carcinom batte die vordere Lippe des Mutter- 
mandes ergriffen, während die hintere Lippe frei war. Der Fall 
war durch die Beweglichkeit des Uterus sehr günstig, um die 
Methode zum ersten Male anzuwenden. Ich habe zunächst den 
Muttermund im Speculum freigelegt und die carcinomatöse Wuche¬ 
rung coaguliert, ohne vorher auszukratzen. Denn meiner Ansicht 
nach eröffnen wir hierbei auch schon so und so viel Blut- und 
Lymphgefässe. Die Paquelinätzung ist im Gegensatz hierzu nur 
ganz oberflächlich, und im Laufe der vaginalen Operation streift 
man immer den Brandschorf ab und berührt immer wieder das 
frische Krebsgewebe. 

Nach vollständiger Coagulation des Krebsgeschwürs habe ich 
die vordere Colpotomie gemacht und den Uterus vor die Vulva 
gebracht. Die erweiterte abdominale Operation habe ich nicht 
gemacht, weil ich zum ersten Male mit dieser Methode am 
lebenden Menschen operiert habe und ich die genaue Wirkung 
bei eröffneter Bauchhöhle noch nicht kannte. Nun wurde der 
ganze Uterus coaguliert. Ich habe den Strom von rechts nach 
links und von oben nach unten hindurcbgehen lassen, so dass 
ich glaubte, den ganzen Uterus coaguliert zu haben. Wie stark 
die Uterussubstanz durchgekocht war, ergab sich daraus, dass 
alle Kugelzangen sofort ausrissen. Der Uterus war derartig heiss, 
dass man ihn kaum anfassen konnte. Darauf habe ich das Liga¬ 
mentum infundibulo-pelvicum auf beiden Seiten unterbunden und 
nun auch die Ligamenta lata vollkommen mit einer Elektrode 
coaguliert, während die Patientin auf einer grossen iudifferenten 
Elektrode lag. Hierauf wurde der Uterus mit den Adnexen in 
der gewöhnlichen Weise exstirpiert, das Peritoneum geschlossen 
und danach noch die Scheidenwände fast bis zur Hälfte der 
Scheiden vollkommen coaguliert. 

Die Patientin bat den Eingriff genau so gut wie jede ge¬ 
wöhnliche Totalexstirpation ausgehalten. Der Verlauf war ganz 
reaktionslos; auch die Ausstossung der coagulierten Massen voll¬ 
zieht sich ohne jede Temperatursteigerung. 

Es war nun wichtig, festzustellen, wie weit denn die Coagu¬ 
lation in die Tiefe gedrungen war, da auf den gleich nach der 
Operation angelegten Durchschnitten nicht alles gekocht zu sein 
schien, wie man nach dem äusseren Anblick hätte annehmen 
sollen. Auf den mikroskopischen Schnitten sieht man nun 
(Demonstration des Präparates), dass von dem coagulierten Carci¬ 
nom nichts mehr übrig geblieben ist, bis auf einen minimalen 
Rest, was allerdings noch genauerer Untersuchung bedarf. Im 
Fundus dagegen war zweifellos noch lebendes Gewebe. Hier 
hatte die Coagulation noch nicht ausgereicht. Dies ist aber 
meiner Ansicht nach nur eine Frage der Technik, die noch ziem¬ 
lich unvollkommen war. Der technische Beirat der Firma Rei¬ 
niger, Gebbert & Schall, Herr Weise, sowie unser bekannter 
Physiker Heinz Bauer haben mir schon angegeben, wie man 
diesen Unvollkommenheiten abhelfen kann. Hierzu kommt noch, 
dass ich natürlich zuerst etwas ängstlich war. Für den nächsten 
Fall soll eine Elektrode in Anwendung kommen, welche die 
ganze Cervix kreisförmig umgreift, damit sich auf diese Weise 
die Möglichkeit bietet, dass, wenn die zweite Elektrode auf dem 
Fundus aufgesetzt wird, von jeder Stelle aus immer Stromver- 
bindung vorhanden ist. Auch wenn man abdominal operiert, 
kann man, allerdings mit grösster Vorsicht, mit kleinen spitzen 
Elektroden sehr gut die vorhandenen Drüsen coagulieren, bevor 
man sie entfernt. 

Es handelt sich, wie Sie hieraus sehen, bei der Diathermie, 
was auch Nagelschmidt bervorgehoben hat, nicht um irgend 
etwas Spezifisches gegen das Carcinom, sondern nur um ein Plus 
unserer operativen Maassnahmen. Ich glaube, dass wir, wenn 
wir in dieser Technik noch weiter sind, hiermit einen entschie¬ 
denen Fortschritt der Krebsoperation erreichen werden. Darauf 
möchte ich aber noch aufmerksam machen, dass das Operieren 
auf diese Weise nicht ganz leicht ist; man muss sowohl physi¬ 
kalisch als auch operativ die Technik vollkommen beherrschen. 

Die prinzipielle Forderung, die ich stelle, und die sich nicht 
nur auf den Gebärmutterkrebs bezieht, ist; Wir sollen ver¬ 
suchen, in Zukunft dieCarcinome zu exstirpieren, nach¬ 
dem sie abgetötet sind. Ein Mammacarcinom sollte man 
also so operieren, dass man mit der de Forest’schen Nadel die 
Haut bis zum Pectoralis durchschneidet, dann die Elektroden von 
beiden Seiten wirken lässt und auf diese Weise das Carcinom 
coaguliert, ohne es berührt zu haben. Die Operation wird durch 
die Diathermie nicht erheblich verlängert. Sie werden nachher 
sebeo, wie schnell ziemlich grosse Flächen coaguliert werden. 


Die Uterusexstirpation dauerte ungefähr 50 Minuten, wobei noch 
verschiedenes ausprobiert wurde. 

Die weitere Forderung ist, dass möglichst kein Messer an¬ 
gewendet wird, sondern dass man mit dem Lichtbogen, wie auch 
Czerny beschrieben hat, schneiden soll, um auf diese Weise 
keine Gefässe zu eröffnen und einer Dissemination der Krebs¬ 
keime nach Möglichkeit vorzubeugen. 

Wenn ich mir erlaubt habe, bereits heute über diese Methode 
zu sprechen, so geschah es aus dem Grunde, weil zur Beurteilung 
ihres Wertes ein sehr grosses Material nötig ist und ich bitten 
möchte, dass Chirurgen und Gynäkologen gemeinsam diese Me¬ 
thode prüfen, die, wie ich glaube, geeignet ist, den an Krebs 
Erkrankten mehr Sicherheit zur Dauerheilung zu bieten, als dies 
mit unseren bisherigen Operationsverfahren möglich ist. 


Aus der ersten medizinischen Universitätsklinik in 
Wien (Vorstand; Hofrat C. v. Noorden). 

Ueber chemische Einwirkungen des Thorium X 
auf organische Substanzen, besonders auf die 
Harnsäure. 

Von 

Prof. Dr. W. Falta und Dr. L. Zehner. 

In Nr. 4, 1913 dieser Wochenschrift erhebt J. Plesch gegen die 
von uns in Nr. 12, 1912 unter dem gleichen Titel publizierten Versuche 
mehrere Einwände und fordert uns auf, unsere Befunde zu revidieren. 
Denn „man darf die publizierten Reaktionen so lange nicht als direkte 
Effekte des Thorium X ansehen, bis nicht gezeigt wird, dass die Re¬ 
aktionen, die Falta und Zehner anführen, nicht Wirkungen des ent¬ 
standenen Ozons und Wasserstoffsuperoxyds sind. Es ist daher die Ein¬ 
wirkung des Thorium X in der Weise, wie dies von den Autoren gedeutet 
wurde, zweifelhaft“. 

Herr Plesch scheint der Ansicht zu sein, dass er mit dieser An¬ 
regung der Thoriumforschung einen grossen Dienst geleistet und ver¬ 
hütet hat, dass dieselbe durch uns in ganz falsche Bahnen gelenkt werde. 
Wir beschränken uns darauf, auf die Einwände des Herrn Plesch 
folgendes zu erwidern. 

1. Jeder, der sieh mit dem Studium radioaktiver Substanzen be¬ 
schäftigt, weiss, dass in der Umgebung stark radioaktiver Körper die 
Luft ozonisiert wird. Bei den Dautwitz’schen Radinmträgern ist z. B. 
der Ozongeruch ohne weiteres wabrzunehmen. 

Das Ehepaar Curie hat die Bildung von Ozon zuerst durch Jod¬ 
starkepapier nacbgewiesen. Allerdings tritt eine stärkere Bläuung des 
Papieres erst dann ein, wenn man dasselbe mit einem stark aktiven 
Radiumsalz direkt in Berührung bringt; ferner ist bekannt, dass durch 
die von Radiumsalzen oder von der Emanation ausgehenden Strahlen 
Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt wird. In geringem Maasse 
findet auch eine Zerlegung in Wasserstoffsuperoxyd und in Wasserstoff 
statt 1 )- Wir verweisen auf die einschlägigen Studien Francis 
L. Usher’s. Diese Wirkung kommt den Strahlen direkt zu, da sie 
auch eintritt, wenn das Radiumsalz oder die Emanation mit dem Wasser 
nicht in direkten Kontakt gebracht wird. Es ist daher der Gedanke 
sehr naheliegend, dass bei den von uns beschriebenen Wirkungen des 
Thorium X die Bildung von Ozon oder eventuell auch von Wasserstoff¬ 
superoxyd eine gewisse Rolle spielt. Wir haben diese Frage auch schon 
vor Veröffentlichung unserer Versuche mit mehreren maassgebenden 
Wiener Persönlichkeiten, von denen wir nur die Herren Prof. S. Frankel 
und Prof. Pauli nennen, diskutiert und haben selbst eine Reihe ein¬ 
schlägiger Versuche angestellt, um uns über den näheren Vorgang bei 
den von uns besohriebenen Wirkungen zu informieren. 

Wir hätten dazu der Anregung des Herrn Plesch nicht bedurft. 
Der Grund, warum wir in unserer Mitteilung auf diese Versuche nicht 
eingegangen sind, ist der, dass (wovon noch später die Rede sein soll) 
die Verhältnisse durchaus nicht so einfach sind, wie Herr Plesch es 
sich vorstellt, und weil sie für die medizinische Seite der Frage 
Vollständig belanglos sind. 

Denn es ist absolut nicht einzusehen, warum diese Strahlenwirkungen, 
eventuell auch dann, wenn sie durch Bildung von Ozon oder Wasser¬ 
stoffsuperoxyd vermittelt würden, nicht ebenso wie im Reagenzglas auch 
im Organismus vor sich gehen sollen, da hier dieselben Bedingungen 
vorhanden sind. Auf einen weiteren Ein wand des Herrn Plesch möchten 
wir hier gleich eingehen. Herr Plesch sagt, dass die von uns ange¬ 
wendeten Aktivitäten so gross sind, dass man daraus nicht auf eine ähn¬ 
liche Wirkung im Organismus mit Sicherheit schliessen könne. Hat denn 
Herr PI es eh unsere Arbeit, die er kritisiert, nicht genau gelesen? In 


1) In der von Plesch heran gezogenen Mitteilung vcn Debierne 
ist nur von einer Spaltung des Wassers in Wasserstoff und Sauerstoff 
und nicht von einer Bildung von Wasserstoffsuperoxyd die* Rede. - 

4* 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 9. 


unserer Arbeit heisst es: „Es darf nicht vergessen werden, dass wir 
enorme Aktivitäten auf verhältnismässig sehr kleine Mengen organischer 
Substanz einwirken Hessen.“ Bei der Intensität der Wirkungen, die wir 
beobachteten, haben wir eine direkte Beeinflussung des Chemismus im 
tierischen Organismus immerhin als möglich diskutiert und glauben 
hierzu so lange berechtigt zu sein, bis nicht der Gegenbeweis erbracht 
ist, um so mehr, als diese Reaktionen im tierischen Organismus in einem 
alkalischen Medium vor sich gehen, also unter Bedingungen, die für die 
oxydativen Prozesse wesentlich günstiger sind, und als nicht ein weit¬ 
gehender Abbau der fraglichen Körper, sondern eine blosse „Labilisie¬ 
rung“ genügen würde, wodurch sie von den Fermenten leichter ange¬ 
griffen würden. 

2. Was nun den näheren Vorgang bei den von uns beschriebenen 
chemischen Wirkungen des Thorium X anbelangt, so möchten wir uns 
auf folgende Bemerkungen beschränken, da unsere diesbezüglichen Ver¬ 
suche noch nicht abgeschlossen sind. Dass eine Aktivierung von Sauer¬ 
stoff bei den oxydativen Prozessen mit eine Rolle spielt, ist von vorn¬ 
herein sehr wahrscheinlich. In welcher Form diese Aktivierung erfolgt, 
ist aber chemisch nicht leicht nachzuweisen. Es ist jedenfalls auffällig, 
dass im Verlauf der von uns beschriebenen Reaktionen, ja selbst in den 
konzentrierten Thorium X-Lösungen, wie sie uns von den Auerwerken zur 
Verfügung gestellt werden, dieReaktion mit Jodstärkepapier auch 
nach längerer Einwirkung stets negativ ausfällt. Es können 
also nur ganz minimale Mengen von Ozon oder Wasserstoffsuperoxyd ge¬ 
bildet werden. Herr Plesch sagt, dass er gemeinsam mit Karczag 
die Bildung von Ozon und Wasserstoffsuperoxyd nachgewiesen habe. Wir 
konnten aber nähere Angaben dieser beiden Autoren in der Literatur 
nicht auffinden. Die Reaktionen, die wir beschrieben haben, lassen sich 
mit Wasserstoffsuperoxyd nicht oder jedenfalls bei weitem nicht in der 
Intensität erzielen. Herr Plesch verweist auf die interessanten Ver¬ 
suche C. Neuberg’s über die Einwirkung von Wasserstoffsuperoxyd auf 
die von uns untersuchten Substanzen. Diese Reaktionen mit Wasser¬ 
stoffsuperoxyd gelingen aber nur, wie C. Neuberg ausdrücklich betont, 
wenn ein Eisensalz als Katalysator hinzugesetzt wird (z. B. 1 g Ferri- 
sulfat auf 60 ccm einer 3 proz. H 2 0 2 -Lösung, die natürlich Jodstärke- 
papier intensiv bläut). Nun war von vornherein fraglich, ob der geringe 
Metallgehalt der Thorium X-Lösungen (0,00001 g auf 1000 es. E.) als 
Katalysator in Betracht kommt. Hätte Herr Plesch unsere Arbeit 
genau gelesen, so hätte er gefunden, dass wir auch über Versuche be¬ 
richten, bei denen die Thorium X-Lösung in zugeschmolzenen Phiolen in 
die Farbstofflösungen gebracht wurde. Der Effekt war qualitativ der¬ 
selbe, quantitativ natürlich geringer, da ein Teil der Strahlen durch die 
Glaswand der Phiole absorbiert wurde und auch die Oberflächenwirkung 
geringer war. Hier war also eine katalysatorische Wirkung aus¬ 
geschlossen und bewiesen, dass die Strahlen allein wirksam sind. 

Wir beschränken uns auf die Wiedergabe dieser wenigen Versuche. 
Sie illustrieren zur Genüge, wie schwierig die Frage ist. Bei der radio¬ 
aktiven Strahlung kann als Grundsatz gelten, dass durch die Strahlung 
eine Ionisation erfolgt. Wenn Sauerstoff in Luft, Wasser oder irgend¬ 
einer anderen Substanz ionisiert vorhanden ist, so wird er in statu 
nascendi stark oxydativ wirken können. Welchen Anteil die Ozon- und 
Wasserstoffsuperoxydbildung dabei hat, möchten wir vorderhand dahin¬ 
gestellt sein lassen, es scheint uns aber nicht unmöglich, ja sogar 
sehr wahrscheinlich, dass die Strahlen, die Wasser zu zerlegen imstande 
sind, auch den Molekularverband labiler organischer Substanzen lockern 
und auflösen können. Diese Frage lässt sich von vornherein weder 
bejahen noch verneinen. Hätte Herr Plesch durch sorgfältige Versuche 
zur Klärung dieser Frage beigetragen, so wäre dies gewiss anerkannt 
worden. Seine „Anregung“ halten wir für überflüssig. 


Alis der I. medizinischen Klinik zu Wien (Hofrat 
Prof. v. Noorden). 

Zur Frage des wirksamen Prinzips bio¬ 
chemischer Strahlenreaktionen. 

Von 

Gottwald Schwarz. 

Seit der längst vergessenen Ozonhypothese aus den Anfängen 
der Röntgentherapie 1 ) ist die Vermutung, es könne sich bei den 
Effekten der neueren Strahlungen möglicherweise um Wirkungen 
aktiven Sauerstoffes (0 8 oder H 2 0 2 ) handeln, noch oft aufgetaucht 
und ebenso oft widerlegt worden. In jüngerer Zeit haben 
H. Jensen und 0. Strandberg am Finseninstitut auf einen Ein¬ 
wand des Herrn Löwenthal hin sich wieder mit dieser Frage 
beschäftigt, und in ihrer Arbeit, die den Titel „Untersuchungen 
darüber, ob die Baktericidität der Radiumemanation auf Ozon¬ 
entwicklung zurückzuführen ist“ 2 ) trägt, den strikten Nachweis 
erbracht, 


1) Siehe Freund, Radiotherapie, S. 259. 
*2) Zeitschr. f. Hyg., 1912. 


a) dass in der Emanation nicht einmal so viel Ozon ent¬ 
wickelt wird, dass es sich durch das Reagenzpapier nach- 
weisen Hesse, 

b) dass unendlich viel mehr Ozon notwendig ist, um auf 
Bakterien einzuwirken, als um auf das Reagenzpapier ein- 
zuwirken, 

c) dass somit die Ozonwirkung bei der Baktericidität der 
Radiumemanation mit Sicherheit auszuschHessen ist. 

Dies nur, um zu sagen, dass wenigstens für den Radio¬ 
logen die Ozonfrage keine beunruhigende Neuigkeit bildet. 

Als das Thorium X in die Medizin Eingang fand, habe ich 
gemeinsam mit Zehner meine alten Versuche 1 ) fortgeführt und 
die eminente Wirkung des Thorium X auf die Dotteremulsion 
beschrieben 2 ). 

Macht man sich eine Emulsion von einem Eidotter in 500 ccm 
Wasser, setzt z. B. 4 ccm dieser Emulsion mit 5 ccm Thorium X- 
Lösung (Aktivität etwa 4000 elektrostatische Einheiten) in einer 
Eprouvette an, so ist nach 24 Stunden die gelbe Farbe der 
Mischung in Milchweiss umgewandelt (das gelbe Lutein ist zer¬ 
stört), und es tritt deutlich der Heringslakegeruch des Trimethyl¬ 
amins auf, der die Spaltung des Lecithins anzeigt. 

Prüft man die reine Thorium X-Lösung, prüft man ferner die 
Dotter Thorium X-Mischung zu Beginn, in der Mitte, am Ende 
des Versuches mittels Jodkaliumstärkekleisterpapiers, so tritt 
niemals auch nur die geringste Bräunung des Papiers auf. Ein 
Beweis, dass 0 3 oder H 2 0 2 in keiner durch dieses 
empfindliche Reagens nachweisbaren Menge vor¬ 
handen ist. 

Versetzt man nun umgekehrt (in einem vom Thorium X 
isolierten Raume!) 4 ccm der Dotteremulsion mit 5 ccm 1 proz., 
4 proz., ja 50 proz. Wasserstoffsuperoxydlösung (die Mischungen 
bräunen sämtlich das Reagenzpapier), so sieht man, dass nach 
24 Stunden weder Entfärbung noch Trimethylamingeruch auftritt. 
Es ergibt sich also: 

a) Thorium X- Lösung, die keine mittels Jodkaliumstärke¬ 
papier nachweisbaren Mengen 0 3 oder H 2 0 2 enthält, be¬ 
wirkt nach 24 Stunden energische Lutein- und Lecithin¬ 
spaltung im Dotter; 

b) selbst hochkonzentrierte H 2 0 2 Lösungen (die intensive 
Bräunung des Reagenzpapiers hervorrufen) bewirken nach 
24 Stunden keine derartige Lutein- und Lecithinspaltung; 
hieraus folgt 

c) 0 3 oder H 2 0 2 spielt bei dieser Strahlungsreaktion keine ur¬ 
sächliche Rolle. 

Dass H 2 0 2 auf organische Substanzen (auch Lipoide und 
Farbstoffe) zerstörend einwirkt, wer wollte dies bezweifeln? Ist 
diese Eigenschaft doch der Grund weitgehender technischer und 
medizinischer Verwendung des Präparates. Daraus aber schon zu 
folgern, dass die Thorium X Wirkung eigentlich als Wasserstoff¬ 
superoxydwirkung aufzufassen sei, wäre ein eiliger und durch die 
Tatsachen nicht motivierter Schluss. 


Innere Sekretion und Nervensystem. 

Von 

Dr. Arthur Münzer-Berlin-Schlachtensee. 

(Schluss.) 

Die beiden wesentlichen Hypophysenerkrankungen, deren 
Studium in letzter Zeit uns vielfach beschäftigt — Akromegalie 
und Dystrophia adiposo-genitalis —, sind durch eine Reihe fast 
identischer psychischer Störungen charakterisiert: Apathie, Inter¬ 
esselosigkeit, Indolenz und gemütliche Stumpfheit 8 ). Es handelt 
sich also in erster Linie um eine Abschwächung der Affektivität, 
um eine primäre Reduktion des Gefühlslebens. Intelligenzdefekte 
machen sich ebenfalls geltend, indessen rangieren diese erst an 
zweiter Stelle. Auch der Geschlechtstrieb, der, zum Teil wenigstens, 
als cerebrale Funktion bewertet werden muss, wird bei beiden 
Krankheiten in gleichem Sinne beeinflusst: es kommt zur Ver¬ 
ringerung der Potenz und zur Abschwächung bzw. zum Erlöschen 


1) Ueber die Wirkung der Radiumstrahlen. Pflügers Archiv, 1903. 

2) Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 38. 

3) v. Frankl-Hochwart hebt bei Hypophysentumoren eine eigen¬ 

tümliche Gleichgültigkeit, eine gewisse Zufriedenheit, eine sonderbare 
Euphorie hervor. Er bezeichnet diese psychische Veränderung als Hypo¬ 
physärstimmung. -«> 


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3. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


897 


der Libido. Ich habe bereits in einer früheren Arbeit diese eigen¬ 
artigen Verhältnisse beleuchtet nnd hier auch ausgeführt, dass 
wir die Identität der psychischen Anomalien bei den zwei genetisch 
differenten Erkrankungen nur dann erklären können, wenn wir 
die in Betracht kommenden psychischen Leistungen der Aktivität 
des Hinterlappens zuschreiben. Darauf sei hier nur hingewiesen. 
Hingegen bedarf die Qualität der Funktionsschädigung des Hinter¬ 
lappens noch einer weiteren Erläuterung: Wir batten bei Dystrophia 
adiposo-genitalis eine Hyposekretion des Hinterlappens postuliert. 
Es war fernerhin ein enges Korrelationsverhältnis zwischen beiden 
Lappen im Sinne einer gegenseitigen Förderung angenommen 
worden. Da nun bei Akromegalie eine Hypersekretion des Vorder¬ 
lappens besteht, müsste demzufolge auch der Hinterlappen in er¬ 
höhtem Maasse sezernieren; und es würden nunmehr in psychischer 
Hinsicht gerade die entgegengesetzten Erscheinungen wie die bei 
der Dystrophie beobachteten zutage treten. Dass dies nicht der 
Fall Ist, meine ich folgendermaassen deuten zu können: Der Hypo¬ 
physentumor übt sicherlich eine ziemlich stark komprimierende 
Wirkung auf den Hinterlappen aus und hemmt somit aus rein 
mechanischen Gründen dessen Sekretion. Dem Körper wird also 
wiederum ein Teil des Hinterlappensekrets entzogen und demzu¬ 
folge eine Schädigung im Sinne eines Hypopituitarismus (be¬ 
zogen auf den Hinterlappen) geschaffen, auf dessen Basis sich die 
psychischen Symptome entwickeln. Für diese Ansicht kann auch 
der Umstand ins Feld geführt werden, dass die Alterationen der 
Psyche bei Akromegalie erst längere Zeit nach Beginn des Leidens 
einsetzen, also erst, wenn der allmählich sich vergrössernde Tumor 
einen stärkeren Druck auszuüben beginnt. 

Die Frage der Selbständigkeit des Hirnanhanges hinsichtlich 
seiner psychischen Leistungen habe ich bereits in der vorher 
citierten Arbeit erörtert. Hier möchte ich nur kurz wiederholen, 
dass der Hypophysenhicterlappen vermutlich ein selbständiges 
Centrum für den Geschlechtssinn darstellt 1 ); die Aeusserungen des 
Affektlebens hingegen unterstehen in letzter Linie wohl nicht der 
Herrschaft der Hypophyse, sondern werden einzig und allein vom 
Grosshiru aus dirigiert. Sicherlich aber besteht zwischen Hirn¬ 
anhang und Grosshirn, wie das schon für die Schilddrüse wahr¬ 
scheinlich gemacht wurde, ein enger Konnex, durch welchen die 
Manifestationen des Affektlebens in bestimmter Weise beeinflusst 
werden können. 

In letzter Zeit wurde der Hypophyse auch ein wesentlicher 
Anteil am Zustandekommen des Schlafes zuerkannt. Eine gewisse 
Berechtigung erhält diese Anschauung durch die Tatsache, dass 
Hypophysenerkrankungen häufig von Schlafstörungen gefolgt sind — 
bei Akromegalie Schlafsucht, bei Dystrophia adiposo-genitalis 
meist Schlaflosigkeit. Auch v. Gyon hat in seinem Buch über 
die Gefässdrüsen auf die Bedeutung der Hypophyse und Zirbel 
für die Erzeugung des Schlafes aufmerksam gemacht, dabei aller¬ 
dings das Hauptgewicht auf die von ihm verfochtene Regulation 
des intracraniellen Blutdrucks durch die beiden cerebralen Blut 
gefässdrüsen gelegt. Eine ausschlaggebende Beteiligung der Hypo¬ 
physe am Zustandekommen des Schlafes zu statuieren, scheint 
mir bei unseren heutigen Kenntnissen kaum möglich. Hier sind 
zweifellos noch andere Momente wirksam. Erinnert sei hier zu¬ 
nächst an die Erkrankungen der Schilddrüse, bei denen in völlig 
analoger Weise, wie bei denen der Hypophyse, die auffallende 
Gegensätzlichkeit hinsichtlich des Schlafes scharf in die Augen 
springt: bei Basedow Schlaflosigkeit, bei Myxödem Schlafsucht. 
Vielleicht mögen bei der Genese des Schlafes mehrere Blutdrüsen 
eine wesentliche Rolle spielen, derart, dass ihre Sekrete zu ge¬ 
wissen Phasen des individuellen Daseins sich dem Cerebrum gegen¬ 
über als Toxine erweisen und hierdurch das Eintreten des Schlafes 
begünstigen. 

• Vielfach erörtert wurde in einer Reihe von Arbeiten der Ein¬ 
fluss des Hypophysensekrets auf den Circulationsapparat. Schon 
v. Cyon hatte bei seinen Reizversuchen am Hirnanhang eine 
deutliche Blutdrucksteigerung sowie Verlangsamung und Ver¬ 
stärkung der Herzschläge (Aktionspulse) festgestellt und batte 
diese Phänomene auf eine Erregung der medullären Vaguscentren 
bezogen. Nach Ausschaltung der Hypophyse fand der gleiche 
Autor eine Beschleunigung der Herzaktion. Die hier beobachteten 
Wirkungen auf den Circulationsapparat sind in gleicher Weise 
durch intravenöse Injektionen von Hypophysenextrakt zur An¬ 
schauung gebracht worden. Auch hier wurde Verlangsamung 
and Verstärkung der Herzschläge sowie Blutdrucksteigerung er¬ 


1) Hinsichtlich der Beziehungen zwischen Hypophysis und Genitale 
cfr. besonders die Arbeit von Asehn er (Archiv f. Gynäkol., Bd. 97). 


zielt, die Hypertonie ist zwar nicht so hochgradig wie die durch 
Adrenalin bewirkte, hält jedoch länger an als diese. Spätere 
Versuche lehrten, dass die Beeinflussung des Kreislaufes an den 
Hypophysenhinterlappen gebuuden ist. Die Blutdrucksteigerung 
wird durch eine periphere Gefässkontraktion bedingt, und diese 
soll auf einer direkten Beeinflussung der glatten Muskulatur be¬ 
ruhen. Hingegen kann die Modifikation der Herzaktion wohl 
zwanglos mit einer Erregung der centralen Vagusfasern in Ver¬ 
bindung gebracht werden. Da aber die Pulsverlangsamung auch 
nach Durchschneidung der Vagi auftritt und von mehreren Autoren 
sogar am isolierten Frosch- und Säugetierherzen konstatiert wurde, 
so muss ausserdem mit der Wahrscheinlichkeit gerechnet werden, 
dass die Hypophyse die Muskulatur des Herzens direkt be¬ 
einflusst. Die Einwirkungen des Hirnauhanges auf Blase, Darm 
und Uterus seien hier nur vorübergehend erwähnt. 

Auf weitere Einzelheiten der Hypophysisphysiologie einzu¬ 
gehen scheiut nicht angebracht, da zu wenig objektive Tatsachen 
beigebracht werden können 1 ). Notwendiger erscheint mir, noch 
mit einigen Worten die Position der Hypophyse im polyglandulären 
System zu charakterisieren. Es war bereits gesagt worden, dass 
der Glaud. pituitaria insofern eine Ausnahmestellung zukommt, als 
sie einen Abschnitt des Gehirns repräsentiert — cerebrale Blut¬ 
drüse. Nun ist schon früheren Autoren aufgefallen, dass Hypo¬ 
physenerkrankungen auffallend häufig mit Störungen anderer 
innersekretorischer Organe verknüpft sind, und auch die zahl¬ 
reichen experimentellen Untersuchungen zeigen, dass die Hypophyse 
mit fast allen Gefässdrüsen in einem engen gegenseitigen Wechsel¬ 
verhältnis steht. Da nun mancherlei Tatsachen dafür sprechen, 
dass die Blutdrüsen durch ein cerebrales Projektionsfeld repräsentiert 
sind, so mag die Behauptung nicht ungerechtfertigt erscheinen, 
dass in der Hypophyse ein cerebrales Blutdrüsencentrum (vielleicht 
das einzige) zu suchen, dass also von ihr die Tätigkeit der anderen 
Stoffwechseldrüsen bis zu einem gewissen Grade abhängig sei. 

Der Hypophyse an die Seite zu stellen ist die Zirbeldrüse, 
welche durch ihre topische Zugehörigkeit zum Gehirn ebenfalls 
von den übrigen Drüsen mit innerer Sekretion gesondert werden 
muss. Wir stehen in bezug auf die Glandula pinealis noch am 
Beginn unseres Wissens. Erst eine Reihe jüngst publizierter 
klinischer Beobachtungen klärte die Situation und wies unsere 
wissenschaftlichen Bestrebungen in bestimmte Richtung. In den 
erwähnten Fällen handelt es sich um Zirbeldrüsengeschwülste 
teratoiden Charakters bei Kindern; ihr klinischer Verlauf war 
durch eine vorgeschrittene Entwicklung der sekundären Geschlecbts- 
ebaraktere sowie der eigentlichen Sexualfunktionen, zeitweilig 
verbunden mit geistiger Frühreife, ausgezeichnet. Nun wissen 
wir zunächst, dass das Zirbelgewebe zu Beginn der Pubertät 
einer partiellen Involution anheimfällt; die Verminderung funktions¬ 
fähiger Drüsensubstanz also leitet den Eintritt der Reifeerscheinungen 
ein, nicht anders wie beim Teratom der Untergang von Zirbel¬ 
gewebe die Geschlechtsentwicklung des wachsenden Organismus 
herbeiführt. Diese Analogie physiologischer und pathologischer 
Verhältnisse findet eine ausreichende Erklärung in der Hypothese, 
dass die normal funktionierende Zirbel mit einem gewissen 
Hemmungsvermögen für die Entwicklung somatischer und 
psychischer Reifeerscheinungen ausgestattet sei. 

‘ Bezüglich der Thymusdrüse erinnere ich nur kurz daran, dass 
eine Persistenz der Drüse bei Basedow, Akromegalie und auch 
bei Myasthenie konstatiert wurde. Die Veränderungen des 
psychischen Verhaltens, die an tbymektomierten Tieren beobachtet 
wurden, erscheinen noch zu unsicher, um hier ausführlicher ab¬ 
gehandelt zu werden. 

Eines der wichtigsten Kapitel in der Lehre von der inneren 
Sekretion bildet die Funktion des Pankreas. Seit v. Mering und 
Minkowski die Existenz des Pankreasdiabetes durch ihre be¬ 
rühmten Experimente erhärteten, ist die Frage nach den inneren 
Ursachen desselben in den Vordergrund des Interesses getreten, 
und heute noch ist der Streit der Meinungen hierüber längst 
nicht zur Ruhe gekommen. Die bekannten Transplantations¬ 
versuche, in welchen durch Verpflanzung der Bauchspeicheldrüse 
die Annahme ursächlicher Nervenläsionen ausgeschaltet werden 
konnte, erwiesen zur Genüge das tatsächliche Bestehen einer 
inneren Sekretion des Pankreas. Die nächste Frage musste auf 
die Entscheidung gerichtet sein, ob die innere sekretorische 
Tätigkeit des Pankreas als eine entgiftende (negative innere 
Sekretion) oder als produktive, dem Stoffwechsel notwendige 


1) In neuester Zeit wurde mehrfach auf den Zusammenhang zwischen 
Diabetes insipidus und Hypophysisfunktion hingewiesen. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 9. 


Substanzen liefernde (positive Sekretion) aufzufassen sei. In 
ersterem Falle wurden sich bei Versagen der Organtätigkeit 
toxische Stoffe im Körper anhäufen, deren stetige Vermehrung die 
normale Verbrennung der Kohlehydrate irgendwie schädigte. Die 
Auffassung des Pankreasdiabetes als einer Autointoxikation muss 
aber entschieden fallen gelassen werden. Denn mit Recht hat 
Biedl betont, dass toxische Stoffe bisher nicht gefunden werden 
konnten, dass aber andererseits die tiefgreifende Beeinflussung 
des Zuckerstoffwechsels beim Diabetes zu der Annahme drängt: 
Hier muss entschieden dem Organismus eine Substanz fehlen, welche 
normalerweise die Verbrennung der Kohlehydrate dirigiert. Natur¬ 
gemäss konnte die hier skizzierte Anschauung den Gedanken 
nahelegen, die fehlenden Produkte auf natürlichem Wege zu er¬ 
setzen, und hiermit war der Anlass zu ausgedehnten organo- 
therapeutischen Bestrebungen gegeben. Bekanntlich hat die 
Organotherapie des Pankreasdiabetes keine wesentlichen Erfolge 
erzielt, und von diesen Fehlschlägen nahmen gewisse Bestrebungen 
ihren Ausgang, welche die Annahme einer produktiven inneren 
Sekretion der Bauchspeicheldrüse zu bekämpfen suchten. Sicher¬ 
lich ist das zu weit gegangen. Wir können keine bindenden 
Schlüsse auf Vergleichen zwischen unserer mangelhaften thera¬ 
peutischen Aktion und der natürlichen Funktion eines Organs 
aufbauen. Immerhin verdient das Argument nicht gänzlich ausser 
acht gelassen zu werden; ja, es gewinnt noch an Wert, wenn 
wir, wie noch jüngst von Leschke, hören, dass frischer Pankreas¬ 
extrakt bei diabetischen Tieren und Menschen mitunter die 
Zuckerausscheidung steigert und auch bei normalen Tieren eine 
glykosuriscbe oder toxische, ja letale Wirkung entfaltet. 
Zweifellos wird hierdurch die Theorie, welche den Diabetes aus 
einer ausschliesslichen Störung der inneren Sekretion des 
Pankreas herleitet, erschüttert. In gleichem Sinne sprechen zwei 
andere von Leschke betonte Momente, nämlich das Ausbleiben 
des Diabetes trotz gänzlicher Zerstörung der Drüse und sein Auf¬ 
treten trotz völligen Erhaltenseins derselben. 

Es wäre nun völlig verfehlt, die Bedeutung der inneren 
Sekretion des Pankreas aus den erwähnten Gründen überhaupt 
abzuleugnen. Nur sollen wir uns vor Augen halten, dass sie 
allein zu einer Erklärung des Diabetes nicht ausreicht; wir 
müssen unbedingt noch das Inkrafttreten eines nervösen 
Mechanismus supponieren. Wie wir uns nun das Zusammen¬ 
arbeiten beider ätiologischer Faktoren vielleicht vorstellen können, 
zeigt sich am leichtesten bei dem Versuch, die Wirkungsweise 
des Pankreashormons in ihren Einzelheiten zu veranschaulichen. 

Vor Jahren hat Lupine (cit. nach Biedl) die Theorie auf- 
gestellt, dass das Pankreas eine glykolytische Substanz produziere, 
mit Hilfe deren der normale Blutzucker im Organismus verbrannt 
werde; nach Fortfall dieses Ferments häufe sich der Zucker im 
Blute an und werde dann durch den Urin ausgeschieden. Von 
dieser ursprünglichen Annahme sind eine grosse Anzahl späterer 
Arbeiten ausgegangen, die sich mit der Pathogenese des Pankreas¬ 
diabetes befassten; sie alle gipfeln schliesslich in der Anschauung, 
der Pankreasdiabetes sei als Stoffwechselstörung anzusehen, in 
deren Mittelpunkt eine Hemmung der normalen Zuckerzerstörung 
stehe. Auf Einzelheiten in der Diskussion einzugehen, ist hier 
nicht möglich; ich verweise wiederum auf die ausgezeichneten 
Ausführungen Biedl’s, welche bezüglich der dargelegten Hypo¬ 
these den Mangel eines einwandfreien Beweises betonen. 

Moderne Theorien suchten die Entstehung des Diabetes aus 
einer gesteigerten Zuckerbildung abzuleiten. Normalerweise 
sollte die Bauchspeicheldrüse die Zuckerproduktion im Organismus 
dämpfen; bei Erkrankung der Drüse wäre letztere in krank¬ 
hafter Weise erhöht. 

Eine wesentliche Klärung des Problems schien die Entdeckung 
der Adrenalinglykosurie zu bringen. Das Nebennierensekret 
steigert, so wurde angenommen, den Zuckertonus des Organismus. 
Mancherlei Erscheinungen deuten nun -auf einen gewissen Anta¬ 
gonismus zwischen Nebenniere und Pankreas, so z. B. kann das 
Sekret des Pankreas die Adrenalinwirkung in bestimmter Richtung 
einschränken (Biedl). Es lag daher; nahe, den hypothetischen 
Antagonismus beider Drüsen auch auf die Art der Zucker¬ 
produktion auszudebnen und zu sagen: Das Pankreas wirkt auf 
die gleichen nervösen Apparate, welche die Nebenniere erregt, 
hemmend ein, oder das Bauchspeicheldrüsensekret dämpft ver¬ 
mittelst des sympathischen Systems die Zuckerproduktion im 
Körper, während Adrenalin auf dem gleichen Wege sie befördert. 
Auf diese Weise kann die Möglichkeit einer kombinierten Wirkung 
von Pankreas und Nervensystem veranschaulicht werden. 

Mannigfach und in ihren Grundzügen doch noch wenig er¬ 


forscht sind die vielfachen Beziehungen, welche Nervensystem und 
Keimdrüsen aneinander knüpfen. Eine spezielle Affinität besteht 
zwischen Gehirn und Genitaldrüsen, und sie verlangt ein ein¬ 
gehenderes Studium. Kaum liegen bei einer anderen Blutgefäss¬ 
drüse die experimentellen Bedingungen so günstig wie bei der 
Keimdrüse; wie wenig aber wissen wir noch von ihrem Verhalten 
dem nervösen Centralorgan gegenüber! Aus alter Zeit ragen die 
viel diskutierten Untersuchungen Gall’s hervor, die bekanntlich 
die Sexualfunktionen in Verbindung mit dem Kleinhirn brachten. 
Wiederholt ist eine Nachprüfung der GaU’schen Versuche ver¬ 
langt worden, jedoch ist bisher dazu noch kaum etwas geschehen. 
Ueber das menschliche Kastratengehirn ist nichts bekannt ge¬ 
worden, vom tierischen wissen wir seit Seil heim, dass es 
kleiner ist als das normaler Tiere. 

Der Geschlechtstrieb ist eine Funktion der Keimdrüsen. 
Eine Reihe physiologischer und pathologischer Tatsachen zwingen 
uns aber, auch einen cerebralen Geschlechtstrieb anzunehmen, 
der allerdings als teilweise abhängig von dem durch die Keim¬ 
drüsen bedingten zu denken ist. Gall’s Lehre, welche den Sitz 
der Libido ins Kleinhirn verlegt, ist eine unbewiesene Theorie; 
einigermaassen gesichert erscheint aber nach den heutigen Er¬ 
fahrungen die Lokalisation des Geschlechtstriebs in der Hypophyse. 

Die Ausbildung der sekundären Geschlechtscharaktere wird 
durch die Sekrete der reifenden Keimdrüse bewirkt. Immerhin 
ist es noch zweifelhaft, ob die Produkte der Keimdrüse die 
einzige treibende Kraft in der Reifeentwicklung des Organismus 
darstellen oder ob nicht noch andere konkurrierende Faktoren 
mit im Spiele sind. Schon die Ergebnisse der Hirnpathologie 
geben zu denken. Da sind zunächst die Teratome der kindlichen 
Zirbeldrüse, welche eine vorzeitige Entwicklung der Genital¬ 
sphäre bedingen, während im Gegensatz hierzu bei Tumoren der 
Hypophyse die Keimdrüsen atrophieren und die scharfe Zeichnung 
der sekundären Geschlechtscharaktere mehr und mehr verwischt 
wird — also eine deutliche Beeinflussung des Genitalsystems von 
seiten des Centralorgans. 

Im Verlaufe chronischer Psychosen treten manchmal Ano¬ 
malien der sekundären Geschlechtscharaktere auf, z. B. Bartwuchs 
bei Frauen. Die psychopathische Degeneration geht nicht selten 
mit einer mangelhaften Ausbildung der Sexualcharaktere einher. 
Das Krankheitsbild des Infantilismus weist neben dem infanti- 
listischen Habitus des ganzen Körpers auch eine minderwertige 
Entwicklung der Psyche auf. Schliesslich liefert uns die Kastration, 
sowohl die am Tier wie die am Menschen ausgeführte, wichtige 
Anhaltspunkte für unsere Betrachtung. Die im frühen Lebens¬ 
alter unternommene Exstirpation der Keimdrüsen hemmt somatisch 
die Entwicklung der sekundären Geschlechtscbaraktere. In psy¬ 
chischer Hinsicht machen sich eine gewisse Trägheit, Stumpfheit 
und Indolenz geltend. Auch das Affektleben wird mitunter modi¬ 
fiziert, indem einerseits Neigung zu Depressionen, andererseits 
erhöhte Reizbarkeit und gesteigerte Erregbarkeit auftreten. Wir 
ersehen aus alledem, dass einer abnormen Bildung der sekundären 
Geschlechtscharaktere bisweilen auch Störungen der psychischen 
Funktionen parallel laufen, und zwar können letztere entweder 
als Folgezustände der Schädigung der Genitalsphäre auftreten, 
oder aber umgekehrt den Anlass geben zur Alteration der Ge¬ 
schlechtscbaraktere. Hiernach glauben wir schliessen zu können, 
dass die Ausbildung der sekundären Geschlechtscharaktere nicht 
allein von den Genitaldrüsen aus bewirkt, sondern auch central 
beeinflusst wird. Inwieweit allerdings diese Beeinflussung reicht, 
wird schwer zu entscheiden sein. Vielleicht wird man auch mit 
der Möglichkeit rechnen können, dass unter der Einwirkung der 
reifenden Keimdrüse der primäre Anstoss zur Pubertätsentwicklung 
vom Cerebrura ausgeht. 

Auch die Entstehung von Neurosen bzw. Psychoneurosen ist 
mit den verschiedenen Phasen der Keimdrüsensekretion in kausalen 
Zusammenhang gebracht worden. Die ersten Symptome der 
Epilepsie und Hysterie werden häufig in den Pubertätsjahren 
manifest. Desgleichen zeigen sich nicht selten in dieser Periode 
die ersten Anfälle des manisch-depressiven Irreseins, sei es unter 
dem Bilde der Erregung, sei es als Depression. Die künstliche 
Kastration und das Klimakterium haben zuzeiten schwere De- 
pressionszuRtände im Gefolge, die wir der Melancholie zuzureebnen 
pflegen. Die hier erwähnten Krankheiten sind nicht etwa spe¬ 
zifisch für eine bestimmte Periode der Keimdrüsensekretion, 
sondern es kann nur gesagt werden, dass das Einsetzen und das 
Versiegen der Drüsenfunktion zu bestimmten Krankheiten dis¬ 
ponieren, also die Baste für die Entwicklung des Leidens ab¬ 
geben. Nur für eine bisher noch nicht erwähnte Krankheit er- 


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3. März 1313. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


scheint vielleicht eine andere Auffassung möglich, für die De¬ 
mentia praecox. Einerseits wissen wir, dass sie sich zeitlich eng 
an die Generationsvorgänge, Entwicklungsalter, Menstruation, 
Fortpflanzungsgeschäft und Klimakterium anscb Messt: andererseits 
ist gerade für sie besonders auf die Aehnlicbkeit ihrer Symptome 
mit den psychischen Eigentümlichkeiten der Pubertätsjahre hin¬ 
gewiesen worden. Kraepelin hat daher schon früher dem Ge¬ 
danken Ausdrnck gegeben, dass das Wesen der Krankheit auf 
einer Selbstvergiftung beruhe, die möglicherweise von den Ge¬ 
schlechtsorganen ausgehe. Tatsächlich mag es sich bei der De¬ 
mentia praecox um Störungen der inneren Sekretion im Keim¬ 
drüsengebiet handeln, welche* durch die Beeinträchtigung be¬ 
stimmter seelischer Funktionen das typische Krankheitsbild 
erzeugen 1 ). 

Ich möchte hiermit die speziellen Ausführungen schliessen. 
Noch wären wohl viele Einzelheiten zu erwähnen, das Bild des 
Ganzen würden sie jedoch nicht ändern, noch auch mehr Klarheit 
tragen in die uns bewegenden Probleme. Die Gefässdrüsen bindet 
eine starke Affinität an das Nervensystem, und zwar gleicber- 
maassen an das cerebrospinale wie an das sympathische. Patho¬ 
logische Veränderungen der Blutdrüsen erzeugen Krankbeitsbilder, 
die wir als Erkrankungen des Nervensystems zu registrieren ge¬ 
wohnt sind. Umgekehrt geben Schädigungen des Nervensystems 
häufig zu Blutdrüsenerkrankungen Anlass: auf der Basis psy¬ 
chischer Insulte sehen wir nicht selten einen Diabetes, Basedow 
Q8w. entstehen. Selbst nur ein oberflächliches Betrachten der 
einschlägigen Verhältnisse muss uns die Ueberzeugung beibringen, 
dass das polyglanduläre System ein neuroaffines Organsystem 
darstellt. Wir möchten jedoch auf Grund der angestellten Re¬ 
flexionen die Behauptung wagen, dass alle Wirkungen der Blut¬ 
drüsen nur durch das Nervensystem vermittelt werden, d. h. 
es würden die Produkte der Drüsen lediglich das Nervensystem 
beeinflussen. Gewiss lassen sich für diese Anschauung nicht 
immer direkte Beweise erbringen, ja es widersprechen ihr sogar 
einzelne Tatsachen, z. B. die Wirkung der Hypophyse auf die 
Muskulatur der Gefässe, des Uterus usw. Doch müssen wir uns 
hier daran erinnern, dass die Hypophyse nicht nur eine Blutdrüse 
darstellt, sondern auch als Abschnitt des Centralnervensystems 
zu bewerten ist; also ist auch hier wieder die Kombination von 
Nervensystem und Blutdrüse gewahrt. 

Blutdrüsen- und Nervensystem sind füreinander bis zu einem 
gewissen Grade unentbehrlich; ihre gemeinsame Aufgabe, die 
Uebermittlung von Reizen, scheint sie zu einem System, einem 
Reizleitungssystem, zu vereinen. 

Suchen wir das Verhältnis, in welchem die beiden Glieder 
dieses grossen Systems zueinander stehen, aufzuklären, so werden 
wir hierbei auf den Begriff des Nerventonus, der uns in 
unseren Ausführungen mehrfach begegnete, zurückgreifen müssen. 
Wiewohl mit dem Tonusbegriff in der Neurologie viel operiert 
wird, sind wir über dessen eigentliches Wesen noch verhältnis¬ 
mässig wenig orientiert. Tonus bedeutet wörtlich „Spannung 11 , 
Tonus des Nervensystems ist also ein gewisser Spannungszustand, 
in welchem das Nervensystem durch irgendwelche Momente er¬ 
halten wird. Den Spannungsgrad eines bestimmten Nerven¬ 
abschnitts machen, wie wir glauben, im wesentlichen zwei 
Momente aus, und zwar seine „Reaktionsfähigkeit“ und seine 
„Leitungsfähigkeit“. Die Reaktionsfähigkeit wird bestimmt durch 
die Schnelligkeit, mit welcher der Nerv einen Reiz aufnimmt, 
die Leitungsfähigkeit durch die Geschwindigkeit, mit welcher der 
Reiz fortgeleitet wird. Für weitere Deduktionen geben uns die 
Untersuchungen von Eppinger und Hess eine Richtschnur an 
die Hand. Die beiden Autoren lehrten uns, wovon wir schon 
weiter oben handelten, den Begriff der Vagotonie und Sympatbico- 
tonie kennen, d. h. sie zeigten, dass die Sekrete der hypertrophi¬ 
schen Schilddrüse bei einer Reihe von Individuen sympathicotrop, 
bei anderen wieder vagotrop wirken. In diesen Beobachtungen 
aber glauben wir einen allgemeinen Hinweis auf den inneren Zu¬ 
sammenhang zwischen Nerven- und polyglandulärem System finden 
zu können; wir möchten annehmen, dass den Gefässdrüsen die 
allgemeine Aufgabe zufällt, den Tonus bestimmter Nervengebiete 


1) Es erscheint angebracht, nachdrücklichst auf die Bedeutung der 
Blutdrüsen für die Psychiatrie hinzuweisen. Gerade heute, da uns das 
anatomische Studium der Geisteskrankheiten noch häufig um keinen 
Schritt vorwärts bringt, muss jede Handhabe, die sich uns zur Erkenntnis 
der Pathogenese bietet, ergriffen werden. Auch in die bisher noch ganz 
unsichere Bilanz der sogenannten nervösen Disposition muss als wichtiger 
Faktor die Arbeitsgvösse des polyglandulären Systems eingestellt werden, 
für die wir allerdings noch einen Wertmesser finden müssen. 




zu regulieren. Dieses Regulationsvermögen würde sich sowohl 
im Sinne einer Erhöhung wie einer Verminderung des Tonus 
äussere. Mit anderen Worten: Es würden dem Nervensystem von 
seiten der Blutdrüsen ständig Stoffwechselprodukte zugeführt, 
weiche seinen Reaktions- und Leitungsfähigkeit stets auf gleich- 
mässiger Höhe erhalten. Dauernd also fliessen ihm auf vor¬ 
gezeichneten Bahnen chemische Reize zu, die seine Aktion teils 
fördernd, teils hemmend beeinflussen. Wie aus den Ergebnissen 
der Pathologie hervorgeht, scheint das Nervensystem ständig der¬ 
artiger Impulse zu bedürfen, um den ihm obliegenden Funktionen 
vollauf zu genügen. 

Die tonische Erregung, welche von den Blutgefässdrüsen aus¬ 
strahlt, erstreckt sich — das sei von vornherein betont — auf 
bestimmte nervöse Gebiete, und zwar auf Gehirn und vielleicht 
Rückenmark einetseits, auf das vegetative, d. h. autonome und 
sympathische System andererseits. In diesem Wechselverhältnis 
sind nicht etwa alle Blutdrüsen mit gleichmässigen Anteilsn ver¬ 
treten, sondern es bestehen hier eine Reihe scharf voneinander 
differenzierter Bindungen. Lange schon wurde versucht, für das 
polyglanduläre System ein gut fundiertes Einteilungsprinzip zu 
finden; die spezifischen Affinitäten der Drüsen zu den ver¬ 
schiedenen Abschnitten des Nervensystems scheinen nun in der 
Tat alle an ein solches zu stellenden Anforderungen zu erfüllen. 
An die Spitze stellen wir Hypophyse und Zirbel, welche durch 
ihre topographische Zugehörigkeit zum Gehirn eine Sonderstellung 
einnehmen (cerebrale Blutdrüsen). Die Nebenniere repräsentiert 
den Typus einer sympatbicotonischen Blutdrüse, desgleichen 
das Pankreas; erstere wirkt fördernd, letzteres hemmend auf den 
Sympathicustonus. Die Schilddrüse ist für uns der Prototyp einer 
polytonischen Drüse, sie influenziert Gehirn, Syrapathicus und 
Vagussystem. Auch die Keimdrüse ist vielleicht ein polytoni¬ 
sches Organ; indessen steht hier eigentlich nur ihre Affinität 
zum Cerebrum fest, das Wesen der übrigen Affinitäten ist noch 
nicht geklärt 1 ). Die Epithelkörperchen sind mit aller Reserve als 
spinotoniscbe Drüsen zu charakterisieren. Zusammenfassend 
hebe ich noch einmal hervor, dass das polyglanduläre System 
mit der Fähigkeit aüsgestattet erscheint, den Tonus gewisser 
Nervengebiete zu regulieren, und dass zum Ausgleich dieser 
Funktionen die einzelnen Blutdrüsen nach Maassgabe bestimmter 
Affinitäten herangezogen werden. 

Unsere Erwägungen sind auch in therapeutischer Hinsicht 
nicht ohne Interesse. Wir sahen, dass Erkrankungen der Blut¬ 
gefässdrüsen eine wesentliche Aenderung des Tonus in einem be¬ 
stimmten Nervenabschnitt herbeiführen und dass hierdurch die 
Mehrzahl der Krankheitserscheinungen bedingt wird. Eine kau¬ 
sale Tqerapie müsste in erster Linie darauf abzielen, die be¬ 
treffende Blutdrüse wieder zur Normalsekretion zu bringen 
und hiermit die Tonusschwankung zu beseitigen. Wo das aber 
nicht gelingt — und das wird recht oft der Fall sein —, ist eine 
Regulation des gestörten Neurotonus noch auf andere Weise 
denkbar. Wir nehmen als Beispiel den Morbus Basedow, bei 
dem ein gesteigerter Sympathicustonus vorhanden ist. Eine Re¬ 
duktion der vermehrten Nervenspannung zur Norm erscheint 
a priori auf zwei Wegen möglich (es wird, wie schon erwähnt, 
von der Strumektomie bzw. Antithyreoidinbehandlung hier abge¬ 
sehen). Erstens kann die Angriffsfläche des betreffenden Nerven¬ 
gebiets verkleinert werden. Diesen Weg haben unserer An¬ 
schauung nach die Franzosen durch die Resektion des Hals- 
sympathicus realisiert. Ein zweiter Weg bietet sich in der 
Möglichkeit, den durch die Schilddrüsenprodukte erhöhten Sym¬ 
pathicustonus durch ein konträr wirkendes Blutdrüsensekret zu 
paralysieren. Hier kommt eventuell das Pankreassekret in 
Betracht; denn die Produkte der Bauchspeicheldrüse dämpfen 
nach unseren Annahmen die tonische Erregung des Sympathicus. 
Es könnte also vielleicht durch Verabreichung von Pankreas¬ 
extrakt ein Gegengewicht gegen die durch die Schilddrüse be¬ 
wirkte Uebererregung des sympathischen Systems geschaffen 
werden. 

Tausend feine Fäden verknüpfen Nervensystem und innere 
Sekretion. Wir stehen hier noch am Anfang unserer Kenntnisse, 
beginnen nur allmählich das dichte Faserwerk zu entwirren, 
und kaum sind die ersten Strahlen der Erkenntnis zu uns binab- 
gedrungen. Vielleicht wird uns einst die Lösung des Problems ge¬ 
lingen, aber nur um uns neuen Problemen entgegenzustellen. All 
das, was wir Menschen mühsam erringen, bedeutet für uns kein 

1) Nach den Forschungen von Cristofoletti wirkt das Ovarium 
hemmend auf das chromaffine System und damit auf den Sympathicus, 

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Nr. 9. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


40Ö 


Ende, ist nur ein Sporn zu unablässigem Suchen und Streben 
nach höheren Zielen. Nicht der Besitz, sondern der Kampf ist 
der Sterblichen Los; nur das machtvolle Ringen nach der Wahr¬ 
heit birgt in sich die höchsten Wonnen irdischen Glücks. 

Zusammenfassung. 

1. Die Erfahrungen der Physiologie und Pathologie lehren, 
dass die Funktionen der Blutdrüsen innig mit der Tätigkeit des 
Nervensystems verknüpft sind. 

2. Es ist wahrscheinlich, dass die Produkte der Blutdrüsen 
lediglich das Nervensystem beeinflussen, wenngleich für diese 
Behauptung sich auch nicht immer direkte Beweise erbringen 
lassen. Mit anderen Worten: Alle durch die Blutdrüsen hervor¬ 
gebrachten Reaktionen werden nur durch das Nervensystem ver¬ 
mittelt. 

3. Es werden nur bestimmte Nervengebiete, und zwar Ge¬ 
hirn und vielleicht Rückenmark einerseits, vegetatives Nerven¬ 
system andererseits beeinflusst. 

4. Das Wesen der zwischen polyglandulärem und Nerven¬ 
system bestehenden Wechselbeziehungen lässt sich mit der An¬ 
nahme erklären, dass die Sekrete der Blutdrüsen dazu dienen, 
den Tonus der beeinflussten Nervengebiete zu regulieren. 

6. Die einzelnen Blutdrüsen beeinflussen vermöge einer spezi¬ 
fischen Affinität nur einen bestimmten Bezirk des Nervensystems, 
nicht etwa das gesamte in ihren Machtbereich gehörende Nerven¬ 
gebiet. 

6. Die spezifischen Affinitäten der Blutdrüsen zu den ver¬ 
schiedenen Abschnitten des Nervensystems können als Einteilungs¬ 
prinzip für das polyglanduläre System benutzt werden (sympathico- 
tonische, spinotonische, polytonische usw. Blutdrüsen). 

7. Die Annahme einer Tonusregulation bestimmter Nerven¬ 
abschnitte von seiten der Blutdrüsen lässt sich vielleicht in thera¬ 
peutischer Hinsicht verwerten. 


Literatur. 

Ascher, Die Innervation der Drüsen mit innerer Sekretion usw. 
Ref. Neurol. Centralbl., 1912. — A sehn er, ref. Wiener klin. Wochen¬ 
schrift, 1909. — Biedl, Innere Sekretion. Berlin u. Wien 1910. — 
Crowe, Cushing and Homans, Experimental hypophysectomy. Bull, 
of the Johns Hopkins hosp., 1910, Vol. 21. — v. Cyon, Die Gefäss- 
drüsen als regulatorische Schutzorgane des Centralnervensystems. Berlin 
1910. — Eppinger, Falta und Rudinger, Zeitschr. f. klin. Med., 
Bd. 66 u. 67. — Eppinger und Hess, Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 67, 
68 u. 69. — Falta und Kahn, Klinische Studien über Tetanie usw. 
Zeitsohr. f. klin. Med., Bd. 74. — Goetsch, Cushing and Jacobson, 
Carbohydrate tolerance etc. Bull. Johns Hopkins hosp., 1911, Vol. 22. 

— Kahn, Zur Frage des Serumgehalts an adrenalinähnlichen Sub¬ 
stanzen. Münch, med. Wochenschr., 1912. — Th. Kocher, ref. Münch, 
raed. Wochenschr., 1911, S. 979. — Kraepelin, Psychiatrie, 7. Aufl. 

— Leschke, Die Pankreastherapie des Diabetes. Münch, med. Wochen¬ 
schrift, 1911. — L6vi et de Rothschild, Corps thyroi'de et emotions. 
Bull, de la soc. de l’internat., 1909, No. 9. — Münzer, Ueber die Ein¬ 
wirkungen der Blutdrüsen usw. Diese Wochenschr., 1912. — Oppen¬ 
heim, Lehrbuch der Nervenkrankheiten, 4. Aufl. — Seilheim, Zur 
Lehre von den sekundären Geschlechtscharakteren. Beitr. z. Geburtsh. 
u. Gynäkol., Bd. 1. — Tobias, Ueber myasthenische Paralyse usw. 
Neurol. Centralbl., 1912. — Veit, ref. Deutsche med. Wochenschr., 1912. 

Anmerkung bei der Korrektur. Da das Manuskript der vor¬ 
liegenden Arbeit bereits vor längerer Zeit fertiggestellt war, so konnten 
verschiedene jüngst erschienene Arbeiten im Text nicht mehr berück¬ 
sichtigt werden. Ich nenne hier besonders: A sehn er, Ueber die Funktion 
der Hypophyse. Archiv f. d. ges. Physiol., Bd. 146. — Derselbe, Ueber 
die Beziehungen zwischen Hypophysis und Genitale. Archiv f. Gynäkol., 
Bd. 97. — Derselbe, Zur Physiologie des Zwischenhirns. Wiener klin. 
Wochenschr., Nr. 27. — Curschmann, Cerebrale Syndrome der Tetanie 
und die Calciumtherapie. Verhandl. d. Gesellschaft deutscher Nerven¬ 
ärzte, Leipzig 1912. — v. Frankl-Hoohwart, Ueber den Einfluss der 
inneren Sekretion auf die Psyche. Med. Klinik, Nr. 48. — Redlich, 
Die klinische Stellung der sogenannten genuinen Epilepsie. Ref. Ver¬ 
handlungen d. Gesellschaft deutscher Nervenärzte, Leipzig 1912. 


Aus der Provinzial-Hebammenlehranstalt zu Stettin 
(Direktor: Geh. San.-Rat Dr. Bauer). 

Vorschläge zur Verbesserung des neuen 
preussischen Hebammenlehrbuchs. 

Von 

Dr. C. Holste, I. Assistenzarzt. 

Die grosse Mehrzahl der Hebammenlehrer, die genötigt war, das 
preussische Hebammenlehrbuch, Ausgabe 1905, im Unterricht zu be¬ 
nutzen, dürfte sich im Laufe der Jahre von den vielen Unzulänglichkeiten 


dieses Hilfsmittels hinreichend .überzeugt haben. Es war deshalb klar, 
dass alle diejenigen, welche Abänderungen begehrten, mit frohen Hoff¬ 
nungen dem Erscheinen einer Neubearbeitung entgegensahen. 

Die nun vorliegende Ausgabe 1912 enthält in der Tat zahlreiche 
Verbesserungen. Wenn sie an dieser Stelle nicht alle genannt werden 
und unsere Kritik sich mehr auf die negative Seite beschränkt, so möge 
dies nicht im Sinne eines J’accuse“ gedeutet werden. Die folgenden 
Erörterungen, die im wesentlichen auf den langjährigen Erfahrungen des 
Leiters der hiesigen Anstalt, Herrn Geh. San.-Rat Dr. Bauer, beruhen, 
sind nur aus dem Bestreben heraus entstanden, an der Besserung vor¬ 
handener Mängel ein wenig mitzuhelfen. Vorzüge und Nachteile des 
Buches gegeneinander abzuwägen ist Sache einer allgemeinen Be¬ 
sprechung. 

Ich stelle die beiden Neuerungen, die uns am wichtigsten erscheinen, 
an den Anfang: Die Einführung eines anderen Desinfektionsverfahrens 
und die Erweiterung der operativen Befugnis der Hebamme. (Blasen¬ 
sprengung bei Placenta praevia.) 

Von dem Gebrauch des Sublimats soll in Zukunft abgesehen und 
statt dessen die Alkohol (Brennspiritus)KresoIseifendesinfektion benutzt 
werden, wie es heisst, mit Rücksicht auf die ernsten Bedenken, die sich 
im Laufe der Zeit gegen die Anwendung des Sublimats ergeben hätten. 

Vorweg sei bemerkt, dass uns im Prinzip ein häufiger Wechsel der 
Desinfektiousmethode ohne absolut zwingende Gründe für die Heb¬ 
ammenpraxis nicht zweckmässig erscheint. Die vorige Auflage gab erst 
Gelegenheit zur Einführung des Lysols; in der Zwischenzeit ist die 
Kresolseifenlösung gekommen, und nun ist wieder etwas Neues vorge¬ 
schrieben. Derartige Schwankungen können gerade beim niederen Heil¬ 
personal, das eine wissenschaftliche Kritik nicht besitzt, gar zu leicht 
den Verdacht erwecken, dass auf diesem Gebiete bei den zuständigen 
Stellen selbst eine Unsicherheit vorherrscht und infolgedessen zur Gering¬ 
schätzung der ganzen Angelegenheit führen. 

Ritter 1 ) teilt mit, dass nach amtlichen Berichten etwa ein Zehntel 
aller Hebammen in den Jahren 1909 — 1911 das Sublimat nicht ver¬ 
tragen konnte. Es seien bei ihnen Ausschläge an den Händen und 
sonstige Vergiftungserscheinungen aufgetreten, wie Speichelfluss, Locke¬ 
rungen der Zähne, langanhaltende Durchfälle. Die an unserer Anstalt 
gemachten Beobachtungen, die sich sowohl auf die Schülerinnen als auf 
die zu Nachkursen einberufenen Hebammen beziehen, stimmen hiermit 
nicht überein. Der Prozentsatz derjenigen, die durch Sublimatgebrauch 
Reizsymptome an Händen und Armen bekamen, war im Laufe der 
letzten Jahrzehnte verschwindend gering; ernstere Intoxikationszeichen 
sind überhaupt nicht zur Kenntnis gelangt. 

Nach unseren Erfahrungen dürfte demnach die frühere Möglichkeit, 
dass in den einschlägigen Fällen von den Kreisärzten Dispens erteilt 
und ein anderes Desinfektionsmittel erlaubt werden konnte, dem Uebel 
in ausreichender Weise gesteuert haben. Uebrigens hat sich in den 
letzten Jahren das Sublamin als reizloseres Ersatzpräparat des Sublimats 
vielfach bewährt. 

Die Schwierigkeiten, über Sublimatschädigungen in der allgemeinen 
Hebammenpraxis eine einwandfreie Statistik zu erheben, sind doch recht 
beträchtlich. Die Selbstbeobachtung der Hebammen, die hierbei in 
erster Linie herangezogen werden muss, ist viel zu subjektiv, als dass 
ärztlicherseits jedesmal ein causaler Zusammenhang zwischen den an¬ 
geblichen Vergiftungserscheinungen und der Benutzung des Sublimats 
sicher angenommen werden kann. Da unmöglich zur Zeit der Umfrage 
alle die genannten Symptome von den Kreisärzten selbst gesehen sein 
können, ist ein Misstrauen wohl berechtigt. 

Ob mit der Ausschaltung des Sublimats die Reizungen an den 
Händen der Hebammen sich wesentlich verringern werden, muss man 
dahingestellt sein lassen, denn die Erfahrung lehrt, dass auch die 
AlkoholwaschuDg, zumal dann, wenn die Haut zuvor durch längeres 
Seifen aufgelockert ist, häufig genug irritierend wirkt. Inwieweit der 
Brennspiritus in dieser Hinsicht noch eine besondere Rolle spielt, darüber 
fehlt es, wie mir scheint, an ausgedehnteren Erfahrungen. Nicht wenige 
Hände vertragen ausserdem die Kresolseife viel schlechter als das Sublimat. 

Was die für fremde Personen bestehende Vergiftungsgefahr des 
Sublimats betrifft, so sei bemerkt, dass mit unabsichtlichen Intoxikationen 
durch die üblichen Sublimatpastillen nur bei grober B’ahrlässigkeit der 
Hebamme zu rechnen ist. Zum überlegten Selbstmordversuch sind ge¬ 
nügend andere Gifte erreichbar. 

Die Ueberlegenheit des neuen Desinfektionsverfahrens über das alte 
kann, was Zuverlässigkeit anbetrifft, keineswegs als erwiesen gelten. 
Allgemeiner anerkannt ist doch wohl nur eine gewisse auf Zeitersparnis 
beruhende Superiorität des Alkohols. Diesen Vorteil aber auszunutzen, 
darauf hat man mit Recht verzichtet, denn eine Abkürzung der Prozedur 
wäre leicht geeignet gewesen, in den Augen der Hebammen den Wert 
der Desinfektion herabzusetzen. 

Betrachtet man die materielle Seite der neuen Verordnung, so 
würde der Gebrauch des reinen Alkohols (1 Liter kostet 1,80 M.) eine 
ganz erhebliche Belastung des Etats der Hebamme bedeuten. Da jedoch 
der Brennspiritus zulässig ist, kann dieses Bedenken kaum eine prak¬ 
tische Bedeutung gewinnen. Vermutlich wird in Zukunft von den Heb¬ 
ammen nur dann auf den denaturierten Spiritus verzichtet werden, wenn 


1) Kreisassistenzarzt Dr. Ritter, Hilfsarbeiter im Ministerium des 
Innern, Die wichtigsten Aenderungen der Neuauflage des Hebammen¬ 
lehrbuches. Allgem. Deutsche Hebammenzeitung 1912, Nr. 26. 


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8. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


401 


die Wöchnerin selbst ihn wegen seines üblen Geruches ablehnen sollte 
und die daraus erwachsenden Mehrkosten übernimmt. 

Rücksichten der Sparsamkeit haben offenbar zu der Erlaubnis ge¬ 
führt, dass dieselbe Menge Brennspiritus mehrmals im Verlaufe eines 
Wochenbettes gebraucht werden kann. »Die bei einem Wochenbett¬ 
besuch verwendete Menge Alkohol (Brennspiritus)“, so lautet die Be* 
Stimmung (§ 255), »darf die Hebamme in einer reinen verdeckten 
Schüssel . . . aufbewahren und in der Wohnung der Wöchnerin zurück- 
lassen, um den Alkohol beim nächsten Besuch der Wöchnerin wieder 
zu verwenden.“ Der Inhalt dieses Satzes ist nicht eindeutig. Je 
nachdem man den Ton auf »einem“ oder auf »Wochenbettbesuch“ legt, 
ist der Wortsinn verschieden. Im ersten Fall ergibt sich daraus die 
Befugnis, den Alkohol im Wochenbett immer zweimal zu benutzen, im 
letzten ist eine Verwertung desselben Quantums während des ganzen 
Wochenbetts gestattet. 

Die Hebammentasche wird durch */i Liter Spiritus und die ent¬ 
sprechende Flasche erheblich beschwert. Um wenigstens die Ansprüche 
an den Raum der Tasche zu beschränken, liegt es nahe, wie auch 
Ritter 1 ) hervorhebt, den Alkoholbehälter der Innenfläche des Irrigators 
anzupassen. 

Die Bestimmung, dass die Hebamme bei unvollständig vorliegendem 
Mutterkuchen die Blase sprengen und unter Umständen einen Fuss herab¬ 
ziehen darf (§ 427), muss ernsthafte Bedenken erwecken. Es ist zunächst 
daran zu erinnern, dass selbst in ärztlichen Kreisen die Frage nach der 
zweck massigsten Behandlung der Placenta praevia noch nicht spruchreif 
ist. Wendung auf einen Fuss, Metreuryse, vaginaler und abdominaler 
Kaiserschnitt streiten sich zurzeit um den Vorrang. So lange es eine 
feststehende Regel in dieser Hinsicht nicht gibt, bleibt es dem Ermessen 
des Arztes überlassen, auf Grund seiner persönlichen Erfahrungen und 
Anschauungen diejenige Methode auszuwählen, die er für die beste hält. 
Diesem individuellen Vorgeben, auf das ein jeder Arzt bei schwankendem 
Standpunkt der Wissenschaft ein Anrecht hat, wird durch die neue Ver¬ 
fügung ohne weiteres der Weg abgeschnitten. 

Weit wichtiger als das letztgenannte Moment sind die Komplikationen, 
die aus einer irrtümlichen Diagnose der Hebamme erwachsen können. 
Voraussetzung für ein gefahrloses Vorgehen ist ja doch zunächst, dass 
die Hebamme in der Lage ist, die Placenta praevia sicher zu erkennen. 
Ja noch mehr! Sie muss befähigt sein, die verschiedenen Grade der 
Placenta praevia, totalis und partialis, zu unterscheiden. Dass eine sehr 
grosse Anzahl von Hebammen der ersten, geschweige denn der letzten 
Anforderung nicht genügt, lehrt die Erfahrung der täglichen Praxis. 

Die im Texte gestellte Bedingung für die Blasensprengung »bei 
kräftigen Wehen“ ist zu subjektiv, als dass sie einem saebgemässen 
Handeln der Hebamme zur Richtschnur dienen könnte. 

Der § 426 deutet die diagnostischen Schwierigkeiten bereits an. Es 
steht dort: »Auch wenn die Hebamme vorliegenden Mutterkuchen nur 
vermutet, hat sie die Frau so zu behandeln, als wenn das Vorliegen 
nachgewiesen wäre.“ Möchten sich doch keine Hebammen verleiten 
lassen, gestützt auf diese Vorschrift auch bei zweifelhafter Placenta 
praevia von der ihnen an die Hand gegebenen Operationsbefugnis Ge¬ 
brauch zu machen! 

Ferner sei bemerkt, dass die Sprengung der Blase häufig genug 
nichts weniger als einfach und leicht ist. Oft wird es der Hebamme 
überhaupt nicht gelingen, und ihre Manipulationnn werden dann nur 
dazu führen, den Mutterkuchen weiter abzulösen und die Blutungen zu 
verstärken. Aber auch wenn es ihr glückt, ist die Gefahr noch längst 
nicht vorüber. Es hätte nachdrücklichst betont werden sollen, dass die 
vollzogene Sprengung der Blase die sofortige Hinzuziehung eines Arztes 
nicht ausschliesst. 

Findet die Hebamme nach der Blasensprengung einen Fuss oder 
beide Füsse in oder über dem Muttermunde, so hat sie das Recht einen 
Fuss so weit berabzuziehen, dass er in der Schamspalte sichtbar wird. 
Wie aber, wenn sie sich irrt und statt des Fusses eine Hand fasst und 
bervorholt? Es ist bei Placenta praevia ja nicht allzu selten,, dass der 
vorliegende Kopf abgewichen und Gelegenheit zum Vorfall eines Armes 
gegeben ist. Wie häufig wird es wohl selbst geübten Hebammen passieren, 
dass sie sich täuschen und einen Arm herunterziehen? 

Was zur Verminderung der Gefahr bei Placenta praevia von den 
Hebammen gefordert wird, das sollte nach unserem Ermessen mehr pro¬ 
phylaktischer Natur sein. Die Hebammen sollen die Frauen in den 
letzten Monaten der Schwangerschaft darauf aufmerksam machen, dass 
sie bei den geringsten Blutungen sofort den Arzt aufzusuchen haben. 
Sie sollen, wenn sie zu einer blutenden Frau gerufen werden, deren 
Gravidität sich dem Ende nähert, »wegen Verdachtes auf vorliegenden 
Mutterkuchen“ sofort ärztliche Hilfe veranlassen. Selbst die innere Unter¬ 
suchung ist in solchen Fällen entbehrlich, und nur, wenn es unbedingt 
nottut, soll die Scheide tamponiert werden. Mit derartigen Maassregeln 
dürfte man bei all ihrer Unzulänglichkeit immer noch besser fahren, als 
wenn man den Hebammen eine grössere Aktivität einräumt. 

Es ist anzuerkennen, dass in der neuen Ausgabe mit grösserer 
Schärfe und im Texte durch stark hervorgehobenen Druck auf die Ge¬ 
fahren der inneren Untersuchung und die Möglichkeiten der puerperalen 
Infektion hingewiesen wurde. Wertvoller als diese theoretischen 
Warnungen sind indes praktische Fingerzeige, die eine weitere An¬ 
näherung an das so sehr erwünschte Ziel gestatten. Einiges ist in 
dieser Hinsicht geschehen, auf das ich aufmerksam machen möchte: 


J) 1. c., 1918, Nr. 1. 


§ 113. Die Unterscheidung zwischen einfacher und verschärfter 
Desinfektion ist aufgegeben. Nach der Seifenwaschung sind die Hände 
mit frischem, heissem Wasser abzuspülen, und da9 Abtrocknen hat zu 
unterbleiben. — Der Hebamme wird die Pflege ihrer Zähne ganz besonders 
nahegelcgt. § 143. Die Untersuchung von Schwangeren soll auf einem 
reinen, frisch bezogenen Lager vorgenommen werden. § 202. Die Vor¬ 
schrift, dass die Hebamme, die bei einer Krebsenden durch die erste 
innere Untersuchung die Lage des Kindes oder den Stand der Geburt 
nicht ermitteln konnte, nach einiger Zeit eine zweite innere Untersuchung 
vornehmen muss, ist fallen gelassen. § 252. Die verunreinigten Watte¬ 
vorlagen der Wöchnerin sollen in Zukunft mit einer Kornzange entfernt 
werden. (Eine Pinzette erfüllt den gleichen Zweck, ist billiger, hand¬ 
licher und weniger umfangreich.) § 272. Die Hebamme darf eine 
Wöchnerin zur Feststellung einer vorausgegangenen Geburt nicht mehr 
innerlich untersuchen. § 301. Die Schamhaare sollen bei Krebsenden 
und vor jeder Scheidentamponade kurz geschnitten werden. 

Eine weitere Vermeidung der Gefahren könnte durch die Berück¬ 
sichtigung folgender praktischer Vorschläge und Hinweise (Bauer) 
erzielt werden: 

Den Hebammen sollte zur Pflicht gemacht werden, — meistens 
ist es praktisch durchführbar — sich mit ihren Klientinnen schon in 
den letzten Wochen der Schwangerschaft in Verbindung zu setzen. Eine 
innere Untersuchung zu dieser Zeit, falls überhaupt nötig, könnte in 
sehr vielen Fällen die gefährlichere Exploration unter der Geburt über¬ 
flüssig machen. Das Lehrbuch erwähnt zwar dieses Verfahren (§§ 165 
u. 198), spricht sich aber nicht in obiger kategorischer Form aus. 

Es hätte ferner auf die Möglichkeit der Untersuchung im vorderen 
Scheidengewölbe verwiesen werden sollen. Häufig genug, und zwar be¬ 
sonders dann, wenn der Kopf im Beckeneiogang fixiert bt, sind die Fest¬ 
stellungen, die von dort aus gemacht werden können, für die Hebamme 
völlig genügend. In der Praxis ist es auch entbehrlich, dass die Heb¬ 
amme über die Weite des Muttermundes genaue Angaben macht; vor 
allem gilt dies für die ländlichen Verhältnisse. Hier reicht die Mit¬ 
teilung, dass überhaupt eine Regelwidrigkeit vorliegt, in jedem Falle 
aus. Der Arzt, der nicht sofort bei der Patientin sein kann, darf sich 
durch eine Aeusserung über die Weite des Muttermundes in seinen Dis¬ 
positionen nicht beeinflussen lassen, weil niemals vorauszusehen ist, 
welche Fortschritte die Eröffnung gemacht hat, bis er bei der Kreissenden 
eintrifft. 

Abgesehen von einer leichteren Infektionsgelegenheit bedeuten die 
Untersuchungen im Muttermunde vielfach eine schwer ins Gewicht fallende 
Gefährdung der Blase. Letztere liegt z. B. dann vor, wenn die Heb¬ 
amme darauf bedacht bt, Querlagen sicher zu erkennen. Die Ver¬ 
wechselung einer Querlage mit einer Steisslage ist nicht so bedenklich, 
wie es in § 341 dargestellt ist, da beide Anomalien die sofortige Hinzu¬ 
ziehung eines Arztes bedingen. 

Die übrigen Fingerzeige, von deren Berücksichtigung eine weitere 
Verminderung der Infektionsfalle zu erhoffen ist, seien in der Reihenfolge 
der Paragraphen gegeben. § 252 macht eine entbehrliche Konzession: 
»Ist abgekochtes Wasser nicht zu beschaffen ....“, denn abgekochtes 
Wasser ist in jedem Haushalt zu haben. — § 296. In diesem die Fehl¬ 
geburt behandelnden Kapitel ist erwähnt, es sei die Aufgabe der Heb¬ 
amme, die Ursache der Blutung zu ermitteln. Ein solches Verlangen 
erscheint überflüssig; es genügt, wenn die Hebamme bei Blutungen so¬ 
fort ärztliche Hilfe herbeiruft und im Notfall tamponiert. Im Hinblick 
auf die Infektionsgefahr könnte auch die in § 300 gegebene Anweisung: 
»Bleibt die Fehlgeburt aus den Abgängen noch zweifelhaft, so unter¬ 
suche sie die Frau innerlich“, verschwinden. 

In § 354 (Verzögerung der Austreibungszeit) ist zu Unrecht gesagt, 
dass bei tief im Becken stehendem Kopf eine wiederholte innere Unter¬ 
suchung seitens der Hebamme sich nicht vermeiden liesse. Die Kon¬ 
sultation eines Arztes macht sie entbehrlich. — § 470. Der Hinweis, 
*dass die Hebamme wegen der Gefahr der Uebertragung sich vor dem 
Ausfluss fiebernder Wöchnerinnen zu hüten habe, gibt leicht der Ver¬ 
mutung Raum, die Absonderung gesunder Wöchnerinnen sei in dieser 
Hinsicht unbedenklich. — § 471. Es empfiehlt sich nicht, der Hebamme 
die Wahl zu lassen, ihre Instrumente auszukochen oder mit Kresol- 
seifenlösung abzureiben (und in eine solche Lösung zu legen). Die 
Sterilisierung durch Siedehitze müsste als notwendig hingestellt werden. 

Sodann noch einige sachliche Anmerkungen, die nicht die Frage der 
Infektion berühren (Bauer): 

| 65. Aus Gründen der Zuverlässigkeit ist es nicht zweckmässig, 
dass die Hebamme den Puls nur 1 U Minute lang zählen und die ge¬ 
fundene Zahl mit 4 multiplizieren darf. Sie soll vielmehr während einer 
ganzen Minute den Puls kontrollieren. — § 91. Blasenfisteln entstehen 
nicht »durch den übergrossen Geburtsdruck“, sondern infolge der langen 
Dauer des Druckes. — § 131. Bei der Aufzählung der Kopfdurchmesser 
ist wieder der kleine schräge fortgelassen. Seine Bedeutung für die 
Hebamme, die sich in erster Linie um den normalen Geburtsverlauf zu 
kümmern hat, liegt auf der Hand. — § 194. Leichtere Trübungen der 
Höllensteinlösung sind durch das dunkelfarbige Tropfglas nicht zu er¬ 
kennen. Die Flüssigkeit sollte deshalb stets nach einer bestimmten 
Zeit, etwa drei Wochen, erneuert werden. 

§ 242. Warum muss der Wöchnerin in den ersten 8 Tagen jeg¬ 
liche psychische Anregung, sogar das Lesen vorenthalten bleiben? Ein 
solches Verfahren bedeutet für einigermaassen intelligente Frauen eine 
ungerechtfertigte Härte (Verf.). 

$ 402 erwähnt unter den Missbildungen das Fehlen einzelner Finger; 

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402 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 0. 


weshalb nicht auch den Defekt ganzer Gliedmaassen? — In § 404 
(drohende Uterusruptur) steht: »Die Kreissende wird auf den Rücken 
(statt »auf die Seite“) gelagert und das Pressen verboten.“ Wenn in 
§ 439 gesagt wird, die Hebamme soll, nachdem der Cred6sche Hand* 
griff ihr nicht gelungen ist, an die Entleerung der Harnblase denken, so 
ist daran zu erinnern, dass die Hebamme schon vor Ausübung des Hand* 
griffes ihr Augenmerk auf diesen Umstand zu richten hat — § 497. 
Nabelschnurschere statt »Nabelschere“. 

Auffallend sind die vielfachen sprachlichen Mängel. Obwohl gegen 
früher mancherlei in dieser Richtung besser geworden ist, bleibt immer 
noch genug, was eine Korrektur erfordert 1 ). 

Der § 41 enthält die alten Fehler in der örtlichen Darstellung, die 
den Unterricht in hohem Maasse komplizieren. Es ist dort yon den 
grossen Schamlippen gesagt, dass sie sich nach hinten 2 ) durch das 
Schamlippenbändchen vereinigen, und im nächsten Absatz heisst es dann 
von den kleinen Labien: »Sie umschliessen den Vorhof der Scheide und 
vereinigen sich nach oben 2 ) in die Umhüllung einer kleinen erbsen¬ 
grossen Hervorragung, den (statt »des“) sogen. Kitzler.“ Einige Zeilen 
weiter folgt ein ähnliches Beispiel. 

Endlich sei noch bemerkt, dass man in dem Bestreben, die Heb¬ 
ammen mit medizinischen Fachausdrücken bekannt zu machen, etwas zu 
weit gegangen zu sein scheint. Soweit geeignete deutsche Worte vor¬ 
handen sind, liegt kein Bedürfnis vor, wissenschaftliche Bezeichnungen, 
und sei es auch nur in Klammern, zu verwenden. Als Beispiele mögen 
erwähnt werden: Tenesmus (§ 67), Decubitus (§ 76), Condylome (§84), 
Spirochäten (§ 85), Osteomalacie (§ 374). 

Nachträgliche Anmerkung: Erst später sind wir auf eine Arbeit 
von Dr. Krohne (Geh. Med.-Rat und Vortr. Rat im Ministerium des 
Innern) aufmerksam geworden: Die den Hebammen, Hebammenlehrern 
und Kreisärzten durch die Neuauflage des preussischen Hebammenlehr¬ 
buches erwachsenden Aufgaben. Veröffentl. aus d. Gebiete der Med.- 
Verwaltung, 1912, Bd. 1, H. 16. — Da die Erläuterungen Ritters 
offenbar in Anlehnung an diese Publikation entstanden sind, so wurde 
hierdurch eine Abänderung unserer Kritik nicht bedingt. 

Nach Krohnes Mitteilung haben die Kreisärzte nur bei 5,6 pCt. 
aller Hebammen das Sublimatekzem an den Händen oder andere Ver¬ 
giftungserscheinungen selbst festgestellt. Der übrige Anteil beruht auf 
den von uns bemängelten subjektiven Angaben der Hebammen. Krohne 
berichtet ferner, dass der denaturierte Spiritus bereits seit vielen Jahren 
in einer grösseren Hebammenlehranstalt mit bestem Erfolge gebraucht 
sei. Die in letzter Zeit in unseren Wochenzimmern von den Schüle¬ 
rinnen benutzten Kresolseifenlösungen verbreiten schon einen so un¬ 
angenehmen Geruch, dass wir die gleichzeitige Anwendung des Brenn¬ 
spiritus an Stelle des kostspieligen Alkohols, wie Krohne empfiehlt, 
nicht recht verantworten können. 


Der Scheidentrockner. 

Yon 

Dr. Scharfe, Frauenarzt. 

Dem Sikkator nach Nassauer haften zwei Nachteile an; sein An¬ 
schaffungspreis (5,25 M.) ist zu hoch und der Glasteil zu zerbrechlich, 
wodurch auch noch die Gebrauchskosten gross werden. 

Um auch bei minderbemittelten Patienten die Methode anwenden 



1) Einen kleinen Teil dieser stilistischen Unrichtigkeiten möchte ich 
zitieren, weil sie in der Mehrzahl wieder aus der vorigen Auflage übernommen 

wurden: § 3.und enthalten 3 Sinnesorgane, die Augen, das 

Geruchsorgan und das Gehörorgan. — § 91. Die Ursache liegt in einem 
oder mehreren schlecht abgewarteten Wochenbetten. — § 112. Das 
Wasser muss aber mindestens 15 Minuten kochen, um Keimfreiheit zu 
erzielen. — § 135. Etwas Ausfluss aus ihr findet sich der Regel nach 
vor. — § 138. Eine üble Erscheinung ist die Uebelkeit. ... — § 164. 
Die Form des Leibes ist im 10. Monat vornübergesunken. — § 172. 
Durch die Geburtswege getrieben wird das Kind. — § 173. Die Kraft 
dieses hohlen Muskels, die wir Gebärmutter nennen, .... — § 1S3. 
Es wird daher das Zusammendrücken der Gefässe bei der Wehe ein 
grösseres sein. — § 186. Der Beckendurchtritt. — § 239. Auch die 
Muskelkraft neugeborener Kinder ist ziemlich gross. Es vermag gut die 
Atemrnuskeln zu bewegen, .... — § 355. Nichtbeckenendlagen. — 

§ 374.. solange die Frau schwanger geht und säugt. — § 395. 

Die.pefahr der Zwillingsgeburt ist für die Mutter und besonders für die 
Kinder etwas grösser als die einfache Geburt.,— § 418. 'Dies Ereignis 
kommt vor bei Fall, StossJ Schlag der Frau. 

2) Im Text nicht hervorgehobeo. 


zu können, habe ich den alten Kehlkopfpulverbläser aus starkem Glas 
herstellen lassen mit einer Vorrichtung, den Weichgummikonus des 
Scheidenspülers Frauenwobl zu halten. 

Den Apparat kann jeder Glasbläser herstellen. Die »alte Apotheke“ 
in Goethen i. A. liefert ihn im Einzelnen für 3 M. (Glasteil allein 0,75 M.), 
das halbe Dutzend für 13,50 M. 


Bücherbesprechungen. 

Fritz Lezi: Ueler die krankhaften Erbaalaeea des Maaaes aad 
die BestiaBQDg des Geschlechts beim Meischea. Jena 1912. 

Es handelt sich hier um eine ausserordentlich interessante Ab¬ 
handlung über die Vererbung pathologischer Zustände, mit besonderer 
Berücksichtigung der Hämophilie und gewisser Augenkrankheiten. Der 
Inhalt wird am besten wiedergegeben durch die Zusammenfassung des 
Autors selbst: 

1. Das Vorkommen erblicher Hämophilie beim Weibe und die Ueber- 
tragung durch den Mann sind nicht bewiesen. 

2. Die über Hämophilie bekannten Stammbäume sind mit dem 
Meodel’schen Gesetze vereinbar. Das scheinbare Zuviel von Blutern 
gegenüber ihren normalen Brüdern, von Konduktoren gegenüber ihren 
normalen Schwestern, von männlichen Individuen überhaupt gegenüber 
den weiblichen erklärt sich durch die Selektion der Technik. 

8. Das Frei bleiben der Söhne von Blutern von der Affektion ihrer 
Väter ist vielleicht durch Existenzunfähigkeit von Spermatosomen mit 
der Bluteranlage zu erklären. 

4. Die Dichromasie, die neurotische Muskelatrophie, die myopische 
Hemeralopie, der Albinismus des Auges und wahrscheinlich noch andere 
Affektionen, welche in somatischer Korrelation zum männlichen Ge¬ 
schlecht stehen, stehen in idioplasmatischer Korrelation zum weibliohen 
Geschlecht. Die vollständige Farbenblindheit dagegen hat keine Kor¬ 
relation zum Geschlecht. 

5. Die Erblichkeit nach dem Typus der Dichromasie ist nicht auf 
das Genus homo beschränkt, sondern sie findet sich auch sonst im 
Reiche der Organismen, z. B. bei Schmetterlingen und Vögeln. Sie ist 
am einfachsten dadurch zu erklären, dass die betreffenden Eigenschaften 
auf einem Defekt einer geschlechtsbestimmenden Erbeinheit beruhen. 

6. Auch für die Hämophilie und die erbliche Opticusatrophie ist 
diese idioplasmatische Grundlage der Erblichkeit bisher nicht auszu- 
schliessen. 

7. Die mendelnde Vererbung der pathologischen Anlagen in ihren 
verschiedenen äusseren Formen steht im Einklang mit der Sutton- 
Boveri’sohen Chromosomentheorie. 

8. Homologe Erbeinheiten verhalten sich antagonistisch, d. h. sie 
gehen bei der Keimzellenbildung niemals in denselben Gameten. 

9. Die beiden Geschlechter des Genus homo sind zwei verschiedene 
erbliche OrganismenformeD. Der Unterschied ist im Idioplasma derart 
bedingt, dass das weibliche Geschlecht eine Erbeinheit homozygot ent¬ 
hält, die das männliche heterozygot enthält. 

10. Die geschlechtsbestimmenden Erbeinheiten sind wahrscheinlich 
identisch mit den Geschlechtschromosomen Wilson’s. 

11. Die Sexualproportion ist höchstwahrscheinlich durch eine Selektion 
unter den weiblich bestimmten Spermatosomen zu erklären. 

12. Die Auflösung des alten Speziesbegriffes macht eine davon un¬ 
abhängige Definition des Krankheitsbegriffes nötig. Als zweckmässig 
dürfte sich erweisen: Krankheit ist ein Leben an den Grenzen der An¬ 
passungsbreite. 

13. Es ist zweckmässig, die Summe der transitiven Ursachen der 
Entstehung erblicher Anlagen durch den Terminus Idiokinese zusammen¬ 
zufassen. 

14. Auch die pathologischen Erbanlangen entstehen ausschliesslich 
durch Idiokinese. 

15. Der Selektionswert der Amphimixis der vielzelligen Organismen 
liegt ausschliesslich in der Möglichkeit, Anpassungen, die in ver¬ 
schiedenen Idioplasmen entstanden sind, in einem einzigen Idioplasma 
zu vereinigen. 

16. Phylogenetisch ist die erste Funktion der Amphimixis eine Auf¬ 
rechterhaltung des Stoffwechsels in Hungerzeiten gewesen. 

17. Die einzige Möglichkeit der Beseitigung erblicher Krankheiten 
liegt in der negativen Selektion der pathologischen Einheiten des Idio- 
plasmas. Eine positive Gesundung der Rasse kann nicht ohne die damit 
nur teilweise zusammenfallende positive Selektion gesunder Idioplasma- 
stämme erreicht werden. 

18. An eine geschlechtsbestimmende Erbeinheit sind Anlagen ge¬ 
bunden, welche für das Zustandekommen einer physiologischen Intelligenz 
unentbehrlich sind; ebenso auch defektive und exzessive intellektuelle 
Anlagen. Der Mann erbt daher den wesentlichsten Teil seiner In¬ 
telligenzanlagen höchstwahrscheinlich von der Mutter. 

19. Es ist zweckmässig, die Summe der pathologischen Erbanlagen 
des männlichen Geschlechtes als dessen pathologische Geschlechts¬ 
disposition zu bezeichnen. 

20. Auf der pathologischen Geschlechtsdisposition beruht ein Teil 
der Uebersterblichkeit des männliche^ Geschlechtes in den Celöitren der 
abendländischeta Zivilisation. Der ahdere Tdl beruht auf physidlogischer 
Geschlechtsdisßosition, dte in diesein Falte ni der Hauptsache psychischer 
Natur ist. 


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3. Mär* 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


403 


Aus dem Inhalt ist noch besonders bemerkenswert, dass 
der Verf. die Dispositionen auch als Krankheiten auffasst, worin er nicht 
die allgemeine Zustimmung finden dürfte. 

So interessant und wichtig die Darlegungen auch sind, so ist doch 
leider zu befürchten, dass sie keine grosse Verbreitung finden werden, 
denn die Autoren, die sich mit Erblichkeit und vor allen Dingen mit 
Menderschen Regeln beschäftigen, haben eine solche Fülle neuer Fremd¬ 
worte gebildet, dass eigentlich jedem Werk ein besonderes Lexikon bei¬ 
gegeben werden müsste. Schon für denjenigen, der sich stets mit diesen 
Dingen beschäftigt, ist jede neue Abhandlung darüber schwierig zu 
lesen, weil fortwährend neue fremdartige Ausdrücke auftreten. Die 
Kernerstehenden verstehen das überhaupt nicht mehr, und an manchen 
Stellen wird es jedem, der sich nicht eingehend mit diesem Gegenstand 
beschäftigt hat, klingen, als wäre die Abhandlung in einer fremden 
Sprache geschrieben. Das ist ein Hindernis, das die Autoren, die heut¬ 
zutage über Erblichkeit schreiben, schliesslich berücksichtigen müssen, 
wenn sie verlangen, dass von anderer Seite von ihren Erörterungen und 
ihren Entdeckungen Kenntnis genommen werden soll. 

K. Heilbroauer-Utrecht: Ueber Gewöhnung anf normalen nnd patho¬ 
logischem Gebiete. Wiesbaden 1912, J. F. Bergmann. 

Die Broschüre stellt eine interessante Zusammenfassung dar, die 
sich mit den Erscheinungen der Gewöhnung beschäftigt. Der Verf. gibt 
zunächst eine Definition des Begriffes, daran schliesst sich eine kurze 
Uebersicht der Gewöhnungserscheinungen des Organismus an klimatische, 
bakterielle und Vergiftungszustände. Den Hauptteil nimmt die Be¬ 
trachtung über die Gewöhnung bei verschiedenen nervösen Erscheinungen, 
Instinkten, bei hysterischen und auch bei schweren Erkrankungen des 
Centralnervensystems ein. Dieser Passus ist offenbar derjenige, der dem 
Verf. seiner ganzen Studienrichtung nach am geläufigsten ist. Zum 
Schluss folgen noch einige Konsequenzen, die sich aus den Betrach¬ 
tungen ergeben in bezug auf die Abgewöhnung und in bezug auf prak¬ 
tische und strafrechtliche Fragen. Die kleine Schrift ist überaus lesens¬ 
wert und ganz besonders für solche sehn übersichtlich und klar ge¬ 
schrieben, denen diese Gebiete an und für sich etwas ferner liegen, die 
sich aber kurz darüber orientieren möchten. 


Richard Sernon: Das Problem der Vererbung „erworbener Eigen¬ 
schaften“. Leipzig 1912, Verlag von Wilhelm Engelmann. 

Semon’s Stellung zu dem Problem der Vererbung erworbener 
Eigenschaften ist aus seinen früheren Arbeiten, speziell aus seiner Mono¬ 
graphie über die Mneme bekannt. In dem vorliegenden Werk versucht 
er neue Beweise für seine früher vorgetragenen Anschauungen beizu¬ 
bringen. Er wiederholt dabei zum Teil ältere Berichte, zum Teil citiert 
er neue und verwendet ganz besonders die Arbeiten Kammerer’s. 
Wenn der Uneingeweihte das klar und eindringlich geschriebene Buch 
liest, so erscheint alles in schönster Ordnung, und es erscheint nunmehr 
unwiderleglich bewiesen, dass somatisch erworbene Eigenschaften unter 
günstigen Bedingungen vererbt werden können, und dass diese günstigen 
Bedingungen sogar überaus häufig Vorkommen. Wenn man aber mit der 
nötigen Sachkenntnis und Kritik an die Semon’sche Arbeit herangeht, 
und wenn man vor allen Dingen das demselben zugrunde liegende Tat¬ 
sachenmaterial genau kennt, so treten einem überall die grössten Be¬ 
denken entgegen, und man kann durchaus nicht dem von Semon auf¬ 
gestellten Satz beipfiichten, dass es sioh hier um „den Zusammenklang 
zahlloser Tatsachen, denen keine einzige widersprechende gegenübersteht“, 
handelt. Die von ihm beigebrachten Tatsachen sind ihrem inneren 
Werte nach wenig geordnet. Obwohl Semon die Unterschiede der 
Wertigkeit sehr wohl kennt und selbst darauf hinweist, so vermengt er 
doch fortwährend erworben und somatisch erworben, erblich und durch 
funktionelle Anpassung erworben, Anpassung durch Selektion und 
funktionelle Anpassung. Ausserdem tritt in der Bewertung der Tat¬ 
sache» eine ausserordentliche Glaubensseligkeit hervor. Jeder, der die 
Experimente Kammerer’s aus eigener Anschauung kennt, hat zwar 
keinen Zweifel über die Richtigkeit der Beobachtungen, aber sehr er¬ 
hebliche in bezug auf die Deutung, die Kämmerer seinen Experimenten 
gibt. Alle diese Deutungen nimmt Semon als bare Münze. Man kann 
auch nicht umhin, Semon den Vorwurf zu machen, dass er insofern das 
Tatsachenmaterial einseitig verwendet, als er alles, was scheinbar für 
seine Anschauung spricht, ausführlich verwertet, während er alles, was 
dagegen spricht, und vor allen Dingen die zahllosen Bedenken, die von 
anderer Seite geäussert wurden, übergeht. Vor allen Dingen hätte 
Semon auch anführen müssen, dass fast sämtliche Zoologen, die doch 
am ehesten befähigt sind, über diese Frage zu urteilen, auf dem Stand¬ 
punkte stehen, dass somatisch erworbene Eigenschaften nicht vererbbar 
sind. Aus den Ausführungen Semon’s könnte man meinen, dass das 
nur eine kleine Minorität sei, die sich seinen Anschauungen nicht an- 
schliesst. Das Buch Semon’s ist von grösstem Interesse und gibt eine 
sehr sachliche Zusammenstellung der neueren Untersuchungen auf diesem 
Gebiete, aber es stellt eine sehr grosse Gefahr dar, wenn es von Nicht¬ 
sachverständigen kritiklos gelesen und geglaubt wird. 

Emst Schwalbe: Die Morphologie der Missbildungen des Menschen 
nnd der Tiere. III. Teil. 7. und 8. Lieferung, Jena 1912, Verlag 
von Gustav Fischer. 

Uehier ,das Schwalbe’sche Werk wurde in dieser Wochenschrift 
schpn mehrfach Bericht erstattet. ,Die beiden neu erschienenen Liefe¬ 
rungen betreffen die Missbildungen der Haut und die Missbildungen der 


Atmungsorgane; die ersteren von Bett man n-Heidelberg, die zweiten 
von Schneid er-Heidelberg, ln der Form und in der Gründlichkeit 
der Bearbeitung schliessen sich diese beiden Lieferungen durchaus den 
früheren an. Neben anderen ist unter den Missbildungen der Haut be¬ 
sonders hervorzuheben, dass die Erblichkeitsverhältnisse in ausgedehntem 
Maasse berücksichtigt sind. Eine ganze Reihe von Stammbäumen sind 
beigefügt. Eine ebenso gründliche Bearbeitung haben die Missbildungen 
der Atmungsorgane erfahren, die auch mit zahlreichen, teils realistischen, 
teils schematischen Abbildungen versehen sind. Auch auf die Entwick¬ 
lungsgeschichte ist hier ausgiebig Rücksicht genommen. Es kann nur 
wiederholt werden, was auch über die früheren Lieferungen gesagt wurde, 
dass das Werk ein bedeutungsvolles und unentbehrliches Archiv für alle 
diejenigen darstellt, die sich mit dieser Materie beschäftigen wollen. 


Stndie8 io Cancer and allied subjects. Pathology. Gonducted under 
the George Crocher special research fund at Columbia university. 
Volume II. New York 1912, The Columbia university press. 

Die Krebsabteilung der Columbia-Universität in New York hat ein 
umfangreiches Sammelwerk seiner Arbeiten über Krebsstudien in Vor¬ 
bereitung. Es sind zunächst vier Bände in Aussicht genommen, wovon 
bisher erst der zweite Band über Pathologie dos Krebses fertig und so¬ 
eben erschienen ist- Der erste Band soll einen allgemeinen Ueberblick 
über die augenblicklichen Kenntnisse des Krebses geben; der dritte Band 
über Biologie, Chirurgie, Chemie und klinische Pathologie und der vierte 
Band über Anatomie des Krebses. 

Der vorliegende zweite Band beschäftigt sich ganz vorzugsweise mit 
Immunität gegen Krebs und ist hauptsächlich auf Tierversuche basiert. 
Der grösste Teil der Untersuchungen ist von Isaak Levin ausgeführt. 
Ausser ihm haben sich noch Sittenfield, Lambert, Hanes, Frank 
und Unger an den Arbeiten beteiligt. Bei den Untersuchungen hat 
auch eine ganze Reihe von anderen Fragen Erledigung gefunden. So 
z. B. auch das Wachstum von Geschwulstzellen im Reagensglase, Wande¬ 
rungen von Geschwulstzellen und Phagocytose derselben. Im ganzen 
handelt es sich um 27 Arbeiten. Das Werk ist eingeleitet durch ein 
Vorwort von Mac Call um. 31 Tafeln zur Erläuterung des Textes sind 
beigelügt. v. Hansemann. 


Viktor Grafe: Eis fähring in die Biochemie. Mit 41 Abbildungen im 
Text. Leipzig und Wien 1913, Franz Deuticke. 472 S. Preis 
13 M. 

Neben den ausgezeichneten Handbüchern und Lehrbüchern der Bio¬ 
chemie, welche die deutsche Literatur bereits besitzt, wird auch diese 
neue Einführung dankbare Leser finden, da sie flott geschrieben ist und 
reiches Material verarbeitet hat. Neben den biochemischen Tatsachen 
der Tierphysiologie sind auch weitgehend die bedeutsamsten pflanzen¬ 
physiologischen Phänomene berücksichtigt worden. 


Georg Hirsch: Der elektrochemische Betrieb der Organismen. Mit 

einem Anhang: Eschle, Die Dynamik des organischen Betriebes. 
4. vermehrte und verbesserte Auflage. München 1911, Verlag 
der Jugend. 260 S. 

Es ist unmöglich, im Rahmen eines kurzen Referates auf die Dar¬ 
legungen des geistvollen,• stilgewandten und kenntnisreichen Verfassers 
einzugehen. Jedenfalls kann man das Buch als eine interessante und 
anregende Lektüre durchaus empfehlen, wenn auch der Leser sich häufig 
zum Widerspruch gereizt fühlen wird. Jaooby. 


Literatur-Auszüge. 

Physiologie. 

R. Höher: Messungen der inneren Leitfähigkeit von Zellen. 
III. Mitteilung. (Pflüger’s Archiv, Bd. 150, H. 1 u. 2.) Seine früher 
beschriebene Methode, die innere Leitfähigkeit von Zellen aus der 
Dämpfung elektrischer Schwingungen zu bestimmen, hat H. so ab¬ 
geändert, dass er nun nur 15 ccm Zellmasse braucht; die Ergebnisse ent¬ 
sprechen den mit der alten Methode gefundenen. Aehnlicbe Werte gibt 
auch eine Leitfähigkeitmessung, die der Kohlrausch’schen ähnlich ist, 
aber hochfrequenten Wechselstrom benutzt. An Froschmuskeln fand 
sich so eine Leitfähigkeit entsprechend einer 0,1- bis 0,2 proz. Koch¬ 
salzlösung. H. setzt auseinander, dass diese hohe Leitfähigkeit einen 
Beweis für eine beschränkte Permeabilität der Zelloberfläche darstellt. 

L. Popielski: Die Ungerinnbarkeit des Blutes bei der reflek¬ 
torische! Tätigkeit der Speicheldrüsen und der Bauchspeicheldrüse. 
Das allgemeine Sekretionsgesetz der Verdauungssäfte. (Pflüger’s Archiv, 
Bd. 150, H. 1 u. 2.) P. findet, dass mit der auf verschiedene Weise 
angeregten Speichelsekretion einhergeht eine Erweiterung der Blutgefässe 
und eine verminderte Gerinnbarkeit des Blutes. ' Dasselbe ist bei der 
Pankreassekretion der Fall. Solange die Blutgerinnung verzögert ist 
und die Gefässe erweitert sind, dauert die Sekretion an. Verf. baut 
hierauf eine physikalische Theorie der Drüsensekretion, die er als 
Folge der genannten Veränderungen des Blutes und der Blutgefässe 
ansieht. 

J.rSt. Alexandrowioz: Beiträge zur vergleichenden Physiologie 
der Verdauung. VL Zur Kenntnis der Cellulosp und des Zellulose- 


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404 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 9. 


losenden Ferments im Hcpatopankrcas der Schnecke (Helix pomatia). 
(Pflüger’s Archiv, Bd. 150, H. 1 u. 2.) A. beschäftigt sich zunächst 
mit der kristallisierten Form der Cellulose. Zwischen den beiden Formen 
von Spbärokristallen, die man erhalten kann, bestehen Uebergänge; die 
Spbärokristalle sind als Aggregate radialer Fasern aufzufassen. Sie sind 
nicht oder sehr schwach anisotrop. Dagegen sind die io Pflanzen¬ 
membranen dargestellten Cellulosekristalle stark anisotrop. Daneben 
gibt es in den Pflanzenmembranen zu den HemiCellulosen gehörige 
Stoffe, die die optische Anisotropie der Zellhäute stark erhöhen. Der 
Ilepatopankreassaft von Helix pomatia löst die kristallisierte Cellulose, 
in verschiedener Weise allerdings bei * verschiedenen Pflanzen (Dattel¬ 
kern-, Kaffeebohnenschnitte). A. Loewy. 

Abderhalden - Halle: Die prinzipielle Lösung des Problems der 
künstlichen Darstellung der Nahrongstoffe. (Wiener raed. Wochenschr., 
1913, Nr. 3.) Der Verl, hat im Tierexperiment nachgewiesen, dass man 
an Stelle unserer komplizierten Nahrungsstoffe auch ihre chemisch ein¬ 
facheren Abbauprodukte, wie Aminosäuren, Traubenzucker, Glycerin 
und Fettsäuren verfüttern kann. Diese einfachsten Produkte reichten 
vollständig aus, um Hunde mehrere Wochen nicht nur im Körpergleich¬ 
gewicht zu erhalten, sondern um sogar Gewichtszunahme zu bewirken. 
Da diese einfachsten Bausteine unserer Nahrungsstoffe dank den 
Forschungen von Emil Fischer synthetisch darstellbar sind, so ist das 
Prinzip der künstlichen Darstellung der Nahrungsstoffe im Prinzip gelöst. 

A. Bendix. 

E. Mangold: Zur tierischen Hypnose. (Pflüger’s Archiv, Bd. 150, 
H. 1 u. 2.) M. zeigt in Versuchen an Hühnern, Tauben, Meerschweinchen, 
dass beim Beginn der Hypnose zwar ein tonischer Kontraktionszustand 
besteht, dass dieser jedoch bei fortdauernder Hypnose schwindet, unter 
stetigem Reglosbleiben der Tiere. Es handelt sich hier um eine echte 
Bewegungshemmung. Optische Reize vermögen diese aufzuheben. 

L. Hermann: Die theoretischen Grundlagen für die Registrierung 
akustischer Schwingungen. (Pflüger’s Archiv, Bd. 150, H. 1 u. 2.) 
H. wendet sich gegen 0. Frank, der seine Prinzipien zur Aufzeichnung 
von Pulserscheinungen auch auf die akustischen Phänomene ausdehnte. 
H. zeigt an der Hand mathematischer und physikalischer Betrachtungen, 
dass Frank’s Vorgehen nicht berechtigt ist, und weist die Vorwürfe, 
die Frank gegen das Weiss’sohe Phonoskop auf Grund seiner An¬ 
schauungen erhoben bat, zurück. 

B. Brunacci: Zur Frage des Verhaltens der Amphibien in ver¬ 
schieden konzentrierten Lösnngen. Bemerkungen zu der im 6. bis 
9. Heft, Bd. 148, 1912, dieses Archivs veröffentlichten Arbeit von 
E. L. Back man und 13. G. Sundberg. (Pflüger’s Archiv, Bd. 150, 
H. 1 u. 2.) Prioritätsreklamation gegenüber Backman und Sundberg. 

A. Loewy, 

Siehe auch Parasitenkunde und Serologie: Steffens, 
Biologische Wirkung der Anionenbehandlung. Thiele und Embleton, 
Lipoide in der Immunität. 


Pharmakologie« 

K. Uli mann-Wien: Zur Frage der Parasitotropie und Toxicität 
des Salvarsans (Neosalvarsans). (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 5 
u. 6.) Nach zwei Demonstrationsvorträgen, gehalten in der k. k. Gesell¬ 
schaft der Aerzte zu Wien am 13. und 20. Dezember 1912. Referat 
siehe die Sitzungsberichte. P. Hirsch. 

W. Schweisheimer - München: Der Alkoholgehalt des Blutes 
unter verschiedenen Bedingungen. (Deutches Archiv f. klin. Med., Bd. 109, 
H. 3 u. 4.) Im normalen menschlichen Blut findet sich Aethylalkohol 
nur in geringer Konzentration (0,02955—0,03686 pM.); nach Nahrungs¬ 
aufnahme ist sie erhöht. Genossener Alkohol geht in das menschliche 
Blut über; im Blut von Betrunkenen ist er in beträchtlicher Menge 
nachweisbar. Bei Nichttrinkern, massigen Gewohnheitstrinkern und 
Potatoren sind nach Genuss gleicher Alkoholmengen wesentliche Unter¬ 
schiede im Verhalten des Alkohols im Blut zu konstatieren. Die Alkohol¬ 
konzentration ist beim nichtgewöhnten Organismus höher als beim ge¬ 
wöhnten. Im Blut des nichtgewöhnten Organismus ist der grösste Alkohol¬ 
gehalt nach 1 Va—2 Stunden erreicht, hält sich kurze Zeit auf ungefähr 
gleicher Höhe und fällt langsam ab; beim gewöhnten Organismus steigt der 
Alkoholgehalt sehr rasch bis zum Höhepunkt und fällt nach kurzem Ver¬ 
weilen lascher ab. Bei Nichtgewöhnten bleibt der Alkoholgehalt des Blutes 
längere Zeit auf hoher Konzentration als bei Gewöhnten (5 gegen 
2 Stunden). Die Ausscheidung ist beim Gewöhnten in etwa halber Zeit 
gegen den Nichtgewöhnten vollendet ( 7 V 2 Stunden). Die psychischen 
Einflüsse des genossenen Alkohols sowie die Trunkenheitssymptome 
gehen der Konzentration des Alkohols im Blut etwa parallel. Beim 
Epileptiker ist wahrscheinlich der Uebergang des Alkohols ins Blut ge¬ 
steigert. Daher Ueberempfindlichkeit gegen Alkohol. Die aus den Ver¬ 
suchen gewonnenen Resultate sind differentialdiagnostisch zu verwerten. 

G. Eisner. 

G. Pietrulla-Breslau: Ueber das Acitrin. (Deutsche med. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 8.) Acitrin (Phenylcinehoninsäureaethylester) ist dem 
Atopüan gleichwertig, wie an einigen wenigen Fällen beobachtet werden 
konnte. - s c i t Wolfsohn. 


Siehe auch Therapie: Fischer und Klemperer, Lipoide 
Arsenverbindungen. — Augenheilkunde: Grignolo, Veränderungen 
im Kammerwasser bei Intoxikationen durch Methylalkohol und Toxi- 
peptide. Erd mann, Augenveränderungen durch Aethylenchlorid. 


Therapie. 

E. Fischer und G. Klemperer - Berlin: Ueber eine neue Klasse 
von lipoiden Arsenverbindnngen. (Therapie d. Gegenw., Januar 1913.) 
Verff. berichten über ihre Versuche am Tier und Menschen. Zur medika¬ 
mentösen Verwendung wurde das Strontiumsalz der Chlorarsenobehenol- 
säure gewählt, dem die Bezeichnung Elarson beigelegt wurde. Das 
Elarson kommt in Tablettenform in den Handel. Bei Erwachsenen ist 
die Dosis 3—5 mal zwei Tabletten, bei Kindern 2—3 mal eine Tablette. 
Nach den bisherigen klinischen Erfahrungen dürften die Elarsontabletten 
bei allen Zuständen von Anämie und Schwäche indiziert sein, in welchen 
eine langsame und allmähliche Zuführung von Arsen heilsam ist. 

I. Boas-Berlin: Ein bekanntes Abführmittel in neuer zweckmässiger 
Form: Extraotum fluidum follic. Sennae (Folliealia). (Therapie d. 
Gegenw., Januar 1913.) Das Präparat besitzt gegenüber dem kalten 
Sennaschotenaufguss den Vorzug, dass es ein einheitliches, konstantes 
und gut haltbares Präparat darstellt. Wie die Muttersubstanz ist es 
ein gut wirkendes Abführmittel ohne schädliche Nebenwirkungen. Das 
Folliculin kann mit den Stomachicis kombiniert werden, wie z. B. Extr. 
Condurango, Tinct. Chin. cps., Tinct. aromatic., Tinct. Strychni. Daneben 
empfiehlt es sieb, die gewöhnlichen diätetischen und hygienischen Maass¬ 
nahmen zu verordnen. R. Fabian. 

K. Loening - Halle: Ueber die Wirkung des Melnbrins im akatea 
Gelenkrheumatismus. (Therapeut. Monatsh., Februar 1913.) Melubrin 
wirkt bereits in Dosen von 0,5 g schon antipyretisch und zeigt in Dosen 
von 8, sogar 10 g noch keine erheblichen Vergiftungserscheinungen. 
Patienten, die hohe Dosen erhalten, müssen natürlich liegen. Von be¬ 
sonderem Wert zeigt sich die länger dauernde Medikation von 4 g 
Melubrin täglich (morgens und mittags 1 g, abends 2 g), um die Recidive 
des akuten Gelenkrheumatismus hintaozuhalten. Es wird auch von 
Herzkranken gut vertragen. H. Knopf. 

Th. Kocher-Bern: Weitere Beobachtungen über die Heilung des 
Tetanus mit Magaesiumsulfat. (Korrespondenzbl.f. Schweizer Aerzte, 1918, 
Nr. 4.) Zu den im Juli 1912 bereits veröffentlichten vier Heilungsfallen 
werden drei neue Fälle angeführt, die mit intraduralen Magnesiumsulfat¬ 
injektionen behandelt wurden. Von diesen drei Fällen wurden zwei 
geheilt, ein Todesfall bei einem kleinen Kinde. 

G. Arnd-Bem: Die Magnesinmbehaadlung das Tetanus. (Korre- 
spondenzbl. f. Schweizer Aerzte, 1913, Nr. 4.) Ausführlicher Bericht 
über Verlauf und Therapie eines Falles von Tetanus. Heilung. 

A. Schmidt-Halle: Weitere Erfahrungen über die Behandlung von 
Darmkrankheiten mit Sauerstoff. (Therapie d. Gegenw., Januar 1913.) 
Verf. wandte die Sauerstoffeinblasung mit günstigem Erfolge bei Affektionen 
des Dünndarms, z. B. gastrogenen Diarrhöen, Gärungsdyspepsien und 
Katarrhen an. Wenn irgend möglich, wurden täglich ca. 500 ccm O a 
durch den Duodenalschlauch eingeblasen. Ist die Einführung des 
Duodenalkatheters unmöglich, dann genügt auch die Einblasung in den 
Magen, da nach den Erfahrungen Rotky’s der 0* schnell in das 
Duodenum entweicht. Bei Dickdarmkatarrhen wurde das Gas per rectum 
eingeführt. R. Fabian. 

A. Brosch - Wien: Innere Behaadlaag tob Diekdarmsteaosen. 
(Wiener klin. Wochenschr., 1918, Nr. 5.) B. empfiehlt für die Behand¬ 
lung von Dickdarmstenosen heisse Innenbäder (Enterocleanertherapie). 
Bei einem 43jährigen Patienten mit einem auf Garcinom verdächtigen 
Tumor der linken Beckengrube wurde durch die Innenbadbehandlung 
eine auffällige Besserung der Darrakanalisation erreicht, Blutungen und 
Schmerzen hörten auf, die als Metastasen aufzufassenden Lymphdrüsen- 
schwellungen am Damm schwanden, und der Tumor verkleinerte sich 
auf ein Viertel seiner ursprünglichen Grösse. P. Hirsch. 

A. Voll-Fürth i.W.: Schmerzlose Entbindungen. (Münchenermed. 
Wochenschr., 1913, Nr. 6.) V. macht, um den schmerzhaften Durch¬ 
tritt des Kopfes durch den Damm zu vermindern, ungefähr 2 cm vom 
freien Saum des Dammes entfernt eine Injektion von Gocain mit Adrenalin. 

Dünner. 

Siehe auch Chirurgie: Levy, Röntgenbestrahlung der Aktino- 
mykose. — Innere Medizin: Tedesko, Benzol bei Blutkrankheiten. — 
Kinderheilkunde: Harriehausen, Autovaccination der Säuglings- 
furunkulose. 


Allgemeine Pathologie und pathologisch? Anatomie. 

H. Schneider: Erblichkeit des Atheroms. (Münchener med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 6.) Stammbaum einer Familie, in deren Gene¬ 
rationen 11 Atheromfälle vorgekommen sind. Dünner. 

H. Frei fei d: Ueber das kristallinische Hyalin. (Beiträge zur 
pathol. Anatomie u. zur allgemeinen Pathologie, herausgegeben von 
E. Ziegler, Bd. 55, H. 1.) Verf. beschreibt eine neue Eigenschaft des 
Hyalins, nämlich seine Kristallisationsfähigkeit. Es kommt von 1. als 
wohl ausgebildete rhombische Kristalle; 2. als kugelige Gebilde, durch 
Verschmelzung von amorphen und kristallinischen Formen des Hyalin 


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3. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


405 


entstanden. Da dieselben Kristallformen für das epitheliale wie für das 
mesodermale Hyalin charakteristisch sind, kann man darin keinen weiteren 
Grund für die Identität beider Hyalinarten erblicken. Benn. 

C. Ciaccio: Ueber die Anwesenheit von lipoiden Substanzen in 
den Mastxellen. (Centralbl. f. Pathol., Bd. 24, Nr. 2.) In normalen 
Geweben enthalten Mastzellen keine lipoiden Substanzen, dagegen bei 
chronischen entzündlichen Prozessen, im Stroma von Geschwülsten und 
bei Hyperaktivität des Fettgewebes. Aus den Mastlipoidzellen können 
die sogenannten Lecithinzellen werden. 

N. Anitschkow und S. Chalatow*. Ueber experimentelle 
Ckolesterinsteatoso und ihre Bedeutung für die Enstehung einiger 
pathologischer Prozesse. (Centralbl. f. Pathol., Bd. 24. Nr. 1.) Füttert 
man Kaninchen mit Cholesterin, so entsteht eine reichliche Infiltration 
der Leber mit doppelt brechenden Substanzen, zugleich Intimaverände- 
ruogen der Aorta und Rindenbypertrophie der Nebennieren. Alle Ver¬ 
änderungen entsprechen den bei Eigelbfütterung. Die Cholesterin- 
iofiltration findet sich analog bei Meerschweinchen, nicht aber bei Ratten. 
Die schädliche Cholesterinwirkuug ist also nicht bei allen Tieren gleich. 

T. Yatsushiro: Experimentelle Studie über die Emigration von 
Leikoeyton bei der Entzündnng. (Frankfurter Zeitschr. f. Pathol., 
B. 12, H. 1.) Durch Aleuronataufstauung, aber sehon durch Blosslegung 
lässt sich auch an grösseren Venen Auswanderung von Leukocyten be¬ 
obachten. Blutstromverlangsamung, Gefässwandschädigung, Blutdruck¬ 
steigerung spielen keine Rolle, vielmehr ist die Chemotaxis allein maass¬ 
gebend. Dietrich. 

G. Bernhardt: Ueber Blntplättchenbefiiade in inneren Organen. 
(Beiträge zur pathol. Anatomie u. zur allgemeinen Pathologie, heraus¬ 
gegeben von E. Ziegler, Bd. 55, H. 1.) Verf. wirft die Frage nach dem 
Schicksal der Blutplättchen auf, über die sich in der Literatur keine 
Angaben finden. Er untersuchte Organteile, namentlich Milzen an 
Scharlach Verstorbener, die in den ersten Tagen der Erkrankung ge¬ 
storben waren; daneben einige Fälle von Diphtherie, Typhus, Sepsis, 
Diabetes. Er fand Blutplättchen in den meisten inneren Organen; in 
ungeheurer Anzahl jedoch in der Milz im Stadium des akuten Milztumors. 
Hier lagen sie teils frei im Tumor, teils in der Pulpa, sehr reichlich 
aber auch innerhalb der sogenannten Milz- oder Pulpazellen. Aus den 
vielen interessanten Beobachtungen des Verf. sei nur diese hier noch 
erwähnt: bei der Durchmusterung der zahlreichen Schnitte fand sich 
niemals ein Bild, das auf einen Zusammenhang der roten Blutkörperchen 
und der Blutplättchen schliessen liesse. 

B. Roman: Zur Kenntnis der myeloischen Chlorolenkämie. (Bei¬ 
träge zur pathol. Anatomie u. zur allgemeinen Pathologie, herausgegeben 
von E. Ziegler, Bd. 55, H. 1.) Verf. gibt Krankengeschichte, Sektions¬ 
befund und histologische Ergebnisse von drei Fällen von Chloromen; 
bespricht dann die Frage der Leukämie, ob Tumor oder hyperplastische 
Wucherungsprozesse, und die Stellung des Chloroms zu diesen Krank¬ 
heitsbildern. Er kommt zu dem Schluss, dass die Chlorombildung bis 
auf ihre grüne Farbe als identisch mit Leukämie anzusehen sei; sie 
unterscheidet sich durch ihre Malignität von den einfach leukämisch 
hyperplastischen Prozessen. 

W. Fischer: Ueber die lokale Anhäufung eosinophil-gekörnter 
Lonkoeyten in den Geweben, besonders beim Krebs. (Beitr. zur pathol. 
Anatomie u. zur allgemeinen Pathologie, herausgegeben von E. Ziegler, 
Bd. 55, H. 1.) Verf. behandelt die Frage der „lokalen Eosinophilie“, 
die bei ganz verschiedenartigen Affektionen zu beobachten sei. Be¬ 
sonders hochgradig sei sie bei manchen Krebsen (Plattenepithelkrebsen 
und Krebsen des Magendarmkanals) und bei den meisten Fällen von 
Hodgkin’schen Granulomen. Es finden sich jedoch regelmässig daneben 
noch polymorphkernige Leukocyten oder Lymphocyten und Plasma- 
zelleD. Mitosen in den Kernen sowie phagocytäre Tätigkeit der eosino¬ 
philen Zellen konnte Verf. nicht beobachten. Anhaltspunkte für ihre 
lokale Entstehung in den Geweben ergaben die Untersuchungen nicht. 
Vielmehr scheinen sie aus emigrierten Blutzellen entstanden zu sein. 

Benn. 

E. Freund uod G. Kaminer-Wien: Ueber chemische Wirkmag 
vti Röntgen- «ad Radinmbestrahlang in bezug auf Careinom. (Wiener 
klin. Wochenschr., 1918, Nr. 6.) Die Verff. fassen ihre Versuche dahin 
zusammen: Toxische Röntgenbestrahlung bewirkt das Verschwinden der 
im normalen Gewebe und im normalen Serum vorkommenden, äther¬ 
löslichen, Carcinomzellen zerstörenden Fettsäure. Exzessive Radium¬ 
bestrahlung vermag im Gegensatz hierzu aus dem pathologischen Nucleo- 
globulin der Carcinomatösen eine in Aether lösliche, Carcinomzellen zer¬ 
störende Fettsäure freizumachen. Carcinomzellen werden nur durch 
Radium-, nicht durch Röntgenbestrahlung, ihres pathologischen Selektions- 
vermöges für Kohlehydrate beraubt. P. Hirsch. 

K. Kris che: Kombination von Krebs and Tnberknlose in me- 
taatatiseh erkrankten Drfcsen. (Frankfurter Zeitschr. f. Pathol., Bd. 12, 
H. 1.) Ein Plattenepitheicarcinom des Arms auf dem Boden eines Lupus 
setzt Metastasen in den Achseldrüsen, in denen sich Carcinom und 
Tuberkulose innig vereint fanden. Die Tuberkulose ist aber älter, und 
in die weiteren Metastasen wurde nur Carcinom verschleppt. 

M. Plant: Ueber zwei weitere Fälle von Defekt des Heribentels. 
(Frankfurter Zeitschr. f. Pathol., Bd. 12, H. 1.) Io beiden Fällen lag 
das Herz in der linken Pleurahöhle, *on Pericard fanden sich nur rudi¬ 
mentäre Halten. Klinische Erscheinungen bestanden nicht u 

r . i f r a. ■ i ' j Dietrich, 


Wagner-Wien: Ein Fall von metastatischer Carciiematese des 
Hersmoskels. (Wiener med. Wochenschr., 1918, Nr. 1.) Kasuistischer 
Beitrag. A. Bend ix. 

H. Hensen: Ueber einen Fall von Aneurysma der Aorta ascendens 
mit Erzeugung von Palmonalstenose und Perforation in die Polmonal- 
arterie. (Frankfurter Zeitschr. f. Pathol., Bd. 12, H. 1.) Ein sack¬ 
förmiges Aneurysma, dicht oberhalb der Aortenklappen, buchtete sich 
gegen die Pulmonalis vor und hatte wohl schon längere Zeit vor dem 
Tode zu einer kleinen Perforation geführt. Dietrich. 

A. Gigon: Eisen- und Alkaliimprägnation des Lnngengewebes. 
(Beiträge zur pathol. Anatomie u. zur allgemeinen Pathologie, heraus¬ 
gegeben von E. Ziegler, Bd. 55, H. 1.) Verf. beschreibt einen Lungen¬ 
befund, den er zunächst für einen Fall von „Eisenkalklunge* hielt, wie 
Kockel und Bitterolff je einen früher veröffentlicht batten. Die 
färberische uod mikroskopische Untersuchung bestätigte auch zunächst 
diese Annahme. Die chemische Untersuchung zeigte jedoch, dass keine 
Spur Calcium in dem Gewebe anwesend war. Verf. vermutet, dass auoh 
die andern beiden Fälle der Literatur in Wirklichkeit keinen Kalk ent¬ 
halten hätten. Benn. 

G. Kreglinger: Ueber ein primäres Broncbialcareinom. (Frank¬ 
furter Zeitschr. f. Pathol., Bd. 12, H. 1.) Ein kuglig aus der Wand des 
linken Hauptbronchus submucös entspringendes Carcinom führten zu 
ausgedehnter Brouchektasenbildung mit putridem Katarrh. Das Carcinom 
muss von einem versprengten Keim abgeleitet werden. 

S. Schönhof: Zur Kenntnis des lokalen tnmorfb’rmigen Amy¬ 
loids. (Frankfurter Zeitschr. f. Pathol., Bd. 12, H. 1.) Bei chronischer 
Lungentuberkulose fanden sioh am Zungengrund und im Larynx kleine 
geschwulstartige Knoten, die aus amyloiden Ablagerungen bestanden mit 
reichlich Riesonzellen in der Umgebung, auoh die benachbarten Gefässe, 
Schleimdrüsen und Muskelfasern enthielten Amyloid. Es handelt sich 
also nicht um autonome Neubildung, sondern um lokal gehäufte Ein¬ 
lagerung in die Schleimhaut. 

W. Kniaskoff: Ein Fall von endotheliomähnlichem Lymphom. 
(Frankfurter Zeitsehr. f. Pathol., Bd. 12, H. 1.) Beschreibung eines 
Falles von Lymphdrüsenwucherong am Hals, später des Mediastinums, 
die wohl Aebnlichkeit mit Granulomatose hat, sich aber durch Ueber- 
wiegen der grossen Zellen auszeichnet. 

T. Mori: Ueber das Auftreten thyreotoxischer Symptome bei 

Geschwnlstmetastasen in der Schilddrüse. (Frankfurter Zeitschr. f. 
Pathol., Bd. 12, H. 1.) Durch metastatische Geschwülste können ebenso 
wie durch primäre Schilddrüsentumoren Basedowsymptome hervorgerufen 
werden. Diese entstehen durch Hyperresorption reichlich vorhandenen 
kolloiden Bläscheninbalts infolge des Druckes der rasch wachsenden Ge¬ 
schwulst und des neugebildeten Stromas. Dietrich. 

Hueter: Ueber Thymnscystcn. (Beiträge zur pathol. Anatomie u. 
zur allgemeinen Pathologie, herausgegeben von E. Ziegler, Bd. 55, H. 1.) 
Verf. beschreibt einen Fall von multiplen Cysten in der Thymus eines 
24 jährigen Mannes. Bisher waren sie nur in der Thymus von früh¬ 
geborenen oder neugeborenen Kindern mit kongenitaler Lues beobachtet 
worden. Verf. untersuchte daraufhin bei einer weiteren Anzahl von 
Fällen die tbymiscben Fettkörper älterer Leute und fand zweimal 
multiple Cysten: einmal bei einer 81jährigen, dann bei einer 90jährigen 
Frau. Ein bestimmtes Urteil über die Genese der Cysten lässt sich 
nicht abgeben. Lues lag in keinem Falle vor. Benn. 

O. Meyer: Thyreoiditis chronie. mal. (Frankfurter Zeitschr. f. 
Pathol., Bd. 12, H. 1.) Unter diesem Namen wird ein chronischer 
granulomartigev Prozess beschrieben, ausgezeichnet durch Reichtum an 
Plasmazellen und eosinophilen Zellen, Neigung zu Schwielenbildung, 
aber ohne Nekrose. Er erstreckte sich vom rechten Schilddrüsenlappen 
bis ins Mediastinum. Fränkel-Much’sche Stäbchen fanden sich nioht. 

P. Geipel: Cystenbiidnng des Baachfells bei Tnberknlose. 
(Centralbl. f. Pathol., Bd. 24, Nr. 1.) An der Bauchfellfläche tuber¬ 
kulöser Darmgeschwüre sassen Cysten, die aus erweiterten Lympbgefässen 
heivorgegangen waren. Neben rein mechanischer Behinderung des Ab¬ 
flusses kommen für die Entstehung entzündliche Momente in Frage. 

Dietrioh. 

A. Zitronblatt-Moskau: Zur Kasuistik and Histogenese der 
Nabeladeaome. (Deutsche med. Wochenschr., 1918, Nr. 8.) Kasuistische 
Mitteilung. Die echten Adenome des Nabels entstehen aus Resten des 
Dotterganges in der Nabelnarbe. Wolfsohn. 

A. Veoci: Ueber Sehleimanstritt aus dem Warmfortsatz (Schleim- 
pseudocyten in der Mesoappendix). (Centralbl. f. Pathol., Bd. 24, Nr. 2.) 
Die Bildung von Schleimcysten im Mesenteriolura wird nicht von 
Divertikeln aus erklärt, sondern von Eindringen der im abgesperrten, 
chronisch entzündeten Wurmfortsatz produzierten Schleimmassen in die 
Lymphbabnen. 

S. El perin: Ein Fall von angeborenem Defekt des Duet. ehole- 
dochns aut mechanischer Ursache. (Frankfurter Zeitschr. f. Pathol., 
Bd. 12, H. 1.) Die Atresie des Duct. choledochus wird mit einer un¬ 
gewöhnlichen Entwicklung der Leberlappen in Verbindung gebracht und 
durch mechanische Abdrängung der Leber im Fetalleben erklärt. 

S. Saltykow: Ueber das reine Cholesteatom des Ovarinms. 
(Centralbl» f. Pathol., Bd. 28, Nr. 24.) Der Befund einer kleinen Cyste 
i mit typischem^Inhalt ivpn Hornsohuppen und Cholesterin jmd Ausktei- 
; düng von Plattenepithel wird als einseitig entwickeltes Teratom gedeutet. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 9. 


K. Martins: Ein Fall von persistierender wahrer Kloake mit 
bandförmigem Ovarinm und anderen seltenen Missbildungen im Uro¬ 
genitalsystem. (Frankfurter Zeitschr. f. Pathol., Bd. 12, H. 1.) 

Dietrich. 

Bunds oh uk: Ueber warzige Hyperplasien der Gehirnoberfläche 
des normal gefurchten Grosshirns bei einem Fall von Syringomyelie. 
(Beiträge zur pathol. Anatomie u. zur allgemeinen Pathologie, heraus¬ 
gegeben von E. Ziegler, Bd. 55, H. 1.) Verf. gibt eine sehr eingehende 
Beschreibung des histologischen Befundes bei warziger Hyperplasie der 
Gehirnoberfläche. Die kleinen, runden, flachen, hanfkorngrossen Erhaben¬ 
heiten, die auf vielen Windungen, namentlich des Stirnhirns sassen, 
stellten sich mikroskopisch als Vorstülpungen dar, die den ganzen Quer¬ 
schnitt der oberflächlichen Gehirnsubstanz enthielten. Es bestand gleich¬ 
zeitig Syringomyelie in dem Fall. Bemerkenswert ist, dass irgendwelche 
psychische Störungen nicht Vorlagen, im Gegensatz zu den anderen in 
der Literatur beschriebenen derartigen Fällen. 

C. Ciaccio und S. Scaglione: Beitrag zur zellulären Physio¬ 
pathologie der Plexus ehorioidei. (Beiträge zur pathol. Anatomie u. 
zur allgemeinen Pathologie, herausgegeben von E. Ziegler, Bd. 55, 
II. 1.) Vorf. studierte die Zellen des Hirnpleius bei normalen Ver¬ 
hältnissen an verschiedenen Säugetieren und bei verschiedenen Intoxi¬ 
kationen und Infektionen, die experimentell bei Kaninchen hervorgerufen 
wurden, endlich bei verschiedenen pathologischen Zuständen des Menschen. 
Die Ergebnisse sind in färberischer, chemischer und histologischer Hin¬ 
sicht bemerkenswert, zu kurzem Referat nicht geeignet. Benn. 

Siehe auch Chirurgie; Forssner, Darmatresie. 


Diagnostik. 

Th. Hausmann - Rostock: Der Urobilinnaehweis mittels Kupfer¬ 
sulfat. (Deutsche med. Wochensohr., 1913, Nr. 8.) Empfehlung einer 
alten, von Bogomaloff angegebenen Methode: 10 ccm Harn werden 
mit 20 Tropfen 10 proz. Kupfersulfatlösung versetzt und umgeschwenkt. 
Dazu kommen dann 2 bis 4 ccm Chloroform. Bei Anwesenheit von 
Urobilin färbt sich das Chloroform gelb (bzw. rosa). Wolfsohn. 

A. May er-Frankenhausen: Verwendung der elektrischen Taschen- 
later ne als diagnostisches Hilfsmittel bei unsicheren Hydrocelen. (Mün¬ 
chener med. Wochenschr., 1913, Nr. 6.) Dünner. 

C. Hirsch-Frankfurt a. M.: Sympathischer Nystagmus bei Erysipel. 
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) In einem Falle von Gesichts¬ 
erysipel fand Verf. einen Spontannystagmus nach der erkrankten Seite 
hin. Er untersuchte daraufhin 40 weitere Fälle und fand in allen das 
erwähnte Phänomen, das er demnach für ein konstantes Symptom bei 
Kopf- und Gesichtserysipel hält. Differentialdiagnostisch ist dies Zeichen 
wichtig bei Erysipelen der behaarten Kopfhaut, weiterhin bei Mittelohr¬ 
eiterung mit noch nicht sichtbaren erysipelatösen Hauterscbeinungen. 
Im letzteren Falle lasse man sich nicht dazu verleiten, den bestehenden 
Nystagmus als intracranielle Komplikation aufzufassen. 

H. Schmidt-New Surrey (England): Capillaranalytische Bestim¬ 
mungen der freien Salzsäure im Blagensaft. (Deutsche med. Wochen¬ 
schrift, 1912, Nr. 8.) Angeregt durch die Arbeit von Holmgren hat 
Verf. folgende Methode ausgearbeitet: Ein Tropfen Magensaft wird aus 
einer Capillarpipette auf feines Congo-Filtrierpapier ausgeblasen, und 
zwar so, dass er in das Centrum eines graduierten Achsenkreuzes fällt. 
Peripher von dem blauen Säurefleck entsteht dann ein sogenannter 
Wasserfleck, aus dessen Breite die Säuurekonzentration sich mathematisch 
berechnen lässt. Das Verfahren zeigt annähernde Uebereinstimmung mit 
der gewöhnlichen Congotitration und der Citron’schen Methode. 

Wolfsohn. 


Parasitenkunde und Serologie. 

P. Steffens-Freiburg i. Br.: Ueber die biologische (baktericide) 
Wirkung der Anionenbehandlung. (Therapeut. Monatsh., Februar 1913.) 
Aus den Versuchen des Verf. geht mit Sicherheit hervor, dass den Hoch¬ 
spannungsbestrahlungen eine zweifellose, bakterienfeindliche Wirkung zu¬ 
zuschreiben ist. Am schönsten liess sich diese direkt baktericide 
Wirkung durch die Anionenbestrahlung mittels der Kondensatorelektrode 
erzielen, woraus sich die Indikation ergibt, die Anionenbehandlung be¬ 
sonders bei Hauterkrankungen zur Anwendung zu bringen. 

H. Knopf. 

Craig: Beziehungen von Amöben zur Krankheit. (Americ. journ. 
of med. Sciences, 1913, Nr. 1.) Experimentelle Studien mit Amöben, 
die Verf. zu dem Schluss bringen, dass Entamoeba coli ein harmloser 
Parasit ist, während Entamoeba histolytica und tetragena als Erreger 
der Amöbenruhr anzusehen sind. Sie zu züchten, ist noch nicht ge¬ 
lungen; alle kulturellen Arten zeigen in jeder Hinsicht ein ganz anderes 
Verhalten und gehören einer anderen Klasse an. Sch« lenz. 

M. Rothermundt, J. Dahle, S. Peschic-Bern: Das Quecksilber 
in der Therapie der Spiroehäteuinfektion auf Grund experimenteller 
Studien an Tieren. (Zeitschr. f. Immunitätsforscb., Bd. 16, Nr. 2.) Mit 
allen Hg-Präparaten lassen sich bei richtiger Dosierung Heilerfolge bei 
der Hühnerspirillose erzielen. Für die akut verlaufende Spirillose ist 
der therapeutische Wert der löslichen und unlöslichen Präparate ziemlich 
gleich. Die Heilkraft der ^-Verbindungen der aliphatischen Reihe 


scheint von dem Hg-Prozentgehalt in erster Linie abhängig zu sein. 
Nur bei den Präparaten der aromatischen Reihe trifft diese Gesetz¬ 
mässigkeit nicht zu. Hier lassen sich chemotherapeutische Effekte er¬ 
zielen, ohne dass dabei eine Abhängigkeit vom Hg-Gehalt ermittelt 
werden kann. Durch Einführung der Sulfaminogruppe kommt stark 
parasiticide Wirkung bei geringer Organgiftigkeit zustande. Das beste 
Präparat erscheint den Verff. in dieser Richtung das Dimethyl-phenyl- 
pyrazolon-sulfamino-Hg zu sein. 

T. Aoki-Tokio: Ueber die Verwertbarkeit von alkoholischem 
Hihnerherzeitrakt als Antigen bei meiner einfachen Komplement- 
bindnvgsreaktion. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 16, Nr. 2.) 
Alkoholischer Extrakt aus Hühnerherz gibt als Extrakt bei der Wasser- 
mann’scben Reaktion günstigere Resultate als der vom Meerschweinchen¬ 
herz. Nach Verf. Methode sollen die Reaktionen der mit fötalem Leber¬ 
extrakt ausgeführten Reaktionen fast gleichwertig sein. Man braucht 
dabei nichts weiter als 0,2 ccm Serum, 1 ccm 1 proz. Hühnerherzextrakt 
und 2 proz. Aufschwemmung von Kaninchenblut. 89 Versuche ergaben 
dem Verf. fast stets Resultate, die mit der Wassermann’schen Reaktion 
überein stimmten. 

W. Heimann-Göttingern Die „SänreagglntiBation“ innerhalb der 
Typhns - Paratyphusgriippe, insbesondere sogenannter Paratyphus C- 
Bacillen. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 16, Nr. 2.) Die Angaben 
von Michaelis und Beniasch konnten für die Typhus-Paratyphus¬ 
gruppe bestätigt werden. Durch ihre bestimmte und zuverlässige 
Gruppenreaktion dürfte die Reaktion sich in der Hand des Praktikers 
als brauchbar erweisen. 

F. H. Thiele und D. Embleton-London: Die Rolle der Lipoide 
in der Immunität. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 16, Nr. 2.) 
Gewaschene Hammelerythrocyten wurden getrocknet und dann extrahiert 
a) mit Aceton, b) mit Aceton und Aether, c) mit Aceton, Aether und 
Alkohol. Die verschiedenen Rückstände und Lipoide wurden Kaninchen 
injiziert. Das Serum der so vorbehandelten Tiere zeigte dieselbe hämo- 
lysierende und agglutinierende Kraft wie bei Behandlung mit unextra- 
hierten Blutkörperchen. Die Entfernung der Lipoide begünstigt die 
Produktion eines agglutinierenden Serums nicht. Lipoide allein rufen 
keine Antikörperbildung hervor. Aehnliche Versuche wurden weiterhin 
mit Extrakten von Katzenlebern und -nieren angestellt, wobei sich 
analoge Resultate ergaben. In bezug auf die Anaphylaxie fanden die 
Verff., dass Meerschweinchen ebensogut mit extrahierten Antigenen über¬ 
empfindlich gemacht werden können wie mit unveränderten. Durch Vor¬ 
behandlung mit Lipoiden allein gelingt cs hingegen nicht, Meer¬ 
schweinchen überempfindlich zu machen. Reingewaschene Phosphatide 
können für die Komplementbindung nicht als Antigene dienen. Band¬ 
wurmlipoide wirken antigen mit dem Serum von Kaninchen, die mit 
einer auf 60° erhitzten Zerreibung von Taenia crassicollis vorbehandelt 
wurden. 

F. H. Thiele und D. Embleton-London: Die Erzeugung von 
Temperatardifferenzen (im Anaphylaxievergaeb). (Zeitschr. f. Im¬ 
munitätsforsch., Bd. 16, Nr. 2.) Die Experimente der Verff. bestätigen 
die Angaben von Friedberger und Mita, wonach die temperatursturz- 
und fieberproduzierenden Substanzen dieselben sind. Die Resultate sind 
nur von der Menge des Antigens abhängig: In grossen Dosen wirkt das 
in vitro erzeugte Anaphylatoxin tödlich, in mittleren temperatur- 
erniedrigend, in kleineren fieberproduzierend. Je mehr Diamidobasen 
das Antigen enthält, desto toxischer wirken die Spaltungsprodukte. 
Monoamidosäure und die niedrigen Spaltungsprodukte haben keine tem- 
peraturbeeioflussenden Eigenschaften. Gekochtes Bakterieneiweiss wird 
viel langsamer gespalten als ungekochtes und wirkt deswegen weniger 
toxisch. Je feiner Bakterienleiber zerkleinert sind, desto schneller und 
grösser sind die Temperaturerscheinungen nach der Einspritzung. 

. E. Friedberger und G. Kapsenberg-Berlin: Die Anapbyia- 
toxinbildang aus tierischen Bacillen und durch Plasma an Stelle von 
Serum. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 16, Nr. 2.) Die Abspaltung 
des Anapbylatoxins durch Serum geliugt in gleicher Weise wie bei Ver¬ 
wendung von Kulturbakterien auch mit tierischen Bacillen. In beiden 
Fällen ist das Plasma etwa ebensogut wie das Serum zur Giftbildung 
geeignet. Wolfsohn. 

Siehe auch Innere Medizin: Klemperer, Behandlung der 
Tuberkulose mittels Tuberkelbacillen. 


Innere Medizin. 

Reinhardt-Darmstadt: Ein Fall von SitBfl viscenm iawemts 
totali8 bei Zwillingen (Rekruten). (Deutsche militärärztl. Zeitschr., 
1912, H. 24.) Schnütgen. 

R. Reinhardt-Heidelberg: Ueber das yerhältnis von C0 2 -Abs- 
sebeidang zur Atemgrösse beim Lungenempbysem. (Deutsches Archiv 
f. klin. Med., Bd. 109, H. 1 u. 2.) Die Atemgrösse des Emphysematikers 
ist um ca. 50 pCt. grösser als beim Normalen; die Atemfrequenz ist 
erhöht, der einzelne Atemzug dabei aber eher etwas tiefer als beim 
Gesunden. Um die gleiche Kohlensäuremenge auszuatmen, führt der 
Emphysematiker eine grössere Atemexkursion aus. Um einen Zuwachs 
der Atemgrösse zu erzielen, ist ^ei dem Emphysematiker pin durch¬ 
schnittlich höherer C0 2 -Gehalt dqf ; Inspirationsluft nötig , als'bein^ Ge- } 
sunden. Die Atemmechanik beim Lupgeuemphysem, ist also weoigei; 


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3. Mftn 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


407 


leistungsfähig als beim Gesunden. Schon in Ruhe wird zur Ausscheidung 
einer bestimmten CO r Menge eine grössere Luftmenge bewegt und bei 
COfbaltiger Inspirationsluft genügt die Atmung zur Ausscheidung der 
CO, nicht. G. Eisner. 

t. Hain iss: Diagnostischer Wert des Pitres'schen „Signe da Boa“. 
(Wiener med. Wochensohr., 1913, Nr. 3.) Das „Signe du sou a besteht 
darin, dass man auf die Oberfläche des Thorax ein Geldstück legt und 
mit einem anderen leise darauf klopft, während man gleichzeitig auf der 
gegenüberliegenden Seite auscultiert. Bei Anwesenheit von Exsudat soll 
ein starker Metall klang hörbar sein, über normalen Lungen ein dumpfer 
Metallton ohne jeden Klang, über infiltrierter Lunge ein Hartholzton. 
Dies soll besonders für den Pädiater wichtig sein zur Diagnose eines 
Pleuraexsudats. 

Tedesko-Wien: Bemerkungen zur Benzoldarreiehing bei Blnt- 
kraikheiten. (Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 2.) Verf. berichtet 
über einen Pall von Leukämie, der durch die Koranyi’sche Benzoltherapie 
sehr günstig beeinflusst wurde. Das Mittel beeinflusste einerseits die 
Erythropoese sehr günstig, andererseits hatte es eine unverkennbare 
Wirkung auf die qualitative Beschaffenheit der weissen Blutelemente. 

A. Bendix. 

Lommel-Jena*. Ueber die sogenannte „BantPsehe Krankheit“ und 
den bäBilyttachen Icterus.» (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 109, 
H. 1 u. 2.) Die Pathologie der Spenomegalien mit Anämie und Icterus 
befindet sich zurzeit noch in einem unfertigen Stadium. Mitteilung 
iveier einschlägiger Fälle, von denen einer das ausgeprägte Bild des 
Morbus Bantii zeigte, der zweite ein familiärer hämolytischer Icterus war. 

G. Eisner. 

A. P lehn -Berlin: Einige seltenere Fälle von Erkrankungen der 
kiltbereitenden Organe. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 8.) 
Vortrag im Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde zu Berlin 
am 9. Dezember 1912. Wolfsohn. 

Düren und Summers: MediastiaoperiearditU behandelt mit 
Cardielyais (Brauer). (American, journ. of med. Sciences, 1913, Nr. 1.) 
Kasuistischer Beitrag. Sehe lenz. 

Schmidt-Bruck: Ueber HerzstoM nnd Pnlsknrven. (Wiener med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Nach dem Verf. entsteht der Herzstoss da¬ 
durch, dass während der Systole der in der Richtung nach der Herz¬ 
basis sich bewegende Blutstrom an die sieb schliessende Zipfelklappe 
zurückprallt und nach der Herzspitze zurückflutet A. Bendix. 

Baldwin: Ein Fall von Alcaptonnrie. (American, journ. of med. 
Sciences, 1913, Nr. 1.) Kasuistischer Beitrag. Bemerkenswert erscheint 
dem Verf., dass die Mehrzahl der Fälle aus Deutschland stammen. 
Auch die in anderen Ländern beobachteten Fälle betrafen meist deutsche 
Patienten, wie ebenso dieser Kranke aus deutscher Familie stammte. 

Schelenz. 

H. Straub-Tübingen: AeidosebestiiiMingen bei Diabetes nellitas. 
Klinische Untersuchungen über die Kohlensäurespannung der Alveolar¬ 
luft. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 109, H. 3 u. 4.) Bei Ent¬ 
ziehung der Kohlehydrate sinkt beim Nichtdiabetiker die Kohlensäuren¬ 
spannung zunächst ab, erreicht aber nach einigen Tagen das ursprüng¬ 
liche Niveau wieder. Beim Diabetiker tritt eine stärkere Senkung der 
Kohlensäurespannung ein, das alte Niveau wird später erreicht als beim 
Gesunden. Bei schweren Fällen von Acidose erreicht die Kohlensäure- 
spannung die normale Höhe nicht oder nur vorübergehend wieder. Es 
treten starke Schwankungen der Kohlensäurespannung ein, wenn der 
Körper um seinen Alkalibestand kämpft. Mit zunehmender Acidose 
sinkt die Kohlensäurespannung mehr und mehr ab, um im Goma dia- 
betioum die niedrigsten Werte zu erreichen. Mit der Höhe der Keton- 
urie geht die Kohlensäurespannung nicht immer gleichsinnig. Weder 
die Verfolgung der Ketonurie allein, noch der Kohlensäurespannung 
allein gibt Auskunft über den Grad der Ketonkörperbildung. Erstere 
zeigt die Menge der Ketonkörperausscheidung, letztere die der Keton¬ 
körperretention an. Beide Methoden zusammen dagegen lassen einen 
Schluss auf das Maass der Ketonkörperbildung zu. Durch Alkalizufuhr 
lässt sich die sinkende Kohlensäurespannung in die Höhe treiben. Ver¬ 
sagt die Neutralisation, so sinkt die Kohlensäurespannung trotz Alkali¬ 
zufuhr. Zufuhr von Kohlehydraten erhöht pathologisch erniedrigte 
Koblensäurespannung. An Hafertagen tritt in der Regel kein Anstieg 
der Kohlensäurespannung ein. Dagegen steigt sic danach häufig trotz 
kohlebydratfreier Diät. G. Eisner. 

A. Hamm-Strassburg i. E.: Ein seltener Fall von Colipyämie; ein 
Beitrag zur klinischen Bedeutung des Bakterienanaphylatoxins. (Mün¬ 
chener med. Wochenschr., 1913, Nr. 6.) Bei einer Frau, die an einer 
Colicystitis litt, wurde von anderer Seite ein Abort ausgeräumt. Im 
Anschluss daran fast täglich heftigste, sich über Stunden binziebende 
Schüttelfröste mit hochgradiger Atemnot; die Anfälle wurden auffällig 
gut durch Adrenalin beeinflusst. Im Blut Hessen sioh Golibakterien nie 
nach weisen. Bei der Autopsie fanden sich lediglich Thromben der 
Beckenvenen und ein kleiner Lungeninfarkt; also ein nur geringfügiger 
pathologisch-anatomisoher Befund. H. mutmaasst, dass es sich in seinem 
Falle um eine akute Giftwirkung der in grossen Mengen aus dem in¬ 
fizierten Thrombenmaterial in den Kreislauf hineingeschwemmten Goli¬ 
bakterien bandelt. Die oben geschilderten Symptome fasst er als Ver¬ 
giftungserscheinungen auf, dfe durch 'die Abbauprodukte des körper¬ 
fremden Eiweisses entstehen. Dünner. 


Pulawski-Warschau*. Bright’sche Krankheit. Zweimalige Ede- 
hehl’seke Operation. Basedowsymptome zum Schlüsse des Lebens. 
(Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Verf. beschreibt einen Fall, 
bei dem wegen Nephritis und Urämie beide Nieren decapsuliert wurden, 
und der später unter Basedowsymptomen zugrunde ging. 

A. Bendix. 

P. Erdölyi-Budapest: Ueber die Ausscheidung der stickstoff¬ 
haltigen Stoffweehselprodnkte hei Nephritis und über die intravenöse 
Anwendnng der Dinretica. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 109, 
H. 3 u. 4.) Die Diuretica der Theobromin- und Theocingruppe fördern 
nicht nur die Ausscheidung des Wassers, sondern in leichten Fällen von 
Nephritis im Falle von Stickstoffretention auch die Ausscheidung des 
Stickstoffes. NaGl wird durch Einwirkung dieser Medikamente in er¬ 
höhtem Maasse ausgeschieden. Man soll also bei Nephritis schon im 
ersten Stadium der Erkrankung Diuretica geben, selbst wenn keine 
Oedeme vorhanden sind, um eventuelle Retentionen zu verhindern. Bei 
Kranken mit Oedemen sind die Resorptionsverhätnisse ungünstiger. Verf. 
wandte daher in solchen Fällen die intravenöse Injektion von Diuretica, 
und zwar stets mit sehr gutem Erfolg an. G. Eisner. 

Pick: Die Behandlung der Appetitlosigkeit, mit besonderer Berück¬ 
sichtigung ihrer nervösen Formen. (Wiener med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 2.) Appetitlosigkeit ist häutig eine Begleiterscheinung nervöser und 
psychischer Erkrankungen. Bei nur neurasthenischer Appetitlosigkeit 
sind psychotherapeutische Maassnahmen am Platze. Bei der im Verlauf 
einer manisch-depressiven Erkrankung auftretenden Appetitlosigkeit hat 
sich die Behandlung auf die Grundkrankheit zu konzentrieren. Gegen¬ 
stand unserer Behandlung ist nicht die Appetitlosigkeit, sondern der 
appetitlose Mensch. A- Bendix. 

H. Lüthje-Kiel: Einige Bemerkungen zum Krankheitsbild der 
Ryperaeidität. (Therapie d. Gegenw., Januar 1913.) L. verordnet eine 
reine lactovegetabilische Kost, und zwar zunächst immer in Form der 
Lenhartzdiät, aber ohne Fleisch. Mit geringen Ausnahmen schwanden die 
hyperaciden Beschwerden fast sofort. Nach Monaten wird versuchsweise 
etwas Fisch, Geflügel oder feingewiegtes Rindfleisch gereicht. Neben 
der psychotherapeutischen Beeinflussung empfiehlt Verf. zur Regelung 
des Stuhlgangs manuelle oder elektrische Vibrationsmassage bzw. Walz¬ 
massage, eventuell kombiniert mit Oeleinläufen in das Rectum. Leicht 
abführende Mineralwässer, wie Homburger Elisabethbrunnen, Kissinger 
Rakoczy tuen gute Dienste. R. Fabian. 

G. A. Lallemant und 0. Gross-Greifswald: Stoffwechsel versiehe 
mit abgebautem Fleisoheiweiss (Ereptoi). (Therapeut. Monatsb., Februar 
1913.) Die Versuche ergaben, dass das künstlich verdaute Fleischeiweiss 
imstande ist, beim Gesunden per os gegeben, natives Eiweiss zu ersetzen. 
Das Erepton ist zu empfehlen als ein hochwertiges Nährpräparat, dessen 
Medikation für die Fälle angebracht erscheint, wo die Ergänzung und 
Verbesserung der Nahrung durch ein Nährpräparat wünschenswert er¬ 
scheint. Auch rectal wird das Mittel gut assimiliert, doch werden die 
Glysmata häufig nicht behalten. Bei schweren Pankreaserkrankungen 
vermag das Erepton den Patienten ins Stickstoffgleichgewicht zu bringen. 

H. Knopf. 

S. Kemp: Beitrag zur Pathologie und Therapie des Magengeschwürs. 
(Die Hypersekretion nach der Probemahlzeit) (Boas’ Archiv, Bd. 18, 
H. 6, S. 701.) Von 550 Patienten wurde Hypersekretion nach Probe¬ 
frühstück bei 75 naebgewiesen, von denen 20 an Ulcus ventriculi, 18 
an mutmaasslichem Ulcus erkrankt waren. In 70 Fällen von Ulcus 
ventriculi waren 20 mit Hypersekretion, d. h. 28 pCt., in 55 Fällen von 
fraglichem Ulcus 13, d. h. 24 pGt., in 425 Fällen von Dyspepsie 42, 
d. h. 10 pCt. Kontinuierliche Hypersekretion (Parasekretion, Ewald) 
kommt oft gemeinsam mit der Hypersekretion vor, aber noch öfter kommt 
die letztere nach dem Probefrühstück allein vor. Die Parasekretion 
führt also keineswegs immer eine digestive Hypersekretion mit sich. 
Kemp hält es für das Beste, nach dem Vorgang von Schütz die Total¬ 
salzsäuremenge, d. b. den gesamten Mageninhalt multipliziert mit dem 
Aciditätswert, dividiert durch 100, zu bestimmen und danach die Hyper¬ 
sekretion zu bemessen. Er findet dann bei 70 Patienten mit sicherem 
Ulcus 43 pCt., bei 55 mit unsicherem Ulcus 29 pCt. und bei 425 Dys¬ 
pepsien 14 pCt. mit Hypersekretion. Besonderen Wert legt er auf den 
Nachweis einer motorischen Insuffizienz, die unter 96 Fällen 43 mal 
statt hatte, in Verbindung mit einer Hypersekretion. Der sogenannte 
Sohicbtungsquotient (Strauss) ist kein brauchbares diagnostisches Hilfs¬ 
mittel, praktisch ist es unmöglich, eine Hypersekretion allein auf Grund 
eines niederen Schichtungsquotienten zu diagnostizieren. Auch das 
„trockene“ Probefrühstück sagt darüber nichts aus, da es, wie Doppel¬ 
versuche lehrten, auf die Inhaltsmenge des Magens den ihm sup- 
ponierten Einfluss nicht hat. Unter 31 Patienten war nach trockenem 
Probefrühstück bei 15 ein abnorm niedriger Sohicbtungsquotient 
(< 30 pGt.), nach wasserhaltiger Probemahlzeit bei 16, also eine fast 
gleiche Zahl. Ueberhaupt sind die Ergebnisse auch bei trockenem 
Probefrühstück sehr wechselnd, und es ist ganz gleichgültig, ob man 
zur Sekretionsuntersuchung eine Probemahlzeit mit oder ohne Flüssigkeit 
anwendet. (Auf diesem Standpunkt stehen wir im Augustahospital seit 
langem, lief.) Allerdings kommt ein Schichtungsquotient vou 80 od(er 
darunter mit rtilativ gtosseijfr Häufigkeit beim Ulcus als bei den übrigen 
Magenleiden vor, aber dass er seine Ursache in einer erhöhten 
Sekretion seitens des Magens hat, dafür ist kein Beweis geliefert. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 9. 


J. Zadek: lieber hämorrhagische Erosionen «ad Magengeschwüre 

und ihre Beziehungen zur Melaena neonatorum im Anschluss an vier 
Fälle bei Säuglingen. (Boas’ Archiv, Bd. 18, H. 5 u. 6, S. 785.) Nach 
einer eingehenden Besprechung der verschiedenen über die Entstehung 
der hämorrhagischen Erosionen im Laufe der Zeit aufgestellten Ansichten 
und Versuche berichtet Verf. ausführlich über einen Fall von multiplen 
Magengeschwüren beim Neugeborenen und über drei Fälle von Erosionen 
bei Säuglingen, die bei Lebzeiten sämtlich nicht das klinische Bild einer 
Melaena boten, vielmehr gar keine Blutungen zeigten und unter ver¬ 
schiedenen, die Magendarmveränderungen nicht berücksichtigenden Dia¬ 
gnosen zur Sektion kamen. Die interessanten Krankengeschichten und 
Epikrisen sind im Original nachzulesen. Die Aetiologie der Erosionen 
und Geschwüre konnte trotz eingehender Erwägung aller in Frage 
kommenden Möglichkeiten nicht mit Bestimmtheit festgelegt werden. 

K. Hofius: Vergleichende Untersuchungen über die Röntgenphoto- 
grapkie des Magens and die Gastrediaphanie. (Boas* Archiv, Bd. 18, 
H. 5 u. 6, H. 741.) Hofius bemüht sich, die Gastrodiaphanie, die in 
Deutschland zuerst duroh die auf meine Veranlassung von Kuttner und 
Jacobsohn ausgeführten Bestimmungen gründlich bearbeitet, in letzter 
Zeit aber wenig oder gar nicht mehr benutzt worden ist, wieder zu 
Ehren zu bringen. Er hat vergleichende Beobachtungen mit der Röntgen¬ 
durchleuchtung und der Gastrodiaphanie angestellt und sich für die 
letztere des Einhorn’schen Instrumentes bedient. fH. spricht von der 
„Kuttner’schen Magenlampe“, ich muss aber historisch feststellen, dass 
uns Einhorn seinerzeit ein Exemplar seines Gastrodiaphans zuschickte, 
mit dem wir arbeiteten. Kuttner fügte einen seitlichen Ansatz zum 
Wassereinfüllen und -ablassen hinzu. Wir fanden es später zweck¬ 
mässiger, den Magen mit dem gewöhnlichen Schlauch zu füllen und zu 
entleeren. Die Einführung des Gastrodiaphans bietet gar keine Schwierig¬ 
keiten; das Gastrodiaphan von Heryng war ein unbrauchbares Monstrum, 
dessen Schlauch etwa die Dicke eines Mannsdaumeos hatte.) Als Er¬ 
gebnis seiner Versuche findet Hofius, dass Gastrodiaphanie und Röntgeno- 
graphie in allen Fällen (15) gleiche Resultate ergaben, soweit die 
vorderen und linken Magengrenzen in Betracht kamen, dagegen die 
elektrischen Durchleuchtungsbilder alle viel weiter nach rechts gehen 
und mehr rundlich sind im Gegensatz zu den mehr gestreckten, fast 
bandartigen Röntgen bildern. Die obere Grenze steht bei ersteren immer 
horizontal; eine Ausnahme machte nur ein Fall von Sanduhrmagen, zu 
dessen Diagnose ich schon vor Jahren (Deutsches Archiv f. klin. Med., 
Festband für Kussmaul) die Gastrodiaphanie empfohlen habe. Wenn 
aber Verf. sagt, „die Röntgenphotographie und die Gastrodiaphanie er¬ 
geben im wesentlichen gleiche Resultate; die Abweichungen wider¬ 
sprechen sich nicht, sondern ergänzen sich nur in äusserst wertvoller 
Weise“, so dürfte er damit, und meines Erachtens mit. Recht, bei den 
Röntgenologen wenig Zustimmung finden. Mit dem Gastrodiaphan kann 
man sehr hübsch einen erweiterten Magen demonstrieren, auch sonst die 
ungefähre Lage des Magens durch Hin- und Herschieben des Schlauohes, 
auch den Verlauf der Speiseröhre kenntlich machen, aber in bezug auf 
die feinere Topographie — eine Irreführung durch gleichzeitig erhellte 
Darmschlingen kann nur dem ganz Ungeübten begegnen — und auf die 
Diagnose von Gescbwulstbildungen, Narbenverzerrungen, Spasmen usw. 
ist die jüngere Schwester der älteren doch fraglos überlegen. Dagegen 
lässt sich nicht leugnen, dass das Instrumentarium billiger, überall mit- 
zufübren und ohne besondere Schwierigkeiten zu benutzen ist. 

M. Einhorn: Indikationen für Operationen bei Erkrankungen 
des Verdanungstraktes. (Boas’ Archiv, Bd. 28, H. 5 u. 6, S. 728.) Aus 
dem Vortrage von Einhorn, der eine gedrängte Uebersicht über obiges 
Thema gibt, sind folgende Auslassungen hervorzuheben: „Bei akuten 
Blutungen im Verdauungstrakte wird heutzutage die Operation nicht 
mehr vorgenommen. Die Operateure sowohl wie der Kliniker stimmen 
darin überein, dass es besser ist, derartige Fälle auf medizinischem Wege 
zu behandeln, weil die Mortalität einer Operation sehr gross war. Manche 
Chirurgen hatten 40 pCt., andere 50 und andere 60 pCt. Andererseits 
ist festgestellt worden, dass die Mortalität dieser Fälle, wenn sie sich 
selbst überlassen bleiben, gering ist. Wenn diese Fälle medizinisch be¬ 
handelt werden, so hört die Blutung gewöhnlich nach einiger Zeit auf.“ 
E. batte nur zwei Fälle von akuten Magenblutungen mit tödlichem Aus¬ 
gang, trotz eines recht grossen Materials. 

S. Jonas: Ueber das Verhältnis zwischen Stahlbild and Darm¬ 
motilität und die wechselnden Stahlbilder der Hyperacidität and der 
Acbylie. (Boas’ Archiv, Bd. 28, H. 5 u. 6, S. 769.) An der Hand einer 
Reibe prägnanter Fälle von Stuhl bildern und gleichzeitiger röntgeno¬ 
graphischer Beobachtung der Darmbewegungen kommt der Verfasser zu 
folgenden Schlusssätzen: Der Hauptmotor des Darms ist der Magen. Für 
die Gestaltung des Stuhlbildes ist aber in erster Linie die Motilität der 
unteren Dickdarmabsohnitte (Colon descendens, Sigma, Rectum) maass¬ 
gebend. Der Schluss aus dem Stublbild der Obstipation auf eine ver¬ 
langsamte Passage im gesamten Darmtractus ist unzulässig, weil dasselbe 
auch bei schneller Passage des Darminhalts durch die oberen Darm¬ 
partien zustande kommen kann. Auch das Stuhlbild der Diarrhöe ist 
immer durch eine Hypermotilität des Dickdarms bedingt, wenn an ihm 
auch gleichzeitig Magen- oder Dünn- und Dickdarmerkrankungen beteiligt 
sein können. Kommt bei Achylie (die mit Diarrhöe und Obstipation 
verlaufen kann) eine verlangsamte Passage des oberen Dickdarms, so 
dass die Flexura lienalis nicht wenigstens in sechs Stunden vom Wismut¬ 
brei erreicht wird, so ist der Verdacht auf ein Passagehindernis im 
Magen oder Darm gegeben. Aus dem Stuhlbild der Diarrhöe kann nicht, 


auch bei Anwesenheit von Bindegewebe, auf eine Achylie geschlossen 
werden, weil es auch Fälle von Hyperacidität mit primärer Hypermotilität 
und diarrhoischen Entleerungen gibt, die reichliche Mengen Bindegewebe 
enthalten. Ewald. 

F. Klemperer: Ueber die Behandlung der Taberkalose Mittel« 
leheader Taberkelhaeillei. (Ein Beitrag zur Frage der Patentschutz¬ 
fähigkeit lebender Bakterien.) (Therapie d. Gegenw., Januar 1918.) 
Verf. gibt eine zusammenfassende Uebersicht über die bisherigen Immuni- 
sierungsversuohe mittels lebender Tuberkelbacillen (Perlsucht-, Hühner-, 
Schildkröten-, Blindscbleichentuberkelbacillen). Alle die Versuche haben 
das Gesetz bestätigt, dass „jede Varietät von Tuberkelbacillen, welche 
für eine Tierart nicht oder wenig infektiös ist, dieser Tierart einen ge¬ 
wissen Schutz gegen die für sie infektiöseren Tuberkelbacillen verleiht“. 
Beim Tiere kommt nach den Feststellungen vieler Autoren der Immuni¬ 
sierung mittels lebender .Tuberkelbacillen ein therapeutischer Wert zu. 
Beim Menschen haben die bisherigen Versuche zu keinem abschliessenden 
Urteil geführt. Verf. berichtet dann ausführlich über die Friedmann’sche 
„Heil- und Schutzimpfung der menschlichen Tuberkulose“ (diese Wochen¬ 
schrift, 1912, Nr. 47). Verf. sieht trotz mancher Uebertreibungen und 
trotz des Mangels an Sorgfalt in den Feststellungen des Behandlungs¬ 
resultats in dem Friedmann’schen Mittel einen Fortschritt in der Be¬ 
handlung der Tuberkulose. Wie gross jedoch die Heilwirkung ist, muss 
erst durch weitere Prüfung des Mittels entschieden werden. K. konnte 
aus dem Injektionsinfiltrate eines Patienten, der vorher von Friedmann 
behandelt wurde, den Friedmann’scben (dritten) Schildkrötenbacillus in 
Reinkultur züchten. K. findet es unverständlich und als etwas ganz 
Neues, dass Fried mann sein „Verfahren zur Herstellung von Heil- und 
Schutzstoffen gegen Tuberkulose“ zum Patent angemeldet hat, um so 
mehr als Arzneimittel nach dem Gesetze vom Patentschutz ausgeschlossen 
sind und es sich in dem Fried mann’schen Mittel um käine neue Er¬ 
findung handelt. R. Fabian. 

v. Noorden-Homburg: Indikationen und Wirkungen des Hombnrger 
Tonsehlammos. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 6.) Bericht 
über die Wirkung des Homburger Tonschlammes, der sicherlich dem 
Fango ebenbürtig ist, bei den verschiedensten Krankheiten. Dünner. 

Siehe auch Therapie: Schmidt, Behandlung Darmkranker mit 
Sauerstoff. Boas, Folliculin, ein Abführmittel. Loening, Melubrin 
bei Gelenkrheumatismus. Brosch, Innere Behandlung von Dickdarm¬ 
stenosen. — Diagnostik: Hausmann, Urobilinnachweis mit Kupfer¬ 
sulfat. Hirsch, Nystagmus bei Erysipel. — Haut- und Geschlechts¬ 
krankheiten: Hoffmann, Akute syphilitische Nephritis. — Chirurgie: 
Wilms, Pfeilerresektion der Rippen zur Verengerung des Thorax bei 
Lungentuberkulose. Henschen, Dauerdrainage von Ascites. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Devoto - Mailand: Aetiologie und Klinik der Pellagra. (Wiener 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Der Genuss von verdorbenem Mais 
verursacht Pellagra. Recidive sind möglich. Sogar ein Mensch, der sich 
lange und in überwiegender Menge von gesundem Mais nährt, kann an 
Pellagra erkranken. Nach dem heutigen Stande unserer Kenntnisse 
kann man behaupten, dass die Pellagra eine schleichende chronische 
Intoxikation ist, ausgezeichnet durch teilweise frühzeitig einsetzende Ver¬ 
änderungen des Nervensystems und durch ein grosses Heer von Er¬ 
scheinungen, welche auf Störungen der Verdauungswege, der Leber, der 
Nieren, auf Erkrankungen der serösen Häute, funktionelle und anatomische 
Mitbeteiligung der Gelasse, auf qualitative Modifikationen des Stoff¬ 
wechsels und wahrscheinlich auch der Nebenniere, auf ausgesprochen 
schwere Erkrankungen der Nervencentren hinweisen und mit der Demenz 
enden. Es fehlen selten Hautveränderungen, die unter dem Einfluss 
des Sonnenlichts entstehen. Die Pellagra ist im Beginn eine gutartige 
Erkrankung; rechtzeitig erkannt, kann sie besiegt werden, sobald der 
Erkrankte mit dem Genüsse von Mais aufhört. Durch hygienische und 
soziale Maassregeln ist es gelungen, in 12 Jahren die Zahl der Pellagra¬ 
erkrankungen in 8 italienischen Provinzen um 75pCt. zu vermindern. 

A. Bendix. 

K. Bonboeffer-Berlin: Zur operativen Therapie der Hirntnmoren. 
(Therapie d. Gegenw., Januar 1913.) Verf. gibt einen Bericht über 
63 Fälle von Hirntumor, von denen 26 operiert wurden, und zwar 24 
mit typischer Knochenresektion, 2 nur mit Balkenstich, 26 sind un- 
operiert gestorben, 11 haben die Klinik ohne Operation verlassen. Unter 
den 24 operierten Fällen waren 15 inoperabel, auch unter den ver¬ 
storbenen 26 Fällen waren nach dem Obduktionsbefund 21 inoperabel. 
Die Prognose der Gehirngeschwülste ist eine sehr schlechte und ist bei 
der Beurteilung der operativen Resultate zunächst der hohe Prozentsatz 
inoperabler Geschwülste zu berücksichtigen. Bei Vio der operierten 
Fälle ist radikal mit länger dauerndem Erfolg und erheblicher Besserung 
des Allgemeinbefindens vorgegangen worden. Bei einem Kranken wurde 
die Arbeitsfähigkeit sicher erreicht, bei einem anderen stehen die Chancen 
der Arbeitsfähigkeit gut. Um die Resultate der Operation zu bessern, 
ist bei tumorverdächtigen Kranken eine möglichst frühzeitige Lokal- 
diagnose nötig. R. Fabian. 

Haskovec: Zur Symptomatologie und Diagnose der Störungen der 
Cauda eqnina und des Conus oiedillaris. (Wiener klin. Wochenschr., 
1913, Nr. 1.) An der Hand eines Falles gibt Verf. eine genaue Sympto¬ 
matologie derartiger Erkrankungen. A. Bendix. 


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3. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


409 


Kinderheilkunde. 

Harriehausen - Berlin: Atttovaecination der Säaglingsfaranka- 
lose. (Therapeut. Monatsh., Februar 1913.) Zusammenfassuug: Die 
Autovaecination der Säuglingsfurunkulose ist: 1. Eine ausgezeichnete, 
spezifisch wirksame Therapie. 2. Aeusserst einfach in Herstellung und 
Anwendung. 3. Vollkommen ungefährlich; Kontraindikationen. 

E. Benjamin - München: Die Therapie des Scharlachs. (Thera¬ 
peutische Monatsh., Februar 1913.) Ergebnisse der Therapie. 

H. Knopf. 

J. Rosenfeld und M. Schrutka v. Rechtenstamm-Wien: 
Chronische Albuminurien nach überstandener Scharlachnephritis. 
(Zeitschr. f. Kinderheilk., Bd. 4, 17. Juli 1912.) Die Verff. konnten 
50 pCt. ihrer Scharlachnephritisfälle nachuntersuchen. Bei keinem 
dieser Kinder liess sich mit Sicherheit eine schwere chronische Nephritis 
feststellen. 11 pCt. hatten spontan Eiweiss im Urin, 30 pCt. erst dann, 
wenn sie 10 Minuten lang in lordotischer Stellung gekniet batten. Von 
all diesen Kindern mit „minderwertigen“ Nieren war der grösste Teil 
ehemals mit Albumen im Urin entlassen worden. Dagegen bot nur ein 
sehr geringer Prozentsatz der im Spitale vollkommen ausgeheilten 
Nephritisfälle später das Bild der beschriebenen Albuminurie. 

B. Grünfelder. 

Brückner• Dresden: Zur Frage der praktischen Bedeutung der 
Blntdrackuessang bei der Diphtherie. (Deutsche med. Wochenschr., 
1913, Nr. 8.) Polemik gegen Schöne (Deutsche Klinik, Ergänzungs¬ 
band 3). B. beharrt auf dem Standpunkt, dass die Blutdruckmessung 
bei der Diphtherie für den Kliniker entbehrlich sei. Drohende Herz¬ 
schwächen lassen sich auch aus rein klinischen Zeichen diagnostizieren. 

Ch. Schöne - Greifswald: Ueber den Nachweis von Diphtherie- 
Dtitoxin im Blutserum der damit behandelten Kranken und über die 
Frage der Dosierung des Heilserams. (Deutsche med. Wochenschr., 
1913, Nr. 8.) In den ersten Stunden nach der Injektion ist die bei 
weitem grösste Menge des intravenös eingeführten Heilserums im Blute 
nachweisbar. Ganz allmählich, nach Tagen und Wochen, wird das 
Antitoxin ausgeschieden. Im Meerschweinchenversuch zeigen sich bei 
intracardialer Zuführung von Toxin und Antitoiin dieselben gesetz- 
massigen Bindungserscheinungen. Im grössten Teil der zu Heilungs¬ 
versuchen zur Verfügung stehenden Zeit reichen recht geringe Serum¬ 
mengen aus. Dagegen gibt es am Ende dieser Periode einen kurzen 
Zeitabschnitt, in dem ausschliesslich die grössten Serummengen wirksam 
sind. Wir sind genötigt, auch für gewisse Zeitpunkte bei schwerer 
menschlicher Diphtherie die heilende Wirkung nur grösster Serummengen 
anzunehmen. Wolfsohn. 

Hecht-Wien: Ueber die physiologischen HerisehallVerhältnisse 
im Kindesalter. (Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Eignet sich 
nicht zu einem kurzen Referat. A. Bend ix. 

J. Zappert - Wien: Ueber die akute schmerzhafte ßrastdriisen- 
schwellang grösserer Kinder („Mastitis adolescentium“). (Zeitschr. f. 
Kinderheilk., Bd. 4, 6. Juni 1912.) Z. beobachtete eine Anzahl von 
Kindern ohne weitere Pubertätssymptome mit Schwellung und Schmerz¬ 
haftigkeit einer bzw. beider Brusdrüsen. Der Mangel entzündlicher Sym¬ 
ptome und das fast immer reaktionslose Zurückgehen der Schwellung 
veranlasst Z. zu der Forderung, die Bezeichnung „Mastitis“ fallen zu 
lassen und statt dessen die Bezeichnung „Akute schmerzhafte ßrust- 
drüsenschwellung grösserer Kinder“ zu setzen. Z. erblickt in dem be¬ 
schriebenen Symptomenbild einen physiologischen, und nicht einen patho¬ 
logischen Befund, der auf eine veränderte Wirkungsweise des von den 
Genitaldrüsen ausgehenden Brustdrüsenhormons zurückgeführtwerden muss. 

K. Hochsinger-Wien: Was ist Scrofulose? (Zeitschr. f. Kinder¬ 
heilkunde, Bd. 4, 17. Juli 1912.) H. scheidet die nach der alten Diktion 
scrofulösen Kinder mit Rücksicht auf das Symptom der Facies scrofulosa 
in 4 Gruppen: 1. Kinder mit Facies scrofulosa ohne klinisch nachweis¬ 
bare Tuberkulose; 2. Kinder mit Facies scrofulosa und typischer Ober- 
fiächentuberkulose; 3. Kinder ohne Facies scrofulosa, mit echter Ober¬ 
flächentuberkulose; 4. Kinder ohne Facies scrofulosa, ohne Spuren 
äusserer Oberflächentuberkulose, aber mit manifester innerer Tuberku¬ 
lose. Er kommt zu der Ansicht, dass die Facies scrofulosa, ganz ähn¬ 
lich wie die parasyphilitischen Gesundheitsstörungen, eine Art paratuber¬ 
kulöser Erkrankung ist, welche sich auf dem Boden einer tuberkulösen 
Vorinfektion unter dem Einfluss hygienischer Verwahrlosung entwickelt 
hat, ohne aber Tuberkulose zu sein. Es bleibt aber eine besondere 
Neigung zu späterer Oberflächentuberkulose. H. fasst den Begriff der 
Scrofulose als ein spezifisch infantiles Krankheitsbild mit Ausschluss der 
echten Haut- und Knochentuberkulose zusammen. Die Scrofulose ist 
nach H. eine Art Paratuberculosis praecox früh infizierter Kinder. 

J. K. Fried jung-Wien: Beobachtungen über kindliche Onanie. 
(Zeitschr. f. Kinderheilk., Bd. 4, 6. Juni 1912.) F. legt den Hauptton 
auf das Gewohnheitsmässige und kann diese Beschäftigung bis in das 
erste Halbjahr der Kinder zurückverfolgen. Er macht weder die Oxyuren 
noch den Intertrigo für die Mehrzahl der Fälle verantwortlich, sondern 
gibt gleich Freud dem unabsichtlichen Reiben der kindlichen Genitalien 
bei der häufigen Reinigung vom Stuhle und beim Baden Mitschuld. 

B. Grünfelder. 

A. Schlossmann - Düsseldorf: Die Oekonomie im Stoff- and 
Kraftweehsel des Säuglings. (Münchener med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 5.) 


Stoeltzner-Halle: Larosan, ein einfacher Ersatz der Eiweissmillh. 
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 6.) Der Vorzug der Eiweiss¬ 
milch nach Finkelstein und L. F. Meyer gegenüber gewöhnlicher 
Milch liegt in ihrem hohem Gehalt an Eiweiss und Kalb. St. versuchte 
nun, durch Hinzufügen von Caseincalcium die mit gleichen Mengen 
Wasser verdünnte Kuhmilch mit Eiweiss und Kalk anzureichern. Die 
Firma HolTmann-La Roche liefert ein nach diesem Prinzip hergestelltes 
Präparat Larosan in Pulverform. Man rührt 20 g Larosan mit Vs bis 
1 / 2 Liter frischer Milch kalt an; die beiden anderen Drittel werden in¬ 
zwischen gekocht. Beides zusammengegossen wird dann 5 bis 10 Minuten 
gekocht. Sieben durch ein Haarsieb und schliesslich mit der gleichen 
Menge Verdünnungsllüssigkeit (Wasser oder Schleim bzw. Mehlabkochung) 
gemicht. Die Larosanmilch wird im übrigen genau so gehandhabt wie 
Eiweissmilch. Die Erfahrungen der Verff. sind gute. Dünner. 

Siehe auch Innere Medizin: Zadek, Hämorrhagische Erosionen 
und Magengeschwüre und Melaena neonatorium. 


Chirurgie. 

Burmeister - Concepcion: Bolas alba im Haudsehih. (Centralbl. 
f. Chir., 1913, Nr. 2.) B. empfiehlt einen Bolusüberzug der Hände, der 
ein leichtes Anziehen und gutes Anliegen der Handschuhe bedingt. 

Neudörfer - Hohenems: Zur Verwendbarkeit der freien Faseien- 
transplantation. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 2.) N. hat in zwei 
Fällen die durch Wegnahme einer Myelo-meningocele und einer Meningocele 
occipitalis inferior entstandenen Defekte erfolgreich mit frei trans¬ 
plantierter 0berschenkelfascie gedeckt. 

Hofmann-Offenburg: Zur Frage der freien Transplantation des 
Peritoneam8. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 4.) H. hat einen markstück¬ 
grossen Serosadefekt, der von der Konvexität bis zum Mesenterialansatz 
des Dünndarmrohres reichte, mit frei transplantiertem Peritoneum parie¬ 
tale gedeckt. Voller Erfolg. 

Aizner-Lodz: Zur Ptosisoperation und freien Fascientransplan- 
tation. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 5.) L. berichtet über zwei mit 
sehr gutem Erfolge folgendermaassen operierte Fälle: Freilegung des 
Muse, frontalis durch einen Querschnitt zweifingerbreit oberhalb der 
Augenbrauen, Freilegung des Tarsus des Oberlids, durch einen ent¬ 
sprechenden Querschnitt, Tuunellierung der Haut zwischen den beiden 
Schnitten. Ein 2 cm breiter und 10 cm langer Streifen der Fascia lata 
femoris wird einerseits am Tarsus und nach Durchführung unter der 
Hautbrücke auch am Muse, frontalis so fixiert, dass das Augenlid etwas 
gehoben wird (gleich bei der Operation). Nochmalige Fixierung weiter 
oben am Muse, frontalis. 

Hacker - Graz: Ersatz von Schädel- and Dar&defekten. (Centralbl. 
f. Chir., 1913, Nr. 2.) H. macht darauf aufmerksam, dass der von 
Berndt (Chir. Centralbl., 1912, Nr. 48) gemachte Vorschlag, einen 
derartigen Defekt durch einen nach meinen vorgeschlagenen Periost- 
knochenlapperi (Periost auf Dura) zu decken, bereits von ihm im 
Jahre 1902 gemacht ist. Da da3 Periost leicht mit der Gehirnoberfläche 
Verwachsungen eingeht, deckt er jetzt den Duradefekt am liebsten für 
sich zuerst mit frei transplantiertem frischen oder präpariertem Bauch¬ 
sackgewebe. Sehrt. 

Lehle - München: Kasuistik des kongenitalen Ra di ns defekt*. 
(Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1912, H. 24.) Schnütgen. 

Steinmann - Bern: Zur Heftpflasterextension in Semiflexion des 
Kniegelenkes. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 2.) S. hat den Grune'schen 
Heftpflasterverband so modifiziert, dass er zwei Heftpflasterstreifen auf¬ 
legt, die sich zum ersten Male an der Vorderseite des Oberschenkels 
und an der Wade zum zweiten Male kreuzen; Bewegungen im Knie¬ 
gelenk sind leichter möglich als bei dem Bardenheuer-Grune’schen Ver¬ 
band. 

Franke-Braunschweig: Die osteoplastische epiphysäre Ampntatio 
tibiae sab gena als Ersatz für eine Exartioulation im Kniegelenk. 
(Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 3.) F. empfiehlt statt hoher Unterschenkel¬ 
amputation oder Exarticulation bei gesundem Kniegelenk folgendes Ver¬ 
fahren: 1. Grosser, beiderseits an der Gelenkspalte hinter der Mitte des 
Knieumfanges beginnender, etwa 3—4 cm unterhalb die Tuberositas 
tibiae reichender, die Haut durchtrennender Schnitt; hinten Bildung 
eines dünneren 6—8 cm unterhalb der Gelenkspalte reichenden Lappens. 
2) Dann: vorn Ablösung der Haut bis zur Tuberositas tibiae, Absägen 
einer die Tuberositas tibiae enthaltenden Knochenschale von der Tibia 
bis IV 2 cm vor der Gelenkspalte, wo sich die Giglisäge, nach oben 
wendend, den Knochen bis zum Periost durchtrennt, Ablösung des 
Lappens mit der Tuberositas tibiae bis zur Gelenkspalte. 3. Bei ge¬ 
strecktem Bein Durchtrennung der Beugesehne dicht unterhalb der 
Gelenkspalte und Durchsägen der Tibia von hinten her. 4. Nach Ver¬ 
sorgung der Gefässe und Nerven Herunterklappen des vorderen Lappens, 
so dass die Tuberositas tibiae mitten auf die Epiphysenplatte zu liegen 
kommt, Vernähung der Lappenränder, leicht pressender Verband. 

Sehrt. 

C. Breus: Zur Aetiologie und Genese der Otto’schen Protrnsion 
des Pfannedbodens. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) Die 
Summe der bis jetzt bekannten Becken mit Otto’scher Protrusion be¬ 
trägt 13 Fälle. Hiervon betreffen 9 Fälle Frauen, 6 dieser Becken 


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Nr. 9. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


zeigen doppelseitige Protrusion. Eine sine dubio aus tabischer 
Arthritis abzuleitende Protrusion liegt bis heute nicht vor. 

P. Hirsch. 

Levy-Breslau: Röntgenbestrahlung der Actinomyeose. (Centralbl. 
f. Chir., 1918, Nr. 4.) In zwei Fällen wirkte die Röntgenbestrahlung 
brillant auf die actinomycotischen Herde ein. Recidivfreiheit seit mehr 
als Jahr! Sehrt. 

Vogel: üeber Arteriennaht. (Wiener med. Wochenschr,, 1913, 
Nr. 1.) Verf. bringt drei Fälle von gelungener Gefässnaht. 

A. Bendix. 

A. Einer - Wien: Kriegschirargische Erfahrungen ans Bulgarien. 

(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 6.) Vortrag in der k. k. Gesell¬ 
schaft der Aerzte in Wien, SitzuDg vom 17. Januar. Referat siehe den 
Sitzungsbericht. P. Hirsch. 

R. und F. Felten-Stoltzenberg-St. Petersburg: Zur Technik der 
Fremdkörperextraktion. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 2.) Um ein 
Operieren im Röntgenzimmer zu vermeiden, empfehlen die Verff. ein 
neues Verfahren, das sich zu einer kürzeren Beschreibung im Referat 
nicht eignet. Sehrt. 

H. Heyrovsky - Wien: Chirurgische Erfahrungen aus dem bul¬ 
garisch türkischen Krieg. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 6.) 
Nach einem Vortrag in der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien am 
17. Januar 1913. Referat siehe den Sitzungsbericht. P. Hirsch. 

0. Nord mann - Schöneberg: Thoraxwandresektion mit Meitzer¬ 
scher Insufflation. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 8.) Vortrag 
in der Sitzung der Berliner Gesellschaft für Chirurgie am 11. No¬ 
vember 1912. Wolfsohn. 

Wilms - Heidelberg: Die Pfeilerresektion der Rippen zur Ver¬ 
engerung des Thorax bei Lungentuberkulose. (Therapie d. Gegenw., 
Januar 1913.) Bisher wurden 24 Patienten operiert. Je nach Aus¬ 
dehnung des Lungenprozesses wurden auf der Rückseite von den oberen 
7—9 Rippen 4—5 cm entfernt, an der Vorderseite wurden parasternal 
von der 1.—5. Rippe, bisweilen auch von der 6. und 7. Rippe, 4—5 cm 
reseziert. Die Operation ist bei Fällen von fibröser, schrumpfender, 
mit Cavernen verbundener Tuberkulose indiziert, wenn der Pneumo¬ 
thorax nicht gelingt. Die Operation ist an und für sich ungefährlich. 
Bei Patienten mit einseitiger schrumpfender Oberlappentuberkulose, wo 
der Unterlappen und die andere Seite nur gering oder gar nicht be¬ 
teiligt sind, werden die besten Resultate erzielt. Bei Beteiligung von 
Ober- und Unterlappen zeigen sich meistens Misserfolge der Operation 
resp. nur vorübergehende Besserungen. Es empfiehlt sich, die Operation 
vorzunehmen, wenn bei reichlicher Sekretbildung, bei recidivierender 
Blutung, bei deutlichen cavernösen Veränderungen ein Fortschreiten der 
Tuberkulose auf den Unterlappen wahrscheinlich wird. R. Fabian. 

0. v. Frisch-Wien: Kriegschirargiscke Erfahrungen ans Sofia. 
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 6.) Vortrag, gehalten in der k. k. 
Gesellschaft der Aerzte in Wien am 31. Januar 1913. Referat siehe den 
Sitzungsbericht. P. Hirsch. 

H. Brun-Luzern: Ein epigastrischer Rippenkorbrandschnitt für 
Magenoperationen, insbesondere die Resektion bei Carcinom. (Korre¬ 
spondenzblatt f. Schweizer Aerzte, Nr. 3.) R. Fabian. 

A. Fraenkel-Wien: Kriegschirargische Eindrücke and Be¬ 
obachtangen vom Balkankriege. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, 
Nr. 6.) Vorgetragen in der Sitzung vom 24. Januar 1913 der k. k. 
Gesellschaft der Aerzte in Wien. Referat siehe den Sitzungsbericht. 

P. Hirsch. 

Thies-Giessen: Die Verwendung des Lnffascbwamms bei der 
Laparotomie. (Centralbl. f. Chir., 1912, Nr. 50.) Durch Einführen des 
in der Hand zusammengepressten Luffaschwamraes in die Bauchhöhle 
bei Gallenblasenoperationen gelingt es ausgezeichnet, sich das Operations¬ 
feld zugänglich zu machen. Dadurch, dsss der Schwamm sich nach dem 
Freigeben ausdehnt, drückt er die Eingeweide gut zurück, was durch 
Einstopfen von Kompressoren nicht so gut gelingt. 

Henschen - Zürich: Daaerdrainage stagnierender Aseitesergüsse 
in das subcutane oder retroperitoneale Zellgewebe mit Hilfe von Gummi¬ 
oder Fischblasencondoms. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 2.) Durch 
einen Bauchfellschlitz wurde bei einem carcinomatösen Ascites ein 
Gummifinger mit seinem Ringe eingeführt, der Ring am Bauchfell mit 
Seidennähten fixiert; der durch einen Muskeltunnel in eine Hauttasche 
geleitete Gummifinger wurde daumenbreit über dem Niveau der Externus- 
aponeurose abgeschnitten und innerhalb der Hauttasche an dieser Hypo¬ 
neurose fixiert. Schluss der Hautwunde, Einheilung. H. empfiehlt von 
einem Flankenschnitt aus den Gummifinger in das lockere retro¬ 
peritoneale Zellgewebe zu leiten. 

Krüger-Weimar: Operative Mobilisierung des Coecams bei der 
Appendektomie, sowie Bemerkungen zu dem Artikel Kofmann’s über 
die Ausschaltung des Wurmfortsatzes. (Centralbl. f. Chir., 1912, Nr. 50.) 
Mit Recht wendet sich K. gegen das Kofmann’sche Verfahren, bei un¬ 
möglicher Exstirpation des Wurmfortsatzes die Ausschaltung desselben 
mittels Nahtverschlusses des Coecums einerseits und Nahtverschlusses 
des proximalen Wurmfortsatzendes andererseits anzustreben. Bei ver¬ 
steckt, retrocoecal liegendem Processus inzidiert K. parallel dem Coecum 
das Peritoneum; dann lässt sich das Coecum bequem nach der Mitte 
des Leibes zu Umschlagen. Sehrt. 


A. Smith: Interessante Komplikation bei einer Hysterektomie. 
(Dublin journ. of med. Science, 1912, Nr. 493.) Bei der Operation 
fanden sich nebenbei im Appendix zwei Nadeln, eine Anzahl anderer 
Nadeln (im ganzen zehn!) fanden sich im Abdomen zerstreut. Einige 
Tage später musste wegen grosser Schmerzen erneut eine Laparotomie 
gemacht werden, wobei sich weitere Nadeln fanden. Anamncstisch hatte 
Pat. die Nadeln als Kiud verschluckt. Sch eienz. 

Neu ge bau er-Mährisch-Ostrau: Ueber die Ausschaltung des Wurm¬ 
fortsatzes. (Centralbl. f. Chir., 1912, Nr. 50.) Auch Neugebauer 
weudet sich gegen die Kofmann’sche Ausschaltung des Processus. Er 
teilt einen Fall mit, wo ein solch ausgeschalteter Wurmfortsatz sich in 
eine mit eitriger Flüssigkeit gefüllte Cyste umgewandelt hatte. Aus¬ 
geschaltete Processus können sich eben auch entzünden!! 

Bertelsmann-Cassel: Zur Naht von grösseren Nabelbrüchen und 
ähnlichen Hernien. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 4.) 

Hagedorn-Görlitz: Snbcntane Pankreasqnetsebnngen. (Centralbl. 
f. Chir., 1913, Nr. 4.) H. teilt zwei Fälle mit, wo es durch Ueber- 
fahrung zu Pankreasquetschung gekommen war. In beiden Fällen 
schwere Symptome. In der Bauchhöhle fanden sich reichlich Erguss 
und Zellgewebsnekrosen des Netzes und Mesenteriums. Pankreas 
unverletzt. In einem Fall wurde die Pankreasgegend tamponiert, im 
auderen Falle wurde die Bauchhöhle nach Entleerung des mit Pankreas- 
sekret vermischten Ergusses geschlossen. Heilung in beiden Fällen. 
Wahrscheinlich war es in beiden Fällen nur zu feinsten Kapselrissen 
gekommen, durch die Pankreassekret ausgetreten war. 

Forssner-Stockholm: Pathogenese der angeborenen Darmatresie. 
(Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 6.) Nach F.’s Ansicht sind die ange¬ 
borenen Darmatresien nicht Hemmuugen im Stadium der Epithelvor- 
schiessuugen, diese letzteren sind nicht unabweisliche Voraussetzungen 
für die erstereu, sondern diese Missbildungen entstehen durch eine hyper¬ 
plastische Entwicklung der Mesenchymzapfen, die die Vorstadien der 
Zottenbildung darstellen, in einem Entwicklungsstadium, wo das Darm¬ 
lumen noch vollständig oder fast vollständig vom embryonalen Epithel 
erfüllt ist. 

Gonnert - Dresden: Ein Prostataringmesser für die snpra- 
pubische Prostatektomie. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 2.) Angabe 
eines Ringmessers, das ein die Harnröhre und die Muskelfasern des 
Sphincter schonendes Operieren ermöglicht. 

A. Hofm ann - Offenburg: Zur Behandlung der totalen Harn- 
röhrenzerreissung. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 2.) In drei Fällen 
bat H. folgendes Verfahren geübt: Nach erfolglosem Versuch des 
Catheterismus: Sectio alta, Einführen eines Metallkatheters durch die 
Blase, innere Harnröbrenöffnuug zur Rupturstelle, Aumontieren eines 
Gummikatheters, derselbe wird mit seinem einen Ende vor die Bauch¬ 
wunde gezogen. Dann Katheterismus von der Harnröhrenmündung 
(äussere) nach der Rupturstelle, Verbindung des Metallkatheters mit dem 
anderen einen sichtbaren Ende des schon durch die Blase nach ausseo 
geführten weichen Katheters, Durchziehen des weichen Katheters durch 
die äussere Harnröhrenmündung. Nun liegt der Gummikatheter in 
Harnröhre und Blase. Beide Enden werden durch einen Faden zu 
einer Sonde ohne Ende verbunden. Auf diese Weise wurde durch 
systematisches Bewegen des Sondekatheters eine Struktur vermieden. 

v. Illyes - Budapest: Pyelotomie mit Inzision der vorderen Nieren¬ 
beckenwand. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 2.) I. empfiehlt die vordere 
Wand einzusehneiden (bei Stein). Es genügt den unteren Nierenpol 
frei zu präparieren; von hier aus kann man leicht das unterste Blut¬ 
gefäss ireilegen. Zieht nun ein Assistent die Bauchwände nach vorne, ein 
zweiter den unteren Nierenpol nach aussen, kann man bei leichtem An¬ 
ziehen des Ureters leicht die vordere Nierenbeckenwand erreichen. Von 
hier aus kann der Stein leichter entfernt und die W'unde leichter 
vernäht werden. Hintere Pyelotomie macht I. nur bei kleinem 
Nierenbecken und wenn das ganze Pyelum von Blutgefässen bedeckt ist 

Sehrt 

E. Baumgartner: Graz: Die Zahnearies — eine Streptomykose. 
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) Der erste Angriff auf Schmelz 
und Zahnbein wird von Streptokokken ausgeführt. Hierauf kommt es 
durch hinzutretende zahlreiche andere Bakterien zur Mischinfektion. Es 
gelang dem Verf., aus dem cariös erweichten Zahnbein 5 fakultativ 
anaerobe, sporenbildende, zur Mesentericusgruppe gehörige Stäbchen zu 
isolieren. P. Hirsch. 

Siehe auch Therapie: Kocher, Magnesiumbehandlung des Tetanus. 
Arndt, Magnesiumbehandlung des Tetanus. — Innere Medizin: 
Einhorn, Operationen bei Erkrankungen des Verdauungstractus. 
Pulawski, Bright’sche Krankheit. Zweimalige Edebohl’sche Operation. 


Röntgenologie. 

R. Staehelin: Röntgendiagnostik in der inneren Medizin. (Korre- 
spondenzbl. f. Schweizer Aerzte, 1918, Nr. 2.) Vortrag, gehalten in der 
82. Versammlung des Aerztlichen Centralvereins am 31. Mai 1912 in Basel. 

R. Fabian. 

G. Harwey: Röntgenstrahlen in der Diagnostik. (Dublin journ. 
of med. Science, 1913, Nr. 493.) Mit zahlreichen interessanten Tafeln 
belegte Abhandlung über den Stand und die Brauchbarkeit der Röntgen¬ 
diagnostik in der inneren Medizin. Sehe lenz. 


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3. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


411 


G. Schwarz-Wien: Ueber direkte Irrigoradioskopie des Colons. 
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) Nach einer in der k. k. Gesell¬ 
schaft der Aerzte zu Wien am 24. Januar 1913 abgehaltenen Demon¬ 
stration. Referat siehe den Sitzungsbericht. P. Hirsch. 

Siehe auoh Geburtshilfe und Gynäkologie: Strassmann, 
Röntgenbehandlung der Myome. — Innere Medizin: Hofius, Röntgen¬ 
photographie des Magens und Gastrodiaphanie. — Chirurgie: Levy, 
Röntgenbestrahlung der Aktinomykose. 

Urologie. 

Siehe auch Chirurgie: Hofmann, Totale Harnröhrenzerreissung. 
Gonnert, Prostataringmesser. IIly6s, Pyelotomie. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

C. Mannich-Göttingen: Ueber unsichtbare Schntzmittel gegen Ver- 
äidernngen der Haut durch Lieht. (Therapeut. Monatsh., Februar 1913.) 
Es ist gelungen, im Zeozon bzw. Uitrazeozon salbenartige, aufstreichbare 
Lichtfilter zu konstruieren, die allen Anforderungen der Praxis genügen. 
Das Zeozon enthält 3 pCt. wirksame Substanz; es ist imstande, die Haut 
vor jeder Veränderung durch Sonnenlicht zu bewahren. Für besondere 
Fälle, Gletschertouren, Sonnenbäder usw., ist das stärkere Uitrazeozon 
Torzuziehen; die Zeozonpräparate verschwinden beim Gebrauch unsichtbar 
in der Haut. Unangenehme Nebenerscheinungen sind bisher nicht 
bekanntgeworden. Auch gegen das Licht der Quecksilberlampe gewähren 
sie einen weitgehenden Schutz. H. Knopf. 

E. Hoffmann-Bonn: Ueber akute syphilitische Nierenentzündung 
ii der Frühperiode (Nephritis syphilitica acuta praecox). (Deutsche 
raed. Wochenschr., 1913, Nr. 8 ) Vortrag in der Niederrheinischen 
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in Bonn am 18. November 1912. 
H. konnte 6 einschlägige Fälle beobachten. Am häufigsten tritt die 
Krankheit in der Eruptionsperiode auf, mitunter schon vor der Roseola. 
Der Eiweissgehalt ist nicht selten sehr hoch (3—*13pCt.). Der Beginn 
verrät sich oft durch plötzliche starke Oedeme, er kann aber auch ganz 
unmerklich sein. Im Urinsediment finden sich reichliche Spirochäten. 
Zur Behandlung wird eine vorsichtig einzuleitende Salvarsan-Hg-Kur 
empfohlen. _ Wolfsohn. 


Geburtshilfe und Gynäkologie. 

Warnekros - Berlin: Behandlung des fieberhaften Abortes. 
(Archiv f. Gyn., Bd. 98, H. 3.) In striktem Gegensatz zu Winter 
kommt W. auf Grund der genauen bakteriologischen Beobachtung von 
80 Fällen zu dem Ergebniss, dass in jedem Fall von fieberndem Abort 
der Uterus sofort entleert werden muss, und zwar um so mehr, wenn 
er Streptokokken enthält. 

Bjdrkenheim - Helsingfors: Zur Bakteriologie und Therapie des 
fieberhaften Abortes. (Archiv f. Gyn., Bd. 98, H. 3.) Untersuchung 
von 30 Fällen. Die Uterushöhle kann bei einem protrahierten Abort 
auf die Dauer nicht keimfrei bleiben; auch wird die Entwicklungs¬ 
möglichkeit der Bakterien durch die Retention toter Massen wesentlich 
vergrössert. Die anaeroben Bakterien finden sich häufiger als die aeroben 
und sind öfters die Ursache des Fiebers; doch ist die Infektion gewöhn¬ 
lich leichterer Art. Der aerobe Streptococcus ist nur selten die Ursache 
des Fiebers. Bei der Blutuntersuchung spielt der Zeitpunkt der Blut¬ 
entnahme eine wichtige Rolle dafür, ob sich Bakterien finden oder 
nicht; doch hat der Nachweis keine prognostische Bedeutung. Dasselbe 
gilt auch für die Untersuchung des Uterussekrets. B. kann sich daher 
dem Standpunkt Winter’s, bei Streptokokken befund den Uterus nicht 
auszuräumen, nicht anschliessen, um so weniger, als die Erfolge der 
aktiven Behandlung an der Helsingforser Klinik in den letzten Jahren 
durchaus befriedigende waren. 

Lichtenstein - Leipzig: Die abwartende Rklampsiebehandlnng. 
(Archiv t. Gyn., Bd. 98, H. 3.) Zur Behandlung der Eklampsie empfiehlt 
sich die Kombination von Aderlass (500 ccm) und der Stroganoff- 
sehen Methode. In 60pCt. der Fälle hörten die Anfälle nach Einleitung 
der Behandlung auf. Von 80 eigenen Fällen verliefen 40pCt., von 264 
aus der Literatur gesammelten 24 pCt. intercurrent, d. h. die Eklampsie 
hörte auf, ohne dass die Geburt in den nächsten 12 Stunden beendigt 
war. Die Mortalität der Rinder ist nicht schlechter, eher besser als bei 
der aktiven Therapie. Die Mortalität der Mütter betrug 6,25 bzw. bei 
der Sammelstatistik 12,16 pCt.; 60 Fälle der Klinik heilten hinter¬ 
einander. Danach ist die aktive Therapie zu verlassen. Die neuen 
klinischen Erfahrungen sprechen gegen die ovogene oder placentare 
Theorie. 

K o Id e - Erlangen: Untersuchungen won Hypophysen bei Schwanger¬ 
schaft und nach Kastration. (Archiv f. Gyn., Bd. 98, H. 3.) Bei der 
Untersuchung der Hypophysen von Kaninchen, Meerschweinchen und 
Menschen fand K. eine Vergrösserung des Organs während der Schwanger¬ 
schaft, die bedingt ist durch die Zunahme der Hauptzellen. Diese zeigen 
insofern eine Veränderung, als ihr Protoplasma deutlicher darstellbar 
wird (SchwaDgerschaftszellen). Auch nach der Kastration findet man 
eine Vergrösserung,. und zwar lim so ausgesprochener, je länger sie zu¬ 
rückliegt. Sie findet histologisch ihren Ausdruck in der Vermehrung 
der eosinophilen Zellen. 


Serebrenikowa-St. Petersburg: Ein Fall von Eierstocks- 
Schwangerschaft. (Archiv f. Gyn., Bd. 98, H. 3.) 

R. Meyer-Berlin: Die Placentargefässe als Kennzeichen für die 
Entstehung der PJaceata narginata 8. extrachorialis. (Archiv f. Gyn., 
Bd. 98, H. 3.) Durch Untersuchung eines Falles von Placenta margi- 
nata im vierten Monat in situ hatte M. in eineren früheren Arbeit nach¬ 
gewiesen, dass diese Anomalie durch extrachoriale Zottenentwicklung 
entsteht. Diese Auffassung wird weiterhin bewiesen durch die in 300 
derartigen Fällen nachgewiesene Tatsache, dass die glatten Eihäute 
stets am inneren Umfang des Margo abgehen und die oberflächlichsten 
chorialen Gefässe dort aufhören. 

Wakulenko-Tomsk: Kreatinin- und Kreatinansscheidnng bei 
Wöchnerinnen. (Archiv f. Hyg., Bd. 98, H. 3.) Während Frauen nor¬ 
malerweise bei kreatin- und kreatininfreier Kost nur 0,012 g Kreatinin 
pro Kilo ausscheiden, beträgt die Ausscheidung im Wochenbett 0,018 g. 
Ausserdem findet man Kreatin, das in normaler Zeit gar nicht, in der 
Schwangerschaft in viel geringerer Menge als im Wochenbett ausgeschieden 
wird. 

Schiffmann-Wien: Zur Kenntnis der Bauchwandtnmoren. 
(Archiv f. Gyn., Bd. 98, H. 3.) Die mikroskopische Untersuchung nicht 
nur der centralen, sondern auch der Randpartien ist für die Deutung 
der Bauchwandtumoren von Belang. Sie erweist die Möglichkeit der 
spontanen Ausheilung der im Centrum der Schloffer’schen Tumoren ge¬ 
legenen Abscesse, unter vollständiger Aufsaugung ihres Inhalts bei 
gleichzeitiger Bildung umfänglicher solider Tumoren. Es finden sich 
also in Operationsnarben Geschwülste, die solid, ohne Abscess- oder 
Fremdkörpereinschluss, ihrem mikroskopischen Befund nach spätere 
Stadien eines Ligaturtumors darstellen. An ihrem Aufbau beteiligt sich 
das intermuskuläre Bindegewebe in ausgiebiger Weise. Diese Formen 
sind klinisch nicht immer von Ligaturtumoren zu trennen; ihre Therapie 
besteht in der Exstirpation. Ein ohne vorhergehende Operation auf trau¬ 
matischer Grundlage entstandener Bauchdeckentumor wies keine nennens 
werten entzündlichen Merkmale auf. L. Zuntz. 

Schautä-Wien: Myombehandlnng. (Wiener med. Wochenschr., 
1913, Nr. I.) Die ganze Myombehandlung ist jüngeren Datums. 1. Kon¬ 
servative Methode: Enucleation; 2. supravaginale Amputation des Uterus 
und 3. die Radikaloperation, d. i. die Totalexstirpation des Uterus samt 
Cervix. Die Mortalität beträgt heutzutage noch 4—6 pCt. Wenig er¬ 
folgreich ist eine palliative Abrasio. Die Ergotinbehandlung wird bis¬ 
weilen mit Erfolg angewandt und hat als Versuch vor der operativen 
Behandlung eine gewisse Berechtigung. Die modernste Methode ist die 
Röntgenbehandlung, von der Sch. in manchen Fällen, besonders bei 
alten Frauen, eine Verminderung der Blutungen, niemals aber ein voll¬ 
ständiges Aufhören, auch nie eine sichtbare Verkleinerung eines Myoms 
beobachtet hat. A. Bendix. 

P. Strassmann • Berlin: Zur Verwendung der Rtintgenstrahlen 
für die Behandlung der Myome des Uterus. (Therapie d. Gegenwart, 
Januar 1913.) Verf. sieht in der Verwendung der Röntgenstrahlen zur 
Erzielung von Amenorrhoe bei Myom eine wertvolle Bereicherung der 
Therapie. Durch die Bestrahlung wird eine Anzahl von Fällen von der 
Operation ausgeschaltet werden können. Der amenorrhoisch gewordene 
Myorauterus kann jedoch später noch durch Verkalkung, Nekrose, Er¬ 
weichung, durch Achsendrehung, durch Entwicklung von Komplikationen 
zur Operation führen. Durch die Röntgenstrahlen wird die Operation 
daher keineswegs ausgeschaltet. R. Fabian. 

P. Lindig-Jena: Sernmfermentwirknngen bei Schwangeren nnd 
Tnmorkranken. Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) Im Serum 
von Schwangeren, von Tumorträgern mit Geschwulst im Genitaltractus 
und vielleicht auch bei Entzündungen ist ein proteolytisches Ferment 
vorhanden, das Eiweiss von Placenta, Uterus und Ovarium, von Tumoren 
des Genitale und in geringerem Maasse auch Muskeleiweiss abbaut. 

Dünner. 


Augenheilkunde. 

Holodynski-Lemberg: Zwei Fälle von Nebenpocken des Seh¬ 
organs. (Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Kasuistischer Beitrag. 

A. Bendix. 

Erb-Lugano: Lymphangiom der Bindehaut des Augapfels unter 
dem Bilde eines Hämangioms. (Zeitschr. f. Augenheilk., Februar 1913.) 
Beschreibung eines primären Lymphangioms der Conjunctiva bulbi. Im 
Gegensatz zu Lymphangiomen der Lider, die dann auf die Conjunctiva 
bulbi übergreifen, ist ein solches primäres Lymphangiom ein sehr seltenes 
Vorkommnis. Infolge eines Traumas imponierte das Lymphangiom ur¬ 
sprünglich als Hämangiom. Erst die längere Beobachtung und die 
pathologisch-anatomische Untersuchung eines exzidierten Stückes ergab 
die genaue Diagnose. 

Czaplewski-Cöln: Untersuchungen über Trachom. (Zeitschr. f. 
Augenheilk, Februar 1913.) Mit Hilfe der vom Verf. modifizierten 
Nakanishi-Methode (Färbung mit Boraxmethylenblau) gelang es, im 
Trachomsekret Gebilde aufzufinden, deren mannigfaltige Formen an¬ 
scheinend dem Zeugungskreis irgendeines Protozoon entsprechen. Eine 
grössere Arbeit ist im Entstehen begriffen. 

Isabalinsky und Spassky-Smolensk: Zur Frage über den dia¬ 
gnostischen Wert der Chlamydozoa Prowazek-Halberstaedter beim 


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412 


Nr. 9. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Trachom. (Zeitschr. f. Augenheilk., Februar 1913.) Die Autoren be¬ 
stätigen an der Hand von 500 Präparaten die Anwesenheit von Ein¬ 
schlüssen in den Epithelzellen bei Trachom; da sich solche aber auch 
in normaler Coüjunctiva und auch bei nicht trachomatösen Prozessen 
fanden, ist ihre Spezifität nicht festgestellt. Man muss also für das 
Trachom noch einen „Trachomträger“ annehmen. Ob die Einschlüsse 
Mikroorganismen oder Reaktionsprodukte der Zellen auf irgendein Virus 
darstellen, ist noch unentschieden. 

Rados-Budapest: Ueber Plasmome der Bindehaut. (Zeitschr. f. 
Augenheilk., Februar 1913.) Es finden sich in einem bindegewebigen 
Reticulum zellige Elemente, unter denen die Plasmazellen, besonders 
gut mit Polychrommethylenblau und Methylgrünpyrooin färbbar, hervor¬ 
stechen. Die Plasmome sitzen meistens aber in den Uebergangsfalten 
der Bindehaut. G. Erlanger. 

S. Murakami: Ueber einen Fall von nekrotisch-hämorrhagischem 
Geschwür mit circnlärer Ausbreitung von der Sclera auf die Horn¬ 
haut. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., Februar 1913.) Es handelt sich 
um eine junge Frau, welche nach der Zahnextraktion an der ganzen 
Zahnreihe Gingivitis bekam. Darauf trat an der Nasenwurzelgegend 
eine schmerzhafte Anschwellung auf, zu welcher Nasenverstopfung und 
-blutung hinzukam. Das linke Auge erkrankte «an einer Skleritis, welche 
nach einiger Zeit spontan zurückging. Im Anschluss an die Schwellung 
der linken Wange trat der Bulbus entzündlich hervor. An der vorderen 
Augenpartie kam es zur circularen Geschwürsbildung, die grosse Neigung 
zur rapiden Ausbreitung mit gangränösem Charakter zeigte. Die Ge¬ 
schwürsbildung am Auge ist vermutlich ein Metastasenherd von Strepto¬ 
kokken, aus dem primären Herd am Zahn hervorgegangen. Exitus an 
Sepsis. 

F. Salzer: Weiteres über experimentelle Einkeilung konservierter 
Hornh&utsnbstanx in die Hornhaut des Kaninchens. Beiträge zur 
Keratoplastik. III. (Archiv f. Augenheilk., Bd. 73, H. 2 u. 3) Die 
neueren Untersuchungen bestätigen in klarer Weise, dass es bei der 
totalen Keratoplastik unendlich schwierig ist, die jeweils vorliegenden 
Verhältnisse sicher zu beurteilen, dass daher Ansichten, die nur auf 
klinische Beobachtung sich stützen, sehr wenig beweisen, uud dass selbst 
bei der anatomischen Untersuchunng nur lückenlose Serien, die die 
ganze Operationsstelle umfassen, wirkliche Aufklärung bringen können. 

E. Landolt: Zur operativen Behandlung des Schielens. (Archiv 
f. Augenheilk., Bd. 73, H. 2 u. 3.) Mehr noch als bei der Vorlagerung 
der Horizontalmotoren ist bei der Vorlagerung der Vertikalmotoren eine 
beträchtliche, unmittelbare Ueberkorrektion anzustreben. 

E. Rübel: Enophthalmus beim Anseinanderziehen der Lider. 
(Klin. Monatsbl. f: Augenheilk., Februar 1913.) Zieht man die Lider 
des 44jährigen Patienten etwas kräftiger vom Auge ab, so weicht der 
Bulbus deutlich in die Orbita zurück. F. Mendel. 

Guny-Basel: Zusammenhang von Sehschärfe und Schiessleistang 
der Infanterie. (Zeitschr. f. Augenheilk., Februar 1913.) Die Ergeb¬ 
nisse der Untersuchungen, die eine Fortsetzung der Arbeiten Scherer’s 
und Knapp’s sind, gipfeln in folgenden Punkten: 1. Die überwiegende 
Mehrzahl der Rekruten hat eine Sehschärfe > 1. 2. Schon geringe Ab¬ 
stufungen in der Sehschärfe haben einen merklichen Einfluss auf das 
Schiessresultat. 3. Brillenträger schiessen durchschnittlich besser als 
Nichtbrillenträgcr. G. Erlanger. 

Beck-München: Refraktionsbestimmungen beim Ersatzgeschäft 
and eine Methode zar raschen Feststellung derselben. (Deutsche 
militärärztl. Zeitschr., 1912, H. 24.) Zur Korrektion der Myopie benutzt 
Verf. eine selbst zusammengestellte Tabelle und versucht an Hand der¬ 
selben aus der erhaltenen Sehleistung sofort das annähernd richtige Glas 
vorzusetzen; z. B. bei Sehleistung 1 — 1 » 5 /eo wird mit —5,0 bis —6,5 D. 
Sehschärfe 5 /b erreicht usw. Angabe der Tabelle. Erreicht man damit 
geringe oder gar keine Verbesserungen, handelt es sich sicher nicht um 
einfache Myopie. Es kann noch Astigmatismus oder Hyperopie bestehen. 
Zur Feststellung dieser benutzt Verf. die Lochscbeibe. Mit dieser lässt 
sich bei allen mit Gläsern korrigierbaren Refraktionsfehlern eine Seh¬ 
leistungsverbesserung erzielen. Verschlechterung des Sehvermögens 
spricht meist für Trübungen der Hornhaut, der Linse oder Erkrankungen 
des Augenhintergrundes. Angabe der Verbesserungen bei Myopie bei 
Anwendung der Lochscheibe. Bei Hyperopie wurden brauchbare Kor¬ 
rektionen von Sehleistung = 6 /so ab gefunden. Geringere Sehleistungen 
ergaben nur geringe Verbesserungen mit der Lochscheibe. Bei Astigma¬ 
tismus wurden Resultate erzielt, die der Gläserkorrektion fast gleich¬ 
kamen, oft dieselbe um ein Geringes übertrafen. Ueberall da, wo man 
mit Lochscheibe 6 / l5 , eigentlich sogar 6 ,/ lf , erreicht, ist der Mann taug¬ 
lich, weil er mit Gläsern 6 /io— 6 /e erreicht. Angabe der Methode und 
noch genauerer Untersuchungen bei solchen Leuten, die mit Lochscheibe 
6 /i8 nicht erzielen. Schnütgen. 

E. Ammann: Zur Frage der Behandlung der Eisensplitter in der 
Linse. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., Februar 1913.) Der in das 
Auge eingedrungene Splitter befand sich 2 V 2 Monate reizlos in der 
Linse. Dann erst bildete sich eine ziemlich ausgedehnte Trübung um 
den Splitter herum, und der Splitter wurde durch den Magueten ent¬ 
fernt. Schuld am Eintreten der Linsentrübung war die im dritten Ver¬ 
letzungsmonat einsetzende chemische Umwandlung des Stahles, der 
Transport der Zersetzungsprodukte zum hinteren Linsenpol und Trübung 
entweder der Lückenflüssigkeit zwischen den Linsenfasern oder dieser 
selbst. 


A. Vogt: Analytische Untersuchungen über die Fluorescenz der 
menschlichen Linse und der Linse des Rindes. (Klio. Monatsbl. f. 
Augenheilk., Februar 1913.) Die menschliche Linse und die Linse des 
Rindes fluorescieren im Ultraviolett des Bogenlichts in weissblauem 
Lichte, das alle Farben des Spektrums kontinuierlich vom Violett bis 
Rot enthält. Es wird dieses weissblaue Fluorescenzlicht daun modi¬ 
fiziert und gelbgrün gefärbt, wenn es durch gelbgefärbte Linsensubstanz 
filtriert und seine blaue und violette Komponente dadurch genügend 
geschwächt wird. Violettes Licht erzeugt nur an gelbgefärbten Linsen 
Fluorescenz. Farblose Linsen, wie Kalbslinsen, lassen das Violett unge¬ 
schwächt durch und fluoreszieren daher nicht. Dagegen fluoresciert die 
menschliche Linse stets im Violett, auch in frühester Jugend, da sie 
auch dann gelbgefärbt ist. Das durch Blau erzeugte Fluorescenzlicht 
besitzt eine geringe Intensität. Es gelingt, in dem durch Ultraviolett 
erzeugten Lichtnebel die gelbe Farbe der Linse entoptisch wahrzunehmen. 
Der objektive Nachweis der Linse im Auge gelingt mit Hilfe des Fluo- 
rescenzlichtes in Fällen, wo dies auf anderem Wege unmöglich ist, wie 
bei Pupillarexsudatcn. F. Mendel. 

F. Schanz-Dresden: Veränderungen und Schädigungen de« Auges 
durch Licht. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 8.) An der Hand 
einiger Beispiele werden die Indikationen erörtert für die Verwendung 
vou Gläsern, die nur die nicht direkt sichtbaren Strahlen vom Auge ab¬ 
halten. Am besten hierfür eignet sich das Euphosglas. Kommt es 
dcirauf an, auch die sichtbaren Strahlen zu schwächen, so geschieht das 
nach Art der rauchgrauen Gläser (z. B. Fieuzalglas). 

Wolfsohn. 

Grignolo*. Biochemische Veränderungen im Kammerwasser bei 
akuten Intoxikationen durch Methylalkohol und durch Toxipeptide. 

(Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., Februar 1913.) Infolge der Vergiftung 
mit Methylalkohol findet im Karamerwasser eine ausserordentliche Ver¬ 
mehrung des osmotischen Druckes statt. Physiko-chemische Verände¬ 
rungen des Kammerwassers treten bei diesen Intoxikationen nicht auf. 

Erd mann: Ueber Angen Veränderungen durch Aethylenchlorid. 

(Archiv f. Augenheilk., Bd. 73, H. 2 u. 3) Nach Inhalation oder sub- 
cutaner Injektion von Aethylenchlorid entwickelt sich beim Hunde, nicht 
beim Kaninchen und Meerschweinchen, eine parenchymatöse Trübung 
der Hornhäute. Die Hornhauttrübung beruht auf einer ödematösen 
Durchträükung und Quellung der Grundsubstanz als Folge einer durch 
d«as resorbierte Aethylenchlorid bewirkten Schädigung des Endothels. 
Die Hornhaut hellt sich in der Mehrzahl der Fälle nach Regeneration 
des gequollenen Endothels wieder «auf. Die Dichte der Hornhauttrübung 
ist im allgemeinen der Menge des resorbierten Giftes proportional. Der 
Krankheitsprozess der Hornhaut stellt ein einfaches Oedem dar. Die 
ödematös durchtränkte Hornhaut kann, dem intraocularen Druck nach¬ 
gebend, eine Zunahme ihrer Wölbung erfahren. Direkte Injektion von 
Aethylenchlorid in die vordere Kammer hat lediglich starke, lokal-ent¬ 
zündliche Veränderungen im Gefolge. Eine direkte Einwirkung von 
Aethylenchloriddärapfen auf das äussere Auge führt neben einer stark 
entzündlichen Reaktion zu einer sich vorwiegend in Schrumpfungs¬ 
erscheinungen zu erkeunen gebenden Gewebsläsion der Hornhaut. Wir 
besitzen in dem Aethylenchlorid ein Mittel, beim Hunde auf dem Wege 
der Resorption ohne wesentliche Schädigung des übrigen Auges eine 
Läsion des Hornhautendothels mit nachfolgender Quellungstrübung der 
Hornhaut hervorzurufen. 

Stoewer: Sympathische Ophthalmie nnd Tuberkulose. (Archiv 
f. Augenheilk., Bd. 73, H. 2 u. 3.) Die beiden mitgeteilten Fälle sind 
ein neuer Beweis für die Tatsache, wie sehr sich sympathische und 
tuberkulöse Uveitiden gleichen können, und wie sehr man Veranlassung 
hat, bei entzündlichen Erkrankungen der Uvea an Tuberkulose zu denken, 
auch wenn das klinische Bild nichts für Tuberkulose Typisches zeigt. 

Augst ein: Ein bemerkenswerter Fall von akuter doppelseitiger 
retrobulbärer Neuritis mit Erblindung beiderseits nnd Ansgang ii 
Heilung, links nach 33 tägiger Amanrosis. (Klin. Monatsbl. f. Augen¬ 
heilkunde, Februar 1913.) 

Harbitz*. Familiäre amaurotische Idiotie. (Archiv f. Augenheilk., 
Bd. 73, H. 2 u. 3.) Verf. schildert ein charakteristisches Beispiel der 
juvenilen Form der amaurotischen familiären Idiotie. Aus der Unter¬ 
suchung des Gehirns des 13 jährigen Mädchens ist folgendes hervorzu¬ 
heben: Man hat einen eigentümlichen Degenerationsprozess vor sich, der 
die Ganglienzellen des ganzen Gehirns zu betreffen scheint und sich un¬ 
gefähr gleichmässig über das Ganze erstreckt. Es handelt sich um eme 
primäre Degeneration, die auf exquisit hereditärer Basis auftritt, aber 
von deren innerster Natur man sonst nichts Genaueres weiss. In den 
Augen findet man eine primäre Degeneration des Neuroepithels, der 
Ganglienzellen in der Retina, während die Veränderungen im Pigment¬ 
epithel sekundär zu sein scheinen; in mehr chronischen Fällen bei 
älteren Individuen hat man auch Veränderungen in der Stäbchen- und 
Zapfenschicht der Retina gefunden. 

A. v. Szily: Von dem blinden Fleck ausgehendes Ringskotom 
(sogenanntes Bjerrum’sches Zeichen) bei cerebraler Stauungspapille. 
(Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., Februar 1913.) Bei dem 25jährigen 
Studenten, bei welchem anamnestisch nur so viel festzustellen war, dass 
er während seiner Militärzeit einen Schlag auf den Schädel erhielt, der 
jedoch zunächst ohne schwere Folgen verlief, fand Verf. eine linksseitige 
Abducenslähmung und beiderseitige Stauungspapille ohne Blutungen. 


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3. Märx 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


413 


Durch den Torgenommenen Balkenstich wurde das subjektive Befinden 
des Patienten günstig beeinflusst. Der blinde Fleck war bei den ersten 
Gesichtsfeldaufnahmen nur in der üblichen Weise entsprechend der 
Papillenschwellung vergrössert. Während jedoch in der Folge der blinde 
Fleck de9 linken Auges zunächst annähernd gleich geblieben ist, hat 
sich am rechten Auge Hand in Hand mit der Zunahme der Seh¬ 
beschwerden ein vom blinden Fleck ausgehendes Ringskotom entwickelt, 
das sogenannte Bjerrum’sche Zeichen. Verf. ist der Ansicht, dass diese 
Veränderung des blinden Flecks bei gewissen Fällen von Stauungs¬ 
papille als ein bedrohliches Symptom aufgefasst werden muss, das unter 
allen Umständen zur Vornahme weiterer operativer Maassregeln drängt. 

F. Mendel. 

Kaelin-Benziger-Zürich: Beiträge zur Behandlung der Staunngs- 
apille, insbesondere bei Hirntumoren durch Dekompressiv-(Palliativ-) 
repanation, mit temporärer extracranieller Drainage eines Seiten¬ 
ventrikels. (Zeitschr. f. Augenheilk., Februar 1913.) Im Schlu9steil der 
interessanten Arbeit wird die Technik des Eingriffs eingehend beschrieben. 
Wenn die Gegend der Tumorschicht lokalisiert werden kann, soll in der 
Regio parietalis trepaniert werden. Der Knochenlappen wird reseziert. 
Vor Eröffnung der Dura wird der Ventrikel punktiert. Die Drainage 
des Ventrikels ist im Gegensatz zu der extracraniellen temporären eine 
dauernde, so dass die Gebietsvergrösserung des Gehirns durch Abfluss 
des vermehrten Liquors einigermaassen kompensiert wird. Eine primäre 
einmalige oder wiederholte Lumbalpunktion kommt in Fällen, wo eine 
Dekompressivtrepanation abgelehnt wird, in Betracht. Wenn eine doppel¬ 
seitige Stauungspapille, gleichgültig, ob gleichzeitig oder nacheinander 
auftretend, sicher diagnostiziert ist, soll unbedingt zur Erhaltung des 
Sehens die besprochene chirurgische Therapie in ihre Rechte treten. In 
den aufgeführten Fällen sind die Stauungspapille sowie die cerebralen 
Erscheinungen nach 24 Stunden bis 2 Wochen nach dem Eingriff ver¬ 
schwunden. G. Erlanger. 

F. v. Herrenschwand: Zur epidemischen idiopathischen He¬ 
meralopie. (Archiv f. Augenheilk., Bd. 73, H. 2 u. 3.) Verf. hat 
54 Mann des 13. Feldjäger-Bataillons, die mit Nachtblindheit behaftet 
waren, gruppenweise untersucht und teilt das Ergebnis dieser Unter¬ 
suchungen mit. Bei 22 Mann trat ein plötzliches Hereinbrechen der 
Nachtblindheit auf, während die übrigen eine allmähliche Abnahme der 
Sehkraft in der Dämmerung wahrnahmen. Bei 51 Mann fand sich eine 
Vergrösserung der Lymphdrüsen. Der Augenhintergrund zeigte keine 
wesentliche Veränderung. 

G. Levinsohn: Zur Frage der intraocularen Dracksteigernng bei 

den Bewegungen des Auges. (Archiv f. Augenheilk., Bd. 73, H. 2 u. 3.) 
Aus den Versuchen, die Verf. am Tier gemacht hat, geht die Tatsache 
hervor, dass leichte Kontraktionen der Augenmuskeln den intraocularen 
Druck Dicht im geringsten beeinflussen, dass stärkere Kontraktionen hin¬ 
gegen den intraocularen Druck steigern. F. Mendel. 

Siehe auch Chirurgie: Aizner, Ptosisoperation. 

Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 

Halle-Charlottenburg: Die Tonsillenexstirpation, ihre Gefahren 
und deren Bekämpfung. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 8.) 
Vortrag in der Berliner laryngologischen Gesellschaft am 13. Dezemberl912. 

R. Schilling-Freiburg i. Br.: Ueber die Deckung des Gesangs- 
tonus. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 8.) Vortrag, gehalten 
am 28. Januar in der Freiburger medizinischen Gesellschaft. 

_ Woifsohn. 

Hygiene und Sanitätswesen. 

F. Göppert-Göttingen: Die Pflege des mnskelschwachen Rückens 
im Spiel- und Schalalter. (Therapeut. Monatsb., Februar 1913.) Die 
ärztliche Aufgabe besteht darin: 1. den Kindern die gerade Haltung zu 
lehren, so dass sie das richtige Muskelgefühl wiedergewinnen; 2. durch 
Uebung der gesamten Rücken- und Brustmuskulatur die längere Ein¬ 
haltung der richtigen Stellung zu ermöglichen; 3. etwa bestehende Ver¬ 
steifungen in Torsionsstellung zu mobilisieren; 4. die Beweglichkeit und 
Neigung zu Bewegung des Schultergürtols zu vermehren, damit nicht 
jede Armbewegung eine fehlerhafte Hilfsbewegung des Rückens zur 
Folge hat; 5. bei alledem das Kind nicht zu überanstrengen und es 
6 . schliesslich zu einem muskel- und bewegungsfrohen Menschen zu 
erziehen. H. Knopf. 

H. P ach - Budapest: Eine neue Gefahrenquelle für gewerbliche 

Angenverletzangen. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) In den 
Glühlampenfabriken werden die fertigen Glühlampen einer Erhitzungs¬ 
prüfung unterzogen, wobei es sehr häufig unter Detonation zum Kurz¬ 
schluss kommt. Da9 schmelzende Kupfer des Leitungsdrahtes spritzt 
hierbei, und es besteht die Gefahr, dass es die Augen des bedienenden 
Arbeiters verletzt. Die Augen sind also mit Brillen zu schützen, am 
besten aus Euphosglas, um auch Schädigungen durch ultraviolette 
Strahlen zu verhüten. P. Hirsch. 

M. Müll er-Metz: Die Notwendigkeit einer obligatorischen Ein¬ 
führung der Blntnater8achnng nach Wassermann bei der Kontrolle 
der Prostituierten und deren Bedeutung für die allgemeine Prophylaxe 
der Syphilis. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 6.) Erfahrungs¬ 
gemäss sind Syphilitiker in den ersten 3—5 Jahren infektiös, selbst 


wenn sie keine offenen Zeichen ihrer Lues darbieten, sondern wenn 
lediglich ihr Blut eine positive Wassermann’sche Reaktion gibt. In 
diesem Stadium müssen sie unbedingt behandelt werden, ebenso wie 
Patienten, die überhaupt nichts von einer Infektion wissen und die 
einen positiven Wassermann haben. Diese Erfahrungen macht M. für 
die ärztliche Ueberwachung von Prostituierten zunutze. Ausserdem 
fordert er, um im entscheidenden Moment therapeutisch eingreifen zu 
können, eine dreimalige Blutuntersuchung der Prostituierten pro anno. 

_ Dünner. 

Militär-Sanitätswesen. 

Hüne-Stettin: Ueber apparatlose Raumdesinfektionsverfahren mit 
besonderer Berücksichtigung der Truppe im Frieden und im Kriege. 
(Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1912, H. 2.) Von den apparatlosen 
Verfahren haben sich eingebürgert: 1. das Formalin-Kalium hyper- 
manganicum-Verfahren, 2. Aceton, 3. das Paraform - Kalium hyper- 
manganicum-Verfahren, 4. weniger das Auto form. Die anderen Methoden 
sind zu teuer oder desinfizieren nicht hinreichend. Angabe derjenigen 
Punkte, in denen sich die drei erstgenannten Methoden besonders unter¬ 
scheiden. Von allen apparatlosen Formaldehyd-Raumdesinfektions¬ 
methoden muss dem Paraform-Kalium hypermanganicum-Verfahren der 
Vorzug gegeben werden. Die Verfahren müssen schon im Frieden bei 
jedem Desinfektionsunterricht gelehrt werden. Eine Preisübersicht über 
Formaldehyd - Raumdesinfektionsverfahren mit und ohne Apparate 
für 100 cbm Rauminhalt in Mark ist beigefügt. 

v. Vage des: Fortschritte in der Bekämpfung der Heereskrank' 
beiten und ihre Verbreitung in den Heeren europäischer Grossstaaten* 
(Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1913, H. 1.) Im Krieg wie im Frieden 
fordern naraentich die Infektionskrankheiten, vor allem Ruhr und Typhus, 
grosse Opfer aus den Reihen des Heeres. Die von R. Koch gegebenen 
Grundsätze der Seuchenbekämpfung wurden frühzeitig für das Heer 
fruchtbringend verwendet. Angabe einer Uebersicht über die Maass¬ 
regeln, welche 9ich auf Grund der neueren Erfahrungen einmal gegen 
die Seucheneinschleppung, sodann gegen die Weiterverbreitung nach er¬ 
folgter Einschleppung als wirksam herausgestellt haben. Alsdann er¬ 
fährt die Bekämpfung einiger besonders wichtiger Heereskrankheiten, die 
Genickstarre, Ruhr, der Typhus und die venerischen Krankheiten, eine 
Besprechung. Im Anschluss daran wird eine Uebersicht über die Ver¬ 
breitung der übertragbaren Krankheiten in den Heeren der europäischen 
Grossstaaten während der letzten fünf Berichtsjahre auf Grund der ver¬ 
öffentlichten Sanitätsberichte, wie dies nach den Berichtsjahren 1902 
bis 1906 in ähnlicher Weise bereits in der umfassenderen Mitteilung im 
28. Bande der Bibliothek v. Coler-v. Schjerning für einige Krankheiten 
bereits geschehen ist. Eine Reihe von dem Text beigefügten Tafeln 
dienen zur besseren Veranschaulichung. 

Hüne-Stettin: Der Einfluss gesunder Keimträger in der Ver¬ 
breitung der Seuchen, mit besonderer Berücksichtigung der Truppen im 
Frieden und im Kriege. (Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1913, H. 3.) 
Vortrag auf dem XV. internationalen Kongress für Hygiene und Demo¬ 
graphie in Washington, 23. bis 28. September 1912. 

Hammer - Karlsruhe: Die erste Wnndversorgnng im Felde. 
(Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1913, H. 3.) Nach Vorausschickung 
einiger Leitsätze, die für alle ärztlichen Maassnabmen auf dem Schlacht¬ 
felde zur Richtschnur dienen können, wird über die erste Versorgung 
der Verwundeten gesprochen. Dabei werden die zur Verfügung stehenden 
Hilfsmittel, Einteilung der Verwundungen und die Verwundungen selbst 
erwähnt. 

Dreist-Mainz: Sanitätsstatistisches von der schweizerischen 
Armee. (Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1912, H. 24.) 

Brunzlow: Die Tonsillitis als Ursache von Infektionskrankheiten. 
(Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1913, H. 2.) Im Anschluss an Anginen 
entstehen Polyarthritis, Nephritis, Endocarditis, Sepsis, Appendicitis, 
vielleicht auch die kryptogenetische Sepsis. Angaben über die Behand¬ 
lung der chronischen Tonsillitis. Schnütgen. 

Siehe auch Augenheilkunde: Beck, Refraktionsbestimmungen 
beim Ersatzgeschäft. Cuny, Zusammenhang von Sehschärfe und Schiess¬ 
leistung der Infanterie. _ 

Technik. 

A. R6thi-Königsberg: Die elektrolytische Behandlung der Tri- 
geminnsnenraigjen. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 6.) An¬ 
gabe einer Nadel und genaue Beschreibung der Technik. Dünner. 

Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 19. Februar 1913. 

Vorsitzender: Herr Orth. 

Schriftführer: Herr Israel. 

Vorsitzender: Ausgetreten wegen Verzuges nach ausserhasb ist 
Herr Dr. Stein, der seit 1906,unser Mitglied war. 

Für die Bibliothek sind eingegaogen: Von Herrn H. E. 


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414 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT 


Nr. 9. 


Schmidt: Kompendium der Röntgentherapie. 3. Auflage. Berlin 1913.— 
Von Herrn R. Schoetz: Archiv für Rettungswesen und erste ärztliche 
Hilfe, Bd. 1, H. u. 2. 

Vor der Tagesordnung. 

Hr. Casper: 

Vorstellung eines Falles von lnmbaler Ureterfistel nach Blasen¬ 
exstirpation wegen Tuberkulose. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

Tagesordnung. 

1 . Hr. E. Aron: 

Zur Aetiologie der Qefässerkrankungen beim Diabetes. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

Diskussion. 

Hr. Muskat: Ich wollte mir nur erlauben, an die Ausführungen 
des Herrn Vorredners anknüpfend, ein Röntgenbild zu zeigen, das ausser¬ 
ordentlich klar erweist, wie Arteriosklerose und Diabetes Zusammen¬ 
gehen. Ich habe vor einiger Zeit einen Patienten in Behandlung be¬ 
kommen mit typischen Beschwerden am Fuss, die als Plattfuss- 
beschwerden gedeutet wurden. Dem Patienten war wegen diabetischer 
Gangrän eine Zehe abgenommen worden, und das Röntgenbild zeigt in 
aussergewöhnlich schöner Weise, wie die Arterien am Fuss verkalkt 
sind; es wäre empfehlenswert, alle derartigen Fälle durch Röntgen¬ 
strahlen auf Arteriosklerose zu untersuchen. 

Ich wollte bloss auf diesen Zusammenhang hingewiesen haben. Ich 
gebe das Bild herum. 

Hr. Felix Hirschfeld: Ich wollte nur einige Einwendungen gegen 
die Ansicht des Herrn Vortragenden erheben, dass grosse Flüssigkeits¬ 
mengen in dem Gefässsystem eine Rolle bei der Entstehung der Arterio¬ 
sklerose der Zuckerkranken spielen. Theoretisch ist dies wohl denkbar, 
weil das Gefässsystem Dehnungen ausgesetzt ist, wenn diese Flüssig¬ 
keitsmenge durch das Gefässsystem hindurchgepumpt werden muss. Bei 
der grossen Mehrzahl der Fälle jedoch — und das sind gerade die 
älteren Diabetiker, die zu Arteriosklerose neigen — ist die Zucker¬ 
krankheit nicht in dem Maasse entwickelt, dass solche kolossalen Urin¬ 
mengen, wie der Herr Vortragende erwähnte, von 5 oder 10 Litern aus¬ 
geschieden werden. Diese Harnmengen findet man nur bei schweren 
jugendlichen Fällen, während diätetischer Vernachlässigung, und solche 
kommen für die Entwicklung der Arteriosklerose wohl kaum in Betracht. 
Wir müssen uns auch erinnern, dass eine andere Stoffwechselstörung, 
die Gicht, ebenfalls mit Arteriosklerose zusammen ohne Polyurie vor¬ 
kommt. Die Franzosen wiesen doch schon auf die diathese 
arthritique hin, wobei eine leichte Glykosurie mit gichtischen Erschei¬ 
nungen und Arteriosklerose eine Trias bildet, und ich nehme an, dass 
der Herr Vortragende diese Gruppe im Sinne hatte. 

Was dann die Blutdruckerhöhungen betrifft, so erwähnte der 
Herr Vortragende, dass in der Literatur wenig Blutdruckmessungen bei 
Diabetikern bekannt sind. Aber es ist doch wohl eine grosse Anzahl 
schon gemacht worden. Ich selbst habe sie viele Jahre hindurch aus¬ 
geführt und habe sie zwar gelegentlich erwähnt, jedoch darüber nichts 
Genaueres publiziert, weil sich eigentlich nichts Besonderes bei ihnen 
ergeben hat. Nach den Ergebnissen würde ich den Blutdruck im 
Durchschnitt bei den Diabetikern eher als etwas niedriger als bei 
anderen, nicht zuckerkranken Menschen bezeichnen müssen. Bei 
schweren Nierenkomplikationen kann natürlich eine Blutdruckerböhung 
vorhanden sein, sie ist es aber nicht regelmässig. Bei der überwiegend 
grossen Mehrzahl der leichten Nierenstörungen der Diabetiker findet 
man jedoch keine Blutdruckerböhung. Ich betone dies besonders, weil 
ich in solchen Fällen immer sehr sorgfältig den Blutdruck geprüft habe. 
Infolgedessen möchte ich auch in der Reizung der Nieren einen be¬ 
sonderen Grund für die Entwicklung der Arteriosklerose bei Zucker¬ 
kranken nicht suchen. 

In bezug auf die Therapie freue ich mich, mit dem Herrn Vor¬ 
tragenden vollständig übereinstimmen zu können, dass die Bekämpfung 
der Arteriosklerose mit der Bekämpfung der Glykosurie zusammenfällt. 
Man kann jedoch die anderen Hilfsmittel, wie etwa das Diuretin, in 
Fällen von Arteriosklerose der Extremitäten oft mit grossem Erfolge an¬ 
wenden. 

Hr. Israel: Auf den Zusammenhang zwischen dem Diabetes mellitus 
und Arteriosklerose hat schon vor vielen Jahren der verstorbene Mar- 
burger Chirurg Roser aufmerksam gemacht, und ich selbst habe in 
einer Arbeit über die Beziehungen des Diabetes zur Chirurgie, die, so¬ 
weit ich mich erinnere, in den achtziger Jahren erschienen ist, darauf 
hingewiesen, dass ein grosser Teil dessen, was wir als diabetische Gangrän 
bezeichnen, tatsächlich arteriosklerotische Nekrosen sind. Für diese 
Fälle nun, die uns Chirurgen vorzugsweise Vorkommen, trifft die sonst 
vielleicht für andere Fälle gültige Erklärung des Herrn Aron gewiss 

nicht zu. Denn, wenn ich mich so ausdrücken darf, die chirurgischen 

Diabetiker, das heisst Leute über 50 Jahre, sind Menschen, die weder 
eine vermehrte Urinmenge noch ein vermehrtes Durstgefühl haben. Das 
sind häufig magere Leute, welche nicht viel essen, nicht viel trinken. 
Also bei diesen kann von einer Ueberlastung des Gefässsystems als Ent¬ 
stehungsursache der Arteriosklerose gewiss nicht die Rede sein. 

Hr. Aron: Ich glaubte, ich hätte mich im Vortrage in dieser Be¬ 
ziehung ziemlich klar ausgedrückt. Ich hatte gesagt, dass ich die Fälle 

von Afterioskierose, die in höherem Alter auftreten, und die dann im 


Verlaufe dieser arteriosklerotischen Erkrankung öfter zu Diabetes führen, 
ausschliesse. Ich habe bei meinen Betrachtungen nur die Fälle im Auge 
gehabt, in denen der Diabetes in einem relativ frühen Alter auftritt, 
und wo dann nach einer gewissen Anzahl von Jahren, oft früher, als 
wir sonst arteriosklerotische Veränderungen zu sehen gewohnt sind, diese 
Erkrankung entsteht. Ich glaube, darauf basiert der Unterschied in den 
Anschauungen von Herrn Hirschfeld, Herrn Professor Israel und mir. 
Ich habe ganz andere Fälle im Auge. 

2 . Hr. Orth: 

Ueber die Bedeotnng der Rinderbaeillen für dea Meaechea. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

Die Diskussion wird vertagt. 


Laryngologisehe Gesellschaft za Berlin. 

(Offizielles Protokoll.) 

Ordeutliche Generalversammlung vom 17. Januar 1913. 

Vorsitzender: Herr Killian. 

Schriftführer: Herr Grabower. 

Tagesordnung. 

I. Kurzer Bericht des Schriftführers, des Kassenwarts und 
des Bibliothekars. 

Stellv. Schriftführer Hr. Grabow er: M. H.! Im abgelaufenen Jahre 
sind fünf neue Mitglieder in unsere Gesellschaft eingetreten, ein Mitglied 
ist ausgetreten, so dass zurzeit die Zahl der Mitglieder 202 beträgt. Es 
fanden im ganzen acht Sitzungen statt, in denen 29 Demonstrationen 
und vier Vorträge gehalten wurden. Von den Demonstrationen enthielten 
sechs Mitteilungen über maligne Tumoren der Nase und des Halses und 
über Operationen an denselben, drei Mitteilungen über tuberkulöse Bil¬ 
dungen, zum Teil über Operationen an denselben, drei Mitteilungen 
über therapeutische Maassnahmen nicht chirurgischer Art und über neue 
Instrumente, einer Mitteilungen über luetische Veränderungen und sechs 
über gutartige Tumoren und Bildungen, zum Teil Operationen derselben 
sowie über pathologische Folgezustände von therapeutischen Maass¬ 
nahmen. Von den Vorträgen war einer physiologischen Inhalts: Ueber 
den Einfluss des Zahnwachstums auf die Entwicklung der Nase (von 
dem uns leider kürzlich entrissenen Zahnarzt Dr. Landsberger), ein 
Vortrag bezog sich auf eine Operationsmethode im Nasenrachenraum, 
einer war stimmphysiologischer Natur, und einer betraf ein Referat über 
Indikation, Methode usw. für die Ausrottung eines Organs. 

Der Bibliothekar HerrKuttner gibt darauf einen kurzen Ueber- 
blick über Entwicklung und Zustand der Bibliothek der 
Gesellschaft. 

Der Kassenwart Herr Musehold berichtet über den Stand der 
Kasse. 

Die Versammlung erteilt entsprechend dem Anträge der Rechnungs¬ 
prüfer dem Kassenwart Entlastung. 

Der Vorsitzende dankt dem Schriftführer, Bibliothekar und Kassen¬ 
wart für die von ihnen im abgelaufenen Geschäftsjahr im Interesse der 
Gesellschaft aufgewandte Mühe und Arbeit. 

II. Neuwahl des Vorstandes. 

Zum ersten Vorsitzenden wird mit 41 von 44 abgegebenen Stimmen 
Herr Killian gewählt. 

Durch Akklamation werden die Herren P. Heymann zum stell¬ 
vertretenden Vorsitzenden, Grabower zum ersten Schriftführer, Muse¬ 
hold zum Kassenwart und Kuttner zum Bibliothekar wiedergewählt. 
Mit dem Amte des stellvertretenden Schriftführers wird (nach erfolgter 
Stichwahl zwischen ihm und den Herren Alexander und Finder) 
Herr Gutzmann betraut. 

In die Bibliothekskommission werden wieder die Herren Gra¬ 
bower und P. Heyraann entsandt. 

Zu Mitgliedern der Aufnahraekommission werden die Herren 
Alexander, Finder, Hoffmann und Schwabach bestellt. 

Sämtliche Herren nehmen die Wahl an. 

III. Demonstrationen. 

1. Hr. Zumsteeg: M. H.! Ich möchte Ihnen einen Fall von funk¬ 
tioneller Stimmstörung demonstrieren, der hinsichtlich seines Verlaufs 
einige Eigenarten aufweist. Der Junge war Mitte Oktober an Bronchial¬ 
katarrh und Kehlkopfkatarrh erkrankt und kam infolgedessen in Kranken¬ 
hausbehandlung. Er war daselbst bis Ende November und wurde dann 
mit noch weiterhin bestehender Heiserkeit entlassen. Diese hielt an. 
Später kam er in poliklinische Behandlung und wurde vor 8 Tagen dem 
Ambulatorium für Stimmstörungen überwiesen. Wenn wir den Jungen 
sprechen lassen (Demonstration), so hören wir eine sehr rauhe, heisere 
Stimme. Der objektive Kehlkopfbefund ist gleich Null; höchstens zeigt 
sich eine ganz geringe Rötung der Stimmlippen, jedenfalls nicht so hoch¬ 
gradig, dass eine derartige Heiserkeit daraus resultieren könnte. Der 
Patient wurde uns wegen des Verdachts einer funktionellen Störung 
überwiesen, die sich auch tatsächlich durch den aufgenommenen Stimm¬ 
befund bestätigt hat. Der Junge hat zunächst einen Stimmumfang von 
drei Oktaven. Seine Sprechstimmlage liegt etwa auf dem g, der Stimm¬ 
umfang reicht nach oben bis zum e"; in der Mitte des Umfangs ist 
ungefähr beim c' ein Ausfall von ein bis zwei Tönen. Die Anamnese 
ist insofern bemerkenswert, als er angibt, bis vor seiner Erkrankung im 


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3. M&n 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


41B 


Oktober immer sehr hoch gesprochen und auch in der Schule immer 
sehr hoch gesungen zu haben. Dieses Moment deutet schon auf eine 
Störung in der Entwicklung hin, um so mehr, wenn ich Ihnen mitteile, 
dass der juDge Mann schon 18 Jahre alt ist Aus dem Zurückbleiben 
seiner Allgemeinentwicklung ist wohl anzunehmen, dass auch die Ent¬ 
wicklung der Stimme bei ihm zurückgeblieben ist. Die obersten Töne 
sind ziemlich rein; ganz rein ist der ganze Stimmumfang nicht, immer¬ 
hin sind die obersten Töne im Verhältnis zu den unteren noch rein. 
Es ist infolgedessen anzunehmen, dass es sich bei ihm um eine per¬ 
sistierende Fistelstimme handelt. Das Eigenartige des noch vorliegenden 
Krankheitsbildes besteht darin, dass die Fistelstimme durch die Er¬ 
krankung, die er durchgemacbt bat, gewissermaassen verloren ging, in¬ 
sofern, als es ihm infolge des Kehlkopfkatarrhs möglich wurde, heisere 
tiefere Töne zu bilden. Er hat diese gewohnheitsmässig beibehalten. 
Die persistierende Fistelstimme bot hierfür ein prädisponierendes Moment, 
während der Kehlkopfkatarrh den Stimmbruch auslöste. Das vorliegende 
Krankheitsbild ist also als Mutationsstörung aufzufassen. 

Auch der Erfolg der bisher eingeleiteten Therapie lässt die An¬ 
nahme berechtigt erscheinen, dass es sich um eine Mutationsstörung 
handelt. Die tiefen Töne, von denen ja die Therapie ausgehen muss, 
sind bei ihm verhältnismässig rein. Von hier aus wird sich die normale 
Stimme bald entwickeln lassen. Ich werde mir erlauben, den Patienten 
nach Schluss der Therapie in einer späteren Sitzung hoffentlich geheilt 
vorzuführen. 

2. Hr. Max Levy : M. H.! Ich habe Ihnen vor einigen Monaten ein 
selhsthaltendes Nasenspeeulnm demonstriert. Um gleichzeitig die Nasen¬ 
spitze zu heben, habe ich nachträglich noch einen kleinen Haken in 
Anwendung gebracht, der au einem einfachen selbsthaltenden Kopfbügel 
befestigt ist und oben an der Spange des Speculums einhakt. (Demon¬ 
stration.) Das Instrument hat sich mir recht gut bewährt. 

Bei der Beschäftigung mit dem Thema Nasenspecula ist mir auf¬ 
gefallen, dass unsere Nasenspecula im allgemeinen recht irrationell kon¬ 
struiert sind. Die meisten gebräuchlichen Nasenspecula sind so ge¬ 
staltet, dass sie horizontal spreizen. (Demonstration an der Tafel.) 

Ich habe ein Speculum konstruiert, dessen einer Löffel im inneren 
unteren Nasenwinkel, und dessen anderer Löffel der Mitte des Nasenflügels 
anliegt, und das für beide Nasenseiten zu brauchen ist. (Demonstration.) 
Der eine Griff stellt einen starren Stab dar, an dem sich der andere Griff 
hebelartig bewegt. Das Instrument hat den Vorteil, dass es einen 
ausserordentlich klaren Ueberblick über die Nasenscheidewand, die ja 
in ihrem vorderen Teil bei Anwendung der gewöhnlichen Nasenspecula 
vollständig verdeckt wird, gewährt. 

Bei der Gelegenheit möchte ich mir erlauben, einige kritische Be¬ 
merkungen über das Killian’sche Nasenspeculum zu machen. Dieses ist 
ja ursprünglich für die Rhinoscopia media erdacht worden und für diese 
Zwecke gewiss sehr zweckmässig. Bei Einführung der Nasenscheide¬ 
wandoperation ist das Instrument nun unverändert übernommen worden 
für die Freilegung des mittleren Nasenrauros. Für diesen Zweck hat 
es aber einen sehr wichtigen Nachteil, nämlich den, dass es sich nicht 
parallel spreizt. Wenn man das Speculum auf 9 mm spreizt — eine 
Breite, die doch wohl in den meisten Fällen erforderlich —, so entfernt 
sich das vordere Ende beim mittleren Speculum auf 11 mm und bei 
dem längsten Speculum auf 13—14 mm. Das ist eine Dehnung, der 
die Schleimhaut der Nasenscheidewand oft nicht gewachsen ist. Ich 
glaube, dass sich dadurch manche Perforation erklärt. Die Modifikation 
von Alexander und ebenso die von Halle bedeutet eine gewisse Ver¬ 
besserung. Das Instrument von Sturmann hat allerdings parallel sich 
spreizende Branchen, hat aber wieder den Nachteil, dass es mit beiden 
Händen geführt werden muss. 

Ich habe dadurch eine Verbesserung erzielt, dass ich die beiden 
Löffel in der Ruhelage nach vorn bis auf einen gewissen Abstand kon¬ 
vergieren lasse. Dann stehen sie bei einer Spreizung auf 9 mm noch 
parallel. Das dürfte wohl für praktische Zwecke ausreichen. 

Diskussion. 

Hr. Halle: Ein Hartmann’sches Speculum, richtig gebraucht, reicht 
für alle Fälle aus. Das Beckmann’sche Instrument ist mir nicht sym¬ 
pathisch, weil es nicht für beide Seiten benutzbar ist. Mit beiden ist 
aber bei korrektem Gebrauch jede Verletzung der Septumschleimhaut 
unschwer zu vermeiden. 

Das Killian’sche Speculum habe ich, ohne es zu publizieren, für 
meinen Gebrauch seit Jahren etwas modifiziert, indem ich die Branchen 
so stellte, dass sie am Griffende auseinanderweichen und an der Spitze 
Zusammengehen. Diese Modifikation entspricht etwa der von Levy. 
Oeffnet man das Speculum, so bleiben die Branchen bis auf weite Oeff- 
nungen annähernd parallel. Das ist nur eine kleine Veränderung, die 
sich mir aber lange als praktisch bewährt hat. 

Hr. Killian: Wir wollen über dieses Thema nicht lange disku¬ 
tieren. Ich bemerke nur, dass ich das lange Speculum zu Septum¬ 
operationen gar nicht mehr gebrauche. Ich komme mit dem halb langen 
Speculum gewöhnlich aus und habe dabei keine Schwierigkeit empfunden. 

8 . Hr. Bisch: M. H.! Ich wollte Sie bitten, nachher einen Blick auf 
die rechte Tonsille dieses Patienten zu werfen. (Demonstration.) Der 
Herr ist 46 Jahre alt, stammt aus gesunder Familie. Er kam Ende 
November zu mir mit der Angabe, die rechte Tonsille sei stark ge¬ 
schwollen und schmerzhaft. Dieser Zustand sollte schon vier Wochen 
bestehen. Die Tonsille war gerötet, geschwollen und druckempfindlich. 


Ich hielt es zunächst für eine Peritonsillitis und machte eine Inzision. 
Es kam nichts heraus. Dann gab ich Jodkali. Danach besserten sich 
die Beschwerden scheinbar. Der Patient kam vier Wochen nicht mehr 
zu mir, ich sah ihn erst Ende Dezember wieder. Jetzt sah die Mandel 
ganz anders aus; sie hatte weiter an Umfang zugenommen, und es waren 
papilläre, speckig aussehende Excrescenzen an verschiedenen Stellen her¬ 
vorgetreten; das Bild sah aus wie Lues. Ich machte die Wassermann- 
sche Reaktion; sie war negativ. Auch grosse Dosen Jodkali änderten 
den Zustand in keiner Weise. Ich machte darauf eine Probeexzision. 
Das Präparat, das Sie dort aufgestellt sehen, ergab ein zweifelloses Car- 
cinom der rechten Tonsille. Die Fälle sind wohl nicht so sehr häufig, 
deshalb wollte ich mir erlauben, Ihnen den Fall zu zeigen. Ich glaube, 
dass man den Tumor radikal herausbekommen kann, wenn man den 
Unterkiefer reseziert und die Carotis externa unterbindet. 

4. Hr. Katzenstein: Die Patientin, die ich Ihnen demonstriere, 
wurde mir von einem Kollegen wegen völligen Stimmverlnstes nach 
einer Verwundung des Halses überwiesen. (Demonstration.) Am 
5. Dezember v. J. wurde ihr von ihrem Manne, mit dem sie in Unfrieden 
lebte, ein Schnitt in den Hals beigebracht. Der Mann stand hinter ihr, 
bog ihr den Kopf zurück und durchschuitt der Frau mit einem Rasier¬ 
messer den Hals. Durch den Schnitt wurde der Kehlkopf zwischen 
Schildknorpel und Ringknorpel durchtrennt. Die Carotis blieb beider¬ 
seits unverletzt, weil die senkrechten Spangen, welche in dem Kragen 
der Frau waren, die Wucht der Schnittführung herabsetzten. Patientin 
wurde verbunden, kam ins Krankenhaus und hatte den ersten Verband¬ 
wechsel am 14.; am 19. wurde sie entlassen. Acht Tage nach der Ent¬ 
lassung begann Heiserkeit aufzutreten, die so zunahm, dass die Patientin 
vollständig aphonisch wurde. Ich sah sie zum ersten Mal am 10.1. und 
stellte fest, dass innen von der Halsschnittwunde ein fast haselnuss¬ 
grosser Granulationsturaor ausging, der die Trachea halb verlegte, be¬ 
trächtliche Dyspnoe verursachte und, weil er sich bei Phonation zwischen 
die Stimmlippen schob, die Stimragebung unmöglich machte. Die Röntgen¬ 
aufnahme (Demonstration) zeigt die Lage des Tumors. Patientin wurde 
von mir am 15. I. in meiner Wohnung operiert. Sofort nach der Ope¬ 
ration des Tumors konnte sie wieder mit lauter klarer Stimme sprechen. 
Der Tumor wurde auf indirektem Wege mit einer Doppelcurette gefasst 
und vorgehebelt. Der Stiel war sehr dünn, so dass der Tumor einfach 
folgte. Die mikroskopische Untersuchung des Tumors soll noch vorge¬ 
nommen werden. 

5. Hr. Killian: M. H.! Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf einen 
Fall lenken, der im Nebenzimmer von Ihnen untersucht werden kann. 
Es kommt mir sehr darauf an, dass die Herren sich einzeln die Zeit 
nehmen, die Dame zu laryngoskopieren. Wir sprechen dann vielleicht 
später noch einmal über den Fall. Ich will nur sagen, was ich sehe, 
und wenn einige anderer Meinung sind, bitte ich, sich zu erklären. Es 
handelt sich um eine Frau von 55 Jahren, die seit einiger Zeit heiser 
ist. Wenn man in den Kehlkopf hineinsieht, so sieht man folgendes 
(an der Tafel demonstrierend): Bei der Phonation kommt die rechte 
Stimmlippe nicht in die Normalstellung, sondern sie geht etwas über 
die Mittellinie hinüber. Die Folge ist, dass die Stimmritze sohräg ver¬ 
läuft, von rechts vorn nach links hinten. Ausserdem sehen wir die 
Stimmritze etwas klaffen. Die linke Stimmlippe bewegt sich von aussen 
bis zu dem Punkt, der ungefähr der Cadaverstellung entspricht. Wenn 
Sie die Arygegend betrachten, so sehen Sie, dass eine Ueberkreuzung 
erfolgt, wie man sie sonst bei Recurrenslähmung wahrnimmt: der Ary- 
knorpel der gesunden rechten Seite geht vor den der kranken. 

Interessant ist es, den Fall bei der tiefen Atmung zu sehen. Die 
linke Stimmlippe bleibt durchaus nicht in einer mittleren Stellung, 
sondern sie geht ad maximum nach aussen. Ich möchte von vornherein 
bemerken, dass weder durch die Untersuchung mit dem Spiegel noch 
durch die Palpation sich feststellen lässt, dass der Kehlkopf etwa um 
die vertikale Achse gedreht ist. Eine periphere Ursache, die auf den 
linken Recurrens einwirkte, ist nicht nachzuweisen. Wir haben eine 
Röntgenaufnahme gemacht, die Sie hier sehen können. (Demonstration.) 
Sie werden daran nichts Besonderes wahrnehmen. Die Hilusdrüscn links 
sind etwas stark entwickelt; aber sie reichen nicht weit genug nach 
oben. Sonst haben wir nichts finden können. Auf centrale Verände¬ 
rungen ist der Fall noch nicht vollständig untersucht, und ich behalte 
mir vor, in der nächsten Sitzung, wenn sich weiteres ergeben sollte, 
darauf zurückzukommen. 

Ich erwähne noch, dass irgendeine Veränderung, die auf mecha¬ 
nische Störung hinweist, nicht zu finden ist, kein Entzündungsprozess, 
keine Schwellung, keine Formveränderung ist da. Auch bei vorgebeugter 
Kopfhaltung sieht man nicht das Geringste. Wir haben also keinen 
Grund, an eine mechanische Störung zu denken, etwa in der Weise, dass 
die Stimmlippe frei bis zur Hälfte gehen kann und dann irgendein 
Hindernis findet, das sie nicht weitergehen lässt. Das könnte ja sein; 
aber dazu bietet sich zunächst kein Anhalt. 

Diskussion. 

Hr. Grabower: Ich glaube, dass dieser Fall nicht als eine Lähmung 
nervöser Natur aufgefasst werden kann. Wir haben es hier meines Er¬ 
achtens mit einer Bewegungsbeschränkung der linken Stimmlippe in der 
Richtung nach einwärts zu tun, welche auf einem mechanischen Hindernis 
beruht. Wäre es eine nervöse Lähmung, so wäre es schwer verständ¬ 
lich, wie der erste Teil der Adduktorenbewegung schnell und leicht bis 
zu einer unbeträchtlichen Entfernung von der Mittellinie erfolgen kann 


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Nr. 9. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


und dann plötzlich stehen bleibt. Ich glaube vielmehr, dass an der 
Stelle, wo die linke Stiramlippe bei dieser Endbeweguug Stillstehen muss, 
irgendein mechanisches Hindernis besteht, wahrscheinlich auf der hinteren 
Wand irgendeine Wulstuug, eine Narbe. Der linke Aryknorpel kommt 
mir etwas klobig geschwollen vor. Es ist sehr leicht möglich, dass 
irgendein Exsudat, irgendeine Wucherung da ist. Das Hesse sich mit 
dem Killian’schen Schwebeapparat sehr gut feststellen, wo die hintere 
Wand gut übersehbar ist. 

Hr. Kuttner: M. H.! Ich sehe, das sich das linke Stimmband bei 
der Phonation bis ungefähr zur Cadaverposition einwärts bewegt. Die 
Abduktion erfolgt bis zur vollen Inspirationsstellung; aber Adduktion 
wie Abduktion sind matter und werden mit geringerer Energie 
ausgeführt als auf der gesunden Seite. Weiter fällt mir auf, 
dass das linke Stimmband etwas tiefer zu stehen scheint als das rechte, 
und dass es atrophisch, dünner und schmäler ist als das 
rechte. Ob die Bewegungsstörung und Atrophie, wie Herr Kollege 
Grabow er meint, auf einer mechanischen Behinderung beruht, lässt 
sich ohne intime Untersuchung nicht entscheiden. Ich glaube aber, dass 
die ganze Art der Bewegungsstörung, die Mattigkeit und Energielosigkeit 
bei allen Bewegungen, das Zurückfallen des Stimmbandes bei der In¬ 
spiration, das einen mehr passiven Eindruck macht, doch mehr für eine 
Rekurrensschädigung spricht, die vorderhand zu einer Beeinträchtigung 
der Aktion der Erweiterer und der Verengerer, noch nicht zu 
einer völligen Lähmung einer dieser beiden Muskelgruppen geführt hat. 
Die nächste Zeit wird wohl darüber entscheiden, welcher Art die 
Störung ist. 

Hr. P. Heymann: Der Befund, den ich erhoben habe, entspricht 
im wesentlichen dem, was Herr Grabower gesagt hat. Ich habe vor 
Jahren einen Fall gesehen, der ganz ähnliche Erscheinungen, natürlich 
mutatis mutandis, zeigte, und der durch einen Zufall akut zugrunde 
ging. Die Sektion ergab abgelaufene Perichondritis und Unebenheiten 
im Aryknorpelgelenk. Die Patientin hatte angegeben, eine schwere Peri- 
ohondritis durcbgemacht zu haben. Daran erinnert mich der Fall. Ob 
es sich hier so verhält, kann ich natürlich nach der einmaligen, immer¬ 
hin flüchtigen Untersuchung nicht sagen. Man muss aber daran denken, 
dass eine Ekchondrose oder etwas derartiges im Aryknorpelgelenk vor¬ 
handen sein kann. 

Hr. Killian (Schlusswort): Ich raöohte dazu nur bemerken, dass 
die Patientin bei vorgebeugter Kopfhaltung mit angezogenem Zungen¬ 
grund untersucht worden ist, und dass ich die hintere Larynxwand sehr 
genau sehen konnte. Sie werden sich überzeugen, dass auch nicht das 
geringste von irgendeiner Formveränderung nachzuweisen ist. Eine 
Schwellung in der Arygegend habe ich nicht gesehen, ln diesem Punkt 
muss ich Herrn Grabower direkt widersprechen. Was die hintere Seite 
des Larynx angeht, so werde ich die Hypopharyngoskopie noch ausführen. 
Dann werde ich auch der ganzen Aetiologie noch Aufmerksamkeit zu- 
wendeu und eventuell den Fall noch einmal hier vorstellen. Wir werden 
ihn weiter verfolgen, damit wir erfahren, ob eine mechanische oder nervöse 
Störung vorliegt. 

6 . Hr. Katzenstein: Ich zeige Ihnen hier ein Instrument, das ich 
konstruiert habe, um den Kehlkopf zu komprimieren. Vor P /4 Jahr 
wurde mir ein Gymnasiallehrer aus Thüringen überwiesen, der nach 
Strumektomie eine rechtsseitige Recurrenslähmung bekam. Auf der ge¬ 
lähmten Seite stand die Stimmlippe in extremster Abduktion fest, wie 
ich es bei der gewöhnlichen Recurrenslähmung nie gesehen habe. Da 
die normale Stimmlippe sich bei der Phonation nicht oder kaum über 
die Mittellinie hinausbewegte, blieb dabei ein solcher Spalt zwischen den 
Stimmlippen, dass Patient absolut aphonisch war. Da ich ihm gern 
helfen wollte, so kam ich darauf, ihm seinen Larynx zu komprimieren. 
Nach einer Vorbehandlung mit der gewöhnlichen Staubinde, bei der die 
venöse Hyperämie dadurch vermieden wurde, dass die Staubinde vorn 
am Halse abgezogen wurde, so dass nur die Kompression restierte, liess 
ich von Pfau für diesen Fall und die drei ganz ähnlichen Fälle von 
Recurrenzlähraung nach Strumektomie einen neuen Kompressionsapparat 
in zwei Modellen konstruieren, die ich jetzt bei dieser Patientin aulegen 
will. Bei dem ersten Modell wird ein Metallreifen um den Kopf, ein 
zweiter flacher Metallreifen auf die Schultern gelegt; zwischen beiden 
Reifen werden auf jeder Seite drei Metallstangen fest angelegt. Vor je 
drei Stangen und die entgegengesetzte Halsseite wird ein breites Band 
gelegt, dass mit einer Pelotte auf den Schildknorpel drückt. Bei der 
beiderseitigen Anlegung bleibt die vordere Halspartie frei, jede venöse 
Stauung wird vermieden, es restiert nur die seitliche Kompression des 
Kehlkopfes. Bei dem zweiten Modell liess ich den Kopfreifen fort 
und kurze Metallstangen fest an dem Schulterreifen anbringen. Die 
Lage der Bänder ist genau wie bei dem ersten Modell. Das Resultat 
dieser Kompressionsbehandlung war überraschend, die normale Stimm¬ 
lippe wurde allmählich immer mehr über die Mittellinie hinaus bei der 
Phonation an die gelähmte so herangepresst, dass z. B. der Lehrer nach 
einiger Zeit mit vollständig guter sonorer Stimme sprach und seit Juli 
vorigen Jahres in seiner Heimatstadt wöchentlich 17 Stunden Unterricht 
gibt. In einem zweiten Falle spricht Patientin gut und singt sogar 
wieder leidlich. 

Aus Anlass dieser Beobachtungen habe ich mich der Kompressions¬ 
behandlung des Kehlkopfes sehr eingehend zugewandt und im letzten 
halben Jahre eine grosse Menge von phonischen Störungen, hervorgerufen 


durch Insuffizienzen und Paresen im Internus-, im Latoralisgebiet, Tre- 
molieren, Atemstörungen damit behandelt und geheilt. 

Ferner habe ich an Stelle der Pelotten auoh breite Elektroden an¬ 
gebracht, so dass die Patienten mit der Kompression zugleich elektrisiert 
werden können. 

Diskussion. 

Hr. Gutzmann: Wie lange müssen diese Binden getragen werden? 

Hr. Katzenstein: Das Kompressorium kann verschieden lange ge¬ 
tragen werden. Ich habe es bis zu einer halben Stunde liegen lassen. 
Die phonetischen Uebungen, die ich dabei anstelle, beschränke ich auf 
5 bis 10 Minuten. 

Hr. Gutzmann: Ich möchte nur bemerken, dass die Druckbehand¬ 
lung bei der einseitigen Recurrenslähmung schon sehr lange von mir 
mit den Fingern, mit Daumen und Zeigefinger, geübt wird, und dass 
ich bis jetzt bei meinen liecurrenslähmungen niemals in Verlegenheit 
gekommen bin, auch nicht bei operativ durchschnittenem Recurrens. 
Wir hatten z. B. hier einen sächsischen Artilleriehauptmann, der monate¬ 
lang mit allerlei Mitteln vergeblich behandelt worden war, und der vor 
allem die Kommandostimme lernen sollte; ich habe ihn nur durch 
Fiiigerdruckbehandlung vollständig dienstfähig gemacht. Ob eine so 
starke Druckanwendung beim Kehlkopf durch den vorgezeigten Apparat 
immer ausgeführt werden kann, ist mir zweifelhaft; wenn starke Ver¬ 
knöcherungen vorhanden sind, welche beim Manne ziemlich früh ein- 
treten, würde ich Bedenken haben, eine so starke Kompression aus- 
zuüben. Die Paraflinbehandlung von Brünings habe ich bisher nicht 
angewandt oder empfohlen, da ich mit dem einfachen Fingerdruck¬ 
verfahren stets ausgekommen bin. Dieses einfache Verfahren ist schon 
deshalb immer empfehlenswert, weil man die Stelle, wo der Druck eine 
reine Stimme erzeugt, nicht a priori feststellen kann. Anfangs wechselt 
die Druckstelle häutig. Man muss nach der wirksamsten Stelle suchen, 
und das kann man mit Daumen und Zeigefinger leicht. Nach mehr 
oder weniger langer Uebung wird schliesslich auch ohne nachhelfenden 
Druck die Stimme klar. Sollte dies nicht gelingen, so wäre die An¬ 
wendung von dauernd zu tragenden Druckapparaten indiziert. 

Herr Finder hat schon vor Jahren angegeben, dass man dann 
unter dem Kragen eine Art Pelotte, einen Druckknopf anbringen kann. 
Ich bin natürlich gern bereit, einen Versuch mit dem vorgestellten 
Apparat zu machen, wenn das bisher geübte F’ingerdruckverfahren ein¬ 
mal versagen sollte. Bei leichteren phonischen Störungen wird dies 
wohl kaum jemals der Fall sein. 

Hr. Max Senator: Ich wollte nur fragen, ob nicht bei dieser 
starken Kompression, namentlich wenn sie länger dauert, Atemstörungen 
beobachtet werden. (Herr Katzenstein: Nein!) 

Dann noch eine kurze Anfrage. Wie erklärt der Herr Vortragende 
diese Druckwirkung? Bei den Lähmungen der Stimmlippen mit Be¬ 
wegungsbeschränkung ist es ganz klar, dass die eine oder andere Stimm¬ 
lippe der Mittellinie genähert wird. Aber bei den feineren phonasteniseben 
Störungen, z. B. dem Tremolieren, wie erklärt sich da die Druck¬ 
wirkung? Da ist doch von einer Annäherung der unbeweglichen Stimm¬ 
lippe nicht die Rede. 

Hr. Katzenstein (Schlusswort): Atemstörungen habe ich nicht 
beobachtet. Bei Leuten über 55 und unter 16 Jahren habe ich den 
Apparat selten oder gar nicht angewandt. 

Die feineren Bewegungsstörungen der Stimmlippen — man kann 
das bei photoskopischer Beobachtung genau sehen — werden bei einem 
gewissen Grade der Kompression aufgehoben, die Bewegung der Stimm¬ 
lippen ist anscheinend normal, die Stimmgebung infolge der richtigen 
Einstellung der Stimmlippen oft bei der ersten Kompressionsbehandlung 
schon fast normal. Bei fortlaufender Kompressionsbehandlung des Kehl¬ 
kopfes habe ich fast stets völlige Heilung der Paresen und Stimm¬ 
störungen beobachtet. (Herr Senator: Ist das Suggestion?) Nein. 
Bezüglich der Ausführungen des Herrn Gutzmann möchte ich sagen, 
dass ich nicht über die gewöhnliche Recurrenslähmung gesprochen habe, 
sondern nur über die vier Fälle, welche nach Strumektomie entstanden 
sind. Das sind besondere Ausnahmefälle. Wenn ferner schon früher 
Kompressionsbehandlung des Kehlkopfes angewendet wurde, so war mit 
derselben stets eine venöse Stauung verbunden. Das Wesentliche bei 
der Anwendung meines Kompressionsapparates ist aber, dass dabei die 
venöse Stauung des Halses ausgeschaltet ist und sein soll. 

Fortsetzung der Diskussion zu dem Vortrage des Herrn Halle: Die 
Tonsillenexstirpation, ihre Gefahren and deren Bekämpfung. 

Vorsitzender: M. H.! Es handelt sich nur noch darum, dass die 
üblen Folgen und Gefahren der Tonsillenexstirpatiou besprochen werden, 
und dass angegeben wird, wie man ihnen vorzubeugen hat. Wir hätten 
also z. B. zu besprechen die Schmerzhaftigkeit, Blutungen und eventuell 
Infektionen, Sepsis uud dergleichen mehr sowie die Hilfsmittel, wie wir 
dem Vorbeugen. Ich habe das letztemal schon gesagt, die Herren 
möchten aus ihren Erfahrungen recht freimütig Mitteilungen machen, 
damit wir an den schlecht geratenen Fällen lernen, und ich animiere 
nochmals dazu. 

Hr. Max Senator: M. H.! Ich habe mich in der letzten Sitzung 
zu dem von Herrn Halle Vorgetragenen zustimmend verhalten. Ich 
möchte jetzt auf zwei Punkte eingehen, in denen ich anderer Meinung 
bin. Zunächst will ich an den Fall von Spätblutung anknüpfen, den 
Herr Halle auf Anästhesie der operierten Stelle zurückgeführt hat. Ich 
bezweifle gar nicht, dass eine mehr oder minder langdauernde Anästhesie 


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3. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


417 


nach Operationen Vorkommen kann, sei es durch die Cocainwirkung, sei 
es durch Verletzung der an der Stelle befindlichen sensiblen Nerven. 
Ich glaube aber nicht, dass der Fall, den Herr Halle mitgeteilt hat, 
durch Anästhesie zu erklären ist. Eine solche langdauernde Anästhesie, 
die erst nach einigen Stunden die Blutung fühlbar werden lässt, besteht 
doch nicht. Wenn die Patientin das Blut, wie Herr Halle annimmt, 
nach innen verschluckt oder eingeatmet hätte, .so würden doch irgend¬ 
welche Störungen beobachtet worden sein. Wenn das Blut in die Luft¬ 
wege hiuabgelaufen wäre, so brauche ich nicht zu sagen, dass die 
natürlichen Reflexe aufgetreten wären; das Blut wäre ausgebustet 
worden. Wäre es in den Speiseweg hinabgelaufen, so wäre es sicherlich 
ausgebrochen worden. Da es nicht nach aussen entleert worden ist, 
wo soll es denn hingegangen sein? Einer von den drei Wegen ist nur 
möglich. Ausserdem hat auch das Ausbleiben jeglicher Spätfolgen schon 
diese Erklärung widerlegt. Ich glaube also, dass die Erklärung nicht 
ausreicht. Wie der Fall zu erklären ist, kann ich nicht sagen. 

Der zweite Punkt, auf den ich eingehen wollte, ist die Gefahrlosig¬ 
keit der totalen Tonsillenexstirpation in bezug auf die Singstimme. Es 
ist ja bekannt, sowohl aus der Literatur als auch aus vielen sonstigen 
Beobachtungen, dass tatsächlich die Singstimme und ganz besonders die 
fein ausgebildete Stimme des Sängers bei totaler Tonsillenexstirpation 
leiden kann. Man hat das so erklären wollen, dass sich im Munde die 
Resonanzverhältnisse, sei es durch Veränderung des Raumes, sei es 
durch andere Spannung der Muskeln oder durch Narbenkontraktion 
anders gestalten, und dass alsdann eine Klangveränderung der Sing¬ 
stimme, oft zum Nachteil, eintritt. Immer geschieht es nicht. Ich 
möchte doch davor warnen, bei Sängern planlos die Tonsillen zu ex- 
stirpieren. Das kann auch manchmal schief gehen und ist tatsächlich 
schon schief gegangen. 

Dann wollte ich noch eine kurze Bemerkung allgemeiner Natur hier 
anknüpfen. Aus dem ganzen Vortrage des Herrn Halle geht hervor, 
und zwar mit Recht, dass die Tonsillenoperation durchaus keine so ein¬ 
fache Sache ist, wie sie von aller Welt bisher dargestellt wurde. Unser 
verehrter Vorsitzender hat auch in der Diskussion schon hervorgehoben, 
dass sich die Gesellschaft hier allgemein für eine ernstere Auffassung 
der Operation ausgesprochen hat. Sie wissen ja, dass gerade Amerika 
das Land war, das die laryngologische Welt mit dieser Neuerung be¬ 
schenkt hat, und es ist sehr interessant, dass sich jetzt eine allgemeine 
Reaktion bemerkbar macht, und dass namentlich Amerika anfäugt, sich 
dagegen auszusprechen. Es ist mir sehr lehrreich gewesen, neulich in 
der amerikanischen Literatur von einem Arzt in Lexington namens 
Stucky einen Artikel in der Zeitschrift „Laryngoscope“ zu finden, in 
dem er über einige widerwärtige Spätfolgen der zu radikalen Tonsill¬ 
ektomie spricht und mehrere dieser grossen Unannehmlichkeiten anführt: 
er spricht von ernsten Schädigungen der Singstimme, von Facialis- 
lähmung, Lymphdrüseniofektion, Sohluckstörungen u. a. Ein zweiter, 
noch viel instruktiverer Artikel ist im „Maryland Journal“ erschienen; 
er hat einen gewissen Mackenzie zum Verfasser und trägt die be¬ 
zeichnende Ueberscbrift: Die Massakrierung der Tonsille (The massacre 
of tonsil). Diese amerikanische Literatur hat in der englischen und 
französischen eingehende Besprechung und Würdigung gefunden. Der 
Artikel von Mackenzie ist vom „Archives internationales de laryngo- 
logie“ wörtlich übernommen, auch mit der Bezeichnung „massacre“ in 
der Ueberschrift, und in der englischen Literatur hat das „Journal of 
Laryngology“ ausführlich den Artikel referiert und daran eine lange zu¬ 
stimmende Bemerkung der Redaktion geknüpft. Ich glaube, es ist von 
Interesse, das zu erwähnen; man sieht daraus, dass nicht nur in 
Amerika, sondern in der ganzen Welt allmählich eine andere Auffassung 
sich Bahn zu brechen scheint, und dass gegen die übertrieben radikale 
Operation allmählich Front gemacht wird. 

Hr. Finder: M. H.! Ich kann die Befürchtungen in bezug auf die 
Tonsillektomie und ihre Folgen nach meinen Erfahrungen nicht teilen. 
Meine Erfahrungen erstrecken sich auf eine verhältnismässig grosse An¬ 
zahl von Fällen. Ich kann mit genauen Daten nicht dienen, da ein 
grosser Teil dieser Fälle sich noch auf meine klinische und poliklinische 
Tätigkeit hier in der Charite bezieht. Ich kann aber sagen, dass ich 
eigentlich niemals wirklich unangenehme Folgen nach der Tonsillektomie 
gesehen habe. Meine Erfahrungen beziehen sich in der Hauptsache auf 
Tonsillektomie bei Erwachsenen. Etwas anders liegen die Verhältnisse 
bei den Kindern. Auch der Artikel des Herrn Mackenzie im „Mary¬ 
land Journal“, von dem Herr Senator eben gesprochen hat, bezieht 
sieb, soviel mir bekannt ist, hauptsächlich auf das unnötige Tonsillekto- 
mieren bei Kindern. Und da muss ich ihm recht geben, denn erstens 
wird die Operation bei Kindern dadurch zu einem komplizierteren Ein¬ 
griff, dass wir, wenigstens bei kleineren Kindern, zur Narkose greifen 
müssen; zweitens sollte man die Tonsillektomie bei Kindern aus dem 
Grunde auf das äusserste Maass einschränken, weil wir nicht wissen, ob 
nicht vielleicht gerade im Kindesalter die Tonsillen doch eine gewisse 
Funktion als Scbutzorgane zu erfüllen haben. Aber bei Erwachsenen 
habe ich mit der Tonsillektomie die ausgezeichnetsten Erfahrungen ge¬ 
macht, und ich bin auf Grund dieser Erfahrungen zu dem Entschlüsse 
gekommen, von allen anderen Behandlungsmethoden, die man eventuell 
bei recidivierenden Anginen, Peritonsillitiden usw. angewandt und vor- 
geschlagen hat, wie Galvanokaustik, Schlitzung, Morcellement, im grossen 
und ganzen abzusehen. Ich bin auch von der noch von Spiess im 
vorigen Jahre in Hahnover empfohlenen konservativen Behandlung der 
erkrankten Tonsille durch Ausspritzen 1 der Lttcuneu'abgekommen, nach¬ 


dem ich gefunden habe, dass sie an die Geduld des Patienten zu grosse 
Anforderungen stellt und man ein gutes Resultat nicht sicher in Aus¬ 
sicht stellen kann. 

Nachblutungen habe ich nur zweimal gesehen. Der eine Fall kam 
hier in der Charite vor und betraf einen Mann mittleren Alters, bei dem 
eine ziemlich heftige Nachblutung aus einer Tonsille auftrat, die aber 
durch Tamponade zum Stillstand gebracht werden konnte. Etwas 
schwieriger lag der zweite Fall, der einen Herrn aus meiner Privatpraxis 
betraf. Auch hier war etwa zwei Stunden nach der Tonsillektomie eine 
heftige Blutung aufgetreten. Ich war bereits entschlossen, die Gaumen¬ 
bögen miteinander zu vernäheD, als es mir gelang, ein spritzendes Ge- 
fäss als Quelle der Blutung zu finden, dies Getäss zu fassen und zu 
unterbinden. Der Patient hatte auf der Seite, die blutete, eine ziemlich 
erhebliche Struma. Es ist wohl anzunehmen, dass die Blutung durch 
die infolge Druck der Geschwulst bestehende Gefässüberfüllung bedingt 
war. Was die Nachschmerzen betrifft, so bin ich erstaunt gewesen, wie 
verschieden sich die Patienten verhalten, wie manchmal über so gut wie 
gar keine Schmerzen auch von den sensibelsten Patienten geklagt wird, 
während andere tagelang über sehr heftige Schluckschmerzen Beschwerde 
führen. Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, dass die heftigen Schluck¬ 
schmerzen in allen den Fällen auftreten, wo man den Gaumenbogen er¬ 
heblich verletzt, was ja manchmal nicht recht zu vermeiden ist. Wenn 
man imstande ist, diese Verletzung des Gaumenbogens zu vermeiden, so 
wird man überrascht sein, wie wenig die Patienten über Schmerzen 
klagen. Ich glaube auch, dass die Nachblutungen sehr häufig durch die 
Verletzungen des Gaumenbogens bewirkt werden. Ich glaube auch ferner, 
dass die Schädigungen der Singstimme, über die berichtet worden ist, 
nicht durch die veränderten Resonanzverhältnisse in Mund- und Rachen¬ 
höhle bedingt sind, denn manchmal sind die Tonsillen, die wir heraus¬ 
nehmen, klein und tief in die Gaumenbögen eingebettet, sondern ich 
bin der Meinung, dass die Schädigungen der Singstimme, wenn sie über¬ 
haupt Vorkommen, durch die Narbenverziehungen bedingt sind, die eine 
Folge ausgiebiger Verletzungen der Gaumenbögen sind. 

Hr. Echterraeyer: Ich habe in einem Falle neun Tage nach der 
Tonsillektomie recht ernsthafte Sepsis beobachtet. Der Fall war bis 
dahin gut verlaufen. Am neunten Tage traten plötzlich Schmerzen auf. 
Der hintere Gaumenbogen war in einen grossen roten Tumor verwandelt, 
die Lymphdrüsen waren geschwollen und sehr empfindlich. In den 
nächsten Tagen hielt sich das Fieber noch über 39° — kurz, es war 
einige Tage ein recht ernstes Krankheitsbild. Am dritten Tage stellte 
sich an einer Stelle Erweichung ein. Ich machte die Inzision, es kam 
etwas Eiter heraus, und nun Hessen die Erkrankungserscheinungen sehr 
schnell nach. Weshalb das gerade in dem einen Falle aufgetreten ist 
und in vielen anderen Fällen, die ich ebenso behandelt habe, nicht, 
weiss ich nicht. Merkwürdig ist nur, dass solche Infektionen nicht noch 
viel häufiger Vorkommen. Ich glaube auch nicht, dass man das durch 
antiseptische Spülungen und Pulver vermeiden kann; denn das dringt 
doch nie in die Tiefe hinein. Ich vermute, dass es daran lag, dass der 
Patient angefangen hatte, wieder festere Nahrung zu sich zu nehmen, 
und dass dadurch wohl die Bakterien hineingerieben worden sind. Ich 
möchte danach annehmen, dass derartige Zufälle auch von anderen 
Operateuren beobachtet werden müssen. Denn man kann doch kaum 
bis zur vollendeten Heilung flüssige Nahrung beibehalten. Inzwischen 
habe ich einen Fall gehabt, wo der Patient irrtümlich gleich nach 
der Operation feste Nahrung zu sich genommen hat und es ihm gar 
nichts geschadet hat. 

Hr. Barth: Eine Beobachtung beweist ganz besonders den Zu¬ 
sammenhang zwischen Erkrankung der Tonsille und Gelenkrheumatismus, 
nämlich ein akutes Recidiv von Gelenkrheumatismus, dass ich im letzten 
Jahre zweimal nach Tonsillektomie, die ich wegen Gelenkrheumatismus 
gemacht hatte, gesehen habe. Das ist eine sehr unangenehme Kompli¬ 
kation, sie ist aber sehr begreiflich. Durch die Operation werden in¬ 
fektiöse Herde eröffnet, und der Resorption steht bei der Operation Tür 
und Tor offen. Dieses Ereignis ist sehr peinlich, wenn die Krankheit 
gleich wieder erscheint, deretwegen man die Operation unternimmt. Es 
empfiehlt sich, die Patienten immer auf diese Eventualität aufmerksam 
zu machen. (Zuruf: Wie lange nachher trat das Recidiv auf?) Bereits 
am Tage nach der Operation klagte der Patient über Schmerzen im 
Fussgelenk, dann im Kniegelenk. Es entwickelte sich ein typischer 
akuter Rheumatismus, der 14 Tage anhielt. 

Was die Tonsillektomie bei Sängern betrifft, so möchte ich auch 
zur Vorsicht raten. Niemand ist so suggestiv wie gerade das Sänger¬ 
volk, und wenn es mit der Stimme aus irgendeinem anderen Grunde 

nicht mehr geht, ist natürlich immer die Operation schuld. Man operiere 

nur, wenn es unbedingt notwendig ist, wenn eine strikte Indikation 
besteht, und nachdem man auf alle Eventualitäten aufmerksam ge¬ 
macht hat. « 

> Hr. Fischer: Ich habe ebenfalls einen Fall erlebt, bei dem die¬ 
selben Erscheinungen aultraten wie in dem Falle des Herrn Echter- 
meyer, und zwar drei Tage nach der Operation. Das Fieber hielt 

auch vier bis fünf Tage an und ging auf Umschläge zurück. Der 

Patient hatte trotz meines Verbots vorher gegessen und erbrach sich 
bei der Operation. 

Hr. Katzei^stein: Die nachteiligen Folgen, die ich nach Exstir¬ 
pation, der Tonsillen bei Sängern und Sprephern gesehen habe, sind be¬ 
sonders hervorgerufen durch Narbenbildung und durch das Auftreten 
von Afltophonie. ”Di<ö VeFnarburf^en waren ihanchmal io intensiv, dass 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 0. 


die Beweglichkeit des Zäpfchens behindert war und Rhinolalia aperta 
auftrat. Ob die Autophonie zustande kommt, weil durch die Narben¬ 
bildung auch der Tensor veli in seiner Funktion gestört ist, vermag ich 
nicht sicher zu sagen. 

Blutungen habe ich vielfach beobachtet. Im allgemeinen möchte 
ich den Standpunkt einnehmen, dass man bei Sängern und Sprechern 
die Tonsillektomie vermeiden und, wenn nörig, die Tonsillen so weit 
kappen soll — manchmal in mehreren Sitzungen —, bis eine bessere 
Stitnmgebung eintritt. 

Physiologisch möchte ich noch eins bemerken. Durch das Epithel 
der Tonsillen findet doch zweifellos wie bei dem ganzen Lymphring eine 
andauernde Auswanderung von Lymphocyten statt; die Tonsillen wie 
der ganze Lymphring sind deshalb Schutzvorrichtungen gegen Infektionen, 
und man sollte sie nicht ohne genaue Indikation gänzlich ausrotten. 
Wie weit man andererseits die hyperplastischen Tonsillen als Einbruchs¬ 
stelle für Infektionen ansehen soll, ist sehr schwer zu sagen. 

Hr. A. Bruck: Nur eine kurze Bemerkung auf die Mitteilung der 
Herren Echtermeyer, Barth und Fischer! Dass man nach Tonsill¬ 
ektomien auch einmal eine septische Infektion erleben kann, ist eigent¬ 
lich nichts Erstaunliches. Ich möchte nur meinen, dass man das nicht 
ohne weiteres auf das Konto der Tonsillenenucleation als solcher setzen 
darf; das kann einem auch nach der einfachen Tonsillotomie oder nach 
einer Adenotomie passieren. 

Unter den Folgeerscheinungen, die ich beobachten konnte, möchte 
ich ebenfalls die Blutung hervorheben, aber nicht eine solche nach 
aussen, sondern in die Schleimhaut des Gaumens. Es handelte sich 
schon fast um ein Hämatom, das vom vorderen Gaumenbogen weit 
auf die Nachbarschaft Übergriff und offenbar auf die mechanische Hand¬ 
habung, auf Druck und Zerrung des Gewebes zurückzüführen war. Die 
Resorption erfolgte in 2—2Va Wochen. 

Hr. Halle (Schlusswort): M. H.! Es haben sich so viele Diskussions¬ 
redner in gleichem oder ähnlichem Sinne ausgesprochen wie ich, dass 
es mir erspart bleibt, auf viele Einzelheiten zu replizieren. Ich möchte 
nur folgendes bemerken: Erstens, die Tonsillenexstirpation ist nicht, wie 
Herr Senator meint, eine Operation, die wir erst sehr kurze Zeit aus¬ 
führen. Schon im Jahre 1892 hat Bosworth eine lange Publikation 
darüber veröffentlicht, worin er fordert, dass man in jedem B'alle die 
Tonsillenexstirpation machen soll. Wenn Senator meint, wir hätten 
noch nicht genügend Erfahrungen, um über die physiologische Bedeutung 
der Tonsille klar zu sein, so ist dem beizupflichten. Immerhin hätten 
wesentliche Störungen schon beobachtet werden müssen. Wir sollten 
über die physiologische Bedeutung der Tonsille irgendwie weiterzu¬ 
kommen suchen. Ich habe Herrn Kollgen Ul 1 mann, der sich mit dieser 
Frage eingehender beschäftigt, gebeten, hierher zu kommen. Man kann 
auf jedem mikroskopischen Schnitt der Tonsille beobachten, dass Leuko- 
cyten durch das Epithel hindurchwandern. Nun habe ich bei Herrn 
Ullmann folgendes zu beobachten Gelegenheit gehabt: Wenn man 
einem Bluttropfen, in dem sich Leukocyten bewegen, filtrierten Speichel 
zusetzt, so verändern sich nach einiger Zeit die Leukocyten vollständig, 
und sie erhalten ein Aussehen, das sie von den Speichelkörperchen nicht 
unterscheiden lässt. Schon diese einfache Beobachtung deutet doch auf 
manches physiologische Problem hin, über das wir uns einmal klar zu 
werden versuchen müssen. 

Ueber die Indikationen zur Tonsillenexstirpation kann ich wohl zu¬ 
sammenfassend sagen: Eine Tonsillenexstirpation wird da augezeigt sein, 
wo die normale Funktion durch die pathologischen Veränderungen über¬ 
deckt ist, d. h. wo die Tonsille im allgemeinen wesentlicher krank ist, 
als sie physiologisch nützlich sein kann. (Zuruf.) Das wird immer 
schwer sein, zu entscheiden. Die Tonsillotomie geht nicht in die Tiefe. 
Die Krypten, die Detritusmassen lassen sich aber in den tiefsten Schnitten 
bei der Untersuchung nachweisen. Im übrigen gibt es wesentlich er¬ 
krankte Tonsillen, die so klein sind, dass man mit der Tonsillotomie 
nicht herankommt. In solchen Fällen wird man zur Tonsillenexstirpation 
schreiten müssen. 

Was die Infektionen betrifft, die als von der Tonsille ausgehend 
beschrieben worden sind, Nephritis, Gelenkrheumatismus usw., so darf 
man gern zugeben, dass nicht nur von der Tonsille aus solche Erkran¬ 
kungen ihren Ursprung nehmen. Da diese aber im lymphatischen Ring 
das am häufigsten erkrankte Gebilde ist und man beobachtet hat, dass 
die vielfach genannten Krankheiten nach der Tonsillektomie oft definitiv 
heilen, so wird es wohl angezeigt sein, in entsprechenden Fällen die Ton¬ 
sille zu entfernen. 

Bezüglich der Methodik möchte ich folgendes sagen: Jeder hat 
natürlich seine Freude an der eigenen Methode oder an der, auf die 
er sich eingeübt hat, und jeder wird damit mehr oder weniger gute 
Erfolge haben. Jede Methode, die zum Ziele führt, ist natürlich gut. 
Ich sprach nur über die Methode, die mir vom chirurgischen Standpunkte 
am wertvollsten erscheint, und die schneller und besser als die anderen 
nach meinen Erfahrungen zum Ziele führt. Das ist ganz fraglos die 
Methode von West. Vielleicht weniger gut, aber auch recht brauchbar 
ist die Methode, die ich mir das vorige Mal zu demonstrieren erlaubte, 
und die Blutung scheint mir danach geringer zu sein. Das Messer, das 
Herr Hölscher angegeben und angewandt hat, das Tonsillenschlitz¬ 
messer, kann man schon der Biegung der Schnittfläche .wegen nicht sehr 
zweckmässig gebrauchen. Das gleiche gilt von der Hopmann’schen 
Methode, von der Herr Pceyser sprach. Dip Fingerauslösung £ sollten 
wir, glaube ich, verwerfen. Wir wi#en alle« d<$s ein uns allen sehr 


werter Kollege beinahe ad exitum gekommen ist infolge einer solchen 
Operation. Vorteile kann ich jedenfalls bei diesem Verfahren nicht 
erkennen. 

Die Operation bei Kindern braucht man nicht in der Narkose zu 
machen, wenn man das Sluder’sche Instrument anwendet. So schätzens¬ 
wert die Schwebe für viele andere Dinge ist, für die Tonsillenexstirpation 
bei Kindern ist sie nicht nötig. Wenn Sie das Sluder’sche Instrument 
nehmen, so können Sie fast mit derselben Schnelligkeit, mit der Sie die 
Tonsillotomie machen, die Tonsillenexstirpation vornehmen. Ich möchte 
deshalb doch glauben, dass wir hier auf die Narkose verzichten sollen, 
wenn wir nicht aus den Gründen dazu greifen, aus denen wir sonst 
eine kurze Narkose bei Kindern anwenden. Aber auch dann brauchen 
wir keine Schwebe. 

Um auf die Komplikationen zu kommen, so möchte ich nach wie 
vor auf das Nachdrücklichste darauf hinweisen, dass man sich nicht auf 
das Stehen der Blutung durch Tamponade oder irgendein anderes Mittel 
verlassen soll. M. H. Nehmen Sie in jedem Falle die Klammern und 
suchen Sie die Wundhöhle ab. Fassen Sie jedes Gefäss, jede blutende 
Stelle. Ebenso glaube ich, dass man der Infektion besser beikommt, 
wenn man hier antiseptisch vorgeht. d. h. auf die grosse Wunde Jodo¬ 
form oder ein anderes antiseptisches Pulver streut. Ueber Komplikationen 
bei Sängern bin ich wenig unterrichtet 

Ich komme zum Schluss. Ich glaube, dass wir im Prinzip darüber 
einig sind, die Tonsillenexstirpation soll mit aller Vorsicht gemacht 
werden. Zweckmässig ausgeführt, ist sie fraglos eine segensreiche 
Operation. Mit Genugtuung stelle ioh fest, dass sich alle Redner prin¬ 
zipiell gegen die nicht strengstens indizierte Tonsillenexstirpation bei 
Kindern ausgesprochen haben. 


Berliner mikrobiologische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 6. Februar 1913. 

Vorsitzender: Herr Weber. 

Schriftführer: Herr Friedberger. 

1. Hr. R. Kolkwitz: Nenere Methoden der Planktonforschnng. 

Der Vortragende unterschied drei Perioden der Planktonforschung: 
1. die der qualitativen Seidennetzfänge, 2. die der quantitativen 
Seidennetzfänge und 3. die der Planktonuntersuchung in direkt ge¬ 
schöpften Wasserproben (Sedimentationsplankton, Centrifugenplankton, 
Kammerplankton). 

Einheit für das erst in neuerer Zeit näher bekannt gewordene und 
studierte Kleinplankton ist das Kubikzentimeter wie in der Bakteriologie. 
Es gibt kein Kubikzentimeter normalen Oberflächenwassers, das biologisch 
steril wäre, wohl auch keines, das frei ist von feinen, unbelebten Sus¬ 
pensionen. Die modernen Forschungen über die im Wasser enthaltenen 
Schwebekörper sind von wesentlicher Bedeutung 1. für die Aufklärung 
ernährungsphysiologischer Fragen, 2. für die Beurteilung der chemischen 
Beschaffenheit des Wassers (Entfäuler, Durchlüfter), 3. für seine hygie¬ 
nische Kennzeichnung (Bakterienfresser) und 4. für die durch Versenken 
einer weissen Soheibe gemessene Sichttiefe. Zahlreiche Planktonalgen 
sind mixotroph, d. h. ernähren sich trotz normaler Chlorophyllfunktion 
auch pilzlich. Deshalb kann ihre Zahl im Wasser ähnlich wie bei den 
Bakterien mit zunehmender und abnehmender Menge geeigneter orga¬ 
nischer Nahrung steigen bzw. fallen. Die Menge der Planktonalgen in 
grossen, klaren Seen beträgt pro 1 ccm Wasser in den oberen Schichten 
meist ein bis einige Dutzend. Diese Tatsache ist erst in neuerer Zeit 
bekannt geworden. 

Bei Fängen mit Seidennetzen oder feinen Kupfersieben begnügt man 
sich in der Regel mit der volumetrischen Messung dessen, was durch 
die Fangapparate zurückgehalten wird (absiebbare Schwebestoffe). 
Ihre Menge schon pro 50 1 Wasser kann wesentliche Aufschlüsse über 
die Natur eines Gewässers liefern. Die Kombination von Schöpf- und 
Siebmethoden gestattet sehr präzise Gewässerstudien. 

2. Hr. L. Halberstaedter: 

Zar Chemotherapie der experimentelle! Trypaiosomeninfektion. 

M. H.! Ich möchte mir erlauben. Ihnen in Kürze über Experimente 
zu berichten, die ich in der bakteriologischen Abteilung des pathologi¬ 
schen Instituts ausgeführt habe, um die Wirkung von Quecksilber¬ 
präparaten auf die Trypanosomeninfektion bei Mäusen zu studieren. 
Die experimentell-chemotherapeutische Erforschung der Hg-Verbindungen 
ist erst in neuerer Zeit in Angriff genommen worden. Ich erwähne, dass 
die ersten systematischen Versuche in grösserem Maassstabe von Neisser 
bei seiner Expedition nach Java an syphilisinfizierten Affen ausgeführt 
wurden. Bei der experimentellen Kaninchensyphilis sind chemothera¬ 
peutische Versuche mit Quecksilberverbindungen besonders von Uh len- 
huth und Weidanz, ferner von Tomaozewski, Franz Blumenthal, 
Launoy und Levaditi u. a. ausgeführt worden einerseits, um die 
Wirkung bereits bekannter Hg-Präparate mit der von Arsenikalien auf 
die Kaninchensyphilis zu vergleichen, andererseits um die spirillocide 
Wirkung neuer Hg-Präparate zu studieren. Neuerdings haben Kolle, 
Rothermund, Dale und Pechiö zu letzterem Zweck als Testobjekt 
die Hühnerspirillose, Klaus Schilling, Krogh, Schrauth und 
Schoeller die Recurrensiofektion der ,Mäuse benutzt, wobei sich die 
Ueberlegenheit bestimmter;« Hg-Präparate ergab. Viel dürftiger ist das 
bisher vorliegende Material über die Einwirkung der Hg-Präparate auf 


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3. Märs 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


419 


die Trypanosomeninfektion, trotzdem gerade diese für chemothera¬ 
peutische Versuche viele Vorteile bietet. Freilich ist das Quecksilber 
auch hierbei wiederholt versucht worden, aber immer mit dem Ergebnis, 
dass die Quecksilberbehandlung allein gar keine oder keine nennenswerte 
Einwirkung auf die experimentelle Trypanosomeninfektion hat. Eine 
gewisse Einwirkung des Sublimats auf Trypanosomen konnten zuerst 
Moore, Nierenstein und Todd dadurch demonstrieren, dass sie 
trypanosomeninfizierte Ratten durch Atoxyl heilten und dann durch 
Nachbehandlung mit Sublimat die nach alleiniger Atoxylbehandlung meist 
eiutretenden Recidive zu verhüten suchten. Sie schlossen aus ihren 
Versuchen, dass das Sublimat zwar keinen Einfluss auf die normalen 
im Blut nachweisbaren Trypanosomen habe, aber auf die latenten 
Formen, auf welchen naoh ihrer Ansicht die Recidive beruhen, einzu¬ 
wirken imstande sei. Experimente mit kombinierter Behandlung mittels 
Hg und Arsenikalien sind weiterhin u. a. auch von PI immer und 
Thomson sowie von Uhlenhuth, Hübener und Woithe ausgeführt 
worden. Letztere erzielten bei einer kleinen Anzahl dourineinfizierter 
Ratten Dauerheilung durch Behandlung mit Hg -f- Atoxyl, es muss aber 
betont werden, dass einige ihrer Ratten auch durch die Atoxylbehand¬ 
lung allein dauernd geheilt wurden, so dass sich der Anteil der Queck¬ 
silberwirkung schwer abschätzen lässt. Uhlenhuth ist auf Grund der 
einigen Erfolg versprechenden Kombination von Atoxyl mit Quecksilber 
zu Versuchen mit einer Quecksilberatoxylverbindung übergegangen, über 
deren Wirkung auf Trypanosomen von Morgenroth und mir an anderer 
Stelle berichtet worden ist. Die tatsächlich vorliegenden experimentellen 
Ergebnisse bezüglich des Einflusses einer Kombination von Quecksilber 
mit anderen wirksamen Substanzen auf Trypanosomen sind also noch 
recht dürftig, trotzdem auch von Ehrlich wiederholt auf den Wert einer 
Kombinationstherapie hingewiesen worden ist und eine solche kom¬ 
binierte Behandlung bei der praktischen Sypbilistherapie ganz besonders 
günstige Resultate gezeitigt hat. 

Nachdem ich mich selbst, ebenso wie die anderen Untersucher, da¬ 
von überzeugt hatte, dass eine Anzahl verschiedener Quecksilberverbin¬ 
dungen keinerlei Wirkung auf den Ablauf einer Naganainfektion bei 
Mäusen ausübte — nur Uhlenhuth machte einmal die interessante 
Beobachtung, dass ein Kaninchen durch Sublimatbehandlung allein 
dauernd vor einer Dourineinfektion geschützt blieb —, bin ich dazu 
übergegangen, die an sich unwirksamen Hg-Präparate mit trypano- 
ciden Mitteln zu kombinieren. Speziell bin ich hierzu durch Versuche 
von Morgenroth und Tugendreich angeregt worden, welche auf 
diese Weise den Einfluss der an sich sehr wenig wirksamen Salicylsäure 
auf die Trypanosomeninfektion nachweisen konnten. Ich habe zunächst 
die Quecksilberpräparate mit Aetbylhydrocuprein kombiniert. Die für 
die Kombination angewandte Dosis dieses Präparates war so bemessen, 
dass durch sie allein, wie zahlreiche Versuche bewiesen, nie eine sicht¬ 
bare Einwirkung auf die Trypanosomeninfektion erzielt wurde. Dagegen 
konnten durch gleichzeitig mit dieser Dosis injizierte Quecksilberpräpa¬ 
rate die bereits im Blut der infizierten Mäuse nachweisbaren Trypano¬ 
somen zum Verschwinden gebracht werden. Es gelang dies mit Sublimat, 
Calomel, Hg. salicyl., Hg. bijodatum, Embarin, Toxynon (Ferdinand 
Blumenthal), also Vertretern sehr verschiedener Gruppen löslicher und 
unlöslicher, organischer und anorganischer Quecksilberverbindungen. 
Allen Versuchsergebnissen dieser Reihe waren folgende Punkte gemein¬ 
sam: Es mussten sehr grosse Dosen der Quecksilberverbindungen 
angewandt werden, die an sich schon toxisch oder gar letal waren; die 
Beeinflussung der Trypanosomen gelang nur, wenn die Infektion noch 
nicht weit vorgeschritten war; die Trypanosomen verschwanden nur vor¬ 
übergehend aus dem Blute, in allen Fällen traten nach verhältnis¬ 
mässig kurzer Zeit Recidive auf; die Behandlung hatte nicht immer 
Erfolg, sondern blieb häufig ohne nennenswerte Einwirkung auf die In¬ 
fektion. Ich habe dann die Hg-Präparate mit Arsacetin kombiniert, 
indem ich von letzterem etwa die Hälfte der eben noch wirksamen Dosis 
an wandte, und hatte, um es zusammenfassend zu berichten, annähernd 
dieselben Resultate wie mit Aetbylhydrocuprein. 

Ganz wesentlich andere Resultate ergaben sich aber, als ich die 
Hg-Präparate mit Salvarsan kombiniert anwandte. Auch hierbei be¬ 
nutzte ich Salvarsandosen, die an sich, wie zahlreiche Versuche ergeben 
hatten, nicht mehr imstande waren, die bereits in der Entwicklung be¬ 
griffene Infektion aufzuhalten und die etwa J /*—V* 4er eben noch wirk¬ 
samen Salvarsandosis entsprachen. Mit diesen an sich unwirksamen 
Salvarsandosen kombiniert ergab sich nun eine recht eklatante Wir¬ 
kung der Quecksilberpräparate auf die Naganainfektion der Mäuse. 
Selbst mit verhältnismässig schwachen Quecksilberdosen gelang es auch 
bei bereits weit vorgeschrittener Infektion mit einer einmaligen 
Applikation die Trypanosomen aus dem Blut zum Verschwinden zu 
bringen. Bisher habe ich bei diesen Versuchen meist das Hg salicylicum 
benutzt. Bei Verwendung grösserer Dosen dieses Mittels, die allerdings 
schon in die Nähe der Toxizitätsgrenze fielen, habe ich auf die ange¬ 
gebene Weise durch die Kombination mit Salvarsan Dauerheilungen 
selbst bei starken Infektionen erreicht. Bei Verwendung kleinerer 
Dosen von Hg salicylicum wurde meist nur eine vorübergehende Sterili¬ 
sation des Blutes erzielt. Aehnliche Resultate ergaben sich auch bei 
Kombination von Sublimat oder Hg bijodatum mit Salvarsan, wodurch 
bewiesen wird, dass das Quecksilber als solches in Kombination mit 
Salvarsan wirksam ist. Im Hinblick auf die oben erwähnten Versuche 
von Morgenroth und Tugendreioh ist aber auch die Möglichkeit zu 
erwägen, ob nicht Her SalicylkoAponente bdi der Kombiriätion von Hg 
aalicyfidum mit Salvärean eine Bedeutung zufcommti ' r 


Nach den bisherigen Versuchen scheint es, dass die Kombination 
von Quecksilber mit Salvarsan im Trypanosomenexperiment der Kombi¬ 
nation von Quecksilber mit anderen Präparaten bei weitem über¬ 
legen ist. 

Durch die angegebenen Versuche erhält die ausserordentlich gün¬ 
stige Wirkung, welche die Kombination von Quecksilber und Salvarsan 
bei der Therapie der Syphilis entfaltet, zum ersten Male eine experi¬ 
mentelle Stütze. Abgesehen davon gibt die hier angewandte Versucbs- 
anordnung die Möglichkeit einer chemotherapeutischen Erforschung der 
Quecksilberverbindungen im Typanosomenexperiment. 

Diskussion. 

Hr. Aronson. 

Hr. Ziemann: Ich möchte mir nur einige Bemerkungen zu dem 
ersten Teil des Vortrages des Herrn Dr. Halberstaedter erlauben. 

Salvarsan stand, als ich noch als Chefarzt in Kamerun wirkte, bei 
der Bekämpfung der Schlafkrankheit leider noch nicht zur Verfügung. 
Mit Atoxyl, das habe ich an anderer Stelle ausgeführt, haben wir bei 
der in Kamerun ausserordentlich schwer und schnell verlaufenden Schlaf¬ 
krankheit wenig oder gar keine Erfolge erzielt. Dauerheilungen habe 
ich, wenigstens in Duala, selbst bei genauer Befolgung der in Ost¬ 
afrika bewährten Vorschriften, nicht erzielen können. Da lag es nahe, 
zur Kombinationstherapie zu schreiten. Daher habe ich damals Hydrar- 
gyrum salicylicum bzw. Sublimat in Dosen, wie bei Syphilisspritzkur 
üblich, mit Atoxyl kombiniert. Leider hat auch dies Mittel keine Dauer¬ 
erfolge gezeitigt. Ueber die eventuellen Erfolge der Kombinationstherapie 
von Salvarsan und Quecksilber stehen mir neuerdings keine Nachrichten 
aus Kamerum zur Verfügung. 

Hr. Halberstaedter: Auf die Anfrage des Herrn Aronson er¬ 
widere ich, dass Fütterungsversuche bisher nicht vorgenommen worden 
sind. 


Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde za Berlin. 

(Sektion für Kinderheilkunde.) 

Sitzung vom 17. Februar 1913. 

Vor der Tagesordnung. 

Hr. Baginsky widmet dem scheidenden Prof. Heubner einige 
Abscbiedsworte. 

Hr. Kraus weist auf die nahe Beziehung der inneren Medizin zur 
Kinderheilkunde hin und dankt Herrn Heubner dafür, dass er die Ver¬ 
bindung mit dem Verein für innere Medizin hergestellt hat. Er rühmt 
die klare Sachlichkeit des Scheidenden, der in der Fakultät nicht der 
Führer der Fraktion Heubner war, sondern oft die ganze Fakultät ge¬ 
führt bat. 

Hr. Heubner dankt für die ihm übertragene Ehrenmitgliedschaft 
des Vereins für innere Medizin. 

Tagesordnung. 

Hr. Biesalski: Die spastischen Lähmungen der Kinder. 

Vortr. beschränkt sein Gebiet auf die Hemiplegien und Paraplegien 
(Diplegien). 

Der Sitz der spastischen Lähmungen liegt im Gehirn; sie gehen 
meist von den Gelassen aus (Embolien und Hämorrhagien). Aetiologisch 
spielen angeborene Veränderungen, Vorgänge intra partum und In¬ 
fektionskrankheiten eine Rolle. 

Die spastischen Krankheitsbilder setzen sich meist aus 3 Faktoren 
zusammen: 1. die Lähmung, 2. die Spasmen, 8. die unwillkürlichen Be¬ 
wegungen (Athetosen, ataktische Bewegungen). 

Die Athetoso ist operativ nicht zu beseitigen (höchstens durch 
Tenotomien in Fällen, wo die Athetose nur bei intendierten Bewegungen 
eintritt), die ataktischen Bewegungen sind durch Uebungstherapie zu 
beeinflussen. 

Nach Förster kommen die Erscheinungen dadurch zustande, dass 
die Hemmungsfasern in den Pyramidenbahnen besonders stark alteriert 
sind. Die peripheren Reize werden dann ebenfalls nicht gedämpft, und 
hierdurch wird die Tätigkeit der Vorderhörner des Rückenmarks stark 
gesteigert. 

Die Behandlung der spastischen Lähmungen im Kindesalter steht 
und fällt mit der Uebungstherapie. Alle operativen Eingriffe können 
nur die Vorbedingungen bessern. 

Fast stets befallen die Kontrakturen die Beuger (phylogenetisches 
Moment, Wirkung der Bettdecke). Spastische Luxationen (Weber) treten 
oft infolge der dauernden Wirkung der Muskelkontraktionen ein 
(Luxation des Femurkopfes, der Patella, des Radius). 

Die einfachste Beseitigung der Kontraktur ist das Redressement, 
eventuell in Verbindung mit Tenotomie, die Kinder werden überkorrigiert 
eingegipst. Der Verband darf nur kurze Zeit liegen, Sehnenverpfianzungen 
können im allgemeinen nur selten angewandt werden, besonders am Fuss. 

Das Resultat wird durch Schienenhülsenapparate festgehalten. 
Schwachsinn ist keine Kontraindikation. Die Möglichkeit der freien Fort¬ 
bewegung ruft oft die Intelligenz hervor. 

Die Beseitigung des nervösen Faktors geschieht duroh Exstirpation 
erkrankter Hirnrindenteile. Förster unterbricht den Reflexbogen, indem 
er intradural die hintere Wurzel durchschneidet. Der Eingriff bedingt 
stets achtrere Komplikationen, schafft jedoch in schweren Fällen, die 
hiAr allein in Befracht kommen, Besserungsmöglichkeitei. ; "» • 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 9. 


Stoffel operiert auch im Reflexbogen, aber im motorischen Anteil, 
indem die Nerven bis in den Muskel präpariert und zum Teil durch¬ 
schnitten werden. Durch Einengung der Leitungsbahn werden die 
Impulse vermindert, und der augenblickliche Erfolg ist ein phänomenaler, 
muss jedoch durch sofort einsetzende Uebung festgehalten werden. 
Spitzy versuchte durch Nerventransplantationen einen Teil der über¬ 
schüssigen Impulse auf Antagonisten zu verpflanzen, wobei die neu 
studierten Verhältnisse der topographischen Verteilung der Nervenstränge 
berücksichtigt werden müssen. 

Die Uebungen an spastischen Muskeln sollten jeden Tag circa 
6 Stunden durchgeführt werden, ohne Unterbrechung am Sonntag. Für 
Gehübungen ist am zweckmässigsten der preussische Parademarsch. 

Die operativen Eingriffe ergänzen sich und können nacheinander 
Anwendung finden. 

Unbekannt ist bisher, ob bei spastischen Lähmungen Selbstheilungen 
zustande kommen. 

Diskussion. 

Hr. Roth mann verweist auf die Befunde, nach denen man am 
Tier Hirncentren oder Pyramidenbahnen wegnehmen kann, ohne dass 
Spasmen auftreten, wenn die Tiere sich bewegen. Dass beim Menschen 
so leicht Spasmen Vorkommen, liegt in der Vernachlässigung vieler 
Muskelgruppen infolge des aufrechten Ganges. Die bevorzugten Muskeln 
restituieren sich früher und gehen dann in Kontraktur über. Durch baldige 
Uebung der Antagonisten kann man die Selbstheilung der Spasmen sehr 
befördern, besonders durch Schüttelbewegungen. Bei der Forster’schen 
Operation werden die Impulse auch für die Antagonisten geschädigt. 
Die Stoffel’sche Operation ist daher die physiologisch bessere. 

Hr. Biesalski (Schlusswort): Die Förster’sehe Operation hat an 
der oberen Extremität nie zu einem Erfolg geführt. Hier kommt nur 
die Stoffel’sche Operation in Betracht. H. Hirschfeld. 


Berliner Gesellschaft für Chirurgie. 

Sitzung vom 24. Februar 1913. 

(Gemeinsame Sitzung mit dem Verein für innere Medizin, der Berliner 
Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten und der Berliner 
otologischen Gesellschaft im Langenbeckbause.) 

Vorsitzender: Herr Kraus. 

Hr. Edinger-Frankfurt a. M.: Kleinhirnfragen. 

In gemeinsamer Arbeit mitShimazono ist es gelungen, vom Klein¬ 
hirn, wenigstens dem der Taube, eine so vollkommene Kenntnis zu er¬ 
halten, dass jeder Faserzug und jede Zellgruppe in ihrem Zusammen¬ 
hänge deutbar wird. Entwicklungsgeschichtliche, histologische und 
experimentelle Arbeit haben dazu geführt. Vergleichend anatomische 
Untersuchungen haben zunächst gezeigt, dass Kleinhirnform und -grosse 
sehr variieren. Das Kleinhirn des Dorsches z. B. ist nicht viel kleiner 
als das des Menschen, das des Morroyrus ist grösser. Das Kleinhirn der 
Eidechse ist klein, das des Alligators doppelt so gross. Diese Dinge im 
einzelnen sind erst verständlich, wenn wir uns über die Funktion des 
Kleinhirns klarer werden. 

Während das Kleinhirn bei niederen Tieren fehlt, ist ein Teil kon¬ 
stant: das Mittelstück des Kleinhirns, der Wurm. Dies konstante Auf¬ 
treten des Wurms muss also eine eigene Bedeutung haben und weist 
darauf hin, dass er bei allen Tieren eine gemeinsame Funktion erfüllt. 

An den peripheren Organen, den Gelenken, Sehnen, Muskeln findet 
sich eine erstaunlich grosse Zahl sensibler Elemente, sensible Nerven¬ 
fasern gelangen durch die hinteren Wurzeln ins Rückenmark. Eine 
Anzahl Fasern gelangen bis zum Kleinhirn; der Tractus spino-cere- 
bellaris enthält diese Fasern, die einzigen, die aus dem Rückenmark 
direkt ins Kleinhirn ziehen. Eine Unterbrechung dieser Bahn hat Ataxie, 
Abnahme der Muskelspannung zur Folge. Der Tonus wird also von den 
sensiblen Gelenk-, Muskel- und Sebnennerven reguliert. Diese Regulierung 
erfolgt automatisch. Bei Durchschneidung erlischt er, ebenso bei Erkrankung 
(Tabes dorsalis). Er wird auch vernichtet bei Durchschneidung der zum 
Kleinhirn im Rückenmark führenden Bahnen. Es fragt sich nun: wo enden 
diese Bahnen? Sie enden, wie zahlreiche Untersuchungen zeigten, pracht¬ 
voll aufgezweigt um die Purkinje’schen Zellen der Kleinhirnrinde. Die 
Kleinhirnrinde sendet nur Fasern in die Kleinhirnkerne. Die Silber¬ 
methode zeigt, dass es sich um die Fortsätze der Purkinje’schen Zellen 
handelt. Ferner hat sich experimentell gezeigt, dass die Kleinhirnrinde 
erregbar ist, und zwar wird bei Reizung der Rinde der Muskeltonus sehr 
gesteigert. 

Die Teile der Kleinhirnrinde sind in sich zu verknüpfen. Wir haben 
so einen Eigenapparat des Kleinhirns vor uns. 

Die Achsencylinder der PurkiDje’scben Zellen zersplittern um die 
Zellen der drei Kleinhirnkerne. Reizung dieser Kerne (Horsley) erzeugt 
enorme Krämpfe der gleichseitigen Muskulatur. 

Welche Fasern kommen nun aus dem Kleinhirn heraus? Es bat 
sich folgendes ergeben: Aus den Zellen der Kleinhirnkerne ziehen die 
Ach-:encylinder frontal als Bindearme in den Haubenkern (den roten 
Kern der Säuger), in der Mitte zu dem Deiterskern, zerstreuten grossen 
Zellen der Haube und caudalwärts in den Anfangsteil des Rückenmarks. 
Alle diese Kerne lassen sich aus vergleichend-anatomischen Gründen 
(Fische) als einheitliche Masse auffassen, als Nucleus raotorius tegmenti. 
Reizung des Deiterskerns ruft ebenso wie die der betreffenden Abschnitte 


der Oblongata und des Rückenmarks gleichseitige Krämpfe hervor. Somit 
stellt der Nucleus raotorius tegmenti den stato-tonischen Apparat dar. 
Bei Durchschneidung des Kerns treten entsprechende Störungen ein. 

Es sind noch andere Einwirkungen auf diesen Kern bekannt: Um 
die Ausläufer und Zellen des mittelsten Abschnittes, um dem Deiters¬ 
kern verzweigen sich zahlreiche Fasern aus dem N. vestibularis. Jede 
Vestibularfaser legt sich mit einem Endplättchen an die Zellen des 
Nucleus Deiters an. Durch sie gewinnt das Labyrinth den bekannten 
Einfluss auf die Kopfstellung und dadurch auf den Muskeltonus. Der 
adäquate Reiz der Muskelspannung lässt sich vom Mittelstück aus be¬ 
einflussen. Da vom Kern auch Fasern zu den Augenmuskelkernen gehen, 
bedeutet der Nystagmus eine Störung des Muskeltonus. 

In den Deiterskern mündet von der Gegend der hinteren Vierhügel 
ein bisher seiner Bedeutung nach wenig bekannter Faserzug. Dieser 
muss eine Hemmung vermitteln. Wird der hintere Vierhügel von dem 
Kleinhirn abgetrennt, dann entsteht die von Sherrington entdeckte 
Decerbrate rigidity, eine bedeutende Starre der gleichseitigen Körper¬ 
hälfte. Diese Starre schwindet, wenn man die Gegend des Deiterskerns 
durcbschneidet (Horsley). 

Die Bedeutung der Hemisphären des Kleinhirns war bisher ein 
Rätsel; das Experiment hatte nichts ergeben. Nach neueren Anschauungen 
haben wir die Hemisphären als einen Muskelsinnapparat anzusehen. Ver¬ 
letzungen oder Erkrankungen der Hemisphären haben Ataxie und Asynergie 
zur Folge. 

Diskussion. 

Hr. Baräny-Wien spricht gleichfalls über die Bedeutung der Klein¬ 
hirnhemisphären. Er geht zunächst aus von der Erregung des Vestibular- 
apparates, der in dreifacher Weise reagiert. Beim Drehen des Kopfes 
werden beide Vestibularapparate zugleich gereizt. Der galvanische Reiz 
trifft zunächst nur das gesunde Ohr. Jedoch kann auch bei totaler Zer¬ 
störung Nystagmus erzeugt werden. Endlich die calorische Reaktion: 
Bei Reizung des vestibulären Apparates tritt Nystagmus ein, ein Vorgang, 
der sich nur in der Medulla und in der Pons abspielt, also nichts mit 
dem Kleinhirn zu tun hat. 

Vortr. spricht dann über die Verbindungen des Nervus vestibularis 
mit dem Kleinhirn. Ramön y Cajal hat gefunden, dass jede Faser 
des Nervus vestibularis Collaterale ins Kleinhirn sendet, und zwar zur 
Hemisphäre der einen, zum Wurm und der Hemisphäre der anderen 
Seite. Bärany hat diese Ergebnisse nachgeprüft und kann derartige 
Verbindungen mit dem Kleinhirn bestätigen. 

Vortr. kommt dann zum Zeigeversuch, der darin besteht: Der 
Patient fasst mit geschlossenen Augen nach dem Finger des Unter¬ 
suchenden, lässt den Arm sinken und sucht beim Erheben wieder den 
Finger zu treffen. Bei calorischer Reizung, Eingiessen von kaltem 
Wasser in das rechte Ohr, tritt nun Nystagmus der Augen nach links 
ein. Beim Zeigeversuch ergibt sich: Vorbeizeigen nach rechts. B. konnte 
nun in einem Falle von Verletzung, in dem Kleinhirn nur von Haut 
bedeckt war, auf die Oberfläche direkt einen Kältereiz (Aethylchlorid) 
wirken lassen, analog den Experimenten Trendelenburg’s, der als 
erster bei temporärer Abkühlung der Hirnoberfläche Lähmung eines 
Arms bei Abkühlung, Rückkehr der Funktion bei Erwärmung beob¬ 
achtete. B. fand nun in dem einen Falle bei Kältereiz Lähmung und 
Vorbeizeigen nach aussen, keinen Nystagmus. Daraus folgert er: Im 
Kleinhirn liegen Centren für Lokomotion des Armes in verschiedenen 
Richtungen. Die Wirkung der Centren ist so, als wenn der Arm von 
zwei Zügeln in Richtung gehalten würde. Bei Abkühlen des Centrums 
für Einwärtszeigen tritt Auswärtszeigen ein und umgekehrt. Bei Nystag¬ 
mus nach rechts tritt Vorbeizeigen nach links auf. Bei Durchschneiden 
beider Zügel überwiegt keiner von beiden: es tritt wieder Richtigzeigen 
ein. An zwei Stellen an der Vorderseite des Kleinhirns, an denen 
wegen vermeintlicher Abscesse inzidiert wurde, trat bei der Inzision 
Vorbeizeigen nach aussen ein. In einem anderen Falle, in dem 
v. Eiseisberg eine Cyste entleerte an der Hinterfläche, trat bei der 
Inzision Vorbeizeigen nach oben ein. Endlich konnte noch eine Stelle 
gefunden werden, bei deren Erkrankung ein Vorbeizeigen des Hand¬ 
gelenks nach aussen sich ergab. Der Symptomenkomplex der Erkran¬ 
kung war: Starker Kopfschmerz im Hinterkopf, Schwindelgefühl, Schwer¬ 
hörigkeit, Druckempfindlichkeit des Proc. mastoideus. Es handelt sich 
hierbei um abgegrenzte (durch Entzündung von Pia und Arachnoidea) 
Liquoransaramlung am Kleinhirnbrückenwinkel. Die Heilung erfolgt, wie 
Babinski richtig angegeben, durch Lumbalpunktion. 

Zur Diagnose der Kleinhirntumoren ist Prüfung der Bewegungen in 
verschiedenen Richtungen erforderlich; jedoch muss sie frühzeitig vor¬ 
genommen werden, da die Symptome nach einigen Wochen ver¬ 
schwinden. 

Zur Fallreaktion bemerkt Vortragender: dass daraus Erkrankung 
des Wurmes erkannt würde, ist unsicher. Er hat seit 2 Jahren keinen 
Fall mehr gesehen, wodurch er wieder schwankend geworden sei. (Die 
Reaktion ist: kalte Eingiessung ins rechte Ohr, Nystagmus nach links, 
Fallen nach rechts.) 

Demonstration eines Falles (Zeigeversucb). 

Hr. Roth mann spricht zur Lokalisation des Kleinhirns. Resultate 
seiner Experimente, bei denen Rinde verletzt wurde ohne Kern, Kern 
ohne Rinde. 

Ist die Rinde beim Hunde isoliert verletzt: isolierte Ausfalls¬ 
erscheinungen der vorderen Extremität, Lagestörungen, die noch nach 
Monaten andauern. 


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3. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


421 


Verletzungen des Lohns qnadrangularis: nur Lagestörungen der 
vorderen Extremität. Es tritt Antagonistenreflex ein. Es fallt Innen¬ 
bewegung fort, wenn der innere Teil fortgenommen wird usw. 

Bei Wurm Verletzung, Exstirpation: Ausfall bei Rumpf und Ex¬ 
tremitäten zusammen. Vorderer Teil allein verletzt: Ausfall beim 
vorderen Teil des Rumpfgürtels; ebenso hinten. Beim unteren Teil: 
Schwäche der Kehlkopfmuskulatur, der Stimmbänder, der Kiefermuskeln. 

Exstirpation des Lobus ant: das Bellen hört auf. 

Ist eine Hemisphäre entrindet: nur kombinierte Ausfallserscheinungen 
der Extremitäten, keine Zwangsbewegungen. 

Der Nucleus ruber hat beim Menschen wenig motorischen Anteil. 

Totale Entfernung des Kleinhirns: Gehen und Stehen unmöglich, 
aber Schwimmen. 

(Demonstration mikroskopischer Präparate.) 

Hr. Hildebrand: Die Diagnose der Kleinhirnerkrankungen ist so 
schwierig, dass wir Chirurgen sie mit gutem Grunde den Neurologen 
überlassen. Andererseits ist das Kleinhirn einer Operation sehr zu¬ 
gänglich. Tumoren des Kleinhirns sind, im Gegensatz zum Grosshirn, 
meist abgekapselt, besser als dort zu erreichen. 

Hr. Oppenheim: Er bestätigt die Resultate von Bär an 7, die 
als durchaus zuverlässig zu betrachten sind. Auf eine Schwierigkeit der 
Diagnose ist mit allem Nachdruck hinzuweisen: Bei chronischen Er¬ 
krankungen des Kleinhirns werden viele Symptome vermisst, die wir auf 
Grund unserer sonst gewonnenen Erfahrungen erwarten müssten. Es ist 
sicher, dass dann Kompensationen eingetreten sind. Ausfallserscheinungen 
nach Operationen sind nicht allein auf das Kleinhirn zu beziehen; es 
spielen andere Faktoren mit, Shock usw. Wir Kliniker stehen da den 
Experimentatoren gegenüber. Eine cerebellare Lähmung ist uns un¬ 
bekannt, auch eine Lokalisation im Kleinhirn. Was den Tonus betrifft, 
so müsste man Hypertonie oder Atonie mit Abnahme der Sehnenreflexe 
erwarten; das trifft aber nicht zu. Eine andere Störung scheint aber 
sicher zu sein: in der Innervationsbereitschaft bei schnellen Bewegungen. 
Erfolgt z. B. eine Supination des Armes, so ist alles auf die folgende 
Pronation eingestellt, die bei Erkrankung langsamer erfolgt. 

Hr. Brühl bespricht sechs Fälle von Kleinhirnerkrankungen, bei 
denen drei Symptome besonders sich markierten: 1. Starker Nystagmus 
bei Erloschensein der peripheren vestibulären Erregbarkeit derselben 
Seite. 2. Starke vestibuläre Uebererregbarkeit des gesunden Ohres (bei 
Tumor des Wurmes). 3. Spontanes Abweichen der oberen Extremitäten 
bei Bäräny’scher Reizung. 

Hr. Grabower: Im Gegensatz zu Herrn Rothmann betont er, 
dass bei Exstirpation des vorderen Teiles des Gyrus centralis keine 
Lähmung der Stimmbänder eintritt; diese beruht nur auf Narkosewirkung 
und stellt sich später prompt wieder her. Bei Lähmungen der einen 
Stimmlippe tritt die andere für sie ein, indem sie sich an legt. Darum 
ist dem Patienten nichts anzumerken; eine genaue Untersuchung des 
Kehlkopfes ist erforderlich. Zuckungen an den Stimmlippen würden für 
den Sitz von Kleinhirntumoren von Wert sein. Das könne er Herrn 
F. Krause Vorhalten, der die laryngoskopische Untersuchung vor Ope¬ 
ration eines Falles anscheinend versäumt hätte. 

Hr. Edinger: Schlusswort. Holler. 


Breslauer chirurgische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 9. Dezember 1912 in der Königl. Chirurg. Universitätsklinik. 

Vorsitzender: Herr Küttner. 

Schriftführer: Herr Gottstein. 

1. Aufnahme neuer Mitglieder. 

2. Wahl der Kommission zur Bearbeitung des schlesi¬ 
schen Kropfes (der Vorstand der Gesellschaft, sowie die Herren Tietze, 
Brade and Simon). 

Vor der Tagesordnung. 

Hr. Gettstoin stellt einen neuen Fall von operiertem Pulsions¬ 
divertikel des Oesophagus vor. Es handelte sich um einen 48jährigen 
sehr nervösen Herrn, bei dem die Operation in Narkose ausgeführt wurde. 
Es wurde dieselbe Technik wie in dem im Juni in dieser Gesellschaft 
vorgestellten Fall verwandt. Auch in diesem Fall erfolgte glatte Heilung, 
ohne dass je durch die Oesophaguswunde Rachensekret ausgetreten wäre. 
Patient wurde 7 Tage per rectum ernährt. 

Tagesordnung. 

1. Hr. Küttner: a) Bericht über 157 in den letzten 5*/ 2 Jahren 
ansgeführte Magenresektionen. 

(Der Bericht ist durch Herrn Dr. Weil in dieser Nummer ver¬ 
öffentlicht.) 

b) Multiple careinomatfoe Darmstrietnren. K. hat in den letzten 
Jahren 3 Fälle von multiplen carcinomatösen Darmstricturen beobachtet, 
die sämtlich dem von ihm in den Bruns’schen Beiträgen, 1899, Bd. 23 
veröffentlichten Fall analog waren. Die zahlreichen Stricturen waren 
stets durch schrumpfende Peritonealmetastasen bedingt. 

Diskussion. 

Hr. Gottstein berichtet über 2 Fälle von multiplen carcinomatösen 
Darmstricturen, die er in den letzten beiden Jahren beobachtet hat. ln 
dem erstes Falle handelte es sich ebenfalls um Stricturen durch schrum¬ 


pfende Peritonealmetastasen, in dem anderen aber um multiple primäre 
Darmtumoren. 

c) Hr. K. demonstriert einen Patienten, dem er einen ungewöhnlich 
grossen, der Falx cerebri adhärenten Hirntumor (Fibrosarkom) mit 
Erfolg entfernt hat, und stellt eine junge Dame vor, bei der die Ope¬ 
ration wegen Gaumenspalte abgelehnt worden war und durch Prothese 
und Sprachunterricht ein ideales funktionelles Resultat erzielt 
worden ist. 

d) Ueber eine neue Form der angeborenen Halsfistel. Seitliche, 
mit dem äusseren Gehörgang kommunizierende kongenitale Halsfistel, für 
die ein Analogon in der Literatur nicht aufzufinden ist. Der Fall wird 
ausführlich veröffentlicht werden. 

Diskussion. 

Hr. Klaatsch: Es handelt sich um eine äussere Fistelbildung, die 
von der ersten Kiemenspalte ausgeht. Der Hyomandibularknorpel ist 
auf dem grössten Teil der Querschnitte durch das exzidierte Stück sicht¬ 
bar, teils als einfacher Stab elastischen Knorpels, teils in mehrere Stücke 
zerlegt. Die Fistel lässt ihre Beziehung zum äusseren Gehörgang deut¬ 
lich erkennen, in lokaler und histologischer Hinsicht. Das Querschnitts¬ 
bild des Fistelganges zeigt Haare und tubulöse Drüsen in starker Ent¬ 
faltung. Der Sitz der Fistel hat eine Verschiebung erfahren, die der¬ 
jenigen des äusseren Gehörganges entspricht, von der Gegend des Kiefer¬ 
winkels aufwärts. 

e) Angeborener Turmschädel. Ausserordentliche angeborene Ent¬ 
stellung durch kongenitalen Verschluss der Nähte und Fontanellen mit 
hochgradigstem Exophthalmus und schwerer Deformation des durch 
Wabenstruktur ausgezeichneten Schädels. Wegen Stauungspapille und 
zuuehmenden Hirndrucks Entlastungstrepanation, die infolge angeborener 
Vergrösserung der Zunge und Behinderung des Schluckaktes zu tödlicher 
Schluckpneumonie führte. Mässig hochgradiger Hydrocephalus internus. 

2. Hr. Landois: a) Ueber kongenitale, epitheliale Cysten und 
Gänge. 

1. Cyste vom Ductus thyreoglossus im Zusammenhang mit der 
vorderen Kehlkopfwand beim Neugeborenen. Mikroskopischer Schnitt 
durch die ganze vordere Kehlkopffläche. Die Cyste ist mit kubischem 
Epithel ausgekleidet, liegt oberhalb der noch ganz embryonalen Cha¬ 
rakter zeigenden Schilddrüse. 

2. Zwei Präparate von parathyreoidealen Flimmerepi¬ 
thelcysten von Hunden. Die Cysten sind entwicklungsgeschichtlich, 
weil sie beide dem oberen Epithelkörperchen anliegen, aus der IV. Kiemen¬ 
spalte abzuleiten. 

3. Zwei Fälle multipler epithelialer Cysten des Oeso¬ 
phagus beim Menschen. Mikroskopische Präparate. Die Cysten sind 
aus den Ausführungsgängen der ösophagealen Drüsen entstanden, viel¬ 
leicht spielen auch hier kongenitale Hemmungen eine Rolle. Die Prä¬ 
parate sind von Leichen gewonnen. 

4. Mikroskopisches Präparat von Dottergangsschleim¬ 
haut am Nabel eines 7jährigen Kindes in Gestalt eines erbsengrossen 
Knötchens. Es handelt sich um typisohe Dünndarmschleimhaut mit 
Lymphfollikel. 

5. Persistierende Dottergangsschleimhaut am Nabel, 
teilweise vom Bau der Magenschleimhautdrüsen. Die makro¬ 
skopischen und mikroskopischen Präparate stammen von einem 4 Monate 
alten Kinde. Es handelte sich um eine lippenförmige Fistel am Nabel, 
deren Sekret bald sauer, bald alkalisch reagierte. Laparotomie: Es 
liegt ein Schleimhauttrichter vor, der mit einem Meckel’schen Divertikel 
durch einen Faden verbunden ist. Mikroskopisches Bild des 
Trichters am Nabel zeigt verästelte Drüsen vom Bau der Schleimhaut¬ 
drüsen der Pylorusgegend des Magens. 

b) Demonstration von Melanomen. 

1. Melanom vom Oberkiefer. Bei einem 43jährigen Mann hatte 
sich seit 17 Jahren ein kleiner, sich langsam vergrössernder Naevus pig¬ 
mentosus am harten Gaumen gebildet, der in letzter Zeit sehr schnell 
gewachsen ist und jetzt als pechschwarze Geschwulst den ganzen harten 
Gaumen zerstört hat und auf die Lippen übergegriffen ist. Prognose 
völlig infaust. Mikroskopisch handelt es sich um ein melanotisches 
Spindelzellensarkom. 

2. Demonstration von Melanomen vom Pferd (Schimmel) haupt¬ 
sächlich in der Muskulatur. Da Pigment sowohl in der Epidermis (ekto- 
dermal) wie auch io dem Corium der Haut (mesodermal) vorkomrat, 
glaubt Vortragender, dass es zweckmässiger ist, von melanotischen Car- 
cinomen und Sarkomen zu sprechen, als allgemeinhin nur von Melanomen, 
da entwicklungsgeschichtlich zwei verschiedene Arten von Pigment Vor¬ 
kommen. 

Diskussion. 

Hr. Klaatsch: Pigmentbildung in der Mundhöhle ist bei den far¬ 
bigen Menschenrassen eine allgemeine Erscheinung. Das Auftreten in 
einzelnen Flecken bildet die Regel und erinnert sehr an den Befund bei 
dem vorgestellten Patienten. 

3. Hr. Ludloff stellt einen mit sehr günstigem Erfolg operierten 
Fall von Hallux valgas und einen geheilten Fall von Rachitis tarda 
eines 16jährigen jungen Mannes vor. 

a) Der Hallux valgus war an beiden Füssen ungemein stark ent¬ 
wickelt. Das Köpfchen des ersten Metataeeus beiderseits zeigte eine 
grosse Exostose und einen grossen darüber liegenden Schleimbeutel. Die 


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422 


Nr. 9. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


grosse Zehe bildete mit dem Mittelfussknochen beinahe einen rechten 
Winkel. Bei jedem Auftreten ging der Fuss an der Basis der grossen 
Zehe noch breiter auseinander und der Hallux valgus vergrösserte sich 
noch. Die Patientin, ein 22jähriges Dienstmädchen, führte das Leiden 
auf schwere Arbeit im Gebirge zurück, obwohl sie stets breite und weite 
Stiefel getragen habe. An beiden Füssen wurde folgende Operation aus¬ 
geführt: 

Schnitt von der Mitte des Rückens der grossen Zehe bis zum Navi- 
culare, Freilegung des ersten Metatarsus, Aufklappung des Gelenks mit 
einem ovalen Schnitt, dessen Konvexität ungefähr in der Mitte des Meta¬ 
tarsus liegt; flache Abmeisselung der haselnussgTOssen Exostose, dann 
schräge Osteotomie in einer Ebene, die schräg frontal von hinten unten 
nach vorn oben verläuft (siehe Figur). Die Osteotomie wurde ausgeführt 



mit der Brückensäge; es entsteht auf diese Weise eine schiefe Ebene, 
die ungefähr in der Mitte liegt zwischen der Horizontal- und Frontal¬ 
ebene. Auf dieser schiefen Ebene verschiebt sich sofort die untere 
Hälfte des Metatarsus schräg nach oben, und die grosse Zehe nimmt voll¬ 
ständig normale Stellung an. Vernähung der aufgeklappten Gelenkkapsel 
mehr proximal am Periost des Metatarsus, exakte Hautnaht, reaktions¬ 
loser Wundverlauf. 

Patientin ist nach 6 Wochen aufgestanden und geht ohne jede 
Beschwerde umher. Die grosse Zehe ist auf beiden Seiten ungefähr 
V/ 2 cm kürzer als die zweite Zehe, aber vollständig gerade, so dass 
zwischen ihr und der zweiten ein grosser Zwischenraum entstanden ist. 

Aufgenomraene Röntgenbilder vor und nach der Operation und eine 
Moulage vor der Operation illustrieren den guten Verlauf der einfachen 
Operationsmethode, die Vortr. noch nicht beschrieben gefunden hat und 
zur Nachprüfung empfiehlt. 

b) Der Fall von Rachitis tarda betrifft einen jungen Mann von 
16 Jahren, der mir von den Eltern zugeführt wurde, weil sich der Gang 
von Jahr zu Jahr verschlechterte. Der Patient ging wie ein mit an¬ 
geborener doppelter Luxation oder progressiver Muskelatrophie Be¬ 
hafteter. Beide Leiden waren aber nicht vorhanden. 

Aufgenommene Röntgenbilder zeigten leichte Protrusion der Linea 
innominata des Beckeneinganges und au den Rändern der Darmbeiu- 
kämme eigentümlich strahlenförmige Streifen in der Epiphysenfuge der 
Kämme. An der Epiphysenfuge der Oberschenkel konnten rachitische 
Veränderungen nicht nachgewiesen werden, auch nicht an allen übrigen 
Körpergelenken. Dagegen zeigte das untere Ende jeder Ulna sehr 
starke und das des Radius weniger ausgesprochene Zeichen von Rachitis 
(becherförmige, ausgefranzte Fuge). 

Patient war mit allen möglichen antirachitischen Mitteln behandelt, 
ohne dass ein Erfolg erzielt wurde. Ferner war wegen Genu valgum das 
rechte Bein redressiert und das linke osteotomiert worden. Infolge¬ 
dessen war zwar das X-Bein verschwunden, aber das linke Bein 4 cm 
kürzer als das rechte geworden. 

Patient wurde, da alles versagte, mit Adrenalin behandelt, und 
zwar von der Lösung 1 : 1000 in steigenden Dosen von 2 Teilstrichen 
bis zu 8 Teilstrichen einer 1 ccm enthaltenden Spritze. Der Erfolg war 
ein ganz ungewöhnlicher, nach 2 Monaten ging Patient vollständig 
normal, und die Zeichen von Rachitis im Röntgenbild an den Epipbysen- 
fugen der Ulna waren vollständig verschwunden. Patient hat im ganzen 
30 Injektionen bekommen und ist dabei geradezu aufgeblüht und kräftig 
geworden. Wie vorsichtig man aber bei der Dosierung des Adrenalins 
sein muss, illustriert der Umstand, dass bei Versuchen, die Dosis auf 
1 ccm der 1 prom. Lösung zu steigern, jedesmal ein schwerer Collaps 
eintrat. Der Fall scheint aus folgenden Gründen erwähnenswert: 

1. Bei konstitutionellen Erkrankungen soll man bei Röntgenunter¬ 
suchungen sich nicht auf die Stelle beschränken, die augenblicklich Be¬ 
schwerden macht, sondern mehrere, womöglich alle in Betracht kommenden 
Körpergegenden (Epiphysenfuge) symmetrisch röntgenographieren (so bei 
Lues congenita, Rachitis, Barlow’sche Krankheit). 

2. Adrenalin ist ein souveränes, aber nicht indifferentes Mittel be- 
Rachitis tarda. 

3. Solange noch Epiphysenfugen persistieren, soll man bei doppel¬ 
seitigem Genu valgum nicht einseitig osteotomieren, weil auf der osteo- 
tomierten Seite eventuell eine starke Verkürzung zurückbleibt. 

4. Hr. Fritsch konnte vor einigen Jahren an gleicher Stelle ge¬ 
legentlich der Vorstellung eines Patienten über die damals herrschenden 
Ansichten über die sogenannte Sehlattersehe Krankheit berichten. Sie 
besteht bekanntlich in Schmerzen und Schwellung an der Tuberositas 


tibiae, und Schiatter bezog diese Beschwerden auf eine traumatische 
Epiphysenlösung des Epiphysenspornes am oberen Ende der Tibia in¬ 
folge einer Rissfraktur des Spornes. 

Es ist über dieses Thema viel gestritten, namentlich das Trauma 
wurde in vielen Fällen von Schlatter’scher Krankheit geleugnet, und in 
letzter Zeit sind interessante Beobachtungen gemacht, die zeigen, dass 
auch an der Tuberositas metatarsi quinti die gleichen Beschwerden auf- 
treten können (I sei in). Hier findet sich im 13. bis 14. Lebensjahre 
ein Knochentumor und mit 15*/* Jahren ist die Verknöcherung meist 
beendet. Diese knöcherne Entwicklung geht nun bisweilen mit Be¬ 
schwerden, d. h. Schmerzen und Schwellungen, von statten und ent¬ 
spricht so in allen Erscheinungen der sogenannten Schlatter’sehen Er¬ 
krankung. Beide Male handelt es sich um die knöcherne Bildung einer 
Tuberositas, wo eine Sehne ansetzt. So liegt der Gedanke nahe, dass 
das gleiche Krankheitsbild, wenn erst einmal die Aufmerksamkeit darauf 
gelenkt ist, vielleicht an allen analogen Stellen des Körpers zu beob¬ 
achten sein wird. Diesen Gedankengang hat bereits Iselin getan und 
hat als solche Stellen zusammengestellt: am Acromion und Coracoid, am 
Angulus scapulae, am Tuber ischii, an der Crista ilii, am Mall. int. 
(selten) und am Proc. styloid. uluae. 

Vortr. stellt nun einen Patienten vor, der das Krankheitsbild an 
der letzterwähnten Stelle, am Proc. styloid. ulnae, aufweist. Er klagt 
bereits seit etwa einem Jahre über Schmerzen an dieser Stelle, die in¬ 
folge eines Stosses noch stärker geworden sind. Das Röntgenbild zeigt 
deutlich die noch bestehende Lücke zwischen Proc. styloid. ulnae und 
der Ulna. 

Eine Frage bleibt offen, nämlich die nach der Aetiolagie. Vortr. 
glaubt nun nicht, dass man sich bemühen soll, einen einzigen Faktor 
für das Auftreten der Beschwerden verantwortlich zu machen. Vielmehr 
spielen dabei sicher mehrere Faktoren mit. Auch für diese Anschauung 
ist der Patient ein Beweis. 

Wie auch bei manchen von Iselin veröffentlichten Fällen besteht 
sicher bei ihm eine Verzögerung der Epiphysenverknöcherung, denn auf 
dem Röntgenbild ist die Verknöcherung noch nicht vollständig ein¬ 
getreten, trotzdem Patient 21 Jahre alt ist, es ist deutlich ein Unterschied 
rechts gegen links zu sehen. Ausserdem aber hat Patient ein Trauma 
erlitten, das die Beschwerden verschlimmert hat. Damit käme man auf 
die Sohlatter’sche Theorie zurück, nur mit dem Unterschied, dass das 
Trauma nicht die einzige Aetiologie ist, sondern dass auch noch andere 
Prozesse eine Rolle spielen und die Verzögerung der Verknöcherung 
höchstwahrscheinlich nicht die kleinste ist. 

Diskussion: Hr. Drehmann, Hr. Fritsch. 

5. Hr. Spannans demonstriert einen ungewöhnlich grossen, hirten¬ 
stabähnlichen Ureterstein von 7 cm Länge und 6 cm Umfang, der im 
Ausgange des linken Ureters in die Blase lag. 

Der gleiche bleistiftstarke Ureter war oberhalb des Steines mit 
Nierengries ausgefüllt, der an manchen Stellen so fest zusammengeballt 
war, dass hierdurch Steine vorgetäuscht wurden. 

6. Hr. Richard Levy demonstriert a) einen Patienten mit ange¬ 
borener Trichterbrost, Rippendefekt, Pectoralisdefekt, Lungenhernie 



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3. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


423 


ud Fehlen der Maailla auf der Seite der Missbildung. Ausserdem 
bestand Dextrocardie, sonst normaler Situs visoerum (siebe Ab¬ 
bildung.) 

b) Isolierte Kiefergelenkfraktnr mit Kieferklemme durob 
Kiefergelenkresektion mit sehr gutem Erfolg behandelt. 

o) Bericht über Kiefergelenkresektionen wegen Kieferklemrae 
nach Masern, Scharlach und wegen Arthritis deformans. Im letzten 
Falle erfolgte die Operation wegen sehr belästigender knackender Ge¬ 
räusche bei Kieferbewegungen. Die Operationen der Fälle unter c 
wurden mit Fascienlappenimplantation aus dem M. temporalis aus¬ 
geführt. Durchweg sehr guter funktioneller Erfolg, doch zeigt der Fall 
unter b, dass auch ohne Fascienlappenplastik gute Funktion erreicht 
wird. 

d) Bericht über erfolgreiche Röntgenbehandlung der Aktiao- 
■ykose in zwei Fällen. 

e) Arthropathie!. 1. Typische Fussarthropathie mit aus¬ 
gedehnten Knochenzerstörungen (pied tabötique) bei Neuritis alco¬ 
holica. Keine Schmerzempfindlichkeit, obwohl noch während der 
klinischen Beobachtung die Zerstörungen des Fussskeletts Zunahmen. 

2. Arthropathie des Schultergelenks mit Pseudoerysipel. 
Bei dem Patienten, der an Syringomyelie leidet, entwickelte sich eine 
mächtige Schulterarthropathie mit Schwund des Kopfes und Zerreissung 
der langen Bicepssehne. Die Gelenkkapsel war in einen etwa kinds¬ 
kopfgrossen prall gefüllten Sack verwandelt. Es entstand nun eine fluk¬ 
tuierende Vorwölbung am Rande des M. pectoralis major, wo dieser vom 
Thorax zum Humerus berüberzieht. Bald danach kam es zu einer aus¬ 
gedehnten hochroten Verfärbung der ganzen vorderen und seitlichen 
Thoraxwand, am stärksten in der Nähe der Vorwölbung. Da gelegent¬ 
lich Temperatursteigerungen vorhanden waren, konnte an Absoess oder 
Phlegmone, am ehesten auch an Erysipel gedacht werden. In Wirklich¬ 
keit handelt es sich hier um eine Ruptur der überdehnten Gelenkkapsel. 
Die austretende Synovialflüssigkeit verbreitet sich im Subcutangewebe 
und ruft hier nach Ansicht des Vortr. eine aseptische Entzündung her¬ 
vor. Aehnliche Fälle hat L. schon früher beobachtet. Entstehung und 
Verlauf in dem demonstrierten Fall scheinen diese Auffassung zu be¬ 
stätigen. Vor Inzision bei derartigen Zuständen ist dringend zu warnen, 
weil sich langdauernde, profus sezernierende Fistelbildungen, häufig auch 
schwere Gelenkinfektionen daran anschHessen. 

7. Hr. BSrz: a) Transdnodenale Hepatiensdrainoge. 

(Ist in Nr. 4 dieser Wochenschrift bereits abgedruckt) 

b) Nadelschlnekerin. Eine 16jährige Patientin hatte aus Lebens¬ 
überdruss eine grössere Anzahl Nadeln und Nägel verschluckt, die, ohne 
Schaden anzurichten, teils erbrochen wurden, teils mit dem Stuhl ab- 
gingen. 

Vortragender zeigt noch eine Reihe ähnlicher verschluckter Fremd¬ 
körper. 

8. Hr. Melchior: 

Selbstverknetnng eines elastisches Bougies in der Blase. 

Bei einem Patienten mit gonorrhoischer Harnröhrenverenge¬ 
rung war ein filiformes Bougie eingeführt und einige Tage später ver¬ 
mittelst eines daran angeschraubten dünnen Metallbougies eine schonende 
Dehnung der Striktur vorgenommen worden. Als zwei Tage darauf das 
filiforme Bougie entfernt werden sollte, stellte sich der Extraktion ein 
stärkerer Widerstand entgegen, der sich erst durch einen kräftigen Zug 
überwinden Hess. Als Ursache dieses Hindernisses ergab sich bei Be¬ 
trachtung des herausgenommenen Bougies der eigentümliche Befund, dass 
dasselbe nahe dem vesicalen Ende einen eigentümlichen Doppelknoten 
aufwies (Demonstration, s. Figur). Diese spontane Verschlingung ist 



zeitlich offenbar bei der Gelegenheit erfolgt, als beim Nachschieben des 
angeschraubten Metallinstiuments das filiforme Bougie in toto in die 
Blase gelangte und sich hier den räumlichen Dimensionen derselben an- 
xupassen hatte. 

Anderson bat sich in einem ähnlichen Falle (Journal of the Am. 
med. assoc., 1912, Vol. 58, Nr. 25, ref. Centralbl. f. Chir., 1912, S. 1383) 
genötigt gesehen, den Blasenschnitt vorzunehmen, um den spontan ver¬ 
knoteten Weichgummikatheter wieder entfernen zu können: in unserem 
Falle hat im Gegenteil diese unbeabsichtigte forcierte Dehnung der 
Striktur den guten Erfolg gehabt, dass bald darauf ein Metallbougie 
— Charriöre Nr. 16 — mit Leichtigkeit eingeführt werden konnte. 

9. Hr. Barneh berichtet über einen Fall von Bluteyste am Halse, 
den er ausserhalb der Klinik zu operieren Gelegenheit hatte. Es 
handelte sich um ein junges Mädohen von 20 Jahren, das seit längerer 
Zeit eine Geschwulst an der linken Halsseite bemerkt hatte. Die Ge¬ 
schwulst war allmählich grösser geworden, maohte der Patientin aber 
keinerlei Beschwerden. Bei dem im übrigen gesunden, normal ent¬ 
wickelten Mädchen fand sich in der linken Submaxillargegend eine weiche 
fluktuierende Geschwulst, die nach unten bis in die Höhe des Kehlkopfs 
reichte und nach oben unter dem horizontalen Kieferast sich verlor. Die 
Geschwulst lieps siqb vom Mundbod^n heftr tasten, konnte bia)anuell leer¬ 
gedrückt werden, schwoll aber prall an beim Bücken oder beim Husten 


und Pressen. Die Probepunktion bestätigte die Vermutung, dass es 
sich um eine mit dem Venensystem in Verbindung stehende Cyste 
handelte. 

Es gelang, die Cyste unverletzt zu exstirpieren. Die Operation war 
nicht ganz einfach, da die Wand ausserordentlich dünn und zart war. 
Die Präparation des unteren Poles gelang verhältnismäsig leicht. Um 
so schwieriger war die Entwicklung des oberen Poles, der sich unter 
der Submaxi]lardrüse, am Mundboden und der seitlichen Pharynxwand 
hinauf bis an die Schädelbasis erstreckte, wo der Stiel der Cyste ab¬ 
gebunden werden konnte. 

Neben dieser Cyste lag die Carotis interna, die Jugularis interna 
fehlte vollständig. Es handelte sich also dem ganzen Befunde nach um 
eine Cystenbildung der Jugularis interna, und zwar um eine echte Blut¬ 
cyste. Lex er sieht als echte Blutcysten solche Gebilde an, die die 
Stelle einer fehlenden Vene vertreten und aus fötalen Entwicklungs¬ 
störungen der Gefässanlage abzuleiten sind. Io der Tat scheint dies ja 
auch in dem vorliegenden Fall zuzutreffen, wenngleich auch eine andere 
Erklärung möglich wäre. Die gut mannsfaustgrosse uniloculäre Cyste 
zeigte nämlich am unteren Pol ihrer im übrigen glatten Innenwand 
einige klappenartige Leisten, hinter denen zwei feinste Venen ihren Ur¬ 
sprung nahmen. Es wäre also nicht von der Hand zu weisen, dass 
eine abnorme fötale Klappenbildung der Jugularis das ätiologische 
Moment darstellt und das Ganze als eine Art von kolossalem Varix 
aufzufassen wäre. 


Wissenschaftlicher Verein der Aerzte zu Stettin. 

Sitzung vom 7. Januar 1913. 

Vorsitzender: Herr Haeckel. 

Schriftführer: Herr Buss. 

Hr. Gehrke: In der Zeit vom 1. bis zum 31. Dezember v. Js. (49. bis 53. 
Jahreswoche) sind in Stettin sanitätspolizeilich gemeldet worden: 195 
(203) Fälle von übertragbaren Krankheiten, und zwar: 


G. A.i) 

Polizei-Präs. 2 ) 
1912 1911 


60 

1 

j 69 

133 

Fälle von Diphtherie, 

97 

I 116 

51 

„ „ Scharlach, 

5 

1 5 

12 

w „ Typhus, 

4 

i 4 

7 

„ „ Kindbettfieber, 

1 

i i 

— 

„ „ Körnerkrankheit, 

31 

| 85 

; 32 

Todesfälle an Tuberkulose. 


Für das Jahr 1912 sind an übertragbaren Krankheiten gemeldet 
worden insgesamt 1784 (1554) Fälle: 915 (863) Fälle von Diphtherie, 
758 (466) Fälle von Scharlach, 60 (162) Fälle von Typhus, 34 (42) Fälle 
von Kindbettfieber, 10 (5) Fälle von Körnerkrankheit, 3 (15) Fälle von 
Ruhr, 4 0) Fälle von Kinderlähmung. 

Ferner 413 (881) Todelfälle an Tuberkulose. 

Kranken Vorstellungen: 

1. Hr Maas*: Fall von Gynäkomastie. 

2. Hr. Krösing: Fall von Mycosis Inngoides. 

8. Hr. v. Lorentz stellt eine Patientin vor, bei der der rechte 
Humeruskopf wegen einer Knocheneyste reseziert werden musste. Ein 
Vierteljahr nach dem ersten Eingriff wurde, um den 8 cm langen Knochen- 
defekt zu decken, ein Perioatknochenstück von der Tibia der Patientin 
in den Humeruskopf eingepflanzt. Dieses Stück ist eingeheilt. Es wurde 
allmählich resorbiert und durch Knochen ersetzt, der dieselbe Struktur 
wie die gesunde Humerusdiagnose hat. 

Demonstration von Röntgenbildero. Funktionelles Resultat zu¬ 
friedenstellend. 

Vorträge: 

1. Hr. v. Lorentz: Ueber Ostitis flbrosa. 

An der Hand der oben vorgestellten und eines weiteren bobachteten 
Falles verbreitet sich Vortr. über das Wesen der Krankheit. Zunächst 
über die circumscripte Form, die sich in isolierten Knochencysten dar¬ 
stelle. Diese Form sei im allgemeinen gutartig. Makroskopisch zeige 
sowohl das Röntgenbild wie auch der makroskopische Befund bei der 
Operation eine Aebnlichkeit mit malignen Neubildungen, besonders 
Riesenzellensarkomen. Immerhin Hessen sich wesentliche Unterschiede 
sowohl röntgenologisch als auch pathologisch-anatomisch feststellen. Die 
Kenntnis dieser Verhältnisse schütze die Chirurgie vor unnötig grossen 
Eingriffen. Man komme häufig bei diesen tumorartigen Gebilden mit ein¬ 
facher Excochleation aus. 

Die diffuse Form der Ostitis fibrosa, die Vortr. an der Hand eines 
selbst beobachteten Falles klinisch und pathologisch-anatomisch schildert, 
sei als eine allgemeine Erkrankung des Knochensystems, vielleicht als 
eine Folge von Ernährungsstörungen des Knochens, aufzufassen. Unter 


1) Ermittelt im Gesundheitsamt auf Grund der einzelnen, abschrift¬ 
lich mitgeteilten Anzeigen. 

2) Zusammen gestellt auf Grund der Woohennachweise des König¬ 
lichen Polizei-Präsidiums. 


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424 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 9. 


erheblicher Störung des allgemeinen Befindens trete allmählich eine Er¬ 
weichung der Knochen, besonders der langen Röhrenknochen der Ex¬ 
tremitäten ein. Es komme zu spontanen Frakturen, häufig auch zur 
Bildung multipler Knochencysten. Pathologisch-anatomisch unterscheide 
sich dies Bild prinzipiell von der Osteomalacie. Bei der Ostitis fibrosa 
steht im Vordergrund des mikroskopischen Bildes die Zerstörung des 
kalkhaltigen Knochens durch Riesenzellen (Osteoklasten) und Ersatz des 
Knochens durch Bindegewebe. Prognostisch sei diese Form der Ostitis 
fibrosa schlechter wie die circumscripte Form; doch seien auch Heilungen 
beobachtet worden. 

Demonstration der mikroskopischen Präparate an grossen farbigen 
Tafeln. 

Diskussion. 

Hr. Oskar Meyer: Ueber die Entstehung der Knochencysten 
besteht immer noch keine Klarheit. Ihr Auftreten vorzugsweise im 
jugendlichen Alter und ihre Lokalisation an der Epiphysengrenze der 
langen Röhrenknochen legt den Gedanken nahe, dass ein Zusammenhang 
mit Rachitis besteht. Diese Ansicht wird neuerdiDgs von Stumpf mit 
guten Gründen vertreten, es fehlt aber noch an sicheren Beweisen. Der 
Stumpf’schen Ansicht, dass die Knochencysten nicht aus erweichten 
Tumoren hervorgehen und dass der Befund von Riesenzellen und Knorpel¬ 
inseln in der Umgebung von Knochencysten nicht als Beweis für die 
Tumornatur angesehen werden kann, wird man ohne Bedenken bei¬ 
pflichten können. 

Zwischen der Osteomalacie und der diffusen Ostitis fibrosa Reck- 
linghausen’s besteht trotz der histologischen Verschiedenheiten im 
einzelnen, die an den vom Vortr. demonstrierten Präparaten genauer 
erörtert werden, enge Verwandtschaft. Die Aetiologie der beiden Krank¬ 
heiten ist bis heute dunkel. Die neueren Untersuchungen weisen darauf 
hin, dags eine Störung der Drüsen mit innerer Sekretion die Haupt¬ 
ursache ist. Sicherlich kommt aber nicht eine bestimmte Drüse in Be¬ 
tracht, was schon daraus hervorgeht, dass ungefähr sämtliche Drüsen 
mit innerer Sekretion als Sitz der Aetiologie sowohl der Rachitis wie 
der Osteomalacie angeschuldigt sind. 

2. Hr. Oskar Meyer*. 

Ueber das sogenannte Pseudomyxoms peritonei e processn 
vermiformi. 

Vortr. erörtert das im Titel erwähnte Krankheitsbild und seine Genese 
an der Hand einer eigenen Beobachtung. Letztere hat grosse Aehnlich- 
lichkeit mit dem von Merkel und Hueter beschriebenen Falle, indem 
der Prozess hier über das ganze Peritoneum ausgebreitet war und sich 
auch entfernt vom Processus vermiformi vereinzelt wohl erhaltene Reihen 
von Schleim produzierenden Cylinderepithelien nachweisen Messen. An 
der Tatsache, dass Darmepithel im Peritoneum sich implantieren und 
dort lebensfäig erhalten kann, ist nach den Beobachtungen, insbesondere 
von Merkel und der eigenen, nicht zu zweifeln; dafür spricht auch ein 
von Oberndorfer bei einfachen Schleimcysten in der Umgebung der 
Appendix erhobener Befund von schleimproduzierenden Cylinderepithelien 
ohne Zusammenhang mit dem Mutterboden lange Zeit nach dem Platzen 
einer Cyste. 

Der vom Vortr. demonstrierte Fall wird in der Dissertation von 
Herrn Comolle eingehend beschrieben werden. 


Medizinische Gesellschaft za Leipzig. 

Sitzung vom 14. Januar 1918. 

1. Hr. Heineke (Demonstrationen): 1. Sehnenrnptnr des Musculus 
extensor pollicis longus hat Vortr. zweimal nach einfachen typischen 
Radiusfrakturen beobachtet. Nach Abheilung der Knocbenfraktur stellte 
sich etwa 3—4 Wochen nach der Verletzung eine lähmungsartige 
Schwäche des Daumens ein. Vortr. konnte in dem einen Falle im Ver¬ 
lauf der Eitensorsehne ein kleines Knötchen palpieren, das bei Frei¬ 
legung an dieser Stelle eine spindelförmige Auffaserung und Zer¬ 
trümmerung der Sehne zeigte. Die Entstehungsursache ist unbekannt, 
bei Trommlern werden solche Zerreissungen öfters beobachtet. 

2. Blasentamor. Aelterer Mann entleerte häufig mit dem Urin 
eigentümlich gallertige Massen. Die Untersuchung ergab einen faust¬ 
grossen, weichen Tumor, der auf dem Scheitel der Blase mit einer 
kleinen Oeffnung in das Lumen der Blase mündete. Die Geschwulst 
war rings von Peritoneum umgeben, es war ein multiloculäres Cystom, 
dessen Innenwände mit einem einschichtigen, becherzellentragenden 
Cylinderepithel ausgekleidet waren. Aetiologie unbekannt. 

II. Hr. Knick (Demonstrationen): Ueber Bronchoskopie. 

Vortr. gibt einen kurzen Ueberblick über die Entwicklung des 
Bronchoskops und demonstriert das ursprüngliche einfache Bronchoskop 
nach Killian und das jetzt allgemein gebräuchliche, besser zu hand¬ 
habende nach Brüning mit seinen Hilfsinstrumenten. Dank der er¬ 
leichterten Technik ist die Zahl erfolgreicher Entfernung von Fremd¬ 
körpern in den letzten Jahren ganz erheblich gestiegen. Besprechung 
der in den letzten Jahren vorgenommenen Bronchoskopien in der Uni¬ 
versitätsklinik für Halskrankheiten. Zumeist wurden Knochenreste ent¬ 
fernt, einmal ein Metallknopf. Zweimal konnte der Fremdkörper nicht 
durch das Bronchoskop extrahiert werden und musste mitsamt des 
Rohres herausgezogen werden, dabei streifte er sich mehrmals ab, wurde 
aber schliesslich einmal ausgehustet, das zweitemal verschluckt und per 
rectum entleert. Die klinischen Symptome, wie Stridor, Rasseln, 


Dyspnoe, lassen zuweilen im Stich, auch mittels Röntgenoskopie konnte 
nicht immer der Fremdkörper festgestellt werden, während mittels 
Bronchoskopie der Fremdkörper deutlich nachgewiesen wurde. Vortr. 
empfiehlt für die Mehrzahl der Fälle die obere Bronchoskopie, da sie 
einen ausreichenden Ueberblick bis tief hinein in die Bronchien gestattet. 
Der Verlauf der Bronchoskopie war in allen seinen Fällen günstig, bei 
Kindern hat man mit ödematösen Schwellungen der Stimmbänder und 
der Epiglottis zu rechnen. 

Diskussion. 

Hr. Sick berichtet über einen Fall von Empyem und Gangrän des 
rechten Unterlappens. Hier wurde erst bei der Autopsie ein kleiner 
Knochensplitter in einem Bronchus zweiter Ordnung als Ursache der 
Gangrän aufgefunden. 

Hr. Heller hat interessante Versuche über Lungenatelektase nach 
obturierendem Verschluss eines Hauptbronchus durch aufgequollene 
Erbsen, Bohnen usw. bei Tieren angestellt. Meist war schon nach 2 bis 
3 Stunden die Lunge vollständig atelektatisch, wie H. mittels Röntgen¬ 
durchleuchtung feststellen konnte. Die Aufhellung der Lunge dauerte 
je nach Dauer des Verschlusses des Bronchus (nicht über 3 Tage hin¬ 
aus) 12 — 24 Stunden, zuweilen auch schon nach den ersten tiefen Atem¬ 
zügen. Plötzliche Todesfälle können in Fällen von bestehender Ate¬ 
lektase ihre Ursache darin haben, dass bei Extraktion des Fremdkörpers 
der freie Bronchus verlegt wird. 

III. HHr. Gregor und Schilder: 

Ueber Mnskelinaervation bei Nonulei and Nervenkranken. (Kit 
Projektionen.) 

Die Versuche sind mittels des Saitengalvanometers gemacht worden. 
Ihre Besprechung eignet sich nicht für ein kurzes Referat, zumal nähere 
Angaben über die Technik, Ableitung des Stromes, Spannung der 
Saite usw. nicht gemacht wurden. Rösler. 


Freiburger medizinische Gesellschaft. 

Sitzung vom 28. Januar 1913. 

1. Hr. Schilling: Ueber die Decknng des Gesangstons. 

Die physiologischen Unterschiede bei der Bildung der menschlichen 
Stimme im Naturgesang und Kunstgesang liegen in den verschieden¬ 
artigen Bewegungen des Mundes und der Atmungsorgane und in der 
Bildung der gedeckten Töne. Die Bewegungen des Thorax sind beim 
Kunstsänger sehr regelmässig; einer raschen und tiefen Inspiration folgt 
eine lange, gleichmässige Exspiration bis zur vollkommenen Ausnutzung 
der eingeatmeten Luft. Der Natursänger dagegen atmet nicht so 
ökonomisch und regelmässig. (Demonstration von Atemkurven.) Beim 
Kunstgesang sind Zunge und Lippen fast vollkommen in Ruhe, die 
Stimme wird nur durch Bewegungen von Mundboden und Kehlkopf ge¬ 
bildet, während beim Naturgesang auch Zunge und Lippen stark mit¬ 
bewegt werden. (Demonstration von Registrierapparaten.) 

Das Wesentliche des Kunstgesanges ist jedoch die Bildung „ge¬ 
deckter“ Töne, in denen der Grundton verstärkt, die Obertöne ab¬ 
geschwächt sind, wodurch der schreiende Charakter der Natursingstimme 
aufgehoben wird. Diese Veränderung wird durch geeignete Resonanz¬ 
verhältnisse im Kehlkopf zustandegebracht, vor allem durch Tiefertreten 
des Kehlkopfes und veränderte Stellung des Kehldeckels. Letzterer 
sollte nach älteren Untersuchern mehr über den Kehlkopfeingang gelegt 
werden. 

Der Vortr. kann durch von Herrn Küpferle aufgenomraene Röntgen- 
bildcr zeigen, dass gerade beim gedeckten Singen der Kehldeckel steil 
aufrecht steht und der Zungengrund so bewegt wird, dass er mit der 
Epiglottis einen wohl als Resonator wirkenden Hohlraum bildet. 

Diskussion. 

Hr. Win gl er misst der Tiefstellung des Kehlkopfes den Hauptwert 
bei der Bildung der gedeckten Töne bei, in erster Linie derZwerchfellatmung. 

Hr. Schilling hat beides schon erwähnt, weist darauf hin, dass 
die Zwerchfellatmung unwillkürlich ist und nicht geübt werden kann. 

2. HHr. Morawitz und Zahn*. 

Stadien über die Kranzarterien des Herzens. 

Die für den Kliniker im Hinblick auf die Angina pectoris ausser¬ 
ordentlich wichtige Physiologie der Coronargefässe liegt bis jetzt noch 
im Dunkeln wegen der Schwierigkeit einer guten Methode. Versuche an 
isolierten Gefässstreifen mit Stromuhren und indirekte Methoden führten 
nicht zu befriedigenden Resultaten. Auch F. Meyer’s Versuche mit 
Einbindung von Kanülen in eine oberflächliche Vene und Bestimmung 
der Ausflussmenge befriedigt nicht. Morawitz und Zahn gelang es, 
unter Durchstechung des Herzohrs eine Tamponkanüle in den Coronar- 
sinus einzuführen und diesen durch Aufblasen einer Pelotte vollständig 
zu vprschliessen. (Demonstration von Präparaten.) Das ganze Blut der 
Coronarvenen, ausgenommen weniger anormaler Nebenmündungen, fliesst 
dann durch die Kanüle ab. 

Die Resultate sind nur teilweise abgeschlossen. Auch die Unter¬ 
suchung verschiedener Pharmacae ist noch im Gange. 

Diskussion. 

Hr, Asch off: Die Versuche des Vortr. lassen nur Schlüsse auf das 
Verhalten des Coronarsystems als Ganzes zu. Bei dem sehr verschiedenen 
anatomischen Bau der einzelnen Teile der Gefässe wäre ein verschiedenes 
Verhalten dieser Teile zu erwarten (Gefässsystem im Herzmuskel und 


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3. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


425 


epicardiales System). Ferner bestehen zahlreiche arteriovenöse An- 
astomosen, deren Wirkung möglicherweise bei den Versuchen in den 
Vordergrund treten könnten, besonders bei der Adrenalinwirkung. 

Hr. Morawitz: Bei den Versuchen hatte das Blut immer gleich- 
massig venösen Charakter; solche Anastomosen können also keine 
wesentliche Bedeutung haben, was auch sehr unzweckmässig wäre. Das 
Coronarsystem als Ganzes zu untersuchen war der Zweck der Versuche. 
Es scheint ein vorwiegend passives Gelässgebiet zu sein; die Nikotin- 
versuohe weisen jedoch darauf hin, dass es wahrscheinlich doch aktive 
Gefasskontraktionen und vasomotorische Nerven gibt. 

3. Hr. Sakai: Ueber die Lipämie. (Vorgetr. von Herrn Morawitz.) 

Beim normalen Tier tritt in der Verdauungsperiode eine Lipämie 
auf (Mastlipämie). Die Lipämie im Hunger und die des schweren 
Diabetikers ist eine Folge einer Fettwanderung. Das Fett kann im 
Blut auch, ohne eine milchige Trübung des Serums zu verursachen, 
maskiert, transportiert werden, es ist dann in irgendwelcher Weise an 
Eiweiss gebunden. Auftreten und Verschwinden des Fettes aus dem 
Blutkreislauf ist eine Frage der Fettspaltung. Vortr. untersuchte des¬ 
halb die lipolytisohe Eigenschaft des Serums bei Aderlasslipämie mit 
dem Stalagmometer von Michaelis und Rona. Aderlass verursacht bei 
Kaninchen eine Lipämie mit Steigerung des Fettgehaltes des Blutes auf 
das achtfache. Bei dieser wird die Lipase des Blutes stark vermindert. 
Das Minimum der Lipase liegt zeitlich vor dem Maiimum der Lipämie. 
Allmählich tritt die Lipase wieder auf, und dann verschwindet auch das 
Fett wieder aus dem Serum. Durch Demonstration von Kurven wird 
diese Abhängigkeit von Lipämie und Lipasegebalt veranschaulicht. Der 
ursächliche Zusammenhang ist jedoch noch nicht definitiv geklärt. Vortr. 
führte auch eine Untersuchung des Blutfettes bei dieser Lipämie aus 
und fand auffallend hohen Cholesteringehalt, höher als beim Fett des 
Dnterhautfettgewebes. 

Diskussion. 

Hr. Landau erwähnt die Möglichkeit der Provenienz des Blutfettes 
bei der Lipämie aus der Nebenniere, kann dieselbe aber nicht be¬ 
fürworten. 

Hr. Morawitz will sich über die Quelle des Fettes nicht festlegen, 
glaubt aber, dass dasselbe trotz des abweichenden Cholesteringehaltes 
aus den Fettdepots, speziell dem Unterhautfettgewebe stamme. 

Fromherz. 


K. k* Gesellschaft der Aerzte zu Wien. 

Sitzung vom 24. Januar 1913. 

(Eigener Bericht.) 

Hr. Hatte demonstrierte einen Säugling mit Eventratio diaphrag- 
■atica. 

Die Röntgenuntersuchung ergibt in der linken Thoraxseite unregel¬ 
mässige Schatten, das Zwerchfell ist links fast bis zur Clavicula hinauf- 
gedrängt. Es handelt sich um eine hochgradige Erschlaffung der linken 
Zwerchfellbälfte mit Hinaufdrängung des Magens in die linke Thorax¬ 
seite und Atelektase der linken Lunge. Das Kind dürfte sich allmählich 
an diesen Zustand gewöhnen. 

Hr. Porges stellte einen Mann mit Marsch-Hämoglobinurie vor. 

Nach 1 i i Stunde angestrengten Gehens oder nach einem halb¬ 
stündigen langsamen Spaziergange erscheint bei dem empfindlichen, zu 
Ohnmächten neigenden Patienten Hämoglobin im Harne. Durch Kälte 
und durch Arbeit wird die Hämoglobinurie nicht ausgelöst. Der Kranke 
hat eine hochgradige Lordose der Lendenwirbelsäule. Wenn man diese 
durch ein Gipsmieder in eine Kyphose verwandelt, so wird keine Hämo¬ 
globinurie durch Gehen erzeugt. 

Hr. Demmer demonstrierte an einem Lun gen präparate die Wirkung 
der Adrenalininhalation auf die Lange. 

Das Präparat stammt von einer Frau, welche wegen Peritonitis 
operiert wurde und starb. Da die Kranke Bronchitis hatte, bekam sie 
vor und nach der Operation Adrenalininhalationen. Bei der Obduktion 
zeigte sich kein Symptom der Bronchitis und keine Nachwirkung der 
länger als eine Stunde dauernden Aethernarkose auf die Lunge. Die 
Adrenalininhalation verhütet Komplikationen der Aethernarkose. 

HHr. Lager und H. Köhler erstatteten eine Mitteilung zur 
Meiostagminreaktion. 

Von 160 Seris gaben 2 ohne Carcinom eine positive Reaktion, 
von 39 Carcinomseris reagierten 76,9 positiv, Sera Gravider gaben in 
50pCt. eine positive Reaktion. 

Hr. Freund und Frau Kaminer erstatteten eine vorläufige Mit¬ 
teilung über die chemische Wirkung der Röntgen- and Radium- 
strablea aaf das Carcinom. 

Vortragende haben nacbgewiesen, dass die Prädilektionsstellen von 
Carcinomen sich von normalem Gewebe dadurch unterscheiden, dass ihre 
Extrakte nicht die Fähigkeit des normalen Gewebes haben, zugesetzte 
Carcioomzellen zu zerstören; die zerstörende Wirkung kommt einer 
ätherlöslicbeo Fettsäure zu, welche an den Prädilektionsstellen für 
Carcinom fehlt. Vortragende haben Hautstückchen aus frischen Leichen 
mit Röntgenlicht durch 8—11 Stunden bestrahlt; das Extrakt derselben 
zerstörte nicht mehr Carcinomzellen und die charakteristische Fettsäure 
war verschwunden. Bei normalen Dosen von Röntgenstrahlen wurde die 
Haut in j ihrem Verhalten gegenüber dem Carcinom nicht verändert. 
Durch Vorschaltung einer WaSsemhicht von'4 cm Dicke rfrurde die 


schädigende Wirkung der Röntgen strahlen aufgehoben. Finsen- und 
Radiurabestrahlung hatten keine schädigende Wirkung. Wurden Organe, 
welche Sitz von Carcinomen waren und deren Extrakt kein Lösungs¬ 
vermögen für Carcinomzellen hatte, mit Röntgenstrahlen belichtet, so 
trat keine Aenderuug ein, nach Radiumbestrahlung trat das Lösungs¬ 
vermögen wieder auf. Bei Bestrahlung von Sera mittels Röntgen licht 
geht ihre carcinomzerstörende Eigenschaft verloren und wird durch 
Radiumbestrahlung wieder restituiert. Analoge Verhältnisse ergaben 
sich bei Untersuchungen über das Selektionsvermögen der Zellen gegen¬ 
über Kohlehydraten. Es scheint, dass durch Röntgenbestrahlung die 
carcinomlösende Säure in eine inaktive Modifikation übergeführt wird, 
welche durch Radiumbestrahlung wieder aktiv gemacht werden kann. 
Dies wurde auch durch das Experiment bestätigt. Man könnte vielleicht 
daran denken, Röntgenverletzungen mit Radiumstrahlen zu behandeln. 
Hr. Fraenkel: Kriegschirurgische Erfahrungen. 

Fraenkel wurde nach Sofia berufen, als in der Front der Armeen 
Cholera ausbrach. In dem Bestreben, die Hauptstadt cholerafrei zu er¬ 
halten, wurden seither die Verwundetentransporte spärlicher und 
schliesslich überhaupt nur auf den Zuzug aus seuchenfreien Gegenden be¬ 
schränkt. Vortragender war schon vor 20 Jahren auf dem serbisch- 
bulgarischen Kriegsschauplätze tätig; die Vergleichung der damals dem 
Kriegsohirurgen sich bietenden Aufgaben und der jetzigen ergab mit 
geringen Varianten eine Gleichheit in nahezu stereotyper Weise, sie 
wurden auch im grossen und ganzen mit denselben erprobten und be¬ 
währten Mitteln gelöst. Das individuelle Gepräge der Schicksale der 
Kriegsverwundungen und der kriegsohirurgischen Endergebnisse hängt in 
der Neuzeit nicht so sehr von der Art der Verwundung ab als von den 
sie begleitenden äusseren Umständen. Die eigenartigen Verhältnisse des 
Balkankrieges haben es allen Heeren schwer gemacht, für die Ver¬ 
wundeten vorzusorgen. Der Transport musste auf grundlosen Wegen 
zumeist mit den landesüblichen Ochsenkarren durcbgeführt werden, die 
Verwundeten hatten eine Reise von mindestens 3 Tagen bis ins Spital 
zurückzulegen. Die Folge davon war ein grosser Erschöpfungszustand 
der eingelieferten Verwundeten, welche ein unüberwindliches Bedürfnis 
nach Ruhe und Schlaf hatten. Viele wiesen erhöhte Temperaturen auf, 
ohne dass dies auf ihre Verwundungen bezogen werden konnte. Andere 
klagten über Schmerzen, andere hatten Bronchitiden und Diarrhöen, 
bei nicht wenigen wurde Typhus konstatiert. Sonderbarerweise haben 
diese ungünstigen Umstände auf den Zustand der Wunden selbst einen 
verhältnismässig sehr geringen Einfluss geübt. In dem Beobachtungs¬ 
material des Vortragenden überwogen die Verwundungen der Extremi¬ 
täten. Reine Weichteilwunden heilten oft reaktionslos. Nicht wenige 
Schussfrakturen der Extremitäten verhielten sich nach dem Verlauf und 
der Behandlungsdauer vollkommen so wie subcutane Knochenbrüche. 
Es hat sich auch in diesem Kriege gezeigt, dass unter sonst gleichen 
Verhältnissen der weitere Verlauf ganz gleichartiger Verwundungen sich 
recht verschieden gestaltet. Die Wundkomplikationen waren nicht so 
sehr durch die ungünstigen Allgemein Verhältnisse verursacht als durch 
die Behandlung der Wunden selbst. Nicht wenige Verwundete kamen 
ohne Verband; viele von ihnen wiesen eine völlig reaktionslose Schorf¬ 
heilung auf. Andere hatten trockene Gazeverbände, andere wiederum 
waren mit Jodpinseln behandelt worden. Wirklich ungünstige Wund¬ 
verhältnisse boten jene Fälle dar, an deren Wunden Eingriffe vor¬ 
genommen worden waren, besonders Tamponade. Die schlechte Wund¬ 
versorgung war auf den Umstand zurückzuführen, dass in der bulgarischen 
Armee der erste Verband vielfach Feldscherern an vertraut ist, ferner 
darauf, dass genau reglementierte Vorschriften für die Wundversorgung 
fehlten. Ein unliebsamer Uebelstand war, dass in Sofia als im Centrum 
der Verwundetenpflege es an Okulisten und Otiatern fehlte. Die neuen 
Spitzgeschosse zeigten die Eigentümlichkeit, dass sie infolge der Lage 
ihres Schwerpunktes hinter der Geschossmitte leicht um ihre Querachse 
rotieren und mit dem stumpfen Ende vorausgehen, dadurch wurden 
manchmal weitgehende Zerstörungen verursacht. Stecken gebliebene 
Kugeln, welche reizlos eingeheilt waren, lagen öfter nicht in einer ein¬ 
fachen Bindegewebshülle, sondern ziemlich beweglich in einer Cyste 
mit schokoladefarbenem, hämorrhagischem Inhalt. Diese Einheilungsform 
ist für Fremdkörper charakteristisch, welche in bewegten Körper¬ 
partien liegen und durch Schmerzen die Bewegung nicht hemmen. Die 
in den Spitälern Sofias beobachteten Hämatome und Aneurysmen waren 
in der grossen Mehrzahl der Fälle Spätfolgen der Gefässschüsse. Es 
hat den Anschein, dass das kleine Spitzgeschoss, welches beim 
Auftreffen aus grösseren Entfernungen einen beträchtlichen Energiever¬ 
lust erleidet, sich in der Wirkung den alten Projektilen nähert, die mehr kon- 
tundierend als durchschlagend wirken. Die traumatischen Aneurysmen, 
welche Vortragender sah, entwickelten sich meist in der zweiten und 
dritten Woche nach der Verletzung, bei Sohüssen aus geringen Ent¬ 
fernungen werden die Gefässverletzungen von denen des ovigalen Ge¬ 
schosses sich kaum unterscheiden, hier wie dort glatte Einschüsse mit 
glatten Defekten, starkem primärem Bluterguss und primärem Hämatom. 
Die spätere Aneurysmabildung entsteht allmählich durch Nachgeben der 
durch die Kontusion geschwächten Stelle der Gefässwand. Bei Schuss¬ 
frakturen ist die Schädigung des Periostes im allgemeinen gewiss eine 
geringere als bei der Mehrzahl der subcutanen Frakturen, und dadurch 
erklärt sich wohl auch der allgemeine Eindruck, dass ihre Konsolidation 
rascher von statten geht als bei den letzteren. Diese Verhältnisse mahnen 
dazu,' bei der Behandlung der Schussfrakturen streng konservativ vor¬ 
zugehen. Zu Resektionen wirff nur ganz ausnahmsweise die Indikation 
Vt>rriegeii; w*nn eine Infektion Wetz ausgiebiger-Inzision und Drainage 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 9. 


auf den Knochen übergreift und diesen zum Absterben bringt. Einen 
derartigen Eingriff hat Vortragender nur in einem einzigen Falle von 
schwer infizierter Schussfraktur des Oberarmes vorgenoramen. Eine 
Amputation hat er nur in zwei Fallen ausführen müssen. Ein infizierter 
Gelenkschuss fand sich unter seinen Verwundeten nicht vor. Tangential¬ 
schüsse des Schädels, bei welchen kein früher Eingriff vorgenommen 
worden war, zeigten manchmal zur Zeit ihrer Aufnahme schon eine voll¬ 
kommene oder nahezu geheilte Wunde, trotzdem es sich um Verletzungen 
des Knochens handelte. Ein Fall gab zur Spättrepanation Veranlassung. 
Bei keinem der Schädelschüsse wurde die erste Hilfe früher als 24 Stunden 
nach der Verletzung geleistet. Bei offenen Wunden hat Vortragender 
die Knochensplitter entfernt und eine eventuelle. Eiterung behandelt. 
Schädelverletzungen sollten einer eventuellen Operation im Sekundär¬ 
stadium Vorbehalten werden, wenn die frühe Etappe der Hilfeleistung, 
etwa der Verbandplatz, nicht so vollkommen ausgestattet ist, dass sie in 
geradezu klinischer Weise funktionieren kann. Wo dies nicht der Fall 
ist, begnüge man sich mit sorgfältiger Okklusion, umsomehr als die Er¬ 
fahrung lehrt, dass auch späte Eingriffe noch einen vollen Erfolg er¬ 
möglichen. Vortragender erinnert daran, dass er schon vor 20 Jahren 
in einem Vortrage in der „Gesellschaft der Aerzte“ darauf hingewiesen 
hat, dass die Bestrebungen, im Sinne und mit den Mitteln der Anti¬ 
sepsis die Schusswunden des Krieges zu keimfreien umgestalten zu 
wollen, als ihren Zweck verfehlende Maassregeln zu bezeichnen sind, die 
im Hinblick auf die Kriegsverhältnisse mehr schaden als nutzen können. 
Er trat schon damals dafür ein, den Kriegswunden ihren von Haus aus 
relativ gutartigen Charakter dadurch zu wahren, dass sie vor allen 
weiteren äusseren Schädlichkeiten durch einfache Okklusion möglichst 
geschützt und im übrigen tunlichst sich selbst überlassen werden. Für 
die notwendigen Eingriffe kommt die später eingreifende Tätigkeit in 
den Reservespitälern noch zu recht. Diese Anschauungen hatten damals 
Widerspruch erregt, durch die heutigen Erfahrungen sind sie aber in 
ihrer Richtigkeit bestätigt worden. 

Hr. Colmers Coburg: Kriegschirurgisehe Erfahrungen. 

Vortr. besprach seine Erfahrungen, welche er im Spital in Sofia ge¬ 
sammelt hat. Schussverletzungen der Gefässe, welche im Spital erst 
mehrere Tage nach der Verwundung ankamen, waren manchmal als 
solche nicht zu diagnostizieren, man fand Puls in der Extremität, nach 
Tagen oder Wochen kam es aber plötzlich zur Entwicklung eines 
Hämatoms oder eines Aneurysmas. Manchmal verläuft diese Aneurysma¬ 
bildung wie ein Abscess unter Fieber. In einigen Fällen hat Vor¬ 
tragender die Arteriennaht ausgeführt (Iliaca, Poplitea). Bezüglich der 
Schädelverletzungen hatte er nicht so günstige Erfahrungen wie 
Fraenkel. Er sah 18 Gehirnverletzungen, unter diesen waren zwölf 
Tangentialschüsse. Diese letzteren pflegen mit ausgedehnten Zerstörungen 
der Vitrea einherzugehen, die Aussichten einer Spätoperation sind nicht 
sehr günstig. Vortragender hat die Operation wegen Eiterung oder 
wegen Halbseitenläsion ausgeführt, es blieben nur füuf Fälle am Leben, 
von welchen er auch noch nicht behaupten will, dass sie dauernd ge¬ 
heilt sind, obwohl 6—8 Wochen nach der Operation verflossen sind. Vor¬ 
tragender ist der Meinung, dass solche Schüsse in einem guten Spital 
so früh wie möglich operiert werden sollen. Die übrigen Gehirnschüsse 
soll man in Ruhe lassen und nur wegen Blutung oder Infektion operieren. 
Die Schussfrakturen waren in vielen Fällen vereitert, und es mussten wieder¬ 
holt Sequestrotomien ausgeführt werden. Die fühlbaren Lücken in der 
Verwundetenfürsorge, welche sich im bulgarischen Heere bemerkbar 
machten, hängen mit den Mängeln der militärärztlichen Organisation zu¬ 
sammen. Bulgarien hatte 658 Aerzte, von welchen nur vielleicht zehn 
als moderne Chirurgen spezialistich ausgebildet sind. Die Aerzte studieren 
in Russland oder Frankreich, da das Land keine Universität hat. In 
den Krieg sind sämtliche Aerzte einberufen worden; da eine Anzahl 
derselben in Spitälern oder Etappen bleiben musste, waren für die 
350 000 Mann zählende Armee nicht viel Aerzte mehr disponibel, es gab 
Regimenter ohne einen einzigen Arzt. Den Aerzten standen als Helfer 
Feldscherer, welche nicht modern vorgebildet sind, ferner Sanitäts¬ 
soldaten und Blessiertenträger zur Seite. Auf diesen Aerztemangel ist 
es zurückzuführen, dass in vielen Fällen die primäre Wundbehandlung 
schlecht vorgenommen wurde. Zu warnen ist besonders vor der Tampo¬ 
nade uud der Inzision von Schusswunden. Der Verwundetentransport 
war sehr schwierig, er wurde meistens auf Ochsenwagen durchgeführt, 
auf welchen die Verwundeten zusaramengefercht auf Stroh ohne Decken 
lagen. Die Beköstigung bestand meist aus Wasser und Brot, manchmal 
fehlten auch diese. Es mangelte an fahrbaren Krankenküchen, Von 
den Transportierten erreichten wohl nur die kräftigsten das Spital oder 
eine Eisenbahnstation, die Verwundeten lagen auch bei Nacht auf dem 
Wagen und der Transport wurde ohne sanitätsverständige Begleitung 
durchgeführt. H. 


Anutius Foesius. 

Von 


und mich später durch Uebersendung einer sehr gelungenen Photographie, 
welche die Vorlage für unsere Abbildung darstellt, sowie durch die 
folgende Notiz zu grossem Danke verpflichtet hat: 

„Die Büste von Anuce Foes (1528 — 1595) ist in den achtziger 
Jahren des 16. Jahrhunderts aus Alabaster nach der Natur gearbeitet. 
Nach dem Tod des Gelehrten war sie in der Grabkapelle des Familie 
Foes auf dem Nordteil des heutigen Paradeplatzes aufgestellt. Als auf 
Veranlassung von Belle-Isle der Paradeplatz seit 1754 erheblich ver- 
grössert wurde, ward jeoe Grabkapelle mit dem ganzen kirchlichen Bau¬ 
block, der den früheren Paradeplatz an der Kathedrale gen Norden ab¬ 
sperrte, abgerissen (1756), und die Büste gelangte in Privatbesitz (in 
die Hände eines Metzer Kaufmannes). Nachdem die Büste zu Metz als 
Vorlage für das den berühmten Arzt und Gelehrten darstellende Medaillon 
in dem (1766—1781 am neuen, einheitlich umrahmten Paradeplatz er¬ 
bauten) Stadthaus gedient hatte, erwarb sie Baron Dr. Percy für die 
Faculte de medecine zu Paris (1810) von dem Privatbesitzer (Robiche) 
für 40 Frs. Doch gelang es dem damaligen Bürgermeister von Metz, 
dem Arzt (und Baron) Marchant, die Büste im Jahre 1811 um den¬ 
selben Preis zurückzukaufen; die nach Metz zurückgelangte Büste fand 
Aufstellung im Lesesaal der Stadtbibliothek (einer ehemaligen Barfüsser- 
kirche), bis sie 1872 in den Neubau des städtischen Museums überführt 
wurde, in dessen Geraäldesälen sie noch steht.“ 



Anuce Foes (Anutius Foesius) aus Metz (1528—1595) ist dem 
Gedächtnis des heutigen Geschlechts der Aerzte, das ja so viel Neues 
zu lernen und zu betreiben hat, schon fast ganz entschwunden. Der 
Mann hat aber zu seiner Zeit eine grosse Aufgabe mit bewunderungs¬ 
würdigem Fleiss und Scharfsinn gelöst. 

Die wichtigsten Hebel des Aufschwungs der Heilkunde im 16. Jahr¬ 
hundert sind (nach Haeser) die Erneuerung des Studiums der klassischen 
(d. h. der griechischen) Aerzte, die Wiederbelebung der Anatomie und 
auch die eigene Forschung, besonders auf dem Gebiet der neu auftreten¬ 
den Krankheiten. 

Damals hatten die Schriften der griechischen Aerzte, namentlich die 
unter dem Namen des Hippobrates und des Galenus überlieferten, nicht 
bloss, wie für uns heutzutage, einen geschichtlichen, sondern noch einen di¬ 
daktischen Wert. Somit erhellt die Bedeutung unsres Anutius Foesius, 
der in 40jähriger Arbeit die erste brauchbare Ausgabe der hippo¬ 
kratischen Schriften geschaffen, die nicht bloss die seiner Vorgänger 
(des Calvus, Rom 1525, nur lateinisch; des Franc. Asulanus, Venedig 
1526; des Janus Cornarius, Basel 1538; des Hieronym. Mer- 
curialis, Venedig 1588) weit überragte, sondern auch alle seine Nach¬ 
folger übertroffen hat, bis im 19. Jahrhundert E. Littre der hippo¬ 
kratischen Sammlung eine neue Lebensarbeit (von 1839—1861) gewidmet, 
die heutzutage durch eine bessere und kritische Ausgabe zu ersetzen, 
eine der Hauptaufgaben des von unsrem Hermann Diels begründeten 
Corpus medicum darstellen wird. 

Im Jahre 1595 J ), dem Todesjahr von Foes, erschienen zu Frank- 


J. Hirecliberg. 

Als ich im Sommer 1912 das Museum der Stadt Metz besuchte, fiel 
mir in einem der ersten Säle eine schöne Büste ins Auge; ich las die 
Inschrift Anuce Foes und befragte den Direktor des Museums, Herrn 
Prof. Keune, der meine Vermutung, dass die Büste den berühmten 
Arzt und Gelehrten aus dem 16. Jahrhundert darstelle, sofort bestätigte 


1) Haeser hat irrigerweise 1591, sowohl in seiner Geschichte der 
Medizin, 1881, Bd. 2, S. 20, als auch im biographischen Lexikon von 
A. Hirsch, Bd. 3, S. 394, als Todesjahr angegeben. Weitere Ausgaben 
Frankfurt a. M. 1621, 1625; endlich Genf 1657. Die letztere, von Haeser 
als die beste bezeichnet, findet sich in meiner Büchersammlung. Die 
Oeconomia Hippocratis war schon 1588 (zu Frankfurt a. M.) ; gesondert 
erschienen. > 3 


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3. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


427 


fort a. M. die beiden gewaltigen Folianten, die zusammen etwa 1800 Seiten 
enthalten, und die genau durchzulesen freilich kein beschäftigter 
Arzt des 20. Jahrhunderts mehr die Zeit finden wird. 

Aber für den Geschichts-Forscher und Liebhaber bildet diese 
Hippokrates-Ausgabe eine reiche Fundgrube der Belehrung, nicht zum 
wenigsten durch das beigefügte, ausführliche Hippokrates-Lexikon 
(Oeconomia Hippocratis), in welchem alle wichtigen Ausdrücke und 
Begriffe erklärt und durch Anführung aller Stellen aus der hippo¬ 
kratischen Sammlung (und aus den andren Schriften der Griechen und 
Römer) erläutert werden. Mir ist diese Oeconomie bei der Abfassung 
meiner Geschichte der griechischen Augenheilkunde von grösstem Nutzen 
gewesen. (Ich wünschte, wir hätten ein Goethe-Lexikon von gleicher 
Genauigkeit und Vollständigkeit!) 

Uebrigens war Anuce Foes ein ausgezeichneter Praktiker 
and den meisten philologischen Aerzten seiner Zeit, welche die Heraus¬ 
gabe der ärztlichen Schriften des Altertums zu ihrer Lebensaufgabe ge¬ 
macht, durch eigene Erfahrung bedeutend überlegen. Au 9 der 
Widmung seiner Oeconomie „an den Praetor und den Senat seiner Stadt 
Metz“ erfahren wir, dass Foes im Jahre 1587 bereits seit 35 Jahren 
da 9 öffentliche und besoldete Amt eines Stadtarztes „mit Fleiss, wie er 
hoffe“, verwaltete. 

Somit glaube ich durch Abbildung des geistvollen Antlitzes mit der 
gewölbten Stirn und dem fragenden Blicke nicht bloss einem verdienten 
Maone den Ehrensold gezahlt, sondern auch meinen heutigen Fachgenossen 
eine kleine Genugtuung bereitet zu haben. 


Zum Wahlmodus in der Berliner medizinischen 
Gesellschaft. 

Alljährlich kommt es in der Generalversammlung der Berliner medi¬ 
zinischen Gesellschaft zu Geschältsordnungsdebatten über das Verfahren des 
Wahlaktes. Das beginnt schon bei der Wahl des ersten Vorsitzenden. 
Regelmässig erhebt sich jemand und schlägt „Akklamation“ vor, worauf 
der Verhandlungsleiter erklären muss, dass eine Wahl durch Zuruf an 
dieser wichtigsten Stelle nach § 13 der Statuten ausgeschlossen sei. 

Schreitet man dann aber zur Wahl seiner drei Stellvertreter, dann 
entspinnt sich, falls bei ihr gegen die ebenfalls regelmässig beantragte 
und in diesem Falle statutengemäss zulässige „Wahl durch Akklamation“ 
Widerspruch erhoben wird — hierzu genügt eine widersprechende 
Stimme —, eine längere und unerquickliche Debatte. Und mit gleicher 
Regelmässigkeit erlebt man dann, dass zur Abkürzung des Verfahrens 
die „Listenwahl“ in Vorschlag gebracht wird, d. h. es sollen alle drei 
Vertreter auf einem Zettel gleichzeitig gewählt werden und die drei 
Herren, welche die meisten Stimmen haben, als gewählt gelten. 

Dies ist aber nach § 13 der Statuten unzulässig und, wenn man 
den alten Brauch, die Stelle eines der drei — unter sich koordinierten 
Stellvertreter — immer mit einem praktischen Arzt zu besetzen, bei¬ 
behalten will, auch undurchführbar. 

Dass das Prinzip der Listenwahl dem „Gesetzgeben“ bei Abfassung 
unserer Statuten nicht unbekannt war, ergibt ohne weiteres ein Einblick 
in den § 20, wo von der Wahl des Ausschusses die Rede ist. Hier 
werden von 27 seitens des Vorstandes vorgeschlagenen Herren (durch 
Ausstreichen von 18 Namen) 9 gewählt. „Diejenigen 9 Personen, welche 
hiernach die meisten Stimmen haben, gelten als gewählt.“ 

Der Gesetzgeber hat also nicht aus Unkenntnis eines bequemeren 
Wahlmodus, sondern weil er die Stelle der drei Stellvertreter für sehr 
wichtig hielt, für sie ein anderes Verfahren festgesetzt, nämlich: „Jedes 
der übrigen Vorstandsmitglieder (voraus ging die Bestimmung über die 
Wahl des Vorsitzenden) wird einzeln! durch Stimmzettel oder durch 
widerspruchslose Akklamation gewählt. Die absolute Majorität ent¬ 
scheidet . . . .“ 

Klarer und unzweideutiger konnte die Bestimmung kaum gefasst 
werden und, mag sie auch noch so unbequem und zeitraubend sein, so¬ 
lange sie so lautet, kann sie durch keinerlei Deduktion umgangen oder 
modifiziert werden. 

Die erste Modifikation, die immer in Vorschlag gebracht <wird, ist 
die einfache Listenwahl, wie oben für den Ausschuss angeführt. Sie 
an Stelle der jetzigen Bestimmung zu setzen, gefährdet aber die alte 
Tradition, immer einen Stellvertreter aus der Reihe der praktischen 
Aerzte zu nehmen. Denn wenn gleichzeitig drei Herren zu wählen und 
dafür mehr als drei Namen vorgeschlagen sind (sind es blos drei, so ist 
der Wahlakt überhaupt überflüssig), so können sehr wohl die drei 
höchsten Stimmenzahlen auf drei Angehörige der Fakultät fallen. Das 
wäre kein Unglück, aber es ist gegen einen alten Brauch, den man 
nicht ohne besonderen Grund verlassen sollte (wie es einmal bei Robert 
Koch und einmal bei W. A. Freund geschah, die aber beide damals 
schon ausser Amtes waren, so dass es, rein formell betrachtet, keinen 
Bruch des alten Brauches bedeutete). 

Die einfache Listenwahl ist also für uns in diesem Falle nicht 
angängig. 

Darum wird oft und wurde auch gestern (26. d. M.) eine modifi¬ 
zierte Listenwahl fo Vorschlag gebracht, wonach alle drei Herren in 
einem WahlgaDg zu Wählen sind,' aber nicht einfach die drei mit def 
höchsten Stimmenzahl, sondern diejenigen, welche die absolute MaJo'H~ 
tat erreicht haben, als gewählt zu betrachten sein sollten. Dagegen ist 


nicht nur der schon eben angeführte Grund, dass hiermit unsere alte 
Tradition über den Haufen geworfen werden könnte, anzuführen, sondern 
ein noch wichtigerer: es können bei diesem Modus mehr als drei Herren 
gleichzeitig die absolute Majorität erreichen und wir mit einem Mal statt 
dreier Stellvertreter vier oder mehr haben. 

Ein Beispiel: Es werden 300 Stimmzettel abgegeben, absolute 
Majorität demnach 151. Da auf diesen 300 Stimmzetteln aber 
300 x 3 = 900 Namen stehen (wohlgemerkt, die drei Herren sind 
koordiniert nach § 12), so könnte es folgendermaassen kommen: 

155 Stimmen entfallen auf Herrn Schulze, 

160 „ „ „ „ Müller, 

160 „ „ „ „ Meyer, 

170 „ „ „ „ Schmidt, 

190 „ „ „ „ Fischer, 

65 „ „ „ verschiedene weitere Kandidaten. 

Da noch 65 Stimmen übrig bleiben, so sind noch grosse Schwankungen 
möglich und doch wären fünf Stellvertreter aus dem Wahlakt hervor¬ 
gegangen. 

Auf diesem Wege wäre es also nicht gegangen. Will man den 
Wahlmodus für den Stellvertreter vereinfachen und doch die oben 
genannte alte Tradition aufrecht erhalten, so ist das Einfachste, zunächst 
§ 12 der Statuten zu ändern und für die drei Stellvertreter eine Rang¬ 
folge einzuführen, einen ersten, zweiten, dritten Stellvertreter zu 
schaffen, dann könnte in §13 hinter „einzeln“ eingefügt werden: „Oder 
durch gemeinsame mit Vordruck versehene Stimmzettel.“ 

Solche. Stimmzettel wurden ja immer verteilt, aber sie sind nur 
unter Anerkennung einer Reihenfolge, um nicht zu sagen Rangordnung, 
zu verwenden, was bisher immer stillschweigend geschehen, aber gestern 
vom Verhandlungsleiter, einem der bisherigen drei Stellvertreter, bescheiden 
abgelehnt worden ist. 

Gegen diesen Modus wurde freilich bei früheren Wahlen noch ein 
Bedenken geäussert, dass jemand bei einem „vorgeordneten“ Amte 
durchfallen kann, den man dann gern für ein „nachgeordnetes“ — sit 
venia verbo — haben möchte. 

Für den Wahlmodus der vier Schriftführer, die wir das nächste Mal 
zu wählen haben, gilt vorläufig das gleiche Bedenken wie für die stell¬ 
vertretenden Vorsitzenden. In Zukunft könnte für sie die Listenwahl ein¬ 
geführt werden, da hier ja nicht die oben genannte Tradition zu be¬ 
rücksichtigen ist. Für die Gegenwart ist aber die Aufgabe (und das wäre 
auch bei den Wahlen der Stellvertreter des Vorsitzenden möglich gewesen) 
einfach so zu lösen, wie es auch bisher meist geschah, dass der Ver¬ 
handlungsleiter unter Nennung der einzelnen Namen der bisherigen 
Vorstandsmitglieder fragt: „Wird gegen die Zurufswahl des Herrn X 
Widerspruch erhoben?“ Wenn nicht, so ist er gewählt. Erfolgt Wider¬ 
spruch, so wird über diesen und seine Gegenkandidaten abgestimmt u.s.f. 

Für die AuTnah mekommission (§ 24) ist ebenfalls die Listen¬ 
wahl vorgesehen, aber modifiziert: es entscheidet „die absolute Stimmen¬ 
mehrheit“. Diese Einschränkung des sonst so brauchbaren Prinzips der 
Listenwahl sollte aus der oben angeführten übergrossen Wahl¬ 
möglichkeit bei nächster Gelegenheit geändert werden. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. In der Sitzung der Berliner medizinischen Gesell¬ 
schaft vom 26. Februar demonstrierte vor der Tagesordnung 1. Herr 
Hammerschlag: Laparotomie bei Retroflexio uteri gravid! fixata; 
2. Herr Blumberg: Neue Operation zur Sterilisierung des Weibes mit 
Möglichkeit der späteren Wiederherstellung der Fruchtbarkeit; 3. Herr 
Jeger: Ersatz eines Stückes der Aorta aus der besonders präparierten 
Carotis. In der Tagesordnung (Generalversammlung) erstattete 
Herr v. Hansemann den Geschäftsbericht für das Jahr 1912, Herr 
Stadelmann den Kassenbericht, Herr H. Kohn den Bibliotheksbericht, 
Herr Landau den Bericht der Kommission für die Erbauung eines 
Rudolf Virchow-Hauses. Bei der Wahl des Vorstandes wurden Herr Orth 
zum Vorsitzenden und Herr L. Landau zu einem der drei Stellvertreter 
wiedergewählt. Die anderen Wahlen kamen noch nicht zur Erledigung, 
und so findet nächsten Mittwoch eine Fortsetzung der Generalversamm¬ 
lung statt. 

— Ein Fortbildungskursus für Medizinalbeamte in der 
sozialen Medizin ist von der Medizinalverwaltung in Aussicht ge¬ 
nommen. Er wird in der Zeit vom 3. bis 16. März d. J. in Berlin statt- 
flnden. Vorgesehen sind Vorträge und Demonstrationen aus den ver¬ 
schiedenen Zweigen der Arbeiterversicherung, der Gewerbehygiene, der 
gesundheitlichen Fürsorge für Säuglinge, Kleinkinder und Jugendliche, 
der öffentlichen Krankenfürsorge und der Bekämpfung der Volksseuchen. 
Ausserdem finden Besichtigungen von sozialmedizinischen Anstalten oder 
Einrichtungen sowie von gewerblichen Betrieben statt. 

— An der Akademie für praktische Medizin in Düsseldorf findet 
vom 14. bis 26. April ein Sonderkursus zur Ausbildung von Schulärzten 
statt. Als Vortragende in diesem Kursus sind ausser den Dozenten der 
Akademie zahlreiche hervorragende Schulmänner und Hygieniker be¬ 
teiligt, darunter Prof. Dr. Selter-Bonn. Ausserdem findet vom 17. bis 
19. Jhli ein Kursus für „soziale Medizin“ statt mit besonderer Berück¬ 
sichtigung der Unfall- und 4 Invalidenbegutachtung. Auch an diesöm 
Kursus wördeh ausser'den Dozent&i der Akademie herVoriigende* Sozial¬ 
politiker Vorträge halten. Auskunft erteilt das Sekretariat der Akademie. 


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Original frnrri 

UNIVERSUM OF IOWA 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 9. 


— Deutsche Gesellschaft für Meeresheilkunde. Am 
Dienstag, den 25. März, mittags 1 Uhr, findet unter dem Vorsitz des 
Herrn Geheimen Ober-Medizinalrats Dr. Abel im Hörsaal der Universitäts- 
Kinderklinik der Kgl. Charite zu Berlin die erste Jahresversammlung 
der Deutschen Gesellschaft für Meeresheilkunde statt. Referate über¬ 
nommen haben die Herren Prof. Dr. Franz Müller-Berlin, Geh. Med.- 
Rat Prof. Dr. Ewald-Berlin, Generaloberarzt Dr. Schultzen-Berlin. 
Ferner haben die Herren Dr. Edel-Wyk auf Föhr, Generalarzt König- 
Berlin, Dr. Freudenberg - Berlin und Dr. v. Kügelgen - Südstrand- 
Föhr Vorträge angemeldet. 

— Beim 17. internationalen Kongress in London wird auch eine 
Logenversammlung der Freimaurer-Mediziner, welche Mitglieder 
des obigen Kongresses sind, Montag, den 11. August 1913, im Tempel 
der Grossloge, Freemasons’ Hall, Great Queen Street, W.C., abgehalten 
werden. Der ehrwürdigste Pro-Grossmeister, der Right Hon. Lord 
Ampthill, G. C. S. I., G. C. I. E., wird die Loge um 5 Uhr nachmittags 
eröffnen und um 6 Uhr schliessen. Ein Empfang wird abgehalten werden 
in den Connaught Rooms, neben der Freemasons’ Hall, um 4 Uhr nach¬ 
mittags. 

— Das Kuratorium für das städtische Rettungswesen in Berlin be¬ 
schloss, an die Spitze des ärztlichen Dienstes zwei Direktoren zu stellen 
und die Herren Dr. Paul Frank und Geh. San.-Rat Prof. Dr. George 
Meyer dem Magistrat für diesen Posten in Vorschlag zu bringen. 

— Prof. Karl Dapper in Bad Kissingen wurde unter der Be¬ 
nennung „v. Dapper-Saalfels“ in den erblichen Adelsstand des 
Königreichs Bayern versetzt. 

— Prof. Dührssen, der ausgezeichnete gynäkologische Operateur, 
hat das Unglück, infolge einer Infektion seine Tätigkeit aufgeben zu 
müssen — eine Nachricht, die sicherlich überall lebhafte Teilnahme er¬ 
wecken wird. Seine Klinik wird vorläufig von seinen Assistenten weiter¬ 
gehalten werden. 

— Zum Direktor der inneren Abteilung am städtischen Kranken¬ 
hause in Lübeck wurde Prof. Deycke-Hamburg ernannt. 

— Die Ausführung des Robert Koch-Denkmals ist dem bekannten 
Berliner Bildhauer Prof. Louis Tuaillon übertragen worden. Das 
Denkmal, für dessen Aufstellung die Stadt einen Teil des Luisenplatzes 
überlassen hat, soll in Marmor ausgeführt werden. 

Hochschulnachrichten. 

Bonn. Der Privatdozent für Physiologie, Dr. Schöndorff, wurde 
zum ao. Professor, Prof. Gräfin v. Linden zur Leiterin des neu¬ 
geschaffenen parasitologischen Laboratoriums ernannt. — Kiel. Am 
21. März er. wird Geheimrat Siemerling sein 25jähriges Dozentenjubi¬ 
läum begehen. Prof. Lubarsch hat den Ruf als Nachfolger Heller’s 
angenommen. — Königsberg. Prof. Hofmann in Prag wurde das 
Ordinariat für Physiologie übertragen, das bisher Geheimrat Hermann 
innehat; Prof. Hermann wurde Dr. phil. h. c. der hiesigen Fakultät. 

— Fr ei bürg. Dem Privatdozenten für Pharmakologie, Dr. Fühner, 
wurde der Titel eines ao. Professors verliehen. — Halle. Habilitiert: 
DDr. Lehnerdt (Kinderheilkunde), Ai che 1 (Anatomie und Anthropologie). 

— Würzburg. Am 25. Februar feierte Dr. R. Geigel, ao. Professor 
für Balneologie und mechanische Heilmethoden das 25jährige Dozenten¬ 
jubiläum. Habilitiert: Dr. L. Jacob (innere Medizin). — Wien. Prof, 
v. Noorden gedenkt, sich vom Lehramt zurückzuziehen und nach 
Frankfurt a. M. überzusiedeln. Prof. R. Frank, chirurgischer Chefarzt 
am allgemeinen Krankenhaus, ist gestorben. Prof. N. Ortner wurde 
zum Hofrat ernannt. 


Gang der Volkskrankheiten. 

Pest. Aegypten (1.—7. II.) 7 und 6 f. Hongkong (12.—18.1.) 
1 f. — Cholera. Türkei (5.—12. II.) 34, davon 11 f. — Gelbfieber. 
Brasilien (24.1.—3. II.) 4 und 1 f. — Pocken. Deutsches Reich 
(16.—22. II.) 1. Oesterreich (2.—8. II.) 3. Griechenland (l.) 16. 
Hongkong (5.—18.1.) 9, davon 4f- — Fleckfieber. Oesterreich 
(2.—8. II.) 104. — Genickstarre. Preussen (9.—15.11.) 5und3+. 
Oesterreich (26.1.—1. II.) 2. Schweiz (2.—8. II.) 3. Griechen¬ 
land (I.) 1. — Spinale Kinderlähmung. Preussen (9.—15.1.) 3. 
Oesterreich (26.1.—1. II.) 2. — Mehr als ein Zehntel aller Ge¬ 
storbenen starb an Scharlach in Altenessen, Kattowitz; an Diphtherie 
und Krupp in Beuthen, Dortmund, Heilbronn, Wanne; an Keuch¬ 
husten in Bromberg, Fürth, Rheydt. 


Amtliche Mitteilungen. 

Personalien. 

Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 4. Kl.: Arzt Dr. F. W. 

Delius in Hamburg, früher in Buenos-Ayres. 

Charakter als Geheimer Sanitätsrat: San.-Rat Dr. E. Klein¬ 
schmidt in Elberfeld. 

Prädikat Professor: Chefarzt Dr. A. Nehrkorn in Elberfeld. 
Niederlassungen: Aerztin Dr. K. Gaus geb. Huch in Berlin, Dr. B. 
Graf und Dr. Chr. Rowe in Charlottenburg, Dr. E. Kunowski in 
Berlin-Schöneberg, Dr. A. Jacobson in Gnesen, Dr. R. Schumacher 
in Halle a. S., Dr. R. Wolter in Kayna, Dr. F. Budde in Han¬ 
nover. 


Verzogen: Dr. 0. Riehl von Seelow nach Cüstrin N., Dr. W.Siegert 
von Berlin nach Halberstadt, Dr. B. Hertz von Magdeburg nach Burg, 
Dr. H. J. Bohmeyer von Todtmoos nach Vogelsang, Dr. P. Ke ding von 
Rostock nach Aschersleben, Arzt W. Gaudin von Jena nach Salz¬ 
wedel, Dr. H. Riebeling von Cassel und Dr. J. Hundt von Pforz¬ 
heim nach Harburg, Dr. K. Lübbers von Greifswald nach Gladbeck, 
Dr. H. Hahn von München nach Münster, Arzt W. Knappe von 
Osnabrück nach Buer, Arzt M. Steckelberg von Witten nach Reck¬ 
linghausen, Dr. E. Lippert von Marburg, Dr. A. Mauer von Reisen 
als Schiffsarzt, Dr. A. Stumm von Aachen und Dr. B. Bo esenseil 
von M.-Gladbach nach Dortmund, Dr. M. Ellerbrock von Reisen als 
Schiffsarzt und Dr. W. Bäumer von Freudenberg nach Gelsenkirchen, 
Dr. V. Müller von Erfurt nach Bochum, Dr. J. Müller von Gelsen¬ 
kirchen nach Suttrop, Dr. F. Loeser von Erwitte nach Lippstadt, Arzt 
W. Wegner von Rastenburg nach Hünfeld. Dr. J. Stoll von Frank¬ 
furt a. M. nach Nauheim, Dr. M. Maier von Frankfurt a. M. nach 
Strassburg i. E., Dr. W. Schlandraff von Frankfurt a. M. nach Hanau 
zum Militär, Dr. A. Naumann von Freiburg i. Br., Dr. C. Hessel 
von Heidelberg, Dr. F. Walterhöfer von Jena, Dr. F. Weihe von 
Herford, Dr. H. Köster von Bremen und Dr. W. Vogel von Meiningen 
nach Frankfurt a. M., Arzt K. Moser von Weilmünster nach Stutt¬ 
gart, Dr. A. Gans von Duisburg-Meiderich nach Mengerskirchen, Dr. J. 
Arnold von Halle a. S. und Oberarzt Dr. E. Zwicke von Cöln nach 
Wiesbaden, Dr. F. Ullrich von Koblenz nach Bremen, Dr. W. 
Escherer von Wartenberg (Oberbayern), Aerztin Dr. E. Eichmann 
von Osnabrück und Dr. F. Wühler von Schöneberg bei Wildbad 
(Württemberg) nach Aachen, Dr. F. Lorenz von Düren nach Schöne¬ 
berg bei Wildbad (Württemberg), Dr. P. Bartels von Berlin nach 
Königsberg i. Pr., Dr. P. Abraham von Neubabelsberg, Arzt K. 
Bacharach von Heidelberg, Dr. W. Cobliner von Charlottenburg, 
Dr. A. Goldschmidt von Königshütte O.-Schl., Dr. E. Hupper¬ 
mann von Magdeburg, Dr. 0. Lang-Heinrich von Wildungen, 
Arzt M. Loewinstein von Friedrichshagen, Dr. M. Mannheimer 
von Charlottenburg, Dr. M. Prange von Dresden, Dr. A. Reitter 
von Nürnberg, Dr. E. Riedel von Charlotten bürg, Dr. K. Rochs von 
Britz, Dr. K. Sauer von Buchheim, Aerztin Dr. L. Schiemann von 
Abtey (Rheinhessen), Dr. W. Siebenlist von Gotha, Dr. A. Wun¬ 
derlich von Charlottenburg und Dr. F. Ziemann von Berlin-Lichter¬ 
felde nach Berlin; Dr. W. Bloch von Bamberg nach Neukölln, Dr. 
W. Eitel von Strassburg i. E., San.-Rat Dr. E. Friedländer von 
Zoppot, Dr. K. Lange von Berlin, Dr. M. Mendelsohn von Berlin- 
Schöneberg, Dr. K. E. A. Meyenberg von Gelsenkirchen, Arzt Ed. 
Opel von Neubabelsberg, Aerztin Dr. E. Reinike von Berlin, Dr. K. 
Sadewasser von Brornberg, Dr. J. Schwalb von Berlin und Dr. 
F. H. Ulrici von Müllrose nach Charlotten bürg; Aerztin Dr. E. 
Geliert von Berlin, Dr. P. Hotes von Charlotten bürg, Dr. W. Koch 
von Freiburg i. Br., San.-Rat Dr. W. Schmieden von Charlottenburg 
und Dr. P. Zander von Chemnitz nach Berlin-Wilmersdorf; Dr. K. 
Lott von Charlottenburg und Dr. F. Tietz von Schwerin nach 
Berlin-Schöneberg; Dr. R. Maison von Charlottenburg und Dr. H. 
Plass von Berlin nach Hamburg, Dr. K. Veber von Berlin nach 
München, Dr.,W. Schwarzbaoh von Heidelberg nach Greifswald, 
Dr. K. Ey er ling von Stralsund nach Braunschweig, Aerztin Dr. S. 
Herzberg von Greifswald, Dr. A. Bentzer von Bonn, Dr. 0. Müller 
von Kattowitz, Aerztin Dr. M. Dirks von Hannover und Dr. M. Serog 
von Obernigk nach Breslau, Arzt G. Kügler von Ziegenhals, Kreis 
Neisse, nach Freiburg i. Schl., Dr. R. Ricken von Oberhausen nach 
Markt-Bohrau, Kreis Strehlen, Dr. G. A. Sombold von Reisen als 
Schiffsarzt nach Obernigk, Kreis Trebnitz, Arzt K. Frost von Königs¬ 
berg i. Pr. nach Sprottau, Dr. S. Putsch von Kuttlau, Kreis Glogau, 
nach Röeknitz, Kreisarzt a. D. Dr. J. Pfeffer von Reichenbach, Kreis 
Görlitz, nach Pfeddersheim b. Worms, Arzt Th. Schnittkin von 
Posen und Dr. M. Reichel von Oppeln nach Kattowitz, Dr. W. 
Bethge von Hultschin nach Siemianowitz, Arzt E. Siegfried von 
Siemianowitz nach Gera, Arzt E. Eckstein von Breslau naoh Königs¬ 
hütte, Dr. A. 0. Pallas von Koschwitz nach Hettstedt, Arzt 0. 
Gänsler von Schkeuditz nach Rosenheim a. I., Dr. W. Armbruster 
von Henfenfeld i.Bayern nach Schkeuditz, Dr. 0. Kunze von Braun¬ 
schweig und Dr. W. Schwartz von Uchtspringe naoh Altscherbitz, 
Arzt V. Jonas von Altscherbitz, Dr. W. Stemmler von Halle a. S. 
und San.-Rat Dr. P. Martner von Kayna nach Jena, Dr. G. Brae- 
mer von Hohndorf, Kreis Eckartsberga, nach Kosen, Dr. P. Hendel 
von Reisen als Schiffsarzt, Dr. B. Aschner von Wien und General¬ 
oberarzt a. D. M. Nehmiz von Lyck nach Halle a. S. 

Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. W. Baggert, 
Dr. J. Lippmann, Dr. P. Rüde, Dr. F. Schulz und Dr. M. Silber¬ 
berg von Berlin, Dr. W. Meiner und Dr. G. Heidsieck von Stettin 
auf Reisen. 

Gestorben: Dr. B. Bosse in Berlin, Oberarzt Dr. B. Weissker in 
Gnesen, Generalarzt a. D. Dr. K. Kirchner in Breslau, Arzt J. 
Engel in Leobschütz, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. A. Genzmer in Halle 
a. S., San.-Rat Dr. B. Eichner in Weissenfels, Arzt E. Kühme in 
Sangerhausen, San.-Rat Dr. M. Tippei in Kaiserswerth, Dr. H. Weh- 
berg in Düsseldorf, Dr. E. Fürst in Essen-Recklinghausen. 

Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hans Koho, Berlin W., Bayreulher 8trass« 42. 


Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4. 


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Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 







Dt«* Berliner Klinische Wochenschrift erscheint jeden 
Montag in Nummern von cm. 6—6 Bogen gr. 4. — 
Preis vierteljährlich 6 Mark. Bestellungen nehraon 
alle Buchhandlungen <ind Postansulten an. 


BERLINER 


Alle Binsendongen für die Redaktion and Expedition 
volle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung 
August Hirachwald ln Berlin NW., Unter den Lindee 
No. 68, adressieren. 



Organ für praktische Aerzte. 


Geh. Med.-Rat 


Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 


Redaktion: 

Prof. Dr. C. Posncr und Dr. Hans Kolm 


Expedition: 

August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin. 


Montag, den 10. März 1913. M 10 . 


Fünfzigster Jahrgang. 


INHALT. 


Originellen: Orth: Ueber die Bedeutung der Rinderbäcillen für den 
Menschen. (IUustr.) S. 429. 

Werner: Die nichtoperativen Behandlungsmethoden der bösartigen 
Neubildungen. (Aus dem Samariterhaus in Heidelberg.) S. 435. 
Cohn und Reiter: Klinische und serologische Untersuchungen bei 
Harneiterungen durch Bacterium coli. (Aus dem hygienischen 
Institut der Universität Königsberg und der urologischen Klinik und 
Poliklinik von Privatdozent Dr. Theodor Cohn.) S. 441. 
Lewinski: Ein Beitrag zur Endocarditis leuta an der Hand von 
drei Fällen. (Aus der inneren Abteilung des städtischen Kranken¬ 
hauses zu Stettio.) S. 443. 

Holländer: Nochmals „der dritte Weg zur totalen Rhinoplastik". 
S. 446. 

Schramm: Ueher Aqua destillata zur Salvarsanhereitung. (Aus 
dem Laboratorium der Löwen-Apotheke in Dresden.) S. 446. 
Mittwoch: Die älteste Influenza-Epidemie in Persien und Meso¬ 
potamien (im Jahre 855 n. Chr.). (Illustr.) S. 447. 
Lautenschläger: Eine Modifikation des Killian’schen Spatelhakens 
zur Schwebelaryngoskopie. (Aus der Städtischen Hals- und Nasen¬ 
klinik in Frankfurt a. M.) (Illustr.) S. 448. 

Bicherbesprechungen : Katz, Preysing und Blumenfeld: Handbuch 
der speziellen Chirurgie des Ohres und der oberen Luftwege. S. 448. 
Hass lauer: Das Gehörorgan und die oberen Luftwege bei der Be¬ 
urteilung der Militärdienst Fähigkeit. S. 448. (Ref. Brühl.) — Hoch- 
singer: Gesundheitspflege der Kinder im Eltemhause. S. 449. 
Salge: Einführung in die moderne Kinderheilkunde. S. 449. (Ref. 
Weigert) — Stern: Ueber körperliche Kennzeichen der Dis¬ 
position zur Tabes. S. 449. Sommer: Klinik für psychische 
und nervöse Krankheiten. S. 449. (Ref. Seiffer.) — Herren¬ 
schneider: Lehrbuch der Hebammenkunst. S. 449. Burck- 
hard: Studien zur Geschichte des Hebammenwesens. S. 449. 
(Ref. Freund.) 


Literatur-Auszüge : Physiologie. S. 449. — Pharmakologie. S. 450. — 
Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. S. 450. — 
Parasitenkunde und Serologie. S. 451. — Innere Medizin. S. 451. — 
Psychiatrie und Nervenkrankheiten. S. 452. — Kinderheilkunde. 
S. 452. — Chirurgie. S. 452. — Röntgenologie. S. 453. — Urolope. 
S. 453. — Haut- und Geschlechtskrankheiten. S. 454. — Geburtshilfe 
und Gynäkologie. S. 454. — Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 
S. 455. — Hygiene und Sanitätswesen. S. 455. — Unfallheilkunde 
und Versicherungswesen. S. 455. — Militär-Sanitätswesen. S. 455. 

Verhandlung«! ärztlicher Gesellschaften: Berliner medizinische 
Gesellschaft. Hammerschlag: Retroflexio uteri gravidi. S. 456. 
Blumberg: Neue Operation zur Sterilisierung des Weibes mit Mög¬ 
lichkeit der späteren Wiederherstellung der Fruchtbarkeit. S. 456. 
v. Hansemanu: Bericht über die Tätigkeit der Berliner medi¬ 
zinischen Gesellschaft im Jahre 1912. S. 456. Stadelmann: 
Kassenbericht. S. 457. H. Kohn: Bericht über die Bibliothek und 
den Lesesaal im Jahre 1912. S. 457. Landau: Bericht der Kom¬ 
mission für die Erbauung des Rudolf Virchow - Hauses. S. 459. 
Wahl des Vorstandes. S. 460. — Berliner Gesellschaft für 
Psychiatrie und Nervenkrankheiten. S. 460. — Berliner 
Gesellschaft für Chirurgie. S. 463. — Breslauer chir¬ 
urgische Gesellschaft. S. 465. — Medizinische Gesell¬ 
schaft zu Kiel. S. 467. — Aerztlicher Verein zu München. 
S. 468. — Medizinische Gesellschaft zu Basel. S. 468. — 
K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. S. 468. — Gesell¬ 
schaft für innere Medizin und Kinderheilkunde zu Wien. 
S. 469. — Verein deutscher Aerzte zu Prag. S. 470. — Aus 
Pariser medizinischen Gesellschaften. S. 470. 

Alexander: Zur gesetzlichen Bekämpfung des Kurpfuschertums. S. 470. 

Viennensis*. Wiener Brief. S. 474. 

Blumenthal: Zur Erinnerung an W. Podwyssotzky. S. 475. 

Tagesgeschiohtl. Notizen. S.476. — Amtl. Mitteilungen. S.476. 


Ueber die Bedeutung der Rinderbacillen für den Menschen. 

Von 

J. Orth* 

(Nach einem in der Berliner medizinischen Gesellschaft am 19. Februar 1913 gehaltenen Vortrag.) 


ln der Diskussion über den Friedmann’schen Vortrag sind 
verschiedene Fragen aus dem Gebiete der Tuberkulosepatbologie 
berührt worden, bei welchen wieder zutage getreten ist, wie weit 
die Ansichten noch auseinander gehen. So sagte z. B. Herr 
F. Klemperer, in den ungezählten Versuchen sei niemals das 
Resultat erreicht worden, tuberkulöse Tiere mit Tuberkulinbehand¬ 
lung zu heilen, während am 12. August 1911 Herr Kirchner 
in der „Woche“ verkündet hat, jetzt seien alle, die mit der Tuber¬ 
kulosebekämpfung vertrant sind, der Ueberzengung, dass das 
Tuberkulin ein zuverlässiges Mittel ist, am die Tuberkulose zu 
•erkennen, und zu heilen. Die Entscheidung über diese Frage 
moss ich den Praktikern überlassen, da die pathologische Ana¬ 
tomie bis jetzt noch keine wesentlichen Beiträge zu ihr liefern 
kann, dagegen möchte ich eine andere Frage erörtern, besonders 
auch um das „Qho“ zu rechtfertigen, mit dem ich Herrn 
F. Klemperer unterbrach, als er behauptete, die Rinderbacillen 
seien für den Menschen io ähnlicher Weiße unschädlich, wie die 
MenscheqjiacilleD für das Rind. 

4 «Da porhar gesagt, worden war, dass Rinder durch Menaehen- 


bacillen nicht tuberkulös werden, dass also für das Rind die 
menschlichen Tpberkelbacillen nicht pathogen seieo, so kann die 
Aeusserung über die Bedeutung der Rinderbacillen für den 
Menschen doch nnr besagen, dass die Rinderbacillen auf den 
Menschen nicht übertragen werden könnten. Herr Klemperer 
bat auf mein „Oho“ hin, seine Aeussernng etwas eingeschränkt, 
er hat die Rinderbacillen nicht für ganz unschädlich erklärt, aber 
doch gemeint, dass sie für den Menschen in weitem Maasse un¬ 
schädlich sind, dass sie gegenüber der Virulenz und der Schäd¬ 
lichkeit der Menschentuberkelbacillen für den Menschen keine 
Rolle spielen, das dürfte wohl heute als feststehende Tatsache 
ausgesprochen werden. 

Während Klemperer in bezug anf die Wirksamkeit des 
Tuberkulin mit Kirchner verschiedener Meinung ist, stimmt er 
in bezug auf die Bedeutung der bovinen Bacillen mit ihm über¬ 
ein, nur dpssKirchner noch uneingeschränkter erklärt, dass die 
Rindertuberkelbacüjfn für Menschen fast völlig harmlos sind. 
So sehen wir, heisst es da j|) der „Woche“,.unter anderem, dass 
die Tuberkulose des Menschen weder entstehen k&nn^duroh Qm- 


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UMIVERSITY OF IOWA 







430 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


atmen säurefester Stäbchen mit dem Staube, noch durch Genuss 
von Milch tuberkulöser Rinder, sondern allein durch Berührung 
mit tuberkulosekranken Menschen. Der kranke Mensch sei für 
uns die einzige Quelle der Tuberkulose und daher können nur 
solche Maassregeln die Ausbreitung der Tuberkulose verhüten, 
die sich gegen den kranken Menschen richten. 

M. H.! Die Bekämpfung der Tuberkulose ist eine der grössten 
sozialen Aufgaben, an deren Lösung nicht nur die Aerzte, sondern 
das gesamte Volk sich beteiligen muss; wie bei jeder Kampfauf¬ 
gabe, so muss aber auch bei dieser genau das Kampfobjekt fest¬ 
gestellt werden, und es darf der Kampf nicht einseitig, sondern 
er muss gleichmässig und nach allen Seiten geführt werden; der 
Kampf gegen die Tuberkulose muss gegen jede Quelle für tuber¬ 
kulöse Infektion sich richten. Ob die Rinderbacillen so harmlos 
sind, wie eben angegeben, ob der kranke Mensch für uns die 
einzige Quelle der Tuberkulose ist, das mögen Sie selbst aus den 
Tatsachen erschliessen, die ich Ihnen jetzt vorführen will. 

Wenn wir feststellen wollen, wie gross die Bedeutung der 
Rindertuberkulose für den Menschen ist, so müssen wir uns zu¬ 
nächst darüber verständigen, wie man erkennen kann und soll, 
dass bei einer tuberkulösen Erkrankung eines Menschen Rinder¬ 
bacillen eine Rolle spielen oder gespielt haben. 

Die pathologische Anatomie kann uns keinen Aufschluss 

f eben, sondern nur die bakteriologische und experimentelle 
orschung. Es gibt anatomisch perlsuchtähnliche tuberkulöse 
Erkrankungen beim Menschen, aber die äussere Form beweist 
gar nichts dafür, dass ein causaler Zusammenhang besteht, und 
die fehlende Aehnlichkeit in der äusseren Form gibt keinerlei 
Gewähr dafür, dass nicht doch Perlsuchtbacillen die Erreger der 
tuberkulösen Erkrankung sein könnten. Diese Frage kann nur 
durch das sorgfältige Studium des Erregers jeder einzelnen Er¬ 
krankung und seiner pathogenen Kräfte festgestellt werden. 

Es bedarf heute keines Nachweises mehr, dass man beim 
tuberkulösen Rindvieh Bacillen findet, welche weniger in der 
Form als in der Art ihres Wachstums, in ihrem Verhalten zu 
gewissen Nährböden, in ihren chemischen Eigenschaften und vor 
allem in ihrem Verhalten zu verschiedenen Tieren sich mit grosser 
Regelmässigkeit anders verhalten als diejenigen Bacillenstämme, 
welche man aus vielen tuberkulösen Menschen gezüchtet hat; 
beide Lebewesen sind Tuberkelbacillen, aber die Berechtigung, 
diese ausgeprägten Formen als Typus bovinus und Typus 
humanus auseinanderzuhalten, kann wohl nicht mehr bestritten 
werden. 

Man wird also die Bedeutung der Perlsucht für den Menschen 
zunächst und am einfachsten danach abschätzen können, wie 
häufig man Bacillen vom Typus bovinus beim tuberkulösen 
Menschen nachzuweisen vermag. 

Der Nachweis eines Typus bovinus kann nicht allein aus 
der Wuchsform oder aus den chemischen Eigenschaften eines 
herausgezüchteteu Bacillenstammes mit wünschenswerter Sicher¬ 
heit geliefert werden, sondern es muss notwendig auch das Tier¬ 
experiment mit herangezogen werden. Das wünschenswerteste 
wäre selbstverständlich, wenn man jeden Stamm auf seine Wirk¬ 
samkeit für Rinder prüfen könnte, aber das ist unmöglich wegen 
der hohen Kosten, die nur für wenige hoch dotierte Anstalten 
oder Kommissionen erschwinglich sind. Es genügt aber auch nach 
allgemeiner Ueberzeugung zur Feststellung der Typen die Prüfung 
der Wuchsform, der chemischen Eigenschaften und das Verhalten 
zum Kaninchenkörper, der, für Rinderbacillen empfänglich, eine 
starke Immunität gegenüber Menschenbacillen besitzt, so dass eine 
subcutane Infektion mit 0,01 g Bacillen nur ein$ örtliche, keine 
allgemeine Erkrankung erzeugt. 

In dieser Weise geprüft hat sich nun herausgestellt, dass ■— 
die Lupuserkrankung der Haut ausgenommen, bei der etwa zur 
Hälfte bovine Bacillen gefunden wurden — bei erwachsenen 
Menschen nur ausnahmsweise Rinderbacillen nachweisbar sind. 
Das gilt vor allem für die schwindsüchtigen Lungen und ihre 
Sputa, wenngleich auch hier einzelne positive Befunde festgestellt 
worden sind, sei es, dass gleichzeitig beide Typen, sei es, dass 
nqr der Riudertypus gefunden wurde. Da nun auch bei nicht 
lungenschwindsüchtigen tuberkulösen Erwachsenen vereinzelt 
boviner Typus gefunden wurde, so kann man jedenfalls das eine 
schon erklären, dass auch schon auf Grund der ausgeprägten Typen¬ 
befunde nicht gesagt werden darf, der Rinderbacillus sei für den 
erwachsenen Menschen harmlos und unschädlich. n 

Ganz anders aber nimmt sich das Bild aus, wenn wir das 
kindliche Alter.ßis zu 15 oder lß Jahren in Betracht ziehen. 
Ich brauche hier, vor einer Versammlung von Aerzten, nicht 


darauf hinzuweisen, dass die chronische Lungentuberkulose, die 
Phthi8is pulmonum, beim Erwachsenen die Hauptrolle unter den 
tuberkulösen Erkrankungen spielt, während im Kindesalter die 
nicht phthisischen tuberkulösen Erkrankungen überwiegen, es dürfte 
aber immerhin auch für Sie von Interesse sein, die beiden 
graphischen Darstellungen zu vergleichen, welche Sheridan 
Delöpine - Manchester für England und Wales und für das Jahr¬ 
zehnt 1891 bis 1900 gegeben hat 1 ). In Kurve 1 sind die Todes¬ 
fälle von Lungenschwindsucht, berechnet auf je eine Million 
Lebender, schwarz wiedergegeben, die übrigen Tuberkulosen nur 
durch schwarze Umrahmung, und bei Kurve 2 ist es umgekehrt, 
es springen hier mehr die Nichtphthisisfälle in die Augen. Man 
erkennt leicht, wie sehr im Kindesalter überhaupt, ganz besonders 
aber im ersten Jahrfünft die Lungenschwindsucht ganz zurück- 


Kurve l. 

Mortalität an Tuberkulose in England und Wales 1891—1900, 
auf je 1 Million Lebender berechnet nach Delepine. 



Schwarz = Phthisis pulmonum. 



Kurve 2. 

Mortalität an Tuberkulose in England und Wales 1891—1900, 
auf je 1 Million Lebender berechnet nach Delepine. 


Schwarz = nicht phthisische Tuberkulose. 


1) Transact. of the fourth annual Conference of nat. as$oc. for the 
prevention of consumption &o., 1912. ^ \ 


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10. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


43r 


tritt gegenüber den anderen tuberkulösen Erkrankongen, die zum 
Tode geführt haben. Ich bitte diesen Umstand, dass es sich hier 
om Mortalitätszahlen handelt, wohl zu beachten, denn wir wissen 
ja aus den pathologisch-anatomischen Untersuchungen schon lange, 
dass viele Menschen die Spuren einer überstandenen oder doch 
lokalisierten und latenten Tuberkulose aus der Kindheit mit in 
das spätere Leben hinübernehmen, dass also viel mehr Kinder, 
tuberkulös sind, als aus der kindlichen Tuberkulosemortalität 
erschlossen worden kann. Man muss sich freilich hierbei stets 
bewusst bleiben, dass die Zahl aller tuberkulösen Erkrankungen, 
sowohl derjenigen der Erwachsenen als auch derjenigen der Kinder 
den grössten zeitlichen, besonders aber auch regionären und ört¬ 
lichen Schwankungen unterliegt, und dass auch bestimmte Formen 
der Erkrankungen, wie es besonders die Forschungen über die 
Häufigkeit der primären Intestinaltuberkulose nicht nur an ver¬ 
schiedenen Orten, sondern auch in verschiedenen Krankenhäusern 
derselben Grossstadt gezeigt haben, sehr verschieden häufig ge¬ 
funden werden können, ohne dass man diese Verschiedenheit auf 
das verschiedene Geschick oder die verschiedene Sorgfalt der 
Untersucher zu beziehen das Recht hätte. 

Nun kommt ja aber pathologisch-anatomisch nur die ge¬ 
ringste Zahl der Kinder zur Untersuchung, über die absolute 
Häufigkeit tuberkulöser Erkrankungen überhaupt kann also die 
Leichenuntersuchung nur ein unvollständiges Bild geben, man hat 
deshalb neuerdings die Erfahrungen herangezogen, welche man 
mit den Tuberkulinreaktionen, insbesondere der Pirquet'schen er¬ 
zielt hat. Diese aber besagen bekanntlich, dass gegen Ende der 
Kindheit die Piozentzahl der positiven Reaktionen mancherorts 
bis nahe an 100 heranreicht. Dürfte man in dem positiven Aus¬ 
fall der Reaktion den Beweis erblicken, dass das betreffende In¬ 
dividuum eine wenn auch noch so leichte tuberkulöse Er¬ 
krankung durcbgemacht habe, so würde man zu dem Schlüsse 
kommen müssen, dass, bei den Kulturvölker^ wenigstens, kaum 
ein Kind einer tuberkulösen Infektion und Erkrankung entgeht. 
Freilich steht der sichere Nachweis, dass positive Pirquet- 
Reaktion nur bei tuberkulöser Erkrankung auftritt, noch aus, 
aber unter Berücksichtigung der sicheren anatomischen Erfahrung 
darf man doch wohl so viel sagen, dass die Tuberkulose in ihren 
verschiedenen Graden bei den Kindern ungeheuer verbreitet ist. 

Wie steht es nun mit den Erfahrungen über das Vorkommen 
bestimmter Bacillentypen bei Kindern? Auch hier stimmen die 
Resultate, die von verschiedenen Untersuchern und an ver¬ 
schiedenen Oertlichkeiten gewonnen wurden, nicht überein, aber 
als mittlere Zahl für die bei Kinderleicben gefundenen bovinen 
Fälle kann man 10 pCt. annehmen, wie ich im vorigen Jahre 
in einem in der Akademie der Wissenschaften gehaltenen Vor¬ 
trage (Ueber Rinder- und Menscbentuberkulose, eine bistorisch¬ 
kritische Betrachtung) dargetan habe 1 ). Neuerdings sind auch 
Park und Krumwiede 2 ) zu dem Resultat gekommen, dass in 
etwas weniger als 10 pCt. der tödlichen Kindertuberkulosen eine 
bovine Infektion die Todesursache ist. Ebenso hat Neufeld im 
Kaiserlichen Gesundheitsamt unter 40 Fällen von Säuglings¬ 
tuberkulose viermal (= 10 pCt.) reinen Typus bovinus und noch 
einmal Typus bovinus und humanus gemeinsam vorgefunden. Mir 
scheint, das allein genügt schon, um jedem, der objektiv 
urteilen kann, klarzumachen, dass die Rinderbacillen für den 
Menschen durchaus nicht gleichgültige Krankheitserreger sind, 
auf die man keine Rücksicht zu nehmen brauche. Einige Zahlen 
mögen die Bedeutung der bovinen Infektion für Kinder noch 
weiter beleuchten und besonders zeigen, wie ungeheuer gross 
der bovine Anteil bei gewissen Formen kindlicher Tuberkulose 
werden kann. 

Ich zitiere zunächst einen Autor, dem gewiss niemand eine 
Vorliebe für die Rinderbacillen nacbsagen kann, dessen Angaben 
deshalb wohl von keiner Seite als zu günstig für diese Bacillen 
lautend erklärt werden können. Kossel gibt in dem Handbuch 
von Kölle und Wassermann in bezug auf die Befunde bei 
Kindern (bis 16 Jahren) an, was ich in Tabelle 1 zusammen- 
£estellt habe: da sehen Sie &f..B. bei Meningitistuberkulose 
t£0,7 pCt. . bovine Infektionen, bei generalisierter Tuberkulose 
23,8 pCtf, bei Tuberkulose der Halsdrüsen 40 pCt. und bei Tuber¬ 
kulose der Abdominalorgane gar nicht weniger als 49 pCt. Und 
so was soll nicht der Rede wert sein? Bei 384 tuberkulösen 
Kindern 103 Rindertuberkulosen, d. h. von 100 tuberkulösen 
Kindern waren 27 mit Rindertuberkulose behaftet! 

1 ) Sitzungsbericht d. Kon gl. Preuss. Akad. d. Wisseasch., 1912, 

S. 155. Kommissionsverlag^XL Reimer. 1 1 p? 

2) The journ. of med. researoh., Bd. 27; September 1912. " 


Tabelle 1. 

Typus bovinus bei Kindertuberkulose nach Kossel. 



Zahl 

der Kinder 

Typus bovinus 
pCt. 

Tuberkulose der Knochen und Gelenke . 

69 

4,3 

Meningitis tuberculosa. 

28 

10,7 

Generalisierte Tuberkulose. 

134 

23.8 

Tuberkulose der Halsdrüsen. 

106 

40,0 

Tuberkulose der Abdominalorgane . . . 

47 

49,0 


Kossel verzeichnet bei Tuberkulose der Knochen und Ge¬ 
lenke nur 4,3 pCt. Rinderbacillenfälle, dass aber auch bei diesen 
Erkrankungen mancherorts die Rinderbacillen noch eine ganz 
andere Rolle spielen können, dafür hat kürzlich Fraser aus dem 
Laboratorium des Könglichen College of Physicians in Edinburg 
den Beweis geliefert. Tabelle 2 gibt eine Uebersicht über seine 
Befunde nach den einzelnen Lebensjahren geordnet. Man sieht, 
wie die fünf ersten Lebensjahre die Hauptmenge der Fälle ge¬ 
liefert haben, wje aber auch in ihnen die bovine Tuberkulose 
um ein mehrfaches die humane übertrifft. Das erste Lebensjahr 
steht gegenüber dem zweiten bis vierten noch weit zurück, wies 
aber nur bovine Fälle auf. 


Tabelle 2. 

Knochen- und Gelenktuberkulose bei Kindern nach Fraser. 


Alter 
in Jahren 

Zahl der 
Fälle 

Typus 

bovinus 

Typus 

humanus 

Beide Typen 

bis 1 

4 

4 



1—2 

12 

9 

1 

2 

2-3 

15 

11 

3 

1 

3—4 

10 

6 

4 

— 

4-5 

6 

3 

3 

— 

5-6 

3 

— 

3 

— 

6—7 

5 

3 

2 

— 

7-8 

6 

4 

2 

— 

8-9 

1 

— 

1 

— 

9-10 

1 

— 

1 

— 

10—11 

3 

1 

2 

— 

11—12 

1 

1 

— 

— 

Total . . . 

67 

42 

. 22 

3 

Erste 5 Jahre 

47 

32 

12 

3 


Da diese Befunde immerhin auffällig sind, so will ich nicht 
unterlassen zu bemerken, dass Fraser zwar nicht die einzelnen 
Versnchsprotokolle ausführlich mitgeteilt, aber seine sämtlichen 
Fälle mit Angabe der Resultate der verschiedenen für die 
Differenzialdiagnose der Typen angewandten Untersuchungs- 
methoden (Kultur auf verschiedenen Nährböden, Kaninchenversucb) 
angegeben hat, so dass jeder sich selbst ein Urteil über die 
Richtigkeit seiner Schlussdiagnosen bilden kann. 

Derselbe Untersucher hat noch eine Zusammenstellung seiner 
Fälle geliefert nach dem Gesichtspunkte, ob in der Familie des 
Kindes Tuberkulose auch sonst noch vorkam oder nicht. Dabei 
hat sich die sehr interessante Tatsache, welche Sie aus Tabelle 8 
feststellen können, ergeben, dass bei den 21 Kindern aus tuber¬ 
kulöser Familie der Typus humanus weit überwog. Wir lernen 
aus dieser Zusammenstellung für Fraser's Fälle zweierlei: 1. dass 
bei familiärer Infektion der Kinder die Uebertragung von Mensch 
zu Mensch offenbar den hauptsächlichen Infektionsmodus darstellt, 
während die in nicht tuberkulösen Familien auftretenden Kinder¬ 
tuberkulosen vorzugsweise auf eine zum Rinde führende In¬ 
fektionsquelle hinweisen; 2. dass die Familieninfektion bei diesem 
Untersuchungsmaterial keineswegs eine ro ausschlaggebende Rolle 
gespielt hat, wie sonst vielfach angenommen wird. In einem 
vor kurzem in der Akademie der Wissenschaften über tuberkulöse 
Reinfektion gehaltenen Vortrage 1 ) habe ich bereits meine Ansicht 
dabin geäussert, dass man auf die Familien- und Wohndngsinfektibn 
in neuerer Zeit etwas zu einseitig Wert gelegt hätte. Ich habe 
dabei auf die Forschungen Hillenberg's hingewiesen, welcher 
in ländlichen Ortschaften, in denen seit mindestens einem Jahr¬ 
zehnt ein Tuberkulosetodesfall sicher nicht vorgekommen war, 
bei der Untersuchung der Schulkinder nach Pirquet 25pCt. 

_59 t \ b. ■*? mit 

~ Sitzungsbericht'd. Königin Preyss.Akadjd.^issenscb.,^1913^ S. 6l. 
Kommissionsverlag G. Reimdr. 


1 * 


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432 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


positive Resultate erhielt, d. h. nach der herrschenden Auffassung 
ein Viertel aller Kinder tuberkulös infiziert fand, obgleich doch 
von einer Familien- oder Wobnungsinfektion hier nicht die Rede 
sein kann. Sicherlich wird man auch hier ein gut Teil der In¬ 
fektionen auf gelegentlich in die Ortschaft gelangte menschliche 
Bacillenstreuer zurückführen dürfen, auch mögen blosse Bacillen¬ 
träger wie für andere Infektionskrankheiten auch für die Tuber¬ 
kulose in Rechnung gestellt werden können, aber nach allem, 
was wir von dem Vorkommen der Rinderbacillen bei Kindern 
wissen und was die Fraser’sche Tabelle so augenfällig lehrt, muss 
auch ein nicht geringer Teil von tuberkulösen Rindern herrühren, 
zu denen es ja gerade auf dem Lande genug Beziehungen gibt. 

Tabelle 8. 

Bedeutung der Familientuberkulose für den Typenbefund nach Fraser. 


Io der Familie 

Typus 

humanus 

Typus bovinus 

Tuberkulose. 

Keine Tuberkulose. 

15 = 71 pCt. 
9 = 17 * 

6 = 29 pCt. 
43 = 83 ^ 


Fragen wir uns aber, welchen Weg vom Rinde zum Menschen 
die Rinderbacillen wohl zurücklegen werden, so ist kaum ein 
anderer in Betracht kommender vorhanden als der durch die 
Milch. Nun hat man sich viele Mühe gegeben, Beweise dafür 
zu erbringen, dass durch den Genuss der Milch perlsücbtiger 
Kühe eine tuberkulöse Erkrankung entstanden sei, aber mit ge¬ 
ringem Erfolg, wie das auch nicht anders zu erwarten war, denn 
wer will am lebenden Menschen mit Sicherheit entscheiden, ob 
eine Mesenterialdrüsentuberkulose vorhanden ist oder ob es sich 
um eine bovine oder um eine humane Tuberkulose handelt? Wie 
der Ausspruch Robert Koch’s: „es ist deshalb sehr die Frage, 
ob jemals ein Fall von menschlicher Tuberkulose einwurfsfrei 
auf den Genuss von Fleisch oder Milch von tuberkulösen Tieren 
zurückgeführt wird u , auch heute noch Gültigkeit hat, so gilt 
auch der umgekehrte Satz, dass es unmöglich ist, zweifelfrei fest¬ 
zustellen, dass lebende Menschen, welche bovine Bacillen ent¬ 
haltende Milch getrunken haben, nicht au Rindertnberkulose er¬ 
krankt sind. Bevor nicht alle in Betracht kommenden Menschen 
auf dem Sektionstisch genau untersucht worden sind, hat nie¬ 
mand ein Recht zu sagen, diese Menschen hätten ungestraft diese 
Milch getrunken. Die Angabe Neufeld’s, unter den 131 im 
Reichsgesundheitsamt untersuchten Kindern, welche Milch von 
eutertuberkulösen Kühen getrunken hatten, sei in keinem Falle 
eine Infektion durch Perlsuchtbacillen festgestellt worden, beweist 
deshalb um so weniger, als zugestandenermassen bei 11 Kindern, 
das sind 8,4 pCt., Krankheitserscheinungen gefunden wurden, die 
möglicherweise durch Perlsuchtbacillen bedingt sein könnten. 
Ehe man ein negatives Resultat verkündet, sollte man doch erst 
abwarten, was aus diesen 11 Kindern wird. 

Man kann auch nicht einwenden, dass 8,4 pCt. zu wenig 
wäre, denn die Zeiten sind doch längst vorüber, wo man glauben 
machen wollte, es brauchten nur die pathogenen Mikroorganismen 
in den menschlichen oder tierischen Körper zu kommen, um die 
entsprechende Krankheit hervorzurufen. Die Bacillenträger haben 
uns das Gegenteil bewiesen, kein Verständiger kann heute mehr 
bezweifeln, dass allgemeine und örtliche Dispositionen eine maass¬ 
gebende Rolle mitspielen. Die Tuberkulose macht keine Aus¬ 
nahme. Erzeugt denn jeder humane Bacillus, der mit der Luft 
oder der Nahrung aufgenommen wird, eine Tuberkulose? Machen 
die zahllosen Bacillen, welche ein mit cavernöser Lungenschwind¬ 
sucht behafteter Mensch verschluckt, notwendig eine Darratuber- 
kulose, oder machen die aus jedem tuberkulösen Herde ins Blut 
gelangenden Tuberkelbacillen alle auch neue metastatische Herde? 
Man braucht diese und ähnliche Fragen nur aufzuwerfeo, um sie 
sofort kräftig zu verneinen. Weil Pettenkofer, obwohl er 
Choleravibrionen verschluckt hat, nicht an Cholera erkrankt ist, 
darum kann man doch die Choleravibrionen nicht zu für den 
Menschen gleichgültigen Parasiten stempeln, und weil F. Klem- 
perer sich, anscheinend ohne Schaden zu nehmen, Rinderbacillen 
eingespritzt hat, darum kann man diese Bacillen doch noch lange 
nicht als harmlose Wesen erklären, nicht einmal für den Er¬ 
wachsenen, geschweige denn für Kinder. Es liegen doch non 
einmal die Beweise dafür vor, dass eine nicht geringe Zahl von 
Kindern an einer bovinen Tuberkulose leidet, und so müssen 
also diese Kinder vom Rindvieh aus infiziert'sein, und da liegt 
für uns keine f andere brauchbare Ebklärnngsmöglichkeit vof als 
Infektion durch die Milch, * 7 


Direkt lässt sich diese Erklärung, wie gesagt, kaum be¬ 
weisen, aber sie kann doch durch mancherlei Tatsachen indirekt 
gestützt werden. Dahin gehört die schon vorher erwähnte Tat¬ 
sache, dass die meisten bovinen Fälle in den ersten fünf Lebens¬ 
jahren, in denen der Milchgenuss besonders gross zu sein pflegt, 
beobachtet wurden, dahin gehört die von Fraser für sein Material 
festgestellte Tatsache, dass bei den mit der Brust ernährten 
Kindern nur 27 pCt., von den mit Kuhmilch grossgezogenen aber 
über 85 pCt. an boviner Tuberkulose litten, wie ans der Tabelle 4 
zu ersehen ist. 

Tabelle 4. 


Einfluss der Ernährung auf den Bacillentypus nach Fraser. 


Ernährung 

Zahl der 
Kinder 

Typus 

humanus 

Typus 

bovinus 

Beide Typen 

Kuhmilch 

Brust 

41 

26 

3 

19 

35 | 

7 

3 

Total 

67 

22 

42 

i 

3 


Ganz entsprechende Beobachtungen sind auch an einem ganz 
anderen Orte, nämlich in New York, gemacht worden. Die 
Tabelle 6 lässt die auffallende Verschiedenheit der Bacillentypen¬ 
befunde erkennen, je nachdem die Kinder in gewöhnlicher Weise 
oder ausschliesslich durch Kuhmilch in der Säuglingzeit ernährt 
worden sind. In dem Findelbaus, in welchem nur Kuhmilch zur 
Verwendung gelangt, waren nicht weniger als 55,5 pCt. aller an 
Tuberkulose verstorbener Kinder mit Rinderbacillen infiziert, 
während in einem anderen Krankenhaus, dessen Insassen nicht 
so einseitig ernährt worden sind, nicht einmal 7 pCt. bovine 
Fälle festgestellt wurden. 

Tabelle 5. 


Der Einfluss der Ernährung auf den Bacillentypus bei kleinen Kindern 
in New York. Nach Park und Krumwiede. 


Bacillen¬ 

typus 

Babies’ Hospital 

Fouudlings* Hospital 

Kinder unter 5 Jahren 

Kinder unter 6 Jabren 

Mit üblicher Ernährung 

Nur Kuhmilchernährung 

humanus 

59 

4 

bovinus 

4 ! 

5 


Selbst wenn man die Meinung Delöpine’s, dass die Ver¬ 
minderung der Kindertuberkulose in Manchester mit der besseren 
Milchkontrolle Zusammenhänge, nicht teilen will, weil auch noch 
andere hygienische Verbesserungen mitwirken könnten, so bleibt 
im höchsten Grade beachtenswert ein Fall, wie er von Mousarrat 
auf dem Hygienekongress in Brüssel 1903 mitgeteilt worden ist, 
bei dem in einem beschränkten Bezirk nach dem zeitweiligen 
Bezug von Milch aus mit Tuberkulose verseuchten Kuhställen die 
Zahl der an Abdominaltuberkulose gestorbenen Kindern von 9 
auf 38 stieg, um nach Beseitigung der verdächtigen Milch wieder 
zu fallen. 

Dies alles weist doch so deutlich auf die Milch als In¬ 
fektionsmittel, als Träger der bovinen Bacillen hin, dass ich mich 
zu dem Ausspruche für berechtigt halte, dass wir so lange mit 
grösster Wahrscheinlichkeit die Milch als den Uebertrager der 
Perlsuchlbacillen anseben dürfen, bis uns nicht ein anderer In¬ 
fektionsweg nachgewiesen wird. Mag aber ein solcher auch noch 
aufgefunden werden, an der Tatsache wird dadurch nichts ge¬ 
ändert, dass schon durch den Nachweis typischer boviner Bacillen 
festgestellt ist, dass die Rinderbacillen dem Menschen gefährlich 
sind, und dass insbesondere in der Jugend eine nicht geringe 
Anzahl von Kindern nicht nur an Rindertuberkulose leidet, sondern 
auch daran stirbt. Unmöglich kann man also die Rinderbacillen 
als für den Menschen fast völlig harmlos erklären. 

Dass ich mit dieser Anschauung nicht allein stehe, dafür 
will ich nur einige Belege bringen. Schon im Jahre 1905 hat 
der Reichsgesundheitsrat festgestellt, dass nicht nur örtlich be¬ 
schränkte, sondern auch Fälle, bei welchen die Erkrankung von 
der Eintrittspforte aus auf entferntere Körperteile übergegriffen 
und den Tod der betreffenden Person erzeugt hatte, durch Rinder¬ 
bacillen erzeugt worden seien. Das British Department Committee 
on Tuberkulosis fasste vor wenigen Monaten seine Ansicht in den 
Satz zusammen, es sei jetzt allgemein anerkannt, dass beide, der 
menschliche und der Rindertypus des Tuberkelbacillus, fähig 
seien, die Krankheit (d. k Tuberkulose) in-menschlichen Wesen 


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UNIVERSUM OF IOWA 





10. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


433 


za erzengen. Auf dem internationalen Tuberkulosekongress in 
Rom im Frühjahr 1912 wurde die Resolution gefasst: die An¬ 
steckung des Menschen durch den Bacillus bovinus sei zwar 
weniger häufig, trotzdem seien sämtliche prophylaktischen Maass¬ 
nahmen gegen die Infektion mit diesen aufrecht zu erhalten. 
Endlich kann ich — zu meiner Freude muss ich sagen — darauf 
hinweisen, dass auch ein Vertreter des Reichsgesundheitsamtes, 
dessen Mitglieder im allgemeinen auf der Gegenseite standen, 
Weber, neuerdings diesen Standpunkt anerkannt hat 1 ). Er stellt 
zwar fest, dass für die Gesamtgefabr, die der Menschheit durch 
Tuberkulose droht, sicherlich im Vergleich zu den humanen die 
bovinen Bacillen eine untergeordnete Rolle spielen, gibt aber 
doch zu, das9 die Zahl der bekannten bovinen Tuberkulosefälle, 
wenn man die Einzelindividuen ins Auge fasst, eine nicht zu 
unterschätzende Gefahr für die menschliche Gesundheit bedeutet, 
die jedenfalls die erforderlichen Vorsichts- und Vorbeugungs- 
aaassregeln erforderten. Von diesem Standpunkte aus, so schreibt 
Weber, muss man denjenigen, welche in der Rindertuberkulose 
eine ernste Gefahr für die menschliche Gesundheit erblicken, 
recht geben. 

M. H.! Aus Einzelindividuen setzt sich ein Volk, setzt sich 
die Menschheit zusammen, was eine ernste Gefahr für die Gesund¬ 
heit der Einzelindividuen bedeutet, das muss auch eine Gefahr 
für unser Volk, für die ganze Menschheit bedeuten. 

Dies alles gilt, wenn wir auch nur diejenigen menschlichen 
Tuberkulosen berücksichtigen, bei denen typische bovine Bacillen 
gefunden wurden. Ist aber damit die Bedeutung der Rinder¬ 
bacillen für den Menschen erschöpft? Ich meine nicht, denn es 
bleibt zunächst noch mit der Möglichkeit zu rechnen, dass die 
beiden Typen der Tuberkelbacillen nicht scharf voneinander zu 
trennen sind, dass Uebergänge zwischen beiden, dass insbesondere 
eine Umwandlung von Rinderbacillen, die man doch wohl als die 
Stammform ansehen müsste, in menschliche Bacillen vorkommt. 
Liesse sich das nachweisen, so hätte mit einem Schlage die 
pathogene Bedeutung der Rinderbacillen eine schier unübersehbare 
Erweiterung erfahren. Die Frage ist noch keineswegs spruchreif, 
aber selbst die Hauptverteidiger der scharfen Trennung der 
Bacillentypen müssen doch die Berechtigung der Frage zu¬ 
gestehen, besonders seitdem für die Variabilität und Mutations¬ 
fähigkeit der verschiedensten Bakterien immer zahlreichere und 
sicherere Tatsachen beigebracht werden konnten. Man kann 
sicher der erst jüngst von Weber 2 ) in der Berliner mikro¬ 
biologischen Gesellschaft gegebenen Anregung, die Untersuchungen 
über Mutation auch auszudehnen auf die Gruppe der säurefesten 
Bacillen, nur zustimmen, da seine Meinung, dass sich vielleicht 
dadurch neue Gesichtspunkte zur Beantwortung der Frage nach 
den Beziehungen zwischen humanen und bovinen Tuberkelbacillen 
ergeben würden, eine durch die jetzt schon bekannten Tatsachen 
wohlbegründete erscheint. Es bestehen zwar zweifellos Tatsachen, 
welche gegen eine Umwandlung des einen in den anderen Typ 
zu sprechen scheinen, so vor allem die Tatsache, dass man jahre¬ 
lang bei demselben Menschen immer wieder denselben typischen 
Bacillenstamm züchten konnte (in einem Falle war es gerade ein 
boviner), aber auch die andere Tatsache, dass man überhaupt in 
der Mehrzahl der Fälle aus tuberkulösen Produkten des Menschen 
reine Typen der einen oder der anderen Art züchten konnte, 
endlich auch die Tatsache, dass in Fällen, wo beide Typen aus 
demselben Menschen gezüchtet wurden, eben eine scharfe Trennung 
der beiden Typen ohne Uebergangsformen möglich war. 

Auf der anderen Seite sind aber von den verschiedensten 
Untersuchern an den verschiedensten Orten uncharakteristische, 
sogenannte atypische Bacillenstämme gezüchtet worden, welche 
teils Eigenschaften des einen, teils solche des anderen Typus 
darboten. Es kann sich dabei zum Teil um Mischinfektionen 
handeln, aber man muss und darf daran denken, dass man es hier 
mit Uebergangsformen zu tun hat, bei denen eben das Ende der 
Entwicklung noch nicht erreicht ist. Es handelt sich hier nicht 
am blosse Virulenzverschiedenheiten, wie solche auch bei den 
reinen Typen Vorkommen, ohne dass diese darum aufhören, reine 
Typen zu sein, aber sicherlich spielt eine Virulenzänderung auch 
bei ihnen eine wesentliche Rolle. 

Ich kann und will hier auf diese Frage, welche ebenfalls 
noch ihrer endgültigen Entscheidung harrt, nicht näher eingehen, 
darf es aber doch nicht unterlassen, der Untersuchungen Eber’s 
za gedenken, welche besonders deshalb so wichtig sind, weil bei 


1) Centralbl. f. Bakteriol., Orig., 1912, Bd. 64, S. 243. 

2) Diese Wochensehr., 1913, Nr. 2, S. 88. 


ihnen die Kontrolle am Rinde vorgenommen worden ist. Die 
Eber’schen Resultate werden weiter nacbgeprüft werden müssen, 
aber sie sind doch so interessant und wichtig, dass ich sie hier 
kurz erwähnen will, so wie sie der Autor jüngst selbst gegeben 
hat 1 ). Tabelle 6 zeigt, dass Eber in 17 Kinderfällen 6mal 


Tabelle 6. 

Eber’s Resultate bei Rinderinfektion. 


Alter 

Zahl 

Typus bovinus 

Typus 

der Fälle 

sofort 

1 nach Passage 

humanus 

Kinder - 

17 

6 

! 3 

8 

Erwachsene 

14 

1 

| 4 

9 


(= 35,3 pCt.), in 14 Fällen Erwachsener lmal (== 7,1 pCt.) sofort 
eine schwere Infektion bei Kälbern erzeugen konnte, dass 8 Kinder¬ 
fälle, 9 Erwachsenenfälle für Rinder avirulente Bacillen ergaben, 
dass aber ausserdem bei 3 Kindern und 4 Erwachsenen, darunter 
3 Lungenschwindsüchtigen, durch ein- oder mehrmalige Rinder¬ 
passage für Rinder vollvirulente und auch die Wuchsform der 
Rinderbacillen zeigende Stämme zu erzielen waren. Eber hatte 
also schliesslich aus den 17 Kindern 53 pCt., aus den 14 Er¬ 
wachsenen 35,7 pCt. rindervirulente Stämme gezüchtet. Wenn 
Nacbuntersucher ein gleiches oder auch nur ähnliches Resultat 
erzielen sollten, so wäre alles in Schatten gestellt, was wir bisher 
von der Uebertragbarkeit menschlicher Tuberkulose auf Rindvieh 
gewusst haben, und wir müssten dementsprechend auch umgekehrt 
die Gefahr, die dem Menschen von den Rinderbacillen droht, um 
ein Erhebliches höher einschätzen. 

Aber auch damit sind noch nicht alle Möglichkeiten für die 
Bedeutung der Rinderbacillen für den Menschen erschöpft, sondern 
es bleibt noch die Frage zu erörtern übrig, ob nicht das Ueber- 
stehen einer Perlsuchterkrankung in der Jugend einen Einfluss 
hat auf tuberkulöse Erkrankungen im späteren Alter. Die graphische 
Darstellung Delepine’s hat uns klar vor Augen geführt, was ja 
freilich jeder Arzt weiss, wie sehr beim Erwachsenen die tuber¬ 
kulöse Lungenschwindsucht, die Phthisis pulmonum, das Feld be¬ 
herrscht. Wie entsteht die Lungenschwindsucht? Diese Frage 
hängt eng zusammen mit der anderen Frage: Gibt es eine tuber¬ 
kulöse Reinfektion? Und diese wieder ist nicht zu trennen von 
der dritten Frage: Gibt es eine durch Ueberstehen einer tuber¬ 
kulösen Erkrankung erworbene Immunität? Ich habe diese Fragen 
vor kurzem in dem schon erwähnten Akademievortrag (Ueber 
tuberkulöse Reinfektion und ihre Bedeutung für die Entstehung 
der Lungenschwindsucht) erörteit, auf den ich hier verweise. 
Nur die Resultate, zu denen ich gekommen bin, will ich kurz 
darlegen. 

Es gibt eine gewisse erworbene Immunität gegen Tuber¬ 
kulose, aber diese ist nicht imstande, eine spätere Reinfektion 
unschädlich zu machen, vielmehr kann sowohl aus einem alten 
tuberkulösen Herd eine Neuinfektion der Nachbarschaft wie ent¬ 
fernter Organe entstehen (endogene Reinfektion) als auch von 
aussen her eine neue Infektion erfolgen (exogene Reinfektion). 
Weder die endogene noch die exogene Reinfektion setzt eine 
Massenverbreitung oder ein Masseneindringen von Bacillen voraus, 
sondern es genügt dazu offenbar eine geringe Menge, Als Beweis 
für eine exogene Reinfektion kann ich einen Fall anführen, bei 
dem meine Mitarbeiterin, Frau Rabinowitscb, in einer ver¬ 
kalkten Lymphdrüse, also einem alten, in Abheilung begriffenen 
tuberkulösen Herde, einen Typus bovinus, in frischen Lungen- 
herden einen Typus humanus festgestellt hat. 

Was nun die Lungenschwindsucht betrifft, so ist sie das 
Resultat immer neuer Örtlicher Reinfektionen, welche wohl der 
Hauptsache nach, bei der atypischen (in unteren Lungenabschnitten 
sitzenden) Kinderphthise wohl immer, endogener Natur sind, bei 
denen aber niemand sicher sagen kann, ob nicht auch ein- oder 
-mehrmalige exogene Reinfektionen eine Rolle spielen. Das zeigt 
schon, dass in der Lunge keine Immunität gegen Tuberkulose 
durch die Erkrankung selbst erworben wird, dass aber auch von 
Anfang an keine nennenswerte Immunität vorhanden gewesen sein 
kann, denn sonst hätte überhaupt keine Tuberkulose entstehen 
können. Dass aber auch der übrige Körper trotz der chronischen 
tuberkulösen Lungenerkrankung eine Immunität nicht gewinnt, 
das beweisen die keineswegs ganz seltenen Fälle von tödlicher 

1) Congr. d. Royal Institute of public health, Berlin 1912, S. 712; 

2 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


aknter Miliartuberkulose (besonders Meningitis tuberculosa) im 
Verlauf einer chronischen Lungenschwindsucht. 

Das Problem der Phthisiogenese ist das Problem der Ent¬ 
stehung des oder der ersten tuberkulösen Herde in der Lunge. 

Der anatomische Befund ergibt in einer grossen Anzahl von 
Phthisisfällen keinen Anhalt dafür, dass die Lungenschwindsucht 
an einen älteren, etwa aus der Jugend stammenden Herd als neue 
Erkrankung sich angeschlossen habe; ich muss deshalb bis auf 
weiteres annehmen, dass ein Teil der Schwindsuchtsfälle auf einer 
im späteren Leben eingetretenen erstmaligen exogenen Infektion 
beruht. Es muss freilich die Möglichkeit zugelassen werden, dass 
in solchen Fällen ein kleiner alter Herd übersehen worden ist, 
oder dass die erste Erkrankung so abgeheilt war, dass ihre 
Spuren nicht mehr zu erkennen waren; es muss aber auch dann 
die Schwindsucht auf eine exogene Infektion znrückgeführt 
werden. 

Bei einem anderen Teil von Schwindsüchtigen findet man 
aber deutliche alte Herde, welche zeigen, dass die Schwindsucht 
in einem schon tuberkulös infiziert gewesenen Körper entstanden 
ist, doch braucht auch in solchen Fällen die Lungeninfektion 
nicht auf einer endogenen Reinfektion zu beruhen, wie der vorher 
erwähnte Fall beweist, bei dem, ohne dass man Uebergangs- 
formen bemerkt hätte, in der schwindsüchtigen Lunge ein anderer 
Bacillentypus festgestellt wurde als in der verkalkten Lymph- 
drüse. 

Es bleibt die Frage, ob durch das Ueberstehen einer gering¬ 
fügigen, in oder ausserhalb der Lunge Veränderungen setzenden 
Infektion das Haften einer neuen, sei es endogenen, sei es 
exogenen Infektion begünstigt wird. 

An dieser Stelle, in der Sitzung am 2. Mai 1906, habe ich 
als erster darauf hingewiesen und die Beweise dafür erbracht, 
dass durch eine Vorbehandlung mit wenig virulenten Tuberkel¬ 
bacillen, die nur örtliche tuberkulöse Veränderungen erzeugten, 
Meerschweinchen so beeinflusst werden können, dass eine zweite 
Infektion, die mit virulenten menschlichen Tuberkelbacillen er¬ 
folgte, nicht wie gewöhnlich eine Miliartuberkulose in den Lungen, 
sondern eine echte Phtbisis pulmonum gemacht hat. Gleiche 
Erfolge wurden auch von vielen anderen Untersuchern erzielt, 
so dass man mit der Tatsache rechnen muss, dass durch Ueber¬ 
stehen einer leichteren tuberkulösen Erkrankung Verhältnisse er¬ 
zeugt werden, welche der Entwicklung einer Lungentuberkulose 
nicht nur, sondern einer Lungenschwindsucht günstig sind. Dies 
gilt nicht nur für Meerschweinchen, sondern auch für andere 
Tiere, unter anderen auch für Kaninchen, die insofern dem 
Menschen in ihrem Verhalten gegenüber einer tuberkulösen In¬ 
fektion näher stehen, als bei ihnen auch durch einmalige Infektion 
phthisische Lnngenveränderungen erzeugt werden können. Es ist 
mir aber gelungen, nach Vorinfektion mit menschlichen Bacillen 
durch eine Reinfektion mit Rinderbacillen so häufig schwerste 
Lungenerkrankungen zu erzeugen, dass ich auch für das Kanin¬ 
chen die Gültigkeit der Regel als festgestellt betrachten darf. 
Ich habe einige der phtbisischen Lungen mitgebracht, an denen 
Sie die Schwere der erzeugten Krankheit sofort erkennen werden. 

Fragen wir nach der Art der durch die erste Infektion er¬ 
zeugten Veränderung, so kann ich unmöglich annehmen, dass eine 
erworbene Immunität da9 Maassgebende sein sollte, denn ich 
kann mir durch eine solche, die doch nur eine allgemeine, nicht 
eine bloss die Lungen betreffende sein kann, durchaus nicht er¬ 
klären, warum gerade in der Lunge die Erreger der Reinfektion 
sich ansiedeln, und ich kann mir weiter nicht erklären, warum 
nur in den Lungen der Prozess immer weiter um sich greift und 
zur Schwindsucht führt. Meines Erachtens können hierfür nicht 
allgemeine, sondern nur örtliche Bedingungen maassgebend sein. 
In den Lungen muss infolge der ersten Erkrankung eine Ver¬ 
änderung vor sich geben, die wir zwar in ihrem inneren Wesen 
nicht kennen, deren Wirkung wir aber bei einer Reinfektion deut¬ 
lich vor Augen sehen. Wenn ich dafür den Ausdruck Disposition, 
örtliche Disposition gebrauche, so ist damit ja über die Art der 
Veränderung, die wir, ich wiederhole es, nicht kennen, gar nichts 
gesagt, aber es ist doch das Wichtigste, der Erfolg der Ver¬ 
änderung, die Abschwächung der Widerstandskraft des Lungen¬ 
gewebes gegen die angreifenden Feinde, die virulenten Tuberkel¬ 
bacillen, zum Ausdruck gebracht und auf eine Tatsache hin¬ 
gewiesen, welche bei der menschlichen Tuberkulose überhaupt 
eine grosse Rolle spielt: die örtliche Disposition beherrscht die 
Lokalisation der tuberkulösen Veränderungen überhaupt und die¬ 
jenige in den Lungen ganz im besonderen. Diese erworbene ört¬ 
liche Disposition macht sich aber nicht nur geltend bei dem 


Initialaffekt, sondern auch bei dem Fortschreiten des Prozesses 
auf immer neue Lungenabschnitte, denn gerade dabei kann eine 
erworbene Immunität, die doch mit der Dauer des Prozesses 
immer stärker werden sollte, unmöglich das Maassgebende sein. 

Was für so viele Tiere gilt, darf mit einem gewissen Rechte 
auch auf den Menschen Anwendung finden, wir sind also be¬ 
rechtigt, damit zu rechnen, dass mit einer gewissen Wahrschein¬ 
lichkeit auch beim Menschen durch Ueberstehen einer tuber¬ 
kulösen Erkrankung in der Jugend eine Disposition für die Ent¬ 
wicklung einer Lungenschwindsucht bei einer späteren Reinfektion 
erzeugt wird, dass sie es verschuldet, wenn aus der ersten Re¬ 
infektion in so zahlreichen Fällen durch immer neue örtliche Re¬ 
infektionen eine chronisch fortschreitende Tuberkulose, eine 
Lungenschwindsucht entsteht. Ich kann in dieser Disposition 
nichts Günstiges, sondern nur etwas Unheilvolles, eine Ver¬ 
schlechterung, nicht wie bei der Immunisierung eine Verbesse¬ 
rung der Konstitution erblicken. Man darf nicht sagen, wäre 
die erste Infektion nicht gewesen, so hätte die Reinfektion eine 
akute tödliche Tuberkulose erzeugt, so aber hat sie eine milder 
verlaufende, wenn auch allmählich zur Schwindsucht führende 
Erkrankung hervorgerufen, sondern meines Erachtens liegt die 
Sache vielmehr so, dass ohne die erste Infektion die Reinfektion 
vielleicht überhaupt keine schwere Tuberkulose erzeugt hätte, 
weder in der Lunge noch sonst wo. Ich vermag demnach auch 
in der ersten Infektion, sagen wir gleich in der Jugendinfektion, 
nichts Günstiges, sondern unter allen Umständen nur etwas 
absolut Gefährliches zu erkennen. Da nun ca. 10 pCt. aller 
Jugendinfektionen durch den Rinderbacillus erzeugt werden, so 
folgt ohne weiteres, dass dieser nicht bloss durch das, was er 
direkt erzeugt, sondern auch durch die Vorbereitung einer 
späteren Lungenschwindsucht dem Menschen gefährlich wird, dass 
also seine ungünstige Bedeutung wahrscheinlich noch viel höher 
eiDgeschätzt werden muss, als das schon nach seiner primär krank¬ 
heitserregenden Wirkung zu geschehen hat. 

Wenn ich also zusammen fasse, so ist festgestellt, dassTuberkel- 
bacillen, welche den unzweifelhaften Charakter der Rinderbacillen 
tragen, seltener bei Erwachsenen, aber im Mittel in lOpCt. aller 
tuberkulöser Kinder nicht nur leichtere, örtliche, sondern auch 
schwere örtliche und generalisierte, zum Tode führende Erkran¬ 
kungen erzeugen, es ist aber auch noch weiter damit zu rechnen, 
dass infolge einer Variabilität der Bacillen anscheinend humane 
doch im Grunde auf bovine zurückzuführen sind, der Wirkungs¬ 
kreis der Rinderbacillen also ein noch viel ausgedehnterer ist, 
und endlich muss auch damit gerechnet werden, dass eine in¬ 
fantile bovine Infektion es mitverschuldet, dass später eine 
Lungenschwindsucht sich infolge einer Neuinfektion entwickelt. 

Mag man auch diesen Zuwachs der Bedeutung der Rinder¬ 
bacillen in den beiden letzten Beziehungen als einen mehr oder 
weniger hypothetischen betrachten, so ist er doch jedenfalls dazu 
angetan, die Forderung, welche sich aus der relativen Häufigkeit 
der nachweislichen Rindertuberkulose beim Menschen von selbst 
ergibt, noch weiter zu stützen, die Forderung, dass man auch 
den Kampf gegen die Rindertuberkulose nicht vernachlässigen 
darf. Kein Verständiger denkt daran, durch alleinige Bekämpfung 
der Rindertuberkulose die Tuberkulose überhaupt im Menschen¬ 
geschlecht ausrotten zu wollen, sondern wir alle stellen den 
Kampf gegen die menschlichen Bacillen in erste Reihe, aber 
dieser eine Kampf schliesst doch nicht aus, dass man auch den 
anderen kämpft, und ich kann es nur als eine nichtssagende 
Phrase betrachten, wenn gesagt wird, man dürfe Bich nicht auf 
Nebenwege locken lassen. Wie im Kriege nicht nur die Haupt¬ 
armee, sondern auch Nebenabteilungen sehr wesentlich zur Er¬ 
reichung des Endzieles, des Sieges, beitragen können, so wird 
auch ein Kampf gegen die Rinderbacillen neben dem Hauptkampf 
gegen die Menschenbacillen nicht als Abweg bezeichnet werden 
dürfen, sondern als ein Nebenkampf, der aber sehr wesentlich 
zu dem Endresultat, der Ausrottung der Tuberkulose, beitragen 
kann, ja beitragen muss. Wir müssen auch die Rinderbacilien 
nicht nur aus volkwirtscbaftlichen Gründen, sondern um des 
Wohles der Menschheit willen bekämpfen, denn so wahr es ist, 
dass niemals durch Vernichtung der Rinderbacillen die mensch¬ 
liche Tuberkulose ausgerottet werden könnte, so wahr und un- 
umstösslich feststehend ist es doch auch, dass die Tuberkulose 
unter dem Menschengeschlechts nicht verschwinden kann, so lange 
noch immer von neuem Perlsuchtbacillen von Tieren auf den 
Menschen übertragen werden können. 

Den Kampf gegen die Rinderbacillen dürfen wir aber nicht 
den Veterinären und den Viehbaltern überlassen, denn dabei ist 


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10. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


435 


sieht nur das Rindvieh, sondern auch die Menschheit interessiert, 
und die Sorge um die Gesundheit der Menschen ist Aerztesacbe. 
Die Wächter der öffentlichen Gesundheitspflege haben die all¬ 
gemeinen Maassnahmen zu ergreifen, um auch für die Rinder¬ 
bacillen den Weg vom Tier zum Menschen zu verlegen, jeder 
Hausarzt aber hat auch seinerseits darauf acht zu haben, dass 
die seiner Fürsorge anvertraute Familie, vor allem ihre Kinder, 
so viel wie möglich auch vor dieser Gefahr behütet werde. Auch 
mit dieser Ansicht stehe ich nicht allein, sondern sowohl der 
Reicbsgesundbeitsrat in Deutschland, als auch die bekannte eng¬ 
lische Kommission und andere mehr haben sich in diesem Sinne 
ausgesprochen, und auch auf dem vorjährigen internationalen 


Tuberkulosekongress in Rom ist beschlossen worden, sämtliche 
prophylaktische Maassregeln gegen die Infektion mit Rinder¬ 
tuberkelbacillen seien aufrecht zu erhalten. Ueber ein Jahrzehnt 
haben sich in dieser Frage zwei Parteien feindlich gegenüber 
gestanden, es ist aber begründete Aussicht vorhanden, dass eine 
Einigkeit erzielt wird, denn auch von hervorragenden Vertretern 
der Gegenpartei, wie Weber, wird anerkannt, dass die von den 
Rinderbacillen drohende Gefahr ,.jedenfalls die erforderlichen 
Vorsichts- und Vorbeugungsmaassregeln erfordert“. Mehr kann 
und sol 1 man nicht verlangen: Kampf gegen die humanen Bacillen 
in erster Linie, aber auch Kampf gegen die Rinderbacillen; das 
Grosse tun, aber auch das Kleine nicht lassen! 


Aus dem Samariterhaus in Heidelberg (Direktor: Geh. Kat Prof. Dr. V. Czerny, Exzellenz). 

Die nichtoperativen Behandlungsmethoden der bösartigen Neubildungen. 

Von 

Prof. Dr. R, Werner. 


Bis vor ungefähr 20 Jahren kannte man ausser der mecha¬ 
nischen oder thermischen Ausrottung der bösartigen Geschwülste 
im wesentlichen nur noch die Zerstörung derselben durch che¬ 
mische Aetzmittel und die selten wirksame innere Behandlung 
mit einigen Arsenpräparaten. Seither wurden nicht nur diese 
Verfahren verbessert, insbesondere z. B. die thermischen Methoden 
durch elektrische ergänzt, sondern auch ganz neuartige thera¬ 
peutische Wege eingescb'lagen. Wir besitzen heute ausser den 
erwähnten Behandlungsarten eine Radio-, Immuno-, Toxin-, Fer¬ 
ment-, Organo- und Chemotherapie der malignen Tumoren. 

Angesichts der kurzen Zeit, die seit dem Aufschwünge der 
experimentellen Krebstherapie vergangen ist, dürfen wir uns nicht 
wundern, wenn der Zahl der neuen Methoden keineswegs die 
Vermehrung der sicheren Heilerfolge parallel geht. Die meisten 
der Verfahren befinden sich noch durchaus im Stadium der Er¬ 
probung, einige haben sich für spezielle Zwecke bewährt, keines 
derselben kann bisher' als das vielgesuchte „spezifische“ Krebs¬ 
heilmittel bezeichnet werden. Da aber selbst die kühnste Aus¬ 
dehnung der chirurgischen Eingriffe nicht vor Recidiven schützt 
und die eifrigste Aufklärung des Publikums es nicht verhindern 
kann, dass noch immer erschreckend viele Tumoren für das 
Messer unangreifbar werden, ehe sie zur Kenntnis des Arztes ge¬ 
langen, wird das Bedürfnis nach einem Ersätze oder wenigstens 
einer Ergänzung der operativen Methoden durch unblutige Ver¬ 
fahren allgemein anerkannt und jede Erweiterung unseres Könnens 
auf diesem Gebiete dankbar begrüsst. 

Fast alle nicbtoperativen Methoden sind als anticytische 
gedacht, d. h. sie beruhen auf dem Prinzipe, die Tumorzellen zu 
zerstören bzw. im Körper zur Auflösung zu bringen. Ihnen stehen 
einige wenige gegenüber, die nach der Ansicht ihrer Erfinder 
gegen die Erreger des Krebses gerichtet sind, also Spezifica im 
wahrsten Sinne des Wortes darstellen sollen, so z. B. die Ver¬ 
fahren von Doyen, San Police, Odier, Wlaeff, Otto 
Schmidt usw. Mag auch über die theoretischen Vorstellungen, 
von denen diese Autoren ausgingen, längst der Stab gebrochen 
sein, so darf doch nicht daraus gefolgert werden, dass die von 
ihnen angewandten Agentien absolut wirkungslos sein müssen. 
Sie sind vielmehr, wenn auch nicht als „Spezifica“, so doch als 
„Toxine“ zu betrachten, d. b. als organische Gifte, welche die 
Tumorzellen schädigen, und besitzen tatsächlich in gewissem 
Umfange anticytische Eigenschaften, doch sind diese, soweit 
meine eigenen Erfahrungen reichen, sehr gering einzuschätzen. 

Das älteste und brauchbarste aller gegen die malignen 
Tumoren angewandten Toxine ist zweifelsohne das bekannte von 
Coley angegebene Streptokokken- und Prodigiosusmischtoxin, 
das zwar bei Epitbelialcarcinomen versagt, bei manchen Sarkom¬ 
formen, insbesondere bei Rund- und Spindelzellensarkomen aber 
günstig wirkt und in einer Anzahl von Fällen zur Heilung ge¬ 
führt hat. Es darf jedoch nicht verschwiegen werden, dass das 
Mittel ein sehr differentes ist, leicht hohes Fieber und Collaps- 
zustände hervorruft, wenn die Anwendung nicht mit äusserster 
Vorsicht geschieht, und daher bei geschwächten, sowie bei herz- 
und nierenkranken Patienten überhaupt kontraindiziert erscheint. 
Einzelne Erfolge wurden auch mit Pyocyanase (Uhlenhnth) er¬ 
zielt, doch ist das Präparat nur für lokale Applikation brauchbar. 
Versnche mit Tuberkulin verliefen bisher vollkommen negativ, 


und zwar sowohl bei örtlicher Anwendung wie bei subcutaner 
Injektion. 

Der Toxinbehandlung sind auch die Experimente mit Schlangen- 
und Bienengiftinjektionen zuzurechnen, v. Düngern hat z. B. 
bei mehreren Carcinomen Crotalusgift intra- oder paratumoral 
cingespritzt; es entstand eine starke Rötung und Schwellung an 
den Gescbwulstknoten und in deren Umgebung. Im Bereiche der 
Reaktion schrumpften die carcinomalösen Infiltrate. Die Methode 
ist* schmerzhaft, aber nach den bisherigen Erfahrungen ungefähr¬ 
lich, da keine Allgemeinerscheinungen auftraten. Für die Durch¬ 
führung in der Praxis eignet sie sich noch nicht. 

Ganz ähnlich liegen die Dinge bei der Verwendung von 
Pflanzenextrakten (aus Calabarbohnen, Veilchen usw.) zur Be¬ 
seitigung von Epitheliomen. Auch hier werden lokale Entzün¬ 
dungen erzeugt, die unter Umständen zur Vernichtung der carcino- 
matösen Infiltrate führen können. 

Der Toxinwirkung nahe verwandt ist der Einfluss von 
tierischen Organextrakten und -presssäften, von denen sich bisher 
das Parathyreoidin (Goldzieher) sowie der Tbyreoideapresssaft 
(Ascher) im Experimente am meisten bewährt hat. Bei einigen 
anderen Versucbon mit Injektionen von Gewebsbrei und Gewebs- 
autolysaten muss es noch als zweifelhaft gelten, ob es sich um 
eine Immunitätsreaktion oder eine toxinartige Wirkung der Zer¬ 
fallprodukte .handelt. Ueber Erfolge im Tierexperimente berichten 
Braunstein, Lewin, Meidner, Blumenthal, Fighera u. a. 
Zur Verwendung gelangten frisches Milzgewebe von normalen 
oder mit Carcinombrei immunisierten Tieren, ferner Autolysate 
von embryonalem Gewebe oder Geschwulstmaterial. Pigbera 
erzielte auch an menschlichen Tumoren Rückbildungserscheinungen 
nach Einspritzung derartiger Autolysate. Klemperer konnte 
sich von einer nennenswerten Wirkung nicht überzeugen. Ob 
sich die Methode als ausbildungsfäbig erweist, muss daher noch 
abgewartet werden. 

Auf ähnlichen Prinzipien beruhen die Blutinjektionen Bier’s, 
der vorübergehende Besserungen beobachtete. Weitgehend ist der 
günstige Erfolg dieser Einspritzungen nicht gewesen, da sie bei 
Wiederholung meist versagten und unangenehme Nebenerschei¬ 
nungen verursachten. 

Eine Art von Organotherapie stellen auch die Bestrebungen 
Re ich er’s dar, die Tumoren durch Adrenalininjektionen zu be¬ 
seitigen, wobei neben der anämisierenden auch eine toxische 
Wirkuog des Präparates auf das Protoplasma der Gescbwulst- 
zellen eine gewisse Rolle spielen dürfte. Bei Mäusetumoren ist 
der Erfolg anscheinend befriedigend gewesen, die Uebertragung 
der Methode auf den Menschen aber glückte bisher nicht in 
praktisch wertvoller Weise; hier ist auch wegen der beträcht¬ 
lichen Giftigkeit der Substanz für den Organismus grosse Vor¬ 
sicht geboten. 

Zahlreiche Experimente wurden über die Möglichkeit einer 
passiven oder aktiven Immunisierung gegen maligne Tumoren 
angestellt. Die passive Immunisierung durch Injektion des Serams 
aktiv immunisierter Tiere versuchten unter anderen Richet und 
Hericourt, Arloing und Courmont, Jensen, Ehrlich, 
Clowes und Bashford, Gaylord, Lewin, Dorm, Brunner, 
C har cot und mit besonderer Berücksichtigung der einzelnen 
Tumorarten und Lokalisationen v. Leyden und BlumenthaL 

2 * 


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436 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


Die Ergebnisse waren im Tierexperimente auch hier wesentlich 
besser als bei der therapeutischen Anwendung am Menschen. 

Eine aktive Immunisierung mit Tumormaterial erstrebten 
beim Menschen durch Einspritzung von Tumorextrakten v. Leyden 
und Blumenthal } durch Injektionen von fein zerriebenem Tumor- 
materiale v. Düngern und Coca. Ihre Resultate blieben aber 
erheblich hinter jenen zurück, die Jensen und einige andere 
Autoren beim Tiere erzielten. Del bet versuchte, wie übrigens 
zum Teil auch v. Düngern und Coca, das durch Operation ge¬ 
wonnene Material für denselben Patienten zur immunisierenden 
Relnoculation zu verwenden. Ersterer will dadurch sicher zu 
erwartende Recidive vermieden haben. Ob ein Präventivverfahren 
gegen Rückfälle auf diesem Wege gewonnen werden kann, mag 
noch unsicher sein, zweifelsohne aber besitzt die aktive Immuni¬ 
sierung in der bisher geübten Form nur einen geringen Einfluss 
auf noch bestehende Tumoren, auch dann, wenn man nach dem 
Vorgänge von Contamin und Courmont das Impfmaterial zu¬ 
erst mit Röntgenstrahlen behandelt und dadurch angeblich wirk¬ 
samer macht. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass es sich 
hier nicht um Misserfolge aus prinzipiellen Gründen handelt, 
sondern um ein Versagen der Methode wegen Anwendung zu 
geringer Quantitäten des Impfmaterials. Solange aber noch nicht 
ein Verfahren gefunden ist, welches es gestaltet, die Krebszellen 
sicher abzutCten und den Impfbrei zu sterilisieren, ohne die 
immunisierenden Eigenschaften zu vernichten, wird die Massen- 
inoculation ein zu bedenklicher Versuch bleiben, als dass er beim 
Menschen gewagt werden könnte. 

Einen direkteren Einfluss auf die Tumoren als die Immuni¬ 
sierungsmethoden streben die therapeutischen Experimente mit 
Fermenten an. Nachdem schon vor mehreren Decennien ver¬ 
gebliche Versuche mit peptischen Fermenten zum Zwecke der 
Zerstörung der Geschwülste vorgenommen worden waren, nahm 
Board das Problem wieder auf und behauptet, mit tryptischen 
Fermenten (Trypsin oder Pankreatin) einige günstigere Erfolge 
erzielt zu haben. Er gab die Fermente per os oder auf dem 
Wege der subcutanen Injektion in der Hoffnung, den Körper von 
den Krebszellen durch eine spezifisch cytolytische Wirkung auf 
die Abkömmlinge versprengter Keime befreien zu können. Alle 
Nachuntersuchungen hatten negativen Erfolg. Die Darreichung 
per os batte bei Magencarcinomen einen günstigen Einfluss auf 
die Verdauung, aber keineswegs auf den Tumor. Dagegen zeigte 
es sich, dass circumscripte kleine Geschwülste nach intra- 
tnmoralen Injektionen verflüssigt und resorbiert werden können. 
Grössere Tumoren sowie solche mit Ausstreuungen eignen sich 
für das Verfahren nicht. Sticker und Falk wandten an Kohle 
gebundenes Trypsin (Carbenzym) an, um das Fernjent im Er- 
krankungsberde festzubalten. v. Leyden, Berge! 1 und Lewin 
injizierten ein aus der normalen Leber dargestelltes Ferment 
intratumoral und bekamen umfangreiche Einschmelzungen der 
Geschwülste, doch war der Prozess leider mit einer starken Ver¬ 
schlechterung des Allgemeinbefindens verbunden. Die Applikation 
am Orte der Wahl versagte. Eine Ausnahmestellung wird von 
Odier den glykolytischen Fermenten zugescbrieben, die auch bei 
der subcutanen Injektion imstande sein sollen, die Krebserkrankung 
günstig zu beeinflussen. Es scheint jedoch, dass die Ergebnisse 
mit den glykolytischen Fermenten nicht günstiger sind als bei 
der Toxinbebandlung, mit welcher hinsichtlich der Art des Effektes 
eine gewisse Aehnlichkeit besteht. Erfahrungen von anderer 
Seite sind noch nicht bekannt geworden. 

Es ist begreiflich, dass stets der Wunsch vorherrschte, statt 
mit so komplizierten, in ihrer Zusammensetzung und Wirkung 
meist unstabilen und daher auch schwer dosierbaren Agentien, 
wie Toxine, Organ ex trakte, Autolysate, Fermente u. dgl., mit 
Substanzen zu arbeiten, deren chemische Konstitution bekannt ist, 
und deren Effekt sich wenigstens annähernd vorher bestimmen 
lässt. Dies ist wohl der Hauptgrund, warum die Chemotherapie 
uns insbesondere bei der Behandlung der malignen Tumoren stets 
als das Ideal vorschwebt. 

Als lokale Cberaokaustik ist sie, wie eingangs erwähnt, schon 
alten . Datums. Die Aetzungen mit rauchender Salpetersäure, 
Chromsäure, Chlorzink, Argentum nitricum u. dgl. werden be¬ 
kanntlich in den verschiedensten Applikationsformen (Pasten, 
Aetzstifte, Aetztampons usw.) zur Zerstörung äusserer Geschwülste 
verwendet. Bei der Auswahl des Mittels müssen im speziellen 
Falle Giftigkeitsgrad, Intensität, Umfang und Elektivität der 
Wirkung, ferner die Art des zu erwartenden Schorfes, insbesondere 
hinsichtlich seiner Neigung zur Infektion und zur Erzeugung von 
Arrosionsblutungen erwogen und berücksichtigt werden. Ein 


Aetzmittel, welches allen anderen in jedem Falle überlegen wäre, 
gibt es bisher noch nicht. Besonders bevorzugt werden von 
mancher Seite die arsenhaltigen Tinkturen und Pasten. In 
jüngster Zeit hat Zeller die alte Arsenzinnoberpaste modifiziert 
und zu neuen Ehren gebracht. Die Prüfung im Heidelberger 
Samariterbause hat aber bisher keine fundamentalen Unterschiede 
gegenüber den älteren Aetzpasten ergeben. Die ZeHerrsche Paste 
wirkt wenig elektiv, d. b. greift alle Gewebe sehr, energisch an, 
ihre Anwendung ist sehr schmerzhaft, nicht ohne Intoxikations¬ 
gefahr, führt leicht zu Arrosionsblutungen und ist für die in der 
Nachbarschaft zurückgebliebenen Carcinomreste nicht reizlos, so 
dass diese gelegentlich rapid nachwachsen. Für nicht zu grosse 
circumscripte Cancroide wird sie in geübter Hand gute 
Resultate geben, ob bessere als die anderen Ae'tzmittel, 
ist noch fraglich. 

In den letzten Monaten wurden im Heidelberger Samariter¬ 
hause auf den Vorschlag Czerny ’s auch Versuche angestellt, 
durch Bestreuen ulcerierter Carcinome mit Salvarsan bzw. Neo- 
salvarsan oder Atoxyl in Pulverform eine Art von Aetz- 
wirkung zu erzielen. Zweifelsohne ist dies auch in gewissem 
Grade möglich, insbesondere mit Hilfe des Salvarsans, doch sind 
die Experimente noch nicht abgeschlossen. 

Prinzipiell wichtiger als alle eventuellen Fortschritte auf 
dem Gebiete der lokalen Aetzwirkung sind die positiven Er¬ 
gebnisse der Chemotherapie im engeren Sinne des Wortes, welche 
sich die Beeinflussung der Tumoren vom Orte der Wahl, ins¬ 
besondere vom Blutwege aus zur Aufgabe gestellt hat. Man bat 
gegenwärtig schon mehrere Gruppen von Substanzen zu unter¬ 
scheiden, welche zum mindesten im Tierversuch eine indirekte 
Zerstörung oder Auflösung der Geschwülste bewirken können. In 
erster Linie sind zu nennen: einige neuere Arsenverbindungen, 
mehrere Schwermetallverbindungen, insbesondere solche in 
kolloidaler Form, auch das Kolloid des Schwefels, ferner die 
Base und einige Salze des Cholins und endlich mehrere Silicium¬ 
verbindungen. 

Erwähnt seien auch noch die interessanten Versuche von 
Mosetig-Moorhof mit Vitalfarbstoffen (Methylenblau und Pyok- 
tannin), von Oestreich mit Antituman (chondroitin-schwefel- 
saurem Natrium) und von Spiess mit Cocainderivaten. Oestreich 
schreibt dem Antituman eine gewisse Affinität zum Krebsgewebe 
zu und sucht diese Anschauung durch einige klinische Beob¬ 
achtungen zu stützen. Spiess sah nach intratumoralen In¬ 
jektionen von Novocain Mäusetumoren schwinden, doch konnten 
am Menschen keine derartigen Beeinflussungen konstatiert werden. 

Weit besser erprobt ist die Wirkung verschiedener Arsen¬ 
verbindungen, unter denen da9 Atoxyl (Blumenthal, Fränkel, 
Czerny, Völker,Steinthal u.a.) und Salvarsan bzw.Neosalvarsan 
[Czerny und Caan 1 )] in erster Linie zu nennen sind. Das Atoxyl 
wird sowohl intratumoral wie subcutan eingespritzt, bis eine 
Gesamtmenge von höchstens 3 g erreicht ist. Die Einfuhr 
grösserer Quantitäten ohne entsprechende Pause ist bekanntlich 
für das Sehvermögen gefährlich. Erfolge wurden damit haupt¬ 
sächlich bei Sarkomen erzielt, während die Carcinome sich als 
resistent erwiesen. Lebhaftes Interesse verdienen die beob¬ 
achteten Rückbildungen von myelogenen und periostalen Knochen¬ 
sarkomen. Nach Löffler und Babes sowie Blumentbal ist 
der Zusatz von 0,02 Acid. arsenicos. zu 1,0 Atoxyl besonders zu 
empfehlen. Salvarsan wurde intravenös und intratumoral, in 
einzelnen Fällen auch intramuskulär injiziert. Intratumoral ein¬ 
gespritzt ist es in der alten, von Ehrlich zuerst angegebenen 
Emulsion am wirksamsten, macht ausgedehnte, den Tumor in 
gewissem Grade elektiv zerstörende Nekrosen, ist aber recht 
schmerzhaft, ln Oleum Sesami suspendiert, verursacht es nach 
der Injektion weniger stürmische Erscheinungen, hat aber auch 
einen geringeren Effekt. Die Dose beträgt bei Erwachsenen 0,5 
bis 0,6 g, bei Kindern 0,1 bis 0,2 g. In gleicher Menge intra¬ 
venös injiziert, verursacht es oft fieberhafte Reaktionserscheinungen, 
mitunter auch Fröste. Die Tumoren werden bei dieser Form der 
Anwendung nicht nekrotisiert, sondern erweicht und zur Resorption 
gebracht. Wir sahen den Umfang grosser Tumoren mitunter in 
wenigen Tagen um 5—10 cm zurückgehen. Die Injektionen 
können ohne Gefahr etwa 3mal in 3—4 Wochen wiederholt werden, 
doch muss man dann eine mehrwöchige Pause folgen lassen. 
Volle Heilungen sind selten zu erwarten, da fast stets von den 
Tumoren ein Rest zurückbleibt, der sich mit den zulässigen Dosen 
nicht beeinflussen lässt. Zu intravenösen Injektionen ist auch 


1) Münchener med. Wochenschr., 1911, Nr. 17, und 1912, Nr. 4J. 


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das Neosalvarsan gut geeignet, dessen Dose etwa um ein Drittel 
niedriger genommen wird. Auch Natrium cacodylicum und 
Arsacetin können gelegentlich gute Dienste leisten, insbesondere 
zur Hebung des Gesamtzustandes der Kranken. In diesem Sinne 
sind alle Arsenpräparate zur Unterstützung der übrigen Behänd- 
lungsmethoden bei allen Arten von bösartigen Neubildungen mit 
Vorteil zu verwenden. 

Die tumorauflösende Wirkung bestimmter Selen- und Tellur¬ 
verbindungen, insbesondere des Eosioselens, geht aus den be¬ 
kannten Versuchen v. Wassermanns und seiner Mitarbeiter, 
ein analoger Effekt der Kolloide vieler Schwermetallverbindungen 
ans den erfolgreichen Arbeiten von Neuberg und Caspari her¬ 
vor. lzar hat mit ähnlichem Ergebnis kolloidalen Schwefel bzw. 
AgfSs verwendet. Bisher liegen nur Publikationen über Tier¬ 
versuche vor. 

Bougeant, Thiroloix, Lancien, Netter, Gascuel, 
Girard, Cade, Blumenthal, Trinkleru. a. wendeten kolloidales 
Elektroselenium (Clin) beim menschlichen Carcinom an, ebenso 
Gaube du Gers eine kolloidale Eiweisskupferverbindung (Caprase) 
und berichteten über Besserung inoperabler Fälle. 

Die Verwertung des Cholins und seiner Salze für die Be¬ 
handlung der bösartigen Neubildungen basiert auf meinen Arbeiten 
über die chemische Imitation der Strahlenwirkung. An der Haut, 
am Blute, an den Lymphdrüsen, an der Milz, an den Hoden, an 
den Embryonen in utero, ferner an den malignen Tumoren ver¬ 
mag das Cholinum basicum und einige seiner Salze, z. B. das 
joden benzoesaure, atoxylsaure, ameisensaure, das borsaure sowie 
das Glykokollcholin, ganz analoge Veränderungen hervorzurufen, 
wie die direkte Bestrahlung mit Radium oder mit dem Röntgen¬ 
apparate. 

In den Jahren 1904 bis 1906 habe ich die biologischen Be¬ 
fände in mehreren Publikationen mitgeteilt, im Jahre 1907 be¬ 
reits an einigen Mäusecarcinomen den Einfluss auf das Geschwulst¬ 
gewebe erwiesen. Zu jener Zeit wurden auch die. ersten klinischen 
Erfahrungen über das Cholin gesammelt 1 ). Da dieses aber in 
basischer Form zu instabil war, suchte ich unter den Salzen nach 
geeigneten Verbindungen, die auch mit Hilfe der Vereinigten 
chemischen Werke in Charlottenburg gefunden wurden. Alle für 
die chemische Imitation der Strahlenwirkung brauchbaren Cholin¬ 
salze sind unter dem Namen „Encytol“ geschützt worden. Das 
Verfahren ist nicht als eine selbständige chemotherapeutische 
Methode gedacht, sondern als eine Ergänzung der radiotherapeu- 
tischeo Maassnahmen durch ein ähnlich wirkendes Mittel. Aus 
diesem Grunde soll über die bisher vorliegenden Erfahrungen im 
Zusammenhänge mit der Strahlenbehandlung berichtet werden. 

Die Behauptung, dass Silikate einen zerstörenden Einfluss auf 
das Geschwnlstgewebe besitzen, ist schon älteren Datums. Ver¬ 
einzelte Beobachtungen von Schuh und von Benedikt sprechen 
dafür. Zeller hat das Kalium- und Natriumsilikat geradezu als 
Specificum gegen Krebs empfohlen. Im Heidelberger Samariter¬ 
hause wurde das Mittel in Form von Lösungen und Pulvern in 
zahlreichen Fällen verordnet, ohne dass bisher ein greifbarer Er¬ 
folg zu verzeichnen gewesen wäre. Man wird jedoch gut tun, 
hiermit noch nicht die absolute Unbrauchkeit der Silikate für 
die Krebsbehandlung als erwiesen zu betrachten und alle Ver¬ 
fluche aufzugeben, da die positiven Tierexperimente Benedikt’s 
hinsichtlich der Beurteilung zur Vorsicht mahnen. 

Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass auch durch 
lokale oder subcutane Injektion von verschiedenen Jodverbindungen, 
Chinin, aromatischen Substanzen und dergleichen in einzelnen 
Fällen eine partielle Rückbildung von Tumoren erzielt wurde. 
Die an derartigen Erfahrungen geknüpften weitgehenden Hoffnungen 
haben sich bisher nicht erfüllt. 

Weitaus am vollkommensten durcbgebildet und am häufigsten 
angewandt ist unter sämtlichen nichtoperativen Krebsbehandlungs- 
metboden die Radiotherapie 2 ). 

Bekanntlich kann sie auf zweifache Weise ausgeübt werden, 
entweder als Bestrahlung mit dem Röntgenapparate oder mit 
radioaktiven Substanzen. Die Röntgentherapie lässt sich wieder 
in verschiedener Weise der Behandlung des Krebses dienstbar 
machen, sie kann einerseits zur Vorbereitung für die Radikalopera¬ 
tion, andererseits zur Nachbehandlung nach derselben, ausnahms¬ 


1) Cf. Strablentherapie, Bd. 1, H. 4, S. 442, ferner Mitteil. a. d. 
Grenzgeb. der Med. und Chirurgie, Bd. 20, H. 1, sowie Med. Klinik, 
1912, Nr. 28. 

2) Eine ausführlichere Beschreibung siehe „Strahlentberapie“, Bd. 1, 
ß. 100 bis 120. 


weise sogar als voller Ersatz für eine solche, ferner schliesslich 
als Palliativmittel zur Stillung von Schmerzen und zur Förde¬ 
rung der Ueberhäutnng von Ulcerationen verwendet werden. 

Wichtig ist die richtige qualitative und quantitative Dosierung 
der Strahlen. Die qualitative Dosierung bezweckt die Auswahl 
jener Strahlenarten, die für den betreffenden Prozess optimal 
sind. Bei der Behandlung der malignen Tumoren ist die quali¬ 
tative Dosierung eine ziemlich einfache. Man hat fast ausschliess¬ 
lich Objekle vor sieb, die in der Tiefe liegen, oder doch in die¬ 
selbe hinabreicben, und es empfiehlt sich daher, die penetrations¬ 
fähigste Strahlenart zu verwenden, welche die Röntgenröhre 
liefern kann, auch dann, wenn der Tumor bis an die Oberfläche 
reicht. Sonst erhält man nämlich leicht an dieser eine Besserung, 
während der Tumor in den tieferen Schichten nur zu rascherem 
Wachstum angeregt wird. Eine einigermaassen gleichmäßige 
Beeinflussung des Erkrankungsherdes aber ist die Vorbedingung 
für ein günstiges Resultat. 

Weiche Bestrahlungen sind nur bei sicher ganz oberfläch¬ 
lichen Infiltraten (Ulcus rodens) oder für ganz spezielle Zwecke 
(z. B. Ueberhäutnng ulcerierender Flächen) indiziert. 

Es genügt nicht, die harte Bestrahlung durch Wahl ent¬ 
sprechender Röhren zu sichern, man muss die meist konkommi- 
tierenden weichen Strahlen durch Filter abhalten. Meine per¬ 
sönliche Erfahrung erstreckt sich auf Aluminium-, Leder- und 
Stanniolfilter, doch ziehen andere Silberfilter vor. Die Frage, 
ob einer dieser Filter einen besonderen Vorzug besitzt, ist noch 
nicht gelöst. 

Die Quantität der Dosierung ist im wesentlichen abhängig 
von der Empfindlichkeit des Tumors und der ihn bedeckenden 
Hülle. Subcutan gelegene Tumoren können nur dann unter 
Schonung der Haut bzw. Schleimhaut genügend stark beeinflusst 
werden, wenn es sich um besonders empfindliche Geschwülste 
handelt, so z. B. nm Rund- oder Spindelzellensarkome, Lymph¬ 
drüsen- oder Milztumoren. Die resistenteren Arten der Ge¬ 
schwülste hingegen sind nur dann für die Bestrahlung geeignet, 
wenn sie entweder die Haut durchwachsen haben oder operativ 
freigelegt wurden. 

Die Reaktion der Geschwülste hängt mehr von der biologi¬ 
schen Beschaffenheit derselben ab, als von der Art der Dosierung. 
Sie besteht im günstigen Falle in einer Schrumpfung des Tumors 
unter narbiger Degeneration desselben. Dies möchte ich als die 
ideale Form der Reaktion bezeichnen, da sie mit keiner Un¬ 
annehmlichkeit oder Gefahr verknüpft ist. Weniger günstig ist 
schon eine Verflüssigung des Geschwulstgewebes ohne ent¬ 
sprechende Resorption. Hier kann es unter Umständen zu einer 
Ausschwemmung lebensfähiger Geschwulstzellen infolge einer 
Lockerung des Zusammenhanges im Tumorgewebe und zur Me¬ 
tastasierung in die benachbarten Organe kommen. Bei grossen 
Tumoren besteht auch die Möglichkeit einer Intoxikation durch 
die Zersetzungsprodukte der Zellen. Man ist oft genötigt, das 
kolliquierte Gewebe durch eine Punktion oder Excochleation zu 
entleeren, um der genannten Gefahr vorznbeugen. Am un¬ 
angenehmsten ist die Reaktion in Form einer Nekrose. Hier 
kommt es zu einem oft ganz rapiden Absterben ausgedehnter Ge- 
websmassen, die sich erst spät demarkieren, sich infizieren können 
nnd bei der Abstossnng nicht selten Arrosionsblutungen oder 
Perforationen in benachbarte Körperhöhlen verursachen. In ge¬ 
wissem Umfange ist diese Art der Reaktion von der Art der 
Dosierung abhängig, da sie in der Regel nur nach Applikation 
übergrosser Strahlenmengen in kurzer Zeit entsteht. Beim Vor¬ 
handensein schwerer Arteriosklerose oder bei schlecht vasculari- 
sierten Tumoren kann sie jedoch auch nach normalen Dosen be¬ 
obachtet werdeo. Bei Geschwülsten, die weder mit Leibeshöhlen 
kommunizieren noch auf grossen Gefässen aufsitzen, ist auch 
diese Reaktionsform therapeutisch brauchbar, wenn man eine In¬ 
fektion zu verhüten weiss. 

Wir besitzen eine ganze Reihe von Methoden znr Verstärkung 
der Röntgenwirkung, ln erster Linie kann eine solche durch die 
Art der Bestrahlung selbst erreicht werden, indem man diese 
dadurch wirksamer gestaltet, dass man einen in der Tiefe liegen¬ 
den Erkrankungsherd von verschiedenen Seiten her radiär be¬ 
strahlt. Man benutzt verschiedene Stellen der Oberfläche zum 
Durchtritt des Strahlenkegels und vereinigt dieselben am ge¬ 
wünschten Punkte im Körperinnern. Ich habe vor 6 Jahren einen 
Apparat angegeben, der dies mit jeder wünschenswerten Genauig¬ 
keit ermöglicht. Das Verfahren ist jedoch auch ohne besondere 
Apparate nach dem Augenmaass in den meisten Fällen durch¬ 
führbar. Man kann auf diesem Wege unter Umständen das 16- 

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Nr. 10. 


bis 20 fache jener Strahlenmenge in der Tiefe konzentrieren, 
welche sonst von einer Stelle der Oberfläche her erzielt werden 
konnte. 

Ein zweiter Weg ist die sogenannte homogene Bestrahlung. 
Sie besteht darin, dass man die Strahlen aus grosser Entfernung 
dem Körper zuführt, so dass die Tiefenlage des Tumors gegen¬ 
über der Distanz der Röhre nur eine geringe Rolle spielt. Wählt 
man dann noch harte Strahlen, die den Körper verhältnismässig 
leicht durchdringen, so bekommt man an der Oberfläche und in 
der Tiefe eine ziemlich homogene Durchstrahlung des Körpers. 
Das Verfahren würde wohl weitaus das rationellste sein, wenn es 
nicht den Apparaten eine ausserordentlich grosse Ueberanstrengung 
zumuten würde, der bisher noch keine Konstruktion in praktisch 
brauchbarem Umfange gewachsen war. 

Ausser durch die Bestrahlungsart kann man auch durch 
andere Maassnahmen die Wirkung der Röntgentherapie erhöhen. 
So vor allem dadurch, dass man die schützenden Hüllen von den 
Tumoren entfernt. Man bekommt dann nicht nur eine grössere 
Dose in den Tumor hinein, sondern es scheint auch, dass die 
Geschwulst selbst durch den operativen Eingriff empfindlicher 
wird und leichter reagiert. Die Technik ist bei den der Ober¬ 
fläche naheliegenden Geschwülsten eine einfache, da es sich in 
der Regel nur darum handelt, einen Haut- oder Hautmuskellappen 
zurückzupräparieren und am Rande der Geschwulst einzustülpen, 
wenn man es nicht vorzieht, ihn überhaupt abzutragen. 

Etwas schwieriger liegen die Dinge bei den intraperitonealen 
Gebilden, z. B. bei den Magen-, Darm- oder Ovarialkrebsen usw. 
Hier muss man eine spezielle operative Technik anwenden, um 
die Bauchhöhle widerstandsfähig abzuschHessen und gleichzeitig 
gegen Infektion von aussen zu schützen. Es geschieht dies am 
einfachsten in der Weise, dass man das Peritoneum an den Haut¬ 
rand vorsäumt und den gemeinschaftlichen Hautperitonealrand an 
das gesunde Gewebe in der Nachbarschaft des Tumors (nicht an 
diesen selbst) durch Nähte fixiert. Man erhält dann breite seröse 
Verwachsungen, welche genügend Festigkeit besitzen, um einen 
Prolaps des Peritonealinhaltes zu verhindern. Die Tumoren selbst 
bilden einen so guten Verschluss des Abdomens, dass ausser beim 
Bestehen eines maximalen Ascites, der die Verklebung verhindert, 
eine nennenswerte Vorstülpung im Bereiche der Wunde nie be¬ 
obachtet wurde. Die Tumoren werden dann nach den oben an¬ 
geführten Regeln bestrahlt und pflegen ziemlich rasch zurückzu¬ 
geben, indem sie — meist ohne Nekrose — einschmelzen, von 
Granulationen bedeckt werden und sich glatt überhäuten. In der 
Mehrzahl der Fälle ist der Erfolg anfangs ein verblüffender. 
Durch die Verkleinerung der Geschwülste verschwinden mitunter 
auch die bestehenden Stenoseerscheinungen von seiten des Magens 
oder Darmtraktes, die Patienten erholen sich, werden unter Um¬ 
ständen sogar bis zur Arbeitsfähigkeit gebessert; der Erfolg aber 
ist bei der weitaus grössten Mehrzahl der Fälle nur ein tempo¬ 
rärer. In der Regel gehen die Kranken später an Metastasen zu¬ 
grunde, auch dann, wenn der Tumor lokal vollkommen beseitigt 
wurde, da eben die Wirkung der Röntgenstrahlen sich nur auf 
das vorgelagerte Gebiet und dessen nächste Umgebung erstreckt. 
In einem Falle jedoch, der bei der Anfnahme vollständig hoff¬ 
nungslos zu sein schien, ist seit mehr als 30 Monaten vollkommene 
Heilung eingetreten. 

Von unangenehmen Komplikationen wäre zu bemerken, dass 
einige Male Perforation in den Magen durch Nekrotisierung des 
Tumors eintrat, woraus unangenehme Fisteln resultierten. 

Ausser nach operativer Freilegung kann man die Geschwülste 
auch diacutan abnorm stark bestrahlen, wenn man die Haut 
unterempfindlich macht. Dies geschieht durch temporäre An- 
ämisierung, entweder durch mechanische Kompression mit Hilfe 
von kleinen Brettchen oder Stoffbinden, die besonders strahlen¬ 
durchlässig sind, oder durch Einführung von schwachen Adrenalin¬ 
lösungen (0,2—0,6 ccm, 1: 1000, mit 4 ccm physiologischer Koch¬ 
salzlösung verdünnt) durch Injektion oder Jontophorese. Da man 
aber auch auf diesem Wege höchstens das \ l j 2 —2 fache der 
Normaldose applizieren kann, so ist keine so grosse Vermehrung 
der Strahlenwirkung zu erwarten wie durch die operative Frei¬ 
legung. Ferner ist zu beachten, dass diese Desensibilisierung 
wohl vor dem Eintritte der unmittelbaren Konsequenzen der 
Ueberdosierung schützt, dass sie aber keine Sicherheit gegen die 
Spätfolgen (Hautatrophie, sekundäre Ulceration u. dergl.) zu ge¬ 
währen scheint. 

Man kann auch umgekehrt Vorgehen und die Geschwülste 
selbst sensibilisieren. Entweder geschieht dies durch Erwärmung 
auf elektrischem Wege (Diathermie), oder durch Gefrierenlassen 


mit Hilfe des Aethersprays bzw. Chloräthylsprays, oder durch 
Reizung des Geschwulstgewebes durch Hochfrequenzströme, die in 
Form von schwachen, wenig schmerzhaften Funkenbüscbeln ein¬ 
wirken, oder endlich durch Einspritzung sensibilisierender Sub¬ 
stanzen, z. B. Chinin oder Fluorescin oder Eosin. Man beobachtet 
bei allen diesen Maassnahmen eine Steigerung der quantitativen 
Wirkung der Röntgenstrablen, allein die qualitative Reaktion der 
Tumoren wird nicht wesentlich verbessert, die Folgen der Ueber¬ 
dosierung werden nicht verhütet. Daher kommt es, dass die Er¬ 
folge bei den malignen Tumoren hinter unseren Erwartungen 
zurückstehen, obwohl die hochentwickelte Röntgentechnik es ge¬ 
stattet, grosse Mengen von Strahlen in die Tiefe gelangen zu 
lassen und deren Wirkung noch künstlich zu steigern. 

Zu bemerken ist, dass es Geschwülste gibt, die selbst auf 
sehr grosse Dosen hin nur mit schnellerer Wucherung reagieren 
und auch dann durch Metastasen sich rapid ausbreiten, wenn 
man sie durch enorme Ueberdosierung lokal gewaltsam zur 
Nekrose bringt. Häufig findet sich z. B. diese Art der Resistenz 
bei Zungen- und Mundbodenkrebsen. Zeigt sich vermehrtes Wachs¬ 
tum nach ein bis zwei kräftigen Bestrahlungsserien, so soll man 
die Röntgentherapie aufgeben. 

Auch dann, wenn man auf einen ernsthaften therapeutischen 
Erfolg mit Röntgenbestrahlung nicht mehr rechnen kann, ist diese 
nicht selten als Palliativmittel von Wert. Am willkommensten 
ist wohl die schmerzstillende Wirkung der Röntgenstrahlen, ins¬ 
besondere bei Tumoren, welche auf Nerven drücken, oder den 
Knochen arrodieren, wobei bekanntlich Schmerzen ausgelöst 
werden, die einen geradezu furchtbaren Charakter annehmen 
können, ln einem gewissen Prozentsatz dieser Fälle gelingt es, 
durch Applikation einer grossen Menge von barten Strahlen oft 
in überraschend kurzer Zeit eine nicht selten wochenlang an¬ 
dauernde Scbmerzfreiheit zu erzielen, selbst dann, wenn sich die 
Zeichen des Morphinismus einstellen und die Narkotica bereits 
versagen. Kleine Dosen, auf längere Zeit verteilt, sind in der 
Regel unwirksam. 

Abgesehen von der Schmerzstillnng ist auch die Möglichkeit, 
ulcerierte Flächen durch Röntgenbestrahlung zur Ueberhäutung 
zu bringen, von praktischer Bedeutung. Hier muss man jedoch 
anders Vorgehen. Es empfiehlt sich, kleine Mengen (etwa 3 bis 
4 H.) in zweiwöchigen Pausen zu applizieren und nur mit weichen, 
höchstens mittelweichen Röhren zu arbeiten. In einigen Wochen 
pflegen sich die ulcerierten Tumorpartien an der Oberfläche zu 
reinigen und allmählich zu überhäuten. 

Von besonderem Interesse für den Chirurgen ist die Mög¬ 
lichkeit, durch Röntgenstrahlen Tumoren, die an der Grenze der 
Operabilität stehen, zur Schrumpfung zu bringen und dadurch dem 
radikalen Eingriffe zugänglich zu machen. Am häufigsten findet 
sieb Gelegenheit hierzu bei Mammacarcinomen, Hautkrebsen, 
malignen Lymphomen und oberflächlichen Fasciensarkomen. Man 
muss hier innerhalb von 3 bis 4 Wochen zwei Serien möglichst 
intensiver Röntgenbestrahlungen verabfolgen. Geht darauf der 
Tumor genügend zurück, so ist die Operation unverzüglich anzu- 
schliessen, bleibt jedoch nach dieser Zeit das gewünschte Re¬ 
sultat aus, so ist der Fall für diese Art der Behandlung nicht 
geeignet. 

Von Bedeutung ist auch die Nachbehandlung mit Röntgen¬ 
strahlen nach Radikaloperationen zur Verhütung von Recidiven. 
Dieselbe kann in zweifacher Weise vorgenommen werden. Am 
bequemsten ist das diacutane Verfahren, das für jene Fälle in 
Betracht kommt, in denen eine Heilung per primam intentionem 
erwünscht erscheint und kein Zweifel an der Radikalität der 
Operation obwaltet. Man ist dann allerdings in der Dosierung 
durch die Haut beschränkt, hat aber dafür der Nachbehandlung 
keine chirurgischen Interessen geopfert. Der Wert dieser Methode 
ist vorläufig noch nicht zu übersehen, doch sollte sie in jedem 
Falle geübt werden, da man dem Patienten eine Chance gibt, 
für welche er keine Nachteile in Kauf zu nehmen hat. Besser 
ist jedoch unter allen Umständen die Bestrahlung in die offene 
Wunde. In jenen Fällen, in denen man durch plastische Opera¬ 
tionen oder Transplantationen den Substanzverlust zu decken bat 
oder wegen kaustischer Operationen auf eine primäre Naht ver¬ 
zichten muss, empfiehlt es sich, die Wunde längere Zeit offen zu 
behandeln und intensiv den Röntgenstrahlen auszusetzen. Es 
unterliegt keinem Zweifel, dass man auf diesem Wege grösseren 
Einfluss ausüben kann als bei diacutaner Bestrahlung. Ausserdem 
ist es jedenfalls wertvoll, das Wundgebiet mit Rücksicht auf die 
Recidivgefahr noch längere Zeit unter Kontrolle halten zu 
können. Ganz sicher schützt jedoch auch diese Methode vor 


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Rückfällen nicht, hauptsächlich dann, wenn sicher noch im Kranken 
operiert wurde. 

Eine wesentliche Unterstützung und Ergänzung der Röntgen¬ 
therapie ist neuerdings in der Behandlung mit radioaktiven Sub¬ 
stanzen gewonnen worden. Von den zahlreichen strahlenden Ele¬ 
menten und deren Zerfallsprodukten, welche die Physik kennt, 
kommen für die Praxis in Betracht: die Salze und die Emanation 
des Radiums, das Aktinium, das Mesothorium und das Thor X. 
Man kann diese Substanzen in zweierlei Form applizieren — als 
Bestrahlungskörper oder in Form der Injektion. Erstere werden 
in mehrfacher Gestalt konstruiert. Die älteste Form ist die der 
Kapsel. Neuerdings verwendet man für viele Zwecke aber 
„Plättchen“, deren radioaktiver Inhalt auf der einen Seite mit 
einer dicken, auf der anderen mit einer dünnen Silberschiebt 
überzogen ist. Plättchen und Kapseln strahlen nur nach einer 
Seite stark, nach der anderen sehr wenig. Die Kapseln haben 
den Vorzug, dass man sie ohne Verbrennungsgefahr in die Hand 
nehmen kann, was bei den Plättchen schon schwerer möglich ist 
und grössere Vorsicht erfordert. Dafür lassen sich die Plättchen 
leichter in Spalten und schmale Höhlungen einführen. Man kann 
sie auch so konstruieren, dass man sie mit Zängelchen armiert 
oder auf gerade oder gebogene Stiele und Sonden aufschraubt, 
um sie bequemer in Hohlräume einbringen zu können. Die dritte 
Form der Bestrahlungskörper sind die Tuben. Es sind dies ganz 
zarte, schmale Silberröhrchen mit Schraubverschluss, in denen die 
radioaktive Substanz — meist von einer nicht verbrennbaren 
Membran als Lösung aufgesaugt — enthalten ist. Eine richtig 
gefüllte Tube strahlt fast in ihrer ganzen Länge, die etwa 1 bis 
2 cm beträgt, nach allen Seiten hin. Auch bei den Kapseln ist 
die Befestigung der radioaktiven Substanz auf Membranen 
empfehlenswert. Von mancher Seite werden mit radioaktivem 
Lack überzogene Bestrahlungskörper empfohlen, doch ist man bei 
diesen zu sehr in Gefahr, die kostbare Substanz zu verlieren. 
Die leicht absorbierbaren, hochwirksamen a- Strahlen werden 
allerdings bei dieser Methode am besten ausgenutzt. 

Zur Injektion verwendet man die radioaktive Substanz ent¬ 
weder in Form von Lösungen oder von Emulsionen. Die 
Strahlungsintensität der Einzeldosen, die man injiziert, beträgt 
100—1000 elektrostatische Einheiten, jene der Bestrahlungs¬ 
körper wird nach der Menge von Radiumbromid angegeben, 
welche die betreffende Strahlenquantität emittiert. Dement¬ 
sprechend verwendet man Einheiten von 10—20, ja bis 50 mg 
„Radiumbromidstrahlungswert“. 

Nicht alle radioaktiven Substanzen sind für alle Zwecke in 
gleicher Weise geeignet; vor allem deshalb nicht, weil man sie 
nicht in allen Applikationsweisen verwenden kann. So z. B. kann 
man die Radiumsalze zur Füllung von Strahlungskörpern ge¬ 
brauchen oder sie in Lösung oder als Emulsion einspritzen, 
die Radiumemanation hingegen nur in Lösung oder als Emulsion 
injizieren, in letzterer Form nur dann, wenn die Emanation durch 
pulverisierte Körper von grosser Adsorptionskraft (Kohle, Kiesel¬ 
säure) aufgenommen wurde. Das Aktinium eignet sich zur 
Füllung von Bestrahlungskörpern oder zur Injektion als Lösung, 
das Thor X nur zu letzterem Zwecke. Neuerdings verwendet man 
auch eine von mir angegebene, durch pulverisierte Kieselsäure 
adsorbierte Thor X-Lösung (1000 elektrostatische Einheiten) als 
Brei, der, mit Zucker angerührt, bei Krebsen des Magendarm¬ 
traktes per os gereicht und gern genommeu wird. Auch Pasten 
und Plomben für Zerfallshöhlen in Tumoren, Wunden und Ulce- 
rationen lassen sich aus mit Thor X radioaktiviertem Kieselsäure- 
pulver (bis 10000 elektrostatische Einheiten) darstellen. Als 
Lösungen können nur diejenigen radioaktiven Substanzen ein¬ 
gespritzt werden, die wasserlöslich sind, alle anderen werden ent¬ 
weder in Kochsalzlösung, in Paraffinum liquidum oder in Gelatine 
emulgiert. Die Lösungen müssen ungiftig sein, da sie selbst bei 
subcutaner Injektion leicht in den Körper übergehen. Die Emul¬ 
sionen hingegen sind diesbezüglich ungefährlich, dafür aber kann 
man sie nicht intravenös einspritzen, da sie Embolien verursachen 
würden. 

Am besten bewährt haben sich das Radiumbromid oder 
-Chlorid sowie das Mesothor als Füllung von Bestrahlungskörpern 
und das Thor X als Injektionsmittel oder Bestrahlungspaste. 

Die Wirkung der radioaktiven Substanzen auf die bösartigen 
Neubildungen ähnelt in vieler Beziehung jener der Röntgen¬ 
strahlen. Auch hier lassen sich die dort beschriebenen drei 
Reaktionsformen unterscheiden: Schrumpfung, Verflüssigung oder 
Nekrose. Die Wirkung ist, da bisher im allgemeinen nur kleine 
Mengen verwendet werden, circamscripter als bei den Röntgen¬ 


strahlen, hingegen oft intensiver. Sie ist dadurch kompliziert, 
dass die meisten radioaktiven Substanzen keine einheitliche 
Strahlung aussenden. Dadurch wird es möglich, bei der Appli¬ 
kation in Form der Bestrahlungskörper mit Hilfe von Filtern, als 
welche am besten Blei- oder Silberplättchen bzw. -röhrchen ver¬ 
wendet werden, die mannigfachsten Differenzen hinsichtlich der 
Wirkung hervorzubringen. Die a-Strahlung gelangt fast nur dort 
zur Geltung, wo die radioaktive Substanz unmittelbar mit dem 
Gewebe in Berührung kommt, also in erster Linie bei Ein¬ 
spritzungen, dann aber auch, wenn man radioaktive Substanz in 
Pulverform aufstreut, was jedoch wegen der Kostspieligkeit und 
Seltenheit stärker wirkender Präparate nur ganz ausnahmsweise 
durchgeführt werden kann. Will man in die Tiefe wirken, so 
fängt man die a- und ^-Strahlen, welche aus dem Bestrahlungs¬ 
körper — wenigstens zum Teil — noch austreten können, mit 
Hilfe von kräftigen Filtern ab und arbeitet nur mit r-Strahlen. 

Die Bestrahlungskörper werdeu in verschiedener Weise ver¬ 
wendet: 1. Zur Applikation an der Oberfläche des Körpers. 
2. Zur Einführung in die natürlichen Körperhöblen (Mund, Nase, 
Rachen, Kehlkopf, Speiseröhre, Vagina, Mastdarm usw.). 3. Zur 
intratumoralen Bestrahlung in operativ gesetzte oder natürliche Sub- 
stanzvftrluste in den Geschwülsten. 4. Zur Nachbehandlung von Ope¬ 
rationswunden. Für spaltförmige Hohlräume oder Substanz¬ 
verluste benutzt man in der Regel die Tuben, die man entweder 
senkrecht oder parallel zur Körperoberfläche einlagert. Grössere 
Hohlräume dagegen werden systematisch an den verschiedenen 
Stellen mit Kapseln oder Plättchen bestrahlt. 

Die Injektionen werden in zweckmässiger Weise nur ent¬ 
weder intratumoral oder intravenös gemacht. Die subcutane oder 
intramuskuläre Injektion am Orte der Wahl ist weniger wirksam. 
Im allgemeinen verwendet man zur intravenösen Injektion am 
besten Lösungen von Thor X, welche 1000 elektrostatische Ein¬ 
heiten in 1 ccm enthalten. Zur intratumoralen Einspritzung ver¬ 
wendet man Lösungen von Thor X oder von Radiumsalzen; man 
erzielt damit eine räumlich ausgedehnte, aber verhältnismässig 
kurzdauernde Wirkung, während man mit Hilfe von Emulsionen 
von Thor X, Radiumsalzen oder Aktinium zwar nur eine streng 
lokale, aber dafür langdauernde, intensive Wirkung bekommt. 
Die Emulsionen bewirken in ihrer Nachbarschaft eine Nekrose, 
die sich mit Bindegewebe abkapselt, und in der die radioaktive 
Substanz viele Monate hindurch fast unverändert liegen bleiben 
kann, ohne an Menge und an Strahlungsintensität wesentlich ab¬ 
zunehmen. Ein gewisser Verlust wird nur im Anfang dadurch her¬ 
beigeführt, dass die Leukocyten einen Teil der Substanz abtrans¬ 
portieren. 

Von besonderem Wert ist die Kombination der Behandlung 
mit radioaktiven Substanzen mit der Röntgenbestrahlung. Während 
letzterer die Aufgabe zufällt, das erkrankte Organ in toto zu be¬ 
einflussen, haben die ersteren hauptsächlich lokal den Er¬ 
krankungsherd von innen her oder von der Oberfläche aus anzu¬ 
greifen und die Röntgenwirknng zu verstärken. Die intravenösen 
Injektionen macht man in der Absicht, eventuelle Metastasen zu 
treffen und den Tumor von der Blutbahn her zu radioaktivieren. 

Die Erfolge dieser Behandlung sind in manchen Fällen ver¬ 
blüffende. Maligne Lymphdrüsentumoren bilden sich mitunter 
in einigen Wochen vollkommen zurück, carcinomatöse Infiltrate 
schmelzen ein oder nekrotisieren und werden abgestossen. In 
vielen Fällen kommt es während der Resorption gleichzeitig zur 
Ueberhäutung der bestehenden Ulcerationen. Allerdings ist der 
Grad des Erfolges bei den mannigfachen Arten von Geschwülsten 
sehr verschieden. Während manche Tumoren nach mässig starken 
Behandlungen in wenigen Wochen verschwinden, bedürfen andere 
wieder lange fortgesetzter, intensiver Bestrahlung, um überhaupt 
zu deutlicher Reaktion gebracht zu werden. Bei grösseren Tumoren 
sind 100—300 Stunden Expositionsdauer unter Anwendung von 
10—20 mg Mesothor und 4 — 5 Volldosen harter Röntgenstrahlen 
bei radiärer Applikation binnen 2—3 Wochen indiziert. Wichtig 
ist die Erkenntnis, dass man eine geringere Intensität der 
Bestrahlung nur innerhalb gewisser Grenzen durch eine 
entsprechend längere Exposition ersetzen kann. Viele 
Misserfolge sind zweifelsohne dem Umstande zuzuschreiben, 
dass mit zu schwachen Strahlenquellen und Einzeldosen 
gearbeitet wurde. Die relativ geringe Tragweite der a- und ß- 
Strahlen der radioaktiven Substanzen setzen die Gefahren einer 
Ueberdosierung erheblich herab, so dass hier ein rücksichtslos 
energisches Vorgehen weit weniger gefährlich ist, als bei der 
Anwendung penetrationsfähiger Röntgenstrahlen, welche auch die 
weitere Umgebung der Tumoren schwer schädigen. Man muss 


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440 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


in jedem einzelnen Falle individualisieren und von neuem pro- 
bieren, um so mehr, als die histologische Beschaffenheit 
der Geschwülste kein zuverlässiger Wegweiser für die 
Beurteilung der Empfindlichkeit gegen die Bestrahlung ist. 
Ob die momentan oft überraschenden Erfolge von Dauer sind, 
lässt sich derzeit noch nicht entscheiden, da die Erfahrung mit 
den stärksten radioaktiven Substanzen sich erst über 1— l l j 2 Jahre 
erstreckt. Nach älteren Erfahrungen allerdings muss betont 
werden, dass selbst glänzende Momenterfolge, die scheinbar zur 
vollständigen Ausheilung führen, noch keineswegs den Dauerfolg 
verbürgen. 

Der offenbare Vorteil, den die radiotherapeutiscbe Kombinations¬ 
therapie bietet, macht es verständlich, dass die Heranziehung 
einer chemischen Substanz, welche im Körper eine ähnliche 
Wirkung entfaltet, wie die Strahlen, eine rationelle Ergänzung 
der Behandlung mit diesen bedeutet, ln diesem Sinne wird die 
oben beschriebene Eigenschaft des Cholins und seiner Salze thera¬ 
peutisch verwertet. Am häufigsten verwenden wir das borsaure 
Salz. Es wird sowohl intravenös wie intratumoral und intra- 
glutäal eingespritzt. Zu intravenösen Injektionen nimmt man 
anfangs 2—3, später 4—5 ccm der 10 proz. Lösung auf 20 ccm 
Gesamtinhalt ergänzt mit steriler physiologischer Kochsalzlösung, 
für die intratumoralen und intraglutäalen Einspritzungen wird die 
10 proz. Lösung unverdünnt verwendet. Um stärkere lokale Re¬ 
aktionen zu vermeiden, empfiehlt es sich, über 4—5 ccm als Einzel¬ 
dose nicht hinauszugehen. Die Einspritzungen werden meist so gut 
vertragen, dass sie 4—5 mal in der Woche wiederholt werden 
können, abwechselnd intravenös und intraglutäal, nur bei besonders 
schlecht geeigneten Venen stets intraglutäal oder intratumoral. Von 
Wichtigkeit ist die Art und Weise, wie die Einspritzungen 
in den Rahmen der gesamten radiotherapeutiscben Kur ein¬ 
gefügt werden, da durch die sensibilisierende Wirkung der 
Cholinverbindungen auf die Epidermis sonst die Gesamt¬ 
dose der Bestrahlung beträchtlich herabgesetzt würde. Es 
ist nämlich nacbgewiesen, dass die Empfindlichkeit der Haut 
nach wochenlang regelmässig fortgesetzten Cholineinspritzungen 
auf das zwei- bis dreifache der Norm steigen kann. Es gibt 
jedoch einen einfachen Weg, um dies zu vermeiden. Man beginnt 
die Einspritzungen gleichzeitig mit den Röntgen- und Radium- 
bzw. Mesothorbestrahlungen und setzt dieselben durch etwa 2, 
höchstens 3 Wochen fort, während welcher Zeit 10—12 Injektionen 
vorgenommen werden können. In achttägigen Pausen werden 
während dieser Bebandlungsperiode drei intravenöse Einspritzungen 
von Thor X Lösung und, wo dies angeht, auch einige intra- 
tumorale Injektionen von unlöslicher Thor X- Emulsion vor¬ 
genommen. Sodann folgt eine Pause von 4 bis 6 Wochen, während 
welcher die Ueberempfindlichkeit der Haut anscheinend voll¬ 
kommen abklingt. Wenn man also die dauernd fortgesetzte In¬ 
jektion von Cholin vermeidet, so ist man imstande, ein plus an 
Wirkung zu erreichen, ohne die Dosierung der Radiotherapie ein¬ 
schränken zu müssen. Wie weitgehende Beeinflussungen durch 
derartige zweckmässige Kombinationen von Behandlungsmethoden 
erreicht werden können, mögen einige Fälle illustrieren. 

Im August und September 1912 wurden zwei Männer, von 
denen der eine an einem diffusen, durch Laparotomie festgestellten 
Magencarcinom mit unstillbarem Erbrechen und einer brettbarten 
Infiltration des Epigastriums litt, der andere ein ebenfalls durch 
Operation beglaubigtes Gallenblasencarcinom mit multiplen 
Tumoren im Abdomen, Ascites und hochgradigen Oedemen der 
unteren Extremitäten hatte, der eben geschilderten Behandlung 
unterzogen. Anfang 1913 batten beide Kranken mehr als 20 Pfund 
zugenommen und waren nach ärztlichem Berichte arbeitsfähig. 

Der Patient mit dem Gallenblasencarcinom hat sich am 
17. Februar 1913 persönlich vorgestellt. Es bestand nur noch 
eine eigrosse Induration unterhalb der Laparotomienarbe. Ascites 
und Oedeme waren verschwunden. Der Mann fühlte sich 
gesund. Bei einem ebensoweit vorgeschrittenen Magenkrebsfalle, 
der im November behandelt wurde, war im Januar ebenfalls eine 
bedeutende Besserung mit über 20 Pfund Gewichtszunahme zu 
verzeichnen. Auch einige Uteruscarcinome, darunter ein solcher 
mit einer Oberschenkelmetastase, reagierten günstig. Im letzteren 
Falle ging der Tumor, der am linken Oberschenkel sass, voll¬ 
ständig zurück, während die Uterusgeschwulst von weit über 
Kindskopfgrösse auf kaum Orangengrösse zusammenscbrumpfte. 

Wie oft bei so desolaten Fällen bisher Nutzen erzielt wurde, 
lehrt folgende Zusammenstellung. Im Sommer und Herbst 1912 
wurden 171 primär inoperable oder recidivierte maligne Tumoren 
verschiedenster Art, durchwegs weit fortgeschritten und an¬ 


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scheinend hoffnungslos, der oben geschilderten Radiochemotherapie 
unterzogen. Von diesen wurden 21 (also 12pCt.) sehr 
wesentlich gebessert (1 Rachencarcinom, 1 Rectumcarcinom, 
1 Rundzellensarkoni, 2 Lymphosarkome, 1 Parotiscarcinom, 
1 Mundbodentumor (histologisch nicht untersucht, da spurlo» 
zurückgebildet), 7 Mammacarcinome, 2 Uteruscarcinome, 3 Magen- 
carcinome, 1 Harnblasencarcinom, 1 Gallenblasencarcinom), bei 
28 (16 pCt.) wurde eine beträchtliche, aber doch weniger weit¬ 
gehende Rückbildung erreicht. 122 Kranke hatten entweder nur 
unbedeutenden Nutzen, waren auch meist viel zu kurz behandelt 
worden, oder entzogen sich unserer Beobachtung, so dass ihr 
weiteres Schicksal unbekannt ist. 

Die Intensität der Behandlung ist von entscheidender Be¬ 
deutung. Dies zeigt ein Vergleich der Cholindosen, die bei den 
verschiedenen Kranken gegeben wurden, mit dem erzielten Er¬ 
folge. Das Ergebnis von 56 Fällen, bei deneu die Höhe der 
Thor X- und Röntgendosen mit der Menge des injizierten Cholin» 
annähernd parallel geht, illustriert dies schlagend. 

Borcholin (in Reinsubstanz) . . 3—5 g 5—8 g über 8 g 

Zahl der Kranken. 25 18 14 

Wesentlich gebessert .... 1 2 7 

Beträchtlich beeinflusst ... 4 6 5 

Negative Ergebnisse .... 20 10 2 

Die genaueren Daten werden demnächst in der „Strahlen¬ 
therapie“ veröffentlicht werden. 

Nicht mitgezählt sind in sämtlichen obigen Angaben die erst 
in den beiden letzten Monaten in Behandlung getretenen schweren 
Krebsfälle, sowie alle leichten Formen, insbesondere die 
Epitheliome, bei denen meist die Mesothorbestrahlung allein zur 
völligen Rückbildung genügt, ferner alle jene Kranken, bei denen 
durch elektrokaustische oder operative Maassnahmen die Be¬ 
obachtung des Verlaufes der radiochemotherapeutischen Beein¬ 
flussung unterbrochen wurde. Ueber letztere wäre noch folgende» 
zu berichten. 

Die häufigste Reaktion ist die Verflüssigung massiver Tumor¬ 
knoten, die an die bekannten chemotherapeutischen Versuche 
an Mäusecarcinom erinnert. Die unangenehmste Komplikation 
bilden hierbei die Arrosionsblutungen, die mitunter eintreten, 
wenn die Tumoren grossen Gefässen aufsitzen. Die infiltrierenden 
Formen des Carcinoms sind im allgemeinen resistenter als die 
knolligen Wucherungen, dafür bilden sich erstere, wenn sie 
überhaupt deutlich reagieren, nicht durch Colliquation, sondern 
auf dem Wege der narbigen Schrumpfung zurück, was als die 
günstigste Art der Beeinflussung zu betrachten ist. Da die Er¬ 
fahrung sich kaum auf Jahresfrist erstreckt, ist ein definitives- 
Urteil über die Ausbildungsfähigkeit der Methode noch nicht 
zu fällen. 

Zur Verstärkung der Cholinwirkung mischen wir die Lösung 
mit Metallkolloiden, insbesondere mit Elektroseleovanadium, da» 
nach den Untersuchungen, die im Vorjahre von mir und Szecsi 
publiziert wurden, den Einfluss des Cholins beträchtlich be¬ 
schleunigt und unterstützt, allerdings ohne an dem Wesen de» 
Prozesses irgendetwas zu ändern. Dies ist durch histologische 
Untersuchungen sichergestellt worden. Die Anwendung der 
Mischungen hat den Nachteil, dass die Reaktion der Kranken auf 
die Einspritzungen stärker ausfällt als bei der Anwendung reinen 
Cholins, und dies ist der Grund, warum es noch nicht als ent¬ 
schieden gelten kann, ob die Cholinkolloidgemische gegenüber 
den reinen Cholinlösungen in praxi einen nennenswerten Fort¬ 
schritt bedeuten. 

Neben dem System der „homogenen“ Kombination von 
Mitteln, welche sich nur durch ihre Nebenwirkungen unter¬ 
scheiden, in den wichtigsten Punkten aber gleichartig wirkeo, 
lassen sich auch Kombinationen „heterogener“ Natur zusammen¬ 
stellen, wie z. B. die Vereinigung der Radiotherapie mit der 
Arsenbehandlung, die bei Sarkomen wohl vorläufig als die optimale 
Methode gelten kann. 

Aehnliche Vorschläge hat vor 2 Jahren Dr. Ivar Bagge ge¬ 
macht, indem er bei seinen Kranken gleichzeitig Arsenik, Jod¬ 
kalium, Hochfrequenzströme, Hetoleinspritzuogen und ein Krebs¬ 
serum anwandte. Nach seinen Angaben erzielte er damit tat¬ 
sächlich einige beachtenswerte Erfolge. 

Wir ziehen bei der heterogenen Kombination gleichfall» 
elektrische Methoden (Diathermie, Fulguration, Dunkelfulguration, 
Lichtbogenoperation) heran, indem wir die Tumoren durch Er¬ 
hitzung gegen die Strahlenwirkung sensibilisieren oder durch 
Verkochung ganz oder teilweise zerstören, Zerfallshöhlen des¬ 
infizieren oder durch elektrische Funkenbüschel Ulcerationen zur 


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10. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Reinigung, eventuell auch Ueberhäutung bringen, durch den 
elektrischen Lichtbogen totale oder partielle Exstirpationen von 
Gescliwalstkuoten vornehmen u. dgl. Die operativen und nicht¬ 
operativen Methoden ergänzen sich auf diese Weise bei in¬ 
operablen Tumoren ebenso häufig, wie die Radiotherapie und die 
chirurgische Behandlung bei radikal operablen Geschwülsten. 

Es sei jedoch an dieser Stelle nicht unterlassen, vor un¬ 
zweckmässigen Kombinationen zu warnen, bei denen sich die 
schädlichen Wirkungen leicht mehr summieren als die nützlichen, 
wie z. B. bei der Vereinigung der Coleytoxinkur mit starken 
Arseneinspritzungen usw. Insbesondere ist die Kumulation von 
Mitteln zu vermeiden, von denen jedes einzelne bereits eine starke 
fieberhafte oder gar collapsartige Reaktion hervorzubringon ver¬ 
mag. Bei Beobachtung dieser Vorsichtsmaassregeln wird es je¬ 
doch leicht sein, aus der Fülle der im Vorstehenden mitgeteilten 
Methoden sich passende Kombinationen auszusucben. Das eine 
darf als erwiesen gelten, dass, so lange keine vollkommen 
suffiziente Einzelmethode existiert, die richtige Kom¬ 
bination mehrerer Verfahren, insbesondere der radio-, 
chemo- und immunotherapeutischen, gelegentlich unter¬ 
stützt durch eine vorsichtige Toxin- oder Ferment¬ 
behandlung jeder einheitlichen und einseitigen Therapie 
überlegen ist. 

Dass alle diese nichtoperativen Methoden vorläufig meist 


nur zur Behandlung inoperabler Tumoren zu verwenden sind oder 
zur Verhütung von Recidiven nach vorausgeschickten Operationen, 
ist wohl selbstverständlich. Operable Geschwülste dürfen nur 
dann mit diesen Verfahren behandelt werden, wenn der Patient 
die Operation verweigert, oder wenn diese strikte kontraindiziert 
ist; eine Ausnahme bilden nur oberflächliche Sarkome oder Epi¬ 
theliome, bei denen der Erfolg erfahrungsgemäss häufig eintritt 
und leicht überwacht werden kann. Aber gerade in jenen Fällen, 
in denen wir notgedrungen das Messer aus der Hand legen oder 
dem Erfolge desselben nicht trauen dürfen, ist die Erweiterung 
unseres ärztlichen Könnens besonders wertvoll. Da selbst bei 
ziemlich weit vorgeschrittenen Fällen heute ein Misserfolg nicht 
mehr als von vornherein absolut sicher gelten kann, erwächst 
uns die Pflicht, alle modernen Methoden zur Rettung der be¬ 
dauernswerten Krebskranken aufzubieten, soweit die äusseren Be¬ 
dingungen dies gestatten. Wie weit man die Indikationen stecken 
soll, wird vorläufig noch dem Urteile und der persönlichen Er¬ 
fahrung des behandelnden Arztes im Einzelfalle überlassen werden 
müssen. Ganz hoffnungslose Fälle sollten von eingreifenden und 
doch aussichtslosen Behandlungsversuchen verschont bleiben, aber 
wo auch nur die entfernte Möglichkeit einer günstigen Beein¬ 
flussung besteht, sollte man die Hände nicht mehr müssig in den 
Schoss legen, ganz besonders dann nicht, wenn der Kranke selbst 
den Wunsch nach weiterer Behandlung äussert. 


Aus dem hygienischen Institut der Universität Königs- 
berg(Dir.: Prof. Dr.Kisskalt) und der urologischen Klinik 
und Poliklinik von Privatdozent Dr. Theodor Cohn. 

Klinische und serologische Untersuchungen bei 
Harneiterungen durch Bacterium coli. 

Von 

Dr. Theodor Cohn, und Dr. Hans Reiter, 

Privatdozent für Urologie, Leiter des Untersnchuiigsaniteti 

am hygienischen Institut. 

Wie eine Durchsicht der einschlägigen Literatur ergibt, hat 
sich in dem jüngsten Jahrzehnt das Interesse der Forscher in 
Klinik und Laboratorium in erhöhtem Maasse der Bearbeitung 
der nichttuberkulösen Harneiterungen zugewandt und die Kenntnis 
von der Aetiologie, dem klinischen Syraptomenbilde sowie von 
der Therapie dieser Erkrankungen vielfach bereichert und ge¬ 
fördert. Auch dieser Fortschritt ist ebenso wie die grossen Er¬ 
folge der chirurgischen Therapie im Kampfe gegen die Harn¬ 
tuberkulose in erster Reihe auf die zweckmässige Anwendung der 
urologischen Untersuchungsmethoden, der Blasenableuchtung, der 
HarnleitersondieruDg und der Nierenprüfung zurückzuführen. Die 
frühere Anschauung von dem Ueberwiegen der aufsteigenden In¬ 
fektion bei dem Verlauf der Niereneiterungen hat durch eine 
Reihe einwandfreier Beobachtungen eine starke Erschütterung er¬ 
fahren müssen [Kapsammer (32), Thiemich (33), Stewart(30)], 
ganz ebenso wie es auf dem Gebiete der Harntuberkulose ge¬ 
schehen ist; besonders nachdem es sich gezeigt hat, dass auch 
Fälle, welche wie primäre Blasenkatarrhe aussehen, bei ein¬ 
gehender Untersuchung als sekundäre Affektionen einer bereits 
bestehenden Nierenerkrankung aufgefasst werden mussten (8). 

Die bakteriologischen Studien haben in Bestätigung der Er¬ 
gebnisse früherer Arbeiten (Rovsing, Melchior, Krogius) als 
häufigsten Eitererreger das Bacterium coli gefunden. Bei der 
Pyelitis gravidarum wurde es von E. Kehrer (1) an seinen 
Kranken unter 79 pCt. beobachtet. Unter 80 Fällen von Harn- 
eiteruogen, die er bakteriologisch untersuchte, konnte Theodor 
Cohn diesen Erreger 05 mal, also in 50 pCt. als alleinigen krank¬ 
machenden Keim feststellen. Aus diesen Gründen wurde gerade 
das Verhalten dieses Mikroorganismus zum Gegenstände der 
klinischen und experimentellen Forschung in jüDgster Zeit ge¬ 
macht (Brian, Cuturi, Koll, Rawls, Meyer-Betz u. a.). Die 
unzureichenden Erfolge der chirurgischen Therapie und die des¬ 
halb einsetzenden Bemühungen um eine bakteriologisch-serologische 
Behandlung machten es notwendig, dass das Gebiet der Coli- 
Harneiterungen auch serologisch durchforscht wurde (Rovsing, 
Schneider, O’Neil, W. Weiss u. a.). Auch die vorliegende 
Mitteilung betrifft serologische Untersuchungen, die in 17 Fällen 
von Harneiterungen, bedingt durch Bacterium coli, angestellt 
wurden. 

Da die Bedeutung der Ergebnisse dieser unserer gemeiu- J 


schaftlichen Untersuchungen an den Blutsera der Kranken auf 
Agglutination, opsonischen Index und Komplementbindung nur 
aus einem Vergleich mit dem klinischen Verlauf der Fälle er¬ 
kannt werden kann, so seien die wichtigsten Angaben über die¬ 
selben hier kurz vermerkt: 

Fall 1. H. Br., Schüler, 19 Jahre alt. Februar 1911 Conamen 
suic. mit 100 g Lysol per os. Dreimonatiges Krankenlager, darauf an¬ 
scheinend gesund. Seit dem 21. IX. 1911 vermehrter schmerzhafter 
Harndrang, ein- bis zweimal nachts. Harn ammoniakalisch trübe, mit 
kleinen BlutgerinnselD. 

Status. 2. X. 1911: Lungen, Herz normal. Harn: 1 pM. Albumen. 
Kein Zucker; reichliches Centrifugat aus Leukocyten. Auf Agarplatte 
Bact. coli in Reinkultur. Starke Rückenschmerzen, die in den nächsten 
Tagen zunehmen; Fieber allmählich bis 39,9°. Ureterenkatheterismus: 
rechts: trüber Harn, deutlich Albumen, reichlich Eiter; links: klarer 
Harn, sehr wenig Leukocyten. Auf Agar: rechts Coli, links steril. Daher 
am 10. X. Nephrotomia dextra in Aethernarkose. Nierenparenchym 
weich, nirgends abscedierende Erweichung. Nierenbecken normal gross. 
Abfall des Fiebers zur Norm, Abnahme des Eiters. 14. XL Entlassung. 
9. I. 1912: Subjektiv wohl, Harn steril. 2. VII.: Subjektiv wohl. Harn 
ca. V« pM. Albumen, viele Leukocyten, keine Bakterien. 

Fall 2. Frau 0. Et., 50 Jahre alt. Seit 5 Wochen Schmerzen in 
der rechten Nierengegend, nach 14 Tagen brennende Schmerzen beim 
Harnen, vermehrter Harndrang, nachts zwei- bis viermal. 

Status. 29. IX. 1911: Sehr bleiche Frau. 60pCt. Hb., 3 l / 2 Mill. 
Erythrocyten, 6000 Leukocyten. Lungen normal. Herz: systolisches 
Geräusch über allen Ostien, keine Oedeme. Augenhintergrund normal. 
Bauchorgane normal. Ureterenkatheterismus: Blase normal, Harn trübe, 
reichliches Centrifugat, Leukocyten, Bact. coli, keine Tuberkelbacillen; 
rechts: etwas trübe, Albumen deutlich, viele Leukocyten, blasse Cylinder, 
Coli; links: klar, Albumen reichlich, einzelne Leukocyten, Coli. Tempe¬ 
ratur normal. Behandlung innerlich: Diuretiea, Eisen, Cystopurin, Diät, 
Ruhe. Später Autovaccine. 30. 6.: Harn: reichlich Albumen, keine 
Cylinder, reichlich Leukocyten, Bact. coli. 

Fall 3. Frau Fg., 68 Jahre alt. Vor 6 Jahren angeblich infolge 
Erkältung Blasenkatarrh 8—4 Wochen lang. Ebenso Weihnachten 1911. 
Zwei- bis viermal pn. 1 )- Lungen normal. Herz: links: Mammillarlinie, 
systolisches Geräusch. Riva-Rocci = 160. Bauchorgaoe normal. Nieren 
nicht fühlbar. Ureterenkatheterismus: rechts: trübe, reichliche Leuko¬ 
cyten, Coli; links: klar, kleine Spur Albumen, spärliche Epithelieo, 
blasse Cylinder; sterile Behandlung innerlich. 18. V. 1912: Centrifugat 
sehr spärlich: Leukocyten steril. Frau Fg. stirbt im Krankenhaus an 
Apoplexie im August. 

Fall 4. Frl. E. Js., 31 Jahre alt. Seit 1905 im Anschluss an 
einen Partus Anfälle von intermittierender Pyonephrose 2 ). Verschwinden 
der Anfälle nach intravesicaler Beseitigung einer Aussackung der Blasen¬ 
enden, der doppelten rechtsseitigen Harnleiter. Im Harn weiter Eiter 
und Bact. coli, an Menge stetig abnehmend, aber Juni 1912 noch nach¬ 
zuweisen; linker Harn stets steril, frei von Leukocyten. Lungen normal, 
Herz ebenso. 

Fall 5. Frau R. Jg., 60 Jahre alt. Vor 18 Jahren Lues: Exanthem, 
das auf Inuuktionskur heilt. 4 Jahre später Erscheinungen von Lues cerebri, 


1) Harndrang per noctem. 

2) Cf. Zeitschr. f. Urologie, 1909, Bd. 3, S. 761. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


die nach 6 Wochen ganz verschwinden. Yorübergehehende Detrusor- 
lähmung. Im Harn eine Spur Albumen und Leukocyten. Beider- 
seits Coli. 

Status. 15. I. 1912: Etwas bleich, 70pCt. Hb. Blutbild normal. 
Herzhypertrophie. Rechte Niere deutlich fühlbar. Harn: deutlich 
Albumen, kein Zucker, viele Leukocyten, einige blasse Cylinder, Bact. 
coli. Pat. nach Aussage der Umgebung launisch; widerstrebt jeder 
ärztlichen Behandlung. Romberg. Ptosis levis duplex. Rechte Pupille 
kleiner, schwach reagierend. Schlaf gut. Allmählich treten Erregungs¬ 
zustände mit Wahnvorstellungen auf. Desorientierung. Nahrungs¬ 
verweigerung. Abmagerung. Tod Ende August. 

Fall 6. Frau K. Ki., 56 Jahre alt. Früher angeblich stets gesund. 
Seit 3 Wochen heftiger, schmerzhafter Harndrang, ein- bis zweimal pn. 

Status. 17. V. 1912: Lunge, Herz normal. Riva-Rocci = 130. 
Harn trübe, aromoniakalisch riechend, sauer. Albumen deutlich, sehr 
reichlich Leukocyten, einzelne Erytbrocyten, keine Cylinder, Coli beider¬ 
seits. Behandlung innerlich. Verschwinden der subjektiven Beschwerden 
nach 5 Wochen. Enduntersuchung verweigert. 

Fall 7. Frau A. Ks., 42 Jahre alt. Seit einigen Wochen Brennen 
in der Gegend der Harnröhrenmündung. Kein vermehrter Harndrang. 

Status. 7. III. 1911: Lungen, Herz gesund. Harn: kaum Albumen, 
einzelne Leukocyten. Steriles Meerschweinchen intraperitoneal geimpft, 
bleibt leben. Cystoskopisch normal. 5. IV.: Stärkeres Brennen, Harn 
eitrig. 6.1V.: Ureterenkatheterismus: rechts: kein Eitern, links: mehrere 
Leukocyten, Coli. 13. IV.: Nephrotomia sin.: Kapsel häufig verwachsen. 
Niere anscheinend kleiner, Oberfläche an einigen Stellen strahlig ein¬ 
gezogen, besonders am oberen und unteren Pol. Konsistenz etwas 
weich. Becken bei der Austastung von normaler Grösse. 6. V.: Ent¬ 
leerter Harn: viele Leukocyten, blasse Cylinder, Coli. Subjektiv: leichtes 
Harnbrennen, sonst keine Beschwerden. 23. X.: Akute Blasenreizung. 
81. X.: Schmerzen in der rechten Nierengegend. 24. 11. 1912: Ureteren¬ 
katheterismus: beiderseits Coli. 18. IX.: Allgemeinbefinden gut. Gewichts¬ 
zunahme seit der Operation um 28 Pfund. Gefühl von Brennen am 
Urific. int. ur. Ham: reichlich Centrifugat, Bact. coli, wenige Leuko¬ 
cyten. 9. XII.: Harn steril. 

Fall 8. Herr M. Kl., 35 Jahre alt. Früher stets gesund bis aut 
eine Influenza yor vier Jahren. Ende April 1912 „Influenza“. Seit dem 
1. Mai vermehrter schmerzhafter Harndrang, nachts zwei- bis dreimal. 
Fieberanfälle. 

Status. 20. V. 1912: Epigastrische Schmerzen, Appetitlosigkeit, 
lmal pn. Herz, Lungen normal. Harn: trübe, sauer. Alb. deutlich. 
Kein Zucker. Reichlich Leukocyten. Keine Erythrocyten, keine Cylinder, 
Bact. coli. Röntgen: beiderseids negativ. Riva-Rocci = 120. Behandlung 
innerlich. Cyst. Trinkkur. Bei der Entlassung am 27. VI. beschwerde¬ 
frei. Harn steril. 

Fall 9. Frau Lt., 52 Jahre alt. Angeblich schon seit ihren 
Mädchenjahren Neigung zu Blasenkatarrhen bei leichter Erkältung. Auch 
während der Schwangerschaften Blasenbeschwerden. Seit einigen Monaten 
vermehrter schmerzhafter Harndrang, leichtes Fieber. 

Status. 17. V. 1912: Lungen, Herz normal, Riva-Roccci = 130, 
Ureterenkatheterismus rechts: Spur Alb.; links: Leukocyten, Bact. coli. Bei 
der Entlassung am 4. VI. fast ganz beschwerdefrei. Ebenso am 25. XI. 1912: 
Harn klar, kaum Alb. Centrif. kaum sichtbar. Agar: reichlich Coli. 

Fall 10. Gefangener E. Mn., 39 Jahre alt. Vor drei Jahren Lues, 
vor einem Jahr Gonorrhöe, seit einigen Wochen Kopf- und Rücken¬ 
schmerzen, vermehrter, schmerzhafter Harndrang. 

Status. 15. 11.1912: Bleich, Lunge, Herz normal. Balanoposthitis. 
Ureterenkatheterismus, beiderseits reichlich Eiter, Coli. Kein Tuberkel¬ 
bacillus. Schmerzen links. Druckempfindlicbkeit nur links. Blaureak¬ 
tion rechts nach 8 Minuten, links nach 15 Minuten. 5. III. 40°. Nephro¬ 
tomia sin. Der ungebärdige Patient verschuldet, dass der Nierenbecken¬ 
drain am sechsten Tage herausfallt. Entlassung auf Wunsch der Staats¬ 
anwaltschaft am 8. VI. Reichlich sezernierende Fistel. Harn trübe, 
eitrig. 23. XI. 1912: Harn eitrig, Coli. 

Fall 11. Frau CI.Mr., 64 Jahre alt. Seit einigen Wochen leichtes 
Harn brennen. Lunge: leichtes Emphysem, Herz: normal, radial is 
artscler. Gerontoxon. Harn trübe, Spur Eiweiss, reichlich Leukocyten, 
Coli. Riva-Rocci = 176. Cyst. 280 cbm. Am Collum vesicae einige flach¬ 
gestielte Bläschen. Behandlung: intern. 13. III.: Kein Centrif., kein 
Alb. 25. VI.: Centrif. deutlich, Spur Eiweiss, Enduntersuchung ver¬ 
weigert. 

Fall 12. Frau J. Pk., 37 Jahre alt. Vor zwei Jahren Abort im 
fünften Monat. Seitdem Magenbeschwerden. Seit acht Tagen ver¬ 
mehrter schmerzhafter Harndrang. 2 mal pn. 

Status. 21. V. 1912: Blässe. Lungen: Beiderseits hinten oben 
spärliches Giemen, ebenso seitlich links. Herz: normal, Riva-Rocci 
= 110. Hämoglobin 85 pCt., Erythrocyten 4,5, Leukocyten 7000. Harn 
trübe, Spur Alb., deutlich Eiter, Coli. Behandlung intern. Entlassen 
am 2. VII. Harn: keine Leukocyten, steril. 

Fall 13. Frau A. Re., 36 Jahre alt. Vor sechs Jahren nach dem 
ersten Partus Blasenbeschwerden, seit zwei Wochen wieder zwei- bis 
dreimal pn. 

Status. 13. III. 1912: Harn: trübe, sauer, Spur Alb. Ureteren¬ 
katheterismus: Blase 320 ccm, rechts und links: Centrif., Leukocyten, 
Coli. Behandlung: Autocolivaecine. 17. V. subjektiv besser r Harn¬ 
brennen seltener, Schwäche geringer. 19. X. 1912: Harn steril. 


Fall 14. Frau J. Sehe., 43 Jahre alt. Seit einigen Tagen Schmerz¬ 
anfälle in der linken Nierengegend, Fieber, Schwäche. 

Status. 19. V. 1911: Fieber, Abdomen druckempfindlich, Lunge, 
Herz normal, Harn trübe, sauer, deutlich Eiweiss, reichlich Centrif., Leuko¬ 
cyten, Coli. Behandlung: Nierenwaschung mit Vioform alle 4 bis 5 Tage. 

28. V. = 36,8°, seit 14 Tagen zum ersten Male 36.6°. Harn geruchlos, 
dauernd fieberfrei. 2. VII. = 38°, sonst fieberfrei. Weitere drei Nieren¬ 
waschungen. 3. VIII.: Autovaccine. Seitdem dauernd arbeitsfähig, 
durchaus beschwerdefrei, Harn leicht getrübt, deutlich Eiter, auf 
Agar: Coli. 

Fall 15. Frl. M. Schk., 37 Jahre alt. Seit einigen Wochen fast 
dauernd brennendes Gefühl am Orif. ext. ur. und Kreuzschmerzen. 0 mal 
pn. Lungen, Herz normal. Harn deutlich Albumen, deutlich Centrif., 
Leukocyten, Zucker 0,1 pCt. Keine Bakterien. 26. V.: Ureteren¬ 
katheterismus, Blase 350 ccm, auf der rechten Seite des Trigonum ein 
kleines rundliches Geschwür. Harn spärlich, Centrif., Leukocyten und 
Erythrocyten, keine Cylinder, keine Bakterien, rechts und links einige 
Leukocyten, keine Bakterien. 0.: Nierendiät. 7 Pfd. Gewichtszunahme, 
15 VII.: Stärkeres Brennen am Orificius. 31. VII.: Harn zuckerfrei. 
25. VIII.: Subjektiv wohl. 2. X.: Hain reichlich Centrif., Leukocyten 
und Coli. 16. X.: Behandlung: Autovaccine. Seitdem geringe Ge¬ 
wichtszunahme, Beschwerden abwechselnd, bald fehlend, bald wie früher, 
jedoch geringer. 11. XL: Ureterenkatheterismus beiderseits, Leukocyten 
und Coli. 

Fall 16: Frl. J. Sn., 21 Jahre alt. 

Status. 27. 1. 1912: Erkrankt unmittelbar nach der Operation 
einer angeborenen beiderseitigen Hüftgelenksverrenkung unter Fieber 
bis 38,8° und beiderseitigem Rückenschmerz. Ham eitrig, Coli. Nach 
Fieberabfall entsteht vermehrter schmerzhafter Harndrang, durch Ein¬ 
legen eines Dauerkatheters für einige Tage behoben; allmählich wieder 
39,8°. Erbrechen, rechts starke Schmerzen, Druckempfindlichkeit. 
27. 1. 1912: Nephrotomia et Decapsul. dextr., Niere vergössert. Prall 
weich. Oben adhäreut. 28. 1.: = 36,6*. Erbrechen und Schwäche 
dauern noch bis zum 1. II. 2. II.: = 39°, Harn stark blutig und eitrig, 
übel riechend. 21. II.: 38,5°, allmähliche Entfieberung. Entlassen 
mit eitrigem Harn. 

Fall 17. H. Sy.. 15 Jahre alt. Erkrankte Dezember 1910, angeb¬ 
lich infolge Erkältung mit vermehrtem schmerzhaften Harndrang und 
trübem Harn. 4. 7. 1911: Nephrot. dextra (Payr), nach 2 l / 2 Wochen 
angeblich Harn klar. Dezember 1911: heftige Schmerzen, 39,8°, seit 

29. XII. bis 19. I. 1912: 10 rechtsseitige Nierenwaschungen (Queden- 
feld). 

Status. 21. I. 1912: Etwas bleich, sonst sehr kräftig entwickelt. 
Lungen, Herz normal. Riva-Rocci = 100. Ham etwas trübe, sauer, 
Spur Albumen, kein Zucker, Ureterenkatheterismus, rechts spärliche 
Centrif., Leukocyten und Coli. Links klar, steril. Behandlung: Inner¬ 
lich. Wegen allmählich ansteigender Temperatur bis zu 39,6° und 
starker Schmerzen am 22. IV. Nephrectomia dextr. Niere mit der 
Muskulatur verwachsen, klein, höckrig, Par. stellenweise verdünnt, Kelche 
teilweise erweitert. Mikr.: zahlreiche Herde kleinzelliger Infiltrationen, 
stellenweise Vermehrung des Bindegewebes, verödete Glomeruli. 20. V. 
entlassen. Ham: deutlich Albumen, Kopfschmerzen, Coli. 28. VII.: 
Häufig Kopfschmerzen, Blässe deutlicher, geringer Apetit. Harn spärlich, 
Centrif., Leukocyten und Coli, Albumen deutlioh, kein Zucker, einzelne 
granulierte Cylinder. Ordo: Brückenau. 

Unter diesen untersuchten 17 Fällen waren somit 14 weib¬ 
liche im Alter von 15 bis 68 Jahren und 3 männliche, 19, 35 
und 39 Jahre alt. 

Bei der Feststellung des Beginnes der Krankheit ist man 
auf die Angabe des Kranken angewiesen. Und hierbei darf man 
nicht vergessen, dass diese Angaben sich nicht immer mit der 
wirklichen Entstehungszeit der eitrigen Affektion in den Harn¬ 
organen decken. Niereneiterungen können ja bekanntlich lange 
Zeit ohne jede subjektive Störung verlaufen (Fairchild 31), 
ferner auch unter Beschwerden, welche auf andere Organe be¬ 
zogen werden, bei Kindern auf den Darm (Meyer-Petersen 36), 
bei Frauen auf die Genitalien (Mirabeau 32), bei Männern und 
Frauen auf den Verdauungskanal, besonders den Magen, endlich 
auch als Neuralgien einer oder beider Unterextremitäten oder in 
der Kreuzbeingegend. Unter Berücksichtigung dieser Schwierig¬ 
keit darf man bei den Fällen 1, 6, 8, 10, 12, 16 deu Anfang in 
die ersten Wochen vor Eintritt in die Behandlung (C.) verlegen. 
Bei 2, 7, 11, 15, 17 trat das Leiden 1 bis 2 Monate vorher auf. 
bei den übrigen schon vor vielen Jahren, nämlich 3, 6, 11 und 
38 Jahren. 

Als Ursache für ihre Erkrankung führen die meisten eine 
Erkältung an; lässt man sich aber das angeschuldigte Ereignis 
näher beschreiben, so gewinnt man in den meisten Fällen den 
Eindruck, dass dasselbe nicht die von den Kranken beliebte ätio¬ 
logische Bewertung verdient. Ein Teil der Fälle weist jedoch in 
der Anamnese Momente von unzweifelhaft prädisponierender Be¬ 
deutung auf: Fall 1 eine Lysol Vergiftung vor 7 Monaten, 4 und 13 
'sind wohl als Fortsetzung Oiner sog. Pyelitisgravidarum zu betrachten. 


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10. März 1913. 


BERLINER KLINfSCHE WOCHENSCHRIFT. 


443 


Bei 5 und 10 hat Lues, bei 8 eine Influenza, bei 10 ausserdem 
noch eine langwierige Gonorrhöe einen schwächenden Einfluss 
ausgeübt; bei der Patientin 16 hat in gleicher Weise die, wenn 
auch aseptische, so doch eingreifende Knocbenoperation unter 
Chloroformnarkose zum akuten Ausbruch der Niereneiterung bei- 
getragen, ohne dass aber festgestellt werden kann, ob Patientin 
vor derselben bakterienfreien Harn gehabt bat. Diesen Einwand 
darf man überhaupt bei jeder Angabe der Patienten über 
den ersten Beginn der Erkrankung mit voller Berechtigung 
stellen, nachdem die Erfahrung lehrt, dass Niereneiterungen jahre¬ 
lang symptomlos verlaufen können [Lenhartz (37), Savels (38), 
Charles (34)]. 

Als erste subjektive Beschwerde empfanden 1, 4, 10, 14 zu¬ 
nächst Schmerzen im Rücken, an der Grenze zwischen Brust- 
und Lendenwirbelsäule; nach einigen Tagen traten Beschwerden 
von seiten der Harnentleerung hinzu; schmerzhafter, besonders 
auch nachts vermehrter Harndrang. Alleinige Blasenbeschwerden 
bildeten den ersten Gegenstand zur Klage bei 2, 3, 6, 8, 9, 
11, 12, 13, 16, 17. Die Patienten 7 und 16 aber suchten die 
Behandlung nur deswegen auf, weil sie in der Gegend der äusseren 
Harnröhrenmündung dauernd ein mehr oder weniger lästiges, 
brennendes Gefühl verspürten. 

Eine Erhöhung der Temperatur war beim Auftreten der Er¬ 
krankung in allen Fällen vorhanden, bei den meisten nur bis 38°, 
in Fall 6 bis 39°, nur wenige fieberten bis 40° und 40,5°. 

Eine Druckempfindlichkeit der Nierengegend liess sich nur 
bei 1, 4, 7, 10, 14, 16, 17 nachweisen. 

Alle Patienten entleerten einen mehr oder weniger trüben 
Harn von saurer Reaktion. Sein Centrifugat bestand über¬ 
wiegend aus Leukocyten und enthielt nur bei 4 Fällen auch rote 
Blutkörperchen. Bei 15 und 7 traten erst einige Tage nach Be¬ 
ginn der Beschwerden Colibakterien im Harn auf. Bei den 
anderen Kranken waren dieselben von Anfang an nachweisbar. 

Die Blasenkapazität betrug bei den meisten 250 ccm und 
darüber, bei 6 das erste Mal 150, später 250 und mehr. Ebenso 
nahm sie bei 8, 10, 15, 16 rasch zu, nachdem sie bei der ersten 
Untersuchung nur 200 ccm betragen hatte. 

Die Blasenableuchtung liess bei vermehrtem schmerzhaften 
Harndrange, also subjektiven Erscheinungen von seiten der Blase, 
die bekannten Veränderungen am Collum und Trigonum erkennen, 
starke Rötung, Flockung, Verlust der Gefässzeichnung, vermehrte 
Gefässfülle, in einzelnen Fällen auch punktförmige Rötungen an 
den Seitenwänden. Bei 15 trat vorübergebend ein kleines, rasch 
heilendes, oberflächliches Geschwür auf. Niemals wurde eine 
schädliche Einwirkung der Cystoskopie auf die akut erkrankte 
Blase beobachtet, eine Wahrnehmung, welche ich bei akuten 
Cystitiden mit normaler Harnröhre stets gemacht habe, sobald die 
Blase etwa 100 ccm fasste. 

Bei keinem der 17 Kranken liess sich aus den sichtbaren 
Blasen Veränderungen allein die Eitermenge des Harnes genügend 
erklären. Daher erfolgte zur Vervollständigung der örtlichen Dia¬ 
gnose bei allen der Harnleiterkatbeterismus mit Ausnahme von 
5, 8, 11, 12, wo er aus äusseren Gründen unterbleiben musste. 
Bei 4 bestand ein angeborenes sackförmiges Divertikel der rechten 
doppelten Uretermündungen, welches eine intermittierende Pyo- 
nepbrose verursachte. 

Eine beiderseitige Colieiterung war in den Fällen 2, 6, 10, 
13, 15 vorhanden, eine rechtsseitige bei 1, 3, 4, 16, 17, eine 
linksseitige bei 7, 9, 14. 

Während also nur Patient 10 über Beschwerden zu klagen 
hat, welche auf eine Erkrankung der Nieren hindeuten, deckt die 
urologiscbe Untersuchung auch bei allen anderen Kranken, welche 
sich nur über ihre Blase oder die Harnröhre beschwerten, eine 
Neplropyose mit Sicherheit auf. 

In keinem der untersuchten Fälle konnte die Diagnose auf 
eine primäre Erkrankung der Blase gestellt werden, vielmehr 
durfte man auf Grund des objektiven Untersuchungsbefundes so¬ 
wie der sorgfältig erhobenen Anamnese mit mehr oder weniger 
Sicherheit auf eine Niereneiterung, Nephropyosis acuta oder chro¬ 
nica erkennen, wobei die häufig in grösseren oder kleineren 
Zwischenräumen auftretenden, mit oder ohne angebbare äussere 
Veranlassung wiederkehrenden Blasenreizungen als sekundäre 
Affektionen aufzufassen waren. Diese Beobachtungen sowie eine 
noch grössere Zahl aoderer, die später veröffentlicht werden 
sollen (C.), bestätigen die schon früher (9) erwähnte Auffassung 
von der grossen Seltenheit der primären Cystitis bei intakter 
Urethra und. normaler Selbstentleerbarkeit der Blase. Bei den 
irreführenden oder häufig gänzlich fehlenden subjektiven Sym¬ 


ptomen seitens der Niere kann es nicht weiter wundernehmen, 
dass die meisten Nephropyosen vom Patienten und vom Arzt 
selbst für Blasenkatarrhe gehalten werden, welche eine Neigung 
zu häufigen Rückfällen besässeu; es wurde eben übersehen, dass 
auch in der beschwerdefreien Zeit die Patienten Bacillenträger 
waren und es auch Jahre und Jahrzehnte hindurch bleiben 
konnten. Dazu kommt für den Arzt bei Frauen die Schwierig¬ 
keit, dass die sterile Entnahme des Harns durch den Katheter 
nur zu diagnostischen Zwecken mit Rücksicht auf das Scham¬ 
gefühl häufig unterbleiben muss. 

Dass nunmehr die Therapie sich der veränderten Auffassung 
gemäss ändern muss, braucht wohl nicht erst noch besonders 
hervorgehoben zu werden. Die Behandlung richtete sich in erster 
Linie gegen die Nieren; der sekundäre Reizzustand der Blase 
wurde, wie früher (9) erwähnt, beeinflusst. Da io allen unseren 
Fällen die Blase sich spontan vollständig enteerte, lag keine Ver¬ 
anlassung vor, Spülungen anzuwenden. 

Eine ausschliesslich innerliche Behandlung erfuhren die 
Fälle 2, 3, 6, 6, 8, 9, 11, 12, 13. Die Patienten 7, 13, 14, 15 
wurden mit Autovaccine behandelt. Die heftigen kolikartigen 
Anfälle mit hohem Fieber, unter denen Fall 14 litt, schwanden 
nach Waschungen der Niere mit Vioform (9), ohne seitdem 
wiederzukehren 1 ). Das Ureterdivertikel des Falles 4 liess sich 
intravesical dauernd beseitigen und mit ihm die pyonephrotischen 
Anfälle; auch hier wirkten Vioform wasch ungen der Niere günstig, 
indem sie rascher die Niereneiterung herabsetzten. Bei 1, 7, 10, 
16 musste die einseitige Nierenbeckendrainage nebst Abscbälung 
vorgenommen werden, bei 17 die Nephrektomie, nachdem hier 
ein Jahr vorher von einem anderen Arzte die Nephrektomie, aber 
ohne dauernden Erfolg gemacht worden war. 

Was nun den schliesslichen Verlauf der einzelnen Fälle und 
den Erfolg der Behandlung betrifft, so muss man eine deutliche 
Unterscheidung zwischen den subjektiven Beschwerden und dem 
objektiven Befund machen. Fast alle Patienten verloren ihre 
subjektiven Beschwerden und bekamen auf ihr zweckentsprechen¬ 
des diätetisches Verhalten hin keine Rückfälle von ßlasen- 
katarrhen mehr (9). Nur 7 und 15 klagen noch über geringes 
Brennen in der Gegend der äusseren Harnröbrenmündung. Bei 
Fall 10, der in andere Behandlung übergegangen ist, besteht die 
Nierenfistel fort. Im Gegensatz hierzu wurde der Harn nur bei 
3, 4, 6, 7, 8, 12 und 13 eiter- und bakterienfrei 2 ). Fall 1 und 17 
weisen im Harn keine Bakterien, jedoch Eiweiss und Cylinder 
auf. In allen übrigen Fällen dauert die Ausscheidung von Eiter 
und Bakterien fort, bei der Patientin 9 ist der Eiweissgehalt 
kaum wahrnehmbar, so dass man fast von einer reinen Bakteri- 
urie sprechen kann. 

(Schluss folgt.) 


Aus der inneren Abteilung des städtischen Kranken¬ 
hauses zu Stettin (Prof. Neisser). 

Ein Beitrag zur Endocarditis lenta an der Hand 
von drei Fällen. 

Von 

Jarques Lewinski, Med.-Prakt. 

Die Endocarditis lenta stellt eine chronische Sepsis mit 
Lokalisation an den Herzklappen dar und wird hervorgernfen 
durch einen besonderen wohl charakterisierten Erreger, den Strepto¬ 
coccus viridans seu mitior. 

Bevor ich zur Besprechung der Aetiologie übergehe, bringe 
ich erst meine Fälle (im Auszug) zur Kenntnis. 

Fall 1. 30jährige Frau, aufgenommeo am 20. III. 1910. 

Anamnese: Früher mehrmals Gelenkrheumatismus, fühlt sich jetzt 
seit mehreren Woehen matt und hat ständige Atemnot. 

Status: Sehr elend und blass. Remittierendes Fieber zwischen 37,5 
und 38,5. Puls beschleunigt. Milz etwas vergrössert. Uebrige Organe 
ohne Besonderheiten. 

22. IV. Bisher täglich das remittierende Fieber. Dauernde Ge¬ 
wichtsabnahme. Elektrargol ohne Erfolg. 

30. V. Zustand der gleiche. Verdacht auf „kryptogenetische Sepsis“, 
deshalb Blutaussaat. In der Blutagarplatte massenhafte Kolonien von 
Streptoc. viridans. 

1) Anmerkung während der Korrektur. Nach einer Nieren¬ 
waschung mit Perhydrol ist der Harn bis jetzt bakterienfrei geblieben. 
v ;.^ 2) Jetzt auoh bei 14, 15, 16. 

4* 


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444 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. Nr. 10. 


14. VI. Da sich der Zustand nicht bessert, verlässt Pat. gegen ärzt¬ 
lichen Rat das Krankenhaus. 

Fall 2. 22jährige Näherin, aufgenommen am 18. I. 1911. 

Anamnese: Litt von jeher an Bleichsucht. Erkrankte November 
1910 mit Fieber und Anschwellung der Fuss- und Kniegelenke. Unter 
Medikation schwand die Gelenkaffektion, das Fieber und eine grosse 
Schwäche blieben jedoch bestehen. 

Status: Blasses Mädchen, Temperatur 39,4. Herz nach beiden 
Seiten etwas vergrössert. Lautes systolisches Sausen an sämtlichen 
Ostien. Puls weich, beschleunigt. Lungen: Spärliche bronchiale Ge¬ 
räusche. Uebrige Organe ohne Besonderheiten. Blutbefund: Hämo¬ 
globin 42:85. Leukocyten 11 000. 

25. I. 1911. Aus dem Blute wird Streptoc. viridans gezüchtet. Im 
rechten Auge zwei Netzhautblutuogen nachweisbar. Befinden unver¬ 
ändert. Temperatur meist zwischen 38 und 39, zeitweise jedoch bis 40°. 
Puls meist zwischen 100 und 120. 

10. II. 1911. Pat. geht, da sich der Zustand nicht bessert, nach 
Hause. 

Nachtrag des behandelnden Arztes: 

Pat. fieberte täglich. Im weiteren Verlauf traten schwere entzünd¬ 
liche Gelenksymptome sowie eine Bronchitis auf. Die Herzfunktion liess 
mehr und mehr nach, bis am 30. IV. 1911 der Tod infolge Herzinsuffi¬ 
zienz ein trat. 

Fall 3. 26jähriges Dienstmädchen, aufgenommen am 7. VI. 1911. 

Anamnese: War vom 21. IV. bis 4. V. 1911 im Krankenhause 
wegen Schwindelgefühl und Mattigkeit, welche Beschwerden sich kurz nach 
einer Zahnextraktion einstellten. Kurz nach der Entlassung haben diese 
Beschwerden wieder eingesetzt, auch Beschwerden beim Treppcnsteigeu 
von seiten des Herzens. 

Status: Blasses Aussehen, Temperatur zwischen 37 und 38°. Beide 
Fussgelenke leicht geschwollen. 

Cor: Rechte Grenze überschreitet um 7 * cm den linken Sternal- 
rand. Spitzenstoss im 4. Intercostalraum hebend und verbreitert. Lautes 
systolisches Geräusch an der Herzspitze, das über Pulraonalis und Aorta 
schwächer ist. Puls beschleunigt. 

Uebrige Organe ohne Besonderheiten. 

Sogleich Blutentnahme zur Kultur, nach 24 Stunden in der Platte 
Streptoc. viridans gewachsen. 

14. VI. Andauernd sehr hohe, remittierende Temperatur. Salicyl- 
präparate ohne Einfluss. Cor wird labil, deshalb Digitalispräparate. 
Collargol rectal gegen den septischen Prozess. 

27. VI. Fieber unverändert. Zahlreiche Petechien am Körper. 

12. VIII. Pat. wird immer matter, ist sehr abgemagert. Neuer Schub 
von Petechien. 

20. VIII. Milz perkutorisch vergrössert. 

Urin: Essbach 72 pM. Sediment ohne Besonderheiten. 

27. VIII. Plötzliche Schwellung im rechten Ellbogengelcnk mit 
Fieber, geht unter Aspirin zurück. 

Pat. wird nun mit subcutanen Vaccineiüjektionen von Streptoc. viri¬ 
dans behandelt, die ihr in Abständen von 5 bis 7 Tagen injiziert 
werden; zuerst 0,15 mg Bakterien = 1 ccm, dann 0,3 mg, dann 0,6, 
schliesslich 1 mg = 2 ccm. 

Die Blutuntersuchungen, die 2—3 Tage nach jeder Injektion ge¬ 
macht werden, ergeben ein Sinken der Leukocytenzahl von 6000 auf 
4800. Hämoglobin im Laufe der Krankheit von 49 : 80 auf 30 : 80 
gesunken. 

Im Urinsediment gegen Ende der Krankheit das Bild einer hämorrha¬ 
gischen Nephritis. 

16. IX. Seit der dritten Vaccineinjcktion bewegte sich die Tempe¬ 
ratur zwischen 37 und 37,5°, war einmal sogar auf 36,5° gefallen. Heute 
Anstieg auf 37,8°. Pat. benommen. 

27. IX. Exitus unter Symptomen der Herzinsuffizienz. 

Mit Berücksichtigung der aus diesen Fällen gewonnenen Er¬ 
fahrungen will ich nunmehr näher auf die Krankheit Eingehen. 

Aetiologisch steht es jetzt fest, dass in den meisten Fällen 
von Eudocarditis lenta Streptococcus viridans der Erreger ist. 
Nach Steinert’s Behauptung kann auch ein dem Streptococcus 
viridans nahestehender Streptococcus, ein Streptococcus anhaemo- 
lyticus, der sich durch schnelles Wachstum — schon nach 
12 Stunden deutliche Kolonien verhältnismässig beträchtliche 
Grösse und Fehlen der Grünfärbung der Blutagarkulturen von ihm 
unterscheidet, in selteneren Fällen die Krankheit bewirken. 

Wesentlich für die Ansiedelung dieser Erreger auf den Herz 
klappen ist nach Schottmüller das Vorhandensein alter Klappen¬ 
fehler, da erst die verrucösen Auflagerungen auf den Klappen die 
geeignete Haftstelle darbieten. Daher erkläre sich die Angabe 
bei der Mehrzahl der Kranken, dass sie früher an Gelenkrheuma¬ 
tismus und Herzerscheinungen gelitten haben. Es kommen jedoch 
auch Ausnahmen vor. 

Eine neue interessante Auffassung über die Aetiologie der 
Endocarditis lenta hat Steinert zum Ausdruck gebracht. Er 
hatte gefunden, dass Streptococcus viridans und Streptococcus 
anhaemolyticus auch akut verlaufende septische Infektionen mit 
Endocarditis hervorrufen können, und veröffentlichte in seiner 


Arbeit vier derartige Fälle. Bei zwei dafür angeführten Patientinnen 
war Partus bzw. Abort, bei einer Angina, bei einer anderen 
Erysipel kurz vorher vorausgegangen. Auch Lenhartz berichtete 
schon 1903 in seiner Arbeit von zwei derartigen akut verlaufen¬ 
den Fällen durch Streptococcus viridans bei Wöchnerinnen und 
war der Ansicht, dass diese Erreger auf dem puerperalen Nähr¬ 
boden vielleicht virulentere Eigenschaften gewinnen. Steinert 
setzte diese Befunde in ein anderes Licht, gestützt auf folgende 
Beobachtung: In seinen akuten Sepsisfällen, die durch die ge¬ 
nannten Erreger bewirkt waren, fehlte stets der Gelenkrheuma¬ 
tismus und die alte Endocarditis in der Anamnese, während alle 
seine Patienten mit chronischer Sepsis (Endocarditis lenta) 
Gelenkrheumatismus überstanden und auch früher schon eine Endo¬ 
carditis acquiriert hatten, allerdings mit einer Ausnahme. Daraus 
zog er die Folgerung, dass für das Haften der genannten Erreger 
im Körper das Ueberstehen des Gelenkrheumatismus wichtiger 
sei als die alte Endocarditis, da diese ja in einem sicheren Falle 
von Endocarditis lenta gefehlt hatte. Auch bei seinen seltenen 
chronischen, durch Streptococcus pyogenes bedingten Endocarditis- 
fällen war stots Rheumatismus vorausgegangen. Es scheine also, 
meinte Steinert, dass die überstandene rheumatische Erkrankung 
die Tendenz habe, den Verlauf einer späteren Streptokokken¬ 
bakteriämie chronischer zu gestalten. Diese Tatsache hielt er 
aber nur auf biologischem Wege für erklärbar, derart, dass eine 
Allergie des Körpers, der eine rheumatische Affektion überstanden 
hat, g e g e & Streptococcus viridans und seine Nächstverwandten, 
in weniger ausgesprochenem Maasse anderen Streptokokken gegen¬ 
über, vorliege. Wenn dies aber der Fall sei, dann liege die 
Vermutung nahe, dass auch der Gelenkrheumatismus durch Strepto¬ 
kokken bedingt sei. 

Was meine eigenen drei Fälle betrifft, so hatte die erste 
Patientin mehrfach Gelenkrheumatismus durchgemacht, die zweite 
war kurz vor dem Ausbruch der Endocarditis lenta an Gelenk¬ 
rheumatismus erkrankt, während die dritte, bei der ich ganz ein¬ 
gehend daraufhin geforscht habe, nie an rheumatischen Erschei¬ 
nungen gelitten und auch keine alte Endocarditis hatte. 

Wenn ich mich nun zu den bakteriologischen Verhältnissen 
wende, so wird die Bedeutung der Bakteriologie als Unterstützung 
für das klinische Verständnis und die Diagnostik gerade durch 
die Geschichte dieser Krankheit in ein helles Licht gerückt. Wie 
ich bereits darlegte, herrschten zuerst ganz unklare Vorstellungen 
von der Endocarditis lenta, die erst aufbörten, als es Schott¬ 
müller gelang, den Erreger der Krankheit zu finden. Durch 
seinen Nachweis im Blut konnte man nun die Krankheit sicher 
diagnostizieren und ähnliche Krankheitsbilder, die man früher 
mit ihr verwechselt hatte, ausschliessen. 

Als Kriterien des Streptococcus viridans gab Schottmüller 
an, dass dieser nicht — hämolytisch, d. h. ohne Resorptionshof sei, 
stecknadelkopfgrosse, graugrüne Kolonien bilde, die erst nach 
48 Stunden auf der Agarplatte erschienen, und dass er für Mäuse 
und Kaninchen eine geringe Pathogenität zeige. Als Fundorte des 
Streptococcus viridans, von welchen er ins Blut gelangt and dann 
seine spezifische Wirksamkeit entfalten kann, sind hauptsächlich 
die Mund- und Rachenhöhle, der Darmtractus und der weibliche 
Genitalapparat ermittelt worden. Niemals wurde er gefunden 
bei besonders bösartig verlaufenden septischen Infektionen, wie 
Erysipel und Phlegmonen, ferner niemals bei echter Polyartbritis 
acuta im Blute oder in der Gelenkflüssigkeit. Interessant er¬ 
scheint in meinem dritten Falle die Angabe der Patientin, dass 
sich bei ihr nach einer Zahnextraktion und darauf folgender An¬ 
schwellung der Backe ein Fieber einstellte, das dann nicht mehr 
weichen wollte und in der Entwicklung der Endocarditis lenta 
seine Erklärung fand. 

Was nun die pathologische Anatomie unserer Krank¬ 
heit betrifft, so ist besonders bemerkenswert, dass sich hier eine 
eigentümliche Form von Nierenerkrankung findet, auf die Löhlein 
in seiner Arbeit „Ueber hämorrhagische Nierenaffektionen bei 
chronischer ulceröser Endocarditis 41 vom Jahre 1910 in der 
„Medizinischen Klinik 44 zum ersten Male aufmerksam machte. 
Diese Nierenaffektion beruhe auf multiplen Embolien von 
Glomeruscapillaren durch chemotaktisch schwach wirkende 
Bakterien, id est durch Streptoc. vir. bei der Endoc. lenta. Ma¬ 
kroskopisch biete sie das Bild der sogenannten grossen bunten 
Niere und sei anatomisch von allen Stadien der echten diffusen 
Glomerulonephritis sicher zu unterscheiden. Diese „embolische 
nichteitrige Herduephritis“, die nach Löhlein noch bei keiner 
anderen Krankheit beobachtet ist, konnte auch in meinem dritten 
Falle von Herrn Prosektor Dr. Meyer nachgewiesen werdet). 


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10 März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


445 


Die klinischen Symptome bei meinen Fällen entsprechen 
im grossen und ganzen dem von Schottmül ler ausführlich ent¬ 
worfenen Krankheitsbilde, 

Auch bei meinen Patientinnen handelte es sich um anämische 
Personen, die von Anfang an bleich und elend aussahen und 
stetig kraftloser wurden. Auch das Fieberbild, in welchem so 
gut wie keine Schüttelfröste und steile septische Temperaturen 
vorkamen, sondern meist nur leicht febrile Temperaturen vor¬ 
herrschten, erwies sich als charakteristisch. 

Einzelne Fiebersteigerungen bis 40° und darüber waren wohl 
durch ein stärkeres Eindringen von Keimen vom Endocard her 
ins Blut verursacht und von lokalen Folgeerscheinungen begleitet, 
wie besonders Auftreten von zahlreichen Petechien am Körper und 
schmerzhaften Gelenkschwellungen. 

Was die objektiven Symptome betrifft, so liess sich bei 
allen meinen Patientinnen eine Mitralinsuffizienz nachweisen. Von 
der Milz gibt Schottmüller an, dass fast ausnahmslos ein 
durch Infarkte bedingter derber palpabler Milztumor vorhanden 
sei. Bei meinen Patientinnen fand sich jedoch die Milz nur 
perkutorisch vergrößert, ein Milztumor war nicht zu fühlen. 

An den Nieren konnte ich nur in meinem dritten Falle, 
den ich bis zum Exitus zu beobachten Gelegenheit hatte, die Ent¬ 
wicklung einer Nephritis feststellen. 

Pass die Nephritis bei der Endocarditis lenta erst gegen 
Ende der Krankheit auftrete, ist auch in früheren Arbeiten be¬ 
richtetworden. Entsprechend dervon mir bereits beschriebenen eigen¬ 
artigen pathologischen Form der Nierenaffektion kam es auch 
nicht zum ausgesprochenen Bilde der parenchymatösen Nephritis. 
Erst kurze Zeit vor dem Exitus traten im Sediment neben roten 
Blutkörperchen hyaline, granulierte und mit Erythrocyten besetzte 
Cylinder auf, während zuerst nur Spuren von Albumen nachzuweisen 
waren. 

Von den anderen klinischen Symptomen bei meinen Patientinnen 
will ich noch das schubweise Auftreten von zahlreichen Petechien 
und leichteren Gelenkschwellungen erwähnen, die sich durch 
Aspirin günstig beeinflussen Hessen und nie eitriger Natur waren, 
wie ja das Fehlen von eitrigen Erscheinungen zu den charak¬ 
teristischen Symptomen gehört und der geringen Virulenz des 
Streptococcus viridans entspricht. 

Dann hätte ich noch anzugeben, dass sich bei meiner zweiten 
Patientin zwei ziemlich grosse Netzhautblutungen nachweisen 
Hessen. Bei meiner dritten Patientin dagegen, die ich auch von 
spezialistischer Seite daraufhin habe untersuchen lassen, fand sich 
weder diese Blutung noch sonst irgendwelche Veränderung an der 
Netzhaut. 

Ferner fehlten bei meinen Patientinnen cerebrale Er¬ 
scheinungen, wie z. B. apoplektiforme Anfälle, epileptiforme 
Krämpfe und meningitische Symptome, die durch embolische Er¬ 
weichungsprozesse veranlasst sein können oder auch durch 
Blutungen aus Aneurysmen von Hirnarterien, worauf Simmonds 
1902 in seiner Arbeit „Hirnblutungen bei recurrierender verru- 
cöser Endocarditis“ aufmerksam gemacht hat. 

Auf die Diagnose der Endocarditis lenta, die sich aus den 
klinischen Symptomen ergibt nnd durch den bakteriologischen 
Nachweis des Streptococcus viridans sichergestellt wird, und auf 
die Differentialdiagnose gehe ich nicht weiter ein und wende 
mich nunmehr zur Prognose, die leider durchaus ungünstig 
genannt werden muss. Die Literatur kann wenigstens bis jetzt 
noch von keiner sicheren Heilung berichten. Von meinen drei 
Patientinnen sind zwei ihrem Leiden erlegen, die dritte wurde in 
so schwerkraukem Zustande entlassen, dass sie sicherlich auch 
bald gestorben sein muss. Als Todesursache kommen ausser der 
Herzinsuffizienz, die bei meinen Fällen den letalen Ausgang be¬ 
wirkt hatte, noch Komplikationen von seiten des Gehirns, schwere 
Blutungen aus Aneurysmen von Körperarterien, Lungenentzündung 
und selten auch Nephritis in Betracht. 

Es hat nun natürlich nicht an therapeutischen Ver¬ 
suchen zur Bekämpfung der Endocarditis lenta gefehlt. Von 
chemischen Mitteln ist hauptsächlich Collargol angewandt worden. 
Dieses Präparat wurde in rectaler Verabreichung auch längere 
Zeit bei meiner dritten Patientin versucht, ohne jedoch irgend¬ 
welchen Erfolg zu bewirken; ebenso ungünstig war die Wirkung 
von Elektrargol bei dem ersten Falle. Ueber Collargol sprach 
sich Lenhartz im ungünstigen Sinne aus, und auch Schott¬ 
in ül ler sah keinen Erfolg bei intravenöser Einspritzung dieses 
Mittels. Das gleiche Urteil wird der Wirkung des Chinins zuteil. 
Mehr Erfolg verspricht wohl die Bekämpfung der Endocarditis 
lenta mit bakteriologischen Mitteln, nämlich mit spezifischem 


Serum und mit Vaccine. Lenhartz will durch die Anwendung 
eines sogenannten Rekonvaleszentenserums bei Streptokokkensepsis 
eine allgemeine Besserung der Körperkonstitution und eine gün¬ 
stige Beeinflussung des Pulses erzielt haben und empfahl daher 
die Nachprüfung solcher Sera bei den durch Streptokokken be¬ 
wirkten Erkrankungen überhaupt, wie auch bei Endocarditis 
lenta. Für die Serumtherapie trat auch Schottmüller im Jahre 
1905 ein. Gerade der Umstand, dass Streptococcus mitis durch 
die spezifischen baktericiden Eigenschaften des Blutes so be¬ 
deutend in seiner Entwicklung gehemmt werde, im Gegenteil zum 
Streptococcus pyogenes, Hesse hoffen, meinte er damals, dass die 
Seruratherapie bei der Endocarditis lenta vielleicht bessere 
Erfolge erzielen könne, als bei den gewöhnlichen Streptokokken¬ 
erkrankungen. 

Später, im Jahre 1910, musste Schottmüller jedoch an- 
geben, dass die Serumtherapie bei seinen Fällen versagt hätte; 
ebenso ungünstig sprach er sich damals über die Wirkung des 
Wright’schen Vaccineverfahrens aus 

Von anderen Autoren liegen jedoch günstige Mitteilungen 
über diese Behandlungsweise vor. Einen warmen Fürsprecher 
findet die Vaccinetherapie in Fette, der in seiner Arbeit im 
Jahre 1909 in der Medizinischen Klinik von einer günstigen Be¬ 
einflussung der Endocarditis und der Allgemeinerscheinungen 
durch diese Behandlung zu berichten wusste. Sein Patient konnte 
allerdings nicht am Leben erhalten werden, da er zu einer Zeit 
in Behandlung kam, als der Krankheitsprozess schon zu weit 
vorgeschritten war. 

Fette wies noch besonders auf das Verhalten der Leuko- 
cyten hin, die nach den Vaccineinjektionen an Menge Zunahmen. 
Er sprach die Vermutung aus, dass diese Leukocytenkurve, auf 
die bisher kein Wert gelegt worden sei, zum mindesten bei der 
Streptococcus mitis-lnfektion als leitendes Moment bei der An¬ 
wendung und Dosierung der Vaccine mit in Betracht kommen könnte. 

Diese Mitteilungen haben mich veranlasst, auch in einem 
Falle die Vaccinebehandlung zu versuchen und dabei auch Blut¬ 
untersuchungen vorzunehmen, um diesen von Fette vermuteten 
Zusammenhang zwischen Leukocytenkurve und Vaccinierung nach¬ 
zuprüfen. Es ist mir leider nun nicht möglich gewesen, mit der 
Vaccinebehandlung meine Patientin zu retten. Der Enderfolg 
blieb also aus, aber auch am Herzen wie in dem allgemeinen 
Befinden konnte ich keine wesentliche Besserung konstatieren. 
Nur hervorheben möchte ich, dass die Temperaturkurve, die sich 
vor dieser Therapie mehrfach über 89° erhoben hatte, nun be¬ 
ständig unter dieser Fieberhöhe blieb. 

Die Erklärung für diesen geringen Erfolg ist wohl darin zu 
finden, dass die Vaccinebehandlung erst sehr spät begonnen 
wurde, zu einer Zeit nämlich, als der Organismus der Patientin 
durch den infektiösen Prozess schon zu sehr geschwächt war. 

Die erste aussichtsreichere Periode der Krankheit war leider 
unter anderen therapeutischen Versuchen, wie mit Collargol, 
Chinin, verstrichen. 

Bevor ich nun das Ergebnis meiner Blutuntersuchungen be¬ 
richte, die ich etwa 2—8 Tage nach jeder Vaccineinjektion aus¬ 
führte, will ich kurz angeben, wie sich die Leukocyten bei der 
Endocarditis lenta, unbeeinflusst durch die Vaccinierung, gewöhn¬ 
lich verhalten. 

Nach Schottmüller sind die Leukocyten bei der Endo¬ 
carditis lenta meist normal an Zahl wie im speziellen. Steinert 
fand die Leukocytenzahl meist in der Nähe der Norm, öfters 
allerdings auch Leukopenie, dagegen Hyperleukocytose nur aus¬ 
nahmsweise. 

Die Angabe von Fette über die Beeinflussung der Leuko¬ 
cyten durch die Vaccinebehandlung kann ich nun nach dem Aus¬ 
fall meiner Blutuntersucbungen nicht bestätigen. Die Leukocyten¬ 
zahl, die vor der ersten Vaccineinjektion 6000 betragen hatte, 
sank vielmehr stetig bis auf 4800. Auch dieses negative Er¬ 
gebnis möchte ich jedoch, ebenso wie den schlechten thera¬ 
peutischen Erfolg auf Rechnung des schon zu sehr geschwächten 
Organismus setzen, der eben nicht mehr mit der sonst vielleicht 
erfolgten Leukocytose reagieren konnte. 

Bei einem Ueberblick über die bisherigen therapeutischen 
Erfahrungen möchte ich mich dahin aussprechen, dass die che¬ 
mischen Mittel wohl kein Vertrauen verdienen. Mehr zu er¬ 
warten ist von der bakteriologischen Therapie, und ich halte es 
für sehr wichtig, dass besonders die Vaccinebehandlung von 
vornherein angewandt wird, wenn der Organismus seine Wider¬ 
standskraft noch nicht eingebüsst hat. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


Nochmals „der dritte Weg zur totalen Rhino¬ 
plastik“. 

Von 

Engen Holländer. 

Wenn ich die von mir in Nr. 3 dieser Wochenschrift mitgeteilte 
Methode den dritten Weg zur totalen Rhinoplastik genannt habe, so 
folgte ich dabei, wie dies ja auch klipp und klar aus meiner Darlegung 
hervorgeht, der historischen Ueberlegung. Ich ziehe die Berechtigung zu 
solcher Benennung aus der vollkommenen Analogie meiner Methode mit 
der indischen und der italienischen Methode. Einen vierten Weg dieser 
Art wird es nicht geben. Die indische Methode nimmt den gestielten 
Lappen aus dem Gesicht, die italienische aus dem Arm, und die meine 
vom Körperstamm. Modifikationen der beiden älteren Operationsverfabren 
sind vielfach unternommen worden. Als eine geistreiche Aenderung des 
italienischen Verfahrens ist der von Steinthal angegebene Wanderlappen 
aus der Brust zu bezeichnen. Das neuerdings von A. Rosen stein (diese 
Wochenschrift, Nr. 7) nun bekannt gegebene Verfahren des Wanderlappens 
von der Brust zum Kinn und vom Kinn zur Nase illustriert aber meines 
Erachtens am deutlichsten den prinzipiell neuen und wichtigen Fortschritt 
meines Unternehmens, das die Möglichkeit der direkten erfolgreichen An¬ 
heftung der Brusthaut an den Nasenrücken gezeigt hat. Denn abgesehen 
von der unnützen Verlängerung der ganzen Operationsdauer, begibt man 
sich, wie ich das in meiner „Kosmetischen Chirurgie“ (ira Handbuch 
von Joseph) auseinandergesetzt habe, durch die Wanderlappenmethode 
aller Vorteile. — Der Wanderlappen verfällt dem Senium, er rollt sich 
bei seiner doppelten Pfropfung auf, das Fett wird adiposklerotisch, und 
der Lappen verliert durch seine protrahierte Unterernährung vollkommen 
seine Plastizität. Im Gegensatz hierzu kann der am sechsten Tage 
durchschnittene, gut ernährte Stiellappen beliebig formiert werden. Aus 
diesem Grunde eignet sich das so genial ausgedachte Wanderlappen¬ 
prinzip nach meiner Erfahrung nur für den Notfall einmal zur totalen 
Rhinoplastik, während die von mir erzielten Resultate, wie ich hoffe, zu 
einer häufigen erfolgreichen Verwendung meinerMethode veranlassen werden. 

Aus dem Laboratorium der Löwen-Apotheke in Dresden 
(Inhaber: Dr. v. Mayenburg). 

Ueber Aqua destillata zur Salvarsanbereitung. 

Von 

Apotheker R. Schramm. 

Um zur Bereitung von Salvarsanlösungen ein einwandfreies, allen 
Anforderungen entsprechendes, keimfreies Wasser zu erlangen, bediente 
ich mich seit geraumer Zeit eines Filtrierapparates mit bakteriendichten 
Filterkerzen. Auf diese Weise war es mir möglich, ein den Anforde¬ 
rungen des Deutschen Arzneibuches vollkommen entsprechendes destil¬ 
liertes Wasser vollständig faser- und keimfrei zu bekommen, das ich zur 
Aufbewahrung in sterile Kochkolben, die ich mit Wattebäuschen ver¬ 
schloss, füllte und dureh l J 2 ständiges Kochen sterilisierte. Mit diesem 
absolut sterilen Wasser wurden bei Bedarf die zu den Salvarsanlösungen 
nötigen physiologischen Kochsalzlösungen frisch hergestellt und nochmals 
im strömenden Dampf einer Sterilisation unterzogen. Trotz dieser Sub- 
tilität bei Sterilisation und Anfertigung der Salvarsanlösungen teilte mir 
ein Arzt mit, dass er mit den in unserem Laboratorium angefertigten 
Lösungen fast ständig Reaktionen (Kopfschmerzen, Temperatur¬ 
erhöhungen usw.) bei den Patienten beobachten könne. 

Um ein eventuelles Eindringen von Staub und Bakterien beim Ura- 
füllen aus dem Filtrierapparat in die Kochflaschen möglichst zu ver¬ 
meiden, filtrierte ich nunmehr das durch die Bakterienfilterkerze filtrierte 
Wasser durch sterile Wattebäusche in die Kochflaschen, wobei ich 
nach Umfüllen von ca. 10 Litern eine geringe Blaufärbung der Watte 
feststellen konnte. Die schwach getrocknete Watte zeigte mit Ferro- 
cyankaliumlösung eine deutliche Kupferreaktion an. Mein dem D. A.-B. V 
entsprechendes Wasser war also kupferhaltig. Eine Probe des nicht 
durch Watte filtrierten Wassers gab weder mit Schwefelwasserstoffwasser 
noch mit Ferrocyankaliumlösung eine Reaktion. Die Silbernitratprobe 
des D. A.-B. V fiel ebenfalls negativ aus, jedoch trat auf Zusatz einer 
Silbernitratlösung 1+2 eine starke Trübung ein, die jedoch nach Hin¬ 
zufügen von einem Tropfen Salpetersäure sofort verschwand. Das Wasser 
enthielt demnach kein Chlor, wohl aber Kohlensäure, an die das Kupfer 
als Bicarbonat gebunden sein dürfte. 

Sofort untersuchte ich das nicht durch die Filterkerze filtrierte 
Wasser, indem ich 10 Liter desselben durch einen grossen Wattebausch 
filtrierte. Der Wattebausch blieb ungefärbt und gab weder mit 
Schwefel wasserstoffwasser noch mit Ferrocyankaliumlösung eine Reaktion. 
Konzentrierte Silbernitratlösungen blieben vollkommen klar; ebenso 
fielen alle anderen Reaktionen des D. A.-B. V negativ aus. Der Kalium¬ 
permanganatverbrauch (organische Substanz) betrug 0,2 ccm, der Ab¬ 
dampfrückstand in 100 ccm Wasser 0,0005. 

Dasselbe Wasser liess ich nunmehr die Bakterienfilterkerze passieren 
und erhielt nach dem D. A.-B. V. folgende Resultate: 


Geruch. — 

Fäserchen.Nicht vorhanden 

Organische Substanz . . . 0,2 ccm Kaliumpermanganat¬ 
lösung 

Salzsäure.Nicht vorhanden 

Schwefelsäure. „ „ 

Calcium. „ „ 

Ammoniak. „ „ 

Kohlensäure. „ „ 

Schwermetalle. „ „ 

Abdampfrückstand in lOOccm 0,002 

Durch das Watteverfahren konnte ich in diesem Filtrat Kupfer auf 
der Watte nachweisen, ebenso war die Silbernitratreaktion mit AgN0 3 
1+2 wieder positiv. Da der Abdampfrückstand um 0,0015 zugenommen 
hatte, so dürfte wohl diese Zahl annähernd den Gebalt an Kupfersalz 
wiedergeben, das die Filterkerze an das destillierte Wasser abgegeben 
hatte. Nach mehrmaligem Filtrieren durch Watte erhielt ich keine 
Kupferreaktion mehr auf der Watte, ebenso fiel die Reaktion mit kon¬ 
zentrierter Silbernitratlösung negativ aus. Blei sowohl wie Eisen waren 
in dem Wasser nicht vorhanden, wie ich einwandfrei feststellen konnte. 

Dass Spuren Kupfer durch Filtrieren durch Watte auf dieser nach¬ 
zuweisen sind, war mir seit langem bekannt. Auch Ebert-Fähr 
machte in Nr. 31, 1905, und Nr. 80, 1909 des „Centralblatt für Phar- 
macie“ darauf aufmerksam, indem er einen interessanten Zusammenhang 
zwischen dem Ammoniakgehalt des Trinkwassers und dem Kupfergehalt 
des daraus destillierten Wassers feststellt. 

In Nr. 23, 1912 derselben Zeitschrift veröffentlicht Peyer-Frank¬ 
furt, der ebenfalls das Watteverfahren anwendet, eine Serie von Wasser¬ 
untersuchungen. Von 25 nach dem D. A.-B. V auf Schwermetalle 
untersuchten destillierten Wässern aus verschiedenen Gegenden Deutsch¬ 
lands hielten 21 die Probe des D. A.-B. V auf Schwermetalle, während 
jedoch einer Prüfung auf ideale Reinheit nur 4 von den 21 standbielten. 
In diesen 17 Wässern fand Peyer einmal Blei, Kupfer und Eisen, 
fünfmal Blei und Eisen, zweimal Blei und Kupfer, dreimal Kupfer und 
Eisen, einmal Blei, zweimal Kupfer, dreimal Eisen. Peyer stellt dabei 
fest, dass eisenhaltiges Trinkwasser auch ein eisenhaltiges destilliertes 
Wasser liefert, und empfiehlt gleichzeitig ein zweimaliges Destillieren, 
um ein ideales Wasser zu Salvarsanlösungen zu erhalten, falls das 
einmal destillierte Wasser einer Prüfung auf ideale Reinheit, die nach 
meiner Erfahrung unbedingt vorzunehmen ist, nicht standhält. Als 
Kühler kommen dabei in Betracht Glas (Jenenser Normalglas), Porzellan 
oder bleifreies Zinn bzw. stark verzinnte Kupferschlangen, da Zinn, wie 
verschiedenfach nachgewiesen ist, sich in Wasser nicht löst. Destillier¬ 
apparate mit unverzinnten oder schlecht verzinnten Kupferschlangen 
sind ohne weiteres iu verwerfen, welche Erfahrung ich vor ca. 3 Jahren 
machen musste, als in unserem Laboratorium eine neue Kühlschlange 
eingesetzt wurde. Das durch die Kühlschlange geleitete destillierte 
Wasser entsprach zwar den Anforderungen des D. A.-B. IV, doch 
mussten wir bald die Wahrnehmung machen, dass die damit hergestellten 
konzentrierten Jodkalilösungen sich schwach gelb färbten. Beim 
Filtrieren des Wassers durch Watte konnte ich auf dieser einwandfrei 
Kupfer nachweisen. Auch im vorigen Jahre konnte ich bei einem be¬ 
zogenen, den Anforderungen des D. A.-B. V entsprechenden Wasser auf 
dieselbe Weise Kupfer feststellen. Vielleicht liegt die in den Apotheken 
hier und da bemängelte Gelbfärbung der Jodkalilösungen manchmal 
weniger an der Unreinheit des Jodkalis, als vielmehr an einem Gehalt 
des destillierten Wassers an Kupfer. 

In Nr. 39, 1912 der „Münchener med. Wochenschrift“ berichtet 
Wechselmann in einer Abhandlung über Neosalvarsan, Emery habe 
gefunden, dass, als plötzlich eine Serie von 20 Patienten Reaktionen, 
zum Teil schwerer Art zeigten, sich in dem Wasser Blei nachweisen 
liess, und dass viel dafür spricht, dass gerade kleine Beimengungen 
organischer und anorganischer Substanzen gewissermaassen als Katalysa¬ 
toren wirken und Nebenwirkungen bedingen. 

War es in diesen Fällen Blei, so war es in den von mir eingangs 
erwähnten Fällen, die eine volle Bestätigung der Emery’schen Annahme 
sind, Kupfer, das die Reaktionen bei den Patienten auslöste, da die 
Salvarsaninjektionen mit demselben jedoch nicht durch die Filterkerzen 
filtrierten destillierten Wasser, das nach meiner, vorn wiedergegebenen 
Untersuchung kupferfrei war, reaktionslos verliefen. 

In derselben Abhandlung teilt Wechsel mann das Resultat zweier 
von P. Ehrlich ausgeführten Wasseruntersuohungen aus zwei ver¬ 
schiedenen Apparaten mit, von denen das eine Wasser als einwandfrei 
befunden wurde, während die Untersuchung des anderen Wassers 
folgende Beanstandungen ergab: 1. Nicht vollkommen klar; 2. zuviel 
organische Substanz; 3. deutliche Spuren CI; 4. zuviel Rückstand. 

Schwermetallsalze waren in 200 ccm des beanstandeten Wassers nicht 
nachweisbar, und doch möchte ich vermuten, dass auch dieses Wasser 
Spuren von Blei, Eisen oder Kupfer enthalten dürfte, zu welcher An¬ 
nahme mich die zu hohe Menge des Abdampfrückstandes verleitet. Da 
mir der Vehmel-Lautenscbläger’sche Apparat, der das beanstandete 
Wasser lieferte, nicht zur Verfügung steht, so ist es mir leider nicht 
möglich, eine diesbezügliche Prüfung vorzunehmen. 

War in letzterem und wohl auch in dem Emery’schen Falle der 
Apparat an dem beanstandeten Wasser schuld, so waren es bei mir die 
Filterkerzen, die einem sonst durchaus einwandfreien destillierten Wasser 
Spuren von Kupfer zuführten. Natürlich wurden die Bakterienfilter¬ 
kerzen sofort ausgeschaltet und die diese herstellende Firma benach- 


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10. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


447 


richtigt, worauf diese feststellte, dass das Kupfer nicht aus der 
Montierung, wie ich vermutete, sondern aus der Filtermasse selbst her¬ 
rührte. Die als Ersatz zur Verfügung gestellten Filterkerzen, deren 
Prüfung von mir auf das peinlichste vorgenommen wurde, lieferten und 
liefern mir jetzt noch ein Wasser, das nicht nur den Anforderungen des 
D. A.-B. V, sondern weit darüber hinausgehenden Anforderungen ent¬ 
spricht. 

Dass nach den gemachten Erfahrungen die Prüfung des destillierten 
Wassers sich meiner besonderen Aufmerksamkeit und ständigen Kon¬ 
trolle erfreut, braucht wohl nicht betont zu werden. 

Auf Grund dieser Untersuchungen jedoch muss die 
Forderung erhoben werden, dass die Prüfung des D. A.-B. V 
auf Schwerraetalle, die den an ein einwandfreies zu intra¬ 
venösen Injektionen dienendes destilliertes Wasser zu 
stellenden Anforderungen nicht entspricht, bedeutend ver¬ 
schärft werden muss, wofür ich als einfachste, schnellste 
und bequemste Methode das Filtrieren durch Watte emp¬ 
fehlen möchte, da beim Filtrieren von bereits 5 Liter 
Wasser durch Watte Spuren von Schwermetallen auf der¬ 
selben nicht nur einwandfrei nachgewiesen, sondern durch 
mehrmaliges Filtrieren vollkommen zurückgehalten werden 
können, wie ich durch Versuche mit verschiedenen Metallen 
feststellen konnte und worüber ich in einer anderen Ab¬ 
handlung berichten werde. 


Die älteste Influenza-Epidemie in Persien und 
Mesopotamien (im Jahre 855 n. Chr.). 

Von 

Prof. Dr. Engen Mittwoch. 

Die im Jahre 350 der Hedschra = 961 n. Chr. vollendete, arabisch 
geschriebene Chronik des aus Isfahan in Persien stammenden Philologen 
und Historikers Abu Abdalla Hamza ibn al-Hasan, der nach seiner 
Vaterstadt gewöhnlich kurz Hamza al-Isfahani genannt wird 1 ), enthält 
an drei Stellen kurze Berichte über epidemische Krankheiten, die im 9. 
und 10. nachchristlichen Jahrhundert die Gebiete des heutigen Persiens 
und Mesopotamiens heimsuchten. 


hat. Die Krankheit war in der arabischen Wüste ausgebrochen und 
verbreitete sich dann von Askar Mukram aus der Länge nach bis Circesia 
im Euphratbezirk, der Breite nach bis Holwan. Iu Bagdad wütete die 
Seuche so sehr, dass man dort auf Befehl des Sultans die täglich be¬ 
erdigten Leichen zählte. Ihre Zahl betrug an jedem Tage 500—600. 

Auch bei der Epidemie vom Jahre 952 (S. 195 des arabischen 
Textes) wird der Krankheitsweg genau angegeben. Die Krankheit selbst 
ist aber nicht näher beschrieben. Es wird von ihr nur gesagt, sie sei 
aus Blut und gelber Galle entstanden, habe Männer, Frauen und Kinder 
heimgesucht und 2—7 oder 8 Tage gedauert. Vielfach seien alle Ein¬ 
wohner eines Hauses, mehr als 20, von ihr befallen worden. In Basra 
sei zu dieser Krankheit dann noch die Pest hinzugekommen, und es 
seien dort täglich 1000—1200 Personen beerdigt worden. 

Viel genauer ist der Bericht (S. 188—S9 des arabischen Textes) 
über die älteste der Epidemien, die uns hier beschäftigen soll. Die be¬ 
treffende Stelle, zu der die Kartenskizze zu vergleichen ist, lautet in 
wörtlicher Uebersetzung: 

„Im Jahre 241 (der Hedschra = 855 n. Chr.) kam ein kalter Wind 
aus dem Lande der Turkvölker, ging nieder über Sarachs und tötete die 
Menschen, weil seine Kälte sie befiel. Sie bekamen Katarrh und gingen 
zugrunde. Er ging über Sarachs nach Nischapur, kehrte von Nischapur 
um und ging über Rai nieder, setzte dann nach Hamadan über, sodann 
nach Holwan und spaltete sich bei Holwan in zwei Zweige. Ein Zweig 
ging rechts ab nach Samarra, ein Zweig ging links ab nach Bagdad. 
Die Menschen befiel davon Husten und Katarrh, ähnlich wie beim 
„sidam“*). Dann ging er (der Wind und mit ihm die Krankheit) von 
Bagdad aus nach Wasit hinunter, von hier nach Basra, von hier nach 
Ahwaz.“ 

Die Krankheit, von der hier die Rede ist, wird also ausdrücklich 
als eine katarrhalische bezeichnet. An ihrem epidemischen Charakter 
kann nach dem Bericht kein Zweifel sein. Sie hat auch Todesopfer 
gefordert. Dabei ist aber hervorzuheben, dass in diesem Falle keine 
Angaben über die Zahl der täglich Beerdigten gemacht werden. Die 
Krankheit scheint also wohl auch tödlich verlaufen zu sein, aber nicht 
so zahlreiche Opfer gefordert zu haben, wie die beiden anderen Epidemien, 
von denen oben die Rede war. 

Sowohl mit Rücksicht auf den milderen Verlauf der Krankheit, 
als auch aus dem Grunde, dass diese nicht als „Pest“ bezeichnet ist, 
wird man wohl in unserer Stelle einen Bericht über eine schwere In¬ 
fluenza- oder ihr verwandte Epidemie, die damals die Gebiete des 
heutigen Persiens und Mesopotamiens heimsuchte, erblicken dürfen. 



Ein scharf umschriebenes Krankheitsbild kann man bei einem Autor 
jener Zeit und zumal bei einem solchen, dem medizinische DiDge völlig 
fern lagen, nicht erwarten. Immerhin ist es bemerkenswert und mutet 
recht modern an, dass an allen drei Stellen der Weg, den die Seuche 
genommen hat, genau verzeichnet ist. 

Bevor wir uns unserem eigentlichen Bericht zuweuden, mögen ver¬ 
gleichsweise die beiden anderen Stellen aus Hamza’s Chronik, an denen 
von Seuchen die Rede ist, hier kurz erwähnt werden. 

Aus dem Jahre 871 n. Chr. (S. 190 des arabischen Textes) wird 
über eine Pest berichtet, die die Gebiete von Ahwaz und Irak ergriffen 

1) Hamzae Ispahanensais Annalium libri X. Ed. J. M. E. Gott- 
waldt, Petropoli 1844. 


Der kalte von Norden (Gebiet der Turkvölker) her wehende Wind, 
der hier als Ursache der Krankheit genannt wird, wird noch viele Jahr¬ 
hunderte später als solche angesehen. So heisst es in einem lateinischen 
Berichte über eine Epidemie des Jahres 1404 2 ): „Principio Aprilis ventus 
adeovehemens etalgidus flavit ab Aquilone ut . . . eoque frigore 
humanis corporibus concepto tussis maxima atque raucitas orta . . .“ 

Ist die Annahme, dass wir es an unserer Stelle mit einer Influenza- 

1) Name einer Krankheit, die den Kopf der Tiere befällt; vielleicht 
eine Art Pferdegrippe? 

2) J. B. Meyreus, Commentarii sive Annales rerum Flandicaruro, 
Antwerpen 1561, lib. XIV, p. 220. Die ganze Stelle ist bei A. Rip¬ 
pe rger, Die Influenza . . ., München 1892, S. 21 citiert. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


Epidemie zu tun haben, richtig, dann wäre dies die älteste, historisch 
nachweisbare Influenza-Epidemie überhaupt. Die Stelle aus Hippokrates 
und Livius, aus denen man früher Influenza-Epidemien herauslesen 
wollte, sind längst als zu unbestimmt fallen gelassen worden. Hinter 
den Berichten über die spätere Epidemie von Florenz und Strassburg 
im Jahre 1387 und die schon genannte im Jahre 1404 steht aber der 
Bericht unseres Ham za al Isfahani an Deutlichkeit nicht zurück. Im 
Gegenteil, er übertrifft sie noch durch die genaue Angabe des Wegs, 
den die Seuche eingeschlagen, und der, wie nicht verwunderlich, mit 
den damaligen Handelsstrassen übereinstimmt. 


Aus der Städtischen Hals- und Nasenklinik in Frank¬ 
furt a. M. (Direktor: Geh.-Rat Prof. Dr. G. Spiess). 

Eine Modifikation des Kiliian’schen Spatel¬ 
hakens zur Schwebelaryngoskopie. 

Von 

E. Lauten Schläger, Assistenzarzt der Klinik. 

An dem von Killian angegebenen und von Brünings und 
Albrecht in bekannter Weise modifizierten Spatelhaken zur Schwebe¬ 
laryngoskopie sind mir bei Anwendung dieser Instrumente einige kleine 
Nachteile aufgefallen, die ich durch eine 
weitere Modifikation des Instrumentes besei¬ 
tigen zu können glaubte. Ich will darum 
im folgenden kurz meine Aenderung und eine 
Abbildung des von mir umgeänderten Spatel¬ 
hakens wiedergeben. 

Schon Albrecht (diese Wochenschrift, 
1912, Nr. 44) ist an der Brünings’schen 
Modifikation der Umstand als hinderlich 
aufgefallen, dass beim Einführen des Hakens 
in nur wenig zurückgebeugter Kopfhaltung 
das freie Ende des Querbalkens auf die 
Brust aufstösst, bevor das Spatelende die 
Epiglottis erreicht hat. Er hat diesem 
Umstande dadurch vorzubeugen gesucht, 
dass er den Querbalken in einem Gelenk 
drehbar anlegte. Es war dadurch ein Ein¬ 
gehen mit im oberen Teil nach der Seite 
geklapptem Instrument und nach Einstellung 
ein Zurückdrehen des betreffenden Instru¬ 
mententeils nötig. 

Dieses Anstossen an der Brust lässt 
sich einfach dadurch beseitigen, dass man 
den betreffenden Querbalken doppelt so 
weit wie früher von dem Spatel entfernt 
anbringen lässt. 

Ein Anstossen am Sternum ist bei diesem 
Abstand vollkommen ausgeschlossen. Das In¬ 
strument hat seine feste frühere Form nicht 
verloren, und all die Bewegungen, die 
bisher durch das Drehen des oberen Instru¬ 
mententeils nötig waren, sind weggefallen. 

Gleichzeitig aber hat sich noch ein weiterer Vorteil ergeben. Der 
Schwerpunkt des Instrumentes ist ein anderer geworden, und der Winkel, 
den der Spatel bei maximal ausgeschraubtem Aufhängebalken zur Hori¬ 
zontalen bildet, ist bedeutend grösser geworden. Mit anderen Worten: 
Es ist möglich geworden, das vorderste Ende des Spatels noch mehr 
zu heben und das, was Brünings durch seine Modifikation mit dem 
Winkelhaken erreichte, noch zu forcieren. 

Gleichzeitig sei hier bemerkt, dass von sämtlichen Patienten, die 
mit diesem Instrument untersucht wurden, und die zum Teil auch das 
alte Instrument kannten, niemals über stärkeres Druckgefühl geklagt 
wurde, Uüd dass es gelang, durch diese maximale Ausschraubung öfter 
einen Einblick bis zum vorderen Glottiswinkel zu gewinnen als früher. 

Sollte man trotzdem beim Ausschrauben nicht allzu weit gehen 
wollen, so lässt sich selbstverständlich durch unvollkommenes Aus¬ 
schrauben jede Stellung erreichen, welche auch mit dem alten Instru¬ 
ment möglich war. Um in jeder beliebigen Stellung der Schraube am 
Zahnrad einen tatsächlich festen Halt zu geben, kann man noch von unten 
eine weitere Schraube anbringen lassen, durch deren Hereindrehen es 
möglich ist, den obersten Aufhängchaken zum gezahnten Querbalken in 
jeder Stellung zu fixieren. 

Eine weitere Aenderung hat die Zahnplatte erfahren. Der Bügel, 
an welchem diese Platte angebracht war, ist nach hinten mehr aus¬ 
gebogen und die gauze Platte dadurch weiter vom Mund entfernt worden. 
Die Zahnleiste selbst ist an einer in dieser Platte vor- und rückwärts 
verschiebbaren gezahnten Leiste angebracht, welche durch eine Zahnrad- 
sebraube langsam, sicher und ohne Gewalt hin- und hergeschraubt werden 
kann, was mit der Schiebevorrichtung früher oft ruckweise geschehen 
musste und den Patienten an den Zähnen oft starke Schmerzen verursachte. 

Ueber dieser Schraube ist ebenfalls eine Arretierungsschraube an¬ 



gebracht, um auch die Zahnleiste in jeder beliebigen Stellung absolut 
fixieren zu können. 

Durch dieses Herausrücken der Platte und die Möglichkeit, die Zahn- 
I leiste sehr viel weiter hin- und herschrauben zu können, als dies früher 
( mit der Schiebevorrichtung der Fall war, erreicht man, dass bei 
I richtig eingestelltem Instrument ausser der Zahnleiste überhaupt nichts 
; mehr im Mund liegt. Der Einblick und die Möglichkeit, selbst ganz 
vorn am harten Gaumen zu operieren, sind viel besser geworden, und 
| man bat an der vollkommen ausserhalb des Mundes liegenden Platte 
, einen sicheren Stützpunkt für Instrumente. 

Ich habe neuerdings auch diese Platte noch nach unten abbiegen 
J lassen, wodurch sowohl ausser- als innerhalb der Zahnreihe für Auge 
I und Hand ein weiter Spielraum gewonnen ist. 

| Das Instrument wurde zum Teil zu operativen, zum Teil zu 
Demonstrationszwecken in einem Kurs erprobt und hat sich dabei voll- 
I kommen bewährt. 


Bacherbesprechungen. 

Handbuch der speziellen Chirurgie des Ohres und der oberen Lift¬ 
wege. Herausgegeben von Dr. L. Kitz, Dr. H. Preysing und 
Dr. F. Blnmenfeld. Würzburg 1912, Verlag von Kurt Kabitzsch. 

II. Band, Lieferung 1. In dem vorliegenden Heft werden die Miss¬ 
bildungen und die chirurgischen Erkrankungen des äusseren Ohres von 
Voss in kurzer und klarer Weise besprochen. Mit sehr guten, zum Teil 
farbigen Abbildungen versehen, werden die Missbildungen, Verletzungen 
(Verbrennung, Othämatom), Entzündungen, Erysipel, Noma, Tuber¬ 
kulose, Lupus, die Geschwülste der Ohrmuschel und des Gehörganges 
besprochen. Sehr gut sind die mikroskopischen Abbildungen vom 
Othämatom und der Periehondritis (Pyocyaneus-Infektion), Gebiete, in 
denen Voss bekanntlich selbständige grössere Arbeiten abgefasst hat. 
Sehr anschaulich sind auch die Abbildungen zur Darstellung des ope¬ 
rativen Vorgehens zur Beseitigung von Gehörgangsatresien. Der Preis 
der sehr instruktiven Lieferung beträgt 6,50 M. 

III. Band, Lieferung 3—4. Lieferung 3—4 des III. Bandes enthält 
den Schluss des Kapitels der Operationen an den Nebenhöhlen der Nase 
von Bönninghaus und den Beginn der orbitalen Komplikationen 
der Nebenhöhleneiterungen. Den Hauptinhalt des Bandes bildet die 
iutranasale Therapie, bearbeitet von Katz. In ausführlicher, klarer, 
übersichtlicher Weise werden die Untersuchungsmethoden, die Nasen- 
blutungen, die Lehre von der Tamponade, die Chirurgie der Nasen - 
muscheln, die Difformitäten der Nasenscheidewand, die nasalen Reflex¬ 
neurosen, die gutartigen und malignen Tumoren, die Ozaena, die Tuber¬ 
kulose, die Syphilis, Frakturen und Luxationen, die intranasalen Synechien 
und endlich die Fremdkörper dargestellt. Der reiche Inhalt wird durch 
eine grosse Zahl zum Teil schematischer Abbildungen illustriert; dieselben 
sind, auch wenn sie nicht alle Originale des Verfassers sind, ausgezeichnet 
ausgewählt und wohl geeiguet, die schwierigen intranasalen Operations¬ 
methoden zu erläutern und ihre Ausführung zu erleichtern. Der Preis 
des Bandes, dessen Studium dringend zu empfehlen ist und auch den 
Spezialisten mannigfache Anregung geben dürfte, beträgt bei ausgezeichneter 
Ausstattung 14 M. 

III. Band, Lieferung 5. Die 5. Lieferung des III. Bandes enthält 
die Darstellung der orbitalen Komplikationen der Nebenhöhlen, bearbeitet 
von Hoff mann. Auch diese Lieferung zeichnet sich durch klare Dar¬ 
stellung der normal anatomischen und pathologischen Verhältnisse aus. 
Die klinische Besprechung wird ebenso wie die anatomische durch aus¬ 
gezeichnete Abbildungen der einschlägigen Verhältnisse unterstützt. 
Den Schluss des Bandes bildet das Kapitel: der Hypophystumor und 
seine operative Behandlung, welches von A. Kuttner kurz und über¬ 
sichtlich dargestellt wird. Der Preis des Bandes beträgt 7 M. und unter¬ 
scheidet sich in der Güte und Vortrefflichkeit seiner Ausstattung nicht 
ven den bisher erschienenen Bänden. 


H&ssl&ner-Müncben: Das Gehörorgan nnd die oberen Luftwege bei 
der Beurteilung der Militärdienstfälligkeit. Berlin 1913, Verlag 
von Oskar Coblentz. 

Hass lau er hat versucht, in dem vorliegenden Büchlein „einen Rat¬ 
geber zu schaffen, in dem der musternde, der aushebende, der Rekruten 
einstellende und im Laufe der Dienstzeit die Mannschaft beobachtende 
Sanitätsoffizier Aufschluss finden sollte in den vielerlei Zweifeln, die die 
Erkrankungen des Gehörorganes und der oberen Luftwege für die Be¬ 
urteilung der Militärdienstfähigkeit dem nicht spezialistisch vorgebildeten 
Sanitätsoffizier entstehen lassen“. Man kann wohl sagen, dass die Auf¬ 
gabe von dem Verfasser in ausgezeichneter Weise gelöst ist, und dass 
auch der Zivilarzt voller Interesse den Ausführungen des Verfassers folgen 
kann. Von grossem Interesse sind auch die Aufstellungen der Grund¬ 
sätze, welche in den verschiedenen Ländern (Bulgarien, Dänemark, Frank¬ 
reich, Russland, Schweden, Schweiz, Spanien) bei der Beurteilung der 
Erkrankungen des Ohres und der oberen Luftwege für die Militärdienst¬ 
tauglichkeit herrschen. Der Preis des gut ausgestatteten Buches beträgt 
6,50 M. Brühl. 


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10. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


449 


Ctrl Hoeksinger-Wien: Gesundheitspflege der Kinder im Elterahanse. 

Leipzig und Wien 1912, Frans Deuticke. 4 M. 

Hochsinger’s Buch erscheint bereits in der dritten Auflage, Be¬ 
weis genug, dass es sich in dem Kreise, für den es vom Verf. ausdrück¬ 
lich bestimmt ist, „den Angehörigen der vermögenden Stande“, einen 
grossen Freundeskreis geschaffen hat Dio Darstellung setzt allerdings 
einen erheblichen Grad allgemeinen Wissens voraus, denn sie geht in 
vielen Fragen: Uilchchemie, Desinfektionsverfahren, Infektionskrankheiten 
bis in Details. Diese sind allerdings dann mit einer auch für den ge¬ 
bildeten Laien durchsichtigen Klarheit formuliert. Die Anschauungen 
des Verfassers betreffend allgemeine Hygiene und Pflege, Psychologie 
und Pädagogik dürfen auch auf die Zustimmung des Gros der Kollegen 
rechnen. Nur scheint es dem Referenten, dass sie hie und da geeignet 
sind, an Stelle einer vernünftigen Prophylaxe durch die Eltern eine ge¬ 
wisse „Bacillenangst“ grosszuziehen. Auf dieser Grundlage ist auch der 
Vorschlag entstanden, die Kinder in den ersten Schuljahren allein zu Hause 
unterrichten zu lassen. Erfreulich ist die absolute und unnachsichtige Ab¬ 
lehnung aller Zabnkrankheiten, für die viele Aerzte leider immer noch eine 
gewisse Schwäche übrig behalten haben. Während H. bezüglich der Er¬ 
nährung des Säuglings im ersten Lebenshalbjabr die heut fast allgemein 
acceptierten Anschauungen teilt, hat er über die Ernährung des Kindes 
im zweiten Lebenshalbjabrund im sogenannten Spielalter eigene Ansichten, 
die nicht der allgemeinen Anerkennung sicher sind; er legt den Beginn 
der Beigabe von Fleisch, Fleischbrühe, Gemüse, rohem Obst zur Nahrung 
auf einen um 1—3 Jahre späteren Termin als die überwiegende Mehr¬ 
heit der Aerzte; von diesen dürften viele bezweifeln, dass die gegebenen 
Ernäbrungsvorschriften zweckmässig seien. Mit diesen Einschränkungen 
kann das. Buch gebildeten Frauen zur Orientierung und Belehrung 
empfohlen werden. 

B. Salge- Freiburg i. B.: Einführung in die moderne Kinderheilkunde. 

Ein Lehrbuch für Studierende und Aerzte. Berlin 1912, Julius 

Springer. Geb. 9 M. 

Das Buch, das bei seinem ersten Erscheinen in dieser Wochenschrift 
(1909, S. 2346) ausführlich besprochen und empfohlen wurde, erscheint 
im Laufe von vier Jahren bereits in der dritten Auflage. Es hat in der 
zweiten und nun wieder in der dritten Lieferung Erweiterungen erfahren, 
die alle wichtigen Ergebnisse der Forschung berücksichtigen. Auch die 
Ausstattung mit Textfiguren ist reichlicher geworden. Die Ergänzungen 
betreffen Fragen, die in der Hauptsache die Ernährungsstörungen der 
Säuglinge betreffen, den Komplex der Forschungen, die sich an die Ein¬ 
führung der Eiweissmilch knüpfen, die Arbeiten über die Einwirkung 
der Sommerhitze auf den Säugling, die Verdauungsstörungen der Brust¬ 
kinder u. a. m. B. Weigert-Breslau. 


Richard Steri: Utber körperliche Kennzeichen der Disposition 
lir Tabes. (Aus dem Nervenambulatorium der I. medizinischen 
Klinik in Wien.) Leipzig und Wien 1912, Franz Deuticke. 88 S. 
Preis 2,50 M. 

Die mühevolle Arbeit Richard Stern’s war — wie vorauszu¬ 
sehen — etwas arm an sicheren Resultaten. Gibt es körperliche 
Kennzeichen, welche die Disposition eines Individuums zur Tabes ver¬ 
raten? Manche Neurologen werden geneigt sein, die Frage überhaupt 
von der Hand zu weisen. Gewiss mit Unrecht, denn die Fragestellung 
ist durchaus berechtigt und duroh viele Einzelheiten mehr als begründet 
Aber auch der Verf. dieser klugen und fleissigen Studie kann die Frage 
nicht mit einem klaren Ja oder Nein beantworten. Seine Untersuchungen 
sind jedenfalls anregend, und es wäre zu wünschen, dass diese Anregung, 
welche sich auf die ganze Tabes-Paralysefrage erstreckt, zu Nach¬ 
prüfungen Anlass gäbe, welche in jeder Klinik und Poliklinik, in jeder 
Klientel leicht durchführbar sind. Auf die zahlreichen Gesichtspunkte, 
die vielen zum Teil gewiss nur vorläufigen Aufstellungen, welche der 
Verf. in seiner Studie erörtert, kann hier nicht näher eingegaogen 
werden, nur einige seiner Leit- und Schlusssätze seien hier angeführt. 

St. geht davon aus, dass bei der Tabes wie bei der Paralyse eine 
ätiologische Trias anzunehmen ist: eine spezifische angeborene Disposition, 
ein exogenes, toxisches Moment (Lues) und als Drittes ein auslösender 
Stoffwecbselfaktor. In zwei eingehenden Abschnitten untersucht er nun 
an der Hand der Literatur den disponierenden Faktor, d. h. ein kon¬ 
stitutionelles Moment und den auslösenden Faktor, ein innersekretorisches 
Moment, um im dritten Abschnitt die Ergebnisse seiner eigenen Unter¬ 
suchungen zu besprechen. Er sucht zunächst durch klinisches Studium 
des konstitutionellen Habitus der Tabiker und Paralytiker den endo¬ 
genen Faktor, die „Dispositio paralyticans“ so genau wie möglich zu 
präzisieren. Dieser Habitus ist häufig derjenige der Tuberkulose, des 
Infantilismus, der Asthenia universalis (Verhalten der Reflexe, der 
Muskeln usw.). Sodann spielen Anomalien der innersekretorischen Drüsen 
eine Rolle, welche vielleicht schon in der Kindheit gewisse Körperformen, 
Dysproportionen bestimmen, die als Zeichen der Disposition gelten 
können. Bei typischer asthenischer Konstitution entsteht das klassische 
Bild der Tabes, bei dem fast entgegengesetzten körperlichen Typus des 
adipösen Breitwuchses das Bild der Tabes mit Opticusatropbie, bei dem 
muskulös-adipösen Breitwuchs möglicherweise die Paralyse, was der Verf. 
allerdings selbst mit zwei grossen Fragezeichen versieht. Aber er ver¬ 
mutet noch weitere Differenzierungen, auf die hier, wie gesagt, nicht ein¬ 
zugeben ist. 

Man muss sich gewiss den Fragezeichen anschliessen, die der Verf. 


an gewagten Stellen selber setzt, ohne dass man den Wert verkennt» 
der in solchen durchaus neuen Beleuchtungsarten der Tabes-Paralyse¬ 
frage steckt. 


Robert Sommer: Klinik für psychische nid nervöse Krankheiten. 

Bd. 7, H. 3. Halle a. S. 1912, Carl Marhold, Verlagsbuchhandlung. 

Preis 3 M. 

Das 3. Heft des 7. Bandes der Sommer’schen Zeitschrift enthält den 
zweiten Teil des Berichts über den II. Kurs mit Kongress für Familien¬ 
forschung, Vererbungs- und Regenerationslehre in Giessen, April 1912, 
von dem Herausgeber selbst. W. Sei ff er. 


Herrenschneider: Lehrbuch der Hebammenkunst. 1911. Strassburger 
Druckerei und Verlagsanstalt, Filiale Colmar. 

Ein nach Inhalt und Darstellung vollauf befriedigendes Lehrbuch 
für Hebammen ist auch heute ein noch unerfüllter Wunsoh der 
Hebammenlehrer. Die Schwierigkeit in der Abfassung eines solchen 
Lehrbuches beruht zweifellos in der Aufgabe, den umfangreichen Stoff 
für Schüler ohne alle Vorkenntnisse in leicht fassliche und dabei nicht 
zu breite Form zu bringen. Dieser Forderung ist in vorliegendem Werke 
leider auch nicht entsprochen worden. In dem Bestreben, dem Unter¬ 
richt eine gute anatomisch-physiologische Grundlage zu geben, verfällt 
der Verfasser in den Fehler einer viel zu eingehenden anatomischen Be¬ 
schreibung, die selbst in dem für die Schülerinnen wichtigsten Teil, der 
Lehre vom Becken und dem Geschlechtsapparate, sich allzusehr im Detail 
verliert und unter dem Fehlen von Abbildungen leidet, die dem Vorwort 
zufolge hoffentlich recht bald nachträglich herausgegeben werden. Trotz 
zahlreicher, den Inhalt der einzelnen Absätze kurz charakterisierenden 
Randbemerkungen vermisst man doch überall eine durch stärkeren Druck 
gekennzeichnete Betonung des Wesentlichen bei der Fülle von weniger 
wichtigen Darbietungen. Die Vorderhauptslagen werden leider, wie in allen 
Hebammenlehrbüchern, als zweite Unterart* der Hinterhauptslagen, statt 
als Defiexion§lagen, behandelt. Schwitzbäder und Packungen bei 
Eklampsie dürften auch nicht mehr zeitgemäss sein. Im Anhang bringt 
der Verfasser einen kurzen Abriss der allgemeinen Krankheitslehre sowie 
einige gesetzliche, die Hebammenordnung betreffende Bestimmungen. 


Bnrckhard: Stndiea zur Geschichte des Hebammenwesens. I. Band, 
1. Heft. Leipzig 1912, W. Engelmann. Geh. 7 M. 

Das gross angelegte Werk Burckhard’s bringt im vorliegenden 
I. Teil die deutschen Hebammenordnungen von ihren ersten Anfängen 
bis auf die Neuzeit. Seine Ausführungen gründen sich auf eingehendes 
Studium in den Archiven vieler Städte. Nach einleitenden Worten über 
die Etymologie des Wortes „Hebamme“ verbreitet sich der Autor über 
den Inhalt der verschiedenen Hebammenordnuogen, die in chronologischer 
Folge aufgeführt werden. Die ältesten stammen aus der zweiten Hälfte 
des 15. Jahrhunderts und sind in den Kirchenordnungen enthalten. Erst 
nach 1770 geht die Aufsicht über das Hebammengewerbe von der Kirche 
auf die weltliche Obrigkeit über. Die interessanten Einzelheiten der in 
den einzelnen Hebammenordnungen enthaltenen Bestimmungen müssen 
im Original verfolgt werden. Eine stattliche Anzahl solcher Ordnungen 
im Urtext sind al9 Anlagen der Abhandlung Burckhard’s angefügt. 

R. Freund - Berlin. 


Literatur-Auszüge. 

Physiologie. 

E. J. Lesser-Mannheim: Mobilisierung des Glykogens. (Münchener 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) In den Wintermonaten findet beim 
Frosch in den Organen kein postmortaler Glykogenschwund statt, der in 
den Sommermonaten wohl vorhanden ist (glykogenstabile und glykogen¬ 
labile Zeit). Der Grund für die Glykogenstabilität des Winters liegt 
nicht, wie man zunächst vermuten sollte, in einem Mangel an Diastase, 
sondern darin, dass diese in den intakten Zellen unwirksam ist. Zer¬ 
stört man die Zellen, so tritt ohne weiteres Glykogensohwund ein. Im 
Winter ist das überlebende Organ durch Anoxybiose nicht beeinfluss¬ 
bar, wohl aber das ganze Tier im Sommer; im Sommer findet man 
ebenso wie den postmortalen Glykogenschwund im intakten ausge¬ 
schnittenen Organ auch keine Beeinflussung durch Anoxybiose. Wenn 
man die Verhältnisse vom Frosch auf die beim menschlichen Diabetes 
zu übertragen versuchen will, so kann man sagen: Die überlebende 
Leber des Sommerfrosches verhält sich zur überlebenden Leber des 
Winterfroscbes wie der Diabetiker zum Gesunden. Jedenfalls ist beim 
Diabetiker nicht die Menge der Diastase vermehrt, sondern die Wirk¬ 
samkeit der Diastase ist erhöht, vielleicht infolge verstärkter Diffusion 
von Ferment zu Glykogen. 

L. Flatow-Cöln: Praktische Winke zur Bestimmung der Harn- 
sänre und Purinkörper im Urin. (Münchener med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 7.) Dünner. 

J. Schifmann und A. Vystavel-Wien: Versuche zur Frage einer 
iineren Sekretion der Mamma. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, 
Nr. 7.) Die Verff. haben an Meerschweinchen Versuohe aDgestellt, in¬ 
dem sie den Tieren Brustdrüsenextrakt subcutan einverleibten. Sie be¬ 
nutzten zu den Experimenten Kuheuterextrakt und auch arteigenes El¬ 
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


trakt. In beiden Fällen zeigte es sich, dass bei den Tieren eine 
Hemmung in der Entwicklung des Genitales eintrat, und zwar in erster 
Instanz der Keimdrüsen. Weitere Veränderungen, wie Zurückbleiben 
der Tiere im Gewicht und Längenwachstum gegenüber den Kontroll- 
tieren dürften sekundärer Art sein. Die Verff. lassen die Frage unent¬ 
schieden, ob es sich hierbei um die spezifische Wirkung eines Produktes 
der inneren Sekretion der Mamma handelt. P. Hirsch. 


Pharmakologie. 

K. B. Lehmann-Würzburg: Die wirksamen und wertvollen Bestand¬ 
teile des Kaffeegetränkes mit besonderer Berücksichtigung des coffein¬ 
freien Kaffees H»S und des Thumkaffees. (Münchener med. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 6 u. 7.) 

W. Heubner-Göttingen : Wirkung von intravenösen Infusionen mit 
Anrom kaliam cyanatnm. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) 
Bemerkungen zu der Arbeit von C. Bruck und A. Glück in der Mün¬ 
chener med. Wochenschr., 1913, Nr. 1. Heubner weist darauf hin, dass 
er in eigenen Versuchen mit Goldsalzen schon früher eine Wirkung auf 
das Capillarsystem zeigen konnte. Dünner. 

P. Uhlenhuth, P. Mulzer und G. Hügel-Strassburg: Die chemo* 
therapeutische Wirknng von organischen Antimonpräparaten bei 
Spirochäten- uni Trypanosomenkrankheiten. (Deutsche med. Wochen¬ 
schrift, 1918, Nr. 9.) Die Verff. haben eine grosse Anzahl von Antimon¬ 
verbindungen in bezug auf ihren Schulz- und Heilwert bei Hühner- 
spirillosen systematisch untersucht. Die besten Erfahrungen machten 
sie mit dem urethanophenyl-stibinsauren Natrium. Die therapeutische 
Dosis 0,02 liegt bei diesem Mittel zudem weit von der toxischen ent¬ 
fernt (0,2—0,25). Ausser der genannten Verbindung gaben auch zwei 
andere Substanzen gute Resultate, nämlich das acetyl-p-aminophenyl- 
stibinsaure Natrium und das benzolsulfophenylstibinsaure Natrium. 
Diese drei Antimonverbindungen erwiesen sich ferner auch wirksam bei 
Kaninchensyphilis, Dourine und Schlafkrankheit. Besonders eklatant 
war die Wirkung auf syphilitische Hodenschanker von Kaninchen, die 
rapide zurückgingen. Die zweite der genannten Verbindungen wurde 
auch bei menschlicher Syphilis subcutan angewandt. Die Einspritzungen 
waren reizend und schmerzhaft, doch war ein Erfolg unverkennbar. 

Wolfsohn. 

Kahn-Magdeburg: Ueber Dioradin. (Zeitschr. f. Tuberkul., Bd. 19, 
H. 5.) In den behandelten 4 Fällen hat das Mittel versagt. Dies 
Resultat im Verein mit dem Ausfall von Tierversuchen konnte nicht er¬ 
mutigen, das Dioradin in weiterem Umfang in Anwendung zu bringen. 

Ott. 

J. Pal - Wien: Die Wirknng des Opiums, seiner Komponenten und 
Ersatzpräparate. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 9.) Vortrag, 
gehalten in der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien am 22. November 
1912. 

P. Saokur - Breslau: Experimentelle und klinische Beiträge zur 
Kenntnis der Hormonal wirknng. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 9.) S. berichtet über einige Experimente an Kaninchen, Hunden 
und Katzen. Bei langsamer intravenöser Infusion wurde eine erhebliche 
Alteration des Blutdrucks niemals beobachtet. Die Peristaltik erfuhr 
jedoch nur bei Kaninchen eine sofortige und energische Beschleunigung. 
Erfahrungen an 9 Kranken ergaben teils verblüffende Erfolge, teils Ver¬ 
sager. Jedenfalls ist das Mittel in der jüngst verbesserten Form be¬ 
sonders bei paralytischem Ileus, postoperativen Darmparesen und bei 
atonischer Obstipation zu empfehlen. Auf die Technik der langsamen 
Injektion ist besonders zu achten. Statt der Spritze wird die Anwendung 
des zur Salvarsaninfusion gebräuchlichen Bürettenapparats empfohlen. 

Wolfsohn. 


Allgemeine Pathologie u. pathologische Anatomie. 

Schridde: Untersuchungen zur Entzündnngsfrage. (Ziegler’s 
Beitr. z. pathol. Anat. u. z. all gern. Pathol., Bd. 55, H. 2.) Verf. ver¬ 
tritt mit neuem Untersuchungsmaterial seine Ansicht über die Ent¬ 
stehung der kleinzelligen Infiltrate gegenüber der Marcband’schen Auf¬ 
fassung. Die Untersuchungen beschäftigten sich speziell mit der Frage: 
Entstehen die kleinzelligen Infiltrate in der Niere an Scharlach und 
Diphtherie Verstorbener autochthon oder durch die Emigration der Blut- 
lymphocyten? Die mikroskopischen Bilder ergaben folgenden Befund: 
Im ersten Stadium eine enorme Anhäufung von Lymphocyten in be¬ 
stimmten Gruppen von Capillaren und auch in Arteriolen des Marks; 
dann Lichtung der intracapillären Zellmassen und gleichzeitig Bildung 
von kleinzelligen Infiltraten; spätere Umwandlung eines grossen Teils 
der Lymphocyten in Plasmazellen. Verf. kommt daher zu dem Schluss, 
die kleinzellige Infiltration als solche als reine exsudative Entzündung 
anzusehen. Benn. 

R. Mc Carrison: Die Aetiologie des endemischen Kropfes. II. 
(Lancet, 25. Januar 1913, Nr. 4665.) Da das toxische Agens im Wasser 
vorhanden ist, so muss es gelöst oder suspendiert sein. Der Verf. weist 
nach, dass der Kropf nicht, wie Bircher meint, an Böden aus Sedi¬ 
mentgestein gebunden ist, sondern auf jeder geologischen Formation Vor¬ 
kommen kann, von den ältesten bis zu den jüngsten. Der Gehalt des 


Bodens an Kalk, Magnesium und Eisen hat keinen Einfluss, ebeusowenig 
der Gehalt des Wassers an diesen Substanzen. Der Verf. hat aber fest¬ 
stellen können, dass in Dörfern, deren Trinkwasser hart war, die ein¬ 
zelnen Kröpfe grösser und mehr degeneriert waren als in denen mit 
weicherem Wasser; hartes Wasser als solches macht aber keinen Kropf. 
Auch die Radioaktivität des Wassers hat keinen Einfluss auf die Er¬ 
zeugung von Kröpfen, wie Repin angenommen hat. In Hinsicht auf 
die Beziehung geologischer Formationen zum Kropf kann man nur sagen, 
dass der Kropf mit Vorliebe auf gewissen Böden vorkommt, dass er aber 
auf Böden jeder Art Vorkommen kann. Die Tatsachen weisen aber 
darauf hin, dass der Kropf durch ein lebendes Agens hervorgerufen 
wird, und dies sucht der Verf. aus seinen eigenen Beobachtungen und 
Versuchen zu beweisen. Die Zunahme des Kropfes steht in direktem 
Verhältnis zur Zunahme der organischen Verunreinigungen im Trink¬ 
wasser, und der Erreger findet sich in grösster Menge im Bodensatz und 
Filterrückstand des Wassers (Versuche an Menschen, Beobachtungen von 
Marine und Len hart an Forellen). Alle Fälle von experimentellem 
Kropf wurden durch Thymol rasch geheilt. Durch Berkefeldt’sche Filter 
gegangenes oder gekochtes Wasser ist weniger gefährlich als rohes. 
Wenn auch filtriertes Wasser noch Kropf erzeugen kanD, so weist doch 
die Verminderung seiner Infektiosität darauf hin, dass das toxische Agens 
im Wasser suspendiert sein muss. Der experimentelle Kropf tritt beim 
Menschen gewöhnlich etwa am 15. Tage auf; er ist schwankend in der 
Grösse und erreicht seine grösste Ausdehnung zwischen dem 25. und 
30. Tage. Die Vergrösserung der Drüse ist nicht sehr bedeutend, und 
er ist unter den Versuchsbedingungen nicht progressiv und kann gänz¬ 
lich wieder verschwinden. Der Boden spielt insofern eine Rolle, als der 
Erreger in Erdboden, die stets mit organischen Substanzen verunreinigt 
sind, gut zu gedeihen scheint und daraus mit dem Wasser fortgespült 
wird; das geschieht am leichtesten auf porösen Böden. Es ist aber 
wohl anzunehmen, dass der Erreger unmittelbar aus dem Boden auf¬ 
genommen werden kann. Die besten Existenzbedingungen für den Kropf 
sind also ländliche Gegenden mit Landwirtschaft treibenden Bewohnern 
und porösem, mit organischem Material reichlich verunreinigtem Boden, 
der bei geneigter Lage ein rasches Durchfliessen des Wassers ermög¬ 
licht. Diese Bedingungen finden sich am ersten in Gebirgsgegenden, wo 
auch der Kropf am häufigsten ist. Weydemann. 

A. Reich und Blauel: Ueber den Einfluss künstlicher Tracheal¬ 
stenose auf die Schilddrüse, (v? Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, 
Bd. 82, H. 8.) Gelegentlich Fütterungsversuchen mit sogenannten Kropf¬ 
wässern fanden Verff. bei Ratten, bei denen sie eine künstliche Tracheal¬ 
stenose angelegt hatten, nicht, wie erwartet, Herzveränderungen, sondern 
histologische Veränderungen in der Schilddrüse. Die Follikel besitzen 
ausgesprochenes Plattenepithel, die Zellkerne sind erheblich kleiner und 
dichter als bei anderen Ratten, das Lumen der Follikel ist infolge der 
platten Beschaffenheit des Epithels relativ gross, niemals sind Er¬ 
scheinungen von Kolloidverflüssigung oder Abnahme des histologisch 
darstellbaren Kolloids vorhanden. Die Kolloidfüllung der Follikel ist 
stets eine maximale und bei der Grösse der Lumina relativ erhöhte. 
Diese Veränderungen fassen die Verff. als bedingt durch den länger an¬ 
dauernden Sauerstoffmangel auf; sie seien der Ausdruck einer Funktions¬ 
herabsetzung. Mit Hinsicht auf die von Mansfeld und Müller ver¬ 
öffentlichten Versuche kann man vielleicht annehmen, dass auf kürzer¬ 
dauernden O-Mangel oder auf den Anfang eines längerdauernden Mangels 
die Schilddrüse mit Funktionssteigerung antwortet. W. V. Simon. 

H. G. und A. S. F. Grünbaum - Leeds: Neubildung und ttwirk- 
gftme Immunität. (Lancet, 1. Februar 1913, Nr. 4666.) Nach der In¬ 
jektion von Streptokokkenvaccine bei Ratten findet sich während der 
Dauer der negativen Phase der opsonischen Reaktion im Serum eine 
Substanz, die die Hämolyse durch Kobragift beschleunigt und später 
verschwindet. Eine ähnliche hämolytische Eigenschaft hat das Ratten¬ 
serum, wenn ein Sarkom erfolgreich übertragen ist, aber es wird kein 
Immunkörper für den Tumor oder für Kobragift gebildet, solange die 
Geschwulst wächst. Solche Ratten sind gegen Kobragift besonders 
empfindlich; wenn aber nach Injektion des Kobragiftes ein antihämolyti¬ 
scher Körper im Blute auftritt, verkleinert sich die Geschwulst. Das¬ 
selbe tut sie bei Injektion von Antikobragiftserum. Aehnlich ist die 
Coley’sche Flüssigkeit in solchen Fällen von Sarkom wirksam, wo noch 
eine Antikörperbildung möglich ist. Bei der Enstehung einer Neubildung 
sind zwei Ursachen wirksam: eine allgemeine und veränderliche (Reize 
irgendwelcher Art und eine spezifische (entweder eine Funktionsstauung 
irgend eines Gewebes oder das Fehlen oder die Veränderung irgend¬ 
eines Hormons). Es sind Gründe für die Annahme da, dass die Sub¬ 
stanz, die die Empfänglichkeit verursacht, ein unreifer Immunkörper ist. 

Weydemann. 

G. Herzog: Zwei primäre Careinome auf dem Boden alter tuber¬ 
kulöser Darmgeschwüre, zugleich ein Beitrag zur Histiogenese des 
Carcinoms. (Ziegler’s Beitr. z. pathol. Anat. u. z. allgem. Pathol., 
Bd. 55, H. 2.) Verf. beschreibt den Fall eines 47 jährigen Mannes, bei 
dem an zwei weit voneinander entfernten, stark stenosierten Stellen des 
von zahlreichen tuberkulösen Geschwüren durchsetzten Darmes zwei 
primäre Careinome gefunden wurden, die zu Metastasen geführt hatten. 
Die mikroskopische Untersuchung erwies, dass die Krebse auf dem Boden 
alter tuberkulöser Geschwüre entstanden waren. Verf. folgert weiter aus 
den Untersuchungen, dass das Maassgebende bei der Histiogenese beider 
Careinome in der primären Umwandlung des Epithels zu sehen sei, uu 
die sich eine krebsige Entartung angeschlossen habe. 


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Original ffom 

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10. Mär* 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


451 


T. Ogata: Beiträge zur experimentell erzeugten Lebercirrhose und 
zur Pathologie des Icterus, mit spezieller Berücksichtigung der Gallen- 
capillaren bei der Unterbindung des Ductus choledochus und der Icte- 
rogenVergiftung. (Ziegler’s Beitr. z. pathol. Anat. u. z. allgem. Pathol., 
Bd. 55, H. 2.) Die cirrhotischen Veränderungen nach der Unterbindung 
des Ductus choledochus sind andere als bei der toxisch erzeugten Cir- 
rhose. Bei der biliären Cirrhose traten Gallengangs- und Bindegewebs¬ 
wucherungen üppig auf, während bei der toxischen nur spärlich Gallen¬ 
gangswucherungen auftraten und die Bindegewebsneubildung nur eine 
Organisation im Anschluss an den Untergang des Parenchyms bedeutete. 
Hinsichtlich der Entstehung des Stauungsicterus unterscheidet Verf. zwei 
Phasen: 1. Die einfache Ptosis des Galiencapiilarsystems mit Durchtritt 
der noch flüssigen Galle durch Filtration in die perivasculären Lymph- 
babnen und 2. die Niederschlagsbildung durch Eindiokung der Galle 
und Ausstossung derselben durch allmählich eingetretene Rupturen. 
Bei der IcterogenVergiftung muss für die Entstehung des Icterus eine 
Funktionsstörung der Leber oder eine hämatogene Herkunft angenommen 
werden. 

T. Ogata: Ueber einen Fall von septiseheu Icterns. (Ziegler’s 
Beitr. z. pathol. Anat. u. z. allgem. Pathol., Bd. 55, H. 2.) An der 
Hand eines genau untersuchten Falles bespricht Verf. die Frage nach 
der Entstehung des septischen Icterus. Er entscheidet sich für die An¬ 
nahme eines Icterus per rhexin, hervorgerufen durch direkte Gallen- 
stauung infolge Verlegung oder Unterbrechung der Capillaren in der 
intermediären Zone der Leberläppchen. Die Unterbrechung der Capillaren 
sei veranlasst durch jene eigentümliche Zellnekrose in der intermediären 
Zone, die gelegentlich bei Sepsis zu beobachten ist, und die auch in 
diesem Falle vorlag. 

Warstat: Ueber das multiple PJasnoeythom der Knoehen, zu¬ 
gleich ein Beitrag zur Myelomfrage. (Ziegler’s Beitr. z. pathol. Anat. 
u. z. allgem. Pathol., Bd. 55, H. 2.) Multiple Myelome in fast allen 
Knochen des Skeletts. Die Tumorzellen sind Plasmazellen.. Da sich 
andererseits aber auch ziemlich viele Lymphocyten zwischen den Tumor¬ 
zellen fanden, lässt Verf. die Frage offen, ob der Fall zu den eigent¬ 
lichen Myelomen oder zu den lymphocythären Myelomen zu rechnen sei. 

Vorpahl: Ueber SiaastbroBibose und ihre Beziehung zu Gehirn- 
■ad Piablntnngen. (Ziegler’s Beitr. z. pathol. Anat. u. z. allgem. Pathol., 
Bd. 55, H. 2.) Drei Fälle, bei denen sich Hirnblutungen und Sinus¬ 
thrombose fanden. Die Blutungen Hessen sich als das zeitlich Primäre 
nachweisen. Verf. zieht hieraus den Schluss, dass die bisherige An¬ 
schauung über den Causalnexus dieser beiden Erscheinungen umzukehren 
sei: im Anschluss an Hirnblutungen träten Thrombosen der Piavenen 
und des Sinus auf. Benn. 

H. Koch-Wien: Entstehnngsbedingangen der Meningitis tnberen- 
lesa. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) Der Verf. hat für seine 
Untersuchungen ein Material von 355 Fällen von Meningitis tuberculosa 
verwendet Die Meningitis tuberculosa kommt zustande durch eine be¬ 
trächtliche Aussaat von Tuberkelbacillen aus einem älteren tuberkulösen 
Herd. Es kommen also für die Entstehung alle Momente in Betracht, 
welche einerseits auf den alten Herd, andererseits auf die Aussaat be¬ 
günstigend wirken. Was nun den Einfluss von Krankheiten auf die Ent¬ 
stehung betrifft, so fand der Verf. in der Anamnese seiner Fälle in 
130 Fällen Masern in 67 Pertussis, in 36 Varicellen, in 17 Diphtherie, 
in 9 Scharlach, in 30 Fällen Lungenerkrankungen und in 34 Fällen 
tuberkulöse Erkrankungen verschiedener Organe. P. Hirsch. 

Siehe auch Kinderheilkunde: Roberts, Eingangspforten des 
Tuberkelbacillus. — Chirurgie: Morgenstern, Kongenitale hereditäre 
Ankylosen der Interphalangealgelenke. 


Parasitenkunde und Serologie» 

F. H. Thiele und D. Embleton-London: Vorläufige Mitteilung 
über die Pathogenität und die Virulenz der Bakterien. (Lancet, 
25. Januar 1913, Nr. 4665.) Fermente sind ein wichtiges Mittel im 
Kampfe gegen die in den Körper eingedrungenen Bakterien. Es sind: 
ein normales Parenzym, ein leicht differenziertes spezifisches Enzym und 
ein thermolabiler und ein thermostabiler Amboceptor. Diese beiden 
unterstützen und beschleunigen die Wirkung der gewöhnlichen Enzyme. 
Die Wirkung der Fermente besteht in dem Abbau des Bakterienproto¬ 
plasmas. Dies ist an sich nicht giftig, sondern giftig sind nur die ersten 
Abbauprodukte. Diese Körper haben ausser der giftigen noch die Wir¬ 
kung, dass sie die Phagocytose hemmen. Die toxischen Körper bringen 
in grosser Menge den Tod, in geringerer einen Temperaturfall, in kleiner 
Fieber; sie sind die Todesursache bei allen Erkrankungen durch Bak¬ 
terien. Die Virulenz eines Bakteriums beruht auf der Möglichkeit, dass 
es gelöstes Protoplasma in seine Umgebung ausstossen kann, das sich 
hier hält (z. B. in Gestalt einer Kapsel) und als Schirm gegen die Fer¬ 
mente wirkt. Die Pathogenität eines Bakteriums hängt ab von der 
Virulenz und der Wirkung des Fermentes auf das Bakterium. 

Weydemann. 

J. Biberfeld-Breslau: Beitrag zur Bewertung der Bnnerich’schen 
Cbelerabypothese. (Gentralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 65, 
H. 1—3, S. 26.) B. suchte im Tierexperiment an Hunden durch Injek¬ 
tion in eine obere Dünndarmschlinge festzustellen, wieviel freie salpetrige 
Säure in den Darm gelangen müsse, um tödlich zu wirken; auf diesem 
Wege sollte ein Urteil über den Wert der Emmerich’scben Cholera- 


bypothese gewonnen werden. Die Tiere, die etwa ! /a Stunde nach der 
Injektion ziemlich hoher Dosen starbeD, zeigten bei der Sektion schwerste 
Methämoglobinämie und dementsprechende intensivste Verfärbung aller 
Organe, ferner diphtherische Veränderung der Darmschleimhaut in ihrer 
ganzen Ausdehnung. Das Bild ist also dem selbst bei den akutesten 
Cholerafällen beobachteten absolut unähnlich. Da relativ grosse Mengen 
erforderlich waren, ist kaum anzunehmen, dass sich beim Menschen 
unter dem Einfluss des nur langsam Nitrit bildenden Choleravibrio ent¬ 
sprechende Quantitäten in kurzer Zeit aus den salpeterhaltigen Nah¬ 
rungsmitteln bilden. In einem weiteren Versuch bekam ein Hund sehr 
grosse Mengen Salpeter zugleich mit dem stark Nitrit bildenden Vibrio 
Nordhafen in den oberen Dünndarm injiziert; trotzdem kam es zu keiner 
erkennbaren Nitritbildung. Die bekannten Behauptungen Emmerich’s 
über die Genese der Cholera sind deshalb nicht zu Recht bestehend. 

0. Malm-Christiania: Ueber die sogenannten bovinen und hnuanea 
Typen des TnberkelbaeillnB. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, 
Orig., Bd. 65, S. 42.) M. steht auf dem Standpunkt, dass der humane 
und der bovine Tuberkelbacillus höchstens als eine lokale Varietät ein 
und derselben Pflanze bezeichnet werden könne, die sich aber nicht un¬ 
schwer von dem einen Boden auf einen anderen umpflanzen lasse. Für 
die Feststellung des Ursprungs der Tuberkuloseinfektion im einzelnen 
Falle biete es deshalb keinen Anhalt, ob der gefundene Tuberkelbacillus 
humane oder bovine Merkmale zeige. „Die Behauptung, ein humaner 
und ein boviner Typus seien in ätiologischer und epidemiologischer Be¬ 
ziehung zwei wesensverschiedene Parasiten, ist eine Fiktion/ 

Bierotte. 

Kessler-St. Avold: Tuberkelbacillennachweis im Blot. (Münchener 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) Der Stäubli-Schnitter-Methode haftet 
der Nachteil an, dass man das Blut nur dann auf Tuberkelbacillen im 
Ausstrich untersuchen kann, wenn es ungeronnen ist. K. gibt eine 
eigene Methode an, die auch die Untersuchung geronnenen Blutes ge¬ 
stattet: 0,5—1,0 Blut werden aus dem Ohr in eine Capillare entnommen, 
die an beiden Enden mit Siegellack verschlossen wird. Zu beliebiger 
Zeit kann man nun den Blutfaden aus der Capillare nehmen und in ein 
Reagenzglas tun, in dem eine Messerspitze Trypsin Grübler und 1 ccm 
Wasser sind. Mehrmals innerhalb einer Stunde bei Zimmertemperatur 
schütteln. Zu dieser Mischung kommen doppelt so viel Teile 25 proz. 
Antiformin und drei Teile Brennspiritus. Schütteln und Centrifugieren. 
Der Bodensatz wird dann auf Tuberkelbacillen untersucht. 

Bacmeistor-Freiburg: Auftreten virulenter Tuberkelbacillen im 
Blot nach der diagnostischen Tuberkulininjektion. (Münchener med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 7.) Unabhängig von L. Rabinowitsch (Berliner 
klin. Wochenschr., 1913, Nr. 3) fand B., dass das nach der diagnostischen 
Tuberkulininjektion entnommene und Tieren injizierte Blut bedeutend 
häufiger zur Tuberkulose des Tieres führt, als die vor den Injektionen 
gemachten Blutinjektionen. Es müssen also von der lokalen tuber¬ 
kulösen Erkrankung aus Tuberkelbacillen in den Blutkreislauf ge¬ 
schwemmt werden, die sich im Tierversuch dann nachweisen lassen. Ein 
einfacher Blutausstrich zum Nachweis der Bacillen ist nicht maassgebend, 
da, wie aus der Arbeit von 

E. Kahn-Nürnberg: Zum Nachweis der Tuberkelbacillen im 
strömenden Blut (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 7) hervor¬ 
geht, nicht alle säurefesten Gebilde im Blutausstrich Tuberkelbacillen 
sind. Die Hüllen der Erythrocyten sind, wie K. konstatiert, ebenfalls 
säurefest. Auch feinste Fibrin flock eben können als säurefest Baoillen 
vortäuseben. Für den Nachweis der Tuberkelbacillen im strömenden 
Blut ist also lediglich der Tierversuch von Wert. Dünner. 

C. Stern-Düsseldorf: Ueber „eigenlösende“ Eigenschaften des 
Meerschweinehenserams und dadurch bediogte Fehlerquellen der Wasser- 
mann’schen Reaktion. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 9.) Meer¬ 
schweinchen, denen ein- oder mehrmals Blut entnommen ist, zeigen in 
ihrem Serum die Eigenschaft, auch ohne Amboceptor Hammelblut zu 
lösen. Diese Eigenschaft kann wieder verschwinden und zeigt sich vor¬ 
nehmlich bei Verwendung ganz frischen Serums. Dadurch kann eine 
Fehlerquelle bei der Wassermann’schen Reaktion zustande kommen. Es 
ist daher das Komplement stets auf seine „eigenlösende“ Eigenschaft 
zu untersuchen. Wolfsohn. 

Döhle • Kiel: Weiteres über Leukocyteneinsehlflsse bei Seharlaeh. 
(Centralbl. f. Bakteriol. usw., I. Abt., Orig., Bd. 65, H. 1 bis 3, S. 57.) 
D. hat bei seinen weiteren Untersuchungen über die Bedeutung der von 
ihm beobachteten Leukocyteneinschlüsse bei Scharlach, besonders in 
zwei Fällen Formen gefunden, die er für Spirochäten halten zu sollen 
glaubt. Eine Phothographie ist zur Erläuterung dieser Befunde bei¬ 
gefügt. Bierotte. 

Siehe auch Pathologie: Grünbaum, Neubildung und un¬ 
wirksame Immunität. — Kinderheilkunde: Döhle, Leukocytenein¬ 
schlüsse bei Scharlach. 


Innere Medizin. 

F. Kr aus-Berlin: Korrelative VegetationsstörungeB and Tuber¬ 
kulose. (Zeitschr. f. Tuberkul., Bd. 19, H. 5.) Verf. schneidet die 
Frage des Lymphatismus, auch beim Erwachsenen, an und versucht die 
Annahme, dass dieser etwas diagnostisch Fassbares ist, und dass die 
Lymphatischen unter den Tuberkulösen eine besondere Gruppe bilden 
in symptomatischer und prognostischer Beziehung, in bezug auf Krank¬ 
heitslokalisation und Verlauf klinisch wahrscheinlich zu machen. 

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452 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


Pindborg-Kopenhagen: Eiweisskörper in Atswnrf bei Lungen¬ 
tuberkulose. (Zeitschr. f. Tuberkul., Bd. 19, H. 5.) Io jedem Falle 
aktiver Lungentuberkulose ist Albumin im Auswurf vorhanden. Die 
relative Albuminmenge im Auswurf steht in einem bestimmten Ver¬ 
hältnis zum Grade der Krankheit, und die Bestimmung derselben kann 
bei der Prognosestellung in den einzelnen Fällen wertvolle Hilfe leisten. 
Bei systematischen Untersuchungen im Auswurf kann der Verlauf der 
Krankheit in einem gewissen Grade verfolgt werden. Die Untersuobungs- 
methode kann differentialdiagnostische Hilfe leisten. Ott. 

D. Rothschild-Soden: Der Einfluss der Jodnedikation auf die 
Spatamphagocytose der Taberkelbacillen. (Deutsche med. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 9.) Durch Joddareichung lässt sich die Zahl der im 
Sputum phagocytierten Bacillen um das Drei- bis Vierfache steigern. 
Verf. sieht darin einen Heilvorgang, der einer Tuberkulinwirkung in 
Parallele zn setzen ist. Er schlägt eine vorsichtige Jodtherapie bei 
Phthise vor. (Man vergleiche damit den Vorschlag von Bier, bei chir¬ 
urgischen Tuberkulösen Stauung und Jodtherapie zu kombinieren. Ref.) 

Wolfsohn. 

Prorok-Soden i. T.: Die Bewertung des Phosphor-, Kalk- «ad 
Magaesiagebaltes im Spataat. (Zeitscbr. f. Tuberkul., Bd. 19, H. 5.) 
Stellt man sich auf den Standpunkt, dass das Sputum oder ein Teil 
seiner Bestandteile als direkter Verlust des Organismus angesehen werden 
muss, so ist es auch natürlich, dass dafür Sorge getragen werden muss, 
dass diese Bestandteile durch Mehrzufuhr in der Nahrung ersetzt werden. 
Der Verlust an Eiweiss ist schnell gedeckt, da derselbe nur wenige 
Gramm beträgt, auch der Fettverlust ist nicht hoch. Unter den Mine¬ 
ralien nimmt aber der Phosphor eine besondere Rolle ein, so dass wir 
ihn zu ersetzen bestrebt sein müssen. Die Erfahrung lehrt, dass 
Phosphor, in organischer Form dem Körper zugeführt, am besten aus¬ 
genutzt wird. Es empfiehlt sich also, bei Tuberkulösen Phosphor 
organisch znzufübren, um das Defizit, das durch das Sputum entsteht, 
zu decken. Ott. 

G. Dorn er- Berlin: Broncbo-Oesophagealfistel bei Aortenanearysma. 
(Deutsche med. Wochenschr,, 1913, Nr. 9.) Vortrag im Verein für 
innere Medizin und Kinderheilkunde in Berlin am 13. Januar 1913. 

C. A. Ewald: Milzvenenthrombose mit tödlicher Magenblatang. 
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 9.) Vortrag, gehalten im Verein 
lür innere Medizin und Kinderheilkunde in Berlin am 13. Januar 1913. 

0. Meyer - Berlin: Beitrag zur Entstehung und Verhütung der 
Birschsprnng’scheB Krankheit. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 9.) Demonstration im Verein für innere Medizin und Kinderheil¬ 
kunde in Berlin am 25. November 1912. Wolfsobn. 

K. Motzfeldt-Christiania: Tetannsinfektion dnrch einen Langen- 
abscess. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig., Bd. 65, H. 1-3, 
S. 60.) Beschreibung eines Falles von croupöser Pneumonie, in deren 
Verlauf sich ein Lungenabscess ausbildete, der, wie angenommen wird, 
einer sekundären Infektion mit Tetanusbacillen durch die Luftwege aus¬ 
gesetzt wurde. Der Patient, ein Pferdeknecht, hatte Gelegenheit zur 
Aufnahme dieser Bacillen in Mund und Luftwege durch seine Be¬ 
schäftigung. Eine andere Möglichkeit der Infektion wird, da die ge¬ 
naueste Nachforschung nach irgendwelchen kleinsten Verletzungen er¬ 
gebnislos war, als nicht wahrscheinlich angesehen. Bierotte. 

Siehe auch Pharmakologie: Sackur, Hormonalwirkung. — 
Röntgenologie: Iselin, Entgiftung des tuberkulösen Herdes durch 
Röntgenbestrahlung. — Geburtshilfe und Gynäkologie: Eich¬ 
mann, Nierenfunktionsprüfung durch Phenolsulfonphthalein probe. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Jolowicz: Behandlungsversuche mit Natrium nncleinicmi und 
Salvarsan bei progressiver Paralyse, unter besonderer Berücksichti¬ 
gung der Veränderungen des Liquor cerebrospinalis. (Neurologisches 
Centralblatt, 1913, Nr. 4.) Bei 25 Fällen von vorwiegend einfach 
dementen fortgeschrittenen Paralysen konnte durch Behandlung mit 
Natrium nucleinicum und Salvarsan eine irgendwie nennenswerte Be¬ 
einflussung des Krankheitsbildes nicht gefunden werden. Auch die 
pathologischen Veränderungen der Lumbalflüssigkeit konnten in 16 unter¬ 
suchten Fällen durch die eingeschlagene Therapie nicht sichtlich ver¬ 
ändert werden. 

S. Ljass: Salvarsan bei syphilitischen und metasyphilitischen 
Erkrankungen des Nervensystems. (Neurologisches Centralblatt, 1913, 
Nr. 4.) In einigen frischen Fällen von Syphilis des Centralnervensystems 
erweist sich Salvarsan als ein sehr wertvolles Heilmittel, das zuweilen 
die Lebensrettung zur Folge hat. Auf Tabes übt Salvarsan keine sicht¬ 
liche Wirkung aus, in den ersten Stadien wirkt es vielleicht günstig auf 
die Ernährung des Organismus und das Selbstgefühl des Kranken ein. 
Auf progressive Paralyse übt Salvarsan keine Wirkung aus. Wir können 
noch nicht sagen, ob es möglich ist vermittelst eines Präparates von 
der Entwicklung parasypbilitischer Erkrankungen einen Kranken zu 
befreien. 

M. Meyer: Therapeutische Maassnahmen bei genuiner Epilepsie. 
(Neurologisches Centralblatt, 1913, Nr. 8 u. 4.) In der Mehrzahl der 
Fälle von echter genuiner Epilepsie gelingt es durch kochsalzarme Kost 
ohne gleichzeitige Bromdarreichung die Zahl der Anfälle wie ihre Inten¬ 
sität herabzusetzten, ohne für das Allgemeinbefinden oder psychische 


Verhalten, bei steter Kontrolle der Diurese und Regelang des Stuhls, 
besondere Gefahren befürchten zu müssen. In einem Prozentsatz der 
Fälle kann man durch Kochsalzzulage einen Anfall auslösen, wobei 
dieser Chlorschwellenwert individuellen Verhältnissen angepasst ist. Dies ist 
für Differentialdiagnose von echter Epilepsie, epileptiformen Anfällen und 
Simulation wichtig, indem die Auslösbarkeit eines Anfalls durch Koch¬ 
salzzulage bei kocbsalzarmer Kost für echte Epilepsie spricht. Der Ver¬ 
such scheint gerechtfertigt durch ein indifferentes Diureticum, wie Harn¬ 
stoff, eine starke Diurese konsant zu erhalten, so dass es möglich er¬ 
scheint, zu dieser Zeit die Kranken vor schwereren Verletzungen zu 
sichern. Sind Kranke an grössere Bromdosen gewöhnt, so sollen sie 
nicht sofort entzogen werden; ein Wechsel in der Behandlung macht 
eine genaue, wenn möglich Krankenhausbeobachtung wünschenswert. 

E. Tobias. 

Siehe auch Pathologie: Koch, Entstehungsbedingungen der 
Meningitis tuberculosa. — Haut- und Geschlechtskrankheiten: 
Pinkus, Syphilitische Hirnreaktion nach der zweiten Salvarsaninjektion. 
Abadie, Petges und Desqueyroux, Sensitive und motorische Poly¬ 
neuritis nach Salvarsan. — Hals-, Nasen- undOhrenkrankheiten: 
Milligan, Otitische Meningitis. — Unfallheilkunde und Ver¬ 
sicherungswesen: Erfurth, Isolierte Lähmung des Glutaeus medius 
und minimus. Mendel, Amyotrophische Lateralsklerose und Trauma. 
Gr über, Luetische Meningomyelitis und traumatische Neuralgie. 


Kinderheilkunde. 

E. Erarys - Roberts - Cardiff: Die Eingangspforten des Tiberkel- 
baeillis besonders in der Kindheit. (Brit med.journ, 1. Februar 1913, 
Nr. 2718.) Der Verf. hält die Uebertragung durch die Placenta für 
häufig. Wey dem an n. 

E. Sluka - Wien: Ein weiterer Beitrag zur Hilastoberkalese des 
Kindes in> Röntgenbilde. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) Die 
Hilustuberkulose kann als Reaktivierung einer latenten Lungendrüsen¬ 
tuberkulose aufgefasst werden. Das Erkennen im ersten Stadium ist 
nur röntgenologisch möglich und von grösster Bedeutung für den Kinder¬ 
arzt, denn je früher diese progrediente Formder Tuberkulose zur rationellen 
Behandlung kommt, desto eher kann der Prozess ausgeheilt werden. 

K. D i e 11 - Wien: Pathologie der lordotisehen Albinunarie. (Wiener 
klin. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) Die lordotische Albuminurie ist nicht 
allein vom Grade der Lordose, sondern auch wesentlich von der Be¬ 
schaffenheit des Vasomotorensystems abhängig. Therapeutisch ist also 
— neben der Korrektur der Lordose — eine Beeinflussung des Gesamt¬ 
organismus zu berücksichtigen. P. Hirsch. 

A. F. Hess - New York: Untersuchungen über Pylerespasmis und 
Pankreasfenaente beim Shilling vermittels eines einfachen DBodeaal- 
katheters. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 9.) Es gelingt bei 
Säuglingen, einen einfachen Nelatonkatbeter (Nr. 15) durch den Magen 
ins Duodenum einzuführen. Ausser durch radiologisohe Kontrolle er¬ 
kennt man die richtige Lage des Katheters auch daran, dass er keine 
Neigung zum Herausschlüpfen zeigt (bei bestimmter Entfernung vom 
Kieferrand). Beim Herausziehen kommt gelegentlich gallige Flüssigkeit 
im Moment des Vorübergleitens an der Papilla Vateri. Sobald die 
Sonde wieder im Magen liegt, hat man beim Aspirieren das Gefühl eines 
nachlassenden Widerstandes. Die Untersuchungsmethode ermöglicht die 
Unterscheidung von Pylorospasmus und Stenose. Der Katheter kann 
auch zur Duodenalernährung verwendet werden. Weiterhin eignet sich 
die Untersuchung zur Erforschung des Icterus neonatorum, der kon¬ 
genitalen Obliteration der Gallengänge, zum Studium der Bakterienflora 
im Darm und des Pankreasferments. Wolfsohn. 

Siehe auch Pathologie: Koch, Entstehungsbedingungen der 
Meningitis tuberculosa. 


Chirurgie. 

J. Züllig: Waiddiphtherie aad Waaddiphthereid. (v. Bruns* 
Beitr. z. klin. Chir., Bd. 82, H. 3.) Verf. fasst in Uebereinstimmung mit 
Brunner alle Fälle, bei denen sich Diphtheriebacillen allein oder mit 
anderen Erregern kombiniert nach weisen lassen, als Wunddiphtherie auf, 
die vom Hospitalbrand zu trennen ist. Die einschlägigen Fälle der 
Literatur werden zusammengestellt und ein neuer hinzugefügt. Pseudo¬ 
membranbildung braucht bei Wunddiphtherie nicht vorhanden zu sein. 
Die Schwere der Erkrankung ist sehr verschieden. Der Serumtherapie 
kann in einigen Fällen eine entscheidende Wirkung zuerkannt werden. 
Bakteriologisch handelt es sich meist um eine Polyinfektion. Bei dem 
Wunddiphtheroid, das von seinem klinischen Aussehen den Namen hat, 
finden sich die gewöhnlichen Eitererreger, meist Staphylokokken und 
Streptokokken. Zur Diagnosenstellung ist die Anamnese, das klinische 
Bild und die histologische Untersuchung der Membranen nicht sicher 
verwertbar; allein die bakteriologische Untersuchung ist für die Diagnose 
Wunddiphtherie maassgebend. W. V. Simon. 

E. Kisch-Berlin: Aethertropfharkose nach vorheriger Injektion von 
Pantopon-Atropinsehwefelsänre. (Münchener med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 7.) Um das Exzitationsstadium der Aethernarkose zu vermindern, 
wird in der Bier’schen Klinik 0,02 Pantopon injiziert, das im Gegensatz 
zu Morphium nicht nachteilig auf die Puls- und Atemfrequenz und Er- 


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10. März 1018. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


453 


brechen bewirkt. Zur Herabsetzung der Salivation wird Atropin in Form 
von Atropinschwefelsäure, die halb so giftig wie Atropin, sulfur. sein soll, 
angewandt. Die beste Wirkung sah K., wenn er Pantopon- und Atropin- 
schwefelsäure eine halbe Stunde vor Beginn der Narkose einspritzte. 

Dünner. 

K. Morgenstern: Ueber kongenitale hereditäre Ankylosen der 
Interphalangenlgelenke. (v. Bruns* Beitr. z. klin. Chir., Bd. 82, H. 3.) 
Im ersten Falle noch mit gänzlichem Fehlen einzelner Endphalangen, 
im zweiten mit seitlicher Deviation derselben kombiniert. In beiden 
Fällen wurde die rechte und linke Seite symmetrisch betroffen, und ist 
die Vererbung durch vier Generationen hindurch zu verfolgen. Die in 
der Literatur niedergelegten Fälle sind in zwei Arten zu trennen: die 
einseitigen unsymmetrischen Thoraxdefekte in Verbindung mit Miss¬ 
bildung der betreffenden oberen Extremität zeigen fast nie Vererbung, 
betreffen meist die rechte Seite und das männliche Geschlecht, sind 
meist mit Syndaktylie kombiniert und haben eine rein exogene kausale 
Genese (Raumbeschränkung). Die zweite Gruppe ist charakterisiert durch 
Symmetrie, exquisite Vererbungstendenz, mehrfach gleichzeitige Affektion 
der Füsse. Diese Gruppe, zu der auch die Fälle des Verf. gehören, 
haben eine endogene Genese (Entwicklungsanomalie der Keimanlage 
selbst). Auf jeden Fall handelt es sich um eine Anomalie der be¬ 
treffenden basalen Epiphysen kerne. W. V. Simon. 

W. Goebel-Cöln: Kroate voi Finger- and Zeheiphalangen. 
(Münchener med. Wochenschr, 1913, Nr. 7.) Enchondrom der Grund- 
und Mittelphalanx des linken vierten Fingers bei einem 16 jährigen 
Patienten. Entfernung der Grundphalanx und Ersatz durch die Grund¬ 
phalanx der linken zweiten Zehe, an deren Stelle ein 4,5 cm langes 
Knorpelstück aus der sechsten Rippe trat. Glatte Heilung und vorzüg¬ 
liches funktionelles Resultat. Dünner. 

M. Brandes-Kiel: Typische Frakturen des atrophischen Femnrs. 
(v. Bruns* Beitr. z. klin. Chir., Bd. 82, H. 3.) Diese Frakturen sind 
bisher nach Coxitis tuberculosa, Luiatio coxa congenita, Destruktions¬ 
luxation, nach Hüftgelenksoperation und nach Gonitis tuberculosa beob¬ 
achtet worden. Es handelt sich dabei weder um die typische Fraktur 
einer besonderen Atrophieform, noch ist die untere Femurdiapbyse als 
Prädilektionsstelle arthritisoher Knochenatrophie bei Coxitis aufzufassen. 
Die Lokalisation an der stets gleichen Stelle ist duroh besondere Festig¬ 
keitsverhältnisse am atrophischen Oberschenkel bedingt und einen be¬ 
sonderen Entstebungsmechanismus, der mit einer Biegungsbeanspruchung 
des Femurs endet. Bei diesem Mechanismus ist der kontrakte Zustand 
und der Ursprung der Kapsel, Bänder und Sehnen am Kniegelenk von 
Bedeutung. Verf. gelang es, die Entstehung solcher Frakturen an kind¬ 
lichen Leichen nachzumachen. Der Name Spontanfraktur wird als nicht 
treffend zurückgewiesen. Die beschriebenen Brüche sind zweifellos als 
typische Brüche des atrophischen Femurs aufzufassen. 

P. Smoler: Zur Uaterbiidang der Carotis commiiiis. (v. Bruns’ 
Beitr. z. klin. Chir., Bd. 82, H. 3) An Hand von 10 Fällen zeigt S. 
die Ueberlegenheit der präliminaren langsamen Zuschnürung, für die er 
eine besondere Zange angibt, über die direkte rasche Ligatur des 
Gefässes, welch letztere wegen ihrer grossen Gefahr nur bei direkter 
Verletzung des Gefässes ausgeführt werden darf, während die Unter¬ 
bindung nach vorheriger Drosselung des Gefässes, wenn die Zuschnürung 
allmählich vorgenommen und bis zur vollkommenen Verlegung des 
Gefässes fortgesetzt wird, vollkommen gefahrlos sei und daher auch bei 
nur relativer Indikation angewandt werden dürfe. 

Hoeniger: Ueber die Traeheostenosis thymiea. (v. Bruns’ Beitr. 
z. klin. Chir., Bd. 82, H. 3.) Ein kräftiges, 2Vs Monate altes Kind 
bekommt stunden- und tagelang andauernde Anfälle von Atemnot, die 
zuerst leicht, sich später bis zu schweren Erstickungsanfällen steigern, 
so dass eine Teilresektion der (nicht vergrösserten) Thymus vorgenommen 
werden musste, wonach sich der Zustand langsam bis zur vollständigen 
Heilung besserte. Die Trachealstenose kann durch mechanische Momente 
bedingt sein, nicht nur durch Kompression einer vergrösserten Thymus, 
sondern schon durch die intrauterine Einwirkung einer fötal hyper- 
plastischen Thymus auf das Wachstum der Trachea im Sinne einer 
spaltförmigen Abknickung. Völlig unabhängig von mechanischen 
Momenten sind die Fälle mit weder mikro- noch makroskopisch vor¬ 
handener Hyperplasie, bei denen man eine gestörte Funktion vielleicht 
im Sinne einer Säurevergiftung annehmen muss. Therapeutisch kommt 
bei der mechanischen Trachealkompression die partielle Resektion in 
Frage, bei nicht sicher nachweisbaren mechanischen Ursachen zuerst 
Intubationen mit genügend langer Kanüle eventuell auch Alkalitherapie. 

F. v. Faykiss: Ueber die akute Entzäidiag des Pankreas, (v. Bruns’ 
Beitr. z. klin. Chir., Bd. 82, H. 8.) Nur in 2 von den 6 Fällen des 
Verf. war vor der Operation die Wahrscheinlichkeitsdiagnose gestellt 
worden;* die Möglichkeit einer Spontanheilung darf nicht von dem 
möglichst rasch vorzunehmenden chirurgischen Eingriff abhalten. Ausser 
dem Freilegen des Pankreas empfiehlt es sich auch, die Kapsel ein- 
zureissen oder zu spalten, wodurch das Pankreas von der Spannung 
befreit und ein Weg zur Entleerung des Sekrets geschaffen wild. Danach 
ausgiebige Drainage und Tamponade, die nicht zu früh zu wechseln ist. 
Nor bei Mitentzündung der Gallenwege sind auch diese zu drainieren. 
Von 6 Fällen genasen die 2, bei denen schon vorher an eine Pankreatitis 
gedacht, daher planmässig vorgegangen, früh und kurzdauernd operiert 
und das Pankreas ausgiebig drainiert wurde. W. V. Simon. 

A. E. Barker- London: Ueber die Drainage der Banchhtfhle bei 
verschiedenen entzündlichen Erkrankungen. (Brit. med. journ., 18. Januar 


1913, Nr. 2716.) Bei den verschiedenen mit Peritonitis einhergehenden 
Erkrankungen der Bauchhöhle, wie Appendioitis, Perforationen des 
Magens und des Duodenums, Pyosalpinx und Darmgangrän, ist es 
empfehlenswert, die Bauchhöhle gleich durch die Naht völlig zu ver- 
schliessen und nicht zu drainieren, wenn nicht allzu schwere septische 
Erscheinungen vorhanden sind. Zur Beurteilung, ob Drainage erforder¬ 
lich ist oder nicht, fehlen uns aber noch scharfe Indikationen. 

Weydemann. 

W. v. Steimker: Zwei seltenere Hernien (Hernia supravesicalis 
externa und Hernia ventralis lateralis), (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 
Bd. 82, H. 3.) Beide Hernienarten zeigten sich an ein und derselben 
Leiche, bei der sich ausserdem Leistenbrüche und die Anlage zu einem 
Schenkelbruch zeigte. 

Sy ring: Coeeom-Dftnidarm-Volvalis in eingeklemmter Hernie. 

(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., Bd. 82, H. 3.) Kasuistik. 

W. V. Simon. 

Siehe auch Innere Medizin: Motzfeld, Tetanusinfektion 
durch Lungenabscess. — Unfallheilkunde und Versicherungs¬ 
wesen: Erfurth, Kniegelenkstuberkulose nach Stoss. 


Röntgenologie. 

H. Iselin - Basel: Entgiftnng des tnberknlö'sen Herdes durch 
Röntgenbestrahlung. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 7 u. 8.) 
Tuberkulöse Lymphdrüseu verschwinden unter Einwirkung von Röntgen¬ 
licht ausserordentlich schnell. Beim Zerfall der Herde muss a priori 
eine Resorption von Giftstoffen angenommen werden, die sich in All¬ 
gemeinwirkung, oder auch in lokaler und ferner Herdwirkung äussern 
kann. I. bat derartige Wirkungen unter seinem grossen Material tat¬ 
sächlich mehrmals gesehen. Es muss als wahrscheinlich angesehen werden, 
dass die Röntgenbestrahlung eine Fernwirkung durch Entstehen von 
Tuberkulin im Herde verursacht. In zwei Fällen wurde auch die 
Pirquet Reaktion, die vor der Behandlung negativ war, im Laufe der 
Behandlung positiv. Die Giftbildung im tuberkulösen Herde beeinflusst 
im allgemeinen den Organismus im Sinne einer Gwichtsabnahme. 
Regelmässige Bestimmungen haben I. nun ergeben, dass der Körper 
während der Röntgenreaktionszeit in 75—80pCt. sein Gewicht um etwa 
1 kg nach der Herdbestrahlung vermehrt, dass sich diese Zunahme fast 
mit jeder Sitzung wiederholt und mit einer deutlichen Abschwellung des 
Krankheitsherdes einhergeht. Verf. möchte diese Wirkungen als Folgen 
einer teilweisen Entgiftung des tuberkulösen Herdes durch die Be¬ 
strahlung ansehen. Die Gewichtszunahme kommt vermutlich durch ver¬ 
mehrte Wasseraufnahme und die Abschweifung des kranken Gliedes 
durch Verbesserung der Circulation zustande. Vermutlich spielte, auch 
die Tuberkulinisierung des Körpers durch die Behandlung eine Rolle. 
Für die Röntgenbehandlung der chirurgischen Tuberkulose kommen zwei 
Wege in Betracht: Bei leichten Formen soll versucht werden, durch 
wiederholte schwache Belichtung den Herd zu entgiften und der Re¬ 
sorption zugänglich zu machen. Bei schwereren Formen soll man eine 
energische Tiefenbestrahlung durch Gefässschädigung, eine Schrumpfung 
des Herdes und seiner Umgebung mit Abkapselung und Ausschaltung 
desselben anstreben. Wolfsohn. 

K. Kaestle-München: Vereinfachte Magen - Bioröitgenographie. 
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) Technische Mitteilungen, 
die im Münchener ärztlichen Verein am 4. Dezember 1912 besprochen 
wurden. Dünner. 

A. Luger-Wien: Zur Kenntnis der radiologisehen Befand« an 
Diekdarn bei Tamoren der Niereagegend. (Wiener klin. Wochenschr., 
1913, Nr. 7.) Bei einem Patienten mit kindkopfgrossem Grawitztumor 
der linken Niere ergab die radiologische Untersuchung eine Unfüll¬ 
barkeit des dem Tumor aufliegenden Dickdarmabschnittes. In der Mehr¬ 
zahl der Fälle wird man wohl einen derartigen Befund als ein den 
Darm selbst betreffendes Passagehindernis aufzufassen haben. 

P. Hirsch. 

Siehe auch Kinderheilkunde: Sluka, Hilustuberkulose des 
Kindes im Röntgenbilde. _ 


Urologie. 

G. Bucky und E. R. W. Frank-Berlin: Operatioaea im Blasea- 
inaern mit Hilfe von Haehfreqaeaxströmeo. (Münchener med. Wochen¬ 
schrift, 1918, Nr. 7.) Nach Erörterung einiger physikalischer Fragen 
kommt B. zu dem Schluss, dass die Anwendung der Hochfrequenzströme 
für Operationen in der Blase der Anwendung der Glühschlingen über¬ 
legen ist durch die Möglichkeit der feineren Dosierung der Coagulation 
und durch die feinere Lokalisationsmöglichkeit der Wirkung. Die Hoch¬ 
frequenzströme sollen eine möglichst niedrige Spannung haben, da da¬ 
durch das Bild klarer bleibt und die Tiefenwirkung besser ist; höhere 
Spannung irritiert ausserdem den Patienten. Für Oberflächenwirkung 
sind möglichst spitze, für Tiefenwirkung flächenhafte Elektroden zu ver¬ 
wenden. Die Gefahr der Blasenverletzung ist gering. Frank teilt 
einige mit Hochfrequenzströmen operierte Fälle mit. Gute Erfolge. 

Dünner. 

Siehe auch Geburtshilfe und Gynäkologie: Eicbraann, 
Nierenfunktionsprüfung durch Phenolsulfonphthaleinprobe. 


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454 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

M. Ogata-Tokio: Ueber die Aetiologie der T8itSügamn8hi-(Kedani-) 
krankbeit. (Centralbl. f. Bakterie). usw., 1. Abt., Orig., Bd. 65, H. 1—3, 
S. 98.) Von einer alljährlich in Japan in den Monaten Juni bis Oktober 
in bestimmten Provinzen auftretenden Krankheit — Tsutsugamushi- 
krankheit — werden Menschen befallen, die ein gewisses Flussgebiet 
betreten haben und dort mit Gräsern und Bäumen in Berührung ge¬ 
kommen sind. Alle Befallenen weisen Stiche, von einer Milbe herrührend, 
auf, die sich als acne- oder vaccineartige Pusteln präsentieren; gleich¬ 
zeitig tritt schmerzhafte Schwellung der naheliegenden Lymphdrüsen auf, 
während das Allgemeinbefinden ziemlich gestört ist (Fieber, Kopf¬ 
schmerzen). Unter der Pustelkruste findet sich ein mehrere Millimeter 
bis Zentimeter grosses tiefes Geschwür mit nekrotischer Masse. Am 
dritten bis vierten Krankheitstage tritt ein masernartiges oder papulöses 
Exanthem über den ganzen Körper auf, am fünften bis sechsten Tage 
erfolgt eine Steigerung der Körperwärme bis zur Höchstgrenze, dann 
Anhalten des Fiebers 6—7 Tage lang, darauf allmählicher Abfall. Da¬ 
neben sind stets Milzschwellung, häufig Bronchitis, Nephritis, Ver¬ 
dauungsstörungen usw. vorhanden, in schweren Fällen treten Diarrhöen, 
Pneumonie, Lungenödem auf. Die Mortalität beträgt etwa 30-50pCt. 
Die Krankheit wird durch einen von einer Milbe übertragenen charakte¬ 
ristischen Fadenpilz, den der Verf. Tsutsugamusbi-Fadenpilz nennt, ver¬ 
ursacht. Die Reinkultur dieses Pilzes ist ihm gelungen, ebenso die 
Uebertragung der Krankheit durch Reinkulturverimpfung auf Versuchs¬ 
tiere. Günstige Erfolge wurden durch Behandlung der Kranken mit 
Jodkali innerlich und einer Quecksilberschmierkur äusserlich erzielt, 
während Chinin oder Atoxyl versagten. Bierotte. 

W. Li er - Wien: Sklerodermieartige Hautveränderung nach Skorbut. 
(Dermatol. Wochenscbr., 1913, Bd. 56, Nr. 6.) Es handelt sich um eine 
sklerodermieartige Erkrankung im Bereiche der Sprunggelenke, sowie be¬ 
sonders des linken Unterschenkels und der linken Kniebeuge bei einem 
sonst gesunden Manne, der im vorhergehenden Jahre an Skorbut ge¬ 
litten batte. 

K. Rühl-Turin: Ueber die diagnostische Wertlosigkeit der 
negativen Wassermann - Reaktion. (Dermatol. Wochenscbr., 1913, 
Bd. 56, Nr. 6.) Verf. berichtet über einen Patienten, welcher sich 1905 
syphilitisch infiziert hatte, damals mit 45 tägiger Schmierkur und Jod¬ 
kaliumkur behandelt war, dann erst 1908 eine Anzahl Einspritzungen 
von grauem Oel erhielt, und sich 1911, als er sich verheiraten wollte, 
einer Salvarsaninfusion und mehreren Einspritzungen von grauem 
Oel unterzog, bei dem im März, Mai und August 1911 die Wasser¬ 
mann’sche Reaktion negativ war, und welcher trotzdem seine junge Frau 
infizierte. Auch bei dieser war die Wassermann’sche Reaktion im No¬ 
vember 1912 negativ, trotzdem sie nach fünfmonatiger Ehe ein maculo- 
papulöses Syphilid gehabt hatte, im August ein totes maceriertes, voll¬ 
kommen entwickeltes Kind mit Erscheinungen von kongenitaler Lues 
geboren hatte. 

J. Almkvist-Stockholm: Ueber Syphilis mit verstecktem Primär- 
aflfekt. (Dermatol. Wochenschr., 1913, Bd. 56, Nr. 7.) Der syphilitisene 
Primäraffekt kann in der Harnröhre hinter der Fossa navicularis sitzen 
und der gewöhnlichen Inspektion und Palpation ganz entgehen. Wenn 
bei Syphilis des Mannes der Primäraffekt fehlt, muss man das Urethral¬ 
sekret auf Spirochäten und die Harnröhre endoskopisch untersuchen, 
bevor man den Fall als Syphilis d’emblöe bezeichnet. In ähnlicher 
Weise darf man annehmen, dass bei Frauen die Spiroohäten in den 
Cervikalkanal hineingelangen können und hier einen nur durch 
Spirochätennachweis diagnostizierbaren Primäraffekt hervorrufen. Die 
Lokalisation des Primäraffektes in der Harnröhre hinter der Fossa 
navicularis beweist, dass Mikroorganismen beim Coitus in die Harnröhre 
hinein aspiriert werden können, was auch tür die Infektion mit Gono¬ 
kokken wichtig sein kann. 

W. Frieboes-Bonn: Zwei Fälle von Phlebitis und Periphlebitis 
syphilitica faciei. Ein klinischer und histologischer Beitrag. (Dermatol. 
Zeitschr., Februar 1913.) Die Affektion äussert sich zum Teil in strang- 
förmigen und plattenlörmigen dem Verlaufe der Gefässe folgenden 
subcutan gelegenen Gebilden, zum Teil in eigenartigen, braunrot ge¬ 
färbten, rundlichen oder streifenförmigen Herden. Histologisch handelt 
es sich um Tumorbildungen aus epitheloiden blassen und kleinzelligen 
dunkelgefärbten mononucleären Zellen. Immerwahr. 

G. Stümpke - Hannover: Kombinierte (Salvarsan Quecksilber) 
Behandlung der Lues. (Deutsche raed. Wochenscbr., 1913, Nr. 9.) 
Uebersicht über das Material im Krankenhaus Hannover-Linden. Die 
kombinierte Behandlung ist der einfachen Salvarsanbehandlung über¬ 
legen. Für die Beurteilung des Heileffektes ist die Wassermann’sche 
Reaktion sehr wertvoll. Wolfsohn. 

K. Sudhoff - Leipzig: Anfänge der Syphilisbeobachtung und 
Syphilisprophylaxe zu Frankfurt a. M. 1496—1502. (Dermatol. Zeitschr., 
Februar 1913.) Historische Mitteilungen und kritische Besprechung von 
Auszügen aus den damaligen Ratsakten usw. über die zum ersten Male 
auftretende Syphilis und die Massnahmen zu ihrer Verhütung. 

Immerwahr. 

L. Kilroy - Plymouth: Die Behandlung der Syphilis mit Sal- 
varsan. (Lancet, 1. Februar 1913, Nr. 4666.) Bericht über die ersten 
1000 Fälle aus dem Marinehospital in Plymouth. So lange die Patienten 


im Lazareth sind, werden sie mit Quecksilber behandelt, das nur an den 
Tagen nicht gegeben wird, wo Salvarsan injiziert wird. Wenn nicht be¬ 
stimmte Kontraindikationen vorhanden sind, werden zwei Einspritzungen 
gemacht. Beuutzt wurde Emery’s Apparat. Bei 17 einmal behandelten 
Fällen kein Rückfall, bei 902 zweimal behandelten 25, bei 68 dreimal 
behandelten 1 und bei 14 viermal behandelten kein Rückfall. 

Weydemann. 

F. Pinkus-Berlin: Zur Kenntnis der syphilitischen Hirnreaktion 
ntch der zweiten Stlvarsaninjektion. (Dermatol. Wochenschr., 1913, 
Bd. 56, Nr. 7) P. berichtet über einen Fall, in dem bei leichtem Haut- 
recidiv der Syphilis und bei negativer Wassermaon’scher Reaktion sich 
nach der zweiten Salvarsaninfusion ein länger dauernder, wohl als 
cerebrale Reizerscheinung zu deutender Zustand einstellte und der 
weiterhin in eine langdauernde Symptomlosigkeit auslief. Erst ein 
halbes Jahr später nahm die Krankheit einen neuen Anlauf, die 
Wassermann’sche Reaktion stieg schrittweise an, unter neuer Meningen¬ 
reizung bereitete sich nach l 1 /*jähriger Symptomlosigkeit ein schweres 
Hautrecidiv vor. 

J. Abadie, G. Petges und J. Desqueyroux - Bordeaux: Sensi¬ 
tive and motorische Polyneiritis mit psychisoben Störungen nach einer 
intravenöses Salvarsaninjektion. (Annales de dermatol. et de sypbili- 
grapbie, Januar 1913.) Die Verfasser köonen die Polyneuritis weder für 
eine syphilitische anseben, noch für ein Neurorecidiv, da dieselbe ohne 
Quecksilber und Salvarsan spontan heilte. Nach dem Verlauf der Poly¬ 
neuritis kann es sich auch um keine Arsenintoxikation gehandelt haben; 
sondern man muss annehmen, dass die Polyneuritis einzig und allein 
durch das Salvarsan selbst hervorgerufen worden ist. Nichtsdesto¬ 
weniger halten die Verfasser das Salvarsan für ein vorzügliches Heil¬ 
mittel, und seine Anwendung für einen grossen Fortschritt in der Be¬ 
handlung der Syphilis. Immerwahr. 

P. Wahle-Cöln: Zwei Fälle von Neesalvarsanvergiftnng. (Münchener 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) In den beiden mitgeteitten Fällen 
wurde je 0,9 Neosalvaraan intravenös injiziert. Es traten schwerste Ver¬ 
giftungserscheinungen — speziell Nephritis — auf, die, wie W. annimmt, 
auf das Neosalvarsan zurückzuführen sind. Dünner. 


Geburtshilfe und Gynäkologie. 

R. Schäffer-Berlin: Der Handsehuhsaft. Entgegnung auf die 
Arbeit von H. Hellendall und W. Fromme in Nr. 48, 1912, des 
Centralblattes. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 6.) Verf. macht darauf 
aufmerksam, dass die Untersucher, wie schon Robert Koch, den Fehler 
gemacht haben, dass sie das bei der vorherigen Händedesinfektion an¬ 
gewandte Sublimat nicht nach dem Vorgang von Geppert durch 
Schwefelammonium paralysiert haben. Er hält trotzdem die Ergebnisse 
der Untersuchungen der Autoren für sehr bemerkenswert. Sollte sich 
die Richtigkeit der Ergebnisse bestätigen, so müsste man sich ernstlich 
die Frage vorlegen, ob nicht durch die Anwendung der Handschuhe 
mehr geschadet als genützt wird, indem man sich nämlich zu sehr auf 
dieselben verlässt und die Desinfektion der Hände vernachlässigt, eine 
Gefahr, zu der noch als erschwerendes Moment hinzukommt, dass in der 
feuchten Wärme innerhalb der Handschuhe die stets auch bei bester 
Händedesinfektion zurückgebliebenen Keime besonders gut wachsen. 

R. Lutz-Berlin: Zur Eklampsiebehandlnag. (Centralbl. f. Gynäkol., 
1913, Nr. 6.) 45 Eklampsiefälle. Die Behandlung vermied eingreifende 
Methoden, wie den vaginalen Kaiserschnitt, und beschränkte sich auf die 
milderen Verfahren, wie Metreuryse, Blasensprung usw., machte aber 
einen reichlichen Gebrauch von Aderlässen (5—80 ccm Blut), subcutanen 
Kochsalzinfusionen, Morphium und Chloral. Dabei hielt man an dem 
Grundsatz der baldmöglichsten Entbindung fest. 3 Fälle verliefen 
spontan, 17 mal kam die Zange zur Anwendung, 13 mal Wendung und 
Extraktion, 3 mal Perforation, 1 mal vaginaler Kaiserschnitt. 

Rissmann-Osnabrück: Ist die Eklampsie durch Einspritzungen 
in den Rückenmarkskanal heilbar. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 6.) 
Auf Grund der Arbeiten von Melzer, Blak, Palasse u. a. hat der 
Verfasser in einem Fall von Eklampsie 5 ccm einer 15 proz. Lösung von 
Magnesiumsulfat in den Lumbalsack injiziert. Während der Injektion 
ereignete sich der letzte Anfall. Obwohl die Anfälle noch volle zwölf 
Stunden nach der Entbindung fortbestanden hatten, trat nach der In¬ 
jektion kein Anfall mehr auf. Verfasser lehnt die placentare Theorie 
ab und hält an der Vergiftungstheorie durch Stoffwechselprodukte fest. 
Er meint, dass seine Erfolge zu weiteren Versuchen ermutigen. 

E. Eichmann - Osuabrück: Nierenfnnktionsprufnng durch die 
Pheiolsulfonphthaleinprobe. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 6.) Bei 
allen pathologischen Zuständen der Blase und der Nieren tritt eine be¬ 
deutende Verzögerung der Ausscheidung ein. Um diese zu messen, sind 
bestimmte Tabellen aufgestellt. Daraus aber allein Rückschlüsse auf 
die Diagnose oder Prognose zu machen, hält Verf. noch für verfrüht. 

Siefart. 

Siehe auch Physiologie: Sohiffmann und Vystavel, Innere 
Sekretion der Mamma. 


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10. Uirz 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


465 


Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 

W. Milligan-Manchester: Die Behandlung der otitisehenMeningitis. 
(Lancet, 25. Januar 1913, Nr. 4665.) Frühzeitige Diagnose und Ope¬ 
ration ist erforderlich. Bei der Meningitis nimmt mit zunehmender 
Bakterieninvasion der Meningen die Alkalinität der Cerebrospinalflüssig¬ 
keit allmählich ab, was diagnostisch wichtig ist. Weydemann. 


Hygiene und Sanitätswesen. 

J. Tanton: Die Sterilisatioi des Trinkwassers im Felde durch 
•Uravielette Strahlei (Revue d’hyg., Bd. 35, Nr. 1.) Verf. bediente 
sich eines Apparates der Firma Gaiffe in Paris, bei dem eine Queck¬ 
silberdampflampe nach dem System Westinghouse in den Sterilisator 
eingebaut ist. Der eigentliche Haussterilisator bat eine Grösse von .50 
zu 30 cm. Er gebraucht eine Spannuog von 110 bis 125 Volt und un¬ 
gefähr 4 Amperes. Das Wasser muss vorher geklärt sein und im Apparat 
circulieren. Es gelang dem Verf. nachzuweisen, dass der Apparat, der 
zuerst, um ihn selbst zu sterilisieren, eine Zeit von 5 Minuten leer 
arbeiten musste, in der Stunde 400—800 Liter steriles Wasser lieferte. 
Die Kosten waren geringer als die Feuerungsunkosten für die Herstellung 
einer gleichen Menge sterilen Wassers. Die Lampe war 16 Mouate bei 
der Niederschrift der Arbeit in Gebrauch, ohne eine Herabrainderung 
ihrer Leistungsfähigkeit zu zeigen. 

P. Rem 1 inger-Marokko: Die Pest in Marokko. (Revue d’hyg., 
Bd. 35, Nr. 1.) Die Pest herrscht in Marokko seit drei Jahren; sie ist 
nach Ansicht des Verf. dort durch die Karawanen der Nomadenstämme 
eingeschleppt, vielleicht aus der Cyrenaika, vielleicht auch aus Mekka 
direkt. Sie hielt sich in Marokko in zwei kleinen Herden bei den Ouled 
Amran und den Ouled Fredj und verbreitete sich von diesen Herden 
verschiedentlich aus; so trat sie im Herbst 1912 zum dritten Male in 
Casablanca auf. Sie trat im allgemeinen als ganz akute Bubonenpest 
in Erscheinung mit einer Mortalität von anfangs 40—50, später 90 pCt. 
Es fielen gleichzeitige Erkrankungen verschiedener Haustiere auf, so der 
Schweine, Hammel, Hühner. Bei gleichzeitiger Rattenpest trat die Pest 
gehäuft auf, ohne diese mehr in einzelnen Fällen. Frauen und Kinder 
wurden häufiger befallen, fast regelmässig die Leichenbeerdiger. Sehr 
gefährlich war der Handel mit den Kleidern der Verstorbenen. Als 
hygienisches Postulat sieht er eine Beobachtungsstation und Quarantäne 
der Karawanen vor, verbunden mit einem obligatorischen Asyl für Ob¬ 
dachlose. Viereck. 

E. Dschunkowsky-Surnabad: Das R Sek fall lieh er in Persien. 
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 9.) Die in Persien durch Bisse 
von Zecken (Ornithodoros Tholozani und Canestrini) hervorgerufene 
Krankheit ist das Rückfallfieber. Der Erreger ist eine selbständige 
Spirochäte, die Verf. Spirochaeta persica nennt. Wolfsohn. 

W. H. Kenrick: Malaria in Indien und die Zahl der Geburten 
nnd Todesfälle. (Lancet, 25. Januar 1913, Nr. 4665.) Malariaepidemien 
haben für das nächste Jahr ein starkes Absinken der Zahl der Geburten 
zur Folge, das genau 9 Monate nach dem Beginn der Epidemie anfängt. 
Bei endemischer Malaria findet sich kein Abfall der Geburtenzahl, wohl 
aber eine Verschiebung ihres Maximums, das normal in den Herbst fällt, 
auf die Frühlingsmonate. Dies rührt wohl daher, dass in den kühleren 
Wintermonaten die Zahl der Malariafälle grösser und die Fruchtbarkeit 
geringer ist. Die Zahl der Todesfälle ist in Gegenden mit endemischer 
Malaria im allgemeinen erhöht. Weydemann. 


Unfallheilkunde und Versicherungswesen. 

Könen-Cöln: Die bildliche Darstellung von Unfallfolgen. (Monats¬ 
schrift f. Unfallheilk., 1913, Nr. 2.) Verf. führt aus, dass es von grossem 
Vorteil für die Begutachtung wäre, wenn in vielen frischen Fällen von 
Verletzungen Photographien angefertigt werden. Man wird auf diese 
Weise besser als durch Beschreibungen und schematische Zeichnungen 
über die Art der Schädigung orientiert werden. 

Löwen stein-Frankfurt a. M.: Zur Frage „Unfall nnd Krebs- 
krankhaft*. Bemerkungen zu der Kritik Thiem’s über das Buch des 
Verfassers „Unfall und Krebskrankheit*. (Monatsschr. f. Unfallheilk., 
1913, Nr. 2.) 

Erfurth-Cottbus: Gutachten über den nicht anerkannten Zu¬ 
sammenhang einer Kniegelenkstaberknlose mit einem gegen das Gelenk 
erlittenen Stoss. (Monatsschr. f. Unfallheilk., 1918, Nr. 1.) Der Zu¬ 
sammenhang zwischen der Verletzung des Knies und einer später in 
demselben aufgetretenen Tuberkulose wurde deshalb abgelehnt, weil 
die stattgehabte Verletzung nur eine sehr geringfügige gewesen sein 
konnte und zeitlich zuerst das Hüftgelenk der anderen Seite tuberkulös 
erkrankte. 

Erfurth-Cottbus: Isolierte Lähmeig des Mnscnlus glntaeo mediis 
et milimas nach einem Unfall. (Monatsschr. f. Unfallheilk., 1913, Nr. 2.) 
Ein Arbeiter wurde von einem vom Wagen fallenden Stubben in der 
linken Kniekehle getroffen und stürzte zu Boden. Er musste, weil er 
starke Schmerzen im Kniegelenk hatte, nach Haus gefahren werden und 
wurde dort mit fixierenden Verbänden behandelt. Einige Wochen später 
zeigte die Untersuchung, dass der Verletzte so ging, als ob er eine 
linksseitige angeborene Hüftverrenkung hätte. Die Muskulatur der linken 


Gesässhälfte war in ihrem äusseren Teil fast völlig geschwunden und 
ebenso die äussere Muskulatur am linken Oberschenkel, so dass man 
den linken Trochanter und den ganzen Oberschenkelknochen direkt unter 
der Haut liegend fand. Es handelte sich um oine Lähmung des Mus- 
culus glutaeus minimus, entstanden wohl durch eine unmittelbare Ver¬ 
letzung des diesen Muskel versorgenden Nerven durch einen der Zacken 
des Baumstumpfes. 

K. Mendel-Berlin: Die anyotrophische Lateralsklerose in ihrer 
Beziehung zum Trauma und zur Berufstätigkeit. (Monatsschr. f. Unfall¬ 
heilkunde, 1913, Nr. 2.) Ein Postbeamter musste 5 Wochen lang öfter 
mit der rechten Hand gegen den Hebel eines Apparates schlagen und 
bemerkte nach 4 Wochen ein leises Ziehen und Ameisenkriechen in 
derselben. 8 Tage später ereignete sich angeblich ein Unfall, der in 
einem unglücklichen Schlage der rechten Hand auf den Hebel bestand. 
Hiernach schwoll die Hand an, und es wurde eine Sehnenscheiden¬ 
entzündung festgestellt. In der Folgozeit entwickelte sich dann eine 
Schwäche und Abmagerung der rechten Hand und des rechten Armes 
und später auch der linken oberen Extremität, so dass schliesslich, nach¬ 
dem auch eine Beteiligung der unteren Extremitäten begann, das typische 
Krankheitsbild der amyotrophischen Lateralsklerose vorlag. Verf. nimmt 
an, dass bei dom Erkrankten von vornherein eine schwache Anlage der 
motorischen Bahnen des Rückenmarkes Vorgelegen habe, und dass das 
fortgesetzte Schlagen der rechten Hand gegen den Apparat — also die 
Berufstätigkeit — die Krankheit ausgelöst habe. Der Unfall hat das 
Leiden weder ausgelöst noch verschlimmert. 

Gruber-Miinchen: Symptome einer luetischen Meningomyelitis« 
als „traumatische Neuralgie“ vom Reichs-Versicherungsamt anerkannt* 
Entschleierung durch die Obduktion. (Monatsschr. f. Unfallheilk., 1913, 
Nr. 1.) Ausführliche Krankengeschichte und Sektionsprotokoll. Der 
positive Ausfall der Wassermann’schen Reaktion im Leben wie an der 
Leiche und der Obduktionsbefund ergaben, dass bei dem Verletzten 
eine anscheinend latente syphilitische Erkrankung schon zur Zeit des 
Unfalles bestand, dass die als Unfallsfolgen geklagten Beschwerden auf 
das Konto dieser syphilitischen Erkrankung zu setzen waren, und dass 
auch der Tod eine Folge der syphilitischen Hirn- und Rückenmarks¬ 
erkrankung und einer syphilitischen Erkrankung des Herzens und der 
Aorta war. Auch ist eine auslösende Rolle des Unfalles mit Wahr¬ 
scheinlichkeit auszuschliessen, da schon 3 Tage nach dem Unfall typische 
Krankheitssymptome bestanden. H. Hirsch fei d. 


Militär-Sanitätswesen, 

R. Kraus-Wien: Ueber Maassnahmen zur Bekämpfung der Cholera 
anf dem balgarischen Kriegsschauplatz. (Wiener klin. Wochenschr., 
1913, Nr. 7.) Vortrag, gehalten in der k. k. Gesellschaft der Aerzte in 
Wien am 7. Februar 1913. Referat siehe den Sitzungsbericht. 

P. Hirsch. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 26. Februar 1918. 

Vorsitzender: Herr Landau. 

Schriftführer: Herr F. Krause. 

Stellvertretender Vorsitzender Hr. Landau: An die Berliner medi¬ 
zinische Gesellschaft haben 25 Mitglieder folgende Bitte gerichtet: 

Berlin, 20. Februar 1913. 

An den 

Vorstand der Berliner medizinischen Gesellsoh&ft 
richten Unterzeichnete Mitglieder ergebenst die Bitte, dass 

1. künftighin Anträge irgendwelcher Art den Mitgliedern vorher, 
sei es im roten Blättchen, sei es in anderer geeigneter Form schrift¬ 
lich bekannt gegeben werden, damit sie schon vor der Sitzung 
Gelegenheit haben, in reiflicher Ueberlegung dazu Stellung zu 
nehmen. Dies ist besonders bei solchen Anträgen wichtig, zu denen 
nach Beratung durch Vorstand und Ausschuss ohne Diskussion 
Stellung genommen werden soll. (Nachträge zu den Ergänzungs¬ 
bestimmungen der Statuten); 

2. Ersatzwahlen, die sich im Laufe des Geschäftsjahres als not¬ 
wendig erweisen, nicht zu Anfang einer Sitzung, sondern erst in 
ihrem Verlauf vorgenommen werden, damit ein gefülltes Haus sich 
an ihnen beteiligen kann. 

M. Cohn, E. Tobias, 

Lutherstrasse 7/8. Am Karlsbad 2. 

W. Alexander, M. Bayer, M. Blumberg, J. Cassel, W. Croner, 
Domnauer, P. L. Edel, G. Finder, F. Frankel, R. Fried¬ 
länder, G. Herzfeld, Karewski, A. Lazarus, Seb. Levy, 
H. Löwenthal, F. Mendel, K. Mendel, W. Michaelis, 
C. Oesterreicher, Schultze - Fürstenwalde, K. Steindorff, 
J. Wolfsohn. 

Der Vorstand hat anerkannt, dass dieses Ersuchen gerechtfertigt 
ist und wird dem Ersuchen nachkommen. 


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456 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


Vor der Tagesordnung. 

1. Hr. Hamm erschlag: Ich erlaube mir, Ihnen eine Patientin vor- 
zustellen wegen der relativen Seltenheit des Eingriffes, den ich bei ihr 
vorgenommen habe. Die Patientin kam, nachdem sie vor 4 Monaten 
die letzte Menstruation gehabt hatte, mit beginnenden Einklemmungs¬ 
erscheinungen einer Retroflexio Uteri gravidi zu mir. Sie hatte sehr 
erhebliche Blasenbeschwerden, denn sie konnte den Urin nur mühsam 
und in geringen Quantitäten entleeren. Die Aufrichtung des Uterus 
gelang trotz aller Manöver nicht, eine Narkosenuntersuchung ergab, dass 
das Misslingen derselben an einer breiten Adhäsion des retroflektierten 
graviden Uterus an der hinteren Beckenwand lag. Das ist eine Selten¬ 
heit. Abgesehen davon, dass eine Retroflexio uteri fix ata immer be¬ 
deutend seltener ist als eine mobilis, kommt man noch viel seltener in 
die Lage, einen solchen Uterus im graviden Zustande zu sehen, weil 
eben die Entzündung und ihre Folgen die Gravidität meist verhindern. 

Ich batte nun die Wahl zwischen zwei Wegen, entweder die 
Schwangerschaft zu unterbrechen, um die sicher eintretende Incarc-eration 
zu vermeiden, oder zu laparotomieren und die Adhäsionen zu lösen. Ich 
habe den letzteren Weg gewählt, weil er der konsequenteste ist und 
von dieser Operation recht günstige Resultate zu erwarten sind. Unter 
16 Fällen der Literatur ist 15 mal die Gravidität erhalten geblieben. 
Ich habe die Patientin vor 20 Tagen laparotomiert, die Adhäsionen ge¬ 
löst, den Uterus aufgerichtet und die Ligamenta rotunda in sich etwas 
verkürzt. Die Gravidität ist erhalten geblieben, die Patientin ist geheilt. 

2 . Hr. Blomberg: 

Nene Operation znr Sterilisierung des Weibes mit Möglichkeit der 
späteren Wiederherstellung der Fruchtbarkeit. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

Diskussion. 

Hr. S. Gottschalk: Ich wollte nur ein Bedenken zu der Ope¬ 
rationsmethode äussern. Wenn das Ovarium auch intakt in die Tasche 
hineinkommt, so bleibt es doch nicht intakt. Das verwächst doch 
flächenhaft mit seiner Umgebung, und das Ende ist, dass das Keimepithel 
an dem Ovarium zugrunde geht. Ich fürchte, dass in solchem Ovarium 
alllmählich eine kleincystische Degeneration Platz greifen dürfte, weil 
die freie Oeffnung der sprungfertigen Follikeln nach aussen durch die 
pseudointraligamentäre Lage verhindert ist. Ich schlussfolgere das aus 
der bekannten Tatsache, dass in Fällen, wo das Ovarium von Schwielen 
umgeben ist oder intraligamentär sitzt, im Laufe der Zeit allmählich 
eine kleincystische Entartung Platz greift. Ich erinnere mich an Fälle, 
wo später dadurch, dass der sprungfertige Follikel sich nicht frei öffnen 
konnte, eine gesteigerte Ansammlung von Follikelflüssigkeit (Hydrops 
follicularis) eintrat, die prämenstruelle Beschwerden verursachte. Das 
wäre hier also abzuwarten. Es ist auch der Beweis zu liefern, ob in 
einem späterem Falle, wo der Herr Kollege Gelegenheit hat, um die ge¬ 
wünschte Conception zu ermöglichen, diese Operation durch die wieder¬ 
holte Laparotomie wieder rückgängig zu machen, wirklich eine Con¬ 
ception eintreten wird. 

Hr. Blumberg (Schlusswort): Das Bedenken des Herrn Gott- 
schalk ist ungerechtfertigt. Er sprach davon, dass ein Ovarium, wenn 
es intraligamentär liegt, sich verändert. Das ist zweifellos. Ich selbst 
habe auf dem Internationalen Gynäkologenkongress 1912 hervorgehoben, 
dass meines Erachtens Organe, die normalerweise intraperitoneal liegen, 
sich verändern, wenn sie auf operativem Wege extraperitoneal 
in eine bindegewebige Umgebung gelagert werden. Diese Gefahr 
habe ich deshalb bei meiner Methode bewusst vermieden, indem ich so¬ 
wohl das Ovarium wie die Tube rings von Peritoneum umgeben sein 
lasse. Bezüglich des Ovariums sehen Sie das noch besonders dargestellt 
auf der zweiten Zeichnung hier (demonstrierend), die einen Querschnitt 
durch Uterus, Ovarium und Lig. latum darstellt. Die Naht wird, wie 
Sie in Figur 1 sehen, nur an den Rändern des Lig. latum angelegt; 
das Ovarium selbst bleibt, von der Naht unberührt, frei be¬ 
weglich in der allseitig von Peritoneum ausgekleideten 
Tasche liegen, wobei ich besonders darauf achte, dass diese Tasche 
möglichst bequem dem Ovarium Platz bietet, was technisch in allen 
6 Fällen, die ich so operiert habe, sich gut ausführen liess. Adhäsionen 
können — selbstverständlich aseptische Heilung vorausgesetzt, auf die 
ja wir heutzutage bei unseren Operationen müssen rechnen können — 
nur am Rande, wo genäht ist, eintreten. Warum das Ovarium, das 
rings von unbeschädigtem Peritoneum umgeben weiter innen liegt, 
adhärieren soll, dafür ist ein Grund nicht einzusehen. 

Der Vorteil meiner Methode liegt darin, dass Tube und Ovarium 
unter den denkbarst unveränderten Verhältnissen bleiben und an diesen 
Organen selbst sozusagen nicht gerührt wird, sondern die Operation nur 
am Lig. latum und der Serosa der Uterusrückwand sich abspielt. 

Hr. Jeger: Herr Dr. Israel hat Ihnen vor einigen Wochen be¬ 
richtet, dass es uns gelungen ist, die deletären Folgen der Ligatur eines 
grossen Blutgefässes dadurch zu beseitigen, dass wir ein kleineres, für 
den Organismus entbehrliches Gefäss, sowohl central als auch peripher 
von der Ligaturstelle End-zu-Seit in das grosse Blutgefäss implantierten, 
die Ligaturstelle also gewissermassen überbrückten. Ich habe mir nun 
weiterhin in Gemeinschaft mit Herrn Dr. Hellmuth Joseph die Frage 
vorgelegt, ob es nicht möglich wäre, verloren gegangene Stücke auch 
noch in anderer Weise durch kleinere zu ersetzen und zwar so, dass 
durch eine plastische Operation aus dem kleinen Gefäss ein grösseres 
gebildet und letzteres zur Implantation verwendet wird. 


Wir gingen folgendermaassen vor: Einem Hund wurde ein langes 
Stück einer Carotis reseziert. Dieses wurde nunmehr der Länge nach 
aufgeschnitten und das so erhaltene Band der Quere nach susammen- 
gefaltet. Wenn wir nunmehr die beiden Ränder fortlaufend vernähten, 
so erhielten wir ein Gefäss, das die Carotis an Weite fast um das 
Doppelte übertraf. Nunmehr wurde das Tier laparotomiert, die Aorta 
abdominalis freigelegt, central und peripher abgeklemmt und ein Stück 
derselben reseziert. An Stelle des letzteren wurde nunmehr das aus der 
Carotis gebildete Arterienrohr durch End zu-Endnaht am centralen wie 
am peripheren Ende eingesetzt. Um die grosse Spannung der beiden 
Enden der Aorta zu überwinden, bedienten wir uns zur Hämostase einer 
doppelten Klemme, deren Hälften auf einer Schiene gegeneinander be¬ 
wegt werden können. 

Ich gestatte mir, Ihnen dieselbe herumzugeben. 

Dem Hund, den ich Ihnen hier zeige, wurde vor 4 Wochen ein 
Stück der Aorta in der eben besprochenen Weise durch seine eigene 
Carotis ersetzt. Er hatte keinen Augenblick Paresen der hinteren Ex¬ 
tremitäten, noch auch Abscbwächung des Pulses in den Schenkelarterien, 
so dass jeder Verdacht einer Thrombosierung des implantierten Gefass- 
stückes ausgeschlossen ist. Vielleicht haben Sie die Güte, sich von der 
guten Pulsation in der Art. femoralis selbst zu überzeugen. Hier zeige 
ich Ihnen ein Präparat von einem Hund, der 16 Tage nach der Operation 
an einer Vereiterung der Laparotomiewunde zugrunde ging; es weist 
keine Thromben auf und entspricht allen Anforderungen, die an eine 
gute Gefässnaht gestellt werden können. Auf die Frage, ob das vor¬ 
getragene Verfahren klinische Bedeutung — etwa bei der Exstirpation 
von Aneurysmen der Aorta — gewinnen könnte, möchte ich hier nicht 
eingehen. Jedenfalls stellt es einen prinzipiell neuen — bisher von 
niemand betretenen — Weg dar, grosse Arterien zu ersetzen, und ich 
glaubte, Ihnen daher eine kurze Mitteilung davon machen zu sollen. 

Tagesordnung. 

Der geschäftsführende Schriftführer Herr Y. Isiiaaail erstattet 

den Bericht über die Tätigkeit der Berliner Medizinische® Gesell¬ 
schaft im Jahre 1912. 

Die Gesellschaft tagte im Laufe des Jahres 34 mal. 

Es wurden 44 Vorträge gehalten und 44 mal Vorstellungen von 
Kranken und Demonstrationen von Präparaten veranstaltet. Es fanden 
38 Diskussionen statt. 

Der Vorstand hielt 19 Sitzungen ab, davon 6 in Verbindung mit 
dem Ausschuss und eine Sitzung in Verbindung mit der Kommission für 
die Erbauung des Virchow-Hauses. 

Die Kommission für die Erbauung des Rudolf Virchow-Hauses hielt 
8 Sitzungen ab. 

Die Aufnahmekommission nahm in 7 Sitzungen 93 Mitglieder auf. 

Von wichtigen Begebenheiten sind zu bemerken: 

Herr Gustav Simon, Herr F. Blumenthal sen. und HerrFerd. 
Strassmann feierten das 50jährige Doktoijubiläum und wurden im 
Namen der Gesellschaft durch den Vorstand beglückwünscht. 

Zum 25 jährigen Jubiläum der Tierärztlichen Hochschule wurde der 
stellvertretende Vorsitzende, Herr Kraus, mit der Vertretung der Ge¬ 
sellschaft betraut. 

Für den VI. Internationalen Kongress für Geburtshilfe und Gynäko¬ 
logie wurde der stellvertretende Vorsitzende, Herr L. Landau, als Ver¬ 
treter der Gesellschaft gewählt. 

Durch den Tod hatte die Gesellschaft den Verlust der Ehren¬ 
mitglieder Lord Lister und Herrn Armaur Hansen, sowie des Vor¬ 
standsmitgliedes Herrn Julius Pagel zu beklagen. 

Die Gesellschaft zählte am Schlüsse des Jahres 

1911 . 1669 Mitglieder 

Sie verlor: 

a) durch den Tod: die Ehrenmitglieder 
Lord Lister, Herrn Armaur Hansen, 
das Vorstandsmitglied Herrn Julius 
Pagel, die Mitglieder: Herren Geh. 

San.-Rat L. Aschoff, Cronbach, San.- 
Rat J. Hamburg, Ob.-Stabsarzt a. D. 

Heimlich, G. Hirschfeld, Geh.-Rat 
Prof. Horstmann, San.-Rat M. Jacoby, 

Geh. San.-Rat Jaquet, Geh.-Rat M. 

Jastrowitz, San.-Rat P. Keller, San.- 
Rat 0. Langner, Max Levy I, Jul. 

Meyer, San.-Rat Hans Müller, Prof. 

Hugo Neumann, A. Obuch, Severin 
Robinski, Geh.-Rat Prof. A. Rosen- 
berg, San.-Rat M. Salomon, Prof. 

Schütze, San.-Rat C. G. Vogeler, 


Prof. S. Weber, San.-Rat Wiener . . 26 

b) durch Verzug nach ausserhalb .... 18 

c) anderweitig. . . 4 48 „ 

1621 Mitglieder 

aufgenommen wurden .... . . ._93 „ 


so dass am Schluss des Jahres die Zahl 1714 Mitglieder 
betrug, und zwar 

Ehrenmitglieder. 22 

Lebenslängliche Mitglieder .... 9 

Mitglieder. . . . . 1683 


Summa: 1714 


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Gougle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 











10. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


467 


Hr. Stadelmain: Kassenbericht. 

Unsere Einnahmen und Ausgaben in dem abgeschlossenen Jahre 
haben sich folgendermaassen gestaltet: 

Einnahmen 1912. 

I. Mitgliedsbeiträge: 

1. Restanten von 1910 und 1911 = 446 Bei¬ 
träge ä 10 M. 4 460 M — Pf. 

2. 1580 Beiträge pro I. Semester 1912 . . 

3. 1280 „ „ II. , 191 2 . . 

Summa 


II. Zinsen . . 

III. Verschiedenes: 

1. Zahlung Grosser 


15 800 
12800 
33 060 M. — 
7 534 - 80 


Pt. 


. 3 000 M. — Pf. 
• 5 000 „ „ 


2 . „ Hirschvald 

3. Nachtrag!. Zahlung zum 

Bau des Virchow-Hauses . 50 r — „ 

4. Verkauf v. Dubletten aus 

cLBibliotheku.d.Katalogs 859 B 75 , 

5. Einnahmen a.d.Vermieten 
des Projektionsapparats 

(16 Abende ä 20 M.) . 320 „ — „ 

6. Einnahmen a.d.Verkauf v. 

Gastkarten f. d. Bibliothek 

u. Verpackungsgebühren 229 B 25 B 

7. Beitrag d. Deutsch. Ges. 

f. Chirurgie z. Teleph on . 50 „ — » 

Summa 9 509 M. — Pr. 

Summa 


Dazu Kassenbestand pro 31. XII. 1911 


9 509 * — 
50 103 * 80 
6 813 „32 


Summa 


Ausgaben 1912. 

I. Geschäftsführung. 

II. Stenograph. 

III. Garderobe. 

IV. Gehälter. 

V. Miete für die Sitziingslokalitäten .... 

VI. Telephon. 

VII. Beleuchtung. 

VIII. Bibliothek. 

IX. Zahlungen für unsere Häuser (Hypotheken¬ 
zinsen und Verwaltung). 

X. Pläne für das neue Virchow-Haus .... 

XI. Beitrag zum Koch-Denkmal. 

XII. Feuerungsmaterialien. . . . 

Summa 

Für Effektenkäufe sind ausgegeben . . . . 

Demnach Summe der Ausgaben. 


29 940 


80 


51 150 M. 98 Pf. 


Unsere Ausgaben haben sich gegen das vergangene Jahr um circa 
3 652 M. gesteigert. Dies ist auf folgende Momente zurückzuführen: 


I. Die Eulenburg-Stiftung (der Deutschen Gesellschaft 

für Chirurgie zinsfrei geliehen). 10 000 M. 

II. Die Hälfte der mit der Deutschen Gesellschaft für 
Chirurgie gemeinsam zur Erbauung des Langenbeck- 
Hauses gesammelten Gelder (der Deutschen Gesell¬ 
schaft für Chirurgie gleichfalls zinsfrei geliehen) . 54 000 „ 

III. Sonstiges in mündelsicheren Papieren fest angelegtes 
Vermögen. Die Papiere sind teils bei der Reichs¬ 
bank, teils bei der Diskontogesellschaft deponiert. 

In ihnen sind auch enthalten die Schenkungen 
Heinrich Strassmann (300 M.), Lassar (1000 M.), 

Litten (1000 M.), Wiesenthal (1000 M.), das Ver¬ 
mächtnis Dittmar (5000 M.) und das Vermächtnis 
He noch (5000 M.). Alle diese Papiere lauten zu¬ 
sammen auf nominell. 216 900 „ 


Summa 280 900 


Demnach beläuft sich das fest angelegte Vermögen der Gesellschaft 
auf 280 900 M. 

Dazu kommt noch ein jederzeit verfügbarer Kassenbestand von 
5 766 M. 14 Pf. 

Das fest angelegte Vermögen der Gesellschaft hat sich im Jahre 1912 
vermehrt um nominell 30 000 M. 


Die Gesellschaft hat in ihrem Besitz folgende Papiere: 

6 000 M. 4 proz. Preuss. konsol. Staatsanleihe 
11 300 „ 372 * 

7 600 „ 31/2 „ 

6 000 „4 „ Pfandbriefe der Preuss. Central- 

Boden-Kredit-Aktiengesellschaft 
10 000 M. 3 ! / 2 proz. Bayerische Eisenbahnanleihe ' 
15 000 „ 3*/x „ Kommunalobligationen der Preuss. 
Central-Boden-Kredit-Aktiengesellschaft 


56 917 

» 12 


7. 

15 000 M. 4 

proz. 

, Preuss. Pfandbrief^ Komm.-Oblig. \ 




8 . 

20 000 

. 4 


„ Centr.-Boden-Komm.-Oblig. 1 




9. 

4 000 

* 3 ','2 

n 

Münchener Stadtanleihe i 

806 

M. 99 

Pf. 

10 . 

6 000 

» 3«/a 

ff 

Mannheimer „ 1 

1 190 



11 . 

10 000 

„ 3 7 , 

n 

Nürnberger „ I 

280 

** _ 


12 . 

30 000 

. 4 

ff 

Preuss. Pfandbrief^ Komm.-Oblig. I 

2 839 

* 


13. 

10 000 

* 4 

ff 

Badische Anleihe \ 

5 000 

” __ 


14. 

6 000 

* 4 

n 

Bayerische Staatseisenbahnanleihe > 

420 

* _ 


15. 

10 000 

* 4 

» 

Bremer Staatsanleihe / 

516 

l 85 


16. 

10 000 

n 4 

ff 

Deutsche Hypothekenbank-Komm.- 1 

6 150 

„ 54 






Oblig. 1 




17. 

10 000 

* 4 

» 

Westpreuss. Provinz-Oblig. 1 

2 077 

„ 80 


18. 

10 000 

* 4 

» 

Preuss. Konsols 1 

600 



19. 

10 000 

, 4 

99 

Westfälische Provinzanleihe | 

500 

” _ 

9 

20 . 

10 000 

. 4 


Preuss. Pfandbriefb. Komm.-Oblig. 1 

829 

ü 50 

„ 


Der effektive Wert 

aller dieser Papiere am 31. XU. 1 


Bei der 
Reichs¬ 
bank 
in Berlin 


Bei der 
Diskonto¬ 


schaft 
in Berlin 


1912 betrug 


Stellvertretender Vorsitzender Hr. Landau: Nach §23 der Statuten 
ist der Kassenbericht von dem Ausschuss geprüft worden. Der Aus¬ 
schuss, unter Führung des Herrn Fürbringer, hat dem Vorstand 
Decharge erteilt. Ich bitte Herrn Fürbringer, mündlich Bericht zu 
erstatten. 


1. hat für die Bibliothek in diesem Jahre eine um ca. 614 M. höhere 
Aufwendung stattgefunden; 

2. ist ein Beitrag von 500 M. für das Robert Koch-Denkmal be¬ 
willigt worden; 

3. hat eine Ausgabe von 600 M. für Baupläne zum neuen Rudolf 
Virchow-Hause stattgefunden; 

4. haben für unsere Häuser ca. 2000 M. mehr zur Deckung der 
Hypothekenzinsen geopfert werden müssen. 

Leider haben die Einnahmen aus den Mieten bei unseren Häusern 
nicht einmal ausgereicht, um die Hypothekenzinsen zu decken, die einen 
Zuschuss von 2000 M. erforderten. Viele Wohnungen stehen leer und 
sind unvermietbar. Von unserem Kapital in Höhe von 206 000 M. haben 
wir keine Zinsen erhalten, während sich dasselbe 1911 noch wenigstens 
mit ca. 1 pCt. verzinste. Im Jahre 1913 werden sich die Verhältnisse 
noch viel schlechter gestalten. Es ist damit zu rechnen, dass wir viertel¬ 
jährlich mindestens 2000 M. werden zuzahlen müssen, um die fälligen 
HypothekeDzinsen zu decken. Dieser Zustand drängt zu einer baldigen 
Entscheidung, d. b. zum baldmöglichen Bau des Virchow-Hauses, weil 
sonst die Gelder der Gesellschaft nutzlos weggegeben werden. Es müssen 
alle Kräfte der Gesellschaft angespannt werden, um dies Ziel bald¬ 
möglichst zu erreichen. 

Die Bücher unseres Häuserverwalters, Herrn Bildhauer Caspary, 
sind von dem vereidigten gerichtlichen Häuserverwalter Herrn Dietrich 
revidiert und richtig befunden worden. 

Bilanz. 

Summe der Einnahmen. 56 917 M. 12 Pf. 

Summe der Ausgaben. 51 150 „ 98 „ 

Demnach bleibt ein Kassenbestand für 1912 von 5 766 M. 14 Pf. 

Das Vermögen der Gesellschaft setzt sich folgendermaassen zu¬ 
sammen : 


Hr. Fürbringer: Herr Kollege Lennhoff und ich haben am 
24. Januar die Kassenrevision in der Wohnung des Herrn Schatzmeisters 
vorgenommen. Die Prüfung hat sich auf die Ausgaben, die Einnahmen, 
den Bestand, die Abrechnung der Diskonto-Gesellschaft und die Depot¬ 
scheine erstreckt. Auch nicht einer der sorgfältig gebuchten Posten 
hat, soweit kontrolliert, zu einem Anstande Anlass gegeben. Infolge¬ 
dessen erteilt statutengemäss der Ausschuss dem Vorstande Decharge 
vorbehaltlich der Genehmigung der Generalversammlung. 

Stellvertretender Vorsitzender Hr. Landau: Nach § 25 unserer 
Statuten muss ich die Generalversammlung fragen, ob sie mit der 
Dechargeerteilung des Ausschusses einverstanden ist. — Ich höre keinen 
Widerspruch, die Decharge ist erteilt. 

Hr. Hans Köhis Bericht über die Bibliothek und den Lesesaal 
im Jahre 1912. 

Der Lesesaal wurde im abgelaufenen Geschäftsjahr besucht: 

10 461 mal von Mitgliedern 

11 433 mal von Gästen 

im ganzen 21 894 mal gegen 19 328 mal im Jahre 1911, 

also . . 2 566 mal = 14 pCt. mehr als im Vorjahre — 

ein schöner Beweis dafür, dass die noch unten zu besprechenden Maass¬ 
nahmen zeitgemäss und zweckdienlich gewesen waren. Und diese Zahlen¬ 
differenz fällt um so mehr ins Gewicht, wenn wir uns erinnern, dass wir 
uns im Vorjahre in einer rückläufigen Bewegung befunden hatten, indem 
im Vorjahr gegen das vorhergegangene Jahr 1911 eine recht bedeutende 
Abnahme der Zahl der Besucher eingetreten gewesen war. 

Verliehen wurden auf 8 Tage bzw. 4 Wochen 1936 Bände (gegen 
1852), und es darf gleich bei dieser Gelegenheit nochmals darauf auf¬ 
merksam gemacht werden, dass unsere Mitglieder seit einem halben 
Jahr auch auf schriftliche Bestellung Bücher per Post ins Haus geschickt 
bekommen können. 


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Original frnrri 

UNIVERSUM OF IOWA 





















458 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


Gemahnt wegen unpünktlicher Rückgabe mussten 504 Mitglieder 
werden, darunter eine Anzahl zwei- und dreimal. Mehrfach ist es vor¬ 
gekommen, dass einzelne Nummern von Zeitschriften unerlaubterweise 
mit nach Hause genommen worden sind. Einige davon sind nicht mehr 
zurückgebracht worden. 

Wir halten jetzt 206 Zeitschriften, von denen 102 abonniert 
sind, 44 durch Tausch, 59 durch Geschenk uns zugehen (vergleiche je¬ 
doch weiter unten, woraus sich ergibt, dass die vereinigten Bibliotheken 
zusammen 336 Zeitschriften halten). 

Neu abonniert wurden die „Zeitschrift für Immunitätsforschung“ 
und jetzt auch noch die „Zeitschrift für Chemotherapie“, einige andere 
werden demnächst folgen. 

Ergänzt wurden durch das freundliche Entgegenkommen der be¬ 
treffenden Redaktionen und Verlagsanstalten unentgeltlich die folgenden 
Zeitschriften: 1. Buffalo medical journal, 2. Bulletin de la societe de 
l’internat des höpitaux de Paris, 3. Bulletin of the Lying in Hospital of 
the eity of New York, 4. La ginecologia moderna, 5. The quaterly journal 
of medicine. 

An weiteren Einzelgeschenken erhielt unsere Bibliothek von 
Mitgliedern im Laufe des Jahres 33 Bücher, 31 Bände von Zeitschriften, 
130 Sonderabdrucke und 74 Dissertationen; von Nichtmitgliedern 
69 Bücher. Sie sind schon im Laufe des Jahres in den Sitzungsproto¬ 
kollen aufgeführt, doch seien die Namen der freundlichen Geber hier 
nochmals aufgefübrt. 

Es sind die Herren und Institute: E. Apolant, E. F. Bashford, 
Bastianelli, G. v. Bergmann, R. Freund, W. A. Freund, Für¬ 
bringer, v. Hansemann, Hentzel, J. Hirschberg, Immerwahr, 
P. Jacobsohn, Joachim, Kastan, Keller, F. Krause, J. Lewy, 

O. Mankiewicz, S. Marcus - Pyrmont, M. Mosse, A. Oliven, 
Pollatschek, Rothenberg, J. Schwalbe, M. Senator, Steinlein, 

P. Strassmann, G. Tugendreich, J. F. Widmann, das Rockefeller- 
Institut, die Deutsche Jahrbuchgesellschaft und endlich die Redaktion 
der Berliner klinischen Wochenschrift. 

Regelmässige Zuwendungen erhält die Bibliothek von: 

Herrn F. Blumenthal: Medizinische Klinik. 

„ J. Boas: Archiv für Verdauungskrankheiten. 

„ Brieger: Centralblatt für die gesamte Therapie. 

„ Brock: Bericht über die Verhandlungen der Baineologischen Ge¬ 
sellschaft. 

„ Graeffner und Herrn Kaminen Zeitschrift für Balneologie. 

„ A. Grotjahn und Herrn F. Kriegei: Jahresbericht über die 
Fortschritte und Leistungen auf dem Gebiete der sozialen Hygiene 
und Demographie. 

„ Gutzmann: Monatsschrift für Sprachheilkunde. 

„ Heinrich Joachim: Berliner Aerzte-Korrespondenz. 

„ G. K lern per er: Die Therapie der Gegenwart. 

„ Hans Kohn: Pathologica. 

„ R. Lennhoff: Medizinische Reform. 

„ v. Schjerning, Exzellenz: Sanitätsberichte der Armee. — Ver¬ 
öffentlichungen auf dem Gebiete des Militär-Sanitätswesens. 

„ Lohnstein: Allgemeine medizinische Centralzeitung. 

„ George Meyer: Zeitschrift für Samariter- und Rettungswesen. 

„ von Olshausen: Zeitschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. 

„ Petz old: Balneologische Zeitung. 

„ Oberbibliothekar Prof. Dr. E. Roth in Halle: Aerztliche Central¬ 
zeitung. — Allgemeine Wiener medizinische Zeitung. — Oester- 
reichische Aerzte-Zeitung. — Oesterreicbische Vierteljahrsschrift 
für Gesundheitspflege. — Therapeutische Monatsberichte. — 
Vereinsblatt der Pfälzischen Aerzte. — Zentralblatt für Thalasso¬ 
therapie. 

„ Wol ffberg-Bresiau: Wochenschrift für Therapie und Hygiene des 
Auges. 

„ Ziehen: Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie. 

Ferner von folgenden Verlegern: 

Hirschwald’sche Buchhandlung: Archiv für klinische Chirurgie. — Archiv 
für Gynäkologie. — Archiv für Laryngologie. — Archiv für 
Psychiatrie. — Berliner klinische Wochenschrift. — Centralblatt 
für die medizinische Wissenschaft. — Internationales Central¬ 
blatt für Laryngologie. — Vierteljahrsschrift für gerichtliche 
Medizin. — Zeitschrift für klinische Medizin. 

Herrn A. Barth-Leipzig: Centralblatt für Chirurgie und innere Medizin. 
— Journal für Physiologie und Neurologie. 

„ J. F. Bergmann-Wiesbaden: Archiv für Augenheilkunde.—Ver¬ 
handlungen des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für 
innere Medizin. 

Fischer’sche Buchhandlung in Berlin: Berliner Klinik. — Fortschritte 
der Medizin. 

Herrn Gustav Fischer-Jena: Korrespondenzblatt des allgemeinen ärzt¬ 
lichen Vereins von Thüringen. 

„ Eugen Grosser: Deutsche Medizinal-Zeitung. 

„ Richter: Archiv für physikalisch-diätetische Therapie. 

„ Schoetz: Aerztliche Sachverständigen-Zeitung. 

„ Springer: Therapeutische Monatshefte. 

„ Benno Kon egen-Leipzig: Reicbs-Medizinal-Anzeiger. 
r Staude: Allgemeine deutsche Hebammen-Zeitung. 
r Thieme: Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie. 

„ Schmidt und Herrn Bukofzer: Deutsche zahnärztliche Wochen¬ 
schrift. 


Herrn Werner Klinkhardt-Leipzig, durch freundliche Vermittlung der 
Behr’schen Buchhandlung: Folia haematologica. — Folia uro- 
logica. 

Noch zweier Schenkungen muss ich besonders gedenken, einer 
kleineren, aber doch sehr willkommenen, nämlich eines Tisches für die 
neueingehenden Zeitschriften, den uns Herr M. Mosse gestiftet hat, und 
einer grossen: Herr Geh. Rat J. Hirscbberg hat uns zur Kenntnis ge¬ 
bracht, dass er den historischen Teil seiner Bibliothek uns testa¬ 
mentarisch vermacht hat. Allen Spendern und Gönnern sei auch an 
dieser Stelle nochmals herzlichst gedankt, und ich knüpfe an die Stiftung 
des Herrn Hirschberg noch den Wunsch, dass es uns noch recht 
lange nicht vergönnt sein möge, in den Besitz seiner Schenkung zu 
gelangen. 

Wir haben im abgelaufeuen Geschäftsjahr aber unsere Bibliothek 
auch von überflüssigem Ballast befreit und durch Verkauf von Doubletten 
einen Erlös von etwa 900 M. gehabt. 

Der Bestand unserer Bibliothek ist zur Zeit folgender: 

I. Fortlaufender Bestand: 

a) Zeitschriften (Bände) 

b) diverse Bücher . . 

c) Dissertationen . . 

d) Sonderabdrucke 


Dazu kommen: 

II. Virchow-Bibliothek: 

a) Zeitschriften (Bände) . 628 

b) diverse Bücher . . . .‘>245 

c) Dissertationen . . . 3348 

d) Sonderabdrucke . . . 5468 

12GS9 

III. Lassar’sche Bibliothek: 

a) Zeitschriften (Bände) . 936 

b) diverse Bücher . . . 857 

7793 

c) 149 gebundene Mappen, 

enthaltend Sonderab¬ 
drucke und Disserta¬ 
tionen ca. 5000 

_ 6793 

46340 Nummern. 

Unsere Bibliothek enthält somit im ganzen etwa 
46340 Nummern. 

Eine wichtigereMitteilung jedoch als dieses annähernd stereotyp 
in jedem Jahre wiederkehrende Referat betrifft die Tatsache, dass es 
im Laufe dieses Jahres gelungen ist, die Aufgabe zu lösen, die ich bei 
Uebernahme meines Amtes im vorigen Jahre als solche bezeichnet habe, 
nämlich die Vereinigung sämtlicher medizinischen Biblio¬ 
theken Berlins mit der Bibliothek unserer Gesellschaft. 

Mein mittelbarer Amtsvorgänger, Herr Ewald, hatte, worauf ich 
schon vor einem Jahre hingewiesen, darin erfolgreich vorgearbeitet, indem 
er von einer grösseren Anzahl von Gesellschaften (Physiologischen, 
laryngologischen, dermatologischen, otologischen Gesellschaft, der Gesell¬ 
schaft für soziale Medizin und der für Krebsforschung) die Büchereien 
in die Räume unserer Gesellschaft aufgenommen und mit diesen Gesell¬ 
schaften und der in ihren eigenen Räumen befindlichen Gesellschaft für 
Chirurgie ein gegenseitiges Benutzungsrecht im Lesesaal ver¬ 
einbart hatte. 

Diese noch mehr äusserlichen Beziehungen suchte ich auf andere 
noch abseits stehende Gesellschaften auszudehnen und daraus dann 
weiterhin eine organische Verbindung der verschiedenen Bibliotheken 
zu machen. 

Es zogen mit ihren Büchereien noch zu uns: der Verein für 
innere Medizin und Kinderheilkunde, der Verein für 
Psychiatrie und Norvenheikunde, die Gesellschaft der 
Urologen und auch eine, nicht bloss Berlin umfassende Gesellschaft, 
nämlich: die Deutsche Gesellschaft für öffentliche Gesundheitspflege. 

Auf diese Weise wurde unsere Bibliothek um etwa 20 075 Nummern 
vermehrt und, was noch wichtiger ist, die Zahl der in unserem Lese¬ 
zimmer aufliegenden Zeitschriften wuchs um 180, also auf 336 Zeit¬ 
schriften an. Zählen wir noch die 38,424 Nummern der Deutschen 
Gesellschaft für Chirurgie, mit der wir wegen der Möglichkeit einer 
baldigen Trennung absichtlich nur das alte gegenseitige Gastrecht ohne 
Herstellung einer inneren Verbindung beibehalten haben, hinzu, so steht 
unseren Mitgliedern zurzeit eine Bibliothek von im ganzen über 
100 000 Nummern zur Verfügung. 

Dass wir unseren Zuwachs in würdiger und brauchbarer Weise 
unterbringen konnten, verdanken wir dem Entgegenkommen der Deutschen 
Gesellschaft für Chirurgie, die uns den kleinen Saal des Langen- 
beckhauses, der aber ebenso gross ist wie unser Lesesaal, kosten¬ 
los überlassen hat. 

Die Vereinbarung mit den oben genannten Bibliotheken er¬ 
folgte, wie ich in Ergänzung meiner Mitteilung vom 15. Mai v. J. 
mitteilen möchte, in der Weise, dass die neuhinzutretenden Vereine 
die Wahl zwischen zwei Schemata von Verträgen hatten. Bei dem 


12183 gegen 11753 (1911) 
5728 „ 5626 „ 

6314 „ 6240 r 

2633 „ 2503 

26858 gegen 26122 (1911) 


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10. März 1913. 


BERLIN KR KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


459 


einen gehen die Bücher ohne weiteres in unseren Besitz über. Der 
Verein hat nur das Recht zu bestimmen, welche Zeitschriften und 
Bücher innerhalb eines gewissen von ihm zu leistenden Betrages an¬ 
geschafft werden müssen. Neben diesem Betrag und der Ueberlassung 
seiner Bücherei zahlt er noch eine kleine Summe für die Miete und 
Verwaltung. Diese Form, Schema B, wurde von der Gesellschaft 
für soziale Medizin gewählt. Nach Formular A hingegen, welches 
von allen anderen gewählt worden ist, bleiben zwar die Bücher usw. 
Eigentum ihres Vereins, er hat aber dann für das Gastrecht und die 
Verwaltung einen höheren Betrag zu bezahlen (s. u.). 

Jeder Verein behält seinen Bibliothekar bei, der aber von uns zu 
allen Sitzungen unserer Bibliothekskommission, in denen gemeinsame 
Interessen beraten werden, hinzugezogen wird. In solchen gemeinsamen 
Sitzungen wird dann beraten, welche Zeitschriften von jeder der vereinigten 
Bibliotheken gehalten werden müssen. Es wird dadurch verhütet, dass 
manche Zeitschriften unnötigerweise zwei-, drei- und mehrfach gehalten 
werden, und es wird umgekehrt ermöglicht, dafür notwendige, noch nicht 
vorhandene Journale anzuschaffen. 

Durch derartige gemeinsame Beratung aller Bibliothekare und 
unserer Kommission wurde uns z. B. ermöglicht, für etwa 500 M., das 
ist 10 pCt. unseres bisherigen Zeitschriftenetats, Zeitschriften abzu¬ 
schaffen, da sie schon ein- oder mehrfach vorhanden waren und andere 
bis dahin nicht vorhandene Zeitschriften neu zu abonnieren. Aehnliches 
wurde vice versa für die anderen Vereine durchgeführt. 

So ist es unter Schonung aller berechtigten Interessen und der aus 
der Entwicklung des Vereinslebens sich ergebenden tatsächlichen Ver¬ 
hältnisse in kurzer Zeit gelungen, eine Vereinigung aller medizini¬ 
schen Vereinsbibliotheken Berlins herbeizuführen und ohne eigent¬ 
liche Verschmelzung doch eine medizinische Centralbibliothek für 
Berlin zu schaffen. Aeusserlich haben sich die guten Folgen dieser Ver¬ 
einigung schon gezeigt in der starken Zunahme des Besuches unserer 
Bibliothek, die, wie schon erwähnt, im abgelaufenen Jahre, obwohl die 
Verschmelzung nur das letzte Vierteljahr betraf, schon um etwa 14 pCt. 
höher war, als im Vorjahre; innerlich wird jeder Besucher den Fortschritt 
schon gemerkt haben in der grösseren Leichtigkeit des Arbeitens durch 
die grössere Zahl der zur Verfügung stehenden Bücher und Zeitschriften; 
noch mehr werden sich diese Folgen im kommenden Geschäftsjahr 
geltend machen, wenn weitere in Aussicht und Angriff genommene Ver¬ 
besserungen durchgeführt sein werden. 

So wird es vielfach als Missstand empfunden, dass wir zwar eine 
sehr grosse Zeitscbriftensammlung besitzen, aber über neuere Lehr- 
und Handbücher nur in ganz beschränktem Maasse verfügen. Um 
diesem Uebel abzuhelfen, wäre nur eins nötig: Geld. Aber Sie wissen, 
dass unsere Gesellschaft sich eine Aufgabe gestellt hat, die unsere ganze 
finanzielle Kraft in Anspruch nehmen wird, und so wurde versucht, neue 
Einnahmequellen zu erschlossen. Eine Hauptquelle neuer Einnahmen 
fliesst uns aus den Beiträgen der uns jetzt mit ihren Bibliotheken an¬ 
gegliederten obengenannten Vereine zu, das sind im ganzen etwas über 
3000 Mark, also immerhin ca. 50pCt. derjenigen Summe, die unsere 
Gesellschaft bisher im ganzen für Bibliothekszwecke alljährlich auf¬ 
gebracht hat. Und wenn davon auch ein Teil für die jetzt etwas höheren 
Verwaltungskosten und auch ein Teil für die später, wenn wir erst 
im eigenen Heim wohnen, höhere „Miete“ in Ansatz gebracht werden muss, 
so bleibt uns doch noch ein Teil übrig, den wir für den genannten 
Zweck: die Anschaffung von Büchern, werden verwenden können. 

Eine weitere Quelle wurde erschlossen durch die Erhebung eines 
kleinen Betrages für die Gewährung von Gastkarten, wodurch im kommen¬ 
den Jahr ca. 400 Mark eingehen dürften, 

Mit diesen Mitteln wird es möglich sein, mit der Zeit dem oben¬ 
genannten unleugbaren Mangel unserer Bibliothek nach und nach ab¬ 
zuhelfen und Bücher und Nachschlagewerke in grösserem Umfange an¬ 
zuschaffen. 

Um damit den Anfang zu machen, hat der Vorstand auf Antrag 
der Bibliothekskommission zu diesem Zwecke für das laufende Geschäfts¬ 
jahr zunächst einmal 400 Mark über den laufenden Etat hinaus zur Ver¬ 
fügung der Kommission gestellt. 

Eine weitere Aufgabe bedarf dringend der Lösung: die Herstellung 
eines Katalogs, und zwar eines solchen, der nicht nur unsere eigene 
Gesellschaftsbibliothek enthalten, sondern zugleich die Büchereien der 
mit uns vereinigten Bibliotheken umfassen soll. 

Diesen einfach als Nachahmung der bisher vorhandenen Kataloge 
herzustellen, dürfte nicht zweckmässig sein; ein solcher gedruckter 
Katalog würde eine grosse Summe (ca. 10 000 Mark) verschlingen und 
doch im Momente seiner Fertigstellung schon wieder veraltet sein. Statt 
dessen dürfte es zweckmässiger sein, zunächst einen grossen Zettel¬ 
katalog aller Bibliotheken anzufertigen und diesen in unserem 
Lesesaal zur allgemeinen Benutzung aufzustellen. Später 
könnte, sobald die innere Organisation unserer Centralbibliothek zu 
einem gewissen Abschluss gelangt ist, ein kleinerer Katalog gedruckt 
werden, der aber nur ein Verzeichnis der Zeitschriften enthält, und 
den jedes Mitglied zur schnellen Orientierung auch zu Hause haben 
könnte. In seiner letzten Sitzung hat sich der Vorstand schon mit 
dieser Angelegenheit befasst und den ersten Teil dieses Planes im Prinzip 
genehmigt. 

Noch eine weitere wichtige Verbesserung wurde beschlossen: 

Unsere Bibliotheksordnung schrieb bisher vor, dass alle Neu¬ 
anschaffungen der Genehmigung des Vorstandes, alle Abschaffungen sogar 
der der Generalversammlung bedürfen. Dies erschwerte den Geschäfts¬ 


gang ausserordentlich und musste die Arbeitsfreudigkeit der Bibliotheks¬ 
kommission, wenn sie öfter eine Ablehnung ihrer wohlerwogenen Vor¬ 
schläge erlebte, beeinträchtigen. Auch bedeutete dieser Modus eine 
Störung des Zusammenarbeitens mit den anderen Gesellschaften, wenn 
Beschlüsse der vereinigten Bibliothekarsitzungen nicht Rechtskraft be¬ 
sitzen sollten. Deshalb hat unser Vorstand unserem Antrag entsprechend 
der Bibliothekskommission an Stelle des blossen Vorschlagsrechtes jetzt 
ein Beschlussrecht innerhalb einer gewissen finanziellen Grenze verliehen 
und sich selbst nur unter Umständen ein Veto Vorbehalten. Bei dieser 
Gelegenheit habe ich dann dem Vorstand eine neue Bibliotheks¬ 
ordnung unterbreitet, die an Stelle der weitschweifigen und zum Teil 
in sich widerspruchsvollen alten Bibliotheksordnung und ihres Zu¬ 
satzes treten soll. Ich bin in der angenehmen Lage, mitteilen zu können, 
dass dieser Entwurf noch heute abend die Genehmigung des Vorstandes 
gefunden hat. 

So besitzt unsere Gesellschaft und die mit ihr zu einem „Bibliotheks¬ 
zweckverband“ zusammen geschlossenen übrigen medizinischen Vereine eine 
Bibliothek, wie sie wohl keine andere medizinische Gesellschaft besitzen 
dürfte. Und gerade vor kurzem wurde ein Bericht der uralten Pariser 
medizinischen Gesellschaft veröffentlicht, die zwar uro den Besitz eines 
eigenen Hauses uns jetzt voraus ist, deren Bibliothek aber gegenüber 
der unsrigen bescheiden genannt werden muss. Es ist deshalb in 
dem Momente, wo wir uns unseres Besitzes freuen, wohl am Platze, mit 
Dank der Herren zu gedenken, die die Grundlage zu unserer Bibliothek 
gelegt und sie bis zu der Höhe gebracht haben, in der ich sie aus den 
Händen meiner Vorgänger empfangen habe; und wenn ich hier neben 
einem Falk nochmals Herrn Ewald nenne, so geschieht es deshalb mit 
Recht, weil Herr Falk 23 Jahre lang und Herr Ewald 15 Jahre die 
Geschäfte des Bibliothekars in erfolgreicher Weise geführt haben, und 
gerade Herr Ewald schon auf bestem Wege war, die Vereinigung der 
Bibliotheken zu bewirken. 

Zum Schlüsse danke ich noch allen Bibliothekaren der mit uns 
jetzt verbundenen Gesellschaften herzlich dafür, dass sie es mir so leicht 
gemacht haben, die im Interesse von uns allen gelegene Aufgabe der 
Centralisierung der Bibliotheken in wenigen Monaten zur Lösung zu bringen. 

Hr. Landau: 

Bericht der Kommission für die Erbauung des Rudolf Virchow-Hauses. 

Die noch im letzten Bericht im Jahre 1911 ausgesprochene Er¬ 
wartung, dass die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie mit der unseren 
gemeiusam an die Erbauung eines Virchow- und Langenbeckhauses gehen 
würde, hat sich noch nicht erfüllt, da die Vorbedingung hierfür, der An¬ 
kauf des Langenbeckhauses durch den Staat, sich bis jetzt nicht verwirk¬ 
licht hat. 

Inzwischen sind die Zustände in den jetzigen Räumen, insbesondere 
in der Bibliothek nnd im Lesesaal immer unbehaglicher geworden, so 
dass Vorstand und Ausschuss in gemeinsamer Beratung mit der Kom¬ 
mission zur Erbauung des Rudolf Virchow-Hauses sich für den Beginn 
des Baues in der Luisenstrasse entschieden hat. 

Die Virchow-Kommission, welche ausser dem Vorsitzenden Herrn 
Orth aus den Herren: S. Alexander, M. Borchardt, Ewald, 
Görges, v. Hansemann, Herrn. Kaehler, Kraus, F. Krause, 
Landau, D. Munter, Mankiewicz, Stadelmann und Waldeyer 
besteht, tagte achtmal, auch behandelte der Vorstand, teils allein, teils 
in Gemeinschaft mit dem Ausschuss und der Kommission, die das 
Virchow-Haus betreffenden finanziellen und baulichen Fragen in mehreren 
Sitzungen. Von einem von der Virchow-Kommission beantragten all¬ 
gemeinen Konkurrenzausschreiben für einen Entwurf sahen Vorstand und 
Ausschuss ab. Bestimmend für diesen Beschluss war der Umstand, dass 
von einer Reihe von Entwürfen, an welchen sich sechs Architekten be¬ 
teiligt hatten, ein Entwurf nicht bloss relativ, sondern an sich für 
ausgezeichnet befunden wurde. Der Geheime Ober-Baurat Dr. March 
hatte freundlichst die Begutachtung und das Schiedsriohteramt, der ihn 
ohne Namensnennung zugesandten Projekte übernommen und sowohl in 
mündlicher Auseinandersetzung als in einem längeren schriftlichen Gut¬ 
achten sein fachmännisches Urteil im obigen Sinne abgegeben und von 
einer weiteren Konkurrenz abgeraten. 

Dieser von Herrn March als der beste bezeichnete Entwurf rührt 
von Herrn Regierungsbaumeister Dernburg her. 

Die Anfertigung eines guten Entwurfs war dadurch sehr kompliziert, 
dass der Architekt genötigt war, die jetzt geltenden schweren baupolizei¬ 
lichen Bestimmungen für grosse Versammlungsräume zu befolgen und 
im Interesse der Rentabilität angemessene Mietsräume zu schaffen. Der 
Entwurf, der natürlich noch der Ausarbeitung im einzelnen harrt, ist 
heute im kleinen Saal ausgestellt. Bemerkungen, Wünsche und Aus¬ 
stellungen werden gern entgegengenommen, geprüft und berücksichtigt 
werden. 

Sollten unsere Erwartungen in bezug auf finanzielle Unterstützung, 
die uns von einer Seite in Aussicht gestellt ist, in Erfüllung gehen, so 
wird geplant, den Bau am 1. Oktober 1913 zu beginnen. Er würde 
alsdann voraussichtlich am 1. Oktober 1914 vollendet sein. 

Diskussion. 

Hr. Lublinski: Wir haben vorhin eine Aufstellung über das Ver¬ 
mögen der Gesellschaft empfangen und ersehen daraus, dass das Virchow- 
Haus uns vorläufig an entgangenen Zinsen mindestens 8000 M. kostet 
Ausserdem muss noch ein Zuschuss von mehr als 2000 M. gegeben 
werden, so dass wir also vorläufig jährlich einen Verlust von mindestens 
10 000 M. haben. Infolgedessen ist es selbstverständlich richtig, dass, 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


wenn überhaupt gebaut werden soll, mit dem Bau so bald wie möglich 
begonnen werden muss, wenn nicht unser Vermögen allmählich durch 
die Zinsen und Reparaturen der alten Häuser aufgezehrt werden soll. 
Nun stellt sich aber eine andere Frage ein, und das ist die, wie es mit 
den vorhandenen 280 000 M. möglich sein wird, einen solchen Bau zu 
errichten. Wir haben vorläufig absolut keine Unterlagen, was dieser 
kosten wird. Ich habe mir, als der Ankauf vorgeschlagen wurde, schon 
erlaubt, vor demselben zu warnen, da wir gar nicht wissen können, was 
besonders der Untergrund verschlingen wird; denn in dieser Gegend 
kostet derselbe sehr häufig verhältnismässig ebensoviel wie das, was Sie 
über der Erde sehen. Für die Gebäude in der Umgebung ist, wie mir 
bekannt, ein so enormes Geld von dem Untergrund verschlungen worden, 
dass selbst die Tiefbaugesellschaften, welche diese Bauten unternommen 
haben, in ihrer Kalkulation sich geirrt haben und noch gewaltige Zu¬ 
schüsse leisten mussten. Es handelt sich also in erster Reibe darum, 
festzustellen, wie wir die nötigen Mittel aufbringen, um den Bau über¬ 
haupt beginnen zu können, und zweitens, was dieser überhaupt kosten 
würde. Es ist durchaus notwendig, diese Fragen zunächst zu erledigen. 
Ich möchte mir gefälligst die Anfrage erlauben, was die Herren darüber 
denken. Dann wird es sich darum handeln, festzustellen, woher denn 
das Geld genommen werden soll. (Heiterkeit.) Vorläufig ist es nicht 
vorhanden. Selbst wenn Sie eine grosse Hypothek aufnehmen, was 
augenblicklich auch nicht gerade leicht sein wird, so möchte ich wissen, 
wie es möglich sein wird, mit dieser auszukommen. Eine zweite Hypo¬ 
thek werden Sie überhaupt kaum bekommen, da die Rentabilität des 
Hauses sehr zweifelhaft ist. 

Sie sehen also, dass vorläufig zwar alles sehr schön klingt, dass 
aber eine Basis, mit welchen Mitteln der Bau ausgeführt werden soll, 
vorläufig nicht vorhanden ist. 

Vorsitzender Herr Landau: Wir haben die Beratung über den Be¬ 
ginn des Baues des Virchow-Hauses heute nicht auf die Tagesordnung ge¬ 
stellt. Vorstand und Ausschuss halten es für ganz selbstverständlich, dass, 
bevor mit dem Bau begonnen wird, alle die von Herrn Lublinski mit 
Recht ausgesprochenen Punkte genau geprüft werden müssen. Ich kann 
aber bezüglich des Untergrundes des Grundstücks Luisenstrasse die be¬ 
ruhigende Erklärung abgeben, dass dieser, wie die eingereichten Bohr¬ 
proben gezeigt haben, ausgezeichnet ist. Beiläufig bemerkt, beruht die 
Ausführung des Baues auf einem Beschluss des Vorstandes, des Aus¬ 
schusses und der überwiegenden Mehrheit der Generalversammlung. 
Ausserdem möchte ich noch hervorheben, dass wir ausser dem Vermögen 
von 280 000 M. bereits für den Grund und Boden 206 000 M. bezahlt 
haben, so dass wir eigentlich über 486 000 M. verfügen. Selbstver¬ 
ständlich wird dieser Bau nur mit Zustimmung einer erst einzuberufenden 
Generalversammlung begonnen werden. 

Es handelt sich heute nur darum, den Bericht zu erstatten, nicht 
darum, Beschlüsse zu fassen. Dazu muss der Vorstand und die Rudolf 
Virchow-Kommission Ihnen erst einen detaillierten Antrag unterbreiten. 
Die Generalversammlung bindet sich also heute gar nicht. 

Wahl des Vorstandes. 

Die Wahl des ersten Vorsitzenden muss statutengemäss durch 
Stimmzettel erfolgen. Die vorgenommene Wahl ergibt: Es sind abge¬ 
geben 250 Stimmen, davon erhielt Herr Orth 225 Stimmen, zersplittert 
sind 17 Stimmen, ungültig 1, unleserlich 1, ein Zettel war unbeschrieben. 
Herr Orth ist somit gewählt. (Beifall.) 

Bei der Wahl der drei Stellvertreter des Vorsitzenden wird Wider¬ 
spruch gegen Akklamation erhoben. Nach einer längeren Geschäfts¬ 
ordnungsdebatte wird die Wahl statutengemäss einzeln vorgenommen. 

Bei der Wahl des ersten Stellvertreters werden abgegeben 
290 Stimmen. Die absolute Majorität beträgt 146. Es erhielten Herr 
Landau 190, Herr Bier 75, Herr Kraus 19, Herr Israel 8, die 
übrigen waren zersplittert. Gewählt ist demnach Herr Landau. 
(Beifall.) 

Die Wahl des zweiten Vorsitzenden wird noch vorgenommen, das 
Resultat wird aber erst in der nächsten Sitzung verkündet werden. Die 
übrigen Wahlen werden auf die nächste Sitzung vertagt. 

Die Diskussion über den Vortrag des Herrn Orth und der Vortrag 
von E. Saul werden vertagt. 

Berliner Gesellschaft für Psychiatrie, und Nervenkrankheiten, 
(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 13. Januar 1913. 

Vorsitzender: Herr Liepmann. 

Schriftführer: Herr Henneberg. 

Neuwahl des Vorstandes und der Aufnahmekommission. 
Zum ersten Vorsitzenden wird Herr Bonhoeffer, zum zweiten Herr 
Liepmann, zum dritten Herr Bernhardt, zuSchriftführern die Herren 
Henneberg und Förster gewählt. 

Vor der Tagesordnung. 

1. Hr. 0. Maas weist auf die Beobachtungen von L otmar 1 ) hin, 
der bei Kleinhirnerkranknng auf der stärker betroffenen Seite Herab¬ 
setzung der Schwerempfindung beobachtet hatte, und demonstriert kurz 

1) Monatsschr. f. Psych. u. Neurol., Bd. 24. 


einen Patienten, bei dem dies Symptom in sehr ausgesprochenem Maasse 
besteht, und bei dem es sich wahrscheinlich um einen Herd im Binde¬ 
arm, also um Unterbrechung von vom Kleinhirn cerebralwärts ziehenden 
Fasern handelt. 

Eingehend bespricht Vortr. dann einen Fall, den er seit längerer 
Zeit in Beobachtung hat, den er aber wegen akuter Erkrankung des 
Patienten nicht demonstrieren kann; Asynergie cörebelleuse sowie eine 
Reihe anderer Symptome weisen hier auf einen Herd im Kleinhirn, vor¬ 
wiegend in der linken Kleinhirnhälfte, hin. Gewichte werden in der 
linken Hand stark unterschätzt. 

Falls in einem derartigen Falle die anatomische Untersuchung er¬ 
geben sollte, dass der Krankheitsprozess sich tatsächlich auf das Klein¬ 
hirn beschränkt, so würde bewiesen sein, dass die Störung der Schwere- 
empfiodung Folge der Kleiobirnerkrankung sein kann, und es würden 
unsere Kenntnisse von der Kleinhirnfunktion gefördert sein. 

(Autoreferat.) 

2. Hr. Cassirer demonstriert einen Fall von Sclerwdermia diffasa. 

Der jetzt 50jährige Mann ist bis auf typische Migräoeanfälle, an 
denen er seit der Jugend litt, bis vor zwei Jahren gesund gewesen. 
Damals begann das jetzige Leiden mit Anschwellung, Kriebeln und 
Taubheitsgefühl in beiden Händen und Füssen. Die Hände wurden 
dunkelblau und kalt. Allmählich stellte sich eine Spannung in der 
Haut des Bauches, des Thorax, der Oberschenkel und Oberarme ein, die 
so stark wurde, dass sie ihn beim Bücken, beim Erheben der Arme, 
beim Umdrehen, schliesslich, namentlich in letzter Zeit, beim Atmen 
hinderte. Die Untersuchung ergibt jetzt: Hände und Füsse auffällig 
gross und plump, namentlich die ersteren kalt, cyanotisch und intensiv 
schwitzend. Haut an Oberschenkeln, am ganzen Rumpf und Oberarmen 
glatt, fest, verdickt, prall elastisch und namentlich am Thorax mit der 
Unterlage fest verwachsen. Farbe bräunlichrot; die Verdickung erstreckt 
sich stellenweise auch auf die tieferen Teile, namentlich sind die Muskeln 
vielfach mitbetroffen, auch dort affiziert, wo die Haut wie an den Unter¬ 
schenkeln und Unterarmen nicht wesentlich verändert ist. Sehr deutlich 
ist diese Myosklerose auch an den Masseteren. Ferner findet sich eine 
Beteiligung der Schleimhäute des Mundes. Motilität, Sensibilität, Sehnen¬ 
reflexe intakt. Die Aufnahme der Gefässreflexe mittels des Plethysmo¬ 
graphen ergibt schwere Störungen. Bei Strichen über die Haut kommt 
es allmählich zu einer langanhaltenden Kontraktion der Hautgefässe, so 
dass ein weisser Strich entsteht. Auch der Bayliss’sche Gefässreflex 
fehlt. Die Loewi’sche Adrenalinprobe fällt negativ aus, ebenso der Ver¬ 
such auf alimentäre Glykosurie. Die subcutane Injektion von Adrenalin 
wurde nicht gewagt. Der Blutdruck ist dauernd normal. 

Tagesordnung. 

Diskussion zu dem Vortrag des Herrn Lewandowsky: Die aeiere 
Entwickln^ unserer Kenntnis vom sympathischen Nervensystem. 

Hr. Feilchenfeld: Herr Lewandowsky erkennt in der Willkürlich- 
keit keinen prinzipiellen Gegensatz an zwisohen dem cerebrospinalen und 
dem sympathischen System, sondern nur einen Unterschied des Grades. 
Als Beispiele nannte er neben der Blase, die wesentlich kompliziertere 
Verhältnisse aufweist, die Pupillenbewegung. Was Herr Lewandowsky 
in bezug hierauf ausführte, ist von weitgehendem psychologischen Interesse, 
und ich möchte deswegen auf den von ihm entwickelten Gedanken näher 
eingehen, obwohl innerhalb des vielen, das uns dieser Vortrag brachte, 
von ihm selbst die Frage nur vorübergehend gestreift wurde. Er sagte 
nämlich: Wir „wollen“ einen nahen Punkt betrachten, und kraft 
dieses Willensimpulses bewegen sich gleichzeitig die Augen nach ein¬ 
wärts und verengt sich die Pupille. Dabei sei die Kontraktion quer¬ 
gestreifter Recti interni in nicht höherem Maasse gewollt als die des 
glatten Sphincter pupillae, und von der einen wussten wir so wenig wie 
von der anderen. Treffend sondert Herr Lewandowsky hier also zwei 
für unsere Frage wichtige, aber doch psychologisch getrennte Seelen¬ 
vorgänge, das Wollen der Bewegung und das Wissen von der Be¬ 
wegung. Beide Akte sind nicht nur psychologisch getrennt, sondern 
auch in Wirklichkeit voneinander unabhängig. Sie stehen aber in der 
Tat zueinander in Beziehung; denn es liegt im Interesse der Oekonomie 
des Centralnervensystems, dass das Grosshirn dort, wo es auf das körper¬ 
liche Geschehen keinen willkürlichen centrifugalen Einfluss ausübt, 
auch von centripetalen Zuflüssen sich emanzipiert hat, etwa wie der 
Chef eines Grossbetriebes über Angelegenheiten, deren Entscheidung 
er niederen Instanzen überlässt, auoh nicht durch Berichterstattung 
belästigt werden möchte, also mit anderen Worten, dass das Ungewollte 
auch unbewusst bleibt. Die Pupillenbewegung ist ja nun gewiss un¬ 
bewusst. Es fragt sich nur, ob das auch für die Aktion der quer¬ 
gestreiften Recti interni, also die Konvergenz, zutrifft. Die Empfindung 
derselben ist in der Tat schwächer als bei der Skelettmuskulatur. Das 
ist aber ätiologisch und teleologisch in dem verschiedenartigen Zweck 
begründet, dem die am Auge und, beispielsweise am Bein, ansetzende 
Muskulatur dient. Diese wirkt an dem Stütz- und Bewegungsorgan des 
Körpers und ist ganz auf kinästhetische Empfindungen angewiesen, wenn 
es darauf ankommt, dem Bewusstsein von dem ordnungsmässigen Vollzug 
der gewollten Bewegung Bericht zu erstatten. Hier ist die Lokomotion 
das Ziel der willkürlichen Bewegung und muss daher als solche 
empfunden werden. Am Sehorgan ist die Lokomotion nur ein Mittel, 
das Sehen Ziel und Zweck der Bewegung. Am Sehorgan berichtet 
über den Vollzug der gewollten Bewegung der optische ßfekt auf der 
Netzhaut. Will ich einen linksliegenden Gegenstand fixieren, so erfahre 
ich, dass die entsprechende Linkswendung des Auges ausgeführt ist da- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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durch, dass der betrachtete linksliegende Punkt sich jetzt auf meiner 
Macula abspiegelt. 

Im Dunkeln sind wir über die Lage unserer Augen in der Tat 
grober Täuschung ausgesetzt, aber doch nicht, selbst wenn wir die 
Oberflächensensibilität durch Cocainisierung ausschalten, in dem Maasse 
unorientiert wie über das Pupillenspiel, von dem das Bewusstsein gar 
keine Kenntnis hat. Der von mir angenommene prinzipielle Gegensatz 
des Bewusstwerdens zwischen glatter und quergestreifter Muskulatur gilt 
also auch für die Augenmuskeln, nur dass bei diesen das Bewusstwerden 
ein vorwiegend optisches werden musste, wenn die kinästhetische 
Komponente keineswegs ganz verdrängt ist. 

Es ist wahrscheinlich, dass ein ähnlicher Gegensatz wie in der Be¬ 
wusstheit auch in der Willkürlichkeit besteht, dass also die bewusst 
werdende Konvergenz willkürlich, das unbewusst bleibende Pupillenspiel 
unwillkürlich ist. Willkürlich nennen wir eine Handlung, wenn das 
Ziel derselben bereits in dem Impuls vorausgeschaut mitenthalten ist. 
Nun liegt mir, wenn ich einen nahen Punkt fixieren will, ganz gewiss 
fern, die Pupille verengen zu wolleo. Die Konvergenz hingegen ist 
gerade das, was ich will. Sie ist die Nahefixation und prinzipiell 
genau dasselbe, wie wenn ich meine Fusssohle auf einen bestimmten 
Punkt setzen will, nur dass hier schon die Bewegung an sich Zweck ist, 
dort die durch die Bewegung zu bewirkende optische Einstellung, ein 
Unterschied, der, wie ich dargclegt habe, in den verschiedenen Zwecken 
beider Organe als selbstverständlich enthalten ist, und die binoculare 
Konvergenz muss geradeso wie jede coordinierte Bewegung des Beines 
oder Armes im individuellen Leben erlernt werden, während die Pupillen¬ 
reaktion ein fertig mitgeborener Reflex ist. Ist eine coordinierte 
Willkürbewegung einmal erlernt, dann freilich bezieht sich der Wille 
nur auf diese, nicht auf die einzelnen, an ihr beteiligten Muskeln, von 
deren Vorhandensein und Funktion der Laie ja nichts weiss. Das ist 
bei den Interni nicht anders als bei dem Quadriceps. 

Jener von Herrn Lewandowsky erwähnte Mann, der die Inner¬ 
vierung einzelner Muskeln zu einer verblüffenden Vollkommenheit ent¬ 
wickelt hat und sich damit gelegentlich zur Schau stellt, bringt eine 
Anisocorie nicht zustande. Ein Einfluss auf die beiderseitige 
Pupillenweite ist durch Erweckung von Vorstellungen oder Affekten auf 
mittelbarem Wege erreichbar. Dieser Einwand ist auch bei den 
seltenen Beobachtungen möglich, in denen Hysterische die Pupillen¬ 
reaktion vermissen liessen, was Herr Lewandowsky als willkürliche 
Beherrschung der Pupille deutet. 

Zweifelhafter als bei dem Sphincter pupillae liegt die Frage bei 
dem Musculus ciliaris, den Herr Lewandowsky in seinem Vortrage 
nicht angeführt, aber in seinem Buche über die „Funktionen des Central¬ 
nervensystems“ mit grösserem Recht als das klassische Beispiel einer 
sympathischen Wilikürbewegung bezeichnet hat. Ich muss anerkennen, 
dass die Akkommodation zum Zweck des Nahesehens gehört, also auch 
sie ähnlich wie die Konvergenz der Verwirklichung meiner Willens¬ 
absicht dient. Ob die eine dabei ebenso willkürlich vertreten ist wie 
die andere, darüber kann die Selbstbeobachtung uns gar nichts 
sagen; denn der Wille bezieht sich bei einer eingeübten coordinierten 
Bewegung immer nur auf den Gesamtzweck der Bewegung, während 
die Coordination subcortical und unbewusst abläuft. Es ist sehr wohl 
möglich, dass bei dem Nahesehen Akkommodation und Konvergenz als 
gleichberechtigte Faktoren in derselben Weise zusammen arbeiten 
wie der Tibialis und die Peronei bei der Dorsalflexion des Fusses. Es 
könnte aber auch anders sein; denn bei allen anderen Bewegungs- 
coordinationen gibt es eine Mannigfaltigkeit der Möglichkeiten, die ein 
verschiedenes gradweises Mitarbeiten der einzelnen Muskeln und ein 
Heranzieben bald dieser, bald jener Hilfsmuskeln erfordert. Nirgends 
sonst trifft sich ein mathematisch abgestuftes Gesetz, dass wie bei dem 
Nabesehen zwei stetig sich ändernde Variablen in direkter Proportion 
voneinander abhängig sind, so dass jeder Aenderung der Konvergenz¬ 
winkel eine entsprechende Aenderung der Akkommodation zugeordnet 
ist. Hier ist ein direkter Impuls zu beiden Variablen jedenfalls ent¬ 
behrlich, und der Mechanismus läuft mindestens ebenso exakt ab, wenn 
der Impuls zu der einen Variablen gesandt wird und die eindeutig ab¬ 
hängige Variable auf dem Wege der reflektorischen Mitbewegung ähnlich 
wie die Pupillenbewegung mit der Konvergenz wächst oder abnimmt. 
Bei Tiergattungen mit quergestreifter Ciliarmuskel mag immerhin der 
andere, ja auch mögliche Mechanismus Platz gegriffen haben. Unter 
den Ausnahmebedingungen des Experiments und innerhalb sehr enger 
Grenzen kann man freilich Konvergenz und Akkommodation voneinander 
unabhängig machen, indem man einen bestimmten nahen Punkt fixiert und 
bei festgebaltener Akkommodation die Konvergenz durch Prismen ändert 
oder bei festgehaltener Konvergenz die Akkommodation durch Konvex¬ 
gläser. In diesem Experiment gelingt es also, die Konvergenz und die 
Akkommodation zu isolieren und jede in ihrer psychischen Eigenart zu 
beobachten. Beide sind in diesem Ausnahmefalle sicher unwillkürlich, 
da der Wille zur Fixation sich ja nicht ändert. Es sind reine, optisch 
ausgelöste Reflexe oder vielleicht Triebe. Für mich aber wenigstens 
trifft es zu, dass ich unter dieser Bedingung den Konvergenzzwang will¬ 
kürlich hemmen, also Doppelbilder erhalten oder vermeiden kann, dass 
die Akkommodationseinstellung aber zwingend abläuft und unbeeinflussbar 
ist. Bei dem Mikroskopieren oder Ohtbalmoskopieren entspannen wir die 
Akkommodation mittels Entspannung unserer Konvergenz. Innerhalb 
des Gebietes, das ich zu übersehen in der Lage bin, scheint mir die 
willkürliche Beherrschung glatter Muskeln ‘nicht bewiesen und nicht? 
wahrscheinlich. 


Hr. Jaoobsohn demonstriert im Anschluss an den Vortrag des 
Herrn Lewandowski Präparate vom menschlichen Rückenmark und 
vom Hirnstamm, um die bisher ziemlich sicher gestellten sympathischen 
motorischen Kerne des Centralnervensystems zu veranschaulichen. Diese 
Zellgruppen zeigen folgende charakteristische Merkmale. Sie bilden stets 
kleinere circumscripte Zellhaufen und die Zellen liegen in diesen 
Haufen dicht gedrängt aneinander. Die Zellen sind etwa halb so 
gross wie die motorischen Zellen, sie sind entweder bläschenförmig oder 
stumpf polygonal oder keulenförmig. Diese Formen liegen oft durch¬ 
einander gemengt, es können sich aber auch Gruppen bilden, in denen 
nur die eine oder andere Zellform vorkommt. Die sympathischen Gruppen 
haben ferner das charakteristische, dass sie sich den Gruppen der grossen 
motorischen Zellen dicht anlagern; das ist sowohl im Rückenmark wie 
im Hirnstamm der Fall. Auch der dorsale Vaguskern liegt in seinem 
proximalen Abschnitte dem motorischen Vaguskern (Nucleus ambiguus) 
dicht an. Im Rückenmark finden sich drei sympathische Zellsäulen. 
Die längste ist diejenige des Seitenbornes; sie beginnt an der Grenze 
zwischen Hals- und Brustmark und ist hier der lateralen Gruppe der 
grossen motorischen Zellen dicht angelagert. Nach Verschwinden dieser 
motorischen Zellen liegt sie frei im Seitenhorn und im angrenzenden 
Processus reticularis. Diese Zellsäule (Nucleus sympathicus lateralis 
superior medullae spinalis) erstreckt sich nach abwärts bis an die Grenze 
zwischen dem zweiten und dritten Lurabalsegment. Die zweite Zell¬ 
säule (Nucleus sympathicus lateralis inferior) liegt im Sacralmark. 
Sie beginnt an der Grenze zwischen dem zweiten und dritten Sacral- 
segment und erstreckt sich abwärts bis in das Coccygealmark. Auch 
sie legt sich in ihrem obersten Abschnitt dicht lateral an die grossen 
Zellen der lateralen motorischen Gruppe an und wird gleichfalls nach 
Verschwinden der letzteren frai, d. h. liegt alsdann als isolierte Gruppe 
an der Grenze zwischen Vorder- und Hinterhorn. Die dritte Zellsäule 
ist nicht lateral, sondern medial von den grossen motorischen Zellen der 
lateralen Gruppe des Sacralmarks gelagert. Sie liegt am ventralen und 
am medialen Rande des Vorderhornes; sie ist am stärksten im zweiten 
Sacralsegment entwickelt und ist in kleinen Gruppen auch bis ins 
Coccygealmark zu verfolgen. Wegen ihrer medialen Lage wird sie als 
Nucleus sympathicus medialis bezeichnet. 

Die Zellen des Seitenhorns sind schon von vielen Forschern nach 
experimentellen Untersuchungen am Tier als Centren des sympathischen 
Systems bezeichnet worden (Onuf und Collins u. a.). 

Beim Menschen hat Jacobsohn wohl als erster einen Fall unter¬ 
sucht, der ziemlich beweisend für den Zusammenhang dieser Zellgruppen 
mit dem Sympathicus ist. Es handelte sich um ein Carcinom der 
Mamma, welches den ganzen Plexus brachialis, die erste Dorsalwurzel 
mit eingeschlossen, zerstört hatte. Klinisch waren neben der motorischen 
und sensiblen Lähmung des entsprechendes Armes die bekannten oculo- 
pupillären Symptome auf der gleichen Seite aufgetreten. In diesem 
Falle ergab die anatomische Untersuchung eine schwere Chromolyse der 
grossen motorischen Zellen des Vorderhorns im untersten Hals- und im 
obersten Brustraark und ferner auch eine deutliche, wenn auch nicht so 
schwere Chromolyse der Zellen des Seitenhornes im achten Cervical- 
und ersten Dorsalsegraent. Dieser Befund ist dann einige Jahre später 
von Marinesco an gleichen Carcinomfällen und an solchen Fällen be¬ 
stätigt worden, in denen Jonescu bei Morbus Basedowii das Ganglion 
supremum des Sympathicus exstirpiert hatte. Ist damit für einen Teil 
der vorher bezeichneten Gruppen der ziemlich sichere Nachweis erbracht, 
dass sie Centren des sympathischen Systems im Rückenmark darstellen, 
so kann man es für die anderen Gruppen mit hoher Wahrscheinlichkeit 
annehmen, weil sie in ihrer Form, Gruppierung und Lagerung so grosse 
Aehnlichkeit miteinander zeigen, weil sie ferner ausserordentlich ähnlich 
der Kerngruppe des dorsalen Vaguskernes und des sogenannten Edinger- 
Westphal’schen Kernes sind, die allseitig zum sympathischen System 
zugehörig betrachtet werden, und weil sie schliesslich nur in solchen 
Regionen des Rückenmarks gefunden werden, aus welchen Rami communi- 
cantes zum Sympathicus abgehen. 

Hr. Cassirer: Es ist meines Erachtens ein grosses Verdienst der 
Ausführungen des Herrn Lewandowsky, mit besonderer Schärfe darauf 
hiogewiesen zu haben, dass die Aufstellung des Gegensatzes zwischen 
autonomem und sympathischem System nur einen kleinen Abschnitt aus 
der Physiopathologie des vegetativen Systems berücksichtigt, und dass 
es keineswegs angeht, an diesem Maassstabe unter Vernachlässigung aller 
anderen physiologischen und anatomischen Eigenheiten die Leistungen 
dieses Systems zu messen, zumal eben doch, wie besonders das Beispiel 
der Schweissdrüsen mit voller Evidenz zeigt, auch pharmakologisch diese 
Gegenüberstellung keine zwingende ist. Es ist ganz gewiss äusserst ge¬ 
fährlich, wozu jetzt offenbar einige Neigung besteht, aus dem pharma¬ 
kologisch abweichenden Verhalten der Schweissdrüsen zu schliessen, dass 
unsere Kenntnisse über ibro Innervation falsch sind; da steckt ein 
logischer Fehler dahinter. Dass es übrigens in der Pathologie keine 
reinen sympathico- und vagotropen Symptomenkomplexe gibt, wird all¬ 
seitig zugegeben. Dagegen ist für die Pathologie von anscheinend grösster 
Bedeutung eine andere durchgehende Eigenheit des vegetativen Systems: 
die mehr oder minder grosse Selbständigkeit seiner untergeordneten 
Centren. Daraus ist es zu verstehen, dass die Ausschaltung über¬ 
geordneter Centren keine dauernde Schädigungen, z. B. auf dem Gebiete 
der Vasomotilität zu schaffen braucht, weil die niederen Centren alsbald 
vollkommen die Rolle der übergeordneten übernehmen können. Etwas 
anders liegt die Sache, wenn es sich, wie in der Pathologie so oft, nicht 


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4G2 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


um eine vollkommene Ausschaltung, sondern um einen krankhaften Reiz¬ 
prozess in den höheren Centren handelt, dem sich die tieferen Centren 
ja auf keine Weise entziehen können. Während wir genügend Anhalts¬ 
punkte etwa auf dem Gebiete der Motitität für die Unterscheidung der 
Störungen der höheren und tieferen Centren besitzen — wir können ja 
auch ohne weiteres die durch Affektion der Pyramidenbahnen hervor¬ 
gerufenen von den durch Erkrankung des spinal peripheren Neurons 
ihrer Art nach unterscheiden —, fehlen uns auf dem Gebiete der Vaso- 
motilität bisher alle Möglichkeiten einer solchen qualitativen Diffe¬ 
renzierung, und wir sind beim Versuch, sie in die verschiedenen Ab¬ 
schnitte des vegetativen Systems zu verlegen, ganz und gar auf die Be¬ 
gleitsymptome aus der Sphäre des cerebrospinalen Systems angewiesen. 
Auf diese Weise lernen wir vasomotorische Störungen, die offensichtlich 
durch Erkrankungen der verschiedensten Gebiete des Vasoraotoren- 
systems bedingt sind, kennen, ich erinnere an den vasomotorischen 
Jackson der Hirnrinde, an die die Hemiplegien begleitenden vasomotori¬ 
schen Störungen, an die entsprechenden bei der Gliosis und bei den 
peripheren Neuritiden und Nervenverletzungen. Aber immer sind wir 
nur aus den begleitenden Symptomen bzw. der Ausdehnung der Störungen, 
imstande, den Ort ihrer Entstehung zu vermuten. Die Art der Symptome 
ist für unsere klinische Erkenntnis bisher nicht differenziert. Daran 
haben auch die neueren Methoden, insbesondere die plethysmographischen 
Untersuchungen nichts geändert. Wenn Herr L. nun behauptet, dass 
bei einem grosseu Teil der genannten vasomotorischen Neurosen der 
Sitz der Störungen in der Peripherie zu suchen ist, so kann man ihm 
aus der Art der Störungen das Gegenteil nicht beweisen, aber zahlreiche 
andere klinische Erwägungen: ihre Entstehung, die Art der Begleit¬ 
symptome spricht durchaus für die centrale Genese der in Frage 
kommenden Erscheinungen. Es ist ohne weiteres vorauszusetzen, dass 
es auch Erkrankungen der periphersten vegetativen Abschnitte gibt, 
vielleicht gehören hierher gewisse Formen von peripherer Erythromel- 
algie, von umschriebener Sklerodermie, von beschränktem und immer 
wieder an derselben Stelle auftretendem flüchtigen Oedem. 

Eine weitere Eigenschaft des vegativen Systems, die von Herrn 
L. hervorgehobene Steigerung der Erregbarkeit der peripheren Teile 
durch Enervierung, muss zweifellos auch für die Pathologie von grosser 
Bedeutung sein, aber ist doch bisher für die Klinik noch an keiner, 
ausser an der von Herrn L. angegebenen Stelle fruchtbar gewesen. 

Hr. Peritz ist bei dem Vortrag des Herrn Lewandowsky nicht 
klar geworden, ob er den Begriff des Vagotonus oder Syrapathicotonus 
vollkommen ablehnt, oder nur die Definition des Sympathico- und des 
Vagotonus, wie sie die Wiener Schule gibt. Ira letzteren Fall stimmt 
Heir Peritz vollkommen mit Herrn Lewandowsky überein, wie ja 
auch Petren und Thorling und ebenso Bauer zu der gleichen An¬ 
schauung gekommen sind. Endlich haben auch Schwenker und 
Schlecht neuerdings, ebenso wie Aschenheim und Tornono und 
schliesslich Skorzefski und Wasserberg die von Bertclli, Falta 
und Schweeger gefundenen Veränderungen des Blutbildes durch die 
Pharmaka nicht bestätigen können. Skorzefski und Wasserberg 
haben ausser der Injektion von Pilokarpin und Adrenalin die fieigelegten 
Nervenstränge direkt elektrisch gereizt, aber auch dort ein negatives 
Resultat erzielt. Dagegen ist Peritz der Ansicht, dass man unbedingt 
von einem Vagotonus und Sympathieotonus sprechen kann, wobei unter 
Tonus das Uebergewicht eines dieser beiden Systeme über das andere 
zu verstehen ist. Der Begriff des Vagotonus ist zuerst in der inneren 
Medizin geprägt worden. Der Gegensatz zwischen Vagus und Acceleraus 
wurde zuerst am Herzen beobachtet, und hier konnte man experimentell 
und in der Pathologie das Ueberwiegen des einen oder des anderen 
Nerven feststellen. Es soll hier nur an die Sinusirregularitäten erinnert 
werden, wie sie Mackenzie bezeichnet, die in einer Unregelmässigkeit 
der Pulsgeschwindigkeit besteht, wobei gewöhnlich ein Zusammenhang 
mit der Respiration vorhanden ist. Diese Irregularität ist die Folge einer 
Vagusreizung und kann hervorgerufen werden dadurch, dass man den 
Patienten schlucken oder langsam einatmen lässt. Man kann nach 
Hering den Pulsus irregularis respiratorius direkt als eine wertvolle 
Funktionsprüfung der Herzvagi betrachten. Dazu kommt, dass man 
auch mittels des Aschner’schen oder Czermack’schen Versuches, wobei 
man durch Druck auf den Bulbus eine Verlangsamung oder Aussetzen 
des Pulses erhält, eine Funktionsprüfung des Vagus vornehmen kann. 
Man hat also ausser den pharmakologischen Mitteln eine Anzahl Me¬ 
thoden zur Hand, mittels deren man den Tonus des Vagus zu prüfen 
vermag. Dass es Vagusneurosen gibt, ist wohl nicht zu bestreiten. 
Dahin gehört vor allen DiDgen das Asthma nervosum, nach dem schon 
Einthoven und Beer nachgewiesen haben, dass ein Bronchialmuskel- 
krarapf durch Reizung der peripheren Vagi zu erzielen ist. Auch die 
Beseitigung eines Anfalls von Asthma bronchiale durch Atropin spricht 
dafür, dass es sich um eine Uebererregbarkeit des Vagus handelt. Von 
Zuelz er wird ferner eine akute Lungenlähmung als Vagusneurose an¬ 
gesprochen. 

Für eine stärkere Erregbarkeit des Sympathicus spricht nach Peritz 
die Hypertonie der Arteria radialis, die man nach Veiel auch bildlich 
registrieren kann. Peritz hofft in nächster Zeit derartige Bilder zeigen 
zu können, bei denen im dikroten Schenkel mehrere deutliche Schwan¬ 
kungen zu sehen sind, die auf die stärkere Elastizizitätsspannung der 
Arterien zurückzuführen sind, während bei der arteriosklerotischen 
Arterie alle Schwankungen im dikroten Schenkel fehlen. Ebenso kann 
man die kalten und lividen Hände und Füsse im Sinne der Diagnose 


eines Sympathieotonus verwenden. Ob es nun reine Sympathicusneurosen 
gibt, ist zweifelhaft, nachdem man festgesteilt hat, dass bei der Base¬ 
dowschen Krankheit auch der Vagus miterkrankt ist. Dafür sprechen 
die Aktionspulse und, worauf Kraus und Friedenthal hinweisen, der 
normale Blutdruck, während man bei einer Uebererregbarkeit des Sym¬ 
pathicus erwarten müsste, dass der Blutdruck infolge der Widerstände 
im peripheren Gefässsystem gesteigert ist. Dagegen liegt die Möglich¬ 
keit vor, dass die meuopausischcn Beschwerden als eine reine Sym- 
pathicusneurose aufzufassen sind, zumal Sc bi ekele und Adler bei 
diesen Zuständen einen erhöhten Blutdruck nachweisen konnten. 

Dagegen scheinen Peritz die Pharmaka nicht geeignet zur Be¬ 
stimmung des Tonus im vegetativen Nervensystem. Einmal sind diese 
Mittel bei ihrer Anwendung nicht so ungefährlich, wie Falta sie hin¬ 
stellt. Nach Adrenalin kommt nicht zu selten Collaps vor. Ausserdem 
aber kommt ein anderer Punkt in Bctrachj. Peritz hat bei der 
Spasmophilie der Erwachsenen zeigen können, dass eine allgemeine 
Uebererregbarkeit des gesamten vegetativen Nervensystems besteht, so¬ 
wohl des Vagus wie des Sympathicus. Hier muss mittels der Pharmaka 
ein Ausschlag nach beiden Seiten erfolgen. Und daher kommen ja auch 
Petren uud Thorling zu der Anschauung, dass es sich bei ihren 
nach den Methoden der Wiener untersuchten Fällen um eine allgemeine 
Uebererregbarkeit des Nervensystems handelt. Bei den Spasmophilen 
handelt es sich nicht um einen erhöhten Tonus des einen oder anderen 
Nervensystems, sondern um eine Labilität des gesamten, daher sind die 
Spasmophilen zu den Vasomotorikern zu rechnen, unter denen sie eine 
Gruppe darstellen. 

Hr. Oppenheim: Das Referat des Herrn L. hat uns viel Anregung 
geboten; einzelne seiner Ausführungen fordern aber den Widerspruch 
heraus. Man mag über die Müller’sche Theorie denken wio man will 
und besonders seine Lehre vom Einfluss der Stimmungen auf den Bio¬ 
tonus des Gehirns und Rückenmarks ablehnen, aber an der Tatsache ist 
doch nicht zu rütteln, dass ein fundamentaler Unterschied zwischen 
emotioneller und willkürlicher Innervation besteht, dass die unter dem 
Einfluss des vegetativen Nervensystems stehenden Apparate nicht will¬ 
kürlich beherrscht, aber emotionell erregt werden. Die Tätigkeit unserer 
Tränendrüse können wir nicht willkürlich ins Spiel setzen, wir bedürfen 
dazu der Erregung eines Gefühlsvorgangs, und das ist zweifellos auch 
der Weg, auf dem der gute Schauspieler zu weinen vermag; Herr Lewan¬ 
dowsky hat nun sogar von der willkürlichen Innervation der Pupillen¬ 
muskeln gesprochen und sich dabei auf die vereinzelten Individuen be¬ 
zogen, die die Pupille willkürlich beeinflussen können. Es ist ihm schon 
von Müller mit Recht eutgegengebalten worden, dass es sich dabei um 
die besondere Geschicklichkeit in der Erweckung eines Affektes oder der 
Vorstellung des Fern- oder Nahesehens handelt — wenn es überhaupt 
erlaubt ist, derartige nur bei ganz vereinzelten Personen vorkommende 
Phänomene für die Lösung dieser Fragen zu verwerten. 

Bezüglich der angenommenen willkürlichen Innervation des Akkom¬ 
modationsmuskels hat Herr Feilchenfeld schon in vortrefflicher W 7 eise 
die gegen Herrn L. sprechenden Argumente angeführt. 

Bei der Harnentleerung dürfte die willkürliche Anspannung der 
Bauchmuskeln als auslösender Vorgang eine wesentliche Rolle spielen. 

Es ist mir dann noch ein Widerspruch in den Auslassungen 
Lewandowsky’s aufgefallen; er betonte die grosse Selbständigkeit der 
sympathisch innervierten Organe und sprach sogar von speziellen 
Neurosen derselben. Andererseits leugnete er die Refleitätigkeit im 
sympathischen Nervensystem. Wie ist das in Einklang zu bringen? 

Wenn sich z. B. die Sekretion, Resorption, Peristaltik bei der Ein¬ 
führung der Ingcsta in den Magen und Darm unabhängig vom cerebro¬ 
spinalen Nervensystem vollzieht, wie denkt sich da Herr L. diese Funktion 
ohne die Annahme peripherer Reflexvorgänge? Sie bilden meines Er¬ 
achtens eine petitio principii. 

Bezüglich der Sensibilität der inneren Organe ist es wohl fraglos, 
dass hier andere Verhältnisse vorliegen wie in der Körperperipherie. 
Einerseits ist es sicher, dass hier eine grosse Summe von Reizen, die 
der normalen Funktion entsprechen, nicht zum Bewusstsein gelangen, 
andererseits steht es fest, dass sie unter Umständen perzipiert werden 
können. Es muss also eine Leitung vorhanden sein nach den Central¬ 
organen hin, aber entweder sind hier besondere Widerstände einge¬ 
schaltet oder es besteht eine andere Einrichtung, welche derartige bis 
ins Centralorgan dringende Erregungen von diesem vernachlässigt werden 
lässt. Ueberschreitet der Reiz eine gewisse Schwelle, wird er patho¬ 
logisch verstärkt oder entwickelt sich eine centrale Hyperästhesie (eme 
Verfeinerung des Seelengehörs für innere Vorgänge) wie bei der Neur¬ 
asthenie usw., so gelangen auch diese aus dem visceralen System stam¬ 
menden Reize zur Wahrnehmung. 

Wenn ich mich recht entsinne, hat Herr Lewandowsky sich gegen 
die Berechtigung der Exner’schen Operation bei tabischen Krisen aus¬ 
gesprochen. Die theoretischen Bedenken sind begründet, aber ich muss 
doch auf eine eigene Beobachtung hinweisen, die zugunsten der Vago- 
tonie zu sprechen scheint. In einem von mir behandelten schweren 
Falle von Tabes mit hartnäckigen Krisen hatte die in Breslau ausge¬ 
führte Förstei’sche Operation versagt, während die im Anschluss dann 
dort ausgefübrte Exner’sche die Krisen völlig zurückbrachte. 

Darin stimme ich Herrn Lewandowsky vollkommen zu, dass die 
Lehre von der Vagotonie und der Sympathicotonie noch auf schwachen 
Füsseu steht, und dass ä5e zweifellos viel zu vorzeitig auf die Patho¬ 
logie übertragen worden ist. Aber wir wollen da auch nicht verkennen, 


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10. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


463 


dass die Untersuchungen und Anschauungen der Wiener Schule dazu 
angetan sind, anregend und befruchtend zu wirken. (Autoreferat.) 

Hr. Lewandowsky (Schlusswort): Wenn Herr Feilchenfeld die 
Akkommodation nicht als willkürliche Bewegung betrachtet, so ist seine 
Definition der Willkür unrichtig oder wenigstens zu eingeschränkt. Wenn 
man den Begriff der Willkürlichkeit so definieren wollte wie Herr 
Feilchenfeld, würde man auch auf dem Gebiete der Körpermuskulatur 
eine grosse Reihe von Leistungen als nicht willkürlich bezeichnen müssen, 
die mit Recht allgemein als willkürlich bezeichnet werden. Die Akkom¬ 
modation ist und bleibt eine willkürliche Bewegung. Ebenso beruht die 
Blasenentleerung auf willkürlicher Innervation. Die Ansicht von Herrn 
Oppenheim, dass die Blasenentleerung mit der Bauchpresse Zusammen¬ 
hänge, kann als lange beseitigt gelten. Dass der im vorigen Winter in 
Berlin vorgestellte Mann seine Pupillen wirklich verschieden weit 
machen konnte, wird mir von Herrn Boruttau, der ihn gesehen hat, 
auf das Entschiedenste versichert. Vielleicht gelang ihm das nicht 
immer. Ich habe übrigens diese Dinge nur erwähnt mit Rücksicht auf 
die merkwürdige Behauptung Herrn L. R. Müller’s, dass es keine 
cerebralen Centren und cerebrofugalen Bahnen für das sympathische 
System gebe. Es liegt weiter nicht nur, wie Herr Cassirer sagt, kein 
Beweis gegen die Mitwirkung der Peripherie bei vielen vaso¬ 
motorischen und Organneurosen vor, sondern die Versuche von Herrn 
Simons scheinen eine solche Mitwirkung der Peripherie recht wahr¬ 
scheinlich zu machen. Herr Simons stellte fest, dass niemals — wie 
das Herr Curschmann behauptet hatte — die Gefässreflexe bei den 
vasomotorischen Neurosen dauernd fehlen, sondern dass sie nur manchmal 
und vorübergehend nicht auslösbar sind. Das sieht gar nicht nach einer 
Rückenraarksstörung aus, sondern könnte sehr wohl mit Vorgängen 
in der Peripherie in Zusammenhang stehen. Die Selbständigkeit der 
Peripherie, um auf die Frage von Herrn Oppenheim zu antworten, 
kann sich durch periphere Reflexe äussern, wenn und wo es welche 
gibt, sie kann aber auch durch direkte Einwirkung irgendwelcher Reize 
auf die Muskulatur zustande kommen. So kann die Temperatur direkt 
auf die glatten Muskelfasern der Haut wirken, und es können auch 
Stoffe vom Blut aus zugeführt werden, welche die Muskulatur oder die 
Drüsen reizen. Die Exner’sche Operation am Vagus habe ich nicht als 
unberechtigt bezeichnet, ich habe nur darauf aufmerksam gemacht, dass 
sie an einer anderen Stelle des sensiblen Weges gemacht wird, als die 
Förster’sche. Nebenbei werden bei der Exner’schen Operation auch noch 
die motorischen Vagusfasern durchschnitten, was vielleicht einen Teil 
der Wirkung erklärt. Was Herr Peritz gesagt hat, hat mit meinen 
Ausführungen über Vagotomie und Sympathicotonie überhaupt nichts zu 
tun. Es ist selbstverständlich wichtig zu wissen, welche einzelnen 
Nerven bei einer Störung im Bereiche des sympathischen Systems, z. B. 
bei einer Herzneurose oder beim Asthma beteiligt sind. Darum hat sich 
aber die Klinik auch schon vor der Aufstellung der Vagotonie und 
Sympathicotonie gekümmert. Das Neue bei diesen Aufstellungen ist nur 
die Gegenüberstellung des sympathischen Systems (im engeren Sinne) 
als einer Einheit gegen die Gesamtheit der drei anderen Systeme als 
eine zweite Einheit. Diese Gegenüberstellung ist anatomisch und physio¬ 
logisch unbegründet und hat klinisch noch keine Bestätigung erfahren. 
Trotzdem könnte sie uns — soweit sie pharmakologisch begründet 
ist — weiterführen in der Lehre von der inneren Sekretion, da es sich 
dabei um chemische Wirkungen handelt. Für die centralen Neurosen 
aber kommt die Vagotonie und Sympathicotonie als Einteilungsprinzip 
gar nicht in Betracht. (Autoreferat.) 


Berliner Gesellschaft für Chirurgie. 

Sitzung vom 3. März 1913. 

Vorsitzender: Herr Sonnenburg. 

Schriftführer: Herr Hermes. 

Hr. Sonnenburg begrüsst die vom Kriegsschauplatz zurückgekehrten 
Kollegen. 

1. Hr. Letsch: Ueber die Wirkung des Spitzgeschosses. 

Das moderne Spitzgeschoss hat in dem Balkankriege seine 
Feuertaufe erhalten, nachdem es von einzelnen Armeen schon vor¬ 
her eingeführt war. Durch umfangreiche Schiessversuche war man 
schon zuvor in der Lage, seine Wirkungen kennen zu lernen, vor allem 
den Unterschied vom ovigalen Geschoss. Die türkische Armee war mit 
Mausergewehr Modell 90/93 und 1903, Kaliber 7,65 mm, ausgerüstet, 
zunächst nur mit dem ovigalen Geschoss, später mit Spitzgeschoss, das 
jetzt ausschliesslich auch bei uns verwendet wird. Sein Kaliber ist 
7,56 mm, Geschossgewicht 10 g. Unser Geschoss hat ein etwas grösseres 
Kaliber (7,9), aber das gleiche Gewicht, so dass das türkische Geschoss 
eine schwerere Füllung haben muss. Der grösste Unterschied liegt in 
der Kaliberdifferenz. Durch Schiessversuche wurde die Abweichung des 
S-Geschosses, das Pendeln festgestellt, ferner die Deformierung: Der 
Bleikern wird, wie Küttner es ausdrückte, „wie ein Brei aus einer Tube 
ausgequetscht“. 

Die Schussverletzungen, die Vortr. gesehen, entstanden meist durch 
Schüsse aus grösseren Entfernungen. Nahschüsse waren selten, bei den 
bei Jaraboli und Kirkilissi Verwundeten häufiger. 

Die Wirkung der Spitzgeschosse auf die Körpergewebe ist folgende: 

Der Hauteinschuss ist meist kalibermässig, öfter schlitzförmig, mit¬ 
unter sehr klein, so dass nach Abfall des Schorfes nur eine kleine Nt*rbe 


sichtbar bleibt. Der Ausschuss ist wechselnd, oft sehr klein, mitunter 
jedoch bis zur Grösse eines Fünfzigpfennigstücks. Da, wo die Haut 
grössere Spannung hat, z. B. an der vorderen Tibiakante, sind grosse 
Einschussöffnungen beobachtet, 3,2:2 cm. Oft waren Einschuss und 
Ausschuss gleich gross, so dass sie, bei Weichteilschüssen des Unter¬ 
schenkels, nicht voneinander unterschieden werden konnten. Die Ent¬ 
fernung, aus der der Schuss abgegeben, konnte von den Verwundeten 
selbst oft nicht angegeben werden, ihre Angaben waren schwankend. 
Dann war das Grössenverhältnis zwischen den beiden Schusslöchern aus¬ 
schlaggebend. Die Länge des Schusskanals war oft enorm. In einem 
Fall war der Einschuss in der Fusssohle, der Ausschuss über dem 
Trochanter. Bei ähnlichen langen Schusskanälen blieben oft Gefässe und 
Nerven trotz grösster Nähe unverletzt. 

Gefässverletzungen sind sonst jedoch häufig gerade bei dem S-Geschoss. 
Das Gefäss, direkt getroffen, weicht dem Spitzgeschoss nicht aus. So 
kommt es entweder zu abundanten Blutungen so schwerer Art, dass der 
Verwundete meist zu spät zum Arzt der 1. Linie zum Verbaud kommt. 
Oder es bilden sich Hämatome. Gefässschüsse werden sicher in Zukunft 
grössere Bedeutung erlangen. 

Von Verletzungen peripherer Nerven wurden beobachtet: Verletzung 
des Armplexus ohne Gefässverletzung. Verletzung des N. ischiadicus. 
Peroneuslähmung, clonische Krämpfe der Zehenbeuger. Die Heilung 
erfolgte durch Freilegung. Es bestand also Lähmung und Reizung. 

Die Erfahrung, dass Verletzung des Ischiadicusstammes nur Lähmung 
im Peroneusgebiete zur Folge hat, bestätigte sich auch jetzt. Bei dem 
oben erwähnten langen Beinschuss war die Kugel teilweise längs des 
Nervenstammes geglitten und hatte Lähmung im Gefolge. 

Eine isolierte Lähmung des Halssympathicus wurde beobachtet. 

An Knochen wurden Schussbrüche mit ausgedehnter Splitterung be¬ 
obachtet, so an Tibia, Femur, Humerus. Die Splitter hatten eine Länge 
bis 10 und 12 cm. Unterschenkelschussfrakturen waren dabei über¬ 
wiegend, was vielleicht auf die Schusstechnik der Türken zurückzuführen 
ist. Bei Diaphysenschüssen des Oberschenkels wurden handtellergrosse 
Ausschussöffnuugen beobachtet. Bei den Epipbysenschüssen zeigten sich 
Lochschüsse mit kalibermässigem Ein- und Ausschuss. Vortr. bemerkt, 
dass ihm kein Röntgenapparat zur Verfügung stand, dass er eine genaue 
Einsicht in die Art der Verletzung erst durch die notwendigen Ope¬ 
rationen erhielt. 

Ein Schuss durch die rechte Darmbeinschaufel batte das Coecum 
verletzt; es führte zu Kotphlegmone, die inzidiert wurde. 

Die Gelenkschüsse führten in kurzer Zeit zur Heilung. Beim Hüft¬ 
gelenk sah er Steckschüsse. 

Am Schädel fanden sich Tangential- und Rindenschüsse. Die trans¬ 
versalen Durchschüsse hatten kalibermässigen Ein- und Ausschuss. Beim 
Einschuss war das Schussloch der Tabula externa grösser als das der 
Tabula interna, beim Ausschuss umgekehrt. Ein- und Ausschuss waren 
oft durch Fissur verbunden, selten fand sich eine konzentrische Ring¬ 
fraktur. Die Hirnschüsse kamen meist in einem späten Stadium, bei 
Abscessbildung, zur Operation. Die Resultate waren darum meist schlecht. 

Von Verletzungen der Wirbelsäule fand sich eine der Halswirbel¬ 
säule. Herzschüsse bat Vortr. nicht gesehen, da sie wohl schon früh¬ 
zeitig zum Exitus geführt hatten. Lungenschüsse sind meist glatt ge¬ 
heilt. Die Zahl der Behandelten, auch in anderen Spitälern, ist gering. 
Bauchschüsse kamen wenig in Behandlung. Die meisten batten wohl 
vorher zu tödlicher Peritonitis geführt. Im ganzen sind drei beobachtet 
worden, der eine, bei dem das Coecum gleichzeitig mit der Darmbein¬ 
schaufel verletzt war; ein anderer führte zu einem periproktitischen Absess. 

Zusammenfassend sagt Vortr., dass in Zukunft Zunahme der Ge¬ 
fäss- und Nervenverletzungen zu erwarten steht, was durch Zunahme 
der lebendigen Kraft des Geschosses zu erklären ist. Bei Knochen¬ 
schüssen ist die Splitterungszone von gleicher Ausbreitung wie bei den 
früheren Geschossen. Er konnte sich davon durch zahlreiche später in 
Sofia gesehene Röntgenbilder überzeugen, wo er auch Querschläger 
und Mantelreisser sah. Aus der Neigung zum Pendeln ist die grosse 
Zahl schwererer Verletzungen zu erklären. Im allgemeinen jedoch ist 
das Geschoss als ein humanes zu betrachten. Eine weitere Kaliber¬ 
verringerung ist nicht zu befürworten. 

2. Hr. Mühsam: 

Chirurgische Erfahrung«! im Roten Kreuz-Lazarett zu Belgrad. 

(Mit Lichtbildern.) 

Die nach Serbien gesandte Abordnung des deutschen Roten Kreuzes 
bestand aus den Kollegen Schliep, Willim und Vortr., sechs 
Schwestern vom Vaterländischen Frauenverein in Cassel und vier 
Pflegern. Sie verliess Berlin am 2. November und traf am 4. mittags 
in Belgrad ein. Der Ort ihrer Tätigkeit war ein Flügel in der Arbeiter¬ 
kaserne der eine halbe Stunde von Belgrad gelegenen Zuckerfabrik, 
eines deutschen Unternehmens. Das Lazarett hatte 200 Betten in 
8 Sälen, war mit Centralheizung und elektrischem Licht versehen. Die 
Operationseinrichtungen lagen im ersten Stockwerk. Die ganze Ope¬ 
rationseinrichtung hatte die Expedition mitgebracht. 

Der erste Transport traf am 6. November ein, bestehend aus 
191 Türken, Arnauten, Bulgaren, Tscherkessen, Armeniern und Arabern, 
die bei Kumanowo am 24. und 25. Oktober verwundet waren und so 
lange in Uesküb gelegen hatten. Drei türkische Sanitätsoffiziere be¬ 
gleiteten den Transport. Bei der Aufnahme wurden die leichter Ver¬ 
wundeten gebadet, die apderen wenigstens geseift. Höchste Reinlichkeit 
war bei der oft unglaublichen Verschmutzung geboten. Zur Aufnahme 


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404 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


der Anamnese diente ein vom Vortr. selbst ausgearbeitetes Schema, 
welches auf die Rückseite der Temperaturkurven hektograpbiert war. 

Es folgten noch zweimal Transporte serbischer Soldaten von je 80 
bzw. 55 Mann. Dazu kamen noch 2 Augenkranke und 5 Arbeiter der 
Zuckerfabrik, so dass die Gesamtzahl der Patienten 333 betrug. 

Von den beobachteten 296 Schussverletzungen sind 230 Gewehr¬ 
schüsse, 57 Shrapnell- oder Granatschüsse und 11 Maschinengewehr¬ 
schüsse gewesen, nur ein einziger Bajonettstich. Doppelte Schüsse mit 
demselben Geschoss hatten 16, mehrfache mit verschiedenen Geschossen 14. 

Das zur Verwendung gekommene Geschoss ist das kleinkalibrige 
Ganzmantelgeschoss meist mit ovigaler Spitze. Auf türkischer Seite 
wurde an verschiedenen Stellen das Spitzgeschoss, meist bei der 
Kavallerie, verwendet. 

Es ist erstaunlich, dass Schüsse, die nach der ganzen Richtung des 
Wundkanals lebenswichtige Organe getroffen haben müssen, vielfach 
nicht zum sofortigen Tode geführt haben. Besonders interessant ist die 
Verletzung eines Mannes, welcher im Kriechen in die linke Oberlippe 
getroffen wurde. Der Schuss war unterhalb des rechten Schulterblattes 
wieder herausgegangen, hatte also den Hals mit allen seinen Organen 
gekreuzt. Der Patient, der einige Tage vorher in Uesküb im Lazarett 
gelegen hatte, verliess das Belgrader Lazarett nach 7 Tagen völlig 
geheilt. Ein Unterschied zwischen der Wirkung des Spitzgeschosses und 
der der ovigalen Geschosse konnte nicht festgestellt werden, obwohl be¬ 
kannt war, dass das Spitzgeschoss mehr zum Pendeln neigt. 

Ganz anders sehen die Shrapnell- und Granatverletzungen aus. 
Hier sieht man mehr oder weniger gequetschte Wunden mit zerrissenen 
Rändern. Besonders schwer sahen diese Verletzungen aus, wenn sie mit 
Knochenläsionen einhergingen. Hier war langwierige Eiterung die ge¬ 
wöhnliche Folge. Bei Shrapnellverletzungen war der Ausschuss gewöhn¬ 
lich grösser als der Einschuss. 

Da kein Röntgenapparat zur Verfügung stand, konnten bei Steck¬ 
schüssen (im ganzen 30) der Sitz des Geschosses in vielen Fällen nicht 
festgestellt werden. Aber bei Entfernung wurde beobachtet, dass sie 
in entgegengesetzter Richtung gedreht im Körper liegen können. Dies 
wurde durch Röntgenbilder, die im Belgrader Aerzteverein wiederholt 
vorgezeigt wurden, bestätigt. 

Wenn als infiziert diejenigen Wunden aufzufassen sind, die deutlich 
eitern oder phlegmonöse Entzündung der Umgegend hatten, so würden 
von 296 Schussverletzten 236 als nicht infiziert zu gelten haben, 60 Fälle 
als infiziert, das sind 20 pCt. Die Prozentzahl der Infektionen war bei 
den verschiedenen Transporten verschieden und hing offenbar mit der 
Zeit seit der Verwundung, mit der Versorgung und mit den Transport¬ 
mitteln zusammen. So waren beim zweiten Serbentransport 50 pCt. 
infiziert. Bei manchen lagen die Verbände 8—10 Tage, einige trugen 
noch die ersten Verbände vom Regiments- oder Divisionsverbandplatz; 
unter den Verbänden sass Eiter und Ungeziefer. Sehr zweckmässig waren 
im allgemeinen bei den Serben die Utermohleu’scben Verbandpäckchen, 
die sich gut bewährten. Fixierende Verbände (selbst bei Frakturen und 
Gelenkschüssen) waren jedoch nicht angelegt worden. Der Grundsatz, 
Schusswunden nicht zu tamponieren, war im allgemeinen befolgt. 

Die Kugeln waren in einzelnen Fällen schon entfernt. Einige der 
Schusswunden eiterten. Vortr. hält die Entfernung erst dort für an¬ 
gezeigt, wo der Patient seine definitive Heilung abwarten soll. Aber 
auch hier soll die Kugelextraktion nur unter bestimmten Indikationen 
vorgenommen werden (Schmerzen, Funktionsstörungen, Eiterung). 

Nur zwei Erysipeln und eine Pyocyaneusinfektion kamen ins 
Lazarett, die geheilt wurden. 

Als Verbandmaterial kam nur sterile Gaze, kein Jodoform, keine 
Antiseptica in Betracht, Jodoform nur bei einer Osteomyelitis, bei Eite¬ 
rungen Perubalsara. Sonst wurde eine peinliche Asepsis (Gummihand¬ 
schuhe) beobachtet. Die aseptischen Operationen heilten primär. Das 
Mastisol wurde nur als Klebestoff und zu Zugverbänden, nicht als Des¬ 
infektionsmittel benutzt. 

Als Unterbindungsmaterial diente gebrauchsfertiges Catgut, Marke 
Wiemer. 

Vortr. geht zu Verletzungen der einzelnen Körperregionen über: 

Kopfschüsse kamen 20 zur Beobachtung. Bei 2 Verwundeten 
(Kugelstreifschüsse am Scheitelbein in 2—300 ra Entfernung) traten bei 
dem einen Commotio cerebri, bei dem anderen Amaurose des rechten 
Auges auf. Die Erscheinungen gingen zurück. Io einem Fall war der 
Einschuss über der Augenbraue, Ausschuss am inneren Winkel des 
anderen Auges, ohne dass das Auge verletzt war. In einem anderen 
Falle führte der Schuss von oberhalb der Augenbraue bis oberhalb des 
Ohres derselben Seite. Hier war nur conjunctivaler Bluterguss entstanden. 

Ein Shrapnellschuss hatte die Oberkieferhöhle freigelegt. Es war 
Erysipel dazugetreten. Der Kranke heilte. 

In einem Fall war die Kugel von oben nach unten durch das Gehirn 
gegangen, in der Gegend der Subclavia ausgetreten. Es bestanden keine 
cerebralen Erscheinungen. 

Durch Tangentialschuss, Absplitterung der Tabula interna, war 
totale Lähmung der linken Hand und des linken Vorderarmes aufgetreten. 
Bei der Trepanation nach vier Wochen zeigte sich, dass acht Knochen¬ 
splitter tief ins Gehirn eingedrungen waren. Nach der reaktionslosen 
Wundheilung traten Lähmungen des linken Beines und des linken Facialis 
auf, die bald wieder zurückgingen, die des Armes blieb bestehen. 

Rückenmark- und Nervenverletzungen: In einem Falle war 
der Einschuss rechts neben dem Kehlkopf, Ausschuss rechts neben der 
Wirbelsäule, Höhe des 3. Brustwirbels. Es bestand Lähmung des 


rechten Beins (Hämotomyelie resp. Kontusion des Rückenmarks). 
Patellarreflex fehlte. Bei der Entlassung war er leicht gesteigert, der 
Gang bis auf ein geringes Nachschleifen sehr gut. 

In einem zweiten Fall: Einschuss über der linken Clavicula, Aus¬ 
schuss an der rechten Spina scapulae, das Schulterblatt war durch¬ 
schossen. Parese beider Beine, Reflexe gesteigert, spastischer Gang. Bei 
der Entlassung: Reflexe beiderseits gesteigert, Fuss- und Kniescheiben¬ 
clonus, beiderseits Babinski, Gang leicht spastisch. 

Dreimal wurde Kontusion des Plexus cervicalis bei Halsschüssen 
gesehen. Es bestanden ausstrahlende Schmerzen, in zwei Fällen auch 
ausgesprochene Schwäche des Arms und der Hand. 

Durch Schultcrschüsse waren zweimal Nervenlähmungen hervor¬ 
gerufen, in einem Falle vollständige Lähmung aller drei Armnerven, nur 
Adduktion de9 Daumens war möglich. Die Nerven der Achselhöhle 
wurden später freigelegt, eine Verletzung nicht .gefunden; sie waren fest 
im Narbengewebe eingebettet. 14 Tage später konnte Patient seinen 
Arm heben. 

In einem Falle von Radialislähmung trat Heilung von selbst ein 
(Oberarmschuss in der Mitte der Aussenseite des Oberarms). In einem 
zweiten Falle war der Nerv quer durchschossen. 6 Wochen nach der 
Verletzung wurden die Enden vernäht, 4 Wochen danach zeigten sich 
die Antäuge wiederkehrender Funktion. 

Peroneuslähmungen wurden zwei beobachtet. Sie heilten spontan 
(Kontusion). 

Man kann also bei peripheren Lähmungen mit der Nervennaht 
warten, ohne die Heilungschance zu verschlechtern, ein Standpunkt, wie 
ihn auch Oppenheim vertritt. 

Die Gefässverletzungen, besonders die Aneurysmen, sind von 
besonderem Interesse. Von fünf Aneurysmen kamen zwei zur Operation, 
die anderen drei gingen unter Kompression zurück. Bei den beiden 
anderen (an Tibialis postica und brachialis) wurde die Gefässnaht ver¬ 
sucht, wegen Brüchigkeit der Wandungen aufgegeben und doppelt unter¬ 
bunden. Man kommt bei kleineren Gefässen, nach Herstellung des Col- 
lateralkreislaufes, mit Unterbindung aus. Bei grösseren ist dieNaht indiziert. 

Von 45 Brustschüssen waren 13 nur Konturschüsse, die übrigen 
sind mit Verletzung der Lunge einhergegangen. In einem Falle (Ein¬ 
schuss Processus xiphoideus) war Brust- und Bauchhöhle getroffen; 
geringer Hämatothorax. Bei einer queren Durchschiessung war die 
Ulna gleichzeitig kompliziert gebrochen. Hämatothorax wurde fünfmal, 
einmal doppelseitig beobachtet. In einem Falle (Steckschuss) aus¬ 
gedehnter Hämatothorax mit nachfolgendem Collaps. Nach Punktion 
erfolgte Heilung. Empyeme wurden nicht beobachtet. 

Bauch- bzw. Bauchbeokenscbüsse: im ganzen 18, davon 10 im 
unteren Bauchraum. In einem Falle (Einschuss median vom Tuber 
ischii, Ausschuss im linken Drittel des Lig. Pouparti) entleerte sich ein 
perivesiculärer Abscess nach 4 Wochen in die Blase. Heilung durch 
Dauerkatheter. 

Peritonitis machte nur in einem Falle Operation nötig: Steckschuss 
der rechten Nierengegend. 17 Tage nach der Verletzung Eröffnung eines 
Gasabscesses, der bis zum Lig. Pouparti reichte und mit Colon 
ascendens kommunizierte. Tod nach 5 Tagen durch Erschöpfung. In 
einem ähnlichen zweiten Falle wurde ein perirenaler Abscess eröffnet. 
Es trat Heilung ein. 

Frakturen wurden 38 beobachtet, davon 14 der langen Röhren¬ 
knochen. In einer Anzahl kam es wegen Osteomyelitis zur Operation. 

Es zeigt sich, dass die Schussverletzungen des Krieges vor allem 
konservativ zu behandeln 9ind. Knochenaufmeisselungen bei Osteo¬ 
myelitis dürfen nicht zu früh gemacht werden, um nicht die Eiterung 
wieder akut zu macbeD. 

Im ganzen sind nur 55 Operationen bei 50 Patienten ausgeführt 
worden, also keine grosse Zahl. Besonders gering ist die Zahl der bei 
Brust- und Bauchschüssen Operierten (1 Rippenresektion, 1 Nierenabscess, 
1 Peritonitis mit Kotabscess). 

Es waren nur zwei Amputationen notwendig, eine wegen Granat¬ 
verletzung der Hand, fortschreitender Eiterung, Sepsis. Eine wegen 
Kniegelenkvereiterung. 

Todesfälle sind zwei zu verzeichnen: einer betraf einen Phthisiker, 
einer die Peritonitis. 

Zum Schluss betont Vortr. nochmals die Notwendigkeit der konser¬ 
vativen Behandlung, wie sie schon der russisch-japanische Krieg lehrte. 

(Demonstration von Lichtbildern des Belgrader Lazaretts.) 

Hr. Schliep: Ueber Gelenkscbüsse. 

Die primäre Wund Versorgung entscheidet das Schicksal der Ver¬ 
wundeten: Auch bei anscheinend primär verheilten Wunden sieht 
man unter dem Schorf Eiterung. Demnach ist jede Wunde als in¬ 
fiziert zu betrachten. Die Heilung beruht in der Schutzkraft des 
Körpers, unterstützt durch Ruhigstellung des betroffenen Teiles. 

Die Stauungsbyperämie kommt als Bundesgenosse hinzu. Bei be¬ 
ginnender Gelenkentzündung ist prophylaktische Stauung von grossem 
Werte. Ihre schmerzhindernde Wirkung bei infektionsverdächtigen oder 
infizierten Gelenken ist augenscheinlich. 

Nur lOpCt. der Gelenkschüsse waren infiziert. 

49 Schüsse der grossen Gelenke wurden beobachtet (kleine Gelenke und 
periarticuläre Schüsse nicht eingerechnet). Davon: 16 Schulter-, 13 Ellen¬ 
bogen-, 9 Knie-, 6 Fuss-, 5 Handgelenkschüsse; kein Hüftgelenkschuss. 
Schulter- und Ellenbogenschüsse heilten mit guter Funktion, gleich¬ 
gültig, ob sagittal oder quer durchschossen. 


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UMIVERSITY OF IOWA 







10. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


465 


Rniesohüsse: Davon bemerkenswert: Bei einem Türken (bei 
Eumaaowo verletzt, 150 m Entfernung) Peroneuslähmung. Fixation, 
Heilung. Bei einem Serben Synoriefluss. Heilung durch Fixation. Bei 
einem Türken (Kumanowo): Verletzung des Condylus ext. femoris. Das 
Geschoss lag auf der Arteria poplitea, das Gelenk war selbst nicht ge¬ 
troffen, die Kugel eingeheilt 

Bei einem Türken war das linke Knie durchschossen. Aneurysma 
der Arteria tib. post. Doppelte Unterbindung. Nach vier Wochen 
Fieber (40°). Punktion ergibt Eiter im Gelenk. Arthrotomie. Drainage. 
Spaltung von Senkungsabscessen. Temperatur bleibt hoch. Ober¬ 
schenkelamputation notwendig. Die Infektion ist als Spätinfektion auf¬ 
zufassen, nicht von der Operationswunde der Aneurysma, denn diese 
heilte primär, sondern sekundär vom Gelenkschuss. (Es wurden nur 
zwei. Amputationen nötig, die andere wegen Sehnenscheidenplegmone des 
Unterarms.) 

Bei einem Serben: Schuss aus 200 m Entfernung. Einschuss am 
Condylus externus tibiae. Ausschuss: Innenseite des Unterschenkels. 
Infektion. Aufmeisselung der Tibia wegen Osteomyelitis des Tibiakopfes. 
Infektion des Kniegelenks. Arthrotomie. Gefensterter Gipsverband. Heilung. 

Von Hand- und Fussgelenkschüssen waren je einer infiziert. 

Ein Querschuss ging durch die Gelenke sämtlicher Zehen. Es kam 
zur Infektion. Heilung. 

Die Erfolge sind vorzüglich, wenn man bedenkt, dass früher kein 
Gelenkschuss ohne Amputation heilte, ferner, dass die Verwundeten sehr 
spät ins Lazarett kamen. So mussten die Serben 36 Stunden bei 
Monastir im Wasser stehen, mussten dann tagelang auf Ochsenkarren 
zur Bahn gefahren werden. 

Diskussion. 

Hr. v. Oettingen: Auch er hat Serben behandelt, die bei Monastir 
kämpften. Bei einigen waren durch den tagelangen Aufenthalt im 
Wasser Erfrierungen zustande gekommen. Nach den reichen Erfahrungen 
in der Mandschurei war kaum anzunehmen, dass dieser Krieg viel Neues 
bringen würde. Dort beherbergten einzelne Lazarette oft 4000 Ver¬ 
wundete. 

ln der Mandschurei hatte er nur mit russischen Aerzten zu tun, 
hier aber mit 14 Nationen. Dürfte er sich eine Kritik erlauben, so 
waren die Leistungen der Deutschen und Russen am erfreulichsten. Er 
konnte in 6 russischen Lazaretten seine Beobachtungen machen. Die 
bitteren Lehren des russisch-japanischen Krieges haben bei den Russen 
gute Früchte gezeitigt. 

Von Verletzungen hebt er im einzelnen hervor: Unterkiefer¬ 
zertrümmerungen, eine so schwerer Art, dass der grösste Teil des Kiefers 
wie ein blutiger Sack herabhing. Mit Hilfe von Gipsabgüssen usw. wurde 
unter grosser Mühe ein leidliches Resultat erzielt. 

Die Statistik der einzelnen Etappen (z. B. bei Bauchschüssen) ist 
mit Vorsicht zu verwerten. Notwendig ist nach dem Kriege die Zu¬ 
sammenstellung aller Schussverletzungen. 

Die geringe Zahl der Bajonettverletzungen ist auf die grosse Angst 
der Türken vor dieser Waffe zurückzuführen. 

Die Aneurysmen soll man doch möglichst bald operieren. In einem 
Falle, wo er abwartete, erlebte er eine bedrohliche Nachblutung. 
Wenigstens bei der oberen Körperhälfte ist sofort zu operieren, bei 
der unteren kann abgewartet werden, weil hier Lage und Blutdruck 
andere sind. 

Der erste Verband muss fest anliegen, um eine Infektion zu ver¬ 
hüten. Daher ist ein Klebe verband zu empfehlen. 

Zusammenfassend ist zu sagen: In der modernen Kriegschirurgie ist 
bei Schussverletzungen zu beachten: möglichst konservative Behandlung, 
dann eine dreifache Fixation 1. der Bakterien, 2. der verletzten Glieder, 
3. der Kranken ans Lager. 

Hr. Göpel berichtet gleichfalls aus Belgrad. Er beobachtete: 
142 Scharfschüsse, 8 Granatschüsse. Ein abschliessendes Urteil über 
das S-Geschoss ist noch nicht zu geben, eine Abweichung von der Wir¬ 
kung der ovigalen ist nicht zu konstatieren. 

Die Angaben der Verwundeten über die Entfernungen der Schüsse 
schwanken. Meist waren sie 500—1500 m. 

Von mehrfachen Schusswunden sah er 7 Fälle. 

Die Shrapnellwirkung zeigt sich in grosser Ein-, noch grösserer 
Ausschussöffnung, ferner in der Häufigkeit der Infektion; keine einzige 
Verletzung heilte primär. 

Die primäre Infektion ist nicht zu fürchten, wohl aber die sekun¬ 
däre durch Gewebefetzen. Von 252 Schüssen heilten 31 pCt. primär, 
15 pCt. infiziert; von diesen die meisten durch Shrapnellschüsse. 
54 pCt. zeigten leichte Infektion. Von 21 Kopfschüssen betrafen vier das 
Schädelinnere, zwei Tangentialschüsse, einer drang in die Orbita, zer¬ 
störte den Bulbus, kam am linken Ohr heraus. 

Vier Kieferbrüche wurden beobachtet, drei in der Mitte. Beim 
vierten drang die Kugel in den offenen Mund, machte Fraktur im An- 
gulus mandibulae. Abscess im Juguium. Inzision: Entfernung von 
Gescbossstücken und eines Backenzahnes, die sich gesenkt hatten. 

33 Thoraxverletzungen, sieben der Lungen. Bei Bauohschüssen sah 
er sechs Verletzungen des Bauchfells, fünf Steckschüsse, einen Einschuss 
in der Coecalgegend, Ausschuss hinten rechts der Wirbelsäule. Konser¬ 
vative Behandlung, Heilung. Ein Leberschuss: Exitus nach 14 Tagen 
durch Unterlappenpneumonie. 165 Extremitätenschüsse. Zehn Schuss¬ 
frakturen waren durch Fremdkörper, Uniformstüoke usw., infiziert. Von 
Gelenkachüssen betrafen zwei das Knie-, einer das Ellenbogengelenk. 


Ein Missstand, bei erster Behandlung der Frakturen waren die 
Stärke verbände, die sämtlich nicht gehalten hatten. Gipsverbände be¬ 
währten sich am besten (gefensterte). 

Die Verkürzungen nach Frakturen betrugen höchstens 2—2 */ 2 cm, 
einmal 6 cm bei veraltetem Falle. 

Mastisol hat sich bei Streckverbänden bewährt. 

Isolierte Gefässverletzungen sind nicht vorgekommen. Paresen 
gingen spontan zurück. Holler. 


Breslauer chirurgische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 13. Januar 1913 im Wenzel-Hancke-Krankenhause. 

Vorsitzender: Herr Küttner. 

Schriftführer: Herr Gottstein. 

Tagesordnung. 

I. Hr. Heintze: a) Zar Pseadartbrosenbehandlaiig. 

M. H.! Ich will nicht auf die verschiedenen Behandlungsmethoden 
der Pseudarthrose und ihre Resultate eingehen. Ich möchte mir heute 
nur erlauben, auf die Hilfe und Unterstützung hinzuweisen, welche diese 
Behandlung durch die von Codivilla empfohlene freie Ueberpflanzung von 
Periost bzw. Periostknochenschalen erfahren hat. Diese freie Ueber- 
pfianzung bat dabei den Vorzug, dass sie einen sehr geringfügigen Ein¬ 
griff darstellt, dass das Material aus der breiten Tibiafiäche sehr leicht 
in beliebiger Menge zu haben ist, und dass sie an der Entnahmestelle 
nicht die geringste Störung hinterlässt. 

Stehen die Frakturenden in guter oder wenigstens leidlicher Stellung 
zueinander, handelt es sich nur um eine starke Verzögerung der Callus- 
bildung infolge Interposition von Weichteilen oder mangelhafte Fähigkeit 
der verletzten Knochen, festen Callus zu bilden, dann genügt unter Um¬ 
ständen schon das Aufnähen eines Periostknochenschalenlappens auf die 
äusserlich angefrischte Bruchstelle, um eine feste Konsolidation zu er¬ 
reichen. Handelt es sich um starke Verschiebung der Bruchstücke oder 
um ein ausgesprochenes falsches Gelenk mit Abschleifung der Bruch¬ 
enden und lockere bindegewebige Verbindung derselben, dann ist aller¬ 
dings immer eine Resektion der Bruchenden und Vereinigung durch eine 
der verschiedenen Befestigungsmethoden erforderlich. Durch das gleich¬ 
zeitige Aufnähen eines Periostknochenschalenlappens wird dabei aber 
auch das Eintreten der Konsolidation sehr wesentlich gefördert und zeit¬ 
lich erheblich abgekürzt. Nach Pieri sollen diese Periostknochenschalen 
aus dem Schienbein selbst bei einer Diastase der angefrischten Fragmente 
bis zu 3 cm imstande sein, die Konsolidation herbeizuführen. Ich möchte 
mir jetzt erlauben, einige Patienten vorzustellen, bei welchen in letzter 
Zeit diese freie Periostüberpflanzung ausgeführt wurde. 

1. Karl M., 34 Jahre alt, aus Nicolai, war am 20. Juni 1912 in ein 
Schwungrad geraten und hatte sich dabei einen komplizierten Bruch des 
rechten Oberarmes zugezogen. Bei der Aufnahme in der Heilanstalt für 
Unfallverletzte am 19. Juli 1912 war die Wunde vernarbt, die Fraktur 
jedoch noch nicht konsolidiert. Die Behandlung erfolgte zunächst mit 
verschiedenen fixierenden Verbänden, später wurden Blutinjektionen ge¬ 
macht, trotz sehr guter Stellung der Bruchstücke blieb eine feste Kon¬ 
solidation aus. Am 17. Oktober 1912 wurde deshalb die Bruchstelle 
freigelegt, äusserlich angefrischt und ein 3 cm langer und 2 cm breiter 
Periostlappen mit dünner Knochenschale, nachdem diese eingeknickt 
worden war, halbkreisförmig über die Bruchlinie aufgenäht. Bei Ab¬ 
nahme des Verbandes nach 4 Wochen war die Fraktur fest. Durch 
etwas zu energische passive Bewegungen im Ellenbogengelenk erfolgte 
nochmals geringe Lockerung. Diese war jedoch sehr bald unter einem 
Gipsschienenverband wieder behoben. 

2. Herrmann L., 29 Jahre alt, Kutscher, war am 22. Juni 1912 von 
einem beladenen Wagen überfahren worden und hatte einen komplizierten 
Bruch des rechten Unterschenkels davon getragen. 

Bei der Aufnahme in die Heilanstalt am 15. Oktober 1912 bestand 
noch abnorme Beweglichkeit in seitlicher Richtung, sowie von vorn nach 
hinten. Die Spitze des einen Fragmentes war ausserdem scharfkantig 
gegen die Haut gerichtet und auf Berührung sehr schmerzhaft. Im 
übrigen waren die Bruchstücke nicht gegeneinander verschoben. Wegen 
eines kleinen Furunkels musste die Operation zunächst unterbleiben. 
Diese wurde dann am 29. Oktober 1912 ausgeführt. Die Bruchstelle 
wurde durch einen Bogenschnitt freigelegt, der Hautlappen zurück- 
geschlagen, die vorspringende Knochenspitze abgemeisselt, die Fraktur¬ 
stelle äusserlich angefrischt und ein freier Periostknochenlappen aus dem 
oberen Abschnitt der Tibia auf der Frakturstelle durch Naht fixiert. 
Beim Verbandwechsel am 22. November war die Fraktur konsolidiert; 
vom 24. November ab konnte L. mit abnehmbarer Gipshülse Gehversuche 
machen und vom 13. Dezember 1912 ab trat er ohne jede Bandage in 
die medico-mechanische Nachbehandlung. 

Bei dem dritten Patienten, Ernst Sch., 28 Jahre alt, handelt es sich 
um eine Patellarfraktur, welche er sich am 9. Mai 1912 durch Hinfallen 
beim Tragen eines 2 Zentner schweren Balkens zugezogen hatte. Bei 
der Aufnahme in die Heilanstalt am 8. Oktober 1912 bestand eine Dia¬ 
stase der Bruchstücke der in der Mitte quer frakturierten Kniescheibe 
um 5—6 cm. Pat. vermochte das Bein im Knie nicht aktiv völlig zu 
strecken, der Unterschenkel hing beim Ausstrecken des in der Hüfte er¬ 
hobenen Beines um 25° herab. Pat. klagte über grosse Unsicherheit 
beim Gehen infolge Einknickens im Knie. 


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UNIVERSUM OF IOWA 




466 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


Operation, anfangs verweigert, wurde am 9. November 1912 aus¬ 
geführt. Auch durch Abmeisseln der Tuberositas tibiae gelang es nicht, 
die nur ganz wenig angefriscbten Bruchstücke aneinander zu bringen. 
Sie wurden durch Silberdrahtnaht so weit wie möglich einander ge¬ 
nähert, der zwischen denselben gelegene überschüssige Teil des Syno¬ 
vialsackes reseziert, die Synovialsackwunde durch Naht geschlossen und 
dann aus der Tibiafläche ein Periostknochenscbalenlappen in den noch 
vorhandenen Spalt gelegt und an den Bruchstücken der Patella durch 
Naht fixiert. Bier ist noch keine feste knöcherne Vereinigung erfolgt, 
man sieht noch eine kleinfingerbreite flache Delle, die Bruchstücke sind 
noch gegeneinander verschieblich, Pat. vermag aber jetzt das Knie 
völlig und mit Kraft zu strecken. Beugung ist allerdings noch wenig 
möglich, da Pat. bisher noch dauernd eine abnehmbare Gipshülse trägt 
und auch beim Massieren stärkere passive Bewegungen noch gescheut 
wurden. 

Das Röntgenbild zeigt zwischen den Vf 9 cm auseinander stehenden 
Bruchstücken deutlich Schatten von Callusbildung. Der eine der beiden 
versenkten Silberdrähte ist in der Schlinge aufgegangen, er ist unter der 
Haut zu fühlen und soll in den nächsten Tagen extrahiert werden. 

Der vierte Patient, Leo S., 20 Jahre alt, hatte sich am 24. November 
1912 durch Sturz beim Fussballspiel einen queren Bruch beider Knochen 
des linken Unterarmes zugezogen. Trotz scheinbar guter Stellung der 
Bruchstücke verzögerte sich die Konsolidation. Wie eine seitliche 
Röntgenaufnahme zeigte, bestand an beiden Unterarmknochen eine Ver¬ 
schiebung der Bruchstücke ad longitudinem. Am 30. Dezember 1912 
wurde deshalb die Bruchstelle an der Speiche freigelegt, die Bruchstücke 
in richtige Lage zueinander gebracht, durch eine Silberdrahtnaht fixiert 
und darüber ein Periostknochenschalenlappen aus der Tibia aufgenäht. 

Bei dem gestern, 13 Tage nach der Operation vorgenommenen 
Verbandwechsel zeigte die Fraktur nur noch ganz geringes Federn und 
das Röntgenbild sehr gute Stellung der Bruchstücke und über der 
Bruchlinie den dichten Schatten der aufgepflanzten Knochenschalen. 

Die letzte Patientin, Frau Marie F., 43 Jahre alt, ist erst vor acht 
Tagen operiert worden. Hier handelte es sich um eine Pseudarthrose 
im rechten Oberschenkel. Die Frakturenden wurden reseziert, durch eine 
Metallschiene mit Stiften gegeneinander fixiert und eine Periostknochen¬ 
schale aus der Tibia neben der Schiene über die Bruchstelle aufgenäht. 
Welchen Erfolg hier die Operation haben wird, kann ich noch nicht 
sagen. Der Wundverlauf ist jedenfalls normal und lässt zunächst auch 
eine glatte Einheilung der transplantierten Periostknochenschale an¬ 
nehmen. 

Bei den vier vorgestellten Patienten war das Resultat ein recht 
gutes, und die Röntgenaufnahmen zeigen deutlich, dass von den über¬ 
pflanzten Periostknochenschalen eine stärkere Callusbildung angeregt 
wird. 

b) Beckenfrakturen mit gleichzeitiger Verletzung der Harnröhre and 
der Harnblase. 

1. Ein 29jähriger StrassenbahnSchaffner, Karl L., war am 13. März 
1912 beim Einfahren in das Depot zwischen Anhängewagen und Pfeiler 
der Einfahrt eingequetscht worden. Er wurde sofort mittelst Kranken¬ 
bahre nach dem Wenzel Hancke-Krankenhause gebracht; er zeigte 
Cyanose des Gesichts, beschleunigte, stossweise, sehr oberflächliche 
Atmung, Hustenreiz mit blutigem Auswurf, sehr beschleunigten Puls. 
Die Untersuchung ergab einen Bruch des rechten Schlüsselbeins, Bruch 
der 6. und 7. rechten Rippe, schwere Beckenfraktur, Blutung aus der 
Harnröhre, grosse Druckempfindlichkeit in der Leber- und rechten 
Nierengegend. Der Katheter fand im hinteren Abschnitt der Harnröhre 
einen leichten Widerstand, welcher sich durch geringen Druck über¬ 
winden liess; darauf entleerten sich etwa 100 ccm dunkelschwarzrotes, 
dickes Blut, kein Urin. Es handelte sich somit zweifellos um eine Ver¬ 
letzung der Harnröhre. Da der Zustand trotz aller Excitantien sich 
siohtlich verschlechterte, musste noch eine weitere innere Verletzung an¬ 
genommen werden. Es wurde deshalb zunächst durch einen kleinen 
Schnitt in der Mittellinie oberhalb der Blase die Bauchhöhle eröffnet. 
Es fand sich hier etwas dünnflüssiges Blut, jedoch nicht in solcher 
Menge, dass nach seinem Ursprung weiter gesucht werden musste. Nach 
der Druckempfindlichkeit der Lebergegend stammte es vielleicht von 
einem kleinen Leberriss. Die Harnblase war nicht gefüllt, wies an der 
peritonealen Seite keine Verletzung auf. Die Bauchwunde wurde ge¬ 
schlossen und die Hautwunde nach der Symphyse verlängert. Bei Er¬ 
öffnung des Cavum Retzii quollen aus der Tiefe dunkle Blutmassen, an¬ 
scheinend etwas mit Urin vermischt. Man fühlte die sehr scharfen 
Spitzen des klaffenden Bruches am Os pubis, ein etwa walnussgrosses 
Stück völlig aus dem Zusammenhang gelöst und ausserdem noch mehrere 
kleinere Knochensplitter. Es gelang, einen dicken metallenen Führungs¬ 
katheter von der Harnröhre aus in die Blase einzuführen, beim Einspülen 
von Borwasser füllte sich jedoch nicht die Blase, sondern die Spülflüssig¬ 
keit quoll bald nach dem Einlauf aus der Tiefe hervor. Es musste so¬ 
mit noch eine Verletzung der Blase vorhanden sein. Da der Zustand 
des Patienten sehr elend war, konnte danach nicht weiter gesucht werden. 
Es wurde durch den Metallkatheter ein Nelaton in die Blase eingeführt, 
welcher als Dauerkatheter liegen blieb. Die Wundhöhle wurde fest 
tamponiert. Im Laufe des Nachmittags war der Verband mit Blut und 
Urin durchtränkt, ausserdem waren durch den Katheter 100 ccm Urin 
abgeflossen. In den folgenden Tagen blieb dann der Verband trocken, 
der Urin floss gut durch den Dauerkatheter ab. Im weiteren Verlaufe 
mussten mehrere nekrotische Knochenstücke entfernt werden, es entstand 


später am Scrotum eine Harnröhrenfistel, und im Laufe des Sommers 
wurden mehrmals unter Temperatursteigerung und heftigen Schmerzen 
in der rechten Nierengegend kleine Cystinsteine entleert. Am 15. Mai 
wurde Patient der Heilanstalt für Unfallverletzte zur Nachbehandlung 
überwiesen, und bei der Entlassung am 7. Dezember 1912 war die Harn¬ 
röhrenfistel geschlossen, das Urinieren ging gut, die linke Beckenseite 
war um etwa 2 cm nach oben verschoben, der Gang leidlich gut De¬ 
monstration der Röntgenbilder. 

Der zweite Patient, Paul K., 20 Jahre alt, verunglückte am 
5. August 1912, 11 Uhr vormittags. Er war im Steinbruch von einem 
grossen Stein gegen den Felsen gedrückt, und während er fest ein- 
gequetscht war, noch mehrmals herumgedreht worden. Er traf nach¬ 
mittags 4 Uhr hier in der Heilanstalt ein, sah sehr blass und verfallen 
aus, Temperatur 38,3°, Puls kaum zu fühlen, und klagte über heftigen 
Urindrang. Die Untersuchung ergab neben verschiedenen Wunden eine 
Beckenfraktur und Blutung aus der Harnröhre. Ein Nelatonkatheter 
konnte leicht in ganzer Länge eingeführt werden, entleerte reichlich 
teerfarbig flüssiges Blut, keinen Urin, der Leib war schmerzhaft, sonst 
weich, handbreit über der Symphyse Dämpfung. Es wurde ein Abriss 
der Harnröhre angenommen. Da aber auch mit der Möglichkeit einer 
Blasenverletzung zu rechnen war, so wurde unter Lokalanästhesie der 
Sectio alta-Schnitt ausgeführt. Bei Eröffnung des Cavum Retzii quoll 
wieder sehr reichlich teerfarbiges Blut heraus, das etwas nach Urin roch. 
Es fand sich in der Tiefe ein etwa 6 cm langer extraperitoneal gelegener 
Riss an der vorderen Blasenwand. Durch den metallenen Führungs- 
katheter gelang es wiederum, von der Harnröhre aus einen Nelaton als 
Verweilkatheter in die Blase einzuführen. Die Blasenwunde wurde bis 
auf einen eingelegten Gummischlauch durch Naht geschlossen und die 
Wunde tamponiert. Der Urin wurde durch den Blasen schlauch gut ab¬ 
geleitet, nachdem am ersten Tage noch der Verband durchtränkt war. 
Nach 14 Tagen konnte der Blasenschlauch entfernt werden und nach 
weiteren 8 Tagen blieb auch der Dauerkatheter fort. Pak erholte sich 
auffallend rasch. Das Urinieren ging gut. 

Am 9. November wurde K. mit 50pCt. Rente entlassen. 

c) Schwere Verbrennung durch elektrischen Starkstrom. 

Die elektrischen Unfälle haben in der neueren Zeit bei der immer 
weiteren Verwendung der Elektrizität zu technischen Zwecken eine 
immer grössere Bedeutung gewonnen. Führt die Ueberleitung eines 
elektrischen hochgespannten Stromes auf einen Menschen nicht un¬ 
mittelbar durch sofortige Atmungs- und Öerzlähmung zum Tode, so 
können die dadurch verursachten Erscheinungen bei Ueberlebenden sehr 
mannigfaltig sein. Es würde zu weit führen und die Zeit ungebührlich 
beanspruchen, wenn ich darauf hier im einzelnen eingehen oder die 
mannigfachen äusseren Umstände beleuchten wollte, welche die Wirkung 
des Stromes auf den Körper beeinflussen. Ich möchte mir heute nur 
erlauben, Ihnen einen Patienten vorzustellen, welcher einen schweren 
elektrischen Unfall erlitten und dabei ausser der Wirkung auf das 
Nervensystem sehr schwere elektrische. Verbrennungen davongetragen hat. 
Diese zeichnen sich bekanntlich durch besondere Tiefenwirkung sowie 
dadurch aus, dass das nekrotisierte Gewebe nur sehr langsam abgestossen 
wird, dass die Heilung sehr langwierig ist, und dass sehr derbe Narben 
Zurückbleiben. Jellinek erklärt diese Eigenschaften der elektrischen 
Verbrennungen dadurch, dass die Hautzerstörungen dabei nicht von der 
Oberfläche aus wirken, sondern dass sie durch innere Calorienentwicklung 
infolge der Joule’schen Wärme zustande kommen, und dass auch die 
elektrolytische Wirkung der berührten Pole sich geltend macht. 

Der Patient, Monteur Andreas H., 22 Jahre alt, war am 4. Juni v. J. 
damit beschäftigt, an einem Mast eine Schelle zu befestigen. Nach be¬ 
endeter Arbeit kletterte er noch einmal hinauf, da er seinen Hamm» 
auf der Mastspitze vergessen hatte. Inzwischen muss der Strom, welcher 
vorher ausgeschaltet gewesen war, von unbefugter Hand eingeschaltet 
worden sein. Es handelte sich um einen Drehstrom von 10 000 Volk 
Als H. dabei mit dem Genick an die unterste Phase kam, stürzte er 
bewusstlos herab. 

Nach seinen Angaben kann er nur einen Moment mit der Leitung 
in Berührung gekommen sein, und zwar auch nicht mit dem Körper 
direkt, sondern nur durch den Hut, welchen er auf dem Kopfe trug, 
und welcher durchgebrannt war. H. wurde bewusstlos nach dem nächsten 
Krankenhause transportiert. Nach dem Bericht des behandelnden Arztes 
machte er bei der Aufnahme daselbst den Eindruck eines Sterbenden. 
Er war völlig bewusstlos, stöhnte laut und warf sich auf dem Lager 
wie wild umher. Das Gesicht war ungewöhnlich gedunsen und gerötek 
Der Zustand dauerte einige Tage, und erst allmählich kehrte in den 
folgenden Tagen das Bewusstsein wieder. Am Hinterkopf waren die 
Weicbteile über dem Schädel bis zur Höhe des 3. Halswirbels hinab 
teils völlig geschwunden, so dass die Hinterhauptsohuppe zum Teil ge¬ 
schwärzt trocken freilag, zum Teil war sie in weitem Umkreis geschwärzt 
und verkohlt. Die linke Hand und der linke Arm waren stark ge¬ 
schwollen und gerötet, die Hand geschwärzt und oberflächlich verkohlk 
Am linken Fuss waren die 4. und 5. Zehe bis auf den Knoohen verbrannt 
uüd tiefe Brandwunden in der Gegend des äusseren Knöchels. Am 
rechten Fuss waren die Weichteile zu beiden Seiten unterhalb der 
Knöchel in Fünfmarkstückgrösse und darüber bis auf die tiefliegenden 
Sehnen ausgebrannt. Die linke Hand und ein Teil des Unterarmes 
mussten wegen Gangrän amputiert werden. Die 4. und 5. Zehe des 
linken Fusses wurden entfernt. Ausserdem zeigten sich Störungen 
seitens des Nervensystems und des Blutkreislaufs, Herzklopfen, Schling- 


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10. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


467 


beschwerden, Atmungsstörungen, Angstgefühl, Unsicherheit im Gehen 
und allgemeine Unruhe. 

Bei der Aufnahme in die Heilanstalt am 14. Oktober waren die 
Gewebsnekrosen an den verschiedenen Brandstellen noch nicht völlig 
abgeschlossen. Die Wundflächen waren torpide, die Ränder hart und 
steil, und der Grund zeigte noch kaum Granulationsbildung. Die Hinter¬ 
hauptschuppe lag in über Handtellergrösse von allen Weichteilen ent¬ 
blößt frei zutage, war graugelb und absolut trocken. Von einer 
Demarkierungslinie war noch nichts zu bemerken, und bei leiser Be¬ 
rührung des Knochens zuckte Pat. heftig zusammen und bekam einen 
schweren stenocardischen Anfall. Jede Berührung des Knochens musste 
auch in der Folgezeit sorgfältig vermieden werden, da sie sofort wieder 
einen solchen Anfall auslöste. In der Umgebung des nekrotischen 
Knochens zeigte die Haut teils lebhafte Hyperästhesie, teils erhebliche 
Abstumpfung des Hautgefühls. Sonst sind Störungen seitens des 
Nervensystems ausser einer zweifellosen Veränderung der Psyche, welche 
sich in Reizbarkeit, allgemeiner körperlicher Unruhe, etwas heftiger, 
überstürzter Redeweise bemerkbar macht, nicht aufgetreten. Die Heilung 
der Brandgeschwüre schreitet sehr langsam vorwärts; seit jüngster Zeit 
bemerkt man an dem Hinterhaupt eine Demarkierung und langsame 
Arrosion an den Rändern. 

d) Ruptur des Musculus reetns abdominis. 

Frau J. H., 63 Jahre alt, wurde am 31. Juli v. J. mit der Diagnose 
einer inneren Einklemmung in das Wenzel Hancke-Krankenbaus ein¬ 
gebracht. Sie war früher angeblich stets gesund, hat acht Geburten 
ohne Störung durchgemacht, befand sich nur in letzter Zeit wegen Herz¬ 
asthma in ärztlicher Behandlung. Drei Stunden vor der Aufnahme in 
das Krankenhaus hatte sie nach ihren Angaben beim Heraustreten aus 
dem Hause auf die Strasse plötzlich im Leibe das Gefühl, „als hätte 
sich ein schlechter Wind versetzt“. Sie war weder ausgeglitten noch 
hingefallen, noch hatte sie eine scharfe Wendung gemacht. Sie legte 
noch einen etwa 2 km langen Weg zurück, dann wurde ihr schlecht. 
Bei der Aufnahme in das Krankenhaus klagte sie über starken Brechreiz 
und heftige Schmerzen im Leibe, namentlich rechts. Stuhlgang und 
Blähungen seien nicht mehr abgegangen. Die Untersuchung ergab rechts 
handbreit unter dem Rippenbogen eine apfelgrosse, sehr schmerzhafte 
Schwellung, welche sich diffus nach unten hin ausbreitete, in der oberen 
Partie eigentümlich resistent, mit leicht tympanitischem Beiklang, weiter 
unten stärkere Tympanie. Appendixgegend zeigt nur fortgeleitete 
Schmerzhaftigkeit, ebenso linke Seite des Abdomens. Rectum ohne In¬ 
halt. Puls 108, sehr weich, Temperatur 36,9 °. Da der Zustand bedroh¬ 
lich erscheint, wird unter dem Verdacht einer inneren Einklemmung zur 
Operation geschritten. Bei Inzision unterhalb des Nabels spritzt ein 
dicker Blutstrahl aus der Tiefe, welcher, wie sich bald erweist, von dem 
zerrissenen reohten Musculus rectus herkommt. Nach Entfernung des 
Blutgerinnsels und Unterbindung mehrerer spritzender Gefässe zeigt sich 
der rechte Rectus ungefähr im oberen Drittel fast bis zum lateralen 
Rande zerrissen. Naht ist nur unter Mitfassen der Fascie möglich. 
Reaktionsloser Heilungsverlauf. Am 19. August konnte Frau H. bereits 
das Krankenhaus wieder verlassen. Beim Aufsetzen gute Kontraktion 
der Bauchmuskeln. 

Diskussion: HHr. Goebel, Heintze. 
e) Perforationsperitonitis: 1. infolge PfählnnggverletznDg. 

12 jähriger Schulknabe E. R. hatte am 28. April 1912 in seiner 
Wohnung an der Stubentür Turnübungen gemacht und sich dabei mit 
den Händen oben angehängt. Als er ermüdete, wagte er nicht, berunter- 
zuspringen, sondern bat seine jüngere Schwester, ihm einen in der Nähe 
stehenden Kehrbesen als Stütze unterzuhalten. Diese benutzte dazu 
nicht das breite Ende des Besens, sondern den Stiel, und als der Knabe 
losliess, glitt der Stiel des Besens in den Mastdarm. Es soll sofort ein 
Stück Darm aus der Afteröffnung herausgetreten sein, welches von der 
Matter wieder hineingedrückt wurde. Der Unfall war nachmittags gegen 
2 Uhr passiert. Ein bald gerufener Arzt konnte eine Verletzung am 
Mastdarm nicht feststellen und verordnete Umschläge. Da sich im Laufe 
der folgenden Nacht sehr bedrohliche Krankheitserscheinungen einstellten, 
wurde Patient am nächsten Morgen gegen 10 Uhr nach dem Kranken¬ 
hause überführt. Hier bot er die ausgesprochenen Erscheinungen einer 
diffusen Perforationsperitonitis. Der Leib war aufgetrieben, überall sehr 
schmerzhaft, die Bauchdecken bretthart gespannt, in beiden Unterbauch- 
gegendeu Dämpfung, Puls sehr stark beschleunigt. Bei der bald vor¬ 
genommenen Operation entleerte sich bei Eröffnung des Peritoneums so¬ 
fort in hohem Strahle unter starkem Druck stehender dünnflüssiger, 
stinkender Eiter. Die Dünndarmschlingen waren mit dicken Fibrin¬ 
gerinnseln bedeckt; im Douglas war noch reichlich dicker, stinkender 
Eiter, und nach Austupfen desselben sah man an der vorderen Wand 
des Rectums im Douglas dicht oberhalb der Umschlagstelle des Peri¬ 
toneums einen queren Riss. Dieser wurde durch Naht geschlossen, ein 
Mikulicztampon in den Douglas eingelegt und durch die Bauchwunde, 
welche bis auf diese Stelle durch Etagennähte geschlossen wurde, nach 
aussen geleitet. Allmähliche Entfernung des Tampons, keine Fistel¬ 
bildung. Am 9. Juni 1912, frei von jedweden Beschwerden, geheilt 
entlassen. 

2. infolge Perforation eines Ulcus ventricnli. 

0. A. f 15 Jahre alt, Maschinenschreiberin, kam am 1. November 1912 
in das Krankenhaus, hatte während ihrer Schulzeit öfter an Magen¬ 
beschwerden gelitten. Am 31. Oktober 1912 war sie den Tag über mit 
Schreibmaschinenarbeiten beschäftigt. Als sie am Abend nach Hause 


kam, verspürte sie ein eigentümliches Beklemmungsgefühl in der Magen¬ 
gegend nach der Brust zu ausstrahlend, und bald setzten kolikartige 
Schmerzen und Erbrechen ein. Der zugezogene Arzt riet bald wegen 
Verdachtes einer Perforation eines Magengeschwürs die Ueberführung nach 
dem Krankenhause an. Diese erfolgte jedoch erst am nächsten Morgen, nach¬ 
dem der Zustand sich in der Nacht erheblich verschlimmert hatte* Der 
Leib war kahnförmig eingezogen, die Baucbdecken bretthart gespannt, der 
grösste Druckschmerz in der Magengegend nach dem Pylorus zu, Puls 128, 
Temperatur 38,2°. Bei der sofort (10 Uhr vormittags) vorgenommenen 
Operation entleerte sich bei Eröffnung der Bauchhöhle durch einen 
Schnitt oberhalb des Nabels dünne, fade riechende Flüssigkeit mit Gas¬ 
blasen. Auf dem Netz und den lose vorliegenden Darmschlingen be¬ 
merkte man Milchgerinnsel und frische Fibrinauflagerungen. Diese waren 
intensiver nach dem Pylorus und der Gallenblase zu. Beim Anheben 
des Magens quoll reichlich Mageninhalt hervor, und man bemerkte an 
der Rückwand des Magens kurz vor dem Pylorus in der Nähe der kleinen 
Curvatur eine etwa linsen grosse Perforationsöffnung, die umgebende 
Magenwand war stark entzündlich infiltriert. Da Exzision des Geschwürs 
und Nabt nicht möglich war, wurde die Perforationsstelle durch einen 
an der Magen wand durch Nähte fixierten freien Peritoneal lappen bedeckt, 
welcher der Bauchwand entnommen wurde, und ausserdem noch das 
Netz über diese Stelle herumgeschlagen und durch Naht fixiert. Jodo¬ 
formgazetamponade, ausserdem Drainage der Bauchhöhle von zwei seit¬ 
lichen Inzisionen in der Unterbaucbgegend. Die Darmschlingen. waren 
auch hier mit eitrig-fibrinösen Belegen bedeckt, und es entleerte sich 
reichlich trübe Flüssigkeit. Regelmässige Kochsalzinfusionen, Ernährung 
in den ersten Tagen durch Nährklystiere. Vom 3. Tage ab sichtliche 
Besserung des Befindens und in der Folge relativ schnelle Erholung. 
Heilung ohne Entwicklung einer Fistel. Am 14. Dezember entlassen, hat 
keinerlei Beschwerden. 

Diskussion: HHr. Goebel, Heintze. 

II. Hr. Ossis: Röntgenstereoskopie. 

Vortr. gibt, ausgehend von den Grundsätzen der Stereophotopraphie, 
eine Zusammenstellung der Bedingungen, die bei richtiger Ausführung 
der Röntgenstereoskopie beachtet werden müsse. Er setzt auseinander, 
dass bei einer Röntgenstereoaufnahme der Focus der Röhre in beiden 
Stellungen von der Plattenoberfläche gleich weit entfernt sein müsse, 
dass man diese Entfernung, den Focusplattenabstand, den Fusspunkt 
der Röhre in jeder der beiden Stellungen und die Röhrenverschiebungs¬ 
grösse von jeder Stereoröntgenaufnahme genau kennen müsse. Das ist 
notwendig, um die Stereoaufnahme richtig betrachten zu können. Bei 
der richtigen Betrachtung müssen die in die Augen gelangenden Licht¬ 
strahlen — kurz gesagt — genau denselben Verlauf zeigen wie die 
Röntgenstrahlen bei der Aufnahme. Die wichtigsten Betrachtungsgrund¬ 
sätze sind folgende: Der vom Fusspunkt der Röhre ins Auge gelangende 
Strahl muss senkrecht auf der Platte stehen; die Länge dieses Licht¬ 
strahles von der Platte zum Auge muss gleich dem Focalplattenabstand 
sein. Eine auf jeder der beiden Aufnahmen durch den Röntgenfuss- 
punkt in der Richtung der Röhrenverschiebung gezogen gedachte Linie 
muss bei der Betrachtung in einer durch die Achsen der geradeaus ge¬ 
richteten Augen gedachten Ebene liegen. Die Kenntnis der Röhrenver¬ 
schiebung ist nötig, um zu wissen, ob wir ein dem Gegenstand gleiches 
oder ein ihm ähnliches im bestimmten Maasstabe — und in welchem — 
verändertes Bild sehen. Die Folgen fehlerhafter Betrachtung wurden an 
der Hand einiger Zeichnungen vorgeführt. 

Zum Schluss konnte der Vortr. wegen der vorgeschrittenen Zeit 
nur noch ganz kurz auf die Verwendung der Röntgenstereoskopie zu 
Messungen eingehen. 

Diskussion: Hr. Küttner berichtet über seine mit der Röntgen¬ 
stereoskopie während des Chinafeldzuges gemachten Erfahrungen, die er 
in Bruns’ Beiträgen, Bd. 30, niedergelegt hat. Das Verfahren liess sich 
selbst unter den primitiven Verhältnissen des Krieges ohne Schwierigkeit 
anwenden und hat sich bei der Feststellung des Sitzes von Fremdkörpern 
und der Darstellung der Schussfraktur im Röntgenbilde bewährt. 

III. Hr. Küttner: Wirtschaftliche Mitteilung. 


Medizinische Gesellschaft za Kiel. 

Sitzung vom 30. Januar 1913. 

Hr. Range: 

Pupillenantersueknngen bei Geisteskranken nnd Gesinden. 

Vortragender nahm mit Rücksicht darauf, dass nach den bisherigen 
Ergebnissen von Bumke, Sioli, Hübner, Weiler, Neussichin, 
Wassermeyer keine übereinstimmenden Resultate über die Häufigkeit 
des Vorkommens und Fehlens (sogenanntes Bumke’sches Symptom) der 
Pupillenunruhe, der psychischen und sensiblen Erweiterungsrefiexe bei 
der Dementia praecox, bei andersartigen Geisteskrankheiten und Gesunden 
erzielt worden waren, an 200 Geisteskranken und Gesunden (darunter 
83 Dementia praecox-Kranken) vergleichende Untersuchungen sowohl bei 
einer Lichtstärke von 9 M.-K. wie bei Tageslicht vor. Er fand dabei 
bei der Dementia praeoox einen auffälligen Unterschied in den Ergeb¬ 
nissen bei denselben Fällen, indem nämlich bei 9 M.-K. die Unruhe und 
psychischen Erweiterungsreflexe viel häufiger, in rund 51 pCt. fehlten 
oder pathologisch herabgesetzt waren, als bei Tageslicht, während die 
sensiblen Reflexe bei beiden Methoden weniger als die übrigen, aber 
gleich häufig fehlten und bei anderweitigen Geisteskrankheiten ein Unter- 


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408 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


schied bei beideD Untersuchungsergebnissen nicht so zutage trat, bei 
Gesunden die Reflexe niemals fehlten, in vereinzelten Fällen scheinbar 
pathologisch herabgesetzt waren. In sehr alten Fällen der Dementia 
praecox-Gruppe fehlten die Reflexe immer, schwanden aber oft sehr spät. 
Das Bumke’scbe Symptom ist kein Frühsymptom, ist bei Untersuchung 
bei 9 M.-K. besonders häufig bei solohen Dementia praecox-Rranken 
nachzuweisen, die frühzeitig gemütlich verblödeten, sehr selten bei solchen, 
die mit dauernd bestehenden Wahnideen und Halluzinationen einher¬ 
gehen, es ist bei frühzeitigem Auftreten ein prognostisch ungünstiges 
Symptom, es lässt sich auch bei Tabes und Paralyse, Idiotie, in einzelnen 
Fallen von Imbezillität, epileptischer Demenz, nach starkem Brom- 
gebrauob, bei dementen Alkoholikern nachweisen. Die Pupillenweite ist 
bei Katatonikern bei Dunkel Untersuchung grösser als bei Gesunden, bei 
Tageslicht nicht. Sicher besteht eine erhebliche Abhängigkeit der 
Pupillenunruhe und psychischen Erweiterungsreflexe von der Pupillen¬ 
weite, während die sensiblen Reflexe davon offenbar unabhängig sind. 
Runge zieht aus den Ergebnissen bestimmte Schlüsse bezüglich der 
Innervation und des Zustandekommens der Erweiterungsreflexe. 

(Ausführliche Publikation im Archiv für Psychiatrie.) 

Hr. König: 

Ueber gynäkologische Behnndlnng geisteskranker Fronen. 

Vortragender wendet sioh gegen den von Bossi in seinem Buch 
behaupteten Zusammenhang swischen gynäkologischen Erkrankungen und 
Psychosen. Nach seinen Darlegungen handelt es sich nur in fünf der 
von Bossi und seinen Anhängern mitgeteilten Fälle um echte Psychosen, 
bei denen der Zusammenhang zwischen operativer, lokaler und psychi¬ 
scher Heilung nicht erbracht scheint. Die übrigen Fälle gehören seiner 
Ansicht nach in das Gebiet der hysterischen Neuropsychosen. Seine 
eigenen Beobachtungen erstrecken sich auf 158 funktionelle Psychosen, 
die er zusammen mit Linzenmeier untersucht hat. In 56 Fällen lag 
eine gynäkologische Erkrankung vor. 38 Fälle wurden teils konservativ, 
teils operativ behandelt resp. lokal geheilt. Irgendein Erfolg für die 
Heilung der Psychose war nicht zu sehen. In einzelnen Fällen schien 
es so, doch war der Nachweis zu erbringen, dass es sich um Schein¬ 
erfolge handelte. 

(Ausführliche Veröffentlichung an anderer Stelle.) 

Diskussion: die Herren Siemerling, Goebell, Hoehne, 
Stöckel, König (Schlusswort). E. Richter. 


Aerztlicher Verein zu München. 

Sitzung vom 29. Januar 1913. 

1. Hr. v. Stubenrauch: Nachruf auf Dr. Däschler. 

2. Hr. Gilbert: 

Demonstration von Bildern der Periphlebitis retinal» tnbercnlosa Bit 
zahlreichen Hämorrhagien. 

3. Hr. v. Hen88: 

Die Behandlung des varicösen Symptomenkomplexes, insbesondere des 
Unterschenkelgeschwürs mit der Klebrobinde. 

Der aus der varicösen Venenerweiterung, den sekundären Derma¬ 
tosen und dem Unterschenkelgeschwür bestehende varicöse Symptomen- 
komplex erfordert therapeutisch zunächst eine Bekämpfung des Grund¬ 
übels, der Venenerweiterung, sodann medikamentöse Beeinflussung der 
dermatitischen und ulcerösen Veränderungen und Aufsaugung der Ge¬ 
schwürssekrete. Diesen Ansprüchen wird nach den umfangreichen Er¬ 
fahrungen des Vortragenden die Klebrobinde weitgehend gerecht. Sie 
ist erstens elastisch, d. h. sie schliesst fest an, ohne das Muskelspiel zu 
behindern; sie ist zweitens klebrig, um die Fixation der Bindentöuren 
zu erleichtern, wobei der zur Vermeidung von Reizung kautschukfreien 
Klebemasse als Medikament Blei beigemengt ist; sie ist drittens porös 
zur Aufsaugung der Sekrete. Die Klebemasse, der auch andere Medi¬ 
kamente, z. B. Ichthyol, Lenigallol, Chrysarobin usw., zugesetzt sein 
können, wird unter hohen Wärmegraden und rein maschinell möglichst 
steril aufgebracht, bei den trotzdem noch vorhandenen Bakterien spielt 
auch nach den Untersuchungen des Vortragenden die sogenannte mecha¬ 
nische Arretierung der Keime durch die klebrige Masse eine wesentliche, 
das Wachstum behindernde Rolle. Die Klebrobinden sind lange haltbar, 
sie haften trotz festen Verklebens der Bindetouren untereinander nur 
leicht auf der Haut, können längere Zeit an Ort und Stelle belassen 
werden und gestatten ein tägliches Baden der Extremität. Voraussetzung 
vor dem peripher zu beginnenden Anlegen der Binde ist sorgfältiges 
Rasieren der Haut. Die Granulationsbildung in den Geschwüren wird 
sehr gefördert. Demonstration von Patienten. 

Diskussion: HHr. Gruhle (besonderer Hinweis auf Dr. Brandt’s, 
Berlin, Verfahren der Ulcusbehandlung), Trumpp, Stieler. 

4. Hr. Georg Mayer: Der derzeitige Staad der Weltseacbea. 

Der Vortr. berichtet in kurzen Zügen über das Auftreten und die 

Wanderung der wichtigsten Weltseuchen in den Jahren von 1900 bis 
1912. 

a) Lepra: Tropen, Subtropen, Italien, Westküste von Frankreich, 
Riviera. 

b) Cholera: Aus Indien über Persischen Golf nach Mesopotamien, 
Syrien, Kasp. Meer, Persien, Wolga-, Don-, Dniepr- und Dniestrgebiet, 
Russ.-Polen. Stillstand an der russisch-deutschen und russisch-öster¬ 
reichischen Grenze mit verschwindenden Ausnahmen. 1911 besonders 
stark in Russland von Mesopotamien und Syrien her. Von ebenda nach 


Italien (Apulien), Türkei, Balkanländer, Ungarn. Von italienischen 
Schiffen verschleppt dann nach Tripolis, spanischen und französischen 
Mittelmeerhäfen, dem Schwarzen Meer und nach New York. 1912 in 
Südchina, am Jangtse, in Indien, Japan, Niederländisch-Indien, Sansibar, 
der asiatischen Türkei. 

c) Pest: Schon seit langem in Jünnan, Kwangtung und Indien 
endemisch. Von da nach Ostaustralien, Ostafrika, den grossen süd¬ 
amerikanischen Küstenplätzen, Kalifornien. Die alten Pestherde in 
Aserbeidschan und jenseits des Ural haben sich vor 1910 nicht gerührt, 
um so mehr der Herd am Baikalsee. 1911 jenseits des Ural, zum ersten 
Male in Marokko und Ostarabien, am Viktoria Nyansa. 1912 am Kasp. 
Meer, in Algier, Marokko, auf den Azoren, in Brasilien und sonstigen 
grossen südamerikanischen Häfen. 

d) Fleckfieber: Fast nur in Russland, besonders Russisch-Polen, 
ohne Ueberschreitung der russisch-deutschen Grenze. Vereinzelt in 
Spanien. 

e) Gelbfiebe'r: Golf von Mexiko, Antillen, südamerikanisohe Küste, 
Verschleppung nach westeuropäischen Häfen ohne weitere Ausbreitung. 
Mitigierte Fälle in Nordafrika. Echtes Gelbfieber an der Guineaküste. 

1911 in Mexiko, Honduras, Ecuador, sehr selten in Brasilien, Peru, Chile. 

1912 in Mexiko, den Antillen, isoliert in Tocopilla in Chile. 

Beispiele moderner rationeller Seuchenbekämpfung sind die Be¬ 
kämpfung der Lungenpest 1911 in der Mandschurei durch die Japaner 
und der Cholera 1911 in Oesterreich. 

H. Bachhammer - München. 


Medizinische Gesellschaft zu Basel. 

Sitzung vom 6. Februar 1918. 

1. Hr. Socin: Ueber Pelynrie und Diabetes iasipidos. 

In drei Fällen von Diabetes insipidus wurde nach Flüssigkeitsentzug 
eine Erniedrigung des Gefrierpunkts im Blutserum festgestellt, während 
derselbe bei freier Wasserzufuhr normal war. Zugleich wurde beim 
Durstversucb im Urin bei zwei Fällen eine beträchtliche relative Steigerung 
der Konzentration festgestellt, letztere erreichte jedooh lange nicht die 
absoluten Werte einer normalen Vergleichsperson. Unter Annahme 
einer primären Polyurie als Ursache des Diabetes insipidus wurde auf 
eine relative KoDzentrationsunfähigkeit der Nieren geschlossen, während 
eine primäre Vermehrung der Wasserausscheidung nicht als erwiesen 
erachtet wurde. 

2. Hr. Wolfer: Eile Schar! achstatistik. 

An Hand zweier Statistiken der Baseler Klinik über Scharlach, von 
denen die eine von Hijon 1907—1909, die andere von Wolfer 1912 
stammt, bespricht Ref. kurz die allgemeinen Punkte: Komplikationen, 
Recidive, Return cases, welche sich in beiden so ziemlich gleich kommen 
und ein Gleichbleiben des Charakters der Epidemie für Basel — wenn 
auch im Absinken — dartun. Ref. erörtert sodann die Mortalität, bei 
einem Material von 694 Fällen resultierte eine solche von 1,58 pCt, 
die Therapie war in Basel immer eine rein symptomatische. Besprechung 
der verschiedenen therapeutischen Vorschläge zur Scarlatinatherapie 
(Salvarsan, Serum usw.). Wolfer-Basel. 


K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. 

Sitzung vom 31. Januar 1913. 

(Eigener Bericht.) 

HHr. v. Frisch und H. Clairinont: 

Erfahrungen nnd Erlebnisse ans dem Balkankriege. 

Hr. v. Frisch berichtet über seine Erfahrungen im Divisionsspital 
in Sofia, in welchem ihm Regimentsarzt Ballner und Dr. v. W ini- 
warter nebst 10 Pflegeschwestern aus dem Wiener Rudolfinerhause zur 
Verfügung standen. Das Spital hatte nur Betten, die übrige erforder¬ 
liche Einrichtung musste erst herbeigeschafft werden, und man musste 
sich vielfach mit Improvisationen behelfen. Zur Zeit des stärksten Be¬ 
triebes hatte des Spital 350 Betten. Vortr. sah unter etwa 1100 Sol¬ 
daten 900 Verwundete, die übrigen waren an Rheumatismus, Typhus, 
Malaria, frischer Lues, akuten Magen-Darmkatarrhen erkrankt, auch ein 
Fall von Cholera asiatica kam vor. Die Verwundeten waren infolge des 
langen Transportes sehr ermattet und verfielen meist sofort nach der Ein¬ 
lieferung trotz Fiebers und eiternder Prozesse in einen tiefen Schlaf. 
Die Hälfte der Frakturen ungefähr war infiziert. Die Verwundungen 
durch Gewehrschüsse, Schrapnells und Granaten verhielten sich nach 
der Zahl zueinander wie 10 : 2 :1. Die Verwundeten vertrugen die Nar¬ 
kose sehr gut, weil die Bulgaren bis zum 50. Lebensjahre Abstinenzler 
sind. Granatenschüsse führten manchmal zu Erschütterungen des Ge¬ 
hirns oder Rückenmarkes. Vortr. ist bei der Wundbehandlung sehr 
konservativ vorgegangen. Unter 108 Fällen von Schussfrakturen wurde 
nur in 6 Fällen eine Amputation vorgenommen. Eiterungen wurden 
durch Inzisionen bekämpft. Bis zu seiner Abreise hatte Vortr. unter 
seinem Kranken material nur 4 Todesfälle. Fünfmal wurde wegen Ge- 
hirnabscesses trepaniert, Infektionen mit Pyocyaneus wurden wiederholt 
beobachtet, ohne dass sie den Wundverlauf erschwert hätten. Ferner 
kamen 4 Erysipele vor. Unterbindungen von Arterien wurden wieder¬ 
holt ausgeführt, in 6 Fällen wurden Verletzungen grosser Nerven, haupt¬ 
sächlich des N. radialis, genäht und die Nerven in eine Scheide aus 
einem Stück der Fascia lata eingehüllt. 15 operierte Fälle von Aneu- 


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10. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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rysmen heilten aus. Die meisten Aneurysmen waren nicht infiziert. Bei 
Aneurysmen darf man nicht zu früh operieren, damit sich unterdessen 
Collateralen ausbilden können. In ungefähr 4 Fällen musste das Aneu¬ 
rysma wegen dringender Indikation (Blutung oder heftige Schmerzen) 
operiert werden. Die Operation wurde in typischer Weise ausgeführt, 
eine Ernährungsstörung nach derselben kam in keinem Falle vor. 
Gefassnaht wurde in keinem Falle vorgenommen. Nach seinen Beob¬ 
achtungen gelangt Vortr. zu dem Schlüsse, dass infizierte Sobuss- 
YerletzungeD, auch wenn die Verwundeten fiebern, nicht immer der Ope¬ 
ration unterzogen werden müssen. 

Hr. Glairmont wirkte mit seinen Begleitern Regimentsarzt 
Dr. Fintner und Breitner nicht in vorbereiteten Spitälern, sondern 
io adaptierten Gebäuden, in welchen ausser den Betten die gesamte Ein¬ 
richtung beschafft werden musste. In Jam bol war der erste Aufenthalt 
von 3 Tagen, dann folgte ein solcher in Stara Zagora, wo ein Spital 
eingerichtet wurde; hierauf ging die Expedition nach Kirkkilisse und 
später mit einem Verwundetenzug hach Sofia. Ein grosser Teil des 
Weges musste in Büffelwagen zurückgelegt werden. In Kirkkilisse war 
der Betrieb durch den Wassermangel sehr erschwert, da das Wasser in 
das Lazarett zugetragen werden musste, ferner mangelte es an erfahrenen 
Pfiegeschwestern. Es fehlte auch an Milch. Der erste Verband war in sehr 
vielen Fällen schlecht, in manchen fehlte er ganz; es scheint, dass der 
Mastisolverband für Eiter schlecht permeabel ist, aber er spart 
an Hilfskräften. Die Operationen wurden mit Gummihandschuhen aus- 
geführt, weil Wasser zur Sterilisation der Hände mangelte und 
an einem Tage viele Operationen vorgenommen werden mussten. Die 
Lokalanästhesie wurde in vielen Fällen angewendet, die Aethernarkose 
war eigentlich gefährlich, weil bei offenem Licht und bei brennendem 
Ofenfeuer operiert wurde. Die Soldaten durften ohne ihre Einwilligung 
nicht operiert werden, weshalb manche dringende Operation unterbleiben 
musste, erst später wurde vom Generalstabschef die Erlaubnis erteilt, 
dass vital indizierte Operationen ohne Befragen der Verwundeten durch¬ 
geführt werden können. Die Aerzte hatten unter dem Mangel not¬ 
wendiger Spitalseinrichtungen sehr zu leiden. Es wurden Urotropin bei 
Schädelschüssen, ferner Modiskop und Digalen reichlich angewendet 
Von Bajonettverletzungen wurden 11 Fälle, von Kontusionen der Wirbel¬ 
säule und des Rückenmarkes 21 Fälle beobachtet. In Jambol und 
Stara Zagora waren 36 pCt. der Gewehrschüsse und 66 pCt. der Artillerie¬ 
schüsse infiziert, in Kirkkilisse waren diese Zahlen 33 und 51 pCt. Die 
Infektionen über wogen bei Verletzungen der unteren Extremitäten. Die 
Prädilektionsstelle der Verletzungen war die linke Seite, was sich aus 
der Lage der Soldaten hinter der Deckung erklärt. Schädelstreifschüsse 
wurden debridiert; es ist schwer zu sagen, wie man bei ihnen Vorgehen 
soll, ob konservativ oder ob man gleich eingreifen soll, die Resultate 
sind in beiden Fällen nicht zufriedenstellend. Schädelschüsse geben, 
wenn das Gehirn nicht verletzt ist, eine gute Prognose. Durchschüsse 
durch den Schädel sollten nicht sofort angegangen werden, und es sollte 
erst später der sekundär entstandene Abscess eröffnet werden, aber 
nicht von der Stelle der Verletzung aus. Die anderen Schädelschüsse 
sollte man möglichst rasch operieren. Bei Tangentialschüssen des 
Schädels kommt es oft zu grossen Splitterungen der Schädeldecke. 
Wiederholt bildeten sich mehrere Gehirnabscesse aus, man sollte einen 
Schädelschuss immer als infiziert ansehen. Von Thoraxverletzungen 
waren einige infiziert, in solchen Fällen wurde eingegriffen, beim Hämato- 
thorax wurde das Blut entfernt. Querschüsse durch den Hals, den 
Thorax und den Bauch wurden mehrfach beobachtet. Bei Verletzungen 
der Extremitäten ist möglichst konservativ vorzugehen. Der Kampf 
gegen die Infektion ist vom ersten Augenblicke an wichtig, jeder Soldat 
soll ein Verbandpäckchen haben, damit er bei erlittener Verletzung 
geeignetes Material zur Deckung hat. Alle Aerzte sollten in exakter 
Wundbehandlung unterrichtet werden. Vortr. hat mit der freiwilligen 
Krankenpflege schlechte Erfahrungen gemacht. Für den Krieg passt 
nur die Berufskrankenpflege, und die Heeresverwaltung sollte geschulte 
Pflegerinnen schon im Frieden in Evidenz halten. Durch die Pfiegerinnen- 
kurse, welche zur Ausbildung freiwilliger Pflegerinnen gehalten werden, 
wird die Pflegerinnenfrage nicht gelöst. H. 


Gesellschaft für innere Medizin und Kinderheilkunde zu Wien. 

Sitzung der pädiatrischen Sektion vom 23. Januar 1918. 

(Eigener Bericht.) 

Hr. Knöpfelmaeher demonstrierte einen Fall von initialer infantiler 
Taben. 

Das neunjährige Mädchen hat eine auf Lues hereditaria hinweisende 
Anamnese, Hutchinson’sche Zähne und herabgesetzte Reaktion der beiden 
Pupillen auf Licht. Patellarreflexe fehlen, Wassermann positiv. Auf¬ 
fallend ist eine im Abklingen begriffene Neuritis optica. 

Hr. Hoehsinger demonstrierte einen zehnjährigen Knaben mit 
Basedowaid. 

Im 2. Lebensjahre wurde das Kind wegen englischer Krankheit mit 
Phosphor behandelt, seit 27s Jahren hat der Knabe fast täglich Krampf¬ 
anfälle mit Bewusstseinsverlust. Er ist geistig mässig entwickelt, mager, 
blass und sehr nervös. Das obere Augenlid folgt nicht ganz den Be¬ 
wegungen des Augapfels nach unten, deutliches Facialisphänomen und 
mechanische Uebererregbarkeit der Vorderarmmuskulatur sind vorhanden. 
Auffallende gleiohmässige Schwellung der Schilddrüse. 


Die Herzdämpfung ist naoh beiden Seiten verbreitert, im 2. und 
3. Intercostalraume links ein systolisches Geräusch, an der Aorta 
reine Töne. 

Nach Anwendung von Schilddrüsenextrakt hat sich bei dem Kinde 
die Thyreoidea verkleinert, der Tremor und die Schweisse haben auf¬ 
gehört. 

Es handelte sich um einen Fall von Basedowoid, dessen Haupt¬ 
symptome Struma, Herzbeschleunigung, Zittern, eventuell auch Herz- 
vergrösserung sind. 

Hr. Zar! demonstrierte ein Kind mit angeborener Syphilis und 
angeborener Tuberkulose. 

Die Wassermann’sche Reaktion bei Mutter und Kind positiv. 

Hr. Zarfl zeigte einen Fall von Hirschsprung’scher Krankheit. 

Der 107s Monate alte Knabe hatte seit der Geburt hochgradigste 
Obstipation, welche durch Einführung eines Darmrohres gebessert wurde. 
Die Röntgenuntersuchung ergibt eine mächtige Ausweitung des Diok- 
darms; seine Schleimhaut dürfte geschwürig verändert sein. 

Hr. Rach zeigte einen 5 Monate alten Säugling mit angeborenem 
inspiratorischem Stridor. 

Das Kind leidet seit einiger Zeit an Erstickungsanfällen, besonders 
bei Nacht und im Bade. Das Röntgenbild spricht, für eine Hyperplasie 
der Thymus. 

Hr. Mautner stellte einen fünfjährigen Knaben mit multiplen 
Exostosen vor, die besonders an den Röhrenknochen, aber auch an 
der Scapula sitzen und mit Wachstumshemmungen am Knochen ver¬ 
bunden sind. 

Hr. Schlemmer demonstrierte ein Kind, bei welchem er eine akute 
Nebenhöhlenerkrankung der Nase behandelt hat. 

Die Behandlung bestand in der Ausräumung des Siebbeinlabyrinthes, 
welches mit Polypen erfüllt war. Dieselbe Operation wurde an der 
Stirnhöhle vorgenommen. Der Vortr. mahnt, bei einem Kinde, bei 
welchem spontan oder nach einer Infektionskrankheit Lidschwellung, 
Schmerzen, Brennen im Auge, Fieber sowie Kopfschmerzen auftreten, 
an eine Erkrankung der Nebenhöhlen der Nase zu denken. 


Sitzung vom 30. Januar 1913. 

(Eigener Bericht.) 

Hr. Bauer demonstrierte eine Frau mit postluetischer Nieren¬ 
erkrankung. 

Die Tibiae der Patientin zeigen eine Periostitis luetica, auch die 
Unterarme sind verdickt. Die Patientin bat ferner eine leichte Hyper¬ 
trophie des rechten Herzens und minimale Oedeme. 

Vortr. hat dieses Bild der postluetisohen Nierenerkrankung bereits 
in mehreren Fällen gesehen. In allen Fällen fand sich eine deutliche 
Seroreaktion. Es ist wahrscheinlich, dass nicht eine einmalige Infektion 
den Anstoss zur Nephritis gibt, sondern dass es sich um eine dauernde 
toxische Wirkung auf die Niere handelt. Vielleicht liegt in einem Teile 
der Fälle eine spezifisch luetische Erkrankung der Niere vor. 

Hr. Tedesko demonstrierte einen 52 jährigen Mann, bei welchem er 
eine gonorrhoische Gelenkserkrankung mit Artigon behandelt hat. 

Der Kranke, der an einer schmerzhaften Entzündung des linken 
Ellbogengelenkes litt, wurde mit intraglutäalen Injektionen von Artigon 
behandelt. Die erste Dosis betrug 0,2, die weiteren drei Dosen waren 
etwas höher. Der Erfolg war in diesem Falle sowie bei sieben anderen 
Patienten sehr günstig. 

Hr. Steiner stellte einen 9 jährigen Knaben mit flirsehspruBg’seher 
Affektion vor. 

Das Abdomen ist mächtig aufgetrieben, die Leber vergrössert. Die 
Röntgenuntersuchung ergibt ein abnorm langes und erweitertes Colon 
ohne Stenose. Die unmittelbare Ursache der Erkrankung dürfte eine 
Darmaffektion gewesen sein. Die Therapie besteht in häufigen Ent¬ 
leerungen des Dickdarms durch Darmeinläufe. 

Hr. Chiari demonstrierte eine Frau mit einer kombinierten een traten 
und peripheren Lähmung des linken Beines. 

Die Erkrankte erlitt vor einiger Zeit eine Apoplexie. Die Beuger 
des Kniegelenkes waren gelähmt, ebenso die Muskeln des Unterschenkels 
und des Fusses. Es handelt sieb um eine kombinierte periphere Lähmung 
des Nervus ischiadicus und des Nervus outaneus femoris posterior mit 
Residuen einer linkseitigen Hemiparese. 

Hr. Weltmann demonstrierte eine Methode um Nachweis von 
Cholesterin. 

Diese Modifikation der Methode von Neu mann und Herrmann 
besteht darin, dass die zu prüfendeFlüssigkeit mit Schwefelsäure und Chloro¬ 
form geschüttelt wird, worauf das Chloroform bei Anwesenheit von 
Cholesterin nach 72 Stunde eine rötliche, nach 24 Stunden eine hoch¬ 
rote Färbung zeigt. 

Hr. Stannig demonstrierte ein anatomisches Präparat von Aorten- 
rnptnr. 

Dasselbe rührt von einem 23 jährigen Dienstmädchen her, welches 
nach einer Aufregung Schmerzen in der Herzgegend verspürte, nach 
einigen Tagen zusammenstürzte und cyanotisch wurde. Die Kranke bot 
das Bild schwerer cardialer Störungen. Die Obduktion ergab eine Ver¬ 
wachsung des Herzbeutels mit dem Epicard, Herzvergrösserung, geringe 
Verdickung der Mitralklappen, Verwachsung der vorderen Aortenklappen, 
ein angeborenes ringförmiges Diaphragma, welches die Aorta stenosierte, 
und einen durchgängigen Ductus Botalli. 3 cm oberhalb der Aorten- 


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UNIVERSUM OF IOWA 





470 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


klappe war ein Riss, die Intima war durch das Blut bis zum Isthmus 
abgehoben. 

Hr. Felber zeigte ein anatomisches Präparat einer sarkonattis eit* 
arteten dermoidalen Cyste der Thymus. 

Dasselbe stammt von einem 61 jährigen Patienten, welcher an hoch¬ 
gradigen Atembeschwerden litt. Auf der rechten Brustseite sass eine 
Geschwulst, welche stetig wuchs und vom Sternum bis zur Mamillarlinie 
reichte. 

Die Röntgenuntersuchung zeigte eine Verdunkelung des rechten 
Lungenfeldes, welches auch gedämpften Perkussionsscball und über der 
Spitze bronchiales Atmen aufwies. Es wurde ein Mediastinaltumor an¬ 
genommen. 

Die Obduktion ergab, dass die rechte Brusthöhle von einem Tumor 
ausgefüllt war, welcher das Zwerchfell durch wucherte und in dessen 
Innern sich eine Höhle mit cbolesterinhaltiger Flüssigkeit befand. Die 
Lunge war hochgradig komprimiert. H. 


Verein deutscher Aerzte za Prag. 

Sitzung vom 7. Februar 1913. 

Hr. Eckstein demonstrierte einen 6jährigen Bodenkriecher mit doppel¬ 
seitiger Hüftgelenksluxation, doppelseitigen Klnmpfüssen nnd flyper- 
extension beider Eilenbogengelenke. Als Ursache sieht er eine früh¬ 
zeitig aufgetretene Hemmungsbildung an. 

Hr. Hecht: 

Darf der Arzt znm ansserehelichen Geschlechtsverkehr raten? 

Der Arzt wird oft von Kranken mit nervösen Beschwerden, mit Hang 
zum Onanieren und dergleichen konsultiert. Diese Erkrankungen werden 
sehr häufig auf sexuelle Abstinenz zurückgefübrt. Bevor der Arzt den 
Rat zum ausserebelichen Beischlaf erteilt, muss er alle anderen Ursachen 
der Erkrankung ausschliessen, wobei sich gewöhnlich ergibt, dass die 
von den Kranken selbst vermutete Ursache tatsächlich nicht vorhanden 
ist, sondern, dass die Erkrankung auf einen anderen Grund zurück¬ 
zuführen ist. Junge Individuen können bei geeigneter Lebensweise (Ver¬ 
meidung von Alkohol, durch Sport und durch ernste Arbeit) bis in die 
Mitte der zwanziger Jahre sexuell abstinent leben. In diesem Sinne soll 
der Arzt wirken, denn die meisten jungen Leute wollen vom Arzte nur 
die Bestätigung ihrer Wünsche nach sexueller Betätigung hören; der 
Wunsch wird zur Ursache. Bei älteren Leuten muss als Ursache der 
Erkrankung erst die sexuelle Abstinenz ausschliesslich nacbgewiesen 
werden, ehe der Arzt den Kranken auf die in diesem Falle beste Therapie 
hinweist. 0. Wiener. 

Aus Pariser medizinischen Gesellschaften. 

Academie de mddecine. 

Sitzung vom 5. November 1912. 

Hr. Camus bespricht die Immunität der Gewebesftfte und ihre 
Beziehungen zur Immunität der Gewebe selbst und der Zellen. 
Das Blut eines Geimpften zerstört wohl das Virus und verhindert das¬ 
selbe, auf einem Gesunden sich zu entwickeln, aber das Blut ist nicht 
allein da, um diese Abwehr zu besorgen. Uebrigens kann der immuni¬ 
sierte Organismus an gewissen Stellen für das Virus emfänglich bleiben. 
Das Kaninchen, dessen Haut für den Impfstoff unempfänglich ist, kann 
an der Cornea für denselben empfänglich sein. Hier und da sieht man 
Leute, die am Arm resultatlos wiedergeimpft werden, und bei denen 
zufällig an einer anderen Körperstelle eine Pustel sich entwickeln kann. 
Herr Camus oitiert einen Fall, bei dem sich eine Pustel am Augenlid 
entwickelte, während am Arm keine zustande kam. Wenn man mit dem 
Serum eines Immunisierten auf einzelne Organe eines Kaninchens, z. B. 
auf die Cornea, wirkt, erzielt man eine lokale Immunität, die dem 
übrigen Körper nur wenig zugute kommt. Durch Einspritzung eines 
Serums ins Blut kann man nur schwer vollkommen immunisieren, oder 
man braucht grosse Mengen Serum; wenn man es mit Bluttransfusion 
versucht, muss man zweimal totale Blutentziehung vornehmen und nach¬ 
her ebensoviel Blut eines Immunisierten durch Transfusion überfiiessen 
lassen, um die Empfänglichkeit für das Virus gänzlich aufzubeben. Die 
Schutzkraft des Blutes ist also ziemlich schwach im Vergleich zu der 
Entwicklung einer kleinen Pustel, welche eine viel stärkere Immunität 
erzeugt. Andererseits verliert der immunisierte Körper seine Immunität 
auch durch wiederholte Blutentziehungen nicht. Die Immunität der 
Gewebe spielt also für die Immunität im allgemeinen eine wichtige Rolle 
neben der baktericiden Wirkung des Blutes. 

Sitzung vom 19. November 1912. 

Hr. Walther bespricht einen Fall reiner Paratyphne-Appendieitis, 
der von ihm im Juni operiert worden ist. Ein 13jähriges Mädchen 
hatte anfänglich leichte Erscheinungen von Appendicitis, verbunden mit 
Darminfektion. Am 6. Tage musste wegen rascher Temperatursteigerung 
bis 40,1°, ohne peritoneale Reizung, eiDgeschritten werden, da man an 
Appendicitis mit Lymphangitis oder Gangrän dachte. Bei der Operation 
fand man ein freies Peritoneum, verdicktes Coecum, eiüe grosse para- 
coecale Lymphdrüse mit ödematös geschwelltem Mesocolon, eine 9 cm 
lange Appendix mit blasser Wandung und stark ödematösem Mesen¬ 
terium. Nach der Operation trat keine peritoneale Reizung ein, aber 


die Temperatur blieb noch vier Tage auf 40°, um dann langsam abzu¬ 
steigen. Die Appendix zeigte Sklerose der Wandung. Spuren frischer 
akuter Entzündung, am freien Eode einen kleinen Abscess mit Kotstein. 
; Mikroskopisch fand man alte Sklerose und frische acute Folliculitis. 
Die Widal’sche Reaktion am Tage nach der Operation, also am 7. Krank¬ 
heitstage, war negativ für Typhus und Paratyphus A, aber stark positiv 
für Paratyphus B. Die Blutkultur ergab einen Bacillus, der zwischen 
Paratyphus B und Colibacillus zu stellen ist. Die Kultur des Abscesses 
der Appendix ergab den gleichen Bacillus in Reinkultur. Die Infektion 
der Appendix scheint sekundär zu sein, denn die Läsionen waren die¬ 
jenigen der ersten Tage der Appendicitis, während die Krankheit schon 
sechs Tage dauerte. Der Nachweis der Paratypbusseptikämie ist keine 
Kontraindikation der Operation. Die Frühoperation allein kann bei 
diesen fast immer letal verlaufenden lymphangitisohen Appendicitisformen 
Heilung bringen. 

Sitzung vom 26. November 1912. 

Hr. Le Delta bespricht die Behandlung der spaataaei Fraktar 
der Kniescheibe bei Tabes. Sein Patient hatte „Tabes fruste“ mit 
spontaner Fraktur, die, ohne Schmerzen, nur durch die plötzliche starke 
Behinderung der Bewegungen kenntlich wurde. Es war sehr wichtig, zu 
erkennen, dass es sich um Tabes handelte, weil diese Frakturen bei 
Tabes in 25 pCt. nicht heilen, während sie ohne Tabes oft rasch unter 
Bildung eines äusseren Ringes heilen; nach innen fehlt der Ring. 
Ausserdem fand Herr Corner bei 504 Fällen 55 mal sekundäre Frak¬ 
turen, ebenso häufig nach Operation als ohne operative Behandlung. 
Die gewöhnliche Knochennaht ist also sehr ungeeignet, und deshalb 
versuchte der Autor ein besseres Resultat zu erzielen, indem er nach 
vertikaler Durchbohrung der Kniescheibe einen doppelten Metallfaden 
durchzog, der in zwei Teile geschnitten wurde, um mit einem Teil die 
Rotula nach aussen, mit dem anderen nach innen einzurahmen, indem 
die Fadenenden mittels einer krummen Nadel im fibrösen Gewebe um 
die Kniescheibe geführt wurden, um aussen und innen an der Knie¬ 
scheibe verknüpft zu werden. So kommen die Fragmente genau anein¬ 
ander und bleiben es iür immer oder doch für sehr lange Zeit. 


Zur gesetzlichen Bekämpfung des Kur¬ 
pfuschertums. 

Von 

Dr. Carl Alexander-Breslau. 

In heutiger Zeit, in der erbitterte wirtschaftliche Kämpfe die deutsche 
Aerzteschaft in eine Frontstellung gegen grosse Massen der Bevölkerung 
gedrängt haben, erscheint es besonders notwendig, darauf hinzuweisen, 
dass es einen Kampf gibt, in welchem die Interessen der Aerzte mit 
denen des ganzen Volkes ideell und materiell Hand in Hand geben: den 
Kampf gegen das Kurpfuschertum und gegen den Heilschwindel. 

Dieser Erkenntnis hat sich die zur Durchberatung des „Gesetz¬ 
entwurfes gegen Missstände im Heilgewerbe“ (Kurpfuschereigesetz) ein¬ 
gesetzt gewesene Reichstagskommission, unter dem Einfluss einer seit 
Jahren gesteigerten, heftigen Agitation gegen die wissenschaftliche Medizin, 
leider versagt, obwohl die Reichsregierung, gestützt auf die einschlägigen 
Berichte der Preussischen Medizinalabteilung und die gleichsinnigen Ver¬ 
öffentlichungen anderer Bundesstaaten, in der Begründung des Gesetz¬ 
entwurfes auf die Unhaltbarkeit der jetzigen Zustände, auf deren Ge¬ 
fahren für das Volkswohl und auf die Zweckmässigkeit und Bedeutung 
eines reichsgesetzlichen Vorgehens gegen die in gewaltigem Umfange sich 
betätigende, durch keinerlei wirksame Gesetze eingedämmte Kurpfuscherei 
gebührend hingewiesen hatte. Die Ablehnung dieses Kurpfuscherei¬ 
gesetzes — dessen Nichtannahme keineswegs nur von den Aerzten (wie 
die Gegner fälschlich behaupten), sondern gerade auch von hervorragenden 
Juristen, wie z. B. noch unlängst von dem Oberlandesgerichtspräsidenten 
Dr. Vierhaus - Breslau in einer wissenschaftlichen Versammlung 1 ) leb¬ 
haft beklagt wurde — lässt natürlich das Kurpfuschertum in seinen 
vielgestaltigen Formen um so kühner das Haupt erheben, derart, dass 
selbst schon im blossen Arzneimittelverkehr, wie ein besonderes Kapitel 
des unlängst erschienenen Preussischen Medizinalberiobts für 1911 („Be¬ 
sondere Beobachtungen über Missstände im Arzneimittelverkehr“) dartut, 
gar unliebsame Erscheinungen gezeitigt worden sind, weil jetzt „neuer¬ 
dings auch Seifenhändler und Versandgeschäfte aller Art sich mit dem 
Verkaufe von Arzneimitteln befassen“ und der „Handel mit starkwirkenden 
Medikamenten immer mehr in die Hände unberufener Personen“ über¬ 
geht; dass auch auf diese Weise der Kurpfuscherei Vorschub geleistet 
wird, ist ohne weiteres klar. Die amtlichen Zahlen in Preussen wie in 
den anderen Bundesstaaten zeigen gleichsinnig ein weiteres Anschwellen 
des gewerbsmässigen Kurpfuschertums. Trotzdem ist die Aussicht, ein 
Kurpfuschereigesetz durchzubringen, bei der jetzigen Zusammensetzung 
des Deutschen Reichstags noch geringer als früher; hat doch der „Bund 
für freie Heilkunst“, gleichsam der wirtschaftliche Verband der Heil¬ 
gewerbetreibenden, der durch die oft sehr hohen Beiträge seiner Mit- 


1) Verband!, d. Schlesischen Gesellschaft f. vaterländische Kultur. 
Gemeinsame Sitzung der Staats- und rechtswissensohaftliohen und der 
Hygienisch-Medizinischen Sektion zu Breslau am 22. November 1912. 


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UMIVERSITY OF IOWA 







10. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


471 


glieder [z. B. „Apotheker* Müller-Göppingen allein 400 M. jährlich (!)] 
über grosse Mittel verfügt, es durch seine rührige, gerade nicht immer 
mit den lautersten Mitteln arbeitende Agitation bereits dahin gebracht, 
schon bis heute wiederum eine Anzahl Mitglieder des jetzigen 
Reichstages durch ihre Unterschrift gegen jede Einschränkung 
der Kurierfreiheit zu binden. 

, Bei solcher Lage der Dinge muss man —so sehrauch eine reichs- 
gesetzliche Regelung dieser Frage als erstrebenswertes Ziel im Auge 
zu behalten ist — doch daran denken, vorläufig auf anderen Wegen 
dem Heilschwindel zu begegnen; und so hat 0. Neustätter-Dresden 
(früher München), einer unserer bekanntesten Vorkämpfer, bereits vor 
mehreren Monaten in einem sehr lesenswerten Artikel 1 ) („Was nun in 
der Bekämpfung der Kurpfuscherei?*) Vorschläge in dieser Richtung ge¬ 
macht, desgleichen unlängst in den „Therapeutischen Monatsheften* 
A. Springfeld 2 3 ), der ja schon vor Jahren, als er noch beim Berliner 
Polizeipräsidium tätig war, sehr dankenswerte Statistiken über das Kur¬ 
pfuschertum bearbeitet und seine reichen Erfahrungen in verschiedenen 
Abhandlungen niedergelegt hat. Ungefähr zu gleicher Zeit nun, als 
dessen obenerwähnte Arbeit erschien, bat, von ähnlichen Gesichtspunkten 
aasgehend, die „Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung des Kurpfuscher¬ 
tums* dem Preussischen Ministerium des Innern, als der zuständigen 
Behörde, eine Denkschrift überreicht, welche die Möglichkeit eines erfolg¬ 
reicheren Vorgehens gegen die Kurpfuscherei durch eine Reihe landes¬ 
gesetzlicher Vorschriften darlegt und neben einigen schon früher und 
von verschiedenen Seiten befürworteten Maassnahmen auch noch einige 
andere Vorschläge bringt, die, wie z. B. eine Ergänzung des Press¬ 
gesetzes (vom 7. Mai 1874) in bestimmter Richtung, unseres Wissens 
bisher noch nicht in Anregung gebracht worden sind. Diese Denkschrift 
geht von der wohl durchaus zutreffenden Voraussetzung aus, dass die 
schweren Gefahren, welche die ständig wachsende Ausbreitung der Kur¬ 
pfuscherei für die Volksgesundheit und Volksgesamtheit in sich birgt, 
und wie sie bereits vor Jahren durch eine (im Anschluss an einen da¬ 
maligen Erlasss des Herrn Medizinalministers vom 13. Januar 1899 er¬ 
folgte) Eingabe der Preussischen Aerztekammern eingehend geschildert 
sind, den für die Eindämmung dieser Gefahren in Betracht kommenden 
Staatsbehörden und insbesondere der Preussischen Medizinalabteilung, in 
deren Mitte ja der unseres Erachtens vorzügliche und zielbewusste Ent? 
warf eines Reichsgesetzes gegen Missstände im Heilgewerbe vorbearbeitet 
worden ist, genugsam bekannt sind, und dass darum bei der jetzigen 
Aussichtslosigkeit eines eigentlichen Reichskurpfusohereigesetzes der 
Ruf nach Erwägung anderer Maassnahmen dort nicht ungehört ver¬ 
hallen wird. 

Hierfür kommen, wie schon angedeutet, zunächst gewisse landes¬ 
gesetzliche Bestimmungen in Betraoht. Dieser Auffassung hat 
unter anderen auch ein angesehener Jurist, der Geh. Justizrat und 
Kammergerichtsrat Dr. Kronecker in einer vor drei Jahren erschienenen 
umfangreichen und sehr beachtenswerten Abhandlung 8 ) über „Preussisohe 
Polizeivorschriften über die Ankündigung von Arzneimitteln* Ausdruck 
gegeben; in dieser Arbeit weist Kronecker die Uneinheitlichkeit dieser 
verschiedenen Vorschriften in den einzelnen Provinzen und Regierungs¬ 
bezirken klar und treffend nach und forderte schon damals für den Fall 
des Scheiterns des gerade vorgelegten Kurpfuschereigesetzentwurfes für 
Preussen wenigstens gleichmässige und einheitliche Regierungs- 
Polizeiverordnungen, und darunter eine folgenden Inhalts; 

„Die öffentliche Ankündigung und Anpreisung deijenigen zur Ver¬ 
hütung, Linderung und Heilung von Krankheiten, Körperschäden und 
anderer Leiden von Menschen bestimmten Mittel ist zu untersagen, 
denen Wirkungen beigelegt werden, welche sie nicht haben, oder 
welche bei dem be9timmungsgemäss oder den Umständen nach zu er¬ 
wartenden Gebrauche geeignet sind, die menschliche Gesundheit zu 
schädigen.* 

Eine solche, wohl durottBerufung auf § 10,11,17 des Allgmeinen 
Landrechts (welches nach einer erst jüngst wieder erfolgteu Ent¬ 
scheidung des Kammergerichts für die ganze Monarchie bezüglich der¬ 
artiger Bestimmungen noch volle Geltung hat) bzw. auf das Allgemeine 
Polizei-Verwaltungs-Gesetz vom 11. März 1850 sich stützende 
Verfügung würde, wie auch die vorerwähnte Denkschrift betont, sehr 
zweckentsprechend sein; und sie wäre um so uotwendiger, weil, wie 
A. Springfeld 4 * ) in seiner obengenannten Arbeit nachweist, auch auf 
dem Gebiete des Geheimmittelhandels zurzeit „eine so heillose Ver¬ 
wirrung* eingerissen ist, dass „nur der Ariadnefaden der geschichtlichen 
Entwicklung aus dem Labyrinth von Entscheidungen und Verordnungen 
herausführt“. 

Die so gedachte Verordnung würde natürlich zunächst nur die 
Reklame treffen; allein diese Reklame in ihrem heutigen Riesen¬ 
umfange ist der Lebensnerv des modernen Kurpfuschertums; 
ihr verdankt es im wesentlichen sein Emporkommen. 

Eine Vorbedingung für die Wirksamkeit einer solchen, wie einer 
jeden gegen die kurpfuscherische Reklame gerichteten Verordnung ist 


1) 0. Neu Städter, s. Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 28. 

2) A. Springfeld, Die Bekämpfung der Kurpfuscherei und des 
Geheimmittelschwindels auf dem Boden landesgesetzlioher Verordnungen. 
Therapeut. Monatsh., November 1912. 

3) Kronecker, Med.-Archiv f. d. Deutsche Reich, I. Jahrg., 1910, 
vgL daselbst: H. 3, S. 331. 

4) A. Springfeld, 1. c. (sub 2): Die Bekämpfung des Geheimmittel¬ 

schwindels. 


aber die Aufhebung eines die Wünsche der Zeitungsredakteure 
allzusehr berücksichtigenden Ministerialerlasses vom 31. De¬ 
zember 1902 (vgl. Med.-Min.-Bl., 1903, S. 23), wonach der Bestrafung 
eines Redakteurs aus der Polizeiverordnung wegen Aufnahme strafbarer 
kurpfuscherischer Reklame-Annoncen (entsprechend dem Erlass des Medi¬ 
zinal-Ministers vom 28. Juni 1902) in jedem Einzelfalle eine Ver¬ 
warnung vorhergehen soll. 

Durch solche vorherige Verwarnung wird der Zweck dieser 
Polizeiverordnung, ebenso wie der späteren, die dem Bundesrats¬ 
beschluss vom 23. Mai 1903 bzw. vom 27. Juni 1907 (Med.-Min.-Bl., 
1903, S. 286, und 1907, S. 312) entsprechen, geradezu illusorisch, 
da einerseits vom Beginn des Erscheinens der sich widerholenden straf¬ 
baren Reklameanzeigen bis zum Zeitpunkte der Verwarnung zumeist 
so viel Zeit verstrichen ist, dass die Annoncen längst Leichtgläubige 
eingefangen haben, und da andererseits in nicht wenigen Fällen diese 
Annoncen, selbst wenn deren unwahre Heilversprechungen ohne weiteres 
ersichtlich sind, doch im materiellen Interesse von gewissen Zeitungen 
und Zeitschriften ruhig aufgenommen werden, weil ja zunächst nichts 
als eine Verwarnung dabei riskiert wird. 

Der Hauptzweck dieser Zeitungsreklame ist das Einfangen gerade 
auswärtiger Kranker, die sich nicht so leicht über den Sehwindel betrieb 
unterrichten können. Daher muss auf ein landesgesetzliches Verbot 
der Fernbehandlung, wie es bereits früher durch Eingaben ver¬ 
schiedener Organisationen und u. a. auch durch eine solche der Berlin-Branden- 
burgischen Aerztekammer (im Anschluss an deren Sitzung vom 23. Ok¬ 
tober 1904) an die Preussische Staatsregierung angeregt worden ist, 
besonderer Wert gelegt werden. Der Einwanü, dass die Reichs- 
Gewerbeordnung dem Erlass eines solchen landesgesetz- 
liohe.n Verbotes entgegenstehe, erscheint nicht stichhaltig. 
Denn auch der Entwurf einer Novelle zum Badischen Polizeigesetz-Straf¬ 
buch (im Jahre 1904) wollte in seinem § 82 die gewerbsmässige Heil¬ 
behandlung ohne persönliche Untersuchung („Fernbehandlung*) unter 
Strafe gestellt wissen. 

Der Reichs-Gewerbeordnung untersteht die "Ausübung 
der Beil künde (wie im Laufe der Jahre schon von verschiedenen 
Seiten und u. a. auch in der Plenarversammlung des Königlich sächsi¬ 
schen Landes-Medizinalkollegiums im Jahre 1902 eingehend erörtert 
worden ist) überhaupt nur insoweit, als diese ausdrückliche 
Bestimmungen darüber enthält (s. § 6 R.-Gew.-O.), d. h. also in 
den §§ 29, 30, 53, 56a, 80, 144 und 147; im übrigen aber unter¬ 
liegt die weitere Ausgestaltung der Gesetzgebung über 
den Betrieb der Heilkunde der Landesgesetzgebung, wie ja 
z. B. auch der Erlass der verschiedenen Partikulargesetze über die 
Organisation des ärztlichen Standes, über die Ehrengerichte, über die 
Meldepflicht der Aerzte u. dgl. beweist. Ebenso wie der Einzelstaat 
durch derartige Bestimmungen die Ausübung der Heilkunde durch 
approbierte Personen in gewisser Weise geregelt hat, muss er auch die 
Berechtigung haben, solches in bezug auf Nichtapprobierte zu tun. Es 
ergibt sich auch aus den Motiven zur Reichs-Gewerbeordnung und aus 
den damaligen parlamentarischen Verhandlungen, dass es nicht in der 
Absicht des Gesetzgebers liegen kann, durch die Reichs-Gewerbeordnung 
in die Medizinalverwaltung der einzelnen Bundesstaaten derart einzu¬ 
greifen, dass etwa gewisse, zum Schutze des Publikums notwendige 
Maassnahmen nicht getroffen werden dürften. Für diese Auffassung der 
Rechtslage spricht eine Entscheidung des Preussischen Kammer¬ 
gerichts aus dem Jahre 1904 bezüglich einer (auch unter Hinweis auf 
die angeblich entgegenstehende Reichs-Gewerbeordnuog) angefochtenen 
Regierungs-Polizeiverordnung, durch die gewisse prahlerische Heilan¬ 
preisungen unter Strafe gestellt werden; in seiner Entscheidung betonte 
das Kammergericht, dass eine derartige Verordnung in den §§ 6 a und 
6f des Allgemeinen Polizei-Verwaltungsgesetzes vom 11. März 1850 noch 
heute seine rechtliche Stütze finde, wonach „der Schutz der Personen 
und des Eigentums* und „die Sorge für Leben und Gesundheit“ 
dem polizeilichen Verordnungsrecht überwiesen ist. 

Zu diesen, zum Schutze des Publikums notwendigen Maassnahmen 
würde aber auch ein Verbot der Fernbehandlung gerechnet werden 
dürfen. Zur Begründung dieser Ansicht bedarf es nur des Hinweises 
auf die dem „Entwürfe eines Gesetzes gegen Missstände im Heilgewerbe* 
(im Jahre 1910) beigegebenen Motive (vgl. Begründung zu § 3 des Ent¬ 
wurfs), wonach, wie auch zahlreiche Gerichtsverhandlungen in letzter 
Zeit erkennen Hessen, „die sogenannte h'ernbehandlung sich zu einem 
umfangreiohen Geschäftsbetriebe ausgewachsen hat“, während der Erfolg 
einer Heilbehandlung in erster Linie durch eine richtig gestellte Diagnose 
bedingt sei, diese aber nur auf Grund eigener Wahrnehmungen an dem 
zu Behandelnden gestellt werden könne, so dass aus der Fernbehand¬ 
lung, die ja nur auf Grund völlig unsicherer Angaben und Symptome 
erfolge, erhebliche Gefahren und Schäden für den einzelnen wie für die 
Gesamtheit (man denke hierbei z. B. an Geschlechtskrankheiten und 
andere Infektionskrankheiten) sicher erwachsen. 

Im Hinblick hierauf würde also ein Verbot der Fernbehandlung 
für Preussen auf dem Wege einer entsprechenden Regierungs-Polizei¬ 
verordnung sich auf § 10, II, 17 des Allgemeinen Landrechts bzw. auf 
das, in der vorerwähnten Kammergerichtsentscheidung angezogene All¬ 
gemeine Polizei-Verwaltungsgesetz vom 11. März 1850 stützen können, 
wonach die Polizei für die Abwehr der dem Publikum drohenden Ge¬ 
fahren zu sorgen hat. Und selbst diejenigen, die da einwenden wollten, 
dass die erwähnte Kammergeriohtsentscheidung sioh nur auf die prahle¬ 
rischen Anpreisungen der Kurpfuscher, aber nicht auf die Behandlupg 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


duroh sie beziehe, werden, wenn nioht ein Verbot der Fernbehandlung 
an sich, so doch zum mindesten ein Verbot des Anerbietens 
der Fernbehandlung durch eine Regierungs-Polizei verordn uog als 
durch die Rechtslage begründet anerkennen müssen; denn eine derartige 
Bestimmung würde ja „gar nioht in die Ausübung der Heilkunde selbst 
eingreifen“, sondern nur die, diese Ausübung vorbereitenden Handlungen 
berühren, so dass von einem Widerstreit mit der Reichs-Gewerbeordnung 
hier nicht die Rede sein könne“ (vgl. Entsch. des Kammergerichts). 

Freilich wäre ein solches Verbot im Hinblick auf die grosse 
Zahl nichtpreussischer und sogar ausländischer Kurpfuscher und 
Heilschwindel-Institute, die durch ihre Reklame in vielen in Preussen 
erscheinenden Zeitungen Patienten einfangen, durchaus wirkungslos, 
wenn nicht auch diejenigen, welche der Fernbehandlung Vorschub leisten, 
d. b. die Agenten dieser Kurpfuscher und Geheimmittel¬ 
fabrikanten und auch die Zeitungsredakteure, welche die ent¬ 
sprechenden Annoncen aufnehmen, gleichfalls in solche Verord¬ 
nung mit einbezogen und unter Strafe gestellt werden. 

Falls aber die Zweifel über die Zulässigkeit eines direkten Verbots 
der Fern behänd lung an sich (in Rücksicht auf die Reichs-Gewerbe¬ 
ordnung) nur zum Verbot des Anerbietens der Fernbehandlung führen 
sollten, müsste ein solches, bei der bekannten Durchtriebenheit der 
Kurpfuscher in der Umgehung der Gesetze, ausdrücklich besagen, dass 
seine Strafbestimmungen auch dann zur Geltung kommen, wenn die 
bezügliche Ankündigung oder Aeusserung des Heilgewerbetreibenden 
oder seines Beauftragten zwar nicht direkt das Anerbieten der Fern¬ 
behandlung ausspricht, aber aus der Form und dem Inhalt und 
aus den Umständen, unter welchen diese Ankündigung oder 
Aeusserung (es braucht ja nicht immer eine öffentliche Ankündigung 
zu sein) erfolgte, hervorgeht, dass ein Anerbieten der Fern¬ 
behandlung beabsichtigt war. 

Im übrigen aber wäre für den Fall, dass ein landesgesetzliches Ver¬ 
bot der Fernbehandlung doch, mit Rücksicht auf die Reichs-Gewerbe¬ 
ordnung, den leitenden Stellen nicht angängig erschiene, dann 
eine Anreg'ung Preussens im Bundesrat zur Ergänzung der 
Reichs - Gewerbeordnung in dieser Hinsicht sehr erwünscht. Das 
ursprünglich bei deren Schaffung gleichsam zum Dogma erhobene Prinzip 
des „freien Spiels der Kräfte“ und der absoluten Gewerbefreiheit auf 
allen Gebieten ist inzwischen durch eine Reihe späterer Gesetzbestim¬ 
mungen längst durchbrochen worden, auch für die Heilkunde, da die 
durch Gesetznovelle vom 1. Juli 1883 bewirkte Aenderung der Reichs- 
Gewerbe-Ordnung im § 56a die Ausübung der Heilkunde im Um¬ 
herziehen verbietet. 

Geradezu unerklärlich ist für denjenigen, der die Motive zu dieser 
Gesetznovelle (vom 1. Juli 1883) kennt, dass nicht schon damals zu¬ 
gleich auch das Verbot der (brieflichen) Fernbehandlung ausgesprochen 
worden ist. Dass man aber auf diese, gewiss sehr wünschenswerte 
reichsgesetzliche Ergänzung der Gewerbe - Ordnung durch Reichstag und 
Bundesrat nicht zu warten braucht und ein landesgesetzliches Verbot 
des Anerbietens der Fernbehandlung alsbald ergehen kann, ist bereits 
vorstehend begründet und soll nochmals betont werden. 

Aehnlich liegt die Rechtslage hinsichtlich eines Verbots der Kur¬ 
pfuscherei auf einem bestimmt abgegrenzten Gebiete, welchem aus volks- 
hygienisoben Gründen auch in dem schon erwähnten „Gesetzentwurf gegen 
Missstände im Heilgewerbe“ berechtigtermaassen besonderes Interesse 
zugewandt worden ist: dem Gebiete der Geschlechtskrankheiten, 
auf dem sich das Kurpfuschertum in riesigem Umfange betätigt und in 
zahllosen Heilanpreisungen Kranke cinzufangen sucht. Die dem früheren 
Gesetzentwurf beigegebene Begründung (zu § 3 des Entwurfs) betont, 
gleichsinnig mit einer schon im Jahre 1903 seitens der „Deutschen Ge¬ 
sellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten“ an den Herrn 
Reichskanzler eingereiohten Eingabe, mit Recht, dass jeder Geschlechts¬ 
kranke, je länger er unbehandelt bleibt oder falsch behandelt wird, um 
so länger eine Infektionsquelle und damit eine Gefahr für andere in 
sich birgt, und dass im Hinblick auf die so grosse Verbreitung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten und ihre Uebertragbarkeit diese Gefahr keine ge¬ 
ringe ist — nicht zum wenigsten auch hinsichtlich der Fruchtbarkeit der 
Bevölkerung, eine Frage, die ja gerade in letzter Zeit wegen de9 Rück¬ 
ganges der Geburten in den Vordergrund gerückt ist. E 9 ist ohne 
weiteres klar, dass die in so starkem Maasse erfolgende kurpfuscherische 
Behandlung Geschlechtskranker viel leichter zur Sterilität bei Mann und 
Frau führen kann und so die Geburtenziffer beeinflusst 1 )- Und so würde 
ein landesgesetzliches Verbot der Behandlung der Geschlechtskrankheiten 
und ihrer Folgezustände („Männerschwäche“ usw.) sich auch auf das 
Allgemeine Polizeiverwaltungs-Gesetz vom 11. März 1850 (da es sich um 
Sorge für Leben und Gesundheit der Bevölkerung handelt) stützen 
können. 

Falls aber auch hier gegen ein direktes Verbot der Behandlung 
unter Hinweis auf die Reichs-Gewerbeordnung Bedenken erhoben würden, 
so müssten diese fallen, wenn nur ein landesgesetzliohes Verbot 
der öffentlichen Anpreisung von Mitteln und Methoden zur 
Behandlung der „Erkrankungen an den Geschlechtsorganen“ 
(diese Form des Ausdrucks ist in solchem Falle zweckmässiger als „Ge¬ 
schlechtskrankheiten“) ergioge; hierbei müsste allerdings, entsprechend 


1) Vgl. auch darüber: Verhandlungen der schlesischen Aerzte- 
kammer über die Ursachen des Geburtenrückganges. Kammerberiohte 
(Wahlperiode 1912 bis 1914), II. Sitzung vom 26. Juni 1912 (siehe 
S. 114 u. f.). 


der sehr zielbewussten Fassung des § 15 des leider ja nicht Gesetz ge¬ 
wordenen Gesetzentwurfs gegen Missstände im Heilgewerbe (aus dem 
Jahre 1910) ausdrücklich ausgesprochen worden, dass der öffentlichen 
Ankündigung es gleich zu erachten sei, wenn gegenüber einem 
grösseren Kreise von Personen Empfehlungen, Anerkennungen, Gut¬ 
achten, Danksagungen und ähnliche Aeusserungen verbreitet werden oder 
auf solche Aeusserungen verwiesen wird, und dass dasselbe von Mit¬ 
teilungen an ein zelde Personen gelten soll, wenn der Mitteilende 
oder dessen Beauftragter (denn viele Kurpfuscher haben Agenten) sich 
zuvor öffentlich zur Auskunft erboten hat. 

Auf gleiche Stufe zu stellen mit den Heilanpreisungen für Ge¬ 
schlechtskrankheiten und deren Folgezustände („Schwache Männer“ usw. 
usw.) sind die Anpreisungen von Mitteln und Methoden gegen 
„Menstruationsstörungen“, „Frauenleiden“ und dergleichen. 
Ein Blick in die Zeitungen und Zeitschriften lehrt, dass die Zahl dieser 
Anpreisungen enorm ist, wobei noch als wesentlich in Betracht kommt, 
dass vielfach unter dem Deckmantel dieser Annoncen Frucht¬ 
abtreibung von Kurpfuschern und Kurpfuscherinnen betrieben 
wird und hierbei viele Unglüoksfälle und dauernde Gesundheitsschädi¬ 
gungen Vorkommen. Um so eher würde sich demnach ein Verbot der¬ 
artiger Anpreisung auf landespolizeilichem Wege durch Regierungs- 
Polizei Verordnung rechtfertigen und gleichfalls auf § 10, II, 17 des All¬ 
gemeinen Landrechts stützen können, ein Verbot, das wohl dann auch 
auf den Geburtenrückgang nicht ohne Einfluss wäre. 

Die Reihe der landesgesetzlichen Maassnahmen zur besseren Ein¬ 
dämmung der Kurpfuscherei ist mit den bisher hier genannten Vor¬ 
schlägen durchaus nicht erschöpft. So z. B. dürfte e9 weiterhin sich 
empfehlen, die (auf Grund der §§ 43, 137 und 139 des Gesetzes über 
die Allgemeine Landesverwaltung vom 30. Juli 1883 und auf Grund der 
§§ 6,12 und 15 des Gesetzes über die Polizeiverwaltung vom 11. März 1850) 
in Berlin getroffene Regierungs-Polizei verodnung vom 1. August 
1912, wonach Arzneien, deren Verkauf laut Kaiserlicher Verordnungen 
vom 22. Oktober 1901 und vom 31. März 1911 gesetzlich beschränkt 
ist, weder dirokt noch indirekt öffentlich angekündigt oder angepriesen 
werden dürfen, für die ganze Monarchie in Geltung und dann wieder¬ 
holt in Erinnerung zu bringen. Gerade die Tatsache, dass die 
„Pharmceutischen Nachrichten“ dieses Verbot heftig angegriffen haben, 
beweist, dais es in gewisser Weise wirksam ist und u. a. zahlreiche 
kurpfuscherische Anpreisungen von Geheimmitteln und dergleichen seitens 
der Apotheker — von denen z. B. „Der Praktische Wegweiser“ in Würz¬ 
burg wimmelt 1 ) — für Berlin jetzt sehr beschränkt 9ind. 

Im Hinblick auf die — trotz aller Ableugnungsversuche — in grossem 
Umfange in gar manchen Apotheken stattfindende Kurpfuscherei wäre 
sehr wünschenswert ein erneuter Ministerialerlass an die Kreis¬ 
ärzte: der Kurpfuscherei, insbesondere auch derjenigen in Apotheken 
und eventuell auch in Drogenhandlungen ein erhöhtes Interesse zuzu¬ 
wenden. 

Weiterhin wäre es wohl angebracht, die in dem Erlass des Herrn 
Justizministers vom 21. Dezember 1901 an die Oberstaatsanwälte, be¬ 
treffend strafgerichtliche Verfolgung der Kurpfuscher, gegebenen 
Weisungen erneut in Erinnerung zu bringen und hierbei auch auf die 
Möglichkeit eines strafrechtlichen Vorgehens auf Grund des § 302e des 
RStrGB. („Sach-Wucher-Paragraph“) in geeigneten Fällen, wo den an¬ 
gelockten Patienten wertlose Mittel und Apparate zu unerhört hohen 
Preisen gleichsam aufgezwungen werden, hinzuweisen. Die Begründung 
für die Zweckmässigkeit und Zulässigkeit eines solchen Vorgehens findet 
sich in der „Deutschen Juristen-Zeitung (1904, Nr. 8, S. 402 ff.) in einem 
lesenswerten Aufsatze von Dr. jur. Leo. 

Sodann könnte eine Heranziehung anderer längst bestehender, bis¬ 
her aber zur Bekämpfung des Kurpfuschertums leider noch nicht 
angewandter strafrechtlicher Vorschriften vielleicht Aussicht auf Er¬ 
folg bieten. So z. B. bietet das Reichs-Stcafgesetzbuch in seinen 
§§ 327 und 110 eine Handhabe zum Vorgehen gegen die kur- 
pfuschcrisch-naturheilkundliche, in Wort und Schrift die 
Medizinal-Gesetzgebung untergrabende und darum für die 
Allgemeinheit, besonders beim Ausbruch von Epidemien, so 
gefährliche Agitation. Das Louis Kuhne’sche, in vielen Auflagen 
erschienene „Lehrbuch der neuen Heilwissenschaft“ und andere gleich¬ 
sinnige naturheilkundliche Schriften fordern den Leser direkt auf, bei 
Diphtherie und anderen Infektionskrankheiten die vorgesch riebe ne poli¬ 
zeiliche Meldung zu unterlassen, um sich nicht „unnützen“ polizeilichen 
Maassregeln auszusetzen; sie fordern also zu dem durch § 327 RStrGB. 
betroffenen Vergehen gegen die behördlichen Absperrungs- und Aufsichts¬ 
maassregeln auf. Desgleichen könnte gegen die in Volksversammlungen 
und Flugschriften sich betätigende verhetzende und gegen die Medizinal- 
Gesetzgebung gerichtete gefahrvolle Agitation gewisser Naturheilkuudiger 
und Impfgegner der § 110 RStrGB. als wirksam herangezogen werden: 

„Wer öffentlich vor einer Menschenmenge oder durch Verbreitung 
oder öffentlichen Anschlag oder andere Darlegungen zum Ungehorsam 
gegen Gesetze oder rechtsgültige Verordnungen oder gegen die von 
der Obrigkeit innerhalb ihrer Zuständigkeit getroffenen Anordnungen 
auffordert, wird mit Geldstrafe bis zu 600 M. oder mit Gefängnis bis 
zu 2 Jahren bestraft.“ 

Wenn durch Einleitung von Strafverfahren auf Grund dieses ja 
sehr dehnbaren § 110 RStrGB. dann gewisse naturheilkundliche soge- 


1) Vgl. darüber dieZeitschr. „Der Drogenhändler“, 22. August 1912. 
Nr. 68. 


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10. Mär* 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


473 


nannte „Lehrbücher“ betroffen werden würden, würde die Eindämmung 
dieser Bücher auch im Hinblick auf die schon berührte Frage des Ge¬ 
burtenrückganges, die ja jetzt im Vordergründe der Diskussion steht, 
sehr bedeutungsvoll sein; denn beispielsweise gibt das in mehr als 
einer Million Exemplaren verbreitete Bilz’sche „Naturheil- 
verfahren“ den Frauen direkte Handhaben nicht nur für die Ver¬ 
hütung der Conception, sondern auch für die künstliche 
Fruchtabtreibung durch genaue Beschreibung der üblichen Methoden 
und durch Angabe, wie und wo die in Frage kommenden Mittel und 
Instrumente leicht zu beschaffen sind. Von berufener frauenärztlioher 
Seite 1 ) ist die ungeheure Verbreitung dieses Bilz’schen Natur¬ 
heilbuches in allen Schichten der Bevölkerung als ein sehr wesent¬ 
licher Faktor für die Einschränkung der Kinderzahl bezeichnet worden. 
Und man mag zur Frage der Beschränkung der Kinderzahl stehen wie 
man .will — die Entscheidung über die künstliche Fruchtabtreibung ist 
allein Sache des Arztes, während durch das Bilz’sche Naturheil¬ 
buch und andere gleichsinnige Schriften und Bücher die Frauen auf 
die Uterusspritzen und andere Abtreibungsmittel immer 
wieder hingelenkt werden und darum die Nachfrage danach 
heutzutage so gross geworden ist, wie ja unter anderem aus dem 
Bericht der Preussischen Medizinalabteilung für das Jjihr 
1911 (vgl. das Kapitel: „Besondere Betrachtungen über Missstände im 
Arzneimittelverkehr“) hervorgeht. So wird beispielsweise aus dem Regie¬ 
rungsbezirk Merseburg berichtet, dass „Händlerinnen mit Wollwaren 
sich den Handel mit gewissen Spezialitäten als Nebenerwerb ausgesucht 
haben und in ihren Tragkörben unter allen möglichen verbotenen 
Arzneien auch Gebärmutterspritzen, Spülkannen und dergl. mit 
sich führen“; aus dem Regierungsbezirk Köln: dass „besonders der Ver¬ 
kauf sogenannter Menstruationsbeförderungsmittel durch 
die Drogenhandlungen in den grossen Städten zugenommen“ hat; 
aus dem Regierungsbezirk Arnsberg: dass verschiedentlich „Drogisten in 
ihren Schaufenstern Uterusspritzen verschiedener Form, die zweifel¬ 
los zur Abtreibung der Leibesfrucht bestimmt waren, ausliegen 
batten“ und öfters auoh bei ihnen „Tees und Pulver vorgefunden wurden, 
die angeblich als Mittel gegen Menstruationsstörungen verkauft, 
in Wirklichkeit aber als Abtreibungsmittel gekauft und weit über 
den Wert hinaus bezahlt werden“. (Ich möchte übrigens, um nicht 
ungerecht zu erscheinen, hierbei erwähnen, dass das Organ des Deutschen 
Drogistenverbandes „Der Drogenhändler“ (vgl. Nr. 3 vom 9. Januar 1913, 
S. 16) seinen Berufsgenossen „ans Herz legt, von dem Verkauf solcher 
mit Recht verpönter Mittel abzulassen“.) 

In einem unlängst erschienenen Aufsatze über „Abtreibung mit 
Intrauterinpessarien“ weist L. Bürger 2 ) treffend darauf hin, dass den 
Abtreibern und Abtreiberinnen, die heut in grossem Umfange 
Intrauterinstifte und Pessare für ihr Gewerbe verwenden, 
unter den jetzigen gesetzlichen Verhältnissen gar nicht 
beizukommen sei, weil sie nämlich als Ausrede stets angeben, dass 
sie nur ein vorhandenes Leiden mit diesen Pessaren behandelt hätten, 
und dass sie also jetzt ungestraft ihr gefährliches Handwerk ausüben 
können. „Dagegen“* sagt der Verfasser, „würde ein Verbot der 
Behandlung aller Leiden und Krankheiten der Geschlechts¬ 
organe durch Nichtärzte (Kurpfuscher), wie es der Gesetzentwurf 
gegen Missstände im Heilgewerbe vorsah, von grossem Nutzen sein.“ 
„Gewerbsmässigen Abtreibern könnte dann auf Grund solchen 
Gesetzes das Handwerk gelegt werden.“ (I. c., S. 1663.) 

Wir kommen hier also auch noch aus anderen, als den schon (bei 
Besprechung der kurpfuscherischen Reklameanpreisungen für Geschlechts¬ 
kranke) erwähnten Gründen durchaus zur Notwendigkeit einer solohen 
besonderen Gesetzesbestimmung. 

Vielleicht Hesse sich ein solches Verbot, wenn man es auf landes¬ 
gesetzlichem Wege mit Rücksicht auf die angeblich entgegenstehende 
Reichs-Gewerbeordnung nicht erlassen will, schliesslich durch Ergänzung 
derselben erzielen. 

Wir kommen hiermit, nachdem wir bisher im wesentlichen von 
etwaigen landesgesetzlichen Maassnahmen zur Bekämpfung der Kur¬ 
pfuscherei in ihren verschiedenen Formen gesprochen haben, noch auf 
einige nur reichsgesetzlich — am besten durch Anregung Preussens 
beim Reichsamt des Innern — zu regelnde Vorschläge. 

Dahin gehört in erster Reihe eine schon vor Jahren vom Senats¬ 
präsidenten im Reichsversicherungsamt, Geh.-Rat Flügge, vorgeschlagene, 
sehr wünschenswerte Ergänzung des § 35 RGO. in dem Sinne, dass 
bei Unzuverlässigkeit auch der Heilhetrieb untersagt werden 
kann. Auch ich habe schon früher an anderer Stelle 3 ) auf den grellen 
Widerspruch hingewiesen, der darin liegt, dass nach der jetzigen Fassung 
dieses § 35 RGO. zwar „der Handel mit Drogen und chemischen Prä¬ 
paraten, welche zu Heilzwecken dienen, untersagt werden kann, wenn 


** 1) Vgl. R. Asch, Sitzungsbericht d. Schlesischen Aerztekammer 

(Verbandl. über d. Ursachen d. Geburtenrückganges), S. 123 ff. (Sitzung 
vom 26. Juni 1912.) 

2) Dr. L. Bürger, Ueber Abtreibung mit Intrauterinpessarien. 
Med. Klinik, 13. Oktober 1912, Nr. 41. (Aus der Unterrichtsanstalt für 
Staats-Arzneikunde [Direktor: Geh.-Rat Prof. Dr. Strassmann]). 

3) Dr. Carl Alexander, Das Kurpfuschertum und die rechtlichen 
Mittel zu seiner Bekämpfung. Referat, erstattet auf der 1. Jahresver¬ 
sammlung der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung ded Kurpfuscher¬ 
tums. (Erschienen ifa der Sammlung: Das Kurpfuschertum ühti seine 
Bekämpfung: Btrassburg i. E.1904, W. B«k. * 


die Handhabung des Gewerbebetriebes Leben und Gesundheit von 
Menschen gefährdet — aber nicht „die Behandlung“. 

Zur Formulierung einer derartigen Ergänzung des § 35 RGO. 
würde der § 5 des leider ja nicht Gesetz gewordenen „Entwurfs gegen 
Missstände im Heilgewerbe“ (aus dem Jahre 1910), der ja laut bei¬ 
gegebener Begründung einer zur Zeit fehlenden Bestimmung des § 35 
RGO. entsprechen sollte, eine sehr geeignete Handhabe bieten, 
wobei hinsichtlich der Aussichten für die Annahme einer solchen er¬ 
gänzenden Gesetzbestimmung durch den Reichstag es vielleicht nicht 
ganz gleichgültig ist, darauf hinweisen zu können, dass die damals zur 
Durchberatung des genannten Gesetzentwurfs eingesetzte Kurpfuscherei¬ 
kommission des Reichstags den betreffenden § 5, der die Möglichkeit 
der Untersagung des Heilbetriebs bei Unzuverlässigkeit vorsah, ohne 
weiteres angenommen hat. 

Noch ein anderes schon bestehendes Reichsgesetz bedürfte, behufs 
Bekämpfung des Heilscbwindels, gar dringend der Ergänzung: das Press¬ 
gesetz vom 7. Mai 1874; und zwar in der Richtung, dass die Ver¬ 
leger bzw. die Redakteure von Zeitungen und Zeitschriften gezwungen 
werden könnten, im Text öffentliche Warnungen der Behörden 
gegen die in ihrem Annoncenteil veröffentlichten Heil¬ 
schwindelanzeigen ohne Entgelt aufzunehmen. Wenn man 
bedenkt, dass der § 11 des Pressgesetzes jedem einzelnen Privatmann 
die leichte Möglichkeit bietet, die Presse zur Aufnahme gewisser be¬ 
richtigender Angaben — in seinem doch beschränkten Privatinteresse — 
zu zwingen und so diese Berichtigung Tausenden und Hunderttausenden 
von Lesern zugänglich zu machen, kann nicht unberechtigt die Forde¬ 
rung sein, dass auch den Staatsbehörden bezüglich öffentlicher 
Warnungen, die schwindelhafte Heilanpreisungen richtigstellen, im 
Interesse und zum Schutze der Volksgesamtheit diese Möglichkeit 
werde. Solche behördliche Warnuogen können ja natürlich nur dann 
einen Erfolg haben, wenn sie in vielgelesenen Blättern erscheinen; und 
darum verfehlen sie heutzutage ihren Zweck fast immer, weil gerade 
diejenigen Zeitungen, auf die es im wesentlichen ankäme, solche 
Warnungen vor kurpfuscherischen Mitteln und Methoden nicht nur nicht 
abdrucken, sondern sogar deren Aufnahme einfach ablehnen. Beweis- 
material hierfür ist vorhanden! Ein hübsches und typisches Beispiel für 
die Erfolglosigkeit solcher behördlicher öffentlicher Warnungen bietet 
ein Preussischer Ministerialerlass vom 22. Juni 1912, betreffend 
Warnung vor dem „Institute of Radiopathy“ (jetzt „Institut G. A. Mann“) 
(siehe Ministerialbl. f. Med.-Angel., August 1912, S. 213); in diesem 
Erlass heisst es: „Nach einer hierher gelangten amtlichen Mitteilung 
ist der „Präsident“ des Privatunternehmens „Institute of Radiopathy“, 
G. A. Mann, der durch Annoncen in deutschen Zeitungen für sich 
Reklame macht und alle möglichen Krankheiten zu heilen verspricht, 
durch Urteil der 10. Kammer des Pariser Polizeigerichts vom 20. De¬ 
zember 1910 zu einer Gefängnisstrafe von 6 Monaten und zu einer 
Geldbusse von 3000 Frcs. verurteilt worden.“ „Bereits in früheren 
Jahren sind Warnungen vor dem Institut erlassen worden, 
ohne dass es anscheinend gelungen ist, dadurch dem 
schwindelhaften Unternehmen mit Erfolg entgegenzu- 
arbeiten.“ Ganz selbstverständlich, weil diese sogenannten öffent¬ 
lichen Warnungen zwar in den amtlichen Blättern, aber nicht in den 
Tageszeitungen erscheinen, und den Behörden nicht die riesigen Summen 
hierfür zu Verfügung stehen, die nötig wären, um solche Warnungen 
durch Bezahlung als Annonce in die weitgelesene Tagespresse zu 
bringen. Und so scheint die Forderung einer sinngemässen Erwei¬ 
terung des § 11 des Pressgesetzes durchaus gerechtfertigt, etwa 
mit folgendem Wortlaut: 

„Verleger bzw. Herausgeber und Schriftleiter von Zeitungen, 
Zeitschriften und anderen periodischen Druckschriften, in denen 
öffentliche Ankündigungen und Anpreisungen von Mitteln, Apparaten 
und Methoden zur Verhütung, Linderung oder Heilung von Krank¬ 
heiten, Körperschäden und anderen Leiden erschienen sind, sind 
verpflichtet, falls die erschienenen Anzeigen Anlass zu öffentlicher 
Berichtigung oder Warnung gegeben haben, auf Verlangen staatlicher 
Behörden die entsprechende Warnung oder Berichtigung ohne Ein¬ 
schaltungen und ohne Weglassungen kostenfrei in der nach Empfang 
der Einsendung oder Aufforderung durch die Behörde nächstfolgenden 
Nummer der Zeitung (bzw. Zeitschrift, periodische Zeitschrift u. dgl.) 
an einer dem Leser leicht in die Augen fallenden Stelle aufzunehmen, 
und zwar so oft wiederholt, als die den Gegenstand der öffentlichen 
Warnung oder Berichtigung (Aufklärung) bildende Ankündigung dann, 
nach dem ersten Abdruck der Warnung (Berichtigung), noch später in 
gleicher Weise oder gleichsinnig weiter erscheint.“ 

Entsprechende Strafbestimmungen wegen Zuwiderhandlung gegen 
diese Vorschrift müssten natürlich vorgesehen sein. 

Selbst wenn aber solche Warnungen lokaler Behörden (Polizei- 
Präsidium zu Berlin, Breslau usw.; Gesundheitsämter in Hamburg, Karls¬ 
ruhe i.B., Leipzig, Darmstadt usw.) in die für sie in Betracht kommenden 
lokalen Zeitungen übergingen, würde das noch nicht ausreichen gegen¬ 
über der fortwährenden Beeinflussung der gesamten Bevölkerung des 
Reiches durch die in riesigem Umfange an vielen Orten zugleich 
arbeitende kurpfuscherische Reklame. Deshalb ist eine richtige 
Organisation bei Sammlung und Verbreitung möglichst 
aller in den verschiedenen Gebieten Deutschlands heraus- 
kommendeff öffentlichen Warnufagehl ein für die Bekämpfung der 
Kurpfuscherei desentlicbes Erfordernis. Wir bedüsfen hierfür durohaqs 
einer Centralstelle, welche zugleich auehneine stets bereite^Aus»* 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


kunftsstelle für alle Anfragen über Kurpfuscherei bilden 
müsste. 

Diese Centralstelle müsste zugleich auch ein Centralprüfungs¬ 
amt für Geheimmittel und andere, mit besonderer Reklame 
zu Heilzwecken angepriesene und in den Verkehr gebrachte 
Mittel und Apparate in sieh schliessen. Eine solche Central- 
Prüfungsstelle ist ein von vielen Seiten dringend anerkanntes Bedürfnis. 
Insbesondere hat bereits im Jahre 1905 die „Deutsche Gesellschaft zur 
Bekämpfung des Kurpfuschertums“ in einer (in deren Auftrag von mir 
verfassten) diesbezüglichen Eingabe 1 ) an das Reichsamt des Innern 
darauf aufmerksam gemacht, dass sowohl das „Reichsgesetz zur Be¬ 
kämpfung des unlauteren Wettbewerbs, auf dessen Anwendbarkeit zur 
Eindämmung des Kurpfuschertums der Herr Justizminister in Preussen 
durch Erlass vom 21. Dezember 1901 (desgleichen in Bayern: Erlass 
vom 15. Oktober 1904) ausdrücklich hingewiesen hat, als auch die in 
Preussen seitens des Herrn Medizinalministers (vom 28. Juni 1902) und in 
anderen Bundesstaaten gleichsinnig ergangenen Erlasse, die sich auf behörd¬ 
liche Unterdrückung der übertriebenen Reklame der Kurpfuscher beziehen, bei 
gerichtlichem Vorgehen die Forderung eines sachgemässen Gutachtens (:ob 
die von dem Kurpfuscher bezüglich seiner Mittel und Methoden an¬ 
gekündigten Heilversprechungen über deren wahren Wert hinausgehen) 
in jedem Einzelfalle mit sich bringen, dass jedoch die bei den Gerichten 
und Polizeibehörden amtierenden Sachverständigen häufig gar nicht in 
der Lage sind, das fragliche Mittel oder auch nur nähere Angaben dar¬ 
über sich zu beschaffen, weil diese Mittel und Apparate, die ja bei 
hohem Preise erst recht den Wunderkitzel des Publikums anregen, zu¬ 
meist sehr teuer sind. Die an einzelnen Orten gelegentlich stattfindenden 
Untersuchungen aber genügen, bei der gewaltigen Verbreitung des Kur¬ 
pfuschertums, um so weniger, als die Ergebnisse derartiger einzelner 
Untersuchungen nicht überall bekannt gegeben werden, und somit auch 
die zuständigen Behörden anderwärts nicht wissen, ob überhaupt und 
wann bereits eine Prüfung des für das strafrechtliche Vergehen gerade 
in Frage kommenden kurpfuscherischen Mittels und Apparates statt¬ 
gefunden hat. Das Vorhandensein einer Centralstelle würde diese un¬ 
erquicklichen Verhältnisse natürlich sofort beseitigen. 

Inzwischen sind seit jener Eingabe der „Deutschen Gesellschaft zur 
Bekämpfung des Kurpfuschertums“ die Stimmen Berufener immer zahl¬ 
reicher geworden, die eine solche Centralstelle fordern, deren Notwendig¬ 
keit auch in einer von neun preussisohen Aerztekammern unterstützten 
Petition der Berlin-Brandenburgischen Aerztekammer im Jahre 1908 
klar zum Ausdruck gebracht ist. Diese Notwendigkeit ist in letzter 
Zeit noch mehr hervorgetreten, wegen der Missstände im Arzneimittel¬ 
verkehr, über den ja auch der eingangs erwähnte Bericht der preussi- 
schen Medizinalabteilung sich näher auslässt, und auf die insbesondere 
W. Heub ner-Göttingen in seiner so lesenswerten Arbeit über „Allerlei 
Heilmittelunheil“ 2 ), desgleichen Henius-Berlin 3 ), Spring fei d-Osna¬ 
brück 4 ), Eugen Seel-Stuttgart 5 ) u. a. in eingehenden Abhandlungen 
hingewiesen haben. 

Ob mehrere solcher Centralstellen als Landes-Centralstellen oder, 
besser noch, eine einheitliche für das ganze Reich errichtet und diese — 
wie auch im Kurpfuscbereigesetzentwurf vorgesehen war — dann dem 
Kaiserlichen Gesundheitsamte angegliedert werden soll, muss 
näherer Erwägung Vorbehalten bleiben. Mit Recht sagt Neu- 
stätter 6 ) in seiner eingangs erwähnten Arbeit: „So gut dieses 
Kaiserliche Gesundheitsamt jede Woche sich mit dem Stande der Seuchen 
in seinen „Mitteilungen“ abgibt, ebenso könnte und sollte es sich mit 
den täglichen Schädigungen der Volksgesundheit durch Schwindel mittel, 
Schwindelinstitute und sogenannte Heilkünstler befassen“. Für die Ein¬ 
richtung einer solchen Centralstelle könnte, wenigstens bezüglich der 
öffentlichen Warnungen, das bei dem die Bekämpfung des Geheimmittel- 
sohwindels sehr rührig betreibenden Ortsgesundheitsrat zu Karlsruhe i. B. 
übliche Verfahren gewisse Anhaltspunkte bieten. Die Persönlichkeit des 
derzeitigen Präsidenten des Kaiserlichen Gesundheitsamtes, Dr. Bumm, 
der der Bekämpfung des Geheimmittelschwindels dankenswertes Interesse 
entgegenbringt, böte wohl eine gewisse Gewähr dafür, dass die Ein¬ 
richtung dieser Centralstelle zweckmässig gestaltet wird, wenn nur erst 
die gesetzliche Grundlage vorhanden und die erforderlichen Mittel dafür 
eingestellt würden. 

Als eine sehr wünschenswerte Folgeerscheinung würde sich dann, 
worauf neuerdings wieder Springfeld hingewiesen hat, auch die er¬ 
geben, dass das Patentamt den „Erfinderschutz“, „Wortschutz“, das 

1) Diese Eingabe ist abgedruckt in den „Hygienischen Blättern“, 
dem damaligen offiziellen Organ der „Deutschen Gesellschaft zur Be¬ 
kämpfung des Kurpfuschertums“, Jahrgang 2, März 1906, Nr. 6, 
S. 85-91. 

2) W. Heubner, Allerlei Heilmittelunheil. Therapeut. Monatsh., 
März 1912. 

3) Henius, Unzuträgliche Reklame für neue Heilmittel. Deutsche 
med. Wochenschr., 1911, Nr. 37. 

4) A. Springfeld, 1. c. (und in verschiedenen anderen Arbeiten). 

5) Eugen Seel, Prüfungs- und Auskunftsstelle für Arzneimittel. 
Ihre Notwendigkeit, Einrichtung und Tätigkeit. Therapeut. Monatsh., 
August 1912. 

6) 0. Neustätter, Was nun in der Kurpfuscherbekärapfung? 
Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 28. 


Reichspatent usw. erst dann verleihen würde, wenn das Prüfungsamt 
seine Meinung ausgesprochen hat. Unter den obwaltenden Verhältnissen 
aber ist es, wie bereits die Ausstellung der „Deutschen Gesellschaft zur 
Bekämpfung des Kurpfuschertums“ anlässlich des Internationalen 
Hygienekongresses in Berlin (September 1907) dem Publikum und den 
Behörden drastisch vor Augen führte, wiederholt vorgekommen, dass 
sogar kurpfuscherische Mittel und Apparate, vor denen öffent¬ 
liche Warnungen ergangen waren, das deutsche Reichspatent 
(oder den Musterschutz) erhielten, in dessen Erteilung ja das Publikum 
irrigerweise zu seinem Schaden auch eine amtliche Bestätigung der 
Wirksamkeit des betreffenden Mittels erblickt. 

Die Gefahren, die aus uneingeschränktem Weiterwuchern des Heil¬ 
schwindels und der Kurpfuscherei erwachsen, können gar nicht über¬ 
schätzt werden. Als eine Pflicht derjenigen, denen sie in vollem Um¬ 
fange zum Bewusstsein gekommen, erscheint es, immer wieder erneut auf 
sie hinzuweisen und auf Mittel zu ihrer Abwehr zu sinnen! Nur so 
können die Aerzte das werden, was ein grosser Staatsmann einst ihnen 
als Ziel setzte: Führer des Volkes! 


Wiener Brief. 

Das vielumstrittene Epidemiegesetz wurde in der Sitzung des 
Abgeordnetenhauses vom 10. Februar in dritter Lesung angenommen. 
Dieses Gesetz, welches die Verhütung und Bekämpfung übertragbarer 
Krankheiten betrifft, setzt sich aus fünf Hauptstücken zusammen: 

Der Anzeigepflicht unterliegen nunmehr folgende Krankheiten 
in Oesterreich: Scharlach, Diphtherie, Typhus, Dysenterie, epidemische 
Genickstarre, Wochenbettfieber, Flecktyphus, Variola, Cholera asiatica, 
Pest, Febris recurrens, Lepra, Trachom, gelbes Fieber, Milzbrand, Rotz, 
Wutkrankheit (Bissverletzung durch wutverdächtige Tiere). Die Anzeige¬ 
pflicht obliegt den Aerzten, aber auch Laien, für den Fall, dass ohne 
Zuziehung von Aerzten „der anzeigepflichtige Charakter“ der Krankheit 
zur Kenntnis gelangt ist oder gelangt sein könnte. Das zweite Haupt¬ 
stück des neuen Epidemiegesetzes beschäftigt sich mit der Verhütung 
und Bekämpfung der Infektionskrankheiten. Ein Paragraph, welcher die 
Behörden verpflichten sollte, mit allen zu Gebote stehenden Mitteln auf 
die Schaffung von Vorkehrungen und Einrichtungen hinzuwirken, welche 
das Entstehen und die Verbreitung ansteckender Krankheiten zu ver¬ 
hüten geeignet sind, wurde fallen gelassen — angeblich aus ökonomischen 
Gründen, angeblich, um nicht ärmeren Gemeinden neue Lasten aufzu¬ 
bürden, in Wirklichkeit aber aus Angst und Furcht vor dem Impfzwang. 
Das Gesetz schreibt die Isolierung des Kranken vor, eventuell in einer 
Krankenanstalt, und fordert von den Behörden die Bereithaltung der 
Transportmittel. In betreff der Desinfektion bzw. der Vernichtung von 
Objekten aus der Umgebung der Kranken werden genaue Vorschriften 
gegeben. Die Wasserbenutzung kann beim Auftreten bestimmter Infek¬ 
tionskrankheiten beschränkt oder auch untersagt werden. Auch die 
Abgabe von Lebensmitteln aus infizierten Verkaufsstätten kann unter¬ 
sagt werden. Die Abhaltung von Märkten, von Festlichkeiten und 
anderen Veranstaltungen, welche mit dem Zusammenströmen grösserer 
Menschenmengen einhergehen, kann beim Auftreten von Infektions¬ 
krankheiten von Amts wegen verboten werden. Wenn Wohnungen wegen 
ansteckender Krankheit zwangsweise geräumt werden müssen, ist den 
Bewohnern über ihr Verlangen oder beim Nachweis der Mittellosigkeit 
Unterkunft und Verpflegung unentgeltlich zu bewilligen. 

Als Epidemieärzte sind in erster Linie Gemeinde- und Distrikts¬ 
ärzte zu bestellen. Wenn diese nioht genügen, können für die Dauer 
des Bedarfs Epidemieärzte ernannt werden. 

Zu lebhaften Debatten hat das dritte Hauptstück geführt, welches 
sich mit dem Schadenersatz und der Bestreitung der Kosten bei der 
Bekämpfung von Infektionskrankheiten beschäftigt. Eine Vergütung 
können alle Personen beanspruchen, aus deren Besitz Gegenstände ent¬ 
weder zerstört oder durch das Desinfektionsverfahren entwertet worden 
sind. Mittellosen Personen wird für die Zeit, während welcher sie in 
ihrem Erwerb gehindert sind, von Staats wegen eine Vergütung im 
Betrage von 60 pCt. des ortsüblichen Tagelohnes der Arbeiter zuge¬ 
billigt. 

Aerzte, welche bei der Bekämpfung anzeigepflichtiger Krankheiten 
berufsunfähig geworden oder gestorben sind, werden in entsprechender 
Weise bedacht. Die Ruhe- und Versorgungsgenüsse im Mindestausmaasse 
von 2400 Kronen pro Jahr fallen beim Absterben der Aerzte den Hinter- 
bliebehen zu. Auch für die Pflegepersonen und deren Hinterbliebene 
wird mit Ruhegenüssen von mindestens 600 Kronen, mit Witwenpensionen 
von mindestens 300 Kronen gesorgt. Die Kosten für die Bekämpfung 
der Infektionskrankheiten trägt der Staat. 

Im Motivenberichte zum Epidemiegesetze wird als Fehler desselben 
bezeichnet, dass die Anzeigepflicht für Tuberkulose und Syphilis nicht 
gesetzlich festgelegt wurde, trotzdem diese Infektionskrankheiten die ge¬ 
fährlichsten, weil häufigsten sind. In einem Resolutionsantrage wird die 
Regierung aufgefordert, mit tunlichster Beschleunigung einen Gesetz¬ 
entwurf zur Verhütung e und Bekämpfung der Tuberkulose und der Ge¬ 
schlechtskrankheiten ‘als Coro!lat zürn Eßidemiefeesetee eftnsubringen. 
Föfner'wird auf f die geringe 1 Zahl cHtf ■Betten"für tubbrktflösekranke, 


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10. M&n 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


476 


aof die io den meisten Städten Oesterreichs noch fehlende Institution 
der Schulärzte hiogewiesen. Schliesslich wird empfohlen, eine Verein¬ 
barung mit Ungarn zu treffen, um die sofortige obligatorische Verständi¬ 
gung über Fälle ron Infektionskrankheiten in den Grenzbezirken zu 
ermöglichen. 

Trotz mancher Radierungen und Verwässerungen derTexte unseres Epi¬ 
demiegesetzes ist dasselbe als grosser Vorteil zu bezeichnen, als Fortschritt 
sowohl im Ioteresse des ärztlichen Arbeitens als auch der gesamten Bevölke¬ 
rung. Den ärztlichen Abgeordneten, welche mit Energie für das Epidemie¬ 
gesetz eingetreten sind, gebührt der Dank der Oeffentlichkeit. Die Abgeord¬ 
neten, darunter merkwürdigerweise auch Aerzte, welche gegen das Gesetz 
eine rücksichtslose Opposition leisteten, von der Beschränkung der per¬ 
sönlichen Freiheit usw. sprachen, sind glücklicherweise unterlegen. Nach 
der Schaffung gesetzlicher Bestimmungen zur Vorbeugung und Be¬ 
kämpfung der Tuberkulose und der Geschlechtskrankheiten wird das 
Gesetz alles enthalten, was man billig wünschen darf. Bis zur Durch¬ 
führung des Impfzwanges in Oesterreich werden jene, welche dieses 
Gesetz geschaffen und vertreten haben, wohl nicht kommen. 

Der Kampf der Aerzte Niederösterreichs gegen denVerband 
der Genossenschaftskrankenkassen Wiens und Niederösterreichs hat be¬ 
gonnen ; die Aerzte behandeln die Kranken, lehnen aber alle administra¬ 
tiven Arbeiten, welche für den Fortbestand der Kassen unbedingt not¬ 
wendig sind, ab. Zweifelsohne werden die Aerzte in diesem Kampfe 
siegen, da die Kassen ohne die administrative Mitarbeit der Aerzte zur 
Untätigkeit verdammt würden. Dieser Kampf der Aerzte bedeutet eine 
Kraftprobe unserer wirtschaftlichen Organisationen, welche zielbewusst 
arbeiten, und deren Weisungen und Ratschläge fast von allen Aerzten 
befolgt werden. 

Hofrat v. Noorden, der Vorstand der ersten medizinischen Klinik, 
übersiedelt zu Ende des Sommersemesters nach Frankfurt a. M. und 
tritt nicht bloss von der Wiener Lehrkanzel, sondern von der klinischen 
Arbeit überhaupt zurück. Fünf Jahre ist v. Noorden in Wien tätig; 
er hat io dieser kurzen Zeit ein neues mustergültiges Institut ge¬ 
schaffen und für sein Lieblingsthema, die Stoffwechselkrankheiten, ein 
Arbeitscentrum eingerichtet. Sein Entschluss, Wien nach kurzer Tätig¬ 
keit zu verlassen, wird viel besprochen. Wie vor kurzem bei v. Strümpell 
sind auch bei v. Noorden persönliche Gründe für die Abreise von 
Wien maassgebend; jenem eröffnete sich durch den Tod Curschmann’s 
ein Wirkungskreis an der Stätte, wo er als Assistent gedient batte; 
dieser geht nach Frankfurt a. M. zur Konsiliarpraxis zurück, nachdem 
er sich in Wien als Kliniker und Organisator bewährt hat. Dass beide 
reichsdeutsche Kliniker in Wien auch Böses oder vorsichtiger gesprochen 
Unangenehmes erlebt haben, war gewiss für ihren Entschluss, Wien den 
Rücken zu kehreo, nicht allein maassgebend. Die Uebernahme einer 
grossen Klinik in einer fremden Stadt ist keine leichte Aufgabe; persön¬ 
liche und . sachliche Differenzen sind hierbei nicht zu vermeiden. Die 
Wiener medizinische Fakultät, welche derzeit mit vier medizinischen 
Kliniken ausgestattet ist, wird demnächst zwei zu besetzen haben. Das 
Schicksal der zweiten (einst Neusser’schen) Klinik scheint bereits ent¬ 
schieden zu sein — sie wird in eine chirurgisch-propädeutisehe umge¬ 
wandelt. Die erste, jetzt Noorden’sche Klinik, wird am Schlüsse des 
Sommersemesters vakant. 

Man weissagt, dass die Unterrichtsverwaltung naoh den Erfahrungen, 
die sie mit v. Strümpell und v. Noorden in letzter Zeit gemacht 
hat, nicht geneigt sein werde, es diesmal mit einem reichsdeutschen 
Kliniker zu versuchen. Viennensis. 


Zur Erinnerung an W. Podwyssotzky. 

Im blühendsten Mannesalter, im 56. Lebensjahre, wurde der ge¬ 
feierte russische Pathologe, die Zierde der russischen medizinischen 
Wissenschaft, Prof. Wladimir Podwyssotzky, das Opfer einer heim¬ 
tückischen Krankheit. Niemand konnte glauben, dass der Lebensfaden 
dieses von Energie und Lebenskraft strotzenden Mannes so rasch und 
so plötzlich abgerissen werden wird. Er stand in der Vollkraft seines 
Wirkens, viele hervorragende Leistungen waren noch von ihm zu er¬ 
warten, aber mitten in seinem Schaffen entriss ihn ein beklagenswertes 
Verhängnis. 

Der Lebenslauf Podwyssotzky’s war reich an Erfolgen, an Ehren 
und an Auszeichnungen. Das Schicksal war ihm stets hold gesinnt. 
Deo Elementarunterricht erhielt er in der Schweiz, in der Stadt Genf. 
Sodann wurde er nach der Heimat zurückgebracht a wo er in Shitonier 
da? Gymnasium als einer der besten• Schüler verliess. Abgesehen 
d^pon, dass er die Prüfungen in den Schulfächern glänzend bestand, 
bewies er noch hervorragende künstlerische Fähigkeiten und wurde für 
seine Zeichnungen nach der Natur von der Akademie der Künsto in 
Petersburg mit einer ehrenden Anerkennung bedacht. Hierauf bezog 
er im Jahre 1877 die medizinische Fakultät der Universität Kiew, die er 
1888 absolvierte. Schon damals bekundete sich seine wissenschaftliche Be¬ 
fähigung, und noch als Student veröffentlichte er seine erste Arbeit, die 
Untersuchung über „Die Histologie des Pankreas“. 

1884 bf£eiligjke er sich an einer Kommission* die behufs Erfoflschung 
dev Lepra nach dem Kaukasus gesandt 1 waiw Während seines dortigen 


Aufenthaltes lenkte er seine Aufmerksamkeit auf den Kefir, seine Her¬ 
stellung, Zusammenstellung und physiologische Wirkung. Er studierte 
die Biologie des K/efirpilzes und legte die Ergebnisse seiner Unter¬ 
suchungen in einer klassischen Monographie über den „Kefir“ nieder, 
die in mehrere fremde Sprachen übersetzt wurde. 

Angesichts der von ihm bewiesenen Fähigkeiten wurde Pod¬ 
wyssotzky im Jahre 1885 vom Ministerium der Volksaufklärung für 
zwei Jahre ins Ausland kommandiert, um sich für die Professur auszu¬ 
bilden. Er ging zuerst naoh Tübingen, wo er bei Ziegler und 
Grützner arbeitete, sodann nach München, wo er sich bei Bollinger 
und Ziemssen beschäftigte, und zuletzt nach Paris, wo er Pasteur 
und Cornil aufsuchte. Aus dem Laboratorium von Grützner ver¬ 
öffentlichte er bemerkenswerte Untersuchungen über die Methodik der 
Darstellung von Pepsinextrakten, und aus dem Ziegler’schen Institut 
experimentelle Forschungen über die Regeneration von Lebergewebe, 
von Drüsengewebe, der Epithelien der Speichel- und Meibom’schen 
Drüsen, die die Fragen der Regeneration hell beleuchteten. 

Nach seiner Rückkehr nach Russland wurde Podwyssotzky gleich 
nach seiner Doktorpromotion einstimmig zum Privatdozenten der militär¬ 
medizinischen Akademie in Petersburg erwählt. Er zog es jedoch vor, 
nach Kiew zu gehen, wo er 1888 zum ausserordentlichen Professor für 
allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie ernannt wurde. Sein 
Wirken in Kiew dauerte etwa 13 Jahre. Seiner Lehrtätigkeit war ein 
geradezu ungewöhnlicher Erfolg besohieden. Seine Vorlesungen erfreuten 
sich eines kolossalen Zudranges, und sein Laboratorium konnte nicht 
alle fassen, die dort zu arbeiten wünschten. Zahlreiche Arbeiten er¬ 
schienen unter seiner Aeglde, aber das ausgezeichnetste Werk, eine 
epochemachende Erscheinung, das war sein eigenes Buch „Die Grund¬ 
lagen der allgemeinen Pathologie“, das in viele europäische Sprachen 
übersetzt wurde. Das Buch erlebte bis jetzt vier Auflagen und hat 
Tausenden und Abertausenden von Aerzten pathologische Bildung ver¬ 
mittelt. 

Im Jahre 1896 begründete Podwyssotzky das „Russische Archiv 
für Pathologie, klinische Medizin und Bakteriologie“, das für Russland 
die gleiche Bedeutung gewinnen sollte wie Virchow’s Archiv für die 
anderen Kulturländer. Sieben Jahre lang redigierte er mit Hingabe und 
Aufopferung das Archiv, fügte ihm Jahresberichte über die gesamten 
Fortschritte in der praktischen Medizin bei, die russischen Aerzte unter¬ 
stützten ihn jedoch nicht genügend, und die Zeitschrift musste zuletzt 
aus Maogel an Mitteln ihr Erscheinen leider einstellen. 

Als an der Universität Odessa, die bis dahin keine medizinische 
Fakultät besass, eine solche Fakultät neu errichtet werden sollte, wurde 
Podwyssotzky vom Ministerium der Volksaufklärung mit ihrer Einrichtung 
beauftragt. Im Jahre 1900 siedelte er als ordentlicher Professor und 
Dekan der neu zu schaffenden Fakultät nach Odessa über. Dort ent¬ 
faltete er eine ausserordentlich rührige und energische Tätigkeit, leitete 
den Bau der Kliniken und organisierte den medizinischen Unterricht. 
Er wurde dort zum Vorsitzenden der Balneologischen Gesellchaft er¬ 
wählt, schuf an der Universität den ersten Lehrstuhl für Balneologie 
und physikalische Heilmethoden und erledigte seine Mission mit eminentem 
Erfolg. 

1905 erfolgte seine Ernennung zum Direktor des Instituts für ex¬ 
perimentelle Medizin zu St. Petersburg. Auch auf diesem Posten bewies 
er sein hervorragendes administratives und Organisationstalent. Unter 
seiner Direktion nahm das Institut einen neuen Aufschwung, wurde 
durch neue wissenschaftliche Abteilungen bereichert und verwandelte 
sich in eine Stätte emsigster Arbeit und intensivster Forschung. Pod¬ 
wyssotzky selbst leitete die Abteilung für allgemeine Pathologie, in 
weloher er sich in den letzten Jahren ganz besonders mit der Krebs¬ 
frage beschäftigte, die er durch seine Untersuchungen sehr förderte. 
Bekannt sind seine Arbeiten über den Krebs der Pflanzen und über 
die Bedeutung der formativen Reize für die Entwicklung des Carcinoms 
beim Menschen. 

Seit 1902 war Podwyssotzky Mitredakteur der verbreitetsten 
russischen medizinischen Wochenschrift, des „Russky Wratsch“. Ausser¬ 
dem redigierte er das offizielle Organ des Instituts für experimentelle 
Medizin, das „Archiv für biologische Wissenschaften“. Beide Zeit¬ 
schriften erfuhren unter seiner Leitung eine fortschreitende Entwicklung. 

Russland verlor somit in Prof. Podwyssotzky einen hervorragen¬ 
den Forscher, einen ausgezeichneten Gelehrten, einen vortrefflichen 
Lehrer und befähigten Organisator. Im öffentlichen Leben hat seine 
Wirksamkeit tiefe Spuren hinterlassen. Aber nicht nur Russland allein 
beklagt seinen frühzeitigen Tod. Auoh das Ausland kannte, schätzte 
und feierte unseren berühmten Landsmann. In aller Gedächtnis ist 
noch, wie glänzend er die russische Sektion auf der Internationalen 
Hygiene-Ausstellung zu Dresden 1911 organisiert hat. Aus meiner 
eigenen Erinnerung kann ich noch binzufügen, wie würdig ec zusammen 
mit dem Odessaer Mathematiker und Physiker Schwedow die russische 
Wissenschaft auf der Feier des 80jährigen Geburtstages R. Virchow’s 
vertreten hat. Seine Lebhaftigkeit, sein von Gesundheit und Kraft 
strotzendes Wesen liess ein so frühes Ende nioht vermuten. 

Friede seiner Asche! Dr. Philipp Blumentbal. 


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470 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10: 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. In der Sitzung der Berliner medizinischen Gesell¬ 
schaft vom 5. Marz wurde der bisherige Vorstand nebst Aufnahme¬ 
kommission wiedergewäblt. Hierauf fand die Diskussion über den Vortrag 
des Herrn Orth: Ueber die Bedeutung der Rinderbacillen für den 
Menschen statt; an derselben beteiligten sich die Herren Westenhöffer, 
Weber, Sticker, F. Klemperer, Orth, Dammanü, M. Wolff und 
Eber. 

— In der Sitzung der Vereinigung zur Pflege der ver¬ 
gleichenden Pathologie vom 27. Februar 1918 sprach der Vor¬ 
sitzende Prof. Dr. P. Schiemenz über die Krankheitsersehei¬ 
nungen bei den Fischen im allgemeinen. Er widerlegte durch 
die Schilderung der zahlreichen in allen Lebensaltern vorkommenden, 
teilweise sehr deletären Krankheiten den populären Glauben von der 
Gesundheit der Fische und wies auf die volkswirtschaftliche Bedeutung 
der Bekämpfung der Fischseuchen hin. Herr Dr. Wiiler schilderte die 
Bandwurmseuche der Fische und ihre Wirkung auf die 
inneren Organe der Fische. Bemerkenswert ist die durch die 
Bandwurmkrankheit hervorgerufene Hämosiderosis innerer Organe. 
Die Verseuchung der Fische des Müggelsees ist eine ganz ungeheure. 
Sie wird, wie Herr Dr. Wunsch ausführte, durch bestimmte Vogel¬ 
arten, als Zwischen wirte, vermittelt. Vor allem spielen die Taucher¬ 
vögel hier eine grosse Rolle. Wichtig ist der Einfluss, den die hohe 
Temperatur des Vogeldarms auf die schnelle Entwicklung der Band¬ 
wurmeier und-Embryonen ausübt. Die Herren Törlitz und Dr. Seydel 
demonstrierten Bilder und anatomische Präparate von Fischprotozoen 
und von der Pockenkrankheit der Karpfen. In einem Schlussworte 
wandte sich Herr Prof. Schiemenz gegen den übermässigen Schutz 
der Wasservögel. Gegenüber der volkswirtschaftlich wichtigen und 
notwendigen Ausbeutung der Fischschätze unserer Seen müsse der „Schutz 
der Naturdenkmäler“ zurücktreten. 

— ln der Sitzung der Berliner orthopädischen Gesellschaft 
am 4. März (Vorsitzender Herr Joachimsthal) sprachen Herr Reiner 
über Myotonia congenita, Herr Grünberg über die Grundlagen der 
Orthodontie (Diskussion: die Herren Eckstein, Muskat, Grünberg). 
Weiterhin machte Herr Evier Mitteilungen zur orthopädischen Technik. 

— Der Deutsche Verein für Schulgesundheitspflege wird 
seine diesjährige Versammlung in der Pfingstwoche vom 13. bis 15. Mai 
in Breslau unter dem Vorsitz des Herrn Ministerialdirektors Kirchner- 
Berlin abhalten. Hauptreferate: l. Welche Auforderungen müssen vom 
hygienischen Standpunkte an die Schulanfänger gestellt werden? (Stadt¬ 
schularzt Dr. Steinhaus-Dortmund und Stadtschulrat Dr. Wehrhahn- 
Hannover). 2. Die Bedeutung der Landerziehungsheime vom hygienischen 
und pädagogischen Standpunkte (Dr. Lietz, Direktor der Landerziehungs¬ 
heime Haubinda, Ilsenburg und Schloss Bieberstein, und Schularzt 
Dr. Sexauer-Godesberg). 

Der 4. internationale Kongress für Schulhygiene wird vom 
25. bis 30. August d. J. in Buffalo, New York, U. S. A., unter dem Ehren¬ 
vorsitz des Präsidenten der Vereinigten Staateo, Herrn Wilson, abge¬ 
halten werden. 

Alle, diese beiden Kongresse betreffenden Anfragen sind an den Ge¬ 
schäftsführer, Professor Dr. Se lter-Bonn, Hygienisches Institut, zu richten. 

— Auf der Naturforscherversammlung zu Münster i. W. im Herbst 
1912 hat sich eine „Vereinigung der Krankenbausärzte“ gebildet, 
zum Zweck, die deutschen Krankenhausärzte zu gegenseitiger Anregung 
und gemeinsamer Betätigung auf dem Gebiete des Krankenhauswesens 
zu vereinigen, ihre ethischen und sozialen Interessen sowie die der 
Krankenhäuser zu fördern und dieselben sowohl nach aussen wie inner¬ 
halb der Aerzteschaft zu vertreten. Die erste Hauptversammlung findet 
am Dienstag, den 25. März, in Berlin, Restaurant zum Heidelberger, 
Friedrichstrasse, abends 6 Uhr, statt. Prof. Sprengel-Braunschweig 
wird über „Assistenten- und Praktikantenfrage“ referieren, Dr. Kühler- 
Kreuznach über „Krankenhausärzte und Versicherungsgesetze“. Der vor¬ 
läufige Vorstand besteht aus Prof. Dreesmann-Cöln, Vorsitzenden, 
San.-Rat Dr. E. Pagenstecher-Wiesbaden, Schriftführer, Dr. E. Kühler- 
Kreuznach, Kassenführer. 

— Dettweiler-Stiftung. Im Jahre 1904 wurde zum Andenken 
an den unvergesslichen Dettweiler eine Stiftung begründet, deren 
Zweck es sein soll, den speziellen Berufskollegen des Verstorbenen, den 
Heilstättenärzten und deren Angehörigen, in Notlagen helfend beizustehen. 
Den Vorsitz der Stiftung übernahm Geh. Medizinalrat Bernhard 
Fränkei, nach dessen Tode Ministerialdirektor Kirchner. Nach dem 
Kassenbericht beträgt das Vermögen Ende 1912 30 500 M. Bisher blieb 
die Stiftung von erheblichen Ansprüchen verschont, immerhin konnte 
sie schon helfend eingreifen. Zuschriften an Herrn Professor Dr. Nietn er, 
Berlin W. 9, Linkstr. 29, Geldsendungen an Herrn Kommerzienrat Cohrs, 
Berlin W. 9, Lenn6str. 4. 

— Der Verband ärztlicher Privatlaboratorien hat ein Merkblatt 
über die Wassermann’sche Reaktion herausgegeben, das praktischen 
Aerzten die Deutung und Wertigkeit der Untersuchungsergebnisse in 
den einzelnen Stadien der Syphilis erleichtern soll. Bezugsstelle: Berlin, 
Kar-lstr. 19, gegen Einsendung von 10 Pfennig. 

— Geh. San.-Rat Bensch, der fast zwei Jahrzehnte lang die Ver¬ 
sicherungskasse für die Aerzte Deutschlands als Obmann ge¬ 


leitet hatte, tritt aus Alters- und Gesundheitsrücksichten von seinem 
Amte zurück, sein Scheiden aus dem Amte wird von Aufsicbtsrat und 
Direktorium mit öffentlicher Danksagung für seine hingebende Tätigkeit 
begleitet An Stelle von Bensch wurde Saq.-Rat Osc*r Salomon 
und zu dessen Stellvertreter Geh. San.-Rat Stadthagen gewählt. 

Hoohschulnaohrichten. 

Berlin. Privatdozent Dr. Noeggerath hat einen Ruf nach Frei¬ 
burg als Direktor der Kinderklinik erhalten und angenommen. — 
Göttingen. Habilitiert: DDr. Hauschild (Anatomie) und Ehren¬ 
berg (Physiologie). — Kiel. Geheimrat Siemerling, Direktor der 
psychiatrischen Klinik, feierte sein 25jähriges Dozentenjubiläum. — 
Rostock. Habilitiert: Dr. Wirths für Ophthalmologie. — München. 
Habilitiert: DDr. Böhm (innere Medizin), Groth (Statistik) undAhrens 
(Zahnheitkunde). — Heidelberg. Exzellenz Czerny gedenkt, am 
1. Oktober von der Leitung des Saraariterhauses zurückzutreten. — 
Basel. Zu ao. Professoren wurden ernannt die Privatdozenten DDr. 
Bloch (Dermatologie), Streck eisen (gerichtliche Medizin) und Villinger 
(Anatomie). — Wien. Der Professor der Dermatologie, Schiff, ist 
gestorben. — Budapest. Prof. Pertik, Direktor des Pathologischen 
Instituts, ist gestorben. _ 

Gang der Volkskrankheiten. 

Pest. Aegypten (15.—21.11.) 10 und 8f. Britisch-Ost- 
indien (19. I.—1. II.) 8313 und 6805 f. — Cholera. Straits 
Settlements (14. XII. 1912 bis 17.1. 1913) 2. — Gelbfieber. Bra¬ 
silien (5.—11. I.) 2 und2f. — Pocken. Deutsches Reich (23.11. 
bis 1. III.) 1. Oesterreich (9.—15.11.) 1. — Fleckfieber. Oester¬ 
reich (9.—15. II.) 90. — Genickstarre. Preussen (16.—22. II.) 3 
und 2+. — Spinale Kinderlähmung. Preussen (16.—22. II.) 1.— 
Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb an Masern und Röteln 
in Berlin Lichtenberg, Mülheim (Rhein), Oberbausen; an Diphtherie 
und Krupp in Gladbeck, Osnabrück, Potsdam, Schwerin, Ulm; an 
Keuchhusten in Hof, Wanne. 


Amtliche Mitteilungen. 

Personalien. 

Auszeichnungen*. Prädikat Professor: Dozent der Akademie für 
praktische Medizin, Kreisarzt Dr. E« Meder in Cöln. 

Versetzt: der ordentl. Professor Dr. F. Henke in Königsberg i. Pr. in 
gleicher Eigenschaft nach Breslau. 

Ernennungen: der ausserordentl. Professor Dr. B. Salge in Freiburg 
i. B. zum ordentl. Professor in Strassburg i. E. 

Niederlassungen: Dr. K. Frommer in Lauenburg i. Pomm., Dr. F. 
Piotrowski in Bentschen, Dr. V. Krukowski in Samter, Dr. Chr. 
Hinrichsen in Christiansfeld, Dr. A.Stromer in Katernberg, Dr. A. 
Fliescher in Viersen. 

Verzogen: Dr. W. Bethge von Halle a. S. nach Zeitz, Dr. R. Ehe- 
bald von Halle a.S. nach Erfurt, Dr. R. Hirz von Heilstätte Vogel¬ 
sang b. Magdeburg nach Bad Rehburg, Oberarzt Dr. W. Benkmann 
von Marienburg nach Hammerstein, Aerztin Dr. F. Leuss von Stutt¬ 
gart nach Bergquell, Dr. F. Kehren von Buttelstedt und Dr. A. 
Kruse von Lubmin nach Torgelow, Dr. G. Roh de von Stargard 
i. Pomm. nach Lauenburg i. Pomm., Dr. W. Schön rock von Lerbach 
nach Luschwitz, Dr. St. Lassocinski von Samter nach Neustadt 
b. P., Dr. J. F. Dose von Christiansfeld und Dr. H. Berberich von 
Hamburg nach Altona, Dr. L. Talke von Apenrade nach Nürnberg, 
Dr. W. Müller von Bad Soden nach Eckernförde, Arzt R. Bech von 
Niebüll nach Eidelstedt, Dr. W. Meyer von Cassel und Dr. C. Pay- 
sen von Hollingstedt nach Kiel, Dr. F. J. Dröder von Heiligenstadt 
nach Borgentreich, Dr. J. Will m es von Cöln, Dr. E. Hei mann 
von Stuttgart, Dr. L. Cohn von Berlin und Dr. J. Weinrich von 
Mülheim a. Rh. nach Paderborn, Dr. H. Sauerwald von Bad Oeyn¬ 
hausen nach Hamburg, Dr. Tb. Laup von Mülhausen i. E., Dr. 0. H. 
Lang von Bad Wildungen undDr. M. Vogt von Grevelsberg nach Bar¬ 
men, Dr. A. K. Ludwig von Groitsch, Dr. E. de Vedia von Ahlen 
i. W. und Dr. J. Gärtner von Jena nach Düsseldorf, Dr. H. R. P. 
Burkhard von Berlin-Friedenau nach Elberfeld, Dr. E. Alletsee 
von Frankfurt a. M. nach Stoppenberg, Dr. B. Menne von Bonn nach 
Essen, Dr. E. Kerris von Galkhausen nach Johannistal b. Süchteln, 
Dr. F. Trog eie von Hamburg und Dr. M. Többen von Berlin nach 
Oberhausen, Dr. K. Gülke von Sontra und Dr. K. Schulze-Kump 
von Paderborn nach Leichlingen, Dr. A. Siebert von Johannistal 
b. Süchteln nach Galkhausen, Dr. A. Meilohen von Saarlouis nach 
Neuerburg, Dr. E. Mory von Saarbrücken nach Neunkirchen, Dr. A. 
Escher von Gelsenkirchen und Dr. N. Lauxen von Neunkirchen 
nach Ottweiler, Dr. F. G. Martin von Thalfang nach Saarbrücken». 

Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. B. Lewin von 
Belgard a. Pers., Dr. Th. Weynerowski von Posen, Arzt L. H. A. 
Gürioh von Eidelstedt, Dr. G. Heermann von Kiel, Dr. J. Kalk¬ 
hof von Barmen auf Reisen, Dr. K. F. Seer von Leichlingen. 

Gestorben: San.-Rat Dr. L. Arndt in Jastrow, Dr. L. Frost in 
Bojanowo, Arzt E. Krzyzan in Bentschen. 

Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hans Kohlt, Berlin W n Bayreulher Strasse 43. 


Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4. 


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alle Bachhandlangen and Poetanealten an. 


BERLINER 


Alle Blneendnngen für die Redaktion and Bxpeditio* 
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung 
Augnat Hirachwald in Berlin NW., Unter den Linden ■ 
No. 68, adressieren. 


KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

t 

Organ für praktische Aerzte. 

Mit Berücksichtigung der Medizinal Verwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 

Redaktion: Expedition: 

Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posncr and Dr. Bans Kohn. Aagast Hirschwaid, Verlagsbachhaadlang in Berlin. 


Montag, den 17. März 1913. 


M 11 . 


Fünfzigster Jahrgang. 


INHALT. 


Origiaaliei: Löpine: Fortschritte in der Behandlung des Diabetes 
mellitus seit 50 Jahren. S. 477. 

Hueppe: Sport und Reizmittel. S. 481. 

Touton: Darf Neosalvarsan ambulant angewandt werden? S. 484. 
Meyer: Zur Kasuistik der Epityphlitis bei Scharlach sowie der 
wiederholten Scharlacherkrankung. S. 488. 

Casper: Zur Harnblasenausschaltung wegen Tuberkulose. S. 402. 
Gohn und Reiter: Klinische und serologische Untersuchungen bei 
Harneiterungen durch Bacterium coli. (Aus dem hygienischen 
Institut der Universität Königsberg and der urologischen Klinik 
und Poliklinik von Privatdozent Dr. Theodor Cohn.) (Schluss.) 
S. 492. 

Valentin: Die postoperative Parotitis. (Aus der II. chirurgischen 
Abteilung des städtischen Rudolf Virchow - Krankenhauses zu 
Berlin.) S. 495. 

Bftekerbespreeliiiigea: Wullstein und Wilms: Lehrbuch der Chir¬ 
urgie. S. 497. Glaessner*. Jahrbueh für orthopädisohe Chirurgie. 
S. 497. (Ref. Adler.) — Denker und Brünings: Lehrbuch der 
Krankheiten des Ohres and der Luftwege einschliesslich der Mund¬ 
krankheiten. S. 497. (Ref. Schwabach.) — Stadler: Die Klinik 
der syphilitischen Aortenerkrankung. S. 498. (Ref. Fleischmann.) — 
Sanitätsbericht über die Königlich preussisohe Armee, das XII. und 
XIX. and das XIII. Armeekorps für den Berichtszeitraum vom 
1. Oktober 1909 bis 30. September 1910. S. 498. W. Roth’s Jahres¬ 
bericht über die Leistungen und Fortschritte auf dem Gebiete des 
Militärsaoitätswesen9. S. 498. (Ref. Schnütgen.) 

Literator-Aasziige: Physiologie. S. 498. — Pharmakologie. S. 498. — 
Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. S. 499. — 
Parasitenkunde und Serologie. S. 499. — Innere Medizin. S. 500. — 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. S. 501. — Kinderheilkunde, 
S. 501. — Chirurgie. S. 502. ,— Röntgenologie. S. 503. — Urologie. 
S. 503. — Haut- und Geschlechtskrankheiten. S. 503. — Geburtshilfe 
und Gynäkologie. S. 503. — Augenheilkunde. S. 504. — Hals-, 
Nasen- und Ohrenkrankheiten. S. 505. — Hygiene und Sanitäts¬ 
wesen. S. 505. — Unfallheilkunde und Versicherungswesen. S. 505. 
VerhaBdlangea ärztlicher Gesellschaften: Berliner medizinische 
Gesellschaft. Fortsetzung der Wahl des Vorstandes. S, 505. 
Diskussion über den Vortrag des Herrn Orth: Ueber die Bedeutung 
der Rinderbacilien für den Menschen. S. 505. — Hufelandische 
Gesellschaft. S. 509. — Berliner Gesellschaft für Chirurgie. 
S. 511. — Gesellschaft für soziale Medizin, Hygiene und 
Medizinalstatistik zn Berlin. S. 512. — Gynäkologische 
Gesellschaft zu Berlin. S. 512. — Breslauer chirurgische 
Gesellschaft. S. 513. — Breslauer psychiatrisch - neuro¬ 
logische Vereinigung. S. 515. — Aerztlicher Verein zu 
Hamburg. S. 517. — Medizinische Gesellschaft zn Leipzig.' 
S. 518. — Aerztliohec Bezirks verein zu Zittau. S. 519. — 
Naturhistorisch - medizinischer Verein zu Heidelberg. 
S. 519. — Medizinische Gesellschaft zu Göttingen. S. 520. 
— Physikalisoh-medizinische Gesellschaft zu Würzburg. 
S. 521. — K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. S. 521. — 
Medizinische Gesellschaft zu Basel. S. 522. — Aus Pariser 
medizinischen Gesellschaften. S. 522. 

PI es eh: Ueber chemische Einwirkungen des Thorium X auf organische 
Substanzen, besonders anf die Harnsäure. (Aus der II. medi¬ 
zinischen Universitätsklinik der Königl. Charitö.) S. 523. 
Tagesgeschichtliche Notizen. S. 524. 

Amtliche Mitteilungen. S. 524. 


Fortschritte in der Behandlung des Diabetes mellitus seit 50 Jahren. 

Von 

R. Lupine, 

Honorarprofessor an der Universität Lyon. 


Wenn man auf die seit etwa 40 Jahren erschienenen Bücher 
nnd Abhandlungen über Diabetes mellitus znrückblickt, so findet 
man, dass die Behandlung dieser Krankheit hauptsächlich bestand 
in Fleischregime, Enthaltung von Zucker, Mehlspeisen und Früchten, 
im Gebrauch einiger Arzneimittel und schliesslich in Muskel- 
öbungen. 

Diese mehr oder weniger systematisch empfohlene Behandlung 
dürfte eine gewisse Zahl von Diabetikern wohl bessern, aber eine 
Verschlimmerung der Schwerkranken herbeiführen und sie jeden¬ 
falls nicht vor gefährlichen Komplikationen, wie gangränöser Phleg¬ 
mone und Coma schützen, welche in kurzer Frist zum Tode führen. 

Man darf jsich daher nicht wandern, dass der Diabetes beim 
Publikum in schlechtem Rufe steht. # 

In einem Zeitraum von dreissig Jahren hat die Situation eine 
eigentümliche Veränderung erfahren. In welcher Weise und 
in welchen Etappen hat sich der Fortschritt vollzogen? 

Ich möchte versuchen, dieses anseinanderzusetzen: 

"Fortschritte i& de; Auffassung voji der Pathogenese 
des'Diabetes. 

Aas seinen grossen'Entdeckungen hat CI. Beraard den 


Schluss gezogen, dass der Diabetes mellitus wesentlich durch eine 
überschüssige Glykogenbildung in der Leber erzeugt würde. Es 
konnte ihm keineswegs entgehen, dass die Pathogenese dieses 
Leidens eine komplizierte sei; aber, jedem Ein wand aus dem 
Wege gehend, blieb er von der Vortrefflichkeit seiner Theorie 
überzeugt. Diese aber führte die Therapie des Diabetes auf einen 
falschen Weg. Man heilte ihn nicht, obwohl man die Funktion 
der Leber zu mässigen suchte. Die Kliniker bedurften keiner* 
langen Zeit, um das einzusehen. 8ie waren ausserdem der An¬ 
sicht, dass* er sich bei den Diabetikern um eine mangelhafte Verf 
brennung Von Zucker handle: eine Theorie, die vorher von 
Mialhe 1 ) aufgestellt und znm Teil wenigstens durch die günstige 
Wirkung der Alkalien gestützt wurde. Diese Lehre, welche 
auch in dem Sinken des Gaswechsels bei der Atmung der 


1) Mialhe, eine? vpn Ohevreul ausgesprochenen Ansicht folgend, 
hatte 1845 durch Versuche in vitro bewiesen, dass die Zerstörung des ( 
Zuckers durch Alkalien begünstigt wurde. — VgK: Zur Geschickte des * 
Diabetes in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, mein Werk über 
den Diabetes mellitus, S. 9 bis 54. Päris 1909. 


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UMIVERSITY OF IOWA 









478 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 11. 


Diabetiker, wie es von Pettenkofer und Voit 1 ) beobachtet 
worden war, ihre Bestätigung fand, wurde in glänzender Weise 
von Prof. Bouchard verteidigt. 

Die Mehrzahl der Arbeiten deutete, angeregt durch die schöne 
Entdeckung von v. Mering und Minkowski, in diesem Sinne 
die Pathogenese des Diabetes oder behauptete wenigstens mit 
Sicherheit, dass die Exstirpation des Pankreas zum grossen Teil 
durch die Abnahme der Glykolyse sich geltend mache 2 ). 

Das, was ich seit 1889 behauptet habe, dass noch ein ge¬ 
wisses Dunkel über den intimen Mechanismus herrsche, durch 
welchen da9 Fehlen des Pankreas die Glykolyse 3 ) hemmt und 
dass die Insuffizienz der Glykolyse nur eines der vielen Elemente 
des Diabetes bildet, alles dieses ist eben nicht zu bestreiten. 
Andererseits ist nicht zu leugnen, dass die Theorie des Diabetes 
einen Schritt vorwärts getan hat, indem sie von der allzu ex¬ 
klusiven Lehre von der Hyperglykogenese emanzipierte. 

Ein weiterer Fortschritt war auch die Erkenntnis, dass die 
Glykogenbildung der Leber nicht die einzige Quelle des Blut¬ 
zucker« ist. Die Funktionen der Leber sind zu mannigfaltig, 
als dass man sie noch damit belasten sollte, der einzige Regu¬ 
lator der Glykämie zu sein. Es ist nicht wahr, dass das Blut 
der Venen oberhalb der Leber stets zuckerreicher sei als das 
arterielle 4 5 ), dass ferner letzteres stets zuckerreicher sei als das 
venöse Blut, Obwohl die Glykolyse in den Geweben unanfechtbar 
ist, so beweisen doch positive Tatsachen, dass das Blut, nachdem es 
ein Gapillarnetz durchströmt hat, mehr freien Zucker enthalten kann. 

Ich habe in der Tat mit Boulud entdeckt, dass unter be¬ 
stimmt charakterisierten, leicht wieder zu erzeugenden Ver¬ 
hältnissen das Blut der Carotis des Hundes viel mehr freien 
Zucker enthalten kann als der rechte Ventrikel 6 * ). 

Dieser Ueberschuss an Zucker im Blut der Carotis kann 
nicht von der Leber kommen, weil er nicht im rechten Ventrikel 
vorhanden ist. Er kann nicht von dem Glykogen des Blutes 
herstammen; denn das Glykogen ist darin nur in kleinen Mengen 
enthalten. Es gibt keine andere Quelle als den Zucker, der im 
Blute schwach gebunden, ist und sich in den Lungencapillaren 
aus einer Verbindung löst 6 ). 

Resümieren wir: Die allgemeine Glykolyse ist beim Diabetes 
herabgesetzt, und der ganze Zucker, welcher im Organismus er¬ 
zeugt wird, stammt nicht von dem Leberglykogen her. Das sind 
zurzeit feststehende Tbatsachen, die vor 50 Jahren ganz un¬ 
bekannt waren. Ihre Kenntnis kann für die Therapie nicht ohne 
Nutzen sein. Denn jeder Fortschritt in unserer Auffassung von 
der Pathogenese führt früher oder später zu einem Fortschritt 
in der Behandlung. Die Entdeckungen, an welche ich jetzt er¬ 
innern möchte, sind ein Beweis dafür. Denn sie haben die 
schwersten Komplikationen des Diabetes schon weit seltener ge¬ 
macht; ja sie streben dahin, wie wir gleich sehen werden, die 
Behandlung jedes Falles ein wenig ernst in mancher Richtung zu 
gestalten. 

Die Acetonämie. Man hatte einst in Prag das Vorhanden¬ 

1) Voit hat später die Bedeutung seiner alten Versuche rektifiziert 
und zugegeben, dass nur die ausgeatmete Kohlensäure eine Abnahme 
erlitten habe, während die Sauerstoffaufnahme normal blieb. Neuere 
Arbeiten, besonders die von Magnus-Levy, haben die Tatsachen 
ausser Zweifel gestellt, wenigstens beim schweren Diabetes. 

2) Erwähnen möchten wir jedenfalls, dassChauveau vor 20 Jahren 
noch die Lehre von der überschüssigen Glykogenbildung aufgestellt und 
dass neuerdings v. Noorden sich ihm angeschlossen hat. (DieZucker-' 
krankheit, 5. Auflage, Berlin 1910, S. 155.) 

3) Man gibt jetzt allgemein das Bestehen einer inneren Sekretion 
zu, welche ich zuerst behauptet habe; man weiss jedoch nicht, worin 
sie besteht. Laguesse, Opie und andere wollen sie in die Langer- 
hans’chen Inseln verlegen, jedoch zu Unrecht. Unabhängig von den aus 
der pathologischen Anatomie (Lombroso, Ergebnisse der Physio¬ 
logie) gewonnenen Beweisen, wird ein Beweis für die Beteiligung der 
Acini an der. inneren Sekretion durch die Ligatur des Wirsung’sohen 
Ganges geliefert, welche in den darauf folgenden Stunden eine Zu¬ 
nahme des glykolytischen Vermögens des Blutes herbeiführt (Löpine, 
Journal de Physiologie, 1905). Diese Ligatur virkt jedoch nicht auf die 
Inseln ein. 

4) Siehe die entgegenstehenden Tatsachen in meinem Buch über den 
Diabetes mellitus, die ich auch später weiter beobachtet habe. 

5) L6pino und Boulud, C. R. de l’acadcmie des Sciences, 
21. September 1903. — Die Differenz kann 0,02 g auf 100 g Blut über¬ 
schreiten; sie erreicht also 20pCt. 

6) Dieser Zucker, weloher sich spontan aus seiner Verbindung löst, 

isV ein Teil dessen, welchen wir virtuellen Zucke# benannt haben, und 

der verschiedene Verbildungen umfasst. Eine derselben, welche von Paty 
entdeckt wurde, wird zerstört/ wenn man den Blutextrakt in Gegenwart 
einer Säure erhitzt. ' % $ 1 r * 


sein von Aceton im Urin von Diabetikern entdeckt, welche im 
Coma gestorben waren 1 )- Anfänglich vermutete man, dass diese 
Substanz sieb im Verdauungskanal gebildet habe. Man erkannte 
jedoch später, dass das, was man später Acetonkörper (Geelmuyden) 
nannte, sich im Innern der Gewebe bilde, und Biermer in 
Breslau bemerkte, dass das ausschliessliche Fleischregime die 
Acetonämie steigere. Wie wirkt dieses Regime? 

Liegt die Ursache in dem Uebermass von Fleisch oder in 
dem Fehlen der Kohlehydrate? Letztere Alternative ist die 
richtige. Denn ein gesunder Mensch zeigt beim Fasten in zwei 
Tagen ein Acetonämie; eine, reichliche Fleiscbmahlzeit am dritten 
Tage bringt jedoch die Acetonämie zum Schwinden, weil aus 
dem Fleisch Zucker gebildet wird. Ebenso empfahl Rosenfeld 
1895, den Diabetikern nicht vollständig die Kohlehydrate zu ent¬ 
ziehen. Es sind das dieselben Vorschriften, welche Bouchardat 
mehr als zwanzig Jahre zuvor empirisch machte. 

In welcher Weise ist die Entziehung der Kohlehydrate 
schädlich? Das weiss man nicht ganz genau. Man nahm an, 
dass sie die Verbrennung der Acetonkörper erleichtern, wie sie 
die Verbrennung der Fette unterstützen. Es ist jedoch in jedem 
Falle sehr wahrscheinlich, dass sie auch ihre Bildung einschränken. 
Durch welchen Mechanismus? Das ist zurzeit unmöglich zu sagen. 

Wie dem auch sei, es ist möglich, dass bei den Diabetikern 
der Organismus bei ungenügender Glykolyse nicht diejenige 
Menge Zucker verzehren kann, welche notwendig ist. Der Kranke 
befindet sich dann in der Lage eines Menschen, der an Hunger 
stirbt inmitten eines Haufen Goldes. In Zuständen, welche vom 
Diabetes unabhängig sind, wie bei der Inanition, bängt die 
Acetonämie, wenn sie entsteht, von dem Mangel an Kohlehydraten 
ab; bei den Diabetikern ist sie von dem ungenügenden Zucker¬ 
verbrauch abhängig. Sie tritt also notwendigerweise in jedem 
Falle auf, in welchem die Glykolyse sehr herabgesetzt ist. Das 
bat Hirschfeld 2 ) sehr wohl eingesehen, und nach ihm habe ich 
seit langer Zeit behauptet, dass die Acetonämie, weit entfernt, 
eine zufällige Komplikation des Diabetes zu sein, der notwendige 
Ausgang jedes vorgeschrittenen Diabetes ist, derartig, dass es bei 
einer rationellen Behandlung dieser Krankheit die Aufgabe des 
Praktikers ist, nicht nur die Glykosurie zu bekämpfen, sondern 
auch die Acetonämie zu verhüten. 

Beschränkung der Kohlehydrate. Um dies zweifache 
Ziel zu erreichen, wird ein strenges Regime sehr oft notwendig 
sein. Möglicherweise kann die Acetonämie vorübergehend dabei 
zunehmen, tatsächlich wird sie in ihrem Wesen bekämpft werden, 
weil die Fähigkeit, den Zucker zu verzehren, hierdurch gebessert 
wird. Das ist die Theorie, ln praxi ist das viel komplizierter 
bei einem schweren Diabetes, wo der Organismus Zucker ohne 
Zufuhr von Kohlehydraten bildet. Auch io diesen Fällen, ebenso 
wie in denen von mittlerer Intensität, ist ein gewisser Empirismus 
notwendig. Man wird übrigens später erfahren, dass in diesen 
schweren Fällen eine ganz andere Methode als die Einschränkung 
der Kohlehydrate bisweilen von guten Erfolgen begleitet sein kann. 

Im allgemeinen muss man, wie man bereits oben gesehen 
bat, den Diabetikern eine kleine Menge von Kohlehydraten 
zu gestehen. Muss man darin eine Auswahl treffen? 

Sicherlich! Es ist erwiesen, dass das Brot unter den Kohle¬ 
hydraten am schädlichsten ist. Die erste Vorschrift lautet, das 
Brot zu untersagen oder nur eine sehr kleine Menge zu gestatten, 
wenn das ganze Verbot unmöglich ist. Man weiss in der Tat, 
dass die Diabetiker zumeist ganz gierig auf Brot 8 ) sind. 

Behandlung mit mehlhaltigen Mitteln. Prof. Mossö- 
Toulouse bemerkte vor 16 Jahren, dass 300 g Kartoffeln weit 
besser vertragen würden als 100 g Brot, obwohl diese Brotmenge 
etwas weniger trockenes Stärkemehl enthält als 800 g Kartoffeln. 
Später machte er die noch wichtigere Beobachtung, dass gewisse 
Diabetiker eine grosse Menge von Kartoffeln vertragen können 
(1500 g). Diese Tatsache, übrigens eine Ausnahme, fand zahl¬ 
reichen Widerspruch 4 ). Negative Tatsachen machen jedoch die 
positiven nicht ungültig, selbst wenn sie selten sind, und man 
kann Mosse nicht das unzweifelhafte Verdienst absprechen, der 
erste gewesen, zu sein, welcher die Anregung zur Behandlung des 

- - dp 

1) Historisch verweise ich auf meinen Bericht auf dem 12. medi¬ 
zinischen Kongress in der Sitzung zu Lyon 1911. 

2) Hirschfeld, Zeitschr. f. klin. Med., 1895, Bd. 28 u. 81. 

3) Die Gründe für diesen Durst auf Brot sind nicht leicht anzu¬ 

geben. Besteht er darin, dass das Brot, wie jüngst Cohn heim gezeigt 
hat, die Pankreassekretion stärker anregt als däs Mehl? 1 

4) Siehe besonders Rathery, Sociötl mödicale des höpitaux de Paris, 
FSvrier 1911. 


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17. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Diabetes mit mehlhaltigen Speisen 1 ) gab. Zur Erklärung dieser 
sonderbaren Toleranz gegen 1500 g Kartoffeln machte Mosse 
besonders den grossen Reichtum dieser Knollenfrucht an Kali 
geltend 3 ). Diese Erklärung war offenbar keine genügende, und 
Prof. Rappin*Nantes brachte uns einen wichtigen Schritt weiter 
in dieser Frage, indem er auf einen bakteriellen Einfluss hinwies. 
Er kultivierte den Bacillus mesentericus vulgata in 
Bouillon, wobei er in dem einen Fall Brotkrume, in dem anderen 
eine gekochte und zu feinem Mehl verriebene Kartoffel zusetzte, 
und zwar jede dieser Substanzen im Verhältnis von 4 pCt. zur 
Bouillon. Er konstatierte, dass die Bouillon mit Brotkrume den 
meisten Zucker 8 ) enthielt. Rappin stellte weiter fest, dass 
grosse Differenzen in der erzeugten Zuckermenge je nach der 
Kartoffelsorte bestehen, was nicht verwunderlich ist. Ebenso sah 
er, dass die verschiedenen Arten von Bact. coli, welche auf 
Bouillon mit Zuckerzusatz ausgesät wurden, den Zucker mehr 
oder weniger schnell, je nach ihrer Art zerstörten. Solche Tat¬ 
sachen muss man festhalten. 

Prof. v. Noorden hat mit dem Hafermehl bessere klinische 
Resultate erhalten als mit Kartoffeln. Er wendet dieses Mehl in 
der Dosis von 250 g pro die in Form von Suppe an mit Zusatz 
von viel Fett (250—300 g Butter) und oft von vegetabilem 
Eiweiss. Diese Suppe wird zweistündlich in kleinen Mengen ge¬ 
nossen. Von Zeit zu Zeit schiebt man einen Tag ein, an welchem 
die Nahrung ausschliesslich in Gemüsen besteht, d. b. einen Tag 
starker Einschränkung der Nahrung, beinahe der Inanition. 

Es ist das die sogenannte Haferkur. Man siebt, dass das 
Hafermehl nicht deren einziges Element ist. Es ist eine zusammen- 
gesetze Kur, worin das Fett, der Ausschluss des Fleisches usw. 
eine Rolle spielen. Keineswegs tritt jedoch in der Mehrheit der 
Fälle der Erfolg ein; er ist vielmehr die Ausnahme. Man muss 
jedoch anerkennen, daS9 manche Fälle sehr zu ihren Gunsten 
sprechen, so z. B. gewisse Fälle, in welchen nach v. Noorden 
die Glykosurie fortbestand trotz strengen Fleischregimes, d. b. 
Fälle, in welchen der Zucker aus dem Fleisch stammte. 

Es ist bemerkenswert, dass die Haferkur keinen Erfolg hat, 
wenn man den Kranken Fleisch essen lässt. Aus diesem Grunde 
ersetzt es v. Noorden durch Pflanzeneiweiss. Diese Tatsache ist 
sehr bedeutsam. Denn sie dient dazu, die von Klotz 4 ) gegebene 
Erklärung als wohlbegründet zu erweisen, welcher, ebenso wie 
Rappin, der Darmflora die grösste Wichtigkeit beimisst. Dank 
seiner physikalischen Eigenschaften unterliegt das Hafermehl 
schnell der Wirkung der Amylase des Darmkanals 5 ). 

Roth 6 ) bat eine analoge Beobachtung mit der C0 a -Bestimmung 
gemacht 7 ). Danach wird weit weniger Zucker absorbiert, und 


1) Die ersten Arbeiten von Moss6 reichen in das Jahr 1898 zurüok 
(Congres de l’association frao<jaise pour l’avancement des Sciences. 
Sitzung in Nantes). 

2) Mossö, Revue de mödecine, 1902. 

3) Rappin, Congres de l’association fran^aise pour l’avancement 
des Sciences, Boulogne 1899 et Lille 1910. 

4) Klotz, diese Wochenschr., 1910, Nr. 37. 

5) Lang (Zeitschr. f. experim. Pathol., Bd. 8) hat gesehen, dass mit 
Di&3tase das Hafermehl mehr Maltose und weniger Glukose gibt als 
das Weizenmehl, und Nagao (ebenda, Bd. 9) hat mittels Jod fest¬ 
gestellt, dass das Hafer- und Gerstenmehl weit schneller durch das 
Pankreasferment umgesetzt wird als das Weizen- und Roggenmehl. 

6) Klinik von Koranyi, Wiener klin. Wochenschr., 1912. 

7) Folgende Kohlensäuremengen wurden während Stärkegärung von 
Weizen und Hafer mittels Hefe gewonnen: 


Zeit in Minuten 

Hafer 

Weizen 


CO* in ccm 

CO* in ccm 

0- 50 . 

... 0 

20 

50-100 . 

0 

+ 26 

100-150 . 

... 0 

+ 24 

150-200 . 

... 0 

+ 80 

200-250 . 

... 10 

+ 24 

250-300 . 

. . . + 25 

+ 22 

4 800-350 . 

. . . + 21 

+ 19 


Summe . 46 

165 


Wa9 die Acidität betrifft, welche bei den verschiedenen Mehlen unter 
dem Einfluss des Paokreasferments und der säurebildenden Bakterien 
entsteht, so wird sie durch folgende Zahlen ausgedrückt: 

Zunahme der 


Säure nach 11 Stunden 

Weizen .... 5,9 ccm n / 10 Lauge 

Roggen .... 6,5 B „ 

Gerste . . . . 8,8 „ „ 

Hafer * . . •' >>» 9,0 „ f n j 

Diese Zahlen sind Klotz entnommen: 
u. Pharmakol., 1912, Bd. 67. 


Säure nach 36 Stunden 
10,0 ccm 

17.5 „ 

22,2 „ 

30.6 „ * ' 

Archiv f. experiment. Pathol. 


was besonders resorbiert wird, das sind die Oxydationsprodukte des 
Zuckers. Danach würde die Darmgärung ein sehr wichtiges Element 
der Haferkur bilden. Man sieht daher ein, dass man mit anderen 
Mehlen ziemlich analoge Resultate erhalten kann. Stern-New 
York hat den Reis empfohlen. 

Ich habe mit Rücksicht auf ihr Interesse und ihre Neuheit 
eine der Erklärungen für die Wirkung der Mehle bei der Be¬ 
handlung des Diabetes aufgeführt. Es ist mir jedoch wohl be¬ 
kannt, dass diese Erklärung hierfür keineswegs alles aufhellt, 
und dass sehr viele andere, noch wenig gekannte Elemente 
eine Rolle spielen können. Ich selbst neige zu der Annahme, 
dass die meisten vorgeschlagenen Erklärungen einen Teil Wahr¬ 
heit in sich enthalten. So unterliegt es keinem Zweifel, dass, 
wenn man dem Hafermehl nicht Fett und Pflanzeneiweiss hinzu¬ 
fügt, es eine durchaus ungenügende Calorienmenge ergibt, teil¬ 
weise also durch Einschränkung der Ernährung wirkt, wie die 
Milchkur usw. und, noch besser, der Gemüsetag. Andere Er¬ 
klärungen sind weniger zulässig, so z. B. die zum Teil von 
v. Noorden acceptierte Hypothese, dass die Haferkur die Durch¬ 
lässigkeit der Niere für den Zucker herabsetze. Io diesem Falle 
würde sie ja die Retention des Zuckers im Organismus vermehren 
und dadurch sicherlich sehr ungünstig einwirken. Dass die Hafer¬ 
kur dazu beiträgt, eine Wasserretention in bewirken, das ist 
keineswegs zu bestreiten; wenn sie aber eine Zuckerretention 
herbeiführt, so kann diese nur geringfügig sein. Schirokauef x ) 
konnte keine Zunahme des Blutzuckers feststellen. Ausserdem 
stimmen alle darin überein, keine Haferkur bei solchen Kranken 
anzuweoden, welche auf Niereninsuffizienz verdächtig sind. 

Resümieren wir, so bat das Regime der Diabetiker in den 
letzten Jahren, dank Mossö und v. Noorden, durch die Mehl¬ 
kuren eine Bereicherung erfahren, welche anfänglich paradox er¬ 
schien, und deren gute Wirkung io einigen Fällen zum grossen 
Teil ihre Erklärung in der Veränderung findet, welche sie in der 
Darmflora herbeiführt. Unter den Verhältnissen, welche diese 
Kur. schafft, würden die Mikroben einen Teil des Zuckers, welcher 
sich im Darm bildet, oxydieren und so eine seit langem erstrebte 
Aufgabe erfüllen: den Diabetikern ternäre Produkte, welche sie 
aus den Nahrungsmitteln schöpfen, darzubieten und die Glykogen¬ 
bildung zu verhindern 3 ). 

Die Behandlung des Diabetes mittels Mehle 8 ) würde danach, 
im ganzen genommen — und das ist eine unerwartete Tatsache —, 
in der Weise wirken, dass sie die Menge des im Darm absorbierten 
Zuckers herabsetzt. Sie würde also auf das hinauskommen, was 
man duich Entziehung der Mehle beabsichtigt, mit dem Vorteil 
jedoch, dass der Organismus eine gewisse Menge Brennmaterial 
erhält. 

Andere Zuckerarten als Traubenzucker. Gewisse 
Zuckerarten werden von den Diabetikern besser ausgenntzt als 
Traubenzucker. Seit langer Zeit kennt man in dieser Hinsicht 
die Lävulose. Ausserdem verordnet man solche Gemüse, welche, 
digeriert, sie liefern, wie Topinambur, chinesische Artischocken 4 ) 
(Stacbys tuberifera) usw. 

H. Strauss empfiehlt Inulin, industriell aus Vegetabilien 
gewonnen, welche es enthalten, und bei der Hydratation, wie man 
weiss, Lävulose liefern, ebenso wie Stärke Zucker gibt Strauss 
verordnet davon 100 g in Form von Suppe 5 ). Man darf sich 
jedoch keiner Täuschung über die Dauer der Toleranz für Lävu¬ 
lose hingeben. Sie ist sehr kurz und erstreckt sich, selbst in 
den günstigsten Fällen, nicht über einige Tage hinaus. 

Rosenfeld bat jüngst eine Heptose: a-Glykoheptonsäure 
empfohlen, einen linksdrebenden Zucker, welcher in der Dosis 
von SO g pro die (mit Unterbrechungen) bisweilen einigen Erfolg 
in schweren Fällen (?) erzielte, obwohl er keine antiketogene 
Kraft besitzt 6 ). Man darf die obengenannte Tagesdosis nicht über¬ 
schreiten, sie auch nicht mehrere Tage hindurch fortsetzen, weil 
Diarrhöe ©intritt. Aus diesem Gründe scheint dieser Substanz 
keine grosse Zukunft beschieden zu sein. 

Ich bringe in Erinnerung, dass eine grosse Anzahl von 


1) Schirokauer, diese Wochensohr., 1912, Nr. 26. 

2) In dieser Absicht hatte Schultzen vor 40 Jahren Glycerin vor¬ 
geschlagen. 

8) Die Literatur über die Behandlung des Diabetes mit Mehlen ist 
«beträchtlich. Ich lasse sie beiseite, um diesen Artikel nicht zu sehr 
auszudehnen, und werde sie später in einerrfmderen Arbeit mitteilen. 

4) Saundhy,. Brit med. journ., 5w März 1910. , 

5) H. Strauss, diese Wochenschr., 1912, Nr. 26. 

6) Rosenfeld, diese Woohensohr., 1911, Nr. 29. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 11. 


Zuckerarten in essbaren Früchten enthalten ist, welche zum 
Teil besser von den Diabetikern vertragen werden als der 
Traubenzucker. Deshalb sollte man nicht alle Früchte. Systema¬ 
tisch untersagen. 

Anwendung d er Albuminoide. Mag man auch die glyko» 
lytische Insuffizienz des Organismus beklagen, oder mögen andere 
Gründe vorliegen, sicher ist, dass die Kohlehydrate bei den 
Diabetikern nicht in voller Dosis ausgenützt werden können, 
welche wenigstens 300 g täglich beträgt. Man muss also als 
Ersatz die Menge der Eiweisse oder Fette vermehren. Ein Ueber- 
scbus8 an Eiweiss hat jedoch seine Unzuträglichkeiten. Denn 
das Eiweissmolekül enthält einen Kern von Kohlehydraten oder 
ist imstande, aus den Aminosäuren Zucker zu bilden. Ausserdem 
ist es nicht unmöglich, dass, wie Kolisch annimmt, gewisse 
Albumine reizend auf die Leber einwirken und die Glykogen¬ 
bildung steigern 1 ). Man muss daher sorgfältig vermeiden, die 
Fleichmenge zu vermehren. Seit langer Zeit hat Naunyn sehr 
mit Recht die Aufmerksamkeit auf diesen Punkt gelenkt und 
nach ihm Lennö, Kolisch, Linossier n. a. 

Nach 0. Simon soll 1 kg Fisch die Glykosnrie 2 3 ) nicht 
Steigern. Diese Behauptung müsste bei einer gewissen Zahl von 
Diabetikern nachgeprüft werden. Denn der Einfluss der ver¬ 
schiedenen Eiweissstoffe auf die Glykosurie bei Diabetes erwies 
sich bei den einzelnen Kranken verschieden. Es bestehen sicher 
grosse individuelle Differenzen. Sicher aber steht fest, dass das 
Ei'ereiweiss die Glykosurie nicht steigert, ebenso wie das Casein, 
und dass die pflanzlichen Eiweisse in dieser Hinsicht also weit 
Weniger schädlich sind als die tierischen Eiweisse. 

Anwendung der Fette. Früher wusste man nicht die 
Fette bei den Diabetikern zu benutzen. Heutzutage siimmen alle 
darin überein, sie in den Fällen, bei welchen keine Acetonämie 
besteht, reichlich dem Regime beizugeben, ausgenommen die Fett¬ 
leibigen und solche Kranke, welche sie schlecht verdauen. Wenn 
das Fett einigermaassen resorbiert wird, so entwickelt es im 
Organismus etwa 8 Calorien pro eingeführtes Gramm, während 
1 g eingeführtes Eiweiss nur 3,8 Calorien erzeugt. Von diesem 
Gesichtspunkte aus ist das Fett für den Diabetiker ein gutes 
Nährmittel. 

Wenn jedoch Acetonämie besteht, muss man Misstrauen gegen 
die Fette hegen, besonders gegen diejenigen, deren ketogene 
Eigenschaft wohl bekannt ist, insbesondere die Butter. Ganz 
allgemein weiss man seit den Arbeiten von Geelmuyden 8 ), dass 
die Quelle der Acetonkörper sich viel mehr in den Fetten als in 
den Eiweissen der Nahrungsmittel 4 ) vorfindet. Es ist wohl- 
bekannt, dass man in gewissen Fällen ohne erheblichen Schaden 
bei Acetonämie Fette geben kann 6 * ). Sehr oft aber verschlimmert 
man ihren Zustand und kann den brüsken Ausbruch von Coma 
herbeiführen. Man kann also bei ihnen nicht vorsichtig genug 
mit seiner Verwendung sein. 

Anwendung des Alkohols. Eine kleine Dosis Alkohol 
täglich (in Gestalt von Wein oder anderweitig) ist theoretisch 
den Diabetikern nützlich, denn 1 g Alkohol entwickelt ungefähr 
7 Kalorien. Man kann also seinen Gebrauch empfehlen, wenn 
die Verdauungswege und Leber gesund sind. Nach Neubauer 
(und anderen) sei der Alkohol besonders bei Acetonämie an¬ 
gezeigt. Ich widerspreche dem keineswegs, unter der Be¬ 
dingung, dass die Leber gesund ist. Doch habe ich ge¬ 
sehen, dass die Einführung von Alkohol in einem Falle bei einem 
Acetonämiker ein tödliches Coma 6 ) herbeiführte. 

Anwendung von Medikamenten. Vor 30 oder 40 Jahren, 
als man die Diabetiker noch nicht mit einer ihrem Zustande an¬ 
gemessenen Ernährungsweise zu behandeln wusste, nahm man 


1) Re ach (Wiener klin. Wochenschr., 1910, S. 1441) sah, dass 
bei Hunden, welchen das Pankreas zum Teil exstirpiert worden war, 
rohes Fleisch die Glykosurie sehr steigerte, während das gekochte 
Fleisoh diese Wirkung nicht hatte. Es ist möglich, dass das rohe Fleisoh 
ein thermolabiles Prinzip enthält, welches die Glykonbildung anreizt 

2) 0. Simon, Kongress für innere Medizin, 1908. 0. 

3) Siehe auch Forssner, Skand. Arch. f. Physiol., Bd. 22 u. 23. 

4) Wenn die Acetonkörper nicht von den Fetten hefrstammen, so 
haben sie ihre Quelle mehr in dem Eiweiss der Gewebe als in dem der 
Nahrungsmittel. 

5) Nach Maignon vermehrt das Fett nicht die Acetonämie, wenn 
man gleichzeitig eine genügende Menge Natr. bicarb. verabfolgt. 

6) Die Leber dieses Kranken (eines Alkoholikers) war zweifellos 

keftehweg& gesund. Man weiss, dass' der funkti&noMe Zustand der Lebtf 

einen grossen Bin fl üate luf dW'Acetonäraie ausübt (Blum, Embdon usw.). 
Bezüglich der Literatur verweise ich auf meinen Bericht auf dem Koa- 
gress von Lyon 1911. • • r <: 


mehr als heutzutage seine Zuflucht zu den Arzneimitteln, zu dem 
seit langer Zeit geschätzten Opium, dem Chinin usw. Als Natr. 
salicylic. und Antipyrin entdeckt wurden, verwendete man sie 
auch zur Behandlung des Diabetes und sah, dass sie bisweilen 
nicht ohne Nutzen waren. Antipyrin besonders vermindert die 
Menge des Urins und des Zuckers, wenigstens in einer grossen 
Anzahl von Fällen. Dieses günstige Resultat scheint mir auf 
seine antiglykogene Wirkung hinzuweisen, welche ich früher be¬ 
wiesen habe, und die es ohne Zweifel durch Vermittelung der 
Nervencentren ausübt. Es wäre aber auch möglich, dass das 
Antipyrin direkt auf die Leberzelle (?) wirkt, wenigstens habe 
ich dieses Faktum in vitro konstatiert 1 ). 

Opium wirkt auch als Sedativum auf die Nervencentren. 
Bisweiten ist es auch ein gutes Antiglykogenicum 1 ). In einer 
Reihe von Versuchen, die ich mit Martz ausführte, stellte ich 
fest, dass, wenn man dem durch die isolierte Leber circulierenden 
Blute Morphium zusetzt, dieses Mittel die Zerstörung des Glykogens 
nicht bindert 8 ). Es muss also auf die Leberzelle mittels des 
Nervensystems ein wirken. 

Nicht so verhält es sich mit dem Chinin, sulf. Wenn man 
dieses dem in der isolierten Leber circulierenden Blut zusetzt, so 
bewahrt sie relativ ihr Glykogen (Löpine und Martz). Die 
antiglykogene Wirkung beruht also zum Teil auf einer direlften 
Einwirkung auf die Leberzelle (?). 

Wie dem auch sei, die klinische Beobachtung zeigt, dass 
diese verschiedenen Arzneimittel in Wahrheit sehr häufig nur 
eine inässige antidiabetische Eigenschaft besitzen. Jedes von 
ihnen kann in gewissen Fällen sehr nützlich sein, aber nur des¬ 
halb, weil es eine besondere Indikation erfüllt, wie z. B. das 
Chinin als Tonicum, um die Kräfte zu heben, oder besser noch 
Arsenik, Strychnin usw. 

Beim Diabetes mit Acetonämie ist der Gebrauch des Natr. 
bicarb. unerlässlich. Denn die Acetonämie wird, wie Stadel¬ 
mann', Naunyn, Minkowski, Magnus-Levy usw. gesehen 
haben, von der Acidose begleitet. Die Acidose an sich bildet 
nicht die Gefahr der Acetonämie, wie ich das schon vor 25 Jahren 
ausgesprochen habe. 

„An die Stelle der Acidosedyskrasie, welche nach Stadel¬ 
mann die Ursache des Coma diabeticum sein soll, ist es besser, 
die spezifische Toxicität der organischen Säuren zu setzen.“ 4 ) 
Aber es unterliegt keinem Zweifel, dass bei der Acetonämie ein 
Säureelement vorhanden ist, dessen Existenz durch den Mangel 
an Alkaleszenz der Säfte bewiesen wird. Es ist daher angezeigt, 
dieses Säureelement zu sättigen, und man muss aus diesem Grunde 
sehr oft eine enorme Dosis von Natr. bicarb. anwenden. Manches 
Mal bleibt der Urin sauer, selbst wenn man 80 g dieses Salzes 
und noch mehr dem Organismus zugeführt hat. 

Aber wenn es auch gelungen ist, den Urin neutral zu machen, 
so hat man noch nicht den Kranken gerettet, da die Säure nicht 
die Ursache der Schwere des Krankheitszustandes bildet 5 ). Es 
ist indes notwendig, so schnell wie möglich in den Organismus 
eine solche Menge von Natr. bicarb. einzuführen, die genügt, die 
Säure zu neutralisieren. 

Ist Gefahr im Verzüge — und es ist bekannt, wie schnell 
ein Kranker, der vom Coma bedroht ist, in Coma verfällt — 
wird man natürlich veranlasst, die von Stadel mann vor¬ 
geschlagene intravenöse Methode vorzuziehen. Seit 1887 habe 
ich mehrmals meine Zuflucht zu diesem Verfahren genommen 
und mehrere Fälle veröffentlicht, bei denen es sich vorteilhaft er¬ 
wiesen hat. Es ist unter der Bedingung zu empfehlen, dass man 
vor dem Coma eingreifen kann. Ist nämlich das Coma erst ein- 


1) R. Löpine und Porteret, Compt rend. de l’aoad. des Sciences, 
1888, 3. avril. 

2) Das ist von Richter (Zeitschr. f. klin. Med., 1898, Bd. 36) nach 
der Methode, welohe ich angewandt hatte, um die Wirkung des Anti- 
pyrins in vitro au studieren, festgestellt worden. Siehe auch Gigo, 
81. Kongress f. innere Med., 1909). 

8 ) Martz, These de Lyon, 1897. 

4) R. Lepine, .Revue de möd., 1887, S. 231—282. Später hat 
Degrez die Gütigkeit der /LOxybuttersäure sehr gut studiert. L'abbä 
und Violle haben ebenfalls gezeigt, dass die Giftigkeit dieser Säure 
derjenigen, welche ihrem Säuregrad entspricht, überlegen ist. 

5) Es ist sogar sehr zweifelhaft, ob das Coma durch die besondere 

Giftigkeit der /LOxybuttersäure bedingt ist. Klemperer hatte schon 
vor langer Zeit, im Jahre 1889, das Vorhandensein eines Toxins in 
diesen Fällen vermutet. Hugounenq und Morel behaupten auch 
heute noch, dass das gefährliche Elemeatfüter Acetonämie in den quater¬ 
nären Derivaten des Biuhissabbaues zu suchen sei (Xöi Congr&s fean^ais 
de m6decinv, Sitzung in Lyon 1911), .*• 


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17. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


481 


getreten, so kann man nur auf mehr oder weniger vorübergehende 
Besserungen rechnen. Im allgemeinen sind die Chancen des Er¬ 
folges um so grösser, je weniger tief die Intoxikation ist. 

Die intravenöse Injektion hat nicht nur den Vorteil, in jedem 
Falle augenblicklich zu wirken, sondern auch vielleicht den, mehr 
in die Tiefe zu wirken als die Einführung per os. Denn da¬ 
durch, dass sie eine brüske Störung in den endosmotischen Ver¬ 
änderungen hervorruft, kann sie besser das Eindringen des Natr. 
bicarb. in das Zellinnere befördern, infolgedessen besser anti¬ 
toxisch wirken und vielleicht eine günstige Reaktion herbei¬ 
führen !). 

Ich wende eine isotonische Lösung von Natr. bicarb. an. 
Auf Grund der Phänomene der Hydratation des Organismus 
(welche meistens in ähnlichen Fällen Vorkommen und sich durch 
verschiedene Symptome, wie Hypotonie der Augäpfel usw. äussern) 
wäre eine hypertonische Lösung gefährlich 2 3 ). 

Ein Deberschuss von Natr. bicarb. ist nicht unbedenklich: 
Man beschuldigt ihu offen, dass er eine Wasserretention und 
Oedeme erzeuge. Nach Widal 8 ) jedoch, dessen Autorität auf 
diesem Gebiete eine grosse ist, müsste man hierfür vielmehr den 
(Jeberschu88 von Chloraten im Organismus verantwortlich machen. 
Jedenfalls hat man nach einer intravenösen Injektion von Natr. 
einseitige Krämpfe, und bei der Autopsie auf der Hirnhemisphäre 
der entgegengesetzten Seite Hyperämie und Oedem beobachtet 4 ). 

Physikalische Behandlung. Klimatotherapie. Körper¬ 
bewegung, vor mehr als 50 Jahren von Bouchardat, später von 
Trousseau und Külz gerühmt, ist stets zu empfehlen, unter 
der früher nicht beachteten Bedingung, dass sie nicht bis zur 
Erschöpfung getrieben wird. Der Diabetiker muss, besonders 
wenn eine Acetonämie besteht, sorgfältig jede Ermüdung ver¬ 
meiden (Forssner, Preti). Auch die Massage hat oft grossen 
Nutzen, denn sie bringt die Muskeln passiv in Bewegung. 

Früher unterschätzte man die Bedeutung des Klimas. 
Daniel hat jedoch 1858 das warme Klima empfohlen, Lüthje 
zeigte jüngst, dass diabetische Tiere in einem warmen Milieu, 
unter gleichen sonstigen Bedingungen, weniger Glykosurie haben. 

Obwohl dieses Faktum bestritten wurde, so ist es dennoch 
richtig, wenigstens im allgemeinen, und ich glaube, dass die 
Kranken, wenn sie die9 beachten, Nutzen davon haben werden. 
Wenn er dazu in der Lage ist, wird der Diabetiker mit grossem 
Vorteil den Winter in einem warmen Klima verbringen. 


1) R. Lepine, Soci6t6 de biologie, 17. Juni 1911. 

2) S. Chauffard, Revue de med., 1912. 

3) Widal, Soci6te medicale des höpitaux de Paris, 1911. 

4) Hanssen, Zeitsehr. f. klin. Med., Bd. 76, S. 219. 


Chirurgische Eingriffe. Obwohl die Asepsis die Ope¬ 
rationen viel milder gestaltet hat, so sollen die Diabetiker sie 
jedoch soviel als möglich vermeiden, besonders um sich nicht 
der Wirkung der Anaesthetira auszusetzen. Es ist nicht die un¬ 
mittelbare Gefahr des Chloroforms, welche man bei ihnen fürchten 
muss, sondern die späteren Folgen der Chloroformintoxikation, 
welche bei bestehender Acetonämie mit funktionellen Leber¬ 
störungen die Acetonämie verschlimmern kann. 

In Fällen von Gangrän soll man so wenig wie möglich ope¬ 
rieren und, wenn man sich nicht anders helfen kann, so hat 
Dieulafoy jüngst gezeigt, dass es leicht ist, in gewissen Fällen 
die Amputation lange Zeit hinauszuschieben, indem man dem 
Allgemeinbefinden Zeit gibt, sich durch Anwendung beisser 
Luftdouchen von 300°, zweimal täglich V 2 — 8 /i Stunden lang, 
zu bessern 1 ). Unter dem Einfluss der Lokalbehandlung, welche 
nicht sehr schmerzhaft ist, mumifizieren die Gewebe, die ichorösen 
Flüssigkeiten erschöpfen sich und, wenn die Demarkationslinie 
sich gut gebildet bat und die Septikämie im Schwinden ist, dann 
amputiert man unter relativ günstigen Verhältnissen. 

Jedoch die gangränösen Phlegmonen mit perakutem Verlauf 
gestatten natürlich nicht eine solche Behandlung. In diesem 
Falle darf man nicht eine Stunde verlieren. Man wird sofort 
sehr hoch amputieren in der Erwägung, dass die Eiterergüsse 
durch die Sehnenscheiden sich viel weiter erstrecken, als man 
anzunehmen geneigt ist. Das Wohl des Kranken steht auf dem 
Spiel. 

Die Antisepsis, die Befolgung der Vorschriften, welche ich 
I soeben skizzierte, haben die Sterblichkeit der Fälle von Diabetes, 
soweit sie die Chirurgie betreffen, ausserordentlich vermindert. 

Resümee. Was den Diabetes betrifft, so kann man, allge¬ 
mein betrachtet, sagen, dass er weit weniger schwer geworden 
ist, seitdem er besser behandelt wird. Die Häufigkeit dieser 
Krankheit hat in vielen Städten, besonders, in Berlin zugenommen. 
Ich bin jedoch überzeugt, dass die Sterblichkeit nicht gleichen 
Schritt mit der Morbidität hält, weil man heutzutage den Diabetes 
weit besser zu behandeln versteht als zuvor. Ich habe versucht, 
den Beweis hierfür zu liefern. Vielleicht findet man dereinst ein 
besseres Spezialmittel als die, welche wir besitzen: ein glyko- 
und ketolytisches Mittel. Bis dahin fahren wir fort, uns nach 
den Elementen der Pathogenese zu richten, welche unser Handeln 
bestimmen. 

Das ist für den Augenblick die Methode. Die erreichten 
Fortschritte beweisen, dass sie fruchtbar war, und sie ermutigen 
uns, sie fernerhin zu befolgen. 

1) Dieulafoy, Acadämie de medecine, 15. Fävrier 1910. 


Sport und Reizmittel. 

Von 

Ferdinand Hneppe. 

(Nach einem am 13. Dezember 1912 in Charlottenburg in der Vereinigung 
aur wissenschaftlichen Erforschung des Sports und der Leibesübungen 
gehaltenen Vortrage.) 

Körperübungen können nur mit Hilfe der Energie betrieben 
werden, die wir dem Körper in Form von Essen und Trinken 
zuführen. Dabei machte man seit undenklichen Zeiten die Beob¬ 
achtung, dass für die Aufnahme und Ausnützung der Nahrung 
auch die Art ihrer Zubereitung von besonderer Wichtigkeit ist, 
und die Genussmittel erlangten in der Kulturmenschheit eine 
immer grössere Bedeutung. 

Man erkannte aber auch frühzeitig, dass es Mittel gibt, die 
über diesen reinen Genusswert hinaus die Kräftezufuhr bei der 
firnährung sogar zu steigern und Leistungen zu ermöglichen 
schienen, die ohne diese Beigabe unausführbar waren. Von diesen 
Mitteln beobachtete man Wirkungen, die von blosser Anregung 
bis zu rauschartigen Zuständen gingen. Sie zeigten dann im 
letzteren Falle in unerfreulicher Weise ein Nachlassen der 
Leistungen. 

Erst die neueren Forschungen haben über diese Dinge wesent¬ 
liche Klärung gebracht, aus denen sich ergibt, dass einige dieser 
Genuss mittel gleichzeitig auch Nährstoffe zuführen, während 
andere ausschliesslich durch ihren Reiz- und Genusswert wirken. 

Je nach der Umwelt sind diese Reizmittel verschiedenartig, 
*0 dass wir bei den verschiedenen Völkern verschiedene und uns 
zan) Teil sehr sonderbar anmutende Reizmittel antreffen. Bei 


den Chinesen traf man das Opium, die Indianer in Amerika 
hatten den Tabak, Indien und Ostasien brachten den Tee, Afrika 
und Arabien den Kaffee. Die Samoaner bereiten, wie sich der 
Berliner drastisch auszudrücken pflegt, mit „Geduld und Spucke“ ihr 
Kawa, und die Kamtschadalen stellen sogar aus dem giftigen 
Fliegenpilz ein berauschendes Getränk her. Die lodianer in den 
Anden Südamerikas geniessen Kokablätter. Bei den Arabern hat 
sich seit Untersagen des Alkohols durch den Propheten das ans 
dem indischen Hanf hergestellte narkotische Haschisch mehr und 
mehr ausgebreitet. 

Bei den eurasischen Völkern sind es vorwiegend Genussmittel 
alkoholischer Art: der Met aus Honig, Kumys aus Stutenmilch, 
Kefir mit Hilfe der „Hirse des Propheten“ aus Kuhmilch, meist 
aber alkoholische Getränke aus gegorenen Früchten. Im alten 
Aegypten war es Wein aus Gerstensaft, den später auch die 
Gallier und Germanen herzustellen und bis zum modernen Bier 
zu entwickeln verstanden, während die Japaner ein weinartiges 
Getränk aus Reis, den Sake, bereiten. In den Mittelmeerländern 
ist es vor allem der Wein aus Trauben. Die Araber lehrten 
dann noch durch Destillation aus den vergorenen Getränken den 
Alkohol selbst als Geist des Weines gewinnen. Das mag als 
Beispiel genügen, da es für meine Betrachtung keinen Zweck hat, 
alle Reizmittel im einzelnen zu behandeln. 

Alle Völker machten bei den ihnen von Natur aus zugäng¬ 
lichen Genuss- und Reizmitteln die Beobachtung, dass je nach 
der Menge oder Empfänglichkeit oder Nebenumständen, besonders 
der Art der Ernährung, alle diese Mittel die Stadien von ange¬ 
nehmer anregender Genuss- und Reizwirkung bis zu einer nicht 
immer unerwünschten Rauschwirkung und richtigen Narkose er- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 11. 


kennen Hessen, von einer wirklichen oder scheinbaren Steige¬ 
rung auch der körperlichen Leistungen bis zur völligen Aufhebung 
derselben. 

Io unserer Zeit hat der zunehmende Verkehr diese Mittel 
überall zugänglich gemacht und uns von den Beschränkungen der 
Umwelt befreit. Dadurch entsteht die Gefahr, dass, wenn man 
zur Vermeidung der genügend bekannten schädlichen Folgen der 
einheimischen Genussmittel fremde einfährt, diese auf den noch 
nicht daran gewöhnten Organismus oft noch schlimmer wirken 
als die bekämpften. So hat z. B. in Amerika infolge des voll¬ 
ständigen Untersagens des Alkohols in den Prohibitivstaaten der 
Gebrauch von OpTum in der bedenklichsten Weise zugenommen. 
In China selbst sind ca. 1 pCt. der Bewohner dem Opiumlaster 
verfallen, in den Vereinigten Staaten aber mehr als 1 pCt. bis zu 
4 pCt. nach einigen Angaben, und unter den Chinesen zählt man 
in Amerika 35 pCt. Opiumraucher, so dass man nach Rebler 
nnd Hamilton Wrigbt in Canada 1908 und in Usona 1909 
gesetzlich dagegen energischer auftreten musste, wie neuerdings 
auch in China selbst. Ebenso ist in den letzten Jahren in Frank¬ 
reich in den Hafenorten, besonders am Mittelmeer, aber selbst 
im Landheere, der Gebrauch von Opium stark gestiegen. Gerade 
die körperlich kräftigen Seeleute haben das Laster aus dem Osten 
mitgebracht und verbreitet, dessen soziale Folgen, die den Aerzten 
schon bekannt waren, in den letzten Jahren endlich auch weiteren 
Kreisen durch skandalöse Vorkommnisse bekannt wurden, ln 
zwei Ländern fanatischer Abstinenzagitation, Nordamerika und 
Finnland, bat auch der Gebrauch des gefährlichen Methylalkohols 
an Stelle des Aethylalkobols am stärksten zugenommen, ebenso 
wie in Amerika der Verbrauch von Aether und Kölnischem Wasser 
zum Trinken. 

Die Kenntnis von den guten Wirkungen und von den Ge¬ 
fahren der Reizmittel ist deshalb für die Kulturvölker wichtig 
geworden. Reizmittel, auch Rauschmittel sind für die Menschheit 
stets reale Faktoren der Existenzmöglicbkeit gewesen, und eines 
derselben herausgreifen und bekämpfen heisst nicht die Frage 
lösen, sondern oft nur den Teufel mit Beelzebub austreiben. 

Infolge der Gesamtheit der Kultureinflusse und der beson¬ 
deren ungünstigen Einflüsse der Gross- und Industriestädte ist 
die Anspannung der Kräfte bei uns eine so ausserordentliche ge¬ 
worden, dass unser Nervensystem nach mehr Reizen verlangt, 
aber auch von Ueberreizungen bedroht ist, während andererseits 
die Nervenerschöpfung nicht immer eine vollbefriedigende Tätig¬ 
keit zu sichern vermag, weil die Ruhe zur Erholung fehlt. Die 
Genussmittel wirken deshalb unter diesen Verhältnissen bei zu 
häufigem und regelmässigem Gebrauch in besonders gefährlicher 
Weise auf Geist und Körper ein. Das Wesentliche der Reizmittel 
liegt nicht so sehr darin, dass sie die körperlichen Arbeiten er¬ 
leichtern, als dass sie auf das ganze Nervensystem als Erregungs¬ 
mittel einwirken. 

Der Körper der Menschen ist bei den verschiedenen Arten 
Rassen und Mischrassen in den Grundzügen so übereinstimmend, 
dass die natürlichen Körperübungen überall annähernd dieselben 
sind und nur die Umwelt die eine oder andere Art der üebungen 
in den Vordergrund bringt. So erkennen wir überall dieselben 
Besonderheiten der Bergbewohner, der seefahrenden Völker, der 
Wander- und Reitervölker in der Ebene. Für den natürlichen 
Betrieb der täglichen Körperübungen zur Existenzmöglicbkeit be¬ 
darf man unter natürlicheren Verhältnissen keiner besonderen 
Anregungsmittel, und doch erkannte man, dass, wenn man zu 
besonderen Kraftanstrengungen zum Schlüsse die ganze Energie 
zusammennebmen wollte, dazu die Reizmittel Möglichkeiten bieten. 

Infolge des sich immer inniger gestaltenden Verkehrs der 
Völker untereinander haben aber die verschiedensten Systeme der 
Körperübungen sich immer mehr ausgedehnt. So hat das deutsche 
Turnen seinen Siegeszug angetreten, den Jahn schon vorausahnte, 
und in unserer Zeit hat sich der Sport mehr und mehr ausge¬ 
breitet, so dass wir überall mit ganz ähnlichen Körperübungen 
und einem ähnlichen Betriebe derselben zu rechnen und die 
Frage zu prüfen haben, ob dazu Genussmittel vorteilhaft oder 
schädlich sind.- 

Wenn der Hirt in den Alpen Sonntags zum Vergnügen den 
Stein stösst oder im Winter die Scheibe über das Eis sausen 
lässt, wenn der Seriindianer im Laufe Hasen und Hirsche einholt, 
so braucht er sich dazu mit seiner Ernährung und mit Reizmitteln 
nic^it besonders vorzubereiten. Der Boerenjunge, der mit einer 
Patrone ausgeschickt wird, um eine Antilope zu holen, kommt 
sicher mit seiner Beute heim, ohne dazu K«izmittel nötig zu 
haben. Wenn der Berufsjäger einmal bei Kälte oder Regen zur 


Stärkung und zum Erwärmen einen Schluck Zielwasser nimmt, 
so wird er trotzdem seinen Schuss sicher anbringen, während ein 
städtischer Sonntagsjäger unter denselben Bedingungen vielleicht 
doppelt sieht und beide Böcke fehlt. 

Es macht einen grossen Unterschied, ob man sich im nor¬ 
malen Betriebe von volksnotwendigen Körperübungen befindet, 
der sich im Laufe von Jahrhunderten, vielleicht Jahrtausenden 
ausgebildet bat, oder ob man die Körperübungen unter besonders 
erschwerenden sozialen Verhältnissen treibt, wie sie jetzt in 
unserem Stadtleben vorliegen, welches uns von der Natur mehr 
und mehr entfernt hat. 

Unter natürlichen Verhältnissen im Freien muss man stets 
bereit sein. Ist eine Hecke oder ein Bach zu übersteigen, so 
heisst es: hic Rhodus — hier springe. Da kann man sich, wenn 
man zum Weitsprung aufgefordert wird, nicht wie ein Sport¬ 
jüngling damit entschuldigen, dass man heute nur für den Hoch-' 
Sprung trainiert bat, oder wie ein Turner, dass kein Sprungbrett 
da sei. Wenn wir zum Kampfe gegen unsere soziale Not die 
Körperübungen betreiben, um deren entartenden Einflüssen ent¬ 
gegenzutreten, müssen wir die üebungen auch benützen, um be¬ 
sonderen Schädlichkeiten des Kulturlebens entgegenzuwirken. 

Zuerst hatten die Griechen das erkannt und herausgefunden, 
dass, wenn man sich für besondere Gelegenheiten zu Höchst¬ 
leistungen in Mehrkämpfen oder Einzelkämpfen vorbereiten will, 
dazu eine längere Zwangslebensweise nötig ist. Bei den Vor¬ 
bereitungen zu den heiligen Spielen musste der hellenische Athlet 
bei dieser Zwangslebensweise auch den Genuss von Wein und 
Liebe aufgeben, d. b. von Dingen, die unter deo Altersgenossen 
ohne diese Voraussetzung als berechtigter Genuss galten. Diese 
vorbereitende Uebung biess Askese, und in der Vorbereitung zu 
den höchsten Leistungen wurde der Athlet zum Asketen. Diese 
Selbstbeherrschung und Enthaltung von Genüssen wurde derart 
zum Kennzeichen, dass später der Begriff der Askese auch auf 
andere, geistige und ethische Dinge ausgedehnt wurde. 

Wir sind in unserer Zeit, um in Körperübungen wieder zu 
höheren Leistungen zu kommen, zu derselben Askese gelangt, die 
wir jetzt Training nennen. Training ist nicht das Technische 
einer Uebung, denn ein Athlet, der gelegentlich ein Gewicht 
stemmt oder einen Sprung macht oder die Kugel stösst, befindet 
sich noch nicht im Training. Training ist gesteigerte Uebung mit 
Zwangsdiät und mit Enthaltung von bestimmten Genüssen, um an 
einem bestimmten, von anderen festgesetzten Termin eine Höchst¬ 
leistung ausfübren zu können, gleichgültig, ob diese in einem 
Mehrkampf oder in einem Einzelkampf besteht. Unser Training 
ist genau in demselben Sinne Askese, wie die Uebung bei den 
alten Griechen, und wir sind aus denselben Bedürfnissen heraus 
zu derselben Forderung der Enthaltung von Genüssen gekommen. 

Als charakteristisch sei in dieser Hinsicht zum Beispiel 
angeführt, dass kürzlich der bedeutendste Freiringer unserer Zeit, 
der Deutsch Amerikaner Frank Gotch, sagte: „Ich habe manches 
Unangenehme erlebt, aber mit dem Training ist es noch etwas 
ganz anderes. Die Qualen des Trainings werden nie aus meinem 
Gedächtnis schwinden.“ Bei einem streng durchgefübrten Training 
muss die Selbstüberwindung zu einem höheren Zwecke die Ge¬ 
nüsse als etwas Untergeordnetes erscheinen lassen, und die Vor¬ 
bereitungen für den Sieg und die Aussichten auf den Sieg helfen 
zu der Selbstzucht und zu der Unterordnung unter die strenge 
Aufsicht der erfahrenen Gyranasten oder Trainer. 

Die amerikanischen Studenten, die 1912 zu den Olympischen 
Spielen nach Stockholm reisten, knirschten unter der harten Zu¬ 
mutung des Trainers, aber sie unterwarfen sich in der Hoffnung 
auf den Sieg. Ihr bester Mann, der Halbblutindianer Jim Thorpe, 
der in allseitiger athletischer Durchbildung im Fünf- und Zehn¬ 
kampf eine ungewöhnliche Höhe gezeigt hatte, hatte nach der 
Rückkehr in die Heimat und nach einem Fussballwettspiel seiner 
Schule in Washington sich auf der Rückfahrt in Pittsburg so 
gründlich betrunken, um etwas Abwechslung in die Geschichte 
hineinzubekommen, wie es von unseren lieben Vettern nur von 
deutschen Studenten für möglich erklärt wird. Aber auch bei 
uns treten solche vollständigen Ausspannungen nach einem scharfen 
Training noch so oft ein, dass man an dem Vorteil desselben für 
den Körper manchmal zweifeln könnte. In Vorahnung dessen 
hatte unser Dichter schon gesagt: 

a Enthaltsamkeit ist das Vergnügen 
Ati Dingen, welche wir nicht kriegen.V> 

Derf vollständige dauernde Verzicht auf Genussmittel passt 
allenfalls für christliche Anäbhoreten in der Wüste oder für 
mohammedanisch^ Senussi, denen in ihrem Kampf für die Her- 


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17. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Stellung der reinen Religion des Islam Rauchen, Schnupfen, Wein, 
Kaffee verboten und nur Tee erlaubt ist. Auf jeden Fall passt 
er für fromme Einsiedler besser als für Kulturmenschen, die unter 
unseren wirtschaftlichen Verhältnissen leben müssen. Das alles 
zeigt uns deutlich, dass Training wirklich Askese ist, und dass 
für den dauernden Betrieb von Körperübungen eine solche völlige 
Enthaltsamkeit nicht durchführbar, aber auch nicht notwendig 
ist. Die Reizmittel sind, was meist nicht beachtet oder vergessen 
wird, instinktive Versuche der Menschen, um einer realen Lebens¬ 
lage Rechnung zu tragen, über die sie uns hinaushelfen, indem 
sie entweder wie eine Peitsche aus dem Körper die letzten Kräfte 
herausholen oder als Sorgenbrecher über unangenehme Zustände 
der Umwelt hinweghelfen oder hinwegtäuschen. 

In unserer dreidimensionalen Welt hat nach einem Scherz¬ 
wort jede Sache drei Seiten, eine juridische, eine wissenschaft¬ 
liche und eine vernünftige. Alle drei Seiten lassen den Genuss 
von Reizmitteln als etwas Reales erkennen. Wenn wir so die 
realen Verhältnisse zum Ausgang nehmen, erkennen wir, dass die 
Beziehungen der Reizmittel zum Betriebe von Körperübungen ver¬ 
schiedenartig sein können. 

Da die meisten Reizmittel an sich weder durch Geruch noch 
durch Geschmack auffallen, wurde ihre Wirkung zunächst nur 
zufällig bei dem Genüsse von Nahrungsmitteln nebenbei beob¬ 
achtet und dann erst die Herstellung besonders kultiviert. 

Wir können die Reizmittel nun von dem Gesichtspunkte aus 
betrachten, ob sie zu dem normalen Stoffwechsel des Organismus 
eine fremdartige oder eine physiologische Beziehung besitzen. 

Der Typus der fremdartigen Reizmittel, zu denen der Orga¬ 
nismus keine Beziehungen hat, ist für uns der Tabak, und zwar 
wesentlich als Rauchtabak. In Deutschland werden zurzeit etwa 
400 Millionen Mark in Tabak verbraucht, davon im Jahre 1911 
schon etwa 225 Millionen in Form von Zigaretten. Die un¬ 
günstigen Wirkungen auf den Magen und die Augen sind viel¬ 
leicht bei der sporttreibenden Jugend weniger zu erwähnen. Aber 
der ungünstige Einfluss auf das Herz (Herzklopfen, nervöse Herz¬ 
schwäche, Bradycardie), Begünstigung der Arteriosklerose, die bei 
ganz abstinenten Mohammedanern von den Aerzten in hoher Prozent¬ 
zahl auf den Tabakmissbrauch bezogen werden muss, fort¬ 
schreitende Lähmungen und schwere Nervenentzündungen von 
seiten der Nerven, Schädigungen der Nieren zeigen deutlich die Ge¬ 
fahren, mit denen der Tabakgenuss gerade die Organe bedroht, 
die für den Betrieb von Körperübungen von grösster Wichtigkeit sind. 

Es ist eine unerfreuliche Heuchelei, dass bei der gewaltigen 
Zunahme des Missbrauches von Tabak durch die Zunahme des 
Zigarettenrauchens manche Alkoholabstinenten diesen Gefahren 
fast verständnislos gegenüberstehen, um für ihren eigenen Miss¬ 
brauch und ihre mangelnde Selbstbeherrschung eine billige Ent¬ 
schuldigung zu haben. 

Bei dem Betriebe von Körperübungen legen wir ausserdem 
den grössten Wert auf reine Luft, die uns in den Städten sowieso 
zu viel fehlt, so dass es mehr als sonderbar ist, wenn Leute beim 
Betriebe von Körperübungen rauchen. Es macht einen sehr 
schlechten Eindruck, wenn junge Leute, die sich über bier¬ 
trinkende Turner aufhalten, in affektierter und blasierter Weise 
mit der Zigarette im Munde z. B. Tennis spielen, Schlittschuh 
laufen oder Rad fahren. Snob oder Sport ist da die Frage. Bei 
einem Sechstage-Radrennen, welches an Herz und Lunge ganz ge¬ 
waltige Anstrengungen stellt, sah ich kürzlich in Dresden Aus¬ 
übende in den Pausen rauchen, was mir damit motiviert wurde, 
dass man bei der Schinderei doch irgend etwas haben müsste, 
wieder ein Zeichen, wie Training wirklich als Askese wirkt und 
auf die Dauer undurchführbar ist. 

Ich habe auf jeden Fall so ungünstige Folgen gerade vom 
Zigarettenrauchen beim Sport gesehen, dass ich der Forderung 
der Amerikaner, beim Training den Tabakgenuss vollständig zu 
untersagen, beistimmen muss. 

Von den dem Körper fremden Reizmitteln schien die Coca 
noch mehr als der Tabak berufen, eine gewisse Rolle zu spielen. 
Die Indianer geniessen sie in den Anden von Südamerika seit 
undenklichen Zeiten regelmässig, indem sie die Blätter mit etwas 
ungelöschtem Kalk und Asche zu Kügelchen ballen und bei den 
Gebirgswanderungen so regelmässig verwenden, dass sie die 
Entfernungen nach Cocanas bestimmen, wie wir nach Kilometern. 

Das Cocain spielt beim Doping der Rennpferde gelegentlich 
eine Rolle zum Auffrischen der. Lebensgeister. Im Sport hatte 
man beim Skifahren vor einigen Jahren Versuche gemacht, die 
aber ein ausserordentlich ungünstiges Resultat hatten. Bei den 
{Sechstage-Radrennen wird neben Sauerstoffeinatmungen auch jetzt 


noch gelegentlich eine kleine Injektion verwendet oder es werden 
Pillen genommen, wenn Herz und Muskeln zu versagen drohen. Die 
Doping Pillen dürften wohl vorwiegend Cocain und Coffein ent¬ 
halten. In Amerika hat in den letzten Jahren nach Kehler der 
Cocain missbrauch wieder stark zugenommen. Ebenso in der 
Pariser Lebewelt durch Schnupfen des Coco genannten Pulvers, 
und dort worden sogar Erscheinungen von Verfolgungswahn be¬ 
obachtet, die mit dem Amoklaufen einige Aehnlichkeit batten. 
Die den Aerzten nur zu bekannten giftigen Wirkungen, die zu 
körperlichem und geistigem Siechtum führen, sind eine Warnung 
vor der Anwendung bei Körperübungen. 

Im Gegensätze zu diesen ganz fremdartigen können alkohol- 
und coffeinhaltige Mittel als physiologische bezeichnet werden. 
Es wurde nämlich ermittelt, dass sich auch unter Bedingungen, 
wie sie im tierischen Körper Vorkommen, bei der Spaltung von 
Zucker Alkohol bilden kann. Unter welchen Bedingungen und 
in welchen Mengenverhältnissen dies geschieht und wie gross die 
kleine Spiritusfabrik auch jedes Abstinenten sein kann, bedarf 
noch weiterer Untersuchungen. Aber wir können den Alkohol 
nicht mehr als ein dem Körper ganz fremdartiges Mittel bezeichnen. 
Damit stimmt auch die vorzügliche Ausnutzung bei Stoffwechsel¬ 
untersuchungen überein. Die alkoholhaltigen Getränke sind bei 
uns die von der Natur gegebenen Reizmittel, und die europäische 
Menschheit ist seit Jahrtausenden an diese Getränke gewöhnt, 
sei es, dass wir eine Körperanstrengung durch sie erzwingen oder 
uns geistig ausspannen wollen. 

Bei dem starken Alkoholkonsum in England, der mit quali¬ 
tativ viel ungünstigeren Getränken bestritten wird, ist es viel¬ 
leicht interessant, wenn ich an eine photographische Darstellung 
anknüpfe, die kürzlich von der illustrierten englischen Wochen¬ 
schrift „Graphic“ gebracht wurde. Es handelte sich um zwei 
Momentaufnahmen bei Gelegenheit der Landung von Matrosen in 
Konstantinopel zum Schutze der Europäer. Eine englische Mann¬ 
schaft wurde beim Fussballspiel photographiert, eine deutsche 
Matrosenabteilung, als sie Bierfässer heranrollte. Es wurde aber 
nur die Ausspannung und Erfrischung nach der Arbeit mit der 
Arbeit verwechselt und von dem wohlwollenden Berichterstatter 
nur vergessen, dass, wenn die Matrosen verschiedener Länder ge¬ 
legentlich Ruderwettkämpfe veranstalten, gerade die deutschen 
Matrosen in der Regel mit am besten abschneiden, und wenn 
man die tüchtigsten gebraucht, die „Germans to the front“ gerufen 
werden. Und dann ausgerechnet gerade Fussball, der in der 
deutschen Marine wegen seiner ausgezeichneten Wirkungen für 
Disziplin und gesunde Entwicklung eifrig gepflegt wird. 

Aber dies Beispiel zeigt, welche Auffassungen über den Alkohol¬ 
konsum in Deutschland man ausserhalb hat, selbst da, wo es 
mindestens ebenso schlimm aussieht. Wir sollten uns in dieser 
Beziehung aber doch gar keinen Illusionen hingeben. In den 
letzten Jahren kostete der Alkoholverbrauch das deutsche Volk 
über 2,8 bis fast 3 Milliarden Mark, während Heer und Flotte 
etwa 1250 Millionen, die Arbeiterversicherung 685 Millionen, die 
höheren Schulen 420 Millionen, die Volksschulen 523 Millionen, 
im ganzen etwa 2878 Millionen Mark erforderten. Der Alkohol¬ 
konsum allein belastete das deutsche Volk in den letzten Jahren 
mehr als doppelt so stark als die Ausgaben für Heer und Marine, 
wobei ich von den indirekten Folgen des Missbranches durch Ver¬ 
brechen, Vergehen, Belastung der Gefängnisse und Krankenhäuser 
noch ganz absebe. Alkohol und Tabak zusammen übersteigen 
den Betrag für die wichtigsten Kulturaufgaben und deren Schutz 
um mehr als 400 Millionen Mark. Diesem furchtbaren Missbrauch 
gegenüber braucht man nicht zu untersuchen, ob in anderen 
Ländern pro Kopf noch etwas mehr Alkohol kommt. 

Auf jeden Fall ist der Alkoholmissbrauch in Deutschland 
noch so gewaltig, dass er dringend der Abstellung bedarf. In 
der Bekämpfung des Missbrauches ist für meine Auffassung die 
Abstinenz eine von Fall zu Fall zu beurteilende Unterfrage der 
Mässigkeit. Askese und Sophrosyne können demselben hohen 
Ziele dienen. Dieses vorausgesetzt, können wir in der ruhigsten 
Weise untersuchen, ob, wann und wie weit alkoholische Getränke 
als Nährstoffe oder als Genuss- und Reizmittel beim Betriebe von 
Körperübungen in Betracht kommen dürfen. 

Die grundlegenden, bei uns schwer zugänglichen Unter¬ 
suchungen von Atwater und Benedict (1902) haben nun ein¬ 
deutig ergeben 1 ), dass 1 g Alkohol, der 7,07 Calorien liefert, 


1) Siehe F. Hiieppe, Körperübungen und Alkoholismus, Berlin 1903, 
Verlag von A. Hirschwald,“ und A. Dtrrig, Archiv f. d. ges. Fhysiol., 
1906, Bd. 113, S. 341. i 

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484 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 11. 


io einer gemischten Kost gleichwertig oder isodynam ist 1,73 g 
Kohlehydraten oder 0,78 g Fett, dass von dem Alkohol das 
Material zu 98 pCt. und ebenfalls die Energie zu 98 pCt. aus¬ 
genützt wird und Alkohol sich wie Fett und Kohlehydrate in 
der Ernährungsbilanz verhält. Die genannten Forscher haben bei 
einem durchschnittlichen Gesamtgebrauche von etwa 2700 Calorien 
in einzelnen Versuchen statt Kohlehydraten fast 1 j 6 derselben, 
nämlich 509 Kalorien, durch Alkohol ersetzt, und der Energie¬ 
umsatz in Wärme und Arbeit war bei achtstündigem Zweirad¬ 
fahren in den Versuchen mit und ohne Alkohol fast gleich. 
Diese rund 500 Calorien wurden in 72 g Alkohol in 6 Tages¬ 
dosen verabreicht; in Bier entspricht dies etwa 2 l / 2 1. 

Aus den grundlegenden Versuchen von Atwater und 
Benedict geht deutlich hervor, dass auch die aus dem Alkohol 
gewonnene Energie nicht bloss nutzlos in Wärme, sondern auch 
in nutzbare Arbeit umgesetzt wird, wenn sich auch nicht pro¬ 
zentisch genau feststellen lässt, wieviel auf Wärme, wieviel auf 
Arbeit fällt. Wenn auch die Rauschwirkung meist erst von 
100 g Alkohol gerechnet wird, so sind doch 72 g schon eine 
recht hohe mittlere Tagesgabe, die nicht auf einen Sitz ge¬ 
nommen, sondern über mehrere Gaben verteilt werden muss, um 
Giftwirkungen auszuschHessen. Alkohol kann unter der Rausch¬ 
dosis nur einen Teil — in den angeführten Fällen mit rund 
500 Calorien etwa 1 / s aller Wärmeeinheiten, meist aber bedeutend 
weniger — bestreiten und kann wegen der Rauschgefahr als 
Nahrungsstoff nicht dem gesteigerten Energiebedürfnisse ent¬ 
sprechend beliebig gesteigert werden. Der grössere Teil der 
Energie muss stets durch Fette und Kohlehydrate gedeckt werden, 
die auch beliebig gesteigert werden können, wenn mehr Energie 
verlangt wird. Für den Gesamttagesbedarf an Calorien ist dem¬ 
nach Alkohol kein guter, sondern ein sehr schlechter Lieferant. 

Aber auch für kurze Zeit gilt dies, da 72—80 g Alkohol, die 
509—565,5 Calorien liefern, bei Ausschluss anderer Kohlenstoff¬ 
quellen wohl die Energie für etwa eine Stunde tüchtiger Arbeit liefern 
könnten, in dieser kurzen Zeit aber zu gross sind, um dies ohne 
Giftwirkung und ohne Schaden für die Qualität der Arbeit zu tun. 
Das sind Gaben für die Bierbank oder die Bar, aber nicht für Arbeit. 

Auch Hellsten, der an dem Johannsson’schen Ergographen 
längere Zeit mit grossen Gewichten von täglich 5—6000 mkg 
und darüber arbeitete, ermittelte, dass unmittelbar vor den Ver¬ 
suchen genommener Alkohol die Leistungsfähigkeit sofort erhöhte, 
doch trat nach 12—40 Minuten ein Absinken unter die Norm ein. 
Diese ungünstige Wirkung war nach 2 Stunden wieder ge¬ 
schwunden. Aber der Alkohol — 80 g statt der isodynamen 
Menge von Kohlehydraten — lieferte wirkliche Arbeitswerte; 
doch wies die Sekundenarbeit in den Alkoholperioden kleinere 
Werte auf und die Kurven waren unregelmässiger, die Arbeit un- 
Ökonomischer als ohne Alkohol. 

Bei Ungewohnten tritt nach Alkobolaufnahme selbst bei 
massigen Gaben einige Tage lang eine leichte Giftwirkung in 
Form stärkerer Eiweissverluste ein, also eine Mehrausgabe an 
Nährmaterial, so dass erst eine gewisse Gewöhnung nötig ist oder 
schon vorhanden sein muss, um diese leichte Giftwirkung herab¬ 
zusetzen oder aufzuheben und die Alkoholwirkung zur Energie¬ 
gewinnung rein zu erhalten. Auch subjektive Momente spielen 
stark mit, wenn z. B. Hellsten erst bei 80 g, Durig schon bei 
etwa .32 g eine deutliche Alkoholwirkung erkennen Hess. 

In den wichtigen Versuchen von Durig bei Bergwanderungen 
wurde der Alkohol mit etwa 30 g nicht statt Kohlehydraten ge¬ 
geben, sondern als eine Zugabe zugefügt. Der vor der Arbeit 
genommene Alkohol wurde zuerst und schnell verbrannt; so dass 
zunächst an Kohlehydraten gespart und ein Teil der nutzbaren 
Arbeit eindeutig durch den Alkohol bestritten wurde; doch nur 
ein Teil, da die Gesamtverbrennungswärme grösser war als jene 
der durch den Alkoholverbrauch hervorgerufenen Mehrausgabe 
für die Gesamtleistung. Die Arbeit war aber ohne Alkohol 
ökonomischer, wurde in kürzerer Zeit und mit geringerem Material¬ 
verbrauche geleistet, als wenn Alkohol zugesetzt wurde. Bei 
Gewöhnung war aber selbst bei Durig eine Abnahme dieser 
Giftwirkung des Alkohols zu beobachten, und die Resultate wurden 
in den späteren Perioden besser. Es wäre wohl gut, diese Ver¬ 
suche an Bergführern zu wiederholen, die an mässige Gaben 
Alkohol, aber auch an das Bergsteigen gewöhnt sind; wenigstens 
dürfte nach meinen früheren Beobachtungen an Bergbewohnern 
im Vergleich zu selbst gut trainierten Alpinisten das Resultat 
wohl noch günstiger werden. 

(Schluss folgt.) 


Darf Neosalvarsan ambulant angewandt werden? 

Von 

Prof. Toatoi- Wiesbaden. 

In meiner Publikation „über reaktionslose Neosalvarsan- 
infusionen, Vermeidung des Wasserfehlers und Kombinationstherapio 
bei Syphilis“ 1 ) schrieb ich die Sätze: „Das neue Präparat ist 
nun — zunächt ganz abgesehen von der später genauer zu prä¬ 
zisierenden ausgezeichneten Verträglichkeit — so recht ein Mittel 
für die ganz ambulante, von Krankenhaus oder Sanatorium unab¬ 
hängige Privatpraxis. Und zwar zunächst einmal wegen der her¬ 
vorragenden Bequemlichkeit der Zubereitung.“ Diese Sätze fände» 
nun von Wolff und Mulzer (Zur Kasuistik der Behandlung der 
Syphilis mit Neosalvarsan) 2 ) eine energische Zurückweisung, deren 
Energie noch durch den Druck und dadurch, dass das hier 
folgende Citat den Schluss der ganzen Arbeit, gewissermaassen 
also die Quintessenz der ganzen Publikation bildet, eine Steige¬ 
rung erfuhr. „Energisch aber müssen wir, eben auf Grund dieser 
unserer schlimmen klinischen Erfahrungen, einem Ausspruch 
von Touton entgegentreten, dass das neue Präparat so recht ei» 
Mittel für die ganz ambulante, vom Krankenhaus oder Sana¬ 
torium unabhängige Privatpraxis sei. Vor einer derartige» 
ambulanten, die ständige Kontrolle des Arztes ent¬ 
behrenden Verwendung können wir, wenigstens bei der 
von Ehrlich vorgeschlagenen Dosis im Interesse der 
Patienten und auch der behandelnden Aerzte nicht 
dringend genug warnen!“ 

Auch Kall (Erfahrungen mit Neosalvarsan) 8 ) glaubt sich 
meiner Empfehlung zur ambulanten Behandlung nach den Er¬ 
fahrungen an der Würzburger Universitätsklinik (Prof. Zieler) 
nicht anschliessen zu können, ebensowenig wie Grünberg (Bei¬ 
trag zur Neosalvarsanbehandlung) 4 ). 

Inzwischen mehrten sich nun bis gegen Ende des Jahres 1912 
die Veröffentlichungen über Neosalvarsan, besonders auch über 
unangenehme Nebenwirkungen, auch Todesfälle an Encephaliti» 
haemorrhagica, gleichzeitig aber auch meine eigenen Erfahrungen 
mit der ambulanten Neosalvarsanbehandlung. Und wenn ich nun 
jetzt am Beginn des neuen Jahres die .letzteren in Vergleich setze 
mit den Erfahrungen von anderer Seite, so komme ich zu dem 
erfreulichen Resultat, dass ich alles, was ich in der oben 
citierten Publikation sagte, vollständig und mit guten» 
Gewissen aufrecht erhalten kann. 

Dies bedarf gegenüber den verschiedenen unangenehmen Er¬ 
fahrungen anderer und gegenüber den direkten Angriffen ja sogar 
Warnungen vor meiner Empfehlung einer Rechtfertigung meiner¬ 
seits, da man im Zusammenhalt aller dieser Dinge den Vorwurf 
einer Art leichtfertigen oder doch unvorsichtigen Vorgehen» 
meinerseits erblicken kann. 

Ich schicke voraus, dass ich auch in den meiner ersten Publi¬ 
kation folgenden 7 Monaten, in: denen ich die gleiche Methode 
beibehielt, nicht ein einziges Ereignis zu beklagen hatte, wa» 
gegen diese Methode, insbesondere ihre ambulante Ausübung 
spräche. 

Im Gegenteil, je länger ich sie anwandte und auch über ihre 
Einwirkung auf die Wassermannreaktion Erfahrungen sammeln 
konnte, um so mehr lernte ich sie schätzen. 

Ich rekapituliere meine Methode: 

1. Nur und ausschliesslich Kombination mit Hg, und zwar 
Inunktions- oder Mercinolinjektionskur. 

2. Immer mindestens 10—14tägige Vorbehandlung mit Hg, 

3. Fortsetzung der Hg-Behandlung während der Neosalvarsan- 
infusionen (4—6 [—8] Wochen im ganzen). 

4. Höchstens 3 Neosalvarsaninfusionen während dieser Zeit 5 ). 

5. Minimum der Intervalle meist nicht unter einer Woche. 

6. Gesamtdosis während einer Kombinationskur nicht über 
2,25 Neosalvarsan (meist 0,6 -f- 0,75 + 0,9) allmählich steigend. 

7. Herstellung der Lösung mit zweimal gekochtem, ganz oder 
fast keimfreiem Leitungswasser. 

8. Kombination der Kur mit die Ausscheidung des Hg und A» 
anregenden Mitteln (Wiesbadener Bade- und Trinkkur, Schwitz¬ 
prozeduren). 


1) Diese Wochenschr., 1912, Nr. 24. 

2) Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 31. 

3) Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 31. 

4) Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 44. 

5) Während der in 2 durch eineu Monat Pause getrennten Hälften' 
geteilten achtwöchigen Mercinolinjektionskur können es bis 6 werden. 


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17. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


4öS 


Haben nun die Herren, die sich eine abfällige 
Kritik meines Vorgehens erlaubten, diese meine Be¬ 
handlung Dachgeprüft, ehe sie die Kritik über dieselbe 
abgabon? Oder haben sie ihre eigene, zum Teil, wie 
sich nachträglich herausstellte, fehlerhafte Methode 
mit ihren entsprechend betrübenden Resultaten dieser 
Kritik der meinigen zugrunde gelegt? 

Ich behaupte das letztere und werde es beweisen. 
Zanächst gegenüber Wolff und Mulzer und bezüglich der Haupt¬ 
punkte 5 und 6, also Intervalle und Dosierung, in denen sie 
sich „möglichst an die Angaben von Schreiber gehalten“ haben. 
„Als Gesamtdosis verabfolgten wir also durchschnittlich in 
4 Etappen etwa 4,4—4,6 bei Männern und 3,85 bei Frauen, und 
zwar anfangs in 8 Tagen, später in 2—3 Wochen.“ Sie gaben 
aber mehr, z. B. in dem Fall 1 5,0, in dem Fall 2 5,0 in je 
1 Woche, in dem Fall 3 4,9 in 15 Tagen usw., und Schreiber 
gab 6,0 in 8 Tagen, Duhot gar 8,0 in 8 Tagen und mehr! 

Ich habe es nun, als ich Anfang März 1912 mit der Prüfung 
des Präparates anfing und mir nur der dem Ehrlich’scheu 
Schreiben beiliegende Bericht Schreiber’s als Richtschnur vor¬ 
lag, gerade umgekehrt gemacht wie die Herren Wolff und 
Mulzer, die zudem noch den Vorteil hatten, erst zwei Monate 
später mit ihrer Prüfung anzufangen, wo schon bald vor den 
grossen Dosen und deren Häufung warnende Artikel (vgl. Bernheim, 
Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 22) erschienen. Ich 
habe mich nicht nach dem ursprünglichen Vorgehen 
Schreiber’s gerichtet 1 ), der ja auch später 2 ) seine grossen 
Dosen und seine kurzen Intervalle als gefährlich aufgab. Ehr¬ 
lich hat mir auch keine Dosis „vorgeschlagen“, sondern legte 
ohne weitere Kritik nur den Schreiber’schen Bericht hei. Ich 
habe nun vorsichtigerweise, gerade weil ich mir der ungleich 
grösseren Verantwortung in der ambulanten Privatpraxis be¬ 
wusst war, von vornherein die Dosen in der oben angegebenen 
Weise herabgesetzt und die Intervalle verlängert. Dabei hielt ich 
mir immer vor, dass in irgendeinem Stadium des chemischen 
Abbaues des Neosalvareanmoleküls der reine Arsen oder eine 
organotrope, giftige Verbindung im Körper circuliere, und dass 
diese bei den oft nur durch Tage getrennten Einverleibungen 
cumulativ in Erscheinung treten müssten. Ich sagte mir, dass, 
wenn man sich auch nicht sklavisch aus der durch die Pharma- 
kopöe gestatteten Maximaldosis des Acid. arsenicos. die etwa er¬ 
laubte Neosalvarsandosis herausrechnen müsse, man doch aber 
andererseits kaum ungestraft in zu exorbitantem Maasse davon 
abweichen, sie also z. B. um das Zehnfache übersteigen könne, 
wie es geschah. 

Die an sich jedem neuen Präparat gegenüber gebotene Vor¬ 
sicht und derartige Ueberlegungen führten mich also von vorn¬ 
herein trotz der Schreiber’schen Vorschläge und abweichend 
von ihnen 

1. zu mässigen, allmählich ansteigenden Einzeldosen (0,45 bis 
0,6—0,75—0,9), 

2. zu grossen Intervallen, meist nicht unter einer Woche, 

3. zu einer mässigen Gesamtdosis während einer Kur (etwa 
2,25 in maximo) in 3 Infusionen. 

Als weitere gar nicht stark genug zu betonende Vorsichts¬ 
maassregel gegen zu brüske Deberschwemmungen mit Endotoxinen 
abgetöteter Spirochäten wandte ich — selbst bei meinen zu aller¬ 
meist 8pirocbätenarmen Spätfällen — die Kombination mit milden 
Hg Kuren und, worauf ich das allergrösste Gewicht lege, die 
mindestens 10—14 tägige, der ersten Neosalvarsaninfusion voraus¬ 
gehende Vorbehandlung mit Hg an. 

Ich sehe einmal hier zunächst ganz ab von den rein technischen 
Vorsichtsmaassregeln und frage nun die Herren Wolff und 
Mulzer, ob sie die Berechtigung, vor meinem vorsichtigen Vor¬ 
gehen warnen zu dürfen, etwa aus einer Nachprüfung desselben 
herleiten zu können glaubten, oder gar daraus, dass sie mich 
noch an Vorsicht übertrafen? Keines von beiden! Im Gegenteil, 
ihre Logik war folgende; Weil sie mit ihren in unvorsichtiger und 
wenig kritischer Weise sich an die ersten Sohreiber’schen Vor¬ 
schriften anlehnenden, hohen und gehäuften Dosen allerlei Un¬ 
erfreuliches erlebt hatten, glaubten sie vor meinem äusserst vor¬ 


1) Ebensowenig Wechsel mann (Ueber Neosalvarsan, Münchener 
med. Wochenschr., 1912, Nr. 39), der vorsichtigerweise mit ganz kleinen 
Dosen anfing (0,15) und erst, nachdem er sich selbst von der Unschäd¬ 
lichkeit derselben überzeugt hatte, sie steigerte. Bei 2100 Infusionen 
konnte er im allgemeinen eine'Völlige Reizlosigkeit konstatieren. 

2) Schreiber, Dosierung und Anwendung des Neosalvarsans 

(Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 34;. 


sichtigen — sowohl in der Dosierung als den Intervallen —, 
ohne jegliche Nebenerscheinung verlaufenden und von den 
schönsten Erfolgen dauernd bis heute gekrönten Vorgehen die 
Praktiker warnen zu müssen. Logischer wäre es meines Er¬ 
achtens besonders für den Vertreter unseres Faches an einer 
hervorragenden Universität gewesen, vor Abgabe dieses scharfen 
Urteils sich zunächst einmal die Mühe zu nehmen, die Methode 
des als unvorsichtig verurteilten Praktikers selbst nachzuprüfen. 
Vielleicht hätte er dann dessen Methode als gut, erfolgreich und 
frei von Nebenwirkungen acceptiert und der seinigen, an der er 
so wenig Freude erlebte, substituiert, anstatt vorschnell das Kind 
mit dem Bade auszuschütten und das Neosalvarsan in die thera¬ 
peutische Rumpelkammer der Strassburger Universitätshautklinik 
zu werfen. Dazu schreibt Marschalkö 1 ): „Ich kann diese Kritik 
keinesfalls für gerecht halten. Es hat fast den Anschein, als ob 
die Autoren die zu hoben Dosen nur deshalb angewendet hätten, 
um die Unhaltbarkeit der Schreiber’schen Dosierung klarzulegen. 
Nun, dazu hätte es nicht bedurft, dass sie einer Patientin (bei 
welcher eine geradezu lebensgefährliche Intoxikation eintrat) am 

4. Juni 1,2 und am 8. Juni sogar 1,4 Neosalvarsan intravenös ein¬ 
verleibten. Das sind ja Dosen, welche — besonders bei Frauen — 
ganz sicher weit über der Grenze der Dosis tolerata liegen und 
gewiss schon hoch toxische, ja lebensgefährliche Dosen vorstellen.“ 

Ich wende mich nun zu den in ihren Fällen dem Neo¬ 
salvarsan zur Last gelegten Nebenwirkungen. In 30 Fällen trat 
18 mal Fieber über 38° bis zu 40,5°, in 14 Fällen Kopfschmerz, 
starkes Erbrechen und Durchfall, einmal Erbrechen allein auf. 
Wenn wir hier auch ganz von der Möglichkeit des Wasserfeblers 
absehen, so können wir, da die Reaktion allermeist nur nach 
der ersten Infusion auftrat, wohl mit Recht eine Endotoxinreaktion 
annchmen, die höchstwahrscheinlich, ja fast sicher nach einer 
Vorbehandlung mit Hg ausgeblieben wäre. Dann werden vier 
Arzneiexantheme und zweimal Herpes labialis notiert. Der Haupt¬ 
fall nun aber, der Wolff und Mulzer zu der absoluten Ver-, 
urteilung des Neosalvarsan veranlasst«, war der Fall (19) einer 
27 jährigen sekundär syphilitischen Näherin, die ohne Vor¬ 
behandlung mit Hg trotz der floriden Hauterscheinungen 
in einer Woche 3,3 Neosalvarsan erhielt und dann unter den 
Zeichen einer schweren transversalen Myelitis bzw. Myelomeningitis 
erkrankte 3 ), die nun von Wolff und Mulzer als Neosalvarsan- 
Intoxikation aufgefasst wurde. Es ist bemerkenswert, dass dieser 
Fall am 1. Juni die erste kräftige (0,7) Neosalvarsaninfusion be¬ 
kam, der dann in nur 4 tägigen Intervallen 1,2 (4. Juni) und 
1,4 (8. Juni) folgte, trotzdem am 30. Mai die warnende Arbeit 
Bernheim’s erschienen war. Gelegentlich einer mehrstündigen 
Diskussion über Neosalvarsan während der Herbstversammlung 
der südwestdeutschen Dermatologen in Frankfurt fasste ich den 
Fall im Gegensatz zu den Autoren und zu Marschalkö (I. c.) 
als eine Reaktion auf einen latenten Herd in der Umgebung des 
Lumbalmarks auf, der eben mangels einer milderen Hg-Vor¬ 
behandlung und wegen der relativ hohen, rasch aufeinander¬ 
folgenden Neosalvarsandosen zu rascher Schwellung kam. Dieser 
Deutung schlossen sich die Nicht-Strassburger in der Diskussion 
vollständig an, insbesondere Ehrlich selbst, sowie Max 
Müller-Metz. 

Was, frage ich nun, hatte diese Patientin für Vorteile von 
ihrer klinischen Behandlung? Ich vermute, dass es derselben 
bei ambulanter Behandlung nach meinem milderen Vorgehen 
jedenfalls nicht schlechter ergangen wäre, als bei dieser für ihre 
Verhältnisse doch sehr unvorteilhaften klinischen Behandlung. 

Wir müssen nun im Anschluss hieran die Frage erörtern, 
welche Momente im Wesen der intravenösen Einverleibung des 
Neosalvarsan begründet sind, die eine klinische Behandlung einer 
ambulanten überlegen erscheinen lassen. Hier kommen drei 
Punkte, zunächst der technische Teil, also die Infusion selbst, 
ferner etwaige Zwischenfälle während derselben und schliesslich 
die etwaigen unangenehmen Nachwirkungen in Frage. 

Dabei möchte ich eines vorausschicken. Wenn man Patienten 
mit schweren Herz- oder Gefässkrankheiten oder solche mit Ver¬ 
dacht auf mögliche Reaktionserscheinungen in der Nähe wichtiger 
Teile des Nervensystems (besonders im floriden Sekundärstadium 
zumal bei gleichzeitig positivem Lumbalpunktat) hat, in denen 
tatsächlich eine sehr genaue klinische Beobachtung sowie ein 
besonders rasches Eingreifen erforderlich sein kann, so ist die 


1) Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 34, S. 1586. 

2) und nach 6 Monaten starb (Strassb. med*. Zeitung, 1913, Nr. 1, 

S. 20). (Anmerkung bei der Korrektur.) 

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486 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 11. 


Krankenhausbehandlung vorzuziehen, aber weniger des Salvarsans 
als des Krankheitsbildes selbst wegen. Das bat auch Wein- 
traud wiederholt betont. 

Sehen wir nun aber von solchen, an sich schon schweren 
oder wenigstens bezüglich einer eventuellen Reaktion verdächtigen 
Fällen ab, so fragen wir uns zunächst: 

„Liegen in derTechnik der intravenösen Neosalvarsan- 
infusion Momente, die generell eine Vornahme derselben im 
Krankenhaus erfordern bzw. die Vornahme im Sprech- oder 
Behandlungszimmer des Praktikers, also die ambulante Vornahme 
verbieten?“ 

Diese Frage beantworte ich ohne weiteres mit nein. Sie ist 
überhaupt nicht eine Frage des Ortes bzw. der mehr oder weniger 
suggestiv wirkenden Umgebung, z. B. eines Trosses geschäftiger, 
in weisse Mäntel gekleideter Gestalten, sondern sie bängt ab von 
der Gewissenhaftigkeit und der persönlichen Geschicklichkeit des 
Ausführenden und von der grösstmöglichen Einfachheit und Ueber- 
sichtlichkeit seines Apparates. Je weniger Personen derselbe zur 
Instandhaltung, Vorbereitung und Inbetriebsetzung erfordert, desto 
besser ist es. Je mehr sich die Verantwortung verteilt, um so 
schlimmer. Wenn diese Dinge nur von der Gewissenhaftigkeit 
einer einzigen Person abhängen, ist die grösste Gewähr für 
die fehlerfreie Durchführung gegeben. Dies ist aber wieder nur 
möglich bei der denkbar grössten Vereinfachung des Apparates. 
Ich glaube kaum, dass der meinige in dieser Beziehung zu über- 
treffen ist. 

Der Ausflusshahn der Wiesbadener Trinkwasserleitung, ein „Fisch¬ 
kocher“, ein Erlen meyerkölbchen, der graduierte, ca. 300 ccm fassende 
Glascylinder mit seinem IV 2 m langen, durch zwei Glasröhrchen unter¬ 
brochenen und am Ende mit einem Metallconus zum Einstecken in die 
Venennadel versehenen Gummischlauch und die in Alcohol absolutus 
liegende Venennadel sind seine wesentlichen Bestandteile. Dazu kommen 
noch gutes Licht, ein bequemer, ganz flach zu stellender Operationstisch 
und der Schlauch zur Blutstauung. 

Unmittelbar nach Beendigung einer Infusion wird zunächst die 
Venennadel aussen mit Alkohol abgerieben, mehrfach mit Alkohol durch¬ 
gespritzt und in eine Glasschale mit Alcohol absolutus gelegt. Dann 
wird das Erlenmeyerkölbchen mehrfach mit gekochtem Wasser aus¬ 
geschüttelt und sofort wieder mit ca. 200—250 ccm Leitungswasser 
beschickt, das tüchtig gekocht wird. Das Kölbchen mit dem Wasser 
bleibt dann durch einen Mulltampon geschlossen stehen und wird circa 
2 Stunden vor der nächsten Verwendung nochmals gekocht. Glascylinder 
und Schlauch werden sofort mehrfach mit gekochtem Wasser durch¬ 
gespült und vor dem erneuten Gebrauch ca. V 2 Stunde gekocht. Alle 
diese Manipulationen mache ich allein. Keine andere Person 
rührt etwas an. 

Also diese technischen Vorbereitungen erfordern 
sicher kein Krankenhaus oder eine Klinik. 

Die des Patienten ebensowenig. Der Urin, das Herz 
und das Gefässsystem sind, abgesehen von den durch die Anamnese 
und die vorhergehende, ca. 10—14 tägige Beobachtung (wöchent¬ 
lich mindestens zweimaliges Vorstellen in der Sprechstunde) in 
Betracht kommenden Organe untersucht. Der Patient trinkt am 
Tage vor der Infusion, an diesem selbst und an dem darauf¬ 
folgenden keinen Tropfen alkoholischer Getränke, strengt sich 
körperlich nicht an und vermeidet alle Erregungen des Nerven¬ 
systems. Die Notwendigkeit dieses auf eine möglichste Ruhe des 
Gefäss- und Nervensystems binzielenden Verhaltens wird dem 
Patienten gegenüber besonders betont und begründet. Die Infusion 
wird nur gemacht bei relativ gutem Befinden des Patienten. 

Die Ellbogenbeuge wird gründlich mit Alkohol gewaschen, der 
Schlauch umgelegt, die Ampulle geöfinet, der Inhalt auf das Wasser, 
das nur schwach lauwarm ist, und nach der schnellen Lösung in den 
Cylinder gegossen, während der Schlauch unten durch einen Schieber 
geschlossen ist, nach dessen Oeffnen die Lösung bis zum Austreiben der 
Luft in das Kölbchen durchläuft und wieder, nachgegossen wird. Dann 
wird der Schieber wieder angelegt. Nun wird die Nadel in die Vene 
eingeführt und, nachdem das Blut im Strahl auszufliessen begonnen hat, 
der Kompression8schlauch durch Druck auf die Klammer gelöst, nach 
Wegnahme des Schiebers der Conus mit der Nadel verbunden und ein- 
fliessen lassen. 

Ich habe deshalb alle die bekannten Einzelphasen der In¬ 
fusion scheinbar überflüssigerweise nochmals angeführt, um zu 
zeigen, dass nie mehr als zwei Hände gleichzeitig notwendig sind, 
dass man also keinen Assistenten braucht. Hat man 
einen zur Hand, 60 kann man den Schieber an dem Zufluss- 
schlauch sparen, ihn mit den Fingern komprimieren und sich so 
überreichen lassen. 

Die kleinen Zwischenfälle, Stocken des Zuflusses, Austritt 
der Flüssigkeit Ins Unterhautzellgewebe nach anfänglichem güten 
Einfliessen in die Vene lassen sich allein bewältigen. 


Die Hauptsachen bei der ganzen Manipulation sind eine 
gewisse technische Geschicklichkeit, gute Augen und feines Gefühl. 
Man kann Venen punktieren, die man, ohne sie zu sehen, nur 
fühlt, manchmal sogar besser als zu gut sichtbare, die aber nicht 
fixiert, sondern zu leicht verschieblich sind. Diese „Feinfühlig¬ 
keit“ ist wohl zum grössten Teil angeboren. Jedenfalls nimmt 
sie an sich nicht zu im Krankenhaus oder der Klinik und nimmt 
nicht ab in der davon unabhängigen, privaten Ausübung der 
Praxis. 

Wir wollen nun sehen, ob und welche Momente etwa die 
Vornahme der Infusion — abgesehen von der Technik — wegen 
unangenehmerer Zwischenfälle während derselben im 
Krankenhaus notwendig erscheinen lassen. 

Hier käme eigentlich nur der sogenannte vom Altsalvarsan 
bekannte „angioneurotische Symptomenkomplex“ in Frage, 
also jener Zustand, der während der Infusion und gleich nach 
derselben mit schneller Rötung des Gesichtes beginnt, die bald 
einer starken Gyanose mit Oedem weicht und, mit Erbrechen, 
kleinem Puls, Erschwerung der Atmung einhergehend, zu einem 
Collaps führen kann. Gennerich glaubte noch in seiner Mitte 
September 1912 erschienenen, sehr lesenswerten „Praxis der 
Salvarsaobehandlung“ (S. 26), dass der Zustand bei Neosalvarsan 
nicht vorkomme, berichtet jedoch selbst schon einen Fall von 
Bruhn’s 1 ), dem dann bald noch einer aus der Bett mann'sehen 
Klinik von Simon 2 ) folgte. 

Ich selbst habe den Zustand, der sich gelegentlich mit einem 
echten Arzneiexanthem zu vergesellschaften bzw. in ein solches 
überzugehen scheint, weder bei meinen Alt- noch Neosaivarsan- 
iufusionen gesehen; Gennerich gibt als Ursache hauptsächlich 
Häufung der Infusionen in zu kurzen Intervallen an, jedoch er¬ 
scheint die eigentliche Aetiologie noch nicht geklärt. 

Im Verhältnis zu der Zahl der gemachten 'Infusionen stellt 
er besonders in der schwereren, zu Collaps führenden Form jeden¬ 
falls eine grosse Seltenheit dar. 

Unter den zur Bekämpfung des Zustandes führenden Maass¬ 
nahmen finde ich keine, die nicht jeder Arzt unter allen Ver¬ 
hältnissen anwenden müsste einschliesslich der Herzmassage, 
durch die Gennerich (S. 25) in einem schweren Fall (Alt¬ 
salvarsan) die Syncope überwinden konnte. Jedenfalls wäre es 
mindestens hochgradig übertrieben, wenn nicht absurd, zu ver¬ 
langen, es soll jede Salvarsaninfusion im Krankenhaus gemacht 
werden, weil unter tausend oder ein paar tausend Fällen einmal 
ein derartiger, bisher noch immer gut vorübergegangener Collaps 
eintreten könne. Um so mehr als dieser seltene Zufall ja meist 
während oder wenigstens unmittelbar nach der Infusion, also in 
Gegenwart des behandelnden Arztes einzutreten pflegt. 

Wir kommen nun zu dem dritteo Punkte: Macht eine der 
später auftretenden Folgeerscheinungen einen Krankenhaus¬ 
aufenthalt unbedings notwendig, oder verhindert er dieselben, oder 
bildet er einen für ihre Behandlung der häuslichen Behandlung 
erheblich üerlegenen Faktor? Ich schiebe hier kurz ein, dass 
jeder Infundierte angewiesen wird, gleichgültig, wie er sich fühlt, 
bis mindestens gegen Abend des lofusionstages im Bett zu bleiben, 
leichte Kost zu geniessen, alle 2 Stunden die Temperatur zu 
messen und zu notieren. Am nächsten Vormittag erscheint er 
mit Urin in der Blase und seinem Temperaturzettel zum Bericht 
beim Arzt. Der Urin wird auf Ei weise untersucht. Bei irgend¬ 
einer nennenswerten Störung würde er den Arzt nach Hause oder 
ins Hotel kommen lassen. 

Von den Folgeerscheinungen kommt zunächst eine fieber¬ 
hafte mit Kopfschmerzen, Erbrechen und Diarrhöe einhergehende, 
am Tage der Infusion oder am folgenden gewöhnlich beendete 
Reaktion in Betracht. Ich habe sie bisher beim Neosalvarsan 
nicht ein einziges Mal gesehen. Dagegen trat sie relativ häufig 
bei den Kollegen auf, die spirochätenreiche Fälle, also besonders 
das sekundäre Eruptionsstadium ohne Hg-Vorbehandlung 
gleich mit kräftigen Neosalvarsandosen behandelten (Wolff und 
Mulzer, Zieler, Gutmann u. a.). Meist schloss sie sich nur 
an die erste, öfter aber auch an die folgenden Infusionen an. 
Ich glaube auch, dass man hier nicht immer den „Wasser¬ 
fehler“ verantwortlich machen kann, sondern dass es sich oft 
um eine Endotoxinreaktion handelt. Sie kann natürlich nie 
als eine Indikation für die Krankenhausbehandlung oder als 
Kontraindikation gegen die private Behandlung gelten. Denn 
erstens ist sie durch eine eventuell längere Hg - Vorbehand- 


1) Med. Klinik, 1912, Nr. &, S. 1064. 

2) Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 48, S. 2328. 


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17. Mär* 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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lang allermeist vermeidbar, und zweitens verläuft sie wenigstens 
bei nicht vorher anderweit geschwächten oder heruntergekommenen 
Menschen spontan ohne ärztliches Zutun. In vielen Fällen 
handelt es sich aber überhaupt ganz gewiss noch um den Wasser- 
fehler, und er ist sicher kein „Märchen“, wie die Strassburger 
Herren Mulzer und Obermiller 1 ) glauben machen wollen. Da 
Ehrlich selbst in Frankfurt das Unzulässige ihrer Ex¬ 
perimente zugleich mit ihrem Mangel an Beweiskraft gebührend 
gewürdigt hat, so bin ich hier dessen überhoben. Während ich 
früher bei Altsalvarsan und destilliertem Wasser aus der Apotheke 
diese Reaktion häufig erlebte, fehlte sie ganz beim Neosalvarsan, 
gelüst in unserem nicht destillierten, zweimal gekochten Leitungs.- 
wasser und zwar bei ganz genau dem gleichen Material, also 
überwiegend spirochätenarmen Spätfällen, oft solchen der Spät* 
latenz mit nur noch — oft stark — positivem Wassermann. 

Noch kurz ein Wort zu der Zuverlässigkeit der Temperatur¬ 
messung im Krankenhaus und in der Privatpraxis. Ein intelli¬ 
genter Patient bzw. seine Begleitung, die gut instruiert und von 
der Wichtigkeit des Resultates durchdrungen ist, kann eventuell 
sicherere Resultate liefern als eine berufsmässige Krankenpflegerin, 
die 10—20 Patienten zu messen hat neben ihren anderen Ob¬ 
liegenheiten, zumal wenn sie etwas flüchtig veranlagt ist. Es 
kann also auch die Tecknik der notwendigen Temperaturmessung 
nicht etwa gegen die ambulante Behandlung generell ins Feld 
geführt werden. 

Ferner wären nun die Wirkungen unangenehmer Art seitens 
des Neosalvarsans auf das Nervensystem zu besprechen. Die 
„Neurorecidive“ an den Hirnnerven können wir übergehen, da 
eie meines Wissens beim Neosalvarsan nicht oder doch nur 
äusserst selten beobachtet wurden. 

Die peripheren toxischen Arsenneuritiden, die zuerst 
Duhot 3 ) mit seinen Rekorddosen so drastisch produzierte, und von 
denen er die Ursache ein halbes Jahr später 8 ) in einer übermässigen 
Dosierung und Cumulierung durch zu kurze Intervalle, also in 
einer artificiellen Arsenvergiftung erkannte und zugab, hängen 
selbstverständlich nicht ab von klinischer oder ambulanter Be¬ 
handlung, sondern wieder von dem Grade der Vorsicht und der 
Höhe des Verantwortlichkeitsgefühls des Arztes. Auch ihre Be¬ 
handlung, selbst wenn sie einmal ausnahmsweise bei den nun als 
erlaubt geltenden Dosen in Fällen einer gewissen Ueberempfind- 
lichkeit oder Idiosynkrasie gegen Arsen überhaupt auftreten sollten, 
würde sich in der Privatpraxis ebensogut wie im Krankenhaus 
durchführen lassen. 

Bleiben noch die schweren Fälle von Hirnschwellung 
und manchmal letal verlaufender Encephalitis haemorrhagica, 
die meines Wissens sämtlich nach klinischer Behandlung auf¬ 
traten, womit ich natürlich keinen causalen Zusammenhang an¬ 
gedeutet haben will. 

Zunächst scheinen diese üblen Zufälle, wie in Simon’s 
Artikel aus der Bettmann’schen Klinik ausdrücklich betont wird 
(1. c. S. 2330), „bei Neosalvarsan nicht häufiger, sondern seltener 
als beim Salvarsan“ aufzutreten. Und sie werden immer seltener 
werden, wie sich auch schliesslich ihre Aetiologie aufklären wird, 
ob als Idiosynkrasie, ob als vorausgebende leichtere anatomische, 
syphilitische Veränderungen amCentralnervensystero, deren Diagnose 
(Lumbalpunktion!) noch eine viel exaktere werden muss, die ähnlich 
wie bei den Neurorecidiven in den Zustand einer zu starken 
Reaktion auf das Mittel versetzt werden, oder ob als das gemein¬ 
same Resultat an anderen Körperstellen (Magendarmkanal!) vor¬ 
handener grosser Bakterienansammlungen, die die Toxicität des 
Neosalvarsans erheblich steigern (Yak im off), je vorsichtiger 
wir die Dosierung handhaben und je mehr wir dabei individuali¬ 
sierend Vorgehen. Dieses wird der wichtigste Punkt zum 
Vorbeugen dieser äusserst bedauerlichen Zufälle sein, 
nicht ob der Behandelte im Krankenhaus oder im 
Sprechzimmer des Arztes infundiert wurde. Sollte aber 
im letzteren Falle sich einmal ein solches Krankheitsbild ein¬ 
stellen, so würde ich auch zur sofortigen Ueberführung in das 
Krankenhaus raten, und zwar wegen der Schwierigkeit der Pflege 
dieser oft bewusstlosen oder in Krämpfen liegenden Fälle und 
wegen der unter Umständen ganz rasch sich ergebenden In¬ 
dikationen, z. B. zum Aderlass, zur Kochsalzinfusion usw., Dinge, 
die natürlich ja auch in der Privatpflege gemacht werden können, 


1) Strassburger med. Zeitung, 1912, H. 8, und 1913, H. 1 u. 2. 

2) Etüde preliminaire et expdrimeutale sur le Neosalvarsan. Revue 
beige d’Urologie et de Dermato-Syphiligraphie, April 1912. 

3) Ibidem, Oktober 1912. 


aber doch eventuell erheblichere Umstände und dadurch zu ver¬ 
meidende Verzögerungen herbeifübren. 

Das erscheint mir also als die einzige mit dem Neo¬ 
salvarsan in Zusammenhang stehende Indikation zur 
klinischen Krankenbausbehandlung: der drohende oder 
bereits bestehende Symptomenkomplex der Hirnschwel¬ 
lung bzw. der Encephalitis haemorrhagica. 

Ich kann eben nicht entscheiden, in welchem Prozentsatz 
aller Neosalvarsanfälle 1 ) nun dieser Zustand aufgetreten ist, ich 
glaube aber, selbst wenn wir noch eine ganze Anzahl nicht ver¬ 
öffentlichter Fälle annehmeD, dass er verschwindend gering ist, 
sicher geringer als der Prozentsatz schwerer bzw. tödlicher Nach¬ 
blutungen nach Geburten, von Eclampsia gravidarum, von Embolien 
im Wochenbett usw. Nun, und wir sind noch nicht so weit ge¬ 
kommen, jede Schwangere oder Gebärende dem Krankenhaus zu 
überweisen, obwohl Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett mir 
erheblich mehr und grössere Gefahr in sich zu bergen scheinen 
als die Behandlung mit Neosalvarsan. Von den Eventualitäten, 
denen unsere Landärzte gewachsen sein müssen unter den denkbar 
primitivsten Verhältnissen, wo schon die Durchführung einer 
Antisepsis, geschweige denn Asepsis als ein Meisterstück zu be¬ 
trachten ist, gar nicht zu reden! 

Wolff und Mulzer erläutern den Begriff der ambulanten 
Behandlung mit den Worten „die ständige Kontrolle des 
Arztes entbehrend“. Ja, wenn es gleichbedeutend wäre mit 
„die Kontrolle des Arztes ständig entbehrend“, dann hätten sie 
vielleicht mit ihrer Warnung vor meinem Vorschlag recht gehabt. 
Selbst im Krankenhaus kann sich nicht der Arzt, nicht einmal 
die Schwester — letztere noch eher in der Privatpflege — 
ständig neben den Behandelten setzen und ihn kontrollieren, 
zumal in der Nacht. Auch dort muss der Arzt in anderen, oft 
abgelegenen Teilen des Krankenhauses gesucht und ans ihnen 
herbeigerufen werden, wenn ja einmal plötzlich ein unangenehmes 
Ereignis eintritt. Auch dort gibt es sogar plötzliche Todesfälle, 
ehe der Arzt eintrifft, auch dort findet man manchmal am anderen 
Morgen einen abends noch Lebenden tot im Bett zur grössten 
Ueberraschung. 

Ich gebe mich der Hoffnung hin, dass es mir gelungen ist, 
die Leser davon zu überzeugen, dass ich unter den ausführ¬ 
lich besprochenen Kautelen recht hatte, das Neosalvarsan 
als das gegebene Mittel für die ambulante Privatpraxis zu be¬ 
zeichnen und zu empfehlen. Seine etwaigen Gefahren oder 
besser ihre Vermeidung hängen hingegen nicht ab von 
„klinisch“ oder „ambulant“, sondern in der Hauptsache 

1. von einer weisen Zurückhaltung in der Dosierung und der 
Häufigkeit der Anwendung, 

2. von der Vorbehandlung und Kombination mit Hg, be¬ 
sonders in den spirochätenreichen Stadien und bei Verdacht 
latenter Nervenherde, 

3. von der Anwendung keimfreien oder keimarmen Wassers, 

4. von der Sorge für die möglichst rasche Ausscheidung des 
verbrauchten Parasiticidums. 

Ueber diese Punkte, besonders den letzten, sowie über die 
vorzüglichen Erfolge meiner relativ milden, immer zuerst das un¬ 
gestörte Wohlbefinden des Patienten im Auge behaltenden Methode 
auf die selbst bis zur Dauer von 31 Jahren inveterierte, positive 
Wassermannreaktion, habe ich mich in der bald erscheinenden 
Festschrift zur Eröffnung des Kaiser Friedrichbades 2 ) in Wies¬ 
baden ausführlich geäussert 8 ). 

Ich erkläre also die Warnung Wolff’s und Mulzer’s 
sowie der anderen Autoren vor meinem Vorschlag der 
ambulanten Anwendung des Neosalvarsans für durch¬ 
aus unbegründet und, weil auf Grundlagen beruhend, 
die von meiner vorsichtigen Methodik absolut ab- 
weichen, ja ihr sogar diametral entgegengesetzt sind, 
für durchaus unzulässig, da sie nicht einmal auf einem 
schwachen Versuch zur Nachprüfung meiner Methode 
beruht, sondern abstrahiert ist aus den ungünstigen 
Resultaten ihrer eigenen, fehlerhaften Methodik (zu 
hohe und zu gehäufte Dosen). 

Die Verbannung des Neosalvarsans aus unserem 


1) Obermiller fand im ganzen 6 bzw. 8 Fälle. (Anmerkung bei 
der Korrektur.) 

2) Ueber den Einfluss der modernen Syphilisforschung auf die Be¬ 
handlung der Syphilis an Badeorten. Wiesbaden 1913, Bergmann. 

3) Vgl. auch Stroscher, Zur Behandlung der Syphilis mit Neo¬ 
salvarsan (Münfhener med. Woctyenschr., 1^12, Nr. 40) uud v. $tokar, 
Erfahrungen über Salvarsan ip der Praxis (Med. Klinik, 1912, Nr. 47). 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 11. 


Arzneischatz überhaupt) wie sie im Gegensatz za allen 
Autoren einzig nur Wolff und Mulzer belieben) war das 
Resultat eines durchaus voreiligen Urteils. 

Nun bat aber, was vielleicht den Lesern schon aufgefallen 
ist, diese ganze, anfangs vielleicht nicht allzu wichtig erscheinende 
Angelegenheit doch eine ziemlich grosse prinzipielle Tragweite. 

Aus allgemein hygienischen Gründen sowohl, als aus Gründen 
der möglichst raschen Heilung des einzelnen Syphilitikers, welche 
ja die Hauptwaffe gegen die Weiter Verbreitung der Krankheit 
bildet, gilt es, eine ausgiebige, mit allen gegebenen Mitteln 
inszenierte Behandlung möglichst jedem Kranken zugänglich zu 
machen und zu erleichtern. Dazu gehört aber in erster Linie 
die Durchführung derselben, ohne den Verdacht der räheren oder 
weiteren Umgebung, der Angehörigen oder der Vorgesetzten zu 
erregen. Wenn ein junger, gesund erscheinender Mensch sich auf 
einen oder ein paar Tage ins Krankenhaus legt, so ist das ausser¬ 
ordentlich auffallend und verdächtig. Dies generell für jede Neo- 
salvarsaninfusion zu verlangen oder die ambulante Einverleibung 
für unstatthaft zu erklären, hiesse einer grossen Zahl gerade der 
Angehörigen der höheren Stände die Wohltaten der genialen 
Ehrlich’schen Entdeckung entziehen oder sie dem Kurpfuscher 
in die Arme treiben. Mit dem gleichen Rechte könnte man die 
Krankenhausbehandlung für jede unlösliche Quecksilberinjektion, 
besonders des Calomels verlangen, weil dabei gelegentlich einmal 
ein unliebsamer Zwischenfall (z. B. Lungenembolie, Hg-Intoxikation) 
sich ereignet. Die Erleichterung und möglichst unauf¬ 
fällige Darbietung einer mögt ich st ausgiebigen Syphilis¬ 
behandlung ist gleichsinnig mit einer guten allge¬ 
meinen Prophylaxe, also einer Verminderung der Aus¬ 
breitung der gefürchteten Krankheit, ihre Erschwerung 
ist vom Standpunkt der allgemeinen Hygiene wider¬ 
sinnig und deshalb zu verwerfen. 

Rigi-Kaltbad, im Januar 1913. 


Zur Kasuistik der Epityphlitis bei Scharlach 
sowie der wiederholten Scharlacherkrankung. 

Von 

Dr. Oswald Meyer, Kinderarzt in Berlin. 

In seiner Monographie überden „Scharlach“ erwähnt Schick 1 ) 
als seltene Komplikation der Scarlatina die Appendicitis, die 
vor ihm nur Kaufmann geschildert habe. Schick selbst hat 
zwei Fälle gesehen. Im ersten Schmerzhaftigkeit des Mcßurney- 
schen Punktes am ersten Krankbeitstages, der zweite Fall stellte 
das Recidivieren einer schon öfters aufgeflackerten Appendicitis 
in der Rekonvaleszenz dar. Im Gegensatz zu dieser Schilderung 
steht Heubner’s Bemerkung in der dritten Auflage seines Lehr¬ 
buches, wo er die Appendicitis als eine nicht so seltene Kompli¬ 
kation der Scarlatina bezeichnet. An und für sich spricht die 
grössere Wahrscheinlichkeit für die Heubner’sche Auffassung 
bei der anatomischen Verwandtschaft des lymphatischen, adenoiden 
Gewebes des Wurmfortsatzes und des Pharynx bzw. des Waldeyer- 
schen Schlundrings, der ja bei Scharlach in ganz besonderer Weise 
an der Erkrankung beteiligt ist. Diese Verwandtschaft oder viel¬ 
mehr Gleichartigkeit der Gewebe, wie ferner die Aehnlichkeit 
ihres Infektionsmodus betonte, nach dem Vorgang englischer und 
amerikanischer Autoren, als erster deutscher Forscher Sahli, 
der das Wort von der einfachen Appendicitis als „Angina des 
Wurmfortsatzes“ prägte. Seiner Betrachtung der analogen anato¬ 
mischen Verhältnisse und der Infektionsähnlicbkeit folgten, von 
der grossen Schar englischer und französischer Autoren ganz zu 
schweigen, Nothnagel, Helfericb, Ribbert, Stöhr, Kümmel, 
Becker u. a. m., in letzter Zeit besonders Adrian, Klemm und 
Kretz. Shiota freilich, der die Verhältnisse bei Lymphatikern 
studierte, konnte bezüglich lymphatischer Hyperplasie keine absolut 
zwingende Analogie zwischen Appendix und Gesamlorganismus 
feststellen. 

Für die Wahrscheinlichkeit der Heubner’schen Betrachtung 
spricht ferner auch das so häufige Auftreten von Epityphlitis 
(wie wir nach Ernst Küster’s Vorgang die Erkrankung der 
Appendix besser bezeichnen als mit der falschen Wortbildung 
„Appendicitis“) bei bzw. nach Infektionskrarikheiten überhaupt. 
Die Durchsicht der Literatur auf Zusammentreffen von Epityphlitis 

1) Nothnagel, Spez. Pathol. u. Ther.,, 1912. 


und Scharlach ergibt aber eine so geringe Ausbeute, dass ich es 
doch für angebracht halte, einen hierher gehörigen Fall zu ver¬ 
öffentlichen, zumal das Ueberwiegen epityphlitischer Symptome 
in diesem wie in einem zweiten, mir von anderer Seite zur Ver¬ 
fügung gestellten Fall diagnostische Schwierigkeiten hätte machen 
können. 

F. v. R., 4 Jahre alt. Beide Eltern haben viel an Schnupfen, Nasen¬ 
beschwerden und Raebenkatarrhen gelitten. Kind selbst neigte stark zu 
Schnupfen. Im November 1909 in Behandlung wegen akuter, stark 
fieberhafter Retropharyngitis („Drüsenfieber“). Seitdem sind Schnupfen, 
belegte Sprache, entzündliche Schwellung des Nasenrachenraums und die 
starken submaxillären wie cervicalen Drüsenschwellungen nie ganz ver¬ 
schwunden. April und November 1910 wiederum Anfälle von akuter 
Retropharyogitis. Im Februar 1911 führte ich, wie ich vorausnehmen 
möchte, die Adenotomie aus mit dem Erfolg, dass die katarrhalischen 
Erscheinungen aufhörten. Letzter Status: Kind sehr blass, zart, schmächtig, 
adenoider Typ. Erhebliche Drüsenschwellungen unter dem Kieferwinkel 
und am Sternocleido entlang, mässige Drüsenschwellungen in der Inguinal¬ 
beuge. Ueber der Brust durchscheinendes Venennetz, im Rachen leichte 
Granulationen. 

Am 27. XII. 1910, nachdem 16 Tage vorher der ältere Bruder eine 
typische Scarlatina durchgemacht, erkrankte das Kind plötzlich mit heftigen 
Leibschmerzen, Halsweh und Erbrechen, Temperatursteigerung bis 39,5°. 
Die Untersuchung ergibt Rötung des Rachens, leichte tonsilläre Beläge, 
Zunge stark belegt, Enanthem, geringes, aber deutlich spriessliges 
scharlachrotes diffuses Exanthem auf Brust und Bauch, Oberarmen und 
Oberschenkeln. Im Abdomen: Deutliche Schmerzhaftigkeit des HacBurnay, 
leichte Muskelspannung daselbst und Resistenzgefühl. Blumberg positiv, 
Rovsing ?. 

Diagnose: Scarlatina, Epityphlitis acuta. 

Unter strenger Diät und Bettruhe gingen die perityphlitischen Er¬ 
scheinungen in kurzer Zeit zurück. Ebenso verschwand Exanthem und 
Angina in den nächsten Tagen, die Temperatur, die sich auf 39* ge¬ 
halten hatte, fiel typisch ab. Schuppung in der zweiten Woche. Die 
Scarlatina, deren Diagnose durch die 16 Tage früher vorausgegangene 
Scharlacherkrankung des Bruders noch gestützt, durch das Auftreten 
typischer, wenn auch geringer Schuppung vollends sichergestellt wurde, 
verlief unkompliziert bis auf ein leichtes Oedem am 6. Krankheits¬ 
tage bei negativem Eiweissbefunde des Urins und Pulsarythmie am 
14. Tage 1 ). 

Ara 1. X. 1911, nachdem eigentümlicherweise genau zwölf Tage vor¬ 
her der Bruder an einer hoch fieberhaften Pharyngitis erkrankt war, 
wurde der kleine Patient F. wieder von genau denselben Krankheits¬ 
erscheinungen befallen wie vor zehn Monaten. Hals- und Leibschmerzen, 
Erbrechen und Temperatursteigerung: 39,6°. Auch diesmal Mac Burnay 
schmerzhaft, Resistenzgefühl und Defense musculaire. Blumberg’sches 
Phänomen angedeutet. Dabei brennende Rötung des Rachens, ADgina, 
Enanthem, deutliches Scharlachexanthem, Rumpel-Leede’sches Phänomen 
deutlich positiv. Nach wenigen Tagen vollständiges Abflauen aller 
Krankheitserscheinungen. 

In der Folgezeit hat der kleine Patient noch zweimal fieberhafte 
intestinale Erkrankungen gehabt und jedesmal ausgesprochene Schmerz¬ 
haftigkeit in der B lin dd arm gegen d. Nunmehr konnte ich auch in der 
Zwischenzeit den verdickten Wurmfortsatz deutlich palpieren. Eine 
Angina gesellte sich nicht zu diesen Krankheitssymptomen. Auch leichte 
katarrhalische Erscheinungen im Rachen und den oberen Luftwegen 
Iraten wieder auf, die unter diätischer und medikamentöser Behandlung 
zurückgingen. 

Wir sehen also ein Kind, einen typischen Lymphatiker, zwei¬ 
mal zugleich an zweifelloser Scarlatina — auf diese wiederholte 
Scharlacherkrankung werden wir noch zurückzukommen haben — 
und an abdominalen Erscheinungen erkranken, die man nicht 
anders denn als Epityphlitis bzw. als epityphlitiscbe Reizung 
deuten kann. 

Noch über einen zweiten Fall von Scharlach und Epityphlitis, 
den mir mein Kollege Dr. Ernst Mai dankenswerterweise zur 
Verfügung stellte, kann ich berichten. 

K. N., 11 Jahre alt, bisher gesund. 29. III. 1910 erkrankt mit 
Frost, Schmerzen im Leib nach Ricinusöl, das die Mutter verstopfungs¬ 
halber am Morgen gegeben hatte. 

30. HI. Befund: Leib leicht aufgetrieben, unbestimmte Schmerz¬ 
haftigkeit in der Appendixgegend, rectal frei. Geringe Döfense musculaire. 
Keine Resistenz fühlbar, sonst Abdomen nicht druckempfindlich. Fauces 
frei. Kein Exanthem, Temperatur ca. 39°. Therapie: Eisblase auf 
Appendixgegend. Epityphlitisdiät. 

Diagnose: Epityphlitis simplex levis. 

31. III. Unverändert. Temperatur 38,3°. Leib normal, nur in der 
Appendixgegend leichte Druckempfindlichkeit und Defense. Stuhl spontan, 
normal. Puls gut, ruhig, entsprechend dem Fieber 90. 


, 1) Es ist fraglich, ob solche Arythmie überhaupt als pathologisch 

anzusehen ist bei der grossen Häufigkeit der Pulsarythmie im Kindes¬ 
alter -(siehe Friberger, Archiv f. Kinderbsilk., lO^^Bd. 58, H.4-—3). 
,In anderen Zeiten freilich habe ich bei dem Kdnd niemals Pulsirregularität 
beobachtet, i 1 


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17. März 1913. 


31. III. abends: Exanthem über den ganzen Körper. Scharlach? 
(Nachts nicht sicher erkennbar.) tiaumenbögen leicht gerötet. Zunge 
normal. Leib wie oben. Temperatur 40,1°, sonst nihil. 

I. IV. Deutliches Scharlachexanthem. Tonsillen etwas geschwollen, 
keine Drüsenschwellung, Gaumenbögen gerötet, keine Schluckbeschwerden. 
Leib kaum mehr schmerzhaft. Urin frei. 

In den nächsten Tagen rasches Abblassen des Exanthems, Fieber¬ 
abfall, Hals frei, Urin frei. 

8. IV. Schuppung beginnt deutlich an Fingern und Zehen, in der 
rechten Unterbaucbgegend, deutlich der Lage der Eisblase entsprechend, 
allmählich stärkere schmerzhafte Infiltration der Haut, Schwellung der 
Inguinaldrüsen. 

9. IV. Infiltration schreitet nach der Leiste zu fort. Drüsen ver- 
grössern sich stärker und werden schmerzhaft. Geringe Temperatur¬ 
steigerung. 

10. IV. Schuppung ziemlich stark. Infiltration in der Unterbauch¬ 
gegend über tellergross, stärkere Knoten bildend. Sehr langsames Zu¬ 
rückbilden der Infiltration, Auflösung in mehrere fünfmark- bis hand¬ 
tellergrosse Stellen. Eine Inguinaldrüse vereitert. 

26. IV. Sehr langsame Rückbildung. Noch einige kleine infiltrierte 
Steilen. Drüseneiterung beendet. Allmählich verschwindet die Infiltra¬ 
tion ganz. 

Endlich füge ich noch einen Fall von echter Epityphlitis 
bei Masern hinzu, den ebenfalls Herr Kollege Ernst Mai beob¬ 
achtet hat. 

N. F., 19 Jahre alt, früher gesund und kräftig. Zunächst der Be¬ 
richt des auswärtigen behandelnden Arztes: 

30. IV. 10. Erkrankt mit Frost, heftigem Erbrechen, Schmerzen im 
Leib. Temp. 39,8. Leib nicht aufgetrieben, geringgradig druckempfind¬ 
lich, mehr in der Gegend des Mac Burnay’schen Punktes. Geringe 
Bronchitis. 

31. IV. Deutliches Masernexantbera. Temp. ca. 40°. Erbrechen, 
Schmerzhaftigkeit im Leibe dauern während der folgenden Tage an, 
ebenso das Fieber. Kein palpatorischer Befund in der Appendixgegend, 
aber dauernde Druckempfindlichkeit. Masernexanthem blasst langsam 
ab. Sehr langsame Rekonvaleszenz unter heftigen Leibbeschwerden, Er¬ 
brechen, die von Zeit zu Zeit sich erneuern. 

II. V. Steht auf, fühlt sich sehr elend, Schmerzen im Leib, trotz¬ 
dem Eisenbahntransport. 

Eigene Beobachtung durch Dr. Mai. 

12. V. Temp. 36,8. Endocarditis deutlich. Herzverbreiterung nach 
links. Puls 120 — 130, weiches systolisches Geräusch über allen Ostien. 
In der Appendixgegend ca. halbfaustgrosse, derbe, mässig druckempfind¬ 
liche Resistenz. Leib sonst frei, nicht aufgetrieben, nicht druckempfind¬ 
lich. Ziemlich starke Cyanose. 

13. VI. Febris coutiuua zwischen 38,1 und 39. Befund wie oben. 
Epityphlitische Resistenz ohne Veränderung. Rectal Resistenz ebenfalls 
palpabel, schmerzhaft. (Consil mit Geheimrat Enderlen-Würzburg: 
Glaubt nicht an Abszess, sondern an periappendicitische starke Infiltration 
und Durchtränkung.) 

14. VI. Fieber geringer. Allgemeinbefinden etwas besser. Befund: 
Herz und Abdomen unverändert. 

Beobachtung durch dortigen behandelnden Kollegen: Langsame 
Rekonvaleszenz, gestört durch Diphtherieinfektion., die glatt heilt. Tumor 
in der Appendixgegend wird langsam kleiner und schmerzlos; Herz: all¬ 
mählich kompensierte Mitralinsuffizienz. 

Dr. Mai: 29. VI. Herzgrenzen links Mammillarlinie, rechts einen 
halben Finger breit über den rechten Sternalrand hinaus. Zweiter Ton 
besonders über der Pulraonalis accentuiert. Aktion ruhig, regelmässig, 
auch nach Arbeit, Kniebeugen usw. ln der Appendixgegend, ungefähr 
Mitte zwischen Mac Burnay und Mitte der Symphyse, in der Tiefe noch 
undeutlich ein ca. fingerdicker schmerzloser Strang. Keine Leib¬ 
beschwerden. Nauheimer Kur. 

Untersuchung April 1912: Deutlich kompensierte Mitralinsuffizienz, 
kaum merkliche Verbreiterung, Leib in Ordnung, keinerlei Beschwerden. 

Wie oben bereits gesagt, ist das Auftreten von Epityphlitis 
im Verlauf von Infektionskrankheiten keine Seltenheit. Am 
häufigsten ist das Zusammentreffen von Epityphlitis mit Angina, 
gewöhnlich geht die Angina, die als eine Art Primäraffekt auf¬ 
zufassen ist, der Epityphlitis voraus, wie es besonders von Kretz 1 ) 
und von Adrian 2 ), vor diesen aber schon von Apolant, Golu- 
boff, Offergeld, Wette, Baginsky, Schnitzler, Weber, 
Hasse und vielen anderen beobachtet wurde. Auch Sonnen- 
bürg 3 ) gibt diesen Zusammenhang zu, wenn er ihn auch nicht 
gerade für häufig hält, während Rostowzew 4 ) und Aschoff 5 ) den 
ursächlichen Zusammenhang zwischen Epityphlitis und Angina 


1) Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., 1907, Bd. 17, 1909, Bd. 20. 
Zeitschr. f. Heilk., N. F., 1908, Suppl.-Heft. — Verhandl. d. deutsch, 
patbol. Gesellsch., 14. Erlangen 1910. 

2) Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., Bd. 7. 

3) Appendicitis. Letzte Auflage. 

4) Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., 1906, Bd. 15. 

5) Die Wurrafortsatzentzündung. Jena 1908. — Ergehn, d. inneren 
Med. u. Kinderheilk., Bd. 9. 


bzw. den anderen Infektionskrankheiten ablehnen. Für die In¬ 
fluenza ist dieser Causalnexus beschrieben, besonders von den 
Franzosen, ferner von Leichtenstern, Friedjung, Gelbke, 
Haist, Welsch, Kümmell, Weitlaner, Sonnenburg, Wette, 
während Mac Lean ihn bestreitet. Ferner beschreiben Epi¬ 
typhlitis als Folge von Karbunkel: Wette, Canon, von Erysipel: 
Canon, von Impetigo: Böse, von Polyarthritis rheumatica: Pri- 
bram, Sutherland, Jalaguier, Brazil, Robinsou, von 
Pneumonie: Raillet, Wette, Glaserfeld, Bennecke u. a. m., 
von Typhus (neben Engländern): Hesse, Raillet u. a. m. Dabei 
ist zu bemerken, dass die im Verlauf des Typhus ebenso wie bei 
Ruhr auftretende Epityphlitis als spezielle Lokalisierung der 
Typbus- bzw. Ruhrinfektion eine Sonderstellung einnimmt. Ebenso 
hat die nach Verwachsungen und Obliterationen infolge von 
Typhus entstehende Epityphlitis (Hesse) mit dem hier in 
Rede stehenden Thema nichts zu tun. Viel seltener ist das Auf¬ 
treten der Wurmfortsatzentzündung nach den akuten Exanthemen: 
Varizellen und Masern: Jalaguier, Rubeolae, Variola, Parotitis 
epidemica: Merkleu und Leudet, und endlich Scharlach: Simo¬ 
nin (dieser fand in 5 von 79 Scharlachfällen Schmerzhaftigkeit 
des Mac Burnay), Jalaguier, Anghel. 

Das Verhältnis der Infektionskrankheit zur Epityphlitis kann 
in dreierlei Weise gefasst werden: 1. Die Infektionskrankheit geht 
voraus, die Epityphlitis ist eine Art Metastase, wie dies besonders 
scharf von Kretz, aber auch von Adrian betont wird. Das 
Intervall zwischen Angina und Epityphlitis kann dabei ziemlich 
gross sein; speziell bei den tödlich verlaufenden Epityphlitiden 
fehlt nach Kretz die Angina nie. Auch Baginsky sah schwerste 
septische Epityphlitis mit Exitus nach Tonsillarerkrankung. Für 
diesen direkten ursächlichen Zusammenhang sprechen die bak¬ 
teriologischen Befunde in der Appendix, die der Grundkrankheit 
entsprechen: Baginsky fand Pneumokokken sowohl in den Ton¬ 
sillen, wie im Blut und in der Appendix, Offergeld Strepto¬ 
kokken, Adrian Influenzabacillen im Epityph litiseiter, Melchior 
bei Pneumonie Pneumokokkenappendicitis. Die Deutung der Tier¬ 
versuche, die gleichfalls diesen kausalen Zusammenhang beweisen 
sollen, ist noch strittig. Adrian und Tedesko, denen Infektion 
der Appendix durch Einführung ganz verschiedener Keime in die 
Blutbahn gelang, wie in ähnlicherWeise nach ihnen Stöber und 
Dahl, stehen Ghon und Namba gegenüber, die ihre Versuche 
nicht bestätigen konnten und die Beweiskraft dieser Versuche, wie 
gleich ihnen Aschoff, bestreiten. 

Das umgekehrte Verhältnis: Epityphlitis als primäre Er¬ 
krankung, Angina als Folge wird unter anderem besonders von 
Hönck angenommen, für den Gelenkrheumatismus auch von 
Adrian, welcher Autor Angina oder Epityphlitis als Ausgangs¬ 
punkt für rheumatische Gelenkerkraokung und das Umgekehrte, 
d. h. also Epityphlitis als Folge anginöser oder rheumatischer 
Erkrankung für möglich hält. Wette endlich sah Vereiterung 
der Gelenke nach Epityphlitis. 

Eine dritte Auffassung, die der ersten sehr nahe steht, fasst 
die Epityphlitis als eine Allgemeininfektion, eine Art Sepsis auf, 
wie dies wiederum Kretz tut, eine Auffassung, für die in ihrer 
Weise auch die Wette’schen Beobachtungen von gleichzeitiger 
Erkrankung an Pneumonie und Epityphlitis sprechen, nnd wie 
sie gestützt wird durch die erwähnten Tierversuche von Adrian 
und Tedesko. Die Epityphlitis würde damit in eine Reihe mit 
der Polyarthritis rheumatica treten, welche ja auch als mitigierte 
Sepsis aufgefasst wird und häufig einer Angina folgt, zuweilen 
aber von einer „rheumatischen Angina“ gefolgt wird. In engem 
Zusammenhang mit dieser Auffassung steht die Darstellung der 
Epityphlitisepidemien und -endemien, wie solche von 
Klink, Heppe, Wahl, Martin und auch von Sonnenburg 
beobachtet wurden, wo die Epityphlitis nur als eine Infektions¬ 
krankheit, als ein Allgemeinleiden aufgefasst werden kann. Ganz 
besonders ist dies der Fall, wenn sie noch mit anderen Er¬ 
scheinungen als Fieber und den lokalen Symptomen einhergeht: 
so mit Schwellung und Rötung der Tonsillen und ähnlichem. 

In unserem ersten Fall spricht alles für eine derartige All¬ 
gemeininfektion. Nicht als eine Metastase der scarlatinösen 
Racheninfektion oder als eine Sekundäraffektion oder eine „Nach¬ 
krankheit“, wie etwa die Lymphadenitis, ist die Affektion der 
Appendix zu denken, sondern man muss annehmen, dass — zu 
gleicher oder doch annähernd gleicher Zeit — eine Infektion des 
gesamten lymphatischen Apparates stattgefunden hat. Während 
nach Aschoff bei der „eigentlichen Appendicitis“ die Blut- 
infektion keine Rolle spielt, vielmehr die Infektion vom Lumen 
des Darms aus sichergestellt ist, scheint mir hier die hämatogene 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 11. 


Infektion der Appendix in höchstem Maasse wahrscheinlich. 
Vielleicht spielt es eine Rolle, dass das Kind zum lymphatischen 
Typus gehört, denn wenn auch Shiota bei Nichtlymphatikern 
prozentual mehr Obliterationen in der Appendix fand als bei 
Lympbatikern, fand er doch andererseits in 27 pCt. aller Lympha- 
tiker den Wurmfortsatz an der lymphatischen Hyperplasie be¬ 
teiligt gegenüber 9 pCt. bei Nichtlymphatikern. Und eine Prä- 
disponierung aller lymphatischen Gewebe zur Infiltration ist ja 
bei der Scharlachinfektion gegeben. Ich glaube, es ist unabweis¬ 
bar, die häufigen Entzündungen im lymphatischen Gewebe des 
Rachens und des Wurmfortsatzes, der „Wurmfortsatztonsille“ 
(Selter), wie sie teils isoliert, teils kombiniert auftraten, unbe¬ 
dingt miteinander in Parallele zu setzen. Das gilt für die nicht¬ 
spezifische wie für die scarlatinöse Entzündung. Zugleich mit 
der Angina faucium scarlatinosa trat also eine „Angina scarla- 
tinosa des Wurmfortsatzes“ auf, nach Sahli’s Ausdrucksweise. 

In unserem zweiten Fall, dem des Kollegen Mai, trat der 
epityphlitische Anfall 36 Stunden vor Ausbruch des Exanthems 
in die Erscheinung. Hier ist es sehr wohl möglich, dass der 
Primäraffekt im adenoiden Gewebe der Appendix sass, was für 
mich um so wahrscheinlicher ist, als der Rachen anfangs frei 
war und nach der Erinnerung des Kollegen auch im weiteren 
Verlauf die Angina nicht sehr stark wurde. Im Gegensatz zu 
dem von mir beobachteten Fall ist in diesem zweiten eine Infek¬ 
tion vom Lumen der Appendix aus nicht unwahrscheinlich. An 
Stelle der gewohnten Eingangspforte für die Scharlachinfektion, 
der Tonsillen ist hier wohl das Lymphgewebe des Wurmfortsatzes 
als Eingangspforte zu betrachten. Die Infiltration der Haut an 
der Stelle, wo die Eisblase lag, und die sekundäre Lymphdrüsen¬ 
vereiterung haben mit der Epityphlitis an sich wohl nichts zu 
tun, höchstens insofern, als die durch den Scharlach bedingte 
Hautschädigung in den durch die Epityphlitis hervorgerufenen 
Circulationsstörungen unterstützende Momente fand. 

Der Masernfall zeigt die stärkste Beteiligung des Wurm¬ 
fortsatzes, denn als eine Beteiligung an der Krankheit, nicht als 
eine zufällige Komplikation ist die Affektion zweifellos zu be¬ 
trachten. Darmerscheinungen im Beginn der Morbillen sind uns 
geläufig. Der lymphatische Apparat des Dünn- und Dickdarms 
ist bei der Morbilleninfektion stark in Mitleidenschaft gezogen 
(Heubner). Sekundärinfektion vom Darm aus, besonders mecha¬ 
nische Verhältnisse, wie sie uns als ätiologisch bedeutungsvoll 
für die Epityphlitis bekannt sind, oder irgendwelche anderen 
Momente haben in diesem Fall zu der mit dem Masernvirus 
causal eng zusammenhängenden Epityphlitis geführt, für die die 
Maserninfektion mit den Plaquesschwellungen im Darm den Boden 
bereitet bat. 

Die in diesem Falle wohl besonders schwere Infektion (Endo- 
carditis!) hat auch den Darm besonders schwer getroffen. Ist 
die Epityphlitis nicht als direkte Maserninfektion, d. h. Infektion 
mit dem Masernvirus aufzufassen, so kann man sie mit der Endo- 
carditis in eine Reihe stellen. 

Nun wäre freilich noch zu überlegen, ob in den beiden 
Scharlach fällen (der Masernfall steht bei der Schwere der epi- 
typhlitischen Komplikation ja ausser Diskussion) wirklich eine 
echte Epityphlitis, sei es auch im leichtesten Stadium, dagewesen 
ist, oder ob es sich um irgendwelche Reizzustände ohne „organische 
Grundlage“ gehandelt hat. 

Wir kennen die Epitypblitissymptome im Beginn der Pneu¬ 
monie, wo sie mit ihrer überzeugenden Aehnlichkeit mit echter 
Epityphlitis oft genug zu Fehldiagnosen leiten. (Palier, 
Massalongo, Mirande, Barnard, Hennecke 1 ), Martens 2 3 ), 
Melchior 8 ), Ledderhose, Glaserfeld 4 ) u. a. ra.) Aber da 
handelt es sich — abgesehen von den seltenen Fällen von Kompli¬ 
kation echter Epityphlitis und Pneumonie(Glaserfeld, Ben necke, 
Melchior) — lediglich um „Gradierende Schmerzen“, über deren Ur¬ 
sprung wir freilich keine volle Klarheit haben: ob „Ausstrahlungen“, 
ob fortgeleitete Entzündung der Nerven, oder ob, wie Melchior 
es sich denkt und wie in einigen Fällen erwiesen ist, bin und 
wieder eine Pleuritis diaphragmatica vorliegt. Denn es sind 
durchaus nicht immer nur Pneumonien im rechten Unterlappen 
(bei denen diese Momente ja natürlich in Frage kämen), vielmehr 


1) Med. Klinik, 1909, H. 7. 

2) Med. Klinik, 1908, H. 49. 

3) Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., 1909, Bd. 20. — 
Schles. Ges. f. vaterl. Kultur in Breslau, 1. Juli 1910, ref. Deutsche med. 
Wochensehr., 1910, Nr. 51. 

4) Diese Wocheuschr., 1909, Nr. 31. 


gerade oft Oberlappenpneumonien, die durch den pseudoepityph- 
litischen Symptomenkomplex eingeleitet werden, und so müssen 
wir uns mit der Erklärung dieser Erscheinungen bescheiden, ob¬ 
gleich wohl in den Fällen von Pneumonie im rechten Unterlappen 
die nervöse Irradation, fortgeleitete Entzündung oder Pleuritis 
diaphragmatica am wahrscheinlichsten ist. 

Derartige Fälle von „Pseudoepityphlitis“ bei Pneumonie 
(und auch bei anderen Krankheiten) sind wahrscheinlich viel 
häufiger als aus der Literatur hervorgeht. Ich selbst habe drei 
Fälle im Gedächtnis, die mir in diesem Zusammenhang ganz 
kurz zu erwähnen erlaubt sein mögen. 

Den ersten habe ich noch als Assistent an der Münchener 
Universitäts Kinderklinik unter v. Ranke gesehen. Ein drei- bis vier¬ 
jähriges Kind war uns mit der Diagnose Appendicitis? Leberent- 
zündung? geschickt worden. Bei schwerer croupöser Pneumonie 
im rechten Unterlappen fand sich Schmerzhaftigkeit der ge¬ 
schwollenen Leber und der Appendixgegend. Eine eigentliche 
diagnostische Schwierigkeit bestand nicht in diesem Stadium, 
Vielleicht war hier die Stauung die Ursache, bei der Leber gewiss. 

Der zweite Fall betraf das zweijährige Kind eines hervor¬ 
ragenden medizinischen Forschers. Von allem Anfang wurde von 
uns, wie von dem Chirurgen, einer ersten Autorität auf dem 
Epityphlitisgebiet, die Möglichkeit einer Pneumonie erörtert. 
Besonders da neben plötzlicher Temperatursteigerung lediglich 
spontane und Druckempfindlichkeit der Appendixgegend und 
leichte Resistenz ohne Muskelspannung zu konstatieren war. Da 
ja aber bei kleinen Kindern der Palpationsbefund wie auch da» 
Allgemeinbefinden mit den pathologisch-anatomischen Verhält¬ 
nissen oft in krassem Widerspruch steht, wurde dennoch die 
Operation ausgeführt. Diese ergab normalen Appendix und am 
Abend des Operationstages war die Pneumonie zu erweisen. 

Der dritte Fall, dreijähriges Kind, besuchte ambulatorisch 
meine Poliklinik. Anamuestisch: Fieber, Schmerzen in der rechten 
Bauchseite. Daselbst ausgesprochene Druckempfindlichkeit, be¬ 
sonders in der Mac Burnay-Gegend, geringe Muskelspannung, 
Prima vista aber wurde auf das Nasenflügelatmen bin und die 
typische Dyspnöe die richtige Diagnose „Pneumonie“ gestellt und 
durch den physikalischen Befund bestätigt. Uebrigens eine 
croupöse Pneumonie im linken Unterlappen. Nach wenigen Tagen 
waren die epityphlitischen Symptome verschwunden. 

Hier also, wenigstens in den beiden letzten Fällen, konnte 
von einer wirklichen Entzündung des Wurmfortsatzes nicht die 
Rede sein. In ganz anderem Lichte stehen die drei ersten Fälle 
von Scharlach und Masern. Hier ist bei dem ausgesprochenen 
palpatorischen Befund und teilweise der Dauer und der Schwere 
der Erscheinungen ein Zweifel an einer echten entzündlichen 
Affektion des Appendixgewebes durchaus abzulehnen. Alle drei 
sind also als echte Epityphlitiden zu betrachten, die — leicht 
oder schwer — mit dem Scharlach bzw. Masernvirus in engster 
Beziehung stehen. 

Kehren wir zu unserem ersten Scharlach fall zurück, so finden 
wir da noch eine zweite Besonderheit, welche die der Bpi- 
typhlitiskomplikation an Bedeutung erheblich überragt: Das zwei¬ 
malige Erkranken an Scharlach. Dass zweimalige, ja mehrfache 
Erkrankung desselben Individuums an Scharlach Vorkommen kann, 
wurde schon längst behauptet, freilich immer für eine grosse 
Seltenheit gehalten. So von Thomas, Körner, Henoch. Dieser 
letztere hat allerdings bei seiner grossen Erfahrung (von Recidiven 
abgesehen) nur in einem Fall zweimalige Erkrankung gesehen. 
Und Autoren wie Jürgensen und Heubner geben das Vor¬ 
kommen zweimaliger Erkrankung zu, ohne mit eigenen Augen 
beide Erkrankungen beobachtet zu haben. Baginsky wiederum 
hat nicht nur zweimalige Scharlacherkrankung gesehen, vielmehr 
bei einem Kinde dreimal echte Scarlatina beobachtet. Schick 
erwähnt einen Fall von zweimaliger Erkrankung. Fehr nennt 
Zweiterkrankungen „nicht sehr selten“. Am lebhaftesten tritt 
für die Möglichkeit wiederholter Scharlachinfektion v. Szontagh 1 ) 
ein, der ja überhaupt in der Scharlacbauffassung seine eigenen 
Wege geht. Wie die Kontagiosität, so leugnet er die erworbene 
Scharlachimmunität mit grosser Energie, würde also in wieder¬ 
holter Scbarlacherkrankung nichts Besonderes sehen. Er steht 
aber in seiner Auffassung der geschlossenen PbalaDX fast aller 
übrigen Autoren gegenüber. In letzter Zeit hat Weissenberg 2 ) 
über 7 Fälle von wiederholter Erkrankung an Scharlach berichtet. 


1) Jahrb. f. Kinderheilk., 1910, N. F., Bd. 22; 1912, N. F., 26. Er- 
gänzungsbeft. 

2) Archiv f. Kinderheilk., Bd. 52, H. 1 — 3. 


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17. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Nur einen Fall freilich hat er selbst ganz beobachtet, über die 
anderen, die er als Consiliarins sah, wurde ihm durch die 
behandelnden Kollegen von vorausgegangenem Scharlach berichtet. 

Dass der von mir beschriebene Fall die spärliche Kasuistik 
•der wiederholten Scharlacberkrankungen vermehrt, dass also so¬ 
wohl die erste, wie die zweite Krankheit ein echter Scharlach 
war, steht ausser Zweifel. Exanthem und Enanthem waren beide 
Male typisch, die Angina war deutlich, Temperatur und der Ver¬ 
lauf wie die Schuppung beweisen weiter die Natur der echten 
Scarlatina. Dafür spricht auch der positive Ausfall des Rumpel- 
Leede’schen Phänomens bei der Zweiterkrankung. Gegen Rubeolae 
mit scharlacbähnlichem Exanthem sprach die relative Schwere 
der Erkrankung, die dauernd hohe Temperatur um 39° und das 
Fehlen fühlbarer Occipitaldrüsen, auf die hier, wie bei den ver¬ 
schied entliehen Retropharyngitiden sorgfältig geachtet wurde 
{übrigens war das Exanthem allein so typisch, dass Rubeolae un¬ 
möglich angenommen werden kann). Dagegen endlich sprach 
Auch die zweimalige Erkrankung des Bruders, die einmal 
wenigstens ein unverkennbarer Scharlach war. Für die Dukes'sehe 
Krankheit waren gleichfalls die typischen Scharlachsymptome 
beide Male zu stark ausgesprochen, denn die „fourth disease“ ist 
ja in ihrem Bilde ein mehr oder minder rudimentärer Scharlach. 
Es wäre dies ein Fall, für den die sogenannte vierte Krankheit 
.geradezu konstruiert erscheint. Denn nur, um sich von der An¬ 
nahme einer zweimaligen Erkrankung an Scharlach zu wahren, 
würde man hier eine andersartige Krankheit annehmen. Das 
gleiche gilt für das Erythema scarlatiniforme desquamativum 
recidivans, das ohne Angina verläuft und übrigens wohl nicht 
kontagiös ist. 

Auf Leukocyteneinschlüsse, wie sie von Döhle 1 ) für Scharlach 
als pathognomonisch beschrieben, von Kretschmer 2 ) und Nicol 1 
und Williams bestätigt wurden, habe ich nicht untersucht, weil 
diese Gebilde damals nicht bekannt waren. In solchen Fällen 
können die Leukocyteneinschlüsse, rundliche, ovale oder unregel¬ 
mässig halbmondförmige Gebilde von viel geringerer Grösse als 
der Kern, tatsächlich ihre diagnostische Bedeutung haben. Ihre 
Spezifizität für Scharlach freilich ist von Ahmed, Harriehausen, 
Kolmer und Schwenke, die die Einschlüsse auch bei anderen 
fieberhaften Krankheiten fanden, mit Recht bestritten worden; 
immerhin bleiben sie ein wichtiges diagnostisches Hilfsmittel. 
Auch wir haben am Material des Verbandskrankenhauses Berlin- 
Reinickendorf (Prof. F. Klemperer) wie an dem unserer Poliklinik 
auf diese Einschlüsse untersucht, die sich besonders gut und 
leicht mit der auch von Kretschmer angewandten Metbylenblau- 
Boraxmethode oder mit Methylgrün-Pyronin färben lassen. Wir 
fanden die Einschlüsse 3 ) regelmässig bei Scharlach, und zwar am 
reichlichsten in den ersten Tagen, nach der ersten Woche immer 
seltener, in dieser Zeit oft gar nicht mehr, so dass sie zur nach¬ 
träglichen Scharlachdiagnose kaum in Frage kommen. Wir fanden 
die Einschlüsse aber auch fast regelmässig bei Angina und Pneu¬ 
monie, zweimal bei Diphtherie, bei einigen Fällen von reiner Lungen¬ 
tuberkulose, die nicht durch Streptokokkeninfektionen kompliziert 
waren (hier in ca. 50 pCt.), vermissten sie in drei Fällen von 
Typhus. Wir vermissten sie ferner bei Masern, Rubeolen und 
rheumatischen Affektionen, so bei Erythema multiforme ex¬ 
sudativum mit ausgebreitetem Exanthem. Wenn demnach die 
Leukocyteneinschlüsse für Scharlach auch nicht spezifisch sind, 
eo können sie doch diagnostische Bedeutung gewinnen, und zwar 
in derselben Weise, wie ich 4 ) es für das Rumpel-Leede’sche 
Phänomen ausgeführt habe. An sich sind die Leukocyteneinschlüsse 
so wenig wie das genannte Phänomen auf Scharlach beschränkt, 
aber gerade wie dieses fehlen sie bei den Fällen exantbematischer 
Erkrankungen, die mit Scharlach in Differentialdiagnose kommen 
können: bei Rubeolae und Erythema multiforme exsudativum mit 
ncarlatiniformem Exanthem und auch bei Masern (ähnlich äussert 


1 ) Centralbl. f. Bakteriol., 1911, Bd. 61, und 1912, Bd. 65. 

2) Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 46. 

3) Anmerkung während der Korrektur. Döhle hält die 
Einschlüsse für Fragmente von Spirochäten, die die Erreger des Schar¬ 
lachs seien. Dafür spreche auch der positive Ausfall der Wasser- 
«nann’schen Reaktion bei Scharlach. Die Kretschmer’schen Unter¬ 
suchungen sprechen aber gegen diese Ansicht. Gestützt wird sie 
einigermaassen durch unsere und anderer Autoren Erfolge mit Salvarsan 
bei Scharlach (Klemperer und Woita, Lenzraann, Lorey u. a. m.). 
Einen Einfluss des Salvarsans auf das Vorkommen der Leukocyten¬ 
einschlüsse haben wir nicht feststellen können, weil wir nicht genügend 
unbehandelte Kontrollfälle zum Vergleich untersuchen konnten. 

4 ) Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 43. 


Rieh NicolI, vgl. Kretschmer). Gerade in unserem Falle hätte 
also das Auftreten der Einschlüsse die Beweiskette für die 
Diagnose „zweitmalige Scharlacherkrankung“ geschlossen. 

Dass endlich nicht etwa eine Sepsis mit scharlachartigen 
Erscheinungen vorlag, das wird meines Erachtens erwiesen durch 
die Mit- bzw. Vorerkrankung des Bruders Th. v. R. Dieser er¬ 
krankte das erstemal 16 Tage vorher an typischem Scharlach, 
der auch noch von einem „zweiten Kranksein“ (wie Pospischil 
und Weiss 1 ) es nennen) am 15. Krankheitstage gefolgt war: 
Rachenrötung, Lymphdrüsenschwellung, Temperatursteigerung und 
passagere Albuminurie. Das zweitemal erkrankte der Bruder 
13 Tage vorher an einer hoch fieberhaften „Retropharyngitis“. 
Es erscheint mir nicht zweifelhaft, dass nicht nur der jüngere 
Bruder mit dem zweimaligen Auftreten des Scharlachexanthems, 
dass vielmehr beide Kinder zweimal an Scharlach erkrankt sind, 
nur verlief, während vielfach die zweite Erkrankung als schwerer 
bezeichnet wird, bei dem älteren Bruder die zweite Eikrankung 
atypisch, ohne Exanthem; aber die Scarlatina sine exanthemata 
is uns ja wohl bekannt. Es ist sehr die Frage, ob nicht 
häufiger, als wir bisher anuehmen konnten, solche 
versteckten Zweiterkrankungen an Scharlach Vor¬ 
kommen 2 ). 

Für die Richtigkeit dieser Annahme spricht noch folgendes: 
Bei jeder der zwei Infektionen der Kinder erkrankte zugleich 
auch der Vater, und zwar etwa in der Mitte des Intervalls 
zwischen dem Ausbruch der Affektion bei den Kindern, an fieber¬ 
hafter (39,6°) Angina bzw. Pharyngitis mit Allgemeinerscheinungen. 
Es ist sehr wohl möglich, dass der Vater, der als Kind Scharlach 
angeblich überstanden hat, wiederum an einer „larvierten“ bzw. 
mitigierten Scarlatina erkrankt war. Der Beweis dafür ist natürlich 
nicht zu erbringen, wäre es auch nicht, selbst wenn es sicher¬ 
zustellen wäre, dass der Vater den Scharlach von einem Kinde 
auf das andere übertragen hätte, da es ja genug gesunde Zwischen¬ 
träger gibt und bekanntlich auch leblose Gegenstände die In¬ 
fektion vermitteln. Bei der ersten Scharlacherkrankung der 
Kinder ist aber der Vater als Infektionsvermittler sogar mit 
Sicherheit auszuschliessen, da der Uebertragungsmodus deutlich 
ist: Nachdem die Isolierung 12 Tage lang von den sehr vor¬ 
sichtigen und intelligenten Eltern streng durebgeführt war, wurde 
das jüngere, uns hier beschäftigende Kind in Abwesenheit der 
Eltern vom Dienstmädchen in das Badewasser gesetzt, das der 
ältere, scbarlachkranke Bruder eben benutzt batte: Vier Tage 
darauf Ausbruch der Krankheitserscheiuungen. 

Dass trotzdem derartige Halserkrankungen wie bei dem 
Vater nicht etwa nur mit den bei Scharlach sekundär wuchernden 
Streptokokken, sondern vielleicht doch eine larvierte Scarlatina 
ist, dafür gibt folgender Fall mir eine gewisse Wahrschein¬ 
lichkeit. 

Frau Z., 30 Jahre alt, hat als fünfjähriges Kind Scharlach mit 
folgender Nierenentzündung durchgemacht. 

Am 30. und 31. I. 1912 erkranken nacheinander ihre drei Kinder 
an Scarlatina, die bei den ältesten beiden sehr schwer, und zwar bei dem 
ältesten Kinde mit ausgesprochen septischem Fiebertypus verläuft. Am 
23. II. verlässt die Pflegeschwester, nachdem sie mehrere Tage über 
„Influenzabeschwerden“ geklagt, mit Angina (39,2 0 Temperatur) das 
Haus. Irgendwelche Scharlacbphänoraene traten später nicht auf. Am 
14. II. erkrankt Frau Z. selbst mit heftigen allgemeinen Krankheits¬ 
erscheinungen, Angina, ausgebreiteter intensiver Rachenrötung und 
mehrere Tage anhaltender Temperatursteigerung zwischen 38,4 und 39,2°. 
Drei Tage später findet sich im Urin Albumen G /4 pM. Esbach), spezifisches 
Gewicht dauernd 1026 bis 1030. Am 29. und 30. II., also 5—6 Tage 
nach dem Ausbruch der Krankheitserscheinungen, traten erst rechts, 
dann links Ohreuscbmerzen auf, die in intensiver Rötung des Trommel¬ 
fells ihre Begründung finden. Bald darauf vollkommene Heilung. 

Gewiss kanu man auch hier annehmen, dass einfach eine 
heftige Streptokokkeninfektion die Angina verursacht und die 
alte Nephritis wieder angefacht hat; das Hinzutreten der doppel¬ 
seitigen Otitis media catarrhalis aber, wie auch die flammende 
Rachenrötung, rückt die Wahrscheinlichkeit einer echten rudi¬ 
mentären Scarlatina, und zwar einer wiederholten Erkrankung, 
erheblich näher. 


1 ) Ueber Scharlach.jnS. Karger, 1910. — Jahrb. f. Kinderheilk., 
1910, N. F., Bd. 22. 

2) Anmerkung während der Korrektur. Diese Anschauung 
deckt sich mit manchem Gedanken in der übrigens auf ganz anderer 
Basis stehenden Sobarlacbbehandlung v. Szontagh’s (s. dessen höchst 
originelle und interessante Arbeit „Angina-Scharlach“ im Jahrb. f. Kinder¬ 
heilkunde, 1912, N. F., Bd. 26. 

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Gougle 


Original frorn 

UNIVERSUM OF IOWA 





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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 11. 


Zura Schluss will ich nur auf die Möglichkeit hinweisen, 
dass Gesunde bzw. leicht oder doch „nicht spezifisch“ Erkrankte, 
die, wie nun schon mehrfach betont, vielleicht nur die sekundären 
Streptokokken in ihrer Mundhöhle beherbergen, als Bacillenträger 
oder Träger des echten Scharlachvirus die Scharlacherkrankung 
trotz energischer Händedesinfektion, Mantelschutz u. a. m. über¬ 
tragen können. Diesen Dingen auf den Grund zu geheD, wäre 
wohl weiterer Beobachtung wert 


Zur Harnblasenausschaltung wegen Tuber¬ 
kulose. 1 ) 

Von 

Prof. Dr. L. Casper. 

M. H.! Mit der Vorstellung dieses Patienten löse ich ein 
Versprechen ein, das ich vor etwas mehr als einem Jahre 
unserer Gesellschaft gegeben habe 2 ). Ich rekapituliere in aller 
Kürze: 

Dem Kranken habe ich vor 8 Jahren die linke Niere wegen 
vorgeschrittener Nephrophthisis sinistra exstirpiert (Demonstration 
des Präparates). Die Blasenbeschwerden, die vor der Operation 
bestanden hatten, Hessen nach. Der Harn der zurückgebliebenen 
rechten Niere war klar nnd enthielt nur massige Mengen Leuko- 
cyten. Der Kranke erholte sich so, dass er 6 Jahre lang seinem 
schweren Beruf als Schlosser nachging. Anfang 1911 traten von 
neuem heftige Blasenschmerzen auf, unaufhörliche Tenesmen, die 
jeder Therapie trotzten. Der alle Viertelstunde unter qualvollem 
Pressen entleerte Harn war trüb und schmutzig eitrig. Der 
Kranke magerte zum Skelett ab, was nicht wundernimmt, da 
der unbesiegbare Harndrang ihm Tag uud Nacht jede Ruhe 
raubte. 

Bei der traurigen Sachlage und der Unmöglichkeit, dem 
Kranken auf andere Weise Erleichterung zu verschaffen, schaltete 
ich die tuberkulöse Blase ganz aus, indem ich den rechten Ureter 
lumbalwärts in die Haut einpflanzte. 

Der Effekt war ein überraschender: Vom Tage nach der 
Operation waren Harnzwang und Schmerz wie weggeblasen. Der 
beschwerdefreie Kranke nahm in 3 Monaten 12 Pfund an Gewicht 
zu. Ich konnte Ihnen den Kranken damals in diesem Zustand 
zeigen und demonstrieren, dass sich aus dem rechten ein- 
gepflanzten Ureter klarer Harn entleerte, der nur einige 
Leukocyten und Cylinder enthielt. 

Gegen dieses Verfahren erhoben sich aus der Mitte der Ge¬ 
sellschaft drei Bedenken, auf die ich nach Jahresfrist einzugehen 
versprach. 

Erstens wurde geltend gemacht, dass die Punktion der Blase 
der Ausschaltung derselben vorzuziehen sei. Ich kann heute nur 
von neuem vor der Anlegung einer Blasenfistel bei tuberkulöser 
Harnblase warnen. Man erreicht nicht den augestrebten Zweck, 
Schmerz und Tenesmen lassen nicht nach, ja sie steigern sich. 
An Stelle des in gewissen Zwischenräumen auftretenten Harn¬ 
zwangs stellt sich ein unaufhörliches, nimmer weichendes Drang¬ 
gefühl ein. Die tuberkulöse Blase verträgt keinen Fremdkörper, 
als welcher eine Kanüle oder ein Dauerkatheter wirkt. 

Zweitens wurde der Uebelstand hervorgehoben, dass es bisher 
nicht gelungen sei, ein befriedigendes Urinal zu konstruieren. 
Diese Bedenken sind bis zu einem gewissen Grad berechtigt; 
trotz vielfachem Bemühen von seiten des eifrigen Instrumenten¬ 
machers haben wir noch kein Urinal erlangen können, das sicher 
vor dem Nässen schützt. Der Patient bleibt zwar meist trocken, 
aber bei gewissen Bewegungen lässt der Apparat doch einige 
Tropfen Harn vorbeifliessen. In dieser Beziehung muss weiter 
gearbeitet werden. 

Doch alles dies nur nebenbei. Die Hauptsache ist das 
folgende: Es wurde mit Nachdruck betont — was ja auch der 
allgemeinen Anschauung entsprach —, dass jede Niere, die 
durch einen Kanal mit der Aussenfläche verbunden ist, 
verloren sei, dass sie mit Sicherheit der Infektion an¬ 
heimfalle. 

Damals zeigte ich Ihnen den Kranken 3 Monate nach der 
Operation, ohne dass bis dahin eine Infektion der Niere erfolgt 


1 ) Demonstration in der Berliner medizinischen Gesellschaft am 
19. Februar 1913. 

2) Diese Wochenscbr., 1912, Nr. 8. 


war. Ich gab der Meinung Ausdruck, dass ich durchaus nicht 
von der Notwendigkeit des Eintretens einer Infektion überzeugt 
sei, und knüpfte daran die Hoffnung, dass die Niere auch viel¬ 
leicht fürderhin von dem Sichinfizieren verschont bleiben würde. 
Ich bin erfreut, Ihnen heute zeigen zu können, dass sich diese 
Hoffnung erfüllt hat. Es sind jetzt fast Vj 2 Jahre seit Anlegung 
der Ureterhautfistel vergangen. Ich habe heute den Harn der¬ 
selben entnommen, Sie sehen, dass er völlig klar ist. Der vor 
8Tagen gewonnene Harn wurde genau untersucht: er war klar, 
frei von Albumen und zeigte mikroskopisch nur ganz vereinzelte 
Leukocyten, keine Bakterieo. Bei der Aussaat ist nichts als einige 
aus der Luft stammende Kokken gewachsen; der Harn ist 
steril, die Niere hat sich also nicht infiziert. 

Hinzufügen möchte ich zum Schluss noch, dass der Kranke 
nach wie vor beschwerdefrei ist, und dass es ihm verhältnis¬ 
mässig befriedigend geht, er versieht seinen Dienst als Bau¬ 
wächter. 


Aus dem hygienischen Institut der Universität Königs- 
berg(Dir.: Prof. Dr.Kisskalt) und der urologischen Klinik 
und Poliklinik von Privatdozent Dr. Theodor Cohn. 

Klinische und serologische Untersuchungen bei 
Harneiterungen durch Bacterium coli. 

Von 

Dr. Theodor Cohn, und Priv.-Doz. Dr. Hans Reiter, 

Privutilozent für Urologie, Leiter <les l'ntersuchimg^amteä 

am hygienischen Institut. 

(Schluss.) 

Serologische Untersuchungen. 

1. Agglutination. Die Untersuchung der Blutsera dieser 
Patienten auf ihre agglutinierende Kraft wurde geprüft gegenüber 
den aus dem eigenen Harn des Kranken gezüchteten Colibakterien, 
sowie gegenüber den Stämmen anderer Patienten. Sie erfolgte an 
verschiedenen Tagen, an 3—4 Patientenseris, und in 4 Fällen 
wurde auch die agglutinierende Kraft des Normalserums gegen¬ 
über den Colistämmen der Kranken festgestellt. Die Unter¬ 
suchung geschah in folgender Weise: Von den auf Schrägagar 
6—12 Stunden lang gezüchteten Stämmen wurde eine Auf¬ 
schwemmung in Kochsalzlösung angefertigt und in der Menge 
von 0,15 auf Blockscbälchen verteilt. Von dem zu untersuchenden 
Serum wurden Verdünnungen in den aus den folgenden Tabellen 
ersichtlichen Mengen hergestellt, und diese in der gleichen Menge 
von 0,15 den Bacillenemulsionen zugesetzt. Nach gründlicher 
Mischung kamen die Blockschälchen in verdecktem Zustande, so 
dass eine Verdunstung der Flüssigkeit nicht eintreten konnte, in 
den Brutschrank. Nach einstündigem Aufenthalt bei 37° wurden 
die Agglutinationen mit schwacher Vergrösserung 1 :60 unter 
Verwendung des Plattenmikroskops betrachtet. Mit ± ist in den 
Tabellen die Serumverbindung bezeichnet, bei der im Vergleich 
mit der Kochsalzkontrolle gerade noch eine Spur von Aggluti¬ 
nation beobachtet wurde. Diese Bezeichnung gibt also den 
Grenzwert der Titerhöhe des Serums an, wobei zu beachten ist, 
dass die erhaltenen Zahlen eigentlich zu verdoppeln sind, da ja 
die Bacillen in Suspension zugefügt wurden. 

Das Blutserum wurde durch Centrifugieren des frisch aus der 
Armvene mittels Punktion entnommenen Blutes gewonnen. Die 
Colibakterien stammten aus Harnen, die durch Ureterkatheterismus 
aus einer oder beiden erkrankten Nieren aufgefangen waren. Das 
hierbei angewandte Verfahren zur Gewinnung reinen Nierenharnes 
ist dasjenige, welches bereits auf dem ersten Urologenkongress 
empfohlen wurde (8). Es bietet die grösstmögliche Sicherheit 
dafür, dass der aus dem Harnleiterkatheter abfliessende Harn 
weder von aussen noch durch den Blasenharn verunreinigt wird: 
Nachdem das mit dem Ureterenkatheter versehene desinfizierte 
Cystoskop an das Orificium externum urethrae gebracht ist, spritzt 
der Assistent durch den Ureterkatheter andauernd steriles Wasser, 
solange, bis der Katheter in den Harnleiter eingeführt ist; das 
gleiche geschieht mit dem Katheter für die andere Niere, sobald 
er in den Kanal am Cystoskop gesteckt wird. 

Sämtliche 17 Stämme durften mit Sicherheit zur Coligruppe 
gerechnet werden. Es waren gramnegative, die gewöhnlichen 
Anilinfarben leicht annebmende Stäbchen mit abgerundeten Enden 
von mehr oder weniger ausgesprochener Beweglichkeit und obligat 
aerobem Wachstum. Die Entwicklung auf Agar und Bouillon 


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17. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


493 


erfolgte in typischer Weise, sie verflüssigten Gelatine nicht, 
brachten Lackmussmilch in 1—4 Tagen unter deutlicher Rot¬ 
färbung zur Gerinnung, ln Traubenzuckeragar zeigten sie reich¬ 
liche Gasentwicklung. 

Das zum Vergleiche bei vier Colistämmen angewandte Normal¬ 
serum kam von einer Person (HL), welche 27 Jahre alt, zur Zeit 
gesund, nicht nachweisbar an Lues oder Tuberkulose gelitten hat, 
insbesondere frei war von krankhaften Erscheinungen des Darm- 
traktus. Die Serumverdünnung, welche die Stämme der Patienten 
noch deutlich agglutinierte, betrug im Falle Sn. 1: 40, Mn. 1:20 
(80), Fg. 1:40 (80), Fy. 1: IO 1 ). 

Die Sera der Kranken, welche in Gruppen von 2 und 3 
gleichzeitig untersucht und untereinander auf Agglutination ver¬ 
glichen wurden, agglutinierten die verwendeten Colistämme noch 
in folgenden Verdünnungen (siehe Tabelle 1). 


Tabelle 1. 


Nr. 

Patient 

Homologer 

Stamm 

Heterologer 
Stamm a 

Heterologer 
Stamm b 

1 

Br. 

80 

10 


2 

Et. 

40 

40 

— 

3 

Fg. 

80 

40 

10 

4 

Ig. 

20 

20 

— 

5 

Is. 

160 

80 

— 

6 

Ki. 

— 

— 

— 

7 

Ke. 

80 

20 

20 

8 

Ks. 

400 

400 

— 

9 

Lt. 

160 

40 

40 

10 

Mn. 

160 

80 

80 

11 

Mr. 

400 

400 

— 

12 

Pk. 

20 

80 

20 

13 

Re. 

160 

20 

— 

14 

Schk. 

20 

20 

— 

15 

Sehe. 

160 

20 

— 

16 

Sn. 

160 

40 

40 

17 

Sy . 

80 

(320) 

— 


Sy . 

80 

160 

20 


ln der Tabelle 1 bedeuten die Zahlen des ersten Stabes die 
Agglutinationswerte der eigenen Colistämme, die des zweiten 
bzw. dritten Stabes die Agglutinationswerte mit einem heterologen 
Stamm. 

Die hier gefundenen Werte bestätigen im allgemeinen die bisher 
in der Literatur vorliegenden Angaben über das Verhalten der 
Agglutination bei Colibacillosen: 

Das Normalserum zeigte gegenüber fremden Colistämmen einen 
Agglutinationstitre bis zu 80. Schon die erste eingehende Arbeit 
über einen diesen Gegenstand von Rudolf Kraus und Löw (10) 
stellte fest, dass Mensch- und Säugetierserum das Dickdarmstäbchen 
agglutiniere. Auf Grund einer Zusammenstellung eigener Be¬ 
obachtung an Menschen fand Kraus einen Wert von 1:60, für 
heterologe Stämme Stern (12) und Bieberstein (11) einen 
solchen von 1: 60. Aebnliche Werte geben de Haan (23), Mahler 
Fischera (27) und di Donna (21) an. Andere Autoren fanden 
für die Normalagglutination viel höhere Werte. Blumenthal 
und Hamm (13) 1:100; als diagnostisch verwertbar nehmen sie 
eine Titerböhe von 1:260 an. Geisse (17) beobachtete eine 
Normalagglutination von 1:300, Klieneberger (14) sogar bei 
manchen Normalseris eine Agglutination von 1 : 2660. 

Ebenso ist die sich aus unseren Beobachtungen ergebende 
Tatsache, dass verschiedene Stämme verschieden stark zusammen¬ 
geballt werden, nur eine Bestätigung von Untersuchensergebnissen 
anderer Autoren: Kraus und Admirazibi (20), Burck (19), 
di Donna (21). Unter seinen 20 Fällen von Coliinfektionen, die 
er serodiagnostisch untersuchte, hatte Widal (15) 10 Harn¬ 
eiterungen zu verzeichnen, nur drei von diesen, welche jahrelang 
erkrankt waren, wiesen eine agglutinierende Wirkung auf, und 
zwar nicht nur für homologe, sondern auch für heterologe 
Stämme. 

Von den 17 von uns gemeinschaftlich untersuchten Fällen 
zeigten 3 gegenüber dem homologen Stamm eine geringe Aggluti¬ 
nationskraft, nämlich 1 :20, also eine geringere, wie sie von 
Kraus u. a. als normal angegeben wird. Einer dieser Fälle (Pk.) 
agglutinierte einen heterologen Stamm 1:80, die gleiche Er¬ 
scheinung zeigte sich bei dem Fall Sy., der zwar den eigenen 


1) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Werte bei einer zweiten 
Untersuchung an einem anderen Tage. 


Stamm etwas stärker (1: 80), einen fremden Stamm aber doppelt 
so stark agglutinierte (1:160). Die übrigen 13 Sera zeigten 
Werte von 1:180 bis 1:640, und zwar dem eigenen Stamme 
gegenüber höhere als gegenüber dem oder den fremden Stämmen. 

Es musste von klinischem Interesse sein, festzustellen, ob 
die Stärke der Agglutination in einem Zusammenhänge mit der 
Vorgeschichte, dem gegenwärtigen Zustande des Kranken, mit der 
Stärke der Infektion und dem Verlaufe der Krankheit stand. 

Die schwächste Eigenagglutination zeigte der Fall Jg., eine 
60 jährige Patientin, welche 1892 luetisch geworden, 1900 die 
ersten Zeichen einer Lues cerebri darbot, seit 1904 an der Coli- 
infektion des Harntraktes litt und August 1912 an einer Encephalo- 
malacia luetica zugrunde ging. Frau Pk., welche September 1912 
nach halbjähriger Beobachtung einen bakterienfreien Harn ent¬ 
leerte, hat eine beiderseitige Spitzenaffektion, ist anämisch. 
Fräulein Schk., 37 jährig, virgo, seit Mai 1911 in Behandlung, 
zeigte zu Beginn eine Glykosurie; letztere ging auf antidiabetische 
Kost nach 6 Wochen zurück, ohne seitdem wiederzukebren; sie 
fühlt sich wohl bis auf ein mehr oder weniger beschwerliches 
Gefühl von Brennen an der äusseren Harnröhrenmündung. Ihr 
Harn enthält noch immer Bakterien 1 ). 

Die Fälle mit schwachen Agglutinationen haben also klinisch 
nur insoweit verwandte Merkmale, als sie ausser der Coliinfektion 
noch unter Einwirkung anderer pathologischer Momente stehen: 
Lues, Tuberkulose, Neigung zur Glykosurie. Es liegt jedoch keine 
Berechtigung vor, diese ungenügende Antikörperproduktion allein 
auf die genannten Momente zu beziehen, da ja ähnliche Zustände 
auch bei der Patientin vorliegen, deren Agglutinationswerte an 
höheren Stellen der Skala stehen. 

Diejenigeu Sera, welche bei der weitgehendsten Verdünnung 
agglutinierten, gehören Kranken an, welche dauernd Leukocyten 
und Bakterien ausscheiden, sie sind aber dabei frei von sub¬ 
jektiven Beschwerden und spüren nichts von dem krankhaften 
Zustande ihres Harnes. Ebenso verhält sich aber der Fall Schk., 
welcher 1: 20 agglutiniert. 

An dieser Stelle sei auch einiger Beobachtungen gedacht, 
die bei Gelegenheit von Versuchen, welche unter anderen Gesichts¬ 
punkten angestellt waren, der eine von uns (Reiter) machen 
konnte: Es waren verschiedene Kaninchen mit verschiedenen Coli¬ 
stämmen wiederholt vorbehandelt worden. Die Tiere wurden nach 
Abschluss der Immunisierung in ihrem agglutinatorischen Ver¬ 
halten gegen den zur Immunisierung verwandten Colistamro, 
ausserdem aber noch gegen diejenigen Colistämme geprüft, welche 
nicht zur Immunisierung des betreffenden Tieres gedient hatten. 
Das Ergebnis war das folgende (siehe Tabelle 2). 

Bei 4 Tieren wurde nach ungefähr 4 Wochen diese Unter¬ 
suchung noch einmal wiederholt und ergab folgendes (hier sind 
die Unterschiede, weil bis zum Ende titriert wurde, stärker aus¬ 
gesprochen): 


Tier 2 4- Stamm 56 

2000 4 

Tier 4 -+- Stamm 

30 

3000 4 


a 

2000 4 


30b 

4000 4 

n 

21 

1000 + 

79 

73 

2000 ± 

j) 

X 

2000 4 


jaj 

2000 ± 

j> 

y> 

» 

n 

30b 2000 4 
30 2000 4 

73 1000 4 

24 2000 + 

79 

33 

X 

21 

56 

3000 4 
3000 4 
3000 4 
3000 4 

„ 

i45| 

2000 ± 

79 

45 

4000 4 


33 

2000 ± 

79 

24 

3000 ± 

Tier 9 -f- Stamm 

45 

6000 4 

Tier 11 + Stamm 

24 

6000 44 

79 

33 

6000 4 


56 

6000 4 4 

79 

30 

3000 4 


30 

6000 4 + 


30b 

2000 4 


73 

3000 4 

79 

21 

2000 4 


33 

6000 44 


!x| 

4000 4 

» 

a 

6000 44 


73 

3000 4 

, iS0b| 

6000 ± 


56 

8000 4 


45 

6000 4 4 

79 

a 

2000 4 


21 

3000 4 

79 

24 

2000 4 

» 

X 

6000 4 


Wie aus dem Ergebnis ersichtlich, gelingt es durch Immuni¬ 
sierung mit einem einzigen Colistamm, einen relativ hohen 
Agglutinationstiter gegen mehrere Colistämme zu erzeugen. Die 
erreichte Höhe des Titers scheint im wesentlichen von der Indi¬ 
vidualität des Versuchstieres abhängig zu sein. Bei dem Ergeb¬ 
nisse fällt jedoch die Tatsache auf, dass oft die Tiere gegen 
heterologe Colistämme einen höheren Titer ausbildeten, als gegen 


1) Ist seit Februar d. J. steril. 


5 


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Gck igle 


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494 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 11. 


Tabelle 2. 


•o B 

. ® 
££ 

Stamm 24 

Stamm 45 

Stamm a 

Stamm 33 

Stamm 73 

Stamm 56 

Stamm x 

Stamm 80 

Stamm 30 b 

Stamm 21 

1 

2000 -H- 

2000 ++ 

2000 =b 

2000 -f-f 

2000 =t 

2000 b 

2000 =fc 

2000 ± 

2000 db 

2000 ++ 

2 

2000 ± 

1000 =fc 

2000 =fc 

2000 db 

1000 ± 

1000 =b 

1000 

2000 ± 

1000 =b 

1000 db 

4 

2000 ++ 

2000 ++ 

2000 -f+ 

2000 ± 

2000 +-}- 

i 2000 ++ 

2000 =t 

2000 ± 

2000 ++ 

2000 ++ 

5 

2000 =fc 

2000 =fc 

2000 d~ 

2000 ± 

2000 =1= 

1 2000 =t 

2000 db 

2000 dtz 

2000 =b 

2000 =t 

7 

2000 ± 

2000 =b 

2000 ± 

2000 =t 

2000 ± 1 

2000 =fc 

2000 -f 

2000 =4= 

2000 + 

i 2000 -f 

8 

1000 db 

2000 db 

2000 =fc 

1000 ± 

2000 ± 

1 2000 ± 

1000 =fc 

1000 ± 

1000 ± 

2000 db 

9 

2000 ++ 

2000 =fc 

2000 ++ 

2000 ++ 

2000 ± 

2000 =*= 

2000 dt= 

2000 =4= 

2000 db 

2000 -F-F 

10 

2000 ++ 

2000 ++ | 

2000 db 

2000 -f-+ 

2000 =b 

| 2000 4~F 

1 2000 ++ 

2000 ++ 

2000 ++ 

2000 -F+ 

11 

2000 =t 

2000 ++ 

1 

2000 =t 

2000 =t 

2000 ± 

2000 =fc 

j 2000 ± 

1 

2000 ++ 

2000 ± 

2000 d= 


den bei der Immunisierung verwendeten Stamm. Immerhin scheint 
es bemerkenswert, dass Tiere, die mit einer umfangreichen Pro¬ 
duktion von stammspezifischen Antikörpern die Zuführung des 
Antigens beantworten, auch die Erzeugung von heterologen Anti¬ 
körpern, d. h. von Antikörpern gegen Colistämme, die nicht zur 
Immunisierung verwendet wurden, leichter zu bewirken scheinen. 

Wir haben bei dieser Konstatierung eine völlige Analogie 
mit den in unseren klinischen Fällen zu beobachtenden Befunden, 
und es erscheint uns durch die experimentell bewirkten Erschei¬ 
nungen an an und für sich gesunden Tieren, die ja nicht an einer 
Coliinfektion erkrankt sind, um so leichter verständlich, dass das 
Patientenserum einen anderen Colistamm als den krankmachenden 
in höherem Maasse beeinflusst. Vielleicht müssen wir zur Er¬ 
klärung dieses Befundes auch die Ansicht von Wright berück¬ 
sichtigen, der annimmt, dass eine Infektion nur dann eintritt, 
wenn der Organismus sich gegenüber dem betreffenden Infektions¬ 
erreger in einem verminderten Verteidigungszustand befindet, wenn 
er also in einem Vergleich zum normalen Menschen eine Herab¬ 
setzung des Antikörpertiters aufweist. 

Hierauf begründet sich bekanntlich auch die von Wright, 
wenn nicht inaugurierte, so doch für die Praxis geeignet gemachte 
aktive Immunisierung mit abgetöteten Bacillen. Er will hierbei das 
Vakuum an Schutzstoffen, das sich in gewisser Beziehung vielleicht 
mit unseren heutigen Begriffen der Disposition deckt, durch Heran¬ 
ziehung von Körperzellen zur Antikörperproduktion, welche von 
dem spezifischen Erreger der Krankheit noch am wenigsten ge¬ 
schädigt sind, ausfüllen. 

Da jedoch infolge des Vorhandenseins lebender Infektions¬ 
erreger in dem Organismus der Körper einer spezifischen Um¬ 
stimmung unterzogen wird, so kann man sich andererseits er¬ 
klären, warum nun dieser Körper bei einer Behaudlung mit den 
krankmachenden Keimen Antikörper leichter gegen heterologe 
Stämme der infizierenden Art bildet, nicht aber imstande ist, 
gerade gegen den infizierenden Keim sich in der gleichen Weise 
zu wehren. Unter Berücksichtigung der im Tierversuch uns oft 
begegneten Verschiedenheiten in der Reaktionshöhe erscheinen 
uns so die im ersten Moment absurd vorkommenden Befunde 
sehr leicht erklärlich. 

Bei allen Fällen wurde ferner der opsonische Index bestimmt, 
und zwar nach derjenigen Methode, welche H. Reiter ausführ¬ 
lich angegeben hat 1 ). 

Zur Feststellung des normalen phagocytischen Index diente 
das Blut der gleichen Person wie bei den Agglutinationsprüfungen. 
Der opsonische Iudex wurde sowohl gegenüber den homologen als 
auch einem oder zwei heterologen Stämmen ermittelt. Die Re¬ 
sultate der Untersuchungen sind in folgender Tabelle 3 zusammen¬ 
gestellt. 

In dem Untersuchungsergebnis fällt auf, dass die Patienten, 
welche einen relativ niedrigen opsonischen Index gegenüber dem 
homologen Stamm aufwiesen (Pk., Et., Schk., Jg., Sy., Kl., Lt., 
Mn.), meistens eine quoad vitam schlechte Prognose hatten 
(vgl. Krankengeschichten am Beginn der Arbeit). Nur ein Fall (Kl.) 
bildet eine Ausnahme, weil er beschwerdefrei und mit bakterien¬ 
freiem Harn entlassen werden konnte und auch sonst keine nach¬ 
weisbaren Schädigungen seiner Gesundheit darbot. 

Fünf Fälle (Pk., Et., Schk., Jg., Sy.) zeigten ferner die ge¬ 
meinschaftliche Eigentümlichkeit, dass sie mit heterologen Stämmen 
einen höheren opsonischen Index ergaben als mit dem eigenen 
Stamm; eine Ausnahme bildet nur der Fall Jg. 

Ein Vergleich der nach -absoluten Werten geordneten Reihen 
der Agglutinations- und opsonischen fahlen lässt erkennen, dass 

r_— t - r i 

1) Deutsche med. Woohenschr., 1910, Nr. 52. 


Tabelle 3. 




1 

* 1 

(Phagocyti- 

(Phagocyti- 

(Phagocyti- 



V« 


scher) und 

scher) und 

scher) und 


s 

cs 

Jz; 

je 

a> 

O) 

O. 

opsonischer 
Index gegen 

opsonischer 
Index gegen 

opsonischer 
Index gegen 

Bemerkungen 


> 

5 

<V 

homologe 

heterologen 

heterologen 




H 

Stämme 

Stamm a 

Stamm b 


Siwon 

Flmg. 

— 

— 

(565) 4,20 

(760) 4,36 

Matt. (40) 
0,80 

Matt. (58) 
1.16 

Flmg. (400) 
1,60 

Siwon (655) 
4,88 

/ Siwon 134, 

> Mattem 50, 

\ Flmg. 250. 

Solty 

Matt. 

-j 

- 

(56) 1,22 

(352) 1,60 

Matt. (272), 

1 23 

Solty (54) 1,17 

Flmg. (470) 
1,44 

Flmg. (275) 
0,84 

1 Solty 46, 

> Mattera220, 

1 Flmg. 326. 

Scbm. 

_ 

_ 

(1380) Aggl. 

Jung (250) 

_ 

{ Schm. 642, 




2,14 

1,14 


Jung 

— 

— 

(260) 1,19 

Schm. (650) 

— 

( Jung 219. 




1,00 


) 

Ruske 

— 

— 

(1120) Aggl. 
3,30 

Ehl. (5)0,24 

— 

/ Ruske 339, 

Ehl. 

1 

— 

(20) Aggl. 

Rüske (1380) 

— 

( Ehlert 21. 




1,00 

4,07 


) 

Schk. 

— 

— 

(56) 1,11 

Solty (640) 
6,40 

— 

/ Schk. 50, 

Solty 

— 

— 

(270) 2,70 

Schk. (76) 

— 

{ Solty 100. 




1,52 



Bckr. 

_ 

_ 

(660) 6,62 

Ilias (30) 

_ 

! Becker 98, 




0,31 

1 

Ilias 

_ 

_ 

(1060) 11,15 

Becker (540) 

— 1 

( Ilias 95. 




5,51 ? 


J 

Kurs 

— 

— 

I starke Harn 

agglutination, 

— 

( Müllbr. 52, 




nicht zählbar 


Mllb. 

— 

— 

(1930) Aggl. 

Kurs (250) 

— 

f Kurs 650. 




37,11 

0,39 


) 

Ksch. 

— 

— 

(515) 1,39 

Par. (340) 

Ldgk. (220) 


Ldgk. 

Par. 

- 

- 

(325) 1,41 

(650) 0,37 

0,19 

Par. (770) 
0,43 

Ldgk. (250) 

0,95 

Ksch. (480) 

1 29 

Ksch.’ (210) 

Ksch. 372, 
Par. 1770, 
Ldgk. 230. 





1,08 

0,56 



ein Parallelismus nur in gewissem Sinne besteht. Andere Autoren 
haben zwischen den Ergebnissen beider Untersuchungsmethoden 
eine grössere Uebereinstimmung gefunden. 

Bei den meisten der beobachteten Kranken wurden schliess¬ 
lich auch die Untersuchungen des Blutserums auf Komplement¬ 
ablenkung vorgenommen. Zunächst erfolgte in jedem Falle die 
Feststellung der ablenkenden Wirkung des Antigens für sich 
allein: die Herstellung des letzteren geschah in der Weise, dass 
eine Agarschrägkultur des betreffenden Stammes, 24 Stunden alt, 
mit 1 ccm Kochsalzlösung abgeschwemmt und eine Stunde bei 
56° abgetötet wurde. Von der Aufschwemmung wurden ein- und 
10 proz. Emulsionen hergestellt und ermittelt, welche Menge 
hiervon eben noch völlige Hämolyse veranlasste. Die Hälfte 
dieser lösenden Dosis gelangte bei dem eigentlichen Komplement¬ 
ablenkungsversuch zur Verwendung. Es sei noch erwähnt, dass 
sowohl der Amboceptor als auch das Komplement vorher titriert 
wurden. 4 Wie aus der folgenden Tabelle 4 hervorgeht, gelang in 
fast allen Fällen der Nachweis fon kbmplementbindenden Anti¬ 
körpern im Serum. Vergleichende Untersuchungen ergaben, dass 
das homologe Serum auch in den meisten Fällen stärker ablenkte 


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17. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


495 


als ein heterologes. Die beiden Kranken Schk. und Lt., welche 
bei geringen nnd fehlenden subjektiven Beschwerden dauernd 
Bacterium coli im Harn führen, zeigen die stärkste Ablenkung. 


Tabelle 4. 


Antigen 

Serum 

0,2 

0,1 

lO 

o 

o 

0,02 

0,01 

Sekk. 

Schk. 

±_ 

+ 

+ 

± 

+ 

ff 

Sy. 

± 

■ ± 

± _ 

+ 

+ 

Sy. 

» 

+ 

+ 

+ 

+ 

+ 


Schk. 

+ i 

+ 

4- 

+ 

+ 

Ks. 

Ks. 

+ 

+ 

+ 

+ 

+ 

» 

Mr. 

+ 

+ 

+ 

+ 

+ 

Mr. 

» 

+ 

± 

+ 

+ 

+ 

» 

Ks. 

+ 

T 

+ 

+ 

+ 

Ki. 

Ki. 

+ 1 

-f 

+ 

+ 

+ 

ff 

Kl. 

+ | 

+ 

+ 

+ 

+ 

Kl. 


¥ i 

+ 

+ 

+ 

+ 


Ki. 

+ 

+ 

+ 

+ 

+ 

Lt. 

Lt. 

+ 

+ 

+ 

+ 

1 + 


pk. 

5 


+ 

+ 


Pk. 

f) 

+ 

+ 

+ 

+ 

! + 


Ki. 

+ i 

+ 

+ 

0 



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— 37. Lenhartz, Münchener med. Wochenschr., 1907, Bd. 54, Nr. 16, 
S. 761. — 38. Lavels, Münchener med. Wochenschr., 1910, Bd. 59, 
Nr. 40, S. 2,116. — 39. Albeck, Bakteriurie und Pyurie bei Schwan¬ 
geren und Gebärenden. Zeitschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., 1907, Bd. 60, 
S. 466. — 40. Kermauner, Zur Beurteilung der Pyelonephritis der 
Schwangeren, Zeitschr. f. gynäkol. Urol., 1911, Bd. 2, H. 6. — 
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zündlichen Prozesses im Nierenparenchym bei der aufsteigenden Pyelo¬ 
nephritis. Archiv f. klin. Chir., 1912, Bd. 97, H. 1. — 42. A. Tietze, 
Die pyogene Niereninfektion. Diese Wochenschr., 1912, Bd. 49, Nr. 2 , 
§. 49. — 43. J. W. Walke/, Akute Pyejjtis, Pyelonephritis, suppura¬ 
tive Nephritis. The Practitioner, Mai 1911. 


Aus der II. chirurgischen Abteilung des städtischen 
Rudolf Virchow-Krankenhauses zu Berlin (Professor 
Dr. M. Borchardt). 

Die postoperative Parotitis. 

Uebersichtsreferat über die Arbeiten von 1904—1912. 

Von 

Dr. Bruno Valentin, Assistenzarzt. 

Bis zum Jahre 1904 war zwar das Krankheitsbild der post¬ 
operativen Parotitis seit etwa 25 Jahren bekannt, aber da man 
sie bisher fast nur nach Ovariotomien batte auftreten sehen, lag 
es nahe,tlie inneren Beziehungen zwischen Genitalien und Parotis — 
die ja auch sonst sicher bestehen — dafür verantwortlich za 
machen, und man hatte so eine vollständig befriedigende Er¬ 
klärung. Sei es nun, dass man von chirurgischer Seite ans erst 
durch die Gynäkologen auf diese Komplikation aufmerksam ge¬ 
macht worden war, oder dass wirklich die postoperative Parotitis 
öfter auftrat als früher, kurz, die seit dieser Zeit veröffentlichten 
Fälle sind weit mehr nach chirurgischen Eingriffen, meist am 
Magen-Darmkanal, als nach gynäkologischen Operationen aufge¬ 
treten. Vielleicht ist auch die Krankheit, sei es dnrch verbesserte 
Technik oder durch irgendwelche anderen Umstände, seltener ge¬ 
worden; Hannes z. B. sab die postoperative Parotitis nur äusserst 
selten bei gynäkologischen Operationen, in den letzten 8 Jahren 
-nur zweimal, wobei noch der eine Fall wahrscheinlich als epide¬ 
mischer Mumps aufzufassen ist. Zwar ist schon vor dem Jahre 
1904 ganz vereinzelt, und dann als Nebenbefund, z. B. nach 
Mammaamputation, Gastrojejunostomie nsw., das Auftreten einer 
postoperativen Parotitis notiert, aber erst seit der Arbeit Wagner’s, 
der in der Eiselsberg’schen Klinik in Wien fünf Fälle im Verlauf 
von 2i/ a Jahren beobachtet bat, und der genau auf die Pathologie 
und Aetiologie dieser Krankheit einging, erst seit dieser Arbeit 
mehren sich die meist kasuistischen Beiträge. Aber das mag 
gleich vorweg betont werden: etwa9 wesentlich Neues, vor allem 
in der heute noch unklaren Ursache dieser Krankheit, konnten 
alle diese späteren Arbeiten, auch die experimentellen von fran¬ 
zösischer Seite, nicht beibringen, es sei deshalb nochmals zur 
genaueren Orientierung über das Thema anf die Arbeit Wagner’s 
hingewiesen. 

So eindeutig nnd eng umgrenzt anch der Begriff der post¬ 
operativen Parotitis schon durch den Namen zu sein scheint, so 
wenig fest steht bei den verschiedenen Autoren das, was sie noch 
zu dieser Komplikation rechnen. Dass die epidemische Parotitis, 
der Mumps, von vornherein ganz auszuschliesseu ist, versteht sich 
von selbst. Während aber Wagner streng alle Fälle als nicht 
hierher gehörig ausmerzen will, bei denen irgendwo im Körper ein 
Eiterungsprozess vorhanden ist, also nur reine, aseptische Ope¬ 
rationen gelten lässt, hält Orthner diese Auffassung für falsch 
und für zu weit gegangen, und das unserer Meinung nach mit 
Recht, denn es lässt sich doch niemals jede Möglichkeit einer 
Eiterung im Operationsgebiet ausschliessen, als Beweis hierfür 
mag der eigene Fall (4) Wagner’s dienen, wo es sich um eine 
Cholecystektomie wegen Cholelithiasis und Cholecystitis mit He- 
paticusdrainage handelte; auf jeden Fall ist doch hier sicher in 
hohem Maasse die Möglichkeit einer Infektion gegeben, ganz ab¬ 
gesehen von den anderen, von ihm angeführten Fällen von post- 
operativer Parotitis hei Carcinoma oesophagi, Carcinoma ventriculi, 
Carcinoma coli transversi nsw. Und noch ein Umstand ist hier 
in Betracht zu ziehen: Wagner schaltet alle Fälle von post¬ 
operativer Parotitis nach Appendicitis ans, es ist doch aber nicht 
einznsehen, warum es sich z. B. bei einer in den ersten 24 Stunden 
operierten Appendicitis am einen „pyämischen Prozess 44 handeln 
soll. Wir beobachteten einen 33 jährigen Patienten, der drei Tage 
nach einer Appendektomie (erster Anfall 14 Stunden alt, Appendix 
zeigt injizierte Serosa nnd ganz frische Fibrinbeläge) fieber- und 
beschwerdefrei war, am vierten Tage plötzlicher Temperaturanstieg 
und Schwellung der linken Parotis, die später vereiterte, die 
Bauchwunde dagegen heilte per primam. Wir haben also im 
folgenden alle Parotitiden berücksichtigt, die im Anschluss an 
irgendeinen vorgenommenen Eingriff, sei dieser nun in eitrigem 
oder nicht eitrigem Gebiet erfolgt, auftrateD. 

Um in Kürze das klinische Bild zu skizzieren, so beginnt die 
Krankheit im Durchschnitt fünf bis sechs Tage post öperationem 
unter schwerer Störung des Allgemeinbefindens und fast stets 
unter hohem Temperaturanstieg mit Schmerzen und Schwellung 
einer Parotisgegend, nachdem die Temperatur vorher ganz normal 

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496 


Nr. 11. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


und die Patienten vollkommen wohl gewesen waren. Zwei bis 
vier Tage später erkrankt oft auch noch die andere Seite. Die 
Schwellung nimmt in den nächsten Tagen noch zu, so dass das 
Gesicht das für Mumps charakteristische Aussehen annimmt, das 
Ohrläppchen ist stark in die Höhe gehoben. Mit der Zunahme 
der Schwellung mehren sich auch die Beschwerden, das Schlucken 
wird, ebenso wie jede Kieferbewegung, ängstlich vermieden. Diese 
Erscheinungen steigern sich noch drei bis vier Tage, dann geht 
die Schwellung entweder — seltener — spontan zurück, oder 
aber es kommt — was meistens der Fall — zur Eiterung, und 
zwar kann man diese von aussen oft nicht mit Sicherheit nach- 
weisen, da die Parotis ja bedeckt ist von der straffen Fascia 
parotideo-masseterica, so dass der Eiter oft, wenn ihm nicht recht¬ 
zeitig Abfluss verschafft wird, in den Gehörgang durchbricht. 
Damit kann der Prozess, eventuell unter Nekrose grösserer Drüsen¬ 
abschnitte, sein Ende erreicht haben und zur Ausheilung kommen, 
oder aber die Eiterung geht weiter und breitet sich entweder 
nach der Schädelhöhle oder nach dem Hals und dem Thorax 
zu aus und hat so den Exitus zur Folge. 

Interessant ist, dass bei den Franzosen die Krankheit für viel 
harmloser gilt wie bei uns; so hält Tuffier die Prognose für 
gut und glaubt, dass es sehr selten zur Abscessbildung kommt, 
abgesehen von den Fällen, die im letzten Stadium einer septischen 
Infektion Vorkommen. Entsprechend der Prognosenstellung der 
Franzosen ist auch ihre Therapie eine konservative, d. h. sie 
drücken die Drüse zwei- bis dreimal am Tage aus und üben so 
eine Massage des Ductus stenonianus aus, ein Verfahren, das in 
Deutschland weniger Anhänger gefunden bat, als es vielleicht 
verdiente; Walther dagegen hat stets gute Resultate mit dieser 
Methode, die er seit langem anwendet, erhalten. Del bet schätzt 
sogar, dass man in zwei Dritteln der Fälle die Operation vermeiden 
kann, Gary sah in einem Falle fünf Tage nach einer Bruch¬ 
operation eine doppelseitige Parotitis, die durch vierstündlich 
wiederholtes Ausdrücken der Drüsen nach einer Woche zur Heilung 
kam, ebenso denken Bazy, Reynier und Morestin, der sogar 
angibt, dass die postoperative Parotitis meist ohne jede ernstliche 
Behandlung heilt. Sei es nun, dass die Krankheit in Deutschland 
von vornherein schwerer auftritt, oder dass die spontan zurück¬ 
gehenden Fälle nicht weiter beachtet, vor allem nicht publiziert 
wurden, kurz, die Tatsache bleibt bestehen, dass in fast allen 
deutschen Publikationen die Abscedierung der Drüse ausdrücklich 
notiert wurde, indem entweder der Eiter in den Gehörgang 
perforierte oder ihm nach aussen Abfluss verschafft wurde. 
Auch in den zwei von uns beobachteten Fällen war das 
Krankheitsbild ein recht schweres; der eine schon oben er¬ 
wähnte ging nach der Inzision und nachdem dem Eiter Abfluss 
verschafft war, in Heilung aus, während bei dem anderen 
Fall, einer 88 jährigen Frau in elendem Ernährungszustände 
mit Kotfistel nach eingeklemmter, nach aussen perforierter 
Hernie, bei der das Drüsengewebe der Parotis fast in ganzer Aus¬ 
dehnung eitrig eingeschmolzen war, später der Exitus erfolgte. 
Natürlich wird man in den ersten Tagen, wenn die Schwellung 
noch nicht so hochgradig ist, zuerst mit feuchten Umschlägen, 
eventuell Bier’scher Stauung, die in dem Falle von Kulka zu¬ 
sammen mit einer Stichinzision zur prompten Heilung führte, den 
Prozess zur Resorption zu bringen versuchen. «Zeigt der Prozess 
keine Neigung zum Rückgang, steigern sich vielmehr Fieber, 
Schwellung und Beschwerden, so greife man ohne Zögern zum 
Messer, auch wenn an den zugänglichen Partien Fluktuation noch 
nicht sicher nachweisbar ist (Küttner).“ 

Diese Gegenüberstellung der verschiedenen Ansichten der 
französischen Autoren auf der einen und der deutschen auf der 
anderen Seite zeigt schon, dass das ganze Krankheitsbild kein 
fest umgrenztes ist, noch vielmehr aber ist dies der Fall in be¬ 
zug auf die Aetiologie der postoperativen Parotitis. Hier stehen 
sich zwei Ansichten schroff gegenüber: 1. die Infektion auf dem 
Blutwege und 2. die Infektion vom Munde her durch den Ductus 
parotideus. Dass die älteren Autoren, die ja nur die Parotitis 
nach gynäkologischen Eingriffen kannten, ungezwungen mit den 
inneren Beziehungen zwischen Ovarien und Speicheldrüsen das 
Eutstehen der postoperativen Parotitis zu erklären meinten, war 
schon oben erwähnt, dass aber auch heute noch dieser Zusammen¬ 
hang eine gewisse Prädisposition für die Infektion der Drüse 
schaffen kann, ist zweifellos; nur muss man sich eben klar sein, 
dass es nicht mehr als eine Prädisposition ist, und dass doch 
andere Momente für das Zustandekommen der Parotitis im Vorder¬ 
gründe stehen müssen. , Um die Beziehungen zwischen beiden 
Organen zu zeigen, sei hier der Fall Peters’ erwähnt, der bei 


einer vorher normal menstruierten Frau ein plötzliches Zessieren 
der Menses und eine recidivierende Anschwellung der Parotis an 
Stelle derselben beobachtete, auch der von Rives erwähnte Fall, 
wo nach Einlegen eines Pessars eine Parotitis sich entwickelte, 
gehört wohl hierher. 

Bis zum Jahre 1908 war die Ansicht Wagner’s geltend, der 
sehr einleuchtend und plausibel der Infektion vom Munde her 
das Wort redete. Die Veranlassung für die Einwanderung patho¬ 
gener Keime von der Mundhöhle aus bildet nach ihm das längere 
Sistieren der Speichelsekretion- während der Laparotomie, eine 
Tatsache, die durch die interessanten Versuche Pawlow’s be¬ 
stätigt wurde. Pawlow untersuchte die Speichelsekretion der 
Submaxillardrüse und fand eine starke Herabsetzung derselben 
nach Eröffnung der Bauchhöhle und Vorziehen einer Darmschlinge, 
und zwar je länger die Laparotomie dauerte, desto grösser wurde 
die Hemmungswirkung. Man kann sich sehr wohl vorstellen, 
dass, „solange der Strom des Speichels aus den Drüsen in die 
Mundhöhle abfliesst, durch die beständig nach aussen gehende 
Spülung den Keimen das Eindringen in die Ausführungsgänge 
und durch dieselben in die Drüsen unmöglich sein wird. Anders 
aber wird es, wenn dieser Strom versiegt. Dann haben die Bak¬ 
terien Gelegenheit, sich reichlich zu entwickeln. Gleichzeitig aber 
können die an den Mündungsstellen der Ausführungsgänge nun 
massenhaft vorhandenen Keime, da sie nicht mehr durch den be¬ 
ständigen Strom nach auswärts fortgeschwemmt werden, das 
Sekret der Drüsen sich vielmehr in retrograder Richtung staut, 
mit diesem in das Innere der Drüsen gelangen (Wagner)“. Nun 
kommen zwar die postoperativen Parotitiden am häufigsten nach 
Laparotomien vor, immerhin gibt es doch eine Anzahl sicher be¬ 
obachteter Fälle, wo die Bauchhöhle gar nicht berührt wurde, 
z. B. nach Häraorrhoidaloperation, Mammaamputation usw.; auf 
diese nun lassen sich die Pawlow’schen Untersuchungen nicht 
anwenden, sondern man kann hier entweder in der Chloroform¬ 
narkose selber, die ja nach Berth direkt zur Lähmung der 
Speicheldrüsen führt, oder aber in der der Hypersekretioa bei 
der Aethernarkose folgenden Ermüdung und dem apathischen Zu¬ 
stande, in dem die Patienten nach dem Erwachen aus der Nar¬ 
kose daliegen, mit offenem Munde atmen und keine Schluck¬ 
bewegungen machen, das begünstigende Moment sehen. Noch 
anders aber — und diesen Einwand berückichtigt Wagner nicht, 
oder wenigstens nicht genügend —, wenn überhaupt keine All¬ 
meinnarkose stattgefunden hat. Einen solchen Fall erwähnt 
Bach rach (Laparotomie io Lokalanästhesie, Gastrostomie nach 
Witzei, Ernährung ausschliesslich durch die Fistel, 6 Tage post 
operationem linksseitige, 9 Tage post operationem rechtsseitige 
Parotitis). Dieser Fall ist nach zwei Richtungen bemerkenswert 
und lehrreich: Erstens war hier Lokalanästhesie angewendet, man 
konnte also die Narkose nicht verantwortlich machen. Zweitens 
war hier die natürliche Ernährung per os vollkommen aus¬ 
geschaltet. Vergleicht man damit das Auftreten der sekundären 
Parotitis, die nach Rolleston und Olliver bei ausschliesslich 
rectaler Ernährung KP^mal häufiger auftritt als in den Fällen, 
in denen Flüssigkeitsaufnahme durch den Mund gestattet wird, 
und vergleicht man ferner damit die Resultate Fenwick’s, der 
bei 300 Fällen von Ulcus ventriculi keine Parotitis mehr sah 
trotz rectaler Ernährung, seitdem er seine Patienten an einem 
Gummipfropfen lutschen liess, so ist wohl damit der Beweis, soweit 
das überhaupt möglich, erbracht, dass bei dem Zusammentreffen 
von mehreren der genannten Faktoren die Möglichkeit einer In¬ 
fektion des Ductus stenonianus und damit der Drüse selbst ge¬ 
geben ist. Hier mag noch die Behauptung Burrow’s Platz 
finden, dass die Darreichung von Morphium Veranlassung zur 
sekundären Parotitis geben könnte, weil auch dadurch möglicher¬ 
weise der Speichelfluss angehalten würde. Auch experimentell 
wurde versucht, der Frage der Infektion näher zu kommen, und 
zwar von Legueu; er setzte Hunde unter den Einfluss von 
Atropin. Brachte er dann Kulturen in den Mund der Tiere, so 
bekamen sie leicht eine Parotitis. Nach ihm wirkt beim Menschen 
ebenso die vor Operationen notwendige Entziehung fester Nahrung 
und die Unterdrückung des Kauaktes, ferner die durch Abführen 
und Blutverlust verursachte Wasser Verarmung des Organismus. 
Hunde, denen einige Zeit Flüssigkeit entzogen wurde, bekamen 
auch eine Parotitis nach einem Aderlass. Er glaubt also, dass 
an dem Auftreten von postoperativer Parotitis gerade nach Laparo¬ 
tomien die Vorbereitungen zur Operation schuld seien. Dass 
doch, noch andere Umstände mitspielen und damit das Auftreten 
der Parotitis nicht restlos erklärt ist, haben wir ja oben gezeigt, 
auch bilden die Patienten, die sofort nach ihrer Aufnahme ins 


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17. Mär* 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


49t 


Krankenhaus ohne jede weitere Vorbereitung operiert wurden, 
s. B. unser erster Fall, Bowe usw., einen Gegenbeweis. Schliess¬ 
lich sei als Stütze für die Infektion vom Munde her noch auf 
die exakten anatomischen Untersuchungen von Orth und Hanau 
hingewiesen. „Diese fanden stet9 zuerst die Ansführungsgänge 
ergriffen und sahen von diesen aus die Mikroorganismen in die 
Drüsenacini dringen. War irgendwo eine Zerstörung der Drüsen¬ 
läppchen noch im Beginn zu konstatieren, so zeigte es sich, dass 
diese stets von der Mitte der Läppchen ausging. Die Kokken 
fanden sich stets zwischen den Eitermassen in den centralen 
Partien der Läppchen, niemals zwischen diesen.“ (Oehier.) 

Bei dieser Aufzählung der Beweise für die Infektion vom 
Munde her darf man aber nicht ausser acht lassen, dass auch 
der Vertreter der hämatogenen Entstehung schwerwiegende Be¬ 
denken gegen die orale Theorie vorbringt. Vor allem ist es 
schwierig, sich eine Vorstellung zu machen, dass die postoperative 
Parotitis nach einem Intervall scheinbar ungestörten Verlaufes 
ziemlich unvermittelt zur Zeit der Rekonvaleszenz auftritt, zu 
einer Zeit, wo der Wund beilungsprozess schon abgeschlossen er¬ 
scheint. Fraenkel erinnert zur Erklärung dieser Tatsache an 
die Untersuchungen von Adrian und Kretz, die bei Wurmfort¬ 
satzentzündungen „in einer vorausgegangenen Angina, die oft 
geraume Zeit vorher abgelaufen ist und eventuell nur durch eine 
besonders darauf gerichtete Eruierung der Anamnese oder durch 
subtile anatomische Nachforschung festgestellt werden kann, die 
primäre Eintrittspforte der Infektion nachwiesen. Nach einem 
klinisch kaum als solchen erkennbaren latenten Stadium von 
Bakteriämie tritt dann, durch irgendeine Gelegenheitsursache ge¬ 
weckt, die sekundäre Manifestation auf. Ein symptomloses und 
beschwerdefreies Intervall zwischen primärer Infektion und me¬ 
tastatischer Manifestation ist demnach ein wohlbekanntes Vor¬ 
kommnis, und es liegt kein Grund vor, für die nach Operationen 
im Rekonvaleszenzstadium zur Beobachtung kommenden Paroti- 
tiden nach anderen Erklärüngsgründen zu suchen.“ So weit ich 
die Literatur übersehe, hat Fraenkel nur in Hellendall einen 
Fürsprecher gefunden, der allerdings keine neuen Argumente für 
die Infektion auf dem Blutwege anführt, sondern nur gegen die 
stomatogene Theorie das Auftreten der späten Parotitiden (am 
11., 12., 15. und 17. Tage post operationem), wo von einer 
Wirkung der Operation nicht mehr die Rede sein kann, anfübrt. 
Er gibt verschiedene Hinweise, wie in Zukunft die Lösung der 
Frage ihrem Ziele nähergebracht werden könnte; dabei ist zu 
bedenken, dass der eine Punkt: bakteriologische Untersuchungen, 
zwar nur im Tierexperiment, aber doch schon erfüllt ist; denn 
Legueu erwähnt ausdrücklich in seiner Arbeit, dass er niemals 
Kulturen aus dem Blute züchten konnte, weist also eine all¬ 
gemeine Sepsis zurück. Schliesslich spricht noch ein Argument, 
wenn auch nicht für die hämatogene, so doch gegen die orale 
Theorie: Levy und viele andere haben stets Staphylokokken im 
Eiter der Parotitiden gefunden, was nach Levy gegen Mund- 
Infektionen spricht, da Staphylokokken nur selten im Munde Vor¬ 
kommen. 

Und schliesslich mag noch erwähnt werden, dass nach 
Wag ner, Goldenberg und Marchetti auch der traumatischen 
Schädigung der Parotis, „wie eine solche durch das Vorhalten 
der Kiefer au den Kieferwinkeln während der Narkose durch den 
beständigen Druck der Finger des Narkotiseurs auf die Parotis- 
gegend hervorgerufen wird“, eine Bedeutung zukommt. 

Zusammenfassend ist man wohl berechtigt zu sagen, dass 
nur durch die Goincidenz mehrerer Momente die Entstehung von 
Parotitiden nach Operationen zu erklären ist, oder, wie Sou- 
beyran und Rives es ausdrücken, „c’est par Pensemble des 
conditions anormales“. 


Literatur. 

1. Bachmann, Inauguraldissertation, Kiel 1907 (Klinik Helfcrich). 

— 2. Bachraoh, Bruns’ Beitr., Bd. 78, S. 667. — 3. Bowe, citiert 
nach Hildebrand, Jahresberichte 1905. — 4. Brauer, Münchener 
med. Wochenschr., 1909, Nr. 8. — 5. Biirrows, Brit. med. journ., 
Juni 1909, S. 1513. — 6. Buscarlet, Bull, et mem. de la soc. de 
chir. de Paris, 24. Dezember 1907, Nr. 40. — 7. Eckersdorff, Mün¬ 
chener med. Wochenschr., 1906, S. 2152. — 8. Fenwick, Ref. Central¬ 
blatt f. Chir., 1909, Nr. 86. — 9. Frank: Ref. Centralbl. f. Chir., 1912, 
S. 1416. — 10. Fraenkel, Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft 
für Chirurgie, 37. Kongress, 1908, S. 16. — 11. Gary, citiert nach 
Hildebrand, Jahresbericht 1911. — 12. Hannes, Centralbl. f. Chir., 
1909, Nr. 20. Diskussion Hannes, Goldenberg, Levy, Küttner. 

— 18. Hagedorn, Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 4, S. 124. — 
14. Hellendall, Med. Klinik, 1908, Nr. 13, S. 451. — 15. Kulka, 


Wiener klin. Wochenschr., 1908, Nr. 19, S. 691. — 16. Küttner, 
Handb. d. prakt. Chir. von v. Bergmann und v. Bruns, 3. Aufl., 1907, 
Bd. 1. — 17. Legueu, Bull, et mem. de la soc. de chir. de Paris, 
30. Oktober, Bd. 33, S. 1044. — 18. Lenoir, Presse m6d., 1910, 
H. 16, S. 142. — 19. Marchetti, Deutsche med. Wochenschr., 1909, 
Nr. 7. — 20. Morel, Le progres medical, 1906, Bd. 35, S. 193. — 
21. Morestin, Bull, et mem. de la soc. de chir. de Paris, 23. Oktober 
1907, Diskussion: Delbet, Walther, Tuffier, Quenu, Bazy, 
Reynier. — 22. Oehler, Bruns’ Beitr., Bd. 77, H. 2, S. 346. — 
23. Orth (und Hanau), Lehrb. d. pathol. Anat., Bd. 1, S. 620, citiert 
nach Wagner. — 24. Orthner, Wiener klin. Wochenschr., 1909, Nr. 2, 
S. 57. — 25. Potherat, Archives gen. de chir., 1908, Diskussion: Picquö, 
Mauclaire, Morestin. — 26. Rives, Gaz. des hop., 1908, Nr. 70. 

— 27. Rolleston und Olliver, Ref. Centralbl. f. Chir., 1909, Nr. 36. 

— 28. Sou beyran und Rives, Archives gen. de chir., 1908, S. 448. 

— 29. Wagner, Wiener klin. Wochenschr., 1904, Nr. 52, S. 1407, Literatur 
bis 1904. 


Bttcherbesprechungeo. 

Wullstein undWilms*. Lehrbuch der Chirurgie. Dritte umgearbeitete 
Auflage. Drei Bände mit 1079 zum Teil mehrfarbigen Ab¬ 
bildungen und 5 Tafeln. Jena 1912, Gustav Fischer. 1778 S. 
Preis 29,50 M. 

Als im Jahre 1908 die erste Auflage dieses Werkes erschien, ist 
ihm von vielen Seiten und auch an dieser Stelle eine ausserordentlich 
günstige Prognose gestellt worden. Seitdem sind erst vier Jahre ver¬ 
flossen und schon liegt die dritte Auflage vollendet vor. Inzwischen ist 
eine russische und eine ungarische Uebersetzung des Werkes er¬ 
schienen, eine italienische Uebersetzung wird vorbereitet. Diesen Erfolg 
verdankt das Buch den Vorzügen, welche wir seinerzeit an dieser Stelle 
schon hervorgehoben haben, insbesondere der knapp und dabei äusserst 
anschaulich gehaltenen Darstellung unter Verlegung des Schwerpunktes auf 
möglichst zahlreiche, instruktive Abbildungen. Letztere sind in ihrer 
überwiegenden Mehrheit tatsächlich als mustergültig zu bezeichnen, und 
die neue Auflage zeigt, dass die Verff. ständig bemüht sind, in dieser 
Beziehung noch Besseres zu bieten. Derartige künstlerisch vollendete 
und dabei naturtreue Illustrationen haben weit höheren didaktischen 
Wert als langatmige Beschreibungen. Das haben die Herausgeber und 
ihre berufenen Mitarbeiter in richtiger Würdigung der Bedürfnisse des 
Studierenden bei ihrer klinischen Lehrtätigkeit erkannt, und so erscheint 
es begreiflich, dass Studierende aller Länder sich immer mehr dieses 
ausgezeichneten Lehrbuches bedienen. 


Pa«l nimm wer: Jahrbuch für orthopädische Chirurgie. Dritter 
Band: 1911. Berlin 1912, Julius Springer. 122 S. Preis 6 M. 

Der dritte Band des Jahrbuches enthält die Leistungen des lahres 
1911 auf dem Gebiete der orthopädischen Chirurgie. Während der all¬ 
gemeine Teil einen Ueberblick über die wichtigsten Neuerungen bringt, 
referiert der spezielle Teil systematisch, wenn auch nicht lückenlos, 
über die erschienenen Publikationen. Die Arbeiten von Lüdke, Sturm 
und v. Müller über orthotische Albuminurie sind wohl nur ver¬ 
sehentlich in den Bericht geraten im Anschluss an die lordotisohe 
Albuminurie. Der alphabetische Literaturnachweis und das Sachregister 
ermöglichen jederzeit eine rasche Orientierung. Es wäre im allgemeinen 
Interesse sehr zu wünschen, dass der Herausgeber in seiner mühevollen 
und dankenswerten Arbeit von den Fachkollegen durch Zusendung von 
Separatabdrücken unterstützt wird. Adler-Berlin-Pankow. 


Alfred Denker und Wilh. Brünings: Lehrbneh der Krankheiten des 
Ohres und der Luftwege einschliesslich der Mnndkrankheiten. 

Mit 305, zum grossen Teil mehrfarbigen Abbildungen im Text. 

Jena 1912, Gustav Fischer. 643 S. Preis 14 M. 

Naohdem bereits Koerner, dem Zuge der Zeit folgend, in der 
zweiten, 1909 erschienenen Auflage seines Lehrbuches der Ohrenheilkunde 
auch die Krankheiten der Nase und des Kehlkopfes zur Darstellung ge¬ 
bracht hat, haben die Verfasser des vorliegenden Buches, Denker und 
Brünings, von denselben Erwägungen wie Koerner ausgehend, dass 
nämlich diese drei Disziplinen untrennbar miteinander verbunden und 
auf der Mehrzahl der deutschen Universitäten „in einem gemeinsamen 
Lehrauftrage vereinigt“ sind, sich zu einem gleichen Vorgehen entschlossen. 
Ausserdem haben sie auch die Krankheiten der Mundhöhle und die 
Affektionen der Luftröhre und der Bronchien mit aufgenommen. Trotz 
der Fülle des Gebotenen haben die Verfasser es verstanden, das ganze 
Material in so übersichtlicher Weise anzuordnen, dass es dem Leser ein 
Leichtes ist, sich zurechtzufinden. Das Buch soll in erster Linie den 
Studierenden in das Sondergebiet einführen und dem praktischen 
Arzt ein Ratgeber bei der Behandlung der obengenannten Krankheiten 
sein. Wenn die Verfasser dementsprechend der Symptomatologie, Dia¬ 
gnostik und Therapie einen breiten Raum zugewiesen haben, so sind 
doch auch die anatomischen Verhältnisse, und zwar nicht nur die patho¬ 
logischen, sondern auch die der zum Teil recht komplizierten normalen 
Anatomie mit Recht ausführlich und durch zahlreiche, meist vorzügliche 
Abbildungen illustriert, zur Darstellung gekommen. 

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UMIVERSITY OF IOWA 





408 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 11. 


Was die Einteilung des Stoffes anlaugt, so bat Denker die Krank¬ 
heiten des Obres, der Nase und ihrer Nebenhöhlen und des Nasenrachen¬ 
raumes (Teil I, II, III), Brünings die der Mundhöhle, des Mund* und 
Kehlkopfrachens, des Kehlkopfes, der Luftröhre und der Bronchien 
(Teil IV, V, VI, VII) bearbeitet. Auf Einzelheiten einzugehen, ist hier 
nicht der Ort, doch darf nicht unerwähnt bleiben, dass überall die 
einzelnen Krankheitsbilder bei aller durch die Fülle des Stoffes gebotenen 
Kürze durchaus anschaulich geschildert sind, und dass namentlich 
den verschiedenen Prüfungs- bzw. Untersuchungsmethoden, sowohl den 
physikalischen wie den funktionellen, gebührend Rechnung getragen 
wird. So beschreibt Denker die Prüfung des statischen Organs, die ja 
für die Diagnostik der Erkrankungen des Gehörorgans eine hervorragende 
Bedeutung gewonnen hat, eingehend, und die direkte Tracheo-Broncho¬ 
skopie wird von Brünings, der selbst nicht unwesentlich zu ihrer Ver¬ 
vollkommnung beigetragen hat, in geradezu mustergültiger Weise an der 
Hand zahlreicher, äusserst instruktiver Abbildungen geschildert. Bezüg¬ 
lich der Therapie verdient hervorgehoben zu werden, dass es den Ver¬ 
fassern gelungen ist, nicht nur die konservative, sondern auch die ope¬ 
rative Behandlung so darzustellen, „dass auch der Spezialist sich über 
die wichtigsten und bewährtesten Operationsmethoden orientieren kann“. 
Einige kleine Mängel, die sich hier und da eingeschlichen haben, und 
auf die an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden soll, können 
den Wert des sonst vortrefflichen Buches nicht herabsetzen, nur das eine 
mag hervorgehoben werden, dass es wünschenswert wäre, in der voraus¬ 
sichtlich bald nötig werdenden zweiten Auflage bei den Citaten der 
einzelnen Autornamen auch den Titel der betreffenden Arbeiten und 
die Stelle, wo sie veröffentlicht sind, anzugeben. Mancher Leser hat 
doch zweifellos den Wunsch, sich über den einen oder anderen in 
Betracht kommenden Gegenstand in der Literatur genauer zu orientieren, 
als es in einem Lehrbuch möglich ist. Schwabacb. 


Ed. Stadler-Leipzig: Die Klinik der syphilitischen Aortenerkrankang. 

Mit 1 Tafel. Jena 1912, Verlag von Gustav Fischer. 98 Seiten. 

Der Wert von Stadler’s Buch liegt in der grossen Zahl der von 
ihm beobachteten Kranken und verwerteten Krankengeschichten. Er 
konnte über 248 Fälle von syphilitischer Aortenerkrankung berichten, 
die er zum Teil vom Beginn ihrer ersten Beschwerden bis zum Tode 
verfolgen konnte; zum grossen Teil standen ihm auch die Sektions¬ 
ergebnisse zur Verfügung. Der Ueberblick über dieses grosse Material 
lässt naturgemäss wertvolle Schlüsse über eine ganze Reihe inter¬ 
essierender Fragen zu, die in den einzelnen Kapiteln behandelt sind. 
Nach einer historischen Einleitung und einem kurzen Kapitel über die 
pathologische Anatomie folgen Aetiologie und Pathogenese, Häufigkeit 
und Zo.it des Auftretens der Krankheit, Beziehungen der Aortenerkrankung 
zu den tertiärsyphilitischen und parasyphilitischen Krankheiten, klinische 
Erscheinungen der Aortenerkrankung; in weiteren Kapiteln die Lokali¬ 
sation der Erkrankung und ihre Diagnostik. Einige wenige Zahlen mögen 
angeführt sein. Unter 256, 1906—1911 zur Sektion gekommenen Fällen 
von erworbener Syphilis fand sich eine typische schwielige Aortensklerose 
211 mal; unter diesen 211 Fällen war die Aortenerkrankung 117 mal 
die Todesursache. Die Prognose der Aorteninsuffizienz auf luetischer 
Basis muss als schlecht angesehen werden, da von der Feststellung der 
ersten Erscheinungen bis zur hochgradig gestörten Kompensation höchstens 
drei Jahre verlaufen. Die Aorteninsuffizienz bedeutet bei der syphili¬ 
tischen Aortenerkrankung den Anfang vom Ende. Unter 95 Fällen 
musste als Todesursache in 9 Fällen Verschluss der Coronararterien 
allein, bei 87 Fällen CoronarVerschluss und Aorteninsuffizienz und bei 
27 Ausgang in ein sackförmiges Aneurysma angenommen werden. 

Fleisch mann-Berlin. 


Sanitätsherieht über die K (folglich prenssisehe Armee, das XII. 

and XIX. (1. und 2. Königlich sächsische) and das XIII. (König¬ 
lich württembergische) Armeekorps für den Berichtszeitraum 
vom 1. Oktober 1909 bis 80. September 1910. Bearbeitet von 
der Medizinalabteilung des Königlich preussischen Kriegsministe¬ 
riums. Mit 81 Karten und 10 graphischen Darstellungen. Berlin 
1912. Ernst Siegfried Mittler & Sohn. 467 Seiten. 

Der I. Teil enthält wiederum den Bericht über die Gesundheits¬ 
verhältnisse der Armee, der II. Teil Tabellen zu dem Bericht 

Im I. Teil findet man zunächst einen Bericht über den Kranken- 
zugang im allgemeinen. Die Zahl der Erkrankungen hat gegen das Vor¬ 
jahr um 84,9 pM. K. abgenommen. Dann folgt eine Uebersicht über die im 
Berichtsjahre zur Ausführung gelangten wichtigeren baulichen und sani¬ 
tären Maassnahmen. Es wurden verschiedene Kasernen, Wohnhäuser 
für unverheiratete Offiziere, Familien Wohnhäuser für verheiratete Unter¬ 
offiziere und Beamte, Garnison lazarette neuerbaut. Neu geschaffen 
wurden viele Anbauten, Küchen, Kantinen, Revierkrankenstuben, Unter¬ 
suchungszimmer, Geisteskrankenstuben, Verbandszimmer, Werkstätten, 
Schuppen, Wirtschaftsgebäude, Waschhäuser, Mannschaftsspeisesäle, 
Bäckereien, Pferdeställe. Hygienische Maassnahmen: Neue Brunnen, 
Enteisenungsanlagen, Anschlüsse an städtische Wasserleitung, neue 
Quellwasserleitungen, neue Badeanstalten, Warmwasseranlagen, Wasch¬ 
einrichtungen, Latrinen, Klärgräben,, neue Heizungen, verbesserte Be¬ 
leuchtung, Desinfektionsanlagen, Kochkurse in Berlin, Milchverkaufsstelle 
(Döbefcitz), Fleischausgabestelle mit Kühlratim (Döberitz) usw. Daran 
schliefst sich die Berichterstattung über die einzelnen Gruppen der 


Lazarett- und Revierkranken im besonderen an, im ganzen *14 Gruppen, 
ferner eine Uebersicht über Brunnen- und Badekuren und sonstige 
aussergewöhnliche Heilverfahren, ein Bericht über den Krankeuabgang, 
eine Uebersicht über die während des Berichtsjahres 1909/10 in der 
Armee ausgefübrten grösseren Operationen (Operationsliste), eine solche 
über die im Jahre 1909/10 in den hygienisch-chemischen Untersuchungs¬ 
stellen der Armee ausgeführten chemischen Untersuchungen und endlich 
eine Zusammenstellung der wichtigeren, in der Zeit vom 1. Oktober 
1909 bis 30. September 1910 erlassenen, hygienische Maassnahmen be¬ 
treffenden Verfügungen. 

Der II., Tabellen zu dem Bericht enthaltende Teil umfasst Truppen- 
Krankenrapporte über Bewegung im Kranken-Zu- und Abgang, Dienst¬ 
unbrauchbarkeit mit und ohne Versorgung der Mannschaften und ihre 
Ursachen, Bewegung im Kranken-Zu- und Abgang bei den militärischen 
Anstalten, ferner Standort Krankenrapporte. 


W. Roth’s Jahresbericht über die Leistungen and Fortschritte auf 
den Gebiete des Miiit&rsanitätsweseas. Herausgegeben von der 
Redaktion der Deutschen militarärztlichen Zeitschrift. 37. Jahr¬ 
gang. Bericht über das Jahr 1911. Ergänzungsband zur 

Deutschen militärärztlichen Zeitschrift. Berlin 1912, Mittler 
& Sohn. 

Der Band umfasst 1314 Literurangaben, von denen 887 Arbeiten 
teils im Bericht selbst, teils in der Deutschen militärärztlichen Zeit¬ 
schrift mehr oder weniger besprochen worden sind. Es wurden nur 
Veröffentlichungen berücksichtigt, die Fragen des Militärsanitätswesen 
behandeln oder zu ihnen in enger Beziehung stehen; dennoch werden 
alle Fortschritte auf dem Gebiete des Militärsanitätswesens kaum zur 
Darstellung gebracht sein. Die Zusammenstellung ist die gleiche wie in 
den Vorjahren. Schnütgen. 


Literatur-Auszüge. 

Physiologie. 

E. Hauberrisser und F. Schönfeld-Göttingen: Ueber die Quellung 
von Bindegewebe. (Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 71, 
H. 2, S. 102—128.) Während es bekannt ist, dass Natriumionen die 
Wasseransammlung im Körper begünstigen, nehmen sie keine Sonder¬ 
stellung in bezug auf Quellung von Bindegewebe ein. Die eigentliche 
Ursache der Natriumwirkung muss daher noch aufgeklärt werden. 

G. Grund-Halle: Zur chemischen Pathologie der Muskeln. 2. Mit¬ 
teilung. Der Einfluss der Inaktivit&tsatrophie auf die Stickstoff- und 
Phosphorverteilung im Moskel. (Archiv f. experim. Pathol. u. Phar¬ 
makologie, Bd. 71, H. 2, S. 129 — 138.) Bei der Inaktivitätsatrophie des 
Muskels ohne Nervenabtrennung findet man die gleichen, chemischen 
Veränderungen wie bei der Atrophie mit Entartungsreaktion. Die ge¬ 
meinsame Ursache scheint in der Aufhebung der Funktion des Muskels 
zu liegen. Jacoby. 

L. S. Milne-New York: Blutangsan&mie. (Deutches Archiv f. klin. 
Med., Bd. 109, H 3 u. 4.) Bei Blutungsanämien regeneriert sich das 
Hämoglobin viel langsamer als die roten Blutkörperchen, aber der Färbe¬ 
index steigt nie über 1. Die Widerstandsfähigkeit der Zellen ist nicht 
vermehrt. In jungen sich entwickelnden Erythrocyten scheint das 
Chromatin der Kerne verloren zu gehen, der Kern wird aber nicht aus- 
gestossen. Basophile Körnung der Erythrocyten ist häufig und wird 
wahrscheinlich durch Ausscheiden von Chromatinteilchen des Kernes in 
das umgebende Protoplasma bedingt. Die direkte Ursache dieses Vor¬ 
ganges dürfte in der Schnelligkeit und Dauer des Degenerationsprozesses 
liegen. Sie erklärt auch das unregelmässige Auftreten dieser Zellen. 
Extramedulläre myeloide Wucherung ist gewöhnlich gering. Lipämie 
tritt nach dem Rückgang von Blutkörperchen und Hämoglobin unter ein 
gewisses Niveau ein. Der grösste Teil des Serumfettes lässt sich mit 
Aether. ausziehen und mit Osmiumsäure schwarz färben. Ausgedehnte 
Fettinfiltration innerer Organe wird beobachtet, desgleichen geringe 
Pigmentation. G. Eisner. 

K. Naumann-Giessen: Ein Beitrag zur Kenntnis des Ablaufs der 
Fettresorption im Darmepithel des Frosches. (Zeitschr. f. Bio!., Bd. 60, 
H. 1 u. 2, S. 58—74.) Auch bei der geringsten Fettzufuhr ist der Re¬ 
sorptionsvorgang im Darmepithel mit einer Fettröpfchenbildung verknüpft 

E. Durl ach-Göttingen: Untersuchungen über die Bedeutung des 
Phosphors ia der Nahrung wachsender Bande. (Archiv f. experim. 
Pathol. u. Pharmakol., Bd. 71, H. 3, S. 210—250.) Der Bedarf an 
Phosphor kann mit Sicherheit durch Phosphatide gedeckt werden. Noch 
nicht ganz klar ist, inwiefern Phosphate dazu imstande sind. Die Arbeit 
enthält ausserdem bemerkenswerte Erörterungen über das Orycanin, dem 
Bestandteil der Reiskleie, der Substanz, mit der japanische und eng¬ 
lische Forscher Heilung des experimentellen Beri-Beri erzielt haben. 

_ Jacoby. 


Pharmakologie. 

L. Lewin-Berlin: Calotropis proccra. Ein neues, digitalisartig 
'wirkendes Herzmittel. (Archiv f. eipörim. Pathol. u. Pharmakol.,Bd.71, 
H. 2, S. 142—156.) Lewin erhielt die Pflanze aus Aegypten. Sie ist 


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UNIVERSITY OF IOWA 





17. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


499 


auf der Erde sehr verbreitet, ihr Milchsaft enthält die digitalisartig 
wirkende Substanz. Die Substanz konnte bisher noch nicht chemisch 
rein dargestellt werden, sie ist löslich in Alkohol, aus dem sie mit 
Aether ausgefallt wird. Die Substanz soll klinisch geprüft werden. 

W. Straub-Freiburg: Bemerkungen zu der Untersuchung von 
Dr. Hermann Friedrich Grünwald: Zur Frage der Digitalisspeicherung 
im Herzen. (Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 71, H. 2, 
S. 139—141.) Eine Speicherung in dem Sinne, wie Straub sie für 
Alkaloide nachgewiesen hat, besteht für Strophantin nicht. Die Stro- 
pbantinwirkung ist der Konzentration der Substanz in der Durchströmungs¬ 
flüssigkeit proportional. Die Versuche Grünwald’s mit dem chemisch 
als Gemenge zu charakterisierenden Digitalinum-Merck können diese Be¬ 
obachtung Straub’s nicht entkräften. 

H. Handovsky und E. P. Pick-Wien: Untersuchungen über die 
pharmakologische Beeinflussbarkeit des peripheren Hefässtonus des 
Frosches. (Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 71, H. 2, 
S. 89 —101.) Adrenalin, Nikotin und Baryum stellen, wie Untersuchungen 
an dem isolierten peripheren, neuromuskulären System des Läwen- 
Trendelenburg’schen Froschpräparates zeigen, verschiedene Typen vaso- 
lonstriktorischer Substanzen dar. Die Verschiedenheit der Wirkungen 
beruht wahrscheinlich auf einer Verschiedenheit der Angriffspunkte. 
Tyramin, Histamin und Witte-Pepton beeinflussen das Gefässsystem 
gleichartig. Bei dem nicht vorbehandelten Gefässapparat rufen sie keinen 
nennenswerten Effekt hervor. Nach Anwendung von Adrenalin wirken 
sie stark dilatierend. Tyramin verhindert die Nikotinwirkung. Cholin 
wirkt dilatierend. 

E. Wöbbecke-Göttigen: Ueber die Funktion des Veratriumnskels 
bei wechselnder Belastung. (Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., 
Bd. 71, H. 3, S. 157—173.) Die Arbeit ist von speziell pharmakologischem 
Interesse. 

W. Heubner und S. Loewe - Göttingen: Ueber die central 
lähmende Strychninwirknng. (Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., 
Bd. 71, H. 3, S. 174—209.) Hohe Strychnindosen erzeugen eine spezi¬ 
fische unmittelbare, centrale Lähmung. Daneben kann Strychnin Er- 
scböpfuugsläbmungen verursachen, die aber im Vergleich zu der spezi¬ 
fischen, centralen Lähmung quantitativ unwesentlich sind. 

Jacoby. 

M. v. Eisler-Wien: Einfluss des Formalins anf rote Blutkörper¬ 
chen. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 65, H. 1—8, 
S. 138.) Durch Zusatz von 2 prom. Formalin zu 5proz. Hammelblutauf¬ 
schwemmungen findet bis zu einem gewissen Grade eine Konservierung 
der Blutkörperchen statt; unter gleichen Bedingungen erleiden diese 
später Veränderungen als Blutkörperchen ohne Formolzusatz. Formol- 
blut ist gegenüber verschiedenen hämolytisch wirkenden Stoffen be¬ 
deutend resistenter als normales Blut. Es ist imstande, im Tierkörper 
die Bildung hämolytischer Immunkörper auszulösen; auch diese Sera 
wirken auf Formolblut viel schwächer als auf normales. Die Aggluti¬ 
nation des Formolblutes durch spezifisches Serum ist nur wenig schwächer 
als die des gewöhnlichen Blutes, dagegen besteht zwischen den beiden 
Blutarten ein deutlicher Unterschied für die Rioinagglutination. 

H. E. K ersten-Magdeburg: Ueber vergleichende Tierexperimente 
mit Salvarsan und Neosalvarsan. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, 
Orig., Bd. 65, H. 4 u. 5, S. 369.) Die Vorzüge des Neosalvarsans gegen¬ 
über dem Salvarsan bestehen nach den Ergebnissen der Tierversuche, 
die der Verf. anstellte, in seiner leichten Löslichkeit unter Fortfall der 
Natronlauge, in seiner absolut neutralen Reaktion in wässriger Lösung, 
in seiner geringeren Giftigkeit beim Tier (wie beim Menschen), in seiner 
wenigstens im Tierversuch zutage tretenden erhöhten therapeutischen 
Wirksamkeit. Bierotte. 

Siehe auch Innere Medizin: Farr und Welker, Beeinflussung 
der Stickstoffausscheidung durch Theophyllin. 


Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. 

E. M. Com er-London: Die Funktionen der Appendix und die 
Entstehung der Appendieitis. (Brit. med. journ., 15. Februar 1913, 
Nr. 2720.) Im Blinddarm stagniert der Darminhalt, hier ist die stärkste 
Bakterienentwicklung. Deshalb ist hier eine starke Entwicklung von 
lymphoidem Gewebe über dem Wurmfortsatz, der bei den meisten Tieren 
ein Stück Lymphgewebe am distalen Ende des Blinddarmes ist. Im 
Appendix und Blinddarm geht ein lebenslanger Kampf zwischen Bakterien 
und Gewebe vor sich, und wenn dieser Kampf ernster als gewöhnlich 
wird, kommt es zur Entzündung. Mit zunehmendem Alter geht das 
Lympbgewebe dabei zugrunde; die Appendicitiden werden selten, neigen 
aber mehr zur Eiterung. Es entsteht ein Circulus vitiosus: der binde¬ 
gewebig degenerierende Wurmfortsatz kann sich nicht mehr völlig ent¬ 
leeren; im stagnierenden Inhalte finden die Bakterien eine ungestörte 
Vermehrungsgelegenheit und fördern dadurch die Degeneration; es kommt 
zu Typh litis und endlich zu Colitis. Wey de mann. 

Scholz - Leipzig: Blntkörpereheuzählungen bei gesunden bzw. 
künstlich infizierten tuberkulösen Rindern, Kaninchen und Meerschwein¬ 
chen, nebst Untersuchungen über den Einfluss von Tuberkulininjektionen 
auf den Blutbefund. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 65, 
H. 1-^3, S. 189,) Bei Tieren, die mit Tuberkelbacillen bzw. tuber¬ 
kulösem Material infiziert werden, tritt eine Zunahme der weissen Blut« 
körperchen ein. Der Prozentsatz der neutrophilen Leukocyten nimmt 


ab, der der Lymphocyten und der eosinophilen Leukocyten zu. Die 
Zahl der roten Blutkörperchen nimmt ab. Vor dem Tode des Tieres 
erfolgt eine starke Abnahme der weissen und roten Blutkörperchen. 
Nach Injektion von Tuberkulin, sowohl humanem wie bovinem, tritt eine 
Zunahme der Leukocyten und Abnahme der Erytbrocyten ein. Der 
Prozentsatz der neutrophilen Leukocyten wird niedriger, während der 
der Lymphocyten und eosinophilen Leukocyten ansteigt. Die neuerdings 
aufgestellte Behauptung, dass die Toxine der humanen und der bovinen 
Tuberkelbacillen eine entgegengesetzte Wirkung auf das Blut ausüben, 
konnte somit nicht bestätigt werden. Zu einer Typentrennung reichen 
die beobachteten geringen Unterschiede jedenfalls nicht aus. 

Bierotte. 


Parasitenkunde und Serologie. 

H. Bontemps-Altona: Ueber die Verhütung der mikroskopischen 
Fehldiagnose der Tnberkelbacillen. (Deutsche mud. Wochenschr., 1913, 
Nr. 10.) B. macht darauf aufmerksam, dass Lycopodiumpulver säurefest 
ist und mikroskopisch zu Verwechselungen mit Tuberkelbacillen Anlass 
geben kann, besonders dann, wenn das Pulver durch das Anreicherungs¬ 
verfahren in kleine Stäbchen zerlegt ist. Beim Gebrauch von Pillen 
muss auf diese Fehlerquelle geachtet werden. Der Tier- und Kultur¬ 
versuch kann in solchen Fällen nicht entbehrt werden. 

Wolfsohn. 

F. Schieck - Königsberg: Die Differenzierung des Typus hnmanus 
und bovinus des Tuberkelbacillus durch Erzengong experimenteller 
Hornhaut- und Iristnberknlose am Kaninebenauge nebst Untersuchungen 
über das Auftreten und die Bedeutung des komplementbindenden tuber¬ 
kulösen Antikörpers. (Veröffentl. d. Robert Koch-Stiftung, 1913, H. 5—7, 
S. 1.) Durch Verwendung genügend verdünnter Emulsion von Tuberkel¬ 
bacillenreinkulturen gelingt es, bei Impfung der Vorderkammer des 
Kaninchens den Typus humanus vom Typus bovinus differential¬ 
diagnostisch zu unterscheiden. Beim Typus humanus kann man auf 
diese Weise eine abgeschwächte, entweder gar nicht progrediente oder 
ausheilende Tuberkulose der Iris und eventuell auch der Cornea er¬ 
zielen. Sobald eine Infektion mit Typus bovinus jedoch Platz greift, 
geht das Auge an unaufhaltsam progredienter und rasch zur Verkäsung 
führender Tuberkulose zugrunde. Impfung in die Ohrvene gleicht diesen 
Unterschied aus; denn dann wird auch die mit bovinen Stämmen er¬ 
zeugte Tuberkulose des Auges stark abgeschwächt. Impfung in die 
Carotis communis erzeugt bei Verwendung, des Typus bovinus schnell 
fortschreitende Tuberkulose der Augen der gleichen Seite, bei Ver¬ 
wendung des Typus humanus nicht. Randpblyktänen lassen sich 
durch Einspritzung von Tuberkelbacillen in die Carotis in typischer, 
rasch vergänglicher Form experimentell beim Kaninchen hervorrufen. 
Sie erscheinen nach Ablauf der gewöhnlichen Inkubationszeit der Tuber¬ 
kulose und sind als echte Lokalisationen von Tuberkulose aufzufassen. 
Der komplementbindende tuberkulöse Autikörper hat mit den Heilungs¬ 
vorgängen bei Tuberkulose nichts zu tun. Er richtet sich nicht gegen 
das wirksame Prinzip des Tuberkelbacillus. Die v. Wassermann- 
Bruck’sohe Theorie von der Wirkung der spezifischen Therapie bei 
Tuberkulose findet durch die Versuche am Auge keine Bestätigung. 

R. Bittrolff und K. Mora ose-Heidelberg: Beiträge zur Frage des 
granulären Tnberkulosewirus. (Veröffentl. d. Robert Koch-Stiftung, 
1913, H. 4, S. 18j Verff. kommen bei ihren Untersuchungen zu dem 
wichtigen Schluss, dass Much’s „granuläre“ Form des Tuberkulosevirus 
im engeren Sinne nicht existiert. Mit der Much’schen Methode werden 
keine anderen Formen des Tuberkulosevirus festgestellt als naohZiehl, 
denn die in dem untersuchten Material bei der Färbung nach Muoh ge¬ 
fundenen Tuberkelbacillen erwiesen sich bei der Umfärbung nach Ziehl 
stets als säurefest. In den nach Ziehl negativen Präparaten war auch 
nach Muoh nichts zu finden, während sich die in den einzelnen Fällen 
vorkommenden Granula der Much-Präparate bei der Umfärbung nach 
Ziehl als kurze säurefeste Stäbchen darstellten. Auch in dem tuber¬ 
kulösen Material, das nach Muoh’s und seiner Schüler Meinung keine 
säurefesten Tuberkelbacillen enthalten soll (Perlsuchtknoten des Rindes, 
kalte Abscesse beim Menschen, primäre Drüsentuberkulose des Kindes), 
konnten Verff. bei gründlichem Suchen säurefeste Tuberkelbacillen finden. 

Rothe - Berlin: Studien über spontane Kaninehentuberkulose. 
(Veröffentl. d. Robert Koch-Stiftung, 1913, H. 4, S. 1.) Verf. berichtet 
über eine Perlsuchtepidemie unter dem Kanincbenbestaode einer Lungen¬ 
heilstätte. Von 51 dem Institut Robert Koch zur Untersuchung zur 
Verfügung gestellten Kaninchen wiesen 26 tuberkulöse Veränderungen 
auf, und zwar konnte durch Züchtung der Reinkultur und Verimpfung 
auf Rinder einwandfrei festgestellt werden, dass es sich bei der enzootisch 
aufgetretenen Kaninchentnberkulose um eine Infektion mit Persucht¬ 
bacillen handelte. Die Annahme, dass die Perlsuchtinfektion der 
Kaninchen auf einen Kranken der Heilstätte zurückging, erwies sich bei 
den vorgenommenen Untersuchungen als höchst unwahrscheinlich. Die 
natürliche Infektion von Kaninchen mit für sie pathogenen Säugetier¬ 
tuberkelbacillen, d. h. mit solchen vom Typus bovinus, ist gewöhnlich 
an das Vorhandensein eines lebenden Infektionsträgers gebunden, die 
Infektion kommt also in der Hauptsache nur beim Zusammenleben mit 
kranken Tieren zustande, wobei es fcictf in den allermeisten Fällen um 
eine fnbalätionsiuberkulo&e handelt. 

Fr. Fl. Krusius - Berlin: • Experimentelle Tuborknlosostudion. 
(Veröffentl. d. Robert Koch-Stiftung, 1913, H. 5—7, S. 183.) Aus den 

6 * 


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UMIVERSITY OF IOWA 





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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 11. 


quantitativen Tuberkuloseimpfungen des Verf. geht hervor, dass zwischen 
einem oberen Infektionsgrenzwerte, bei dem die Inkubationszeit gleich 
Null, und einem unteren Grenzwerte, bei dem die Inkubationszeit gleich 
unendlich ist, die Inkubationszeiten den Iofektionsquantitäten umgekehrt 
proportional sind. Quantitative Tuberkuloseimpfungen einzelner Augen¬ 
teile ergeben, dass die Empfänglichkeit für Tuberkulose in der Reihen¬ 
folge: Glaskörper, Vorderkammer, Hornhaut, Bindehaut (Linse) abnimmt. 
Die Strahlenenergien des Radiums, Mesothoriums und der Sonne sind 
sämtlich nicht ohne Einfluss sowohl auf die Tuberkuloseerreger als auch 
auf den infizierten Organismus. Es überwiegt die bacillentötende 
bakteriotrope Wirkung die elektive organotrope Einwirkung. Henror- 
zuheben ist in diesem Sinne die mehrfach erhöhte Wirkung der „Höhen¬ 
sonne“ gegenüber der „Tieflandsonne“. Alttuberkulin, in die vordere 
Kammer des Auges gebracht, wirkt nach rasch ablaufenden Reiz¬ 
erscheinungen depigmentierend auf die Iris. Intracorneale Alttuber¬ 
kulindepots lösen an intraoornealen Tuberkuloseherden stärkere Herd¬ 
reaktionen aus als intracorneale Bacillenemulsionsdepots. Intracorneale 
Bacillenemulsionsdepots haben einen knötchenförmig fortschreitenden 
intracornealen Prozess zur Folge, dessen Progredienz wahrscheinlich aus 
der Ueberimpfung vereinzelter, nicht abgetöteter Bacillen zu erklären ist. 
Bei der bewiesenen immunisatorischen Wirkung aktiver Tuberkulose 
darf nach Ansicht des Verf. gerade in dieser abgeschwächten Aktivität 
und in der geringen Herdreaktionswirkung der Bacillenemulsion die Be¬ 
dingung einer experimentell nachweisbaren therapeutischen Wirksamkeit 
erblickt werden. Selbst eine mehr als zehnfach überschwellige intra¬ 
corneale bovine Tuberkuloseimpfung beim Kaninchen führt nach an¬ 
fänglich starker Progredienz oft zu einer spontanen Narbenheilung, wenn 
aauch erst nach mehrmonatigem Verlauf. Die einschleichende subcutane 
Tuberkulintherapie lässt bei dieser intracornealen Impftuberkulose des 
Auges vielleicht eine geringe zeitliche Abkürzung des Verlaufs, sicher 
aber bei völliger Unschädlichkeit keine wesentliche und konstant ein¬ 
deutige spezifische Heilwirkung im klinischen Verlauf erkennen. Die 
prophylaktische subcutane Bacillenemulsionbehandlung hat einer nach- 
herigen überschwelligen intracornealen Impftuberkulose gegenüber in 
einem Bruchteile der Fälle eine erkennbare relative Schutzwirkung zur 
Folge gehabt. Möllers. 

Tohl Sh m am ine -Breslau: Ueber die Reinz&chtnng der Spiroehaeta 
pallida und der nadelförmigen Bakterien aus syphilitischem Material, 
mit besonderer Berücksichtigung der Reinkultur von Spiroehaeta dentium 
und des Bacillus fusiformis aus der Mundhöhle. (Centralbl. f. Bakterio¬ 
logie usw., 1. Abt., Orig., Bd. 65, H. 4 u. 5, S. 311.) In einem vom 
Verf. angegebenen Nährboden, der in der Hauptsache aus Pferdeserum 
und nucleinsaurem Natron Böhringer besteht, wächst die Spiroehaeta 
dentium stets, die Spiroehaeta pallida, wenn auch nicht immer, so doch 
besser als im Schereschewsky’schen Nährboden. Die beste Methode für 
die Reinzüchtung der Spirochäten ist nach Verf. Versuchen die der 
Schüttelkultur, die er in einer verbesserten Technik näher beschreibt. 
Kulturelle, in der Arbeit angegebene Unterschiede zwischen Spiroehaeta 
dentium und Spiroehaeta pallida sind für die Differentialdiagnose ver¬ 
wertbar. Im künstlichen Nährboden verändern die Spirochäten ihre 
Form, Beweglichkeit und Färbbarkeit. Unter den verschiedenen Formen 
kommen viele Uebergangsstadien vor. Die vom Verf. in den Spirochäten¬ 
mischkulturen stets gefundenen „nadelförmigen Bakterien“ können im 
Verlauf der Züchtung in Spirochätenformen übergehen. In Reinkulturen 
von Spiroehaeta pallida sind Refringensformen zu finden; Spiroehaeta 
refringens stellt nach des Verf. Ansicht wahrscheinlich nur eine Ent¬ 
wicklungsform der Spiroehaeta pallida dar. Ein gezüchteter Pallida- 
stamm konnte bis in die zweite Tiergeneration übertragen werden. 

CI. Fermi und S. Lumbau-Sassari: Können Anophelesmüeken 
auf den Menschen Malaria übertragen, ohne sich durch Besuch von 
Malariakranken verseucht zu haben? Können dieselben sich die In¬ 
fektion aus anderen Tieren als dem Menschen holen? (Centralbl. f. 
Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig., Bd. 65, H. 1—3, S. 105.) Anopheles- 
stechmücken, die malariakranke Menschen nicht gestochen haben, können 
nach dem Ausfall der experimentellen Untersuchungen der Verff. Malaria 
nicht übertragen. Ebenso kann Malaria nicht auf Menschen übertragen 
werden durch Anophelen, die nur Fledermäuse, Sperlinge, Wachteln, 
Eulen und Frösche aus malariaverseuchten Ortschaften gestochen haben. 

H. Schmitz-Cöln: Bakteriologische Untersuchung eines Falles von 
Polymyositis acuta. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig., 
Bd. 65, H. 4 u. 5, S. 259.) Bei einem Falle von Polymyositis acuta 
konnte bei Lebzeiten aus dem Blut wie auch nach dem Tode aus einer 
steril entnommenen Blutprobe ein Staphylokokkenstamm gezüchtet 
werden, der sich weder morphologisch noch kulturell von einem Staphylo- 
coccus pyogenes aureus unterschied, jedoch eine experimentell nach¬ 
gewiesene ausgesprochene Neigung zur Lokalisation in der Muskulatur, 
also eine spezifische Pathogenität für das Muskelgewebe besass. 

Bierotte. 

W. J. Stone und R. Schottstaedt - Toledo (0.): Ueber Kobra- 
gifthämolyse bei Syphilis. (Arch. of int. med., Bd. 10, Nr. 1.) Ueber- 
sicht über die Resultate der Kobragifthämolyse bei Syphilis und ver¬ 
schiedenen anderen Erkrankungen an der Hand von 130 Reaktionen. 
Es reagierten von 4 Patienten mit primärer Lues einer positiv, von 
22 Fällen sekundärer und tertiärer Lues 20 positiv, von 33 Fällen 
latenter sekundärer und tertiärer Syphilis 29 positiv. Stets negativ fiel 
die Reaktion bei 20 klinisch als geheilt angesehenen Fällen von Lues 
aus. Die Weil’sche Reaktion ist im allgemeinen der Wassermann’schen 


ebenbürtig, bei latenter Lues aber feiner als die letztere. Von den 43 
angestellten Kontrollen fiel die Kobragiftreaktion nur in einem Falle 
von morbillenähnlichem Exanthem (Scharlach? Ref.) positiv aus. Be¬ 
sonders empfindlich für die Reaktion schienen Patienten mit aktiver 
Tuberkulose zu sein. C. Kays er. 

Weil. F. B. Simon-Zürich: Ueber spezifische Absorption schützender 
Antikörper aus Streptokokkenianainsenun. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 
I. Abt., Orig., Bd. 65, H. 1—3, S. 206.) Aus den Versuchsergebnissen 
wird geschlossen, dass das Streptokokkenimmunserum durch Kontakt 
mit abgetöteten Streptokokken einen Teil seiner schützenden Eigen¬ 
schaften verliert. Der Verlust war am grössten bei Vorbehandlung mit 
dem homologen Stamm, viel geringer bei Verwendung heterologer, viru¬ 
lenter Streptokokkenstämme. Kontrollversuche mit Staphylokokken er¬ 
gaben keine nachweisbare Abnahme der Wirkung des Serums. Hieraus 
ist zu entnehmen, dass es gelingt, mit geeigneten Streptokokken in vitro 
die spezifischen Immunkörper des Streptokokkenserums zu absorbieren. 

Bierotte. 

H. Aronson und P. Sommerfeld-Berlin: Weitere Mitteilungen 
über die Giftigkeit des Harns bei Masern nnd anderen Infektions¬ 
krankheiten. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 10.) In Fort¬ 
setzung ihrer ersten Versuche fanden die Verff. auch weiterhin bei 
Masern eine Steigerung der Harngiftigkeit, geprüft durch intravenöse In¬ 
jektion bei Meerschweinchen. Auch bei anderen Infektionen, wie Vari¬ 
cellen, Serumexanthemen, Vaccinierten, wurde diese Steigerung der 
Giftigkeit öfter gefunden, nicht aber beim Scharlach. Ob dabei normale 
Giftstoffe in vermehrter Menge ausgeschieden werden, oder ob besondere 
spezifische Substanzen dabei in Frage kommen, ist noch nicht ent¬ 
schieden. Von Interesse ist der Befund, dass Urinasche öfter giftiger 
wirkt als der Urin selbst. Wolfsohn. 

E. C. Hort: Vaccine »ad Fieber. (Brit. med.journ., 8. Februar 1913, 
Nr. 2719.) Das Fieber der Infektionskrankheiten ist die Folge der 
Resorption eines Pyrogens, das durch die Krankheitserreger oder ihre 
Produkte aus den Geweben des Erkrankten gebildet wird, nicht aber 
aus dem Bakterienprotoplasma stammt. Nicht alle abgetöteten Bakterien¬ 
kulturen geben, injiziert, Fieber, sondern fast nur die gramnegativen, 
manche erst nach mehrmaligem Umzücbten auf künstlichen Nährböden. 
Aus den Nährböden wird ebenfalls eine pyrogene Substanz gebildet, die 
den Bakterien fest anhaftet und durch Waschen nicht ganz zu ent¬ 
fernen ist; man findet sie im Nährboden, wenn die Bakterien daraus 
durch Centrifugieren entfernt sind. Bei Versuchen mit den pyrogenen 
Substanzen muss zur Verdünnung ein genügendes Quantum ganz reinen 
Wassers genommen werden, da unreines Wasser und Kochsalzlösung an 
sich Fieber erzeugen können. Die pyrogene Substanz, z. B. die des 
Typhusbacillus, ist schwer löslich in Wasser, leicht in Gitratlösung, 
noch besser in Aether; sie kann also kein Eiweisskörper sein. Die 
Pyrogene scheinen spezifisch zu sein; nicht alle werden von Peroxyden 
oxydiert; sie sind ziemlich hitzebeständig. Eine steigende Körper¬ 
temperatur ist nicht das Zeichen baktericider oder bakteriolytischer 
Vorgänge, sondern im Gegenteil der Ausdruck lebhafter Tätigkeit der 
lebenden Mikroorganismen. Es bleibt noch die wichtige Frage zu lösen, 
bis zu welchem Grade der spezifische Antigenwert einer Vaccine von 
pyrogenen Verunreinigungen aus dem Nährboden herstammt und in¬ 
wieweit von den reinen abgetöteten Bakterien. Wey de mann. 

G. Simon - Strassburg: Ueber die supraintensive Methode der 
Tollwntscbutzimpfong Ferrän’s. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., I. Abt., 
Orig., Bd. 65, H. 4 u. 5, S. 359.) Ausführliche Schilderung der „supra¬ 
intensiven“ Tollwutschutzimpfung nach Ferrän. Bierotte. 

Siehe auch Kinderheilkunde: Klimenko, Blutuntersuchungen 
bei Scharlach. 


Innere Medizin. 

V. Ellermann-Kopenhagen: Anwendung getrennter Pipetten und 
Mischgefässe bei der klinischen Blutzählung. (Deutsches Archiv f. klin. 
Med., Bd. 109, H. 3 u. 4.) Die Blutzählung mit den üblichen Misch¬ 
pipetten hat viele Fehlerquellen. Verf. empfiehlt einen neuen Apparat, 
bestehend aus zwölf kleinen cylindrischen Gläsern, ferner einer Pipette 
für Aufsaugung des Blutes und vier weiteren Pipetten für die Ver- 
dünnungsfiüssigkeiten. Die Zählung geschieht in den gebräuchlichen 
Zählkammern. Die Vorteile der getrennten Pipetten und Mischgefässe 
sind: Geringe Fehlergrenzen, einfache Technik, infolgedessen genauere 
Resultate, Zeitersparnis und die Möglichkeit, mehrere Blutproben kurz 
nacheinander durchzuzählen. 

Fr. v. Roh den-Freiburg i. Br.: Zur Blnteircnlation in der Lunge 
bei geschlossenem nnd offenen Thorax und deren Beeinflussung durch 
Ueber- nnd Unterdrück. (Deutsches Archiv f. klin, Med., Bd. 109, H. 3 
u. 4.) Bei geschlossenem Thorax ist die Kapazität der Lungencapillaren 
abhängig vom intrapulmonalen Druck. Bei Erhöhung findet eine 
schlechtere, bei Erniedrigung eine bessere Durchblutung statt. Bei 
offenem Thorax ist der Blähungseffekt des extrapulmonalen Unterdrucks 
grösser als der des gleichen intrapulmonalen Ueberdrucks. Bei offenem 
Thorax findet bei intrapulmonalem Ueberdruck eine schlechtere Durch¬ 
blutung der Lunge statt als bei gleich grossem extrapulmonalem Unter¬ 
drück. Damit ist am lebenden Organ der experimentelle Beweis er¬ 
bracht für die physiologische Ueberlegenheit des Sauerbruah’schen Unter¬ 
druckverfahrens gegenüber dem Brauer’schea Ueberdruck verfahren. 

G. Eisner. 


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Original fro-m 

UNIVERSUM OF IOWA 



17. Mär* 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


801 


A. W. Harrington und A. M. Kennedy-Glasgow: Knoehcnmark- 
metastasen and Anämie bei Magenkrebs. (Lanoet, 8. Februar 1913, 
N. 4667.) Sektionsbericht. Bei jedem Falle von sohwerer Anämie sollte 
das Vorhandensein von Schmerzen und Druckempfindlichkeit der Knochen 
den Verdacht auf Carcinom des Knochenmarkes erregen. Wenn die 
Blutuntersuohung die Symptome der perniciösen Anämie gibt, aber mit 
übermässig viel Erythroblasten und Myelocyten, so ist die Diagnose 
von Metastasen im Knochenmark höchst wahrscheinlich. 

Weydemann. 

Th. Deneke-Hamburg: Ueber die syphilitische Aortenerkranknng. 
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 10.) Vortrag im Hamburger ärzt¬ 
lichen Verein am 3. Dezember 1912. Wolfsohn. 

W. V. B rem -Los Angeles: Ueber die Beziehungen zwischen Malaria 
und anderen Erkrankungen, speziell Dysenterie. (Archiv of int. med., 
Bd. 9, Nr. 6.) In etwa 1 pCt. der Fälle fanden sich bei Malariafällen in 
Panama Komplikationen mit akuter Dysenterie, Amöbendysenterie, Typhus, 
Pneumonie, Lungentuberkulose und chronischer Nephritis. Abgesehen 
von den beiden letztgenannten Krankheiten, bei denen es sich um eine 
zufällige Coincidenz mit Malariaerkrankung handelte, bedingten die 
übrigen Krankheiten ein Aufflackern einer latenten Malaria. Bei der 
Dysenterie trat dieser Zusammenhang deutlicher zutage als bei Typbus 
und Pneumonie. G. Kays er. 

R. Lenk und L. Pollak«Wien: Vorkommen von peptolytischen 
Fermenten in Exsudaten und dessen diagnostische Bedeutung. (Deutsches 
Archiv f. klin. Med., Bd. 109, H. 3 u. 4.) Alle pathologischen Ergüsse 
in die Körperhöhlen enthalten ein peptolytisches, glycyltryptophan- 
spaltendes Ferment, dessen Menge jedoch nach Art und Herkunft des 
Ergusses in charakteristischer Weise verschieden ist. Die quantitative 
Bestimmung des Fermentgehaltes (peptolytischer Index) gibt einen dia¬ 
gnostisch wertvollen Behelf. Den höchsten peptolytischen Index weisen 
tuberkulöse und carcinomatöse Exsudate auf, den niedrigsten reine 
Stauungstranssudate. Zwischen beiden stehen die akut entzündlichen, 
durch Eitererreger hervorgerufenen Ergüsse sowie die chronischen Ent¬ 
zündungen nicht tuberkulöser Natur. Bei Pleuraexsudaten sprechen sehr 
hohe Werte für Tuberkulose, niedere gegen Tuberkulose. Bei Peritoneal¬ 
ergüssen sprechen erhöhte Werte für Tuberkulose, eventuell Carcinose. 
Ebenso sprechen erhöhte Werte im Lumbalpunktat für Meningitis tuber- 
culosa. 

0. Hirschberg-Kiel: Zur Lehre der Hirnabseesse. (Metastatische 
Hiraab 8 ee 880 aach Bronchialdrfisenabseess.) (Deutsches Archiv f. klin. 
Med., Bd. 109, H. 3 u. 4.) Beschreibung eines Falles von vereiterter 
Bronchialdrüse mit multiplen Hirnabscessen. Die Diagnose konnte 
klinisch nicht gestellt werden, vielmehr verlief der Fall unter dem Bilde 
einer tuberkulösen Basalmeningitis. Eine alte Fistel vom Speiseröhren¬ 
divertikel zu einer Bronchialdrüse hin hatte zum plötzlichen Aufflackern 
einer schweren Eiterung geführt. G. Eisner. 

Th. B. Barringer jun. und W. Warren-New York: Die Prognose 
der Albaminnrie mit oder ohne Cylinder. (Archiv of int. med., Bd. 9, 
Nr. 6.) Bei jugendlichen Personen findet sich häufig eine Albuminurie 
ohne Cylinder. Sie ist nur in Ausnahmefällen ein Symptom für eine 
beginnende Nephritis. Im allgemeinen stellt sie nur ein Zeichen ver¬ 
minderter Resistenz mit Prädisposition zur Tuberkulose dar. Die Mor¬ 
talität solcher Individuen ist gegenüber der normaler Menschen erhöht. 
Fälle von Albuminurie mit hyalinen Cylindern treten in allen Alters¬ 
klassen auf und zeigen keine erhöhte Sterbliohkeitsziffer. Bei Personen 
mit Albuminurie und granulierten Cylindern ist der Prozentsatz der 
Sterblichkeit grösser, und es besteht die Tendenz zur Ausbildung von 
Nieren- und Gefässerkrankungen. Die Prognose jugendlicher Albumin¬ 
urien ist bezüglich der eventuellen Ausbildung einer späteren echten 
Nephritis günstiger als die des höheren Alters. 

CI. B. Farr und W. H. Welk er-Philadelphia: Ueber die Beein¬ 
flussung der Stickstoffangseheidnng durch Theophyllin. (Archiv of 
int. med., Bd. 10, Nr. 1.) Durch Theophyllin wurde in zwei Fällen 
zwar die Flüssigkeitsausscheidung vermehrt, die Stickstoffausfuhr aber 
nur wenig oder gar nicht beeinflusst. In einem Falle von diffuser 
Nephritis fehlte die diuretische Wirkung ganz, und die N-Elimination 
sank stark ab. Nahezu normal wurden die Urinverhältnisse unter Theo¬ 
phyllin in einem Falle von chronisch-interstitieller Nephritis. Der nur 
geringe Einfluss des Theophyllins auf die N-Ausscheidung und die aus¬ 
gesprochene Wirkung auf die Wasser- und Kochsalzabgabe lässt ver¬ 
muten. dass das Mittel vorzugsweise auf die Bowman’schen Kapseln, 
aber so gut wie gar nicht auf die Harnkanälchen wirkt 

C. Kayser. 

J. Hefter - München: Pnrinbasenansscheidnng bei Gesunden und 
Kranken. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 109, H. 3 u. 4.) Im 
normalen Urin beträgt bei purinfreier Kost der Anteil der Purinbasen 
6—11 pCt. der Gesamtpurinausscheidung. Bei Zufuhr purinhaltiger 
Nahrung ändert sich dieses Verhältnis zu ungunsten der Purinbasen. 
Intravenöse Harnsäureinjektion bleibt ohne Einfluss auf die Menge der 
ausgeschiedenen Purinbasen. Zusatz von harnsaurem Natron zu auto- 
lysierenden Organen hat keine hemmende Wirkung aut die Umwandlung 
der Purinbasen zu Harnsäure. Die Ergebnisse zeigen, dass die Um¬ 
kehrung des oxydativen Prozesses Purinbasenf—Harnsäure jedenfalls nicht 
in merklichem Maa$se vor sich geht. Bei purinfrei ernährten Gicht¬ 


kranken verhält sich der Prozentanteil der Purinbasen an der Gesamt- 
purinaussoheidung ähnlich wie beim Gesunden, doch kommen manchmal 
auch höhere Werte vor. Der Prozentanteil der Basen ändert sich bei 
Zulage von purinhaltiger Nahrung wie beim Gesunden, aber in geringerem 
Maasse. Auch bei Gichtkranken wird die Purinausscheidung durch Harn¬ 
säureinjektion nicht beeinträchtigt. G. Eisner. 

Tesche mach er-Neuenahr: Ein Fall von geheiltem (?) Morbns 
Addisonii. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 10.) Es wurde 
Adrenalin und Levioowasser gegeben. Die Heilung scheint eine dauernde 
zu sein. 

F. Schütz und L. Schütz - Königsberg i. Pr.: Ueber das Vor¬ 
kommen von Typhasbaeillen aif den Tonsillen Typhnskranker. 

(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 10.) Bei 37 Typhuskranken 
gelang es den Verff. auch bei mehrmaliger Untersuchung niemals, Typhus¬ 
bacillen auf den Tonsillen nachzuweisen. Eine Verbreitung des Typhus 
durch Sputum und feinste Tröpfchen dürfte demnach kaum zu befürchten 
sein. Die Möglichkeit des Vorkommens von Typhusbacillen in der 
Mundhöhle wird nicht geleugnet. Es treten dann aber richtige typhöse 
Ulcerationen auf. Wolfsohn. 

Siehe auch Chirurgie; Kuhn, Zur Technik der Kochsalzinfusion. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Siehe auch Physiologie: Grund, Einfluss der Inaktivitäts¬ 
atrophie auf die Stickstoff- und Phosphorverteilung im Muskel. — 
Innere Medizin: Hirschberg, Metastatische Hirnabseesse nach 
Bronchialdrüsenabscess. 


Kinderheilkunde. 

L. Kaumheimer- Heidelberg: Zusammenhang von Gesichtslage und 
spontaner, infantiler Gebnrtslähmnng. (Monatssehr. f. Kinderheilk., 
1913, Originalien, Bd. 11, S. 455.) Bei Gesichts läge könne es infolge der 
Deflexion zu Lähmungen beider oberen Extremitäten kommen, mit Wahr¬ 
scheinlichkeit spiele dabei die Intensität und die Dauer der Deflexion 
eine ausschlaggebende Rolle. Die Lähmungen können ganz symmetrisch 
sein und entsprächen dem unteren Typus (7., 8. Cervical- und 1. Dorsal¬ 
segment). Wahrscheinlich werden dabei die Wurzeln sehr nahe ihrem 
Ursprung aus dem Marke oder innerhalb des Rückenmarkes selbst ge¬ 
schädigt. 

W. Usener-Leipzig: Ueber Nabelschnnrbrnch. (Jahrb. f. Kinder¬ 
heilk., 1913, Bd. 77, S. 181.) Im Anschluss an die Mitteilung zweier 
eigener Beobachtungen verbreitet sich Verf. über die Aetiologie des 
Nabelschnurbruches, die keinesfalls eine einheitliche sein könne. Als 
Ursachen kommen in Betracht: 1. Mechanische, Zug nach aussen: Per¬ 
sistenz des Ductus omphalomesentericus, abnorm kurze Nabelschnur; 
abnorm erhöhte intraabdominale Druckverhältnisse: Dorsalkonkavität der 
Wirbelsäule; intraabdominale Tumoren. 2. Echte Entwicklungshemmungen 
an bestimmten Teilen der fötalen Anlage. Diese ätiologischen Momente 
seien in jedem Falle gegeneinander abzuwägen. 

E. Conradi-Cöln: Friedländer-Sepsis mit schweren Nebennieren- 
blotnngen in einem Falle von Lnes hereditaria. (Jahrb. f. Kinderheilk., 
1913, Bd. 77, S. 190.) Kasuistik. 

S. Wolf-Gnesen: Postdiphtherische Faeialislähnung. (Jahrb. f. 
Kinderheilk., 1913, Bd. 77, S. 194.) Bei einem 3 1 / 2 Monate alten Kinde 
stellte sich nach einer Nasendiphtherie eine Facialislähmung ein, die 
nach Injektion von 12 000 Immunisierungseinheiten (in zwei Dosen von 
8000 und 4000 in zwei Tagen) ca. 8 Wochen nach der Erkrankung in 
Heilung überging. 

E. Rachmilewitsch-Strassburg: Hantreaktionen von Kindern mit 
exsudativer Diathese. (Jahrb. f. Kinderheilk., 1913, Bd. 77, S. 176.) 
Bei Kindern mit exsudativer Diathese fand Verf. eine Reaktion, be¬ 
stehend aus Quaddelbildung, seröser Exsudation und schwerer Gerinn¬ 
barkeit des Exsudats bei Applikation eines Senfteiges auf die leicht 
irritierte Epidermis. Bei Kindern ohne exsudative Diathese bleibt die 
Quaddelbildung und Exsudation bei gleicher Reiztechnik aus. Bei Neu¬ 
geborenen fand Verf. diese Reaktion speziell bei schweren Kindern, was 
vielleicht auf den höheren Wassergehalt dieser Kinder zu beziehen sei. 
Verf. will diese Reaktion weiter ausarbeiten, um es zu ermöglichen, die 
Diathese im latenten Stadium oder in zweifelhaften Fällen zu erkennen. 

C. B e c k - Frankfurt a. M.: Die Beteiligung der Schleimhaut des 
Urogenitalapparates am Symptomenkomplex der exsadativen Diathese. 
(Monatsschr. f. Kinderheilk., 1913, Originalien, Bd. 11, S. 468.) B. be¬ 
stätigt die Beobachtung Lust’s (vgl. diese Wochenschr., 1911, S. 2266), 
dass bei den Kindern mit exsudativer Diathese in mehr als der Hälfte 
der Fälle ein desquamativer Prozess der Harnwege zur Beobachtung 
komme. Bisweilen ist dieser Befund als , das einzige Symptom dieser 
Diathese zu eruieren. 

i •» • 

J. K. Friedjung: Wiederholte Erkranknng an Parotitis epidemica. 
(Jahrb, f. Kinderheilk., 1913> Bd. 77, S. 197.) Verf. berichtet über die 


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UNIVERSUM OF IOWA 




502 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT, 


Nr. 11. 


wiederholte Erkrankung eines Kindes an Mumps im Alter von 15 und 
19 Monaten. Zwischen beiden Erkrankungen bestanden dauernd sub¬ 
febrile Temperaturen; das Kind hatte zu einer Neuinfektion an fremden 
Kindern keine Gelegenheit; Verf. ist geneigt, die zweite Erkrnnkuog als 
eine Exacerbation der ersten zu betrachten. R. Weigert. 

W. N. Klimenko-St. Petersburg: Bakteriologische Blutunter¬ 
suchungen beim Scharlach. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., 
Bd. 65, S. 45.) Die Untersuchungen sollten die Häufigkeit des Vor¬ 
kommens des Streptococcus im Blute der Scharlachkranken feststellen 
und die Bedeutung seines Vorhandenseins im Blute für den Verlauf und 
die Prognose des Scharlachs klarlegen. Kl. konnte ihn nur selten — in 
etwa 2 pCt. aller Fälle — im Blute nachweisen. Ein Eindringen des 
Streptococcus in das Blut im frühen Stadium der Krankheit findet nie 
statt; erfolgt es, so treten die Erscheinungen der Septicopyämie in den 
Vordergrund. Durch das Vorhandensein des Keimes im Blut wird die 
Prognose bedeutend erschwert, wenn auch nicht unbedingt hoffnungslos. 
Wechselbeziehungen zwischen Eindringen des Streptococcus in die Blut¬ 
bahn und zwischen Scharlachsynoviten, -nephritiden und -endocarditiden 
bestehen nicht. Zwischen den Ergebnissen der vitalen und postmortalen 
Untersuchung des Blutes an Scharlach verstorbener Personen existiert 
keine volle Uebereinstimmung; aus dem postmortal entnommenen Blut 
wird der Streptococcus öfter gezüchtet. Bei rein toxischen Scharlach¬ 
fällen enthält das Blut weder während des Lebens noch nach dem Tode 
Streptokokken. Zwischen den geschwürigen Prozessen Scharlachkranker 
und dem Eindringen der Streptokokken ins Blut gibt es zweifellos Be¬ 
ziehungen. Der aus Scharlachkranken- oder -Leichenblut gezüchtete 
Streptococcus ist nach seinen morphologischen wie kulturellen Merk¬ 
malen ein Streptococcus longus s. erysipelatos. Bierotte. 

N. Stricker-Strassburg: Zur Tuberknlindiagnostik im Kindes¬ 
alter. (Monatsschr. f. Kinderheilk., 1913, Bd. 11, Orig., S. 481.) Der 
positive Ausfall der Tuberkulinreaktionen ist im Säuglingsalter so gut 
wie immer für das Bestehen einer aktiven Tuberkulose beweisend. Im 
späteren Kindesalter ist er nur ein Beweis einer einmal stattgehabten 
tuberkulösen Infektion. Der negative Ausfall der Tuberkulinreaktionen 
ist weder im Säuglings- noch im späteren Kindesalter streng beweisend 
für das Fehlen von Tuberkulose. Die Cutanreaktion versagt häufig, 
trotz vorhandener Tuberkulose, bei weit vorgeschrittenen Erkrankungen, 
sowie bei Individuen, die an anderweitigen akuten Infektionen (Masern, 
Pneumonien) erkrankt sind. Der Zustand der Haut ist für den Cha¬ 
rakter der Pirquet’schen Reaktion von Bedeutung. Exsudative Kinder 
reagieren meist intensiv. Aus der Intensität und Dauer der Tuberkulin¬ 
reaktionen, sowie aus der Höhe der erfolgreichen Dosis bei subcutaner 
Injektion ist kein Schluss erlaubt auf die Aktivität oder Inaktivität des 
tuberkulösen Prozesses. Eine vorsichtige, kritische Beurteilung einer 
Temperatursteigerung nach Tuberkulininjektionen ist absolut notwendig. 
Kinder können schon aus geringfügigen Ursachen unvermutete, plötzliche 
Temperatursteigerungen aufweisen. Besonders deutlich zeigt sich dies 
bei Scharlachrekonvaleszenten und bei exsudativen Kindern, zumal 
solchen mit chronischen Nasen-Rachenaffektionen. In allen zweifelhaften 
Fällen ist die Wiederholung der Reaktion unerlässlich. Die sogenannte 
Herdreaktion ist nur selten zu verwerten, weil die Intensität der Sym¬ 
ptome bei allen Lungenerkrankungen schnellem Wechsel unterliegt. Ist 
sie einwandfrei nachweisbar, so ist sie ein sicheres Zeichen einer aktiven 
Tuberkulose. Die positiven Resultate der Cutanreaktion bleiben hinter 
den positiven Resultaten der subcutanen Reaktion zurück. Die sub- 
cutane Injektion ist nicht ganz ungefährlich, und deshalb sind wir ver¬ 
pflichtet, bei ihrer Ausführung mit grösster Vorsicht vorzugehen. Die 
Cutanreaktion ist praktisch ungefährlich, wenn es auch dabei gelegent¬ 
lich zu Allgemeinsymptomen, wie Fieber usw., kommen kann. Stich¬ 
reaktionen — von mehreren Autoren nioht übereinstimmend beschrieben 
— sind nicht regelmässig zu beobachten und schliessen eine Temperatur¬ 
steigerung nicht aus. Die Intracutanreaktion besitzt alle Vorzüge der 
Hamburger’schen Stichreaktion und schliesst eine Allgemeinreaktion 
weit sicherer aus. Der diagnostische Wert der Tuberkulinreaktionen 
ist vielfach überschätzt worden. Der positive oder negative Ausfall der 
Tuberkulinreaktionen fügt sich, wie jedes andere Symptom in den Rahmen 
des klinischen Bildes ein und darf nur in diesem Zusammenhang zur 
Diagnose mit herangezogen werden. 

G. v. Ritter-Pilsen: Ueber die klinische Verwendbarkeit der 
Acetonreaktion in der Kinderpraxis. (Jahrb. f. Kinderheilk., 1913, 
Bd. 77, S. 146.) Der Verf. macht auf die vermehrte Acetonausscheidung 
im Urin beim „verdorbenen Magen“ der Kinder aufmerksam, wobei 
gleichgültig ist, ob die Affektion fieberhaft oder (seltener) afebril ver¬ 
läuft. Die meist gleichzeitig bestehende katarrhalische Affektion der 
Rachenorgane sieht Verf. im Gegensatz zu früheren Beobachtern dieses 
Phänomens, die eine Infektion als das ätiologische Moment betrachten, 
als eine sekundäre Erscheinung der Erkrankung an, und zwar als eine 
Reizung der Schleimhaut durch exspiriertes Aceton. Der Befund der 
Acetonurie verlangt eine spezielle Therapie: Entleerung des Darmes, 
leere flüssige Kost unter Beigabe von Kohlehydraten, Verabreichung von 
Alkalien. 

E. Lief mann-Strassburg: Die Aeetonausseheidung im Urin ge¬ 
sunde? und spasmophiler junger Kinder. (Jahrb. f. KinderheiHr., 1913, 
Bd. 77, S. 125.) Bei gesunden Säuglingen! schwankt nach 'den Unter¬ 
suchungen des Verf. die Acetonausscheidutig zwischen 1—5 mg, sowohl 
bei Brustkindern wie künstlich ernährten* sofern die Nahrung der 


letzteren genügend Kohlehydrate enthält. In den einzelnen Urinportionen 
schwanken die Werte bei gleichbleibender Nahrung nur wenig. Im 
zweiten Lebensjahr nimmt die Acetonausscheidung bei dem grösseren 
Körpergewicht relativ zu; die physiologische Acetonurie ist aber um so 
grösser, je jünger das Kind ist, wie schon Langstein fand. Die 
Acetonausscheidung ist auch abhängig von individuellen Eigentümlich¬ 
keiten. Das Weglassen der Kohlebydratzulage (Milchzucker) vermehrt 
die Acetonurie, ebenso Fettzulage (Lebertran) bei kohlebydratarmer 
Nahrung. Die Schnelligkeit des Anstieges der Aceton werte bei Inanition 
unterliegt individuellen Verschiedenheiten der Kinder, wie das auch 
beim Erwachsenen beschrieben wurde. An heissen Sommertagen scheint 
mehr Aceton in der Atemluft ausgeschieden zu werden, worauf die 
Werte im Urin geringer werden. Bei Kindern mit Tetanie — speziell 
solchen mit manifester Tetanie — konnte Verf. eine erhebliche Ver¬ 
mehrung der Acetonwerte selbst bei einer vorwiegend aus Kohlehydraten 
bestehenden Kost feststellen. Dies bestätigt die Vermutung einer Stoff¬ 
wechselanomalie (AcidoseV) als Ursache der Tetanie. Auf die an inter¬ 
essanten Einzelheiten und Ausblicken reichen Untersuchungen der Verf. 
sei ausdrücklich verwiesen. 

Bauer - Düsseldorf: Ueber eine Reaktion zur UnterocheidiiBg von 
Kuh- und Frauenmilch. (Monatsschr. f. Kinderheilk., 1913, Bd. 11, 
S. 474.) Fügt man zu 2—3 ccm Kuh- bzw. Frauenmilch je einen 
Tropfen einer V 4 P roz - wässerigen Lösung von Nilblausulfat (Grübler), 
so färbt sich die Kuhmilch grünblau, die Frauenmilch violett. Schüttelt 
man diese Milchen mit der fünffachen Menge Aether, so bleibt die Kuh¬ 
milch blau, während sich die Frauenmilch entfärbt, indem offenbar der 
Farbstoff in den Aether übergeht. Alte, nnbrauchbar gewordene Frauen¬ 
milch gibt diese Reaktion nicht mehr, während sie, im Kühlraum auf¬ 
bewahrt, wochenlang diese Probe weiter besteht. Die Reaktion lässt 
sich in ähnlicher Weise mit Neutralrot ausführen. 

F. Pferrsdorff und K. Stolte-Strassburg: Ueber die Ausnatniig 
voa Mehl- und Griessbreien beim Säaglinge. (Monatsschr. f. Kinder¬ 
heilk., 1913, Bd. 11, Orig., S. 476.) Die Verff. zeigten in Stoffwechsel¬ 
untersuchungen, dass es für den Säugling praktisch gleich ist, ob er 
mit Mehl oder Griess zubereitete Breie erhält. Der Stickstoffansatz ist 
in beiden Perioden fast gleich, der Verlust an zuckerbildendem und 
brennbarem Material ist in der Griessperiode zwar ein wenig grösser, 
doch kommen die Differenzen praktisch kaum in Betracht. Wir können 
uns also mit Vorteil der cellulosehaltigen Kohlehydrate (Griess, Reis) 
in der Säuglingsernäbrung bedienen, zumal die Erfahrung lehrt, dass bei 
der Kohlehydraternährung des Kranken um so grössere Sicherheit be¬ 
steht, je länger der Weg ist, der beim Abbau vom verfütterten Kohle¬ 
hydrat bis zum Zucker zu durchlaufen ist. 

E. A. Frank-Hannover: Die Anwendung der Molketherapie bei 
rahrartigen Darmkatarrhen und ihre Erfolge. (Jahrb. f. Kinderheilk., 
1913, Bd. 77, S. 163.) Nicht beendet. R. Weigert 

A. de Besche-Christiania: Untersuchungen über die taberkalose 
Infektion im Kindesalter. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 10.) 
B. bat Hals- und Mesenterialdrüsen von 134 Kindern auf Meerschwein¬ 
chen überimpft. Er fand so in etwa 39 pCt. der Fälle eine tuberkulöse 
Infektion. Die Häufigkeit derselben nahm mit dem Alter der Kinder zu. 
In vielen Fällen erwiesen sich beide Drüsengruppen als infiziert, so dass 
man berechtigt ist, von einer generellen Lymphinfektion zu reden. Unter 
50 Fällen fand sich 45 mal der Typus humanus, 3 mal der Bovinus, 
einmal wahrscheinlich eine Mischkultur. Man muss demnach annehmen, 
dass sich ungefähr 6—8 pCt. der tuberkulösen Infektionen von Kühen, 
die übrigen sämtlich von Menschen herleiten. Wolfsohn. 


Chirurgie. 

H. Harttung - Breslau: Ueber Lokalanästhesie bei Operatioaen 
am Brustbein. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 10.) Es wurde 
eine Mediastinotomia longitudinalis in lokaler Anästhesie ausgeführt. 
Zu beiden Seiten des Sternums wurden je 5 Quaddeln gebildet und 
durch Verbindung derselben das ganze Operationsfeld umspritzt. Das 
Jugulum wurde tief infiltriert. Die Anästhesie war komplett. 

Wolfsohn. 

P. Babitzki - Kiew: Die Anästhesie des Nervus isehiadieus. 
(Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 7.) Bei intraneuralen Injektionen kommt 
es darauf an, dass man die anästhesierende Lösung sicher in den Nerv 
hineinbringt. B. verfährt so: Mit dem in das Rectum eingeführten 
Finger palpiert er absolut sicher den Nerv und spritzt, immer unter 
Kontrolle des Fingers, mit der durch die M. glutaei von aussen zum Nerv 
vordringenden Nadel nun den Norv ein. Genial ist das Verfahren von 
Perthes, der mit einer lackierten Nadel, deren Spitze allein elektri¬ 
siert, den Nerv injiziert. Nur wenn die entprechende Muskelgruppe 
zuckt, injiziert er! 

F. Kuhn - Berlin: Zur Technik der Koehsalainfusion. (Centralbl. 
f. Chir., 1913, Nr. 9.) K. empfiehlt zur Infusion ein Gemenge von 
Traubenzucker, Alkalizuckerbindungen und Kochsalz.» K. gibt einen 
Apparat an, mit dam es möglich ist; jederzeit den Druok und die Menge 
derjzu infundierenden Flüssigkeit zu regulieren. Sehrt, 


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17. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


503 


S. Semenow ■ Blumenfeld - Rostow a. Don: Ein Beitrag zum 
latente* Erysipel. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 10.) Yerf. 
hat zwei Fälle beobachtet, die sich an das jüngste von A. Schlesinger 
beschriebene seltene Krankheitsbild des latenten Erysipels eng an- 
schliessen. Die Infektion verlief in beiden Fällen erst mehrere Tage 
lang in der Tiefe, um sich dann erst an der Oberfläche zu zeigen. 

Wolfsohn. 

A. Stoney - Dublin: Die Erfahrungen eines Jahres mit Dioradin 
hei chirurgischer Tuberkulose. (Brit. med. journ., 1. Februar 1913, 
Nr. 2718.) Der Verfasser hat im ganzen bisher 28 Fälle behandelt; 
Dioradin ist kein sicheres Mittel für alle Fälle, in manchen heilt es 
aber rascher und sicherer als irgendein anderes, besonders bei frischer 
Gelenktuberkulose, aber auch bei Abscessen und Fällen mit septischen 
Komplikationen. Die Infektionen waren stets unschädlich. 

Weydemann. 

W. Böoker - Berlin: Zur Frage der Indikationen der Arthrodese. 
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 10.) Kurze Zusammenstellung 
der Indikationen für die verschiedenen Gelenke. Nichts Neues. 

Wolfsohn. 

G. Frattini - Modena: Eine neue Anwendung der freien Osteo¬ 
plastik in der Fixation des paralytischen Fasses. (Centralbl. t. Chir., 
1913, Nr. 7.) In einem Fall ist F. so vorgegangen: Er brachte ein 
Knochenperioststück der Tibula zwischen den angefrischten Malleolus 
ezternus und Galcaneus, fixierte dasselbe mit Seidennähten, frischte dann 
die entsprechenden Gelenkflächen von Talus und Naviculare an. ver¬ 
nähte. Darüber wurden dann die ausgedehnten Sehnen des Tibialis 
anticus und posticus vernäht. Guter Erfolg. 

Friedemann - Langendreer: Zur Frage der freien Transplantation 
des Peritonennis. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 8.) Ein markstück¬ 
grosses Serosadefekt heilte ohne Deckung mit Peritoneum. Peristaltik 
setzte sofort ein. Der Schluss, den Hof mann aus seinem Fall — wo 
er einen ähnlichen Defekt mit frei transplantierten Peritoneum deckte — 
zieht, dass das transplantierte Peritoneum angeheilt sei, ist also nicht 
bindend. 

M. Borchardt - Berlin: Behandlung beginnender Gangrän. 
Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 9.) B. hat in einem Falle von beginnender 
oder drohender Gangrän mit bestem Erfolge Wechselbäder angewandt. 
B. empfiehlt für das intermittierende Hinken, das häufig der Beginn 
einer Gangränbildung sein kann, ebenfalls diese Therapie. Auch ist 
die Methode geeignet, anzuzeigen, bis wohin die Ernährung eines Beines 
noch ausreichend ist (Hyperämiegrenze!). Sie dürfte daher ein wich¬ 
tiges Mittel sein, festzustellen, in welcher Höhe bei Gangrän amputiert 
werden muss. 

P. Schulze - Duisburg: Die Rekonstruktion der Bauchdeeken. 
(Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 8.) S. erreicht dadurch eine gute 
Adaption der Bauchdecken, dass er zuerst jede Wunde mit Roser’schen 
Klauenschiebern verschliesst und dann erst die Naht an legt. 

S. Galpern - Twer: Oesophagnsplastik mit der Magenwand. 

(Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 8.) G. hat sohon vor Jianii, dessen 
Verfahren an Hunden und Leichen ausgeführt und kann seine Güte be¬ 
stätigen. (J. bildet bekanntlich aus der grossen Kurvatur einen ge¬ 
stielten Lappen, den er zur Röhre schliesst.) G. bat gefunden, dass 
man so einen 22 cm langen Schlauch bilden kann, den er nach Roux- 
Hersen suboutan bis ins Jugulum führte. Ist der Schlauch kürzer, 
muss man die unterste Rippe resezieren und gewinnt so Raum. 

W. Meyer - New-York: Ein Vorschlag bezügliob der Gastrostomie 
und Oesophagnsplastik nach Jianii-Röpke. (Centralbl. f. Chir., 1913, 
Nr. 8.) M. hat einen Fall mit Erfolg nach Jianii operiert. Er schlägt 
für Fälle von Oesophagusresektion vor, den aus der Magenwand ge¬ 
bildeten, gut ernährten Schlauch durch den Schlundschlitz des Zwerch¬ 
fells durchzuführen und ihn mit dem Oesophagusende intrathoracal zu 
vereinigen. 9 

G. Farlavecchio-Palermo: Pylornsanssehaltnng mittels Schnur 
und nicht mittels Fadens. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 9.) P. legt 
um das Centrum eine 1 cm breite baumwollene Schnur, die er über¬ 
näht. Diese Methode dürfte durch die Wilms’sche Methode der Aus¬ 
schaltung durch einen frei transplantierten Fascienstreifen ausser Dis¬ 
kussion gestellt sein. Am besten ist wohl die Eiselsberg’sche Durch¬ 
trennung des Pylorus mit Verschluss von Duodenum und Magen. 

0. Uffreduzzi und G. Giordano - Turin: Abänderungen an der 
Ronx’sehen Gastro-jejnno-Oesophagostomie. (Centralbl. f. Chir., 1913, 
Nr. 7.) Roux hat im Jahre 1907 folgende Methode des Oesophagus- 
ersatzes publiziert: Aus dem oberen Teil des Jejunums hat er ein 
genügend langes Stück reseziert, hat es jedoch mit dem Mesenterium 
in Zusammenhang gelassen. Nach Ausschaltung der resezierten Darm¬ 
schlinge hat er dann die beiden zurückbleibenden Jejunumenden End zu 
End aneinander genäht. Von oben nach unten hat er nun 4 bis 
5 Mesenterialarterien der ausgeschalteten Schlinge unterbunden, da 
bekannt ist, dass aus den letzten Arkadien kurze' Vasa recta auf- 
stiegen, die eine Ernährung des oberen Jejunumteiles garantieren. 
Auf diese Wei9e hat er das obere Jejunumende gut mobilisiert. Das 
anale Ende der^ ausgeschalteten Schlinge hat er dann in den Magen 


eingepßanzt. Das orale Ende zog er durch die Bauchwunde heraus und 
führte es durch einen subcutanen Tunnel bis zum Jugulum herauf, wo 
es in einem äusseren Hautschnitt zum Vorschein kam und fixiert wurde. 
Die Italiener haben nun das Verfahren so modifiziert, dass sie das 
Jejunum 15 cm unter der Plica jejunoduodenalis durchtrennten, das zu¬ 
führende Jejenumlumen 25 cm unter dem Durchtrennungsschnitt in das 
anführende Jejunum einpflanzten und dann die 25 cm-Jejunum aus der 
Bauchwunde heraus unter der Haut ins Jugulum führten. Im zweiten 
Teil wurdo dann einfach eine Anastomose zwischen Magen und dem 
nach dem Jugulum hinaufführenden, teilweise mit seinem Mesenterium 
noch verbundenen Jejunum angelegt. Den „Roux innerhalb der Brust“ 
führten sie ähnlich aus: Resektion der verengten Stelle der Speiseröhre — 
Cordia (seitlicher Pleuraschnitt), Verschluss und Versenkung der Cardia, 
Vereinigung der auf obige Art behandelten Jejunumschlinge mit dem 
Röhrenende (Durchziehen durch den Hiatus oesophagealis). Zum Schluss 
Anastomose zwischen Magen und mobilisierter Jejunumschlinge wie 
vorhin. Diese Modifikation wurde in Tierexperimenten erprobt. 
Herzen hat bekanntlich das Roux’sche Verfahren als einziger an einer 
20 jährigen Patientin mit Oesophagusstenose mit Erfolg ausgeführt. 

T. Dergani - Laibach: Appendectomia subserosa. (Centralbl. f. 
Chir., 1913, Nr. 8.) Jeder wissenschaftliche Chirurg sollte eine „Aus¬ 
schaltung“ des Processus nach Hof mann perhorrescieren (sehr richtig! 
Referent). In Fällen, in denen die Appendix nicht entwickelt werden 
kann, spaltete D. das bedeckende Gewebe longitudinal und zieht dann 
den skalpierten Processus leicht heraus. Sehrt. 

P. Herz - Berlin-Lichtenberg: Heber operative Behandlung der 
Nierenentzündung. (Deutsche med. Wochenschr., 1918, Nr. 10.) Die 
Nierendekapsulation und Nierenspaltung sind wirksam bei Koliken und 
essentiellen Blutungen bei Anurie und Urämie. Heilung einer Nephritis 
ist jedoch damit so gut wie nie beobachtet worden. Wolfsohn. 


Röntgenologie. 

0. W. Barratt-Liverpool: Die Wirkung von Sehtrlach-R 
auf mit Röntgenstrahlen behandelte Haut. (Lancet, 15. Februar 1913, 
Nr. 4668.) Wenn in das Kaninchenrohr, das vor längerer Zeit mit 
Röntgenstrahlen behandelt worden ist, eine Lösung von Scharlach-R 
eingespritzt wird, so folgt eine Epithelwucherung, die ausserordentlich 
stark werden kann, wenn die Strahlen nicht übermässig zerstörend ge¬ 
wirkt haben. Gleichzeitig besteht eine deutliche Neigung zur Nekroti¬ 
sierung, und diese Neigung ist um so grösser, je stärker die Hautanhänge 
zerstört sind. Weydemann. 


Urologie. 

K. M. Walker: Die Wege der Infektion bei der Urogenital- 
tuberkulose. (Lancet, 15. Februar 1913, Nr. 4668.) Der Verf. neigt der 
Ansicht von Keyes zu, nach der bei jeder tuberkulösen Epididymitis eine 
Tuberkulose der Prostata vorhanden ist. Eine grosse Zahl der Prostata¬ 
tuberkulosen sind sekundäre Infektionen von den Nieren aus. Aber 
auch wenn keine Niereotuberkulose vorhanden ist, können die Tuberkel¬ 
bacillen mit dem Urin zur Prostata gelangen, was sich klinisch und 
pathologisch zeigen lässt. Mikroorganismen können auch von der 
Urethra aus die Nieren erreichen, ohne dass der Harnfluss behindert ist. 
Die Wanderung der Mikroorganismen geschieht in den Lympbgeflechten, 
die den Ureter umgeben. Weydemann. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

Buttersack - Trier: Seife nls Ursache des Hautjuckens. (Deutsche 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 10.) Nach Fortlassen der Seife blieb auch 
das Jucken allmählich fort. 

M. Holth - Kristiania: Mit Salvarsan behandelte Mütter und ihre 
Kinder. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 10.) Behandlung von 
luetischen Graviden mit Salvarsan. Die Kinder wurden ausgetragen und 
waren zum grossen Teil symptomfrei. Wolfsohn. 

Siehe auch Pharmakologie: Kersten, Tierexperimente mit 
Salvarsan und Neosalvarsan. 


Geburtshilfe und Gynäkologie. 

Henkel-Jena: Zur biologischen Diagnose der Schwangerschaft. 
(Archiv f. Gynäkol., Bd. 99, H. 1.) Die Vermehrung des Antitrypsin - 
gehalts in der Schwangerschaft gestattet keine diagnostische Verwertung, 
weil der gleiche Befund auch bei den verschiedenen Erkrankungen er¬ 
hoben wird. Dagegen stellt die von Abderhalden angegebene Me¬ 
thode einen, sehr bedeutsamen Fortschritt dar. Es wurde sowohl die 
optische Methode, die auch quantitative Messungen gestattet, als auch 
das einfachere Dialysierverfahren angewandt. Beide Methoden verlangen 
sehr sorgfältiges Arbeiten und Vermeidung aller möglichen Fehlerquellen. 


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504 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 11. 


Dann aber geben sie einwandfreie Resultate; in 40 Fällen kam kein 
Irrtum vor. Besonders wichtig ist die Methode zur Differentialdiagnose 
zwischen Pyosalpinx und Extrauteringravidität. 

Gottschalk - Berlin: Beitrag zur Lehre von der Hydrorrhoea 
nteri gravidi amnialis. (Archiv f. Gynäkol., Bd. 99, H. 1.) In dem 
betreffenden Falle gingen im siebenten Monat etwa 2 l j 2 Liter Frucht¬ 
wasser ab; der Abgang hielt an, bis nach 46 Tagen ein lebensfrohes, 
normales Kind geboren wurde. Im Fruchtwasser konnte Harnstoff und 
Lanugohärchen nachgewiesen und damit der amniale Ursprung der 
Hydrorrhöe sicher gestellt werden, obgleich jeder Blutabgang fehlte, der 
sonst als Kriterium dafür angesprochen wird. An der Placenta fand 
sich keine Andeutung einer Margobildung. Die mikroskopische Unter¬ 
suchung der Eihäute ergab dieselben in der Umgegend des Eihautrisses 
im Zustand völliger Nekrobiose. Als wahrscheinliche Ursache hierfür 
fand sich am Placentarrand zwischen Chorion und Amnion ein dichtes 
Leukocytenlager, das wohl die Ernährung des Amnion von seiten des 
Chorion gestört hatte. 

Dienst • Leigzig: Weitere Mitteilungen über Blitveränderuugen 
bei der Eklampsie und Schwangerschaftsniere im Gegensatz zur 
normalen Schwangerschaft und über Maassregeln, die sich daraus für die 
Therapie ergeben. (Archiv f. Gynäkol., Bd. 99, H. 1.) Durch neue 
Untersuchungen hat Yerf. wiederum festgestellt, dass bei Schwanger¬ 
schaftsniere und Eklampsie der Fibrinogengehalt des Blutes gesteigert 
ist. Ferner lässt sich bei diesen Erkrankungen Fibrinferment, das er 
als ätiologischen Faktor ansieht, direkt im Blut nachweisen; andererseits 
fehlt das normalerweise vorhandene Antithrombin im Blut und in der 
Leber. Gegen den durch das Fibrinferment verursachten Gefässkraropf 
wirken Narcotica günstig (Stroganoffsche Methode); der Aderlass ent¬ 
fernt einen Teil des Ferments und stellt günstigere Circulationsver- 
hältnisse her; aber trotzdem sollte man mit der Entfernung der Gift¬ 
quelle, der Placenta nicht zu lange zögern. Prophylaktisch zur Be¬ 
kämpfung der Neigung zur Thrombenbildung empfiehlt sich in der 
Schwangerschaft der Genuss saurer Getränke. L. Zuntz. 

M. Traugott und M. Goldstrom - Frankfurt a. M.: Bakterio¬ 
logische Untersuchung des Vaginalsekretes Kreissender und seine pro¬ 
gnostische Bedentnng für den Verlauf des Wochenbettes. (Centralbl. 
f. Gynäkol., 1913, Nr. 7.) ln der Klinik wurden bakteriologische Unter¬ 
suchungen an 902 Kreissenden angestellt. Das Sekret wurde mit dem 
Sekretpinsel entnommen, und dabei wurden nur solche Kreissenden berück¬ 
sichtigt, die fieberfrei eingeliefert waren, und bei denen nicht Gonorhöe 
oder Lues vorlag. Die Temperatur wurde im Verlauf des ganzen Wochen¬ 
bettes täglich zweimal gemessen und als Fiebergrenze 38 angenommen. 
Es verliefen spontan 839 Fälle, mit manueller Hilfe bei Beokenend- 
lagen 40, durch Operation per vias naturales (Zange, Wendung, Per¬ 
foration) 23 Fälle. Es fieberten im Wochenbett über 38 Grad ohne 
Streptokokken 12,3 pCt, welche spontan entbunden waren, 10,2 pCt. 
Spontanentbundene mit anhämolytischen Streptokokken und 15,79 pCt. 
von Spontanentbundenen mit hämolytischen Streptokokken. Von den 
mit manueller Hilfe in Steisslage entbundenen Patientinnen fieberten 
6,25 pCt., ohne dass sich Streptokokken nachweisen liessen, 8,38 pCt. 
mit anhämolytischen Streptokokken. Von den per vias naturales künst¬ 
lich Entbundenen waren 30pCt. vorhanden, ohne dass sich Strepto¬ 
kokken nachweisen liessen, 15,37 pCt. mit anhäraolytischen Streptokokken. 
Bei den künstlich Entbundenen fanden sich hämolytitische Strepto¬ 
kokken überhaupt nicht. Es hatten von 902 Frauen überhaupt Strepto¬ 
kokken nur 388, keine Streptokokken 514. Von den ersteren hatten 
Temperaturen über 38 axillar 64 gleich 12,45 pCt, von den letzteren 
nur 41 oder 10,5 pCt. Man kommt also zu dem Resultat, dass die¬ 
jenigen Frauen, welche vor der Entbindung keine Streptokokken im Sekret 
hatten, weniger Temperatursteigerungen aufwiesen, als diejenigen, welche 
vor der Entbindung im Sekret Streptokokken hatten. Die Verfasser 
schliessen mit Recht hieraus, dass es ganz gleichgültig ist, ob die 
Kreissenden, welche ohne Fieber zur Geburt kommen, bei ausschliesslioh 
rektaler Untersuchung ante partum Streptokokken im Sekret haben 
oder nicht. Siefart. 

Els-Cöln: Giftigkeit und GerinnaDgsverzögeriing intraperi- 
tonealen Blutergusses nach Tubenraptar. (Archiv f. Gynäkol., Bd. 99, 
H. 1.) Vielerlei spricht dafür, dass die schweren klinischen Erschei¬ 
nungen bei Tubenruptur nicht nur auf die Grösse des Blutverlustes, 
sondern auch auf eine GiftwirkuDg des resorbierten Blutes zurückzu¬ 
führen sind. Daher soll nicht nur sofort operiert werden, sondern bei 
der Operation auch das Blut möglichst vollständig entfernt werden. 
Unter Befolgung dieses Prinzips konnten von 31 Fällen 30 geheilt 
werden. Die Giftigkeit sowohl wie die bei Tubenruptur auffällige Ge¬ 
rinnungsverzögerung möchte Verf. auf einen Einfluss der fötalen Elemente 
beziehen. 

Abels-Wien: Genese und Symptomatologie intracranieller 

Bistiigei beim Neugeborenen. (Archiv f. Gynäkol., Bd. 99, H. 1.) 
Die beiden beschriebenen Fälle gehören der sehr seltenen Kategorie der 
intra partum entstandenen Ventrikelblutung an. Aetiologisch kommen 
vor allem die Druckschwankungen in Betracht, die durch die Wehen ver¬ 
ursacht werden. Die genaue Diagnose konnte in keinem Falle gestellt 
werden; der eine ähnelte in der Art der auftretenden Krämpfe ausser¬ 
ordentlich einem Tetanus; nur der Opisthotonus fehlte. 

L. Zants. 


F. Kuhn - Schöneberg: Das biologische Moment bei der Behand¬ 
lung der Vagina. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 7.) Verf. kommt 
auf Grund eigener Beobachtungen sowohl, wie auf Grund der in der 
Literatur über diesen Gegenstand vorhandenen Mitteilungen zu dem Re¬ 
sultat, dass alle pathogenen Keime, welche in der Vagina auftreten und 
eine Entzündung derselben machen können, einschliesslich der Gono¬ 
kokken, nur in der Vagina existieren können, wenn sie in derselben ein 
alkalisches Sekret vorfinden. Als Antagonisten wirken hierbei diejenigen 
Keime, welche in saurem Sekret vegetieren. Wenn wir nun, worüber 
kein Zweifel ist, von der Verwendung von Glycerin und Hefe oft über¬ 
raschend gute Resultate sehen, so beruht dies sicht, wie so viele Autoren 
meinen, auf einer antiseptischen oder gar auf einer spezifischen Wirkung, 
sondern lediglich darauf, dass das Glycerin, wenn es sich verflüssigt, 
ebenso, wie der Zucker die Reaktion des Sekrets sauer macht. Dadurch 
aber wird den pathogenen Keimen die Existenzmöglichkeit genommen« 

Siefart. 

Lenz-Prag: Vorzeitige Menstriation, Geschlechtsreife and Ent¬ 
wicklung. (Archiv f. Gynäkol., Bd. 99, H. 1.) Der genau beschriebene 
Fall ist ein wichtiger Beitrag zur Erkenntnis der physischen Beziehungen 
des Genitalsystems, besonders der Ovarien, zur Entwicklung des ganzen 
Skeletts und des Wachstums. Die Ossifikation hängt von der Puber¬ 
tätsentwicklung ab. Dieser Zusammenhang kommt wahrscheinlich auf 
chemischem Wege zustande. Bei dem 6 jährigen Mädchen war der linke 
Eierstock vorzeitig entwickelt, vergrössert, höckerig und zugleich das 
Skelett vorzeitig entwickelt, bereits ossifiziert wie bei einer 20jährigen 
Frau. Die Pubertas praecox ist eine angeborene Wachstumsanomalie, 
welohe durch eine excessive, vitale Energie der Frucht hervorgerufen 
wird und sich in der ersten Zeit nach der Geburt sowohl durch vor¬ 
zeitige Geschlechtsreife als auch durch nachfolgende vorzeitige Entwick¬ 
lung des Gesamtwachstums äussert. Diese beiden voneinander ab¬ 
hängigen Zustände sind zumeist von Störungen der das normale Wachs¬ 
tum regulierenden Organe begleitet. 

Zuntz-Berlin: Stoffwechsel verstehe bei Osteewalacie. (Archiv 
f. Gynäkol., Bd. 99, H. 1,) Der respiratorische Stoffwechsel bei 
Osteomalacischen zeigt Werte, die innerhalb der normalen Grenze, eher 
der unteren genähert, liegen. Dies spricht gegen den von Hoennicke 
angenommenen Hyperthyreoidismus als ätiologischen Faktor, da man bei 
einem solchen wie bei Morbus ßasedowii über der Norm liegende Werte 
erwarten müsste. Nach der Kastration wurde in beiden Fällen die 
Oxydation herabgesetzt, während bei früheren Untersuchungen von vier 
aus anderen Ursachen kastrierten Frauen nur eine eine Verminderung 
des respiratorischen Stoffwechsels zeigte. Der Eiweissstoffwechsel bei 
Osteomalacie bietet nichts Charakteristisches. Durch die Kastration 
scheint namentlich bei beginnender Erkrankung die Neigung zum Ei¬ 
weissansatz gesteigert zu werden. Das Verhalten der Phosphorsäure ist 
ein sehr wechselndes; einigermaassen konstant ist eine hohe prozentische 
Ausscheidung durch den Kot. Diese wird durch die Kastration in den 
meisten Fällen herabgesetzt; die Neigung zur Retention von P 2 0 6 wird 
verstärkt. Die Kalkbilanz ist in manchen Fällen, namentlich beginnender, 
aber auch schwerer Osteomalacie negativ. Ein auffallend grosser Teil des 
Kalkes wird durch den Kot ausgeschieden. Durch die Kastration, wenn 
sie einen therapeutischen Effekt erzielt, wird die vorher negative Kalk¬ 
bilanz positiv oder die schon vorher positive wird in dieser Beziehung 
noch verstärkt. 

Ogörek-Wien: Postklimakterisches Myosarkom des Uterus. (Archiv 
f. Gynäkol., Bd. 99, H. 1.) Die betreffende Patientin bemerkte erst 
sieben Jahre nach dem Einsetzen des Klimakteriums ein Stärkerweiden 
des Leibes; fünf Jahre später trat ein rapides Wachstum der Geschwulst 
und schwere Allgemeinerscheinungen auf. Es wurde mit primär gutem 
Erfolg ein Riesentumor entfernt; doch erlag Patientin bald einem Recidiv. 
Die mikroskopische Untersuchung ergab ein Myomsarkom, und zwar in 
dem Sinne, dass sowohl das Bindegewebe als auch die Muskulatur am 
Wachstum des Tumors teilnahmen, ersteres jedoch das primäre und 
aktivere Element darstellte. L. Zuntz. 

Siehe auch Haut- und Geschlechtskrankheiten: Holth, 
Mit Salvarsan behandelte Mütter und ihre Kinder. 


Augenheilkunde. 

B. Möllers: Ueber den Typus der Taberkelbacillea bei P&riiaud- 
scher Erkrankung (Conjunctivitis tuberculosa). (Veröffentl. d. Robert 
Koch-Stiftung, 1913, H. 4, S. 48.) Aus zwei Fällen von Parinaud’scher 
Conjunctivitis konnten Reinkulturen von Tuberkelbacillen gezüchtet 
werden, welche nach dem Ergebnis der Tierprüfung dem humanen Typus 
angehörten. Da bisher in keinem in der Literatur beschriebenen Falle 
ein einwandfreier Nachweis von bovinen Bacillen bei Parinaud’soher 
Conjunctivitis gelungen ist, so liegt kein Grund zu der Annahme vor, 
dass diese in der Regel gutartig verlaufende Tuberkulose der Augen¬ 
bindehaut auf einer Perlsuchtinfektion beruht; ob sich bei weiteren 
Untersuchungen anderer Fälle diese Erkrankungsform in einem gewissen 
Prozentsatz als auf einer Infektion mit bovinen Bacillen beruhend heraus- 
stellen wird, muss zunächst dahingestellt bleiben. Möllers. 


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17. M8rz 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


605 


Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 

H. Whale-London: Die Spätresnltate der Tonsillotomie und der 
Tonsillektomie. (Lancet, 15. Februar 1913, Nr. 4668.) Die Nachteile 
der Tonsillotomie sind: Leichte Möglichkeit einer Infektion und Lymph¬ 
adenitis und Wiederkehr der alten Beschwerden; die der Tonsillektomie 
sind: Blutungsgefahr, Verwachsungen, Stimmstörungen, auch wenn gar 
keine Deformität entstanden ist. Die Tonsillektomie ist also gefähr¬ 
licher, beseitigt aber die Beschwerden gründlicher. Analyse von 
110 Fällen jeder Operation. Weydemann. 

Walb-Bonn: Ueber den Schleimhaatlnpiis der Nase. (Deutsche 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 10.) Der Schleimhautlupus der Nase ver¬ 
dient grössere Beachtung als bisher. Er geht fast stets dem Hautlupus 
voraus, und zwar beginnt der Prozess im vorderen Abschnitt der Nasen¬ 
scheidewand. Die Krankheit kann entstehen durch digitale Infektion, 
durch Einatmung und auf dem Blutweg. Besonders die digitale In¬ 
fektion, auf dem Boden von Ekzemen und Krusten, erscheint wichtig. 
Die Behandlung ist, wenn möglich, eine blutige radikale Exstirpation 
des Herdes. Zur Verhütung von Krustenbildung, die W. besonders bei 
gleichzeitiger Tuberkulinkur sab, empfiehlt er eine Nachbehandlung mit 
Sublimatgazestreifen (1 pM.). Wolfsohn. 


Hygiene und Sanitätswesen. 

J. S. Schurupoff-Kronstadt: Ueber die Vitalitätsdaiier des Pest- 
hacillus in Leichen an der Pest Verstorbener. (Centralbl. f. Bakterio¬ 
logie usw., 1. Abt., Orig., Bd. 65, H. 4 u. 5, S. 225.) Als Haupt¬ 
ergebnis seiner die Lebensdauer der Pestbaoillen in Leichen an Pest 
Verstorbener betreffenden Untersuchungen, die der Verf. gelegentlich 
einer im amtlichen Aufträge ausgeführten Expedition in die Kirgisen¬ 
steppe ausführte, konnte er feststellen, dass Leichen an Pest Verstorbener 
sehr lange nicht nur lebensfähige, sondern auch virulente Pestbacillen — 
bis zu einem Jahre in seinen Versuchen — enthalten. Es ist deshalb 
zu fordern, dass alle derartigen Leichen verbrannt werden, da sie Herde 
für das Aufflackern der Pest darstellen können und wahrscheinlich auch 
darstellen. Das gleiche gilt für Filzdecken, Teppiche, Kleider u. a. 

F. H. Hehewerth-Amsterdam: Ueber den Wert der Gärungs- 
prefee bei 46° C von Prof. C. Eijkman als Hilfsmittel bei der Trink- 
wassernntersnchung. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig., 
Bd. 65, H. 1—3, S. 213.) Der Verf. beurteilt nach dem Ergebnis seiner 
Untersuchungen den Wert der Eijkman’schen Gärungsprobe bei 46° C 
dahin, dass sie nicht imstande ist, mit genügender Sicherheit Bacteriqm 
coli aufzufinden, dass sie deshalb nicht den ihr nachgesagten Wert als 
Hilfsmittel bei der Trinkwasseruntersuchung besitzt. Bierotte. 


Unfallheilkunde und Versicherungswesen. 

Süssen gut-Altona: Ein Fall von hochgradiger Exostosenbildang 
nach einer sapracondyläreii Oberarmfraktnr. (Monatsschr. f. Unfall¬ 
heilkunde, 1913, Nr. 2.) 

Marcus: Fall von Moskeldystropbie nach Unfall. (Monatsschr. 
f. Unfallheilk., 1913, Nr. 1.) Ob eine Muskeldystrophie nach Unfall auf- 
treten kann, ist noch keineswegs sicher, deshalb teilt Marcus einen 
neuen Fall mit. Ein 23 jähriger Bremser war vor 8 Jahren mit linker 
Schulter und Brust zwischen die Puffer zweier Eisenbahnwagen geraten. 
5 Tage nach dem Unfall trat eine linksseitige Lungenentzündung auf. 
Bereits 8 l / 2 Monate nach dem Unfall bestand eine stärkere Abmagerung 
der Schulterblattmuskulatur und der vorderen Brustmuskulatur. Auch 
war die aktive Beweglichkeit des Armes eine Zeitlang nach dem Unfall 
ganz aufgehoben. l 8 / 4 Jahre nach dem Unfall stellte M. fest, dass die 
Muskulatur der linken Schulter und des linken Armes stark abgemagert 
war, und dass die Schulterblattmuskulatur teilweise fehlte. Ein Jahr 
später war auch die Muskulatur des rechten Schultergürtels abgemagert, 
und es war nunmehr klar, dass hier die Erb’sche juvenile Muskel¬ 
dystrophie vorlag. Die Frage des ätiologischen Zusammenhanges mit 
dem Unfall wird eingehend erörtert und bejaht. Zwar steht Verf. auf 
dem Standpunkt, dass es eine eigentliche traumatische Dystrophie in 
wissenschaftlichem Sinne gar nicht geben dürfte, dass aber bei einem 
zur Dystrophie veranlagten Menschen eine Verletzung den Anstoss zur 
Entwicklung dieses Leidens geben könne. H. Hirschfeld. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 5. März 1913 (Fortsetzung der ordentl. Generalversammlung). 

Vorsitzender: Herr Orth. 

Schriftführer: Herr v. Hansemann. 

Vorsitzender: M. H.! ; Ich war leider durch amtliche Verpflich¬ 
tungen verhindert, das vorige Mal hier zu sein. Ich habe nun durch 
das Protokoll erfahren, dass Sie mir die Ehre angetan haben, mich 


wiederzuwählen. Ich danke Ihnen dafür, muss mir aber die Entscheidung, 
ob ich die Wahl annehme, so lange Vorbehalten, bis die übrigen Wahlen 
erledigt sind. 

Ausgeschieden aus der Gesellschaft ist Herr Privatdozent Dr. Nögge- 
rath, der als Professor nach Freiburg i. Br. berufen worden ist. 

Als Gast begrüsse ich Herrn Professor Eber aus Leipzig. 

Tagesordnung. 

Fortsetzung der Wahl des Vorstandes (zwei Stellvertreter des Vor¬ 
sitzenden, vier Schriftführer, einen Schatzmeister, einen Bibliothekar); 
der Abnahmekommission für 1913 (18 Mitglieder). 

Die Wahl beginnt mit der Stichwahl zwischen den Herren Bier 
und Kraus für das Amt eines zweiten stellvertretenden Vorsitzenden. 
Bei dieser Stichwahl, bei der die Herren Philippi, Pappenheim, 
Neumann und Mankiewitz als Stimmzähler wirken, werden 
170 Stimmzettel abgegeben. Die absolute Mehrheit beträgt somit 86. 
Herr Kraus erhält 88 Stimmen, Herr Bier 82. Somit ist Herr Kraus 
gewählt. Da er verreist ist, wird er erst später über die Annahme der 
Wahl befragt werden. 

Die weiteren Wahlen werden durch Zuruf vollzogen. Es werden 
wiedergewählt als dritter Stellvertreter des Vorsitzenden Herr Henius, 
als Schriftführer die Herren v. Hansemann, Israel, Fedor Krause 
und Rotter, als Schatzmeister Herr Stadelmann, als Bibliothekar 
Herr Hans Kohn. 

Vorsitzender: Nunmehr erkläre ich, dass ich gern, Ihrem Rufe 
folgend, den Vorsitz wieder annehme, und mir Mühe geben werde, Ihr 
Vertrauen zu rechtfertigen. 

Auch die anderen Gewählten, bis auf Herrn Kraus, der verreist 
ist und später gefragt werden wird, erklären die Annahme der Wahl. 

Die Aufnahmekommission wird gleichfalls durch Zuruf in ihrer 
bisherigen Zusammensetzung wiedergewählt. 

Diskussion über den Vortrag des Herrn Orth: Ueber die Bedentnng 
der Rinderbacillen für den Menschen. 

Hr. Westenhöfer: Einen Teil der Frage, die zur Diskussion steht 
und die nun schon seit vielen Jahren auch uns hier in der Medizinischen 
Gesellschaft beschäftigt, habe ich in verhältnismässig glücklicher Weise, 
glaube ich, während meines Aufenthalts in Chile von einer ganz anderen 
Seite aus in Angriff nehmen können, als dies in der Regel geschehen 
kann. Ich habe schon früher irgendwo einmal gesagt, dass es sehr 
schwierig sein dürfte, bei uns, bei der endemischen Verbreitung der 
Tuberkulose, festzustellen, in welcher Weise der Infektionsmodus im 
einzelnen Falle geschehen kann. 

Ich möchte Ihnen nun ganz kurz hier vortragen, was ich erlebt und 
erfahren habe. In dem Lande, in dem ich Gelegenheit hatte, die Tuber¬ 
kulose zu beobachten, verläuft sie anders als hier. Ich habe seinerzeit 
schon in meinem Bericht von drüben 1 ) darauf hingewiesen, dass die 
chronische Tuberkulose, d. h. die Form, die wir Schwindsucht nennen, 
dort verhältnismässig selten sei, dass dagegen die akute, die rasch ver¬ 
laufende Tuberkulose unter der erwachsenen Bevölkerung die Regel dar¬ 
stelle. Unter meinem Sektionsmaterial in den ersten beiden Jahren war 
die Gesamtzahl der Fälle mit tuberkulösen Erscheinungen überhaupt nur 
33pCt., das heisst um die Hälfte geringer als die Zahlen, die die euro¬ 
päischen pathologischen Institute als mit Tuberkulose behaftet bezeichnen. 
Ich glaube, dass also schon dieser Befund von grossem Interesse ist. 
Ich habe nun diesen Sektionen der ersten beiden Jahre — das waren 
nur 258 — noch die der beiden letzten Jahre hinzufügen können, so 
dass ich im ganzen 664 Sektionen habe. Darunter waren überhaupt 
nur 28,7 pCt. Leichen mit tuberkulösen Erscheinungen, also eigentlich noch 
weniger, als aus meiner ersten Statistik hervorgeht. Als Todesursache 
aber war die Tuberkulose dabei in 20pCt. aller Sektionsfälle anzu¬ 
sprechen. Das deckt sich mit der Statistik, die Orth wiederholt aus 
dem pathologischen Institut in der Charite veröffentlicht hat. Die 
Häufigkeit der Tuberkulosemortalität im Sektionsmaterial — nicht in der 
Bevölkerung — ist in dem Lande dort verhältnismässig genau so gross 
wie hier; aber die Morbidität an Tuberkulose ist um mehr als 
die Hälfte geringer. Diese Tatsachen sprechen sehr zugunsten der 
modifizierten Anschauung v. Bebring’s, dass nämlich die chronische 
Tuberkulose der Erwachsenen wahrscheinlich auf eine in der Kindheit 
erworbene latente Tuberkulose zurückzuführen sei, die den Organismus 
immunisiere, so dass er später nur die chronische Schwindsuoht bekomme, 
nicht aber die akute Tuberkulose. 

Es waren in Chile für diese auffallende Erscheinung zwei Möglich¬ 
keiten vorhanden. Entweder es werden in der Kindheit nur sehr wenig 
Individuen mit Tuberkulose infiziert, die später bei einer Reinfektion 
die chronische Form der Tuberkulose bekommen, oder aber diejenigen 
Individuen, die in der Kindheit die Tuberkulose erwarben, sind auch 
fast alle daran zugrunde gegangen, so dass überhaupt keine oder nur 
ein ganz geringer Prozentsatz übrig blieb, der für spätere chronische 
Infektionen disponiert war. 

Um das zu entscheiden, musste man natürlich Kindersektionen 
machen. Ueber solche konnte ich in den ersten beiden Berichtsjahren 
nicht berichten; aber ich kann jetzt darüber berichten. Ich habe im 


1) Bericht über'die Tätigkeit des Patholog. Instituts der Universität 
Santiago de Chile in den Jahren 1908 und 1909. Diese Wochenschr., 
1911, Nr. 23 bis 27. 


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506 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 11. 


Jahre 1911 175 Kindersektionen angeführt; das jüngste Kind war einen 
Monat alt, das älteste 15 Jahre. Es waren alles Kinder aus dem Kinder* 
hospital in Santiago. Tuberkulose wurde insgesamt in 75 Fällen ge¬ 
funden = 41,7pCt.; als Todesursache und Hauptkrankheit in 61 Fällen 
= 34,9 pCt., als Nebenbefund mit mehr oder weniger geheilter Tuber¬ 
kulose nur in 6,8 pCt. Wenn ich dagegen die Statistik eines hiesigen 
Kinderkrankenhauses nehme, so waren z. 6. im Kaiser und Kaiserin 
Friedrich-Kinderkrankenhaus, dessen Statistik ich mir zu dem Zwecke 
von Herrn Baginsky ausgebeten habe, im Jahre 1910 unter 471 Sektionen 
71 Todesfälle an Tuberkulose angegeben, das sind 14,68 pCt., also mehr 
als die Hälfte weniger als in Chile; d. h. die Kindersterblichkeit an 
Tuberkulose — ich betone noch einmal, dass es sich immer nur um 
eine Statistik über Sektionsmaterial handelt — ist in Chile über die 
Hälfte höher als bei uns. 

Ich halte es auf Grund meines Materials also für sehr wahrscheinlich, 
wenn nicht gar für bewiesen, dass die ohronische Lungenschwindsucht 
der Erwachsenen in Beziehung steht zu einer in der Kindheit erworbenen 
Tuberkulose, denn 

1. in einer Bevölkerung, in der es wenig chronische Tuberkulose 
gibt, finden sich auch keine oder nur relativ wenig Zeichen 
klinisch geheilter Tuberkulose; 

2. das rührt davon her, dass ein grosser Teil der Bevölkerung in 
der Kindheit überhaupt nicht infiziert wird, und 

3. wenn er infiziert wird, auch meistens sofort daran zugrunde geht. 

Diese letzte Tatsache bestätigt ferner, was ich unter Bezugnahme 

auf Experimente des französischen Pathologen und Tuberkuloseforschers 
Straus hier in dieser Gesellschaft vor fast 10 Jahren gegen v. Behring 
ausgeführt habe, dass der kindliche Organismus einer Tuberkuloseinfektion 
leichter erliegt als der erwachsene, während v. Behring und Baum¬ 
garten gerade eine erhebliche Widerstandsfähigkeit annohmen. Sie 
bestätigt aber auf der anderen Seite aufs neue, was ich schon eingangs 
betont habe, dass die endemische Verbreitung der Tuberkulose bei uns 
eine einwandfreie Beurteilung der Infektionsverhältnisse ungemein er¬ 
schwert. Jedenfalls steht es für mich jetzt fest, dass hier bei uns die 
Tuberkulose so innig mit dem Volke verwachsen ist, dass nicht einmal 
mehr im Kindesalter die ursprünglichen natürlichen Infektionsverhält¬ 
nisse vorliegen, dass wir bei uns nicht nur eine verminderte Disposition 
der Erwachsenen, sondern sogar schon durch Vererbung eine ver¬ 
minderte Disposition und erhöhte Immunität der Kinder 
haben, die den Verlauf der Tuberkulose ganz anders • gestaltet als bei 
Völkern, die noch nicht so durchseucht sind. Und insofern hat auch 
v. Behring’s Anschauung eine gewisse Berechtigung, sie gilt aber nur 
für unsere Verhältnisse und auch da nicht immer, darf aber keineswegs 
verallgemeinert werden. 

Was die Variabilität der Bacillen angeht, die Herr Geheimrat Orth 
ja besonders erwähnt hat, so will ich dabei nur an einen Ausspruch 
Hueppe’s erinnern, der mir ganz richtig erscheint, wenn er auch un- 
gemein krass ist: Schicken wir die Menschen auf die Viehweide und 
lassen sie Gras fresseD, dann kriegen sie Rindertuberkulose. Ich bin 
fest davon überzeugt, was ich ebenfalls hier gelegentlich der Demon¬ 
strationen meiner Uebertragungsversuche der Tuberkulose vom Mensch 
auf das Rind ausgeführt habe, dass die Bacillen sich im Organismus 
akklimatisieren, dass tatsächlich die Variabilität der Bacillen hier eine 
ganz grosse Rolle spielt, und ich glaube, dass Fälle, wie der von Herrn 
Geheimrat Orth erwähnte, dass wir in den Bronchialdrüsen Perlsucht¬ 
bacillen finden, im anderen Körper aber Bacillen vom Typus humanus 
häufiger sein werden, weil ich glaube, dass bei längerem Bestand die 
Bacillen ihren Charakter, besonders ihre Virulenz ändern, wie andere 
Bakterien auch. 

Die Diskussionsbemerkungen des Herrn Weber erscheinen unter 
den Originalien dieser Wochenschrift. 

Hr. Sticker: Die Tuberkulose vermag jederzeit das Interesse des 
Arztes zu erregen. Wir verlebten vor kurzem im Schosse dieser Gesell¬ 
schaft die Wiederaufrollung der Frage der Heilbarkeit der Tuberkulose. 
Heute steht die Aetiologie der Tuberkulose zur Diskussion. 

Mit der epochalen Entdeckung des Tuberkelbacillus durch Robert 
Koch setzte die zielbewusste ätiologische Forschung ein, mit seiner 
Londoner Rede im Jahre 1901, in der Koch auf Grund seiner Arbeiten 
mit Schütz die Ungefährlichkeit der Rinderbacillen für den Menschen 
proklamierte und damit den Alpdruck wegzunehmen schien, dass bei 
der unsagbar weiten Verbreitung der Rindertuberkulose der Menschheit 
dauernd durch Milch- und Fleischgenuss die Gefahr der Ansteckung 
drohe, schwoll die ätiologische Forschung gewaltig an. 

Wichtig erschien jetzt vor allem, scharfe Merkmale zur Unter¬ 
scheidung beider Arten des Tuberkelbacillus, des Typus humanus und 
des Typus bovinus, aufzustellen. Die morphologischen und kulturellen 
Merkmale reichten nicht aus. Rückimpfungen von Tier auf Mensch 
waren ausgeschlossen und die Forschung auf die wenigen zufälligen 
Beobachtungen spontaner Uebertragungen angewiesen. Die Uebertragung 
der menschlichen Tuberkulose auf das Rind konnte bei der hohen 
Kostenfrage nur in massigem Umfange stattfinden. Da galt es, andere 
Versuchstiere ausfindig zu machen, welche für die biologische Differential- 
diaguose geeignet waren. Herr Orth hat Ihnen auseinandergesetzt, wie 
erfolgreich er bei seinen Kaninchenübertragungen gewesen. War das 
Kaninchen auch wie die meisten Tiere für beide Arten empfänglich, so 
trat doch ein grosser gradueller Unterschied hervor. 


Bei einer so wichtigen Frage wie die vorstehende wird die Forschung 
sich aber nicht mit einem einzigen Wege begnügen können, und es ist 
hier wohl der Ort und die Zeit, auf Versuche hinzuweisen, welche ich 
mit Ernst Löwenstein, dem damaligen leitenden Arzt der Tuberkulose¬ 
heilstätte in Beelitz, vor Jahren begonnen und seitdem emsig fortgesetzt 
habe. Eine vorläufige Mitteilung darüber erschien im Centralblatt für 
Bakteriologie im Jahre 1910 und in der Festschrift, welche bei Gelegen¬ 
heit seines Jubiläums von Schülern und Mitarbeitern Herrn Geheimrat 
Schütz überreicht wurde. Ich behalte mir vor, in allernächster Zeit 
eine abschliessende Arbeit zu publizieren und begnüge mich für heute, 
zur Ergänzung der Orth’scben Mitteilungen folgendes in Kürze hervor¬ 
zuheben. 

Wir haben unsere differentialdiagnostischen Studien bei Hunden 
gemacht und sind dabei zu dem praktisch verwertbaren Ergebnis ge¬ 
kommen, dass die Tuberkelbacillen menschlicher Herkunft sich weit 
pathogener beim Hunde erweisen als die Perlsuchtbacillen, und dass die 
Unterschiede am deutlichsten bei der intraperitonealen Injektion hervor¬ 
treten. Wir fanden bei unseren intraperitonealen Impfungen, dass bei 
den mit Perlsucht geimpften Hunden eine beschränkte tuberkulöse Ent¬ 
zündung des grossen Netzes, bei den mit Tuberkelbacillen menschlicher 
Herkunft geimpften eine allgemeine Miliartuberkulose, welche sich auf 
grosses Netz, Mesenterium, Leber, Milz und Nieren, ja bis auf die 
sternalen Lymphdrüsen ausdehnte, auftrat. Die aufgestellten Präparate 
und die Bilder, welche ich herumreiche, entheben mich der Mühe, in 
eine genaue Schilderung einzugehen. 

Es erscheint auffällig, dass dieser Unterschied in den Befunden 
anderen Experimentatoren entgangen sein soll. Es erklärt sich zum 
Teil daraus, dass die intraperitoneale Impfung ganz ausser acht gelassen 
wurde, so z. B. von Tietze und Weid an z im Kaiserlichen Gesundheits¬ 
amt, welche zahlreiche subcutane und intravenöse Injektionen, zahl¬ 
reiche Inhalations- und Fütterungsversuohe bei Hunden sowohl mit 
Perlsuchtbacillen als auch mit Bacillen des Typus humanus ausführten. 

Robert Koch selber beschreibt drei Infektionsversuche, welche 
mit Reinkulturen von menschlicher Miliartuberkulose intraperitoneal bei 
Hunden vorgenoramen wurden. Alle drei Hunde zeigten nach 5 Wochen 
bei der Obduktion das Bild einer ausgebreiteten Miliartuberkulose. Der 
Befund deckt sich mit dem unserer analogen Fälle. Intraperitoneale 
Versuche mit Perlsucht bei Hunden fand ich nicht beschrieben. 

Die englische Tuberkulosekommission berichtet, dass ein 
mit einer Kultur, welche von einer primären Mesenterialtuberkulose des 
Menschen stammte, intraperitoneal geimpfter Hund nach 48 Tagen an 
den Folgen einer Tuberculosis universalis starb; ein zweiter Hund soll 
nur geringgradige Tuberkulose gezeigt haben. 

Ein dritter Hund, welcher 1 mg einer Bacillenkultur boviner Her¬ 
kunft intraperitoneal erhielt, zeigte nach 5 Wochen nur wenige fibröse 
Tuberkeln in den Lungen, kleine verdächtige Herde in Leber und 
Nieren. 

Löffler endlich berichtet auf der 4. Tagung der Freien Vereinigung 
für Mikrobiologie in Berlin 1910') im Anschluss an die Mitteilung 
unserer Versuche, dass er wie manche anderen Autoren von der An¬ 
nahme ausgegangen sei, dass die Rindertuberkelbacillen wie für viele 
andere Tiere, so auch für Hunde virulenter sein würden wie die mensch¬ 
lichen Tuberkelbacillen; er habe demgemäss einige Hunde intraperitoneal 
mit Rindertuberkelbacillen, und zwar mit je einer ganzen Serumkultur 
behandelt. Die Hunde seien danach nur vorübergehend krank gewesen 
und hätten später keine Spur von Tuberkulose gezeigt. Damals habe 
er geglaubt, dass die Virulenz der Kulturen bei diesen Versuchen eine 
Rolle gespielt habe. Von grösstem Interesse seien daher die Versuche 
Sticker’s und Löwenstein’s. Sie müssen von möglichst vielen Seiten 
wiederholt werden, es würde sich dann ergeben, ob in der Tat bei An¬ 
wendung einer bestimmten Menge und bei intraperitonealer Injektion 
von Tuberkelbaoillen der Hund für die Differentialdiagnose von humanen 
und bovinen Stämmen sich brauchbar erweisen werde. 

Ob diesem Appell an anderen Forschungsstätten Folge geleistet 
wurde, weiss ich nicht; in der Literatur finde ich bis jetzt keine An¬ 
gaben. Ich selbst habe seitdem zahlreiche Fälle von Lymphdrüsentuber- 
kulose des Menschen (typische und atypische), welche das Material der 
Königlichen chirurgischen Klinik bot, benutzt, um durch intraperitoneale 
Verimpfung bei Hunden, sei es direkt, sei es nach Meerschweinchen¬ 
passage, die Herkunft der Bacillen festzustellen. Am meisten inter¬ 
essierte mich die von mir und Löwenstein auf Grund anderweitiger 
Untersuchungen abgetrennte atypische Lyraphdrüsentuberkulose, welche 
bisher unter dem Namen Sternberg’sche Erkrankung zu den pseudo¬ 
leukämischen Lymphomatösen gerechnet wurde. Es gelang mir in 
manchen Fällen, bei Hunden Tuberkulose des Bauchfells zu erzeugen, 
welche unter dem Bilde der milden, bovinen Infektion verlief. Ich bin 
mir wohl bewusst, wie dies auch Orth für seine Kaninchenübertragungen 
zugegeben, dass zum vollgültigen Beweise eine Impfung beim Rinde 
als Endglied der Versuchsreihen sich notwendig erweist. Eine münd¬ 
liche Rücksprache mit Prof. Uhlenhuth vom Kaiserlichen Gesundheits¬ 
amt stellte seinerzeit eine gemeinschaftliche Arbeit in Aussicht. Viel¬ 
leicht interessiert sich sein Nachfolger für diese eminent wichtige Frage. 

Zum Schlüsse möchte ich die Frage der von Herrn Orth berührten' 
Bekämpfung der Tuberkulose mit wenigen Worten streifen. Durch die 


1) Centralbl. f. Bakteriol., Beilage zu Bd. 47, Abt. 1. 


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17. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


607 


Londoner Rede Robert Koch’s schien die gemeinsame Bekämpfung der 
Tuberkulose durch Human- und Veterinärmedizin unnötig. Dem Arzte 
verblieb die Bekämpfung der Menschentuberkulose, dem Veterinär die 
der Rindertuberkulose. Seit langem hatten sich beide Disziplinen der 
Heilkunde gewöhnt, in Wort und Schrift, im Laboratorium und in der 
Praxis gemeinschaftlich dem Tuberkulosefeinde zu Leibe zu gehen. Das 
von mir lange Jahre herausgegebene Archiv für animalische Nahrungs¬ 
mittelkunde gibt davon beredte Kunde. Koch’s Autorität hat das ge¬ 
meinschaftliche Arbeiten und Kämpfen gemässigt, aber nicht zerstört. 
Nachdem heute Herr Orth auf die Gefährlichkeit der Rindertuberkulose 
so beredt hingewiesen, wird diese Gemeinschaft der Arbeit und des 
Kampfes zum Wohl der Menschheit auch fernerhin bestehen bleiben. 

Ich resümiere: 1. Der Hund ist ein wichtiges Versuchstier zur 
Unterscheidung des humanen und bovinen Stammes der Tuberkulose. 

2. Eine bisher noch ätiologisch unbekannte Krankheit des Menschen, 
die Hodgkin-Disease oder Sternberg’sche Krankheit, ist einer Infektion 
mit Tuberkelbacillen des Rindes zuzuschreiben; die Gefährlichkeit der 
Rinderbacillen für den Menschen erfährt dadurch eine weitere Stütze. 

3. Die Bekämpfung der Rindertuberkulose ist eine gemeinschaftliche 
Aufgabe des Arztes und des Veterinärs. 

Hr. Felix Klemperer: Als vor zehn Jahren, im Sommer 1903, 
die Frage der Beziehungen zwischen Tier- und Menschentuberkulose hier 
zur Diskussion stand, sagte Herr Orth: Wir müssen zwei Unterfragen 
unterscheiden: die allgemeine, wissenschaftliche Frage: Kann überhaupt 
Tiertuberkulose auf den Menschen übertragen werden? und die besondere, 
die praktische Frage, die Herr Orth so formulierte: Ob der Mensch seiue 
Tuberkulose öfter vom Vieh erwirbt, wie gross für den Menschen die 
vom tuberkulösen Vieh drohende Gefahr ist? 

Damals sagte Herr Orth: Die erste Frage ist erledigt: Eine Tuber¬ 
kulose kann vom Vieh auf den Menschen übertragen werden, man findet bovine 
Bacillen beim Menschen; die zweite Frage wäre noch nicht entschieden. 
Heute, nach zehn Jahren, sieht Herr Orth auch die zweite Frage als 
entschieden an, und zwar in dem Sinne, dass die Tuberkulose des 
Menschen öfter vom Vieh erworben werde, und dass die vom tuber¬ 
kulösen Vieh drohende Gefahr für den Menschen gross sei. 

Nun, unterdes haben wir aber sichere Kenntnis davon erworben, 
dass die Häufigkeit des Vorkommens von Tuberkelbacillen und die Frage 
der Bedeutung derselben streng zu trennen sind, dass die von Herrn 
Orth damals als zweite Unterfrage bezeichnete Frage zwei vollkommen 
selbständig zu bearbeitende und zu beantwortende Fragen enthält. Die 
erste, richtiger also die zweite Frage ist die: Ist das Vorkommen 
von Tiertuberkulose bzw. von Tiertuberkelbacillen beim Menschen 
häufig? — und die dritte, für sich getrennt zu beantwortende Frage 
ist: Welche Bedeutung hat der Tuberkelbacillus des Tieres, wenn 
er selbst häufiger beim Menschen vorkommt, für den Menschen? 
Wir haben durch die anatomischen Untersuchungen von Nägeli, 
Burckhardt u. a., sowie besonders durch die Resultate der Pirquet- 
schen Impfung zur Genüge erfahren, dass tausendfach Tuberkelbacillen 
beim Menschen Vorkommen, ohne eine krankmachende Bedeutung für 
den Träger derselben zu haben. Und deshalb müssen wir auch bei der 
Untersuchung auf bovine Bacillen in jedem Falle auseinanderhalten ihr 
Vorkommen und die Bedeutung desselben. Wenn ich die Wichtigkeit 
dieser Unterscheidung an einigen Fällen demonstrieren darf, so will ich 
nicht Fälle aus der Orth’schen Statistik oder aus der Edinburger 
Statistik wählen, weil da nicht genügende klinische Angaben über die 
einzelnen Fälle gemacht sind, sondern ich will auf zwei Fälle exempli¬ 
fizieren, die auch aus dem Institut des Herrn Orth stammen und die 
seine hochgeschätzte Mitarbeiterin Frau Rabinowitsch vor einiger Zeit 
veröffentlicht hat (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 3). Es handelt 
sich da um den Nachweis von Bacillen in der Galle Tuberkulöser. Frau 
Rabinowitsch erhob den sehr bemerkenswerten und interessanten Be¬ 
fund, dass bei tuberkulösen Individuen häufig sich in der Galle Tuberkel¬ 
bacillen finden, und sie untersuchte nun bei sechs Fällen, bei denen sie 
in der Galle Tuberkelbacillen gefunden hatte, um welchen Typus es sich 
da handle. Sie fand viermal humane Bacillen und zweimal bovine 
Bacillen, und die beiden letzten Fälle bezeichnet Frau Rabinowitsch 
als „bovine Fälle“. Wenn ich diese Fälle genauer ansehe, so betrifft 
der erste Fall einen Menschen von 24 Jahren mit chronischer doppel¬ 
seitiger Lungentuberkulose, Cavernen usw., ulceröser Tuberkulose des 
Dickdarms u. a. m. Untersucht worden ist nur die Galle. Was in der 
Lunge, was im Dickdarm für Bacillen waren, erfahren wir nicht. 
Daraus, meine ich, lässt sich vorläufig durchaus nicht entnehmen, welche 
Bedeutung der bovine Bacillus in der Galle für diesen Mann, für seine 
Krankheit, für seinen Tod gehabt hat. In dem zweiten Fall, bei einem 
21jährigen Mann, findet sioh ebenfalls Darmtuberkulose. Welche Bacillen 
in den Geschwüren des Darms vorhanden waren, ist nicht untersucht. 
Es bestand auch Lungentuberkulose und in der Lunge fand sich der 
humane Bacillus. Aus der Galle aber und ausserdem aus einer ver¬ 
kalkten Hilusdrüse wurde ein boviner Stamm gezüchtet. Es ist nun 
verschiedenster Deutung fähig, in welchem Verhältnis hier die beiden 
Bacillen stehen, woran dieser Patient erkrankt war und starb. Ich 
meine, an humaner Tuberkulose, und ich halte es nicht für berechtigt, 
so wichtig auch dieser Befund in der Galle ist, den Fall für einen 
bovinen anzusehen. Welchen Schluss zieht aber Frau Rabinowitsch 
aus ihren Fällen? Sie sagt: „Die bisherigen Untersuchungen haben 
einerseits das ziemlich häufige Vorkommen des Typus bovinus bei kind¬ 
licher Tuberkulose ergeben, andererseits in der Mehrzahl der Fälle den 


Typus humanus beim erwachsenen Tuberkulösen, der ja seine Erkran¬ 
kung bereits in der Kindheit erworben hat. Wie anders sollte diese Tat¬ 
sache zu erklären sein als durch die Annahme einer Umwandlung der 
einen Bacillenform in die andere.“ Nein, so einfach lässt sich die Um¬ 
wandlung doch nicht erweisen, und die Tatsache, auf die Frau Rabino¬ 
witsch Bezug nimmt, ist noch vielfach anders zu erklären. Ich sehe 
ganz ab von dem eigenartigen Verhalten, dass der bovine Bacillus in 
der Lunge und wohl auch im Darm sich zum humanen gewandelt haben 
soll, dass er in demselben Organismus aber in der Hilusdrüse und in 
der Galle bovin geblieben ist. Aber schlechterdings unvereinbar ist 
doch die Annahme des regelmässigen oder auch nur überwiegenden 
bovinen Ursprungs der menschlichen Lungentuberkulose mit den 
klinisch-statistischen Tatsachen — und diese sind entscheidender als 
anatomische und bakteriologische Untersuchungen, auf denen Herr Orth 
fusst —, die Herr Weber schon angeführt hat, und die ich noch einmal 
betonen möchte. 

Kitasato 1 ) hat im Jahre 1904 mitgeteilt, dass in Japan die mensch¬ 
liche Tuberkulose ebenso häufig ist wie in Europa und in Amerika, 
trotzdem die Japaner sehr wenig Kuhmilch geniessen und insbesondere 
sie für die Ernährung der Kinder nicht viel benutzen. Es gibt, sagt 
K., in Japan grosse Bezirke, in denen es überhaupt keine Rindertuber¬ 
kulose gibt, und in diesen ist die Menschentuberkulose genau so häufig 
wie in anderen Bezirken. Auch bei den Untersuchungen, die B. Hey- 
mann 2 ) vom Flügge’schen Institut aus der Türkei und aus Grönland 
veröffentlicht hat — auch diese hat Herr Weber bereits erwähnt —, 
ergibt sich, dass in diesen Ländern fast keine oder gar keine Ernährung der 
Kinder mit Kuhmilch stattfindet und trotzdem die Verbreitung der 
Tuberkulose eine enorme ist. Die Erfahrungen, die Herr Westenhöfer 
vorhin aus Chile berichtet hat, so interessant sie an sich auch waren, 
haben meiner Meinung nach mit der Frage der Beziehung zwischen 
Menschen- und Rindertuberkulose vorläufig gar keinen Zusammenhang, denn 
er hat uns nichts darüber gesagt, wie es in Chile um die Rindertuberkulose 
und ihre Häufigkeit steht, und in welchem Maasse dort die Rindermilch 
für die Ernährung der Kinder benutzt wird. Vielleicht holt Herr 
Westenhöfer das noch nach. 

Dass diese Verhältnisse bei uns ungefähr dieselben sind, geht aus 
Statistiken hervor, wie sie A. Speck 8 ) veröffentlicht hat. Er unter¬ 
suchte die Ernährungsverhältnisse von 8000 erwachsenen Phthisikern 
und stellte fest, dass davon 73 pCt. mit Frauenmilch und nur 27 pCt. 
mit Kuhmilch aufgezogen waren. Mit Recht zieht Speck daraus den 
Schluss, den ioh wörtlich verlese: „Die Kuhmilch ist daher als gar 
keine oder als eine äussert geringfügige Quelle der Schwindsuchtsent¬ 
stehung beim Mensshen anzusehen.“ 

Also die klinisch-statistischen Erfahrungen sprechen vorläufig 
gegen die Bedeutung der Rindertuberkulose für die Tuberkulose des 
Menschen. 

Die zweite Basis der Untersuchungen auf diesem Gebiet ist die ex¬ 
perimentelle, und da hat Herr Orth ausgeführt: Wenn man ein Tier 
leicht infiziert und später eine zweite Infektion setzt, so sieht man 
Lungentuberkulose, die man sonst beim Tier nicht sieht. Diese Tatsache 
ist gewiss richtig, und wie alle anderen Autoren auf diesem Gebiete habe 
auch ich sie bestätigt gefunden; aber die Deutung, die Herr Orth ihr gibt, 
ist nicht richtig oder braucht wenigstens noch nicht richtig zu sein. 
Die Tiere, die nicht vorbehandelt sind, erkranken nicht an Lungentuber¬ 
kulose, sondern an genereller Tuberkulose aller Organe; dass sie an 
Tuberkulose der Lungen erkranken, also desjenigen Organs, welches 
durch chemische Beschaffenheit, durch mechanische Umstände und viel¬ 
leicht noch andere Faktoren ganz besonders für Tuberkulose disponiert 
ist, welches selbst in einem Körper noch an Tuberkulose erkrankt, 
dessen andere Organe durch die Vorbehandlung schon gegen Tuberkulose 
geschützt sind, dass weiter diese Lungentuberkulose nicht als miliare 
Tuberkulose verläuft, sondern so langsam, dass sich Höhlen in der Lunge 
bilden können, gerade dieses beweist, dass die Vorbehandlung eine ge¬ 
wisse Immunisierung gesetzt hat. Deshalb ist der Satz: Die kindliche 
Infektion disponiert zu Lungentuberkulose in einem gewissen Sinne 
richtig. Aber wenn die kindliche Infektion nicht stattgefunden hätte, 
würde später nicht die Lunge, es würde generell der ganze Körper er¬ 
kranken. Also ist die Deutung zum mindesten zulässig, sie scheint mir 
ebenso experimentell gestützt wie die Ansicht, die Herr Orth vorgetragen 
hat, die Deutung, dass die kindliche Infektion und speziell die Infektion 
mit Tuberkelbacillen des Rindes beim Menschen bis zu einem gewissen 
Grade eine schützende Wirkung hat. Ich gehe gar nicht so weit, das 
schon als gesichert hinzustellen. Nur darauf bestehe ich, dass auch die 
Anschauung, die Herr Orth bezüglich der Bedeutung der Rindertuberkulose 
für den Menschen vortrug, noch keineswegs gesichert ist. 

Ich schliesse also: Das Vorkommen von Rindertuberkelbacillen 
beim Menschen ist — das haben wir in den letzten zehn Jahren ge¬ 
lernt — ein häufigeres, als es früher schien. Freilich, wenn lOpCt. der 
Kindertuberkulosen bovinen Ursprungs sind, dann bleiben immerhin noch 
90 pCt. humanen Ursprungs, und da die Kindertuberkulose doch nur 
einen Teil sämtlicher Tuberkulosen darstellt, so bedeutet selbst zahlen- 
mässig das 10 proz. Vorkommen boviner Bacillen keine so überwältigend 
grosse Häufigkeit, sondern dann darf ich immer noch sagen: die Rinder¬ 
tuberkulose spielt numerisob, nach der Häufigkeit ihres Vorkommens 

1) Zeitsohr. f. Hygiene u. Infektionskrankh., Bd. 48. 

2) Ebenda. ... 

3) Ebenda. 


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508 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 11. 


beim Menschen eine, ich will nicht sagen, harmlose Rolle, aber dooh 
eine relativ geringe Rolle, Ueber die Bedeutung der Rinderbacillen 
für den Menschen aber ist noch nichts Abgeschlossenes zu sagen; diese 
Frage ist noch nicht spruchreif. Der Ansicht Orth’s, dass diese Be¬ 
deutung eine grosse ist, steht vorläufig noch die ebenso berechtigte und 
gestützte, die ich vertrete, gegenüber, dass diese Bedeutung keine grosse 
und dass sie vielleicht in gewissen Fällen sogar eine günstige ist. Ueber 
die Frage der Bedeutung muss noch ruhig weiter gearbeitet werden. 
Ich hoffe, dass, wenn Herr Orth nach wieder zehn Jahren über diese 
Frage hier vor uns spricht, dass dann ein Material vorliegt, das diese 
Frage zu entscheiden gestattet. Heute ist das noch nicht der Fall. 

Hr. Orth: Ich möchte gleich eine Frage an Herrn Klemperer 
richten: Hat Herr Klemperer meinen Vortrag gehört? 

Hr. Felix Klemperer: Ich habe den Vortrag leider nicht selbst 
hören können; ich wurde an dem Tage nach auswärts gerufen. 

Hr. Orth: Das wollte ich nur konstatieren. 

Hr. Felix Klemperer: Ich habe mir alle Mühe gegeben, den 
Vortrag einzusehen; in der Druckerei wurde er mir nicht gegeben. Ich 
habe aber mehrere Assistenten in die Sitzung geschickt, um recht genau 
informiert zu sein; ich habe dann den Bericht über den Vortrag in der 
Medizinischen Klinik gelesen, der sehr ausführlich ist. Auch sind die 
Anschauungen des Herrn Orth bekannt, er hat sie ja in anderen Vor¬ 
trägen und Veröffentlichungen bereits mehrfach vertreten. Deshalb weiss 
ich nicht, was es ausmachen soll, ob ich dem Vortrag beiwohnte oder 
nicht; das Gewicht der von mir vorgetragenen Argumente wird dadurch 
doch gewiss nicht berührt. 

Hr. Orth: Ich wollte nur darauf hinweisen, dass ich eine Anzahl 
von Fällen von Tod an Meningitistuberkulose, generalisierter Tuber¬ 
kulose und Abdominaltuberkulose hier tabellarisch vorgeführt habe, wo 
man sehen konnte: die Menschen sterben an Rindertuberkulose. Wenn 
das nicht von Bedeutung ist, dann weiss ich nicht, was von Bedeutung 
sein soll. 

Hr. Max Wolf: Die Frage über die Bedeutung der Rindertuber¬ 
kulose für die menschliche Tuberkulose ist seit dem Jahre 1901, seit 
dem bekannten Vortrag von Koch auf dem internationalen Tuberkulose¬ 
kongress in London, nicht wieder von der Tagesordnung verschwunden. 
Die damaligen mit seinen früheren Anschauungen über die Beziehungen 
der menschlichen zur Rindertuberkulose und umgekehrt wesentlich 
differierenden Auseinandersetzungen von Koch schlugen — so lauteten 
die telegraphischen Zeitungsberichte — wie eine Bombe ein bei den 
Kongressmitgliedern. Aber auch weit über ärztliche Kreise hinaus er¬ 
regten sie das grösste Aufsehen in breiten Interessentenkreisen, die 
hofften, dass von jetzt ab sämtliche behördliche Maassregeln gegen die 
Tuberkulose der Rinder aufgehoben würden. 

Zur Begründung seiner jetzigen Schlussfolgerungen über die Un¬ 
empfänglichkeit oder mindestens äusserst geringe Empfänglichkeit des 
Menschen für die Perlsucht des Rindes führt Koch an: einmal das 
äusserst seltene Vorkommen der primären Darmtuberkulose beim 
Menschen, besonders auch bei Kindern, und zweitens das bisherige ex¬ 
perimentelle Ergebnis mit Fällen solcher Art. Koch sagte: wenn die 
Perlsuchtbacillen für den Menschen infektiös wären, dann müssten die 
Fälle von primärer Darmtuberkulose viel häufiger sein unter der Be¬ 
völkerung grosser Städte, besonders bei Kindern; denn die Milch und 
die Butter enthält sehr häufig und in nicht geringer Menge lebende und 
virulente Perlsuchtbacillen, und nichtsdestoweniger war nach seinen 
Erfahrungen die primäre Darmtuberkulose, besonders bei Kindern, ein 
seltenes Leiden, und bei den seltenen Fällen, wo sie vorkam, war nach 
ihm noch nicht einmal sicher nachgewiesen, dass es sich wirklich um 
eine bovine und nicht um eine menschliche Tuberkulose handelte. 

Und was den zweiten und wichtigsten Punkt anbetrifft, die ex¬ 
perimentelle Entscheidung der Frage, ob die Perlsucht auf den Menschen 
übertragbar ist, so sprachen die damaligen Ergebnisse von Koch eben¬ 
falls nicht dafür, dass die Perlsucht beim Menschen vorkommt. 

An einen solchen seltenen Fall primärer Darm tuberkulöse knüpfen 
die Präparate an, die ich mitgebracht habe. Es handelt sich um einen 
Mann, der während eines ganzen Jahres an starkem Durchfall und an 
lebhaften Schmerzen im Leibe gelitten hatte. Die Sektion ergab 
typische tuberkulöse Geschwüre im Darm, und von ihnen ausgehend 
eine Eruption von Miliartuberkeln auf der Serosa des Darmes und am 
Peritoneum parietale; die Milz enthielt ebenfalls miliare Knoten, be¬ 
stehend aus Epithelioidzellentuberkel mit Riesenzellen und Tuberkel¬ 
bacillen darin. Lungen und Bronchialdrüsen sind nach eingehender 
Untersuchung frei geblieben. Mit der tuberkulösen Milz dieses Falles 
wurde weiter geimpft, und zwar in der Weise, wie dies Herr Orth in 
der vorigen Sitzung angegeben hat. Es wurde zunächst ein Meer¬ 
schweinchen geimpft, das Meerschweinchen wurde 7 Wochen nach der 
Infektion getötet und ergab starke Tuberkulose der Lungen, Leber, 
Milz. Mit den in sterilisiertem Wasser unter allen Kautelen verriebenen 
Stücken von Lunge und Milz des Meerschweinchens wurde sodann ein 
Kalb an der rechten Halsseite geimpft in der Weise, dass subcutan 
12 ccm injiziert wurden. Das Kalb selbst war vor der Injektion pro- 
batorisch auf Tuberkulin geprüft worden. Es hatte keine Spur von 
Reaktion, konnte also als tuberkulosefrei gelten. Der weitere Krank¬ 
heitsverlauf bei dem Kalb war der: es schwoll unter unseren Augen 
zunächst die injizierte Halsseite an, es entstand ein mannsfaustgrosser 
Tumor, es entstanden mehrere kleinapfelgrosse Drüsen in der Nachbar¬ 


schaft des Tumors, die Bugdrüse schwoll an und wurde gänseeigross. 
Einen Monat nach der ersten Injektion wurde eine zweite probatorische 
Tuberkulininjektion, und zwar in derselben Dosis wie vor der Impfung 
mit dem tuberkulösen Material gemacht. Das Tier reagierte jetzt nach 
der Infektion auf dieselbe Dosis in der exquisitesten Weise um 3° C 
bis 41,5°. 7 Wochen nach der vorigen Tuberkulinprobe wurde eine 

dritte probatorische Injektion gemacht. Wieder dasselbe Resultat. 
Auch dieses Mal tritt eine exquisite Tuberkulinreaktion ein bis auf 
41,2° C, das Fieber fiel dann allmählich wieder ab, ganz, wie man das 
beim Menschen zu sehen Gelegenheit hat. 

Etwa 3 Monate nach der ersten Impfung wurde das Tier getötet 
und ergab schwerste Veränderungen an der Impfstelle und in den 
inneren Organen, wie sie für Perlsucht charakteristisch sind. An der 
Injektionsstelle ein fast kindskopfgrosser Tumor mit centraler käsiger 
Höhle. Die Drüsen in der Nachbarschaft, die Bugdrüse, die Kehlgangs¬ 
drüse der infizierten Seite stark geschwollen, mit reichlichen, in Ver¬ 
käsung und Verkalkung begriffenen Herden versehen. Die inneren 
Organe zeigten nur ganz frische Perlsuchtknoten in ausserordentlich 
grosser Zahl auf der Pleura, auf dem Pericard, im Netz, in der Leber¬ 
serosa, auf der Serosa der Milz. Auch im Lungengewebe, in der Pulpa 
der Milz, im Parenchym der Leber und Nieren kleinere miliare bis 
linsengrosse Knoten sichtbar. Was aber besonders hervorzuheben ist, 
diese Perlsuchtknoten in allen entfernteren Gebieten (Pleura, Pericardium, 
Lunge usw.) hatten stets einen ganz frischen Charakter, zeigten keine 
Verkäsung, keine Verkalkung, gegenüber der Verkäsung und Verkalkung 
in den Tuberkeln an der Injektionsstelle und den sich anschliessenden 
Drüsen, zum sicheren Beweis, dass der tuberkulöse Prozess an der Hals¬ 
seite älteren Datums ist und von hier fortschreitend allmählich erst die 
inneren Organe befallen hat. 

Gegenüber dem von Koch erhaltenen negativen und nicht näher 
definiertem Ergebnis mit dem Material dieses Falles muss ich hier 
hervorheben, dass Herr Geheimrat Oster tag, der eine grosse Erfahrung 
in der Tuberkulose der Haustiere hat, diesen Fall von der ersten Tuber¬ 
kulininjektion bis zum Tode des Tieres mitbeobachtet hat und in dieser 
Phase den Versuch für vollkommen einwandfrei erklärt hat. Auch 
Nocard, der bekannte französische Forscher, hat die Präparate gesehen 
und diesen Fall für vollkommen einwandfrei erklärt. 

Koch schliesst nun, dass bei der gelungenen Uebertragung des 
tuberkulösen Materials eines solchen Falles von primärer Darmtuber¬ 
kulose auf das Rind die Diagnose sichergestellt wird, dass es sich um 
einen Fall von Tuberkulose bovinen und nicht menschlichen Ursprungs 
beim Menschen handelt. Dieser Fall von Perlsucht beim Menschen hat, 
weil er damals der erste war, bei dem der experimentelle Nachweis ge¬ 
führt ist, ein gewisses Aufsehen erregt, später sind auch von anderer 
Seite (Fibiger und Jensen u. a.) derartige Fälle mitgeteilt worden. 

Auf Grund dieser und anderer hierhergehörigen Erfahrungen, auf 
die ich bei der Kürze der Zeit hier nicht weiter eingehen kann, die ich 
aber früher erörtert habe, habe ich damals ganz in Uebereinstimmung 
mit dem Herrn Vorsitzenden die Forderung aufgestellt, dass sämtliche 
behördliche Maassregeln gegen die von seiten perlsüchtiger Tiere die 
Menschen bedrohenden Gefahren aufrecht zu erhalten sind. Wenn ein 
Kind von mir oder von Ihnen zu den lOpCt. von den Kindern gehört, 
die an Perlsucht erkranken, so genügt mir das und wahrscheinlich auch 
Ihnen vollkommen, um gegen und nicht für die Aufhebung dieser Maass¬ 
regeln zu plädieren. Das Reichsgesundheitsamt hat auch diese Maass¬ 
regeln bisher nicht aufgehoben. 

Hr. Eber-Leipzig (a. G.): Es ist sowohl im Vortrage als auch in 
der Debatte der Versuche geflacht, die im Veterinär-Institut der 
Universität Leipzig in der Zeit von 1903—1910 zur Klarstellung 
der Beziehungen zwischen Menschen- und Rindertuberkulose ausgeführt 
worden sind. Wie schon vom Vortr. erwähnt, befanden sich unter den 
31 auf Rindervirulenz geprüften Fällen menschlicher Tuberkulose sieben 
Fälle, bei denen der sofortige positive Ausfall des Rinder¬ 
versuchs direkt auf das Rind als Infektionsquelle hinwies, und sieben 
Fälle, bei denen erst nach mehrfacher Rinderpassage eine 
typische Rindervirulenz festgestellt werden konnte. Wir sind auf Grund 
eingehender bakteriologischer Studien, die wir mit vier von diesen Fällen 
durebgeführt haben, zu der Auffassung gelangt, dass die bei konsequenter 
intraperitonealer Weiterimpfung auf Rinder allmählich auftretende Viru¬ 
lenzsteigerung als Beweis für die Umwandlung der Menschentuberkel¬ 
bacillen aufzufassen ist, und müssen diese Auffassung auch aufrecht 
erhalten, solange das Fehlen oder Vorhandensein der Rindervirulenz als 
einziges sicheres Unterscheidungsmerkmal zwischen Menschen- und 
Rindertuberkelbacillen gilt. 

Herr Weber hat bei der Besprechung unserer Versuche erwähnt, 
dass in den Jahren 1910 und 1911 eine Nachprüfung derselben im 
Kaiserlichen Gesundheitsamte vorgenommen sei, die unsere Ergebnisse 
nicht bestätigt hätte. Er hat zugleich mitgeteilt, dass gegenwärtig eine 
neue grosse Versuchsreihe in die Wege geleitet sei, durch die das 
Kaiserliche Gesundheitsamt gemeinsam mit dem Veterinär-Institut in 
Leipzig noch einmal die Umwandlungsfrage zu prüfen beabsichtige. Ich 
möchte in Ergänzung der Mitteilung Weber’s noch hinzufügen, dass 
sich bei der gemeinsamen Festsetzung des neuen Versuchsplanes ergeben 
hat, dass die bei der ersten Nachprüfung unserer Versuche im Kaiser¬ 
lichen Gesundheitsamte gewählte Versuchsanordnung nicht in allen 
Punkten strikte der in Leipzig geübten Versuchsanordnung ent¬ 
sprochen hat. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


509 


17. März 1913. 


Herr Weber hat weiterhin auch der atypischen Kulturen bzw. Um¬ 
wandlungsversuche der englischen Tuberkulosekommission 
gedacht, die schliesslich dazu geführt haben, diese Kulturen — es 
handelt sich im ganzen um fünf teils aus bronchialen, teils aus abdomi¬ 
nalen Lymphdrüsen des Menschen gezüchtete Reinkulturen — als 
Mischkulturen aus Bacillen des Typus humanus und des Typus 
bovinus aufzufassen. Herr Weber hat aber nicht erwähnt, dass die 
genannte Kommission in ihrem Schlussberichte 17 neue Tuberkel¬ 
bacillenreinkulturen aufführt, die wiederum nicht ohne weiteres in 
das Schema „ Entweder Typus humanus oder Typus bovinus“ einzureihen 
sind. E 3 handelt sich um 17 Fälle vou Lupus (von 20 überhaupt 
untersuchten Fällen), deren Reinkulturen in 8 Fällen typisches „bo¬ 
vines“ Wachstum ohne die für diesen Typus charakte¬ 
ristische Rindervirulenz und in 9 Fällen typisches „humanes“ 
Wachstum ohne die für diesen Typus charakteristische 
Meerschweinchen- und Affenvirulenz zeigten. Dieses eigenartige 
Verhalten gegenüber den genannten Versuchstieren konnte nur in zwei 
Fällen mit „bovinem“ Wachstum durch mehrfache Rinderpassage und 
in einem Falle mit „humanem“ Wachstum durch Affenpassage derart 
beeinflusst werden, dass der betreffende Stamm schliesslich auch die 
seinem Wachstum entsprechende charakteristische Virulenz erlangte, ln 
allen übrigen Fällen konnte diese Virulenzsteigerung bei der gewählten 
Versuchsanordnung (subcutanc Infektion) trotz mehrfacher Weiterimpfung 
nicht bewirkt werden. Ich möchte hierbei die Vermutung aussprechen, 
dass, wenn statt der subcutanen Infektion die yoii uns empfohlene 
intraperitoneale gewählt worden wäre, wenigstens bei den Kulturen mit 
„bovinem“ Wachstum wahrscheinlich ein höherer Prozentsatz von erfolg¬ 
reicher Virulenzsteigerung erzielt worden wäre. Die englische Kommission 
befand sich diesen Stämmen gegenüber in einiger Verlegenheit, hat sich 
aber schliesslich entschlossen, diese Kulturen als abgeschwächte 
„humane“ bzw. „bovine“ Stämme anzusprechen. Es wäre aber auch 
durchaus berechtigt, diese Stämme, bei denen das kulturelle Verhalten 
und die Virulenz gegenüber den Versuchstieren nicht in Einklang stehen, 
als „atypische Stämme“ zu bezeichnen und ihnen einen Platz 
zwischen Typus humanus und bovinus einzuräumen. 

Ich habe diese Beobachtung der englischen Tuberkulosekommission 
etwas ausführlicher erläutert, um zu zeigen, dass mit der ja an sich 
sehr zweckmässigen Einteilung der Tuberkelbacillen in solche des Typus 
humanus und solche des Typus bovinus allein noch nicht alle Schwierig¬ 
keiten behoben sind, und dass es tatsächlich, ganz abgesehen von den 
sogenannten Mischkulturen, Stämme gibt, die sich nicht ohne weiteres 
in diese Einteilung einreihen lassen. Auch haben die Untersuchungen 
der englischen Kommission einwandfrei dargetan, dass selbst das für die 
Typeneinteilung zurzeit noch am höchsten bewertete Unterscheidungs¬ 
merkmal, die Rindervirulenz, durch den Tierversuch unter Umständen 
gauz erheblich abgeändert werden kann. Es dürfte dann schliesslich 
nur noch von der mehr oder minder engen Fassung des Begriffes Typus 
abhängen, ob man nicht schliesslich von selbst dazu kommt, von einem 
allmählichen Uebergang der beiden häufigsten Varietäten des Säugetier¬ 
bacillus ineinander zu sprechen. 

Aber gesetzt nun, die von uns bemängelte strenge Typeneinteilung 
ohne Uebergänge bestände tatsächlich zu Recht, und die durch unsere 
Versuche nacbgewiesene allmähliche Steigerung der Rindervirulenz ge¬ 
wisser vom Menschen stammender Tuberkelbacillen sei nicht als Typen¬ 
umwandlung zu deuten, dann würde zur Erklärung unserer Befunde nur 
die Annahme übrig bleiben, dass entweder in unserem Ausgangsmaterial 
vou vornherein boide Bacillen typen in Mischkultur vorhanden 
waren, oder dass es sich um Fälle von Menschentuberkulose mit ab¬ 
geschwächten Rinderbacillen gehandelt hat. Ich will an dieser 
Stelle nicht untersuchen, welche Anhaltspunkte sich aus unseren Ver¬ 
suchen selbst für die eine oder die andere Auffassung ergeben, sondern 
nur summarisch betonen, dass sich dann die Sachlage eigentlich noch 
schwieriger und für die Gegenpartei — wenn ich diesen Ausdruck einmal 
anwenden darf —, die ursprünglich mit Robert Koch von der Un¬ 
gefährlichkeit der Rindertuberkulose für den Menschen ausgegangen ist, 
noch ungünstiger gestaltet; denn es würde daraus hervorgehen, dass 
nicht nur in den Fällen mit typischer Rindervirulenz, sondern auch in 
allen Fällen, in denen erst nachträglich bei entsprechender Versuchs¬ 
anordnung allmählich eine stärkere Rindervirulenz bei den gezüchteten 
Kulturen hervortritt, Rinderbacillen von Anfang an im Ausgangsmaterial 
vorhanden gewesen sein müssten. Dann aber würde der Rindertuber¬ 
kulose für den Menschen eine noch weit grössere Bedeutung zuerkannt 
werden müssen, als selbst von den schärfsten Gegnern der Koch’schen 
Auffassung im Jahre 1901 zum Ausdruck gebracht worden ist. 

Man mag es also drehen, wie man will, von einer Ungefährlichkeit 
der Rindertuberkulose für den Menschen kann keine Rede mehr sein, 
und wir haben alle Ursache, im Interesse der Allgemeinheit auch diese 
Gefahr nach Möglichkeit zu bekämpfen. Dass dieser Kampf aber wirk¬ 
samer geführt werden kann, wenn es feststeht, dass die Rindertuber¬ 
kulose nicht nur für den landwirtschaftlichen Viehbesitzer allein, sondern 
für die Gesamtheit der Fleisch und Milch konsumierenden Menschheit 
eine Bedeutung hat, dürfte ohne weiteres einleuchtend sein. Hierin 
liegt auch der Grund, weshalb das Veterinärinstitut von Anfang an mit 
allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln versucht hat, an der Klar¬ 
stellung dieser wichtigen Frage mitzuarbeiten und die durch Robert 
Koch 1901 proklamierte irrtümliche Auffassung von der Ungefährlichkeit 
der Rindertuberkulose für den Menschen richtig zu stellen. 


Hnfelandische Gesellschaft 

(für Demonstrationen und Vorträge aus der gesamten praktischen Medizin). 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 23. Januar 1913. 

Vorsitzender: Herr Kraus. 

Schriftführer: Herr J. Ruhemann. 

1. Hr. Kraus: Ueber den Lungenabscess. 

Indem Vortr. das klinische Ineinanderübergehen von Lungenabscess 
und -gangrän schildert, wobei allerdings die Circumscriptheit des Herdes 
und die Bildung des reaktiven Scbutzgewebes mehr für Abscess, die An¬ 
wesenheit von Eiter nicht gegen Gangrän spricht, erinnert er daran, dass 
die emboliseben Abscesse und Gangränescenzen gewöhnlich multiple 
Herde bedingen, dass bei den Fremdkörperabscessen die veranlassenden 
Speisereste, der Echinococcus usw. die klinische Absonderung be¬ 
stimmen; ein besonderes luteresse beanspruchen die grossen singulären 
Abscesse, welche nur ausnahmsweise den Ausgang der gemeinen crou- 
pösen Pneumonie, meistens bei den grippalen centralen Pneumonien 
Vorkommen, bei denen sich Pfeiffer’sche Bacillen mit anderen Bakterien 
vergesellschaften. Hierfür wurde auch die Bezeichnung Lungenfurunkel 
geprägt. Der traumatische Lungenabscess habe vorwiegend in der Gut- 
achteupraxis seine Bedeutung. Vortragender geht alsdann auf die klinische 
Diagnostik des Lungenabseesses ein, erwähnt den Fieberverlauf, die 
cardiovasculären Symptome, Hyperleukocytose, Milzschwellung, Cyanose 
und Dyspnoe, die Höbleubilduug, Schrumpfungsprozesse, Beteiligung der 
Pleura (trockene Pleuritis), die Beschaffenheit des Eitersputums mit dem 
Blutgebalt, den Lungenfetzen und elastischen Fasern; aber auch alle 
diese Symptome differenzieren nicht immer Abscess und Gangrän. Hier 
spielt die Röntgenuntersuchung eine entscheidende Rolle, welche zu¬ 
nächst die Stelle der Höhle (Vomica) und damit den diagnostischen und 
prognostischen Ausspruch ermöglicht. Am besten heilen die Abscesse des 
Oberlappens und der Mitte der Lunge, am schlechtesten die im hinteren 
unteren Lungenabschnitt gelegenen, physikalisch schwer erkennbaren. 
Das Röntgenbild lässt weiter die Form der Höhle, die Narbe, die Ver¬ 
kleinerung des Herdes in ihrem zeitlichen Verlauf deutlich verfolgen. 
Bei der spontanen Ausheilungsmöglichkeit von Abscess und Gangrän 
braucht nicht immer operativ eiugegriffen zu werden, höchstens bei 
foudroyant entstehenden, sehr grossen, zum Durchbruch in die Pleura 
neigenden chronischen Formen usw. 

Röntgennachweis der Vomica, des Flüssigkeitsniveaus, des Ver¬ 
dichtungsringes, der Narbe in dem Falle der Erkrankung eines 21jährigen 
Dienstmädchens, das am 6. Oktober normalen Partus hatte. 25. Oktober 
Blutung aus den Genitalien, Uteruspolyp entfernt, 2 Tage später 
40,5° C. Dyspnoe, rechts Bruststiche, geringes Sputum. 2. November 
stinkende Lochien, auch links Dämpfung, wenig scharf umgrenzter Herd, 
Bronchialatmen, Rasseln, bald eitriges Sputum. Septischer Lungen¬ 
prozess angenommen. Rechts Pneumonie nicht mehr nachweisbar. 
Grampositive Diplokokken, nur wenig elastische Fasern, keine Lungen¬ 
fetzen, keine Blutkristalle, 250—300 ccm Sputum. Patientin wog 
49,3 Kilo und jetzt 57,3 Kilo, 

Kraus betont auf Grund der Demonstration den grossen Wert des 
Röntgennachweises der Vomica und des die Prognose entscheidenden 
Sitzes der Abscesshöhle. 

Diskussion. 

Hr. Strauss berichtet über zwei Fälle von metapneumonischem 
Lungenabscess seiner Beobachtung, in welchen gleichfalls rasch Heilung 
eintrat. In dem ersten Falle — eine junge Frau betreffend — trat im 
Anschluss an eine Pneumonie eitriges Sputum auf, in welchem elastische 
Fasern nachgewiesen werden konnten. Die Röntgenuntersuchung zeigte 
in der Mitte der Lunge in einwandfreier Weise eine kleine Höhle. Drei 
Wochen später war dieselbe nicht mehr uaebzuweisen und das Sputum 
bis auf geringe Reste verschwunden. Die Patientin hat in der Zwischen¬ 
zeit erheblich an Gewicht zugenommen und verliess das Krankenhaus 
geheilt. In dem anderen Fall, der schon in der Zeit vor der Einführung 
des Rüntgenverfahrens beobachtet wurde, handelte ss sich um einen 
jungen Menschen, der nach einer Pneumonie noch längere Zeit eine 
Dämpfung des Oberlappens zurückbehielt. Plötzlich entleerte er 3 / 4 Spei¬ 
glas voll Eiter und am Orte der Dämpfung waren Metallphänoraene nach¬ 
weisbar. Auch bei diesem Patienten heilte der Lungenabscess spontan 
aus. Strauss hat in der letzten Zeit auch einen Fall beobachtet, in 
welchem eine kleiue Gangränhöhle des Oberlappens in einigen Monaten 
restlos ausgeheilt ist. 

2. Hr. Brngsch: 

Znr Differentialdiagnose der chronischen Gelenkentzündungen. 

Vortr. differenziert die chronischen Gelenkentzündungen, indem 
er diagnostisch 1. die durch echte Gicht entstandenen, 2. die Arthritis 
deformans (rheumatical gout) und 3. die primären sowie sekundären 
chronischen Arthritiden unterscheidet. Bei 1 sind die röntgendiaguosti- 
schen Uratherde gegenüber den adhäsiven Entzündungen hervorzuheben; 

1 und 2 gemeinsam sind Exsudat und Proliferation von Knochen uud 
Knorpel; er betont die für Gicht bedeutsame Affektion der an den 
Gelenken sitzenden Schleimbeutel und die Wichtigkeit der Röntgenbilder 
für die kleinen Gelenke, z. B. der Hände (Decalcination bei Gicht, 
cystische Erweichung des Knochens). 

Diskussion. 

Hr. Goldscheider: Die Blut- und Röntgendiagnose der Gicht ist 
schwer; er weist auf die praktisch wichtige und diagnostisch maass- 


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510 BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. Nr. 11. 


gebende sowie einfache Methode des Nachweises der kleinen, stecknadel¬ 
knopfgrossen Tophi in den präpatellaren Schleimbeuteln, dein Schleim¬ 
beutel über dem Olecranon, an den Malleolen, dem Kreuzbein hin, 
Gegenden, die zur Eruierung der sandkörnigen Ansammlungen sorgfältig 
untersucht werden müssen. 

Hr. Hildebrand legt Wert auf die klinischen Unterschiede der 
Gelenkaffektionen und zwar je nachdem sie entweder vom Knorpel aus¬ 
gehend zu Usur, Neubildung und Kapselaftizieruug oder in der Kapsel 
beginnend Knorpelauffaserung und Kuochendestruktion im Gefolge haben. 
Diese scharf an grossen Gelenken zu machenden Unterscheidungen sind 
an kleinen nicht so deutlich wahrnehmbar. Das Endbild ist jedenfalls 
dasselbe. 

Hr. Umber betont gleichfalls die Notwendigkeit strenger Unter¬ 
scheidung der primären chronischen Polyarthritis destruens, die er 
eigentlich als chronische Periarthritis bezeichnen möchte, von der 
klinisch oft ähnlichen echten Gicht. Davon ist die Osteoarthritis 
deformans streng zu sondern. Zum Zustandekommen der letzteren ge¬ 
hören offenbar pathologische Stoffwechselprodukte, z. B. Harnsäure kann 
primäre Knorpelnekrosen machen (s. Abbildung 1, Umber’s Lehrbuch). 
Ebenso sah U. bei einer durch vier Generationen verfolgbaren Alkapton- 
urikerfamilie bei denjenigen Mitgliedern, die alkaptonurisch waren, 
primäre KnorpelschädiguDgen (Ochronose) mit allmählich entwickelter 
Osteoarthritis deformans. Hier hat also die Horaogentisinsäureschädigung 
die Osteoarthritis deformans quasi experimentell hervorgerufen. 

3. Hr. Peritz: Ueber Hypophysenerkranknng. 

Junge Tiere, denen die Hypophysis entfernt ist, wachsen nicht, bei 
älteren tritt Adipositas in Haut und Organen ein (durch Hyperglykämie). 
Vortragender schildert die Beziehungen der Hypopbysis zu den Keim¬ 
drüsen, die Atrophie der letzteren bei Entfernung der Hypophyse, die Ver- 
grösserung der Hypophyse bei Kastration und Gravidität. 

Er demonstriert an Pat. einige Typen der Hypophysiserkrankungen. 
Fall schneller Vergrösserung der Füsse, Fehlen der Axillar- und Ge- 
siohtshaare, 0,35 pCt. Hyperglykämie. 

Zwei Schwestern von 32 und 34 Jahren, ohne akromegale Zustände, 
aber mit Dercum’scher Adipositas, welche von den Hüften aus die 
unteren Extremitäten betrifft, Rumpf und obere Extremitäten aber voll¬ 
kommen freilässt. Die erste Pat. mit Kopfschmerz, schlechtem Sehen, 
Stauungspapille, 0,2 pCt. Hyperglykämie. Bei der einen Pat. ist 
Hypophysistumor ira Rüntgenbild nachweisbar, bei der anderen nicht. 

Fall von Hypophysistumor bei 10 jährigem idiotischen Jungen. Vor¬ 
handensein der Milchzäbne, Hodenlosigkeit. Myxödem. Korrelation zu 
allen Drüsen mit innerer Sekretion. 

Diskussion. 

Hr. Gottschalk: Hypophysistumoren führen zu Amenorrhoe. 

Hr. Kraus: Der Grad der Beteiligung der Keimdrüsen ist quanti¬ 
tativ. Das Fehlen, z. B. der Amenorrhoe spricht nicht gegen die 
Diagnose „Hypophysistumor“. 

Hr. Erich Schlesinger bespricht das bei Hypopbysentumoren vor¬ 
kommende Symptom der hemianopischen Pupillenstarre. Mittels eines 
von ihm konstruierten Apparates des Peripupillometers gelang es, in zwei 
Fällen von Hypophysengeschwulst eine bitemporale Starre nachzuweisen. 
In dem einen Falle hatte der heraianopische Ausschnitt die Gestalt eines 
schmalen Sektors. Das dadurch bedingte Skotom war der Patientin gar 
nicht zu Bewusstsein gekommen. Redner erwähnt als weiteres bei 
Hypophysentumoren vorkommendes Symptom den Diabetes insipidus, 
der durch Reizung der Neurohypophysis zustande käme, wie experi¬ 
mentelle Untersuchungen ergeben hätten. In einem dieser Fälle bestand 
eine Tagesmenge von 7—8 Liter Urin. 

Hr. Oppenheim weist ebenfalls auf die noch nicht genügend ge¬ 
würdigte Bedeutung der hemianopischen Pupillenstarre bei Hypophysis¬ 
tumoren hin. Die Vergrösserung der Sella turcica im Röntgenbilde 
kommt auch bei Hydrocephalus vor und ist nicht unbedingt für Tumor 
der Hypophysis beweisend. 

Hr. Mosse fragt, ob in den Fällen der Dercum’schen Formen der 
Kehlkopf vergrössert ist, was Vortragender verneint. 

Hr. Strauss hat in Band 4 der Folia urologica zwei Fälle von 
Entwicklungshemmung vom Typus der Dystrophia adiposo-genitalis be¬ 
schrieben, bei welchen gleichzeitig Diabetes insipidus bestand. St. 
hat dabei die Hypothese ausgesprochen, dass in den betreffenden Fällen 
Störungen der inneren Sekretion, welche von der Hypophyse ausgingen, 
das Zustandekommen des Diabetes insipidus verschuldet haben. Neuer¬ 
dings bat dann Frank das experimentelle und klinische Material zu¬ 
sammengetragen und ist hierbei zu einer gleichen Auffassung gelangt. 
Auf Grund physiologischer Experimente muss man die Quelle der Polyurie 
in der schmalen Mittelschicht zwischen Vorder- und Hinterlappen der 
Hypophyse suchen. Jüngst ist auch ein anatomischer Befund von Sim- 
mond’s mitgeteilt worden, welcher die hier geäusserte Auffassung stützt. 
Es liegt hier eine Funktionsstörung der Hypophysis vor, die in Fällen 
von Diabetes insipidus noch weiter verfolgt werden muss. 

Hr. J. Ci(ron: Zir Therapie der Plant-Vincent’schen Angina. 

Bei den in den Geschwüren der Plaut-Vincent’schen Angina ge¬ 
fundenen Bacilli fusiformes und Spirochäten ist die Frage, ob es sich 
um differente Mikroorganismen oder Entwicklungsstufen handelt, nicht 
entschieden. 

Nicht immer sind die Ulcerationen harmlos, oft bestehen sie wochen¬ 


lang, ja bis zu sechs Monaten; die statt der symptomatischen Therapie 
augewandte Salvarsaninjektion (Rumpel. Gerber) bedingte baldiges 
Verschwinden der Spirochäten und fusiformen Bacillen (in 5 bis 10 
Tagen); das Bild ging zurück, die Geschwüre heilten. Aehnliehe Be¬ 
obachtungen wurden bei Pulpitis, Alveolarpyorrhöe gemacht; die relativ 
kurz beobachteten Fälle galten als geheilt; aber die Rückkehr der 
Bacillen und Spirochäten (Rumpel) Wessen lokale Salvarsanbehandlung 
indiziert erscheinen, so auch bei Ulcerationen der Mundhöhle und der 
ätiologisch zusammenhängenden Gingivitis marginalis, bei denen schnelle 
Abheilung erfolgte. Vor 7 Wochen beobachtete Vortragender einen Fall 
von Gingivitis marginalis und sekundärer Plaut-Vincent’scher Angina 
mit Geschwür auf der linken Tonsille. Der Kranke wird demonstriert. 
Nach intravenöser Injektion von 0,6 g Salvarsan waren nach 4 Tagen 
keine fusiformen Bacillen noch Spirochäten mehr nachweisbar; aber es 
musste doch ein kleiner Rest hinterblieben sein, denn nach 14 Tagen 
war eine Fülle der typischen Mikroorganismen zu finden. Nach zwei 
weiteren hintereinander vorgenommenen Injektionen von Salvarsan ver¬ 
schwanden jene nicht; gestern erfolgte lokale Applikation von 0,1 g 
Salvarsan in Paraffinsuspension; Erfolg nach 24 Stunden. Die Bacillen 
und Spirochäten sind fort; es besteht grosse lokale Besserung; es soll 
weiter lokal behandelt werden. Diese noch sonst zu propagierende ört¬ 
liche Behandlung verspricht mehr Erfolg als die intravenöse Einver¬ 
leibung, weil in letzterem Falle das Mittel ven der Blutbahn aus nicht 
genügend an die Mikroorganismen herankommt 

Diskussion. Hr. S. Hirsch: Bei der Angina Vincenti wirkt die 
lokale Behandlung mit Pergenol ausgezeichnet, wie reichliche Erfahrung 
in der Heymann’schen Klinik ergeben hat. 

Hr. J. Plesch-Berlin; Ueber halbseitige Schmerzen (Hemialgie). 

Es kommt häufig eine halbseitige Anfälligkeit (Hemipathie) vor, die 
sich in halbseitigen Kopfschmerzen, Oppressionsgefühl über dem Herzen, 
Angina pectoris-ähnlichen Anfällen, Intercostalneuralgien, Rücken- 
schmerzen, ischiasähnlichen Zuständen äussern. In solchen Fällen sind 
gewisse Punkte der halben Körperhälfte auch dann schmerzhaft, wenn 
die Schmerzen nur auf einem Teil des Körpers auftreten. Charakteristisch 
für die Schmerzen ist, dass sie anfallsweise auftreten. Die wichtigsten 
Schmerzpunkte sind: die Ansatzstellen des Muse, sternocleido mast. 
(Proc. mast., sternum und clavicula und der Bauch des Muskels); die 
Gegend des Muse, splenius capitis et colli, der occipitale Ansatzteil des 
Muse, cucullaris und der Punkt, wo die Mamillarlinie den oberen Rand 
schneidet; der höchste Punkt des Ansatzes des Muse, tempor.; der 
Muse. pect, rainor; der Serrat. ant. an der 4., 5. und 6. Rippe; des 
Muse, rhomboideus; die unteren Spitzen des Serratus post, in der Linie 
desAug. scapulae; der iliacus internus an dem Labium intern, der Crista 
ossis ilei in der Verlängerungslinie zwischen Condylus extern, und 
Trochanter; der Punkt in der Mitte der Linie zwischen Trochanter und 
Condylus externus; die Projektionsstelle des Muse, pyriformis auf den 
Gluteus und die obere Ansatzstelle des Muse, adductor. Die Schmerzen 
können von diesen Stellen ausser Massage usw. leichter und dauernder 
durch die Injektion einer isotonischen NaCl - Lösung günstig beeinflusst 
werden. Als eine solche isotonische Lösung wird empfohlen: Rp. NaCl 0,5, 
Natr. cacodylic. 2,5, Novocain 0,3, Aquae dest. 100,0. 

D iskussion. 

Hr. Förster betrachtet das geschilderte Bild unter der Rubrik der 
Neurasthenie und bezieht einen Teil der Beschwerden z. B. auf die 
suggestive Einwirkung vorangegangener Cornelius’scher Nervenmassage. 

Hr. Plesch bestätigt, dass eine solche bei dem einem Falle vor¬ 
hergegangen ist. 

Hr. Peritz führt solche Bilder, wie der Vortragende sie geschildert 
hat, auf Muskelkrankbeiten zurück, die durch Erkältung entstanden und 
durch Kochsalzeinspritzungen zu beseitigen sind. 

Hr. Goldscheider betont, dass Hyperästhesien (Myalgien, Neur¬ 
algien) sehr oft einseitig gefunden werden, zunächst einseitig ausstrahlen, 
später auch auf die andere Körperhälfte irradiieren. 

Hr. W. Alexander: Bei allen Neuralgien und den meisten 
Myalgien ist gerade die Einseitigkeit so sehr die Regel, dass man 
bei Doppelseitigkeit an der Diagnose zweifelhaft werden und an eine 
spinale Ursache denken muss. Die weitere Pupille rechts ist vollkommen 
durch den rechtsseitigen Lungenspitzenkatarrh als Sympathicussymptom 
erklärt, besonders wenn sie gut reagieren sollte, worüber der Vortragende 
nichts gesagt. Dass das Ulcus cruris auch rechts sitzt, dürfte Zufall 
sein; jedenfalls kann man aus dem Zusammentreffen dieses rein lokalen 
Leidens mit den übrigen Symptomen nicht einen pathologischen Zu¬ 
sammenhang konstruieren. 

Hr. Kraus hält das von Herrn Plesch gezeichnete Krankheitsbild 
ebenfalls für keine neue Krankheit, schliesst aber die rein psychogene 
Entstehung aus. Das Eigenartige sind die von den Sehnen ausgehenden 
Myalgien, die unter bestimmten Kombinationen auftreten und immer 
Druckpunkte der einen Körperhälfte aufweisen. 

6 . Hr. Oscar Rosenthal: Ich wollte Ihnen über Tierversuche a«s 
dem Gebiete der Langendiiriirgie berichten, werde mich aber der vor¬ 
gerückten Zeit halber auf die Vorführung der Tiere beschränken. Bei 
dem einen Hunde hier sind vor zwei Jahren die Arteria und Venae 
pulmonales der ganzen linken Seite, bei dem zweiten vor einem Jahr 
die ganze linke Arteria pulmonalis unterbunden worden, dem dritten 
wurde kürzlich die ganze linke Lunge entfernt. Auf dem Röntgenbild 


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17. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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sieht man bei den ersten Tieren die Schrumpfung der ganzen linken 
Lunge, während die rechte Lunge ersatzvergrösssert und gebläht das 
Herz ganz in die linke Hälfte des Brustkastens hinüberdrängt. Bei der 
völligen Entfernung einer Lunge macht es Schwierigkeiten, den Hohl¬ 
raum, in den hinein sonst immer Ergüsse stattfinden, auszufüllen. Nach 
vielen Versuchen wende ich jetzt dazu Stickstoff, wie bei der Behand¬ 
lung der Lunge mit künstlichem Pneumothorax, an. Sie werden an dem 
Gebahren dieser Hunde sicherlich keinerlei Ausfall an Beweglichkeit u. a., 
der auf die schweren Eingriffe und den Ausfall an Lungenarbeit bezogen 
werden könnte, feststellen können. 


Berliner Gesellschaft für Chirurgie. 

Sitzung vom 10. März 1913. 

Vorsitzender: Herr Sonnenburg. 

Schriftführer: Herr Hermes. 

1. Hr. Holländer: 

Zur Frage der Heschwnlstbildung nach Netzunterbindangen. 

Vortr. hatte vor einiger Zeit Gelegenheit, eine Epiploitis plastica zu 
beobachten und glaubt, zur Frage ihrer Entstehung einen wichtigen Bei¬ 
trag geben zu können. Es handelte sich um einen 32 jährigen Patienten, 
der wegen Netzhernie nach Bassini operiert wurde. Ein Stück Netz 
wurde abgebunden; Heilung erfolgte per primam. Er war danach drei 
Wochen ganz gesund und ging seinem Beruf als Reisender nach. Nach 
2 Monaten bekam er Schmerzen, die als Blinddarmbeschwerden von 
einem anderen Kollegen gedeutet wurden. Als Vortr. ihn sah, fühlte 
er bei dem Patienten eine Resistenz zwischen Nabel und Lig. Pouparti. 
Wieder nach 2 Monaten war es ein apfelgrosser Tumor, der sich der 
Bauchwand genähert hatte. Inzision ergab ein fibromähnliches Gewebe, 
das keine Cyste enthielt. Nach 3 Monaten war der Tumor kindskopf¬ 
gross; Röntgenbestrahlung erwies sich als nutzlos, ebenso Fibrolysin- 
einspritzungen. Nach 10 Monaten war der Tumor noch gewachsen, 
füllte die rechte untere Bauchgegend, hatte die Konsistenz eines Uterus¬ 
fibroms. Es wurde operiert. Dabei ergaben sich breite retroperitoneale 
Verwachsungen; von Exstirpation wurde wegen des zu erwartenden sehr 
grossen peritonealen Defekts abgesehen, nur ein Stück ausgeschnitten. 
Der Tumor hatte überall das Aussehen eines Fibroms, auch mikro¬ 
skopisch. Wegen Blutung kleiner Tampon, sonst Verschluss der Wunde. 
Nach 14 Tagen wird an der Stelle des Tampons ein eiternder Gang er¬ 
öffnet, der auf die ursprüngliche Seidenligatur führte. Danach verschwand 
der Tumor: Jetzt, nach 2 l f 4 Jahren, ist der Patient vollkommen gesund. 

1899 wurde zuerst auf dem französischen, 1900 von H. Braun auf 
dem deutschen Chirurgenkongress über diese Tumoren verhandelt, zuletzt 
31 Fälle zusammengestellt, die sich 1909 auf 44 erhöhten. 

Man kann zwei Gruppen unterscheiden: 1. Fälle, die von vornherein 
unrein sind, Unterbindungen im Anschluss an eitrige Operationen. Hier 
entsteht nach einigen Wochen ein Tumor, geschwollenes Netz, das an 
der Bauchwand adhärent ist. Es finden sich ein Abscess, der die Seiden¬ 
ligatur enthält, oder aber multiple kleine Abscesse. Der Seidenfaden 
hat seine endständige Lage behalten. Heilung durch Exstirpation 
der Ligatur, Drainage. 

2. Aseptische Operationen. Drei Monate post Operationen) findet 
sich eine Geschwulst. Medikamentöse Versuche sind zwecklos. Der 
Tumor verschwindet manchmal von selbst; sonst schnelles Wachstum, 
das zum Exitus führt oder grosse Operationen erfordert. Konstant findet 
sich der Seidenfaden im Centrum dos Tumors. 1897 wurde in 
Moskau ein Fall publiziert von Djemil Pascha: ein Tumor, der das 
Quercolon umwachsen, Ileus herbeigefübrt hatte. Heilung durch Colon¬ 
resektion. Pathologische Diagnose: Fibrosarkom. 

In zweifacher Weise wird das Entstehen des Tumors erklärt: erstens 
durch Infektion. Schloffer in Innsbruck beobachtete das Entstehen 
von Tumoren ein Jahr nach Blinddarmoperationen. Dabei ist die 
Seidenligatur distal vom Netzstumpf gelegen, hinter und neben ihr die 
phlegmonöse Entzündung. In den vom Vortr. beobachteten Fällen lag 
die Seiden ligatur aber stets im Centrum der Geschwulst Daher stellt 
Vortr. die zweite Hypothese dagegen: die Ligatur bedeutet einen 
dauernden Reizzustand, es bildet sich eine fibromatöse Celoidnarbe. 

Es ist gewiss selten, dass das Netzgebilde in dieser Weise reagiert. 
Der Tumor zeigt oft excessives Wachstum, das zu Ileus führen kann. 
Man soll darum nicht nur incidieren, sondern die Bauchhöhle eröffnen 
und den Stumpf von neuem versorgen. 

Vortr. ist nicht für Massenligatur, sondern für mehrfache Abbindung 
des Netzstumpfes. 

Diskussion. 

Hr. Schmieden hat einen ähnlichen Fall beobachtet. Der Patient 
hatte jedoch schon vor der Bruchoperation Stiche in der linken Bauch¬ 
höhle. *f 4 Jahre post operationem wieder Stiche; ein Tumor zu fühlen, 
Resorbentien ohne Erfolg. Operation ergab einen Tumor, der das 
Coecum einhüllte, ohne centrale Erweichung. Die Wnnde wurde teil¬ 
weise offen gelassen. Es erfolgte keine Entleerung. Nach kurzer Zeit 
entstand eine Kotfistel, die bald heilte. Später auftretender Ileus 
machte Ausschaltung des Ueocoecum notwendig. Danach verschwand der 
Tumor; 

Zur Einteilung bemerkt Vortr.: Küttner unterscheidet eine dritte 
Gruppe, spontane Entstehung des Tumors ohne Hernienoperation. In 
einem Falle des Vortr. handelte es sich um einen Tumor in der Gallen¬ 


blasengegend; es fanden sich Nekrosen im Netz, von denen der Tumor 
ausgegangen war. Heilung durch Exstirpation. 

Zur Technik ist zu sagen: dicke Stümpfe sind zu vermeiden, es 
sind kleine Stückchen etwa mit zehn Ligaturen zu unterbinden, mit je 
zwei an derselben Stelle. Die Tumoren sind auch bei Verwendung 
resorbierbarer Ligaturen entstanden. 

Hr. Sonnenburg teilt mit, dass er viele derartige Fälle gesehen 
hat. Das Netz ist ein Organ, das auf entzündliche Reize leicht reagiert. 
In einem Fall war ein Netztumor durch den Kotstein einer perforierten 
Appendix entstanden. In der Mitte des Tumors sass der Kotstein. 
Walter hat 1911 (franz. Kongress) einen ähnlichen Tumor beschrieben, 
der in der Ueocoecalgcgend lag. Vortr. hat das Netzt schon lange in 
kleinen Portionen unterbunden. Ein früherer Fall (Hernie) war be¬ 
sonders warnend: nach Massenunterbindung trat tödliche Blutung des 
Stumpfes ein. Die Sektion ergab: das Netz war torquiert, hatte sich 
ganz nach der linken Seite herüberbegeben. Daher ist sorgfältige Unter¬ 
bindung nötig. 

Hr. Holländer: Schlusswort. 

2 . Hr. NeMn&nn: 

Weitere Erfahrungen mit der Netzmanschette, insbesondere bei der 
Behandlung des perforierten Magengeschwürs. 

Vortr. hat seine Methode vor 4 Jahren in der Chirurgen-Vereinigung 
veröffentlicht. Sie besteht darin: Ein Drain wird in die Perforations¬ 
öffnung eiogeführt, der eine Teil ins Duodenum, der andere durch die 
freie Bauchhöhle zur Wunde herausgeleitet. Um das Drain wird eine 
Netzmanschette gebildet, zunächst der rechte, dann der hintere Rand 
des Netzlappens auf die Magenwand aufgenäht, zuletzt der vordere 
Rand der Manschette befestigt. Es genügt eine einfache Nahtreihe. Es 
brauchen neben die Manschette keine Gazestreifen gelegt werden; es 
kommt auch so zu Verklebungen. 

24 Stunden post operationem beginnt die Ernährung nur durch das 
Drain. Zuvor dient das Drain zur Entleerung des Mageninhalts, bis 
1800 ccm in 24 Stunden. Am 6. Tag wird daneben auch per os er¬ 
nährt, am 12.—17. Tage das Drain entfernt. Die Vorteile sind: Es 
kommt nie zu Erbrechen, die Patienten erholen sich schnell. In einem 
Fall (Stenose) war die sekundäre Gastroenterostomie nicht nötig, viel¬ 
leicht war die Stenose durch Gelässneubildung erweitert. Ferner be¬ 
stehen nach der Operation keine Magenbeschwerden mehr. Von 
34 Fällen seiner Abteilung waren 4 moribund, bei 13 wurde doppel¬ 
reihige Naht und Netzaufpflanzung gemacht; geheilt sind 6, gestorben 7. 
Mit Netzeinpfropfung wurden 2 operiert; geheilt 1, gestorben 1. Mit 
Vernähung bzw. Drainage und Gastroenterostomie 2; geheilt 1, ge¬ 
storben 1. Mit Netzmanschette 13; geheilt 7, gestorben 6, die alle in 
desolatem Zustande eingeliefert wurden. In 2 Fällen fanden sich noch 
ein zweites und drittes Ulcus. Von den 13 geheilten Fällen waren 4 
günstige, d. h. Frühfälle, die anderen weniger günstige. Bei 31 Fällen 
war die Mortalität 55 pCt., bei den in den ersten 12 Stunden operierten 
7,7 pCt. 

Die Methode ist einfach, die Nachbehandlung bequem. Die Methode 
ist darum auch der Gastrostomie vorzuziehen (bei Carcioom), deren 
Resultate so kläglich sind, weil die Mundverdauung nicht genügt, und 
weil hierbei der schon durch den Tumor starre Magen noch an einem 
anderen Punkt aufgehängt wird. Besser als die Gastrostomie ist darum 
die Netzmanschette. Die Operation dauert auch nicht länger, als die 
der am meisten beliebten WitzePschen Schrägfistel. 

3. Hr. Kehr: 

Ueber angeborene Anomalien der Gallenblase nnd der Arteria bepatiea. 

(Eine anatomisch-chirurgische Studie.) 

Vortr. will keine nackten anatomischen Tatsachen aufzählen, sondern 
sie mit einem chirurgischen Mantel umhüllen. March and hat in Eulen- 
burg’s Real-Encyklopädie zwei Anomalien aufgeführt: das angeborene 
Mangeln der Gallenblase, die idiopathische Choledochuscyste. v. Barde¬ 
leben hat bis 1906 nur wenige Anomalien zusammengestellt, andere 
Chirurgen sageD, dass sie überhaupt nie welche gesehen hätten. K. glaubt 
nicht, dass sie so selten sind. Um sie zu entdecken, ist zweierlei er¬ 
forderlich: 1. grosse Schnitte, kleine passen nicht für die Gallen¬ 
chirurgie, wenn auch die Amerikaner (Mayo) behaupten, mit kleinen 
Schnitten auszukommen, wie bei der Appendicitis; 2. muss man sich die 
tiefen Gallenwege freilegen. Vortr. hat in seiner Berliner Zeit 370 mal 
ektomiert mit Hepaticusdrainage, nur einmal Cholecystostomie ausgeführt. 
Demonstrationen von Anomalien, die demnächst in einem Atlas der 
Gallensteinchirurgie in Lehmann’s Verlag erscheinen. 

Von Anomalien der Gallenblase finden sich: 1. Fehlen der Blase; 
beobachtet bei einem Schauspieler, bei dem zuvor von Aerzten die Blase 
mitsamt den Steinen gefühlt wurde. 2. Intrahepatische Entwicklung; 
in einem Falle durch Punktion festgestellt. 3. Lageveränderungen bei 
Situs transversus, Linkslagerung der Gallenblase, langem Mesenteriolum 
der Blase (5 pCt. der Fälle). 4. Torsion der Blase. 

Anomalien des Ductus cysticus: 1. Spitzwinkliger Verlauf. 
2. Paralleler Verlauf. 3. Spiraliger Verlauf. Der dritte ist der häufigste. 

Anomalien des Hepaticus: 1. Einmündung des Cysticus in Höhe 
der Bifurkation des Hepaticus. 2. Doppelter Hepaticus. 3. Zwei starke 
Hepaticusäste münden mitten in die Gallenblase. 4. Der rechte Hepaticus- 
ast mündet in den Cysticus. 5. Ein starker Hepaticusast geht nach oben. 

Anomalien der Arteria hepatica: Der rechte Ast der Hepatica 
kommt aus der Mesenterica superior (Unterbindung der Hepatica com¬ 
munis bei Blutung zwecklos). 


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Nr. 11. 


552 BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Anomalien der Arteria cystica: 1. Ursprung aus der Arteria 
hepatica propria, 2. aus der Gastro-duodenalis. 3. Zwei Arteriae eysticae, 
eine aus dem Iiamus dexter hepaticus, eine aus der Gastro-duodenalis. 

Holler. 


Gesellschaft für soziale Medizin, Hygiene und Mcdizinalstatistik 
zu Berlin. 

Sitzung vom 6. Februar 1913. 

Vorsitzender: Herr Gottstein. 

Schriftführer: Herr Lennhoff. 

Tagesordnung. 

Hr. Badtke: Aufgaben und Erfolge der Wohnungsaufsicht. 

Vortr., Direktor des statistischen Amtes der Stadt Charlottenburg, 
erwähnt, dass der neuerdings veröffentlichte Eutwurf eines preußischen 
Wobnungsgesetzes noch nicht zu spät kommt, um die Wohnungsverhält¬ 
nisse zu bessern und dadurch das Ucbel der Tuberkulose, Säuglings¬ 
sterblichkeit, Geschlechtskrankheiten und des Alkoholismus an der 
Wurzel erlassen und auszurotten. Bisher ist schon dank dem Eintreten 
von Staat, Gemeinden und privaten Organisationen ein Anfang mit einer 
Besserung der Wohnungsverhältnisse gemacht wordeD, um der Ueber- 
füllung der Wohnungen mit ihren sanitären Folgen, dem Mangel an 
Kleinwohnungen durch Herstellung einwandfreier zu angemessenem Miets¬ 
preise entgegenzuwirken. 

Der erste Teil des Gesetzentwurfs enthält Maassnahmen gegen die 
Bodenspekulation durch Aufstellung von Fluchtlinien, von Bebauungsplänen 
mit den nötigen Freiflächen, um die Entstehung von Seitenflügeln und 
Quergebäuden zu verhindern. Der zweite Teil enthält baupolizeiliche 
Vorschriften, die ruhige Wohnviertel mit niedriger Bauweise vorschreiben, 
der dritte Vorschriften über Wohnungsordnuug und der vierte über 
Wohnungsaufsicht. 

Wohnungsordnung und -aufsicht sind untrennbar, beide zusammen 
ergeben die Wohnungspliege. Die Wohnungsordnung stellt die Grund¬ 
sätze auf, die Aufsicht sorgt für deren praktische Durchführung. Die 
erstere sorgt dafür, dass die Neubauten den Anforderungen der Hygiene 
entsprechen, die letztere dafür, dass die Wohnungen nicht durch die 
Art der Benutzung verschlechtert werden. Für die schon bestehenden 
Wohnungen kommt nur die Aufsicht in Betracht, die systematisch durch¬ 
geführt werden muss, und zwar obligatorisch, wie es in England der 
Fall ist, wo z. B. der Londoner Grafschaftsrat G5 Millionen Mark für 
Sanierung der Wohnungen ausgegeben hat. In Deutschland hat der 
deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege in den achtziger Jahren 
des vorigen Jahrhunderts diese Frage propagandistisch bearbeitet, so 
dass 1893 im Grossherzogtum Hessen eiu Wohnungsgesetz erlassen 
wurde, dem 1898 Hamburg und später Gotha, Bayern, Württemberg und 
Baden folgten. Der Regierungspräsident in Düsseldorf hat 1895 auf 
Grund des allgemeinen Landrechts die Wohnungsaufsicht empfohlen, 
dem andere Regierungsbezirke folgten. 

Der Gesetzentwurf macht die Wohnungsaufsicht obligatorisch für 
alle Gemeinden über 10 000 Einwohner, und für Gemeinden über 
100 000 Einwohner ein Wohnungsamt mit beamteten Wohnungsinspek¬ 
toren. Der Entwurf lässt die Frage offen, ob auch die Wohnungen der 
Hauseigentümer der Aufsicht unterliegen. Vortr. hält die Aufsicht auch 
dieser für notwendig, da sonst die beanstandeten Wohnungen vom Eigen¬ 
tümer bezogen werden. Eine Aufsicht nur der Wohnungen, in denen 
Schlafgänger einwohnen, wie sie in den ersten Verordnungen vorgesehen 
war, ist nicht zweckmässig. Es müssen auch alle Wohnungen ohne 
Rücksicht auf die Grösse der Inspektion unterstellt werden, wenn auch 
praktisch die Aufsicht auf die Kleinwohnungen beschränkt wird. Beson¬ 
ders notwendig ist die Aufsicht bei Wohnungen mit Schla f gängern und 
Zimmermietern und der Gelasse für Dienstboten und Gewerbegehilfen, 
die in der Wohnung der Arbeitgeber aufgenommen sind. Ferner sollten 
alle Orte ohne Rücksicht auf die Zahl der Einwohner der Wohnungs¬ 
ordnung unterstellt werden, denn auch auf dem Lande ist die Wohnuugs- 
dichtigkeit mit ihren Folgen für die Sittlichkeit nicht besser als in der 
Stadt, wie aus dem Bericht des hessischen Zentralwohnungsinspektors 
für 1903 hervorgeht. Es ergaben sich für Gemeinden unter 2000, von 
2000 bis 5000, von 5000 bis 20 000, und über 20 000 Einwohner 6,7, 
7,0, 6,3 und 15,4 pCt. beanstandete Wohnungen. In Württemberg fand 
man 1,18 pCt. überfüllte Wohnungen, d. h. solche, in denen fünf Per¬ 
sonen in einem Raume, oder neun Personen in zwei, oder dreizehn in 
drei Räumen wohnten, während es in Gross-Stuttgart nur 0,25 pCt. 
waren. Die Meinung, dass auf dem Lande eine geringere Ueberfüllung 
der Wohnungen vorhanden sei, ist fälschlicherweise dadurch entstanden, 
dass dort systematische Untersuchungen fehlen. 

Welche Vorschriften eine Wohnungsordnung enthalten soll, zeigt 
Vortr. am Beispiel Charlottenburgs. Sie enthält unter anderem Be¬ 
stimmungen über Trockenheit der Wohnungen, über Anzahl der Aborte, 
über den Mindestluftraura und die Miudestbodenfläche (10 cbm bzw. 4 qm, 
für Kinder die Hälfte). Von 92 überfüllten Wohnungen wurden 49 be¬ 
seitigt, und zwar 3 / 4 der Fälle ohne Anwendung polizeilicher Gewalt. 
Er bedauert, dass der Eutwurf keine Bestimmung über Mindestluftraum 
und Mindestbodenfläche enthält. Wegen fehlerhafter Belegung, Trennung 
der Geschlechter vom 12. Jahre ab, kamen 455 Beanstandungen durch 
die Wohnungspfleger vor, von denen 304 = 67 pCt. beseitigt wurden. 
Die Wohnungsaufsicht soll, wie auch der Eutwurf verlangt, durch die 


Gemeinden geschehen, da sie keine polizeiliche, sondern eine Woblfahrts- 
maassnahrae sein soll, bei der ein Zusammenarbeiten mit anderen Wobl- 
fahrtscinrichtungen (Säuglings-, Tuberkulose-, Alkoholfürsorge) nötig ist. 
Eine Uebertragung der Wohnungspolizei auf die Gemeinde ist erforder¬ 
lich, da ein gedeihliches Zusammenarbeiten zwischen Polizei und Ge¬ 
meinde nicht garantiert ist, zum mindesten auf die Gemeinden, die ein 
Wohnungsamt ciuriehten müssen, was schon für Gemeinden mit 
50 000 Einwohnern wünschenswert wäre. Die Aufsicht selbst muss 
durch technisch und hygienisch durchgebildete Berufsbeamte geschehen, 
denen Hillsbeamte, auch Frauen, zur Seite stehen, die in vielen Fällen 
die Schäden der Wohnung, die durch Untüchtigkeit der Hausfrau ent¬ 
standen sind, besser zu erkennen und zu beseitigen verstehen als Männer. 
Die ehrenamtliche Mitwirkung der Bürger ist dabei nicht zu entbehren. 
Mindestens alle zwei Jahre muss eine Besichtigung der Wohnungen vorge¬ 
nommen werden. Im Zusammenhang mit der Aufsicht muss eiu Wohnungs¬ 
nachweis stehen, d. h. die obligatorische Anmeldung aller freien Woh¬ 
nungen, die auch insofern prophylaktisch wirkt, als man die Mieter vor 
ungeeigneten Wohnungen schützen kann. Bei allmählichem Vorgehen 
werden den Hausbesitzern nicht zu grosse Lasten aufgebürdet, anderer¬ 
seits wirkt die Wohnungsaufsicht für sie auch günstig, indem sie er¬ 
zieherisch auf die Mieter einwirkt. Es ist zwar ein Eingriff in die indi¬ 
viduelle Freiheit, aber die Wohnungsfrage ist eine allgemeine Angelegen¬ 
heit, und wird sie durch die Aufsicht auch nicht gelöst, so führt sie 
wenigstens zu einer gesunden Wohnungspolitik. J. Lilienthal. 

Gynäkologische Gesellschaft zu Berlin. 

Sitzung vom 14. Februar 1913. 

Vorsitzender Hr. Bumm teilt mit, dass zu dem bevorstehenden 
SO. Geburtstag von W. A. Freund eine Freund-Stiftung ins Leben ge¬ 
rufen werden soll. Wenn eine grössere Summe zusammenkommt, so soll 
eine Stiftung für wissenschaftliche Leistungen gemacht werden, wenn 
nur eine kleine Summe vorhanden ist, so soll eine Büste oder eine 
Plaquette von dem Jubilar in Strassburg aufgestellt werden. Der Vor¬ 
stand schlägt vor, 100 M. zu bewilligen. Nach kurzer Diskussion wird 
ein Vorschlag von Flaischien angenommen, 300 M. zu geben. Der 
Vorsitzende teilt ferner mit, dass das verstorbene Mitglied Herr J aq uet 
in seinem Testament bestimmt bat, dass nach dem Tode seiner Tochter 
dereu Vermögen an die Gesellschaft fallt. Von den Zinsen soll alle 
Jahre der dritte Teil demjenigen zufallen, der in der Gesellschaft den 
besten Vortrag in dein betreffenden Jahr gehalten hat. Wer den Preis 
erhält, soll der Vorstand bestimmen. Die Gesellschaft ehrt das An¬ 
denken des Stifters durch Erheben von den Sitzen. 

Demonstrationen. Hr. ßehm zeigt einen Spüiapparat, der eine 
Verbesserung seines Apparates sein soll. Der Zweck ist, die äusseren 
Genitalien vor der Einwirkung des heissen Wassers zu schützen und zu 
bewirken, dass das Wasser in alle Buchten und Nieschen der Vagina 
kommt. Der Apparat leistet aus verschiedenen Gründen nicht das, was 
er soll, und ist auch nicht ganz ungefährlich. Die Flüssigkeit kann 
nämlich auch in den Uterus eindringen, ausserdem hat er den Nachteil, 
dass er sich leicht verstopft. Vortr. zeigt noch einige andere Apparate 
und teilt mit, dass nach einer ihm Vun Dr. Bürger gemachten Mit¬ 
teilung jährlich 10—12 Luftembolien durch diese Apparate gemacht 
werden. 

Hr. Carl Rage II: Corpas luteum und Menstruation. 

Born bat behauptet, dass es sich um eiue innere Sekretion handelt, 
die von grosser Wichtigkeit ist. Frankel meint, dass das Corpus 
luteum die Menstruation direkt hervorruft. Er hat dasselbe besonders 
bei Frauen studiert, die eine Laparotomie durchgeraacbt haben, ohne 
dass die Genitalien erkrankt sind. Bei systematischer Untersuchung 
bestätigt sich das nicht. Selbst bei schwersten Adnexerkraukungen ist 
noch Corpus luteum-Bildung vorhanden. Fränkel glaubt, dass die 
Menstruation IS—19 Tage vor der Ovulation statthat, was aber nicht 
bewiesen ist. Auch nach den jetzigen Untersuchungen ist der Zusammen¬ 
hang zwischen beiden noch völlig unklar. Es werden dann Bil-der von 
Corpora lutea und von der Schleimhaut in den verschiedensten Stadien 
gezeigt. Die Ovarien wurden in Formalin gehärtet und in Paraffin ein¬ 
gebettet. Sie stammen von Myom- und Carciuomfällen. Zur Beob¬ 
achtung kamen alle Stadien. Bemerkenswert ist,, dass das Blütestadium 
stets mit dem prämenstruellen zusammenfällt. Rückbildung der Schleim¬ 
haut und reifende Follikel fallen mit dem Intervallstadium zusammen, 
ebenso Blütestadium und prämenstruelles Stadium der Schleimhaut. 
Dagegen sind Rückbildung und prämenstruelles Stadium der Schleimhaut 
stets getrennt. Das Berstungsstadium des Corpus luteum fällt stets mit 
dem Menstrualstadiurn der Sehleimbaut zusammen, und zwar stets mit 
dem Anfangsstadium. Welche Zeit zwischen beiden Stadien vergeht, 
lässt sich nicht sagen. Es gibt auch eine Pseudomenstruation, z. B. 
nach Exstirpation der Ovarien. Diese ist als die letzte Menstruation 
aufzufassen, die noch infolge der vorhergehenden Ovulation auftritt. 
Auch das ist eine Bestätigung der inneren Sekretion. Aus alledem ist 
zu sehliessen, dass das Corpus luteum und die cyklischen Veränderungen 
der Schleimhaut einen Zusammenhang haben, dass sie in ihrem Blüte¬ 
stadium aber abwechseln und das Blütestadium des Corpus luteum nie 
in die Zeit der frischen Berstung des Follikels fällt. 

Diskussion. 

Hr. Strassmann hält für das Wichtigste, dass konstatiert ist, dass 
es verschiedene Stadien der menstruierenden Schleimhaut gibt. Jedoch 


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17. März 1913. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


bleibt dabei zweifelhaft, wie weit die Veränderungen, die man findet, 
auf Gravidität und Endometritis beruhen. Wichtig ist auch, dass hier¬ 
mit die Periodicität der Ovulation eine neue Stütze bekommen hat. 

Hr. Asch heim hält die letzte Blutung für eine Stauungsblutung. 

Hr. Meyer bemerkt, dass er bei dem Befund an der Corpora lutea 
nicht auf das Collabieren, sondern auf die Vascularisation der Wand 
Wert legt. Der Zusammenhang zwischen dem Befund an der Schleim¬ 
haut und an den Ovarien ist so deutlich, dass er sich anheischig macht, 
aus dem mikroskopischen Bild zu sagen, welches Schleimhautpräparat 
mit diesem oder jenem Präparat eines Ovariuras zusammenhängt. 

Siefart. 


Breslauer chirurgische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 10. Februar 1913 im Augustahospital. 

Vorsitzender: Herr Partsch. 

Schriftführer: Herr Gottstein. 

Tagesordnung 

1. Hr. Weil: Peritendinöse Angiome am Vorderarm. 

Bericht über zwei Patienten der Küttner’schen Klinik, bei denen 
sich kompressible Schwellungen direkt oberhalb des Handgelenks fanden, 
die beim Erbeben des Armes sich verkleinerten, beim Herabsinkenlassen 
an Volumen Zunahmen. Das Röntgenbild zeigte deutlich Angiolithen. 

Diagnose: Cavernöses Angiom. Die Operation ergab als Sitz in 
beiden Fällen den Raum zwischen Flexor carpi radialis und ulnaris; 
distalwirts reichten die Angiommassen bis zum Carpalkanal, proximal 
bis zur Muskulatur der Fingerbeuger. Die Fingerbeugesehnen waren von 
den Angiommassen völlig umspounen und mussten einzeln scharf heraus¬ 
präpariert werden. Von der Palraarissehne, dem Nervus raedianus und 
dem Pronator quadratus Hess sich die Geschwulst ohne Schwierigkeit 
stumpf ablösen. Als Ausgangspunkt der Neubildung ist das die 
Fingerbeugesehnen umgebende lockere Bindegewebe anzusehen. Beide 
Male handelte es sich um jüngere weibliche Individuen. Die Geschwulst 
war in beiden Fällen schon vor mehreren Jahren in Erscheinung ge¬ 
treten und langsam gewachsen. In dem einen Fall bestand eine Beuge¬ 
kontraktur der Finger, die sich verringerte, wenn die Geschwulst durch 
Ausstreichen verkleinert wurde. Aehnliche .Geschwülste finden sich als 
„erektile Tumoren am Vorderarm“ vereinzelt in der Literatur. 

Diskussion. 

Hr. Partsch bemerkt zu dem Falle von peritendinösera Anginom, 
dass auch er einen gleichen Fall am Unterarm eines 18 jährigen jungen 
Mannes beobachtet habe. In diesem Falle seien ganz besonders die 
neuralgischen Beschwerden so stark gewesen, dass der Patient auf 
Operation drängte. Bei Angiomen an anderer Stelle seien Beschwerden 
von seiten des Nervensystems fast nie zu beobachten. Die cavernösen 
Räume seien aber in seinem Falle nicht so weit gewesen wie in den 
beiden vorgestellten und deshalb vielleicht auch die Exstirpation noch 
schwieriger, weil die Abgrenzung gegenüber dem gesunden Gewebe un¬ 
deutlich war. Die Heilung trat auch vollständig primär ein und Patient 
hatte eine Zeitlang vollkommen Ruhe. Nach ungefähr zwei Jahren trat 
unter neuen nervösen Beschwerden, Schmerzen und Parästhesien ein 
Recidiv auf. Patient entzog sich aber erneuter Operation durch Aus¬ 
wanderung ins Ausland. 

2. Hr. Melchior: Ueber symmetrische Diaphysentnherknlose. 

Der 22 jährige Patient, den Sie hier sehen, ging im Dezember 1912 
der Küttner’schen Klinik mit folgender Anamnese zu: Früher gesund. 
Keinerlei hereditäre Belastung. Im Oktober 1911 erkrankte Patient 
während seiner Militärzeit an einer exsudativen Pleuritis, 4 1 / 2 1 Flüssig¬ 
keit wurden durch mehrfache Punktionen entleert. Im weiteren Ver¬ 
lauf stellten sich mehrere „Beulen“ im Bereich des behaarten Kopfes 
ein, ferner indolente Anschwellungen über beiden Schienbeinen 1 , 
zuletzt — im Januar 1912 — Ohren laufen links. Nach seiner An¬ 
gabe sollen ihm damals einige „Grützbeutel“ vom Kopfe operativ ent¬ 
fernt worden sein, die Wunden heilten jedoch nicht zu, Patient sucht 
aus diesem Grunde die Klinik auf. Bei der Aufnahme des im übrigen 
leidlich kräftigen Mannes fand sich ausser geringen Veränderungen über 
der linken Lungenspitze kein pathologischer Befund seitens der inneren 
Organe. Im Bereiche des Stirnbeins sind zwei auf Knoten führende 
Fisteln vorhanden, einen dritten Herd weist das Röntgenbild nach. Ueber 
der inneren Fläche beider Tibiae findet sich beiderseits symmetrisch an 
der Grenze von mittlerem und unterem Drittel eine umschriebene harte, 
glatte, dem Knochen angehörende klein-wallnussgrosse, fast völlig in¬ 
dolente Auftreibung, die links im Centrum deutliche Fluktuation zeigt. 
Die bedeckende Haut ist unverändert. Das linke Trommelfell weist 
einen ausgedehnten Defekt auf, man sieht in der Tiefe nekrotischen 
Knochen freiliegen. Bezüglich der diagnostischen Auffassung dieser 
Veränderungen war es nun zunächst klar, dass es sich beim Schädel 
um Tuberkulose handelte; das Röntgenbild zeigte den hierfür ge¬ 
radezu pathognomonischen Befund von etwas über linsengrossen, scharf 
umschriebenen, den ganzen Knochen durchsetzenden, rundlichen Defekten, 
bei gleichem Fehlen, der für Lues charakteristischen, periostalen Wuche¬ 
rungen. Auch-die Ohraffekfcion wurde von den konsultierten Otiatern 
mit grösster Wahrscheinlichkeit als tuberkulös angesprochen. Schwieriger 
gestaltete sich dagegen die ätiologischejAuffassung] der Tibiaherde. 



Das Röntgenbild zeigte hier kleine, etwa taubeneigrosse, in der 
Rindenschicht des Knochens gelegene, scharf umschriebene Auf¬ 
hellungen, die zunächst an Lues denken lassen mussten. Allerdings sprach 
hiergegen wiederum das Fehlen jeglicher periostalen Auftreibung bzw. 
einer Verdichtung des umgebenden Knochens. Da überdies die Wasser- 
mann’sche Reaktion negativ ausfiel und sich auch sonst keinerlei Anhalts¬ 
punkte für bestehende Lues ergaben, wurde die Wahrscheinlichkeits¬ 
diagnose folglich auch hier auf Tuberkulose gestellt. Bei der am 
28. XII. 1912 von mir vorgenommenen Operation wurden die dem 
Stirnbein angehörenden Herde mittels Meisseitrepanation ausgiebig im 
Gesunden entfernt; an drei Stellen zeigte sich bereits die Dura von 
tuberkulösen Granulationen bedeckt. Es ist jetzt völlige Heilung ein¬ 
getreten. Ebenso wurden die Tibiaherde in toto ausgemeisselt; rechts liess 
sich das völlig intakte Periost abschieben; links war das Periost 
bereits perforiert, es entleerte sich ein von käsigen Bröckeln erfüllter 
Abscess. Die Heilung der primär vernähten Wunden erfolgte rechts 
ungestört, links erst nach vorübergehender Fistelbildung. Die histo¬ 
logische Untersuchung des sowohl dem Schädel wie der Tibia ent¬ 
nommenen Gewebes ergab einwandfrei Tuberkulose (Geheimrat 
Ponfick); zur Vorsicht wurde ausserdem noch mit dem von der Tibia 
stammenden Material ein Tierversuch angestellt, der positiv verlief. 

Es handelt sich also um einen jener seltenen Fälle von primärer 
Diaphysentuberkulose; ob überhaupt ein symmetrisches Auftreten 
dieser Lokalisation bisher beobachtet worden ist, vermag ich nicht an¬ 
zugeben. Anatomisch unterscheidet man die Diaphysentuberkulose je 
nachdem sie im Marke lokalisiert ist — Osteomyelitis tuberoulosa, 
deren Kenntnis sich vor allem auf die Mitteilung Küttner’s gründet 
(Bruns’ Beitr., Bd. 24) — oder wie hier (meist in Gestalt umschriebener 
kleiner Herde) der Rindenschicht des Knochens angehört. Bezüglich 
dieser letzteren Form hat nun Krause (Deutsche Chirurgie, Liefg. 28a) 
bereits hervorgehoben, dass sie sich zumeist als Teilerscheinung einer 
multiplen Tuberkulose findet, deren Auftreten mitunter sogar dem ent¬ 
spricht, was v. Volkmann als „akute Invasion vielfacher 
Tuberkelherde bei bis dahin völlig gesunden Menschon“ zu 
bezeichnen pflegte. Für diesen letzteren Modus bietet nun in der Tat 
auch unser Fall, in dem das Auftreten von mindestens 6 isolierten 
tuberkulösen Herden innerhalb weniger Wochen erfolgte, geradezu ein 
Schulbeispiel. Man wird sich einen derartigen Vorgang nur dadurch er¬ 
klären können, dass von irgendeinem latenten Herde aus — etwa einer 
verkästen Bronchialdrüse — plötzlich eine grössere Einschwemmung von 
virulentem Material in die Blutbahn erfolgte. Es entspricht also dieser 
Modus entschieden der von den Pathologen gewöhnlich als „disse- 
minierte Tuberkulose“ bezeichneten Erscheinungsform dieser viel¬ 
gestaltigen Erkrankung, wobei es im Gegensätze zur eigentlichen Miliar¬ 
tuberkulose nicht zur Entstehung zahlloser kleinster Knötchen kommt, 
sondern zu vereinzelten grossknotigen Bildungen in einer Reihe von 
Organen. Es darf daher — auf Grund dieser Beziehungen — in Fällen 
wie dem vorgestellten nicht überraschen, wenn hier etwa in der Folge 
auch noch an anderen Stellen des Organismus — also etwa dem Uro¬ 
genitalsystem, dem Cerebrum usw. — Zeichen einer stattgefundenen 
lokalen Infektion sich einstellen sollten. Gerade mit Rücksicht auf 
diese prognostische Sonderstellung bedeuten daher derartige 
Fälle von primärer Diaphysentuberkulose nicht nur eine spezialistisch- 
chirurgische Rarität, sondern verdienen vielmehr ein allgemeineres ärzt¬ 
liches Interesse. 

3. Hr. Goerke: a) Ein Fall von Sinusthrombose. 

14 jähriges Mädchen mit akuter Mittelohrentzündung; am zweiten 
Tage Paracentese. Dauernd hohn, Continua (39 bis 40°) mit leichten 
Remissionen. Am 1. Tage Erbrechen und Schüttelfrost^ in der darauf¬ 
folgenden Nacht erneuter Schüttelfrost. Am 8. Tage Operation: Knochen 
des Warzenfortsatzes byperämisch; keine demarkierte Eiterung. Sinus¬ 
wand scheinbar unverändert; Sinus zeigt keine Respirationsbewegungen, 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 11. 


collabiert nicht nach Abklemmung durch Whiting-Tampons. Inzision 
des Sinus, Entfernung von Thromben, von oben starke Blutung. In der 
Nacht und am nächsten Tage erneute Schüttelfröste, Erbrechen, Milz¬ 
schwellung, Temperaturanstieg bis 40,5°. Abends (36 Stunden nach der 
ersten Operation) Unterbindung der blutführenden Jugularis; Freilegung 
des Sinus bis zum Bulbus und Ausräumung erweichter Thromben¬ 
massen aus diesem. Von da an rapide Besserung. 

Vortragender verbreitet sich über die Indikationen zu den Opera¬ 
tionen am Sinus und an der Jugularis bei Sinusthrombose im Gefolge 
akuter Mittelohrentzündung. 

b) Zur Pathologie der Mieraootitis. 

Mann von 42 Jahren mit akuter Mittelohrentzündung, Anfang No¬ 
vember 1912. Nach 14 Tagen ist die Eiterung versiegt, Patient be¬ 
schwerdefrei. Am 15. Dezember Auftreten starker Kopfschmerzen und 
einer Gesichtslähmung auf der kranken Seite. Aufsuchen des Hospitals 
am 19. Dezember. Status von diesem Tage: Linkes Ohr ohne Besonder¬ 
heiten. Rechts Trommelfell getrübt; Ohr sekretfrei; Flüstersprache 2 m. 
Leichtes Oedem an der Spitze des Prozessus. Periphere Facialisparese 
in sämtlichen Aesten; Gaumensegel beweglich. Patient sieht verfallen 
aus und macht einen schwerkranken Eindruck. 

Operation am 21. Dezember: Antrum und Warzenzellen ohne Be¬ 
fund; bei Entfernung der Spitze des Processus mastoideus quillt massen¬ 
haft Eiter hervor; Knochendefekt medial von der Spitze; der Sinus 
lateralis liegt in grosser Ausdehnung frei. Die Abscesshöhle geht längs 
der Schädelbasis bis fast an die Wirbelsäule heran. Im Eiter Strepto¬ 
coccus mucosus (Thioninfärbung). 

Nach der Operation Facialisparese stärker, geht dann allmählich 
zurück; leichte Schwäche noch nach 3 Monaten wahrnehmbar. 

Entlassung des Patienten 8 Tage nach der Operation zur ambulanten 
Nachbehandlung. 

Diskussion. 

Hr. Rieh. Levy fragt an, wie die Diagnose auf Mucosus gestellt 
worden ist. Sie wird nur durch Kultur auf festen Nährböden zu stellen 
sein, aber nicht aus dem Ausstrichpräparat wegen der Aehnlichkeit mit 
Pneumokokken. Der Nachweis, dass es sich um Mucosus gehandelt hat, 
fehlt also in dem vorliegenden Fall. In der ersten und zweiten Gene¬ 
ration gelingt die Kultivierung gut, erst später entstehen Schwierig¬ 
keiten. 

Hr. Goerke: Für praktische Zwecke genügt die Untersuchung auf 
Streptococcus mucosus im Ausstrichpräparat (Vorschrift nach Witt- 
maack). Das Kulturverfahren gelingt nicht immer; ausserdem verliert 
der Mucosus ausserhalb des Tierkörpers die Eigenschaft der Kapselfarbung. 

4. Hr. Goebel: a) Kiefercyste (einkammerige Follicularcyste des 
Unterkiefers), plombiert nach Mosetig-Moorhof. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

Diskussion. 

Hr. Partsch ist der Meinung, dass in dem vorliegenden Falle es 
sich um eine folliculäre Cyste, nicht um eine Wurzelcyste gehandelt 
habe. Die vollkommene Unversehrtheit des Eckzahns, von dem an¬ 
scheinend die Cyste ausgegangen, und die seiner Nachbarn machen es 
unmöglich, eine Wurzelcyste anzunehmen. Auch sei die Gegend, in 
welcher die Cyste sitze, besonders für Cystenentwicklung disponiert. 

Was die fistulösen Durchbrüche anlangt, so seien sie sowohl bei 
den Wurzelcysten, wie bei den folliculären Cysten beobachtet. Sie seien 
oft so fein, durch Granulationswucherung nicht markiert, dass es oft 
erst nach längerem Suchen gelinge, sie aufzufinden und in ihnen die 
Erklärung zu geben für die Angabe der Patienten, dass sie plötzlich 
einen ganz besonders widerlichen Geschmack im Munde verspürten. 
Durch die feine Fistel kommuniziere der Inhalt der Cyste mit der Mund¬ 
höhle, und das sei ausreichend, um den Erregern Zutritt zum Innern 
der Cyste zu geben, welche eine starke Zersetzung unter Bildung höchst 
übelriechender Produkte in den Cysteninhalt bewirken. Die Menge 
jauchig-eitrigen Inhalts kontrastiere mit der völligen Reaktionslosigkeit 
der Umgebung. Das erkläre sich durch den Schutz des Epithels des 
Cystenbalges. 

Hinsichtlich der Behandlung der Cyste übe er neben der teilweisen 
Resektion der Wand auch die volle Exzision der Cyste. Letztere komme 
in Frage bei allen jenen Fällen, in denen die Höhle von Knochen um¬ 
geben ist, von dem sich der Cystenbalg ab lösen lässt, ohne dass die 
Gefahr besteht, dass eine Nebenhöhle, wie das bei der Verbreitung der 
Cystenhöhle im Oberkiefer sehr leicht möglich sei, eröffnet würde. Eine 
solche Kommunikation mit der Nasen-, Kiefer- oder Mundhöhle er¬ 
schwere die Heilung wesentlich und sei deshalb möglichst zu vermeiden. 
Die Höhle könne nach Exstirpation des Cystenbalges direkt mit der von 
der Cyste vorher! abgelösten Schleimhaut gedeckt werden und schliesse 
sich dann meistens primär. Er habe die Verwendung einer Knochen¬ 
plombe deshalb nie nötig gehabt. Nicht immer gebe nach den vorliegen¬ 
den Erfahrungen die Plombe ein so gutes Resultat wie im vorliegenden 
Falle, weil man bei jauchig zersetztem Inhalt nicht immer in der Lage 
sei, so aseptische Verhältnisse herzustellen, wie sie für die Einheilung 
einer grösseren Plombe erforderlich sei. 

b) Nagelextensionen. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

Diskussion. 

Hr. Pen dl fragt den Vprtr., welche Technik der Extension er an¬ 
wendet. 


Hr. Goebel: Nur in einem Falle (6 jähriger Knabe) habe ich zwei 
Nägel eingeschlagen von beiden Seiten, und zwar um die Hebelwirkung 
auf den Nagel selbst auszuschalteo, im spitzen Winkel zum Extensions¬ 
zug. Sonst wurden immer kräftige, gerade, runde Nägel durchgeschlagen. 
Von den in der Mitte zusammenzusebraubenden Nägeln, die übrigens, 
soviel ich weiss, zuerst von Becker-Hildesheim angegeben sind, kann 
man wohl absehen. Eine Infektionsgefahr besteht kaum, und die für 
den zusammengesetzten Nagel nötige Anwendung eines besonderen Bobr- 
instruroentes kompliziert die Sache. 

c) Eigenartige Osteomyelitisftlle. 

1. Osteomyelitis radii et ulnae, über */< Jahr im Augusta- 
Hospital behandelt. Schwere Sepsis, so dass schon Amputation in Er¬ 
wägung gezogeu wurde. Jetzt eigenartiges Bild: Der total sequestrierte 
Radius liegt, nur am proximalen Ende von einer Totenlade festgehalten, 
fast ganz auf der äusseren Haut, er ist allmählich herausgeeitert, und 
die Haut hat sich unter ihm wieder geschlossen. Er ist so lange kon¬ 
serviert, um die Bildung der Totenlade nicht hintanzuhalten und soll 
jetzt entfernt werden. 

2. Wiedereinheilen eines osteomyelitischen Sequesters 
der Ulna bei einem 5jährigen Kind. Anfang Juli 1912 erkrankt 
mit Schmerzen im linken Unterarm ohne Rötung und nachweisbarem 
Fieber; kommt ins Augusta-Hospital mit schmerzloser Anschwellung 
des distalen Ulnarendes; das Röntgenbild zeigt fast die Hälfte der Ulna 
blasig aufgetrieben. Die Operation zeigt aber, dass innerhalb des roten 
Markes des Knochens ein wieder rotes Mark enthaltender Knochen liegt, 
fest angewachsen. Die Wunde wird geschlossen, prima intentio. Röntgen¬ 
bild nach l l 2 Jahr ergibt vollkommene Wiederherstellung von Form und 
Struktur der Ulna, dieselbe ist genau so wie an der anderen (rechten) 
Seite. Vollkommene Funktion. Die Erklärung für den eigenartigen 
Vorgang könnte vielleicht eine Periostitis ossificans geben, näherliegend 
erscheint aber die Annahme einer Wiedereinheilung und allmählichen 
Resorption eines, vielleicht nur teilweise nekrotisierten centralen Se¬ 
questers. 

Diskussion. 

Hr. Melchior erinnert im Anschluss an diesen Fall des Herrn 
Goebel daran, dass im Verlaufe der Stapbylokokkenosteomyelitis doch 
mitunter auch eigentümliche Spontanremissionen Vorkommen, die 
zeitweise als echte Heilungen imponieren können. Ein eklatantes Beispiel 
dieser Art wurde vor einiger Zeit in der Küttner’schen Klinik beob¬ 
achtet. Es bandelte sich hierbei um eine subakut einsetzende Osteo¬ 
myelitis des linken Humerus bei einem 14jährigen jungen Menschen; 
wegen hohen Fiebers wurde am 1. Dezember 1911 die Abscessinzision 
vorgenommen, die Nekrotomie dagegen wegen ungenügender Ausbildung 
der Totenlade einstweilen aufgeschoben. Im Februar 1912 stellte sich 
nun der inzwischen entlassene Patient mit völlig ausgeheilter 
Fistel wieder vor; am Röntgenbild waren pathologische 
Veränderungen nicht mehr sichtbar; da auch keinerlei sub¬ 
jektive Beschwerden mehr bestanden, schien objektiv alles 
für eine echte Heilung zu sprechen. In Wirklichkeit war dieselbe 
aber nur eine scheinbare, denn Ende Mai 1912 erschien der Patient 
wiederum, diesmal mit den Zeichen einer erneuten akuten Abscess- 
bildung, auch das Röntgenbild zeigte nunmehr eine fortschreitende Se- 
questierung des Humerus. 

d) Demonstrationen nr Abdominalckirnrgie. 

1. Fall von Klappenbildung nach Magenresektion Bill- 
roth II. Die oberste Jejunumschlinge war an die Resektionsöffnung des 
Magens angenäht. 9 Tage lang Erbrechen, dann Relaparotomie und 
Gastroenterostomia ant. Tod an Peumonie. Präparat zeigt einen cylinder- 
förmig ausgezogenen distalen Magenteil, an dem quer vorbei, gut kom¬ 
munizierend, das Duodenum und Jejunum zieht Der proximale Teil 
des Magens ausgeweitet. Dieser Teil hatte offenbar bei Füllung des 
Magens auf den distalen Teil gedrückt, so dass ein Sporn entstand und 
die Oeffnung klappenartig verlegt wurde. 

2. Fall von erfolgreich operiertem Gallensteinileus. 
55 jährige Frau. Aufnahme 1. Februar 1918. Vor Weihnachten traten 
plötzlich Schmerzen im Kreuz auf. Der Leib war aufgetrieben, der Stuhl 
angebalten. Sehr rasch trat Besserung ein. Die Anfälle wiederholten sich. 
Mitte Januar trat ein Druck im Leibe vom Nabel rechts hinunter auf, 
dann Uebelkeit, Appetitlosigkeit, Erbrechen, Aufstossen. Seit 5 Tagen 
wiederholtes Erbrechen, das heute morgen kotig ist. Leib aufgetrieben. 
Stuhlgang zuletzt heute früh auf Einlauf, jedoch nur aus gefärbtem 
Wasser bestehend. 

Befund: Mittelgrosse, gutgenährte Frau, kommt zu Fuss ins 
Hospital. Abdomen aufgetrieben, mässig gespannt. Tympanie. Keiu 
Ascites. Tiefe Betastung schmerzhaft, aber nicht Mac Burney oder Gallen¬ 
blasengegend. Kleiner Nabelbrucb, offenbar nicht eingeklemmt. Magen¬ 
spülung ergibt fast reinen, flüssigen, braunen Kot. 

Diagnose: Chronischer Ileus, wahrscheinlich durch Hindernis 
(Tumor) im untersten Ileum. 

Sofortige Laparotomie: Schnnitt in der Mittellinie. Etwa 50 cm 
oberhalb der Bauhin’schen Klappe ein über walnussgrosser Tumor im 
Darm, anscheinend am Mesenterialansatz festsitzend. Es wird verkalktes 
Lipom angenommnn. Oberhalb ist der Darm dilatiert und gefüllt, aber 
nicht maximal gedehnt, unterhalb collabiOrt. Resektion von etwaLÖ cm 
Länge des Darmes. Seit-zu-Sedt-Anastomosei^ Schluss unter Radikal¬ 
operation des Nabelbruchs, in dem Nets adhärent. 


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UNIVERSUM OF IOWA 






17. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


515 


Der Tumor (Demonstration) erwies sich als ein 16 g schwerer 
Gallenstein. Er lag in einer Ausbuchtung des Darmes, ziemlich fixiert, 
die Darmwandungen waren stark verdünnt. 

Nachträglich gab Patientin an, dass sie seit 12 Jahren an Anfällen 
von Magenkrämpfen gelitten, dabei trat Schwellung des Leibes auf. 
Gelbsucht ist nie dagewesen. Die Diagnose auf Gallenkoliken ist nie 
gestellt. In den letzten Jahren hatte sie Ruhe. 

Verlauf reaktionslos. Es ist also wohl eine abnorme Kommunikation 
zwischen Gallenblase und Darm anzunehmen. Die Anamnese liess, wie 
so oft bei Einklemmuug von Gallensteinen im Darm, im Stich. 

Auffallend war während der Operation das gänzliche Fehlen 
von Drüsen im Mesenterium. Das hätte die Diagnose eines Tumors — 
auch wohl eines entzündlich gereizten Lipoms - 1 - ausschliessen 
können. Ich habe die Angabe dieses negativen Symptoms in den 
Lehrbüchern vermisst. Es erscheint wichtig, wenn auch vielleicht 
zuzugeben ist, dass eine längere zu Ulcerationen führende Einklemmung 
von Steinen auch entzündliche Drüsenschwellung veranlassen könnte. 
Bei der Operation war der Stein nicht beweglich, nur die Serosaseite 
des Darms liess sich auf dem Stein etwas verschieben. 

3. Fall von congenitalem Fehlen der Gallenblase. 

(Ausführliche Veröffentlichung a. a. 0.) 

Diskussion: Hr. Stumpf: Demonstration einer vor 10 Jahren an¬ 
gelegten Choleoystenteroanastomose, die durch entzündliche Prozesse 
vollständig verschlossen war. 

e) Coxa vara. 

Der 17 jährige Schmiedelehrling war bis zum 14. Lebensjahre gesund. 
Im Dezember 1909 traten zuerst spontan Schmerzen im linken Knie, 
dann beim Laufen und Stehen in der linken Hüfte auf. Damals wurde 
er schon in einem hiesigen Krankenhause unter der Diagnose Coxa vara 
mit Gipsverband behandelt und nach zwei Monaten gebessert entlassen. 
Kurze Zeit darauf Eintritt in die Lehre. „Er kam nicht recht von der 
Stelle, wie ein gesunder Mensch“, das linke Bein konnte er nicht ganz 
so beugen wie das rechte. Im allgemeinen aber beschwerdefrei bis 
Neujahr 1913. Dann trat Stechen im rechten Knie auf, die später nach 
oben ausstrahlten, er bekam die Beine nicht mehr in die Höhe, Laufen 
und Gehen wurde schwerer. 

Röntgenbild zeigt typische Coxa vara cervicalis beiderseits, Ab¬ 
rutschen der Epiphyse, links stärkere Anteflexio femoris und auch etwas 
Knochenapposition am oberen Pfannenrand. Abduktion, Rotation und 
Flexion in typischer Weise beschränkt, kann nur mit gekreuzten Beinen 
sitzen oder knien. Aber kein Vorstehen der Trochanteren, keine Ab¬ 
fachung der Gesässgegend, kein Trendelenburg’sches Symptom, keine 
Steigerung der Patellarreflexe. Aetiologisch spricht der Fall gegen 
traumatische Genese. 

(Die Knochenerkrankung zeigte sich auch bei der Redression am 
folgenden Tage, die sehr glatt gelang und zweifellos eine abnorme 
Weichheit des Halses usw. ergab, denn es gelang relativ mühelos, die 
Beine in starke Abduktion und Innenrotation zu bringen durch Manöver, 
wie bei der Einrenkung der Luxatio coxae congen. [Drehmann.]) 

Breslauer psychiatrisch-neurologische Vereinigung. 

Sitzung vom 29. Januar 1913. 

Hr. H. 0. Foerster: 1 . Fall von sogenannter Torsionsnenrose. 

Der Fall ist dem Vortragenden durch Kollegen Bychowsky aus 
Warschau zugeschickt worden, der ihn in Gemeinschaft mit dem Vor¬ 
tragenden ausführlich publizieren wird. 

16 jähriger Knabe aus Russisch-Polen, Beginn der Krankheit vor 
4 Jahren im rechten Fuss, der beim Gange immer nur mit der Fuss- 
spitze aufgesetzt wurde. Einige Zeit später Störung im linken Arm, 
indem beim Erfassen von Gegenständen jedesmal eine krampfhafte Pro¬ 
nation sich einstellte und die Finger schwer geschlossen werden konnten. 
Später besserte sich der Zustand wieder. Seit einer Reihe von Wochen 
hochgradige Verschlimmerung des Befindens mit rascher Progredienz. 
Der Körper des Kranken befindet sich fortwährend in schwerer Unruhe. 
Der Knabe kann weder liegen, noch sitzen, da sich dabei jedesmal eine 
ausgesprochene krampfhafte Lordose der Wirbelsäule einstellt, die 
äusserst schmerzhaft ist. Gleichzeitig geraten auch die unteren Extremi¬ 
täten zumeist in einen Extensionskrampf. Am erträglichsten ist der 
Zustand noch, wenn der Kranke steht und sich am Bettrande mit den 
Händen hält. Dabei befindet sich das rechte Bein im Knie gebeugt, der 
rechte Fuss meist in starker Spitzfussstellung und der Oberkörper wird 
stark vornübergebeugt gehalten. Das linke Bein ruht entweder leicht 
gebeugt dem Boden auf oder führt scheuernde Bewegungen am rechten 
Bein aus. Sehr häufig tritt nun ganz plötzlich intensive totale Lordo- 
sierung der Wirbelsäule ein, wodurch der Rumpf vollständig nach hinten¬ 
über geworfen wird. Der Gang des Knaben hat eine recht auffallende 
Eigenheit Er geht mit gebeugtem Knie und vornübergebeugtem Ober¬ 
körper. Der rechte Fuss wird fast durchweg in Spitzfussstellung auf¬ 
gesetzt. Wenn das rechte Bein als Stützbein fungiert, so beugt der 
Knabe meist den Oberkörper noch mehr willkürlich nach vorn. Bedient 
er sich. dieser Kunsthilfe nicht, so gerät der Oberkörper in krampfhafte 
Lordosierung, wobei der Kranke nach hintenüber geschleudert wird. 
Wenn das linke,Bein als Stützbein fungiert, so richtet sich der Ober¬ 
körper zumeist deutlich empor, es tritt auch dabei eine gewisse Lordose 
in der Wirbelsäule manchmal zutage. Indessen besteht hierbei nicht so 


sehr die grosse Gefahr, dass die Wirbelsäule in krampfhafte Lordose 
gerät. Die grobe Muskelkraft ist durchweg gut. Auch ist die Koordi¬ 
nation an den Beinen und Armen bei Präzisionsbewegung nicht gestört. 
Nur beim Ergreifen von Gegenständen mit der linken Hand zeigen die 
Finger derselben etwas Gespreiztes. Hypotonie in den Fingern und 
Zehen. Sensibilität und Reflexe normal. Intelligenz sehr gut. 

Der Fall gehört in die Gruppe der von Ziehen, Oppenheim, Flatau 
und Sterling beschriebenen Fälle. Ziehen hat diese Fälle als tonische 
Torsionsneurose bezeichnet. Die Bezeichnung erscheint dem Vortr. un¬ 
zweckmässig, weil es sich sicher um ein schweres chronisch-progressives 
Uebel mit offenbar organischer Grundlage handelt. Die Krankheit hat 
die allergrösste Verwandtschaft mit der schweren Athetose. Auf 
Berührungspunkte mit dieser hat Oppenheim schon hingewiesen, ebenso 
auch Flatau. Iudessen haben doch alle Autoren die Fälle von der 
Athetose abgrenzen wollen. Ziehen meinte, dass bei schwerer Athetose 
die Wirbelsäule nicht beteiligt sei. Das ist nach den Erfahrungen des 
Vortr. durchaus unzutreffend. Er demonstriert eine grosse Anzahl Bilder 
von schwerer Athetose, die gerade die enorme Ueberstreckung der 
Wirbelsäule zeigen. Die von Oppenheim hervorgehobene und auch in 
diesem Fall vorhandene Hypotonie ist nach den Erfahrungen des Vortr. 
in allen schweren Fällen von generalisiertem Spasmus mobilis vor¬ 
handen, bildet also auch kein Unterscheidungsmerkmal. Auch die 
eigentümliche Gangstörung mit vornüber gebeugtem Rumpf hat Vortr. 
bei schwerem generalisierten Spasmus mobilis verschiedene Male ge¬ 
sehen. Er zeigt diesbezügliche Bilder, welche an die von Oppenheim 
gegebene Abbildung, sowie an das Bild, das der Kranke bietet, stark 
erinnern. Dass bei angeborenem, schwerem generalisierten Spasmus 
mobilis stets deutliche Zeichen gleichzeitiger spastischer Diplegie be¬ 
stehen müssten, ist nach den Erfahrungen des Vortr. auch nicht zu¬ 
treffend; Vortr. kennt eine ganze Anzahl von Fällen ohne Babinski, 
ohne Fussclonus, ohne fixierte Dauerkontrakturen usw. Den Haupt¬ 
unterschied zwischen dem angeborenen generalisierten Spasmus mobilis 
und der hier demonstrierten Gruppe von Fällen erblickt der Vortr. 
darin, dass bei ersteren die krampfhaften Zustände Extremitäten, Gesicht 
und Rumpf betreffen, während bei der hier besprochenen Gruppe ganz 
vorzugsweise und in extremem Grade der Rumpf, speziell die Rücken¬ 
strecker betroffen sind, während die Arme und Beine weit weniger be¬ 
teiligt zu sein scheinen. Indessen sind auch diese eigentlich in keinem 
der Fälle bisher ganz frei geblieben. Ein weiterer Unterschied liegt 
nach der Ansicht des Vortr. darin, dass das Krankheitsbild in späterer 
Kindheit beginnt, im Gegensatz zu den allgemeinen Fällen von schwerem 
Spasmus mobilis. 

Vortr. ist der Ansicht, dass im Wesen aber genau derselbe Krank¬ 
heitsprozess vorliegt und möchte deshalb diese Fälle als Athetose des 
Rumpfes des Jünglingsalters bezeichnen. 

Diskussion. 

Hr. Sandberg berichtet über eine ähnliche Beobachtung, die im 
Anschluss an Scarlatina entstanden und sich allmählich progressiv ent¬ 
wickelt hatte. Auffallend war besonders der Gang, der stampfend ab¬ 
wechselnd in Calcaneus- und Equinusstellung unter Verdrehungen des 
Beckens vor sich ging. Die Reflexe waren lebhaft. Es bestand zugleich 
Fettsucht und eine Verflachung der Sella turcica im Röntgenbild. 

Hr. Alzheimer betont mit Rücksicht auf die Bezeichnung der Er¬ 
krankung, dass es sich um eine schwere organische Affektion handelt. 
Aus der Beteiligung der Wirbelsäule würde er einen prinzipiellen Unter¬ 
schied gegenüber der Athetose double nicht herleiten. 

Hr. Mann macht auf einen 1911 von Gauser als späte posthemi- 
plegische Chorea veröffentlichten Fall aufmerksam, der vielleicht auch in 
das hier besprochene Gebiet gehört. 

Hr. Foerster stimmt Herrn Alzheimer ganz zu, dass die Be¬ 
zeichnung Torsionsneurose durchaus unzutreffend ist. Vortr. betont 
noch einmal, dass auch er glaubt, dass es sich um eine der Atethose 
durchaus eng verwandte chronische progressive Affektion mit schlechter 
Prognose handelt, bei der offenbar die analogen Teile des Nervensystems 
wie bei der Atethose betroffen sind. Vortr. berührt noch einmal kurz- 
die Punkte, die seiner Ansicht nach die Fälle von der gewöhnlichen schweren 
Atethose unterscheiden. 

Hr. Ludwig Mann stellt einen Fall von sogenannter Torslons- 
neiirose vor. 

Es handelt sich um ein im Vergleich mit dem vorher von Herrn 
Foerster demonstrierten Falle noch wenig ausgeprägtes, aber doch 
charakteristisches Symptomenbild. 

Der 24 jährige junge Mann (Deutscher, von christlicher Konfession) 
hat seit etwa einem Jahre in langsam zunehmender Weise krampfhafte 
Bewegungen der Bauchmuskulatur und des rechten Beines bemerkt. 
Besonders die krampfhaften Bewegungen der Bauchmuskulatur sind sehr 
auffallend; sie erinnern häufig an die bekannten Bewegungen des Bauch¬ 
tanzes. Sehr häufig verbreiten sie sich auch auf die Rücken- und 
Schultermuskulatur, so dass eine Rückwärtsbiegung der Wirbelsäule, 
also bereits eine Andeutung der von Oppenheim als besonders charakte¬ 
ristisch angegebenen Lordose eintritt. Das rechte Bein führt Bewegungen 
hauptsächlich im Sinne einer Abduktion und Aussenrotation aus. Der 
Charakter der krampfhaften Bewegungen .ist ein überwiegend clonischer, 
bisweilen in einen kurzdauernden Tonus übergehend) dieselben scheinen 
besonders ausgelöst zu werden durch willkürliche Bewegungen, ins¬ 
besondere durcjh den Gang. Auch Druclf in Epigastrium löst die¬ 
selben häufig in sehr heftiger Form aus. Eine neuropathische Belastung 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 11. 


in der Familie ist nicht nachweisbar. Die Untersuchung des Nerven¬ 
systems ergibt normale Verhältnisse, nur ist das Bestehen eines leichten 
Facialisphänomens zu erwähnen. Der Fall dürfte sich aller Voraussicht 
nach wie die anderen bekannten Fälle progressiv entwickeln. 

Der Name „Torsionsneurose“ ist nur als ein vorläufiger anzusehen; 
jedenfalls liegt ein organisches Leiden vor, welches wohl Beziehungen 
zur Atethose haben dürfte. 

(Ausführliche Publikation soll später erfolgen.) 

Hr. F®erster: 

2. Fall von notorischer Apraxie der rechten Kffrperhälfte. 

Patient, 47 Jahre alt, leidet seit 11 Jahren an rechtsseitiger 
Jackson’scher Epilepsie. Anfälle ungeheuer wechselnd, an Heftigkeit 
und Häufigkeit. Bis vor kurzem dienstfähig. Seit einigen Wochen an¬ 
geblich rechtsseitige Lähmung sowie Sprachverlust. Bei näherer Be¬ 
trachtung zeigt sich, dass am rechten Arm eine ausgesprochene Apraxie 
besteht. Sogar einfache Bewegungen der einzelnen Gliedabschnitte können 
nicht einmal nachgemacht werden. Die erfasste Hand wird krampfhaft 
geschlossen gehalten. Bei fast allen Bewegungen wird die Hand ähnlich 
wie beim militärischen Gruss zur Stirn geführt, manchmal auch Dreh¬ 
bewegungen gleichzeitig. Am rechten Bein Parese der Prädilektions- 
muskelu Babinski positiv, auch am rechten Bein deutliche Apraxie. 
Der Kranke ist unfähig, zu stampfen, zu scharren, mit dem Bein be¬ 
stimmte Stellen am Boden zu treffen. Macht dabei ganz ungeschickte 
E^satzbewegungen. Sensibilität durchweg normal. Keine Tastlähmung, 
an der linken Hand sehr leichter Grad von Apraxie, der nur bei der 
Ausführung von aufgetragenen Gesten (Ausdrucksbewegungen) hervor¬ 
tritt. Sprechen schwer gestört. Anfangs bestand totale transcorticale 
motorische Aphasie. Kranker kann spontan fast nichts hervorbringen, 
wiederholt in stotternder Weise immer nur bestimmte Worte. Er spricht 
dagegen jedes Wort nach, wobei allerdings auch wieder einmal ein ge¬ 
wisses Stottern und eine gewisse Verwaschenheit auffällt. Mit der rechten 
Hand kann Kranker gar nicht schreiben, mit der linken im wesent¬ 
lichen normal. Lesen intakt. Keine Stauungspapille, Augenhintergrund 
normal. 

Seit einigen Tagen nach einem stärkeren Anfall halbseitige motorische 
Lähmung rechts. Sprechen verschlechtert, spontane Sprache fast ganz 
aufgehoben. Nachsprechen ebenfalls geschädigt. Der Kranke soll in den 
nächsten Tagen trepaniert werden, da ein irritativer Prozess in der 
Nachbarschaft der linken Centralregion anzunehmen ist, dessen Natur 
vorläufig schwer zu bestimmen ist. Lues ist höchst unwahrscheinlich, 
da Blut und Liquor keine Veränderungen zeigen. Trotz fehlender 
Stauungspapille und anderen Allgemeinerscheinungen muss an Tumor im 
Stirnhirn gedacht werden. 

3. Luetisch© spastische Spinalparalyse bei hereditärer Lues. 

17jähriger Knabe, seit mehreren Jahren ganz langsame, immer 
mehr zunehmende Gangstörung, zunehmende Steilheit der Beine. Niemals 
Blasenstörung, niemals Schmerzen. Ausgesprochene Streckkontraktur an 
den unteren Extremitäten, gesteigerter Patellarreflex, Fussclonus, Babinski, 
Oppenheim, Mendel-Bechterew, Strümpell’sches Tibialisphänomen deutlich 
positiv. Beim Gange werden die Knie kaum gebeugt. Die Fussspitzen 
streifen über den Boden. Bauchdeckenreflex normal. In den oberen 
Extremitäten sehr lebhafte Sehnen- und Periostreflexe, kein Nystagmus, 
Augenhintergrund ganz normal. Niemals cerebrale Erscheinungen. Urin- 
und Stuhlentleerung völlig normal, keine Sensibilitätsstörung. Wasser¬ 
mann im Blut und Liquor positiv. Nonne positiv, Eiweiss vermehrt, 
starke Lymphocytose. 

Es handelt sich um einen Fall von Erb’scher spastischer Spinal¬ 
paralyse mit luetischer Aetiologie, die durch hereditäre Lues bedingt wird. 

4. Gastrische Krisen als einziges Symptom einer Tabes dorsalis. 

85 jähriger Kaufmann, vor 12 Jahren Lues, seit 6 Jahren allmählich 
immer schwerer werdende gastrische Krisen. Seit einem Jahre befindet 
sich der Kranke in einem dauernden Status criticus. Nimmt dauernd 
hohe Morphiumdosen. Nicht die geringsten anderen subjektiven Be¬ 
schwerden. Auch in objektiver Beziehung besteht nichts, nur ist die 
rechte Pupille manchmal etwas weiter als die linke. Doch ist auch 
dieses Symptom nicht konstant. Wassermann im Blut und Liquor positiv. 
Nonne positiv, Lymphocyten vermehrt. Einleitung einer spezifischen 
Kur, Calomel und Salvarsan; nach der dritten Salvarsaninfusion Schwin¬ 
den beider Patellar- und Achillesreflexe. Pupillenreaktion sehr träge, 
Krisen unbeeinflusst. 

5. Sensorische Aphasie and Alexie hei Laes eerebri. 

Patient, 27 Jahre alt. Am 5. IX. 1912 nachmittags heftige links¬ 
seitige Kopfschmerzen, besonders auch im linken Ohr. Einige Tage 
später, plötzlicher Verlust des Sprachverständnisses. Totale sensorische 
Aphasie, keine motorische Aphasie, nicht die geringste Paraphasie, wohl 
aber besteht optisch-taktile Aphasie und totaler Verlust des Lese¬ 
sinnverständnisses. Patient liest alles, was ihm vorgelegt wird, 
laut und ohne Fehler, versteht den Sinn absolut nicht. Schreiben intakt. 
Augenhintergrund ohne Besonderheiten. Am linken Trommelfell eine 
alte Narbe, Schläfenlappenabscess von otiatrischer Seite nicht ange¬ 
nommen, obwohl Fieber besteht. Im Liquor starke Lymphocyten- und 
Eiweissvermebrung, Nonne positiv, Wassermann negativ, trotzdem Ein¬ 
leitung einer spezifischen Kur. Rasches Schwinden der sensorischen 
Aphasie, Störung des Lesesinnverständnisses und optische Aphasie 
bleiben lange bestehen. Optische Aphasie weicht zuerst, zuletzt die Stö¬ 
rung des Lesesinnverständnisses. Nach 3 Monaten sind alle Symptome 


geheilt. Einige Wochen später kurzes Recidiv. Diesmal auch leichte 
paraphasiscbe Störung. 

Rascher Rückgang unter weiterer spezifischer Behandlung. Be¬ 
merkenswert ist, dass unter der spezifischen Behandlung der Wasser¬ 
mann erst im Liquor, später auch im Blut positiv geworden ist, bei 
vollem Rückgang aller klinischen Symptome. Vortr. hebt besonders 
hervor die interessante Störung des Lesesinnverständnisses 
bei erhaltenem Leselautverständnis. Er hat dies auch noch in 
einem anderen Fall beobachtet und erblickt in dieser interessanten 
Form der Lesestörung eine transcorticale Alexie, die das Analogon 
der transcorticalen sensorischen Aphasie darstellt ln der Literatur ist 
auf derartige Vorkommnisse bisher noch nicht hingewiesen worden. 

6. Hysteroepiiepsie hei Lues eerebri. 

28 jähriger Mann. Seit reichlich einem Jahre gehäufte Anfälle, die 
als epileptische angesprochen werden, sich allmählich immer mehr 
häufen, und derentwegen der Kranke grosse Bromdosen, bis 22 g täglich, 
ohne jeden Nutzen bekommen hat. 

Ein Teil der Anfälle besteht nach der Beschreibung der Umgebung 
und der Aerzte in generalisierten, tonisch-clonischen Krämpfen am ganzen 
Körper, mit Schaum vor dem Munde, stertorösem Atem, tiefer Bewusst¬ 
losigkeit und nachträglicher Amnesie. Die Anfälle kommen plötzlich, 
der Kranke merkt angeblich nichts davon. 

Bei einem anderen Teil der Anfälle merkt Kranker selbst den Be¬ 
ginn im linken Arm, manchmal beschränken sich die Anfälle auf den¬ 
selben, greifen aber auch manchmal auf das linke Bein und alsdann 
auch auf die andere Körperhälfte über. Bei diesen Anfällen verliert 
Patient nicht immer das Bewusstsein. Solche Anfälle hat Patient bis 
zu 15 am Tage. Die objektive Untersuchung des Nervensystems ergibt 
einen vollständig negativen Befund. Sämtliche Anfälle, welche ich in 
der ersten Zeit bei dem Kranken beobachten konnte, waren ausge¬ 
sprochene hysterische Anfälle von meist ziemlich langer Dauer, 
besonders schöner Are de cercle; die Anfälle klingen jedesmal ab mit 
einer ausgesprochenen epileptiformen Phase, niemals Zungenbiss dabei, 
Pupillen zeigen prompte Reaktion, keine Störung der Atmung und des 
Pulses. Patient ist aus den Anfällen jedesmal in jedem beliebigen 
Moment durch einen faradischen Reiz zurückzurufen. Zwischen den 
Aufällen Klagen über Kopfschmerzen und Uebelkeit. Das Brom wird 
mit einem Male ausgesetzt, Wassermann im Blut negativ, dagegen im 
Liquor positiv. Einleitung einer spezifischen Kur, Nachlassen der An¬ 
fälle; es treten etwa nur noch drei oder vier pro Tag auf. Kein ein¬ 
ziger Anfall konnte als auch nur epilepsieverdächtig bezeichnet werden. 
Nur zweimal wurden echte Jackson’sche epileptische Anfälle im linken 
Arm, einmal mit Uebergreifen auf die ganze linke Körperhälfte und 
Bewusstseinsverlust beobachtet. 

Bei fortgesetzter spezifischer Behandlung schwinden alle Symptome. 
Auch der Liquor wird ganz normal, der Kranke befindet sich jetzt seit 
vielen Monaten bei voller Gesundheit. 

7. Spinale Muskelatrophie auf laotischer Basis. 

38 jähriger Mann, seit über Jahresfrist Schwäche und Abmagerung 
der unteren Extremität, niemals Schmerzen, keine Blasenstörung. Rechts 
totale Lähmung der Dorsalflexoren des Fusses und der Plantarflexoren, 
Schwäche der Kniebeuger, mässige Parese des Quadriceps, der Adduk¬ 
toren und der Heber des Beines. Links Lähmung der Dorsalflexoren, 
Schwäche der Piantarflexoren. In den gelähmten Muskeln besteht Ent¬ 
artungsreaktion, Sensibilität ganz normal, Patellar- und Achillesreflex 
fehlen. Pupillen reagieren. Wassermann im Blut und Liquor positiv, 
starke Lymphocytose, Nonne positiv, Eiweiss Vermehrung. 

8 . Multiple Tuberkulose. 

11 jähriger Knabe, hat früher viel an Kopfschmerzen gelitten. Im 
August 1911 plötzlich Bewusstlosigkeit, rechtsseitige Hemiplegie und 
Aphasie, dabei erhöhte Temperatur. Rasche Rückbildung der Hemi¬ 
plegie und Aphasie, doch bleiben Kopfschmerzen bestehen, dazu gesellen 
sich Schwerhörigkeit auf dem rechten Ohr, Schwindel, schlechtes Sehen 
auf dem linken Auge. Im Januar 1912 erneute Hemiplegie und Aphasie, 
Benommenheit, heftige Kopfschmerzen. Lumbalpunktion zeigt sehr er¬ 
höhten Druok. Starke Lymphocytose, mässige Leukocytose, starke 
Ei Weissvermehrung, Wassermann negativ. Linkes Auge total blind, 
Atrophia nervi optici. Keine Stauungspapille. Besseruog des all¬ 
gemeinen Befindens, doch bleibt die Hemiplegie bis zu einem gewissen 
Grade bestehen. Im März 1912 starke Schmerzen in den Zehen, be¬ 
sonders der linken Seite. Es entwickelt sich eine Gangrän, die zum Ab- 
stossen der zweiten und fünften Zehe führt. Rechts und links Fuss- 
pulse vollkommen erloschen. Im weiteren Verlauf tuberkulöse Peri¬ 
tonitis, hochgradige Milz- und Leberstauung und starke Erweiterung der 
Venen der Bauchhaut. Allmählicher Rückgang der schweren Erschei¬ 
nungen, Wassermann dauernd negativ, Pirquet positiv, probatorische 
Impfung mit Alttuberkulin. Patient bekommt eine typische meningeale 
Reaktion. Es ist möglich, dass wir es hier also mit einer tuberkulösen 
Affektion des Gehirns bei gleichzeitiger tuberkulöser Peritonitis zu tun 
haben. Es ist auch möglich, dass die Gangrän des Fusses auf einer 
Endarteritis tuberculosa beruht. 

9. Lues oder Tuberculosis eerebri. 

21 Jahre alt, stets gesund, Anfang August 1911 plötzlich krank 
unter Schwindel, Augenflimmern, Kopfschmerzen, Erbrechen, zeitweilig 
Benommenheit. Rechts Pupillenstarre, linke Pupille reagiert. Fehlen 
des linken Patellar- und Achillesreflexes, hochgradige Druck- und Klopf¬ 
empfindlichkeit des Schädels. Babinski links positiv, im weiteren Ver- 


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17. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


617 


lauf reagiert die rechte Pupille wieder, die linke wird aber starr. Kopf¬ 
schmerzen und Schwindel halten an, linke Lungenspitze zeigt Dämpfung. 
Wassermann im Blut und Liquor dauernd negativ. Auf probatorische 
Impfung mit Alttuberkulin deutliche fieberhafte Reaktion. Durch fort¬ 
gesetzte Impfung in kleinen Dosen schwinden allmählich Kopfschmerz 
und cerebrale allgemeine Erscheinungen. Bei grösseren Dosen treten 
jedesmal meningeale Reaktionen auf in Form von Uebelkeit, Brechreiz, 
Benommenheit und hoher Fiebersteigerung. Der Fall ist unklar, zu¬ 
nächst muss natürlich an Lues gedacht werden, trotz des dauernd 
fehlenden Wassermann und des absolut normalen Liquors. Man kann 
aber auch an eine tuberkulöse Affektion denken, etwa in der Gegend 
der Sphincterkerne mit konkommittierenden meningealen Reizerscheinungen 
ohne entsprechenden Liquorbefund. 

Disk ussion. 

Hr. Foerster bemerkt mit Bezug auf die Bedenken, die Herr Alz¬ 
heimer äussert, dass auch er keineswegs eine sichere Diagnose auf eine 
tuberkulöse Affektion zu stellen wage, allerdings könne auch eine luetische 
Affektion nicht ohne weiteres angenommen werden. Es fehle ja nicht 
nur völlig der Wassermann im Blut und Liquor, sondern es sei der 
Liquor auch sonst in jeder Hinsicht normal, und das käme nach den 
Erfahrungen des Vortragenden bei anatomisch sicher nachgewiesener 
tuberkulöser Affektion des Nervensystems vor. Pupillenstarre spräche 
ja in erster Linie für Lues, sei aber bei tuberkulöser Affektion des Nerven¬ 
systems auch vorhanden. 

Hr. H. 0. Foerster: 10. Progressive Paralyse, die klinisch völlig unter 
dem Bilde der Phresbyophrenie verläuft. 

Patientin ist vom Vortr. bereits wiederholt vorgestellt worden. 
Gegenwärtig befindet sie sich in einer weitgehenden Remission. Sie ist 
gut orientiert. Ihre Merkfähigkeit ist wesentlich gebessert. Dagegen 
sind die konfabulatorischen Tendenzen noch ganz enorm ausgesprochen. 
Manchmal zeigt die Sprache der Kranken ein leichtes Anstossen. Die 
Diagnose der Paralyso wird an einem Präparat, das durch Hirnpunktion 
gewonnen ist, demonstriert. Man sieht sehr schön mit der Unna- Pappen- 
heim’schen Färbung die Plasmenzellen. 

Hr. Reich: Fall tob SyringobBlbie. 

35 jähriger Mann. 1907 luetische Infektion. 1908 Gefühlsstörungen 
im Gesicht: Hypästhesie im Gebiete der Lippen, Parästhesien, Schmerzen. 
Beginn in der rechten Gesichtsbälfte, später Uebergreifen auf die linke. 
Wegen Verdachts einer Trigeminusneuralgie Behandlung mit Alkohol¬ 
injektionen usw. Kein Erfolg. 

Juni 1912 Aufnahme: Starke, doppelseitige, dauernd bestehende 
Schmerzen im Gesicht. Keine neuralgischen Anfälle. 

Dissoziierte Empfindungsstörung im Gesicht und am behaarten Kopfe. 
Die Begrenzung entspricht nicht dem Versorgungsgebiete der peripheren 
Trigeminusäste, sondern den von Sold er bei Erkrankung des Trigeminus¬ 
kerns beobachteten Grenzlinien. Ausserdem Anästhesie des Gaumens, 
Rachens und Kehlkopfes. Völlige Gesohmackslähmung. Andere Hirn¬ 
nerven sowie das übrige Nervensystem intakt. 

Wassermann im Blut und Liquor negativ, auch sonst Liquor ohne 
Besonderheiten. 

Wegen der Luesanamnese spezifische Behandlung, ohne Erfolg. 

Im weiteren Verlaufe Fortschreiten der Anästhesie peripherwärts 
über das Trigeminusgebiet hinaus. Später gerioge Remission. Die 
äusserste Anästhesiegrenze reicht vorn bis zur Zungenbeingegend, hinten 
bis zur Haargrenze. 

Wahrscheinlich handelt es sich um eine Syringobulbie. Dafür 
spricht vor allem die streoge Dissoziation der Empfindungslähmueg sowie 
ihr ausgesprochen segmentaler Charakter. Es muss ein Prozess ange¬ 
nommen werden, der, in der Medulla oblongata beginnend, nach unten 
fortschreitet und bereits das Halsmark in grösserer Ausdehnung (bis 
zum dritten bis vierten Segmente) ergriffen hat. 

Diskussion. 

Hr. H. 0. Foerster: Die in der Diskussion geäusserten Bedenken 
haben auch wir uns zu so und so vielen Malen selbst erhoben. Der 
Fall ist in jeder Hinsicht ein Unicum, passt aber nach unserer Ueber- 
zeugung hinsichtlich der Symptomatologie eigentlich zu nichts anderem 
als zur Syringobulbie. Die von Herrn Kuttner geäusserte Meinung, es 
könne sich doch auch um Affektion des Ganglion Gasseri handeln, ver¬ 
trägt sich schlechterdings nicht mit der Ausdehnung der Sensibilitäts¬ 
störung in dem vorgestellten Falle: dieselbe greift nach hinten bis an 
die Haargrenze über den ganzen Kopf hinüber; ausserdem ist der ganze 
Mund, Rachen und Kehlkopf anästhetisch, und endlich besteht eine totale 
Geschmackslähmung. Die Schmerzen, über die der Kranke klagt, sprechen 
nicht gegen Syringobulbie. 

Aerztlicher Yerein zu Hamburg, 

(Biologische Abteilung.) 

Sitzung vom 4. Februar 1913. 

1. Hr. Sehumm demonstriert Spektrophotogramme des Serums 

einiger Fälle von Bacillus emphysematosus-Bakteriäraie, bei 
welchen, zum Teil neben Methämoglobin, bedeutende Mengen von Hämatin 
im Serum gelöst nachzuweisen waren. 

2. Hr. E. Reye: Präparate eines Falles von Spondylitis acuta 
staphyloebeeiea. Ein ß l ( 2 Wochen altes Kind wurdp stark abgemagert 
sterbend ins Krankenhaus eingeliefert, ln der rechten Pleurahöhle 20 ccm 


graubräunlicher Eiter (Staphylokokken), der seinen Ausgang nahm von 
einem Eiterherd im völlig zerstörten 6. Brustwirbel, daselbst ein Gibbus. 
Bemerkenswert ist an dem Fall der foudroyante Verlauf (das Kind soll 
erst in den letzten 14 Tagen des Lebens krank geworden sein), sowie 
das frühe Alter. Aetiologisch kommt in Betracht, dass bei der Mutter 
des Kindes am 5. Tage des Puerperiums eine doppelseitige eitrige Mastitis 
auftrat, sie stillte trotzdem weiter. Vielleicht wurde so der Eiter in den 
Digestionstrakt des Kindes übertragen, und die Infektion kam von hier 
aus zustande. 

Diskussion. 

Hr. E. Fraenkel weist auf den ausserordentlich raschen Verlauf 
hin: in wenigen Wochen kam es zu totaler Eioschmelzung des Wirbel¬ 
körpers. Die Spondylitis infectiosa ist nicht so selten, wenn bei jedem 
Fall von Pyämie mit okkultem Ausgangspunkt die Wirbelsäule makro¬ 
skopisch und mikroskopisch untersucht wird, wie das aus mehreren Bei¬ 
spielen seiner Erfahrung hervorgeht. 

Hr. Halberstadt glaubt nicht, dass die Mastitis mit solcher Sicher¬ 
heit als Infektionsquelle des Kindes anzuschuldigen ist, dass in jedem 
Falle von Mastitis etwa das Stillen prinzipiell verboten werden müsse. 

Hr. Oehlecker erwähnt zwei Fälle von akuter bzw. subakuter 
Osteomyelitis der Wirbelsäule, in beiden legte der Ausfall der Blutkultur 
die Diagnose nahe. 

3. Hr. E. Fraenkel: 

Röntgenologische® über congenitale Syphilis platter Knochen. 

Auf Grund seiner langjährigen Untersuchungen über die congenitale 
Knochensyphilis bringt Vortr. an zahlreichen Röntgen- und Lumiere- 
bildern den Beweis, dass die Diagnose der congenitalen Syphilis auch 
durch (makroskopische, mikroskopische und röntgenologische) Unter¬ 
suchung der platten Knochen, speziell von Becken und Schulterblatt, 
zn stellen ist. Ein Zusammenhang mit der Scapula scaphoidea ist 
zweifelhaft, um so mehr, als letztere nach E. Reye’s Untersuchungen 
zwar häufig, aber nicht immer als Zeichen einer hereditären Syphilis an¬ 
zusehen ist. 

4. Hr. v. Bergmann: Experimentelles über Darmbewegung. 

Hinweis auf die im Frühjahr 1912 an gleicher Stelle vorgeführte 
Methode des „künstlichen Bauchfensters“ zwecks direkter Beob¬ 
achtung der Darmbewegungen. Es liegen dabei tatsächlich physio¬ 
logische Verhältnisse vor, wie auch aus der Tatsache hervorgeht, dass 
die Versuchstiere durchschnittlich 15—20 Tage, einzelne auch über 
50 Tage am Leben bleiben. Sehr schön lassen sich damit die Pendel- 
bewegungen der Längs- und Ringmuskulatur des Dünndarms überblicken, 
weiterhin die kleinen Colonbewegungen (haustrale Einschnürungen, Pillen¬ 
drehbewegungen) und die grossen Colonbewegungen, die zum Teil aktiv 
antiperistaltisch verlaufen (z. B. im Coecum des Kaninchens). Ausser¬ 
dem lässt sich so die verschiedene Blutfüllung der Därme sehr gut beob¬ 
achten und die Einwirkung verschiedener Faktoren hierauf (Kälte, Wärme, 
Massage, psychische Erregung, Trauma). Endlich kann mit Hilfe des 
„grossen Bauchfensters“ im Tierexperiment die Wirkung der einzelnen 
Pharmaka (Atropin, Pilocarpin, Adrenalin usw.) genauestens studiert 
werden. Beim Menschen gibt das Röntgenbild nach hohen Wismutein¬ 
läufen unter der Einwirkung von Pilocarpin, Atropin usw. charakte¬ 
ristische Bilder, die an einer Reihe von Diapositiven erläutert werden. 
Eine feste Einteilung der chronischen Obstipation, etwa in eine dys¬ 
kinetische und hypokinetische, ist damit noch nicht möglich, wohl aber 
schon die Erkennung von Därmen mit erhöhtem und erniedrigtem Vago- 
tonus. 


Sitzung vom 11. Februar 1913. 

Demonstration. 

1. Hr. Mnx Fraenkel: Histologische Bilder eines Falles von aknt 
verlaufener multipler Sklerose. Der 23jährige Patient war 3 Wochen 
nach Beginn seiner Erkrankung ins Krankenhaus Eppendorf (Abteilung 
Dr. Nonne) aufgenommen worden und zeigte deutliche Symptome von 
multipler Sklerose. Lumbalpunktion: klarer Liquor, Druck nicht erhöht, 
gerioge Lyraphocytose, Phase I negativ, Wassermann in Blut und Liquor 
negativ. Später bulbäre Erscheinungen, Paresen der Extremitäten; Tod 
nach 2 V 2 Monaten. Makroskopisch Hirn und Rückenmark ohne Besonder¬ 
heiten; histologisch: multiple Herde in Pons, Medulla oblongata und 
oberem Brustmark. 

2. Hr. Plate zeigt: a) 48jährigen Arbeiter, im Januar 1913 5 m 
berabgefallen und mit dem Nacken aufgeschlagen. Kopf ängstlich vorn¬ 
übergebeugt, Halsmuskeln stark gespannt. Bei Röntgenaufnahme von 
hinten nach vorn durch den Mund hindurch: Brach des Bogens des 
dritten Halswirbels festzustelien. Keine Rückenmarkserscheinungen. 

b) Röntgenbilder vom Hüftgelenk eines 21jährigen Kranken mit 
goaorrhoischer Arthritis und Fixierung in stärkster Aussenrotation. 

c) Bilder eines Vibrators der 18 400 Erschütterungen pro Minute 
macht; der Apparat wurde von der Firma Reiniger, Gebbert & Schall 
nach seinen Angaben hergestellt. 

3. Hr. Seeligmann demonstriert ein 29 jähriges Mädchen, bei welchem 
er im August 1911 ein über kopfgrosses intraligamentäres Spindel¬ 
zellensarkom des rechten Ovarinms exstirpiert hatte; die Adnexe der 
anderen Seite waren intakt. Glatte Rekonvaleszenz. Mai 1912 wieder 
ein Tumor rechts ira Becken zu fühlen, anscheinend Drüsenmetastasen. 
Rat zur Operation wurde nicht beachtet; Patientin kam erst im No¬ 
vember 1912 wieder zur Beobachtung: grosser Tumor, der den ganzen 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 11. 


Leib ausfüllte, Leber und Zwerchfell verdrängte und schon Metastasen in 
die Wirbelsäule gemacht hatte (Röntgenbild). Probelaparotomie ergab: 
riesiger Tumor, retroperitoneal von den Lymphdrüsen ausgehend, nicht 
operabel. Unter kombinierter Behandlung mit Arsacetin intra¬ 
venös und Röntgenbestrahlung besserte sich der trostlose Zustand 
der Kranken geradezu frappant, der grosse Tumor verschwand gänzlich, 
die Schmerzen in der Wirbelsäule sind verschwunden; Patientin wird in 
blühender Gesundheit vorgestellt. 

4. Hr. Boettiger: 28 jähriger Herr mit fast totaler Isehiadicus- 
iähmung infolge intraglutäaler Quecksilberinjektion. 1911 Lues, Fe¬ 
bruar 1912 erste Hg-Injektionskur, darauf dreimal Salvarsan intravenös, 
dann wieder 7 Tage Hg-Injektionen, die letzte, links, am 13. Juni 1912 
(sämtlich ausserhalb Hamburgs). Sofort Schmerzen im linken Bein, 
Lähmung des Fusses, später Ea-R, trophische und sensible Hautstörungen, 
Atrophie der Muskeln. Prognosis dubia. 

5. Hr. Kotzenberg: a) 34 jährige Dame, seit acht Jahren Kolik¬ 
schmerzen in der rechten Nierengegend, zeitweise Hämaturie. Nephro¬ 
tomie: wallnusgrosse Cyste der Niere mit blutig-missfarbiger Flüssig¬ 
keit. Resektion des betreffenden Nierenteils. Jetzt völlig be¬ 
schwerdefrei. 

b) Total verfettete Eiterniere, die lange Jahre ihrer Trägerin 
(ältere Frau) heftige Nierenschmerzen verursacht hatte. 

6. Hr. Hegler: Bilder einer 32jährigen, an Phthise verstorbenen 
Kranken mit starken, eehtem Bartwuchs. Im übrigen völlig weiblicher 
Habitus; Menses regelmässig. An Gesicht und Vorderarmen schmutzig¬ 
braune Pigmentierung; Vorderarme und Hände zwergartig klein. Kein 
Anhalt für Erkrankung der innersekretorischen Organe. Hat niemals 
besondere Medikamente gebraucht. Blutbefund völlig normal. Urin: 
reichlich Albumen (Nierenamyloid), Farbe stets hellgeb, kein Blut, kein 
Urobilin. Bei der Obduktion (siehe auch die folgende Demonstration 
des Herrn E. Fraenkel): normale Genitalien, spez. Ovarien; dagegen 
das linke Epoophoron sehr erheblich vergrössert. Vielleicht 
ist der Bartwuchs, als „Pseudohermaphroditismus regionalis“ mit der 
Vergrösserung, eventuell gesteigerten inneren Sekretion dieses der 
Epididymis des Mannes entsprechenden „Zwitterorganes“ in Beziehung 
zu bringen. 

7. Hr. E. Fraenkel berichtet über den weiteren hochinteressanten 
Sektionsbefund bei der soeben demonstrierten Kranken: Das gesamte 
Knochensystem, einschliesslich Zahncement und verknöcherte Teile 
des Schildknorpels wies eine gleichmässige, intensive Rotbraunfärbung 
auf; die Knorpel waren absolut weiss. Durch Herrn Schümm (siehe 
folgende Demonstration) wurde als Ursache der Knochenfärbung eine 
Imprägnierung mit Hämatoporphyrin festgestellt. Es handelt sich um 
einen der seltenen Fälle von Haematoporphyria congenita, wie sie 
Günther 1911 als eigenartiges Krankheitsbild beschrieben hat. Die 
gleichen Knochenveränderungen sind bei Tieren als (fälschlicherweise) 
„Ochronose“ bezeichnet. Ursache: wohl starker Blutzerfall und Re¬ 
generation (in Knochenmarksabstrichen reichlich Normoblasten). Be¬ 
ziehungen zur Hydroa aestivalis hier nur angedeutet (Braunfärbung 
von Gesicht, Vorderamen und Händen). 

8. Hr. 0. Schümm demonstriert die Spektrophotogramme des Falles. 
Direkte spektrophotographische Aufnahme eines dünnen 
Knochenschliffs ergab reines Hämatoporphyrin; ebensolches war 
auch im salzsauren Alkoholextrakt der Knochen sowie der Leber 
nachzuweisen. In Milz, Knochenmark und Blutserum kein Hämato¬ 
porphyrin. 

Vortrag des Hm. Jaeobsthal: Ueber die praktische Bedeutung 
der Wusermann’schen Reaktion. I. Teil. C. Hegler. 


Medizinische Gesellschaft zu Leipzig. 

Sitzung vom 28. Januar 1913. 

I. Hr. Sievers referiert über einen von ihm am 18. Januar beob¬ 
achteten Fall von Phreniculähmung nach snpraclavicularer Plexus¬ 
anästhesie nach Knien kam p ff. Heftiger Brustschmerz in Zwerchfellhöhe 
und coupierte Atmung. Schlechte Verschieblichkeit der entsprechenden 
(rechten) unteren Lungengrenze, Abschwächung des Atemgeräusches. 
Röntgenologisch verminderte Beweglichkeit der rechten Zwerchfellhälfte. 
Anhalten der Symptome fast drei Tage. Dann vollkommener Rückgang. 
Am vierten Tag ergibt neues Röntgenbild normale Motilität des Dia¬ 
phragma. Als Ursache vermutet der Vortr. entweder subfasciale Diffusion 
des Anästheticums zum Halsstamm des Phrenicus oder Ausbreitung der 
Injektionsflüssigkeit auf der Pleurakuppe, über die der Phrenicus vorn 
und medial verläuft. Einzelheiten werden im Centralblatt für Chirurgie 
mitgeteilt. 

Demonstration eines Falles von habitueller Sablnxation der linken 
Unterkieferhälfte nach vorn, der durch eine einmalige Injektion von 
etwa V 3 — 3 J 4 ccm öproz. Jodtinktur ins Kiefergelenk und anschliessende 
dreiwöchige Stillstellung mit der Funda maxillae bisher geheilt ist (In¬ 
jektion am 31. Dezember 1912). Die sehr deutlich fühl- und hörbare 
wie auch auf Röntgenbildern nachweisbare Verrenkung des linken Kiefer- 
'köpfchens war drei Wochen zuvor spontan entstanden und hatte sich 
dem 14jährigen Mädchen durch ein zunächst schmerzhaftes Schnappen 
vor dem Ohre bemerkbar gemacht. Die Reposition fand von selbst beim 
Mundsohluss statt. Das Tuberculum artieulare der gesunden rechten 
Seite war grösser und steiler geformt als das linksseitige. 


Demonstration eines 22jährigen Arbeiters, bei dem das durch In¬ 
zisionen wegen eines Panaritiums durchtrennte Ligamentum vaginale der 
Beugesehnen des rechten Zeigefingers durch eine Faseienplutlk ersetzt 
wurde. Der Patient hatte den Zeigefinger nur bis auf 4 oder 5 cm an 
die Hohlhand heranbriogen können, da er nur das Grundglied ausgiebig 
beugen konnte, während die Endglieder des Fingers nur bei Streck¬ 
stellung des Grundgliedes gebeugt werden konnten. Beim Einschlagen 
der Finger zur Faust spannten sich die Beugesehnen in Form einer 
strangartigen derben Prominenz über das Grundgelenk, konnten also in¬ 
folge der Verkürzung ihres Weges und der falschen Zugrichtung ihre 
volle Zugkraft nicht ausnutzen. Das Ligamentum vaginale war ebenso 
wie die Ausläufer der Fascia palmaris durchtrennt. Die Einpflanzung 
eines Lappens aus der Fascia lata des linken Oberschenkels fixierte die 
Sehnen wieder fest an ihrer knöchernen Unterlage und garantierte zudem 
ihre freie Verschieblichkeit, so dass der Finger wieder bis in die Hohl¬ 
hand eingeschlagen werden konnte. 

Freie Transplantation der Grundphalanx der linken vierten Zehe 
an die Stelle einer wegon cystischea Riesenzellensarkom enucleieiten 
Mittelphalanx des linken Ringfingers. Wiederherstellung der Beweglich¬ 
keit des Fingers. Ausfüllung des Zehendefektes durch einen Tibia¬ 
span. 

Der t atient, der jetzt wieder arbeitet, ist auf der ersten Sitzung 
der Freien Vereinigung sächsischer Chirurgen gezeigt worden. 

Diskussion. 

Hr. Heineke hat habituelle Luxation des Unterkiefers wiederholt 
beobachtet. Einspritzung von Jodtinktur ins Gelenk hat sich nicht be¬ 
währt; er hat Besserung und Heilung durch Fixierung und beschränkte 
Bewegung des Gelenkes mittels geeigneter Verbände erzielt. 

Riesenzellensarkome der Knochen werden häufig durch Auskratzung 
zur Heilung gebracht. . H. hat bei einem Falle von Sarkom des Unter¬ 
kiefers bei einem 11jährigen Mädchen durch Auskratzung völlige Heilung 
erzielt. 

Hr. Fabian hat bei supraclavioulärer Plexusanästhesie nach 
Kulenkampff die gleichen Lungenerscheinung wie Sievers beobachtet, 
sie sind aber nicht röntgenologisch verfolgt worden. F. hat wieder¬ 
holt dabei Collaps gesehen, vornehmlich dann, wenn die Patienten 
sassen. , 

Hr. Sachse hat durch Anfertigung von Prothesen, welche das Kiefer¬ 
köpfchen in seiner Gelenkhöhle festhalten, die habituelle Luxation des 
Unterkiefers verhindert. 

Hr. Sievers (Schlussbemerkungen): Eine ähnliche Prothese hat 
bereits Perthes durch den Zahnarzt Dr. Fritzsche bei »inam Fall 
von habitueller Kieferluxation anfertigen lassen, der in der medizinischen 
Gesellschaft vor 7 Jahren vorgestellt worden ist. 

Die Gutartigkeit der Myeloidsarkome ist dem Vortr. wohl bekannt 
gewesen, ebenso die Heilbarkeit derselben durch weniger radikale Ein¬ 
griffe, wie Wandresektion und Excochleation, doch kamen diese Verfahren 
in dem vorliegenden Falle deswegen nicht in Frage, weil die Zerstörung 
der Phalanx bereits zu weit fortgeschritten war. 

II. Hr. Payr: Chirurgische Demonstratiaaen. 

1. Fall von schnellender Hüfte bei einem jungen Mädchen. Die 
Aetiologie dieser pathologischen Erscheinung ist nicht völlig geklärt, 
jedenfalls ist in der Mehrzahl der Fälle das Hüftgelenk nicht beteiligt, 
sondern es handelt sich in der Hauptsache um eine abnorme Beschaffen¬ 
heit des Tractus ileo-tibialis, der die Fortsetzung der Fascia lata bildet. 
Dieser Tractus, der zuweilen durch ein Sehnenband des Muse, glutaeus 
maximus verstärkt wird, gleitet über den Trochanter major und verur¬ 
sacht bei gewissen Beinbewegungen ein lautes, hörbares Knacken. Durch 
eine ausserhalb der Klinik vorgenommene Durchtrennung dieses Tractus 
sollte dieser Zustand behoben werden. Nach der Demonstration zu 
urteilen, ist aber das Gegenteil eingetreten. Der Gang ist ausserordent¬ 
lich verschlechtert worden, das Knacken ist geblieben, und wenn die 
Patientin auf dem kranken Beine steht, so senkt sich das Becken nach 
der gesunden Seite. Der Fall ist noch nicht völlig geklärt. Augen¬ 
scheinlich handelt es sich um schwere Funktionsstörungen des Musculus 
glutaeus medius und minimus, die bei aufrechter Stellung das Becken 
nicht mehr fixieren können. 

2. Ein 62 Jahre alter, bis dahin gesunder und kräftiger Mann er¬ 
krankt plötzlich an kurzdauernden neuartigen Erscheinungen. Die 
Anfälle wiederholen sich in kurzer Zeit, der Kranke magert in wenigen 
Wochen stark ab. Einlauf von Wismutbrei rectal, sowie die orale Ver¬ 
abreichung von Wismut lassen nicht mit Sicherheit den Sitz der Stenose 
erkennen. Stuhluntersuohung ohne Befund, Erbrechen zuweilen leicht 
kotartig riechend. Bei der Operation findet sich ein stenosierendes, 
scirrhöses Caroinom des Dünndarms nahe der Bauhin'sohen 
Klappe. Die Stenose war so hochgradig, dass eben noch eine dünne 
Sonde passieren konnte. Totalexstirpation des Tumors durch Entfernung 
einer 60 cm langen Dünndarmschlinge. Völlige Heilung. Die Prognose 
ist gut. Unter 23 Fällen sind, wie Payr beobachtet hat, 16 Fälle über 
3 Jahre recidivfrei geblieben. 

3. Transplantation von Hant aus dem Oberschenkel und Ersatz 
der Beugesehne am dritten rechten Finger durch einen Sehnenstreifen 
der Fascia lata. DerVerlust dieser Beugesehne war schon vor 5 Jahren 
erfolgt. Erläuterung der Operationstechnik. 

4. Hufnagel aus dem rechten Bronchus mittels BroHChoseopia 
snperior entfernt. Der Nagel, der angeblich verschluckt worden sein 


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17. M&rz 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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soll, war auf dem Röntgeubilde in seiner Lage erkannt vorden. Von 
seiten der Lunge waren keine Erscheinungen vorhanden. 

III. Hr. Laken stellt einen Fall von Basisfraktar mit Verletzung 
des Nervus vagus und accssorius vor. 

IV. Hr. Frangenheiai demonstriert mehrere Bilder von Knochea- 
eystea. In dem einen Falle hatte sich eine Cyste nach Fraktur des Ober¬ 
schenkels gebildet, in einem anderen nach einer Malleolarfraktur. 
Heilung erfolgte nach Eröffnung der Cysten und Entleerung des Inhalts. 

Rösler. 


Aerztlicher Bezirksverein za Zittan. 

Erankenhausabend vom 6. Februar 1913. 

Vorsitzender: Herr Körner. 

Schriftführer: Herr K lieneberger. 

1. Hr. Dreyzehner*. 

Zwei Fälle von Perforation in die freie Bauchhöhle. 

Der erste Patient wurde 8 Stunden nach der bei leerem Magen er¬ 
folgten Perforation operiert. Die Perforationsstelle befand sich an der 
kleinen Curvatur in der Nähe des Pylorus; sie konnte leicht mit kleinem 
Netz übernäht werden. Danach Gastroenterostomia retrocolica posterior. 
Glatte Rekonvaleszenz. 

ln dem zweiten Falle erfolgte die Operation erst 20 Stunden nach 
der Perforation. Der Durchbruch war bei vollem Magen erfolgt. Der 
Kranke hatte auch noch nach dem Durchbruch Milch getrunken. Er 
fieberte bis 38,3°, hatte einen Puls von 160 und befand sich in einem 
verfallenen Zustande. Die für einen Finger durchgängige Perforations¬ 
stelle lag nahe d6r Cardia. Die Operation musste sich zunächst auf 
ausgiebige Tamponade und Drainage der seitlichen unteren Baucbgegend 
beschränken. Die erste Zeit erfolgte extrabukkale Ernährung. Durch 
Aufsetzen und feste Tamponade (Zusammenpressen der unteren Brust- 
apertur durch mit Mastixlösung getränkte Binde) gelang es in der Folge 
den Ausfluss der Nahrung aus dem Magen zu hindern und Granulation 
herbeizuführen. 

8. 73jähriger Mann, bei dem mit vollem Erfolg, trotz des elenden 
Zustandes, die hypertrophische Prostata nach Frey ausgeschält war. 

4. 32jähriger Patient, dem wegen Carcinoma penis die Amputation 
mit Ausräumung der Leistengruben gemacht worden war. Die Urethral¬ 
öffnung- war nach Spaltung des Scrotums nach dem Damm verlegt 
worden. 

II. Hr. Kraef: Demonstration von 2 Präparaten von Stieltorsion 
n4 dadurch bedingter Gangrän. 

Das eine Mal handelte es sich um Torsion einer rupturierten Ovarial- 
cyste. Das Krankheitsbild war das einer akuten Appendicitis mit peri- 
tonitischen Symptomen. Die Stieldrehung betrug 3 mal 360°. 

Das zweite Mal lag ein Hodengangrän infolge Stieldrehung des 
Samenstranges um 270° vor. Aus der circumscripten Schwellung der 
rechten Leiste, den fehlenden Zeichen eines völligen Darmverschlusses, 
aus der Berührungsempfindlichkeit der Leistenschwellung bei Fehlen des 
rechten Hodens im Scrotum wurde die Diagnose gestellt. Da die Re¬ 
position unmöglich war und Gangrän bereits bestand, war Semikastration 
nach Bassi ni nötig. 

III. Hr. Klieneber^er: 1. 22 jähriger Patient, der auf der Höhe 
eines schweren Unterleibstyphus vor 3 Monaten ins Krankenhaus auf¬ 
genommen war. Zunächst normaler Verlauf. I Monat nach der Auf¬ 
nahme ein typisches Recidiv, dessen Fieberkurve das typische aber ab¬ 
gekürzte Gepräge zeigte, und bei dem am 12. Recidivtage eine schwere 
Darmblutung (l f / 2 Liter Blut) auftrat. Unter absoluter Diät (48 Stunden), 
Gelatineinjektion, Plumbum aceticum mit Opium stand die Blutung, und 
es erfolgte Restitution. In der Rekonvaleszenz Erscheinungen von 
Amentia, längere Zeit traumhafte Desorientiertheit. 

Vortragender empfiehlt die Badebehandlung des Typhus, flüssige 
Ernährung, symptomatische Therapie je nach den Komplikationen. 

2. Paralysis agitans. 72 jähriger Mann, der seit vielen Jahren an 
Schüttellähmung beider Arme und Faciales, geringerem Zittern der 
rechten unteren Extremität leidet. Die Krankheit bat offenbar in der 
rechten Hälfte begonnen. Es besteht mässige Demenz, keine bemerkens¬ 
werte Muskelspaunung; Propulsion und Retropulsion fehlen. Die Ver¬ 
langsamung der Bewegungen, die nach vorn gelegte Haltung ist recht 
charakteristisch. Therapeutisch kommen Bäder und Hyoscinpräparate 
(Podacktabletten) zur Verwendung. 

3. Aneurysma aortae. Patient hat seit langer Zeit „Neuritische 
Symptome“, Rücken-, Brust- und Schulterschmerzen (besonders bei ge¬ 
beugtem Sitzen). Im Laufe des letzten Jahres hat sich bedeutende Ab¬ 
magerung eingestellt. Abgemagerter Mann, an dem rechts vorn oben, 
neben dem Brustbein erhebliche gestaute Venen hervortreten. Kleine 
Herzdämpfung, aufsitzende intensive Dämpfung hinter und neben dem 
Manubrium, systolisches Geräusch über dem Herzen und über der 
Dämpfung, sehr starkes Oliver-Cardarelli’sches Zeichen, Verengung der 
rechten Pupille, leichte Parese des linken N. recurrens. Keine Unter¬ 
schiede in Puls und Blutdruck, keine Voussure, keine Pulsation des 
Sternums, kein diastolisches Geräusch (etwas Capillarpuls), negative 
Wassermann-Reaktion (wiederholt). Charakteristisches Röntenbild, in 
dem besonders die Grösse des Aneurysma im Gegensatz zu der Kleinheit 
des ^erzens imponiert. 


Naturhistorlseh-medizinischer Verein za Heidelberg. 

Sitzung vom 28. Januar 1913. 

Vorsitzender: Herr Bettmann. 

Schriftführer: Herr Fischler. 

Zar Frage der Erkenoong and Behaadlaag luetischer Prozesse 
(Wassermann, Salvarsau, Quecksilber). 

Hr. Krehl: Die Wassermann’sche Reaktion hat die Fürchterlichkeit 
der Lues in Beziehung auf ihre Häufigkeit und Resistenz erst klar dar¬ 
getan. Sie hat in manche Fragen entschieden Licht gebracht, insbe¬ 
sondere hat sie die Erb’schen Ansichten über den Zusammenhang der 
Tabes und der Lues bestätigt, ferner hat sie gezeigt, dass Herz- und 
Aortenlues viel häufiger ist, als man bisher annahm. Ausserdem hat 
sie besonders die Resistenz der Lues gegenüber durcbgemachten Kuren 
gezeigt. K. stellt drei Fragen zur Diskussion: 

1. Wie soll man sich im Sekundärstadium bei negativer Wasser- 
mann’scher Reaktion in bezug auf die Therapie verhalten? 

2. Soll man bei Mangel von Krankheitserscheinungen bei positiver 
Wassermann’scher Reaktion eine Therapie einleiten? 

3. Welohe Erfahrungen haben die Kliniker in bezug auf Ver¬ 
schlechterungen der Krankheitserscheinungen durch antiluetische Kuren 
gemacht? 

K. selbst hat solche Fälle bei luetischen Herzerkrankungen mit 
Sicherheit beobachten können. Er brachte diese zuerst in Zusammen¬ 
hang mit dem psychischen Einfluss, den die Erkenntnis der Natur des 
Leidens auf die meist in ehrbaren Verhältnissen lebenden Patienten aus¬ 
übte. Doch hat er sich auch im Laufe der Zeit davon überzeugt, dass 
neben hervorragend guten Beeinflussungen auch sichere organische Ver¬ 
schlechterungen auftreten. Dies gilt insbesondere für luetische Coronar- 
arterienerkrankungen. K. glaubt dies mit Vorgängen erklären zu können, 
die der Herxheimer’scben Reaktion ähneln. Er nimmt an, dass durch 
die antiluetische Behandlung Reizerscheinungen an den sehr empfind¬ 
lichen Coronargefässen auftreten, die sogar zum Exitus führen können, 
und er rät, gerade in diesem Punkte ausserordentlich vorsichtig zu sein. 
Auch glaubt er, dass sich Vorgänge abspielen können, ähnlich wie bei 
der Entstehung einer Miliartuberkulose bei brüsker Tuberkulinbehandlung. 
K. hält die Frage noch nicht für beantwortet, in welchen Fällen man 
eine unvollkommene und in welchen Fällen man eine vollkommene Be¬ 
handlung einleiten soll. 

HHr. Nissl und 0. Ranke sprachen über die diagnostische Be¬ 
deutung der Wassermann’schen Reaktion und über ihre Bewertung bei 
etwaigem therapeutischem Handeln auf Grund der Erfahrungen der Blut- 
und Liquoruntersuchungen an der psychiatrischen Klinik und einer 
Reihe von gleichzeitigen Paralleluntersuchungen gleicher Blutseren 
mittels der ursprünglichen Wassermann’schen Methode und ihrer Modifi¬ 
kation nach Landsteiner an der dermatologischen und psychiatrischen 
Klinik. 

Ihre Ausführungen lassen sich folgendermaassen zusammen fassen: 

1. Die Wassermann’sche Reaktion ist bei vorsichtiger Bewertung 
eine wichtige Bereicherung unserer diagnostischen Hilfsmittel. 

2. Bei der Wassermann’schen Reaktion kommt es in vielen Fällen 
nicht zu einem ohne weiteres evidenten Ergebnis, sondern das Urteil: 
ob positiv oder negativ ist ein komplizierter Schluss aus sorgfältiger 
Beobachtung des zeitlichen Ablaufs und der quantitativen Verhält¬ 
nisse des hämolytischen Vorganges, sowie aus dem Vergleich dieser 
Verhältnisse bei der zu beurteilenden Flüssigkeit mit anderen. 

3. Es ist deshalb unbedingtes Erfordernis, dass diese Reaktion 
durch einen technisch geschulten, kritischen und seiner Verantwortung 
bewussten Arzt — nicht durch irgendwelche Hilfspersonen — ausge¬ 
führt wird. 

4. Das Wesen der Wassermann’schen Reaktion ist ebenso unbe¬ 
kannt wie das Wesen der Stoffe, mit denen sie arbeitet („Komplement“, 
„Antigen“, Amboceptor“). 

5. Die Reaktion ist nicht spezifisch für luetische und meta- 
luetische Krankheiten. 

6. Ein Grund, der Wassermann’schen Originalmethode vor 
der Landsteiner’schen Modifikation den Vorzug zu geben, besteht 
nicht; es ist aber zu betonen, dass diese beiden Verfahren nicht etwa 
nur quantitative, sondern auch qualitative Unterschiede in der Reak¬ 
tion ergeben, indem manche Seren, deren positive Reaktion nach dem 
klinischen Bilde und den Liquorveränderungen zu erwarten ist, mit der 
einen Methode ein positives, mit der anderen ein negatives, andere um¬ 
gekehrt mit der einen ein negatives, mit der anderen ein positives 
Resultat zeigen. 

7. Ein Schluss auf die Wirksamkeit therapeutischen Han¬ 
delns aus einer Aenderung der Wassermann’schen Reaktion im Blute 
ist nicht ohne weiteres gestattet, da nicht ganz selten die Reaktion 
(ebenso wie der Zell- und Ei weissgeh alt, die Goldatol- und Wassermann- 
Reaktion im Liquor) auch ohne jede Behandlung sich ändert. 

8. Die Untersuchung der Wassermann’schen Reaktion im Blute 
allein hat — speziell auf dem Gebiete des Centralnervensystems — 
für die Beurteilung luetischer und metaluetischer Krankheiten nicht viel 
Wert; wichtigeren Aufschluss gibt sie zusammen mit den verschiedenen 
Reaktionen des Liquors; eine diagnostische. Entscheidung ist aber nur 
bei gleichzeitiger Berücksichtigung des klinischen Bildes — und 
auch dann nicht immer —<- möglich. i£s zeigt nämlich vielfache Beob¬ 
achtung, dass weitaus die meisten klinisch klaren Fälle eindeutige Reak- 


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Nr. 11. 


520 BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


tionen geben, dagegen zahlreiche der klinischen Beurteilung Schwierig¬ 
keiten bereitende Fälle auch bei Heranziehung der Blut- und Liquor¬ 
reaktionen sich nicht sicher klären lassen. 

Hr. Bettraann legt nochmals die Fragen Krehl’s, um die sich die 
Diskussion drehen soll, fest und fordert auf zu ausgedehnten Vergleichs¬ 
untersuchungen in den verschiedenen Instituten. Das Vorkommen von 
einer positiven Wassermann’schen Reaktion bei Leidenden, bei denen 
weder die Anamnese noch das klinische Bild einen Hiuweis auf Lues 
gibt, lässt sich dadurch erklären, dass solche Personen Abkömmlinge 
Syphilitischer sind. Die Wassermann’sche Reaktion tritt dann ge¬ 
wöhnlich bei mehreren Geschwistern zugleich auf. Der Dermatologe 
kann aus äusseren Gründen nicht regelmässig die wünschenswerte Lumbal¬ 
punktion vornehmen. 

Hr. Erb: Im ganzen wurden die früheren Statistiken über den 
Zusammenhang von Tabes und Lues durch die Wassermann’scbe Reaktion 
bestätigt. E. hat zahlreiche gute und günstige Erfolge durch anti¬ 
luetische Kuren bei Tabes gesehen. Verschlechterungen wurden von ihm 
selten beobachtet, was er darauf zurückführt, dass er nur mit Auswahl 
antiluetische Kuren einleitete. Das gesamte klinische Bild muss be¬ 
stimmend auf die Behandlungsweise einwirken. Auch bei negativer 
Wasserman’scher Reaktion leitete E. bei entsprechendem klinischen Bild 
antiluetische Kuren ein. 

Hr. v. Düngern: Die Wassermann’sche Reaktion ist heute abend 
zu pessimistisch beurteilt worden. Sie zeigt nicht nur floride, sondern 
auch latente Lues an. Dies ist doch ein Vorzug der Methode. Vortr. 
hat ein Verfahren ausgearbeitet, durch das er Tumoren und Tuber¬ 
kulose gegenüber Lues abzugrenzen vermag. Er selbst zieht bei der 
Anstellung der Reaktion Meerschweinchenherzeitrakt vor, da man ihn 
stets haben kann. Die Resultate mit dem Verfahren sind stets gut. 
Die Eigenhemmung mancher Sera scheinen ihm durch den Bakterien¬ 
gehalt des Serums bedingt. Er hat sie nur ganz vereinzelt angetroffen. 
Er ist der Ansicht, dass die Wassermann’scbe Reaktion durch intelli¬ 
gente Laboranten angestellt werden kann. 

Hr. Stark schliesst sich den beiden Vorrednern, die die Wasser¬ 
mann’sche Reaktion mehr gewürdigt haben, an. Auch er betrachtet sie 
bei positivem Ausfall als Symptom. Im allgemeinen geht der Ausfall 
der Wassermann’schen Reaktion mit dem klinischen Bildfc parallel. Er 
kann sich Nissl nicht ansohliessen, der die Einleitung einer anti¬ 
luetischen Behandlung auf Grund des positiven Ausfalls der Wasser¬ 
mann’schen Reaktion allein als „Unfug“ bezeichnet. In zahlreichen 
Fällen, wo es sich um den Ehekonsens handelt, hält er es für die 
Pflicht des Arztes, eine Kur einzuleiten. Er steht auf dem Standpunkt, 
die Lues so früh als möglich zu behandeln. Die Wassermann’sche 
Reaktion wird dadurch allerdings fast nie negativ, doch ist er mit den 
praktischen Erfolgen zufrieden. In dieser Ansicht wird er unterstützt 
durch den erheblichen Rückgang der Lues in den Bordellen, der auch 
in anderen Städten beobachtet worden ist. 

Hr. Röraheld hat die Beobachtung gemacht, dass bei demselben 
Serum die Resultate der Wassermann’schen Reaktion in verschiedenen 
Instituten verschieden ausfallen können. Nur der wiederholte positive 
Ausfall der Wassermann’schen Reaktion ist beweisend für Beziehungen 
zu Lues. Der negative Ausfall bei mangelnden Erscheinungen in Fällen, 
in denen die Anamnese Luesinfektion ergibt, spricht für Ulcus molle, 
wenn nie eine spezifische Therapie stattgefunden hat. Vortr. hat öfters 
beobachtet, dass nach anfänglicher negativer Wassermann’scher Reaktion 
nach einer antiluetischen Behandlung ein Umschlag zum Positiven 
auf trat. 

Hr. Bettmann: Ein positiver Ausfall der Wassermann’schen 
Reaktion wurde nach Salvarsaninjektionen bei Massenuntersuchungen 
öfters beobachtet. Er wurde sogar empfohlen, eine Injektion zu machen, 
um den positiven Ausfall zu provozieren. 

Hr. Szecsi erwähnt kurz einen Fall von Dementia paralytica. Der 
Liquor bot den typischen paralytischen Befund, auch die Wasser¬ 
mann’sche Reaktion war mit Luesleberextrakt positiv. Der Liquor wurde 
auch im serologischen Institut untersucht und dort fiel die Reaktion 
mit Meerschweinchenherzextrakt zuerst zweifelhaft aus, da Nachlösung 
eintrat. Es wurde noch einmal mit demselben Extrakt und anderem 
Meerschweinchenserum untersucht, und jetzt war die Reaktion positiv. 
In Bezug auf die Wahl des Extraktes kann also unter Umständen 
nützlich oder notwendig sein, die klinische Diagnose vorher zu kennen. 
Ferner betont S, dsss die cytologische Untersuchung des Liquors nicht 
nur quantitativ, sondern in erster Linie qualitativ gemacht werden muss, 
da eben das qualitative Bild der Zellvermehrung wichtige diagnostische 
Schlüsse geben kann. Er weist noch auf die Buttersäurereaktion nach 
Noguchi hiD, welche recht brauchbare Resultate gibt, so z. B. bei 
Paralyse etwa 98 —lOOpCt. positive Fälle. In Bezug auf das von 
Ranke erwähnte abnorme Verhalten der Kaninchensera erwähnt S. 
eigene Versuche, die sich auf die Wassermann’sche Reaktion bei all¬ 
gemein syphilitischen Kaninchen beziehen. Es ergab sich, dass aktive 
Kaninchensera normalerweise eine negative Wassermann’sche Reaktion 
geben, während die aktiven Sera von allgemein syphilitischen Kaninchen 
eine positive Reaktion geben. 

Hr. Biermann referiert kurz über das neurologische Kranken- 
raaterial der medizinischen Klinik aus den letzten zwei Jahren. Wasser¬ 
mann’sche Reaktion im Blut fand sich bei 45 Tabesfällen in etwa 
60 pCt., bei 22 Fällen von Paralyse und Taboparalyse in 60 bis 


70 pCt. positiv, Wassermann’sche Reaktion im Liquor bei Tabes in 
50 bis 60 pCt., bei Paralyse und Taboparalyse in 80 bis 100 pCt. 
positiv. Den Beweis für einen hohen Grad von Spezifizität der Wasser¬ 
mann’schen Reaktion für Lues sieht B. unter anderem darin, dass von 
24 Tumoren des Gehirns und des Rückenmarks Wassermann’sche Reaktion 
im Blute nur viermal positiv war. Den besten Erfolg glaubte B. auf 
Grund der Krankengeschichten bei Tabes (nicht bei Paralyse) und den 
tertiärsyphilitischen Erkrankungen des Nervensystems von einer Kom¬ 
bination von Hg- und mässiger Neosalvarsanbehandlung erwarten zu 
dürfen. 

Hr. Kronfeld: Bei Paralyse hat die Salvarsantherapie (nach 
statistischen Zusammenstellungen der Literatur) nicht annähernd die 
gleichen Erfolge wie andere Therapien (Natr. nuclein., Tuberkulin). Die 
bisherigen Berichte lassen freilich trotz ihrer Zahl keine bindenden 
Schlüsse zu. Einmal sind alle bisherigen Fälle viel zu kurze Zeit be¬ 
obachtet; dem entsprechen sicher zuviele „Erfolgs“fälle. Sodann sind 
Begriffe wie Alt’s „Frühstadium“, ferner „Remission“, „subjektive 
Besserung“ gerade bei Paralyse schwer bestimmbar und auf den Einzel¬ 
fall anwendbar. Endlich fehlen bei den meisten Publikationen syste¬ 
matische und ziffernmässige Angaben über das Verhalten der einzelnen 
Symptome, besonders des neurologischen und Liquorbefundes. Erst 
neuerdings werden diese Statistiken geliefert, und damit nimmt die 
relative Zahl der Erfolgsfälle gegen die ersten Veröffentlichungen sehr 
stark ab. 

Hr. Bettmann (Schlusswort): Durch die Wassermann’sche Reaktion 
wurde die ärztliche Tätigkeit nicht erleichtert, es sind neue Schwierig¬ 
keiten entstanden, neue Anforderungen an die Gewissenhaftigkeit des 
Arztes und eine Menge neuer Fragestellungen. K o 1 b - Heidelberg. 


Medizinische Gesellschaft zu Güttingen. 

Sitzung vom 9. Januar 1913. 

Hr. Henbner: 

Erfahrung and Betraehtug über die Fnnktien des Skelettnnskels. 

Nach des Vortr. Anschauung stellt der Skelettmuskel eine Kombi¬ 
nation zweier kontraktiler Mechanismen dar, und zwar besitzt er die 
elementaren Eigenschaften der einfachen Muskeln, ausserdem aber noch 
eine spezifische, die durch die Querstreifuog bedingt ist und ihn befähigt, 
rasche Zuckungen auszuführen. Letztere überwiegt meist, so dass die 
langsame tonische Zuckung nicht zur Geltung kommt. Dagegen treten 
bei der Veratrixvergiftung die beiden kontraktilen Mechanismen hervor; 
es entsteht eine Doppelzuckung, und zwar eine rasche und eine lang¬ 
same. An der Hand von Kurven demonstriert Vortr. die Abhängigkeit 
der Kurvenform von der Belastung. Bei mehr Belastung wird die 
tonische Kontraktion unterdrückt, bei stärkerer Vergiftung wird die 
steile Kurve kleiner, die tonische grösser, zuletzt bleibt nur die tonische 
Zuckung. Es kann also ein Veratrixmuskel auf einen einfachen Reiz 
eine tonische Zuckung gegen ein Gewicht ausführen, das er bei gleichem 
Reiz in rascher Zuckung überhaupt nicht mehr zu heben vermag. Aus 
dieser Erscheinung schliesst Vortr. auf den Dualismus der Muskelfunktion. 
An der Entstehung des Tetanus ist der langsame Mechanismus be¬ 
teiligt. Beim Herzmuskel zeigt die Druckkurve des Warmblüters einen 
ähnlichen Dualismus. 

Hr. Oehae: Ueber die Wirkungsweise des Histenias. 

Die Erscheinung, dass Hunde mit Eck’scher Fistel durch reichliche 
Eiweissmahlzeit in Intoxikationszustände gebracht werden können, hat 
Vortr. veranlasst, zu untersuchen, ob giftige Eiweissderivate (z. B. Hista¬ 
min, das im Darm gebildet werden kann und in der Darmschleimhaut 
nachzuweisen ist) in der Leber entgiftet werden. Bei mesenterial¬ 
venöser Injektion liegt die letale Dosis von Histamin und einigen anderen 
geprüften Ei weissspaltstücken 2— 3mal höher als bei Applikation in eine 
periphere Vene. Lässt man Histaminlösungen geeigneter Konzentration 
langsam in eine Vene einfliessen, so verschwindet dieser vom Infektions¬ 
orte abhängige Unterschied. Man kann bei langsamer Infusion beliebig 
grosse Giftmengen in das Tier (Kaninchen) einfübren, ohne Vergiftungs¬ 
erscheinungen auszulösen. In dieser Weise vorbehandelte Tiere sind 
gegen rasch injizierte Giftdosen resistenter als nicht vorbehandelte. 
Nach langsamer Histamininjektion ist das Gift zum grössten Teil aus 
dem Blut verschwunden. Im Harn erscheinen nur ganz geringe Mengen. 
Um zu entscheiden, ob das Gift zerstört wird oder nach Art der Potential¬ 
gifte im Sinne der Straub’sehen Definition wirkt, wurden Versuche am 
isolierten Organ vorgenommen (Meerschweinchenuterus). Es ergab sieb: 
Das Gift wird nicht zerstört, nicht gespeichert; es dringt aber in das 
giftempfindliche Organ ein, wobei sich ein Gegengewicht zwischen dem 
Zellinnern und dem umgebenden Medium einstellt. Das Organ ist un¬ 
empfindlich gegen Giftkonzentrationen, mit denen es sich ins Gleich¬ 
gewicht gesetzt hat. Alle Beobachtungen, die zu referieren im einzelnen 
zu weit führen würde, erklären sich am besten durch die Annahme, 
dass das Histamin ein Potentialgift ist; wahrscheinlich ist das Verteilungs¬ 
verhältnis zwischen Medium und giftempfindlicher Zelle bei den ver¬ 
schiedenen Organen ein verschiedenes. (Autoreferat.) 


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17. Mirs 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


521 


Physikalisch-medizinische Gesellschaft zu Wttrzburg, 

Sitzung vom 23. Januar 1913. 

Hr. Pelaae: 

Deaonstratiea sar biologischen Sehwaagerschaftsdiagaose aaeh 
Ahderhaldea. 

Yortr. demonstiert, naoh Besprechung des von Abderhalden an¬ 
gegebenen Dialysierverfahrens, der zugrunde liegenden theoretischen Vor¬ 
stellung sowie der Technik, die Methode, die meistens einwandsfreie 
Resultate liefert, bisweilen aber auch bei Niohtschwangeren positive 
Resultate geben kann. Inwieweit diese Misserfolge in der Schwierigkeit 
der Technik oder in der Unsicherheit des Verfahrens selber begründet 
sind, ist vorderhand schwer entscheidbar. Der praktische Wert der Me¬ 
thode wird jedenfalls durch die vom Autor selbst hervorgehobenen tech¬ 
nischen Schwierigkeiten wesentlich beeinträchtigt. Nach den zahlreichen 
Versuchen kann man diese Reaktion nicht, wie bisher angenommen, als 
eine ausgesprochen „placentare* bezeichnen, da alle fötalen Organe 
drüsiger und nichtdrüsiger Natur ebenso wie Fruchtwasser und fötales 
Serum, mit Schwangerenserum kombiniert, diese Reaktion geben. Dieser 
Umstand ist wichtig, da alle theoretischen Spekulationen, die verschleppte 
Placentarelemente als Quelle dieser Serumreaktion aussprechen, unsicher 
werden. Ebensogut könnten ausgeschiedene Stoffwechselprodukte des 
Fötus, die durch die Placenta hindurchgehen, als Quelle der mütterlichen 
Serumveränderung angesprochen werden. Vortr. hat dann im Anschluss 
an frühere Untersuchungen, in denen er den Nachweis der quantitativen 
und qualitativen Verschiedenheit von fötalem und mütterlichem Blut 
erbrachte, analoge Unterschiede in dem Hämolysierungsvermögen von 
Schwangeren- und Nichtschwangerenserum gegenüber verschiedenem Tier¬ 
blut feststellen können. Das Schwangerenblut ist reicher an Hämolysin 
als z. B. Hammelblut. Zum Schluss bespricht Vortr. noch die blut- 
auflösende Fähigkeit gekochter Placenta, einzelner fötaler Organe (vor 
allem der Lunge) gegenüber menschlichen roten Blutkörperchen (Lipoid¬ 
wirkung?), die ebenfalls Erythrocyten Sohwangerer gegenüber, schon vom 
zweiten Monat an, weit intensiver aufzutreten pflegt als bei Nicht- 
schwangeren, wo das Phänomen völlig fehlt (Agglutination) oder viel 
schwächer zu sein pflegt. 

Hr. AekeraaM: Heber Cystinurie. 

Vortr. berichtet über einen Fall von Cystinurie bei einem jungen 
Manne, der schon seit seiner Kindheit Steinbeschwerden hatte und dem 
bereits ein 48 g schwerer Cystinstein operativ aus dem Becken der einen 
Niere entfernt wurde; auch der Vater des Patienten war steinleidend. 
In der Erwartung, dass man im Harne derartiger Patienten neben den 
öfters darin aufgefundenen Diaminen Cadaverin und Putresin (sogenannte 
DiamiDurie) noch andere Fäulnisbasen, wie man deren durch die Unter¬ 
suchungen Ackermannes jetzt mehrere kennen gelernt hat, werde 
finden können, wurden 80 1 des Cystinharns untersucht, und zwar naoh 
der Harnuntersuchungsmethode von F. Kutsoher, die schon zur Auf¬ 
findung mehrerer, bisher unbekannter Harnbasen höchst interessanter 
Konstitution geführt hatte. Es fanden sich nun keine neuen Fäulnis¬ 
basen (auch Aporrhegmen genannt), aber dafür die a-e-Diaminocapron- 
säure, das sogenannte Lysin. Damit ist im Harn der Cystinuriker neben 
dem bereits bekannten Cystin, Tyrosin und Leucin nun eine vierte 
Aminosäure gefunden. Die Auffindung des Lysins im Cystinharn ist 
auch deswegen von Bedeutung, weil dieses sicher die Muttersubstanz des 
einen Diamins der Diaminurie, nämlich des Cadaverins, ist, das sich 
auf dem Wege des bakteriellen Abbaues durch einfache Kohlensäure¬ 
abspaltung aus dem Lysin zu bilden vermag. Genau wie die Bakterien 
verehrt nun auch der Warmblüter, und man kann mit Bestimmtheit 
aonehmen, dass dieser Weg des Aminosäureabbaues nicht nur bei Cystin¬ 
urie, sondern (vielleicht in beschränkterem Maasse) normaliter einge¬ 
schlagen wird; denn die pathologischen Verhältnisse sind nach Claude 
Bernard nur eine Steigerung physiologischer, so dass dieser Befund 
auch physiologische Bedeutung hat. (Das Nähere bei D. Ackermann 
und F. Kutscher: Ueber das Vorkommen von Lysin im Harn bei 
Cystinurie. Zeitschr. f. Biologie, Bd. 57, S. 355.) 


K. k. Gesellschaft der Amte zu Wien. 

Sitzung vom 7. Februar 1918. 

(Eigener Bericht.) 

Hr. BArdny demonstrierte einen 83jährigen Mann, welche nach 
einem Sturz auf den Hinterkopf beim Zeigeversuch Vorkeizeigea beider 
Arme nach obea als isoliertes Symptom aufgewiesen hat. 

Bei dem Unfall verlor der Kranke das Bewusstsein, er bekam Er- 
brecheu, Kopfschmerzen links, Ohrensausen und Schwindel, ferner zeigte 
er beim Zeige versuch mit beiden Armen nach oben vorbei. Das letztere 
Symptom verschwindet wieder, wenn es isoliert bleibt, was äuch in dem 
vorgestellten Falle, bei welchem es sich um eine* Ladion einer um¬ 
schriebenen Stellt des Kleinhirns gehandelt hat, der Fall war. 

Hr Jekle führte einen Knaben mit orthostatischer Albumiiurie vor. 

Das Kind hat eine starke Lendenlordose; wenn es ein Bein hoch¬ 
bebt, wird die Lordose ausgeglichen, und eine bestehende Albuminurie 
verschwindet nach 10 Minuten vollständig. 

jJIr.^BUai demonstrierte einen 65jährigen Mann mit Blaacaateiaefi; 
Blaaciicsreinoni aad Prostataatrophie. 

Dar Kranke Hät während seines ganden Lebens Blasenbeschkerden 
.gehabt, seit 30 Jahren Katbeterismus, Cystitis und Blasenblutungen. 


Vor 16 und vor 5 Jahren wurden Blasensteine durch Cystotomie ent¬ 
fernt Seit mehreren Jahren machte der Patient Blasenspülungen mit 
Argentum nitricum, vor einem halben Jahre wurde ein Plattenepithel- 
carcinom und eine Schwärzung der ganzen Blase nachgewiesen. Es 
wurde das Neoplasma exzidiert und die geschrumpfte Prostata exstirpiert. 
4 Wochen später konnte der Kranke normal urinieren. 

Hr. Lanber führte einen 6jährigen Knaben mit cyklischer Oculo¬ 
motoriuslähmung vor. 

Wenn der Knabe wach ist, steht der rechte Bulbus in Abduktions¬ 
stellung; in Intervallen von 15 bis 45 Sekunden erweitern sich die 
Pupillen, um sich dann durch einige ruokartige Zuckungen zu kontra¬ 
hieren. Im Schlafe hebt sich zeitweise das paretische Augenlid, so dass 
die Lidspalte ca. 4 mm weit wird. Auf der linken Seite besteht eine 
Oculomotoriusparese, rechts ist der Trigeminus etwas hyperästhetisoh 
und der Abducens vielleicht etwas paretiscb. Wassermann negativ. 

HHr. Kraus und Heins: 

Erfahrung«! nnd Erlebnisse ans dem Balkankriege. 

Herr Kraus wurde nach Bulgarien berufen, um die Bekämpfung 
der Cholera, welche in der Tschadtaltschalinie und in einigen Spitälern 
ausgebroohen war, zu organisieren. Die Reise ging zuerst nach Tschorlu 
und dann nach Kirkkilisse; in letzterer Stadt wurde die Centrale für 
die Aktion eingeriohtet. In dem Infektionsspital in Tschorlu fehlte es 
an Betten, Aerzten und Pflegepersonal, und es lagen Cholerakranke 
unter anderen Patienten. In der Tschadtaltschalinie waren bei der 
3. Armee bis Mitte November gegen 30 000 Erkrankungen, meist an 
Magendarmaffektionen, mit ca. 2000 Todesfällen vorgekommen; in vielen 
Fälleu liess sich in den Fäces der Choloravibrio nachweisen; bei der 
geringen Mortalität ist anzunehmen, dass nioht alle Fälle Cholera waren, 
man muss sie aber doch auf ca. 5000 veranschlagen. Die Ansteckung 
dürfte durch das Trinken von Wasser aus dem Flusse erfolgt sein, in 
welohem Leichen vorgefunden wurden. In den Spitälern kamen sporadische 
Fälle von Cholera vor. Es wurden vorerst 9 bakteriologische Labora¬ 
torien eingerichtet, welche dazu bestimmt waren, in verdächtigen Fällen 
die Diagnose zu stellen, Infektionsspitäler einzurichten, die Isolier¬ 
raaassregeln anzuordnen, für die Desinfektion vorzukehren und für die 
Versorgung der Leichen sowie die Unterbringung der Rekonvaleszenten 
Vorsorge zu treffen. Die Etablierung von Laboratorien ist nicht nur 
in der ersten Linie, sondern auch bei Spitälern notwendig. Die 
weiteren Maassnahmen bestanden in dem Befehl, nur gekochtes 
Wasser zu trinken; dieser wurde von den Soldaten streng befolgt, 
da sie durch einen Eid zur Beobachtung desselben verpflichtet 
worden waren. Es wurde ferner eine strenge Scheidung der Ver¬ 
wundeten, Erkrankten, der Infektionskranken und einer Infektions¬ 
krankheit Verdächtigen schon vom Transport an durcbgeführt, ebenso 
wurden spezielle Infektionsspitäler eingerichtet. Die transportfähigen 
Kranken wurden in Etappenspitäler gebracht, Das Verbot, ungokoohtes 
Wasser zu trinken, wurde auf die ganze Armee ausgedehnt, wodurch 
auch die Bekämpfung des Typhus ermöglicht wurde. Bei der Zivil¬ 
bevölkerung kamen anfangs Dezember einige Cholerafälle vor, es wurde 
daher eine Organisation des Sanitätsdienstes für das okkupierte Land 
geschaffen. Da man mit dem Vorhandensein von Bacillenträgern rechnen 
musste, wurden die ins Spital eingelieferten Verwundeten und später 
auch ganze Truppenteile der Cholerascbutzimpfung unterzogen. In der 
Tschadtaltschalinie erlosch die Cholera Mitte Dezember, gegen Ende Januar 
auch in der ganzen Armee. Bei der Bekämpfung der Cholera und 
Prophylaxe derselben bewährte sich die innerliche Darreichung von Jod¬ 
tinktur dreimal täglich sehr gut Vortr. führt gegenwärtig Versuche 
über die Wirkung dieser Medikation auf die Darmbakterien durch. Es 
wurde erwiesen, dass Choleravibrionen nach einigen Tagen infolge der 
Verabreichung der Jodtinktur aus dem Darme verschwinden. Um die 
Cboleraeinschleppung nach Bulgarien zu verhüten, wurden Quarantäne¬ 
stationen eingerichtet, ferner wird beabsichtigt, die gesamte Bevölkerung 
von Bulgarien der Choleraschutzimpfung zu unterziehen. Da die Ver¬ 
luste durch Seuchen in den meisten Kriegen zwei- bis fünfmal so gross 
sind wie die Verluste duroh Waffen, ist es wichtig, schon im Frieden 
Vorkehrungen für die Bekämpfung der Kriegsseuchen zu treffen, es muss 
für bakteriologische Laboratorien, für hygienisch geschulte Aerzte und 
in der Pflege von Infektionskrankheiten ausgebildetes Pflegepersonal 
sowie für Infektionsspitäler Vorsorge getroffen werden. 

Hr. Heinz hat seine Kriegserfahren gen in dem Spital von Pod- 
goritza in Montenegro gesammelt, welches unter dem Kommando von 
Regimentsarzt Dr. Nürnberger stand. Dieses Feldspital wurde am 
80. Oktober aktiviert. Vortr. beobachtete daselbst nur 140 Verwundete, 
weil es auf dem Kriegsschauplätze nur zu kleinen Gefechten kam. Die 
Verwundeten, welche teils zu Fuss, teils auf den landesüblichen Karren 
ins Spital gelangten, waren hochgradig erschöpft, einen ordnungsmässigen 
Verband gab es in der ersten Linie nicht. Es wurde ein möglichst kon¬ 
servatives Verhalten beobachtet, durch Ruhigstellung der Wunde und 
Umschläge mit essigsaurer Tonerde wurden gute Resultate erzielt. Die 
sanitäre Vorsorge Montenegros war sehr mangelhaft, in den Spitälern 
wurden die Verwundeten von Studenten und selbst von Nichtärzten 
behandelt. Vortr. betont, dass die Wunde nicht mit den Fingern be¬ 
rührt und womöglich in Ruhe gelassen werden soll. In Oesterreich sind 
für die Wundbehandlung detaillierte Vorschriften von der Heeresverwal¬ 
tung für Aerzte bznf/ das Pflegepersonal und die Blflspiertenträger zu- 
sämmengestellt Vortr. beobachtete unter dfp Gewehrschqssverfetaungen 
solche mit dem 2,6<mm-Geschoss mit ovigaler<Spit*e upd Stahlmantel, es 
gab aber auch Gewehrgeschosse aus Blei. Unter den Verwundeten 


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522 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 11. 


fanden sich auch 7 Frauen, was dadurch zu erklären ist, dass der Nach¬ 
transport von Munition zu den Kämpfenden meist von Frauen und 
Kindern durchgeführt wurde. Unter den Verletzungen fanden sich u. a. 
3 Schädelschüsse, 8 Lungenverletzungen, 4 Unterleibsschüsse, 1G Knochen¬ 
schüsse, 3 Gelenkschüsse, fn einem Fall von septischer Infektion wurden 
tetanusäbnliche Krämpfe beobachtet, welche jedoch mit Tetanus nichts 
zu tun hatten. Die Schrapnell- und Granatschüsse sind meist infiziert, 
weil in die Wunde Fetzen von der Kleidung vom Geschoss mit hinein¬ 
gerissen werden; die Entfernung der Gewebsfetzen, Kleiderpartikel ist 
wichtig, dagegen soll nach Geschossen in der Wunde nicht unnötiger¬ 
weise gesucht werden, weil dabei viel gesundes Gewebe zerstört wird. 

Da bei Montenegrinern eine verstümmelnde Operation als entehrend 
gilt, wurden Amputationen immer verweigert. Schwere Verletzungen 
wurden durch indirekte Schüsse hervorgerufen. Als lokaler Shock 
wurden Lähmungen von Extremitäten oder einer von einem Nerven ver¬ 
sorgten Muskelgruppe beobachtet, welche längere Zeit anhielten. Von 
den Verletzungen durch Mantelgeschosse waren 16 pCt. infiziert. Als 
wichtige Erfordernisse des Kriegssanitätsdienstes bezeichnet Vortr. eine 
genügende Anzahl von Aerzten in der vorderen Linie, Vorsorge für 
günstige Transportverhältnisse, und gut eingerichtete Spitäler. H. 


Medizinische Gesellschaft zn Basel. 

Sitzung vom 20. Februar 1913. 

Hr. B 0688 Ü: Medizinisches ans Grönland. 

H. berichtet über die medizinischen Erfahrungen, die er als Arzt 
der schweizerischen Grönlandexpedition 1912 gemacht hat. Bemerkungen 
über den Stamm und Mischung der Eskimo mit den Europäern. Die 
neueren Kolonien an der Ostküste sind von der dänischen Regierung 
zweckentsprechend zur Erhaltung der Rasse eingerichtet (z. B. Ang- 
magsalik), Acrzte auf Kosten der dänischen Regierung, ebenfalls Medi¬ 
kamente, verschiedene kleine Krankenhäuser mit etwa 8 Betten, die 
übrigen werden in ihren Zelten, meistens unter ungünstigen hygienischen 
Verhältnissen, behandelt. Trotz langen Sommers ist Tuberkulose häufig 
(aber ebenfalls langer Winter) und wird durch das gehäufte Zeltleben 
noch mehr verbreitet. Ostgrönland ist in gesundheitlicher Beziehung 
besser, keine Centralisation in Ortschaften, typischec Jagd- und Wander¬ 
leben der Einwohner. Alkoholverbot der dänischen Regierung, vikariierend 
unmässiger Kaffeegenuss (vielleicht in Zusammenhang mit Kajakschwindel). 
Sanitärische Untersuchung der wenigen zu Studienzwecken eingelassenen 
Fremden, deshalb keine Infektions- und venerische Krankheiten. Nur 
jedes Jahr mit Ankunft des ersten Schiffes breitet sich eine Art In- 
fiuenzaepidemie (Frübjahrsepidemie) unter den Eingeborenen aus, welche 
auch die gesunden Expeditionsteilnehmer befiel, die doch jedenfalls die 
Infektionskeime mitgebracht hatten, und die sich an jedem Ort, wo die 
Expedition hin kam, wiederholte. Tuberkulose sehr verbreitet (schon im 
18. Jahrhundert), zeichnet sich aus durch raschen, vorwiegend pneumo¬ 
nischen Verlauf mit geringen lokalen Erscheinungen, häufig sind Hämo- 
physen, andere Formen der Tuberkulose (Knochen usw.) kommen häufig 
vor, kein Lupus. Von Hautkrankheiten nur Ekzem, Impetigo, Furunkulose, 
keine Lepra, keine Gonorrhöe. Alopecie unbekannt. Mongolenfleck 
häufig. Keine Zahncaries, Hernien selten. Eine sichere Lebercirrhose 
bei einem Phthisiker. Eine fragliche Tabes. Scrofulöse Erkrankungen 
der Schleimhäute häufig, keine Rachitis. Relativ häufig Glaukom (Hyper- 
metropie der Grönländer). Wolfer-Basel. 


Aus Pariser medizinischen Gesellschaften. 

Sociötö medicale des höpitaux. 

Sitzung vom 8. November 1912. 

HHr. Menetrier und Legraia beschreiben den seltenen Fall einer 
lobären Pnenmokokkenpnenmonie mit gleichzeitiger Miliartuberkulose 
der Lungen und der übrigen Organe. Auf der Schnittfläche der roten 
Hepatisation waren die tuberkulösen Granulationen der Miliartuberkulose 
sichtbar, welche Tuberkelbacillen enthielten, während im intraalveolären 
Exsudat Pneumokokken nachzuweisen waren. 

Hr. Hirtz zeigt einen Jüngling mit gonorrhoischer Osteoperiostitis 
der Clavicnla. Die Affektion imponierte zuerst für Osteosarkom. Herr 
Hirtz hat schon zwei solche Fälle beobachtet. Der Verlauf des Leidens 
ist gutartig. 

Hr. Gau eher meinte, es könnte sich auch um Lues handeln, und 
verlangte zur Kontrolle die Wassermann’sche Reaktion. 

HHr. Sosn4 und Godlewsky haben eine Menge Gesunde und Herz¬ 
kranke auf ihren Bintdrnek untersucht und gefunden, dass Digital in 
in therapeutischen Dosen, sogar in grossen und fortgesetzten Dosen 
in keiner Weise den Blutdruck beeinflusst. Bei Asystdlie allerdings 
hebt Digitalin den Blutdruck, indem es dem Myocard eine Energie ver¬ 
leiht. Man soll also ja nicht aus Furcht vor der Hypertension vor der 
Digitalinbehandlung zurückschrecken. Wenn man Serienuntersuchungen 
des Blutdrucks bei gesunden Individuen macht, kann man Schwankungen 
des Blutdrucks nachweisen, die bis auf 4—5 cm Hg gehen, ohne dass 
irgendein Medikament eingenommen wird. t 
Diskussion. 

Hr. Le Gendre betobt!, dass es wichtig ist, diese physiologischen 
Blutdruckschwankungen zu kennen, um nicht fä'schlich Hypertension zu 
diagnostizieren. 


Nach Hr. Ribierre ist Hypertension keine Kontraindikation für 
Digitalin. 

Hr. Vaquez hat schon vor Jahren die Hypeitension in vorüber¬ 
gehende, oscillierende und kontinuierliche Formen eingeteilt Die oscil- 
lierende Hypertension ist vielleicht gefährlicher als die kontinuierliche; 
z. B. bei Bleivergiftungen siebt man Hirnblutungen eintreten im Moment, 
wo der Anfall von Hypertension sich entwickelt. 

HHr. Darier und Flaadia haben einen Tet&niskranken mit täg¬ 
lichen intravenösen Injektionen von 70—100 ccm Antitetanusserum 
behandelt. Patient bekam in drei Tagen 242 ccm. Trotz dieser grossen 
Dosen und der frühen Einleitung der Behandlung (19 Stunden nach 
Eintritt des Trismus) starb der Patient am dritten Tag. Sofort nach 
der ersten Injektion verschwanden die Schmerzen, und die Kontraktionen 
wurden geringer, um am zweiten Tag zu verschwinden: das Fieber fiel 
ab. Der Tod trat infolge Respirationsstillstand ein. Immerhin ermutigen 
die guten Wirkungen auf die Schmerzen und Kontrakturen zur weiteren 
Verwendung der Serotherapie. 

Diskussion. 

Hr. Renault hat ein 11 jähriges Mädchen mit schwerem Tetanus- 
mit subcutanen starken Dosen von Antitetanusserum behandelt. In 
fünf Tagen bekam das Kind 260 ccm Serum; die Erscheinungen nahmen 
progressiv ab, nach fünf Tagen konnte die Behandlung ausgesetzt 
werden, und das Kind heilte. Die Injektionen wurden subcutan ge¬ 
macht, weil die Venen zu klein waren. Jedenfalls war die thera¬ 
peutische Wirkung des Serums ausgezeichnet. 

Sitzung vom 15. November 1912. 

Hr. Ribadeaa-Daaias hat bei Säuglingen öfter die Association von 
Laageataberkalose nit Poeimokekkeninfektioa beobachtet. Er be¬ 
schreibt zwei Fälle von eitriger Pneumokokkenpleuritis bei gleichzeitiger 
Lungentuberkulose. 

Nach HHr. Sosad und Godlewsky kann man den Blatdraek durch 
eine einzige Bestimmung im Tag nicht recht beurteilen. Druck- 
Schwankungen findet man nicht nur von einem Tag zum anderen, 
sondern auch am gleichen Tag, und zwar nicht nur bei Hypertension, 
sondern auch bei normalem oder niedrigem Blutdruck. 

Hr. Clere beschreibt einen Fall von Tetanusheil aag dareh Sero 
therapie. Der Tetanus war nach einer Verletzung der Hand eingetreten. 
Die Heilung trat ungefähr nach 12 tägiger Behandlung mit Cbloral und 
Serum (340 ccm) ein. Nach der fünften Injektion zeigten sich Oedeme 
und urticariaartiger Ausschlag. 20 Tage naoh der letzten Injektion kam 
noch ein rubeolaartiger Ausschlag. 

HHr. Legendre, Soltraia und Ldvy - Fraeakel zeigen einen Fall 
von ausgebreitetem XanlhoBi mit sekundären Koloidea. Die Affektion 
begann vor 10 Jahren mit successiven Schüben, ohne Beeinträchtigung 
des Allgemeinbefindens. Auf den Xanthomen der Ellbogen und Vorder¬ 
arme haben sich dicke, schmerzhafte Keloide entwickelt. Die ana¬ 
tomisch-pathologische Untersuchung zeigt die Umwandlung der Xanthi- 
lasmazellen in Fibroblasten. Im Blutserum fand man Hypercholesterin- 
ämie bis 4 und 6 g; Lipämie (40—50 g) und 3—4 g Lecithin. Im 
Harn weder Pigmente, noch Zucker, Eiweiss oder Fette. 

Diskussion. 

Hr. Chauffard sah in einem ähnlichen Fall bei der geringsten 
Hautverletzung eine Xanthombildung, in der man die Umwandlung der 
Xanthilasmazellen in Fibroblasten nachweisen konnte. 

Ein Fall von Hr. Siredey wurde erst als spontanes Keloid auf¬ 
gefasst, erst nachher fand man durch histologische Untersuchung, dass 
es sich um Xanthom handle. An der Biopsiestelle entwickelte sich ein 
enormes Keloid. 

HHr. Achard und Desboais haben sehr frühzeitige akate syphi¬ 
litische Meningitis beobachtet. Die jugendliche Patientin hatte alle 
Zeichen akuter Meningitis, starke Lymphocytose der Cerebrospinal¬ 
flüssigkeit, aber kein Fieber. Inguinaldrüsen lenkten die Aufmerksamkeit 
auf die Genitalien, und man konnte erfahren, dass vorher an den grossen 
Labien eine Verhärtung bestanden hatte. Wassermann mit dem Liquor 
erst schwach, nach einigen Tagen stark positiv. Die Meningitis war also 
eingetreten, während sich der positive Wassermann bildete. 

Behandlung: intravenös Hg-Cyanur, nachher HgBijodur. Die 
meningitischen Erscheinungen gingen rasch zurück, die Lymphocytose 
blieb bestehen. Nach 2 monatiger Unterbrechung der Behandlung kam 
Patientin, 7 Monate nach dem Initialaffekt, mit Roseola und papulo- 
squamösen Syphiliden und Plaques muqueuses, also durch die Hg-Be- 
handlung verspäteten Sekuodärerscheinungen. Die meningeale Reaktion 
bestand noch. Injektionen von Neosalvarsan brachten diese bedeutend 
zurück und heilten die sekundären Erscheinungen. Die syphilitische 
Meningitis war also merkwürdig frühzeitig in diesem Fall, was auf die 
Wichtigkeit der Wassermann’schen Reaktion bei gewissen Meningitis¬ 
formen hin weist. 

'* 1 Diskussion. ^ 

Hr. Janselme hat zwei Fälle sekundärer syphilitischer Meningitis 
beobachtet. Im ersten, sehr akuten Fall zeigte die Lumbalpunktion sehr 
starken Eiweissgehalt des Liquors und reichliche Zellelemente, namentlich 
Lymphocyten. Wassermann mit dem Liquor positiv, nur schwach mit 
d,em Serum. Die Erscheinungen gehen nach zwei SalvarsaniDjektionen 
zurück (0,20 und 0,40 innerhalb 3 Tagen). Die Lymphocytose geht auT 
90 Zellelemente zurück, aber, der Liquof tyleibt sehp.eiweisshaltjg und 
Wassermann stark positiv. Patientin starb an Gesichtsrose. Iu r einem 
zweiten subakuten Fall brachte eine Salvarsaninjektion die Aphalie so- 


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UNIVERSUM OF IOWA 




17. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


523 


fort zum Schwinden, während die Lymphocytose nur langsam abnahm. 
Der Wassermann, mit Liquor gemacht, war negativ, was bei schwachen 
meningealen Reaktionen die Regel zu sein scheint, während er bei 
starker Reaktion, wie im ersten Fall, positiv ausfällt. 

Sitzung vom 22. November 1912. 

Hr. Lereboüllet berichtet über einen Fall, von geheilter tuber¬ 
kulöser Pneumonie. Der Patient, scheinbar ganz gesund, bekam 
plötzlich alle Zeichen der käsigen Pneumonie mit starker Abmagerung 
und stark bacillenhaltigem Auswurf. Gegen alles Erwarten erholte sich 
Patient nach einem neuen pneumonisohen Nachschub, nahm 40 kg zu 
und ist nun nach 3 Jahren ganz wohl. Er wurde nur hygienisch¬ 
diätetisch behandelt. 

Hr. March Labbö beschreibt einen Fall von Careinom des Pankreas- 
kirpers, der trotz genauer Beobachtung nach den Angaben Ohauffard’s 
nicht diagnostiziert wurde. Patient wurde progressiv kachektisch und 
hatte starke Schmerzen. Man fühlte keinen Tumor, es bestanden keine 
Zeichen von Pankreasinsufficienz, und nur vorübergehende Glykosurie. 
Bei der Obduktion fand man einen grossen Pankreastumor mit ähnlichen 
Herden der Leber. 

HHr. Lemierre und Soltrain bringen die Krankengeschichte eines 
Patienten, der nach akuter Otitis eitrige Typhusmeningitis bekam. 
Plötzlich traten nach heftigen Schmerzen im linken Ohr mit serösem 
Ausfluss schwere meningitische Erscheinungen auf. Das Fehlen jeglichen 
Prodroms, das Ueberwiegen der meningitischen Erscheinungen, Kopf¬ 
schmerz, Kontraktionen, Erbrechen, Delirien, über die allgemeinen In¬ 
fektionssymptome, Milztumor, Durchfall Hessen die Idee, es liege Typhus 
vor, nicht aufkommen. Die bakteriologischen Untersuchungen des Liquors 
und des Blutes zeigten Typhusbaeillen und erlaubten die richtige 
Diagnose. Patient starb am siebenten Tage. Die Obduktion zeigte 
eitrige Meningitis und Schwellung der Peyer’schen Follikel. 

HHr. G. Guillain und A. Baumgartner beschreiben einen meningi- 
tiicfeca Zustand mit comatösem Beginn. Der 18jährige Patient, vorher 
gesund, wurde in comatösem Zustand gefunden und ins Hospital ge¬ 
führt: Man konstatiert Hyperextension des Kopfes, Kernig, Hyper¬ 
ästhesie, vasomotorische Streifen, unregelmässige Respiration, Temperatur 
38,2. Bei der Punktion: Liquor unter starkem Druck stark eiweisshaltig, 
leicht gelblich, mit roten ßlutkörpern, polynucleären Zellen, zahlreichen 
mononucleären, ohne Bakterien. Zu. den obigen Symptomen kamen 
Agitation und Delirien, die 3 Tage anhielten und dann langsam ver¬ 
schwanden. Nach 8 Tagen war Patient normal, ausser etwas Lympho- 
cytose des Liquors, und nach 14 Tagen wurde er geheilt entlassen. 
Der comatöse Zustand und die Aufregungszustände Hessen eine schlechte 
Prognose stellen; man soll daher auch bei schweren meningitischen 
Erscheinungen vorsichtig sein mit der Prognose, wenn der Liquor 
aseptisch ist. 

Diskussion. 

Hr. Barie sah einen solchen Zustand, der Meningitis tuberculosa 
vor täuschte. Die 30 jährige Patientin wurde im Coma ins Hospital ge¬ 
bracht, hatte hohes Fieber, rechtsseitige Parese, Babinski, verstärkte 
Reflexe und meningitische Erscheinungen, Nackenstarre, Kernig. Bei 
Lumbalpunktion klarer Liquor, unter erhöhtem Druck nicht eiweiss¬ 
haltig, massige Lymphocytose, keine Bakterien, keine Tuberkelbacillen. 
Man dachte an tuberkulöse Meningitis, und doch besserte sich der Zu¬ 
stand nach 4 Tagen, und nach 3 Wochen wurde Patient geheilt ent¬ 
lassen. 

Sitzung vom 30. November 1912. 

Ihr. Comby beschreibt zwei Fälle von Meningismus bei Kindern, wie 
man ihn zurzeit viel beobachtet. 

Ein 6 jähriger Knabe zeigte plötzlich meningitische Symptome. Die 
Lumbalpunktion ergab klaren Liquor mit deutlicher Lymphocytose. Das 
Kind heilte, hatte aber 6 Wochen lang funktionelle Schwäche der 
unteren Extremitäten. Ein 7 jähriges Kind hatte die gleichen Symptome, 
ebenfalls mit Lymphocytose des Liquor. Dazu kamen heftige Schmerzen 
in den Beinen, und ein Aufregungszustand; ferner funktionelle Schwäche 
der unteren Extremitäten, leichte infantile Paralyse. In beiden Fällen 
war die Heilung vollständig; in beiden Fällen waren die Erscheinungen 
plötzlich aufgetreten. Herr Comby glaubt, es handelt sich um die 
meningitische Form der epidemischen akuten Poliomyelitis. 

Diskussion. Hr. Nobecourt hat im vergangenen Sommer einige 
ähnliche Fälle beobachtet. Immer war der Liquor steril. Einmal be¬ 
standen Gelenksergüsse der Kniee, so dass man an Rheumatismus dachte. 
Herr Nobecourt glaubt auch, dass diese Fälle zur akuten Poliomyelitis 
zu zählen sind, welcher meningitische Erscheinungen vorausgehen, oder 
in deren Verlauf solche Erscheinungen auftreten. In anderen Fällen 
kann die ganze Krankheit sich auf die meningitischen Symptome be¬ 
schränken. 

Hr. Milian sucht die Chorea Sydenhami in den Kreis der syphiliti¬ 
schen Affektionen zu ziehen. Er stützt sich auf 15 Fälle, die er in 
bezug auf Wassermann’sohe Reaktion, Nachweis dystrophischer Stigmata, 
Untersuchung auf Lues bei den Patienten und den Eltern, genau unter¬ 
sucht hat. Von den 15 Patienten waren 11 sichere Heredosyphilitiker. 
Zweimal war Lues wahrscheinlich, zweimal zweifelhaft. Keiner de£ 
)5 Patieüten batte je an Rheumatismus gelitten. Die Arsenikbehana- 
lung[ die die Syphilis so günstig beeinflusst, hat auch zweifellos günstigen 
Einfluss auf die Chorea. Diewassermann’sche Reaktion war bei acht 
Patienten von 13 positiv. Es ist dies ein starker Prozentsatz,“ wenn man 


bedenkt, dass bei dystrophischer Heredosyphilis Wassermann oft negativ 
ausfällt. Die Behandlung kann den Wassermann positiv machen, was 
bei den zuerst negativen Fällen auch geschah. 

Diskussion. 

Hr. Comby kann sich dieser Auffassung der syphilitischen Natur 
der Chorea nicht anschliessen. Es ist eine Einwirkungskrankheit, die 
man vorzugsweise bei Mädchen findet. Die häufige gleichzeitige Endo- 
carditis deutet auf die rheumatische Natur der Affektion. Es ist sicher 
eine Infektionskrankheit, die im Verlauf verschiedener Infektionen auf- 
tritt: Rheumatismus, Influenza, Scharlach, Enteritis, Rbinopharyngitis usw. 
Sie tritt immer infolge einer akuten Infektion auf. Herr Comby fand 
bei Choreakranken nicht häufiger Heredosyphilis als bei anderen Kindern. 
Die therapeutische Wirkung des Arseniks ist kein Beweis für die syphili¬ 
tische Natur. 

Vom Standpunkt der Neurologen aus betrachtet, ist für Herrn 
Guillain die Chorea eine organische Krankheit des Nervensystems, 
die keineswegs mit Nervensyphilis Analogien hat. Bei Chorea zeigt der 
Liquor keine Reaktion, während diese sonst bei Syphilis konstant ist; 
das Symptom Argyll-Robertsan ist bei Chorea unbekannt. Bei tödlichen 
Fällen der Chorea findet man keine arteriellen, meningitischen oder 
corticalen Veränderungen wie bei hereditärer Lues der Nervencentren. 
Ausserdem fehlen die nichtnervösen Erscheinungen der Chorea, Fieber, 
Gelenkentzündungen, Endocarditis, bei Lues. Auch Herr Guillain hat 
bei Chorea nicht besonders häufig Zeichen von Heredosyphilis beob¬ 
achtet. Die Quecksilberbehandlung der Chorea ist ganz erfolglos; Arsenik 
kann heilen, aber auch nicht immer, und viele Fälle heilen ohne 
Arsenik. 

Auch Hr. Nobecourt verzeichnet bei Choreakranken nicht häufiger 
heredosyphilitische Zeichen als bei anderen Kindern. Er fand oft 
negativen Wassermann, während dieser bei Heredosyphilitischen mit 
Nervenveränderungen meist positiv ist Rheumatismus ist häufig bei 
Beginn der Chorea, aber man muss die abortiven Formen des Rheuma¬ 
tismus bei Kindern kennen; übrigens ist die Endocarditis der Chorea 
deijenigen des Rheumatismus gleich. Die Salvarsanbehandlung einer 
Patientin konnte wegen starker Reaktion nicht weiter geführt werden. 
Salvarsanclysmen ä 0,10 wirkten unsicher. 

Hr. Claude glaubt, dass ein der Chorea’ ähnlicher Symptomen 
komplex durch Lues bedingt werden kann. Für alle seine Choreafälle 
sind syphilitische Antecedentien nicht nachzuweisen; oftwurde Tuberkulose 
notiert, ohne dass man diese mit Chorea in ein causales Verhältnis zog. 
Bei mehreren tödlichen Choreafällen waren keine Veränderungen der 
Meningoencephalitis nachweisbar. 

Hr. Cronzan hat bei 20 Choreafällen keine syphilitischen Ante¬ 
cedentien gefunden. Achtmal wurde der Wassermann gemacht Acht¬ 
mal war er negativ. 

Hr. Milian verlangt weitere, genauere Untersuchung aller Chorea¬ 
fälle; so werde man einsehen, dass oft die Chorea syphilitischen 
Ursprungs ist. 


Aus der II. medizinischen Universitätsklinik der Königl. 
Charite (Direktor: Geheimrat F. Kraus). 

Ueber chemische Einwirkungen des Thorium X 
auf organische Substanzen, besonders auf die 
Harnsäure. 

Von 

J. Plesch. 

In Nr. 52, 1912, dieser Wochenschrift haben Falta und Zehner 
unter diesem Titel Versuche publiziert, mit welchen sie den Einfluss des 
Thorium X auf organische Substanzen, besonders auf die Harnsäure, be¬ 
weisen wollten. Ich habe die Autoren in Nr. 4, 1913, dieser Wochen¬ 
schrift aufgefordert, ihre Versuche anders zu deuten, indem ich darauf 
hin wies, dass alle von Falta und Zehner angeführten Versuche mit 
H 2 0 2 oder Os ausgeführt werden können, und so lange sie nicht bei 
ihren Versuchen das durch die Radioaktivität sich bildende H 2 0 2 und 0 8 
ausschliessen, ich die angeführten Versuche nicht als eine spezifische 
Thoriumwirkung anerkennen kann. Darauf haben nun Falta und 
Zehner in Nr. 9 dieser Wochenschrift geantwortet, in welcher sie meine 
„Anregung zwar für überflüssig halten, aber doch jetzt (nachträg¬ 
lich! D. V.) den Gedanken für sehr naheliegend finden, dass 
bei den von ihnen beschriebenen Wirkungen des Thorium X 
die Bildung von Ozon oder eventuell auch von Wasserstoff¬ 
superoxyd, eine gewisse Rolle spielt 1 ). 1 * Wenn ich ihnen diesen 
Gedanken nahegelegt habe, so habe ioh das, was ich mit meiner Auf¬ 
forderung bezweckt habe, auch vollkommen erzielt, weil mit 
diesem Bekenntnis auch alles, was sie behauptet haben, 
fällt, denn Falta und Zehner haben den Einfluss des H 2 0 2 und 0 8 
in ihren Versuchen nicht ausgeschlossen. Danach hätten sich meines 
Erachtens nach die Autoren nichts vergeben, wenn sie meine Worte ohne 
weiteres beherzigt und sich die vielen nicht zutreffenden Worte um die Sache 
herum erspart hätten. Statt dessen haben sie ihren Irrtum zu verhüllen 
gesucht und durch persönliche Bemerkungen« den {Sachlichen Bodep ver- 

1) Im Original nicht gesperrt gedruckt. 


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524 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 11. 


lassen. Falta und Zehner führen drei Gründe an, weshalb sie den 
Einfluss des H 2 0 2 und 0 8 bei ihren Reaktionen nicht in Betracht ge¬ 
zogen haben bzw. unerwähnt Messen: 1. weil sie mit Wiener Kapazitäten 
gesprochen haben, 2. weil die „Verhältnisse durchaus nicht so einfach 
sind, wie ich es mir vorstelle“ (??) und 3. „weil sie für die medizinische 
Seite der Frage vollständig belanglos sind“, lieber die ersten beiden 
Argumente brauche ich kein Wort zu verlieren. Ueber das dritte Argu¬ 
ment nur wenige Worte. Wenn die Autoren nur die medizinische Seite 
der von ihnen behandelten Frage in Betracht ziehen wollten, dann hätten 
sie sich die ganze Publikation sparen können, denn für die medizinische 
Seite ist es höchst belanglos, ob Cochenille ihre Farbe verändert, 
Resorcin eine gelbe Farbe bekommt, und am allergleichgültigsten ist es, 
ob im Reagenzglas y 4 g Harnsäure in 5 ccm Flüssigkeit mit 5000 es. E. 
versetzt, gelöst wird. Medizinisch belanglos wäre die letzte Frage 
sogar dann, wenn die Lösung der Harnsäure auch ohne den Einfluss von 
0 8 und H 2 0 2 zustande käme. Würden wir nämlich aus diesem Versuch 
die nötige Thorium X-Aktivität berechnen, den ein 70 kg schwerer 
Mensch gebrauchen würde, um nur V« g seiner abgelagerten Harnsäure 
zu lösen, müsste er 70 000 es. E. einverleibt bekommen, was in An¬ 
betracht dessen, dass 5000 es. E. tödlich sind, doch ausser den Rahmen 
der medizinischen Verwendung fallt. Da aber die Gichtiker doch viel 
mehr Harnsäure als V« g haben und die Einwirkungsdauer des Thorium X 
im lebenden Organismus nicht so ungestört ist und so lange anhalten 
könnte wie im Reagensglas, so müsste diese Dosis noch weiter multipli¬ 
ziert werden, und diese Zahl könnte so ins Unendliche wachsen. Wenn mich 
also diese Argumente nicht befriedigen, so kann mir das keiner übelnehmen. 

Genau so unbefriedigt haben mich die sachlichen Argumente ge¬ 
lassen, die Falta und Zehner anführen. Zunächst bezichtigen sie 
mich eines ungenauen Lesens ihres Artikels, da ich den Versuch un¬ 
erwähnt liess, bei denen die Thorium X-Lösungen in zugeschmolzenen 
Phiolen in die Farbstofflösungen gebracht wurden und der Effekt 
qualitativ derselbe, quantitativ geringer war. Das Kontrollröhrchen mit 
derselben Farbstofflösung blieb unverändert. Nichts beweist besser als 
das Heranzieben dieses Versuches, dass die Verfasser an den Einfluss 
des sich bildenden 0 8 bzw. H 2 0 2 nicht gedacht haben, sonst hätten sie 
zur Kontrolle auch H 2 0 2 zugesetzt, und nur so hätte dieser Versuch 
eine gewisse Bedeutung! Dies haben aber die Verfasser vergessen, und 
es klingt deshalb merkwürdig, wenn sie in ihrer Erwiderung sagen: 
„Jeder 1 )» der sich mit dem Studium radioaktiver Substanzen beschäftigt, 
weiss, dass in der Umgebung stark radioaktiver Körper die Luft ozonisiert 
wird.“ Noch merkwürdiger erscheint mir, wenn sie trotz dieser Selbst¬ 
verständlichkeit der Ozonbildung keine Reaktion des 0 8 selbst bei kon¬ 
zentrierten Thorium X-Lösungen finden konnten. Da die Autoren, meine 
bisherigen „Anregungen“ schon für überflüssig hielten, so muss ich mir 
es leider versagen, auf die Einzelheiten und Schwierigkeiten des Nach¬ 
weises des H 2 0 2 und 0 8 einzugehen. Von allgemeiner Bedeutung ist 
aber die These, dass Falta und Zehner in den beschriebenen Re¬ 
aktionen im Gegensatz zum Radium eine spezifische Thorium X-Wirkung 
erblicken. Darauf erlaube ich mir zu bemerken, dass Mesernitzky 
mit Radiumsalzen von einer Aktivität von 150 000 es. E. ebenfalls eine 
bessere Löslichkeit der Harnsäure erzielen konnte, wobei aber auch das 
gebildete H 2 0 2 und 0 8 seinen Einfluss ausüben konnte. 

Noch einen Satz der Falta-Zehn ergehen Erwiderung will ich an- 
fübren: „Denn es ist absolut nicht einzusehen, warum diese Strahlen¬ 
wirkungen eventuell auch dann, wenn sie durch Bildung von Ozon oder 
Wasserstoffsuperoxyd vermittelt wurden, nicht ebenso wie im Reagens¬ 
glas auch im Organismus vor sich geben sollen, da hier dieselben Be¬ 
dingungen vorhanden sind.“ Wenn im Organismus dieselben Bedingungen 
vorhanden sind wie im Reagensglas, dann wäre die Gichttherapie sehr 
einfach, denn wir brauchten nicht auf dem Umwege der radioaktiven 
Substanz die Gicht zu heilen suchen, sondern könnten in beliebiger 
Weise durch Einspritzen von Wasserstoffsuperoxyd dies sehr leicht er¬ 
reichen. Ich muss die Herren Falta und Zehner um Entschuldigung 
bitten, wenn ich sie wieder „anzuregen“ gezwungen bin und sie darauf 
aufmerksam machen muss, dass das H 2 0 2 durch die Katalasewirkung des 
Blutes und der übrigen Gewebe sofort zerstört wird, was Herrn Falta 
und Zehner ihre autoritativen Gewährsmänner gewiss nicht zu be¬ 
stätigen verfehlen werden. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. In ihrer Sitzung vom 13. d. M. hat die Stadtverordneten¬ 
versammlung die Wahl des Stadtmedizinalrats vollzogen; sie ist, 
wie nach den letzten Nachrichten zu erwarten stand, auf den Geheimen 
Regierungsrat Dr. H. Weber, Direktor im Reicb9gesundbeitsamt, ge¬ 
fallen. Die hervorragenden Leistungen Weber’s auf hygienischem und 
bakteriologischem Gebiete, weiter auch der bedeutsame Anteil, den er 
an der Organisation der Dresdener Hygieneausstellung genommen hat, 
berechtigen zu der Erwartung, dass durch ihn der schwierige und ver¬ 
antwortungsvolle Posten in würdiger Weise ausgefüllt werden wird. 

— In der Sitzung der Berliner medizinischen Gesellschaft 
vom 12. März demonstrierte vor der Tagesordnung Herr Morgen- 

1) hn Original nicht gesperrt gedruckt. 


roth: Hämolytische Versuche über Gewebs- und Tumoreceptoren. 
Hierauf fand der Schluss der Diskussion über den Vortrag des Herrn 
Orth: Ueber die Bedeutung der Rinderbacillen für den Manschen, statt, 
an derselben beteiligten sich die Herren Eckert, F. Klemperer, 
Auerbach, Weber, Westenhöfer, Orth. Alsdann hielt Herr E. Saul 
den Schluss seines Vortrages: Beziehungen der Helminthen und Acari 
zur Gesohwulstätiologie. 

— In der am 13. März unter Vorsitz des Herrn Fritz Strassmann 
tagenden Sitzung der Hufelandischen Gesellschaft berichtete Herr 
Dorendorf über vier Fälle von linksseitiger Recurrenslähmung bei 
Mitralstenose (Diskussion: die Herren Killian, Zinn). Herr Finkei¬ 
stein demonstrierte einen Fall von Thymushypertrophie (Diskussion: 
die Herren Hirschfeld, Dorendorf, Benda, Fr. Strassmann). 
Herr Fr. Strassmann sprach über Sublimat- und Lysol Vergiftung 
sowie über die Form der Knochenschusswunden (Diskussion: die Herren 
Leibholz, Lehr). Herr P. Fränkel brachte pathologisch-anatomisches 
Material betreffs der spontanen Aortenruptur bei (Diskussion: Herr 
Benda). Herr L. Bürger demonstrierte den Wert der farbigen Photo¬ 
graphie in der gerichtlichen Medizin. 

— Die II. Preussisohe Landeskonferenz für Säuglings¬ 
schutz findet am Mittwoch, den 26. März, vormittags 11 Vs Uhr, im 
Plenaroitzungssaale des Preussischen Herrenhauses, Berlin, Leipziger 
Strasse 3, statt. Folgende Tagesordnung ist festgesetzt: I. Der Wert 
der Stillbeihilfen (Stillunterstützungen, Stillprämieu) als Mittel zur 
Förderung des Stillens. 1. Die Entwicklung und der gegenwärtige Stand 
der Stillbeihilfen (Stillunterstützungen, Stillprämien) in Preussen (Referent: 
Oberarzt Dr. Rott-Berlin). 2. Die ärztlichen Forderungen zur Organi¬ 
sation der Stillbeihilfen auf Grund der bisherigen Ergebnisse (Referent: 
Prof. Dr. Thiem ich -Magdeburg). 8. Die Durchführung der Organisation 
der Still beihilfen in der Gemeinde (Referent: Stadtrat Paul-Magdeburg). 
II. Die Organisation der Kleinkinderfürsorge. 1. Die ärzlichen Forderungen 
für die Organisation der Kleinkinderfürsorge (Referent: Primararzt Dr. 
Freund-Breslau). 2. Die Durchführung der Organisation der Klein¬ 
kinderfürsorge in der Gemeinde (Referent: Stadtrat Dr. Gottstein- 
Charlottenburg). 

— Der 34. Baineologenkongress (Balneologische Sektion des 
IV. internationalen Kongresses für Physiotherapie) tagt vom 26. bis 
81. März 1918 in Berlin. Die Sitzungen — auch die Generalversamm¬ 
lung am Mittwoch, den 26. März 1813, abends 6 Uhr — finden statt im 
Hörsaale des Geheimrats Orth in der Charite. Auch am Sonntag vormittag 
wird eine Sitzung abgehalten werden. Es sind über 80 Vorträge angemeldet 

— Herr Dr. Curt Pariser-Bad Homburg v. d. H. ersucht uns um 
Aufnahme folgender Erklärung: „Von einer Auslandsreise zurückgekehrt, 
erfahre ich, dass in den letzten Wochen in der Anpreisung eines neuen 
Heilmittels in Tageszeitungen das Attest einer Pflegeschwester abgedruckt 
wird und dem Namen der Schwester der Name meines Sanatoriums in 
irreführender und durchaus missbräuchlicher Weise hinzugefügt ist, wo¬ 
gegen ich hiermit aufs schärfste und nachdrücklichste Einspruch erhebe. 
Ich habe das betreffende Präparat weder je angewandt noch empfohlen, 
noch kannte ich bisher überhaupt seinen Namen.“ 
Hochschulnaohrichten. 

Berlin. Geheimrat Heubner wurde durch Verleihung des Roten 
Adlerorden9 2. Klasse mit Eichenlaub ausgezeichnet. — Giessen. 
Habilitiert für Physiologie: Dr. Sülze. — Göttin gen. Habilitiert: 
DDr. Oehme (innere Medizin) und Ebb ecke (Physiologie). — Cöln. 
Der Dozent an der Akademie für praktische Medizin, Dr. Meder, erhielt 
den Titel Professor. — Marburg. Habilitiert: DDr. Kiratein (Frauen¬ 
heilkunde) und Kleinschmidt (Kinderheilkunde). — Erlangen. 
Habilitiert: Dr. Lobbenhofer für Chirurgie. — München. Habilitiert: 
Dr. Ach für Chirurgie. — Prag. ao. Professor der Histologie und 
Embryologie an der tschechischen Fakultät, Srdinko, wurde zum ordent¬ 
lichen Professor ernannt. — Zürich. Habilitiert: Dr. Ti b che für 
Dermatologie. 


Amtliche Mitteilungen. 

Personalien. 

Auszeichnungen: Königl. Krone zum Roten Adler-Orden 2. Kl.: 
ordentl. Professor, Geh. Med.-Rat Dr. E. Bumm in Berlin. 

Roter Adler-Orden 2. Kl. mit Eichenlaub: ordentl. Professor, 
Geh. Med.-Rat Dr. 0. Heubner in Berlin. 

Königl. Kronen-Orden 3. Kl: Geh. San.-Rat Dr. F. Hoeber in Bad 
Homburg v. d. H. 

Niederlassungen: Dr. F. Danziger in Berlin, Dr. L. Adler in 
Berlin-Schöneberg. 

Verzogen: Dr. A. Lorenz von Berlin nach Duisburg, Dr. E. Glom- 
bitza von Berlin nach Hamburg, Dr. J. Thissen von Berlin nach 
Neukölln. » 

Verzogen ohne Aagabe des neuen Wohnortes*"Dr. A. Dopple 
yon Danzig, Dr. H. Beutnagel, Dr. B. Latz, Dr. J. Heinemann 
und Arzt E. Schlesinger von Berlin. 

Gestorben: Kreisarzt, Geh. Med.-Rat Dr. 0. Horn in Löwenberg i. Schl., 
Dr. E. Cohn in Berlin. 


Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hanl Sohn, Berte W, Bayreuther 8trasae ^3- 


' Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4. 


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Dl« Barliner Klinische Wochenschrift erscheint Jeden 
Monts« in Nummern Ton ea. 5—6 Bogen gr. 4. — 
Preis vierteljährlich 6 Mark. Bestellungen nehmen 
■Ile Bnehhandlungen nnd Posunsuiten an. 


BEßLINEß 


Alle Einsendungen für die Redaktion nnd Expedition 
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung 
Aogust Hirsehwald in Berlin NW., Unter den Linden 
No. 68, adressieren. 


KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Organ für praktische Aerzte. 

Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 

Redaktion: Expedition: 

Gth. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posner und Dr. Hans Kohn. Angost Hirsehwald, Verlagsbnchhandlmg in Berlin. 


Montag, den 24. März 1913. M 12 . 


Fünfzigster Jahrgang. 


INHALT. 


Originalton : Rubino: Behandlung der Basedowschen Krankheit. S. 525. 
Bo thmann: Gegenwart und Zukunft der Rückenmarkschirurgie. 
S. 528. 

Weber: Ueher die Bedeutung der Rinderbacillen für den Menschen. 
S. 588. 

Hertzell: Die Stauungsreaktion bei Arteriosklerose. (Aus der 
klinischen Abteilung der hydrotherapeutischen Universitäts- 
Anstalt zu Berlin.) (Illustr.) S. 585. 

Tobias: Ueher die praktische Bedeutung der Hochfrequenz¬ 
behandlung (d’Arsonvalisation) — insbesondere hei inneren und 
Nervenkrankheiten. (Aus Dr. E. Tobias’ Institut für physikalische 
Heilmethoden und der Poliklinik für Nervenkrankheiten von 
Dr. K. Mendel und Dr. W. Alexander in Berlin.) S. 538. 
Lewin: Die Wirkung von Schwermetallen auf die bösartigen Tier¬ 
geschwülste. (Aus dem Institut für Krebsforschung der König¬ 
lichen Charit A) S. 541. 

Rindfleisch: Status thymolymphaticus und Salsvarsan. (Aus dem 
städtischen Luisenhospital zu Dortmund.) S. 542. 

Schippers und de Lange: Zur Bedeutung der Döhle’scben Zell¬ 
einschlüsse. (Aus dem Emma-Kinderkrankenhause zu Amsterdam.) 
S. 544. 

Bongartz: Sind die Einschlüsse in den polynucleären Leukocyten 
hei Scharlach als pathognomonisch anzusprechen? S. 544. 
Bunde: Ueher einen Fall von medianer Halsfistel. (Aus der chir¬ 
urgischen Abteilung des städtischen Krankenhauses zu Potsdam.) 
S. 545. 

Kreihich: Färbung der marklosen Hautnerven beim Menschen. 
(Aus der deutschen dermatologischen Klinik in Prag.) (Illustr.) 
S. 546. 

Adler: Zur. Chirurgie der Gallenblase. (Illustr.) S. 547. 

Hu epp e: Sport und Reizmittel. (Schluss.) S. 549. 


Bfieherbespreclinngen : Immelmann: Das Röntgenverfahren hei Er¬ 
krankungen der Harnorgane. S. 522. (Ref. Posner.) — Schmidt: 
Kompendium der Röntgentherapie. S. 552. (Ref. Zehden.) — 
Fisoher-Düokelmann: Die Frau als Hausärztin. S. 552. (Ref. 
Melchior.) 

Literatur-Anszfige: Physiologie. S. 554. — Pharmakologie. S. 554. — 
Therapie. S. 554. — Allgemeine Pathologie und pathologische 
Anatomie. S. 554. — Parasitenkunde und Serologie. S. 555. — 
Innere Medizin. S. 556. — Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 
S. 557. — Kinderheilkunde. S. 558. — Chirurgie. S. 558. — 
Röntgenologie. S. 559. — Urologie. S. 559. — Haut- und Geschlechts¬ 
krankheiten. S. 559. — Geburtshilfe und Gynäkologie. S. 560. — 
Augenheilkunde. S. 560. — Hygiene und Sanitätswesen. S. 560. 

Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften: Berliner medizinische 
Gesellschaft. Morgenroth: Hämolytische Versuche. S. 561. 
Wahl des Ausschusses. S. 561. Schluss der Diskussion über den 
Vortrag des Herrn Orth: Ueber die Bedeutung der Rinderbacillen 
für den Menschen. S. 561. Saul: Beziehungen der Helminthen und 
Acari zur Geschwulstätiologie. S. 564. — Hufelandische Gesell¬ 
schaft. S. 564. — Berliner otologische Gesellschaft. S. 565. 
— Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde zu 
Berlin. S. 566. — Verein der Aerzte Wiesbadens. S. 566. — 
Verein für wissenschaftliche Heilkunde zu Königsberg 
i. Pr. S. 567. — Gesellschaft für Morphologie und Physio¬ 
logie zu Münohen. S. 568. — Medizinische Gesellschaft zu 
Göttingen. S. 568. — Aerztlicher Verein zu Frankfurt a. M. 
S. 569. — K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. S. 569. — 
Gesellschaft für innere Medizin und Kinderheilkunde zu 
Wien. S. 570. — Verein deutscher Aerzte zu Prag. S. 570. 

Armit: Londoner Brief. S. 570. 

Tagesgeschiohtl. Notizen. S.572. — Amtl. Mitteilungen. S.572. 


Behandlung der Basedowschen Krankheit. 

Klinische Betrachtungen. 

Von 

Prof. Dr. Alfredo Rubino -Neapel. 


Die Behandlung der Basedowschen Krankheit ist eine der¬ 
jenigen Fragen, welche seit langer Zeit diskutiert werden, ohne 
dass man behaupten kann, dass eine Uebereinstimmung über die 
Hanptprinzipien, von denen man sich dabei leiten lassen soll, 
erzielt wäre, sei es auch nur betreffs der zweckmässigsten Mittel, 
om die schweren Folgen zu verböten, deren Ursache in keines¬ 
wegs seltenen Fällen die Krankheit abgeben kann. Es ist daher im 
Interesse der praktischen Aerzte angebracht, den gegenwärtigen 
Stand dieser Frage auf Grund kritischer Studien zusammenzufassen 
nnd festzulegen, welches Verfahren der Arzt zweckmässigerweise 
dieser gefährlichen Krankheit gegenüber einschlagen soll. Diese 
Aufgabe habe ich mir gestellt, indem ich mit der Erfahrung 
anderer Beobachter meine eigene verbinde, die ich in den 
zahlreichen Fällen meiner Hospital- und Privatpraxis ge¬ 
macht habe. 

Vor allem möchte ich betonen, dass man sich hinsichtlich 
der Therapie auf das ätiologische Kriterium nicht stötzen kann; 
denn von den näheren und entfernteren Ursachen der Basedow¬ 


schen Krankheit wissen wir sehr wenig. Gewiss sind einige Be¬ 
dingungen, welche ihre Entwicklung zu begünstigen scheinen, be¬ 
kannt, wie Heredität, weibliches Geschlecht, Chlorose, Schwanger¬ 
schaft, Wochenbett, schwere Gemütsbewegungen. Diese sind 
jedoch, wie mau leicht einsieht, so allgemeiner Natur und so ge¬ 
wöhnlich bei so vielen Krankheiten, dass sie uns nicht als Basis 
für ein direktes Heilverfahren dienen können. 

Es ist daher notwendig, zu untersuchen, ob nicht das patho¬ 
genetische Kriterinm sich besser für diesen Zweck eignet, d. h. 
oh, wenn wir das Wesen der Krankheit erforscht haben, uns 
Mittel zur Verfügung stehen, welche imstande sind, einen radikal 
bessernden Einfluss darauf auszuüben. Nun, wenn wir auch noch 
weit entfernt von der völligen Uebereinstimmung über die Patho¬ 
genese der Basedowschen Krankheit sind, ein Faktum ist ohne 
Frage von der Wissenschaft anerkannt, nämlich dass die Schild¬ 
drüse (unter diesem Namen verstehe ich sowohl die eigentliche 
Schilddrüse als auch die Nebenschilddrüse) nicht nur durch die 
Zunahme ihres Umfangs einen beträchtlichen Anteil an diesem 


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£26 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 12. 


Krankheitsbilde hat, sondern auch der Hauptsitz, wenn nicht der 
einzige derjenigen Veränderungen ist, welche den Basedowschen 
Symptomenkomplex ausmachen. 

Wir wissen noch nicht, welche Ursache dahin fährt, und 
worin diese Veränderungen bestehen; wir wissen nicht, ob sie 
primär sind, oder, im Gegenteil, von einer vorhergehenden Läsion 
des Nervensystems (wie Sympathicus, Vagus, Bulbus und Protu- 
tuberanz, die ganze Axe des cerebrospinalen Systems — so schwanken 
die verschiedenen Meinungen) herrühren. Aber die physiologischen 
Versuche wie die chirurgischen Operationen und klinischen Beob¬ 
achtungen haben uns bewiesen, dass der Schilddrüsen-Neben- 
schilddrüsenapparat eine eigene innere Sekretion besitzt, welche, 
von dem Lymphsystem absorbiert, die sehr bedeutsame Aufgabe 
hat, den normalen organischen Stoffwechsel zu regulieren und 
seine toxischen Abfallprodukte zu neutralisieren. 

Wir können daher leicht begreifen, dass eine Störung 
dieser Sekretion, welches auch immer ihr Ursprung sein mag, 
ihren Ausgang in eine Vergiftung des Organismus nehmen muss, 
gegen welche das Nervensystem im allgemeinen und irgendein 
Abschnitt desselben im besonderen — wegen seiner besonderen, 
angeborenen oder erworbenen Empfindlichkeit — in ihm eigen¬ 
tümlicher Weise die Abwehr ergreift und mit jenem eigenartigen 
Bilde der diffusen Neurose antwortet, welche das Charakteristi¬ 
kum der Basedowschen Krankheit ausmacht. 

Und noch ist es Gegenstand des Streites, ob eine solche 
Störung in einer Zunahme der Quantität (Hy perthyreoidismus) 
oder einer Modifikation der Eigenart (Dystbyreoidismus) des 
Scbilddrüsensekrets besteht; ob bei seiner Genese der ganze 
Thyreoparathyreoidalapparat mitwirkt oder nur der eine oder 
andere Teil desselben, entsprechend dem verschiedenen Verhältnis 
und Mechanismus. Diese Annahme dürfte berechtigt sein, da man 
verschiedene Resultate erhält, wenn man experimentell die 
Thyreoidektomie (Myxödem) oder die Parathyreoidektomie(Tetanie) 
ausführt. Zugunsten des Hy perthyreoidismus, welcher heute 
die grössere Zahl der Anhänger umfasst, sprechen viele, ge¬ 
wichtige Gründe: so die grössere Häufigkeit der Fälle von Base¬ 
dowscher Krankheit bei Vergrößerung der Schilddrüse; der 
symptomatische Gegensatz zwischen dieser Krankheit und dem 
Myxödem (dessen Ursprung man ohne Widerspruch auf Hypo¬ 
thyreoidismus zurückführt); der Parallelismus, welchen man oft 
zwischen der Grösse der chirurgisch entfernten Schilddrüse und 
der Abnahme der Basedowsymptome beobachtet; die Analogie 
zwischen diesem Spoutansyndrom und demjenigen, das bei über¬ 
mässiger Zufuhr von Schilddrüse zu therapeutischen Zwecken 
sich entwickelt. Der Einfluss des Hyperthyreoidismus würde sich 
auch darin zeigen, dass, wenn die Menge des Sekrets der Schild¬ 
drüse grösser würde als zur Neutralisation der katabolischen 
Gifte notwendig wäre, es auf den Organismus wie ein Gift auf 
eigene Rechnung wirken würde. Gegen diese Beweisgründe 
spricht aber der Umstand, dass sie keinen absoluten Wert haben, 
und dass vor allem in nicht seltenen Fällen von Basedowscher 
Krankheit die Schwellung der Schilddrüse fehlt oder ziemlich 
mässig ist und dadurch eine Steigerung der sekretorischen Funktion 
der Schilddrüse keine genügende Erklärung findet. Man kann 
daher nicht ohne weiteres die Möglichkeit eines Dysthyreoi- 
dismus ausschHessen, und zwar in dem Sinue, dass das Schild¬ 
drüsensekret, ohne in seiner Menge zugenommen zu haben, in 
seinen biochemischen Eigenschaften eine solche Veränderung er¬ 
litten hat, dass es weniger brauchbar für seine physiologische 
Funktion geworden ist. Auch ist andererseits, wenn man die Ver¬ 
schiedenheit der Struktur und Funktion zwischen der Schild 
drüse und der Nebenschilddrüse in Betracht zieht, die Hypothese 
nicht ganz abzuweisen, dass, wenn auch die, Schilddrüse intakt 
ist, eine besondere funktionelle Störung der Nebenschilddrüse 
Qrund zu Basedowerscheinungen abgeben kann. 

Wie dem auch sei, die Annahme des Schilddrüsenursprungs 
der Basedowkrankheit erklärt nicht nur besser als jede andere 
die vielgestaltigen Erscheinungen dieses Leidens, sondern sie ist 
auch 0 die einzige, welche sich auf woblbegfündete Tatsachen, stutzt 
jund nicht auf hypothetische Annahmen. Es ist daher wohl zu 
begreifen, >. dass sich hierauf mit Vorliebe die Methoden der 
direkten Behandlung beziehen, welche zurzeit das Feld behaupten. 
Ebenso ist es einleuchtend, dass diese Methoden logischerweise 
bestrebt sind, die fraktionelle Störung der Schilddrüse mit den¬ 
jenigen inneren Mitteln zu heilen, welche mit mehr oder weniger 
Glück heutzutage bei den Störungen der Drüsen mit innerer Se¬ 
kretion empfohlen werden. Ausserdem sucht man auch das Leiden 
mit der Wurzel auszurotten, indem man die Drüse exstirpiert, in 


welche es sich eingenistet hat. Mao kann sie also zusammen¬ 
fassen in der Schilddrüsen-, Thymus- und Antithyreoidintherapie 
einerseits und der Thyreoidektomie andererseits. 

Sicherlich sind das nicht die einzigen Mittel, mit deren Hilfe 
man einen Damm gegen die zerstörende Tendenz der Basedow¬ 
krankheit aufzurichten sucht. Viele andere werden verschiedenen 
Behandlungen und Spezialmethoden unterworfen, und je nach der 
Erfahrung der einzelnen Autoren wird deren Wirksamkeit ver¬ 
schiedentlich beurteilt. 

So erinnere ich auf dem Gebiete der inneren Medizin — wenn 
ich von den hygienisch-diätetischen Verordnungen, den klimatischen 
Kuren und den allgemeintherapeutischen Vorschriften absehe, ob¬ 
wohl sie alle zweifellos nicht ohne Nutzen sind, jedoch uns nur 
die Wege ebenen oder eine Radikaltberapie unterstützen, sie nicht 
ersetzen können —, an die Verordnung von Jodpräparaten, welche, 
wie wir später sehen werden, in gewissen Fällen eine zweck¬ 
dienliche Indikation finden, zu welchen aber heutzutage niemand 
vernünftigerweise seine Zuflucht nehmen wird in der Absicht, 
den Schilddrüsenprozess, welcher den kranken Symptomenkom- 
plex unterhält, zu beeinflussen. Ich verweise ferner auf die 
Elektrotherapie und Radiotherapie, welche unter bestimmten Um¬ 
ständen auch Dienste leisten, jedoch keinen entscheidenden Ein¬ 
fluss auf den Verlauf des Leidens ausüben können. Endlich er¬ 
wähne ich die physikalischen und pharmazeutischen Heilmittel, 
welche sich gegen die verschiedenen Krankheitssymptome richten, 
jedoch nur von flüchtiger und palliativer Wirkung sind. 

Auf dem Gebiete der Chirurgie ist zu erinnern an die doppel¬ 
seitige Resektion des Halssympathicus oder die Sympathek¬ 
tomie, welche — abgesehen davon, dass die Operation schwierig 
und gefährlich ist — sich auf die, jetzt als irrtümlich erwiesene 
Annahme stützt, dass das Leiden von einer Alteration dieses 
Nerven herrühre. Ein anderes Verfahren besteht in der Ligatur 
der Schilddrüsenarterien, welche zwar eine Atrophie der Schild¬ 
drüse herbeiführt, sie jedoch — abgesehen davon, dass der Aus¬ 
gang unsicher ist —, wie man leicht einsieht, der Gefahr des 
Hypothyreoidismus aussetzt. Schliesslich sei der Exothy reopexie 
(der Luxation und Freilegung der Schilddrüse) gedacht: ein Ver¬ 
fahren, welches dasselbe Ziel im Auge bat und zu denselben 
Störungen führen kann. 

Alle diese chirurgischen Eingriffe jedoch stellen nur mehr 
oder weniger diskutable Versuche einer Radikalbehandlung dar, 
sind jedoch bis jetzt von keiner genügenden Beweiskraft getragen und 
sehr fraglich in der Gesamtheit ihrer Vorteile, die bei weitem 
von den Risiken übertroffen werden, welchen die Patienten sicher 
ausgesetzt sind. Wenn es auch meine Pflicht wäre, sie aufzu¬ 
führen, um uns über alles, was auf diesem Gebiete geschehen 
ist, auf dem Laufenden zu erhalten, so wäre damit doch nur die 
Zeit vertrödelt, ohne dass irgendwelcher Nutzen daraus für uns 
entspringen würde. 

Es bleiben demnach nur die beiden kurz zuvor angegebenen 
Methoden übrig, welche ihre Stütze nicht nur in wissenschaft¬ 
lichen, wohlbegründeten Ueberlegungen finden, sondern auch in 
einer auch anderweitig reichen und beweiskräftigen Reihe von 
experimentellen und klinischen Dokumenten. 

Therapia thyreoidea, thymica et antithyreoidea. 

Die Therapia thyreoidea geht von der Lehre des Dys¬ 
thyreoi dismus aus, d. b. von einer qualitativen Veränderung 
des Schilddrüsensekrets, wodurch dieses unfähig wird, die toxi¬ 
schen Produkte des cellulären Stoffwechsels zu neutralisieren. Sie 
bezweckt, diese Störung zu heilen, indem die Schilddrüse gesunder 
Tiere <^der der daraus gewonnene Extrakt dargereicht wird, d. h. 
indem sie ein normales Schilddrüsensekret an die Stelle des 
krankhaft veränderten setzt. 

Die Therapia thymica, von demselben Gedankengang des 
Dystbyreoidismus beeinflusst, bezweckt, an Stelle des kranken 
Sekrets der Schilddrüse das der Thymusdrüse zu setzen, dessen 
in Fällen von Basedowkrankheit beobachtete Heilwirkung an 
die Möglichkeit einer Kompensierung 0er erkrankten Schild¬ 
drüse denken lässt, um so mehr, da zwischen der Schild- und 
Thymusdrüse enge Beziehungen der Struktur und Funktion be¬ 
stehen. 

Die Ther,apia antithyreoidea endlich, ausgehend von der 
Lehre des Hyperthyreoidismus, d. h. von einer Schilddrüsen¬ 
sekretion, die reichlicher ist, als zur Neutralisation der organischen 
Gifte nötig ist, und deren Excess deshalb schädlich an sich ist, 
| verfolgt die Absicht, einer solchen Schädigung vorzubeugen, iq- 


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24. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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dem sie Substanzen darreicht, welche den Ueberschuss des Sekrets 
unschädlich machen. 

Deber die Besonderheiten der Therapia thyreoidea braucht 
man sich nicht weiter auszulassen. Denn es handelt sich um 
eine allen längst vertraute Methode der reichlichen und von Er¬ 
folg begleiteten Anwendung von Schilddrüse, wie sie in den 
Fällen von Hypothyreoidismus und besonders beim Myxödem, 
welches dessen klassischen Typus darstellt, stattfindet. Es wird 
genügen, daran zu erinnern, dass sie in der Darreichung der 
Schilddrüse gesunder Tiere (mit Vorliebe der Hammel) besteht, 
entweder frisch oder getrocknet und zu Pulver verrieben, oder 
auch als Extrakt dieser Drüse in einer der vielen pharmazeuti¬ 
schen Formen (Tbyroidin, Tbyraden, Jodotbyrin usw.). Diese Ver¬ 
wendung muss abgestuft und in ihren Wirkungen überwacht 
werden, um die Gefahren des Thyreoidismus zu vermeiden, d. h. 
die toxischen Erscheinungen, welche durch den Gebrauch einer 
überreichen Menge von Schilddrüsensubstanz auftreten und, mit 
einer Steigerung der Tachycardie und des Tremors, der Unruhe, 
Schlaflosigkeit, Hyperidrosis und Polyurie anfangend, schliesslich 
zu sehr schweren gastro-intestinalen Störungen (Erbrechen und 
unstillbare Diarrhöe), zur Paralyse und zu tödlichem Collaps 
führen. 

Was die Resultate dieser Methode betrifft, so gibt es viele, 
die sie loben; die meisten jedoch bestreiten ihren Wert oder 
halten sie sogar für gefährlich. Vielleicht haben alle recht. 
Denn die Schilddrüsenbehandlung kann, wie wir schon früher be¬ 
tonten, nur in den seltenen Fällen von Dysthyreoidismus von Nutzen 
sein, während sie in den viel häufigeren Fällen, welche von 
Hyperthyreoidismus herstammen, offenbar das Leiden des Kranken 
verschlimmern muss. Sie bat daher nur ein beschränktes 
Wirkungsgebiet und sollte nur in solchen Fällen versucht werden, 
bei welchen das Fehlen eines echten Kropfes und die mangelhafte 
Ernährung des Kranken daran denken lassen, dass es sich um 
eine mehr qualitative als quantitative Störung der Schilddrüsen¬ 
sekretion handelt. 

Was die Thymusdrüse betrifft — von welcher Owen zu¬ 
fällig eine Besserung in einem Falle sah, bei welchem sie aus 
Versehen an Stelle der Schilddrüse angewendet worden war —, 
so wird deren Verordnung bei der Basedowkrankheit aus den 
weiter oben angeführten Gründen empfohlen. Man muss zugeben, 
dass dem Versuch mit dieser Methode nichts entgegensteht, zu 
dereu Gunsten deren absolute Unschädlichkeit spricht. Die Be¬ 
obachtungen in dieser Beziehung sind jedoch noch zu spärlich 
und widersprechend, als dass man ein überzeugtes Urteil über 
den wirklichen W T ert der Wirkungen abgeben könnte. 

Eine sehr genaue Beachtung verdient dagegen die Therapia 
antithyreoidea, deren Zulässigkeit Ballet, Enriquez und 
Dreyfus erkannten und welche Gioffredi in Italien zuerst 
experimentell erprobte. Sie kam jedoch erst in den Gebrauch 
nach den genialen Beweisführungen und eingehenden Studien von 
Moebius. Sie stützt sich auf die folgende Ueberlegung: Wenn 
die Basedowkrankheit bedingt ist durch die toxische Wirkung des 
überschüssig erzeugten Schilddrüsensekrets, welches das Bedürfnis 
für die Neutralisation der Stoffwechselgifte übersteigt, und man 
führt in den kranken Organismus eine passende Menge analoger 
Stoffwechselgifte ein, welche man ans einem gesunden Organismus 
gewonnen hat, so gibt man dem überschüssigen Scbilddrüsensekret 
Gelegenheit, sich an diese Gifte zu „binden“, d. h. an ihnen seine 
antidotische Kraft zu erschöpfen. Auf diese Weise wendet man 
jeden Schaden von dem Organismus ab, in welchen das Sekret 
sieb ergiesst. Derartige Stoffwechselgifte sammeln sich im Blut 
serum von Tieren an, welchen man die ganze Schilddrüse ex- 
stirpiert hat, und denen daher die neutralisierende Wirkung des 
Sekrets derselben fehlt. Wenn man also den Basedowkranken 
das Serum von thyreoidektomierten Tieren verabfolgt, so wird es 
geeignet sein, die Bedingung zu erfüllen, welche man beabsichtigt 
bat. Aus diesem Grunde hat Moebius das Serum von thyreoi- 
dektotnierten Ziegen in die Therapie eingeführt, ein Serum, 
welchem er den Natnen Antithyreoidserum oder Anti- 
tbyreoidin beigelegt und mit Welchem er reichliche und günstige 
Versuche gemacht hat, die von zahlreichen anderen Autordb be¬ 
stätigt wurden. 

■> Was mich betrifft, bo habe ich 'Cs mit sichtlichem Vorteil in 
vielen Fällen verwandt, darunter solchen, welche tatsächlich 
schwer waren und bis dahin jedem Heilversuch Widerstand ge¬ 
leistet hatten. Ich muss aus voller Ueberzeugung erklären, dass 
ich bei den Formen von Basedow, bei welchen alles auf Hyper- 
tbyreoidismus (wie reizbares Temperament, Neigung zu rapider 


Abmagerung usw.) binwies, alle Ursache hatte, mit den Erfolgen des 
Mittels zufrieden zu sein, welche bisweilen ganz unerwartet waren. 
Sie bestanden in einer Verkleinerung oder Schwinden des Kropfes 
und des Exopbthalmos, in einer Rückkehr der regelmässigen Herz¬ 
tätigkeit, im Aufbören des Tremors und in einer deutlichen Besse¬ 
rung des psychischen Zustandes und der Allgemeinernährung. Sie 
können von kürzerer oder längerer Dauer sein. Sie treten aber 
fast ausnahmslos wieder ein, sobald das Wiederauftreten der 
Krankheitserscheinungen eine neue Verabfolgung des Mittels er¬ 
heischt. Dazu kommt, dass dieses Mittel — zweckmässig in der 
Dosis und Zeit reguliert — nach dem übereinstimmenden Urteil 
aller derjenigen, welche das Antitbyreoidin verwendet haben, nie¬ 
mals sekundäre, uuerwünschte Folgen hat, worüber so sehr bei 
den Schilddrüsenpräparaten geklagt wird. Daraus geht deutlich 
hervor, dass die Anwendung des Antithyreoidins zur Behandlung 
des Basedow heutzutage vollkommen berechtigt ist. 

Darf man jedoch, dank dem Antithyreoidin, auf eine definitive 
Heilung der Basedowkrankheit hoffen? 

Das ist eine Frage, auf welche es nicht leicht ist, eine be¬ 
friedigende Antwort zu geben, weil, gegenüber der oft ziemlich 
langen Dauer der Krankheit, das Mittel eine relativ zu kurze 
Zeit gebraucht wird und die ihm zugeschriebenen Heilungen jeder 
Kontrolle entbehren. Ich selbst habe in manchem Falle einen 
jahrelangen Stillstand der Symptome beobachtet, bin jedoch nicht 
sicher, dass sie nicht wiederkehren werden, wie das so häufig bei 
allen Arten von Neurose geschieht. Fest steht jedoch, dass die 
Resultate, welche man mit dem Antithyreoidin erzielt, viel schneller 
und greifbarer sind als diejenigen, welche man von irgendeiner 
anderen internen Behandlungsmethode erwarten kann. Da es 
ferner bei allen Methoden der inneren Behandlung gleich schwer 
ist, zu beurteilen, ob die Heilung eine dauernde ist, so ist es 
logisch, derjenigen den Vorzug zu geben, deren Resultate bis jetzt 
die schnellsten und entschiedensten sind. 

Was die Methode der Verabfolgung des Antithyreoidins be¬ 
trifft, so erschien es mir am zweckmässigsten, es eine Reihe von 
20 Tagen hindurch, progressiv von 10 auf 100 Tropfen pro die 
steigend, zu geben und dann in gleicher Weise abwärts zu gehen, 
so zwar, dass ich zwischen der ersten und zweiten Reihe ein 
Intervall von 4 oder 5 Tagen eintreten liess. Diese Serie wieder¬ 
holte ich so oft, wie es der beabsichtigte Zweck erforderlich 
machte (gewöhnlich drei- oder viermal). Darauf gab ich das 
Mittel noch weitere 20 Tage in halben Dosen und hörte dann 
definitiv damit auf, um es eventuell in derselben Weise wieder 
aufzunehmen, sobald ein Bedürfnis sich hierfür zeigte. Selbst¬ 
verständlich können die Gesamtmenge und die einzelnen Dosen 
des Mittels in solchen Fällen gesteigert werden, bei welchen eine 
energischere Wirkung notwendig erscheint, oder in anderen, aller¬ 
dings weit selteneren Fällen ermässigt werden, bei welchen die 
grossen Dosen nicht vertragen werden. 

In derselben Absicht wie Moebius bat Lanz die Milch 
thyreoidektomierter Ziegen verwandt, welche, zu Pulver verrieben, 
unter dem Namen Rodagen in den Handel gebracht wird. Die 
klinischen Untersuchungen über die Wirksamkeit dieser Substanz 
Rind jedoch noch so spärlich, dass irgendeine Schlussfolgerung 
nicht angängig ist. Ausserdem scheinen mir die leichte Veränder¬ 
lichkeit der Milch und die häufige Unverträglichkeit der Ziegen¬ 
milch nicht geeignet zu sein, diesem zweiten Erzeugnis den Vor¬ 
zug vor dem Original mittel zu geben. 

Tbyreoidektomie. Die Idee der Exstirpation der kranken 
Schilddrüse erscheint natürlich denjenigen, welche sie als die 
Ursache der Basedowkrankheit ansehen, als das einzige in Wahr¬ 
heit radikale 1 Heilmittel, sowohl wenn es sich um Hyper- als 
auch wenn es sich um Dysthyreoidismus handelt. Kann man sich 
aber stets dieses blutigen Mittels bedienen, und entsprechen seine 
Erfolge immer der theoretischen Forderung? Es sind dieses zwei 
Fragen, auf welche man nicht mit einer bündigen Bejahung ant¬ 
worten kann. Vor allem anderen aber ist niemals an eine 
Totalexstirpation iu denken, weil diese Operation, abgesehen 
davon, dass sie eine unmittelbare Lebensgefahr durch Blutung 
oder Tetanie herbeiführt, als unvermeidliche Folge'die Cachexia 
strumipriva oder das postoperative Myxödem erzeugt, welche viel 
sicherer und schneller tödlich sind^hls die 1 Krankheit, welche 
man zu heilen beabsichtigt. Was die PaVtialettstirpatiob be¬ 
trifft, so ist sie zweifellos weit logischer, weil sie einen so grossen 
Teil der Drüse zurücklässt, als nötig ist, um solche Vorkommnisse 
zu verhüten. Wenn wir aber auch von den Gefahren absehen, 
welche eine geübte Technik zu vermeiden befähigt ist, so ist es 
doch nützlich, zu überlegen, dass ihre Resultate nicht stets so 

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528 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 12. 


zufriedenstellend sind, wie einige behaupten, dass ferner die Fälle 
nicht selten sind, in welchen auf die Operation der Tod folgt, 
und dass Recidive nach glücklich gelungener Operation alles 
andere eher als Ausnahmen sind. Aus diesen Ueberlegungen 
heraus erscheint es nicht unberechtigt, daran zu denken — und 
darin stimmen, die Wahrheit zu sagen, die angesehensten Kliniker 
fast ohne Ausnahme überein —, dass dieser chirurgische Eingriff, 
auch wenn er sich auf die Partialresektion beschränkt, nicht syste¬ 
matisch empfohlen werden darf, sondern nur wenn woblbegründete 
Verhältnisse ihn angezeigt erscheinen lassen. So ist es nicht 
berechtigt, dazu seine Zuflucht zu nehmen, wenn die Krankheit 
einen langsamen und milden Verlauf zeigt und eine innere Be¬ 
handlung Nutzen bringt, auch nicht, wenn der Kropf sich in 
mässigen Grenzen hält und an sich keinen Anlass zu besonderen 
Misshelligkeiten gibt. Der Eingriff wird dagegen berechtigt sein 
und kann wertvolle Dienste leisten, wenn trotz irgendeiner anderen 
Behandlung die allgemeine Abmagerung schnelle und bedrohliche 
Fortschritte macht, oder ein stürmisches Wachstum oder die Ent¬ 
wicklung des Kropfes nach hinteu den Kranken der Gefahr der 
Erstickung oder der Dysphagie aussetzt. 

Welches ist nun die Schlussfolgerung, zu welcher wir nach 
diesen meinen klinischen Erfahrungen kommen? 

Die praktische Schlussfolgerung ist diese: Da heutzutage die 
Ansicht vorherrschend ist, dass die Basedowkrankheit von einer 
Störung der Schilddrüse und besonders — wenigstens in der 
Mehrheit der Fälle — von einer Hypersekretion dieser Drüse ab¬ 
hängig ist, so ist die Behandlung, welche man mit Vorliebe ver¬ 
suchen soll, diejenige mittels Antitbyreoidin von Moebius in der 
von mir angegebenen Weise. Mit dieser Behandlung werden wir 
allgemeine hygienisch-diätetische Vorschriften, entsprechend dem 
individuellen Temperament, verbinden, fassend auf dem Studium 
der hereditären und persönlichen Verhältnisse, der Art der Ent¬ 
wicklung der einzelnen Funktionen, der Besonderheiten des 
organischen Stoffwechsels, wie sie durch wiederholte exakte 
chemisch-mikroskopische Analysen des Harns erforscht wurden. 
Ein fundamentaler Unterschied wäre in dieser Beziehung zwischen 
dem eretbischem Temperament mit seinem beschleunigten orga¬ 
nischen Stoffwechsel und vorschreitender Abmagerung und dem 
tropiden mit der Verlangsamung des organischen Stoffwechsels 
und seiner Neigung zur Fettleibigkeit zu machen. Den Kranken 
der ersten Gruppe wäre zu empfehlen: die Ruhe, der Aufenthalt 
in einem milden und ruhigen Klima (ein ebenes oder hügeliges, 
mässig feuchtes Klima), eine kräftige Ernährung, warme 
Bäder und, in den Pausen der Antithyreoidinbebandlung, die 
Arsen- und Phosphorpräparate und die arsenhaltigen Mineral¬ 
wässer. Den Kranken der zweiten Gruppe dagegen (mit dem 
torpiden, zur Fettleibigkeit neigenden Temperament) ist zu 
empfehlen: regelmässige Bewegung, Aufenthalt in einem tonischen, 
stimulierenden Klima (Berg- oder Meerklima), eine lakto-vegetabile 
Ernährung, Hydrotherapie, Jodpräparate und alkalisch-salinische 
Mineralwässer. 


Bei den Kranken mit träger Ernährung könnte man, wenn 
die Antithyreoidinbebandlung nicht zusagt, einen Versuch mit 
Präparaten der Schilddrüse machen, deren Sekret, da es die 
Eigenschaft besitzt, den Stoffwechsel zu beschleunigen, in diesem 
Falle weniger Gefahr läuft, einen schädlichen Ausgang herbei¬ 
zuführen. Natürlich darf der Versuch nur unter sorgfältiger 
Ueberwachung seiner Wirkungen unternommen und muss ein¬ 
gestellt werden, sobald die Erscheinungen des Thyreoidismus 
auftreten. 

Wenn die Hypertrophie der Schilddrüse einen auffälligen 
Umfang annimmt und keine Neigung zeigt, unter der Anti¬ 
thyreoidinbebandlung sich zu verkleinern, dann ist der Fall ge¬ 
geben, eine doppelzeitige Galvanisation des Halssympathicus zu 
versuchen, welche eine resorbierende Wirkung hat (und welche, 
wie ich fand, im allgemeinen vorzuziehen ist), oder die Faradi- 
sation der Schilddrüse, welche eine vasokonstriktorische Wirkung 
ausübt, oder auch die Anwendung der Röntgenstrahlen, durch 
welche man in manchen Fällen eine Abnahme des Kropfumfanges 
erzielt hat. Selbstverständlich muss die Wirkung der verschiedenen 
therapeutischen Hilfsmittel in bestimmten Grenzen gehalten werden, 
damit man nicht dadurch, dass man die funktionelle Tätigkeit 
der Schilddrüse zu sehr einschränkt, das Gegenteil von dem, 
was man bekämpfen wollte, hervorruft, nämlich den Hypo¬ 
thyreoidismus. 

Wenn es jedoch mit keinem dieser Mittel gelingt, die schnell 
vorschreitende Zunahme des Schilddrüsenkropfes zu hemmen, oder 
dieser von Beginn an eine unmässige Entwicklung nimmt und 
schwere Kompressionserscheinungen mit der Zeit drohen, oder die 
unaufhaltsame Verschlimmerung des Allgemeinzustandes jedes 
Zaudern gefährlich macht, dann ist es ohne weiteres geboten, 
den Kranken dem Chirurgen anzuvertrauen. Denn durch eine 
Partialresektioo der hypertrophischen Schilddrüse befreit er den 
Kranken von einer drohenden Gefahr und schützt ihn vielleicht 
vor weiteren Schäden. 

In jedem Falle wird das Vorwiegen dieses oder jenes von 
den primären oder sekundären Krankbeitssymptomen den Gebrauch 
derjenigen Hilfsmittel erforderlich machen, welche uns hierbei 
auch bei jeder anderen Krankheit, bei welcher sie sich bewähren 
können, zu Gebote stehen. Das gilt besonders für die Anfälle 
von Tachycardie und Präcordialangst, bei Congestionszuständen 
der Schilddrüse, beim Lagophthalmos, bei heftigem Tremor, bei 
Schlaflosigkeit, bei Erregung, bei gastrointestinalen Störungen usw. 
Es versteht sich ganz von selbst, dass, wenn sich trotz innerer 
oder chirurgischer Behandlung jener Zustand der allgemeinen 
fortschreitenden Dystrophie, welche unter dem Namen Gachexia 
exophthalmica oder Basedowiana bekannt ist, eingestellt 
bat, die Tätigkeit des Arztes sich darauf beschränken wird, mit 
allen hygienischen und therapeutischen Mitteln, welche wir bei 
jeder Art von Kachexie anwenden, den unerbittlichen tödlichen 
Ausgang dieser jammervollen Auflösung des Organismus hinten¬ 
anzuhalten. 


Gegenwart und Zukunft der RQckenmarks- 
chirurgie. 

Von 

Max Rothmann. 

(Nach einem Vortrag in der Berliner medizinischen Gesellschaft am 
12. Februar 1913.) 

Die Entwicklung der Rückenmarkschirurgie in den letzten 
Decennien ist eine staunenswerte gewesen, ln immer steigender 
Zahl und mit immer besseren Resultaten sind genau diagnosti¬ 
zierte Geschwülste der Rückenmarksbäute operiert worden. Ueber 
50 pCt aller operierten Fälle sind zur Heilung gekommen. Und 
doch sind erst 25 Jahre vergangen, seit Horsley und Gowers 1 ) 
zum ersten Male einen Rückenmarkstumor diagnostizierten und 
operativ entfernten. Es handelte sich um einen 42jährigen 
Kapitän, bei dem nach anfänglichen linksseitigen Intercostal- 
scbmerzen eine Paraplegie und totale Anästhesie bis zum Proc. 
xiphoides herauf, sich in 2 1 ] 2 Jahren entwickelten. Der anfänglich 
zu tief gesuchte Tumor, ein Fibromyxom, fand sich in der Höhe 
der 3.—4. Dorsalwurzel, nicht mit dem Rückenmark verwachsen. 


1) W. R. Gowers and Victor Horsley, A case of tumour of | 
the spinal cord. Removal. Recovery. Med. chir. transactious, 1888, Bd. 31. i 


Patient wurde geheilt und konnte schliesslich wieder längere 
Strecken ohne Schwierigkeit zurücklegen. 

Diese Operation war epochemachend, und in rascher Folge 
häuften sich nun die Eingriffe bei Tumoren der Rückenmarks¬ 
häute, deren Diagnose irimer mehr verfeinert wurde, ln Deutsch¬ 
land sind es u. a. F. Schultze, H. Oppenheim, Bruns und 
Nonne gewesen, die an einem reichen Material einschlägiger 
Fälle die klinische Diagnostik wesentlich bereichert und zahl¬ 
reiche gute Operationsresuliate unter chirurgischer Mithilfe erzielt 
haben. In F. Krause’s grossem Werk „Chirurgie des Gehirns 
und Rückenmarks“ sind eine grosse Reihe derartiger Fälle in 
ihrem klinischen Verlauf und ihren Operationsresultaten genau 
geschildert worden. Im ganzen Bereich des Rückenmarks sind 
Tumoren der Rückenmarkshäute erfolgreich entfernt worden. 
Fälle, wie der von Krause * Oppenheim 1 ), in dem .ein Fibro- 
sarkom in der Höhe des 2. und , 3. Halswirbelbogens sass, 
j oder der von Söderberg - Akerblom 2 ), bei dem ein Endotheliom 
sogar bis in Atlashöhe reichte, und die beide zur völligen 


1) H. Oppenheim und F. Krause, Münchener med. Wochensohr., 
1909, Nr. 20—22. 

2) Gotthard Söderbergh und Waldemar Akerblom, Ein Fall 
von Rückenmarksgeschwulst der höchsten Cervikalsegmente. Mitteil. a. 
d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., 1912, Bd. 25, S. 42. 


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24. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


529 


Heilung kamen, zeigen die ausserordentliche Vollkommenheit der 
Rückenmarkschirurgie. 

Aber diese so erfolgreich inaugurierte Rückenmarkschirurgie 
ist im wahren Sinne des Wortes niemals eine Chirurgie des 
Rückenmarks, sondern nur eine Chirurgie im Gebiete der Rücken¬ 
markshäute gewesen. Wenn auch die Diagnose nur auf Grund 
der Ausfallserscheinungen von seiten des komprimierten Rücken¬ 
marks zu stellen ist, so war es doch ein feststehender Satz, 
dass nur extramedulläre Tumoren zur Operation geeignet wären. 
Dagegen galten bisher die im Rückenmark selbst liegenden 
Tumoren als der operativen Behandlung nicht zugänglich, wie 
Oppenheim 1 ) noch 1908 in der letzten Auflage seines Lehr¬ 
buches hervorhebt. Es war daher auch stets von besonderer 
differentialdiagnostischer Bedeutung, extramedulläre und intra¬ 
medulläre Tumoren auseinander zu halten. Wenn das in der 
Regel mit weitgehender Sicherheit möglich ist, so kommen 
doch Fälle vor, bei denen das Fehlen von Wurzelsymptomen, die 
rasche Ausbreitung in der Längsrichtung des Rückenmarks, das 
Fehlen des Brown-Söquard’schen Symptomenkomplexes usw. eine 
sichere Diagnose nicht gestatten. Auch in solchen Fällen wird 
die explorative Laminektomie auszuführen sein, die auch bei 
Fehlen eines extramedullären Tumors keinen Schaden zu ver¬ 
ursachen braucht, wie Oppenheim hervorhebt, ja in den Fällen 
von Putnam - Warren*) und Auerbach 8 ) durch die Druck¬ 
entlastung sogar einen günstigen Einfluss auf die Symptome des 
intramedullären Tumors hatte. 

Dagegen galt es als ein feststehendes Gesetz, wenn sich kein 
eitramedullärer Tumor fand, oder, wenn derselbe in das Rücken¬ 
mark eindrang, das Rückenmark nicht anzugreifen, sondern die 
Affektion als inoperabel zu betrachten. So berichtet Oppen¬ 
heim 1907 4 ) über einen solchen Fall eines 41jährigen Mannes, 
bei dem nach langer klinischer Beobachtung die Diagnose auf 
Kompression des Rückenmarks in der Höhe des oberen Dorsal¬ 
marks, wahrscheinlich durch einen extramedullären Prozess, ge¬ 
stellt wurde. Die Operation (Borchardt) ergab keine extra- 
dnrale Veränderung. Das Rückenmark erschien in der Höhe des 
2.-3. Dorsalsegments etwas verbreitert. Da jedoch kein extra¬ 
medullärer Tamor zu eruieren war, so wurde die Wunde ge¬ 
schlossen, ohne dass natürlich ein Einfluss auf die Erkrankung 
möglich war. 

Es hatten nun aber die experimentellen Ausschaltungen 
von grösseren Rückenmarksabschnitten bei Hunden und Affen, 
sowie das genaue Studium der Ergebnisse der Stich Verletzungen 
des Rückenmarks beim Menschen immer aufs neue gezeigt, dass 
im Rückenmark weitgehende Restitutionen, selbst nach 
Ausfall einer ganzen Rückenmarkshälfte, im Gebiet der Motilität 
und Sensibilität möglich sind. Gelegentlich eines Vortrages von 
H. Oppenheim „Zur Differentialdiagnose des extra- und intra¬ 
medullären Tumor medullae spinalis 11 führte ich daher in der 
Diskussion ans 5 ), dass es möglich sein müsste, intramedulläre 
Tumoren des Dorsalmarks durch Exstirpation eines Stückes der 
einen Rückenmarkshälfte zu beseitigen, ohne dass eine dauernde 
Lähmung eines Beins zu befürchten sei. Selbstverständlich käme 
nur ein kleiner Teil der intramedullären Tumoren hier in Be¬ 
tracht. Diese Anregung wurde damals von Oppenheim auf 
Grund der vorliegenden Erfahrungen zurückgewiesen, da scharf 
abgegrenzt und umschrieben von den intramedullären Tumoren 
fast nur die Gummata, die auf andere Weise behandelt werden 
können, und die central sitzenden Tuberkel seien. 

Aber schon im November 1907 wurde der erste Fall eines 
intramedullären Tumors von v. Eiseisberg operiert. Der Fall, 
über den Clairmont 6 ) auf der 3. Jahresversammlung deutscher 
Nervenärzte in Wien berichtete, lag insofern günstig, als bei der 
29 jährigen, an beiden Beinen paretischen und kontrakturierten 
Frau mit Herabsetzung der Sensibilität bis 3 Querflnger über 
dem Nabel nach Eröffnung des Dnralsacks in der Höhe des 


1 ) H. Oppenheim, Lehrb. d. Nervenkrankh., 1908, 5. Aufl., Bd. 1, 
S. 429. 

2) Puttaam - Warren, Phil. med. j.oum,, 1899, Bd. 8. 

3) Siegm. Auerbach, Ueber einen ■ bemerkenswerten Fall von 
intramedullärem Rückenmarkstumor. Journ. f. Psyohol. u. Neurol., 
1910, Bd. 17, S. 159. 

4) H. Oppenheim, Beiträge zur Diagnostik und Therapie der Ge¬ 
schwülste im Bereich des centralen Nervensystems, 1907, Beobachtung 14, 
S. 184. 

5) Verhandlg. d. Berliner Gesellsch. f. Psych. u. Nervenkrankh., 
18. Mai 1907. Archiv f. Psych., Bd. 45, S. 770. 

6 ) Clairmont, Deutsch# Zeitgehr. f. Nervenheilk., Bd. 88, S. 286. 


6. Brustwirbelbogens (13. XL 1907) auf der rechten Seite ein 
bläulich ovaler Tumor hervörsprang, der von einer dünnen 
Schicht von Rückenmarkssubstanz bedeckt war. Es handelte 
sich um ein pflaumengrosses Neuroflbrosarkom, das sich gut' aus¬ 
schälen Hess. Es war der richtige Moment der Operation, da 
der Tumor gerade im Begriff war, die Kapsel zu durchwachsen. 
Es trat nun Besserung ein, so dass Patientin nach 22 Monaten 
mit geringen Kontrakturen der Beine gehen konnte bei normaler 
Sensibilität. 

Kurz vorher hatte bereits F. Krause 1 ) einen intramedullären 
Eingriff bei einer Rückenmarksaffektion vorgenommen, indem er 
bei einer 51jährigen Frau mit den Erscheinungen der intraverte¬ 
bralen Geschwulstbildung in der Höhe des 7. Dorsalsegments am 
24. September 1907 eine Schwieleubilduog im hinteren Gebiet 
des Rückenmarks, die das Rückenmark einschnürte, entfernte, 
darauf in die Fissura posterior des Rückenmarks einen ca. 2 cm 
langen Einschnitt machte und so einen mindestens erbsengrossen 
Erweicbungsherd mit graugelbem Brei bereits in 2 mm Tiefe er r 
öffnete. Es trat nun wider Erwarten eine wesentliche Besserung 
ein; nach mehr als 2 Jahren konnte Patientin mit Unterstütznng 
etwas stehen, doch bestanden leichte Beugekontrakturen fort. 
Auch war vorn von handbreit nnter dem Nabel nach abwärts 
eine starke Herabsetzung der Sensibilität nachweisbar. Der mikro¬ 
skopische Befund der operierten Schwiele ergab mit Sicherheit 
einen tuberkulösen Prozess. 

Diesen beiden ersten Eingriffen in das Rückenmark sind nun 
rasch weitere intramedulläre Operationen gefolgt, von denen mir 
bisher 21 bekannt geworden sind. Man kann die Fälle in mehrere 
Gruppen einteilen: 1. intramedulläre Tumoren, 2. extramedulläre, 
in das Rückenmark eingedrnogene Tumoren, 3. Fremdkörper im 
Rückenmark, 4. andere Rückenmarksaffektionen. 

I. Intramedulläre Tumoren. 

Bisher sind es 12 Fälle von intramedullärem Tumor, die zur 
Operation gelangt sind, und bei denen der Tumor ganz oder zum be¬ 
trächtlichen Teil exstirpiert werden konnte: 1. der oben berichtete Fall 
von v. Eiseisberg aus dem Jahre 1907, 2. und 8. zwei Fälle von 
Eisberg und Beer 2 3 4 ). Der erste dieser Fälle betrifft ein intramedulläres 
Gliosarkom des Halsmarks im 5.—7. Gervicalsegment hei einem 
42jährigen Manne, bei dem im Verlauf von 3 Jahren zuerst Nacken¬ 
schmerzen, dann Schmerzen in Schulter und Armen, Taubheit der reohten 
Hand, Schwäche des linken Armes und Beines, später auch der rechts¬ 
seitigen Extremitäten auftraten. Es kam zu Gaogstörungen, Steifigkeit 
der Beine bei ausgesprochener Druokempfindlichkeit des 4.-6. Hals¬ 
wirbels. Anfang Januar 1910 waren alle Extremitäten sehr schwach, 
links mehr als rechts, mit Maskelatrophie im Gebiet des linken Armes. 
Die Sensibilität war bis zu den Mammiilae aufgehoben, bis zum Nacken 
bestand Hyperalgesie. Die am 13. 1. 1910 ausgeführte Laminektomie 
mit Entfernung der Processus spinosi vom 4. Cervical- bis 9. Dorsal¬ 
wirbel zeigte nicht den erwarteten extraspinalen Tumor. Das Rücken¬ 
mark war aber vergrössert, der Tumor drängte aus den Hintersträngen 
heraus. Es wurde eine 1 cm lange Inzision in der Fissura posterior 
vorgenommen, etwas von den Tumormassen entfernt, dann aber die 
Wunde geschlossen. Als nach 7 Tagen die Wunde nochmals geöffnet 
wurde, war der Tumor aus dem Rückenmark an der Schnittstelle heraus¬ 
gequollen und konnte gut her&usgehoben werden. Es .war ein weiches, 
rotbraunes Gliosarkom von 15 g Schwere in der Grösse von 5,3:2 cm. 
Es erfolgte glatte Heilung. Nach 4 Wochen konnte Pat. allein sitzen, 
nach 2 Monaten stehen und gehen. Nach 8 Monaten bestand noch eine 
leichte Steifigkeit der linksseitigen Extremitäten. 

Nicht so gut verlief der zweite Fall von Eisberg und Beer; es 
handelte sich um ein Gliom des Halsmarks in der Höhe des 4.-6. Cervical- 
segments, d. h. in unmittelbarer Nachbarschaft des Atemcentrums, bti 
einer 40jährigen Frau. Hier entwickelte sich in 2 Jahren Parese der 
Arme, später der Beine mit gesteigerten Reflexen, Druckschmerz über 
dem 3.—5. Cervioalwirbel und Atrophie der Interossei beider Arme. Die 
Atmung war erschwert. Die am 19. II. 1910 vorgenommene Lamin¬ 
ektomie vom 4. Cervical- bis 1. Dorsalwirbel ergab eine Vergrösserung 
des Rückenmarks im Gebiet des 4.—6. Cervioalsegments. Nach Pia- 
inzision im Gebiet der Hinterstränge drang der Rückenmarkstumor vor 
und war gut zu entfernen. Das cystisehe Gliom war 4V S :2 cm gross. 
Nach 4 Stunden trat der Exitus an Atemlähmung ein. Am Rücken¬ 
mark fehlten die Hinterstränge, während es sonst ziemlich intakt war. 

Eisberg und Beer empfehlen für die intramedullären Tumoren 
die zweizeitige Operation mit Extrusion des Tumors. Ihrer Ansicht nach 
kämen neben den Tumoren vielleicht auoh Syringomyeliefi, Gljosen, 
Hämätomyelien für die Operation in Betracht. 4. Sie berichten w'eiter- 


1) Fedor Krause, Chir. d. Gehirns u. Rückenmarks, Bd. 2, Beob¬ 
achtung XV 2, S. 763i 

2) Charles A. Eisberg und Edwin Beer, The operability of 
intramedullary tumonrs of the spinal cord. The amer. journ. of med. 
Science, 1911, Bd. 142, S, 686. 

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UMIVERSITY OF IOWA 



BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 12. 


630 


hin über einen Fall von Cashing 1 2 * }. der bei einem intramedullären 
Gliom durch einen Einschnitt in den Hinterstrang ein kleines Stück der 
Geschwulst entfernte und Besserung erzielte. 

. 5. Aus der gleichen Zeit stammt die gelungene Operation eines 
intramedullären Tumors durch Veraguth und Brun*). Es handelt 
sich um einen subpialen, makroskopisch intramedullären Solitärtuberkel 
in der linken Rückenmarksbälfte io Höhe des 4.—5. Cervicalsegments. 
Bei einem 32jährigen, tuberkulös belasteten Manne, der an Phtbisis 
pulmonum litt, kam es im Verlauf von 2 Monaten zu Steifigkeit und 
Schmerzen im Nacken, besonders links, dann zu Schwäche und Par- 
ästhesien erst im rechten, dann im linken Arm. Im Februar 1910 be¬ 
stand ein Brown-Sequard’scher Symptomenkomplex mit linksseitiger 
Parese der Extremitäten und rechtsseitiger Sensibilitätsstörung bei 
Stereoagnosie und Lagegefühlsstörung der linken Hand. Ausserdem Hess 
sich röntgenologisch eine linksseitige Phtenicuslähmung nachweiseo. 

Die Diagnose wurde auf einen subduralen extramedullären Tumor 
links dorsal im 4.—5. Cervicalsegment gestellt. Bei der am 18. II. 1910 
ausgeführten Operation mit Entfernung des 3. und 4. cervioalen Wirbel¬ 
bogens fand sich kein extramedullärer Tumor, aber eine Auftreibung 
der Medulia. Nach Spaltung der Pia sah man links hinten einen kleinen 
Fleck und fand einen vollständig in das Rückenmark eingebetteten 
herauszuscbälenden Solitärtuberkel, der wahrscheinlich vom linken Hinter¬ 
hora ausgegangen war. Es trat rasche Besserung ein. Pat. wurde völlig 
geheilt und kann über 7 km marschieren. Die Verff. betonen, dass 
sich auch auf dem Gebiet der bis jetzt als gemeinhin inoperabel ge¬ 
goltenen, topisch intramedullären Tumoren ein unter Umständen dank¬ 
bares chirurgisches Feld eröffnet. 

6. Hier anzureihen ist ein Fall von Krauss*). Bei einem 36jährigen 
Manne mit linksseitiger Lungentuberkulose entwickelt sich eine Schwäche 
der Beine mit Reflexsteigerung, Anästhesie bis zur Mammillarlinie und 
Inkontinenz der Blase bei Druckempfindlichkeit der 3.-4. Spina dorsalis. 
In dieser Höhe konnte ein P /2 cm im Durchmesser grosser, harter 
Tuberkel, der intramedullär sass, herausgeschält werden; doch trat bald 
darauf der Exitus ein. 

7. Besonders bemerkenswert ist dann der Fall von Reichmann und 
Röpke 4 ), da er die erfolgreiche Operation zweier extramedullärer und 
eines intramedullären Tumors bei einem Patienten bringt. Es handelt 
sich um einen 20jährigen Mann, der 1906 mit Ermüdung der Beine und 
Spannungsgefühl in den Waden erkrankte. 1907 trat auch in den Ober¬ 
schenkeln Steifigkeit auf, es stellten sich Urinbeschwerden ein. 1908 
konnte Pat. nur noch an Stöcken gehen. 1909 bestanden starke spastische 
Lähmungen der Beine mit Krampfzuständen, 1910 traten vom Nabel 
abwärts Sensibilitätsstörungen auf, am linken Bein stärker als am 
rechten. Dazu kam ein zitronengelber, enorm ei weisshaltiger Liquor und 
der Nachweis von Neurofibromen in der Haut. Es wurde daher die Dia¬ 
gnose auf ein extramedulläres Neurofibrom in der Höhe des 7.—9. Brust¬ 
wirbels gestellt. Am 4. VI. 1910 wurde die Operation ausgeführt: Nach 
Entfernung der Wirbel bögen des 5.-9. Brustwirbels fanden sich zwei 
von rechts her drückende intradurale Neurofibrome, ein oberes grösseres 
und ein unteres kleineres, die entfernt wurden. Da nun aber das Rücken¬ 
mark spindlig aufgetrieben war, wurde noch ein Einschnitt in die Fissura 
posterior gemacht und ein drittes, kirschkerngrosses intramedulläres 
Neurofibrom mit dem stumpfen Löffel entfernt Es trat langsam Besserung 
ein; nach 8 Monaten konnte Pat. ohne Stock gehen, zeigte nur noch links 
leichte Ataxie und geringe Sensibilitätsstörung. 

8. Hieran reiht sich ein Fall von v. Eiseisberg und Marburg, 
der bisher noch nicht publiziert ist, und dessen Mitteilung ich der 
Liebenswürdigkeit meines Kollegen Marburg verdanke. Bei einer 
36jährigen Frau, die früher an Migräneanfällen gelitten batte, kam es 
im September 1910 zu Heiserkeit, Schlingbeschwerden, Parästhesien der 
linken Hand. Die Untersuchung ergab eine linksseitige Reourrensparese, 
eine Herabsetzung der Sensibilität bis zum 2. Intercostalraum, eine Ver¬ 
engerung der linken Lidspalte, eine Druckempfindlicbkeit der oberen 
Halswirbel. Die am 25. XI. 1910 ausgeführte Laminektomie im Gebiet 
des 4.—6. Halswirbels zeigte keine extramedulläre Geschwulst, aber eine 
Vorwölbung des Halsmarks. Bei Auseinanderdrängen der Rückenmarks¬ 
substanz fand sich dicht unter der Oberfläche eine etwa 2 cm lange, 
*/ s cm breite Cyste, die mit dem scharfen Löffel aus dem Mark entfernt 
wurde. Es trat Besserung ein. Bei der Entlassung am 17. XII: 1010 
bestand eine Ungeschicklichkeit der Hände mit leichter Einschränkung 
der tiefen Empfindung und angedeuteter Ataxie der Arme. Eine genauere 
Untersuchung des cystischen Tumors liegt nicht vor. 


1) Cushing, Bull, of the John Hopkins Hospital, November 1910. 

2) Otto Vbraguth und Hans Brun*, Subpialer, makroskopisch 

intramedullärer Solitärtuberkel in der Höhe des 4. und 5. Cervical¬ 
segments. Operation. Genesung. Korrespondenzbl. f. Schweizer Aerzte, 
1910, Nr. 32, S. 1097. . f 

8) William C. Krauss, Tbree cases of spinal cordv tumour ob- 
served within a period of ten days. Journ. of nerv, and ment, dis., 1910, 
Nr. 4, Fall 1. 

4) W. Röpke, Ueber die operative Entfernung intramedullärer 

Rückenmarkstumoren. Archiv f. klin. Chir., 1911, Bd. 96, S. 963. — 

V. Re ich mann, Ueber einen operativ geheilten Fall von mehrfachen 

Rückenmarksgeschwülsten usw. Deutsche Zeitscbr. f. Nervenheilk., Bd. 44, 

S. 95. 


9. Ein zweiter, bereits am 21. IX. 1910 operierter Fall von Brun 1 ) 
betrifft ein subpial gelegenes, aber anscheinend dem Rückenmark nur 
aufliegendes gliomatöses Gebilde in der Höhe des 6. Brustwirbelbogens 
bei einem 28jährigen Mann, das gut entfernt werden konnte. Nach 
14 Tagen kam es infolge einer Liquorinfektion zum Exitus. Bei der 
Sektion faud sich noch ein kleiner gliomatöser Herd im linken Hinter¬ 
strang des 4. Dorsalsegments. 

10. In einem einschlägigen Fall F. Krause’* 2 * ) wurde keine Besse¬ 
rung erzielt. Es handelte sich um einen 13jäbrigen Knaben, der im 
September 1910 mit Kreuzschmerzen und Schwäche der Beine, besonders 
des linken, erkrankte. Im weiteren Verlauf entwickelte sich eine spastische 
Parese der Beine, links stärker als rechts, mit einer rechtsseitigen 
Thermoanästhesie bis 2 Querfinger oberhalb des Poupart’schen Bandes. 
Es wurde ein linksseitiger Rückenmarkstumor des 8.—9. Dorsalsegments 
diagnostiziert, und am 5.1. 1911 wurden der 7. und 8. Brustwirbelbogen 
entfernt. Extramedullär fand sich kein Tumor; aber das Rückenmark 
erschien verdickt und elfenbeinfarben verfärbt. Bei Ritzung der Pia 
drängte sich eine Neubildung vor. Es wurde nun eine Inzision in der 
Fissura posterior der Hinterstränge gemacht; dabei quollen gliomatöse 
Massen ohne Abgrenzung gegen die Umgebung heraus. Es musste des¬ 
halb die Operation abgebrochen werden. Der Status blieb trotzdem in 
den nächsten Monaten der gleiche, das Allgemeinbefinden war ein gutes. 
Irgendeine Besserung trat in der Folge nicht ein. 

11. Sehr günstig war der klinische Verlauf in dem von Sohultze 
beobachteten, von Garrö operierten Fall 8 ). Bei einem 29jährigen Mann 
bildete sich vom Juli 1911 bis zum Februar 1912 eine Druckempfind¬ 
lichkeit des 6. Halswirbels mit Schiefhaltung der Halswirbelsäule, links¬ 
seitiger Sympathicuslähmung, Atrophie der linksseitigen kleinen Hals¬ 
muskeln und ein Brown-Sequard’scher Symptomenkomplex (linkes Bein 
paretiscb, Thermanalgesie vorwiegend rechts) aus. Die Diagnose wurde 
auf einen extramedullären Tumor im obersten Dorsalsegment gestellt. 
Die am 19.11. 1912 ausgeführte Operation zeigte keinen extramedullären 
Tumor; es gelang dann, durch einen Längsschnitt in die Hinterstränge 
ein Angiom herauszuschälen. In einigen Monaten kam es zu fast völliger 
Heilung. 

12. Endlich verdanke ich einer brieflichen Mitteilung Marburg’s 
die Nachricht, dass ein weiterer Fall von intramedullärem Tumor von 
der Ghvostek'sehen Klinik in Wien erfolgreich operiert worden ist. 

II. Extramedulläre in das Rückenmark eingedrungene 
Tumoren. 

Diesen zwölf Fällen von operiertem intramedullären Rückenmarks¬ 
tumor reihen sich dann drei weitere Fälle an, bei denen extramedul¬ 
läre Tumoren in das Rückenmark eingedrungen waren und nur 
unter Eingehen in die Rückenmarkssubstanz entfernt werden konnten. 
Einen derartigen Fall berichtet ganz kurz Schultze, der ihn zusammen 
mit Ebers 4 ) beobachtete; es bandelte sich um ein Rückenmarkssarkom, 
das extramedullär gelegen war,aber mit einem gut linsengrossen Geschwulst¬ 
zapfen das Rückenmark arrodierte. Gär re exstirpierte die extra- und intra¬ 
medullären Geschwulstmassen. Doch kam es zu keinem klinischen Erfolg; 
es entwickelte sich Cystitis und Decubitus mit Exitus nach einem Monat. 

Auf der VI. Jahresversammlung Deutscher Nervenärzte in Hamburg 
hat dann soeben Nonne 6 ) zwei Fälle von extramedullärem Rückenmarks¬ 
tumor mit Eindringen in den spinalen Seitenstrang, die erfolgreich 
operiert werden konnten, demonstriert. Der erste Fall betraf einen 
Mann mit einem Fibroendotheliom zwischen 7. und 8. Cervicalsegment, 
das in den rechten Seitenstrang hineingewachsen war, aus dem es heraus¬ 
geschält werden musste. Drei Monate nach der Operation war Pat. 
arbeitsfähig. Naoh einem Jahr bestand nur eine geringe Ataxie des 
rechten Beins. 

Der zweite Fall, bei dem sich eine unvollkommene Querschnitte- 
myelitis ohne nennenswerte Schmerzen entwickelt hatte, zeigte ein 
Fibrosarkom zwischen 1. und 2. Dorsalsegment, das auch aus dem rechten 
Seitenstrang herausgeschält werden musste. Nach vier Jahren zeigte 
sioh nur eine leichte spastische Parese des rechten Beins. 

Auch in einem von Oppenheim®) berichteten Fall von extra¬ 
medullärem Tumor in der Höbe des 5.—7. Dorsalsegments fand Bier 
bei der Operation eine in das Mark eingedrungene Geschwulst, deren 
völlige Exstirpation aber unmöglich war. Pat starb nach wenigen Tagen. 
Derartige Fälle dürften ; wohl häufiger Vorkommen, ohne dass sie immer 
zur Publikation gelangen. 


1) Hans Brun, Ueber einen zweiten Fall von operativer Entfernung 
eines subpial gelegenen Rückenmarktumors. Deutsche Zeitschr. f. Chir., 
1911, Bd. 110, S. 487. 

2) F. Krause, Chirurgie des Gehirns und Rückenmarks, Bd. 2, 

Beobachtung XVI 1, S. 778. - * 

3) Friedrieh Schultze, Weiterer Beitrag zur Diagnose und 
operativen Behandlung von Geschwülsten der Rüekanmarkshäute und des 
Rückenmarks. Erfolgreiche Operation eines intramedullären Tumors. 
Deutsche med. Wocbenschr., 1912, Nr. 36, S. 1676. 

4) F. Schultze, l. 0 ., Paul Ebern, Fall von operiertem Rücken- 
roarkstumor. Deutsche med. Wochensohr., 1913, Nr. 2, S. 70. 

5) Nonne, Zwei Fälle von operiertem extramedullären Rücken¬ 
markstumor. Neurolog. Centralbl., 1912, S. 1327. 

6) H. Oppenheim, Diagnose und Behandlung der Gesohwülste 
innerhalb des Wirbelkanals. Deutsche med. Woohensohr., 1908, S. 1906. 


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24. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


581 


III. Fremdkörper im Rückenmark. 

An diese 15 Fälle mit Eiogriflen in die Rückenmarkssubstanz bei 
intra- und extramedullären Tumoren schliessen sich zwei besonders be¬ 
merkenswerte Fälle von Schussverletzung des Rückenmarks mit 
erfolgreichem operativen Eingriff an. Der erste von Braun 1 2 ) operierte 
Fall stellt im weiteren Sinne den ersten erfolgreichen intramedullären 
Eingriff dar. 

Der 13 jährige Knabe bekam am 27. IV. 1904 einen Schuss in den 
Rücken mit einer Pistole von 5 mm Kaliber. Rechts neben der Mittel¬ 
linie fand sich zwischen 5. und 6. Brustwirbel die Wunde. Das linke 
Bein war total gelähmt, das rechte zeigte Spuren von Bewegung. Zu¬ 
gleich bestand vom 7. Dorsalsegment au totale Anästhesie, dabei Pria¬ 
pismus und Blasenlähmung. In den nächsten Wochen entwickelte sich 
ein Brown-Söquard’scber Symptomenkomplex. Nachdem die Röntgen¬ 
aufnahme das Geschoss im Wirbelkanal gezeigt hatte, wurde am 
3. VI. 1904 die Laminektomie des 5.—7. dorsalen Wirbelbogens aus¬ 
geführt. An der rechten Durahälfte fanden sich Tuchfetzen, der rechte 
Hidterstrang zeigte eine Delle. Nach Eröffnung der Dura und Einschnitt 
io den linken Hinterstrang konnte das Geschoss, das in einer von Vorder- 
slrang, Vorderseitenstrang und Vorderhorn gebildeten Höhle lag, ent¬ 
fernt werden. Es traten danach starke Spasmen der Beine auf, mit 
Beugekontraktur des rechten Beines. Durch Tenotomien wurde erreicht, 
dass nach zehn Monaten Stehen und Gehen möglich war. Auch nach 
vier Jahren vermochte sich Pat. im Stützapparat mit zwei Stöcken fort¬ 
zubewegen. Die von Lewandowsky vorgenommene neurologische 
Untersuchung stellte zunächst fest, dass das Geschoss 20 qmm bei 
60 qmm des ganzen Rückenmarks gross war und vom rechten Hinterstrang 
bis zum linken Vorderseitenstrang das Rückenmark durchquert hatte, 
so dass zwei Drittel des Rücken mark querschnitts zerstört waren. 
Auch musste die reaktive Entzündung um die Kugel herum Nerven- 
substanz vernichtet haben. Dazu kam noch die Verletzung des linken 
Hinterstrangs bei der Eotfernung der Kugel. Es waren daher beide 
üinterstränge zum grössten Teil, ein Teil des rechten Hinterseitenstranges, 
der linke Seitenstrang und der grösste Teil des linken Vorderstrangs 
zerstört; erhalten war der rechte Vorderstrang und Vorderseitenstrang 
und ein Teil des linken Vorderstrangs. Trotz dieser enormen Zerstörung 
bestand die Möglichkeit des Stehens und Gehens bei starken spastischen 
Kontrakturen. Die Sensibilität zeigte Störungen der Berübrungs- 
empfindung die aber beiderseits nicht aufgehoben war. Schmerz- und 
Temperatursinn zeigten rechts nur geringe Spuren einer Restitution 
(„Spitz“ ohne Schmerz, Eis als „kalt“), links ziemlich gute Restitution. 
Der Muskelsion war beiderseits vorhanden, rechts besser als links. Dieser 
Fall lehrt mit seinem verhältnismässig vorzüglichen Resultat, wie un¬ 
geheuer gross die Restitutionskraft auch am menschlichen Rückenmark 
sich darstellt. 

Ein weiterer Fall von Schussverletzung des Rückenmarks mit erfolg¬ 
reicher Eotfernung der Kugel aus demselben wird von Alessandri und 
Mingazzini 3 ) mitgeteilt. Ein Mann erhielt 1880 im Alter von 27 Jahren 
einen Revolverschuss in den vorderen Teil der linken Halshälfte und 
war sofort an Beinen und Rumpf bewegungs- und empfindungslos. Doch 
gingen die Erscheinungen rasch zurück; es blieb eine Parese der links¬ 
seitigen Extremitäten bestehen. Nach 26 Jahren, im Januar 1906, wurde 
eine Atrophie der ganzen Handmuskulatur des linken Armes mit Flexions¬ 
kontraktur der Finger und Herabsetzung der motorischen Kraft der Hand 
festgestellt. Das linke Bein zeigte Pes-Equinus-Stellung des Fusses mit 
Dorsalflexion der grossen Zehe und beträchtliche Abmagerung seiner 
Muskulatur. Beim Gehen wurde das linke Bein steif bewegt mit Schleifen 
der Fussspitze. Die Sehnenreflexe waren links gesteigert mit Fussclonus 
und Andeutung von Babinski. An der linken Hand bestand eine An¬ 
ästhesie mit Aufgehobensein des Lagegefühls und der Stereognose. An 
der linken unteren Extremität zeigten sich Störungen der taktilen Sensi¬ 
bilität, des Schmerz- und Temperatursinnes; am Fuss war das Lagegefühl 
aufgehoben. Die Röntgenaufnahme zeigte das Geschoss in der Höhe des 
füoften CervicalWirbels, etwas nach links. Es wurde am 14. I. 1906 
eine Hemilaminektomie der linken Hälfte des 5. Halswirbelbogens und 
des oberen Teiles des 6. Halswirbelbogens ausgeführt. Nach Eröffnung 
der Dura zeigte sich das Rückenmark links am unteren Rande des 
5. Halswirbels mit der Dura fest verwachsen. Nach Auseinanderbreiten 
der oberflächlichen Rückenmarksbündel konnte das Geschoss aus dem 
Rückenmark unter wiederholten olonischen Zuckungen ib der Muskulatur 
des linken Armes entfernt werden. Die Kugel hatte 9 mm Kaliber, 
3 mm Durchmesser. Die Heilung ging gut von statten; trotzdem blieben 
die sensiblen Störungen fast unverändert bei Steigerung der motorischen 
Ausfallserscheinungen. Auch hatte sich eine Thermanalgesie der rechts¬ 
seitigen Körperhälfte entwickelt. Die Kugel sass im Hinterstrang und 
hinteren Teil des Seitenstranges der linken Seite in Höhe des 6. Cervical- 
segments. War das funktionelle Resultat der Operation auch kein 
glänzendes, äo bedeutet die Entfernurifc der Kugel doch den Schutz vor 
drohenden Komplikationen.' . d a-_- -iJ 


1) W. Brauq, Beitrag zur> Frage der operativen Behandlung der 
Rückenmarksschüsse. Neurologische Bemerkungen von M. Lewan¬ 
dowsky. Deutsohe Zeitschr. f. Chirurgie, 1908, Bd. 94, S. 115. 

2) B. Alessandri und G. Mingazzini, Beitrag zum Studium der 

duroh Geschosse erzeugten Rüokenmarksverletzungen. Monatssohr. f. 

Psych. u. Neurol., 1908, Bd. 24, S. 150. 


IV. Andere Rückenmarksaffektionen. 

Es bleiben nun noch eine Reihe von intramedullären Eingriffen 
übrig, die, wie bei dem oben berichteten Fall von F. Krause, entweder 
bei nicht geschwulstartigen Affektionen des Rückenmarks vorgenommen 
wurden, oder bei denen doch der Tumorcharakter der Rückenmarks¬ 
affektion nicht sicher festgestellt werden konnte. Im ganzen sind es mit 
der ersten Krause’schen Beobachtung vier Fälle. Betraf der erste 
Krause’sche Fall einen Erweicbung9herd in den Hintersträngen bei 
einem tuberkulösen Prozess, so gibt Krause 1 ) in einem zweiten Fall 
die Krankengeschichte eines 41jährigen Arztes, der im Jahre 1905 mit 
Schmerzen in der Lendengegend und Herpes zoster-Eruptionen in der 
unteren Brustgegend erkrankte. Es kam zu Harnverhaltung und Sensi¬ 
bilitätsstörung an Füssen und Analgegend. Trotz negierter Lues Besse¬ 
rung durch Schmierkur. August 1906 trat Parese des linken Beines 
mit Anästhesie des rechten auf, 1907 kam es zur Parese der linken 
Bauchmuskulatur und zu tonischen Beinkrämpfen. Es wurde ein extra¬ 
medullärer Tumor links in der Höhe des 5. Dorsalsegments vermutet. 
Die am 19. IV. 1908 ausgeführte Operation zeigte nach Entfernung des 
4. —8. Brustwirbelbogens eine Schwarte in Höhe des 6.—8. Dorsal¬ 
segments. In der Höhe des 6 Dorsalsegments wurde eine Cyste in der 
hinteren Rückenmarkssubstanz eröffnet. Es handelte sich offenbar um 
eine Lues durae matris spinalis. Nach anfänglicher Verschlechterung 
trat unter Mithilfe von Sublimat und Jod langsame Besserung ein. 

Bailey und Beer 9 ) haben in einem Fall durch Extrusion ein 
intramedulläres Blutcoagulum im Dorsalmaik mit Erfolg operiert. Es 
lässt sich nicht entscheiden, ob hier vielleicht eine Hämorrhagie in ein 
cystisches Gliom oder in eine Syringomyeliehöhle stattgefunden hat. 
Jedenfalls trat Heilung mit weitgehender Besserung der Symptome ein. 

Endlich liegt der Fall einer 36jährigen Frau von Hunt und 
Woolsey 8 ) vor, bei dem sich innerhalb von zwölf Jahren allmählich 
eine linksseitige spastische Hemiplegie mit Anästhesie der rechten Körper- 
bälfte, vom Unterkiefer abwärts, entwickelte. Bei der Laminektomie in 
der Höbe des 3.-5. Cervicalwirbels am 28. III. 1910 war das Rücken¬ 
mark stark verdickt. Ueber einer verfärbt aussehenden Stelle rechts 
nahe der Mitte der hinteren Peripherie wurde die Rückenmarkssubstanz 
punktiert und über zwei Drachmen klarer Flüssigkeit entleert. Danach 
fiel das Rückenmark zusammen. Die Entleerung der offenbar vorhandenen 
Cyste bewirkte in den ersten zehn Tagen eine wesentliche Besserung 
der Lähmungserscheinungen bei unverändertem Verhalten der Sensibilität. 
Es lässt sich nicht entscheiden, ob es sich hier um einen cystisch 
veränderten Tumor oder um eine reine Cyste in der Rüokenmarkssubstanz 
der Hinterstränge gehandelt hat. 

Ein Rückenmarksabscess ist bisher nicht zur Operation gelangt. 
Bei der vorwiegenden Lokalisation solcher Abscesse in den Hinter¬ 
strängen, wie sie die drei von Turner und Collier 4 ) mitgeteilten 
Fälle zeigen, wäre aber ein operativer Eingriff in das Rückenmark bei 
einem geeigneten Fall wohl denkbar. 

Im ganzen sind es demnach 21 intramedulläre Eingriffe, die 
in der kurzen Zeit von fünf Jahren aasgeführt worden sind; 
12 intramedulläre Tumoren, 8 extramedulläre in das Rückenmark 
eingedrungene Tumoren, 2 intramednllär gelegene Geschosse, 
1 tuberkulöser Erweichungsherd, 2 Cysten, davon eine sicher 
syphilitischen Charakters, und 1 Blutcoagulum. Von diesen 
Fällen sind vier (Eisberg und Beer, Fall 2, Brun, Fall 2, 
Krauss und Sohultze-Ebers) zum Exitus gekommen; in fünf 
weiteren Fällen (den drei Krause’schen, dem Fall von Cushing 
und dem Fall von Alessandri-Mingaziini) ist kein wesent¬ 
licher klinischer Erfolg eingetreten. In den übrigen zwölf Fällen 
kann man von einem vollen operativen Erfolg und von weit¬ 
gehenden klinischen Besserungen bis zu völliger Heilung sprechen. 
Es ist das ein ganz überraschend günstiges Resultat, das sicher¬ 
lich zu einem Fortscbreiten auf dem Wege der intramedullären 
Operationen ermutigt. Zweifellos wird sich die Zahl der derart 
operierten Fälle rasch vermehren. 

Von den intramedullären Tumoren betreffen 2 Solitärtuberkel, 
4 Gliome, 2 Neurofibrosarkome bzw. Gliosarkom, 1 Neurofibrom, 

1 Angjom; einmal fehlt die nähere Angabe über die Natur des 
Tumors. Von den in das Rückenmark eingedrungenen extra¬ 
medullären Tumoren sind zwei Sarkome, ein Fibroendotheliom. 
Es dürfte kein Zufall sein, dass die Gliome die schlechtesten 
Resultate ergebeu haben. Von den 4 Fällen sind 2 gestorben, 

2 ohne radikale Operation im Status wenig verändert. Um so 

mehr tritt das yorzüglichq Resultat bei allen übrigen Geschwulst- 
arten hervor. , $ ■ ,,, r 


1) F. Krause, Chirurgie des Gehirns und des Rückenmarks,Bd. 2, Be¬ 
obachtung XVi 8, S. 766. t * *) » . i / ■ 

2) Cit bei Eisberg und Beer, L o. - * 

3) Hunt, Ramsay und George Woolsey, A contribution to the 
symptomatology and surgical treatment of spinal cord tumours. Annals 
of surg., September 1910, S. 289, Fall 8. 

4) Wm. Aldren Turner und James Collier, Intramedullary 
abscess of the spinal cord. An aooount of three oases. Brain, 1909, 
Bd. 27, S. 199. 

2 * 


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532 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 12. 


Ueb ersieht der intramednllären Operationen. 

I. Intramodulläre Tumoren. 

1. v. Eiselsberg-Clairmont (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk., 
Bd. 38, S. 236): 29 Jahre alte Frau; der Tumor sitzt in Höhe des 6. Brust¬ 
wirbelbogens. — Dauer und Verlauf: Beginn der Erkrankung vor 
1 j 2 Jahr. Kontrakturen in beiden Hüft- und Kniegelenken. Herab¬ 
setzung von Tast- und Schmerzempfindung bis 3 Querfinger- über 
dem Nabel. Lumbalpunktion ergibt gesteigerten Druck, gelblich ge¬ 
färbtes Punktat. — Operation: 13. XL 1907. Laminektomie zuerst 
des 7.—10. dorsalen Wirbelbogens, dann des sechsten. Rechts bläulicher 
ovaler Tumor, von dünner Schicht von Rückenmarkssubstanz bedeckt. 
Tumor abgegrenzt, mit Elevatorium ausschäl bar. — Ausgang: All¬ 
mähliche Besserung. Naoh 8 Monaten mit Streckappar&ten gehfähig. 
Nach 22 Monaten leichte Kontrakturen der Beine. Gehen möglich. Sensi¬ 
bilität normal. — Natur des Tumors: Pflaumen grosses Neurofibro- 
sarkom, 4 cm lang, 1 cm breit. Gerade im Begriff, durch die Kapsel zu 
wachsen. 

2. Eisberg und Beer (Amer. journ. of med. Sciences, 1911, Bd. 142, 
S. 63fc, Fall 1): 42 Jahre alter Mann; der Tumor sitzt im 5.-7. Cervical- 
segment. — Dauer und Verlauf: Seit 1907 Schmerzen ira Nacken und 
in den Armen. Sommer 1909 Schwäche zuerst der linken, dann der 
rechten Extremitäten. 1910 Arme schwach, links mehr wie rechts; auch 
das Bein links stärker befallen als rechts. Sensibilität bis Mammillae auf¬ 
gehoben. — Operation: 13. I. 1910. Laminektomie des 4. Ccrvical- 
bis 1. Dorsalwirbel. Inzision der geschwollenen Hinterstränge. 20.1.1910 
Exstirpation des vorgetriebenen rostbraunen Tumors. — Ausgang: 
Rasche Besserung. Nach 4 Wochen Sitzen ohne Hilfe. Nach 2 Monaten 
Stehen und Gehen. Sensibilität wiedergekehrt. Nach 8 Monaten Gehen, 
Schreiben möglich. Links Extremitäten etwas steif. — Natur des 
Tumors: Weiches Gliosarkom, 5,3:2 cm gross. 

3. Eisberg und Beer (ebenda, Fall 2): 40 Jahre alte Frau; der 
Tumor sitzt im 4.-6. Cervicalsegment. — Dauer und Verlauf: Vor 
2 Jahren Beginn mit Schmerzen und Schwäche der Arme, dann der 
Beine, links stärker als rechts. Seit 6 Monaten Gehen unmöglich. Blasen¬ 
lähmung, Paraplegie mit gesteigerten Reflexen. Atmen erschwert. — 
Operation: 19. II. 1910. Laminektomie des 4- Cervical- bis 1. Dorsal¬ 
wirbel. Rückenmark zwischen 4.-6. Cervicalsegment vergrössert. In¬ 
zision der Hinterstränge. Tumor entfernt. — Ausgang: Nach 4 Stunden 
Exitus an Atemlähmung. — Natur des Tumors: Cystisches Gliom 
41/a *• 2 cm gross. Hinterstränge im Rückenmark fehlen. 

4. Cushing (Bull, of the John Hopkins hospital, November 1910). 
Rückenmarksgeschwulst. Operation: Einschnitt in den Hinterstrang. 
Kleines Stück des Tumors entfernt. — Ausgang: Besserung. — Natur 
des Tumors: ^Gliom. 

5. Veragutb und Brun (Corr.-Blatt f. Schweizer Aerzte, 1910, 
Nr. 33): 32 Jahre alter Mann; der Tumor sitzt im 4.—5. Cervicalsegment. 

— Dauer und Verlauf: Phthisis pulmonum. Seit 2 Monaten Schmerzen 
im Nacken. Januar 1910 Schwäche und Parästhesien beider Arme. 
Linke Hand Stereoagnosie. Linker Arm paretiscb, linkes Bein leicht 
spastisch. Februar 1910 linksseitige Hemiparese mit linker Phrenicus- 
lähmung, rechts Sensibilitätsstörung. — Operation: 18. II. 1910. 
Laminektomie des 3. und 4. Proo. spin. cerv. Medulla aufgetrieben. 
Links hinten kleiner Fleck. Tumor aus dem Rückenmark herauszuschälen, 
-r- Ausgang: Rasche Besserung. Nach 56 Tagen geheilt entlassen. — 
Natur des Tumors: Solitartuberkel. 

6. Krauss (Journ. of nerv, and ment, disease, 1910, Nr. 4): 36 Jahre 
alter Mann; der Tumor sitzt in Höhe des 8.—4. Brustwirbelbogens. — 
Dauer und Verlauf: Tuberkulose. Schwäche der Beine. Blasenstörung. 
Anästhesie bis MammiUarlinie. — Operation: Intramedullärer Tumor 
ausgeschält. — Ausgang: Exitus. — Natur des Tumors: Tuberkel. 

7. Reichmann-Röpke (Archiv f. klin. Chir., Bd.*96, und Deutsche 
Zeitschr. f. Nervenheilk., Bd. 44): 20 Jahre alter Mann; der Tumor sitzt 
etwa in Höhe des 6. Brustwirbelbogens. — Dauer und Verlauf: 1906 
Ermüdung und Spannung in den Waden. 1908 Gehen an Stöcken. 
1909 spastische Parese der Beine. Sensibilitätsstörung vom Nabel ab¬ 
wärts. — Operation: 7. VI. 1910. Laminektomie des 10.—5. dorsalen 
Bogens. Zwei extramedulläre Tumoren entfernt. Dann kirschkerngrosser 
Tumor aus den Hintersträngen exstirpiert. — Ausgang: Langsame 
Besserung. Nach 8 Monaten Gehen ohne Stock bei leichter Ataxie. — 
Natur des Tumors: Multiple Neurofibrome. 

8. v. Eiseisberg - Marburg (persönliche Mitteilung): 36 Jahre 
alte Frau; Tumor sitzt in Höhe des 4.—6. Halswirbels. — Dauer und 
Verlauf: September 1910 Heiserkeit, Parästhesien der linken Hand. 
Links Recurrensparese. Sensibilität links bis 2. Intercostalraum herab¬ 
gesetzt. Obere Halswirbel druckempfindlich. — Operation: 25.XI. 1910. 
Laminektomie des’4.—6. Halswirbels. Cyste aus dem Mark entfernt. — 
Ausgang: Rasche Besserung. Ataxie der Arme. — Natur des Tumors: 
Cystischer Tumor. 

9. Brun (Deutsche Zeitsehr. f. Chili, Bd. ( 110): ,28 Jahre alter Mann; 
der Tumor sitzt in Höhe des 6. Brustwirbelbogens. — Dauer und 
Verlauf: Juli 1910 Schwäche des linken Beins. September 1910 
Hypästhesie bis zum 8. dorsalen Proc. spin. Linkes Bein paretisch. 

— Operation: 21. IX. 1910. Laminektomie des 6. und 7. Brustwirbel¬ 
bogens. Links hinten subpialer Tumor entfernt. — Ausgang: Nach 
14 Tagen Exitus. — Natur des Tumors: Subpiales Gliom. Ausser¬ 
dem Gliom im linken Hinterstrang des 4. Dorsalsegments. . 


10. F. K rause (Chir. d. Gehirns u. Rückenmarks, 2.Bd., Beob.XVI 1): 
13 Jahre alter Knabe; der Tumor sitzt im 8.-9. Dorsalsegment. — Dauer 
und Verlauf: September 1910 Schwäche der Beine, besonders des 
linken. Januar 1911 spastische Parese der Beine, besonders des linken. 
Thermoanästhesie rechts bis zwei Querfinger oberhalb des Poupart’schen 
Bandes. — Operation: 5. L 1911. Laminektomie des 7.-8. Brust¬ 
wirbelbogens. Inzision der Hinterstränge. Herausquellen gliomatöser 
Massen. — Ausgang: Status nach Monaten unverändert. — Natur 
des Tumors: Gliom. 

11. Fr. Schultze (Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 86): 
29 Jahre alter Mann; der Tumor sitzt in Höhe des 6. Halswirbels. — 
Dauer und Verlauf: Juli 1911 Druckempfindlichkeit des 6. Hals¬ 
wirbels. Dann Atrophie der linken Handmuskeln. Brown-Säquard. — 
Operation: 19. II. 1912. Laminektomie. Tumor aus den Hintersträngen 
herausgeschält. — Ausgang: Fast völlige Heilung. — Natur des 
Tumors: Angiom. 

12. Klinik Chvostek (persönliche Mitteilung von Prof. Marburg). 
Dauer und Verlauf: 1912 intramedullärer Tumor. — Operation: 
Erfolgreich. — Ausgang: Heilung. — Natur des Tumors: ? 

II. Extramedulläre, in das Rückenmark eingedrungene 
Tumoren. 

1. Schultze-Ebers (Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 36, 
und 1913, Nr. 2): 23 Jahre alte Frau; der Tumor sitzt im 4. Dorsal¬ 
segment. — Dauer und Verlauf: Entwicklung der Symptome eines 
Rückenmarkstumors März bis Juli 1912. — Operation: 26. VII. 1912 
(Garre). Laminektomie des 2. und 3. Brustwirbelbogens. Tumor 
teils extramedullär, teils intramedullär (linsengros3er Geschwulst¬ 
zapfen in dem Rückenmark). — Ausgang: Nach kurzer Besserung 
starke Verschlechterung des Zustandes. Exitus 25. VIII. 1912. — Natur 
des Tumors: Grosszelliges Sarkom, von den Häuten ausgehend. 
Sektion fehlt. 

2. Nonne (Neurol. Centralbl., 1912, S. 1327): Mann; der Tumor 
sitzt im 7.-8. Cervicalsegment. — Dauer und Verlauf: Sym¬ 
ptome eines extramedullären Tumors. — Op eration: Geschwulst extra- 

' medullär, in den Seitenstrang hineingewachsen, wird herausgeschnitten. 
— Ausgang: Nach 3 Monaten arbeitsfähig. — Natur des Tumors: 
Fibroendotheliom. 

3. Nonne (ebenda): Mann; der Tumor sitzt ira 1.—2. Dorsal¬ 
segment. — Dauer und Verlauf: Symptome einer unvollkommenen 
Querschnittsmyelitis ohne wesentliche Schmerzen. — Operation: 
Extramedulläre, iu den Seitenstrang eingedrungene Geschwulst. Aus¬ 
schälung. — Ausgang: Nach 4 Jahren loichte spastische Parese des 
rechten Beins. — Natur des Tumors: Fibrosarkom. 

III. Fremdkörper im Rückenmark. 

1. Braun (Zeitschr. f. Chir., Bd. 94): 13 Jahre alter Knabe; 
der Tumor sitzt in Höhe des 5.-6. Brustwirbels. — Dauer und 
Verlauf: 27. IV. 1904 Pistolenschuss in den Rücken. Brown-Söquard. 
Linkes Bein gelähmt, rechts Anästhesie. — Operation: 3. VI. 1904. 
.Kugel aus Rückenmark durch linken Hinterstrang entfernt. — Ausgang: 
Nach 4 Jahren Gehen im Stützapparat. Starke Sensibilitätsstörungen 
rechts. — Natur des Tumors: Pistolenkugel, 5 mm Kaliber. 

2. Alessandri und Mingazzini (Monatsschr. f. Psych. u. Neurol., 
1908, Bd. 24, S. 150): 53 Jahre alter Mann; der Tumor sitzt in Höhe 
des 6. Cervicalsegments. — Dauer und Verlauf: Vor 26 Jahren Pistolen¬ 
kugel in das linke untere Halsmark. Spastische Parese der linken Ex¬ 
tremitäten mit linker Sensibilitätsstörung. — Operation: 14.1. 1906. 
Kugel aus linker Rückenmarkshälfte (Hinterstrang und Hinterseitenstrang) 
entfernt. — Ausgang: Heilung. Keine funktionelle Besserung. — 
Natur des Tumors: Pistolenkugel, 9 mm Kaliber. 

IV. Andere Rüokenmarksaffektionen. 

1. F. Krause (Chir. d. Gehirns u. Rückenmarks, 2. Bd., Beob. XV 2): 
51 Jahre alte Frau; der Tumor sitzt im 7. Dorsaisegment. — 
Dauer und Verlauf: Erscheinungen der intravertebralen Geschwulst¬ 
bildung. — Operation: 24. IX. 1907. Im 7. Dorsalsegment Schwarte 
am Rückenmark entfernt; dann Eröffnung eines erbsengrossen Er- 
weichungsherdes der Hinterstränge. — Ausgang: Wesentliche Besserung. 
Nach 2 Jahren Stehen möglich. — Natur des Tumors: Tuberkulöser 
Prozess. 

2. F. Krause (ebenda, Beob. XV 3): 41 Jahre alter Mann; 
der Tumor sitzt im 6. Dorsalsegment. — Dauer und Verlauf: 1905 
Herpes zoster der unteren Brastgegend. Harnverhaltung. 1906 Parese 
des linken, Anästhesie des rechten Beins. 1907 Parese der linken 
Bauchmuskulatur. — Operation: 19. IV. 1908. Entfernung des 4. bis 
8. Brustwirbelbogens. Schwarte in der Höhe des 6.—8..Dorsalsegmeuts. 
Eröffnung einer intramedullären Cyste (6. Dorsalsegment). — Ausgang: 
Langsaiöe Besserung unter Mithilfe von Quecksilber)und Jod. — Natur 
des Tumors: Lues durae matris mit intramedullärer Cyste« 

3. Bailey und Beer, citiert bei Eisberg und Beer, 1. c.: Der 
Tumor sitzt im Dorsalmark. — Operation: Intramedulläres Blut- 
coagulum entfernt. — Ausgang: Heilung. Besserung der Symptome.— 
Natur des Tumors: Blutcoagulum. 

4. Hunt and Woolsey (Annals of surgery, Sept. 1910): 36 Jahre 
alte Frau, der Tumor sitzt in Höhe des 3.-4. Cervical Wirbels. — 
Dauer und Verlauf: Seit 12 Jahren Entwicklung einer linksseitigen 


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24. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


B33 


spastischen Hemiplegie mit Anästhesie rechts vom Unterkiefer an. — 
Operation: 28. IIL 1910. Laminektomie des 3.-5. Cervicalwirbels. 
Punktion einer Cyste in der Rütokenmarkssubstanz. — Ausgang: Nach 
10 Tagen Besserung der Lähmung. — Natur des Tumors: Intra¬ 
medulläre Cyste. 

(Schluss folgt.) 


Ueber die Bedeutung der Rinderbacillen für den 
Menschen. 

Von 

Geh. Reg.-Rat Dr. A. Weber. 

(Diskussionsbemerkungen zu dem Vorträge des Herrn Geheimrats Orth 
in Nr. 10 dieser Wochenschrift.) 

M. H.! Aus dem Vortrage des Herrn Geheimrats Orth habe 
ich za meiner Freude ersehen, dass er mit meinen Anschauungen 
in der Tuberkulosefrage, wie ich sie in der Festschrift für 
Löffler im 64. Bande des Centralblattes für Bakteriologie nieder¬ 
gelegt habe, in manchen wichtigen Punkten einverstanden ist, 
und dass wir besonders in dem Hauptpunkte, in der Bekämpfung 
der Tuberkulose, darin miteinander übereinstimmen, dass in erster 
Linie die grosse, von den humanen Bacillen drohende, in zweiter 
Linie die verhältnismässig kleine, den bovinen Bacillen beizu¬ 
messende Gefahr zu bekämpfen ist. 

Io einer Unterfrage kann ich mich allerdings der Ansicht von 
Herrn Geheimrat Orth nicht anschliessen, nämlich in der Frage, 
wie gross denn nun eigentlich die Gefahr ist, die dem Menschen 
von den bovinen Bacillen droht. Herr Geheimrat Orth bat in seinem 
Vortrage in der Akademie der Wissenschaften vom 8. Februar 1912 
sich dahin geäussert, dass, wenn es auch gelänge, die Bacillen vom 
Typus bumanus zu vernichten, immer noch eine mit allen Hilfs¬ 
mitteln zu bekämpfende Volkskrankheit übrig bleiben würde. 
M. H., ich bin der Ansicht, dass, wenn wir es wirklich einmal 
so herrlich weit gebracht haben sollten, alle auf humanen 
Bacillen beruhende Fälle auszuschalten, dann würden wir uns 
mit dem Rest, der übrig bleiben würde, leicht abfinden können. 

Herr Geheimrat Orth ist der Ansicht, dass diesem Rest, der 
also boviner Infektion zuznschreiben ist, immer noch eine der¬ 
artig grosse Bedeutung zukomraen würde, dass die bovine In¬ 
fektion als Volkskrankbeit, als Volksseuche zu bezeichnen wäre. 
M. H., wenn die Bedeutung der bovinen Infektion wirklich so 
gross sein sollte, dass sie als Volkskrankheit imponiert, dann 
müsste das meiner Meinung nach doch in den epidemiologischen 
Verhältnissen zum Ausdruck kommen. Dies ist aber nicht der 
Fall; wenigstens konnte bisher der Beweis dafür nicht erbracht 
werden. 

Flügge hat schon vor Jahren durch seinen Schüler Hey¬ 
mann ethnographisch-statistische Zusammenstellungen machen 
lassen, die sich auf Japan, Grönland, die Färöer, Island, einige 
Iodianerstämme Nordamerikas, auf die Türkei, auf Rumänien, 
Aegypten und die Goldküste bezogen. Calmette bat vor kurzem 
derartige Erhebungen für die französischen Kolonien in Afrika, 
in Asien, in Amerika anstellen lassen. Es hat sich keinerlei 
Parallelismus zwischen der Häufigkeit der Tuberkulose unter den 
Menschen und der Häufigkeit der Tuberkulose unter dem Rind¬ 
vieh nachweisen lassen. Es hat sich hinsichtlich der Häufigkeit 
der menschlichen Tuberkulose keinerlei Unterschied gezeigt 
zwischen solchen Ländern, in denen Rindertuberkulose vorkommt, 
und solchen Ländern, in denen sie fehlt, bzw. zwischen solchen 
Ländern, in denen Kuhmilch zur Kindernahrang verwendet wird, 
und solchen Ländern, in denen Kuhmilch aus irgendeinem 
Grunde, z. B. religiöser Art, von der Kindernahrung aus¬ 
geschlossen ist. 

In der neuesten Zeit hat auch Gosio für Italien ähnliche 
Angaben gemacht. Man hat in Italien sein Augenmerk vor allem 
auf die Hirtenfamilien gerichtet, die ihr ganzes Leben lang mit 
dem Vieh zusammen leben; sie melken das Vieh, sie trinken j 
rohe Milch, sie schlafen im Stall, sie stehen also in ununter¬ 
brochener Berührung mit dem Rindvieh, das nach Ausweis der 
Tuberkulinprüfung bis zu 8$ pCt. perlsüchtig ist. Mehr als 1000 
solcher Hirten wurden genau auf Tuberkulose untersucht. Es,bat 
sich nur bei ganz wenigen Tuberkulose nachweisen lassen, und 
auch unter ihren Kindern war die Tuberkulose sehr selten. 

Ich möchte dann ferner darauf hinweisen, dass bereits im 
Jahre 1875 auf Anregung des deutschen Veterinärrates eine 
preussiscbe und eine sächsische Kommission zum Studium der . 


Frage ernannt worden sind, ob der Genuss von Fleisch und Milch 
perlsüchtiger Tiere für den Menschen nachteilig sei. Beide 
Kommissionen, an deren Spitze Männer wie Virchow und 
Siedamgrotzky standen, kamen, ebenso wie Erhebungen, die 
die bayerische Regierung anstellen liess, zu dem Schluss, dass 
sich keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben haben, dass durch 
Milch und Fleisch perlsüchtiger Tiere die Rindertuberkulose auf 
den Menschen übertragen werden könne. M. H., dies war zu 
einer Zeit, wo doch sicher viel mehr rohe Milch getrunken worden 
ist als heutzutage; es war zu einer Zeit, wo wir noch kein Reichs- 
Viehseucbengesetz, noch kein Schlachtvieh- und Fleischbescbau- 
gesetz hatten, wo also sicher die Aufnahme von Tuberkelbacillen 
durch den Menschen viel häufiger erfolgte als jetzt Dies, m. H., 
gibt doch zu denken. 

Ich unterschätze die Bedeutung der experimentellen Wissen¬ 
schaft sicher nicht; dafür bin ich mit ihr viel zu sehr ver¬ 
wachsen. Ich verkenne auch sicher nicht die Fortschritte, die 
wir in den letzten Jahren dank der bakteriologischen Forschung 
gerade auf dem Gebiet der Tuberkulose gemacht haben; aber ich 
glaube, wir müssen doch, ehe wir weitere Schlüsse ziehen hin¬ 
sichtlich der Grösse der Gefahr, versuchen, die durch den ex¬ 
perimentellen Laboratoriumsversuch und doch zum grössten Teil 
an Leichenmaterial gewonnenen Resultate mit den praktischen 
Verhältnissen, mit der Epidemiologie in Einklang zu bringen. 
Dies ist uns bisher, glaube ich, noch nicht ganz gelungen. 

Die Bemerkung von Herrn Geheimrat Orth, dass das Kaiser¬ 
liche Gesundheitsamt in früherer Zeit den bovinen Bacillen nicht 
besonders wohlgesinnt gewesen sei, und dass man sich erst in 
neuerer Zeit mehr seinen Anschauungen genähert habe, veranlasst 
mich, die Tätigkeit der deutschen Tuberkulosekommission kurz 
historisch darzulegen. 

Die deutsche Tuberkulosekommission hat ihre Arbeiten auf 
Grund eines Planes ausgeführt, der vom Unterausschuss für Tuber¬ 
kulose des Reichsgesundheitsrats aufgestellt worden ist. Dieser 
Unterausschuss ist von deu Jahren 1901 bis 1907 jährlich ein¬ 
mal zusammengetreten, die Versucbsergebnisse wurden ihm vor¬ 
gelegt und durchgesprochen, so dass in diesen Jahren die Ver¬ 
suche unter der Kontrolle des Reichsgesundbeitsrats ausgeführt 
worden sind. 

Von Zeit zu Zeit fanden Veröffentlichungen in den Tuber¬ 
kulosearbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamt statt. Wir 
haben uns nun damals im Gegensatz zu der Gepflogenheit 
mancher anderer Untersucher zum Grundsatz gemacht, alle weiter- 
tragenden Schlussfolgerungen zu vermeiden und uns ledig¬ 
lich auf Festlegung der Resultate zu beschränken, die 
sich jedesmal aus deu angestellten Versuchen unmittelbar 
ergaben. Vielleicht bat diese, doch im allgemeinen, glaube ich, 
anerkennenswerte Zurückhaltung zu dem Missverständnis geführt, 
dass wir den bovinen Bacillen nicht die genügende Bedeutung 
beigemessen hätten. Wir sind bei unseren Untersuchungen, wie 
z. B. Alt schul anerkennt, schrittweise und systematisch vor¬ 
gegangen. Wir haben die bovinen Bacillen zunächst in den 
Mesenterialdrüsen gesucht, wir haben sie gefunden und haben den 
Schluss gezogen, dass bei primärer Abdominaltuberkulose die 
bovinen Bacillen sich an der Eintrittsstelle finden. Wir haben 
sofort den Plan gefasst, in Fällen von generalisierter Tuberkulose, 
die vom Darm ausgeht, die bovinen Bacillen nicht nur an der 
Eintrittspforte, sondern in sämtlichen Organen, namentlich in 
den Organen, die entfernt von der Eintrittspforte liegen, nach¬ 
zuweisen. Das ist uns gelungen. Jetzt erst waren wir zu dem 
Schluss berechtigt, dass die bovinen Bacillen auch eine gerali- 
sierte tödliche Tuberkulose hervorrufen können, ein Standpunkt, 
den die englische Kommission ausdrücklich als den richtigen an¬ 
erkennt. Wir haben dann unsere Untersuchungen weiter auf die 
Halsdrüsentuberkulose, dann auf die Knochen- und Gelenktuber¬ 
kulose ausgedehnt, wir haben die Säuglingstuberkulose extra be¬ 
handelt, uud zurzeit sind wir mit Untersuchungen über den Lupus 
beschäftigt. 

So haben wir uns allmählich unsere Auffassung über die 
Bedeutung der bovinen Bacillen gebildet;‘selbstverständlich musste 
diese beim Fortscbreiten der Untersuchungen immer mehr tfnd 
mehr zutage treten, und sie ist, glaube ich, auch dementsprechend 
von uns anerkannt und zum Ausdruck gebracht worden. 

Die ersten Veröffentlichungen von Kossel, Weber und Heuss 
stammen aus dem Monat Oktober des Jahres 1903. Es wurde 
darin festgestellt, dass unter 40 Fällen menschlicher Tuberkulose 
io vier Fällen Tuberkelbacillen gefunden worden sind, die von 

3 


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534 


BERLINER KLINISCHE WO CHE NSCHRIFT. 


Nr. 12. 


Rinderfcuberkelbacillen nicht zu trennen waren, und zum Schlüsse 
der Veröffentlichung wurde vorsichtshalber hinzugefügt: „vielleicht 
ist es aber nicht überflüssig, darauf hinzuweiseo, dass eine Aende- 
rung unserer Maassnahinen gegen die Tuberkulose zurzeit 
weder in der einen noch in der andereu Richtung befürwortet 
werden kann“. 

Welchen Standpunkt das Gesundheitsamt damals in der Frage 
der Gefährlichkeit der bovinen Bacillen für den Menschen ein¬ 
nahm, kann jetzt noch aus der Fassung des Gesundheitsbüchleins 
und des Tuberkulosemerkblattes genau ersehen werden. Im Ge¬ 
sundheitsbüchlein heisst es: 

„Seitdem auch eine häufige Tierkrankheit, die Perlsucht des 
Rindviehs, als Tuberkulose erkannt worden ist, bat die Ueber- 
zeugung Platz gegriffen, dass namentlich unter Kindern die Milch 
kranker Kühe Tuberkulose verbreitet.“ 

Und weiter heisst es: 

„Der Verkauf der Milch tuberkulös erkrankter Kühe ist zu 
verbieten. Der Genuss unabgekochter Milch ist allgemein zu 
widerraten, sofern man nicht über deren einwandfreie Herkunft 
zuverlässig unterrichtet ist.“ 

Es ist dies die Fassung aus dem Jahre 1894, die nicht ge¬ 
ändert worden ist, auch nicht unter dem Eindruck der Erklärung 
Robert Koch’s auf dem Tuberkulosekongress in London im 
Jahre 1901. 

Und im Tuberkulosemerkblatt heisst es: 

„Tuberkelbacillen werden aufgenommen: 

1. durch Einatmen . . . 

2. mit der Nahrung: in erster Linie durch ungekochte Milch, 
bei ungenügender Fleischschau, auch durch Fleisch tuber¬ 
kulöser Tiere, welches in den Verkehr gelassen und vor 
dem Genuss nicht durchgekocht wurde;“ 

und weiter: 

„Milch und Fleisch sind vor dem Genuss gründlich zu 
kochen“. 

Am 16. Mai 1904 erschien dann der zwei Druckseiten um¬ 
fassende erste Interimsbericht der englischen Kommission, in dem 
ganz summarisch mitgeteilt wurde, dass unter mehr als 20 Fällen 
menschlicher Tuberkulose in 7 bovine Bacillen gefunden worden 
waren. Es wäre also, wie es in dem englischen Bericht weiter 
heisst, unweise, die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze gegen 
die Infektion mit Rindertuberkelbacillen zu beschränken oder zu 
modifizieren. 

Im Jahre 1905 erschien die zweite Mitteilung von Kossel, 
Weber und Heuss, die als Ergebnis die Feststellung brachte, 
dass unter 64 Fällen tuberkulöser Veränderungen beim Menschen 
8 Fälle waren, die dem Typus bovinus angehörten. 

Erst auf Grund dieser Untersuchungen und der inzwischen 
von anderer Seite beigebrachten Beiträge gingen wir daran, nun¬ 
mehr allgemeinere Schlussfolgerungen über die praktischen und 
die wissenschaftlichen Ergebnisse der neueren Forschungen über 
die Beziehungen zwischen Menschen- und Tiertuberkulose aufzu¬ 
stellen. Die Entwürfe sind von Kossel aufgesetzt, sie wurden in 
einer Vorbesprechung am 6. Juni 1905 im engeren Kreise, dem 
auch Herr Orth angehörte, durchberaten, und Herr Geheimrat 
Orth hat damals seiner Freude darüber Ausdruck gegeben, dass 
er sich nach dem Durchlesen der Entwürfe vollkommen damit 
einverstanden erklären könne. Die Entwürfe wurden dann am 
nächsten Tage im Reichsgesundheitsrat durebberaten, und gerade 
der Passus, den Herr Geheimrat Orth sowohl in dem bereits er¬ 
wähnten Vortrage in der Akademie der Wissenschaften als auch 
hier .eitert hat, ist, von einer g^nz unbedeutenden redaktionellen 
Aenaerung abgesehen, angenominen worden. Ich glaube, eine 
schönere Uebereinstimmung zwischen Herrn Orth, Herrn Kossel, 
dem Reichsgesundheitsamt und dem Reicbsgesundheitsrat ist wohl 
kaum zu denken, und es dürfte daher wohl auf einem Miss¬ 
verständnis beruhen, wenn Herr Geheimrat Orth, wie ich aus 
seinen Vorträgen entnehmen zu müssen glaube, einen Gegensatz 
zwischen den genannten Herren und den genannten Stellen an¬ 
nimmt. Der Passus, den ich meine, ist Ziffer 7 und 9 der 
„Praktischen Ergebnisse“, Er lalltet folgendermaassen: 

7. „daher ist der Genuss Von Nahrungsmitteln, welche von 
tuberkulösen Tieren stammen und lebende Tuberkelbacillen 
enthalten, für die Gesundheit des Menschen, namentlich im 
Kindesalter, nicht als unbedenklich zu betrachten. 

8. Eine gewissenhaft durchgeführte Fleischbeschau bietet einen 
erheblichen Schutz gegen die Uebertragung der Tuberkel¬ 
bacillen mit dem Fleisch auf den Menschen; ausserdem be¬ 


steht ein Schutz in der geeigneten Zubereitung des Fleisches 
(gründliches Durcbkochen oder Durchbraten). 

9. Die Möglichkeit der Uebertragung von Tuberkelbacillen mit 
der Milch und den Milchprodukten auf den Menschen wird 
durch wirksame Bekämpfung der Tuberkulose unter dem 
Rindvieh erheblich verringert. Die in der Milch ent¬ 
haltenen Tuberkelbacillen können durch zweckentsprechende 
Erhitzung abgetötet werden.“ 

Es hat sich bisher noch keine Veranlassung geboten, diese 
praktischen Ergebnisse abzuändern. 

Im Januar 1907 erschien der zweite Interimsbericht der eng¬ 
lischen Kommission, aus dem zu ersehen war, dass von 60 Fällen 
menschlicher Tuberkulose 14 bovine Bacillen enthielten. 

Vom Kaiserlichen Gesundheitsamt wurden dann in den fol¬ 
genden Jahren die Arbeiten von Weber, Taute, Oehlecker, 
Dieterlen, Steffenhagen, Kersten, Ungermann, Linde¬ 
rn ann veröffentlicht. Im ganzen erstrecken sich die bisher ab¬ 
geschlossenen Untersuchungen des Gesundheitsamtes auf 352 Fälle 
menschlicher Tuberkulose, aus denen 511 Kulturstämme gezüchtet 
wurden. 

1910/11 erschienen die Untersuchungen von Park und 
Krumwiede aus dem Gesundheitsamt der Stadt New York, die 
sich auf 478 Fälle menschlicher Tuberkulose erstreckten, und im 
Juni 1911 erschien der Schlussbericht der englischen Kommission, 
der 128 Fälle menschlicher Tuberkulose umfasste. 

Betrachten wir die gesamten Resultate dieser drei grössten 
Kommissionen, so ist, wie es auch Woodhead von der englischen 
Kommission, die Amerikaner Park und Krumwiede, ferner ein 
so unparteiischer Beobachter wie Altschul-Prag betont haben, 
ganz auffallend, welche Uebereinstimmung sich in den Resultaten 
dieser drei Kommissionen findet, und es ist nicht recht zu ver¬ 
stehen, wie gerade von deutscher Seite aus wiederholt behauptet 
worden ist, die Ergebnisse der englischen Kommission ständen im 
Widerspruch mit denen der deutschen Kommission. 

Als Beweis für die Häufigkeit der bovinen Infektion hat 
Herr Geheimrat Orth die erst vor kurzem erschienene Arbeit 
von Fraser angeführt, der in 63 pCt. von Knochen- und Gelenk¬ 
tuberkulose bovine Bacillen gefunden haben will, während in den 
bisher vorliegenden Untersuchungen, namentlich von Oehlecker 
und Burckhardt, dieser Prozentsatz nur 4,3 beträgt. Ich will 
die Möglichkeit nicht von der Hand weisen, dass hier örtliche 
Momente und örtliche Unterschiede eine Rolle spielen können. 
Aber selbst bei Berücksichtigung dieser Möglichkeit muss ver¬ 
langt werden, dass eine Arbeit, die von den bisher vorliegenden 
Resultaten so sehr ab weicht, in jeder Beziehung beweiskräftig 
und einwandfrei ist. Das ist meiner Ansicht nach die Arbeit 
von Fraser, so wie sie bisher im Journal of experimental medi- 
cine vorliegt, nicht. Es ist dies eine ganz summarische Mit¬ 
teilung ohne Beigabe auch nur eines einzigen Versuchsprotokolls, 
so dass man sich jedenfalls kein eigenes Urteil bilden kann. 
Für mich scheidet daher die Arbeit von Fraser zunächst ans, 
zumal da lediglich die intravenöse und nicht auch die subcutane 
Kaninchenimpfung Anwendung gefunden hat. 

Herr Geheimrat Orth hat dann ferner die im Kaiserlichen 
Gesundheitsamt bearbeitete Sammelforschung über den Genuss 
von Milch eutertuberkulöser Kühe einer Kritik unterbreitet und 
ihr so gut wie jede Beweiskraft abgesprochen. Die Sammel¬ 
forschung erstreckt sich auf 687 Personen, unter denen sich 
mindestens 280 Kinder befinden. Die Personen haben zum Teil 
lange Zeit und in grosser Menge Rindertuberkelbacillen mit der 
Milch aufgenommen. Unter den 280 Kindern konnten nur zwei 
gefunden werden, bei denen mit Sicherheit die bovine Infektion 
naebgewiesen wurde. In beiden Fällen handelte es sich um 
Halsdrüsentuberkulose. In beiden Fällen reichte der Genuss der 
Milch der eutertuberkulösen Kuh bis in das Säuglingsalter zurück, 
in beiden Fällen lag eine sehr schwere Eutertuberkulose vor, 
die sich auf alle vier Euterviertel erstreckte. In beiden Fällen 
wurde die Milch der eutertuberkulösen Kuh nur mit der Milch 
einer zweiten Kuh, also nicht der Milch mehrerer Kühe verdünnt 
In einem Falle wurde die Milch ein Jahr lang genossen, im 
zweiten Falle iy 2 Jahr. In beiden Fällen sind die übrigen 
Familienmitglieder, acht weitere Kinder sowie Vater und Mutter, 
die ebenfalls von der Milch der eutertu berkul Wen Kuh genossen 
haben, gesund geblieben. 

Dass die Sammelforschung nur bedingte Beweiskraft besitzt, 
habe ich gleich bei meiner ersten Veröffentlichung selbst betont, 
und in dem auf dem Internationalen Kongress für Hygiene und 


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24. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


535 


Demographie in Washington September 1912 erstatteten Referat 
habe ich mich darüber folgendermaassen geäussert: 

„Allerdings wissen wir nicht, wieviel von den übrigen 
Kindern, sowohl von den 14 verdächtigen als auch von den ganz 
gesund erscheinenden, auf bovinen Bacillen beruhende tuberkulöse 
Herde in ihrem Körper tragen, nnd wie sich etwa eine zurzeit 
noch keine Krankheitssymptome machendo tuberkulöse Affektion 
im Laufe der Jahre weiter entwickeln wird. In der weiteren 
Beobachtung der dem Genuss tuberkelbacillenhaltiger Milch aus¬ 
gesetzt gewesenen Kinder liegt der Hauptwert der Sammel¬ 
forschung. Das bisher vorliegende Ergebnis stellt erst den Beginn 
oder höchstens die erste Phase der Einwirkung der bovinen 
Bacillen auf den menschlichen Körper dar. Nur dann, wenn es 
gelingen sollte, einen grossen Teil der Personen der Sammel¬ 
forschung weiter zu verfolgen und womöglich durch einen Ob¬ 
duktionsbefund und eine genaue bakteriologische Untersuchung 
sich Klarheit über etwa vorhandene tuberkulöse Veränderungen 
zu verschaffen, wäre die Sammelforschung in der richtigen Weise 
verwertet. Und erst dann könnte, streng genommen, das Er¬ 
gebnis der Sammelforschung verglichen werden mit dem Resultat, 
das auf dem umgekehrten Wege, nämlich durch Feststellung der 
bovinen Tuberkelbacillen auf Grund bakteriologischer Unter¬ 
suchung am Leichenmaterial gewonnen worden ist.“ 

Ein Ergebnis der Sammelforschung kann ich Ihnen aber 
heute schon mitteilen, m. H., nämlich das, dass von den 280 Kindern, 
die die Milch eutertuberkulöser Kühe getrunken haben, bisher 
kein einziges an Tuberkulose gestorben und auch keines an einer 
offenkundigen schweren Tuberkulose erkrankt ist, obwohl die Kinder 
zum Teil bereits sieben Jahre beobachtet werden. Es drängt 
sich mir dabei immer die Frage auf, welches wohl die Wirkung 
gewesen wäre, wenn diese Kinder statt der bovinen Bacillen 
menschliche Tuberkelbacillen in derselben Menge mit der Milch 
in ihren Körper aufgenommen hätten. Ich kann mich des Ein¬ 
drucks nicht erwehren, dass in diesem letzteren Falle ein grosser 
Teil der Kinder nicht mehr am Leben wäre, und dass ein weiterer 
Teil bereits offenkundige Tuberkulose zeigen würde. 

Abgesehen von den immerhin nicht unbeträchtlichen In¬ 
fektionen mit bovinen Bacillen hat Herr Geheimrat Orth für die 
Bedeutung der bovinen Bacillen die Umwandlungshypotbese ins 
Feld geführt. Theoretisch kann die Möglichkeit einer Umwandlung 
allerdings nicht ohne weiteres von der Hand gewiesen werden. 
Meine zahlreichen eigenen Versuche auf diesem Gebiet haben mich 
jedoch stets zu negativen Resultaten geführt. Ich möchte ferner 
die Erfahrungen der englischen Kommission erwähnen. Die 
englische Kommission neigte im zweiten laterimsreport stark der 
Umwandlungsanschauung zu. Ausser einer Gruppe boviner 
Bacillen und einer Gruppe humaner Bacillen stellte sie eine 
dritte Gruppe auf, in der alle die Kulturstämme untergebracht 
waren, welche weder zu den humanen noch zu den bovinen 
passten. Die englische Kommission hat auch in diesem zweiten 
laterimsreport die beiden Möglichkeiten der Erklärung für diese 
dritte Gruppe aufgestellt, nämlich erstens Mischkultur beider 
Typen und zweitens Uebergangskultur; sie war sich auch der 
Tragweite der Entscheidung dieser Frage bewusst. In dem Schluss¬ 
bericht dieser Kommission fehlt diese dritte Gruppe. Die englische 
Kommission hatte sich inzwischen durch Versuche davon über¬ 
zeugt, dass es sich beinahe bei sämtlichen Kulturen dieser Gruppe 
um Mischkulturen gehandelt hat, wie solche zuerst von der deut¬ 
schen Kommission festgestellt worden sind. 

Vielfach citiert werden die Umwandlungsversuche von Eber. 
Bber ist es angeblich durch eine besondere Art der Impfung ge¬ 
lungen, humane Tuberkelbacillen im Rinderkörper in bovine 
Bacillen umzuwandeln. Die Untersuchungen sind von Neufeld, 
Dold und Lindemann im Gesundheitsamt nacbgeprüft worden 
und konnten nicht bestätigt werden. Neu fei d äussert starke 
Bedenken gegen die Beweiskraft der Versuche Eber’s, und auch 
ein so kompetenter Forscher wie Theobald Smith teile diese 
Bedenken. Immerhin sind die Versuche Eber’u äussefst wichtig, 
und das Gesundheitsamt ist daher gerne der Bitte des Herrn 
Professor Eber naebgekommen, noch einmal in eine Prüfung 
dieser Versuche einzutreten. Die Versuche werden nach meinem 
Vorschlag in der Weise' ansgeführt, dass vop demselben, vom 
tuberkulösen Menschen stammenden Material, das abwechselnd in 
Leipzig und hier in Berlin entnommen wird, die eine Hälfte 
im Veterioärinstitut in Leipzig, die andere Hälfte bei uns im 
Kaiserlichen Gesundheitsamt verarbeitet wird. Wir hoffen, auf 
diese Weise zu einer Klärung der Frage zu kommen. 


Auch der umgekehrten Frage, ob bovine Bacillen bei ihrem 
Aufenthalt im menschlichen Körper irgendeine Veränderung, etwa 
eine Umwandlung nach der humanen Seite hin zeigen, haben wir 
Beachtung geschenkt. Wir haben alle diejenigen Kinder, bei 
denen wir eine Halsdrüsentuberkulose oder eine Knochen- und 
Gelenktuberkulose auf bovinen Bacillen beruhend naebgewiesen 
haben, in ständiger Beobachtung, und ich habe mit Herrn 
Steffenhagen zusammen im 11. Heft der Tuberkulosearbeiten 
über einen Knaben berichtet, der seit seinem zweiten Jahre an 
einer Tuberkulose des vierten Mittelhandknochens leidet. Es war 
uns möglich, in der Zeit vom achten bis dreizehnten Lebensjahr 
fünfmal von diesem Knaben Material zu entnehmen und Kulturen 
zu gewinnen. Die Kulturen zeigten typisch bovines Wachstum. 
Die Virulenz wies Schwankungen auf; aber immerhin hat der bovine 
Bacillus während seines lO 1 ^ jährigen Aufenthaltes im mensch¬ 
lichen Körper seinen Typus beibehalten; er hat sich nicht in einen 
Humanus umgewandelt. 

Ferner hat Herr Geheimrat Orth darauf hingewiesen, dass 
ich in der Berliner mikrobiologischen Gesellschaft die Anregung 
gegeben habe, die Untersuchungen über Mutation auch auf die 
säurefesten Bacillen auszudehnen. Dies ist inzwischen geschehen. 
Herr Baerthlein ist mit derartigen Untersuchungen im Gesund¬ 
heitsamt beschäftigt, die auch bereits bei Kaltblütertuberkulose 
zu ganz interessanten Resultaten geführt haben. Aber es ist Baerth¬ 
lein, der sich schon 2 1 /* Jahre mit Mutationsuntersuchungen 
beschäftigt und der eine grosse Erfahrung auf diesem Gebiete ge¬ 
wonnen hat, bisher niemals gelungen, durch Mutation verwandte 
Bakterien einander näher zu bringen, es hat sich vielmehr ge¬ 
zeigt, dass die Mutanten auf beiden Seiten zum Teil so charakte¬ 
ristisch und konstant sind, dass sie eher zur Trennung nahe ver¬ 
wandter Arten herangezogen werden können. 

Als dritter für die AbmessungderBedeutung der bovinen Bacillen 
in Betracht zu ziehender Gesichtspunkt ist von Herrn Geheimrat 
Orth die Hypothese angeführt worden, dass eine Infektion mit 
bovinen Bacillen im Kindesalter eine Disposition zur Lungentuber¬ 
kulose bei Reinfektion im späteren Alter schaffen könnte. Aber, 
m. H., wir brauchen dazu meiner Ansicht nach die bovinen 
Bacillen gar nicht. Eine leichte Infektion mit humanen Bacillen 
wird denselben Effekt haben, und für solche Länder, in denen 
die Phthise eine grosse Verbreitung hat, in denen Rindertuber¬ 
kulose aber gar nicht vorkommt, können wir ja, die Richtigkeit 
der Hypothese vorausgesetzt, lediglich die humanen Bacillen dafür 
in Anspruch nehmen. 

Bur net hat in der letzten Zeit im Laboratorium von 
Metschnikoff aus Hauttuberkulose eines 19jährigen Mannes 
eine für Meerschweinchen so gut wie avirulente Tuberkulose¬ 
kultur herausgezüchtet. Er ist der Ansicht, dass derartige aviru¬ 
lente, also im Meerschweinchenversuch nicht nachweisbare Tuber¬ 
kulosestämme sich wohl häufiger im Menschen finden könnten, 
und er meint, dass vielleicht diese Tuberkelbacillenstämme, die 
unseren bisherigen Untersuchungen entgangen sind, es sein 
könnten, die bei der Infektion im Kindesalter eine gewisse Wider¬ 
standskraft oder Immunität den Kindern verleihen. 

Sie sehen, m. H., es ist noch vieles in der Tuberkulosefrage 
zu klären, ln aller Ruhe können wir an die Klärung dieser 
noch schwebenden Fragen herangeben, denn in der Hauptfrage, 
in der Bekämpfung der Tuberkulose, sind wir uns ja, wie ich 
anfangs ausgeführt habe, einig. 


Aus der klinischen Abteilung der hydrotherapeutischen 
Universitäts-Anstalt 5 zu Berlin (Leiter: Geh. bat Prof. 

Dr. L. Brieger). 

Die Stauungsreaktion bei Arteriosklerose. 

Von 

f Dr. Carl Hertzeil, Assistent.' 

Vor etwa einem halben Jahre begann ich zu untersuchen, in¬ 
wieweit sich der Blutdruck durch Verkleinerung des Kreislauf¬ 
querschnitts, wie es etwa durch vorübergehende Abschnürung von 
Gliedmaassen geschehen kann, künstlich beeinflussen lässt. Bei 
diesen Versuchen stiess ich auf bemerkenswerte Unterschiede in 
dem Verhalten normaler Individuen und Arteriosklerotiker, die 
mir für die Diagnostik der Arteriosklerose und überhaupt für 
die Funktionsprüfung der Arterienwandungen von Bedeutung zu 

3* 


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536 


Nr. 12. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


sein scheinen, und die ich darum in folgendem kurz beschreiben 
möchte. 

Die Versuchsanordnung wurde so getroffen, dass dem im Bette 
liegenden Untersuchten um jede Extremität eine Gummimanscbette nach 
Recklinghausen gelegt wurde. Während nun die Manschette des 
einen Armes zu der üblichen Blutdruckmessung verwandt wurde, dienten 
die drei anderen lediglich zu dem Zwecke, durch Herstellung eines den 
Blutdruck des Individiums beträchtlich übersteigenden Luftdruckes in 
ihnen die Circulation in der betreffenden Extremität plötzlich völlig 
unterbrechen zu können. Da die Unterbrechung der Circulation aut 
diese Weise nahezu schmerzlos und ohne jede Beunruhigung des Unter¬ 
suchten erfolgen kann, waren so alle psychischen und sonstigen Reiz¬ 
momente, die bekanntermaassen auf den Blutdruck von Einfluss sind, 
nach Möglichkeit ausgeschaltet. Die weitere Untersuchung ging dann 
in der Weise von statten, dass zunächst an einem Arm der Anfangsblut¬ 
druck festgestellt wurde. Hierauf pumpte ein Gehilfe in die Manschetten 
der drei noch freien Extremitäten mittelst einer dreiteiligen Schlauch¬ 
verbindung Luft ein, und nachdem so der Kreislauf in ihnen völlig unter¬ 
brochen war, wurde während der folgenden drei Minuten das Verhalten 
des Blutdrucks kontrolliert. Hierbei wurde der in den zur Stauung ver¬ 
wandten Manschetten herrschende Blutdruck mit Hilfe eines zweiten 
Manometers beobachtet, während die Säule des zur Blutdruckmessung 
dienenden Manometers dauernd auf einer dem jeweiligen Blutdruck nahe 
kommenden^Höhe erhalten wurde. 


Abbildung 1. 



Die fortlaufende Kontrolle des Blutdrucks geschah in folgender 
Weise: Anstatt des sonst zur Riva-Rocci’schen Blutdruckmessung ge¬ 
brauchten Gumraigebläses brachten wir eine kleine Sauerstoffbombe 1 ) 
(s. Abbildung 1) zur Anwendung, deren Hahn vor dem Versuche derart 
eingestellt wurde, dass er fortdauernd nur eine geringe Luftmenge zum 
Apparat einströmen liess, die gerade hinreichte, die Quecksilbersäule bei 
geschlossenem Manometerventil langsam steigen zu lassen. Oeffnet man 
jetzt das Manometerventil, so fällt die Quecksilbersäule herab, während 
sie sich bei einer gewissen Mittelstellung des Ventils gerade auf ihrer 
Höhe hält. Man ist also jetzt in der Lage, während der ganzen Dauer 
des Versuches allein durch ständiges Anziehen und Wiedernachlassen 
der Ventilschraube des Manometers die Quecksilbersäule immer wieder¬ 
holt den augenblicklichen Blutdruckspunkt in steigender und fallender 
Richtung überschreiten zu lassen, wobei die jeweilige Höhe desselben 
notiert wird. Wir bestimmten hierbei für unsere Zwecke den systolischen 
Blutdruck mittelst Auscultation der Töne der Cubitalarterie nach 
Korotkow 2 ) und Fellner 8 ). Um zu verhindern, dass bei fehlerhafter 
Ventilstellung oder bei plötzlichen Muskelkontraktionen des Patienten 
das Quecksilber aus dem Apparat geschleudert wird, Hessen wir an 
unsere; Manometer je einen kleinen, im oberen Teile, dicht neben der 
EinmünduDgsstelle des Manometerrohres, mit einer Oeffnung versehenen 
gläsernen Schutzbehälter (s. Abbildung 1) anblasen, in dem sich bei ein¬ 
tretendem Ueberdruck das Quecksilber ansammelt, worauf es durch Um¬ 
kehren des Apparates leicht zurückgebracht werden kann. 

Die beschriebene Versuchsanordnung hat den Vorteil, dass die bei 
Anwendung des Gummigebläses wegen des ruckweisen Einströmens der 
Luft unvermeidlichen groben Schwankungen der Quecksilbersäule hierbei 
gänzlich fortfallen, und dass sich die Veränderungen des Blutdrucks mit 
grösster Präzision längere Zeit hindurch fast kontinuierlich verfolgen lassen. 

Bei diesen Untersuchungen ergab sich nun ein ganz auffälliger 
Unterschied in dem Verhalten des Blutdrucks bei Individuen mit 
--— ' * 

1) Bezogen von der Oxygenia G. m. b. H., Berlin N., Schiffbauer- 
daram. 

2) Wratschebnaja Gaseta, 1906, Nr. 5 u. 6. 

3) Verhandlungen des Kongresses für innere Medizin, 1907, Bd. 24, 
S. 404. 


normalem Gefässystem und bei solchen, die im übrigen Zeichen 
von arteriosklerotischen Gefässveränderungen darboten, wie das 
Beispiel der nachstehenden beiden Kurven eineB Normalen und 
eines Arteriosklerotikers zeigt (Abbildung 2 und 3). 


Abbildung 2. 

Beginn der Schluss der 

Stauung Stauung 



Abbildung 3. 

Beginn der Schluss der 

Stauung Stauuug , 



Ein Blick auf die Kurve des Arteriosklerotikers zeigt, dass 
hier unmittelbar im Anschluss an den Beginn der Stauung ein 
erheblicher Anstieg des Blutdruck einsetzte, dass der Blutdruck 
mit dem Aufhören der Stauung sogleich unter die anfängliche 
Höhe herabfiel, um dann allmählich zur Norm zurückzukehren. 

Vergleichen wir hiermit die Kurve des normalen Mannes, so 
ergibt sich, dass die Stauung bei ihm zwar im selben Sinne ge¬ 
wirkt hat wie beim Arteriosklerotiker, dass aber der Grad des 
Blutdruckanstieges bei weitem geringer ist, dass mit anderen 
Worten die regulatorische Funktion seines Gefässsystems die durch 
die Stauung gesetzte Alteration des Kreislaufs mehr oder weniger 
ausgeglichen hat. 

Ueber den wesentlichsten Teil der Kurve, nämlich den 
höchsten überhaupt durch die Stauung innerhalb drei Minuten er¬ 
zielten Blutdruckanstieg geben die folgenden beiden Tabellen 
Auskunft* welche die an 30 normalen Fällen und 16 Arterio- 
sklerotikern gemachten Beobachtungen enthalten. 

Aus Tabelle 1 ist ersichtlich, dass der Anstieg bei den nor¬ 
malen Fällen maximal 10 mm, im Durchschnitt nur 6 mm be¬ 
trug. Bei Arteriosklerose dagegen Erreichte der Anstieg im 
Maximum 60, im Durchschnitt 27 mm, d. h. die Drucksteige¬ 
rung bei Arteriosklerose war durchschnittlich fünfmal 
so hoch als bei den normalen Fällen. 

Ein Abfallen des Druckes an Stelle des Anstieges wurde bei 
den normalen Fällen nur zweimal beobachtet (Fall 8 und 18). 


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24. März 1913. 


BERLINER KLIN ISCHE WOCHE NSCHRIFT. 


537 


Tabelle 1. 


(Normale Fälle.) 


Nr. 

Name und Alter 

Datum 

Anfangs- 
blutdrock 
mm Hg 

An¬ 

stieg 

mm 

1 

Mi. 

41 Jahre 

8. XI. 1912 

115 

10 

2 

Wi. 

18 


9. XII. 1912 

100 

2 

3 

Ba. 

29 


15. I. 1913 

115 

7 

4 

Ila. 

21 


18. I. 1913 

105 

5 

5 

Dr. 

55 


18. I. 1913 

138 

5 

6 

Frl. Kr. 

24 


21. L 1913 

90 

8 

7 

Fa. 

49 


22. I. 1913 

106 

2 

8 

Gr. W. 

13 


23. I. 1913 

110 

— 2 

9 

Fr. R. 

35 


23. I. 1913 

95 

7 

10 

Frl. Wi. 

27 


25. I. 1913 

126 

2 

11 

Fr. Sch. 

46 


25. I. 1913 

104 

4 

12 

- Ku. 

41 


25. I. 1913 

112 

10 

13 

Ma. 

48 


8. II. 1913 

150 

6 

14 

Wa. 

45 


13.11. 1913 

135 

5 

15 

An. 

30 


13.11. 1913 

102 

2 

16 

Hä. 

29 


13. II. 1913 

118 

6 

17 

Frl. K. 

29 


15.11. 1913 

108 

2 

18 

Frl. Gr. 

15 


15.11. 1913 

115 

— 1 

19 

Ja. 

25 

9 

17. II. 1913 

125 

7 

20 

Dei. 

40 

9 

17.11. 1913 

120 

6 

21 

Ro. 

48 

9 

18.11. 1913 

108 

9 

22 

Ze. 

68 

9 

19.11. 1913 

102 

4 

23 

Wa. 

29 


19. II. 1913 

104 

6 

24 

Bau. 

44 

9 

21.11. 1913 

126 

5 

25 

Kr. 

44 


21.11. 1913 

136 

4 

26 

Gd. 

37 


22. II. 1913 

104 

2 

27 

He. 

44 


22. II. 1913 

92 

6 

28 

Mei. 

63 


8. III. 1913 

110 j 

6 

29 

Ku. 

28 

9 

11. III. 1913 

128 

6 

30 

Ka. 

27 

» 

11.III. 1913 

116 

4 


Tabelle 2. 
(Arteriosklerosen.) 


Nr. 

Name und Alter 

Datum 

Anfangs¬ 

blutdruck 

Anstieg 

Korri¬ 

giert 






mm Hg 

mm 

1 

We. 

52 Jahre 

8. XI. 1912 

125 

1 

25U 

38 

2 

Br. 

56 


6. XII. 1912 

190 

40«) 

60 

3 


do. 


8. III. 1913 

195 

19 

57 







(nur 1 Arm 
gestaut!) 


4 

Kr. 

57 


15. I. 1913 

122 

20») 

30 

5 


do. 


25. I. 1913 

128 

30 

30 

6 

Fr. Br. 

58 

n 

5. II. 1913 

160 

24 

24 

7 

De. 

85 

» 

6. II. 1913 

120 

28 

28 

9 


do. 


18.11. 1913 

120 

30 

30 

10 

Be. 

44 

9 

14.11.1913 ! 

110 

12*) 

18 

11 

Ru. 

59 

9 

17.11.1918 

102 

8 

8 

12 

Bo. 

68 

9 

17.11.1913 1 

165 

19i) 

29 

13 

Sch. 

60 

9 

20.11.1913 j 

158 

10») 

15 

14 

We. 

61 

9 

24.11.1913 1 

124 

20 

; 20 

15 

Fr. Mi. 

43 

n 

28.11.1913 

134 

24 

24 


1) Die mit 1 ) bezeichneten Werte sind niebt unter totaler Stauung 
gemessen (2 Beine und 1 Arm), sondern unter Stauung yon nur 1 Arm 
und 1 Bein. Um mit den übrigen Zahlen vergleichbare Resultate zu er¬ 
halten, wurden sie daher noch mit 1,5 multipliziert (siehe letzte Spalte 
der Tabelle). 

Hier handelte es sich in beiden Fällen nm ängstliche Kinder, 
bei denen der psychische Faktor der Angst wahrscheinlich die 
Drncksenkung verursacht hat. 

Unter den Fällen von Arteriosklerose waren zwei, bei denen 
eine Blutdrucksteigerung von nur 15 und 8 mm Hg eintrat. In 
einem dieser beiden Fälle handelte es sich am einen über¬ 
standenen apoplektischen Insult. Der hohe Anstieg des Blut- 
. drucks nach Unterbrechung der Circulation in den Extremitäten 
bat also keineswegs als eine Regel ohne Ausnahme für die 
Arteriosklerose zu gelten. 

Wesentlich ist es dagegen, dass wir den abnorm hoben Blut- 
druekanstieg in keinem einzigen Falle beobachtet haben, der 
nicht objektive Zeichen von Arteriosklerose dargeboten hätte, und 
interessant ist es ferner, dass ein hoher Anstieg des Blutdrucks 
bei dieser Untersuchungsart keineswegs etwa immer mit einem 
im allgemeinen bestehenden hohen Blutdruck zusammenfällt, wie 


unter anderem das Beispiel der Fälle 4 und 13 (Tabelle 2) zeigt, 
wo gerade das Umgekehrte der Fall ist. 

Was nun die Ursache dieses auffallend hohen Blutdruck¬ 
anstieges bei Arteriosklerose aubetrifft, so könnte mau hierbei 
an reflektorisch wirksame, den Tonus der Gefässmuskulatur ver¬ 
ändernde Nerveneinflüsse denken. Ohne das Mithineinspielen der¬ 
artiger Vorgänge gänzlich in Abrede stellen zu wollen, sind wir 
aber doch der Ansicht, dass es sich hier vorwiegend um Vor¬ 
gänge rein physikalischer Natur handelt. Betrachtet man nämlich 
die Verbindung der Arterien, Capillaren und Venen als ganzes, 
so stellt sich der grosse Kreislauf dar als ein System parallel 
geschalteter Röhren, die einerseits in die Aorta, andererseits 
in die beiden Hohlvenen ausmünden. Durch dieses Röhrensystem 
hindurch vollzieht sich dauernd der Ausgleich der durch die 
Herzarbeit immer auf gleicher Höhe erhaltenen Druckdifferenz 
zwischen Aorta und Vena cava. Wird jetzt plötzlich ein Teil 
dieser parallel geschalteten Röhren durch Kompression unpassier¬ 
bar gemacht, wie in unserem Falle die Gefässe der Extremitäten, 
während die Menge der in der Zeiteinheit vom Herzen beförderten 
Blutmenge annähernd die gleiche bleibt, so kann nur zweierlei 
eintreten. Entweder erweitern sich andere, nicht von der Kom¬ 
pression betroffene Gefässe derart, dass der Widerstand des 
ganzen Systems derselbe bleibt wie vorher, und der Blutdruck 
behält seine Höhe, oder aber der Blutdruck steigt so lange, bis 
trotz der reduzierten Stromwege dieselbe Blutmenge vom arteriellen 
in das venöse System geworfen wird wie vorher. Unsere Beob¬ 
achtungen des Blutdrucks weisen darauf hin, dass beim Gesunden 
vorwiegend die erste Art des Ausgleichs stattfindet, während der 
Arteriosklerotiker, dessen Gefässe die Fähigkeit der kompensa¬ 
torischen Erweiterung mehr oder weniger verloren haben, mit 
abnormem Blutdruckanstieg auf die Unterbrechung der Circulation 
in deu Extremitäten reagiert. Nach dem Gesagten ist es aber 
klar, dass der hohe Blutdruckanstieg nur dann zur Beobachtung 
kommen kann, wenn die Arteriosklerose entweder total geworden 
ist oder doch gerade solche Gefässgebiete ergriffen hat, die für 
die kompensatorische Erweiterung vorwiegend in Betracht kommen, 
was die Zahlen der obigen Tabelle bestätigen. 

Die Anwendung der hier beschriebenen Stauungsreaktion für 
die Diagnose der Arteriosklerose uud der Gefässfunktionen über¬ 
haupt könnte dem Einwande begegnen, dass es seine Bedenken 
habe, einen in vielen Fällen schon ohnehin durch seinen hohen 
Blutdruck gefährdeten Patienten einer weiteren Blutdrucksteigerung 
zu unterwerfen. Hiergegen ist jedoch zu bemerken, dass es in 
der Praxis keineswegs notwendig ist, die Stauung an sämtlichen 
Extremitäten gleichzeitig vorzunehmen. Es genügt vielmehr, für 
den Anfang nur einen Arm oder ausserdem noch ein Bein zu 
stauen. Die erhaltenen Anstiegwerte sind dann entsprechend 
kleiner, aber man hat es so in der Hand, den Untersuchten 
keiner höheren Steigerung des Blutdrucks zu unterwerfen, als er 
sie auch im täglichen Leben bei Muskelanstrengung usw. zeit¬ 
weilig zu ertragen hat. Auch in unserer obigen Tabelle haben 
wir bei Arteriosklerotikern die Drucksteigerung meist nicht bis 
zum äussersten getrieben, sondern teilweise nur einen Arm oder 
1 Arm -f- 1 Bein gestaut. Um mit der Totalstauung (2 Beine -f- 
1 Arm) annähernd vergleichbare Werte zu bekommen, multi¬ 
plizierten wir dann die erhaltenen Zahlen mit den empirisch er¬ 
mittelten Werten 3 bzw. 1,6. 

Was die Grenze zwischen dem normalen und dem patho¬ 
logischen Blutdruckanstieg betrifft, so lässt sich dieser Wert aus 
der relativ geringen Zahl der bis jetzt von uns vorgenommenen 
Untersuchungen noch nicht mit Sicherheit bestimmen. Er scheint 
um 12 mm Hg zu liegen, doch muss seine genaue Festlegung 
noch weiteren in grösseren Versuchsreihen vorzunehmenden Nach¬ 
prüfungen Vorbehalten bleiben. 

Schlusssätze. 

1. Unterbricht man bei einem ruhenden Patienten die Blut- 
circulation in beiden Beinen und einem Arm vollständig durch 
pneumatische Kompression, so tritt ein am anderen Arm zu 
messender Anstieg des Blutdrucks ein (Stauungsreaktion), der ; 
bei normalem Gefässsystem durchschnittlich 6 mm Hg beträgt, 
bei Arteriosklerotikern dagegen bis zu 60 mm und mehr er¬ 
reichen kann. 

2. Wir efblicken die Erklärung für diesen abnorm hohen 
Anstieg des Blutdrucks darin, dass das arteriosklerotisch ver¬ 
änderte Gefässsystem die dem normalen eigene Fähigkeit mehr 
oder weniger eingebüsst hat, sich in anderen nicht komprimierten 
Abschnitten des Kreislaufs kompensatorisch zu erweitern, woraus 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 12. 


bei im übrigen unveränderten Kreislaufverhältnissen ein Blut¬ 
druckanstieg resultieren muss. Im Einklang damit steht es, dass 
der abnorme Blutdruckanstieg nicht in allen Fällen von Arterio¬ 
sklerose in gleicher Weise auftritt, da seine Höhe naturgemäss 
davon abbttngen muss, ob di« Arteriosklerose total oder partiell 
ist, und we che Teile des Gefässsystems im speziellen davon be¬ 
fallen sind. 

8. Dagegen sehen wir in dem positiven Ausfall der Stauungs¬ 
reaktion, d. h. der ausgesprochenen Steigerung des Blutdruck¬ 
anstiegs unter allen Umständen den Beweis für eine pathologische 
Veränderung der Gefässwandungen im Sinne einer grösseren 
Rigidität (Arteriosklerose) und betrachten ihr Auftreten im be¬ 
sonderen als eine Indikation, hydriatische Prozeduren, die grössere 
Anforderungen an die regulatorischen Funktionen des Gefä*s 
Systems stellen (kalte Duschen, Lichtbäder u. dergl.) entweder 
ganz zu vermeiden oder doch nur mit grosser Vorsicht zu 
gebrauchen. 


Aus Dr. E. Tobias’ Institut für physikalische Heil¬ 
methoden und der Poliklinik für Nervenkrankheiten 
von Dr. K. Mendel und Dr. W. Alexander in Berlin. 

Ueber die praktische Bedeutung der Hoch¬ 
frequenzbehandlung (d’Arsonvalisation) — ins¬ 
besondere bei inneren und Nervenkrankheiten. 

Von 

Dr. Ernst Tobias-Berlin. 

Etwa zwei Jahrzehnte sind verflossen, seitdem Nicola Tesla 
und d’Arsonval die Hochfrequenzströme in die Therapie ein¬ 
geführt haben und von französischen Autoren die ersten 
enthusiastischen Berichte über damit erzielte Erfolge nach Deutsch¬ 
land herüberkamen. Um die Jahrhundertwende veröffentlichten 
dann Eulenburg, Toby Cohn, Kindler u. a. das Resultat 
ihrer Nachprüfungen, und ich erinnere mich noch sehr wohl der 
Versuche, die Kindler auf der Gol dscheider’scben Abteilung 
im städtischen Krankenbause Moabit zu Berlin angestellt hat, die 
ebenso wie die der genannten anderen Autoren fast durchweg 
negativ verlaufen sind. 

Die Hochfrequenztherapie bat danach einige Zeit in Deutsch¬ 
land geruht, bis unsere tberapiefreudige Zeit sie wieder zu neuem 
Leben erweckte und sie, wenn wir nach der vorliegenden statt¬ 
lichen Literatur urteilen, mit mehr Aussicht auf Dauerhaftigkeit 
und Bestand wieder eioführte, als es nach den ersten Veröffent¬ 
lichungen den Anschein hatte. Die wissenschaftliche Beschäftigung 
mit dem neuen Zweige der Therapie hat auch zu ihrem Ausbau 
geführt, indem v. Zeynek und Nagelschmidt die auch als 
Trans- bzw. Diathermie bezeichnete Thermopenetrations- 
behandlung inaugurierten, über die ebenfalls bereits zahlreiche 
Publikationen vorliegen. So aussichtsreich dieselbe nach den 
Mitteilungen der Literatur erscheint, das letzte Wort ist noch 
nicht gesprochen, ob das Indikationsgebiet der Thermopenetration 
wenigstens für innere und Nervenkrankheiten so umfangreich ist, 
ob es so weit ausgedehnt werden darf, wie man heutzutage viel¬ 
fach annimrat. 

Auf die ausserordentlich grosse Literatur der Hoch¬ 
frequenztherapie selbst näher einzugeben liegt nicht in meiner 
Absicht. In den verschiedenen Arbeiten von A. Laqueur, Braun¬ 
warth und Fischer usw., in der Inauguraldissertation von 
Lothar Wolf ist die historische Entwicklung der ganzen Behand¬ 
lung sowie die gesamte Literatur so genau angegeben worden, 
dass es genügt, auf diese Autoren zu verweiseo. Auch die Ent¬ 
stehung und Art der Ströme selbst, ihr „Prinzip“ und Instru¬ 
mentarium ist in ihnen so genau geschildert, dass eine Wieder¬ 
holung sich im wesentlichen erübrigt. 

Was für die Praxis vornehmlich von Interesse ist, ist die 
Frage, ob die neuzeitigen Erfahrungen die Wiederaufnahme der 
noch vor einem Jahrzehnt abgelehnten Therapie rechtfertigen, ob 
wir überhaupt mit ihr Erfolge erzielen, und ob wir in der Lage 
sind, zu entscheiden, worauf eventuelle Erfolge beruhen bzw. in¬ 
wieweit es bich nur um suggestive Einwirkungen handelt, ob wir 
die Hochfrequenzbehandlung mit Fug und Recht als wirkliche und 
wirksame Bereicherung unseres Behandlungsschatzes anzusprecben 
berechtigt sind. 

Die Hocbfrequenzbehandlong gelangt in verschiedener Weise 


zur Anwendung. Ich seihst bediene mich, wie auch viele andere 
Autoren, der ursprünglichen Methodik der d’Arsonvalisation und 
wende die Hochfrequenzströme allgemein und lokal bzw. kombiniert 
an. Die allgemeine Anwendung im Solenoid, die „Auto¬ 
konduktion“, wird seit Wiederaufnahme der therapeutischeu 
Versuche vielfach weniger hoch geschätzt als die I.okalbebandlung, 
die wir mono- oder bipolar ausfübren. Wir bedienen uns dazu 
entweder der Kondensatorgraphitelektrode, die in die Nähe 
der zu behandelnden Körperstelle gebracht oder direkt auf sie 
aufgelegt wird, je nachdem wir Funken überspringen lassen 
wollen oder nicht, oder der Effluvien, bei deneu wir ähnlich 
wie bei der Franklin’schen Dusche kleinste oder grössere Funken 
überspringen sehen. Eine eigene — wohl nicht spezifische — 
Indikation der lokalen Behandlung beruht auf der Erzeugung 
peripherer Reize durch Funkenentladungen. Zur Behand¬ 
lung von Hautaffektionen benutzen wir dann noch evakuierte 
Glasröhren. 

Neben dieser allgemein üblichen Methodik der d’Arsonvali¬ 
sation sind dann noch zwei Arten der Behandlung angegeben 
worden, über die erst Braunwarth und Fischer in jüngster 
Zeit wieder näher berichtet haben. 

So berichtet zunächst Rumpf an wiederholten Stellen über 
seine Methodik der Behandlung von Herzkrankheiten mit oscil- 
lierenden Strömen. Die Anwendung geschieht in der Art, dass 
der eine Pol in eine überzogene Metallelektrode geleitet und auf 
diese oder ein dazwischengeschobenes Brett die beschuhten Füsse 
gesetzt werden; die zweite Elektrode ist eine mit Staniol gefüllte 
Glasflasche mit dünnem Boden. Diese Glasflasche, bei deren Auf¬ 
setzen die hochgespannten Ströme in oscillierende umgewandelt 
werden, wird labil und stabil über die entblößte Herzgegend ge¬ 
führt, jeweils auch eine Minute zwei- bis dreimal in deo Nacken 
gesetzt. Rumpf hat mit seiner Methode recht gute praktische 
Erfolge erzielt, und zwar vor allem bei einfacher Dilatation des 
Herzens ohne Arteriosklerose, aber auch bei Komplikation mit 
Arteriosklerose. Herzdilatation und Herzhypertrophie bei Schrumpf¬ 
niere wurden nicht gebessert, unsicher war der Erfolg bei nervösen 
Herzleiden. Rumpf fasst seine Erfahrungen dahin zusammen, 
dass die hochgespannten oscillierenden Ströme auf die Muskulatur 
des Herzens und der Gefässe stark tonisierend wirken und daher 
bei manchen Fällen von Insuffizienz des Circulationsapparates 
Nutzen zu schaffen geeignet sind. Braunwarth und Fischer 
konnten in ihren Nachprüfungen die Erhöhung des Tonus durch 
die Rumpf’sche Methode bestätigen; sie ist aber spezifisch zur 
Druckerhöhung nicht benutzbar, die nach der Ansicht der beiden 
Autoren lediglich die Folge von äusseren Momenten ist. 

Endlich muss noch die Diathermiemethode erwähnt werden, 
der sich Schittenhelm, Rautenberg usw. in ihren bekannten 
Untersuchungen bedienen. Schittenhelm hat dazu das Kon¬ 
densatorbett angegeben. Braunwarth und Fischer fanden, 
dass die Diatbermiemethode den erhöhten Tonus mehr und 
konstanter herabsetzt als die d’Arsonvalisation, und dass sie ein 
allmähliches Absinken desselben bei geeigneten Fällen im Laufe 
der Behandlung erkennen lässt. 

So viel zur Technik und Art des Verfahrens. Die Appli¬ 
kation selbst wird von allen Autoren einstimmig als ungefährlich 
bezeichnet. Die subjektiven Empfindungen sind unerheblich. 
Die im Solenoid allgemein behandelten Patienten fühlen zuweilen 
ein leichtes Ziehen in den Unterarmen, welches von manchen als 
einem milden faradischen Kribbeln ähnlich bezeichnet wird. Nach 
Schluss der Solenoidbehandlung tritt sehr häufig ein allgemeines 
Müdigkeitsgefühl mit Bedürfnis nach Ruhe ein. Bei Patienten, 
welche zur Ermüdung disponieren, wie vor allem bei Tabikern, 
schweren Neurasthenikern, die alles angreift, bei Hysterischen 
steigert sich die Müdigkeit zu momentanem Schlafbedürfnis. Es 
ist deshalb unbedingt notwendig, dass man Patienten nach Solenoid- 
bebandlung ruhen lässt. Auf Zuwiderhandlungen sieht man leicht 
Störungen des nervösen Gleichgewichts — ein Beweis dafür, dass 
das Verfahren nicht als absolut indifferent angesehen werden 
kann. Etwasanders verhalten sich die subjektiven Empfindungen 
bei der lokalen Hochfrequenzbehandlung. Besonders die Effluvien 
werden — nicht nur von ängstlichen Neurasthenikern — oft als 
nicht angenehm empfunden, über Brennen oder Stechen geklagt. 
Etwas milder wirkt die evakuierte Glasröhre, am wenigsten 
störend die Kondensatorgrapbitelektrode. Durch langsames Ein¬ 
schalten oder — bei der evakuierten Glasröhre und der Kon¬ 
densatorgraphitelektrode — durch Aufsetzen vor der Einschaltung 
lassen sich die unangenehmen subjektiven Empfindungen sehr 
reduzieren. Hautschädigungen habe ich nie gesehen. 


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24. Mär* 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Wenden wir uns nach Schilderung der subjektiven Beob¬ 
achtungen zu den objektiven Ergebnissen der Hochfrequenz¬ 
therapie, so müssen wir davon ausgehen, dass für die Praxis nur 
diejenigen Faktoren in Frage kommen, welche durch das Experi¬ 
ment oder durch die klinische Forschung bzw. die Erfahrungen 
der Praxis als erwiesen angesehen werden können. Wenn von 
französischer Seite hervorgehoben wird, dass sich die Behandlung 
dadurch empfiehlt, dass sie den Stoffwechsel erhöht, so hat diese 
Empfehlung für die Praxis wenig Bedeutung, weil die klinischen 
Unterlagen dafür fehlen. Im Vordergründe der Beeinflussung 
steht zweifellos die Einwirkung auf den Blutdruck, und 
zwar wird der erhöhte Blutdruck erniedrigt, was nach Bonnefoy 
durch Erweiterung der peripheren Gefässe herbeigeführt wird. 
Ich stimme mit A. Laqueur sowie mit Braunwarth und 
Fischer ganz darin überein, wenn ich als Bedingung für die 
Blutdruckerniedrigung pathologisch gesteigerten Blutdruck fordere. 
Die Grenzen, in denen es gelingt, ihn herabzusetzen, sind ausser¬ 
ordentlich variabel, ohne dass es gelingt, von Fall zu Fall be¬ 
friedigende Erklärungen anzuführen, warum einmal unter an¬ 
scheinend ungünstigsten Verhältnissen das Quecksilber ganz 
erheblich sinkt, warum uns dies in einem anderen Falle miss¬ 
lingt, der nach den vorliegenden Erfahrungen geradezu ein Proto¬ 
typ für die Wirksamkeit der Hochfrequenzströme zu sein schien, 
ln dieser unter anderem auch von F. Kraus betonten Unberechen¬ 
barkeit der Wirkung liegt meines Erachtens noch ein schweres 
Hemmnis für die methodische Anwendung der ganzen Therapie 
und eine Waffe für die allerdings geringer gewordene Anzahl 
von Gegnern, welche nur suggestive Wirkungen der Behandlung 
einräumen. An der Unbestimmbarkeit liegt auch mit Wahr¬ 
scheinlichkeit manche Differenz in den Anschauungen einiger 
Autoren: Wenn z. B. Lothar Wolf meint, dass exzessiv hohe 
Drockwerte, etwa über 180 mm, sich gewöhnlich der Behandlung 
gegenüber refraktär zeigten, oder wenn der Blutdruck bei ihnen 
nur vorübergehend herabgesetzt wurde, so kann ich ihm manche 
klinischen Fälle entgegenhalten, welche bei exzessiv hohem Blut¬ 
druck sehr günstig beeinflusst werden konnten. Die Frage der 
Blutdrucknntersuchung ist durch die Hocbfrequenzbehandlung 
auch wieder zur Diskussion gestellt worden, und Braunwarth 
und Fischer haben in dankenswerter Weise sich an ihr beteiligt. 
Nach Ansicht dieser beiden Autoren ist der Blutdruck eine so 
variable Grösse, dass man in der Beurteilung therapeutischer 
Einflüsse auf ihn sehr vorsichtig sein muss. Ein Gedanke, ein 
Unlustgefühl erhöht ihn bzw. verhindert seine Erniedrigung. 
Ruhe setzt ihn herab. Aus diesem Grunde messen ihn Braun- 
warth und Fischer so lange, bis er auf einer gewissen Höhe 
8tehengeblieben ist. Sie geben dabei ganz kolossale Differenzen 
in Zahlen an und verlangen Kautelen, welche die praktische 
Handhabe überaus erschweren. Der Patient müsse bequem dabei 
sitzen oder liegen, jede Unterhaltung, speziell über den Gesund¬ 
heitszustand vermeiden. . . Von Vorteil wäre, wenn zwei die 
Untersuchung ans teilten, um möglichst objektiv sein zu können. . 
Um zu einem brauchbaren Resultat zu gelangen, müsse man eine 
halbe Stunde warten, bevor man mit der Untersuchung beginne. . 
So sehr ich nun Braunwarth und Fischer in ihrem Verlangen 
nach Exaktheit beipflichte, mit der Fülle der Bedenken und 
Kautelen graben sie der Methode das Grab. Mit ihnen ist der 
Praktiker ausserstande, von ihr Gebrauch zu machen. Das ist 
sehr bedauerlich, denn die Blutdruckuntersuchung ergänzt nicht 
nur io wertvollster Weise unsere diagnostischen Untersuchungs¬ 
methoden, sondern in vielen Fällen leitet sie der Verdacht erst 
iu richtige Bahnen. Bei einigermaassen Vorsicht, bei einer ge¬ 
wissen Routine und vor allem bei Kontrolluotersuchungen, zu 
denen es keineswegs kollegialer Hilfe bedarf, gelingt es, durch¬ 
aus brauchbare Resultate zu erhalten, ohne dass grosse Kosten 
oder eingehende Literaturkenntnisse dazu erforderlich wären. 

Neben der Erniedrigung des Blutdrucks wird auch von einigen 
Autoren auf eine Verkleinerung der Pulsamplitüde durch die 
Hochfrequenzbehandlung hingewiesen. Des weiteren wird der¬ 
selben auch ein Einfluss auf Herzdilatationen zugeschrieben, 
der unabhängig von der Methodik (BraunwaVth und Fischer) 
wiederholt angegeben worden ist. 

Neben dieseu Beeinflussungen, welche speziell dem cardio- 
vasculären System zugute kommen, übt die Hochfrequenztherapie 
nach übereinstimmender Angabe der Autoren in hervorragender 
Weise eine sedative Wirkung aus, welche das Indikations¬ 
gebiet wesentlich vergrössert hat. Dieser sedative Effekt kann 
nun wiederum einerseits durch das Solenoid allgemein erzielt 
werden, andererseits benutzt man die lokale Anwendung zur 


Linderung lokalisierter Schmerzen. Neurologie und Dermatologie 
machen von dieser Art der Wirkung der Ströme ausgiebigen Ge¬ 
brauch. 

Durch die Hochfrequenzbehandlung wird dann weiter, worauf 
vor allem A. Laqueur hingewiesen hat, die Atmung erleich¬ 
tert und vertieft, und zwar soll diese Wirkung bereits in der 
ersten Sitzung eintreten und anhalten. 

Sind die subjektiven und objektiven Wirkungen der 
Hochfrequenztherapie somit ziemlich mannigfaltig, so kann es 
nicht wundernehmen, dass eine grosse Menge von Indikationen 
aufgestellt worden sind, in denen sie nach Angabe der Autoren 
in wirkungsvoller Weise zur Anwendung gelangen darf. Der 
Enthusiasmus der ersten Zeit hat eine Fülle von Erkrankungen 
nominiert, in denen allen die Hochfrequenzströme von Wert sein 
sollen. Nach Toby Gohn hat man sie bei folgenden Krank¬ 
heiten empfohlen: 

1. Stoffwechselkrankheiten: Gicht, Diabetes, Fettsucht, Asthma, 
Gallen- und Nierensteine, Rheumatismus, Blutarmut, bös¬ 
artige Tumoren. 

2. Hautkrankheiten: Ekzem, Acne, Furunkulose, Herpes, Pso¬ 
riasis, Lichen ruber, Lupus, Erythema exsudativum. . . 

3. Bei nervösen Symptomen: Neuralgien (namentlich Ischias), 
tabischen Schmerzen, auch Krisen, Meralgia paraaesthetica, 
Hermikranie, Cephalalgie, Obrgeräusehen, Magenatonie, 
nervösen Herzbeschwerden. 

4. Zur Herabsetzung des Blutdruckes bei Arteriosklerose bzw. 
Präsklerose oder ähnlichen Zuständen. 

5. Bei Erkrankungen der Urogenitalsphäre bei beiden Ge¬ 
schlechtern, Hämorrhoiden, Fissura ani. 

6. Lungen-, Knochen-, Gelenk-, Drüsentuberkulose. 

Toby Cohn ist völlig im Recht, wenn er gegenüber diesen 
Empfehlungen zu grösster Skepsis rät. Die kritischen Nach¬ 
prüfungen haben denn auch die Mehrzahl der Indikationen weg¬ 
gefegt, und der Eindruck lässt sich nicht leugnen, dass im Laufe 
der Zeit — wenigstens im Hinblick auf innere und Nervenkrank¬ 
heiten — eine weitere Einschränkung platzgreifen wird. Erst 
dann wird man hoffen dürfen, dass der gute Kern der Hoch¬ 
frequenzbehandlung sich die Geltung erringen wird, die ihr bei 
kritischer Beobachtung zukommt. 

Was an Indikationen übrig geblieben ist, betrifft ausser 
Hautaffektionen, bei welchen die Behandlung (z. B. beim 
Pruritus, bei Frostbeulen usw.) zweifelsohne erfolgreich ist: 

1. Die Erkrankungen des cardiovasculären Systems. 

Verschiedene Autoren haben darauf hingewiesen, dass ein¬ 
fache Herzerweiterungen auf lokale d’Arsonvalisation der Herz¬ 
gegend zurückgehen bzw. zurückgehen können. Die Kardinal¬ 
indikation der Hochfrequenztherapie sind aber die mit Blutdruck- 
erhöbung einhergehenden Erkrankungen des cardiovasculären 
Systems. Im Vordergründe der Indikationen steht die Huchard- 
sche Präsklerose, gegen welche die Kombination von all¬ 
gemeiner und lokaler Hochfrequenzbehandlung zu empfehlen ist. 
Dabei ergibt sich nicht selten die Beobachtung, dass Fälle, die 
sich den Hochfrequenzströmen gegenüber refraktär verhalten, 
einen progredienten Charakter zeigen und auch in ihrem sub¬ 
jektiven Befinden nicht günstig oder nur unbedeutend beeinflusst 
werden. Ueber die Anwendung bei ausgesprochener Arterio¬ 
sklerose selbst lauten die Anschauungen der Autoren nicht 
gleichmässig. Mit Wahrscheinlichkeit kann gesagt werden, dass 
arteriosklerotische Erkrankungen, bei denen der Blutdruck erhöht 
und der Prozess nicht allzu weit vorgeschritten ist, oft noch sehr 
günstig zu beeinflussen sind. Das Allgemeinbefinden bessert sieb, 
das Nervensystem wird ruhiger, desgleichen der Schlaf, und auch 
die diffusen rheumatoiden Beschwerden, über die Arteriosklerotiker 
nicht selten klagen, werden unter systematischer Solenoidtherapie 
milder. In vielen Fällen dieser Art ist die Allgemeinbehandlung 
der lokalen Applikation vorzuziehen. Patienten mit schweren 
arteriosklerotischen Störungen und markanten anatomischen Ver¬ 
änderungen reagieren schon auf einen milden Versuch mit Hoch- 
frequehkströmen mit gegenteiligem Effekt: sie werden‘erregt statt 
sich zu beruhigen, klagen über Schwindel usw. Von Wichtigkeit 
ist die Beeinflussung vop lokalen arteriosklerotischen Störungen. 
Bereits an anderer Stelle kopnte ich über gute Erfolge berichten, 
die ich bei eihige'n Patienten mit Gehirnhyperämie und 
Arteriosclerosis cerebri mit den Symptomen der motorischen 
Unruhe, der Schlaflosigkeit, des Schwindels, der Kopfschmerzen . 
erzielen konnte. Naturgemäss darf es sich dabei nicht um weit 
vorgeschrittene Fälle von Arteriosklerose handeln. Besonders 

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UNIVERSUM OF IOWA 



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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 12. 


bemerkenswert bessert sich bei diesen Patienten der Schlaf, so 
dass ich die Empfehlung der Hochfrequenztherapie bei Schlaf¬ 
losigkeit wenigstens für die Fälle mit der geschilderten Aetiologie 
durchaus bestätigen kann; die gewohnten therapeutischen An¬ 
ordnungen werden durch die Hochfrequenzströme in durchaus 
wirkungsvoller Weise unterstützt. Von weiteren lokalen arterio¬ 
sklerotischen Erkrankungen bedarf dann hinsichtlich der Indi¬ 
kation der Hochfrequenztherapie vor allem das Aneurysma der 
Aorta einer etwas eingehenderen Besprechung. Ich habe in 
einigen leichteren Fällen von röntgenologisch bestätigten Aorten¬ 
aneurysmen durch Hochfrequenzbehandlung in bemerkenswerter 
Weise subjektive Störungen schwinden sehen. Vor allem 
schwanden die quälenden ausstrahlenden Schmerzen und der 
Herzdruck; auch das Angstgefühl wurde milder, was vielleicht 
mit einer Vertiefung der Atmung (A. Laqueur) erklärt werden 
kann. Dabei braucht man nicht allzu ängstlich sich mit der 
Solenoidtherapie zu begnügen; zumeist wird auch eine vorsichtige 
Lokalbehandlung mit der Kondensatorgraphitelektrode durchaus 
gut vertragen und zeigt eine gesteigerte Wirkung. Anders ver¬ 
hält es sich mit den schwereren und schwersten Formen von 
Aneurysmen. Statt des erwarteten sedativen Effektes tritt schon 
bei Allgemeinbehandlung — lokale Einwirkung ist in diesen 
Fällen kontraindiziert! — starke motorische Unruhe mit Angst¬ 
zuständen und Beklemmungsgefühlen ein. Dementsprechend sieht 
man bei der Nachuntersuchung, dass der ausserordentlich ge¬ 
steigerte Blutdruck völlig unverändert geblieben ist. Das Ver¬ 
halten des Blutdruckes dürfte bei der Indikationsstellung in der 
Aneurysmatherapie mit Hochfrequenzströmen überhaupt von ent¬ 
scheidender Bedeutung sein. In einem Falle mittelschwerer 
Endoaortitis mit anginösen Beschwerden zeigte sich die kom¬ 
binierte allgemeine und lokale Hochfrequenztherapie nur erfolg¬ 
reich, solange der Blutdruck erhöht war und successive erniedrigt 
werden konnte. Die Beklemmungen Hessen nach, und die Anfälle 
von Angina pectoris blieben aus. Bei Aneurysmen mit niedrigem 
Blutdruck ist die Behandlung nicht indiziert. 3 .v* <• 

Man hat dann weiterhin die Applikation von Hochfrequenz¬ 
strömen auch bei lokaler Arteriosklerose der Extremitäten, so bei 
der Claudicatio intermittens, empfohlen. Die diesbezüg¬ 
lichen Versuche (Nagelschmidt) brauchen nicht ausführlich 
besprochen zu werden, da sie mfehr auf dem Wege der Dia¬ 
thermiemethode angestellt wurden. Nach meinen eigenen noch 
bescheidenen Erfahrungen gelingt es, nur das Kältegefühl, über 
das die Patienten klagen, vorübergehend zu beeinflussen und 
Schmerzen zu mildern. Eine Besserung der Circulation und der 
Gehfäbigkeit habe ich nie gesehen, was auch den Angaben anderer 
Autoren entspricht, die mit Wärmeeffekten bei dem inter¬ 
mittierenden Hinken nicht viel helfen konnten. 

Von weiteren Erkrankungen, die als sehr charakteristisches 
Symptom eine Blutdruckerhöhung aufweisen, steht die Schrumpf¬ 
niere, die interstitielle Nephritis, an oberster Stelle. Es 
kann darum nicht wundernehmen, wenn von Anbeginn an die 
Hochfrequenztherapie gerade auf sie ihr Augenmerk gerichtet 
bat. Es herrscht auch darüber Einigkeit, dass in vielen Fällen 
von Schrumpfniere der gesteigerte Blutdruck, wie F. Kraus sich 
z. B. ausdrückt, mit einer gewissen Regelmässigkeit herabgedrückt 
wird, und zwar um Beträge, die immerhin für das Wohlbefinden 
mit in Betracht kommen. Der strittige Punkt betrifft nur die 
Dauerhaftigkeit der Wirkung. Nach meinen eigenen Erfahrungen 
gelingt es, unbedingt nachhaltig einzuwirken; allerdings muss 
wieder hervorgehoben werden, dass in einzelnen Fällen der Effekt 
ohne nachweisbaren Grund ausbleibt, ln den von mir behandelten 
Fällen, in welchen der Blutdruck nicht unwesentlich sank, konnte 
vor allem eine Linderung der sehr heftigen Kopfschmerzen sowie 
ein Nachlassen vöta Beklemmungen konstatiert werden. Ein Ver¬ 
such mit Hochfrequenztherapie ist in Fällen von Schrumpfniere 
wenigstens zur Unterstützung sonstiger physikalischer Maass¬ 
nahmen (kochsalzarme Diät, indifferente prolongierte Bäder . . .) 
durchaus gerechtfertigt. . 

Eine Affektion, welche nur zum Teil mit dem pardiö- 
vasculären System in Verbindung gebrapht werden kann, sind die 
Beschwerden des CIimacterium. Sowohl bei dem recht¬ 
zeitigen Eintritt der Wechseljahre wie auch bei dem 
durch [aperative Eingriffe* vorzeitig , heubeigeführten, 
Krankheitszustand kann eine systematische Solenoid¬ 
therapie eine wesentliche Linderung der Beschwerden 
zur Folge haben. Wie wir nicht selten beobachten können, 
ist beim Eintritt der Wechseljahre der Blutdruck erhöht, ohne 
dass von Arteriosklerose oder selbst von Huchard’scher Prä¬ 


sklerose die Rede sein kann. Die Hochfrequenzbehandlung hat 
in diesen Fällen eine allgemein sedative Wirkung. Neben der 
Senkung des Blutdruckes sehen wir unter anderem ein Nach¬ 
lassen des Blutandranges zum Kopf und eine Besserung des 
Schlafes. Da auch andere physikalische Maassnahmen in Form 
einer milden ableitenden Hydrotherapie in lange nicht nach Gebühr 
gewürdigter Weise auf die oft sehr lästigen Zustände günstig 
einwirken, kann eine Kombination von Hochfrequenzbehandlung 
mit physikalischer Therapie nur empfohlen werden. In neuerer 
Zeit bat Kurt Mendel dann darauf aufmersam gemacht, dass 
auch beim männlichen Geschlecht am Ende des fünften oder zu 
Beginn des sechsten Lebensdezenniums ein Krankheitszustand von 
günstiger Prognose zur Beobachtung gelangt, der den Wechsel¬ 
jahren der Frau analog ist und für den er den Namen CI imac¬ 
terium virile gewählt hat. Für diese durchaus nicht seltenen 
Wechseljahre des Mannes gelten durchweg die therapeutischen 
Bemerkungen, welche auf die Wechseljahre der Frau Bezug haben. 

Die Hochfrequenztherapie umfasst dann als weiteres Gebiet: 

2. Die Erkrankungen des Centralnervensystems. 

Mehr noch als bei den Erkrankungen des cardiovasculären 
Systems hat der Praktiker die Pflicht, den Hebel der Kritik an 
die Fülle von Indikationen anzusetzen, die für die Erkrankungen 
des Centralnervensystems von Berufenen und Unberufenen auf¬ 
gestellt wurden. 

Zunächst die funktionellen Neurosen. Wenn die Wirk¬ 
samkeit einer Therapie, ausschliesslich auf suggestiven Momenten 
beruhte, so müsste sie insbesondere bei den funktionellen Neurosen 
am Platze sein. Dass dies nicht der Fall, kann mit Recht gegen 
die rein suggestive Wirkung der Hochfrequenzströme angeführt 
werden (Lothar Wolff). Was die Neurasthenie anbetrifft, 
so muss als Uebergang zu den cardiovasculären Erkrankungen 
die Berechtigung zur Hochfrequenzbehandlung für die Behandlung 
derjenigen Fälle zugegeben werden, welche wir als „Neur¬ 
astheniker mit Blutdruckerhöhung u bezeichnen. Es erübrigt sich, 
auf die Schwierigkeit der Abgrenzung dieses Begriffes näher ein¬ 
zugehen. Des weiteren kann aber nur von einer Beeinflussung 
einzelner neurasthenischer Symptome durch Hochfrequenzströme 
die Rede sein. Die Ansichten der Autoren über die Beeinflussung 
von „Herzneurosen“ lauten mit wenigen Ausnahmen (Grabley) 
ungünstig. Zur Behandlung geeignet sind dagegen Affektionen, 
wie das „nervöse Hautjucken“, „nervöse Hyperästhesien“ 
und „Anästhesien* . . . Die Besserung der nervösen Schlaf¬ 
losigkeit wird von der Mehrzahl der Autoren (v. Jak sch, 
Toby Cohn, A. Laqueur u. a.) angegeben. Ich kann mich 
auf Grund zahlreicher eigener Erfahrungen den Empfehlungen 
nur ganz bedingt anschliessen. Ich bin weit davon entfernt, den 
sedativen Effekt der Hochfrequenzströme zu leugnen, und habe 
bereits darauf hingewiesen, dass die Behandlung ein Müdigkeits¬ 
gefühl und ein Bedürfnis nach Ruhe erzeugt, dass manche 
Patienten fest danach einschlafen. Aber eine wirklich dauernde 
Besserung einer erheblichen neurasthenischen Schlaflosigkeit habe 
ich kaum je gesehen. Fälle, welche auch durch sonstige physi¬ 
kalische bzw. sedative Maassnahmen leicht gebessert werden, 
reagieren auch auf d’Arsonvalisation günstig, aber schwere 
Agrypnien werden kaum durch sie beeinflusst. Einer grossen 
Reihe neuerer therapeutischer Agentien wird Einfluss auf Schlaf¬ 
losigkeit nacbgerühmt. Daraus ergibt sich eine grosse Menge 
von Empfehlungen gegen Schlaflosigkeit, und der praktische End¬ 
effekt ist äusserst dürftig. Gegen nervöse Kopfschmerzen 
und nervöses Ohrensausen wird milde Effluvienbehandlung 
im Sinne der Franklin’schen Kopfdusche empfohlen. 

Nicht weniger ungünstig wie mit der Neurasthenie steht es 
mit der Hysterie. Dass der komplizierte Apparat des Solenoids 
oder der lokalen Hochfrequenzelektroden auf hysterische Stigmata 
von Einfluss sein kann, bedarf nur der Erwähnung. Da es sich 
aber ausschliesslich um suggestive Wirkungen bandelt, so ist es 
ratsam, nur ganz kurzdauernde Sitzungen (1—3 Minuten) zu ver¬ 
anstalten* um die ungünstigen Nebenwirkungen (Ermüdung usw.) 
zu vermeiden. Kurz erwähnt sei noch, dass v. Jak sch bei 
hysterischen Lähmungen^und. Anästhesien mit lokalen Funken¬ 
entladungen ähnliche Erfolge wie mit analogen anderen elektri¬ 
schen Prozeduren erzielt hat. t 

Auch zur Behandlung von Neuralgien hat man die Hoch¬ 
frequenzströme herangezogen und beispielsweise bei Ischias 
lokale d’Arsonvalisation mit der Kondensatorgraphitelektrode 
empfohlen. A. Laqueur und Lothar Wolf sahenjgewisse Er¬ 
folge von der Effluvienbebandlung in denjenigen ^Fällen von 


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24. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Ischias, wo nach Rückgang der übrigen Symptome noch Schmerzen 
mit Parästbesien im Ausbreitangsgebiete des Nervus peroneus 
zurückgeblieben waren, und konnten besonders Ischiassensationen, 
wie Kribbeln, Taubheitsgefühle, das Gefühl von Wundsein der 
Haut, auf diese Art beseitigen. Zur Schmerzstillung bei Ischias 
setzt A. Laqueur entweder eine Elektrode fest auf die Schmerz¬ 
punkte, oder er wendet kräftige Funken längs des Verlaufs der 
Nerven an. Meine eigenen Erfahrungen stimmen mit denen der 
genannten Autoren darin überein, dass von einer Ueberlegenheit 
der Hochfrequenztherapie gegenüber den gebräuchlichen elektro- 
therapeutischen und sonstigen physikalischen Maassnahmen keine 
Rede sein kann. Nur Kabane berichtet über vollkommene 
Heilungen, die er bei Ischias, Trigeminusneuralgie usw. allein mit 
Hochfrequenzstrümen erzielt hat; aber dieser Autor steht mit seinen 
enthusiastischen Berichten isoliert. Oft sehr wirkungsvoll zeigt 
sich aber die Hochfrequenztherapie bei gewissen Schmerzzuständen, 
welche recht quälend und hartnäckig auftreten können: bei 
Tarsalgien, Achillodynien, Coccygodynien usw. gelingt 
es zuweilen mit lokaler Anwendung von Hochfrequenzströmen 
(Kondensatorgraphitelektrode oder Effluvien) einen schmerzlindern¬ 
den Einfluss auszuüben. 

Was nun die Anwendung der Hochfrequenztherapie bei orga¬ 
nischen Nervenkrankheiten anbetrifft, so hat v. Jaksch 
mit ihr bei multipler Sklerose Erfolge erzielt. Die Auto¬ 
konduktion soll den Intentionstremor, die Spasmen und die moto¬ 
rischen Störungen bessern. Selbstverständlich kann von markanten 
Erfolgen keine Rede sein. Die Mitteilungen der nachprüfenden 
anderen Autoren — ich besitze selbst keine eigenen Erfahrungen 
darüber — lauten unbestimmt. Weit gebräuchlicher ist die An¬ 
wendung der Hochfrequenztherapie bei der Tabes dorsalis; sie 
hat von jeher Lobredner gefunden, die teils der Anwendung im 
Solenoid, teils der lokalen uni- und bipolaren d’Arsonvalisation 
das Wort redeten. Man hat sie besonders gegen die lanci- 
nierenden Schmerzen und gegen die Krisen empfohlen. Ins¬ 
besondere hat Nagelschmidt die Hochfrequenzströme bei 
gastrischen Krisen angewandt und wiederholt über glänzende 
Erfolge berichtet, eine Empfehlung, welche andere Autoren 
(A. Laqueur) nicht immer bestätigen konnten, und welcher meine 
eigenen Erfahrungen gleichfalls in der Mehrzahl der Fälle nicht 
entsprachen. Auch bezüglich der lancinierenden Schmerzen sind 
die Erfolge zuweilen recht unsicher. Oft stellt sich dann aller¬ 
dings noch eine Wirkung ein, wenn man an Stelle der Lokal¬ 
therapie die Solenoidbehandlung vornimmt. Besonders bei diffusen 
Schmerzen lassen dann häufig die heftigsten Schmerzen nach, sie 
werden milder oder treten seltener auf. So sah ich in einem 
sehr schweren Falle von Tabes dolorosa, bei dem lokale 
d’Arsonvalisation völlig versagt batte, von Solenoidbebandlung 
unleugbar günstige Einwirkung. Immerhin scheint mir die Be¬ 
urteilung der Wirkung der Hochfrequenztherapie gegen tabische 
Schmerzen doch vielfach vom subjektiven Urteil des im Einzelfall 
behandelnden Arztes abhängig und lässt eine abschliessende Kritik 
noch keineswegs zu. Nicht unerwähnt sei schliesslich, dass 
Nagelschmidt mit intraurethraler Applikation von Hochfrequenz¬ 
strömen bei tabischer Inkontinenz gute Erfolge erzielt hat. 

Von Einwirkungen der Hocbfrequenzbehandlung bei Gehirn¬ 
affektionen wurde bereits die Wirksamkeit bei Gehirnhyper¬ 
ämie und bei nicht zu schweren Fällen von Gehirnarterio¬ 
sklerose hervorgehoben. 

Damit wären die wesentlichsten Indikationen der Hochfrequenz¬ 
therapie bei inneren und Nervenkrankheiten erschöpft. Auf die 
Diathermiemethode, die von anderen Prinzipien ausgeht, soll an 
dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. E9 bliebe nur 
noch übrig, über die Begründung der Wirkung einige Worte 
zu sagen. Es ist durchaus erklärlich, dass man den Wunsch hat, 
sich nicht im Dunkeln zu bewegen, sondern klar zu sehen, worauf 
die Erfolge beruhen, die unzweifelhaft für eine Reihe von Affek 
tionen erwiesen scheinen. Aber man ist mit den vielfachen Er¬ 
örterungen, die sich fast ausschliesslich in theoretischem Fahr¬ 
wasser bewegen, meines Erachtens bisher nicht viel vorwärts ge¬ 
kommen und sollte sich mit dem Hinweis auf den uns viel länger 
bekannten und doch noch vertrauteren galvanischen Strom be¬ 
gnügen, dessen spezielle Wirkung im Grunde immer noch nicht 
geklärt ist. Nur auf einen Erklärungsversuch sei mit einigen 
Worten eingegangen. Nagelschmidt war der erste, der von 
einer Wärme Wirkung in der Hochfrequenztherapie gesprochen 
hat. Nun haben Schemel und Fürstenberg diese Frage für 
die Thermopenetrationsbehandlung erörtert. Es Hesse sich viel¬ 
leicht durch ähnliche Versuchsanordnung z. B. bei den gastrischen 


Krisen der Tabiker auch für die eigentliche d’Arsonvalisation ein 
Resultat erzielen, welches uns in dem Bemühen fördert, für die 
Ursache der Wirkung der Hochfrequenzströme auch eine positivere 
Erklärung beizubringen. 


Literatur. 

(Genaue Literatur bis 1912 bei Lothar Wolf, Inauguraldissertation.) 
Ferner: 1. Braunwarth und Fischer, Zeitschr. f. pbysik. u. diätet. 
Therapie, November 1912. — 2. Braunwarth, Vortrag im Verein für 
innere Medizin am 2. Dezember 1912 und anschliessende Diskussion. — 

3. TobyCohn, Leitfaden der Elektrodiagnostik und Elektrotherapie. 

4. Aufl., 1912. — 4. Grabley, Deutsche med. Wochenschr., 1912, 
Nr. 41. — 5. Derselbe, 83. Baineologenkongress. — 6. A. Laqueur, 
Med. Klinik, 1911, Nr. 49. — 7. Derselbe, Fortschritte der deutschen 
Klinik, 1912, Bd. 3. — 8. Lothar Wolf, Inauguraldissertation 1912. — 
9. Diskussion im Verein für innere Medizin, 1913, Nr. 7, Vereinsbeilage. 


Aus dem Institut für Krebsforschung der Königlichen 
Charite (Direktor: Prof. Dr. G. Klemperer). 

Die Wirkung von Schwermetallen auf die bös¬ 
artigen Tiergeschwülste. 

Von 

Prof. Dr. Carl Lewin. 

Durch die bekannten Untersuchungen von Neuberg und 
Caspari wissen wir, dass Schwermetalle eine besondere Ein¬ 
wirkung anf die malignen Geschwülste der Tiere zeigen, welche 
von den genannten Autoren auf die Verstärkung der autolytischen 
Vorgänge in den Geschwülsten durch die injizierten Metallver¬ 
bindungen zurückgeführt wird. Neu berg führt aus, dass ein¬ 
gespritzte Metallverbindungen, soweit es sich um einfache Salze 
handelt, von den Proteinen des Körpers abgefangen werden, so 
dass sie überhaupt gar nicht erst an den Tumor gelangen, dass 
andererseits aber bei kolloidalen Verbindungen es lediglich vom 
Zufall abbängt, ob dies Metall in den Tumor gelangt oder nicht. 
Neuberg und Caspari haben daher Metall Verbindungen her¬ 
gestellt, welche bei intravenöser Injektion in den Tumor gelangen 
und hier in der Weise zerlegt werden, dass das Metall abgespalten 
wird und wahrscheinlich in kolloidaler Form zur Ausfällung gelangt. 
Diese kolloidale Ablagerung soll demnach die Voraussetzung ihrer 
Wirksamkeit sein. Denn alle solche Substanzen, welchen diese 
Fähigkeit zur kolloidalen Ablagerung fehlt, haben sich in ent¬ 
sprechenden Versuchen als unwirksam erwiesen. Die Beeinflussung 
des Tumors durch das injizierte Metall schildert Caspari in der 
Weise, dass zunächst streng lokalisierte Blutungen im oder 
am Tumor auftreten; an diese Blutungen schliesst sich alsdann 
nach weiteren Injektionen des Mittels Erweichung und Zerfall 
des Tnmorgewebes an. Die Wirksamkeit des Mittels ist um so 
grösser, je mehr Blutgefässe den Tumor versorgen, es hängt also 
die heilende Wirkung einer der benutzten Metall Verbindungen sehr 
wesentlich von dem Verhalten der Gefässe ab. 

Ich habe mich nun gefragt, ob es nicht möglich sei, gleiche 
Beeinflussungen des Tumors zu erzielen, wenn intravenös Sub¬ 
stanzen injiziert wer.den, welche eine ganz besondere Wirkung auf 
die Blutgefässe ausüben. Mich veranlassten zu diesen Unter¬ 
suchungen die Beobachtungen von W. Heubner aus dem Jahre 
1907 1 ). W. Heubner schildert hier die durch Goldsalz hervor¬ 
gerufenen Erscheinungen der Capillarvergiftung bei Tieren. Die 
augenblicklich tödliche Wirkung des Goldsalzes beruht anf seiner 
ausschliesslich die Capillaren vergiftenden Eigenschaft, während 
die Organzellen selbst fast ganz unbeeinflusst bleiben. Es kommt 
dabei zu mächtigen Blutungen, besonders in das Abdomen, und 
Heubner schildert, wie z. B. bei Hunden geradezu eine Ver¬ 
blutung in das Abdomen eintritt. Damit vergleiche man die Be¬ 
merkung von Caspari, dass man in einem Falle, wo das 
Tier gleich nach der Injektion starb, den Eindruck hat, dass 
sich das Tier direkt in den Tumor hinein verblutet. 
Diese Aehulichkeit beider Beobachtungen gab mir Veranlassung, 
zunächst die Wirksamkeit bekannter Gold Verbindungen auf die 
Tiergeschwülste zu prüfen. Schon früher hatte Meidner in 
unserem Institut bei der Injektion einiger uns von Exz. Emil 
Fischer zur Verfügung gestellten Metallverbindungen (z. B. 

1) Archiv f. experira. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 56. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 12. 


Asparaginsilber, milchsaures Silber, glycerinsaures Kupfer) deut¬ 
liche Gefässbeeinflnssungen (Blutungen, Gefässerweiterungen) kon¬ 
statieren können, ohne dass allerdings die verwendeten Ratten¬ 
tumoren dadurch sonderlich geschädigt werden. 

Ganz anders fiel der Versuch aber aus bei Verwendung der 
von W. Heubner benutzten Goldverbindungen; die eine, in der 
Industrie als Goldsalz bekannt, ist Auronatriumchlorid (AuCI 4 Na 
2H 2 0), die andere ist kolloidales Gold, Goldsol, welches mir 
von der Fabrik Kalle & Co. in Biebrich freundlichst zur Verfügung 
gestellt wurde. Endlich benutzte ich zu meinen Experimenten das 
Merck'sche Aurum-Kalium cyanatum, das Bruck und Gluck 
jungst zur Chemotherapie der Tuberkulose anwandten. 

Die Wirkung aller der erwähnten Goldverbindungen war nun 
bei den Mäusecarcinomen eine eklatante. Schon nach zwei intra¬ 
venösen Injektionen kommt es zu Veränderungen des Tumors, die 
mit den von Neuberg und Caspari beschriebenen fiberein- 
stimmten. Diese Veränderungen bestehen in mehr oder minder 
mächtigen Blutungen in das Tumorgewebe, in Blutextravasaten 
und der Bildung von blutig gefärbten Zerfallsprodukten innerhalb 
des Tumorgewebes. Es treten mehr oder minder grosse Hohl¬ 
räume auf, die mit blutigen Massen und Zelltrümmern angefüllt 
sind. Nach drei bis vier Injektionen kann der Tumor in weitem 
Umfange zu einer bröckligen, nekrotischen, blutig gefärbten 
Masse umgewandelt sein. Auch lässt sich zuweilen schon durch 
Betastung die Erweichung des vorher harten und soliden Tumors 
feststellen. 

Die Wirkung der verwendeten Goldsalze kann nur 
als eine die Capillaren des Tumors vergiftende, analog 
den Beobachtungen von W. Heubner, aogesprochen werden. 
Auch die mikroskopischen Untersuchungen, die noch nicht ab¬ 
geschlossen sind, sprechen dafür. Die von mir benutzten Gold¬ 
verbindungen sind, abgesehen vom Goldsol, das an sich kolloidal 
ist, Salze, die im Tumor eine Umwandlung in kolloidales Gold 
erfahren können, um dann die von Neuberg und Caspari an¬ 
genommene spezifische Wirkung auf die Tumorzellen im Sinne 
der gesteigerten Autolyse auszuüben. Indessen bedarf es dieser 
spezifischen Wirkung auf die Tumorzellen nicht, um die hier 
geschilderten Vorgänge zu erklären. Die Nekrosen und Er¬ 
weichungen sind vielmehr die auch sonst in der Pathologie be¬ 
kannten sekundären Störungen infolge der vernichteten Ernäbrungs- 
möglichkeit nach der Zerstörung der Capillaren. E 9 sind also 
die von mir beobachteten Blutungen in den Tumoren und ihre 
Folgezustände nicht die Folge einer Affinität der Metalle 
zu den Zellen, sondern zu den feinsten Blutgefässen im 
Tumor. 

Es bleibt natürlich zu untersuchen, warum die capillarver- 
giftende Wirkung der Goldverbindungen gerade im Tumor be¬ 
sonders intensiv sich äussert. Das kann einmal deswegen ge¬ 
schehen, weil die im Tumor vorhandenen Capillaren die jüngsten 
des Organismus sind und die Giftwirkung vielleicht ganz be¬ 
sonders stark die neugebildeten Capillaren trifft. Wahrschein¬ 
lich erscheint auch die Erklärung, welche ich in meinem 
kürzlich erschienen Vortrage „Versuche über die Biologie der 
bösartigen Tiergeschwülste“ 1 ) angedeutet habe. Ich glaube 
nämlich, dass der Mäusetumor, der im allgemeinen abgekapselt 
wächst und wie ein Fremdkörper von dem übrigen Organismus 
relativ abgeschlossen ist, sehr leicht in seiner Ernährung zu 
schädigen ist. Denn es wird offenbar den circulierenden 
Körperflüssigkeiten infolge des Mangels an Lymphgefässen und 
der mangelhaften Blutversorgung im Tumor ein ziemlich erheb¬ 
liches Hindernis bei der Durchströmung der Geschwulst bereitet. 
Spritzt man also irgendwelche giftigen Substanzen in die Blut¬ 
bahn des Tieres, so wird ein grosser Teil der Substanz im Tumor 
wie von einem Schwamm zurückgehalten und kann so hier 
eine besonders grosse Wirkung entfalten, während die übrigen 
Körperzellen der Schädigung durch die eingespritzten Zellgifte 
mehr oder weniger weit entzogen werden, da die Giftkonzentration 
in dem strömenden Blute schon, nach der einmaligen Durch¬ 
strömung des Tumors eine* weit/geringere geworden ist. Diese 
Annahme stützt sich auf eine Reibe von Beobachtungen, über die 
ich vorläufig noch nicht berichten kann. Welche Erklärung zu¬ 
trifft, soll noch Gegenstand weiterer Untersuchungen sein. Es 
wird weiter von mir untersucht, ob auch andere Metallver¬ 
bindungen, welche eine dem Goldsalz und dem Aur. KaL cyanat. 
ähnliche Struktur haben, die nach Heubner ebenfalls capillar- 
vergiftend wirken, eine besondere Wirkung auf die Tumoren aus- 


1) Diese Wochenschr., 1913, Nr. 4. 


üben, ebenso ob auch einfache Metallsalze den gleichen Einfluss 
zeigen. Von anderen Capillargiften, wie z. B. dem Arsen, kann 
ich schon jetzt sagen, dass es in gewissen Verbindungen ebenfalls 
grosse Blutungen im Tumor macht. Doch sind meine Arbeiten 
io dieser Richtung noch nicht abgeschlossen. 


Aus dem städtischen Luisenhospital zu Dortmund. 

Status thymolymphaticus und Salvarsan. 

Von 

Dr. W. Rindfleisch, 

Oberarzt der inneren Abteilung. 

In den folgenden Zeilen sollen zwei Todesfälle nach Salvarsan- 
applikation mitgeteilt werden, die .sich von der Mehrzahl der 
übrigen einschlägigen Vorkommnisse in einigen wesentlichen 
Punkten unterscheiden; sie zeichnen sich ferner durch einen inter¬ 
essanten, beiden gemeinsamen und, wie ich glaube, recht be¬ 
achtenswerten Sektionsbefund aus. 

Die erste Beobachtung, die noch zwei weitere interessante Einzel¬ 
heiten aufweist, betrifft eine 50jährige Frau mit folgender Vorgeschichte: 

Mit 20 Jahren kurzdauernde (wahrscheinlich katarrhalische) Gelb¬ 
sucht. Vor 16 Jahren einige Monate hindurch häufige Gallensteinkoliken 
mit mehrfachem Steinabgang; Wiederholuug der Anfälle in langen 
Pausen, zuletzt vor 2 Jahren. 

Von Jugend auf Kropf, der in letzter Zeit nicht gewachsen ist; 
seit etwa 10 Jahren recht stark, dabei schwach und anfällig. 

Beginn des jetzigen Leidens vor 6 Wochen mit Schmerzen in der 
Oberbaucbgegend, Appetitmangel und zeitweiligem Erbrechen, seitdem 
grosse Mattigkeit, öfters Frösteln. Seit 3 Wochen fest zu Bett; regel¬ 
mässige Temperaturmessungeu ergaben intermittierendes Fieber (morgens 
36—37°, abends um 40 °) ohne ausgesprochene Schüttelfröste; Ab¬ 
magerung von 20—30 Pfd. 4 gesunde Kinder; 1 Abort. 

Status bei der Aufnahme am 3. VI. 1912: Guter Ernährungs¬ 
zustand. Gewicht ohne Kleider 71,5 kg. Fettpolster reichlich, aber 
schlaff. Temperatur 36,7°, Puls 76. Kein Icterus. Hühnereigrosse, 
derbe Struma; keine Basedowsymptome. Lungenbefund normal, ab¬ 
gesehen von erheblichem Hochstand der Lungen-Lebergrenze. Herz¬ 
befund normal. Puls voll, kräftig, regelmässig; keine merkliche Arterio¬ 
sklerose. 

Leber gleichmässig stark vergrössert, derb, grobhöckerig; keine 
tiefen Furchen; auffallend stark empfindlich; nirgends Fluktuation. Milz 
nicht nachweislich vergrössert; kein Ascites. 

Harn frei von Eiweiss und Zucker; Indikangehalt nicht wesentlich 
vermehrt; reichlich Urobilin; kein Bilirubin. Stuhl fest, normal gefärbt, 
blutfrei. 

Magen keine Retention. Probefrühstück enthält ziemlich viel 
Schleim. Gesamtacidität 28; freie HCl 12; mikroskopisch nichts Be¬ 
sonderes. 

Blutbefund: Hämoglobin 50pCt., rote Blutkörperchen 4 650 000, 
weisse 10 100. 

Wassermann’sche Reaktion einwandfrei positiv. 

Die weitere Beobachtung ergab als wichtigstes Resultat, dass die 
Kranke in der Tat fortlaufend fieberte; die Morgentemperatur war stets 
unter 37°; mittags stieg die Temperatur an und erreichte abends meist 
39—39,5°; einmal stieg die Temperatur auf 40,2° an. 

Die Leukocytenzahl stieg auf 17 100; es wurde auch ein Jenner- 
präparat angefertigt, bei dessen Durchmusterung ausser einer poly- 
nucleären Leukocytose nichts Auffallendes zu konstatieren war. Genaue 
Zahlenverhältnisse vermag ich leider nicht anzugeben. Die Probe auf 
alimentäre Lävulosurie ergab ein negatives Resultat. 

In den Bereich der klinischen Diagnose wurden folgende 
drei Krankheitszustände gezogen: 

1. multiple eitrige Affektion der Leber, ausgehend von der 
alten Choleiithiasis, 

2. sekundäres Lebercarcinom, das, wie frühere Beobachtungen 
mich gelehrt hatten, ohne Hinzutreten eines Infektes mit 
langdauerndem Fieber einhergehen kann, 

3. fieberhafte Leberlues. 

Die Differentialdiagnose, die hier nicht erörtert werden soll, 
war nicht ganz leicht. Schliesslich musste für unser praktisches 
Handeln det unzweideutig positive Ausfall der Wassermann’schen 
Reaktion den Ausschlag geben. 

Pat. erhielt am 19. VI., vormittags 11 Uhr, 0,6 Neosalvarsan intra- 
• venös. Die Infusion verlief ohne jede Störung. . 

Als ich jedoch eine Viertelstunde später nach der Kranken sah, 
war der vorher ruhige und kräftige Puls sehr klein und frequent ge¬ 
worden. Die Kranke hatte einen ängstlichen Gesicbtsausdruek; sie sah 
blass und cyanotisch aus und war etwas dyspnoisch; Glühwein und 
Kaffee änderten nichts an dem Zustande, der trotz reichlicher Anwendung 


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24. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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tod Campher und Adrenalin yon Stunde zu Stunde bedrohlicher wurde. 
Der Puls war bereits 1—2 Stunden nach der Infusion kaum noch 
fühlbar; die Achselhöhlentemperatur schwankte um 37,5° herum, während 
die peripheren Teile sich kühl und feucht anfühlten; von seiten des 
Verdauungstraotus und des Nervensystems fehlten alle Erscheinungen; 
das Sensorium blieb völlig klar bis kurz vor dem Tode, der 7 Stunden 
nach der Infusion erfolgte. 

Autopsie (Prof. Schridde): Carcinom der Gallenblase (zahlreiche 
Steine in der geschrumpften Blase) mit reichlichen Metastasen in der 
Leber und in den benachbarten Lymphknoten; geringer Ascites; Zwerch¬ 
fell durch die enorm grosse Leber besonders rechts stark in die Höhe 
gedrängt. Struma nodosa colloides. Thymus persistens (44 g). Balg¬ 
drüsen an der Zungenbasis und Tonsillen etwas vergrössert. Milz etwas 
gross (15,5; 7,5; 4). Pulpa weich; Bakterien weder mikro^ropisch noch 
kulturell nachweisbar. * 

Herz von entsprechender Grösse, schlaff; Klappenapparat intakt; 
Endocard verdickt; massige Atherosklerose der Aorta; weder hier noch 
anderorts bei genauester speziell darauf gerichteter Untersuchung Zeichen 
von Lues. Mikroskopische Untersuchung des Herzmuskels ergibt braune 
Atrophie und feinkörnige Verfettung. 

Eine Epikrise des Falles im Sinne des Themas dieser 
Arbeit soll zum Schluss gegeben werden. Hier sei als wichtigster 
Nebenbefand die absolut glatte Hemmung der Hämolyse bei 
einem Leberkrebskranken hervorgehoben, der sich bei sorgfältig 
auf diesen Punkt gerichteter anatomischer Kontrolle als absolut 
syphilisfrei erwies. In Anbetracht der prinzipiellen Bedeutung 
dieser Beobachtung wurde die Wassermann’sche Reaktion mit 
dem Leichenblut wiederholt, wieder mit eindeutig positivem Re¬ 
sultat. 

In einer vor kurzem aus der Minkowski’schen Klinik er¬ 
schienenen Arbeit berichten Bittorf und Schidorski über eine 
ganz analoge Beobachtung; aus dieser Arbeit geht hervor, dass 
auch bei Zerstörung von Hirnsubstanz durch unspezifische Prozesse 
Hemmung der Hämolyse herbeigefübrt werden kann; ihre Ansicht, 
dass der Uebertritt von Lipoidsubstanzen hierfür verantwortlich 
zu machen ist, haben die genannten Autoren auf experimentellem 
Wege erhärten können. Der vorliegende Fall gibt der Hypothese 
eine weitere klinische Stütze. 

Dann will ich kurz noch einmal darauf hinweisen, dass auch 
nach dem Resultat der Autopsie das wochenlange hohe Fieber 
nur durch das enorm ausgedehnte Lebercarcinom erklärt werden 
kann; es konnten weder in den Gallen wegen, noch in irgend¬ 
einem anderen Organ Anzeichen eines infektiösen Prozesses auf¬ 
gedeckt werden. 

2. Fall. 11 jähriger, kräftig gebauter Knabe, am zweiten Tage 
einer Scharlacherkrankung in schwerkrankem Allgemeinzustande auf¬ 
genommen. 

Temperatur am ersten Tage zwischen 39,2° und 39,7°, Puls 120 
bis 128, von mittlerer Füllung und Spannung; geringe Benommenheit 
und leichte Unruhe, auf Packungen nur vorübergehende Besserung. 
Temperatur am nächsten Tage 39,4°—40°; Puls 128—136, 5 l /s Uhr 
nachmittags 0,5 Neosalvarsan intravenös; eine halbe Stunde später 
Schüttelfrost; danach Temperatur 38,9°, Puls 160, sehr klein und weich; 
mehrere dünnbreiige Darmentleerungen, zweimal Erbrechen. 

Trotz reichlicher Anwendung von Campher und Adrenalin wird der 
Puls immer elender; die Temperatur steigt auf 40,4°; Erbrechen und 
Durchfalle wiederholen sich öfters; Unruhe und Benommenheit nehmen 
zu; der Puls wird unfühlbar; 24 Stunden nach der Infusion erfolgte der 
Exitus. 

Autopsie (Prof. Schridde): Eitrige Tonsillitis mit septischer 
Schwellung der Halslymphknoten; septische Milzschwellung: Milz sehr 
gross (220 g), Pulpa dunkelrot, Lymphknötchen deutlich hervortretend. 
Ausgesprochener Status thymolymphaticus; Thymus 23 g schwer; Ton¬ 
sillen haselnussgross, stark zerklüftet; Zungenbalgdrüsen sehr stark ent¬ 
wickelt; im Oesophagus zahlreiche bis über hirsekorngrosse weissliche 
Knötchen. Lymphknoten in der Leberpforte und im Pankreaskopf bis 
über haselnussgross, im oberen Teil des Darms nur mässig, naoh unten 
zu stark vergrössert. 

Herz für das Alter auffällig gross. Linker Ventrikel deutlich hyper¬ 
trophisch (Wand 11 mm); Herzklappen ohne Besonderheiten; Ausfluss¬ 
bahn der Aorta zeigt eine deutliche weissliche Endocardverdickung; 
Foramen ovale offen. 

Die mikroskopische Untersuchung ergibt auffällig Fragpentatio, viel- 
! lache Vaouolisieruog des Protoplasmas, keine Verfettung des Herz¬ 
muskels. 

In beiden Fällen hatten wir alle bei unbefangener Beob¬ 
achtung den entschiedenen Eindruck, dass der plötzliche Todi der 
Salvarsaninfusion zur Last %u legen sei. Im ersten Fall handelte 
es sich um eine durch ein schweres chronisches Leiden zwar 
bereits recht geschwächte Frau, die sich indessen bis zu der In¬ 
fusion in einem durchaus komponierten Zustand befand, dass an 
eine unmittelbare Lebensgefahr gar nicht zu denken war; ins¬ 


besondere war der Puls bis dahin voll, kräftig und regelmässig. 
Der fatale Umschwung schloss sich an die Infusion so unmittel¬ 
bar an und war sofort so schwer, dass an dem inneren Zu¬ 
sammenhang beider Dinge gar nicht gezweifelt werden konnte. 

Nicht ganz so klar war die Situation bei dem zweiten Fall. 

Hier handelte es sich um einen Scharlach, der den Eindruck 
einer schweren, aber durchaus nicht den einer schwersten malignen 
Infektion machte. 

Es musste eine ernste und zweifelhafte, aber keinesfalls eine 
absolut infauste Prognose gestellt werden. 

Der Exitus trat zwar erst 24 Stunden nach der Infusion ein, 
aber der ZustaDd verschlimmerte sich unmittelbar danach so 
rapide, dass wir auch hier den Eindruck einer deletären Beein¬ 
flussung haben mussten. 

Als Angriffspunkt dieser fatalen Einwirkung musste zweifellos 
der Circulationsapparat betrachtet werden. 

Klarer liegt auch hier wieder der erste Fall, bei dem nervöse 
Störungen jeder Art vorher und nachher völlig fehlten und der 
Puls bis zu der Infusion gut und kurze Zeit danach kaum noch 
fühlbar war. 

Bei dem Scharlachkinde war die Verschlechterung des Pulses 
ebenfalls das wesentlichste; indessen traten hier auch weitere 
Vergiftungssyraptome in der Form von Erbrechen und Diarrhöen 
auf; der ungünstige Umschwung in den Kreislaufverhältnissen war 
zwar auch bald nach der Infusion sehr deulich, führte aber erst 
nach 24 Stunden zum Tode. 

Die Autopsie ergab nun in beiden Fällen als unerwarteten 
Nebenbefund einen ausgesprochenen Status thymolymphati¬ 
cus. Im zweiten Falle ging das Gewicht der Thymus freilich 
nur wenig über das Normalmaass hinaus. Dafür war aber die 
Hyperplasie des lymphatischen Apparates sehr stark ausgeprägt, 
und da^Herz wies die Charaktere des Thymusherzens sehr deut¬ 
lich auf. Der Obduzent, Prof. Schridde, lehnte einen Zusammen¬ 
hang der linksseitigen Herzhypertrophie mit den kleinen corti- 
calen Scbrumpfungsherden entschieden ab und erklärte das Herz 
speziell auch mit Rücksicht auf die Endocardverdickung an der 
Ausflussbahn der Aorta für ein typisches Thymusherz. Ausserdem 
fand sich in beiden Fällen die für den Status thymicus charak¬ 
teristische Hypertrophie des Markes auf Kosten der Rinden¬ 
substanz, auf die Hedinger zuerst aufmerksam gemacht bat. 

Es entsteht nun die Frage, ob der in beiden Fällen so aus¬ 
gesprochene Status thymolymphaticus in Zusammenhang mit dem 
plötzlichen Tode gebracht werden kann. 

Ich will auf die komplizierte Frage des Thymustodes an 
dieser Stelle nicht näher eingehen und will nur betonen, dass 
die alten mechanischen Erklärungsversuche immer mehr an Kredit 
verloren haben zugunsten einer chemischen Auffassung im Sinne 
einer inneren Sekretion. Nach Bingel und Strauss soll das 
Thymussekret blutdruckerniedrigend wirken. 

Erinnert man sich nun, dass auch das Salvarsan, wie viel¬ 
fache, auch von mir vorgenommene Blutdruckmessungen ergeben 
haben, dieselbe depressorische Wirkung besitzt, so liegt der 
Schluss sehr nahe, dass die Coincidenz dieser beiden nach der 
gleichen Richtung ungünstig wirkenden Momente für den fatalen 
Ausgang, der unter dem Bilde desColIapses erfolgte, verantwort¬ 
lich gemacht werden muss. 

Aehnliche Erfahrungen sind ja bei Thymikern mehrfach ge¬ 
macht worden; so erklärt Paltauf sie direkt für körperlich 
minderwertig gegenüber geringen therapeutischen Eingriffen. 

Ich will aus diesen beiden Beobachtungen nicht zu weit¬ 
gehende Schlüsse ziehen; immerhin scheinen mir folgende Forde¬ 
rungen gerechtfertigt: 

Bei Todesfällen nach Salvarsanapplikation hat der Obduzent 
auf das Verhalten der Thymus und des lymphatischen Systems 
sorgfältig zu achten. 

Der Kliniker wird bei Verdacht auf Status thymolymphaticus 
Salvarsan nur mit äusserster Vorsicht an wenden dürfen; eine ganz 
besonders grosse Bedeutung gewinnt' diese Mahnung naturgemäss 
in der Kinderpraxis; 

Der Morbus Basedowii, der in etwa 70 pCt. aller.Fälle von 
der genannten Anomalie begleitet wird, dürfte als ein Noli me 
tätigere für das Ehrl ich’sche Heilmittel anftusehen sein. M 


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UNIVERSITÄT OF IOWA 





544 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 12. 


Aus dem Emma-Kinderkrankenhause zu Amsterdam. 

Zur Bedeutung der Döhle’schen Zelleinschlüsse. 

Von 

Dr. J. C. Sehippers und Dr. Cornelia de Lange. 

Die Beobachtang DöhleV) an neutrophilen polynucleären 
Leukocyten hat natürlich allerwegen ein lebhaftes Interesse erregt, 
gibt doch die Diagnose des Scharlachs gelegentlich zu grossen 
Schwierigkeiten Anlass. 

Nachdem Kretschmer 2 ) und weiter Nicoll und Williams 8 ) die 
Beobachtungen und Schlussfolgerungen Döhle’s bestätigt hatten, ist 
von anderer Seite eine Kritik nicht ausgeblieben. Preisich 4 5 ), Ahmed 6 ), 
Scbwencke 6 ) und Bongartz 7 ) haben nachgewiesen, dass die von 
Döhle beschriebenen Zelleinschlüsse gar nicht spezifisch für Scharlach 
sind, vielmehr bei anderen Infektionen gelegentlich in ebenso grossen 
Mengen auftreten. Zum Beispiel bei Masern, Diphtherie, Erysipelas, 
Pneumonie, Keuchhusten usw. Diese Beobachtungen haben die Bedeu¬ 
tung der Döhle’schen Entdeckung natürlich erheblich verringert, wenigstens 
in praktischer Hinsicht. 

Es hat uns von Anfang an interessiert, inwieweit wir das Auftreten 
der Zelleinschlüsse für die Diagnostik verwerfen könnten. Es zeigte 
sich bald bei der Untersuchung von 20 wahllos zusammengenommenen 
Scharlachkranken, dass die Einschlüsse während der ersten fünf Krank¬ 
heitstagen am zahlreichsten sind, jedoch, dass ihre Frequenz in den ver¬ 
schiedenen Fällen erheblichen Schwankungen unterworfen ist, und dass 
nicht immer hohes Fieber und zahlreiche Einschlüsse coi'ncidieren. Auch 
fanden wir einmal am zehnten Krankheitstag noch in 20 pCt. der poly- 
nucleären Leukocyten Einschlüsse. 

Durch Zufall fanden wir in einem Fall von schwerer Angina sehr 
viel Einschlüsse, in einem anderen Falle (Furunkel) nur 2 in 200 Zellen, 
im letzten Falle lag, wie sich zeigte, eine Staphylokokkeninfektion vor. 

Diese Beobachtungen brachten uns auf den Gedanken, ob vielleicht 
bei Scharlach die Streptokokkeninfektion die Ursache der Zelleinschlüsse sei. 

Wir untersuchten alsdann das Blut eines Mannes mit Streptokokken- 
abscess an der Hand und von einem Manne mit einem Karbunkel 
(Streptokokkeninfektion), in beiden Fällen fanden wir zahlreiche 
Zelleinschlüsse (in bzw. 66 und 26 von bzw. 166 und 200 Leuko¬ 
cyten.) 

Bei Durchsicht der Literatur fiel es uns auf, wie oft die Untersucher 
Streptokokkeninfektionen unter ihren positiven Befunden notiert haben 
(siehe z. B. Vogt 8 ). 

Weil Kretschmer vergebens versucht hat bei weissen Mäusen, 
Kaninchen und Affen nach Verimpfung von Scharlachmaterial Zellein¬ 
schlüsse nachzuweisen, haben wir am Hunde unsere Versuche vorge¬ 
nommen. Es wurde eine Reinkultur von Streptokokken, welche von 
einem Scharlachkranken herrührte, unter der Rückenhaut eingespritzt. 

Das Tier reagierte nur einen Tag mit leichtem Unwohlsein. In 
seinem Blute fanden wir eine deutliche, wenn auch nicht erhebliche Zu¬ 
nahme der Zelleinschlüsse: 

Vor der Injektion . . von 200 Leukocyten hatten 2 Einschlüsse 

1 Tag nach der Injektion * 230 „ „ 10 „ 

2 Tage „ , „ „ 192 „ H 

3 » jj » » » 184 „ n 1 fl 

Diese Zelleinschlüsse haben dieselben morphologischen Eigenschaften 
wie jene des Menschen, auch sind sie bei der Färbung mit verschiedenen 
Methoden von diesen nicht zu unterscheiden. 

Was das Wesen der Zelleinschlüsse anbelangf, so scheint es uns 
aus den verschiedenen Beobachtungen, wie auch aus unseren eigenen, 
einzuleuchten, dass wir sie als Reaktionsprodukte des Protoplasmas den 
Toxinen gegenüber zu betrachten haben. Dafür spricht an erster Stelle 
das Auftreten bei den verschiedenen Infektionskrankheiten, bei Strepto¬ 
kokken- (Misch-) Infektionen, weiter bei Staphylokokken- (seltener) 
Infektionen, Pneumonien, Masern, Diphtherie usw. Zweitens eine Beob¬ 
achtung Kretschmer’s, der bei Hunden, welchen er tödliche Dosen 
Diphtherietoxins einverleibt hatte, einzelne Einschlüsse näbhweisen konnte. 
Sie sind sicherlich keine Kernabkömmlinge, weil sie andere 'tinctorielle 
Eigenschaften haben. Zum Beispiel werden sie mit Methylgrünpyronin 
rosa, während die Kerne grüngefärbt werden. 

Bei unseren Blutpräparaten vom Hunde fanden wir in einzelnen 
Fällen im Protoplasma der neutrophilen Leukocyten Anhäufungen sehr 
kleine Körnchen, ganz aussehend wie Zelleinscblüsse. Wir sind geneigt 
sie für Einschlüsse in statu nascendi zu halten. 

1) Centralbl. f. Bakteriol., 1912, Bd. 61, S. 63. 

2) Diese Wochensehr., 1912, S. .499. 

3) Arch. of Pediatrics, 1912, Bd. 29, S. 380. 

4) Diese Wochenschr., 1912, S. 772. 

5) Diese Wochenschr., 1912, S. 1232. 

6) Verhandl. d. Gesellschaft f. Kinderheilk., Jahrb. f. Kinderheilk., 
1912, Bd. 76, S. 436. 

7) Diese Wochenschr., 1912, S. 2124. 

8) Diskussion. Gesellschaft f. Kinderheilk., Monatsschr. f. Kinder¬ 
heilkunde, 1912, Bd. 9, S. 382. 


Zum Schluss sei noch darauf aufmerksam gemacht, dass man die 
Einschlüsse gelegentlich auch in den anderen weissen Blutelementen 
finden kann. 

Was jetzt die Bedeutung der Döhle’schen Zelleinschlüsse für 
die Scharlacbdiagnose anbetrlfft, so möchten wir uns der Kon- 
kulsion Schwencke’s anschliessen, dass das Fehlen der Ein¬ 
schlüsse bei hochfiebernden Kranken gegen Scharlach spricht. 


Sind die Einschlüsse in den polynucleären 
Leukocyten bei Scharlach als pathognomonisch 
anzusprechen? 

Von 

Dr. H. Bongartl, Medizinalpraktikant. 

Seit Abschluss meiner in Nr. 45, 1912, dieser Wochenschrift 
veröffentlichten Untersuchungen habe ich meine Beobachtungen 
ergänzen und erweitern und sie vor allem auch auf das Blut 
Erwachsener ausdehnen können. 

Unterdessen haben sich die Arbeiten über die in Frage stehenden 
Bluteinschlüsse gemehrt, und in letzter Zeit sind drei neue Publikationen, 
darunter zwei amerikanische, erschienen, ein Beweis, dass dem von 
Döhle gemachten Funde doch ein gewisses Interesse entgegengebracht 
wird, wobei auffallend bleibt, dass bei den heutzutage so vielfach ge¬ 
machten Blutuntersuchungen diese ohne weiteres auffallenden Einschlüsse 
so lange dem Auge entgehen konnten. 

Am 23. Mai d. J. hielt Döhle in der Medizinischen Gesellschaft in 
Kiel einen leider nur im Referat vorliegenden Vortrag über Blutbefunde 
bei Scharlach 1 ). Im grossen und ganzen bestätigt er seine früheren 
Angaben und hält an dem diagnostischen Werte jener Einschlüsse fest, 
auch gegenüber den Berichten Preisich’s 2 ), der sie auch bei Typhus 
exanthematicus, Typhus abdominalis, Masern, Tuberkulose und Anämie 
fand und ihnen deshalb für Scharlach sowohl jeden spezifischen als auch 
diagnostischen Wert abspricht. Eine weitere Arbeit stammt von Ni coli 
und Williams 3 ), die im wesentlichen auf dem Standpunkt der früheren 
verharrt, aber doch schon anerkennt, dass der diagnostische Wert jener 
Körperchen in etwa beschränkt ist. Eine ganz andere Auffassung zeigt 
die Arbeit von John A. Kolm er aus Philadelphia, betitelt: Leukocytic 
„inclusion bodies“ with special reference to scarlet fever 4 ). Sie ist 
nicht nur deshalb bemerkenswert, weil sie den Rahmen, innerhalb dessen 
bis dahin die Einschlüsse zur Beobachtung gelangten, wesentlich er¬ 
weitert, sondern vor allem, weil hier auch das ätiologische Moment in 
den Kreis der Betrachtungen einbezogen wird. Wenn der Verfasser auch 
immerhin einen gewissen Wert für die Differentialdiagnose zwischen 
Scharlach, Röteln, Masern und (gastrointestinal) Exanthemen bei Er¬ 
krankungen des Magendarmkanals nicht von der Hand weist, so gibt er 
doch zu, dass der diagnostische Wert notwendigerweise ein begrenzter 
ist. Denn er fand, dass jene Einschlüsse ausser bei Scharlach auch bei 
Streptokokkeninfektionen zu beobachten sind, und daraus wiederum sieht 
er den Schluss, dass ihr Vorkommen auf die Gegenwart der Strepto¬ 
kokken zurückzuführen ist. Diese Annahme kommt meiner Auffassung, 
wie ich sie im ersten Teil meiner Abhandlung unter 2 niedergelegt habe, 
näher. Nur habe ich darin vorläufig die ätiologische Basis etwas breiter 
genommen und mich nicht so bestimmt für eine einzige Bakteriengruppe 
ausgesprochen. Was Wahres an den beiden Annahmen ist, will ich 
weiter unten zu entscheiden versuchen. 

Nach den in meiner früheren Arbeit aufgestellten Grundsätzen 
habe ich in der gleichen Weise systematisch das Blut gesunder und 
kranker Erwachsener untersucht. Dabei ist mir vor allem auf¬ 
gefallen, dass bei ihnen im Durchschnitt die Einschlüsse in ge¬ 
ringerer Menge vorhanden, ja vielfach nur in verschwindend wenig 
Exemplaren nachzuweisen sind. In jedem Falle aber, wo sie ge 
funden wurden, war kein Unterschied mit den bei Scharlach 
nachgewiesenen zu bemerken. Meistens waren sie gross, länglich 
bzw. halbmondförmig. Nur in wenigen Fällen — je drei Fälle 
von akutem Gelenkrheumatismus, Lumbago, Osteomyelitis und 
akuter fibrinöser Pneumonie — waren die Einschlüsse in fast 
jedem polynucleären Leukocyten nachweisbar. Fasse ich meine 
Befunde zusammen — ich verzichte auf Details —, so ergibt 
sich ein positives Resultat in 86 pCt., in 14 pCt. ein negatives. 
Im ganzen habe ich also bei 87—88 pCt. der Menschen die 
fraglichen Einschlüsse gefunden. Nach alledfem muss man also 
zu der Ansicht kommen, dass man es mit einem fast normalen 


1) Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 30. 

2) Diese Wochenschr., 1912, Nr. 16. 

3) Archives of pediatrics, 1912, Nr. 7. 

4) Amer. journ. of diseases of ohildren, 1912, Nr. 1. 


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24. Märe 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


645 


Befand zu tun hat, dass aber za gewissen Zeiten, wo der Körper 
unter bestimmten Einflüssen steht, sich die Einschlüsse in mehr 
oder minder hohem Maasse vermehren. Daraus folgt von selbst, 
dass sie für Scharlach absolut nicht als patbognomonisch zu be¬ 
trachten sind. 

Damit ist aber die Frage der sogenannten Scharlachkörperchen 
noch nicht abgetan. Wir haben nun einmal mit der Tatsache zu 
rechnen, dass man in den polynucleären Leukocyten bis dahin 
unbekannte Einschlüsse gefunden hat. Wir wissen auch, dass sie 
in ihrem Vorkommen Schwankungen unterliegen und nur zu be¬ 
stimmten Zeiten in besonders hohem Maasse zu finden sind. Da 
drängt sich doch unwillkürlich die Frage nach ihrem Wesen und 
ihrem Ursprung auf: Stellen sie etwas Physiologisches oder 
Pathologisches dar? Und weiter: W 7 as sind sie, und wodurch 
entstehen sie? 

Im ersten Augenblick scheint die Frage nach ihrem Wesen 
recht leicht zu beantworten zu sein. Man könnte schliessen: 
Wenn man die Einschlüsse so häufig findet, werden sie wohl 
etwas Physiologisches sein. Dem ist aber nicht so, und ich be¬ 
trachte sie als eine pathologische Erscheinung, und zwar aus 
folgender Beobachtung. Ich fand nämlich, dass das Blut Neu¬ 
geborener keine Einschlüsse aufwies bis zu dem Tage, wo eine 
mit Fieber einhergehende Störung, also eine toxische Schädigung 
einsetzte. 

Ein in klinischer Beobachtung stehender Fall ist mir in dieser Hin¬ 
sicht sehr wertvoll geworden. Es handelte sich um ein. gesundes, 
kräftiges Kind, das kurz nach der Geburt aus familiären Gründen in die 
Klinik gebracht wurde. Hier gedieh es vorzüglich, und seine Temperatur¬ 
kurve zeigte eine ununterbrochene Monothermie, so dass, da auch seine 
Gewichtskurve nichts zu wünschen übrig Hess, mit absoluter Bestimmt¬ 
heit eine Störung im Allgemeinbefinden in Abrede zu stellen war. ln 
dieser Zeit untersuchte ich das Blut und konnte in zwei Präparaten 
keine Einschlüsse konstatieren. Doch änderte sich das Bild mit einem 
Schlage, als das Kind sich einen Katarrh zuzog, auf den es gleich mit 
Fieber und schlechten Stühlen reagierte. Als ich am dritten Fiebertage 
das Blut untersuchte, fand ich reichlich Einschlüsse. Erwähnt sei, dass 
um diese Zeit auch die ersten Zeichen der exsudativen Diathese in die 
Erscheinung traten. 

ln diesem Falle konnte ich also das erste Auftreten der Ein¬ 
schlüsse zeitlich mit ziemlicher Sicherheit festlegen. Eine zweite 
Untersuchung bei zwei ebenso noch in klinischer Beobachtung 
stehenden gesunden Säuglingen — beide waren in geringem Grade 
auch exsudativ — ergab wiederum ein negatives Resultat. Da¬ 
gegen fand ich bei den meisten Säuglingen, die bereits eine fieber¬ 
hafte Erkrankung durchgemachf hatten bzw. noch an einer solchen 
litten, mehr oder weniger reichlich Einschlüsse. Aus diesen Tat¬ 
sachen ziehe ich den Schluss, dass letztere also eine pathologische 
Erscheinung sind, wogegen sie in einem noch nicht geschädigten 
Organismus fehlen, ferner, dass sie im Anschluss an eine mit 
Fieber einhergehende Erkrankung auftreten. 

Ein zweites Moment, das für die Pathogenität der Ein¬ 
schlüsse spricht, ist ihr Erscheinen, ihre Vermehrung zu Beginn 
nnd ihre Verminderung beim Abklingen bestimmter Krankheiten. 
Diese Tatsache haben für Scharlach Döhle, Kretschmer und 
Nicoll gezeigt, während Preisich und Kolmer sie auch bei 
anderen Infektionskrankheiten nach wiesen. Ich selbst habe schon 
oben ausgesprochen, dass sie zur Zeit fieberhafter Erkrankungen 
in bedeutend grösserer Zahl zu finden sind Wenn sie nach den 
Angaben der erwähnten Autoren hauptsächlich im Beginn und in 
den ersten Tagen der Erkrankung sich zeigen, dann aber bald an 
Zahl abnehmen und endlich verschwinden, so lässt sich das recht 
gut aus dem natürlichen Verlauf einer Infektionskrankheit er¬ 
klären. Dass sie aber auch in gesunden Tagen vereinzelt Vor¬ 
kommen, ist meiner Ansicht nach ziemlich leicht verständlich. 
Denn einmal können es die Residuen einer überstandenen Störung 
sein, dann aber wissen wir vielfach nicht, ob nicht doch irgend¬ 
ein schädliches Agens, ohne dass es sinnfällige Störungen macht, 
seinen Einfluss auf den Körper ausübt. Dass man wiederum 
andererseits bei Kindern die Einschlüsse etwas häufiger und 
meistens in grösserer Anzahl vorfindet, ist auch leicht aus dem 
bekannten Umstande zu verstehen, dass ja der kindliche Orga¬ 
nismus viel leichter und viel öfter einem infektiösen Prozesse 
unterliegt. 

Wodurch entstehen diese Einschlüsse, nnd was sind sie? Nach 
meinen zahlreichen Untersuchungen bin ich zu der Ansicht ge¬ 
kommen, dass sie Absprengungen vom Zellkern darstellen. Ihr 
Aussehen und ihr tinktorielles Verhalten lassen es als wahrschein¬ 
lich gelten. Diese Absprengnngen sind hervorgerufen durch die 
toxischen Wirkungen von Bakterien ohne besondere Bevorzugung 


einer bestimmten Bakteriengruppe. Dementsprechend fand ich 
die Einschlüsse in erhöhter Menge regelmässig bei akuten fieber¬ 
haften Krankheiten (vgl. auch Preisich und Kolmer). Es ist 
deshalb auch nicht verwunderlich, dass man die Einschlüsse zu¬ 
erst bei einer Krankheit beobachtet hat, bei welcher der ganze 
Körper in besonders hohem Maasse der Wirkung von Toxinen 
ausgesetzt ist. Ein weiterer Beweis für mich liegt in der Tat¬ 
sache, dass die Körperchen im Anfänge der Krankheit, ja sogar 
schon im Inkubationsstadium zu finden sind, dann zunehmen und 
nach 6—7 Tagen allmählich wieder verschwinden. In den meisten 
Fällen wird man wohl damit rechnen können, dass nach dieser 
Zeit die Höhe der Krankheit überschritten, der Körper Herr des 
schädigenden Agens geworden ist bzw. die Toxine zum grössten 
Teil an Antitoxingruppen verankert und so unschädlich gemacht 
sind. Nicht in diese Theorie passen die Befunde bei Carcinom. 
Und doch lässt sich auch dafür ungezwungen eine Erklärung 
finden, wenn man sich erinnert, dass die Carcinoma durch Auto- 
intoxikation, indem sie schädliche, vielleicht fermentartige Stoffe 
produzieren und an die Körpersäfte abgeben, jene bekannte All- 
gemeinschädiguog hervorrufen, die in der Kachexie ihren deut¬ 
lichen Ausdruck findet. 

Fasse ich zum Schluss die Erfahrungen zusammen, so komme 
ich zu der Ueberzeugung, dass es sich bei den Einschlüssen in 
den polynucleären Leukocyten um Keroabsprengungen handelt, die 
auf Grund toxischer Einflüsse entstehen. 


Aus der chirurgischen Abteilung des Stadt. Kranken¬ 
hauses zu Potsdam (Dirigierender Arzt: Dr. Rosenbach). 

Ueber einen Fall von medianer Halsfistel. 

Von 

Dr. G. Bude, Assistenzarzt. 

Das Verständnis der medianen Halsfistel und ihrer Entstehung 
hat uns His im Jahre 1891 durch seine eingehenden Unter¬ 
suchungen gebracht. Er wies nach, dass der in früher Fötalzeit 
6ich bildende Ductus thyreoglossus, der einen feinen epithelialen 
Gang zwischen dem mittleren Lappen der Schilddrüse und dem 
Zungengrunde darstellt, zuweilen in seiner ganzen Ausdehnung 
oder in seinen beiden Hauptabschnitten (Schilddrüse bis Zungen¬ 
bein = Ductus thyreoideus bzw. Zungenbein bis Zungengrund = 
Ductus lingualis) persistieren kann. Dadurch nun, dass derjenige 
Teil des Ganges, der sich in der Nähe der Hautoberfläche be¬ 
findet, später sekundär nach aussen perforiert, entsteht ein Fistel¬ 
gang, dessen Länge je nach der Grösse des Abschnittes, in dem 
der Ductus thyreoglossus erhalten bleibt, variiert, und der die 
mediane Halsfistel darstellt. 

Einen solchen Fall von teilweisem Persistieren des Ductus 
thyreoglossus mit sekundärem Durchbruch nach der Hautober¬ 
fläche konnten wir im vorigen Jahre in unserem Krankenhause 
beobachten. 

Anfang September 1912 wurde uns ein zwölfjähriges Mädchen von 
seinen Eltern mit der Bitte zugeführt, dasselbe wegen einer „auf der 
Vorderseite des Halses befindlichen nässenden Oeffnung in der Haut* 
zu untersuchen und — eventuell — durch einen operativen Eingriff von 
diesem Uebel zu befreien. Die Eltern fügten hinzu, dass diese Oeffnung 
bald nach der Geburt des Kindes sich gebildet und intermittierend eine 
„schleimartige“ Flüssigkeit sezerniert habe, durch die der benachbarte 
Hautbezirk mehr oder weniger gereizt worden sei. Aus gesundheitlichen 
und kosmetischen Rücksichten baten sie nun um Abhilfe. 

Das körperlich leidlich entwickelte Mädchen wies in der Mittellinie 
des Halses, dicht oberhalb der Prominentia laryngea eine stecknadel¬ 
kopfgrosse Fistelöffnung auf, deren Ränder leicht maceriert waren, und 
aus der sich auf Druck eine schleimige, fadenziehende Flüssigkeit ent¬ 
leerte. Eise Sondierung der bei behutsamer Palpation sich als ganz 
kurzer derber Strang markierenden Fistel ergab eine Läoge von 7 bis 
8 mm. Versuche, sie mit Wismut auszufüllen und dadurch auf der 
Röntgenplatte sichtbar zu machen, scheiterten an ihrer geringen Länge. 

Auf Grund der Anamnese und des festgestellten Befundes diagnosti¬ 
zierten wir eine mediane Halsfistel, wobei wir uns sagten, dass der 
kurze Fistelgang höchstwahrscheinlich mit einem mehr oder weniger 
obliterierten Reste des früheren Ductus thyreoglossus in Verbindung 
stehe, und entschlossen uns, die Totalexstirpation des ganzen noch vor¬ 
handenen Stranges vorzunehmen. 

Die in Aethernarkose vorgenommene Operation wurde damit be¬ 
gonnen, dass nach Einführung einer feinen Sonde in die Fistel und nach 
Isolierung ihrer Oeffnung durch einen Circulärschnitt der Gang durch 
vorsichtiges Präparieren freigelegt wurde. Als wir das Ende desselben 

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UMIVERSITY OF IOWA 



546 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 12. 


erreicht hatten, zeigte es sich, dass unsere Vermutung, er würde mit 
dem obliterierten Ductus tbyreoglossus Zusammenhängen, zu Recht be¬ 
stand, denn er teilte sich scheinbar in zwei derbe Stränge, von denen 
der eine die Richtung nach dem Zungenbein zu einscblug, während der 
andere sich abwärts wandte. 

Es wurde zuerst der obere verfolgt. Er führte in gerader Richtung 
zum Körper des Zungenbeins, um am unteren Rande desselben hinter 
ihm zu verschwinden. Um nicht im Dunkeln arbeiten zu müssen, spal¬ 
teten wir den Zungenbeinkörper in der Annahme, dass sich der Strang 
weiterhin durch die Zungenmuskulatur bis zum Foramen coecum fort¬ 
setzen würde. Dieses erwies sich jedoch als unrichtig, denn als er bis 
zum oberen Zungenbeinrande frei präpariert worden war, stellte es sich 
heraus, dass er hier endigte. Wir lösten ihn ab, nähten die durch¬ 
trennten Knochenhälften wieder zusammen und wandten uns dem unteren 
Strange zu. Dieser zog vor dem Schild- und Ringkorpel zu der Schild¬ 
drüse hinab, in deren Gewebe er sich verlor. Freilegen und Abtragen 
desselben boten keine Schwierigkeiten, und die Operationswunde wurde 
alsdann bis auf ein dünnes Drain geschlossen. Nachdem letzteres am 
sechsten Tage entfernt worden war, trat ein völliger Verschluss der 
Wunde ein, die Knochennaht heilte glatt, und Pat. konnte mit einer 
kurzen festen Narbe als geheilt entlassen werden. 

Eine Sondierung des vom Zungenbein bis zur Schilddrüse 
exstirpierten Stranges war nicht möglich, er war völlig obliteriert. 
Wir hatten demnach den eigenartigen Fall vor uns, dass der 
ursprünglich offene Ductus thyreoglossus sich völlig geschlossen 
hatte, während der kurze Fistelgang, der sich durch sekundäre 
Perforation nach Her Hautoberfläche zu gebildet hatte, offen ge¬ 
blieben war. Querschnitte durch den obliterierten Strang, die 
wir sowohl kurz oberhalb wie unterhalb der nach aussen führen¬ 
den Abzweigung anlegten, zeigten unter dem Mikroskop neben 
Muskelfasern auch Schilddrüsengewebe. 


Aus der deutschen dermatologischen Klinik in Prag. 

Färbung der marklosen Hautnerven beim 
Menschen. 

Von 

K. Kreibich. 

Das von Unna und Golodetz in die Färbetechnik ein¬ 
geführte Rongalitweiss 1 ) eine Mischung der Lösungen von redu¬ 
ziertem Methylenblau (Metbylenweiss) und Rongalit, einem 
starken Reduktionsmittel, ist in seiner Affinität zum Achsen- 
cylinder dem gewöhnlichen Methylenblau derart überlegen, dass 
es Nervenfärbung auch dort ermöglicht, wo bisher letzteres ver¬ 
sagt hat. Wir geben im folgenden vorläufig wieder, an welchen 
Objekten Neibenfärbung erzielt wurde, und welche Methoden dabei 
angewendet wurden: 

Am einfachsten überzeugt man sich von der Affinität des 
Farbstoffes zum Achseneylinder am Kaninchenohr. Spritzt man 
eine 1 proz. Lösung von Rongalitweiss in Kochsalzlösung (9,0:1000) 
in die Haut des Kaninchenorhrs, so färbt sich die injizierte Stelle 
blau, excidiert man nach 10, 15, CO Minuten (die beste Zeit ist 
noch in weiteren Versuchen zu bestimmen) das betreffende Stück, 
so tritt an der Luft eine weitere Bläuung der Schnittstellen ein; 
beobachtet man nun einen mit dem Rasiermesser abgetragenen 
Vertikalschnitt, so sieht man eine prachtvolle Färbung der Achsen- 
cylinder in den markhaltigen Nerven, aber auch eine deutliche 
Färbung der niarklosen Nerven, eventuell an manchen Stellen bis 
in die Epidermis. Bei 10 proz. Lösung ist die Färbung am besten 
am Rand. Verwendung von 0,5—0,2 pCt. eignet sich besser für 
die Darstellung der feineren Nerven. 

Wir erzielten noch Färbung nach Injektion in das Ohr bei 
einem Tier, das bereits mehrere Stunden verendet war. Zwei 
Kubikzentimeter einer 1 proz. Lösung, in die Bauchhöhle injiziert, 
geben nach einer Stunde eine ausgezeichnete Färbung der Achsen- 
cylinder. Für das Studium feinerer Verhältnisse werden geringere 
Konzentrationen zu verwenden sein. ]^Die marklosen Nerven der 
Cornea färbten sich am besten supravital, indem man die aus¬ 
geschnittene Cornea in eine Lösung von 0,3 pCt. (ca. 3 Tropfen 
auf 50 ccm Kochsalzlösung) auf etwa x / 2 bis 1 Stunde bringt. 
Entfernt man mit dem scharfen Löffel die Epitbelzellen, so kann 
man direkt unter dem Mikroskop das feine Netz der ,Corueal- 
nerven in der Fläche beobachten. 

Zur Fixation verwendeten wir bisher ausschliesslich das von 
Bethe vorgescblagene Ammoniummolybdat in 5 proz. wässeriger 


1) Firma Grübler, Leipzig. 


Lösung ohne Zusatz von Salzsäura. Fixation ca. y l 2 bis 1 Stunde. 
Auswaschen in Wasser. Entwässern in Alcohol. absol., Xylol, für 
Schnitte Paraffineinbettung, sonst Einbetten in Balsam am Objekt¬ 
träger. Die Nerven behalten ihre Färbung, für den Nerven¬ 
verlauf dicke Schnitte, für feinere Verästelungen dünnere Schnitte. 
Ausgezeichnete Bilder gab uns so die Cornea vom Meerschweinchen 
und die Cornea des Rinderauges. Obwohl letztere Augen erst 
einige Stunden nach der Schlachtung zur Untersuchung kamen, 
zeigten sie im Paraffinschnitt ausgezeichnet das Netz der Corneal- 
nerven mit ihren Endigungen im Epithel. 

Das leichteste Untersuchungsobjekt ist der Frosch. Intra- 
vitale Injektion in die Bauchhöhle von 1 — 5 pCt., oder je nach 
dem Zweck, den man verfolgt, Injektion geringerer Konzentration 
gibt konstante Nervenfärbung. Intravitale Injektion von 1 pCt. 
Lösung in die Zunge, supravitale Färbung der Zunge in der oben 
für dieselbe angegebenen 0,3—0,5 proz. Konzentration gibt im 
ersten Falle die tieferen Nerven, im zweiten Falle die Nervec- 
endorgane wieder. 

Aus den Versuchen an der Menschenhaut sei zusammen¬ 
fassend folgendes berichtet. Rongalitweiss, intracutan injiziert, 
gibt konstante Nervenfärbung. 

Wir injizierten am häufigsten einige Tropfen einer 10 proz. 
Lösung in Kochsalz mittels feiner Spritze so oberflächlich als 
möglich. Die Quaddel färbt sich blau. Die Blaufärbung hält 
einige Stunden an. Wir excidierten bei dieser Konzentration 
nach 1—4 Stunden. Betrachtet man das excidierte Stück 
zwischen zwei Objektivträgern unter dem Mikroskop, so sieht man, 
von der centralen blau gefärbten Partie die in ihren Achsen- 
cylindem gefärbten markhaltigen Nerven, aber auch vereinzelte 
raarklose Nerven abgehen. Die Färbung reicht aber selten bis 
zur Epidermis. Der Versuch, durch höhere Konzentration (50 pCr., 
Injektion schmerzhaft) die Färbung höher in die Epidermis 
hinaufzubringen, gab keine besseren Resultate. Sie wurden aber 
erzielt durch intracutane Injektion von 0,5 pCt., 0,3 pCt., 0,1 pCt., 
und Excision der Stelle nach l / 2 — 1 / i Stunde. Die besten Resul¬ 
tate gab, wenn vielleicht auch weniger konstant, die supravitale 
Färbung. (Vergl. Abbildung.) Dünne Thiersch’sche Läppchen 



Hautnervenverteilung. Reichert ok. 4, obj. 4. Mit Zeichen- 
caraera aufgenommen. Flächenbild. 


wurden in eine Lösung von ca. 0,3 —0,5 pCt. (3 Tropfen 
auf 50 ccm Kochsalzlösung) gebracht und verbleiben daselbst 
etwa 1—2, Stunden, bis die Flüssigkeit dunkelblau geworden 
ist. Man kontrolliert unter dem Mikroskop das Auftreten der 
gefärbten Nerven zwischen den übrigen ebenfalls gefärbten Zellen 
setzt nun das Präparat 1—2 Minuten der Luft aus und gibt es 
dann 1 / 4 —V 2 Stunde in obige Fixationsflüssigkeit. Apswascben, 
Alcohol. absol., Xylol, Balsam, Deckglas oder Paraffineinbettung 
und typische Schnittbehandlung. Die Bilder sind schon nach 
unseren jetzigen Befunden vielfach als ideal zu bezeichnen. Sa 
sahen wir bei seniler Haut, die sich besonders eignet, im Flächen¬ 
bild marklose Nerven längs der Capillaren, ein Netz von Nerven, 


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24. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


647 


welches der Subpapillarschichte entsprechen durfte, meist ein 
dichtes Netz um die Follikel und feinste Endigungen in der 
charakteristischen korallenschnurartigen Form, zwischen den 
Epithelzellen endigen, ln sagittalen Schnitten durch eine senile 
Warze fanden wir ein dichtes Nervengeflecht intensiv blauschwarz 
gefärbter markloser Nerven in den Papillen, von hier zum Teil 
sich zwischen die Epidermiszellen erstreckend, zum Endziel des 
Nerven, damit aber auch zum Endziel der langgesuchten Nerven- 
färbung. 


Zur Chirurgie der Gallenblase. 

Von 

Dr. Adler-Berlin-Pankow. 

(Nach einer am 13. Februar 1913 in der Hufelandischen Gesellschaft 

gehaltenen Demonstration.) 

M. H.! Wenngleich über die Indikationen für die chirur¬ 
gische Behandlung der Cholelithiasis und Cholecystitis noch nicht 
in allen Punkten völlige Einigkeit erzielt ist, so herrscht doch 
darüber allgemeine Uebereinstimmung, dass es in der überaus 
grossen Mehrzahl der Fälle — meist wird angenommen, in 
80 pCt. der Fälle — durch geeignete interne Behandlung gelingt, 
die Cholelithiasis in das Latenzstadium überzuführen. Für die 
Annahme, dass Steine in der Gallenblase unter dem Einfluss 
normaler Galle sich wieder auflösen können, bieten die äusserst 
interessanten Untersuchungen, über welche Herr v. Hansemann 
erst neulich in der Berliner medizinischen Gesellschaft berichtet 
hat, eine neue wichtige Stütze. Nur in etwa 20 pCt. aller Fälle 
kommt eventuell eine chirurgische Behandlung in Frage, und 
zwar handelt es sich hier um die schweren Fälle von akuter 
infektiöser Cholecystitis, von Hydrops und Empyem der Gallen¬ 
blase, chronischem Choledochusverschluss, Cholangitis und die¬ 
jenigen Fälle von chronischer recidivierender Cholecystitis, bei 
welchen die interne Therapie auf die Dauer versagt. 

Hält man sich an diese, in Deutschland wohl ziemlich all¬ 
gemein gültigen Indikationen, so wird man relativ selten mehr 
in die Lage kommen, die im Beginn der Gallensteinchirurgie 
fast ausschliesslich geübte Cholecystostomie bzw. Cbole- 
cystotomie zu machen, d. h. die Blase nach Entfernung der 
Steine zu drainieren bzw. wieder zu verschliessen und zu ver¬ 
senken. Denn die neueren Untersuchungen, insbesondere die 
klassischen Arbeiten von Aschoff und Bacmeister lassen einen 
Zweifel darüber nicht bestehen, dass die Gallenblase in der über¬ 
aus grossen Mehrzahl dieser Fälle schon derartig schwere destruk¬ 
tive Veränderungen aufweist, dass ihr Zurücklassen für den 
Kranken die Gefahr der Wiederkehr der Beschwerden und der 
Neubildung von Steinen in sich birgt. Aber selbst bei makro¬ 
skopisch wenig verändertem Aussehen lässt die mikroskopische 
Untersuchung meist noch erhebliche Abweichungen erkennen. 
Insbesondere sind es die unter dem Namen der Luschka’schen 
Gänge bekannten Einsenkungen des Epithels der Gallenblasen¬ 
schleimhaut, welche sich bei chronischer Cholecystitis aktiv stark 
vermehren und erweitern, so dass sie die Wand der Blase in 
Form kleiner und kleinster Divertikel bis unter den serösen Ueber- 
zug durchsetzen. In diese zahlreichen Gänge werden beim Anfall 
durch den gesteigerten Innendruck die infektiösen Entzündungs¬ 
produkte, sowie kleinste Concremente hineingepresst und bleiben 
hier als eine dauernde Quelle neuer Reizungen und Anfälle liegen; 
es ist auch erwiesen, dass das so gefürchtete Uebergreifen des 
infektiösen Prozesses auf die Blasenwand, den Bauchfellüberzug 
der Blase, ja sogar die Perforation der Blase mit ihren ver¬ 
hängnisvollen Folgen auf diesen präformierten Wegen zustande 
zu kommen pflegt. Diese Tatsache ist ein weiterer wichtiger 
Grund, die Gallenblase in der Regel mit zu entfernen. 

Würden wir lediglich der Steine wegen operieren, so könnten 
wir wohl öfter die Gallenblase erhalten. Die Veränderungen an 
der Gallenblase sind aber meist schon makroskopisch so hoch¬ 
gradiger Natur, dass man unbedingt den 1 Eindruck gewinnen 
muss, dass diese schweren entzündlichen Prozesse die Hauptquelle 
der Beschwerden sind und nicht die Steine. 

Dem pathologischen Anatomen ist es wohl ein fast tägliches 
Vorkommnis, dass er bei Sektionen von Menschen, welche nife im 
Leben an Gallensteinbeschwerden gelitten haben, Steine findet. 
Nach den im Münchener pathologischen Institut angestellten Be¬ 
rechnungen werden durchschnittlich bei jeder achten Sektion 
Gallensteine gefunden. Ich zeige Ihnen statt vieler nur zwei 


solcher Sektionspräparate: das erste stammt von einer Frau, 
welche dem Recidiv eines Mammacarcinoms erlegen ist und, wie 
wir feststellen konnten, intra vitarn nie über Gallenbeschwerden 
und dergleichen geklagt hat; wir fanden diesen hühnereigrossen 
Stein, welcher das Lumen der ausgedehnten Blase völlig ausfüllte. 
(Figur 1.) 

Figur 1. 



Hühnereigrosser, die ganze Blase ausfüllender Solitärstein ohne klinische 
Symptome. 


Das zweite Präparat stammt von einem 75jährigen Prostatiker, 
welcher einer chronischen Pyelonephritis erlegen ist. Die Gallen¬ 
blase ist prall mit Steiuen vollgepfropft; auch hier waren, wie 
die Erkundigungen ergaben, intra vitara nie Beschwerden vor¬ 
handen gewesen, die als Gallensteinleiden hätten gedeutet werden 
können. (Figur 2.) 

Figur 2. 



Stark vergrösserte, mit Steinen prall ausgefüllte Gallenblase, ohne 
klinische Symptome. 


Die Steine werden erst bedenklich, wenn sich zu ihnen eine 
Infektion der Gallenwege gesellt, oder wenn sie von der Blase 
aus in den Cysticus und Choledochus getrieben werden und zu 
gross sind, um auf natürlichem Wege entleert werden zu können. 
Dann verlegen sie den Abflussweg der Galle und führen — zumal 
bfci gleichzeitig bestehendem Infekt — zu den bekannten dele¬ 
tären Symptomen. 

Gleichviel, ob der Verschluss des Cysticus durch Steine oder 
entzündliche Vorgänge zustande kommt, der Effekt ist in beiden 
Fällen derselbe: Es entsteht entweder ein Hydrops oder eine 


6 * 


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548 BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. Nr. 12. 


Schrumpfung der Gallenblase. Ein Hydrops entsteht dann, 
wenn zu der Occlusion noch entzündliche Prozesse hinzutreten. 
Die Blase wird dann oft enorm ausgedehnt, ihre Wand wird 
papierdünn. Bei Punktion oder Incision der Blase entleert sich 
meist eine fast wasserklare schleimige Flüssigkeit. Der weitere 
Verlauf gestaltet sich verschieden: Bleibt der Inhalt steril, so 
kann sich der Hydrops immer mehr eindicken, und die Blase 
schrumpft zusammen. Oder der Abfluss durch den Cysticus wird 
wieder frei, so dass die Blase sich wieder erholen kann. (Figur 3.) 


Fijiur 3. 



Hydrops der Gallenblase, Verschluss des Cysticus durch Ventilstein. 

Wand der Blase papierdünn. 

Nicht selten aber bildet der Hydrops den Nährboden für Ansiedlung 
von Keimen aus dem Darm, und es entsteht ein Empyem. Ich 
zeige Ihnen ein derartiges Präparat: Hier bestand jahrelang die 
leicht fühlbare, hydropisch erweiterte Gallenblase, bis der hinzu¬ 
tretende Infekt zum Empyem führte und die schleunige Chole¬ 
cystektomie erheischte, wobei diese enorm ausgedehnte eitergefüllte 
Gallenblase entfernt wurde, deren papierdünne Wandung den Träger 
stets der Gefahr der Perforation ausgesetzt hätte. (Figur 4.) 
Besteht das Empyem schon längere Zeit, so finden wir neben der 
Ausdehnung der Blase wohl meist eine Verdickung der Wand¬ 
schichten, wie im folgenden Falle, wo mit der eitererfüllten Blase 
über 1100 kleine Concremente entfernt worden sind. 

Noch schwerer sind die Veränderungen der Gallenblase in 
den folgenden Fällen: Hier bandelt es sich um die akute, 
eitrig - infektiöse Cholecystitis. Alle Wandschichten sind, 
wie Sie sehen, intensiv gerötet, Ödematös gequollen, die natür¬ 
lichen Falten der Schleimhaut sind verschwunden, man sieht be¬ 
reits Geschwüre in der Schleimhaut, welche zum Teil als durch 
den Druck der Steine erzeugte Decubitalgeschwüre anzusehen sind, 
zum Teil aus den durch Ueberdehnung entstehenden Nekrose¬ 
herden sich entwickeln (Cbolecystis ulcerosa). Der Inhalt der 
Gallenblase ist meist virulenter Eiter. Eine relativ seltene Unter¬ 
art dieser Form ist die Cholecystitis haemorrhagica, von 
welcher Sie hier ein typisches Beispiel sehen. Bei der Eröffnung 
der Blase enthielt diese ausser den Steinen nur frische und ge¬ 
ronnene Blutmassen. Neben einer starken hämorrhagischen In¬ 
filtration aller Wandschichten sehen Sie das Organ mit Nekrose¬ 
herden auf der Schleimhaut und intramural durchsetzt; bei Be¬ 
trachtung dieses histologischen Präparates können Sie sich davon 
überzeugen, wie weit diese Zerstörungen schon gehen: die 
Schleimhaut ist bis auf kleinste Reste zugrunde gegangen und an 
ihrer Stelle finden sich zum Teil pseudodiphtherische Auflage¬ 
rungen. In* der Submucosa und Aluscularis finden Sie zahlreiche 
Nekroseherde, miliare Abscesse und Hämorrhagien. Derartige 
Fälle bilden schon den Uebergang zu der allerschwersten Form, 
der Cholecystitis gangraenosa, von welcher Sie hier zwei 
Beispiele sehen: einen Fall, in welchem die Gangrän zunächst 
nur die Schleimhaut ergriffen hat, während die übrigen Wand¬ 
schichten hochgradig entzündet sind, und einen Fall von totaler 
Gangrän der Gallenblase, welcher bereits mit Perforation und 
diffuser eitriger Peritonitis dem Krankenhause zugeführt wurde, 


Figur 4. 



Empyem der Gallenblase. 


aber trotzdem durch die sofortige Operation noch gerettet werden 
konnte. 

Die Betrachtung dieser Präparate lehrt uns, dass an der 
Gallenblase — genau wie am Wurmfortsatz — alle Grade der 
akuten Entzündung beobachtet werden, und zwar augenscheinlich 
ganz unabhängig davon, ob Steine vorhandeu sind oder nicht, und 
so ist denn auch in erster Linie der Zustand der Gallenblase be¬ 
stimmend für unser chirurgisches Handeln. 

Dass in allen diesen schweren Fällen ein rasches operatives 
Vorgehen angezeigt ist, unterliegt keinem Zweifel. Häufig gehen 
uns derartige Kranke unter der Diagnose Appendicitis zu, und 
sie verdanken vielleicht dieser irrigen Diagnose ihr Leben. Denn 
es ist mindestens fraglich, ob sie sich unter der weniger ge¬ 
fahrvoll klingenden Diagnose „Gallensteinkolik“ so rasch zum 
Eingriff bereit erklärt hätten. 

Die Veränderungan der Gallenblase bei der chronischen 
Cholecystitis, von welchen ich Ihnen hier sechs Beispiele zeige, 
sind charakterisiert durch mehr oder weniger ausgedehnte 
Schrumpfung des Organs, narbige Zerstörung der Alucosa, meist 
ausgedehnten Schwund ihrer charakteristischen feinen gitter¬ 
förmigen Falten, Wucherung der Submucosa, Verdickung aller 
Wandscbichten und pericholecystitische Verwachsungen. Derartige 
Blasen sind sehr oft in starke narbige Adhäsionen zwischen Leber, 
Magen, Duodennm, Colon, Transversum und Netz eingebettet, so 
dass ihre Entfernung zuweilen auf nicht geringe Schwierigkeiten 
stösst. Auch in solchen Fällen kann einzig und allein die 
Cholecystektomie in Frage kommen; nicht nur, weil wir damit 
die wesentliche Quelle der Beschwerden beseitigen, sondern weil 
diese Blasen der Gefahr der malignen Entartung ausgesetzt sind. 
Besteht gar Verdacht auf Cholangitis oder Steine in den Gallen¬ 
gängen, so bietet die Entfernung der Blase und Eröffnung des 
Cysticus bis in den Choledochus hinein die sicherste Methode zur 
Auffindung, zur gründlichen Entleerung und Drainage der tiefen 
Gallenwege. 1 - ' 

Ich hoffe, m. H., dass Sie aus der Betrachtung dieser Prä¬ 
parate gleichfalls die Ueberzeügung gewinnen, dass die Verände¬ 
rungen der Gallenblasen, wie sie sich unter der bei uns 
üblichen Indikationsstellung für das chirurgische Vorgehen präsen¬ 
tieren, meist dermaassen schwer sind, dass in der Regel nur die 
Cholecystektomie in Frage kommen kann. 


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24. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


649 


Sport und Reizmittel. 

Von 

Ferdinand Hoeppe. 

(Nach einem am 13. Dezember 1912 in Charlottenburg in der Vereinigung 
zur wissenschaftlichen Erforschung des Sports und der Leibesübungen 
gehaltenen Vortrage.) 

(Schluss.) 

Alkohol ist eindeutig ein wirkliches Nahrungsmittel und 
seine Energie wird anch in Arbeit umgesetzt. In Schnelligkeit 
der Verbrennung und Ueberführung in Arbeit ist er den anderen 
C-haltigen Nahrungsmitteln sogar etwas überlegen, so dass er zur 
Steigerung der Leistungsfähigkeit der übermüdeten Muskeln noch 
am ehesten zu verwerten ist, wenn diesen schnell Energie an¬ 
geführt werden muss. Aber er kann nicht wie Kohlehydrate den 
ganzen C-Bedarf decken, weil er wegen seiner Gift- und Rausch¬ 
wirkung sehr beschränkt werden muss. Allein ist er nnr für 
ganz kurze Zeit ausreichend. Doch wirkt er dann nicht bloss 
durch Beseitigung des Ermüdungsgefühls und Wegschaffung von 
Hemmungen, sondern auch direkt, weil er eine kurze Arbeit selbst 
leisten kann, so dass er nach H. Frey an Stelle einer Erholungs¬ 
pause zu treten vermag. Also nicht vor oder während der 
Arbeit, sondern gegen Schluss könnte er einmal nützlich sein. 
Bei sportlicher Tätigkeit heisst das aber klipp und klar, dass er 
dabei als wirkliches Nahrqngsmittel unbrauchbar ist, weil wir 
dazu Mittel gebrauchen, die bei gesteigerter Anforderung diesen 
erhöhten Bedürfnissen entsprechend beliebig gesteigert werden 
können. Dazu kommt, dass er die Arbeit unökonomischer macht, 
so dass er dem Training entgegen wirkt, dessen Hauptaufgabe 
es ist, die Arbeit ökonomischer zu machen. Zum Schlüsse einer 
Dauerleistung mehr als während einer schnellen Arbeit kann er 
aber durch seine Reizwirkung noch mehr als durch seine schnelle 
EnergiewirkuDg gelegentlich wertvoll zur sicheren Erreichung eines 
Zieles sein, vielleicht im Gebirge einmal lebensrettend wirken. 
Dies kommt besonders in Betracht, wenn durch die Nervenüber- 
müdung das Orientierungsvermögen leidet und die geistige Ab¬ 
spannung grösser und auffallender ist als die direkte Muskel- 
ermüdung, so dass subjektive Unfälle durch Mängel in der Er¬ 
kennung der Situation drohen, was auch bei militärischen Gewalt¬ 
leistungen gelegentlich zu beachten ist. Für den Sport kommen 
die alkoholischen Getränke nur als Reizmittel in Betracht. 

Ziehen und Moritz hatten ermittelt, dass ein Erwachsener 
etwa 30—40 g Alkohol mit 212—283 Calorien täglich ohne 
Schaden aufnebmen kann, was z. B. etwa 1—IV 2 1 Bier ent¬ 
spricht. Ich würde allerdings nicht raten, etwa von Reichs wegen 
Normal-Aichungskommissionen einzusetzen, um etwa die Studenten 
bei Eintritt in die Hochschulen auf ihre Aufnahmefähigkeit für 
Alkohol zu prüfen, weil sie dann glauben könnten, sie müssten 
täglich einen bestimmten Alkoholstand erreichen. 

Nun geniessen wir aber tatsächlich keinen Alkohol, sondern 
alkoholische Getränke, ein Unterschied, den man leicht zeigen 
kann. Wenn man z. B. den Alkohol aus einer Flasche Bier 
destilliert und ein brennendes Streichholz hinein hält, so brennt 
der Alkohol; wenn man aber das brennende Streichholz in das 
Bier hält, so erlischt es. Bier und Wein enthalten Extraktiv¬ 
stoffe und Salze, die man bei der Ernährung neben dem Alkohol 
nicht ausser acht lassen darf; Bier z. B. liefert daraus pro 100 g 
45 Calorien. Wenn wir 10 g Alkohol zu uns nehmen wollen, so 
würden wir dazu nötig haben: 40 ccm eines 25 proz., 100 ccm 
eines 10 proz. und 1 / 3 1 eines 3 proz. Getränkes. Die Form, in 
der der Alkohol verwendet wird, und seine Konzentration sind 
aber von grösster Wichtigkeit für den Einfluss auf den Körper. 

Es geht aus den obigen, immer wieder bestätigten Unter¬ 
suchungen eindeutig hervor, dass bei Stoffwechsel versuchen der 
Alkohol auch als Nährstoff berücksichtigt werden muss, und ich 
hatte schon früher darauf hingewiesen, dass, wenn dies ohne 
Schaden geschehen soll, der Eiweissgehalt des Körpers ein aus¬ 
reichend hoher sein muss, weil Alkohol den Stickstoffgebalt der 
Nahrung relativ herabdrückt. Ebenso verlangte Rubner aus¬ 
drücklich, dass der .Alkohol in einer Ernährungsbilanz a)s eine 
„maatsgebende Grösse u eingestellt wird. 

Der treffsichere Berliner Witz bat dieses wissenschaftliche 
Resultat schon vorausgeahnf, indem er behauptete, die weltfremden 
Gelehrten hätten die Aufschrift über der sogenannten Bücher¬ 
kommode, der früheren Königl. Bibliothek, „nutrimentum spiritüs“ 
falsch verstanden, und man kann ja tatsächlich mit blossem 
Bücherwissen einen Menschen geistig nicht ausbilden. Es müsse 


heissen: nutrimentum spiritüs — der Spiritus ist ein Nahrungs¬ 
mittel. Und so hatten sie recht gegenüber Kassowitz, welcher 
die ganz unhaltbare und vollständig widerlegte Behauptung auf¬ 
stellte, Alkohol sei ein Gift und könne deshalb kein Nahrungs¬ 
mittel sein. 

ln Japan mästet man die Ringer mit grossen Massen Fleisch 
und Reis, die nur durch grosse Mengen Alkohol erträglich ge¬ 
macht werden, zu einer Grösse heran, die bis zu 1,80 m, ja 
selbst 1,90 m reicht und sie unter ihren kleinen Landsleuten als 
Riesen erscheinen lässt. So mästeten sich in Rom in der Zeit 
des Niedergangs der Athletik die griechischen Berufsringer, und 
es hiess von ihnen „inter oleum et vioum occupati sunt.“ Auch 
in Deutschland waren früher die starken Männer auf einem ähn¬ 
lichen Wege und hielten mehr zu Jan Primus, dem Herzog und 
Bierbrauer von Brabant, als zu dem kaffeetrinkenden Friedrich 
Ludwig Jahn von der Hasenheide in Berlin. 

Ich möchte mir aber bei diesem Punkte für besondere Fälle 
eine rein ärztliche Bemerkung gestatten. Ich habe bei un¬ 
richtigem und übertriebenem Training einige Fälle beobachtet, bei 
denen nicht nur die Nerven ganz herunter waren, sondern auch 
der Körper aus einer nicbtinfektiösen Pbthisis nicht herauskam. 
Ein regelmässiger Genuss von gutem Münchener Bier wurde da 
zur Rettung, überwand die ganze Schwäche, so dass später wieder 
zum normalen Betriebe und sogar zum alkoholfreien Training ge¬ 
schritten werden konnte. Arzt und Trainer müssen auch lernen, 
die Gefahr des Uebertrainierens rechtzeitig zu erkennen, und 
sollten stets wissen, wer zum Training zugelassen werden darf. 
Das Training ist durch seine Askese eine sehr ernste Sache, die 
sehr gewissenhaft durcbgefübrt werden muss. 

Bei den Getränken spielt die Konzentration eine grosse Rolle, 
weil von der Flüssigkeitsmenge auch die Arbeit des Herzens und 
der Nieren abhängig ist. Gegenüber verschiedenen neuen An¬ 
gaben, dass das Trinken beim Essen für dessen Ausnutzung nichts 
schadet, muss ich nachdrücklich auf die gegenteilige Erfahrung 
hinweisen. Der Körper entledigt sich aller überflüssiger Getränke 
schnell, und eine zu grosse Aufnahme von Flüssigkeit macht den 
Körper dick und schwammig. Das gilt nicht nur vom Biertrinken, 
sondern nach der Volkserfahrung in China, Japan und Russland 
auch vom vielen Teetrinken. 

Eine Ueberlastung des Blutkreislaufes beeinträchtigt das Herz 
und führt sowohl zum Bier- als auch zum Teeberzen. Alles Der¬ 
artige ist einem rationellen Betriebe von Körperübungen abträg¬ 
lich. Nach meiner auf praktischer Erfahrung und Versuchen 
beruhenden Definition erstrebt Training in bezug auf die Körper¬ 
verfassung „Abnahme des Wassergehaltes des Körpers, Erhöhung 
des spezifischen Gewichtes, Erhöhung des Bestandes an circu- 
lierendem aktiven Serumeiweiss und Vermehrung der roten Blut¬ 
körperchen 11 . Bei dieser Verfassung arbeitet der Körper ökono¬ 
mischer und technisch richtiger. 

Die alkoholischen Getränke, die wenig Alkohol enthalten, 
aber viel Flüssigkeit zuführen, arbeiten diesem Zustande direkt 
entgegen, während die Gefahren der konzentrierten alkoholischen 
Getränke darin liegen, dass der Körper in diesem Falle die nach¬ 
teiligen Giftwirkungen des Alkohols zu schnell und stark erfährt, 
welche den körperlichen Leistungen entgegenarbeiten und sie un¬ 
ökonomischer gestalten. 

Da wir im Sport vom Alkohol als Nahrungsmittel ganz ab- 
sehen müssen, muss ich noch einiges zur Ergänzung über den 
Alhohol als Reizmittel anführen. Man beobachtete dies zuerst 
exakt an den Leistungen von kleinen Muskelgruppen, die an sich 
zur Beurteilung sportlicher Arbeit ungeeignet sind. Als man z. B. 
die Leistungen des Beugemuskels eines Fingers nach Zahl und Höhe 
der Hebungen durch den Mosso’schen Ergographen feststellte, ergaben 
Versuche von Deströe, Guilbaut, Kraepelin, Scheffer, 
Glück, dass der Alkohol anfaugs und sofort die Leistungen er¬ 
höhte, aber m trat schneller eine Abnahme der Leistungen ein 
als bei den alkoholfreien Versuchen. 

Scheffer, der an täglichen Genuss von einem Glase Bier 
gewöhnt war, nahm 10 g. Alkohol in 100 g Wasser, so dass die 
Giftwirkung ausgeschlossen war; er hatte nach den Einnahme 
sofort Wärmegefühl ,und geringere Arbeitslust, aber nach fünf 
Minuten erfolgte sowohl am ermüdeten, wie am nicht ermüdeten 
Muskel eine Steigerung der Arbeitsleistung, die eine halbe Stunde 
anhielt, um dann eine Abnahme unter die Norm zu zeigen. Die 
Beseitigung des Ermüdungsgefühls aber war nicht allein die 
Ursache der ersten Mehrleistung. Nach Scheffer wirkt der 
Alkohol nur durch Erhöhung bzw. Minderung der Erregbarkeit 
des Nervensystems, während nach Blumenthal auch eine direkte 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 12. 


550 


Erregbarkeit der Muskeln durch den Alkohol erfolgte. Da Gehirn, 
Nervenbahnen und Muskel eine Arbeitseinheit darstellen, ist es 
wichtig, festzustellen, dass die Reizbarkeit und Beeinflussung des 
Gehirns grösser ist als die der Nerven und Muskeln. Gebirn- 
anregung zur Ueberwindung der Müdigkeit ist also nicht in 
gleichem Maasse eiue direkte Beeinflussung des Muskelproto¬ 
plasmas. Durch Ueberwindung deprimierender Eindrücke kann 
Alkohol also manchmal direkt günstig wirken, wenn der Muskel 
noch Reserven hat. 

Wo Alkohol nicht als Nährstoff in Betracht kommt, sondern 
als Reizmittel, betäubt er das Ermüdungsgefühl, wirkt also wie 
eine Peitsche auf ein ermüdetes Pferd. Sind aber noch Kräfte 
vorhanden und ist Aussicht auf späteren Ersatz durch ausreichende 
Ruhe, so kann es dem Körper nichts schaden, wenn einmal durch 
die Alkoholpeitsche das Ermüdungsgefühl überwunden und der 
Körper dadurch zum Schlüsse veranlasst wird, den Kräftevorrat 
ganz auszugeben, um ein wichtiges Ziel zu erreichen. Nur sollte 
das nicht zu oft geschehen, weil das Ermüdungsgefühl ein 
wichtiger Warner ist, der uns an Ersatz mahnt. 

Aber durch Alkoholaufnahme vor oder während der Arbeit 
tritt eine anregende Wirkung zur Unrechten Zeit ein und wirkt 
der Kräfteökonomie entgegen. Gerade beim Training ist es 
wichtig, dass der Organismus exakter arbeitet, um weniger Neben¬ 
verluste durch überflüssige Arbeit zu haben. In diese bessere 
Koordination der Muskeln, das bessere Funktionieren der inneren 
Organe und der Haut greift der Alkohol störend und in grossen 
Mengen sogar aufhebend ein. 

Es ist eine alte Erfahrung, dass Soldaten, wenn sie vor dem 
Marsche Alkohol nehmen, besonders im Sommer bald schlapp 
werden. Bei obigen Versuchen und bei Tierversuchen wurde aber 
der Alkohol stets in dieser für die menschliche Arbeit un¬ 
geeigneten Weise vorher gegeben, während er nur und erst zur 
Anspannung der letzten Kräfte oder zur Ueberwindung psychischer 
Depression zum Schluss einer Uebnng gegeben werden sollte. 

Bei den Tieren, die der Aufnahme widerstreben, wurde der 
Alkohol ausserdem in zu konzentrierter Form gegeben, von 10 
bis 25 pCt. Bei geringen Gaben zeigte sich dann weiter, dass 
die bakterielle Infektion nach Laitinen, Koegler, W. Kern 
begünstigt wurde. Aber wenn auch der Mensch .durch den 
Alkoholmissbrauch weniger oder mehr Schweinchen werden kann, 
so nimmt er doch nicht gerade die Natur eines Meerschweinchens 
au. Gerade bei der Tuberkulose wissen wir durch B re hm er, 
dass der Alkohol in Verbindung mit entsprechender Ernährung 
glänzende Heilungen durch Erhöhung der allgemeinen Wider¬ 
standsfähigkeit hatte erzielen lassen. Bakteriellen Giften gegen¬ 
über wirkte der Alkohol in Tierversuchen eher günstig, und 
damit in Uebereinstimroung steht die Erfahrung, dass gegen 
Schlangengift der Alkohol in grossen Gaben sogar ein lebens¬ 
rottendes Mittel werden kann. 

Friedberger, Fraenkel, Leva, R. Pfeiffer fanden bei 
mässigen Gaben eine Begünstigung der Serumschutzstoffe, Laitinen 
nur eine mässige Herabsetzung der Baktericidie des Blutes, während 
Ab bot und Bergey ein Schwinden der Schutzstoffe gefunden 
haben wollten, so dass diese Versuche nicht dagegen sprechen, 
Alkohol in geringen Gaben als Reizmittel zu verwenden. 

Für den Menschen haben diese Versuche aber insofern keine 
Bedeutung, als mau durch ein Beefsteak oder einige Eier oder 
ein Stück Käse einen etwaigen Ausfall durch Alkohol sogar 
überkompensieren kann, und Förster hat ermittelt, dass die Ver- 
dauungsfermente und Schutzstoffe des Körpers, deren der Organismus 
zum Bekämpfen von Giften und Infektionsstoffen bedarf, eine 
ausreichende Zufuhr von Eiweiss erfordern. Ist der Eiweiss¬ 
bestand der Nahrung ausreichend, so kommen alle diese eventuell 
einmal möglichen ungünstigen Wirkungen kleiner Alkoholgaben 
gar nicht in Betracht. Das muss natürlich bei der Alkobol- 
auwendung mit berücksichtigt werden. 

Für den sportlichen Betrieb von Körperübungen haben die 
alkoholischen Getränke im allgemeinen mehr Nachteile als Vor¬ 
teile, und die nach Umständen verwertbare Reizwirkung kleiner 
Alkoholmengen wird ganz überflüssig, wenn der Körper durch 
zielbewusste Uebung und ein richtiges Training ökonomisch und 
technisch besser arbeiten gelernt* hat. Aber bei der Art, wie ein 
Volk unter natürlichen Verhältnissen auf dem Lande Körper¬ 
übungen betreibt, ist ein roässiger, nicht regelmässiger ÄlkoHöl- 
genuss unbedenklich. Unter den Lebensverbältnissen der Gross¬ 
stadt wird man aber die Vorteile von Körperübungen nicht aus- 
nützen können, wenn man die ruhebedürfrigen Nerven durch 
häufigen nnd regelmässigen Alkoholkonsum überreizt. 


In diesen Dingen sollte auch die Erfahrung nicht ganz un¬ 
berücksichtigt bleiben. Bei der Vorherrschaft des klassischen 
Gymnasiums hätte man sich einer Episode erinnern dürfen, die 
Homer berichtet; Hektor lehnte nach ihm die Aufforderung 
seiner Mutter, sich vor dem Kampf mit Wein zu stärkeu, mit 
vollem Rechte ab; nach dem Kampfe trank er aber ebenso wie 
die anderen Helden seinen Gespritzten. 

Der germanische Sturmgott Wodan wollte während des 
Wandems nach der Edda nichts von Alkohol wissen: „Die 
schlechteste Wegkost wählt, wer sich betrinkt“; aber nach einem 
Marsche verschmähte der Wanderer beim Mahle den Met nicht. 

Wirerkennen daraus einen gewissen Gegensatz in der Strenge 
der Anforderungen zwischen dem harten, kurzen Training des 
Athleten und dem mehrjährigen militärischen Training. Besonders 
die Winterfeldzüge haben nns einige wichtige Lehren gegeben. 
Die Deutschen würden 1870/71 in dem barten Winter wohl ohne 
den französischen Rotwein nicht so gut über die Strapazen, 
Schwierigkeiten der Ernährung und die ganze Summe ungünstiger 
Einflüsse eines Winterfeldzuges hinweggekommen sein. Die 
Japaner erhielten im letzten Feldzuge regelmässig Sake in be¬ 
sonders konzentrierter Form, den sie mit beissem Wasser ver¬ 
dünnt nahmen. Die jetzigen Ereignisse auf dem Balkan möchte 
ich aber raten nicht gegen die Abstinenz zu verwerten, weil die 
Türken den nicht abstinenten Balkanvölkern unterlegen sind. 
Diese Niederlagen hatten doch ganz andere Gründe, ebenso wie 
man die früheren Siege der Türken nicht auf ihre Abstinenz 
schreiben kann. Dagegen steht nach Marin Bounoust und 
v. Scherer fest, dass der unmässige Konsum von Branntwein 
im Winterfeldzuge 1812 körperlich, aber auch geistig durch 
Lockerung der Disziplin auf den Zusammenbruch der französischen 
Armee von giösstem Einfluss war. Die mässigen Italiener über¬ 
standen damals die furchtbaren Strapazen am besten. Damals 
begann die Branntweinpest ihren grossen Zug über Westeuropa. 

Ungewohnte Getränke sind besonders gefährlich, und so unter¬ 
sagten nach Caesar die Sueben und Nervier die Einfuhr von Wein, 
von dem sie fürchteten, weibisch und zum Ertragen von Kriegs¬ 
strapazen ungeeignet zu werden. Karl der Grosse ging scharf 
gegen Soldaten vor, die sich mit Wein betranken und dadurch 
gegen die Disziplin vergingen. 

Gustav Adolf erliess als erster Feldherr ein bis zu seinem 
Tode streng durchgefübrtes Schnapsverbot. Wilhelm 1. erliess 
1861 seinen berühmten Erlass: „Bei der Verpflegung meiner 
Armee soll fernerhin anstatt der Branntweinportion der Kaffee 
treten.“ Schweden folgte 1870, England 1875. Schnapsverbote 
wurden später 1900 von Gallifet für die französische Armee, 
1902 vom Erbprinzen von Meiningen für das 6. und vom 
Grafen Haeseler für das 16. preussische Armeekorps erneuert 
erlassen. 

Als man aber in Amerika auch das Bier in den Kantinen 
ganz untersagte, stieg die schon durch Schnapsverbot gesunkene 
Trunkenheit und deren Folgen unter den Soldaten wieder ganz 
bedeutend an. ln den letzten Jahren wurde nach englischem 
Beispiel in der deutschen Marine die freiwillige Abstinenz von 
allen alkoholischen Getränken gefördert, während sie von der 
österreichischen Marine, deren Leute an mässigen Genuss von 
Dalmatiner Wein gewöhnt sind, abgelehnt wurde. 

In den Polargegenden bat sich der Alkohol für die Körper¬ 
leistungen als überflüssig ergeben, seit John Ross bei seiner Polar¬ 
fahrt 1829 bis 1833 volle Abstinenz durcbgeführt hatte. Aber 
es hat sich herausgestellt, dass ein gelegentlicher, geselliger 
Alkoholgenuss wieder umgänglicher und verträglicher macht, wie 
es die Kameradschaft unter solchen erschwerenden Verhältnissen 
erfordert, wie dies Payer mit Rücksicht auf unerfreuliche Zu¬ 
stände bei Nansen’s Expedition zuerst betont batte, und wie es 
alle Pularrxpeditionen der letzten Zeit gehalten haben. 

Für waimes Klima hatte wohl Larey zuerst bei Napoleon’s 
Feldzug in Egypten 1798 die völlige Abstinenz von Alkohol an¬ 
geraten. Die Engländer haben dann in Indien günstige Erfah¬ 
rungen damit gemacht, die sich wohl besonders aus dem Einfluss 
des Alkohols auf die Haut ergeben, deren übermässiges Schwitzen 
durch den Alkohohl begünstigt wird. Auf geistigem Gebiete 
löst Alkohol wohl am leichtesten den Tropenkoller aus, dessen 
'Folgen für die europäischen Kultut ägeir tief beschämend sind. 
Die für 1910 und 1911 über den Alkoholverbrauch in Togo mit¬ 
geteilten Zahlen zeigen, dass noch fast alles zu tun ist, während 
der französische General Duchesne in Madagaskar, General Coronat 
in Saigon Alkoholverbote erliessen. 


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UMIVERSITY OF IOWA 







24. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


551 


Mao wird es im allgemeinen nicht nötig haben, bei unseren 
klimatischen Zuständen unter militärischen Verhältnissen eine 
völlige Enthaltung von Alkohol zu fordern. Man wird unter 
Umständen sogar für Feldzöge, besonders im Winter und bei 
schwieriger Ernährung, die Erfahrungen über dann sogar nützliche 
Wirkungen oder Nebenwirkungen des Alkohols für die gesamte 
Ernährung und für das psychische Verhalten beachten müssen, 
wie es die Japaner mit grossem Erfolg getan haben. 

Wo Alkohol nicht vertragen wird, kann man radikal zur 
vollen Abstinenz übergehen, wie sie von Latoslaswski für 
Alkohol, Tabak, Kartenspiel und Prostitution gefordert wurde, 
während Frau Henderson die Abstinenz von allen Reizmitteln 
mit Ausschluss der sexuellen forderte, wobei sie wohl an Roose- 
velt’s Mahnung über den Rassenselbstmord der Amerikanerinnen 
dachte. 

Ganz ohne Ersatz durch andere Mittel wird man wohl bei 
Verzicht auf alle alkoholischen Getränke nicht auskommen. 
Allerdings „im Verhältnis zum Alkohol harmlose Gifte, wie 
Arsenik und Blausäure“ nach Bonne oder Strychnin nach 
Horseley, werden als Ersatzmittel für Leute mit gesundem 
Menschenverstände wohl ausgeschlossen sein. Vor solcher „Ab¬ 
stinenzsimpelei“ — wie mir das ein Abstinentenführer schrieb — 
wird endlich auch den Abstinenten selbst bange. Nur bei 
Doping sollen auch diese Gifte neben Coca, Cola, Coffein und 
Alkohol in Amerika noch verwendet werden. 

Die sogenannten alkoholfreien Getränke enthalten zum Teil 
Alkohol, sind zum Teil aber noch so geschmacklos, dass sie nicht 
ernsthaft in Betracht kommen können. Das Wasser genügt rein 
oder mit Fruchtsäften versetzt den meisten Menschen nicht, weil 
es nur den Durst löscht, aber zur Geselligkeit nicht beiträgt; 
ähnliches gilt von der Milch, deren Nährwert hier nicht in Frage 
kommt. 

In dieser Not kam man darauf, die alkoholischen Getränke, 
an deren Geschmack und Genuss man gewöhnt war, des Alkohols 
zu berauben, und Harnack nannte derartige Genussmittel, die 
ihres spezifischen Stoffes beraubt waren, „kastrierte“. So haben 
wir jetzt alkoholfreies Bier, alkoholfreien Wein, coffei'nfreien 
Kaffee, theinfreien Tee. 

Wenn wir dazu noch nehmen, dass es bei den Bestrebungen 
um die Eiweisssynthese jetzt noch leichter gelingt, ein syntheti¬ 
sches Beefsteak eiweissfrei herzustellen, werden wir auch die von 
den Vegetariern so krass geschilderten, aber doch fast ganz ein¬ 
gebildeten Gefahren des Fleischgenusses leicht meiden. Wenn wir 
dann noch weiter berücksichtigen, dass die Frauenbewegung in 
ihren anfänglichen Uebertreibungen auch in einer nicht gerade 
sehr schönen Weise die reizlose Frau in der Oeffentlichkeit in 
den Vordergrund gebracht hat, so wird auch diese Gefahr für 
das Training bei uns nicht so gross werden, wie sie den Griechen 
mit ihrer Venus von Milo gewesen sein muss. 

Aber die meisten wollen doch von diesen ihres Wertes be¬ 
raubten Dingen nichts wissen und verlangen einfach, wenn ihnen 
ein Genussmittel verweigert wird, ein anderes, da es eben für 
den Kulturmenschen unmöglich ist, ganz ohne Reiz- und Genuss- 
mittel zu leben, und deren Wechsel sich nach räumlich oder zeit¬ 
lich ändernden Verhältnissen richtet. Nur auf diesem Wege 
kommen wir vielleicht einmal dazu, schädliche durch weniger 
schädliche und schliesslich unschädliche zu ersetzen. Bis jetzt 
ist das aber, wie der Missbrauch von Opium und Cocain lehrt, 
gründlich vorbeigelungen, als man den Alkohol ganz ausschliessen 
wollte. 

Als unschädliche Reizmittel gelten meistens die zu einer 
anderen physiologischen Gruppe gehörigen. Sie enthalten Coffein 
und das damit identische Thein, welches chemisch Trimethyl- 
xanthin ist, oder Theobromiu und das damit isomere, aber indiffe¬ 
rentere Theophyllin, das Diraethylxanthin ist. Der menschliche 
Organismus führt Coffein über Theophyllin über zu Xanthin; 
Xanthin aber gehört als sogenannte harnige Säure auch zu den 
Abbauprodukten des Eiweiss und führt zur Harnsäure. Coffein 
Jcommt vor in der JjCaffeekirsche, im chinesischen Tee,, im Para¬ 
guaytee oder Mate, in der Pasta guarana äus der Pautfinia sorbilis, 
in Spuren auch in polanüssen und Kakao. Die beiden letzteren 
enthalten daoebeq und vorwiegend Tbeobrorain. Theobromin ist 
,das mildeste ^dieser Reizmittel. . In reiner Form sind Coffein jund, 
Theobromin durchaus als Medikamente zu beurteilen, was wegen 
der Anpreisung einzelner Präparate beachtet werden sollte; Coffein 
wird auch bei Doping verwendet. 

Von diesen Mitteln hat Kakao einen wirklichen Nährwert 
und empfiehlt sich bei anstrengenden Märschen und sportlichen 


Uebungen als Erfriscbungsmittel, ganz besonders, weil seine Reiz¬ 
wirkung kaum in Betracht kommt oder doch sehr milde ist. 
Bedarf man kräftigerer Anregung, so ist allerdings der Kaffee 
vorzuziehen, für die meisten noch mehr der Tee, der einige un¬ 
angenehme Wirkungen der Röstprodukte des Kaffees nicht ent¬ 
hält: beide enthalten keinen Nährwert. Die Colapräparate sollten 
eigentlich so harmlos sein wie Kakaopräparate, aber sie werden 
meist in alkoholischen Auszügen gegeben, so dass sie dann nicht 
rein zur Wirkung kommen, während die Colaschokolade diese 
Nachteile nicht hat; bei den als Geheimmittel angepriesenen 
Colatabletten weiss man nicht, was man bekommt und ob die 
Konzentration nicht zu gross ist. 

Fleischextrakt wurde von Rohlfs in Afrika bei anstrengenden 
Märschen als Genussmittel sehr hoch bewertet, und es ist nicht 
recht verständlich, weshalb Leute mit gesundem Herzen und 
gesunden Nieren nicht die Anregung des Fleischextraktes oder 
der Fleischbrühe verwerten sollen, die physiologisch ähnlich wie 
die des Coffeins in ihren Beziehungen zur Harnsäure und zum 
Eiweissstoffwecbsel zu betrachten ist. 

Nicolai, Förster und ich selbst haben schon früher anf 
die Gefahren des Kaffeemissbrauchs nachdrücklich hingewiesen, 
und die Chinesen mit ihren reichen Erfahrungen sagen „un¬ 
ersättlicher Teetrinker, armer Krückenhinker“ und bezeichnen 
damit scharf die Gefahren des Missbraucbs dieser Getränke für 
Herz und Muskulatur. 

Dass die coffeiohaltigen Getränke durchaus nicht ganz harmlos 
sind, erkennt man wie beim Alkohol erst bei ihrem Missbrauche, 
dem Coffeinismus. Beim Menschen äussert sich derselbe in Herz¬ 
krämpfen, Halluzinationen und Angstzuständen, Schwindelanfällen, 
Schlaflosigkeit; in akuten Fällen tritt durch Beeinflussung der 
Atemmuskeln auch Atemnot und Beklemmung ein, durch un¬ 
geeignete Steigerung der Muskeltätigkeit auch vermehrter Eiweiss¬ 
zerfall. Infolge des Einflusses auf die Muskulatur vermag diese 
zunächst besser zu arbeiten, d. b. wenn noch Energie vorhanden 
ist, also noch zu einer Zeit, wo physiologisch bereits Ruhe ein¬ 
getreten wäre. Es liegt also genau dieselbe Möglichkeit, aber 
auch dieselbe Gefahr vor wie bei Alkohol, wenn er als Peitsche 
verwendet wird. Tritt dann keine vollständige Ruhe und kein 
Ersatz ein, so kommt es zur wirklichen Vergiftung der Muskulatur 
mit späterer Herabsetzung der Leistung, und unter dem Einflüsse 
des Coffeins können Leute oft anstrengende Arbeiten nicht mehr 
bewältigen, die sie früher leicht zu leisten vermochten. Im Orient 
schreibt man die dort in den Basaren häufig zu beobachtende 
Abnahme des Sehvermögens dem übertriebenen Kaffeegenusse zu. 
Wie bei dem Alkohol spielt also auch bei diesen Getränken eine 
gute Ernährung eine grosse Rolle. Alkoholabslinenten, die sich 
ira Kaffee- oder Teegenuss selbst nicht mässigen können, sind 
gefährliche Propheten für Sportsleute. Sophrosyne und selbst 
Abstinenz kann auch diesen Mitteln gegenüber manchmal 
nötig sein. 

Die Volkserfahrungen und -anschauungen über die physio¬ 
logischen Reizmittel aus verschiedenen Zeiten und bei ganz ver¬ 
schiedenen Völkern stimmen auffallend überein. Das Volk 
fürchtet vom Alkohol weniger eine unmittelbare Beeinträchtigung 
der Körperkraft als mehr des Intellektes und dadurch indirekt 
und allenfalls erst des Körpers. So z. B. wenn Wodan nach 
der Edda den Wanderer vor dem Metgenusse warnt: „Ein jeder 
Schluck raubt ihm ein Stück des Verstandes“, oder wenn Hektor 
bei Weingenuss vor dem Kampfe fürchtet, dass er dann „des 
Muts und der Kraft vergesse“. Und ebenso urteilen die Eskimos 
über den Brayjitwein, den sie bezeichnen als „das, wodurch man 
den Verstand verliert“. Die Eskimos ^ber erkannten den Kaffee 
für Körperübungen und deren exakte Auslösung für direkt schäd¬ 
lich und fürchten ihn beim Kajakrudern und Robbenfang mehr 
als den Alkohol. Dieselbe Erfahrung machte Nansen bei seiner 
Grönlanddurchquerung. 

Wenn diese Getränke sich auch nicht so unmittelbar auf die 
Nachkommenschaft durch eine Vergiftung der Geschlechtsdrüsen 
bemerkbar machen wie Alkohol, so darf man doch qichf ausser 
acht lassen, dass die Verschlechterung der Körper beschaffen heit 
durch ihren Missbrauch sich auqh vererbt. 

Im normalen Tagesbetriebe verrät die Notwendigkeit des 
Aqferl^gens der Abstinenz gegenüber Genusgmitteln oft eine un¬ 
erfreuliche Charakterschwäche, die sich aber einfach als eine 
Notwendigkeit aus der Zunahme der Hysterie und Neurasthenie 
durch unsere wirtschaftliche Entwicklung erklärt. Die Sophro¬ 
syne, die Selbstbeherrschung auch im Genüsse, erscheint kulturell 
von höherem Werte, setzt aber auch eine gesunde, vernünftige 


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662 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 12. 


Erziehung zur Selbstzucht voraus. Praktisch wird Abstinenz 
immer eine von Fall zu Fall zu beurteilende Form der Mässig- 
keit sein, wenn sie im Rahmen unserer gesamten Kulturzustände 
und unter Berücksichtigung ihrer geschichtlichen Entwicklung 
Erfolge erringen will. 

Das wichtigste wird eine alkoholfreie und auch sonst in 
Genussmitteln und Trinksitten vernünftige Erziehung von Jugend an 
sein, wie sie Else Hueppe 1 ) schon 1890 forderte, deren Bedeutung 
erfreulicherweise in der letzten Zeit mehr begriffen wird. 

Mit blosser Verekelung der kulturnotwendigen Genüsse oder 
mit rabiater Bedrohung anderer Auffassungen erst bei den Er¬ 
wachsenen ist auf die Dauer kein Erfolg zu erreichen, wie wir 
ihn dem Missbrauch der Genussmittel gegenüber erzielen müssen, 
wenn unser Volk seine führende Stelle und seinen Platz an der 
Sonne halten will. 

Dazu genügt die blosse Negation nicht, sondern dazu bedarf 
es positiver Kampfmittel, und diese sind in erster Linie in der 
Zunahme des Verständnisses für den Wert vernünftig betriebener 
Körperübungen, besonders aber im regelmässigen Betriebe der 
Körperübungen im Freien von Jugend auf zu erkennen. Nur so 
erreichte ich im Wortsinne spielend selbst bei deutschen Studenten 
Erfolge, wo vorher gar nichts zu machen war, Mässigkeit und 
Abstinenz. 

Bei uns Nordländern ist das unseren natürlichen alkohol¬ 
haltigen Genussmitteln gegenüber besonders schwierig, aber im 
Sommer oder in wärmeren Klimaten auch besonders notwendig, 
wenn wir unsere Herrschaft über die Welt sichern wollen. Im 
klassischen Altertum waren es die thracischen Achäer und die 
Hellenen, also zwei Völker des baltischen Nordstammes, die auf 
ihrer Südwanderung nach dem Balkan und dem Peloponnes, nach 
Kleinasien und den Inseln bis Kreta gelangten, sich durch syste¬ 
matische Körperübungen, durch Mässigkeit und bei den Spartanern 
selbst durch Abstinenz von Alkohol dem wärmeren Klima erfolg¬ 
reich anpassten und sich sogar das Verständnis für die Askese 
des Trainings erarbeiteten. 

In der Neuzeit ist die Neuaufnahme und Entwicklung der 
Körperübungen zur Volksnotwendigkeit wieder den Nord¬ 
völkern, Deutschen, Schweden und Engländern zu verdanken, 
und wieder sind wir durch Mässigkeit im Genuss durch 
die Körperübungen bis zur Askese des Trainings gekommen, um 
Höchstes zu leisten. 

Bei dem Betriebe unter einfachen, natürlichen, täglichen Ver¬ 
hältnissen erfordern Spiel, Sport und Turnen keine Reizmittel. 
Aber eine völlige Enthaltung von denselben ist auch nicht not¬ 
wendig. Nur siebt man bald an der Zunahme der eigenen 
Leistungen und beim Messen derselben mit anderen, dass man 
sich um so wohler befindet und mehr leistet, je mehr man sich 
der Reizmittel enthält. 

Beim Betriebe in geschlossenen Hallen mit ihren der Reiz¬ 
werte entbehrenden, zu ruhigen und gleicbmässig warmen sonnen¬ 
losen Luft und meist auch mit ihrer stärkeren Staubentwicklung 
bekommt man neben wirklichem Durst durch dieUebung ein manch¬ 
mal sehr lästiges Durstgefühl, dessen Befriedigung nach Genuss¬ 
mitteln verlangen lässt, aber dessen Stillung durch alkoholische 
Getränke bei anschliessender Geselligkeit die eben für die Körper- 
ertücbtigung erreichten Vorteile oft wieder gleich in Frage stellt 
oder direkt aufbebt. 

Ganz anders aber gewöhnt uns Licht- und Luftgeschöpfe 
der Betrieb im Freien, in Luft und Licht und Sonne, besonders also 
Spiel und Athletik, an ein geringeres Dorstgefühl, dessen natür¬ 
liche reizlose Befriedigung leichter ist und keine alkoholischen 
Getränke erfordert, sondern im Gegenteil ganz von selbst von 
ihnen fernhält, wenn wir etwas ohne Schaden leisten wollen. 
So vorbereitet steht man auch dem ernsten Training gegenüber 
ganz anders da, und die Askese desselben verliert das Un¬ 
angenehme durch die Vorbereitung zum erfolgreichen Kampfe. 
Diese Organisation des Sieges durch erhöhte Selbstzucht enthält 
gewaltige erzieherische und sittliche Werte, die man auch vom 
nationalen, völkischen Standpunkte aus gar nicht hoch genug 
schätzen kann. Wir lernen auch so die in unserer Nordrasse 
vererbte schlechtere Anpassung an höhere Temperaturen in 
praktisch ausreichender Weise überwinden. 

Die Körperübungen haben so nicht bloss durch die Ent¬ 
wicklung des Körpers und ihren Einfluss auf Volksertüchtigung und 
Volksgesundung, sondern auch durch die Erziehung zur Mässigkeit 


1) Berliner klin. Wochenschr., Nr. 36. 


und Selbstzucht im Genüsse eine hohe Kulturaufgabe zu erfüllen. 
Wenn unsere neue ärztliche Vereinigung diese soziale Aufgabe im 
Geiste der positiven aufbauenden Hygiene richtig erfasst, kann 
sie dem öffentlichen Wohle wichtige Dienste leisten. 


Bücherbesprechungen. 

Max IeBselmann: Das Rtiatgenverfahren hei Erkraakiagea der 

Hariorgane. Mit 28 Abbildungen auf 5 Tafeln und 42 Figuren 
im Text. VI und 86 S. Berlin 1913, Hermann Meusser. 

Immelmann, der seit vielen Jahren in erfolgreichster Weise die 
Röntgendiagnostik gepflegt und durch seine vortrefflichen Aufnahmen 
zahlreichen Aerzten wertvolle Anhaltspunkte für die Beurteilung ihrer 
Krankheitsfälle geliefert hat, bestimmt das vorliegende kleine Werk vor¬ 
nehmlich* denjenigen Medizinern, die sich schnell über die Anwendung 
der Röntgenstrahlen bei den Erkrankungen der Harnorgane orientieren 
wollen. Demgemäss nehmen die Angaben über die Technik der Unter¬ 
suchung den ersten Platz ein. In aller Kürze geben sie eine sehr nütz¬ 
liche Aufklärung über das, was mit den erprobten Methoden geleistet 
werden kann; sie belehren uns darüber, inwieweit und mit welchen 
Hilfsmitteln Niere, Blase, Harnleiter überhaupt durchforscht werden 
können. In einem speziellen Teile werden dann die einzelnen Er¬ 
krankungen — Steinkrankheit, Lage-, Form- und Grössenveränderungen 
der Harnorgane — durchgesprochen, wobei naturgemäss auf die Stein¬ 
krankheit der Löwenanteil entfällt Auch für die Erkenntnis der Tuber¬ 
kulose der Nieren, mindestens soweit sie zu Cavernenbildung geführt 
hat, erklärt Verf. die Röntgenographie nach vorheriger Collargolfüllung 
für sehr wertvoll. In einem besonderen Anhang werden dann die 
Prostatakrankheiten abgehandelt, und hier tritt neben die (minder 
wichtige) diagnostische Seite auch die therapeutische: Immelmann hält 
sowohl die direkte Bestrahlung der Prostata als deren indirekte Beein¬ 
flussung durch Hodenbestrahlung in gewissen Fällen für wirksam und 
des Versuches wert. Die beigegebenen Tafeln stellen vortreffliche 
Specimina der wichtigsten Erkrankungen dar und lassen besonders den 
Nutzen der Collargolfüllungen deutlich erkennen. 

Das empfehlenswerte Werk bildet übrigens einen Band der von 
Heinz Bauer herausgegebenen Bibliothek der physikalisch-medizinischen 
Techniken. Posner. 


H. E. Schmidt-Berlin: Kompendium der Röntgentherapie. 3. Aufl. 

Berlin 1913, Verlag von A. Hirschwald. 227 S. Preis 5 M. 

Entsprechend der grösseren Bedeutung der Röntgentherapie für die 
gesamte Medizin hat das vorliegende Kompendium in seiner Neuauflage 
sehr an Umfang zugenommen und ist um zahlreiche Kapitel mit den 
neuesten Forschungen und Beobachtungen — zu seinem Vorteil — be¬ 
reichert worden. Hervorzuheben ist, wie schon in der vorigen Auflage, 
der überaus leicht verständlich geschriebene allgemein physikalische Teil, 
ans dem jeder Mediziner, auch wenn er auf physikalischem Gebiet völlig 
Laie ist, sich alles für den Röntgenbetrieb Erforderliche leicht an¬ 
eignen kann. 

Das Kapitel über die verschiedenen Röhrenarten, deren es jetzt so 
viele gibt, ist sehr eingehend behandelt, ebenso ist die Beschreibung 
aller vorhandenen Qualitäts- und Quantitätsmesser recht ausführlich. 
Das für einen geregelten und zuverlässigen Röntgenbetrieb so überaus 
wichtige Kapitel über das Aichen der Röhren {Konstantbrennen und 
Dosierung) ist auch für den Anfänger trotz seiner Schwierigkeit gut ver¬ 
ständlich, weniger übersichtlich dagegen das übÄ Desensibilisierung und 
Sensibilisierung, zwei Gebiete, die allerdings selbst noch sehr der Auf¬ 
klärung bedürfen. 

Neu aufgenommen sind unter anderen die Abschnitte über die 
Tiefenbestrahlung und deren Dosimetrie, die vorläufig auch noch recht 
ungenau ist. 

In dem speziellen therapeutischen Teil zieht Sch. die Indikations¬ 
grenzen für die Röntgenbestrahlungen allerdings sehr weit und warnt 
nicht genügend vor der Anwendung der Strahlen, die oft nicht nur in 
der Hand des weniger geübten und unerfahrenen Therapeuten Unbeil ' 
stiften können, sondern auch in der des gut durcbgebildeten Röntgeno¬ 
logen. 

Trotzdem wird das Büchlein dem vorsichtigen Arzte stets als ein 
guter Ratgeber zur Seite stehen. 

Arthur Zehden - Charlottenburg. 


Die Frau als Hausärxtin. Von Dr. med. Anna Fischer-Dückelmaan: 

Gänzlich neubearbeitete und vermehrte Jubiläumsausgabe (750000). 

Stuttgart (ohne Angabe des Jahres), Süddeutsches Verlagsinstitut. 

Preis 16 M. 

Dass Bücher von der Art des vorliegenden in der medizinischen 
Fachpresse eine Besprechung erfahren, ist etwas Ungewöhnliches — 
wenigstens in Deutschland. Wenn es jedoch speziell in diesem Falle 
geboten erscheint, aus der sonst geübten Reserve hervorzutreten, so 
wird dies veranlasst einmal durch die grosse Verbreitung des vorliegenden 
Buches — s /t Millionen Exemplare —, nicht zuletzt aber auch durch 


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24. März 1918. 


BERLIN KR KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


653 


den Umstand, dass im Prospekt des Werkes äusserst günstige Kritiken 
von namentlich angeführten „ersten Aerzten“ figurieren. 

Dass sich wirklich Aerzte bereitgefunden haben, in wahrhaft über¬ 
schwenglicher Weise dem Genius der Frau Dr. Fischer-Dückelmann 
zu huldigen, muss eigentlich befremden, da das Werk selbst Invektiven 
schwerster Art gegen den ärztlichen Stand enthält. So wird schon im 
Vorwort den Aerzten vorgeworfen, „bisher ausschliesslich aus dem Elend 
ihrer kranken Mitmenschen Nutzen zu ziehen“. Von der Allopathie, 
auch „Schul- oder Staatsmedizin“ genannt, heisst es fernerhin auf 
S. 450: „Wahre Gesundheitspflege und Vorbeugung (Hygiene und 
Prophylaxe) hat sie nicht auszubilden verstanden; dafür geben die 
städtischen Kliniken und medizinischen Lehrbücher traurige Be¬ 
weise .. usw. 

Aehnliche Angriffe gegen die Stätten der öffentlichen Gesundheits¬ 
pflege finden sich zahlreich. So heisst es auf S. 452, dass selbst bei 
sehr schweren Verwundungen und langwierigen Eiterungen es durch 
sorgsame Pflege und Wundbehandlung möglich ist, das verletzte Glied 
zu erhalten und auszuheilen: „Leider ist diese Art der Behandlung in 
unseren Spitälern noch nicht eingeführt, und so werden dort alljährlich 
Hunderte von Leidenden durch das vorschnelle Messer zu bleibenden 
Krüppeln geschnitten.“ 

Zur Umgehung des Impfzwanges wird der Erwerb un¬ 
richtiger Impfzeugnisse im Ausland empfohlen (!). Ebenso glaubt 
Verf. „mit Genugtuung“ konstatieren zu können, „dass die bakterio¬ 
logische Flut“ — gemeint ist die bakteriologische Forschung — „in 
fühlbarer Abnahme begriffen ist“ (S. 446). 

Wenn man die Vorsicht sieht, mit der Frau F. weiterhin ärztliche 
Ratschläge aufzufassen lehrt, so erinnert dies stark an die Winke, die 
etwa Reisehandbücher für den Verkehr mit sizilianischen Fremden¬ 
führern und dergleichen gelegentlich geben. So solle man sich 
bei Osteomyelitis nur dann zu einer Inzision entschlossen, „wenn 
mehrere Aerzte mit Sicherheit Eiter vorhanden glauben“ (S. 505). 
Anerkannt wird bei den approbierten Aerzten allein die bessere Fähig¬ 
keit der Diagnostik; „man hole sich daher“ — z. B. bei Augenkrank¬ 
heiten — „immer zuerst die Diagnose von einem guten Augenarzt 
und lasse sich dann von einem anderen, welcher die physikalisch-diä¬ 
tetische Heilmethode vertritt und Giftanwendung vermeidet, behandeln“ 
(S. 477). Im übrigen ist im Beginn von Erkrankungen oft nur eine 
richtige Therapie notwendig, im Verlaufe der Krankheit ist dagegen die 
Diagnose „sogar von unleugbarem Werte für den weiteren Gang der 
Behandlung“! (S. 568). 1 

Nach diesen Streiflichtern auf den wissenschaftlich-ethischen Grund¬ 
ton des Werkes wird eine speziellere Betrachtung desselben am 
Platze sein. 

Die Einteilung desselben gliedert sich in einen als Gesundheits¬ 
pflege bezeichneten Abschnitt, der anatomische, physiologische, diätetische 
Angaben — sowie nicht zuletzt solche über das Geschlechtsleben — 
enthält. Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit der Menschwerdung, 
der dritte Hauptabschnitt stellt schliesslich eine alphabetisch geordnete 
Encyklopädie der Heilkunde dar, welche die Hausfrau befähigen soll, 
die Behandlung ihrer Angehörigen in Krankheitsfällen zu übernehmen. 
Das ganze bildet eine recht oberflächliche Kompilation aus verschieden¬ 
artigsten Quellen; es überwiegt hier die sogenannte Naturheilkunde, 
ohne dass man jedoch von einem eigentlichen streng abgegrenzten System 
sprechen könnte. 

Dass bei dieser Art der Zusammentragung allerlei offensichtliche 
Entgleisungen bzw. Missverständnisse mit unterlaufen sind, ist leicht 
begreiflich. So berührt es etwas seltsam, folgende Definition der „Mehl¬ 
stoffe“ zu lesen: „Es gehören dazu alle jene Nahrungsmittel, die aus 
Kohlenhydraten (sic!) bestehen, d. i. Wasser- und Kohlenstoff (also CH)“ 
(S. 69). Auf S. 57 werden die Extraktivstoffe des Fleisches — 
Kreatin, Kreatinin usw. — mit den „eigentlichen Fleischgiften“, d. h. 
den Ptomainen verwechselt. Dass diese Nieren Veränderungen zurück¬ 
lassen, „was viele Sektionen Verstorbener beweisen“ (S. 58), dürfte 
nicht minder die Kliniker wie die Pathologen um eine neue Erfahrungs¬ 
tatsache bereichern. Den physikalischen Chemiker wird es besonders 
interessieren, dass alle frischen Pflanzenstoffe „Sonnenenergie“ enthalten, 
die den gekochten fehlt (S. 570). Quantitative Angaben hierüber werden 
leider nicht mitgeteilt. Die Abneigung gegen die Fleischnahrung geht 
dabei so weit, dass Verf. nicht vor der gänzlich aus der Luft gegriffenen 
Behauptung zurückscheut, „dass mindestens V« alles verkäuflichen 
Fleisches mehr oder minder kranken Tieren entstammt“ (S. 59). 

An manchen Stellen begegnen wir Auswüchsen eines wilden Aber¬ 
glaubens, der in traurigster Weise an dunkle, zeitlich weit zurück¬ 
liegende Kulturepochen erinnert. So wird die Möglichkeit, eine äussere 
Blutung durch „Blutversprecheh“ zu stillen, offen anerkannt und 
gelehrt (S. 535). Eine grosse Rolle nimtht ferner trotz Herrmann’s 
klassischen Untersuchungen die Magnetopathie — die therapeutische 
Anwendung der menschlichen magnetischen Kräfte — ein (S. 737). Be¬ 
sondere Triumphe zeitigt dieses Verfahren bei der Behandlung schwerer 
Fälle von ,Cholelithiasis. „Man lasse etwa dreimal wöchentlich 
Streichungen über den ganzen Körper ausführen und die Hände des 
Magnetopathen auf die schmerzhafte Leber legen. Sie wirken schmerz¬ 
lindernd und meist gehen nach 5—10 Sitzungen einige Gallensteine ab“ 
(S. 635). Bei Koliken wird — namentlich bei gleichzeitigen Gemüts¬ 
aufregungen! — folgendes Verfahren, das uns nicht ohne einen stark 
sexuellen Beigeschmack erscheint, empfohlen: „in solchen Fällen hat 


sich Zusammenschlafen mit nahestehenden, sehr geliebten Menschen, die 
Wärme und Kraft abgeben, sehr bewährt“ (S. 706). 

Die Mortalität der Diphtherie wird bei physikalisch - diätetischer 
Behandlung auf kaum 10 pCt. angegeben, während dieselbe bei dem Ver¬ 
fahren der Schulmedizin zuweilen bis 60pCt. beträgt. 

bezüglich der sonstigen Lehren der speziellen Therapie werde ich 
mich vorwiegend auf chirurgische Affektionen beschränken. Dass das 
oft so verhängnisvolle Verfahren, frische Wunden durch einen 
„kräftigen Wasserstrahl“ zu reinigen, wiederum eine warme Empfehlung 
findet (S. 889) wird nach den vorausgegangenen Ausführungen nicht be¬ 
sonders überraschen. Ebenso wird beim Panaritium auf den Nutzen 
frühzeitiger Inzisionen verzichtet und eifrig Hydrotherapie getrieben; erst 
„wenn darch Eiterung Knochen blossgelegt, hängen Sehnen vor, wuchert 
„wildes Fleisch“, dann sind ärztliche Leitung und sorgfältigste Behand¬ 
lung notwendig, sonst geht der Finger verloren“ (S. 618). 

Höchst einfach gestaltet sich auch die Behandlung von Knochen- 
brüchen: die erste Hilfe bestehe hier „stets in der Feststellung des 
verletzten Gliedes; dann mache man kühle Aufschläge und schaffe dem 
Verletzten ein weiches, bequemes Lager. Sorgt man im ürigen für täg¬ 
liche Abwaschungen des ganzen Körpers, leichte Pflanzenkost, tägliche 
Stuhlentleerungen und reichliche Zufuhr frischer Luft, so werden ein¬ 
fache und geschlossene Brüche ohne Schmerzen und Fieber heilen“ 
(S. 703). Gipsverbände sind heutzutage „überflüssig“ geworden 
(S. 662). 

Nicht ohne Humor ist folgende Vorschrift zur Behandlung der 
Brucheinklemmung: „Vorsichtige Zurückbringung der Bruchmasse 
durch geschickten Fingerdruck und Erhaltung des normalen Zustandes 
durch Vermeidung aller Bewegungen sowie eine Druckkompresse ist das 
erste, was zu tun ist“ (S. 543). Auf einer gleichen Höhe stehen die 
Leitsätze zur Behandlung der Appendicitis: Die Therapie besteht 
hier in Bettruhe, strengster Diät, kleinen Klystieren usw. „Leibauf¬ 
schläge von 20° C oder 30° C (je nach der Temperatur des Kranken), 
Dampffusspackungen, bei vorhandener Bewegungsfähigkeit, Rumpfbäder 
usw. werden die Gefahr beseitigen. Doch handle man nie nach eigenem 
Gutdünken, sondern rufe sofort einen mit der Wassermethode wohl¬ 
vertrauten Arzt“ (S. 528). 

Dem Carcinom steht nach den Ausführungen der Verf. die „wissen¬ 
schaftliche Welt“ bisher „machtlos“ (S. 716) gegenüber. „Ueber den 
Nutzen der operativen Eingriffe gehen die Meinungen der Aerzte immer 
mehr auseinander. Viele glücklich Operierte hat man sehr bald nach 
der Operation sterben sehen, während Nichtoperierte mit wenigen 
Ausnahmen jahrelang am Leben blieben. Bei richtiger Pflege 
gewährt es oft mehr Nutzen, der Krankheit ihren ruhigen Verlauf und 
eine Art Abzugskanal durch das erkrankte Organ zu lassen.“ 

Ich glaube, dass die angeführten Stichproben — die selbst eine so 
deutliche Sprache führen, dass sie einen besonderen Kommentar über¬ 
flüssig machen — ausreichend sind, um zu erkennen, aus welchem Geiste 
heraus das vorliegende Werk entsprungen ist Ganz abgesehen aber 
davon, dass ihm jegliche wissenschaftliche Qualitäten völlig abgehen, 
halten wir es für ein direkt gefährliches Buch, weil es in kritikloser 
Weise die Heilkunst zu einer Materie zu stempeln sucht, die auch ohne 
spezielle Vorbildung selbst dem Ungebildetsten zugänglich ist, indem es 
ferner eine Missachtung vor den höchsten Errungenschaften der wissen¬ 
schaftlichen Gesundheitspflege, der Prophylaxe und Therapie lehrt. Wer 
in der oben wiedergegebenen Form die Nutzlosigkeit der operativen 
Carcinombehandlung einem zur ernsthaften Kritik nicht befähigten, meist 
den untersten Ständen angehörenden Laienpublikura predigt, die Therapie 
der Appendicitis, der Brucheinklemmung usw. gleichsam als eine Lapalie 
hinstellt, die Selbstbehandlung von Knochenbrüchen lehrt, der bedroht 
in gefährlichster Weise das öffentliche Wohl, und es erscheint als Pflicht, 
derartige Strömungen nicht zu ignorieren, sondern ihnen mit allem 
Ernste entgegenzutreten. Wenn leider auch das Publikum derartige 
Kritiken nicht zu sehen bekommen wird, so dürfte es aber doch wohl 
in der Möglichkeitssphäre der praktischen Aerzte liegen, in den Kreisen 
ihrer Klientel derartigen traurigen Verirrungen zu begegnen und ihrer 
Verbreitung vorzubeugen. Ja, da nun einmal der grosse Absatz von 
Schriften dieser Art es unverkennbar lehrt, dass offenbar im Publikum 
ein Bedürfnis nach populär gehaltenen medizinischen Darstellungen be¬ 
steht, so sollte man doch vielleicht den Gedanken ins Auge fassen — 
etwa unter der Aegide ärztlicher Vereine —, auch von seiten der wissen¬ 
schaftlichen Medizin aus für eine derartige Literatur zu sorgen, um an 
Stelle jener trüben Erzeugnisse lauterfliessende Quellen ins Leben 
zu rufen. 

Zum Schluss kann ich es nicht unterlassen, noch auf eine besondere 
Seite des vorliegenden Buches hinzuweisen, die namentlich im Illustra- 
tionsraaterial zutage tritt. Ich meine die vielfach ohne sichtliche Moti¬ 
vierung sich wiederholenden Darstellungen mehr oder minder unbeklei¬ 
deter weiblicher Individuen, welche die Prozeduren der Unterleibs- 
waschuDgen, der Beckengüsse, der Kreuzabgiessungeri, der Sitzbäder in 
allen möglichen Varianten zum Teil in farbiger Wiedergabe zeigen, 
ebenso das Klystieren, die Temperaturmessung im After usw.; während 
den Beschluss dieses doch in erster Linie für Frauen bestimmten Buches 
ein anatomisches Modell mit aufklappbarem Penis darstellt. 

Ich muss es dahingestellt sein lassen, wie weit diesem —- in 
seiner Eigenschaft gekennzeichneten — Illustrationsmaterial mitj.die 
Ursache an der grossen Verbreitung des Werkes zuzuschreiben ist. Es 
erscheint jedenfalls dieser Umstand um so bedauerlicher, als es sich um 
eine weibliche Verfasserin handelt. Wenn man im übrigen bedenkt, 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 12. 


wie jungen Datums die Zulassung von Frauen zum ärztlichen Beruf ist, 
so liegt kein besonders erhebender Gedanke darin, dass diese kurze 
Frist schon hingereicht hat, um die medizinische Pseudoliteratur mit 
einem derartigen Produkt zu bereichern. Natürlich wäre es ungerecht, 
die Allgemeinheit hierfür verantwortlich zu machen. 

£. Melchior - Breslau. 


Literatur-Auszüge. 

Physiologie. 

M. Jansen-Leiden: Die mechanische Bedeutang der Bronchien. 
(Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., Bd. 25, H. 5.) Die Bronchien 
sind als das innere Skelett der Lungen zu betrachten. Die Arbeit ist 
zum kurzen Referat nicht geeignet. G. Gisner. 

K. Kur6-Prag: Ueber die Pathogenese der heterotopon Reiz- 
bildnng unter dem Einflüsse der extracardialen Herznerven. (Zeitschr. 
f. experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 12, H. 3, S. 389—459.) Faradische 
oder dyspnoische Erregung des linken Accelerans führt bei vielen Ver¬ 
suchstieren zu atrioventrikulärer Automatic. Vorbedingung ist, dass die 
Hunde morphinisiert sind, Vaguserregung fördert die Automatic. Die 
durch kombinierte Wirkung des Vagus und des Accelerans entstandene 
atrioventrikuläre Automatie lässt sich durch faradische Erregung eines 
Vagus oder durch Steigerung einer dyspnoischen Vaguserregung frequenz¬ 
hemmend beeinflussen bzw. unterdrücken. Bei der durch Steigerung des 
Vagustonus erzeugten atrioventrikulären Automatie kounte das Auf¬ 
treten von Herzschlägen mit normaler Succession von Vorhof und 
Kammer in Form von Extrasystolen beobachtet werden. 

v. Benczür und D. Fuchs-Budapest: Ueber die Wirkung der 
Radiameuasatioi aaf des respiratorischen Stoffwechsel. (Zeitschr. 
f. experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 12, H. 3, S. 564—567.) Selbst be¬ 
trächtliche Mengen von Radiumemanation, welche die therapeutisch üb¬ 
lichen Dosen mehr als hundertfach übersteigen, erzeugen nur eine 
mässige Steigerung des respiratorischen Gaswechsels. Ob die Zuführung 
durch Trinken oder durch Inhalation erfolgt, ist dabei gleichgültig. 
Qualitativ werden die Verbrennungsprozesse im Organismus nicht be¬ 
einflusst. 

A. Loewy-Berlin*. Das Thorium X in der Biologie und Pathologie. 
(Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 12, H. 3, S. 573—574.) 
Loewy erkennt die Kritik, welche Plesch, Karczag und Keetman 
an seinen Versuchen über die Wirkungen der Radiumemanation geübt 
haben, nicht an. Jacoby. 

A. S. Granger- Los Angelos: Ueber blotdrncksteigenide Snb- 
stanzea im Urin. (Arcb. of int. med., Bd. 10, Nr. 3.) Aus faulendem 
Fleisch lassen sich zwei blutdrucksteigernde Substanzen — Isoamylamin 
und Parahydroxyphenylaethylamin — isolieren. Es ist wahrscheinlich, 
dass diese Körper durch bakterielle Eiweis9fäulnis im Darm entstehen, 
jedoch bleibt es fraglich, ob sie resorbiert und durch den Urin aus¬ 
geschieden werden. Die Angaben von Abelous und Bain, nach denen 
aus normalem Harn sich blutdrucksteigernde Substanzen isolieren lassen, 
konnte der Verf. nicht bestätigen. Ob die blutdrucksteigernden Basen 
des Urins mit den aus faulendem Fleisch gewonnenen identisch sind, 
muss noch bezweifelt werden. C. Kayser. 


Pharmakologie. 

H. Raubitschek-Czernowitz: Experimentelle Untersuchungen über 
die W. H. Schultasche Oxydasereaktion. (Zeitschr. f. experim. Pathol. 
u. Therapie, Bd. 12, H. 3, S. 572.) Klopfer hat die Beobachtung von 
Raubitschek, dass bei der Blausäurevergiftung die Oxydasereaktion 
im Herzmuskel nicht nachweisbar ist, nicht bestätigen können. Nach 
der Ansicht des Verf. erklärt sich das daraus, dass Klopfer zersetzte 
Cyankaliumpräparate angewandt hat. Jacoby. 

R. A. Hatcher-New York: Ueber die Dauerwirkung des Digitalin. 
(Arch. of int. med., Bd. 10, Nr. 3.) Die Wirkung des Digitoxin und 
Digitalis ist langdauernder als die der sonstigenDigitalispräparate. 
Diese Dauerwirkung tritt bei Versuchen an der Katze noch deutlicher 
zutage als bei Hunden, Kaninchen und weissen Ratten, überhaupt ist 
die Empfänglichkeit und Giftigkeit derartiger Präparate bei den ver¬ 
schiedenen Tierspezies eine ungleichartige. Höchste, subletale Dosen 
von Digitalin, Onabain oder Strophantus sind nur von kurzer Wirkung. 
Wegen verschieden schneller Resorption i9t für den Tierversuch nur die 
intravenöse Methode brauchbar. C. Kayser. 

D. Fuchs und N. Roth - Budapest: Ueber die Wirkung des 
Adrenalihe auf die Atmung. (Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie, 
Bd. 12, H. 3, S. 568—571.) Bei Kaninchen nimmt nach Injektion von 
Adrenalin die Zahl der Atemzüge ab und die Atmung wird oberflächlich. 
Dagegen bleibt beim Menschen die Frequenz der Atmung meistens un¬ 
verändert, bei einigen Fällen tritt eine mässige Beschleunigung ein. 

Jacoby. 

R. Dittler und R. Mohr-Leipzig: Neue Untersuchungen über das 
Hormonal. (Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., Bd. 25, H. 5.) 
Verff. konstatierten bei Kaninchen und Katzen eine Blutdrucksenkung 
nach Hormonalinjektion. Bei Kaninchen wurde in den meisten Fällen 


die Peristaltik angeregt; bei Katzen negative Resultate. Verff. glauben, 
dass die Blutdrucksenkung den Anlass zum Auftreten der Peristaltik 
geben kann. Auch Chloralhydrat macht Blutdrucksenkungen und ver¬ 
ursacht sehr kräftige Darmbewegungen. G. Eisner. 

H. Fühner-Höchst a. M.: Ueber die isoliertet wirksame! Sih- 
stanze! der Hypophyse. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.) 
Es ist F. gelungen, aus dem Infundibularteil der Hypophyse eine „Hypo- 
physin“ genannte, reine, kristallisierte Substanz darzustellen, der die 
Gesamtwirkungen der Hypophysenextrakte auf die Gebärmutter, auf Blut¬ 
druck und Atmung zukommen. Wolfsohn 

L. Choquard-Bern: Fortgesetzte Untersuchungen über die physio¬ 
logische Permeabilität der Zellen. V. Ueber die Narkose lipeidreieher 
und lipoidarmer Gewebe gleicher Art. (Zeitschr. f. Biol., Bd. 60, H. 3 
u. 4, S. 101—162.) Der Herzmuskel ist lipoidreicher als der Skelett¬ 
muskel. Verf. benutzte diese Erscheinung, um die Narkosetheorie von 
Meyer-Overton durch vergleichende Versuche zu prüfen. Die Resultate 
entsprachen nicht den Anforderungen der Theorie. 

L. Zorn-Greifswald: Beiträge zur Pharmakologie der Misehaarkose. 
II. Kombination der Lokalanaesthetiea. (Zeitschr. f. experim. Pathol. u. 
Therapie, Bd. 12, H. 3, S. 529—548.) Bei der Kombination von Lokal- 
anaestheticis erhält man bei Froschversuchen vielfach Resultate, die mit 
dem Gesetz von Bürgi nicht befriedigend übereinstimmen. Während 
die alte Versuchsanordnung nach Türck keine sicheren Resultate ergab, 
war ein Verfahren brauchbar, bei dem die zu prüfenden Substanzen 
direkt auf den Ischiadicus gebracht wurden. Jacoby. 

Siehe auch Innere Medizin: Sardemann, Wirkungen von 
Adregalin und Pilocarpin am Nierensystem. 


Therapie. 

J. H. Garrett-Gheltenharo: Eiseiehiorid bei Herpes tonsnraas 
der Kopfhaut. (Brit. med. journ., 22. Februar 1913, Nr. 2721.) Starke 
Eisenchloridlösung (Liquor ferri perchlorati fortior Ph. Brit.) wird mit 
einem Haarpinsel auf die Kopfhaut gebracht, bis diese gründlich gefärbt 
ist. Die Lösung ist für Haut und Haar ganz unschädlich, die nicht er¬ 
krankten Teile können auch durch einen Verband geschützt werden. 
Die Lösung wird dreimal jeden zweiten, dann sechsmal jeden dritten Tag 
angewandt, wonaoh meist Heilung eingetreten sein wird. Der Schorf 
stösst sich nach einigen Tagen ab und hinterlässt eine gesunde Epidermis. 

Weydemann. 

Eisner und Neader: Chronische Pnrpsra und die Behandlung 
mit tierisehem Serum. (Americ. journ. of med. Sciences, 1913, Nr. 2.) 
Bericht über zwei Fälle, die mit Kaninchenserum sehr günstig beein¬ 
flusst wurden. Verff. empfehlen die Verwendung von stets frisch er¬ 
haltenem Serum, da der Erfolg besser sei. Schelenz. 


Allgemeine Pathologie u. pathologische Anatomie. 

Lambert und Hanes: Beobachtungen an Gewebskaltarea ii 
vitro. (Virchow’s Archiv f. Pathol., Anat. u. PhysioL, Bd. 211, H. 1.) 
Die Technik war die, dass Verff. kleine Tropfen von Blutplasma 
auf sterile Deckgläschen brachten und fein zerriebene Gewebsstücke dazu¬ 
taten. Sie beobachteten Einwachsen der Gewebsstücke in das Plasma 
durch amöboide Bewegung der Zellen (Pseudopodienbildung;. Sarkom¬ 
zellen wandern einzeln, Carcinomzellen nur in Verbänden. Sehr rasch 
häufen sich Fettkörnchen im Zellplasma an, ein Prozess, dessen Zwischen¬ 
stufen zu beobachten ihnen nicht gelang. Sie beobachteten ferner 
Phagocytose und konnten künstlich Riesenzellbildung hervorrufen 
(mehrere Zellen verschmelzen zu einer). Die Gewebe vertrugen eine 
Temperaturerhöhung bis auf 48° ganz gut. Rattentumoren wuchsen gut 
auch auf Meerschweinchenplasma, schlechter auf Kaninchen-, gar nicht 
auf Ziegenplasma. Im menschlichen Plasma trat eine völlige Ver¬ 
flüssigung des Fibrins auf. Benn. 

I. Haja-Tokio*. Die Erzeugung atypischer Epithel- ud Sehleim- 
hantwacherong. (Zeitschr. f. Krebsforsoh., Bd. 12, H. 3.) Bericht über 
eine lange Reihe von Versuchen, bei Tieren atypische Epithel¬ 
wucherungen hervorzubringen, deren Einzelheiten im Original nach¬ 
gelesen werden müssen, Verf. hatte, wie Bernhard Fischer, nur Er¬ 
folg mit Injektionen von Sud an öl, jedoch waren die so erzeugten 
Wucherungen auch keine echten Geschwülste. A. W. Pinner. 

Jaboulay: Die granulierte Substanz der Sareesporidiei bei 
gutartigen epithelialen Tumoren. (Lyon med., 1913, Nr. 8.) J. macht 
auf das Vorkommen von granulierter Substanz im Innern von Sarco- 
sporidien, die bei gutartigen Epitheliomen gefunden werden, aufmerksam. 

A. Münzer. 

H. Rapp - Heidelberg: Was beeinflusst die Ueberimpfbarkeit van 
Mäuse tamoren? (Zeitschr. f. Krebsforsch., Bd. 12, H. 3.) Unter Be¬ 
nutzung der Protokolle über die im Heidelberger 'Krebsinstitut ge¬ 
machten Impfversuche prüft Verf. die verschiedenen Einflüsse, die auf 
die Ueberimpfbarkeit der Tumoren fördernd oder schädigend einwirken 
können. Als solche Einflüsse kommen in Betracht: Alter des Impf¬ 
materials, Jahreszeit, thermische und elektrische Einwirkungen, Ver¬ 
schiedenheit der Stämme der Impftiere. A. W. Pinner. 


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24. März 1018. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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E. Weishaupt - Berlin: Ein embryonaler Seitengang des Daetns 
paretidens und seine Beziehungen zi) einigen Tumoren der Parotis. 
{Archiv f. klin. Chir., Bd. 100, H. 2.) Der Ramus maudib. der Parotis 
• kann beim Menschen als eine in der Regel vorhandene embryonale 
Epithelanlage angesehen werden, die, von ihrer Abgangsstelle getrennt, 
bis zur Geburt nur eine geringe Ausdehnung erlangt und eine vom 
Epithel der Mundhöhle wie von dem des Ductus parotideus abweichende 
Differenzierung erfährt. Bei Tumoren in dieser Gegend der Wangen¬ 
schleimhaut, deren Bau auf die Abstammung von embryonalem Mund¬ 
höhlenepithel oder der embryonalen Parotis hinweist, wird man an diesen 
Seitengang denken müssen. Schliep. 

C. Frottingham-Boston*. lieber* Arterienläsionen hei aknten 
Infektionskrankheiten und über Tierversuche mit nichtinfektiösen 
Toxinen. (Arch. of int. med., Bd. 10, Nr. 2.) Bei 8 von 48 Sektionen 
von Fällen, die an Infektionskrankheiten starben, fanden sich schwere, 
lokalisierte Arterienveränderungen, Wandnekrosen mit Fibrinablagerung 
und zellulärer Infiltration. Der Versuch, degenerative Arterienläsionen 
beim Tier duroh chemische Gifte oder durch Stoffwechselprodukte nach 
doppelseitiger Nephrektomie zu erzielen, schlug fehl. G. Kays er. 

Stein: Veränderungen der Arteria iliaca communis bei Syphi¬ 
litiker!. (Virchow’s Archiv f. Pathol., Anat. u. Physiol:, Bd. 211, H. 1.) 
Verf. stellt neben die Mesaortitis syphilitica Doehle’s und neben die 
Heubner’sche Endoarteriitis syphilitica eine dritte Form der luetischen 
Gefasserkrankungen, die für die Gefässe mittleren Kalibers charakte¬ 
ristisch sei und der vulgären Arteriosklerose sehr nahe stehe. 

Vallordi: Endotheliome der Lymphwege. (Virchow’s Archiv f. 
Pathol., Anat. u. Physiol., Bd. 211, H. 1.) Verf. beschreibt den Fall 
eines Tumors im Mediastinum, dessen Hauptmasse die grossen Brust- 
gefässe noch umlagerte. Die histologische Untersuchung sowie die 
chemischen Reaktionen (keine Fettdegeneration) führen Verf. zu dem 
Schluss, dass es sich um ein primäres Endotheliom der Lymphwege der 
Adventitia der grösseren Mediastinalgefässe handele. 

Tsiwidis: Drüsen ähnliche Epithelbildnng bei Pericarditis» 
(Virchow’s Archiv f. Pathol., Anat. u. Physiol., Bd. 211, H. 1.) Verf* 
fand bei 8 Fällen von 15 untersuchten Pericarditiden kleine kugelige 
Cysten, die von grossen epithelähnlichen Zellen ausgekleidet waren. 
Verf. schliesst sich der Orth’schen Ansicht an, dass es sich dabei um 
Regenerationsbestrebungen erhalten gebliebener Deckzellen des Pericards 
handelt. 

Bernard: Zur Kenntnis der Pleurasarkome. (Virchow’s Archiv 
f. Pathol., Anat. u. Physiol., Bd. 211, H. 1.) Beschreibung eines Tumors 
der rechten Pleurahöhle, dessen mikroskopische Untersuchung über seine 
Natur als Sarkom keinen Zweifel lässt. Einige histologische Besonder¬ 
heiten legen die Vermutung nahe, dass das Endothel der Pleura der 
Ausgangspunkt gewesen sei. Eine definitive Entscheidung vermag Verf. 
nicht zu treffen. 

Simmonds: Ueber lymphatisch Herde in der Schilddrüse. 
(Virchow’s Archiv f. Pathol., Anat. u. Physiol., Bd. 211, H. 1.) In der 
Schilddrüse kommen herdförmige Wucherungen des lymphatischen Ge¬ 
webes unter verschiedenartigen Bedingungen vor. Verf. fand sie in 
75 pCt. aller Basedow-Schilddrüsen, aber nur in 15 pCt. anderer Strumen. 
Aber auch in unvergrösserten, mikroskopisch normal erscheinenden 
Schilddrüsen finden sich öfter solche Herde. Sie kommen wesentlich 
häufiger beim weiblichen Geschlecht vor, sind äusserst selten vor der 
Pubertät, sind besonders reichlich bei anämischen Personen und ganz 
besonders häufig bei hellen Individuen. Eine genügende Erklärung 
für diese Tatsache vermag Verf. nicht zu geben. Benn. 

A. Kutscbera - Innsbruck: Gegen die Wasserätiologie des Kropfes 
und des Kretinismus. (Münchener med. Woohenscbr., 1913, Nr. 8.) 
(Vortrag, gehalten im ärztlichen Verein in München.) 1. Die Kropf¬ 
quellen halten einer Ueberprüfung nicht stand. 2. Kropf- und Kreti¬ 
nismusepidemien werden nur in Wohnungsgemeinsohaften, niemals aber 
in Wassergemeinschaften beobachtet. 8. Die Tierexperimente beweisen 
zum grössten Teil, dass Kropf und Kretinismus zum mindesten auch 
ohne Wasser entstehen können. 4. Die epidemiologischen Erfahrungen 
über Auftreten und Verschwinden von Kropf und Kretinismus in Familien 
und Häusern weisen darauf hin, dass die Ursäche beider Störungen im 
Hause und in der Wohnung in der nächsten Umgebung der Kranken 
oder in diesen selbst zu suohen ist Die Uebertragung der Schädlichkeit 
durch einen Zwischenwirt hat eine grosse Wahrscheinlichkeit für sich. 

Dünner. 

B. Breitner-Wien: Kritische und experimentelle Untersuchungen 
über die kropfigen Erkrankungen der Schilddrüse. (Mitteil. a. d. 
Grenzgeb. d. Med. u. Chir., Bd. 25, H. 5.) Zusammenfassung der Kennt¬ 
nisse und Theorien über die Kropfetkrankungen sowie eigene experi¬ 
mentelle Untersuchungen. Zum kurzen Referat nicht geeignet 

G. Eisner. 

'Roman: Zur Kenntnis des Nenroopitkolioma gliomatosnm. 
(Virchow’s Archiv f. Pathol., Anat. u, Physiol., Bd. 211, H. 1.) Mit¬ 
teilung eines Falles von einem malignen Tumor, teilh epithelialer, teils 
gliöser Natur, der sich wahrscheinlich aus einem Ependympapillom ent¬ 
wickelte und dessen epitheliale Elemente analog dem embryonalen 
Vorgang verschiedene Entwicklungsstufen von Neuraglia gebildet hatten. 

Benn. 


J. Mc Intosh und H. Turnbull - London: Uobertragnng des 
Virus von englischen Fällen von Poliomyelitis auf Affen. (Lancet, 
22. Februar 1913, Nr. 4669.) Ausführlicher Bericht über die ersten 
Fälle von gelungener Uebertragung des Virus von Poliomyelitisfällen aus 
London. Weydemann. 

Gordinier und Sawyer: Primäres Leberadenom, eine hyper¬ 
trophische Lebercirrhose vortänsehend. (Americ. journ. of med. 
Sciences, 1913, Nr. 2.) Krankengeschichte und ausführlicher Sektions¬ 
bericht. Scheie nz. 

Lathes: Ueber Pankreasvergiftnng. (Virchow’s Archiv f. Pathol., 
Anat. u. Physiol., Bd. 211, H. 1.) Verf. injizierte Hunden intra- 
peritoneal reines Pankreassekret, dann zusammen mit Darmsaft, mit 
Kalksalzen, mit Leukocyten und Bakterien und schliesslich mit 
maceriertem Pankreasgewebe. Die typischen Zeichen der Pankreas¬ 
vergiftung traten ein bei der Injektion zusammen mit Darmsaft oder 
mit Pankreasextrakt. Durch beide wird, wie Verf. meint, eine beträcht¬ 
liche Wucherung der proteolytischen Kraft des Sekretes bewirkt. 

Benn. 

L. H. Newburgh - Boston und T. H. Kelly - Cincinnati: Ueber 
den Einfiuss des Taberknlotoxins snf die Nebennieren. (Arch. of int. 
med., Bd. 10, Nr. 3.) Ausgehend von den Untersuchungen von 
Bernard und Bizard, die bei chronischer Tuberkulose eine Sklerose 
und Atrophie der Nebennieren fanden, suchten die Verff. durch Tuber¬ 
kulininjektionen bei Kaninchen eine chronische Nebenniereninsuffizienz 
zu erzeugen. Als Maass für die erzielte Wirkung wurde die Störung 
der glykogenen und der blutdruckbeeinflussenden Funktion angenommen. 
Dabei zeigte sich, dass die am längsten so behandelten Tiere eine er¬ 
hebliche Hypoglykämie bekamen, sonst aber keinerlei Symptome 
Addison’scher Krankheit. Ein aus den Nebennieren der behandelten 
Tiere hergestellter Extrakt hatte eine normale, blutdrucksteigernde 
Wirkung. C. Kays er. 

De Josselin de Jong: Subseröse Adenomyomatose des Dünn¬ 
darms. (Virchow’s Archiv f. Pathol., Anat. u. Physiol., Bd. 211, H. 1.) 
Beschreibung eines klinisch wie histologisch gleich interessanten Falles 
von primär subseröser Adenomyomatose des Dünndarms. Die Ge¬ 
schwülste sassen in der Nähe des Blinddarms; einer hatte eine beträcht¬ 
liche Stenose des Darms bewirkt. Mikroskopisch wurde konstatiert, dass 
die Geschwülste aus einem Gewebe bestanden, das der Uterusschleim¬ 
haut glich, mit anderen Worten aus Adenom. Nirgends war irgendein 
Zusammenhang mit der Darmschleimhaut nachweisbar. Die Adenome 
waren infiltrierend gewachsen und reichten bis in die cirkuläre Muskel¬ 
wand. Am Genitalapparat war kein pathologischer Befund zu erheben. 
Verf. hält dies für den einzigen derartigen Fall, der bekannt sei. 

Benn. 

Siehe auch Psychiatrie und Nervenkrankheiten: Schong, 
Inkubationszeit der Poliomyelitis. 


Parasitenkunde und Serologie. 

K. Saisawa-Berlin: Vergleichende Untersuchungen über den 
Bacillus der Pseudotnberknlose. (Zeitschr. f. Hyg., 1912, Bd. 73, H. 3, 
S. 401.) Verf. hat fünf verschiedene Stämme des Bacillus der Pseudo¬ 
tuberkulose miteinander verglichen, welche morphologisch und kulturell 
keine wesentlichen Unterschiede zeigten. Die Serumreaktionen sowie der 
Pfeiffer’sche Versuch ergaben sehr unsichere Resultate, so dass sie zur 
Identifizierung der verschiedenen Stämme dieser Bakterienart wenig ge¬ 
eignet erscheinen. Dagegen sprach die Prüfung des durch aktive Immuni¬ 
sierung erzielten Impfschutzes gegen die nachfolgende Infektion mit 
lebender Bacillenkultur einwandfrei für die Identität der fünf geprüften 
Stämme. 

K. Saisawa-Tokio: Ueber die Paendotuberkulose beim Menschen. 
(Zeitschr. f. Hyg., 1913, Bd. 73, H. 8, S. 353.) Bei einem japanischen 
Soldaten fand Verf. im Blut einen Bacillus, der nach seinen biologischen 
Eigenschaften, den Ergebnissen der Tierversuche und den pathologisch¬ 
anatomischen Untersuchungen zu den Pseudotuberkelbacillen gehört, wo¬ 
mit ein neuer Beweis für das Vorkommen der baciHären Pseudotuber¬ 
kulose bei Menschen erbracht ist. Der von dem Kranken gewonnene 
Bacillus war identisch mit dem Pfeiffer’schen Pseudotuberkelbaoillus der 
Nagetierö. 1 Möllers. 

F. Neufeld, H. Dold und E. A. Lin de mann-Gross-Lichterfelde: 
Ueber Passageversnche mit menschlichem Tnberknlosematerial nach 
der Methode von Eber. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., I. Abt., Orig., 
Bd. 65, H. 6 u. 7, S. 467.) Die Verfasser teilen Versuche mit, die unter¬ 
nommen wurden, um die Behauptung Eber’s nachzuprüfen, dass es nach 
einer von ihm angegebenen Methode gelinge, humane Tuberkelbacillen 
m bovine umzuwandeln. Die einwandfreien Versuchsergebnisse beweisen 
das Gegenteil. Weitere Untersuchungen mit demselben Material, die 
gleichzeitig teils von Eber, teils vom Kaiserlichen Gesundheitsamt aus¬ 
geführt werden und bei der Wichtigkeit der Frage zu begrüssen sind, 
sind im Gange. Bierotte. 

■'E. Quern er - Hamburg: Vorkommen von Tabefrkelbacillen im 
strömenden Blnte. (Münchener med. Wochenschr., 1918, Nr. 8.) Zum 
Nachweis von virulenten Tuberkelbacillen im strömenden Blute bei 
87 Patienten mit chronischer Lungentuberkulose aller Stadien bediente 
sich Q. lediglich des Tierversuches; auf mikroskopische Untersuchungen 


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UNIVERSUM OF IOWA 


556 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 12. 


verzichtete er vollkommen. In keinem einzigen Falle waren Bacillen 
nachweisbar. Zu ganz anderen Resultaten gelangte 

£. Rosenberg - Hagen: Vorkommen von Tuberkelbacillen im 
strömenden Blnte. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 8.) Aller¬ 
dings hat er lediglich die mikroskopische Untersuchung angewandt (die, 
wie die neueste Literatur zeigt, keinen Anspruch auf exakte Resultate 
erheben kann. Ref.). R. fand fast in allen Fällen von Lungen- und 
chirurgischer Tuberkulose Bacillen im Blute, die er für Tuberkelbacillen 
hält; bei Gesunden will er keine Bacillen gefunden haben. 

Dünner. 

K. Bundschuh-Darmstadt: Kann man in einem gesunden Tier 
Tuberkulose-Antikörper erzeugen? (Zeitschr. f. Hyg., 1913, Bd. 73, 

H. 3, S. 427.) Vorstehende Frage glaubt Verf. bejahen zu müssen. 
Nach seinen Untersuchungen ist es möglich, in gesunden, tuberkulös 
nicht infizierten Versuchstieren mit Tuberkulin, das keinerlei körper¬ 
liche Elemente enthält, Antikörper zu erzeugen. Wenn der Titer der 
verschiedenen Tiere auch kein sehr hoher war, so steht er doch hinter 
demjenigen, den andere Autoren mit Hilfe von tuberkulös infizierten 
Tieren erhielten, nicht zurück. Selbstverständlich soll damit nicht be¬ 
hauptet werden, dass zur Erzeugung von Tuberkulose-Antikörpern nur 
Tiere verwendet werden sollen, die vorher nicht infiziert waren. 

J. Kritschewsky und 0. Bierger-Moskau: Zur Frage über das 

Verhältnis des Baeillus leprae Hansen zu einigen bei Lepra gezüchteten 
Mikroorganismen. (Zeitschr. f. Hyg., 1913, Bd. 73, H. 3, S. 509.) Verff. 
halten eine von Kedrowsky aus leprösem Material gezüchtete Kultur 
für identisch mit dem Bacillus leprae Hansen, denn das Serum von 
Leprösen enthielt in gleichem Maasse spezifische komplementbindende 
Antikörper sowohl gegen die Kultur von Kedrowsky als auch gegen 
Antigene aus Lepromen, in denen sich die Hansen-Stäbchen befanden. 
Der Tuberkelbacillus steht in naher Verwandtschaft zum Bacillus leprae 
Hansen und zu seiner reinen Kultur, als welche in dieser Arbeit die 
Kultur von Kedrowsky auftritt. Das Serum von Leprösen zeigt nach 
den Untersuchungen der Verff. keine Fähigkeit, mit jedem bakteriellen 
Antigen Komplement zu binden. Möllers. 

H. A. Gins-Frankfurt a. M.: Znr Färbung der Diphtheriebacillen. 
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.) Durch Einschaltung einer 
kurzdauernden Behandlung mit Lugol’scher Lösung, die 1 pCt. Milch¬ 
säure enthält, zwischen die beiden Phasen der M. Neisser*sehen Doppel¬ 
färbung erhält man eine prägnantere Zeichnung des ganzen Bacillen¬ 
leibes und stärkeres Hervortreten der Polkörper beim Diphtheriebacillus. 
Die Spezifität der Reaktion wird dadurch nicht verändert. 

Wolfsohn. 

M. Taute-Deutsch-Ostafrika: Zur Morphologie der Erreger der 
Schlafkrankheit am Rovumafluss (Deutsch-Ostafrika). (Zeitschr. f. Hyg., 
1913, Bd. 73, H. 3, S. 556.) Die Erreger der im deutschen Rovuma- 
gebiet aufgetretenen Schlafkrankheit zeigen nach den Feststellungen des 
Verfassers im Affenblut die für das Trypanosoma rhodesiense beschriebenen 
Charakteristika. Möllers. 

Fr. Aenstoots-Stephansfeld i. E.: Waebstumsbemmungen von 
Rnhrbacillen auf Malachitgrünagar. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 

I. Abt., Orig., Bd. 65, H. 6 u. 7, S. 583.) Auf Malachitgrünagar zeigen 

Dysenteriebacillen stark vermindertes bzw. gar kein Wachstum. Dieses 
Verhalten ist eventuell zur Identifizierung derartiger Stämme zu. ver¬ 
werten. Bierotte. 

D. M. ßertrand und A. Berthelot: Ptomainerzeugende Bakterien 
in der Flora des menschlichen Darmes. (Lancet, 22. März 1913, Nr. 4669.) 
Es gelang den Verfassern, aus menschlichen Stühlen ein Bacterium zu 
isolieren, das /Mmidazoläthylamin bilden kann. Es ähnelt morphologisch 
und kulturell dem Friedländer’schen Bacillus und dem Bacillus lactis 
aerogenes. Die biologischen Eigenschaften, namentlich sein Verhalten 
gegenüber den verschiedensten Kohlehydraten und stickstoffhaltigen 
Körpern, werden beschrieben. Das /Mmidazoläthylamin kann aus Histidin 
gebildet werden in Gegenwart von Pepton oder einer Mono- oder Di- 
aminosäure aus Kasein; muss der Bacillus seinen N-Bedarf aus anorgani¬ 
schen Ammonsalzen decken, so wird das /Mmidazoläthylamin nicht ge¬ 
bildet, sondern nur Imidazolpropionsäure. Die Verfasser konnten aus 
Stühlen noch zwei andere, vom genannten Bacillus aminopbilus intesti¬ 
nalis verschiedene Bakterien züchten, die ebenfalls /Mmidazoläthylamin 
bilden können; sie fanden sich aber nur in Stühlen von Menschen, die 
an Autointoxikation litten, nicht in denen Gesunder. 

Weydemann. 

S. Zarzycki-Wien: Verwertbarkeit der Aeetonextrakte bei der 
Meiostagminreaktion. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 8.) Infolge 
der leichten Herstellung und langen Haltbarkeit des Acetonlecitbin- 
extraktes ist die Reaktion praktisch leichter ausführbar. Einen voll¬ 
kommenen Ersatz für die aus Carcinom und Pankreas hergestellten 
Antigene bildet das Extrakt nicht. Der positive Ausfall der Reaktion 
ist fast sicher, der negative dagegen nicht verwertbar. 

R. Köhler und A. Luger-Wien: Znr Meiostagminreaktion. (Wiener 
klin. Wochenschr., 1913, Nr. 8.) Nach einer Mitteilung in der Sitzung 
der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien am 24. Januar 1913. Referat 
siehe den Sitzungsbericht. P. Hirsch. 

K. E. Boehncke und K* Bierbaum-Frankfurt a. M.: Ueber die 
Bedeutung der Eiweisssnbstanzen des Nährmedinms für die Anapbyla- 
toxinabspaltang ans Bakterien. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., I. Abt., 


Orig., Bd. 65, H. 6 u. 7, S. 504) Die von Besredka und Strobel 
vertretene Auffassung des Bakterienanaphylatoxins als eines aus dem 
Pepton des Nährbodens entstandenen Giftes trifft nach den Unter¬ 
suchungen der Verfasser nicht zu: sowohl Bakterien von peptonfreien 
wie auch von eiweissfreien Nährböden besitzen die Fähigkeit der Ana- 
phylatoxinabspaltung. Bierotte. 

A. Brügge mann-Kiel: Beitrag zur Serumdiagnose maligner 
Tomoren (KeÜing’scbe hämolytische Proben, Asholi’sche Meiostagmin¬ 
reaktion und Wassermann’sche Reaktion). (Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. 
Med. u. Chir., Bd. 25, H. 5.) Kelling hatte gefunden, dass Serum von 
Tumorpatienten stärkere und schnellere Hämolyse für rote Hühnerblut¬ 
körperchen zeigt als das Serum anderer Kranker oder Gesunder. Verf. 
untersuchte das Serum von 159 Patienten und 16 Graviden. Es ist auf¬ 
fallend, dass die Tumorpatienten viel häufiger stärkere Hämolyse zeigen. 
Verf. glaubt nicht, dass die Tumorbildung die Ursache hierfür ist, viel¬ 
mehr ist er der Ansicht, dass die betreffenden Sera entweder stärkeren 
Gehalt an natürlichen Hämolysinen aufweisen oder Zerfallsprodukte der 
Tumoren (besonders des Magen-Darmtractus) die Hämolyse unterstützen. 
Gravide zeigen auffallend oft ebenfalls gesteigerte Hämolyse. Die Meio¬ 
stagminreaktion wurde in 70 Fällen, darunter 40 Tumoren, geprüft. 
Positive Resultate nur bei malignen Tumoren, und zwar in 52,5 pCt. 
Die Meiostagminreaktion ist für maligne Tumoren keine spezifische 
Reaktion, kann aber trotzdem als diagnostisches Hilfsmittel angesehen 
werden. Die Wassermann’sche Reaktion war bei 18 Patienten mit 
malignen Tumoren negativ. G. Eisner. 

K. E. Boehnke • Frankfurt a. M.: Beobachtungen bei der Chemo- 
Serotherapie der Pneumokokkeninfektion. (Münchener med. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 8.) Wenn man Pneumokokkenserum und Aetbylbydro- 
cuprein kombiniert bei experimentellen Pneumokokkeninfektionen an wendet, 
so genügen schon Dosen zur Erzielung von Schutz- und Heilwirkungen, 
die jede für sich gar keinen Einfluss ausüben. Es würde sich also 
empfehlen, diese Kombinationstherapie auch bei der menschlichen Pneu¬ 
monie zu versuchen. Dünner. 

H. Liefmann-Berlin: Ueber Vibriolysin. (Zeitschr. f. Hyg., 1913, 
Bd. 78, H. 3, S. 421.) Studie über die Wirksamkeit des Lysins eines 
vom Institut Robert Koch erhaltenen Vibrionenstammes gegenüber 
Hammelblut. Möller. 


Innere Medizin. 

0. Müller und B. Forst er-Tübingen: Zur Frage des Herzscblag- 
VoUmen8. 2. Mitteilung. (Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie, 
Bd. 12, H. 3, S. 472—488.) In dieser Mitteilung werden kritisch und 
experimentell die Einwände diskutiert, welche von anderen Autoren gegen 
die Versuche Müller’s gemacht worden waren. 

0. Müller und Th. Oesterlen-Tübingen: Zur Frage des Herz- 
scblagvolumens. 3. Mitteilung. (Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie, 
Bd. 12, H. 3, S. 489—500.) Die mit Mül ler’s früherer Methode der 
sogenannten centralen Flammentachographie bei der Einwirkung von 
Bädern und Arzneimitteln erhaltenen Resultate waren richtig, während 
die gasanalytischen Methoden anderer Autoren zu unzutreffenden Re¬ 
sultaten geführt haben. Die klinische Verwendbarkeit der Methodik hat 
ihre Grenzen; die Methode gibt aber zurzeit genauere Aufschlüsse als 
andere Verfahren. Die centrale Flammentachographie wird durch die 
Schreibung des centralen Pulses nach Frank zu ersetzen sein, bis es 
möglich ist, die Druckamplitüde centraler Gefasse nicht nur nach 
relativem, sondern auch nach absolutem Maass darzustellen. 

K. Kur6-Tokio: Klinische Beobachtungen über den Einfluss der 
Vaguserregung auf das Auftreten heterotoper Herzreize. (Zeitschr. f. 
experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 12, H. 3, S. 460—471.) In zwei Fällen 
wurde durch Analyse gleichzeitig aufgenoramener Arterienpuls- bzw. Herz- 
spitzenstoss- und Venenpulskurven das Vorhandensein einer heterotopen 
Bradycardie festgestellt, die auf Vaguserregung zu beziehen ist. 

J a c o b y. 

Hecht: Zur physikalisch-diätetischen Behandlung pathologischer 
Blutdrueksteigernngen. (Zeitschr. f. Balneol., Jahrg. 5, Nr. 22.) Hecht 
schildert die physikalisch-diätetische Behandlung pathologischer Blut¬ 
drucksteigerungen. Die beobachteten Fälle sind teils mit Adiposita* 
kombiniert, teils zeigen sie deutliche Albuminurie; in einer dritten 
Gruppe vereinigt H. die Fälle, bei denen sich relativ quantitative Ueber- 
ernährung ohne Albuminurie findet. Bei der Behandlung spielt neben 
Ruhe und physikalischen Anwendungen die Diät die Hauptrolle; sie 
muss reizlos sein, die Fleischzufuhr ist zu vermindern, dafür mehr für 
vegetabilische Kost und Mineralsalzzufuhr zu sorgen, die Flüssigkeit 
— besonders der Alkohol — und die Kochsalzzufuhr einzuschränken. 

E. Tobias. 

S. G. Shottock-London: Verschluss der Vena cava inferior als 
Folge eines inneren Traumas. (Brit. med. journ., 22. Februar 1913, 
Nr. 2721.) Pat. erkrankte 1884 nach einem Wettlaufe, bei dem er den 
Atem angehalten hatte, mit Oedem der unteren Körperhälfte, die monate¬ 
lang anhielt. Gleichzeitig trat Albuminurie auf, die bis zum Tode 1909 
anbielt. Nach dem Tode fand sich völliger Verschluss der unteren Hohl¬ 
vene und ihrer Aeste, was der Verf. dadurch erklärt, dass die Intima 
der Vene beim Anhalten des Atems gerissen sei und nun ähnlich wie 
beim Aneurysma dissecans der Aorta ein Varix dissecans entstanden sei. 


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24. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


557 


Durch dieses Hämatom der Venenwand sei das Lumen der Hohlvene so 
verengt worden, dass Thrombose eingetreten sei. Weydemann. 

A. Wagner - Jena: Beitrag zur Aderlasstherapie bei Polycythämie. 
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 8.) Systematische Aderlässe 
bei Polycythämie bringen subjektive Erleichterung; sie sind bei sekun¬ 
därer Hyperglobulie indiziert, wenn das primäre Leiden nicht zu beein¬ 
flussen ist. Der Erfolg liegt wohl in der Steigerung der Sauerstoff¬ 
kapazität des Blutes; da bei primärer Polycythämie die Sauerstoff¬ 
kapazität des Blutes und der Gaswechsel gesteigert sind, so ist in diesen 
Fällen von regelmässig wiederholter Blutenlziehung kein Erfolg zu er¬ 
warten, ja sie ist sogar kontraindiziert. Dünner. 

M. Rosen borg-Berlin: Die Bedeutung der intrueutunen Tiber- 
kilinreaktion für die Diagnose und Prognose der Lngentnberkulose. 
(Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie, Bl 12, H. 3, S. 549—563.) 
Die intracutane Tuberkulinreaktion ist in bezug auf ihre diagnostischen 
Leistungen bei Lungentuberkulose der Ophthalmoreaktion zum mindesten 
ebenbürtig, wenn man Vso ooo und Vkoo ooo com Tuberkulin zur Injektion 
benutzt und bei der ersten Verdünnung nur den negativen, bei der 
zweiten nur den positiven Ausfall verwertet. Sie verdient daher, in 
allen den Fällen an Stelle der Ophthalmoreaktion angewandt zu werden, 
wo eine Kontraindikation für' diese besteht. Bei Ausschluss einer rheu¬ 
matischen Diathese, sowie in erst beginnenden Tuberkulosefällen ist die 
Intracutanreaktion der Ophthalmoreaktion überlegen und verdient vor 
ihr, trotz der etwas umständlichen Technik, den Vorzug. Jacoby. 

L. Hofbauer-Wien: Entstehung und Bekämpfung der konsekutiven 
Störungen bei Pleuraschwarte. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, 
Nr. 8.) Die Atelektase der unteren Lungenpartien und die Zirkulations¬ 
störungen sind durch den Tiefstand des Zwerchfells veranlasst. Zwecks 
Hochtreibung des Zwerchfells und konsekutiver Hebung seiner Muskel¬ 
leistung ist Lagerung auf die kranke Seite, späterhin aktive Bauoh- 
atmung zu empfehlen. P. Hirsch. 

F. Oeri-Braunwald: Erstickingsanfall infolge Durehbriehs einer 
tuberkulösen Drüse in den Broickns. (Münchener med. Wochenschr., 
1913, Nr. 8.) 16jähriger Knabe mit Bronchialdrüsentnberkulose. Bei 

einem heftigen Hustenanfall plötzlich Cyanose, Erstickungssymptome. 
Künstliche Atmung fördert Stücke verkästes Drüsengewebe hervor. 
Patient erholte sich. Dünner. 

H. T. Giliett- Oxford: Taceiiebehandlnig bei chronischer 
Bronchitis. (Brit. med. journ., 22. Februar 1913, Nr. 2721.) Kranken¬ 
geschichten. Die Vaccine soll von frischen Kulturen von Mikroorganis¬ 
men des Auswurfs bereitet werden, Subkulturen sind zu vermeiden. Er¬ 
hitzen der Kulturen nur 15 Minuten auf 60° oder nur Zusatz von 
0,5 pCt. Phenol. Die Dosis soll gross genug seio, um eine Reaktion 
hervorzurufen, aber zu lange negative Phasen sind zu vermeiden. 

Weydemann. 

J. Severin-Breslau: Ueber Pieraokokkensepsis und Pneumo- 
kokkenmeningitis im Anschluss an kalkulös purulente Cholecystitis 
und abscedierende Cholangitis. (Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir, 
Bd. 25, H. 5.) Beschreibung zweier Fälle von Pneumokokkensepsis und 
Pneumokokkenmeningitis, die von Pneumokokkeninfektion der Gallenwege 
ihren Ursprung genommen hatten. G. Eisner. 

A. Castellani-Colombo: Typhus- und Paratyphusbehandluug 
mit lebender, abgeschwächter V&eciue; gemischte Vaccine. (Lancet, 
1. März 1913, Nr. 4670.) Die lebende Typhusvaccine wird von einem 
alten, nicht virulenten Stamm gezüchtet und eine Stunde lang auf 49 
bis 50 9 erhitzt. Die erste Dosis beträgt 500 Millionen, später mehr. 
Es folgt auf die Einspritzung eine allgemeine und lokale Reaktion, die 
vielleicht etwas stärker ist als bei toten Vaccinen. Die Dauer der Im¬ 
munität berechnet der Verf. auf 1—2 Jahre. Die Vaccine ist ganz 
harmlos und macht keinen Bacillenträger, wie an Versuchen an Mensohen 
nachgewiesen ist. Agglutinine im Blut treten 8—10 Tage nach der In- 
oculation auf; ihre Menge im Blut ist verschieden, aber C. hat nie eine 
sehr hohe Agglutinationsgrenze beobachtet. Die Vaccine ist lange halt¬ 
bar, sowohl auf Eis als bei Zimmertemperatur. Aebnlich wird eine 
lebende Cholera- und Dysenterievaccine hergestellt; die Choleravaccine 
darf nur auf 45—48° erhitzt werden und* muss frisch verbraucht werden. 
Die Reaktion ist viel heftiger als bei toter Vaccine. Dysenterievacdihe 
muss statt mit Bouillon mit Peptonwasser hergestellt werden, sonst 
macht ihre Einspritzung sehr schmerzhafte Infiltrate. Bei gemischten, 
aus 2—3 Bakterien arten bestehenden Vaccinen bringt jeder Bacillus, 
unabhängig vom anderen, die spezifische Immunität hervor; so hat der 
Verf. eine Vaccine bereitet aus zwei Teilen Typhus und je einem Teile 
Paratyphus A undß; nur ist zu bemerken, dass die Menge der Aggluti¬ 
nine für den Bacillus paratyphi A oft sehr gering ist» 

J » ; * '* ' 'Weydemann. 

E. ( F. Du Bois-New York: Ueber Nahrungsabsorption beim Typhus. 
(Arch. of int. med., Bd. 10, Nr. 3.) Typhuskrinke absorbieren Kohle¬ 
hydrate und iüiweiss wie gesunde Individuen. Auch grosse Fettmengen . 
können verarbeitet werden, doch steht deren Prozentsatz besonders im 
Frühstadium der Krankheit hinter dem normalen Werte zurück. 

C. Kayser. 

Hirsohkowitz-Kissingen: Rüstweim als Diaetetieum. (Münchener 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 8.) Beitrag für den Diätzettel bei Obsti¬ 
pation, Neurasthenie, Herzleiden usw. Weizenkörner, hell geröstet und 


zu einem grobkörnigen Pulver zermahlen, haben reiohen Cellulosegehalt 
und sind infolgedessen ein sehr gutes DarmmassagemitteL 

Dünner. 

Determanji: Die diätetische Behandlung der Funktionsstörungen 
des Mageadamkaaals auf pathologisch-physiologischer Basis. Nach 
einem Fortbildungsvortrag. (Zeitschr. f. physikal. u. diätet. Therapie, 
März 1913.) Determann beginnt mit einem Ueberblick über die Be¬ 
wegungsvorgänge, die Sekretionen und die Fermentwirkung, die Re¬ 
sorptionsvorgänge und die Bedeutung der Bakterien im Magendarmkanal 
und stellt an der Hand der Hauptgruppen der Magendarmkrankheiten 
zusammen, was aus den Ergebnissen der experimentellen Forschung für 
die diätetische Behandlung der Magendarmfunktionsstörungen resultiert. 
Die unklaren Begriffe „Magenstörung“, „Darmstörung“ müssen durch 
klare Diagnosen auf pathologisch-physiologischer Basis ersetzt werden, 
zu denen wir uns aller zu Gebote stehender Methoden der ausgebildeten 
Diagnostik bedienen sollen. E. Tobias. 

G. Sardemann-Düsseldorf: Ueber die Wirkungen von Adrenalin 
Bild Pilocarpin am vegetativen Nierensystem gesunder und kranker 
Menschen. (Zeitsohr. f. experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 12, H. 3, 
S. 501—522.) Menschen, die allgemein nervöse Erscheinungen oder eine 
besondere Erregung in einem der vegetativ innervierten Organe dar¬ 
bieten, reagieren kräftiger auf Adrenalin und Pilocarpin als völlig gesunde 
Individuen. Jacoby. 

Brosch: Die akute parenchymatöse Nephritis als baineothera¬ 
peutisches Problem. (Zeitschr. f. Balneol., Jahrg. 5, Nr. 23.) Man kann 
die akute Nephritis anf dreifache Weise behandeln: mit der Verdünnungs¬ 
methode (Behandlung durch kopiöse enterale Wasserspülungen), durch 
Ionenkorrektur (Behandlung durch kopiöse enterale Spülungen mit hypo¬ 
tonischen Na-freien Antagonistenlösungen), durch Salzbehandlung mit 
hohen Kozentrationen (orale Verabreichung hoher Salzdosen, Klysmen mit 
mehrfach hypertonischen Salzlösungen). Auch bestimmte Kombinationen 
sind möglich. E. Tobias. 

L. Hess und B. v. Frisch-Wien: Ueber ein Phosphatid im 
menschlichen Har». (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 8.) In acht 
Fällen von langdauernden Narkosen gynäkologisch kranker Frauen haben 
dieVerff. im Harn ein acetonunlösliches, ätherlösliches, phosphorhaltiges 
rechtsdrehendes Lipoid nachgewiesen. Es ist möglich, dass das Phos- 
phatid durch eine infolge der protrahierten Narkose herbeigeführte Lipoid¬ 
einschmelzung im Bereich des Nervensystems entsteht. 

P. Hirsch. 

E. Blumenfeldt-Berlin: Beiträge zur Kaliausscheiduag unter 
normalen und pathologischen Verhältnissen. (Zeitschr. f. experim. Pathol. 
u. Therapie, Bd. 12, H. 3, S. 523—528.) Bei Herz- und Nierenkranken 
werden Kalisalze leicht retiniert, während das bei Gesunden nicht der 
Fall ist. Jaooby. 

J. Henderson - Glasgow: Bemerkungen zu einem Falle von Bence- 
Jones’scher Eiweissausscheidung. (Lancet, 22. Februar 1913, Nr. 4669.) 
Der Verf. konnte feststellen, dass sein Bence-Jones’scher Eiweisskörper 
sich fast in jeder Hinsicht gerade so verhält, wie es Hopkins und 
Savary beschrieben haben, so dass er als mit deren Substanz identisch 
angesehen werden kann. Weydemann. 

Schilling: Entwicklung, Resorption und Elimination der Darm- 
gase. (Zeitsohr. f. physikal. u. diätet. Therapie, März 1913.) Schilling 
bespricht die Entstehung, Entwicklung, Resorption und Elimination der 
Darmgase und in Kürze auch die Therapie, die erforderlich ist, sobald 
die Gasbildung zur Flatulenz ausartet. E. Tobias. 

Siebe auch Therapie: Elsner und Neader, Chronische Purpura 
und die Behandlung mit tierischem Serum. — Pathologie: Breitner, 
Kropfige Erkrankungen der Schilddrüse, v. Kutschern, Gegen die 
Wasserätiologie des Kropfes und Kretinismus. — Parasitenkunde und 
Serologie: Saisawa, Pseudotuberkulose beim Menschen. Boehnke, 
Chemo-Serotherapie der Pneumokokkeninfektion. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Podzalnarsky: Eine Bemerkung zum Artikel: Die Anwendung 
der physikalischen Heilmethoden znr Behandlnng von centralen Er¬ 
krankungen. Geheimrat Goldsoheider. (Zeitschr. f. physikal. und 
diätet. Therapie, März 1913.) Prioritätsdiskussion. E. Tobias. 

C. Schong-Linköping (Schweden): Die Länge der Inkubationszeit 
bei der akuten Kinderlähmung (Heine-Medin’schen Krankheit). (Deutsche 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.) In einigen Fällen war es möglich, 
die Inkubationszeit zu berechnen. Sie beträgt ungefähr vier Tage. Eine 
Uebertragung der Krankheit durch Stechfliegen ist unwahrscheinlich. 
Viel eher anzunehmen ist eine direkte Ansteckung durch Mund- und 
Nasensektet.' Wolfs ohm 

HaSkovec: Laterale Deviation der Finger der Hand. (Neurol 
Centralbl., 1918, Nr. 5.) H. schildert einige Fälle von lateraler Deviation 
der Finger. Man sieht dieselbe nicht nur nach mechanischen Insulten 
und chronischen Gelenkaffektionen, sondern auch durch Rigidität der 
kleinen Handmuskeln bedingt. In letzterem Falle erklärt sie sich mit 
der Erklärung der Kontrakturen überhaupt als Ausdruck einer Inklination 
zu Kontrakturen bei Läsionen der Pyramidenbahn und bei organischen 
Gehirnstörungen sowohl bei Läsionen der motorischen als auch der 
sensiblen Bahnen. Sie kann auch als reio funktionelle Erscheinung bei 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 12. 


einer traumatischen Neurose auftreten, in deren Symptomenkomplex sie 
als objektives Symptom einer wirklichen Erkrankung des Nervensystems 
Bedeutung beansprucht. 

R. Strasmann: Sehr seltene Formen von amyotrophiseher Lateral¬ 
sklerose. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 5.) Fall von amyotrophiseher 
Lateralsklerose mit abnormem Verlauf und Lokalisation vorwiegend in 
allen grossen Hand- und Fingerbeugern und dadurch erzwungener Aus¬ 
nutzung der sehr geschickt gewordenen kleinen Handmuskeln zu allen 
Greifbewegungen. Eine abnorme Kiemenanlage, die als „angeborene 
Halsfistei“ erkannt und operiert wurde, ist ein Hinweis darauf, dass 
vielleicht auch eine abnorme Anlage des Nervensystems bei der centralen 
Erkrankung eine Rolle gespielt hat. E. Tobias. 

W. G. Mc Callum - New York: Uebererregbarkeit der Nerven bei 
Tetanie. (Mitteil. a. d. Gronzgeb. d. Med. u. Chir., Bd. 25, H. 5.) Die 
Uebererregbarkeit des neuromuskulären Apparates bei Tetanie stellt eine 
wenigstens ebenso grosse Veränderung im peripheren Abschnitt wie im 
centralen Nervensystem dar. Der periphere Abschnitt eines Neurons 
kann übererregbar gemacht werden durch Bespülung mit tetanischem 
Blute, während der centraler gelegene Teil in seinem normalen Zustande 
verharrt. Es ist begreiflich, dass die Nervenendigung besonders affiziert 
ist, da Schwankungen in der Erregbarkeit des Muskels auf direkte 
Reizung nicht deutlich sind. Jene Uebererregbarkeit ist durch Ver¬ 
änderungen in der Beschaffenheit des kreisenden Blutes hervorgerufen. 
Diese können in der Anwesenheit eines bestimmten kreisenden Toxins 
bestehen, und dies Toxin kann wieder durch Entziehung von Calcium 
wirken, da Durchströmung mit oxalisiertem Blute Wirkungen hervorruft 
gleich denen, die der Durchströmung mit tetanischem Blute folgen. 

G. Eisner. 

Stewart: Progressiver Myotonus bei einer myodonisehen Kranken. 

(Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 5.) Krankengeschichte eines an Myoclonus 
leidenden Mädchens aus belasteter myoclonischer Familie, das an 
tonischem Spasmus in besonderen Muskelgruppen leidet. Elektrische 
Reaktionen, Reflexe und Sensibilität normal. Am auffallendsten ist 
die progressiv zunehmende Deformität der Schulterblätter. 

E. Tobias. 

Siehe auch Kinderheilkunde: Hamburger, Psychische Be¬ 
handlung im Kindesalter. Chirurgie: 0. Hildebrand, Chirurgie der 
hinteren Schädelgrube. Pathologie: v. Kutschera, Gegen die Wasser¬ 
ätiologie des Kropfes und Kretinismus. 


Kinderheilkunde. 

F. Hamburger-Wien: Ueber psychisch* Behandlung im Kindes¬ 
alter. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 8.) Psychische Traumen 
in Form von Kränkungen durch wirkliche oder vermeintliche Ungerechtig¬ 
keit können typische Erscheinungen von Neurasthenie hervorrufen. 
Gelingt nun die wirkliche Entfernung des Traumas, so erzielt man 
geradezu glänzende Heilresultate (Methode der Katharsis). Lässt sich 
das psychische Trauma nicht mehr ungeschehen machen, so ist die Ab¬ 
lenkung (Abstraktion) oder die Hypnose anzuwenden. Die Wach¬ 
suggestion ist vom zweiten Lebensjahr an mit Erfolg verwendbar, und 
zwar für Krankheitserscbeinungen des wachen Zustandes und für solche 
des Schlafes. Vorzügliche Dienste leistet die Suggestivbehandlung zur 
Entfernung des „psychogenen Restes“ nach organischen Erkrankungen 
(z. B. nach Keuchhusten). P. Hirsch. 

A. Epstein - Prag: Das Ohrringsteehen und seine Gefahren, ins¬ 
besondere die tuberkulöse Ansteckung der Stichöffnungen. (Zeitschr. f. 
Kinderheilk., Bd. 4, H. 5.) Nach Besprechung der verschiedensten 
Formen von Komplikationen des Ohrringstechens berichtet E. über zwei 
Fälle von Erkrankungen, die im unmittelbaren Anschluss an das Durch¬ 
stechen der Ohrläppchen begannen. Die Stichkanäle bildeten den 
primären Ausgangspunkt einer Tuberkulose der Ohrläppchen. Die Tuber¬ 
kulose erwies sich klinisch als typische Inoculationstuberkulose. 

J. v. Bökay - Budapest: Ueber die infantile Lithiasis in Ungarn. 
(Zeitschr. f. Kinderheilk., Bd. 4, H. 5.) B. beweist an der Hand seines 
reichen (1S36 Fälle) statistischen Materials, dass die Harnsteinkrankheit 
der Kinder in Ungarn hauptsächlich im Tiefland vorkommt. Aetiologisch 
bringt er nicht in jedem Falle die Lithiasis der Kinder mit der Nieren¬ 
infarktbildung in Einklang. Es haben nur 4 pCt. Mädchen seines 
Materials Steinbildungen. Dagegen leistet die Phimose und Verlötung 
des Präputiums mit der Glans der Entwicklung der infantilen Stein¬ 
bildung meist Vorschub. Der Ansicht familiärer Disposition schliesst er 
sich für die Erkrankung des Kindesalters nicht an. 

R. Zischl-Prag: Was lehrt mein Rachitismaterial? (Zeitschr. f. 
Kinderheilk., Bd. 4, H. 5.) 1. Die Zahl der Rachitisfälle steigt in den 
Frübjährsmonafen an,' mit Beginn des Sommers fällt sie jäh Ab und 
bleibt im Herbst und Winter fast auf /dem Nullpunkt. 2. Die Reihen¬ 
folge des Eintritts der rachitischen Symptome vollzieht sich derart, dass 
sich dem Alter der Patienten entsprechend a) Kopfschweisse, b) Frosch¬ 
bauch, c). Craniotabes, d) Verdickung der chondrocostalen Epiphysen, 
e) rachitischer Querkopf, Caput natiforme usw., f) Verdickung der Epi¬ 
physen an den langen Röhrenknochen und Perlschnurfinger, g) Wirbel¬ 
säulenverkrümmungen und Deformation des Thorax, b) „Belastungs¬ 
deformitäten“ konstatieren lassen. Dieser zeitliche Ablauf der Ver¬ 
änderungen gestatte auch ein gewisses Urteil über das Alter der jeweils 


vorliegenden Rachitis. 3. In den ersten drei Lebensmonaten lassen sich 
bei einer nicht allzu geringen Zahl von Kindern schon Rachitissymptome 
nachweisen, doch steht die Hauptzahl der rachitischen Kinder im zehnten 
bis zwölften Monat. 4. Die Ernährungsweise übt nur auf den Grad der 
vorhandenen Rachitis einen unleugbaren Einfluss aus. 5. Deutlicher 
Zusammenhang der Spasmophilie und der Rachitis. Die Tetaniehöhe 
geht dem Gipfelpunkte der Rachitiskurve zeitlich voraus (Februar, März 
bis Juni, Juli); die Schädigung durch die unbekannte Noxe manifestiert 
sich zeitlich früher am Nervensystem als an den wachsenden Knochen. 

A. Gold re ich-Wien: Zur klinischen Diagnostik der latente* Lies 
hereditaria (mit besonderer Berücksichtigung der Cubitaldrüsen. (Zeit¬ 
schrift f. Kinderheilk., Bd. 4, H. 5.) G. fasst die Symptome, auf Grund 
deren man berechtigt ist, die Diagnose der latenten Lues hereditaria zu 
stellen, folgendermaassen zusammen: 1. Hydrocepbalus mässigen Grades, 
2. Caput natiforme, das dadurch entsteht, dass durch starke periostale 
Wucherung der Stirn und Scheitelhöcker der Schädel in longitudinaler 
Richtung eine muldenförmige Verdickung aufweist; 3. olympische Stirne; 
dieses Stigma ist die Folge frühzeitiger periostaler Wucherungen der 
Stirnhöcker, wodurch die Höcker sehr deutlich hervortreten und die 
abnorm breite und abnorm hohe Stirn stark gewölbt erscheinen lassen; 
4. Coryza, Destruktion der Nasenwurzel, Sattelnase und auffallende 
Flachheit des Oberkiefers; 5. Narben, Residuen abgelaufener Haut- und 
Schleimhautaffektionen, besonders an den Lippen und Mundwinkeln; sie 
reichen über das Lippenrot, das oft durch einen hellen Saum gegen die 
Haut abgegrenzt erscheint; 6. Hutohinson’sche Trias: Zähne, parenchy¬ 
matöse Keratitis, Taubheit infolge Neuritis acustica; 7. Cubitaldrüsen, 
ohne sie allein als pathognomonisches Symptom zu preisen. 

M. Calvary-Hamburg: Der Nährwert des Milchzuckers. (Zeitschr. 
f. Kinderheilk., Bd. 4, H. 5.) C. fand den Milchzucker bei 10 Fällen 
völlig gleichwertig den anderen gebräuchlichen Zuckern als Zusatz zu 
Milchmischungen bei vorhandenen alkalischen Stühlen. 

B. Grünfelder. 

R. Lederer-Wien: Ueber ein noch nicht beschriebenes Krankheits¬ 
bild der spasmophilen Diathese. Vorläufige Mitteilung. (Wiener klin. 
Wochenschr., 1913, Nr. 8.) Es fiel dem Verf. in den letzten Jahren 
mehrfach auf, dass Kinder, welche an irgendwelchen Erscheinungen 
manifester Tetanie erkrankt waren, bisweilen einen eigentümlich ver¬ 
änderten Atemtypus aufwiesen. Es handelte sich offenbar um Spasmen 
der kleinen Bronchialmuskeln. Durch diesen oft recht lange anhaltenden 
Krampfzustand werden die Alveolen von der äusseren Luft abgeschlossen, 
die in ihnen enthaltene Luft wird resorbiert, und der betreffende Lungen¬ 
abschnitt wird atelektatiscb. P. Hirsch. 


Chirurgie. 

H. Kon dring-Posen: Klinische Erfahrungen mit Chloruetakresol 
zur Schnelldesinfektion der Hände. (Deutsche med. Wochenschr., 
1913, Nr. 11.) Phobrol (1 pCt.), kombiniert mit 70proz. Alkohol oder 
mit Acetonalkohol (20:100) eignet sich ausgezeichnet zur Schnell¬ 
desinfektion der Hände und des Operationsfeldes. Es genügt ein drei 
Minuten langes Waschen mit Wasser und Seife und fünf Minuten langes 
Abreiben mit Pbobrolalkohol. Wolfsohn. 

Keppler-Berlin: Die Anästhesierung der unteren Extremität 
mittels Injektion auf die grossen Nervenstämme. (Archiv f. klin. Cbir., 
Bd. 100, H. 2.) Durch Injektion von 2 proz. Novocainlösung mit 
Adrenalinzusatz auf Ischiadicus, Cutaneus femoris posterior, Femoralis, 
Obturatorius und Cutaneus femoris lateralis wird eine vollständige 
Anästhesie der unteren Extremität erzielt. K. gibt die anatomischen 
Unterlagen, um diese Nerven auch mit Bestimmtheit zu treffen, was bei 
einiger Technik gar nicht sonderlich schwer ist. Das Verfahren wurde 
an 20 Fällen der Bier’schen Klinik geübt. Bei Operationen vom Knie¬ 
gelenk abwärts wird um Ischiadicus und Saphenus major anästhesiert. 

Schliep. 

0. M. Chiari-Innsbruck: Zur Kenntnis des Verhaltens frei trans¬ 
plantierter Fascie im menschlichen Organismus. (Wiener klin. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 8.) Ein operativ gesetzter Duradefekt wurde durch 
ein 8 cm im Durchmesser messendes Stück aus der Oberschenkelfascie 
des Patienten gedeckt. Der Verf. schliesst aus den bisher vorliegenden 
Beobachtungen, dass frei transplantierte Fascie am Leben bleiben kann 
unter der natürlichen Anpassung an die künstlich geschaffene neue 
Lokalisation. Die Erhaltung geschieht derart, dass die Fascie eine 
Grundlage bildet, auf der das vom Rande her vordringende Granulations¬ 
gewebe sich ausbreiten kann, welches dann die Ernährung vermittelt. 

P. Hirsch. 

G. Magnus - Marburg: Wundbehandlung mit Zucker. (Münchener 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 8.) Zucker hat desinfizierende und fäulnisr 
widrige Wirkung, löst Fibrin, regt die Sekretion an durch heftige, 
osmotische Vorgänge — gleichsam eine Serumspülung der Wunden von 
innen nach aussen. Diese Eigenschaften schaffen günstige Heilungs¬ 
verhältnisse, die sich in schneller Reinigung, Desodorierung, gesunder 
Granulationsbildung und rascher Ueberbäutung manifestieren. Es ist ein 
für praktische Zwecke selbst steriles Medikament. Die Behandlung 
hat sich in 100 Fällen gut bewährt. Dünner. 

Sato-Japan: Ueber das eavernöse Angiom des peripherischen 
Nervensystems. (Archiv f. klin. Chir., Bd. 100, H. 2.) Aetiologisch 
führt der Verf. das cavernöse Angiom auf krankhafte Gefässkeime zurück; 


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24. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


659 


er glaubt, dass das Cavernom eine selbständige circumscripta Neubildung 
ist ohne nachweisbaren Zusammenhang mit dem anderen Gefässsystem 
and von den Gelassen innerhalb der Nervengewebe seinen Ausgang 
nimmt. 

0. Hildebrand*Berlin: Beitrag zur Chirurgie der hinteren 
Schädelgrube auf Grund von 51 Operationen. (Archiv f. klin. Chir., 
Bd. 100, H. 3.) Verf. operierte 12 Fälle von Kleinhirnbruckenwinkel¬ 
tumoren, 6 Fälle von Meningitis serosa, 4 von Hydrocephalus internus, 

4 Cysten des Kleinhirns, 5 solide Kleinhirntumoren, 8 Geschwülste des 
Hirnstammes, 9 des Grosshirns, 1 der Hirnbasis. Zwei Fälle blieben 
unaufgeklärt. Eine fünfte Kleinhirnoyste wurde nur punktiert. Von 
diesen 51 Fällen starben an der Operation Und ihren unmittelbaren 
Folgen 20. Unter den 12 Kleinhirnbrückenwinkeltumoren befanden sich 

5 cystische; yon diesen Cysten starb keiner. Von den 6 Fällen von 

Meningitis serosa starb gleichfalls keiner, ebenso von den 4 Fällen von 
Hydrocephalus internus. Von den 5 Kleinhirncysten wurden 4 geheilt. 
Von 20 Todesfällen waren nur 4 operabel gewesen. Von den 51 Fällen 
waren 28 durch die Operation radikal zu heilen; von diesen 28 starben 
im Anschluss an die Operation nur 4 Fälle. Es ist hervorzuheben, dass 
in einer Anzahl von Fällen sich die Stauungspapille verlor, so dass 
keinerlei Sehstörungen zurüokblieben. Verf. plädiert zum Schluss für 
eine frühzeitige Explorativtrepanation, da in frühen Stadien die Diagnose 
oft noch zweifelhaft ist und später chirurgische Hilfe bei Opticusatrophie 
irreparable Störungen findet. Schließ. 

E ding ton: Zwei ungewöhnliche Fälle von Spina bifida. (Glasgow 
med. journ., 1913, Nr. 3.) Tm ersten Fall Sitz der Spina bifida am 
3. und 4. Halswirbel, geheilt durch Operation. Im zweiten Fall sass 
die Geschwulst unter dem rechten Musculus glutaeus. Die Oefifnung in 
der Wirbelsäule sass nicht in der Mitte, sondern an der rechten Seite. 
Die anatomische Untersuchung ist sehr genau durebgeführt. Das Kind 
starb 24 Stunden nach der Operation. Schelenz. 

E. 0. P. Schultze-Berlin: Das Alb. Kö’hler’sche Kioeheabild 
des Os navicularis pedis bei Kindern — eine Fraktur. (Archiv f. klin. 
Chir., Bd. 100, H. 2.) In einer grösseren Reihe von klinisch sicheren 
Navicularfrakturen bei Kindern konnte S. bei jahrelanger Beobachtung 
während des Heilungsverlaufs Bilder beobachten, die mit den von 
Köhler seinerzeit beschriebenen identisch waren. Da in allen diesen 
Fällen ein schwereres Trauma Vorgelegen hatte, andererseits aber im 
ganzen Skelettsystem und speziell im anderen Naviculare Veränderungen 
im Röntgenbild fehlten, so nimmt S. im Gegensatz zu Köhler u. a. an, 
dass es sich nicht um eine Wachstumsvarietät handelt, sondern dass 
das Bild Heilungsstadien einer Navicularfraktur darstellt. Einer der 
Fälle ist dadurch besonders interessant, dass an den Navicularia beider¬ 
seits sich eine Wachstumsanomalie beobachten lässt, die aber in keiner 
den Köhler’schen Bildern ähnelt. 

E. 0. P. Sch ul tze-Berlin: Zur Schlatter’schen Krankheit. Sym¬ 
ptom einer Systemerkrankung. (Archiv f. klin. Chir., Bd. 100, H. 2.) 
Verf. beobachtete Fälle von Schlatter’scher Krankheit, die ohne Trauma 
entstanden waren. Da ausserdem in sechs von acht Fällen Doppel- 
seitigkeit des Leidens beobachtet wurde, nahm er an, dass eine System¬ 
erkrankung dem Leiden zugrunde liegen müsste, und untersuchte das 
gesamte Skelett der Kinder. Dabei fand er an den Ansatzstellen der 
Muskeln, Sehnen und Gelenkbänder Veränderungen in der Kootur des 
Knochenscbattens, die er als Periostausreissungen ansprach. Er hält 
deshalb das Schlatter’sche Symptombild für eine Spontanfraktur auf 
Grund einer herabgesetzten Festigkeit des Periosts. Schliep. 

J. Berry-London: Die Chirurgie der Schilddrttse mit besonderer 
Berücksichtigung der Basedow’schen Krankheit. I. (Lancet, 1. März 
1913, Nr. 4670.) 751 grössere Operationen an der Schilddrüse. B. 

glaubt, dass in allen Fällen von Basedowscher Krankheit auch die 
Thymus vergrössert ist, hat aber ihre Entfernung wegen der operativen 
Schwierigkeiten nicht versucht. Die Glandulae parathyreoideae hält er 
aus histologischen und klinischen Gründen der eigentlichen Schilddrüse 
für gleichwertig und für keine selbständigen Organe. Röntgenstrahlen 
hält er für nützlich in frühen Fällen, Medikamente haben gar keinen 
Wert, die Serumbehandlung scheint höchstens in frühen Fällen von 
leichtem Hypertbyreoidismus, nicht aber l)ei ausgesprochenem Basedow 
nützlich zu sein. t* Wey de mann. 

Magnusson-Reykjavik: 214 'Eckinokokkeioperatioueu. Beitrag 
zur Pathologie und Therapie der Echinokokkenkrankheit. (Archiv f. 
klin. Chir., Bd. 100, H. 2.) Schon lange steht Island in dem Rufe, das 
mit Echinokokken am meisten behaftete Land zu sein. Der Verf. be¬ 
spricht ausführlich das Vorkommen der Echinokokken, die pathologische 
Anatomie, die Lokalisation in 169 operativen Fällen, die Symptome der 
Krankheit. Weiter wird über Ruptur und Naturheilung« die operative 
Behandlung und deren Resultate sowie über die pbstöperativen Kom¬ 
plikationen gespffoohen und zum Schluss eine grosse Tabelle über das 
operative Material gegeben. Sohliep. 

E. Unger-Berlin: Ueber totale Entfernung des Magens. (Deutsche 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.) Vortrag in der Berliner Gesellschaft 
für Chirurgie am 10: Februar 1013. Wolfsohn. 

A. Füller ton-Belfast: Bemerkungen über eine Reihe von 55 Fällen 
von saprap «bischer Prostatektomie mit vier Todesfällen. (Brit. med. 
Journ., 15. Februar 1918, Nr. 2720.) Der Verf. empfiehlt dies Operations- 
Verfahren. Wey de mann. 


E. Löwenstein-Wien: Ueber Taberkelbaeillenbefande im Urin 
bei Hodentnberknlose. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.; 
Auch nach Exstirpation eines tuberkulösen Hodens finden sich noch 
lange Zeit Tuberkelbacillen im Urio. Sie stammen sehr wahrscheinlich 
von der Prostata. Die isolierte Tuberkulose der Prostata ist nach L. 
gar nicht so selten und verdient mehr Beachtung. Es besteht vielleicht 
die Möglichkeit, dass nach Kastration eines kranken Hodens von der 
tuberkulösen Prostata aus die Infektion auf die Harnblase oder den 
anderen Hoden übergeht. Wolfsohn. 

W. Danielssen - Beuthen: Allgemeine eitrige Peritonitis durch 
Bandwurm. (Müochener med. Wochenschr., 1913, Nr. 8.) Peritonitis 
nach Darmperforation mit einem in der freien Bauchhöhle befind liehen 
Bandwurm, dessen Kopf in die rechte Tube, neben der eine Ovarialcyste 
bestand, eingedruDgen war. Die Erklärung für diesen auffälligen Be¬ 
fund ist folgendermaassen: Pat. hatte vor zwei Jahren eine eitrige 
Oophoritis und Salpingitis, durch die es zu einer VerklebuDg zwischen 
Fimbrien und Darm mit Perforation des Eiters in den Darm kam. Durch 
diese Perforationsstelle gelangte der Bandwurm in die Tube. Die Ver¬ 
klebung lockerte sich später durch die Bandwurmbewegung. Austritt 
in die freie Bauchhöhle. Dünner. 

Fesenmeyer-Aachen: Zar Anwendung des Murpbykuopfes bei 
der Gastroenterostomie retrocolica posterior. (Arohiv f. klin. Chir., 
Bd. 100, H. 2.) Der Verf. empfiehlt auf Grund von 81 Fällen die An¬ 
wendung des Murpbyknopfes. Schliep. 


Röntgenologie. 

Aschoff, Krönig und Gauss-Freiburg: Zur Frage der Beeiafliss- 
barkeii tiefliegender Krebse durch strahlende Energie. (Münchener 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 7 u. 8.) Die spezifische Einwirkung der 
Röntgenstrahlen ist auch auf tiefliegende Krebsgewebe im Sinne einer 
Rückbildung oder Umbildung zu weniger bösartigen Typen nachweisbar. 
Diese spezifische Wirkung ist nur eine lokale, auf das Bestrahlungs¬ 
gebiet beschränkte. Eine Fernwirkung ist, wenn überhaupt, nur in 
beschränktem Maasse anzunehmen. Die bisherigen Obduktionsbefunde 
zeigen, dass der Organismus eine solche intensive Durchstrahlung ohne 
nachweisbare Schädigung lebenswichtiger Organe ertragen kann. Ob 
das auch für noch länger dauernde Bestrahlungen gilt, können erst die 
zukünftigen Beobachtungen zeigen. In den bisher obduzierten Fällen 
ist keine völlige Vernichtung des Krebsgewebes erreicht worden. 

G. Holzknecht und *M. Haudek-Wfen: Bewegungsvorgänge am 
pathologischen Magea auf Grund rftutgeakioeBiatographischer Unter¬ 
suchung. (Münchener med. Wochensohr., 1913, Nr. 8.) Bemerkungen 
zu dem Artikel von G. Bruegel in Nr. 4 der Müochener medizinischen 
Wochenschrift, der die horizontale Abschlusslinie des wismutgefüllten 
Antrum pylori als den Ausdruck einer Behinderung des Ablaufes der 
Kontraktionswellen am präpylorischen Anteil des Magens durch Wand- 
iofiltrat oder Narbe, wahrscheinlich verbunden mit Verwachsungen, ansah. 
Die Verff. sahen diese Konfiguration auch bei normalem Magen; sie 
halten es für einen Pseudofüllungsdefekt, der bei mangelhafter Füllung 
des Magens, beim Sedimentieren des Kontrastmittels, bei starkem Druck 
von aussen und bei gewissen Lage Veränderungen im Abdomen entsteht. 

Dünner. 

Norris und Fetterolf: Die Topographie der Herzklappen, unter¬ 
sucht mit Röntgenstrahlen. (Americ. journ. of med. Sciences, 1918, Nr. 2.) 
An einer Reihe von gefrorenen Leichen haben die Verff. die Herzklappen 
auffällig gemacht und dann mit Rontgenstrahlen ihre Lage zur Brust¬ 
wand bestimmt. _ Schelenz. 


Urologie. 

Siehe auch Kinderheilkunde: v. Bökay, Infantile Lithiasis. — 
Chirurgie: Fallerton, Suprapubische Prostatektomie. Cruet, Wert 
der Cystoskopie zur Bestimmung der Operabilität bei Portiocervixcarcinom. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

Antoni-Kiel-Wik: 7 Fälle von Reinfeetio syphilitica und Be- 
traehtBBgea Aber schwere Salvarsanintoxikation. (Deutsche med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 11.) Im Marinelazarett Kiel-Wik wurden im 
letzten Jahre sieben sichere Reinfektionen nach kombinierter Salvarsan- 
Kalomelbehandlung beobachtet. Bei der neuen Luesbehandlung muss, 
wie Wechsel mann betont, der Zustand der Nieren besonders beob¬ 
achtet werden. Die Hauptgefahr liegt in der Ueberscbreitung der indi¬ 
viduell erträgliohen Salvarsaneinzeldosis. Bei kräftigen Individuen soll 
eine Eipzeldosis von 0,5 nicht überschritten werden. Wolfsohn. 

H. Müller - Mainz: Danererfolge der SalvarsaBahortivkoren im 
Jahre 1910/1911. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 8.) 100 pCt. 
sind klinisch symptomfrei und serologisch negativ geblieben. 

' * - -b - Dünner. 

Siehe auch Therapie: Garrett, Eisenchlorid bei Herpes ton- 
surans. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 12. 


Geburtshilfe und Gynäkologie. 

E. Abderhalden-Halle a. S.: Sernmfernieatwirknng bei Schwan- 
geren und Tnmorkranken. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 8.) 
Bemerkungen zu der Arbeit von Paul Lindig in Nr. 6 der Münchener 
medizinischen Wochenschrift. A. fordert dringend, dass zur Anstellung 
der Reaktionen alle von ihm gegebenen Vorschriften auf das genaueste 
innegehalten werden. Da Lin dig dies nicht getan bat, können seine 
Untersuchungen keinen Anspruch erheben, als vollwertig angesehen zu 
werden. Dünner. 

A. Herrgott-Nancy: Unstillbares Sehwangerschaftserbrechen 
bei Retroversio nteri. (Annales d. gyn. et d’obst., Februar 1913.) 
Nach Aufrichten des Uterus und Fixieren durch Pessar Aufhören des 
Erbrechens. 

Jeanselme - Paris: Behandlung der Lues mit Salvarsan bei 
Schwaigers. (Annales d. gyn. et d’obst., Januar 1913.) J. hat eine 
ausführliche Statistik mit ausgezeichneten Resultaten gegeben. Die 
Schwängern wurden nur mit Salvarsan behandelt. Eine Schädigung der 
Mütter trat nicht ein. 

C. Sauvage-Paris: Die Behandlung syphilitischer Schwaagerer 
Mit Salvarsaa. (Annales d. gyn. et d’obst., Januar-Februar 1913.) 
Sehr ausführliches Referat über ein grosses Sammelmaterial, besonders 
wertvoll, weil die Resultate der Quecksilber-, Jodkali- und der Salvarsan- 
therapie miteinander verglichen werden. Es ergeben sich drei Haupt¬ 
punkte: Bei florider Lues in der Schwangerschaft gibt Salvarsan be¬ 
deutend schnellere und sichere Resultate für Mutter und Kind. Bei 
latenter Lues ohne klinische Erscheinungen gibt Salvarsan bessere Er¬ 
folge in den vor der Schwangerschaft ungenügend behandelten Fällen. 
S. empfiehlt es trotzdem hier nur bedingsweise, weil die Therapie trotz 
sorgfältigen Ausschlusses von Herz-, Leber- und Nierenkranken mehr 
Gefährdungen gebracht hat als die Hg-Behandlung. Bei latenter Lues, 
die genügend vorbehandelt ist, leistet Hg und Jodkali dasselbe wie 606. 
Auffallend ist die Klage von S. über die Unzulänglichkeit der Wasser- 
mann’schen Reaktion. Auch von den nach Salvarsantherapie anscheinend 
gesund geborenen Kindern ist ein grosser Teil später noch spezifisch 
erkrankt. Es ist also scharfe Beobachtung und Ammenverbot nötig. 

F. Jacobi. 

Green: Bluttransfusion bei Ruptur der Tnbargravidität. (Boston 
med. journ., 1913, Nr. 8.) Auf Grund eigener Erfahrung empfiehlt Verf. 
sehr bei stark ausgebluteten, collabierten Patientinnen eine Bluttrans¬ 
fusion. Schelenz. 

P. Cruet-Paris: Der Wert der Cystoskopie zur Bestimmung der 
Operabilität bei Portio-Cervixcarcinom des Uterus. (Annales d. gyn. 
et d’obst., Januar-Februar 1913.) Stärkere Veränderungen im Blasen¬ 
boden sowie in der Funktion der Ureteren geben eine Kontraindikation 
zur Vornahme der Operation, auch wenn der klinische und palpatorische 
Befund die Operationsmöglichkeit annehmen lässt. F. Jacobi. 


Augenheilkunde. 

F. Pinous: Die wissenschaftlichen Grnndlagen der Zeozon- 
therapie. (Archiv f. Augenheilk., Bd. 73, H. 4.) Alle vom Verf. an- 
gestellten Versuche liefern den einwandfreien Beweis, dass das Zeozon- 
wasser nicht imstande ist, bei Einträufelung in das Auge dieses gegen 
die Einwirkung ultravioletter Strahlen irgendwie zu schützen, ein Er¬ 
gebnis, das bei Erwägung der physikalischen Bedingungen der Ab¬ 
sorption von Lichtstrahlen durch Flüssigkeiten und der physiologischen 
Vorgänge beim Hineingelangen einer Flüssigkeit in den Bindehautsack 
von vornherein zu erwarten war. Zum Schutze des Auges gegen ultra¬ 
violette Strahlen müssen wie bisher Schutzgläser verwendet werden. 

Sidler- Huguenin (Zürich): Conjunctivitis petriflcans. (Archiv 
f. Augenheilk., Bd. 73, H. 4.) Wenn man den vom Verf. beschriebenen 
Fall in klinischer, chemischer und pathologisch • anatomischer Hinsicht 
mit den anderen publizierten typischen Fällen von Conjunctivitis petri- 
fioans vergleicht, so muss zugegeben werden, dass die nicht artifizielle 
und die künstlich provozierte Conjunotivitis petricans übereinstimmende 
Resultate liefern kann. 

B. Fleischer: Ueber einen doppelseitig anatomisch untersuchten 
Fall von Keratoconus, über den Hämosiderinring in der Hornhaut bei 
Keratoconns und über Hämosiderose des Auges bei Diab&te broazd. 
(Archiv f. Augenheilk., Bd. 73, H. 4.) ln der Hornhaut zweier Augen, 
die von einem 23 jährigen, an Wirbelcaries und Decubitus gestorbenen 
Manne stammten, der an einseitigem, hochgradigem, auf der anderen 
Seite geringgradigem Keratoconus litt, wurden in der Hornhaut braune, 
das Hornhautcentrum umkreisende Ringe festgestellt. Die anatomische 
Untersuchung ergab, dass diese Ringe durch eine kreisförmige Imbibition 
des Epithels mit Hämosiderin gebildet wurden. 

B. Schloms: Ueber Schädigungen des Auges durch Kalomel- 
einstäubnng in den Augenbindehautsack bei gleichzeitiger innerer Dar¬ 
reichung der Halogensalze (Jodkalium, Bromkalium und Kochsalz). 
(Archiv f. Augenheilk., Bd. 73, H. 4.) Katomel in den CoDjunctivalsack 
eingestäubt bedingt geringe Rötung und Schwellang, die innerhalb 
24 Stunden wieder verschwinden. Bei gleichzeitiger Darreichung von 
Jodkalium kommt es zu schweren entzündlichen Erscheinungen, die zu 
starker Rötung der Augenbindehaut und einer vollkommenen Trübung 
und Verätzung der Hornhaut führt Bei Einstäubung von Kalomel ins 


Auge und Darreichung von grösseren Bromkalidosen kommt es zu ent¬ 
zündlichen Erscheinungen, die relativ schnell zurückgehen. Die Aetzung 
am Auge bei Kalomel-, Jodkali- bzw. Bromkaliapplikationen beruht nicht 
auf dem Jodür und Bromür, sondern auf der Bildung von Quecksilber¬ 
jodid und Bromid. Daher ist die Einstäubung von Kalomel und die 
gleichzeitige selbst einmalige Darreichung von Jodkali zu vermeiden. 
Auch vor Kalomeleinstäubuogen nach längerer Applikation von Brom¬ 
kali muss gewarnt werden. F. Mendel. 

W. Collins - London: Orbitalgeschwdlste, eine Empfehlung der 
Operation. (Brit. med. J., 22. Februar 1918, Nr. 2721.) Die Erfolge bei 
Operationen bösartiger und Gefässgeschwülste der Augenhöhle, die häufiger 
sind, als man annimmt, sind nicht so schlecht, wie manche Autoritäten 
behaupten. Der Verfasser führt zum Beweise dafür fünf Kranken¬ 
geschichten an. Weydemann. 

J. Hoppe: Ueber ein sternförmigesNachbild von ungewöhnlicher 
Herkunft. (Archiv f. Augenheilk., Bd. 73, H. 4.) Nach anstrengendem 
Bergstieg an einem sonnigen Sommervormittag war Verf. erhitzt in eine 
dämmerige Alpenhütte eingetreten. Als er einige Minuten darauf zu¬ 
fällig durch die Fensteröffnung nach dem blauen Himmel sah, gewahrte 
er mitten im Gesichtsfelde einen stern- oder rosettenförmigen Haufen 
sich scharf abhebender lichter Flecken. Anfangs goldglänzend, nahmen 
sie schnell nacheinander verschiedene Farbentöne an, allmählich blasser 
werdend, und verschwanden plötzlich, indem sie ein freies Gesichtsfeld 
hinterliessen. 

M. Hoffmann: Ueber Erkrankung der Nervei des Auges bei 
Diabetes mellitus. (Archiv f. Augenheilk., Bd. 73, H. 4.) Bei ver¬ 
schiedenen Erkrankungen des Auges konnte in seinen Nerven das Vor¬ 
handensein von Glykogen festgestellt werden. Dies trat in zwei Fällen 
von Diabetes auf. Mit dem Auftreten des Glykogens ist eine Schädigung 
der Nerven, vor allem der Markscheide verbunden. F. Mendel. 


Hygiene und Sanitätswesen. 

K. Matsuo-Osaka: Ueber den Gazerespirator. (Centralbl. f. 
Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig., Bd. 65, H. 6 u. 7, S. 573.) Mit Hilfe 
eines einfachen, aus zwei bis drei Lagen Gaze bestehenden Apparates, 
der Mund und Nase bedeckt, kann man bei Lungenpestkranken — ebenso 
natürlich auch bei anderen, mit Infektionskrankheiten der Atmungs¬ 
organe behafteten Patienten — die Ausstreuung der Krankheitskeime 
vermindern bzw. verhüten. Für Aerzte und Pflegepersonal ist die Be¬ 
nutzung eines solchen Apparates im Interesse ihrer eigenen Sicherheit 
geboten. Am besten benutzt man trockene Gaze; feuchte gewährt keinen 
sicheren Schutz. Bierotte. 

R. P. Anderson: Ein tragbarer Pettersson Palmqvist-Apparat. 

(Zeitscbr. f. Hyg., 1913, Bd. 73, H. 3, S. 549.) Der Pettersson-Palmqvist- 
Apparat dient zur Bestimmung von Kohlendioxyd in der Luft mittels 
der gasvolumetrischen Methode, bei welcher das Kohlendioxyd durch die 
Volumenkontraktion einer gemessenen Luftmenge nach Absorption des 
Kohlendioxyds bestimmt wird. Die vom Verf. angegebene Modifikation 
des Apparates bietet gewisse Vorteile gegenüber der ursprünglichen 
Form. Möllers. 

S. S. Mereshkowsky-St. Petersburg: Virns sanitär. (Centralbl. 
f. Bakteriol. usw., I. Abt., Orig., Bd. 65, H. 6 u. 7, S. 488.) Das von 
den Höchster Farbwerken unter dem Namen „Virus sanitär* in den 
Handel gebrachte Mäuse- und Rattenvernichtungsmittel enthält nach 
den Untersuchungen des Verfassers ausser dem Bacillus Danysz, dessen 
Wirkung die Nagetiere erliegen sollen, noch ein Gemisch verschiedener 
anderer Bakterien; da deren Einfluss auf Menschen und Haustiere un¬ 
bekannt ist, muss die Anwendung des Präparates als Ratten vertilgungs¬ 
mittel als unzulässig bezeichnet werden. Das zur Weiterzucht des Virus 
sanitär angegebene Verfahren wird als nicht rationell bezeichnet. 

Bierotte. 

Schroeter-Jena: Die praktische Verwendbarkeit von Hansezoai- 
siernngsapparaten. (Zeitscbr. f. Hyg., 1913, Bd. 78, H. 3, S. 483.) Die 
mit zwei Hausozonisierungsapparaten, „Ozonisator Otto Nr. 4020“ und 
„Zonhyd-Apparat“, angestellten Versuche zur Sterilisierung klaren 
Leitungswassers hatten nicht den bakteriologischen Erfolg, welchen man 
verlangen muss, um die Apparate für den praktischen Gebrauch empfehlen 
zu können. Den Apparaten haften noch Mängel technischer Art an, 
welche eine Sicherheit der Wirkung nicht zulassen. Die Ursachen für die 
schlechten Leistungen lagen teils in der zu geringen Lieferung von 0 8 
begründet, teils in der zu kurzen Zeit, während welcher das 0« mit dem 
Wasser in Berührung war. 

Kon rieh-Berlin: Zur Verwendung des Ozons in der Lifting* 
(Zeitschr. f. Hyg., 1913, Bd. 73, H. 3, S. 443.) Verf. kommt auf Grund 
eigener experimenteller Untersuchungen zu einer durchweg ablehnenden 
Beurteilung der Verwendung des Ozons in der Lüftung. Eine Lüftungs¬ 
anlage, die ohne Ozon nicht auskommen kann, ist mangelhaft und einer 
ozonfreien Anlage hygienisch unbedingt unterlegen. Die Luftozonisierung 
ist immer nur ein Notbehelf, wenn es sich darum handelt, Gerüche zu 
überdecken; insbesondere leistet sie keine Luftfeinigung. 

Möllers. 

K. Matsuo-Osaka: Gleichzeitiges plötzliches Auftreten von Pest- 
f&ilen bei Menschen und hei Eseln in demselben Gehöft. (Centralbl. 
f. Bakteriol. usw., I. Abt., Orig., Bd. 65, H. 6 u. 7, S. 417.) Gelegent- 


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24. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


561 


lieh der 1910/1911 in der Mandschurei herrschenden Lungenpestepidemie 
konnte M. eingehende Beobachtungen anstellen, die ihm die Möglichkeit 
der Uebertragung von Pest vom Esel auf den Menschen und umgekehrt 
glaubhaft erscheinen lassen. Zutreffendenfalls müsste hierauf bei der 
Bekämpfung der Pest künftig Rücksicht genommen werden. 

Bierotte. 

St. Riseley-Sheffield: Soll ein Bergmaaa mit seinem Nystagmas 
arbeite!? (Lancet, 22. Februar 1913, Nr. 4670.) Ein Bergmann, der 
wegen Nystagmus arbeitsunfähig ist, soll nach genügend langer Ruhe- 
und Beobachtungszeit die Arbeit unter Tag wieder aufnebmen, nachdem 
er zuerst eine Zeitlang über Tag beschäftigt worden ist. Denn mit 
schwerem Nystagmus können mauche in der Grube ohne Beschwerden 
gut arbeiten. Dass die Aerzte jeden mit Nystagmus für die Arbeit unter 
Tag als arbeitsunfähig ansehen, hat dazu geführt, dass die Bergleute in 
grosser Zahl Entschädigungsansprüche geltend machen. 

Weyderaann. 

Boruttau: Ueber ein neues dlickornbrot und seine Ausnutzung. 
(Zeitscbr. f. pbysik. u. diätet. Therapie, März 1913.) Das „Kornmark¬ 
brot“ ist durch eine neue maschinelle Einrichtung gewonnen, bei der das 
ganze Getreidekorn einschliesslich der Randzone nutzbar gemacht wird. 
Das Getreide wird nicht zwischen Mühlsteinen oder Stahlwalzen zer¬ 
mahlen, sondern durch Centrifugalwirkung mit sehr grosser Geschwindig¬ 
keit gegen harte Flächen geschleudert. Das durch die dabei erfolgende 
Zertrümmerung resultierende ganz feine Mehl wird zu Vollkornbrot ver¬ 
backen. Die angestellten Versuche ergaben Ausnutzungswerte, die besser 
sind wie die für normales Roggenbrot aus gut ausgemahlenem Mehl ge¬ 
fundenen. E. Tobias. 

Siehe auch Pathologie: v. Kutschera, Gegen die Wasser¬ 
ätiologie des Kropfes und Kretinismus. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 12. März 1913. 

Vorsitzender: Herr Orth. 

Schriftführer: Herr Israel. 

Vorsitzender: M. H.! Ich habe Ihnen mitzuteilen, dass mir Herr 
Kraus aus Paris geschrieben hat, er könne seine Wahl nicht einem 
Zufall verdanken und lehne die Wahl ab. Ich habe diese Mitteilung 
erst so spät bekommen, dass die Wahl nicht mehr auf die heutige 
Tagesordnung gesetzt werden konnte. Es muss also das nächste Mal 
eine Ersatzwahl vorgenommen werden. 

Herr Dr. Loeb, seit 2 Jahren unser Mitglied, hat sich wegen Ver¬ 
zuges nach ausserhalb abgemeldet. 

Ich habe dann darauf hinzuweisen, dass in wenigen Tagen, am 
16. d. M., Herr Gebeimrat Boldt, seit 30 Jahren unser Mitglied, sein 
50jähriges Doktorjubiläum feiern wird. Ich bitte die Gesellschaft, zu 
genehmigen, dass wir in der üblichen Weise ihm unseren Glückwunsch 
darbringen. (Allgemeine Zustimmung.) 

Das ist angenommen. 

Ich habe weiter von einem Eingang Kenntnis zu geben. Der 
Generalsekretär des 4. Internationalen Kongresses für Physiotherapie, 
Herr Dr. Immelmann, schreibt: 

„Der Vorstand des 4. Internationalen Kongresses für Physiotherapie 
gibt sich die grosse Ehre, die Berliner medizinische Gesellschaft zur 
Teilnahme an der Veranstaltung des Kongresses hierdurch einzuladen, 
bzw. zu bitten, einen Vertreter zu entsenden.“ 

Der grosse Berliner Aerzteausschuss hatte sich schon an uns ge¬ 
wandt und die Abordnung eines Vertreters erbeten. Da ich verreist 
sein werde, hat Herr Landau die Vertretung der Gesellschaft über¬ 
nommen, und ich halte es für selbstverständlich, dass wir ihn auch dem 
Generalsekretär als unseren Vertreter mitteilen. Wenn kein Wider¬ 
spruch erfolgt, nehme ich das an. 

*i , , Vor der Tagesordnung. 

Hr. Mtrgeiroth (Demonstration): loh möchte mir erlauben, Ihnen 
in aller Kürze einige einfache hämolytische Versiehe zu demonstrieren, 
die in den Gang einer grosseren Untersuchungsreihe gehören, mit welcher 
ich in Gemeinschaft mit Herrn Medizinalpraktikanten R. Bieling be¬ 
schäftigt bin. 

Im Jahre 1911 hat Forssman die überraschende und, wie ich 
glaube, in verschiedener Hinsicht bedeutungsvolle Beobachtung gemacht, 
dass hämolytische Amboceptoren nicht nur durch diet allgemein geübte 
Vorbehandlung von Tieren mit den Erythrocyten fremder Spezies er¬ 
zeugt werden, sondern dass man durch Vorbehandlung von Kaninchen 
mit Organemulsionen gewisser Tiere, .nicht aber durch Immunisierung 
mit dem Blut dieser Tiere, hämolytische Amboceptoren für die Blut¬ 
körperchen anderer Spezies.,, erhält*. . Injiziert man einem Kaninchen 
Emulsionen von Meerschweinchenorganen,'so finden sich nach ent¬ 
sprechender Zeit in oft sehr hoher Konzentration im Serum dieser 
Kaninchen hämolytische Amboceptoren für Hammelblut (nicht für 
Meerschweinohenblut). Dasselbe wird mit Organen von Pferden und Katzen, 
nicht von Ratten erzielt. 


Die erste Versuchsreihe hier zeigt nun die Wirkung eines hämo¬ 
lytischen Amboceptors auf Ziegenblut (in üblicher Weise mit Meer¬ 
schweinchenserum komplettiert), der durch Immunisierung von Kaninchen 
mit der Niere der Maus — die Niere erwies sich auch in Forssman’s 
Versuchen als das geeignetste Organ — erzielt wurde. 

Die zweite Versuchsreihe zeigt Ihnen die analoge Wirkung eines 
gleichfalls auf Ziegenblut wirkenden hämolytischen Amboceptors, den wir 
durch Vorbehandlung eines Kaninchens mit einem transplantierten Mäuse- 
carcinom, das wir Herrn Prof. C. Lewin verdanken, erhalten haben. 

Es ist eine schwierige Aufgabe weiterer Untersuchungen, festzu- 
stellen, ob diese beiden Amboceptoren in ihrer Zusammensetzung völlig 
identisch oder etwa zum Teil verschieden sind. 

Auf jeden Fall zeigen diese Versuche — analoge Versuche sind 
auch mit menschlichem Material in Gang —, dass durch das Bindeglied 
der Hämolyse für Ziegenblut, d. h. der entsprechenden hämolytischen 
Amboceptoren eine zum mindesten partielle Receptoren- 
gemeinschaft zwischen Mäuseorgan und Mäusetumor festzu¬ 
stellen ist. 

Die Versuche lehren uns vor allem aber in den hämolytischen 
Amboceptoren ein Reagens auf Tumorreceptoren kennen und er¬ 
öffnen den Weg zu zahlreichen Ueberlegungen und zu einer rationellen 
Technik für das bis jetzt verschlossene Studium der Amboceptor- 
immunität gegenüber Tumoren. Es werden Beziehungen zu einem 
gut durchgearbeiteten Gebiet geschaffen, auf die an Hand eines grösseren 
experimentellen Materials einzugehen sein wird. 

Tagesordnung. 

Wahl des Ausschusses. 

Die Vorschlagsliste, die 27 Namen enthält, ist verteilt. Zu Stimm¬ 
zählern beruft der Vorsitzende die Herren Munter, Joachim, 
Pappenheim und Hahn. 

Hr. Güterbock (zur Geschäftsordnung): Ich möchte bemerken, 
dass Herr Bier auf der Vorschlagsliste steht, der doch eventuell zur 
Wahl als zweiter Vorsitzender ausersehen ist. 

Vorsitzender: Das macht gar nichts, denn wenn er jetzt als 
Ausschussmitglied und nachher als zweiter Vorsitzender gewählt wird, 
dann scheidet er aus dem Ausschuss aus. Dieser Fall ist in dem Statut 
vorgesehen. Da heisst es, wenn im Laufe des Jahres jemand ausscheidet, 
so komplettiert sich der Ausschuss durch Zuwahl. 

Die Wahl hat folgendes Ergebnis: Es werden 105 gültige Stimmen 
abgegeben. Die Mehrheit beträgt demnach 53. Es haben erhalten: 
Herr A. Fränkel 90, Herr Fürbringer 92, Herr Goldscheider 92, 
Herr Hirschberg 84, Herr Lennhoff 92, Herr Vircbow 85, Herr 
Waldeyer 95, Herr Bier 96 Stimmen. Diese 8 Herren sind somit ge¬ 
wählt. Auf die Herren S. Alexander und M. Borchardt sind je 
29 Stimmen entfallen. Zwischen beiden hat nach der Satzung das durch 
den Vorsitzenden zu ziehende Los zu entscheiden. 

Das Los entscheidet für Herrn S. Alexander. 

Schluss der Diskussion über den Vortrag des Herrn Orth: Ueber 
die ßedeatang der Rinderbaeillen für den Menechen. 

Hr. Eckert: Die Wichtigkeit der Frage nach der Bedeutung des Typus 
bovinus gerade für die tuberkulöse Infektion des Kindes lässt es wünschenswert 
erscheinen, nach Methoden zu suchen, die es auch den Praktikern ermög¬ 
lichen, an ihrer Lösung mitzuarbeiten. Die Heubner’sche Klinik ist auf 
zwei Wegen vorgegangen. Einmal haben wir in Verbindung mit dem 
Institut für Infektionskrankheiten Material von tuberkulös erkrankten 
Kindern, Blut, exstirpierte Drüsen, Lumbalpunktate untersucht und den 
Typ der Bacillen im Tierexperiment festgestellt. Diese Versuche sind 
aber noch nicht abgeschlossen. Hierüber soll später berichtet werden. 
Zweitens haben wir uns der Pirquet’schen Cutanreaktion bedient, die ja 
jeder Praktiker leicht ausführen kann. Wir haben die Kinder gleich¬ 
zeitig einmal mit dem Kooh’schen Tuberkulin, das ja aus Bacillen des 
Typus humanus gewonnen wird, und zweitens mit Perlsuchttuberkulin ge¬ 
impft. Unsere Resultate möchte ioh hier kurz in einigen Zahlen wiedergeben. 

Ich verfüge über 189 Fälle. Von diesen reagierten 92 positiv. Von 
diesen 92 infizierten Kindern gaben wieder 70, also 76 pCt., sowohl mit 
humanem, wie mit bovinem Tuberkulin einen Ausschlag. Diese grosse 
Zahl von simultan reagierenden Patienten lässt von vornherein geboten 
erscheinen, bei der Kritik der weiteren Ergebnisse die grösste Vorsicht 
walten zu lassen. Jedenfalls sind diese Zahlen keineswegs als Beweis 
dafür anzusehen, dass der. Perlsuchtbacillus im kindlichen Organismus 
eine Umwandlung erfährt, da sich auch Kinder der ersten Lebensjahre 
unter den doppelt reagierenden Patienten befinden. 

Von den restlichen 22 Patienten reagierten 12 allein auf das Perl¬ 
sucht- und 10 allein auf das humane Tuberkulin, also etwa die gleiche 
Zahl. Hier möchte ich zunächst einmal die Kinder mit Meningitis her¬ 
vorheben, einmal, deshalb, weil die Meningitis gerade eine der häufigsten 
Erscheinungsformen der kindlichen Tuberkulose ist, und weil Sie der 
Kossel’schen Statistik, die Herr Geheimrat Orth hier demonstriert hat, 
entnehmen körfnen, dass durch das itakte Tibrexperiment bei der tuber¬ 
kulösen Meningitis ib über 20pCt. der Fälle Bacillen vom Typus bovinus 
gefunden worden sind. Von 19 meningitiskranken Kindern reagierten 
14 simultan, 2 ausschliesslich auf Perlsucht und 3 ausschliesslich auf 
das menschliche Tuberkulin. Sie sehen, dass diese Zahlen durchaus 
nicht dem entsprechen, was im Tierexperiment gefunden wurde. Wenn 
wir die Zahl der nur auf Perlsuchttuberkulin reagierenden Kranken 
mit der Gesamtzahl der infizierten Kinder vergleichen, so ergibt 


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UMIVERSITY OF IOWA 




562 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT 


Nr. 12. 


sich, dass es llpCt. sind, die nur auf Perlsuchttuberkulin reagieren. 
Diese Zahl stimmt ja mit der von Herrn Geheimrat Orth gefundenen 
Zahl von llpCt. boviner Tuberkulose im Kindesalter recht gut überein. 
Aber nachj dem, was ich hier schon angeführt habe, ist es unmöglich, 
diesen Befund als einen direkten Beweis zu deuten. Es fehlt uns eben 
noch ein Glied der Beweiskette, der Nachweis des bovinen Bacillus bei 
den Kindern, die auf Perlsuchttuberkulin reagieren. 

Wenn auch diese Versuche der Heubner’schen Klinik, soweit sie 
bisher gefördert worden sind, zeigen, dass man bei der Beurteilung der 
mit der Pirquet’schen Gutanreaktion gefundenen Resultate ausser¬ 
ordentlich vorsichtig sein muss, so kann man doch hoffen, dass man 
durch Massenuntersuchungen, an denen sich jeder Praktiker leicht be¬ 
teiligen kann, tatsächlich in der Erkenntnis der Rolle des Typus bovinus 
weiterkommen wird, besonders dann, wenn man die Kinder, die nur auf 
bovines Tuberkulin reagieren, weiterhin untersucht und bei ihnen 
im Blut und in dem sonstigen Untersuchungsmaterial den Typus bovinus 
auch exakt im Tierexperiment nachweist. 

Hr. Westenhöfer: Da Herr Geheimrat Orth schon so freundlich 
war, Herrn Klemperer zu fragen, ob er beim Vortrage zugegen war, 
habe ich es ja nicht mehr nötig, dieselbe Frage an ihn zu richten. 
Aber ich glaube, es ist doch etwas viel, wenn einer, der den Vortrag 
nioht gehört hat, einem anderen den Vorwurf macht, er hätte daneben 
geredet, wie Herr Klemperer ihn mir gemacht hat. Ich glaube, meine 
Ausführungen waren ganz wesentlich dem zweiten Teil des Vortrages 
von Herrn Geheimrat Orth angepasst, nämlich der Frage der Ent 
stehung der Lungenschwindsucht. Ich habe mich darüber auf Grund 
meiner Statistik verbreitet. 

M. H.l Ich möchte davor warnen, fremde Statistiken, wie sie von Herrn 
Weber und Herrn Klemperer aus Japan, der Türkei und ähnlichen 
Staaten angeführt worden sind, Statistiken, die kein Mensch kontrollieren 
kann, auf die Verhältnisse hier bei uns in Europa anzuwenden. Ich 
habe es erlebt, dass auf einem panamerikanischen wissenschaftlichen 
Kongress von einem Universitätsprofessor eine Statistik über Carcinom 
vorgebracht wurde, die ganz Südamerika inklusive sämtlicher Urwälder und 
unbewohnter Gegenden einschloss, Feuerland, Patagonien usw., und daraus 
Schlüsse auf die Häufigkeit des Carcinoms in Südamerika gezogen wurden. 
Ich glaube also, dass man doch recht vorsichtig sein muss bei der Be¬ 
urteilung solcher Statistiken, deren Richtigkeit zu kontrollieren unmöglich ist. 
Ich habe schon bei meinem ersten Bericht darauf hingewiesen, dass das 
Material, über das ich verfüge, gerade im Gegensatz zu solchen Reise¬ 
berichten, Sektionsmaterial ist, das ich selbst untersucht habe, das von 
Leichen gewonnen ist, die man gründlich nach allen Regeln der Wissenschaft 
untersuchen konnte. Die Tuberkulose beim Kindvieh ist so unendlich ver¬ 
breitet, auch in exotischen Ländern, z. B. in Südamerika, dass ich nicht 
glaube, dass es grössere Länder gibt, die Viehzucht treiben, wo die Tuber¬ 
kulose unter dem Rindvieh nicht vorhanden ist. Dass sie in Dänemark 
z. B. nicht vorhanden ist, liegt wesentlich an der energischen Art der 
Bekämpfung, die Bang unternommen hat, und über die wir in dieser 
Gesellschaft auch vor langen Jahren einmal gelegentlich gesprochen 
haben. Also ich glaube, daraus kann man gar keine Schlüsse ziehen. 

Die Tuberkulose beim Rindvieh in Chile ist enorm verbreitet; sie 
ist so verbreitet, dass ich in der Centralmarkthalle in Santiago einmal 
tuberkulöse Organe eines Kalbes kaufen und in meinem Museum auf¬ 
stellen konnte, und als die Sache ruchbar wurde, berief man sich aus¬ 
gerechnet auf die Aeusserung von Koch, dass die bovine Tuberkulose 
dem Menschen nichts schade. Sie sehen, wie weit derartige Folgerungen 
gehen. Die Ernährung der Kinder geschieht dort ganz vorzugsweise 
durch Kuhmilch und ihre Produkte. 

Ich muss mich weiter über die ausserordentliche Hartnäckigkeit des 
Kollegen Weber wundern, an der wir nun eigentlich seit über 10 Jahren 
herumarbeiten, um ihn auf einen anderen Standpunkt zu bekommen. 
Die Frage der Uebertragbarkeit der bovinen Tuberkulose auf den 
Menschen und umgekehrt ist doch eigentlich schon seit den 70 er Jahren, 
als Klebs, Chauveau, Orth und andere Leute ihre Uebertragungs- 
experimente mit dem tuberkulösen Virus, wie man es damals nannte, 
vom Menschen auf das Rind machten, längst geklärt, und die Angelegen¬ 
heit mit den beiden Typen ist doch eigentlich, man mag es drehen, 
wio man will, eine etwas dialektische Geschichte; denn die praktische 
Seite der Frage ist doch damit erledigt, dass es gelingt, vom Menschen 
auf Rindvieh die Tuberkulose zu übertragen, und es ist doch zehn gegen 
eins zu wetten, dass auch in umgekehrter Weise die Sache geschieht. 
Ich weiss gar nicht, warum sich die Herren vom Gesundheitsamt gegen 
diese Sache so sträuben. 

Hr. Felix Klemperer: Nur eine kurze und sachliche Bemerkung. 

Das Persönliche, ob ich hier beim Vortrag des Herrn Orth anwesend 
war oder nicht, ist ja doch wirklich ganz gleichgültig. Uebrigens, der 
Vortrag des Herrn Geheimrat Orth liegt jetzt gedruckt vor, und da 
kann ich nur sagen, ich hätte meine Bemerkungen’ nicht viel-anders 
gestalten können, wenn ich ihn mitangehört hätte. Herr Westenhöfer 
aber hatte gewiss nicht nötig, daräuf zurückzukommen; denn seine Be¬ 
merkungen in der Diskussion habe ich ja, wie er wohl weiss, gehört. 

Was nun die Verhältnisse in Chile anbetrifft, so sagt Herr Westen¬ 
höfer sehr mit Recht: Man soll Statistiken mit grosser Vorsicht hand¬ 
haben. Nun, wir wollen auch die Statistik von Herrn Westenhöfer 
mit grosser Vorsicht handhaben. Mich hat der Zufall seit einigen Monaten 
in recht enge Berührung mit einem chilenischen Arzt gebracht, der leider 
krank liegt und deshalb heute nicht hier sein kann, der mich aber ge¬ 


beten hat, einiges über die chilenischen Verhältnisse hier in seinem 
Namen zu sagen. 

Es ist Dr. Ojarzun aus Santiago, der mir aus meiner Strassburger 
Zeit her bekannt ist, wo er bei Recklinghausen seine Studien 
vollendete. Ich erwähne das, damit Sie sehen, dass der Kollege an 
deutscher Wissenschaft sich gebildet bat. Herr Ojarzun hat dort in 
Chile 14 Jahre lang als Prosektor gewirkt, er schätzt die Zahl der 
Sektionen, die er gemacht hat, auf mindestens 4000. Er sagt mir, ich 
solle in seinem Namen erklären, dass die Verhältnisse der Lungentuber¬ 
kulose, soweit man sie vom Leichentisch beurteilen kann, in Chile nach 
seiner Kenntnis der Dinge genau dieselben seien wie hier. Er hätte zu 
Hunderten chronische Tuberkulosen mit Cavernen unter den Erwachsenen 
gefunden und könne dem nicht zustimmen, dass die Verhältnisse in bezug 
auf die Acuität des Prozesses bei Erwachsenen irgendwie anders lägen 
als bei uns in Deutschland. Herr Ojarzun hat mir auch diese Zeitung 
übergeben, die ich dem Herrn Vorsitzenden überreiche, in der Herr 
Dr. Sierra, offizieller Vertreter von Chile auf dem römischen Tuber- 
kulosekongress, auch ganz in diesem Sinne berichtet. Die Stellen, die 
Dr. Ojarzun hier angestrichen bat — es ist spanisch geschrieben —, 
sollen besagen, dass bei Kindern in den ersten zehn Lebensjahren Lungen¬ 
tuberkulose extrem selten sei, dass die älteren Kinder überwiegend auf 
Pirquet reagieren, und dass bei Erwachsenen die chronische Lungen¬ 
tuberkulose ausserordentlich häufig vorkomme. Also: Tout comme chez 
nous. — 

Bezüglich der Rindertuberkulose sagt mir Herr Ojarzun, sie wäre 
in Chile enorm häufig, aber für die Ernährung der Säuglinge spiele die 
Kuhmilch eine minimale Rolle in Chile. 

Ich meine, dass das alles mehr für die Schlussfolgerung spricht, die 
ich in der vorigen Sitzung hier vertrat und die ja keineswegs heisst: 
die Rinderbacillen sind bedeutungslos, sondern die nur besagt: Wir 
können die unendliche Häufigkeit der Lungentuberkulose im Menschen¬ 
geschlecht nicht recht in einen ätiologischen Zusammenhang mit der 
Kinderernährung durch Kuhmilch bringen, und die Rinderbaoillen sind 
deshalb für den Menschen als nicht so bedeutungsvoll anzusehen. 

Hr. Auerbach: Während nach den Ausführungen des Herrn Ge¬ 
heimrat Weber der bovine Typus des Tuberkelbacillus relativ harmlos 
erscheint, sind doch die anderen Ratgeber der Regierung nicht der gleichen 
Ansicht gewesen. Ich finde nämlich in den Ausführungsbestimmungen 
des Viehseuchengesetzes vom Dezember 1911 folgendes: 

„Die Milch von Kühen, bei denen das Vorhandensein von Euter¬ 
tuberkulose festgestellt oder in hohem Grade wahrscheinlich ist, darf 
auch nach dem Erhitzen weder als Nahrungsmittel für Menschen weg¬ 
gegeben noch zur Herstellung von Molkereierzeugnissen verwertet werden.“ 

Also der Bundesrat hat sich noch nicht davon überzeugen können, 
dass Milch von eutertuberkulösen Tieren für die Ernährung von Menschen 
selbst nach dem Erhitzen brauchbar ist. In der Praxis besteht eine 
sehr geringe Neigung, die Vorsichtsmaassregeln, welche die Tuberkulose¬ 
kommission vorgeschrieben hat, aufrecht zu erhalten. Ich habe dafür 
ein ganz exquisites Beispiel. Im Jahre 1909 bildete sich hier der ge¬ 
meinnützige Verein für Milchausschank zu Berlin, an dessen Spitze ganz 
hervorragende Männer, darunter zwei bedeutende Aerzte, standen. Der 
Jahresbericht des Vereins für 1910 erwähnt rühmend, dass in den Milch¬ 
häuschen eine ausgezeichnete rohe Milch dargeboten worden wäre. Nun 
hat dieser Verein keine eigenen Kuhställe gehabt, hat also für die ein¬ 
wandsfreie Beschaffenheit der Rohmilch keine Gewähr leisten können. 
Dagegen führt der Bericht einige Zeilen später aus, dass Schwierigkeiten 
in der Betriebsleitung waren, so dass trotz dauernder Geldopfer immer 
wieder Missstände in der Molkerei einrissen. Ich meine, wenn von hier 
gesagt wird: 200 Kinder haben lange Zeit Milch von eutertuberkulösen 
Kühen getrunken, ohne dass es ihnen erheblich geschadet hat, so werden 
natürlich auch Vereine, die sich an die Oeffentliohkeit wenden und etwas 
Gutes leisten wollen, noch viel weniger geneigt sein, jene Vorsichts¬ 
maassregeln innezuhalten. 

Hr. Weber: Ich kann das, was Herr Kollege Westenhöfer gesagt 
hat, offen gestanden, nicht recht verstehen. Ich muss annehmen, dass 
Herr Westenhöfer meinen Vortrag nicht recht gehört hat, denn ich 
habe klipp und klar erklärt, dass die Rindertuberkulose auf den 
Menschen übertragbar ist. Daraus ergibt sich von selbst, dass die 
menschliche Tuberkulose, soweit sie auf bovinen Bacillen beruht,, auf 
das Rind zurück üb ertragen werden kann; dafür habe ich selbst vielleicht 
die meisten Beweise durch meine Untersuchungen erbracht. Allerdings, 
soweit die menschliche Tuberkulose auf humanen Bacillen beruht, kann 
sie nicht auf das Rind übertragen werden. Davon haben wir uns durch 
ebenso viele Versuche überzeugt. 

Zu den Ausführungen des Herrn Auerbaoh: Ich habe deutlich er¬ 
klärt, dass die Gefahr, die dem Menschen von den bovinen Bacillen 
-.droht, nioht. zu unterschätzen ist. Ich habe auch darauf hingewiesen, 
dass in allen in Betracht kommenden Druckschriften des Gesundheits¬ 
amts vor dem Genuss ungekochter Milch gewarnt wird. Ich möchte 
nicht, .dass ich in dieser Beziehung missverstanden werde. 

Hr. Westenhöfer: Nur feine ganz* kurze Bemerkung. Ich freue 
mich über die Erklärung, die Herr Weber eben abgegeben bat. Er hat 
sich nicht immer so klar ausgesprochen. Das ist eben der springende 
Punkt, dass die Beamten des Gesundheitsamts in den für die Laien ver¬ 
ständlichen Publikationen immer auf die Gefahr hingewiesen haben, in 
Wirklichkeit aber in ihren wissenschaftlichen Veröffentlichungen das nie 
recht zugeben wollten. Es ist zu begrüssen, dass sich Herr Weber 


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UNIVERSUM OF IOWA 





24. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


563 


jetzt unserem Standpunkt nähert. Herrn Klemperer gegenüber möchte 
ich noch bemerken, dass Herr Dr. Oyarzun einer der wenigen mir be- 
freundeten chilenischen Aerzte ist. Er war mein indirekter Vorgänger 
als Professor der pathologischen Anatomie, und ich schätze ihn sehr. 
Ich schätze aber nicht, was er in bezug auf die Statistik gesagt bat. 
Die Art der Sektionsausführung war nicht derart, dass man darauf gute 
Statistiken hätte auf bauen können. 

Zweitens möchte ich noch hinzufügen, dass Herr Dr. Sierra in 
diesen Dingen überhaupt keine eigene Erfahrung besitzt. Kindersektionen 
wurden vor meiner Zeit überhaupt nicht ausgeführt, da ich die erste 
Prosektur am Kinderkrankenhaus eingerichtet habe, und ich verweise 
ausdrücklich noch einmal auf die Ergebnisse der von mir sezierten 
175 Fälle, woraus die Absurdität der Sierra’schen Ausführungen ohne 
weiteres ersichtlich ist. Ich betone noch einmal und habe das in meinem 
Bericht aus Chile mit den Sektionsnummern und Protokollen ausführlich 
beschrieben, dass die akute Tuberkulose in Chile viel häufiger ist als die 
chronische. Selbst wenn mein Material zu einseitig wäre, was aber nicht 
zutrifft, so ist an der Tatsache nicht zu rütteln, dass nur 30 pCt. der 
Leichen Zeichen alter Tuberkulose aufwiesen. Das ist ein so geringer 
Prozentsatz im Verhältnis zu unserer Statistik, dass das sehr wohl ins 
Gewicht fällt. 

Hr. Orth (Schlusswort): Es sind in der Debatte wesentlich neue 
Gesichtspunkte meines Erachtens nicht hervorgetreten. Es sind aber 
allerhand Bedenken vorgebracht worden, freilich Bedenken über Punkte, 
bei denen ich selber schon nicht mit Bedenken zurückgehalten habe. 
Mein Hauptargument, nämlich der Nachweis von Bacillen des bovinen 
Typus beim Menschen, speziell bei Kindern, ist nicht entkräftet, sondern 
im Gegenteil ja von verschiedenen Seiten anerkannt worden. 

Die von Herrn Fraser ausgehende Mitteilung habe ich selber als 
auffällig charakterisiert. Indes, ich sehe nicht ein, warum man einem 
solchen Forscher Misstrauen entgegenbringen soll, der an einem ge¬ 
eigneten Institut gearbeitet hat, und der, wenn er auch nicht jedes 
einzelne Protokoll veröffentlicht hat, doch die Resultate der einzelnen* 
Prüfungsmethoden, denen er die betreffenden Bacillen unterzogen hatte, 
tabellarisch mitgeteilt hat. Ich bemerke aber noch einmal, ich habe 
ganz besonderen Wert auf die Kossel’sche Zusammenstellung gelegt, 
und da darf ich denn doch vielleicht noch einmal darauf hinweisen, 
dass in dieser Zusammenstellung bei 209 Todesfällen von Kindern, die 
an Meningitis, an generalisierter Tuberkulose oder an Abdominaltuber¬ 
kulose gestorben waren, in 58, d. h. in 28 pCt. der Typus bovinus vor¬ 
handen gewesen ist. Das waren also nicht Erkrankungen, sondern 
Todesfälle an Typus bovinus. 

Ist die bovine Tuberkulose des Menschen eine Volkskrankheit? 

Nun, ich habe in meinem Vortrage den Ausdruck Volkskrankheit 
diesmal nicht gebraucht, Herr Weber hat auch durchaus richtig er¬ 
wähnt, dass ich ihn in einem meiner Vorträge, die ich in der Akademie 
der Wissenschaften gehalten habe, gebraucht habe; ich bin aber durch¬ 
aus erbötig, den Ausdruck auch hier zu vertreten. Es kommt nicht auf 
relative, sondern auf absolute Zahlen an, wenn man wissen will, ob man 
eine Krankheit als Volkskrankheit bezeichnen darf, und da darf ich 
darauf hinweisen, dass Herr Bendiz in einem Vortrage, den er im 
Jahre 1911 gehalten hat, dargelegt hat, dass im Deutschen Reiche 
jährlich 27 200 Säuglinge an Tuberkulose sterben. 

Wenn wir nun nachsehen: wie ist der Prozentsatz der bovinen 
Fälle bei Säuglingen, so haben Sie aus meinem Vortrage entnommen, 
dass er teilweise sehr hoch angegeben wird. Ich will mich aber be¬ 
scheiden und will das annehmen, was Herr Neufeld, ein Mitglied des 
Kaiserlichen Gesundheitsamtes, festgestellt hat, der 40 Fälle von Säug¬ 
lingstuberkulose untersucht hat und dabei viermal reinen Typus bovinus 
und noch einmal dazu bovinus gemischt mit humanus gefunden hat. 
Lassen wir den letzten Fall ganz ausser acht, so haben wir lOpCt. 
bovine Fälle. Nehmen wir lOpCt. von den jährlich an Tuberkulose 
sterbenden Säuglingen, so haben Sie immerhin 2720 Säuglinge, die jedes 
Jahr in Deutschland an boviner Tuberkulose sterben. 

Wollen wir uns eine Vorstellung machen, wie gross die Zahl der 
bovin infizierten Kinder in Deutschland überhaupt ist, so können wir 
un9 ja natürlich nur an die Untersuchungen halten, die an Lebenden 
vorgenommen sind. Ich habe schon in meinem Vortrage hervorgehoben, 
dass man den Ausfall der Pirquet'schen Reaktion vielleicht nicht ohne 
weiteres als Beweis nehmen kann. Aber wir haben vorläufig nichts 
anderes, und Herr Eckert hat ja auch heute wieder aus der Heubner- 
schen Klinik die Erfolge der Pirquet’schen Reaktion mitgeteilt. Nun, 
Sie wissen, dass Herr Hamburger z. B. bei seinen Untersuchungen bei 
Kindern von 12—13 Jahren 95pCt. mit Reaktion gefunden hat Herr 
Jacob, der den verseucbtesten Ort in Deutschland untersucht hat, hat 
bei schulpflichtigen Kindern 46pCt., in etwas späterer Lebenszeit sogar 
bis 70 pCt. gefunden. Herr Hillenberg hat in ländlichen Bezirken, 
wo teilweise seit 10 Jahren niemand an Tuberkulose gestorben war, 
wenigstens nicht an Schwindsucht, als Durchschnitt bei den Kindern 
zwischen dem 6. und 15. Lebensjahr 25,9 pCt. Tuberkulöse gefunden. 
Wir werden vielleicht keinen Fehler begehen, wenn wir sagen, dass die 
Kinder bis zum 15, Jahre hin,, bis zu ^OpCt. eine Tuberkuloseinfektion 
erfahren haben. Das Deutsche Reich besitzt rund 60 Millionen Ein¬ 
wohner. Das Lebensalter bis zum 15. Lebensjahr umfasst rund Vs* fl. h. 
also 20 Millionen. Wenn davon 20pCt. tuberkulös sind, so haben wir 
4 Millionen tuberkulöse Kinder. Sind davon 10 pCt. — die Zahlen von 
Herrn Eckert sprechen doch auch durchaus für diese lOpCt. — dem 


Typus bovinus zuzurechnen, so haben wir pro Jahr 400 000 Kinder, die 
vom Typus bovinus infiziert sind. Man macht Fehler in solchen Be¬ 
rechnungen. Wir wollen 50 pCt. Fehler rechnen, dann haben wir 
immer noch 200 000 Kinder, welche mit Typus bovinus infiziert sind. 

Was nennt man eine Volkskrankheit? Das ist objektiv. Ich über¬ 
lasse es Ihnen, ob Ihnen diese Zahlen schon genügen, um von einer 
Volkskrankheit zu sprechen. Mir genügen sie. Dann kommt noch hinzu, 
dass wir ja auch beim Erwachsenen Fälle von Typus bovinus haben und 
vor allen Diogen beim Lupus. Man bat eine Gesellschaft begründet, 
einen Bund zur Bekämpfung des Lupus, weil der Lupus eine Volks¬ 
krankheit sei. Die Hälfte der Lupusfälle gehört, wie es scheint, in das 
Gebiet des Typus bovinus hinein. Also auch hier, meine ich, hat man 
wohl das Recht, von einer Volkskrankheit zu sprechen. 

Nun, mögen Sie das so nennen oder nicht — es kommt darauf 
nicht an, sondern darauf, dass eine ganz erkleckliche Anzahl von 
Menschen an Typus bovinus erkrankt und stirbt, und da müssen wir 
fragen: Woher kommt denn der Typus bovinus? Wie die Sachen hier 
liegen, kann er doch nur vom Rindvieh kommen, und wenn wir fragen, 
auf welche Weise kommt er in den Menschen, dann bleibt doch gar 
kein anderer verständlicher Weg als die Milch. Mögen also die Unter¬ 
suchungen über die Milch vorläufig noch wenig günstig dafür aus¬ 
gefallen sein — den Tatsachen gegenüber bleibt doch gar nichts anderes 
übrig, als die Milch für das Vehikel anzusehen, und ich meine, wir 
haben ein volles Reoht, bis uns etwas anderes bewiesen wird, mit an 
Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die Ueber- 
tragung durch die Milch geschieht. 

Nun habe ich das Hauptargument, das Vorkommen typischer Rinder¬ 
bacillen beim Menschen, noch durch zwei weitere Betrachtungen zu 
unterstützen gesucht. Erstens durch den Hinweis darauf, dass es doch 
sehr möglich ist, dass der Typus bovinus und der Typus humanus in¬ 
einander übergehen. Ich habe die Gründe gegen einen solchen Ueber- 
gang, wie ich glaube, offen und ehrlich mitgeteilt. Ja, ich bin sogar, 
wie ich meine, etwas zu weit gegangen, indem ich verlangt habe, es 
sollten Uebergangsformen gefunden werden. 

Was wir bis jetzt von der Mutation der Bakterien wissen*), spricht 
nicht dafür, das9 Uebergangsformen da sind, sondern wir finden dicht 
nebeneinander die Stammform und die modifizierte Form. Es gibt 
Forscher, die sogar leugnen, dass bisher überhaupt eine Uebergangsform 
gefunden worden sei. Das mag dahingestellt bleiben. Aber die Tat¬ 
sache ist sicher, dass man in derselben Kultur den primären und den 
mutierten Organismus ohne Uebergänge nebeneinander hat. 

Ich habe aber den Uebergang gefordert, weil ich überzeugt bin, 
dass es atypische Formen von Tuberkelbacillen gibt. Auch die englische 
Kommission hat ja nicht alle ihre Fälle als Mischfälle erkennen können. 
Aber selbst wenn sich durch weitere Untersuchung heraussteilen sollte, 
dass in allen Fällen, wo sogenannte atypische Formen gefunden worden 
sind, nebeneinander Typus bovinus und Typus humanus vorhanden ge¬ 
wesen ist, so beweist das nichts gegen die Mutation, denn ich habe ja, 
eben gesagt: was bis jetzt von der Mutation bekannt ist, zeigt, dass 
ohne Uebergang nebeneinander die eine Form und die andere Form 
vorhanden ist. Also auch wenn wir eine Mischung von Typus bovinus 
und Typus humanus haben, so könnte da doch eine innere Beziehung 
zwischen den beiden Formen existieren. 

Ich habe dann weiter auf die Phthise hingewiesen. Es ist gesagt 
worden: Wir brauchen die bovinen Bacillen für die Phthise nicht. Das 
ist genau das, was ich gesagt habe, denn ich habe dargelegt, dass ich 
die Ansicht, jede Phthise stamme von einer Jugendinfektion, nicht teilen 
kann, sondern es ist ein erklecklicher Teil der Phthisen als aus pri¬ 
märer Infektion im späteren Lebensalter entstanden aufzufassen, und da 
spielen die bovinen Bacillen keine Rolle. Ich habe freilich gesagt, bei 
einem anderen Teil liegt die Möglichkeit vor, hinweisend auf die Beob¬ 
achtung bei Tieren, dass eine juvenile Infektion eine Disposition für 
Lungenerkrankung gemacht hat. Bei den juvenilen Formen nehme ich 
aber nur 10 pCt. für die bovinen Bacillen an, so dass also auch nach 
meiner Meinung bei der Phthisis pulmonum die bovinen Bacillen als 
Dispositionserzeuger keine grosse Rolle spielen, aber doch immerhin eine 
gewisse Rolle. 

Dass ich diese beiden letzten Möglichkeiten, die Mutation und die 
Beziehung zur Lungenphthise nicht als sicherstehende Tatsachen ange¬ 
sehen habe, werden Sie aus der Veröffentlichung meiner Abhandlung, 
die natürlich ein wenig erweitert nach dem Vortrage gemacht ist, lesen 
können, denü da steht: Mäg man auch diesen Zuwachs der Bedeutung 
der Rinderbacillen in den beiden letzten Beziehungen als einen mehr 
oder weniger hypothetischen betrachten, so ist er doch jedenfalls dazu 
angetan, die Forderung, welche sich aus der relativen Häufigkeit der 
nachweislichen Rindertuberkulose beim Menschen von selbst ergibt, noch 
weiter zu stützen. 

Diese Forderung habe ich bereits vor 10 Jahren von dieser Stelle 
aus aufgestellt und verteidigt, und die Forderung lautet: Kampf auch 
gegen die bovinen Bacillen! 

Herr Weber bat das Kaiserliche Gesundheitsamt gegen meine Be¬ 
merkung in Schutz genommen, dass es den Rinderbacillen nicht wohl 
geneigt sei. Ich bin nicht der Meinung des Herrn Westenhöfer, dass 
Herr Weber seine Meinung nicht klar und deutlich ausgedrückt habe. 
Herr Weber hat aber selbst gesagt, die Anerkennung der Bedeutung 

1) Vgl. Reiner Müller, Bakterienmutationen. Zeitsohr. f. indubt. 
Abstammungs- und Vererbungslehre, 1912, Bd. 8, S. 305. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 12. 


der Rinderbacillen durch das Kaiserliche Gesundheitsamt sei im Laufe 
der Untersuchungen eine grössere geworden. Sie war also ursprünglich 
eine kleinere, und das kann uns auch nicht wundernehmen, wenn wir 
die Beziehungen berücksichtigen, die zwischen dem Kaiserlichen Gesund¬ 
heitsamt und Robert Koch bestanden haben, Robert Koch, der doch 
im Jahre 1901 gesagt hat, er halte es für nicht geboten, irgendwelche 
Maassregeln dagegen — nämlich gegen die Rindertuberkulose — zu er¬ 
greifen. Noch 1905 hat Koch gesagt: Für Tuberkulosebekämpfung 
kommen mithin nur die vom Menschen ausgehenden Tuberkelbacillen 
in Betracht. Koch hat bekanntlich seine Ansicht geändert. Er hat 
später die Bekämpfung auch der bovinen Bacillen als «sehr nützlich" 
bezeichnet. Aber, wie es oft geht, so sind manche Schüler Koch’s 
päpstlicher als der Papst gewesen, und zwar zum Teil unter direkter 
Bezugnahme auf die Arbeiten des Kaiserlichen Gesundheitsamtes. 

Dass Herr F. Klemperer noch immer vor den Tatsachen hart¬ 
näckig die Augen verschliesst, haben Sie selbst bemerken können. 
Wichtiger ist, dass Männer, welche bei der Tuberkulosebekämpfung an 
hervorragender Stelle stehen, noch in jüngster Zeit die Irrlehre von der 
Bedeutungslosigkeit der Rinderbacillen in das Volk hineingetragen haben. 

Der Generalsekretär des Deutschen Centralkomitees zur Bekämpfung 
der Tuberkulose, Prof. Nietn er, hat in einem populären Vor trage 1911 
noch verkündet: dass der Mensch nicht vom Rind und das Rind nicht 
vom tuberkulösen Menschen angesteckt wird, sei mit ziemlicher Sicher¬ 
heit festgestellt, und behauptet, alle Männer der Wissenschaft müssten 
soviel zugeben, dass, wenn eine Ansteckung durch Milch, Butter usw. 
für den Menschen möglich sei, diese nur so selten vorkomme, dass es 
für die grosse Bekämpfung der Tuberkulose als Volkskrankheit gar nicht 
in Betracht komme. 

Noch schärfer hat sich der Leiter der Medizinalabteilung des 
Ministeriums des Innern, der schon durch diese seine Stellung eine 
maassgebende Persönlichkeit in der Tuberkulosebekämpfung ist, Herr 
Kirchner, in der „Woche“ im Jahre 1911 geäussert. Für ihn kann 
die Tuberkulose des Menschen nicht entstehen durch Genuss von Milch 
tuberkulöser Rinder, sondern allein durch Berührung mit tuberkulose¬ 
kranken Menschen. Der tuberkulosekranke Mensch ist für ihn die einzige 
Quelle der Tuberkulose, und daher könne die Ausbreitung der Tuber¬ 
kulose nur durch Maassregeln verhütet werden, die sich gegen den 
kranken Menschen richten. Als Grund für diese Behauptung wird an¬ 
geführt, dass durch grundlegende Arbeiten des Kaiserlichen Gesundheits¬ 
amts und anderer Forscher mit Sicherheit festgestellt worden sei, dass 
in der Tat die Tuberkelbacillen des Menschen für Rinder so gut wie 
ungefährlich und umgekehrt die Rinderbacillen für den Menschen fast 
völlig harmlos sind. 

Sie werden es begreifen, dass ioh gegenüber diesen einseitigen und 
irrigen, auf die Arbeiten des Kaiserlichen Gesundheitsamts sich be¬ 
rufenden Lehren mich freue, nach den wiederholten Erklärungen des 
Herrn Weber jetzt Arm in Arm mit dem Kaiserlichen Gesundheitsamt 
mein Ceterum censeo ins Volk rufen zu können: Kampf gegen die 
humanen, aber auch Kampf gegen die bovinen Bacillen. 

Hr. £. Saul: 

Beziehungen der Helminthen und Aeari zur Geschwnlstätiologie. 

(Mit Demonstrationen am Projektionsapparat.) 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 


Hufelandische Gesellschaft 

(für Demonstrationen und Vorträge aus der gesamten praktischen Medizin). 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 13. Februar 1913. 

Vorsitzender: Herr v. Hansemann. 

Schriftführer: Herr J. Ruhemann. 

1. Hr. Klapp: Einfaches Verfahren der Tonsillektomie. 

Da die Tonsillotomie Mandelrestc hinterlässt, von denen Recidive 
droben, und den bekannten sonstigen tonsillären Infektionen nicht völlig 
vorbeugt, so tritt er für die totale Entfernung der Mandeln ein. Die 
digitale Exstirpation ist nur bei derben, nicht bei den weichen oder 
peritonsillitisch verwachsenen Formen indiziert. Das vom Vortr. vorge¬ 
schlagene Verfahren wird mit einem nach dem Prinzip der Lühr’schen 
Hohlmeisselcange und mit beiden Händen au dirigierenden Instrument 
ausgeführt; die Enucleation geschieht ohne Zerrung und ohne nennens¬ 
werte Blutung. 

2. Hr. Schmieden: Ersatzmethode der Wangenschleimhaut. 

Patient mit walnussgrossem Garcinom der Mundschleimhaut. Ent¬ 
fernung desselben und aller nahegelegenen Drüsen. Nach drei Monaten 
Recidiv in loco. Fünfmarkstückgrosse Entfernung der Schleimhaut. Zum 
Ersatz des grossen Defektes wird (italienische Methode) ein Stiellappen 
vom Oberarm so eingepfianzt, dass die cutane Fläche nach der Mund¬ 
höhle zu liegen kommt; nach elf Tagen Durchtrennung des Stieles; der 
Lappen wird nach zwei bis drei Wochen egalisiert und vernäht. Drüsen- 
nachoperation. Seit einem halben Jahre kein Recidiv. Facialislähmung. 
Patient kann die Zahnreihe 2—3 cm weit öffnen und kaueB. Anfangs 
biss er sich auf das eingepflanzte Stück. 

Diskussion. 

Hr. v. Hanse mann: Wachsen Haare nach? 

Hr. Schmieden: Das geschieht bei dieser Wahl des Lappens nicht. 


Die Haut adaptiert sich, wird weiss und weich. Die Schweiss- und Talg¬ 
drüsen atrophieren. Einen histologischen Befund kann Vortragender 
nicht geben. 

3. Hr. t. Hanseniann: 

Ucber Geschwülste der Eiugehoreuei unserer Kolouiea. 

Vortr. berichtet über 106 Untersuchungen von Gesohwulstmaterial, 
das durch das Reichs-Kolonialamt dem Deutschen Centralkomitee zur 
Erforschung und Bekämpfung der Krebskrankheit eingeschickt war. Aus 
dem Material geht hervor, dass Carcinome keineswegs selten sind, wie 
es fast überall angegeben wird. Es befanden sich unter dem über¬ 
sandten Material 20 Carcinome verschiedener Organe, 23 Sarkome und 
4 sonstige bösartige Geschwülste. Ausserdem 32 verschiedene gutartige 
Geschwülste. Das übrige Material betraf andere geschwulstartige Krank¬ 
heiten, die aber nicht zu den echten Neubildungen gehörten. Von den 
Carcinomen entfallen 7 auf Samoa und die Südsee, 10 auf Ostafrika und 
3 auf Nordwestafrika. Von den Sarkomen 14 auf Ostafrika, 3 auf Nord¬ 
westafrika und 6 auf die Südsee. Von den anderen bösartigen Ge¬ 
schwülsten entfallen zwei auf Ostafrika und 2 auf Samoa. Ueber die 
Häufigkeit des Vorkommens an und für sich sagen diese Untersuchungen 
natürlich nichts aus, da nicht kontrolliert werden kann, der wievielte 
Teil der wirklich vorkommenden Geschwülste eingesandt wurde. Jedoch 
geht das mit Sicherheit aus diesen Beobachtungen hervor, dass in 
Deutschland keine Geschwulstart vorkommt, die nicht auch in den Tropen 
bei den Eingeborenen vorkommt, und umgekehrt, dass sich dort keine 
Geschwulst findet, die hier in Deutschland fehlt. 

(Der Vortrag wird ausführlich in der Zeitschrift für Krebsforschung 
veröffentlicht werden.) 

Diskussion. 

Hr. Koenig: Die Ausführungen des Herrn Vortragenden haben mich 
besonders interessiert, weil ich in langjähriger Tätigkeit in den Tropen 
(Zansibar) Gelegenheit gehabt habe, in unserer Poliklinik bei einem täg¬ 
lichen Zugang von 100 bis 150 eingeborenen Patienten Tumoren in 
grosser Zahl zu sehen bzw. auf operativem Wege zu entfernen; ich kann 
mich nicht besinnen, je einen malignen Tumor gesehen zu haben; da¬ 
gegen kamen Lipome, Fibrome und namentlich Geschwülste auf der 
Basis der Elephantiasis sehr häufig zur Operation. Diese Erfahrungen 
beweisen natürlich nichts gegen das Vorkommen von malignen Tumoren 
in den Tropen; ich möchte aber glauben, dass das von Herrn v. Hanse¬ 
mann Yorgeführte Material immerhin für eine relative Seltenheit dieser 
Geschwülste unter den Eingeborenen in tropischem Klima spricht. Herr 
v. Hansemann hat auch nicht den Nachweis erbracht, dass es sich 
dabei um Patienten aus rassereinen Stämmen, nicht etwa um Mischlinge 
handelt; es ist eventuell ein solcher Nachweis auch sehr schwierig bzw. 
ganz unmöglich. Es dürfte aber eine dankbare Aufgabe für das Central¬ 
komitee zur Krebserforschung sein, Forsoher in tropische Lande zu 
schicken, die an Ort und Stelle Studien über das Vorkommen maligner 
Tumoren zu machen hätten. 

Hr. v. Hansemann: Die Erklärung für die scheinbare Seltenheit 
maligner Tumoren ist damit zu geben, dass die Eingeborenen mit bös¬ 
artigen Geschwülsten nicht in die Krankenhäuser kommen und abseits 
dahinsiechen; besonders ist dieses bei den malignen Tumoren innerer 
Organe der Fall. 

4. Hr. Adler: Demonstration zir C hirurgie der Gallenblase. 

(Ist unter den Originalien dieser Nummer abgedruckt.) 

Diskussion. 

Hr. Ewald: Der schönen Demonstration ist nichts hinzuzufügen. 
Welche Erfahrungen besitzt der Herr Vortragende über das sogenannte 
Courvoisier’sche Gesetz, wobei die Gallenblase bei krebsiger Neubildung 
vergrössert gefunden wird, während sie sich bei Steinen als klein erweist 
Ich habe dasselbe keineswegs immer zutreffend gefunden. 

Hr. Adler bestätigt nach seinen Erfahrungen ebenfalls die Unzu¬ 
verlässigkeit der sich auf die Grössenverhältnisse der Gallenblase 
gründenden diagnostischen Vorausbestimmungen. 

5. HHr. H. Stranss und S. Brandenstein: 

Ergebnisse von Rdntgennntersnchungen bei chronischer Obstipation. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

Diskussion. 

Hr. S. Brandenstein hatte Gelegenheit, im Leuchtschirm das 
medianwärts gerichtete Vorrücken des Kotes 48 Stunden nach der Auf¬ 
nahme des Baryum bei hochgradigem Ascendenstyp zu sehen sowie die 
Lösung des Kotballens im Descendens, endlich bei Ascendens- und 
Transversumfüllung nach 73 Stunden Wanderung durch das Transversum 
und den retrograden Transport in das Transversum bei der Stuhl¬ 
entleerung. 

6. Hr. v. Hansemann: 

Fall von hochgradiger LipKmie bei Diabetes. 

Es war so viel Fett im Blute, dass sich jenes wie Rahm auf der 
Oberfläche desselben ansammelte;, ein gleicher Gehalt «fand sich in der 
Spinalflüssigkeit. Die Lympbgefässe in* Peritoneum hatten weisse, von 
Fett herrührende Streifen; am merkwürdigsten war der Befund an den 
Gefassen des Gehirns; dieselben zeigten sich mit Fett infiltriert. 

7. Hr. Hiltnann: Präparatdemonstrationen. 

a) Fall von Carcinom des Oesophagus. Auf eine durch chronische 
anthrakotische Hyperplasie der mediastinalen Lymphdrüsen verursachte 


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24. Märs 1018. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Pigmentperforation des Oesophagus mit multiplen Traktionsdivertikeln 
desselben pflanzt sich ein oaroinomatöses Geschwür, perforiert in den 
linken Bronchus und in das mediastinale Bindegewebe. 

b) Eine tuberkulöse Bifurkationsdrüse perforiert in den Oesophagus, 
die Trachea und in den Arous aortae. Tod durch Verblutung. 

c) Chronische Anthrakose und Hyperplasis der mediastinalen Lymph- 
drusen. Sekundäres Carcinom des unteren Speiseröhrendrittels. Per¬ 
foration in Bronchus und mediastinales Bindegewebe. 

8. Hr. Friti Weiaberg: 

Demonstration von Präparaten von Oesophagus- and Bronehial- 
perforation. 

Im Anschluss an die Demonstration des Herrn Hiltmann zeigeich 
das Präparat eines Oesophagusgeschwürs, das perforiert war; die Per¬ 
foration einer verkästen Drüse in die Aorta; den Durchbruch eines 
luetischen Aortenaneurysmas in ein Oesophaguscarcinom. Am inter¬ 
essantesten war das Präparat, wo auf Grund einer luetischen Oesophagus- 
stenose sich ein über fünfmarkstückgrosses Oesophagusgeschwür gebildet 
hatte, das in den rechten Bronohus und in die Aorta durobgebrochen 
war und innerhalb des Geschwürs ein Carcinom sass. Der Tod erfolgte 
io wenigen Augenblicken an Verblutung. Die Fremdkörperperforationen 
sind sehr selten: Ich zeige ein Präparat, wo durch ein Stück eines ver¬ 
schluckten Gebisses eine Perforation in die Pleura erfolgt war; in einem 
Präparat sah man ein Oesophagusgeschwür in die Aorta durobgebrochen. 
Das Gewebe zwischen Oesophagus und Aorta war zu einem harten Strang 
verdickt, der sich mikroskopisch als phlegmonöse Entzündung erwies. 
Wir haben es hier wahrscheinlich mit einer Fremdkörperperforation 
zu tun. 

9. Hr. v. Mieleeki: Magengeschwüre bei Nengeboreien. 

Demonstration eines Präparates vom Magen, der bei der Sektion 
eines vier Tage alten Mädchens gewonnen wurde. Die Schleimhaut weist 
zahlreiche punkt- bis linsengrosse Geschwüre auf. Mikroskopisch handelt 
es sich um Epitheldefekte, die Submucosa liegt bloss, ist gewuchert und 
entzündlich infiltriert. Die Affektion ist der Ausdruck einer schweren 
katarrhalischen Entzündung des Magendarmtractus, die auch zu einem 
allgemeinen Icterus geführt hat. Im Anschluss hieran demonstriert 
Vortr. Magengeschwüre von Kindern im Alter von einem Monat bis zu 
drei Jahren; diese Geschwüre haben mit dem ersten Fall nichts ge¬ 
meinsam; sie entsprechen dem Ulcus rotundum der Erwachsenen. 


Berliner otologische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Ordentliche Generalversammlung vom 24. Januar 1913. 

Vorsitzender: Herr Passow. 

Schriftführer: Herr Beyer. 

Vorsitzender: Bevor, wir zu unserer Tagesordnung übergehen, 
habe ich die Pflicht, an unser altes Mitglied, Richard Müller, zu er¬ 
innern, der vor einiger Zeit eines sehr traurigen Todes, an Carcinom der 
Speiseröhre gestorben ist. 

Sie wissen alle, dass Richard Müller ein treuer und erfolgreicher 
Schüler von Trautmann gewesen ist, die Charitö-Ohrenklinik nach dem 
Tode Trautmann’s ein halbes Jahr leitete und in dieser Zeit auch 
den Unterricht der Studierenden übernommen hatte. 

Richard Müller hat eine Reihe wissenschaftlicher Arbeiten ge¬ 
liefert. Eine neue Arbeit ist noch, wie ich glaube, nach seinem Tode 
veröffentlicht. Wohl sein langes, schweres Leiden hat ihn verhindert, 
in unserer Gesellschaft häufiger zu erscheinen. Wer ihn, wie ich, ge¬ 
kannt hat, wird wissen, dass er ein durchaus braver, lieber und treuer 
Mensch war und für unsere otologische Wissenschaft hier wirklich sein 
Ganzes eingesetzt hat. 

Wir wollen ihm ein treues Andenken bewahren. (Die Anwesenden 
erheben sich.) 

Jahresbericht des Vorsitzenden, des Schatzmeisters und 
des Bibliothekars. 

Vorsitzender: Es fanden im Jahre 1912 7 Sitzungen statt mit 
26 Vorträgen, worunter 7 mit Demonstrationen. 15 mal schlossen sich 
daran Diskussionen an. Die Zahl der zahlenden Mitglieder beträgt 107, 
aufgenommen wurden 10, gestorben ist einer.. 

Hr. Herzfeld: Kassenbericht für 1912. 

Wir gingon mit einem Barbestand von 456,34 M. in das vergangene 
Jahr. An Mitgiiederbeiträgen wurden 1070 M. bezahlt. An Zinsen 
wurden 148,50 M. eingenommen, so dass die Gesamteinnahme 1674,84 M. 
beträgt. Die Gesamtausgaben betrugen 1192,20 M. Es bleibt somit 
ein Barbestand von 482,64 M. 

Unser Vermögen besteht aus 3300 M. 4 proz. Neuen Berliner Pfaudr 
briefen ttod 700 M. 4 proz. Deutsche Reichsanleihe, die einen Wert t ,von 
rund 4000 M. repräsentieren, ferner aUs dem Barbestand von 482,64 M. 

Die Kasse wurde von Herrn Haike und Herrn Grossmann revidiert. 

Die Versammlung erteilt die Entlastung. 

Hr. Blau berichtet über den Bestand der Bibliothek, die 
61 Zeitschriftenbärfde, 138 Büchfr, 280 Sonderabdrücke, 28 Dissertationen 
und 2 Kartenmappen enthält. 

Wahl des Vorstandes und der Aufnahmekommission. 

Die bisherigen Mitglieder des Vorstandes und der Abnahme¬ 
kommission werden wiedergewählt und nehmen die Wahl an. 


Abstimmung über Bewilligung eines Beitrages zum Koch-Denkmal 
sowie zur Gründung eines Fonds zu einem Schwartze-Denkmal. 

Für das Koch-Denkmal wird ein Betrag von 200 M. bewilligt. 

Zur Vorbereitung der von dem Vorsitzenden angeregten Frage der 
Errichtung eines Schwartze-Denkmals wird ein Ausschuss gewählt, be¬ 
stehend aus den Herren Herzfeld, Schwabach, Wagener und Brühl. 

Abstimmung über die Frage der Ernennung korrespondierender 
Mitglieder. Die Ernennung korrespondierender Mitglieder wird abgelehnt. 

Abstimmung über den Antrag des Bibliothekars betreffend das An¬ 
erbieten der Laryngologischen Gesellschaft, für die Berechtigung der 
Mitglieder beider Gesellschaften auch die der anderen Gesellschaft ge¬ 
hörenden Bücher mit nach Hause zu nehmen. 

Bei der Erörterung stellt sich heraus, dass der Bibliothekar der 
Laryngologischen Gesellschaft diese Vereinbarung von der Voraussetzung 
abhängig machen will, dass die Berliner otologische Gesellschaft einen 
gewissen Mindestbetrag für Zeitschriften aufwendet. 

Durch Abstimmung wird festgestellt, dass Geneigtheit besteht, mit 
der Laryngologischen Gesellschaft wegen der gemeinsamen Benutzung 
der Bibliotheken in Verhandlungen zu treten. Die endgültige Ent¬ 
scheidung über die Angelegenheit wird vertagt. Vorher sollen die 
Bibliothekare der beiden Gesellschaften miteinander verhandeln. 

Beim Internationalen Kongress für Medizin, der in diesem Jahre in 
London stattfinden wird, ist angefragt worden, warum die otologische 
Ausstellung von der Gesamtausstellung getrennt werden soll. Darauf 
ist die Antwort eingegangen, dass dies auf Wunsch des Vorstandes der 
otologischen Sektion geschehen ist. 

Hr. Bnseh: 

Kosmetische Besserung der dirch Paeialislihmaog bedingtes Ent¬ 
stellung. 

Vortr. zeigt die Bilder eines Patienten mit 8 Jahre alter otogener 
Facialislähmung, bei welchem er versucht hat, den gelähmten, herunter¬ 
hängenden Mundwinkel durch eine kleine Operation zu heben und da¬ 
durch die Entstellung zu beseitigen. Während Vortr. früher hierzu 
einen Draht benutzte (s. Passow’s Beiträge, 1910), empfiehlt er jetzt 
hierzu ein Stück Fascia lata des Oberschenkels. Das Verfahren ist kurz 
folgendes: Kleiner Schnitt am unteren Rand des Jochbogens und am 
Mundwinkel; mit einer schmalen, spitzen Schere geht man hierauf von 
der oberen zur unteren Wunde intrabuccal hindurch. Präparation eines 
2 cm breiten Streifens der Facia lata vom Oberschenkel; freie Trans¬ 
plantation desselben in den Wundkanal innerhalb der gelähmten Wange. 
Fixation des Fascienstreifens in der Wunde am Mundwinkel mittels 
zweier Seitennähte; Korrektur des herunterhängenden Mundwinkels durch 
Anziehen des Fascienstreifens von der oberen Wunde aus; Fixation des 
oberen Streifenendes durch zwei Nähte im Periost des Jochbogens. Naht 
der Hautwunden. Das Resultat ist, wie die Bilder zeigen, gut; auch ist 
zu hoffen, dass der eingeheilte Fascienstreifen besser halten wird als der 
früher vom Vortr. hierzu benutzte Draht. 

Diskussion. Hr. Beyer bemerkt, dass vor etwa einem halben 
Jahre Herr Ritter gesprächsweise diese Methode der kosmetischen 
Besserung der Facialislähmung ihm gegenüber erwähnt bat. 

Hr. Haenlein: Fall von Nasentnmor. 

Im Sommer 1911 sah der Patient an seiner linken Nasenscheide¬ 
wand kleine Wucherungen. Sie wurden im September 1911 weg¬ 
genommen, es traten aber Recidive auf im Oktober 1911 und Juli 1912. 
Wie Pat. angibt, wurde im Juli 1912 auch das knorpelige Septum ent- 
fernt, doch wuchsen die Neubildungen rasch wieder. 

Als Vortr. den Pat. Oktober 1912 sah, war die Nase fast 
ganz durch ein über die Nasenöffnungen binausragendes Blumenkobl- 
gewächs ausgefüllt. Der Tumor war weich, nicht ulceriert, graurötlich, 
mit ganz dünnen Borken belegt. Die Moulage und Photographie geben 
darüber ein gutes Bild. Drüsenschwellungen, für Carcinom sprechende 
Erscheinungen fehlten. Dem besonders nach dem bisherigen Verlauf 
gebotenen Vorschlag einer radikalen Operation wollte Pat. nicht folgen. 
Deswegen wurde in Narkose mit dem scharfen Löffel der Tumor bis auf 
gesundes Gewebe entfernt. Dann wurden Aetzungen mit konzentrierter 
Milchsäure gemacht. Die Heilung war reaktionslos. Die histologische 
Untersuchung ergab ein Epithelioma papillare. Diese Neubildung der 
Nase ist ziemlich selten. 14 Tage nach der Operation wurde Zeller’s 
Arsen-Zinnoberpaste Cinnabarsana auf die Wundfläche in der Nase auf¬ 
gestrichen. Bekanntlich bat Zeller seit 1910 äussere Krebse mit dieser 
Paste behandelt und nach seinen Veröffentlichungen gute Erfolge damit 
erzielt. Es wurde hier der Versuch gemacht, ob eine Wirkung der 
Paste auch bei dieser mikroskopisch benignen, klinisch malignen Neu 
bildung zu erzielen ist. Der Pat. bekam nach Anwendung der Paste 
stets starke Schmerzen. Wie erwartet, bildete sich die Geschwulst 
wieder, und zwar von zwei Stellen aus, von der Innenfläche des Nasen¬ 
daches, der Nasenspitze, sowie von der unteren linken Muschel. Das 
Cinnabarsana hatte allerdings die gleiche Wirkung, wie Vortr. es bei 
Krebs gesehen hatte. Vier bis fünf Tage nach der Anwendung stiessen sich 
relativ grosse Stücke der Neubildung ab. Mikroskopisch handelt es sich 
um nekrotisches Gewebe; trotzdem wuchs -die Neubildung, und so hat 
die Geschwulst wieder 'einen ziemlichen Umfang erreicht; sie wächst 
also rascher wieder, als neugebildetes Gewebe sich abstösst. Die 
Zeller’sohe Paste ergibt in diesem Falle anscheinend keine Heilung. 
Von einer Erkrankung der Nebenhöhlen der Nase oder der Nasen- 
sohleimhaut (Ozaena) ist nichts nachzuweisen. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 12. 


Diskussion. 

Hr. Wagener: Die pathologisch-anatomische Diagnose darf in diesem 
Falle nicht ausschlaggebend sein. Zu berücksichtigen ist immer der 
klinische Verlauf. Man weiss nicht, ob die Stellen aus dem gesunden 
Gewebe herausgenommen sind, die ein Urteil darüber erlauben, ob 
Carcinom vorliegt oder nicht. 

Hr. Haenlein: Es wurden von verschiedenen Stücken der operativ 
entfernten Neubildung histologisohe Untersuchungen gemacht, aber auch 
nicht in tiefgelegenen Schichten bisher etwas für Carcinom Sprechendes 
gefunden. Wenn auch eine scharfe Grenze zwischen Epithelioma papillare 
und Carcinom besteht, so ist dooh die Möglichkeit, dass ein Carcinom 
an einer Stelle sich entwickelt oder an einer von mir nicht gefundenen 
Stelle besteht, vorhanden. 

Hr. Wolff: In der Literatur sind eine Reihe von Fällen publiziert, 
in denen zunächst histologisch ein Epithelioma papillare diagnostiziert 
wurde, und wo sich erst im Laufe von drei bis vier Jahren der bösartige 
Charakter histologisch herausstellte. Gerade die Epitheliomata papillaria 
am Septum und am Naseneingang verlieren manchmal im Laufe von 
Jahren ihren gutartigen Charakter. 

Hr. Haenlein (Schlusswort): Sicher soll man derartige Fälle wie 
maligne behandeln. Denn die wachsende Neubildung zerstört das um¬ 
gebende Gewebe. Weil der Patient einer grösseren Operation sich nicht 
unterziehen wollte, wollte ich das Cinnabarsana versuchen, das nach den 
vorliegenden Veröffentlichungen geeignet erschien, das erwartete Recidiv 
zu verhüten. 


Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde zn Berlin. 

Sitzung vom 3. März 1918. 

Vor der Tagesordnung. 

1. Hr. Bönniger: Zur Genese des Ulcns veotrienli. 

v. Bergmann hat die Theorie aufgestellt, dass das Ulcus ventriculi 
durch Spasmen der Magen muskulatur entstände, in deren Gefolge es zu¬ 
nächst zu Ischämie und dann zur Selbstverdauung kommt. B. zeigt nun 
den Sanduhrmagen eines Falles von perniciöser Anämie mit spastischen 
Kontrakturen der Schleimhaut, auf deren Höhen man Blutungen sieht. 
Wegen des Fehlens der Salzsäure ist es hier natürlich nicht zur Selbst¬ 
verdauung gekommen. Man darf aber die Berg man n’sohe Theorie nicht 
verallgemeinern und auf alle Arten von Ulcus ausdehnen. 

2. Hr. Katzenstein: 

Eiae aeae Methode zur direkten Besichtigung des Kehlkopfes. 

K. demonstriert einen Apparat, mit dessen Hilfe eine direkte Be¬ 
sichtigung des Kehlkopfes sowie die Bronchoskopie möglich ist. 

Tagesordnung. 

1. Diskussion zu dem Vortrag des Herrn Tachaa: Untersuchungen 
aber den Znekergehalt des Blotes and deren klinische Bedeutung. 

Hr. K. Reicher-Bad Mergentheim-Blankenburg (Thür.) weist darauf 
hin, dass er und E. H. Stein schon vor drei Jahren als die ersten 
systematische Blutzuckerbestimmungen in kurzen Intervallen unter gleich¬ 
zeitiger Vornahme von Gasanalysen ausgeführt haben. Die Untersuchungen 
wurden in der II. medizinischen Klinik der Charite gemacht. Reicher 
und Stein führten eine neue colorimetrische Bestimmung ein, welche 
die Gesamtkohlehydrate (KH) des Blutes bis zu den Pen tosen herab 
umfasst, ihre Werte sind daher stets grösser, geben aber ein getreu- 
liches Bild des Stoffwechsels wieder, was man von den Reduktionswerten 
nicht immer behaupten kann. Erhält ein gesunder Mensch 100 g Trauben¬ 
zucker, so findet man in den nächsten Stunden in der Regel keine Ver¬ 
änderungen in den Reduktionswerten des Blutes, dagegen bei der KH- 
Bestimmung eine typische Kurve, welche genau dem Respirations¬ 
quotienten der Gasanalyse entspricht, nämlich allmählichen Anstieg der 
KH-Werte von 0,09 bis höchstens 0,25 pCt., parallel damit ein Wachsen 
des Respirationsquotienten bis zum Werte der reinen KH-Verbrennung, 
und als Effekt derselben nachher einen rapiden Abfall der KH-Mengen 
im Blute. Die Reduktionsmethode sagt uns über diese Vorgänge gar 
nichts aus; man wird daher der Methode von Reicher und Stein in 
Zukunft mehr Beachtung schenken müssen, da sie einen tieferen Ein¬ 
blick in gewisse Vorgänge des Stoffwechsels gestattet als die bisherigen 
Reduktionsbestimmungen des Blutes. Auch zeigt die KH-Bestimmüng 
typische Unterschiede im Verhalten des Gesunden und des Diabetikers. 
Beim Diabetiker beträgt der Nüchternwert des Blutes 0,2 bis 0,25, auch 
0,3 pCt., und steigt bei obiger Belastungsprobe bis 0,4 (bis 0,6), und 
zwar nicht nach einer Stunde wie beim Gesunden, sondern erst nach 
zwei bis drei Stunden. Als Ausdruck verschlechterter KH-Verbrennung 
steigt dabei der Respirationsquotient gar nicht oder jedenfalls nicht bis 
zum Wert der reinen KH-Verbrennung. Es werden durch die KH-Be- 
stimmung offenbar ausser Traubenzucker noch Zwischenstufen zwischen 
dem Leberglykogen und dem Traubenzucker angezeigt, die für den Stoff¬ 
wechsel äusserst wichtig sind, jedenfalls aber keine Schlacken vorstelled* 
wie die Breslauer Schule behauptet. Vielmehr entsprechen* ihre Werte 
Claude Bernard’s Sucre imraediat + Sucre virtuel und ; ermöglichen 
so einzeitig eine Wertbestimmung, die sonst nur zweizeitig durch 
eine Reduktionsbestimmung im nativen und eine zweite in Säure be¬ 
handeltem Serum durchführbar ist. 

Reicher und Stein konnten ferner als erste mit ihrer KH-Be- 
Stimmung das Bild des latenten Diabetes aufstellen, bei dem es zu¬ 


nächst niemals zu Glykosurie, wohl aber zu diabetischen KH-Werten im 
Blut mit pathologischem Verlauf des KH-StoffWechsels kommt. Hierher 
gehören Fälle von Furunkulose, Neuralgien bzw. Ischias, Alveolarpyorrhöe, 
recidivierendes Erysipel, Brand, unmotivierte Gewichtsstürze usw. Durch 
strenge antidiabetische Diät lassen sich derartige Fälle vielfach unter 
Herabgehen der KH-Werte im Blute bessern. Sehr schön kann man 
ferner den Erfolg oder Misserfolg von Diät und Trinkkuren durch wieder¬ 
holte Vornahme obiger kombinierter Blut- und Gasanalysen verfolgen 
und jedenfalls schon aus der KH-Bestimmung im Nüchternblute ersehen, 
ob Besserung eingetreten ist oder nicht. Nach einer Kur mit Mergent- 
heimer Karlsquelle sinken die Blutzuckerwerte in einzelnen Fällen 
auf die Hälfte oder ein Drittel des ursprünglichen Wertes hinab. Mit 
KH-Zulagen in der Nahrung ist erst dann vorzugehen, wenn der KH- 
Nüchternwert im Blute gesunken ist, sonst steigen die Zuckerwerte im 
Urin sofort wieder an. Die richtige Kontrolle unseres therapeutischen 
Handelns beim Diabetiker ist also der Blutzucker, während der Urin¬ 
zucker vielfach irreführend wirkt. Bei nahendem Goma diabeticum gebt 
der Urinzucker manchmal hinunter, der Blutzucker steigt dagegen an. 
Auch die Blutfett- und -Lipoidmengen bewegen sich aufwärts. Ganz 
ähnliche Verhältnisse fand Reicher in der Narkose. Durch Narkoti¬ 
sieren eines halbwegs schweren Falles von Diabetes setzt man auf eine 
schon bestehende Störung des KH- und Fettstoffwechsels die bloss gra¬ 
duell verschiedene, aber sonst analoge Oxydationshemmung der Narkose 
auf, daher die häufigen schlechten Folgen von Narkose bei Diabetes, der 
sogar Coma in wenigen Stunden nachfoigen kann. Bei einer Gruppe 
von Sklerodermiefällen, die mit Hyperthyreoidismus und Bronzeverfärbung 
einhergehen, finden sich diabetische Werte von KH im Blote (Kraus 
und Reicher) ohne Glykosurie, diese kann aber im späteren Verlaufe 
auftreten (Uebergänge in Bronzediabetes). 

Hr. Bönniger weist daraufhin, dass die Stein-Reicher’scheMethode 
eine Fehlerquelle hat. Starkes Licht verändert die Farbe sehr schnell. 
Er verweist dann auf seine eigenen Untersuchungen über den Blutzucker 
und macht darauf aufmerksam, dass man überall dort, wo eine ungleiche 
Verteilung des Zuckers angenommen werden muss, Blutkörperchen und 
Serum getrennt auf Zucker untersuchen soll. 

Hr. Reicher hat eine Beeinträchtigung der Färbung durch Licht 
niemals gesehen. 

2. Hr. OhM: 

Ueber die Bedeutung des Venenpulses bei neuer kombinierter photo¬ 
graphischer Methodik. 

Die von dem Vortragenden ausgearbeitete photographische Registrier¬ 
methode gestattet eine gleichzeitige Kurvenaufnahme von Arterienpuls, 
Venenpuls und den Herztönen. An einer sehr grossen Zahl von Kurven 
demonstriert er normale und pathologische Fälle und bespricht die Be¬ 
deutung der Kurvenbilder. H. Hirschfeld. 


Verein der Aerzte Wiesbadens. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 22. Januar 1913. 

Vorsitzender: Herr R. Schütz. 

I. Hr. Josef Müller: Röntgentherapie in der Gynäkologie. 

Nach einem kurzen historischen Ueberblick über die Entwicklung 

der Röntgentherapie in der Gynäkologie bespricht Vortr. das Anwendungs¬ 
gebiet der Röntgenstrahlen: Myome, Metrorrhagien, Menorrhagien, Dys¬ 
menorrhöe. Persönlich hatte er gute Erfolge bei 5 Fällen von Myom; 
Erzielung der Menopause. Bei einer 6. Patientin, bei der bereits Meno¬ 
pause eingetreten war, erzielte er Schrumpfung des Kolossaltumors, so 
dass die Distantia spinarum ileum ant. von 39 auf 30 cm zurückging. 
Bei 2 Fällen von Metrorrhagien jüngerer Frauen wurden die Menses auf 
die Norm zurückgebracht, jedoch war in einem Falle der Erfolg kein 
dauernder. Sehr günstige Erfolge wurden in 2 Fällen von schweren 
Menorrhagien junger Mädchen im Beginn der Pubertät erzielt Bei 
Dysmenorrhöe war der Erfolg in einem Falle ein glänzender, im anderen 
negativ. Die Technik des Vortr. ist eine intensiver gestaltete Modifikation 
des Verfahrens von Albers-Schönberg: 2 bis 4 Felder von der Baueb¬ 
und ebensoviele von der Rückenseite dreimal, jedesmal mit Vs E.-D. 
unter Anwendung der Kompressionsblende bestrahlt, mit Wiederholung 
nach 14 tägiger Pause. Die Freiburger Intensiv-Methode kommt eventuell 
für Fälle, die sich bet! mildem Vorgehen refraktär zeigen, sowie aus 
vitaler Indikation bei völlig ausgebluteten Frauen in Betracht, als 
reguläres Verfahren ist sie abzulehnen, da sie ohne zwingenden Grund 
dem Organismus Röntgendosen einverleibt, die nicht als irrelevant zu 
bezeichnen sind. Bei allen Blutungen nicht myomatösen Ursprunges ist 
zur Sicherung der Diagnose unbedingt eine Abrasio vorauszuschicken, 
die buch manchmal weitere Behandlung erspart. Bei Blutungen myoma¬ 
tösen Charakters ist auf genaueste Diagnosenstellung "der> allergrösste 
Wert zy legen,.fegen der verhängnisvollen Folgen d$r Röntgenbehandlung 
bei nicht erkannter Malignität. Aus diesem Grunde ist auoh für die 
Röntgentherapie, falls sie nicht von einem sachkundigen Gynäkologen 
geleitet wird, vorhergehende Untersuchung*, und dauernde Kontrolle durch 
einen solchen unerlässliche Bedingung. . 

II. Hr. Fendt: Röntgentherapie in der Dermatologie. 

Vortr. bespricht die historische Entwicklung der Röntgenbehandlung 
der Hautkrankheiten, die aus dem unsicheren empirischen Verfahren der 
ersten Jahre , ihres Bestehens sich durch brauchbare Dosierungsmethoden 


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24. Mftre 1dl 8. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


667 


zu einem sehr schätzbaren, unliebsame Ueberraschungen, d. h. Schädigung 
des Patienten vermeidenden Verfahren entwickelt hat. Zur Dosierung 
sind in erster Linie die Sabouraud - Voirö’schen Baryumplatincyanür- 
pastillen und das Kienböck’sche Quantimeter in seiner neuen Aus¬ 
gestaltung zu empfehlen, wonach Dritteldosen in etwa wöchentlichen 
Zwischenräumen verabreicht werden. Die Röntgenbehandlung hat sich 
in der Dermatologie besonders bewährt bei chronischem und subakutera 
Ekzem, Lichen Simplex chronicus, Psoriasis, schwerer Acne vulgaris, 
Acnekeloid, Epitheliomen, bei tiefgehender Sycosis parasitaria, Sycosis 
non parasitaria, Pruritus pni, Pruritus vulvae. Bei Lupus erythematodes 
lassen sich Besserungen erzielen, doch wohl kaum Heilungen. Auch bei 
Lupus vulgaris lassen die Erfolge vielfach zu wünschen übrig. 

Vorsichtig, d. h. unter Heranziehung eines zuverlässigen Dosierungs- 
Verfahrens angewandt, darf der Arzt die Röntgenbehandlung gewisser 
Hautkrankheiten, die sonst üblichen Methoden vielfach durch Promptheit 
des Erfolges, Bequemlichkeit und Sauberkeit überlegen ist, getrost seinen 
Patienten zur Anwendung empfehlen. 

Diskussion. 

Hr. Köhler sah bei Behandlung des Lupus vulgaris bedeutend 
bessere Narben, wenn statt mit ganzen Erythemdosen mit 4 /s oder 
5 /e Erythemdosen bestrahlt wurde. Ferner betont er die fast ausnahms¬ 
los vorzüglichen Erfolge bei essentiellem Pruritus ani und Pruritus 
vulvae. Die zur Myom- und Menorrhagiebehandlung vorgebrachten Be¬ 
merkungen finden sich fast wörtlich in dem soeben erschienenem Heft 6, 
Band 19, der „Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen 41 . 

Hr. Julius Müller: Im allgemeinen kann man den Ausführungen 
des Vortragenden zustimmen. An der Hand von über 2000 Fällen 
möchte ich einige Bemerkungen hinzufügen; bei Psoriasis ist bei einem 
akuten Ausbruch Vorsicht geboten, da im Anschluss an RöntgenBtrahlen 
oft eine rapide Verschlimmerung eintritt. Die Behandlung bei Hyper- 
trichosis ist bei grosser Vorsicht erlaubt. Ferner ist der Einfluss von 
Rontgenstrahlen vorzüglich bei Hypertrichosia manum-Keloiden. In einem 
Falle von einer ausgedehnten Verbrennung des ganzen rechten Beines 
und zum Teil des linken mit fingerdicken netzförmigen Keloidbildungen 
und starkem Jucken und infolge der keloidartigen Narben bi Idun gen Be¬ 
wegungsstörungen wurde ein sehr gutes Resultat erzielt. Auch bei einem 
circumscripten Lichen ruber ist eine Röntgenbehandlung einer über 
wochen- und monatelangen Arsenikbehandlung vorzuziehen. Bei Lupus 
vulgaris darf die Röntgentherapie nur in bestimmten Fällen als unter¬ 
stützendes Mittel benutzt werden, da das hierdurch hervorgerufene starre 
Narbengewebe der Lichtbehandlung widersteht und Carcinombildung nicht 
so selten hervorruft. 

Hr. Christ weist darauf hin, dass die trophischen Verhältnisse der 
Haut und ihrer Anhangsgebilde in vielen Punkten noch sehr unklar 
sind. Au9 dem von ihm in der Sitzung vom 18. Dezember v. J. dar¬ 
gestellten Falle von angeborenem Fehlen der Schweissdrüsen, Haar- und 
Zahnkeime glaubt er eine Reihe von wichtigen Schlüssen ziehen zu 
können, deren bedeutendster ihm der zu sein scheint, dass die von 
R. Zander gefundene Doppelinnervation manoher Hautgebiete durch 
Nerven der gleichen Seite eine Prädisposition zu trophischen Störungen 
schafft. Christ wird in einer späteren Sitzung ausführlich auf diese 
Befunde zurückkommen, die auch für die Prädilektionsstellen einer ganzen 
Reihe von Hauterkraukuogen, einschliesslich des Carcinoms, ihm von 
Bedeutung zu sein scheinen. 


Verein für wissenschaftliche Heilkunde zu Königsberg i. Pr. 

Sitzung vom 8. Februar 1913. 

Hr. Boit: 1. 14 jähriger Knabe mit hypertrophisch-defermiereuder 
Arthritis beider Kaifgelenke, entstanden im Anschluss an ein Trauma 
des rechten Kniegelenks vor vier Jahren. Hochgradige Genuvalgum- 
stellung beider Kniegelenke, Aussenrotation der Unterschenkel, laterale> 
Luxation der Patellae. Wegen beträchtlicher Gehstörung Resektion der 
Kniegelenke. Dadurch Besserung der Gehfähigkeit. Demonstration der 
Präparate. 

2. 11 Wochen alter Knabe mit Chenirodystrophia foetalis hyper- 
plastiea. Starke Auftreibung der Gelenkenden der grossen Gelenke, 
Verdickung nnd Verkürzung der Diaphysen und Verdickung der Knorpel¬ 
knochengrenzen der Rippen. Verzögerung der epiphysären Ossifikation. 
Keine Schädel- und Gesiohtsveränderungen. Seitliche Eindellung des 
Thorax durch die anliegenden Unterarme und Beugekontraktur der 
HSft-, Knie-, Ellenbogen- und Handgelenke weisen auf eine intrauterine 
Kompression de9 Fötus hin. Durch diesen Befund scheint die Theorie 
von v. Franquö und Rindfleisch gestützt zu werden, nach der die 
Chondrodystrophie als eine Hemmungsbildung aufgefasst wird, entstanden e 
durch abnormen Druok auf den Fötus,in ider Eihöhle. 

Hr. Amelung demonstriert einen Fall ton gestieKeil Myesarkom 
der Magenwand. J ' ' ” 1 

50 jähriger Patient, seit Jahresfrist unbestimmte Beschwerden; sechs 
Wochen vor der Aufnahme ärdlicherseits eine Geschwulstbildung im 
Leib festgestellt: Kindskopfgrosser, verschieblicher Tumor von prall¬ 
elastischer Konsistenz im rechten Epigastrium, bis zum Nabel reichend, 
gegen den rechten Rippenbogen nicht abgrenzbar. Bei der Laparotomie 
fand sich innerhalb des Leberrandes der glattwandige Tumor fest 
zwischen die beiden Blätter des Neties eingewachsen; die Entwicklung 


war erst möglich nach Punktion, durch die sehr reichlich rein hämor¬ 
rhagische Flüssigkeit entleert wurde. Der Tumor sass mit einem 2 1 /* cm 
im Durchmesser betragenden soliden Stiel an der vorderen Magenwand, 
7 cm oberhalb des Pylorus und bildete eine mehrkammerige Cyste, 
deren Wandung an einzelnen Stellen papierdünn, transparent war. 
Mikroskopisch fanden sich in den aus dem Stiel stammenden Schnitten 
im derb fibrösen Gewebe vereinzelt glatte Muskelfasern, während die 
Schnitte au9 der Cystenwandung das typisch sarkomatöse Bild zeigten, 
also augenscheinlich ein Sarkom, auf der Basis eines Fibromyoms ent¬ 
wickelt. Sehr auffallend war das makroskopisch fast vollkommene Zu¬ 
grundegehen der ursprünglichen Tumorsubstanz an den transparenten 
Wandstellen; mikroskopisch liess sich jedoch auch an diesen Stellen 
neben dem fast rein fibrösen Gewebe noch vereinzelt die zellreiche Grund¬ 
substanz nachweisen, so dass die Entstehung der Cyste aus einem 
ursprünglich soliden Tumor damit auf der Hand liegt. Die Cysten¬ 
bildung war wohl, worauf der hämorrhagische lohalt und Thromben¬ 
befunde in den Stielschnitten hinwiesen, mit Sicherheit auf eine Blutung 
in das Tumorende zurückzuführen. 

Diagnostisch ist der Fall bemerkenswert, da subjektiv keinerlei 
Magenerscheinungen bestanden und auch objektiv die chemischen und 
röntgenologischen Untersuchungen keinerlei Anhaltspunkte für den 
Magen-Darmtractus als Sitz der Erkrankung ergaben, weshalb auch nur 
an eine Pankreas- oder Mesenterialcyste oder an Leberechinococcus ge¬ 
dacht worden war. Jetzt, */ 4 Jahr nach der Operation, völliges Wohl¬ 
befinden des Patienten. 

Hr. Friedrich bespricht das operative Vorgehen hei bösartigem 
Ileoeoecaltamor. An drei Fällen der letzten Zeit, deren einer vorge¬ 
stellt wird, hat sich wieder die von ihm befolgte, 1905 in den „Archives 
internationales de Chirurgie 44 beschriebene Methode der einzeitigen 
Exstirpation bewährt und zu glatter Heilung geführt. Unter örtlicher 
Anästhesie ist bei der vorgestellten Patientin das Ileum in die Mitte 
des Colon transversum anastomosiert, der ganze zwischenliegende Darm¬ 
teil exstirpiert, das dorsale Peritoneum über Duodenum, Niere, Ureter 
wieder durch Naht geschlossen und der vollständige Schluss der Bauch¬ 
wandwunde au9geführt worden. 

Sodann demonstriert Friedrich die Patientin und die röntgo- 
graphische Diagnose einer postappendicitisehen Colonsteuose und die 
Einzelheiten des operativen Befundes, sowie ein 12 X 9 x 9 cm grosses 
Dermoid, welches F. zwischen den Blättern der Mesoappendix 
bei chronisch entzündeter und platt gedrückter Appendix durch Ope¬ 
ration gewonnen hat in einem Fall, der wegen appendicitischen Tumors 
der Klinik zuging. 

Weiter demonstriert Friedrich mehrere Fälle von subakntem 
Volvo]tu der fibergrossen Flexora sigmoidea, deren er fünf Fälle im 
Laufe dieses Jahres zu behandeln gehabt hat. Ein 61 jähriger Patient 
mit vier Tage lang bestehendem Darmverschluss konnte nicht mehr 
gerettet werden; die anderen vier wurden geheilt. Friedrich bevor¬ 
zugt die Ausschaltung der Flexursohlinge durch Anastomose am Fuss 
der Schlinge mit Verengerung des aufsteigenden Schenkels der Schlinge. 
In einem Falle war die Anastomose des Ileums am abführenden Schlingen- 
schenket mit Erfolg ausgeführt worden. 

Danach zeigt Friedrich mehrere neuerdings operativ behandelte 
Fälle von einseitiger Lnngentoberkalose mit vorausgegangener 
schwerer Hämoptyse, und wägt die Vorzüge und Nachteile der 
umfangreicheren und beschränkteren Rippenresektion zur 
Volumeinengung der krankseitigen Lunge ab. Die Einzelheiten werden 
von F. demnächst im Anschluss an seine bisherigen Arbeiten auf diesem 
Gebiet publiziert werden. 

Endlich zeigt Friedrich einen geheilten Knaben im Alter von 
7 Jahren, dem durch Messerstich im 8. Intercostalraum der Magen ver¬ 
letzt wurde, und wo sich ein Mageanetzprolaps durch Zwerchfell, 
Pleura und Brustwandwunde gebildet hatte. Die Stichwunde des Magens 
wurde zugenäht, das zum Teil beschmutzte Netz abgetragen, Zwerchfell 
und Brustwandwunde durch Naht geschlossen, wobei unter Druckdifferenz 
ein partieller Pneumothorax beseitigt wurde. Der Knabe war 28 Stunden 
nach erlittener Verletzung in die Klinik eingeliefert worden. Es wurde 
reaktionslose Heilung erzielt. 

Hr. Haeeker spricht unter Vorführung einer grösseren Anzahl von 
Röntgendiapositiven über die Erfahrungen, welche während der letzten 
5 Jahre an den chirurgischen Kliniken in Marburg und Königsberg mit 
der RöatgennnteraiiehaBg des Mageadarnkanals gemacht wurden. Er 
weist dabei auf die Wichtigkeit des unmittelbaren Vergleichs von 
Röntgenbild und anatomischen Befund hin, wozu nur dem Chirurgen 
Gelegenheit geboten ist. 

Ausgehend von der normalen Form und Lage des Magens 
bespricht der Vortr. zunächst die pathologischen Lageverände¬ 
rungen, besonders Ptosis und Verziehung nach der rechten Seite hin 
durch Verwachsungen. ’ ' ' 

Was die Veränderungen am Magenkörpbr selbst betrifft, so 
haben die zahlreichen Untersuchungen ergeben, dass auch bei normalem 
Magenbild das Vorliegen einer organischer* Veränderung nicht ausge¬ 
schlossen werden kann. An der Grenze deb Normalen steht die häufig 
angetroffene spastische Einziehung an der grossen Curvatur, und 
zwar meist am vertikalen Abschnitt des Magens, die vielleicht auch 
normal sein kann, meist jedoch Folge eines lokalen Reizes, sei es eines 
Ulcus oder einer Narbe ist. 

Bezüglich der Ulousdiagnose ergibt sioh, dass fiaohe Geschwüre 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 12; 


röntgenologisch nicht nachweisbar sind, weshalb bei Verdacht besonders 
auf eine etwaige Veränderung der Motilität zu achten ist. Dabei bat 
sich gezeigt, dass bei Ulcus ohne Stenose die Entleerung des Magens 
gehemmt, bei Carcinom ohne Stenose dagegen meist beschleunigt ist. 
Tiefer greifende Ulcera dagegen sind in den meisten Fällen auf dem 
Röntgenbilde deutlich zu erkennen. Sie stellen sich dar als kleine, an 
der kleinen Curvatur oder in der Nähe des Pylorus sitzende Aus¬ 
buchtungen des Wismutschattens. 

Von den Folgeerkrankungen des Ulcus sind der Röntgen¬ 
diagnose besonders zugäogig die Sanduhrmagen, dessen maligne und 
benigne Form auf dem Röntgenbild in den meisten Fällen zu unterscheiden 
sind, insofern es sich beim gutartigen Sanduhrmagen in der Regel um 
eine sehr tiefe Einschnürung an der grossen Curvatur handelt, welche 
nahe an die kleine Curvatur herangeht, beim carcinomatösen Sanduhr¬ 
magen um eine langgestreckte Einziehung an der grossen Curvatur, 
welcher in der Regel auch eine Aussparung an der kleinen Curvatur 
entspricht. Hinzu kommt, dass sich beim gutartigen Sanduhrmagen der 
pylorische Teil erst allmählich füllt, während beim carcinomatösen die 
Füllung der beiden Magen schon während der Nahrungszufubr gleich¬ 
zeitig erfolgt. 

Die Pylorusstenose zeigt sich auf dem Röntgenbild vorwiegend 
als Querdehnung des meist monströsen Magens, im Gegensatz zur 
atonischen Magenektasie, bei welcher der Magen einem längsgedehnten, 
schlaffen Beutel gleicht, dessen untere Partien am meisten ausgedehnt 
sind. Ein sehr zuverlässiges Frühsyraptom der Stenose ist die auf dem 
Röntgenschirm zu beobachtende Antiperistaltik. Eine Unterscheidung 
der gutartigen Stenosenbildung von der carcinomatösen ist durch das 
Röntgenbild nicht immer möglich. Meist jedoch haben wir im letzteren 
Fall am Pylorus eine unscharfere Zone mitunter mit höckerigen Aus¬ 
sparungen. Derartige Aussparungen sind für das Magencarcinom 
überhaupt charakteristisch, vorausgesetzt, dass es schon eine gewisse 
Ausdehnung erreicht hat. 

Der Dünndarm eignet sich weniger zur röntgologischen Unter¬ 
suchung, einmal weil sich der Wismutbrei nur sehr ungleich in dem¬ 
selben verteilt und weil die hierfür in Betracht kommenden Erkrankungen, 
besonders chronische Verschlüsse, viel seltener sind als z. B. am Dick¬ 
darm. 

Ungleich günstiger für die Röntgenuntersuchung gestalten sich die 
Verhältnisse beim Dickdarm (Lage- und Formveränderungen, 
Motilitätsstörungen, Verengerung). Lokalisation einer Darm¬ 
stenose mit Hilfe des Röntgenverfahrens ist aber gewöhnlich nur bei 
höheren Graden von Darmverengerung möglich. Deshalb hat auch die 
Frühdiagnose des Darmcarcinoms durch die Röntgenmethode bis jetzt 
keine wesentliche Förderung erfahren. 

Die Röntgenuntersuchung der Speiseröhre gestaltet sich natur- 
gemäss etwas anders als die des übrigen Nahrungsschlauchs. Die 
photographische Platte wird nur in denjenigen Fällen Aufschluss geben 
können, wo das Kontrastmittel durch irgendwelche pathologischen Ver¬ 
änderungen auf seinem Weg zum Magen festgehalten wird. Hierher ge¬ 
hören Verengerungen der Speiseröhre, Divertikel und Fremd¬ 
körper. Unter den Verengerungen treten bezüglich def Häufigkeit 
die gutartigen hinter den auf carcinomatöser Basis entstandenen weit 
zurück. 

Von besonderer Wichtigkeit für den Chirurgen ist die genaue 
röntgographische Untersuchung in Fällen von Oesophagusdivertikel, 
denn nur durch sie lässt sich die genaue Lage des Divertikels mit 
Sicherheit bestimmen. 

Zum Schluss demonstriert Vortr. noch einige Röntgogramme von 
Fremdkörpern im Magen und im Oesophagus. 

Vortr. sieht in der Röntgendurchleuchtung des Magen-Darmkanals 
ein besonders auch für den Chirurgen unentbehrliches Hilfsmittel für 
Diagnosen- und Indikationsstellung. Er warnt jedoch davor, die alten 
klinischen Untersuchungsmethoden darüber zu vernachlässigen. 


Gesellschaft für Morphologie und Physiologie zn München. 

Sitzung vom 11. Februar 1913. 

Hr. Goldschmidt: 

Die männliche Pathogenese der Oenothera-Bastarde nnd die eelluläre 
Grundlage der Vererbung. 

Mit der allgemeinen Gültigkeit der Mendel’schen Gesetze für die 
Vererbungsvorgänge stehen scheinbar nicht im Einklang folgende 
Bastardierungsergebnisse von de Vries nit Oenothera biennis (B) und 
Oenothera muricata (M): 

B X M = patrokliner Bastard 

$ s 

M XB = patrokliner Bastard 

-V 

|BxH)X(«xB) = B 

2 

(M X B) X (B X M) = M 

? s 

Die Nachkommen der Bastarde spalten also nicht, wie nach Mendel 
zu erwarten wäre, sondern züchten rein weiter. Diesen Widerspruch 
erklärt G. unter Berufung auf neuere zoologisohe Forschungsergebnisse 


damit, dass sehr entfernte Kerne sich nicht vereinigen lassen, sondern 
sich gegenseitig ausschliessen. Und zwar schliesst der männliche Kern 
den weiblichen au9. Die bisherigen — noch nicht abgeschlossenen — 
mikroskopischen Untersuchungen sprechen für diese Hypothese: G. fand 
öfter die haploide Chromosomenzahl von 7 Chromosomen; (B x M)-Bastarde 

? <J 

haben M-ähnliche Chromosomen. 

Hr. Heiss: Die Entwicklung der menschlichen Lunge. 

Auf Grund seiner Untersuchungen an 32 menschlichen Embryonen 
gibt Vortr. folgendes Schema der Lungenentwicklung: 

Einheitliches Lungensäckchen 



rechte primäre X-Abschnitt linke primäre 

Lungenknospe Lungenknospe 


rechte sekundäre Lungenknospe linke sekundäre Lungenknospe. 

Der mittlere (X-) Abschnitt wird in die rechte Lungenknospe ein¬ 
bezogen; daher sind rechte und linko Lungenknospe ungleich. Es re¬ 
sultiert eine wirkliche Asymmetrie, wenigstens eine Volumasymmetrie. 
Wachstums- und Differenzierungsprozesse alternieren bei der Entwicklung 
der Lunge. K. Süpfle-München. 


Medizinische Gesellschaft zu Güttingen. 

Sitzung vom 23. Januar 1913. 

Hr. Jung: Ueher das querverengte Beherrsche Becken. 

Vortr. demonstriert eine jugendliche Patientin mit dieser seltenen 
Beckenanomalie; das Charakteristische besteht in dem Fehlen der Kreuz¬ 
beinflügel, wobei es sich um Entzündungsvorgänge an den Gelenkfiächen 
zwischen Sacrum und Beckenring bandelt und nicht um eine Miss¬ 
bildung. Aetiologisch kommt bei der Patientin vielleicht kongenitale 
Lues in Betracht. Die Wassermann’sche Reaktion war stark positiv; 
das durch Kaiserschnitt entwickelte Kind war tot. 

Hr. Uffenorde: 

Ueher hyperplastische Entzündung der Nasennebenhöhlensehleimhaut. 

Vortr. bespricht die Bedeutung der hyperplastischen Entzündungen 
der Nebenhöhlen, die er den eitrigen gegenüberstellt. Die Entfernung 
der polypösen Wucherungen nimmt er nicht mehr auf endonasalem Wege 
vor, sondern durch eine Radikaloperation von aussen, die jedoch von 
der Killian’schen Stirnhöhlenoperation in der Ausführung abweicht. 
(Demonstration eines Patienten.) 

Hr. Döring: 

Retter’sche Lappenplastik zar Sicherung sekundärer Naht hei Rectum- 
resektion. 

Vortr. empfiehlt die Methode, die er mit gutem Erfolg bei einem 
entsprechenden Fall ausgeführt hat. 

Hr. Stich demonstriert mehrere schwere Verletzungen mit guten 
Heilerfolgen. 

a) Patient mit Qnerrnptnr des Jejunums und Entleerung voo 
Darminhalt in die freie Bauchhöhle durch Hufschlag gegen die linke 
Oberbauchgegend. 

b) Aneurysma der Arteria femoralis durch Schnssverletznng. 

c) Patient, der neben- einer Schädelbasisfraktur mehrere Stich¬ 
verletzungen am Rücken batte; wegen Hämatothorax wurde der Pleura¬ 
raum eröffnet, wegen gleichzeitiger Zwerchfell- und Leberverletzung die 
Laparotomie angeschlossen. 

d) Isolierte Pankreasrnptur nach Bauchkontusion. 

e) Vortr. bespricht zwei Fälle von akuter Pankreasnekrose und 
verbreitet sich im Anschluss daran im allgemeinen über Pankreas¬ 
chirurgie. 

Hr. Fromme stellt 1. einen Kranken mit Bauchschuss vor, den er 
12 Stunden nach der Verletzung operierte; im Abdomen fand sich Blut 
und kotiger Inhalt; der Darm wies fünf Löcher auf. Fr. bespricht dann 
die Behandlung von Bauchschüssen im Kriege; 

2. berichtet er über zwei Kranke mit Darminvagination. In dem 
einen Fall bandelte es sich um einen neunjährigen Jungen, bei dem 
sich 50 cm Dünndarm in das Coecum und Colon ascendens eingestülpt 
hatten. Die Entwicklung gelang, doch musste ein Stück Darmscblinge 
reseziert* werden. In dem anderen Falle wurde ein etwa 1 cm langes 
abgestossenes Darmstück durch eine Fistel entfernt; 

3. demonstriert er einen Kranken mit durch Trepanation entferntem 
Hämatom aus der Arteria meningealis media nach Sprung ins Wasser. 

Hr. Creite zeigt ein Kind, das die klinischen Erscheinungen eines 
Kleinhirntumors geboten hatte; nach Entleerung und Drainage der bei 
der Operation gefundenen Cyste trat völlige Heilung ein; nur eine leichte 
Schwäche in einem Arm ist zurückgeblieben. 


Sitzung vom 14. Februar 1913. 

Hr. Loew«: 

Einige Untersuchungen zur toxämischen Genese der Epilepsie. 

Nachdem er auf die negativen Resultate der bisherigen morpho¬ 
logischen Untersuchungen und Stoffwechseluntersuchungen bei der Epi- 


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24. Mär» 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


669 


lepsie hinsichtlich ihrer Genese hingewiesen hat, bespricht er die toxi- 
cotiscben Arbeitshypothesen, die ebenfalls bisher nur wenig Klärung 
gebracht haben; immerhin sind einige Befunde erhoben worden, deren 
weitere Verfolgung vielleicht Aufschluss bringen kann. So wurde beim 
Epileptiker eine Vermehrung der nicht ätherlöslichen Kolloide festgestellt, 
die, Kaninchen intravenös injiziert, Krampfanfälle auslösten, die denen 
der Epileptiker sehr ähnlich waren. Die Toxicität wurde nur beim 
Epileptiker gefunden; die nähere Natur dieser Harnkolloide ist noch 
nicht ergründet. Ferner hat Loewe eine Vermehrung der beim Ge¬ 
sunden sehr konstanten Restkohlenstoffzahl des Blutes beim Epileptiker 
nachgewiesen, und zwar ist sie bereits einige Tage lang vor dem Anfall 
erhöht, während sie gleich nach dem Anfall zur Norm herabsinkt. 

Damit werden extracerebrale Störungen in den Vordergrund ge¬ 
stellt. Vortr. weist noch kurz auf ähnliche Verhältnisse bei der 
Eklampsie hin. 

Hr. Voigt demonstriert einige bei der Operation gewonnene Prä¬ 
parate, darunter einen Uterus mit einem 4 Wochen alten Ovulum. 

Hr. Eichelberg demonstriert ein sechsjähriges Mädchen mit einer 
tinorähnlichen Erkrankung des Gehirns (Stauungspapille, Paresen 
usw.), die wahrscheinlich nicht durch Lues bedingt ist uud zurzeit eine 
wesentliche Besserung aller Erscheinungen bietet, ferner die anatomischen 
Präparate eines Grosshirntumors, bei dem ebenfalls intra vitam durch 
Jod und Sohmierkur ein deutlicher Rückgang aller Symptome für längere 
Zeit eingetreten war. E. empfiehlt auch bei nichtsyphilitischen Tumoren 
die Anwendung von Jod und Quecksilber. 

Hr. Lichtwitz referiert über einige neuere Arbeiten aus dem Gebiet 
der Ernährnngsphysiologie mit besonderer Berücksichtigung der Ver¬ 
hältnisse beim Skorbut, der Moeller-Barlow’schen Krankheit und Beri- 
Beri. Port. 


Aerztlicher Verein zu Frankfurt a. M. 

Sitzung vom 17. Februar 1913. 

1. Hr. Fischer (Demonstrationen): a) Primäres Adenocareinom der 
Niere mit multiplen Metastasen in fast allen Organen und carcinomatöser 
Infiltration der prävertebralen Drüsen, die in der Brusthöhle den ganzen 
Mediastinalraum ausfüllen. 

b) Tabes mesaraies bei einer Erwachsenen. Dasselbe Bild, wie man 
es bei Säuglingen sieht. 

c) Lebercirrhose mit Gallenstauung. 

d) Carcinom der Gallenblase mit Metastasen. 

e) Sublimatvergiftung. Durch Scheidenspülung vor und nach der 
Menstruation mit einer hochprozentigen Sublimatlösung war es zu einer 
Nekrose der Schleimhaut der Vagina und des Uterus gekommen. Die 
Patientin starb nach 6 tägiger Anurie. Ausser Nephritis fanden sich 
ausgedehnte Darmgeschwüre. 

f) Vitium cordis congenitum. Gonusstenose der Pulmonalis und 
Septumdefekt. Die 16 jährige Patientin war an Diphtherie gestorben. 

2. Hr. Sehmiedieke: Kriegssanitätsdienst nnd -Ausrüstung. 


K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. 

Sitzung vom 14. Februar 1913. 

(Eigener Bericht.) 

Hr. Steiner, Hr. Tintner und Hr. Denk: 

Brfabrnngen nnd Erlebnisse aus dem Balkankriege. 

Hr. Steiner wurde auf den montenegrinischen Kriegsschauplatz 
entsendet, um als leitender Delegierter des österreichischen Roten 
Kreuzes bei dem fast vollkommenen Mangel einer Feldsanitätsorganisation 
im montenegrinischen Heere Feldambulanzen und Feldspitäler zu 
etablieren. Die Genannten waren sowohl in der ersten Linie als auch 
im Spitale in Podgoritza tätig. Viele der Verwundeten kamen ohne 
Verband im Spitale an, andere waren von den „Sanitari“, älteren, im 
Verband unterrichteten Soldaten, in recht guter Weise mit Hilfe der 
von Russland gelieferten Verbandpäckchen verbunden worden. Letztere 
enthalten zwei Kompressen, eine Gazebinde und eine Sicherheitsnadel, 
das Material ist bei den älteren Päckchen mit Sublimat imprägniert, 
bei neueren sterilisiert. Vortr. legte in der ersten Linie nur trockene 
Verbände an, eine Desinfektion der Hände war unmöglich. Jodtinktur 
wurde nur bei einigen stark verunreinigten Wunden zum Bestreichen 
ihrer Umgebung verwendet; sie entfaltet ihre volle Wirkung nur auf 
trockener Haut. Zur Schienung wurden Verbandspäne und improvisierte 
Verbände benutzt. Die Kranken gelangten vom Kampfplatze binnen 
24 Stunden ins Spital, sie waren daher nicht besonders erschöpft. 
Schwierigkeiten hatte Vortr. mit der Beleuchtung, es sollte kein Arzt 
ohne Taschenlaterne ins Feld ziehen. Die meisten Verletzungen be¬ 
trafen die Extremitäten, drefr waren Schädelschüsse, ein Viertel aller 
Verletzungen war durch Artilleriegeschosse erzeugt. Durch klein- 
kalibrige Geschosse in Weichteilen gesetzte glatte Schusskanäle heilten 
reaktionslos aus, auch jrenn sie gar nicht oder schlecht verbunden 
waren. Grössere Verwundungen mit Zerreissungen von Geweben eiterten 
meist, auch wenn der erste Verband tadellos war. Das Verband¬ 
päckchen bat ausgezeichnete Dienste geleistet. Den in der ersten Linie 
befindlichen Aerzten und ihrem Hilfspersonal fällt die Aufgabe zu, den 
Verwundeten transportfähig zu machen und gute Vorbedingungen für 
die Heilung zu schaffen. Manche Verwundete kamen zu Fuss ins Spital, 
unter ihnen auch solche mit leichten Lungenschüssen. Io der vorderen 


Hilfszone soll die Wund Versorgung schematisiert werden, erst in den 
rückwärts gelegenen Spitälern treten die Pflicht und das Recht zur 
individuellen Behandlung in volle Kraft. Der Kern des Kriegssanitäts¬ 
wesens liegt in der Organisation, es ist nicht rein chirurgisch, da neben 
den Verwundungen zahlreiche Krankheiten zu behandeln und Er¬ 
krankungen zu verhüten sind. Für diese Zwecke braucht die Armee 
universell ausgebildete Aerzte, den Chirurgen wird eigentlich erst in 
den Spitälern Gelegenheit zur Entfaltung ihres Könnens geboten. Den 
ersten Wundverband soll jeder Arzt tadellos anlegen können. Wichtig 
ist die Sicherstellung von Berufspflegerinnen, an welchen leider ein 
grosser Mangel ist, daher kann auf die Hilfe freiwilliger Pflegerinnen im 
Kriege nicht verzichtet werden. Der Balkankrieg hat keine eingreifende 
Aenderung in den Anschauungen der Kriegschirurgen gebracht, er batte aber 
für letztere eine grosse Bedeutung als Schule für die praktische Tätigkeit. 

Hr. Tintner war mit Herrn Clairmont auf dem bulgarischen 
Kriegsschauplätze in Stara Zagora, Jambol, Kirkkilisse und Sofia tätig. 
Für die Aerzte auf dem Kriegsschauplätze ist die Kenntnis dessen von 
grosser Bedeutung, was in der Front geschieht, da dadurch der Ort, die 
Zeit und die Art des ärztlichen Eingreifens bestimmt werden. Die 
Türken verwendeten Spitzgeschosse mit einem Stahlmantel, De¬ 
formierungen derselben wurden wiederholt beobachtet. Die Ein- und 
Ausschussöffnung bei Mantelgeschossen waren, wenn die Kugel nicht 
rotiert hatte oder Knochen und Sehnen getroffen wurden, sehr klein, und 
der Wundkanal heilte rasch zu. Bei Verletzungen durch Artillerie¬ 
geschosse kamen sehr oft Infektionen vor. Die Hälfte aller Wunden war 
infiziert. Der Sanitätsdienst in der vorderen Linie ist sehr erschwert 
oder unmöglich gemacht, wenn die Schlacht mehrere Tage dauert oder 
sich an sie ein Rückzug anschliesst. In der ersten Linie kann nur ein 
Verband angelegt werden, die operative Behandlung bleibt den hinter 
den Feldspitälern gelegenen Anstalten Vorbehalten. In manchen Fällen 
ist es zweckmässig, den Verwundeten beim ersten Verband nicht zu 
entkleiden, sondern nur den verwundeten Körperteil zu immobilisieren. 
Die Anwendung der Jodtinktur hat sich im Feldspital im allgemeinen 
sehr gut bewährt, am Hilfsplatz dürfte sie entbehrlich sein, sie soll nur 
bei infizierten Wunden benutzt werden. Der Mastisolverband hat 
manchmal zur Sekretion Veranlassung gegeben. Gips- und blaue 
Binden sind unerlässlich notwendig, je weiter vorne sie angewendet 
werden, desto besser für den Verwundeten, leider verdirbt der Gips 
leicht. Das Fehlen eiuer Beckenstütze wurde beim Verbandanlegen sehr 
unangenehm empfunden. Die Verwundeten soll man nicht unmittelbar 
nach dem Transport operieren, sondern erst bis sie sich erholt haben, 
da unter Ruhe und bei guter Pflege selbst schwere Fälle ohne Operation 
ausheilen können. Die Hauptaufgabe der Verwundetenpflege in der 
ersten Linie ist die Herstellung der Transportfähigkeit des Verwundeten. 
Von Instrumenten sollen in die erste Linie nur die einfachsten mit¬ 
genommen werden, aber diese in hinreichender Menge. Die Feldtragen, 
die Krankenautomobile und die improvisierten Transportwaggons haben 
sich für die Durchführung der Verwundetenbeförderung sehr gut be¬ 
währt. Die sanitären Vorkehrungen in der bulgarischen Armee waren 
mangelhaft, die SanitätsVorsorgen für den Krieg sind im österreichischen 
Heere in ausreichendem Maasse getroffen. 

Hr. Denk hat im Aufträge des Malteser Ritterordens in der Kriegs¬ 
schule in Sofia ein Notspital für mehrere hundert Verwundete ein¬ 
gerichtet. Der Allgemeinzustand der Verwundeten war von der Dauer 
des Transportes abhängig, von Kirkkilisse dauerte letzterer 5—6 Tage. 
Die Krankenpflege wurde von freiwilligen Krankenpflegerinnen ausgeübt, 
mit welchen ungünstige Erfahrungen gemacht wurden; zu Beginn gab es 
ungefähr 170 Pflegerinnen aus allen Ständen der Sofioter Gesellschaft, 
von diesen bewährten sich nur ca. 10, als ein Cholerafall im Spital 
vorkam, blieben die meisten Pflegerinnen aus. Da das Spital modern 
eingerichtet war, konnten in demselben alle Operationen ausgeführt 
werden. Bei diesen wurden Gummihandschuhe benutzt, als Narkose¬ 
mittel wurde fast ausschliesslich Aether angewendet. Es wurden viel¬ 
fach typische Verletzungen der beim Schiessen exponierten Körperteile 
beobachtet, so z. B. des linken Ellbogens, des linken Fusses, des Zeige¬ 
fingers oder Daumens mit gleichzeitiger Verletzung der Nase oder 
des rechten Auges. Unter den Wunden waren 28 perforierende Thorax¬ 
verletzungen, von welchen nur eine operiert wurde, 6 perforierende 
Bauchschüsse, von welchen 2 operativ behandelt wurden, ferner ca. 100 
Extremitätenschussfrakturen und 39 Fälle von Nervenverletzungen, von 
welchen 13 operiert wurden, wobei es sich nicht um Nervendurch¬ 
trennung, sondern meist um Kompression durch Narbengewebe bandelte. 
Hervorzuheben ist die leichte und rasche Heilung der Wunden, auf 
1186 protokollierte und sicher noch einmal so viele nicht protokollierte 
Fälle entfielen nur 13 Todesfälle. 18pCt. der Gewebrschusswunden und 
26 pCt. der Artilleriegeschossverletzungen waren infiziert. Bei Ex- 
tremitätensebüssen wurde auf frühzeitige Mobilisierung Gewicht gelegt. 
In einem Spital sah Vortr. einen Fall von Verstümmelung durch Türken 
(Abschneiden der Nase). Wiederholt wurden Fälle beobachtet, welche 
tfich auf 25—30 m entfernt von einem explodierenden Artilleriegeschoss 
befanden, vom Luftdruck weggeschleudert wur'den, einige Zeit bewusstlos 
blieben und hierauf durch einige Tage stumm oder taub waren. Um 
die Infektion zu verhindern, ist es zweckmässig, für den ersten Verband 
einheitliche Instruktionen herauszugeben, den Soldaten den Gebrauch 
des Verbandpäckchens zu lehren, für Verwundetenpflege und gute 
Transportmittel sohon im Frieden vorzusorgen. H. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 12. 


Gesellschaft für innere Medizin nnd Kinderheilkunde zn Wien. 

Sitzung vom 13. Februar 1913. 

(Eigener Bericht.) 

Hr. Eppinger stellte eine 39 jährige Frau mit Aortenstenose and 
offenem Ductus Botalli vor. 

Der Puls hat durchschnittlich 100 Schläge, ist auffallend klein, 
rhythmisch und zeigt stellenweise Extrasystolen, die Herzgegend ist 
leicht vorgewölbt, der Spitzenstoss hebend, im sechsten Intercostal- 
raume, in der Mamillarlinie. Ueber dem Herzen deutliches Fremissement. 
Die relative Herzdämpfung ist um zwei Querfinger nach rechts ver¬ 
breitert. 

An der Herzspitze hört man ein systolisches Geräusch; der Klappen¬ 
schluss der Aorta ist fast nicht zu hören. Patientin hat eine links¬ 
seitige leichte Pleuritis. 

Das Elektrocardiogramm zeigt die Zeichen der Durchtrennung eines 
Tavara’schen Bündels; das Röntgenbild zeigt ein Pulsieren der Hilus- 
gefässe der Lunge und eine halbkreisförmige Verbreiterung des Herz¬ 
schattens nach oben. Möglicherweise hat eine angeborene Aortenstenose 
das Offenbleiben des Ductus Botalli verursacht. 

Hr. Eppioger demonstrierte die Hervorrafung von Urticaria durch 
Ergamin. 

Wenn man mit einer Nadel über die Haut der Versuchsperson 
fährt und diese mit Ergamin 1:1000 bepinselt, so tritt an der ge¬ 
kratzten Stelle ein urticariaähnliches Exanthem auf. Da das Ergamin 
auch bei der Eiweissverdauung sich bildet, so ist daran zu denken, dass 
Basen, welche bei der Verdauung entstehen, die Urticaria hervorrufen. 

Hr. Schlesinger demonstrierte einen 47 jährigen Mann mit ge¬ 
bessertem intermittierenden Hinken. 

Der Kranke hatte vor Jahren Lues, Wassermann positiv. Eine 
länger fortgesetzte antiluetische Behandlung hat einen so guten Erfolg, 
dass der Kranke jetzt etwa eine Stunde lang gehen kann, ohne 
stehenbleiben zu müssen. Seit einiger Zeit bemerkt der Kranke ein 
intermittierendes Hinken in den Händen, ferner das Symptom der ver¬ 
drehten Innervation der Gefässe; d. h. Reize, welche sonst eine Er¬ 
weiterung der Gefässe herbeiführen, bedingen eine Verengerung derselben. 

Hr. Schlesinger demonstrierte einen Mann, bei welchem er Natrium 
nitrosnm gegen die Schmerzen bei intermittierendem Hinken an¬ 
gewendet hat. 

Die Krankheit erfuhr eine Verschlimmerung durch eine Pystianer 
Kur, und es stellte sich am linken Fuss Gangrän ein. Nach Injektionen 
von Natrium nitrosum Hessen die Schmerzen sofort nach, und es konnte 
das Morphium weggelassen werden, welches der Kranke früher anwenden 
musste. 

Hr. v. Müller demonstrierte die Temperaturkurve einer Patientin, 
welche wegen Gelenkrheumatismus Atophan erhielt und eine eigentüm¬ 
liche Nebenwirkung zeigte. 

Das 23 jährige Mädchen erhielt Atophan, dem eine harnsäureaus- 
schwemmende Wirkung zugeschrieben wird. Der Gelenkrheumatismus 
wurde sehr günstig beeinflusst, doch stieg die Temperatur nach den 
intermittierenden Gaben von Atophan bis zu 39° an. Es trat Haut¬ 
jucken und ein scharlachartiges Erythem auf. Wenn Atophan weg¬ 
gelassen wurde, verschwand das Fieber und erschien wieder nach einer 
neuen Atophangabe. 

Hr. Löwy demonstrierte anatomische Präparate eines Falles von 
fondroyanter Poliomyelitis, welche unter dem Bilde einer ascendierenden 
Landry’schen Paralyse verlief. 

HHr. Siess und Stoerk: 

Das Blutbild bei lymphatischer Konstitution. 

Die hämatologischen Untersuchungen an fieberfreien, gesunden 
Lymphatikem ergaben, dass die vielfach postulierte Lymphocytose 
der Lymphatiker tatsächlich nicht existiert. Ebensowenig lässt sich 
angesichts der eindeutigen Befunde der beiden Autoren an der mehrfach 
behaupteten Eosinophilie beim Status lymphaticus festhalten, auch ist 
die Zahl der Neutrophilen nicht stets und nicht nennenswert gegenüber 
der Norm erniedrigt. Manche der irrigen Angaben der bisherigen Lite¬ 
ratur beruhen auf theoretischen Vorurteilen und der Verquickung des 
(heute noch nicht voll gewürdigten) Konstitutionsproblems mit gewissen 
Fragen über Blutdrüsenerkrankungen bzw. der mit dem Lymphatismus 
durchaus nicht identischen Vagotonie. Wirklich charakteristisch für 
das Blut von Lymphatikern ist: 1. die oft enorme Vermehrung der Blut¬ 
plättchen, 2. die deutliche Verminderung der Eosinophilen. Die übrigen 
Formen der Blutkörperchen finden sich in durchaus normalen Mengen¬ 
verhältnissen. Von einer Leukopenie oder Lymphocytose«kann bei 
reinen, unkomplizierten Fällen von Lymphatismus (= Status thymico«- 
lymphaticus) nicht die Rede sein. Die oft behauptete relative 
Lymphocytose tritt freilich gelegentlich in Erscheinung, wenn bei 
etwas niedrigeren Neutrophilenzahlen das Prozentverhältnis unter den 
einzelnen Formen ein wenig zugunsten der — stabileren — Lympho- 
cyten verschoben ist. Der Befund ist jedoch durchaus unspezifiscb, und 
es sollte der Ausdruck überhaupt als sinnlos endlich eliminiert werden. 
Nur die absoluten Zahlenangaben über die polymorphkernigen Neutro¬ 
philen usw. einerseits und die Lymphocyten andererseits geben ein wirk¬ 
liches Bild von dem funktionellen Zustand ihrer Bildungsstätten: dem 
Knochenmark und dem lymphadenoiden System. Die beiden Autoren 


bedienten sich zur Funktionsprüfung des Knochenmarkes der Lymphatiker 
(bekanntlich zeigen diese oft rotes Mark) der bewährten Gelatineinjektion. 
Bei diesen Versuchen zeigte es sich, dass sowohl der Granulocytenapparat 
(im Sinne einer Vermehrung der Neutrophilen) als auch das lymphatische 
System (im Sinne einer Verminderung der Lymphocyten) bei Lymphatikern 
träger reagieren als bei normalen Menschen. H. 


Verein deutscher Aerzte zn Prag. 

Sitzung vom 21. Februar 1913. 

Hr. Reisinger spricht über die Wasser Versorgung von Prag. Nach 
einer kurzen historischen Skizze der Wasserversorgungsfrage für Prag 
schildert der Vortr. das seiner Vollendung entgegengehende Projekt der 
Wasserwerkanlage, welche Gross-Prag mit rund 500 000 Einwohnern 
versorgen will. Aus der vorwiegend bewaldeten Gegend der Einmündung 
der Iser in die Elbe wir nach dem Projekte des Leipziger Ingenieurs, 
Baurat Thiem, das Grundwasser in den Diluvialschottern mittels 
ca. 500 Rohrbrunnen von 200 mm Weite und 1 bis 2 Sek. - L. 
Ergiebigkeit erschlossen, wozu später noch artesisches Wasser aus der 
Kreideformation kommen soll. Die Härte des Wassers beträgt 11 1 / 2 bis 
I 2 V 2 deutsche Grade und ist chemisch und bakteriologisch einwandfrei. 
Die Temperatur beträgt 9 1 /* bis IO 1 /» 0 C. Die Gesamtergiebigkeit, 
welche während der katastrophalen Trockenheit des Jahres 1911 bereits 
ihre Probe bestanden hat, beträgt 700 Sek.-L. und kann durch Er¬ 
weiterung der Fassungsanlagen, welche jetzt schon eine Länge von mehr 
als 25 km besitzen und auf 35 km gebracht werden können, sowie 
durch Einbeziehung von artesichen Wässern, welche allerdings teilweise 
erst der Enteisenung unterzogeu werden müssten, auf 1200 Sek.-L. 
gebracht werden. Mächtige Purapanlagen drücken das Wasser aus den 
Hauptsammelbrunnen bei Karany nach dem 23 km entfernten und 
128 m höher gelegenen Hochreservoir bei Prag, von wo es entsprechend 
den verschiedenen Druckzonen nach den einzelnen Verteilungsreservoiren 
gelangt. Das Rohrnetz der bestehenden Flusswasserleituog wird auch 
der Verteilung des einzuleitenden Grundwassers dienen, allerdings erst 
nach entsprechender Reinigung und Durchspülung, welche unter 
bakteriologischer Kontrolle stattfinden soll. Zusammen mit der der 
Vollendung entgegengehenden Kanalisation (nach den Plänen Lindley’s) 
von Gross-Prag, wird das neue Wasserwerk, dessen Kosten sich auf 
beiläufig 20 000 000 Kr. belaufen, dazu beitragen, die alte Landeshaupt¬ 
stadt, welche bisher unter den unhygienischen Zuständen viel zu leiden 
hatte, zu einer „gesunden“ Stadt zu machen. 0. Wiener. 


Londoner Brief. 

Das Versicherungsgesetz in England. 

I. 

Not bricht Eisen! Schade nur, dass die kommende Not nicht zeitig 
von den Leitern der British Medical Association vorausgeseheu worden 
ist. Manche Schwierigkeit hätte vermieden werden können, und was 
noch wichtiger ist, die Associatiou wäre am Ende siegreich geblieben, 
statt heute bekennen zu müssen, dass sie schwer geschlagen worden ist. 
Eine Schilderung der wichtigsten Ereignisse seit September vorigen 
Jahres ist nicht leicht zu geben. Verfasser findet sich umgeben von 
Bergen offizieller und nicht offizieller Einladungen, Berichte und Er¬ 
lässe; von zahllosen Mitteilungen über das Geschehene und über das, 
was hätte sein sollen, von Statuten endloser neuer Vereine, die die 
Schwierigkeit zu lösen gedachten (und meistens der Aufgabe nicht ge¬ 
wachsen waren), und was noch verwirrender ist, von politischen Kritiken 
über das Versicherungsgesetz, die Lage der Aerzte und den heutigen 
Stand der Versicherten. Im Parlament wie ausserhalb desselben ist die 
ganze Versicherungsfrage eine politische. Das Gesetz wird von den vor¬ 
geschrittenen Liberalen und von den Sozialgesinnten befürwortet und 
von den Konservativen angegriffen. Erstere behaupten, dass das Gesetz 
schon brillant funktioniere, dass die Aerzte im Paradies leben und 
die, Versicherten in dem Finanzminister einen Schutzengel gefunden 
haben. Letztere geben vor, zwingende Beweise gebracht zu babeD, dass 
das Gesetz schon stockt, dass den Aerzten eine unausführbare Aufgabe 
auferlegt worden ist, die sie langsam abstumpfen, womöglich sogar töten 
wird, und dass den Versicherten keine nennenswerten Vorzüge zugute 
kommen können. Solche Ansichten blenden. Klarheit kann nur ge¬ 
schaffen werden, wenn man unbeeinflusst von politischen Parteien die 
Sache betrachtet und ohne Aufregung die Tatsachen zu wägen ver¬ 
sucht. 

Die provisorischen Bestimmungen. 

Die provisorischen Bestimmungen in bezug auf ärztliche Leistungen 
erschienen am 1. Oktober. Die Insurance Commissioners haben sich be¬ 
müht, genaue Auskunft über diejenigen Punkte, die in dem Gesetz nicht 
weiter auseinandergesetzt werden, zu geben. Dass sie vorbereitet waren, 
dass manches nicht ohne weiteres annehmbar sein würde, beweist die 
Tatsache, dass die Bestimmungen nur provisorisch waren; doch sind 
diese so entworfen, dass sie als Grundlage für die endgültigen Bestim¬ 
mungen dienen und dass eventuelle Aenderungen eingeführt werden 
können. Eine eingehende Besprechung derselben an dieser Stelle i*t 


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24. Märt 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


571 


überflüssig geworden dadurch, dass die Aenderungen seitdem vollzogen 
worden sind. Es dürfte genügen, hervorzuheben, dass die Verwaltung, 
soweit dies möglich ist, den örtlichen Versicherungskomitees in die Hand 
gegeben werden soll, dass von letzteren verlangt wird, dass in bezug auf 
ärztliche Angelegenheiten die Wünsche der örtlichen ärztlichen Komitees 
Berücksichtigung finden sollen, und dass die Commissioners als erste 
Iostanz dienen sollen, falls Einigkeit nicht erzielt werden kann. Im 
grossen und ganzen haben die Commissioners die Bestimmungen eng 
innerhalb der Grenzen des Gesetzes gehalten und wenig Neues ein¬ 
geführt. Die Frage der Honorierung wurde auf die Weise gelöst, dass 
fünf verschiedene Methoden zulässig sein sollen. Diese sind: a) Hono¬ 
rierung nach der Kopfzahl der Versicherten, die der Arzt sich verpflichtet, 
im Krankheitsfall zu behandeln; b) Honorierung in der Hauptsache wie 
unter a und, soweit die Mittel reichen, Honorierung für besondere 
Leistungen; c) Honorierung in der Hauptsache wie unter a und, soweit 
die Mittel reichen, Honorierung für sämtliche Leistungen; d) Honorierung 
für besondere Leistungen in der Hauptsache und, soweit die Mittel 
reichen, Honorierung nach der Kopfzahl der Versicherten; und endlich 
e) Honorierung für sämtliche Leistungen. Die Höhe der Honorierung 
wurde in den Bestimmungen nicht festgesetzt. Was die Beschränkung 
der Versicherung auf diejenigen, deren Einkommen eine gewisse Summe 
nicht übersteigt, anbetrifft, so bleibt es den örtlichen Komitees Vor¬ 
behalten, diesbezügliche Bestimmungen zu machen, die nur dann in Kraft 
treten werden, wenn die Commissioners einverstanden sind. 

Tuberkulosebehandlung. 

Die Leser dieser Wochenschrift werden sich wohl erinnern, dass die 
British Medical Association im Sommer bei der Jahresversammlung in 
Liverpool beschlossen hatte, ihren Mitgliedern zu erlauben, Stellungen 
als sogenannte Tuberkulosebeamten anzunehmen, unter der Bedingung, 
dass die Verträge dem Ausschuss der Association vorgelegt würden, dass 
die Besoldung für Hauptbeamte mindestens auf 10 000 M. und für 
Assistenzbeamte auf 5000—6000 M. festgesetzt werden sollte, und dass 
die Beamten nur als Verwalter und Konsiliarien, aber nicht als behandelnde 
Aerzte wirken sollten. Schwierigkeiten entstanden dadurch, dass in 
manchen Bezirken ein Vorsuch gemacht wurde, die Kreisärzte (Medical 
Olficers of Health) in diese Stellungen zu ernennen, gelegentlich auch 
ohne Erhöhung des Gehaltes. Ein Schema wurde von der British Medical 
Association aufgestellt, wonach die Beziehungen der Aerzte zueinander 
und zu den Kranken und die Begrenzung der Arbeit reguliert werden 
sollten. Merkwürdigerweise hat sich seitdem herausgcstellt, dass die Zahl 
der versicherten Schwindsüchtigen bedeutend niedriger ist, als voraus¬ 
gesehen war. Der Grund dafür wird wohl darin zu suchen sein, dass 
der Arbeiter sich nur dann zu versichern hat, wenn er sich in Be¬ 
schäftigung befindet, und die Folge des bestehenden Unfallentschädigungs- 
gesetzes ist, dass leidende Arbeiter jetzt kaum mehr Beschäftigung finden 
können. Jedenfalls versprechen die Maassregeln, die für die Bekämpfung 
der Tuberkulose eingeführt worden sind und noch eingeführt werden 
sollen, höchst wirksam zu sein. Augenblicklich plant man die sach- 
gemässe Behandlung sämtlicher tuberkulöser Menschen durch die Tuber¬ 
kulosebeamten; auch die nicht Zwangsversicherten sollen hierin einge¬ 
schlossen sein, doch können diejenigen, welche Privatbehandlung wünschen, 
sich solche verschaffen. Tuberkulose-„Dispensaries“, Sanatorien, Ge¬ 
nesungsheime usw. sollen begründet werden, und Krankenhausbehandlung 
wird geplant. Aussdem hat die Regierung vor, dem Rat des „Astor“- 
Tuberkulosekomitees folgend, jährlich bis zu 1 200 000 M. für wissen¬ 
schaftliche Forschungen auf dem Gebiete der Tuberkulosebekämpfung 
auszugeben. Es soll hier nicht näher auf die Einzelheiten dieses immer¬ 
hin sehr interessanten und wichtigen Themas eingegangen werden, denn 
die Aerzteschaft hat sich im grossen und ganzen mit den diesbezüglichen 
Vorschlägen und Maassregeln einverstanden erklärt, und es wird viel¬ 
leicht besser sein, die Entwicklung abzuwarten und später über das Ge¬ 
schehene zu beriohten, anstatt jetzt über das Geplante. 

Vorbereitung zum Kampf. 

Die British Medical Association sah sich um diese Zeit gezwungen, 
Vorkehrungen zu treffen, um eventuell am 15. Januar, wo das Gesetz 
in Kraft treten sollte, einen Ausstand ins Werk zu setzen. Die Aerzte 
wurden aufgefordert, sämtliche bestehende Kassenstellungen niederzu¬ 
legen, damit mit einem Schlag die Regierung in Verlegenheit gesetzt 
würde. In der Tat hatte es zu der Zeit (Anfang Oktober) den Anschein, 
als ob die grosse Mehrzahl der Aerzte der Aufforderung Folge leisten 
würde. Gleichzeitig gingen die Vorarbeiten zur Begründung eines Public 
Medical Service langsam von statten. Merkwürdig, dass die verantwort¬ 
lichen Leiter der Association damals nicht einsahen, dass, selbst wenn 
ein derartiges Unternehmen an Stelle des von der Regierung eingeführten 
Planes überhaupt würde funktionieren können, die Zeit viel zu kurz 
war, um eine brauchbare Organisation bis zum 15. Januar zu schaffen. 
Heute, nachdem in der Zwischenzeit vieles sich zugetragen hat, dürfte 
es die Mitglieder unangenehm berühren, wenn sie lesen, dass sie am 
3 . Oktober beschlossen haben, keinesfalls die Sammlung der Beiträge 
durch die Friendly Societies ausführen zu lassen. Hiervon wird später 
die Rede sein. Am 23. Oktober hielt der t Finanzminister. eine grosse 
Rede bei einer Versammlung des Advisory Committee. Diese Rede hat 
die ganze Sachlage geändert, und obgleich die Aerzte und das konser¬ 
vative Publikum allerlei daraus gelesen haben, lässt sich nicht daran 
zweifeln, dass ein bedeutendes Nacbgeben zu verzeichnen war. Nachdem 
er eine sehr geschiokte Schilderung von Armen- und Kassenpraxis, wie 


sie bis dahin ausgeführt worden sei, gegeben hatte, warf er einen kurzen 
Blick auf die verschiedenen Stadien der Streitfrage und behauptete, dass 
er immer im Interesse der Aerzte gehandelt habe. Dann sprach er von 
den berühmten sechs Kardinalmindestforderungen der British Medical 
Association. Einige seien, seiner Meinung nach, schon von der Regierung 
zugegeben worden. Andere könnten unmöglich bewilligt werden, z. B. 
das Feststellen eines Maximaleinkommens für versicherte Personen. Es 
müsse dies den örtlichen Behörden überlassen bleiben. Hierauf ging er 
auf die Frage der Honorierung ein. Die Forderung der Aerzte sei 8 sh 
und 6 d pro Kopfzahl der Versicherten und ausserdem Bezahlung für 
besondere Leistungen und für Arzneien. Dies würde, seiner Ansicht 
nach, die Kosten pro Kopf auf etwa 13 sh bringen. Diese Forderung 
sei zu hoch. Ehe er zu einem definitiven Anerbieten überging, legte er 
klar und ausführlich auseinander, dass drei Wege offen ständen. Der 
erste sei: Behandlung durch Aerzte unter Vertrag (Panel-System) mit 
freier Arztwahl; der zweite sei, dass die volle Summe für ärztliche 
Behandlung in die Kassen der Approved Societies fliessen sollte, um es 
dieser zu ermöglichen, ein Abkommen mit den Aerzten abzuschliessen. 
Der dritte Weg sei ein National Medical Service. Das Advisory Committee 
schien sich für letztere Idee zu interessieren. Dies würde bedeuten, 
dass die Behandlung von Aerzten ausgeführt werden sollte, die von der 
Regierung mit einem bestimmten Gehalt angestellt würden. Er machte 
darauf aufmerksam, dass das Gesetz auf der Basis von 6 sh pro Kopf 
entworfen sei, obgleich diese Summe darin nicht erörtert worden 
sei. Er erklärte sich bereit, diese Summe auf 9 sh zu erhöhen: 
6 sh und 6 d für die Behandlung, 1 sh und 6 d für Arznei und 6 d 
für Tuberkulosebehandlung. Die übrigbleibenden 6 d dürften ent¬ 
weder die Mehrkosten der Arzneien decken oder, wo dies nicht not¬ 
wendig wird, würden sie den Aerzten zugute kommen. Für diese 
Erhöhung von 3 sh jedoch beanspruche er einen Gegendienst von den 
Aerzten. Zuerst würden die Aerzte die Krankenscheine und dergleichen 
ohne Extrabesoldung ausstellen müssen; dann würden sie einfache Be¬ 
richte über die Fälle erstatten müssen, und zwar würden ihnen von der 
Regierung geeignete Bücher gratis zur Verfügung gestellt werden, worin 
sie Namen, Geschlecht, Alter, Name der Krankenkasse, Diagnose, An¬ 
zahl der Besuche und eventuelle Genesung einzutragen hätten. Drittens 
würde eine bessere Behandlung verlangt werden als diejenige, die bisher 
den armen Krankenkassenpatienten zuteil geworden sei. Genügend Zeit 
würde den Patienten gewidmet und moderne Hilfsmittel zur Diagnose 
würden angewendet werden müssen. Der Finanzminister erklärte sich 
bereit, das Parlament um 36 500 000 M. Zuschuss zu ersuchen. 

Sofort danach wurden die Abteilungen der Assooiation zusammen- 
gerufeu, und in jedem Teil Englands, Schottlands und Wales wurde die 
Frage lebhaft diskutiert. Es handelte sich darum, die Vertreter der 
einzelnen Abteilungen zu instruieren, damit auf dem bevorstehenden Re- 
presentative Meeting, ein Entschluss gefasst werden könnte. Vielfach 
wurde behauptet, dass die Sachlage ebenso so schlimm sei, wie vorher; 
dass die erhöhte Honorierung die Mehrleistungen nicht decken würde 
usw. Was nun? Der Central Council der British Medical Association 
veröffentlichte einen Bericht, worin die Lage analysiert wurde, und die 
Tatsachen erörtert wurden. Der Council machte keinen Vorschlag; er 
überliess es den Abteilungen, zu entscheiden, ob sie das Anerbieten des 
Finanzministers annehmen oder zurückweisen würden. Zu gleicher Zeit 
wandte sich die Association an Mr. Lloyd George, um Klarheit in bezug 
auf verschiedene Punkte zu gewinnen. Er erwiderte ausführlich und 
erklärte, dass die Buchführung eine sehr einfache sein dürfte; zweitens, 
dass die Commissioners nichts von den praktischen Aerzten verlangen 
würden, was sie nicht gewöhnlich in ihrer Privatpraxis ausführen würden; 
und drittens, dass die fraglichen 6 d nur dann dem Apotheker zugute 
kommen würden, wenn die Kosten der Arznei 1 sh und 6 d pro Kopf 
übersteigen sollten. Bald darauf erschienen die revidierten Bestim¬ 
mungen der Insurance Commissioners. 

Beschränkung der Krankenversicherung. 

Es dürfte hier am Platze sein, kurz zu beleuchten, inwieweit die 
Zweckmässigkeit des Gesetzes durch die erläuternden Bestimmungen be¬ 
einflusst worden ist. Am schlagendsten springt die Tatsache in die 
Augen, dass keine Vorkehrungen für Krankenhaus- bzw. Anstaltsbeband- 
lung Schwerkranker getroffen worden sind. Mr. Lloyd George rechnete 
ohne Zweifel damit, dass die existierenden Krankenhäuser, die, wie be¬ 
kannt, absolut von mildtätigen Beiträgen unterhalten werden, nach wie 
vor den ärmeren Klassen Behandlung unentgeltlich bewilligen würden. 
So lange die Kranken ambulatorisch oder im eigenen Hause behandelt werden 
können, können die Versicherten darauf rechnen, dass ihnen ärztliche 
Behandlung zuteil wird Die Krankenhäuser verweigern denVersicherten 
poliklinisohe Behandlung, wenn nicht sofortige Hilfe dringend nötig ist, 
und überweisen dieselben den Versicherungsärzten (Panel doctors). Die 
Verwaltungen der Krankenhäuser jammern laut, dass infolge des Ver¬ 
sicherungsgesetzes ihre jährlichen Einkünfte ganz bedeutend abgenommen 
haben. Auch für Spezialistenbehandlung sind keine Gelder vorgesehen. 
Keine Vorkehrungen sind getroffen für die Aufdeckung von Simulanten 
und für die Regulierung von Rentenansprücbqn in zweifelhaften Fällen. 
Allerdings leiden die Approved Societies und nicht die Regierung unter 
diese Unterlassung. 

Dagegen scheint eine ganze Reibe von möglichen Schwierigkeiten 
berücksichtigt und Vorkehrungen für ihre Beseitigung getroffen worden 
zu sein. Don Aerzten wird freie Arztwahl, genügende Representation 
in den verschiedenen Komitees, Unabhängigkeit von den Friendly Societies, 


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572 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 12. 


ein annehmbares Schiedsgericht um Streitigkeiten zwischen Kassenmit- 
gliedern und Aerzten zu entscheiden, und schliesslich eine Gesamtsumme, 
die für den Arzt von 6 bis 7 sh pro Kopf und pro Jahr representiert, bewilligt. 
Dagegen wird es notwendig sein, dass die Aerzte örtlich Zusammenhalten, 
um zu versuchen, Personen, die mehr als 60 M. wöchentlichen Lohn 
haben, von der Versicherung auszuschliessen. Dieses „local bargaining“ 
dürfte kaum aussichtsvoll seio. Und endlich hat der Arzt kein Recht 
auf Honorierung für besondere Leistungen, z. B. Narkose, kleinere 
Operationen usw. H. W. Ar mit. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. Die Osterwoche bringt uns diesmal nicht nur unsere altge¬ 
wohnten deutschen Gäste, die Teilnehmer an den Kongressen der Chirurgen, 
Orthopäden, Röntgenologen und Baineologen, sondern auch in voraus¬ 
sichtlich sehr grosser Zahl Kollegen aus aller Herren Länder, die dem 
IV. Internationalen Kongress für Physiotherapie beiwohnen 
wollen. Wir haben wiederholt über die umfassenden Vorarbeiten be¬ 
richtet, die in den Händen der beiden Vorsitzenden, His und Brieger, 
des Generalsekretärs M. Immelmann und einer Reihe unter ihrer 
Leitung tätiger Ausschüsse lagen; wir dürfen sagen, dass alle die 
Schwierigkeiten, die einem so grossen Kongress gegenüber die Fragen 
der Räumlichkeiten, der geselligen Veranstaltungen, besonders aber der 
rationellen Einteilung des riesigen Stoffgebietes bedingen, in trefflicher 
Weise gelöst sind; gerade die Teilnahme der obengenannten Spezial¬ 
fächer, die sich als Sektionen dem grossen Ganzen eingeordnet haben, 
gab von vornherein eine Grundlage, die das Gesamtgebäude sicherte und 
stützte. Das Programm verheisst eine ungewöhnlich grosse Arbeits¬ 
leistung. Wir sprechen die Hoffnung aus, dass die illustren Gäste aus 
dem Auslande empfinden werden, wie sehr sie hier willkommen sind, 
und wie hoch wir ihre Mitwirkung zu schätzen wissen. Die Aerzteschaft 
Berlins hat ein eigenartiges Fest vorbereitet, um dadurch ihrer Freude 
über die unserer Stadt zuteil gewordene Ehre Ausdruck zu geben. 
Auch wir wünschen dem Kongress einen nach jeder Richtung be¬ 
friedigenden, seiner Vorgänger würdigen Verlauf! 

— In der Sitzung der Berliner medizinischen Gesellschaft 
vom 19. März demonstrierte vor der Tagesordnung Herr Mosse 
einen Fall von chronischer Hautatrophie mit Splenomegalie. Hierauf 
hielt Herr Stadelmann den angekündigten Vortrag: Ueber seltene 
Formen von Blutungen im Tractus gastrointestinalis (Diskussion die 
Herren Pick, Albu, Kraus, Lazarus, L. Kuttner, Stadelmann). 
Zum stellvertretenden Vorsitzenden wird Herr Kraus gewählt. 

— Die 16. Tagung der Deutschen pathologischen Gesell¬ 
schaft findet vom 31. d. M. bis 2. April in Marburg a. L. unter dem 
Vorsitz von Herrn E. Fraenkel statt. Referat: Herkunft und 
weitere Schicksale der Lymphocyten bei entzündlichen Pro¬ 
zessen (F. Marchand und C. Sternberg). 

— Die für 1913 seitens der Südwestdeutschen und nieder¬ 
rheinischen Vereinigung für Kinderheilkunde gemeinsam mit 
den Holländern geplante Tagung findet nicht statt, statt dessen bei ge¬ 
nügender Anmeldung eine gemeinsame Versammlung der beiden erst¬ 
genannten Gesellschaften am Sonntag, den 13. April in Wiesbaden. 

— Als Direktor des städtischen Rettungswesens ist vom 
Magistrat Dr. Paul Frank gewählt worden. So sehr wir uns freuen, 
dass nun endlich das Rettungswesen überhaupt seitens der Stadt Berlin 
in ein geordnetes System gebracht wird, dass also E. v. Bergmann’s 
unvergesslicher Initiative endlich eine völlige Anerkennung zuteil wird, 
so sehr müssen wir es bedauern, dass der Antrag des Kuratoriums auf 
Ernennung zweier koordinierter Direktoren abgelehnt worden ist. In 
der Geschichte unseres Rettungswesens sind die beiden Wurzeln, die 
auf die Unfallstationen einerseits, auf die Rettungsgesellsohaft 
andererseits zurückgehen, zu unterscheiden und müssen als mindestens 
gleichwertig angesehen werden; es war ein glücklicher Gedanke, diese 
Entwicklung auch in der doppelten Spitze zum Ausdruck zu bringen, 
deren Existenz allein schon eine Anerkennung für alle hier tätig ge¬ 
wesenen Bestrebungen enthalten und demgemäss einen versöhnlichen 
Abschluss alter Differenzen bedeutet hätte. Der peinliche Eindruck, als 
sei mit der Person des um diese Entwicklung so hochverdienten Kollegen 
George Meyer auch der Anteil, den die Aerzte Berlins in freiwilliger 
Tätigkeit hieran genommen haben, ausgeschaltet worden, wird sich nicht 
so leicht verwischen lassen; und es ist bedauerlich, dass in die erfolg¬ 
reiche Mühewaltung des Bürgermeisters Reicke auf diese Weise ein 
Missklang gekommen ist! 

— Herr Bauer in Kötschenbroda, bekannt als Diabetes-Bauer, der 
wiederholt wegen Ehrenbeleidigung und unlauterer Reklame vorbestraft 
ist, wurde neuerdings wegen einer anonym versandten Schmähschrift 
gegen Dr. Kantor-Warnsdorf zu 6 Wochen Haft verurteilt, die dann 
in eine Geldstrafe von 3000 Kronen umgewandelt wurden. 


— Nach dem uns vorliegenden 82. Jahresbericht des Direktoriums 
der Hufelandischen Stiftungen für notleidende Aerzte und Arztwitwen 
sind im Jahre 1912 aus den Mitteln dieser Stiftungen 21 Aerzte mit 
zusammen 7150 M. und 173 Arztwitwen mit zusammen 21 695 M. unter¬ 
stützt worden. An Beiträgen von Aerzten sind für die Aerztekasse 
11 126,30 M., für die Witwenkasse 14 549,50 M. eingegangen. Das Vermögen 
am Schlüsse des Jahres 1912 beträgt bei der Unterstützungskasse für Aerzte 
5S5 166,45 M. und bei der Unterstützungskasse für Arztwitwen 323629,65 M. 
Aus den Mitteln der bei den Hufelandischen Stiftungen mitverwalteten 
Stiftung des Dr. med. Heinrich Goburek-Tilsit für notleidende Arzt¬ 
waisen sind in 54 Fällen für Arztwaisen an einmaligen Unterstützungen 
zusammen 6250 M. gezahlt worden. Das Vermögen dieser Stiftung be¬ 
trägt am Schlüsse des Jahres 1912 224 449,76 M. Die bei den Hufe¬ 
landischen Stiftungen mitverwaltete Dr. Ignatz Braun’scbe Stiftung 
besitzt ein Vermögen von 16 552,10 M. 

Hochschulnachrichten. 

Cöln. Prof. Seemann, Direktor des physiologischen Instituts der 
Akademie für praktische Medizin, ist gestorben. — Strass bürg. Die 
Privatdozenten DDr. Baer (innere Medizin), Berg (Anatomie) und 
Pfersdorf (Psychiatrie) erhielten den Titel Professor. — Leipzig. 
Habilitiert: Dr. Schweitzer (Gynäkologie). — Kiel. Habilitiert: 
Dr. Käppis (Chirurgie). — Freiburg. Habilitiert: Dr. Oehler 
(Chirurgie). — Lemberg, ao. Professor für Anatomie, Dr. Bikeles, 
erhielt den Titel eines ao. Professors. — Budapest. Professor der 
Pathologie Pertik ist gestorben. — Bern. Habilitiert: DDr. Dumont 
(Chirurgie), Steiger (Gynäkologie). 


Amtliche Mitteilungen. 

Personalien. 

Ernennungen: der Arzt Dr. K.U.v. Klein in Graudenz zum Ehrenritter 
des Johanniterordens. 

Zu besetzen: zwei Assistentenstellen bei dem Königlichen Hygienischen 
Institut in Beuthen i. Oberschi, mit durchschnittlich 2100 M. Jahres¬ 
remuneration; für eine Stelle ist Dienstwohnung gegen geringe Miet¬ 
vergütung vorhanden, mit der anderen Stelle sind voraussichtlich neben¬ 
amtliche Einnahmen verbunden. Meldungen sofort an den Instituts¬ 
direktor. 

Niederlassungen: Dr. S. König in Gross-Strehlitz, Dr. U. Press 
in Lippehne, Dr. R. Lauer in Halberstadt, Arzt P. Brandt in Dit- 
furt, Arzt W. Westerhoff in Münstereifel. 

Verzogen: Dr. E. Peiser von Berlin und Dr. Th. Freyhan von Char¬ 
lottenburg nach Berlin-Schöneberg, Dr. M. Hopp von Halle a. S., Dr. 
G. Lenz von Biesenthal und Prof. Dr. G. Schütz von Berlin- 
Lichterfelde nach Charlottenburg, Arzt G. Linzenmeier von Kiel, 
Dr. R. Neumann von Cottbus, Dr. W. Pohl von Borbeck, Dr. J. 
Prager von Leipzig, Dr. F. Raehter von Berlin-Schöneberg, Dr. E. 
Puttkammer von Stettin, Dr. R. Kallmann von Freiburg i. Br., 
Dr. F. Rosenthal von Halensee (Berlin-Wilmersdorf), Dr. K. Schmidt 
von Frankfurt a. M., Dr. E. Stricker von Münster* Dr. E. Wossidlo 
von Schlachtensee, Dr. K. Brednow von Nauheim, Arzt A. Friedei 
von Eberswalde und Dr. 0. Kraftmeier von Schulitz a. W. nach Berlin, 
Dr. G. Rosenow von Berlin nach Königsberg i. Pr., Arzt. F. Pal- 
mowski von Berlin nach Waitenburg, Arzt R. Nagel von Elbiog 
nach Bayreuth, Arzt P. Pertzsch von Magdeburg nach Elbing, Dr. 
A. Beyer von Sch wetz nach Altona zum Militär, Dr. K. Stade von 
Berlin nach Berlin-Schmargendorf, Dr. M. Müller von Kauffung 
a. d. Katzbach nach Guben, Dr. 0. Beyer von Hanau nach Calbe a. S., 
Dr. Hertz von Magdeburg nach Burg b. Magdeburg, Aerztin Dr. A. 
Ben ecke von Braunschweig, Dr. E. Petzsoh von Augsburg und Dr. 
J. Reinhardt von Osnabrück nach Magdeburg, Dr. G. Brinck von 
Wolfenbüttel nach Wasserleben, Dr. F. Gerding von Diepholz nach 
Hunteburg, Dr. J. Mebltretter von München und Dr. E. Loewen- 
son von Linden b. Hannover nach Düsseldorf, Dr. J. Bollmann von 
Reisen als Schiffsarzt nach Essen a. d. Ruhr, Dr. K. Buschmann von 
Moers nach Solingen, Dr. H. Martius von Berlin, Dr. H. Hinsel¬ 
mann von Jena, Dr. K. Schilling von Leipzig, Dr. A. Hörder von 
Reisen als Schiffsarzt, Dr. A. Koepchen von Cöln, Dr. 0. See¬ 
mann von Halaf (Türkei) und Dr. Th. Kohlhage von Stettin naeh 
Bonn, Dr. F. Koehl von Erfurt, Dr. H. Meyer von Hamburg, Dr. A. 
Pleuss von Wevelinghoven, Dr. F. W. Winter von Freibnrg i. B., 
Dr. 0. Hess von Göttingen, Arzt M. Dietlein von Kempten (Schwaben) 
und Dr. F. A. Simons von M.-Gladbach nach Cöln, Dr. G. J. Lang von 
Oberhausen nach Porz a. Rh., Dr. M. Weber von Bonn nach Stutt¬ 
gart, Dr. H. Oster von Flamersheim nach Bonn. 

Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. H. Vogel von 
Paderborn, Dr. A. Ingendahl von Aachen. 

Gestorben: Arzt F. Wahl in Wartenburg, Dr. P. Schröter in 
Danzig, Dr. H. Wachsner in Gross-Strehlitz, Dr. H. Bohmeyer in 
Lungenheilstätte Vogelsang, Kreisarzt a. D., Geh. Med.-Rat Dr. A. 
Brand in Geldern, Dr. E. Hart wich in Caputh, Generaloberarzt a.D. 
Dr. H. Krause in Brandenburg a. H. 

Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hane Kohn, Berlin W., Bayrenther Strasse 43. 


Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4. 


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Dl« B«rlia«r KllnUeh« Woeh«naohrtft erscheint Jeden 
Montag In Nummern von oa. 5—6 Bogen gr. 4. — 
Preis ▼lerteljihrlich 6 Mark. Bestellungen nehmen 
alle Buchhandlungen und Postanatalten an. 


BERLINER 


Alle Einsendungen für die Redaktion and Expedition 
«rolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung 
August Hirschwald In Berlin NW., Unter den Linder 
No. 68, adressieren. 


KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Organ für praktische Aerzte. 

Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 

Redaktion : Expedition: 

Geh. Mcd.-Rat Prof. Dr. C. Posner und Dr. Hans Rohn. August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin. 


Montag, den 31. März 1913. M 13 . 


Fünfzigster Jahrgang. 


I n H 

Originellen: Touton: Die jetzigen Heilmittel der Syphilis und ihre 
Anwendung in der Praxis. S. 573. 

Gutmann: Ueber Parallelversuche mit Alt- und Neosalvarsan. 

(Aus dem. städtischen Krankenhause zu Wiesbaden.) S. 581. 
Unna: Tatsachen über die Reduktionsorte und Sauerstofforte des 
tierischen Gewebes. S. 589. 

Schmidt: Das Ulcus rotundum duodeni im ersten Lebensjahr. 
(Aus dem pathologischen Institut der Universität Breslau.) 
(Illustr.) S. 593. 

Krause: Vergleich der Wirkung von Thorium X- und Röntgen- 
Strahlen. (Aus der Privatklinik von Geh. Rat Bier in Berlin.) 
S. 596. 

Hirschberg: Das Thigenol in der gynäkologischen Therapie. (Aus 
der Klinik und Poliklinik für Frauenkrankheiten von Professor 
Dr. W. Nagel in Berlin.) S. 597. 

Roth mann: Gegenwart und Zukunft der Rückenmarkschirurgie. 

(Schluss.) (Illustr.) S. 598. 
v. Tob old: Technische Neuheiten. S. 603. 

Künne: Die Little’sche Krankheit. (Kritisches Uebersichtsreferat.) 
S. 603. 

Bfteherbesprechnngen : Ros ernannt L. Landois’ Lehrbuch der Physio¬ 
logie des Menschen. S. 607. (Ref. Loewy.) — Feer: Lehrbuch der 
Kinderheilkunde. S. 607. (Ref. Müller.) — Aschaffenburg: 
Handbuch der Psychiatrie. S. 607. (Ref. E. Meyer.) — Albu: 


ALT. 

Grundzüge für die Ernährung von Zuckerkranken. S. 607. (Ref. 
Magnus-Levy.) — Hamburger: Die Tuberkulose des Kindesalters. 
S. 607. (Ref. L. F. Meyer.) — Os man: Makroskopisch-diagnostisches 
Taschenbuch der pathologischen Anatomie. S. 607. (Ref. Pinner.) — 
Peckert: Einführung in die konservierende Zahnheilkunde. S. 607. 
(Ref. Proei 1.) 

Literatnr-Anszüge: Physiologie. S. 607. — Pharmakologie. S. 608. — 
Therapie- S. 609. — Allgemeine Pathologie und pathologische 
Anatomie. S. 609. — Parasitenkunde und Serologie. S. 609. — 
Innere Medizin. S. 610. — Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 
S. 611. — Kinderheilkunde. S. 611. — Chirurgie. S. 612. — 
Röntgenologie. S. 613. — Urologie. S. 613. — Haut- und Geschlechts¬ 
krankheiten. S. 613. — Geburtshilfe und Gynäkologie. S. 614. — 
Augenheilkunde. S. 615. — Hygiene und Sanitätswesen. S. 615. — 
Unfallheilkunde und Versicherungswesen. S. 615. — Militär-Sanitäts¬ 
wesen. S. 615. 

Verhandlungen Iritlieher Gesellschaften: Berliner ophthalmo- 
logische Gesellschaft. S. 615. — Gesellschaft für soziale 
Medizin, Hygiene und Medizinaistatistik zu Berlin. S. 616. 
— Naturwissenschaftlich-medizinische Gesellschaft zu 
Jena. S. 616. — Freiburger medizinische Gesellschaft. 
S. 617. 

Dworetzky: Brief aus Moskau. S. 618. 

Tagesgeschichtliche Notizen. S. 619. 

Amtliche Mitteilungen. S. 620. 


Die jetzigen Heilmittel der Syphilis und ihre Anwendung in der Praxis. 

Von 

Prof. Touton- Wiesbaden. 


Als vor 50 Jahren dieses Blatt das Licht der Welt erblickte, 
leitete io Wien Friedrich Wilhelm Lorinser das k. k. Kranken¬ 
haus Wieden, „ein verdienstvoller Chirurg und mehrseitig ununter¬ 
brochen wissenschaftlich tätiger Arzt u . Dieses gute Zeugnis wird 
aber von Proksch, der es aasstellte, sofort getrübt durch den 
Zusatz, er „befleckte leider fast 40 Jahre hindurch zu wieder¬ 
holten Malen seinen guten Namen durch überaus gehässige, ab¬ 
scheuliche und unbegründete Schmähungen gegen alle Kollegen, 
welche Quecksilber überhaupt und speziell gegen Syphilis an¬ 
wendeten 11 . 

Ja, Lorinser wurde sogar zum Parteigänger und Eideshelfer 
jenes berü—hmten Joseph Hermann, der der leidenden Mensch¬ 
heit die beiden Bücher mit den tröstlichen Titeln: „Es gibt keine 
konstitutionelle Syphilis 11 and „Die Quecksilberkur ist ein Ver¬ 
brechen an der gesamten Menscheit 11 schenkte. 

Und zwei Jahre vor der Geburt der Berliner klinischen 
Wochenschrift erhielt Hermann v. Zeissl die Professur für 
Syphilidologie, zu der sich 1869 die Primararztstelle einer neu¬ 
errichteten Abteilung für Venerische im allgemeinen Krankenhaus 
io Wien gesellte, v. Zeissl behandelte die gewöhnlichen primären 
und sekundären Syphilisfälle fast exspektativ, oder mit mässigen 
Jodkalidosen (bis 3,0 pro die), dem er in allen Stadien der 
Syphilis die ausgezeichnetsten Erfolge oacbrühmt, oder mit Decoct. 


Zittmanni. Das Quecksilber aber verspart er sich für die 
Fälle, für die seltenen Fälle, die seiner gewöhnlichen Therapie 
nicht weichen wollten, und da genügten denn meist 10 bis 15 
Innunktionen ä 2,0 zur Beseitigung der Symptome. Die schwersten 
tertiären Erkrankungen schienen ihm die zu sein, die frühzeitig 
und intensiv mit Quecksilber behandelt waren. 

In Paris aber verschrieb Philippe Ricord, der geniale 
Chef-Chirurgien des Höpital du Midi für Syphilitische seine be¬ 
rühmten Protojoduretpillen und freute sich, wenn er mit diesen 
die eben gerade bestehenden; und sichtbaren Symptome der 
Krankheit zum Schwinden gebracht hatte,. ohne sich in jedem 
Falle viel Skrupel darüber zu machen^ wie es sieb dabei nun mit 
der Krankheit selbst verhielt, und was die Zukunft den ein¬ 
zelnen Kranken bringen würde. Dazu genügten im schlimmsten 
Fall 200 Gran in 1 bis l*/ 2 Monaten. 

Boeck aber in Christiania verteidigte die Behandlung der 
Syphilis durch die sogenannte „Syphilisation“, die Einimpfang 
mit venerischem Geschwürssekret bis zum Erlöschen der Re¬ 
aktionsfähigkeit. 

Das waren die Zeiten des grossen Rückschlags gegen die 
farchtbar übertriebenen, oft noch durch Hunger- gelegentlich auch 
Durstkuren verschärften Quecksilber- und Salivationskuren, wie 
sie Louvrier und Rust aus der Nacht des Mittelalters wieder 


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574 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 13. 


batten aufleben lassen, fast mehr unerbittliche Scharfrichter der 
syphilitischen Sünder als vorsichtige Berater der bedauernswerten 
Kranken. 

Diese Reaktion war an Rieh natürlich und begreiflich, nur 
hätte sich die Opposition nicht gegen das Mittel, sondern allein 
gegen die Methode wenden müssen. 

Begreiflich war diese oft an therapeutischen Nihilismus 
grenzende Milde der Behandlung auch deshalb, weil man erstens 
damals von vielen schweren Nachkrankheiten bzw. ihrem ätio¬ 
logischen Zusammenhang mit der Lues noch keine Ahnung hatte 
(z. B. Tabes, Paralyse, Aortitis und Aortenneurysmen) und zweitens, 
weil die Leiter der grossen Syphiliskliniken alles, was sich nicht 
auf der Haut und Schleimhaut der oberen Luft- und Verdauungs¬ 
wege abspielte, kurzer Hand auf die entsprechenden Spezialkliniken 
zu transferieren pflegten, so dass sie jedenfalls häufig nur ganz 
mangelhafte Kenntnisse der Erkrankung innerer Organe, des 
Nervensystems und der Sinnesorgane hatten, und deshalb auch 
nicht die solchen Erkrankungen vorbeugende Bedeutung der 
spezifischen Kuren in der Frübperiode kennen konnten. 

Dieser Umstand war es auch, der ihnen ganz das Verständnis 
für die therapeutischen Anstrengungen der Fournier-Neisser- 
schen Richtung verschloss. 

Wie nun über Alfred Fournier und seine auf die Chroni- 
cität bzw. Latenz der Krankheit gegründete, an sich logisch 
richtige, leider aber auch durch die Minderwertigkeit der Me¬ 
thode unvollkommene, chronisch intermittierende Quecksilber¬ 
behandlung hinaus bis zu Albert Neisser’s auf demselben 
Prinzip aufgebaute, aber mit wirksameren Methoden durchgeführte 
Behandlung neuerdings eine zwar immerhin noch längere Zeit 
dauernde, aber doch erheblich abgekürzte, dafür aber fast per¬ 
manente Kombinationsbehandlung mit Quecksilber, Salvarsan 
und Jod sowie der Hydro- und Balneotherapie herausgewachsen 
ist, hat Neisser selbst in dem Artikel in Nr. 2 dieser 
Wochenschrift in grossen Zügen geschildert und auch nach der 
prinzipiellen Seite entwickelt. Er schliesst mit den Worten: 
„Also in jedem Falle Salvarsan, in jedem Quecksilber- und 
Jodpräparate, die'Hilfsmittel der Balneo- und Hydrotherapie, es 
müssten denn beim einzelnen Kranken spezielle Kontraindikationen 
gegen die eine oder andere therapeutische Maassnahme vor¬ 
liegen.“ 

Wenn ich nun auf Wunsch der Redaktion heute „eine aus 
der Praxis geschöpfte und für diese verwertbare, spezielle Dar¬ 
stellung“ der jetzigen Syphilistherapie geben soll, so muss ich 
von vornhein um Nachsicht bitten, wenn dabei etwas Unab¬ 
geschlossenes, wahrscheinlich an vielen Punkten Anfechtbares 
herauskommt. Was ich geben kann und werde, ist ausser meinen 
eigenen, auf eine nun fast 30jährige Praxis gegründeten Erfah¬ 
rungen gewissermaassen eine Momentphotographie der gerade eben 
geltenden Anschauungen, wie sie sich aus dem grossen 1903 be¬ 
gonnenen Umschwung, um nicht zu sagen Umsturz in der ganzen 
Syphilislehre, der natürlich die Therapie auch grundsätzlich be¬ 
einflusste, herauskristallisiert hat. Wer in 10 oder 20 Jahren 
oder später der Aufgabe gegenübergestellt sein wird, einen Ueber- 
blick über die spezielle Therapie der Syphilis zu schreiben, hat 
es wahrscheinlich leichter. Denn bis dorthin werden sich 
wohl an der Hand der Wassermann’schen Reaktion, dieses Prüf¬ 
steins jeglicher Therapie, endgültig und in schärfer umgrenzten 
Zeiträumen als jetzt Heilung und Latenz präzise unterscheiden 
lassen. 

Heute aber ist die Zeit speziell nach der Einführung des 
Salvarsans noch viel zu kurz, um ganz bestimmte Schlüsse und 
unumstössliche Regeln aus dem bis jetzt Erlebten ableiten zu 
können. 

Quecksilber. 

Deshalb stelle ich auch noch den Satz a^ die Spitze meiner 
speziellen Ausführungen: Das Quecksilber ist vorläufig 
das sicherste und — wenn richtig angewandt — auch 
ein mit Rücksicht auf die Verträglichkeit seitens des 
menschlichen Organismus ausgezeichnetes Heilmittel 
der Syphilis, also derKrankheit selbst, nicht nur ihrer 
Symptome. / 

Wenn wir die Geschichte der Syphilistberapie vom Ende des 
15. Jahrhunderts an uns vorbeiziehen lassen, erleben wir dasselbe 
Schauspiel wiederholt,, was iph zj»m Teil in der Einleitung 
kurz skizziert habe: d. h. zunächst grosse Begeisterung für das¬ 
selbe, Uebertreibung der Behandlung, Schädigung des Organismus, 


Verwerfung bis zur heftigsten Bekämpfung, notgedrungene Wieder¬ 
aufnahme wegen Unzulänglichkeit der anderen Mittel, zuerst zag¬ 
haft, dann kühner, wieder bis zur Uebertreibung usw. Immer 
aber und immer wieder ringt es sich empor und beherrscht die 
Therapie der Syphilis, wenn auch in vielfach variierter Form und 
Dosierung. Und auch der letzte und gewaltigste Schlag, der 
vielen zuerst sein sicheres Ende bedeutete, im Zweikampf mit 
dem Salvarsan, ging, wie es scheint, spurlos an ihm vorüber. 
Ich will heute noch nicht absolut sicher sagen, dass es Sieger 
auf der Wahlstatt blieb. Niemand kann aber auch heute um¬ 
gekehrt mit Sicherheit behaupten, dass das Salvarsan ihm be¬ 
züglich der Dauerheilung der Krankheit überlegen wäre, mit ein¬ 
ziger Ausnahme vielleicht als Abortivmittel im Primärstadium. 
Am meisten Kraft scheinen beide verbündet zu ent¬ 
falten, worüber ich später ausführlich sprechen werde. 

Der oben von mir vorangestellte Satz gründet sich haupt¬ 
sächlich darauf, dass es nun doch schon während der 67 2 Jahre 
seit Entdeckung der Wassermannreaktion möglich war, in grosser 
Anzahl Fälle dieser Prüfung wiederholt, manche sogar dauernd 
zu unterwerfen, die von uns selbst oder von anderen Anhängern 
der Fournier- Neisser 'sehen Methode vor 10—20 und mehr 
Jahren nach derselben behandelt und klinisch wie serologisch 
„geheilt“ befunden wurden. Bei der Beurteilung dieser Fälle 
hiesse es meines Erachtens die Skepsis zu weit treiben, Spontan¬ 
heilungen anzunehmen, die nach Neisser 1 ) jedenfalls nur Aus¬ 
nahmen sind, oder zu glauben, dass trotz der langen symptom¬ 
losen Zeit, nach ausgiebiger Behandlung und trotz häufiger nega¬ 
tiver serologischer Untersuchung vielleicht doch später noch ein¬ 
mal ein positives Resultat kommen könnte. Freilich mathe¬ 
matisch sicher kann die absolute Heilung heute noch nicht aus 
einer bestimmten Anzahl negativ verlaufener Untersuchungen und 
ihrer Verteilung auf eine bestimmte Zahl von Jahren gefolgert 
werden. 

Ebensowenig hat bis heute die Wassermannreaktion eine 
definitive Entscheidung darüber gebracht, welche von den zahl¬ 
reichen Einverleibungsmethoden und welches der noch zahl¬ 
reicheren Präparate durchgreifende Vorzüge vor den anderen hat, 
d. h. welches die wirksamsten Mittel und Methoden zur Dauer¬ 
heilung sind. Eines aber hat sie mit Sicherheit bewiesen, dass 
auch im Stadium der Latenz, also des nur positiven Wasser¬ 
manns, ein heilsamer Einfluss mit Quecksilberkuren im Sinne des 
Negativwerdens ausgeübt werden kann, dass also das Fournier- 
Neisser’scbe Prinzip der Behandlung auch ohne klinische 
Symptome richtig war. 

Wir erschliessen also gegenwärtig die Vorzüge verschiedener 
Quecksilberkuren vor einander in erster Linie noch immer ans 
ihrer klinischen Wirksamkeit auf die Symptome, natürlich auch 
im einzelnen Falle aus ihrem Einfloss auf die Seroreaktion, 
besonders auf die Dauer der Negativität, sollten aber, besonders 
für die Privatpraxis, nie dabei vergessen die Verträg¬ 
lichkeit sowie die Bequemlichkeit der Anwendung mit 
in das Kalkül einzusetzen. Ob absolut das prozentaal am 
meisten Quecksilber enthaltende Präparat a priori das beste sein 
müsse, wie man neuerdings manchmal meinte, scheint mir noch 
gar nicht ausgemacht. Es ist sogar schon direkt erwiesen, dass 
prozentual höherstehende Präparate nicht nur weniger wirksam 
sein können als weniger quecksilberreicbe, sondern dass sie sogar 
ganz unwirksam sein können, z. B. durch die feste Kuppelung 
des Quecksilbers an zwei Benzolringe. Offenbar spielt hierbei das 
Radikal, das neben dem Quecksilber dem Benzolkern angehäogt 
ist, und dessen Avidität zu den Spirochäten, also ein eigentlich 
chemotherapeutisches Prinzip die grössere Rolle [Ferd. Blumen¬ 
thal, Kollo, Rothermundt, Peschie und Abelin 8 )]. 

Während man in Deutschland alle internen Quecksilber¬ 
methoden $chon sehr lange als höchst zweifelhaft betrachtete, 
und auch in den letzten Jahren die französsichen Kollegen sich 
mehr und mehr von ihnen lossagten, wenden sich gegenwärtig 
unter Neisser’s Führung eine Anzahl Syphilidologen ganz von 


1) „Möglicherweise gibt es eine Spontanheilung, aber wir wissen 
absolut nichts davon.“ (Diese Wochenschr., 1918, Nr. 2.) 

2) Finger erklärt ganz neuerdings wieder die Wirkung des Queck¬ 
silbers sowohl als des Salvarsans picht als die von Parasiticidis. sondern 
von Stimulantiis, als „die Abwehrerscheinungen des Organismus steigernd*. 
Das spezifisch syphilitische Infiltrat (also nicht die Spirochäte) soll 
dazu noch das Heilmittel aus der Circulation in grösserer Menge heran¬ 
locken und so dessen stimulierende Wirkung steigern. Vorläufig möchte 
ich die Neisser-Ehrl ich’sehe Auffassung für wahrscheinlicher halten. 


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81. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


575 


der Inunktionskur ab und degradieren sie za einer blossen 
Lokalbehandlang der ersten sekundären Hanteruptionen. Ich 
persönlich gehöre za den treuen Anhängern der 
Inunktionskur, wofür« ich die Gründe in den letzten Jahren 
bei verschiedenen Gelegenheiten mündlich und schriftlich, zuletzt 
in der eben erscheinenden Festschrift zur Eröffnung unseres neuen 
Kaiser Friedrichbades 1 ) auseinandergesetzt habe. Die entsprechen¬ 
den Sätze in Neisser’s Artikel sind als Grundlage für eine 
Diskussion der gegenwärtig empfehlenswertesten Quecksilber- 
methoden so wichtig, dass ich sie hier citiere: „Denn darüber 
lässt sich doch nicht streiten, dass früher eine Unzahl von Kuren, 
vielleicht die allermeisten, die überhaupt je gemacht worden sind, 
gänzlich unzureichend waren, da man ja nie feststellen konnte, 
ob eine genügende, d. h. eine wirksame Menge des Medikaments 
dem Körper auch wirklich zugeführt worden sei. Aus diesem 
Grunde habe ich ja auch schon seit langen Jahren von der Ein¬ 
reibungskur Abstand genommen, nicht als ob ich sie etwa für 
gänzlich wirkungslos hielte, aber weil ich sie durch bessere 
Methoden (sc. unlösliche Salz- oder graue Oelinjektionen; T.), die 
mir eine sicherere und reichlichere Zufuhr von Quecksilber er¬ 
möglichen, ersetzen kann.“ Vorher hat Neisser schon strengste 
Individualisierung bei Aufstellung des Heilplanes, besonders be¬ 
züglich „der Grösse der Einzeldosen, der Zahl der Injektionen, 
der Länge der Intervalle usw. u , gefordert. Schon allein die rück¬ 
haltlose Zustimmung zu diesen letzten, selbstverständlichen Postu- 
laten würde uns meines Erachtens dazu führen, die Inunktionskur 
nicht zu verwerfen. Denn wir haben keine einzige Kur, bei der 
wir so schonend in relativ kurzer Zeit die ausgezeichnetsten Heil¬ 
erfolge erzielt haben und stets wieder erzielen können, und wo 
wir bei eintretenden Erscheinungen der Intoleranz so schnell die 
Quecksilberaufnahme sistieren können. In letzterer Beziehung 
kommen ibr die löslichen Salzinjektionen (besonders mit Sublimat) 
am nächsten, die aber bei der grossen Menge (mindestens 80) 
meist doch zuletzt Schmerzen machen, wenigstens bei empfind¬ 
lichen Patienten, und die durch die rasche Ausscheidung wieder 
als weniger nachhaltig wirksam gelten. Darin stimme ich voll¬ 
ständig mit Neisser überein, dass wir früher sicher unzureichend 
gerade die Inunktionskuren gemacht haben. Ich scbliesse aber 
daraus nicht, dass deshalb die Inunktionskuren zu verwerfen sind, 
sondern dass unsere Methodik derselben zu verbessern ist. Denn 
auf Grund der ersteren Logik hätten wir gleich nach den Pferde¬ 
kuren von Louvrier-Rust jegliche Inunktionskur für immer ver¬ 
werfen müssen. Das haben wir aber nicht getan, sondern haben 
sie verbessert, sind aber vielleicht in der Milderung zu weit ge¬ 
gangen. 

Viele Inunktionskuren waren also zweifellos 

1. von zu kurzer Dauer, 

2. wurden mit ungenügenden Dosen durchgeführt, 

3. wurden besonders nicht mit allmählich gesteigerten Dosen 
gemacht, 

4. wurden nicht regelmässig täglich, 

5. wurden ohne die genügend grossen Abdunstungsflächen und 

6. ohne eine genügend fein und trocken verreibbare Salbe vor 
genommen. 

Um ein zugrunde zu legendes, aber individuell immer zu 
variierendes Mittel anzugeben, sollten bei einer Durchschnitts- 
Inunktionskur 

1. vier bis sechs Wochen lang, 

2. 3,0—5,0—6,0, 

3. allmählich gesteigert (etwa 5 k 3,0 + 10 h 4,0 -f- 15 
a 5,0 oder -f- 25 a 5,0 oder -f- 15 a 6,0 -j- 10 a 6,0), 

4. täglich, 

5. auf etwa 1 / z der Körperoberfläche, 

6. in Form von Resorbinhg. (3373 pCt.) mit der Hand ein¬ 
gerieben werden. 

Diese Kur kann reinlich gemacht werden, erfordert täglich 
mit An- und Ausziehen etwa 1 f 2 Stunde (10 Minuten einreiben), 
ist adso nicht unbequem und ist eben vor allem schmerzlos, 
ein in der Privatpraxis gar nicht hoch genug anzuschlagender 
Faktor. 

Den Vorwurf des Unexakten in der Dosierung bei der Schmier¬ 
kur habe ich ebenfalls wiederholt pariert: 

1. durch die Möglichkeit der Vergleichung der während der¬ 
selben ausgeschiedenen Hg-M^engen (im Urin) mit den bei 


1) Ueber den Einfluss der modernen Syphilislehre auf die Behand¬ 
lung der Sypbih* au Badeorten. Wiesbaden, F. J. Bergmann, 1913. 
(Mit Literatur.) ’ - . f 


anderen Einverleibungsmethoden, bei denen wir die täglich 
einverleibte Menge kennen (z. B. Sublimatinjektionskuren), 
ausgeschiedenen Tagesmengen und den durch diese Ver¬ 
gleichung gestatteten Rückschluss auf diebei der Inunktionskur 
täglich aufgenommene Quecksilbermenge; 

2. durch die Feststellung, dass wir bei den so hocbgepriesenen 
unlöslichen Hg-Salzinjektionen (also besonders Salicylqueck- 
silber, Thymolquecksilber und Calomel) ebenso wie bei den 
Qaecksilberölen zwar die wöchentlich oder halbwöchentlich 
einverleibte Hg-Menge kennen oder zu kennen glauben 
— denn eine ganz exakte Verteilung des fest auf dem 
Boden der Flasche sitzenden Medikamentes durch das Um¬ 
schütteln, so zwar, dass in den ersten Spritzen gerade so 
viel enthalten ist wie in den letzten, halte ich für eine 
Illusion —, aber durchaus nicht voraus wissen, wieviel 
davon sich täglich der Organismus in „gelöster“ oder all¬ 
gemein gesagt „brauchbarer“ Form holt, so dass wir be¬ 
sonders bei Abkapselungen noch quecksilberhaltiger In¬ 
filtrate, die sehr lange bestehen können, eine ganz 
ungleichmässige und durch gewisse mechanische Umstände 
oft lange nach der Kur gefährliche Massenresorption nicht 
mit Sicherheit ausschliessen können. Hier ist also de facto 
die Dosierung, wenn wir darunter die täglich in den Orga¬ 
nismus aufgenommene und gegen die Syphilis verwendete 
Hg Menge verstehen, ganz unexakt. Am besten scheint mir 
noch das Breslauer Mercinol (40proz. Qaecksilberöl) za sein, 
worauf ich noch zurückkomme. 

Dazu kommt noch die nicht zu bestreitende theoretische 
Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit, dass gerade das in Dampf¬ 
form inhalierte Hg besonders leicht resorbiert wird und in und 
mit dem Blute besonders leicht alle Syphilisherde durchdringt 
(Merget). 

Die Inunktionskur ist freilich kein Mittel, um sehr rasche 
und akute starke Schläge zu führen, ein Prinzip, was neuer¬ 
dings im Anschluss an den Beginn der Salvarsanära die ganze 
Luestherapie zu beherrschen anfängt. Ich kann dieses Prinzip nur 
anerkennen, wenn es gilt, lebenswichtige Organe rasch der Ge¬ 
fahr der durch die Syphilis drohenden Zerstörang zu entziehen. 
Für gewöhnliche, dieser Indikation entbehrende Fälle der 
Sekundär- und auch der Tertiärperiode sowie der Parasypbilis 
halte ich die schwächer anfangende und allmählich sich steigernde 
Sterilisierung für sicherer und vor allem für ungefährlicher. Bei 
den gradatim steigerungsfähigen und langsam das Mittel akkumu¬ 
lierenden Methoden, wozu ich in erster Linie die Inunktionskur 
rechne, erreichen wir wie bei anderen differenten Medikationen, 
z. B. mit Arsen, zunächst eine gewisse Gewöhnung des Organis¬ 
mus, die natürlich dann besonders wichtig ist, wenn wir die Ver¬ 
träglichkeit des Mittels im Einzelfalle noch nicht kennen, die es 
aber vor allem gestattet, die Kuren auf längere Zeiträume aus¬ 
zudehnen. Ich glaube, dass auf diesem Wege auch die Zurück- 
drängung des Virus an abgelegene Stellen minderen Stoffwechsels, 
die so gefürchteten, der Dauerheilung den grössten Widerstand 
leistenden, abgekapselten oder latenten Herde oder doch seine 
besonders starke Vermehrung an diesen Stellen weniger zu 
beklagen ist. 

Jeder brüske Schlag in einer spirochätenreichen Periode, 
also besonders der ersten sekundären Eruptionsperiode, hat eine 
plötzliche Ueberschwemmnng des Organismus mit den frei werden¬ 
den Toxinen der in grosser Menge rasch abgetöteten Spirochäten 
im Gefolge, wa9 nicht immer gleichgültig ist, besonders auch des¬ 
halb nicht, weil bei fast ganz, aber eben doch nicht absolut er¬ 
folgter Sterilisierung die Testierenden wenigen Herde um so mehr 
sich ausdehnen (Thalmann, Bettmann, Ehrlich). Er kann 
aber auch zur heftigen Reaktion vorher unbekannter, in 
der Nähe wichtiger Organe (Nerven) sitzender Herde führen 
(Neurorecidive). Ich kenne Patienten, die am Abend und in der 
Nacht nach jeder gewöhnlichen Injektion von Salicylque<jksilber 
Fieber bekommen, oft mit einer Art Schüttelfrost beginnend, 
andere bekommen es nur nach der ersten. Diese Fiebernächte 
sind nicht für jeden Organismus gleichgültig, mindestens aber 
sind sie überflüssig, da wir ohne sie das gleiche Ziel erreichen 
können. Und wie wenig nachhaltig wirkt nun gerade dieses so 
rasche Erfolge zeigende Salicylquecksilber. Nach zwei Injektionen 
kann die hartnäckigste Psoriasis palmaris unter J grosslämellöser 
Schuppung total abheilen, und-kaum, dass die Kur mit ihren 
10—15 Injektionen a 0,1 Sftf 1 Ende ist, klopft das Recidiv schon 
aflMlie’Tür# Niemand 1 aber wird behaupten, dass er mit Sicher¬ 
heit efob>Salioylquecksttberkur ohne mehr oder weniger heftige 

1 * 


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576 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18 . 


lokale Reaktionen, besonders Schmerzen durchführen kann! Und 
nun gar die Calomelinjektionen! 

Eine sehr brauchbare und auch für die Praxis empfehlens¬ 
werte Methode neben und als Ersatz oder in Kombination mit 
der Schmierkur ist die Mercinolinjektionskur. Wenn man 
die von Neisser und Zieler wiederholt betonten Vorsichtsmaass¬ 
regeln, besonders aber auch das Breslauer Mercinol und die 
Zieler’sche Spritze anwendet, so scheinen dieser Methode nur 
in sehr geringem Maasse noch die gefürchteten Nachteile der 
Depottherapie anzuhaften. Insbesondere soll man auch hier, wenn 
man die Verträglichkeit des Hg überhaupt in einem bestimmten 
Palle noch nicht kennt, also bei der ersten Hg-Kur nicht damit 
anfangen, sondern mit einigen Inunktionen schwächerer Dosis oder 
einigen Sublimatinjektionen. Auch soll man zuerst nur halbe 
Dosen, also 0,075 Hg (wöchentlich 1—2) geben und später erst, 
nachdem das Ausbleiben der Infiltratbildung sicher ist, die ganze 
Spritze mit 0,15 Hg. Die ganze Kur mit 8—10 ganzen Spritzen 
erstrecke sich auf etwa ein Vierteljahr, in der Hälfte mit einer 
etwa einmonatlichen Pause. Wenn man ausserdem bei Anlegen der 
Depots sich genau an die Schindler’schen Lokalisationen hält, 
so wird man in dieser Behandlung eine von Beschwerden freie, hoch- 
wirksame Quecksilbereinverleibungsmetbode schätzen lernen, die 
sich für die Fälle eignet, in denen keine rasche Hg-Wirkung, 
sondern mehr eine stetige und nachhaltige angezeigt erscheint. 
Ausserdem ist sie denkbar bequem, da der Patient wöchentlich 
nur einmal den Arzt aufzusuchen und in der Zwischenzeit jeden¬ 
falls mit der Einverleibung nichts zu tun hat. 

Nun kommen aber in der Praxis immer einmal Fälle vor, 
wo weder eine Inunktionskur noch eine Injektionskur möglich ist, 
und doch unbedingt Hg eingeführt werden soll und muss, z. B. 
bei Reisen in abgelegenen Gegenden, oder dass aus Gründen der 
Verheimlichung während einer bestimmten Zeit kein Arzt auf¬ 
gesucht werden soll. Dann bleibt manchmal nichts anderes 
übrig, als wenigstens für diese Zeit vielleicht nur als Fortsetzung 
einer Inunktions- oder Injektionsknr auch einmal das Mittel per 
os zu geben, am besten in der Form von Pillen aus Hydrar- 
gyrum oxydulatum tannicum (Lustgarten). Ich erinnere 
mich besonders aus der früheren Zeit, öfter ganz gute symptoma¬ 
tische Erfolge von 180 derartigen Pillen a 0,05 in einem Monat 
ohne nennenswerte Reizungen des Darmkanals gesehen zu haben. 
Auch das Mergal scheint empfehlenswert (6—8 Kapseln pro die, 
800—350 pro Kur). Oder man lässt einen solchen Patienten ein 
oder zwei Mercolintschürzen (Blaschko) je drei Wochen 
lang tragen. So wird dann wenigstens während dieser Pause in 
der energischeren Hg-Aufnahme dieselbe nicht ganz unterbrochen. 

Jod. 

Die Jodpräparate, insbesondere das Jodkalium, haben für 
die rasche Heilung gummöser und ulceröser Produkte nichts von 
ihrem Renommöe eingebüsst. Während man sie in den gewöhn¬ 
lichen Fällen gleichzeitig in der mässigen Dosis von 2,0 pro die 
neben der Hg-Kur her gibt, feiern sie ihre grössten Triumphe in 
malignen Fällen, in denen oft zuerst gar kein Hg ertragen wird, 
wo man sie allein in steigenden Dosen von 2—4—6—8—10,0 pro 
die und mehr (in Milch) mit den verblüffendsten Erfolgen gibt unter 
ausserordentlicher Hebung des Allgemeinbefindens und Zunahme 
des Körpergewichts. Wenn einer solchen Jodvorkur dann eine 
Inunktionskur, mit kleinen Dosen beginnend (eventuell nur 2,0), 
folgt, so kann man dieselbe oft ununterbrochen bis zu 6 Wochen 
und schliesslichen Gaben von 5,0 bis 6,0 pro die ohne Anstand 
ausdehnen mit der günstigsten Beeinflussung des weiteren Krank¬ 
heitsverlaufs im ganzen. 

Da ich die Jodpräparate für besonders geeignet halte, den 
Zugang zu latenten „eingekapselten“ Syphilisherden freizulegen 
infolge ihrer besonderen Einwirkung auf das Lymphsystem und 
ihrer resorbierenden Eigenschaften auf die Infiltrate, so lasse ich, 
wenn irgend möglich, einen Monat vor deq Quecksilberkuren 
auch in den früheren Stadien Jodkuren vorausgehen. Dabei be¬ 
diene ich mich auch öfter des Sajodins, was zu 2,0—3,0 pro 
die fast immer frei von unangenehmen Nebenwirkungen ist. 

Sal varsan. 

Obwohl die Frage der Technik der SalvarsaneinVer¬ 
leihung gerade für den Praktiker ungemein wichtig ist, so würde 
doch eine ausführliche Beschreibung und kritische Besprechung 
hier zu weit führen. Da die subcutane und intramuskuläre In¬ 
jektion wegen der Necrosen oder schmerzhaften Infiltrate trotz 
der erheblich grösseren Wirksamkeit zugunsten der intravenösen 


Einverleibung leider ganz verlassen werden musste, so brauche 
ich nur einiges zu dieser zu bemerken; am besten sieht sich doch 
der, der die Methode noch nicht gemacht hat, die Sache einmal 
bei einem Kundigen an. Der einfachste Apparat ist der beste: 
ein graduierter Cylinder für ca. 300 ccm, ein — 2 m langer 

Schlauch (mit zwei eingeschobenen Glasröhrchen), am Ende mit 
einem in die Venennadel eingeschliffenen Conus, und die scharf- 
geschliffene Venennadel genügen vollständig. Die Sterilisierung 
des Apparates und des Patienten übergebe ich. Ob die Injektion 
von 10 ccm Wasser, in dem das Neosalvarsan gelöst ist, mittelst 
der Rekordspritze direkt in die Vene, wie es Dubot empfohlen 
hat, sich bewähren wird, muss die Zukunft lehren. Diese er¬ 
hebliche technische Vereinfachung würde die Sal varsan therapie 
in der allgemeinen Praxis sehr fördern. Duhot sah keine Nach¬ 
teile von dieser Konzentration. 

Der Patient muss in der besten Verfassung sein, nicht an 
anderen bakteriellen Erkrankungen leiden, Darm und Nieren 
müssen tadellos funktionieren. Am Tage vorher, am Tage selbst 
und am Tage nachher ist jeder Alkoholgenuss und jede An¬ 
strengung verboten. Alkoholiker, Patienten mit schwereren degeqe- 
rativen Prozessen am Gefäss- oder Nervensystem sind auszuschliessen 
von der Salvarsanbehandlung. Bei voraussichtlich noch sehr 
spirochätenreichen Fällen empfehle ich dringend eine Vorbehand¬ 
lung von ca. 10 bis 14 Tagen mit einer milderen oder mässigen 
Inunktionskur vor der ersten Salvarsaninfusion und ihre Weiter¬ 
führung bis zur 30. oder 40., während welcher dann noch zwei 
Salvarsaninfusionen erfolgen können. Für die ambulante Privat¬ 
praxis gebe ich dem einfach zu lösenden Neosalvarsan den Vorzug. 
Ich benutze zweimal gekochtes, keimfreies bzw. ganz keimarmes, 
undestilliertes Wiesbadener Lei tu ngs wasser. Wer destilliertes 
Wasser benutzt, muss es vor dem Gebrauch frisch destillieren 
und sterilisieren, auch auf etwaige anorganische Beimengungen 
(Blei, Kupfer, Kieselsäure) aus den metallischen und gläsernen 
Teilen des Apparates achten. Der Patient liegt, auch bei absolutem 
Wohlbefinden, bis gegen Abend zu Bett (leichte Kost) und misst 
alle zwei Stunden die Temperatur. Am nächsten Morgen stellt 
er sich in der Sprechstunde vor, wo auch der Urin untersucht wird. 
Eine Vornahme der Salvarsaninfusionen im Kranken¬ 
haus bzw. ein Hospitalaufenthalt des Kranken einzig 
und allein wegen des Salvarsans ist nicht erforderlich, 
falls nicht der Krankheitszustand selbst oder eine 
später eintretende zufällige Komplikation denselben 
wünschenswert erscheinen lassen 1 ). 

Ein merkwürdiger Zufall lässt mir heute in demselben 
Moment, wo ich die Frage besprechen muss, welche Vorteile die 
Einführung des Salvarsans und Neosalvarsans durch Ehrlich 
der Syphilistherapie gebracht hat, zwei neue Bücher zusammen 
in die Hände kommen, die 7. Auflage von Finger’s „Geschlechts¬ 
krankheiten“ und Wechselmann’s „Pathogenese der Salvarsan- 
todesfälle“. Der letztere wünscht nur Salvarsan zur Syphilis¬ 
behandlung, oder wenn überhaupt Quecksilber, dann ja nicht mit 
Salvarsan zusammen, sondern zeitlich durch grössere Intervalle 
getrennt, weil die Kombination gefährlich sei. „Es steht un¬ 
bedingt fest, dass das Salvarsan ein unentbehrliches Mittel für 
die Behandlung der Syphilis darstellt.“ 

Finger aber schreibt (S. 279): „Die ausschliessliche Sal- 
varsantherapie ist heute allgemein aufgegeben. Es wird allgemein 
eine Kombination mit Quecksilberkuren verlangt und dabei auf 
so energische Quecksilberbehandlung Gewicht gelegt, dass das 
Salvarsan auch bei jenen, die es noch häufig anwenden, immer 
mehr in den Hintergrund tritt und nur mehr „pour l’honneor du 
drapeau“ verwendet wird. Die Anwendung in Kombination mit 
Quecksiber im primären Stadium zwecks Erzielen einer abortiven 
Ausheilung, die sehr spärlichen Quecksilber-refraktären und Lues 
maligna-Fälle gelten als wichtigste Indikation.“ Das sind 
die beiden Antipoden der Salvarsantberapie: Wechselmann und 
Finger! Beide Anschauungen schiessen nach den beiden entgegen¬ 
gesetzten Richtungen weit über das Ziel. Wir aber werden bei 
unseren nun folgenden Betrachtungen gut daran tun, alle Stim¬ 
mungen, Gefühlsregungen und Affekte persönlicher Natur, pour 
l’bonneur du drapeau ou pour le contraire aus dem Spiele zu 
lassen. Es ist wichtig, dies vorauszuschicken; denn gerade diese 
Momente haben die dunkelsten Schatten über die Salvarsanära 


1) Cf. meine Artikel: „Darf Neosalvarsan ambulant angewandt 
werden?“ (Diese Woehensohr., 1913, Nr. 11) und: „Ueber reaktionslose 
Neosalvarsaninfusionen, Vermeidung des Wasserfehlers und» Kombinations¬ 
therapie bei Syphilis“ (ibidem, 1912, Nr. 24). 


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31. MAn 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


677 


gebreitet and den nüchternen Blick für das Wirkliche and Wahre 
unheilvoll getrübt. 

Finger gab kan vor dem oben citierten, ich möchte sagen 
etwas ironischen, absprechenden Facit zu, dass dem Salvarsan eine 
ganz hervoragende symptomatische Wirkung gegen die 
Syphilis zukommt „ Alle Erscheinungen werden in einer raschen, 
oft auffallend raschen Zeit zum Schwunde gebracht. Besonders 
gilt dies bezüglich der Haut- und Schleimhauterscheinungen, wobei 
aber die Form der Syphiliserscheinung, Grösse und Dichte der 
Infiltration, mehr oder weniger günstige Blutversorgung eine 
grössere Rolle spielen als der Spirochätengehalt.“ Dies sei aber 
eben nur eine symptomatische Wirkung, genau wie beim 
Quecksilber and Jod. Nun, über ein Mittel, was man den letzteren 
beiden vorher hochgepriesenen Mitteln in symptomatischer Wirkung 
auch nur gleichstellt, kann man logischerweise nicht gleich darauf 
so etwas geringschätzig absprechend urteilen, selbst wenn sich 
die anfängliche, leider zu sehr betonte und zu lange genährte 
Hoffnuog der Eradizierung der ganzen Krankheit, der Sterilisatio 
magna uno ictu therapeutico als trügerisch und sehr übertrieben 
erwiesen hat. Es wäre schon nicht zu verachten, wenn man ein 
drittes Mittel im Bunde gegen die Hydra dieser Krankheit hat, 
was den beiden alten auch nur gleichstände, zumal es über jeden 
Zweifel erhaben ist, dass es eine ungemein rasche, direkt ab¬ 
tötende Wirkung auf die von ihm getroffenen Krankheits¬ 
erreger aasübt. Ein solches Mittel kann man nicht leichten Herzens 
wieder fahren lassen. Und wenn es noch häufiger unangenehme 
Nebenwirkungen im Gefolge hätte, als bis jetzt beim Salvarsan 
festgestellt sind, und von denen wohl heute niemand mit Sicherheit 
sagen kann, ob sie prozentuarisch die des Quecksilbers über¬ 
treffen. Nein, da muss man suchen, ihre Ursachen auf¬ 
zuklären, und lernen, sie zu vermeiden, weil ja diesen 
Fällen mit unangenehmen Nebenwirkungen auf der anderen Seite 
eine unzählbare Menge solcher gegenübersteht, die in der aus¬ 
gezeichneten Weise beeinflusst wurden, oft nachdem alles Aodere 
versagt hatte. Ein Mittel aber, was wie das Quecksilber kräftig 
gegen die Symptome der Krankheit wirkt, sollte a priori wieder¬ 
holt in grösseren Zeiträumen angewandt wie dieses auch gegen 
die Krankheit selbst, die ja doch nur die Summe der Symptome 
darstellt, wirksam sein. Die direkte abtöteude Wirkung des Sal¬ 
varsans auf die von ihm getroffenen Krankheitserreger 
scheint mir also nicht zu bezweifeln. Ebenso sicher ist aber, dass 
sich ganze Krankheitsherde mit den Erregern, von denen dann die 
Recidive oder die andauernd positive Serumreaktion ihren Aus¬ 
gang nehmen, der selbst mehrmaligen Applikation des Mittels ent¬ 
ziehen. Darüber habe ich mich in meiner ersten Salvarsan- 
publikation 1 ) bereits ausführlich verbreitet. Daran scheitert bis jetzt 
jede rasche Syphilisheilung nach der Verallgemeinerung. Des¬ 
halb ist das allergrösste Gewicht auf die Vermeidung der Ver¬ 
allgemeinerung und, wenn dies nicht mehr möglich war, die Er¬ 
schliessung der latenten Spirochätenherde, die vielleicht noch 
ganz besonders zu attackierende Dauerformen enthalten, zu 
legen, worauf ich später noch za sprechen komme. Dieser 
Mangel haftet dem Salvarsan wie dem Quecksilber an. Dafür ist 
aber die Wirkung auf den Initialaffekt vor der Allgemeinerkran¬ 
kong, besonders vor dem Positiv werden der Blutreaktion erheblich 
eklatanter als die des Quecksilbers, um so mehr als in diesem 
Stadium auch die gerade der allgemeinen Durchsetzung des 
Körpers mit dem Virus anhaftenden unangenehmen Nebenwirkungen 
(Fieberreaktionen durch Endotoxinüberschwemmung, lokale Re¬ 
aktionen wie bei den Neurorecidiven) fehlen, während kräftige 
Qaecksilberkuren mit abortiver Tendenz auch in diesem Stadium 
genau dieselben Unzuträglichkeiten haben können, wie nach der 
Verallgemeinerung. Uni bedeutet es keinen Gewinn, wenn wir 
nun bei absoluter Hg-Idiosynkrasie, die ja freilich nicht sehr 
häufig ist, und bei der viel häufigeren, vorübergehenden Quecksilber¬ 
intoleranz der Malignen gleich mit einem anderen kräftig wirkenden 
Specificum einspringen können, das meist sofort eine zauberhafte 
Wirkung auf die lästigen Geschwüre und Zerstörungen entfaltet, an¬ 
statt erst lange „roborierende“ Kuren oder eine Jodbehandlung 
nötig zu haben, die erst die dann um so viel spätere Qaeck- 
silberbebandlung ermöglicht! Diese sowie die nun in einer 
grossen Zahl von Fällen konstatierte abortive Wirkung des Sal- 
varsaus allein schon macht es meines Erachtens zu einem unent¬ 
behrlichen Mittel io der Syphilistherapie. 


1) Praktisches und Theoretisches vom Arsenobenzol. (Diese Wochen¬ 
schrift, 1910, Nr. 49 u. 60.) 


Kombinierte Therapie. 

Io jedem anderen Stadium und bei jeder Form der Lues 
halte ich nun aber im strikten Gegensatz zu Wechselmann und 
in üebereinstimmung mit der überwiegenden Mehrzahl der Fach¬ 
kollegen die Kombination einer milden bis mässig starken 
Quecksilberkur mit einigen Salvarsan-, in der Privatpraxis ins¬ 
besondere Neosalvarsaninfusionen der Anwendung dieser Mittel 
allein für entschieden überlegen gemäss dem von Kochmann 
entwickelten Prinzip, dass sich bei Kombination mehrerer, in 
demselben Sinne wirkender Medikamente in mittlerer Dosierung 
die gewollten günstigen Wirkungen addieren bzw. potenzieren, 
während die ungünstigen Nebenwirkungen der einzelnen Mittel 
entsprechend der geringeren Dosis ganz oder zum grossen Teil 
wegbleiben. Ich verfüge über eine Anzahl in der oben citierten 
Festschrift publizierten Spätfälle mit hartnäckigem positivem 
Wassermann, darunter solche, wo die Infektion 20—31 Jahre 
zurücklag, die nach einer Inunktionskur von 30—40 Inunktionen 
und drei Neosalvarsaninfusionen (mit zusammen 2,25 Neosalvarsan), 
kombiniert mit einer Kochsalzbade- und -trinkkur, jedenfalls zu¬ 
nächst einmal negativ wurden. Da ich ferner Salvarsan fast 
immer und Neosalvarsan immer in dieser Weise kombiniert ver¬ 
wendet habe, aber gerade dabei nie eine der gefürchteten 
Nebenerscheinungen gesehen habe, so muss ich die gene¬ 
relle Trennung der Hg- und Salvarsankuren, wie sie Wechsel¬ 
mann verlangt, ablehnen. Darin stimme ich aber vollständig 
mit Wechselmann überein, dass man keine starken Hg-Kuren 
mit Salvarsan kombinieren soll, insbesondere keine Calomel- 
injektionen. Wir müssen tatsächlich die wichtigsten Ausscheidungs¬ 
wege offen halten, also die Nieren und den Darm absolut schonen, 
damit keine Retention weder des Quecksilbers noch des Salvarsans 
eintritt. Denn alles oder fast alles, was bei Salvarsan als Ana¬ 
phylaxie oder anaphylactoid bezeichnet wird, halte ich der Haupt¬ 
sache nach für eine Cumulierung nicht genügend rasch wieder 
ausgeschiedenen, aus dem Salvarsan freigewordenen und eventuell 
durch neue chemische Bindungen giftiger gewordenen Arsens, 
also für eine Arsenintoxikation, sei es nun, dass die Dosen an 
sich zu hoch waren, oder die Intervalle zu klein, oder beides 
(cf. Schreiber und Duhot, Wolff und Mälzer usw.), oder dass 
wegen Nieren Schädigung die Ausscheidung stockte 1 ;. Daher 
halte ich, abgesehen von der Vermeidung der Ueberdosierung 
und zu rasch gehäufter Infusionen, eine Kontrolle des Urins für 
unerlässlich, besonders bei der Kombinationsbehandlung. 

Ebenso wie es mir bei der Quecksilberbehandlung allein 
vorzuziehen scheint, lieber längere Zeit hindurch immer frisches 
Qaecksilber zuzuführen und eher die Ausscheidung des alten zu 
begünstigen und anzuregen, als für eine möglichst grosse Cumu¬ 
lierung Sorge zu tragen, so empfehle ich die Anwendung dieses 
Prinzips ganz besonders auch für die Salvarsan- und die kombi¬ 
nierte Hg-Salvarsantberapie. Ich erachte also nicht diejenige 
Quecksilbermethode an und für sich für die beste, bei der die 
längste Remanenz stattfindet, besonders nicht während der Kur; 
denn damit ist eben gerade die Möglichkeit einer Cumulierung, 
die zur Intoxikation führt, gegeben. Anders ist es, wenn die 
Zufuhr sistiert ist und das Mittel allmählich ausgeschieden wird. 
Wenn sich diese Ausscheidung etwas langsamer vollzieht, so ist 
nichts dagegen einzuwenden; denn sie ist doch stets wenigstens 
mit einer Verminderung, nicht mit einer Vermehrung des Mittels 
im Körper verbunden. 

Die Ausscheidung unterstützende Behandlung. 

Zur Erreichung dieses Zieles, einer möglichst glatten Aus¬ 
scheidung sowohl der Quecksilbermittel als des Salvarsans möge 
man ja nicht die Anregungen des allgemeinen Körperstoffwechsels 
vergessen, wie wir sie durch Schwitzen, durch Bade- und 
Trinkkuren erreichen. Es ist z. B. sicher kein Zufall, dass 
sowohl ich als andere hiesige Kollegen, die wir natürlich von 
unserer milden Ko$hsalztherme während der antisyphilitischen 
Kuren zu Bädern, ganz besonders aber auch zum Linken, Ge- 


1) Oh mau diese Falle, also speziell die Encephalitis haemorrhagica, 
deshalb nicht als Arsenintoxikationen bezeichnen will, weil das Arsen 
selbst nicht die Gefässschädigung im Gehirn direkt macht, sondern 
indirekt durch eine vorher schon vorhanden gewesene, durch das Sal¬ 
varsan in Erscheinung getretene Niereninsuffizienz und -retention sonst 
ausgeschiedener Umsetzungsprodukte des Salvarsans (z. B. Arsenoxyd), 
ist schliesslich ein Streit um Worte, zumal die vorbereitende, von 
Wechsel mann am liebsten generell dem Quecksilber in die Schuhe 
geschobene Schädigung der Nieren ge fasse oft klinisch mangels Eiweiis- 
aussoheidung nicht oder nur schwer nachweisbar sein soll. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 13. 




brauch machen, keine ernsten Zufälle weder bei den Quecksilber¬ 
kuren noch bei den kombinierten Quecksilber-Salvarsankuren er¬ 
leben. Die Durchspülung des Organismus mit dieser „physio¬ 
logischen Kochsalzlösung“ während der Zeit der Einführung dieser 
differenten Quecksilber- und Arsenmittel kann nach meinen obigen 
Auseinandersetzungen und auch im Sinne der neuesten Wechsel- 
mann’schen Publikation nur günstig wirken. Fast jeder, der 
hier seine Kur macht, gibt ungefragt die kräftige Diurese bald 
nach Beginn derselben an, die ja natürlich zum Teil auch von 
dem Quecksilber selbst herrühren kann. 

Aber nicht nur zur Verhinderung der einfachen Quecksilber- 
und Sal varsanstauungen im Organismus sind derartige Vor¬ 
beugungsmittel angezeigt, sondern ganz besonders auch aus dem 
Grunde, um die etwa im Körper bei längerem Aufenthalt sich 
bildenden chemischen Umsetzungen, die unter Umständen viel 
giftiger sein können als die eiugefübrten Bubstanzen (z. B. das 
Arsenoxyd) rasch herauszubefördern und ihre Niederlassung und 
Festsetzung in besonders dazu geeigneten Organen (z. B. der 
Leber) zu verhindern. Ich kann mich von der Vorstellung nicht 
losmachen, dass z. B. das Quecksilber- oder Quecksilbersalz- 
molekül, welches bereits mit den Spirochäten zusammengeraten 
ist und sie abgetötet hat, ausserdem die ganze Säftemasse durch 
alle möglichen Organe hindurch, besonders aber auch die krank¬ 
haften Infiltrate, passiert bat, noch das gleich wirksame ist als 
vorher, sondern ich glaube, dass es organische Bindungen ein¬ 
gegangen ist, die einerseits seine parasiticide Wirkung doch mehr 
oder weniger lahmlegen, andererseits die toxische erhöhen können, 
es im besten Falle aber zu einer unnützen „Schlacke“ stempeln, 
welche das Schicksal eines jeden überflüssigen Ballastes verdient, 
nämlich den Körper möglichst schnell zu verlassen. 

Gerade im Lichte der neuesten Wechselmann’schen 
Publikation über die Salvarsantodesfälle gewinnt diese 
Anregung der Ausscheidung des Hg und Arsens noch 
eine ganz besondere Bedeutung. Wir müssen uns daran 
gewöhnen, alle die rasche Durchspülung des Queck¬ 
silbers wie des Salvarsans durch den vorher ganz be¬ 
sonders sorgfältig auf die Gesundheit seiner Nieren 
geprüften Organismus fördernden Maassnahmen anzu¬ 
wenden, um cumulative Stauungen dieser Mittel oder 
ihrer noch giftigeren chemischen Umwandlungspro¬ 
dukte zu vermeiden. Diese Angelegenheit ist so wichtig, 
dass vielleicht mit ihr die ganze Zukunft der kombi¬ 
nierten Quecksilber-Salvarsantherapie oder auch der 
letzteren allein steht und fällt. Also nicht möglichst 
lange Remanenz, sondern möglichst rasche Expulsion 
der verbrauchten oder veränderten mit, wenn nötig, 
erneuter Einführung unveränderter Mittel ist die beste 
Gewähr gegen die Schädigungen des Organismus durch 
unsere etwas energisch gewordenen Heilbestrebungen. 
Andernfalls wird eine Wiederholung des Rückschlags, 
wie ich ihn in der Einleitung aus der Vergangenheit 
kurz skizziert habe, nicht ausbleiben. Manche glauben 
sogar, dass er schon im Gange ist. Im übrigen möchte 
ich hier nur en passant daran erinnern, dass gesteigerte Koch¬ 
salzzufuhr auch die Quecksilberaufnabme und die Wiederauflösung 
der zunächst ausgefällten Quecksilberalbuminate begünstigt. 

„Mobilisierende“ Behandlung. 

Hier würde sich nun am leichtesten eine Auseinandersetzung 
anschliessen über die sogenannte mobilisierende Therapie, 
d. h. diejenigen Maassnabmen, welche es ermöglichen sollen, dass 
die spezifischen Parasiticida auch an die Parasitenherde heran¬ 
kommen, die als solche minderen Stoffwechsels von dem allge¬ 
meinen lebhafteren Körperstoffwechsel abseits liegen, die also 
derartige Herde aufrühren, mobilisieren, ihre Schranken gegen¬ 
über dem übrigen Organismus durchbrechen und niederreissen 
helfen. Von diesem allerdings nur theoretisch konstruierten, aber 
durch die Erfahrung geradezu notwendig gewordenen und auch 
durch das Beispiel des positiven Lumbalwassermanns bei gleich¬ 
zeitig stets negativem Blutwassermann ..gestützten Ideenkreis 
kommen wir nicht los in der Sypbilistherapie. Einige Male ver¬ 
suchte es Wechsel mann eine derartige Stelle direkt zu attackieren, 
er injizierte Salvarsan direkt iq den Subarachnoidal raum. Wie 
diese Versuche ausgegangen sind, weiss ich nicht. Das aber wäre 
das Ideal, eine topische Diagnose und direkte topische Therapie 
noch anderer solcher latenter Herde, nachdem wir uns überzeugt 
haben, dass auf dem Wegeder Blot- und Lymphbahn nichts oder 
nicht genügend oäer in einer bereits unwirksam gewordenen Form 


von unseren Heilmitteln in sie gelangt. Eine solche „Lokal“- 
behandlung wäre erheblich viel wichtiger als das, was wir gegen¬ 
wärtig darunter verstehen. Von den Jodpräparaten glaube ich 
sicher, dass sie diese Indikation erfüllen helfen, von dem Fibro- 
lysin ist es mir theoretisch wahrscheinlich. Die oben gestreiften 
Anregungen des allgemeinen Stoffwechsels, die Bade-, Trink- ond 
Schwitzkuren, wozu auch die Zittmannkuren zu rechnen sind, 
müssen vorläufig auch in dieser Richtung unterstützend angewandt 
werden. Ich halte es gerade bei dieser Gelegenheit für meine 
besondere Pflicht, diese sowohl das Virus als auch die verbrauchten 
Arzneimittel mobilisierenden und zur Ausscheidung bringenden 
Unterstützungen der spezifisch parasiticiden Kuren ganz energisch 
dem Praktiker wieder in die Erinnerung zurückzurufen, da ihre 
Wertschätzung durch die grossen modernen Umwälzungen un- 
verdientermaassen stark in den Hintergrund gedrängt zu sein 
scheint. 

Lokale Behandlung. 

So wichtig an sich die Lokaltherapie der Syphilisprodukte 
ist, kann ich sie hier nicht speziell ausführlich besprechen. Nur 
einiges sei hervorgehoben. Jeder geeignet sitzende Primäraffekt 
soll excidiert werden. Ist es wegen des Sitzes unmöglich, so soll 
er möglichst energisch mit Quecksilber (Calomel, Präcipitatsalbe 
oder Empl. mercur.) behandelt werden. Ebenso die nässenden 
Kondylome. Die Plaques muqueuses sind mit kräftigen, eventuell 
alkoholisch-ätherischen Sublimat- (bis 1 proz.) oder mit 2 bis 
5 proz. Ghromsäurelösungen zu pinseln. Tiefere ulceröse Prozesse 
bestreue ich gerne nach Reinigung mit 1 prom. Sublimatlösung 
mit einem Wundpulver von Bism. subnitr. mit 2 pCt. Europhen 
und überklebe das ganze mit Mercurpflaster, welch letzteres allein 
auf geschlossene gummöse lofiltrate, Tophi usw. zu liegen kommt. 
Besondere Sorgfalt erfordert die gründliche tägliche Behandlung 
ulceröser Prozesse im Nasenrachenraum und der Nase, die oft bei 
maligner Lues, kompliziert mit allerlei Mischinfektionen, jeder 
Allgemeintherapie trotzen, so lange nicht täglich die Krusten 
mechanisch entfernt, die davon befreiten Ulcerationen mit des¬ 
infizierenden Lösungen abgespült und mit desgleichen Pulvern 
eingestäubt werden. Man kann nicht oft genug daran erinnern, 
bei innerem Jodgebrauch mit lokaler‘Qdecksilbertherapie besonders 
an den Augen,, aber auch im Larynx vorsichtig zu sein bzw. an 
die Aetzwirkung des sich bildenden Jodquecksilbers im Status 
nascens zu denken. Die spezielle Lokalbehandlnng der Augen-, 
Nasen-, Ohren-, Kehlkopf-, Nervenaffektionen usw. wird ja wohl 
meist nicht von dem beschäftigten Praktiker, sondern von dem 
betreffenden Spezialarzt gemacht, ebenso wie die eventuelle 
chirurgische Nachhilfe bei Knochenaffektionen vom Chirurgen. 

Kongenitale Lues. 

Die kongenitale Lues wird, so lange der Magen- nnd 
Darmkanal es verträgt, am besten mit Calomelpulvern 0,005 bis 
0,06 zwei- bis dreimal täglich behandelt oder auch ebenso oft mit 
Hydr. tano. oxydulat. 0,01—0,02. Diese Behandlung wird meistens 
gut vertragen. Ist es nicht der Fall, so kann man sie durch 
Bestreichungen der Haut mit Resorbinquecksilbersalbe oder durch 
abwechselndes Bedecken der Beine, Arme und des Rückens mit 
Quecksilberpflastermull ersetzen. Bei ausgedehnten Hautsyphiliden 
kommen auch Sublimatbäder (1,0—2,0 pro balneo) in Betracht. 
Kräftige Säuglinge können mit Salvarsan behandelt werden, wofür 
ganz besonders Lesser eintritt; bei schwächlicheren ist eventuell 
die indirekte Wirkung der Milch der mit Salvarsan behandelten 
Mutter vorzuziehen 1 ). 

Hygiene. 

Bei jeder antisyphilitischen Behandlung sind die den Patienten 
umgebenden Verhältnisse hygienischer Art im weitesten Sinne, 
sowie die Ernährung, auch die Einwirkung auf die oft 
sehr deprimierte Gemütsverfassung denkbar günstig zu 
gestalten. Da eben jede wirksame antisypbilitische Behandlung, 
besonders im weiteren Verlauf, gewisse Anforderungen an den) 
allgemeinen Kräftezustand stellt, so muss dieser so gut als mög¬ 
lich beeinflusst werden durch kräftige Ernährung, Bewegung in 
frischer Luft, leichte Ablenkungen und Zerstreuungen u. s. f. 
Diese Umstände sowie die Anwesenheit spezialistisch gut gebildeter 
Aerzte und eines guten Pflegepersonals, speziell, für die Inunktions- 


1) Cf. auch Marie Ho Ith, Salvarsanbehandelte Mütter und Kinder 
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 10). Bei 40 Frauen 180 stets 
gut vertragene, nur ambulatorisch gemachte Salvarsaninfusionen. 
Aeusserst günstiger Einfluss auf die Vitalität der ausgetragenen und 
grosseuteils symptomfreien Kinder (Anmerkung bei der Korrektur)^ 


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81. März 1018. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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kur, sowie einige Momente äusserlicber Natur (Verheimlichung, 
Entfernung aus der Familie usw.) sind es, die schon von alters- 
her die Behandlung der Syphilis an Badeorten beliebt ge¬ 
macht hat. 

Nebenwirkungen. 

Dm manche mit den Quecksilber-, Jod- und Salvarsankuren 
verbundene, unangenehme Nebenwirkungen lokaler oder all¬ 
gemeiner Art zu vermeiden, werden besondere Vorsichtsmaass- 
regeln notwendig gemacht. Bleiben sie erfolglos, so erfordern 
diese Nebenwirkungen eine besonders sorgfältige Behandlung schon 
zur Ermöglichung der Weiterfährung der Kur. Insbesondere ist 
dies vor und während der Quecksilber kuren notwendig. Ara 
wichtigsten ist die Vorbereitung des Mundes durch den Zahnarzt 
zur Vermeidung der Stomatitis mercurialis, die aber schon 
einige Wochen vor Beginn der Kur angefangen werden muss, be¬ 
sonders wenn die Patienten ihre Kor an einem Badeort mit ge¬ 
messener, meist recht knapp bemessener Zeit durchmacben sollen. 
Seitdem ich die Mundpflege mit Saluferinzahnpaste und 
Mi Ile rascher Tinktur machen lasse, sehe ich kaum mehr als 
eine leichte Gingivitis. Wird sie einmal stärker oder gibt es 
ausnahmsweise oberflächliche Quecksilbergeschwurchen, so fuge 
ich noch Wasserstoffsuperoxyd und im Notfall 2—5 proz. Chrom 
säurepinselungen hinzu. Die Empfindlichkeit nur stärker ge¬ 
schwollenen Zahnfleisches wird durch Betupfen mit reiner 
Myrrhentinktur (Andrucken auf einem Wattebausch) gut be¬ 
einflusst. 

Zur Vorbeugung der Quecksilberdiarrhöen oder -dys- 
enterie dient in erster Linie eine achtsame Regulierung des 
Stuhlgangs von Anfang an, wobei Drastica zu vermeiden sind. In 
leichten Fällen von nur gelegentlich auftretender Obstipation 
genügt 1 Teelöffel Karlsbader Salz, was wir hier zweckmässig im 
Kochbrunnen trinken lassen. Oder man lässt abends 1—2 mal 
0,15 Casc. Sagrad.-Extrakt oder einen Esslöffel Califig nehmen. 
Häufig reguliert sich der Stuhlgang auch schon durch tägliches 
Essen von gekochtem Backobst und Trinken der Brühe. Ist eine 
kräftigere Wirkung nötig, so ist das Oleum ricini das am 
besten vertragene Mittel. Einläufe müssen diese Maassnahmen 
manchmal unterstützen. Auch soll die ganze Diät darauf ein¬ 
gerichtet sein, den Stuhl im Gang zu erhalten, ohne den Darm 
zu reizen. Ist aber nun — meist im Anschluss an eine vor¬ 
ausgehende Obstipation — doch die Diarrhöe eventuell mit Blut 
und Tenesmus aufgetreten, so muss zunächst nach Aussetzen der 
Hg Einverleibung und gründlichster Entfernung der etwa noch 
vorhandenen Salbenreste auf der Haut (Seifenbad, Dampfbad) 
nicht etwa Opiumtinktur gegeben werden, sondern durch Ricinusöl 
sicher dafür gesorgt werden, dass alle harten, mit Hg impräg¬ 
nierten Kotreste entleert werden. Dann gelingt es fast immer 
durch eine ganz blande Diät (Schleimsuppen, Reis, Reiswasser 
mit Rotwein usw.) in ein paar Tagen der Sache Herr zu werden. 
Diese Methode bat den Vorteil, dass man nicht erst wieder eine 
durch Opiate künstlich geschaffene Obstipation bekämpfen muss 
im Anschluss an die geheilte Merkurdysenterie. Die Schmerzen 
werden durch heisse Umschläge gemildert. 

Zur Vermeidung dieser Uebelstände ist vor allem ein gutes 
Funktionieren der Nieren (vgl. oben) notwendig, damit eben 
Quecksilberstauungen vermieden werden. Wiederholte Urinunter¬ 
suchungen, besonders auf Eiweiss, womöglich auch auf Cylinder, 
sind unerlässlich. Sind die Nieren nicht intakt, so muss durch 
reichlichere warme Bäder oder Schwitzprozeduren die Haut kom¬ 
pensatorisch herangezogen werden. 

Bei einer echten Idiosynkrasie des ganzen Organis¬ 
mus (sehr selten) oder der Haut allein gegen Quecksilber 
(scarlatiniforme, grosslamellös abschuppende Hg-Dermatitis) kann 
die Verträglichkeit nicht erzwungen werden, wenn auch manch¬ 
mal eine Aenderung des Präparates zum Ziele führt. Ist, wie 
meistens, nur die Haut idiosynkratisch, so treten die anderen Ein¬ 
verleibungsmethoden bzw. -wege in ihr, Recht. Die Miliaria 
rubra, die mehr eine Wirkung des Schweisses und der Mineral¬ 
bäder ist, heilt rasch auf Aussetzen der Bäder und Tumenolzink- 
paste (5—10proz.). Merkurfolliculitis tritt bei den kurzdauernden 
Einreibungen mit ResorbiDquecksilber kaum noch auf. Ist es 
doch der Fall bei Leuten, die viel Staphylokokken auf der Haut 
liegen haben und sehr behaart sind, so vermeidet man, einige 
Tage die befallenen Stellen einzufoiben/und'bedeckt sie höchstens 
mit Salicylzinkpaste. Aber auch spontan trocknen die Pustel¬ 
chen ein. 

Die unangenehmsten Zufälle bei den intramusculären un¬ 
löslichen Quecksilbersalzinjektionen und denen mit 


grauem Oel vermeidet nan durch eine richtige Technik. Man 
muss in den Glutaeus medius in die gefäss- und nervenfreie Zone 
(Schindler - Duhot) injizieren, dabei aber noch den Lesser- 
schen Kunstgriff anwenden, also die Nadel ohne Spritze ein¬ 
steeben und warten, ob Blut kommt, wenn nicht, mit der Spritze 
aspirieren, dann, wenn auch dies kein Blut fördert, erst injizieren 
und zuletzt Luft oder Paraffin zum Schutze des Stichkanals nach¬ 
spritzen. So vermeidet man Lungenembolien, Eiterungen und In¬ 
filtrate wenigstens möglichst und Nervenschmerzen ausstrahlender 
Natur. Ungleichmäßige Resorption bzw. plötzliche, besonders 
verspätete Massenresorption ist am wenigsten zu fürchten, wenn 
keine Infiltrate sich bilden. Bei stärkeren Infiltraten verzichtet 
man am besten auf diese Methode, was häufig schon die Schmerz¬ 
haftigkeit verlangt. 

Absolute Jodidiosynkrasien, welche jegliche Jodtherapie 
verbieten, sind häufiger als solche gegen Merkur. Darunter ver¬ 
stehe ich nicht die Neigung zu Acne und etwas Schnupfen, der 
unter dem Weiterverbrauch und unter Steigerung der Dosis oft 
aufhört, sondern schwere Reizung der oberen Luftwege mit Kopf¬ 
schmerzen, Störung der Verdauung, besonders des Magens mit 
Appetitlosigkeit, Jodpurpura und Jodpemphigus. Natr. bicarb. 
und Atropin ermöglichen manchmal noch den Weitergebrauch. 
Beim Pemphigus muss schleunigst ausgesetzt und Sulfanilsäure 
gegeben sowie die Ausscheidung durch gesteigerte Diurese ange¬ 
regt werden (Ehrlich). Wenn Jodkalium nicht vertragen wird, 
gebt es manchmal mit Jodnatrium oder anderen Salzen, meist 
mit dem Sajodin. Manchmal werden die Jodalkalien in Milch ge¬ 
löst per clysma vertragen, wenn der Magen sie ablehnt. 

Eigentliche echte Idiosynkrasie gegen Salvarsan scheint 
ganz selten zu sein, ebenso wie Anaphylaxie. Vorsichtige, all¬ 
mählich steigende Dosierung, einwandfreie Technik, besondere 
Vorsicht in den spirochätenreichen Stadien, am besten Vor¬ 
behandlung und Kombination mit Quecksilber in milderer Form, 
also Inunktionskur, Hessen meine sämtlichen Neosalvarsaninfu- 
sionen reaktionslos verlaufen, auch ohne spätere Folgen. Auch 
bei den vorausgehenden Altsalvarsaninfusionen konnte ich nur 
die fieberhaften, mit Erbrechen und Diarrhöe begleiteten Wasser¬ 
reaktionen feststellen. Die „Neurorecidive“ — Reaktionen 
vorher latenter perineuritischer Syphilisherde — sind überall 
ganz selten geworden, nachdem man die unvorbereiteten, allzu 
brüsken Schläge vermeidet. Die Todesfälle nach vorangegangener 
Encephalitis haemorrhagica glaubt Wechselmann durch 
grössere Sorgfalt in der Nierenbeobachtung eventuell zu ver¬ 
hindern. Diese Frage ist leider noch ganz ungeklärt, so dass 
man als Prophylaxe dieses unheilvollen Ausganges nur die pein¬ 
lichste Sorgfalt in allem Technischen sowie in der klinischen 
Untersuchung aller Organe vor der Salvarsanbehandiung ganz 
allgemein dringendst befürworten kann. Bei dieser „akuten Hirn- 
sch wellung“, die eben pathologisch anatomisch mit capillären 
Blutungen der Hirnhäute und der Rinde einhergebt, könnte man 
am ehesten noch an eine vorher nicht erkennbare, individuelle 
Schwäche der betreffenden Teile, besonders ihrer Blutgefässe 
denken. Periphere Arsenneuritiden haben nur die mit den un¬ 
verständigst hohen und zeitlich gehäuften Dosen arbeitenden 
Autoren gesehen. Sie vermeidet man eben durch mässige, all¬ 
mählich verstärkte, zeitlich weit auseinanderliegende Incorpora- 
tionen und durch Vorbeugung der Gumulierung mittels Anregung 
der Ausscheidung (cf. oben). 

Behandlungsplan für die ganze Krankheitsdauer. 

Zum Schlüsse gebe ich noch einen Vorschlag zu einem Plan 
der Behandlung der Gesamtkrankheit in den einzelnen Phasen, 
der aber keineswegs als Schema oder überhaupt als etwas Ab¬ 
geschlossenes anzusehen ist. Nirgends in der Medizin ist die 
Individualisierung wichtiger als bei dieser äusserst variablen Krank¬ 
heit und der Verschiedenheit ihrer Träger. 

I. Primäres Stadium. 

Die Behandlung strebt den Schutz des Organismus vor der 
Verallgemeinerung an. Dies gelingt am ehesten vor dem Positiv¬ 
werden der Serumreaktion, also bis etwa zur 6. Woche nach der 
Infektion. Jede nach einem suspekten Coitus auftretende Erosion 
solP auch ohne Spirocbätenbefund entweder, wenn es der Sitz er¬ 
laubt, exzidiert oder tiefgreifend verschorft werden (Chlorzink, 
reine Carbolsäure, kein Lapis). Insbesondere sei die Exzisioq, 
empfohlen, wenn sich auch ohne Spirochätenbefund die leiseste 
Andeutung einer derberen Infiltration oder eine reaktive Drüsen¬ 
schwellung zeigt. Neisser lässt schon in solchen — nur 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 13. 


suspekten — Fällen eine kräftige Allgemeinbehandlang folgen 
(Hg, Salvarsan), wenn für den Betreffenden besonders viel auf 
dem Spiel steht. Im allgemeinen wird man diese medikamentöse 
Nachbehandlung generell nur dann fordern können, wenn die 
Diagnose des syphilitischen Primäraffektes gesichert ist durch den 
Spirochätennachweis, aber auch ohne denselben bei einem rein 
klinisch als solchen imponierenden Geschwüre. Ist der Initial¬ 
schanker ganz ausgesprochen und nicht oder nicht mehr exzidier- 
bar, vielleicht auch der Wassermann schon positiv, so behandelt 
man lokal intensiv mit Quecksilber, fange eine womöglich sechs 
Wochen dauernde Inunktionskur an (3,0—5,0—6,0 pro die), 
kombiniert mit ca. drei Neosalvarsaninfusionen (0,6—0,75—0,9). 
Wird oder bleibt dann der Wassermann negativ (nach 6 Wochen), 
so kann man prophylaktisch noch eine derartige Kur machen, 
man kann aber auch weiter klinisch beobachten und serologisch 
untersuchen und bei Wiedereintritt der Positivität die Kur wieder¬ 
holen. Das erstere scheint empfehlenswerter. Jeder derartig 
negativ gebliebene oder vor dem Ausbruch von Sekundärerschei¬ 
nungen gewordene Fall muss mindestens 2 Jahre etwa alle 2 bis 
3 Monate serologisch kontrolliert werden. 

II. Sekundäres Stadium. 

Der erste Ausbruch sekundärer Symptome bedeutet den 
Beginn einer mindestens 1—2 Jahre dauernden Behandlung 
und noch weitere 2 Jahre dauernden klinischen und serologischen 
Beobachtung. 

Im Stadium der ersten Allgemeineruption gehe man nie zu 
brüsk vor. Ich empfehle auch hier den Beginn mit einer all¬ 
mählich verstärkten sechswöchigen Inunktionskur, der von 
der 2. Woche an intravenöse Salvarsan- oder Neosalvarsaninfusionen 
in steigender Dosis hinzugefügt werden können, zu machen. Dann 
warte man 6 Wochen, vorausgesetzt, dass die klinischen Er¬ 
scheinungen geschwunden waren, und untersuche das Blut. Reagiert 
es positiv, wird wieder eine 4—6 wöchige, ähnliche Kur gemacht. 
Bei negativer Reaktion wiederhole man die Blutuntersuchung 
nochmals nach ca. 2 Monaten. Bleibt sie negativ, so würde ich 
doch wieder eine als prophylaktisch zu betrachtende Kur wieder¬ 
holen. So würden bei positiver Reaktion ca. vier Kuren, bei 
negativer ca. zwei Kuren auf das erste Jahr entfallen. Dasselbe 
wäre im zweiten Jahre der Fall, mit dem bei dauernd negativer 
Reaktion die Behandlung vorbehaltlich der weiteren Beob¬ 
achtung beendigt werden köunte. 

Anstatt der Inunktionskuren mag auch einmal eine Subli¬ 
matinjektionskur mit etwa 30 Injektionen äO,l eingeschoben 
werden. Besteht grosse Neigung zu Recidiven, so wäre eine 
Mercinolinjektionskur mit 8 bis 10 Ziel er ’schen Spritzen und 
einer einmonatigen Pause in der Hälfte am Platze. Erfordern die 
Recidive besonders rasche Beseitigung, so fange man mit 
Injektionen von Salicylquecksilber an, oder mache auch eine 
ganze Kur aus 10 bis 15 (wöchentlich zwei) Injektionen ä 0,1. 
Sind sie besonders schwer und gehäuft, so kommt eine Calo- 
melinjektionskur (8 ä 0,1) in Frage. 

Im Falle das Salvarsan bei der ersten Kur vertragen wurde, 
kombiniere man, aber immer unter Vorausschickung von etwa 
10 Innnktionen oder Sublimatspritzen oder zwei unlöslichen Spritzen, 
auch die folgenden damit. 

Jodpräparate sind besonders in den latenten Fällen mit 
nur positivem Wassermann als mehrwöchentlicbe Vorkuren rationell, 
ebenso wie Schwitz-, Bade- und Trinkkuren während der Queck- 
silber-Salvarsankuren, wenn möglich an einem Badeort. 

Sollten trotz dieser energischen Behandlung im dritten oder 
vierten Jahre noch sekundäre Recidive kommen, oder sollte der 
Wassermann nicht negativ werden, so muss die Behandlung 
fortgesetzt werden. 

Nur für den Fall, dass solche Kuren aus äusseren Gründen 
einmal nicht gemacht werden können, kann man als schwachen 
Ersatz Hydr. tann. oxydulat. oder Mergal geben, oder einen 
Mercolintschurz tragen lassen. 

Bei Syphilis praecox maligna, bei der* oft zeitweise wenigstens 
Quecksilber nicht vertragen wird, muss wenigstens die Einleitung 
der Behandlung häufig mit Jodkuren in steigenden Dosen oder 
mit Salvarsan allein gemacht werden (Ernährung, allgemeine 
Hygiene). 

III. Jertiäres Stadium. 

r DieBebandlung unterscheidet sich von der ebep geschilderten 
dadurch, dass die, Jodpräparate und die mobilisierende Therapie 


noch mehr in den Vordergrund treten, die ersteren besonders dann, 
wenn es gilt, rasch gummöse oder ulceröse Formen zur Heilung 
zu bringen. Hier gibt man am besten das Jod auch noch während 
eines grossen Teiles oder der ganzen Quecksilbersalvarsankur. 
Die zweite besonders in der Spätlatenz. 

Die Häufigkeit der Kuren richtet sich hier nach der Schwere 
der Erscheinungen und der Wicbtigkeit der befallenen Organe und 
nach der NeiguDg zu Spätrecidiven, dann aber auch nach der In¬ 
tensität und der Beeinflussbarkeit der Wassermann’schen Re¬ 
aktion. 

Alle Symptome, die lokal behandelt werden können, sollen 
es womöglich mit spezifischen Mitteln in Verbindung mit denen 
der allgemeinen Wundbehandlung auch werden. 

Die Heilung kann nur dann als einigermaassen sicher gelten, 
wenn ein bis zwei Jahre ohne Erscheinungen und mit bei etwa 
alle zwei bis drei Monate wiederholter Serumreaktion stets negativem 
Resultat verlaufen sind. Dabei ist eine vorausgegangene aus¬ 
giebige Behandlung Voraussetzung. 

Provokatorische Salvarsaninfusionen sind eventuell zur Siche¬ 
rung der Diagnose der Heilung zu verwerten. 

Die ganze „Heilungsfrage“ und ihre Abgrenzung von der 
Spätlatenz bedarf noch genauer kritischer Fixierung nach weiteren 
Erfahrungen. 

IV. Metasyphilis. 

Alle hierher gehörigen Prozesse sollten aber mit sehr genauer 
Berücksichtigung der erkrankten Organe und des jeweiligen allge¬ 
meinen Kräftezustandes nach ähnlichen Grundsätzen behandelt 
werden. 

Die Tabes ist jedenfalls symptomatisch sehr günstig durch 
individualisierende, kombinierte Quecksilber-8alvarsanbebandlung 
zu beeinflussen, auch kann man den positiven Blutwassermann 
negativ bekommen. 

Auch von der Paralyse glaube ich, dass man Besserungen 
bis zur Arbeitsfähigkeit unter Schwinden der Sprachstörung 
erreichen kann, die weit über die spontanen Remissionen hinaus¬ 
gehen. 

Leukoplakie ist durch kombinierte Hg-Inunktions-Salvarsan- 
kuren heilbar. 

Aortitis, spezifische Insuffizienz und beginnendes Aorten¬ 
aneurysma kann — vorsichtig ausgedrückt — sehr gebessert und 
zum vorübergehenden Stillstand gebracht werden 1 ). 

Die ganze Behandlung der Metasyphilis muss mit den neuen 
Kombinationen, die individuell vielfach variiert werden müssen, 
planmässig neu aufgebaut werden, diejenige der Nervenfälle unter 
Kontrolle des Lumbalpunktates. 

Rückblick und Ausblick. 

Die Syphilisbehandlung steht gegenwärtig unter günstigen 
Auspizien. Spezifisch wirkende und unterstützende Mittel haben 
wir zur Genüge, die Form ihrer Darreichung ist ungemein 
variations- und dem individuellen Fall anpassungsfähig. Hüten 
müssen wir uns vor Debertreibungen und zu raschen Ueber- 
tragungen der Laboratoriumsresultate auf die Menschenbehand¬ 
lung, stets eingedenk der Tatsache, dass die experimentelle Tier¬ 
syphilis besonders bezüglich der Oberflächlichkeit bzw. Eindring¬ 
lichkeit der Haftung der Krankheit an versteckten Stellen grund¬ 
sätzlich von der Menschensyphilis verschieden ist, und dass man 
andererseits gerade den Organen, die das Tier vom Menschen 
unterscheiden, also besonders dem Nervensystem relativ erheblich 
viel mehr zumuten kann als dem menschlichen. . 

Das Schwierigste ist die Verhinderung der Bildung latenter 
Herde und ihre „Mobilisierung 1 * nach erfolgte Bildung. Daraufhin 
sollten alle neuen Bestrebungen in erster Linie gerichtet sein. 
Eine ganze Anzahl unangenehmer Nebenwirkungen haben wir za 
vermeiden oder doch zu mildern gelernt. Weil wir es noch nicht 
absolut sicher können, ^mit allen und in allen Fällen, deshalb 
die doch weitaus überwiegend segensreichen Mittel verwerfen,' 
wäre voreilig, unklug, ja unverantwortlich. Richtiger ist es, 
alle unsere Kräfte zusammenzufassen, um zu lernen, wie wir 
unsere für die ganze Menschheit wertvollen Heilmittel dieser 
für einzelne störenden und unheilvollen Nebenwirkungen ent¬ 
kleiden können. 

__ ' i 

I) Cf. Deneke, Ueber die syphilitische Aortenerkrankung (Deutsche 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 10): „Die grundsätzlich in die erste Linie 
zu 4 stellende Schmierkur“ usw. (Anmerkung bei der Korrektor.) 


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81. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


B81 


Aus dem städtischen Krankenhause zu Wiesbaden. 

Ueber Parallelversuche mit Alt- und 
Neosalvarsan. 

Von 

C. Gatmann -Wiesbaden. 

Seit etwa einem halbeu Jahre habe ich, wo nur immer mög¬ 
lich, Parallelversuche mit Alt- und Neosalvarsan in der Weise 
angestellt, dass ich beide Präparate in möglichst gleicher 
Einzeldosis und möglichst gleichen Intervallen intra¬ 
venös injizierte. Es veranlasste mich zu diesem Vorgehen die 
Ueberleguug, dass ein einigermaassen sicheres, vergleichendes 
Urteil über die beiden so nahe verwandten Mittel eigentlich nur 
auf Grund solcher Resultate zu gewinnen sein würde, die auf 
einer möglichst gleichmässigen therapeutischen Basis beruhten. 
Keinen Augenblick war ich natürlich im Unklaren darüber, dass 
damit noch nicht die ständige Variabilität zweier anderer Grössen 
von hoher Bedeutung, nämlich der jeweiligen Lues und des jeweils 
von ihr okkupierten Organismus, ausgeschaltet war, aber es war 
doch immerhin durch ein solches therapeutisches Handeln wenig¬ 
stens ein einigermaassen konstanter Faktor geschaffen, ein Faktor, 
der, wie auch Simon 1 ) hervorhebt, bei der Beurteilung der 
Leistungsfähigkeit und vor allem auch der Nebenwirkungen beider 
Medikamente vielfach nicht genügend berücksichtigt worden ist. 

Der Behandlungsplan war folgender: Zunächst erhielt der 
Patient 0 2—0,3 Altsalvarsan, bzw. die entsprechende Menge Neo¬ 
salvarsan. Dann folgte ein Ruhetag. Am dritten Tage wurde 
dieselbe oder eine etwas höhere Dosis einverleibt, je nachdem wie 
die erste Injektion vertragen worden war. Darauf wurde 5 Tage 
Hg inungiert — nur einige wenige Fälle erhielten Hg-Injektionen —; 
am nun folgenden Tage wiederum Salvarsaninjektion, und zwar 
in der Regel 0,5 Altsalvarsan bzw. 0,75 Neosalvarsan; die Dosis 
0,6 (bzw. 0,9) wurde niemals überschritten. Alsdann folgte wieder 
eine fünftägige Hg-Behandlung in der oben angegebenen Form, 
darauf wiederum eine Salvarsaninfusion, u. s. f. Die geringste 
Anzahl der während einer Kur applizierten Salvarsaninfusionen 
betrug 3, die Höcbstzahl 9. 

Natürlich musste nicht selten aus allen möglichen Gründen 
von diesem Schema etwas abgewichen werden. In den Turnus 
hineinfallende Sonntage veranlassten dazu, die betreffende Sal¬ 
varsaninjektion bereits 5 oder erst 7 Tage nach der vorhergehenden 
zu machen, oder die Patienten erschienen nicht zum festgesetzten 
Termin, sondern erst 1 oder 2 Tage später. Weiter zwangen bis¬ 
weilen interkurrente Erkrankungen, z. B. Angina, dazu, zwischen 
je zwei Injektionen eine längere Pause einzuschieben, event. auch 
die Dosis herabzusetzen. Dasselbe geschah, wenn die vorher¬ 
gegangene Injektion nicht ganz ohne Störung verlaufen war. 
Prinzipiell und strikte wurde daran festgehalten, die Injektion 
nur bei völligem Wohlbefinden und normaler Temperatur des 
Patienten auszuführen. 

Mit grossen Zahlenreihen kann ich leider nicht aufwarten. 
Einmal strömt nicht ein allzu grosses Syphilismaterial unserem 
Krankenhause zu, und andererseits konnte eine ganze Reihe von 
Fällen nicht nach obigem Schema behandelt werden, weil dienst¬ 
liche Verhältnisse, Berufstätigkeit und sonstiges mehr hindernd 
im Wege standen. Von einer Mitverwendung dieser Patienten im 
Rahmen dieser Arbeit musste natürlich abgesehen werden, und 
ebenso sind zahlreiche Einzelinfusionen und eine Anzahl von Nach¬ 
injektionen bei einem Teil des hier zu besprechenden Kranken¬ 
materials in den nachfolgenden Ausführungen unberücksichtigt 
gelassen. 

Immerhin verbleiben 101 Fälle, über die berichtet werden 
kann. An diesen wurden im Verlaufe einer Kur insgesamt 625 In¬ 
jektionen ausgeführt. Darunter befinden sich 51 Altsalvarsanfälle 
mit 296 und 50 Neosalvarsanfälle mit 329 Injektionen. 

Von den 51 Altsalvarsanpatienten erhielten: 

5 Fälle 3 Injektionen mit einer Gesamtdosis von 1,1 —1,5 

„ „ n 2,0 

„ n „1,6 -2,5 

„ „ „ 2,4 3,2 

„ „ „ 2,55—3,4 

„ „ „ 6,4 3,6 

„ „ „ 3,8 4,6 


10 

8 

11 

6 

6 

5 


1) Münchener med. Wochenschr.,'1912, Nr. 43. 


Von den 50 Neosalvarsanpatienten erhielten: 

3 Fälle 3 Injektionen mit einer Gesamtdosis von 1,8 —1,96 

6 „ 4 „ „ „ „ „ 2,1 3,45 

2 „ 6 „ „ „ „ „ 2,7 3,9 

8 „ 6 „ „ „ „ „ 3,9 4,35 

4 „ 7 „ „ „ „ „ 3,7 4,95 

10 „ 8 „ „ „ „ „ 4,35 6,15 

11 ».2 „ . „ „ „ „ 5.85 7,05 

In beiden Serien sind Fälle aus allen Stadien der Lues ver¬ 
treten, ganz überwiegend allerdings solche mit Erscheinungen 
sekundärer Syphilis. An zweiter Stelle stehen Primärluiker mit 
posiriver Wassermann Reaktion; ungefähr gleich gross ist die Zahl 
der Fälle mit Lues latens. Ganz gering auf beiden Seiten ist die 
Zahl der Fälle von primärer Lues mit negativer Serumreaktion, 
mit tertiärer Lues, mit Syphilis des Centralnervensystems und 
Metalues. 

Wenn ich mich nunmehr den Nebenwirkungen, die wir 
erlebt haben, zuwende, so möchte ich zunächst die Temperatur¬ 
kurven besprechen. 

Von den 296 Altsalvarsaninjektionen konnte nach 283 In¬ 
fusionen, von den 329 Neosalvarsaninjektionen nach 313 In¬ 
fusionen die Temperatur genau, d. h. zweistündlich kontrolliert 
werden. 

Temperaturstürze bis auf 35,8 oder gar 35,1, wie sie 
Touton 1 ) beschreibt, haben wir nicht gesehen; in vereinzelten 
Fällen ging unmittelbar nach der Injektion die Temperatur auf 
36,1 oder 36,2 herunter. 

Temperatursteigerungen waren nicht selten zu ver¬ 
zeichnen. Wenn man davon berichten will, so müsste man sich 
zunächst eigentlich darüber schlüssig werden, wo die Grenze ge¬ 
zogen werden soll, an der die normale Temperatur aufhört und 
das Fieber beginnt. Man müsste, wollte man ganz korrekt ver¬ 
fahren, in jedem einzelnen Falle die Temperatur an den der In¬ 
jektion vorangehenden Tagen berücksichtigen, ebenso die Tempe¬ 
ratur kurz vor der Injektion, und man müsste alsdann logischer¬ 
weise schon von Fieber sprechen, wenn nach der Injektion diese 
Temperaturen auch nur um wenige Zehntelgrade überschritten 
werden. Man müsste also richtigerweise jeden einzelnen Fall 
genau analysieren. Dies würde im Rahmen dieser Arbeit natür¬ 
lich viel zu weit führen, und es dürfte daher zweckmässig sein, 
wie üblich 37.5 als oberste Grenze des Normalen festzusetzen, 
zumal solche Temperaturen nach meinen Erfahrungen kaum jemals 
mit dem Gefühl des Krankseins für den betreffenden Patienten 
verknüpft sind. 

Unter den 283 Altsalvarsaninfusionen waren nun von Fieber 
gefolgt 46, und zwar entfielen auf 

49 erste Injektionen 21 mit Temperatursteigerung, 

49 zweite „ 7 „ 

49 dritte „ 7 „ 

41 vierte „ 4 „ 

35 fünfte „ 2 „ 

27 sechste „ 1 „ 

17 siebente „ 1 „ 

11 achte „ 2 „ 

5 neunte „ 1 „ 

Unter den 313 Neosalvarsaninfusionen stieg nach 40 In¬ 
jektionen die Temperatur über 37,5 hinaus, und zwar kamen auf 
48 erste Injektionen 17 mit Temperatursteigeiung, 


48 zweite 
48 dritte 
43 vierte 
39 fünfte 
31 sechste 
25 siebente 
20 achte 
11 neunte 


Es waren mithin fieberhafte Reaktionen zu verzeichnen: 

a) unter der Gesamtheit der Injektionen 

bei Verwendung von Altsalvarsan etwa 16,26 pCt. 

„ „ „ Neosalvarsan „ 12,46 „ 

b) unter den ersten Injektionen 

bei Verwendung von Altsalvarsan etwa 42,8 pCt. 

„ „ „ Neosalvarsan „ 35,4 „ 

c) unter der Gesamtzahl der zweiten bis neunten Injektionen 
bei Verwendung von Altsalvarsan etwa 10,68 pCt. 

„ „ „ Neosalvarsan „ 8,67 „ 


1) Diese Wochenschr., 1912, Nr. 24. 


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UNiVERSUY OF IOWA 
















582 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 13. 


Es geht aus dieser statistischen Zusammenstellung hervor, 
dass der Prozentsatz fieberhafter Reaktionen beim Alt* 
salvarsan ein etwas höherer ist als beim Neosalvarsan. 
Die Differenz ist jedoch so gering, dass an sich daraus Rück¬ 
schlüsse zugunsten des einen Präparates gegenüber dem anderen 
nicht gezogen werden dürfen. Wenn man aber die Tatsache ins 
Auge fasst, dass die Zahl der mit sechs bis neun Injektionen, 
demgemäss mit den grössten Dosen behandelten Fälle in der 
Serie der Neosal varsan-Patienten nicht unbeträchtlich diejenige 
der entsprechend behandelten Altsalvarsanfälle übertrifft und nun 
sieht, dass trotz dessen die fieberhaften Reaktionen bei Ver¬ 
wendung des Neosalvarsans durchweg in einem etwas geringeren 
Prozentsatz aufgetreten sind, so erscheint vielleicht doch die An¬ 
nahme berechtigt, dass im allgemeinen nach Neosalvarsan- 
Infusionen in etwas geringerem Umfange als beim Altsalvarsan 
Temperatursteigerung erwartet werden dürfte. 

Ueber die Ursachen des nach den ersten Injektionen mehr 
oder minder oft sich einstellenden Fiebers kann ich mich hier 
nicht des näheren verbreiten, zumal darüber ja oft genug und 
nach allen Richtungen hin diskutiert worden ist, und die Be¬ 
sprechung dieser Dinge eigentlich nicht in den Bereich unseres 
Themas gehört. Nur auf einen Punkt möchte ich zu sprechen 
kommen. Ich hätte natürlich in beiden Versuchsreihen durch 
Vorbehandlung mit Hg den Prozentsatz fieberhafter Reaktionen 
nach der ersten Injektion erheblich, vielleicht auf ein Minimum 
herabdrücken können. Ich habe dieselben aber mit in den Kauf 
genommen, weil es mir eben in erster Linie darauf ankam, in 
jedem einzelnen Falle an möglichst vielen Infusionen die Verträg¬ 
lichkeit und die Eigenschaften beider Präparate und die Wirkung 
dieser gehäuften Injektionen auf den Ablauf der klinischen 
Symptome und auf die Wassermann’sche Reaktion vergleichend 
prüfen zu können. Keiner der Patienten hat einen ernstlichen 
oder gar dauernden Schaden dadurch erlitten, dass die Kur sofort 
mit einer Salvarsaninjektion eingeleitet wurde. Allerdings haben 
wir es an der durchaus notwendigen Vorsicht nicht fehlen lassen 
und als Anfangsdosis, speziell bei Lues 11, kaum jemals mehr 
wie 0,2 Altsalvarsan (= 0,3 Neosalvarsan) gegeben, ja sind so¬ 
gar bei besonders gefährdet erscheinenden Fällen auf 0,1 berunter- 
gegangen. 

Was nun die Fieberreaktionen betrifft, die nach zweiten 
und mehrfachen Injektionen beobachtet wurden, so ist 
darüber folgendes zu sagen: 

Zunächst erscheint die Zahl derselben nicht gross, nämlich 
etwa 8,67 pCt. bei den mit Neosalvarsan und etwa 10,68 pCt. 
bei den mit Altsalvarsan Injizierten. 

Zweitens hielt sich das Fieber in der überwiegenden Zahl 
dieser Fälle in mässigen Grenzen, wie ohne weiteres daraus 
ersichtlich ist, dass bei den hierhergehörigen 23 Neosal varsan- 
infusionen die Temperatur 16 mal unter 38,0° blieb, 6 mal 38,0 
bis 38,6° betrug und nur einmal 39,7° gemessen wurden. Hin¬ 
sichtlich dieser letzteren Temperatursteigerung ist nun zu be¬ 
merken, dass sie im Anschluss an eine zweite Infusion sich ein¬ 
stellte, nachdem der Patient auf die erste Injektion mit 40,1° 
reagiert hatte. In derart gelagerten, übrigens seltenen Fällen, in 
denen sich auf die ersten Injektionen Fieber in absteigender Höhe 
einstellt und die weiteren Injektionen dann reaktionslos vertragen 
werden, dürfte, wie ich 1 ) bereits in meiner Arbeit über Neo¬ 
salvarsan ausgeführt habe, auch der Temperaturanstieg nach 
zweiten und eventuell sogar dritten Infusionen durch weiteren 
Untergang grösserer Spirochäten mengen hervorgerufen werden und 
somit als Spirocbätenfieber zu deuten sein. 

Weiterhin erfolgte der Anstieg der Temperatur allermeist 
nicht rapide, in steiler Kurve, sondern allmählich, und ohne 
von einem Schüttelfrost eingeleitet zu werden; über leichtes 
Frösteln und Unbehagen klagten die Patienten dagegen des öfteren. 
Schwere oder gar bedrohliche und langanhaltende Begleiterschei¬ 
nungen stellten sich nicht ein, wenn man von Erbrechen, Durch¬ 
fällen, sogenannten anaphylaktoiden Erscheinungeu und ähnlichem 
mehr absieht. Das Fieber hatte fast stets in den späteren Abend¬ 
stunden — die Injektionen sind mit wenigen Ausnahmen zwischen 
10—12 Uhr vormittags gemacht — wieder normaler Temperatur 
Platz gemacht, und die Testierenden Fälle waren sämtlich am 
nächsten Morgen fieberfrei. Dass ein Teil der Patienten an dem 
einer solchen fieberhaft verlaufenen Infusion folgenden Tage 
über eingenommenen Kopf und Mattigkeit klagte, soll nicht un¬ 
erwähnt bleiben. 


1) Diese Wochenschr., 1912, Nr. 31. 


Schliesslich möchte ich betonen, dass an keinem Tage die 
Mehrzahl oder gar die Gesamtheit der jeweils Injizierten fieberte, 
sondern es handelte sich stets nur um vereinzelte, fieberhaft 
reagierende Fälle. 

Alle diese Gesichtspunkte habe ich deshalb besprochen, weil 
ich aus der Gesamtheit derselben schliessen zu dürfen glaube, 
dass für das hier vorliegende Material der sogenannte „Wasser- 
fehler 11 als Ursache der fieberhaften Reaktionen bei gehänften 
Salvarsaninfusionen nicht in Betracht kommen kann. Eine 
weitere Stütze erfährt diese Ansicht durch die Tatsache, dass 
unter den 51 Altsalvarsanfällen 18 mit einer Gesamtzahl 
von 103 Injektionen, and unter den 60 Neosalvarsanfällen 
gar 24 mit 158 Injektionen überhaupt auf keine In¬ 
jektion hin fieberten. Diese Zahl nicht fiebernder Patienten 
erhöht sich auf 31 bzw. 86, wenn man diejenigen Fälle hinzu- 
addiert, die nur gelegentlich der ersten Injektion Fieber bekamen. 
Eine so grosse Zahl nicht oder doch nur anfänglich reagierender 
und während der ganzen Dauer der Versuche immer wieder¬ 
kehrender Fälle wäre meines Erachtens undenkbar, wenn wir mit 
nicht einwandsfreiem Wasser gearbeitet hätten, das übrigens für 
sämtliche Injektionen in ein und demselben Sterilisationsapparat 
präpariert wurde 1 ). 

Ich komme somit zu einer Ablehnung des Wasserfehlers 
als Ursache der von uns beobachteten fieberhaften Reaktionen 
bei mehrfacher Salvarsanzufuhr, und es müssen daher die Gründe 
für das Auftreten derselben in anderer Richtung gelegen sein. 
Zunächst trägt einen Teil der Schuld daran sicherlich das 
Salvarsan selbst, sei es, dass die Einzeldosis zu hoch gewählt 
war, sei es, dass die Injektionen sich in zu kurzen Intervallen 
folgten und auf diese Weise eine Cumulierung des Mittels zu¬ 
stande kam, durch die das Fieber ausgelöst wurde. Aber zweifel¬ 
los gibt es auch Individuen, deren Organismus von Hause 
aus offenbar sehr empfindlich gegenüber dem Salvarsan 
ist. Nur auf diese Weise können doch wohl die allerdings sehr 
seltenen Fälle erklärt werden, die nicht nur gelegentlich, viel¬ 
leicht ein- oder zweimal bei einer Reihe fortlaufender Infusionen, 
sondern mehrfach, bisweilen sogar auf jede Injektion prompt mit 
Temperatursteigerung antworteten. Wechsel mann 2 ) z. B. be¬ 
richtet über solche Beobachtungen, und auch ich sah ähnliches 
in einem Alt- und drei Neosalvarsanfällen, die im Verlaufe einer 
Kur acht- bis neunmal injiziert wurden. Drei dieser Fälle näm¬ 
lich reagierten auf nicht weniger wie vier, der eine Neosalvarsan- 
fall sogar auf sechs Injektionen mit Fieber. 

Für einen anderen Teil unserer Fieberreaktionen muss aber 
vielleicht doch ein zweiter Faktor allein oder gemeinsam mit 
dem Salvarsan verantwortlich gemacht werden. In der ersten 
Zeit der Versuche verwandten wir nämlich nicht nur beim 
Neosalvarsan, sondern auch bei einer Reihe von Alt- 
salvarsaninfusionen statt NaGl-Lösung nur Aqua dest. 
zur Verdünnung des Mittels. Wir injizierten also stark hypo¬ 
tonische Lösungen, wobei zu berücksichtigen ist, dass diese 
Hypotonie bei Verwendung des Altsalvarsans eine geringere war 
als beim Neosalvarsan, da wir erstere stets nur in alkalischer 
Lösung infundierten. 

Eine Gegenüberstellung der mit NaCl - Lösung und Aqua 
destillata gemachten Injektionen ergibt nun in bezug auf die 
fieberhaften Reaktionen folgende Zahlen Verhältnisse: 

Unter 234 zweiten bis neunten Altsalvarsaninfusionen sind 
ausgeführt: 

mit NaCl Lösung 148; danach Temperaturerhöhung 12 mal = 

8.1 pCt.; 

mit Aqua destillata 86; danach Temperatursteigerung 13 mal = 

16.1 pCt. 

Unter 265 zweiten bis neunten Neosal varsaninfusionen sind 
ausgeführt: 

mit NaCl-Lösung 115; danach Temperatursteigerung 4 mal = 
8,47 pCt.;' 

mit Aqua destillata 150; danach Temperatursteigerung 19 mal =± 
12,6 pCt. 

Es geht daraus hervor, dass Verwendung von Aqua 
destillata zu den Injektionen den Prozentsatz der Fieber¬ 
reaktionen sehr erheblich in die Höhe treibt, mag man 
Alt- oder Neosalvarsan in Anwendung ziehen, und zwar 

1) Eioe nach Abschluss dieser Arbeit auf Wunsch von Exzellenz 
Ehrlich im Laboratorium der Höchster Farbwerke ausgeführte Analyse 
unseres Wassers hat ergeben, dass dasselbe in chemischer Hinsicht 
„nicht zu beanstanden“ und „sehr schwach keimbaltig“ ist. 

2) Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 89. 


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UNIVERSUM OF IOWA 



31. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


683 


sehen wir, dass die Zahl dieser Reaktionen bei ersterem an¬ 
nähernd zweimal und bei letzterem fast dreimal so hoch ist, so¬ 
bald Aqna destillata statt NaCl-Lösung als Vehikel für die Ein¬ 
verleibung des Mittels dient. Von einem Zufall kann angesichts 
dieser sehr erheblichen Differenzen nicht gut mehr die Rede sein, 
und so müssen wir doch wohl zu der Vorstellung kommen, dass 
das Wasser an sich die Schuld daran trägt, indem unter seinem 
Einflüsse, wenigstens in einem Bruchteil der Fälle, eine mehr 
oder minder beträchtliche Hämolyse sich herausbildet, die ihrer¬ 
seits wieder zum Auftreten pyrogener Substanzen Anlass geben 
könnte. Es kann aber nun, abgesehen von der Temperatursteige¬ 
rung, ausserdem auch ein Exanthem sich einstellen, wie wir das, 
allerdings nur ein einziges Mal, erlebten, und zwar im Anschluss 
an die fieberhaft verlaufene Injektion einer wässerigen Neosal- 
varsanlösung. Von diesem Fall wird weiter unten noch die Rede 
sein. Häufiger dürfte, so könnte man sich denken, dieses letztere 
Ereignis zum Fieber sich hinzugesellen, wenn man, statt dem 
Organismus die nötige Ruhe zu gönnen, um der Hämolyse Herr 
zu werden, eine Injektion sozusagen auf die andere aufpfropfen 
würde, wodurch natürlich eine Potenzierung der hämolytischen 
Vorgänge hervorgerufen werden muss. 

Man könnte an und für sich in diesen durch klinische Ver¬ 
suche gewonnenen Ergebnissen und daraus resultierenden Er¬ 
wägungen eine Stütze für die Anschauungen Stühmer’s 1 ) 
erblicken, dass die bei der Hämolyse freiwerdenden Eiweisskörper 
bei den Arsenexanthemen eine Rolle spielen könnten, eine An¬ 
nahme, die Stüh in er durch Tierversuche an Kaninchen stützt, 
in denen es ihm gelang, sowohl mit in Wasser gelösten Blut¬ 
körperchen, wie mit intravenöser Einspritzung von blutlösenden 
Mitteln eine Sensibilisierung hervorzurufen. Die Tiere antworteten 
anf eine Reinjektion mit gelösten Blutkörperchen mit schwerem, 
anaphylaktischem Ghock bzw. Tod. Es darf dabei aber doch 
nicht vergessen werden, dass mit zunehmender Zahl schnell auf¬ 
einanderfolgender Injektionen wässriger Salvarsanlösungen nicht 
nur die Hämolyse immer mehr eine Steigerung erfährt, sondern 
gleichzeitig auch eine immer stärkere Anhäufung des Salvarsans 
in den Organen Platz greifen muss, und ferner, dass gerade in 
jener Periode, in der man, dem Vorgänge Sch reib er’s folgend, 
eine Reihe von wässrigen Neosalvarsaninfusionen kurz hinter¬ 
einander machte, die Exantheme an manchen Stellen in fast 
beängstigender Weise sich häuften und auch vielfach einen 
schweren Verlauf nahmen. Es kann also meines Erachtens die 
Frage, welcher von beiden Faktoren, ob das Wasser oder das 
Salvarsan, für die Entstehung der Exantheme verantwortlich zu 
machen sei, nicht mit aller Bestimmtheit in dem einen oder 
anderen Sinne erledigt werden. 

Damit möchte ich die Besprechung der fieberhaften Reak¬ 
tionen nach Salvarsanzufuhr beschliessen und wende mich nun¬ 
mehr den beobachteten Magen-Darmstörungen zu. 

Von den 51 Altsalvarsanfällen reagierten 
18 Patienten auf 26 Injektionen mit Erbrechen, 

11 „ „ 17 „ „ Durchfall, 

9 „ „ 9 „ „ Erbrechen und Durchfall. 

Von den 50 Neosalvarsanfällen reagierten 
13 Patienten auf 19 Injektionen mit Erbrechen, 

4 „ „ 4 „ „ Durchfall, 

1 Patient „ 1 Injektion „ Erbrechen und Durchfall. 

Es zeigt sich demnach in Uebereinstimmung mit den An¬ 
gaben wohl aller Autoren und mit eigenen, bereits früher mit¬ 
geteilten Erfahrungen 1 ) zur Evidenz, dass das Altsalvarsan 
weit häufiger als das Neosalvarsan Magen-Darm¬ 
erscheinungen verursacht. In dieser Hinsicht ist also zweifel¬ 
los mit der Einführung des Neosalvarsans ein ganz wesentlicher 
Fortschritt erzielt worden. 

Die weiteren nunmehr noch zu berichtenden Störungen 
belasten ausnahmslos das Konto des Altsalvarsans, von 
folgendem Falle abgesehen, auf den ich bei Besprechung 
der Steigerung fieberhafter Reaktionen bei Verwendung wässriger 
Lösungen bereits kurz hin wies. , ,, 

23 jährige Frau mit latenter, völlig unbehandelter Lues. Infektion 
ca. 3 Jahre zurückliegend; Wassermann +-1-. Liquor cerebrospinalis 
völlig normal, speziell Wassermann, auch bei Auswertung. Pat. erhielt 
folgende Neosalvarsandosen: 1 

11. X. 1912. 0,45, Höchsttemperatur 37,4°. 

14. X. 0,75, Höchsttemperatur 37,3°. 


1) Münchener med. Wochen sehr., 1912, Nr. 45. 

2) 1. c. 


21. X. 0,75, Höchsttemperatur 38,6°. Einmal Erbrechen, Kopf¬ 
schmerz. 

29. X. 0,3, Höchsttemperatur 37,3°. Einmal Erbrechen, etwas 
Kopfschmerzen. 

4. XI. 0,45, Höchsttemperatur 37,0°. 

9. XI. 0,6, Höchsttemperatur 37,4°. Viermal Erbrechen. 

15. XI. 0,45, Höchsttemperatur 37,3*. Einmal Erbrechen. 

21. XI. 0,6, Höchsttemperatur 37,1*. Wassermann —. 

Etwa l U Stunde nach der dritten, am 21. X., vormittags 11 Uhr, 
ausgeführten Injektion stellten sich einmaliges Erbrechen und Kopf¬ 
schmerzen ein. Nachmittags 3Va Uhr war ein morbillöses Exanthem 
im Gesicht, mit Ausnahme der Kinngegend, am Stamm und den Extremi¬ 
täten vorhanden. Ausserdem bestand erhebliche Rötung und Schwellung 
der Conjunotiven. Temperatur abends 38,6°. 

Am 22. X. Exanthem und Befund an Conjunctiva unverändert. 
Temperatur morgens noch 37,4°, abends 37,0°. Allgemeinbefinden gut. 

Am 23. X. nachmittags waren Exanthem und Conjunctivitis abge¬ 
klungen. 

Wegen dieses Exanthems, das 10 Tage nach Beginn der Behandlung 
einsetzte, wurde am 29. nur 0,3 Neosalvarsan injiziert. Abgesehen von 
einmaligem Erbrechen und etwas Kopfschmerzen reaktionsloser Verlauf. 

Im unmittelbaren Anschluss an die siebente Injektion, am 9. XI., 
mehrmaliges Erbrechen; ferner starke Rötung des Gesichts und der 
ganzen Brust, Erscheinungen, die etwa 15 Minuten später wieder ver¬ 
schwunden waren. Das gleiche ereignete sieh nach der achten Injektion, 
am 21. XI. 

Am 22. XI. bei völligem Wohlbefinden entlassen. 

Die nach der dritten Injektion zur Entwicklung gelangten 
Erscheinungen müssen natürlich in die Gruppe der sogenannten 
Arzneiexantbeme eingereiht werden. Dagegen gehören die nach 
den beiden letzten Infusionen ganz akut einsetzenden und ebenso 
rasch wieder abklingenden kongestiven Zustände meines Erachtens 
in das Gebiet der flüchtigen Erytheme und unter die Rubrik des 
sogenannten „angioneurotischen Symptomenkomplexes u . Derartige 
Vorfälle sind bei Verwendung des Neosalvarsans offensichtlich 
sehr selten. Simon 1 ) z. B. berichtet über ein ähnliches Er¬ 
eignis, desgleichen Bruhns 2 ), dessen Fall allerdings sehr viel 
schwerer war. 

Bemerkenswert an unserem Falle scheint mir einmal die 
Entwicklung eines Exanthems und sogenannter „ana¬ 
phylaktoider Erscheinungen u bei ein und derselben mit 
Neosalvarsan behandelten Patientin, ferner, dass trotz 
Fortsetzung der Salvarsankur, allerdings zunächst mit herab¬ 
gesetzten Dosen, das Exanthem nicht recidivierte und endlich, 
dass die nach der letzten Injektion sich einstellenden „anaphy¬ 
laktoiden Erscheinungen“ gegenüber ihrem erstmaligen Auftreten 
keine Steigerung erkennen Hessen. 

Bei unseren Altsalvarsanfällen nun habe ich überhaupt 
kein Exanthem gesehen; dagegen erlebte ich bei nicht 
weniger wie neun Altsalvarsanpatienten „anaphy¬ 
laktoide Erscheinungen“ in allen Varianten. In einem Teil 
der Fälle war die Sache mit einer mehr oder minder starken 
Kongestionierung des Gesichts abgetan, die plötzlich und uner¬ 
wartet im Anschluss an die Injektion, einmal auch während der¬ 
selben einsetzte und nach kurzer Zeit wieder verschwunden war. 
Zweimal konnte ich auch gleichzeitig eine intensive Rötung der 
Mundschleimhaut konstatieren. Stets war eine sehr erhebliche 
Pulsbeschleunigung nachweisbar, bis zu ca. 140 Schlägen in der 
Minute. Bei vier Patienten entwickelte sich ausserdem eine mehr 
oder minder erhebliche Schwellung der Lippen und Augenlider, 
bei einem dieser Fälle auch der Zunge. In mehreren Fällen ge¬ 
sellte sich dazu heftiges, mehrmaliges Erbrechen. Dagegen war 
die Atmung nur wenige Male etwas erschwert, und das Auftreten 
von starkem Hustenreiz bei Beginn dieser Zustände vermissten 
wir sogar stets. Dagegen sah ich diese beiden Symptome, auf 
die namentlich Wechselmann 9 ) als bemerkenswert hinweist, in 
sehr charakteristischer Weise bei einem Patienten meiner Privat¬ 
klientel, der nicht unter die nach obigem Schema behandelten 
Fälle gehört. Bei ihm steigerte sich der Husten zu „pertussis¬ 
ähnlichem Krampfhusten“ und hielt mindestens 5—6 Minuten an. 

Es ist nüfa ohne weiteres zuzugeben, dass ein feil dieser 
Zustände zunächst einen sehr beängstigenden Eindruck erweckte, 
aber die Anfälle gingen sämtlich, zum Teil freilich erst nach vielen 
Stunden, restlos vorüber und hinterliessen nicht die geringste 
Schädigung des Patienten. Unsere diesbezüglichen Erfahrungen 
decken sich also vollkommen mit denjenigen Wechselmann’s 
und anderer. 


1) 1. c. 

2) Med. Klinik, 1912, Nr. 26. 

8) Deutsehe med. Wochenschr., 1912, Nr. 25. 

8 * 


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UNIVERSUM OF IOWA 



684 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 13. 


Dieser Symptomenkomplex entwickelte sich bei unseren 
Fällen einmal im Anschluss an die neunte, einmal im Anschluss 
an die achte) je zweimal nach der siebenten und sechstel!) einmal 
nach der vierten) einmal nach der dritten, und endlich einmal 
bereits nach der ersten Injektion. In sieben von diesen 
neun Fällen wurde die Salvarsanbehandlung trotz dieser 
Zwischenfälle fortgesetzt, und zwar erhielten zwei Patienten 
noch je eine, ein weiterer zwei und endlich zwei Fälle noch je 
drei Injektionen, ohne dass von neuem solche Anfälle in Er¬ 
scheinung getreten wären; die beiden Testierenden Fälle dagegen 
reagierten auf erneute Salvarsanzufuhr wiederum mit derartigen 
Symptomen, aber nicht bei jeder nachfolgenden Injektion und 
keineswegs in intensiverer Weise. Ein weiterer Fall (also der 
achte von den neun Fällen), der gelegentlich der letzten Infusion 
bei der ersten Kur solche Symptome gezeigt hatte, erhielt einige 
Monate danach eine Reinjektion, die er völlig reaktionslos ver¬ 
trug. Diese Erfahrungen stehen in einem gewissen Gegen¬ 
satz zu denjenigen Wechselmann’s, der ausdrücklich hervor- 
hebt, dass bei einzelnen der Anfall nur einmal auftrete, bei der 
Mehrzahl dagegen die Ueberempfindlichkeit sich bei jeder Injek¬ 
tion steigere, so dass eine Salvarsanbehandlung kaum durch¬ 
führbar sei. 

Ich möchte in Anbetracht dieser Differenzen wenigstens den 
einen der beiden mehrfach reagierenden Fälle, die wir gesehen 
haben, kurz mitteilen, zumal derselbe eine Form des angio- 
neurotischen Symptomenkomplexes darbot, die, soweit ich 
sehe, nur äusserst selten zur Beobachtung gelangt oder wenig¬ 
stens publiziert ist. 

20 jähriges Mädobeö. Vom 12. XI. 1910 bis 7. XII. 1911 wegen 
Lues II dreimal 0,8 Salvarsan. Zurzeit symptomlos; Wassermann -f- +. 
Liquor cerebrospinalis: Pleocytose 8,9; Nonne-Apelt: geringe Opalescenz; 
Wassermann bei Auswertung — (?). 

24. VIII. 1912. 0,3 Altsalvarsan 11 ühr 40 Minuten vormittags, 

Höchsttemperatur 37,3°. Vor und während der Injektion ausserordentlich 
erregt. Ga. 10 Minuten später unter leichtem Frösteln Entwicklung eines 
urticariellen, intensiv juckenden Exanthems, das binnen einer 
Viertelstunde den ganzen Körper überzogen hat; Gesicht hochrot. 
Gegen 6 Uhr abends Exanthem völlig geschwunden und völliges Wohl¬ 
befinden. 

26. VIII. 0,5 Altsalvarsan, Höchsttemperatur 38,6°; dreimal Er¬ 
brechen und Durchfall; abends 7 Uhr Temperatur 37,0°; Befinden* 
sehr gut. 

2. IX. 0,5 Altsalvarsan, Höchsttemperatur 36,4°; einmal Erbrechen. 
Im übrigen dasselbe Bild wie am 24. VIII., nur mit dem Unterschied, 
dass bereits nach 1*4 Stunden alles wieder normal ist. 

7. IX. 0,5 Altsalvarsan, Höchstsemperatur 36,7°. Abgesehen von 
der Entwicklung eines nur wenig ausgebreiteten und nur kurzdauernden 
urticariellen Ausschlags keine Störungen. 

18. IX. 0,5 Altsalvarsan, Höchsttemperatur 37,2 °. Völlig reaktions¬ 
loser Verlauf. 

19. IX. 0,5 Altsalvarsan, Höchsttemperatur 36.9°. Geringfügiges 
urticarielles Exanthem, nach kurzem Bestände abklingend. Wasser¬ 
mann + -}-. 

20. IX. Entlassen. 

1. X. Reinjektion: 0,5 Altsalvarsan; Wassermann noch leicht -J-. 
Keinerlei Reaktion. 

21. XII. Wiederaufnahme zum Zwecke einer Nachinjektion. Wasser¬ 
mann +. 0,5 Altsalvarsan. Höchsttemperatur 86,9°. Unmittelbar nach 
der Injektion starke Rötung des Gesichts und rapide Entwicklung eines 
juckenden universellen Exanthems von urticariellem Charakter, das nach 
ca. 2*4 Stunden spurlos verschwunden ist. Leichte Kopfschmerzen. 

27. XII. Versuch, durch Injektion von NaCl-Lösung das 
Symptomenbild vom 21. XII. hervorzurufen, misslingt. 

31. XII. Gleicher Versuch wie am 27. XU., ebenfalls ohne 
Erfolg. 

6.1. 1913. Wassermann —. 

Ich kann die Hauterscheinungen bei diesem Falle nur als 
sogenannte anaphylaktoide ansprechen. Einmal sind dieselben 
nämlich, wenigstens sobald das Exanthem universell auftritt, ver¬ 
gesellschaftet mit starker Kongestion nach dem Gesicht, anderer¬ 
seits sind sie ausgezeichnet durch das Einsetzen unmittelbar nach 
der Injektion, durch rasche Entwicklung und mehr oder minder 
schnelle Rückbildung. Der Fall lehrt in ausgezeichneter Weise, 
dass nach dem erstmaligen Auftreten der Anfälle nunmehr nicht 
unbedingt jede weitere Salvarsanzufuhr von den gleichen 
oder gar schwereren Symptomen gefolgt sein muss, 
vielmehr sehen wir, wie in bunter Reihe völlig oder fast völlig 
reaktionslos verlaufende Infusionen abwecbseln können mit 
solchen, die teils anaphylaktoide Erscheinungen von gleicher 
Intensität wie zuvor, 1 teils auch solche geringeren Grades nach 
sich ziehen. 

Nun muss ich aber im Anschluss an diese Fälle noch auf 


einen anderen Punkt kurz eingehen. Es war Wechsel mann 1 ) 
aufgefallen, dass bei seinen neun mit anaphylaktoiden 
Zuständen reagierenden Fällen acht sichere Hirnlues 
hatten, nämlich Apoplexie (zweimal), Frühmeningitis (dreimal), 
Pseudoparalyse und Epilepsie (einmal) und ältere Basilarmeningitis 
(zweimal). Und Iwanschewzow 2 ) sah solche Zustände unter 
37 Nervenkranken bei der vierten Salvarsan injektion 14 mal auf- 
treten. 

Unter unseren neun Fällen boten klinisch acht keinerlei 
Symptome, die auf eine Erkrankung des Centralnerven¬ 
systems hätten hindeuten können. Nur ein dicht vor dem 
Ausbruch des ersten Exanthems stehender Primärsyphilitiker 
klagte, dass er seit einiger Zeit an Kopfschmerzen leide. Alle 
neun Fälle sind vor Beginn der Behandlung lumbal punktiert. 
Bei sechs Fällen — unter diesen auch der zuletzt erwähnte, mit 
Kopfschmerzen behaftete und später noch genauer zu besprechende 
Patient — erwies sich das Lumbal punktat als völlig normal, 
während bei den Testierenden drei Fällen die Untersuchung des 
Liquor Veränderungen, in der Hauptsache Pleocytose geringen 
bis mittleren Grades, aufdeckte, die auf spezifisch-entzündliche 
Vorgänge am Nervensystem hindeuteten. Bei Wechsel mann 
also unter neun mit anaphylaktoiden Symptomen Reagierenden 
acht Hirnluesfälle, unter unseren neun Patienten dagegen nur 
drei mit offenbar geringfügigen, erst durch die Lumbalpunktion 
nacbgewiesenen Veränderungen am Centralnervensystem. Unter 
den wenigen Fällen von schwerer Syphilis des Centralnerven¬ 
systems und Metalues, die ich einer Behandlung mit Alt- 
salvarsan unterwerfen konnte, zeigte jedoch keiner das obige 
Symptomenbild. 

Unsere diesbezüglichen Erfahrungen decken sich also wohl 
mit denjenigen Gennerich’s 3 ), stehen aber im Gegensatz zu 
denjenigen von Wechselmann und Iwanschewzow. Daraus 
wird mao nur den Schluss ableiten dürfen, dass gewöhnliche 
Syphilitiker schliesslich doch einmal ebenso mit ana¬ 
phylaktoiden Erscheinungen auf Salvarsan reagieren 
können wie solche, bei denen das Centralnervensystem mehr oder 
minder schwer erkrankt ist. 

Zur Aufklärung dieser anaphylaktoiden Anfälle kann ich 
neue Momente nicht beibringen. Es ist mir ebensowenig wie 
Wechselmann gelungen, durch Injektion von Kochsalzlösung 
bei jenem oben mitgeteilten Falle, der wiederholt auf Salvarsan- 
infusionen ein mehr oder minder ausgedehntes urticafielles 
Exanthem bekam, ein derartiges Symptomenbild experimentell zu 
erzeugen. Wechselmann hat im übrigen wohl Recht mit der 
Annahme, dass der Anfall durch eine Reizung des vasomotorischen 
Centrums hervorgerufen wird, und dass als auslösendes Moment 
das Salvarsan als solches in Betracht kommt. 

Hieran anschliessend möchte ich dann erwähnen, dass bei 
dreien unserer Altsalvarsanfälle eine Angina während der 
Kur zur Beobachtung gelangte. In dem einen handelte es sich 
um eine ganz typische doppelseitige Tonsillitis follicularis, die 
zwischen der achten und neunten Injektion zur Entwicklung 
kam und ganz zweifellos nicht mit dem Salvarsan in Zusammen¬ 
hang stand. 

Nicht sicher zu deuten waren der zweite und dritte Fall. 
Das eine Mal konstatierten wir am neunten Tage nach der ersten, 
fieberhaft verlaufenen Injektion auf. der einen Tonsille einen 
diffusen graugrünen Belag bei hoher, 40° übersteigender Tempe¬ 
ratur und starker Prostration. Nach zwei Tagen kritischer Abfall 
des Fiebers. Ein Exanthem an der Haut stellte sich nicht ein. 

Bei dem dritten Patienten stellten wir am 13. Tage nach 
Beginn der Behandlung eine doppelseitige Angina mit ähnlichen 
Belägen fest wie im vorhergehenden Falle. Auch hier hohe 
Temperatur und starkes Krankheitsgefühl. Hier währte es circa 
eine Woche bis zur Abheilung der Halsentzündung. Ein Exanthem 
blieb auch hier aus. 

Ich muss unentschieden lassen, um welche Art von 
Angina es sich in diesen beiden Fällen gehandelt hat; speziell 
muss die Frage offen bleiben, ob diese Anginen als sogenannte 
Salvarsanenantheme aufgefasst werden müssen oder nicht. . ", 

Bei den ersten dieser in ihrer Aetiologie zweifelhaften 
Anginafälle trat übrigens einen Tag nach der ersten Injektion 
eine leicht icterische Verfärbung der Haut und Sklefefi 
ein, die nach weiteren 1% Tagen geschwunden war. 


1) 1. c. 

2) Münchener raed. Wochenschr., 1912, Nr. 15. 

3) Praxis der Salvarsanbehandlung. Berlin 1912. 


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81. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


585 


Ferner erlebten wir beim Altsalvarsan dreimal einen 
Herpes simples im Bereiche der Lippen bzw. am Mundwinkel. 
Der eine entwickelte sich im Anschluss an eine reaktionslos ver¬ 
tragene zweite, die beiden anderen nach fieberhaft verlaufenen 
dritten Infusionen. 

Weiterhin sahen wir bei zweien unserer Altsalvarsan- 
fälle eine Thrombose entstehen, beide Male in einer Vene, 
die bereits wiederholt zur Injektion benutzt worden war. die¬ 
selbe nahm in beiden Fällen ihren Ausgang von der Gegend der 
Einstichstelle, nicht da, wo der Oberarm zum Zwecke der Stauung 
abgeschnürt worden war, und breitete sich fast nur proximalwärts 
aus. Weiterer Schaden ist den betreffenden Patienten daraus 
nicht erwachsen. 

Albuminurie stellte sich weder bei unseren Alt- noch 
bei unseren Neosalvarsanfällen ein, trotz Kombination mit 
Hg-Behandlung. Bei drei Patienten, darunter zwei Graviden, die 
bereits vor Beginn der Behandlung Eiweiss in geringen Mengen, 
ohne Beimischung von Nierenelementen ausschieden, konnte die 
kombinierte Salvarsan-Hg Therapie, ohne den geringsten Schaden 
zu stiften, bis zu Ende durchgeführt werden. Beide Gravidae 
waren sogar gegen Ende der Kur eiweissfrei. 

Von Schädigungen der peripheren Nerven und vor 
allem von Störungen im Bereiche des Centralnerven¬ 
systems sind wir verschont geblieben mit Ausnahme eines 
einzigen Falles, den ich bereits bei Besprechung der sogenannten 
anaphylaktoiden Erscheinungen kurz erwähnte und nunmehr aus¬ 
führlich mitteilen möchte. 

W. R., kräftiger, gut genährter 28 jähriger Manu von blasser Gesichts¬ 
farbe. Bisher nicht geschlechtskrank. 

Status am 7. XII. x 1912: Ulcus durum im Frenularwinkel links, 
Spirochäten +. 

Auf der Glans penis einige trockene, blassrote, flachpapulöse, scharf- 
begrengte Effloreszenzen. Keine Induration des dorsalen Lymphstranges. 
Inguinaldrüsen beiderseits mächtig geschwollen, sehr hart, zu einer 
einzigen Masse konfluiert, etwas druckempfindlich. Am Abdomen einige 
zweifelhafte Maculae. Wassermann +-|-. 

Von seiten des Nervensystems keinerlei objektive Symptome, doch 
gibt Pat. an, seit einer Reihe von Tagen an Kopfschmerzen, speziell 
io der Schläfengegend, tagsüber, aber auch nachts zu leiden. 

8. XII. Lumbalpunktion: Druck nicht gemessen; Liquor fliesst 
nur tropfenweise ab, völlig klar. Nonne-Apelt negativ; 1,2 Zellen im 
Kubikmillimeter. Wassermann negativ, auch bei Auswertung. 

9. XII. 0,2 Altsalvarsan. Kein Herxheimer. Keinerlei sonstige 
Reaktion. 

11. XII. 0,4 Altsalvarsan. Reaktionslos vertragen. 

16. XIL 0,4 Altsalvarsan. Keinerlei Reaktion. 

18. XII. Primäraffekt restlos abgebeilt, die papulösen Effloreszenzen 
auf der Glans penis desgleichen. Schwellung der Drüsen erheblich 
zurückgegangen. Kopfschmerzen bisher nicht geschwunden. Sonst aus¬ 
gezeichnetes Befinden. Gegen Abend beim Lesen plötzliches Flimmern 
vor den Augen und Doppeltsehen. 

Befund: Fast komplette Lähmung des rechtsseitigen N. abducens. 
Augenhintergrund normal, nur Venen rechts vielleicht etwas weiter und 
stärker gefüllt als links. 

21. XII. Lumbalpunktion: Da Pat. am nächsten Tage das 
Krankenhaus verlassen muss, werden nur ca. 2 ccm Liquor abgelassen. 
Liquor klar; Nonne-Apelt; Opaleszenz. Im Kubikmillimeter 18 Zellen. 
0,3 Altsalvarsan. Keinerlei Reaktion. 

27. XII. 0,4 Altsalvarsan. Keinerlei Reaktion. 

Nur ab und zu noch Kopfschmerzen, und zwar jetzt nur im Be¬ 
reiche des rechten Stirn- und Scheitelbeins. N. supraorbitalis an der 
Austrittsstelle druckempfindlich. Abducenslähmung zwar erheblich 
zurückgegangen, aber immer noch Doppeltsehen beim Blick weit nach 
rechts. 

2. I. 1913. 0.5 Altsalvarsan. Keinerlei Reaktion. 

Keine Doppelbilder mehr, doch besteht immer noch eine geringe 
Parese des Abducens. Zeitweilig noch Kopfschmerzen im Bereiche des 
rechten Stirnbeins. 

8. I. 0,5 Altsalvarsan. Unmittelbar nach der Iojektion starke 
Rötung des Gesichts und der Mundschleimhaut. Leichtes Unwohlsein. 
Puls 108. Nach ca. einer Viertelstunde wieder völlig normale Verhält¬ 
nisse. Wassermann —. 

13. I. 0,5 Altsalvarsan. Reaktionslos vertragen. 

Es besteht immer noch eine minimale Parese des rechten Abducens. 
Beim Blick möglichst weit nach rechts beträgt die Entfernung vom 
lateralen Irisrand bis zum äusseren Augenwinkel am erkrankten Auge 
ca. 2 mm. Kopfschmerzen seit einigen Tagen völlig geschwunden. In- 
gninaldrüsen zwar vollkommen isoliert zu fühlen, aber immer noch zum 
Teil kleinkirschgross. Wassermann wiederum —. 

(Eine nochmalige Lumbalpunktion wegen der dienstlichen Verhält¬ 
nisse des Patienten augenblicklich und auch in absehbarer Zeit nicht 
ausführbar.) 

Es bandelt sich also hier um einen an Lues erkrankten, 
dicht vor dem Ausbruch des ersten Exanthems stehenden Patienten. 


Die Wassermann’scbe Reaktion ist positiv. Der Patient leidet seit 
kurzer Zeit an Kopfschmerzen, besonders des Nachts; der Liquor 
cerebrospinalis ist völlig normal. Er erhält vom 9. XII. 
bis 16. XIL 1,1 Altsalvarsan in drei Injektionen, die ganz 
reaktionslos vertragen werden, daneben Hg in Form von In- 
unktionen. Am 18. XIL, also 9 Tage nach Beginn der Be¬ 
handlung, setzt plötzlich, mit Flimmern vor den Augen ver¬ 
bunden, eine fast totale, isolierte, rechtsseitige Ab¬ 
ducenslähmung ein. Im Lumbalpunktate findet sich nun¬ 
mehr eine mässige Pleocytose und eine schwach, 
positive Nonne-Apelt’sche Globulinreaktion. Die anfangs 
vorhandenen Kopfschmerzen sind mehr lokalisiert, und zwar im 
Bereiche des rechten Stirn- und Schläfenbeins. Unter weiteren 
Salvarsaninfusionen klingen die Kopfschmerzen, das Flimmern 
vor den Augen und die Abducenslähmung allmählich ab, 
so dass am 13. I. 1913, also 26 Tage nach Eintritt der letzteren, 
nur noch eine minimale Parese des Nerven restiert 1 ). 

Dieser soeben beschriebene Zwischenfall bat sich bei Ver¬ 
wendung von Altsalvarsan ereignet; das gleiche hätte aber 
auch natürlich unter einer Neosalvarsanbehandlung ge¬ 
schehen können. Dieses Ereignis darf daher zunächst einmal 
nicht auf das Schuldkonto des Altsalvarsans gesetzt werden. Es 
kann und darf aber überhaupt nicht dem Salvarsan in die 
Schuhe geschoben werden in dem Sinne, dass hier eine 
toxische Schädigung der Nervensubstanz durch das Mittel 
stattgefunden hätte. Denn wie Hesse sich eine solche Auffassung 
damit in Einklang bringen, dass wir die Nervenlähmung sich 
wieder zurückbilden sehen, obwohl die Salvarsankur nicht einen 
Tag unterbrochen wurde, und obschoo nicht nur eine, sondern 
noch weitere fünf Salvarsaninfusionen mit einer Gesamtdosis von 
2,2 g dem Patienten verabfolgt wurden. 

Ich möchte mir den Gang der Dinge und speziell die 
Rolle, welche das Salvarsan dabei gespielt hat, folgender- 
maassen vorstellen: Der normale Liquorbefund zu Beginn der 
Behandlung bestimmte uns, anzunehmen, dass die Kopfschmerzen, 
unter denen der Patient zu leiden hatte, nicht auf einer syphili¬ 
tischen Infektion der weichen Hirnhäute basierten, sondern spezi¬ 
fischen Veränderungen im Knochen, bzw. innerhalb der Dura ihre 
Entstehung verdankten. Nun kam es infolge der Wirkung 
des Salvarsan8 in diesem supponierten Krankheitsherd zu 
einer Steigerung des spezifischen Prozesses, zur Ent¬ 
wicklung eines entzündlichen Oedems, ganz analog der an syphi¬ 
litischen Hauterscheinungen ja so häufig zu beobachtenden Herx- 
heimer’schen Reaktion, und diese Steigerung fand zunächst ihren 
Ausdruck in dem Persistieren der Kopfschmerzen. Aber 
nicht genug damit, es gesellten sich vielmehr noch Liquor¬ 
veränderungen und eine Abducenslähmung hinzu. Erstere, 
speziell die nachweisbare Lymphocytose, zeigten einmal klar, dass 
für die zutage getretene Komplizierung des Krankheitsbildes nur 
entzündliche Veränderungen verantwortlich gemacht werden 
durften, und zweitens, dass der von uns angenommene Krank¬ 
heitsherd nur in der Dura, und zwar nabe dem Sub¬ 
duralraum seinen Sitz haben musste, weil sonst ein Uebergreifen 
der Entzündung auf die der harten Hirnhaut anliegende 
Arachnoidea und ein Uebertritt von Lympbocyten in die Cerebro¬ 
spinalflüssigkeit nicht denkbar gewesen wäre. Die isolierte 
Abducenslähmung aber wies uns den Weg zu dem Sitz des 
Prozesses, in dem nach Lage der Dinge eigentlich nur die 
Gegend der Fissura orbitalis superior in Frage kommen 
konnte. Durch diese tritt bekanntlich der N. abducens zugleich 
mit dem N. oculomotorius und N. trochlearis in die Augenhöhle 
ein. Nun sind zwar hier die drei Nerven nicht so dicht vom 
Knochen umschlossen, wie z. B. der Facialis und Acusticus inner¬ 
halb des Meatus auditorius internus, aber der Annulus tendineus 
communis bildet um die Nerven eine so feste Scheide, dass ein 
Ausweichen nicht möglich ist. Und es genügt daher, um in dem 
an sich schlecht vascülarisierten Nerven die Circulation zu er¬ 
schweren oder ganz aufzuheben und somit eine mehr oder minder 
vollständige Lähmung herbeizufübren, ein geringfügiger Umstand 
[Ehrlich]*); diesen letzteren aber möchte ich für den vorliegen¬ 
den Fall in einer Druckwirkung erblicken, bervorgerufen durch 
ein nach unserer Annahme ja in dieser Gegend lokalisiertes, ent¬ 
zündliches Oedem der Meningen. 

Nach alledem möchte ich den vorliegenden Fall als eine 


1) Gelegentlich einer Untersuchung am 17. März zeigte sich, dass 
der Abducens wieder völlig funktionsfähig geworden ist. 

2) Ehrlioh, Abhandlungen über Salvarsan. München 1911, S, 884. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18. 


Herxheimer’scbe Reaktion ansprechen; dieselbe nimmt 
allerdings insofern eine gewisse Sonderstellung ein, als wir 
auf Grund klinischer Beobachtung und theoretischer Er¬ 
wägungen zu der Vorstellung gelangen mussten, dass sich die 
Reaktion hier nicht in einem primär im Gehirn bzw. in dessen 
weichen Häuten angelegten Syphilisherd abspielte. Vielmehr ist 
unsere Auffassung der Sachlage die, dass eine entzündliche 
Schwellung, welche sich in einer nahe der Durainnenfläche be¬ 
findlichen spezifischen Läsion etablierte, sekundär an circum- 
scripter Stelle die Meningen und infolge ihres besonderen 
anatomischen Sitzes auch den N. abducens in Mitleidenschaft ge¬ 
zogen bat. 

Unser Fall bietet aber nun auch, von einem anderen 
Gesichtspunkt aus betrachtet, ein gewisses Interesse. 
Dreyfuss 1 ) schreibt nämlich wörtlich: „Niemals sahen wir 
aber bei der Lues, die vor der Behandlung keine Lubalflüssigkeits- 
Veränderungen hatte, unter, resp. nach Salvarsan solche auftreten!“ 
Und weiter: „Eine insuffiziente Salvarsanbebandlung vermag bei 
eioem vorher nicht luetisch veränderten Oentralnervensystem keine 
syphilitischen Hirnerscheinungen zu provozieren.“ 

In unserem Falle sehen wir nun trotz normalen 
Liquors vorder Behandlung unter, resp. nach Salvarsan 
Veränderungen der Lumbalflüssigkeit eintreten, und nicht 
nur das, wir sehen anch zweitens, dass diese Veränderung des 
Liquors sich vergesellschaftet mit Hirnerscheinungen. 

Also ein Befund in unserem Falle, der auf den ersten Blick 
anscheinend in keiner Weise in Einklang mit den obigen An¬ 
schauungen von Dreyfuss zu bringen ist! Und doch besteht ein 
solcher Gegensatz meines Erachtens nicht. Wie bei einem bereits 
luetisch erkrankten Nervensystem die Liquorveränderungen im 
Beginn der Behandlung zunächst eine Steigerung erfahren können, 
so kann auch, allerdings wohl nur in extrem seltenen Fällen, 
unter gewissen Verhältnissen ein anfangs normaler Liquor sich 
pathologisch verändern, nämlich dann, wenn, wie wir in unserer 
Beobachtung angenommen haben, syphilitische Prozesse in solcher 
Nähe der Meningen lokalisiert sind, dass ein unter dem Einfluss der 
ersten Salvarsaninfusion oder auch Infusionen einsetzendes Auf¬ 
flammen der bestehenden Entzündung zu einem Uebergreifen der 
letzteren auf die Meningen führt. Es ist aber auch weiter durchaus 
verständlich, dass je nach dem Sitze der so reagierenden syphi¬ 
litischen Gewebsläsionen im Gefolge dieser Reaktion Hirnerscbei- 
nungen auftreten oder ausbleiben können. Natürlich wird in An¬ 
betracht dessen, dass bei einem derartigen Ereignis in der Regel 
doch wohl nur umschriebene meningeale Bezirke, und zwar nur 
kurzdauernd affiziert werden dürften, kaum jemals mit erheblichen 
und lange anhaltenden Veränderungen des Liquors zu rechnen 
sein. Wenigstens spricht die in unserem Falle gefundene Zahl 
von nur 18 Zellen im Kubikmillimeter in diesem Sinne. Leider 
konnte, wie gesagt, nicht nochmals eine Lumbalpunktion gemacht 
werden. 

Nach alledem bin ich der Meinung, dass diese Beobach¬ 
tung nichts an der Richtigkeit der oben citierten An¬ 
sichten von Dreyfuss ändert. Diese Anschauungen er¬ 
fahren nur durch den Fall eine meines Erachtens nicht 
unwesentliche Vertiefung und Ergänzung. 

Hiermit möchte ich das Kapitel von den Nebenwirkungen im 
Gefolge der Alt- und Neosalvarsaninjektionen beschliessen und 
zunächst einige Worte über die Beeinflussung der jeweils 
bestehenden klinischen Luessymptome durch die beiden 
Präparate sagen. 

Die Anschauungen darüber gingen von jeher auseinander und 
sind bis zum heutigen Tage divergent geblieben, wenn auch die 
Mehrzahl der Autoren in dem Neosalvarsan das weniger wirksame 
Mittel erblicken zu sollen glaubt. Um die diesbezügliche Situation 
zu kennzeichnen, möchte ich wenigstens die Ansicht zweier 
Autoren aus jüngster Zeit hier wiedergeben. Während Heuck 2 3 ) 
z. B. die Meinung vertritt, dass das Neosalvarsan selbst in höherer 
Dosis hinter der Wirksamkeit des Altsalvarsans zurückbleibt, ist 
Almkwist 8 ) dazu geneigt, „die therapeutische Wirkung des Neo- 
salvarsans wenigstens so gut, wahrscheinlich noch besser als die¬ 
jenige des Salvarsans anzusehen.“ 

Was nun unsere eigenen Erfahrungen betrifft, so fühle 
ich mich, obwohl unsere Fälle auf das genaueste beobachtet sind, 
ausser stände, mit Bestimmtheit das eine oder andere 


1) Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 33 u. 34. 

2) Therapeut. Monatsh., 1912, Nr. 11. 

3) Dermatol. Wochensohr., 1913, Nr. 2. 


Präparat als das bessere zu proklamieren. Wir haben mit 
beiden Mitteln ganz überwiegend recht gute, in einem Teil der 
Fälle sogar glänzende Resultate erzielt. Andererseits liess nicht 
ganz selten der therapeutische Effekt zu wünschen übrig, indem 
die Rückbildung der syphilitischen Läsionen nur langsame Fort¬ 
schritte machte. Erscheinungen, die dem klinischen Aspekt nach 
als völlig oder nahezu identisch angesprochen werden mussten 
und demgemäss das denkbar beste Vergleichsmaterial darboten, 
reagierten ganz verschieden, bald gut, bald weniger gut auf das 
eine wie auf das andere Salvarsan. Ganz besonders habe ich 
dabei Primäraffekte und die sie begleitende Lymphdrüsenschwel- 
lung im Auge. Ich verfüge über einige besonders markante Fälle, 
in denen, mochten sie nun mit Alt- oder Neosalvarsan in reich¬ 
licher Dosis behandelt worden sein, die Induration des Primär¬ 
affektes oder die Drüsenscbwellung oder beides in mehr oder 
minder grossem Umfange oft wochenlang bestehen blieben und 
auch dann bisweilen noch nicht ganz beseitigt waren, wenn die 
Wassermann-Reaktion sich bereits als negativ erwies. Statt vieler 
Worte sei es mir gestattet, über zwei Beobachtungen zu be¬ 
richten, die einmal, z. T. wenigstens, diese Verhältnisse sehr gut 
illustrieren, dann aber auch in anderer Beziehung mir nicht 
uninteressant zu sein scheinen. 

Fall 1. (Mit Neosalvarsan behandelt -J-, Hg-Inunktionen.) 

Erste Aufnahme am 28. VI. 1912. 25 jähriger Mann. Auf dem dorsum 
penis fast pfennigstückgrosser, erodierter Primäraffekt, mässig induriert 
Spirochäten +. Inguinaldrüsen beiderseits stark geschwollen, links 
stärker wie rechts. Wassermann H—j-. Kein Exanthem. 

29. VI. Neosalvarsan 0,45. Lokal: Calomel. 

I. VII. Neosalvarsan 0,75. 

10. VII. Neosalvarsan 0,75. 

II. VII. Primäraffekt höchstens zu einem Drittel überhautet. 
Schwellung der Inguinaldrüsen kaum verändert. Wassermann 
Effugit. 

Zweite Aufnahme am 26. X. 1912. 

Status: Auf dem Dorsum penis, an der Stelle des alten Primär¬ 
affektes, eine pigmentierte, ganz weiche Narbe. Distalwärts davon, 
durch eine ca. */* cm breite, normale Hautzone davon getrennt, ein 
ovaler, flacher Substanzverlust (Durchmesser 9 bzw. 6 mm), der seinem 
ganzen Aussehen und seiner Beschaffenheit nach durchaus einem Primär¬ 
affekt gleicht. Spirochäten -{-. Dorsaler Lymphstrang ein wenig ver¬ 
dickt. Inguinaldrüsen beiderseits stark geschwollen, namentlich links. 
Sonst keine Zeichen von Lues. Wassermann -|—|-. 

An demselben Tage 0,45 Neosalvarsan. Lolal: Calomel. 

27. X. Entlassung wegen Verweigerung der Weiterbehandlung. 

Dritte Aufnahme am 14. XII. 1912. 

Patient gibt an, dass das am 26. X. vorhandene Ulcus sehr schnell 
zugeheilt, vor ca. 14 Tagen aber wieder aufgebrochen sei. 

Status: Im Bereiche des damals konstatierten Ulcus ein etwa 
zehnpfennigstückgrosser Substanzverlust. Derselbe ist polycyklisch be¬ 
grenzt und reicht proximalwärts bis an den Rand der vom ersten Ulcus 
herrührenden Narbe heran. Mässige Induration. Spirochäten +. 
Inguinaldrüsen wie am 26. X. Kein Exanthem oder sonstige Lues¬ 
symptome. Wassermann 

16. XII. Neosalvarsan 0,6. Kein Fieber, jedoch viermal Durchfall. 
Lokal: Calomel. 

20. XII. Neosalvarsan 0,75. Kein Fieber, jedoch wieder Durchfall. 

27. XII. Neosalvarsan 0,75. Keinerlei Reaktion. Wassermann 
negativ. 

31. XII. Ulcus bis auf ca. */a verkleinert. Inguinaldrüsen beider¬ 
seits zwar weniger, aber immer noch ziemlich erheblich geschwollen. 
Effugit. 

Der Fall zeigt zunächst, wie langsam unter der Neo¬ 
salvarsan behandlung die Ueberbäutung des am 29. VI. und 
14. XII. jeweils bestehenden Ulcus von statten geht. Auch die 
Rückbildung der Drüsen lässt zu wünschen übrig. Er 
zeigt ferner (cf. dritte Aufnahme), dass trotz Persi stiere ns 
einer noch ziemlich erheblichen Leistendrüsenschwellung 
eine komplett positive Wasserman-Reaktion in die negative 
Phase umschlägt, und zwar in der recht kurzen Zeit von 
14 Tagen. 

Von besonderem Interesse aber ist der ganze klinische 
Verlauf des Falles. Im Juni 1912 typischer Primäraffekt. Ende 
Oktotober desselben Jahres: Primäraffekt vom Juni mit weicher 
Narbe abgeheilt; in unmittelbarer Nachbarschaft derselben, aber 
nicht mit ihr zusammenhängend ein Ulcus, das klinisch durchaus 
den Eindruck eines neuen Primäraffektes macht. Mitte Dezember 
desselben Jahres: Erneute Ulceration im Bereich des im Oktober 
konstatierten, inzwischen zur Abheilung gelangten Ulcus, und zwar 
von grösserem Umfange wie ehedem. 

Es ist natürlich hier nicht der Ort, in eine Diskussion der 
Frage einzutreten, ob im vorliegenden Falle eine zweimalige In¬ 
fektion stattgefunden hat, oder ob die bei der zweiten und dritten 


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81. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


68? 


Aufnahme zu konstatierenden spezifischen Ulcerationen als Recidive 
der im Juni fesfgestellten Lues gedeutet werden müssen. Ich 
glaube, dass die letztere Auffassung zu Recht besteht, und wir 
hätten somit das gewiss recht seltene Ereignis zu verzeichnen, 
dass hintereinander im Verlaufe etwa eines halben Jahres 
Primäraffekt, Pseudoprimäraffekt in der unmittel¬ 
baren Nachbarschaft des ersteren und schliesslich Re- 
induration oder, vielleicht besser gesagt, Reerosion des 
Pseudoprimäraffektes zur Entwicklung und Beobachtung 
gelangten. 

Fall 2. (Mit Altsalvarsan behandelt + Hg*Inunktionen.) 

Status am 30. X. 1912: 25jähriger Mann in mittlerem Ernährungs¬ 
zustand, von blasser Gesichtsfarbe. Drei Primäraffekte am inneren Prä- 
putialblatt bzw. im Sulous coronarius; der in der Mittellinie gelegene 
auf die Glans penis übergreifend. Starke Schwellung der Inguinal- und 
Cruraldrüsen, mässige Schwellung einer Reihe von Cervicaldrüsen. Uni¬ 
verselles, dichtstehendes, vorwiegend klein-maculöses Exanthem. Wasser¬ 
mann -j"K Lumbalpunktat ohne Besonderheiten. Bisher keine Be¬ 
handlung. 

81. X. Altsalvarsan 0,15. Keinerlei Reaktion. Lokal: Calomel. 

2. XI. Altsalvarsan 0,3. Keinerlei Reaktion. 

8. XI, Altsalvarsan 0,5. Keinerlei Reaktion. Exanthem völlig ge¬ 
schwunden. Ulcera dura zwar überhäutet, doch fällt auf, dass die In¬ 
duration im Bereiche derselben entschieden stärker geworden ist. 
Inguinaldrüsen nur wenig beeinflusst. 

14. XI. Altsalvarsan 0,5. Reaktionslos vertragen. 

16. XI. Heute wird erstmalig bemerkt, dass am Abdomen eine 
Reihe kleiner, hellroter, papulöser Effloreszenzen vorhanden sind. Ausser¬ 
dem fühlt sich das ganze innere Präputialblatt, nachdem es reponiert 
ist, hart und derb an. 

18. XI. Papulöse Effloreszenzen viel zahlreicher; dieselben sind 
auch auf der Brust, am Rücken und vereinzelt am Halse und an den 
Extremitäten wahrzunehmen. 

21. XI. Der ganze Stamm mit Papeln, jetzt zum Teil von braun¬ 
roter Farbe, übersät. Auch an den Extremitäten sind dieselben viel 
zahlreicher geworden. Die Induration des inneren Präputialblattes noch 
verstärkt, an einzelnen Stellen desselben kleine, oberflächliche Erosionen. 
Wassermann noch -\— 

Altsalvarsan 0,5. Reaktionsloser Verlauf. 

Trotz dessen breitet sich das Exanthem in den nächsten Tagen 
noch weiter aus. Daher Unterbrechung der Salvarsankur und der Hg- 
Inunktionen. Statt dessen Hg-Injektionen und Jodkali in steigenden 
Dosen. Pat. erhält in der Zeit vom 28. XI. bis 26. XII. 10 Toxynon- 
injektionen ä 0,05 g intramuskulär und 154 g Jodkali. Unter dieser 
Therapie ganz allmähliche Rückbildung der Erscheinungen. 

27. XII. Altsalvarsan 0,5. Reaktionslos vertragen. 

28. XII. Entlassungsbefund: Exanthem mit ziemlich beträchtlicher 
Pigmentierung abgebeilt; Infiltration im Bereich der früheren Papeln 
nicht mehr zu fühlen. Inneres Präputialblatt immer noch ziemlich in- 
duriert. Inguinal- und Cruraldrüsen noch deutlich, wenn auch mäs^ig 
geschwollen. Wassermann fast negativ. 

Der Fall zeigt zunächst, dass auch bei Verwendung von 
Altsalvarsan die Rückbildung mancher Symptome zu 
wünschen übrig lassen kann. Zwar heilt das vorhandene 
Exanthem rasch ab und die Ulcera dura scbliessen sich 
schnell, aber die Schwellung der Drüsen erscheint nach 
neuntägiger Behandlung noch kaum merklich beein¬ 
flusst; ja, nach etwa achtwöchiger, und zwar kombinierter 
Behandlung mit Salvarsan, Hg und Jod besteht noch eine 
deutliche Vergrösserung der Drüsen, während die Wasser- 
mann’sche Reaktion trotz Persistierens dieses Symptoms 
fast negativ geworden ist. 

Aber davon abgesehen liegt das Hauptinteresse des Falles 
darin, dass mitten in der Salvarsanbehandlung die bereits 
überbäuteten Schanker in stärkerem Grade sich indurieren, 
allmählich das ganze innere Präputialblatt in diese Induration 
mit bineinbezogen wird und ein sehr ausgedehntes Haut- 
recidiv sich entwickelt. Und dieser Rückfall ist nicht macu- 
löser, sondern papulöser Natur, repräsentiert also eine 
schwerere Form des syphilitischen Exanthems, wie das zu An¬ 
fang der Kur beobachtete. 

Recidive unter der Behandlung sind natürlich bekannt, so¬ 
wohl bei Hg Kuren, wie auch gelegentlich bei Verwendung des 
Salvarsans. Bei letzterem batte ich selbst allerdings bis dahin 
noch keines erlebt. Aber Ehrlich 1 ) selbst teilt z. B. einen Fall 
mit, in dem bei einem Patienten mit Primäraffekt etwa 13 Tage 
nach einer Salvarsaninjektion ein maculöses Exanthem des 
Stammes in Erscheinung trat. Solche Rückfälle sind aber ge¬ 
wöhnlich mehr lokaler Natur, und es dürfte wohl ein Recidiv 


1) Ehrlich, Abhandlungen über Salvarsan. München 1912. Bd. 2, 
S. 586. 


von solcher Ausdehnung wie das eben beschriebene als ein extrem 
seltenes Ereignis anzusehen sein. 

Die Ursache dafür kann füglich nur darin gesucht werden, 
dass der hier angesiedelte Spirochätenstamm sehr bald 
salvarsanfest wurde. Primär war er das sicher nicht, wie 
die rasche Abheilung des bei Beginn der Behandlung bestehenden 
Exanthems beweist. Die Schnelligkeit aber nun, mit der das 
Recidiv sich einstellte, und vor allem die fast explosionsartig er¬ 
folgende weitere Ausbreitung desselben hach erneuter Salvarsan- 
zufuhr lassen den Gedanken aufkommen, dass nicht nur eine 
Gewöhnung der Spirochäten stattgefunden hatte, sondern dass 
vielleicht das Salvarsan hier sogar eine die Entwicklung und 
Vermehrung der Spirochäten fördernde Wirkung ausgeübt hat. 

Ich komme nunmehr zu dem letzten, hier zu erörternden 
Punkte, nämlich zu der Besprechung der Frage nach der Be¬ 
einflussung der Wassermann’schen Reaktion durch die 
beiden Mittel. Unsere diesbezüglichen Resultate sind in den 
beiden nachstehenden Tabelleo zusammengestellt, zu deren Er¬ 
läuterung ich folgendes' bemerken möchte. 


Tabelle 1. (Altsalvarsan fälle.) 


ft* 

© 

B 

a 

£ 

Stadium 

der Lues 

Zahl der 
Injektionen 

Gesamtdosis 

Zeitdauer vom 
Beginn d. Be¬ 
handlung bis 
zur letzten 
Blutentnahme 

Wassermann- 

Reaktion 

l 

Lues I. 

3 

1,2 

14 Tage 

++ 



2 

n 

3 

1,8 

16 


++ 



3 

„ 

4 

1,7 

1 22 


++ 



4 

' 99 

5 

2,4 

21 


++ 



5 


5 

2,2 

23 



+ 


6 


5 

2,2 

35 




— 

7 


5 

2,3 

35 




:— 

8 


5 

1,75 

25 




— 

9 


6 

2,6 

1 31 




— 

10 

„ 

7 

3,0 

37 

» 



— 

11 

Lues II. recid. 

5 

2,3 

26 


++ 



12 

. 99 

5 

2,4 

27 


+4- 



13 


5 

2,1 

1 26 


■4~+ 



14 


5 

2,2 

35 



+ 


15 

yy 

6 

2,9 

32 


++ 



16 

n 

6 

2,4 

32 


++ 



17 

ft 

6 

2,5 

33 




— 

18 


7 

2,9 

37 


++ 



19 

99 

7 

3,1 

37 


++ 



20 

rt 

7 

3,0 

87 



+ 


21 

99 

8 

3,3 

42 

99 

++ 



22 

99 

8 

3,45 

44 

99 


+ 


23 

99 

8 

4,1 

45 

99 


+ 


24 

99 

8 

3,3 

43 

V 



— 

25 

Lues latens 

5 

2,3 

26 

99 

++ 



26 

19 

5 

2,7 

26 

99 

++ 



27 

99 

7 

3,1 

40 

99 

++ 



28 

Lues maligna 

8 

3,6 

44 


++ 



29 

Tabes dors. 

6 

| 2,5 

31 

* 

++ 




Die beiden Tabellen enthalten ohne Ausnahme aRe diejenigen 
Fälle, welche bei positiver Wassermann-Reaktion zu Begiun der 
Behandlung 6 Injektionen und mehr nach unserem Behandlungs¬ 
plan erhielten. Von den Fällen hingegen, die weniger als 6 mal 
injiziert wurden, sind nur die Primäraffekte mit positivem Wasser¬ 
mann, und zwar sämtlich, notiert. Alle anderen, mit weniger als 
6 Injektionen behandelten Patienten hatten auch beim Abschluss 
der Kur noch eine positive Serumreaktion und sind deshalb fort¬ 
gelassen. Das in der letzten Rubrik verzeiebnete Resultat der 
Blutuntersuchung datiert in allen Fällen vom Tage der letzten 
Injektion einer Kur. Diese bzw. die mittels derselben einveTleibte 
Salvarsandosis konnte natürlich auf den Ausfall der Schlussreak¬ 
tion keinen Einfluss mehr ausüben und ist deshalb überall bei 
der Angabe der Zahl der Infusionen in Abzug gebracht, ebenso 
die letztinjizierte Salvarsanmenge bei der Angabe der Gesamt¬ 
dosis. Bei den Fällen, die noch über die Zeit des Eintritts der 
negativen Phase hinaus behandelt sind, ist nur die für die Er¬ 
zielung des negativen Umschlages erforderlich gewesene Zahl der 
Infusionen und Gesamtdosis des Salvarsans angegeben. 

Aus den Tabellen gebt zunächst hervor, dass, soweit nicht 
primäre Syphilis vorliegt, nur ganz wenigeFälle am Ende einer 
etwa 4- bis höchstens 7*wöchentlichen, durch Hg-Inunk* 

4* 


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668 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 13. 


Tabelle 2. (Neosalvars an fälle.) 


Nummer | 

Stadium 

der Lues 

p 

Ut © 

© p 

*0 o 

•sä 

Gesamtdosis 
(mit 8 / a zu 
multi¬ 
plizieren) 

Zeitdauer vom 
Beginn d.Be- 
handlung bis 
zur letzten 
Blutentnahme 

Wassermann- 

Reaktion 

1 

Lues I. 

2 

0,8 

i 9 Tage 



_ 

2 


3 

0,9 

14 

jj 

++ 



3 

» 

3 

1,7 

21 



+ 


4 


4 

1,6 

15 

n 

++ 



5 


4 

1,6 

23 

» 



— 

6 

» 

4 

2,0 

21 

n 



— 

7 


5 

2,3 

25 

n 



— 

8 

» 

5 

2,3 

26 

n 



— 

9 

LuesII.recens. 

7 

3,1 

38 

n 

++ 



10 


7 

2,7 

41 





11 

«* 

7 

2,7 

41 



+ 


12 


8 

4,1 

49 


++ 



13 

Lues II. recid. 

5 

2,3 

35 

» 

++ 



14 


5 

2,1 

30 

» 

++ 



15 


5 

2,3 

38 




— 

16 


7 

3,1 

37 


++ 



17 


8 

3,6 

40 


++ 



18 


8 

3,6 

43 



+ 


19 

fi 

8 

4,0 

43 

jj 


+ 


20 

» 

8 

3,9 

49 




— 

21 

Lues latens 

5 

2,2 

34 

» 


+ 


22 


6 

2,2 

34 




— 

23 

* 

7 

3,3 

38 

V 

++ 



24 


7 

3,3 

37 

Ji 


+ 


25 


8 

3,9 

41 

» 

++ 



26 


8 

3,6 

51 


++ 



27 


8 

3,5 

43 


++ 



28 

Lues congenita 

7 

2,9 

43 

» 

++ 




tarda 








29 

Lues cerebri 

7 

3,7 

43 

» 

++ 



30 

Tabes dors. 

5 

2,2 

30 

» 

++ 



31 

n 

7 

3,1 

36 


++ 



32 

Paralysis 

8 

3,7 

39 

jj 

++ 




juvenilis? 









tionen unterstützten Salvarsankur einen negativen Wasser¬ 
mann aufweisen, ganz gleichgültig, ob Alt- oder Neo- 
salvarsan injiziert wurde. Weiterhin ist ersichtlich, dass nach 
dieser Richtung in die Augen fallende Differenzen zwischen 
den beiden Mitteln nicht existieren. Das gilt sowohl für die 
Betrachtung der Gesamtheit der Fälle,’ wie auch der einzelnen 
Gruppen. Wenn ich z. B. die Fälle von Lues II und Lues latens 
auf jeder Seite znsammenfasse und nun konstatieren kann, dass 
unter 17 solchen Altsalvarsanpatienten 2 eine negative, 4 eine 
schwach positive und 11 eine komplett positive Serumreaktion 
beim Abschluss der Behandlung haben, bei 19 Neosalvarsanfällen 
aber die entsprechenden Zahlen 8, 5 und 11 sind, so muss das 
doch als ein einigermaassen übereinstimmendes Resultat ange¬ 
sprochen werden. Dieses Ergebnis erleidet auch keine Ver¬ 
änderung, wenn wir die allerdings nur wenigen Fälle mitver- 
werten, welche mehr oder weniger lange Zeit nach Abschluss der 
Kur serologisch nachkontrolliert werden konnten. Es reagierten 
gelegentlich dieser Nachuntersuchung nämlich von 15 Altsalvarsan¬ 
patienten 6 noch positiv, die übrigen 9 waren Wassermann-negativ 
geworden, und unter 13 Neosalvarsanfällen war die Reaktion 
5 mal noch positiv, 1 mal zweifelhaft und 7 mal negativ. Be¬ 
achtet man nun ausserdem noch, dass auch das Material in 
beiden Serien von Fällen ein wenigstens annähernd äqui¬ 
valentes ist, so könnte man geneigt sein, den Schluss zu ziehen, 
dass Alt- und Neosalvarsan ungefähr in gleicher Weise die Wasser- 
mann'sche Reaktion beeinflussen. Es wäre indes ein solcher 
Schluss vielleicht doch etwas voreilig zu nennen, da nicht über¬ 
sehen werden darf, dass in unserer Statistik die Zahl der mit 
7 und mehr Injektionen, also mit den grössten Dosen 
behandelten Patienten in der Neosalvarsanreihe die¬ 
jenige der ebenso oft injizierten Altsalvarsanfälle nicht 
unerheblich übertrifft. Man müsste also, gleiche Wirksamkeit 
beider Präparate vorausgesetzt, unter den Neosalvarsanfällen einen 
höheren Prozentsatz negativer Reaktionen als bei den Altsalvarsan¬ 
patienten erwarten. Das ist aber tatsächlich nicht der Fall, 
sondern auf beiden Seiten herrschen, wie gezeigt, in dieser Be¬ 


ziehung annähernd die gleichen Verhältnisse, fic wfirde demnach 
dieses Moment, wenn auch vielleicht nicht in erheblichem Maasee, 
zu uogunsten des Neosalvarsans sprechen und dahin zu verwerten 
sein, dass das letztere an Kraft der Einwirkung auf die positive 
Wassermann’scbe Reaktion dem Altsalvarsan vielleicht doch etwas 
nachstehen dürfte. 

In der Literatur findet man fast durchweg, so unter anderen 
von Gennerich 1 ), Heuck 2 ), Jordan 2 ), in mehr oder minder 
bestimmter Form die Anschauung vertreten, dass das Neosalvarsan 
die Wassermann-Reaktion schlechter beeinflusse wie das Alt¬ 
salvarsan. Sehr vorsichtig ist Wechselmann 4 ) in seinem Urteil. 
Er stellt zwar die Tatsache fest, dass auffallend oft, auch bei 
Verwendung sehr hoher Neosal varsandosen, die Wasser man n’sche 
Reaktion bei sekundärer Syphilis unbeeinflusst blieb, weist aber 
gleichzeitig auf die Schwierigkeit hin, „die therapeutische Wirkung 
bei einer so proteusartig verlaufenden Krankheit, wie sie die 
Syphilis darstellt, sicher zu beurteilen“. 

Das mir vorliegende Vergleichsmaterial gestattet 
nach den obigen Darlegungen keine bestimmte Stellung¬ 
nahme in der Frage der Beeinflussung der Wasser¬ 
mann-Reaktion durch die beiden Präparate, vor allem 
deshalb nicht, weil die Zahl der Fälle, bei denen die Parallel¬ 
versuche durchgeführt werden konnten, eine viel zu geringe ist. 
Weitere Versuche sind dringend notwendig. Die hier zur Dis¬ 
kussion stehende Frage kann nur an einem sehr grossen Material 
gelöst werden, wie es uns nicht zur Verfügung steht. Uud zwar 
müssen meines Erachtens Parallel versuche mit beiden Mitteln 
unter möglichst gleichen Bedingungen angestellt werden. Es 
sollten also möglichst die gleichen Einzeldosen und möglichst die 
gleiche Gesamtdosis während einer Kur verabfolgt werden, und 
die Dauer der letzteren müsste sich wenigstens annähernd über 
denselben Zeitraum erstrecken. Zweckmässig dürfte es auch sein, 
diesen Versuchen ein wenigstens ungefähr gleichmässiges Material 
zugrunde zu legen. Nur bei solchem Vorgehen dürfte volle Klar¬ 
heit darüber zu gewinnen sein, ob dem Alt- oder Neosalvarsan 
die grössere therapeutische Kraft innewobnt. 

Für unser therapeutisches Handeln dürften sich aus den 
bei diesen Parallel versuchen gewonnenen Erfahrungen vielleicht 
folgende Gesichtspunkte ergeben: ln Anbetracht der auffallend 
höheren Zahl fieberhafter Reaktionen nach wässerigen Alt- und 
Neosalvarsaninjektionen gegenüber solchen, die mit NaCl-Lösung 
ausgeführt wurden, verwende man sowohl beim Alt- wie beim 
Neosalvarsan prinzipiell nur Kochsalzlösungen zur Infusion. 

Im Hinblick auf die geringeren Nebenwirkungen des Neo¬ 
salvarsans dürfte es sich empfehlen, bei Fällen mit sehr ausge¬ 
breiteten Erscheinungen und vor allem dann, wenn der syphi¬ 
litische Prozess in lebenswichtigen Organen, z. B. im Nervensystem 
lokalisiert ist, die Kur mit Neosalvarsan durchzuführen oder zum 
mindesten zu beginnen, und zwar mit allerkleinsten Dosen von 
0,15—0,3. 

Um dem Auftreten sog. anaphylaktoider Erscheinungen, die 
fast ausnahmslos an das Altsalvarsan gebunden sind und sich 
meist erst bei späteren Infusionen Beinstellen, möglichst vorzu- 
beugen, dürfte es vielleicht angebracht sein, in allen Fällen 
während einer Kur beide Präparate kombiniert anzuwenden. Man 
könnte entweder mit einigen (3—4) Altsalvarsaninjektionen be¬ 
ginnen und die Kur alsdann mit einigen Neosalvarsaninjektionen 
bescbHessen oder auch den umgekehrten Weg einschlagen, oder 
man könnte eventuell auch alternierend beide Präparate injizieren. 
Sollten trotz dessen derartige Symptome gelegentlich einer Alt- 
salvarsaninjektion in Erscheinung treten, so wird man zweck¬ 
mässigerweise, den Empfehlungen Gennerich’s 5 ) und Wechsel- 
mann’s 6 ) folgend, die Kur mit Neosalvarsaninjektionen fortsetzen. 

Die Ruhepausen zwischen den einzelnen Infusionen wähle 
man noch etwas grösser als in unserem Behandlungsplan. Mao 
injiziere vielleicht anstatt an jedem 6. jeden 7. oder 8. Tag. In 
der Einzeldosis gehe man nicht über 0,5 Altsalvarsan = 0,76 Neo¬ 
salvarsan hinaus. 


1) 1. c. 

2) 1. c. 

3) Dermatolog. Zeitschr., 1912, Nr. 11. 

4) l. o. 

5) 1. c. 

6) 1. c. 


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31. Min 1013. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


589 


Tatsachen über die Reduktionsorte und Sauer¬ 
stofforte des tierischen Gewebes. 1 ) 

Von 

P. G. Unna. 

M. H.! Als der Vorstand Ihrer Gesellschaft mir die ehren¬ 
volle Aufforderung zuteil werden Hess, Ihnen über die Sauers toff- 
orte des tierischen Gewebes einen Vortrag zu halten, war es 
mir von vornherein klar, dass ich mich lediglich auf die Vorführung 
von Tatsachen beschränken, diese aber so exakt wie möglich vor¬ 
führen müsse. Denn eigentlich gehört zu diesem Thema in weitester 
Auffassung auch die Lehre von den Oxydationsfermenten der Ge¬ 
webe, und Sie wissen alle, dass diese Lehre ausser einer fast unüber¬ 
sehbaren Reihe von Tatsachen auch eiue Anzahl sich wider¬ 
sprechender Theorien umfasst. Bin kurzer Blick auf die Geschichte 
dieser Theorien wird Ihnen aber zeigen, dass diese ganze Lehre für 
unser heutiges Thema ohne Belang ist und ohne Nachteil über¬ 
gangen werden kann. 

Anfangs war man allerdings geneigt, anzunehmen, dass alle 
Oxydationen im tierischen Körper durch Oxydationsfermente be¬ 
wirkt würden, und in diesen Fermentwirkungen würde dann auch 
eine hauptsächliche Quelle der Energieentfaltung des tierischen 
Körpers zu sehen sein. Dieser alten von Schönbein und Moritz 
Traube gehegten Anschauung schlossen sich später Jacquet 
und der um die Oxydationsfermente so verdiente Bertrand an. 
Dieselbe sieht in der Heranziehung von Fermenten, die ja auch 
sonst gewisse schwierige Oxydationen spielend bewerkstelligen, 
die einzige Möglichkeit, die bei der Atmung der tierischen Gewebe 
stattfindende energische Oxydation zu erklären. Offenbar nimmt 
diese Erklärung nur Rücksicht auf die Qualität der hier vor¬ 
handenen Schwierigkeit. 

Als man aber daran ging, die hierbei in Betracht kommenden 
Energiebeträge messend zu verfolgen, ergab sich alsbald (Portier, 
En gl er), dass die oxydierenden Fermente viel zu schwache 
Wirkungen ausüben, um die Verbrennnng von Eiweiss, Kohlen¬ 
hydraten und selbst von Fetten zu bewirken, die der tierische 
Organismus mit Leichtigkeit vollführt. Da die vorhandeneSchwierig- 
keit also quantitativ durch die Herbeiziehung der Oxydations¬ 
fermente gar nicht beseitigt wurde, nahmen mehrere Forscher an, 
dass die tierischen Gewebe erst durch andere Fermente aufgespalten 
werden, und dass die entstehenden Spaltungsprodukte dann leichter 
durch Oxydationsfermente oxydiert würden, so Gautier und 
Friedenthal und für die Pflanzen neuerdings Palladin. Bis 
jetzt fehlt aber noch eine Abfaugung solcher Zwischenprodukte 
bei der tierischen Atmung und der experimentelle Beweis, dass 
diese sich leicht durch die bereits nachgewiesenen Oxydations¬ 
fermente bis zu C0 2 und Harnstoff oxydieren lassen. 

Unter diesen Umständen muss wohl ein jeder, der sich mit 
dem Thema des Sauerstoffwechsels, der Atmung de9 tierischen 
Gewebes beschäftigt, zu einer Auffassung gelangen, der zuerst 
Batelli und Stern einen einfachen Ausdruck gegeben haben, 
indem sie Vorschlägen, zwischen einer Hauptatmung und einer 
accessorischen Atmung zu unterscheiden. Nur die letztere 
kann von Fermenten bewirkt werden. Diese lassen sich von dem 
tierischen Gewebe trennen und zeigen isoliert die bekannten all¬ 
gemeinen Eigenschaften der Fermente. Sie bewirken hier und 
da im tierischen Körper echte Oxydasewirkungen, die nach Portier 
und Batelli zunächst Schutzwirkungen gegen bestimmte Schädlich¬ 
keiten sind; so die Tyrosinase, die Alkoholase und Urikase und 
das Ghromogen der Pflanzen. Sie sind aber in spezifischer Weise 
nur auf bestimmte Körper oder Körpergruppen eingestellt und 
allein schon deshalb nicht für die in allen Zellen gleichmässig 
vor sich gehende Atmung verantwortlich zu machen. 

Diese, die Hauptatmung, dagegen ist an die Zelle und 
zwar an jede Zelle gebunden. Ihr Substrat ist noch nicht so gut 
studiert wie das der accessorischen Atmung. Aber so viel ist sicher, 
wir können es nicht von der Zelle trennen, wir müssen es in den 
Zellen selbst aufsuchen und betreten damit ein neues, aber sehr 
aussichtsreiches Gebiet. Ehe wir dasselbe jedoch betreten, ist es 
notwendig, dass wir uns von allen Ideen frei machen, welche sich 
an vereinzelte Befunde von Fermentorten in bestimmten Organen 
knüpften zu einer Zeit, als man noch eine willkommene Erklärungs- 
möglichkeit der tierischen Oxydation in echten Oxydationsfermenten 
fand. Unser Weg muss uns vielmehr in jede Zelle hineinführen; 


täte er das nicht, so wäre es vergebens, auf ihm eine Aufklärung 
über da9 Wesen der wirklichen Zellatmung, der Hauptatmung, der 
Verbrennung von Zellsubstanz zu C0 2 und Harnstoff zu gewinnen. 

Hieraus ergibt sich von selbst, dass der Träger der Haupt¬ 
atmung nur im Spongioplasma des Zellleibes gesucht werden kann 
(im Kern: im Plastin), d. h. nur in der allen Zellen in gleicher 
Weise zukommenden Grundsubstanz. Es ist von vornherein aus¬ 
geschlossen, dass die wechselnden Einschlüsse im Spongioplasma, 
das Granoplasma und die verschiedenen Granula und Zellbegleiter, 
wie Fett, Pigment usw., Träger der Hauptatmung sein können. 

Ehe wir jedoch das Spongioplasma genauer auf sein Verhältnis 
zum Sauerstoff untersuchen, bedarf es noch einer kurzen Erörterung, 
in welcher Weise die Resultate einer solchen Untersuchung zur Dar¬ 
stellung gebracht werden müssen. Jede gewöhnliche histologische 
Untersuchung und Darstellung lässt an zwei Stellen der persönlichen 
Willkür des Forschers Raum, bei der Färbung der Schnitte und 
bei ihrer bildlichen Wiedergabe. Beides muss vermieden werden, 
ln der nun folgenden Demonstration ist beides vermieden. Die 
betreffenden Schnitte werden nicht in gewöhnlicher Weise gefärbt; 
sie färben sich selbst — automatisch — in nicht oder anders 
gefärbten Flüssigkeiten, indem sie diese erst speichern und dann 
durch Hinzufügung oder Entziehung von Sauerstoff den beweisenden 
Farbenumschlag herbeiführen. Sodann schreibt sich die Natur 
zum zweiten Male — automatisch — auf bei der Herstellung der 
vorzuführenden Diapositive, indem diese nach der Methode Lumiere’s 
ohne unser Zutun gleich in den beweisenden Farbenkontrasten 
erscheinen. Mit diesen Hilfsmitteln ausgerüstet gehen wir an die 
Untersuchung und Darstellung der Sauerstoffverteilung im Gewebe 
heran und beginnen mit der Grundlage jeder Zelle, dem Spongio¬ 
plasma des Zellleibes (und dem Plastin der Kerne). 

Wir wissen nun bereits, dass diese Grundsubstanzen (Spongio¬ 
plasma, Plastin) reducierende Körper sind. Ob in ihrer Sauer¬ 
stoffbegierde schon der letzte Grund jeder Zellatmung gegeben 
ist, das kanu natürlich nur die übrigens nicht schwierige Rein¬ 
darstellung und chemische Prüfung des Spongioplasmas ergeben. 
Zunächst haben wir eingehender, als das bisher üblich war, die 
reducierenden Bestandteile der Zelle einzeln zu untersuchen. Hier¬ 
zu eignet sich in vorzüglicher Weise die Oberhaut der Fusssohle, 
und da das Reduktionsvermögen der Gewebe durch Einlegen in 
Alkohol, Aether und Celloidin nicht vernichtet oder verringert 
wird, so können wir dazu sehr wohl Alkohol-Celloidin Schnitte 
der Fusssohle benutzen. In einer roten Lösung von Kaliperman¬ 
ganat färben sich alle Reduktionsorte der Haut dadurch braun, 
dass sie erst das übermangansaure Kali reducieren und dann das 
entstehende Mangansuperoxyd aufnehmen [Demonstration 1 )]. Io 
einer Mischung von Eisenchlorid und rotem Blutlaugensalz redu¬ 
cieren sie letzteres zu gelbem Blutlaugensalz, welches sich mit 
dem Eisenchlorid an den Reduktionsorten zu Berlinerblau ver¬ 
bindet (Demonstration). In der gelben Lösung von Tetranitrochry- 
sophansäure in Chloroform entsteht an den Reduktionsorten eine 
rote Färbung, wie sie dem Reduktionsprodukt der Tetranitrochry- 
sophansäure zukommt. 

Fassen wir die grossen Epithelien der Stachelschicht ins 
Auge, so bemerken wir an dem Manganbild, dass ihre dunkel¬ 
braune Farbe zwei scharfe Abgrenzungen zeigt, einmal gegenüber 
der nur schwach gelblich gefärbten Cutis, sodann gegenüber sämt¬ 
lichen ebenso schwach gefärbten Kernen der Stachelzellen. Diese 
beiden Teile, das Kollagen und die Kerne, haben nur ein äusserst 
geringes Reduktionsvermögen. Während das Kollagen sich aber 
nur sauerstoffgesättigt und indifferent erweist, werden wir alsbald 
sehen, dass die Kerne bei Anwesenheit von Luft deren Sauerstoff 
zu aktivieren vermögen. Uebrigens nimmt die kernreiche Keim¬ 
schicht des Epithels, die wie ein heller Saum die Stachelschicht 
umgibt, an der schwachen Reduktionskraft der Kerne teil. Auf 
der anderen Seite erweist sich die Hornschicht noch sauerstoff¬ 
ärmer als die Stachelschicht; sie färbt sich mit Kalipermanganat 
am tiefsten dunkelbraun. Ganz analoge Beobachtungen machen 
wir am Eisen-Cyan-Bild. Auch hier machen die Kerne den Ein¬ 
druck heller Lücken und die Keimschicht umgibt die dunkelblaue 
Stacbelschicht als hellblauer Saum. 

Wir wollen nun sehen, welche Bestandteile der Oberbaut 
dieses Reduktionsbild hervorrufen. Hierzu müssen wir uns erst 
das normale Bild der Oberhaut vergegenwärtigen. Ein Parallel- 
scbnitt von derselben Fusssohle, mit polychromer Methylenblau¬ 
lösung gefärbt, zeigt dieses Ihnen allen wohlbekannte Bild, welches 


1) Vortrag, gehalten in der Berliner physiologischen Gesellschaft am 
24. Januar 1913. 


1) Demonstration 
Diapositivs. 


bedeutet Vorführung eines betreffenden Lumiere- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18. 


auf der Färbung aller basophilen, sauren Teile des Schnittes mit 
einer basischen Farbe beruht (Demonstration). Wir sehen die 
Kerne und Kerukörperchen dunkelblau gefärbt (basophiles Nuclein 
und basophiles Nucleolin), und auch das Protoplasma in grösserem 
oder geringerem Umfange hat blaue Farbe angenommen (baso¬ 
philes Protoplasma = Granoplasma). Wichtig ist auch, wie wir 
später sehen werden, dass die Hornschicht in raässigera Grade 
gebläut ist. Lassen wir nun einen solchen Schnitt 36 Stunden 
bei Zimmertemperatur in 5proz. Salzsäure liegen und färben ihn 
dann mit polychromer Methylenblaulösung, so hat sich das Bild 
sehr geändert (Demonstration). Wir sehen von der Stachelschicht 
des Deckepithels überhaupt nichts mehr. Die starke basische 
Falbflotte hat nach Einwirkung der Salzsäure in ihr nichts Färb¬ 
bares, d. h. keine sauren Bestandteile mehr vorgefunden; nur in 
der Hornschicht sind noch saure (basophile) Substanzen verblieben, 
und sie färbt sich demgemäss metiiylenblau. Hier haben wir 
also einen Schnitt, aus dem alle basophilen Komponenten der 
Stachelschicht (Granoplasma, basophiles Nuclein und basophiles 
Nucleolin) entfernt sind und können demgemäss die Frage ent¬ 
scheiden, ob die basophilen Komponenten der Zelle an dem Reduk- 
tionsbilde beteiligt sind oder nicht. 

Das nächste Bild gibt eine klare Antwort darauf (Demonstra¬ 
tion). Hier ist ein auch mit 5°/ 0 HCl vorbehandelter Parallelschnitt 
mit Kalipermanganat gefärbt, und Sie sehen, dass sich an diesem 
Bild durch die Vorbehandlung nichts geändert bat: dieselbe 
dunkelbraune Färbung der Stachelschicht (noch dunklere der 
Hornschicht), dieselben hellen Lücken an Stelle der Kerne, die¬ 
selbe schwache gelbliche Färbung der Keimschicht. Mit einem 
Wort: die basophilen (sauren) Zellsubstanzen erzeugen 
das Reduktionsbild nicht. 

Dann müssen es wohl die oxyphilen (basischen) Komponenten 
der Zelle sein, welche das Reduktionsbild hervorrufen. In der 
Tat, färben wir solch einen mit 6°/o HCl extrahierten Schnitt 
mit einer sauren Beizenfarbe, mit Hämatein Alaun, so sieht es 
aus, als wäre mit dem Schnitt nichts vorgenommen (Demonstra¬ 
tion). Wir erhalten das Ihnen bekannte Bild der gewöhnlichen 
Hämateinfärbung: die Kerne und Kernkörperchen stark gebläut, 
das Protoplasma schwächer, die Körnerschicht am stärksten ge 
färbt. Wir wissen also nun, dass die oxyphilen (basischen) Zell 
Substanzen, die das Hämateinbild hervorrufen, sich auch am 
Reduktionsbild beteiligen: die basischen, oxyphilen Teile 
der Zelle, des Kernes und Kernkörperchens reducieren. 

Die nächste, woblberechtigte Frage ist nun die, ob diese 
basischen, reducierenden Zellbestandteile eine nicht weiter teil 
bare Einheit bilden. Das wird sich sogleich zeigen, wenn wir 
dieselben weiter aufzuspalten suchen Wir brauchen auf dieselben 
Schnitte von der Fusssohle nur statt der öproz. HCl eine25proz. 
(concentrierte) HCl in gleicher Weise wirken zu lassen. Es ver¬ 
steht sich von selbst, dass dann keine Färbung mit Methylenblau 
mehr möglich ist; ich brauche das nicht zu demonstrieren. Aber 
jetzt versagt auch die Färbung mit Hämatein -f~ Alaun (Demonstra¬ 
tion). Die Stachelschicbt färbt sich nur noch ganz schwach und 
diffus blau, zum Zeichen, dass das nackte, durch 25proz. HCl 
blossgelegte Spongioplasma (und Plastin) ebenfalls basischer Natur 
ist; aber sie speichert das Hämatein + Alaun nicht mehr; daher 
die fehlende dunkle Färbung der Kerne, Kernkörperchen und der 
Körnerschicht. Nur die für gewöhnlich farblos bleibenden Ränder 
(Zellmembranen) der Stachelzellen färben sich etwas stärker, und 
diese sind — in verhorntem Zustande — auch in der Hornschicht 
etwas gefärbt. Die Hornzellen sind übrigens alle hohl geworden, 
was wir sehr wohl verstehen, da ihr aus Hornaibumosen und 
Keratin B bestehender Inhalt durch die concentrierte Salzsäure 
aufgelöst ist. 

Genau dieselbe schwache, diffuse Färbung wie mit der sanren 
Beizenfarbe: Hämatein-|- Alaun erhalten wir, wenn wir den Zell¬ 
rest (Spongioplasma -|- Plastin des Kerns) mit einer beliebigen 
einfachen sauren Farbe, z. B. mitSäurefuchsin färben (Demonstration). 

Wir haben jetzt die durch ihre tinktoriellen Eigenschaften gut 
gekennzeichnete letzte Zellgrundlage (Spongioplasma-f-Plastin) vor 
uns uud können die wichtige Frage entscheiden, ob diese ebenfalls 
reduziert oder nicht. Das nächste Bild (Demonstration) gibt die 
Entscheidung. Der mit 25proz. HCl extrahierte Schnitt reduziert 
Kalipermanganat in vollendeter Weise. Es erscheint wieder das¬ 
selbe braune Bild mit sehr dunkler Hornscbicht, dunkler Stachel¬ 
schicht, hellbtäunlicher Keimschicht und fast ungefärbten Kernen. 
In der Hornschicht erblicken wir das äusserst zierliche, braun 
gefärbte Hornnetz (Keratin A), in dessen Maschen vor der Be¬ 
handlung mit konzentrierter HCl der Hornzelleninhalt (Keratin B 


und Hornaibumosen) vorhanden waren. Derartige Lücken kommen 
aber in der Stachelschicbt nicht vor; die reduzierende Grundlage 
der Zelleiber ist zwar auch hier viel tiefer gebräunt als die 
schwächer reduzierende, gelbliche letzte Grundlage der Kerne 
(PJastin), aber diese widersteht ebenfalls der Behandlung mit 
konzentrierter HCl und wandelt sich nicht in leere Kernhöhlen um. 

Die zuletzt vorgeführten Bilder geben den unanfechtbaren 
Beweis, dass in der Zelle zwei gut unterscheidbare Gruppen 
reduzierender Substanzen vorhanden sind, die (in HCl) äusserst 
schwer lösliche, oxyphile Zellgrundlage (Spongioplasma 
und Plastin) und die weitaus löslicheren oxyphilen Sub¬ 
stanzen. Beide sind basisch und färben sich diffus mit allen 
sauren Farben. Der färberische Unterschied zwischen beiden ist 
aber der, dass die oxyphilen Substanzen die Beizenfarbe 
Hämatein -f- Alaun in spezifischer Weise speichern und dadurch 
allein bestimmte Zellbestandteile: oxyphiles Protoplasma, oxy- 
philes Nuclein und oxyphiles Nucleolin zur Anschauung bringen. 
Das Spongioplasma (und Plastin) färbt sich dagegen mit Hämatein 
-|- Alaun diffus, d. h. nicht anders als mit Hämatein allein und 
mit allen einfachen sauren Farben. 

Weiterhin folgt aus den Ihnen vorgeführten Bildern, dass, 
wenn wir ein beliebiges Gewebe mit Hämatein -f- Alaun färben, wir 
nur ein Bild der löslicheren oxyphilen, basischen Substanzen im 
Gewebe geben, also eine ganz einseitige Darstellung desselben, 
welche durch den Vergleich mit der Färbung der nicht reduzierenden, 
sauren, basophilen Substanzen mit basischen Farben — einer 
ebenfalls einseitigen Darstellung desselben Gewebes — ergänzt 
werden muss. Die äusserst monotone Färbung der Gewebe mit 
einfachen sauren Farben rührt davon her, dass mittelst dieser 
nur die allen Zellen gemeinsame, schwer lösliche, basische Grund¬ 
lage und sonst nichts gefärbt wird. Die schon viel mannigfaltigere 
Färbung mit Hamatein -f- Alaun gründet sich auf die isolierte 
Speicherung dieses Beizenfarbstoffes in den löslicheren oxyphilen 
Substanzen; aber erst die Färbung mit basischen Farben hat uns 
den Reichtum an wichtigen basophilen Bestandteilen des Gewebes 
kennen gelehrt (Mastzellenkörnung, Granoplasma, Plasmazellen, 
saure Kerne usw.). Genauer, als wir es bisher ahnten, analysieren 
wir bereits seit langer Zeit die Gewebe mit unseren verschiedenen 
Farbgruppen (saure Farben, Hämatein -f- Alaun, basische Farben), 
denn diese geben uns auch eine gute Vorstellung über die Ver¬ 
breitung der reduzierenden und nicht reduzierenden Substanzen. 

An die beiden reduzierenden Gruppen von Zellsubstanzen 
schliessen sich nun noch eine Reihe weit verbreiteter Reduktions¬ 
orte an, von denen ich Ihnen einige Bilder vorführen möchte. 
Da sind besonders die tief und schwer atmenden Muskeln und 
Nerven (Demonstration). Die Bilder stammen aus der Ratten¬ 
oberlippe, deren Tasthaare mit einem grossen Reichtum au 
Nerven und Muskeln ausgestattet sind. Die Muskelqnerscbnitte 
sind als Ganzes äusserst dunkel gefärbt; in den Nerven (Alkohol- 
Celloidin-Präparat) reduzieren vor allem die Achsencylinder. 

Unter den Intercellularsubstanzen reduziert in merklichem 
Grade.nur das Elastin, offenbar wegen meines allerdings nur geringen 
Tyrosingehaltes. Die feinsten Fasern kann man allerdings nicht 
durch Kalipermanganat deutlich machen. Aber die dickeren heben 
sich dabei in bräunlicher Farbe von dem gelben Kollagen ab 
(Demonstration). Das Kollagen reduziert sehr schwach, es um¬ 
scheidet alle epithelialen, stark reduzierenden und daher braunen 
Organe auf den Reduktionsbildern als eine vollkommen farblose 
oder hellgelbliche Substanz. Die Wichtigkeit dieser Tatsache 
leuchtet ein, da sie es ist, welche den ungehinderten Transport 
des aktiven Sauerstoffs von den Blntgefässen durch das Kollagen 
bis zu den epithelialen Organen garantiert. 

Noch weniger als das Kollagen reduziert der Knorpel. Auf 
dem Bilde, welches einen Schnitt durch eine Rattennase vorstellt, 
liegt der Knorpel als helles Gebilde inmitten der stark reduzierenden 
braunen Blutgefässe, Nerven und Muskeln (Demonstration 

Ein besonderes Interesse haben noch die roten Blutkörperchen, 
welche, solange sie ungeschädigt sind, starke Reduktionsorte 
darstellen. Sie sehen das an diesem gewöhnlichen Blutpräparat 
vom Menschen (Demonstration) und an diesem Schnitte mit blut¬ 
erfüllten Gefässen von derselben Rattennase, von der ich eben 
den gar nicht gefärbten Knorpel zeigte. In der Tat gehört ein 
sehr kräftig reduzierendes Stroma dazu, um den eingeschlossenen 
Sauerstoff aus der Lungenkapillare unversehrt in die Gewebs- 
kapillaren zu befördern. Das Stroma der roten Blutkörperchen 
schliesst den Sauerstoff so gut ab, wie das Ventil einer eisernen 
Sauerstoffbombe. 


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81. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Ueberblicken wir diese verschiedenen Redaktionsbilder des 
Gewebes, so gebt daraus mit Evidenz hervor, dass von einem 
gleich massigen Sauerstoffverbrauch der Gewebselemeute nicht die 
Rede sein kann. Auch wäre die Vorstellung völlig falsch, als 
bildeten nach dem Tode — alle vorgeführten Bilder sind toten 
Geweben entnommen — diese Elemente eine unterschiedslose, 
reduzierende Masse. Allein schon die Kerne und der Knorpel, 
dann auch das Kollagen sprechen dagegen, denn sie haben ein 
sehr geringes Sauerstoffbedürfnis. Unter diesen Ausnahmen be¬ 
anspruchen unser grösstes Interesse die Kerne. Jenes Bild von 
fast farblosen Kernlücken in der mit Kalipermanganat braun 
gefärbten Oberbaut war in der Tat so auffallend und so konstant 
dabei, dass es zu dem Versuche drängte, etwaigen freien Sauer¬ 
stoff im Kerne nachzuweisen. 

Dieses gelang auf ziemlich einfache Weise, ähnlich wie die 
Natur es bei den roten Blutkörperchen macht. Die Moleküle 
einer Leukofarbe, z. B. von Leukomethylenblau wurden umhüllt 
mit Molekülen eines stark reduzierenden Stoffes, z. B. Rongalit, 
und unter dem Schutz dieser reduzierenden Hülle dringt die 
Leukobase leicht in alle Gewebe ein, wo sie von den meisten 
sauren Elementen (Granoplasma, basophilem Chroraatin, basophilem 
Nucleolin) gespeichert wird. Nach einigen Minuten bat sich 
der Schnitt gesättigt und wird dann rasch und lebhaft im Wasser 
abgespült, sodass aller Ueberschuss von Leukobase und Rongalit 
entfernt wird. Nun erscheint der Schnitt völlig farblos und bleibt 
so, wenn wir ihn in eine reduzierende Umgebung bringen, z. B. 
mit einem Tropfen Pyrogallolwasser bedecken. Lassen wir ihn 
aber frei auf dem Objektträger liegen oder in gewöhnlichem, 
lufthaltigem Wasser schwimmen, so beginnt er sich partiell 
zu bläuen. 

Bringt man ihn dann feucht unter das Mikroskop, so erhält 
man z. B. von einem Schnitt durch die Fusssohle folgendes Bild, 
das ich in Gedanken mit dem Reduktionsbild der Fusssohle zu 
vergleichen bitte. 

Zunächst bläuen sich stets gleichzeitig in der Tiefe der 
Lederhaut die Knäueldrüsen und an ihrer Oberfläche die Papillen 
und zwar in beiden Teilen nur die Kerne. Ganz besonders stark 
bläuen sich die Spitzen der Papillen. Vom gesamten Deckepitbel 
bläuen sich sodann zunächst die Zellen der Keimschicht und in der 
Cutis die Gänge der Kräuseldrüsen, viel später bläuen sich die 
Kerne der gesamten Stachelschicht und in individuell verschiedener 
Weise der Leib der Stachelzeilen. Dagegen bleibt die saure 
Hornschicht, die auch sicher das basische Methylenblau aufnimrat, 
immer vollständig ungefärbt. 

Nach 10—15 Minuten ist das Bild der Sauerstoffnrte voll¬ 
ständig und bildet den reinsten Gegensatz zum Reduktionsbild: 
dort die Hornscbicht dunkelbraun, hier ungefärbt, dort die Kerne 
ungefärbt, hier gebläut, dort die Keimschicht heller als die übrige 
Stacbelscbicbt, hier mehr gebläut als diese. 

Natürlich sind die Substanzen, die wir schon als Träger der 
Reduktion kennen, die leichtlöslichen, oxyphilen Substanzen und 
das schwer lösliche Spongioplasma, nicht auch zugleich Tiäger 
des freien Sauerstoffs. Dieses ist vielmehr ein saurer Eiweiss¬ 
körper von Albumosencharakter, den ich Cytose genannt habe, 
da er sich in den meisten tierischen Zellen befindet, und den wir 
alsbald dort, wo er sich in grösserem Maassstabe anhäuft, in den 
Plasmazellen und Ganglien, näher betrachten wollen. 

Kerne und umgebendes Protoplasma der Epitbelien sind bei 
der Rongalitweissfärbung um so blauer, je grösser die mitotische 
Tätigkeit der Kerne ist. Also z. B. grösser in der Stachelschicht 
der Haarbälge als in der des Deckepithels und am allergrössten in 
der äasserst kernreichen Haarpapille und der Keimschicht des 
Haares. 

Es ist begreiflich, dass die Kerne, welche hier in höchster 
Teilungsarbeit sich befinden, soviel Sauerstoff in und um sich 
haben, aber es ist wichtig zu wissen, dass die Kerne auch dann 
noch freien Sauerstoff enthalten und abgeben können, wenn sie 
diese Funktion längst verloren haben und nur noch pyknotische 
Reste darstellen. So schrumpfeu in der Talgdrüse die Kerne 
der Talgdrüseuzellen sehr rasch bis auf kleine Reste und teilen 
sich gewiss nicht mehr; aber sie bläuen, wie Sie auf diesem Bilde 
sehen (Demonstration) trotzdem Rongalitweiss. Hier haben wir 
einen der vielen Beweise, dass die Sauerstoffabgabe des Kerns 
einerseits und seine mitotische Tätigkeit andererseits ganz von¬ 
einander getrennt werden müssen. Beide Funktionen haben im 
Kern nur eine Personalunion, und die erste unterstützt die zwbite. 
Beide werden aber difrehaus unabhängig voneinander ausgeführt. 

Nicht nur alle Gewebskerne sind Sauerstofforte ersten Ranges, 


sondern auch alle Kerne der weissen und roten Blutkörperchen. 
Das erste Bild zeigt die roten Blutkörperchen eines Huhns (Demon¬ 
stration), und man sieht, dass nur die Kerne — nicht der Zellleib 
— blau gefärbt sind. An diesem weist nur die Membran wieder 
eine leichte Bläuung auf, gleichsam eine Schutzhülle für den 
reducierenden Zellleib der Erythrocyten. 

Im folgenden Bilde sehen Sie im gonorrhoischen Eiter 
die Kerne der Leukocyten gebläut und zwar nur die Kerne und 
nicht die neutrophilen Granula. Andererseits besitzen die Gono¬ 
kokken ebenfalls freien Sauerstoff und stellen sich als blaue Ein¬ 
schlüsse des farblosen Protoplasmas dar. Hier ist vielleicht eine 
kleine Abschweifung am Platze, nämlich der Hinweis darauf, wie 
verschieden die Kokkenarten sich zu den Leukocyten verhalten 
und wie wenig passend diese verschiedenen Vorgänge mit dem 
Namen: Pbagocytose bezeichnet werden. Die sauerstoffspeichern¬ 
den Gonokokken zerstören das Protoplasma der Leukocyten und 
schmiegen sich dann eng an den sauerstoffreichen Kern an, von 
dem sie ihren Sauerstoff beziehen. Will man schon von „Fressen“ 
reden, so sind es hier die Leukocyten, die gefressen werden. 

Vergleichen wir mit diesem Bilde einmal das Verhalten der 
gewöhnlichen Eiterkokken beim Furunkel, so ist es hier gerade 
umgekehrt. Auch hier werden Leukocyten angelockt, aber ehe 
sie die Kokken aufnehmen können, sterben sie ab, der Kern ver¬ 
liert seinen Sauerstoff, sie ersticken und bilden einen Eiterwall 
um die centrale Kokkenkolonie. Wo ist hierbei etwas von Phago- 
cytose? Die armen Leukocyten kommen auch hier um ihre 
Mahlzeit. 

Von inneren Organen will ich nur 2 Bilder vorführen, deren 
Sauerstofforte besonders interessant sind, die Niere und Lunge, 
beide vom Kaninchen. Die Niere (Demonstration) zeigt einen 
Medianschnitt der Rinde, und es fallen auf demselben zunächst 
die in ihren Kernen tief gefärbten Glomeruli auf. Dieselben sind 
umgeben von viel blasser gefärbten gewundenen Harnkanälchen, 
in denen die Kerne kaum von dem Protoplasma sich abheben. 
Dazwischen verlaufen die geraden Harnkanäle und He nie sehen 
Schleifen, welche wiederum stark gefärbte Kerne enthalten. Die 
Hauptsauerstofforte der Niere sind mithin hauptsächlich die 
Glomeruli und geraden Harnkanäle, während die gewundenen 
mehr Reduktionsorte repräsentieren. Der grosse Sauerstoffreichtum 
der Nierenpapille kommt auf dem folgenden Bilde zur Anschauung 
(Demonstration), derselbe ist lediglich bedingt durch den grossen 
Kernreichtum der AusführungMgänge. Seinerseits bedingt der¬ 
selbe aber den Gehalt des Ureterenurins an freiem Sauerstoff, 
der Ehrlich bei seinen Versuchen schon aufgefallen ist. Der¬ 
selbe ist neuerdings auch beim Ureterencatheterismus von Herrn 
Dr. Stammler, Sekundärarzt der Kümmell’schen Abteilung in 
Hamburg, nachgewiesen und hat gewiss eine nicht geringe physio¬ 
logische Bedeutung. 

Die geraden Harnkanäle sind aber nur Repräsentanten einer 
ganzen Kategorie von Sauerstofforten. Es gibt zwei solcher 
Kategorien: die Keimschichten der Drüsen und Oberhautanhänge 
(besonders der Haare) und die Ausführungsgänge der Drüsen. 
Dass alle Keimschichten, die dem Bindegewebe direkt aufsitzen, 
die Funktion der Epithelneubildung besitzen und reich an Mitosen 
sind, viel Sauerstoff besitzen, ist selbstverständlich. 

Dass es aber mit den Ausführungsgängen sich ebenso ver¬ 
hält, das hat erst die Rongalitweissraethode gezeigt, und gleich¬ 
zeitig, dass der Ueberschuss von Sauerstoff in das Sekret diffun¬ 
diert. Der Sauerstoffgebalt vieler Sekrete (Tränen, Speichel usw.) 
ist bekannt, und Paul Ehrlich zeigte schon vor langer Zeit, 
dass die Sekrete stark reducierender Drüsen (Leber, Niere) sauer¬ 
stoffhaltig sein können. Die Constanz des Phänomens erklärt 
sich aber nun erst durch den Kernreichtum und die Protoplasma¬ 
armut der z. T. überlangen und bisher unerklärlich langen Aus¬ 
führungsgänge. 

Ein ebenso interessanter Unterschied wie in der Niere zwischen 
gewundenen und geraden Harnkanälen findet sich in der Lunge 
zwischen den Systemen der Luftröhren und der Alveolen. 
Ersteres ist ein hervorragender Sauerstoffort. Das Epithel ist 
— Kern wie Protoplasma — aufs tiefste gebläut; ebenso sauer¬ 
stoffhaltig sind die Schleimdrüsen und Knorpel der Broncbialscbleim- 
haut (Demonstration). In den Alveolen dagegen sind wohl die 
Kerne gebläut, aber das Protoplasma und das elastische Gewebe 
stellen ausgedehnte Reduktionsoirte dar. Natürlich ist es sehr 
praktisch eingerichtet, dass die eingesogene, Luft im Bronchial¬ 
system ihres Sauerstoffs nych nicht im mindesten beraubt wird, 
sondern erst wenn sie in die Lungenalveole eintritt, wo hinter der 
reduzierenden Epithelwand stark reducierende Erythrocyten in den 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18. 


Capillaren kreisen (Demonstration). Auf diesem offenbar für die 
Atmung notwendigen Sauerstoffreichtum der Bronchialschleimbaut 
beruht wohl auch die ungemeine Lebenszähigkeit der überlebenden 
Flimmerzellen derselben. 

Ebenso constante Sauerstofforte wie die Kerne sind die 
Granula der Mastzellen. Erst die Kenntnis dieser Funktion 
hat ein Licht auf die Bedeutung der Mastzellen geworfen und 
ihre Verteilung im Körper aufgeklärt. Ihr Vorkommen in der 
menschlichen Haut ist sehr charakteristisch. Sie bilden eine 
erste Kette um die zur Oberfläche ziehenden Blutcapill&ren und 
sodann eine zweite um alle Epithelgebilde (Deckepithel, Haarbälge, 
Knäueldrüsen). Alle Mastzellen besitzen natürlich auch Kerne, 
wenn diese auch bei den gebräuchlichen Färbemethoden meistens 
unsichtbar sind. Auch mit Rongalitweiss färben die Kerne der 
Mastzellen sich ausnahmsweise nicht, besitzen mithin keinen freien 
Sauerstoff; aber, wie wir das sogleich bei den Plasmazellen sehen 
werden, nur deshalb, weil die Granula den freien Sauerstoff an¬ 
dauernd dem Kern entziehen. 

Eine zweite Reihe von konstanten Sauerstofforten sind nicht 
als Fabriken von freiem Sauerstoff zu betrachten, sondern nur 
als Speicher von solchem. Sie sind aber auch von grosser Be¬ 
deutung; ich fasse sie unter dem Begriff der sekundären Sauer¬ 
stof forte zusammen. Es sind sämtlich Anhäufungen stark saurer 
Ei weisskörper. Dahin gehört in erster Linie das Granoplasma, 
die allen Zellen zukommende, schon bei der Bläuung des Epithel¬ 
protoplasmas erwähnte Albumose (Cytose), die aber in besonderer 
Menge und in morphologisch eigenartiger Weise in den Plasma¬ 
zellen und Ganglienzellen auftritt. 

Die Plasmazellen (Demonstration) können bekanntlich aus 
jeder Bindegewebszelle durch Ansammlung von Granoplasma 
(Cytose) werden. Die kleinen gewöhnlichen Bindegewebszellen 
wandeln sich dann direkt und oft scharenweise in Plasmazellen 
um, indem sie ihre Ausläufer einziehen und kugelig anschwellen. 
Die grösseren Fibroblasten schwellen unregelmässig an und schnüren 
einzelne Teile als kubische Plasmazellen ab oder zerfallen gleich¬ 
zeitig ganz in eine Reihe solcher. Es ist selbstverständlich, dass 
derartige Formveränderungen und Abschnürungen nur bei den 
weichen Bindegewebszellen Vorkommen können, wenn sie sich 
mit Cytose füllen, nicht bei den Stachelzellen des Epithels, 
welche durch ein besonderes Fasersystem in starre Gebilde um¬ 
gewandelt sind. 

Mit Rongalitweiss behandelt, weisen die Plasmazellen, was 
nach dem früher Gesagten zu erwarten war, einen durch gefärbtes 
Granoplasma dunkelblauen Zelleib auf. Auch hier findet sich 
dasselbe Phänomen, was wir eben bei den Mastzellen erwähnten, 
die Desoxydation des Kerns durch das Granoplasma. Bei 
reicher Ausbildung vieler Plasraazellen, z. B. in einem Syphilid 
(Demonstration) ist dieses Bild von hellem Kern und blauer Schale 
oft so eigenartig, dass man es zunächst kaum versteht, bis man 
die vielen hellen Kreise als Kerne erkennt und dann an ihrer 
Peripherie erst die konstante aber dünne Lage blauen Grano* 
plasmas entdeckt. 

Eine ganz ähnliche Sauerstoffansammlung wie die Plasma* 
zellen zeigen die Ganglien (Demonstration). Auch hier beschränkt 
sich die Blaufärbung auf das Granoplasma, auf die hier sogenannten 
NjssTsclien Körper, und auch hier besteht die Ablenkung der 
Blaufärbung vom Kern auf das Granoplasma, wie bei den Plasma- 
zellen. Dass bei den Glanglien die Ansammlung von Granoplasma 
keine Gestaltveräuderungen zur Folge hat, beruht wohl wie bei 
den Epithelzellen auf der Einlagerung eines starren Fasernetzes 
in die Ganglien. 

Lösen wir aus den Plasmazellen die Cytose durch lproz. Bor¬ 
säure heraus, so geben auch diese Zellen das gewohnte Bild der 
blossen Kernbläuung (Demonstration). Lassen wir sie ebenso 
lange in 1 proz. Essigsäure, so wird die Cytose gefällt und er¬ 
halten und damit der Sauerstoffgehalt des Zelleibs. Solche 
Schnitte zeigen natürlich wie die normalen eine Ablenkung des 
Sauerstoffs auf das Granoplasma (Demonstration). 

Eine womöglich noch saurere Substanz ist die chondroitin- 
schwefelsäurehaltige Knorpelgrundsubstanz (Demonstration). Sie 
bildet einen hervorragenden Sauerstoffspeicber für den in den 
Knorpölkernen erzeugten freien Sauerstoff. Die Sauerstoffbilder 
des Knorpels sind daher stets positiv und ungemein farbstark, 
fallen aber verschieden aus, je nachdem unser Reagens den 
Sauerstoff nur in dem Protoplasma der Knorpelzellen, in den 
Knorpelkapseln und der Grundsubstanz nachweist oder auch noch 
in den Kernen. 


Ein Rückblick auf die Kette der Sauerstofforte belehrt uns 
darüber, dass die chemischen Substanzen, welche sich zu Trägern 
freien Sauerstoffs eignen, im Gegensatz zu den basischen, redu¬ 
zierenden Zellgrundlagen, sehr saure Stoffe sind: Nuclein, Cytose, 
Mastzellenkörnung, Chondroitinschwefelsäure. Durch Erzeugung 
dieser Stoffe schafft sich der Körper die Möglichkeit, mitten im 
reduzierenden Gewebe stabile Sauerstofforte anzulegen, welche 
für die Versorgung des ganzen Körpers mit Sauerstoff durchaus 
notwendig sind. 

Ich sage mit Absicht: stabile Sauerstofforte, weil ich 
nach Demonstration derselben gewiss bei vielen der Frage be¬ 
gegnen werde, ob das Leukomethylenblau denn auch die Verhältnisse 
im Leben richtig wiedergibt. Dieser Frage möchte ich gleich 
mit der Antwort begegnen, dass die Sauerstofforte, wie sie das 
Leukomethylenblau aufzeigt, von einer unerwarteten Stabilität sind. 
Da ich anfangs selbst mit der Idee an ihre Erforschung heranging, 
es mit schwer fassbaren, labilen Sauerstoffbefunden zu tunzu haben, so 
muss ich heute nach zweijähriger Beschäftigung mit dem Gegenstände 
um so mehr betonen, dass eine solche Annahme durchaus irrtümlich 
wäre. Labil ist nur der von der Fabrik aktiven Sauerstoffs im 
Kern abgegebene, in das umliegende reducierende Gewebe diffun¬ 
dierende Sauerstoff, und das muss er ja auch wohl sein, wenn er 
nutzbar gemacht werden soll. Stabil ist aber die Fabrik aktiven 
Sauerstoffs im Kerne selbst. Daher ist auch die Ueberzengung in 
mir immer fester geworden, dass wir die Aktivierung des mole¬ 
kularen Sauerstoffs, wie er aus dem Blute bezogen wird, im Kerne 
nicht gewöhnlichen Fermenten, sondern .einem mineralischen 
Katalysator zu verdanken haben, den wir ja wohl in dem von 
Macallum nachgewiesenen Eisen des Kerns bereits kennen. 

Ein solcher wird sich nach dem Tode nicht viel und be¬ 
sonders nicht rasch verändern können. Ich möchte Ihnen eine 
Reihe von Absterbebildern des Gewebes vorführen, die von einer 
in Eis aseptisch auf bewahrten Kanincbenniere stammen (Demon¬ 
stration). Die Bilder der ersten Tage kann ich übergeben, da 
sich zunächst keine Veränderung zeigt. Das Bild vom 4. Tage 
(Demonstration) kann als Beweis dienen, wie langsam der Tod 
Einfluss auf die Sauerstofforte gewinnt. Die Glomerulikerne sind 
noch dunkelblau, die Kerne der geraden Kanäle noch immer etwas 
stärker gefärbt als die der gewundenen. Nur ist der Schnitt 
durchsetzt von kleinen Luftbläschen. Aber auch dieses Phänomen 
ist nicht konstant und tritt zu sehr verschiedenen Zeiten auf, 
manchmal am ersten Tage, um wieder zu vergehen. In dem 
folgenden Bilde vom 6. Tage ist es nicht vorhanden; aber nun 
fangen alle Sauerstofforte an abzublassen (Demonstration). Also 
erst recht spät gewinnen die reducierenden Substanzen der Ver¬ 
wesung Macht über die noch immer weiterarbeitende Aktivierung 
der Kerne. 

Ebenso stabil sind die Sauerstofforte der Mastzellen. Das 
nächste Bild zeigt die Oberlippe einer Ratte 4 Tage nach dem 
Tode (Demonstration). Mastzellen und Kerne färben sich hier 
mit Rongalitweiss fast noch besser als unmittelbar nach dem Tode. 

So tapfer die Sauerstofforte gegen den Tod ankämpfen, so 
widerstandsfähig sind sie auch gegen Erhitzung, der gewöhnliche 
Fermente bekanntlich rasch erliegen. Sie sehen ein Bild von 
Gonokokkeneiter (Demonstration). Inmitten der zahllosen Leuko- 
cytenleichen, in denen die Kerne erstickt und kaum noch erkenn¬ 
bar gebläut sind, triumphieren als Sieger die Gonokokken, die 
dunkelblau und reich an Sauerstoff einige Leukocyten erfüllen. 
Das Bild ändert sich aber beim Erhitzen. Taucht man solche 
Abstriche in Wasser von steigender Temperatur, so verlieren die 
Gonokokken schon bei 50° ihren Sauerstoff vollständig, um ihn 
bei weiterer Erhitzung nicht wieder zu gewinnen. Die Kerne der 
Leukocyten jedoch bläuen sich zunächst mehr, wenn man sie 
vorher erhitzt. Sie sehen hier ein Präparat von demselben gonorr¬ 
hoischen Eitertropfen, welcher 2 Minuten in Wasser von 80° G 
verweilte (Demonstration), ehe er mit Rongalitweiss behandelt 
wurde, und sehen, dass die Kerne sich in fast normaler Weise 
bläuen. Sie haben sich also von ihrem Ersticken erholt. Weiter 
geht diese Scheinbelebung aber nicht. In Wasser von 100° sterben 
die Kerne bald und auf immer. 

Die sekundären Sauerstofforte sind weniger stabil als die 
primären; aber nicht deswegen, weil sie mit dem Tode ihren 
Sauerstoff verlieren, den sie im Gegenteil eine Zeitlang noch 
vom Kern zugefübrt bekommen, wenn man durch Aüsschneiden 
der Organe nur für den Zutritt atmosphärischer Luft sorgt. Sondern 
deswegen, wpil die Cytose der Zellen (Epithelien, Plasmazellen, 
Ganglien), die der verbreitetste Träger des Sauerstoffs ist, im 
alkalischen salzhaltigen Gewebssaft äusserst löslich ist und bald 


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31. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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nach dem Tode der Auslaugung verfällt. Bis zu diesem Augen- 
blicke, also etwa noch 2—3 Tage nach dem Tode, enthalten die 
sekundären Sauerstofforte sogar meistens mehr Sauerstoff als im 
Leben. Es kommt hierbei in Betracht, dass der wenige noch 
aktivierte Sauerstoff nicht mehr vom Lyrophstrom — wie im 
Leben — abgeführt werden kann. 

Uoser Leukomethylenblau kann also nur insofern die Ver¬ 
hältnisse im Leben unrichtig wiedergeben, als es möglicherweise 
durch irgendwelche Sauerstofforte nicht gebläut wird. So unwahr¬ 
scheinlich das klingt, so wird es doch vorsichtiger sein, vorläufig 
zu sagen, dass die Methode jedenfalls das Minimum von 
freiem Sauerstoff der Gewebe anzeigt, welches sie im 
Leben besitzen. Lehrt uns doch das Vorkommen farbloser Kerne 
in gebläuten Mastzellen, Plasmazellen und Ganglien, dass bei Um¬ 
gebung mit sauerstoffgierigem Protoplasma selbst die unablässig 
aktivierenden Kerne von der Rongalitweiss-Methode nicht als solche 
gekennzeichnet werden. 

Ich kann aber diesen Punkt nicht verlassen, ohne auch noch 
mit kurzen Worten dem entgegengesetzten Einwurf zu begegnen, 
dass das Leukomethylenblau viel mehr Sauerstofforte anzeige, als 
in Wirklichkeit existieren, indem es nämlich als basischer 
Farbstoff die Gewebe färbe. Man könnte sich wohl denken, 
dass das Leukomethylenblau, ehe es ins Gewebe eindringt, bereits 
zu Methylenblau oxydiert sei und nun eine gewöhnliche Methylen¬ 
blaufärbung hervorbringe. Freilich ist diese Möglichkeit eigent¬ 
lich schon durch die Technik der Methode ausgeschlossen, bei 
der die Oxydation erst beginnt, wenn jeder Ueberschuss von Leuko¬ 
methylenblau aasgespült ist. Aber es ist bei der berechtigten 
Skepsis, welcher die Methode begegnet, doch wohl gut, die Tat¬ 
sachen zu erwähnen, welche diese Annahme schlagend widerlegen. 
Es sind deren hauptsächlich zwei. 

Erstens die Empfindlichkeit der Sauerstofforte gegen 
reduzierende Substanzen und Sauerstoffgifte, welche auf die Säure¬ 
orte, von denen die Färbung mit basischen Farben abbängt, ohne 
merklichen Einfluss sind. So vernichtet ein Aufenthalt der Schnitte 
eine Nacht in Sol. calc. bisulf. alle Sauerstofforte bis auf schwache 
Reste (Demonstration), aber die Färbung mit polychromer Methylen¬ 
blaulösung ist gerade so stark wie vorher (Demonstration). Da 
man dieselbe aber auf den Umstand zurückfübren könnte, dass 
das Gewebe durch S0 2 und ihre Oxydation zu H 2 S0 4 saurer ge¬ 
worden sei, folgen noch 2 Bilder, in denen die Schnitte durch Cyan¬ 
kalium vergiftet sind. Das Bild der Sauerstofforte ist nahezu 
verschwunden (Demonstration), das der Säureorte noch stärker 
gefärbt als normal (Demonstration). 

Denselben Beweis, dass nämlich eine Vergiftung in bezug auf 
den Sauerstoffgehalt statthaben kann, ohne dass der saure Sauer¬ 
stoffträger vernichtet wird, kann man auch sehr bequem an den 
Mastzellen führen. Hier genügt — z. B. an der Oberlippe der 
Ratte — eine Behandlung der Schnitte mit 5proz. HCl während 
weniger Stunden, um die besonders grossen und stark tingiblen 
Mastzellen auf dem Sauerstoffbild zum Schwinden zu bringen. 
Rongalitweiss färbt nur noch und schwächer als sonst die Kerne 
und eine genauere Durchsicht zeigt, dass auch von den Mastzellen 
die Kerne, die sonst ungefärbt bleiben, und nur diese schwach 
gefärbt sind (Demonstration). Und trotzdem sind die Granula 
der Mastzellen sehr wohl erhalten und besonders stark färbbar, 
wie das folgende Bild zeigt (Demonstration). Dasselbe stellt 
einen Schnitt durch die Rattenlippe dar, der auch erst mit 
5proz. HCl behandelt, aber dann mit polychromer Methylenblan- 
lösung gefärbt ist. 

Schärfere Beweise dafür, dass die Bläuung der Sauerstofforte 
and die der Säureorte durch Methylenblau nicht identisch sind, 
kann man wohl nicht verlangen. 

Ferner muss es doch jedem auf den ersten Blick auffallen, 
dass die durch Leukomethylenblau aufgedeckten Sauerstofforte 
an Zahl und Umfang viel geringer sind, als die durch 
Methylenblau gefärbten Säureorte. Ein Vergleich der folgenden 
ans schon bekannten Bilder, welche Parallelschnitte der Sauer- 
stoflforte und Säureorte der Oberhaut von der Fussohle darstellen, 
wird jeden von dem grossen Unterschiede beider überzeugen. 
Ich brauche nur noch einmal auf die partielle Färbung der Hora¬ 
schicht durch Methylenblau binweisen und auf ihre absolute 
Farblosigkeit bei Rongalitweissbehandlung. 

Nur au einigen Stellen, welche sehr sauer sind (Kerne, 
Cytose, Knorpel), fallen die Sauerstofforte mit den Säureorten 
zusammen, da erstere eben nur an Säureorten entstehen; aber 
es gibt auch saure Gewebe, wie Horn- und Muskelsubstanz, die 


mit allen basischen Farben färbbar sind, sich aber mit Rongalit¬ 
weiss nicht bläuen, da sie starke Redaktionsorte darstellen. 

Diese Demonstrationen, m. H., werden Sie wohl sicherlich 
davon überzeugt haben, dass im tierischen Gewebe starke Gegen¬ 
sätze bestehen, welche auf die funktionellen Beziehungen der 
Gewebselemente zueinander Licht zu werfen geeignet sind. Die 
Lehre von der Gewebsatmung wird in Zukunft diese vorgebildeten 
Gegensätze der Sauerstofforte und Reduktionsorte im Gewebe 
nicht ausser acht lassen dürfen. 


Aus dem pathologischen Institut der Universität Breslau 
(Direktor: Geh.-Rat Prof. Dr. E. Ponfick). 

Das Ulcus rotundum duodeni im ersten 
Lebensjahr. 

Von 

Oberarzt Dr. Walther Schmidt, kommandiert zum Institut. 

Sowohl die Kasuistik, als auch die Statistik über das runde 
Duodenalgeschwür sind ungemein reich, so dass es einigermaassen 
wundernehmen muss, dass hierbei das erste Lebensjahr eigent¬ 
lich nur sehr wenig Berücksichtigung findet. Dennoch gehört 
auch hier die genannte Erkrankung keineswegs zu den Selten¬ 
heiten, sondern ist, wie ich im Verlauf meiner Abhandlung dar¬ 
legen werde, im Gegenteil recht häufig. 

Ich möchte unter den neueren sich anf das Kindesalter be¬ 
ziehenden Publikationen die Arbeiten von Helmholz „lieber das 
Duodenalgeschwür bei Pädatrophie u , der über 9 Fälle berichtet, 
von denen jedoch einer nicht zur Autopsie gekommen ist, nnd 
von Kuttner „Ueber das Vorkommen von Ulcüs duodeni im 
ersten Dezennium“, der über 2 Fälle berichtet, erwähnen. Je 
einen weiteren Fall beschreiben Sochaczewski nnd v. Torday. 
Ganz kürzlich ist noch ein weiterer Fall von Flesch beschrieben 
worden, der einen Säugling mit einem schweren Mehlnährschaden 
betrifft. 

Das heikle und nur wenig ergiebige Gebiet der Aetiologie 
des Ulcus rotundum duodeni will ich hier nur kurz streifen und 
anch nur so weit, als es sich auf das erste Lebensjahr bezieht. 
Wie die Aetiologie des Ulcus pepticum des Magens und des Duo¬ 
denums beim Erwachsenen immer noch nicht geklärt ist, so be¬ 
stehen für das Zustandekommen des Ulcus duodeni bei Säuglingen 
eigentlich nur Theorien. Sicheres hat bisher noch niemand an¬ 
zugeben vermocht. Helm holz nimmt eine Funktionsinsuffizienz 
des Darmepithels, hervorgernfen durch die Decompositio, an. Die 
Thrombose ist nach ihm nur als Vorläufer der eigentlichen An¬ 
dauung der Darinwand zu betrachten, die durch eine allgemeine 
bei Decompositio bestehende Circulationsschwäche begünstigt wird. 
Finkeistein hat seinen Standpunkt in einer Diskussionsbemerkung 
zur Arbeit Knttner’s folgendermaassen festgelegt: „Die Ent¬ 
stehungsursache des Geschwürs hat man sich als eine Thrombose 
zu denken, die auf chemische Weise zustande kommt infolge der 
Einwirkung des Magensaftes durch die geschädigte Mucosa des 
Duodenums hindurch auf die Gefässwand.“ Heubner hält es 
bei den Fällen von Melaena vera neonatorum für möglich, dass 
sich die normale Thrombose der Vena umbilicalis in eine Magen¬ 
vene fortsetzt. — Allerdings kommt bei Kindern in einem Lebens¬ 
alter, wo der Obliterationsprozess der Nabelvene bereits voll¬ 
kommen abgelaufen ist, diese ätiologische Erklärung von selbst 
nicht mehr in Betracht. 

Rössle fasst sowohl das Magen- als auch das Duodenal¬ 
geschwür als „zweite Krankheit“ auf und nimmt auf Grund sta¬ 
tistischer Untersuchungen an, dass das Ulcus im Anschluss an 
bestimmte Quellaffektionen anftritt. Er nennt als solche besonders 
alle in Narbenbildungen ausgehenden Entzündungen nnd Ver¬ 
letzungen am Peritoneum, unter diesen namentlich die Appendi- 
citis, aber anch Affektionen an Hals und Kopf, sowie am Endo- 
card. Nach ihm beruht die Entstehung des Ulcus duodeni dabei 
sicher nicht auf der Vermittelung der Schädlichkeit durch die 
Blutbahn, sondern höchstwahrscheinlich auf den Folgen reflek¬ 
torischer Nervenreize. Auf eine Vagnsreizang soll ein Spasmus 
der Muscularis mucosae auftreten. Dieser Krampf, der, sei es 
zur hämorrhagischen Infarcierung, sei es zu anämischer Nekrose 
der Schleimhaut führt, lässt daun durch Andauung der erkrankten 
Teile das Ulcus entstehen. 

Flesch macht in dem von ihm beschriebenen Falle tteo 
Mehlnährschaden und den hierdurch bervorgerufenen Hnnger- 

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BERLIN KR KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 13. 


zustand für das Zustandekommen des Geschwürs verantwortlich. 
Er sagt: „Der Hungerxustand bat eine Ernährungsstörung der 
Schleimhaut zur Folge, doch können auch in den die letztere ver- 
sorgenden Gefässen leicht Circqlationsstörungen entstehen und 
hierdurch die Schleimhaut ihre Widerstandsfähigkeit peptischen 
Einflüssen gegenüber einbüssen und die dauernde Wirkung dieser 
Einflüsse zur Geltung kommen.“ 

Das häufige Vorkommen des Geschwürs bei postoperativen 
Eiterungen verleibt wohl auch der Annahme eine gewisse Wahr¬ 
scheinlichkeit, dass in der Infektion eiu ätiologischer Faktor zu 
suchen sei. 

Eine erschöpfende Darstellung aller seither aufgestellten 
Theorien ist im Rahmen dieser Arbeit kaum möglich. Ich möchte 
hier auf die neuerliche Zusammenstellung von E. Melchior ver¬ 
weisen. 

Das relativ immerhin häufige Vorkommen des Ulcus dundeni 
im ersten Lebensjahr rechtfertigt wohl die Durchsicht und Bear¬ 
beitung einer grösseren Zahl von Fällen, wie sie mir im hiesigen 
pathologischen Institut zur Verfügung standen. Da hier sowohl 
die Leichen aus der Universitäts-Kinderklinik, als auch die des 
städtischen Säuglingsheims zur Sektion gelangen, so war ein un¬ 
gewöhnlich reiches Material von Kindersektionen der Bearbeitung 
zugänglich. 

Die ätiologisch ebenfalls noch dunkle Erkrankung Melaena 
vera neonatorum soll im folgenden nicht weiter berücksichtigt 
werden. Fälle mit dieser klinischen Diagnose sind in den zu 
beschreibenden Sektionsergebnissen nicht einbegriffen, sofern die 
klinischen Erscheinungen nicht durch ein typisches Ulcus rotuo- 
dum duodeni (ein Fall) bedingt waren. 

Es soll nun kurz über 20 Fälle von Ulcus duodeni im ersten 
Lebensjahr berichtet werden, die ira hiesigen Institut in den 
letzten 7 Jahren zur Sektion gelangt sind. Bei einer Gesamtzahl 
von 1109 Kindersektionen im ersten Lebensjahr ergibt das 
1,8 pCt. der ausgeführten Sektionen. Was das Alter der Kinder 
anbelangt, so schwankt es in den zu beschreibenden Fällen zwischen 
5 Tagen und 11 Monaten. Die Mehrzahl der Kinder stand im 
2. bis 6. L^bensmonat. Vergleichsweise lasse ich hier kurz die 
Sektionsstatistik für das Ulcus duodeni bei älteren Individuen 
(vom 2. Lebensjahre aufwärts) folgen: Bei einer Gesamtzahl von 
2715 Sektionen wurde das runde Duodenalgeschwür 17 mal ge¬ 
funden. Es ergibt sich somit die interessante Tatsache, dass das 
Ulcus rotundum duodeni bei Individuen vom 2. Jahre aufwärts 
bloss in 0,6 pCt. der Sektionen zur Beobachtung kam, während 
es bei Kindern im 1. Lebensjahr in 1,8 pCt. der Sektionen ge¬ 
funden worden ist. Der Vollständigkeit halber sei noch kurz das 
Alter auch der befallenen Individuen (vom 2. Lebensjahre auf¬ 
wärts) angegeben: 


vom 

2. 

bis 

10. Lebensjahr 1 

Fall, 


11. 


20. 

11 

i 

n 

n 

21. 

»1 

30. 


2 

Fälle 


31. 

»1 

40. 

» 

3 


r 

41. 

n 

50. 

11 

4 


n 

51. 

n 

60. 

n 

4 


n 

61. 


70. 


1 

Fall, 

T) 

71. 

>5 

80. 

» 

1 



Bei dem langen Zeitraum von 7 Jahren, über den die Fälle 
verteilt sind, und bei der grossen Zahl von Sektionen dürfte sich 
hier wohl mit Sicherheit der Schluss ziehen lassen, dass das 
Ulcus rotundum duodeni im ersten Lebensjahr bei weitem 
häufiger ist, wie in jedem anderen Lebensalter. Dies ist 
eine Tatsache, die ich noch in keiner statistischen Zusammen¬ 
stellung gefunden habe. Es mag das damit Zusammenhängen, 
dass sich mit der Erforschung des Leidens meist Chirurgen be¬ 
fasst haben, Kinder im ersten Lebensjahre, noch dazu meist er¬ 
heblich reduzierte Individuen, für einen chirurgischen Eingriff 
jedoch kaum in Betracht kommen. Aber auch Collin’s Sta¬ 
tistik, die sich auf Sektionsergebnisse erstreckt, lässt die Häufig¬ 
keit im ersten Lebensjahr nicht deutlich hervortreten. Bei ihm 
liegt auch, wie in den anderen Statistiken, die grösste Zahl 
zwischen dem 80. und 50. Lebensjahre. 

Die bevorzugte Stelle für den Sitz der Geschwüre ist 
zweifellos die Gegend dicht unterhalb des Pylorusringes, wie das 
ja auch in den neueren Statistiken von Collin und Perry und 
Shaw für das Ulcus rotundum duodeni angegeben wird. Das 
Geschwür sass in weitaus der Mehrzahl der Fälle 2nmm bis 
1 cm unterhalb des Pylorus, wobei die hintere Wand* des Duo¬ 
denums bevorzugt zu sein scheint. Doch fanden sich auch Ge¬ 
schwüre an jeder anderen zwischen Pylorus und Papille befind¬ 


lichen Stelle. Distalwärts der Papille wurde ein Geschwür nur 
in einem einzigen Falle beobachtet. Dagegen wurde ein Ueber- 
greifen der Ulceration auf den Pylorus, wie es bei Erwachsenen 
ja nicht allzu selten vorkommt, in keinem Falle gefunden. Die 
Nähe der Papille scheint keine besondere Prädilektionsstelle zu 
bedingen. Ueberhaupt liess sich für all jene Geschwüre, die nicht 
gleich unterhalb des Pylorus ihren Sitz hatten, eine bestimmte 
Lokalisation nicht erkennen. 

Nicht allzu selten wurden multiple Geschwüre gefunden: so 
einmal 2, zweimal 3 und einmal sogar 5 Ulcera. Hierbei möchte 
ich erwähnen, dass in diesen Fällen die Geschwüre nicht sämt¬ 
lich dasselbe Alter aufwiesen, sondern dass meist eines angesichts 
teils der Tiefe der bewirkten Zerstörung, teils wegen seiner 
Grösse mit Sicherheit als älter angesproeben werden konnte. 
Dagegen ist das gleichzeitige Bestehen eines runden Magen¬ 
geschwüres, was bei älteren Individuen im übrigen nicht allzu 
selten Vorkommen soll, nicht beobachtet worden. 

Die Ausdehnung der Geschwüre schwankte zwischen Linsen- 
und Fünfpfennigstückgrösse. In einem Falle wurde sogar ein 
solches vom Umfange eines Markstückes gefunden. 

Die Ulcera hatten sämtlich steil abfallende, nicht gewulstete 
Ränder und sahen wie „ausgestanzt - aus. Der meist glatte Ge- 
sebwürsgrund und die Ränder waren häufig gallig imbibiert, wie 
überhaupt in allen Fällen eine Behinderung der Gallensekretion 
nicht naebgewiesen werden konnte. Auf dem Boden der meist 
runden oder länglichen Geschwüre waren öfters arrodierte Gefäss- 
stümpfe zu sehen. 

Was das Vordringen der Geschwüre in die Tiefe anbelangt, 
so durchsetzten diese in der Mehrzahl der Fälle die ganze Darm¬ 
wand bis zur Serosa und durchlöcherten diese zum Teil. Doch 
begegnete man auch solchen, die nur tiefe kreisrunde Schleim¬ 
hautdefekte darstellten oder doch bis in die Muscularis vorge¬ 
drungen waren. 

Der Ernährungszustand der Kinder war meist ein sehr 
schlechter. Magere Kinder ohne jedes Fettpolster mit typischer 
Pädatrophie (10 Fälle) wechselten mit anderen, durch schwere 
eitrige Entzündungen, Phlegmonen oder sonstige septische Prozesse 
in ihrer Ernährung schwer geschädigten Säuglingen. Bei letzteren 
war die Reduzierung des Ernährungszustandes die Folge von 
Rachitis, Pertussis, Phlegmona colli, Empyema pleurae, einer 
kongenitalen von Nephritis parencbymatosa begleiteten Stenose 
des Duodenums, einer anscheinend primären Nephritis parencby¬ 
matosa, von Meningitis purulenta und tuberculosa. Ein Ulcus 
nach Verbrennung der Haut wurde nicht beobachtet. 

Im Hinblick auf diese Ergebnisse bin ich der Meinung, dass 
das Ulcus rotundum duodeni nicht lediglich bei Kindern mit 
Pädatrophie vorkommt, sondern dass jede Erkrankung, die den 
Ernährungszustand stark schädigt, sei es nun schwere Rachitis, 
sei es eine langwierige Eiterung oder ähnliche infektiöse Prozesse, 
imstande ist, für das Entstehen eines Defektes im Duodenum 
einen günstigen Boden vorzubereiten. Eine solche Auffassung 
entspricht ja auch den Verhältnissen beim Erwachsenen. So 
werden bei bestehender Sepsis Duodenalgeschwüre nicht selten 
beobachtet. Perry und Shaw geben hierfür das Verhältnis von 
1: 37 Fällen an. 

Dass das Bestehen einer Tuberkulose das Vorhandensein 
eines runden Duodenalgeschwüres nicht ausschliesst, beweist der 
Fall eines 11 monatigen Kindes, das an schwerer Lungentuber¬ 
kulose litt, und das einer mit allgemeiner Miliartuberkulose ver¬ 
bundenen Meningitis tuberculosa erlag. Bei diesem Säugling 
bestand dicht unterhalb des Pylorus ein ungefähr rundes Duodenal¬ 
geschwür von typischem Aussehen, dessen Durchmesser etwa den 
einer Linse erreichte. Bemerkenswerterweise war der übrige Darm 
frei, im besonderen auch von tuberkulösen Substanz Verlusten. 

Nach diesem allgemeinen Ueberblick werde ich über das 
Sektionsergebnis einiger teils besonders charakteristischer, teils 
eigenartiger Fälle berichten: 

Der 2^2 Monate alte, sehr atrophische Knabe M. B. hatte während 
des Lebens wegen allgemeiner Ernährungsstörung in Behandlung ge¬ 
standen. In den beiden letzten Lebenstagen traten mehrmals blutige 
Stühle auf, die den Verdacht auf ein bestehendes Ulcus rotundum duo¬ 
deni lenkten. 

Offenes Foramen ovale. Starke Erweiterung des linken Ventrikels, 
leichte des rechten. In beiden Unterlappen . konfluierende, broncho 
pneumonische Herde. Diffuse Bronchitis der rechten Lunge. Tonsillen 
zerklüftet. Otitis jnedia mit eiteriger Natur des Exsudats der linken 
Seite, seröser der rechten. 

Serosa des Darmes spiegelnd und glatt Magen gebläht l 1 /, cm 
unterhalb des Pylorusringes bemerkt man an der hinteren Wand der 


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81. März 1913. 


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Pars horizontalis superior des Zwölffingerdarmes ein der Schleimhaut an¬ 
haftendes Blutgerinnsel yon Bohnengrösse. Unter diesem ist ein tiefer, 
scharlumrandeter Defekt von Linsengrösse wahrzunehmen. Die übrige 
Schleimhaut des Duodenums bietet keine Besonderheiten. Im Darm lässt 
sich sonst kein Blut entdecken. Die Gallenblase enthält wenig gelbe 
dünnflüssige Galle; Gallenwege durchgängig. 

Als Todesursache ist somit Pädatrophie nebst terminaler Bronoho- 
pneumonie zu bezeichnen. 

472 Monate altes Mädchen A. R., in gutem Ernährungszustände, 
behandelt wegen Ernährungsstörungen. 

Abdomen stark aufgetrieben. Foramen ovale ventilartig offen. 
Tonsillitis lacunaris. Otitis media purulenta beiderseits. 

Nach Eröffnung der Bauchhöhle zeigt sich das Peritoneum und be¬ 
sonders das Netz bedeckt mit grünlicbgelben schleimigen Massen, welche 
mit deutlichen Eiterfiooken vermischt sind. Auf ebensolche stösst man 
auch in der Tiefe des kleinen Beckens, ferner unterhalb der Leber, des 
Zwerchfells und des linken Hypochondriums. Peritoneum durchweg 
diffus gerötet. Gedärme miteinander verklebt, Wurmfortsatz frei. 

Im Duodenum gelblichgrüner Inhalt, Gallenwege durchgängig. In 
der Pars superior duodeni, 3 mm unterhalb des Pylorus besteht an der 
Grenze der hinteren und medialen Wand ein tiefer runder Schleimhaut- 
defekt, dessen Durchmesser 7:5 mm beträgt und dessen glatte Ränder 
steil abfallen. Der Geschwürsgrund ist mit einem schmierigen grau¬ 
grünen Belage versehen. In demjenigen Bezirke, der dem Pylorus zu¬ 
nächst gelegen ist, hat sich eine Perforation ereignet. Hier hängt die 
Schleimhaut deutlich wulstig über den Rand hinüber, während sie an 
dem distalen Ende des Substanzverlustes leioht zurückgestreift ist. Die 
Perforationsöffnung ist 3:3 mm gross und liegt gleich über dem Kopfe 
des Pankreas. Im übrigen Bereiche des Geschwürs besteht die Darm¬ 
wand lediglich aus Serosa. In der Nähe dieser Durchlöcherung der 
Darmwand ist die Serosa nach dem Pankreas zu mit einem missfarbigen 
grünlichgelben Belage bedeckt. 

Im ganzen Ileum geschwollene Peyer’sche Haufen, teilweise mit 
bräunlicher Begrenzung. Ebenso im Dickdarm sehr zahlreiche, stark 
geschwollene Solitärfollikel, die stellenweise pigmentiert sind. 

Der Tod war hier also an einer infolge des Durohbruohs eines runden 
Duodenalgeschwürs eingetretenen Peritonitis purulenta erfolgt (vgl. unten 
den histologischen Befund). 

10 Wochen alter Knabe P. W., in stark reduziertem Ernährungs¬ 
zustände. Leib etwas aufgetrieben (intra vitam behandelt an Keuch¬ 
husten und Katarrh der oberen Luftwege). 

Offenbleiben des Foramen ovale. Bronchopneumonie des Unter¬ 
lappens beider Lungen. Otitis media beiderseits. 

Dünndarmschlingen leicht gebläht. Im Magen leicht galliger 
Inhalt. 

Das Duodenum zeigt fünf Defekte der Schleimhaut von Linsen- bis 
fast Fünfpfennigstückgrösse, wie „ausgestanzt“. Einige Geschwüre sind 
bis auf den Peritonealüberzug durchgedrungen. Demnach ist nur noch 
eine ganz dünne durchscheinende Membran vorhanden, während die 
anderen nur die Schleimhaut arrodiert haben. Zahlreiche Lymphdrüsen 
am Duodenum sind leicht vergrössert und zeigen eine markige Schnitt¬ 
fläche. Gallenwege durchgängig. 

Das Corpus des Pankreas ist an das Duodenum herangezogen und 
angelötet an ein Ulcus der Uinterwand, bei dem der Peritonealüberzug 
anscheinend noch vorhanden ist. 

Leber ist 10: 8 :3 cm gross und von dunkelblauroter Farbe. Der 
Bauchfellüberzug, vor allem des linken Lappens, ist verdickt. Ober¬ 
fläche spiegelnd, sonst normal. Im Leberparencbym gewahrt man schon 
von aussen eine Unzahl runder weisslicher Herde von Stecknadelkopf¬ 
grösse. Deren Mitte nimmt jeweils eine dunklere Stelle ein, die in der 
Färbung ganz der des Lebergewebes enspricht. Auf dem Durchschnitt 
zeigt das Gewebe bei vermehrtem Blutgehalt eine dunkelblaurote Farbe, 
ausserdem für das blosse Auge eine Menge der eben beschriebenen 
Herde. Lichtung der portalen Verzweigungen frei. 

Wie die mikroskopische Untersuchung lehrt, enthält das Parenchym 
multiple kleine Nekrosen und teilweise bereits leukocytäre Infiltration 
dieser nekrotischen Bezirke. 

Beide Ureteren und Nierenbecken etwas erweitert (Phimose). 

Als Todesursache ist die Bronchopneumonie anzusehen. 

12 Wochen alter Knabe K. I. in mässigem Ernährungszustände, 
behandelt wegen Ernährungsstörung und Nephritis. Tod naoh plötzlichem 
Auftreten einer Darmblutung. 

Leichte Oedeme der Beine. 

Brustorgane ohne Besonderheiten. 

Beim Eröffnen des Abdomens zeigt sich der Darm stark gebläht, 
besonders das Colon transversum und S romanum. In der freien Bauch¬ 
höhle etwa 20 ccm einer blutig gefärbten klaren Flüssigkeit. Peritoneum 
frei von Auflagerungen. Farbe des Dünndarms blaurot, des Duodenums 
blassgrau. Das Netz ist zwischen Magen und Colon transversum zu 
einem kleinen Klumpen zusammengefaltet und leioht ödematös. Ersterer 
enthält 40 ccm dünner, stark blutig gefärbter Flüssigkeit, daneben einen 
festen Blutklumpen, dessen Durchmesser 4:3:2 cm betragen. 

An -der Hinterwand des Duodenums befindet sich -dicht unterhalb 
des Pylorus (2 mm) ein kreisrundes, 3:4 mm grosses Geschwür, das, 
wie „ausgestanzt“ aussehend, die Mucosa völlig durchsetzt. 


ln der Tiefe desselben bemerkt man, der Mitte entsprechend, zwei 
kleine rundliche Oeffoungen, auf denen ein kleiner Blutschorf lagert. 
Sobald man die eine, die distale Oeffnung passiert, dringt die Sonde 
bequem in die Arteria lienalis ein, während das obere Loch in die 
Arteria hepatica führt. Die Gallengänge münden 1 cm unterhalb des 
geschilderten Defektes; ihre Wandung ist unversehrt. Dicht unterhalb 
des ersten Geschwürs reiht sich ein zweites an, das jedoch nur wenig 
in die Tiefe greift. 

Im Duodenum dunkelblaurot gefärbter schmieriger Inhalt, des¬ 
gleichen im Jejunum, Ileum und Colon. In deren Schleimhaut bemerkt 
man eine leichte Vergrösserung der Peyer’schen Plaques. 

Ausserdem besteht eine Nephritis parenchymatosa. 

Der Tod ist an Verblutung in den Darm hinein erfolgt. 

Kurz erwähnen möchte ich noch einen Fall, wo das Ulcus 
rotundum duodeni seinen Sitz unmittelbar oberhalb an einer an¬ 
geborenen Stenose des Duodenums hatte. 

Der 5 Tage alte Knabe K. L. bot intra vitam die Erscheinungen 
des Darm Verschlusses, an den sich eine Melaena vera schloss. 

Die Sektion des im übrigen normal entwickelten Knaben ergab eine 
nur für eine gewöhnliche Sonde eben durchgängige, im Durchmesser 
2 mm lichte Stenose des Duodenums dicht oberhalb der Papilla duo- 
denalis. Oberhalb der Striktur ist sowohl Duodenum als auch der 
Magen stark gebläht, während an der Flezura duodeno-jejunalis das 
Lumen des Darms wieder die normale Weite aufweist. Gleich neben 
dem Punkte, wo sich die Stenose in den distalen Abschnitt des Duo¬ 
denums öffnet, findet sich ein rundes Duodenalgeschwür von typischem 
Aussehen. 

Der Tod ist hier an Darmverschluss eingetreten. 

Entsprechend der Neigung des Ulcus rotundum duodeni, in 
die Tiefe vorzudringen und schliesslich neben der Arrosion von 
Gefässen die Darmwand zu perforieren, trat in den zusamraen- 
gesteilten Fällen der Tod 7mal durch tödliche Blutung in den 
Magendarmkanal ein, während 8 mal eine eitrig-fäkulente Peri¬ 
tonitis dem Leben des Kindes ein Ende machte. In den übrigen 
Fällen erfolgte der Tod durch interkurrente Erkrankungen bzw. 
an Entkräftung. 

Was die Diagnose des Ulcus rotundum duodeni anbelangt, 
so bestehen hier die > ungünstigsten Verhältnisse. Meist lässt ja 
erst die tödliche Blutung, sei es per os, sei es per anum, den 
Verdacht, dass eine derartige Erkrankung die Ursache sei, auf- 
kommen. Dieser schweren Erkennbarkeit des Grundleidens ent¬ 
spricht es, wenn in den erwähnten Fällen das Ulcus duodeni nur 
zweimal intra vitam angenommen worden ist. Mehrmals hatten 
im Rectum, während der ganze Magen Darmtractus bis zum 
S romanum mit Blut gefüllt war, feste Kotmassen gesessen. 
Angesichts eines solchen Verhaltens ist es nur begreiflich, wenn 
nach aussen hin kein Blut zum Vorschein gekommen war, also 
das einzige auf intestinale Hämorrbagie deutende Symptom über¬ 
haupt nicht zur Entwicklung gelangte. In 14 Fällen vollends — 
unter den besprochenen 20 — ist-das Leiden vollkommen sym¬ 
ptomlos verlaufen. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass 
es sich hier um Säuglinge handelt, und deshalb die Ergründung 
des wahren Befundes in besonders hohem Grade erschwert ist, 
weil als Kennzeichen eigentlich nur die Blutung, sei es per os 
oder per rectum in Betracht kommt, stimmt dieses Zahlenver¬ 
hältnis ungefähr mit den Angaben Morot’s überein, der in 
seinen auf Sektionsergebnisse gestützten Fällen beim Erwachsenen 
in 20 pCt. einen symptomlosen Verlauf annimmt. 

Dass das Ulcus rotundum duodeni. wie beim Erwachsenen 
so auch bei Kindern der Heilung zugängig ist, beweist der Sek¬ 
tionsbefund eines 5 Wochen alten Mädchens M. R., das infolge 
einer Sepsis, ausgehend von einer umfangreichen Phlegmone des 
Rückens und der linken Seite des Rumpfes, gestorben war. Hier 
fand sich im Duodenum eine linsengrosse Narbe mit zackigen 
Rändern und einem deutlich pigmentierten Grunde, die meines 
Erachtens nur von einem Ulcus rotundum duodeni herrühren 
konnte. Im allgemeinen glaube ich freilich, dass der Ausgang 
des Ulcus rotundum duodeni bei Säuglingen in Heilung zu den 
grössten Seltenheiten gehört. 

Ob das Ulcus rotundum duodeni ähnlich der Erkrankung 
beim Erwachsenen ein bestimmtes Geschlecht, und zwar das 
männliche, bevorzugt, wage ich bei der relativ doch geringen 
Zahl der Fälle, nicht zu entscheiden. Immerhin ist es wohl 
nicht ohne Interesse, wenn ich die von mir gewonnenen Zahlen 
kurz mitteile. Es wurden* Knaben befallen 13 mal, Mädchen da¬ 
gegen nur 8 mal 1 ). 1 

---r- 1(1 . ' 

1) Der Fall des durch Vernarbung geheilten Geschwürs ist hier 
mitgezählt. 


6 * 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 13. 


Lassen Sie mich noch einige Worte über den histologischen 
Befund sagen: Die Ränder des Geschwürs fallen xu dessen 
Grunde steil mit leichten treppenartigen Stufen ab. Letzterer ist 
in selteneren Fällen bedeckt mit einer dünnen Schicht schlaffer 
Granulationen, ln fast allen von mir untersuchten Fällen bildet 
die nekrotische Serosa bzw. Muscularis selbst die Unterlage des 
Substanzverlustes. 

Das mikroskopische Bild eines durch Serienschnitte zer¬ 
legten Geschwürs möchte ich etwas eingehender besprechen: 

Kind A. R. Das Geschwür sass in der Pars superior duodeni gleich 
unterhalb des Pylorus an der Grenze zwischen hinterer und medialer 
Wand und war perforiert. (Sektionsbefund siehe oben.) 

Das Präparat wurde durch parallel zur Darmachse geführte Serien¬ 
schnitte zerlegt. 

Die Ränder des Ulcus fallen steil bzw. schräg gegen den Grund 
desselben ab. Der Rand des Geschwürs in der Pylorusgegend zeigt 
starke wulstig überhängende Schleimhautteile, während die Schleimhaut 
in dem distal gelegenen Abschnitt des Defektes deutlich zurückgestreift 
und hier infolgedessen ein leicht treppenförmiges Abfallen der Geschwürs¬ 
ränder zustande gekommen ist (mechanische Wirkung). 

Die Muskulatur in der Umgebung des Defektes ist nach dem Pylorus 
zu stärker entwickelt, und zwar namentlich die circuläre Schicht. 

Im allgemeinen reicht das Geschwür bis zur Längsmuskelschicht 
des Darmes in die Tiefe. Am Rande des Defektes ist diese noch gut 
färbbar, während sie in den centralen Teilen des Geschwürsgrundes 
schon vollkommen der Nekrose anheimgefallen ist. Schliesslich ist das 
Ulcus an seinem, dem Pylorus zu gelegenen Abschnitt perforiert. 

Der Geschwürsgrund und die Uter zeigen keinerlei kleinzellige 
Infiltration, dagegen finden sich in der Schleimhaut des Duodenums in 
näherer Umgebung des Defektes dichte Zellinfiltrationen, sowie deutliche 
Schwellung der Solitärfollikel. 

Ganz am Rande des Geschwürs, wo dasselbe gerade bis auf die 
Längsmuskelschicht des Darmes in die Tiefe vorgedrungen ist, haben 
einige Schnitte eine der circularen Muskelschicht noch angehörende 
Arterie quer getroffen. Diese weist eine das Lumen zur Hälfte ver¬ 
legende Parietalthrombose auf; eine Organisation des Thrombus ist nicht 
zu erkennen. 

Das Gefäss ist eingebettet in nekrotische Teile der circulären Muskel¬ 
schicht und liegt mit seiner Adventitia im Niveau des Geschwürs¬ 
grundes. 

Der Perforation bzw. der noch erhaltenen Serosa des Geschwürs¬ 
grundes liegt das Pankreas locker an. Zur Bildung von Verklebungen 
ist es nicht gekommen. Die oberflächlichen, der Perforationsstelle an¬ 
liegenden Teile der Bauchspeicheldrüse sind nekrotisch geworden, doch 
muss der Inhalt des Duodenums noch weiter entlang dem Pankreas ge¬ 
flossen sein, da auch von der Durchbruchsöffnung entfernt liegende Teile 
des Organs durch die verdauende Wirkung des Darminhalts geschädigt 
sind. Innerhalb der Bauchspeicheldrüse besteht geringfügige, herd¬ 
förmige, kleinzellige Infiltration in der Umgebung der nekrotischen 
Partien. 

In vielen Schnitten endlich berührt der Boden des Geschwürs auch 
eine auf der Pankreasoberfläche verlaufende grosse Arterie und grössere 
Nervenstämme. Letztere sind bereits zum Teil erheblich angedaut 
worden und auch die Wand des Gefässes weist, wenn auch in geringem 
Maasse, so doch in mehreren Schnitten, eine deutliche Schädigung auf. 
Zu einer richtigen Arrosion der Gefässwand ist es jedoch noch nicht 
gekommen. 

Eine in der Nähe des Geschwürs liegende Lymphdrüse zeigt eine 
bedeutende entzündliche Hyperplasie. 

Nachstehendes Bild zeigt die geschilderten Verhältnisse. 

Das von Aschoff und seinem Schüler Stromeyer be¬ 
schriebene Verhalten der Schleimhaut am Rande der peptischen 
Geschwüre des Magens — Ueberhängen der Ränder an der proxi¬ 
malen und Zurückstreifung an der duodenalen Seite, wodurch die 
Trichterform der Substanzverluste ihre Erklärung findet — hat 
sich, wie im Vorangegangenen beschrieben, auch bei Duodenal- 



x = tiefster Punkt des Geschwürs. P = Pankreas. L = Lymphdrüsen. 
M = Muscularis. 


geschwüren, wenn auch keineswegs konstant, gefunden. Bei dem 
oben eingehend beschriebenen Geschwür (A. R) ist auch deutlich, 
dass der tiefste Punkt des Defektes (Perforation) dem proximalen 
Rande des Ulcus zunächst liegt, wie das ebenfalls von Aschoff 
und Stromeyer jüngst für das Magengeschwür als charakteristisch 
gekennzeichnet worden ist. Es mögen diese Verhältnisse in dem 
von mir beschriebenen Falle besonders deutlich zutage getreten 
sein, weil einerseits der Defekt sehr nahe am Pylorus lag, 
andererseits aber auch das Geschwür in der direkten Fortsetzung 
der „Magenstrasse“ seinen Sitz hatte. 

Die in diesem Falle im Geschwürsgrund beobachtete parietal- 
thrombosierte Arterie lässt Schlüsse für die Genese des Ulcus 
rotundum duodeni nicht zu. 

Wenn ich noch einmal kurz zusammenfassen darf, so er¬ 
gibt sich: 

Das Ulcus rotundum duodeni ist im ersten Lebens¬ 
jahr häufiger als im allgemeinen angenommen wird 
(1,8 pCt. der zur Sektion kommenden Fälle), und zwar tritt es 
nach meiner statistischen Zusammenstellung, die sich über sieben 
Jahre und über 3824 Sektionen erstreckt, gerade im ersten 
Lebensjahre am häufigsten auf. 

Nicht lediglich Pädatrophie begünstigt das Auftreten des 
Leidens bei Säuglingen, sondern jede Erkrankung des Kindes, die 
mit einer starken Schwächung des gesamten Organismus einher¬ 
geht: Ausser dem genannten Allgemeinleiden also in erster 

Linie langwierige Eiterungen und Sepsis, aber auch Rachitis, 
Nephritis und andere konsumierende Grundkrankheiten. Auch 
Tuberkulose schliesst das Auftreten der Erkrankung nicht aus. 

Literatur. 

1. Aschoff, Ueber die mechanischen Momente in der Pathogenese 
des runden Magengeschwürs und über seine Beziehungen zum Krebs. 
Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 11. — 2. Co 11 in, Etüde sur 
l’ulcere simple du duodenum. Steinheil. Paris 1894. — 3. Finkei¬ 
stein, Diskussionsbemerkung zu Kuttner. Diese Wochenschr., Bd. 45, 

5. 1950. — 4. Hermann Flesch, Zur Diagnose und Pathogenese des 
Duodenalgeschwürs im Säuglingsalter. Jahrbuch der Kinderheilk., 1912, 
Bd. 26, H. 5. — 5. Henry F. J. Helmholz, Ueber Duodenalgeschwür 
bei der Pädatrophie. Deutsche med. Wochenschr., 1909, S. 534. — 

6 . Otto Heubner, Lehrbuch der Kinderheilk. Leipzig 1906. — 

7. L. Kuttner, Ueber das Vorkommen von Ulcus duodeni im ersten 
Decennium. Diese Wochenschr., 1908, Nr. 45. — 8. E. Melchior, Das 
Ulcus Duodeni. Ergebnisse der Chirurgie und Orthopädie, 1911, Bd. 2, 
Nr. 7. — 9. Perry und Shaw, On diseases of the duodenum. Georgs- 
Hospital. Report, 1894, Bd. 50, S. 171. — 10. Rössle, Genese der 
Magen- und Duodenalgeschwüre. Naturwissenschaftliche medizin. Gesell¬ 
schaft Jena. Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 37, S. 1766. — 
11. Rössle, Das runde Geschwür des Magens und des Zwölffinger¬ 
darmes als „zweite Krankheit“. Grenzgeb. d. Med. u. Chirurgie, 1912, 
Bd. 25. — 12. Walter Sochaczewski, Zur Pathogenese der Darm¬ 
blutungen im Säuglingsalter. Archiv für Kinderheilk., 1909, Bd. 50. — 
13. Fritz Stromeyer, Die Pathogenese des Ulcus ventriculi, zugleich 
ein Beitrag zur Frage nach den Beziehungen zwischen Ulcus und Carcinom. 
Ziegler’s Beitr. z. pathol. Anatomie u. d. allgem. Pathol., 1912, Bd. 54, 
H. 1. — 14. F. von Torday, Duodenalgeschwür im Säuglinsalter. 
Jahrb. f. Kinderheilk., 1906, Bd. 63. 


Aus der Privatklinik von Geh. Rat Bier in Berlin. 

Vergleich der Wirkung von Thorium X- und 
Röntgen-Strahlen. 

Von 

Dr. Paal Krause. 

Die Wirkung von Thorium X- und Röntgen-Strahlen zu vergleichen 
bot mir ein Fall Gelegenheit. 

Es handelte sich um einen 60jährigen Patienten mit multiplen 
Lymphosarkomen, die zahlreich an Kopf und Hals sassen; ihre Grösse 
war walnuss- bis kleinapfelgross. Ausser diesen äusserlich sichtbaren 
Tumoren bestand noch ein walnussgrosses Lymphosarkom im Nasen¬ 
rachenraum, der Vorderfläche der oberen Halswirbel aufsitzend. 

Die Röntgenbestrahlungen hatten in diesem Falle prompten Erfolg; 
es handelte sich um ein so sensibles Geschwulstgewebe, dass nach Ver¬ 
abfolgung einer knappen Erythemdosis mit einer Röntgenröhre von 
9 Wehnelt jeder der Tumoren im Zeitraum von zwei bis drei Tagen 
völlig resorbiert war, am Tage nach der Bestrahlung zeigten sich die 
Tumoren bereits regelmässig auf die Hälfte verkleinert. Nur dem Tumor 
im Nasenrachenraum war infolge seiner ungünstigen Lage nicht beizu¬ 
kommen; weder mit Tiefenbestrahlungen durch Filter noch mit Be- 


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Strahlungen durch den geöffneten Mund wurde eine wesentliche und 
dauernde Rückbildung des Tumors erzielt. 

Mau beschloss in diesem Falle mit Rücksicht darauf, dass die direkte 
Bestrahlung der übrigen Tumoren so gut gewirkt hatte, den Tumor im 
Nasenrachenraum durch Spaltung des weichen Gaumens in der Median¬ 
linie freizulegen und der direkten Bestrahlung zugängig zu machen. Der 
Erfolg war zunächst ein prompter. Der Tumor schwand bis auf einen 
Rest hinter dem rechten hinteren Gaumenbogen, wohin direkte Strahlen 
nicht kamen. Von diesem restlichen Tumor entwickelte sich die Ge¬ 
schwulst aber bald wieder zu alter Grösse. 

Unter diesen Umständen entschloss ich mich zu Injektionen von 
Thorium X in den Tumor selbst. 

Das Thorium X wurde von der Auergesellschaft täglich frisch ge¬ 
liefert, und zwar, wie gewünscht, in Ampullen von je 300 elektro¬ 
statischen Einheiten (= 800 000 Macheeinheiten); die Messung hatte 
24 Stunden vor der Injektion stattgefunden, nach beigegebener Kurve 
hatte bei der Injektion die Emanation ihren Höhepunkt erreicht, um 
dann abzukliDgen. Jede Einspritzung hatte zwar eine deutliche Ein¬ 
wirkung auf das Tumorgewebe; 24 Stunden später sah man nämlich die 
Stelle der Injektion und ihre nähere Umgebung in einem Durchmesser 
von knapp 1 qcm braun verfärbt, während die übrige Geschwulst eine 
rosarote Oberfläche hatte, ausserdem zeigte sich ebendort eine Einziehung; 
der Tumor hatte sich an dieser Stelle verkleinert. 

Aber ßraunfärbung und diese wenig umfangreiche Tumorverkleine¬ 
rung verschwanden jedesmal nach zwei bis drei Tagen endgültig. 

So war also der Endeffekt der Tboriuminjektion trotz der hohen 
Dosis und trotzdem in den ersten sechs Tagen 210 elektrostatische Ein¬ 
heiten und innerhalb von drei Wochen im ganzen 390 elektrostatische 
Einheiten injiziert wurden, gleich Null. 

Ohne Bedenken durfte die Gesamtdosis nicht mehr überschritten 
werden. Die Behandlung wurde aufgegeben, Patient starb nach 
einiger Zeit. ' 

Eine günstigere Applikation der Energie des Thorium X als die intra- 
tumorale ist nicht denkbar; die Wirkung der Röntgenstrahlen wurde da¬ 
gegen noch gemindert durch Haut-, Fett- und obere Tumorschichten; 
unter diesen Umständen ist folgende Schlussfolgerung berechtigt: 

Die Strahlenwirkung von Thorium X und der Röntgenröhre kann in 
diesem Falle messbar verglichen werden; es haben sich 210 elektro¬ 
statische Einheiten (= 2,1 Millionen Macheeinheiten), in sechs Tagen 
verabfolgt, bzw. 390 elektrostatische Einheiten, in drei Wochen verab¬ 
folgt, nicht gleichwertig einer Erythemdosis der Röntgenröhre gezeigt, 
die in einer Sitzung verabfolgt wurde. 

Aus der Klinik und Poliklinik für Frauenkrankheiten 
von Prof. Dr. W. Nagel in Berlin. 

Das Thigenol in der gynäkologischen Therapie. 

Von 

Dr. A. Himhberg, 1. Assistenzarzt. 

Bei der resorbierenden Behandlung der subakuten und chronischen 
Erkrankungen der weiblichen Beckenorgane spielt die lokale Applikation 
der Schwefelpräparate eine grosse Rolle. Sie ist an die Stelle der 
früheren Jodverwendung getreten, die zuerst von Breisky 1 ) in Gestalt 
eines Anstriches der Portio und des Scheidengewölbes mit Jodtinktur 
geübt wurde. 

Den Schwefelpräparaten wird ein beschleunigender Einfluss auf 
die Resorption exsudativer Prozesse an den inneren Genitalien 
der Frau nachgerühmt. Zu diesem Zwecke pflegt man einen Tampon 
mit dem schwefelhaltigen Medikament zu tränken und zur direkten 
Einwirkung auf die entzündeten Beckenorgane in das Vaginalgewölbe 
einzuführeu. Zwar liegen keine experimentellen klinischen Beobachtungen 
über die Resorptionskraft der Scheidenschleimhaut gegenüber den schwefel¬ 
haltigen Medikamenten vor, doch gestattet die klinische Erfahrung ein 
Urteil über die erfolgreiche Wirkung dieser lokalen Behandlung. 

Dass entgegen den Ausführungen Schwab’s 2 3 ), der die resorptive 
Kraft des Scheidenepithels in Abrede stellt, das Scheidenrohr sehr wohl 
Medikamente aufzunehmen vermag, beweisen die harnanalytischen Ver¬ 
suche von Higuchi 8 ), Falk 4 ) u. a., die im Ham den Nachweis der 
Aufnahme von Arzneimitteln führen konnten, mit denen die Scheiden¬ 
tampons getränkt waren. 

Nachteile der anorganischen Sohwefelverbindungen sind die Ver¬ 
anlassung gewesen, dass der reine Schwefel und seine anorganischen 
Abkömmlinge durch synthetisch hergestellte organische Schwefel - 
präparate verdrängt worden sind. In erster Linie haben die grössere 
Reizlosigkeit der festeren organischen Sohwefelverbindungen und ihre 
stärker reduzierenden und analgesierenden Eigenschaften die Substitution 
des anorganischen Schwefels durch ihre organischen Derivate herbei¬ 
geführt. 


1) Wiener Allgem. med. Ztg., 1883. 

2) Münefcener med. Wochenschr., 1910. 

3) Archiv f. Gynäköl., Bd. 86. 

4) Centralbl. f. Gynäkol., 1910. 


Lange Zeit hat das Ichthyol, das ein durch Destillation von bitumi- 
minösem Sehiefer gewonnenes Sohwefelöl ist, im Vordergründe der 
medikamentösen Schwefelapplikation gestanden. Der Ichthyoltampon 
fand bei der Behandlung gynäkologischer Entzündungen eine vorwiegende 
Verwendung. Bei dem Gebrauch des Ichthyols stört nur häufig sein 
penetranter, faulenden Fischen ähnelnder Geruch und eine leicht reizende 
Wirkung auf die Schleimhaut [Oppenheim 1 )]* 

Das Streben der pharmazeutischen Chemie, ein Schwefelpräparat 
ohne diese Nachteile des Ichthyols zu finden, hat eine Reihe schwefel¬ 
haltiger Präparate geschaffen, unter denen das Thigenol bald'eine 
gewisse Bedeutung erlangt bat. 

Das Thigenol wird von der Firma F. Hoffmann-La Roche & Co. 
seit einigen Jahren in den Handel gebracht und ist eine konzentrierte 
Lösung der Natriumverbinduog eines synthetisch hergestellten Sulfooleats, 
die lOpCt. organisch gebundenen Schwefel enthält. Das Präparat ist 
eine braune zähe Flüssigkeit von öliger Konsistenz, fast ohne jeden 
Geruch, die sioh leicht in Wasser, verdünntem Alkohol und Glycerin 
löst. Ueber die chemischen Eigentümlichkeiten des Thigenols orientieren 
zahlreiche in der Literatur niedergelegte Angaben. 

Die erste Prüfung des Thigenols erfolgte in der dermatologischen 
Praxis. Hier erwies es sich als ein antiseptisohes und antiparasitäres 
Mittel, das durch seine vasokonstriktorisehen Eigenschaften einen ent- 
zündungswidrigen und schmerzstillenden Einfluss ausübte. 

Da gleichzeitig seine leichte Resorbierbarkeit von der.Haut 
und Schleimhaut offenbar wurde, fand das Thigenol schon bald Be¬ 
achtung in der gynäkologischen Therapie. Hier waren Merkel 2 ) 
und Flatau 8 ) die ersten, welche mit dem Thigenol Versuche bei der 
Behandlung gynäkologischer Erkrankungen anstellten. Ihre günstigen 
Erfahrungen wurden schon schnell von Hönigsohmied 4 ), Neumann 5 ), 
Rousseau 6 ) u. a. bestätigt, die dem Thigenol in der Gynäkologie 
8 chmerzstilleude, resorptionsfördernde und entzündungswidrige Eigen¬ 
schaften naohrühmen. In den experimentellen bakteriologischen Ver¬ 
suchen konnten dann Scarlini und Saladini 7 ) und Latteux 8 ) den 
Beweis von der erheblichen Baktericidie des Thigenols erbringen. 

Wir haben nun in der Nagel’schen Poliklinik eine grosse 
Reihe von gynäkologischen Erkrankungen mit Thigenol be¬ 
handelt, um die Berichte über die Heilungsresultate mit diesem Mittel 
einer Nachprüfung zu unterziehen. Es standen uns vier verschiedene 
Verwendungsmöglichkeiten des Thigenols zur Verfügung, einmal die 
Muttersubstanz, das reine Thigenol, dann ein 20proz. Thigenol- 
glycerin, ferner ein gebrauchsfertiger Thigenol-Tampol und die 
Thigenol-Ovules. 

Für die poliklinische Praxis ist die Verwendung des mit 20proz. 
Thigenol glycerin getränkten Tampons am rationellsten. Sein billiger 
Preis (Originalflasche ä 100 g 1 M.) ist Veranlassung gewesen, dass es 
für die Berliner Kassenpraxis freigegeben wurde. In der Praxis 
elegans sind der Tampol „Roche“ und die Ovules wegen ihrer Handlich¬ 
keit und sauberen Verwendung besonders gut geeignet. 

Das Thigenolglycerin fand bei allen denjenigen Fällen Verwendung, 
bei denen wir durch eine medikamentöse Tampontherapie eine Heil¬ 
wirkung zu erzielen erwarteten. Ueberall dort, wo es darauf ankam, 
subakute und chronische Entzündungen des Beckenbinde¬ 
gewebes, der Adnexe und des Beckenbauchfells zu lindern, 
wurden in regelmässigen Zwischenräumen Thigenoltampons eingelegt. 
Es war in erster Linie unser Bestreben, Reste von entzündlichen 
intra- und extraperitonealen Exsudaten und ihre konsekutiven 
Erscheinungen an den Nachbarorganen zu beeinflussen. Weniger 
Wert möchten wir auf die Heilungsbestrebungen bei der Behandlung 
ganz frischer Entzündungen mit eitrigem Katarrh legen. Hier versagt 
meist der einfache Thigenoltampon. Dagegen hat sich für diese Fälle 
mehr die von Nagel in Deutschland eingeführte „Kolumnisation“ erfolg¬ 
reich erwiesen, bei der es weniger auf die medikamentöse Durchtränkung 
des Tamponadenmaterials als auf die mechanische Stützung. der er¬ 
krankten Unterleibsorgane ankommt. 

In konsequenter Behandlung haben wir bei allen subakuten und 
chronischen Prozessen in eintägigen Zwischenräumen einen Thigenol¬ 
tampon eingeführt. Die Kranken müssen am Tage darauf den Tampon 
selbst entfernen und im Anschluss an die Entfernung eine Thigenol- 
spülung im Liegen machen, die durch die Auflösung von zwei Esslöffel 
der 20 proz. fertigen Thigenolglycerinlösung auf 1 1 warmes Wasser her¬ 
gestellt wurde. Unter diesen Maassnahmen, die durch allgemeine 
diätetische Vorschriften unterstützt werden, konnten wir einen schnellen 
Nachlass der entzündlichen Schmerzen beobachten. Dieser subjektiven 
Besseruog pflegte alsbald der Rückgang der objektiven Krankheits- 
ersoheinungen zu folgen. Die entzündlichen Schwellungen gingen zurück, 
Exsudate wurden resorbiert, und das Verschwinden der entzündlichen 
Verwachsungen der Unterleibsorgane konnte in ungestörtem Fortschritt 
beobaohtet werden. Es decken sich diese unsere Beobachtungen mit 

1 ) Deutsche med. Wochenschr., 1912. 

2) Münchener med. Wochenschr., 1902. 

8 ) Münchener med. Wochenschr., 1902. 

4) Wiener med. Presse, 1903: 

5) Deutsche Aerzte-Ztg., 1903. 

6 ) These de Paris, 1904. - — — - 

7) Arch. ital. di gineool., 1905, Nr. 1. 

8 ) Etüde sur le Thigenol, Paris. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 13. 


dem Bericht Nitze’s 1 ), der jüngst den Thigenol-Tampol für die 
Behandlung chronischer Unterleibsleiden empfiehlt und besonders der 
Tampolbehandlung warm das Wort redet, die wegen der rationellen und 
handlichen Anwendungsform für den Praktiker besonders geeignet sein 
dürfte. Es kann nicht jeder in der allgemeinen Praxis stehende Arzt 
das ganze Rüstzeug bereithalten, das für die Tampontherapie notwendig 
ist. Für diesen ist es bequemer, den fertigen Thigenol-Tampol zur An¬ 
wendung bereit zu haben, der ohne jede unterstützenden oder vor¬ 
bereitenden Maassnahmen appliziert werden kann. 

ln anderen Fällen haben wir uns das Einführen der Thigenol- 
tampons dadurch erleichtert, dass wir in das Scheidengewölbe ein 
Thigenol-Ovule deponierten und zur Verhütung des Herausrutschens 
dieses medikamentösen Eies einen trockenen Wattetampon in die Scheide 
einlegten. Das Ovule löst sich leicht im Scheidensekret und kann hinter 
dem schützenden Verschluss des Wattetampons seine resorbierende oder 
schmerzstillende Wirkung entfalten. 

Von einer internen Verwendung auf dem Umwege über den 
Magendarrakanal haben wir Abstand genommen, da uns theoretisch ein 
Erfolg nicht wahrscheinlich sein konnte. 

Wir haben am Abschluss unserer therapeutischen Versuche mit dem 
Thigenol in der konservativen Behandlung der weiblichen 
Unterleibsleiden den Eindruck gewonnen, dass es ein wertvolles und 
zuverlässiges Heilmittel überall dort ist, wo ein Schwefelpräparat 
eine therapeutische Wirkung entfalten kann. 


Gegenwart und Zukunft der Riickenmarks- 
chirurgie. 

Von 

Max Rothmann. 

(Nach einem Vortrag in der Berliner medizinischen Gesellschaft am 
12. Februar 1913.) 

(Schluss.) 

Können wir nach den vorliegenden Erfahrungen die intra¬ 
medulläre Operation als einen klinisch berechtigten Eingriff be¬ 
zeichnen, so erscheint es allerdings notwendig, darüber klar zu 
werden, in welchem Umfange Operationen innerhalb des Rücken- 
marksquerscbnitts mit einem annähernd befriedigenden funktio¬ 
nellen Resultat möglich sind. Von den intramedullären Ge¬ 
schwülsten, die zur Operation geeignet sind, muss man die 
centralen, beide Rückenmarkshälften ziemlich gleichmässig 
befallenden Tumoren, die bald im Gebiet der Hinterstränge, bald 
noch centraler, im wesentlichen die graue Substanz einnehmend, 
gelegen sind, und die in einer Rückenmarkshälfte, vor 
allem im Gebiet eines Seitenstranges zur Entwicklung gelangenden 
Geschwülste unterscheiden. Tumoren, die fast den ganzen Quer¬ 
schnitt des Rückenmarks einnehmen oder sich durch weite Ge¬ 
biete des Rückenmarks in der Längenausdehnung erstrecken, 
kommen für die Operation nicht in Frage. Ebenso werden mul¬ 
tiple Rückenmarksgeschwülste nur selten, wie in dem schönen 
Fall von Reichmann-Röpke, zur erfolgreichen Operation ge¬ 
langen. Oft genug wird, wie in dem Fall Brun, der eine Tumor 
richtig diagnostiziert und operiert werden, während die Autopsie 
erst ein zweites Neoplasma erkennen lässt. Tumoren, wie das 
hier abgebildete intramedulläre Spindelzellensarkom von Gowers 2 ) 
(Figur 1), das im wesentlichen Hinterstränge und graue Sub- 

Figur 1. 


Intramedulläres Spindelzellensarkom nach Gowers. 

stanz ergriffen hat, oder der von Schlesinger 3 ) beobachtete 
intramedulläre Tuberkel mit ähnlicher Lokalisation (Figur 2) 
oder das Epitheliom im oberen Dorsalmark von Friedmann 4 ) 

_ ‘ 'f . i i 

1 ) Deutsche med. Wochenschr., 1912. 

2 ) W. R. Gowers, Handb. d. Nervenkrankh., 1892, Bd. 1, S. 554. 

3) Schlesinger, Handb. d. pathol. Anat. d. Nervenkrankh., 1904. 

4) M. Fried mann, Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk., Bd. 39, S. 296. 


(Figur 3) werden, vor allem in einem etwas früheren Stadium 
ihres Wachstums, bei dem weitgehenden Intaktsein der Seiten- 
und Vorderstlänge und den festen Tumorgrenzen der Operation 
zugänglich sein. 

Sehr viel schwieriger liegen schon die Verhältnisse, weun 
der Tumor, wie in einem auderen Fall Sch I esi nger’s von 
Konglomerattuberkel mehr ventralwärts im Gebiet des Vorder- 
und Vorderseitenstrangs gelegen ist (Figur 4). Nicht nur, dass 


Figur 2. 



lutraraedullärer Tuberkel nach Schlesinger. 


Figur 3. 

c b 



Epitheliom (3. Dorsalsegment) nach Friedman n. 

: a = Tumor, b = erhaltenes Rückenmark, cj= Tumorspalten. 


Figur 4. 



Konglomerattuberkel des Rückenmarks nacb üchlesinger. 

der Tumor nur mühsam von der hinteren oder seitlichen Peri¬ 
pherie aus zu erreichen ist, auch die Ausfallserscheinungen nach 
Entfernung des Tumors müssen sehr viel schwerere sein. 

Nach den übereinstimmenden Lehren der experimentellen 
Physiologie bei Hunden und Affen und der menschlichen Stich¬ 
verletzungen des Rückenmarks kann nun der Verlust der 
Hinterstränge verhältnismässig leicht funktionell überwunden 
werden. Konnte beim Hunde überhaupt kaum eine Störung nach 
Ausfall der Hinterstränge nachgewiesen werden, so^ lässt auch 
beim Affen eine isolierte Durchtrennung beider Hinterstränge im 
obersten Halsmark nicht die geringste Störung der Berührungs- 



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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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empfindung nach weisen 1 ). Dagegen besteben beim Affen anfangs 
nach der Operation ziemlich schwere Lagegefühlsstörungen der 
Extremitäten, vor allem der Arme, die das Greifen zum Beispiel 
sehr erschweren. Doch tritt in einigen Wochen eine weitgehende 
Restitution ein, wenn auch eine mässige Ungeschicklichkeit der 
Hände noch nach Monaten nachweisbar ist. Auch beim Menschen 
hat das Studium der Stichverletzungen, wie Petren 2 3 ), Roth¬ 
mann 8 ), Fabritius 4 ) übereinstimmend feststellen konnten, das 
Erhaltensein der Berührungsempfindung bei Hinterstrangsdurch- 
trennungen ergeben, wenn die anderen Rückenmarksstränge zur 
Leitung intakt sind. Dagegen dürften die Lagegefühlsstörungen 
und damit vor allem die Ungeschicklichkeit der Hände die der 
Affen noch wesentlich übertreffen. Doch wird sich auch hier 
eine weitgehende Restitution bemerkbar machen. Darauf weisen 
ja auch die Erfolge der oben geschilderten intramedullären Ope¬ 
rationen vom Hinterstrang aus hin. Denn die anatomische Unter¬ 
suchung des zum Exitus gelangten Falles von Eisberg und Beer 
hat das völlige Fehlen der Hinterstränge ergeben, und in dem 
Fall von Braun, in dem die Kugel durch den rechten Hinter¬ 
strang in das Rückenmark eingedrungen und durch den linken 
Hinterstrang entfernt worden ist, so dass kaum Reste der Hinter¬ 
stränge vorhanden sein konnten, zeigten Berührungsempfindung 
und Muskelsinn eine weitgehende Restitution. 

Nach diesen Ergebnissen erscheint es unbedenklich, die 
Hinterstränge, in welcher Höbe des Rückenmarks es auch sein 
mag, zum Zweck einer lebenswichtigen, intramedullären Operation 
sogar in toto zu zerstören. Die zweifellos nicht unbeträchtlichen 
Lagegefühlsstörungen sind bis zu einer gewissen Grenze der 
Restitution zugänglich und kommen neben dem lebensrettenden 
Effekt der Operation nicht in Frage. Jedenfalls aber kann man, 
ohne irgendwelche schwereren Ausfallserscheinungen befurchten 
zu müssen, im Gebiet der Fissura posterior einen Längsschnitt, 
sogar bis an die Commissura posterior der grauen Substanz heran, 
au8fübren. 

Auch die graue Substanz selbst, die ja häufig zusammen 
mit den Hintersträngen Sitz einer centralen Rückenmarksgescb wulst 
darstellt, kann in ein oder zwei spinalen Segmenten weitgehend 
vernichtet werden, ohne dass es zu anderen Störungen als zu 
lokalen Paresen und Atrophien in einzelnen Muskelpartien kommt, 
die entweder funktionell von geringer Bedeutung sind oder weiter¬ 
hin durch Muskel- und Sehnentransplantationen gebessert werden 
können. Nur ein cervicales Segment macht hier eine wesentliche 
Ausnahme: das ist das IV. Cervicalsegment infolge seiner Be¬ 
ziehungen zu den Phrenicuscentren und daher zur Atmung. In¬ 
folge dieser Verhältnisse ist ja auch der zweite Fall von Eis¬ 
berg und Beer, bei dem der Eingriff von den Hintersträngen 
her bia zum IV. Cervicalsegment heraufreichte, zum Exitus ge¬ 
kommen. 

Wenn in dem Fall von Veraguth und Brun bei Operation 
in der gleichen Höhe der unglückliche Ausgang nicht eintrat, 
trotzdem sogar vor der Operation eine einseitige Phrenicus- 
läbmung bestand, so liegt das an dem einseitigen Sitz der Ge¬ 
schwulst und dem Eingehen vom Seitenrand des Rückenmarks aus. 

Im übrigen kann man aber sagen, dass die Entfernung einer 
intramedullären Geschwulst mit Zerstörung der Hinterstränge und 
der grauen Substanz des betreffenden Rücken markRsegments 
möglich ist, ohne einen allzu schweren oder gar das Leben ge¬ 
fährdenden Defekt zu hinterlassen. Nun dringt aber bei vielen 
dieser centralen Geschwülste der Tumor in die Vorderstränge 
vor oder nimmt überhaupt nur die graue Substanz und die an¬ 
grenzenden Gebiete der Vorderstränge ein. In diesen Fällen 
muss man bei dem Versuch einer Exstirpation der Geschwulst, 
die nur von hinten her möglich sein dürfte, stets mit einer kom¬ 
binierten weitgehenden Zerstörung der Hinter- und Vorderstränge, 
inklusive der zwischen ihnen gelegenen grauen Substanz rechnen. 
Es ist aber zu betonen, dass in der Regel die medialen, der 
grauen Substanz benachbarten Teile der Vorderstränge zuerst und 
am stärksten betroffen werden, während in der Peripherie die 
Nervenbahnen intakt bleiben oder doch nur einer mehr oder 
weniger starken Kompression ohne Zerstörung ausgesetzt sind. 
Man muss sich ja überhaupt bei dem Wachstum dieser centralen 
Geschwülste immer vor Augen halten, dass die umgebende Nerven- 

1) M. Roth mann, Demonstration zur flinterstrangsfunktion. Neurol. 

Centralbl., 1911, Nr. 15. ' , 

2) Karl PetrSn, Skandinavisches Archjv f. Psych., 1902, Bp. 13, 
und Archiv f. Psy£h., Bd. 47, H. 2. 

3) M. Rothmann, diese Wochenschr., 1906, Nr. 2 u. 8. 

4) H. Fabritius, Monatssohr. f. Psych. u. Neurol., 1912, Bd. 31. 


Substanz bei der fortschreitenden Entwicklung des Tumors kom¬ 
primiert wird und daher oft der Eindruck ausgedehnterer Zer¬ 
störung entsteht, als es in Wirklichkeit der Fall ist. Da nun 
aber auch hier im Vorderstrang das Gesetz der exzentrischen 
Lagerung der langen Bahnen gültig ist, so werden bei einem 
Hineinwachsen der Geschwulst in die Vorderstränge von dorsalen 
Gebieten aus zwar die am Sulcus anterior gelegenen Pyramiden- 
vorderstrangbahnen frühzeitig ergriffen, die von den Pyramiden¬ 
seitenstrangbahnen funktionell völlig ersetzt werden können; die 
funktionell vor allem für die Statik besonders wichtigen deitero- 
spinalen Bahnen am ventralen Rande der Vorderstränge aber 
werden gar nicht oder doch erst in einem sehr vorgeschrittenen 
Stadium der Geschwulstbildung der Vernichtung anheimfallen. 

Aber selbst die völlige Zerstörung von Hinter- und 
Vordersträngen mit der dazwischen gelegenen grauen 
Substanz in ein oder zwei Rückenmarkssegmenten dürfte bei 
Intaktsein der Seitenstränge mit einem weitgehenden Erhaltensein 
der spinalen Funktion einbergeben. Darauf weisen die von 
Rothmann 1 ) ausgeführten kombinierten Zerstörungen von Vorder- 
und Hintersträngen im 1. oder 2. Halssegment bei Affen und 
Hunden hin. Beim Hunde hat dieser schwere Eingriff eine starke 
Rumpfmuskelschwäche und eine mässige Ataxie und Lagegefübls- 
störung der Extremitäten bei völliger Aufhebung der Berührungs¬ 
empfindung zur Folge. Aber die Lokomotion bleibt erhalten; 
Drucksinn, Schmerzempfindung und Temperatursinn sind vor¬ 
handen, wenn auch bei schwerer Störung ihrer Lokalisation. Die 
Störungen gehen im Laufe von Monaten entschieden zurück. 
Auch beim Affen bedingt eine gleichzeitige Zerstörung beider 
Vorder- und Hinterstränge im obersten Halsmark eine Aufhebung 
der Berübrungsempfindung und schwere Störung des Muskelsinns. 
Während derartig operierte Affen auf den Hinterbeinen gutes Laufen 
zeigen, ja nach wenigen Tagen sogar auf die Stange springen 
können, sind die Arme in den ersten Tagen fast bewegungslos 
und zeigen auch in der Folge starke Ataxie bei den Greif¬ 
bewegungen. Es ist aber zu betonen, dass es sich hier um einen 
Eingriff im obersten Halsmark handelt; bei derartigen Aus¬ 
schaltungen im Brustmark würden die Ausfallserscheinungen ent¬ 
sprechend geringer sein. 

Beim Menschen muss eine derartige völlige Ausschaltung von 
Vorder- und Hintersträngen bei den veränderten Verhältnissen 
des aufrechten Ganges schwer schädigend einwirken; doch lässt 
sich auch hier erwarten, dass die ausschliessliche Leitung durch 
die Seitenstränge bei intakten Pyramidenseitenstrangbahnen Stehen 
und Geben sowie die Uebermittelung von Druck-, Schmerz- und 
Temperatursinn bei aufgehobener feinerer Lokalisation dieser 
Empfindungen zustande bringen würde. Es sind aber derartig 
ausgedehnte Zerstörungen bei den der Operation noch zugäng¬ 
lichen intramedullären Tumoren nicht zu erwarten. 

Neben diesen centralen, beträchtliche Gebiete der Hinter- 
und Vorderstränge sowie der grauen Substanz beider Seiten er¬ 
greifenden Tumoren sind es dann vor allem die in einem 
Seitenstrang oder einer ganzen Rückenmarksbälfte zur 
Entwicklung gelangenden Geschwülste, die einer Operation zu¬ 
gänglich sein werden. Die beiden bekanntesten derartigen Fälle, 
der von Henneberg 2 ) und der von Müller 8 ), zeigen ausser¬ 
ordentlich grosse Tumoren. In dem Fall von Henneberg 
nimmt ein sehr rasch gewachsenes Gliom im obersten Hals¬ 
mark den ganzen linken Seitenstrang ein und hat das erhaltene 
Rückenmark nach rechts berübergedrängt. (Figur 5.) ln dem 
Fall von Müller handelt es sich um einen Tuberkel, der die 
ganze eine Rückenmarkshälfte ersetzt bat, während die andere 
Hälfte als schmaler Halbmond der Geschwulst aufsitzt. (Figur 6.) 
Es ist aber zu betonen, dass in beiden Fällen die Geschwulst 
ungehindert bis zum Tode gewachsen ist, dass daher ein Eingriff 
in früheren Stadien der Erkrankung sehr viel günstigere Ver¬ 
hältnisse angetroffen hätte. Bei den bisher bekannten intra¬ 
medullären Eingriffen ist von den intramedullären Tumoren nur 
im Fall von Veraguth und Brun von der dorsolateralen Peri¬ 
pherie aus eingegangen worden. Vidieicht gehört hierher auch 
der erste Fall von v. Eiselsberg-Clairmont, bei dem der auf der 
rechten Seite hervorspringende Tumor von einer dünnen, leicht zu 
durchtrennenden Schicht von Rückenmarkssubstanz umgeben war. 
In den beiden von Nonne berichteten Fällen von extramedullärem 

1) Max Rothmann/Zur Frage der Sensibilitätsleitung im Rücken¬ 
mark. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk., 1912, Bd. 48. 

2) Henneberg, Archiv f. Psyoh., 1900, Bd. 33, S. 978. 

3) L. R. Müller, Deutsche Zeits^r. f. Nervenhheilk., 1898, Bd. 12, 
S. 288. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 13. 


Figur 5. 



Gliom im linken Seitenstrang des oberen Halsmarks nach Henneberg. 


Figur 6. 



Solitärtuberkel der rechten Rückenmarkshälfte (2. Dorsalsegment) nach 
L. R. Müller. 


Tumor war der Seitenstrang sekundär von der Geschwulst er¬ 
griffen, so dass derselbe bei der Operation weitgehend zerstört 
werden musste. In allen diesen Fällen, in denen allerdings nichts 
über die Ausdehnung der Seitenstrangläsion bekannt ist, ist eine 
weitgehende funktionelle Besserung der Motilität eingetreten. In 
dem Fall von Veraguth und Brun ist die linksseitige Parese 
der Extremitäten völlig zurückgegangen; in den beiden Nonne- 
schen Fällen, die im 7. und 8. Cervicalsegment bzw. im 1. und 
2. Dorsalsegment sassen, ist nur eine leichte spastische Parese 
des Beines der betreffenden Seite zurückgeblieben, die die Arbeits¬ 
fähigkeit nicht behindert. 

Als Roth mann zum erstenmal nach weisen konnte, dass in 
weitgehender Uebereinstimmung mit den Ergebnissen beim Hunde 
auch beim Affen eine völlige Ausschaltung der Pyramiden- 
leitung keine Lähmung zur Folge hatte und nur mit einer ge¬ 
wissen Plumpheit der im übrigen völlig erhaltenen aktiven Be¬ 
wegungen der Extremitäten einherging, schien es nach den vor¬ 
liegenden klinischen Erfahrungen sehr gewagt, für den Menschen 
eine ähnliche, wenn auch nicht so weitgehende Ersetzbarkeit der 
Pyramidenbahnen anzunehmen. Aber der Nachweis, dass der | 


Zusammenhang zwischen dem Symptomenbild der spastischen 
Spinalparalyse und der Degeneration der Pyramidenbabnen kein 
so inniger ist, wie das früher angenommen wurde, dass es sich 
hier vor allem nicht um eine Paralyse, sondern um eine Pseudo¬ 
paralyse handle, die Feststellung von Fällen, bei denen trotz 
weitgehender Zerstörung der Pyramidenleitung, ja selbst einer 
corticalen Extremitätenregion eine beträchtliche Restitution der 
motorischen Funktion der Extremitäten eintrat, hat hier doch 
eine Wandlung unserer Anschauungen herbeigeführt 1 ). Konnte 
Roth mann bereits feststellen, dass Lähmungen und selbst 
Spasmen nicht unbedingt mit der Pyramidenausschaltung ver¬ 
bunden sein müssen, dass daher nur die Steigerung der Sehnen¬ 
reflexe als dauerndes konstantes Symptom des Ausfalles der 
Pyramidenleitung anzusprechen ist, so haben die Erfahrungen der 
letzten Jahre mit der Förster’schen Operation der hinteren Wurzel¬ 
durchschneidung 2 ) und in neuester Zeit mit der Stoffel’schen 
Operation der Durchtrennung einzelner Nervenfasern der hyper¬ 
tonischen Muskeln 3 ) diese veränderte Anschauung von der Be¬ 
deutung der Pyramidenleitung für die menschlichen Verhältnisse 
aufs schönste bestätigt, ja bauen zum grossen Teil auf derselben 
auf. So gelingt es heute bei Kindern mit Little’scher Krankheit, 
bei der anscheinend schwerste spastische Lähmungen mit stärkster 
Degeneration der Pyramidenbabnen einhergehen, durch Ab¬ 
schwächung der cerebropetalen Leitung (Förster) oder durch 
richtige Verteilung der motorischen Innervation auf die Gesamt¬ 
muskulatur von Arm bzw. Bein (Stoffel) weitgehende motorische 
Leistungen zu erzielen. 

Aber auch das beim Menschen im grossen angestellte Ex¬ 
periment der Halbseitenläsion durch die Stichverletzungen 
des Rückenmarks lehrt uns immer aufs neue, dass eine Durch- 
trennung von Hinterstrang und Seitenstrang einer Seite zwar 
anfangs völlige schlaffe Lähmung der Extremitäten der gleichen 
Seite bedingt, dass aber in der Folge eine weitgehende Restitution 
der Motilität Platz greift. So bedingt auch eine Stichverletzung, 
wie sie Fabritius 4 ) anatomisch im mittleren Halsmark nach 
fünftägiger Lebensdauer feststellen konnte (Figur 7), die den 

Figur 7. 



Stichverletzung des Rückenmarks (5. Cervicalsegment). Linker Seiten- 
und Vorderstrang zerstört. Nach Fabritius. 

Seitenstrang und einen grossen Teil des Vorderstrangs betroffen 
hat, zunächst völlige schlaffe Lähmung der gleichseitigen Ex¬ 
tremitäten. Aber die gesamte, über 100 Fälle betragende Kasuistik 
der Stichverletzungen lehrt immer aufs neue, dass das total 
schlaff gelähmte Bein stets nach einigen Wochen wieder zu will¬ 
kürlicher Bewegung zurückkehrt, so dass nach einigen Monaten 
eine Gehfähigkeit vorhanden ist und die Patienten nach Jahren 
völlig arbeisfähig sind und längere Strecken zu Fuss zurücklegen. 


1) M. Roth mann, diese Wocbenschr., 1902, Nr. 17 u. 18. Zeitschr. 
f. klin. Med., Bd. 44 u. 48. Monatsschr. f. Psycb. u. Neurol., Bd. 16, 
S. 589. Archiv f. Anatomie u. Physiol., pbys. Abt., 1907, S. 217. 

2) 0. Förster, Wiener klin. Wocbenschr., 1912, Nr. 25. 

3) A. Stoffel, Münchener med. Wochenschr., 1911, Nr. 47. 

4) Fabritius, 1. c., S. 108. 


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81. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


601 


Nor eine mässige Atrophie der Muskulatur, leichte Spasmen nnd 
Steigerung der Reflexe lassen die alte Schädigung noch erkennen. 
Da in diesen Fällen niemals eine reine Hinterseitenstrangsläsion 
(Areal der Pyramidenseitenstrangbabn) vorliegt, sondern der 
ganze Seitenstrang, bald mit dem Hinterstrang, bald mit dem 
Vorderstrang, bald sogar mit Teilen der anderen Rückeumarks- 
hälfte zusammen, durchtrennt ist, so muss man bei einer reinen 
Ausschaltung des Areals der Pyramidenbahn eine noch weiter- 
gehende Restitution der Beinfunktion erwarten. Der Arm aller¬ 
dings scheint in den Fällen, bei denen die Läsion im Halsmark 
sitzt, von einer schweren spastischen Parese mit Flexions- 
kontraktur befallen zu werden, die die praktische Brauchbarkeit 
des Armes aufhebt. 

Weiterhin ist nun die Tatsache praktisch wichtig, dass die 
von der Hirnrinde zum Rückenmark ziehenden Pyramiden fasern 
im Seitenstrangareal derart innig gemischt sind, dass jeder Teil 
des Querschnitts Fasern von jeder Rindenpartie der Extremitäten- 
region enthält. Daraus erklärt es sich, dass beim Affen eine 
partielle Läsion der Pyramidenbahn in der Kreuzung oder im 
Seitenstrang überhaupt keine nachweisbare Störung erkennen 
lässt. Wir dürfen daher erwarten, dass auch beim Menschen die 
Zerstörung grösserer Abschnitte des Pyramidenareals bei Intakt¬ 
sein eines Teils der Pyramidenleitung im Seitenstrang eine sehr 
weitgehende Restitution zur Folge haben wird, zumal wenn diese 
Ausschaltung nicht von Mitläsionen des Hinter- bzw. Vorderstrangs 
begleitet ist 1 ). 

Aach über die Folgen einer Ausschaltung der vorderen 
Abschnitte des Seitenstrangs sind wir vor allem durch das 
Stadium der Stich Verletzungen des Rückenmarks genau unter¬ 
richtet. Die Durchtrennung des Vorderseitenstrangs einer Seite 
führt beim Menschen im Gegensatz zu den niederen Tieren zunächst 
zu einer völligen Aufhebung von Schmerzempfindung und 
Temperatursinn in der gekreuzten Körperbälfte. Auch der 
Drucksinn erscheint schwer geschädigt. Allerdings bleibt diese 
Aufhebung von Schmerz- und Temperatursinn keine absolute; 
aber die Restitution vollzieht sich sehr viel langsamer und un¬ 
vollkommener als die der Motilität. Auch nimmt die restituierte 
Scbmerzempfindung nicht wieder ganz die Qualitäten der normalen 
Empfindung an, sondern wird undeutlicher, weniger scharf lokali¬ 
siert empfunden (Dysästhesie [Charcot, Fabritius]). Dagegen 
bleibt die Berührungsempfindung, die teils im gleichseitigen 
Hinterstrang, teils im gekreuzten Vorderstrang geleitet wird, voll¬ 
kommen erhalten. Daneben lassen sich mässige Vasomotoren¬ 
störungen und bei Eingriffen im Halsmark der bekannte Sym- 
pathicuskomplex des Auges, vor allem Verengerung der Pupille, 
erwarten. Geschieht der Eingriff oberhalb des 4. Halssegments, 
so kommt es zu einseitiger Schädigung der Phrenicusfunktion, 
ohne dass hierdurch eine schwerere Behinderung der Atmung 
bedingt wäre. 

Die Ausschaltung eines Seitenstrangs in der Aus¬ 
dehnung von ein bis zwei Rückenmarkssegmenten zum 
Zweck der Entfernung eines hier gelegenen Rückenmarkstumors 
bedingt also eine Lähmung der gleichseitigen Extremitäten, die, 
vor allem für das Bein, weitgehend restituiert wird, und eine 
Aufhebung von Schmerzempfindung und Temperatursinn in den 
gekreuzten Extremitäten, die auch bei langer Lebensdauer nur 
unvollkommene Restitution zeigt. Da nun aber diese Ausfalls¬ 
erscheinungen bereits bei bestehendem Tumor des Seitenstrangs 
in sehr viel stärkerer Ausdehnung infolge der Kompression des 
übrigen Rückenmarkquerschnitts vorhanden sind und das Leben 
aufs äusserste bedroht erscheint, so ist der operative Eingriff mit 
Ausschaltang des gesamten Seitenstrangs unbedingt berechtigt. 
Jedenfalls wird ein solcher Patient nach Monaten seine Gehfähig¬ 
keit wiedererlangt haben. In vielen Fällen, zumal bei recht¬ 
zeitigem Eingriff, wird aber nicht einmal die Zerstörung des 
gesamten Seitenstrangs erforderlich sein, und es ist klar, dass 
bereits mit dem Erhaltensein kleinster Seitenstrangabschnitte, 
zumal im Areal der Pyramiden bahn, die Vervollkommnung und 
Beschleunigung der Restitution wesentlich gefördert wird. Da¬ 
gegen bedeutet die Mitschädigung von Hinterstrangs- und Vorder- 


L),Die gegen diese Anschauung von Fabritius (Deutsche Zeitschr. 
f. Nervenbeilk., Bd. 45, S. 225) vorgebrachten Einwände sind nicht 
stichhaltig. Vor allem kann sein Versuch, die Ergebnisse der Marchi’schen 
Methode als irreführend hinzustellen, nicht als geglückt gelten. Wohl 
aber schliesst die Verteilung der Leitungsfasern jeder Rindenpartie über 
das ganze Areal der Pyramidenbahn nicht aus, dass bestimmte Faser- 
grup£en für bestimmte MuMcelfunktionen unter Normalen Verhältnissen 
besonders gut ausgesobliflen sind. 


Strangsabschnitten bei der Operation im Seitenstrang eine wesent¬ 
liche Verstärkung der Ausfallserscheinungen. Doch würde selbst 
bei Ausschaltung der ganzen einen Rückenmarksbälfte noch die 
Berührungsempfindung weitgehend erhalten bleiben und eine 
Restitution der Gehfähigkeit des Beins zustande kommen 1 ). 

Sowohl die centralen Geschwülste des Rückenmarks, die Teile 
der Hinterstränge, graue Substanz und dorsale Abschnitte der 
Vorderstränge betreffen, als auch die in einem Seitenstrang zur 
Entwicklung gelangenden Tumoren sind bei rechtzeitiger Diagnose 
und guter Abgrenzung dem operativen Eingriff zugänglich. Es 
kommt zu einer Defektheilung, die jedoch bei beiden Eingriffen 
mit einer weitgehenden motorischen Funktion, vor allem der 
unteren Extremität, vereinbar ist. Bei der Ausschaltung der 
Hinterstränge entwickelt sich eine nicht unbeträchtliche Ataxie 
der Extremitäten, bei der Zerstörung des einen Seitenstrangs eine 
gekreuzte Aufhebung von Schmerz- und Temperatursinn. Ein 
operativer Erfolg ist zunächst nur bei gut gegen die Rücken¬ 
markssubstanz abgegrenzten Geschwülsten zu erwarten. Höchstens 
kann bei cystisch entarteten diffasen Tumorbildungen die Er¬ 
öffnung und Entleerung der Cysten wenigstens vorübergehend 
eine Besserung des Zustandes bewirken. 

Neben diesen intramedullären Eingriffen bei Tumoren, die 
sich im Innern des Rückenmarks entwickeln, oder bei Affektionen, 
die tumorartige Symptome machen, wie kleine Erweichungsherde 
in der Rückenmarkssubstanz (Fall von F. Krause), Blutkoagula 
(Fall von Bailey und Beer), Pistolenkugel im Rückenmark (Fall 
Braun), die wir als pathologische Eingriffe zusammen fassen 
können, kommen nun aber physiologische Operationen im 
Gebiet der Rückenmarkssubstanz in Betracht. Als physiologi¬ 
sche Operationen können wir Eingriffe bezeichnen, die nicht 
den Ort der Erkrankung selbst betreffen, sondern ausgeführt 
werden, um bei bestimmten Schädigungen der Funktion durch 
Ausschaltung von Centren oder Leitungswegen, die uns in ihrer 
Leistung genau bekannt sind, Besserungen des Zustandes herbei¬ 
zuführen. Solche „physiologischen“ Operationen im Bereich des 
Nervensystems sind in der neuesten Zeit mehrfach ausgebildet 
worden. Hierher gehört die Entfernung des „primär krampfenden“, 
anatomisch oft nicht veränderten Hirnrindencentrums bei epilepti¬ 
schen Zuständen, hierher die Förster’sche Operation, bei der durch 
Durchschneidung einiger normaler hinterer Wurzeln die spastischen 
Zustände der Extremitäten gebessert werden, hierher endlich auch 
die Stoffel’sche Operation, bei welcher der gleiche Erfolg durch 
Durchtrennung einiger die hypertonischen Muskeln versorgender 
motorischer Nervenfasern erreicht wird. 

Aus den obigen Ausführungen geht hervor, dass wir über 
den anatomischen Verlauf und die funktionelle Bedeutung der 
Leitungsbahnen des Rückenmarks durch Experiment und Klinik 
weitgehende Aufklärung gewonnen haben. Können wir diese 
Kenntnisse zur Ausgestaltung „physiologischer“ Operationen im 
Rückenmark selbst verwerten? Schüller 2 ) hat vorgeschlagen, 
als Ersatz für die Förster’sche Operation bei spastischen Läh¬ 
mungen eine Durchscbneidung der Hinterstränge vorzu¬ 
nehmen, um den Tonus herabzusetzen, eventuell in Kombination 
mit Ausschaltung der Kleinhirnseitenstrangbahnen. Der Vorteil 
gegenüber der Förster’schen Operation mit Durchtrennung mehrerer 
hinterer Wurzeln würde vor allem in der auf ein Rückenmark¬ 
segment beschränkten Operation liegen. Es erscheint mir aber 
sehr zweifelhaft, ob die an sich leicht ausführbare Durchtrennung 
der Hinterstränge in einer bestimmten Niveauhöhe des Rücken¬ 
marks den gewünschten Tonus - herabsetzenden Einfluss haben 
würde. Der Vergleich mit den kombinierten Strangerkrankungen 
mit ihren durch weite Gebiete des Rückenmarks reichenden 
Hinterstrangs- und Seitenstrangsdegenerationen ist nicht stich¬ 
haltig. Vor allem aber beweisen die oben erwähnten Hinter- 
strang8durchschneidungen am Affen, dass die Lagegefühlsstörungen 
der Extremitäten hier doch bereits sehr beträchtliche sind. Beim 
Menschen dürften sie noch wesentlich stärker ausgeprägt sein. 
Müssen wir bei der Entfernung eines intramedullären Tumors 
diese Störung mit in den Kauf nehmen, bei der Behandlung der 


1) Es werden am Projektionsapparat mikroskopische Marchi-Präparate 
vom Rückenmark von Affen und Hunden mit isolierter Ausschaltung der 
Hinterstränge, der Vorderstränge, der Pyramidenkreuzung und des Hinter- 
seitenstrangs demonstriert. Dazu kommen kombinierte Ausschaltungen 
von' Hinter- und Vordersträngen, von. Seiten- und Vorderstrang einer 
Seite bei Affen und Hunden und die partielle 1 Zerstörung einer Pyramide 

" beim Schimpansen. 

2) Arthur Schüller, Ueber operative Durchtrennung derRücken- 
markssträuge (Chordotomie). Wiener raed. Wochenschr., 1910, Nr. 89. 


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602 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 13. 


spastischen Affektionen der Extremitäten würde diese funktionelle 
Störung sich doch sehr unangenehm bemerkbar machen. 

Dagegen habe ich empfohlen 1 2 3 * * ), unsere Kenntnis von der ge¬ 
kreuzten Leitung der Bahnen des Schmerzsinns im Vorderseiten¬ 
strang des menschlichen Rückenmarks dazu zu verwenden, bei 
inoperablen Geschwülsten des Beckens mit unerträglichen Schmerzen 
in einem Bein den gekreuzten Vorderseitenstrang im 
mittleren Brustmark zu durchschneiden. Durch diesen verhältnis¬ 
mässig kleinen Eingriff wird die betreffende Körperhälfte unter¬ 
halb der Operationsstelle für Schmerz- und Temperaturreize 
empfindungslos, während ein geringer Drucksinn und die Be¬ 
rührungsempfindung erhalten bleiben und auch die Motilität 
keine oder doch nur eine vorübergehende Schädigung erfährt. 

Der Vorschlag ist in dieser Form bisher noch nicht aus¬ 
geführt worden. Dagegen haben Spill er und Martin*) die 
sehr viel eingreifendere doppelseitige Durchschneidung des 
Vorderseitenstranges in einem Fall von inoperablem Rückenmarks¬ 
tumor erfolgreich ausgeführt. Es bandelte sich um einen 
47 jährigen Mann, bei dem sich eine schlaffe Lähmung der Beine 
mit heftigen Schmerzen in denselben entwickelte und die im 
unteren Teil des Rückenmarks sitzende Geschwulst nicht entfernt 
werden konnte. Da die Schmerzen sich ausserordentlich steigerten, 
führten Spiller und Martin die Durchtrennung beider Vorder¬ 
seitenstränge im mittleren Brustmark aus. Danach trat ein fast 
völliger Schwund der Schmerzen in den Beinen auf, die auch 
nach einem Jahr nur selten und in geringer Intensität in die 
Erscheinung traten. — Diese Durchtrennung des Vorderseiten¬ 
stranges, ein- oder doppelseitig, je nach der Lokalisation der 
Affektion, wird zweifellos bei andauernden heftigen Schmerzen 
bei inoperablen Tumoren der unteren Körperhälfte in Zukunft 
häufig ausgeführt werden und zum mindesten den unglücklichen 
Kranken ein erträgliches Dasein schaffen. Dagegen ist es nicht 
wahrscheinlich, dass diese Operation bei den Crises gastriques 
der Tabiker, für die sie Schüller vorgeschlagen hat, grosse Ver¬ 
breitung finden wird. Es fällt hier schwer ins Gewicht, dass man 
zur Beseitigung der gastrischen Krisen im oberen Teil des Brust¬ 
marks beide Vorderseitenstränge durchtrennen müsste, also die 
Schmerz- und Temperaturempfindung nicht nur des Rumpfes, 
sondern auch der gesamten unteren Körperpartien vernichten 
würde. Da wir aber von der Förster’schen Operation her wissen, 
dass selbst ausgedehnte Opferung von 7 bis 8 hinteren Rücken¬ 
markswurzeln auf beiden Seiten die gastrischen Krisen nicht mit 
Sicherheit beseitigt, da hier offenbar eine Vagusleitung von 
wesentlicher Bedeutung ist, so muss auch der Erfolg der Aus¬ 
schaltung der Vorderseitenstränge mindestens fraglich erscheinen. 
Es kann bei einer derartigen Operation leicht passieren, dass man 
die gesamte Schmerz- und Temperatursinnleitung der unteren 
Körperhälfte opfert und doch die Crises gastriques nicht be¬ 
seitigt. Dazu kommt noch, dass nicht allzu selten die gastrischen 
Krisen nach mehrjährigem Bestehen ganz von selbst nachlassen. 

Es bleibt endlich die Frage zu erörtern, ob in bestimmten 
Fällen ein Eingriff in das Areal der Pyramiden bahn als 
physiologische Operation in Betracht käme. Aus den Ex¬ 
perimenten am Affen wissen wir, dass hier ein.e partielle Durch¬ 
trennung der Pyramidenseitenstrangbabn keine nachweisbare 
Schädigung setzt, und dass selbst die völlige Durchtrenuung des 
Hinterseitenstranges, bei der neben den Pyramidenfasern auch 
das allerdings rudimentäre rubrospinale Bündel zerstört wird, die 
Ausführung der Bewegungen der Extremitäten der gleichen Seite, 
selbst der feinen Greifbewegungen nicht aufhebt. In neuester 
Zeit sind uns auch einige Beobachtungen an Menschenaffen be¬ 
kannt geworden. Bei einem von Rothmann 8 ) operierten Schim¬ 
pansen war durch einen dicht oberhalb der Pyramidenkreuzung 
geführten Schnitt das mediale Drittel der rechten Pyramide zer¬ 
stört worden, in Verbindung mit einer Durchtrennung der Schleifen¬ 
kreuzung. Bei diesem Schimpansen war nun zwar die Kraft des 
linken Arms gegenüber der des rechten herabgesetzt; doch waren 
die feinsten isolierten Bewegungen von Hand und Fingern nach¬ 
weisbar, ohne den Nachweis irgendwelcher spastischen Parese. 


1) M. Rothmann, Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilkunde, Bd. 41, 
S. 227. 

2) William G. Spiller and Edward Martin, The treatment of 
persistent pain of organic origin in the lower part of the body by 
division of the anterolateral column of the spinal cord. Journ. of the 
Amer. med. ass., L912, S. 1489. 

3) M. Rothmann, Ueber experimentelle Läsjonen des Central - 

nervensysteras am anthropomorphen Affen (Schimpansen). Arch. f. 

Psychiatrie, Bd. 38, H. 3, Versuch Nr. 3. 


Auch war der Schimpanse bereits nach 3 Tagen imstande, io der 
Stube umherzulaufen; die dabei in beiden Beinen nachweisbaren 
ataktischen Störungen dürften auf die weitgehende Zerstörung der 
Schleifenkreuzung zu beziehen sein. 

Beweist dieser Fall, dass die Zerstörung eines beträchtlichen 
Teils einer Pyramide mit weitgehender motorischer Funktion der 
Extremitäten, vor allem auch des Arms ohne spastische Kou- 
trakturen beim Menschenaffen vereinbar ist, so haben Holmes 
und May 1 ) bei einem Schimpansen den einen Pyramidenseiten¬ 
strang in toto durchtrennt und den Schimpansen 4 Wochen am 
Leben erhalten. Es bestand anfänglich eioe Parese der gleich¬ 
seitigen Extremitäten. Doch kehrten bereits nach 36 Stunden die 
aktiven Bewegungen in Arm und Bein wieder, ja der Affe ver¬ 
mochte sogar mit dem der Pyramidenleitung fast ganz beraubten 
Arm wieder nach Nahrung zu greifen. 

Auch beim Menschen weisen die Beobachtungen bei den 
Stichverletzungen des Rückenmarks darauf hin, dass nur bei 
totaler Durchtrennung des Hinterseitenstrangs eine länger dauernde 
schlaffe Lähmung der gleichseitigen Extremitäten vorhanden ist, 
während bei partieller Läsion schon in den ersten Tagen nach 
der Verletzung die Restitution einsetzt und verhältnismässig rasch 
zu grosser Vollkommenheit vorschreitet. Es würde demnach auch 
die operative Ausschaltung eines Teils der Pyramidenseitenstrang¬ 
bahn, vor allem unterhalb der Armcentren im Dorsalmark möglich 
sein, ohne dass eine besonders schwere dauernde Gangstörung 
zu befürchten wäre. 

Ein derartiger Eingriff würde nun bei schwerer Atbetose 
eines Beines, sei es, dass sie spontan entstanden ist, sei es, 
dass sie das Residuum eines Schlaganfalls darstellt, in Frage 
kommen, indem man erwarten könnte, durch Abschwäcbung der 
willkürlichen Innervation der unteren Extremität diese Zwangs¬ 
bewegungen zu beseitigen oder doch beträchtlich zu vermindern. 
Diese Operation mit partieller Durchtrennung eines Pyramiden¬ 
seitenstrangs im mittleren Brustmark käme aber zunächst nur für 
einseitige Affektionen und für die untere Extremität in Frage. 
Erst nach Sammlung hinreichender praktischer Erfahrungen würde 
eine Erweiterung der Indikationsstellung dieser „physiologischen“ 
Operation auf bilaterale Affektionen, eventuell auch auf einschlägige 
Störungen im Gebiet der oberen Extremität diskutierbar sein. 

Wenn wir nun aber überhaupt derartige „physiologische“ 
Rückenmarksoperationen in den Bereich der praktischen Er¬ 
wägungen ziehen, so erhebt sich die Frage, wer derartige Ope¬ 
rationen ausführen soll. Allerdings, die Freilegung des Rücken¬ 
marks ist ein rein chirurgischer Eingriff, der bei der ungenügen¬ 
den Ausgestaltung neurologischer klinischer Forschung, bei uns 
in Deutschland wenigstens, die uneingeschränkte Domäne der 
chirurgischen Klinik bleiben wird. Der chirurgische Neurologe 
wird, von Einzelfällen abgesehen, noch auf lange hinaus ein 
frommer Wunsch bleiben. Aberdie Ausführung des Rückenmarks¬ 
schnittes selbst erfordert eine so subtile Kenntnis der anatomischen 
Verhältnisse des betreffenden Rückenmarksquerschnittes, dass es 
immerhin zweifelhaft erscheint, ob er der Hand des Chirurgen 
oder des Neurologen anvertraut werden soll. Hier wird sich eine 
ähnliche Zweiteilung vielleicht als vorteilhaft erweisen, wie sie 
Herr Förster in Breslau, der die „physiologische“ Operation der 
Hinterwurzeldurchscbneidung inauguriert hat, für die letztere ein¬ 
gerichtet hat. Der Chirurg führt die Freilegung des Rückenmarks 
bzw. der hinteren Wurzeln aus; die feine Kleinarbeit der Durch¬ 
trennung der Rückenmarksstränge bzw. der bestimmten Wurzeln 
aber wird von dem hier anatomisch und physiologisch geschulten 
Neurologen übernommen. Natürlich werden hier persönliche Be¬ 
gabung und die lokalen Verhältnisse in wechselnder Gestaltung 
ausschlaggebend sein. 

Fassen wir endlich die hier vorgetragenen Aus¬ 
führungen zusammen, so wird in Zukunft neben den alt¬ 
bewährten extramedullären, spinalen Operationen ein weites Feld 
der intramedullären operativen Betätigung sich ausbreiten. Als 
pathologische Eingriffe kommen hier vor allem die Exstirpationen 
intramedullärer oder von aussen in das Rückenmark eingedrungener, 
nicht zu ausgedehnter und umschriebener Geschwülste in Betracht, 
die entweder, bei centralem Sitz, von den Hintersträngen aus ein- 
oder zweizeitig in Angriff genommen werden können oder bei 
einseitiger Entwicklung im Seitenstrang unter völliger Opferung 
desselben der Operation zugänglich sind. Hierzu kommen dann 
die Fremdkörper des Rückenmarks (Geschosse usw.) und die 

1) Gordon Holmes and W\ P. May, On the exaot origin of the 
pyramidal tracts in man and other mamals. Brain 1909, Bd. 32, S. 1. 


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dl. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Blutungen, Erweichungsherde, Cysten und Abscesse bei günstiger 
Lagerung. Den pathologischen Operationen an die Seite treten 
dann weiterhin die physiologischen Eingriffe, an erster Stelle die 
Ausschaltung der Schmerzleitung, einseitig durch Durchtrennung 
des gekreuzten Vorderseitenstranges, doppelseitig durch Durch- 
trennung beider Vorderseitenstiänge, zunächst vor allem bei den 
unerträglichen Schmerzen in der unteren Körperhälfte bei in¬ 
operablen Tumoren. Während die Ausschaltung der Hinterstränge 
zunächst kaum neben der Förster’schen Operation der hinteren 
Wurzeldurchschneidung oder der StoffeFschen Resektion moto¬ 
rischer Nervenfasern für die Beseitigung spastischer Zustände in 
Betracht kommen wird, durfte die partielle Läsion des Hinter¬ 
seitenstranges bei athetotischen Prozessen wohl zur Herabminde- 
rung der willkürlich motorischen Innervation und damit zur Be¬ 
seitigung oder wenigstens Besserung der Athetose herangezogen 
werden können, zunächst bei Hemiathetose der einen unteren 
Extremität. 

Wenn die intramedullären Eingriffe wahrscheinlich stets an 
Häufigkeit hinter den extramedullären innerhalb des Wirbelkanals 
zurückstehen werden, wenn auch oft genug sich intramedulläre 
Tumoren infolge ihrer zu grossen Ausdehnung und ihrer uu- 
genügenden Abgrenzung als inoperabel erweisen werden, im ganzen 
bedeuten diese neuen Operationen in der Rückenmarkssubstanz 
selbst doch einen wesentlichen Fortschritt auf dem Gebiet der 
Rückenmarkstherapie. Bei präziser Indikationsstellung und guter 
Ausbildung der Technik werden wir auch bei den intramedullären 
Operationen viele schöne Erfolge erwarten dürfen. 


Technische Neuheiten. 

Von 

y. Tobold. 

Die Firma W. Pfeiffer-Freiburg bringt eine Stirnlampe Sirius 
auf den Markt, die äusserst kompendiös gebaut an einem schmalen, 
leicht zusammenschiebbaren Vulkanfiber-Stirnreif befestigt und mittels 
des Kirstein’schen Gelenkes nach jeder Richtung leicht drehbar ist. 
Das durch eine Lampe von 4 Volt erzeugte Licht kann durch einen 
verstellbaren cylindrischen Tubus mit Linse verstärkt werden. Die 
• Lampe wird entweder an eine sechsstündige Dauerbatterie oder an eine 
Lichtleitung angeschlossen und ist in einer Segeltuchtasche leicht unter¬ 
zubringen, also auch ausserhalb des ärztlichen Sprechzimmers bei Hals-, 
Nasen-, Ohren-, Augen-, gynäkologischen Untersuchungen gut ver¬ 
wendbar. 

Von derselben Firma ist nach Prof. Salge’s Angaben ein 
Bronchitiskessel gebaut, der zur Erzeugung feuchter Luft im Kranken¬ 
zimmer dient. Der elektrisch geheizte Kessel fasst etwa 8 1 Wasser 
und kocht mit einmaliger Füllung etwa 6 Stunden. Die wesentliche 
Neuerung bei diesem Apparat besteht in einem elektrisch betriebenen 
Läutewerk, das ertönt, sobald das Wasser des Kessels so weit ver¬ 
dampft ist, dass in einer Viertelstunde die Gefahr des Durchbrennens 
des dann wasserleeren Kessels eintreten würde, die ja bei Apparaten 
ohne diese elektrische Alarmvorrichtung leicht eintreten kann. Der aus 
Kupfer hergestellte, vernickelte Apparat wird mittels Steckkontaktes an 
jede Lichtleitung angeschlossen und für Spannung von 220 oder 110 Volt 
Gleichstrom geliefert. 

Dem Uebelstand, dass es häufig in der Privatpraxis nicht möglich 
ist, am Bettende Extensionseinrichtungen vorzunehmen, will der nach 
Prof. Heusner-Bremen konstruierte Extensionsrollenständer der 
Firma Dr. Paul Koch in Neuffen (Württemberg) abhelfen, der aus 
einem vom Bett ganz unabhängigen, freistehenden Dreifuss aus Eisenrobr 
besteht. Durch seine Bauart gegen das Umfallen gesichert, ist der 
Rollenständer am oberen Ende sowie in Betthöbe mit verschiebbaren 
Extensionsrollen versehen, an denen horizontale, senkrechte und schräg 
aufsteigende Gewichtszüge angebracht werden können. Der leicht trans¬ 
portierbare Ständer, der sowohl am Fussende wie an der Seite des 
Bettes aufgestellt werden kann, ist nicht nur zur Anlegung von Streck¬ 
verbänden, sondern auch als Universal-Uebungsapparat zur Nach¬ 
behandlung nach Knocbenbrüchen, Gelenkerkrankungen geeigoet. 

Eine praktische Tropfflaschenapotheke nach den Angaben des 
Prof. Spiess der Firma Ludwig Dröll in Frankfurt a. M., für das 
Sprechzimmer des Arztes bestimmt, hat den Zweck, eine bequeme Ent¬ 
nahme von Lösungen, wie Cocain, Novocain, Suprarenin u. a., aus Stand- 
gefässen durch Druck auf dem Gummiball über dem Glasstopfen zu er¬ 
möglichen. Die entnommene Menge tropft in kleine Glasschalen, die 
zur besseren Unterscheidung ihres Inhaltes aus verschiedenfarbigem 
Glase bergestellt werden. Eine Verunreinigung der Lösungen ist durch 
diese Vorrichtung ausgeschlossen. Diese Tropfflaschenvorrichtung ist 
auf einem Alabastersockel treppenartig aufgebaut. Die Aufschriften für 
^die Flaschen werden je nach Bestellung 'geliefert. 

Unter Berücksichtigung der anatomischen Bewegungscentren ist ein 
Normalgelenkstuhl der Firma Maurice Schaerer-Brüssel kon- 
gtruiert, der ermöglicht, dass die Lagerfiächen des Stuhles in allen 


Stellungen dem Körper des zu Untersuchenden sich ansebmiegen und 
jeder Bewegung ohne die geringste Verschiebung folgen können. So 
kann der auf dem Stuhl Sitzende ohne Mühe in eine halbliegende oder 
ganzliegende Stellung, auch in Beckenhochlagerung gebracht werden, 
ohne den Stuhl zu verlassen oder irgendwelche Verschiebung der Körper¬ 
teile auf den Liegefiächen zu erleiden. Kopf, Hände und Beine können 
auch durch Bänder nötigenfalls unbeweglich gemacht werden. 

Eio Beinlager Brunsvigia von Oscar Schaeffer in Braunschweig 
dient zur Hochlagerung des Unterschenkels. Das in der Höhe verstell¬ 
bare Lager ist mit einem als Stützfläche des Unterschenkels dienenden 
Segeltuch überzogen. Durch Verstellen der hieran befindlichen Leder¬ 
riemen lässt sich jede gewünschte Schrägstellung der Stützfläche erzielen. 

Das aus Rohren gefertigte Gerüst des Beinlagers lässt sich für den 
Nichtgebrauch zusammenklappen. 

Ein Augenschutzapparat wird von der Firma Genz & Hoff¬ 
man n in Berlin C. 54, Sophienstr. 6, angefertigt. Die aus grünem Satin 
gefertigte Bandage besteht aus zwei Klappen von etwa 10 cm Durch¬ 
messer nebst Befestigungsband und Schnalle. In die Längsachse jeder 
Klappe ist ein Planchettestreifen genäht, durch welchen man den Stoff 
beliebig weit vom Gesicht und Auge entfernen und so den Licht¬ 
abschluss dementsprechend in gewünschter Weise regeln kann. 

Der Augenschutz ist nicht nur für Augenkranke, sondern auch für 
Augengesunde gedacht, wie z. B. bei Liegekuren im Hochgebirge und 
an der See, in Luft- und Sonnenbädern sowie für nervöse Personen, 
denen die Lichtabblendung häufig zur Beruhigung und Schlaf¬ 
erleichterung dient. 

Verstellbare Klammer zur Knochenfixierung nach Knie¬ 
gelenkresektion nach Prof. Wilms nennt sich eine von der Firma 
Friedr. Dröll in Hamburg verfertigte Metall schiene, die aus zwei in¬ 
einander verschiebbaren Teilen zusammengesetzt ist. Diese können 
mittels einer Flügelschraube in jeder Stellung gegeneinander gehalten 
werden. Durch die an den Enden der Schiene angebrachten cylinder- 
förmig durchbohrten Ansatzstücke werden Schrauben gesteckt, die die 
Knochen fast ganz durchsetzen. 

Nachdem die Sägeflächen der resezierten Knochen fest aneinander 
gepresst sind, wird die Flügelscbraube der Schiene fest angezogen, die 
etwa 2—3 cm über der Hautoberfläche zu liegen kommt, so dass der 
Verbandwechsel dadurch nicht gestört wird. 

Ein nach den Angaben von Dr. K. A. Fries von der Aktiebolaget 
Stille-Werner in Stockholm hergestellter Apparat für künstliche 
Atmung bezweckt, die zur Wiederbelebung Verunglückter mehrere 
Stunden lang fortzusetzende, sehr ermüdende Arbeit zu erleichtern. Das 
nach den Grundsätzen des Silvester’schen Verfahrens der künstlichen 
Atmung, die von den schwedischen Aerzten als die den physiologischen 
Verhältnissen am meisten entsprechende erprobt ist, gebaute Gerät hält 
mit seinen Armhaltern während der Atmungsarbeit die Arme fest, so 
dass sie den Bewegungen der zueinander gleichlaufenden Armhebel beim 
Heben und Senken folgen. 

Beim Vorbeugen der Arme wird ein Leibgürtel angezogen (Aus¬ 
atmung). Durch Zurücklegen der Armhebel über den Kopf lässt gleich¬ 
zeitig der Gürteldruck nach (Einatmungsstellung). Diese Atmungs¬ 
bewegungen können mittels der Armhebel ohne besondere Kraft¬ 
anstrengung, selbst von schwächlichen Personen, vorgenommen werden. 
Das künstliche Atmungsgerät, das auch angeblich von Laien ohne Vor¬ 
kenntnis bedient werden kann, ist zusammenlegbar und leicht zu be¬ 
fördern. 

Fingerlinge aus schwarzem Leder, bei denen ein keilförmiger 
Schlitz durch eine Wachstucheinlage ersetzt ist, der durch eine Schnur 
beliebig der Fingergrösse entsprechend gestellt werden kann, so dass 
nur eine Grösse dieses Fingerlings vorrätig gehalten werden braucht, 
erscheinen praktisch. Wozu aber solch ein von der Firma Lu sch er 
& Kömper - Berlin hergestellter Verbandschutz mit dem Namen 
„Anaprot“ bezeichnet wird, ist unverständlich. 

Die von Reinh. Kirchner & Co. in den Handel gebrachte Jod¬ 
tinkturflasche „Steril“ entspringt dem praktischen Bedürfnis der 
sicheren Unterbringung der Jodtinktur. Ob diese Unterbringung durch 
die angegebene Flasche völlig gelöst wird, erscheint zweifelhaft. Jeden¬ 
falls ist durch Versuche erwiesen, dass Joddämpfe auch den angeblich 
dichten Glasstopfenverschluss durchdringen. Werden die Joddämpfe 
nicht in besonderer Weise absorbiert, wie dies durch die seitens der 
Heeresverwaltung eingeführten, mit joddämpfebindender Flüssigkeit ge¬ 
tränktem Asbest ausgefütterten Bleohkästen erfolgt, so genügt auch die 
verschraubbare Holzflasche nicht. 

Vielleicht wird hierdurch der Firma die Anregung gegeben, die 
Holzflasche mit einer solchen joddämpfebindenden Asbesteinlage zu versehen. 

An Stelle des Pinsels aus gesponnenem Glashaar erscheint ein 
Asbestpinsel dauerhafter. _ 


Die Little’sche Krankheit. 

Kritisches Uebersichtsreferat. 

Von 

Dr. Brano Kttnse, 

I. Assistent dor Prof. Bi^alski’schen Klinik. . 

Nach wie vor nimmt die Little’sche Krankheit das Interesse zahl¬ 
reicher Forscher iü Anspruch, ffüd bei der geringen Möglichkeit anders¬ 
artiger therapeutischer Beeinflussungen ist es erklärlich, dass sie mehr 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT 


Nr. 13. 


und mehr zu einer orthopädischen Erkrankung wird. Tatsächlich und 
mit Recht sind daher die meisten Orthopäden heute geneigt, die Beseiti¬ 
gung der Bewegungsstörungen, welche die angeborene spastische Glieder¬ 
starre im Gefolge hat, als ihre ureigenste Domäne zu betrachten. Trotz 
der erfreulichen Erweiterung der Heilungsmöglichkeiten, die der Affektion 
von dieser Seite beschert worden, ist es vielleicht angebracht, heute 
darauf hinzuweisen, dass nicht zugunsten roher Empirie die rein wissen¬ 
schaftliche, die pathologisch-anatomische Seite in den Hintergrund ge¬ 
drängt werde, und dass wir Grund haben, auch die Neurologen als mit¬ 
berufene Kenner und Erforscher der Krüppellähmungen anzuhören. Vor 
allem wäre da der Name, wenigstens soweit er, wie üblich, mit unzu¬ 
länglicher Grundlage angewendet wird, zu beanstanden. Es ist eben 
nicht alles Little, was ohne unmittelbar erkennbare Ursachen Spasmen 
und Kontrakturen in den Beinen hat. Wir dürfen nicht mit der primären 
Entwickelungshemmung der Pyramidenbahn, welche als Folge der Früh¬ 
geburt auftritt, und welche Little in guter Kenntnis ähnlicher Sym- 
ptomenbilder als selbständige Krankheitsform beschrieb, alle möglichen, 
auf die verschiedensten Ursachen zurückzufübrenden cerebralen Diplegien 
und Tetraplegien willkürlich zusammentun. Pflegen wir doch auch 
sonst Krankheiten nicht nach den Symptomen, sondern nach der patho¬ 
logisch-anatomischen Grundlage zu bezeichnen. Es ist doch ein wesent¬ 
licher Unterschied, ob von Anfang an eine Entwickelungshemmung der 
Pyramidenbahn besteht, oder ob erst sekundär durch Herderkrankungen, 
die wieder verschiedenster Natur sein können, eine Zerstörung dieser 
Bahnen bedingt wird. Ziehen neuntes demnach mit Recht einen Miss¬ 
brauch, wenn der Name Little auf alle cerebralen Diplegien des Kindes¬ 
alters jedweden Ursprungs ausgedehnt wird. Bei ungenauer oder unzu¬ 
verlässiger Anamnese ist allerdings im einzelnen Fall die Entscheidung 
oft recht schwierig, ob es sich um die Little’sche Krankheit sensu 
strictiori oder um eine intrauterine, natale, postnatale Dysplasie oder 
eine Abiotrophie handelt. In diesen unsicheren Fällen ist es aber besser, 
sich mit der allgemeineren Diagnose paraplegische Form der cerebralen 
Kinderlähmung zu begnügen. 

Eine genauere Abgrenzung der aufgezäblten Affektionen erscheint 
auch für den vorzugsweise aufs Praktische gerichteten Orthopäden schon 
darum geboten, weil einige von ihnen, wie z. B. die auf kongenitaler 
Syphilis beruhenden einer ätiologischen Behandlung sich als zugänglich 
erwiesen haben. Ebenso können die übrigen Formen mehr als ein rein 
theoretisches Interesse beanspruchen, weil die prognostischen Ausblicke, 
die sie geben, in mancher Beziehung erheblich voneinander abweichen 
und das therapeutische Tun und Lassen mit Vorteil von dieser Kenntnis 
abhängig gemacht werden kann. Ziehen will im Sinne des ersten Be¬ 
schreibers nur diejenige Form cerebraler Diplegie als Little ange¬ 
sprochen wissen, welche auf einer primären, durch Frühgeburt bedingten 
Entwickelungshemmung der Pyramidenbahn beruht. Ursache ist die 
meist im 7. oder 8. Monat erfolgende Frühgeburt, ausnahmsweise soll 
schon eine Verfrühung der Geburt um 2 Wochen zur Hervorbringung 
der Krankheit genügen. Babonneix beobachtete einen leichten 
Little’schen Symptomenkomplex bei dem Kinde einer Patientin, die 
im 5. Schwangerschaftsmonate einen Mumps durcbgemacht hatte. Ebenso 
wie es von Syphilis, Tuberkulose, Cholera, Erysipel der Mutter bekannt 
ist, dass sie bei dem Neugeborenen Little’sche Zeichen hervorbringen 
können, so hält Babonneix dasselbe bei der Parotitis für gut denk¬ 
bar, um so mehr als bei dieser Erkrankung doch speziell die Nerven- 
achsen geschädigt werden. 

Das Symptomenbild des engeren Little’schen Krankheitsbegriffes 
wird beherrscht von der spastischen Paraplegie der Beine. Die Arme 
sind relativ normal oder auch ganz frei. Bezüglich der Spasmen über¬ 
wiegt bald die Kontraktur, bald die Lähmung. Die Intelligenz der 
reinen Little-Fälle ist vielfach ganz normal, in manchen besteht leichter 
Schwachsinn. Die eigentümliche Mimik, der Speichelfluss, die Sprach¬ 
störung lassen, wie Borchardt richtig bemerkt, den Schwachsinn oft 
grösser erscheinen, als er in Wirklichkeit ist. Epileptische Anfälle, 
Athetose, Blasen- und Mastdarmstörungen gehören nach Ziehen nicht 
zum typischen Bilde der Little’schen Krankheit. Wichtig ist, dass 
eine gewisse Nachentwickelung vom 2. Lebensjahre ab einsetzen und 
sich bis über die Pubertät hinaus fortsetzen kann. Sie kann zu fast 
totaler Restitution führen, wenn auch ein Ausgleich aller Störungen nur 
sehr selten stattfindet. Bei den Fällen, die mit athetotischen und 
choreiformen Bewegungen einhergeben, kann nach Borchardt der resi- 
duäre Zustand dann genau dem Bilde der genuinen Chorea oder Athetose 
gleichen. Schwere choreatisch-athetotische Störungen sowie ausge¬ 
sprochener Intelligenzdefekt sind häufiger bei den asphyktischen Formen 
cerebraler Diplegie. Auch ihnen ist eine gewisse regressive Tendenz 
zueigen. Sehr gering ist letztere bei den natalen Fällen, die gröberen 
corticalen Blutungen ihren Ursprung verdanken. Die intrauterinen 
Dysplasien beruhen nach heute geltender Anschauung meist auf fötaler 
Meningitis. Sie sind ausgezeichnet durch die Asymmetrie der Lähmungs¬ 
erscheinungen, durch das weniger starke Ueberwiegen der Störungen an 
den Beinen, ausserdem ist Epilepsie bei ihnen häufig. 

Für alle diese Affektionen ist in der orthopädischen Literatur die 
Bezeichnung Little im Gebrauch; der Einfachheit halber will ich den 
Namen im folgenden ebenfalls in diesem alten, eingebürgerten, wenn 
auch wenig korrekten Sinne anwenden. 

Die Symptomatologie der Erkrankung darf als soweit bekannt vor¬ 
ausgesetzt werden, dass eine Aufzählung der einzelnen Symptome sich 
hier erübrigt. Sektionsbefunde sind meist negativ, Lederer fand in 
einem Falle familiärer spastisoher Paraplegie Atrophie des Rückenmarks, 


sowie unentwickelte Formen von Ganglienzellen in Stirn und Rücken¬ 
mark. Neuerdings ist den Gelenkveränderungen, welche bei Little- 
scher Krankheit unter der Einwirkung der Muskelspasmen zustande 
kommen, wieder ein besonderes Interesse zugewendet worden. Nachdem 
schon früher von Ludloff und Wollenberg über Hüftluxation bei 
Little berichtet worden war, haben jüngere systematische Untersuchungen 
von Gaugele und Weber sogar die relative Häufigkeit dieser Kombi¬ 
nation und ihren unzweifelhaft kausalen Zusammenhang bestätigt. Dass 
derartige Luxationen nicht nur an der Hüfte, sondern gelegentlich auch 
an anderen Gelenken Vorkommen, zeigt eine Veröffentlichung von 
Künne, der 2 Luxationen des Radiusköpfchens bei Littlekindero, welche 
bis dahin als angeboren gegolten hatten, auf die Wirkungen der Muskel¬ 
spasmen zurückfübrt und den Begriff der spastischen Luxation dem 
der paralytischen gegenübers'ellt. Nach neueren Untersuchungen, deren 
Ergebnisse ich demnächst veröffentlichen werde, sind Gelenkver¬ 
schiebungen im Sinne beginnender Luxationen so ausserordentlich häufig, 
dass man geradezu ein Recht hat, sie zum Symptomenbilde der spasti¬ 
schen Lähmung zu rechnen. Ueber das eigentliche Wesen der spasti¬ 
schen Lähmung besteht, wie Vulpius bemerkt, selbst bei den Neuro¬ 
logen noch keine Einigkeit der Anschauungen. Vulpius selbst hält für 
feststehend, dass die Krampflähmung sich aus zwei Komponenten zu¬ 
sammensetze, aus dem Spasmus und der Lähmung. Auch Ziehen’s 
Auffassung geht dahin, dass die Bewegungseinschränkung teils auf der 
spastischen Kontraktur, andernteils auf einer wirklichen Lähmung be¬ 
ruhe. Die Stärke des Spasmus soll jedoch kein Ausdruck für die In¬ 
tensität der Lähmung sein. Foerster hebt hervor, dass die willkürliche 
Beweglichkeit an sich oft recht gut erhalten sei und nur hinter den 
schweren Spasmen versteckt liege. Die Tatsache, dass Spasmen vor¬ 
handen sind, beweist nach Vulpius’ Behauptung allein schon, dass die 
Lähmung keine vollständige sein könne. Immerhin bleibt es nach diesen 
Auslassungen zweifelhaft, ob eine wirkliche Lähmung, die man sich doch 
immer nur als eine schlaffe vorstellen kann, mit der spastischen Er¬ 
krankung verbunden ist. Die Operationsbefunde scheinen eher dagegen 
zu sprechen, und findet man auch degenerierte Muskeln, so kann die 
durch die Kontraktur bewirkte dauernde Funktionsausschaltung allein 
für das Zugrundegehen der Muskelfasern verantwortlich gemacht werden. 

Die Therapie der Little’schen; Krankheit ist, wie schon oben an¬ 
gedeutet wurde, fast ganz in orthopädische Hände gekommen. Die 
Hydrotherapie kommt als unterstützende Bebandlungsweise weiter in 
Betracht. Auch die Kombination des Wasserheilverfahrens mit den 
gymnastischen Methoden wird wegen ihrer besonders günstigen Heil¬ 
wirkungen vielfach geübt. So weiss jeder, der mit der Behandlung 
spastischer Lähmungen zu tun hat, dass aktive und passive Bewegungen 
bei Muskelrigidität im warmen Bade bedeutend erleichtert werden. Es 
wirkt dabei einmal die gleichmässige Wasserwärme durch Erzeugung von 
Hyperämie lösend auf die Spasmen, dann aber auch erleichtert das 
durch Auftrieb verminderte Gewicht der Extremität die aktive Muskel¬ 
arbeit. Unter den konservativen Behandlungsarten spastischer Läh¬ 
mungen nehmen nach wie vor die Massage und die Elektrizität den 
ihnen gebührenden Platz ein. Dabei entbehrt die Frage, wo und wie 
massiert und elektrisiert werden soll, noch immer einer rechten wissen¬ 
schaftlichen Begründung. Während man der allgemeinen Körpermassage 
krampflindernde Wirkungen zuschreibt und sie in dieser Absicht aus¬ 
übt, suchen andere nach Hoffa’s Rezept die paretischen Muskeln allein 
durch Effleurage und Petrissage zu kräftigen, wogegen die spastischen 
Muskeln, um ihren Widerstand zu brechen, mit einem brüsken Tapo¬ 
tement bearbeitet werden. Die Elektrizität soll bei spastischen Läh¬ 
mungen nur in Form des faradischen Stromes zur Anwendung kommen. 
Gegenüber dem alten Elektrisieren empfiehlt Becker neuerdings wieder 
den inzwischen verbesserten Myomotor, mit dem unter Anwendung eines 
anschwellenden Leduc’schen Stromes die wunderbarsten Erfolge bei 
schlaffen und spastischen Lähmungen zu erzielen seien. 

Ein grosser Teil der Little’tchen Lähmungen ist jedenfalls mit Hilfe 
der physikalischen Heilmethoden allein nicht wesentlich zu bessern, 
sondern erfordert chirurgische Maassnahmeu. Drei Wege stehen heute 
zu Gebote, um mit dem Messer den spastischen Kontrakturen der Little- 
sehen Erkrankung zu Leibe zu gehen. Zu der altbewährten Methode 
der Tenotomien sind in neuerer Zeit zwei Operationen getreten, welche 
das abnorm funktionierende Nervensystem direkt im Sinne einer Aus¬ 
gleichung zu beeinflussen streben. Die Foerster’sche Operation sucht 
das Uebel im wahren Sinne des Wortes an der Wurzel zu fassen, indem 
sie die in das Rückenmark eintretenden sensiblen Wurzeln der spastischen 
Muskelgebiete reseziert und dadurch die abnorm gesteigerte Reflexerreg¬ 
barkeit der Vorderhornzellen, die eben in den Spasmen ihren Ausdruck 
findet, herabsetzt. Die Stoffel’sche Operation macht es sich zur Aufgabe, 
dem mit unliebsamer Energie begabten spastischen Muskel den Kraft* 
ström am motorischen Nerven abzuschneiden bzw. durch partielle Ver¬ 
nichtung der zuleitenden Fasern soweit zu lähmen, dass die bis dahin 
zur Untätigkeit verurteilten Antagonisten wieder zu Worte kommen und 
ein harmonisches Zusammenarbeiten im Sinne zweckmässiger Muskel¬ 
bewegung ermöglicht wird. Zu diesen drei Eingriffen kommt als vierte 
Möglichkeit hinzu die Spitzy’sche Nervenplastik, welche nicht nur eine 
Schwächung des funktionierenden Nerven bezweckt, sondern den abge¬ 
spaltenen Teil gleichzeitig zwecks Uebertragung des Kraftüberschusses 
in den gelähmten Nerven der Antagonisten gruppe einpflanzt. Alle vier 
Methoden haben ihre Verfechter und ihre Gegner gefunden, keiner ein¬ 
zigen ist bis heute bedingungslose Anerkennung zuteil geworden. 

Die Forst er’sche Operation verdient wegen der ihr zugrunde 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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liegenden genialen Idee sowie wegen der Kühnheit des Operationsplanes 
autiiobtige Bewunderung. Die seit der ersten Empfehlung und Aus¬ 
führung verflossenen Jahre haben inzwischen die theoretische Richtigkeit 
des Förster’schen Gedankens vollauf erwiesen. Nach den ersten Opera¬ 
tionen haben schon wieder eine ganze Reihe von Autoren, wie Exner, 
Stiefler, Goldenberg, Heile, Kotzenberg, Gümbel, Bülow- 
Hausen, v. Rüdiger-Rydygier, die gute Wirkung der Radikotomie 
bestätigt. Nicht immer scheint es sich um volle Heilerfolge im Sinne 
der Herstellung der fehlenden Gehtähigkeit zu handeln, sondern die 
Autoren begnügen sich vielfach mit der Konstatierung, dass die Spasmen 
gebessert seien. So brachte Bülow-Hausen seinen Patienten wohl 
zum Sitzen, aber noch nicht zum Stehen, v. Rüdiger-Rydygier hatte 
bei einem Falle guten Erfolg, in einem anderen wurde nur Besserung 
erzielt. Biesalski, der achtmal die Wurzelresektion ausgeführt hat, ist 
nioht gerade sehr befriedigt von seinen Resultaten. Er betont mit Recht, 
dass auch die Misserfolge veröffentlicht werden müssten, um ein zu¬ 
treffendes Urteil über den Wert der Operation zu gewinnen. Von der 
Durchführung der Nachbehandlung, die ungemein schwierig und zeit¬ 
raubend sei, hänge letzten Eudes der Erfolg oder Nichterlolg des Ein¬ 
griffes ab. Er fasst seine Anschauung neuerdings in die Formel zu¬ 
sammen: Die Behandlung der Little’schen Krankheit steht und fällt mit 
der Uebungstherapie; alle Operationen leisten nicht mehr, als dass sie 
günstige Voraussetzungen dafür schaffen. Förster selbst gibt zu, dass 
die Nachbehandlung mindestens auf 2 Jahre zu bemessen sei, und dass 
sie grosse Anforderungen an Zeit und Geduld des Arztes stelle. Einen 
Nachteil der Methode könne er in dem Umstande nicht erblicken, da 
auch die anderen zur Beseitigung spastischer Lähmungen angewandten 
orthopädischen Operationen langwierige Nachbehandlungen notwendig 
machen. Jedenfalls können bei der verhältnismässigen Neuheit der 
Operationsmethode erst die künftigen Jahre die Entscheidung bringen, 
ob es sich bei den mit Erfolg operierten Fällen um definitive Heilungen 
handelt oder nicht. Dass ohne intensive Nachbehandlung Recidive Vor¬ 
kommen, konnte ich in der Biesalski’schen Klinik mehrfach beobachten. 
Wie Schulthess hervorbebt, ist über die Spätfolgen der Wurzelresek¬ 
tion noch nichts bekannt, auoh kann noch nicht übersehen werden, wie¬ 
viele Wirbelbogen entfernt werden dürfen, ohne die Statik und Funktion 
der Wirbelsäule zu gefährden. Wenn aber die Nachbehandlung einen 
so ungewöhnlichen Aufwand von Zeit und Mühe erfordert, so meinen 
Schulthess und Vulpius mit Recht, man solle doch erst einmal fest- 
xustellen versuchen, was die Medikomechanik allein in diesem Zeitraum 
und bei so grossem Energieaufwand zu leisten vermöge. Auch die grosse 
Gefährlichkeit der Förster’schen Operation muss abschreckend wirken, 
um so mehr, als eine vitale Indikation wohl niemals vorhanden ist 
Vulpius, Lange, Kofmann, Werndorff, Lorenz und Schulthess 
haben dieser Ueberzeugung Ausdruck gegeben. Zu bedenken ist ferner, 
dass Spastiker operative Eingriffe an sich schon ertahrungsgemäss viel 
schlechter vertragen als Menschen mit schlaffen Lähmungen. Förster 
selbst berechnet die Mortalität der Radikotomie auf etwa 10,8 pCt. Von 
59 Littlefallen, die bis zum vorjährigen Orthopädenkongress operiert 
wareD, nahmen 8 Fälle einen letalen Ausgang. Das ist gewiss eine 
beträchtliche Sterblichkeitsziffer einer Operation, die gewissermaassen 
als generelles Heilverfahren bei einer nicht allzu seltenen Krankheit in 
Vorschlag gebracht werden will. Nun soll ja allerdings das Ergebnis in 
der Hand der einzelnen Operateure, wie Förster hervorhebt, ein sehr 
verschiedenes sein. So hätte Küttner unter 27 Patienten nur 2 ver¬ 
loren, in beiden Fällen hätte es sich noch dazu um die ungünstige 
Kombination mit epileptischen Anfällen gebandelt, welche Förster auf 
Grund der von ihm gemachten Erfahrungen jetzt von der Operation aus¬ 
geschlossen sehen will. Einen grossen Nachteil sehen ferner Lorenz, 
Werndorff, Kofmann, Schulthess darin, dass sowohl die eigentliche 
Lähmung als auch die Kontraktur nicht beseitigt wird. Biesalski hat 
schon vor 3 Jahren darauf hingewiesen, dass man streng zwischen dem 
nervösen Anteil und dem mechanischen, bestehend in Schrumpfung der 
Weichteile, unterscheiden müsse, und dass die Radikotomie stets nur 
den ersteren in Angriff nehme, während der zweite, häufig viel wichtigere 
unbeeinflusst bleibe. Zur Bekämpfung der Sohrumpfungskomponente 
sind in jedem Falle Sehnenoperationen erforderlich, welche entweder vor 
oder nach dem Haupteingriff ausgeführt werden. Durch diese Not¬ 
wendigkeit wird natürlich die Beurteilung der Frage, was von dem Er¬ 
folge auf die Sehnenplastik, wieviel auf die Wurzeldurchschneidung zu- 
ruckzu/uhren ist, sehr erschwert. Fast scheinen die obengenannten 
Autoren mehr geneigt, den Sehnen Operationen einen wesentlicheren An¬ 
teil an der Besserung des Gesamtzustandes zuzuspreohen. Auf jeden 
Fall haben die erhobenen Bedenken heute zu dem überall sichtbaren 
Bestreben geführt, das Indikationsbereich der Förster’schen Operation 
etwas enger als bisher abzugrenzen. Werndorff stellte zunächst in be¬ 
stimmter Form diese Forderung, die meisten anderen Operateure haben 
dann Schritt für Schritt etwas zur Einengung der Indikation beigetragen. 
Förster selbst will alle Fälle von Epilepsie, wie schon aogedeutet, als 
prognostisch ungünstig ausgeschlossen wissen. Anschütz hatte bei 
Kindern gute, bei Erwachsenen schlechte Resultate. Grundsätzlich muss 
bei Idioten von der Operation Abstand genommen werden, da nach der 
übereinstimmenden Erfahrung aller Autoren ein gewisses Maass von In¬ 
telligenz für die anzusohliessende Uebangsbehandlung unentbehrlich ist 
Nach Groves darf die Pyramidenbabn nicht zu stark geschädigt sein. 
Die meisten Autoren wollen die Radikotomie für die schwersten Fälle, 
die unbeweglich im Bette liegen, reserviert wissen, doch warnt Wern- 
dorff vor einer falschen, zu weit getriebenen Humanität, welche kost¬ 


bare Zeit und Arbeit an definitiv wertlose Individuen vergeudet. Ueber 
die Technik der Operation sei hier nur kurz angeführt, dass Wilms 
und Kolb, ähnlich wie Gulecke Vorteile darin erblicken, die Resektion 
der Wurzeln extradural am Conus medullaris vorzunehmen. Diese an¬ 
geblichen Vorzüge bestreitet Küttner, wenigstens für die kleinen Ver¬ 
hältnisse bei Kindern. Gegenüber dem schweren Eingriff der Radikotomie 
bietet die von Stoffel empfohlene Operation am peripheren Nerven den 
grossen Vorteil fast absoluter Gefahrlosigkeit. Die Idee, den Reflexbogen 
am motorischen Nerven zu schwächen, ist übrigens, worauf Lange hin¬ 
weist, schon vor einigen Jahren von 2 Amerikanern empfohlen und auoh 
ausgeführt worden. Hutt durchschneidet den Nerven und vernäht ihn 
daun wieder, in der Absicht, durch die temporäre LeituDgsunterbrechung 
eine Herabsetzung der Reflexerregbarkeit zu erzielen. Allison benutzt 
als zerstörendes Agens Injektionen von Alkohol in den Nerven. Je nach 
der beabsichtigten Dauer der Lähmung bestimmt sich die Konzentration 
des Alkohols. Die Zeit, während welcher die Lähmung anhält, wird zur 
medikomechanischen Kräftigung der Antagonisten benutzt. Beideu Me¬ 
thoden, von denen übrigens recht gute Erfolge berichtet werden, gegen¬ 
über hat die Stoffel’sche Operation unzweifelhaft den Vorzug grösserer 
Exaktheit und Dosierungsmöglichkeit. Was die totale Nervenresektion 
anbelangt, die Stoffel neben der partiellen übt, so darf nicht ver¬ 
schwiegen werden, dass sie schon vor 20 Jahren von Lorenz am Obtu- 
ratorius ausgeführt worden ist. Bemerkenswert ist, dass Lorenz damals 
von dem Erfolg bitter enttäuscht wurde und die Methode wieder gänz¬ 
lich verlassen hat. Trotzdem bleiben die Verdienste Stoffel’s um die 
Förderung der Topographie des Nervenquerschnitts, deren Verhältnisse 
den Anatomen merkwürdigerweise völlig unbekannt geblieben waren, sehr 
grosse. Ihm verdanken wir die wichtige Feststellung, dass die Nerven¬ 
fasern für die einzelnen Muskeln nicht regellos im Nervenstamm ver¬ 
laufen, sondern sich stets in ganz bestimmter Anordnung im Nerven- 
querschnitt befinden und sich als isolierte Gebilde bis weit hinauf ver¬ 
folgen lassen. Als Grundbedingung für die Ausführung der Operation 
ergibt sich aus diesen Tatsachen eine genaue Kenntnis der topogra¬ 
phischen Anatomie, insbesondere der Nervenverzweigungen. Der Eingriff 
gestaltet sich, wie Kofmann hervorhebt, relativ einfach in Regionen, 
wo die Aeste für die Muskeln ohne künstliche Isolation gut erkennbar 
sind, dagegen schwieriger da, wo diese Aeste erst an dem Hauptstamme 
herausgelöst werden müssen. Macht die Orientierung Schwierigkeiten, so 
bedient man sich der Nadelelektrode zur Feststellung der einzelnen 
Aeste. Der Strom soll dabei so schwaoh wie möglich gewählt und der 
zu prüfende Ast durch Anheben gut isoliert werden, da sonst ein Ueber- 
springen auf andere Bahnen stattfindet. Nach der Operation wird ein 
Stärkeveiband auf 2 1 /*—3 Wochen angelegt. Gute Wundheilung ist zu 
erstreben, da selbst kleine Epitheldefekte reizen und dadurch zur Quelle 
neuer Spasmen werden können. Die Operation ist seit ihrer Empfehlung 
9 von zahlreichen Autoren ausgefübrt worden. Von allen wird der ver¬ 
blüffende, momentan einsetzende Erfolg gerühmt. Oft sind beträchtliche 
Spasmen, Deformität und Bewegungsdefekt mit einem Schlage beseitigt: 
Stoffel hat solche Patienten gleich nach der Operation versuchsweise 
auf die Beine gestellt und gehen lassen. Kofmann, der mit 2 Fällen 
gute Erfolge hätte, tritt warm für den Stoffel’schen Voschlag ein und 
gibt der Hoffnung Ausdruck, dass der Eingriff bald Gemeingut aller 
Orthopäden werden möchte. Lubinus erzielte ebenfalls bei einem 
Littlekinde einen raschen und vollständigen Erfolg. Stein zollt der 
Methode warme Anerkennung, doch müsse abgewartet werden, ob die 
Resultate von Dauer seien, oder ob die durchschnittenen Faserbahnen sich 
im Laufe der Zeit wiederherstellen. Anschütz begrüsst ebenfalls sym¬ 
pathisch die neue Operation, die im Falle eines Recidives ja leicht 
wiederholt werden könnte. Biesalski hat an 16 Fällen, worunter sich 
allerdings mehrere Hemiplegien befinden, recht Gutes gesehen, kann aber 
nicht umhin, auch einige Unvollkommenheiten, die der Methode anhaften, 
zu konstatieren. So wird die Athetose jedenfalls nicht beeinflusst. Eine 
Pronations-Flexionskontraktur des Vorderarmes ging nach der Nerven¬ 
resektion in ihr Gegenteil über, wohl weil zu viel weggenommen war. 
ln anderen Fällen fiel die Schwächung zu gering aus, und das Resultat 
blieb unvollkommen. Die Athetotiker bekamen sämtlich als B’olge 
der ständigen Insultierung der heilenden Wunde Narbenkeloide! An 
die richtige Dosierung, für welche es aber vorläufig keinen zu¬ 
verlässigen Maassstab gibt, sei das Gelingen des Operationsplanes 
geknüpft. Für die schweren Fälle kommt nach Biesalski das 
Stoffel’sehe Verfahren wahrscheinlich nicht in Betracht. Lange 
und Lorenz halten eine gewisse Gefahr bei der Resektion des Ob- 
turatorius doch für vorliegend. Einmal wegen der unangenehmen 
Tiefe, dann aber auch wegen der Infektionsmöglichkeit, die in der 
Leistengegend in hohem Masse vorhanden sei. Lauge hatte unter drei 
Fällen einen Misserfolg. An einem anderen Patienten, der auf der einen 
Seite der gewöhnlichen Adduktorentenotomie, auf der anderen der par¬ 
tiellen Resektion des Obturatorius unterworfen wurde, ergab sich auf 
beiden Seiten genau das gleiche Resultat. Biesalski hat an mehreren 
Kindern die gleiche Erfahrung gemacht. Vulpius hat von der Stoffel- 
schen Operation nur da Gutes gesehen, wo eine totale Resektion des 
Nervenastes vorgenommen war. Partielle Resektionen, die er in grosser 
Zahl nachuntersuchte, führten dagegen alle in kürzerer oder län¬ 
gerer Zeit zu Recidiven. Die Spasmen würden also auf die Dauer 
nicht beseitigt. Vor allem aber sei das Verfahren darin unvollkommen, 
dass es die nutritive Schrumpfung nioht beseitige. Auch hier seien also 
wie bei der Förster’sohen Wurzel Operation nachträgliche Sehnenopera¬ 
tionen notwendig. Stoffel begegnet diesem Vorwurf mit der Behauptung, 


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606 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 13. 


dass die Schrumpfungskontraktur, wenn der Nerv reseziert sei, einem 
täglichen modellierenden Redressement sehr leicht and schnell nach¬ 
gäbe. Schwer fällt nach Vulpius ins Gewicht, dass durch die Nerven¬ 
durchtrennung eine partielle Muskellähmung geschaffen werde. Tatsäch¬ 
lich ist dieser Vorwurf wohl der schwerste, der gegen eine orthopädische 
Operation erhoben werden kann. Die Vernichtung von lebendiger Nerven- 
kraft, von aktiver Muskelkontraktion ist ein Eingriff, vor dem man bei 
jeder Lähmungskrankheit die grösste Scheu empfinden sollte. Vielleicht 
sollte der Ueberschuss von Nervenstrom grundsätzlich niemals vernichtet, 
sondern immer den gelähmten Gebieten zugeführt werden. Diesem 
Grundsatz wird allein die Spitzy’scheNervenplastik gerecht, und wenn 
sie bisher in der Hand der Nachuntersucher auch noch zu keinen greifen - 
baren Erfolgen geführt hat, so zeigt sie doch den Weg, der in der Be¬ 
handlung der Lähmungszustände aller Art der rationellste und ver- 
heissungsvollste ist. Die hochbedeutsamen Forschungsergebnisse Stoffel’s 
stellen heute dievonSpitzy zu neuen Ehren gebrachte Nervenpfropfung 
auf eine neue und sichere Grundlage. Es ist vorauszusehen, dass aus 
der bisherigen Abspaltung und Uebertragung eines beliebigen Nerven- 
bruchteiles die planmässige Ueberpflanzung bestimmter, genau bekannter 
Nervenbündel und-fasern auf der von Stoffel geschaffenen anatomischen 
Basis hervorgehen wird. Die Spitzy’sche und die Stoffel’sche Idee werden 
sich gegenseitig ergänzen, und aus der Verschmelzung beider wird die 
von Stein schon mit einem treffenden Namen belegte lokalisierte 
Nervenfaserplastik sich entwickeln. Möge sie die Erwartungen, die 
der Orthopäde heute in sie zu setzen berechtigt ist, nicht enttäuschen! 

Unter dem Einflüsse der Wandlungen und neuentstandenen Aus¬ 
blicke auf dem Gebiete der Nervenchirurgie ist auch die Wertschätzung 
der altbewährten Muskel- und Sehnenoperationen neuerdings erheblichen 
Schwankungen unterworfen worden. Nun stehen manche Autoren be¬ 
kanntlich auf dem Standpunkte, dass Sehnen- und Muskelplastiken für 
spastische Lähmungen überhaupt nicht in Frage kommen können. So 
hält Kofmann die operative Kraftverteilung der Muskeln nicht für an¬ 
wendbar auf spastische Lähmungen, und er beruft sich auf Hoffa, der, 
wenigstens in schweren, über den ganzen Körper verbreiteten Spasmen, 
eine Kontraindikation für die üblichen Operationen erblickte. Kofmann 
selbst hat ein Kind nach Flexorentenotomie am 5. Tage nach der 
Operation an allgemeinen Konvulsionen verloren. Dieses Bedenken mag 
für die schweren Fälle zutreffen, doch hat die allgemeine Fassung, dass 
spastische Lähmungen von Muskel- oder Sehnen Verpflanzungen auszu- 
schliessen seien, sicherlich keine Berechtigung. Ich selbst kann mich 
auf zwei Patienten berufen, welche ich in der Biesalski’schen Klinik 
operierte, bei denen durch Muskel- resp. Sehnentransplantation eine volle 
Beseitigung der Fussdeformität und eine zum mindesten sehr erhebliche 
Besserung der Funktion erzielt wurde. Die Häufigkeit des Misslingens 
dürfte auch hier wie bei den Operationen am Nervensystem auf die 
grosse Schwierigkeit der Dosierung, der Herausfindung der äusserst« 
schmalen Grenze des Muskelgleichgewichts zurückzuführen sein. In 
vielen Fällen mögen auch die Inkonstanz und der lutensitätsWechsel der 
Spasmen die Herstellung eines Gleichgewichtszustandes unmöglich machen. 
Jedenfalls ist bemerkenswert, dass eine nicht unbeträchtliche Anzahl von 
Autoren — und zu diesen darf man Wohl auch diejenigen rechnen, 
welche sich zu der Kontroverse Sehnen- oder Nervenoperationen bisher 
nicht geäussert haben — der alten Methode der Sehnenverkürzungen 
und Sehnenverlängerungen bei spastischen Lähmungen treu geblieben 
sind. Einige geben letzterer in Theorie und Praxis entschieden den Vor¬ 
zug. Lorenz macht bei Adduktorenspasmen weiter seine Myorrhexis 
Und ist sehr zufrieden mit ihren Ergebnissen, Lange und Biesaiski 
erzielen mit einfachen Tenotomien resp. Längenveränderungen der 
Sehnen das gleiche gute Resultat wie mit der Stoffel’schen Operation, 
auch an Codivilla sei erinnert, der bekanntlich ein Kind durch Teno¬ 
tomien genau so weit förderte wie ein anderes analoges mit Hilfe der 
Förster’schen Operation. Auch die gute Wirkung portativer Apparate 
sollte nicht vergessen werden. Vulpius tritt warm für die Sebnen- 
plastik ein, die allen Forderungen, welche die Therapie einer spastischen 
Lähmung aufstellen kann, genüge: sie ist ungefährlich, sie löscht die 
von der Sehnenspannung herrührenden Reize und beseitigt damit die 
Quelle der Spasmen, sie korrigiert gleichzeitig die nutritive Schrumpfung, 
sie stellt das Muskelgleichgewicht wieder her und ermöglicht dadurch 
eine normale Funktion. Biesaiski betont den hohen Wert einer zweck¬ 
mässigen Medikomechanik, welche nach ihm die Schrumpfungen dehnt, 
normale Bahnen einschleift und physiologische Erinnerungsbilder 
schafft. 

Dass die erwähnten Schwierigkeiten der Dosierung nicht nur den 
Erfolg der Sehnenoperation beeinträchtigen, sondern auch zu direkt un¬ 
liebsamen Spätwirkungen führen können, ist seit längerer Zeit bekannt 
und neuerdings von Peltesohn wieder hervorgehoben worden. So 
weiss jeder Orthopäde, dass ein spastischer Spitzfuss durch zu ausgiebige 
Verlängerung der Achillessehne leicht in einen Hackenfuss verwandelt 
wird. Peltesohn berichtet von einem Kinde, bei dem 6 Jahre nach 
Beseitigung einer Knieflexionskontraktur sich eine Ueberstreckungskon- 
traktur entwickelt hatte. Bei einem anderen Kinde war die ursprüng¬ 
liche Adduktionsstellung der Beine in eine dauernde Abduktionshaltung 
übergegangen, offenbar weil die Adduktorenmuskeln durch zu intensive 
und zu lange fortgesetzte Ueberdehnung zugrunde gegangen waren. 
Ein Beispiel für dieses Vorkommen konnte ich ebenfalls an der Biesalski- 
schen Klinik beobachten. Um derartige üble Folgen zu vermeiden, rät 
Peltesohn dringend, niemals bei spastischen Lähmungen vollständige 
Kontinuitätstrennungen der Sehnen vorzunehmen, sondern grundsätzlich 


nur Verlängerungen und Verkürzungen, und zwar stets nach Maassgabe 
des vorhandenen Fehlers. 

Wenn es erlaubt ist, aus dem gegebenen Ueberblick über die 
bei spastischen Lähmungen geübten Heilmethoden einige Folgerungen 
zu ziehen, so kann behauptet werden: 

Die Schwierigkeiten aller Methoden liegen in der Dosierung 
und erklären sich aus der Tatsache, dass das funktionelle Gleichgewicht 
der antagonistischen Muskelgruppen wohl leicht verloren gehen, aber nur 
auf unendlich mühevolle Weise wiedergefunden werden kann. Mag der 
physiologische Gleichgewichtszustand eine gewisse Breite haben, der, den 
wir künstlich herstetlen wollen, kann nur als von punktförmiger Aus¬ 
dehnung gedacht werden. Alle chirurgischen Maassnahmen be¬ 
dürfen einer gründlichen physikalischen Nachbehandlung, für 
welche sie gewissermaassen nur die unerlässlichen Vorbedingungen zur 
Heilung schaffen. Erst die Uebung unter den veränderten anatomischen 
Verhältnissen bringt den Erfolg. So können gerade die neueren chir¬ 
urgischen Vorschläge für die Therapie der Little’sohen Krankheit uns 
Anlass geben, auch die physikalisch-medikomechanischen als die eigent¬ 
lichen orthopädischen Behandlungsverfahren gründlicher als bisher auf 
ihre wahre Leistungsfähigkeit zu prüfen und höhere Anforderungen an 
sie zu stellen. 


Literatur. 

Allison, The treatment of the paralysis of the extremities. The 
Amer. journ. of orthop. surg., Bd. 8, H. 1. — Allison und Schwab, 
The results of muscle group isolation in the treatment of the paralysis 
of the extremities. The Amer. journ. of orthop. surg., Bd. 9, H. 2, 
Nov. 1911. — Babonneix, Contribution ä l’etude etiologique du Syn¬ 
drome de Little. Gaz. des höp., 85. annöe, Nr. 36, S. 522. — Becker, 
Die Behandlung von Lähmungen und trophoneurotischen Zuständen der 
Muskulatur durch ein neues elektrotherapeutisches Verfahren. Zeitschr. 
f. physikal. u. diätet. Ther., 1912, H. 10. — Derselbe, Der neue 
Myomotor. Zeitschr. f. orthop. Chir., 1913, Bd. 31. — Biesaiski, Zur 
Pathologie und Therapie der schlaffen und spastischen Lähmung. Verb, 
d. Berliner orthop. Gesellscb., 1912, Sitzung v. 15. 2. 1912. — Der¬ 
selbe, Diskussion zu Stein. Verh. d. Deutschen Gesellsch. f. orthop. 
Chir., 1912. — Bruns, Cramer, Ziehen, Handbuch der Nervenkrank¬ 
heiten im Kindesalter. Berlin 1912, S. Karger. — Bülow-Hausen, 
Paraparesis spastica nach Förster’s Methode mit Gulecke’s Modifikation 
operiert. 9. Versamml. d. nord. Chirurg. Vereins in Stockholm, 8. bis 
5. Aug. 1911, Ref. Centralbl. f. Chir., 1911, Nr. 39. — Einer, Little- 
sche Krankheit. K. K. Gesellscb. d. Aerzte in Wien, 10. Nov. 1911, 
Ref. Münchener med. Wochenscbr., 1911, Nr. 49, S. 2644. — Förster, 
Die Behandlung spastischer Lähmungen mittels Resektion hinterer Rücken¬ 
markswurzeln. Verh. d. Deutschen Gesellscb. f. orthop. Chir., 1912. —■ 
Derselbe, Diskussion zu Stein, s. d., ebendas. — Frangenheim, 
Förster’sche Operation. Verein f. wissenschaftl. Heilkunde in Königsberg, 
27. II. 1911, Ref. diese Wochenschr., 1911, Nr. 14. — Golden borg, 
Fortschritte auf dem Gebiete der chirurgischen Behandlung spastischer 
Lähmungen. Aerztl. Verein in Nürnberg, 5. I. 1911, Ref. Münchener 
med. Wochenschr., 1911, Nr. 18. — Groves, On the division of the 
posterior spinal nerve roots: for pain, for visceral crises, for spasm. 
Lancet, 8. VII. 1911, S. 79. — Guradze, Beitrag zur Stoffel’schen Ope¬ 
ration. Verh. d. Deutschen Gesellscb. f. orthop. Chir., 1912. — Heile, 
Förster’sche Operation bei spastischen Zuständen. Verein d. Aerzte 
Wiesbadens, 20. IX. 1911, Ref. diese Wochenschr., 1911, Nr. 48. — 
Derselbe, Zur Förster’schen Operation. Münchener med. Wochenschr., 

1912, Nr. 3. — Kofmann, Erfahrungen mit der Stoffel’schen Operation, 
diese Wochenschr., 1911, Nr. 48. — Kotzenberg, Aerztl. Verein in 
Hamburg, 24. Okt. 1911, Ref. Münchener med. Wochenschr., 1911, Nr. 45. 

— Künne, Demonstrationen aus dem Gebiete der Apparatotherapie. 
Verh. d. Berliner orthop. Gesellsch., 1912 u. diese Wochenschr., 1912, 
Nr. 34. — Derselbe, Die Combination der „angeborenen“ Luxation des 
Radiusköpfchens mit der Little’schen Krankheit. Zeitchr. f. orthop. Chir., 

1913, Bd. 31, S. 138. — Derselbe, Die angeborene Hüftgelenkver¬ 
renkung. Kritisches Uebersichtsreferat. Diese Wochenschr., 1913, Nr. 8. 

— Lange, Diskussion zu Stein. Verh. d. Deutschen Gesellsch. f. orthop. 
Chir., 1912. — Lorenz, Diskussion zu Stein, ebendas. — Lubinus, 
Förster und Stoffel bei spastischen Lähmungen. Med. Gesellsch. Kiel, 
29. II. 1912. — Peltesohn, Ueber unbeabsichtigte Wirkungen der 
Korrektur spastischer Deformitäten. Verh. d. Deutschen Gesellsch. f. 
orthop. Chir, 1912. — v. Ruediger-Rydygier, Erfahrungen über 
die Resektion der hinteren Rückenmarkswurzeln bei spastischen Läh¬ 
mungen. Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 117, H. 3—4. — Scheuer¬ 
mann, Ueber Behandlung von Little’scher Krankheit. 1911, Ref. Central¬ 
blatt f. Orthop., 1912, S. 74. — Schulthess, Ueber die Förster’sche 
Operation. 5. Vers. d. Schweizer neurol. Gesellsch. in Aarau, 80. April 
1911, Ref. Centralbl. f. Orthop., 1912, S. 124. — Stein, Stoffel’sche 
Operation und Nervenplastik. Verh. d. Deutschen Gesellsch. f. orthop. 
Chir., 1912. — Stiefler, Beiträge zur Förster’sohen Operation. Wiener 
klin. Wochenschr., Nr. 32. — Stoffel, Zum Bau und zur Chirurgie der 
peripheren Nerven. Verh. d. Deutschen Gesellsch. f. orthop. Chir., 1912. 
Derselbe, Die Technik meiner Operation zur Beseitigung spastischer 
Lähmungen. Ebendas. — Vulpius, Sehnenoperationen und Nervenope¬ 
rationen bei spastischen Lähmungen. Verh. d. Deutschen Gesellsch. f. 
orthop. Chir., 1912. — Derselbe, Sehnenoperationen und Nervenope¬ 
rationen bei spastischen Lähmungen. Münchener med. Woohenschr., 1912, 


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UNIVERSUM OF IOWA 







81. Mär* 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


607 


Nr. 27. Werndorff, Zur Indikationsstellung der Radikotomie. Verh. d. 
Deutschen Gesellacb. i orthop. Chir. — Wilma und Kolb, Modifikation 
der Förster’schen Operation, Resektion der Wurzeln am Conus medul- 
laris. Münchener med. Wochenschr., 1911, Nr. 37. 


BQcherbesprechungen. 

R. Rosemann: L. Landois* Lehrbuch der Physiologie des Menschen. 

Erster Band. 13. Auflage. Berlin und Wien 1913. Urban & 
Schwarzenberg. 464 Seiten. Preis 9 M. 

Zum dritten Male von Rosemann bearbeitet erscheint nach kurzer 
Frist Landois’ Lehrbuch der Physiologie in neuer (13.) Auflage, aber 
im alten, bewährten Gewände. Der eben erschienene erste Band be¬ 
handelt die sogenannten vegetativen Funktionen: Blut und Blutkreislauf, 
Atmung, Verdauung, Stoffwechsel, Sekretionsprozesse und tierische Würmer. 
Durch Fortlassung älterer, unwichtiger Angaben ist der Umfang des 
Bandes gegen die vorige Auflage verkleinert worden, eine im allgemeinen 
seltene Erscheinung. Dabei sind die wesentlichsten neueren Forschungen 
berücksichtigt worden; nur ist vielleicht die Lehre von den, in ihrer 
Bedeutung immer mehr bervortretenden, inneren Sekretionen etwas knapp 
geraten. Eine besondere Empfehlung bedarf das Werk nicht 

A. Loewy. 


Feer: Lehrbuch der Kinderheilkunde. Zweite Auflage. Jena 1912, 
G. Fischer. 750 Seiten. Preis 12,50 M. 

Das Lehrbuch ist nach kurzer Frist in zweiter Auflage erschienen. 
Das spricht dafür, dass es den prophezeiten grossen Leserkreis ge¬ 
funden und sich viele Freunde erworben hat. Das neue System, die 
Behandlung der einzelnen Knfbkheitsformen verchiedenen Autoren, die 
auf ihren Sondergebieten besondere Kenntnisse besitzen, anzuvertrauen, 
hat sich also bewährt. 

Die Mitarbeiter sind die gleichen geblieben. Einzelne Abschnitte 
sind mit Erfolg umgearbeitet worden, wenn auch der Inhalt naturgemäss- 
bei der schnellen Folge der neuen Auflage grosse Veränderungen nicht 
erfahren hat. Eine Reihe sehr guter Abbildungen ist neu hinzu¬ 
gekommen. 

Bei der Therapie der angeborenen Syphilis finde ich — wie auch 
in anderen Lehrbüchern —, dass die Notwendigkeit der Wiederholung 
der antiluetischen Kuren nicht genügend betont wird. Die syphilitischen 
Frühsymptome verschwinden erfahrungsgemäss sehr schnell, leichtere 
auch ohne Behandlung. Aber die Wassermann’sche Reaktion bleibt 
gerade bei der kongenitalen Lues im Gegensatz zu der acquirierten sehr 
lange positiv oder wird immer wieder positiv. Es besteht vorläufig kein 
Grund dagegen, die Syphilis der Säuglinge gleich der der Erwachsenen 
mit sechs bis acht Kuren im Verlaufe von drei bis vier Jahren zu be¬ 
handeln, und zwar gleichgültig, ob neue Symptome auftreten oder nicht, 
und ob die Wassermann’sche Reaktion negativ oder positiv ausfällt. Der 
Begriff der Spätsyphilis oder Lues tarda sollte aus der Literatur ver¬ 
schwinden, er deckt sich vollkommen mit dem dritten Stadium der Lues 
acquisita. Dieses Kranheitsbild wird bei der heute leichteren Diagnose 
und bei intensiverer Behandlung der Säuglingssyphilis wohl auch seltener 
werden. Die angeborene Syphilis ist bis heute mit Bezug auf ihre The¬ 
rapie ein Stiefkind der Pädiatrie. Erich Müller. 


Asekaffenbirg: Handbneb der Psychiatrie. Allgemeiner Teil. 4. Abt. 

Leipzig und Wien, Franz Deuticke. Preis 8 M. 

1 . Kirchhoff, Geschichte der Psychiatrie. Ob in einem 
Handbuch der Psychiatrie ein geschichtlicher Abschnitt nötig war, scheint 
mir zweifelhaft. Es mutet leicht an wie der Versuch einer geschicht¬ 
lichen Rechtfertigung des Vorhandenseins der Psychiatrie. Davon abge¬ 
sehen bringt Kirchhoff, ein auf diesem Gebiete ja schon bekannter 
Autor, eine klare Uebersicht über den Entwicklungsgang unseres Faches, 
die auch die Schwierigkeiten der freien Entfaltung desselben erkennen 
lasst. 

2. A. Gross, Allgemeine Therapie der Psychosen. Gross 

hat das wenig dankbare Gebiet der allgemeinen Behandlung der Geistes¬ 
störungen bearbeitet und gibt uns besonders in die Anstalten für 
psychisch Kranke und ihre Einrichtungen einen guten Einblick. Die 
anderen Kapitel der allgemeinen Therapie sind zum Teil etwas einseitig, 
zum Teil etwas zu speziell ausgefallen, was aber bei der Schwierigkeit 
des Themas nur zu begreiflich ist. Die im übrigen sachliche und 
kritische Darstellung, die dabei doch der persönlichen Frisohe nicht ent¬ 
behrt, berührt wohltuend. E. Meyer - Königsberg i. Pr. 


Albn*. Grundztige für die Ernährung von Zackerkranken. Nebst 
praktischen Anweisungen für die Diabetesküche (nach weiland 
Dr. Gilbert’s Diabetesküche). VII und 163 S. Halle 1912, 
Carl Marhold. Geb. 4 M. 

Albu hat aus der Gilbert’schen „Diabetesküche 0 eine „theoretische 
und praktische Diätetik der Zuokerharnruhr“ zu machen gesucht. Damit 
kommt er einem Bedürfnis zahlreicher Praktiker entgegen, die die Therapie, 
losgelöst von dem umfangreichen, ihnen im wesentlichen geläufigen 


Stoff der Pathologie, im einzelnen und übersichtlich dargestellt in Händen 
zu haben wünschen. Die neugeschaffene erste Hälfte des Buches enthält 
die Grundsätze der Ernährung des Zuckerkranken mit ausführlicher 
Beschreibung der verschiedenen „Kuren“, Nahrungsmitteltabellen usw.; 
der zweite Teil ist im wesentlichen ein durch manche, auch eigene 
Rezepte des Verf. erweiterter Abdruck des Gilbert’schen Buches. Die 
„sogenannte strenge Kost“ wird, dem Zug der Zeit entsprechend, 
wenigstens räumlich etwas hintangesetzt, die vegetarische Kost, mit 
Ko lisch, nachdrücklich hervorgehoben; dementsprechend ist auch im 
zweiten Teil der Zubereitung der Salate, Gemüse, Pilze ein breiterer 
Raum eingeräumt. Magnus-Levy. 


Franz Hamburger: Die Tuberkulose des Kindesalters. Zweite ver¬ 
mehrte Auflage. Leipzig und Wien, Verlag Franz Deuticke. 
233 Seiten. 

Das ausgezeichnete Buch Hamburger’s, das nach kurzer Zeit zum 
zweiten Male aufgelegt wird, führt in klarer, jede Weitschweifigkeit ver¬ 
meidender Darstellung die grossen Fortschritte und die Lücken in der 
Erkenntnis der Tuberkulose vor Augen. In der vorliegenden Auflage 
sind die Kapitel Prognose, Prophylaxe und Therapie neu hinzugekommen; 
dem letzteren möchte Ref. einen breiteren Raum wünschen. Das Buch 
sei jedem Arzte als Führer auf diesem praktisch so wichtigen Gebiete 
erneut empfohlen. Ludwig F. Meyer. 


M. Osmaa: Makroskopisch-diagnostisches Taschenbach der patho¬ 
logischen Anatomie. Ein Repetitorium für Rigorosanten und 
Aerzte in 502 typischen Fällen mit 62 Abbildungen. Wien und 
Leipzig 1912, Verlag von Josef Safar. 177 S. Preis 3,75 M. 

Das Buch, in der Hauptsache, für Examenskandidaten als Repeti¬ 
torium bestimmt, bespricht in grösster Kürze die wichtigsten krankhaften 
Veränderungen der Organe, indem es zugleich auf die differential¬ 
diagnostisch bedeutungsvollsten Tatsachen hinweist. Daher ist es auch 
für den Arzt als Nachschlagebuch für Sektionen recht empfehlenswert, 
ebenso für den Gebrauch in Kursen, für den es zweckmässig mit weissem 
Papier durchschossen ist. Die Abbildungen, meist schlechte, stark ver¬ 
kleinerte Reproduktionen aus dem Kaufmann’schen Lehrbuch, sind recht 
überflüssig; desgleichen enthält das Buch viele störende Druckfehler. 

A. W. Pinner. 


H. Peckert: Einfübrang in die konservierende Zahnbeilkande. 

II. Teil. 173 S. mit 57 Abbildungen im Text. Leipzig 1912, 
Verlag von S. Hirse I. Preis 6 M. 

Wenn Peckert es unternimmt, den bisher erschienenen Werken 
über konservierende Zahnheilkunde ein neues hinzuzufügen, so musste 
es etwas Besonderes liefern, denn viele neue Methoden hat uns die 
letzte Zeit nicht beschert. Aus dem vorliegenden zweiten Teil seiner 
Einführung ersehen wir, dass P. vornehmlich Wert auf eine detaillierte 
Darstellung der wichtigsten Füllmethoden gelegt hat. Daduroh, dass 
der Verf. die Beziehungen zur Pathologie und Physiologie suchte, hat 
er die an sich trockene Materie interessant zu gestalten gewusst. 
In allem verrät sich der gewiegte klinische Lehrer wie der erfahrene 
Praktiker. 

In den ersten drei Kapiteln wird das Füllen mit Goldfolie, mit 
Gold- und Porzellan-Inlays eingehend besprochen, die Vorzüge und Nach¬ 
teile der einzelnen Methoden gegeneinander abgewogen. In der zweiten 
Hälfte wird die Diagnostik und Therapie des Zahnschmerzes abgehandelt. 
Dieser Abschnitt dürfte manche Anregung auch für den praktischen 
Arzt enthalten. Wie der Text, so sind auch Abbildungen und Aus¬ 
stattung vorzüglich — Vorzüge, die dieser Neuerscheinung eine günstige 
Prognose geben. Proeil. 


Literatur-Auszüge. 

Physiologie. 

E. Salkowski: Kleinere Mitteilangen. (Zeitschr. f. physiol. Chemie, 
Bd. 88, H. 2, S. 143.) Sie enthalten vorwiegend sehr wertvolle metho¬ 
dische Angaben über den Nachweis der Kieselsäure im Harn ohne Ver¬ 
aschung über das Verhalten der Harnsäure zu Ammoniak und Magnesium¬ 
salzen und die Bestimmung des Magnesiums im Harn, über die Be¬ 
stimmung des Eisens in Gegenwart organischer Substanzen, über den 
störenden Einfluss von Alkohol auf einige Reaktionen. 

L. Wegrzynowski: Beiträge zur Lehre von der Entstehung der 
Oxalsäure im tierisohen und menschlichen Organismus. (Zeitschr. f. 
physiolog. Chemie, Bd. 83, H. 2, S. 112.) Die Untersuchungen wurden 
an Hunden und Menschen ausgeführt, und zur quantitativen Bestimmung 
der Oxalsäure im Ham diente die Methode von Salkowski, die Verf. 
für die beste aller bisher angegebenen Methoden hält. Als Resultat er¬ 
gab sich, dass die Eiweisskörper auf die Bildung der Oxalsäure keinen 
Einfluss haben, wohl aber die Kohlenhydrate und Fette (bzw. das 
Glycerin). Alle unsere Nahrungsmittel enthalten Stoffe, welche teils 
indirekt, teils direkt zur Oxalsäurebildung beitragen. Indes scheint der 
tierische Organismus nur eine beschränkte Fähigkeit der Oxalsäurebildung 
zu besitzen. Wohlgemuth. 


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608 BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. Nr. 18. 


H. Kämmerer und A. Wald mann - München: Blutmougebestim- 
mungen nach v. Behring und andere quantitative Untersuchungen der 
Blutbestandteile. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 1918, Bd. 109, S. 5 
u. 6.) Die Behringsche Methode zeigt sich den bisherigen Methoden 
überlegen. Die normale Durchsohnittsmenge des Blutes ist 9,8 pCt. oder 
1:10,2 des Körpergewichts. W. Zinn. 

H. Beumer und M. Bürger - Charlottenburg: Zur Lipoidebemie 
des Blutes. II. Ueber die Zusammensetzung der Stromata menschlicher 
Erythrocyten, mit besonderer Berücksichtigung der Lipoide. (Archiv f. 
experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 71, H. 4, S. 311—828.) Chemische 
Untersuchungen der Blutkörperchenlipoide, bei denen auch die patho¬ 
logischen Verhältnisse berücksichtigt werden. 

J. Bordet und L. Delange - Brüssel: Betrachtungen über die 
Rolle der Lipoide bei der Blutgerinnung. (Archiv f. experim. Pathol. 
u. Pharmakol., Bd. 71, H. 4, S. 293—295.) Die Thrombokinase, die 
Vorstufe des Fibrinfermentes, hat Lipoidcharakter. Diese Lipoide sind 
löslich in Alkohol, Toluol und Petroläther, unlöslich in Aceton. Die 
lipoide Thrombokinase findet sich unter den Blutbestandteilen in der 
Hauptsache in den Blutplättchen. Jacoby. 

Fr. Rolly und Fr. Oppermann: Das Verhalten des Blutzuckers 
bei Gesunden und Kranken. III. Mitteilung. Der Blutzucker bei 
künstlicher Hyperthermie. (Bioohem. Zeitschr., Bd. 48, H. 3, S. 200.) 
Durch künstliche, mittels Glühlichtbäder hervorgerufene Steigerung der 
Körpertemperatur wird sowohl beim normalen wie beim zuckerkranken 
Menschen die Gesamtblutzuckermenge gesteigert. Mit dem Absinken der 
Temperatur gebt beim normalen Menschen auch der Blutzuckergehalt 
zurück, während beim Diabetiker der Zuckergehalt des Plasmas noch 
etwas ansteigt, um dann abzufallen. Wohlgemuth. 

G. G. Wi len ko-Graz: Ueber die Ursache des AdreDalindiabetes. 
(Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 71, H. 4, S. 261—268.) 
Bei der Arbeit des isolierten Herzens wird Zucker verbraucht. Dieser 
Verbrauch wächst, wenn man der Nährflüssigkeit Adrenalin zusetzt. Die 
Herzen von Kaninchen, welche intra vitam mit Adrenalin durch sub- 
cutane Zufuhr vergiftet waren, verbrauchen weniger Zucker als normale 
Herzen. Daraus schliesst Verf., dass die Adrenalinwirkung auf den 
Zuckerverbrauch keine direkte Einwirkung auf die zuckerverbrauchenden 
Organe sei, und dass der Adrenalindiabetes als Folge einer primären 
Störung des Zuckerverbrauches angesehen werden könne. 

Jacoby. 

P. Waentig und 0. Steche: Ueber die fermentative Hydro- 
peroxydzersetzung. (Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 83, H. 4, S. 315.) 
Es wurde festgestellt, dass Katalaselösungen durch Trypsin ihrer Wirk¬ 
samkeit beraubt werden, während Pepsin und Papayotin ohne Einfluss 
sind. Dies scheint darauf hinzudeuten, dass die Katalase ei weissartiger 
Natur ist. Ob dieser Eiweisskörper Polypeptidoharakter hat, dürfte 
indes noch sehr fraglich sein. 

V. Henriques und J. K. Gjaldback: Weitere Untersuchungen 
über die Einwirkung von Pepsin-BC1 auf teilweise trypsinverdaute 
Proteine. (Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 83, H. 2, S. 83.) Teilweise 
trypsin verdautes Hübnereiweiss und teilweise trypsin verdautes Casein 
verhalten sich einer Einwirkung von Pepsin-HCl gegenüber verschieden 
insofern, als ersteres sich durch Pepsin-HCl mehr beeinflussen lässt als 
letzteres. Pepsin-HCl kann sowohl Hübnereiweiss wie Casein bis zu 
einem Spaltungsgrad von etwa 88 pCt. spalten, aber während man 
Hübnereiweiss mit Trypsin bis zu einem Spaltungsgrad von etwa 63 pCt. 
formoltitrierbarem N spalten muss, bevor es sich nicht vom Pepsin be¬ 
einflussen lässt, braucht Casein nur bis zu einem Spannungsgrad von 
etwa 40 pCt. formoltitrierbarem N gespalten zu werden, um sich nicht 
vom Pepsin beeinflussen zu lassen. 

H. Kämmerer und L. Aubry: Untersuchungen über die Be¬ 
ziehungen der Serumeiweisskürper zur Antitrypsinwirkung. (Biochem. 
Zeitschr., Bd. 48, H. 3, S. 247.) Bei halb- bis einstündigem Erhitzen 
des Serums auf 56° ist der Rückgang der Antifermentwirkung gegen 
Pankreastrypsin bei der Albuminfraktion relativ grösser als bei der 
Globulinfraktion. Die meist grössere Wärmeresistenz des Serumanti¬ 
trypsins gegen die verschiedensten Bakterienproteasen hängt demnach 
wohl mit der grösseren Beteiligung der Globulinfraktion an der anti- 
tryptisohen Wirkung zusammen. Wird die Wärmebehandlung des Serums 
bzw. der Albumin- und der Globulinfraktion in halbgesättigter Ammon¬ 
sulfatlösung vorgenommen, so ist der Rückgang ihrer antifermentativen 
Wirkung ein viel geringerer als ohne den Salzzusatz. Die Antitrypsine 
verhalten sich demnach wie die Alexine, Enzyme und bakteriellen Tox- 
albumineBuchner’s, und das würde für ihre Eiweissnatur sprechen. 

Wohlgemuth. 

E. v. Knaffl-Lenz und E. P. Pick-Wien: Ueber das Verhalten 
der Plasteine im Tierkörper. I. Mitteilung. Die Beziehungen der 
Plasteine zur Pepionvergiftung. (Archiv f. experim. Pathol. u. Phar¬ 
makol., Bd. 71, H. 4,S. 296—810.) Die Plasteine, die aus peptischen, 
giftigen Verdauungsprodukten unter Einwirkung der Pepsinsalzsäure ent¬ 
stehen, sind ungiftige und höhermolekulare Substanzen. Aus den Plasteinen 
können wieder durch Verdauung giftige Spaltprodukte gebildet werden. 
Aus niederen Spaltprodukten können keine Plasteine entstehen. 

Jacoby. 

E. Grafe und K. Turban: Ueber Stickstofflreten Honen bei Fütte¬ 
rung von Harnstoff. (Zeitschr. f. physiol. Chemie, B. 88, H. 1, S. 25.) 
Aus den mitgeteilten Versuchen geht hervor, dass ebenso wie Ammoniak¬ 


salze auch Harnstoff, im Verein mit einer überreichlichen Kohlenhydrat¬ 
kost verabfolgt, beim Hunde erhebliche Stickstoffretention bedingt und 
vorübergehend sogar Stickstoffgleichgewicht bewirkt. Ein kleiner Teil 
des retinierten Stickstoffs wird in der Nachperiode wieder ausgeschieden, 
die überwiegend grössere Menge aber wird anscheinend dauernd retiniert 
Hieraus kann man folgern, dass dieselbe Eigenschaft bei der gleichen 
Versuchsanordnung allen Substanzen zukommt, bei deren Verfütterung 
intermediär oder als Endprodukt Harnstoff im Organismus entsteht. 

V. Arnold: Weitere Beobachtungen über die Arnold’sehe Harn- 
ronkftion mit Nitroprussidnatrium. (Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd.83, 
H. 4, S. 804.) Harn nach einer Nahrungsaufnahme gibt mit Nitroprussid- 
natrium eine violette Färbung, sie ist besonders intensiv nach Genuss 
von Fleisch oder kräftiger Fleischbrühe. In voller Stärke findet man 
diese Reaktion bei normalen Individuen, auf der Höhe schwerer In¬ 
fektionskrankheiten fehlt sie fast vollständig. Sie ist zurückzuführeo auf 
die Bildung eines endogen entstandenen Harnbestandteiles. 

R. Beutner: Einige weitere Versuche, betreffend osmotische und 
kolloidale Quellung des Muskels. (Biochem. Zeitschr., Bd. 48, H. 3, 
S. 217.) Gelöste Proteine beeinflussen den Wasseraustausch von Muskeln 
und umgebender Lösung nicht in deutlich erkennbarerWeise. Wird ein 
Muskel durch Säure unerregbar gemacht, so können osmotische Funktionen 
noch sehr lange nach dem Eintritt der Unerregbarkeit nachgewiesen 
werden. Wird ein Muskel durch Coagulation unerregbar gemacht, so 
verschwinden die osmotischen Eigenschaften. 

G. Buglia und A. Costantino: Beiträge zur Muskelchemie. 

V. Mitteilung. Ueber die Purinbasen der glatten Muskeln der höheren 
Tiere. (Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 88, H. 1, S. 45.) Verff. unter¬ 
suchten den aus glatten Muskelfasern bestehenden Retractor penis, in¬ 
dem sie die Muskeln pulverisierten und mit lproz. Salzsäure hydro¬ 
lysierten. Im Hydrolysat wurde dann der Purinbasengehalt bestimmt. 
Es ergab sich, dass die Purinbasen der glatten Muskeln aus Oxypurinen 
bestehen. Das Xanthin findet sich in einer Menge, die sich auch in 
einer verhältnismässig kleinen Quantität des Muskels bestimmen lässt 
Im Gegensatz hierzu enthalten die quergestreiften Muskeln vorwiegend 
Hypoxanthin. Wohlgemuth. 

E. Abderhalden - Halle: Zur Frage der Spezifität der Schuts¬ 
fennente. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 9.) A. fordert 
nochmals genauestes Innehalten der von ihm gegebenen Vorschriften 
zur Anstellung der Reaktionen zur Diagnostik der Gravidität. 

F. Kahn-Kiel: Einfluss von Thorium X auf keimende Pflanzen. 

(Münchener med. Wochenschr., 1918, Nr. 9.) Bei gleicher Versuohs- 
anordnung zu verschiedenen Zeiten übte Thorium das eine Mal einen 
hemmenden, das andere Mal einen fördernden Einfluss auf das Wachs¬ 
tum von Haferkörnern aus. Bei den Versuchen mit Kressesamen wirkte 
Thorium in kleinen Dosen fördernd, in grossen hemmend. Ausserdem 
zeigte sich, dass der definitiven Waohstumsförderung ein Stadium lang¬ 
samer Entwicklung vorausgeht, und umgekehrt sehen wir vor der 
Wachstumshemmung ein beschleunigtes Wachstum. Dünner. 

H. H. Escher: Ueber den Farbstoff des Corpus luteum. (Zeitschr. 
f. physiol. Chemie, Bd.83, H. 3, S. 198.) Aus den Ovarien von Kühen 
wurde ein Farbstoff isoliert, der mit dem von Wilstätter und Mieg 
beschriebenen, aus Karotten gewonnenen Carotin identisch ist. Die 
Identität zeigte sich in dem gleichen Schmelzpunkt, der gleichen Kristall¬ 
form und der Färbung von Lösungen in Chloroform, Benzol und Alkohol. 

Wohlgemuth. 

Siehe auch Innere Medizin: Landau, Nebenniere und Fett¬ 
stoffwechsel. Bacmeister und Henes, Cholestearingehalt des Blutes. 
— Kinderheilkunde: Engel, Einwirkung mechanischer Erschütterung 
auf die Frauenmilch. 


Pharmakologie. 

S. Meidner - Berlin: Ueber neuere Arsueimittel. (Therapie d. 
Gegenw., Februar 1913.) Zusammfassende Uebersicht über neuere Schlaf- 
und Beruhigungsmittel. Bromural, Adalin und Luminal sind als dauernde 
Bereicherungen unseres Arzneimittelschatzes anzusehen. Auch mit 
Sedobrol, Valisan und Adamon sind die Versuche günstig ausgefallen. 

R. Fabian. 

M. Cloetta-Zürich: Ueber die Wirkung des Scopolamins. (Archiv 
f. experiment. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 71, H. 4, S. 290—292.) Dis¬ 
kussionsbemerkungen zu einer Mitteilung von Cushny. 

A. v. Kon sch egg-Graz: Ueber Beziehungen zwischen Herzmittel¬ 
und physiologischer KatioieuWirkung. (Archiv f. experiment. Pathol. 
u. Pharmakol., Bd. 71, H. 4, S. 251—260.) Strophantin wirkt auch 
auf das Herz, welches mit caloiumfreier Lösung durchspült wird. 
Strophantin ist ein funktioneller Antagonist der Kaliumsalze für das 
Herz. Die Herzwirkung von Adrenalin, Campher und Coffein ist an die 
Gegenwart von Calcium gebunden. 

R. Boehm-Leipzig: Ueber die Wirkungen des Vcrutrins und Proto- 
veratrin8. (Archiv f. experiment. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 71, H. 4, 
S. 269—289.) Die Arbeit hat speziell-pharmakologisches Interesse. 

Jacoby. 

A. Loewy-Berlin: Versuche über die Wirkungen des Bürgerischen 
Secalysats. (Therapie d. Gegenw., Februar 1913.) Das Secalysat ent¬ 
hält neben den wirksamen Bestandteilen des Secale noch 2—5pGt, 


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31. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


609 


Cotarninum hydrochl. Aus den Versuchen des Verf. geht hervor, dass 
die Secalewirkung durch Cotarninzusatz erheblich gesteigert werden kann 
Das Präparat kann daher an Stelle der einfachen Secalepräparate mit 
Erfolg bei atonischen Zuständen des Uterus und damit in Zusammen¬ 
hang stehenden Blutungen verwendet werden. R. Fabian. 

Siehe auch Therapie: Schubert, Cymarin, ein Herz- und 
Gefassmittel. _ 


Therapie. 

Th. Mann - Freiburg i. B.: Klinische Erfahrungen mit Codeonal. 
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 9.) Bei nicht allzu schweren 
Fällen von Schlaflosigkeit leistet Codeonal Gutes, besonders auch da, 
wo man gezwungen ist, dauernd Schlafmittel anzuwenden; man kann es 
hier allein oder auch abwechselnd mit anderen Schlafmitteln geben. 

Dünner. 

0. Hesse: Melnbrin als Antipyretienm bei Tuberkulose. (Therapie 
d. Gegenw., Februar 1913.) Verf. empfiehlt, das Melubrin, ein Anti- 
pyrinpräparat, in die Reihe der bei Tuberkulose gebräuchlichen Anti- 
pyretica aufzunehmen. Es kann wochenlang angewendet werden, ohne 
dass, abgesehen von Schweissen, irgendwelche Nebenerscheinungen beob¬ 
achtet werden. Dosis bei Erwachsenen dreimal */*—1 K» meistens 
1—3 mal 0,5 g. R. Fabian. 

M. E. Schubert - Sudenburg: Cymarin, ein neues Herz- und 
Geflssmittel. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 12.) Cymarin, 
ein Extract. fluid. Apooyni cannab. ind., ist in der Herzwirkung der 
Digitalis ähnlich. In kleinen Dosen (0,2—0,3 mg) führt es auch eine 
erhebliche Steigerung der Urinmenge herbei. Die Applikation geschieht 
am besten intravenös, allenfalls intramuskulär oder stomachal, keines¬ 
wegs subcutan wegen der nachfolgenden starken Gewebsreizung. 

A. Strauss - Barmen: Zur Kupferbehandlung der äusseren Tuber¬ 
kulose. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.) Die Wirkung der 
Kupferpräparate bei äusserer Tuberkulose, insbesondere bei Lupus, ist 
nicht etwa eine reine Aetzung (wie z. B. Pyrogallus), sondern eine ex¬ 
quisit elektive und spezifische. Auch vom Blute her lässt sich diese 
Wirkung in augenfälliger Weise erzielen. Allerdings wird sie durch 
lokale Applikation wesentlich unterstützt. Die Heildosis ist ein so 
kleiner Bruchteil der toxischen, dass auch vom Blute her aktiotrop auf 
die Tuberkelbacillen eingewirkt werden kann. Verf. empfiehlt eine 
intermittierende Dauerbehandlung mit kleinen Dosen. In der Zwischen¬ 
zeit ist eine innere Behandlung mit Jod-Metbylenblaukapseln ange¬ 
bracht, um eine Kupferfestigkeit der Tuberkelbacillen zu verhindern. 
Möglicherweise können auch kleine Tuberkulindosen das tuberkulöse Ge¬ 
webe für das Kupfer empfindlicher machen. Von den Kupferverbindungen 
werden die Kupferlecithinpräparate am meisten empfohlen. 

Wolfsohn. 

K. Kolb und K. Laubenheimer-Heidelberg: Zur Beurteilung der 
prophylaktischen Seramtherapie des Tetanns. (Münchener med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 9.) Im Sekret einer schweren Wunde fanden 
sich Tetanusbacillen, ohne dass es zum Ausbruch tetanischer Er¬ 
scheinungen kam. Da der betreffende Kranke sofort beim Eintritt in 
die ärztliche Behandlung Tetanusantitoxin subcutan erhalten hatte, so 
sind die Verfi. geneigt, das Ausbleiben der Krankheitserscheinungen auf 
Rechnung der prophylaktischen Serumbehandlung zu setzen. 

Dünner. 

C. Lewin: Wie behandeln wir inoperable Geschwülste. (Therapie 
d. Gegenw., Februar 1913.) Verf. gibt eine zusammenfassende Ueber- 
sicht über einige Behandlungsmethoden, die von jedem praktischen Arzte 
leicht auszuführen sind. Alle die Mittel können selbstverständlich nur 
ein Linderungsmittel darstellen. Besonders empfehlenswert ist die 
Elarson- oder Atoxylbehandlung als Roborans in Verbindung mit inner¬ 
licher Darreichung von Pankreatin (dreimal täglich 0,25—0,5 g). 

R. Fabian. 


Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. 

L. Loeb, G. T. Moore und M. S. Fleisher - St. Louis: Ueber das 
koubiaierte Wachstum tierischen Gewebes und einer Hefe im Blnt- 
coagnlnm in vitro. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 66, 
H. I, S. 44.) Unter bestimmten Versuchsbedingungen können mit Hefe 
infizierte Nierenstückchen neben der Hefe in Nährmedien eine Zeitlang 
in vitro wachsen; dieses Wachstum kann sogar stärker sein als in 
normalen Nierenstückchen infolge der früheren regenerativen Ver¬ 
änderungen der Gewebe. Hefe übt keine oder nur geringfügige Gift¬ 
wirkung aus, schädigt aber direkt durch mechanische Mittel die Zellen. 

Bierotte. 

H. Lüdke - Würzburg und L. Fejes - Budapest: Untersuchungen 
über die Genese der kryptogenetischen pernieiüsen Anämien. (Deutsches 
Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 109, H. 5 u. 6.) Die experimentelle Er¬ 
zeugung einer pernieiösen Anämie bei Tieren gelingt durch die sub- 
cutane wie intravenöse Einführung von alkohollöslichen Bakteriengiften 
der Keime der Darmflora. Manche Formen der kryptogenetischen per- 
niciosen Anämie des Menschen sind vielleicht auf die von den Autoren 
beschriebene Wirkung der Bakterienhämolysine zurückzuführen. 

G. Baehr-Freiburg: Polyarie bei stbakater Nephritis. (Deutsches 
Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 109, H. 5 u. 6.) Bei der subakuten Uran¬ 


nephritis bestehen noch viele Widersprüche zwischen den Ausscheidungs- 
vorgäogen und den Nierenveränderungen. Diese sind für die veränderte 
Ausscheidung nicht ohne weiteres verantwortlich zu machen, da möglicher¬ 
weise die Uranvergiftung direkt eine schwere Schädigung des Gesamt¬ 
stoffwechsels verursaoht, die als weitere Folge eine Mehrarbeit der Niere 
mit ihren verschiedenen Symptomen bedingt. W. Zinn. 

L. Hess und J. Wiesel-Wien: Wirkung von Adrenalin bei akuten 
experimentellen Nephropathien. (Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 9.) 
Es ist möglich, uranvergiftete Kaninchen durch gleichzeitig ausgeführte 
Adrenalininjektionen am Leben zu erhalten, wenn die Injektionen vor 
Beginn der Anurie einsetzen. Als Zeichen einer funktionellen Besserung 
der Nephropathie konnten die Verff. Absinken der Eiweissmengen und 
Steigerung der Diurese feststellen. Eine anatomische Besserung infolge 
der Injektionen ist nicht zu konstatieren. P. Hirsch. 

S. Schoenborn und W. Cuntz-Heidelberg: Zur Frage der „Para¬ 
syphilis“. (Deutsche med. Wochenschr., 19.13, Nr. 12.) Der Begriff der 
„Parasyphilis“ ist für die Affektion der Circulationsorgane, Nieren und 
Leber nicht mehr aufrecht zu halten. Von keiner der erwähnten Er¬ 
krankungen lässt sich sagen, dass sie nur durch das hypothetische Toxin, 
nicht auch durch die Spirochäte selbst hervorgerufen werden kann. Auch 
die Tabes und Paralyse werden besser als syphilitische denn als meta¬ 
syphilitische Krankheiten bezeichnet. Zudem häufen sich in der letzten 
Zeit die Spirochätenbefunde in den erkrankten Organen. 

Wolfsohn. 

Siehe auch Chirurgie: Küttner, Hyomandibularfistel. Oehler, 
Histologisches Bild der Basedowstruma. 


Parasitenkunde und Serologie. 

A. Feeser - Stuttgart: Das Hämatoxylin in seinem Verhalten zur 
Bakterienfarbnng. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig., Bd. 66, 

H. 1, S. 137.) Hämatoxylinlösungen, und zwar stärkere besser als 
schwächere, eignen sich entgegen der Behauptung verschiedener anderer 
Autoren durchaus zur Bakterienfärbung. Zum Färben von Ausstrich¬ 
präparaten von Bakterien empfiehlt der Verf. Jodbämatoxylin. 

Bierotte. 

G. Wagner-Kiel: Erfahrungen mit der Conradi-Troch’schen 
Tellarplatte sam Diphtherienachweis. (Münchener med. Wochenschr., 
1913, Nr. 9.) 1. Die Conradi-Troch’sche Tellurplatte bedeutet wegen 

der durch sie gewährleisteten grösseren Leichtigkeit und Sicherheit der 
Auffindung der Diphtheriekolonien einen Fortschritt gegenüber der 
Löfflerplatte, ohne indessen dem ungeübten Untexsucher wesentlich mehr 
positive Befunde zu liefern. 2. Die von C. und T. empfohlene An¬ 
reicherung auf Löffierserum macht das Verfahren umständlich, zeit¬ 
raubend und kostspielig. 3. Vermieden werden diese Nachteile durch 
auschliessliche Verwendung der Tellurplatte, wobei die erzielten Er¬ 
gebnisse hinter denen mit vorheriger Anreicherung auf Löffler-Serum 
jedenfalls nicht zurückstehen. Dünner. 

B. Schick und So-Wien: Ueber den Ablauf der Diphtherie- 
intracutanreaktioa (Römer) am Meerschweinchen bei wiederholter In¬ 
jektion. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig., Bd. 66, H. 1, 
S. 121.) Durch ihre Tierversuche konnten die Verff. feststellen, dass 
selbst bei rasch aufeinanderfolgenden intracutanen Injektionen von 
Diphtherietoxin in steigenden Mengen an der Injektionsstelle keine Ueber- 
empfindlichkeitsreaktion nachweisbar ist. Die Ueberempfindlichkeits- 
symptome fehlten auch bei viermaliger Vorbehandlung und Reinjektion 
der gleichen Menge nach fünfwöchigem Intervall, sowie bei zweimaliger 
Vorbehandlung mit kleinen Dosen und Reinjektion nach 4 Wochen. 

Th. Messerschmidt-Strassburg: Ein paratyphnsähnlicher Ba- 
eillns. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig., Bd. 66, H. 1, 
S. 35.) In den diarrhoischen Entleerungen eines bereits längere Wochen 
kranken Patienten fanden sich massenhaft morphologisch und kulturell 
paratyphusähnliche Bacillen, die sich jedoch in eigenartiger Weise von 
diesen unterschieden. Während die Wirkung der Gifte des Keimes auf 
Laboratoriumstiere einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Bacillus 
und Krankheit vermuten liess, fiel auffallenderweise die Agglutinations¬ 
prüfung des Patientenserums gegen die Reinkultur der so massenhaft 
vorhandenen Bacillen negativ aus. Das Patientenserum agglutinierte 
Reinkulturen von Bac. paratyph. B und suipestifer ebenfalls nicht. 

0. Mayer - München: Eigenartige bakteriologische Befände bei Ge¬ 
sunden aus der Umgebung Rnhrkranker. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 

I. Abt., Orig., Bd.66, H.5u.6, S.328.) In den Stuhlausstrichen zweier gesunder 
Personen aus der Umgebung Ruhrkranker wurden dysenterieverdächtige 
Kolonien gefunden, die zunächst kulturell ziemlich erheblich von dem 
Dysenteriebacillentyp der Kranken abwichen. Durch eine kurze Zeit 
nach der Isolierung aus den Fäces vorgenommene Tierpassagk wurden 
aus ihnen echte Dysenteriebacillen gewonnen. Bei längerer Fortzüchtung 
auf künstlichen Nährböden konnten aus den Ausgangskulturen durch 
Tierversuch keine Dysenteriebacillen mehr erhalten werden. Nach diesen 
Ergebnissen sollten nach dem Vorschlag des Verf.'s im Interesse der 
praktischen Ruhrbekämpfung Kolonien, die sich zwar von Dysenterie¬ 
bacillen in einzelnen kulturellen Merkmalen erheblich unterscheiden, in 
anderen jedoch wieder mit ihnen übereinstimmen und serologisch ver¬ 
dächtig sind, durch Tierversuch geprüft werden, ob aus ihnen echte 
Dysenteriebacillen zu züchten sind. Leute, bei denen solche Kolonien 
gefunden werden, müssen als Dysenteriebacillenträger angesehen werden. 


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610 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 13. 


Ob es sich in den vorliegenden Fallen um eine Verschmelzung von zwei 
verschiedenen Bakterien in einer Kolonie oder um echte Mutation der 
Dysenteriebacillen handelt, ist nioht zu entscheiden. 

Thalmann.-Dresden: Streptococcus viridans im Blut ohne Ver¬ 
änderung; der Herzklappen. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt., 
Orig., Bd. 66, H. 2—4, S. 240.) Bei zwei letal ausgegangenen Fällen 
— es handelte sich um schwere, durch Mischinfektion bedingte lokale 
Erkrankungsherde — konnte im Blut allein der Streptococcus viridans 
nachgewiesen werden. Nach Th.’s Ansicht ist die Schottmüller’sche 
Einteilung der Streptokokken in hämolytische und grüne zu Recht be¬ 
stehend. 

H. Mandel - München: Zur Frage der Fleischvergiftung. (Central¬ 
blatt f. Bakteriol. usw., l.Abt., Orig., Bd. 66, H. 2—4, S. 194.) Bei einer 
durch Schmorfische verursachten Massenvergiftung bei einem Truppenteil 
konnte als Erreger ein Bac. proteus vulgaris mit Sicherheit ermittelt 
werden. Die „Fleischvergifter“ wirken, wie wiederum festgestellt wurde, 
nicht so sehr als solche, sondern vielmehr durch die auf den Nahrungs¬ 
mitteln von ihnen gebildeten giftigen Stoffwechselprodukte. 

M. Müller - München: Heber die Natur der kugelförmigen Ge¬ 
bilde in den Aphthen maul- und klauenseuchekranker Tiere. 
(Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig., Bd. 66, H. 1, S. 103.) Die 
Befunde Huntemüller’s, der in der Aphthenlymphe maul- und klauen¬ 
seuchekranker Tiere kleine Kugeln von Kokkengrösse gefunden, ihre 
Natur und ihre Beziehungen zur Aphthen jedoch dahingestellt liess, 
konnte Verf. bestätigen; diese Kugeln sind nach dem Ausfall seiner 
Untersuchungen Fetttröpfcben. 

B. J. Wi lamowski - St. Petersburg: Ueber einen Fall von Psendo- 
authrax. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig., Bd. 66, H. 1, 
S. 39.) Bei einer Patientin mit einer akut-infektiösen Lungenerkrankung 
wurde intra vitam im Pleuraexsudat ein beweglicher, grampositiver 
Bacillus gefunden, der bei der Sektion ebenfalls aus dem Pleura¬ 
exsudat, sowie aus der Milz, Knochenmark und Leber gezüchtet 
werden konnte. Die Stäbchen erwiesen sich als sporenhaltig und 
glichen morphologisch Anthraxbacillen, von denen sie sich nur 
durch ihre Beweglichkeit unterschieden. Auch kulturell bestand 
grosse Aehnlichkeit mit jenen; ferner waren die isolierten Bacillen tier¬ 
pathogen. Der Verf. hält den Keim nach dem Ausfall der von bakterio¬ 
logischer Seite durchgeführten Untersuchungen für einen dem Bac. 
anthracoides oder dem Bac. pseudoanthracis sehr nahestehenden Mikro¬ 
organismus. Klinisch sind derartige Fälle von Pseudoanthrax von echtem 
Milzbrand eventuell nicht zu unterscheiden; sie verhalten sich zu¬ 
einander etwa wie Paratyphus zum Typhus. 

G. Cosco, B. Rosa und C. De Benediotis - Rom: Ueber einen 
Fall cntanor Rin der tuberkulöse beim Menschen. (Centralbl. f. 
Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig., Bd. 66, H. 2—4, S. 161.) Ein Tierarzt 
verletzte sich mit einem Messer, mit dem er eben Organe von tuber¬ 
kulösen Rindern geschnitten batte, oberflächlich an der Hand. Einige 
Tage nachher trat an der betreffenden Stelle eine Entzündung auf und 
etwas später ein kleines Knötchen, das sich wenig vergrösserte. Mit 
dem käsigen Inhalt wurden Tierimpfungen an Meerschweinchen und 
Kaninchen ausgeführt, die erfolgreich waren; auch eine Reinkultur, die 
morphologisch und kulturell dem Typus bovinus entsprach, konnte ge¬ 
züchtet werden und* wurde subcutan auf ein Kalb verimpft, das nach 
zwei Monaten an Perlsucht einging; ebenso wies ein mit Organmaterial 
vom Kaninchen geimpftes zweites Kalb bei der Schlachtung perlsüchtige 
Veränderungen der Drüsen und Lunge auf. Aus dem einwandfrei be¬ 
obachteten Fall lässt sich der Schluss ziehen, dass Rindertuberkulose, 
unter die Haut des Menschen geimpft, eine starke Tendenz zeigt, 
lokalisiert zu bleiben und zu heilen. Der Stamm hatte naoh 
3Va monatigem Aufenthalt im Körper des Menschen seine Virulenz für 
das Rind behalten und nicht im geringsten die Tendenz gezeigt, sich 
aus dem einen in den anderen Typus umzuwandeln. Bierotte. 

R. Kraus und G. Hofer-Wien und Ishiwara - Tokio: Ueber 
Differenzierung von Leprabaeillen mittels Bakteriolyse. (Zur Frage 
der Bakteriolyse säurefester Bacillen.) 8. Mitteilung. (Wiener klin. 
Wochenschr., 1913, Nr. 9.) Das Serum der mit Leprabacillen vor¬ 
behandelten Kaninchen nimmt spezifisch bakteriolytische Eigenschaften 
an. Mittels dieser Methode ist eine Differenzierung säurefester Bakterien 
durchführbar. 

K. Ishiwara - Tokio: Experimentelle Studien über die Zellreaktion 
nach Freund-Kaminer bei Ratten. (Wiener klin.Wochenschr., 1913, Nr. 10.) 
Es scheint, dass die Zellreaktion bei Tieren etwas Erworbenes ist und 
direkt vom Tumor abhängig ist. Mit dem wachsenden Tumor tritt die 
Reaktion auf, nach der Exstirpation des Tumors verschwindet sie. 

, , P. Hirsch. 

Siehe auch Haut-und Geschlechtskrankheiten: Paldrock: 
Nachweis von Leprabacillen in der Haut. — Augenheilkunde, 
Lindner, Zur Biologie der Einschlussblennorhöe. 


Innere Medizin. 

H. v. Wyss-München: Ueber den negativen Drnek im Thorax. 
(Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 109, H. 5 u. 6.) Eine Trennung 
der Pleura parietalis von der Pleura visceralis ist unter physiologischen 
Verhältnissen undenkbar, ohne dass man die Adhäsion zur Erklärung 


heranziehen muss. Ebensowenig ändert letztere das geringste an den 
Druckverhältnissen im Thorax. Die Lehre vom negativen Druck an der 
Berührungsfläche der Pleurablätter besteht bei richtiger Definition des¬ 
selben völlig zu Recht. 

L. Lipowetzky-Bern: Spbygmobolometriscbo Untersuchungen an 
Gesunden und Kranken mittels des Sabli’sehea sphygmobolographisebea 
Verfahrens. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 109, H. 5 u. 6.) 
Die Methode Sahli’s ist ein brauchbares klinisches Verfahren, um über 
den Zustand der Circulation bzw. die Grösse der Herzarbeit sowie der 
Systole Aufschlüsse zu erhalten und speziell den Zustand der Circu¬ 
lation bei Herzkranken im Verlaufe einer Behandlung zu verfolgen. 

W. Zinn. 

A. Lippmann-Hamburg: Ein Fall von Aortitis auf Basis einer 
kongenitalen Lies. (Dermatol. Wochenschr., 1918, Bd. 56, Nr. 8.) Ein 
17 jähriger Mann, einziger lebender Sohn eines mit 43 Jahren an einem 
Herzleiden gestorbenen Vaters ist seit seinem 13. Jahre herzleidend. 
Befund: Einwandfreie Aortitis mit konsekutiver Aorteninsuffizienz, daneben 
Venenveränderungen. Dabei sicher nachgewiesene Lues, die ausser den 
Gefässveränderungen keinerlei Erscheinungen machte. Unter Digitalis¬ 
behandlung und Schmierkur bildeten sich die Stauungen und Herz¬ 
erscheinungen zurück; die vorher sehr stark positive Wassermann’sche 
Reaktion wurde negativ und Patient arbeitsfähig. Immerwahr. 

G. Klemperer und H. Hirschfeld: Weitere Mitteilungen über 
die Behandlung der Blatkrankheiten mit Thorium X. Mit Bemerkungen 
über die Beizoltberapie. (Therapie d. Gegenw., Februar 1913.) Unter 
den Fällen von perniciöser Anämie, die Verff. mit Thorium X behandelten, 
befand sich nur ein einziger, bei dem ein günstiger Erfolg erzielt wurde. 
In allen anderen wurde nur bisweilen eine vorübergehende günstige 
Einwirkung auf das Blutbild festgestellt. Auch die Kombination von 
Thorium X mit Arsen oder Benzol zeigte keine besondere Wirkung. 
Nach den Erfahrungen der Verff. steht es unzweifelhaft fest, dass kleine 
Dosen von Thorium X eine Reizwirkung auf die blutbildenden Organe 
ausüben. Die Hoffnungen, die man nach den ersten Mitteilungen auf 
diese Substanz setzte, haben sich nicht erfüllt. Die Frage, ob das 
Thorium dem Arsen überlegen ist, muss vorläufig noch offen gelassen 
werden. Die Erfahrungen der Verff. über Thoriumbehandlung der 
Leukämie zeigen, dass dieselbe eine ausserordentlich symptomatische 
Beeinflussung der myeloiden Formen berbeifübrt. Eine Einwirkung 
auf das Wesen der Krankheit findet nicht statt, und das tödliche Ende 
kann wohl hinausgeschoben, aber nicht verhütet werden. Bei der lym¬ 
phatischen Leukämie findet ebenfalls eine symptomatische Wirkung 
statt, indem die Drüsenpakete sich auffällig verkleinern, aber eine 
wesentliche Modifikation des Krankheitsbildes wird nicht erzielt. Zum 
Schlüsse werden die Versuche der Verff. mit Benzol besprochen. Aus 
diesen geht hervor, dass das Benzol ein sehr gefährliches Mittel dar¬ 
stellt, welches die Leukocyten zerstört und daher bei Leukämie sympto¬ 
matisch wirken kann. Er ruft aber gleichzeitig so schwere Organ¬ 
nekrosen hervor, dass einer therapeutischen Anwendung grösserer Dosen 
lebhafte Bedenken entgegenstehen. 

W. Neu mann: Ueber BeizolbebaBdlmig der Leik&mie. (Therapie 
d. Gegenw., Februar 1913.) Verf. berichtet aus der medizinischen Klinik 
in Giessen über einen Fall von ausgesprochener Myelämie, der nach der 
Koranyi’schen Vorschrift mit Benzol behandelt wurde. Nach Beendigung 
der Kur, die 36 Tage dauerte, war die Milz auf die Hälfte ihres 
Volumens zurückgegangen, die Leukocytenzahl betrug 5300, subjektive 
Heilung. Bald trat eine Verschlechterung in dem Befinden ein. Die 
Leukocytenzahl ging weiter zurück, und auch die Milz zeigte eine weitere 
Verkleinerung. Es traten Fieberanfälle und Durchfälle, reichliches 
Nasenbluten auf sowie eine hämorrhagische Stomatitis und Rhinitis. 
39 Tage nach Beendigung der Benzolkur trat der Exitus ein. Es ist 
äusserste Vorsicht bei der Dosierung des Benzols geboten. 

R. Fabian. 

S. Stern-Budapest: Die Behandlung der Leukämie mit Benzol. 
(Wiener klin. Wochenschr., 1918, Nr. 10.) Bei einem 52 jährigen Patienten 
sank nach zweimonatiger Benzolbehandlung die Zahl der Leukocyten 
von 264 000 auf 13 800, die Zahl der Erythrocyten stieg von S 1 /* auf 
b l l 2 Millionen. Auch das quantitative Bild der Leukocyten änderte sich 
in vorteilhafter Weise, die Milz, welche bei Beginn der Erkrankung bis 
fast zur Mittellinie reichte, wurde bis zur Norm reduziert, das Körper¬ 
gewicht nahm um 2 kg zu. S. sieht im Benzol eine Bereicherung 
unseres Arzneischatzes. 

St. Kl ein-Warschau: Die Wirkung des Benzols auf den lem- 
kämisebea Prozess. (Wiener klin. Wochanschr., 1913, Nr. 10.) Der 
Verf. sieht in dem Benzol ein Mittel, welches in der Behandlung der 
Leukämie eine grosse Rolle spielen wird. Wir sind jedoch nicht be¬ 
rechtigt, das Mittel als ein die Leukämie heilendes zu betrachten. Ein 
Unterschied, in der Benzolwirkung auf die beiden Leukämieformen scheint 
nicht zu bestehen. Ueber die Beständigkeit der Wirkung kann bei der 
Kürze der bisherigen Beobachtungszeit noch nichts ausgesagt werden. 
Eine kombinierte Behandlung mit Röntgenstrahlen ist der einfachen 
Benzolbehandlung vorzuziehen. P. Hirsch. 

H. Tachau-Berlin: Das Verhalten des Blatzackers und die klinische 
Bedeutung der BlatznekerbestimmaDg beim Diabetes mellitas. (Deut¬ 
sches Archiv f. klin. Med., Bd. 109, H. 5 u. 6.) Die Diagnose eines 
Diabetes mellitus wird durch die Feststellung einer Hyperglykämie in 
nüchternem Zustande gesichert Ist der Nüohternwert nicht erhöht. 


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81. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


611 


kann der Eintritt einer erheblichen alimentären Hyperglykämie eine 
Stunde nach der Aufnahme von 50 g Weissbrot zur Diagnose führen. 
Zur Diagnose eines Nierendiabetes ist die Feststellung eines normalen 
Biutzuckerwertes in nüchternem Zustande und des Fehlens einer ab¬ 
normen Blutzuckersteigerung nach der Aufnahme von Kohlehydraten 
notwendig. (Blutzuckergehalt beim Gesunden 0,084 pCt., beim Diabetiker 
über 0,1—0,7 pCt.) Die Verfolgung der Blutzuokerwerte ist für die Be¬ 
urteilung der Schwere des Diabetes wichtig. W. Zinn. 

•Bacmeister und Henes-Freiburg i. Br.: Untersuchungen über 
den Cholesteringehalt des menschlichen Blutes bei verschiedenen 
inneren Erkrankungen. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 12.) 
Vortrag in der Freiburger medizinischen Gesellschaft am 18. Februar 1913. 
Cf. Gesellschaftsbericht der Berliner klin. Wochenschr. 

M. Landau-Freiburg i. Br.: Nebenniere und Fettstoffwechsel. 
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 12.) Vortrag in der Freiburger 
medizinischen Gesellschaft am 18. Februar 1913. Cf. Gesellschaftsbericht 
der Berliner klin. Wochenschr. Wolfsohn. 

M. Lau ritzen-Kopenhagen: Diabetische Acidose und ihre Be¬ 
handlung. (Therapie d. Gegenw., Februar 1913.) Verf. unterscheidet 
eine spontane Acidose, die durch die Glykosurie bewirkt wird, und 
eine alimentäre Acidose, die durch Ausschaltung der Kohlehydrate 
aus der Kost entsteht. Nachdem ausführlich auseinander gesetzt wird, 
in welcher Weise die verschiedenen Nährstoffe die Acidose beeinflussen, 
gibt Verf. eine Uebersicht über die Behandlungsmethoden. Nach seinen 
Erfahrungen soll man bei Diabetes mit starker Acidose die Diät un¬ 
gefähr wie an den „Gemüsetagen“ einrichten, aber doch mit Eiweiss¬ 
und Fettzulage, was für jeden einzelnen Patienten passt, also eine ge¬ 
mischte Gemüsediät, die man je nach Art des Falles kürzere oder 
längere Zeit brauchen lässt. Bisweilen kann eine Kohlehydratkur 
(Milchdiät, Haferkuren und andere Mehlkuren) bei Aoidose gute Wirkung 
ausüben. Als wichtigstes medikamentöses Mittel wird das Natr. bicarb. 
gegeben, und zwar bei leichten Fällen 10—20 g, bei schwerer Acidose 
30—40 g pro die. Zum Schluss erwähnt Verf. noch die Kostrationen. 
Bei leichtem Diabetes: 2 g Eiweiss pro Kilo Körpergewicht und periodisch 
1,5 g Eiweiss pro Kilo. Bei mittelschwerem und schwerem Diabetes: 
1,5 g Eiweiss pro Kilo Körpergewicht und periodisch 1 g Eiweiss pro 
Kilo. Bei sehr schwerem Diabetes: 1 g Eiweiss pro Kilo Körpergewicht 
und periodisch 0,5 g Eiweiss pro Kilo. R. Fabian. 

J. Fischer-Tübingen: Ueber die Beziehungen zwischen anhaltender 
Blutdrucksteigerung and Nierenerkrankung. (Deutsches Archiv f. 
klin. Med., 1913, Bd. 109, H. 5 u. 6.) Die klinische und anatomische 
Verwertung von 550 Fällen mit dauernder Blutdrucksteigerung ergab, 
dass unter den Patienten mit einem dauernden Druck über 140 mm Hg 
62pCt. eine siohere Nierenschädigung aufwiesen; bei dauerndem Druck 
von 160 mm und mehr sogar 80pCt. In keinem einzigen obduzierten 
Falle von dauernder Hypertension fehlten anatomische Veränderungen im 
Sinne einer fortschreitenden Erkrankung bzw. Nephritis. W. Zinn. 

L. Jehle-Wien: Beitrag zur sogenannten „Marschhämoglobinurie“. 
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 9.) Hämoglobinurie kann unter 
Umständen durch die Wirkung einer Lordose entstehen. Doch lässt 
sich die Hämoglobinurie in Form eines Anfalles nur zeitlich begrenzt 
auslösen, wogegen die Möglichkeit einer Albuminurie bestehen bleibt. 

L. Jehle-Wien: Wirkung neuer Korrektionsversnehe der Wirbel¬ 
säule bei der orthotischen Albuminurie. (Wiener klin. Wochenschr., 
1913, Nr. 9.) Man beugt das eine Bein des Patienten im Hüft- und 
Kniegelenk bis zu einem rechten Winkel und lässt das Bein auf eine 
entsprechend hohe Unterlage stellen. Hierdurch wird die Lordose aus¬ 
geglichen, und nach kurzer Zeit wird die Eiweissmenge beträchtlich ver¬ 
mindert bzw. das Eiweiss schwindet völlig. Der Versuch zeigt eines¬ 
teils, dass der Begriff der orthostatischen Albuminurie sich mit dem 
der lordotischen völlig deckt; andererseits kann der Versuch zur Diffe¬ 
renzierung dieser Erkrankung von einer Nephritis verwendet werden. 

E. Langer-Wien: Die Cammidge-Reaktion und ihre Bedeutung für 
die Diagnostik der Pankreaserkrankungen. (Wiener klin. Wochenschr., 
1913, Nr. 9.) Die Reaktion ist keine für Pankreaserkrankungen spezi¬ 
fische. Sie scheint 'bedingt zu sein durch die beim Auf- und Abbau 
des Glykogens gebildeten zusammengesetzten Zuckerarten. Gleichzeitig 
scheint für ihr Zustandekommen ein Ueberwiegen des sympathischen 
Nervensystems bzw. des chromaffinen Systems maassgebend zu sein. 

S. Nagy-Kolozsvär: Zur Diagnose der akuten Entzündung des 
Pankreas (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 9.) ln einem sicheren 
Fall von akuter Pankreatitis konnte N. feststellen, dass die Patientin 
(50 jährige Frau) bedeutende Stickstoffverluste erlitt, doch war das pro- 
centuale Verhältnis der stickstoffhaltigen Spaltungsprodukte im Harn 
ein normales. Man ist, nach Ansicht des Verf., berechtigt, eine Funktions¬ 
störung des Pankreas anzunehmen, wenn die Fettspaltung bis unter 
70pCt. gesunken ist; der Untersuchung der tryptischen und amylo¬ 
lytischen Fermente kommt in zweifelhaften Fällen keine entscheidende 
diagnostische Bedeutung zu. P. Hirsch. 

A. Weil - Strassburg: Ueber den Einfluss elektrischer Reize auf 
Magenperistaltik und -sekretiou beim Menschen. (Deutsches Archiv 
f. klin. Med., 1913, Bd. 109, H. 5 u. 6.) Direkte endostomaohale Gal¬ 
vanisation oder Faradisation unter Einführung einer Elektrode in den 
Magen und Aufsetzen der anderen auf den Leib oder Nacken. Beim 
Menschen hat die elektrische Reizung des Magens mit den therapeutisch 


verwendbaren Stromstärken, sei es direkt oder vom Vagus, galvanisch 
oder faradiscb, röntgenologisch nachweisbare Aenderungen der normalen 
Magenperistaltik nicht zur Folge. Der Einfluss auf die Sekretion ist 
zweifelhaft. Die therapeutischen Erfolge beruhen offenbar auf der 
psychischen Komponente und auf den kräftigen Kontraktionen der 
Bauchwand. W. Zinn. 

E. Stoerk Wien: Ulcus rotundum ventricnli und Lymphatismus. 
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.) Es besteht die Auffassung 
zu Recht, dass vielen Fällen von Ulcus ventriculi eine Konstitutions¬ 
anomalie zugrunde liegt. Als ein wesentlicher ätiologischer Faktor ist 
der sogenannte Lymphatismus anzusehen. Bei der Entstehung des Ge¬ 
schwüres spielt die Follikelvermehrung der Magenschleimhaut eine Rolle, 
desgleichen deren Neigung, auf Reize unbekannter Art mit Bildung eines 
ötat mamellonö zu antworten. Weiterhin kommen in Betracht: die 
häufige Enge des Gefässsystems und die daraus folgende schlechte 
Vascularisation der Parenchyme; das gleichzeitige Bestehen einer so¬ 
genannten „Vagotonie“ und schliesslich die Minderwertigkeit der Ab¬ 
wehrvorrichtungen des Lymphatikers gegen bakterielle Invasionen. 

Wolfsohn. 

G. Grund-Halle: Ueber das festgebundene Chlor im Magensaft, 
speziell bei Magenearcinom. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, 
Bd. 109, H. 5 u. 6.) Sowohl beim Magenearcinom wie bei Acbylien aus 
anderen Gründen besteht eine Insuffizienz der Salzsäureproduktion. 
Widerlegung der Reissner’schen Auffassung. W. Zinn. 

Siehe auch Therapie: Hesse, Melubrin als Antipyreticum bei 
Tuberkulose. Kolb und Laubenheimer, Prophylaktische Serum¬ 
therapie des Tetanus. — Parasitenkunde und Serologie: Thal¬ 
mann, Streptococcus viridans im Blut ohne Veränderung der Herz¬ 
klappen. Messersohmidt: Paratyphusähnlicher Bacillus. Wilia- 
raowski, Pseudoanthrax. — Urologie: Heller, Pseudotrichiasis der 
Blase und Pilimiktion. — Haut- und Geschlechtskrankheiten: 
Arnold, Orthotische Albuminurie bei Hautkranken. Kaufmann- 
Wolf, Hautmetastasen bei Caroinom innerer Organe. Andry, Arseno- 
benzol und Hämoptoe. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

P. Leubuscher-Hoppegarten: Therapeutische Versuche mit 
Phosphor bei Epileptikern. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.) 
Phosphoröl (0,1:1000,0) hatte in einigen Fällen von Epilepsie einen 
deutlichen Erfolg, bestehend in Reduktion der Krampfanfälle. 

Wolfsohn. 

L. Teleky - Wien: Isolierte Atrophie einzelner Daumenballen¬ 
muskeln bei Feilenhauern. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 10.) 
Nach einer Demonstration in der Sitzung der k. k. Gesellschaft der 
Aerzte in Wien am 10. Januar 1913. Referat siehe den Sitzungsbericht. 

P. Hirsch. 


Kinderheilkunde. 

J. Peiser-Berlin: Eine Präzisionswage für die Säuglingsernäh- 
mng. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 9.) Nach dem Prinzip 
der Hebelbriefwage konstruiert. Dünner. 

A. Schlossmann - Düsseldorf: Erfahrungen und Gedanken über 
Austaltshehandlnng der Säuglinge. (Monatsschr. f. Kinderheilk., 1913, 
Bd. 11, Orig., S. 545.) Bericht über die erfolgreiche Sanierung der 
Kinderabteilung des Pflegehauses in Düsseldorf. Auseinandersetzungen 
über den „Hospitalismus“ in Säuglingskrankenhäusern, den Verf. zurück¬ 
führt auf die Unzulänglichkeit des Arztes, der Pflege, der Einrichtungen 
und der Nahrung. Welche Forderungen der Verf. bezüglich dieser vier 
Kardinalfaktoren erheben zu müssen glaubt, wird ausführlich besprochen. 

H. Brüning - Rostock: Die Säuglingssterblichkeit im Grossherzog¬ 
tum Meeklenburg-Sehwerin im Jahre 1911. (Monatsschr. f. Kinderheilk., 
1913, Bd. 11, Orig., S. 604.) Das interessanteste Ergebnis dieser Arbeit 
ist die Feststellung, dass im Grossherzogtum Mecklenburg-Schwerin die hohe 
Sommersterblichkeit des Jahres 1911 weniger die grossen Städte, als das 
Land und die kleinsten Ortschaften betroffen hat, uud dass das in 
Mecklenburg-Schwerin beobachtete Ansteigen der Säuglingssterblichkeit 
einzig und allein auf die zunehmende Mortalität unteijähriger Kinder 
auf dem Lande zurückzuführen ist. R. Weigert. 

A. Baginsky: I. Hygiene of city infants and babies. II. Kinder¬ 
krankheiten während des Schullebens. (Arch. f. Kinderheilk., Bd. 59, 
S. 363.) Zwei zusammenfassende Referate für den Kongress für Hygiene 
und Demographie in Washington 1911. Birk. 

R. P. van de Kasteele - Leiden (z. Z. Strassburg): Einfluss des 
künstlichen Pneumothorax auf die Atemmechanik des Kindes. 
(Monatsschrift f. Kinderheilk., 1913, Bd. 11, Orig., S. 585.) Die Unter¬ 
suchungen wurden mit dem von Hürthle erfundenen Pneumatographen 
an 6 Kindern im Alter von l 8 / 4 bis 14 Jahren ausgeführt. Bei allen 
Kindern war schon früher ein Pneumothorax angelegt worden, so dass 
lediglich der Einfluss von Nachfüllungen studiert werden konnte. Verf. 
fand, dass die Kinder mit Pneumothorax durchschnittlich eine höhere 
Atemfrequenz, eine kleinere Atemtiefe und eine grössere absolute Atem¬ 
grösse aufwiesen als die Kinder desselben Alters, an denen frühere 
Untersucher (Gregor) ihre * Normalzahlen ermittelt batten. 

R. Weigert. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 13. 


G. S. Armand: Retard de däveloppement cliez un prdmatnrd 
ber^do-tnbercaleux. (Bull, de la soc. de pediatrie ä Paris, Januar 1913, 
S. 34.) Normalerweise findet sich bei Kindern bis zum Alter von 
2 3 / 4 Jahren eine Steigerung der Sehnenreflexe, ein positiver Babinsky 
sowie eine eigentümliche Suggestionsiähigkeit, derart, dass das Kind eine 
bestimmte Körperhaltung, z. B. mit erhobenen Armen, unbegrenzt lange 
und ohne zu ermüden einhalten kann (Co 11 in’s psyoho-neuro-muskulärer 
Symptomenkomplex). — Findet sich das gleiche Syndrom aber bei 
älteren Kindern, so ist es ein Zeichen von verlangsamter geistiger Ent¬ 
wicklung. Ein solches Kind beschreibt der Verf. hier. Möglicherweise 
bestand in diesem Falle ein Zusammenhang der geistigen Debilität mit 
der tuberkulösen Belastung des Kindes und seiner zu früh erfolgten 
Geburt. 

G. Caronia: Weiterer Beitrag zur Leishmania-Anämie. (Aus der 
Kinderklinik in Palermo.) (Arch. f. Kinderheilk., Bd. 59, S. 321.) Die 
Leishmaniosis kommt in Italien und den übrigen Küsten des Mittelmeeres 
bei Kindern der ersten Lebensjahre recht häufig zur Beobachtung. Sie 
wird durch einen Parasiten hervorgerufen, der mit dem bei Kala-azar 
gefundenen identisch ist. Die Uebertragung geschieht durch Hunde oder 
durch Stechmücken — doch weiss man darüber noch nichts Sicheres. 
Die Prognose ist schlecht: von 37 Fällen, die der Verf. mitteilt, sind 
nur 2 in Heilung ausgegangen; die übrigen starben, wenn nicht an inter¬ 
kurrenten Krankheiten, so an Kachexie. Im Verlauf der Krankheit unter¬ 
scheidet man 3 Stadien: im ersten besteht bei noch gutem Allgemein¬ 
zustand Fieber, Milztumor, Leukopenie und Oligocythämie. Das zweite 
Stadium ist durch zunehmende Blässe, stärkeren Milz- und Lebertumor 
und unregelmässiges Fieber charakterisiert. Im dritten Stadium besteht 
ausgesprochene Kachexie, hohes Fieber, starke Oligocythämie, Oligo- 
chromäraie, Leukopenie, daneben dyskrasische Störungen des Herz- und 
Gefässapparates, ulceröse Enteritis, Noma, Kieferkaries, Nephritis. In 
der Gegend von Palermo, aus der die vom Verf. mitgeteilten Fälle 
stammen, führt die Krankheit den Namen „balatedda“ (kleine Stein¬ 
platte), wodurch die marmorartige Härte, die die vergrösserte Milz im 
Laut der Krankheit annimmt, zum Ausdruck gebracht wird. 

Comby et de Vaugiraud, Papillom es verriqueni bypertrophiqnes 
de la vnlve, bons effets de la radiothörapie. (Bull, de la societc de 
pödiatrie ä Paris, Januar 1913, S. 18.) Es handelte sich um ein drei¬ 
jähriges Kind — mit positivem Wassermann — bei dem unter Strahlen¬ 
therapie und gleichzeitiger Schmierkur die Papillome verschwanden. 

Birk. 

Engel - Düsseldorf: Die Wirkung der mechanischen Erschütterung 
auf die Frauenmilch. (Monatsschr. f. Kinderheilk., 1913, Bd. 11, 
Orig., S. 578.) Verf. teilt folgende interessante Beobachtung mit: 
Unterwirft man Frauenmilch einem intensiven, maschinellen Schüttel¬ 
prozess, so kommt es in der Flüssigkeit zu einer feinflockigen Koagula¬ 
tion und einer Zunahme des Säuregrades. Die Veränderung ist in den 
ersten Stunden am intensivsten, macht später nur langsam Fortschritte 
und bezieht sich von der 3. bis 4. Stunde ab nur noch auf die Säue¬ 
rung. Diese Erscheinungen haben nach Untersuchungen des Verf.’s nicht 
ihren Grund Mn bakterieller Zersetzung des Milchzuckers. E. konnte 
fernerhin konstatieren, dass sie in (Frauen-)Magermilch nicht zur Beob¬ 
achtung kommen, dass also das Fett für das Zustandekommen der Säue¬ 
rung und Koagulation beim Schütteln der Frauenmilch unbedingt not¬ 
wendig sind. Weitere Mitteilungen in dieser Frage werden angekündigt. 

R. Weigert. 

M. Thiemich - Magdeburg: Ueber die Behandlung der Krämpfe 
im frühen Kindesalter. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 12.) 
Klinischer Vortrag. Wolfsohn. 

J. E. Müller - Dortmund: Seltene, durch den Diphtheriehacillns 
hervorgernfene Erkrankungen. (Deutsches Arch. f. klin. Med., 1913, 
Bd. 109, H. 5 u. 6.) Geschwisterpaar mit tödlicher Diphtherie, kom¬ 
pliziert durch echte diphtherische Hautgeschwüre. Ferner tödliche 
Rachendiphtherie bei einem dreijährigen Knaben mit echter diphtherischer 
Entzündung des Dickdarms. W. Zinn. 


Chirurgie. 

F. A hl fei d-Marburg: Handschuh verietxnngen und Händedesinfek- 
tion. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 1.) Kritische 
Bemerkungen zur Händedesinfektion nach der vom Verf. seinerzeit an¬ 
gegebenen Heisswasser-Alkoholmethode und zur Frage der Möglichkeit 
der Keimfreimachung der Hand, die nach A.’s Ansicht durch den Alkohol 
zu erreichen ist. 

W. Graef - Nürnberg: Bericht über Erfahrungen mit den intra¬ 
venösen Aether- und Isopraläthernarkosen. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. 
Chirurgie, 1913, Bd. 83, H. 1.) Bericht über 151 Aether- und 859 
Isopraläthernarkosen. Als Gegenindikationen sind zu nennen: Myo- 
degeneratio cordis, schwere Arteriosklerose, Nephritis, schwerer Icterus, 
Cholämie, Stauungserscheinungen and allgemeine Plethora. Die Haupt¬ 
komplikationen, Thrombose bzw. Embolie und Infektion sind bei guter 
Technik zu vermeiden. Die Narkosen verlaufen, besonders bei der kom¬ 
binierten Isopraläthernarkose ideal, glatt und ruhig. 

N. Dobrowolskaja-Petersburg: Ueber .den klinischen Wert des 
Scharlachrots und Amidoazotoluols. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 
1913, Bd. 83, H. 1.) Bei den kritischen Untersuchungen, die Verf. an 


11 klinischen Fällen ausgeführt hat, ergab die Anwendung von Scharlach¬ 
rot und Amidoazotoluol bei reinen granulierenden Wundflächen kein 
wesentlich besseres Resultat als der trockene Verband oder die indiffe¬ 
rente Salbe. D. glaubt daher nicht, dass das Scharlachrot die alten 
bewährten Behandlungsmethoden zu verdrängen imstande sein wird. 

W. V. Simon. 

0. Vulpius - Heidelberg: Zur Behandlung der inneren Verletzungen 
des Kniegelenks. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 9.) V. hält 
einen partiellen Meniscusabriss auf der Höhe seiner Konvexität für 
häufiger als den Abriss an der vorderen und hinteren Anheftung der 
Knorpelscheibe. V. reponiert den Meniscus und stellt das Bein 5 bis 
6 Wochen ruhig. Ist diese Methode ohne Erfolg, so setzt er an der 
Lockerungsstelle einen entzündlichen Reiz, indem er zwischen Meniscus 
und Tibia, an dem Orte der grösston Empfindlichkeit, einige Tropfen 
absoluten Alkohol injiziert und dann das Gelenk stark mit Sauerstoff 
aufbläht. Sechs- bis achttägige Fixation. 

Jansen - Stralsund: Ein einfacher Verband zur Behandlung des 
SchlÖ88elbeinbrnehes. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 9.) 
Muss im Original nachgelesen werden. Dünner. 

H. Fowelin - Riga: Ein Fall von partieller Nabt der Arteril 
brachialis und ein Fall von circulärer Nabt der Arteria femoralis, 
(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chirurgie, 1913, Bd. 88, H. 1.) Kasuistische Mittei¬ 
lung. Bei beiden Fällen handelte es sich um Schussverletzungen. Bei 
fast total kalter Extremität konnte man eine leicht angedeutete Puls¬ 
welle sowohl in der Arteria radialis wie auch in der Arteria dorsalis 
pedis nachweisen. Zur Sicherung der Diagnose auf Gefässverletzung 
wird für solche Fälle das Wahl’sche Auskultationsverfahren empfohlen; 
man hört über der Verletzungsstelle ein hauchendes, schabendes mit dem 
Puls isochrones Geräusch. W.V. Simon. 

H. Küttner-Breslau: Die Hyomandibnlarfistel, eine lene Fora 
der angeborenen Halsfistel. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.) 
Angeborene, mit dem äusseren Gehörgang kommunizierende seitliche 
Halsfi9tel. Operative Entfernung. Genauer mikroskopischer Befund. K. 
konnte weder in der chirurgischen noch in der otiatrischen Literatur 
eine analoge Beobachtung finden. Wolfsohn. 

H. Fowelin - Riga. Ein Fall von Stich Verletzung des Pericard 8 
und der rechten Pleura, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chirurgie, 1913, Bd. 83, 
H. 1.) Der vom Verf. */* Stunde nach erfolgter Verletzung (Stichver¬ 
letzung mit einem Schustermesser) operierte Pat. wurde geheilt. Pleura 
und Herzbeutel wurden völlig geschlossen. 

W. Lawrow-Petersburg: Die chirurgische Behandlung des Pleura¬ 
empyems. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 1.) Bei 
den Empyemfällen, die nach der Operation nur eine schwache Neigung 
zur Lungenentfaltung und zum Kleinerwerden der Höhle zeigen, soll 
unbedingt zur Aspirationsmethode gegriffen werden, falls auf der Seite 
des Empyems die Lunge gesund ist. Bei kranker Lunge ist Ruhig¬ 
stellung derselben nötig und daher die Aspiration zu widerraten. Bei 
der Behandlung der chronischen Empyeme ist die Aspirationsbehandlung 
ebenfalls am Platze; allerdings ist hier ihre Wirkung weit geringer. 
Einzelheiten sind in dem ausführlichen Original nachzulesen. 

W. V. Simon. 

Wil ms-Heidelberg: Welche Formen der thorakoplastischen Pfeiler¬ 
resektion sind je nach Ausdehnung und Schwere der Longenerkranknng 
zu empfehlen? (Münchener med. Wochenschr., 1918, Nr. 9.) Im Gegen¬ 
satz zu Sauerbruch hält W. eine vorbereitende Resektion der 
7.—9. bzw. 10. Rippe bei tuberkulöser Erkrankung des Oberlappens 
nicht für nötig, es sei denn, das9 auch im Unterlappen tuberkulöse 
Prozesse vorliegen; die Gefahr der Aspirationspneumonie, die S. fürchtet, 
besteht nach W. nicht in so starkem Maasse. W. reseziert oft auch 
die Clavicula. Ausführliche Schilderung seiner Operationsmethode der 
Pfeilerresektionen paravertebral und parasternal, deren Ausdehnung vom 
Grade der Erkrankung abhängt. Dünner. 

H. Simon-Breslau: Ueber einen Fall von Riedel’scher Struma, 
nach Strumektomie aufgetreten, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, 
Bd. 83, H. 1.) Referat siehe Sitzungsbericht der Breslauer chirurgischen 
Gesellschaft vom 11. November 1912 in dieser Wochenschr., 1912, 
S. 2497, unter: Br ade. 

J. 0ehler-Freiburg i. Br.: Ueber das histologische Bild der 
Basedow-Stroma in seinem Verhältnis zum klinischen Bilde der Base¬ 
dowschen Krankheit. (Zugleich Beitrag zur Kasuistik der Tuberkulose 
der Basedow-Strnma.) (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, 
H. 1.) Es fand sich in den meisten Fällen eine auffallende Ueberein- 
stimmung des histologischen Befundes mit dem klinischen Bilde. In 
den typischen Fällen fanden sich auch typische Veränderungen; es be¬ 
stand Verminderung und Verflüssigung des Kolloids (schlechte Färbbar¬ 
keit); weiter Vergrösserung und Vermehrung der Epithelzellen, bald 
mehr in Form von einschichtigem Cylinderepithel und Papillenbildung, 
oder mehr in Form von mehrschichtigem Epithel und Epitheldesqua¬ 
mation, häufig auch von beiden zugleich, damit Hand in Hand Unregel¬ 
mässigkeit der Follikelform. Schliesslich fanden sich lymphocytäre An¬ 
häufungen in Form von regelmässig runden oder unregelmässigen Lympho- 
cytenherden, oder in Form von wirklichen Lymphfollikeln mit Keim- 
centren. ln dem einen der vom Verf. mitgeteilten Fälle fanden sich in 
der Struma miliare Tuberkel in der Basedow-Struma, ohne dass sonst 
im Körper Zeichen einer manifesten Tuberkulose vorhanden waren. Ob 
die Tubetkulose auf den Verlauf und die Entstehung der Basedow’schen 


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31. Märe 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


613 


Krankheit oder auf die rasohe Entstehung des in diesem Falle einge¬ 
tretenen Recidiys irgendeinen Einfluss gehabt hat, will Yerf. nicht ent¬ 
scheiden. Nicht selten finden sich auch die histologischen Basedow¬ 
veränderungen in gewöhnlichen Strumen, und zwar meist bei Kindern, 
dooh stets nur in ganz geringem Umfange und ohne den Charakter der 
Progredienz. W. V. Simon. 

A. Neu mann-Berlin: Weitere Erfahrungen mit der Netxman- 
sehette, insbesondere bei der Behandling des perforierten Magea- 
■ad Daodenalgeschwfirs. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 12.) 
Vortrag in der Berliner Gesellschaft für Chirurgie am 10. März 1913. 

Wolfsohn. 

G. Frising und E. Sjövall - Lund: Die phlegmonöse Enteritis 
im Duodenum und im Anfangsteil des Jejunum, (v. Bruns’ Beitr. z. 
klin. Chirurgie, 1913, Bd. 83, H. 1.) Verf. teilt zwei neue Fälle dieser 
seltenen Erkrankung mit. Auffallend ist, dass bei der Schwere und 
Heftigkeit der akut einsetzenden Symptome, die auf ein ernstes Bauch¬ 
leiden hindeuten, eine komplizierende Peritonitis erst verhältnismässig 
spät eintritt. Bisweilen kann eine charakteristische Resistenz, die den 
ergriffenen Darmteilen entspricht, palpiert werden. Die Diagnose wird 
daher doch in manchen Fällen zu stellen sein. Bei der Frage, ob die 
Erkrankung metastatisch oder von einer vorhandenen eventuell durch 
einen Fremdkörper (z. B. Fischgräte) verursachten Schleimhautverletzung 
aus durch bakteriell örtliche Infektion vom Darmlumen aus erfolgt, neigt 
Yerf. der letzteren Ansicht zu. Dabei spiele sicherlich eine vorhandene 
Sekretionsanomalie dos Magens, die eine Virulenzerhöhung der Bakterien 
verursacht (Anacidität), eine wichtige Rolle. Bei der Lokalisation spricht 
vielleicht eine Disposition der betreffenden Darmteile für eine mechanische 
Schädigung mit Da es sich meist um ältere Personen handelt, muss 
man wohl auch an eine bestehende Schwächung des Abwehrvermögens 
denken. 

L. Simon - Mannheim: Beitrag zur Behandlung der perforierten 
Magen- nnd Diodenalnlcera. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chirurgie, 1913, 
Bd. 83, H. 1.) Bericht über 15 Fälle aus den letzten 5 Jahren, von 
denen neun zur Heilung kamen. Yerf. tritt für die möglichst frühzeitige 
operative Behandlung ein sowie die Diagnose auf Perforation gestellt ist. 
In den allermeisten Fällen wird man mit der einfachen Einspülungs¬ 
naht kombiniert mit Netzplastik auskommen. Gegen die Ränder - 
anfriscbung und die Exzision des ganzen Geschwürs sprechen verschiedene 
Gründe (grosser Defekt, Verlängerung der Operation usw.) Zur Siche¬ 
rung und Entlastung der Nahtstelle empfiehlt Yerf. besonders die An¬ 
legung einer Jejunostomie, die auch den Vorteil hat, dass sofort mit der 
Ernährung des Patienten begonnen werden kann, was besonders bei 
schlechtem Allgemeinbefinden sehr nutzbringend ist. Die Gastroenteros¬ 
tomie kann bei Geschwüren der Pars pylorica und kleinen Kurvatur, 
wenn es sich um Stenosen handelt, in Betracht kommen. 

0. Retzlaff - Magdeburg-Sudenburg: Ueber Fremdkörper des Darmes 
und des Wurmfortsatzes, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chirurgie, 1913, 
Bd. 83, H. 1.) Mitteilung eines Falles, bei dem ein Emaillesplitter zur 
Perforation des Darmes oberhalb einer alten tuberkulösen Striktur ge¬ 
führt hatte. Des weiteren teilt Verf. einen Fall mit, bei dem eine Steck¬ 
nadel, die vor 19 Jahren verschluckt worden war, zur Appendicitis und 
Perforation der Appendix geführt batte sowie einen weiteren, bei dem 
sich in der perforierten Appendix lebende Taeniaglieder fanden. Schliess¬ 
lich erwähnt er noch ein zwölfjähriges Kind, bei dem per vias naturales 
zahlreiche, etwa einen Tassenkopf füllende, hölzerne, an einer Seite ge¬ 
spitzte Schuhnägel abgingen, die den ganzen Verdauungstrakt passiert 
hatten. 

H. Harttung-Breslau: Ueber einen exträrenalen Nebennieren- 

tamor. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 1.) Yerf. 
teilt unter besonderem Eingehen auf die histologischen Präparate einen 
operierten Fall von Nebennierentumor mit, bei dem die klinischen Er¬ 
scheinungen auf einen stenosierenden Pylorustumor hingewiesen hatten. 
Bei der Operation stellte es sich heraus, dass die Geschwulst von einem 
versprengten Nebennierenkeim ausging. W. V. Simon. 


Röntgenologie. 

E. Schlesinger - Berlin: Die Ergebnisse der Röntgennntersnchnng 
beim Uleis ventrienli. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 12.) 
Vortrag, gehalten in einer gemeinsamen Sitzung der Vereins für innere 
Medizin und Kinderheilkunde mit der Berliner Gesellschaft für Chirurgie 
am 20. Januar 1913. Wolfsohn. 

j. F. M. Groedel - Frankfurt a. M.: Vieijährige Erfahrungen mit nnter- 
breeberlosen (Gleichrichter) Röntgenapparatei und einige wichtige 
Neuerungen an denselben. Zugleich ein Beitrag zur Frage der Apparat¬ 
beurteilung durch den Arzt. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 9.) 

Dünner. 


Urologie. 

F. Hagen-Berlin: Aufbewahrung nnd Sterilisation halbweicber 
Initrnmente. (Zeitschr. f. Urologie, 1913, Bd. 7, R. 1.) Verf. konstruierte 
zur Aufbewahrung und Sterilisation von Kathetern einen wenig Raum 
beanspruchenden Wandschrank. Dieser enthält eine in Schienen gleitende 
Nickelinplatte. Diese Platte ist in acht parallelen Reihen" genau nach 
dem Maass der Charibre-Skala von 1 bis 30 durchlöchert. Am vorderen 


Rand sind auf einer Metalleiste die Zahlen nach Chariöre genau den 
Löchern entsprechend angebracht. Die Platte lässt sich in Gleitsohienen 
bis zu einem Knopf leicht herausziehen, so dass auch die letzte Reihe 
leicht zugänglich wird. Auf dem Boden des Schrankes steht eine Glas¬ 
schale mit Trioxymethylentabletten oder besser -Pulver und eine andere 
mit Chlorcalciumtabletten. Auch zur Erzeugung von heissen Form¬ 
aldehydgasen ist eine Vorrichtung getroffen durch Erhitzen der auf dem 
Boden liegenden Formalintabletten durch eine aussen einschiebbare 
Spiritusflamme. Für die Schale mit Chlorcalciumtab letten ist ein Be¬ 
hälter an der Seitenwand angebracht Auf diese Weise gelingt es 
erstens, die Katheter in kürzerer Zeit zu sterilisieren, und zweitens, auch 
Katheter mit engerem Lumen zu sterilisieren. Der Wandschrank ist 
hergestellt von der Firma W. Krahl-Berlin, Schiffbauerdamm 8. 

B. Otto-Dorpat: Ein primäres (Irethralcarciaom der Fossa navi- 
cularis. (Zeitschr. /.Urologie, 1913, Bd. 7, H. 1.) Bei einem 69jährigen 
Manne fand man die Harnröhre vom Orificium externum um etwa 2—3 cm 
lang verdickt zu einem unregelmässigen, harten, circa kleinfingerdickeu 
Strang. Präputium und Glans penis frei. Es handelte sich um ein 
primäres Plattenepithelcarcinom mit dem Ursprungsort in der Fossa 
navicularis. Ein Urethralcarcinom mit dieser Lokalisation ist, soweit 
Verf. die Literatur zur Verfügung stand, bisher noch nicht beobachtet 
worden. Es wurde die Amputatio penis ausgeführt, bis zu einem halben 
Jahre noch recidivfrei. 

E. Heineoke-Braunschweig: Ueber angeborene Stenosen der Pars 
posterior der Harnröhre. (Zeitschr. f. Urologie, 1913, Bd. 7, H. 1.) Es 
handelt sich in den Fällen angeborener Stenosen der hinteren Harnröhre, 
von denen Verf. in der Literatur 19 erwähnt fand, um halbmondförmige 
Falten, die vom vorderen Ende des Colliculus seminalis ausgingen und 
von dort beiderseits gegen die Seitenwände der Harnröhre ausstrahlten. 
Sie bildeten zwei mehr oder weniger tiefe Taschen, die nach der Blase 
zu geöffnet waren. In anderen Fällen wurde das Hindernis durch eine 
quer im Harnröhrenlumen stehende Membran mit kleiner Oeffnung be¬ 
wirkt oder durch eine Klappe, die an der vorderen Harn röhren wand be¬ 
festigt war, oder durch einseitige Lappenbildung. In einem anderen 
Falle lag die Störung hinter dem Colliculus seminalis und wurde dort 
ebenfalls durch zwei halbmondförmige Falten bedingt. Alle diese Fälle 
kamen gleich nach der Geburt oder in den ersten Lebensjahren zur 
Sektion. Das Hindernis hatte zu hochgradiger Stauung des Urins und 
weiter zu schweren Veränderungen der aufwärts gelegenen Harnwege 
geführt. Schwere Hydronephrose und Pyelonephritis stellte meistens die 
Todesursache dar. Beschreibung eines einschlägigen Falles bei einem 
fünfjährigen Knaben. Infolge kongenitaler Stenose der Urethra am 
Uebergang der Pars membranacea (halbmondförmige Falten) war es zu 
aufsteigender Pyelonephritis mit Dilatation der Ureteren und des Nieren¬ 
beckens gekommen. 

J. Heller-Charlottenburg: Psendotriehiasis der Blase und Pili- 
miktion. (Zeitschr. f. Urologie, 1913, Bd. 7, H. 1.) Fall von Blasenstein, bei 
dessen Zertrümmerung zahlreiche Haare entleert wurden, die sich mikro¬ 
skopisch als Menschenhaare erwiesen. Diagnose lautete auf Dermoid¬ 
cyste. Bei der einige Tage darauf vorgenommenen Cystoskopie sah man 
unterhalb der linken Ureteröffnung auf einer Unterlage von weissen 
Concrementbröckeln ein grosses Konvolut brauner Haare, die nach einigen 
Tagen ausgeschieden wurden. Einige Monate später hatten sich wieder 
um den deutlioh verkleinerten Haarbüschel zwei kleine aufeinander- 
sitzende Steine gebildet, die entfernt wurden. Danach wurden weder 
Haare noch die vorher vorhandene Ausbuchtung mit dem Cystoskop ge¬ 
sehen. Es bestand demnach infolge fötaler Keimversprengung eine 
Dermoidcyste des kleinen Beckens, die hinter der linken hinteren unteren 
Blasenwand sass. Diese Cyste wurde bei einer gonorrhoischen Er¬ 
krankung infiziert, die vor mehreren Jahren bestanden hatte und eino 
Cystitis im Gefolge hatte. Durch die Entzündung kam es zu einer Ver¬ 
wachsung der Cyste mit der Blasen wand. Infolge fettiger Degeneration 
der Blasenwand kam es zum Durchbruch der Cyste in die Blase. Um 
die in diese hinein wachsenden Haare bildete sich ein Phosphatstein. Da 
bei der letzten Cystoskopie keine Haare mehr in der Blase gefunden 
wurden, muss man annehmen, dass es zu einer breiten und festen Ver¬ 
wachsung zwischen der Blasenwand und der Dermoidcystenwand ge¬ 
kommen ist. Verf. hat aus der Literatur 56 Fälle von Trichiasis der 
Blase und Pilimiktion zusammen gestellt. L. Lipman-Wulf. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

W. Arnold-Würzburg: Orthotische Albnminnrie und ihre Be¬ 
ziehungen zur Tuberkubse nach Untersuchungen bei Hantkranken, 
insbesondere bei Hauttuberkulose und Syphilis. (Münchener med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 9.) Bei Hautkrankheiten der verschiedensten 
Art ist orthotische Albumiqupe im allgemeinen nicht nachzuweisen. Bei 
Hauttuberkulose findet sie sich nur relativ selten. Bei frischer, un¬ 
behandelter Syphilis des 1. und 2. Stadiums ist sie bei Ausschluss einer 
Allgemeintuberkulose ebenso häufig wie im Frühstadium der Tuber¬ 
kulose (Lüdke und Sturm). Die orthotische Albuminurie ist nicht 
charakteristisch für Tuberkulose; sie ist vielmehr nur ein Zeichen einer 
chronischen Infektion bzw. Intoxikation. Dünner. 

L. Meri an -Zürich: Positiver Leprabaeillenbefand in den Fäees 
bei an leprösen Schleimhautverändernngea des Kehlkopfes leidenden 
Patienten. (Dermatol. Woohenschr., 1913, Bd. 56, Nr. IO. 1 ) Der-Nach- 
weis der Bacillen in den Fäees gelang mit dem Antiforminverfahren. 


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614 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18. 


A. Paldrook-Dorpat: Eine einfache Methode, Leprabacillei in der 
zu untersuchenden Haut nachxnweisen. (Dermatol. Centralbl., Januar 
1913.) Das eizidierte Hautstuck wird in destilliertem Wasser so lange 
gespült, bis es kein Blut mehr abgibt, dann mit Filtrierpapier abgetrocknet, 
dann mit der .Pinzette gefasst und mit demselben über ein Deckgläs¬ 
chen gestrichen, zuweilen es stärker ausdrückend, wobei die Lepra¬ 
bacillen aus der Haut berausgepresst werden. Dann Färben der 
lufttrockenen und über der Flamme fixierten Präparate. 

Immerwahr. 

Hübner-Marburg: Ist die Psoriasis eia Hantsymptom konsti¬ 
tutionell-bakterieller Erkrankungen oder eine eckte Hautkrankheit? 

(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.) Menzer’s Behauptungen 
über die Tuberkulidnatur der Psoriasis sind unhaltbar. Die Psoriasis 
ist eine echte Hautkrankheit. Ihre Aetiologie ist nach wie vor unbekannt. 

Wolfsohn. 

Kreibich-Prag: Zur Anatomie des Eczema seborrhoicnm nud der 
seborrhoischen Warzen. (Archiv f. Dermatol, u. Syphilis, 1913, Bd. 114, 
H. 3.) Die Endothelien der Papillargefässe sind von feinster submorphiler 
Lipoidsubstanz durchsetzt. Der Form nach sind es feinste Kügelchen, 
neben vereinzelten etwas grosseren Tropfen oder länglichen, anscheinend 
mehr kristalloiden Stäbchen. Ein Beleg dafür, dass die Epidermis das 
Fett selbst erzeugt, und dass es nicht aus den Talgdrüsen stammt. 

R. Sabouraud-Paris: Neue Untersuchungen über die Ursachen 
der Alopecie (Alopecie und Menopause). (Annales de dermatol. et de 
syphiligraphie, Februar 1913.) Bei der Frau gibt es eine Alopecie, 
welche der Menopause und auch dem längeren Ausbleiben der Men¬ 
struation folgt. Auch nach Ovariotomien kann Alopecie auftreten. In 
ganz seltenen Fällen tritt dieselbe während der Schwangerschaft auf. 
In allen diesen Fällen ist die Alopecie meist gutartig. In einem Falle 
von Orchitis tuberculosa bei einem 40jährigen Manne trat eine totale 
unheilbare Alopecie auf, bevor die Kastration bei ihm ausgeführt wurde. 

A. Pö hl mann-München: Beiträge zur Aetiologie der Alopecia 
acuta mit experimentellen Untersuchungen über die Thalliumalopecie. 
(Archiv f. Dermatol, u. Syphilis, 1913, Bd. 114, H. 3.) Die Alopecia 
acuta ist eine selbständige, von allen anderen Alopecien leicht unter¬ 
scheidbare Krankheit. Die meisten Fälle können klinisch nicht anders 
als durch die Annahme einer Uebertragung eines noch unbekannten 
Kontagiums erklärt werden. Ab und zu kommen jedoch auch Fälle von 
traumatischer und neurotischer Alopecie zur Beobachtung, bei welchen 
eine Infektion auszuschliessen ist. Endlich können auch ganz vereinzelt 
toxische Ursachen eine der Acuta sehr ähnliche Alopecie hervorrufen. 

M. Kaufmann-Wolf - Berlin: Klinische und histologische Beob¬ 
achtungen bei Hantmetastasen im Anschluss an Careinom innerer 
Organe. (Archiv f. Dermatol, u. Syphilis, 1913, Bd. 114, H. 3.) Zu¬ 
sammenstellung von 65 Fällen von sekundärem Hautcarcinom, welche 
häufiger aufzutreten scheinen, als gewöhnlich angenommen wird. Das 
weibliche Geschlecht wird häufiger befallen. 

G. No bl-Wien: TrichoBtasis spinulosa. (Archiv f. Dermatol, u. 
Syphilis, 1913, Bd. 114, H. 3.) Die Veränderung ist durch die dichte 
Einstreuung aus den Follikeln hervortretender, 1—l 1 ^ mm langer, spitz 
zulaufender, schwärzlich gefärbter feiner Stacheln gekennzeichnet. Histo¬ 
logisch bandelt es sich um garbenförmig durch lamellöse Hornhülsen und 
Bänder 'zusammengehaltene Büschel bräunlich gefärbter Kolbenhaare, die 
in Verbänden von 10 bis 40 zur Formation der einzelnen Stacheln bei¬ 
steuern. Aetiologisch muss die kongenitale oder frühzeitig erworbene 
Disposition einzelner Follikularbezirke zu dystrophischen Störungen an¬ 
genommen werden. 

P. Sobotka-Prag: Pnstnlöshyperkeratotisches Exanthem bei 
gonorrhoischer Allgemeinerkrankung. (Dermatol. Wochenschr., 1913, 
Bd. 56, Nr. 7 und 8.) Der Fall ist durch die ungewöhnliche Aus¬ 
breitung des Exanthems über nahezu die ganze Haut des Körpers, ferner 
auch durch die grosse Zahl der gleichzeitig an gonorrhoischer Arthritis 
erkrankten Gelenke bemerkenswert. Systematisch merkwürdig aber war 
der Fall durch die in dieser Weise noch nicht beobachtete Umwandlung 
von kleinsten trüben Bläschen in molluskenartige Gebilde und schliess¬ 
lich typische Effloreszenzen des „hyperkeratotischen“ Exanthems. 

G. Hügel-Strassburg i. E.: Ueber die Wirkung des atoxylsanron 
Quecksilbers bei der menschlichen Syphilis. (Dermatol. Wochenschr., 
1913, Bd. 56, Nr. 10.) Verf. war mit dem atoxylsauren QuecksilLer in 
jeder Hinsicht äusserst zufrieden, bis er einen Fall von schwerer Arsen¬ 
intoxikation hatte. Das Arsen hat sich gerade in den organischen Benzol¬ 
verbindungen als ein intensives Nervengift herausgestellt, das die ver¬ 
schiedenen Nervencentren in der heftigsten Art befallen kann. In den 
meisten Fällen wird es ja in der Form von Atoxyl, Arsacetin und 
Salvarsan gut vertragen; wird es aber bei $jnem Patienten angewandt, 
der eine Idiosynkrasie gegen Arsen hat, so sieht man die verschiedensten 
Nervenvergiftungen auftreten, von den sogenannten Neurorecidiven 
leichterer und schwererer Art bis zu den schwersten, in einigen Stunden 
zum Tode führenden Intoxikationen. 

Ch. An dry-Toulouse: ArsehbbeBZOl and Hämoptoe. Psoriasis und 
Tuberkulose. (Annales de dermatol. et de syphiligraphie, Februar l^iS.) 
An dry warnt davor, bei syphilitischen Phthisikern, welche zur Hämoptoe 
neigen, Salvarsan anzuwenden, da die Hämoptoe gefährlich werden kann. 
Ferner maoht er darauf aufmerksam, dass häufig Psoriasis und Tuber¬ 
kulose^ sich bei denselben Individuum» finden. Immertabt, 


Siehe auch Innere Medizin: Lippmann, Aortitis auf Basis 
kongenitaler Lues. — Kinderheilkunde: Comby und Vaugiraud, 
Verrucöse Papeln der Vulva. — Therapie: Strauss, Kupferbehand¬ 
lung der äusseren Tuberkulose. 


Geburtshilfe und Gynäkologie. 

W. Rubeska-Prag: Normales Sehw&ngerensernm bei Hyperemesis 

gravidarum. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 9.) Auf Grund der 
Mitteilungen von May er-Tübingen und Freund-Berlin hat Verf. in 
2 Fällen von Hyperemesis die genannten Injektionen versucht. Er be¬ 
richtet sehr genau über die in seinen Fällen sich zeigenden Erschei¬ 
nungen und kommt zu dem Resultat, dass die Methode in seinen Fällen 
völlig versagt bat, und dass also die Injektionen nicht als ein Heilmittel 
der Hyperemesis anzusehen sind. 

A. Mayer - Tübingen: Heilung der Eklampsie duroh intralambale 
Injektion von normalem Sehwangerscbaftssernm. (Centralbl. f. Gy¬ 
näkol., 1913, Nr. 9.) Verf. knüpft an seinen in Nr. 37, 1911, veröffent¬ 
lichten Fall an, in welchem er durch intravenöse Injektion von normalem 
Schwangerenserum eine schwere Eklampsie unentbunden heilen sah. Er 
hat nun dieselbe Methode intralumbal angewendet erstens bei einer 
Kreissenden mit schwerer Eklampsie durch Injektion in den Lumbalsack, 
zweitens bei einem Neugeborenen, dessen Mutter an leichter Eklampsie 
litt. Beide starben zwar, jedoch zeigten sich bei der erstgenannten 
Patientin so schwere Veränderungen der inneren Organe, dass man den 
Fall nicht als Gegenbeweis ansehen kann. Bei dem Kinde hörte die 
Eklampsie sofort auf, alle bedrohlichen Symptome besserten sich. Trotz¬ 
dem staib auch das Kind an Herzschwäche. 

B. Stange - Magdeburg: Zur Eklampsiefrage. (Centralbl. f. Gy¬ 
näkol., 1913, Nr. 9.) Verf. hat das Abderhalden’sche Dialysierverfabren 
auch bei zwei Fällen von Eklampsie angewendet und kommt zu dem 
Resultat, dass das Serum die eigene Eklampsieplacenta viel stärker ab¬ 
gebaut hat als die normale. Es wurden die fremden eklamptischen 
Placenten stärker abgebaut als die eigenen, normalen, was beweist, dass 
die Ursachen dieser Erscheinungen in der Placenta liegen. Es ist also 
nicht unwahrscheinlich, dass das Auftreten des eklamptischen Symptomeu- 
komplexes mit der gesteigerten Abbaufähigkeit in Zusammenhang steht. 
In beiden Fällen hatte der Organismus noch nicht die Kraft verloren, 
abbauende Fermente zu bilden, deshalb trat Genesung ein. Ob die 
stärkere Abbaufähigkeit sich plötzlich entwickelt oder sich lange vor¬ 
bereitet, müssen erst noch weitere Untersuchungen ergeben. 

A. J. Jarzew - Moskau: Ueber Pathogenese und Behandlung der 
Eklampsie. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 9.) Verf. steht auf dem 
Standpunkt von Engelmann, dass die Eklampsie ihre Entstehung einer 
erhöhten Viscosität zu verdanken hat. Er acceptiert die physikalisch¬ 
mechanische Theorie und erklärt die anfänglichen Misserfolge seiner 
Untersuchungen damit, dass asphyktisches Blut schwerer gerinnt als 
normales. Deshalb muss zu den Untersuchungen das Blut erst ent¬ 
nommen werden, wenn sich die Patientin vom Anfall erholt hat. Die 
ganze Theorie hat durch ihre Einfachheit etwas Bestechendes, die Ueber- 
füllung der arteriellen Gefässe bewirkt eine Hirnhyperämie, Reizung des 
vasomotorischen Centrums und Gefässkrampf. Infolgedessen Steigerung 
des intrakraniellen Druckes und Konvulsionen, wie bei Hirngeschwülsten. 
Dauert dieser Zustand an, so tritt in den perivaskulären Räumen und 
in den Ventrikeln Flüssigkeit aus, was zur Erklärung der ganzen Er¬ 
scheinungen genügt. Dazu kommt noch die unzweifelhaft feststehende 
Tatsache der Ueberfüllung des Blutes mit Eiweisszerfallsprodukten, wie 
Globulin, Kreatin, Kreatinin, Karbaminsäure, Milchsäure usw. Hierfür 
kennt Verf. aber nur eine Ursache: den Ausfall der Funktion der Pla¬ 
centa. Woher dieser aber entsteht, darüber wird leider nichts gesagt. 
Als Therapie empfiehlt Verf.: Beschleunigung der Entbindung mit mög¬ 
lichster Schonung (z. B. keine Metreuryse), ausgiebigen Gebrauch der 
Narkotica nach den Vorschriften Stroganoff’s, Aderlass, Kochsalz¬ 
infusionen. Ob man zum Kaiserschnitt und zur blutigen Dilatation 
schreiten soll, ist nur nach der Schwere der einzelnen Fälle zu ent¬ 
scheiden, ein Prinzip lässt sich bisher nicht darüber aufstellen. 

Uthmöller - Osnabrück: Zur Behandlung der Eklampsie. (Central- 
blatt f. Gynäkol., 1913, No. 9.) Verf. hält die Anwendung grosser Ader¬ 
lässe jeder anderen Therapie für überlegen. Er kommt unter Hinzu¬ 
ziehung seiner früher mitgeteilten Fälle zu einer Mortalität von 8,3 pCt. 
Unter den hier beschriebenen Fällen sind 5 Wochenbetteklampsien, drei 
ante partum, dabei nur ein Todesfall. Er entnimmt gleich mit einem. 
Male sehr grosse Mengen von Blut und geht bis zu 1250 ccm. In 7 von 
seinen 8 Fällen cessierten. die Krämpfe sofort. Er hält es für mogliab, 
dass man so die Narkotica entbehren kann und dass man namentlich 
das StroganofFsche Sohema völlig beiseite lassen kann. Den Unterschied, 
den Lichtenstein zwischen Früh- und Wochenbetteklampsie macht, 
kann er nicht anerkennen, weil wir nie wissen, wann das Ueberhand- 
nehmen des eklamptischen Giftes begonnen hat. Siefart. 

R. Marek-Prossnitz: Impetigo herpetiforais Hebra, zugleich ein 
Beitrag zur Klärung der Pathogenese dieser Erkrankung. (Wiener klin. 
Wochenschr., 1913, Nr. 10.) Es ist möglich, dass es sich bei der Im¬ 
petigo herpetiformis um eine Kombination der Graviditätstetanie mit der 
Schwangerschaftsintoxikation handelt. Wir müssen die Erkrankung zu 
den gefährlichsten Komplikationen der Schwangerschaft rechnen, und es 
dürfte angebracht sein, sofort nach Sicherstellung der Diagnose die 


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31. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


615 


Schwangerschaft za unterbrechen und nicht erst die Lebensfähigkeit der 
Frucht abzuwarten. P. Hirsch. 

Siehe auch Physiologie: Escher, Farbstoff des Corpus luteum. 
Abderhalden, Spezifität der Schutzfermente. 


Augenheilkunde. 

Seidel: Ueber die Anwendung der Lokalanästhesie bei Exenteratio 
orbitae. (Graefe’s Archiv, Bd. 84, H. 1.) Verwendet wurde einprozentige 
Lösung von Novocain mit Adrenalin, die nach 28 Minuten eine ganz 
schmerzlose Operation ermöglichte. 

Meyer-Steineg: Augen ärztliche Instrumente der Alten. (Graefe’s 
Archiv, Bd. 84, H. 1.) Aus der unter dem Einfluss Alexandriens stehen¬ 
den hellenistisch-römischen Epoche der Medizin, nämlich dem 2. Jahr¬ 
hundert v. Chr., hat Verf. eine Anzahl von augenärztlichen Instrumenten 
ans Bronze aufgefunden, wie Spatel, Löffel, Lidsperrer, Cilienpinzette, 
Kauter, Starnadel (aus Silber), ein silbernes Messerohen und ein zur 
Empornähung benutztes Instrument. 

L. Kugel: Ueber Knorpelausschälnng gegen Ectropium senile. 
(Graefe’s Archiv, Bd. 84, H. 1.) Die Ausscheidung der hinteren Lid¬ 
platte ist, obwohl der Bindehautsack dadurch verkürzt wird, dem Ver¬ 
fahren von Kuhnt-Szimanovski vorzuziehen. Die Verkürzung 
vermeidet die Ausschälung des Lidknorpels, die zuverlässiger und besser 
wirkt als die Kuhnt-Szimanovski’sehe Operation und vor Recidiven 
sichert. 

L. Kugel: Nachtrag: Ueber Knorpelausschälnng gegen Ectropium 
senile. (Graefe’s Archiv, Bd. 84, H. 1.) In einem Falle liess die Stellung 
des auswärts gekehrten Lides zu wünschen übrig, so dass der Knorpel¬ 
ausschälung die Operation von Szimanovski nachgeschiokt werden 
musste. 

K. Lindner: Zur Biologie des Einschlussblennorrhöe-(Trachom-) 
Viru. (Graefe’s Archiv, Bd. 84, H. 1.) Das von der Bindehaut des 
Neugeborenen oder dem Genitale des Erwachsenen entnommene Virus 
der Einschlussblennorrhoe erzeugt, auf die Bindehaut des Pavians ge¬ 
bracht, fast stets typische Einschlussconjunctivitis, die entweder akut 
einsetzt, kürzer dauert und schneller heilt oder chronisch einsetzend 
länger verläuft Die Einschlüsse oder freien Initialkörper sind nur kurze 
Zeit nachweisbar. Das Virus ist gegen Eintrooknen, feuchte und hohe 
Temperaturen sehr unbeständig. Trachom und Einschlussblennorrhoe 
sind ätiologisch identisch. 

M. v. Rohr und W. Stock: lieber eine Methode zur subjektiven 
Prüfung von Brillen Wirkungen. (Graefe’s Archiv, Bd. 84, H. 1.) Die 
zu kurzem Bericht kaum geeignete Arbeit setzt frühere Mitteilungen der 
Verff. fort. 

Römer und Gebb: Weiterer Beitrag zur Frage der Anaphylaxie 
durch Linseneiweiss. (Graefe’s Archiv, Bd. 84, H. 1.) Die Verff. halten 
ihre Ein wände gegenüber den Resultaten von Krusius aufrecht. Ob 
die Meerschweinchen ihrer Versuche mit homologem oder mit heterologem 
Linseneiweiss vorbebandelt wurden, war gleichgültig: es traten keine 
anaphylaktischen Symptome auf. 

L. Andersen: Ein histologisch untersuchter Fall von papulös- 
laotischer Iritis. (Graefe’s Archiv, Bd. 84, H. 1.) Der ausserordentlich 
seltene Fall, dass der Bulbus einer an luetischer Iritis erkrankten Person 
zur anatomischen Untersuchung kommt. Die Papel lag tief im Iris¬ 
gewebe, dicht vor dem Sphincter und enthielt keine für Syphilis 
charakteristischen Zellelemente. Der Knoten war sicher kein Gumma, 
sondern eine echte Papel. 

I. Igersheimer: Syphilis and Aage. VII. Mitteilung: Beitrag zur 
Klinik und pathologischen Anatomie der Augensyphilis. (Graefe’s Archiv, 
Bd. 84, H. 1.) Verf. teilt den pathologisch-anatomischen Befund bei 
einem Bulbus mit, der neben einer spezifischen Entzündung des vorderen 
Uveaabschnittes eine spezifische, koordinierte Netzhautentzündung auf¬ 
wies, ohne dass die Aderhaut krankhaft verändert war. 

Hajens: Zur Kenntnis der Retinitis exsudativa. (Graefe’s Arohiv, 
Bd. 84, H. 1.) Aus dem mitgeteilten Falle folgert Verf., dass der Beginn 
der Erkrankung eine Gefässalteration sei, die vielleicht kongenitalen Ur¬ 
sprungs ist. 

A. Teil mann: Beitrag zur Frage der Amhlyopia sympathica 
(Amblyopia sympathica maligna?). (Graefe’s Archiv, Bd. 84, H. 1.) Ob¬ 
wohl die anatomische Untersuchung des mitgeteilten Falles nicht den 
für sympathisierende Bulbi charakteristischen Befund ergab, glaubt Verf., 
die Diagnose „Amblyopia sympathica“ als Erklärung der Reizung und 
Schwachsichtigkeit des nicht verletzten Auges aufrecht erhalten zu 
können. Die Reizung verschwand nach der Enuoleation des sympathi¬ 
sierenden Auges, die retinale Amblyopie und Asthenopie, der mangel¬ 
hafte Licht- und Farbensinn, Lähmung des Sphincters und der Akkom¬ 
modation, schliesslich auch die Gesichtsfeldeinengung blieben bestehen. 

G. Ischreyt: Zur pathologischen Anatomie der Netzhautablösung. 
(Graefe’s Archiv, Bd. 84, H. 1.) Der Befund, dessen wesentlichstes Er¬ 
gebnis Glaskörperverdichtung ist, stützt die Leber-Nordenson’sche 
Retraktionshypothese. 1 

C. Harms; Arbeiten aus dem Gebiete der Pathologie des Central- 
gefässsystems der Netihaat. (Graefe’s Archiv, Bd. 84, H. 1.) Verf. 
berichtet über vier neue Fälle doppelseitiger .Erblindung bzw. Sehstorung 


durch plötzliohen, gleichzeitigen oder ungleichseitigen Verschluss beider 
A. centr. ret. oder ihrer Aeste und bespricht im Zusammenhang mit 
ihnen die übrigen elf sicheren Beobachtungen anderer Verfasser. Die 
Prognose ist in 40 pCt. der Fälle absolut ungünstig, in 60 pCt. besser. 

A. de Klejn: Studien über Opticus and Retinateiden. (Graefe’s 
Archiv, Bd. 84, H. 1.) In Verbindung mit N. Gerl ach teilt Verf. 
„Pathologisch-anatomisches über den Zusammenhang zwischen Augen- 
und Nasenleiden“ mit. Eine an Pansinusitis leidende Pat. starb an 
akuter Pneumonie. Die mikroskopische Untersuchung liess einen Zu¬ 
sammenhang erkennen zwischen Infiltraten der Mucosa des Sin. sphenoid. 
und circumscripten Infiltraten der Opticusscheiden gegenüber dem Sinus 
sphenoid. 

Seidel: Beitrag zur Frage des spontanen Auftretens isolierter 
Sehnervenscheidenhämatome. (Graefe’s Archiv, Bd. 84, H. 1.) Plötz¬ 
liches Auftreten starker Sehstörung infolge von einseitiger Stauungs¬ 
papille bei einer Pat., die an Arteriosklerose mit Schrumpfniere litt und 
eine Apoplexie erlitten hatte; wird auf eine isolierte Blutung in die Seh¬ 
nervenscheiden zurückgeführt. K. Steindorff. 


Hygiene und Sanitätswesen. 

W. Heimann - Göttingen: Ueber die durch einen sogenannten 
„Paratyphus C“ -Bacillus verursachte Fleischvergiftungsepidemie in 
Hildesheim im Frühjahr 1911. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt, 
Orig., Bd. 66, H. 5 u. 6, S. 211.) Nach Genuss von Sohweinefleiseb, 
das von Tieren stammte, die 11 Tage zuvor notgeschlachtet waren, 
brach in Hildesheim eine Fleischvergiftungsepidemie aus, die, wie bak¬ 
teriologisch sichergestellt werden konnte, durch einen zur Enteritis- 
Gärtner-Gruppe gehörigen Bacillus verursacht war. Dieser Stamm unter¬ 
schied sich von den gewöhnlichen Enteritisbacillen jedoch wesentlich 
durch seine agglutininbindenden wie durch seine agglutininbildenden 
antigenen Eigenschaften im Patientenserum und Kaninohenimmunserum. 

M. 0. Romm und A. J. Balaschow - Kiew: Die Ruhrepidemien 
der Jahre 1910/1911 in Kiew und ihre Erreger. (Centralbl. f. 
Bakteriol. usw., I. Abt., Orig., Bd. 66, H. 2—4, S. 246.) Die in den 
Jahren 1910/1911 in Kiew herrschenden Ruhrepidemien waren zum weit¬ 
aus grössten Teil (etwa 90 pCt.) durch Bacillen des Typus Shiga-Kruse 
bedingt. Erkrankungen an Y- bzw. Flexner-Ruhr traten nur spora¬ 
disch auf und verliefen klinisch im allgemeinen viel leichter. 

Bierotte. 

K. J. Schopp er-Wien: Erfahrungen über die Cholera in 
Ostravelien während des Balkankrieges 1912. (Wiener klin. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 10.) Nach Vorträgen in der Generalversammlung des 
Wiener Aerztevereins am 6. Februar und in der k. k. Gesellschaft der 
Aerzte in Wien am 27. B’ebruar 1918. Referat siehe den Sitzungsbericht 
der k. k. Gesellschaft der Aerzte. P. Hirsch. 

A. Wolff - Eisner - Berlin: Experimentelle Untersuchungen über 
die von Aborten ausgehende Infektionsgefahr und ihre Verhütung. 
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 9.) Es besteht die Gefahr, dass 
durch Verunreinigung der Abortplatten mit Infektionserregern wie Gono¬ 
kokken, Typhusbacillen usw. eine Weiterverbreitung erfolgen kann. Die 
Clofeotor-Kompagnie hat einen Apparat angegeben, der, an dem Deckel 
angebracht, Formalingase entwickelt und bis zu einem gewissen Grade die 
Infektionserreger zu vernichten vermag. Dünner. 

Siehe auch Parasitenkunde und Serologie: Mandel, 
Fleischvergiftung. Mayor, Eigenartige bakteriologische Befunde bei 
Gesunden in der Umgebung Ruhrkranker. — Kinderheilkunde: 
Brüning, Säuglingssterblichkeit in Mecklenburg-Schwerin. 


Unfallheilkunde und Versicherungswesen. 

C. Waibel - Kempten: Verletzungen und traumatische Erkran¬ 
kungen und ihre Begutachtung in Unfallsachen. (Münchener med. 
Wochensohr., 1913, Nr. 9.) Dünner. 


JVUHtär-Sanitfttswesen. 

J. Steiner-Wien: Feldärztliche Erfahrungen in der vordersten 
Hilfszone. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 9.) Mitgeteilt in der 
Sitzung der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien am 14. Februar 1913. 
Referat siehe den Sitzungsbericht. P. Hirsch. 


Verhandlungen Ärztlicher Gesellschaften. 

Berliner ophthalmologische Gesellschaft. 

Sitzung vom 23. Februar 1913. 

1 . Hr. H. Lehmann: Zwei Fälle von Loehblldnng in der Macula, 

der ein^e bei flacher centraler myopischer Ablatio retinae, der andere bei 
fast totaler Ablatio retinae, die l 1 /* Jahre nach einer traumatischen 
Durchbohrung eint^at. 

2. H. West (a. G.): Demonstration einiger Patienten, denen er den 

Tränensack, yon der Nase aus eröffnet hat. Das ( Verfahren ist der Bx- 


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016 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 13. 


stirpation von aussen vorzuziehen, da es die physiologische Abfuhr der 
Tränenflüssigkeit gewährleistet. 

3. Hr. Ginsberg: Markhaltige Nervenfasern in der Netzhaut. 

Es finden sich drei Herde, die 5—6 P.-D. von der Papille entfernt 
liegen. Skotome waren nicht nachweisbar, die Sehschärfe = 1. 

4. Hr. Adam: Demonstration von Kristallen in der Linse. 

5. Hr. Napp: 

Eigenartige Störung des Farbensinns bei zwei Soldaten. 

Die Untersuchung mit Nagel’s Anomaloskop (Modell I und II), 
Nagel - Köllner’s Farbengleichungslampe und Nagel’s Dreilichter¬ 
apparat wurde bestanden, während die Patienten bei Gohn’s und 
Nagel’s Tafeln ganz, bei Stilling’s Tafeln teilweise versagten. Es 
zeigt sich also, dass es Personen gibt, die sowohl an Nagel’s wie an 
Stilling’s Tafeln nicht lesen könuen, ohne Dichromaten oder anomale 
Trichromaten zu sein; dass die Prüfung mit Pigmentdrucken bisweilen 
bei Personen mit normalem Farbensinn versagen kann; dass nicht 
jeder, der eine normale Rayleigh-Gleichung einstellt, auch alle Tafeln 
Stilling’s lesen kann. Stilling’s Tafeln sind denen Nagel’s also 
nicht überlegen. Beide und ausserdem Nagel’s Anomaloskop sind zur 
Prüfung des Farbensinns zu benutzen. 

6. HHr. Schmidt und Haensch : Demonstration von Kngelepiskopen. 

7. Hr. Kellner*. Tiefenseben bei einseitiger Myopie. 

An dem „Dreifadenapparat“ arbeitet der Normale und die Mehrzahl 
der korrigierten Anisometropen exakt, der Einäugige ist hilflos. Die Fein¬ 
heit des Tiefensehens in der Nähe bei einseitiger Myopie bis 4,0 bzw. 
5,0 D. kann der normalen sehr nahe kommen, doch darf man nicht ver¬ 
allgemeinern und nicht von künstlicher auf natürliche Anisometropie 
schliessen, da bei jener das Tiefensehen durchschnittlich viel geringer 
ist. Annäherung und Uebung fördern das Tiefensehen, der grosse Ein¬ 
fluss des Gesichtswinkels benachteiligt es. Das Tiefensehen des ein¬ 
seitig Myopischen hat seinen Grund nicht in der Breite der Zerstreuungs¬ 
kreise, sondern im „Reizraaximum“. In der Strecke zwischen Fernpunkt 
des myopischen und Nahepunkt des emmetropischen Auges „führt“ bei 
einseitiger Myopie bald das eine, bald das andere Auge. Wird das Ob¬ 
jekt näher an das myopische Auge gebracht, so führt dieses. Beim 
Lesen wird von einseitig Myopischen durchaus nicht in der Nähe das 
myopische, in der Ferne das emmetropische Auge als führendes ge¬ 
braucht, sondern die Entfernung des Objekts ist bei Myopie von 8 bis 
5 D. für den Gebrauch maassgebend. Im Interesse des Tiefensehens 
korrigiere man entweder dauernd oder gar nicht. 

8. Hr. Wätzold: Tumeren der Caruncula lacrimalis. 

Unter 60000 Patienten sah W. 6 Fälle: je ein Papillom, Fibrom, 
Fibroadenom, Dermoid und 2 Naevi. Bei dem Dermoid zerstörte Elektrolyse 
die Kapsel und rief ein Granulationsgewebe mit zahlreichen Fremdkörper¬ 
riesenzellen hervor. Kurt Steindorff. 

Gesellschaft für soziale Medizin, Hygiene und Medizinalstatistik 
zu Berlin. 

Sitzung vom 20. Februar 1913. 

Vorsitzender: Herr Dietrich. 

Schriftführer: Herr Lennhoff. 

Tagesordnung. 

Hr. Mngdan: 

Die hygienische and soziale Bedeutung des Versicheriagsgesetzes fdr 
Angestellte. 

Eine grosse Zahl der in der Industrie und Handel angestellten 
Personen gelangt nicht mehr zur Selbständigkeit; diese Privatbeamten 
standen bis zur Einführung des Versicherungsgesetzes für Angestellte 
schlechter da als die Staatsbeamten, indem für sie nicht gesorgt war 
gegen frühzeitige Berufsunfähigkeit, für die Hinterbliebenen und für den 
Verlust der Stellung, die besonders im Alter eintreten kann und dann 
um so schlimmer wirkt, da die Erlanguog einer neuen Stellung 
schwierig ist. 

Das neue Gesetz lehnt sich in mancher Beziehung an die Invaliden¬ 
versicherung für Arbeiter an, hat aber auch manohe Verschiedenheiten. 
So wird der Kreis der Versicherten nicht genau umschrieben, denn es 
heisst in dem Gesetz, wo die Versicherten aufgeführt werden, „und andere 
Angestellte mit ähnlicher Vorbildung“. Es besteht für ganz Deutsch¬ 
land nur ein Versicherungsträger, der mehrere Organe hat (Direktorium, 
Versicherungsrat, Vertrauensmänner, Rentenausschüsse). Zur Erledigung 
von Streitigkeiten sind Schiedsgerichte und Obersohiedsgerichte einge¬ 
richtet. Die Mittel werden aufgebracht durch Arbeitgeber und Angestellte 
zu gleichen Teilen, der Beitrag beträgt etwa 8pCt. des Gehaltes. Der 
Teil der Angestellten, der bis zu 2000 Mark verdient, ist doppelt ver¬ 
sichert, nämlich zugleich auch in der Invalidenversicherung. Es empfiehlt 
sieb auch bei der Angestelltenversicherung, die Versicherung freiwillig 
fortzusetzen. Beide Versicherungen zusammen leisten das, was der 
Staat seinen Beamten gewährt. 

Die Leistungen sind: 1. Die Fürsorge gegen die Berufsunfähigkeit, 
d. h. wenn der Angestellte nicht mehr die Hälfte dessen verdient, was 
der auf Grund des § 1 Versicherte zu verdienen pflegt. Ueber die 
Schwierigkeiten, die entstehen, wenn Invalidengeld und Ruhegeld zu 
gleicher Zeit verlangt werden, hat Mamelok schon gesprochen (vergl. 
den Bericht über die Sitzung vom 29. XII. 1912). 2. Die Fürsorge für 
die Hinterbliebenen. Für beides ist eine Wartezeit von 10 Jahren für 


Männer und von 5 Jahren für Frauen vorgesehen. Das Ruhegeld beträgt 
für Männer V4 der Beiträge in den 10 Jahren und Vs der weiteren Bei¬ 
träge, für Frauen V* der Beiträge der 60 Beitragsmonate. Die Hinter¬ 
bliebenenrente für Frauen und Kinder (auch uneheliche) wird im Gegen¬ 
satz zur Invalidenversicherung gewährt erwerbsfähigen Witwen und den 
Kindern bis zum vollendeten 18. statt 15. Lebensjahr. Sich verheiratende 
weibliche Angestellte erhalten einen Teil der Beiträge zurückerstattet, 
auf Wunsch auch in Form einer Leibrente, dooh ist die Fortsetzung der 
freiwilligen Versicherung anzuraten. Die Witwenrente ist 2 /s und die 
Waisenrente 7s des Ruhegeldes. Die Versicherung leistet im Verhältnis 
zu den privaten Versicherungsgesellschaften Bedeutendes, besonders wenn 
man bedenkt, dass auch die schlechten Risiken aufgenommen werden 
müssen. 

Die dritte und hygienisch wichtigste Leistung ist das Heilverfahren 
zur Verhütung der Berufsunfähigkeit. Für die Aerzte werden dadurch 
Unzuträglichkeiten entstehen, einmal durch die Bevorzugung der Kreis¬ 
ärzte bei der Gutachtertätigkeit und andererseits durch Verringerung 
der Einnahmen in der freien Praxis, indem für die Angestellten Heil¬ 
stätten errichtet werden. Trotzdem ist die Errichtung von Heilstätten 
vom hygienischen Standpunkt nur zu begrüssen. 

Die sozialpolitische Bedeutung der Beiträge zur Versicherung lässt 
sich dahin definieren, dass sie eine andere Form des Gehaltes sind, 
ähnlich wie das Gehalt der Staatsbeamten ergänzt wird durch die Pension 
und Relikten Versorgung. Der Angestellte wird durch den Staat ge¬ 
zwungen, 4pCt. seines Gehaltes zu sparen. Es wird im Gegensatz zu 
mancher Ansicht dadurch der Sparsinn geweckt, da die Bevölkerung ein¬ 
sieht, dass dieses nicht genügt und sich noch ausserdem privatim ver¬ 
sichert. Ob es deshalb erzieherisch wirkt, wenn der Arbeitgeber für 
den Angestellten die Beiträge bezahlt, wie es vielfach bei der Invaliden¬ 
versicherung der Dienstboten geschieht, ist fraglich. Ein weiterer Vor¬ 
wurf, dass die Versicherung die Bevölkerung verweichliche, ist dahin zu 
beantworten, dass es kulturell richtiger ist, den Kampf ums Dasein zu 
mildern, das Leben der Bevölkerung wird dadurch sorgenfreier und besser. 
Die Gesetzgebung wird auch auf den Geburtenrückgang günstig ein¬ 
wirken, da durch die durch das Gesetz bewirkte spätere Versorgung 
mehr Leute heiraten werden, wenn sie wissen, dass sie und ihre Frau 
und ihre Kinder vor der äussersten Not geschützt sind. Ausserdem 
wird durch das Zusammenarbeiten der Arbeitgeber und der Angestellten 
ein besseres Einvernehmen mit der Zeit hergestellt werden, wenn auch 
nicht sofort; schon heute spielen sich die Kämpfe zwischen Arbeitern 
und Unternehmern anders ab, wie noch vor 30 Jahren. Ohne die Mit¬ 
arbeit der Aerzte kann aber das Qesptz die gewünschten Erfolge nicht 
haben, es ist deshalb die Pflicht dejr maassgebenden Organe, diese Mit¬ 
arbeit nach Möglichkeit zu erleichtern. J. Lilienthal. 

Naturwissenschaftlich-medizinische Gesellschaft zu Jena. 

Sitzung vom 13. Februar 1918. 

Vorsitzender: Herr Rössle. 

1. Diskussion zum Vortrage des Herrn Maurer rora 
30. Januar 1913. 

Hr. Riedel: Bei einem Kinde, dessen Vater an einer leichten an¬ 
geborenen Störung des Mittelohres leidet, bestand von Geburt an am 
Kieferwinkel eine Fistel. Bei der Operation, die in Rücksicht auf 
meningitische Reizerscheinungen ausgefübrt wurde, zeigte sich, dass die 
Fistel vor dem Processus styloideus in das Mittelohr mündete. Die Ex¬ 
stirpation des Fistelgauges gelang bis auf den vom Processus styloideus 
gedeckten Teil. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Missbildung, 
die vom ersten Kiemengang ausgeht. Vielleicht kommen ähnliche Miss¬ 
bildungen auch bei drei anderen Patienten in Betracht, die Vortr. wegen 
sehr tief liegender Phlegmonen am Kieferwinkel operieren musste, und 
die sich bis an die Schädelbasis verfolgen Hessen. Da wegen der Dicke 
des Knochens die Fortleitung einer Entzündung des Mittelohrs ausge¬ 
schlossen erscheint, solche auch klinisch nicht vorhanden war, vermutet 
Vortr. angeborene Veränderungen im Sinne divertikelartiger Ausstülpung 
des Mittelohres durch den kompakten Knochen hindurch, und zwar auf 
dem Grunde von Hemmungsmissbildung. Bei einer 40 jährigen Frau mit 
klinisch recidivierenden Schmerzen hinter dem Ohr fand er bei der Ope¬ 
ration einen langen bindegewebigen, zum Teil verkalkten Fortsatz, der 
von der Schädelbasis ausging. Dahinter lag noch ein ähnliches Gebilde, 
von dem ein Teil des Musculus biventer entsprang. Vielleicht gehört 
auch dieser Befund in das Kapitel der Missbildungen des ersten Kiemen¬ 
bogens. 

Hr. Rössle fragt, ob bekannt ist, in wieviel Fällen sioh der post- 
branchiale Körper erhält, und ob er vielleicht für die sonst rätselhaft 
erscheinende Entstehung von Plattenepithelcaroinomen in der Schilddrüse 
verantwortlich gemacht werden kann. 

Hr. Maurer besitzt über die letzte Frage keine Erfahrungen. Da 
der postbranchiale Körper Cylinderepithel enthält, glaubt er nicht, dass 
er als Quelle von Plattenepithelcaroinomen in Betracht kommen könnte. 
Mit den Ausführungen des Herrn Riedel stimmt er im wesentlichen 
überein, nur glaubt er, dass de* beschriebene Fistelgang sekundär aus 
einer Cyste entstanden sei, und dass die eigentümlichen Fortsätze des 
letzten Falles auf das primäre Kiefergelenk, wie es bei Amphibien 
dauernd besteht, zurückzuführen sei. , 

Hr. v. Bardeleben schHesst sich dieser Definition an. 


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81. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


617 


2 . Hr. Berger: Zwei Fälle von familiäre; amaarotischer Idiotie. 

Die Kinder stammen aus nervengesunder Familie. Hereditäre Lues 
liegt nicht vor. Sie erkrankten beide nacheinander mit einer rasch zu 
Amaurose führenden Sehstörung unter dem klinischen Bilde der Retinitis 
pigmentosa. Später setzten bei den ursprünglich ganz normalen Kindern 
epileptiforme Krämpfe ein, die auffallend rasch zur Verblödung führten. 
Die erste Kranke starb mit 19 Jahren, während das zweite Kind noch 
lebt. Die Sektion ergab keinen makroskopischen Befund. Dagegen 
wurden bei der histologischen Untersuchung die typischen Veränderungen 
sämtlicher Ganglienzellen des Centralnervensystems nacbgewiesen, wie 
sie namentlich von Spielmeyer in letzter Zeit beschrieben wurden, 
wogegen die Fibrillen völlig intakt, nur durch eigenartige Massen aus- 
einandergedrängt erschienen. Das Sohädeldach war auffallend dick. 

Diskussion. 

Hr. Stock weist darauf hin, dass nicht das gewöhnliche Bild der 
Retinitis pigmentosa in derartigen Fällen vorliegt, sondern dass es sich 
um eine primäre Erkrankung der Ganglienzellen der Retina handelt. 

Hr. Schaeffer bestätigt, dass es schwer ist, die Diagnose zu stellen, 
zumal bei seiner Beobachtung die Demenz in den Hintergrund trat. 

3. Hr. Berger: Traimatisehe Läsion des Kleinhirns. 

Nach Sturz auf den Hinterkopf stellten sich bei einem 14 jährigen 
Mädchen Symptome von cerebellarer Ataxie ein. Es wird eine Cyste 
in der rechten Kleinhirnhemisphäre vermutet. Die Operation soll dem¬ 
nächst stattfinden. An einem anderen Falle zeigte Vortr. die bekannte 
Schwierigkeit der Diagnose von Kleinhirntumoren. Bei einem 24 jährigen 
Manne wurde ein Tumor des rechten Schläfenlappens vermutet. Es 
handelte sich jedoch um eine Cyste des linken Kleinhirns, die den linken 
Seiten Ventrikel komprimiert und zu Erweiterung des rechten Ventrikels 
im Sinne des Hydrocephalus internus Veranlassung gegeben hatte. 
Dieser erklärte die für einen Tumor des rechten Schläfenlappens sprechen¬ 
den Symptome. 

Diskussion. 

Hr. Stintzing erwähnt einen Fall von Kleinhirntumor mit unge¬ 
wöhnlich niedrigem Drucke der Lumbalflüssigkeit und nimmt Anlass, 
die Gefahrlosigkeit der Spinalpunktion bei Hirntumoren anlässlich 
seiner grossen Zahl von Beobachtungen zu betonen. Palliativ empfiehlt 
er den Eingriff nicht. 

Hr. Reichmann weist darauf hin, dass die Lumbalpunktion in 
Seitenlage vorgenommen werden muss, dass bei fehlender Druckerhöhung 
nur wenig Liquor abgelassen werden dürfe, dass dann aber die Lumbal¬ 
punktion bei Hirntumoren gefahrlos sei. 

4. Hr. Hegiier: Embolie der Arteria centralis retiiae. 

Bei einem Kranken mit schwerer Endocarditis verrucosa trat einige 
Wochen vor dem Tode eine Embolie der Centralarterie ein mit typischem 
ophthalmoskopischem Befunde. Die Untersuchung des Bulbus ergab den 
Thrombus nabe der Papille. Durch die in ihm vorhandenen Mikro¬ 
organismen war es zu einer eiterigen Zerstörung der Gefässwand ge¬ 
kommen, so dass sich ein Aneurysma hatte entwickeln können. Der 
Embolus lag scheinbar ausserhalb der Gefässwand. 

5. Hr. Abrens: Ueber Endoskopie. 

Wenn man über ein Cystoskop eine durchsichtige Gummiblase be¬ 
festigt nnd diese mit Wasser anfüllt, gelingt die Inspektion von Körper¬ 
höhlen, die sonst der endoskopischen Betrachtung nicht zugängig sind. 
Der durchsichtige Blaseninhalt ersetzt die für die cystoskopische Be¬ 
trachtung notwendige Flüssigkeit. Auf diese Weise können Empyeme, 
Gallenblasen, eiterige Blasenfisteln mit Cystitis usw. besichtigt werden. 

6 . Hr. Klaubammer: Puerperale Sepsis. 

Als Krankheitserreger wurden im Blute Staphylokokken nachge¬ 
wiesen; Collargol versagte. Die Abderhalden’sche Reaktion war noch 
fünf Wochen post partum positiv. Wenige Tage vor dem Tode trat 
eine doppelseitige metastatische Ophthalmie auf. 

7. Hr. Erggelet: Metastatische Ophthalmie. 

Der Mitteilung liegt die histologische Untersuchung der Bulbi des 
vorher besprochenen Falles zugrunde. Der bestätigt die fast letale 
Prognose, die bei Pyämie mit doppelseitiger Panophthalmie gestellt 
werden kann. Die primäre Lokalisation ist in der Retina zu suchen, 
von wo aus die sekundäre Infektion des übrigen Bulbus erfolgte. 

Diskussion: Hr. Stock weist darauf hin, dass die hämatogene 
Tuberkulose gewöhnlioh vom Uvealtractus ausgeht, während septisoh- 
pyämische Prozesse sich primär in der Retina ansiedeln. 


Freiburger medizinische Gesellschaft. 

Sitzung vom 18. Februar 1913. 

1 . Hr. Aschoff: 

Beiträge zur Frage des Cholesterinstoffwechsels und der Cholesterin¬ 
aasscheidung. (Nach Beobachtungen des Dr. Mac Nee). 

Zur Frage der Herkunft der Cholesterinester im Blut wurden von 
englischen Autoren Fütterungsversuche angestellt, die negativ verliefen, 
während voq An itsob ko w und Chalatownach Cholesterinfütterung eine 
Ueberschwemmung des Organismus mit Cholesterinestern gefunden 
wurde. 

Vortr. konnte bei intraperitonealer Injektion von Cholesterin in 
nooh nicht abgeschlossenen Versuchen nur eine gering« Vermehrung der 
Ester in den Organen finden,. sohliesst daraus, dass die Ester im 
Organismus aus den Komponenten gebildet worden können. Unter¬ 


suchungen über den Cholesteringehalt der Galle ergaben in der Leichen¬ 
galle etwas höhere Werte als in der Fistelgalle, noch höhere in der Galle 
von Schwangeren. Die Cholesterinsteinbildung in der Gallenblase ist eine 
Folge einer Stoffwechselstörung die unter Vermehrung des Cholesterin 
im Blut eine vermehrte Ausscheidung in der Galle verursacht. Beim 
Icterus der mit Toluylendiamin vergifteten Tiere lässt sich eine Ver¬ 
mehrung des Cholesterin im Blut nachweisen. 

2. Hr. Bacmeister: Cholesterinämie bei inneren Erkrankungen 

Beim gesunden Menschen findet man einen konstanten Cholesterin¬ 
gehalt des Blutes, der nur bei cholesterinreichen Mahlzeiten (z. B. Ei¬ 
gelb) ansteigt. 

Das Blut von Kranken wurde morgens nüchtern untersucht. 

Die Verteilung des Cholesterins zwischen Serum und Blutkörperchen 
ist immer konstant (55 pCt.: 45 pCt.), so dass es gleichgültig ist, ob 
man Serum oder Gesamtblut untersucht. Der Cholesteringehalt des 
Blutes ist vermehrt: bei Nephritis, unabhängig von Eiweissgehalt, umso 
stärker, je stärker die Funktionsstörung der Niere; ferner bei frischen 
Fällen von Atherosklerose, nicht bei veralteteten Fällen, entsprechend 
dem Cholesterinestervorkommen in den Gefässwänden; ferner bei Diabetes, 
besonders den schweren Formen und bei Fettsucht. Bei Gicht ist der 
Befund normal. 

Der Cholesteringehalt des Blutes ist vermindert bei allen cachek- 
tischen Zuständen, insbesondere Tuberkulose und Carcinom, unabhängig 
von etwaiger gleichzeitiger Fettablagerung in Organen. Bei Fieber je 
nach der Höhe, unabhängig von der Dauer ist das Cholesterin im Blut 
vermindert, um nach Abklingen wieder anzusteigen. Nach Typhus ist 
eine sekundäre Steigerung zu beobachten. 

8 . Hr. Schlimpert: 

Cholesterinämie bei geburtshilflichen and gynäkologischen Fällen. 

(Untersuchung von M. Huffmann). 

Die Methode der Versuche des Vortr. und des Vorredners ist von 
Herrn Autenrieth angegeben: Das Blut wird mit 50proz. Kalilauge 
gekocht und im Chloroformextrakt kolorimetrisch nach Ausführung der 
Liebermeister’schen Reaktion das Cholesterin bestimmt. Die Resultate 
bestätigen die Befunde französischer Autoren: In der Gravidität steigt 
der Cholesteringehalt des Blutes an und ist vom sechsten Monat an 
nachweislich vermehrt, erreicht gegen Ende der Zeit seinen Höhepunkt, 
um nach der Entbindung ziemlich rasch wieder abzufallen. Das Still¬ 
geschäft hat auf das Cholesterin im Blut keinen Einfluss. Bei kachekti- 
schen Zuständen infolge von Tumoren und bei schweren sekundären 
Anämien ist das Cholesterin im Blut vermindert. Menses und Radium¬ 
bestrahlungen waren ohne Einfluss, dagegen worden bei Narkosen er¬ 
hebliche Anstiege des Blutcholesterins beobachtet. * Im Liquor cere¬ 
brospinalis wurde kein Cholesterin gefunden. 

4. Hr. Landaa: Nebenniere nnd Fettstoffwechsel. 

Französische Autoren stellten die Hypothese auf, die Nebennieren¬ 
rinde sei die Quelle der Cholesterinester. Fettvermehrung der Neben¬ 
nierenrinde kommt vor bei Zuständen, in denen der Stoffwechsel ver¬ 
mindert ist (z. B. Circulationsstörungen, Nephritis), bei Zerstörungspro¬ 
zessen lipoidreicher Organe (Leber, Nervensystem), bei grösseren 
Eiterungen und bei Stoffwanderungen (Gravidität, Tumoren, Diabetes). 
Es handelt sich dabei um eine Retention oder um eine vermehrte Pro¬ 
duktion der Lipoide; die Anhäufung in der Nebennierenrinde ist demnach 
als sekundärer Prozess aufzufassen. 

Ein derartiger Parallelismus besteht jedoch nicht immer. Bei 
Diabetes kann der Befund wechseln, bei Inanition kommt ohne Vermeh¬ 
rung des Blutcholesterins eine Anhäufung von Cholesterinestern in der 
Nebennierenrinde vor, die Vortr. als toxischen Prozess auffasst. Vortr. 
glaubt nach diesen Befunden die Hypothese der französichen Autoren 
nicht annehmen zu können und möchte der Nebennierenrinde nur die 
Rolle der Produktionsstätte für die Lipoide des sympathischen Nerven¬ 
systems zusprechen. 

Diskussion zu allen Vorträgen. 

Hr. Bac meist er nimmt die vom Vorredner geäusserte Ansicht über 
die Herkunft des Cholesterins der Nebenniere an. In der Cerebrospinal¬ 
flüssigkeit hat er normalerweise auch kein Cholesterin gefunden, das 
jedoch darin in geringer Menge bei Entzündungen nachzuweisen ist. 
Ebenso verhalten sich Transsudate und Exsudate. Das Cholesterin 
befindet sich in der Lösung, nicht in den Formbestandteilen. 

Hr. Hahn erwähnt eigene ältere Untersuchungen über das Ver¬ 
halten des Petrolätherextraktes bei der Autodigestion von Organen. Er 
hält zur Beurteilung der Cholesterinbefunde eine gleichzeitige Bestim¬ 
mung des Gesamtfetts für erforderlich. Auch eine Beziehung der von 
den Vorrednern gefundenen Cholesterinmengen auf den Trockenrück¬ 
stand ist nicht ersichtlich, die vielfach von entscheidender Bedeutung 
wäre. Auf seine Anfrage stellt Herr MacNee fest, dass sich seine 
Zahlen auf die feuchte Substanz beziehen. 

Hr. Bacmeister möchte seine Versuche lediglich als Sammlung 
von Beobachtungsmaterial gedeutet wissen und sich auf keine 
theoretische Deutung einlassen. 

HHr. Aschoff und Landau weisen auf die Sonderstellung des 
Cholesterins im Organismus hin, das unentbehrlich und vielfach ver¬ 
wendet und transportiert, doch wahrscheinlich vom Tier Weder gebildet 
noch verbrannt werden kann. Fromherz. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 13. 


Brief aus Moskau. 

Aus den russischen medizinischen Gesellschaften. 

Auf dem II. russischen Bakteriologentag zu Moskau im April 1912 
sprach Frau M. Margulies - St. Petersburg über die Anwesenheit 
spezifischer Antikörper in dem Serum mit Salvarsan be¬ 
handelter Tiere. Die Vortragende injizierte mit Trypanosomen infi¬ 
zierten Ratten intraperitoneal das Serum von Ratten, die mittels Sal- 
varsans von Trypanosomiasis geheilt worden waren. Gleichzeitig wurde 
behufs Kontrolle mit Trypanosomen infizierten Tieren das Serum ge¬ 
sunder Ratten eingespritzt, die trotzdem ebenfalls Salvarsan ein verleibt 
erhalten hatten. Im ersteren Falle trat eine ausgesprochene curative 
Wirkung ein: am 5. bis 6. Tag nämlich verschwanden die Trypanosomen, 
aber nach einiger Zeit fanden sie sich von neuem ein, es batte sich 
somit ein Recidiv eingestellt. Im zweiten Falle kam nicht die geringste 
Heilwirkung zur Beobachtung. Die Schutzwirkung dos Serums der 
mittels Salvarsans geheilten Ratten äusserte sich darin, dass die In¬ 
kubationsperiode von 24—48 Stunden bis auf 26 Tage ausgedehnt 
wurde; eine Erkrankung trat dennoch unweigerlich ein. Diese Versuche 
sollen beweisen, dass das Salvarsan im Blute die Bildung spezifischer 
Antikörper — höchstwahrscheinlich von Antiendotoxinen infolge rascher 
und energischer Parasitolyse — hervorrufe, und dass das diese Sub¬ 
stanzen enthaltende Serum schwache präventive und curative Eigen¬ 
schaften besitze. 

In der wissenschaftlichen Konferenz der Aerzte des Militär¬ 
hospitals zu Kasan teilte P. Gluschkow seine Beobachtungen über die 
Autoserotherapie bei der Behandlung der Gonitis mit. In 
zwei Fällen von Hydrops des Kniegelenks wandte der Vortragende mit 
glänzendem Erfolg die Autoserotherapie nach Gilbert an. In dem 
einen Falle konnte trotz 132 Tage langer Behandlung mit den üblichen 
Mitteln und Verfahren ein befriedigendes Resultat nicht erzielt werden: 
das Exsudat im Gelenk wollte nicht schwinden. Nach Anwendung der 
Autoserotherapie (subcutane Injektion von 2 ccm des serofibrinösen 
Gelenkinbalts) begann das Exsudat sich allmählich zu verringern und 
war nach 12 Tagen vollständig resorbiert. In dem anderen Falle 
wurden unter Hintansetzung jeglicher sonstigen Therapie dem Kranken 
8 ccm des Exsudates subcutan injiziert, worauf nach 15 Tagen das Ex¬ 
sudat völlig geschwunden war. 

In der russischen chirurgischen Pirogoff-Gesellschaft zu St. Peters¬ 
burg hielt A. Iljin einen Vortrag über die ascendierende In¬ 
fektion der Nieren nach Implantation der Harnleiter in den 
Darm und ihre Bekämpfung durch Schutzimpfung und 
Vaccinetherapie. Bei 11 Kranken, an denen die Operation der 
Ureterimplantation in den Darm ausgeführt worden war und die sämtlich 
die Symptome einer Pyelitis oder Pyelonephritis darboten, wandte der 
Vortragende angesichts der Erfolglosigkeit der gewöhnlichen therapeutischen 
Maassnahmen die Vaccinebehandlung (Colivaccination) an. Das Ergebnis 
der Impfbehandlung war, dass in zwei Fällen (Pyelitis und Pyelo¬ 
nephritis) sämtliche Anzeichen einer Nierenaffektion vollkommen 
schwanden, in einem Falle (Pyelitis) eine hochgradige Besserung eintrat 
und in einem Falle (akute Pyelitis) von der Vaccination Abstand ge¬ 
nommen werden musste. Da bei der Implantation der Harnleiter die 
Möglichkeit, dem Eintritt einer Nierenaffektion vorzubeugen oder sie 
wenigstens beträchtlich abzuschwächen, von viel grösserem Werte wäre 
als eine nachträgliche Behandlung, so stellte Iljin eine Reihe von Tier¬ 
versuchen an, um die Bedeutung der Schutzimpfung bei der Ableitung 
des Harns in den Darm klarzulegen. Ein Teil der Tiere wurde mit 
reinem Colivaccin, der andere mit einem Gemisch aus Colivaccin und 
polyvalentem Staphylokokkenvaccin vorbehandelt. Von den 7 Hunden 
•mit beiderseitiger Ureterenimplantation gingen nun 2 kurz nach der 
Operation an zufälligen Ursachen zugrunde, während die übrigen 5 
weder an eitriger Peritonitis, noch an akuter eitriger Pyelonephritis er¬ 
krankten. Diese überraschend günstigen Ergebnisse sind wohl gänzlich 
auf Rechnung der Schutzimpfung zu setzen. 

In der therapeutischen Gesellschaft zu Moskau berichtete A. Gold¬ 
berg über seine Erfahrungen mit der Radiumemanation als Heil¬ 
mittel bei Gicht und Rheumatismus, ln Behandlung gelangten 
ca. 30 Personen, die an gichtischen und rheumatischen Erkrankungen 
von verschiedener Dauer und Schwere litten. Alle wurden sie ambula¬ 
torisch einer Trinkkur unterzogen, und zwar erhielten die Patienten 
1000 Macheeinheiten täglich in V 2 Liter Wasser. Die erzielten Resultate 
waren im allgemeinen recht gute. Mit keinem der bis dahin benutzten 
Mittel war bei derartigen Kranken auch nur ein annähernd gleich guter 
Erfolg zu erzielen. Der Vortragende kommt daher zu dem Schluss, dass 
wir bei Gelenkleiden rheumatischer und gichtischer Natur in der Kadium- 
eman&tion ein sehr wirksames Heilmittel besitzen. In leichten Fällen 
ist fast stets eine völlige Genesung oder erhebliche Besserung zu kon¬ 
statieren. In Fällen jedoch mit bedeutenden anatomischen Verände¬ 
rungen ist natürlich auf eine Restitutio ad integrum der Knochen und 
Knorpel nicht zu rechuen, aber die entzündlichen Veränderungen der 
Weichteile verschwinden meist. Ein Schwinden oder eine Abnahme der 
Schmerzen wird in fast sämtlichen Fällen beobachtet. 

ln ' der mikrobiologischen Gesellschaft zu St. Petersburg machte 
N. Ssyrensky Mitteilung über den Gehalt der Sera bei Ab¬ 
dominaltyphus und croupöser Pneumonie an hämolytischem 
Komplement. Die im Institut für experimentelle Medizin zu Peters¬ 
burg ausgeführten Untersuchungen ergaben, dass in den «Seren an 


croupöser Pneumonie und an Unterleibstyphus Erkrankter hämolytisohes 
Komplement in grösserer Menge enthalten ist als im Serum gesunder 
Personen. Ein gesteigerter Komplementgehalt ist auch einige Zeit nach 
der Genesung vom Abdominaltyphus (noch 3—4 Wochen später) nach¬ 
zuweisen. Im Gegensatz zu dieser Erkrankung scheint der Komplement¬ 
titer einige Zeit nach der kritischen Lösung der croupösen Lungen¬ 
entzündung die Neigung zu besitzen, entweder zur Norm zurückzukehren 
oder sogar etwas unter die Norm zu sinken. 

Auf dem III. russischen Kongresse für innere Medizin zu Moskau 
sprach A. Pesskow über die Eiweissreaktion des Sputums und 
ihre praktische Bedeutung. Auf Grund von 67 Sputumunter- 
suchungen an 65 Kranken gewann der Vortragende die Ueberzeugung, dass 
die Eiweissreaktion ohne Zweifel eine diagnostische Bedeutung besitzt, und 
zwar ist es hauptsächlich ihr negativer Ausfall, der zur Differenzierung 
des Initialstadiums der Tuberkulose von der gewöhnlichen Bronchitis 
herangezogen werden kann. Ist das Ergebnis ein völlig negatives, so 
sind mit einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit destruktive Prozesse 
im Lungenparenchym (insbesondere Tuberkulose) auszuschliessen. Sind 
nur Spuren von Eiweiss im Sputum vorhanden, so scheint dies am 
häufigsten ebenfalls für die Benignität des Prozesses zu sprechen. Ein 
stark ausgeprägter positiver Ausfall der Reaktion bei Abwesenheit ob¬ 
jektiver Veränderungen in den Lungen soll stets den Gedanken an die 
Möglichkeit eines akuten oder chronischen latenten pneumonischen 
Herdes nahelegen. 

Im Aerzte verein zu Sebastopol berichtete L. Kogan über seine 
Erfahrungen mit Scharlachsohutzimpfungen. Als im März 1908 
der Scharlach in der Stadt Sebastopol den Charakter einer Epidemie 
annahm, führte der Vortr. an sämtlichen Pfleglingen eines Mädchenasyls 
Scharlachschutzimpfungen mit dem Streptokokkenvaccin von Gabri- 
tschewsky aus. Jedes der 62 Kinder wurde zweimal in einem Inter¬ 
vall von fünf Tagen geimpft. Die Dosis betrug für die erste Vaccination 
halb so viel Decigramme, als dos Kind Jahre zählte; für die zweite 
Impfung wurde meist die doppelte Anfangsdosis genommen, die jedoch 
nie ein Gramm überstieg. Eine schwache Temperaturreaktion wurde 
bei 48, eine mittelstarke bei 12, eine starke bei zwei Mädchen beob¬ 
achtet. Angina und Exanthem traten bei neun Kindern auf, Erbrechen 
in zwei Fällen. Die zweite Impfung verlief stets völlig reaktionslos. 
Von 1908 bis 1911 blieben die vaccinierten Kinder gänzlich von Schar¬ 
lach verschont. Im letztgenannten Jahre brach in der Stadt wiederum 
eine heftigere Epidemie aus, und nun erkrankten von 26 neu ins Asyl 
aufgenommenen nicht geimpften Pfleglingen acht (über 30 pCt.), während 
von den 62 seinerzeit vaccinierten Mädchen bloss zwei (etwa 8 pCt.) 
sich mit Scharlach infizierten. 

In der Gesellschaft der Aerzte zu Odessa teilte A. Grünfeld seine 
Beobachtungen über das Neosalvarsan mit. Der Vortr. wandte das 
neue Mittel bei 35 Patienten an. Seine Erfahrungen resümierte er in 
folgenden Sätzen. Das Neosalvarsan ist leicht löslich, was die Möglich¬ 
keit gewährt, rascher als mit dem alten Salvarsan zu arbeiten, besonders 
bei einer grossen Anzahl von Kranken. Die Nebenerscheinungen sind 
verhältnismässig weniger intensiv, so dass man imstande ist, grössere 
Mengen des Präparates zu applizieren und auf diesem Wege vielleicht 
sich noch mehr dem Ideal Ehr lieh’s, der Therapia sterilisans magna, 
zu nähern. Schliesslich ist die Wirkung des Neosalvarsans ebenso 
effektvoll wie die des Altsalvarsans. 

In der dermatologischen und venerologischen Gesellschaft zu Odessa 
machte E. Wainstein Mitteilung über die Vaccinetherapie bei 
einigen gynäkologischen Erkrankungen. Das Material des Vortr. 
umfasste 108 Fälle von Vulvovaginitis bei Kindern, 54 von Urethritis 
gonorrhoica bei Frauen, 42 Fälle von Salpingitis gonorrhoica, 24 von 
Endocervicitis, 14 von Cystitis colibaoillaris, 2 von Parametritis exsuda¬ 
tiva und einen Fall von Pyelitis staphylococcica, insgesamt 245 Fälle, 
die mit den entsprechenden Vaccinen behandelt wurden. Ein positives 
Resultat wurde bei 212 Kranken erzielt, d. i. in 86,5 pCt. der Fälle. 
Von ihnen war bei 152 Patientinnen (62 pCt.) völlige Heilung und bei 
60 (24,5 pCt.) bloss eine mehr oder minder ausgeprägte Besserung zu 
konstatieren. Nur in 33 Fällen (13,5 pCt.) war das Ergebnis ein nega¬ 
tives. Die besten Resultate weisen solche Fälle auf, wo die Erkrankung 
mehr frisch ist, jedoch nicht geradezu akut, und wo keine Temperatur¬ 
steigerung vorhanden ist. Hinsichtlich der Ausdehnung des krankhaften 
Prozesses ist zu bemerken, dass die besten Ergebnisse beim Vorliegen 
umschriebener Herde zu erzielen sind. Unter dem Einflüsse des Gono- 
kokkenvaccins werden die Narben in den Scheidengewölben weicher, 
nachgiebiger, verschwindet die Schmerzhaftigkeit und werden die 
Patientinnen wieder arbeitsfähig. Ferner bewirken die entsprechenden 
Impfstoffe ein Verschwinden der Gonokokken aus dem Urethral- und 
dem Vaginalsekret (bei der Vulvovaginitis), sowie der Pneumokokken 
aus den Cervicalausscheidungen. Die Injektionen sind, abgesehen von 
einem geringen und rasch vorübergehenden Schmerz an der Einstich¬ 
stelle, sonst schmerzlos. Temperatursteigerungen nach den Ein¬ 
spritzungen kommen nur bei manchen Gonorrhöekranken vor. Der 
Vortr. kommt zu dem Schluss, dass die Vaccinebehandlung stets absolut 
unschädlich, meist sehr wirksam, mitunter jedoch nur als Hilfsmittel für 
die kombinierte Therapie anzuwenden ist. 

In der geburtshilflich-gynäkologischen Gesellschalt zu Moskau be¬ 
handelte Th. Johannsen die Pantopon-Scopolaminnarkose. Er¬ 
fahrungen in 50 Fällen von gynäkologischen Operationen zeigten folgen¬ 
des: Die Injektion von Pantopon-Scopolamin versetzt <Me meisten Kranken 
in einen apathischen Schlummerzustand, wodurch die Furcht vor der 


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31. März 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


619 


bevorstehenden Operation beseitigt wird. Ferner wird hierbei die Dauer 
des Beginns der Narkose abgekürzt und die Menge des hierfür ver¬ 
brauchten Aethers in der Regel stark vermindert. Trotz alledem gelang 
es dem Vortr. nicht, gynäkologische Operationen unter Scopolamin- 
P&otopon allein, ohne Hilfe von Aether auszuführen. Dennoch genügt 
es bei vaginalen Operationen, die Aethernarkose nur bis zum Schwinden 
der Coroealreflexe fortxufiihren, wonach nur ganz geringfügige Mengen 
von Aether erforderlich sind oder man auch unter Umständen ganz ohne 
ihn auskommen kann. Sogar bei Laparotomien wird während der Ope¬ 
ration nur verhältnismässig wenig Aether verbraucht. Der Schlaf ist 
während der Narkose tief, ruhig und geht nicht mit Speichelfluss einher; 
Pals und Atmung erleiden nicht die geringsten Störungen. Nach der 
Operation ist fast einen Tag lang bei den Kranken die Schmerzempfind' 
liehkeit herabgesetzt. Erbrechen wird nur ausnahmsweise beobachtet. 

In der therapeutischen Gesellschaft zu Moskau teilte L. Fe Id mann 
seine klinischen Beobachtungen über das diastatische Fer¬ 
ment im Harn mit. ln der propädeutischen Klinik der Hochschul¬ 
kurse für Frauen in Moskau untersuchte der Vortr. den Harn von 
88 Kranken und 6 Gesunden auf die Anwesenheit von diastatischem 
Ferment Die Untersuchungen ergaben, dass in jedem Harn normaler¬ 
weise das genannte Ferment vorhanden ist. Bei Nephritis, Diabetes 
und Anämie ist die Menge des diastatischen Fermentes im Urin herab¬ 
gesetzt. Doch konnte ein Parallelismus zwischen der Schwere der 
Nierenentzündung und dem Gehalt des Harnes an dem bezeichneten 
Ferment nicht nachgewiesen werden. Auch fand der von Marino an¬ 
gegebene Parallelismus zwischen der Anzahl der Erythrocyten und der 
Menge des diastatischen Fermentes im Urin keine Bestätigung. Die Ab¬ 
nahme des Fermentes im Harn bei Herz- und Gefässerkrankungen spricht 
allem Anschein nach für eine funktionelle Insuffizienz der Nieren. In 
Anbetracht dieses Umstandes kann die Bestimmung des diastatischen 
Fermentes in dem aus jeder Niere gesondert aufgefangenen Harn als 
Verfahren für die Feststellung der funktionellen Leistungsfähigkeit der 
Niere dienen. Eine hochgradige Steigerung des Gehaltes an dem in 
Rede stehenden Ferment ist ein wertvolles diagnostisches Symptom bei 
Erkrankung des Pankreas. A. Dworetzky-Moskau. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. Die Kongresse, welche sich in der letzten Woche hier in Berlin 
vereinigt haben, sind zur Stunde noch nicht geschlossen; über den nach 
jeder Richtung befriedigenden Verlauf herrscht nur eine Stimme; ins¬ 
besondere wird anerkannt, dass das komplizierte Räderwerk des aus 
verschiedenen Sektionen zusammengesetzten Internationalen Kon¬ 
gresses für Physiotherapie tadellos funktioniert. Die Eröffnungs¬ 
sitzung fand am 26. d. M. in Anwesenheit des Protektors, Sr. Königl. 
Hoheit Prinz August Wilhelm, statt. Herr His hielt die Er¬ 
öffnungsrede, in der er die Entwicklung und Vielseitigkeit des physio¬ 
therapeutischen Problems in geistvoller Weise erörterte und die Ziele 
der künftigen Forschung bezeichnete. Der Kultusminister Exzellenz 
v. Trott zu Solz überbrachte die Grüsse der Reichs- und Staats¬ 
regierung, Stadtrat Sei borg diejenigen der Stadt Berlin; für Universität 
und Falraltät sprach Geheimrat Heffter, weitere Begrüssungsansprachen 
hielten die Herren Brieger, Spitzy, Strauss. Es folgten dann 
die Ansprache der fremden Delegierten, unter denen sich Männer 
wie Garrod, Landouzy, v. Noorden, Rein befanden. End¬ 
lich machte Herr Immelmann als Generalsekretär Mitteilungen 
über die Organisation des Kongresses. Zu Ehrenpräsidenten wurden 
gewählt: v. Schjerning und Kirchner - Berlin, Landouzy- und 
d’Arsonval-Paris, A. Garrod-London; v. Noorden-Wien, Dol linger- 
Budapest, Maragliano - Genua, Rein - Petersburg, Libott - Brüssel, 
Petren-Lund, Decref - Madrid. Nach einer Pause schloss sich die 
erste allgemeine Sitzung 3 p, in der das Thema „Die physikalische 
Behandlung der Kreislaufstörungen" durch die Herren Otfried Müller- 
Tübingen (Balneotherapie), Vaquez-Paris (Diättherapie) und Zander- 
Stockholm (Kinesitherapie) abgehandelt wurde. 

Am Donnerstag tagten die Sektionen, die sich, ebenso wie die Aus¬ 
stellung, eines starken Besuches zu erfreuen hatten; letztere ist reich 
beschickt und sehr zweckmässig in den Erdgeschossräumen der neu er¬ 
bauten ersten medizinischen Klinik untergebracht. Den ersten Sitzungstag 
beschloss das von der Aerzteschaft Berlins dargebotene Fest im Zoologischen 
Garten, ein Musikabend, dessen Darbietungen um so mehr verdienten 
Beifall fanden, als sich ausschliesslich kollegiale Kreise an ihnen beteiligten. 
Die Besucherzahl des Kongresses übersteigt 700; auch zahlreiche Damen 
sind anwesend, für deren Unterhaltung durch ein besonderes Komitee 
hinreichend Vorsorge getroffen ist. Von den wissenschaftlichen Ver¬ 
handlungen werden unsere Leser einen wesentlichen Teil, nämlich die 
Radium- und Thoriumvorträge, als Originalartikel kennen lernen. 

Der Chirurgenkongress, der in der gleichen Wocheunter 
dem Vorsitz von Geh. Rat v. Angerer tagte, war von über 1000 Teil¬ 
nehmern besucht. Die Sitzungen fanden auch in diesem Jahre in dem sehr 
stark gefüllten Beethoven-Saal statt. Am ersten Tage fand die Verhand¬ 
lung über das Thema „Knochen- und Gelenktuberkulose“ statt (Herr 
Gar re), das Hauptthema des zweiten Tages bildete Ulcus duodeni (Herr 
KS'ttner). ' Besonderes Interesse erregten die Verhandlungen über 
„plastische Chirurgie“ (Hildebrandt, Lexer, Röpke, Koenig, 
Küttner, Schmieden u. a.). Zum Vorsitzenden ftfr das Jahr 1914 
wurde Herr Prof. 'W. Müller-Rostock gewählt, als Ehrenmitglied Exz. ! 
v. Röntgen-München. ‘ 


— Der internationale Verein für medizinische Psycho¬ 
logie und Psychotherapie wird seine Jahresversammlung heuer in 
Wien, und zwar am 18. und 19. September, unmittelbar vor dem Be¬ 
ginn desAerzte- und Naturforschertages, abhalten. Das Programm wird 
rechtzeitig bekanntgegeben werden. 

— In der Zeit vom 26. Mai bis 7. Juni 1913 findet wiederum in 
der akademischen Kinderklinik Düsseldorf unter Leitung vou Professor 
Dr. Schlossmann ein vierzehntägiger Ausbildungs- und Fortbildungs¬ 
kursus für Aerzte in der Physiologie, Pathologie und Hygiene des Säug¬ 
lingsalters und in der Säuglingsfürsorge statt. Ausser den Vorlesungen 
und den Arbeiten in dor Klinik und im Laboratorium finden auch Be¬ 
sichtigungen moderner Einrichtungen in der Säuglingsfürsorge in Düssel¬ 
dorf und den benachbarten Städten statt, wobei dem Ziehkinderwesen, 
der Versorgung hilfsbedürftiger Mütter und Kinder sowie der Versorgung 
der Städte mit rationell gewonnener Milch besondere Beachtung ge¬ 
schenkt wird. Anmeldungen und Anfragen sind zu richten an die Ge¬ 
schäftsstelle des Vereins für Säuglingsfürsorge im Regierungsbezirk 
Düsseldorf, Düsseldorf, Werstenerstr. 150, von wo auch auf Wunsch 
Programme kostenlos versendet werden. Ausser einer Einschreibegebühr 
von 30 M. wird ein Honorar nicht erhoben. 

— Die Dresdener Universitätsfrage, die schon in negativem 
Sinne erledigt zu sein schien, hat durch ein Exposä des Stadtoberhauptes 
eine andere Wendung genommen. Er beantragt eine Zusammenlegung 
der in Dresden bestehenden technischen und tierärztlichen Hochschulen 
und ihre Angliederung an die bestehenden medizinischen Einrichtungen. 
Diese sollen dann zusammen zu einer Universität umgewandelt werden. 
Von den Kosten sollen etwa 10 Millionen durch die Stadt, die restlichen 
8 durch Stiftungen aufgebracht werden. 

— In Breslau hat sich eine Deutsche Vereinigung der Vor¬ 
klinikerschaft gebildet. 

— In Plauen i. V. hat sich eine Medizinische Gesellschaft 
für das Vogtland unter Vorsitz von Prof. Breitung gebildet. 

— Der Provinzialausschuss von Westfalen hat beschlossen, zum 
Ausbau der medizinischen Fakultät in Münster 250000 M. bei¬ 
zutragen, falls die Stadt die doppelte Summe bewilligt. — In einer an 
uns gerichteten Zuschrift wird, wie bei dieser Gelegenheit erwähnt 
werden möge, die Behauptung aufgestellt, dass die jungen Mediziner 
in Münster nur an männlichen Leichen Sektionsübungen vornehmen 
dürfen, da einflussreiche Kreise der Stadt sonst eine Gefährdung der 
Sittlichkeit der Studentenschaft befürchten. Wir können kaum glauben, 
dass unser Gewährsmann, Herr Professor v. N., richtig informiert ist; er 
dürfte doch wohl einem Aprilscherz zum Opfer gefallen sein. 

— Auf dem Gelände des ehemaligen Johannesstiftes bei Plötzensee 
soll eine Städtische Anstalt für Leichtkranke errichtet werden, 
die zur Entlastung der Krankenhäuser dienen soll. 

— Die Prosektur des Krankenhauses der jüdischen Gemeinde zu 
Berlin wurde, nachdem Herr Hans Kohn, Prosektor am poliklinischen 
Institut der Universität, ihre Wiederübernahme definitiv abgelehnt hat, 
dem Laryngologen Herrn Arth. Proskauer übertragen. 

— Theodor Boveri, der bekannte Würzburger Zoologe, ist für 
die Leitung des geplanten Biologischen Institutes in Dahlem in 
Aussicht genommen. 

— Das neue Physikalisch-radiologische Institut in Heidel¬ 
berg wird am 1. Mai eingeweiht. Es steht unter Leitung von Professor 
Ph. Lenard. Seine medizinische Abteilung wird mit dem Institut für 
experimentelle Krebsforschung zusammen arbeiten. 

— Der in Berliner Aerztekreisen hochgeschätzte Kollege Bruno 
Wolff, der bis vor einigen Jahren hier eine ausgedehnte gynäkologische 
Praxis ausübte und dann nach Rostock übergesiedelt ist, hat sich jetzt 
dort für das Fach der pathologischen Anatomie habilitiert. 

— Prof. Mönckeberg-Giessen hat die Berufung als Nachfolger 
Lub.arsch’s nach Düsseldorf angenommen. 

— Dr. Benno Latz, der jahrelang gemeinsam mit Prof.R. Lenn- 
hoff die Medizinische Reform geleitet hat, ist aus dieser Stellung 
ausgeschieden und nach Homburg v. d. H. übergesiedelt, wo er ge¬ 
meinsam mit Dr. Pariser die ärztliche Leitung von dessen Sana¬ 
torium übernimmt. 

— Herr Dr. G. Ritter, Berlin, ersucht uns um Veröffentlichung 
eines an den Antimeristem-Erfinder und -Lieferanten, Herrn Wolf¬ 
gang Schmidt - Cöln, gerichteten Briefes, aus dem hervorgeht, dass in 
der Reklame des genannten Laboratoriums ein von Herrn Richter in der 
Laryngologischen Gesellschaft seinerzeit vorgestellter Fall noch als ge¬ 
heilt aufgeführt wird, obwohl er seit einem halben Jahre von einem 
Recidiv befallen und die Firma durch eingeschriebenen Brief von diesem 
Faktum unterrichtet worden ist. 

— Der als Herausgeber der Zeitschrift „Freie Heilkunst“ und durch 
Vorträge in Aerztekreisen übelbekannte Kaufmann Georg Gottlieb 
aus Heidelberg, Vorsitzender des „Centralverbandes für paritätische 
Heilmethoden“ wurde von Vorstandsmitgliedern des L. W. V. wegen Be¬ 
leidigung verklagt und zu 100 M. Geldstrafe verurteilt. Er batte be¬ 
hauptet, dass der Leipziger Verband von Farben- und ähnlichen Fabriken 
grosse Summen erhalten habe, „dass der Verband einen ganz hinterlistig 
gemein organisierten Kampf um Konkurrenz führe“ und ähnliche Freund¬ 
lichkeiten mehr. 

— In das Herausgeberkollegium dejr Zeitschrift für Urologie, 
dem bisher die Herren Casper, v.rrisoh, Lotynstein, Oberländer, 
Posner und S£uckerkandl angehörten, sind folgende Herren neu ein¬ 
getreten: Bl er-Berlin, Döderlein-München, Franz-Berlin, v. Haberer- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 13. 


Innsbruck, v. Koranyi-Budapest, Küttner-Breslau, Minkowski- 
Breslau, Payr-Leipzig, Wi 1ms-Heidelberg, Schloffer-Prag. Für die 
Redaktion zeichnet in diesem Jahre L. Casper. Die Zeitschrift ist be¬ 
kanntlich seinerzeit aus der Verschmelzung des „Centralblattes“ mit der 
„Monatsschrift für Urologie“ hervorgegangen. Im Gegensatz zu den hier¬ 
durch wie durch die Namen und die Arbeitsgebiete der neu eingetretenen 
Herren zum Ausdruck gebrachten Einheitsbestrebungen steht freilich die 
Gründung immer neuer Organe, von denen wir die Zeitschrift für 
chirurgische Urologie (herausgegeben von Krönig, Kümmell, 
Lichtenberg, Voelcker und Wildbolz) sowie die Zeitschrift für 
die gesamte experimentelle Therapie (herausgegeben von vielen 
Autoren, redigiert von Pirquet und Sauerbruch) nennen. Unzweifel¬ 
haft bürgen auch hier die Namen der Begründer dieser neuen Journale 
für treffliche Leitung und gediegenen Inhalt. Aber man kann doch die 
Befürchtung nicht unterdrücken, dass nun immer mehr Zusammengehöriges 
auseinandergerissen wird. Eine neue Zeitschrift ist berechtigt, wenn 
sie neue programmatische Gesichtspunkte verfolgt, einer neuen Richtung 
sich dienstbar macht. Zwischen einem Organ, welches sich „Zeitschrift 
für experimentelle Pathologie und Therapie“ nennt (Kraus, Brieger, 
Pal tauf) und einem, welches als „Zeitschrift für die gesamte experi¬ 
mentelle Medizin“ firmiert, wird selbst das scharfsichtigste Auge keinen 
prinzipiellen Unterschied erblicken, und so wird für spätere Literatur¬ 
angaben geradezu eine Quelle von Verwechslungen geschaffen. P. 

— Gelegentlich der Ankündigung zweier neuen Centralblätter — des 
„für die gesamte Chirurgie“ und des „für die gesamte Gynäkologie“ 
(Verlag J. Springer) — weist die Münchener medizinische Wochen¬ 
schrift auf den neuerdings immer mehr umsicbgreifenden Missbrauch 
hin, medizinische Zeitschriften in „zwangloser“ Folge erscheinen zu 
lassen, d. h., es wird nicht von vornherein gesagt, wieviel Hefte oder 
Bände jährlich erscheinen werden und damit auch nichts über den die 
Käufer noch mehr interessierenden voraussichtlichen Preis; der wird nur 
pro Band angegeben; wieviel Bände aber erscheinen werden, bleibt der 
Diskretion des Verlegers überlassen. Daraus ergibt sich der schwere 
Missstand, dass der Käufer nicht imstande ist, vorher einen Etat für 
seine Bücher aufzustellen, und gleich dem ärztlichen Verein in München 
sah sich z. B. die Berliner medizinische Gesellschaft am Schlüsse des 
Jahres 1912 der unliebsamen Ueberraschung gegenüber, lediglich durch 
solche diskretionäre Gewalt der Verleger und Redaktionen ihren vorjährigen 
Abonnementsetat bedeutend überschritten zu sehen. Aus diesem 
räumlichen Absolutismus erwächst aber noch ein anderer Schaden: es 
fällt für die Redaktionen die äussere Veranlassung fort, aus den ihnen 
zugehenden Arbeiten eine sorgfältige Auswahl zu treffen und ins¬ 
besondere brauchen sie sich nicht mehr lange damit aufzuhalten, auf Kürze 
der Darstellung zu dringen. „Es wäre an der Zeit, meint die Münchener 
medizinische Wochenschrift, dass die medizinischen Bibliotheken und 
andere Interessenten sich zusammenschlössen zur Abwehr gegen dieses 
ganz ungewöhnliche Vorgehen einzelner Verleger“ — gewiss, es wäre zu 
wünschen, aber von wo soll die Abwehr ausgehen, wenn die unter dem 
Protektorat der ersten wissenschaftlichen Gesellschaften 
Deutschlands erscheinenden C'entralblätter mit dem schlechten Beispiel 
vorangehen? H. K. 

— Dr. Hans Hohn ist von der Reise zurückgekehrt. 

Hochschulnachrichten. 

Bonn. Die Privatdozenten DDr. Bachem (Pharmakologie), v. Stürs¬ 
berg (innere Medizin) und Zurhelle (Gynäkologie) erhielten den Pro¬ 
fessortitel. — Düsseldorf. Prof. Mönckeberg-Giessen wurde zum 
Direktor des pathologischen Instituts gewählt. Die Vorschlagsliste lautete: 
primo loco Mönckeberg und Schridde; secundo loco v. Gierke und 
Dietrich; tertio loco Ricker und Löhlein. — Königsberg. An 
Stelle des nach Breslau übersiedelnden Herrn Hencke wurde Hedinger- 
Basel als Professor der pathologischen Anatomie berufen. Habilitiert: 
Dr. Reiter für Hygiene. — Rostock. Habilitiert: DDr. Hanscr und 
B. Wolff für Pathologie. — Leipzig. Geheimrat Tillmanns wurde 
zum ordentl. Honorarprofessor ernannt. — Breslau. Der Leiter der 
Hilfsexpedition vom Deutschen Roten Kreuz nach Griechenland, Professor 
Dr. Coenen, wurde von der medizinischen Gesellschaft in Athen zum 
Ehrenmitglied ernannt. — Wien. Habilitiert: DDr. Neurath (Kinder¬ 
heilkunde) und Stern (Neurologie). — Prag. Als Nachfolger des nach 
Königsberg übersiedelnden Prof. Ho ff mann sind für den Lehrstuhl der Phy¬ 
siologie vorgeschlagen: 1. Zoth-Graz, Tschermak-Wien, 2. v. Brücke- 
Leipzig. 


Wnrnunjp! 

Neuerdings mehren sich die Fälle, dass Kassen Vorstände und Kassen¬ 
verwaltungen an einzelne Aerzte und ärztliche Lokalorganisationen mit 
scheinbar vorteilhaften Anerbietungen auf Verlängerung oder Neu¬ 
abschluss von Kassenarztverträgen herantreten. Solche Anerbieten sind 
irreführend und haben nur den Zweck, die Aerzte einseitig zu binden. 
Nur sehr wenige Krankenkassen können mit Sicherheit behaupten, dass 
sie nach dem 1. Januar 1914, dem Termin für das Inkrafttreten der 
neuen Kassensatzungen, bestimmt noch bestehen werden. Und auch 
diese wenigen sind nicht in der Lage, sichere Angaben über Zahl und 
Art ihrer Mitglieder und über ihre Leistungen zu machen und können 


das auch nicht eher, als der Bundesrat die Mustersatzungen herausgibt 
und die Oberversicherungsämter die Zulassung ausgesprochen haben. 

Wir warnen deshalb die Herren Kollegen und die Vorstände der 
Kassenarztvereiue entschieden davor, mit Kassen jetzt schon in Vertrags- 
yerhandlungen einzutreten, und bitten, falls Angebote gemacht werden, 
in jedem Falle von der betreffenden Kasse den Nachweis der erfolgten 
Zulassung und die Vorlegung der vom Oberversicherungsamte genehmigten 
Kassensatzungen zu verlangen. Wir bitten ferner, uns als der vom 
Geschäftsausschuss des Deutschen Aerztevereinsbundes eingesetzten Ver¬ 
tragscentrale von jedem solchen Angebote sofort Mitteilung zu machen 
und den Vertragsentwurf oder das Vertragsangebot einzusenden und 
unsere Gegenäusserung, welche umgehend erfolgen wird, abzuwarten, bevor 
die Verhandlungen angefangen bzw. fortgesetzt werden. 

Leipzig, Dufourstr. 18. 

Der Vorstand des Leipziger Verbandes. 

Hartmann. 


Amtliche Mitteilungen. 

PerMonalien. 

Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 3. Kl. m. d. Schleife: 
Generaloberarzt a. D. Prof. Dr. A. Köhler, bisherigem 1. Garnisonarzt 
in Berlin, Generaloberarzt a. D. Dr. G. Langhoff, bisherigem Gar¬ 
nisonarzt in Potsdam. 

Roter Adler-Orden 4. Kl.: Stabsarzt Dr. F. Lotsch an der Kaiser 
Wilhelms-Akademie für das militärärztliche Bildungswesen. 

Prädikat Professor: Privatdozenteu Dr. K. Bachem, Dr. H. Sturs¬ 
berg und Dr. E. Zurhelle in Bonn. 

Zu besetzen: Die Stelle des Kreisassistenzarztes und Assistenten bei 
dem Medizinaluntersuchungsamte in Gumbinnen. Jahresremuneration 
2000 M. Bakteriologische Vorbildung erforderlich. Die Stelle kann 
auch einem noch uicht kreisärztlich geprüften Arzte vorläufig kom¬ 
missarisch übertragen werden, wenn er den Bedingungen für die Zu¬ 
lassung zur kreisärztlichen Prüfung genügt und sich zur alsbaldigen 
Ablegung der Prüfung verpflichtet; zwei Assistentenstellen bei dem 
Königlichen Hygienischen Institut in Beuthen i. 0berscht, mit durch¬ 
schnittlich 2100 M. Jahresremuneration; für eine Stelle ist Dienst¬ 
wohnung gegen geringe Mietvergütung vorhanden, mit der anderen 
Stelle sind voraussichtlich nebenamtliche Einnahmen verbunden. 
Meldungen sofort an den Institutsdirektor. 

Niederlassungen: Stabsarzt Dr. Collmann und Arzt Dr. St. 
Roman in Thorn, Dr. K. Fürstenheim in Biesenthal, Dr. K. 
Schwarz in Barne witz, Arzt M. Ri eg er in Ambrock, Dr. W. Ray- 
mann in Bochum, Dr. W. Pixis in Frankfurt a. M. 

Verzogen: Stabsarzt Dr. M. Tollkühn von Bartenstein nach Schiess¬ 
platz Gruppe, Dr. 0. A. Sturmhöfel von Domnau nach Löbau, Dr. 
L. Wien von Dühringsbof nach Wusterhausen a. D., Dr. J. Siegel 
von Berlin nach Wilhelmshagen, Dr. H. Lehrecke von Saarmund 
nach Seiffen i. Erzgebirge, Dr. H. Sieber von Berlin-Pankow nach 
Berlin-Schmargendorf, Dr. H. Beutnagel von Neukölln nach Berlin- 
Weissensee, Dr. H. Lippschütz von Bamberg nach Berlin-Pankow, 
Dr. A. Paasche von Rostock nach Hoppegarten, Dr. R. Hinrichsen 
von Berlin-Reinickendorf nach Berlin-Steglitz, Dr. R. Silberstein von 
Berlin-Schöneberg nach Berlin-Keinickendorf, Arzt A. Jacobsohn von 
Berlin nach Berlin-Weissensee, Dr. M. Ludwig von Wiesbaden nach 
Berlin-Tegel, Dr. E. Krause von Lippehne naoh Oderberg i. M., Dr. 
E. Jacoby von Berlin nach Falkenhagen, Dr. E. Hartwig von 
Barnewitz nach Pritzerbe, Geh. San.-Rat Dr. E. Schwerin von Berlin 
nach Wannsee, Dr. J. Wertheimer von Freiburg nach Berlin-Grune- 
wald, Aerztin Dr. A. Schützer von Berlin-Friedenau nach Berlin- 
Steglitz, Dr. F. Gutsmann von Markt Bohrau nach Saarmund, Dr. 
P. Punse von Cottbus nach Kannenburg (Württemberg), Dr. K. 
Laffert von Berlin nach Kolberg, Dr. F. Gahrmann von Reisen als 
Schiffsarzt nach Greifswald, Arzt M. Görski von Frankfurt a. 0. nach 
Posen, Dr. V. Thom von Breslau nach dem Balkan (Kriegsschau¬ 
platz), Oberstabsarzt Dr. H. Lischke von Cosel nach Schweidnitz, 
Dr. H. Dengg von Kissingen nach Obernigk, Dr. P. Grosse-Bei- 
lage von Berlin nach Gladbeck, Dr. J. Ebbert von Bremen nach 
Münster, Arzt B. Stahr von Münster nach München, Dr. J. Kautak 
von Berlin nach Hamm, Dr. K. Fischer von Düsseldorf nach Hagen, 
Dr. H. Dessloch von Würzburg nach Wattenscheid, Dr. F. Silber- 
siepe von Berlin nach Soest, Dr. J. Hermans von Kiel nach Dort¬ 
mund, Dr.R. Wessing von Duisburg nach Eickelborn, Dr.G. Sprave von 
Neheim nach Hagen, Dr. L. Winter von Hanau nach Markt-Red witz, 
Dr. J. Richard von Effelden nach Hanau, Dr. H. Marcus von 
Frankfurt a. M. nach der Schweiz, Dr. P. Holtschmit von Bonn 
nach Wiesbaden, Aerztin Dr. F. Leuss von Frauendorf nach Bendorf, 
San.-Rat Dr. M. H. Bach von Bertrich nach Bad Elster, Arzt J. Haas 
von Aachen nach Zweifall. 

Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. W. Schwarz¬ 
bach von Greifswald. 

Gestorben: Dr. P. Oppler, Dr. N. Loeser und San.-Rat Dr. H. 
Seiffert in Breslau, Dr. P. Schäfer in Frankfurt a. M., Dr. A. 
Schaffner in Wiesbaden. 


Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hana Kohn, Berlin W., Bayrenther Strasse 42. 


Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4. 


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Original frnrri 

UNIVERSITÄT OF IOWA 


BERLINER 


Die Berliner Klinische Wochenschrift erscheint jeden 
Montag in Nummern von ca. 5—6 Bogen gr. 4. — 
Preis vierteljährlich 6 Mark. Bestellungen nehmen 
alle Buchhandlungen und Fostanataltcn an. 


Alle Einsendungen für die Redaktion und Expedition 
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung 
August Hirschwald in Berlin NW., Unter den Linder 
No. 68, adressieren. 



Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 


Redaktion: 

Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posncr und Dr. Hans Kolm. 


Expedition: 

August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin. 


Montag, den 7. April 1913. M 14. 


Fünfzigster Jahrgang. 


I N H 

Originalien: Boas: Die Therapie der Magen-und Darmblutungen. S. 621. 
Nauwerck und Lübke: Gibt es eine gallige Peritonitis ohne Per¬ 
foration der Gallenwege? (Aus dem pathologisch-hygienischen 
Institut der Stadt Chemnitz.) (Ulustr.) S. 624. 

Citron: Zur Therapie der Angina Plaut-Vincenti. (Aus der 
II. medizinischen Klinik der Königl. Charite.) (Ulustr.) S. 627. 
Kutscher: Ueber die Händedesinfektion mit Bolusseife und -paste 
nach Liermann. (Aus der hygienisch-bakteriologischen Abteilung 
des medizinischen Untersuchungsamtes bei der Kaiser Wilhelms- 
Akademie.) S. 629. 

Frank und Heimann: Ueber Erfahrungen mit der Abderhalden- 
schen Fermentreaktion beim Carcinom. (Aus der medizinischen 
Klinik und der Frauenklinik der Universität zu Breslau.) S. 631. 
Proescher: Zur Aetiologie der Tollwut. (Illustr.) S. 633. 
Magnus: Konservierung von Dauerpräparaten in konzentrierter 
Zuckerlösung. (Aus der chirurgischen Klinik, Marburg.) S. 636. 
Rous und Murphy: Beobachtungen an einem Hühnersarkom und 
seiner filtrierbaren Ursache. (Aus den Laboratorien des Rocke- 
feller Institute for Medical Research, New York.) S. 637. 

Brünn und Goldberg: Das Cisternenproblem bei der Bekämpfung 
der Malaria in Jerusalem. (Aus dem Health-Bureau Jew. Agr. 
Exp. Stat. Jerusalem.) (Illustr.) S. 639. 

Bücherbesprechmigeii: Jeger: Die Chirurgie der Blutgefässe und des 
Herzens. S. 640. (Ref. Unger.) — Krause und Heymann: Lehr¬ 
buch der chirurgischen Operationen an der Hand klinischer Beob¬ 
achtungen. S. 641. (Ref. Borchardt.) — Müller: Vorlesungen über 
Infektion und Immunität. S. 641. Denkschrift über die seit dem 
Jahre 1903 unter Mitwirkung des Reiches erfolgte systematische 
Typhusbekämpfung im Südwesten Deutschlands. S. 641. Köhler: 
Jahresbericht über die Ergebnisse der Tuberkuloseforschung 1911. 
S. 642. Fraser: A Manual of Immunity for Students and Practi- 
tioners. S. 642. (Ref. Möllers.) 


ALT. 

Literatnr-Aaszüge: Anatomie. S. 642. — Physiologie. S. 642. — Phar¬ 
makologie. S. 642. — Therapie. S. 642. — Allgemeine Pathologie 
und pathologische Anatomie. S. 643. — Diagnostik. S. 643. — 
Parasitenkunde und Serologie. S. 643. — Innere Medizin. S. 643. — 
Psychiatrie und Nervenkrankheiten. S. 644. — Kinderheilkunde. 
S. 645. — Chirurgie. S. 645. — Röntgenologie. S. 646. — Haut- 
und Geschlechtskrankheiten. S. 646. — Geburtshilfe und Gynäko¬ 
logie. S. 647. — Augenheilkunde. S. 647. — Hals-, Nasen- und 
Ohrenkrankheiten. S. 647. — Unfallheilkunde und Versicherungs¬ 
wesen. S. 647. — Militär-Sanitätswesen. S. 647. 

Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften: Gesellschaft der Charite- 
Aerzte. S. 647. — Verein für innere Medizin und Kinder¬ 
heilkunde zu Berlin. S. 652. — Medizinische Sektion der 
schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur zu 
Breslau. S. 653. — Wissenschaftlicher Verein der Aerzte 
zu Stettin. S. 653. — Aerztlicher Verein zu Hamburg. 
S. 655. — Medizinische Gesellschaft zu Kiel. S. 655. —- 
Naturwisse nschaftlich-medizinische Gesellschaft zu Jena. 
S. 656. — Nürnberger medizinische Gesellschaft und Poli¬ 
klinik. S. 657. — Aerztlicher Verein zu München. S. 657. — 
Naturhistorisch - medizinischer Verein zu Heidelberg. 
S. 658. — K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. S. 658. — 
Gesellschaft für innere Medizin und Kinderheilkunde zu 
Wien. S. 659. — Aus Pariser medizinischen Gesell¬ 
schaften. S. 659. 

42. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 
zu Berlin. S. 661. 

XII. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie 
am 24. und 25. März 1913. S. 665. 

Zur Mortalitäts-Statistik. S. 667. 

Tagesgeschichtliche Notizen. S. 667. 

Amtliche Mitteilungen. S. 668. 


Die Therapie der Magen- und Darmblutungen. 

Von 

I. Boas-Berlin. 


Die Fortschritte auf dem Gebiete der Magen- und Darm¬ 
krankheiten in den letzten fünf Decennien spiegeln sich natur- 
gemäss auch in einer besseren Erkenntnis und einer zielbewussteren 
Behandlung der Blutungen aus den Verdauungswegen ab. Die 
richtige Einteilung des Wesens, der Art und des Sitzes der 
Blutung bedingen in erster Linie unser Handeln. Von Voll¬ 
kommenheit aber sind wir noch weit entfernt. Nicht bloss in 
nebensächlichen, sondern auch in kardinalen Punkten. Soll uns das 
entmutigen oder sollen wir uns nicht vielmehr hier wie überall 
der schönen Worte unseres unvergesslichen Meisters Nothnagel x ) 
erinnern: „Die Wissenschaft ist leidenschaftslos und 
geduldig, sie ist weder stolz noch verzagt, sie kennt 
nur eine Aufgabe: die Forschung und verfolgt nur ein 
Ziel: die Erkenntnis.“ 

Die Therapie der Magen- und Darmblutungen ist eines der 
wenigen Gebiete, das beinahe ausschliesslich dem Wirkungs¬ 
bereiche der inneren Medizin erhalten geblieben ist. Wenigstens 
in den schweren, akuten Manifestationen. Um so grösser und 
verantwortungsvoller die Pflicht des Internisten, gegenüber den 

1) Nothnagel, Das Sterben. Wien 1908, S. 17. 


Blutungen aus dem Verdauungskanal jederzeit gewappnet zu 
sein, ihre Ursachen und ihren Verlauf zu kennen und darauf den 
Plan zu ihrer Bekämpfung zielbewusst aufzubauen. 

Besässen wir blutstillende Mittel, die wir lokal oder auf dem 
Wege der Blutbahn an die blutende Partie heranbringen könnten, 
so wäre hiermit die Gefahr des Verblutungstodes, der den 
Krankeu in jedem ernsteren Falle einer abdominalen inneren 
Blutung bedroht, mit einem Schlage beseitigt, und auch die 
Furcht vor Recidiven hätte einen grossen Teil ihrer Schrecken 
verloren. Leider ist dies bis heute nicht der Fall, wenngleich 
es an zahlreichen Versuchen, solche Mittel ausfindig zu machen, 
nicht gefehlt hat. 

Es gibt aber noch einen anderen, erst in dem letzten Jahr¬ 
zehnt betretenen Weg, Blutungen des Verdauungskanals, wenn 
auch nicht immer und wenn auch nur unter gewissen Vor¬ 
bedingungen, erfolgreich zu bekämpfen: das ist der Weg der 
Prophylaxe. 

Mehr und mehr müssen wir lernen, Blutungen aus den Ver¬ 
dauungswegen, speziell den so überaus gefährlichen, aus den 
oberen, derart in ihren ersten Etappen zu erkennen und zu be¬ 
seitigen, dass die akute, schwere, lebensbedrohende oder gar 


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UNIVERSUM OF IOWA 




622 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 14. 


lebeDsvernichtende Blutung rechtzeitig verhütet wird. In dieser 
prophylaktischen Bekämpfung abdominaler Blutungen, 
auf die ich im folgenden des genaueren eingehen werde, 
erblicke ich einen sehr erheblichen Fortschritt in der 
Therapie der inneren Blutungen aus dem Magendarm¬ 
kanal überhaupt. Der erste Hinweis auf die Bekämpfung 
solcher prämonitorischen Blutungen findet sich in einer Arbeit 
von Koch mann und mir 1 ) vom Jahre 1902 und dann ausführ¬ 
licher in einer Arbeit von mir 2 ) vom Jahre 1906. Später haben 
auch Joachim 3 ) und Ewald 4 ) auf die Bedeutung und prophy¬ 
laktische Bekämpfung solcher Blutungen hingewiesen, und auch 
sonst wird man in der Literatur ab und zu entsprechenden Be¬ 
merkungen begegnen. Eine ausführliche und methodische Be¬ 
arbeitung und einen breiten Boden hat die prophylaktische 
Bekämpfung der Magenblutungen bisher leider nicht gefunden. 

Unter zweierlei Bedingungen kann man Blutungen aus dem 
Magendarmkanal prophylaktisch bekämpfen: einmal bei solchen 
Kranken, die bereits ein- oder mehreremal manifest geblutet 
' batten, und bei denen es nun darauf ankommt, in Zukunft weitere 
manifeste Blutungen gewissermaassen im Keime zu ersticken, und 
zweitens bei solchen Individuen, die entweder durch das Bestehen 
einer schweren Anämie auf gastrointestinale Blutungen verdächtig 
sind oder sonstige klinische Symptome für die Annahme einer 
zunächst noch okkulten Blutung aus den Verdauungswegen bieten. 

Die Möglichkeit einer solchen Hämoprophylaxe betrifft rein 
theoretisch betrachtet alle die zahlreichen Ursachen und Abarten 
von gastrointestinalen Blutungen, die es überhaupt gibt, vom 
Oesophagus angefangen bis zum Rectum, die Stauungsblutungen 
und die hämorrhagischen Infarkte so gut wie die aus Geschwür¬ 
oder Geschwulstbildungen. 

Naturgemäss erfordern aber unser grösstes Interesse die¬ 
jenigen, denen der Arzt gewissermaassen auf Schritt und Tritt 
begegnet: die Blutungen bei Magengeschwüren oder Duodenal¬ 
geschwüren sowie die aus Carciuomen des Magen- und Darm¬ 
kanals. Voraussetzung für die Hämoprophylaxe aus dieser Provenienz 
ist die in ihren Fundamenten seit 12 Jahren von mir be¬ 
gründete und gesicherte Lehre von den okkulten Blutungen. 

Durch diese Lehre ist es als erwiesen zu betrachten, dass 
das Ulcus ventriculi aut duodeni chronicum (auf letzteres 
Attribut lege ich den grössten Wert) nicht, wie man früher an¬ 
nahm, plötzlich zu bluten beginnt, sondern dass es okkult schon 
monate- oder jahrelang bluten kann, ehe es zu schweren mani¬ 
festen Blutungen kommt, und dass, wenn es recidiviert, dies 
wiederum nicht ohne Vorboten geschieht, sondern dass der 
recidivierenden manifesten Blutung häufig langdauernde Stadien 
kleiner okkulter Blutungen vorauszugehen pflegen. 

Dass wir dieses präparatorische Stadium nicht immer ent¬ 
decken, weil es auch für den Kranken, also auch für uns Aerzte 
ganz latent verläuft, tut der Bedeutung dieser Lehre keinen 
wesentlichen Abbruch. 

Beim Carcinom des Magens und, wie ich gleich hinzufüge 
auf Grund meiner heutigen Erfahrungen, auch bei den Carcinomen 
des Oesophagus, des Dünn- und Dickdarms ist diese Tatsache zur¬ 
zeit nicht mehr diskutabel. Wie das charakteristische pathologisch- 
anatomische Substrat eines Carcinoms das Vorliegen einer Ulceration 
ist, so ist deren klinische Manifestation die okkulte Blutung. 
Nach den ausgezeichneten, sich ausschliesslich auf Biopsien oder 
Autopsien beziehenden Untersuchungen von Zöppritz 5 ), die mit 
den meinen an sicherem Material gefundenen Zahlen merk¬ 
würdigerweise bis auf die Decimale übereinstimmen, beträgt die 
Häufigkeit der okkulten Blutungen beim Magencarcinom 94,5 pCt., 
fehlt also nur ausnahmsweise. 

Es ist selbstverständlich, dass für die prophylaktische Be- , 
kämpfung der Magenblutungen das Ulcus ventriculi weit bessere 
Chancen bietet wie die Carcinome des Magens und des Colon. 

Bei ersterem besteht unser Ziel darin, die okkulte Blutung 
therapeutisch so in Behandlung zu nehmen, als wäre es eine 
manifeste. Diese Behandlung fällt demnach zusammen mit der 
Behandlung des Magengeschwürs nach den bewährten Grund¬ 
sätzen, die wir durch Leube’s klassische Behandlungsmethode 
kennengelernt haben. 

1 ) Boas und Kochmann, Archiv f. Verdauungskrankh., Bd. 8, 
H. 1 u. 2, S. 58. 

2) Boas, Deutsche med. Wochenschr., 1906, Nr. 18. 

3) Joachim, Diese Wochenschr., 1904, Nr. 18. 

4) Ewald, Diese Wochenschr., 1906, Nr. 9 u. 10. 

5) Zöppritz, Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. inneren Med. u. Chir., 

Bd. 24, H. 8. 


Die Kranken mit okkulten Blutungen ex ulcere rotundo 
ventriculi aut duodeni gehören also ins Bett und machen eine 
systematische Milchkur (3—4 1) durch, trinken Karlsbader Mühl¬ 
brunnen mit oder ohne Salz. Handelt es sich um sehr intensive 
okkulte Blutungen, so möchte ich auf Grund von recht üblen 
Erfahrungen zu der gleichfalls von Leube inaugurierten „Brei¬ 
kur“ zunächst nicht raten, da ich mehrfach hierbei aus einer 
okkulten eine manifeste Blutung sich auswachsen sab. Dagegen 
ist gegen eine Behandlung mit feuchtwarmen Kompressen nichts 
einzuwenden. Die Breikur beginne ich erst, falls der Kranke ent¬ 
weder nur ganz minimal oder überhaupt nicht mehr blutet. 
Diese einfache Kur ist in den überwiegenden Fällen zur Beseitigung 
okkulter Blutungen aus Magen- oder Duodenalgeschwüren völlig 
hinreichend. Wie lange man sie durchzuführen hat, hängt neben 
den subjektiven Symptomen, vor allem von dem Aufhören der 
Schmerzen sowie von dem Verlauf der okkulten Blutungen ab. 

Ich habe mich davon überzeugen können, dass die Dauer 
der okkulten Blutungen sehr verschieden ist, bald nur wenige 
Tage, in anderen (torpide Geschwüre!) viele Wochen beträgt. Ein 
Schema für die Behandlung der okkulten Blutungen gibt es demnach 
nicht. Jedenfalls erlaube ich keinem Kranken, das Bett zu ver¬ 
lassen und gehe nie von der Milch- zu einer erweiterten Kur 
über, bis nicht die letzten Blutspuren, mit den feinsten kata¬ 
lytischen Blutreaktionen festgestellt, gänzlich und für mindestens 
drei bis vier Tage hintereinander verschwunden sind. 

Für die prophylaktische Bekämpfung der Blutungen beim 
Magencarcinom ist die Tatsache maassgebend, dass auch bei 
diesen sich manifeste Blutungen keineswegs so selten finden, wie 
noch vielfach angenommen wird. Schon B rin ton 1 ) beziffert sie 
auf 42 pCt., Rosenheim 2 ) auf 60 pCt., Lebert 8 ) dagegen nur 
auf 12 pCt., wobei er allerdings nur die umfangreichen Hämor- 
rhagien berücksichtigt. Nach meiner sich auf rund 100 Fälle 
von sicherem Magencarcinom erstreckenden Statistik finden sich 
makroskopisch sichtbare Blutungen in 36 pCt. Allerdings unter¬ 
scheiden sich die Blutungen aus Magencarcinom in fundamentaler 
Weise von denen aus Magen- oder Duodenalgeschwür, dass erstere 
fast nie einen lebensbedrohenden Charakter annehmen. Obgleich 
es ferner durch die zahlreichen Untersuchungen und Nachunter¬ 
suchungen der letzten zehn Jahre festgestellt ist, dass carcino- 
matöse Blutungen — wie dies ja ihrer ganzen Natur nach selbst¬ 
verständlich ist — nie zum Schweigen kommen, so ist es doch 
eine wichtige prophylaktische Aufgabe, wenigstens dem Umfang 
der Blutungen zu steuern. Auch hier wieder wird eine schonende, 
möglichst flüssige und vorwiegend Suppen, Milch und Eier 
in verschiedenen Formen und Zubereitungen als Substrat ent¬ 
haltende Diät die geeignetste Methode sein, schweren Blutungen 
zu begegnen. Selbstredend wird man auf (vorübergehende) Bett¬ 
ruhe nur da bestehen, wo die Blutungen sich durch die Unter¬ 
suchung als besonders intensiv erweisen. Die genannten pro¬ 
phylaktischen Maassregeln gelten naturgemäss nur für solche Fälle 
von Magencarcinomen, die einer operativen Behandlung überhaupt 
nicht oder nicht mehr zugängig sind. 

Die Lehre von der Hämoprophylaxe bei Magengeschwüren 
stellt uns auch sonst vor ganz andere Aufgaben wie früher. Jetzt, 
wo wir kennengelernt haben, dass zwar das einzelne Ulcus aus¬ 
heilt, die Disposition zur neuen Ulcusbildung aber bestehen bleibt, 
muss der Ulcuskranke dauernd Gegenstand der ärztlichen Ueber- 
wachung sein. Bei Auftreten neuer Schmerzen oder bei irgendwie 
auffälliger Verfärbung der Stühle muss sofort eine erneute Unter¬ 
suchung auf ein etwa beginnendes Recidiv vorgenommen werden. 
Das Recidiv als solches werden wir auch jetzt nicht immer ver¬ 
hüten können, wohl aber das Auftreten bedrohlicher, selbst im 
Genesungsfalle für den Gesamtkörper folgenschwerer Blutverluste. 

Haben wir es mit einer manifesten Blutung aus dem Magen¬ 
darmkanal zu tun, so tritt das Moment der diagnostischen Er¬ 
wägungen für einen Augenblick zurück hinter den therapeutischen 
Forderungen, welche durch die drohende Lebensgefahr bedingt 
sind. Für einen AugenblickI Denn jeder umsichtige und erfahrene 
Arzt wird selbst unter solchen kritischen Verhältnissen den Ver¬ 
such machen, sich durch Erhebung einer möglichst gründlichen 
Anamnese, durch die Besichtigung des per os oder per anum zu¬ 
tage geförderten Blutes, endlich auch durch eine selbstredend 
äusserst vorsichtige Untersuchung des Kranken ein Bild von dem 
Sitz und der Natur der stattgehabten Blutung zu verschaffen. 

1) B rin ton, Die Krankheiten des Magens. Würzburg 1862. 

2) Rosenheim, Pathologie und Therapie der Krankheiten der 

Speiseröhre und des Magens. 1896. 1 1 

3) Lebert, Die Krankheiten des Magens. Tübingen 1878. 


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UNIVERSUM OF IOWA 



7. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


623 


Was den erstgenannten Punkt betrifft, so möchte ich ancb 
an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die Lehre von den okkulten 
Blutungen von Neuem gezeigt hat, dass die früheren Dogmen von 
der verschiedenartigen Beschaffenheit des Blutes je nach dem Orte 
der Blutung keineswegs mehr aufrecht zu halten sind. Diese 
Lehre lautete bekanntlich so, dass Umwandlungen des Hämo¬ 
globins in Hämatin — also mehr oder weniger schwarze Ent¬ 
leerungen — für einen hohen Sitz der Blutungen — d. b. Magen 
oder Dünndarm —, während Entleerungen mit unverändertem 
Hämoglobin für einen tiefen Sitz der Blutquelle sprechen. Dass 
bei sehr schnellem Durchgang des Blutes und sehr copiösen 
Blutungen eine Veränderung des Blutfarbstoffes nicht stattzufinden 
braucht, dürfte bekannt sein. Dass aber auch umgekehrt bei 
tiefem Sitz der Blutungen (Coecum bis zur Flexur) sich das Blut, 
zumal bei Stagnation, sehr bald farblich verändern und ganz den 
Charakter eines Teerstuhles annehmen kann, davon habe ich mich 
im Laufe der letzten zwölf Jahre so häufig überzeugen können, 
dass kein Zweifel mehr bestehen kann. Daraus folgt, dass ein 
Urteil über den Ort der Blutung nur mit grosser Vorsicht abzu¬ 
geben möglich ist. 

Bezüglich der Natur der Blutung ist, wo nicht die ganze 
Anamnese, das Alter und die sonstigen Symptome das Krankbeits- 
bild sichern, gleichfalls grosse Zurückhaltung geboten. Ohne hier 
auf allbekannte Tatsachen zurückzukommen, möchte ich nur die 
Notwendigkeit betonen, in jedem Falle einer schweren abdominalen 
Blutung, die Leber und Milz sorgfältig zu palpieren und zu per- 
kutieren. Ich habe in meinem Leben Blutungen bei jungen Leuten, 
die ganz den Charakter von Ulcusblutungen zeigten, durch Kon¬ 
statierung einer starken Leber- und Milzschwellung beinahe prima 
vista als luetische feststellen, entsprechend behandeln und heilen 
können. Die Wassermann’sche Reaktion fiel in mehreren dieser 
Fälle stark positiv aus. 

Welches nun auch immer der Sitz und die Natur der Blutung 
sein mag, die Grundsätze der Therapie weichen nur in wenigen 
Punkten voneinander ab. Kranke mit schweren, gastrointestinalen 
Blutungen bedürfen noch mehr wie solche mit minimalen absoluter 
körperlicher und geistiger Ruhe. Gewährt die Augenblicksdiagnose 
bestimmte Anhaltspunkte für das Vorliegen einer hochsitzen¬ 
den Blutung, so ist ausser der allgemeinen Immobilisierung auch 
eine solche des Magens anzustreben. Sie wird am sichersten 
durch möglichste Nahrungsabstinenz erreicht. Kalter Tee, eis¬ 
gekühlte Milch, Eiweissgelee, alles in kleinsten, exakt dosierten 
Mengen, sind vollkommen ausreichend. Nicht die Gefahr der 
Inanition, sondern die der Verblutung ist für unser 
Handeln maassgebend. 

In früheren Jahren, als noch die Calorienlehre die Gemüter 
der Aerzte stark beherrschte, hat der Gedanke der Ernährung 
ä outrance zur Etablierung der Nährklysmenbehandlung geführt 
und lebhafte Diskussionen über Art und Form dieser Methode 
gezeitigt. Da im Himmel mehr Freude über einen Sünder herrscht, 
der Busse getan, als über tausend Gerechte, so stehe ich nicht 
an, es offen auszusprechen, dass die Nährklysmenbehandlnng 
in ihrer früheren Form entweder schon jetzt der Geschichte an¬ 
gehört oder ihr in naher Zukunft angehören wird. Ein englischer 
Autor — sein Name ist mir entfallen — hat einmal den sehr 
richtigen Ausspruch getan, dass die Nährklystiere mehr die 
Phantasie als das Nahrungsbedürfnis befriedigen. Ich stimme ihm 
vollkommen zu. 

Dagegen ist die Zufuhr von Wasser per rectum in Gestalt 
von Tropfklystieren mit physiologischer Kochsalzlösung ein aus¬ 
gezeichnetes Mittel, den Durst zu löschen und den ausgetrockneten 
Geweben neuen Turgor zu verleihen. Sie belästigen den Kranken 
sehr wenig, werden in den meisten Fällen schnell resorbiert und 
bewirken sehr bald eine bessere Füllung und Retardierung des 
Pulses. Im allgemeinen genügt 1 Liter in 24 Stunden. Zusatz 
von 16 Tropfen 1 prom. Adrenalinlösung scheint die tonisierende 
Wirkung der Tropfklystiere noch zu erhöhen. 

Auch eine auf das Abdomen gelegtp Eisblase scheint nach 
den neuesten Untersuchungen von Eichler und Schemel 1 ), 
welche unter Anwendung der Eisblase auf die Magengegend eine 
wesentliche Temperaturerniedrigung des Mageninnern feststellen 
konnten, die Blutstillung zu begünstigen. Jedenfalls ist sie 
schon als weiteres Mittel der Immobilisierung des Kranken ent¬ 
schieden zu empfehlen. 


1) Eichler und Schemel, Deutsche med, Wocbenschr., 1912, 
Nr. 51. 


Besteht, wie häufig genug, grosse motorische Unruhe, so ist 
diese mit kleinen Morphium- oder Pantopondosen zu bekämpfen. 

Mit diesen Maassnahmen kommt man in Fällen von leichten 
oder mittelschweren Blutungen vollkommen aus, ja, ich muss auf 
Grund meiner Erfahrungen ausdrücklich davor warnen, in Fällen 
dieser Art eine übel angebrachte Vielgeschäftigkeit zu entfalten. 

Die Erfahrung, dass in schweren Fällen von gastrointestinalen 
Blutungen trotz dieser Maassnahmen eine Thrombenbildung aus¬ 
bleibt, bat immer wieder den Wunsch nach spezifisch blutstillen¬ 
den Mitteln nahegelegt. Obgleich dieses Ziel noch nicht erreicht 
ist, darf die Hoffnung, solche Mittel äusfindig zu machen, keines¬ 
wegs als ausgeschlossen betrachtet werden. Was wir jetzt davon 
besitzen — ich erwähne das Wismut, das Escalin (G. Klemperer), 
die subcutanen Einspritzungen von Ergotin —, sind nur Etappen 
zu diesem Ziele. 

Auch die Gelatineinjektionen haben sich nicht in dem Um¬ 
fange bewährt, wie man früher erwartet hat. Immerhin möchte 
ich sie bei schweren Fällen innerer Blutungen nicht missen. Das 
Gleiche gilt von den rectalen Cblorcalciuminjektionen, die ja auf 
demselben Prinzip der Blutgerinnungsbeschleunigung beruhen. 
Von Adrenalin, innerlich angewandt, habe ich ebensowenig wie 
Ewald 1 ) besonders augenfällige Erfolge gesehen. 

Für sehr abundante und lebensbedrohende Magenblutungen 
haben Ewald 2 ), Minkowski 8 ) und in neuerer Zeit auch 
Kehr 4 ) als ultimum refugium Eis Wasserspülungen des Magens 
empfohlen. Ebenso empfiehlt Kaufmann 6 ), gestützt auf Erfolge, 
die er auf der Kussmaul’schen Klinik beobachtet hat, Magen¬ 
spülungen bei schweren Blutungen ex ulcere rotundo. Das Ver¬ 
fahren hat anscheinend keine Verbreitung gefunden, ich bin 
aber der Meinung, dass es doch eines Versuches in solchen Fällen 
wert ist, in denen der Magen, wie mau sich durch Palpation 
überzeugen kann, fest mit Cruormassen gefüllt ist und diese 
Massen zu einer Hypertonie des Magens führen. Allerdings eignet 
es sich mehr für das Krankenhaus als für die Privatpraxis. 

Wenn auf diesem oder jenem Wege die Blutung für den 
Augenblick zum Stillstand gekommen ist, so ist damit noch lange 
nicht ihr dauerndes Stehen garantiert. Auch sind unsere Kriterien 
für das dauernde Sistieren der Blutung nicht so sicher, wie es 
den Anschein hat. Am besten unterrichtet uns hierüber noch 
das Allgemeinbefinden und vor allem die Füllung und Frequenz 
des Pulses. Schon kleine Pulserhöhungen und eine mangelhafte 
Füllung der Arterien beweisen, dass wir noch lange nicht Herren 
der Situation sind. Der Teerstuhl, ein ausgezeichnetes Stigma 
für die stattgehabte Blutung überhaupt, lässt uns während der 
folgenden Tage im Stich, da es uns im Unklaren lässt, ob altes, 
noch nicht ganz ausgeschiedenes, ob frisches und altes oder ob 
nur frisches Blut vorliegt. 

In dubio werden wir daher gut tun, auch bei völliger 
Euphorie des Kranken in den ersten 6—8 Tagen nach der Blutung 
immer die grösste Vorsicht zu üben, namentlich bezüglich der 
Diät und der körperlichen Ruhe. 

Je tiefer eine abdominale Blutung sitzt, um so sicherer stehen 
wir ihrer Lokalisation und ihrer Ursache gegenüber, und zwar 
dank der recto romanoskopischen Untersuchungsmetboden, dereö 
methodische Ausbildung wir in erster Linie Schreiber und 
H. Strauss zu verdanken haben. Erst durch die hervorragenden 
Arbeiten dieser beiden Forscher haben wir gelernt, Blutungen aus 
Geschwüren und Geschwülsten, die bisher dem Auge verborgen 
waren, mit Sicherheit zu erkennen. Das bedeutet auch für die 
Therapie der Blutungen aus dem Bereiche der Flexura sigmoidea 
einen ganz wesentlichen Fortschritt, insofern wir nicht bloss rein 
symptomatisch die Blutung angreifen, sondern darüber hinaus — 
z. B. bei hochsitzenden Carcinomen und bei Polypen — die krank¬ 
haften Partien selbst auf chirurgischem Wege, bisweilen früh¬ 
zeitig beseitigen können. 

Aber auch da, wo zunächst eine aktive und radikale Be¬ 
kämpfung von Blutungen nicht indiziert ist, bieten tiefsitzende 
Blutungen ein erheblich dankbareres Feld für die palliative 
Behandlung als hochsitzende, schon aus dem Grunde, weil sie 
selten zu einer akuten Lebensgefahr Veranlassung bieten und 
mehr durch ihre Chronicität und die hierdurch bedingte Anämie 
unser Eingreifen erheischen. 

So gelingt es z. B. mitunter bei den auf das Rectum oder 

1) Ewald, 1. c. 

2) Ewald, Klinik am Eingänge des 20. Jahrhunderts, Bd. Ü, S;506. 

3) Minkowski, Med. Klinik, 1905, Nr. 52. 

4) Kehr, Münchener med. Wocbenschr., 1912, Nr. 25 u. 26. 

5) Kaufmann, Americ. journ. of the medical Sciences, June 1910. 

1 * 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 14. 


die Flexura sigmoidea beschränkten Blutungen infolge von Colitis 
ulcerosa durch Wismut oder Dermatoleingiessungen oder -In- 
sufflationen der Blutungen entweder vorübergebend oder dauernd 
Herr zu werden oder, wenn auch keineswegs immer, die Ge¬ 
schwürsbildung zur Heilung kommen zu sehen. 

Auch gegenüber den Hämorrhoidalblutungen befinden 
wir uns, wie ich auf Grund jahrelanger Erfahrungen behaupten 
darf, in einer erheblich günstigeren Lage wie früher, seitdem ich 1 ) 
in der methodischen Anwendung der Chlorcalciuminjektionen ein 
Mittel gefunden habe, das in den überwiegend häufigen Fällen 
die Blutung zum Stillstand gelangen lässt. Es ist begreiflich, 
dass hierdurch die Hämorrhoiden selbst nicht beseitigt werden, 
aber es hindert nichts, bei neu auftretenden Hämorrhoidalblutungen 
die Chlorcalciumbehandlung energisch, d. h. für einige Wochen 
wieder aufzunehmen. Voraussetzung für die Wirksamkeit der 
Chlorcalciuminjektionen ist, dass man über ein wirklich zuver¬ 
lässiges Präparat verfügt, was nach meinen Erfahrungen leider 
nicht immer der Fall ist. Man vergesse auch nicht, das Prä¬ 
parat als Calcium chloratum cristallisatum zu verschreiben 
und zur Vermeidung von Irrtümern die chemische Formel CaCl 2 
hinzufügen. 

Die Wirkung von Chlorcalciuminjektionen bei Hämorrhoidal¬ 
blutungen ist, richtig und methodisch angewendet, in den meisten 
Fällen eine derart prompte, dass ich wegen Blutungen allein 
schon seit Jahren weder zu einer operativen noch zu einer nicht- 
operativen Behandlung der Hämorrhoiden rate. Nur, falls neben 
häufig wiederkehrenden, schweren Blutungen ein Hämorrboidal- 
prolaps mit seinen unangenehmen Nebenwirkungen entstanden ist, 


1) Boas, Therapie d. Gegen w., 1904, Juliheft. 


oder falls starke Defäkationsbeschwerden oder sonstige Kompli¬ 
kationen vorliegen, rate ich zu einer Beseitigung der Hämorrhoiden. 

Die Magendarmblotungen, an welchem Sitz sie sich auch 
befinden und welche Ursache sie auch immer haben mögen, sind 
immer nur das Symptom einer Krankheit, nicht die Krankheit 
selbst, aber ein Symptom, das in seinen leichten wie in seinen 
schweren Aeusserungen ernstes und zielbewusstes therapeutisches 
Vorgehen fordert. 

Gestattet die Art und Lage des Falles, wie dies bei tief¬ 
sitzenden Blutungen zutrifft, nicht bloss den Sitz, sondern auch 
die Ursache der Blutung sicher zu beurteilen, so ist die kausale Be¬ 
seitigung derselben, falls angängig, die Methode der Wahl. Falls 
wie bei hochsitzenden Blutungen zwar der Sitz, nicht aber die 
Natur der Blutungen ohne weiteres zu beurteilen ist, muss die 
kausale Behandlung so lange verschoben werden, bis die Blutung 
als solche dauernd behoben ist. Worin die kausale Behandlung 
zu bestehen hat, das hängt von zahlreichen Gesichtspunkten ab: 
zunächst der Möglichkeit, das Wesen und den Sitz des zugrunde 
liegenden Leidens klar zu erkennen, sodann von der Fragestellung, 
ob eine innere oder chirurgische Behandlung Platz greifen muss, 
ferner dem Alter und der sozialen Stellung, etwaigen Kompli¬ 
kationen von seiten anderer Organe, der Gefahr von Recidiveo 
der Blutungen oder Gefahren anderer Art u. a. m. 

Allen diesen Erwägungen, die im einzelnen zu erörtern den 
Rahmen des Themas weit überschreiten würde, muss in der 
posthämorrhagischen Periode sorgfältig Rechnung getragen werden. 
Die Behandlung der Magendarmblutungen ist demnach ein über¬ 
aus wichtiger, ja in vielen Fällen lebensrettender, oft aber 
nur ein erster und vorläufiger Schritt. Die Beseitigung ihrer 
Ursachen ist ein zweiter nnd häufig weit schwierigerer. 


Aus dem pathologisch-hygienischen Institut der Stadt 
Chemnitz. 

Gibt es eine gallige Peritonitis ohne Perforation 
der Gallenwege? 

Von 

Prof. C. Nauwerck und Assistenzarzt Dr. Lübke. 

Durch die Mitteilung von Fritz Wolff 1 ), mit dessen Aus¬ 
führungen wir uns vielfach in erfreulicher Uebereinstimmung be¬ 
finden, dürften die Leser dieser Wochenschrift über den Gegenstand 
unserer Fragestellung im wesentlichen unterrichtet sein. Gestützt 
auf eine klinische und pathologisch-anatomische Beobachtung, 
vor allem aber auf das Tierexperiment, haben Clairmont und 
v. Haberer 1910 den Begriff einer „galligen Peritonitis 
ohne Perforation der Gallenwege“ einzuführen versucht. 
Nach ihrer Meinung gibt es bei Choledochusverschlüssen massige 
Gallenergüsse im Bauchraum, die nicht auf einer Unter¬ 
brechung des Zusammenhanges der Gallenwege, sondern auf einer 
„DurchWanderung, wir möchten fast sagen auf einem Filtrations- 
Vorgang“ bei scheinbar intakter Wandbeschaffenheit beruhen; sie 
nehmen einen pathologischen Prozess der Gallenwege an, der sich 
der makroskopischen Beobachtung vollständig entzieht, dessen 
Wesen in einer Durchlässigkeit der Wandungen besteht. Clair¬ 
mont und v. Haberer scheinen über die problematische Be¬ 
deutung ihres einen Falles nicht im unklaren gewesen zu sein, 
denn sie hätten ihn „als ungeklärt ad acta u gelegt, wenn ihnen 
nicht durch den Tierversuch mit seinen völlig adäquaten Befunden 
der Weg zu der vorgetragenen Deutung gewiesen worden‘wäre. 
Sie haben in der Folge nicht sowohl die eigentlich zu erwartende 
Prüfung als vielmehr eine Zustimmung gefunden, die sich bei 
Doberauer bereits zu dem etwas fragwürdigen Schlagwort von 
einer „perforationslosen Perforationsperitonitis“ steigert; 
er meint, die „abdominelle Chirurgie sei um ein neues Krank¬ 
heitsbild bereichert worden, auf welches in diagnostischer Hin¬ 
sicht sowie was Indikation und Art der Therapie betrifft, künftig 
Rücksicht genommen werden müsse“. 

Uns selbst kam auf dem Seziertisch ein Fall zu Gesiebt, der 
uns, fast wider Willen, zunächst an die Auffassung von Clair¬ 
mont und v. Haberer denken liess; erst das Mikroskop 
brachte die einfach geartete Erklärung im Sinne einer Perfo- 


1) Diese Wochenschr., 1912, Nr. 50, S. 2354; daselbst Literatur¬ 
angaben. Von Gallenergüssen aus physiologisch oder pathologisch galle¬ 
führenden Hohlorganen (Darm, Magen) soll hier nicht die Rede sein. 


ration der Gallenblase; wir stehen seitherder uns schon aus 
allgemein-pathologischen Gründen zweifelhaften Filtrationslebre 
mit noch vermehrten Bedenken gegenüber und möchten mit dieser 
unserer Meinung in einer theoretisch und praktisch ja nicht un¬ 
interessanten Frage uro so weniger Zurückbalten, als wir glauben, 
gewisse anatomische Folgezustände der Gallenstauung darlegen 
zu können, die uns wenigstens bisher nicht genauer bekannt 
waren. 

Ein 56jähriger Pickermacher Oswald W. wird am 20. V. 1912 auf 
die chirurgische Abteilung des Stadtkrankenhauses in Chemnitz auf¬ 
genommen 1 ); litt vor 12 Jahren au „Magenkrämpfen“; erkrankt jetzt 
am 14. V. morgens mit Leibschmerzen und wiederholtem, heftigem Durch¬ 
fall; erbrach anfangs Schleim, später geringe Menge kaffeesatzartiger 
Massen. Die Schmerzen waren besonders heftig in der Magengrube. 
Seither kein Stuhl, Winde erst am Tage der Aufnahme. Klage über 
fortwährendes heftiges Aufstossen und starke Trockenheit im Munde. 

Bei der Aufnahme erscheint ein mittelgrosser Mann in stark 
reduziertem Ernährungszustände mit eingefallenen Wangen, hohlen Augen; 
mässig starker Icterus; Zunge vollständig trocken, stark belegt. Ständiger 
Ructus. Puls mässig kräftig, hart, 94; Temperatur 37,6*. 

Das rechte Hypogastrium ist sehr druckschmerzhaft, ebenso das 
etwas gespannte, aber nicht aufgetriebene übrige Abdomen. Keine 
Darmsteifung. Urin eiweisshaltig. 

Die Magenspülung befördert 250 ccm grünlich-schwarze, nicht kotig 
riechende Flüssigkeit zutage. 

Am 21. V. noch immer heftiges, schmerzhaftes Aufstossen; der 
Icterus ist stärker geworden; Puls 84, kräftig; Temperatur 86,2—38,5°. 
Bei der Magenspülung 500 ccm grünliche, gallig gefärbte Flüssigkeit. 
Operation: Der zunächst unterhalb des Nabels angelegte Schnitt muss 
nach oben bis zum Schwertfortsatz erweitert werden, da sich Galle in 
grosser Menge in der Bauchhöhle befindet. Die Leber wird nach 
oben gezogen; die Gallenblase ist stark gefüllt; die Eingeweide sind 
icterisch gefärbt. Zwischen Leber und Duodenum bestehen spangen¬ 
artige Verwachsungen. „Die offenbar vorhandene Perforation 
im Gallensystem, aus der die Galle in die Bauchhöhle aus¬ 
getreten ist, kann nicht gefunden werden.“ 

Aus dem kleinen Becken und der übrigen Bauchhöhle werden 
grosse Mengen Galle durch Austupfen entfernt. Die Punktion 
der Gallenblase ergibt sirupartige, schwärzliche, zähflüssige Galle. 
Naht der Gallenblase. Einlegen von Drains in die Bauchhöhle; Naht. 

22. V. Temperatur 39°; Collaps und Tod. 

Unserem Institut wurde alsbald erstens der punktierte Inhalt der 
Gallenblase, zweitens ein Teil des Gallenergusses im Bauchraum 
übersandt; die bakteriologisch - kulturelle Untersuchung 
(Dr. Panofsky) ergab im Gallenblaseninhalt Bacterium coli; der 


1) Herrn Hofrat Prof. Reichel danken wir verbindlichst für die 
Ueberlassung der Krankengeschichte. 


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7. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


G25 


Gallenerguss war steril. Auf Gehalt an Typhusbacillen ist dabei be¬ 
sonders aufmerksam gefahndet worden. 

Die folgenden Tages von Nauwerck vorgenommene Sektion 
(Sekt.-Nr. 346) ergab im wesentlichen folgenden Befund: 

Allgemeiner Icterus. Kochsalzinfusionen an den Oberschenkeln und 
am Brustkorb. Vernähte und drainierte Laparotomiewunde an dem etwas 
aufgetriebenen Abdomen. Die Drains gehen teils ins kleine Becken, 
teils gegen die Gallenblase hin. In der Bauchhöhle findet sich, 
besonders im kleinen Becken sowie in der Gegend der rechten 
Niere, eine schwarzgrüne, gallige, wenig getrübte Flüssig¬ 
keit in geringer Menge vor; die miteingelegten Gazebäusche sind 
stark gallig durchtränkt. Im Epigastrium ist die zurückgesunkene 
weiche Leber und der Magen nur wenig sichtbar. Colon transversum 
gebläht; grosses Netz fettarm. Peritoneum durchweg feucht, gerötet, 
mit kleinsten Blutaustritten, vielfach von Fibrin belegt. 

Zwerchfellstand: 4. Intercostalraum rechts, 6. Rippe links. 

Die mässig gefüllte, von Gazebäuschen überlagerte Gallenblase, 
die den unteren Leberrand nicht erreicht, zeigt am Fundus einige strang¬ 
förmige Verwachsungen mit Duodenum und Colon transversum sowie 
eine übernähte Punktionsstelle. Foramen Winslowii für den Zeigefinger 
durchgängig. Das Duodenum enthält grünliche, gallige, schleimige 
Flüssigkeit; die Schleimhaut ist blass. Pylorus für den Zeigefinger gut 
durchgängig. Im Magen 420 ccm grün-schwärzliche Flüssigkeit; Schleim¬ 
haut raamelonniert, mit punktförmigen Blutungen. 

Bei Druck auf den Ductus choledochus dringt reichlich flüssige, 
dunkle Galle aus der Papille hervor; von einem stärkeren Druck auf 
die Gallenblase wird abgesehen. 

In den Gallengang wird durch eine eingebundene Kanüle 
Wasser eingespritzt. Dabei füllt sich die Gallenblase sowie 
ein erweiterter, subseröser Gallengang rechts vom Ligamentum 
Suspensorium. Nirgends aber tritt Flüssigkeit aus den Gallen¬ 
wegen oder aus der Leber aus. Der Ductus choledochus erweist 
sich beim Aufschneiden mässig erweitert, mit gallig imbibierter Schleim¬ 
haut; Ductus cysticus ebeuso, etwas erweitert. 

Die Gallenblase enthält dunkle, durch das eingeführte Wasser 
verdünnte Galle; die dunkelbraungrüne bis schwarzgrüne Schleimhaut 
ist leicht geschwollen. Etwa in der Mitte zwischen Hals und Grund 
fiudct sich rechterseits, nach aussen von der Linie, in der sich das Peri¬ 
toneum von der Gallenblase auf die Leber umschlägt, eine 11 mm lange, 
quergestellte, 2 mm breite, ganz oberflächliche Schleimhauterosion A, 
die sich wesentlich nur durch ihre hellere, goldgelbe Färbung kenntlich 
macht; halswärts setzt sie sich als schmälere Zunge seitlich noch 6 mm 
weiter fort, überall scharf, aber etwas fetzig abgegrenzt. Im Bereich 
der Erosion ist die Wand der Gallenblase nicht sichtlich verdünnt, auch 
nicht auffallend durchscheinend; das subseröse Gewebe ist daselbst leicht 
ödematös gequollen. Dicht am Abgänge des Ductus cysticus liegt eine 
ähnliche, rundliche, kleinere (3:3 mm)Erosion B. (Am gehärteten Präparat 
endlich zeigt sich im Fundus eine lediglich durch ihre hellere Färbung 
verdächtige, 4:5 mm messende Stelle C.) Es wird nun die Gallenblase 
mit aller Aufmerksamkeit sowohl von der Schleimhaut als von der Serosa, 
unter Zuhilfenahme von Borsten, auf Perforationen hin untersucht. 
Aber ohne Erfolg. Die Serosa trägt an verschiedenen Stellen fädige 
Fortsätze sowie umschriebene kleine Defekte, die von der operativen 
Lösung feiner Adhäsionen herrühren. An der Schleimhaut der extra- 
uud intrahepatischen Gallengänge fehlen Defekte oder sonst verdächtige 
Stellen. 

Die entsprechend grosse Leber zeigt ein ziemlich fettreiches, blass 
braungelbes, trübes, gut gezeichnetes, am linken Lappen wenig, am 
rechten stärker ikterisches Gewebe; sowohl an der Oberfläche als im 
Innern fallen einzelne bis kleinerbsengrosse Stellen durch mehr grau¬ 
rötliche Färbung auf. Der rechte Lappen ist oberflächlich gallig imbibiert, 
der linke nicht. 

Jejunum und Ile um, dessen Schleimhaut fleckig gerötet, mit 
Blutungen versehen und geschwollen ist, enthalten schleimige, dunkel¬ 
grünliche, stark gallige Flüssigkeit. Im Coecum ist geballter, grau- 
grünlicher Kot. Im übrigen Dickdarm mit Einschluss des Rectums zeigt 
sich breiiger oder geballter Kot von acholischer, grauer bis weiss- 
licher Beschaffenheit. Gallensteine werden nicht vorgefunden. Der 
Wurmfortsatz enthält wenig graugelblicben, zähen Schleim und in der 
Spitze einen herzförmigen, konzentrisch geschichteten, grauweisslichen 
Kotstein (8:5:2mm) mit brauner Schale; Bestandteile: kohlensaurer 
und schwefelsaurer Kalk; kein Cholestearin. Schlaffe, ikterische Nieren. 
In der Blase 300 ccm gelbbrauner, etwas trüber, eiweisshaltiger Harn 
(mikroskopisch Leukocyten, hyaline und Epithel-Cylinder). Eitrige 
Tonsillitis. Subepicardiale Blutungen; Sehnenflecke des Epicards. Herz¬ 
dilatation. Arteriosklerose. Pleuraverwachsungen. Lungenemphysem. 
Centrale croupöse Pneumonie des rechten Unterlappens. Fibrinös¬ 
seröse Pleuritis. Hydrocele testis; Varicocele. 

Der gallige Erguss im Bauchraum, wie er bei der Operation 
gewonnen wurde, zeigte einen Wassergehalt von 92,91 pCt.; aus der 
Leiche entnommen von 92,47 pCt. (Chemisches Untersuchungsaint, Direktor 
Dr. Behre); Zahlen also, die mit den Normalverhältnissen der Galle 
noch io Uebereinstimmung stehen würden. 

Die an einer lückenlosen, quer zur Längsachse des Organs'gelegten 
Sehnittreibe durchgeführte mikroskopische Durchmusterung des 
ganzeo Gebietes der Gallenblasenerosion A erbringt sofort den 
sicheren Beweis, dass tatsächlich eine Trennung des Zusammen¬ 
hanges durch die ganze Dicke der Wandung hindurch, wenn auch in 


ungewohnter Form, vorliegt. Das nebenstehende, bei schwacher (sechs¬ 
facher) Vergrösserung aufgenommene Mikrophotogramm vermag die 
Schilderung wesentlich zu erleichtern und abzukürzen; es gibt den 
Schnitt wieder, in dem die Zerstörung ihren Höhepunkt erreicht. 

Beherrscht wird das Bild durch ein klaffendes, gegen die Serosa 
hin leicht konvergentes Auseinanderweichen der Tunica fibrosa, deren 
dichtes, dunkles Gefüge besonders links plötzlich aufhört; die Grösse 
dieser Lücke entspricht durchaus dem geschilderten Schleimhautdefekt, 
und sie stellt demgemäss einen in der Quere bis zu 11 mm breiten, in 
der Längsrichtung 8 mm hohen Riss dar, der ganz nahe der Haftlinie 
der Gallenblase an der Leber (Figur) verläuft. An der erwähnten 
zuogenförmigen Verschmälerung übertrifft sogar die Lücke der Fibrosa 
an Grösse die Erosion. Sie setzt sich durch Subserosa und Serosa, 
aber in weit geringerer Ausdehnung, bis etwa zu 1,5 mm, fort, deren 
Ränder eine Strecke weit wellig gefaltet und an dem Defekt selbst nach 
aussen umgeschlagen erscheinen (Figur). Etwas anders gestalten sich 
die Verhältnisse an der Tunica muscularis; hier bestehen, den seit 
liehen Begrenzungen der Fibrosalücke entsprechend, zwei kleinere, eben¬ 
falls ziemlich scharf abgesetzte Unterbrechungen der Muskelzüge, während 
in den centraleren Teilen der Zusammenhang durch zum Teil gelockerte, 
meist gallig imbibierte Muskulatur gewahrt bleibt. Die Mucosa endlich 
fehlt über diesen seitlichen Muscularisdefekten ebenfalls fast völlig; über 
der erhaltenen Muskulatur ist sie da und dort io kleineren, meist gallig 
imbibierten Fetzen erkennbar. 



Die geschilderten Lücken insbesondere in der Fibrosa bedeuten nun 
keineswegs eine freie Passage durch die Wandung; sie erscheinen viel¬ 
mehr ausgefüllt durch lockeres Bindegewebe, das in Fasern oder 
dünneren Bündeln straff ausgezogen oder aber in unregelmässig ge¬ 
stalteten zusammengerollten, vielfach gallig imbibierten Formen daliegt. 
Dazwischen sind kleinere und grössere Lücken, die miteinander in Ver¬ 
bindung stehen, und zieht man die Reihe der aufeinanderfolgenden 
Schnitte zu Rate, so ergibt sich, dass zwischen Lichtung der Gallenblase 
und Peritoneairaura ein ununterbrochener Zusammenhang, aber gewisser- 
raaassen mit Hindernissen besteht, so dass der übliche Nachweis einer 
Perforation mittels Sondierung fehlschlagen musste, und auch die ange¬ 
wandte Wasserprobe versagte, indem sich wahrscheinlich, dem Innen¬ 
druck folgend, die verschiedenen Schichten ventilartig aneinander¬ 
legten. 

Dass diese Wandstelle in der Tat einmal der Galle den Durchtritt 
gewährt hat, sieht man ohne weiteres an der charakteristischen, gelben 
bis gelbbraunen, gleichraässigen Färbung der Ränder, besonders an der 
Fibrosa. Mikroskopisch treten ausserdem in den Maschen des ver¬ 
bleibenden Netzwerkes kleinere körnig-schollige und grössere, dunkel¬ 
grün durchschimmernde gallige Klumpen der verschiedensten Form 
entgegen, besonders in den seitlichen Teilen (Figur); zum Teil 
scheinen sie in Lympbgefässen als Ausgüsse zu liegen; ein grosser 
kugeliger Klumpen füllt den epithelbekleideten erweiterten Grund eines 
sonst zerstörten Luschka’schen Ganges aus. Diesen Gängen kommt 
im übrigen hier keine weitere Bedeutung zu. Auch vereinzelte Bili¬ 
rubinkristalle sind zu sehen. 

An den Rändern zeigt sich besonders im Bereich der Subserosa eine 
entzündliche Infiltration durch polynucleäre Leukocyten. 

Das geschilderte Netzwerk schliesst vereinzelte gramnegative Stäb¬ 
chen vom Aussehen von Colibacillen ein. 

Die Erosion B, ebenfalls an einer Schnittserie untersucht, zeigt 
kleine, rissige Defekte in der Schleimhaut, erhebliche Lockerung und 
Trennung der Muscularis und Fibrosa; die Lücken enthalten bis in die 
Subserosa hinein die gleichen galligen Schollen und Klumpen; die ent¬ 
zündliche Infiltration ist gleichfalls da. Die Serosa ist unverletzt, 

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626 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 14. 


Die Stelle C endlich zeigt eine ganz oberflächliche, nur die Mitte 
einnehmende, gallig imbibierte Nekrotisierung der Schleimhaut, der in 
der Fibrosa ein grösseres, mit der Oberfläche parallel laufendes, 
am Weigert-Präparat bei Betrachtung mit unbewaffnetem Auge sich 
deutlich abhebendes Lager fädig-fibrinöser Eisudation entspricht. Der 
Schleimhaut lagert sich eine körnige, Fibrinfärbung ablehnende Schicht 
mit vereinzelten Leukocyten und Epithelien auf. Eine kleinzellige ent¬ 
zündliche Infiltration der Gewebe besteht nicht. 

Ueberhaupt mag hier festgestellt werden, dass eine Cystitis im 
Sinne einer gleichmässig verbreiteten, anatomisch nachweisbaren Ent¬ 
zündung nicht bestanden bat; das Epithel freilich war vielfach defekt, 
die Bedeutung dieses Befundes bleibe dahingestellt. 

Bei der schliesslich vorgenommenen Zerlegung der noch nicht unter¬ 
suchten Teile der Gallenblase stösst man an einer Stelle D, die der 
Erosion A der Lage nach, aber links, entspricht, auf eine umschriebene 
gallige Verfärbung der tieferen Wandschichten bis in die Subserosa 
hinein. Der mikroskopische Befund gestaltet sich ganz ähnlich wie bei 
Erosion B, nur dass der Schleimhautdefekt so unerheblich war, dass 
er dem blossen Auge entgehen musste; die Serosa ist nicht durch¬ 
brochen. 

Die Deutung unseres Falles bedarf der vielen Worte nicht. 
Entscheidend fällt ins Gewicht, dass zeitweilig eine völlige 
Gallenanstauung — Icterus, Acholie des Dickdarminhalts — 
bestanden haben muss. Bereits vor der Operation zeigte die 
zweite Magenspülung, dass das Hindernis beseitigt war, und 
die Sektion erwies die Gallengänge wegsam, den Dünndarm gallen¬ 
haltig. Die Ursache der Gallenretention blieb ungeklärt und steht 
auch für die uns hier beschäftigende Frage erst in zweiter Linie. 
Immerhin möchte vor allem an Cholelithiasis — früher „Magen¬ 
krämpfe“ — zu denken sein; mit der Annahme einer Ein¬ 
klemmung im Ductus choledochus wäre das plötzlich einsetzende 
Krankheitsbild der ersten Tage ebenso befriedigend zu erklären 
wie die Behebung der Gallenretention durch freiwilligen Ueber- 
tritt des Steins in den Darm. Eine andere Auffassung lässt sich 
wenigstens aus dem Sektionsbefund schwerlich ableiten. 

Die überdehnte Gallenblase ist gerissen, es erfolgte 
der Erguss von Galle in den Bauchraum, ein Ereignis, dessen 
Zeitpunkt aus den Angaben der Krankengeschichte nicht ersicht¬ 
lich wird; von einem Trauma im engeren Sinne ist nichts bekannt; 
ob etwa Erbrechen oder Singultus mitgespielt haben, ist nicht 
zu entscheiden. Die Ruptur tritt parallel dicht neben der Linie 
ein, an der die Gallenblase auf der Leber fixiert ist; an einer 
Stelle also, die mechanisch für eine Trennung des Zusammen¬ 
hangs veranlagt erscheint; für diese Auffassung spricht auch, 
dass genau am gleichen Ort der anderen Seite sich ein aller¬ 
dings unvollständiger Einriss vorfindet. Durch ältere Adhäsionen 
war die Gallenblase übrigens, wenn man so sagen darf, in ihrer 
Bewegungsfreiheit behindert. Die Form des Wanddefektes ist 
kaum anders denn auf mechanische Einflüsse zurückzuführen. 
In erster Linie dürfte die überdehnte fibröse Schicht gerissen 
sein, Mucosa, Muscnlaris, Serosa sind in ihrem Zusammenhänge 
lange nicht so ausgiebig und in so scharfer Abgrenzung unter¬ 
brochen worden, haben sich vielmehr als dehnbarer erwiesen. 
Keinesfalls bandelt es sich etwa um einen mit Perforation enden¬ 
den geschwürigen Prozess, der von der Oberfläche her eingesetzt 
hätte; das Bild des Defektes müsste dann gerade an der Schleim¬ 
hautseite am stärksten entwickelt sein und überhaupt den nekroti¬ 
sierend eitrigen Charakter zeigen, der ihm abgeht. Zweifellos 
war die Gallenblase zur Zeit der Operation infiziert, von einer 
Cystitis aber lässt sich auch nach dem mikroskopischen Aussehen 
nicht sprechen; die kleine Schleimhautnekrose C ist offenbar 
ganz frisch entstanden. 

Der Gallenerguss ins Peritoneum wird so lange angehalten 
haben als das Abflusshindernis bestand. Hätte in diesem 
Zeitpunkt die Operation oder die Sektion stattge¬ 
funden, so zweifeln wir nicht daran, dass die Perfo¬ 
ration gefunden worden wäre. Aber schon zur Zeit der 
Laparotomie hatte die Gallenretention ihr Ende gefunden, die 
Spannung nachgelassen, die Gallenblase als kontraktiles 
Organ ihren Gleichgewichtszustand wiedergefunden, der patho¬ 
logische Gallenabfluss aufgehört. Und bei der Sektion ver¬ 
mochte unter diesen veränderten Verhältnissen nicht einmal die 
von uns angestellte Wasserprobe die Rissstelle der Gallenblase 
zu verraten. Der Vorstellung, dass unter günstigeren Bedingungen 
der Riss zur narbigen Ausheilung gekommen wäre, steht ein 
stichhaltiger Einwand nicht entgegen. 

Welche Folgerungen haben wir nun aus vorstehender Mit¬ 
teilung zu ziehen, um ^zur Beantwortung unserer Frage zu ge¬ 
langen? * ; 

Erstens: Die Unmöglichkeit, bei der Operation oder Sektion 


den Nachweis einer Perforation der Gallenwege zu leisten, be¬ 
weist noch nicht, dass eine solche nicht vorher bestanden und 
den peritonealen Gallenerguss verursacht hat, denn die Perforation 
kann sich zu dieser Frist derart verschlossen haben, dass sie 
nicht aufgefunden wird. 

Zweitens: Ein Urteil, welches auf Grund der Betrachtung 
mit blossem Auge gefällt wird, genügt nicht, um in diesem Sinne 
das Vorhandensein einer Perforation auszuscbliessen; Sicherheit 
wird nur durch eine erschöpfende mikroskopische Unter¬ 
suchung zu gewinnen sein. Alle Fälle also, bei denen lediglich 
die operative Autopsie in Tätigkeit trat, müssen als nicht beweis¬ 
kräftig von vornherein abgelehnt werden. Wir halten es Übrigens 
auch sonst nicht für durchführbar, bei der Operation alle 
Möglichkeiten sogar noch offener Perforation aufzusuchen und 
auszusch Hessen, die hier in Betracht kommen; wir denken dabei 
z. B. an die Rupturen snbseröser Gallengänge der Leber 
bei Gallenstauung, auf die besonders Nauwerck 1 ) selbst und durch 
Karrillon 2 ) aufmerksam gemacht hat; diese Perforationen ent¬ 
ziehen sich sogar bei der Sektion vermöge ihrer Kleinheit ond 
des öfter verzwackten Sitzes leicht der Betrachtung, so dass sie 
unter Umständen erst bei der Wasserprobe erweislich werden. 
Seither sahen wir einen weiteren Fall allgemeiner fibrinöser Peri¬ 
tonitis bei einer 73 jährigen Frau mit 1200 ccm fast reiner Galle 
im Bauchraum; der Ductus choledochus war durch einen Stein 
verlegt, die prallgefüllte Gallenblase enthielt Steine; an der Ober¬ 
fläche des rechten Leberlappens bestand eine durch Fibrin ver¬ 
deckte stecknadelkopfgrosse Perforation, die in einen erweiterten 
subserösen Gallengang führte. 

Lassen wir nun von diesem neugewonnenen Standpunkt aus 
die bisher beschriebenen Fälle an uns vorübergehen. Da ist zu¬ 
nächst die grundlegende Beobachtung von Clairmont und 
v. Haberer: GallessteinVerschluss des Ductus choledochus, der 
an dieser Stelle „dunkel verfärbt scheint, so dass der Verdacht 
auf beginnende Gangrän naheliegt“. Der Stein wird bei der 
Operation in die Gallenblase zurückgedrängt und extrahiert. Die 
Sektion ergab: Im Gallengang noch zwei Steine; die Gallen¬ 
blase „zeigte ziemlich ausgedehnte Entzündung ihrer Schleimhaut 
mit mässiger Schrumpfung ihrer Wand. Eine Perforation der 
Gallenwege konnte nirgends gefunden werden, auch keine daraufhin 
verdächtige Stelle. Es fand sich auch kein geschwüriger Prozess 
im Ductus choledochus“. Das Verhalten der Leberoberfläche ist 
nicht ausdrücklich erwähnt, doch zweifeln wir keinen Augen¬ 
blick, dass sie sorgfältig abgesucht worden ist. Dagegen ver¬ 
missen wir die mikroskopische Untersuchung der doch nicht 
intakten Gallenblase und der suspekten Stelle des Gallen¬ 
gangs. Für uns gilt die Beobachtung somit um so weniger als 
beweiskräftig, als die Krankengeschichte geradezu auf eine akute 
Perforation am Gallengangsystem, und zwar der Gallenblase, 
nicht aber auf einen langsamen Filtrationsvorgang hindeutet: 
„In den letzten Tagen des Januar nahmen die Schmerzen im 
Bauche wieder an Intensität wesentlich zu. Pat. hatte das 
Gefühl, als wenn ihm im Bauch etwas platze; der Stuhl 
blieb, trotz abnehmendem Icterus vollkommen acholisch. 
Am 30. Januar war zum erstenmal freie Flüssigkeit im Banch 
nachgewiesen worden, die nun von Tag zu Tag zunahm. Der 
Gallenblase entsprechend war keine Resistenz mehr tastbar; 
während Mitte Januar die Gallenblase deutlich palpabel 
war.“ Zwischen der Operation, die die Gallenretention beseitigte, 
und dem Tode lagen vier Tage, Zeit genug, an der Gallenblase 
ähnliche Verhältnisse wie in unserem Falle zu schaffen. 

Ueber ihre Tierversuche, denen entscheidende Bedeutung 
beigelegt wird, machen Clairmont und v. Haberer lediglich 
folgende Angaben: Unter zahlreichen Hunden, denen wir den 
Ductus choledochus unwegsam machten, fanden sich vier Tiere, 
die einen ganz auffallenden Verlauf zeigten: ein stärkerer Icterus 
blieb aus; es fiel eine Zunahme des Bauchumfanges auf und alle 
diese Tiere gingen f plötzlich ein. Obduktion: Intensiver Icterus 
der Bauchdecken, während die übrige Haut und Muskulatur keine 
oder nur geringe icterische Verfärbung zeigte. Im Abdomen fand 
sich gallige Flüssigkeit in ausserordentlich reichlicher Menge. 
In keinem der Fälle war der Ductus choledochus durchgängig. 
Die Gallenblase war jedesmal vergrössert, aber nicht prall ge¬ 
füllt, und trotz genauem Zusehen war eine Perforation der Gallen¬ 
wege nicht zu finden. 


1) Münchener med. Wochensohr., 1905. 

2) Zur Statistik und Kasuistik der Gallensteinkrankheit. Inaug.-Diss. 

Leipzig 1909. (4 Chemnitzer Fälle.) ^ 


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7. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


627 


Unterbindungen des Choledochos sind an Tieren, auch an 
Händen, bekanntlich schon vielfach gemacht worden 1 )) ohne dass 
unseres Wissens die Beobachter genötigt gewesen wären, ähnliche 
Ueberlegungen wie Clairmont und v. Haberer anzustellen. 
Wohl aber sind dabei, wenigstens bei Meerschweinchen, Rupturen 
der Gallenblase mit den entsprechenden Gallenergüssen im Bauch¬ 
raum vorgekommen 2 ). Die subjektive Ueberzeugung der beiden 
Autoren in allen Ehren; den unbeteiligten Leser aber ohne weiteres 
zu ihrer neuen Ansicht, dass die Galle bei den vier Hunden 
durch eine Art von Filtration ausgetreten sei, zu bekehren, wäre 
die Mitteilung genauer Einzelprotokolle und die Benutzung des 
Mikroskops doch wohl erforderlich gewesen. Zunächst können 
wir also auch den experimentellen Beweis ihrer Lehre nicht für 
sicher erbracht halten. 

Doberauer’s erster Fall, der eine rein operativ gewonnene 
Beobachtung darstellt, scheidet schon aus diesem Grunde für uns 
aus; Fritz Wolff nimmt wohl mit Recht an, dass es sich nur 
um eine nicht aufgefundene, traumatische Perforation eines 
galiefUhrenden Organs gehandelt habe. 

Bei Doberauer’s zweitem Falle, bei dem der dunkle, zäbe, 
mit wenig Eiter vermischte Gallenerguss in der Bauchhöhle 
Typhusbacillen in Reinkultur enthielt, wurde die Cholecysto- 
tomie an dem gefüllten, glatten, 'zarten Organ vorgenommen; 
Heilung. Auch hier fehlte die Gelegenheit zu genauer, nament¬ 
lich mikroskopischer Untersuchung. Doberauer’s Beobachtungen 
fallen übrigens ein Jahr vor die Publikation Clairmont’s und 
v. Haberer’s, die ihm so überzeugend erschien, dass er die 
neue Lehre auf seine bis dabin vorsichtiger beurteilten Fälle über¬ 
tragen zu sollen glaubte. 

Fritz Wolff endlich meint, den „experimentellen Studien 
von Clairmont und v. Haberer sei natürlich die Beweiskraft 
nicht abxusprechen“; eigene klinische Beobachtungen im Sinne 
dieser Autoren, die doch ausschliesslich die Folgen eines Chole- 
dochusverschlusses im Auge haben, bringt er nicht bei; deun 
sein dritter Fall, an den allenfalls noch gedacht werden könnte, 
muss schon deshalb hier grundsätzlich ausgeschlossen werden, 
weil der Gallengang frei war. 

Damit sind wir unseres Wissens schon am Ende der Reibe 
angelangt; sie ist sehr kurz; zu kurz, als dass wir die von uns auf¬ 
geworfene Frage bejahen könnten. Unseres Erachtens soll erst 
noch durch neue, einwandfreie Beobachtungen gezeigt werden, dass 
wirklich eine gallige Peritonitis in dem Sinne, wie es die Erst¬ 
autoren meinten, vorkommt: massiger Gallenerguss im Bauch¬ 
raum im Verlauf von Gallenstauung bei scheinbar intakter 
Wandbeschaffenheit der nicht perforierten Gallenwege. 

Dass bei eitrigen, nekrotisierenden oder gangränösen 
Prozessen der Gallenblase mit oder ohne Gallenstauung sich 
mehr oder weniger gallig gefärbte peritonitische Ergüsse ohne 
nachweisbare Perforationen vorfinden können, steht dabei als eine 
besonders den Chirurgen längst geläufige Tatsache unberührt fest. 
Friedrich 3 ) berichtete neuerdings über interessante derartige Be¬ 
obachtungen und scheint andeuten zu wollen, dass das Mikroskop 
unter solchen Verhältnissen vielleicht doch hier und da richtige 
Unterbrechungen des Zusammenhangs aufdecken könnte. Die 
lehrreiche Beobachtung und Beschreibung einer, nach Doberauer 
als gangränös zu bezeichnenden, gallig gefärbtes Exsudat allent¬ 
halben ausschwitzenden Gallenblase durch Schievelbein steht 
schon unter dem Einfluss der ArbeitClairmont’s und v.Haberer’s, 
und vermögen wir auch deren Auffassung nicht zuzustimmen, so 
bleibe ihnen das Verdienst ungeschmälert, eine Anregung ge¬ 
geben zu haben, die sich noch weiterhin als fruchtbringend er¬ 
weisen dürfte. 

Aus der II. medizinischen Klinik der Königl. Charite. 

Zur Therapie der Angina Plaut-Vincenti. 4 ) 

Von 

Jnliis Citroa. 

Die Angina Plaut-Vincenti besitzt ihre klinische Bedeutung 
vor allem dadurch, dass sie in ihrem äusseren Anblick eine 
grosse Aehnlichkeit mit der Diphtherie und der Lues hat. Sie 

1) Tsunoda, Virchow’s Archiv, 1908, Bd. 193. 

2) Ogata, Ziegler’s Beitr., 1913, Bd. 55., 

3) Akute Gallenblasengangrän, unit ,und ohne Steinbefund in der 
Gallenblase. Deutsche med. Wochensehr., 1911, Nr. 19. 

4) Nach einer Demonstration in der Hufelandisohen Gesellschaft. 


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ist seinerzeit, im Jahre 1894, auch in der Tat von Plant in der 
Weise entdeckt worden, dass er bei der bakteriologischen Unter¬ 
suchung einer grossen Reibe von Diphtheriefällen auf Kranke 
aufmerksam wurde, die im Rachen an den Tonsillen geschwürige 
Prozesse besassen, die von den Aerzten ohne weiteres als Diph¬ 
therie angesprochen worden, sich aber dadurch von dieser Krank¬ 
heit unterschieden, dass im Ausstrich mikroskopisch keine Diph- 
theriebacilleD, sondern andere, eigentümliche Mikroorganismen 
nachgewiesen wurden. Auch bei der Anwendung des Kultur¬ 
verfahrens wuchsen ans solchen Erkrankungsformen keine Diphtherie¬ 
bakterien. Die für die Angina Plaut-Vincenti charakteristischen 
Mikroorganismen sind eigentümlich grosse, stets za zweit liegende, 
spiessförmige Bakterien, die sogenannten Bacilii fusiformes, und 
mit ihnen fast immer kombiniert vorkommende Spirochäten. So¬ 
wohl die fusiformen Bacillen als auch die Spirochäten waren 
schon vorher als mehr oder minder harmlose Mund- und Zahn¬ 
bakterien bekannt gewesen, insbesondere zeigte es sieb, dass unter 
dem Zahnfleisch, häufig auch bei ganz Gesunden, diese Mikroben 
vorzukommen pflegen. Was die Angina Plaut-Vincenti bakterio¬ 
logisch charakterisiert, ist demnach nicht da9 blosse Zusammen¬ 
sein dieser beiden Mikroorganismenarten, sondern vielmehr die 
Tatsache, dass sie bei der Angina Plant-Vincenti in den er¬ 
krankten Fällen in ungeheurer Menge und nahezu in Reinkultur 
vorzukommen pflegen. In den meisten Fällen findet man beide 
Mikroparasiten in Symbiose miteinander vor, jedoch sind ein- 
wandsfreie Fälle bekannt, in denen entweder nur fusiforme 
Bacillen oder nur Spirochäten sich fanden. Die ausserordentlich 
häufige Symbiose der fusiformen Bacillen mit den Spirochäten 
hat schon sehr früh den Gedanken nahegelegt, dass es sich gar 
nicht um zwei differente Mikroorganismen handle, sondern viel¬ 
mehr am verschiedene Entwicklungsstadien desselben Mikropara¬ 
siten. Erst die neueren Versuche von Müh lens, dem es gelang, 
sowohl fusiforme Bacillen als auch Spirochäten in Reinkultur zu 
züchten and dabei den Nachweis zu führen, dass es sich uih an¬ 
aerobe Lebewesen handelt, zeigten, dass es sich wirklich um zwei 
verschiedene Mikroorganismen handeln müsse. Die Untersuchungen 
von Mühlens wurden in allerjüngster Zeit dnreh Shma- 
mine bestätigt, dem es gelang, die Bacilii fnsiformes dnreh 
89 Generationen weiter zu züchten, ohne dass er jemals einen 
Uebergang derselben in Spirochäten gesehen hätte. 

Was die Natur der bei Angina Plaut-Vincenti gefundenen 
Spirochäten betrifft, so wurden diese früher einfach als Miller’sche 
oder Zahnspirochäten knrzweg bezeichnet. Seitdem in neuerer 
Zeit da9 Interesse für die einzelnen Spirochäten formen grösser 
geworden ist, haben jedoch eingehende Untersuchungen gezeigt, 
dass es im Munde eine grössere Reibe verschiedenster Spiro- 
cbätenarten gibt, deren Differenzierung bisher in einwandsfreier 
Form noch nicht geglückt ist. Besondere Verdienste am die 
Spezialforschung auf diesem Gebiete haben sich Gerber und 
Commandon erworben. Gerber unterscheidet im Monde sechs 
verschiedene Arten von Spirochäten: 

1. Spirochaeta undulata, 


2. 

n 

inaequalis, 

3. 

n 

dentinm, 

4. 

ti 

recta, 

5. 


tennis, 

6. 

n 

denticoli. 


Commandon unterscheidet sogar acht verschiedene Arten. 

Die Differenzierung der einzelnen Spirochätenarten ist da¬ 
durch erschwert, dass ihre Form und ihr Anssehen in hohem 
Maasse von der Untersnchnngsmethode, die man anwendet, ab¬ 
hängig ist. Konnte doch Gerber zeigen, dass bei dem gleichen 
Material sich z. B. im Dunkelfeld massenhaft Spirochäten and 
nnr ganz vereinzelt fusiforme Bacillen nachweisen Hessen, während 
bei der Metbylgrün-Pyroninfärbung die Spirochäten fast gar nicht 
zur Darstellung gelangten, während die fusiformen Bacillen in 
ungeheuren Massen vorhanden erschienen. Für meine eigenen 
Untersuchungen zog ich die Färbung mit Carboifuchsin vor, in 
welchem beide Mikroorganismenarten in ziemlich gleich guter 
Weise zur Darstellung gelangen. Welche von den vielen Spiro¬ 
chätenarten des Mundes die mit den fusiformen Bacillen meist 
kombinierte Spirochäte der Angjna Plant-Vincenti ist, lässt sich 
bisher noch nicht mit Sicherheit ingeben, 'doch dürfte in den 
meisten Fällen nicht die Spirochaeta dentinm, sondern vielmehr 
die früher als Spirochaeta buccalis bekannte in Betracht 
kommen, die allem Anschein nach der Spirochaeta undulata 
Gerb er’s entspricht ., Es wäre aber ein grosser Fehler, wollte man 
annehmen, dass es sich hei den fnsiformen Bacillen und den Spiro- 

2 * 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 14. 


chäten um Erreger handelt, die ausschliesslich bei der Angina 
Plaut Vincenti Vorkommen würden, vielmehr hat schon Miller 
darauf hingewiesen, dass sich die gleichen Infektionserreger auch 
bei einer Reihe anderer Mundkrankheiten vorfinden, so insbesondere 
bei der Gingivitis marginalis, ferner bei einer bestimmten Form 
von Pulpitis und bei gewissen Periostitiden und Abscessen. Man 
kann ganz allgemein sagen, dass alle diejenigen Krank¬ 
heiten, die zu Geschwürsbildung in der Mund-Rachen¬ 
höhle Anlass geben, auch sekundär von fusiformen 
Bacillen und Spirochäten infiziert werden können. Dem 
entspricht es, dass man diese Mikroben auch bei der Stomatitis 
mercurialis, bei der Alveolarpyorrhöe, bei Noma, bei Skorbut, bei 
syphilitischen Geschwüren, mögen diese primärer, sekundärer oder 
tertiärer Art sein, bei Krebs usw. gefunden hat. Es beschränkt 
sich die Infektionsmöglichkeit der genannten Mikroben auch keines¬ 
wegs nur auf die Mund-Rachenhöhle, es sind vielmehr auch In¬ 
fektionen an andererStelle bekannt. So sind von Verneuilh und 
Clado Fälle von'Abscessen der Sublingualisspeicheldrüsen und 
einmal ein Abscess an der Fingerspitze beschrieben worden, der 
durch Verletzung mit einem alten künstlichen Gebiss verursacht 
worden ist. 

Was das klinische Bild der Angina Plaut-Vincenti betrifft, so 
ist es meist dadurch ausgezeichnet, dass dem ausserordentlich 
auffälligen Lokalbefunde meist nur eine geringe subjektive 
Störung entspricht, und dass das Fieber oft ganz fehlt oder nur 
in den ersten Tagen vorhanden ist. Gerade diese Differenz 
zwischen dem objektiven Befund und dem subjektiven Befinden 
der Kranken ist es, welche zuerst Befremden erregen muss und 
insbesondere an der Diagnose Diphtherie zweifeln lässt. Zur 
Differentialdiagnose gegen Syphilis, mit der die Angina Plaut-Vin¬ 
centi gleichfalls leicht verwechselt werden kann, hat Andreya 
das Aufbringen von verdünnter Chromsäurelösung empfohlen, 
welche die Syphilisplaques gelb färben soll, während die Beläge 
der Diphtherie und der Angina Plaut-Vincenti diese Farbe nicht 
annehmen. Sicherer als dieses Verfahren ist jedoch die sero¬ 
logische Blutuntersuchung nach Wassermann. Zwar hat Much 
in einer Arbeit einmal die Behauptung aufgestellt, dass auch die 
Angina Plaut-Vincenti Anlass zu einer positiven Wassermann- 
schen Reaktion geben könne; glücklicherweise hat sich jedoch 
diese Angabe Much’s, wie fast alles, was dieser Autor zur Frage 
der Wassermann’schen Reaktion publiziert hat, als unrichtig 
erwiesen. Die Beobachtungen aller Autoren, die sich seitdem 
mit dieser Frage beschäftigt haben, Rumpel, Plaut, Sobern- 
heim sowie meine eigenen Fälle, sprechen dafür, dass die 
Wassermann’sche Reaktion ein ausgezeichnetes differential¬ 
diagnostisches Mittel zur Unterscheidung von Syphilis und Angina 
Plaut-Vincenti ist. Besonders lehrreich in dieser Beziehung sind 
die Fälle Sobernheim’s. Sobernheim hatte Gelegenheit, drei 
Fälle von Plaut-Vincenti’scher Angina zu untersuchen. Er fand 
nur einen dieser Fälle negativ, die beiden anderen aber positiv 
reagierend. Der eine der beiden positiv reagierenden Fälle hatte 
jedoch nachweislich Syphilis gehabt, während bei dem zweiten 
dieses vorher unbekannt war. Kurze Zeit jedoch nach der Unter¬ 
suchung stellten sich bei diesem Kranken sekundäre syphilitische 
Erscheinungen ein und bewiesen damit, dass in der Tat die 
Wassermann’sche Reaktion mit Recht positiv ausgefallen war. 
Wir hatten schon vorher erwähnt, dass die Kombination der 
sekundär infizierten Syphilisgeschwüre mit fusiformen Bacillen 
und Mundspirochäten nichts Seltenes darstellt. Ganz neuerdings 
erst hat wiederum Fritsch einen derartigen Fall demonstriert, 
bei dem sich auf der rechten Tonsille ein Ulcus vorfand und zu¬ 
gleich eine Halsdrüsenschwellung bestand. Die bakteriologischen 
Untersuchungen ergaben das Vorhandensein von Mundspirochäten 
und fusiformen Bacillen. Die Wassermann’sche Reaktion fiel da¬ 
gegen positiv aus. Auch in diesem Falle hat eine syphilitische 
primäre Affektion auf der Tonsille den Boden für die Angina 
Plaut-Vincenti bereitet. 

In den allerhäufigsten Fällen freilich dürfte die 
Angina Plaut-Vincenti mit Zahnerkrankungen im Zu¬ 
sammenhang stehen. Insbesondere scheint es, als ob die 
Gingivitis marginalis, die ja, wie bereits erwähnt, den gleichen 
Bakterien ihre Entstehung verdankt, den Anlass zur Entstehung 
der Angina Plaut-Vincenti abgäbe. Bei der Durchsicht der in der 
deutschen Literatur publizierten Krankeitsfälle fiel es mir auf, dass 
bei zahlreichen Patienten irgendein Zusammenhang mit einer Zahn¬ 
erkrankung vorzuliegen schien. Vielleicht würde dieser Zusammen¬ 
hang noch offensichtlicher sein, wenn die untersuchenden Aerzte 
häufiger an die Möglichkeit eines derartigen Zusammenhanges ge¬ 


dacht und entsprechend die Patienten gefragt hätten. Auch in den 
Fällen, über die ich nachher zu berichten haben werde, 
bestand eiu derartiger Zusammenhang. Der eine der Patienten 
zeigte deutliche Uebcrreste einer Gingivitis marginalis. Der 
andere Patient ist seinem Berufe nach ein Zahntechniker und 
hat als solcher häufiger mit erkrankten Zähnen zu tun. 
Auch gibt er selbst an, dass, bevor an der Tonsille Krankheits¬ 
erscheinungen auftraten, er an dem Zahnfleisch der unteren 
mittleren Schneidezähne ein weisses Fleckchen beobachtet habe. 

Die Tatsache nun, dass bei der Angina Plaut-Vincenti 
Spirochäten eine zweifellose Rolle spielen, gleichviel ob man nun 
in den fusiformen Bacillen oder in den Spirochäten die eigent¬ 
lichen Erreger sehen mag, hat den Anlass gegeben, der ätio¬ 
logischen Behandlung der Angina Plaut-Vincenti den Weg zu 
ebnen. 

Die erste Beobachtung, die die Berechtigung zu einer 
spezifischen Therapie zu bieten schien, war die Gerber’s, dass 
bei der Salvarsanbehandlung von Syphilitikern mit syphilitischen 
Erscheinungen in der Mundhöhle nicht nur die luetischen Pro¬ 
zesse und die in ihnen enthaltenen Sypbilisspirocbäten ver¬ 
schwanden, sondern dass vorüb?rgehend auch die nicht pathogenen 
Mundspirochäten mit beeinflusst wurden. Gerber sah, dass die 
Beweglichkeit der Mundspirochäten litt, und dass sie schliesslich, 
wenngleich nur vorübergehend, ganz aus der Mundhöhle ver¬ 
schwanden. Diese Beobachtung legte naturgemäss den Schluss 
nahe, dass das Salvarsan, ebenso wie es auf die meisten Spiro¬ 
chätenarten (Syphilisspirochäten, Recurrensspirochäten, Framboesie- 
spirochäten, Hühnerspirochäten usw.) wirkt, auch eine spezifische 
Wirkung auf die verschiedenen Mundspirochäten zu entfalten ver¬ 
mag. Rumpel, Gerber und Plaut hatten auch sehr bald Ge¬ 
legenheit, in einer Reihe von Fällen die Wirkung des Salvarsans 
auf die Angina Plaut-Vincenti zu studieren. Sie berichten über¬ 
einstimmend, dass sie mit der intramuskulären und intravenösen 
Injektion von Salvarsan gute therapeutische Erfolge erzielten, in 
dem Sinne, dass sowohl die Spirochäten und auffälligerweise 
auch die fusiformen Bacillen sehr bald verschwanden, als 
auch die klinischen Erscheinungen schnell zurückgingen, d. h. die 
Beläge sich abstiessen und die tiefen Geschwüre ausheilten. Im 
ganzen sind, soweit ich die Literatur übersehe, bisher neun Fälle 
der Angina Plaut-Vincenti in dieser Weise erfolgreich behandelt 
worden. 

Ich selbst hatte nun in jüngster Zeit Gelegenheit, zwei Fälle 
von Angina Plaut-Vincenti zu beobachten. Der erste dieser Fälle 
trifft einen Zahntechniker, der Anfang Dezember 1912 erkrankte. 
Am 17. Dezember wurde er bei uns aufgenommen. Er hatte auf 
der linken Tonsille ein tiefes Geschwür mit mächtiger diphtherie- 
ähnlicher Auflagerung (Fig. 1). Regionäre Lymphdrüsen am Halse 
geschwollen. Die bakteriologische Untersuchung des Belages zeigte 

Figur 1. 

i 

massenhaft fusiforme Bacillen und Spirochäten (Fig. 2). Ich gab dem 
Patienten eine intravenöse Injektion von 0,6 g Salvarsan (19. De¬ 
zember) und sah, in Uebereinstimmung mit den genannten Autoren, 
einen scheinbar ausserordentlich grossen Erfolg dieser Behand¬ 
lung. Bereits am dritten Tage nach der Injektion waren die 
Spirochäten anscheinend verschwunden, und aus der Tiefe des 
Geschwürs schimmerte frische Granulation hervor. Der Erfolg, 
den wir für gesichert hielten, hielt jedoch nicht sehr lange vor. 
Als wir nach 14 Tagen Gelegenheit zu einer erneuten mikroskopi¬ 
schen Untersuchung fanden, zeigte es sich, dass in dem schmierigen 
Belag wiederum eine Reinkultur von Spirochäten und fusi- 



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7. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


629 


Figur 2. 



Fusiforme Bacillen und Spirochäten. (Zeiss, Immersion. Oc. 8.) 


formen Bacillen vorhanden war. Wir versuchten erneut, durch 
intravenöse Salvarsaninjektion (11. und 17. Januar) zu einem Er¬ 
folge zu gelangen. Im kurzen Zwischenräume von sechs Tagen 
erhielt der Patient zweimal je 0,6 g Salvarsan als intravenöse 
Injektion. Auch dieses Mal war ein gewisser Einfluss der 
Behandlung festzustellen. Wiederum verkleinerte sich der Belag, 
und die Mikroorganismen verringerten sich an Zahl. Allein, es war 
von vornherein eigentlich nicht zu erwarteu gewesen, dass ein 
voller Heilerfolg eintreten würde, denn wir mussten uns sagen, 
dass es dem Salvarsan kaum möglich war, in diesen schmierigen 
Belag selbst einzudringen und die dort in Reinkultur in Massen 
wuchernden Mikroben zu erreichen. Wenngleich also für uns 
die spirochätentötende Wirkung ausser Zweifel stand, 
so mussten wir doch zu dem Schluss kommen, dass das 
Salvarsan nur dort wirken könne, wo es auch wirklich 
hingelangt, dass demgemäss für manche Fälle der 
Angina Plaut-Vi ncenti bei der Einverleibung des 
Salvarsans auf dem Blutwege nur ein vorüber¬ 
gehender oder zweifelhafter Erfolg zu erzielen sein 
würde. Nun war uns aus der Literatur bekannt, dass Zilz 
bei einer Reihe von anderen Mund- und Zahukrankheiten, in 
denen sich die Spirochäten als sekundäre Infektionserreger 
angesiedelt hatten, therapeutische Erfolge erzielte, wenn er 
diese Mundulcerationen lokal mit Salvarsan behandelte. Ferner 
hatte ein französischer Autor, Marcel Sourdel, vor kurzer 
Zeit in der Societö therapeutique zu Paris über zwei Fälle 
von Angina Plaut-Vincenti berichtet, in denen der zweite Fall 
bereits über zwei Monate mit allen anderen Mitteln vergebens 
behandelt worden war und durch eine zweimalige lokale Appli¬ 
kation von Salvarsan geheilt wurde. Ich entschloss mich 
also, auch in unseren Fällen das Salvarsan lokal anzuwenden, 
indem ich mir einfach eine Glycerin-Salvarsanaufschwemmung 1 ) 
machte, die ich mit einem Wattetupfer auf die erkrankte Ton¬ 
sille aufbrachte. Der Erfolg war ein sehr frappanter. Nach 
24 Stunden waren die fusiformen Bacillen und Spirochäten ver¬ 
schwunden, und die Heilung begann nun in unzweideutigerWeise. 
Um uns jedoch vor allen Rückfällen zu sichern, setzten wir die 
Lokalbehandlung in der Weise fort, dass wir noch an zwei 
folgenden Tagen je einmal die erkrankte Stelle pinselten. Nach 
fünf Tagen war das Geschwür, das nun schon fast zwei Monate 
bestanden hatte, vollkommen geheilt. 

Der zweite der Fälle von Angina Plaut Vincent kam in meine 
Behandlung gerade an dem Tage, an dem ich die lokale Be¬ 
handlung des ersten Patienten begonnen hatte. Das Krankheits¬ 
bild war vollkommen analog dem des ersten Patienten. Hier 
entschloss ich mich sofort, mit der lokalen Behandlung vorzu¬ 
gehen. An drei aufeinanderfolgenden Tagen wurde der Patient 
in der gleichen Weise gepinselt. Der Erfolg dieser Therapie war 
der gleiche wie bei dem ersten Fall. Die Membran verschwand 
innerhalb fünf Tagen völlig, das Geschwür reinigte sich, und die 

1) 0,1 Salvarsan mit 5 ccm Glycerin im Mörser verrieben, t 


fusiformen Bacillen und Spirochäten verschwanden. Die Ulceration 
heilte ab. Patient konnte nach zehn Tagen geheilt entlassen 
werden. Eine Nachuntersuchung einige Wochen später ergab, 
dass trotz der Abheilung sich wieder vereinzelte fusiforme Bacillen 
und Spirochäten auf der jetzt gesunden Tonsille fanden. Diese 
Wiederkehr ist typisch und wurde auch von Rumpel beobachtet. 

Ich teile diese beiden Fälle deswegen mit, weil sie einer¬ 
seits einen neuen Beweis für die ausserordentliche elektive Wirkung 
des Salvarsan auf die Spirochäten aller Arten darbieten, dann 
aber auch nicht nur, wie mir scheint, für die Behandlung der 
Angina Plaut-Vincenti, sondern auch für die anderen Spirochäten¬ 
erkrankungen uns einen wichtigen Hinweis für eventuell mögliche 
therapeutische Lokalan wendunggibt. Es wäre wohl der Prüfung 
wert, ob nicht auch schwer zu beseitigende lokale syphilitische 
Erscheinungen bei Primäraffekten, Gummen, sowie die mit Mund¬ 
spirochäten im Zusammenhang stehenden Zahnerkrankungen, wie 
Alveolarpyorrhöe, Gingivitis marginalis usw. auf diesem Wege 
schneller zur Heilung gelangen könnten. In schwierigen 
Fällen von Angina Plaut-Vincenti sowohl als bei den 
anderen genannten Krankheiten erscheint es mir sehr 
ratsam, wenn man die allgemeine Behandlung mit der 
lokalen Applikation verbinden würde, um mit der einen 
Methode die im Gewebe liegenden Spirochäten zu er¬ 
reichen, während mit der Lokalapplikation besonders 
die Spirochäten in den toten Massen, die vom Blut- 
und Säftestrom nicht mehr erreicht werden, vernichtet 
werden sollen. 


Aus der hygienisch-bakteriologischen Abteilung des 
medizinischen Untersuchungsamtes bei der Kaiser 
VV ilhelms- A kademie. 

Ueber die Händedesinfektion mit Bolusseife 
und -paste nach Liermann. 

Von 

Stabsarzt Dr. Kutscher. 

Liermann 1 ) geht von dem Gedanken aus, die in der Wund¬ 
behandlung erprobte und bewährte austrocknende, adstringierende 
Wirkung der Bolus alba auch für die Hautdesinfektion nutzbar 
zu machen. Infolge der genannten Eigenschaften der Bolus tritt 
nach seiner Ansicht auf mit Bolus behandelten Hautflächen eine 
mechanische Keimzurückhaltung und besonders infolge der aus¬ 
trocknenden Wirkung auch eine Abtötung etwa vorhandener 
Keime ein. Die keimfixierende Wirkung sucht er noch dadurch 
zu verstärken, dass er die Bolus, zu gleichen Teilen mit 96 proz. 
Alkohol gemischt, als Paste verwendet. Hierbei wird gleichzeitig 
beabsichtigt, dem Alkohol mit der feingepulverten Bolus als 
Träger das möglichst tiefe Eindringen in die Haut und damit 
eine ausgesprochene Tiefenwirkung zu ermöglichen. Der Bolus¬ 
paste werden ausserdem noch zur Erhöhung der austrocknenden 
Wirkung geringe Mengen von Glycerin und für eventuelle Be¬ 
nutzung als Wundpaste als die Granulationsbildung anregendes 
Mittel Azodermin zugesetzt. 

Vor der eigentlichen Desinfektion der Haut bzw. der Hände 
mit der Boluspaste empfiehlt Liermann eine mechanische 
Reinigung der zu desinfizierenden Teile mit einer von ihm an¬ 
gegebenen Bolusseife, einer ebenfalls pastenähnlichen Masse aus 
Bolus, Kaliseife, Glycerin und Alkohol. 

Bolusseife und -paste werden von der Aktiengesellschaft für 
Anilinfabrikation, Berlin, hergestellt und in Tuben verpackt in 
den Handel gebracht. 

Nach der Vorschrift Liermann’s sollen die Hände und 
Unterarme zunächst mit heissem Wasser abgebraust und dann 
nach gründlicher Nagelreinigung und nochmaliger Abbrausung 
unter Benutzung des zurückbleibenden Wassers mit 2—3 g Bolus¬ 
seife kurz gewaschen werden. Nach Abbrausung der Seife werden 
die Hände usw. hierauf mit einem sterilen Tuch abgerieben. 
Dann werden nach Anfeuchtung der Hände und Unterarme mit 
etwa 5 g Alkohol (96 proz.) 2—3 g Boluspaste durch Massage¬ 
bewegungen gut in die Haut eingerieben, bis die eintrocknende 
Bolus die Zeichnung der Papillarlinien deutlich erkennen lässt. 
Während längerdauernder Operationen wird empfohlen mehrmals 


1) Liermann, Deutsche raed. Wochenschr., 1911, Nr. 40 u. 41. 

3 


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UMIVERSITY OF IOWA 








BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 14. 


630 


geringere Mengen von Alkohol auf den Fingern bzw. der. Haut 
zu verreiben und eventuell auch eine erneute Imprägnierung mit 
Boluspaste vorzunehmen. 

Wie Liermann angibt, ist die Vorbereitung der Hände mit 
Boluspaste allein in ihrer keimznrückhaltenden bzw. desinfizierenden 
Wirkung gleichzusetzen derjenigen der Fürbringer’schen Methode 
der Händedesinfektion und der reinen Alkoholwaschung. Stets 
bessere Resultate soll noch die gleichzeitige Behandlung mit 
Boluspaste und -seife geben. 

Küster und Geisse 1 ), die die Bolusmethode der Haut¬ 
desinfektion prüften, kamen zu verhältnismässig recht günstigen 
Ergebnissen. Die Keimabimpfuog erfolgte bei ihren Versuchen 
durch Abkratzen der vorher in steriler physiologischer Kochsalz¬ 
lösung abgespülten Finger bzw. Onternagelräume mittels steriler 
Hölzchen, Ausschütteln der letzteren in steriler Kochsalzlösung 
und Einsaat der ausgeschüttelten Keime in Agar. Die Resultate 
entsprachen etwa den oben von Liermann bezüglich der des¬ 
infizierenden Wirkung gemachten Angaben, die dieser übrigens 
auf Grund der Untersuchungen von Küster und Geisse bekannt¬ 
gegeben hatte. Bemerkt sei hierzu allerdings, dass Küster und 
Geisse die Waschung mit konzentriertem Alkohol bei der ver¬ 
gleichsweisen Prüfung des letzteren nur auf 2, nicht, wie sonst 
üblich, auf 5 Minuten ausdehnten. 

Auch im Handschuhsaft konnten die genannten Autoren 
selbst nach längeren Operationen an mit Bolus behandelten 
Händen nur sehr wenige Keime nachweisen. 

Bei den hier vorgenommenen Versuchen mit dem Liermann- 
sehen Verfahren, die schon vor der Veröffentlichung von Küster 
und Geisse abgeschlossen waren, aber aus äusseren Gründen 
jetzt erst mitgeteilt werden, waren die Ergebnisse, wie gleich 
vorweg bemerkt sei, leider nicht so günstig. 

Die Versuchsanordnung war folgende. Von den mindestens 
24 Stunden nicht mit Desinfektionsmitteln in Berührung ge¬ 
kommenen Händen des Verfassers und eines Laboratoriumsdieners 
wurde vor und nach der gemäss der Liermann’schen Vorschrift 
vorgenommenen Behandlung mit Bolusseife und -paste in der 
Weise abgeimpft, dass die Fingerspitzen nach dem Vorgänge von 
Schumburg 45 Sekunden lang in flüssigem, auf etwa 45° ab¬ 
gekühlten, schwach alkalischen Agar in grösseren sterilen Petri¬ 
schalen unter Hin- und Herbewegen abgespült wurden. Bei den 
Versuchen 6—8 (s. Tabelle) wurden nach der Imprägnierung mit 
Boluspaste die Fingerspitzen unter Nachahmung der Verhältnisse 
bei der Operation kurze Zeit — etwa eine Minute — in steriler 
körperwarmer, physiologischer Kochsalzlösung erweicht* und dann 
erst wurde die Keimentnahme bewirkt. Während des Abspülens der 
Finger in Agar wurde eine etwaige Luftinfektion der Platten 
jedesmal nach Möglichkeit dadurch zu vermeiden versucht, dass 
über die Agarschalen, welche auf einem mit Sublimatlösung ge¬ 
tränkten Tuch standen, eine grosse mit der gleichen Lösung 
feucht ausgewischte Glasglocke gehalten wurde. 

Die Platten wurden 48 Stunden bei 87° gehalten und dann 
ausgezählt. Das Ergebnis ist aus der folgenden Tabelle 1 er¬ 
sichtlich, die einige der in grösserer Anzahl ausgeführten, in 
gleichem Sinne verlaufenen Versuche wiedergibt. 


Tabelle 1. 


•s- 








Ä _ 

J3 fl 



Vorher 



Nachher 


Bemerkungen 

o o 

gl 

> 








«5 Gk 
>■ 

l 

L. 

20 200 Keime 

L. 

80 428 Keime 


Ku. 


R. 

1560 


R. 

1 894 


— 


2 

L. 

62 755 


L. 

24 570 


— 



R. 

6 075 


R. 

496 


— 


3 

L. 

680 


L. 

5 630 


— 



R. 

466 


R. 

524 


— 


4 

L. 

80 658 

» 

L. 

62 512 


— 

Sch. 


R. 

64464 


R. 

70 218 

m 

— 


5 

L. 

90 400 


L. 

50 264 


— 

Ku. 


R. 

165 620 


R. 

1 200 


— 


6 

L. 

40 500 


L. 

80428 


Vor der rweilon Ab- 



R. 

60 776 

ff 

R. 

130 554 

V) 

impfungeine Minute in 
steriler NaCI-Losung 









nachgespult 


7 

L. 

66 426 . 

i , » 

L. 

54 860 

n 

do. 

n 1 


R. 

18j900 

überwuchi 

r> 

R. 

6 224 

n 

,. do. 

1 

8 

L. 

Brt 

L. 

560 

n 

*do. 

Sch. 


R. 

74 210 Keime 

R. 

9 042 (f 

ü” 

do. 

ii* i 



1) Küster und Geisse, Deutsche med.Vl'hohenschr’., 1912, N*\ 34. 


Nach dem Erscheinen der Veröffentlichung von Küster und 
Geisse wurden noch einige Versuche mit der von ihnen an¬ 
gewandten Methode der Keimabimpfung angestellt, deren Resultate 
aus der folgenden Tabelle 2 zu ersehen sind. 

Tabelle 2. 

Sehr intensives dreimaliges Abkratzen der Häode bzw. Ausräumen der 
Unternagelfäume mit sterilen Hölzchen vor und nach der Desinfektion. Bei 
letzterer werden 10 ccm konzentrierter Alkohol verwandt. Schütteln der 
Hölzchen in steriler physiologischer NaCI- Lösung, Einsaat in 45° warmen 
flüssigen Agar. Bebrütung 24 Stunden bei 37°. 


Versuch 

Nr. 


Vorher 

Nachher 

Versuchs¬ 

person 

9 

L. Hoblband .... 

2 500 Keime 

907 Keime 

Ku. 


L. Unternagelrand . . 

60 670 „ 

3 951 ff 



L. Handrücken . . . 

24 300 „ 

336 ff 


10 

L. Hoblband .... 

48 460 „ 

925 „ 



L. Unternagelrand . . 

150 284 „ 

7 558 „ 



In beiden Versuchsreihen wurde jedesmal die Sterilität der 
bei den Versuchen verwandten Kochsalzlösung und Hölzchen kon¬ 
trolliert. Sie waren, ebenso wie die benutzten Handtücher, 
stets vorher frisch sterilisiert worden. Aussaaten von Boluspaste 
in Agar wurden während der Versuche mehrmals vorgenommen 
und ergaben niemals Wachstum von Keimen. 

Die Ergebnisse zeigen, dass bei der gewählten Versuchs¬ 
anordnung durch die Behandlung der Hände mit Bolusseife und 
-paste eine Zurückhaltung oder gar Abtötung der Hautkeime an 
den Händen nicht erfolgte. 

Die zweite Versuchsreihe nach dem Hölzchenverfahren ist 
wohl im allgemeinen etwas günstiger ausgefallen als die in 
Tabelle 1 bechriebenen Versuche. Jedoch waren die Ergebnisse 
auch hier bei weitem nicht so gute wie die von Küster und 
Geisse mitgeteilten. Eine Erklärung hierfür ist nicht ohne 
weiteres zu geben, dürfte aber in erster Linie in der Intensität 
der Keimabimpfung zu suchen sein. Dass auch die Methode der 
Keimabimpfung im allgemeinen auf das Ergebnis von Haut- 
desinfektionsversuchen nicht ohne einen gewissen Einfluss ist, ist 
leicht verständlich und geht auch wohl in diesem Fall aus den 
wesentlich schlechteren Resultaten der Tabelle 1 hervor, die 
durch direktes Abspülen der Fingerspitzen in Agar gewonnen 
wurden. 

Bei vielen Versuchen war die Zahl der von den Händen ab- 
spülbaren Keime nach der Bolusbehandlung sogar noch grösser 
als vorher. Die Verhältnisse liegen hier offenbar ähnlich wie 
bei der einfachen Seifenwascbung der Hände mit heissem Wasser, 
die ja einen nicht unwesentlichen Teil der Liermann’schen Bolus¬ 
behandlung ausmacht. Man sieht hierbei ebenfalls häufig nach 
der Waschung ein starkes Hervortreten der in der Tiefe der Haut 
sitzenden Keime infolge der Auflockerung der Haut durch die 
Seife und das heisse Wasser. 

Beim Abspülen der Fingerspitzen in körperwarmer physio¬ 
logischer NaCl-Lösung bzw. warmem Agar löste sich die an¬ 
getrocknete Boluspaste sofort von der Haut und liess diese frei 
zutage treten. Irgendeine Härtung oder Schrumpfung der letzteren 
war nicht zu bemerken. Die bei der Vorbereitung der Haut 
nach Liermann angewandten sehr geringen Mengen konzentrierten 
Alkohols r- insgesamt für beide Hände und Unterarme etwa 
7—10 ccm — sind offenbar nicht imstande, eine nennenswerte 
Keimfixierung auf der Hart zu bewirken. Diese Beobachtung 
stimmt auch durchaus mit der früher hier (Veröffentl. a. d. Geb. 
d. MUitärsanitätswesens, H. 44) und von anderer Seite — Schum¬ 
burg 1 ) u. a. — bei der Händedesinfektion mit Alkohol ge¬ 
machten Erfahrung überein, dass zur ausreichenden Keimfixiernng 
bei der chirurgischen Vorbereitung der Häode mindestens 150 
bis 200 ccm Alkohol zur Waschung erforderlich sind. Dem 
günstigen Urteil von Küsterund Geisse überdas Liermann’sche 
Verfahren, besonders der Ansicht, dass es der reinen Alko¬ 
holwaschung überlegen sei, kann daher nach den hier ge¬ 
machten Erfahrungen nicht zugestimmt werden. 


1) Schumburg, Archiv f. klin. Chft., Bd. 79. H. 1. 


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7. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


631 


Aus der medizinischen Klinik (Direktor: Geheimrat 
Minkowski) und der Frauenklinik (Direktor: Geheimrat 
Küstner) der Universität zu Breslau. 

Ueber Erfahrungen mit der Abderhalden’schen 
Fermentreaktion beim Carcinom. 

Von 

Dr. Erich Frank, und Priv.-Doz. Dr. Fritz Heimana, 

Assistent der med. Klinik, Assistent der Frauenklinik. 

So interessant die in neuerer Zeit angegebenen Carcinom- 
reaktionen vom theoretisch-biologischen Standpunkte aus sind, so 
umstritten ist ihre praktische Verwertbarkeit. Die Hemmung 
tryptischer Fermentwirkungen durch Carcinomseren pflegt erheb¬ 
lich stärker zu sein als durch normale Sera, Krebszellen werden 
vom Serum des Gesunden aufgelöst, von dem des Krebskranken 
nicht; aber in der vorliegenden Form ist von diesen beiden 
Feststellungen die erste, der erhöhte antitryptische Titer nach 
Brieger-Trebing (1) zur Diagnose überhaupt nicht, und die 
zweite, die Zellreaktion nach Freund-Kaminer (2) noch nicht 
recht geeignet; ebenso wird noch zu entscheiden sein, ob die 
neue Gestalt, die von Düngern (3) seiner Komplementablenkungs¬ 
reaktion gegeben hat, sich bewähren wird. Günstig schneidet 
bis jetzt die Meiostagminreaktion nach Ascoli-Izar (4) ab, aber 
auch hier werden noch weitere Bestätigungen abzuwarten sein; 
ausserdem ist die Anstellung dieser Reaktion recht subtil. 

Unter diesen Umständen ist jeder neue Weg, der sich gang¬ 
bar erweist, zu beschreiten: Die Abderbalden’sche Ferment¬ 
reaktion, die sich für die Schwangerschaft bewährt bat, auf das 
Carcioom anzuwenden, liegt nahe, und Abderhalden hat bereits 
in seinen ersten Veröffentlichungen das Verhalten maligner 
Tumoren unter den Anwendungsgebieten, für die sich die Methode 
möglicherweise werde ausbauen lassen, genannt. 

Die Technik, deren wir uns bei der Garcinomreaktion bedienten, 
war im wesentlichen die bei der Schwangerschaftsdiagnostik ge¬ 
übte, doch haben sich seit unserer letzten Publikation 1 ) über die 
biologische Schwangerschaftsreaktion mit 1 zunehmender eigener 
Erfahrung und auf Grund einer Reihe weiterer Arbeiten Abder- 
halden’s die technischen Schwierigkeiten, die häufig das Gelingen 
der Reaktion in Frage stellten, beseitigen lassen. Wir hatten 
damals schon auf die Unzuverlässigkeit der seinerzeit als Dialysier- 
scbläuche angewendeten Fischblasen aufmerksam gemacht und 
besonders die Schwierigkeiten der Beurteilung der Biuretreaktion 
betont. Abderhalden bat die gleichen Erfahrungen gemacht: 
er hat aus diesem Grunde als Reagens das Triketohydrindenhydrat 
oder Ninhydrin empfohlen, das die Abbauprodukte im destillierten 
Wasser in recht einfacher Weise erkennen lässt. Auch wir haben 
uns dieses Reagens bedient und uns bei unseren vorliegenden 
Untersuchungen streng an die Abderhalden’schen Vorschriften ge¬ 
halten. Die hierfür verwendete Placenta wurde in vorgeschriebener 
Weise zubereitet; als Dialysierschläuche wurden die Hülsen der 
Firma Schleicher & Schüll benutzt, die uns wirklich aus¬ 
gezeichnete Dienste verrichteten. Jede Hülse wurde vor ihrer 
Inanspruchnahme auf Durchlässigkeit usw. geprüft und erst, wenn 
sie den Ansprüchen in genügender Weise gerecht wurde, zu den 
Versuchen verwendet; wir möchten hierbei hervorheben, dass man 
doch von Zeit zu Zeit die Hülsen erneuern soll, da trotz Aus¬ 
kochens und Aufhebens unter Toluol sich Fäulniserscheinungen 
bemerkbar machen können, die dann natürlich den Ausfall der 
Reaktion fälschen. Das zu untersuchende Serum wurde durch 
Centrifugieren gewonnen und vorsichtig abpipettiert, damit es völlig 
ohne Blutkörperchen verwendet werden konnte. Hämolytisches 
Serum wurde nicht benutzt. Selbstverständlich wurde auch als 
Kontrolle bei diesen Versuchen stets das Serum ohne Zusatz von 
Placenta geprüft, um eventuell darauf zu ächten, ob das Serum 
allein schon Abbauprodukte enthält. Die Aussenflüssigkeit und das 
Serum wurden mit Toluol überschicbtet und etwa 16 Stunden im 
Brutschrank belassen. Erst dann wurde auf Abbaupftdukte ge¬ 
prüft, und zwar so, dass 10 ccm des toluolfreien destillierten 
Wassers mit 0,2 ccm einer 1 proz. Lösung des Triketohydrinden- 
hydrates eine Minute lang gekocht wurde. Bei positivem Ausfall 
tritt dann eine Blauviolettfärbung, bei negativem Ausfall eine 
schwache Gelbfärbung ein oder die Lösung bleibt farblos. 

Zunächst wurde nun (hese Reaktion bei Schwangeren an¬ 
gewendet, und wir haben aie Sera einer grossen Anzahl von 


1) Diese Wochenschr., 1912, Nr. 36. 


Graviden aus allen Stadien der Schwangerschaft zur Untersuchung 
herangezogen. Die Ninhydrinreaktion hat sich hierbei ausgezeichnet 
bewährt. Es kam zuweilen vor, dass das Dialysat des Serums allein 
sjich färbte; selbstverständlich konnten derartige Sera keine Aus¬ 
kunft über eine eventuell vorliegende Gravidität geben; in solchen 
Fällen muss man eben auf eine biologische Diagnose der Schwanger¬ 
schaft verzichten. Schliesslich möchten wir noch erwähnen, dass 
Stets eine Kontrolle angesetzt wurde, die in der Hülse nur Placenta 
und physiologische Kochsalzlösung enthielt, um zu zeigen, dass 
die Placenta allein keine dialysablen Abbauprodukte mehr abgab. 

Es war, wie bereits erwähnt, von grösstem Interesse, diese Ver¬ 
hältnisse beim Carcinom zu studieren, worauf bereits Abderhalden 
selbst aufmerksam gemacht hatte. Wir haben uns mit dieser 
Frage eingehend beschäftigt, und unsere Untersuchungen erstrecken 
sich bisher auf 46 maligne Tumoren, und zwar 30 Uteruscarcinome 
und 16 andere Garcinome bzw. Sarkome. Als abzubauendes 
Substrat wurden hier Garcinommassen gewählt, die in unserem 
Fall von Uteruscarcinomen stammten und in derselben Weise 
vorbereitet wurden, wie die Placenta. Auch hier wurde stets als 
Kontrolle das Carcinomserum allein angesetzt, schliesslich wurde 
auch noch Placenta statt des Carcinoma genommen, um zu sehen, 
ob das Carcinomserum auch Placenta abbaut. Infolge dieser Ver¬ 
suchsanordnung war es natürlich von Interesse zu erfahren, wie 
sich das Schwangernserum Carcinom gegenüber verhält, und so 
wurden stets neben Carcinomseren auch sichere Schwangerenseren 
mit Carcinom angesetzt. Auf die Resultate bei normalen, also 
sicher Nichtschwangeren und Nichtcarcinomkranken, kommen wir 
bald zu sprechen. 

Unsere Untersuchungen reichen lange Zeit zurück; wir 
haben also bereits die Reaktion angestellt, ehe Abderhalden 
sein Ninhydrin empfohlen hatte; infolgedessen wurden,] die ersten 
Untersuchungen noch mittels der Biuretreaktion ge*prüft; wir 
müssen übrigens hierbei hervorheben, dass auch die von Abder¬ 
halden selbst angegebenen Resultate über die Carcinomdiagnose, 
die meistens negativ ausfiel, nur vermittels der Biuretreaktion 
erzielt wurden. Diese negativen Ergebnisse wären nach Abder¬ 
halden vielleicht darauf zurückzufübren, dass es sich meist um 
inoperable Carcinome handelte, bei denen der mit Metastasen 
überschwemmte Organismus nicht mehr imstande wäre, Schutz¬ 
fermente zu bilden. Von uns wurden auf diese Weise sechs 
Carcinomsera und zwei Schwangerensera untersucht. Das Resultat 
war, dass bei den Carcinomen nur in einem Falle eine positive 
Reaktion insofern zu verzeichnen war, als das Serum Carcinom 
und Placenta abbaute; das Serum allein war negativ, in sämt¬ 
lichen übrigen Fällen war die Reaktion stets negativ. Bei den 
Schwangerenseren war in beiden Fällen Serum mit Carcinom und 
Placenta positiv, das Serum allein negativ. Wir möchten hierbei 
erwähnen, dass der einzige positive Fall ein sehr schlechtes, be¬ 
reits inoperables Uteruscarcinom war, wir haben also hier wie 
übrigens auch später die oben erwähnte Hypothese Abder- 
halden’s nicht bestätigen können. Bei späteren Untersuchungen 
haben wir dann die Biuret- mit der Ninhydrinreaktion verglichen und 
konnten uns den Angaben Abderhalden’s, dass der Ausfall der 
Reaktionen nicht parallel geht und die Triketohydrindenhydrat- 
reaktion im allgemeinen schärfer anzeige als die Biuretreaktion, 
anschliesseD. In der Mehrzahl der Fälle sahen wir nämlich, dass 
die Biuretreaktion bei den Carcinomseren sowohl mit Carcinom 
wie mit Placenta negativ war, während die Ninhydrinreaktion 
hierbei positiv ausfiel. Aehnlich verhielt es sich mit den 
Schwangerenseren. Schwache positive Reaktion bei Biuret, starker 
positiver Ausfall bei Ninhydrin und zwar sowohl bei Zusatz 
von Placenta wie von Carcinom, allerdings erstere in viel 
stärkerem Grade. 

Aus diesem Grunde batten wir uns entschlossen, in Zukunft 
von der Auwendung der Biuretreaktion völlig abzusehen und nur 
die Ninhydrinreaktion in Betracht zu ziehen. Und daher wurden 
sämtliche folgenden Seren nur auf diese Weise untersucht. Die 
Erfahrungen, die wir hierbei gemacht haben, sind nun folgende: 
Sämtliche Uteruscarcinome boten das gleiche Ergebnis: 
die Sera zeigten mit Carcinom zusammen positive 
Reaktion, und dasselbe fand sich häufig sogar noch stärker, 
wenn statt des Carcinoma Placenta verwendet wurde. In einigen 
wenigen Fällen baute auch das Serum allein schon ab, diese 
Fälle wurden natürlich von der Betrachtung ausgeschlossen, sie 
können eben gerade wie bei der Schwangerschaftsdiagnostik 
biologisch nicht verwendet werden. ’ 

Wir haben bereits erwähnt, dass auch Schwangerenseren mit 
Qarcigom angesetzt,.wurden, und auch hierbei fanden wir, ab« 


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UNIVERSUM OF IOWA 




632 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 14. 


gesehen von zwei Fällen, stets positive Reaktion, allerdings war 
hier der Ausfall bei Zusatz von Placenta ein wesentlich stärkerer 
als bei Hinzufugung von Carcinom. Natürlich wird auch hier 
stets eine Kontrolle: Carcinom und physiologische Kochsalzlösung 
angesetzt. 

Die Untersuchung der 16 Seren von Patientinnen, die 
an Carcinomen anderer Organe; Mamma, Magen, Oesophagus, 
Ovarien usw. litten, ergab folgendes Resultat: 14 mal war 
die Reaktion positiv; 2mal Hess sie im Stieb, bzw. der Aus¬ 
fall war so schwer zu erkennen, dass man ihn nicht verwerten 
konnte. Es handelt sich um ein Gallenblasencarcinom und um 
ein Sarkom, ausgehend vom Mesenterium; bei alleu übrigen 
malignen Tumoren war die Reaktion so, wie wir sie beim Uterus- 
carcinom sahen, also bei Zusatz von Placenta und Carcinom 
positiv, Serum allein negativ. Vielleicht lässt sich der negative 
Ausfall so erklären, dass man als Abbausubstrat Uteruscarcinom 
gewählt hat. Tumorgewebe des in diesem Falle betroffenen 
Organs hätte vielleicht einen positiven Ausfall der Reaktion ver¬ 
anlasst. 

Bei der Untersuchung der Normalseren bandelte es sich um 
Patienten, die an leichten Erkrankungen ohne Temperatur¬ 
steigerung litten. In einem Fall aber fand sich bei einem Mann 
eine positive Reaktion, ohne dass Anhaltspunkte für ein Carcinom 
Vorlagen. Dreimal löste das Serum allein eine positive Reaktion 
aus, selbstverständlich war dies dann auch bei Zusatz von 
Placenta und Carcinom der Fall, in allen übrigen Fällen war die 
Reaktion negativ. 

Bevor wir auf die Schlüsse, die wir aus diesen Beobachtungen 
ziehen können, eingehen, wollen wir noch einige Zufälle, die wir 
beim Anstellen der Reaktion erlebten und die häufig die Resultate 
trüben können, eingehen. Es ist unbedingt notwendig, dass man 
sich genau nach den gegebenen Vorschriften richtet, da geringste 
Aenderungen sofort auch Aenderungen im Ausfall der Reaktion 
zur Folge haben können. Wir haben z. B. in der ersten Zeit zu¬ 
weilen nur 5 ccm des destillierten Wassers genommen und dazu 
0.1 ccm einer 1 proz. Lösung Ninhydrin gegeben. In solchen 
Fällen hatten wir eine negative Reaktion. Wurden nun noch 
0,1 ccm hinzugefügt und noch einmal gekocht, so wandelt sich 
die negative Reaktion in eine positive um; dasselbe konnten wir 
auch erleben, wenn das Kochen länger als eine Minute fort¬ 
gesetzt wurde, auch hierbei konnten wir beobachten, dass eine 
zuvor negative Reaktion in eine positive umschlug. Allerdings 
sehen wir hierbei niemals diese schöne blauviolette Färbung, 
sondern es kam mehr ein schmutzig graublauer Farbenton heraus. 
Hierunter hatten wir übrigens eine ganze Zeitlaog zu leiden, und 
solche Resultate können natürlich nicht verwendet werden. Ob¬ 
wohl genau auf Zubereitung des Serums, steriles Arbeiten usw. 
geachtet wurde, obwohl die Placenta und das Carcinom dasselbe 
war, mit dem wir einige Tage vorher die schönen Färbungen 
erhalten batten, war plötzlich der Aasfall der Reaktion stets ein 
fraglicher geworden und trotz eifriger Bemühungen war es uns nicht 
möglich, den Fehler zu entdecken. Wir haben in solchen Fällen 
das Carcinom bzw. die Placenta frisch zubereitet und eine neue 
Lösung anfertigen lassen und konnten uns dann wieder auf die 
Reaktion verlassen. Man sieht daraus, wie dringend nötig es ist, 
seine Reagentien stets naebzuprüfen. 

Ferner muss auch darauf geachtet werden, dass die Brut¬ 
schranktemperatur streng innegebalten wird. Durch einen un¬ 
glücklichen Zufall passierte es einmal, dass 37° erheblich über¬ 
schritten wurden, und der Erfolg war, dass sämtliche Reaktionen 
negativ waren. Aus alledem geht hervor, dass es mitunter nicht 
ganz leicht sein kann, die Resultate, die die Reaktionen ergeben 
haben, abzulesen. Es gehört auch hier namentlich bei schwach 
positivem Ausfall Uebung und Aufmerksamkeit dazu, um nicht 
Irrtümern zu begegnen. 

Wir haben schliesslich noch fragliche Uteruscarcinome — eine 
Frage, die doch für die Frühdiagnose eine wesentliche Rolle 
spielt — zur Untersuchung herangezogen und konnten bis jetzt in 
3 Fällen den Ausfall der Reaktion später mit dem mikroskopischen 
bzw. makroskopischen Befund bei der Operation vergleichen; auch 
hier bat die Reaktion bisher nicht im Stich gelassen. 

Fassen wir unsere Ergebnisse noch einmal zusammen, so 
können wir folgendes sagen: Die Ninbydrinreaktion hat bei 
Schwangerschaft stets richtige Resultate — auch in frühesten 
Monaten — ergeben; allerdings wurden auch positive Reaktionen 
erhalten, wenn statt der Placenta Carcinom gewählt wurde. In 
derselben Weise sehen wir stets Odrcinomseren Carcinom wie 
auch Placenta abbaüen, vorausgesetzt, däs4 es sich um Uterus^ 


carcinom handelt; bei anderen malignen Tumoren war der Ausfall 
ganz überwiegend positiv. Dies Resultat zunächst besagt, dass 
wir biologisch Carcinom und Schwangerschaft nicht unterscheiden 
können; in gewissem Sinne ist dadurch die Spezifität der Reaktion 
in Frage gestellt. 

Dieser Parallelismus in biologischer und chemischer Hinsicht 
ist übrigens lange Gegenstand eifrigster Studien gewesen. 
Salomon und Saxl (6) konnten sowohl im Harn von Graviden 
wie in dem von Krebskranken eine gesteigerte Ausscheidung der 
Oxyproteinsäure feststellen. Falk und Hesky (8) fanden im 
Harn von Schwangeren, allerdings erst in späteren Monaten, eine 
Vermehrung der Polypeptide, und dieselben Eigenschaften konnten 
Falk, Salomon und Saxl (7) für Krebskranke nach weisen. 

Aber auch serologisch hat das Blut von Schwangeren und 
Krebskranken grosse Aebnlichkeiten aufzuweisen. Freund und 
Kam ine r konnten beobachten, dass das Serum gesunder 
Menschen menschliche Krebszellen löst, während dies das Serum 
von an Carcinom erkrankten Menschen nicht tut. Durch 
Kraus und v. Graff (9) wurde nun das Serum schwangerer 
Frauen bezüglich dieser Eigenschaft untersucht, und diese Autoren 
konstatierten, dass Serum von Frauen am Ende der Gravidität 
bzw. unter der Geburt menschliche Krebszellen nicht löst, also 
sich genau wie Carcinomserum verhält, während in frühen 
Monaten das Serum Gravider sich wie das Serum Gesunder ver¬ 
hält, also Carcinomzellen löst. Auch bezüglich des Verhaltens 
der Blutkörperchen gegen Kobragift bei Schwangeren und Tumor¬ 
trägern sind von einigen Untersuchern (10) Aehnlicbkeiten ge¬ 
funden worden; auch das Verhalten embryonaler Zellen gegen 
die Seren der oben erwähnten Kategorien ist berücksichtigt 
worden; wir wollen noch auf eine Reaktion aber ausführlicher zu 
sprechen kommen, das ist die Aktivierung der Kobragiftpferdeblut¬ 
hämolyse durch Serum von Schwangeren und Krebskranken. Bauer 
und Lehndorff (12), später Heynemann (13), Graff und 
v. Zubrzycki (14) u. a. haben die von Calmette als spezifisch 
für Tuberkulose angegebene Reaktion in der Schwangerschaft nach¬ 
geprüft und fanden ziemlich übereinstimmend, dass die Reaktion 
in den ersten zwei Monaten sehr selten positiv war, vom dritten 
Monat an begann und vom vierten Monat an stark positiv war. 
Zur Frühdiagnose war also die Reaktion nicht geeignet. Schon 
Heynemann hatte das Serum von Carcinomkranken für diese 
Untersuchungen herangezogen, aber mit negativem Erfolge. Diese 
Studien wurden später von Kraus, Ranzi, Graff und 
v. Zubrzycki (5,14) in ausgedehntem Maasse wieder aufgenommen, 
und diese Autoren fanden, dass die Carcinomsera in über20pCt. 
der Fälle die Kobragiftpferdebluthämolyse aktivieren; aber auch 
Normalsera und Sera andersartig Erkrankter tun dies in etwa 
10 pCt. der Fälle; damit ist nach ihnen die Reaktion dia¬ 
gnostisch nicht zu verwerten, da z. B., wie Graff und 
v. Zubrzycki angaben, auch operierte, jahrelang recidivfrei ge¬ 
bliebene Frauen eine positive Reaktion geben. 

Schliesslich möchten wir noch erwähnen, dass sowohl bei 
graviden Frauen wie bei Carcinomkranken eine starke An¬ 
reicherung des Blutes mit antitryptischen Substanzen gefunden 
wurde und dass die Meiostagminreaktion bei Schwangeren häufig 
positiv ausfällt. 

Wenn wir jetzt noch einmal unsere Resultate beim Carcinom 
zusammenfassen, so hat sich ergeben, dass von 46 Carcinomen 
45, d. h. 97,8 pCt. der Fälle positiv reagierten, während 
von 20 Normalseren 19 =* 95 pCt. der Fälle negativ rea¬ 
gierten. Hier muss nochmals betont werden, dass wir bisher nur 
Uteruscarcinome als Substrat verwendet habeD, dass es sich für 
die allgemeine Carcinomdiagoose empfehlen dürfte, mit Carcinomen 
verschiedener Organe zu arbeiten. 

Unsere Ergebnisse sind nur als Vorstudien aufzufassen: soll 
eine brauchbare Carcinomdiagnostik daraus entstehen, so müssen 
folgende Fragen, mit denen wir zurzeit noch beschäftigt sind, 
beantwortet werden: 

1. Wie, verhält sich die Reaktion bei anderen Erkrankungen 
(Tabes, Lues, Kachexien, akuten Infektionskrankheiten, Basedow 
usw.)? 

2. Ist das Substrat ein spezifisches oder kann es durch andere 
Proteine (Leber, Muskel usw.) ersetzt werden? 

8. Fällt die Reaktion auch in den frühesten Stadien der 
Carcinomqptwicklung positiv aus? 

Anmerkung bei der Korrektur: Abderhalden bat in 
Nr. 8 und 9 der Münchener med. Wochenschrift neue Anforde¬ 
rungen an die Zubereitung der PlaceQla gestellt, ,vqp -denen*, 
früher nicht die Rede war, die er aber neuerdings für unerlässlich 


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7. April 1913. 


ß E RLIXER KLINISCHE WOCH ENSCH RI FT. 


633 


hält, wenn die Resultate verwertbar sein sollen. Wir haben 
unsere Ergebnisse auf Grund der Vorschriften gewonnen, auf deren 
Basis Abderhalden seine Schwangerschaftsreaktion proklamiert 
hat, und die er auch im Handbuch der biochemischen Arbeits¬ 
methoden, Bd. VI (Dezember 1912), gibt. 

Er fordert jetzt, dass 5 ccm des Hochwassers der Placenta, 
mit 1 ccm 1 proz. Ninhydrinlösung gekocht, keine Blaufärbung 
mehr geben dürfen, während es vordem genügte, wenn 10 ccm 
des Kochwassers mit 0,2 ccm der 1 proz. Ninhydrinlösung keinen 
Ausschlag mehr geben. Bei diesem Vorgehen reagierten, wie er 
kursorisch mitteilt, 15 Fälle von Carcinom nur mit Carcinom- 
gewebe und Hessen sich 20 Fälle von Carcinom scharf von 
Schwangerschaft unterscheiden. 

Wir haben alsbald auch mit dieser neuen Methodik ge¬ 
arbeitet; naturgemäss ist die Anzahl der untersuchten Fälle noch 
klein; immerhin verfügen wir bereits über ein Material von 
19 Beobachtungen (10 Schwangere und 9 Carcinome). Der Aus¬ 
fall der Reaktion war der gleiche wie in unseren früheren Ver¬ 
suchen: Die Carcinomsera bauten Carcinomgewebe, aber auch 
Placenta (und zwar gar nicht unerheblich) ab, die Sera der 
Schwangeren sowohl Placenta als auch Carcinom (letzteres aller¬ 
dings in deutlich geringerem Grade als Placenta); Placenta 
wurde also stets deutlich abgebaut. Wir möchten demnach 
unsere oben aufgestellten Behauptungen aufrecht erhalten. 

Wir verfügen mithin jetzt über 54 Carcinome mit 
53, d. h. 98,2 pCt. positiver Reaktionen. 


Literatur. 

1. Diese Wochenschr., 1908, Nr. 22. — 2. Biocbem. Zeitschr., 1910, 
Bd. 26, S. 312. — 3. Münchener med. Wochenschr., 1912, S. 2854 
bis 2856. — 4. Münchener med. Wochenschr., 1910, Nr. 8, 22 u. 41; 
Wiener klin. Wochenschr., 1912, S. 1237 u. 1938. — 5. R. Kraus, 
E. v. Graff, E. Ranzi, Wiener klin. Wochenschr., 1911, Nr. 28. — 

6. Salomon und Saxl, Beitr. z. Carcinomforsch., 1910, Bd, 2. — 

7. Falk, Salomon und Saxl, Med. Klinik, 1910. — 8. Falk und 

Hesky, Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 71. — 9. R. Kraivs und 

E. v. Graff, Wiener klin. Wochenschr., 1911, Nr. 6. — 10. R. Kraus, 

0. Pötzl, E. Ranzi und H. Ehrlich, Wiener klin. Wochenschr., 1909, 

Nr. 20. — 11. E. v. Graff und J. v. Zubrzycki, Archiv f. Gynäkol., 
1912, Bd. 96. — 12. Bauer und Lehndorff, Folia serologica, 1909, 
Bd. 3, S. 87. — 13. Heyneraann, Archiv f. Gynäkol. u. Geburtsh., 
1910, Bd. 90. — 14. E. v. Graff und J. v. Zubrzycki, Münchener 
med. Wochenschr., 1912, Nr. 11. 


Zur Aetiologie der Tollwut. 

Von 

Dr. Fr. Proescher-Pittsburgh, Pa., U. S. A. 

Der einwandsfreie Nachweis eines spezifischen Mikroorganismus 
im Centralnervensystem wutkranker Tiere mit Hilfe der gebräuch¬ 
lichen Färbemethoden ist bisher nicht erbracht. 

Sieht man von den älteren Befunden ab, so haben weder die 
Negri’schen Körperchen 1 ), noch die von Babes 2 ) dargestellten 
staubförmigen Granulationen, noch die von J. Koch und Ries¬ 
ling 3 ) beschriebenen kokkenartigen Gebilde allgemeine An¬ 
erkennung als Erreger der Tollwut gefunden. Die Bedeutung der 
Negri’schen Körperchen ist in den letzten Jahren zur Genüge 
diskutiert worden und dürfte heute dahin entschieden sein, dass 
dieselben zelluläre Reaktionsprodukte sind, die möglicherweise 
den Erreger als solchen oder in veränderter Form einschliessen. 
Auf keinen Fall sind sie als protozoenartige Gebilde aufzufassen. 
Dessen ungeachtet sind die Negri’schen Körperchen zur raschen 
Diagnosestellung der Tollwut äusserst wertvoll. 

Die von Babes mit Hilfe der Cajal’schen Silbermethode und 
Giemsafärbung dargestellten intraplasmatischen Granulationen 
halte ich nach eigenen Untersuchungen nicht für den Erreger der 
Tollwut. Wahrscheinlich handelt es sich hier um die Sichtbar¬ 
machung pathologischer Zellstrukturen, wenn nicht um äusserst 
feine Metallniederschläge. Die von J. Koch und Riesling mit 


1) Negri, Zeitschr. f. Hygiene u. Infektionskrankh., 1903, Bd. 42 
bis 44. 

2) Babes, Zeitschr. f. Hygiene u. Infektionskrankh., 1907, Bd. 56, 
S. 435. 

3) Koch und Riesling, Zeitschr. f. Hygiene u. Infektionskrankh., 
1910, Bd. 65, S. 85. J. Koch (2: Mitteilung), Zeitschr. f. Hygiene u. 
Infektionskrankh., 1910, S. 443. 


Hilfe der Heideuhain’schen Ilämatoxylinmethode und der van Krog- 
sehen Färbung gefundenen kokkenartige Gebilde kann ich nach 
eigenen Untersuchungen bestätigen. Ich zweifle nicht daran, dass 
ein Teil dieser Gebilde parasitärer Natur ist, speziell die 
grösseren, an denen man Teilungsvorgänge beobachten kann. 
Eine einwandsfreie Differenzierung ist leider nicht möglich, da 
beide Methoden eine grosse Anzahl zellulärer Degenerations¬ 
produkte zur Darstellung bringen, die sich von Mikroorganismen 
nicht mit Sicherheit unterscheiden lassen. 

Bevor ich weitere Untersuchungen zur Sichtbarmachung des 
Tollwuterregers unternahm, unterzog ich zunächst die von Rem- 
linger 1 ), di Vestea, Berteralli 2 ) und Schüder behauptete 
Filtrierbarkeit desselben einer erneuerten Prüfung. Nach Rem- 
linger und Berteralli soll das Tollwutvirus, wenn auch nicht 
regelmässig, so doch häufig, das Berkefeld-Filter V passieren. 
Das Filtrat soll nicht den gesamten Infektionsstoff enthalten, der 
Filterrückstand soll mehr virulent sein als das Filtrat. In mehreren 
Filtrationsversuchen, die jedesmal mit neuen Berkefeld-Filtern V 
angestellt wurden, konnte ich in keinem Falle ein infektiöses 
Filtrat erhalten. Die Gehirnsubstanz wurde vor jeder Filtration 
sorgfältig zerrieben und mehrere Stunden im Schüttelapparat ge¬ 
schüttelt und im Verhältnis 1 : 100 mit steriler Kochsalzlösung 
verdünnt. Auf Grund dieser Veisuche halte ich vorläufig an der 
Unfiltrierbarkeit des Tollwuterregers fest. Ob die positiven 
Filtrationsversuche der vorgenannten Autoren auf defekte Filter 
oder sonstige technische Fehler zurückzuführen sind, lasse ich 
unentschieden. 

Die Annahme, dass Filtrierbarkeit eines Virus gleichbedeutend 
sei mit mikroskopischer Unsichtbarkeit, muss heute als unwahr¬ 
scheinlich bezeichnet werden. Wir wissen, dass der Erreger der 
Peripneumonie der Rinder, das Spirillura parvum, trotz Filtrier¬ 
barkeit mikroskopisch sichtbar ist. 

Sollten weitere Versuche trotzdem die Filtrierbarkeit des 
Tollwuterregers bestätigen, so wäre damit noch nicht gesagt, dass 
er ausserhalb der mikroskopischen Sehbreite liegt, zumal auch in 
den positiven Versuchen eine vollständige Filtration nicht gelang 
und anscheinend der grösste Teil des Virus auf dem Filter zurück¬ 
bleibt. 

Auf Grund dieser Beobachtungen und Ueberlegungen schienen 
also weitere Versuche znr färberischen Darstellung des Tollwut¬ 
erregers nicht vollkommen aussichtslos. Ich versuchte zunächst 
empirisch, an Ausstrich- und Schnittpräparaten des Gehirns von 
Kaninchen, die mit Virus fixe infiziert waren, mit Hilfe der ver¬ 
schiedensten Fixations und Färbemethoden (ausschliesslich Anilin¬ 
farben) Mikroorganismen zu differenzieren. Unter mehreren Hundert 
in Sublimatalkohol fixierten und nach der Gram Much’schen Me¬ 
thode gefärbten Ausstrichen gelang es in einigen eine grosse An¬ 
zahl sehr kleiner Kokken und Bacillen (Figur 1) aufzufinden. 


Figur 1. 



Virus fixe. Pittsburgh. Sublimatalkohol. Gram-Much. (Leitz Vie 
Oelimmersion. Ocular 4.) 

1) Remlinger, Annales de l’inst. Pasteur, 1903, Bd. 17, S. 834, 
und 1904, Bd. 18, S. 150. 

2) Beteralli, Centralbl. f. Bakteriol., I. Abt., Orig., 1905, Bd. 39, 
S. 408. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 14. 


Um banale Mikroorganismen konnte es sich nicht handeln, da 
das Virus fixe auf allen gebräuchlichen Nährböden steril blieb. 
Dieser interessante Befund blieb vereinzelt. Ich konnte ihn 
weiterhin trotz Färbung zahlreicher Ausstriche mit derselben 
Methode nicht wieder erheben. In einer anderen Serie von in 
Sublimatalkohol fixierten Ausstrichen, die nach Löffler’s 
modifizierter Gram-Methode gefärbt waren, fand ich in einem 
Ausstrich morphologisch ähnliche Mikroorganismen (Figur 2) wie 
mit der Gram-Much’schen Methode. 

Vollkommen negative Resultate hatte ich mit beideu Gram- 
Methoden an Schnittpräparaten. Dagegen gelang es hier mit 
polychromem Methylenblau und vorsichtiger Differenzierung mit 
Anilinalkohol in einzelnen Schnitten reichlich gut differenzierte, 
sehr kleine Kokken zu färben. Die Färbung erwies sich aber 
nicht haltbar, die Kokken entfärbten sich innerhalb einiger 
Stunden. 


Figur 2. 



Virus fixe. Pittsburgh. Sublimat¬ 
alkohol. Gram-Loeffler. (Leitz 
Vi 6 Oelimmersion. Ocular 4.) 


Warum in Hunderten von Ausstrichen und Schnittpräparaten 
nur in ganz vereinzelten Mikroorganismen gefunden wurden, trotz 
Verwendung gleicher Fixations- und Färbemethoden, konnte ich 
nicht feststellen. Es handelt sich ohne Zweifel um sehr schwer 
färbbare Mikroorganismen, die zu den gewöhnlichen Farbstoffen 
äusserst geringe Affinität besitzen und nur ausnahmsweise von 
denselben unter unbekannten Bedingungen gefärbt werden. 

Diese Misserfolge Hessen mich zunächst von weiteren Färbe¬ 
versuchen Abstand nehmen und eine andere Methode, gestützt 
auf gewisse biologische Eigentümlichkeiten des Strassenvirus, zur 
Lösung des Problems heranziehen. Die Erfahrung hat gezeigt, 
dass das Strassenvirus im Gegensatz zum Virus fixe gegen Fäulnis 
resistent ist. Die Annahme lag daher nahe, dass das Slrassen- 
virus auch gegenüber gewissen chemischen Agentien, die, obwohl 
die Gehirnsubstanz auflösend, das Virus intakt lassen. Ich ver¬ 
suchte daher das in neuerer Zeit mit so ausgezeichnetem Erfolge 
zur Isolierung der Tuberkelbacillen verwandte Antiformin 1 ). Die 
frischen oder in Formol gehärteten Gehirne von an Strassenwut 
verendeten Tieren wurden in 15 proz. Antiformin gelöst, die klare 
Lösung centrifugiert und das geringe Sediment nach dem Aus¬ 
streichen auf Deckgläser nach Gram gefärbt. Hier fanden sich 
Mikroorganismen (Figur 3, 4, 5 und 6) in Form von sehr kurzen, 
plumpen, grampositiven Bacillen, 0,5 bis 1 Mikron lang und 
0,2 Mikron dick, sowie Kokken in Gruppen oder in kurzen 
Ketten, ca. 0,3 Mikron im Durchmesser. In drei zur Sektion 
gelangten Fällen von menschlicher Tollwut konnte ich mit der 
Antiforminmethode dieselben Mikroorganismen (Figur 8) nach- 
weisen. In derselben Weise wurden die Gehirne von einer 
grösseren Anzahl Kaninchen, die mit Virus fixe infiziert wären, 
verarbeitet. Hier gelang es in drei Fällen, eine sehr geringe 
Anzahl Kokken aufzufinden. Hatten diese Mikroorganismen 
ätiologische Beziehung zur Tollwut, so sollten sie sich auch in 
den Speicheldrüsen und Nervganglien wutkranker Tiere finden. 
Es gelang auch hier, in einigen Fällen mittels Antiformin und 
Gramfärbung morphologisch ähnliche Mikroorganismen (Figur 7, 
9, 10 und 11) grösstenteils in Form von Kokken aufzufinden. 
Zur Kontrolle wurde eine grössere Anzahl normaler Gehirne und 
Speicheldrüsen von Hunden sowie anderweitig pathologisch ver¬ 
änderte Menschengehirne mittels der Antiforminmethode unter¬ 
sucht, mit vollkommen negativem Erfolg. 

Die mittels Antiformin isolierten Mikroorganismen sind, wie 
die Vergleichung mit den früher in vereinzelten Ausstrichen mit 
der Grammethode gefundenen, morphologisch identisch. Ohne 
Zweifel wirkt das Antiformin als Beize und verleibt den sonst 
schwer färbbaren Mikroorganismen chromatophile Tendenz zu den 
gewöhnlichen Farbstoffen. 

Um die ätiologische Bedeutung dieser Mikroorganismen 2 ) für 
die Tollwut noch weiter zu sichern, versuchte ich, ob es nach 
Auflösung des frischen Gehirnes von an Strassenwut verendeter 
Hunden in 15 proz. Antiformin und intracerebraler Verimpfung 
des Sediments auf Kaninchen gelingt, Tollwut zu erzeugen. Eine 
grössere Reihe von Versuchen ergab, dass gewisse Strassenvirus- 
stämrne 10 Minuten eine 15 proz. Antiforrainlösung vertragen, 
ohne ihre Virulenz einzubüssen. Unter 13 Strassenvirusstämmen 
zeigten 3 eine ausgesprochene Antiforminresistenz. Kaninchen, 
die mit dem gewaschenen Sediment intracerebral geimpft waren, 
gingen in ca. 3 Wochen unter den typischen Symptomen der 
paralytischen Wut zugrunde. 


Figur 4. 



StrassenvirusII. Aotiformin 15pCt. 
Gram. (Leitz Vie Oelimmersion. 
Ocular 4.) 


Figur 6. 



StrassenvirusIV. Antiformin 15pCt. 
Gram. (Leitz , / l6 Oelimmersion. 
Ocular 4.) 


Figur 8. 



Lyssa humana. Anliforrain 15 pCt. 
Gram. (Leitz '/is Oelimmersion. 
Ocular 4.) 


Figur 10. 



1) F. Proescher, New York med. journ., 22. April 1911. 

2) F. Proescher, New York med. journ., 29. Juli 1911. 


Speicheldrüse (Hund). Antiformin 
15pCt. Gram. (Leitz 7ie Oel¬ 
immersion. Ocular 4.) 


Figur 3. 



Strassenvirus I. Antiformin 15pCt. 
Gram. (Leitz Vi« Oelimmersion. 
Ocular 4.) 


Figur 5. 



Strassenvirus III. Antiformin 15pCt. 
Gram. (Leitz Via Oelimmersion. 
Ocular 4.) 


Figur 7. 



Speicheldrüse (Hund). Antiformin 
15pCt. Gram. (Leitz Vie Oel¬ 
immersion. Ocular 4.) 


Figur 9. 



Ganglion von Kuh. Antiformin 
15 pCt. Gram. (Leitz J /i« Oel¬ 
immersion. Ocular 4.) 


Figur 11. 



Speicheldrüse (Kuh). Antiformin 
15pCt. Gram. (Leitz V,e Oel¬ 
immersion. Ocular 4.) 


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7. April 1913.- 


BERLINER!KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


G35 


Versuche, die mit dem Passagevirus unseres Laboratoriums 
unternommen wurden, ergaben, dass die Virulenz innerhalb 
weniger Sekunden vernichtet wird. Ob alle Virus fixe Stämme 
das gleiche Verhalten zeigen, bleibt weiteren Untersuchungen Vor¬ 
behalten. 

Nachdem mittels der Antiforminmethode die Existenz eines 
mikroskopisch sichtbaren Mikroorganismus im Gehirn tollwut- 
kranker Tiere und Menschen festgestellt war, nahm ich von 
neuem die substantive Färbung dieser Mikroorganismen wieder auf. 

Wie bereits erwähnt, batte ich früher in Sublimat fixierten 
und mit polychromem Methylenblau gefärbten Gehirnschnitten 
von Kaninchen, die mit Virus fix infiziert waren, zahlreiche 
Kokken gesehen. An Ausstrichpräparaten ergab die Methode 
vollkommen negative Resultate. Ich versuchte dann beide Färbe¬ 
komponenten des polychromen Methylenblaus, das Metbylenviolett 
und das Methylenazur, in chemisch reiner Form zur Färbung von 
Ausstrichpräparaten von Virus fixe. Das Methylenazurchlorid und 
Methylenviolettchlorid waren für die Färbung ebenfalls un¬ 
brauchbar. Dagegen gelang es, mit Methylenazurcarbonat (Unna- 
Giemsa) Mikroorganismen in grosser Anzahl zur Darstellung zu 
bringen. Bei der ungleichmässigen Verteilung des Tollwut¬ 
erregers im Centralnervensystem ist es am besten, verschiedene 
Teile desselben in einem sterilen Mörser zu zerreiben und von 
dieser Emulsion möglichst dünne Ausstriche auf sorgfältig ge¬ 
reinigten Deckgläsern herzustellen. Die lufttrockenen Ausstriche 
werden 10 Minuten in Methylalkohol fixiert und für 30 Minuten 
bis mehrere Stunden in einer 1 proz. Lösung von Methylenazur¬ 
carbonat, mit Zusatz von 1 proz. Carboisäure gefärbt. Bei zu 
starker Färbung des Untergrundes kann man die Ausstriche für 
mehrere Sekunden in eine Mischung von gleichen Teilen Aceton 
und absolutem Alkohol eintauchen, mit destilliertem Wasser ab- 
waschen, trocknen und in Damarbalsam einschliessen. 

Für die Färbung von Schnittpräparaten hat sich vorläufig 
die Sublimatfixation am besten bewährt. Einbetten in Paraffin, 
Färbung der Schnitte eine halbe Stunde oder länger in Azur¬ 
carbonatlösung, Differenzieren in Acetonalkohol, Aufhellen in 
Xylol, Einschliessen in Damarbalsam. 

Die Prüfung verschiedener Proben Azurcarbonat von Grübler, 
hat ergeben, dass nicht alle eine gleichmässige und intensive 
Färbung garantieren. Die nach Unna’s Vorschrift hergestellte 
Azurcarbonatlösung ist ebenfalls brauchbar. Man löst 0,1 g Me- 
thylenazurchlorid in 10 ccm 0,1 proz. Kaliumcarbonatlösung und 
gibt 0,1 ccm konzentrierte Karbolsäure zu. Am besten hat sich das 
Ludwigshafener Methylenazurchlorid bewährt. Zuverlässig und 
intensiv färbt das reine Azurcarbonat, das man auf folgende 
Weise erhält: Man gibt zu einer wässerigen Lösung von Me¬ 
thylenazurchlorid frischgefälltes Silberoxyd im Ueberschuss, extra¬ 
hiert die freie Methylenazurbase, ohne vom Silberoxyd abzufiltrieren, 
mit Aether im Scheidetrichter. Die in Aether mit roter Farbe 
lösliche Methylenazurbase färbt sich nach dem Verdampfen des 
Aethers durch Aufnahme der Kohlensäure der Luft tiefblau. Am 
besten entzieht man der ätherischen Lösung durch Ausschütteln 
mit kleinen Mengen kohlensäurehaltigen Wassers, das freie Me- 
tbylenazur und erhält so eine reine Azurcarbonatlösung. 

Mit Hilfe dieser Färbmethode 1 ) ist mir der Nachweis folgender 
Mikroorganismen (Figur 12—17) im Virus fixe gelungen. Es fanden 
sich äusserst kleine an der Grenze der Sichtbarkeit stehende Kokken 
in Form von Diplokokken oder Gruppen, blassblau, teilweise meta¬ 
chromatisch, violettblau gefärbt. Durchmesser schätzungsweise etwa 
0,2 Mikron. Etwas grössere Kokken, ähnlich Gonokokken, tief¬ 
blau gefärbt, etwa 0,3 Mikron im Durchmesser. Kurze, ovale 
Bacillen, etwa 0,3 bis 0,5 Mikron lang, 0,2 Mikron dick. Schlanke 
Bacillen, gerade oder leicht gebogen, einzelne an beideu Enden 
zugespitzt, ähnlich den fusiformen Bacillen, etwa 1,5 Mikron lang 
und 0,1 Mikron dick, mit leicht abgerundeten Enden, tiefblau 
gefärbt. Sehr vereinzelte Spirochäten mit flachen Windungen, 
blassblau gefärbt, etwa 5 bis 7 Mikron lang. Ferner komma- 
förmige oder flach S-förmige gebogene Gebilde, mit einer knopf¬ 
förmigen Anschwellung an einem Ende oder in der Mitte. 

Die überwiegenden Formen sind die Kokken und die kleinen 
kurzen Bacillen, die Spirochäte wurde in drei verschiedenen Virus 
fixe Stämmen gefunden. Die Mikroorganismen fanden sich in 
einigen Ausstrichen in ganz enormer Menge. Sie lagen extra- 

1) Ueber mikroskopische Befunde, die ich mit der gleichen Färbe- 
raethode bei Variola und Poliomyelitis erhoben habe, werde ich dem¬ 
nächst berichten. 


cellulär oder fanden sich häufig im Protoplasma sowie im Kern 
der Nervenzellen. 

Der Nachweis dieser Mikroorganismen gelang mir konstant 
im Passagevirus unseres Laboratoriums sowie im Virus fixe 
folgender Wutschutzinstitute: Paris, New York, Chicago, Washington 
(U. S. Marine-Hospital Service). Ebenso wurden dieselben Mikro- 


Figur 12. 



Virus] fixe. Paris. Originalausstrich. Methylenazurcarbonat. (Leitz Via 
Oelimraersion. Ocular 4.) 


Figur 13. 



Virus fixe. New York. Methylenazurcarbonat. (Leitz 1 / l2 Oeliramersion. 
Ocular 4.) 


Figur 14. 



Virus fixe. Washington (siehe Spirochätenform). Metbylenazurcarbonat. 
i (Leitz V12 Oelimmersion. Ocular 4.) 

4* 


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Original fro-m 

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636 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 14. 


Figur 15. 



Virus fixe. Chicago. Metbylenazurcarbonat. (Leitz VizlOelimmersion. 
Ocular 4.) 

Figur 16. Figur 17. 



Virus fixe. Chicago (s. Spirochäten- Virus fixe. Pittsburgh. Paraffin¬ 
form). Methylenazurcarbonat. (Leitz schnitt. Methylenazurcarbonat. 

Vi 2 Oelimmersion. Ocular 4.) (Leitz Vi6 Oelimmersion. Ocular4.) 

Organismen in zehn bisher zur Untersuchung gelangten Strassen- 
virusstämmen regelmässig gefunden. 

Auffallend ist der ausserordentlich grosse Pleomorphismus 
dieser Mikroorganismen. Die sichere Beurteilung aller Formen 
wird erst möglich sein, wenn die künstliche Züchtung des Virus 
gelingt. 

Auf Grund der klinischen und experimentellen Erfahrung 
müssen wir annehmen, dass eine bewegliche Form des Tollwut- 
erreges existiert. Wir wissen, dass das Virus ausschliesslich den 
Nervenbahnen entlang wandert. Da eine passive Fortbewegung 
innerhalb der Axencylinder ausgeschlossen ist, so muss es aktiv 
weiter wandern. Die Spirochätenform würde dafür in Betracht 
kommen. Die Erfahrung mit anderen Spirochäten (S. gallinarum, 
S. duttoni) hat es wahrscheinlich gemacht, dass die Ruhestadien 
kokkenartige Gebilde sind, aus denen sich unter geeigneten Be¬ 
dingungen wieder Spirochäten entwickeln. Wie oben erwähnt, 
fanden sich im Antiforrainsediment der Speicheldrüsen reichlich 
Kokken, die dem Ruhestadium der Spirochätenform entsprechen 
dürften, und die nach Uebertragung in die Bisswunde eines 
disponierten lndividiums sich zu Spirochäten umbilden, und in 
die Nervenbahnen einwandern. Die eigenartigen Komma- und 
S-förmigen Gebilde mit den knopfförmigen Anschwellungen sind 
möglicherweise die ersten Involutionsstadien der Spirochätenform. 
Alle übrigen Formen entwickeln sich aus diesen Kokken. 

Die Stellung dieser Mikroorganismen im System, ob Protozoen 
oder Bakterien oder eine besondere Klasse zwischen beiden, bleibt 
vorläufig offen. In morphologischer Beziehung zeigen sie die 
Charakteristika der Bakterien. Die Spirochäten können wir nach 
den neueren Anschauungen zu den Bakteriacaen rechnen. Chemisch 
scheint die Leibessubstanz dieser Mikroorganismen, soweit sich 
aus dem tinktoriellen Verhalten schliessen lässt, „basophile 
Azurophilie“ den Chromatin der Protisten ähnlich zu sein; mit 
dem Unterschied, dass letzteres neutrophil azurophil ist. 

Der entgültige Beweis, dass die von mir gefundenen Mikro¬ 
organismen die Erreger der Tollwut sind, wird durch die künst¬ 
liche Züchtung und Uebertragung der Reinkulturen auf Tiere zu 
erbringen sein. 

Zusatz bei der Korrektur. In der vorliegenden Mit¬ 
teilung war ich absichtlich nicht auf den Chemismus der Färbung 
eingegangen, weil ich noch weitere Erfahrungen mit anderen 
Farbstoffen aus der Tbiazinreihe sammeln wollte. Meine weiteren 
Untersuchungen haben zu interessanten und wichtigen Ergebnissen 
geführt, so dass ich hier kurz das Wesentliche schon mitteilen 
möchte. 

Wie oben angegeben, hatte sich zur Färbung nur das 
Methylenazurcarbonat bewährt, mit Methylenazurchlorid sowie 


Methylenviolettchlorid gelang die Färbung nicht. Ich vermutete 
daher, dass das Tollwutvirus nur dann färbbar sei, wenn das 
Azur in Form des stark basischen, labilen Carbonats angewandt 
wird. Das stabilere, salzsaure Azur ist offenbar wegen seiner 
geringen Dissociation zur Färbung nicht brauchbar. 

Die Richtigkeit dieser Annahme konnte ich weiter damit be¬ 
stätigen, dass zwei weitere Thiazinfarbstoffe, das Methylenviolett 
und Dimethylthionin in Form ihrer freien Basen in schwach 
alkalischer Lösung das Tollwutvirus färben, während ihre salz- 
sauren Salze für die Färbung ebenfalls unbrauchbar sind. 

Ferner konnte ich mit der freien Base des Toluidinazurs und 
Aethylenazurs, die ich aus Toluidinblau resp. Aethylenblau dar¬ 
gestellt habe, positive Färberesultate erzielen. 

Weitere Untersuchungen werden festzustellen haben, ob es 
sich hier ausschliesslich um eine spezifische Eigenschaft der 
Thiazinfarbbasen handelt, oder ob auch die freien Basen gewisser 
anderer Farbstoffklassen (Triamidotriphenylmethane, Eurhodine) 
das gleiche Verhalten zeigen. 

Zur weiteren Aufklärung des hier vorliegenden Färbeprozesses 
habe ich mit den obenerwähnten Thiazinfarbstoffbasen Färbe¬ 
versuche an einer Reibe chemisch gut definierter Substanzen 
angeführt, welche darauf hinweisen, dass die Leibessubstanz des 
Tollwut-, Poliomyelitis- und Pockenvirus eigenartige Lipoproteine 
sind. Die lipoide Komponente scheint den Oelsäure-Glycerin- 
äthern oder Lecithinen ähnlich zu sein. 

Dieser besondere lipoide Charakter erklärt vielleicht in un¬ 
gezwungener Weise die Eigenschaft der Filtrabilität. Die lipoide 
Komponente verleiht dem Protoplasma grössere Plastizität und 
verringert die Cohäsion, so dass die Mikroorganismen die Filter¬ 
poren passieren können. Die mikroskopische Unsichtbarkeit 
dieser Mikroorganismen im nativen Präparat, die Resistenz gegen 
Austrocknen, Einfrieren und die Virulenz konservierende Eigen¬ 
schaft des Glycerins sprechen ebenfalls für die Gegenwart einer 
lipoiden Substanz. 


Aus der chirurgischen Klinik Marburg (Direktor: 
Prof. Dr. König). 

Konservierung von Dauerpräparaten in kon¬ 
zentrierter Zuckerlösung. 

Von 

Dr. Georg Magnus, Assistent der Klinik. 

Die Erfahrung lehrt, dass man mit Zucker eine stark anti¬ 
septische Wirkung ausüben kann. Konzentrierte Lösungen be¬ 
einflussen ihre Umgebung so heftig osmotisch, dass etwa vor¬ 
handene Keime sich nicht ausbreiten können, oder sogar ver¬ 
nichtet werden 1 ). Gemahlener Zucker wirkt auf seine Nachbar¬ 
schaft so stark, dass er für steril gelten kann. Sporen sind zwar 
gegen Schädigung durch Wasserentziehung absolut geschützt, 
können jedoch im Zucker oder in starker Lösung nicht zum Aus¬ 
keimen kommen. In der Tat führten Untersuchungen über den 
Gehalt des käuflichen Zuckers an Keimen zu dem Resultat, dass 
von 44 Kulturen verschiedener Art überhaupt nur 5 angingen, 
2 mit Heu-, 3 mit Kartoffelbacillen. Eine Selbstreinigung des 
Zuckers in Substanz in starker Lösung ist also nicht nur 
theoretisch durchaus plausibel, sondern tatsächlich vorhanden. 

Von dieser Tatsache hat man schon lange empirisch Gebrauch 
gemacht, ehe die theoretische Grundlage geschaffen wurde. Die 
Alten behandelten ihre Leichen zum Zwecke der Konservierung 
mit Honig und Zucker und schützten sie so vor Fäulnis. Im 
Haushalt wird jetzt vielfach so verfahren, dass man Obstkonserven 
in dem Gefäss durch Kochen sterilisiert, in welchem die Früchte 
bleiben sollen. Früher füllte man allgemein das Kompott in un¬ 
sterile Gefässe ab und schützte es durch starken Zuckerzusatz 
vor dem Verderben. „Pfund auf Pfund“ war das Prinzip der 
Häusfrau beim Einmachen, wobei man in Rechnung ziehen muss, 
dass die Früchte ja an sich schon sehr reichlich Zucker enthalten, 
und ausserdem beim Kochen erhebliche Mengen Wasser abgeben. 
Infolgedessen wurde der Zuckergehalt des Kompotts stets erheblich 
höher als 60 prozentig. 

Diese Erwägungen sowie die Beobachtung, dass derartig kon¬ 
servierte Früchte meist sehr schön ihre Farbe behalten — man 

1) Magnus, Wundbehandlung mit Zucker. Münchener med. 
Wochenscbr., 1913, Nr. 8. 


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7. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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denke nur an das kalifornische Obst —, führten zu Versuchen, 
anatomische Präparate in starken Zuckerlösungen zu konservieren. 
Bringt man ein Organ sofort in eine derartige Lösung, so tritt 
eine starke Hämolyse ein; die Lösung färbt sich lackfarbenrot, 
das Präparat wird vollkommen ausgelaugt und blass. Deshalb 
wurden die Präparate zuerst fixiert. Ich nahm dazu die übliche 
10 proz. Formalinlösung und liess die Gewebsstücke je nach der 
Grösse 6 bis höchstens 12 Stunden darin. Hierauf kamen sie für 
dieselbe Zeit oder etwas länger — bis zu 24 Stunden —, in 
50 proz. Alkohol, dann in die Zuckerlösung. Es wurde stets 
konzentrierte Lösung verwendet. Käuflicher Rübenzucker wurde 
mit so wenig Wasser versetzt, dass er im Ueberschuss blieb. 
Dieser Ueberschuss setzt sich zu Boden, und man hat darüber eine 
klare, gesättigte Lösung. Es ist wichtig, keinen minderwertigen 
Zocker zu nehmen. Derselbe ist geblaut, und man erhält eine trübe, 
schmutziggraue Lösung. Filtriert man diese, so wird das Filter 
blauschwarz, das Filtrat ziemlich intensiv gelb. Eine solche 
Flüssigkeit ist natürlich für unseren Zweck unbrauchbar. Guter 
Zucker gibt eine klare, absolut farblose, sehr dicke, sirupäbn- 
liche Lösung. Dieselbe braucht nicht sterilisiert zu werden. Io 
keinem Falle wurde nachträglich irgendeine Veränderung an ihr 
wabrgenommen. Versuche, sie mit Schimmel zn infizieren, miss¬ 
langen. 

Die Konservierung ergab recht ermutigende Resultate. Im 
Alkohol kehren die Farben zurück, die im Formalin etwas ab¬ 
geblasst sind; man muss sich nur hüten, die Gewebe zu lange 
der Wirkung des Formalins auszusetzen, da sonst die Farben zu 
stark zurückgehen. Aus dem dünnen Alkohol kommen die Prä¬ 
parate dann in die konzentrierte Zuckerlösung. Meist wurden die 
Gläser sofort mit Gelatine verschlossen, einige blieben offen, um 
eine Infektion durch Luftkeime zu ermöglichen; es trat nie etwas 
Derartiges ein. Dann wurde ein Teil der Präparate 6 Wochen 
lang auf einem Fensterbrett im Laboratorium hellstem Tageslicht 
ausgesetzt, um die Dauerhaftigkeit der Farben zu beanspruchen. 
Das Resultat war, dass alle ihre Farben genau so schön behielten, 
wie sie am ersten Tage gewesen waren. In der Tat sind sämt¬ 
liche Präparate, die so behandelt wurden, als in den Farben sehr 
gut erhalten zn bezeichnen, und zwar zeigte sich dieser Vorgang 
in ganz gleichmässiger Weise. 

Nach 6 Wochen wurde ein so konservierter Wurmfortsatz, 
der sehr schön und lebenswahr eine schwere, hämorrhagische Ent¬ 
zündung zeigte, der Zuckerlösung entnommen und zur mikro¬ 
skopischen Untersuchung verarbeitet. Ein Stück kam für zwölf 
Stunden in fliessendes Wasser und wurde dann mit dem Gefrier¬ 
mikrotom geschnitten. Es war weder hart noch spröde und liess 
sich vorzüglich schneiden. Die Präparate wurden mit Hämatoxylin- 
Eosin gefärbt. Die Untersuchung ergab, dass Farben und Strukturen 
sich in keiner Weise von denen eines frisch verarbeiteten Prä¬ 
parates unterschieden. Die Kerne waren scharf Umrissen und die 
Kernstruktur deutlich, die Fasern des Bindegewebes und der 
Muskelschicht nirgends geschrumpft oder mangelhaft gefärbt. 
Die Erythrocyten hatten sogar eine auffallend leuchtende Farbe 
angenommen. 

Mithin ergaben unsere Versuche, dass die Konservierung von 
Dauerpräparaten in konzentrierter Zuckerlösung nicht nur ein 
sicheres, billiges und bequemes Verfahren darstellt, sondern dass 
auch die Resultate in bezug auf Erhaltung der natürlichen Farben, 
selbst bei starker Belichtung, auf Gleichmässigkeit und auf 
bleibende Möglichkeit der mikroskopischen Verarbeitung durchaus 
befriedigend waren. 


Aus den Laboratorien des Rockefeller Institute for 
Medical Research, New York. 

Beobachtungen an einem Hühnersarkom und 
seiner filtrierbaren Ursache. 

Von 

Peyten Rois, M. D., und James B. Murphy, M. D. 

Der heutige Beitrag betrifft ein Sarkom des Huhns, das 
in 82 Hühnerserien von einem zum anderen Exemplar verpflanzt 
worden and auf diese Weise während eines Zeitraums von bei¬ 
nahe drei Jahren in unserem Laboratorium im Wachstum er¬ 
halten worden ist. Das Hauptinteresse der Erkrankung liegt 
nicht in der Belehrung über das Verhalten verpflanzbarer Tumoren 
beim Vogel — ein sehr wenig bekannter Gegenstand —, sondern 


in der Tatsache, dass die Ursache des Gewächses in einer filtrier¬ 
baren Substanz 1 ), fast ohne Zweifel einem lebenden Organismus, 
entdeckt worden ist. Die natürliche Voraussetzung wäre, dass 
ein auf solche Art verursachtes Gewächs ein Granulom, aber 
nicht eine Geschwulst darstellt; und aus diesem Grunde sind die 
Merkmale der Krankheit einer besonders sorgfältigen Prüfung 
unterzogen worgen. 

Das spontane Gewächs fand sich im Unterhautgewebe eines 
jungen Huhns und wurde verpflanzt, während der Träger noch 
am Leben war. Histologisch war es ein Spindelzellensarkom, 
stellenweise myxomartig, während es an anderen Stellen Riesen¬ 
zellen vom Sarkomtypus enthielt, verschieden von den in Hühner¬ 
granulomen oder um Fremdkörper vorkommenden. Die Ver¬ 
pflanzung des frischen Gewebes in andere Hübner gelang, 
und somit war das Gewächs für Versuchszwecke gewonnen. Im 
Laufe wiederholter Uebertragung nahm es stark an Bösartigkeit 
zu. Von den vielen Hundert daraus abgeleiteten Gewächsen 
batten die meisten den Bau eines Spindelzellensarkoms. Sie be¬ 
standen ans grossen, mehr oder weniger gestreckten Spindel¬ 
zellen, die in unregelmässigen Strängen verliefen, gestützt von 
einem spärlichen vasculären Gerüst. Die übrigen Gewächse 
zeigten auffallende Abarten innerhalb des Typus, erinnernd an 
diejenigen, welche von Zeit zu Zeit (Bashford, Lewin) in den 
übertragbaren bösartigen Geschwülsten der Säuger beobachtet 
worden sind. Zum Beispiel besteht das Sarkom zuweilen aus 
baferförmigen oder stumpfspindeligen oder abgerundeten Zellen, 
oder es finden sich zahlreiche Riesenzellen durch das Gewebe zer¬ 
streut, oder es kann eine bunte Mischung aller obenerwähnten 
Zellen vorliegen, so dass ein auffallend vielgestaltiges Bild ent¬ 
steht. Derartige Veränderungen sind erst in letzter Zeit deut¬ 
licher geworden 2 ). Im histologischen Sinne sind alle diese Ge¬ 
wächse Tumoren. Mit den gewöhnlichen Granulomen oder mit 
den Geweben bei chronischen Entzündungen sind dieselben nicht 
zu verwechseln. 

Makroskopisch ist das nach systematischer Einpflanzung des 
Sarkomgewebes in die Brustmuskulatur des Huhns auftretende 
Gewächs eine umschriebene elastische, linsenförmige, rundliche 
oder elliptische Masse, die meist schnell an Grösse zunimmt und 
bald mehr oder weniger scharf sich von den Körperlinien abhebt. 
Bei widerstandsfähigeren Tieren ist dieselbe besonders deutlich 
abgegrenzt und öfters eingekapselt. Sie neigt dann zur myxoma- 
tösen Veränderung und ist halbgallertartig. Bei anderen, teil¬ 
weise resistenten Trägern ist die Geschwulst hart und faserig, 
feinstreifig im Querschnitt und von gelblichgrauer Farbe. Bei 
sehr emfänglichen Hühnern dringt sie diffus vor und ist rötlich¬ 
grau, homogen, spröde oder häufiger noch brüchig. Besonders 
im letzteren Falle neigt sie zur centralen nekrotischen Erweichung 
und ausgedehnten Blutungen mit Cystenbildung. 

Die Wachstumsscbnelligkeit des Sarkoms ist zuweilen sehr 
gross, jedoch alles in allem genommen nicht mehr als bei ge¬ 
wissen Tumoren der Säuger, besonders einem von Ehrlich be¬ 
schriebenen Mäusesarkom. Innerhalb dreier Wochen nach der 
Einpflanzung eines weniger als 2 mm im Umfang messenden 
Gewebsstückchens kann sich aus demselben eine 12:6:6 cm 
grosse Masse entwickeln. Ueber 40 pCt. der Zellen in den 
aktiveren Teilen eines derartigen Gewächses können zu gleicher 
Zeit im Teilungsvorgang begriffen sein 8 ). Ami tose kommt viel 
häufiger vor als Mitose. 

Begleitet wird die Grössenzunahme des Sarkoms gewöhnlich 
von einem Vordringen in die normalen Gewebe und deren Sub¬ 
stituierung. Besonders schön zeigt sich das, wo das Gewächs im 
gestreiften Muskel liegt. Die neoplastischen Zellen dringen 
häufig in die einzelnen Fasern ein, wo sie sich vermehren und 
durch Erosion der Muskelsubstanz dieselbe im 'ganzen ersetzen, 
obgleich der Umriss der Muskelfaser erhalten bleibt. Die Blnt- 
und Lympbgefässe werden oft ergriffen, was Metastasen zur Folge 
bat. Ueber die Hälfte der eben an dem Gewächs zugrunde 
gehenden Hühner hat sekundäre Knoten in den Eingeweiden. Die 
Verbreitung findet meist durch den Blutstrom statt, wie bei 
anderen Sarkomen auch; erst werden die Lungen ergriffen, dann 


1) Peyton Rous, Journ. am. med. ass., 1911, Bd. 56, S. 198; 
Joum. exp. med. 1911, Bd. 13, S. 397; Proceedings am. philosopb. 
soc., Bd. 51, S. 201. 

2) Eine Arbeit über diese Veränderungen erscheint demnächst ira 
Journal of experimental medicine. 

3) J. B. Murphy und Peyton Rous, Journ. exp. med., 1912, 
Bd.'lö, S. 119. 

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Nr. 14. 


die vom grossen Kreislauf versorgten Organe. Die Lungen sind 
zuweilen beinahe durch zusammcnfliessende Knötchen ersetzt und 
können um das Doppelte vergrössert sein. Metastasen finden 
sich häufig in Leber, Herz und Eierstock, weniger oft in Niere, 
Milz, Kropf und Knochenmark. Eine weitverbreitete Ausstreuung 
kann sich auf der Oberfläche der Bauchhöhle finden. 

Der Träger scheint zwar anfangs nicht unter dem sich ent¬ 
wickelnden Gewächs zu leiden, verliert aber bald an Gewicht, 
wird blutarm und magert ab, um ohne Zwischenfall im Coma zu 
verenden. 

Diese oberflächlichen Kennzeichen einer Geschwulst sind 
jedoch nicht ausreichend, um das Gewächs zu einer solchen zu 
stempeln. Das wesentliche Merkmal von Geschwülsten, wodurch 
dieselben sich von anderen Gewebsneubildungen unterscheiden, 
bleibt noch übrig, nämlich das Wachstum durch Teilung der 
bereits neoplastischen Zellen, im Gegensatz zum Wachstum durch 
eine pathologische Veränderung von früher normalen Zellen. Sind 
die Ausbreitung und Verteilung des Hühnersarkoms dieser Ursache 
zuzuschreiben ? 

Diesem Problem wurde auf verschiedenen Wegen beizukommen 
versucht. Die vorliegenden direkten histologischen Beweise 
würden im Falle jedes anderen Gewächses zur Bestimmung ge¬ 
nügen. Die histologische Natur des Gewächses, die Zahl der 
Teilungsfiguren, die Zeichen von Druck auf die Umgebung, das 
merkwürdige Eindringen und Ersetzen durch ein Gewebe, welches 
oft stark von demjenigen der ergriffenen Struktur abweicht, das 
Einwachsen von Geschwulststrängen in das Lumen von Blutgefässen, 
die Entstehung von Zellembolien und das Anwachsen und Gedeihen 
dieser Embolien an entfernter Stelle, — dies alles lässt sich 
hier anführen als hindeutend auf ein Wachstum „aus sich heraus“, 
um mit Ribbert zu reden. Wiederholt fanden wir alle Stadien 
in der Metastasenbildung mittels Zellverschleppung. Experi¬ 
mentelle Beweise besitzen noch grössere Ueberzeugungskraft. Eine 
Aufschwemmung von frischem Tumorgewebe wurde intravenös 
einer Anzahl von normalen Hühnern eingespritzt; einige Tage 
später wurden die Tiere getötet und dio Lungen in Serienschnitten 
untersucht. Es zeigte sieb, dass die Sarkomknötchen sich aus 
Tumorstuckcben entwickelten, die sich in den Aesten der Arteria 
pulmonalis festgesetzt und hier gewuchert waren, um schliesslich 
durch die Gefässwandungen in das Lungengewebe einzudringen. 
Viele von den Tumorembolien waren abgestorben, und um diese 
herum entwickelte sich kein Sarkom. Durch Verfolgen des 
Schicksals von zahlreichen Ablegern eines einzigen Sarkoms, das 
einem empfänglichen Huhn eingepflanzt war nnd durch Operation 
an aufeinanderfolgenden Tagen entfernt wurde, fand sich, dass 
das Sarkomgewebe die Verpflanzung in andere Wirte verträgt, 
vascularisiert wird und durch Proliferation das neue Gewächs her¬ 
vorbringt 1 ). Bei widerstandsfähigen Hühnern stirbt das einge- 
pflanzte Gewebe ab, und es entsteht kein Sarkom. 

Soviel ist also gewiss, dass das Hühnersarkom „aus sich 
heraus“ wächst, also mit anderen Worten den grundlegenden 
Cbarakterzug besitzt, an welchem wir jetzt die Geschwülste er¬ 
kennen. Es fragt sich nur, verbreitet sich das Gewächs nicht 
auch durch Infektion benachbarter Zellen? Eine solche Möglich¬ 
keit lässt sich allerdings nicht auf Grund histologischer Beweise 
allein verneinen, wie auch nicht bei den Sarkomen der Säuger; 
dabei würde a priori die Demonstration eines das Gewächs ver¬ 
ursachenden Agens eine solche Infektion in diesem Falle sehr 
wahrscheinlich erscheinen lassen. Doch haben wir gefunden, dass 
durch eine Anzahl später zu erwähnender Umstände das Agens 
in seiner Tätigkeit gehemmt wird, in solchem Maasse, dass es 
uns sogar mit besonders ausgedachten Versuchen nicht zu zeigen 
gelang, dass eine Infektion der erwähnten Art irgendeinen Anteil 
an den gewöhnlichen Manifestationen des Sarkoms bat. Letztere 
ist ganz und gar dem Wachsen nnd Verbreiten „aus sich heraus“ 
zuzuschreiben. 

Ein weiterer interessanter Beweis dafür, dass das Hühner¬ 
sarkom neoplastischer Art ist, findet sich im Verhalten des Ge¬ 
wächses bei den verschiedenen Trägern, in die es verpflanzt wurde. 
Seit einiger Zeit weiss man, dass der Erfolg von Tumorverpflan¬ 
zungen von gewissen Bedingungen beeinflusst wird, die entweder 
gänzlich von den die Uebertragung von Infektionskrankheiten 
beeinflussenden abweichen oder viel prägnanter in ihrer Wirkung 
sind (L. Loeb, Schöne, Bashford, Fichera, Rous). Im 
grossen ganzen sind diese Bedingungen dieselben, welche die Ver¬ 
pflanzung von normalen Geweben beeinflussen. Es ist dies eine 


1) Rous und Murphy, Journ. exp. med., 1912, Bd. 15, S. 270, 


der bedeutsamsten aus der neueren Krebsforschung gewonnenen 
Tatsachen und eine starke Stütze jener Theorien, welche die Ur¬ 
sache des Krebses in einer inneren Störung der Zellen im Gegen¬ 
satz zu einem Infektionsstoff suchen. Es trifft sich nun, dass das 
Hübnersarkom, obgleich zweifelsohne durch ein äusseres Agens 
veranlasst, stark von den oben erwähnten Bedingungen beein¬ 
flusst wird. 

Die Blutsverwandtschaft, derselbe Faktor, der eine so grosse 
Rolle beim Erfolg der operativen Transplantationen spielt, ist 
eine der wichtigsten dieser Bedingungen. Unser ursprüngliches 
Hühnersarkom kam bei einem reinrassigen Huhn vor und liess 
sich zuerst nur auf die nächsten Anverwandten des Tieres ver¬ 
pflanzen (nämlich solche Hühner, die im VerwandtscbaftsVerhältnis 
von Halbbruder, Halbschwester, Onkel und Tante zu ihm standen). 
Bei nicht blutsverwandten Hühnern von genau derselben Rasse 
(gestreifte Plymouth Rock) wuchs es nicht. Erst nach wieder¬ 
holten Ueberpfianzungen und daraus resultierender erhöhter Bös¬ 
artigkeit wurde es weniger wählerisch in bezug auf den Wirt 
Selbst bei der letzten Untersuchung (achte Tumorgeneration) 
wuchs es am besten bei Hühnern von der ursprünglichen Sorte. Trotz 
wiederholter Versuche Hess es sich nie mit Erfolg auf Säuger 
(Kaninchen, Meerschweinchen, Ratten, Mäuse) oder andere Vögel 
(als Hühner, Tauben, Enten) übertragen. 

Der Körperzustand des Trägers hat einen deutlichen Einfluss 
auf das Hühnersarkora, umgekehrt wie bei den gewöhnlichen In¬ 
fektionskrankheiten und ähnlich wie es von den übertragbaren 
Geweben, normal oder neoplastiscb, bei Säugern bekannt ist. 
Eine erschöpfende Krankheit macht den Träger nicht etwa be¬ 
sonders empfänglich, sondern verhältnismässig unempfindlich und 
kann die schnelle Rückbildung oder sogar ein zeitweiliges Ver¬ 
schwinden von gut entwickelten Sarkomen verursachen 1 ). Das Ge¬ 
wächs ist leichter auf junge als auf alte Träger übertragbar und 
wächst bei ihnen auch schneller, wie das schon von den ver¬ 
pflanzbaren Geweben der Säuger bekannt war. Durch Einimpfung 
in Hühnerembryonen (7—10 Tage), ohne deren Entwicklung zu 
stören, fanden wir, dass die Embryonen besonders empfängliche 
Wirte sind 2 ). Einige ansgewachsene Hühner zeigen eine natür¬ 
liche Widerstandskraft, unabhängig von Alter, Zustand oder Ab¬ 
art. Obgleich sie sehr passende Träger für den Tumor zu sein 
scheinen, entwickelt sich bei ihnen kein Gewächs, auch nicht 
nach wiederholten Inoculationeo mit aktivem Tumorgewebe. Bei 
einigen Hühnern verkleinert sich das Sarkom nach einiger Zeit 
ohne sichtbaren Grund und verleiht dem Träger eine vorüber¬ 
gehende Resistenz. Die oben erwähnten Resistenzformen finden 
sich ebenso bei Säugern. Die histologischen Vorgänge um den 
sich zurückbildenden Tumor oder das erfolgreiche Transplantat 
herum gleichen sich wesentlich im Falle des Hühnertumors und 
bei Ratten- 8 ) oder Mäusetumoren. 

Das wären also die Kennzeichen des Hühnersarkoms. Sie 
stempeln das Gewächs zum Tumor im vollen Sinne des Wortes, 
jetzt, wo unsere Auffassung des neoplastischen Vorgangs nicht 
nur auf klinischen und anatomischen Daten, sondern auf weiteren 
experimentellen Befunden beruht. Eine derartige Uebereinstimmung 
der Tumorphänomene beim Vogel und beim Säuger hätte sich 
kaum erwarten lassen. 

Unsere ersten Versuche zur Erforschung der Ursache des 
Hühnersarkoms wurden angestellt ohne die Erwartung, dass sie zu 
bestimmten Resultaten führen würden. Durch dreierlei Methoden 
wurde ein ätiologischer Faktor nachgewiesen, nämlich durch 
Filtrieren, durch Austrocknen und durch Glycerinisieren 4 ) 5 ) 8 ). Die 
daraus erzielte Flüssigkeit, die als ein Extrakt von frischem 
Sarkomgewebe in Ringer’scher Lösung durch ein Berkefeld-Filter 
getrieben wird, erzeugt den Tumor; Sarkomgewebe, das in vitro 
über Schwefelsäure getrocknet, zu Pulver verrieben, und so während 
Wochen oder Monate aufbewahrt worden ist, erzeugt ihn auch, 


• 1) Peyton Rous, Journ. am. med. ass., 1911, Bd. 56, S. 198; 
Journ. exp. med., 1911, Bd. 13, S. 397; Proceedings am. philosoph. soc., 
1912, Bd. 51, S. 201.' 

2) Rous und Murphy, Journ. am. med. ass., 1911, Bd. 56, S. 741; 
Journ. exp. med., 1912, Bd. 15, S. 119. 

3) Rous und Murphy, Journ. exp. med., 1912, Bd. 15, S. 270. 

4) Peyton Rous, Journ. exp. med., 1910, Bd. 12, S.696; Journ. 
am. med. ass., 1910, Bd. 54, S. 1805. 

5) Peyton Rous, Journ. am. med. ass., 1911, Bd. 56, S. 198; 
Journ. exp. med., 1911, Bd. 13, S. 397; Proceedings am. philosoph. soe., 
1912, Bd. 51, S. 201. 

6) Rous und Murphy, Journ. ameriean med. assoc.. 1912, Bd. 58, 
S. 1938, 


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and ebenfalls Geschwulstgewebe, das mehrere Wochen in 60 proz. 
Glycerin gelegen hat 1 ). Beim Gebrauch dieser Versuchsanordnung 
ergaben sich keine besonderen Verwicklungen. Die durch ein 
Filtrat oder durch getrocknetes oder glycerinisiertes Gewebe er¬ 
zeugten Tumoren unterscheiden sich nicht von den aus Ver¬ 
pflanzung hervorgegangenen, ausser dass sie gewöhnlich viel 
längere Zeit zum Erscheinen brauchen und oft bedeutend lang¬ 
samer wachsen. Sie bilden Metastasen, sind übertragbar und 
die mögliche Quelle einer beliebigen Anzahl von Gewächsen, 
von deren jedem das Agens in Menge erzielt werden kann. 

Die Kennzeichen des Agens sind diejenigen, welche wir als 
charakteristisch für Mikroorganismen ansehen 2 ); und es scheint zu 
den grösseren der filtrierbaren Krankheitsverursacher zu gehören, da 
es nicht durch ein Chamberland-Bougie hindurcbgeht, obgleich es 
leicht durch einen für B«cillus fluorescens liquefaciens un¬ 
passierbaren Berkefeld-Cylinder (N oder V) hindurcbgeht. Unsere 
wiederholten Versuche, das Agens direkt zu beobachten und in vitro 
zu züchten, sind bisher misslungen. In ausgetrocknetem oder 
glycerinisiertem Gewebe wird es allmählich abgeschwächt. In 
frischem Sarkomgewebe überlebt es wiederholtes schnelles Ge¬ 
frieren und Auftauen, wodurch das Gewebe selbst breiig wird. 
Es wird inaktiv durch Hitze (55° C während 15 Minuten), die etwas 
höher ist als die Hitze, welche die dazugehörigen Tumorzellen 
zerstört (50° C), wie aus unseren Versuchen, dieselben in vitro 
zu züchten, hervorgeht. Schnell wird es inaktiv gemacht durch 
Autolyse, durch Chloroform und Toluol in den Verhältnissen, wie 
sie zur Verhinderung des Bakterienwacbstums in autolytischen 
Lösungen dienen: durch 2proz. Carbolsäure und durch 50proz. 
Alkohol. Wie die tierischen Organismen, im Gegensatz zu den 
meisten pflanzlichen (v. Prowacek), wird es durch starke Ver¬ 
dünnungen von Saponin und durch Galle zerstört. 

Das Verhältnis des Agens zu der Krankheit, die es erzeugt, 
ist eben einzig dastehend in der Pathologie. Denn das Verhalten 
des Sarkoms ist allein den dasselbe zusammensetzenden Zellen 
zuzuschreiben. Neuere Arbeiten haben einige Gründe hierfür 
klargestellt. 

Erstens erzeugt das Agens selbst keine bemerkenswerte Im¬ 
munität. Die beim Huhn durch die Rückbildung des Sarkoms 
hervorgebrachte Widerstandskraft ist sehr gering, öfter vorüber¬ 
gehend, und ihr histologischer Ausdruck um ein frisches Trans¬ 
plantat von Sarkomgewebe ist von der Art, wie sie jetzt als auf 
Widerstand gegen das fremde Gewebe als solches deutend, aus¬ 
gelegt wird. In der Absicht, eine ausgesprochenere Resistenz zu 
erzielen, wurden viele Hübner mit allmählich zunehmenden 
Mengen von getrocknetem Sarkomgewebe, das erst durch Hitze 
abgeschwächt worden war, gespritzt. Bei den meisten dieser 
Tiere entwickelte sich früher oder später das Sarkom und tötete 
den Träger. Die Seren der überlebenden Hühner und von ähn¬ 
lich gespritzten Kaninchen zeigten nur sehr zweifelhafte Neutrali¬ 
sierungskräfte bei Inkubation in vitro mit dem Agens. Die Ab¬ 
wesenheit deutlich markierter, gegen das Agens als solches 
gerichteter Immunisierungsprozesse erklärt sehr wohl, warum die 
gegen das verpflanzte Tumorgewebe als fremdes Gewebe ge¬ 
richteten und auf jeden Fall vorhandenen Immunisierungsvorgänge 
die Aufmerksamkeit auf sich zogen. Ihr Vorhandensein im Falle 
dieses und anderer Gewächse bedeutet nicht notwendigerweise, 
dass ein anderes ätiologisches Agens als die Zellen selbst fehlen 
muss. Es bedeutet einfach, dass die Resistenzphänomene gegen 
ein solches Agens, wenn vorhanden, doch weniger ausgesprochen 
sind als die gegen die Zellen selbst gerichteten. 

Zweitens wirkt das Agens nicht auf normales Bindegewebe. 
Um eine neoplastische Veränderung bervorzubringen, muss es 
Gelegenheit haben, auf Bindegewebe einzuwirken, in welchem 
eine Wucherungsreaktion vor sich geht. Eine grosse Menge von 
das Agens in aktiver Form enthaltendem, durch eine feine Nadel 
in normales Gewebe eingebrachtem Berkefeld-Filtrat erzeugt nur 
selten ein Gewächs, und ein solches entwickelt sich im Pfade der 
spritzenden Nadel; wird aber dem Filtrat etwas steriles Kiesel¬ 
gur zugesetzt — was eine reichliche Bindegewebsreaktion hervor¬ 
ruft, wie Podwyssozki gezeigt hat —, so folgen einem hohen 
Prozentsatz der Inokulationen Tumoren, und dieselben entwickeln 
sich in mehreren Herden, wo die Reaktion auf das Kieselgur 
vor sich geht. 

1) Zwei andere Methoden, nämlich Gefrieren und Auftauen des 
frischen Tumorgewebes und Erhitzen auf 50—53° C, gestatten eine 
weniger befriedigende Differenzierung des Agens von den Zellen. 

2) Rous und Murphy, Journ. american med. assoc., 1912, Bd. 58, 

S. 1988. . 


Drittens ist die Wirksamkeit des Agens, Tumorgewebe durch 
eine Veränderung in früher nicht neoplastischen Zellen hervor¬ 
zubringen, eine sehr langsame im Vergleich zu der Wucherung 
dieser Zellen, nachdem die neoplastische Veränderung einmal er¬ 
folgt ist. Die ersten wenigen Zellen, die sarkomatös werden, 
teilen sich schnell und bewirken die Tumorgewebsmasse. Die 
Tätigkeit dieser Zellen überwiegt irgendwelche gleichzeitige neo¬ 
plastische Umwandlung, gesetzt den Fall, dass der hierzu erforder¬ 
liche Faktor der Zellstörung vorhanden ist. 

Die Existenz dieser drei Einschränkungen der Tätigkeit des 
Agens erklärt grossenteils, dass letzteres keinen hervorstehenden 
Anteil nimmt an dem gewöhnlichen Wachstum des Tumors und 
seiner Verteilung im Träger. Die Existenz weiterer hemmender 
Faktoren würde erklären, warum diese mangelnde Anteilnahme 
eine nahezu absolute ist. Derartigen entdeckten oder unentdeckten 
Faktoren ist es auch zuzuschreiben, dass das Sarkom nicht als 
epidemische Krankheit auftritt und durchaus nicht ansteckend im 
gewöhnlichen Sinne ist. Während des vergangenen Jahres haben 
wir ungefähr 30 natürliche Hühnertumoren gesammelt, ohne 
wieder das Bild des Sarkoms anzutreffen. Während der letzten 
3 Jahre wurden in unserem Laboratorium in engem Quartier 
zahlreiche Hühner mit und ohne Erkrankung gehalten, doch hat 
sich ein Beispiel von einer natürlichen Uebertragung unter diesen 
Verhältnissen noch nicht finden lassen. 

Die Ergebnisse dieser kurz zusammengefassten Forschung 
enthalten mehr als eine Andeutung in bezng auf die Aetiologie 
von bösartigen Geschwülsten. Sie geben eine rationelle, auf ein 
tatsächliches Vorkommnis begründete Erklärung für einige der 
rätselhafteren Eigentümlichkeiten dieser Gewächse. Die Besonder¬ 
heiten im Auftreten von bösartigen Geschwülsten, die Bedeutung 
der Zellstörung in ihrer Aetiologie, Wachstum und Verbreitung 
derselben mittels Zellen, ihr Verhalten beim Verpflanzen, sind 
durchaus vereinbar mit der Annahme, dass dieselben durch ein 
Agens erzeugt werden, dessen Tätigkeit gehemmt ist durch Be¬ 
dingungen, die etwas Aehnlichkeit besitzen mit den das ursäch¬ 
liche Agens des Hübnertumors beeinflussenden, obgleich sie 
zweifelsohne von verwickelterer Natur sind. Ob diese Annahme 
richtig ist, muss die Arbeit der Zukunft zeigen. Jedenfalls 
werden die theoretischen Einwendungen gegen eine äusserliche 
Krebsursache stark erschüttert durch die Befunde bei dem Hühner¬ 
sarkom *). 

Seit der Fertigstellung dieses Berichtes ist es uns zu zeigen 
gelungen, dass ein filtrierbares Agens die Ursache eines kürzlich 
in diesem Laboratorium gezüchteten Osteochondrosarkoms des 
Huhnes ist. Das dieses Gewächs hervoi bringende Agens erfordert, 
gleich dem des Spindelzellensarkoms, zu seiner Tätigkeit eine 
gleichzeitige Zellstörung. In dem von ihm erzeugten Gewächs 
findet sich echtes Knorpelgewebe. 


Aus dem Health-Bureau Jew. Agr. Exp. Stat. Jerusalem 
(Leiter: Dr. Brünn). 

Das Cisternenproblem bei der Bekämpfung der 
Malaria in Jerusalem. 

Von 

Dr. W. Brünn und Dr. Goldberg. 

Im vorigen Jahre wurde in Jerusalem durch den Philanthropen 
Nathan Straus ein Gesundheitsamt errichtet zum Zwecke der 
Bekämpfung der endemischen Krankheiten, im besonderen der 
Malaria. 

Das Gesundheitsamt begann seine Arbeit in Jerusalem und 
Hederab, einer malariaverseuchten jüdischen Kolonie, ln Jerusalem 
haben wir parallel mit der von Herrn Prof. Müh lens geleiteten 
Malariaexpedition gearbeitet, mit der die Vereinbarung getroffen 
war, dass wir in den jüdischen Stadtteilen, Herr Prof. Mühlens 
in den christlichen und mohammedanischen arbeiten. Wir haben 
über 2000 Blutuntersuchungen in den verschiedensten Stadtvierteln 
und geschlossenen Anstalten vorgenommen und bei mehr als 
600 Leuten Milz und Leber untersucht — da bekanntlich diese 
Organe bei Malaria sehr häufig Veränderungen erleiden. Wir 
haben in 21,5 pCt. der untersuchten Blutpräparate Malaria- 


1) Peyton Rous, J. B. Murphy und 
am. assoc., 1912, Bd. 59. 


W. H. Tytler, Journ. 
5 * 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 14. 


parasiten gefunden und in 67 pCt. deutliche Milzveränderungen 
nachgewiesen. (Der ausführliche Bericht erscheint an anderer 
Stelle.) Das heisst also, dass jeder fünfte Bewohner Malaria¬ 
parasiten im Blut, jeder zweite eine VergrÖsserung der Milz — 
die in Malariagegenden ruhig auf diese Krankheit zurückgeführt 
werden kann — hat. 

Als Ursache der Malaria in Jerusalem kommen in der Haupt¬ 
sache die mangelhaft angeordneten Cisternen (Wasserreservoire) 
in Betracht. Hier brüten zu jeder Jahreszeit die Anopheles¬ 
mücken. Darum ist in Jerusalem ein Kampf gegen die 
Malaria ein Kampf gegen die schlechten Cisternen. 
Diesen Standpunkt haben wir bereits ausführlich in einem 
im Oktober 1912 von der ottomaniscben Regierung ein¬ 
geforderten Bericht vertreten. Wir erklärten damals, dass, wo¬ 
fern man nicht eine Wasserleitung und Kanalisation in der Stadt 
schafft und dann behördlicherseits die Cisternen ganz und gar 
schliesst — was nach Lage der Dinge noch in weitem Felde 
steht — man durch Abdichtung der Cisternen dafür sorgen muss, 
dass den Anophelesmücken, den Ueberträgern der Malaria, das 
Brüten unmöglich gemacht wird. Die Stadtbehörde, die sich für 
unsere Arbeit sehr interessiert, hat uns in liebenswürdiger Weise 
in einigen der malariaverseuchtesten Stadtteilen ihre administra¬ 
tive und polizeiliche Gewalt zur Verfügung gestellt, um uns die 
Durchführung unserer Anordnungen zu erleichtern. 

Zum besseren Verständniss unseres Vorgehens ist eine Be¬ 
schreibung der jetzigen Cisternenverhältnisse notwendig. 

Die gewöhnliche Beschaffenheit einer Cisterne ist aus der 
Abbildung zu ersehen (Figur D). 



Die Cisterne wird aus Stein — dem in Jerusalem üblichen 
Baumaterial — und Zement hergestellt. Grösstenteils wird die 
Cisterne in den Boden des Hofes hineingebaut; ein kleiner Teil 
ragt über die Erdoberfläche hervor, oft überhaupt nichts. Auf 
der Cisterne befindet sich ein kleiner Aufbau, in dessen Mitte 
sich eine 30—40 cm im Durchmesser haltende Oeffntmg befindet, 
die im allgemeinen mit einer Eisengittertür verschlossen ist — 
verschlossen, um die Nachbarn an der Ausschöpfung des in 
Jerusalem kostbaren Wassers zu hindern. Durch diese Oeffnung 
wird das Wasser mittels eines kleinen Blecheimers geschöpft. 

Die Auffüllung der Cisterne erfolgt durch Regenwasser, das 
ihr durch Dachrinnen und Wandrohre zugeführt wird. Die Rohre 
sind aber grösstenteils nicht ins Innere der Cisternen hinein¬ 
geleitetet, man sieht sie häufig in einem kleinen Klärbecken an 
der Seite der Cisternen enden. 

Die Schöpföffnung stellt für die Mücken nicht die einzige 
Möglichkeit dar, in die Cisterne hineinzugelangen und sich dort 
zu vermehren. Oft ist im Aufbau ein Stein gelöst oder fehlt 
überhaupt, und auch sonst findet man nicht selten allerhand un¬ 
nötige, meist durch Nachlässigkeit entstandene Löcher. 

Uns war kein Mittel bekannt, dessen Zusatz zum Wasser das 
Brutgeschäft der Mücken verhindert hätte, ohne die Gebrauchs¬ 
fähigkeit oder den Geschmack des Wassers herabzusetzen. Daher 
entschieden wir uns für die mechanische Abdichtung der Cisternen, 
eine Mückenbekämpfung, die auch vom hygienischen Standpunkt 
aus am meisten zu bevorzugen ist. Die Abdichtung wollen wir 
auf folgende Weise vornehmen. 

Jede Cisterne erhält eine Pumpe; die Schöpföffnung wird 
dicht verschlossen oder vermauert. Die Wasserzufuhrrohre werden 
ins Innere der Cisterne hineingeleitet und in der Wand der 
Cisterne ringsum abgedichtet. Alle sonstigen Löcher werden ver¬ 
mauert. Nun galt es noch eine Fehlerquelle zu beseitigen. Da 
die Dächer meist nicht hoch und die Rohre oben offen sind, 
hätten die Mücken durch die Wasserzufuhrrohre eindringen können. 
Hierzu haben wir einen Apparat konstruiert, der in das Regenrohr 
eingeschaltet wird (Figur A). 


Durch eine Klappe, die sich oben im Apparat befindet, wird 
das Rohr verschlossen. Die Klappe ist beweglich, wird im Ruhe¬ 
zustand durch ein aussen angebrachtes Gewicht hocbgedrückt, so 
dass sie das Rohr verschliesst (Figur B). Regnet es, so genügt 
der Druck des Regenwassers, um die Klappe hinunterzudrücken, 
so dass das Wasser frei in die Cisterne einfliessen kann (Figur C). 
Hört aber der Druck des fliessenden Regenwassers auf, so wird 
die Klappe durch das Gewicht wieder hochgedrückt und ver¬ 
schliesst das Rohr. 



Nun war noch eine Forderung zu erfüllen: dass das Wasser 
in der Cisterne mit der Aussenluft kommunizieren kann, da doch 
dieses Wasser viele organische Bestandteile enthält, die sich zer¬ 
setzen können. Diese Frage haben wir folgendermaassen gelöst: 
Bei den Cisternen, die ein besonderes Luftloch besitzen, haben 
wir ca. 10 cm unterhalb der Oberfläche einen Rahmen, der mit 
feinem Drahtnetz beschlagen ist, eingesetzt und oben zum Schutze 
des Drahtnetzes die Oeffnung mit einem festen Eisengitter ver¬ 
schlossen. Bei den anderen benutzen wir die Regenzufuhrrohre, 
um der Cisterne auch Luft zuzuführen. Aus diesem Grunde haben 
wir (siehe Figur C) den Körper der Verschlussklappe aus ver¬ 
zinktem Drahtnetz hergestellt, das durch zwei auf der Unterseite 
befindliche Querleisten noch besonders widerstandsfähig gemacht 
ist. Durch die Klappe geht der Luftaustausch bequem vor sich. 

Die Apparate werden während der Regenzeit (Oktober bis 
März) alle vier Wochen kontrolliert. 

Wir haben begonnen, bei 200 Häusern die Cisternen derartig 
instandzusetzen, und hoffen damit nicht nur der Malaria, sondern 
auch der Mückenplage entgegenarbeiten zu können. Selbst¬ 
verständlich werden wir uns bei der Malariabekämpfung, wo es 
angebracht ist, auch der anderen Malariabekämpfungsmittel (Aus¬ 
räucherung, Petrolisierung, individuelle Chininpropbylaxe) be¬ 
dienen. 

Wir hoffen, wenn die ersten Versuche gut ausfallen, die 
Cisternenabdicbtung im grossen Maassstabe aufnehmen zu können; 
zumal Herr Nathan Straus jüngst in grossherzigerWeise grössere 
Mittel für den Kampf gegen die Malaria unserem Institut zur Ver¬ 
fügung gestellt hat. 


Bücherbesprechungen. 

Ernst Jeger: Die Chirurgie der Blutgefässe und des Herzens. Mit 

231 Abbildungen, 330 S. Berlin 1913, A. Hirschwald. Preis 
9 M. 

So hat nun auch der jüngste Spross am Baume der operativen 
Chirurgie, die Gefässchirurgie, seinen Biographen gefunden: Der Autor, 
der sein Werk A. Carrel, dem Schöpfer der experimentellen Gefäss- 
cbirurgie, widmet, gibt in den ersten Kapiteln einen umfassenden Ueber- 
blick über die Technik der Gefässnaht; alle Methoden werden geschil- 


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UNIVERSUM OF IOWA 



7. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


641 


dert und auf Grund reicher eigener Erfahrung -wird Kritik geübt. 
Weitere Abschnitte zeigen die Bedeutung der Gefässchirurgie für die 
experimentelle Medizin und ihre praktische Anwendung am kranken 
menschlichen Organismus: eine Verbindung von Arterie und Vene z. B., 
früher nur von rein physiologischem Interesse, hat durch Wieting bei 
Gangrän der Extremitäten Bedeutung gewonnen; die Eck’sche Fistel, 
von hohem Interesse für die Physiologie des Pfortaderkreislaufs, ist bei 
Ascites auch am Menschen ausgeführt, weiter: Die Drainage der Ven¬ 
trikel mit freien Gefässen, die Behandlung der Aneurysmen, der Ersatz 
einer vernichteten Urethra, endlich die Bluttransfusion. Ein Kapitol ist 
der experimentellen Herzchirurgie und der Aorta thoracica gewidmet; 
auch hier hat das Experiment schon eine Reihe Erfolge gezeitigt — bis 
zu ihrer Anwendung am Menschen ist noch ein weiter Weg. Die Trans¬ 
plantation der Organe ist eingehend behandelt; anschaulich beschreibt 
Verf. seine Teohnik der thorakalen Eingriffe am Tier, für die er die 
Insufflation der Lungen nach Meitzer bevorzugt. 

Der Verf. hat sich ein grosses Verdienst erworben, dass er in über¬ 
sichtlich klarer Darstellung alles Wissenswerte für die Gefässchirurgie 
kritisch zusammengestellt hat. Die 231 sehr klaren Abbildungen er¬ 
leichtern die Lektüre des Buches, dessen Preis als sehr mässig bezeichnet 
werden kann. Ernst Unger-Berlin. 


F. Krause und E. Hey mann: Lehrbuch der chirurgischen Operationen 
an der Hand klinischer Beobachtungen. Verlag Urban & 
Schwarzenberg. I. Abteilung Preis 12,50 M. (gedacht sind 6 Ab¬ 
teilungen mit ca. 2000 Abbildungen). 

Um das Schreiben von Lehrbüchern ist es oft ein eigen Ding. 

Hat man Zeit, so fehlt in der Regel die genügende Erfahrung, hat 
man genügende Erfahrung, so fehlt es meist an Zeit! Dieser Ausspruch, 
wenn ich nicht irre, Fürbringer’s hat gerade in unserer schnell¬ 
lebigen Zeit seine Berechtigung. 

Um so erfreulicher und dankenswerter ist es, wenn ein so erfahrener 
Kliniker wie Krause es unternimmt, ein chirurgisches Lehrbuch zu 
schreiben, unterstützt von seinem langjährigen Oberarzt Hey mann. 

Das grosszügige, glänzend ausgestattete Werk, dessen I. Abteilung 
vorliegt, mutet uns an wie eine Sammlung sorgsam ausgewählter und 
durchgearbeiteter klinischer Vorlesungen, deren Studium dem angehenden 
Arzte sowie dem beschäftigten Spezialchirurgen und Krankenhausleiter 
eine Fülle von Rat und Belehrung gibt. 

Eine allgemeine Operationslehre leitet das Lehrbuch ein. In ihr 
werden die Vorbereitung des Kranken und des Operateurs, die Be¬ 
täubungsmethoden, die Lokalanästhesie, die Bedeutung der Asepsis und 
der Antisepsis, die Desinfektion und die Nachbehandlung besprochen. 
Die Kapitel sind klar und anregend geschrieben; überall zeigt sich das 
Streben naoh möglichst einfachen Methoden, mit denen man bei richtiger 
Anwendung nicht selten bessere Resultate erzielt als mit den kom¬ 
plizierten. 

Der spezielle Teil beginnt mit der Chirurgie des Kopfes; die Behand¬ 
lung der Weichteilwunden, der Schädelfrakturen, der entzündlichen 
Affektionen des Kopfes und des Gesichts, der Schädelgeschwülste, die 
Technik der plastischen Operationen am Kopfe sind ausführlich be¬ 
sprochen und vortrefflich dargestellt. Dem Grundsatz treu, dass nur 
der ein guter Chirurg sei, der wenigstens bis zu einem gewissen Grade 
auch die Grenzgebiete beherrscht, sind einige Kapitel auch der Ohren- 
und Nasenchirurgie gewidmet. 

Obwohl sich Krause ausschliesslich auf eigenes Material und eigene 
Erfahrungen stützt, wird man Lücken kaum finden, jedenfalls nichts 
Wissenswertes vermissen. 

Frei von jedem unnützen Ballast und doch vollständig erschöpfend 
wird die Symptomatologie der einzelnen Krankheiten und Verletzungen 
an der Hand selbsterlebter Fälle besprochen, der Heilplan begründet, 
dann die einzelnen Phasen der Operation beschrieben und durch ebenso 
zahlreiche wie ausgezeichnete, nach der Natur vom Maler Landsberg 
angefertigte Zeichnungen illustriert, so dass man ein klares, anschauliches 
Bild von dem Gang der Operation bekommt. 

Vielfach finden wir lehrreiche Hinweise auf fehlerhafte Behandlungs¬ 
weisen. 

Das Kapitel über die chirurgische Behandlung der Trigeminus¬ 
neuralgie beschliesst die I. Abteilung. Die grundlegenden Arbeiten 
Krause’s auf diesem Gebiete sind zur Genüge bekannt; sie nochmals 
von ihm zu lesen ist immer ein Genuss. 

Jeder Chirurg, auch der kenntnisreiche, wird das Buch mit Ver¬ 
gnügen und Nutzen studieren, es wird ihm ein treuer Ratgeber sein in 
einfachen und in schwierigen Fragen. 

Wir dürfen uns schon jetzt auf die folgenden Abteilungen freuen 
und die Hoffnung aussprechen, dass das grosse, schöne Werk bald seiner 
Vollendung entgegengehen möge. M. Borchardt-Berlin. 


Paal Th. Müller-Graz: Vorlesungen über Infektion and Immunität. 

Mit 21 Abbildungen im Text. Vierte erweiterte und vermehrte 
Auflage. Verlag von Gustav Fischer. Jena 1912. 474 Seiten 
Preis 8 M. geb. 9 M. „ 

Wenn in heutiger Zeit ein Lehrbuch über Infektion und Immunität 
bereits die vierte Auflage erreicht, so ist diese Tatsache allein schon 
das beste Zeichen dafür, dass es den Ansprüchen seiner Leser ent¬ 
sprochen hat. Auch diese Auflage der „Vorlesungen“ hat eine Reihe 


von Ergänzungen und Umarbeitungen aufzuweisen, die durch das stetig 
anwachsende Tatsachenmaterial notwendig geworden waren. Mit Rück¬ 
sicht auf die Sonderstellung, welche den anaphylaktischen Phänomenen 
zukommt, wurde die Anaphylaxie von den anderen Formen der Ueber- 
empfindlichkeit abgetrennt und ihr ein besonderes Kapitel gewidmet. 
Gleichzeitig wurde ein Abschnitt über die giftbildenden und entgiftenden 
Wirkungen der Sera eingeschaltet, der sich mit den mannigfachen Tat¬ 
sachen der Anaphylatoxinbindung und -entgiftung auseinauderzusetzen 
sucht. Mancherlei Ergänzungen hat auch das Kapitel über die praktischen 
Anwendungen der Immunitätslehre, speziell über die Erfolge der Schutz¬ 
impfung und Serumtherapie erfahren, wobei auch die Tiermedizin ein-' 
gehend berücksichtigt wird. 

In einem Schlussabschnitt bespricht Verf. die Anwendung der Im¬ 
munitätsreaktionen zu diagnostischen Zwecken, wobei er die allergischen 
Reaktionen, bei denen die veränderte biologische Reaktionsweise des 
immunen oder erkrankten Organismus als diagnostisches Kriterium be- 
nutzt wird, von den baktericiden Reaktionen trennt. Auch die anderen 
diagnostischen Untersuchungsmethoden wie Präzipitation, Agglutination, 
Koraplementbindung finden neben den hämolytischen, antihämolytischen, 
antifermentativen, phagocytären und physikalisch-chemischen Reaktionen 
eine eingehende Besprechung. 

Da Verf. es versteht, den teilweise spröden Stoff möglichst klar und 
leicht verständlich zu behandeln, so steht zu erwarten, dass auch die 
vierte Auflage der „Vorlesungen über Infektion und Immunität“ sich 
ihren Freundeskreis erwirbt und sowohl zur Einführung in dieses inter¬ 
essante Gebiet wertvolle Dienste leistet, als auch zur Mitarbeit auf dem¬ 
selben anregt. _ 


Denkschrift über die seit dem Jahre 1903 unter Mitwirkung des 
Reiches erfolgte systematische Typhusbekftmpfang im Siidwesten 
Deutschlands. Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamt, 1912, 
Bd. 41. Verlag von Julius Springer. 604 Seiten. Preis 26,40 M. 

Die reichen Erfahrungen, welche die durch Robert Koch ins Leben 
gerufene systematische Typhusbekämpfung im Südwesten Deutschlands 
in wissenschaftlicher wie in wirtschaftlicher und verwaltungstechnischer 
Hinsicht gebracht hat, sind in dieser Denkschrift niedergelegt, welche 
einen stattlichen Band der „Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamt“ 
ausfüllt. Die Bearbeitung des einleitenden Abschnitts über „Die wissen¬ 
schaftlichen Grundlagen für den Versuch einer Typhusbekämpfung“, 
welche Robert Koch sich Vorbehalten hatte, wurde, nachdem der un¬ 
erbittliche Tod den grossen Meister abgerufen hatte, durch M. Kirchner 
übernommen. Die Errichtung der ersten Typhusstation in Trier und 
den Vorversuch in den Hochwalddörfern des Kreises Trier hat P. Frosch, 
„Die Typhusbekämpfung als Verwaltungsmaassnahme“ der frühere Reichs¬ 
kommissar Schreiber bearbeitet. Der dritte Abschnitt schildert die in 
der eigentlichen TyphusbekämpfuDg von den Stationen gemachten Be¬ 
obachtungen und gewonnenen Erfahrungen. Nachdem Prigge die Er¬ 
mittlung der Typhusfälle auseinandergesetzt hat, folgt eine Besprechung 
der bakteriologischen Typhusdiagnose durch 0. Lentz und H. Conradi 
sowie eine Statistik der bei der bakteriologischen Untersuchung ge¬ 
machten Befunde unter besonderer Berücksichtigung des Zeitpunktes 
der bakteriologischen Krankheitsfeststellung von Händel. 

Die Absonderung der Kranken in Krankenhäusern und die sonstigen 
Maassnahmen zur Verhütung der Weiterverbreitung des Typbu3 schildert 
Fehrs, während E. Levy und Gaehtgens die Eigenschaften der 
Typhusbacillen, v. Drigalski die Uebertragungsweise der Bacillen von 
Mensch auf Mensch behandelt. Auf den Abschnitt „Bacillenträger und 
Dauerausscheider“ von Prigge folgt die Besprechung des örtliehen und 
zeitlichen Verhaltens der Krankheit durch Hertel, während Fischer 
die Desinfektion behandelt. In die Darstellung der allgemeinen gesund¬ 
heitlichen Verhältnisse im Typhusgebiete haben sich Schlecht, 
Demuth, Schmidt und Pawolleck geteilt. Die Mitwirkung der 
praktischen Aerzte und des Publikums bei der Typhusbekämpfung 
schildert Sy man ski, die Beziehungen des Typhus zur Industrie P. Neu - 
mann, während die Besonderheiten der Typhusbekämpfung auf dem 
Lande und in den grösseren Städten von Klinger bearbeitet sind. Das 
statistische Material über den Typhus und die Typhusbekämpfung be¬ 
spricht W. Fornet, welcher zum Schluss auch die Ergebnisse der Be- 
kämpfungsmaassnahmen zusammenfasst. Die Rolle der bacillären Ruhr 
und des Paratyphus in der organisierten Typhusbekämpfung behandelt 
W. Ri mp au, die anderweitigen bakteriologischen Untersuchungen 
Megele. 

Dieser kurze Hinweis auf den reichhaltigen Inhalt der Denkschrift 
zeigt schon zur Genüge, welche Fülle wertvoller wissenschaftlicher Be¬ 
obachtungen diese organisierte Typhusbekämpfung geliefert hat. Bei der 
Schwierigkeit, die einzelnen Abschnitte der Denkschrift scharf zu um¬ 
grenzen, war es nicht zu vermeiden, dass in manchen Berichten Wieder¬ 
holungen Vorkommen. Es wurde aber davon abgesehen, deswegen 
Streichungen vorzunehmen, um nicht die Selbständigkeit der einzelnen 
Abhandlungen zu beeinträchtigen. 

Für jeden, der sich mit den Fortschritten der modernen Typhus¬ 
bekämpfungvertraut machen will, bildet die Typhusdenkschrift ein wert¬ 
volles Nachschlagewerk. Es wäre daher zu begrüssen, wenn überall in 
Deutschland die im Südwesten des Reichs so bewährt befundene Me¬ 
thode des Vorgehens gegen den Typhus nach den Ratschlägen Robert 
Kocb’s sowohl im allgemeinen wie auch im einzelnen vorbildlich würde 
für die Abwehr dieser Krankheit. 


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UMIVERSITY OF IOWA 





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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 14. 


P. Köhler-Holsterhausen bei Werden: Jahresbericht über die Er¬ 
gebnisse der Taberknioseforsehang 1911. Abdruck aus dem 
Klinischon Jahrbuch, Bd. 26. Verlag von Gust. Fischer. Jena 1912. 
194 Seiten. 6 M. 

Hervorragendes Nachschiagebuch für jedeo, der sich leicht auf sämt¬ 
lichen Gebieten der Tuberkulose von den Fortschritten, die das Jahr 1911 
gebracht hat, orientieren vrill. 

Elizabeth T. Fraser: A Mannal of Immnnity for Student« and 
Practitioners. Glasgow 1912. James Maclehose and Sons. 
199 Seiten. 

ln den heutigen Zeiten der Serodiagnostik und der Vaccine- und 
Serumtherapie gehört die Kenntnis der Grundbegriffe der Immunität und 
der grossen Fortschritte, welche dieses Wissensgebiet in dem letzten 
Jahrzehnt zu verzeichnen hatte, zu den Forderungen des Tages. Dem 
leicht verständlich geschriebenen Werkchen, welches alle wichtigen 
Fragen der Immunitätswissenschaft kurz behandelt, ohne auf Einzelheiten 
näher cinzugehen, ist daher nicht nur bei den Studenten, sondern auch 
bei den praktischen Aerzten ein weiter Leserkreis zu wünschen. 

Möllers - Berlin. 


Literatur-Auszüge. 

Anatomie. 

O. Renner - Augsburg: Ueber die Innervation der Niere. (Deutsches 
Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110, H. 1 u. 2.) Die Erforschung der 
Innervation der Niere ist schwierig, weil das Produkt dieses Organs 
nicht wie das einfacher Drüsen auf einfachem Wege zustande kommt. 
Vielmehr ist die Nierensekretion ein aus zwei Komponenten zusammen¬ 
gesetzter Vorgang: ein im Nierengefässsystem sich abspielendes und von 
ihm abhängiges Geschehnis und eine Funktion der Nierenepithelien in den 
Harnkanälchen. Nur der Nerveneinfluss auf die Vasomotoren der Niere 
ist bisher untersucht. Welchen Nerveneinflüssen der drüsige Teil der 
Niere zugänglich ist, ob vor allem hier wie bei den anderen doppel- 
innervierten Organen der Antagonismus zwischen Vagus und Sympathicus 
gewahrt ist, ist eine ungelöste Frage. Der grosse Nervenreichtum der 
Niere an und für sieb, die zahlreichen eingelagerten sympathischen 
Ganglienzellen, die Nervenendigungen in den Gefässen und namentlich 
an den Epithelien der Harnkanälchen machen das Bestehen eines mannig¬ 
faltigen Nerveneinflusses auf die Nierensekretion wahrscheinlich. 

W. Zinn, 


Physiologie. 

F. G. Benedict - Boston: Der Einfluss der Nahrnngsanfnahmen 
auf den Stoffwechsel. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110, 
H. 1 u. 2.) Aus der Nahrung werden Stoffe aufgenommen, welche, 
durch das Blut an die Zellen gebracht, dieselben zu erhöhter Tätigkeit 
anregen (F. Müller). Wahrscheinlich haben diese Stoffe Säurecharakter. 

W. Zinn. 

G. Neuberg: Einiges über die Bedeutung des Lichtes für die 
Organismen. (Zeitschr. f. Balneologie, 5. Jahrgang, Nr. 22—24 ) Neu- 
berg bespricht den Anteil der normalen Lichtzufuhr an der Entwicklung 
von Tier und Mensch. Der wachsende Organismus bedarf des Lichtes 
wie der Luft und der Nahrung. Lichtmangel scheint bei Gewöhnung 
wenig schädlich zu sein. Auch Schädigungen sind durch Licht be¬ 
obachtet worden wie Hautstörungen und Hautverbrennungen; die Netz¬ 
haut des Auges kann ebenfalls vorübergehend geschädigt werden. Ge¬ 
fährlich ist das Licht bei dem seltenen Xeroderma pigmentosum. Ob 
die Pellagra eine Lichtkrankheit ist, ist nicht sicher. Eine deutliche 
Schädigung durch Licht wird bei den Zuständen beobachtet, bei denen 
Hämatoporphyrinurie auftritt. Tiefgreifender als bei Mensch und Tier 
ist die Bedeutung des Lichts bei Pflanzen und für Kleinlebewesen. Die 
direkten Sonnenstrahlen schädigen oder hemmen das Wachstum zahl¬ 
reicher Bacillen; auch Pilze werden durch Insolation abgetötet. Das 
Milieu, in dem die Bakterien leben, bleibt unverändert. Konzentriertes Licht 
tötet schneller Bakterien ab als Sonnen- und Tageslicht. E. Tobias. 

Siehe auch Psychiatrie und Nervenkrankheiten: v. Valken- 
burg, Lokalisation im Kleinhirn. 


Pharmakologie. 

0. C. M. Davis - Bristol: Der Gebrauch physikalischer Konstanten 
in der Toxikologie. (Brit. med. journ., I. März 1913, Nr. 2722.) 
Mischungen zweier Substanzen haben meist einen viel tieferen Schmelz¬ 
punkt als die einfachen, auch liegen die Grenzpunkte der Schmelz¬ 
temperatur weiter auseinander, weil es sich um eine Lösung des einen 
Körpers im anderen handelt. Zum Beispiel schmelzen Antifibrin und Anti- 
pyrin bei 110—113°, ihre Mischung bei 57—74°. Der Verfasser führt 
eine Reihe von Schmelztemperaturen an. Da es sich bei toxikologischen 
Bestimmungen oft um sehr kleine Mengen handelt, die oft keine chemi¬ 
schen Proben zulassen, so schlägt der Verfasser vor, den Schmelzpunkt 
der zu bestimmenden Substanz und den einer Mischung derselben mit 
der vermuteten Substanz zu bestimmen: Haben beide denselben Schmelz¬ 
punkt, so müssen beide Substanzen gleich sein. Weydemann. 

W. Hildebrandt - Freiburg i. B.: Chloroformnarkose md Leber¬ 
krankhelten. (Münchener med. Wochenschr., 1918, Nr. 10.) Man weiss. 


dass Chloroform schwere Degenerationszustände der gesunden Leber be¬ 
wirken und dass es zusammen mit bakteriellen Einflüssen zur akuten 
gelben Leberatrophie führen kann. Nicht ganz sicher ist, ob Chloroform 
allein ohne Mitwirkung von anderen Faktoren akute gelbe Leberatrophie 
erzeugt. H. nimmt an, dass ausser Chloroform noch ein zweiter Faktor 
erforderlich ist: Allgeraeininfektionen, die die Leber in Mitleidenschaft 
ziehen (Hepatitis) oder Leberkrankheiten wie Stauungsleber usw. Eine 
zweckmässige Prophylaxe gegen Schädigungen der ChloroformnaTkose be¬ 
steht in einer exakten Leberuntersuchung, am besten Funktionsprüfung. 
Unbedingt ist die Untersuchung auf Urobilin zu verlangen, bei dessen 
Anwesenheit im Urin unter keinen Umständen Chloroform gegeben 
werden darf. Dünner. 

H. Leo-Bonn: Ueber die Wirkung gesättigter wässeriger 
Campherlösangen. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 13.) Vor¬ 
trag in der medizinischen Abteilung der Niederrheinischen Gesellschaft 
für Natur- und Heilkunde in Bonn am 10. Februar 1913. 

A. Feld-Höchst a. M. : Zar Chemotherapie der Taberkalose mit 
Gold. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 12.) Das Gold ist zur 
Zeit als das intensivste Mittel unter den Tuberkelbacillen schädigenden 
Substanzen zu betrachten. Tuberkulöse Tiere zeigen 24 Stunden nach 
Einverleibung der Au-Salze eine überraschend starke lokale Reaktion, die 
sich nur durch eine intensiv einsetzende Baktericidie erklärt („sekundäre 
Tuberkulinreaktion“). Zu therapeutischen Versuchen wurden bei Meer¬ 
schweinchen und Kaninchen subcutane bzw. intravenöse Einspritzungen 
von Goldpräparaten gemacht, in Kombination mit Cantharinäthylendiamin, 
das eine ausgesprochene Affinität zu entzündlichen Herden besitzt und 
den baktericiden Goldsalzen als „Leitschiene“ im Organismus dient. Bei 
den Kaninchen gelang es, dank der intravenösen Einverleibung, deutliche 
Heilungsprozesse hervorzurufen. Die Meerschweinchenversuche ergaben 
ein solches Resultat nicht, da die Au-Präparate bei subcutaner Einführung 
reduziert und von den Körperzellen verankert werden, ehe sie an den 
tuberkulösen Herd herangelangen. Kleine Lymphdrüsen Hessen jedoch 
auch hierbei eine Einwirkung erkennen. Bei fortgesetzter Zuführung der 
Goldpräparate dürfte eine „Au-Festigkeit“ des behandelten Stammes ent¬ 
stehen, welcher weiteren Heilungsprozessen hemmend entgegentritt. In 
vitro wachsen Tuberkelbacillen nach 6 wöchiger Behandlung bereits in 
einer Goldcyanidverdühnung von 1 : 400 000, während eine frische Kultur 
dieser Verdünnung komplett standbält. Es wäre daher wünschenswert, 
bei der Tuberkulose eine kombinierte Therapie anzustreben, durch die 
die erworbene Festigkeit durch ein zweites Agens durchbrochen wird. 

Wolfsohn. 

Siehe auch Therapie: Frankel, Hustenstillende Mittel; ein 
neues Codeinpräparat. _ 


Therapie. 

A. Fraenkel - Badenweiler-Heidelberg: Hastenstillende Mittel und 
ein neues Codeinpräparat. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 10.) 
Paracodin ist Dihydrocodein. Es wirkt rascher hustenstillend, oft schon 
nach wenigen Minuten; die Wirkung hält länger an als die Wirkung 
doppelt so grosser Codeindosen; im Gegensatz zu Codein hat es auch 
in kleinen Dosen eine leichte narkotische Wirkung. Keine störenden 
Nebenwirkungen. Dünner. 

Travaglino: Der Einfluss des Tiodins auf den Organismus. 
(Ned. Tijdschr. v. Geneesk., 1912, Bd. 2, Nr. 20.) Durch die günstige 
Beurteilung von Murreil, Brik, Partschewski, Kraepelin u. a. 
dieses Mittels angeregt, versuchte Verf. es bei mehreren Patienten mit 
Arteriosklerose und Hirnleiden. Die psychischen Defekte fand er wenig 
oder nicht beeinflusst, dagegen erfolgte Blutdrucksenkung nach jeder 
Einspritzung, die noch längere Zeit nach der Kur anhielt. Für den 
Neurologen ist das Tiodin entbehrlich, für den Internisten glaubt Verf. 
es von Wert, zumal bei beginnender Arteriosklerose, weil gerade der 
erhöhte Blutdruck die wichtigste Ursache dieses Leidens ist. 

v. d. Valk: Das Formalin als Mittel gegen Hantpilskrankheitea. 
(Ned. Tijdschr. v. Geneesk., 1912, Bd. 2, Nr. 22.) Schon längere Zeit 
wird das Formalin auf endogenem Wege in der Form von Urotropin an¬ 
gewandt. Verf. wurde dadurch angeregt, es auch direkt auf die kranke 
Haut zu applizieren, wobei er guten Erfolg hatte. Bei Favus, Mikro¬ 
sporie und Trichophytie wirkte es nicht besser als die bis jetzt ge¬ 
brauchten Mittel, namentlich die Jodtinktur. Anders aber bei Pityriasis 
versiculor, Erythrasma und Eczema marginatum, die bei der gewöhnlichen 
Behandlung meist wieder recidivieren. Mit der Betupfung einer lOproz. 
Formalinlösung konnte Verf. diese drei Erkrankungen gründlich heilen. 

v. Suchtelen. 

W. W. Nack - Penbridge: Natrinmcarbonat bei Herpes tonsarans. 
(Brit. med. journ., 8. März 1913, Nr. 2723.) Folgendes heroische Ver¬ 
fahren soll unfehlbar helfen. Ein wallnusgrosses Stück Soda wird an ein 
rotglühendes Stück Elsen, z. B. ein Schüreisen, angeschmolzen und damit 
dfe erkrankte Stelle eingerieben, besonders energisch, wenn sie auf 
der Kopfhaut sitzt. Hier muss das Verfahren meist nach 6—7 Tagen 
wiederholt werden. Verband ist meist nicht nötig, eventuell Borsalbe. 
Das Einreiben der geschmolzenen Soda soll fast schmerzlos sein. 

* Weydemann. 

T. Parisot und L. Heully: Versuch der Behandlung von kon¬ 
genitalem hämolytischen Icteras mit Röntgenbestrahlung der Mili. 
(Gaz. des höp., 1913, Nr. 18.) In zwei Fällen von kongenitalem 
Icterus, die mit Röntgenbestrahlung der Milz behandelt wurden, trat 


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UNIVERSITÄT OF IOWA 





7. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


643 


nach anfänglicher Verminderung der Erythrocyten, Vergrösserung der 
Milz und lokaler Hyperthermie eine sehr starke Besserung ein: die 
Widerstandskraft der Erythrocyten gegenüber der Lyse wurde normal, 
die Zahl der Erythrocyten ging zur Norm herauf, der Icterus schwand, 
die Milz verkleinerte sich sehr stark. Wartensleben. 

R. Matzenauer - Graz: Durch Alkaliabgabe des Glases bedingte 
toxische Nebenwirkungen nach intravenösen Salvarsaninjektionen 
(„Glasfehler“). (Wiener klin. Wochenscbr., 1913, Nr. 11.) Es kann eine 
ziemlich bedeutende Menge Alkali aus dem Glas in das zu intravenösen 
Injektionen verwendete Wasser re9p. in die Kochsalzlösung übergehen. 
Da dieses Alkali keine chemisch reine Natronlauge, sondern mit 
Silikaten und anderen Substanzen verunreinigt ist, so ist es selbst¬ 
verständlich, dass eine Salvarsanlöiung dadurch eine Zersetzung erleiden 
kann, welche toxische Erscheinungen hervorruft. Um vor dem „Glas¬ 
fehler“ geschützt zu sein, lässt der Verf. die Flaschen mit verdünnter 
Salzsäure vor dem Gebrauch auskochen. P. Hirsch. 

E. K night-Gravesend: Pilze als Blutstillungsmittel. (Brit. med. 
journ., 1. März 1918, Nr. 2722.) Ausser anderen Pilzen hat sich Lyko- 
perdon giganteum als Blutstillungsmittel bewährt. Eine Sterilisierung 
ist nicht nötig, kann aber vorgenommen werden, ohne die blutstillende 
Wirkung zu schädigen. Weydemann. 

B. Spiethoff: Zur therapeutischen Verwendung des Eigenserums. 
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 10.) Bei verschiedenen Haut¬ 
krankheiten injizierte Sp. zwei- bis dreimal wöchentlich mit wechselndem 
Erfolge 10 bis 25 ccm inaktiviertes Eigenserum intravenös. Manchmal 
traten Allgemein- und Herdreaktionen auf, nach deren Abklingen oft 
eine Wendung zum Besseren erfolgte. In einzelnen Fällen injizierte 
Verf. abwechselnd Eigenserum und arteigenes Serum, oder auch Mischungen 
von drei Teilon Eigenserum und einem Teil artfremdem Serum. 

Dünner. 


Allgemeine Pathologie u. pathologische Anatomie. 

J. E. Adams-London: Bauchfellverwachsnngen ; eine experimen¬ 
telle Studie. (Lancet, 8. März 1913, Nr. 4671.) Von den Versuchs¬ 
ergebnissen des Verf. sei erwähnt, dass in die Bauchhöhle gebrachte 
Schwammstückchen nicht gleich fixiert, sondern durch die Bewegungen 
der Bauchorgane hin und her bewegt wurden; sie haften schliesslich am 
Netze fest, nicht an den Därmen. Wuchsen die Stückchen einmal nicht 
am Netze an, so gingen sie feste Verwachsungen mit Därmen oder 
anderen Organea ein. Drainage der Bauchhöhle hat wenig Zweck, ausser 
bei Abscesshöhlen mit gut ausgebildeten Wänden, denn die Oeffnungen 
der Röhren werden rasch mit Fibrin verschlossen, und bei septischen 
Fällen kann der Druck der Röhren die Auswanderung von Mikroorga¬ 
nismen aus dem Darm begünstigen. Dass zurückgelassenes Blut in der 
Bauchhöhle Verwachsungen begünstigt, lässt sich nicht beweisen. Zum 
Hervorrufen von Bindegewebsneubildung hat sich nur die Einführung 
steriler Fremdkörper als geeignet erwiesen; chemische Reizmittel, auch 
Scharlachrot hatten keine Wirkung; Wundreiben der Peritonealflächen 
und Scarifikationen gibt nicht mit Sicherheit Verwachsungen. Die Be¬ 
weglichkeit des Netzes ist nicht gross und entspricht der Peristaltik der 
Därme. Infizierte Fremdkörper machen raschere Verwachsungen als 
sterile. Die angegebenen Mittel zur Verhütung von Verwachsungen 
haben meist keinen Erfolg; auch das Bedecken der vom Bauchfell ent- 
blcssten Stollen mit Netz hat ungleiche Resultate ergeben; wo der Er¬ 
folg gefehlt hat, hat es sich wahrscheinlich um Infektionen der zu be¬ 
deckenden Stelle gehandelt. Weydemann. 

F. Meursing: Ueber eine seltene Anastomose zwischen Vena 
portae und Vena eava. (Ned. Tijdscbr. v. Geneesk., 1912, Bd. 2, 
Nr. 20.) Bei einem an Lebercirrhose, eitriger Nephritis und Para¬ 
nephritis verstorbenen Manne wurde folgender Befund erhoben: Beim 
Eiuspritzen von Parafin in die linke Nierenvene füllten sich Vena 
renalis sinistra, die Vena spermat. inf. sioistra und von diesem Ge- 
fäss aus eine Verbindung mit der Vena lienalis, durch welche sich die 
Vena portae, die Venae mesenteriae superiores et inferiores füllten. Ausser¬ 
dem schwollen die Vena suprarenalis sinistra und Aeste der Vena coro- 
naris ventriculi an. Weiter bestand noch eine Verbindung zwischen 
dem oberen Teil der Vena spermat. und dem zuerst erwähnten ab¬ 
normen Gefäss, welche Verbindung überdies noch mit der Vena raesen- 
teria kommunizierte. Verf. fand diese Anastomose nirgends beschrieben, 
meint aber, dass sie wohl bei jedem Menschen bestehen wird, hier aber 
sieh so sehr au*»gebildet hat, weil wegen der Verödung des Nierengewebes 
die Nierenvene ganz zur Verfügung stand. v. Suchtelen. 


Diagnostik. 

F. Erne-Freiburg: Funktionelle Nierenprüfung mittels Phenol¬ 
sulfonphthalein nach Rowntree und Geraghty. (Münchener med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 10.) Empfehlung der Methode. Die Bestimmung 
mit dem Autenrieth-Königsberger’schen Kolorimeter ist sehr einfach, 
genau und in kaum 10 Minuten zu bewerkstelligen. Die Resultate sind 
zahlenmässig mit anderen vergleichbar, und dadurch lassen sich Aende* 
ruugen im Funktionszustande leicht feststellen, was keine andere 
Methode leistet. Sie zeigt Funktionsstörungen an, wo die Ei Weissreaktion 
im Stiche lässt. Die Grenze der Ausscheidung bei intraglutäaler In¬ 
jektion bei gesunder Niere liegt bei 45 pCt. nach einer Stunde und bei 
70pCt. nach zwei Stunden. Dünner. 


Parasitenkunde und Serologie. 

A. Serra-Cagliari: Letzte Untersuchungen über die Einimpfung 
von Lepramaterial in das Kaninehenange. (Lepra, Bibliotbeca inter¬ 
national«, 1913, Bd. 13, H. 4.) Leprabacillen aus Lepraknoten in die 
vordere Augenkammer des Kaninchens gebracht erzeugen eine Anzahl 
von Knötchen ähnlich den Lepromen und enthalten den Leprabacillen 
ähnliche Bacillen. Histologisch haben die erzeugten Knötchen sehr 
grosse Aehnlichkeit mit jungen Lepromen, es fehlt nur der stringente 
Nachweis, dass die Bacillen auch echte Leprabacillen sind. 

Immerwahr. 

B. Möllers - Berlin: Serologische Untersuchungen bei Leprösen. 

(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 13.) Bei der tuberösen Form 
der Lepra gibt das Serum in 95 pCt. der Fälle mit Tubcrkulinpräparatdn 
eine positive Komplementbindungsreaktion, während die anästhetische 
oder nervöse Form nur in 25 pCt. diese Reaktion zeigt. Die komplement¬ 
bindenden Antikörper sind besonders stark gegen die Bacillenemulsion 
gerichtet. Ein Rückschluss auf eine gleichzeitig bestehende Tuberkulose 
kann aus diesen Befunden nicht gezogen werden. Bei ausgeheilter Lepra 
fällt die Reaktion negativ aus. Wolfsohn. 

Siehe auch Innere Medizin: Frank, Paratyphus B in einem 
Pleuraerguss. — Haut- und Geschlechtskrankheiten: Gougerot, 
Lepröse Anaphylaxie. 


Innere Medizin. 

Schulhof: Beitrag zur Rolle der nassen Einp&cknngen bei Thermal- 
kuren. (Zeitschr. f. Balneol., 5. Jabrg., Nr. 24.) S. hat im Bade Ilcviz 
in Ungarn Studien mit Einpackungen mit und ohne vorangegangenen 
Thermalbädern gemacht. Die Reaktion war die gleiche, ob ein Bad 
Yoranging oder nicht, was S. der dortigen Radioaktivität zuschiebt, der 
der Organismus länger ausgesetzt wird durch die lange Dauer der Ein¬ 
packung. E. Tobias. 

W. A. Freund: Ueber das Emphysem. Zur Kritik der in den 
Charite-Annalen, 36. Jahrg., 1912, S. 74 publizierten Arbeit des Herrn 
J. Plesch. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 13.) Aus Freund’s 
Ausführungen geht hervor, dass Plesch die Anschauungen des Verf. 
über die Pathogenese und die Operation des Emphysems missverstanden 
hat. Die Unhaltbarkeit der Freund’schen Theorie erscheint durch die 
Ausführungen von Plesch in keiner Weise bewiesen. 

Wolfsohn. 

N. D. Bardswell-Midhurst: Die Behandlung der Lungentuber¬ 
kulose. (Lancet, 8. März 1913, Nr. 4671.) Statistischer Bericht über 
die im König Eduard Vll.-Sanatorim in den Jahren 1907—1911 be¬ 
handelten Fälle von Lungentuberkulose. Weydemann. 

M. Piöry und ß. le Bourdelles: Die klinischen Resultate der 
Forl&nini’schen Methode. (Gaz. des höp., 1913, Nr. 2.) Die Insuffla- 
tion von N bewirkt in den günstig reagierenden Fällen eine rasche 
Besserung der subjektiven Beschwerden und ist jetzt noch die einzige 
Methode, die wirksam den ungünstigen Verlauf des Leidens aufzuhalten 
vermöchte. Aber man kann mit diesem Verfahren auch Dauerbeilungen 
erzielen, solcher werden drei, die die Verf. selbst behandelt haben, mit¬ 
geteilt. Am besten wirkt die Methode wohl bei chronischen oder sub¬ 
akuten, einseitigen Affektionen in möglichst frühem Stadium. Die Be¬ 
handlung muss mindestens 2 Jahre fortgesetzt werden. 

Wartensleben. 

D. W. Samways-Mentone: Der Vorhof bei der Mitralstenose. 
(Brit. med. journ., 8. März 1913, Nr. 2723.) Dio etwas komplizierte 
Folge von Geräuschen bei der Mitralstenose ist leicht und natürlich 
dadurch zu erklären, dass die Vorhofskontraktion nicht mit dem Be¬ 
ginne der Kammerkontraktion aufhört, sondern während derselben noch 
eine Zeitlang andauert. Weydemann. 

Wittich-Dresden: Ueber den Wert der Carellknr zur Behänd lang 
von Kreislanfstörangen. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110, 
H. 1 u. 2.) Klinische Beobachtungen an 100 Fällen von Herzinsuffizienz 
verschiedener Aetiologie mit der Carellkur. Die Erfahrungen waren 
reoht günstige. Den eigentlichen Wert der Kur macht die Summation 
der beiden wirksamen Komponenten, Beschränkung der Kochsalzzufubr 
und Beschränkung der Herzarbeit durch Flüssigkeitsentziehung, aus. 

W. Zinn. 

Frank: Bacillus paratyphns B in einem plenritisehen Erguss. 

(Ned. Tijdschr. v. Geneesk., 1913, Bd. 1, Nr. 3.) Ein zweijähriger Knabe 
erkrankt an Pneumonie, welche von einer Pleuritis begleitet wird. Im 
Exsudat wird Bacillus paratyphus B in Reinkultur gefunden, der vom 
sehr verdünnten Blutserum des Patienten agglutiniert wird. In den 
übrigen Exsudaten und Exkreten sowie im Blut wird der Bacillus nicht 
gefunden. v. Suchtelen. 

L. Boidin: Das Bild der Meningitis im Anfang einer schweren 
und langdauernden Iufektion mit Paratyphns B. (Gaz. des höp., 1913, 
Nr. 15.) Bei einem mit hohem Fieber eingelieferten Patienten standen 
13 Tage lang die Symptome einer durch Toxine bewirkten Meningitis 
im Vordergrund. Erst dann traten die typischen Erscheinungen ein. 
Das Fieber war erst nach 7 Woehen ganz geschwunden. Spezifische 
Bacillen wurden in dem am 13. Tage entnommenen Blut gefunden. 

Wartensleben, 

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644 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 14. 


F. H. Mc Crudden-New York: Die Bedeutung des Calciums für 
das W&chstam. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110, H. 1 
u. 2.) Studien über Infantilismus, angeregt durch einen Typus mit 
Stoffwecbselstörungen, besonders des Darmkanals. In manchen Fällen 
von Zurückbleiben im Wachstum besteht eine mangelhafte Entwicklung 
des Skeletts und Störungen des Calciumstoffwechsels. Die Knochen sind 
zart und leicht brüchig. Es werden grosse Mengen Calcium durch die 
Fäces verloren. Der Harn ist frei von diesem Metall. Wahrscheinlich 
beruht das Zurückbleiben in der Entwicklung des Skeletts in diesen 
Fällen auf einer Abwesenheit der zum Wachstum der Knochengewebe 
notwendigen Calciumsalze. Andere Formen des Zwergwuchses zeigen 
keine Störung des Calciumstoffwechsels, das Knochengewebe ist fest. 
Hier besteht mehr eine fundamentale Abwesenheit des „Wachstums¬ 
triebes“ als ein Mangel an Wachstumsmaterial. W. Zinn. 

S. Jonas-Wien: Ueber das Verhalten verschiedenartiger Striktoren 
im Magen und Duodenum bei Milchdiät und ein Verfahren zur Dia¬ 
gnostik spastisch-nlceröser Striktoren daselbst. (Wiener klin. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 11.; Nach einer Demonstration in der Gesellschaft 
für innere Medizin und Kinderheilkunde in Wien am 6. November 1912. 
Referate siehe den Sitzungsbericht. P. Hirsch. 

P. Baetge-Düsseldorf: Zur Eventratio diaphragmatica mit elektro- 
cardiographischen Untersuchungen. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 
1913, Bd. 110, H. 1 u. 2.) Drei Fälle. B. nimmt die Eventratio als 
eiüe Folge des gestörten intrathorakalen Gleichgewichts mit sekundärer 
Zwerchfelldegeneration an. Zur Diagnose der Lageveränderung des 
Herzens bezeichnet im Elektrocardiogramm das Auftreten der Q Zacke 
ein Rechtsherz, der S-Zacke ein Linksherz. Das Röntgenbild lehrt diese 
Tatsache deutlicher. Bei der Differentialdiagnose zwischen einem wirk¬ 
lichen Situs inversus und einem extrem nach rechts verlagerten Herzen 
wird indessen eine Fehldiagnose manchmal nur durch das Elektrocardio¬ 
gramm allein mit Sicherheit vermieden. W. Zinn. 

Chantemesse: Die prophylaktische Impfung gegen Typhns ab¬ 
dominalis. (Gaz. des hop., 1913, Nr. 9.) Das vom Verf. 1887/88 aus¬ 
gearbeitete Verfahren, gegen Typhusinfektion zu immunisieren mit in 
der Hitze abgetöteten Typhusbacillen, hat sich als ausserordentlich 
wirksam erwiesen. So liessen sich von etwa 70 000 Seeleuten 3000 
impfen; von diesen erkrankte keiner. Von den übrigen wurden innerhalb 
von 8 Monaten über 500 von Typhus befallen. 

A. Schmidt: Zur Diagnose und Therapie chronischer Durchfälle. 
(St. Petersburger med. Zeitschr., 1913, Nr. 2.) Eine kurze, präzise Ab¬ 
handlung über die modernen Anschauungen, in der die alte Methode 
verworfen wird, Diarrhöen schematisch mit Stopfmitteln zu behandeln. 
Die Durchfälle werden nach der Art ihrer Entstehung analysiert und 
darauf eine sinngemässe Therapie aufgebaut. Wartensleben. 

L. Jacob-Würzburg: Ueber das spezifische Gewicht des Harns 
bei Krankheiten, seine Abhängigkeit vom Gesamttrockenrückstand und 
von einzelnen Bestandteilen des Harns. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 
1913, Bd. 110, H. 1 u. 2.) Die Gesamtmenge der festen Stoffe des 
Harns ist sehr wechselnd (Trockensubstanzbestimmung nach Neubauer). 
Der sogenannte reduzierte Trockenrückstand (= Summe aller festen 
Stoffe des Harns ohne Harnstoff und Kochsalz) beträgt bei Gesunden 
14—24 g, bei Kranken zwischen 1—48 g. Dieses schwankende Ver¬ 
halten gewährt einen tieferen Einblick in die Ausscheidung der festen 
Stoffe überhaupt als Kryoskopie und spezifisches Gewicht. Aus dem 
Vergleich des spezifischen Gewichts mit dem Trockenrückstand und mit 
einzelnen seiner Bestandteile ergeben sich manche neuen Anregungen. 

W. Nonnenbruch-Würzburg: Zur Kenntnis der Funktion der 
Stannngsniere. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110, H. 1 
u. 2.) Die Stauungsniere kann funktionell der echten Nephritis, und 
zwar der diffusen Form mit Störung der Glomeruli und der Tubuli, 
gleichen. Es finden sich dann bezeichnende Störungen der Kochsalz- 
und Stickstoffausscheidung. Die Ursache aller Funktionsstörungen, zu 
denen die Stauungsniere führt, ist die gestörte Wasserausscheidung. 
Kommt die Wasserausscheidung wieder in Gang, so arbeitet die Niere 
wieder wie eine gesunde, und dies ist der wichtigste Punkt, in dem sie 
sich von der echt nephritischen Niere unterscheidet. W. Zinn. 

Boks: Kongenital familiäres Oedem der unteren Gliedmaassen. 
(Ned. Tijdscbr. v. Geneesk., 1913, Bd. 1, Nr. 10.) Bei einem 22 jährigen, 
wegen Hydrocele testis aufgenommenen Mann, fand Verf. ein Oedem der 
unteren Gliedmaassen und des Scrotums, welches auch nach längerem 
Liegen nicht verschwand und angeblich schon von der Geburt an von 
dem Vater des Patienten beobachtet war. Es zeigte sich nun, dass in 
der Verwandtschaft des Mannes mehrere mit demselben Oedem behaftete 
Personen vorkamen. Keine derselben empfand nur die geringsten Be¬ 
schwerden. Das Oedem war in allen Teilen, röntgenologisch auch im 
Periost nachweisbar. Oberhalb der Kie verschwand es, um im Scrotum 
wieder zutage zu treten. Die Testikel waren doppelt so gross wie sonst, 
im übrigen aber zeigte der Patient keine einzige krankhafte Abweichung, 
ausgenommen einige kleine trophische Störungen im Oedemgebiet in 
Form von kleinen Ulcerationen. Verf. neigt zu der Annahme einer 
Trophoneurose als Ursache dieses Leidens. v. Suchtelen. 

H. Freund und F. Marchand-Heidelberg: Ueber das Verhalten 
des Blntznckers im Fieber. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, 
Bd. 110, H. 1 u. 2.) Die häufig zu beobachtende Hyperglykämie im 
Fieber ist nur zum Teil durch die erhöhte Körpertemperatur hervor¬ 
gerufen. Das Wesentliche scheint die Art und Schwere der Infektion 


zu sein. Der erhöhte Zuckergehalt des Blutes ist also als Symptom der 
Infektion neben dem Fieber aufzufassen, ohne in ursächlichem Zu¬ 
sammenhang mit der erhöhten Körpertemperatur zu stehen. 

W. Zinn. 

G. R. Ward-London: Das Blut bei Krebs mit Knochenmetastasen. 
(Lancet, 8. März 1913, Nr. 4671.) Im Anschluss an eine kürzlich in 
der Lancet erschienenen Arbeit von Harrington und Kennedy gibt 
der Verf. eine tabellarische Uebersicht über den Blutbefund bei vier 
Krebskranken. Wey dem an n. 

0. Roth-Zürich: Zur Frage des „Ictere hemolysinique“ (Chauf- 
fard). Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110, H. 1 u. 2.) Bei 
einem Fall von pernieiöser Anämie, mit den Zeichen hochgradigster 
Erythrocytenzerstörung, konnten die Erscheinungen der Autohämolyse 
und Autoagglutination nachgewiesen werden. Wahrscheinlich sind diese 
Erscheinungen die Folgen einer primären, strukturellen Schädigung der 
Erythrocyten, wodurch dieselben imstande sind, die eigenen Isohämo- 
lysiue und Agglutinine zu binden. Die Bildung eines spezifischen Auto¬ 
hämolysins und Autoagglutinins ist abzulehnen. Der Chauffard’sche 
Symptomenkomplex (Anämie, Icterus, Urobilinurie) kann nicht als 
typisches Krankheitsbild betrachtet werden. W. Zinn. 

Siehe auch Anatomie: Renner, Innervation der Niere. — 
Therapie: Parisot und Heully, Behandlung von kongenitalem hämo¬ 
lytischen Icterus mit Röntgenbestrahlung der Milz. — Diagnostik: 
Erne, Funktionelle Nierenprüfung mittels Phenolsulfonaphthalein. — 
Unfallheilheilkunde und Versicherungswesen: Miller, Morbus 
Basedowii nach Trauma. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

v. Valkenburg: Beitrag zur Kennntnis einer Lokalisation in 
menschlichen Kleinhirn. (Ned. Tijdscbr. v. Geneesk., 1913, Bd. 1, Nr. 1.) 
Die verschiedenen Teile des menschlichen Kleinhirns, beim Erwachsenen 
von einer einförmigen Rinde umgeben, zeigen sowohl in der Entwicklung 
ihrer Rindenschichten als in ihrer gröberen Morphogenese gleichartige 
Zeitdifferenzen. Das nämliche gilt für die verschiedenen cerebellären 
Kerne und die Myelogenese einiger Bahnen (cerebellipetale und cortico- 
nucleäre). Die gefundenen Tatsachen in Verbindung mit der Ausdehnung 
der gekreuzten Kleinhirnatrophie deuten mit Sicherheit auf einen Zu¬ 
sammenhang der einzelnen Bezirke der Kleinhirnoberfläche mit ge¬ 
sonderten Teilen erstens von gewissen Kernen, zweitens des centralen 
Nervensystems, drittens des Körpers, mit anderen Worten: dass in der 
Kleinhirnrinde im Prinzip eine Lokalisation besteht. Das Studium des 
Verf. stützt im allgemeinen die vonBolk gegebene morphologische Ein¬ 
teilung und steht mit den Auffassungen Edinger-Comolli’s nicht im 
Widerspruch. 

de Vries: Atrophie der Sella tarciea und die Diagnose eines 
Hypophysentumors. (Ned. Tijdschr. f. Geneesk., 1912, Bd. 2, Nr. 19.) 
Den Beschwerden nach wurde beim Patienten ein Tumor im mittleren 
Sohädelraum vermutet. Weil aber bei der Röntgendurchleuchtung die 
Sella turcica sehr stark erweitert gefunden, wurde die Diagnose auf 
Hypophysentumor gestellt. Bei der Operation erwies sich dies aber als 
irrig. Patient starb nach einigen Tagen. Die Sektion ergab die Richtig¬ 
keit der ersten Diagnose. Die Sektion zeigte auch, weshalb bei 
normalgrosser Hypophyse die Sella im Röntgenbild erweitert schien. 
Sella und rechter Sphenoidealraum hatten nämlich einen einzigen Raum 
gebildet. In einem zweiten Falle, nämlich von Kleinhirnbrückenwinkel¬ 
tumor, wurde bei der Sektion bei normaler Hypophyse der Boden der 
Sella papierdünn gefunden. Später fand Verf. bei einem dritten Patienten 
multiple Hirnhernien im Sinne v. Recklinghausen. Verf. findet eine 
Uebereinstimmuog in der Entstehung solcher Hirnhernien und dem 
Sattelbodenschwund, indem die Hypophyse infolge des allgemeinen Hirn- 
drucks als Hernie zur Usur dieses Bodens führt. Grosses Interesse 
haben solche Fälle für die Diagnose, indem richtige Röntgenbilder 
dennoch auf eine falsche Spur führen können. v. Suchtelen. 

de Vries: Epilepsia alternans. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 6.) 
Ein 2*/ 2 jähriger Knabe erkrankt plötzlich — wahrscheinlich an Encepha¬ 
litis. Von dem Tage an bestehen neben leichter linksseitiger Hemi¬ 
parese und horizontalem Nystagmus nur des rechten Auges Anfälle von 
tonischer Kontraktur im linken Facialis, Arm und Bein, mit zwangs¬ 
weise konjugierter Deviation des Kopfes uud der Augen nach rechts. 
Bewusstsein ist völlig erhalten, die willkürliche Beweglichkeit der vom 
Anfall betroffenen Muskeln nicht aufgehoben. Der Herd, welcher diese 
Anfälle von Epilepsia alternans auslöst, kann annähernd lokalisiert 
werden. 

Wersilow: Zur Frage über die sogenannten „serösen“ Cysten des 
Kleinhirns. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 6.) W. teilt die Kranken¬ 
geschichte einer Patientin mit, deren Symptome die Stellung der Dia¬ 
gnose eines rechtsseitigen Kleinhirntumors veranlassten. Die Autopsie 
ergab eine Cyste. W. bespricht die Genesis der Cysten. Der mit¬ 
geteilte Fall ermöglicht die neue Annahme, dass die Ependymitis chro¬ 
nica cum sclerosi neurogliali, durch die Hydrocephalus, Syringomyelie 
und Hydromyelie hervorgerufen werden, die Ursache solcher Cysten 
bildet. E. Tobias. 

Berger-Jena: Folgen einer vorübergehenden Unterbrechung der 
Blntzofohr für das Centralnervensystem des Menschen. (Monatsschr. 
f. Psychiatrie u. Neurol., 1913, Februarheft.) Verf. beschreibt einen 


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7. April 1913, 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


645 


Fall, wo innerhalb der ersten zehn Minuten nach einem Chloroform¬ 
scheintod durch direkte Herzmassage noch eine Wiederbelebung erfolgte. 
Der Kranke (ein 15jähriger Knabe) starb aber nach zweitägiger Somno¬ 
lenz; die Sektion ergab eine fibrinös-eitrige Perioarditis und schwere 
Herzveränderungen. B. fand bei genauer Durchsicht des Gehirns mehr¬ 
fache kleine Blutungen, die durch Zerreissungen von Venen, in denen 
Thrombose eingetreten war, bedingt waren. Im übrigen waren Zeichen 
von Stauung nachzuweisen. Der Befund, auch der klinische, spricht 
nicht für eine unbedingt unausgleichbare Schädigung der Grosshirn¬ 
rinde durch kurz vorübergehende Anämie. E. Loewy - München. 

H. Paillard und J. de Fontbonne: Die Reaktionen der Meningen 
bei den Intoxikationen. (Gaz. des höp., 1913, Nr. 7.) Während früher 
die Vermehrung der zelligen Elemente im Liquor cerebrospinalis für ein 
Zeichen der Infektion angesehen wurde, weiss man jetzt, dass sie auch 
eine Folge von Intoxikation sein kann. Als wichtigste Vergiftungen, die 
cerebrale Symptome hervorrufen könnon, wurden die durch Blei, 
Alkohol, Kohlenoxyd und bei der Urämie untersucht auf die Reaktionen, 
die sie an den Meningen verursachen. 

R. Voisin und H. Stövenin: Die Pneumokokkenueaingitis. 
(Gaz. des hop., 1913, Nr. 174.) VerfF. beschreiben, fast ausschliesslich 
auf Grund der französischen Literatur das Krankheitsbild, die Patho¬ 
genese und die pathologische Anatomie und kommen zu dem Schluss, 
dass die Pneumokokken als Erreger der Meningitis keine typischen Sym¬ 
ptome machen, dass sie nur vermutet werden können, und dass diese 
Art der Meningitis nur durch die Lumbalpunktion sicherzustellen ist. 

Wartensleben. 

H. Barkan-San Francisco: Zur Frage der infantilen nnd juve¬ 
nilen Tabes. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 11.) Mitteilung von 
drei Fällen. Die Prognose ist absolut ungünstig. Quecksilber scheint 
den Verlauf der Krankheit nicht aufzuhalten, sondern zu beschleunigen. 

P. Hirsob. 

H. Claude und A. Sözary: Adipositas dolorosa mit Asthenie. 
(Gaz. des höp., 1913, Nr. 5.) 80jährige Patientin, bei der die Krank¬ 
heit seit etwa vier Jahren bestand und das Gewicht von 120 auf 
148 Pfund gestiegen war, kam durch langauernden Genuss von Schild¬ 
drüse wieder auf ihr altes Gewicht, die bestehende Asthenie liess nach. 
Bei Aussetzen der Schilddrüse bildete sich rasch wieder Fettansatz. 

Wartensleben. 

M. Bernhardt: Beitrag zur Lehre von den Verletzungen des 
N. radialis am Unterarm. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 6.) Viel 
häufiger als vollkommene, alle motorischen Aeste beteiligende Radialis- 
lähmungen sind partielle Lähmungen. B. teilt zwei Fälle eigener Beob¬ 
achtung mit, von denen es sich bei der einen um eine partielle Ver¬ 
letzung des Radialisgebiets am Unterarm durch Säbelhieb, bei der 
anderen um eine isolierte Verletzung des N. radialis superficialis am 
Unterarm durch Revolverschuss handelt. E. Tobias. 

Siehe auch Haut- und Geschlechtskrankheiten: Altmann 
und Dreyfuss, Salvarsan und Liquor cerebrospinalis. — Unfall¬ 
heilkunde und Versicherungswesen: Harttung, Hysterische 
Kontrakturen nach Unfall. — Therapie: Travaglino, Tiodin. — 
Innere Medizin: Boidin, Meningitis im Anfang einer Infektion mit 
Paratyphus B. — Chirurgie: Andree, Exstirpation eines Hirnhaut¬ 
tumors in Lokalanästhesie. 


Kinderheilkunde. 

E. Homa-Brünn: Ueber Dauererfolge und Schicksale von im See¬ 
hospiz zu Triest 1896—1903 behandelten Brünner Kindern. (Wiener 
klin. Wochenschr., 1918, Nr. 11.) Im Triester Seehospiz, in dem haupt¬ 
sächlich Kinder mit chirurgischer Tuberkulose und Scrofulose unter¬ 
gebracht werden, wurden vorzügliche Heilerfolge erzielt. In 60,65 pCt. 
der Fälle wurde völlige Heilung erzielt, in 24,59 pCt. wurde den Kindern 
so weit geholfen, dass sie ihren Lebensunterhalt ohne Armenunterstützung 
bestreiten konnten. P. Hirsch. 

H. Mauban: Ueber einige Darmreaktionen der Kinderbei leichter 
Leherinsnffizienz. (Gaz. des höp., 1913, Nr. 15.) Bei nicht rationell 
ernährten oder überfütterten Kindern kommt es ziemlich oft zu leichter 
Leberinsuffizienz, die eine Obstipation oder eine solche gefolgt von 
Durchfällen bewirkt. Wartensleben. 

E. Conradi-Cöln: Vorkommen von Diphtheriebacillen im Nasen- 
nnd Rachensekret ern&hrungsgestörter Säuglinge. (Münchener med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 10.) Bei 10 Säuglingen Hessen sich im Nasen¬ 
sekret bzw. im Rachen Diphtheriebacillen nachweisen, ohne dass jemals 
Symptome einer klinisch manifesten Diphtherie auftraten. Diese Säug¬ 
linge, die alle elend waren, lagen zusammen mit anderen, bei denen die 
bakteriologische Untersuchung negativ ausfiel; interessant ist, dass diese 
letzteren in ihrem Allgemeinzustand gebessert waren. Eine Infektion 
durch das Pflegepersonal usw. hatte also nicht stattgefunden. Aus 
alledem geht hervor, dass im Nasen- und Rachensekret schwer ge¬ 
schädigter Säuglinge echte und virulente Diphtheriebacillen Vorkommen 
können, ohne klinische Erscheinungen hervorzurufen. Dünner. 

Biooker: Zwei Fälle gleichzeitigen Auftretens von Masern und 
Scharlach. (Ned. Tijdschr. v. Geneesk., 1912, Bd. 2, Nr. 26.) Eiu Kind 
erkrankte an Scharlach, wozu sich nach fünf Tagen Masern hinzugesellten. 
Das Masernexantbem blasste vor dem des Scharlachs ab. Kurz nachher 


fing die typische lamellöse Hautabschuppung an. Acht Tage nach dem 
Auftreten des Scharlachexanthems bei diesem Patienten zeigte sich ein 
solches bei seinem Bruder, und elf Tage nach dem Masemexanthem des 
erstercu trat ein solches bei dem zweiten auf. Am selben Tage er¬ 
krankte ein zehnmonatiges Schwesterchen an Masern, während bei ihr 
Scharlach ausblieb, was in diesem Alter aber nicht wundernimmt. 

v. Suchtelen. 


Chirurgie. 

v. Delden: Ueber die Anwendung der venösen Anästhesie. (Need. 
Tijdschr. v. Geneesk., 1912, Bd. 2, Nr. 24.) Verf. berichtet sehr Günstiges 
über diese Anästhesie, zumal nach der Verbesserung nach Momburg. 
Nie wurden üble Zufälle beobachtet. v. Suchtelen. 

H. Andree-Bremen: Exstirpation eines kleinfaustgrossen Hirn- 
hanttnmors in Lokalanästhesie. (Münchener med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 10.) Psammom der Dura mater. Dünner. 

M. Strauss*. Frakturen, Verletzungen und traumatische Erkran¬ 
kungen der Knochen. (Archiv f. Orthop., Mechanotherapie u. Unfall¬ 
chirurgie, 1913, Bd. 12, H. 1 u. 2.) Sammelreferat aus den Jahren 1908 
bis 1911. 

Gebhardt: Zwei Fälle von Doppelbildungen der Zehen. (Archiv 
f. Orthop., Mechanotherapie u. Unfallchir., 1913, Bd. 12, H. 1 u. 2.) 
Bericht über zwei Fälle von doppelseitiger, überzähliger Zehenbildung, 
die auf enorme Verengerung des Amnions zurückgeführt werden. 

K. Gramer? Beitrag zur Plattfussfrage. (Archiv f. Orthop., Mechaoo- 
therapie u. Unfallchir., 1912, Bd. 13, H. 1 u. 2.) Verf. macht für die 
Entstehung des Plattfusses in erster Linie Insuffizienz der Muskeln und 
Knochen verantwortlich. Hierdurch kommt es zu einer Verschiebung 
des Fersenbeins, die sich auch auf dem Röntgenbild feststellen lässt. Im 
späteren Verlauf kommt es auch zu einer Verschiebung von Kahn- und 
Würfelbein. Therapeutisch kommt in Anfangsstadien Redression der 
subluxierten Knochen, Fixierung im Gipsverbänd und nachfolgende 
Massage in Betracht. Eingetretene Deformation lässt sich nur operativ 
beseitigen, wobei die verschiedensten Methoden in Frage kommen. 

M. Strauss. 

A. Young-Glasgow: Luxation der Mittelfussknochen. (Brit. med. 
journ., 1. März 1913, Nr. 2722.) Klinische Besprechung der verschiedenen 
Formen der Luxationen des Metatarsus und Mitteilung dreier Kranken¬ 
geschichten. Weydemann. 

Z. Brind: Luxatio centralis femoris. (Archiv f. Orthop., Mechano¬ 
therapie u. Unfallheilk., 1913, Bd. 12, H. 1 u. 2.) Luxatio centralis 
femoris findet sich fast durchweg bei Männern im kräftigsten Lebens¬ 
alter. Ursache ist in der Mehrzahl der Fälle Fall oder Schlag auf die 
Hüfte. Für die Diagnose kommt das Röntgenbild, weiterhin die Rectal¬ 
untersuchung (Vorsioht wegen Verletzung innerer Organe), der Trochanter¬ 
stand ausserhalb der Roser-Nelaton’schen Linie und näher zur Mittel¬ 
linie, die veränderte Stellung des Beines und die Leichtigkeit, mit der 
sich das Bein wieder in die richtige Lage bringen lässt, in Betracht. Die 
häufigste Fehldiagnose ist die der Schenkelhalsfraktur. Prognose quoad 
functionem ist immer ungünstig. Therapeutisch kommt bei der frischen 
Verletzung Extensionsverband für 6—10 Wochen, bei älteren Fällen 
Medico-Mechanik in Frage. M. Strauss. 

A. Frenzei-Berlin: Interdentalschiene oder extraoraler Verband 
bei Behandlung von Kieferbrttchen. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 12.) Wenn feste Zähne vorhanden sind, sollen die Unterkieferbrüche 
von Zahnärzten mit der Interdentalschiene behandelt werden. Nur hohe 
Frakturen des aufsteigenden Astes, Querfrakturen beider Aeste und 
Brüche des zahnlosen Kiefers bedürfen der Nabt bzw. eines extraoralen 
Verbandes. Aehnliches gilt auch von den Frakturen des Oberkiefers; 
auch hier korrigiert der dentale Apparat alle Bruchschäden am besten, 
soforn feste Zähne vorhanden sind. Chirurg und Zahnarzt sollten bei 
Behandlung der Kieferbrüche stets Hand in Hand arbeiten. 

Wolfsohn. 

V. Mönard: Einführung in das Studium der tuberkulöse! Osteo¬ 
arthritiden. (Gaz. des höp., 1913, Nr. 11 u. 12.) Verf. hat als Leiter 
eines Seehospizes Gelegenheit, die tuberkulösen Knochenerkrankungen 
jahrelang im Auge zu behalten. Denn so lange Zeit bedürfen diese 
Affektionen zur Heilung. Die Therapie beschränkt sich auf absolute 
Fixation des erkrankten Gelenkes. Jedes aktive Vorgehen wird als un¬ 
nütz und schädlich verworfen. Die Seeluft hebt den Allgemeinzustand, 
kürzt aber den Heilungsprozess nicht ab. Warten sieben. 

Lotsoh-Berlin: Ueber die Wirkung von Spitzgeschossen. (Deutsche 
med. Wochenschr., 1918, Nr. 13.) Vortrag, gehalten in der Berliner 
Gesellschaft für Chirurgie am 3. März 1913. (Siebe Gesellschaftsbericht 
in dieser Wochenschrift.) 

L. Schliep-Berlin: Ueber Gelenkschüsse. (Deutsche med. Wochen¬ 
schr., 1913, Nr. 13.) Vortrag, gehalten in der Berliner Gesellschaft für 
Chirurgie am 3. März 1913. (Siehe Gesellschaftsber. in dieser Wochenschr.) 

R. Mühsam-Berlin: Chirurgische Erfahrungen im Deutschen Roten 
Kreuz-Luzarett in Belgrad. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 13.; 
Vortrag, gehalten in der Berliner Gesellschaft für Chirurgie am 3. März 
1913. (Siehe Gesellschaftsber. in dieser Wochenschr.) Wolfsohn. 

0. Heinz-Wien: Kriegschirurgische Erfahrungen vom monte¬ 
negrinisch-türkischen Kriegsschauplatz. (Wiener klin. Wochenschr., 


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616 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 14. 


19! 3, Nr. 2.) Nach einem Vorträge, gehalten am 7. Februar 1913 in 
der k. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. Referat siehe den Sitzungs¬ 
bericht. P. Hirsch. 

J. Lewy-Freiburg: Angeborene Skoliosen. (Deutsche raed. Wochen¬ 

schrift, 1912, Nr. 13.) Zwei Fälle angeborener Skoliose, durch das 
Vorhandensein eines Keil Wirbels hervorgerufen. Behandlung rein ortho¬ 
pädisch. Wolfsohn. 

K. Gramer: Fascienplastik bei kongenitalem Cncnllarisdefekt. 
(Archiv f. Orthop., Mechanotherapie u. Unfallcbir., 1913, Bd. 12, H. 1 
u. 2.) In einem Falle beiderseitigen Cucullarisdefektes (flügelförmiges 
Abstehen des Schulterblattes) führte der Verf. eine Plastik in der Weise 
aus, dass er die Sehnen der kontrakturierten Antagonisten verlängerte 
und in einer zweiten Operation ein Stück der Fascia lata zwischen die 
beiden Schulterblätter einsetzte. 

W. Becker: Zwölf Jahre Orthopädie. Therapeutische Erfahrungen 
und Behandlungsmethoden. (Archiv f. Orthop., Mechanotherapie u. Unfall¬ 
chirurgie, 1913, Bd. 12, H. 1 u. 2.) M. Strauss. 

K. Black: Eine Methode zur Ausführung der Gastroenterostomie. 
(Brit. med. journ., 1. März 1913, Nr. 2722.) Der Verf. benutzt zur Ab¬ 
klemmung des Magens und Darmes kurzarmige Zangen; die grösseren 
Gefässe bleiben so erkennbar und werden während der Operation unter¬ 
bunden. So vermeidet man Nachblutungen. Die kurzarmige Zange 
kann rascher angelegt werden und erlaubt, eine längere Oeffnung zwischen 
Magen und Darm anzulegen. Etwa austretendes Blut oder Mageninhalt 
kann während der Operation leicht abgetupft werden. 

A. W. Bourne-London: Die spätere Geschichte bei Gastroentero¬ 
stomie wegen Ulcns peptienm. (Brit. med. journ., 1. März 1913, 
Nr. 2722.) Die Operationen ergaben im allgemeinen entweder glänzende 
Heilungen oder völlige Fehlschläge (43 und 38 pCt.). Die Prognose ist 
besser bei Männern über 40 Jahre als bei jungen Frauen. Die besten 
Resultate geben Geschwüre in der Nähe des Pylorus und die Pylorus¬ 
stenose; Duodenalgeschwüre geben bessere als Magengeschwüre. Von 
Wichtigkeit ist die Zeit, die zwischen der Mahlzeit und dem Auftreten 
der Schmerzen liegt; je länger diese ist, desto besser die Prognose. 
Bei Hyperchlorhydrie mit 0,2 proz. Salzsäure und darüber ist die Aussicht 
besser als bei normaler Acidität. Wey de mann. 

0. Witzei-Düsseldorf: Allgemeines über Brnehbeliandlung und 
Besonderes über den Riesenbrach (Hernia permagna). (Münchener med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 10.) (Nach einem Vortrag, gehalten in der 
medizinischen Gesellschaft zu Düsseldorf.) Kein Bruch, sei er noch so 
gross, ist an sich eine Kontraindikation für Operation. Prinzip bei 
jeder Bruchtherapie ist: Fort mit Bruchband und Taxis. Dünner. 

Mo mbürg-Bielefeld: Die intraperitoneale Oelanwendnng. (Deutsche 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 12.) M. warnt vor der intraperitonealen 
Anwendung von Campheröl nach Laparotomien. Das Oel ruft eine mehr¬ 
tägige Peritonitis hervor und schädigt den gesamten Organismus, was 
bei geschwächten Individuen nicht belanglos ist. In drei Fällen traten 
heftige Lungensymptome auf, die wohl auch mit der Oelanwendung zu¬ 
sammenzubringen sind (zweimal Pneumonie, einmal Hustenreiz, der sich 
nach einer Relaparotomie wiederholte). Zudem ist der Nutzen des 
Campheröls ein durchaus problematischer. Der Verlauf einer schon be¬ 
stehenden Peritonitis wird in keiner Weise günstig beeinflusst, auch 
Verwachsungen werden nicht verhütet, wie M. bei einer zweiten Lapa¬ 
rotomie sehen konnte. In einem Fall versuchte M., die Bauchhöhle 
durch 1 j 2 proz. Novocainöl zu anästhesieren. Auch dieser Versuch hat 
mehr geschadet als genutzt. Will man überhaupt Oel nach Laparotomien 
an wenden, so begnüge man sich mit einem einfachen Anstrich der 
Operatiousstelle und der näheren Umgebung. Wolfsohn. 

Häuer-Hohenstein: Ein seltener Fremdkörper in der männlichen 
Harnröhre. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 10.) Ein 70 Jahre 
alter Mann, der infolge Prostatahypertropbie an Urinverhaltung litt, 
steckte sich in die Harnröhre eine alte 15 cm lange Hutnadel, die 
durch Urethrotomia externa entfernt werden musste. Glatte Heilung. 

D ünner. 

H. Nebel: Zwanzig Jahre Erfahrungen mit Dr. Gustav Zander’s 
medico-mechanischer (d. b. vom Arzte geleiteter, durch Apparate ver¬ 
mittelter) Heilgymnastik. (Archiv f. Orthop., Mechanotherapie u. Unfall¬ 
chirurgie, 1913, Bd. 12, H. 1 u. 2.) Ausführliche Darlegung über den 
Weit der beilgymnastischen Therapie bei Kreislaufstörungen, bei denen 
die Medico-Mechanik in allen Fällen am Platze ist, sofern nicht Myo- 
degeneratio vorliegt. Besonders günstig erscheint nach Verf. Dar¬ 
legungen die Heilgymnastik bei der Arteriosklerose. M. Strauss. 

Siehe auch Pharmakologie: Hildebrand, Chloroformnarkose 
uud Leberkrankheiten. 


Röntgenologie. 

M. Cohn-Berlin: Der Warmfortsatz im Röntgenbilde. (Deutsche 
med. Wochenschr, 1913, Nr. 13.) Vortrag, gehalten in der Berliner 
Gesellschaft für Chirurgie am 10. Februar 1913. (Siche Gesellschafls- 
bcricht in dieser Wochenschrift.) Wolfsohn. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

P. G. Unna - Hamburg: Ein typischer Fall von Papierwissen- 
sebaft. (Lepra, Bibliotbeca international^, 1913, Bd. 13, Nr. 4.) U. 
sucht nachzuweisen, dass die Zaraath der Bibel nichts mit Lepra zu 
tun hat. Ein weiterer Irrtum war die Verwechslung der Elephantiasis 
arabum mit der Lepra oder Elephantiasis graecorum. 

E. Hoffmann - Bonn: Einiges aus dem Leben Julius Bcttinger’s, 
des Pfälzer Anonymus. (Dermatol. Zeitschr., März 1913.) Bettinger 
wurde am 31. März 1802 in Zweibrücken geboren, wurde mit 22 Jahren 
Assistenzarzt an der Kreis-, Armen- und Krankenanstalt zu Frankentbal 
in der Pfalz, übernahm 1836 die ärztliche Leitung dieser Anstalt, legte 
1885 sein Amt nieder und starb am 6. Februar 1887. 

H. Gougerat - Paris: Lepröse Anaphylaxie (Lepra, Bibliotbeca 
internationalis, 1913, Bd. 13, Nr. 4.) Ebenso wie das Tuberkulin 
bei Tuberk lösen ruft das Rost’sche Leprolin bei Liprösen Lokal- 
und Allgemeinreaktionen hervor. Die gleichen Reaktionen kann 
man mit einer Emulsion von abgetöteten Leprabacillen erzeugen. Diese 
Tatsachen beweisen die Existenz einer aktiven leprösen Anaphylaxie. 
Zweimal bat nun G. Meerschweinchen mit Lepraserum intraperitoneal 
und mit Leprabacillen intracerebral injiziert und dadurch eine passive 
Anaphylaxie erzeugt. Tuberkulin ruft bei Leprösen sehr selten eine ge¬ 
ringe Allgemeinreaktion hervor, und ebenso umgekehrt Leprolin bei 
Tuberkulösen, was beweist, dass beide Toxine nicht absolut spezifisch sind a 

F. Schnab 1 - Prag: Ueber eine eigentümliche Missbildung der 
Gesichtshant und der Augenlider. (Archiv f. Dermatol, u. Syphilis, 
1913, Bd. 115, H. 6.) Die Missbildung bestand bei dem sieben Wochen 
alten Kind in einer Bildung von runzelförmigen Hautwülsten auf der 
Stirn und einem insuffizienten Lidschluss, bedingt durch rudimentär ent¬ 
wickelte Lider. Daneben zeigte das Kind noch mehrere andere Ab¬ 
normitäten hinsichtlich der Gesichtsbildung, der Behaarung und der 
sonstigen Hautbeschafienheit, die dünn und faltenreich ist. 

Bachrach - Frankfurt a. M.: Kasuistischer Beitrag zur Kenntnis 
des Liehen nitidus. (Dermatol. Zeitschr., März 1913.) Trotzdem der 
Pat. an Lungentuberkulose litt, gelang es nicht, den Nachweis irgend¬ 
einer Beziehung der Knötchen zur Tuberkulose zu führen. 

Immerwahr. 

Ruger: Sporotrichose. (Ned. Tijdschr.v.Geneesk.,1912,Bd. 2, Nr. 21.) 
An der Hand einiger von ihm beobachteten Fälle, die vorher längere 
Zeit vergeblich als Tuberkulose behandelt worden waren, bespricht Verf. 
ausführlich die Geschichte, Aetiologie, Diagnose und Therapie derSporo- 
trichosis. v. Suchtelen. 

F. v. Veress - Klausenburg: Ueber die Behandlung des Trippers 
und ihre häufigsten Fehler. (Dermatol. Wochenschr., 1913, Bd. 56, 
Nr. 11.) V. ist beim akuten Tripper der Anhänger sofort einsetzender 
schonender Janet’schen Spülunger mittelst 100 ccm fassender Spritze. 
Bei subakutem und chronischem Tripper hält er ausser den Spülungen 
die Anwendung des Uretbroskops und schonende, mechanische Behand¬ 
lung für unerlässlich. Die Einspritzung starker konzentrischer Silber¬ 
lösungen verurteilt er bei akuter Gonorrhöe und hält sie für gefährlich; 
in hartnäckigen Fällen von Gonorrhoea anterior hält er dagegen zur 
Unterstützung der übrigen Behandlung prolongierte Einspritzungen 
organischer Silbersalze in schwachen Lösungen für zweckmässig. In 
Fällen, die zu Abortivkuren geeignet sind, kann der Arzt Vz* bis 1 proz. 
Lapislösung in die vordere Harnröhre einspritzen. Die Vaccination hält 
er bei Komplikationen der Gonorrhöe zur Ergänzung und Unterstützung 
der übrigen Behandlung für einen grossen Fortschritt. 

F. Lesser - Berlin: Zur Verfeinerung der Wassermann’schen Re¬ 
aktion und Vermeidung divergenter Resultate. (Dermatol. Zeitschr., 
März 1913.) L. lehnt alle Verfeinerungen der Wassermann’schen Re¬ 
aktion ab, die mehr positive Reaktionen herauszuarbeiten suchen. Nur 
die Verfeinerungen haben sich als wertvoll erwiesen, welche den indi¬ 
viduellen Eigenschaften der einzelnen Seren Rechnung tragen und da¬ 
durch die Spezifität der Reaktion erhöhen. Diese beiden Bedingungen 
werden durch die Norraalamboceptorkontrolle und die aktive Serura- 
kontrolle erfüllt. Immer wahr. 

R. Müller und R. 0. Stein-Wien: Die Hautreaktion bei Lues 
und ihre Beziehung zur Wassermann’schen Reaktion. (Wiener kiin. 
Wochenschr., 1913, Nr. 11.) In einem Fall tertiärer Lues, der jahrelang 
frei von syphilitischen Erscheinungen und Wassermann - negativ ge¬ 
wesen war, wurde nach Einverleibung von sterilem Extrakt luetischer 
Organe im Verlauf weniger Tage die Wassermanu’sche Reaktion positiv. 

P. Hirsch. 

A. Herpin: Die frustrane Form der Stomatitis mereurialis. (Gaz- 
des hop., 1913, Nr. 5.) Diese Form ist charakterisiert durch das Auf¬ 
treten von keilförmigen Lücken im Zahn und wird verursacht durch die 
zerstörende Einwirkung des Quecksilbers auf den Zahn, zu der dann 
sekundäre Infektion hinzukommt. Die Therapie besteht in dem An¬ 
bringen von Plomben, wenn diese nichts helfen, muss die spezifische 
Kur abgebrochen werden. 

Fr. Escaudc: Meningo-Encephalitis nach der Neosalvarsanbehaad- 
liandlung einer sekundären Syphilitis. (Gaz. des böp., 1913, Nr. 12) 
Im unmittelbaren Anschluss an NeosalvarsanbebandluDgen entwickelten 
sich sehr bedrohliche Symptome vom Centralnervensystem aus, die vom 
Verf. als Aequivalent der Herxheiraer’schen Reaktion gedeutet werden. 

Wartenslebens. 


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UNIVERSUM OF IOWA 



7. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


G47 


W. Lier-Wien: Erfahrungen über Neosalvarsan. (Wiener klin. 
Wochenschr., 1913, Nr. 11.) L. hat 425 Injektionen mit Neosalvarsan 
gemacht. Neosalvarsan ist infolge seiner leichten Löslichkeit bei neu¬ 
traler Reaktion bequem anwendbar, am besten in Verbindung mit Queck¬ 
silber. Es ist besonders indiziert in den Fällen, in denen es nach Queck- 
silkerkuren zu schweren Stomatitiden oder Nierenreizungen gekommen 
ist. Auch die intramuskuläre Applikation ist empfehlenswert, sie ist 
kaum schmerzhaft, hinterlässt keine Infiltrate und kann ambulatorisch 
ausgeführt werden. P. Hirsch. 

M. Demjanowitsch - Moskau: Ueber eine seltene Form von se¬ 
kundärer Lues (Syphilis cutanea verrncosa). (Dermatol. Zeitschr., 
März 1913.) In deu Hautschnitten fanden sich reichliche Spirochaetae 
pallidae. Der warzenförmige Charakter der Effloreszenzen ist bei 
sekundärer Syphilis eine äusserst seltene Erscheinung. 

Immerwahr. 

Altmann und Dreyfuss: Salvarsan und Liqnor cerebrospinalis 
bei Frühsypbilis nebst ergänzender Bemerkung in der Latenzzeit. (Mün¬ 
chener med. Wochenschr., 1913, Nr. 9 u. 10.) Dünner. 

Siehe auch Therapie: Matzenauer, Durch Alkaliabgabe des 
Glases bedingte toxische Nebenwirkungen nach intravenösen Salvarsan- 
iojektionen. Nack, Natriumcarbonat bei Herpes tonsurans. v. d. Valk, 
Formalin bei Hautpilzkrankheiten. — Parasitenkunde und Sero¬ 
logie: Serra, Impfung von Lepramaterial ins Kaninchenauge. 


Geburtshilfe und Gynäkologie. 

M. S. Al perin-Moskau: Reflektorische SchmerzempflndiiBgen bei 
Drack auf den Plexus coeliacus bei entzündlichen Erkrankungen der 
weiblichen Geschlechtsorgane. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 10.) 
A. stellte seine Untersuchungen in der Weise an, dass er auf die Nabel¬ 
gegend einen Druck ausübte, der bis auf die Wirbelsäule ging, und be¬ 
merkt, dass die Schmerzen dann bald nach oben, bald nach der Sym¬ 
physe, bald nach den Seiten ausstrahlen. Danach stellt er ein be¬ 
stimmtes Schema auf, aus dem man ersehen soll, welche Schlüsse aus 
einer solchen Untersuchung zu ziehen sind. Strahlt der Schmerz nach 
oben aus, so spricht dies für Erkrankung der Uterusschleirahaut, nach 
der Syrapbyse zu entspricht der ausstrahlende Schmerz einer Para- oder 
Perimetritis usw. Der Verf. behauptet, dass er diese Beobachtungen 
streng objektiv gemacht und ihre Richtigkeit zum Teil durch den ob¬ 
jektiven Befund bei der nachfolgenden Operation bestätigt gefunden hat. 
Aber so einleuchtend das auch alles klingt, so wird man doch nicht 
umhin können, es nach der bei uns zu Lande herrschenden Auffassung 
etwas phantastisch zu finden. Siefart. 

Siefart-Charlottenburg: Interstitielle Gravidität. (Centralbl. f. 
Gynäkol., 1918, Nr. 11.) Verf. hat einen Fall von ektopischer Gravidität 
beobachtet und operiert, den er nach dem Befund für eine interstitielle 
Gravidität ansieht. Er bemerkt dabei, dass dieser Begriff ein sehr 
schwankender und nicht gut zu definierender ist, was namentlich für 
die späteren Monate zutrifft. Er führt an, dass Werth von allen in der 
Literatur zu findenden Fällen nur etwa 40 gelten lässt und selbst unter 
120 Fällen von ektopischer Gravidität nicht ein einziges Mal eine inter¬ 
stitielle sah. Auf Grund der von ihm in diesem Falle gemachten Er¬ 
fahrung kann Verf. sagen, dass die interstitielle Gravidität deshalb als 
gefährlicher als andere ektopische Graviditäten anzusehen ist, weil die 
Diagnose entschieden schwerer gestellt wird, was aus anatomischen Ur¬ 
sachen leicht zu verstehen ist. Auch dieser Fall, der trotz schneller 
und gut gelungener Operation tödlich endete, hat wieder bewiesen, wie 
falsch es ist, wenn man mit der Operation zögert. (Autoreferat.) 

Lieven-Bonn: Zur Wirkung des Hypophysenextr&ktes. (Centralbl. 
f. Gynäkol., 1913, Nr. 10.) Verf. hat bei einer 37 jährigen 6 para 1 ccm 
Pituglandol zum Zweck der Wehenanregung gegeben. Es trat eine so 
heftige Kontraktion des Uterus eio, dass die Herztöne des Kindes auf 
82 sanken, und dass man, zumal auch Meconium abging, gezwungen 
wurde, beim hoohstehenden Kopf die Zange anzulegen, um das Leben 
des Kindes zu retten. L. gibt an, dass dies der einzige von ihm be¬ 
obachtete Fall ist, in dem die Anwendung des Pituglandol solche Folgen 
hatte. Die Geburt der Placenta machte keine Schwierigkeiten. 

Peters-Wien: Bestimmung der Schwangersch&ftsdaaer auf Grund 
histologischer Plaeentarbefonde und über etwaige praktische Verwert¬ 
barkeit dieser Befunde. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 11.) Verf. 
kritisiert die auoh hier seinerzeit referierten Angaben von Schott- 
länder. Er kommt zu dem Resultat, dass unsere bisherigen Kenntnisse 
und die Mitteilungen von Schottländer uns nicht gestatten, aus dem 
Placentarbefund einen Rückschluss auf das Alter der Schwangerschaft 
zu machen, was namentlich für forensische Fälle von Bedeutung ist. 

Guggisberg-Bern: Zur Ekl&mpsiebekandlung durch Injektionen 
in den RäekenmarkskaaaL (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 11.) 
Verf. hat in zwei Fällen nach den Angaben von Meitzer den Lumbal¬ 
sack punktiert und nach Ausspülung mit physiologischer Kochsalzlösung 
das eine Mal 10, das andere Mal 6 ccm einer 15 proz. Lösung von Mag¬ 
nesium sulf. injiziert. Der Erfolg war ein völlig negativer, in beiden 
Fällen trat der Exitus ein. Siefart. 

J. Charrier: Die Blateysten oder Hämatome des Ovarinms. (Gaz.. 
des höp., 1913, Nr. 16.) Diese Hämatome, die auf sehr verschiedene 
Weise entstehen können, sind sehr schwer oder überhaupt nicht zu dia-* 


gnostizieren. Sic können sich von selbst langsam zurückbilden oder, 
wenn sie mit starker Blutung entstehen, wird meist eine Operation unter 
dem Verdacht einer Extrauteringravidität vorgenommen. Eine sichere 
Diagnose kann nur gestellt werden, wenn die mikroskopische Unter¬ 
suchung keinen Anhaltspunkt für eine Ovarialschwangerschaft ergibt. 

Wartensleben. 

Siehe auch Chirurgie: Moraburg, Intraperitoneale Oelanwendung. 


Augenheilkunde. 

Leeman: Ueber das Heben des Einäugigen. (Ned. Tijdscbr. v. 
Geneesk., 1913, Bd. 1, Nr. 11.) Bei der Anpassung des Einäugigen an 
die Berufstätigkeit spielt das Intellekt eine grosse Rolle, dass Einförmig¬ 
keit der Arbeit einer baldigen Anpassung günstig, Berufswechsel ihr un¬ 
günstig sein wird. Mit Fischer meint Verf., dass Messapparate zur 
Beurteilung des monoculären Tiefensehens nicht zulänglich sind. Bei 
der scheinbar vollkommensten Anpassung findet sich immer noch ein 
beträchtlicher Unterschied zwischen dem Ein- und Zweiäugigen selbst 
in der grösseren Tiefenschätzung. Wie dem aber auch sei, der normale 
Mensch ist der grösseren Anstrengung beim einäugigen Sehen immer 
gewachsen. v. Suchtelen. 


Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 

van Gilse: Eine Sinosentztindung bei Mittelohreiternng mit merk¬ 
würdiger Teraperaturkurve. (Ned. Tijdschr., 1912, Bd. 2, Nr. 20.) Bei 
einem 16 jährigen Mädchen wurde die Mastoidoperation ausgeführt. 
Stinkender Eiter entleerte sich, und die Wunde reinigte sich bald. Die 
Temperatur war septisch, obgleich die objektiven Erscheinungen damit 
nicht stimmten. Da auch Milzvergrösserung bestand, wurde auf Malaria 
untersucht. Im Blute Malariaerreger. Heilung. v. Suchtelen. 


Unfallheilkunde und Versicherungswesen. 

G. Soheutz: Ueber die Gewtfhnang an Unf&llfolgen. (Archiv f. 
Orthopädie, Mechanotherapie u. Unfallchir., 1913, Bd. 12, H. I u. 2.) 
Kurze Anführung von 12 schweren Verletzungen, darunter Verrenkung 
von Halswirbelsäule und Beinbruch mit 7 cm Verkürzung und fehler¬ 
hafter Stellung des Fusses. In keinem Falle bestand eine wesentliche 
Erwerbsbeschränkung, so dass die Gewöhnung als wesentliches Moment 
bei der Unfallbegutachtung zu betrachten ist. 

M. Miller: Morbns Basedowii nach Trauma. (Archiv f. Ortho¬ 
pädie, Mechanotherapie u. Unfallchir., 1913, Bd. 12, H. 1 u. 2.) Typischer 
Basedow nach einem Schädeltrauma (Gehirnerschütterung). Gedächtnis¬ 
schwäche war kurze Zeit nach dem Unfall aufgetreten, aber von den 
bisherigen Gutachtern als unwesentlich nicht beachtet worden. 

H. Harttung: Kasuistischer Beitrag zur Lehre der hysterischen 
Kontrakturen nach Unfall. (Archiv f. Orthopädie, Mechanotherapie u. 
Unfallchir., 1913, Bd. 12, H. 1 u. 2.) Bei einem 41jährigen Schlosser, 
der vor droi Monaten eine nicht erkannte Ellbogenluxation nach hinten 
erlitten hatte uod trotzdem nach wenigen Wochen wieder arbeitsfähig 
geworden war, kam es infolge einer schweren Kontusion desselben Ell¬ 
bogens zu einer Kontraktur im Bereiche des linken Schultergelenks so¬ 
wie des linken Hand- und der Fingergelenke. Bei dem Fehlen aller 
sonstigen Störungen im Bereiche der betroffenen Gelenke und bei dem 
Vorhandensein typischer hysterischer Allgemeinerscheinungen musste 
eine hysterische Kontraktur angenommen werden. Verf. führt diese 
darauf zurück, dass die Kontrakturstellung diejenige Steilung war, in 
der das Glied in der zweckmässigsten Stellung fixiert war. Nach der 
operativen Beseitigung der Ellbogenluxation und der dadurch bedingten 
Veränderung der Armhaltung verschwanden die Kontrakturen. 

M. Strauss. 


Militär-Sanitätswesen. 

Siehe auch Chirurgie: Lotsch, Wirkung vou Spritzgeschossen. 
Schliep, Gelenkschüsse. Mühsam, Chirurgische Erfahrungen in Bel¬ 
grad. Heinz, Vom montenegrinischen Kriegsschauplatz. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Gesellschaft der Charite-Aerzte. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 6. Februar 1913. 

Vorsitzender: Herr Bonhoeffer. 

Schriftführer: Herr Lotsch. 

Tagesordnung. 

1. Hr. Bonhoeffer: Ich stehe auf dem Programm mit Demonstrationen 
zur klinisohen Hirnpathologie — zur Kleinhirnpathologie sollte es 
heissen —; da mir der wichtigste Patient abhanden gekommen ist, 
möchte ich Sie bitten, Ihnen etwas anderes demonstrieren zu dürfen, 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 14. 


und zwar den anatomischen Befund eines nicht ganz uninteressanten 
organischen Hirnfalies, eines Falles von Apraxie and motorischer 
Aphasie. Der klinische Befund — ich habe den Kranken seinerzeit 
noch in der Medizinischen Gesellschaft in Breslau demonstriert — war 
folgender: Es handelt sich um einen 50jährigen Kranken, der im Laufe 
von 2 Tagen eiuen in drei Etappen verlaufenden apoplektischen Insult 
bekam. Das augenfällige Ergebnis dieses apoplektischen Insults war 
zunächst eine motorische Aphasie und rechtsseitige Lähmung. Die 
Lähmung bildete sich schnell zurück und war, als wir den Kranken 
4 Monate nach dem Insult in die Klinik bekamen, nur noch in Gestalt 
einer geringfügigen rechtsseitigen Schwäche des unteren Facialis, rechts¬ 
seitiger Reflexsteigerung und Babinski nachweisbar. Ausserdem war der 
Kranke vollständig wortstumm. Sowohl die spontane Sprache als das 
Nachsprechen war noch 4 Monate nach dem Insult so gut wie gänzlich 
aufgehoben. Lautlesen war zunächst unmöglich. Mit der Zeit wurde 
Lesen von einzelnen Buchstaben und Worten paraphasisch möglich. 
Das Leseverständnis war von Anfang an nicht ganz erloschen. Mit der 
rechten Hand schrieb er unleserliche, aber doch einzelne erkennbare 
Buchstaben und paraphasische Worte. Links war ihm das Schreiben 
absolut unmöglich. Das Wortverständnis zeigte keine erkennbare 
Störung. Der Kranke zeigte ein höchst eigentümliches motorisches Ver¬ 
halten. Er war links vollständig motorisch apraktisch. Darauf ge¬ 
richtete Untersuchungen: Drohen, Faust machen, schwören, Leier 
drehen usw. lösten nichts aus als Streckbewegungen der Hand oder 
Hochheben des Armes. Rechts war die Fähigkeit zu Zweck- und Aus¬ 
drucksbewegungen erheblich besser, aber auch dort war eine leichte 
Störung nachweisbar. Nachahmen von Bewegungen gelang besser als 
aus dem Gedäohtnis. Beim Manipulieren mit beiden Händen kamen 
auch Entgleisungen vor, teils motorischer, teils solche ideatorischer Art, 
die letzteren recht selten. Ich hatte damals auf Grund des Befundes 
eine Läsion der Broca’schen Gegend angenommen und eine Läsion des 
Balkens bzw. seiner Ausstrahlung als Unterlage für die linksseitige 
Dyspraxie. Der Kranke ist nach mehrmonatigem Aufenthalt in der 
Klinik apoplektisch gestorben. Der frische Insult hatte die rechte 
Hemisphäre getroffen. Es fand sich hier eine frische Blutung aus der 
Randarterie des Linsenkernes. 

(Demonstration des anatomischen Befundes an Lichtbildern.) 

Der anatomische Befund der Balkenläsion von vorn bis nahe zum 
Splenium erklärt uns ohne Schwierigkeiten die linksseitige Apraxie. 
Wir wissen seit den Untersuchungen von Liepmann, dass die Durch¬ 
brechung der Balkenfasern, und zwar insbesondere der mittleren Gebiete 
des Balkens, mit einer Dyspraxie und Apraxie der linken Hand beant¬ 
wortet wird. Dagegen haben wir keine ganz völlig befriedigende Er¬ 
klärung für die geringere Apraxie der rechten Hand. Man kann daran 
denken, insbesondere wenn man die Erfahrungen von Hartmann u. a. 
und auch neuerdings von Förster heranzieht, dass das linke Stirnhirn 
mit der rechtsseitigen Apraxie in Beziehung zu bringen ist. Jedenfalls 
können wir das eine sagen, dass durch eine Läsion des Stirnhirns, wie 
wir sie hier vor allem auf die erste Stirnwindung uüd den Gyrus 
foruicatus sich erstrecken sehen, eine schwere Apraxie, wie wir sie auf 
der linken Seite gefunden haben, nicht verursacht wird. Dass der Herd, 
der im Occipitalhirn gesessen hat, für diese motorische Apraxie in Be¬ 
tracht zu ziehen ist, lässt sich nicht absolut ausschliessen, für besonders 
wahrscheinlich halte ich es nicht, weil der Herd doch hinter der Angu¬ 
laris und Marginalis, der Stelle, die mit der Apraxie in Verbindung ge¬ 
bracht wird, gelegen ist. Als ungewöhnlich muss es bezeichnet werden, 
dass wir bei dem klinischen Bilde einer Brooa’schen Aphasie keinen 
Herd in der Broca’schen Windung oder im Marklager dieser Windung 
gefunden haben, und dass auch die Inselwindungen nicht alteriert 
waren. Ich möchte hier nicht näher auf die Frage der Lokalisation der 
Aphasie in unserem Falle eingehen. Der Befund des Herdes in den 
vorderen Partien des Linsenkernes scheint zunächst der Pierre Marie¬ 
schen Auffassung von der Bedeutung des Linsenkernes recht zu geben. 

2. Hr. Borehardt: Rfiekennarkskraakheitei naeh Unfall. 

M. H.! Ich möchte Ihnen ein paar Fälle von chronisch pro¬ 
gressiven Rückenmarkskrankheiten demonstrieren, die sich zeitlich im 
Anschluss an einen Unfall entwickelt haben; Fälle, die mir nicht bloss 
klinisch-diagnostisch von Interesse zu sein scheinen, sondern auch mit 
Rücksicht auf die Unfallgesetzgebung für den Praktiker eine gewisse 
Bedeutung haben. (Demonstration.) Dieser Kranke ist ein jetzt 
87 jähriger Zimmermann, der folgende Anamnese bat: Er ist früher 
immer gesund gewesen, hat im Jahre 1899 eine Gonorrhöe und im 
Jahre 1904 eine Lues acquiriert. Er ist in einem hiesigen Kranken¬ 
hause spezifisch behandelt worden und hat in den Jahren 1904 und 
1905 noch wiederholt spezifische Kuren durchgemacht. Am 23. Januar 
1908 ist er in folgender Weise verunglückt: er wollte einen Haufen 
stürzende Bretter mit der Hand aufhalten und stiess dabei mit dem 
rechten Daumen gegen diese fallenden Bretter, wobei er sich den 
Daumen verstauchte; keine Fraktur. Der Daumen war geschwollen, hat 
noch längere Zeit geschmerzt und kam nicht mehr in Ordnung. Pat. 
hat seit der Zeit zwar noch arbeiten können, aber nur leichte Arbeit 
verrichtet. Erst im August ist ihm aufgefallen, dass die rechte Hand 
schwächer wurde. Diese Schwäche ist allmählich schlimmer geworden, 
ist im Jahre 1909 auch auf die linke Seite übergegangen und hat sich 
allmählich zu dem Krankheitsbild entwickelt, was Sie jetzt sehen. Wir 
finden an dem Pat. jetzt keinerlei nachweisbare Zeichen einer Lues. 
Am Kopf besteht eine sehr seltene Hautaffektion, die von der Hautklinik 


als Cutis verticis gyrata gedeutet wird und die mit Lues nichts zu tun 
hat. Die Pupillen reagieren gut. Es bestehen schwere Atrophien in 
beiden Armen und in der Schultermuskulatur sowie ganz schwere 
atrophische Veränderungen an beiden Händen, eine totale Atrophie des 
Daumenballens und des Hypothenar. Die Reflexe sind erloschen. Die 
Motilität der Arme ist so gut wie vollkommen aufgehoben. Es ist nur 
noch eine Deltoideswirkung zu erzielen, im übrigen sind die Arme 
motorisch total funktionsunfähig. Im Gegensatz zu diesen schweren 
motorischen Ausfallserscheinungen finden wir keinerlei sensible Ausfalls¬ 
erscheinungen, speziell Schmerz- und Temperatursinn ist ungestört. 
Was das elektrische Verhalten betrifft, so haben wir mehr oder minder 
hochgradige EqtartuDgsreaktion bzw. quantitative Herabsetzung io der 
Mehrzahl der Muskeln; einige sind weder galvanisch noch faradisch zu 
erregen. An Rumpf und Beinen sind die Reflexe sowie die Motilität 
und Sensibilität ganz normal. Andere Erscheinungen seitens des Nerven¬ 
systems, Schmerzen, Blasenstörungen oder dergl. haben nie bestanden. 

Was zunächst die Diagnostik des Falles betrifft, so gehört er in das 
Gebiet derjenigen Rückenmarkskrankheiten, die man als chronische 
spinale Muskelatrophie resp. chronische Poliomyelitis anterior bezeichnet. 
Ausserdem käme noch die Syringomyelie in Frage. Letztere ist, glaube 
ich, nicht sehr wahrscheinlich, immerhin ist sie natürlich nicht ganz 
auszuschliessen. Schwieriger ist es, eine amyotrophische Lateralsklerose 
auszuschliessen, aber nachdem die Krankheit seit 1908 besteht, ohne 
dass bisher Seitenstrangerscheinungen dazugetreten sind, wird die 
Diagnose einer amyotrophischen Lateralsklerose kaum gestellt werden 
dürfen. 

Was die Frage nach dem Zusammenhang mit dem Unfall betrifft, 
die ich vorhin aufwarf, so ist zunächst zu erwähnen, dass solche Krank¬ 
heiten auch ohne Unfall zur Beobachtung kommen. Der Zufall fugt es, 
dass ich einen ganz analogen Fall zeigen kann, wo ein Unfall nicht in 
Frage kommt. Ich will ihn ganz kurz demonstrieren. Es ist ein 
jetzt 41jähriger Herr, der seit etwa 5 bis 6 Monaten eine Schwäche erst 
in der einen, dann in der anderen Hand gespürt hat (Demonstration). 
Hier liegt eine spezifische Infektion nicht vor, auch die Blutuntersuchung 
ist negativ. Ebenso zeigt die Lumbalflüssigkeit nicht die Veränderungen, 
die wir von der Lues des Centralnervensystems zu sehen gewohnt sind. 
Auch bei diesem Kranken sehen Sie eine deutliche Atrophie im Daumen- 
und Kleinfingerballen, eine Andeutung von Krallenhandstellung, im 
übrigen aber ist der Fall nicht soweit vorgeschritten. Die Reflexe sind 
noch vorhanden, aber auch nicht sehr lebhaft; besonders die Radius¬ 
periostreflexe sind schon recht schwach. Die Sensibilität und die unteren 
Extremitäten sind ganz intakt; Pupillen sind leicht different. Es ist 
dies also ein Fall, den man diagnostisch wohl zweifellos in dieselbe 
Kategorie rechnen muss, wo aber von einem Unfall nicht die Rede ist. 
Demgegenüber ist die Frage von autoritativer Seite bejaht worden, dass 
eine chronische Poliomyelitis sich im ursächlichen Zusammenhang mit 
einem Unfall entwickeln kann. Insbesondere hat Erb schon 1897 auf 
die traumatischen Amyotrophien spinaler Herkunft die Aufmerksamkeit 
gelenkt und neuerdings in einer Arbeit alle Fälle wieder zusammen¬ 
gestellt. Er spricht sich ganz entschieden dafür aus, dass eine chro¬ 
nische spinale Muskelatrophie auf diesem Boden entsteht, und legt sogar 
Wert darauf, dass nicht immer ein schweres Trauma nötig ist; vielmehr 
betreffen die Fälle, die er in der letzten Arbeit zusammenstellt, im 
wesentlichen leichtere Traumen, z. B. Schlag gegen die Halswirbelsäule 
und dergl.; ein Fall wird angeführt, wo lediglich im Anschluss an einen 
psychischen Shock die Erkrankung eingetreten sein soll. Ein psychischer 
Sbock ist ja wohl bei einem Unfall kaum jemals auszuschliessen. In 
unserem Fall ist der Unfall nicht sehr schwer gewesen, insbesondere ist 
hier von irgendeiner Kommotion des Centralnervensystems nicht die Rede. 
Was die Entstehung durch sogenannte ascendierende Neuritis betrifft, 
die ja auch für ähnliche Fälle verantwortlich gemacht worden ist, so 
kann man diesen Weg der Entstehung überhaupt ablehnen. Dagegen 
ist es sehr leicht möglich, dass die ganze Krankheit luetischer Genese 
ist, und dass der Unfall damit gar nichts zu tun hat, höchstens ein 
accessorisches Moment darstellt. In diesem Sinne etwa, dass die Lues 
die Krankheit hervorgerufen hat und nicht der Unfall, ist der Kranke 
auch begutachtet worden, zumal er dem Gutachter (im Jahre 1909) an¬ 
gab, dass er schon seit ein paar Jahren die linke Hand nicht ordentlich 
bewegen könne. Der Kranke hat natürlich nachher diese Angabe 
anders erklärt und behauptet, dass er nur so starke Exkursionen, 
wie sie der Gutachter von ihm verlangt habe, nicht ausführen konnte. 
Mir scheint aber nach der ganzen Anamnese die Sache so zu liegen, 
dass in geringem Grade vielleicht die Krankheit zurzeit des Unfalls 
schon bestanden hat. Man muss sich wohl in diesem Falle gutachtlich 
dahin äussern, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Unfall und 
spinaler Muskelatrophie wenig wahrscheinlich ist, dass wahrscheinlich 
vielmehr die Krankheit auf luetischer Basis entstanden ist, dass natürlich 
die Möglichkeit einer ungünstigen Beeinflussung durch den Unfall nicht 
ganz ausgeschlossen werden kann. 

Einen ganz ähnlichen Fall möchte ich Ihnen ausserdem zeigen. Es 
handelt sich um einen 42 jährigen Mann, der im Jahre 1903 verunglückt 
ist. Er war Monteur und hatte ein Gerüst aufzuschlagen, ist bei dieser 
Gelegenheit zu Fall gekommen und aus einer Höhe von etwa 3 m auf 
die Seite gefallen; er hat sich dabei einen Knöchelbruch des linken 
Fusses zugezogen. Die Residuen sehen Sie noch hier; der Fuss ist noch 
geschwollen, leicht ödematös und im Gelenk steif. Ausserdem hat Pat. 
eine «Sehnenverrenkung“ des linken Arms, wie es in der Unfallanzeige 
heisst, davon getragen. Was das gewesen ist, lasst sich jetit nicht fest- 


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UMIVERSITY OF IOWA 







7. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


649 


stellen; jedenfalls ist nach Angabe des Kranken wohl ein Bluterguss 
dagewesen, der Arm soll blutunterlaufen gewesen sein. Im Anschluss 
daran hat der Kranke natnrgemäss nicht arbeiten können. Er hat im 
Gipsverband sechs Wochen lang zu Bause gelegen, hat dann wieder an¬ 
gefangen, auf Stöcken zu gehen, konnte aber seiner Arbeit wegen der 
Fussverletzung nicht nacbgehen. Er bezog deswegen 40pCt. Rente. 
Dann bat der Kranke im März 1904 — im September 1903 war der 
Unfall — gemerkt, dass er im linken Arm ein taubes Gefühl habe und 
mit dem Arm nicht so recht vorwärts käme wie früher. Ganz all¬ 
mählich hat sich dann eine Lähmung im linken Arm entwickelt, die 
denselben charakteristischen Typus hat wie bei dem Kranken, den ich 
eben zeigte, nämlich eine atrophisch-degenerative Lähmung der 
beiden Arme, die den Kranken vollkommen hilflos macht; er kann sich, 
wie Sie sehen, gar nicht allein ausziehen. Die Reflexe sind in diesem 
Falle nicht erloschen, sondern erhöht resp. mindestens sehr lebhaft. Die 
Sensibilität ist an den Armen vollkommen intakt, auch für Schmerz- 
und Temperaturreize. Die Erkrankung geht aber doch über das hinaus, 
was die anderen Patienten zeigen. Er hat nämlich neben seiner Pupillen- 
und Lidspaltendifferem auch eine Spur von Nystagmus und dann eine 
leichte Atrophie der Zunge; wenigstens fühlt sich die Zunge weicher an 
als normal und zeigt deutliche fibrilläre Zuckungen. Der elektrische 
Befand ergibt auch ungefähr ein ähnliches Bild wie bei den anderen 
Kranken, am linken Bein findet sich eine Atrophie, die man wohl zum 
Teil als arthrogen bezeichnen kann; aber doch nur zum Teil, denn im 
linken Tibiatis anticus besteht auch eine Entartungsreaktion. Zweifellos 
finden sich also auch nervöse Störungen in den Beinen; beiderseits 
konstatiert man das Babiuski’sche Phänomen. Hier geht also die Störung 
über die Vorderhörner entschieden hinaus. Eine Zeitlang hatte Pat. 
anscheinend auch Sensibilitätsstörungen für Schmerz- und Temperatur* 
reize, die aber jetzt nicht mehr vorhanden sind. 

Dieser Fall ist diagnostisch nicht ganz einfach zu bewerten. Es 
handelt sich um eine Erkrankung der Vorderhörner zugleich mit einer 
Erkrankung der Pyramiden, die ich vorhin als amyotropbisohe Lateral¬ 
sklerose schon erwähnt habe. Ich möchte aber nicht mit aller Sicher¬ 
heit behaupten, dass eine amyotropbisohe Lateralsklerose hier vorliegt, 
denn es ist das bekanntlich eine Krankheit, die verhältnismässig schnell 
zum Tode führt, indem sehr bald die bulbären Centren auch ergriffen 
werden. Im allgemeinen setzt man den Verlauf der amyotrophischen 
Lateralsklerose auf 3—5 Jahre, vielleicht etwas länger, fest. Dieser 
Kranke ist aber schon seit 1904 krank und hat noch so wenig spastische 
Erscheinungen, dass eigentlich nur der Babinski beiderseits und die 
lebhaften Reflexe am Arm die spastische Komponente repräsentieren. 
Aueh die Sprache ist vollkommen intakt. Dazu kommt, dass auch von 
früheren Gutachtern Sensibilitätsstörungen im Sinne einer dissoziierten 
Empfindungsstörung gefunden wurden; es dürfte sich demnaoh hier 
wohl um eine Syringomyelie handeln. Allerdings ist auch dafür der 
Verlauf atypisch, insbesondere das Verschwinden der früher vorhandenen 
SensibilitätsstöruDgen ist nicht ganz leicht zu erklären. Für eine 
luetische Erkrankung sind in diesem Fall keine Anhaltspunkte vor¬ 
handen. Erstens entspricht das Krankheitsbild nicht dem einer Lues 
cerebrospinalis; ferner ist die Wasser mann’sehe Untersuchung negativ, 
der Patient hat drei gesunde Kinder, die Frau hat nie abortiert. Ich 
glaube also, es handelt sich hier entweder um eine amyotropbisohe 
Lateralsklerose oder um eine Syringomyelie von atypischem Verlauf. 

Was die Frage nach dem Unfall betrifft, so nimmt man ja im all¬ 
gemeinen an, dass die Syringomyelie auf einer Entwicklungsanomalie 
beruht, die späterhin durch irgendeine Gelegenheitsursache, die wir meist 
nicht naebweisen können, manifest wird. Diese Ursache kann nach 
allem, was wir wissen, auch gelegentlich durch ein Trauma gegeben 
sein. Wir müssen also wohl daran festhalten, dass auf dem Boden 
irgendeiner Prädisposition, die wir noch nicht kennen, durch ein Trauma 
eine Syringomyelie hervorgerufen werden kann. Wie die traumatische 
Syringomyelie entsteht, ob zunächst bei dem Trauma capilläre Blutungen 
zustande kommen, aus denen sich Gliawucherungen entwickeln, oder ob 
nur feine molekulare Veränderungen durch die Erschütterung vor sich 
gehen, aus denen dann die Syringomyelie resultiert, das steht dahin. 
Dass die Krankheit erst mehrere Monate nachher angefangen hat, spricht 
nicht gegen die traumatische Genese; die Kranken pflegen, wie ich schon 
vorhin erwähnte, bei so schleichender Entwicklung der Krankheit anfangs 
nicht auf ihr Leiden zu aohteB. Ich zeige Ihnen ein demonstratives 
Beispiel dafür bei einer Kranken, die ich kurz zu betrachten bitte. 
(Demonstration.) Sie kam vor ein paar Tagen in die Poliklinik wegen 
einer »ganz anderen“ Erkrankung. Sie hatte früher eine spezifische 
Infektion durebgemaoht und bekam jetzt auf dieser Basis eine Ptosis. 
Bei der Untersuchung ist als „zufälliger Nebenbefund“ diese starke 
Atrophie an der Hand gefunden worden. Von dieser Atrophie weiss 
die Frau angeblich gar nichts. Es ist natürlich ganz ausgeschlossen, 
dass sie erst vor kurzem entstanden sein kann; der Beginn der atropbi- 
soben Veränderung liegt nach meiner Ueberzeugung Monate zurück. So 
glaube ich auch in unserem Falle, dass der Kranke dadurch, dass er 
wegen seines Fusses im Bett gelegen hat und keine Gelegenheit hatte, 
die Kraft seiner Hände zu erproben, auf den Beginn seines Spinalleidens 
nicht aufmerksam geworden ist. Ich meine also: es ist 9ehr wohl mög¬ 
lich, dass in diesem Falle der Unfall zum Manifestwerden der Krankheit 
beigetragen bat. 

Diskussion. 

Hr. Bonboeffers Zum ersten Falle möchte ich mir die Bemerkung 
gestatten, dass ich bei einer Konkurrenz von Lues und einem ver¬ 


hältnismässig leichten Trauma des Daumens doch im Hinblick auf andere 
Erfahrungen bei spinaler Muskelatrophie der Lues eine grössere Be¬ 
deutung für die Aetiologie der Spinalerkrankung beimessen würde als 
dem Trauma. Ich weiss nicht, ob das bei der Demonstration ganz 
deutlich zum Ausdruck gekommen ist. Eigentlich sind Sie doch wohl 
auch der Ansicht? (Zustimmung des Herrn Borohardt) 

3. Hr. Förster: Paralysis agitans mit Hypotonie. 

M. H.! Ich möchte Ihnen hier einen Patienten zeigen, bei dem 
Sie sofort die richtige Diagnose stellen werden, wenn Sie ihn herein¬ 
kommen sehen; aus der charakteristischen Haltung, dem etwas gebeugten, 
vorgestreckten Kopf und aus dem charakteristischen Zittern geht ohne 
weiteres die Diagnose Paralysis agitans hervor. Sie finden noch zur 
Unterstützung der Diagnose das Fehlen der Mitbewegung beim Gehen, 
das normale Pendeln der Arme fehlt. Sie sehen, wie der Kopf ganz 
steif und bewegungslos gehalten wird; auch sonst fällt die Steifigkeit in 
der Haltung beim Patienten auf. Irgendwelche sonstigen Symptome, 
wie Propulsion usw., fehlen. Trotzdem dürfte an der Diagnose wohl 
schon nach dem Anblick kein Zweifel sein. Das Zittern ist vielleicht 
nicht ganz typisch. Die Exkursionen sind etwas gross. Es besteht auch 
nicht die typische Fingerbeugung, sondern die Finger sind eher etwas 
gestreckt. Es sind aber sehr viele Fälle beschrieben worden, bei denen 
eine Streckhaltung der Finger vorliegt, ebenso wie es nicht immer zur 
Rumpfbeugung kommt, es wird auch hier Streckung gelegentlich beob¬ 
achtet. Der Verlauf ist vollkommen typisch. Das Leiden hat sich seit 
1901 allmählich entwickelt. Es wäre weiter kein Grund, Ihnen diesen 
Fall zu demonstrieren, wenn nicht ein auffälliges Symptom noch vor¬ 
handen wäre. Patient zeigt nämlich nicht die erwartete Muskelrigidität, 
sondern es ist auffällige Hypotonie vorhanden. Ich kann sie Ihnen im 
Ellenbogen- und Handgelenk demonstrieren. (Demonstration.) Sie sehen, 
wie die Gelenke schlenkern. Auch in den anderen Gelenken ist der 
Tonus eher herabgesetzt. Es ist ein ganz auffälliges Symptom. Man 
ist gewohnt, bei Paralysis agitans als eines der wesentlichsten Sym¬ 
ptome die Rigidität, die Muskelsteifigkeit anzuführen. Es ist zwar schon 
von Oppenheim und anderen darauf hingewiesen worden — ich selbst 
habe früher auch schon solche Fälle gesehen —, dass die Rigidität nicht 
in allen Fällen vorhanden sein muss, sie kann manchmal fehlen; aber 
einen Fall mit Hypotonie bei Paralysis agitans habe ich bisher noch 
nicht gesehen. 

Ich kann Ihnen einen zweiten Fall zeigen. Es handelt sich eben¬ 
falls um eine Patientin, bei der das Bild der Paralysis agitans auf den 
ersten Blick erkennbar ist, hier noch deutlicher al9 bei dem anderen 
Patienten, weil auch die Haltung der Finger typisch ist. Wenn Sie die 
Patientin ansehen, so bemerken Sie das für Paralysis agitans typische 
Zittern. Auch beim Gehen fällt das Zittern deutlich auf, ebenso die 
steife Kopfhaltung, die etwas vorgebeugte Haltung und das Fehlen der 
Mitbewegungen. Das können wir auch erkennen, wenn die Patientin 
sich hinsetzt und aufsteht. (Demonstration.) Die Patientin steht auf, 
ohne dass sie die Füsse unter den Stuhl zieht. Auch hier lässt sich 
deutlich die Hypotonie demonstrieren; in Schultern und Ellenbogengelenk 
ist sie nicht sehr ausgesprochen, im Handgelenk ist sie zweifellos zu 
demonstrieren. Bei dieser Patientin besteht das Leiden auch seit vier 
Jahren und hat sich progressiv entwickelt. 

Wir müssen mit einigen Worten darauf eingehen, wie wir die Hypo¬ 
tonie bei Paralysis agitans erklären können. Wir wissen, dass Paralysis 
agitans kaum als einheitliches Krankheitsbild gedeutet werden kann. 
Früher meinte man, dass man fast alle Symptome der Paralysis agitans 
auf Muskelrigidität zurückführen könnte. Von dieser Anschauung ist 
man allmählich zurückgekommen und hat einsehen gelernt, dass die ver¬ 
schiedenen Störungen bei Paralysis agitans gleichwertig nebeneinander 
hergehen, und dass jedes einzelne dieser Symptome fehlen kann. Am 
längsten war es bekannt für das Zittern. Die Fälle von Paralysis agitans 
sine agitatione sind seit langer Zeit bekannt. Wir müssen uns denken, 
dass die Symptome auf Störungen ganz bestimmter Bahnen beruhen, 
dass verschiedene Bahnen, die wir anatomisch im einzelnen noch nicht 
kennen, für die verschiedenen Symptome verantwortlich gemacht werden 
müssen. Es fragt sich nun, ob die Hypotonie sich da anreihen lässt. 
Das ist sehr gut möglich. Wir wissen, dass Muskelsteifigkeit mit Mangel 
an Antrieb auftritt. Wir kennen die Muskelsteifigkeit auch sonst bei 
Kleinhirnerkrankungen; wir brauchen nur zu denken an die Unfähigkeit 
der Kranken, hintereinander schnell Bewegungen auszuführen. Anch 
Hypotonie ist bei Kleinhirnerkrankungen kein unbekanntes Symptom. 
Ich brauche bloss auf die choreatischen Muskelstörungen hinzuweisen. 
Wie wir wissen, sind choreatische Störungen in sehr vielen Fällen auf 
Erkrankung von Kleinhirnbahnen zurückzuführen. Ich brauche nur an 
einen der bekanntesten Fälle zu erinnern, den Bonhoeffer beschrieben 
hat, bei dem leichte Verminderung des Tonas in dem betreffenden Gliede 
vorhanden war. Bekannt ist auch, dass Athetose und Hypotonie zu¬ 
sammen Vorkommen, sowie dass athetotische Erscheinungen fliessende 
Uebergänge zu choreatischen wie zu Paralysis agitans ähnlichen Zitter¬ 
bewegungen zeigen können. Hier finden wir also überall Brücken, und 
es wird verständlich, dass wir bei Paralysis agitans Hypotonie finden. 
Es ist eigentlich sogar wunderbar, dass nicht schon früher häufiger Fälle 
beschrieben worden sind, wo statt Rigidität Hypotonie vorliegt. Viel¬ 
leicht liegt das weniger daran, dass es solche Fälle bisher nicht gegeben 
hat, als daran, dass man unter der Suggestion, dass bei Paralysis agitans 
immer Rigidität vorhanden sein muss, wenn die anderen Symptome fest¬ 
standen, zu wenig hierauf geachtet hat. Wir müssen dieses Symptom 


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UNIVERSUM OF IOWA 





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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 14. 


so erklären, dass auch hier die Gegend, die sonst für das Entstehen der 
Paralysis agitans verantwortlich gemacht werden muss, also die Gegend 
der Kleinhirnbahnen, besonders die Verbindung mit den subcorticalen 
Centren. erkrankt ist, und dass sich die Erkrankung, die wahrscheinlich 
in kleinen, wenn auch heute noch nicht sicher nachweisbaren Herden 
besteht, sich in das Gebiet der Bindearme hinein fortgesetzt hat. Ob 
es unbedingt die Bindearme sind, die mit der Hypotonie Zusammen¬ 
hängen, ist allerdings nicht sicher. 

4. Hr. Kramer: Atrophische Myotonie. 

M. H.! Der Patient, den ich mir erlaube Ihnen zu demonstrieren, 
ist yor etwa vier Wochen in unsere Behandlung gekommen. Er wurde 
uns überwiesen von der Lungenfürsorgestelle, die er aufgesucht hatte, 
weil er seit einigen Jahren über zunehmende Schwäche klagte, die sich 
besonders in den Beinen geltend machte, so dass er Beschwerden beim 
Laufen hatte. Er klagte auch ausserdem über Kreuzschmerzen. Sonst 
hatte er keine weiteren Beschwerden, gab uns nur auf Befragen an, dass 
im letzten Jahre seine Potenz in auffälligem Maasse abgenommen hat. 
Der Patient ist 42 Jahre alt. Die Untersuchung ergab zunächst an den 
Beinen, dass eine geringe Schwäche der Dorsalüexion beiderseits vorliegt. 
Die Patellarreflexe sind normal, die Achillessehnenreflexe dagegen fehlen. 
Die weitere Untersuchung zeigte, dass ein sehr auffälliger Befund im 
Gesicht und am Halse vorliegt, eine Atrophie, die die gesamte Gesichts¬ 
muskulatur betrifft; auch die Kaumuskulatur ist etwas atrophisch. Sie 
sehen eine etwas eingesunkene Schläfengrube. Auch die Masseteren 
springen beim Zubeissen etwas wenig hervor. Die Augenlider sind dünn, 
die Kraft des Augenschlusses ist schlecht. Beim Lippenschluss ist eben¬ 
falls die Kraft relativ gering. Dann ist ein Ausfall am Sternocleidomastoideus 
zu bemerken. Sie sehen, dass der Hals einen etwas mageren Eindruck 
macht, dass die Konturen des Sternocleidomastoideus auf beiden Seiten 
fehlen, dass dieser Muskel auch bei Kopfdrehung nicht hervorspringt, 
sondern nur die Konturen des Omohyoideus. Bei genauem Nachsehen 
lässt sich feststellen, dass ein geringer Rest des Muskels vorhanden ist. 
An den Armen ist die Kraftentfaltung nicht sehr gross, doch lässt sich 
hier eine ausgesprochene Parese nicht nachweisen, auch keine lokalisierte 
Atrophie. Die Muskulatur ist nur überall nicht gut entwickelt. * Als 
wir die elektrische Untersuchung anstellten, speziell an den atrophischen 
Muskeln, fanden wir, dass bei galvanischer Reizung überall träge Zuckung 
auftrat. Bei genauem Zusehen liess sich nachweisen, dass diese nicht 
auf Entartungsreaktion zurückzuführen ist; sie fand sich auch in Muskeln, 
die normal funktionieren, die faradisch gut erregbar sind. Es stellte 
sich heraus, dass es sich um myotonische Reaktion handelte, die sich 
vor allem von der Entartungsreaktion dadurch unterscheidet, dass bei 
der gut erhaltenen faradischen Erregbarkeit eine deutliche Nachdauer 
der Kontraktion nach dem Aufbören des elektrischen Reizes vorhanden 
ist. Als wir untersuchten, ob der Patient auch sonst myotonische Er¬ 
scheinungen hat, fand sich, dass er beim Handschluss deutlich eine 
Nachdauer der willkürlichen Kontraktion erkennen lässt. (Demon¬ 
stration.) Sie sehen, dass, wenn der Patient die Hand geschlossen hat, 
die Muskeln in Kontraktion bleiben. Es dauert längere Zeit, bis er sie 
wieder öffnen kann. Erst allmählich lässt die Kontraktion nach. Wir 
haben den Körper im übrigen auf myotonische Erscheinungen unter¬ 
sucht; sie haben sich in so ausgesprochener Weise wie beim Hand¬ 
schluss nirgends gefunden. Gelegentlich lässt es sich auch beim Auf¬ 
stehen vom Stuhl nachweisen. (Demonstration.) Auch in der Waden¬ 
muskulatur haben wir gelegentlich die Erscheinung beobachtet, jedoch 
nicht in sehr ausgesprochener Weise. Bemerkenswert ist, dass der 
Patient angibt, dass er erst durch diese Untersuchung auf die Bewe¬ 
gungsstörung aufmerksam geworden ist; es war ihm nie besonders auf¬ 
gefallen, und es lässt sich auch nicht eruieren, wie lange er die Be¬ 
wegungsstörung hat, ob sie von Jugend an schon bestand, oder ob sie 
im späteren Leben etwa gleichzeitig mit der Atrophie, die wir auf sechs 
Jahre zurückdatieren können, sich eingestellt hat. Die elektrische Unter¬ 
suchung ergab, wie erwähnt, eine ausgesprochene myotonische Reaktion, 
die ich mir erlauben werde kurz zu demonstrieren. (Demonstration.) 
Die myotonische Reaktion besteht vor allem darin, dass hei faradischen 
Reizungen die Kontraktion der Muskeln auch nach dem Aufhören des 
Stromes andauert. Bei der Reizung mit galvanischem Strom ist 
charakteristisch, dass bei indirekter Muskelreizung vom Nerven aus die 
Zuckungen normal schnell erfolgen. (Demonstration.) Sie sehen, dass, 
wenn ich vom Nervus ulnaris aus reize, ganz normale Zuckung erfolgt. 
Wenn ich dagegen direkt reize, so erfolgt die Kontraktion der Finger¬ 
beuger ganz träge, und sie hält so lange an, wie der Strom geschlossen 
bleibt; wenn ich-jetzt öffne, geht sie langsam wieder zurück. Dann 
lässt sich auch noch die myotonische Reaktion beim mechanischen Be¬ 
klopfen der Muskeln nachweisen. (Demonstration.) Wir sehen, dass 
die Sehne des Flexor carpi radialis sich anspannt und auch noch 
längere Zeit angespannt bleibt; sie geht erst allmählich zurück. 

M. H.! Was der Patient uns darbietet, ist eine Kombination von 
zwei Arten von Erscheinungen. Einmal sind es die myotonischen Er¬ 
scheinungen, wie sie der Myotonia congenita, der Thomsen’schen Krank¬ 
heit, angehören, und dann Erscheinungen der Muskelatrophie. Es ist 
die Frage, wie wir die Muskelatrophie aulzufassen haben, ob es sich um 
spinale Muskelatrophie oder um myopathische Atrophie handelt. In den 
ersten Fällen dieser Art, die publiziert sind, findet man gelegentlich die 
Meinung ausgesprochen, dass es sich um spinale Muskelatrophie handle 
wegen der vorhandenen Entartungsreaktion. Demgegenüber ist schon 
von Hoffmann im Jahre 1900 mit Recht darauf hingewiesen worden, 


dass es sich in diesen Fällen um eine Verwechslung der myotonischen 
Reaktion mit der Entartungsreaktion handelt, die ziemlich naheliegend 
ist. Ich möchte noch etwas erwähnen, was ich vorhin anzuführen ver¬ 
gessen habe, dass nämlich die myotonische Reaktion sich nicht in gleicher 
Weise in allen Muskeln findet; sie findet sich am ausgesprochensten in 
den Beugern der Hand, im Daumenballen, in allen kleinen Handmuskeln; 
sie findet sich in etwas modifizierter Art in den Muskeln des Gesichts 
und des Halses. Hier fand sich nur die abnorme Reaktion bei direkter 
galvanischer Reizung, dagegen nicht die Nachdauer bei faradischer 
Reizung. Diese findet sich in diesen Muskeln nur angedeutet. Dieser 
Befund ist von Remak zuerst beschrieben und als partielle myotonische 
Reaktion bezeichnet worden. Bei dieser Form liegt die Verwechslung 
mit der Entartungsreaktion noch näher. Es ist wohl wahrscheinlich, 
dass die früher beschriebenen Fälle auf derartige Verwechslungen zurück¬ 
zuführen sind. Es kann meines Erachtens kein Zweifel sein, dass es sich 
nicht um Entartungsreaktion, sondern um myotonische Reaktion handelt. 
Nach dem ganzen Typus, nach der Verteilung der Lähmung kann es 
auch nicht zweifelhaft sein, dass wir die Atrophie als myopathische 
Atrophie au (fassen müssen. 

Nun ist die Frage, ob dieses Zusammentreffen der beiden Krank¬ 
heitsbilder zufällig oder auf dieselbe Ursache zurückzuführen ist. An 
sich wäre ja ein zufälliges Zusammentreffen sehr merkwürdig, denn es 
handelt sich in beiden Fällen um eine keineswegs sehr häufige Er¬ 
krankung. Myotonie ist recht selten, Muskeldystrophie ist nicht gerade 
sehr häufig. Weiter ist bemerkenswert, dass, besonders seitdem Hoff¬ 
mann im Jahre 1900 auf diese Fälle aufmerksam gemacht hat, schon 
eine ganze Reihe von Fällen beschrieben worden sind, die durchaus mit 
dem hier demonstrierten Krankheitsbilde übereinstimmen — es handelt 
sich um Myotonie, die gelegentlich familiär auftritt —; bei diesem 
Patienten ist von Familiarität, von Heredität niohts bekannt —, und 
bei denen im späteren Leben, gewöhnlich im zweiten, dritten Lebensjahr 
beginnend, in der Regel nicht so spät wie bei diesem Patienten, sich 
Muskelatrophie einstellt, ganz regelmässig in den gleichen Muskeln, wie 
sie auch hier sich betroffen finden: Gesichtsmuskeln, Kaumuskeln, Sterno¬ 
cleidomastoideus, sodann, wenn die Extremitäten betroffen sind, die 
Dorsalflexion des Fusses und Vorderarmmuskeln. Dieser Typus, der ja, 
wie Hoffmann hervorhebt, sonst keinem bekannten Typus der Muskel¬ 
dystrophie entspricht, ist regelmässig in diesen Fällen vorhanden ge¬ 
wesen. Er weist darauf hin, dass wir es hier durchaus mit einem 
typischen Krankheitsbilde zu tun haben, bei dem sich die myotonischen 
Erscheinungen mit muskelatrophischen Erscheinungen kombinieren. Es 
ist die Frage viel erörtert worden, wie sich diese Erkrankung zu der 
echten Thomsen’schen Krankheit verhält, ob wir es mit einer eigenen 
Krankheit oder nur mit einer Varietät der Thomsen’schen Krankheit zu 
tun haben. Hoffmann vertritt den Standpunkt, dass die Myotonie das 
Primäre ist, das Sekundäre die Muskelatrophie. Jendrassik nimmt 
den Standpunkt ein, dass es sich um zwei Formen der Heredodegeneration 
handle, die sich, wie alle verschiedenen Abarten der Heredodegeneration, 
gelegentlich kombinieren. In neuerer Zeit ist dann von Hirschfeld 
der Standpunkt vertreten worden, den ich doch wohl für den richtigsten 
halte, dass es sich hier um ein eigenes spezifisches Krankheitsbild 
handelt. Es wird besonders hervorgehoben, dass in den familiären Fällen, 
die beschrieben worden sind, in der Regel immer bei allen Familien¬ 
mitgliedern die Kombination von Myotonie mit Atrophie vorhanden war, 
nicht etwa in dem einen Falle ein gewöhnlicher Thomson und im 
anderen Falle die Kombination mit Muskelatrophie sich gezeigt habe. 
Ich möchte auch noch betonen, dass noch in einer Beziehung der Fall 
typisch ist, als nämlich in fast allen diesen Fällen von Atrophie und 
Myotonie die Impotenz als vorhanden angeführt wird und iu einem Falle 
von Steinert, der zur Autopsie gelangt ist, eine Atrophie der Testes 
gefunden worden ist. Was die fehlenden Sehnenreflexe anlangt, so ist 
bemerkenswert, dass auch in dem Fall von Steinert eine Degene¬ 
ration der Hinterstränge, die auch sonst bei Heredodegeneration nicht 
selten ist, gefunden wurde. 

Ich möchte mir dann noch erlauben, im Anschluss an diesen 
Patienten einen anderen Kranken zu demonstrieren, ebenfalls einen Fall 
von Myotonie, der vorgestern zu uns in die Klinik gekommen ist. Es 
handelt sich um einen Herrn von 35 Jahren, der uns mit Bestimmtheit 
angibt, dass er die myotonische Störung nicht von Jugend an habe, 
sondern dass sie sich erst seit etwa zwei Jahren eingestellt habe. Es 
ist ja sehr schwer, hierüber ein sicheres Urteil zu gewinnen, weil in einer 
ganzen Reihe von Fällen von Myotonie die Störungen den Patienten 
lange Zeit entgehen; sie haben von Jugend an daran gelitten, es fällt 
ihnen gar nicht besonders auf, sie halten die Erscheinungen, wenn sie 
nicht sehr schwer sind, für normal. Es ist bekannt, dass oft erst beim 
Militär die Fälle entdeckt werden. Dieser Patient gibt an, beim Militär 
gedient und keine Störung gehabt zu haben. Das spricht dagegen, dass 
er damals Myotonie gehabt hat Die Erkrankung hat sich vor zwei 
Jahren im Anschluss an eine Intestinalerkrankung zu entwickeln be¬ 
gonnen. Er klagte damals über Appetitlosigkeit, Stuhlverstopfung und 
Kolikschmerzen. Im Anschluss an diese Erkrankung hat sich die Muskel¬ 
steifigkeit ausgebildet, die seitdem nicht mehr vollständig verschwunden 
ist Nach der ersten Attacke ist nach etwa zehn Wochen eine ganz 
erhebliche Besserung eingetreten. In ähnlichen Schwankungen ist die 
Krankheit bis jetzt verlaufen. Patient gibt an, dass die Schwankungen 
in dem Zustande der Muskeln — er klagt ausserdem über Steifigkeit 
und Schwäche beim Gehen — ziemlich parallel gehen den Verschlimme¬ 
rungen seines Magendarmleidens. In den letzten 14 Tagen sind die Er- 


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7. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


651 


scheinungen wieder stärker hervorgetreten. Die Untersuchung ergibt, 
dass die Muskulatur des Patienten nicht besonders gut entwickelt ist, 
aber keine lokalisierte Atrophie zeigt. Die myotonische Störung ist er¬ 
heblich weiter verbreitet als bei dem anderen Patienten, sie findet sich 
speziell auch in der Gesiohtsmuskulatur ausgesprochen. (Demonstration.) 
Sie sehen, dass beim Lidschluss die myotonische Nachdauer der Kon¬ 
traktion sehr deutlich ist. Wir haben dasselbe auch gelegentlich bei 
den Augenbewegungen nachweisen können; doch ist das nicht konstant. 
Auch die Nachdauer der Kontraktion beim Handschluss ist besonders 
deutlich. Nach mehrfachen Bewegungen tritt eine Besserung ein, doch 
nicht so schnell und eklatant, wie es gewöhnlich der Fall ist. Auch 
beim Gang ist eine Steifigkeit deutlich erkennbar. Wenn man. den 
Patienten längere Zeit gehen lässt, ist die Besserung deutlich zu sehen. 
Bei wiederholten Bewegungen macht sich jedoch eine schnell eintretende 
Ermüdung geltend. Die elektrische Untersuchung ergibt dasselbe Bild 
wie bei dem anderen Patienten. Ich will mich darauf beschränken, die 
faradische Reaktion zu zeigen. (Demonstration.) 

Vor allen Dingen ist bei dem Patienten der Umstand bemerkens¬ 
wert, dass es sich nicht um angeborene, sondern aller Wahrscheinlich¬ 
keit nach um erworbene Myotonie handelt. In der Literatur ist eine 
Reihe von solchen Fällen beschrieben, die jedoch der Kritik durchaus 
nicht alle standhalten, weil, wie ich schon vorhin erwähnte, nicht mit 
voller Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass die Myotonie doch 
vielleicht angeboren war. Bemerkenswert ist, dass von Talma mehrere 
Fälle beschrieben worden sind, wo myotonische Erscheinungen im An¬ 
schluss an Intestinalerkrankung, und zwar vorübergehender Natur auf¬ 
getreten sind, die sich dann wieder vollständig mit der Besserung der 
Magendarmerkrankung verloren haben. In neuerer Zeit ist dann von 
Grund darauf aufmerksam gemacht worden, dass diese Fälle vielleicht 
Beziehungen haben zu den peripheren Muskelkrämpfen, und dass von 
diesen, von denen wir annehmen, dass sie auf neuritischer Basis ent¬ 
stehen, allmähliche Uebergänge zu den myotonischen Erscheinungen 
stattfinden. Dieser Patient zeigt einige Andeutungen in dieser Be¬ 
ziehung, indem einerseits Druckempfindliohkeit der Muskulatur vorhanden 
ist, andererseits ein Symptom, das für die Myotonie ungewöhnlich ist, 
dass nämlich gelegentlich die Muskelkrämpfe speziell im Quadriceps mit 
Schmerz verbunden sind. Es wäre daran zu denken, dass wir es hier 
mit einem Krankheitsbilde zu tun habeD, das nur in der Symptomato¬ 
logie mit der Thomsen’schen Krankheit übereinstimmt, aber nichts damit 
zu tun hat, dass es sich um eine erworbene Krankheit handelt, die auf 
toxischer Basis entstanden ist. 

5. Hr. Lotsei. j Isolierte Schnssverletznng des Halssynpathicns. 

M. H.! Sympathicuslähmungen auf traumatischer Basis sind nichts 
Alltägliches; Schussverletzungen des Halssympathicus sind schon recht 
selten, und isolierte Schussverletzungen des Sympathicus sind Raritäten 
erster Ordnung, so dass ich mich berechtigt glaube, Ihnen einen Fall, 
den ich auf dem bulgarischen Kriegsschauplätze beobachtet habe, vor¬ 
zutragen. 

Ich übernahm als Stationsarzt und Operateur in dem zweiten Etappen¬ 
spital in Losengrad-Rirkilisse eine Station und fand unter den dortigen 
Kranken einen, aus dem man nicht so recht klug geworden war. Ich 
habe ein besonderes Interesse für Sympathicusverletzungen und sah 
sofort, dass der Mann eine Ptosis und Miosis batte. Ich habe ihn später 
genauer untersucht, und es fand sich eine Sympathicusverletzung der 
linken Seite. Der Mann hatte einen Schuss aus mittlerer Entfernung 
bekommen. Es handelte sich um ein Mauserspitzgeschoss von 7,65 mm. 
Der Einschuss, der fast verheilt war, sass in der linken Wange an der 
vorderen Grenze des Backenbarts, ungefähr in Höhe des Nasenflügels, 
der Ausschuss zwei Querfinger breit links von der Mittellinie am Nacken 
unterhalb der Haargrenze. Wenn man den Schusskanal in eine gerade 
Linie bringen wollte, musste man das Kinn der Brust nähern. Tatsäch¬ 
lich war der Schuss auch erfolgt, während der Mann im Anschlag war. 
Eigentümlicherweise war trotz dieses Schuss Verlaufs nichts verletzt, 
wenigstens waren keine Nervenverletzungen nachweisbar, keine Blutungen, 
auch keine Knochenverletzung. Der grosse, muskelkräftige, junge Mensch 
war eigentümlich psychisch gehemmt. Er lag während meiner 14tägigen 
Beobachtung fast immer in derselben Haltung in seinem Bett, gab nur 
einsilbige Antworten und hatte trotzdem über nichts zu klagen. Die 
Symptome, die sich bei der genaueren Untersuchung — soweit man eine 
solche in einem Kriegslazarett ausführen kann — ergaben, sind folgende: 
es bestand eine deutliche Verengerung der linken Pupille, die fast nur 
halb so weit war wie die rechte. Die Pupille reagierte auf Lichteinfall 
und Konvergenz zwar träge, aber doch deutlich nachweisbar. Auf 
sensible Hautreize reagierte sie nicht. Dagegen wurde sie bei Be¬ 
schattung und wenn der Kranke erregt war — z. B. beim Versuch, bei 
Augen-Fussschluss das Schwanken zu prüfen —, weiter als die gesunde. 
Ferner bestand deutlich nachweisbare Verengerung der linken Lidspalte, 
die auf Ptosis des Oberlides beruhte. Zurücksinken und weichere Kon- 
sisteoz des linken Bulbus konnte ich nicht nachweisen. Weiter bestand 
eine Rötung der ganzen linken Gesichtshälfte; sie war hyperämiscber 
und für das Gefühl wärmer als die rechte. Eine Anomalie der Schweiss- 
sekretion habe ich nicht nachweisen können. Die Untersuchung mit 
Pilocarpininjektion liess sich unter den dortigen Verhältnissen nicht 
ausführen. Trophische Störungen, ein Einsinken der Wange u. dergl. 
war noch nicht nachweisbar. Die Verletzung lag ungefähr 8 Tage zurück. 
Ueber die psychische Störung bin ich mir nicht ganz klar geworden. 
Ich verstand die balgarische Sprache nicht, hatte nicht allzuviel Hilfe 


vom Unterpersonal — kurz, es war nicht herauszubekommen, ob der 
Mann immer so indolent war. Die Untersuchung der übrigen Hirnnerven 
und der sonstigen wesentlichen Gebilde, die durch den Schuss hätten 
verletzt werden können, ergab keinerlei Verletzung. 

Der Fall bietet ja ein lediglich wissenschaftliches Interesse. Der 
Schusskanal war nicht infiziert; nur am Ausschuss befand sich ober¬ 
flächlich eine kleine Infektion, die bald geheilt war. Die Erscheinungen, 
die eine Sympathicusverletzung macht, entsprechen bekanntermaassen 
genau den experimentellen Erscheinungen. Wir unterscheiden die drei 
Arten: die oculo-pupillären Symptome, die vasomotorischen und die 
trophischen Symptome. Die oculo-pupillären Symptome sind die kon¬ 
stantesten; vor allem sind Miosis und Ptosis absolut konstante Symptome 
bei Sympathicusverletzungen. Die trophischen Störungen treten erst sehr 
spät auf und waren in meinem Falle noch nicht zu erwarten. Die an 
zweiter Stelle genannten vasomotorischen waren insoforn wenigstens nach¬ 
weisbar, als eine deutliche Hyperämie durch Lähmung der Vasokon¬ 
striktoren bestand. Sekretanomalien Hessen sich nicht nachweisen. Der 
Sympathicus hat anatomisch eine so geschützte Lage, dass es schon 
ganz eigentümlicher Umstände bedarf, um ihn durch Schuss isoliert zu 
verletzen. Ob die Gefässe ausgewichen sind oder der Schusskanal so 
lag, dass tatsächlich ohne Verletzung der Gefässe der Sympathicus ge¬ 
troffen werden konnte, weiss ich nicht. Interessant wäre eine Unter¬ 
suchung gewesen, auf die Cords hingewiesen hat, ob es sich nämlich 
in diesem Falle um eine Verletzung des Sympathicus oberhalb oder 
unterhalb des oberen Ganglions, um eine prä- oder postganglionäre Ver¬ 
letzung gebandelt bat. Dazu eignet sich die Instillation von 0,lproz. 
Adrenalin in den Bindehautsack. Ich habe Adrenalin in dieser Kon¬ 
zentration nicht gehabt, hatte ausserdem auch keine Zeit zu derartigen 
wissenschaftlichen Untersuchungen. 

Von isolierten Verletzungen des Sympathicus sind drei Stich- bzw. 
Hiebverletzungen bekannt geworden. Die eine stammt aus dem Kriegs¬ 
jahre 1870/71. Es war ein Säbelhieb, der nur ganz kurz mitgeteilt 
worden ist. Ferner sind zwei Fälle von Stichverletzungen bekannt, der 
eine von Möbius, der andere von van der Briele aus Magdeburg be¬ 
schrieben. Es war eine Stichverletzung, die bei einer Rauferei ent¬ 
standen war. Der Stich in den Hals hatte nur den Sympathicus ver¬ 
letzt. Die Symptome waren die typischen, wie ich sie vorhin an¬ 
geführt habe. 

An der Diagnose des raitgeteilten Falles ist wohl kein Zweifel 
möglich. Das wesentliche ist das Fehlen jeglicher Nebenverletzung. 
Die sonstigen Fälle von Schuss Verletzungen bezogen sich meist auf 
Plexusverletzungen. Es ist bekannt, dass Plexusverletzungen meist mit 
Lähmung des Sympathicus einhergehen. Nebenverletzungen des Hals¬ 
sympathicus sehen wir Chirurgen, wenn wir darauf achten, nicht so 
selten. Es ist aber nicht richtig, dass jede Schussverletzung des Plexus 
mit Sympathicusverletzungen einhergeht. Ich habe selbst darauf ge¬ 
achtet und erinnere mich dreier Armplexusschüsse, die mit Arm¬ 
lähmungen kombiniert waren, von denen keine eine irgendwie nachweis¬ 
bare Sympathicuslähmung darbot. Die Mitbeteiligung des Sympathicus 
bei Plexusläsion ist auch durch das Experiment erhärtet. Claude 
Bernard hat bereits festgestellt, dass die Verletzung der Kommuni¬ 
kationsfasern vom Sympathicus zum Plexus zur Auslösung der oculo- 
pupillären Symptome und der Lähmung genügt. Später ist festgestellt, 
dass die Verletzung einer einzigen, nämlich der dem ersten Dorsal¬ 
segment entsprechenden Kommunikationsfaser genügt, um die oculo- 
pupillären Symptome hervorzurufen. 

6. Hr. Seelert: 

Demonstration eines eigenartigen Falles von Hydrocephalus. 

M. H.! Die Patientin (G. F., 8 Jahre alt), die ich zeigen will, wird 
vielleicht einigen von Ihnen bekannt sein. Sie hat, bevor sie zu uns 
kam, in der Kinderklinik der Charitö gelegen. Bei uns ist sie im April 
vergangenen Jahres aufgenommen worden, in die Kinderklinik im Fe¬ 
bruar vorher. Aus der Vorgeschichte will ich kurz erwähnen, dass die 
Kleine aus gesunder Familie stammt, dass ihre Geburt und die erste 
Entwicklung ganz normal gewesen sind. Sie hat einige Krankheiten 
durchgemacht, hat Brechdurchfall gehabt, Röteln, Angina, und ist im 
Jahre 1910 an Masern erkrankt. Längere Zeit hiernach, aber noch in 
demselben Jahre, traten bei ihr anfallsweise Kopfschmerzen auf. Nach 
dem Bericht der Mutter sollen diese Kopfschmerzen stets ganz plötzlich 
aufgetreten sein, etwa eine halbe Stunde angebalten haben und ebenso 
schnell wieder vergangen sein. In der Zwischenzeit war das Mädchen 
munter und vergnügt. Im Frühjahr des Jahres 1911, als das Kind zur 
Schule kam, soll die Intensität und auch die Häufigkeit dieser Kopf¬ 
schmerzen erheblich zugenommen haben. Die Patientin war aber da¬ 
durch nicht so stark behindert, dass sie vom Schulbesuch ausgeschlossen 
werden musste. Im August 1911 soll das Kind gefallen und mit dem 
Hinterkopf aufgeschlagen sein. Etwas Genaueres und Sicheres darüber 
liess sich nicht eruieren. Es sind nur Angaben, die die Kleine der 
Mutter einmal gemacht hat. Ungefähr um dieselbe Zeit, im August 
1911, traten Anfälle auf, die wir ihrer Symptomatologie nach als Petit 
mal-Anfälle deuten können. Die Mutter erzählt, dass das Mädchen 
plötzlich, wenn sie bis dahin ganz munter gespielt hatte, zu spielen 
aufhörte, starr vor sich binblickte, auf die Mutter zukam, sich an sie 
anlehnte, ein paar Sekunden stehen blieb, dann wieder fortging und 
vergnügt und munter war wie vorher. Diese Anfälle sollen sich von 
dem ersten Tage ihres Auftretens an täglich wiederholt haben, im Laufe 
der nächsten Wochen uud Monate soll ihre Intensität allmählich zuge- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 14. 


nommen haben. Irgendwelche andere an die Anfälle anschliessenden 
Störungen sind niemals beobachtet worden. Im Oktober 1911 traten 
neben diesen Anfällen, die mit Bewusstseinstrübungen einhergingen, 
motorische Reizerscheinungen auf. Die Matter gibt ganz bestimmt an, 
dass sie zuerst nur auf das Gebiet des rechten Facialis beschränkt 
waren und in einzelnen Zuckungen der Gesiohtsmuskulatur bestanden. 
Ein paar Wochen danach änderte sich der Charakter der Anfälle inso¬ 
fern, als sie jetzt nicht nur Facialisgebiet betrafen, sondern auf die ge¬ 
samte Körpermuskulatur übergingen: sie sollen aber, wie die Mutter 
erzählt, stets im Facialisgebiet angefangen und von da aus dann die 
übrigen Körpermuskeln ohne Ausnahme in gleicher Weise betroffen 
haben. Im November 1911 hatte das Mädchen einen ungewöhnlich 
schweren Krampfanfall, und unmittelbar im Anschluss an diesen trat 
bei ihr eine Unfähigkeit zu sprechen auf. Sie konnte nur einzelne 
Laute, einzelne kurze Silben, wie Ja und Mama, hervorbringen, im 
übrigen machte sie sich durch Gesten verständlich. 

So war etwa das Krankheitsbild, als die Patientin im April des 
vergangenen Jahres zu uns in die Klinik kam. Sie war damals moto¬ 
risch apbasisch. Spontane Sprechversuche wurden von ihr zunächst 
überhaupt nicht gemacht. Nachsprechen konnte sie wohl einzelne Vokale, 
es kamen auch einmal kurze Silben heraus, sie lernte dann das Wort 
Hulda und Mama; aber weitere sprachliche Aeusserungen wurden zu¬ 
nächst von ihr nicht erzielt. Es fiel dabei auf, dass die Aussprache 
dieser Laute und Silben mit einer ungewöhnlich starken, einer über¬ 
triebenen Innervation der Gesiohtsmuskulatur einherging, und dass die 
Patientin niemals einzelne Vokale und Laute hervorbrachte, sondern 
immer perseveratorische Reihen der gleichen Laute. Ausser einer Parese 
im Gebiet der beiden unteren Aeste des rechten Facialis waren Läh¬ 
mungen bei ihr nicht vorhanden. Im Gebiet der Sinnesorgane und der 
Sensibilität liess sich etwas Pathologisches nicht nachweisen. Auch 
psychisch bot die Kranke nichts Abnormes. Sie war ganz munter, 
interessierte sich für alle Vorgänge auf der Abteilung, suchte sich, so 
weit es ihr möglich war, zu beschäftigen; sobald jemand an ihr Bett 
trat, sah sie ihn an, sie reichte die Hand; in jeder Weise war ihr Ver¬ 
halten lebhaft und zeigte nichts von irgendwelchen Störungen des Sen- 
soriums. Es liessen sich keine Anhaltspunkte dafür gewinnen, dass 
irgendwelche Defekte auf intellektuellem Gebiet vorhanden waren oder 
dass affektive Störungen bestanden. Gleich vom ersten Tage der Auf¬ 
nahme in die Klinik an hatte die Patientin Anfälle. Es waren Anfälle 
epileptischer Natur. Irgendeine Prädilektion bestimmter Muskelgruppen 
wurde hier nicht mehr beobachtet. Bei den Anfällen sahen wir wieder¬ 
holt weite lichtstarre Pupillen. Von den übrigen Untersuchungsbefunden 
will ich noch erwähnen, dass niemals bei der Patientin Stauungserschei¬ 
nungen am Augenhintergrund bestanden. Niemals ist Nystagmus beob¬ 
achtet worden, niemals Nackensteifigkeit. Die serologische Untersuchung 
des Blutes und des Liquors war Degativ. Der Zellgehalt und Eiweiss¬ 
gehalt des Liquors war nach dem Befunde der Kinderklinik ganz 
normal. 

In dem weiteren Verlaufe der. Erkrankung war dann eine häufige 
und sehr ausgeprägte Schwankung in der Intensität der Krankheits¬ 
symptome auffällig. Die Anfälle nahmen zeitweise ganz erheblich zu; 
sie stiegen in den ersten 14 Tagen, die die Patientin bei uns war, auf 20 
bis 30 im Tage. Während der Zunahme dieser Krampfanfälle traten 
bei der Patientin noch andere Symptome auf, die ebenfalls auf eine schwere 
Schädigung des Nervensystems hinwiesen. Es entwickelte sich bei ihr 
eine ganz hochgradige cerebellare Ataxie. Die Extremitäten wurden 
hochgradig hypotonisch, die Sehnenreflexe liessen sich meistens nicht 
oder nur ganz schwach auslösen. Nur selten kam es vor, wenn die 
Anfälle sehr häufig gewesen waren, dass auf beiden Seiten Fussolonus 
bestand. Das Babinski’sche Phänomen kam niemals zur Beobachtung. 
Dieser schwere Zustand mit der cerebellaren Ataxie, bei dem es der 
Pat. ganz unmöglich war, zu gehen, zu stehen — sobald man sie auf¬ 
stellte, knickte sie zusammen, taumelte nach der Seite und fiel um —, 
dauerte von Ende Juni etwa ein bis zwei Wochen hindurch. Dann 
besserte sich der Zustand, die Zahl der Anfälle nahm ab, die Ataxie 
und Hypotonie schwanden, die Sehnenreflexe kehrten wieder. Der 
psychische Zustand der Patientin, die in dieser schweren Zeit teilweise 
benommen, schläfrig war, in ihrem Bette lag und kaum auf Ansprache 
reagierte, besserte sich wieder; die Patientin wurde wie vorher. Dann 
trat auf einmal Ende Juli des vergangenen Jahres eine gleichartige Ver¬ 
schlimmerung mit den gleichen Symptomen auf. Die Anfälle stiegen 
jetzt bis zur Höohstzahl von 66 innerhalb von 24 Stunden, die Krampf¬ 
erscheinungen traten dabei zurück; es waren jetzt nur Anfälle von 
Bewusstlosigkeit, bei der lichtstarre, weite Pupillen beobachtet wurden. 
Eine gleiche Periode mit denselben Erscheinungen hatte das Mädchen 
auch im Februar in der Kinderklinik durcbgemacht. 

Im Juli des vergangenen Jahres trat dann sehr schnell eine sehr 
günstige Wendung des Krankheitszustandes ein. Innerhalb ganz weniger 
Tage hörten die Anfälle vollkommen auf und sind seitdem nie wieder 
aufgetreten. Die Ataxie, die Hypotonie schwanden, die Sehnenreflexe 
kehrten wieder, und der psychische Zustand der Patientin wurde besser. 

Die motorische Aphasie, die bis dahin noch unverändert bestanden 
hatte, besserte sich im Verlaufe der nächsten Wochen und Monate. Die 
Kleine lernte mehr Worte aussprechen, und als sie im November bei 
uns entlassen wurde, war sie wieder so weit, dass sie sich sprachlich 
sehr gut ausdrücken konnte. Das Sprachverständnis ist niemals gestört 
gewesen. Wie wir jetzt sehen, ist von Resten der motorischen Aphasie 
kaum noch etwas zu bemerken. Sie spricht jetzt ganz geläufig; wenn 


man sich längere Zeit mit ihr unterhält, kommt es gelegentlich vor, 
dass sie einzelne Worte langsam hervorbringt Von den übrigen 
Symptomen ist gar nichts mehr zu bemerken. Sie ist seitdem zu Hause 
ganz gesund gewesen, hat niemals mehr über irgendwelche Störungen 
geklagt. In der intellektuellen Entwicklung ist das jetzt 8 Jahre alte 
Mädchen zurückgeblieben. Bei der Intelligenzprüfung nach Binet er¬ 
reichen ihre Leistungen nur die Altersstufe von 6 Jahren. Die an¬ 
gewandte medikamentöse Therapie, Bromkali und Amylenhydrat, liess 
keinen Einfluss auf den Krankheitszustand erkennen. 

Das ist die Symptomatologie des Falles. Wir stehen jetzt vor der 
Frage: Was für ein Krankheitsprozess liegt vor, und wie sollen wir uns 
ihn .lokalisiert denken? Das eine ist wohl klar: es handelt sich um 
ein organisches cerebrales Leiden. Alle Symptome, die auftraten, waren 
sicherlich organisch bedingt. Irgendwelche funktionellen Beimengungen 
sind niemals von uns beobachtet worden; aueh die früheren Beob¬ 
achtungen und das Verhalten der Patientin nach der Erkrankung zeigen 
keinerlei Andeutung, die darauf hinweisen könnte. Zurzeit, wo das 
Symptomenbild am stärksten ausgeprägt war, in diesen drei Perioden 
mit den schweren Störungen, waren die Symptome derartig, dass wir 
sowohl an eine Beteiligung der vorderen Hirnpartien denken als auch 
eine Schädigung des Kleinhirns annehmen mussten. Die motorische 
Aphasie, die Facialisparese sprechen dafür, dass die Gegend der linken 
dritten Stirnwindung und angrenzende Teile der vorderen Central¬ 
windung affiziert waren, die cerebellare Ataxie, die Hypotonie und 
eventuell die Abschwächung der Sehnenrefiexe sind auf eine Schädigung 
des Kleinhirns zu beziehen. Wir hätten damals annehmen können, dass 
bei der Patientin eventuell zwei Herde vorliegen, einer vorn und einer 
in der hinteren Schädelgrube, oder dass ein Herd vorliegt, der durch 
Fernwirkung, durch fortgeleiteten Druck oder durch sekundären Hydro- 
cephalus die entfernt gelegenen Partien affiziert hat. Eine grobe 
anatomische Läsion kann nicht Vorgelegen haben, denn dann wäre die 
Rückbildung der Symptome bis zur vollständigen Integrität, wie wir sie 
jetzt sehen, nicht möglich gewesen. Wie sollen wir uns den Krankbeits- 
prozess denken? Lucs kommt nicht in Betracht, dagegen spricht der 
Ausfall der Wassermann’schen Reaktion und das Resultat der Unter¬ 
suchung des Liquors, Epilepsie auch nicht, denn die Symptome, die wir 
hier zu sehen bekommen haben, gehen weit über das hinaus, was bei 
Epilepsie gelegentlich Vorkommen kann. Für irgendeinen toxischen 
Prozess haben sich auch keinerlei Anhaltspunkte gefunden; der Urin ist 
stets frei von Eiweiss und Zucker gewesen. 

Einzelne Symptome im Krankheitsbild weisen darauf hin, dass hier 
ein Prozess vorlag, der mit periodischer Steigerung des intracraniellen 
Druckes einherging. Hierfür können wir verantwortlich maehen die 
periodisch auf tretenden Kopfschmerzen, die, was ich noch nach tragen 
will, mitunter mit Erbrechen einhergingen, auch die Anfälle, bei denen 
oft Erbrechen vorkam, könnten dadurch bedingt gewesen sein. Die Tat¬ 
sache, dass die Symptome, die wir wohl auf Schädigung des Kleinhirns 
beziehen müssen, mit ausserordentlich häufigen und scharf abgesetzten 
Schwankungen ihrer Intensität einhergingen, und dass sie ganz akut 
vollkommen abklangen, spricht auch viel mehr dafür, dass die Klein¬ 
hirnsymptome nicht durch einen lokalen Prozess bedingt waren, sondern 
dass sie vielleicht auf eine Druckschädigung des Kleinhirns infolge einer 
allgemeinen Erhöhung des intracraniellen Druckes zu beziehen sind. 

Es liegt nun die Möglichkeit vor, dass bei dem Mädchen das ganze 
Krankheitsbild vielleicht durch einen Hydrocephalus verursacht worden 
ist. Derartige Schwankungen im Krankheitsverlauf, wie wir sie hier zu 
sehen bekamen, sind beim Hydrocephalus recht häufig. Auch Herd¬ 
symptome sind bei idiopathischem Hydrocephalus durchaus nichts 
Seltenes. Auffällig ist nur in dem Falle hier, dass das Herdsymptom 
der motorischen Aphasie so ausserordentlich lange bestanden hat 
Daraus haben sich hier die hauptsächlichsten diagnostischen Schwierig¬ 
keiten ergeben. Die Tatsache, dass am Augenhintergrund niemals 
Stauungserscheinungen bestanden haben, und dass irgendwelche Deformi¬ 
täten des Schädels bei dem Mädchen nicht vorliegen, braucht nach den 
klinischen Erfahrungen nicht gegen diese Diagnose zu sprechen. Der 
Kopfumfang beträgt jetzt 52 cm, er entspricht ungefähr der dem Alter 
von 8 Jahren zukommenden normalen Grösse von 51 Vs cm. Die Diagnose 
Hydrocephalus werden wir in diesem Falle jedoch nur mit einer gewissen 
Vorsicht stellen können, und wir werden sie weniger aus dem Symptomen- 
bilde, das die Patientin früher geboten hat, als aus dem ganzen Verlauf 
der Erkrankung stellen. 


Verein für innere Medizin und Kinderheilkude zu Berlin. 

Sitzung vom 17. März 1913. 

1. Hr. Bönniger: Magenfnnktien nid Psyche. 

Vortr. hat die Angaben Cloetta’s nachgeprüft, wonach junge Hunde, 
die nur mit Milch ernährt werden, im Magensaft keine freie Salzsäure 
haben. Einige Tiere wurden in seinen Versuchen mit Milch, ebensoviele 
Kontrolliere mit Fleiseh gefüttert. Nach zwei Monate währender der¬ 
artiger Ernährung bekamen sie ein Probefrühstück, das ihnen mit der 
Schlundsonde beigebracht und nach l 1 /* Stunde ausgehebert wurde. Im 
Gegensatz zu Cloetta fand B. bei seinen Tieren freie Salzsäure. Wenn 
er aber nach Einführung des Probefrühstücks die Tiere ängstigte, batten 
sie keine freie Salzsäure, und der Magen enthielt grosse Flüssigkeits¬ 
mengen. Durch diesen Vorsuch ist jedenfalls der Einfluss der Psyche 
auf die Magensaftsekretion erwiesen. Zwar sind an Fistelhunden ähn- 


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7. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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liehe Versuche gemacht worden, doch können dieselben nicht als ganz 
normale Tiere angesehen werden, während B unter möglichst natürlichen 
Verhältnissen arbeitete. Er glaubt, dass viele Atonien beim Menschen 
psychischer Aetiologie sind und daher nicht mit Medikamenten und 
diätetisch, sondern psyohisch behandelt werden müssen. 

Diskussion: Hr. Fuld weist auf die Versuche von Schepelmann 
hin, der Gänse teils mit Körnerkost, teils mit Fleischkost gefüttert hat. 
Erstere regt in viel höherem Maasse die Magentätigkeit an und kräftigt 
die Magenmuskulatur. 

2. Hr. Ranteaberg: Vorhofspals and Veneapals. 

R. berichtet über seine seit Jahren fortgesetzten Versuche, die Tätig¬ 
keit des linken Vorhofes durch einen in den Oesophagus eingeführten 
Ballon, der die Pulsation nach aussen fortleitet, zu registrieren. An der 
Hand zahlreicher Kurven bespricht und demonstriert er die Vorhofspulse 
normaler und kranker Mensohen. Durch diese Untersuchungen sind 
manche Fragen gelöst, die vorher unlösbar erschienen. Es gibt aber 
noch viele theoretische Streitpunkte, die weiterhin mit dieser Methodik 
studiert werden müssen. Festgestellt ist durch seine Untersuchungen, 
dass die Hauptwellen und Senkungen des Vorhofspulses am Veneopuls 
sichtbar und registrierbar sind. Doch muss man bei der Deutung des 
Venenpulses grosse Vorsicht beachten. Er geht dann auf den Ohm¬ 
schen Vortrag ein. Die Methode von Ohm ist ausgezeichnet, doch sind 
Herrn 0. einige Fehler unterlaufen. 

Diskussion: HHr. Bönniger, Rehfisch, Lilienstein. 

Schlusswort: HHr. Ohm und Rautenberg. H. Hirschfeld. 


Medizinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für vater¬ 
ländische Kultur zu Breslau. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 24. Januar 1913. 

Vorsitzender: Herr Minkowski. 

Schriftführer: Herr Rosenfeld. 

Hr. Klaatsch: 

Die Einwirkung der aufrechten Körperhaitang and ihre Folgen für 
den menschlichen Organismus. 

Der Vortr. fasst die Ergebnisse seiner bis auf ein Jahrzehnt zurück¬ 
reichenden Forschungen über das Gebiet zusammen, besonders mit Rück¬ 
sicht auf die neueren Arbeiten von klinischer Seite (Klapp-Berlin, 
Hasebrock-Hamburg), die bereits praktische Konsequenzen aus den 
neuen Anschauungen gezogen haben. Obwohl zum Teil an die Arbeiten 
des Redners sich anlehnend, haben sie doch in manchen Punkten 
den Sachverhalt unrichtig aufgefasst. So geht Klapp von der Vor¬ 
stellung aus, dass eine horizontale Rückstellung der aufrechten Haltung 
unmittelbar vorangegangen sei, und lässt daher seine Patienten eine 
solche einnebmen. Nach den Untersuchungen des Redners ist diese Vor¬ 
aussetzung unzutreffend, denn die vergleichenden Untersuchungen über die 
Gliedmaassen des Menschen, der anderen Primaten und der Säugetiere 
im ganzen zeigen, dass eine halbaufrechte Kletterhaltung den Vorfahren¬ 
zustand der Hominiden darstellt. Greiforgane an beiden Extremitäten¬ 
paaren — ein quadrumaner Zustand ist das Ursprüngliche. Schon die 
ältesten Spuren — Abdrücke von Hand und Fuss von Landwirbeltieren 
(Tambacher Fährten aus dem Perm, Cleirotherien der Trias) — zeigen 
dies Verhalten, von dem aus erst der quadrupede Zustand der meisten 
Säugetiere unter Rückbildung von Fingern und Zehen entstanden ist. 

Bezüglich der ganzen Literatur des Problems uüd der Lehre des 
Vortragenden über die Heranbildung der ganz aufrechten Körperhaltung 
des Menschen sei auf dessen zusammenfassende Darstellung in Abder- 
balden’s Fortschritten der naturwissenschaftlichen Forschung 1 ) verwiesen. 
Der Hauptpunkt der Ergebnisse des Vortragenden ist gegeben durch seinen 
neuen Erklärungsversuch der Eigentümlichkeiten des Menschenfusses.- 
Während man früher geneigt war, den Stützfuss als einen Folgezustand 
des aufrechten Ganges zu betrachten, bat Redner naebgewiesen, dass 
bei der ursprünglichen kletternden Lebensweise der Menschen Vorfahren 
ein bestimmter Faktor vorhanden gewesen sein muss, der die Umwand¬ 
lung des hinteren Greiffusses in den Gangfuss veranlasst hat. Dieser 
Faktor muss den inneren Fussrand betreffen und den Verlust der 
Oppositionsfähigkeit der Haltung bei gleichzeitiger Vergrösserung des¬ 
selben bewirkt haben. 

Redner findet dieses umwandelnde Moment in der eigentüm¬ 
lichen Kletterweise der primitiven Menschheit, wobei der Fuss als Ganzes 
zum Abrollen beim Ersteigen von Baumstämmen benutzt wird, die teils 
mit natürlichen Kerben, teils mit künstlichen Einschnitten versehen 
sind. Die Verschiedenheiten des Kletterns beim Menschen und Menschen¬ 
affen — die sekundäre Verlängerung der Arme bei letzterem, die dem 
Menschen niemals eigen war — wird von dem Vortr. durch zahlreiche 
Lichtbilder erläutert, ebenso das Klettern der Australier an glatten 
hohen Baumstämmen. Der Mensch besitzt eine gymnastische Fähigkeit 
von solcher Mannigfaltigkeit, wie kein anderes Wesen. Diese ist dank 
des Kletterns an einzelstehenden Bäumen entstanden, ebenso die spe¬ 
zifisch menschliche Ausprägung der Schulter- und Ghitäalmuskulatur, 

1) Klaatsch, Die Entstehung und Erwerbung der Menschenmerk¬ 
male. 2. Teil. Der'Menschen fuss und der aufrechte Gang. Abderhalden’s 
Fortschritte, 1912, S. 210-268. 


die nur durch Klettermechanismen verständlich wird. Diese Umwand¬ 
lungen haben in ihrer vererbten Wirkung die aufrechte Haltung auf 
ebener Erde erleichtert und so den aufrechten Gang ermöglicht. 

Die niederen Menschentypen haben in ihrem Skelett noch eine Fülle 
von Restzuständen, die auf die ehemalige Kletterhaltung hinweisen. Erst 
allmählich haben sich die sekundären Anpassungen an die neue Körper¬ 
haltung eingestellt, die wir besonders bei Europäern ausgeprägt sehen. 
Am Skelett ist es besonders die Umformung der unteren Extremität, 
die sich deutlich verfolgen lässt, selbst individuell in den verschiedenen 
Altersstufen. Das Europäerkind vor der Pubertät wiederholt noch die 
alten Zustände des Unterschenkelskeletts. An der Wirbelsäule lässt 
sich die Anpassung an die aufrechte Haltung deutlich nachweisen. Das 
Volumen der Wirbel im ganzen ist bei den Europäern relativ grösser 
als bei Australiern, besonders aber hat die Lendenwirbelsäule sich ver¬ 
stärkt, womit erst die Abknickung gegen das Sacrum in Form des Pro¬ 
montoriums sich ausprägte. 

Die Wirkungen der Erwerbung sind überwiegend günstig gewesen, 
besonders die Möglichkeit der Balancierung des Kopfes hat für die Fort¬ 
entwicklung des Menschenhirns neue Bahnen eröffnet. Andererseits aber 
lässt sich nicht verkennen, dass der neue Modus, durch den der Mensch 
sich über das Tierreich erhebt, auch schwere Opfer gekostet hat. 

Die Anpassung der unteren Extremität an eine übertriebene Streck¬ 
steilung bat erst die Disposition zu Hernien bedingt. Der Locus mi- 
noris resistentiae, der durch den Hoden-Desensus schon in früheren 
Perioden der tierischen Vorgeschichte des Menschen entstanden war, ist 
durch die aufrechte Haltung aufs neue verhängnisvoll geworden. Die 
Veränderung der Fascienbedeckung des Oberschenkels Hess die Mög¬ 
lichkeit der Schenkelbrüche hervorgehen. Die bedeutenden Umwand¬ 
lungen der Circulationsverhältnisse in der Beckenregion und am Bein 
wurde Anlass zu krankhaften Störungen mannigfacher Art, wie der 
Varicen. 

Der Naturmensch ist von diesen Schädigungen noch nicht betroffen, 
da er in einem niederen Zustand verharrt, und da seine überaus straffen 
Gewebe noch nicht jene Ermüdung und Erschlaffung der Stützsubstanzen 
zeigen, auf die Bier bei Europäern mit Recht hingewiesen hat. 

Hr. 0. Förster: 

Phylogenetische Gesichtspunkte bei Erklärung der spastischen 
Lähmungen. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

Die Diskussion wird vertagt. 


Wissenschaftlicher Verein der Aerzte zu Stettin. 

Sitzung vom 4. Februar 1913. 

Vorsitzender: Herr Haeekel. 

Schriftführer: Herr Buss. 

Hr. Gehrke: Io der Zeit vom 1. Januar bis zum 1. Februar d. J. 
(1. bis 5. Jahreswoche) sind in Stettin sanitätspolizeilich gemeldet worden: 
150 (175) Fälle von übertragbaren Krankheiten, und zwar: 


G.-A. 1 ) 

Polizei-Präs. 2 ) 


1918 

1913 

1912 | 


44 

51 

119 

Fälle von Diphtherie, 

71 

92 

53 

„ „ Scharlach, 

1 

2 

2 

; „ „ Typhus, 

5 

1 5 

l _ 

„ „ Rindbettfieber, 

— 

i ~ 

! i 

1 „ „ Kinderlähmung, 

28 

39 

| 35 

1 Todesfälle an Tuberkulose. 


Hr. Krösing: a) Demonstration einer Mycosis fangoides d’emblee 
bei einem erst seit November 1912 daran erkrankten Manne; der Fall 
ist durch eino akute Ueberschüttung der gesamten Bauchdecke mit un¬ 
zähligen Tumoren ausgezeichnet, von Linsen- bis Pflaumengrösse, zum 
Teil unter der Haut verschieblich, zum Teil mit ihr verwachsen und in 
diesem Falle die Haut im Bereich des Tumors braunrot verfärbt, während 
dieselbe über den verschieblichen Tumoren ein unverändertes Aus¬ 
sehen hat. 

Centrale Erweichung verschiedensten Grades bei zahlreichen Tumoren 
bis zum Durchbruch und zur Geschwürsbildung zu verfolgen. Besonders 
bemerkenswert ist ein gleichartiger infiltrativer Prozess in den Neben¬ 
hoden, die knollig verdickt zu fühlen sind. 

Sonstige innere Metastasen sind nicht nachweisbar, kein Milztumor,' 
keine lymphatischen Drüsenschwellungen. Patient fühlt sich elend und 
sieht elend und anämisch aus, organische Erkrankungen sind aber nicht 
vorhanden. Auf beiden Augen besteht Neuroretinitis. Ob dieselbe eine 
Teilerscheinung der Mycosis ist, ist ophthalmoskopisch nicht zu ent¬ 
scheiden. 

Die Erscheinungen der pr^mycotischen Vorstadien sind nicht vor¬ 
handen, daher der Fall als Mybosis fungoides d’emblöe zu registrieren. 


1) Ermittelt im Gesundheitsamt auf Grund der einzelnen, abschrift¬ 
lich mitgeteilten Anzeigen. 

Zusammengestellt auf Grund der Wochennachweise des König¬ 
lichen Polizeipräsidiums. 


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Original fro-rri 

UMIVERSITY OF IOWA 






G54 


Nr. 14. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Diskussion. 

Hr. 0. Meyer: Die histologische Untersuchung der mir übersandten 
Knötchen des von Krösing demonstrierten Falles hat ergeben, dass es 
sich um Granulationsgewebe handelt, in dem relativ zahlreiche eosino¬ 
phile Leukocyten, dagegen sehr spärlich Lymphocyten und Plasmazellen 
vorhanden sind. Die Leukocyten liegen besonders in der Nachbarschaft 
von nekrotischen Herden, die ziemlich ausgedehnt sind. Das Grauulations- 
gewebe reicht bis in die Epithelschicht hinein. 

Die von mir vorgenommene Blutuntersuchung ergab nur einen 
geringen Grad von Anämie, im übrigen vollkommen normas Blutbild. 

Es kommt demnach nur ein infektiöser, mit Bildung von Granu¬ 
lationsgeschwülsten einhergehender Prozess in Frage. Trotz der wenig 
charakteristischen histologischen Veränderungen wird man wohl nicht 
fehlgehen, wenn man die vorliegende Erkrankung zu der Mycosis 
fungoides rechnet. Man hat in neuerer Zeit die Ansicht geäussert, 
dass die Mycosis fungoides dem malignen Granulom zuzurechnen sei. 
Ich habe infolgedessen sehr intensiv nach Tuberkelbacillen und Much¬ 
seben Granula gefahndet, auch mit Hilfe des Antiforminverfahrens, jedoch 
mit negativem Resultat. Auch in dem ersten, in der letzten Sitzung 
von Herrn Krösing demonstrierten Falle ist diese Untersuchung negativ 
ausgefallen. Auch in diesem Falle bot übrigens das histologische Bild 
keinen Anhaltspunkt für malignes Granulom. Ich möchte mich deshalb 
der Ansicht von Arndt anschliessen, dass die bisherigen Befunde uns 
nicht berechtigen, in der Mycosis fungoides ein besonders lokali¬ 
siertes malignes Granulom zu sehen. 

Hr. Krösing: b) Tnberoserpiqoinöses nlceröses Syphilid von grosser 
Ausdehnung auf dem Rumpf bei einem noch nicht an Lues behandelten, 
übrigens sich durchaus gesund fühlenden, kräftigen Manne; ein Beweis, 
dass die tertiäre Lues eine durchaus benigne Form der Lues sein kann, 
wenn nicht lebenswichtige Organe ergriffen sind. 

Hr. Liehtenaner: Ueber chirurgisch* Epilepsiebehandlung. 

Der Patient, den ich Ihnen hier vorstelle, wurde im Dezember 1910 
durch einen Kugelsohuss in den Schädel verletzt. Einschuss in der 
licken Schläfengegend, Ausschuss nicht vorhanden. Nach anfänglich 
schweren Erscheinungen, derentwegen er im hiesigen städtischen Kranken¬ 
hause behandelt wurde, trat Heilung ein, doch blieb eine kleine ab¬ 
sondernde Fistel an der Einschussöffnung zurück. Im Jahre 1911 war 
er in Amerika. Nach seiner Rückkehr von dort trat elf Monate nach 
der Verletzung der erste epileptische Anfall auf. Die Anfälle wieder¬ 
holten sich zunächst alle 14 Tage, später häufiger. Auch nahm die 
Schwere derselben allmählich zu. Am 11. Oktober 1912 sah ich den 
Patienten zum erstenmal. In der linken Schläfengegend fand sich eine 
kleine eiternde Fistel, sonst war nichts Krankhaftes an dem Patienten 
festzustellen. Ueber die Art des Anfalls war wenig Positives zu erfahren. 
Jedenfalls war nicht festzustellen, dass der Anfall an irgendeiner Stelle 
des Körpers seinen Anfang nahm. Ich machte zunächst eine Röntgen¬ 
aufnahme des Schädels von vom nach hinten, um festzustellen, auf 
welcher Kopfseite die Kugel zu suchen sei, da man darüber im Zweifel 
sein konnte, ob der Anfall durch die Eiterung an der Einschussöffnung 
oder von dem im Gehirn steckenden Projektil seinen Ausgang nahm. 
Die Aufnahme ergab, dass die Kugel an der rechten Schädelseite sass, 
also weit entfernt vom Einschuss. 

Ich entschloss mich nun, zunächst den Versuch zu machen, durch 
Ausschaltung des Reizes am Einschuss die Anfälle zu beeinflussen, da 
ich mir sagte, dass es unter allen Umständen angebracht sei, die nun¬ 
mehr seit über einem Jahr eiternde Fistel zur Heilung zu bringen. Am 
16. Oktober Operation in Narkose. Nach FreileguDg der Knocbenlücke 
fand ich eine Randnekrose des Knochens, darunter festes Narbengewebe. 
Hirnpulsation an dieser Stelle nicht vorhanden. Ich schnitt etwas von 
dem Narbengewebe fort; da ich sonst hier nichts fand, tamponierte ich 
die Wunde. Der Verlauf war reaktionslos. Da kein Anfall auftrat, 
wollte ich den Patienten bereits zunächst entlassen, als plötzlich in der 
Nacht vom 26. zum 27. Oktober ein schwerer epileptischer Anfall ein¬ 
trat, der bis zum nächsten Mittag dauerte und einen direkt beängstigen¬ 
den Eindruck machte. Im Vordergründe standen schwere Atmungs¬ 
störungen, die sogar einen letalen Ausgang befürchten liessen. Ein Aus¬ 
gangspunkt wurde auch diesmal nicht beobachtet. 

Ich entschloss mich nunmehr, da man annehmen musste, dass doch 
das im Gehirn steckende Projektil diese Anfälle ausgelöst habe, die 
Herausnahme desselben vorzunehmen. Nach nochmaliger Röntgen¬ 
aufnahme, bei der ich mir die Lokalisation am Schädel möglichst weit 
vornahm,S legte ich mir die Dura durch einen Wagnerischen Lappen an 
dem mutmaasslichen Sitz der Kugel frei. Ich fand an der Dura nichts. 
Da ich nun nicht in das Gehirn eingehen wollte, ohne die Kugel noch 
einmal unter dem gebildeten Knochen lappen genau lokalisiert zu haben, 
entschloss ich mich, zweizeitig vorzugehen. Ich klappte also den Lappen 
in seine Lage zurück und nähte die Weichteile vollkommen zu. Nach¬ 
dem der Patient sich von dem Eingriff erholt hatte, machte ich noch 
einmal je eine Röntgenaufnahme im frontalen und sagittalen Durch¬ 
messer und konnte mir nun genau unter meinem ‘Lappen die Kugel 
lokalisieren. ( 

Am 8. November, also acht Tage nach dem ersten Eingriff, öffnete 
ich die per primara geheilte Wunde wieder und öffnete nun am vorderen 
Rande des Lappens die Dura. Hier fand ich die Kugel in der Gehirn¬ 
substanz sitzend und konnte sie ohne Schwierigkeiten extrahieren. Ich 
vernähte die Dura vollkommen, ebenso den Weichteil-Knochenlappen bis 
auf kleine Drainagestelle. 


Der Eingriff wurde vorzüglich ertragen. Am Tage nach der Ope¬ 
ration stand der Patient in einem unbewachten Augenblicke aus dem 
Bett auf und fiel mit dem Kopf gegen den Nachttisch. Es entstand 
eine ziemlich reichliche Blutung aus der Wunde. Doch' auch diesen 
Insult hat der Patient anstandslos vertragen. Die Wunde heilte wieder 
per primam. 

Auch die Wunde an der linken Kopfseite heilte, nachdem ich noch 
einmal unter Lokalanästhesie einige kleine Sequester extrahiert hatte. 
Ein Anfall zeigte sich nicht wieder, so dass ich den Patienten für voll¬ 
kommen geheilt hielt und Ihnen den Fall zu demonstrieren mich ent¬ 
schloss. 

Am 20. Januar hatte ich das Thema bei dem Herrn Vorsitzenden 
angemeldet, am 21. Januar wurde mir mitgeteilt, dass wieder ein leichter 
Anfall aufgetreten sei. Am nächsten Tage wieder zwei kleine Anfälle. 
Seitdem kein Anfall. 

Soweit die Krankengeschichte. 

Der Vortragende bespricht nun im Anschluss an diesen Fall die 
einzelnen Formen der Epilepsie und die Indikationen sowie die Art des 
chirurgischen Eingriffes. 

Diskussion. Hr. Jod icke wendet sich gegen die bisher übliche 
chirurgische Methode der Ventilbildung und Exzision des krampfenden 
Centrums bei genuiner Epilepsie, da sich diese bei dem Mangel an 
groborganischen Veränderungen des Centralnervensystems auf Hypothesen 
aufbaue, die mit dem Wesen nichts zu tun haben. 

Hr. Oskar Meyer: 

Die Hypophyse im Lichte der moderaea anatomischen, physiologischen 
und klinischen Forschung. 

Vortr. bespricht ausführlich die inneren Untersuchungen über die 
Histologie der Hypophyse und erörtert insbesondere die Veränderungen, 
bei der Schwangerschaftshypophyse. Sodann geht er auf die Befunde 
ein, die bei Akromegalie und bei der Dystrophia adiposo-genitalis erhoben 
sind. Auf Grund dieser Befunde steht es fest, dass bei der Akromegalie 
stets Hyperplasien der chroraophilen Zellelemente, und zwar meist der 
eosinophilen Zellen bzw. Tumoren, die von diesen Zellelementen ihren 
Ausgang genommen haben (Adenome und Carcinome) gefunden werden 
(Bender - Fischer). Darauf gründet sioh die Theorie des Hyper¬ 
pituitarismus für die Akromegalie. Für die Dystrophia adiposo-genitalis 
dagegen ist entweder eine Schädigung des Hinterlappens der Hypophyse 
(B. Fischer) oder eines Punktes an der Hirnbasis in der Nähe des In- 
fundibulums (Erdheim) als Ursache anzusehen. 

Daraus geht hervor, dass Tumoren von ganz differentem Bau und 
verschiedenstem Ausgangsferment die Dystrophia adiposo-genitalis ver¬ 
ursachen können, auch starker Hydrocephalus kann als Ursache in Be¬ 
tracht kommen. 

Daraus ergibt sich, wie von Pick mit Recht hervorgehoben wird, 
eine grössere Schwierigkeit in der Diagnostik bei reinen Fällen von 
Dystrophia adiposo-genitalis und auch eine ungünstigere Prognose hin¬ 
sichtlich des operativen Effekts. Am günstigsten für operative Ein¬ 
griffe stellen sich dagegen die Fälle von reiner Akromegalie ohne 
Adipositas, 

Vortr. erörtert ausserdem die merkwürdige Thatsache, dass die 
pharmakologisch wirksame Substanz der Hypophyse aus dem Hinterlappen 
derselben gewonnen wird, der histologisch einen ganz primitiven Bau 
und eigentlich gar keine Zellen aufweist, denen eine sekretorische 
Funktion zugeschrieben werden kann. Eine befriedigende Erklärung 
dieser Tatsache ist bisher nicht zu geben. 

Zum Schluss werden mehrere anatomische Präparate demon¬ 
striert, u. a.: 

1. Ein Präparat von Hypophysenadenom ohne granulierte Zellele¬ 
mente bei einem 19 jährigen Mädchen, das nie menstruiert hatte und 
einen vollständig infantilen Uterus und infantile Ovarien aufwies neben 
einer kongenitalen Scheidenharnröhrenfistel. Daneben bestand ein mässger 
Grad von Adipositas. Hinterlappen und Infundibulargegend war durch 
Operation zerstört, so dass über das Verhalten des Tumors zu diesen 
Teilen nichts Bestimmtes zu ermitteln war. 

2. Präparate eiues Sarkoms, das die Hyphophyse vollkommen zer¬ 
stört hat, einschliesslich Hinterlappen und Infundibularteil, mit Me¬ 
tastasen in der Brücke und dem Tentorium. 

Histologisch handelt es sich um ein kleinzelliges Sarkom mit in¬ 
differenzierten Zellelementen, über deren Abstammung kein sicheres 
Urteil möglich ist. Nach dem makroskopischen Befund muss aber auch 
hier die Hypophyse als Ausgangspunkt angenommen worden. Hypo- 
pbysenreste waren auch mikroskopisch nicht nachzuweisen. Die Prä¬ 
parate stammen von einer 48jährigen Frau, die weder Akromegalie- 
noch Adipositassymptome gezeigt hatte. 

Ausserdem wird noch ein Patient, ein 17jähriger Junge, mit typischen 
Akromegaliezeiche,p, ohne Hirnsymptome und ohne röntgenologisch 
nachweisbaren Hypophysentumor demonstriert. 

Diskussion. 

Hr. Jödicke teilt seine Versuche über innersekretorische Stoff¬ 
wechselstörungen bei Akromegalie mit, nach denen er Beziehungen zwischen 
Hypophysis und Pankreas feststellen konnte. Fänden sich neben den 
akromeganischen Körperveränderungen, * Erweiterung der Sella turcica 
durch eine im Röntgenbilde nachweisbare Geschwulst, Diabetes oder 
alimentäre Glykosurie, könne auf einen proliferierenden, entwicklungs¬ 
fähigen Tumor geschlossen werden, dessen operative Entfernung anzu- 
raten sei. Erscheine unter denselben Bedingungen keine Dextrose im 


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Original from 

UNIVERSITY OF IOWA 







7. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Urin, so sei der Schlusssatz auf Degeneration der Geschwulst berechtigt, 
eine Operation wahrscheinlich zwecklos. 

Hr. Richter weist hin auf die neuerdings versuchte Behandlung 
der (nicht Gravidität»-) Amenorrhoe mit Hypophysenpräparaten und den 
interessanten Zusammenhang der innersekretorischen Drüsen auch hin¬ 
sichtlich der Beeinflussung genitaler Funktionen. 

Hr. Adler berichtet über die vorzüglichen Erfolge der rein endo- 
nasalen Hypophysenoperationen des Herrn Hirsch in Wieu. Er hebt 
besonders hervor, dass es für einen Erfolg nicht auf möglichst radikale 
Entfernung alles Kranken ankomme; es genüge schon die Fortnahme 
einer massigen Menge Geschwulstmasse bei Vermeidung jeglicher Neben¬ 
verletzung, um eine Besserung zu erzielen, wenn solche überhaupt 
möglich. 

Hr. 0. Meyer (Schlusswort): Herrn Adler bestätige ich, dass die 
Hypophysentumoren, insbesondere bei Akromegalie, fast stets gutartigen 
Charakter haben, insbesondere meist sehr langsam wachsen, selbst wenn 
sie histologisch als typische Carcinome sich darstellen. Ich stelle ferner 
fest, dass fast sämtliche Autoren sich darüber einig sind, dass von einer 
Radikaloperation bei Hypophysentumoren nicht die Rede sein kann. 
Auch die bisher mit Erfolg operierten Fälle sind nicht radikal operiert. 
Die günstigen operativen Erfolge trotz ungenügender Exstirpation des 
Tumors finden ihre Erklärung eben durch den gutartigen Charakter 
der Tumoren. Es muss sogar betont werden, dass für den operativen 
Erfolg eine Schonung des Hinterlappens und der Infundibulargegend 
nach Fischer Vorbedingung ist. 

Auf die Beziehungen der Hypophyse zu der Schilddrüse, den Neben¬ 
nieren und dem Pankreas konnte ich bei der Kürze der Zeit nicht ein- 
gehen. Die Indikation zur Operation von dem Vorhandensein oder 
Fehlen vou Glykosurie bei Akromegalie abhängig zu machen, wie Herr 
Jödicke vorschlägt, ist weder durch unsere bisherigen theoretischen 
Kenntnisse über die Hypophysenveränderungen bei Akromegalie noch 
durch die praktische, klinische und operative Erfahrung auf diesem Ge¬ 
biet begründet. 

Herrn Richter erwidere ich, dass man zwischen Vorderlappen 
und Hinterlappen der Hypophyse unterscheiden muss. Das Pituitrin 
wird gewonnen aus dem Hinterlappen. Seine therapeutische Wirkung 
hat mit der Theorie des Hyperpituitarismus bei Akromegalie nichts 
zu tun. 

Hr. Maass zeigt als Abnormität ein Präparat von übermässiger Hyper* 
keratosis der Fussnägel, die er operativ hat entfernen müssen. 


Aerztlicher Verein za Hamburg« 

(Biologische Abteilung ) 

Sitzung vom 18. Februar 1913. 

1. Hr. Hegler: Bemerkungen zur diabetisehen Lipftmie. 

Bei einem 22jährigen Manne mit Xanthoma diabeticum ergaben sich 
am 30. IV. 1912 bzw. am 10.1. 1913 (im Stadium schwerer Acidosis und 
Coma diabeticum) folgende Werte: Blutzucker 0,3 bzw. 0,62 pCt., Ge¬ 
samtfett des Blutes 1,33 bzw. 20pCt., Cholesteringehalt des Blutes 0,27 
bzw. 1,06 pCt. Der Gesamtfettgehalt des Serums am 10.1. 1913 
betrug 38 pCt.! ln den letzten Tagen vor dem Tode wurden bei einer 
Diurese von 12 bis 16 1 pro die je 780 bzw. 870 g Dextrose im Urin 
ausgeschieden. Am Augenhintergrund exquisite lipämische Veränderungen. 
Bei der Sektion fand sich ein Tumor der Hypophyse, womit ein in den 
letzten Monaten aufgetretenes Plumpwerden der Füsse und Hände sowie 
des Unterkiefers in Beziehung gebracht werden kann. Die Lipämie ist 
entschieden selten: unter 180 Fällen von Diabetes in den Jahren 1910 
bis 1912 (wovon 69 starben und 47 obduziert wurden) fanden sich nur 
zwei Fälle. 

2. Hr. E. Frankel: 

Demonstrationen znr diabetisehen Lipämie. (Organe und Photographien 
von Schnitten.) 

Vortr. bestätigt die Seltenheit der diabetischen Lipämie auf Grund 
seines Sektionsmaterials und erläutert an Hand von Lumiere-Bildem das 
makroskopische und mikroskopische Verhalten der verschiedenen Organe, 
speziell der Netzhaut und der Nieren. 

3. Hr. Schnmm demonstriert die aus dem Serum des von Herrn 
Hegler besprochenen Falles gewonnenen grossen Fettmengen. Nicht 
alle derartigen Fälle sind als Lipoidämie aufzufassen, bei vielen liegt 
eine tatsächliche Vermehrung des Rohfettes bei nur wenig erhöhtem 
Gebalt des Serums an Cholesterin vor. 

Diskussion zum Vortrag des Herrn v. Bergmann: Experimentelles 
Uber Darmbewegung. 

Hr. Sehmilinsky hat mehrfach bei Röntgenuntersuchungen Anti¬ 
peristaltik beobachtet; nach Darmresektionen können antiperistaltische 
Bewegungen gelegentlich recht unangenehme Komplikationen auslöseu. 

Hr. Moeller bespricht ebenfalls die Frage der Antiperistaltik und 
empfiehlt für die Analyse der einzelnen Bewegungen in erster Linie die 
Methodik nach Magnus-Levy- 

Hr. Hegler empfiehlt bei Fällen von Ascites nach Abblassen des¬ 
selben und teilweisem Ersatz durch Luft die Laparoskopie nach 
Jacobaeus als einfache Methode, um sich über die Darmbewegungen 
zu orientiere». - • 

Hr. v. Bergmann (Schlusswort). 


655 


Hr. Allard: Zur Diagnose des Ulcus duodeni. 

Hinweis auf die sehr differenten Angaben betreffs Häufigkeit des 
Ulcus duodeni. Von den subjektiven Symptomen ist das wichtigste der 
Schmerz, als „Hunger“- und „Nachtschmerz“ oftmals charakteristisch 
auftretend, oft periodisch exacerbierend. Das Erbrechen soll beim Ulcus 
duodeni im ganzen seltener sein als beim Ulcus ventriculi; der Druck¬ 
schmerz strahlt nicht nach dem Rücken hin aus; während der Schmerz¬ 
anfälle häufig intermittierende motorische Insuffizienz des Magens durch 
Pylorospasmns. Wichtig ist der Nachweis von Blut im Stuhl als Aus¬ 
druck okkulter Blutungen. Verlässlicher als die Einborn’sche Faden¬ 
probe erwies sieb die Verwendung des Oelprobefrühstücks mit chemischem 
Nachweis von Blut im Duodenalsaft. Beurteilung des Röntgenbildes oft 
schwierig, wichtig kann ein konstanter, druckempfindlicher Duodenal¬ 
schatten sein; Nachweis von motorischer Insuffizienz, eventuell auch 
vermehrte Antrumperistaltik. Die Diagnose soll stets nur aus dem Zu¬ 
sammentreffen mehrerer Symptome gestellt werden, letzten Endes hat 
die Probelaparotomie zu entscheiden. 


Sitzung vom 25. Februar 1913. 

Demonstrationen. 

1. Hr. Lippmann: Junger Mann mit hochgradigem Morbus ceeruleus 
infolge kongenitaler Pulmonalstenose: systolisches Geräusch über Pulmo- 
nalis, negative J-Zacke im Elektrocardiogramm; Polycythämie von 
12 Millionen bei 130pCt. Hämoglobin; Umlaufszeit des Blutes (nach 
Bornstein bestimmt) nicht verlängert. Starke Trommelschlegelfinger. 

2. Hr. Saenger: a) 27 jähriger Mann mit Cysticerkenepilepsie. 
Seit 1905 Schwindelanfälle; Brom ohne Erfolg. In der Haut verschiedene 
erbsengrosse Knoten, die sich bei histologischer Untersuchung als Cysti¬ 
cercusblasen herausstellten. Mit Sedobrol wesentliche subjektive 
Besserung. 

b) 54 jähriger Mann mit Polyeythämia megalosplenica: 9,1 Millionen 
Erythrocyten, 105 pCt. Hämoglobin. Blutdruck 150 mm. Augenhinter¬ 
grund dunkel cyanotisch, Venen erweitert. 

c) 53 jähriger Tabiker mit hochgradiger Verkalkung der Unter¬ 
sehenkelarterien (Röntgenbilder) ohne intermittierendes Hinken. 

8. Hr. Brauer: Photographien und Gewichtskurven einer sehr fett¬ 
leibigen Patientin, welche in nicht ganz li/ 2 Jahren von 170 auf 72 kg 
an Gewicht abnahm! Es wurde anfangs strenge Carellkur, später 
eine stark reduzierte Kost von niemals über 1900 Calorien pro die 
durobgeführt. Glänzender Erfolg, insbesondere auch bezüglich der 
Leistungsfähigkeit. 

4. Hr. Allard zeigt den Fettstuhl eines Falles von chronischer 
Pancreatitis und bespricht die verschiedenen diagnostischen Methoden 
bei dieser Erkrankung. 

5. Hr. Simmonds zeigt Geschwülste der Carotisdrüse, die unter 
Umständen zu mächtigen, schwer exstirpierbaren Tumoren heran wuchern 
können. 

6. Hr. Meldola berichtet über sehr güte Erfolge mit Luminal bei 
zwei äusserst schweren Fällen von Epilepsie. 

Hr. Jacobsthal: 

Ueber die praktische Bedeutung der Wassermann’schen Reaktion. 

Durch die Wassermann’sche Reaktion werden nicht Antikörper nach¬ 
gewiesen, sie ist (ebensowenig wie die Agglutination bei Typhus, Para¬ 
typhus usw.) auch nicht spezifisch, wohl aber charakteristisch. 
Nach den Ergebnissen der neuesten Untersuchungen gewinnt die von 
Weil und Braun aufgestellte, von Gennerich erweiterte Hypothese 
an Wahrscheinlichkeit, dass bei der Wassermann’schen Reaktion in vitro 
Fermente nachgewiesen werden, die unter dem Einfluss eines Zellzerfalls 
entstehen. Als besonders wichtig werden die Gennerich’schen Beob¬ 
achtungen hervorgehoben. In letzter Zeit macht sich mit Recht das 
Bestreben geltend, unter Wahrung der Spezifität der Reaktion dieselbe 
zu verfeinern. Notwendig ist eine richtige Absteckung der Grenzen der 
Reaktion; empfehlenswert ist die ungefähre Bezeichnung des Resultats 
als +, ++, H—|—b bzw. + und —. Negativer Ausfall der Wasser¬ 
mann’schen Reaktion kann bedingt sein durch Fehlen von Syphilis, 
Heilung von Syphilis, mangelnde Ausbildung des Reaktionskörpers und 
endlioh durch Fehlen des Reaktionskörpers bei vorhandener Möglichkeit, 
ihn durch provokatorische Behandlung zu erzeugen. 

Im zweiten Teil seines Vortrages geht J. auf die Bedeutung der 
Wassermanu’schen Reaktion für die einzelnen Disziplinen der Medizin 
ein und bespricht ihre Verwendung als Anhaltspunkt für das thera¬ 
peutische Handeln, für die Frage des Ehekonsens, für Ammenuntersuchung, 
Prostituiertenüberwachung, Lebensversicherung, Diagnostik von Nerven-, 
Gefäss- und Nierenkrankheiten. Zum Schluss wird die Frage einer ein¬ 
heitlichen Standardmethode erörtert, neben welcher für bestimmte 
Zwecke noch besondere, verfeinerte Methoden Verwendung finden können. 

C. Hegler. 


Medizinische Gesellschaft zu Kiel. 

Sitzung vom 13. Februar 1913. 

Hr. Kehrer stellt einen Fall vor, der als eine Kombination von 
Seelentaubheit für Gerftnsehe mit sieh rückbildender sensorischer 
Aphasie aufzufassen wäre 1 ). 


1) Der Fall wird in extenso an anderer Stelle veröffentlicht. 


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BERLIN KR KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 14. 


Es handelte sich um einen 67 Jahre alten Mann, der vor 7 Jahren 
wegen einer arteriosklerotischen Erregung klinisch vorübergehend be¬ 
handelt wurde und im November 1912, bis zu welchem Zeitpunkt er 
sich wieder völlig ruhig und geordnet hielt, seiner Frau gegenüber unter 
wachsender Erregung klagte, dass er durch Geräusche aus den Telephon¬ 
drähten über seinem Hause belästigt werde. Diese isolierten akustischen 
Halluzinationen führten zu Beeinträchtigungsideen und wachsender Er¬ 
regung, die erneute Klinikaufnahme notwendig machte. Er wurde dann 
allmählich wieder ruhiger, bis eines Mittags ohne jede Insulterscheinungen 
eine Totalaphasie sich feststellen liess. Bei tadellosem Gestenverständnis 
und Ausdrucksvermögen war er akustisch völlig unerweckbar und konnte, 
auch im Affekt, nur die Worte „Vater“ und „Frau“ herausbringen. 
Während in der Folge ganz allmählich das Laut- und Sinnverständnis 
für lautlich besonders prägnante Worte und kongruent damit die 
Spontansprache im Sinne reiner Literalparaphasie sich wiederherstellte 
und auch von spezialistischer Seite bei negativem äusseren Befund am 
Ohr eine annähernd intakte Tonreihe festgestellt wurde, blieb von An¬ 
fang an eine totale, vor dem Eintreten der Aphasie nicht vorhandene 
Unerweckbarkeit für Geräusche und musikalische Klänge bestehen, die 
besonders gegen die lebhafte Erweckbarkeit für alles Nichtakustische 
kontrastierte. Vortr. deduziert, dass es sich um eine Ausschaltung 
beider Schläfenlappen mit relativer Funktionsfähigkeit der Wernicke’schen 
Zone handelt, eine Annahme, die auch besonders geeignet sei, die an¬ 
fangs bis auf „Wortreste“ vorhandene Wortstummheit zu erklären. 

Interessant war besonders, wie sich unter ärztlicher Beobachtung 
aus dem Reizzustand der centralen Sinnesflächen, der in den isolierten 
Akoasmen zum Ausdruck kam, der Lähmungszustand entwickelte: die 
temporale Wortstummheit und Worttaubheit. Der Fall nimmt dadurch 
auch gegenüber ähnlichen Beobachtungen von Anton, Bonvicini, 
Fick, Serieux et Mignot eine Sonderstellung ein. Ob die Aus¬ 
schaltung auch des rechten Schläfenlappens auf einen zweiten Herd oder 
etwa auf Wirkung der Diaschise zurückzuführen ist, wird offengelassen. 
Vortr. erörtert noch kurz die Literalparaphasie, die in diesem Falle nur 
die affektbetonten Worte in kleinen Würmchen und Floskeln ver¬ 
schonte, dagegen schon einfache Worte betraf, die er unmittelbar vor- 
oder nachher nach ihrem Sinn verstanden hatte. Dass derselbe Laut¬ 
komplex durch den eindeutigsten Reiz, das Hören aus fremdem Mund, 
noch korrekt erweckbar ist, nicht aber beim normalerweise schon auto¬ 
matisierten gleichzeitigen inneren Anklingen oder bei der später 
kommenden Selbstwabrnehmung des Eigengesprochenen scheint Vortr. 
ein wesentlicher Punkt in der Erklärung der am glücklichsten von 
Go Idstein als „Störung der Successivassociation der Buchstaben zum 
Wort“ umschriebenen Paraphasie zu sein. 

Hr. Kahn: 

Ueber physiologische, chemische und biologische Eigenschaften des 
Thorinm X. 

Vortr. bespricht zunäohst die wesentlichsten physikalischen Eigen¬ 
schaften des Thorium X und hebt besonders den raschen Zerfall dieser 
radioaktiven Substanz hervor. An einem festen Thorium X-Präparat wird 
die a-Strahlung und die Thoriumemanation mit der Sidotblende de¬ 
monstriert. 

Die chemischen Einflüsse von Thorium X auf Anilinfarben, 
hydroxylierte Benzolderivate und andere leicht oxydable Substanzen 
konnten nur teilweise bestätigt werden. Die baktericide Kraft von 
Thorium X ist an Luftkeimen in deutlicher Weise zu erkennen. An 
Pflanzenkeimlingen (Gartenkresse) ist eine ausserordentliche biologische 
Einwirkung mit kleinen Dosen erkennbar. Die einmalige Applikation 
kleiner Dosen bewirkt eine Wachstumsförderung, grosser Dosen eine 
Wachstumshemmung. Besonders auffallend ist noch dabei eine Ver¬ 
schiedenheit in der Bildung der Blattkronen, indem die Gabelung des 
Pflanzenstengels um so eher erfolgt, je grösser die Gabe von Thorium X 
ist. Am tierischen Organismus kann die elektive Schädigung der weissen 
Blutkörperchen durch hohe Dosen bestätigt werden. 

Nach klinischen Beobachtungen scheinen auch kleine Dosen in 
manchen Fällen nicht indifferent zu sein. So traten bei einem Patienten, 
der täglich 50 El.-E. per os erhielt, schon nach 9 Tagen ein Exanthem 
und heftige Parästhesien im ganzen Körper auf. 

(Erscheint ausführlich in der „Strahlentherapie“.) 

Hr. Meyer: 

Ueber Sensibilisierung des Gewebes für Röntgenstrahlen. 

Vortr. bespricht nach eingehender Darlegung der allgemeinen bio¬ 
logischen Wirkungsweise der Röntgenstrahlen die moderne Strahlen¬ 
therapie der malignen Tumoren in ihren Grundzügen an der Hand von 
Patientenvorstellungen. 

Bei der modernen Strahlentherapie der Geschwülste handelt es sich 
um Sensibilisierung der Tumoren für Röntgenstrahlen, die erfolgen kann 
einmal durch Diathermie (Experimente von Meyer und Bering, 
klinische Erfolge von Müller-Immenstadt), weiter durch Thorium X 
(Experimente von Meyer und Rost werden später in der „Strahlen¬ 
therapie“ veröffentlicht) und schliesslich dyreh Cholininjektion (Imitation 
der biologischen Strahlenwirkung von Werner-Heidelberg). Die Sensi¬ 
bilisierung des Gewebes wird sich — soweit experimentelle Unter¬ 
suchungen bis jetzt lehren — auch für die gynäkologische Tiefen¬ 
therapie von grosser Bedeutung erweisen. Ferner wird an Patienten 
mit Epitheliomen demonstriert, wie unter Umständen auch eine Reiz¬ 
wirkung durch die Röntgenstrahlen eintreten kann, so dass das an sich 


harmlose Cancroid unter dem Einfluss der Strahlenwirkung anlängt zu 
wuchern und malignen Charakter annimmt. 

An einem sehr instruktiven Fall von universeller Hautcarcinomatose, 
wo die Rumpfhaut mit kleinsten Carcinommetastasen übersät war, 
konnte sehr gut die Wirkung des Thorium X mit der Röntgenstrahlen¬ 
wirkung verglichen werden. 

Die Röntgenstrahlen hatten überall einen völligen Rückgang der 
Tumoren herbeigeführt, nur an denjenigen Stellen, die mit Blei ab¬ 
gedeckt waren, wo also die Thorium X-Wirkung allein sich geltend 
machte, war keine Spur einer Beeinflussung vorhanden. In diesem 
Falle war also ganz offensichtlich die Röntgenwirkung der Thorium X- 
Wirkung überlegen. Trotzdem ist das Thorium X als Sensibilisator für 
die Röntgentiefentherapie von grossem Werte. 

(Wird demnächst in extenso in der „Strahlentherapie“ veröffentlicht.) 

Hr. Rost berichtet im Anschluss daran über die Ergebnisse seiner 
experimentellen Untersuchungen znr gynäkologischen Tiefentherapie 
und demonstriert mikroskopische Schnitte von Kaninchenorarien, an 
denen in sehr eklatanter Weise die Verschiedenheit in der Wirkung ge¬ 
filterter und ungefilterter Strahlung zu erkennen ist. 

(Die Arbeit ist ausführlich mit den Abbildungen der demonstrierten 
Präparate in der „Strahlentherapie“, 1918, Bd. 2, H. 1, veröffentlicht.) 

E. Richter. 


Naturwissenschaftlich-medizinische Gesellschaft zu Jena. 

(Sektion für Heilkunde.) 

Sitzung vom 27. Februar 1913. 

Vorsitzender: Herr Lex er. 

1. Hr. Böhm: a) Klappenbildung in der Banchaorta. 

Nahe der Durchtrittsstelle durch das Zwerchfell fand sich in der 
klnst nicht veränderten Aorta ein einziges, gegen den Strom gerichtetes 
niappenartiges Gebilde, für das entwicklungsgeschichtlich eine Erklärung 
socht gefunden werden kann. Der Fall dürfte ein Unikum sein. 

b) Vierte Klappe am Ostinm pnlmoiale. 

Demonstration der kleinen vierten Klappe und Diskussion über die 
Entstehungsmöglichkeit. 

c) Ueber Dünndarmcarcinoide. 

Aelterer, wahrscheinlich an Perforationsperitonitis gestorbener Mann, 
der einige bis erbsengrosse Dünndarmcarcinoide aufweist, die den be¬ 
kannten, gegen die Umgebung durch Bindegewebe abgegrenzten Bau 
zeigen und an einer Stelle in die Muscularis in Form einzelner Zellen 
und Zellnester vorgedrungen sind. Aus .der Reaktionslosigkeit des um¬ 
gebenden Gewebes schliesst Vortr. auch hier infiltrierendes Wachstum 
aus. Wenn auch die Färbung mit Methylgrün-Pyronin wegen des Alters 
der Präparate keinen Anhaltspunkt für Pankreasgewebe mehr bot, so 
neigt Vortr. doch der Ansicht zu, dass die Dünndarmcarcinoide aus ver¬ 
sprengten Langerhans’schen Inseln bzw. aus Pankreaskeimen hervor¬ 
gegangen seien. Er verweist die beobachteten Geschwülste in die Klasse 
der Gewebsmissbildungen. 

2) Hr. Pfreimbter-. Ueber sogenannte angeborene Wassersucht. 

Es handelt sich um ein totgeborenes Kind im neunten Monat mit 
ausserordentlich zahlreichen Blutbildungsherden in den Organen, be¬ 
sonders in der Leber, die in den sehr schönen Präparaten gezeigt werden. 
Die Aetiologie des Leidens ist unbekannt. Lues kann wohl ausge¬ 
schlossen werden. Entweder handelt es sich um einen Zustand, der an 
den Befund bei Leukämie oder an den bei pernieiöser Anämie erinnert, 
was von Herrn Rössle in der Diskussion nochmals betont wird. 

8. Hr. Schässler: 

a) Ueber die Beziehungen der Lymphogranulomatose zar Tuberkulose. 

Bericht über die zurzeit gültigen Anschauungen aus der Literatur 
unter Betonung des Befundes Much’scher Granula. Die Lymphogranulo¬ 
matose ist demnach vermutlich das Produkt der chronischen Einwirkung 
eines vielleicht modifizierten tuberkulösen Virus. Um eine maligne Ge¬ 
schwulst bandelt es sich sicher nicht. Demonstration eigener Präparate 
und Beobachtungen, die dadurch ausgezeichnet sind, dass in einigen 
Organen (Leber) neben den typischen Drüsenveränderungen Herde ge¬ 
funden wurden, die bei oberflächlicher Betrachtung durchaus an Miliar¬ 
tuberkulose erinnern. Die genauere Untersuchung ergab aber eine weit¬ 
gehende morphologische Uebereinstimmung dieser Herde in der Leber 
mit den Drüsenveränderungen. Diese Befunde stellen also, soweit 
morphologische Veränderungen iu Betracht kommen, Uebergänge dar 
zwischen Tuberkulose und Lymphogranulomatose, 
b) Ueber Selbstheilnngsvorgänge in Krebsen. 

Zum Teil verhornender Plattenepithelkrebs der Speiseröhre, der 
klinisch fast symptomlos verlief. Als Charakteristicum der Selbstheilung 
kommt die phagocytäre Vernichtung der Verhornung durch zahlreiche 
Fremdkörperriesenzellen, sowie die Produktion derben fibrösen Binde¬ 
gewebes aus dem Carcinom in Betracht. Aehnliches fand sich bei 
einem Leukoplaciecarcinom, einem Plattenepithelcarcinom vom Kiefer 
und einer Magencarcinommetastase in der Pleura. 

4. Hr. Rössle: Ueber die Hypophyse nach Kastration. 

Schilderung des anatomischen Baues der Hypophyse, deren drüsiger 
Teil auf Grund cytologischer Befunde, die vielleicht mit der Physiologie 
des Organs etwas zu tun haben, weiter analysiert wird; Vortr. weist 


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7. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


657 


n&ob, dass unter dem Einflüsse der Kastration ein konstanter Umbau 
des Organs in dem Sinne statthat, dass die eosinophilen Zellen vermehrt 
werden. Den interessanten, für ein kurzes Referat nicht geeigneten 
Beobachtungen liegt ein Material von über 100 Hypophysen zugrunde. 


Nürnberger medizinische Gesellschaft und Poliklinik. 

Sitzung vom 13. Februar 1913. 

Hr. J. Kran demonstriert 1. Einen Mann, dem am 15. Januar 1913 
eio etwa 400 g schweres Ahornstück von der Kreissäge gegen das linke 
Auge geschleudert worden war. Durch den heftigen Anprall stürzte der 
Verletzte sofort zusammen, konnte sich aber rasch wieder erheben. Etwa 
s /s Stunden nach dem Unfall sah K. den Patienten zum ersten Male. 
Dicht unterhalb der inneren 2 /s der Augenbraue eine seichte, leicht ge* 
lappte Hautwunde, Augenlider suggilliert, subconjunctivale Blutungen, 
massiger Ezophthalmns, Cornea, Iris intakt, Linse an Ort und Stelle. 
Pupille mittelweit, starr. Ophthalmoskopisch ausgedehnte präretinale 
und retinale Blutungen, besonders in der Papillengegend, Papille selbst 
nioht zu sehen. Bulbusbewegungen, besonders nach oben und unten 
schmerzhaft, erscheinen nicht gestört. Da keinerlei Lichtempfindung 
vorhanden, sich auch in den folgenden Tagen keinerlei Besserung ein¬ 
stellte, musste die Diagnose Verletzung bzw. Zerreissung des Opticus 
gestellt werden, und zwar wurde dieselbe nahe dem Opticuseintritt in 
den Bulbus angenommen wegen der wohl sicherlich nach dem Spiegel¬ 
bild vorliegenden Gefässzerreissungen am Opticuseintritt. Eine Ver¬ 
letzung des Opticus im knöchernen Kanal erschien ausgeschlossen, da 
für eine SchadeIbasisfraktur keinerlei Anhaltspunkte gegeben. Mit der 
zunehmenden Resorption der Blutungen kam allmählich an Stelle der 
Papille ein weisser Schimmer zum Vorschein, doch ist erst jetzt die 
ursprüngliche Optiouseintrittsstelle zum grössten Teil zu übersehen. Im 
umgekehrten Bild sieht man ein nicht absolut scharf begrenztes weisses 
Oval, in dem die mittlere Partie einen mehr grauen Farbenton hat, Ge- 
fässe sieht man nur am unteren inneren Rand austreten, über der Aus¬ 
trittsstelle noch eine kleine Blutung, von derselben Gegend zieht in den 
auch sonst grosse geformte Trübungen zeigenden Glaskörper ein schlauch¬ 
artiges Gebilde, dass wohl mit Bestimmtheit als ein abgerissenes Retinal- 
getäss anzusehen ist, das flottierend nach vorne zieht. Oben innen am 
Rand der Opticuseintrittsstelle noch grössere Blutungen, am oberen 
Rand frische chorioretinitisohe Veränderungen, zwischen denen die Sclera 
durchschimmert. Gefässe, die nach oben innen und oben aussen von 
der Papille ziehen, sind nicht zu entdecken. Das ophthalmoskopische 
Bild der Papille entspricht einer Colobombildung des Opticus. Diagnose: 
Ruptur des Opticus dioht am Eintritt in den Bulbus durch 
stumpfe Gewalt. Die Hautwunde, die anfangs eiterte, heilte gut 
durch Granulation, Lid ebenso wie Bulbus vollkommen normal beweg¬ 
lich. Sensibilität der Cornea. Nach völliger Resorption aller Blutungen 
soll Pat. nochmals demonstriert werden. 

2. Ein Mann, der im Jahre 1905 wegen einer Episeleritis in Be¬ 
handlung kam. Die damals vorgenommene Spiegeluotersuchung ergab 
beim Blick ganz nach rechts das Vorhandensein eines breiten weiss¬ 
grauen Stranges, der gleich der Sehne eines Bogens durch den Glas¬ 
körper zog. Um die weiter rückwärts gelegene Ansatzstelle des Narben¬ 
stranges war ein Pigmentsaum und alte kleine chorioretinitisohe Herde 
zu sehen, die nach vorne gelegene Insertionsstelle des Narbenstranges 
war auch nach Atropinisation nicht zu sehen. Auf Grund dieses Spiegel¬ 
befundes stellte K. die Frage, ob Pat. früher eine Verletzung erlitten 
habe, die bejaht wurde. Im Jahre 1889 sei ihm ein Eisensplitter ins 
Auge geflogen, der Splitter aber nicht gefunden worden. Angestellte 
Siderosbopuntersuchung positiv. Die Eintrittsstelle des Splitters muss 
in der Sclera gelegen sein, sie ist nicht mehr zu erkennen, zudem be¬ 
steht eine massige Pinguecula. Wo der Splitter zu suchen, war nach 
dem ophthalmoskopischen Bilde klar, nämlich ausserhalb des Bulbus in 
der Nähe des Rectus externus. Inzision der Bindehaut über der In¬ 
sertion des Rectus externus. Durchtrennen der Tennon’sohen Kapsel, 
Einführen des grossen Haudmagneten mit spitzem Ansatz. Mit dem- 
selbe wird der in Narbengewebe eingebettete Splitter nach vorne ge¬ 
zerrt, mit der Schere abgetrennt, Naht der Bindehautwund. Nach der 
Operation waren die bei seitlicher Bewegung des Bulbus angegebenen 
leichten Schmerzempfindungen geschwunden, die Episeleritis heilte bald, 
ist aber in der Zwischenzeit wieder zweimal wiedergekehrt und hat mit 
dem Unfall nichts zu tun. Pat. ist Rheumatiker und leidet an chroni¬ 
scher Nephritis. 

3. Ein aus kosmetischen Gründen entfernter Bulbus Bit hoch¬ 
gradiger StaphyleuMldug. 

Hr. Grünhanm demonstriert 1. ein durch Operation gewonnenes 
riesiges Portioeareinom, das er nach Wertheim operiert hat. Die 
hiutere Blasenwand wurde zum Teil mitentfernt wegen Verdachts carci- 
nomatöser Erkrankung. Eine sekundär entstandene Blasenscheidenfistel 
wird durch eine neuerliche Operation zum Verschloss gebracht. An der 
Hand dieses Falles verbreitet sich Herr G. über die Greqzen der Ope¬ 
rabilität. 

2. Einen kiidskopfgrossen Tumor (Elephantiasis der ClHoris). 
Die Patientin bekam nach Entbindung vor vier Jahren Oedem an den 
Beinen, das sich allmählich nach oben über den<Mons veneris aus- 
breittte, •dann entwickelte sieh eine Elephantiasis der äusseren 
Genitalien. ? , ” rr 


Die aus der Oberpfalz stammende Frau suchte erst ärztliche 
Hilfe, als der zwischen den Beinen herabhängende Tumor sie am Gehen 
behinderte. 

Hr. flö’rl: Subjektives cor Salvarsaotherapie. 

Zunächst befasst sich Vortr. mit der Wassermann’sohen Reaktion, 
die an Exaktheit nicht an die anderen Komplementablenkungsreaktionen 
heranreicht. Als Wegweiser der Behandlung darf sie nioht angesehen 
werden. G. hat sicher Luetische gesehen nicht nur mit tertiärer, 
sondern auch mit sekundärer und primärer Lues, die von anderer Seite 
wegen negativen Ausfalls der Reaktion als nicht luetisch erklärt worden 
waren. Die von G. eingeleitete Behandlung bewies aber, dass es sicher 
luetisch Erkrankte waren. G. spricht die Befürchtung aus, dass speziell 
bei der jüngeren Generation allzuviel auf die Anstellung und den Aus¬ 
fall der verschiedensten Reaktionen gegeben wird und dadurch die 
Schärfung des Auges und Ohres für die ärztliche Untersuchung not¬ 
leiden. Auch von dem Wert der grossen Statistiken, die sich oft über 
Tausende von Fällen erstrecken, ist G. nicht überzeugt, da die Mehr¬ 
zahl der Patienten im ganzen Krankheitsverlauf weder vor Anwendung 
des neuen Mittels noch nach derselben verfolgt werden. Hinsichtlich 
der v. Dungern’schen Reaktion ist G. auf Grund seiner Erfahrungen der 
Ansicht, dass sie bei ausgesprochen positivem und negativem Ausfall der 
Originalreaktion gleichwertig ist. Mit Salvarsan hat G. etwa 500 Fälle 
behandelt; er wendet es meist in Kombination mit Quecksilber an, 
nur bei rezenten Fällen allein. Die hohen Dosen verbieten sich von 
selbst in der ambulanten Praxis, sie sollten nur in der Klinik zur An¬ 
wendung kommen. Die Domäne des Salvarsans sind die primäre und 
die tertiäre Lues. Nur einmal sah G. ein Neurorecidiv am Acusticus. 

Kraus. 


Aentlicher Verein zu München. 

Sitzung vom 12. Februar 1913. 

1. Hr. Kimmerer: Zar Diagnose der Aktinomykose. 

Ein 28jähriges Mädchen erkrankt 1909 im Anschluss an Einschnitte 
in der Umgebung des linken unteren Weisheitszahns an einer Abscess- 
bildung in der Umgebung dieses Zahns und am Kieferwinkel Die Eite¬ 
rung nimmt trotz chirurgischer Behandlung einen sehr chronischen, hart¬ 
näckigen Verlauf mit mehrfacher Fistelbildung, ist 1912 noch nicht ge¬ 
heilt. Knochen frei. Aktinomycesdrusen waren nicht gefunden worden. 
Der Vortr. konnte Aktinomyces in Reinkultur züchten und demonstriert 
die Kulturen. Auch glückt es, mit Hilfe der Gram’schen Färbung in 
mehreren mikroskopischen Eiterpräparaten charakteristische Mycelfäden, 
wenn auch keine Kolben naebzuweisen. Silbersohmidt hat schon 
darauf aufmerksam gemacht, dass bei manchen Aktinomycesfällen Drusen 
und auch Kolben vermisst werden, dass oft nur die typischen ver¬ 
zweigten und verfilzten, mit sporoiden Körnchen bedeckten Fäden ge¬ 
funden werden und zur Diagnose genügen. Dieser Autor weist auch 
ganz besonders auf die grosse Variabilität der Aktinomycesgruppe, auf 
die fliessenden Uebergänge einer Unterart bzw. Varietät in die andere 
hin. Der von Berestrew eingeführte Begriff der Pseudoaktinomykose 
hat nach ihm keine Berechtigung zu einer Sonderstellung. An den 
mikroskopischen Eiterpräparaten des Vortr. fällt noch auf die über¬ 
wiegend polymorphkernige Beschaffenheit der Leukocyten, die zahlreichen 
riesenzellenähnlichen Gebilde, die häufige Phagocytose sporoider gram¬ 
positiver Körnchen. K. bespricht sodann die Aetiologie der Aktino¬ 
mykose und weist auf die häufigen Beobachtungen eines Zusammenhangs 
mit Zahnaffektionen in den letzten Jahren hin. Von verschiedenen 
Autoren wurden in den Tonsillarkrypten und besonders in dem Inhalt 
cariöser Zähne von ganz gesunden Menschen in erstaunlicher Häufigkeit 
Aktinomycespilze gefunden. Vor allem Lord konnte mit so gewonnenem 
Material auch durch Tierimpfung Aktinomykose erzielen. Wenn in diesen 
Fällen vielleicht auch nicht immer für den Menschen infektiöse Stämme 
bzw. Varietäten Vorlagen, so ist nach Ansicht des Vortr. doch der Ge¬ 
danke an die Bacillenträger von anderen Erregern, z. B. Meningokokken, 
Diphtheriebacillen usw. naheliegend; eine Gelegenheitsursache, z. B. bei 
der Aktinomykose nicht selten ein Trauma, und ganz besonders die so 
häufige Möglichkeit eines Zahntraumas mag dann oft eine auslösende 
Rolle spielen. Bei Besprechung der Lokalisation der Aktinomykose im 
Abdomen wird vom Vortr. auf das häufig erwähnte primäre Befallensein 
der Appendix hingewiesen; Appendieitiseiter sollte öfter durch Züchtung 
und Gramfärbung auf Aktinomykose untersucht werden. In der The¬ 
rapie hat neben der chirurgischen immer noch die Jodbehandlung 
(neuerdings speziell auch Injektionen mit 25proz. Jodipin Merck) eine 
dominierende Stelle. (Projektionen, Demonstration mikro- und makro¬ 
skopischer Präparate.) Der Liebenswürdigkeit von Prof. Kitt der tier¬ 
ärztlichen Hochschule verdankte der Vortr. schöne Präparate tierischer 
Aktinomykose. 

2. Hr. Seif: Nete Wege der Neareseiforsehaig and -kehaadlang. 

Der Vortr. verbreitet sich über Wesen und Bedeutung der Psycho¬ 
analyse und bringt als einfaches Beispiel eine psychoanalytische Er¬ 
klärung der sogenannten Waschroanie, bei welcher ein Ersatz eines ver¬ 
drängten, unbewusste^ Komplexes, psychischer sexueller Unreinheit, 
durch die Idee physischer Unreinheit stattfinden soll. Er versucht die 
'gegnerischen Angriffe gegen: die >*A‘nnahme zugrunde liegender sexueller 
Komplexe im jr eitere» Sinne $urückzuweisen und bebt die guten,den 


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UNIVERSUM OF IOWA 



658 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT 


Nr. 14. 


mit der bisherigen Psychotherapie erzielten Erfolgen meist überlegenen 
therapeutischen Ergebnisse der Psychoanalyse hervor. 

Diskussion: HHr. Isserlin, Kraepelin, Löwenfeld, v. Ma¬ 
laise, Wittenberg. Hans Bachhammer - München. 


Natnrhistorisch-medizinischer Yereiu za Heidelberg, 
Sitzung vom 11. Februar 1913. 

Vorsitzender*. Herr Bettmann. 

Schriftführer: Herr Fischler. 

1. Hr. Holthusen stellt einen Fall von Zenker’sehem Oesophagus- 
divertikel bei einem 70 jährigen Patienten vor. Demonstration von 
Röntgenbildern. Es handelt sich um einen gänseeigrossen Sack links 
vom Oesophagus, der bis zum oberen Sternalrand herabreicht. Die 
topographischen Verhältnisse wurden nach Sondeneinführung radio¬ 
graphisch festgestellt. Eine äussere Geschwulst am Halse war nicht 
wahrnehmbar, dagegen bestanden typische Halsgeräusche, 

2. Hr. Grafe: 

Unter welchen Umstünden lässt sich mit NH s -Salzen oder Harnstoff 
ein Stickstoffansatz erzielen? 

Vortr. bat die Versuche über Stickstoffretentionen bei Fütterung 
von Ammoniaksalzen, über welche er an gleicher Stelle vor ca. 1 Jahr 
berichtete, fortgesetzt und auch auf das Schwein, das sich für derartige 
Versuche weit besser eignet als der Hund, übertragen. Die dort ge¬ 
wonnenen Ergebnisse waren die gleichen, wie sie früher beim Hunde 
erzielt wurden. Es gelingt, durch Fütterung reichlicher Mengen von 
Ammoniaksalzen und sogar auch von Harnstoff bei gleichzeitiger Ueber- 
ernährung mit Kohlehydraten sehr erhebliche, dem Gleichgewicht sich 
nähernde Stickstoffretentionen zu erhalten. 

Die Untersuchungen, über die Grafe im einzelnen berichtet, sollen 
die Bedingungen eruieren, welche zur Erreichung eines N-Ansatzes nötig 
sind. Die Versuche über die Frage, wie weit ist bei einer ganz abun¬ 
danten Darreichung von Ammoniaksalzen und Harnstoff Stickstoffansatz 
möglich, sind noch zu keinem endgültigen Resultat gekommen; jedoch 
konnte Grafe zeigen, dass man bei Verfütterung von mittelgrossen 
Mengen von Ammoniaksalzen und Harnstoff und sehr kleinen Eiweiss- 
mengen, die weit unter der Menge liegen, mit der allein ein N-Gleich- 
gewicht erreicht werden kann, tatsächlich ein anscheinend dauernden 
Stickstoffansatz bewirken kann. Die Methodik und die Resultate wurden 
an der Hand eines 65 tägigen Versuches an einem Schwein demonstriert. 
Die Deutungsmöglichkeiten für diesen Stickstuffansatz werden erörtert, 
ohne dass Grafe eine Entscheidung trifft, da er hofft, durch weitere 
Versuche eine zuverlässige Erklärung finden zu können. 

3. Hr. Emmerieh: 

Ueber Aareieherangen von Spirochäten and Trypanosomen im 
Kaninchenhoden. 

Ausgehend von den Uhlenhuth und Mulzer’schen Arbeiten über 
experimentelle Kaninchensyphilis bespricht Vortr. die Bedeutung der 
Tierimpfung bei Syphilis in diagnostischer Hinsicht und besonders als 
Kontrolle für die Bewertung der Wassermann’schen Reaktion bei primär 
und sekundär luetischen Erkrankungen. Die histologische Untersuchung 
derartig luetisch infizierter Tiere ergibt eine Reihe sehr interessanter 
Befunde, auf die bisher nur Koch hingewiesen hat, dem das Uhlenhuth 
und Mulzer’sche Material zur Verfügung stand. Bei der grossen Aelin- 
lichkeit, die das klinische Krankheitsbild bei experimenteller Kaninchen¬ 
syphilis und experimenteller Trypanosomenerbrankung bietet, war es 
interessant zu sehen, wie sich das histologische Bild gestalten würde. 
E. untersuchte im Uhlenhuth’schen Institut eine grosse Reihe von Fällen 
von Dourine, Nagana und Schlafkrankheit, und hier ergab sich eine auf¬ 
fallende Uebereinstimmung mit den Veränderungen bei experimenteller 
Kaninchensyphilis. Vortr. wird diese Befunde später ausführlich mit- 
teilen. 

Vortr. berichtet weiter über gemeinsam mit Uhlenhuth angestellte 
Versuche, die den Zweck hatten, festzustellen, ob die Affinität zum 
Hodengewebe, die sich bei der Spirochaeta pallida als charakteristisch 
herausgestellt hatte, auch für die Trypanosomen Geltung habe. Zahl¬ 
reiche Versuche mit dem Trypanosoma equiperdum bestätigen vollauf 
die Annahme; doch müssten natürlich diese Befunde noch bei ver¬ 
schiedenen Stämmen erhoben werden, um sie im Falle der Bestätigung 
auch als diagnostische Methode verwerten zu können. Bei Trypanosoma 
Brucei und Lewisi liess sich keine Anreicherung im Hoden bei Kaninchen 
und Ratten erzielen. Dagegen zeigten vielfache Versuche bei Schlaf¬ 
krankheit das gleiche Verhalten der Trypanosomen wie bei Dourine. 
Auch hier müssten weitere Kontrollen die Brauchbarkeit der Methode 
für die Praxis feststellen, die, eventuell eine Frühdiagnose der Schlaf¬ 
krankheit ermöglichen könnte. (Demonstration syphilitischer, dourine- 
und naganakranker Kaninchen.) Kolb - Heidelberg. 


K. k. Gesellschaft der Aerzte za Wien. 

Ausserordentliche Sitzung vom 19. Februar 1913. 

(Eigener Bericht.) 

Hr. Hochenegg: Die sanitäre Kriegsbereitschaft Oesterreichs. 

Das Urteil des grossen Publikums über die sanitären Vorbereitungen 
für <}en Fal|, dass Oesterreich in einefy Krieg verwickelt werden würde, 
ist s^hr geteilt, es schwankt zwischen O^ptjmismus und Pessimismus. 


In Deutschland ist jeder bedeutende Chirurg eo ipso Militärarzt, 
der dadurch auch in Friedenszeiten Einfluss auf die Organisation der 
sanitären Vorbereitungen hat. In Oesterreich ist diese Einrichtung nicht 
vorhanden, die Zivilärzte dienen ihre Militärzeit ab und haben von nun 
an nichts mehr mit dem Militär zu tun; der wertvolle, Anregung gebende 
Kontakt zwischen den Zivilärzten und dem Militär fehlt so für diese 
Fragen vollkommen. Es besteht auch kein richtiger Kontakt zwischen 
dem Roten Kreuz und den Aerzten; der Leitung des letzteren sind nur 
einige wenige Aerzte beigezogen, die meisten Aerzte stehen dem Roten 
Kreuz und dessen statutarischen Bestrebungen fremd gegenüber. 

Die Gebiete, auf welche sich die sanitären Vorbereitungen im Fall 
eines Krieges zu beziehen haben, lassen sich in drei Gruppen einteilen: 
die ärztliche Hilfe, das Pflegerinnenwesen, das Sanitäts¬ 
material und die Ausgestaltung der diversen Kriegsspitäler. Die 
Bereitstellung und organisatorische Verteilung auf diesen drei Gebieten 
verteilen sich auf die Friedensarbeit, auf die Arbeiten bei drohender 
Mobilisierung und auf die Arbeiten während des Krieges. Vortr. be¬ 
schränkt sich nur auf jene Vorkehrungen, welche in dem jetzigen 
Moment der noch nicht vollkommen beigelegten Kriegsgefahr geboten 
erscheinen. 

Um sich nun annäherungsweise einen richtigen Ueberblick über den 
Umfang der nötigen Vorbereitungen in Lazaretten und Kriegsspitälem 
in bezug auf die früher genannten drei Gebiete verschaffen zu können, 
muss man zunächst die Anzahl der in einem grösseren Kriege Oester¬ 
reichs zu erwartenden Verletzungen und Erkrankungen in Erwägung 
ziehen. Auf Grund statistisch erhobener Erfahrungen aus Kriegen der 
letzten Vergangenheit nimmt man für den Fall eines grösseren Krieges 
Oesterreichs 100000 Verletzte an. Von diesen würden 60000 auf die 
diesseitige, 40 000 auf die ungarische Landeshälfte entfallen. Da für 
10 000 Verletzte vom Roten Kreuz vorgesorgt ist, reduziert sich die An¬ 
zahl der Verletzten, für welche weitere Vorbereitungen nötig sind, 
auf 50 000. Für diese Verwundeten, welche auf dem Schlacbtfelde den 
ersten Verband bekommen haben, in den Feldspitälern transportfähig 
gemacht und nach rückwärts transportiert werden, ist für Unterkunft in 
Spitälern oder in solchen improvisierten Lokalen für chirurgische Behand¬ 
lung und sachgemässe Pflege zu sorgen. Hier müssen Chirurgen wirken, 
welche auf Grund ihrer bei Verletzungen der Friedenspraxis gewonnenen 
Erfahrungen die Indikation zu eventuell einzuleitenden Operationen zu 
stellen imstande sind. Die Bestimmung der zu Spitälern auszuwählenden 
Lokale muss natürlich ganz der Militärsanitätsbehörde überlassen bleiben. 
Wenn man annimmt, dass eine Spitalsstation 200 Verletzte aufnehmen 
und versorgen kann, so sind für die angenommenen 50 000 Verletzten 
250 solcher Stationen nötig; wenn 20 Verwundete in einem Saale unter¬ 
gebracht werden, so ergeben sich 2500 Krankenzimmer. Für jede dieser 
Stationen würden mindestens 3 chirurgisch geschulte Aerzte nötig sein, 
also im ganzen 750 Chirurgen. Von diesen sollte in jeder Station ein 
vollwertiger Chirurg mit eigener Erfahrung und erprobter Aktionsfähig¬ 
keit als Chefoperateur fungieren, welchem zwei jüngere chirurgisch ge¬ 
schulte Assistenzärzte zuzuteilen wären. Es wären also 250 Cbef- 
cbirurgen und 500 Assistenzärzte nötig. Es kann nicht schwer fallen, 
200 vollwertige Chirurgen für die berechneten Stationen als Chef¬ 
operateure zu akquirieren, da nebst den im aktiven Dienste stehenden 
Militärchirurgen namentlich unter den Reserveärzten und den Aerzten 
der Evidenz genügend chirurgisch geschulte Aerzte, vor allem gewesene 
Assistenten der Kliniken und Abteilungen, noch als Militärärzte kriegs¬ 
verpflichtet sind. Diese Chirurgen müssen aus der grossen Anzahl von 
militärpflichtigen Aerzten auserlesen und den in Aussicht genommenen 
Stationen namentlich zugeteilt werden. Vortr. kann sich der Befürchtung 
nicht verschliessen, dass bei der Zuteilung von Reserveärzten nicht 
genügend auf die spezialistiscbe Ausbildung Rücksicht genommen wird; 
die chirurgische Hilfe an einer Station müsste sehr insuffizient sein, 
wenn der Zufall einer solchen nur chirurgisch unerfahrene Aerzte zu- 
teilen würde. 

Die Organisation einer Anregung, welche Herr v. Eiseisberg und 
Vortr. der Kriegsverwaltung zur Annahme empfohlen haben, und welche 
darin bestand, dass an die verschiedenen Stationen die Zuteilung der 
Aerzte gruppenweise erfolgen sollte, wäre geradezu segensreich zu nennen. 
Sie stellten für die Zuteilung an die diversen Verwundetenspitäter aus 
ihren klinischen Aerzten Gruppen zusammen, von denen jede aus einem 
gewesenen oder noch funktionierenden Assistenten und zwei aus der¬ 
selben Schule stammendem Operateurzöglingen besteht. 

Bezüglich der Pflegerinnen ist Vortr. der Meinung, dass derzeit 
in Oesterreich weder für die Friedenspraxis, aber noch viel weniger für 
den Fall eines Krieges eine halbwegs genügende Anzahl geschulter 
Pflegerinnen zur Verfügung steht, während Deutschland für den Friedens¬ 
stand ca. 76 000 geschulte und im praktischen Dienst erprobte Schwestern 
hat, von denen ungefähr die Hälfte für den Dienst im Felde sicher- 
gestellt ist, für welche die kriegsmässige Ausrüstung vorhanden ist. In 
einem modernen Kriege kann man auf die Mithilfe von weiblichen 
Pflegerinnen nicht mehr verzichten. Da für die oben berechneten 
2500 Krankenzimmer vollwertiges Pflegerinnenpersonal derzeit in Oester¬ 
reich nicht zur Verfügung steht, so empfiehlt es sich, für die Berechnung 
von vornherein zwei Kategorien von Pflegerinnen zu unterscheiden: die 
chirurgisch geschulten und im praktischen Dienst erprobten Pflegerinnep 
(Oberschwestern) und Helferinnen demselben (Schwestern).'* Jeder der 
Stationen müssten mindestens 2 Oberschwestern zugeteilt werden, es 
wärep also mindestens 500 derselben notwendig. Dp ^ffir 2Q Kranke 
mindestens 3 Schwestern nötig wären, Würden mindestens 7500 solche 


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7. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


659 


Schwestern für die berechneten 250 Stationen beansprucht werden. Es 
wäre dringend nötig, schon jetzt eine Uebersicht darüber zu gewinnen, 
wieviel solche Pflegerinnen zweiter Kategorie für die Kriegsspitäler dis¬ 
ponibel sind, damit man eine ungefähre Berechnung anstellen kann, wie 
gross die Ergänzung durch freiwillige Helferinnen sein muss. 

Die berechnete Anzahl von 7500 Pflegerinnen wird nur für die 
Vorwundetenspitäier beuötigt, eine mindestens ebenso grosse Anzahl ist 
für die Marodenhäuser und eine noch grössere Zahl für die Infektions- 
spitäler nötig; man kann also das unumgänglich nötige Bedürfnis im 
Falle eines Krieges auf rund 25 000 Pflegerinnen schätzen. 

Wenn man bezüglich des Bedarfs an Verbandstoffen die Er¬ 
fahrungen von v. Frisch zugrunde legt, welcher im Spital in Sofia bei 
200 Betten innerhalb 60 Tagen 42 000 m Kaliko verbrauchte, so kann 
man für die berechneten 250 Stationen für die gleiche Zeit des Betriebes 
auf den Bedarf von 10 500 000 m Kaliko rechnen. Aehnlich hohe 
Zahlen würden sich für die anderen Verbandutensilien berechnen lassen. 

Fast nach jedem Kriege wurden Reformvorschläge auf dem Gebiete 
der Verwundeten- und Krankenpflege laut; dem Vortragenden erscheint 
gerade der jetzige Moment günstig, um die Notwendigkeit von Reformen 
in der Frage der sanitären Kriegsvorbeitung einer Erwägung weiterer 
Kreise zu unterbreiten. H. 


Gesellschaft für innere Medizin und Kinderheilkunde zu Wien. 

Sitzung der pädiatrischen Sektion vom 20. Februar 1913. 

(Eigener Bericht.) 

Hr. Zarfi berichtete über drei Fälle von nekrotisiereider Zahn- 
keimeutzündnng. 

Die Krankheit ging in einem Falle mit Fieber einher; Zahnkeime 
wurden als Sequester ausgestossen. Ein Kind starb an eitriger Menin¬ 
gitis infolge der Fortpflanzung der Entzündung durch die Augenhöhle 
nach der Schädelbasis. 

Hr. Nobel zeigte ein 15 Monate altes Kind mit Anfallen von toni- 
seheu Krämpfen, welche seit 472 Monaten bestehen. 

Die Anfälle, die auf der linken Körperhälfte beginnen und auf die 
rechte Seite übergehen, treten im Anschluss an einen Schreck oder auf 
akustische Reize auf. Es handelt sich vielleicht um eine organische 
Veränderung im Gehirn (encephalitische Narbe oder Cysticercus). 

Hr. v. Pirquet demonstrierte ein 27a Monate altes Kind mit lokalem 
Sklerem. 

Am linken Oberschenkel und in der Genitalgegend ist die Haut 
bretthart infiltriert; eine Ursache lässt sich für die Affektion nicht 
finden. 

Hr. v. Pirquet demonstrierte ein Kind mit einem erythrodermie- 
mrtigen luetischen Exanthem. 

Das Kind hatte eine intensive Rötung am Gesäss und auf den Fuss- 
sohlen, am Körper sah das Exanthem wie ein akuter Ausschlag aus. 
Dann blasste die Rötung ab, und im Gesicht trat ein luetischer Aus¬ 
schlag auf. 

Hr. v. Pirquet demonstiierte ein Kind, welches auf Chlorom ver¬ 
dächtig ist. 

Das Kind bekam vor zwei Monaten eine rechtsseitige Facialis- 
lähmung, später wurde der linke Facialis gelähmt; seit 14 Tagen sind 
die Augen vorgetrieben. Der harte Gaumen und die beiden Zahnleisten 
sind stark infiltriert. Das Blut enthält viele grosse weisse Blutkörper¬ 
chen mit einem blassen Kern; Hämoglobingehalt 40 pCt. 

Hr. Jannsehke demonstrierte einen geheilten epileptischen Knaben 
und sprach über die Bromwirkung bei der Epilepsie. 

Der Knabe bekam dreimal täglich 1 g Brom und 17« g Kochsalz. 

In betreff der Bromwirkung herrschen zwei Auffassungen. Das 
Brom verdrängt das Chlor, oder das Brom entfaltet eine spezifische 
Wirkung. Bei grossen Dosen von Bromiden zeigen die Versuchstiere Er¬ 
scheinungen, wie wenn das Grosshirn ausgöschaltet wäre; sie verfallen 
in eine tiefe Narkose. Durch chronische Brombehandlung wird bei 
Tieren eine aufsteigende Lähmung erzeugt. 

In dem vorgestellten Falle ist die Heilwirkung nicht durch Chlorid¬ 
veränderung, sondern durch die spezifische Wirkung der Bromionen her¬ 
beigeführt worden. Diese spezifische Wirkung, wird durch Kochsalzzugabe 
verstärkt. H. 


Aus Pariser medizinischen Gesellschaften. 

Acaddmle de mddecine. 

Sitzung vom 7. Januar 1913. 

Hr. Moreau berichtet über eine kleine Diphtheritisepidemie, die 
ihre Entstehung einem Bäcker verdankt, der mit seinem Brot die Diph¬ 
therie seiner Frau und seines Sohnes in verschiedene Gemeinden ver¬ 
schleppte. 

Hr. Pozzi berichtet über neue f Versuche H.'Garrel's, vom 
Körper total, abgotronnte Eingeweide am Leben zn erkalten. Es 
handelte sich darum, die Brust und A,bdominaleingeweide im Zusammen-^ 
hauaseptisch meist bei Katzen, zu entfernen und 1 , in einem Behälter 
nfitmnger'scher Lösuttg in einer Temperatur von 38° am Leben zu er¬ 
halten. r ' 91 


Nach Anästhesie und Desinfektion wird der Oesophagus unter¬ 
bunden, in die Trachea, nach Durchtrennung, die Kanüle eingeführt, 
um die künstliche Atmung einzuleiten. Dann wurden nach den nötigen 
Gefässligaturen erst die Brust-, dann die Brusteingeweide heraus¬ 
genommen und das Ganze in die Lösung eingelegt. Anfänglich schlug 
das Herz regelmässig und langsam, aber der Blutdruck sank, der Puls 
war schwach, die Eingeweide blass. Nach einigen Minuten hob sich der 
Blutdruck fast bis zur Norm. Meist wurde in diese Eiogeweidemasse 
Blut einer anderen Katze transfundiert, worauf die Eingeweide rosig 
wurden, der Blutdruck stieg und das Herz 120—150 Kontraktionen 
aufwies. Ausser den Pulsationen der verschieden Arterien sah man die 
peristaltischen Bewegungen des Magendarmtractus. Der Oesophagus 
wurde, wie die Trachea, mit einer Kanüle verbunden, so dass man in 
den Magen Wasser oder Speisen einführen konnte; gleichzeitig wurde 
der Darm durch einen Anus praeternaturalis aus dem Behälter heraus¬ 
geleitet. In diesen Konditionen leben die Eingeweide ganz gut, die 
Herzkontraktionen sind regelmässig, die Circulation der Organe genügend. 
Der Darm entleert sich regelmässig; wenn er leer ist, fliesst aus dein 
Anus praeternaturalis Galle und Darmschleim ab. In einigen Versuchen 
starben die Eingeweide nach 3—4 Stunden ab, die meisten hatten nach 
11—13 Stunden noch aktives Leben. Das Absterben wurde durch un¬ 
regelmässige, schwache Herzkontraktionen eingeleitet, dann blieb das 
Herz plötzlich still. Verbesserungen der Technik werden erlauben, die 
Organe noch länger am Leben zu erhalten, aber schon so können zahl¬ 
reiche physiologische oder biochemische Vorgänge genauer verfolgt 
werden. An den Carrel’schen Versuchen ist neu, dass die Organe durch 
ihre eigene Circulation lebend erhalten werden mit ihrem eigenen Blut, 
das sich in den Lungen mit Sauerstoff sättigen kann. Neu ist das 
Lebenderhalten nicht eines einzelnen Organs, sondern einer ganzen 
Organgruppe. 

Sitzung vom 14. Januar 1914. 

Hr. A. Castex hat die günstigen und ungünstigen Bedingungen für 
die Funktion des Gehörs und der Stimme untersucht. Die griechischen 
und römischem Architekten achteten besonders auf gute Akustik (z. B. 
im Theater des Dionysos in Athen). Sie stellten an die Mauern eherne 
Gefässe oder Tongefässe, welche die Stimme verstärken sollten. Die 
Untersuchung vieler Räume ergab, dass namentlich drei Schwierigkeiten 
für den Redner und den Zuhörer ins Gewicht fallen: die Taubheit des 
Raumes, die Resonanz und das Echo. Die verwendeten Baumaterialien 
spielen eine grosse Rolle: Marmor, Holz und Glas haben viel Resonanz; 
Vorhänge und Teppiche absorbieren den Ton, Gips und Stein sind ohne 
Einfluss. Die Säle verbessern sich mit der Zeit durch Austrocknen. 
Im allgemeinen sind lange Säle ohne Kuppeln und ohne tiefe Logen 
und reiche Ornamente am günstigsten. Die Halbtauben sind am meisten 
durch schlechte Akustik gestört, sie hören oft besser im Freien. Be¬ 
merkenswert für ihre Akustik sind das antike Theater in Orange, die 
Säle in Mailand, der Saal des Konservatoriums in Paris, Sankt Peter in 
Rom und die Kathedrale von Bourges. Gewisse Säle sind günstig für 
den Reder und schlecht für den Zuhörer und umgekehrt; dies ist durch das 
Echo bedingt. Wenn ein Saal schlecht ist, muss man nicht die Stimme 
verstärken, sondern gut artikulieren. Die Tragweite des Tones, sei er 
durch ein Instrument erzeugt oder durch den Kehlkopf, wird durch dessen 
Reinheit vergrössert. 

Sitzung vom 21. Januar 1913. 

Hr. Louis Renan bespricht den theoretischen und praktischen Wert 
des künstlichen Pneumothorax bei der Behandlung der Lungen¬ 
tuberkulose. Die Methode beruht auf dem therapeutischen Grundgesetz 
der Immobilisation und der funktionellen Ruhe des kranken Organs 
und ist von der Beobachtung am Krankenbett abgeleitet. Radiographie 
und Radioskopie und die Technik von Küss mit seinem Apparat er¬ 
lauben eine ganz wissenschaftliche Verwendung des Verfahrens. Leider 
ist der praktische Wert viel geringer. Die Seltenheit einseitiger Er¬ 
krankungen, die Häufigkeit ausgedehnter pleuritischer Verwachsungen 
verhindern oft die Verwendung des künstlichen Pneumothorax. Ausser¬ 
dem sind die Endresultate noch bestritten, während die sofortige Wirkung 
bei schweren febrilen Tuberkulosen, bei Lungenblutungen und gewissen 
cavernösen Form sehr bemerkenswert sind. Der Krankheit wird hier und 
da auf ganz hervorragende Weise Einhalt geboten, und so erlaubt der 
künstliohe Pneumothorax namentlich Zeit zu gewinnen. Die Methode 
bat also in der Phthisiotherapie ihren Platz als provisorische Behandlung 
bei ganz bestimmten Indikationen, die vorher ganz genau klinisch und 
radiologisch festzustellen sind. 

Sitzung vom 28. Januar 1913. 

Hr. A. Robin hat die chemische Zusammensetzung des Leber- 
earcinams untersucht, insbesondere den Gehalt an anorganischen Sub¬ 
stanzen. Die kranken Stellen sind reicher an mineralischen Substanzen 
als die gesunden; eine Ausnahme macht die Magnesia bei rasch ver¬ 
laufendem Lebercarcinom. Die Uebermineralisation betrifft nicht alle 
anorganischen Stoffe in gleicher Weise: Phosphor, Natron, Kalium, 
Magnesia und Silicium sind im Ueberschuss vorhanden; Kalk und Eisen 
sind im Gegenteil in verminderter Menge da. Aber diese Zusammensetzung 
ist für Carcinom nicht typisch; der Autor hat auch bei drei Tuberkulösen 
Kalk im Mindermaass gefunden, und Eisen bei zweien davon,'ausserdem 
war das Kalium sowohl in zwei carcinomatösen Lebern als ip zwei von 
drei tuberkulösen ftf vermehrtem Maasse vorhandeq. Man könnte glauben, 
die Vermehrte Zelltätigkeit der Neoplasmen verwende mehr Natron als 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 14. 


Kali, während umgekehrt bei Tuberkulose mehr Kali als Natron zum 
Aufbau der Zellen gebraucht werde. Silicium, Phosphor, Kali, Natron 
und Magnesia sind, ohne für Carcinom spezifisch zu sein, Elemente zum 
Zellaufbau, während die im Mindermaass vorhandenen Elemente der 
Abwehr des Organismus gedient haben. Silicium ist an den am meisten 
erkrankten Stellen in grösserer Menge vorhanden als an den übrigen 
Stellen. Es ist das spezifische Element für den Aufbau der Binde- 
gewebe und der fibrösen Stränge, seine Vermehrung kann als Zeichen 
der vermehrten defensiven Vorgänge des Organismus gegen das Neo¬ 
plasma gedeutet werden. Die Tatsache, dass die carcinomatösen Ge¬ 
webe die Fähigkeit besitzen, gewisse mineralische Substanzen zu fixieren, 
eröffnet den therapeutischen Forschungen neue Wege. Uebrigens weiss 
man schon, dass Carcinomgewebe Jod, Arsenik in organischen Ver¬ 
bindungen und Selen festzuhalten vermag. Es ist also nicht un¬ 
wahrscheinlich, dass sich andere anorganische Substanzen finden lassen, 
die eine therapeutische Wirkung auf diese Zellen auszuüben vermögen. 

Hr. Hallopeau ist immer noch der Meinung, dass Salvarsan unsicher 
und gefährlich sei, während Hectin und Hectargyr wirksam und un¬ 
gefährlich seien. Zweimal wurde nach den Kuren neues Auftreten eines 
Schankers verzeichnet. Die Hectindosis muss vergrössert werden; man 
muss täglich 0,35 cg einspritzen; die Kuren von 10 Spritzen müssen 
nach Pausen von 5 Tagen wiederholt werden. Injektion in der Nähe 
des Schankers ist nicht nötig. 


Soctätd mMicale des hdpitanx. 

Sitzung vom 10. Januar 1913. 

HHr. Claisse, Thibaot und Gillard berichten über zwei Fälle von 
Reenrrensparalyse bei Mitralstenose. In beiden Fällen war die Aphonie 
durch Lähmung des linken Stimmbandes bedingt Einer der Patienten 
ist noch in Beobachtung. Die Radiographie ergab eine starke Erweite¬ 
rung des linken Vorhofes. Aorta und Mediastinaldrüsen normal. Der 
andere Patient ist gestorben; die Obduktion zeigte grosse Erweiterung 
des linken Vorhofes, normale Drüsen; ausserdem fibröse Entartung im 
Bindegewebe des Mediastinums, welche vielleicht mit der Läsion des 
Recurrenz im Zusammenhang steht. Beide Fälle deuten auf Kompression 
des Recurrens durch den erweiterten Vorhof. 

HHr. Bensande und Emery beschreiben einen Fall von Langen- 
syphilis. Heilung durch Hectin und Salvarsan seit zwei Jahren, mit 
radiologischer Untersuchung vor und nach der Behandlung. Bei dem 
49 jährigen Patienten hatten vor zwei Jahren mehrere Aerzte Lungen- 
carcinom diagnostiziert. Patient hatte damals Dyspnoe, Hustenanfälle, 
anfangs ohne Auswurf, später mit reichlich eitrigem Auswurf, ohne 
Tuberkelbacillen; hier und da Erstickungsanfälle; Schwellung der supra- 
claviculären Drüsen, leichte Dämpfung mit verstärktem Stimmfremitus 
auf den unteren Lungenpartien rechts. Die Radioskopie ergibt über dem 
unteren Drittel der rechten Lunge einen dreieckigen Schatten, dessen 
Basis gegen das Mediastinum liegt, während die Spitze in die Lunge 
vordringt. Patient hatte Fieber, hatte in wenigen Monaten 20 Kilo an 
Gewicht verloren, war anämisch und so schwach, dass er das Bett hüten 
musste. Eine Untersuchung der Nase wegen Obstruktion des Nasen¬ 
rachenraums zeigte das Vorhandensein eines Gummas. Patient wusste 
nichts von Syphilis; Wassermann positiv. Die zuerst eingeleitete Hg- 
Behandlung blieb erfolglos, Hectininjektionen verbesserten den Zustand, 
aber erst nach Salvarsaninjektionen trat eine plötzliche Aenderung ein. 
Die Respirationsstörungen nahmen ab und verschwanden, Patient nahm 
an Gewicht zu, und die Radiographie zeigte das progressive Verschwinden 
des genannten Schattens. 

Diskussion. Hr. Nobecourt erwähnt einen Fall von Kompressions¬ 
erscheinungen bei einem zweijährigen Kind, so dass man an Thymus- 
hypertrophie dachte oder an Schwellung der tracheobronchialen Drüsen. 
Da der Vater Syphilis gehabt hatte, wurde, trotzdem das Kind keine 
Zeichen von Heredosyphilis aufwies, die spezifische Behandlung eingeleitet, 
die prompt die Erscheinungen zum Schwinden brachte. 

Hr. Emile Weil hat sechs Fälle vieariierender Blutungen beobachtet. 
Diese Blutungen zeigen sich unter zwei Formen: entweder bestehen 
neben Menorrhagien andere Blutungen (Epistaxis purpura, Zahnfleisch¬ 
blutungen), oder diese Blutungen ersetzen schwache und kurzdauernde 
Menstruationsblutungen. Diese Formen sind ein Uebergang zu richtig 
vicariierenden Blutungen, welche die ausgebliebene Menstruation ersetzen. 
Solche pathologische Blutungen können in der Pubertät auftreten oder 
später, z. B. nach Geburten. In beiden Fällen handelt es sich um 
Frauen, die in der Kindheit schon Neigung zu Blutungen hatten, welche 
auch bei den Vorfahren mütterlicherseits zu verzeichnen sind. Ferner 
zeigen diese Frauen Blutveränderungen, verspätete Coagulation, ver¬ 
minderte Refraktilität des Gerinnsels usw. Klinisch sind diese Blut¬ 
erscheinungen als Störungen der Leberfunktion anzusehen. Die Be¬ 
handlung muss sich bestreben, die Blutveränderungen zu beseitigen durch 
subcutane Seruminjektionen, Serumklysmen. Nach Stillung der Blutung 
werden Rückfälle durch entsprechende Opotherapie bekämpft. 

Sitzung vom 17. Januar 1913. 

HHr. Grenet und Sehillot zeigen zwei Mädchen mit €horea. Bei 
dem einen findet sich kein Zeichen von Syphilis, Wassermann war bei 
Vater, Mutter und Kind negativ. Also kann sicher Chorea ganz ohne 
syphilitische Aetiologie auftreten. Der zweite Fall spricht für die An¬ 
nahme Mi li an’s: der Vater hat progressive Paralyse,. die Mutter vor¬ 


zeitige Geburten, das Kind Dystrophien, durch Hg gebesserte Iritis, 
schwachpositiven Wassermann, also sicher Lues. Die Chorea hat sich 
nicht nur bei einem Heredosyphilitischen entwickelt, sondern bei einem 
Heredosyphilitischen mit aktiven Erscheinungen, mit einer wohl durch 
Hg gebesserten, aber noch evoluierenden Iritis. Die Lues scheint in dem 
Fall das Kind zur Chorea prädisponiert zu haben. 

Eine 80jährige Patientin von HHr. Dofoir und Bertoa hat seit 
zwölf Jahren typischen Paget mit heftigen Schmerzen au den unteren 
Extremitäten. Wassermann positiv, obwohl in den Antecedentien nichts 
auf Syphilis wies. Trotz des Alters wurde Patientin mit drei intra¬ 
venösen Ncosalvarsaninjektionen behandelt. Daraufhin verschwanden die 
Schmerzen und Patientin fühlte sich viel besser; Blutreaktion und Erfolg 
der Therapie erweisen die syphilitische Natur dieses Falles von Paget¬ 
krankheit. 

HHr. Jeaaselme, Verne und Bloch haben 18 Schwangere Bit 
Salvarsan behandelt. Davon hatten 16 aktive Lues; zwei von diesen 
Patienten hatten Totgeburten; eines der Kinder war aber schon vor der 
Behandlung abgestorben, im anderen Falle hatte die Mutter nur eine 
Salvarsaniojektion bekommen. Die anderen 14 Frauen hatten lebende 
Kinder, über die später referiert wird. Die beiden anderen Frauen 
hatten nicht aktive Syphilis, hatten aber eine Reihe Fehlgeburten durch¬ 
gemacht, ohne ein lebendes Kind zur Welt zu bringen. Beide hatten 
nach Salvarsan lebende Kinder. 

HHr. Jeaaselme und P. Jaeqaet betonen, dass Salvarsan das syphi¬ 
litische Fieber zum Abfall bringt, aber bei erstmaliger Anwendung 
Fieber erzeugt, aber nur bei aktiver Lues. Die erneute Salvarsan- 
injektion macht kein Fieber. Cyansaures Hg, Enesol geben intravenös 
verwendet bei gleichen Bedingungen auch Fieber und auch nur bei 
der ersten Injektion. Diese Medikamente haben unter sich eine Art 
Aequivalenz. Nach einer ersten massiven Injektion von Cyanquecksilber 
tritt Fieber auf, das sich nach darauffolgender Salvarsaniojektion nicht 
wiederholt, und umgekehrt. 

Sitzung vom 24. Januar 1913. 

HHr. Sonque8, Barrä und Pastear Vallery-Radot bringen fünf Be¬ 
obachtungen von Paget’schcr Kraakheit. Bei drei Fällen war der 
Wassermann positiv, zweimal negativ, so dass ihnen bereits aus der 
Literatur 14 Fälle bekannt sind, bei denen fünfmal die Reaktion positiv 
war und neunmal negativ. 

HHr. Pedevin und Dafoar zeigen eine Frau von 42 Jahren mit 
totaler Inversion der Organe. Das Herz ist total nach rechts verlagert, 
Spitze gegen die rechte Mammillarlinie, Basis hoch links; die Leber ist 
links, der Magen rechts, Appendix und Coecum links. Patientin 
braucht nicht vorzugsweise die linke Hand. 

HHr. Aviragaet und Halld haben in seltenen Fällen bei Kindern 
im Laufe der antidiphtheritischen Serumbehandlung lokale Er¬ 
scheinungen beobachtet, die sie mit der Bezeichnung „Phdnom&ne 
d’Arthas gaagrdaeax“ taufen möchten. Diese Erscheinungen verdanken 
in ihren Fällen dem Zusammenwirken von vier Bedingungen ihre Ent¬ 
stehung: 1. Frühere Injektionen von Serum, 2. kürzlich durch¬ 
gemachtes Eruptionsfieber, 3. aktive Diphtherie, 4. schwerer, infek¬ 
tiöser Zustand im Moment der Seruminjektion. In einem Falle fand 
man auf dem Brandschorf einen sehr virulenten Streptococcus, aber keine 
Anaeroben, wie man sie bei gangränöser Phlegmone und anderer Haut¬ 
gaugrän findet. Es ist, als ob das Serum eine latente Infektion lokali¬ 
sierte und begünstigte und ihr einen Verlauf verleihen würde, der einer 
infektiösen, sich ausbreitenden GaDgrän gleicht. Das „Phenomene 
d’Arthus“ zeigt sich sofort nach der Injektion als hämorrhagische Nekrose 
der Haut. Die Gangrän kann stationär bleiben oder sich ausdehnen. 
Die vier beobachteten Fälle endeten letal. In zwei Fällen waren die 
Patienten schon schwer krank, als das „Phänomene d’Arthus“ auftrat; 
in den anderen Fällen kamen zur Diphtheritisintoxikation und zu der 
schon sehr ausgeprägten Infektion noch die toxisch infektiösen Erschei¬ 
nungen ausgedehnter Gangrän hinzu. Diese Fälle sind Ausnahmen, die 
in nichts die Regeln der antidiphtheritischen Serotherapie zu ändern 
vermögen. 

Diskussion. 

Hr. Notter sah bei grossem Material einen einzigen solchen Fall, 
der heilte. Das Kind hatte Masern durchgemacht und bekam eine 
präventive Injektion, auf welche kein Ausschlag und Induration sich 
einstellten. Nach 14 Tagen wurde wegen Angina eine neue Injektion 
von 40 ccm gemacht, worauf neuer Ausschlag, lokale Iuduration mit 
folgender Gangrän eintraten. 

Hr. Martin hat zwei ähnliche Fälle beobachtet. Ein Kind hat drei 
Jahre zuvor Serum bekommen; wegen Streptokokkenangina wurde Anti¬ 
streptokokkenserum injiziert. Es bekam ausgedehnte Gangrän der Bauch¬ 
wand und heilte. Im anderen Falle handelt es sich um einen Tuber¬ 
kulösen mit sekundärer Streptokokkeninfeklion, der mit Antistrepto¬ 
kokkenseruminjektionen in grossen Behandlungspausen # behandelt wurde. 
Nach einer dieser Injektionen kamen zuerst Zeichen* von Anaphylaxie 
mit lokaler Induration und folgendem Abscess. Es sind zwei Bedingungen 
zur Entwicklung der Gangrän nötig; Patient muss durch voraus¬ 
gegangene Seruminjektion sensibilisiert sein, und er muss von Strepto¬ 
kokken infiziert sein. Ausserdem spielen lokale Bedingungen mit, 
namentlich zu oberflächliche Subculaninjektionen. 

Hr. Hai 16 betont, dass es sich bei dem Phenomöne d’Arthus nur 
um eine lokale, nicht um sich greifende Gangrän handelt. Für diese 
letztere muss wohl eine Infektion*mitwirken. 


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7. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


661 


Sitzung vom 31. Januar 1913. 

Hr. Jouset kann dem von Herrn Aviragnet gegebenen Ent- 
stehungsraodus bei dem sogenannten „Phcnomene d’Arthus“ nicht bei¬ 
stimmen und tadelt die Bezeichnung dieser Erscheinung. Nach ihm 
entsteht die Erscheinung unter den verschiedensten Bedingungen. Es sind 
zur Entstehung multiple, prädisponierende Injektionen erforderlich, die zu 
Nekrosen oder aseptischen Eiterungen führen. Herr Jousset bezeichnet 
sie als banale infektiöse Metastase, es handelt sich eher um Fixations- 
abscess oder Fixationsnekrose. 

HHr. alliard und Chifolian bringen einen Fall von nekrotiseher 
Pankreatitis. Die 23 jährige, fettsüchtige Frau hatte zwei Schwanger¬ 
schaften, jedes Mal gefolgt von Icterus. Nach der zweiten Geburt traten 
sehr heftige Unterleibsschmerzen mit Erbrechen und hohem Fieber ein. 
Dann wurde ein fluktuierender Tumor nachgewiesen. Die Operation 
förderte nicht fötiden Eiter und Fetzen nekrotischen Gewebes zutage. 
Patientin starb nach elf Tagen. Die Obduktion zeigte, dass es sich um 
Pankreatitis handelte. 

HHr. Valette und L. Ramond beschreiben einen neuen Fall von 
Pnenmobacillenseptikämie. Der 69 jährige Patient batte keine visceralen 
Lokalisationen, und doch ergab die Blutkultur zu Lebzeiten des Patienten 
reinen Pneumobacilius. Die Krankheit dauerte 19 Tage. Der Allgemein- 
zustand blieb gut bis zum letzten Tag. Der Tod trat unerwartet nach 
einigen Stunden Collaps ein. Dieser Verlauf ist für Pneumobacillen- 
septikämie charakteristisch. 

HHr. Barid und Colombe berichten über zwei Patienten, die im 
Verlaufe einer Aorteninsnffizienz gastrische Krisen bekamen, die 
von einer Aortitis abdominalis abhängig waren. Es handelt sich 
um heftige epigastrische Schmerzen, verbunden mit Brechen und mehr¬ 
fach gebessert durch Rumpfbeuge nach vorne. In einem Falle stehen 
die Anfälle, die mit Anfällen von Aortitis thoracica alternieren oder 
gleichzeitig auftreten, in keiner Beziehung zu den Mahlzeiten; im anderen 
Falle kommen sie mit Vorliebe direkt nach dem Essen. In beiden Fällen 
fand sich eine unvollkommene Obstruktion des Truncus coeliacus durch 
eine Atheromplatte. 


42. Versammlung der Deutschen Gesellschaft 
für Chirurgie zu Berlin. 

(Berichterstatter: Privatdozent Dr. M. Katzenstein.) 

1. Hauptthema: Behandlung der Knochen- und Gelenk- 
tuberkulose. 

Referent: Herr Garre-Bonn. 

Als Leiter der chirurgischen Kliniken in Rostock, Königsberg, 
Breslau und Bonn hat Vortr. seit 19 Jahren 1000 Fälle von Knochen- 
und Gelenktuberkulose stationär behandelt. Für den Erfolg der Behand¬ 
lung sind lediglich spät unternommene Nachuntersuchungen maass¬ 
gebend. Diese hat Vortr. in einer möglichst grossen Anzahl ausgefuhrt. 
Die Behandlung soll nicht einseitig sein, sondern möglichst modifiziert 
werden, je nach dem Alter, den sozialen Verhältnissen, sowie auch nach 
dem jeweiligen, dem betreffenden Chirurgen zur Verfügung stehenden 
Krankenmaterial, das in den verschiedenen Gegenden und Kranken¬ 
häusern ganz verschieden ist. Verschieden war auch die Behandlung 
der Tuberkulose in den einzelnen Gelenken. 

Die Schultergelenkstuberkulose wurde meistens mit Jodo¬ 
forminjektionen konservativ behandelt. Die Resultate waren bezüglich 
der Ausheilung gut, sie erfolgte jedoch fast ausnahmslos mit vollkommener 
Ankylose. Nur in einem Fall, bei dem es zu einer Atrophie des Caput 
humeri kam, trat Beweglichkeit im Gelenk ein. Die Resektion wurde 
nur in schweren Fällen vorgenommen, und zwar nach Langenbeck’s 
Methode. Von 22 nachuntersuchten Fällen zeigte sich als Höchstmaass 
auf Va verminderte Kraft und auf a /s verminderte Beweglichkeit. 

Bei der Tuberkulose des Ellbogen ge lenks wurde im kindlichen 
Alter meist konservativ verfahren und die JodoformiDjektion mit Fixation 
des Gelenkes angewendet. Bei Erwachsenen wurde die Resektion be¬ 
vorzugt. 22 Fälle von Resektion konnten nachuntersucht werden, hier¬ 
von waren 19 Fälle vollkommen ausgeheilt, 11 Fälle vollkommen 
leistungsfähig bei bestehender Ankylose. Es wurde niemals Schlotter- 
gelenk beobachtet und bisher nie die Muskelinterposition nach Helfe rieh 
zwecks Erzielung einer Beweglichkeit ausgeführt. Die Eröffnung des 
Gelenkes bei der Resektion wurde vermittelst des Ollier’schen Schnittes 
ausgeführt. 

Bei der Tuberkulose des Handgelenks waren die Resultate bei 
konservativer Behandlung sehr günstig. Weniger erfreulich waren die 
Erfolge bei der Resektion. Diese sollte niemälA in typischer Weise 
ausgeführt werden, da aus naheliegenden Gründen alsdann die funk¬ 
tionellen Resultate ungünstig sind. 

Die Hüftgelenkstuberkulose wurde ebenfalls vorzugsweise 
konservativ behandelt. Kontrakturen in Flexionsstellung versuchte man 
durch Extensionsverband in bessere Stellungen überzuführen, das Brise¬ 
ment zum gleichen Zwecke ist durchaus zu vermeiden. War die Stellung 
gut, dann wurde sofort der fixierende und entlastende Geh-Gipsverband 
angewendet. Jodoformiojektionen wurden nur bei der abscedierenden 
Form der Hüftgelenkstuberkulose angewendet. War der‘Prozess aus¬ 
geheilt, so wurde zur Vermeidung einer sekundären Flexionskontraktur 


ein sogenannter Badehosen-Gipsverband mit freiem Kniegelenk angelegt. 
Die Ausheilung der Hüftgelenkstuberkulose nahm im Durchschnitt eine 
Dauer von 3 Jahren in Anspruch. Die Resektion wurde auch bei Zer¬ 
störung des Schenkelhalskopfes sowie der Pfanne vermieden. Sie wurde 
nur aus vitalem Interesse, nicht zur Besserung der Resultate ausgeführt, 
bei Eiterungen mit Fieber sowie bei der schweren fungösen Form, bei 
der das Allgemeinbefinden in hohem Maasse gestört ist. Im allgemeinen 
operierte Vortr. nach König, nur wenn der Sequester vorn lag, wurde 
der Hüter-Schede’scbe Schnitt angewendet. Die Nachuntersuchung ergab 
bei den konservativen Fällen ein wesentlich günstigeres Resultat als in 
den Fällen, wo operiert werden musste. 

Die Kniegelenkstuberkulose ist die Form der Gelenkstuber - 
kulose, bei der Ref. vorzugsweise die Resektion anwendet. Er hat sie 
in 268 Fällen ausgeführt und wendet den Textor’schen Querschnitt an. 
Bei Kindern muss zur Vermeidung der sekundären Flexionskontraktur 
jahrelang eine Hülse getragen werden. Von 188 Nachuntersuchungen 
waren 14 gestorben, 7 davon an Tuberkulose. In den 174 Testierenden 
Fällen war die Tuberkulose in 92 pCt. ausgeheilt. Bei der Resektion 
im kindlichen Alter wird die Epiphyse möglichst geschont, der Knorpel 
oberflächlich mit dem Messer weggeschnitzt. Infolgedessen war in den 
meisten Fällen die Verkürzung der Extremität nicht sehr hochgradig. 
Bei einer Verkürzung bis zu 3 cm ist sie ohne Bedeutung. Nur wenn 
die Epiphysenknorpel durch den tuberkulösen Prozess zerstört waren, 
wurde später eine grössere Verkürzung beobachtet. Bei entsprechender 
Nachbehandlung sind Fiexionskontrakturen vollkommen vermeidbar. In 
14pCt. der Nachuntersuchungen wurden stärkere Kontrakturen beob¬ 
achtet, bei 31pCt. war eine Kontraktur bis zu 150° vorhanden, und 
in 53,4 pCt. war überhaupt keine Kontraktur nachweisbar. Das Gesamt¬ 
resultat bei der Kniegelenkstuberkulose war ein ausserordentlich günstiges, 
da die Funktion des Beins sowie die Stellung im Kniegelenk in 83 pCt. 
der nachuntersuchten Fälle ein gutes war. Aus diesem Grunde wird 
die Kniegelenkstuberkulose auch im Kindesalter besser operiert als 
konservativ behandelt. 

Die Fussgelenkstuberkulose (220 Fälle) wurde in 60pCt. 
konservativ und in 40pCt. operativ behandelt. Die Resektion wurde 
bei schwerem Fungus, bei Sequestern und in Fällen von Eiterung vor¬ 
genommen. Von S7 Resektionen waren die Hälfte Kinder, ein Viertel im 
zweiten Lebensdecennium. Die Resektion des Fussgelenks wurde nach 
König ausgeführt. Die Resultate dürfen in bezug auf die definitive 
Ausheilung der Tuberkulose und vor allem in bezug auf gute Gelenk¬ 
beweglichkeit als sehr gut bezeichnet werden (80pCt.). 

Im Anschluss an diese Schilderung seines Beobach tun gsmaterials 
geht Ref. noch auf Einzelheiten neuer Behandlungsmethoden ein. Wegen 
der Gefahr der Sekundärinfektion warnt er vor der Inzision von Ab- 
scessen. Fisteln sollen möglichst durch Resektion des tuberkulösen 
Herdes zur Ausheilung gebracht werden. Bei der Stauungsbehandlung 
hat Ref. wenig Erfolge gesehen, Tuberkulin hat er nie angewandt. Auch 
die Röntgenbehandlung war nicht sehr befriedigend, da bei der Knochen- 
und Gelenkstuberkulose die Strahlen wegen der mangelhaften Tiefen¬ 
wirkung und wegen der Dichtigkeit des Knochens nicht an die kranke 
Stelle gelangen können. Ein grosser Wert ist auf die gute Allgeraein- 
bebandlung zu legen, und zum Schluss seines Vortrages verweist G. auf 
die glänzenden Ergebnisse, die Rollier mit der Freiluft- und Sonnen¬ 
behandlung im Hochgebirge erzielt hat. Da aber die in Rede stehende 
Erkrankung 99 pCt. unbemittelter Personen betrifft, so kommen diese 
Faktoren für die Mehrzahl der davon Betroffenen nicht in Betracht. 

Hr. 0. Vulpius - Heidelberg: Die Heilstättenbehandlung der 
chirurgischen Tuberkulose. 

Die Bedeutung der Allgemeinbehandlung vor allem macht die Ver¬ 
bringung der chirurgisch Tuberkulösen aufs Land nötig; Hocbgebirgs- 
und Seeklima sind nicht erforderlich, wohl aber reichlich Luft und Licht. 
Der Enthusiasmus für physikalische Heilmethoden und für operationslo.se 
Therapie der chirurgischen Tuberkulose schiesst übers Ziel, Chirurgie 
und Orthopädie sind zu kombinieren mit jenen. Das Spezialsanatorium 
muss also Einrichtungen für das gesamte Heilverfahren aufweisen. 

Schon rechtfertigen die Erfolge die Forderung nach solchen Heil¬ 
stätten. Vortr. hat durch seine Erfahrungen in dem von ihm geleiteten 
Sanatorium Rappenau die Ueberzeugung gewonnen, dass auoh im 
Binnenlande bei richtiger Ortswahl überraschend gute Heilerfolge während 
des ganzen Jahres zu erzielen sind. 

Hr. Fran gen heim-Leipzig: Zur Behandlung der chronischen 
Osteomyelitis am unteren Femurende. 

Bei einem Patienten, der seit 15 Jahren an Fisteln des Ober¬ 
schenkelknochens infolge chronischer Osteomyelitis litt, und bei dem 
vielfache Operationen nicht zum Ziele geführt hatten, wurde durch Im¬ 
plantation des M. vastus externus in die Knochenhöhle des Oberschenkel¬ 
knochens eine dauernde Heilung erzielt. 

Demonstration des Operationsverfahrens an Bildern. 

Hr. W. v. Wrzesniowski - Czestochowa: Operation und offene 
Behandlungsmethode der eitrigen fistulösen Gelenkstuber¬ 
kulose. 

Breite Eröffnung des Gelenks mit, Querschnitt von der Extensions¬ 
seite, im Bedarfsfälle mit Hinzufügung von beiderseitigen Längsschnitten. 
Dann Aufklappen des Gelenks, wodurch die Möglichkeit einer genauen 
Besichtigung geboten wird, Ausschneiden der tuberkulösen Wucherungen 
in den Weichteilen und Entfernung der Krankheitsherde des Knochens. 
Hierauf' Tamponade ‘des Gelenks mit Vermeidung einer Naht und 
Immobilisierung Vä richtiger Stellung des kranken uelenks.’' Bei jedem 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 14. 


Verbandwechsel wird das Gelenk aufgeklappt, der Mull entfernt, alle 
Vertiefungen genau angesehen und eventuelle neue Herde der Tuber¬ 
kulose aufgesucht und vernichtet, dann das Gelenk nach neuerlicher 
Ausfüllung mit Mull zugeklappt und immobilisiert. 

Diskussion. 

Hr. Bier-Berlin demonstriert eine grössere Anzahl von Patienten 
mit verschiedenen Gelenkstuberkulosen, bei denen er auffallend günstige 
Resultate mit Beweglichkeit der Gelenke erzielt hat. Bier vermeidet 
die Fixierung der Gelenke und kombiniert mit der Stauung, die täglich 
12 Stunden dauern soll, eine kräftige Jodtherapie. Kinder erhalten 2 g, 
Erwachsene 3 g pro Tag. Durch diese Jodanwendung werden die sonst 
bei der Stauung leicht auftretenden kalten Abscesse fast sicher ver¬ 
mieden. Bei 57 Fällen wurden nur zweimal Abscesse beobachtet. Sind 
solche Abscesse schon vorhanden, so gehen sie auf Jodverabreichung 
zurück. c 

Hr. de Quervain-Basel sieht den Hauptfortschritt in der modernen 
Tuberkulosebehandlung in der Berücksichtigung des Allgemeinzustandes 
der Patienten. Seit 10 Jahren beschäftigt er sich mit der Sonnen- und 
klimatischen Behandlung der Gelenkstuberkulose. Ungeeignet für diese 
Behandlung sind die Fälle, die sekundär infiziert sind, oder bei denen 
schon Amyloid der Organe vorhanden ist. In den übrigen Fällen ist ein 
sehr bedeutender Prozentsatz von Heilungen beobachtet worden. Die 
Dauer der Behandlung beträgt zwei Jahre, jedoch kommen auch bei ihr 
zuweilen Recidive vor. 

Hr. Ritter-Posen empfiehlt statt der venösen die arterielle Hyper¬ 
ämie, zugleich mit Anwendung des Gipsverbandes und hat hierbei vor¬ 
zügliche Resultate gesehen. 

Hr. König-Marburg: Eine Beurteilung des Wertes der einzelnen 
Verfahren ist nur möglich, wenn die behandelten Kranken einer Dauer¬ 
kontrolle der Kliniken, die durchaus möglich ist, unterstehen. Erst die 
Zusammenstellung einer solchen von vielen Kliniken lange durcbgeführten 
Kontrolle lässt eine Entscheidung über die Bedeutung der verschiedenen 
Behandlungsarten zu. Zurzeit steht er ganz auf dem Standpunkt wie 
Garre bezüglich der konservativen und operativen Behandlung der ver¬ 
schiedenen Gelenkstuberkulosen. Es müssen jedoch ausserdem die 
modernen Verfahren berücksichtigt werden. Da die Mehrzahl der 
Kranken die Sonnenbehandlung im Hochgebirge nicht haben kann, so 
muss man nach Ersatz suchen. Die Wirkung der Sonnenstrahlen ist 
durch die ultravioletten Strahlen bedingt, und solche stehen uns in den 
Quarzlampen zur Verfügung. Diese Quarzlampenbestrahlung hat K. zu¬ 
erst bei schwer heilenden Hautwunden, dann bei Hauttuberkulose mit 
gutem Erfolge angewandt Er ging alsdann zur Behandlung von 
Gelenk- und Knochentuberkulosen über. Er verwendet sie als lokale 
sowie auch als allgemeine Bestrahlung. Die lokale Bestrahlung des 
tuberkulösen Herdes wird in einer Entfernung von 30 bis 40 cm bis zu 
30 Minuten alle zwei Tage ausgeführt Es entsteht danach eine intensive 
Rötung, ähnlich wie beim Gletscherbrand. Danach sehr günstige Be¬ 
einflussung des tuberkulösen Prozesses. Die Allgemeinbestrahlung findet 
täglich statt. Es wird hierbei der nackte Körper in einer Entfernung 
von einem Meter fünf Minuten bis eine Stunde lang bestrahlt. K. hat 
nie eine Schädigung von dieser Behandlung gesehen, im Gegenteil, 
ausserordentlich günstige Wirkungen. Lokal trat eine Besserung und 
Heilung des tuberkulösen Prozesses ein, das Allgemeinbefinden hob sich, 
der Appetit wurde besser, ebenso der Schlaf, die Patienten nahmen an 
Gewicht zu. Nur dreimal fand eine Gewichtsabnahme statt. Im ersten 
Falle handelte es sich um eine Spondylitis mit sekundärer Infektion, 
im zweiten Falle lag eine Komplikation durch Herzfehler vor, und im 
dritten Falle handelte es sich um ein sehr fettreiches Individuum mit 
Spondylitis. 

Hr. Wilms-Heidelberg hat ausgezeichnete Erfolge von der Röntgen¬ 
therapie gesehen, die er mit Sonnenstrahlenbehandlung kombiniert. Die 
Operation wird nur bei Sequesterbildung und bei der Kniegelenkstuber- 
kulose alter Leute vorgenommen. 

Hr. Voelcker-Heidelberg hat in 8 Fällen von Recidiven nach Knie¬ 
gelenksresektion mit gutem Erfolge das Kniegelenk aufgeklappt und die 
offene Behandlung durcbgeführt. 

Hr. Iselin-Basel, der Begründer der Röntgentherapie, berichtet 
ausführlich über seine Erfahrungen mit diesem Verfahren. 

Hr. Müll er-Rostock bezweifelt die Notwendigkeit der von Herrn 
Frangenheim mitgeteilten Operation. 

Hr. Rosenbach-Göttingen begründet theoretisch die Wirkung des 
von ihm dargestellten Tuberkulins. 

Hr. Menne-Bad Kreuznach bat mit den konservativen Methoden 
bei der Gelenktuberkulose vorzügliche Erfolge gesehen. 

Hr. Friedrich-Königsberg warnt vor einem allzu schematisch 
durchgeführten konservativen Verfahren bei der Behandlung der Gelenks¬ 
tuberkulose. Er ist im Laufe der Jahre immer mehr zur operativen Be¬ 
handlung übergegangen, deren Ergebnisse ihn weit mehr befriedigen. 
Vor der von Bier angewendeten allzu reichlichen Joddarreichung bei 
jugendlichen Personen warnt er wegen der Gefahr der Atrophie der 
Geschlechtsdrüsen. ,, 

Hr. Müller-Rostock: Zur Entstehung und Behandlung der 
Gasphlegmonen;' 

Die Aetiologie der Erkrankung ist keine einheitliche, jedoch wird 
sie meistens durch den Bacillus caps. aerogenes hervorgevufen« Die 
schweren Fälle (meist nach Schussverletzungen) geben eine schlechte 
Prognose. Günstiger stehen die mittelsohweren Fälle, die nach Ver¬ 


letzungen der Mundhöhle sowie nach Operationen der Magen-Darm- 
8chleimbaut, auch nach der Intervalloperation der Appendicitis Vor¬ 
kommen. Hier liegt meistens eine Mischinfektion vor. Die Therapie 
der Erkrankung bestand bisher in frühzeitigen und ausgiebigen InzisioneD. 
Die Mortalität betrug im ganzen 30pCt. Berücksichtigt man nur die 
schweren Fälle allein, so liegt eine Mortalität von SO pCt. vor. Vortr. 
selbst hat im Anschluss an eine aseptische Kniegelenksoperation eine 
derartige Gaspblegmone entstehen sehen. Wie die bakteriologische 
Untersuchung ergab, lag eine Reinfektion durch den Bacillus aerogenes 
vor. In diesem Falle brachten die von Thiriard eingeführten Sauer- 
stoffinsufflationen momentan eine Besserung des schweren Allgemein¬ 
zustandes. Vorübergehend wurde dieser jedoch wieder schlechter, um 
bei nochmaliger Anwendung der Sauerstoffinsufflationen in eine end¬ 
gültige Heilung dieser gefährlichen Komplikation überzugehen. 

Diskussion. 

Hr. Kirschner - Königsberg hat auf dem Kriegsschauplatz des 
Balkankrieges zwei solcher Fälle von Gasphlegmone gesehen. Im ersten 
im Anschluss an die Zerschmetterung des Unterschenkelknochens. 
Heilung durch Amputation. Im zweiten Falle trat die Gasphlegmone im 
Anschluss an einen Schulterscbuss auf, breite Spaltungen führten zur 
Heilung. 

Hr. Wohlgemuth-Berlin hat auch bei anderen Eiterungen günstige 
Erfolge durch die Sauerstoffinjektion gesehen. 

Hr. W. Kausch-Berlin: Ueber Collargol. 

Bei echter Sepsis mit remittierendem Fieber hat K. das Collargol 
Credä nie im Stich gelassen. K. demonstriert zunächst eine Anzahl 
solcher Temperaturkurven; die Temperatur steigt zuerst meist noch an, 
fällt dann entweder rapid zur Norm oder auch allmählich. Gegen ein 
zufälliges Zusammentreffen von spontanem Temperaturabfall und 
Collargolinjektion spricht die Regelmässigkeit dieses Vorkommnisses. 
Noch beweisender sind die Fälle, in denen Collargol nochmals ein¬ 
gespritzt werden musste, weil es zunächst nur vorübergehend half. 
Demonstration von fünf solcher Kurven. 

Geringen oder keinen Erfolg sah K. bei Sepsis mit kontinuierlichem 
hohen Fieber. Demonstration zweier solcher Kurven. 

Bei kleinen Eiterherden hilft Collargol auch, nicht bei grösseren. 
Ausgezeichnet wirkt es, wenn das Fieber nach Eröffnung der Eiterherde 
bestehen bleibt. Demonstration dreier solcher Kurven (Diphtherie- 
halsabscess, Ohrsepsis, Empyem). 

Prophylaktisch hat K. bisher Collargol noch nicht angewandt, wird 
es aber tun. 

K. verwendet ausschliesslich das von Credö angegebene Heyden’sche 
Präparat. Die intravenöse Injektion ist die einzig rationelle Methode, 
die rectale kommt nur in Betracht, wenn die intravenöse nicht gelingt 
oder nicht gestattet wird. 

Bei kleineren Dosen, bis 20 ccm, versucht K. die percutane Ein¬ 
spritzung in die Vene, bei der geringsten Schwierigkeit wird die Vene 
freigelegt. Die gewöhnliche Dosis ist 10 ccm der 2 proz. Lösung, bei 
ausbleibender Wirkuug und schwerster Sepsis täglich oder jeden zweiten 
Tag 20—80 ccm. Die Injektion muss ausserordentlich langsam ge¬ 
schehen, dann ist sie völlig gefahrlos. 

Dann hat K. 11 Fälle von inoperablem Krebs mit grossen Collar- 
goldosen behandelt, bis 100 ccm, einen Teil davon kombiniert mit 
Röntgenstrahlen. Geheilt wurde kein Fall; die Patienten liessen aller¬ 
dings auch nicht energische Fortsetzung der Behandlung zu. 

Ein Pall von Leberkrebs, solitäre, ireigelegte Metastase nach Magen- 
carcinomresektion, wurde deutlich vorübergehend gebessert. Ein Fall 
zeigte bei der Sektion in den multipeln Knochenmetastasen überall 
hämorrhagische Cysten (Demonstration); ein Zusammenhang mit der 
Collargolbehandlung ist nicht von der Hand zu weisen. Ein Fall starb 
im Anschluss an die Collargolinjektion (80 ccm) drei Tage nach derselben. 
Die Niere war mit Silber vollgepfropft. 

Die Versuche mit Collargol bei Carcinom werden fortgesetzt, ausser¬ 
dem solche mit anderen Schwermetallen. 

Diskussion. 

Hr. Pflugrad • Salzwedel hat in vier Fällen von inoperablem 
Carcinom grosse Dosen von Collargol nach dem Kausch’schen Vorschläge 
injiziert und danach stets eine Reaktion, bestehend in abnormen Sensa¬ 
tionen im Tumor und Euphorie gesehen. Auch traten Besserungen auf. 
Bei einem Falle von Struma maligna trat jedoch eine hämorrhagische 
Nephritis, die zum Tode führte, danach ein. Die Drüsenmetastasen 
waren in diesem Falle zurückgegangen. 

Hr. Eyff - Nimptsch hat von der Anwendung des Collargols bei 
puerperaler Sepsis keine sicheren Erfolge gesehen. Dagegen hat er mit 
gutem Erfolge bei Erysipel zweimal das Collargol intravenös angewendet 
Es wurden mehrere Tage hintereinander 10 g Collargol intravenös injiziert 

Hr. Bier-Berlin-warnt vor der Ueberschätzung der Reaktion, die 
nach Anwendung irgendwelcher Mittel bei Carcinom auftritt. Er hat 
solche Reaktionen bei den verschiedensten Anwendungen beobachtet, 
ohne aber je eine Dauerbeilung zu sehen. 

Hr. Schlossmann - Tübingen: Welchen praktischen Wert 
haben Blutgerinnungsbestimmungen für die Chirurgie? 

Die Grundlage zur praktisohen Verwertung von Blutgerinnungs-- 
bestimmungen i$t das Vorhandensein eines möglichst einfach zu hand¬ 
habenden, dabei möglichst genau < arbeitenden .Gerinnnngsapparates. 
Redner hält für die Praxis den von Bürker angegebenen für am zweck- 
mässigsten. 


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7. April 1913, 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


663 


GerinnungsbestimmuDgen sind in diagnostischer Beziehung chirur¬ 
gisch irertvoll zur Erkennung verkappter und unvollständiger Hämo- 
philiefälle, bei denen die klinischen Bluterscheinungen mehr oder weniger 
fehlen, trotzdem Schwergerinnbarkeit des Blutes vorhanden ist. 

Als differentialdiagnostisches Hilfsmittel für klinisch zweifelhafte 
Fälle von Hyper- oder Hypothyreoidismus (Kocher) bewährten sich die 
Gerinnungsuntersuchungen des Blutes nicht. Nur bei ausgesprochenen 
Fällen von Basedow oder Myxödem fanden sich schwache Gerinnungs¬ 
veränderungen in dem von Kottmann festgestellten Sinne. 

Prognostisch sind Gerinnungsbestimmungen sehr bedeutungsvoll bei 
chirurgischen Eingriffen bei Cholämie. Sie geben einen guten pro¬ 
gnostischen Anhalt sowohl für die allgemeine Widerstandskraft des 
cbolämischen Organismus als auch für die Grösse der eventuell zu er¬ 
wartenden Nachblutungsgefahren. 

Die therapeutischen Folgewirkungen der Gerinnungsuntersuchungen 
sind bisher praktisch noch wenig befriedigend. Mittel zur allgemeinen 
Beeinflussung von Gerinnungs&törungen sind durchaus unsicher in ihrer 
Wirkung. Fortschritte hat nur die lokale Blutstillung gemacht durch 
Anwendung gerinnungsfördernder Gewebssäfte. Die nach der Methode 
des Redners steril und haltbar bereiteten Presssäfte aus menschlichen 
Strumen und tierischem Organgewebe haben ihre gute blutstillende 
Wirkung bei parenchymatösen Operationsblutungen und besonders bei 
Blutungen infolge krankhafter Gerinnungsverhältnisse bewährt. 

Diskussion. 

Hr. Un ger- Berlin weist darauf hin, dass bei vergleichenden experi¬ 
mentellen Untersuchungen über den Einfluss gewisser Substanzen auf 
die Gerinnbarkeit des Blutes das zu untersuchende Blut in der Weise 
dem Gefäss entnommen werden muss, dass es nur das Endothel berührt. 
Es muss die Vermischung des Blutes mit auch nur geringen Mengen von 
Gewebssaft vermieden werden. Die Gerinnungsfähigkeit des Blutes wird 
durch konzentrierte Salzlösungen ausserordentlich erhöht. 

Hr. Petroff-Petersburg: Es ist praktisch, nicht nur die zu lang¬ 
same, sondern auch die zu rasche Gerinnung des Blutes, besonders bei 
der Extremitätengangrän zu berücksichtigen. Die gerinnungsbeschleuni¬ 
gende Eigenschaft des Presssaftes kann auch er bestätigen. 

Hr. Wrede-Jena: Ueber Herzmassage. 

Bei plötzlicher Herzsynkope bezweckt die direkte Herzmassage zu* 
nächst eine Blutcirculation, durch die das Chloroform den Gewebszellen 
entrissen werden soll. Dass tatsächlich eine solche Circulation möglich 
ist, hat Vortr. durch ein Experiment erwiesen. Beim toten Hunde 
wurde eine solche Herzmassage ausgeführt und ein Farbstoff in die Vena 
jugularis injiziert. Dieser Farbstoff konnte in Arterien, sowie auch in 
der Vena portarum nachgewiesen werden. 

Weiterhin soll durch die Herzmassage eine mechanische Erregung 
auf das Herz ausgeübt werden, vor allem aber soll damit eine Circu¬ 
lation in den Gefässen des Herzens erzielt werden. Die Vorbedingung 
hierfür ist, dass ein hoher Druck in der Aorta vorhanden ist, damit das 
aus dem Herzen ausströmende Blut nicht nur in diese, sondern auch in 
die Herzgefässe fliesst. Diese Druckerhöhung in der Aorta wird erreicht 
durch Hochlagerung, Abbindung der unteren Extremitäten, Injektion 
von Nebennierenpräparaten, sowie auch durch Erregung der Medulla 
oblongata. 

Sehr wichtig ist die künstliche Atmung, weil hierdurch vor allem 
das Narkoticum eliminiert wird. Die verschiedenen Gewebe sind ver¬ 
schieden empfindlich gegenüber dem Aussetzen des Blutstromes. Das 
Grosshirn kann schätzungsweise nur 15 Minuten der Blutcirculation 
entbehren, ohne abzusterben, während das Herz bei künstlicher Durch¬ 
blutung noch 24 Stunden nach Aufhören der Blutcirculation rhythmisch 
zu schlagen beginnt. Demnach muss spätestens 10 Minuten nach Be¬ 
ginn der Herzsynkope mit der Herzmassage begonnen werden wegen der 
Gefahr des Gehirntodes. Die Herzmassage muss möglichst lange fort¬ 
gesetzt werden. Vortr. hat bei einem Patienten noch nach 1 7a Stunden 
das Auftreten normaler Herzkontraktionen beobachtet. Der Kranke ging 
allerdings gleichwohl nach 3 Tagen unter den Erscheinungen des Herz¬ 
todes zugrunde. Bei der Sektion fanden sich circumscripte Nekrosen, 
die Vortr. auf eine zu kräftige Herzmassage zurückführt. Einschlägige 
Experimente, die noch nicht abgeschlossen sind, bestätigen diese Auf¬ 
fassung. Auf Grund dieser Beobachtung empfiehlt Vortr. in allen Fällen 
schwerer Herzsynkope die Anwendung der direkten Herzmassage. 

Diskussion. 

Hr. Kümmell - Hamburg hat in zwei Fällen von Herzsynkope, die 
nach Ausführung der Laparotomie auftrat, die direkte Herzmasssage 
vom Zwerchfell aus ausgeführt und in beiden Fällen eine Heilung 
erzielt. 

Hr. Sie vers - Leipzig hat Experimente ausgeführt über den Einfluss 
der künstlichen Atmung, Sauerstoffinjektion in das Blut, sowie von 
Natrium percarbonicum. Die Experimente bezweckten die Beantwortung 
der Frage, wie lange Aorta und Art. pulmonalis bei der Trendelenburg- 
schen Operation ohne Tod des Tieres ausgeführt werden können. Ohne 
künstliche Atmung: 27* Minuten. Mit künstlicher Atmung: 3 1 /« bis 
4 Minuten. Sauerstoffinjektion: Minuten. Herzmassage: 672 Minuten. 

Natrium percarbonicum in die Blutbahn: 372 Minuten. Sauerstoff¬ 
injektion in die Blutbahn plus Adrenalininjektion ins Herz: 7 bis 
8 Minuten; 

Hr. Wendel - Magdeburg hat bei einer: Herzsynkope, die während 
einer Laparotomie auftrat, durch Herzmassage vom Zwerchfell aus die 
Patientin retten können. . Io einem zweiten Falle, bei dem' er die Herz¬ 


massage nach Eröffnung des Thorax ausführen musste, lebte zwar der 
Patient noch 24 Stunden, ging aber dann, ohne das Bewusstsein wieder¬ 
erlangt zu haben, zugrunde. 

Hr. Sprengel - Braunsohweig: Die Wahl des Narkotioums bei 
Operationen wegen akut entzündlicher Prozesse in der 
Bauchhöhle. 

Vortr. geht von dem in den Mitteilungen von Reichel (1900) und 
Amberger (1909) geschilderten und als postoperative Sepsis gedeuteten 
Krankheitsbilde aus, bestehend in Icterus, Unruhe, Schlafsucht, Coma, 
das meist zum Exitus führt, ausnahmsweise in Heilung ausgeht. Er 
selbst bat es in einer grösseren Reihe von Fällen nach Appendicitis- 
operationen im akuten Stadium gesehen und hält es nach den Arbeiten 
von Sippel, Stierlin u. ,a. für zweifellos, dass die ursprüngliche 
Deutung des Symptomenkomplexes und seiner anatomischen Unterlage 
(Verfettung innerer Organe, Herz, Nieren, und besonders Leber) unzu¬ 
treffend war, dass es sich vielmehr um Chloroformspätwirkung handelt. 

S. hat, nachdem er zu dieser Erkenntnis gelangt war, bei der Ope¬ 
ration entzündlicher Erkrankungen des Abdomens das Chloroform prin¬ 
zipiell fortgelassen und seitdem (Oktober 1911) keinen einzigen ein¬ 
schlägigen Fall mehr gesehen, während er noch von Februar bis Ende 
September 1911 nicht weniger als sechs Fälle (davon drei tödlich) be¬ 
obachtet hatte. 

Er hält das Chloroform für diese Krankheitsgruppe für absolut 
kontraindiziert und empfiehlt statt dessen die zweifellos für diese Fälle 
ungefährlichere, vielleicht allgemein zu propagierende Morphium-Aether- 
narkose. 

Diskussion. 

Hr. Kümmell - Hamburg empfiehlt wärmstens die Anwendung der 
intravenösen Aethernarkose. Er hat bei 200 Fällen nie eine Störung 
gesehen. 

Hr. Finsterer-Wien bestätigt die Anschauungen SprengePs. Er 
wendet bei entzündlichen Bauchafiektionen zur Eröffnung der Bauchhöhle 
die Lokalanästhesie an. Bei der Eventration wird ein leichter Aether- 
rausch ausgeführt. 

Hr. Petroff - Petersburg empfiehlt die intravenöse Hedonalnarkose 
in allen Fällen, in denen die Allgemeinnarkose gefährlich ist. Er hat 
sie bis jetzt 100 mal angewandt. 

Hr. Meisei - Konstanz bat schon im Jahre 1903 auf die Gefahr 
hingewiesen, die das Chloroform bei allen peritonealen Infektionen hat, 
und wendet seitdem nur Aether an. Hierauf führt er es zurück, dass 
er in den letzten 200 Fällen einer akuten Appendicitis keinen opera¬ 
tiven Todesfall erlebt hat. , 

Hr. Stammler - Hamburg: Behandlung bösartiger Ge¬ 
schwülste mit dem eigenen Tumorextrakt. Demonstration 
eines geheilten Falles. 

Demonstration einer 65jährigen Patientin, bei der ein reci di vieren des 
Uteruscarcinom mit Metastasen durch Behandlung mit dem eigenen Tumor 
vollkommen zum Verschwinden gebracht wurde. Der Tumorextrakt 
wurde aus einer Drüsenmetastase hergestellt und stellt einen sterilen 
wässerigen Auszug dar, der mit etwas Toluol versetzt wurde. Injiziert 
wurde, nachdem das Extrakt zwei Tage der Autolyse überlassen war. 
Vortr. berichtet über seine Erfahrungen mit dieser Methode und erwähnt 
einige Fälle, bei denen eine deutliche Einwirkung auf den Tumor zu 
beobachten war. Ein Fall von Schleimkrebs des Netzes ist sehr ge¬ 
bessert. Vortr. erinnert daran, dass schon einige Fälle publiziert sind, 
wo maligne Tumoren durch Behandlung mit dem eigenen Tumorbrei 
geheilt wurden. 

Wenn er auch dieser Therapie keine allzu grosse Bedeutung bei¬ 
legen möchte, so empfiehlt er sie doch in allen Fällen, wo es möglich 
ist, steriles identisches Tumormaterial zu bekommen und in Kombination 
mit anderen Methoden. 

Demonstrationsabend. 

Hr. A. Fränkel - Berlin: Ein Fall von hoohsitzendem, frei¬ 
beweglichem Carcinom der Flexur. 

Auf Grund des Röntgenbefundes hätte der Tumor mit guter 
Prognose auf abdominalem Wege entfernt werden können, auf Grund 
der blossen Digitalexploration resezierte der Chirurg das Kreuzbein infolge 
von Komplikationen (Patient war Diabetiker). Exitus. 

Die Röntgenkinematographie des Magens erlaubt oft Vorhersagen 
über die Ausdehnung und Beweglichkeit des Tumors und damit über 
die Operationsprognose. Demonstration von Fällen, darunter eines, in 
welchem, entfernt von dem Pylorustumor, noch zwei weitere Knotenpunkte 
(an der Peristaltik nicht teilnehmende Magenregionen) festgestellt waren. 
Die Palpation, selbst nach der Laparotomie, ergab keine Unterlage für 
diesen Befund; erst nach der Eröffnung des Magens konnten doch 
Krebsknoten palpiert werden; die Röntgendiagnostik erwies sich mithin 
der Probelaparotomie überlegen und gab die Richtschnur für die allein 
zureichende Operationsmethode, die subtotale Resektion. 

Hr. Max Cohn-Berlin berichtet über das Ergebnis seiner 
systematischen Untersuchungen des Wurmfortsatzes. 

Danach zeigt dieser im Verlauf einer Verdauungsperiode weitgehende 
Eigenbewegungen, er wird passiv gefüllt, entleert sioh aktiv, ändert 
seine Gestalt und seine Lage mit dem Coecum und zu diesem usw. 
Viele Operationsbefunde, dieuals pathologisch angesehen wurden, finden 
sieb als Phasen während einer Verdauungstätigkeit Scharfe Knickungen 
scheinen stets pathologisch zu sein, nbenso tage langes Gefülltbleiben. 


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864 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 14. 


Hr. Schmieden: Zur operativen Behandlung der schweren 
Obstipation. 

Unter den zahlreichen, nach Aetiologie und klinischem Befund ver¬ 
schiedenen Formen der chronischen Obstipation bieten diejenigen eine 
günstige Prognose, bei welchen man durch vorherige exakte Röntgen¬ 
untersuchung Sitz und Ursache genau ermitteln und eine logisch be¬ 
gründete Operation ausfübren kann. Vortr. kann die interessante Beob¬ 
achtung eines Falles mitteilen, bei dem es sich um eine Mischform von 
schwerer, über das ganze Colon ausgedehnter Atonie und massiger 
Dilatation (im Sinne Sti erlin’s) mit angeborener enormer Verlängerung 
der Dickdarmmesenterien handelte; der Zustand hatte zu schwerster, 
seit früher Kindheit begonnener und schliesslich unerträglicher Funktions¬ 
störung geführt. Die Röntgenuntersuchungen zeigten, dass die grossen 
und die kleinen Colonbewegungen nur äusserst schwach vorhanden 
waren, und dass der hauptsächlichste, tagelange Aufenthalt der Kot¬ 
massen im Colon transversum stattfand. Vortr. demonstriert die radio¬ 
logische Funktionsprüfung vor und nach der Operation und erörtert die 
Beziehungen des Leidens zur Hirschsprung’schen Krankheit. 

Da bei diesen Fällen eine kausale operative Therapie unmöglich ist, 
so muss man sich mit Anlegungen neuer Passagewege behelfen; die 
Pointe solcher Obstipationsoperationen ist es, später Rückstauungs¬ 
beschwerden unmöglich zu machen. Zur Erreichung dieses Zweckes hat 
Vortr. im vorliegenden Falle mit vortrefflichem Erfolge eine doppelte 
Anastomosierung ausgeführt, erstens zwischen den Fusspunkten der 
enorm verlängerten Fleiura sigmoidea und zweitens zwischen dem Colon 
transversum und der Kuppe der Sigmaschlinge. (Demonstration der 
vorhandenen Verhältnisse und der Operationstechnik an Projektions¬ 
bildern.) 

Hr. Josef-Berlin: Cy stoskopische Bilder von Bilharzia der 
Blase. 

Man sieht die Bilharziaeier und Granulationstumoren in der Gestalt 
des Champignons sowie ulceriert in Erdbeerform. 

Hr. Oehlecker - Hamburg: Demonstration einiger inter¬ 
essanter und seltener Röntgenbilder. 

Zwei kongenitale Skoliosen (Spina bifida anterior mit Rippen¬ 
anomalien — weiterer Fall von kongenitaler Skoliose mit Rippen- 
anomalieu, bei der in der Pubertätszeit eine Paraplegie der Beine 
auftrat). — Multiple Myelome bei einer 24jährigen Patientin. — Oesophagus- 
carcinommetastasen in den Knochen beider Schultern und im Nasen¬ 
septum. — Uebersichtsbilder von der ganzen Halswirbelsäule mit einer 
neuen Kassette mit Sehulterausschnitt. — Drei knöcherne verheilte Knie¬ 
gelenksresektionen bei tabischer Arthropathie. — Ersatz eines Mittel¬ 
handknochens bei Enchondrom der Hand. — Verdrängung des Mediasti¬ 
nums und des Oesophagus bei akutem Hämatopneumothorax. 

Hr. E. Rehn-Frankfurt berichtet über Experimente zur Physio¬ 
logie und Pathologie des Pericards aus seinem Laboratorium. 

Resektion desselben wird ohne Schaden vertragen. Resorption von 
Kristalloiden erfolgt genau wie aus der Subcutis. Geformte Bestand¬ 
teile — Tuschepartikel und Bakterien — wandern durch die Lymph- 
wege des Mediastinums, welches überhaupt ein Sammelbecken für die 
Brustorgane darstellt. Daher wird es auch samt seinen Drüsen von der 
bakteriellen Entzündung der genannten Organe ergriffen, im Gegensatz 
zu der herrschenden Lehrmeinung. Pericarditis mit Adhäsionen wurde 
erzielt durch Injektion von Jodtinktur und Aleuronat, aber auch von 
Olivenöl; durch (Jodipin und) Sesamöl kann diesen Adhäsionen vorgebeugt 
werden. Das Pick’sche Syndrom, Cirrhose bei Pericarditis konnte ex¬ 
perimentell reproduziert werden, es erklärt sich durch Einbeziehung der 
Cava inferior in die Verwachsungen, der Blutstrom geht durch die 
Azygos, und nur im Pfortadersystem kommt es zur gleichen Stauung. 

Hr. Coenen-Breslau demonstriert wichtige Kriegsverletzungen 
in Diapositiven, die er zusammen mit Thom-Breslau während des 
Balkankrieges auf Grund eigener Beobachtungen in Athen gesammelt 
hat. Die gewebszerstörende Wirkung der Infanteriekugel erkennt man 
an der scharfen Begrenzung der Schussöffnungen in den Weichteilen 
und an der narbigen Einziehung, die die Haut bei Haarseilschüssen er¬ 
leidet. Die Weichteilschüsse am Oberarm sind nicht selten von Läh¬ 
mungen der Nerven (N. musculocutaneus, radialis, raedianus) begleitet. 
Ein Patient hatte von einem Sprenggeschoss (5 Schüsse am rechten Arm 
erhalten und eine komplette Musculocutaneus- und Radialislähmung. 
Die Handschüsse mit kleinem volaren Einschuss und sternförmigem 
Ausschuss am Handrücken und Zerschmetterung der Mittelhandknochen 
sind typisch. Bei den Gelenkschüssen fehlen oft alle Erscheinungen, 
es treten aber auch fungusartige Schwellungen auf. Im Gegensatz zu 
dem kleinkalibrigen Mausergeschoss ist die knochenzerstörende Wirkung 
der dicken Martinikugel viel erheblicher, so dass der Knochen in grosser 
Ausdehnung splittert und der Gedanke an Dumdumgeschoss aufkommen 
kann. Schwere Erfrierungen an den Füssen kamen bei der Belagerung 
von Janina vor, so dass ganze Teile der Füsse sich gangränös demar¬ 
kierten. Schüsse durch den Stirnhirn- und Gesichtsschädel machten oft 
gar keine Erscheinungen, dagegen traten bei solchen durch das Hinter¬ 
haupt meist hemianoptische Störungen in den Vordergrund. Die Rumpf¬ 
schüsse, die den Thorax und die Bauchorgane in langen Schusskanälen 
durchsetzten, heilten glatt. Typisch sind Durchschiessungen eines Armes 
mit Fraktur und des Thorax. Dies erklärt sich aus der Haltung des 
Körpers bei der Anschlagstellung. In der Tibia, Scapula, Radius, Cal- 
eaneus wurden einfache Lochschüsse beobachtet. Aneurysmen wurden 
in der A. radialis, brachialis, tibialis postica und zweimal an den Vasa 


femoralia gesehen. Bei einem hochgelegenen arteriovenösen Aneurysma 
am Oberschenkel wurde nach der Exstirpation der Arteria und Vena 
femoralis durch die implantierte V. saphena mit Erfolg überbrückt 
(23. II. 1913). Rinnenschüsse der Röhrenknochen und solche, bei denen 
die Kugel im Mark stecken geblieben ist, können die Symptome einer 
Osteomyelitis machen. Die infratrochanteren und supracondylären 
Sohussfrakturen des Oberschenkels sind häufig. Zum Schluss wurden 
thebanische Knochen aus der Schlacht bei Chäronea (Nationalmuseura in 
Athen) demonstriert, an denen man noch die Spuren der macedonischen 
Waffen deutlich erkennen kann. 

Hr. Mühsam - Berlin zeigt an einer grösseren Zahl vorzüglicher 
Bilder die Wirkung von Schussverletzungen des Gehirns und Rücken¬ 
marks. Der Schusskanal war dadurch bezeichnet, dass Aufnahmen von 
vorn und von hinten gemacht und Aus- und Einschuss durch kleine 
Heftpflasterstücke angedeutet war. 

Hr. Goebel: Projektionsvortrag über die Einrichtung des Roten 
Kreuz-Lazaretts in Tripolis. 

Hr. B. Heile-Wiesbaden: Zur Darstellung des Epidural¬ 
raumes. 

Vortr. macht seit Jahren Kochsalzeinspritzungen in den Epidural¬ 
raum zur Beeinflussung der Wurzelischias. Hierbei fiel ihm auf, dass 
die Kranken bei der Einspritzung nur über einseitige Schmerzen klagen. 
Dies war der Anlass, die Anatomie des Epiduralraumes zu revidieren. 
Vortr. spritzte eine Emulsion von möglichst hochprozentigem Quecksilber 
in Terpentin in den Epiduralraum, und da ergab sich, dass die einseitig 
eingespritzte Flüssigkeit auch tatsächlich nur halbseitig den Epidural¬ 
raum ausfüllt. Nach der bisherigen anatomischen Vorstellung war der 
Epiduralraum ein in seinen beiden Hälften frei kommunizierender Raum, 
der nach unten frei übergeht in den Sacralraum und oben am Hinter¬ 
hauptsloch endet. Vortr. fand, dass in Wirklichkeit (er bestätigte dieses 
Resultat an IO Leiohen) in der Mitte eine Scheidewand beide Hälften 
des Epiduralraumes trennt. Diese Scheidewand sehliesst sich an der 
Vorderwand des Ligamentum longitudinale posterius an und wird zum 
Teil nur durch eine dünne Membran dargestellt, die aber funktionell 
einen absoluten Abschluss beider Hälften gegeneinander zustande bringt 
Es darf allerdings die Flüssigkeit in den Epiduralraum nicht mit starker 
Gewalt eingespritzt werden, da sonst die Scheidewand nachgibt. Nach 
der Demonstration des Vortr. gibt bis zu einem gewissen Grade auch 
der Abschluss des Epiduralraumes nach aussen in den Intervertebral- 
löchern nach. Die eingespritzte Flüssigkeit drängt an den austretenden 
Nervenwurzeln den Duraraum weiter hinaus, bleibt aber immer im 
Duraraum drin, während im eigentlichen Saoralraum, der nach unten zu 
die Fortsetzung des Epiduralraumes bildet, unterhalb des zweiten Sacral- 
wirbels die Flüssigkeit durch die Foramina sacralia in das lockere 
Beckengewebe hinaustritt. Dies erklärt, warum z. B. eine Sacral- 
anästhesie gut auszuführen ist, weil hier die Flüssigkeiten auf den peri¬ 
pheren Teil ausserhalb der Wirbelsäule im Beckenbindegewebe wirken. 
Reine Epiduralanästhesien dagegen sind bislang kaum erzielt, wenn man 
nicht zugleich andere Narkotica hinzufügte, weil die Flüssigkeiten nur 
innerhalb des epiduralen Raumes wirken, hier aber sind die durch¬ 
tretenden Nerven durch eine Durascheide stark isoliert. Vortr. zeigte, 
dass nach seinen Versuchen etwa 10 — 15 ccm Flüssigkeit, die in den 
Sacralkanal eingespritzt wird, hinaufreicht bis zum untersten Ende der 
Lendenwirbelsäule. 30 ccm reichen bis zum oberen Teil der Lenden¬ 
wirbelsäule und 50 ccm reichen ungefähr halbseitig bis zur Höhe der 
Halswirbelsäule. Der Epiduralraum endet nach den Demonstrationen 
des Vortr. nach oben nicht, wie man bislang annahm, am Hinterhaupts- 
locb, sondern setzt sich, wenn auch als sehr schmaler Spalt, fort bis 
zum Ansatz des Tentoriums an der Schädelbasis. Vortr. macht auf die 
Bedeutung der geänderten anatomischen Vorstellung des Epiduralraumes 
aufmerksam und besonders auf die Trennung des Epi dural raumes für 
die beiden Körperhälften. Die Einspritzungen in den Epiduralraum 
lassen sich nach der Demonstration des Vortr. nicht allein vom Sacral¬ 
raum aus machen, sondern sind ebensogut möglich durch die Inter¬ 
vertebrallöcher. Dies hat deshalb grössere klinische Bedeutung, weil 
man auf diese Weise direkt Nervengebiete mit der Einspritzung treffen 
kann, die man vom Sacralkanal aus erst sehr indirekt durch die hoch¬ 
steigende Flüssigkeit beeinflussen kann. 

Hr. Perthes-Tübingen demonstriert als Belegstücke zu seinem 
Vortrag Präparate von Osteochondritis deformans, der fälsch¬ 
lich so genannten Arthritis deformans juvenilis. 

Hr. Muskens- Amsterdam demonstriert im Namen von Herrn 
Krause - Berlin drei Fälle von erfolgreich operierter trauma¬ 
tischer Epilepsie, vou denen zwei bereits über drei Jahre ge¬ 
heilt sind. 

Hr. Voelcker - Heidelberg: Demonstration von Pyelographien. 

Die Ureteren werden durch schattengebende Katheter markiert. Das 
Nierenbecken in einzelnen Fällen durch Aufrollung des Katheters, in 
anderen durch Collargolinjektion. Interessant sind zwei Fälle von In¬ 
suffizienz des Ureterverschlusses, von denen der eine mit Verdoppelung 
des einen Ureters. Bei Verschluss der Harnröhren und Aufforderung, 
Harn zu lassen, injizieren diese Kranken selbst von der Blase aus 
Ureteren und Nierenbecken, so dass die kongenitale Erweiterung des 
ganzen Harnapparates sichtbar wird. 

(Fortsetzung folgt.) 


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7. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


665 


XII. Kongress der Deutschen Gesellschaft für 
Orthopädie am 24. und 25. März 1913. 

(Referat von Dr. Siegfried Peltesohn-Berlin.) 

Sitzung yom 24. März (Projektionssitzung). 

1 . Hr. E.G.Abbott-Portland (Maine): Ergebnisse der Skoliosen- 
behandlüng. 

Vortr. unterscheidet zwei Klassen von Deformitäten, solche mit und 
solobe ohne circumscripten Krankheitsherd. Bei letzteren, wozu die 
Skoliose zu rechnen ist, muss die Behandlung erstens in Ueberkorrektur, 
zweitens in Festhalten der Ueberkorrektur bis zur absoluten Dehnung 
der Bänder bestehen. Ist die Ueberkorrektur erzielt, dann kann die 
definitive innere Architekturänderung nach dem WolfFschen Gesetz vor 
sich gehen. Die Skoliose ist eine Steigerung und Festhaltung der 
physiologisch möglichen Bewegung. 

Seine Methode besteht darin, dass der Kranke in Rückenlage auf 
eine Art HäDgematte mit verschieden langen Seiten gelegt wird, dass 
nun der Körper flektiert wird, indem die Arme und die Beine durch 
nach oben gehende Zügel aufwärts gezogen werden, während der Rumpf 
einsinkt. Durch verschieden angeordnete Züge wird nun noch eine seit¬ 
liche Biegung und gleichzeitig eine Detorsion erzeugt. In dieser Stellung 
wird für mindestens 6 Wochen ein Gipsverband angelegt; der jetzt vor¬ 
gebuckelten hinteren Rippenpartie entsprechend wird ein grosses Fenster, 
diagonal dazu vorn werden zwei schiessschartenartige Fenster angebracht. 
Durch Einschieben von Filzplatten kann die Detorsion verstärkt werden. 
Die seitliche Verbiegung ist schwerer zu korrigieren als die Torsion. 
Nachbehandlung in Celluloidkorsett in Ueberkorrekturstellung für 
mindestens ein Jahr und mit Gymnastik ist wichtig. Air Bildern werden 
die Resultate gezeigt, die auch durch mehrmonatliche Nachuntersuchung 
verifiziert sind. Vortr. verwahrt sich dagegen, dass mit seiner Methode 
jede Deformität korrigierbar sei. 

2. Hr. Vulpius-Heidelberg: Bilder zur Technik der Abbott- 
sohen Verbandbehandlung. 

Vortr. hat den Originalapparat von Abbott mit gutem Erfolg be¬ 
nutzt und kontrolliert seine Fälle durch Moulagen. 

3. Hr. Joachimsthal-Berlin: Zur Abbott’schen Behandlung 
der Skoliose. 

(Der Vortrag erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

4. Hr. Erlaoher-Graz: Zur Abbott’schen Behandlung. 

Der Heranziehung der Atmung ist bei der Skoliosenbehandlung 
grösstes Gewicht beizulegen. Vortr. hat einen Respirationsmesser kon¬ 
struiert, der zeigt, wie die Respirationstiefe der vorher konkaven Thorax¬ 
seite sofort nach Anlegung des Abbott’schen Verbandes sechs- bis acht¬ 
mal so gross wird wie vorher. Im Röntgenbilde kann man die Aufhellung 
der entsprechenden Lungenhälfte sehen. In der Vorbehandlung sind 
Respirationsübungen wertvoll. 

Diskussion. Hr. Böhm-Berlin: Das Verfahren von Abbott hat 
ihm nur vorübergehende Erfolge gegeben. Da 60—70pCt. Skoliosen 
schon im vorschulpflichtigen Alter entstehen, muss die Skoliosenbehand¬ 
lung auch mit Gipsverband schon früher beginnen. 

5. Hr. Axhausen - Berlin: Untersuchungen über die Genese 
der Arthritis deformans. 

Vortr. hat durch Elektropunktur Knorpelnekrosen bei Tieren er¬ 
zeugt, an die sich typische Arthritis deformans angeschlossen hat. In 
den Knorpelnekrosen erblickt er das Primäre der menschlichen Arthritis 
deformans. Er zeigt Mikrophotogramme, die seine Anschauung unter¬ 
stützen. 

Diskussion. Hr. Wollenberg - Berlin: Röntgenologisch ist die 
Diagnose der Arthritis deformans nicht sicher zu stellen. Er zeigt 
Radiographien von primär und sekundär chronischem Gelenkrheumatismus, 
macht auf die Merkmale der tuberkulösen, gichtischen, gonorrhoischen, 
syphilitischen Gelenkentzündungen aufmerksam. 

6 . Hr. Gramer-Cöln: Zur Anatomie der Spina bifida 
occulta. 

Gramer demonstriert Photographien von Becken mit Spina bifida 
occulta. Er unterscheidet als Ausfallserscheinungen bei Spina bifida 
occulta Klauenfuss (50 pCt.), Hohlfuss und poliomyelitisähnliche Befunde. 
Bettnässer zeigen in 80 pGt. röntgenologisch Spina bifida occulta. Diese 
dokumentiert sich in 40 pCt. durch Fovea coccygea. 

7. Hr. Bibergeil-Berlin: Die Beziehungen der Spina bifida 
occulta zum Klauenhohlfuss. 

Unter 14 Kindern der Joachimsthal’schen Abteilung, die Klauen- 
hoblfüsse hatten, fand er ohne jede äusseren, Symptome Spina bifida 
occulta. Der neurologische Befund ist recht verschieden. Liegt eine 
Myelodysplasie zugrunde, dann haben Operationen an der Spina bifida 
occulta keinen Zweck. 

8 . Hr. Gocht-Halle: Einige seltenere bzw. schwierigere 
Frakturen. 

G. empfiehlt unter anderem nach der unblutigen oder blutigen Re¬ 
position der Fragmente ausgedehnten Gebrauch von Schienenhülsen¬ 
apparaten, die den Patienten schon sehr früh gehfähig machen. 

9. Hr. Delovme - Halle: Ueber Veränderungen in den Epi¬ 
physen bei Gelenktuberkulose. 


Reizung der Epiphysen bei Gelenktuberkulose lässt sich durch 
Höhen- und Breitenzunahme röntgenologisch feststellen. 

10. Hr. Drehmann - Breslau: Zur Coxa vara. 

D. demonstriert Röntgenbilder von Coxa vara verschiedener Aetio- 
logie und weist auf die Zusammenhänge mit dem kongenitalen Femur¬ 
defekt, mit der Luxatio coxae usw. bin. In 13 Fällen von Coxa vara 
adolescentium hat er mit bestem Erfolge sein unblutiges Redressement 
ausgeführt. Je früher dieses beginnt, desto besser die Ergebnisse. 

11. Hr. Brandes - Kiel: Die Heilung grösster Tibiadefekte 
durch Transplantation. 

Er hat die freie Transplantation bei solchen Defekten zugunsten 
der modifizierten Hahn’schen Einpflanzung der Fibula aufgegeben. Er 
implantiert erst das proximale Ende der benachbarten Fibula in den 
oberen, nach Heilung in einer zweiten Sitzung das distale Ende der 
Fibula in das untere Tibiastück. Gutes Resultat in zwei Fällen; die 
Malleolengabel bleibt erhalten. 

12. Hr. Peltesohn - Berlin: Transplantation bei Ulnadefekt- 

Vortr. demonstriert die Bilder eines durch Tuberkulose der Dia- 

physe hervorgerufenen Defektes in der Ulna mit sekundärem Radius 
curvus und Luxatio radii. Wegen einer recidivierenden Fraktur des 
Radius und zunehmender Verbildung des Armes implantierte er ein den 
ganzen Querschnitt mit Periost umfassendes, 4 cm langes Stück der 
Fibula. Glatte Einheilung. Der artifizielle Defekt in der Fibula hat 
sich nach 672 Monaten bereits total und spontan ausgefüllt. Knochen¬ 
defekte regenerieren sich dann schnell und vollständig, wenn man für 
einen genügenden Bluterguss und Verhinderung der Interposition von 
Weich teilen sorgt (Bier), auch wenn sie den ganzen Querschnitt betreffen 
und die Knochen in Diastase gehalten werden; das kann man auch experi¬ 
mentell beweisen. 

13. Hr. van Assen - Rotterdam: Einige seltene Fussver- 
letzungen. (Demonstration von Röntgenbildern.) 

Sitzung vom 25. März 1913, vormittags. 

Vorsitzender Hr. Spitzy - Graz: Begrüssung. Hinweis auf die Be¬ 
deutung der Orthopädie nicht nur bei der Heilung schon bestehender 
Leiden, sondern auch für die Prophylaxe der Deformitäten zur Er¬ 
tüchtigung der Jugend, Verbesserung der Rasse, Steigerung der Militär- 
fäbigkeit. 

Hauptthema: Chronische Arthritis und Arthritis deformans. 
a) Referate. 

1. Hr. F. Kraus-Berlin: Symptomatologie, pathologische 
Anatomie und interne Behandlung der chronischen Arthritis. 

Die Einteilung der chronischen Arthritiden auf Grund des Röntgen¬ 
bildes, welches einen Schluss auf die zugrundeliegende pathologische 
Anatomie zulässt, in atrophische und hypertrophische Formen (naoh 
Jacobsohn - Berlin) findet seine Billigung. Bei der chronischen poly- 
articulären Arthritis unterscheidet man am besten 1. Formen, deren in¬ 
fektiöse Basis (Tonsillitis, Gonorrhöe usw.) sicher ist; bei manchen, z. B. 
dem „Rheumatismus“, ist der Infektionserreger noch unbekannt; 

2. Arthritis urica; 3. primär chronische Polyarthritis (rheumatic gout 
der Engländer) ohne infektiöse Erscheinungen, auf Diathesenänderung 
beruhende Form. Beginn in der Synovialis, Knotenbildung, Knorpel¬ 
verdickung sind charakteristisch. Chirurgisches Interesse haben die 
neuropathischen Formen. Therapeutisch ist bei der ersten Form das 
Grundleiden zu behandeln; die sekundären Folgen können hier und bei 
den anderen Formen durch Behandlung mit radioaktiven Elementen, be¬ 
sonders Thorium X, günstig beeinflusst werden. Bei der Gicht will er 
diese Elemente lieber als das Atophan entbehren. Bei chronisch-infektiöser 
Arthritis scheint die Adrenalininjektion wertvoll zu sein. 

2. Hr. Poncet-Lyon: Les formes des arthrites chroniques 
et de rhumatisme tuberculeux. 

Die ätiologischen Formen der chronischen Gelenkentzündungen sind 
sehr zahlreich. Bei den einen ist die Aetiologie offensichtlich (Trauma, 
abgeschwächte Infektion wie Gonorrhöe, Diathese, Störung der inneren 
Sekretion), bei den anderen ist sie unbekannt. Diese hält er für einen 
Ausdruck einer „entzündlichen Tuberkulose“, d. h. einer solchen, deren 
Virus zu schwach ist, um spezifische Läsionen zu erzeugen. So entsteht 
der „tuberkulöse Rheumatismus“. Hierfür werden Beweise beigebracht. 
Die Behandlung der chronischen Arthritiden muss besonders auf diese 
Aetiologie Rücksicht nehmen. Hierhin gehören Klimato-, Diäto-, Tuber¬ 
kulintherapie usw. Lokal wirken gut Immobilisation, Hyperämie, Wärme- 
und Lichtbäder usw. Die Radiotherapie hat gewöhnlich keine günstige 
Wirkung. Die beste Behandlung ist die Heliotherapie, die er seit über 
15 Jahren an wendet. Nur bei Kontrakturen soll reseziert werden. 

3. Hr. Ibrahim-München: Die chronische Arthritis im 
Kindesalter. 

Er hat in der Literatur nur 273 Fälle gefunden. Einige Gegenden, 
z. B. Graz, scheinen bevorzugt, ebenso weibliche Kinder. Beginn am 
häufigsten in den ersten fünf Lebensjahren. Bei einem Drittel der Fälle 
besteht eine hereditäre Disposition. Klinisch sind sekundär und primär 
chronische Formen zu unterscheiden. Bei den ersteren sind Steifigkeit 
und Kontrakturen, Halswirbelsäulensteifigkeit häufig; für die letzteren 
ist die beschleunigte Progredienz, das centripetale Fortschreiten, die 
kugelige Gelenkanschwellung, die Nackensteifigkeit mit einem eigenartigen 


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666 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 14. 


Augenaufschlag charakteristisch. Es werden die Komplikationen and 
die Röntgenbilder besprochen. Solange wir nicht die Erreger kennen, 
muss die klinische Einteilung beibehalten werden. Die innere Therapie 
ist ziemlich erfolglos; die Orthopädie hat die Kontrakturen zu 
strecken. 

4. Hr. Preiser-Hamburg: Die orthopädische Behandlung 
der chronischen Arthritis mit besonderer Berücksichtigung 
der Statik. 

Verwiesen wird auf diese Wochenschr., 1912, Nr. 50, S. 2384, Pro¬ 
tokoll der Berliner orthopädischen Gesellschaft. Demonstration von 
Apparaten zur Behandlung und Präparaten zur Illustration der Ent¬ 
stehung von Arthritiden durch Unterbrechung der statischen Einheit und 
Anomalien der Beckenstellung. 

Diskussion. 

Hr. Wollenberg-Berlin empfiehlt, bei chronischer Arthritis Schienen¬ 
hülsenapparate tragen zu lassen. 

Hr. Axhausen-Berlin weist auf di? pathogenetische Bedeutung der 
Knorpelnekrosen hin, die, wie seine Fälle beweisen, eine unmittelbare 
und eine Fernwirkung haben. 

Hr. Walkhoff-Lichterfelde: Die Knorpelnekrosen treten gegen die 
Knorpel degeneration in den Hintergrund. Die Knorpel Wucherung ist 
eine Reizwirkung. Aenderung der mechanischen Kraft mit Gelenkflächen¬ 
inkongruenz bewirkt die Knorpeldegeneration. 

Hr. Schanz-Dresden: Um ein Gelenk zur Arthritis deformans zu 
führen, müssen seine natürlichen Kräfte aufgebraucht sein. Vorzeitiger 
Verbrauch ist durch entlastende Schienenhülsenapparate zu inhibieren. 

Hr. Wern dorff-Wien wünscht, dass bei der Arthritis deformans 
juvenilis der Röntgenbefund rigoroser beurteilt wird; manche der als 
Arthritis deformans juvenilis publizierten Fälle sind Caries sicca des 
Hüftgelenks, zu deren Diagnose das sogenannte regionäre Oedem 
leider zu wenig herangezogen wird. 

Hr. Perthes-Leipzig: Manche der Fälle sogenannter Arthritis de¬ 
formans juvenilis zeichnen sich aus durch fehlende Krepitation und 
radikale Ausheilung; der Gelenkknorpel bleibt intakt. 

Hr. Be eher-Münster: Demonstration eines duroh Resektion ge* 
wonnenen Präparates von schwerer Arthritis deformans genus. 

Hr. Tietze-Breslau billigt die Einteilung der Arthritis deformans 
in eine atrophische und eine hypertrophische Form. Nach Resektion 
wurden die von ihm operierten Knie fest, bekamen kein Recidiv. 

Hr. Röpke-Barmen empfiehlt bei chronischer Arthritis deformans 
der Finger-, Hand-, Ellbogen-, Schultergelenke charnierartige Resektion 
mit Weichteilinterposition. 

Hr. Jacobsohn-Charlottenburg weist auf die Vorzüge seiner Ein¬ 
teilung in Arthritis atrophicans und hypertrophicans hin. 

Hr. Vulpius-Heidelberg spricht über Rheumatismus tuberculosus 
und die Anwendung der Sauerstoffinsufflation hierbei. 

Hr. Bibergeil-Berlin: Seine von Werndorff erwähnten Fälle 
gehörten sicher nicht zum Typus der Caries sicca. 

Hr. Wern dorff-Wien: Die 0 2 -Insufflationen stammen von ihm, 
nicht von Hoffa-Wollenberg. 

5. Hr. Bade-Hannover: Die Beziehungen zwischen Arthritis 
deformans juvenilis und dem eingerenkten kongenital 
luxierten Hüftgelenk. 

Bei 131 bis zu 10 Jahren beobachteten eingerenkten Hüften mit 
konzentrischer KopfstelluDg findet er in 50 pCt. röntgenologische Ver¬ 
änderungen teils am Kopf, teils an der Pfanne, teils an beiden. Dem 
Repositionstrauma misst er keine Bedeutung bei; von Arthritis deformans 
juvenilis kann man in diesen Fällen nicht sprechen. 

6. Hr. Ludloff-Breslau: Die Behandlung des Hallux 
valgus. 

Unter Demonstration einer erfolgreich operierten Patientin teilt er 
mit, dass er in 9 Fällen durch schräg von vorn unten nach hinten oben 
gehende Osteotomie des Metatarsus I volle Korrektur erzielte. 

Dazu weist Hr. Klaar - München darauf hin, dass der Hallux valgus 
in 50pCt. kongenital-hereditär ist. 

7. Hr. Henschen-Naef - Zürich: Die intrapelvine Pfannen¬ 
wanderung der Hüfte auf coxitisch - arthropathischer Grund¬ 
lage (Otto-Chrobrak’sohe Hüftdeformation). 

Bericht über einen einschlägigen Fall. 

8. Hr. Lorenz-Wien: Unblutige Behandlung der Pseud- 
arthrosis colli femoris. 

Die Diagnose der letzteren wird wegen des schleichenden Verlaufs 
oft erst spät gestellt. Bei jüngeren Fällen empfiehlt sich Exasperation 
in Narkose, Gipsverband in Innenrotation und Sohienenhülsenapparat; bei 
alten die sogenannte Inversion, deren Erfolg auf der Anstemmung des 
Trochanters an die Beckenschaafel beruht. 

9. Hr. Kölliker-Leipzig: Zur Technik der Osteotomie. 

K. befürwortet, die Osteotomie prinzipiell ohne vorherige Ab¬ 
schiebung des Periosts auszuführen; hier bewährt sich auch die 
Kreissäge. 

10. Hr. Stoffel - Mannheim: Neues über das Wesen der 
Ischias. 

Der N. ischiadicus ist keine Einheit; bei Ischias liegt eine Erkran¬ 
kung nur der sensiblen Bahnen vor. Die Topographie des Querschnitts 
des N. ischiadicus wird an Modellen demonstriert. Je nachdem einzelne 


sensible Nervenstämme erkrankt sind, resultieren verschiedene Neuralgie¬ 
formen. Er empfiehlt Freilegung des N. ischiadicus und Neurexhairese 
nur der erkrankten Bahn. Die Schmerzen hören momentan auf; über 
Dauerresultate kann er noch nicht berichten. 

11. Hr. Stoffel - Mannheim: Neue Gesichtspunkte auf dem 
Gebiete der Sehnenüberpflanzung bei spinaler Kinder¬ 
lähmung. 

Bei der Transplantation ist nur ein solcher Muskel als Kraftspender 
geeignet, der einen ähnlichen anatomischen Bau wie der zu ersetzende 
hat. Die Spannung und Richtung des Kraftspenders muss genau be¬ 
rücksichtigt werden. Der Kraftspender ist periostal zu befestigen, der 
gelähmte ist in ein Ligament zu verwandeln. Die elektrische Muskel¬ 
untersuchung während der Operation ist empfehlenswert. 

Dazu bemerkt Hr. Gocht- Halle, dass auch ohne die Kenntnis 
der von Stoffel beigebrachten, theoretisch vielleicht richtigen Er¬ 
wägungen praktisch durch die bisherigen Operationen ausgezeichnete 
Transplantationsresultate erzielt worden sind. 

In der Mittagspause demonstrieren Hr. Caro - Hannover einen Uni¬ 
versalapparat für passive Bewegungen, Hr. Legal - Breslau einen 
Uebungsstuhl zur Skoliosenbehandlung und einen häuslichen Scbreibsitz 
für Schulkinder, Hr. Weber-München einen neuen Extensionstisch zur 
Einrenkung angeborener Hüftluxationen. 

Nach mittagssitz an g. 

1. Diskussion über die Abbott’sche Skoliosenbehandlung. 

Hr. Riedinger - Würzburg zeigt an einem Modell, wie jede Seiten¬ 
beugung der Wirbelsäule mit Rotation einhergeht. Die detorquierte Ein¬ 
stellung lässt sich sowohl in Kyphose (Abbott) wie in Lordose (Klapp) 
mit demselben Effekt erreichen, ln letzterer zu fixieren schlug er schon 
früher vor. Die Extension kann man bei der Umkrümmung nicht ent¬ 
behren. Bei Abbott’s Behandlung wird die Reihe der Wirbelkörper 
nicht beeinflusst; daher die Skoliose im Röntgenbilde nach wie vor er¬ 
scheint. 

Hr. Lange - München meint, dass Spitzy’s sogenannte biologische 
Mittelstellung die beste ist, fragt dann, ob sich später schädliche Folgen 
der Kyphosierung gezeigt haben. Die nooh bis zu einem Jahre fort¬ 
gesetzte Nachbehandlung in Ueberkorrektur erscheint ihm bedeutungsvoll. 

Hr. Biesalski - Berlin: An seinen abbottierten Skoliosen zeigte sich 
die Schwierigkeit der Technik. Die Abbott’sche Haltung ist die erstarrte 
Kriechstellung. Atemübungen während der Verbandperiode hält er für 
wichtig. In 6 Fällen sah er conseoutive Trichterbrust. 

Hr. Schanz-Dresden: Die Abbott’sche Behandlung verändert 
nur den Thorax, nicht das Rückgrat. Einwirkung auf die Wirbelsäule 
durch den Thorax hindurch ist unmöglich. 

Hr. Lorenz-Wien: Neu ist bei Abbott’s Vorgehen die Kypho¬ 
sierung, die als Prophylakticum gegen Skoliose bekannt ist. Entlastung 
der Wirbelkörper geschieht nur in lordotischer Stellung. Die Kypho¬ 
sierung scheint ihm ein gesundheitsschädliches Moment. 

Hr. Vulpius - Heidelberg geht auf die technischen Schwierigkeiten 
des Verfahrens ein, speziell auf die Verhütung der kompensatorischen 
Lumbalkrümmung. 

Hr. Spitzy - Graz: Kyphose ist die Mittel- und embryonale Stellung, 
woraus die schlaffen Skoliosen entstehen. In extremer Lordose ist wegen 
Verzahnung Detorsion unmöglich. Von der Kyphosierung hat er bisher 
Schäden nicht gesehen. Bei linkskonvexer Skoliose kann es zu Kom¬ 
pressionserscheinungen des Herzens kommen. Das wichtigste und beste 
bei Abbott’s Behandlung ist die Veränderung der Atmung. 

■Hr. Calve-Paris hält das Verfahren für einen grossen Fortschritt 
bei nicht fixierten Skoliosen. 

Hr. Wullstein-Halle: Die von Abbott gezeigten Korrekturen sind 
nur Scheinkorrekturen, d. h. Umformungen des Thorax. Die Wirbel¬ 
säule selbst kann nur durch Zugredressement beeinflusst werden. Die 
Erfolge beruhen auch auf unterlassener vorheriger Mobilisierung. 

Hr. Fränkel-Berlin zeigt, dass der Klapp’sche Kniegang einen 
korrigierenden Einfluss auf Verkrümmungen im untersten Dorsalteil hat. 

Hr. Hofbaur-Wien hält die Einengung der Bauoh&tmung bei 
Abbott’s Verband für bedenklich. 

Hr. W i e r z e j ew s ki - Posen: Bei angeborener Skoliose bleibt A b b o 11 ’s 
Verfahren erfolglos. 

Hr. Abbott-Portland beantwortet im Schlusswort eine Reihe der 
an ihn gestellten Fragen und verweist auf seine Resultate. (Er demon¬ 
strierte am 26. März die Anlegung eines Verbandes in allen Einzel¬ 
heiten.) 

2. Hr. Bade-Hannover: Zur Behandlung der spondylitischen 
Lähmungen. 

B. demonstriert einen früher spondylitisch Gelähmten, der durch 
Anwendung der vertikalen Extension, Schienenhülsenapparate usw. ge¬ 
heilt wurde. 

3. Hr. Brüning-Giessen: Statistisches zur Entstehung und 
Verbreitung der Rückgratsverbiegungen. 

In Städten kommen doppelt so viel Skoliosen wie auf dem Lande 
vor; schlechte Ernährung ist bedeutungsvoll. 

4. Hr. Müller-Berlin: Fall von Riesenwuchs. 

7 jähriger Knabe mit abnorm langem Rumpf. 

Hierzu zeigt Hinterstoisser-Graz ein Präparat von partiellem 
enormen Riesenwuchs der Finger. 


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7. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


667 


5. Hr. Sohlee-Braunschweig: Einfaches Verfahren zur exakten 
Skoliosenmessung. 

Zwischen Rücken und einem photographischen Apparat wird ein 
Messgitter eingeschaltet. Dieses wird auf den Rücken durch eine neben 
der Kamera angebrachte Lichtquelle projiziert und mitphotographiert. 

Hr. S oh an z- Dresden bemerkt, dass das Verfahren schon von 
Semeleder ganz ähnlich beschrieben wurde. 

Hr. Schlee weist auf die grossen Unterschiede beider Verfahren hin. 

6. Hr. v. Saar-Innsbruck: Beitrag zur Nervenplastik. 

Duroh periphere totale Implantation des Radialis in den Medianus 

erzielte er bei Radialislähmung nach 2 Jahr 2 Monaten volle Heilung. 
Hierzu empfiehlt 

Erlacher-Graz, die Implantationsstelle stets möglichst dicht an 
den Muskel zu verlegen. 

7. Hr. Jansen-Leiden: Muskelbündellän'ge und neurogene 
Kontrakturen. 

Beide stehen miteinander insofern in einer Wechselwirkung, als die 
proximierenden Muskeln kurze, die distierenden lange Muskelfasern haben, 
die Masse der ersteren diejenige der letzteren übertrifft. Ein die ganze 
Extremität treffender Spasmus führt daher zur Proximationskontraktur. 
Der Förster’schen wie der Stofferschen Operation ist die Tenotomie oder 
Myotomie vorauszuschicken. 

8. Hr. Stoffel-Mannheim: Zur Behandlung der spastischen 
Lähmungen. 

St. bespricht seine Ansicht über das Wesen der spastischen Kon¬ 
traktur und deren rationelle Behandlung. Es werden verschiedene 
Muskeloperationen, die man bei spastischer Lähmung ausführte, und die 
■ Nerventransplantation einer Kritik unterzogen. St. erläutert kurz die 
Idee und die wissenschaftliche Grundlage der von ihm angegebenen 
Nervenoperation (Resektion an den motorischen Bahnen der spastisch 
kontrakturierten Muskeln). Er berichtet über seine Erfahrungen mit 
seiner Methode, die er an einer grösseren Serie von Patienten zur An¬ 
wendung bringen konnte. 

Um den hypotonischen Muskeln sofort nach der Operation einen 
kräftigen elektrischen Strom zuführen zu können, befestigt St. an die 
Seite des diese Muskeln versorgenden Nerven einen dünnen Silberdraht, 
den er aus der Wunde und aus dem Verband herausleitet. Am Tage 
nach der Operation wird mit dem Elektrisieren begonnen. Sobald der 
Silberdraht mit der Elektrode berührt wird, kontrahieren sich die Anta¬ 
gonisten der spastisch kontrakturierten Muskeln maximal. 

Diskussion. 

Hr. Foerster-Breslau weist darauf hin, dass die von Stoffel be¬ 
kämpfte Spitzy’sche Radialis-Medianusplastik theoretisch und praktisch 
gut ist. 

Hr. Hohmann-München befürwortet die partielle Neurektomie; sie 
bewährte sich in Fällen, wo die Tenotomien nicht genügt hatten. Ob 
die Resultate dauerhaft sind, ist fraglich. 

Hr. Stein-Wiesbaden ist mit den Operationsergebnissen zufrieden; 
Recidive kommen vor; er rät, den abgespaltenen Nervenlappen nach oben 
ins Fettgewebe zu schlagen. 

Hr. Erlacher-Graz betont, dass Spitzy bereits 1905 die Ana¬ 
tomie des Nervenquerschnittes und die Nadelelektrode beschrieben hat. 
Am Untersohenkel erreicht man mit der Unterbrechung der centralen 
Leitung in den sensiblen Aesten denselben Effekt wie mit der Stoffel- 
seben Operation. 

Hr. Peltesohn-Berlin: Die Stoffel’sche Operation hat an den 
Beinen nach seinen Erfahrungen (9 Operationen) nur einen engen 
Aktionsradius; am besten eignet sie sich noch für die Knieflexoren. 

Hr. K o fman n- Odessa äussert sich günstig über diese Operation. 

Hr. Biesalski-Berlin: Die Behandlung der spastischen Lähmungen 
steht und fällt mit der postoperativen Uebungstherapie. Zwei Fragen 
bleiben zu beantworten: 1. Bilden sich die spastischen Lähmungen 
später spontan zurück und wann? 2. Welches sind die physiologischen 
Gesetze der Uebungsbehandlung? 

Hr. PlagernaD n - Stettin: Die von Stein vorgeschlagene Ver¬ 
sorgung des Nervenstumpfes ist bereits früher angegeben worden. 

Hr. Lorenz-Wien ist bei Spasmen der unteren Extremität bisher 
stets ohne Nervenschwächung mit Tenotomien ausgekommen. Die In¬ 
tentionsspasmen sind das Störendste. 

Hr. Hertzei 1-Berlin demonstriert eine neue Gehstütze. 

Hr. Guradze-Wiesbaden: An den Beinen sind die Tenotomien 
nicht zu entbehren. 

Hr. Stoffel (Schlusswort): Die Nachbehandlung ist sehr wichtig, 
ebenso wichtig wie die Operation, das habe er stets betont. Am 
N. obturatorius kommen Varietäten in Form von drei Aesten vor. 

9. Hr. v. Aberle-Wien: Beiträge zur Klinik und Therapie 
der Fettembolie. 

Diese ist die grösste und einzige Gefahr bei orthopädischen Ope¬ 
rationen. Um bei Korrektur einer Kniekontraktur das Eintreten von 
Fett in die Blutbahn zu verringern, ist die paraartikuläre Infraktion zu 
verhüten, bei hochgradigen Fällen offen zu operieren, dabei die Vena 
poplitea bis zur vollkommenen Fixation im Gipsverband zu kompri¬ 
mieren. Esmarch’sche Blutleere ist kontraindiziert, bei Fettembolie die 
Herzkraft zu erhalten. 

10. Hr. Streissler - Graz:, Ueber Madelung’sohe Hand- 
deformit&t. ' 

St. berichtet über syringomyelitisohe, chronisch-rheumatische, trau¬ 


matische Handgelenksdeformitäten mit Madelung’^chem Typus. Die 
Gelenkfläohe des Radius sieht hierbei nach abwärts; die Seitendeviation 
ist nicht bedeutungsvoll. Die Aufrichtung des Radiusendes ist operativ 
durch bogenförmige Osteotomie zu bewirken. 

11. Hr. Springer-Prag: Operation der Gabelhand, speziell 
bei der Madelung’sohen Deformität. 

Die Fälle des Vorredners sind keine „Madelung'schen Deformitäten“ 
gewesen. Bei der Behandlung der Gabelhand ist die Durchscbneidung 
des Pronator quadratus, die quere Osteotomie und Detorsion des Radius 
im Sinne der Supination mit Eingipsen in Ueberkorrektur die physio¬ 
logisch richtigste und praktisch beste Operation. 

12. Hr. Röpke-Barmen: Ueber die Verwendung frei trans¬ 
plantierter Sehnen in der Behandlung des paralytisohen 
Klumpfusses. 

Er verwendet hierzu die Sehne des Palmaris longus, die auf die 
Peronealseite des vorher vollkorrigierten Klumpfusses zu implantieren ist. 

13. Hr. Glässner-Berlin: Zur Aetiologie und Therapie der 
Coxa vara. 

Demonstration von unblutig redressierten Patienten mit Coxa vara. 

14. Hr. Maass - Berlin: Zur. Operation der kongenitalen 
Vorderarmsynostose. 

Bei einem 11 Monate alten Kinde mit Synostosis radioulnaris re¬ 
sezierte er das obere Radiusende und entfernte einen Keil aus dem 
proximalen Ende der Ulna mit hinterer Basis. 

Hierzu bemerkt Hr. Rosenfeld-Nürnberg, dass die einfache Osteo¬ 
tomie des Radius genügt. 

15. Hr. Müller - Stuttgart empfiehlt bei der Behandlung der 
Klumpfüsse die Keilosteotomie. 

16. Hr. v. Mayersbach - Graz: Operative Behandlung des 
Pes adductus. 

Zur Vermeidung eines Pes valgus infolge Ueberdehnung der kleinen 
Fussmuskeln wird versucht, den vorderen Insertionspunkt des M. abduct. 
hallucis vom lateralen auf das mediale Sesambein zu verlegen. Dadurch 
wird auch die Adduktionstendenz des Vorderfusses ausgeschaltet. 


Verschiedenes. 

Zur Mortalitätsstatistik. 

Nach einer soeben erfolgten Zusammenstellung Robert Behla’s 
im Preussischen Statistischen Landesamt für das Jahr 1912 in Preussen 
zeigt sich, dass 1912 viel günstiger abschneidet als das Hitzejahr 1911. 
Es tritt wieder eine dem Hochstand unserer modernen Hygiene ent¬ 
sprechende abnehmende Tendenz hervor in bezug auf die Gesamtmorta¬ 
lität sowie die Säuglingsmortalität. Gestorben sind im ganzen 1912 nur 
636 078 gegen 696 854 im Jahre 1911 und 637 982 im Jahre 1910. 
Gestorben im ersten Lebensjahr sind 1912 171 3S2 gegen 223 229 im Jahre 

1911 und 191901 im Jahre 1910, d. h. auf 1000 Lebende starben über¬ 
haupt 1912 = 15,46, 1911 = 17,21, 1910 = 16,13, auf 1000 Lebend- 
geborene starben Säuglinge 1912 = 144,74, 1911 = 187,71, 1910 = 157,37. 
Die Promillesätze für die Gesamtbevölkerung und der Säuglinge zeigen 1912 
Ziffern, wie sie früher noch nicht erreicht worden sind. Dies in bonam 
partem, in malam partem sind allerdings auch wieder weniger geboren: 1912 
= 1 184036, 1911 = 1 189217, 1910 = 1219 447; auf 1000 Lebende 

1912 = 28,79, 1911 = 29,36. Behla hat vom bevölkerungsstatistischen 
Standpunkt die Frage gestellt: Lässt sich bei diesen Ziffern eine Grenze 
voraussehen? Mit Berücksichtigung aller einschlägigen Faktoren und des 
schon Erreichten kommt er zu der Folgerung, dass für die Heirats- und Ge¬ 
burtenziffer eine bestimmte Grenze nicht festzusetzen ist, auch nicht für die 
bei der Bewegung der Bevölkerung eine wichtige Rolle spielende Wande¬ 
rungsziffer, da — der menschlichen Willkür unterworfen. Anders bei 
der Mortalitätsziffer. Hier sind natürliche Grenzen gesetzt, und diese 
dürften betragen für die Gesamtsterblichkeit auf 1000 Lebende = 12, 
für die Säuglingssterblichkeit auf 1000 Lebendgeborene = 100 — in An¬ 
betracht von Zuständen, die in einigen Ländern und Orten schon erreicht 
worden sind. Weiter hinunter wird man aber im allgemeinen nicht 
kommen, wenn auch einzelne Städte schon niedrigere Ziffern aufweisen. 
Letztere wollen aber statistisch kritisch betrachtet sein; sie sind nicht 
ohne weiteres ein Gradmesser für besonders sanitäre Städte. Bei den 
Mortalitätsziffern der Städte kommen in Betracht, ob An- oder Ab¬ 
wesenheit von Krankenhäusern, Garnisonen, Einwanderung von Leuten 
im kräftigen Mannesalter etc. Derartige Momente müssen bei der Be¬ 
urteilung niedriger Zahlen stets in Rechnung gezogen werden. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. Das Deutsche Zentralkomitee zur Bekämpfung der 
Tuberkulose hält seine Generalversammlung im Reicbstagsgebäude am 
8. Mai ab. Vortragsthema: „Heilstätte und Krankenhaus in der Ver¬ 
sorgung der Tuberkulösen.“ Besondere Einladungen ergehen nur an die 
Mitglieder. Den interessierten Kreisen stehen in der Geschäftsstelle des 
Zentralkomitees, Linkstrasse 29, soweit der Platz reicht, Einlasskarten 
zur Generalversammlung unentgeltlich zur Verfügung. Am 7. Mai 
findet die Ausschusssitzung statt. 


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668 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 14. 


— Das Internationale Komitee für das ärztliche Fort¬ 
bildungswesen versendet folgende Mitteilung: Als „Assooiation inter¬ 
nationale de Perfectionnement Scientifique et Medical“ bezeichnet sich 
seit einiger Zeit die Vereinigung für ärztliche Reisen unter der Leitung 
des Herrn Bazot. Da das Internationale Komitee für das ärztliche 
Fortbildungswesen mehrfach entsprechende Anfragen erhielt, so teilt es 
hierdurch mit, dass es in keinem Zusammenhänge mit der genannten 
privaten Reisevereinigung steht. Der Zweck des Internationalen Komitees 
ist die Förderung der gemeinsamen auf den ärztlichen Unterricht sich 
erstreckenden Fragen und die gegenseitige Belehrung auf Grund der in 
den einzelnen Ländern gewonnenen Erfahrungen. Mitglieder des Inter¬ 
nationalen Komitees und der Konferenz sind ausschliesslich die von den 
zuständigen Landesorganisationen oder den Staatsregierungen der be¬ 
teiligten Länder ernannten amtlichen Delegierten. Die nächste Sitzung 
des Internationalen Komitees betrifft eine internationale Konferenz für 
das ärztliche Unterrichts- und Fortbildungswesen im August d. J. in 
London, im Anschluss an den dort tagenden XII. „Internationalen 
medizinischen Kongress“. Bureau: Kaiserin Friedrich-Haus iür das ärzt¬ 
liche Fortbildungswesen, Berlin NW. 6, Luisenplatz 2—4. 

— Am 25. März tagte in Berlin zum ersten Male die neubegründete 
Vereinigung der Krankenhausärzte. Der Vorsitzende, Prof. Dreesmann- 
Cöln, wies in seiner Eröffnungsansprache auf die Notwendigkeit des Zu¬ 
sammenschlusses und Beitiittes zu dieser Vereinigung hin. Die An¬ 
wesenheit der Herren Kuhns und Dumas vom Leipziger Verbände und 
des Herrn Herzau vom Deutschen Aerztevereinsbund bewiesen, dass 
sonderbündlerische Interessen in der neuen Vereinigung nicht verfolgt 
werden sollen. Hierauf erstattete Pagenstecher-Wiesbaden den Be¬ 
richt, aus welchem wir entnehmen, dass die Vereinigung zurzeit schon 
über 300 Mitglieder zählt. P. besprach die Zwecke der Vereinigung, 
worunter zu nennen sind: Pflege der wirtschaftlichen und sozialen 
Stellung des Krankenhausarztes (Eingriffe Vorgesetzter Behörden in die 
Hocorarrechte der Aerzte, Anstellung auf Kündigung, ein sehr wunder 
Punkt, trotz der Beschlüsse des Aerztetages). Vor allem Pflege des 
inneren Krankenhauswesens und Krankenhausbetriebes, endlich Organi¬ 
sationsfragen. Darauf referierte Geheimrat Sprengel - Braunschweig 
über die Assistenten- und Praktikanten frage; die Ausführungen gipfelten 
in folgenden Thesen: 1. Der Gedanke des sogenannten praktischen 
Jahres, d. h. der einjährigen praktischen Ausbildung jedes Arztes nach 
Beendigung der Universitätsstudien, ist im Prinzip richtig. 2. Die ideale 
Form der Ausführung dieses Gedankens ist die Assistententätigkeit; 
erst in zweiter Linie und als Notbehelf die Praktikantentätigkeit. 3. Des¬ 
halb sind diejenigen gesetzlichen Vorschriften zu beseitigen, welche 
diesem Grundsatz im Wege stehen, vor allem die Bestimmung, dass nur 
der Assistent werden kann, der das sogenannte praktische Jahr 
erledigt hat. 4. Die Versammlung hält es für das Einfachste, Freiheit¬ 
lichste und praktisch Zuverlässigste, den § 59 der Prüfungsordnung für 
Aerzte dahin umzuändern, dass „nach bestandener ärztlicher Prüfung 
eine einjährige praktische Ausbildung im Krankenhause oder in einer 
Universitäts-Poliklinik vorgeschrieben wird, die als Assistent oder 
als Praktikant zu erlangen ist, und zwar in jeder der grossen Dis¬ 
ziplinen: Interne Medizin, Chirurgie, Geburtshilfe, Irrenheilkünde, patho¬ 
logische Anatomie“. 5. Um dem formellen Bedenken bezüglich der 
Vorschriften über Attestieren und Rezeptieren zu begegnen, empfiehlt es 
sich, die „Approbation“ zu teilen in eine bedingte, für den Dienst 
des praktischen Jahres, und eine definitive für die freie Praxis. — Nach 
längerer, eingehender Diskussion, aus welcher sich ergab, dass die Frage 
zurzeit völlig spruchreif ist, aber trotzdem nicht recht vorrückt, wurden 
die obigen Leitsätze einstimmig angenommen. Der Vorstand wurde be¬ 
auftragt, seine Ansicht an geeigneter Stelle vorzubringen. Zum Schluss 
verlas Kühler - Kreuznach kurz seine Thesen über Krankenhausärzte 
und Versicherungsgesetze. 

— Im Kaiserin Auguste Viktoria-Hause zur Bekämpfung der Säug¬ 
lingssterblichkeit traten mit Beginn des neuen Etatsjahres am 1. April 
folgende Stellenveränderungen ein: Die bisherigen Oberärzte Dr. Bahrdt 
und Dr. Rott sind zum stellvertretenden Direktor bzw. Dirigenten des 
Organisationsamtes für Säuglingsschutz der genannten Anstalt ernannt 
und der I. Assistent Dr. Thomas zum Oberarzt bestellt worden. 

Memmingen. Medizinalrat Dr. Huber, der bekannte Helmintho- 
loge und medizinische Historiograph, ist im Alter von 83 Jahren ge¬ 
storben. Er war einer der Aerzte der alten Schule, die inmitten einer 
allgemeinen ärztlichen Praxis es fertig brachten, auch auf wissenschaft¬ 
lichem Gebiet Hervorragendes zu leisten. 

— Um die weitverbreiteten Seuchen aller Art in Jerusalem zu 
bekämpfen und die gesundheitlichen Uebel der vielbesuchten Stadt mit 
ihren heiligen Stätten zu beschränken, hat sich vor einiger Zeit ein 
Komitee gebildet, dem hervorragende Männer der ärztlich-hygienischen 
Wissenschaft und Vertreter aller Konfessionen angehören. Das Komitee 
hat im Sommer v. J. zur Erforschung der Sachlage unter Führung von 
Prof. Dr. Müh lens vom tropenhygienischen Institut in Hamburg eine 
wissenschaftliche Expedition nach Jerusalem entsandt und dort unter 
Mitwirkung der Behörden und Aerzte eine hygienische Untersuchungs¬ 
stelle begründet. Sie hält enge Fühlung mit der von dem Philantropen 
Nathan Strauss in New York für die Gesundheitspflege in den jüdi¬ 
schen Quartieren eingerichteten Fürsorgestelle. Prof. Dr. Mühlens, 
der auf kurze Zeit nach Deutschland zurückgekehrt ist, wird über seine 


Forschungsergebnisse und die zur Assanierung Jerusalems geeigneten Maass¬ 
nahmen am 9. April, abends 8 Uhr, in der Singakademie zu Berlin einen 
populären Vortrag halten mit Lichtbilderdarstellungen der heiligen 
Stätten usw. Eintritt zu der Verammlung frei. 

Hochsohulnaohrichten. 

Berlin. Der Privatdozent für Neurologie, Dr. Förster, Dr. Vogt, 
Vorsteher am neurobiologischen Laboratorium und Dr. Bielschowsky, 
Abteilungsleiter an demselben Instistut, erhielten den Titel Professor. — 
Breslau. Geheimrat Küstner, Direktor der Universitäts-Frauenklinik, 
feierte sein 25 jähriges Jubiläum als Ordinarius. — Bonn. Prof.Verworn, 
Direktor des physiologischen Instituts, und Prof. Westphal, Direktor 
der psychiatrischen Klinik, wurden Geheime Medizinalräte. — Königs¬ 
berg. Dr. Bartels, Privatdozent für Anatomie, erhielt den Titel Pro¬ 
fessor. — Strassburg. Prof. Spiro wurde Honorarprofessor. — Wien, 
ao. Prof. Chiari erhielt die Ernennung zum Ordinarius der Laryngologie 
und Rhinologie. Der Privatdozent für Orthopädie, Dr. Reiner, ist ge¬ 
storben. — Graz. Die ausserordentliche Professur für Ohrenheilkunde, 
die Prof. Hab er mann innehat, wurde in ein Ordinariat umgewandelt. 
— Lemberg. Prof. Jurasz wurde Ordinarius für Laryngologie und 
Ohrenheilkunde. 


Amtliche Mitteilungen. 

Feznsonal ien. 

Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 4. Kl.: Geh. San.-Rat Dr. 
W. Boldt in Berlin, San.-Rat Dr. M. Alsberg in Cassel. 

Charakter als Geheimer Medizinalrat: ordentl. Professoren Dr. 
M. Verworn und Dr. A. Westphal in Bonn. 

Prädikat Professor: Privatdozenten Dr. E. Förster und Dr. G. 
Levinsohn in Berlin, Dr. P. Bartels in Königsberg und Dr. F. 
Eichelberg in Göttingen; Vorsteher des Neuro-biologischen Labora¬ 
toriums der Universität in Berlin Dr. 0. Vogt; Assistent am Neuro¬ 
biologischen Laboratorium daselbst Dr. M. Bielschowsky. 

In den Ruhestand getreten: Kreisarzt, Geh. Med.-Rat Dr. Esch- 
Waltrup in Cöln; Wissenschaft. Mitglied der Versuchs- und 
Prüfungsanstalt für Wasserversorgung und Abwässerbeseitigung in 
Berlin, Prof. Dr. H. Wo Iper t. 

Ausgeschieden aus dem Staatsdienste: Kreisassistenzarzt Dr. 
Wrobel in Kattowitz. 

Versetzt: Kreisarzt Dr. Heinze von Potsdam nach Angermünde, Kreis¬ 
arzt Dr. Stoffels von Wipperfürth nach Cöln. 

Ernennungen: Prof. Dr. L. Jores in Cöln zum ordentl. Professor in 
Marburg, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. 0. Lubarsch in Düsseldorf zum 
ordentl. Professor in Kiel, Privatdozent Prof. Dr. K. Spiro in Strass¬ 
burg zum Honorarprofessor daselbst; Kreisassistenzarzt Dr. J. Mar- 
mann in Koblenz zum Kreisarzt und Vorsteher des Medizinalunter¬ 
suchungsamtes in Potsdam, Kreisassistenzarzt Dr. A. Suessmann in 
Liegnitz zum Kreisarzt in Wipperfürth, Arzt Dr. R. Rüdlin in 
Triebei (N.-L.) zum Kreisassistenzarzt in Kattowitz, Arzt Dr. B. 
Kerckhoff in Haren zum Kreisassistenzarzt in Liegnitz, Arzt Dr. F. 
Schrammen in Cöln zum Kreisassistenzarzt in Königsberg i. Pr. 

Zu besetzen: zwei Assistentenstellen bei dem Königlichen Hygieni¬ 
schen Institut in Beuthen i. Oberschi, mit durchschnittlich 2100 M. 
Jahresremuneration; für eine Stelle ist Dienstwohnung gegen geringe 
Mietvergütung vorhanden, mit der anderen Stelle sind voraussicht¬ 
lich nebenamtliche Einnahmen verbunden. Meldungen sofort an den 
Institutsdirektor. 

Niederlassungen: Dr. G. Neugebauer in Striegau, Dr. E. Lange 
in Halle a. S., Dr. F. Th. G. A. Alb recht in Bodenfelde. 

Verzogen: Dr. J. Zabbe von Königsberg nach Domnau, Arzt M. 
Brexendorf von Lauenburg i. P. nach Neu-Ruppin, Dr. M. Her¬ 
ford von Altona nach Görlitz, Arzt L. Langer von Breslau nach 
Beuthen O.-Schl., Dr. W. Armbruster von Schkeuditz nach Henfen- 
feld i. Bayern, Dr. E. Boehnke von Königsberg i. Pr. und Dr. Th. 
Voeckler von Leipzig nach Halle a.S., Dr. J. Basten von Bad Orb 
nach Bonn, Dr. A. Ko.ppel von Dresden nach Cöln, Arzt P. Berger¬ 
hoff von Bedburg nach Rosbach a. Sieg, Dr. J. Th au er von Erlangen 
naoh Neunkirchen, Dr. A. Saveis von Cöln nach Saarbrücken. 

Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. E. Hirsch¬ 
feld und Dr. H. Cobliner von Berlin, Dr. E. Jacoby von Slawen- 
tzitz, Arzt H. Irsch Von Trier. 

Gestorben: Dr. L. Eisengräber in Eisleben, Dr. Fritsohe in 
Bodenfelde. , 


Berichtigung. 

In dem Artikel Ton ton in Nr. 13 dieser Wochenschrift muss es 
auf Seite 580, 1. Spalte, Zeile 43 von oben heissen: Mit etwa 30 In¬ 
jektionen ä 0,01, nicht 0,1. 


Für die Redaktion verantwortlich Dr. HanB Kohn, Berlin W., Bayrouther Strasse 42. 


Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4. 


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Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 





Oie Berliner Klinische Wochenschrift erscheint Jeden 
Montag in Nummern von ca. 5—6 Bogen gr. 4. — 
Preis Tierteljährlich <$ Mark. Bestellungen nehmen 
alle Buchhandlungen nnd PostanBtalten an. 


BERLINER 


Alle Binsendungen ffcr die Redaktion und Bxpeditioh 
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung 
August Hirsehwald in Berlin NW., Unter den Linden 
No. 68, adressieren. 


KL1NM3IE WOCHENSflffiTFT. 


Organ für praktische Aerzte. 


Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen* 

Redaktion: Expedition: 

Geh. Mcd.-Rat Prof. Dp. C. Posner und Dr. Hans Kohn. August Hirsehwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin. 


Montag, den 14. April 1913. 


M 15. 


Fünfzigster Jahrgang. 


INHALT. 


Originalton: Westphal: Ueber die Behandlung der progressiven Para¬ 
lyse. S. 669. 

Joachimsthal: Ueber Abbott’s Methode der Behandlung seitlicher 
Rückgratsverkrümmungen. (Aus der Universitäts-Poliklinik für 
(22 ? orthopädische Chirurgie zu Berlin.) (IUustr.) S. 671. 
8H^Arnoldi: Der prozentuale Chlorgehalt des Blutserums bei koch¬ 
salzarmer und kochsalzreicher fleischfreier Ernährung sowie bei 
verschiedener Flüssigkeitszufuhr. (Aus dem medizinisch - poli¬ 
klinischen Institut der Universität Berlin.) S. 675. 

Pfeiffer: Quantitative Eiweissbestimmungen im Urine für den 
praktischen Arzt. S. 677. 

Huber: Ueber die Blutveränderungen bei Icterus haemolyticus. 
(Aus dem Auguste Viktoria-Krankenhause Berlin-Schöneberg.) 
S. 681. 

Mosse: Zur Frage des hämolytischen Icterus. S. 684. 

Ephraim: Beiträge zur endoskopischen Diagnostik und Therapie 
endothoracischer Tumoren. (IUustr.) S. 685. 

Freudenthal: Ein (neuer) Kunstgriff zur (unblutigen) Erweiterung 
des grad-verengten Beckens. S. 688. 

Gessner: Ueber die Wirkung des Phosphors im Phosphorlebertran 
bei Rachitis als Inflammator. S. 688. 

Büeherbesprechungen : Rubens: Die Entwicklung der Atomistik. S. 690. 
(Ref. Buttersack.) — Passow: Trommelfellbilder. S. 690. (Ref. 
Schwabach.) — Schottlaender und Kermauner: Zur Kenntnis 
des Uterusoarcinoms. S. 690. (Ref. Aschheim.) — Neuberg: Be¬ 
ziehungen des Lebens zum Liebt. S. 691. (Ref. Haberling.) — 
Bang: Der Blutzucker. S. 691. (Ref. Schirokauer.) 

Literatur-Auszüge: Physiologie. S. 691. — Pharmakologie. S. 692. — 
Therapie. S. 692. — Allgemeine Pathologie und pathologische 


Anatomie. S. 692. — Diagnostik. S. 698. — Parasitenkunde und 
Serologie. S. 693. — Innere Medizin. S. 694. — Psychiatrie 
und Nervenkrankheiten. S. 694. — Kinderheilkunde. S. 695. — 
Chirurgie. S. 695. — Röntgenologie. S. 696. — Urologie. S. 696. — 
Haut- und Geschlechtskrankheiten. S. 696. — Geburtshilfe und 
Gynäkologie. S. 696. — Augenheilkunde. S. 697. — Hals-, Nasen- 
und Ohrenkrankheiten. S. 697. — Hygiene und Sanitätswesen. 
S. 697. — Militär-SanitätsweseD. S. 697. 

Verhandlung«! ärztlicher Gesellschaften: Verein für innere Medizin 
und Kinderheilkunde zu Berlin. S. 698. — Gynäkologische 
Gesellschaft zu Berlin. S. 698. — Medizinische Sektion der 
schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur zu 
Breslau. S. 699. — Breslauer psychiatrisch-neurologische 
Vereinigung. S. 701. — Verein der Aerzte Wiesbadens. 
S. 703. — Aerztlieher Verein zu Hamburg. S. 704. — 
Aerztlioher Verein zu Frankfurt a. M. S. 704. — Aerztlieher 
Verein zu München. S. 705. — Physikalisch-medizinische 
Gesellschaft zu Würzburg. S. 705. — Naturhistorisch¬ 
medizinischer Verein zu Heidelberg. S.706. — Nürnberger 
medizinische Gesellschaft und Poliklinik. S.707.— Unter- 
elsässischer Aerzteverein zu Strassburg i. E. S. 707. — 
Medizinische Gesellschaft zu Basel. S.708. — K.k. Gesell¬ 
schaft der Aerzte zu Wien. S. 708. — Gesellschaft für 
innere Medizin und Kinderheilkunde zu Wien. S. 709. — 
Verein deutscher Aerzte zu Prag. S. 709. 

42. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 
zu Berlin. (Fortsetzung.) S. 709. 

Tagesgeschichtliche Notizen. S. 716. 

Amtliche Mitteilungen. S. 716. 


Ueber die Behandlung der progressiven Paralyse. 

Von 

A. Westphal- Bonn. 


Die Frage der Behandlung der progressiven Paralyse ist erst 
vor kurzem Gegenstand eines ausführlichen von Spiel ineyer 
und E. Meyer 1 ) auf der Kieler Versammlung des Deutschen 
Vereins für Psychiatrie erstatteten Referats gewesen, in dem dieses 
Thema in kritischer Weise nach den verschiedensten Richtungen 
bin erschöpfend behandelt worden ist. Bei der an dieser Stelle 
gebotenen Kürze sei es mir gestattet, nur anf einige jetzt be¬ 
sonders aktuelle Punkte, welche bei der Behandlung der pro¬ 
gressiven Paralyse in Frage kommen, hinzuweisen. 

Ist die Dementia paralytica überhaupt einer Heilung zu- 
gängig? Das ist die Frage von prinzipieller Bedeutung, welche 
sich ans zunächst aufdrängt. Es ist allgemein bekannt, dass die 
Paralyse in der Regel in wenigen Jahren, seltener nach einer 
längeren Reihe von Jahren zum Tode führt, dass aber in den 
verschiedensten Stadien der Krankheit Remissionen Vorkommen, 
in denen die krankhaften Erscheinungen oft für lange Zeit ver¬ 
schwinden und sich zurückbilden können. Das Vorkommen 
solcher weitgehender Remissionen sowie die Beobachtung von 
Fällen sogenannter „stationärer“ Paralysen hat den Gedanken 


1) Archiv f. Psychiatrie u. Nenrenkrankh., Bd. 50, H. 1. 


nabegelegt, dass vielleicht auch einmal eine dauernde Heilung 
der Krankheit Vorkommen könne. Eine ganze Reibe solcher an¬ 
geblich geheilter Paralysen sind in der Literatur beschrieben 
worden, welche jedoch fast ausnahmslos einer Kritik, die wir auf 
Grund unserer heutigen diagnostischen Hilfsmittel, vor allem der 
Untersuchung des Serams und des Liquors, anlegen müssen, 
schon vom klinischen Standpunkte aus betrachtet, nicht stand¬ 
halten. Auch der berühmte Tuczek’sche Fall kann heute nicht 
mehr als einwandfrei bezeichnet werden, wie der Autor selbst 
auf Grund seiner nenen Erfahrungen zugibt. 

Noch zweifelhafter erscheinen die Fälle von geheilter Para¬ 
lyse im Lichte unserer vorgeschrittenen Kenntnisse der patho¬ 
logischen Anatomie des Leidens. 

Die von Alzheimer aufgestellte Forderung, dass alle 
Zeichen einer Progression des krankhaften Prozesses fehlen, nur 
die irreparablen Störungen nachweisbar bleiben müssten, bat sich 
bisher nicht erbringen lassen, so dass Spielmeyer (1. c.) zu¬ 
sammenfassend hervorhebt, dass wir heute noch keinen anatomisch 
bewiesenen Fall geheilter Paralyse besitzen. 

Wenn demnach nach dem heutigen Standpunkt unserer 
Kenntnisse der Beweis der Heilung einer Paralyse noch in keinem 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


Falle in einwandfreier Weise erbracht ist, soll die Möglichkeit 
des Vorkommens eines Dauerzustandes, der praktisch einer 
Heilung nahekommt, nicht bestritten werden. Vor allem 
fordern die Fälle von langdauernden und gut ausgebildeten 
Remissionen dazu auf, die Bedingungen zu erforschen, unter denen 
dieselben aufgetreten sind, um auf diese Weise Anhaltspunkte 
für ein therapeutisches Eingreifen zu gewinnen. Was den Zeit¬ 
punkt des Einsetzens therapeutischer Maassnahmen bei der Para¬ 
lyse betrifft, so sollte man bei dem fortschreitenden Charakter 
des Leidens annehmen, dass eine möglichst frühzeitige Behandlung 
noch am ehesten einen Erfolg erwarten lasse, und dass die Er¬ 
kennung der Paralyse in ihren Frühstadien schon aus diesem 
Grunde von der grössten Wichtigkeit sei. Besonders ist es das 
sogenannte „neurasthenische“ Vorstadium der Paralyse, dessen 
Verkennung und falsche Beurteilung für den Kranken und für 
dessen Familie nicht selten verderbliche Folgen hat. Wenn auch 
eine Reihe von Erscheinungen dieses Stadiums, Reizbarkeit, 
Stimmungswechsel, Schlaflosigkeit, Gedächtnisstörungen, Gefühl 
von Nachlassen der geistigen Leistungsfähigkeit weitgehende Aehn- 
lichkeit mit einfachen neurasthenischen Störungen haben kann, 
weist doch oft die eigenartige Stumpfheit, mit der die Para¬ 
lytiker ihre Klagen Vorbringen, im Gegensatz zu der scharfen 
Selbstbeobachtung des Neurasthenikers, die Schlaffheit und Leere 
der Gesichtszüge, Angaben über Charakterveränderungen des 
Kranken und über Veränderungen ihres sozialen Verhaltens auf 
die Natur des Leidens hin, auch wenn die körperliche Unter¬ 
suchung zu dieser Zeit noch keine deutlichen Störungen er¬ 
kennen lässt. 

Bei früher syphilitisch infizierten Neurasthenikern gestaltete 
sich bis vor kurzem in solchen Fällen die Diagnose mitunter zu 
einer recht schwierigen, so dass oft längere Zeit eine Entscheidung, 
ob Neurasthenie oder Paralyse vorlag, nicht getroffen werden 
konnte, bis das Auftreten oder das Fortbleiben von körperlichen 
Lähmuogserscheinugen der Diagnose den richtigen Weg wies. 

Diese diagnostischen Schwierigkeiten sind in letzter Zeit 
durch die serologischen Untersuchungen und besonders durch die 
Untersuchung des Liquors verringert worden. Schon der Nach¬ 
weis der Lymphocytose im Liquor wird in Fällen dieser Art von 
grosser Bedeutung sein, da er auf eine organische Erkrankung 
des Centrainervensystems hinweist, allerdings mit der Ein¬ 
schränkung, dass nach den neuen Untersuchungen Haupt- 
mann’s 1 ) auch im Sekundärstadium der Lues Lymphocytose Vor¬ 
kommen soll, ohne dass eine Erkrankung des Centralnerven¬ 
systems vorzuliegen braucht. Findet sich ausser der Lympho¬ 
cytose noch positiver Wassermann und Phase I Nonne-Apelt, 
dann wird das Vorliegen einer organischen, auf Syphilis be¬ 
ruhenden Erkrankung des Centralnervensystems sehr wahrscheinlich. 

Für die schwierige und therapeutisch wichtige Differential¬ 
diagnose zwischen progressiver Paralyse und syphilitischer Pseudo¬ 
paralyse wird dann die Stärke der Lymphocytose und der Ei- 
weissvermehrung im Liquor, die bei Paralyse in der Regel er¬ 
heblicher ist als bei der Pseudoparalyse, in die Wagschale fallen, 
ohne dass jedoch im speziellen Falle diesem Verhalten immer 
eine ausschlaggebende Bedeutung zuzukommen braucht. In zweifel¬ 
haften Fällen spricht dann der positive Wassermann im Blut für 
Paralyse, während er bei Anwendung derselben Liquormengen bei 
syphilitischer Pseudoparalyse meist negativ ausfällt. So über- 
eiqstimmend die Ansicht der meisten Autoren über die Wichtig¬ 
keit des positiven Wassermann im Liquor für die Diagnose der 
Paralyse ist, sind die Ansichten über das Vorkommen des 
negativen Wassermann bei dieser Krankheit noch geteilt. Io 
jüngster Zeit hat Kircbberg 2 ) bei einer grösseren Zahl von 
Paralysen negativen Wassermann — wenigstens vorübergehend — 
weit häufiger gefunden, „als unter dem Einfluss der positiven Er¬ 
gebnisse allgemein geglaubt wird 11 . 

Zu ähnlichen Ergebnissen war schon früher Bonhoeffer 3 ) 
gekommen. Bei unseren eigenen Untersuchungen haben wir bei 
Fällen sicherer Paralyse positiven Wassermann fast ausnahmslos 
im Liquor gefunden. 

So ausserordentlich wichtig demnach die Untersuchung des 
Liquors, in erster Linie die Wassermann’sche Reaktion in diagnosti¬ 
scher Hinsicht ist, müssen wir uns doch stets vergegenwärtigen, 
dass diese Reaktion nur ein sehr wesentliches Symptom schon in den 

1) Die diagnostische Bedeutung der Lumbalpunktion. Alt-Hoche’s 
Sammlung, 1913. 

2) Archiv für Psychiatrie, 1913, Bd. 50, H. 3. 

8) Bemerkungen zur Behandlung und Diagnose der progressiven 
Paralysen. Diese Wochenschr., 1910, Nr. 29. 


Frühstadien der progressiven Paralyse darbieten kann, neben dem 
die klinischen Erscheinungen volle Berücksichtigung in jedem 
Falle erfordern, wenn wir nicht zu Trugschlüssen gelangen wollen. 
Ganz besonders möchten wir hervorheben, es ist das ein Punkt, 
auf den Nonne 1 ) vor kurzem nachdrücklich bingewiesen bat, 
„dass sich die Untersuchungen des Liquor bei Fehlen subjektiver 
und objektiver nervöser Erscheinungen noch in den Anfangs¬ 
stadien befinden, und dass weitere Untersuchungen dieser Art un¬ 
erlässlich sind, um die Frage zu lösen, ob positive Befunde im 
Liquor, welche refraktär gegen antisyphilitisebe Behandlung 
sind, einen frühen Hinweis liefern auf das spätere Eintreten 
syphilogener organischer Nervenerkrankung“. 

Von ganz ähnlichen Vorstellungen gebt Hauptmann aus 
wenn er (1. c.) angibt, dass die Lymphocytose im Sekundärstadium 
der Syphilis möglicherweise durch eine Infektion mit für das 
Centralnervensystera besonders virulenten Spirochäten: „Nerven¬ 
system Spirochäten“ bedingt sein könne, und dass die thera¬ 
peutische Forderung nur unterstützt werden könne, Syphilitiker 
zur Kontrolle zu lumbalpunktieren, und wenn Lymphocytose 
vorhanden sein sollte, so lange zu behandeln, bis sie verschwunden 
ist. Konsequent durebgeführte Behandlungen (Dreyfuss) hätten 
gezeigt, dass dies Ziel erreicht werden könne.“ 

Um diese noch schwebenden diagnostischen nnd thera¬ 
peutischen Fragen der Lösung näher zu bringen, wird es, unserer 
Ansicht nach, noch vieler lange Zeit fortgesetzter, sorgfältiger 
und kritisch durebgeführter Zusammenarbeit von Neurologen 
und Syphilidologen bedürfen. 

Fragen wir uns nun, ob die therapeutischen Erfolge mit den 
zweifellos vorhandenen diagnostischen Fortschritten bei der Paralyse 
Hand in Hand gegangen sind, so müssen wir diese Frage ver¬ 
neinen. 

Die gegen die spezifische Ursache der Paralyse, die Syphilis, 
gerichteten therapeutischen Maassnahmen sind nach wie vor er¬ 
folglos geblieben, und nur zu häufig sieht man nach Quecksilber¬ 
kuren Verschlechterungen des Zustandes, Häufung von Anfällen 
und einen rapideren Verlauf des Leidens eintreten. 

Nur bei beginnenden Fällen, im Initialstadium der Paralyse, 
scheinen nach den Erfahrungen, besonders der Wiener Schule, 
milde Hg-Kuren mitunter einen gewissen Erfolg gehabt oder 
wenigstens nicht geschadet zu haben. 

Stets sollen Hg und Jod angewandt werden in Fällen, bei 
denen die Diagnose Paralyse nicht ganz sicher feststeht, in denen 
an die Möglichkeit einer syphilitischen Pseudoparalyse gedacht 
werden kann. 

Auch gegen das Salvarsan, welches auf die meisten syphili¬ 
tischen Prozesse in so ausgezeichneter Weise wirkt, zeigt sich die 
Paralyse nach den Erfahrungen fast aller Autoren refraetär, hatte 
ja Ehrlich von vornherein zu grösster Vorsicht bei dieser Krank¬ 
heit geraten und vor weitgehenden Hoffnungen gewarnt. Ob die 
von einzelnen Autoren nach Salvarsanbebandlung beschriebenen 
vorübergebenden Besserungen des Leidens auf die Behandlung 
zurückzuführen sind oder ob es sich um Remissionen bandelt, die 
auch ohne Salvarsan eingetreten wären, ist im Einzelfalle oft 
schwer zu entscheiden. 

Das Verschwinden der Wassermann’scben Reaktion, welches 
in einer Reihe von Fällen bei der Paralyse nach Salvarsan- 
behändlung konstatiert worden ist, scheint, vom therapeutischen 
Standpunkt aus betrachtet, belanglos zu sein, da nach den Unter¬ 
suchungen Nonne’3 u. a. kein Parallelismus zwischen Rückgang 
der Wassermann’schen Reaktion und dem Verlauf der Paralyse 
besteht, so dass bei dieser Krankheit dies sonst so wichtige 
Kriterium für die Behandlung ohne Nutzen ist, ein Punkt, den 
auch Oppenheim besonders hervorgehoben hat. 

Neben der spezifischen Behandlung der Paralyse hat man 
versucht, auf die toxischen und Autointoxikationsvorgänge, wie 
sie von einer Reihe von Forschern als Ursache dieser Krankheit 
angenommen wurden, heilend einzuwirken. Von ähnlichen Grund¬ 
sätzen ausgehend, die der in früheren Zeiten wiederholt an¬ 
gewandten Behandlungsmethode der Erregung von Eiterungen 
durch Einreiben von BrechWeinstein auf den Schädel zugrunde 
lagen, ist besonders in Oesterreich (v. Wagner-Pilcz) in jüngster 
Zeit der Versuch gemacht worden, durch Tuberkulininjektionen 
den paralytischen Prozess zu beeinflussen, indem man „allgemeine 
nicbtspezifische Gegenwirkungen“ durch die diese Injektionen be¬ 
gleitenden Temperaturerhöhungen und durch die Vermehrung von 
Leukocyten hervorrufen wollte. Was den Erfolg dieser Behandlungs- 


1) Neurolog. Centralbl., 1918, Nr. 4. 


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14. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


671 


methode betrifft, können wir wohl mit E. Meyer (I. c.) sagen, 
dass sie ohne Schaden durchgeführt werden kann, ond dass viel¬ 
leicht häufiger als ohne Behandlung sich bei ihr Besserungen und 
Remissionen einstellen. 

Durch Hervorrufen analoger Reaktionen bei Paralytikern 
durch Injektionen von Pflanzeneiweiss in Form von nucleinsaurem 
Natron glauben Donath und Fischer sehr günstige Erfolge bei 
der Behandlung erzielt zu haben. Diesen günstigen Resultaten 
stehen ungünstige Erfolge anderer Autoren (z. B. K ieneberger’s) 
gegenüber, und auch durch die von Jolowicz 1 ) auf der Flecbsig- 
schen Klinik vor kurzem versuchte kombinierte Behandlungs¬ 
methode mit Natrium nucleinicum und Salvarsan konnte eine 
irgendwie nennenswerte Beeinflussung des Krankheitsbildes nicht 
festgestellt werden. 

Zusammenfassend werden wir zu dem Schluss ge¬ 
langen, dass für diese nichtspezifischen Behandlungs¬ 
methoden ebensowenig wie für die spezifischen bisher 
der Beweis erbracht ist, dass sie auf die Dauer das 
Fortscbreiten des paralytischen Prozesses zu ver¬ 
hindern imstande sind. Ob diese Behandlungsmethoden, ver¬ 
einzelt oder in Kombinationen angewandt, den Weg für Re¬ 
missionen zu ebnen imstande sind oder vorübergehende Besserungen 
hervorzurufen, darüber können erst weitere Erfahrungen entscheiden. 

Zunächst werden der Prophylaxe die wichtigen Aufgaben 
zufallen, einerseits die Syphilis selbst und ihre Weiterverbreitung 
zu bekämpfen, andererseits die Infizierten möglichst gründlich 
zu behandeln und sie auf ihrem weiteren Lebenswege zu über¬ 
wachen. Die Frage, ob durch regelmässig fortgesetzte Liquor- 
oder serologische Untersuchungen der syphilitisch Infizierten, be¬ 
sonders, auch der anscheinend „leichten 11 Fälle unser therapeu¬ 
tisches Handeln schon frühzeitig bestimmte Richtungslinien, 
welche geeignet sind, dem Ausbruch der Paralyse vorzubeugen, 
erhalten könnte, harrt noch der Lösung. 

Das auffallend refraktäre Verhalten der Paralyse gegenüber 
Quecksilber, Salvarsan, Jod hatte io Verbindung mit Eigentüm¬ 
lichkeiten des klinischen Bildes und des pathologisch-anatomischen 
Befundes dieser Krankheit zu der Hypothese geführt, dass wir 
es bei der Paralyse nicht mit einem eigentlich syphilitischen 
Prozess zu tun haben, sondern mit einer meta- oder para¬ 
syphilitischen Erkrankung, bei der die Erreger selbst nicht mehr 
vorhanden sind. 

Der fast regelmässig positive Ausfall der Wassermann’schen Re¬ 
aktion bei der Paralyse hatte aber von vornherein bei v. Wasser¬ 
mann und Ehrlich Zweifel an der Richtigkeit dieser Hypothese 
erweckt und diese Forscher zu der Annahme geführt, dass die 
Spirochaeta pallida wohl doch bei der Krankheit noch vorhanden 
sein müsse, wenn auch ihr Nachweis bisher nicht geglückt sei. 
Der in jüngster Zeit von Noguchi erbrachte Nachweis, dass 
etwa in 20 pCt. von paralytischen Gehirnen in der Rinde Spiro¬ 
chäten vorhanden sind, hat die Richtigkeit dieser Ansicht in 
überzeugender Weise dargetan. Die Paralyse ist nach diesem 
für die Lehre dieser Krankheit epochemachenden Befunde eine 
echt syphilitische Erkrankung des Centralnervensystems, und die 
Unwirksamkeit aller antisyphilitischer Mittel durch diese Ent¬ 
deckung eine noch rätselhaftere geworden. 

Zar Erklärung dieser merkwürdigen Tatsache kann man sich 

1) Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 4. 


mit Ehrlich 1 ) vorstellen, „dass sich bei der Paralyse, die so 
lange nach der Infektion aufzutreten pflegt, ein Recidivstamm 
vorfinden muss, der in seinen biologischen Eigenschaften von den 
die frischen Infektionen bedingenden Spirochäten weitgehend ver¬ 
schieden sein kann, und dass diese Verschiedenheit auch in einer 
Resistenz gegen die therapeutischen Agentien zutage tritt“. 

In ähnlichem Sinne hat sich auch vor kurzem Fr. Schnitze 1 ) 
ausgesprochen. 

Andererseits muss auch an die Möglichkeit gedacht werden, 
dass infolge der besonderen Ernährungs- und Circulations- 
verhältnisse des Gehirns die therapeutischen Agentien vielleicht 
nicht in genügender Menge und in genügender Intensität auf die noch 
vorhandenen Spirochäten einwirken können, um sie zu zerstören. 
Die eigentümliche, diffus zerstreute Lage der in der Regel nicht 
in der Nähe von Gefässen liegenden Spirochäten in den tieferen 
Rindenschichten, wie sie mir bei Durchsicht des mir freundlichst 
von Herrn Kollegen E. Hoff mann zur Verfügung gestellten 
Präparates Noguchi’s auffiel, schien auf eine solche Möglichkeit 
hinzuweisen. 

Sioli s ) machte darauf aufmerksam, „dass die Meningen und 
die adventitiellen Scheiden der Gefässe im allgemeinen bei Para¬ 
lyse eine Grenzmauer für Infiltrationszelien sind; die über die 
beschränkte Permeabilität der Meningen bekannten Befunde lassen 
vermuten, dass hier auch für Arzneimittel eine Sperre besteht; 
für die Spirochäten besteht offenbar diese Sperre nicht, worauf 
gerade das Noguchi’scbe Präparat hinweist. Praktisch käme also 
bei der antiluetiscben Behandlung der Paralyse der Versuch in 
Betracht, die Permeabilität der Meningen zu erhöhen 
(sekretionserhöhende Mittel, venöse Halsstauung)“. 

Wir sehen, dass der wichtige Befund Noguchi’s auch neue 
Perspektiven für unser therapeutisches Handeln eröffnet, wie ja 
auch Ehrlich (1. c.) betonte, „dass man nun versuchen müsse, die 
Wirkungsweise der Arsenikalien zu verschärfen und sich nicht 
auf ein einziges Arsenikale zu beschränken, sondern verschiedene 
Typen mit differenten Angriffspunkten für die Kombinations¬ 
behandlung heranzuziehen“. 

Auf jeden Fall glauben wir mit Ehrlich, „dass der positive 
Befund Noguchi 1 s Veranlassung geben muss, noch einmal die 
Behandlung der Paralyse mit aller Energie in die Hand zu 
nehmen, da sie keine Nachkrankheit, sondern ein aktiver Infek- 
tionsprozess ist“. / 

Nach den bisherigen Erfahrungen muss man aber auch bei 
dem jetzigen Standpunkt unserer Kenntnisse von der Natur des 
Leidens vor zu weitgehenden Hoffnungen auf therapeutische Er¬ 
folge warnen, um vor Enttäuschungen gesichert zu sein. 

Wir werden uns, bevor sich nicht für eine spezi¬ 
fische Behandlung neue Wege geöffnet haben, im wesent¬ 
lichen auch fernerhin darauf beschränken müssen, durch eine 
symptomatische Behandlung und sorgfältigste Pflege das Los 
unserer Kranken nach Möglichkeit zu erleichtern. 

1) Demonstration eines Präparats mit Spirochäten eines Falles von 
Paralysis progressiva. Münchener raed. Wochenschr., 1913, Nr. 8, S. 448. 

2) Diskussion zu dem Vortrag von Erich Hoffmann: Ueber den 
Nachweis von Syphilisspirochäten in der Hirnrinde bei der Dementia 
paralytica durch Noguchi (mit Demonstration). Deutsche med. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 11, S. 532. 

3) Diskussion zu E. Hoffmann’s Demonstration (1. c.). 


Aus der Universitäts-Poliklinik für orthopädische 
Chirurgie zu Berlin. 

Ueber Abbott’s Methode der Behandlung seit¬ 
licher Rückgratsverkrfimmungen. 1 ) 

Von 

Prof. Dr. Joaehim8thal. 

Im verflossenen Jahre ist zuerst durch eine ausführlichere 
Mitteilung von Abbott im New York medical Journal 2 ) sowie 
weiterhin durch Diskussionen in amerikanischen und französischen 
medizinischen Gesellschaften 3 ) die Aufmerksamkeit weiterer Kreise 

1) Nach einer Demonstration auf dem 12. Kongress der Deutschen 
Gesellschaft für orthopädische Chirurgie am 24. März 1913. 

2) E. G. Abbott, Correction of lateral curvature of the spine. 
New York medical Journal, 27. April 1912, S. 833; s. auch New York medical 
Journal, 24. Juni 1911, S. 1217. 

3) Soci6t6 de pediatrie, 12. November 1912; Soci6t6 de l’internat 
des höpitaux de Paris, 28. November 1912. 


auf eine Behandlungsmethode der Skoliose gelenkt worden, welche 
sich zu unseren bisherigen bei der Therapie dieses Uebels durch¬ 
geführten Prinzipien in einen gewissen Gegensatz stellt und deren 
Resultate — wenigstens nach den bisherigen Publikationen — 
günstige zu sein scheinen. 

Wir verwenden bekanntlich bei der Bekämpfung der seit¬ 
lichen Rückgrats Verkrümmungen neben der Gymnastik, deren 
Wert für die Kräftigung der Muskulatur und der so bewirkten 
Beschaffung eines die Stützung des Körpers besorgenden „Muskel¬ 
korsetts“ neuerdings mit Recht auch für die Behandlung der 
tuberkulösen Erkrankungen der Wirbelsäule (Rollier) betont 
wird, neben der Anwendung der altbewährten Massage und der 
redressierenden Manipulationen, welche teils manuell, teils instru- 
mentell — wenn auch nur vorübergehend — die Abweichung zu 
korrigieren suchen, endlich neben Lagerungsvorrichtungen auch 
portative Apparate. Dieselben suchen ausser einer Druckwirkung 
auf die abgewichenen Teile vornehmlich eine Streckung der 
Wirbelsäule zu erreichen. Die zu ihrer Herstellung verwendeten 

1 * 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Gipsmodelle werden dabei meist in Suspension gefertigt. Ausser¬ 
dem kommen vorübergebend unabnehmbare Gipskorsetts zur 
Verwendung, bei deren Herstellung von einzelnen Seiten ausser 
dem Zug am Kopf auch noch ein solcher an den Füssen benutzt 
wird. Um mit grösserer Sicherheit eine Beseitigung der Ab¬ 
weichungen der Wirbelsäule zu erreichen, wurde es sogar für er¬ 
forderlich erachtet, auch den Kopf mit einzuschliessen, um 
zwischen diesem und dem Beckenteil des Verbandes eine voll¬ 
kommene Streckung der Wirbelsäule zu erreichen. Dass gelegentlich 
die bei diesem Vorgehen eintretende Abflachung auch der sagittalen 
Krümmungen für die Beseitigung der skoliotischen Einstellungen 
der Wirbelsäule nicht von Vorteil ist, hat bereits Lovett hervor¬ 
gehoben, indem er darauf hinwies, dass man eine straff gespannte 
Saite schwerer nach der Seite biegen kann als eine schlaffe, und 
darauf aufmerksam machte, dass korrigierende Verbände besser in 
vorgebeugter Haltung angelegt werden. 

ln dieser Beziehung sucht nun Abbott noch einen wesent¬ 
lichen Schritt weiter zu gehen, indem er bei seiner Methode der 
Anlegung redre8sierender Gipsverbände die Korrektur der Wirbel¬ 
säulenabweichung in starker Beugestelluug vornimmt und 
durch Ausnutzung von Naturkräften, wie sie namentlich die ver¬ 
änderte Schwerlinie des Körpers und ganz besonders die für die 
speziellen Zwecke umgeleitete Atmung abgeben, die Skoliose 
weiter zu beeinflussen sucht. 

Wir haben bei dem Aufsehen, das die bisherigen Veröffent¬ 
lichungen über die Methode hervorgerufen hat, auch unsererseits 
geglaubt, dieselbe nachprüfen zu müssen. 

Abbott sucht in ähnlicher Weise wie bei der Behandlung 
des Klumpfusses möglichst eine Ueberkorrektur zu erzielen und 
will den Thorax in der erzielten Stellung so lange fixieren, bis 
die Teile sich der neuen Stellung angepasst haben. Es muss 
darauf Rücksicht genommen werden, dass bei der Skoliose neben 
der rein seitlichen Abweichung auch eine Rotation der Wirbel¬ 
säule besteht, welche in einer Prominenz der Rippen hinten an 
der Seite der Konvexität, vorn an derjenigen der Konkavität 
ihren deutlichen Ausdruck findet. Die Rippen sind weiterhin an 
der Seite der Abweichung des Dorsalabschnitts mit der ent¬ 
sprechenden Schulter gehoben, an der anderen Seite gesenkt. 
Diesen verschiedenen Aeusserungen des Uebels sucht Abbott 
zu gleicher Zeit bei der Ausführung der Korrektur entgegen¬ 
zuarbeiten, indem er den Patienteu io eine Stellung zwingt, 
welche genau der ursprünglichen Stellung entgegengesetzt ist. 
Die niedrige Schulter wird mit den gesenkten Rippen in die Höhe 
gehoben, die höhere gesenkt, die hinten hervortretenden Rippen 
werden nach vorn gezogen, und endlich wird ein Zug gegen 
die seitliche Biegung ausgeübt, während ein Gipskorsett 
angelegt wird, das die erreichte Korrektion aufrecht erhält. 
Es ist die besondere Eigentümlichkeit der Methode, das Re¬ 
dressement in stark vornübergeneigter Stellung des Kranken zu 
vollführen. 

Abbott lagert den Patienten in eine an einem besonderen 
Rahmen befestigte Hängematte. Seine Methode ist in letzter 
Zeit mehrfach modifiziert worden, ohne dass sich indessen das 
Prinzip geändert hätte. 

Figur 1 zeigt einen Rahmen, wie wir ihn uns nach den Angaben 
Abbott’s in dem New York medical journal haben konstruieren 
lassen und zur Nachprüfung der Methode benutzen. Er ist aus 
Gasrohr gearbeitet (die von Abbott gewünschten Masse sind 
1,70 m Länge, 70 cm Breite, 75 cm Höhe). Seine Vorder- und 
Hinterstützen bestehen aus je zwei in Rinnen verschiebbaren 
Eisenstäben. Auf diese Weise kann der vordere Stützpunkt des 
Rahmens aus der horizontalen Einstellung um 30 cm erniedrigt, 
der hintere Stützpunkt um 45 cm erhöht werden. Zur 
Lagerung des Patienten auf diesem Rahmen dient eine Art 
von Hängematte, die Abbott aus leichtem Drell herstellt, 
während wir selbst gewöhnliche Sackleinwand verwenden. Sie soll 
ungefähr 90 cm lang und 40 cm breit sein. Ihre Enden werden 
umgeschlagen und in der Weise vernäht, dass sowohl oben als 
auch unten je ein Saum offen bleibt, bestimmt zur Aufnahme 
zweier Eisenstäbe, mit welchen die Matte an dem Rahmen be¬ 
festigt wird. Um hierbei eine mehr oder minder starke 
Anspannung und damit ein mehr oder weniger hochgradiges Ein¬ 
sinken des auf die Matte gelegten Patienten zu ermöglichen, wird 
die obere Stange durch Schnüre mit einer zweiten Eisenstange 
in Verbindung gebracht, die mit Hilfe einer Schraubenvorrichtung 
nach oben oder unten geführt werden kann. Die durch den 
unteren Saum der Matte gezogene Stange wird gleichfalls mit 


Nr. 15. 


Figur 1. 



Hilfe von Schnüren entweder an den Rahmen selbst oder den 
unteren Teil eines etwa an der Grenze seines letzten Drittels be¬ 
festigten, in verschiedener Winkelstellung zu fixierenden Halb¬ 
rahmens angebracht, der mit Quergurten versehen ist und bei der 
Lagerung des Patienten seine senkrecht erhobenen Beine stützen 
soll. Die Hängematte selbst ist dem Kopfende entsprechend 
schräg geschnitten, so dass ihre beiden Längsseiten bei paralleler 
Einstellung der sie tragenden vorhin erwähnten Eisenstangen 
eine ungleiche Länge aufweisen. 

Der Patient wird für die Anlegung des Korsetts in der Weise 
vorbereitet, dass er mit einem doppelten Trikotschlauch bekleidet 
wird, dessen Enden einerseits oberhalb der Schulter, andererseits 
vorübergehend zwischen den Beinen vernäht werden. Zwischen 
beiden Trikotschläuchen werden Filzplatten an solchen Stellen 
eingelegt und befestigt, welche bei der Anfertigung des Gips¬ 
korsetts besonders vor Druck geschützt werden sollen, so am 
Kreuzbein, an den Spinae und Cristae ilei, den Achseln. Endlich 
wird noch ein besonders dickes Kissen hinten auf die 
abgeflachte Rippenpartie der konkaven Seite gelegt. 
Es soll nach dem Erhärten des Gipskorsetts durch ein in diesem 
angebrachtes Fenster entfernt werden und den Raum aussparen 
für eine kräftige Entfaltung der an dieser Stelle stark 


Figur 2. 



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14. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


673 


Figur 3. Figur 4. Figur 5. 



Abbott’scher Verbaud bei einer Patientin mit fixierter rechtsseitiger Dorsalskoliose. 


eingesunkenen Thoraxpartie, eine Entfaltung, welche, wie 
wir sehen werden, unter dem Einfluss der nach der Anlegung 
des Korsetts veränderten Atmung berejts nach kurzer Zeit vor 
sich geht. 

ln der beschriebenen Weise vorbereitet, wird der Patient so 
in die Hängematte gelegt (Figur 2), dass der Kopf der oberen, 
die Matte tragenden Stange, das Gesäss der unteren Stange und 
die Beine dem nunmehr steilgestellten Halbrahmen anliegen. 
Durch entsprechende Schraubenwirkung gelingt es leicht, eine 
hochgradige Kyphose zu erzeugen. Dabei wird der Kranke 
so auf die Matte gelegt, dass die kürzere Seite derselben der 
konvexen Seite, die längere Seite der konkaven Seite der Krümmung 
entspricht. Schon auf diese Weise finden die zusammen¬ 
gepressten Rippen der konkaven Seite Platz sich aus¬ 
zubreiten. Die so eingeleitete Neigung zur Umkrümmung wird 
durch andere Maassnabmen unterstützt. Bei der folgenden Dar¬ 
stellung setzen wir das Vorhandensein einer rechtsseitigen Dorsal¬ 
skoliose voraus. 

Die linke sonst tiefer stehende Schulter wird entweder in 
der Weise mit den Rippen in die Höhe gebracht, dass ein 
Assistent die linke Hand des Patienten umgreift und kräftig nach 
oben zieht, oder der Kranke kommt dieser Forderung selbst da¬ 
durch nach, dass er mit dem linken Arm oberhalb des 
Kopfes herumgreift und mit der linken Hand einen Teil des 
Rahmens auf der entgengesetzten Seite umfasst. Die rechte Hand 
greift nach einem fusswärts gelegenen Teil der entsprechenden 
Seite des Rahmens und zieht damit die früher hochstehende 
Schulter mitsamt den Rippen nach abwärts. 

Es folgt nunmehr die Anlegung einer Anzahl von 
Zügeln aus festem Leinenstoff. 

Der eine greift um die linke Spina herum und findet an der 
rechten Seite des Rahmens seine Befestigung; er fixiert das 
Becken. Ein zweiter wird in die linke Achsel gelegt und schräg 
über den Rahmen zur entgegengesetzten Seite desselben nach 
vorn gezogen und dort befestigt. Ein dritter mindestens 10 cm 
breiter Streifen endlich wird über den Thorax im Bereiche der 
Hauptkrümmung ausgebreitet und entweder an der entgegen¬ 
gesetzten Seite des Rahmens oder an einem in verschiedener 
Höhe unterhalb desselben zu fixierenden Stabe befestigt. Auf diese 
Weise vermag man mehr oder minder stark detor-* 
quierend einzuwirken, lu den oberen Streifen dieses Zügels 
wird ein Haken eingehängt, welcher zur Aufnahme von Gewichten 
dient, die wir bis zu einer Menge von 15 kg gesteigert haben. 
Hierdurch wird in kraftvoller Weise nicht nur der seitlichen Ab¬ 
weichung, sondern auch der Torsion entgegengearbeitet und eine 
Umkrümmung in rationellster Weise herbeigeführt. Um das 
Körgergewicht zur Unterstützung der Korrektur heranzuziqhen, 
wird schliesslich der Fussteil des Apparates gehoben und der 


Kopfteil desselben gesenkt. An die zunächst recht unbequeme 
Stellung gewöhnt sich der Kranke bald, auch die anfangs nach 
Anlegung des Gewichtszuges erschwerte Atmung wird meist nach 
kurzer Zeit wieder freier. Man macht dabei die Beobachtung, 
dass Patienten mit linksseitigen Abweichungen die An¬ 
legung der Verbände wesentlich schlechter vertragen 
als solche mit rechtsconvexen Skoliosen. Offenbar spielt hier 
die Lage des Herzens eine Rolle. Linksseitige Verkrüm¬ 
mungen erfordern daher besondere Vorsicht oder sind 
ganz von dieser Behandlung auszuschliessen. 

Das Gipskorsett wird nun mit Einschluss der Hängematte in 
gleicher Weise wie jeder gewöhnliche Gipsverband angelegt, nur 
wird es entsprechend’ der erhöhten (linken) Schulter weit nach 
hinten ausgedehnt bis zur gleichen Höhe mit dem Akromion. 
Mit dem Herausziehen der die Hängematte tragenden Eisen¬ 
stangen gelingt es, den Kranken aus dem Rahmen zu entfernen. 
Beim Zurecbtschneiden wird das Korsett unten kürzer gestaltet, 
hinten länger gelassen, um auf diese Weise die Flexion, wenn 
der Patient sitzt oder steht, möglichst zu erhalten. Entsprechend 
dem erhobenen linken Arm soll man es vorn möglichst weit aus- 
schneiden, so dass die Schulter nach vorn fällt; unter dem anderen 
(rechten) Arm wird es niedrig geschnitten. Hier lässt man es 
vorn möglichst hoch, damit die Schulter nicht ihrer früheren 
Neigung entsprechend nach vorn fallen kann. Es wird viel¬ 
mehr hinten freigemacht, so dass die Schulter nach hinten ge¬ 
drängt wird (Figur 3—5). 

Von Bedeutung ist dann namentlich die Anlegung 
von Fenstern im Verbände, welche gewöhnlich an zwei 
Stellen erfolgt. Linkerseits wird hinten eine möglichst grosse 
Oeffnung im Gipsverband angelegt, und zwar nicht nur an der 
Rückseite, sondern auch seitlich. Es soll dem Rückgrat eine 
weitere Umkrümmung nach der der Verbiegung ent¬ 
gegengesetzten Seite und den bisher eingesunkenen und 
zusammengekrümmten Rippen eine vermehrte Aus¬ 
dehnung gestatten. Das zweite Fenster oder eine Reihe von 
kleinen schiessschartenartigen Oeffnungen wird vorn an der ent¬ 
gegengesetzten Seite angebracht; von hier aus kann man durch 
successives Einlegen von Filzstücken die Umkrümmung 
weiter steigern. 

Das in Rede stehende Verfahren haben wir in den letzten 
sechs Monaten bei 36 Patienten, darunter 6 aus meiner Privat¬ 
praxis, zur Durchführung gebracht. Die Kranken befanden sich 
im Alter von 8 bis zu 20 Jahren. Stets wählten wir fixierte, 
meist rechtsseitige Skoliosen, bei denen seit Jahren ohne wesent¬ 
lichen Erfolg Massage, Gymnastik neben Lagerungsapparaten 
und verschiedenartigen Korsetts zur Durchführung gebracht worden 
war. Vorzugsweise handelte es sich um Totalskoliosen oder 
solche mit vorherrschender Dorsalabweichung; diese sind offen- 

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674 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 15. 


Figur 6. Figur 7. 



8 jährige Patientin mit fixierter rechtsseitiger Dorsalskoliose vor der Behandlung. 
Figur 9. Figur 10. 



Dieselbe Patientin nach dreimonatlicher Verbandbehandlung. 


bar für das Verfahren besonders geeignet. Mehrfache gleich¬ 
zeitig bestehende Verkrümmungen lassen sich mit dem Abbott- 
schen Verfahren nur unwesentlich beeinflussen. 

Ein abschliessendes Urteil über den Wert der geschilderten 
Behandlungsmethode lässt sich bisher noch nicht geben. Hier 
soll nur so viel gesagt werden, dass sich unsere Kranken 
ausnahmslos gut befanden und vielfach auch an Ge¬ 
wicht Zunahmen. Die Verbände wurden meist nach 4—6 Wochen 
gewechselt und ira Durchschnitt 3 Monate getragen. Eine klinische 
Behandlung wurde nur in wenigen Fällen einige Tage hindurch 
als notwendig erachtet. Meist konnten wir die Patienten schon 
einige Stunden nach Anlegung der Verbände nach Hause ent¬ 
lassen; in einem Falle habe ich ein 8 jähriges Mädchen sogar 
nach einigen Wochen, nach erreichter Umkrümmung in ihre 
Heimatstadt fahren und nur zum Wechseln des Verbandes 
und zur Nachbehandlung wieder zurückkommen lassen. Der Ver¬ 
bandperiode folgte eine energische Kur mit Massage, Uebungen, 
Lagerungsapparaten und Celluloid- oder Stoffbügelstablkorsetts, 


mit welchen wir die korrigierte Stellung möglichst aufrecht zu 
erhalten suchten. 

Es ist erstaunlich zu sehen, wie sich schon nach kurzer Zeit 
im Verbände die vorher zusammengesunkenen Thorax¬ 
partien der konkaven Seite in dem hier angebrachten 
F'enster entfalten und energisch an der Atmung beteiligen. 
Aeltere Kranke empfinden zunächst an dieser Stelle ein recht un¬ 
angenehmes Gefühl der Spannung, was sich wohl aus der grösseren 
Starre der Rippen und der anfangs bestehenden Schwierigkeit, 
dieselben für die neue Art der Atmung zu verwenden, ohne 
weiteres erklärt. Ich teile hier ganz die vor kurzem von 
Spitzy 1 ) vertretene Anschauung, dass einer der Haupt¬ 
faktoren bei der Wirksamkeit des Verfahrens die Umleitung 
der Atmung und die Heranziehung der respiratorischen Kräfte 
für die Umkrümmung darstellt. 


1) H. Spitzy: Zur Ausnützung der respiratorischen Kräfte in der 
Skoliosenbehandlung. Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 11, S. 577. 


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14. April 1913, 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


676 


Eine ausgiebige Atemgymnastik muss daher von 
Anfang an geübt werden. 

Ich kann weiterhin sagen, dass sich bei den Kranken und 
selbst bei zwei bereits im Alter von 20 Jahren stehenden 
Patienten nach Abnahme des Verbandes oft Überrascheode 
unmittelbare Resultate in bezug auf die äussere Gestalt des 
Thorax ergaben, die, wie die Kontrolle an Röntgenbildern ergab, 
allerdings zum Teil durch die Ausbildung einer kompensatorischen 
Gegenkrümmung in der Lendenwirbelsäule zu erklären waren. 

Der Vergleich der Figuren 6—11 lässt die durch die An¬ 
wendung des Verfahrens zu erzielenden Umgestaltungen des 
Körpers erkennen. Es handelt sich um ein 8jähriges Mädchen, 
das beim Eintreten in meine Behandlung (Fig. 6—8) eine hoch¬ 
gradige seit 2 Jahren bestehende fixierte Dorsalskoliose mit 
starkem Rippenbuckel und beträchtlicher Rechtsverschiebung des 
Körpers aufwies. Wegen des Anliegens der rechtsseitigen unteren 
Rippen an dem Darmbeinkamm war es unmöglich, ein brauchbares 
Korsett zu fertigen und damit wenigstens auf die die Deformität 
dauernd steigernde Rechtsverscbiebung einzuwirken. Hier gelang 
es uns, durch zwei je 6 Wochen getragene Abbott’sche Verbände 
die Verschiebung des Brustkorbs gegenüber dem Becken voll¬ 
kommen zu beseitigen, rechts eine tiefe Tailleneinsenkung zu 
schaffen und eine derartige Beeinflussung der Verbiegung der 
Wirbelsäule zu erzielen, wie dieses bisher in so kurzer Zeit wohl 
durch keine andere Behandlungsmethode zu erreichen war. Es 
war nun mit Leichtigkeit möglich, durch ein Celluloidkorsett 
und durch entsprechende Uebungen der Wiederkehr der Ver¬ 
krümmung entgegen zu arbeiten, was in der Zeit der Beobachtung, 
die allerdings bisher nur 2 Monate beträgt, auch gelungen ist. 

Jedenfalls besitzen wir, wenn auch gegenüber den Mit¬ 
teilungen Abbott’s betreffs der zu erzielenden Erfolge Ein¬ 
schränkungen zu machen sein werden, in dem Verfahren 
ein Mittel, bei einzelnen Formen seitlicher Rück¬ 
gratsverkrümmungen, speziell bei rechtsseitigen Total¬ 
oder vorwiegenden Dorsalskoliosen, in kurzer Zeit 
energische Umkrümmungen zu erzielen. Ob es möglich 
sein wird, die durch das Abbott'sche Redressement erzielten 
Resultate io vollem Umfange aufrecht zu erhalten, wird erst 
durch die weitere Beobachtung festgestellt werden können. 


Aus dem medizinisch-poliklinischen Institut der Uni¬ 
versität? Berlin (Direktor: Geh. Med.-Rat Professor 
Dr. Goldscheider). 

Der prozentuale Chlorgehalt des Blutserums bei 
kochsalzarmer und kochsalzreicher fleischfreier 
Ernährung sowie bei verschiedener Fl&ssigkeits- 
zufuhr. 

Von 

Dr. Walter Arnold!. 

Verschiedentlich wurde bereits früher untersucht, ob ein 
hoher bzw. geringer Kochsalzgehalt der Nahrung einen Einfluss 
auf den Chlorgehalt des Blutes ausübe. Schenk 1 ), Förster 2 ), 
Picard 3 ), Rosemann 4 ) fanden keine oder nur unwesentliche 
Veränderungen bei Versuchen an Hunden und Kaninchen, Klein 
und Verson 5 6 ) bei einem achttägigen Selbstversuch mit kochsalz- 
armer Ernährung eine geringe Verminderung des Blutcblors. 

Nachdem ich in einer früheren Arbeit*) — bei Peracidität 
mit Ulcus ventriculi war dies vereinzelt schon vordem beobachtet 
worden [Biernacki 7 8 ), A. Loeb*)J — nachgewiesen hatte, dass 

1) Schenk, Allgem. Wiener med. Ztg., 1872, Nr. 17. 

2) Förster, Versuche über die Bedeutung der Aschebestandteile 
der Nahrung. Zeitsohr. f. Biol., 1873, S. 298. 

3) Picard, Recherch.sur le chlordusang.Gaz, m4d.de Paris, 1880,Nr. 1. 

4) Rose mann, Ueber den Gesamtchlorgehalt des tierischen Körpers 
usw. Archiv f. Physiol., 1911, Bd. 142, S. 447. 

5) Klein und Verson, Ueber die Bedeutung des Kochsalzes für 
die menschlichen Organe. Sitzungsber. d. Kgl. Akad. d. Wissensch. zu 
Wien, mathemat.-naturwissensebaftl. Abt., 1867, Bd. 55, Abt. 2, S. 627. 

6) Ueber Aenderungen des Chlorgehalts desBlutserums beiSekretionsst 
des Magens. Zeitschr. f. klin. Med., 1912, Bd. 76, H. 1 u. 2. 

7) Biernacki, Untersuchungen über die chemische Blutbeschaffen¬ 
heit bei pathologischen, insbesondere bei anämischen Zuständen. Zeit¬ 
schrift f klin. Med., 1894, Bd. 24, S. 460. 

8) A. Loeb, Beitrag zum Stoffwechsel Magenkranker. Zeitschr. f. 
klin. Med., 1905, Bd. 56, S. 100., 


bei Per- und Subacidität nahezu konstant eine Verminderung bzw. 
Vermehrung des prozentualen Chlorgehalts des Serums in der 
physiologischen Breite festzustellen sei, lag es nahe, mit der an¬ 
gewandten genaueren analytischen Methode die erwähnte Frage 
nochmals in Angriff zu nehmen. Die engen Beziehungen zwischen 
Chlor- und Wasserstoffwechsel machten es von vornherein wahr¬ 
scheinlich, dass die Grösse der Wasserzufuhr dabei ebenfalls eine 
wichtige Rolle spielte. 

Für die Zwecke meiner Untersuchungen wählte ich Patienten 
der hiesigen klinischen Station, bei denen es sich im wesentlichen 
um keine Erkrankungen handelte (z. B. schwere Herz- oder 
Nierenaffektionen)) die einen erheblichen Einfluss auf den Chlor¬ 
gehalt des Blutes haben konnten. Auch die beiden Fälle von 
Polycythämie wichen in dieser Beziehung nicht von den anderen 
ab. Die Diät war bei allen Fällen die gleiche: morgens 330 ccm 
Milch, 4 kochsalzfreie Brötchen, 50 g Butter; zum zweiten Früh- ^ 
stück 1—2 Esslöffel weichen weissen Käse; mittags 300 g Kartoffel¬ 
brei, 250 g Gemüse, 100 g Kompott, 330 ccm Milch, 1—2 Flaschen 
Selterwasser (bei der Zubereitung des Kartoffelbreies und des 
Gemüses wurden etwa noch 50 g Butter verwandt), nachmittags 
330 ccm Milch und abends ebensoviel Milch und zwei Eier; je 
nach der gewünschten Flüssigkeitszufuhr wurde das Milch- und 
Wasserquantum erhöht oder erniedrigt. Nicht immer wurde das 
Quantum abgewogen; nachdem sich gezeigt hatte, dass auch die 
kräftigsten Patienten bei dem ruhigen Aufenthalt im Kranken¬ 
hause mit dieser Kost vollkommen ausreiebten, konnte man an¬ 
nehmen, dass auch die anderen Patienten nie wesentlich mehr 
zu sich nahmen. Den Kochsalzgehalt dieser Ernährung kann man 
schätzungsweise mit 4—5 g in Rechnung setzen. Die Zugaben 
von Kochsalz in den kochsalzreichen Perioden geschahen erst nach 
der vollkommen salzfreien Zubereitung der Speisen. 

Da ich mich überzeugte, dass die Speisen (die Getränke 
wurden im allgemeinen nach Vorschrift getrunken) nicht immer 
vollständig aufgegessen worden, sah ich bald von exakt quanti¬ 
tativen Stoffwechselversuchen ab. Einem gewissen Minimum an 
Nahrungskochsalz (4—6 g pro die) steht ein Maximum (15—20 g 
pro die) gegenüber; meine Untersuchungen beziehen sich also, 
wie ich nochmals betonen möchte, auf diese Grenzwerte. 

Das Chlor im Serum wurde nach der in meiner früheren 
Arbeit genauer angegebenen Methodik von Ehr mann und Wolff, 
die sich an die Bestimmung nach v. Moraezewski 1 ) anschliesst, 
bestimmt, der Trockenrückstand bzw. der Wassergehalt des Serums 
durch langes Trocknen im Exsiccator über Schwefelsäure und 
Wägen bis zur Gewichtskonstanz gewonnen. 

Alle Untersuchungen wurden im nüchternen Zustande der 
Patienten vorgenommen. Die Krankengeschichten lauten wie folgt: 

Fall 1. 16 Jahre alter Mechaniker, klagt über Schmerzen unter¬ 
halb des Nabels nach dem Essen. Keine Druckschmerzhaftigkeit der 
Magengegend, Röntgenbefund ohne Besonderheiten. Im Stuhl kein Blut. 
Obstipation. Pat. ist empfindlich und ermüdet leicht. Neurasthenie und 
Obstipation. 

Fall 2. 53jähriger Mann, litt als Kind an häufigen Anginen. Mit 
20 Jahren Bleivergiftung, mit 24 Jahren Gonorrhöe und Lues, bekam 
eine Spritzkur und nahm später Jod. Seit einigen Jahren Gesicht auf¬ 
fallend rot und häufige Blutungen aus dem Zahnfleisch. Druckgefühl 
in den Augen, desgleichen in der Milz- und Lebergegend. Zuletzt 
Atemnot and Herzklopfen bei der Arbeit. Starker Raucher, mässiger 
Trinker. 

Haut im Gesicht, an den Händen und Ohren sowie die Schleim¬ 
häute stark gerötet; Bleisaum. Ueber der Patella rechts ein Tophus. 

Herz nach beiden Seiten vergrössert, 2. Aortenton klappend. Puls ge¬ 
spannt, schwer unterdrückbar, Blutdruck 160 mm Hg. Thorax fassförmig, 
über den Lungen rechts hinten unten pleuritisohes Reiben. Leber 
und Milz vergrössert und induriert. 

Im Urin geringe Mengen Albumen, keine Cylinder. Blut: 9 600 000 
Erythrocyten, 6400 Leukocyten, Hämoglobin = 180. Polycythaemia 
rubra megalosplenica V&quez. 

Der Patient blieb 18 Tage in der Klinik und führte dann zu Hause 
die kochsalzfreie, fleischfreie Diät, bei der er sich am besten befand, 
weiter fort. Während der salzreichen Periode trank er einen Tag vor 
der Blutuntersuohung wegen des starken Durstes 5 Gläser Wasser. Da 
man annehmen muss, dass hierdurch ein Teil des im Körper vor¬ 
handenen überschüssigen Kochsalzes ausgeschwemmt wurde, ist der 
Unterschied des Chlor- und Wassergehaltes des Serums gegenüber der 
kocbsalzarmen Periode nicht so deutlich ausgefallen, wie er es sonst ge¬ 
worden wäre. 

Fall 3. 40jähriger Mann, erkrankte vor 4 Wochen plötzlich unter 
Schüttelfrost an Gelenkschmerzen, denen Gelenkschwellungen folgten. 
Polyarthritis rheumatica. 

1) v. Moraezewski, Die Mineralbestandteile der menschlichen 
Organe. Zeitsohr. f. phys. Chemie, 1897, Bd. 23, S. 483. 

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676 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


Fall 4. 50jähriger Mann, erkrankte mit 12 Jahren an Masern, 

mit 14 Jahren erlitt er eine starke Verbrennung. Vor 4 Jahren Fall auf 
dem Eise. Schon längere Zeit fiel dem Patienten eine auffallende Röte 
des Gesichts auf. Vor 4 Wochen begann eine allmählich fortschreitende 
Lähmung der linken Körperhälfte. 

Starke Röte des Gesichts, der Hände und Ohren sowie der Schleim¬ 
häute. Die vorgestreckte Zunge weicht nach links ab. Linker Arm 
gelähmt, geringe aktive Beweglichkeit im linken Schultergelenk noch 
möglich. Finger in krallenartiger Korrektur. Rigidität der Muskeln im 
linken Arm deutlich. Aktive Bewegungen in den übrigen Eitremitäten 
frei. Babinski und Fussclonus nicht vorhanden. Berührungsempfindlich- 
keit des rechten Armes und Beines herabgesetzt. 

Herz und Lungen ohne Besonderheiten. Leber und Milz erheblich 
vergrössert und induriert. Blutdruck 140 mm Hg; Hämoglobin = 160 pCt. 
Blut: 6 400 000 Erythrocyten (bei früheren Untersuchungen erheblich 
mehr); Leukocyten 5500. 

Polycythaemia rubra megalosplenica Vaquez und Hemiplegie. 

Fall 5. 22jähriger Arbeiter, leidet seit einigen Monaten an an¬ 

fallsweise auftretenden Schmerzen im Magen, unabhängig von der 
Nahrungsaufnahme. Kein Erbrechen, Magengegend druckempfindlich. 
Sonst gibt die Untersuchung des Magens keine Anhaltspunkte einer 
organischen Läsion. Costa decima fluctuans, Skoliose, Rosenbach’sches 
Lid 2 ittern, Neurasthenie. 

Fall 6. 36 jähriger Aufseher, starker Raucher, klagt seit 3 Wochen 

über Schmerzen in der Nierengegend, die nach der Blase zu ziehen. 
Innere Organe ohne Besonderheiten. Im Urin zunächst kein Eiweiss; 
im Sediment vereinzelte Leukocyten und Epithelien, viel harn- und 
phosphorsaure Salze. Nachdem er einige Tage kochsalzreiche Nahrung 
erhalten hatte, trat Eiweiss im Urin auf, im Sediment waren die Leuko¬ 
cyten reichlicher, ausserdem sehr viele Bakterien, dagegen keine Cylinder. 

Pyelitis und Cystitis. 

Fall 7 (nicht in der Tabelle angeführt, da der Patient nur koch¬ 
salzfreie Nahrung bei verschiedener Wasserzufuhr erhält). 29jähriger 
Kammerdiener, früher starker Raucher und Trinker; als Kind hatte er 
Scharlach, ferner leidet er von Kindheit an an anfallsweise auftretenden 
kolikartigen Schmerzen. Seit 4 Wochen kurz nach dem Essen saures 
Aufstossen, Sodbrennen und Magenscbmerzen, selten Erbrechen. 

Seit einem halben Jahre häufig nächtliche Pollutionen. Schlaf 
schlecht. 

Magengegend unter dem Schwertfortsatz druckempfindlich. Nach 
Probefrühstück freie HCl 39, Gesamtacidität 68, später 20 und 43. 
Milchsäure vorhanden. Im Röntgenbilde sieht man einen Senkmagen 
mit lebhafter Peristaltik und grosser Magenblase, ferner eine Ver- 
grösserung des Magens. 

Atonia et Ectasia ventriculi. 

Fast allgemein fühlten sich die Patienten, namentlich in den 
ersten Tagen der kochsalzarmen Diät, matt, unruhig und reizbar, 
hatten zum Teil schlechten Schlaf und Appetitlosigkeit. Stärker 
waren die Beschwerden, wenn die Flüssigkeitszufuhr gering war. 
Einige Tage später, in letzterem Falle aber erst nach Vermehrung 
des Flüssigkeitsquantums, wichen diese Beschwerden, und die 
meisten baten um Beibehaltung der fleisch- und kochsalzfreien 
Diät, bei der sie sich am wohlsten befänden. 

Die abundante Kochsalzzufuhr — die abgewogenen Mengen 


NaCl wurden unter die Speisen verrührt — wurde sehr ungern 
genommen. Es stellte sich reichlicher Durst ein und meist 
Widerwillen gegen das Essen. 

Besonders betonen möchte ich, dass in keinem Falle Diarrhöen 
auftraten, die etwa zu Kochsalzverlusten durch den Darm hätten 
führen können. Da bekanntlich das Kochsalz fast vollkommen 
resorbiert und durch den Urin wieder ausgeschieden wird, muss 
man annehmen, dass die eingeführten Salzmengen auch nahezu 
vollständig in den Kreislauf bzw. Organismus gelangten. 

In der nun folgenden, die Untersuchungsresultate zusammen¬ 
stellenden Tabelle sind neben dem CI* und Wassergehalt des 
Serums die pro die und Kilogramm Körpergewicht zugeführten 
und durch den Urin ausgeschiedenen Flüssigkeitsmengen be¬ 
merkenswert. Die Zahlen für die täglichen Urinmengen wurden 
mit Ausschluss der ersten drei Tage einer Periode berechnet, 
damit der Einfluss der vorausgehenden Ernährung möglichst aus¬ 
geschaltet bliebe. Die Reihenfolge richtet sich nach der stei¬ 
genden Flüssigkeitsaufnahme. Das nähere werde ich später im 
Zusammenhang besprechen. 

Die geringen Werte des CI und die hohen Werte des Wassers 
im Serum im Fall 3 sind daraus zu erklären, dass hier aus¬ 
nahmsweise das Blut nicht centrifugiert, sondern nach dem Ab¬ 
setzen der Blutkörperchen im Eisschrank das Serum verarbeitet 
wurde. Dabei kam es durch Wasserabgabe der Blutkörperchen 
zu einer starken Verdünnung und deshalb Verminderung des pro¬ 
zentualen Cl-Gehaltes des Serums. 

Das zu untersuchende Blut wurde mittels Strauss’scher Kanüle 
aus der Armvene des Patienten entnommen. 

Vergleichen wir die kochsalzarme mit der kochsalzreichen 
Periode, so zeigt sich bei geringer oder mässiger Flüssigkeits- / 
zufuhr eine Verminderung, bei reichlicher Flüssigkeitszufubr ein 
Gleichbleiben oder eine Vermehrung des prozentualen Cl-Gehaltes 
des Serums. Die Grenze für dieses Verhalten liegt bei 24 bis 
25 ccm Wasser pro die und pro Kilogramm Körpergewicht. 

Zur Erklärung hierfür sind folgende Erwägungen maass¬ 
gebend: Das eingeführte Kochsalz wird, wie bekannt, vorzüglich 
resorbiert und gelangt fast ausschliesslich durch den Urin wieder 
zur Ausscheidung. Ist die Wasserzufuhr genügend, dann erhöht 
sich bei starker Kochsalzzufuhr die Urinmenge, wie dies aus der 
Tabelle zu ersehen ist, und mit Hilfe des Wassers gelingt es dem 
Körper, sich seines Ueberschusses an Kochsalz zu entledigen. 
Anders bei ungenügendem, disponiblem Ausscheid ungs wasser. 

Hier staut sich das Kochsalz und hält seinerseits Wasser zurück; 
die Urinmenge sinkt in der kochsalzreichen Periode, und es 
kommt zu einer Verminderung des prozentualen Serumchlors des¬ 
halb, weil das überschüssige CI des Blutes in ganz erheblichem 
Grade Wasser zurückbehält und das Blut verdünnt. Dies wird 
durch die Erhöhung des Wassergehaltes des Serums in der koch¬ 
salzreichen Periode (Fall 2 und 3) gekennzeichnet. 




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9 200 000 

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3. P. 

Polyarthr. 

70 

1470 

S 21,00 

6 Tage 

0,339- 

kj2 

20 

7 „ 0,314 

199,81' 

17 

+ 0,025 

— 0,19 

+ 3 






rheum. 





L_ 

— 

_ 






' 




4. E. 

Poly- 

53 

1320 

24,99 

9 * 

0,360 

88,62 

| 20 

7 „ 1 0,356 

89,10 

25 

+ 0,004 

-0,48 

— 5 

3X 

12. 6. 

6 400 000 

5500 


cythämie 














1 tö 4 

1 « £ 

21.6. 

7 500 000 

5600 

5. S. 

Neurastb. 

54 

1320 

24,63 

7 . 

0,339 


19 

0 3604 
b » 0,369/ 


26 

— 0,025 


— 7 

1 ® t 

28. 6. 

5 600 000 

6000 






7 „ 

0.3501 

0,358/ 





— 0,01 



fl 

1;3 j- 




6. B. 

Pyelitis 

62 

1980 

32,00 

8 » 

0,373 

|90,19 

6 

7 „ 0,381 

89,92 

11 

— 0,008 

+ 0,27 

-5 

P o 





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14. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


677 


Das Wasser „reinigt“ den Körper von überschüssigem Koch¬ 
salz. Seine Einschränkung führt zu Stauungen, die sicher nicht 
nur das Kochsalz, sondern auch andere Stoffe betreffen, deren 
Ausscheidung mit dem Kochsalzstoffwechsel in mehr oder weniger 
inniger Wechselwirkung stehen. 

Hier möchte ich noch kurz einen Versuch erwähnen (Fall 7), 
bei welchem ich einer wasserarmen, kochsalzarmen Periode eine 
wasserreiche, kochsalzarme Periode folgen Hess. 

Periode 1: 8 Tage lang, getrunkene Flüssigkeit pro die und 
und pro Kilogramm Körpergewicht 12,80 ccm H 2 0. 0,378 pCt. 
CI im Serum; Urinmenge pro die und pro Kilogramm Körper¬ 
gewicht 4,3. 

Periode 2: 7 Tage lang, getrunkene Flüssigkeit pro die und 
pro Kilogramm Körpergewicht 21,43 ccm H 2 0. 0,384 pCt. CI 
im Serum; Urinmenge pro die und pro Kilogramm Körper¬ 
gewicht 7,6. 

Es fand sich demnach nach Erhöhung der Flüssigkeitszufuhr 
eine geringe und noch gerade in der Fehlergrenze (= 0,01) 
liegende Vermehrung des CI. 

Die beiden Fälle von Polycytbämie konnten während der 
Untersuchung noch in anderer Richtung beobachtet werden. Es 
erhob sich nämlich die Frage, ob die beschriebene kochsalzfreie 
oder kochsalzhaltige Kost einen Einfluss auf den Blutbefund aus¬ 
üben würde. Indessen schwankte die Zahl der Erythrocyten nur 
in der auch schon vordem beobachteten Breite, dagegen änderte 
sich das Verhältnis des Serums zu den Blutkörperchen im Sinne 
einer Vermehrung des ersteren. 

Fall 2; 12. VI.' 1912 = 1:7,47 
20. VI. 1912 = 1: 6,17 
6. VII. 1912 = 1:4,7 
13. VII. 1912 = 1 : 3,72 
20. VII. 1912 = 1:3,46 
Fall 4: 19. VI. 1912 = 1:2,64 
28. VI. 1912 = 1:1,01 

Die allmähliche Annäherung des Quotienten —— ~ - e - ru ™ -— 

Blutkörperchen 

zu der Zahl 1 ist um so erstaunlicher, als, wie erwähnt, die Zahl 
der Erythrocyten im ganzen nicht abnahm. Es muss daher die 
Grösse der roten Blutkörperchen abgenommen haben; diesbezüg¬ 
liche Messungen worden nicht gemacht. Exorbitant hohe Werte 
für den Cl-Gehalt des Serums zeigte der Fall 2, der über zwei 
Monate kochsalzarme Nahrung genoss. Der Patient fühlte sich 
dabei viel besser als vorher. Es wäre erwünscht, noch weitere 
Untersuchungen über lange Zeiträume bei kochsalzarmer Kost, 
besonders beim normalen Menschen anzustellen, um festzulegen, 
ob der abnorm hohe Wert von z. B. 0,444 nicht über die physio¬ 
logische Breite hinausgeht. Bei meinen früheren Unersuchnngen 
fand ich bei magengesuoden Personen als höchsten Wert 0,387 pCt. 
Jedenfalls stehen die Werte in der kochsalzarmen Periode bei 
den Fällen 1 und 2 an der obersten Grenze der physiologischen 
Breite. 

} Die kochsalzarme Ernährung führt, wenn dadurch dieChlor- 
entziebuog erheblich wird, wie von vielen Seiten festgestellt 
wurde [Klein und Verson 1 ), Förster 2 ), Tigerstedt 3 ), Grün¬ 
wald 4 ), Hermannsdorfer 5 ) u. a.] zu Allgemeinerscheinungen: 
^Mattigkeit, Unruhe, Appetitlosigkeit, Erhöhung der Reflexe (Grün- 
wald) u. a. m. Wie ich schon erwähnte, sah ich bei mässig 
salzarmer Kost diese Symptome nur im Anfang, sie gingen dann 
o nach und nach zurück. Bei starker Cl-Entziehung kommt es zu 
Zittern, Krämpfen, Lähmungen und schliesslich zum Tode [Tiger- 
^stedt 6 ) u. a.). Eine Verminderung des Blut CI sah Grün wald 7 ) 
erst kurz ante exitum bei Kaninchen einsetzend. In mancher 
Hinsicht geben meine Beobachtungen Anhaltspunkte für eine Er¬ 
klärung dieser Erscheinungen. Die prozentuale Gl-Konzentration 
wird durch längere kochsalzarme Kost gesteigert, bei erhöhter 
Salzkonzeotration aber fand Hirschmann 8 ) am Froschnerven- 


1) Klein und Verson, 1. c. 

2) Förster, 1. c. 

3) Tigerstedt, Lehrb. d. Physiol. des Menschen, S. 164. 

4) Grünwald, Beiträge zur Physiologie und Pharmakologie der 
Niere. Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., 1909, Bd. 60, S. 860. 

5) Hermannsdorfer, Ueber die Verteilung der täglichen Chlor¬ 
ausscheidung im Harn. Archiv f. Physiol., 1912, Bd. 144, S. 169. 

6) Tigerstedt, 1. o. 

7) Grünwald, 1. o. 

8) Hirschmann, Ueber Reizung motorischer Nerven durch Lösungen 
von Neutralsalzen. Archiv f. Physiol., 1891, Bd. 49, S. 301. 


muskelpräparate die Latenz für elektrische Reizung herabgesetzt 
bei erhöhter Tätigkeitsdauer. 

Aus meinen Untersuchungen geht hervor: 

1. Bei kochsalzarmer fleichfreier Ernährung hat 
der Organismus die T*odenzj den prozentualen Cl- 
Gehalt des Blutserums zu erhöhen, um so stärker, je 
länger* die kochsalzarme Kost beibehalten wird. „ 

2. Bei kochsalzreicher fleischfreie* Ernährung und 
Wassermangel kommt es zu einer Verminderung des pro¬ 
zentualen Cl-Gehalt es des Serums, wahrscheinsich durch 
primäre Retention von CI im Blute und sekundärer Wasserretenlion 
daselbst. 

(Die Urinmenge nimmt hierbei gegenüber der kochsalzarmen 
Periode ab.) 

3. Bei kochsalzreicher fleichfreier Ernährung und 
Wasserüberschuss erhöht sich gegenüber der kochsalzarmen 
Periode der prozentuale Cl-Gehalt des Serums. 

(Die Urinmenge nimmt gleichzeitig zu.) 

4. Der Uebergang in diesem Verhalten bei geringer bzw. 
reichlicher Wasserzufuhr liegt bei einem Flüssigkeits- 
quantum von etwa 24—25 ccm H 2 0 pro die und pro 
Kilogramm Körpergewicht. 


Quantitative Eiweissbestimmungen im Urine für 
den praktischen Arzt. 

Von 

Geh. Sanitätsrat Dr. Emil Pfeiffer, 

prukt. Arzt in Wiesbaden. 

Die Unzuverlässücbkeit der allgemein in der Praxis üblichen 
Esbach’schen Methode Jzur quantitativen Eiweissbestimmung im 
Urine, auf welche (in den letzten Jahren wiederholt hingewiesen 
wurde, hat eine ganze Reihe von Vorschlägen hervorgerufen, 
welche dahin zielen, an Stelle der Esbach’schen Methode eine 
sicherere Methode zu setzen. Veranlasst durch die in Nr. 3> dieser 
Wochenschrift im Jahre 1912 veröffentlichten, völlig unzuläng¬ 
lichen und irreführenden Resultate mit. der Esbach’schen und 
Aufrecht’schen Methode zur quantitativen Eiweissbestimmung habe 
ich nun eine Anzahl der als Ersatz der Esbach’schen Methode 
empfohlenen Methoden an einer grossen Reibe von eiweisshaltigen 
Urinen der verschiedensten Art und Provenienz geprüft, indem 
ich ihre Resultate mit den Resultaten der Gewichtsanalyse ver¬ 
glich. Die Resultate sind auf der untenstehenden Tabelle zu¬ 
sammengestellt. 

Diese Vergleichung haben auch die Autoren der verschiedenen 
Methoden vorgenommen und dann auf Grund einiger mit der 
Gewichtsanalyse übereinstimmender Resultate ihre Methoden als 
brauchbar empfohlen. 

Wenn man nur an wenigen Urinen prüft, oder wenn man 
nur die günstigen Resultate heraussucht, wird man jede dieser 
Methoden als brauchbar empfehlen können, denn jede dieser 
Methoden gibt zuweilen ganz genaue Resultate. Wenn man z. B. 
aus der untenstehenden Tabelle nur die Nummern 13, 23, 29, 
46, 50, 52, 82 herausnimmt, so würde man die Esbach’sche 
Methode als die sicherste aller Methoden empfehlen können. 

Diese absichtlich oder unabsichtlich getroffene Auswahl 
weniger mit der Gewichtsanalyse übereinstimmender Resultate, 
sowie der Umstand, dass auch die Nachprüfer der Methoden sich 
mit wenigen Versuchen begnügten und besonders, dass sie ihre 
Originalzahlen nicht veröffentlichten, sondern nur unbestimmte 
Angaben, manchmal sogar Durchschnittsberechnungen gaben, hat 
den Praktiker verhindert, sich über den Wert oder Unwert der 
empfohlenen Methoden ein eigenes Urteil zu bilden. 

Diesen Uebelständen suchte ich nun dadurch abzuhelfen, 
dass ich eine grosse Anzahl von Urinen untersuchte, und dass 
ich alle Originalzablen ohne jede Beschönigung oder Unter¬ 
drückung gebe, wodurch jeder sich ein Urteil über die Methoden 
selbst bilden kann. 

Die Gewichtsanalysen wurden zum grössten Teile in dem 
Laboratorium Fresenius unter persönlicher Leitung der Herren 
Wilhelm Fresenius und Grünhut, zweier unserer ersten 
Analytiker, zum kleineren Teile im Untersuchungslaboratorium 
des hiesigen Apothekers Herrn Stephan von demselben persön¬ 
lich mit grösster Gewissenhaftigkeit ausgefübrt 1 ). 

1) Herrn Stephan sage ich an dieser Stelle für seine mit grosser 
Genauigkeit und Liberalität ausgefübrten zahlreichen Analysen verbind¬ 
lichsten Dank. 

3 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 15. 


Die übrigen Bestimmungen wurden zum grössten Teile von 
mir selbst und nur einige Kontrollbestimmungen in den Labora¬ 
torien oder von praktischen Aerzten vorgenommen, ln allen 
Fällen wurde mit der peinlichsten Genauigkeit und unter Beob¬ 
achtung aller von den Erfindern der Methoden angegebenen Vor¬ 
sichtsmaassregeln verfahren, so dass die angegebenen Resultate 
dem entsprechen, was der praktische Arzt im günstigsten Falle 
mit diesen Methoden erreichen kann. Die Ablesungen erfolgten 
alle ohne Kenntnis des Resultates der Gewichtsanalyse. 

Die Röhren für die Sedimentierungsmethoden (Esbach, 
Tsuchiya, Pfeiffer) wurden alle in einem Raume stehen ge¬ 
lassen, welcher Tag und Nacht die gewöhnliche Zimmertemperatur 
batte, schwankend zwischen 12 und 15° R. 

In der Tabelle sind zunächst die Resultate der Gewichts¬ 
analyse angegeben, und zwar getrennt nach dem Laboratorium 
Fresenius (Fr.) und Stephan (St.), dann die Resultate für 
Esbach getrennt für die abgerundete Röhre und die unten zu¬ 
gespitzte (verjüngte) Röhre (Spitz), endlich die Resultate für die 
anderen Methoden, wobei für Tsuchiya und Pfeiffer zwei 
Rubriken gegeben werden, eine für die Ablesung nach 24 Stunden 
und eine nach 48 Stunden. 

Wo zwei oder mehr Zahlen bei einer Nummer stehen, handelt 
es sich um Parallelbestimmungen. 

Gewichtsanalyse. 

Was die Gewichtsanalyse betrifft, so gilt dieselbe bis jetzt als 
die beste und sicherste Methode zur Bestimmung des Eiweissgehaltes 
eines Urines. Aber auch für diese Methode gibt es gewisse Grenzen, 
innerhalb deren ihre Sicherheit etwas hin- und herschwankt. Die 
Resultate verschiedener Beobachter bei demselben Urine, ja auch die 
Resultate desselben Untersuchers bei demselben Urine können innerhalb 
gewisser Grenzen schwanken. Durch die verschiedenen Abmessungs¬ 
maassregeln, die Verdünnungen, die Wägungen und besonders die Trock¬ 
nung der Filter können bei eiweissreichen Utinen die unvermeidlichen 
Fehler sioh so sehr summieren, dass grössere Differenzen entstehen. 
Allerdings sind dies Ausnahmefälle. In den meisten Fällen werden bei 
sorgsamer Untersuchung die Differenzen sich auf 0,1—0,2 pM. reduzieren. 
Besonders die Temperatur, bei welcher die Niederschläge getrocknet 
werden, ist von Bedeutung. Das Laboratorium Fresenius, von welchem 
die meisten der unten aufgeführten Gewichtsanalysen ausgeführt wurden, 
trocknet bei 100° C bis zur Gewichtskonstanz. Die meisten Lehrbücher 
schreiben 110° C als Trockentemperatur vor, und Claudius trocknet 
sogar bei 125° C. Demgegenüber hält das Laboratorium Fresenius 
an der Ansicht fest, dass alle Temperaturen über 100° C unzulässig 
sind, da sie Zersetzung des Eiweisses veranlassen. In den sehr eiweiss- 
reicben Urinen muss auch die Gewichtsanalyse mit Verdünnungen arbeiten, 
da Urine über 4 oder 5pM. Eiweissgehalt sich nicht verarbeiten lassen, 
indem sie zu langsam filtrieren und der sehr volumöse Niederschlag sich 
nicht trocknen lässt. Bei exzessiv eiweisshaltigen Urinen, wie Nr. 17 
der untenstehenden Tabelle, muss der Urin um das 10- bis 20 fache 
verdünnt werden, wodurch der Versuchsfehler um das 10- bzw. 20 fache 
vermehrt wird. Es wird daher nicht in Erstaunen setzen, dass die 
Differenz zwischen den beiden Untersuchern Fr. und St. auf 2,4 pM. ge¬ 
stiegen ist. St. trocknete bei 110° C. Solche exzessiv eiweisshaltigen 
Urine gehören aber zu den grossen Seltenheiten, und es kommt in der 
Tat nicht darauf an, ob in solchen Urinen 2—3pM. Eiweiss mehr oder 
weniger nachgewiesen werden. Es muss aber daran festgehalten werden, 
dass in solchen Fällen auch die Gewichtsanalyse in gewissem Sinne 
versagt. 

Für die gewöhnlich in der Praxis vorkommenden Fälle von mittlerem 
Eiweissgehalt zwischen 0,5 und 5,0 pM. sind aber die Resultate der 
Gewichtsanalyse bei Kontrollbestimmungen auf 0,1— 0,2 pCt. überein¬ 
stimmend. Die in Nr. 35 beobachtete Differenz von 0,61 zwischen Fr. 
und St. muss als die äusserste Grenze betrachtet werden, innerhalb 
deren die einzelnen Parallelbestimmungen untereinander und mit der 
Gewichtsanalyse differieren können, um eine Methode als brauchbar er¬ 
scheinen zu lassen. 

Uebersteigt die Differenz zwischen zwei Parallelbestimmungen und 
gegenüber der Gewichtsanalyse 1 pM., so ist die Methode als unbrauch¬ 
bar anzusehen, und zwar als um so unbrauchbarer, je grösser die Diffe¬ 
renzen werden. 

Esbach. 

Bei Durchsicht der Tabelle sieht man sofort, wie erschreckend die 
Unsicherheit dieser Methode ist. Fast kein Resultat ist auch nur an¬ 
nähernd richtig, zahlreich aber die Fälle, in denen die Differenz bis 3 
oder 4 pM. steigt, sowohl gegenüber der Gewichtsanalyse, als auch 
zwischen Parallelbestimmungen nach derselben Methode. Eine Me¬ 
thode, die statt 7,4 nur 4,5 (Nri-,10), statt 1,46 nur 0,5 (Nr. 55), 
statt 10,02 nur 7,2 (Nr. 1), statt 10,96 nur 7,6 (Nr. 18), auf der anderen 
Seite aber wieder statt 13,7, 24,0 (Nr. 33), statt 5,8 aber 12,2 (Nr. 34) 
zeigen kann, ist absolut unzuverlässig. 

Der praktische Arzt, indem er sich auf diese Methode ver¬ 
lässt, setzt sich den grössten Selbsttäuschungen aus. Wenn er 


z. B. an seinem Esbach 1,8 pM. abliest, so kann der Urin nach 
der Tabelle (Nr. 25 und 1) ebensogut 1,7 pM. wie 2,86 pM. ent¬ 
halten, oder wenn er 3,2 abliest (Nr. 20 und 11), so kann der 
Urin ebensogut 2,64 wie 7,02 enthalten. Ein Kriterium, ob eine 
Abweichung überhaupt vorhanden ist und ob sie nach oben oder 
unten ausschlägt, ist absolut nicht da; der Arzt ist also ganz 
schütz- und kritiklos den Unsicherheiten der Methode preis¬ 
gegeben. Wegen dieser grossen Schwankungen nach oben und 
unten hat die Methode auch keinen approximativen Wert. 

Dass eine solche Methode verlassen werden muss, ist wohl 
für jeden Einsichtigen klar. 

Die Methode hat ja ausserordentlich viel Bestechendes. Ihre 
leichte Ausführbarkeit, welche sie sogar dem Laien zugänglich 
macht, besonders aber der Umstand, dass sie mit ganz bestimmten 
quantitativen Angaben operiert, hat sie sich derartig einbürgern 
lassen, dass sogar auf den Kliniken, in den Krankenhäusern und 
den Apotheken mit derselben gearbeitet wird. 

Für Kliniken und Krankenhäuser, in welchen die Eiweiss¬ 
bestimmungen in die Krankenjournale für die Nachwelt einge¬ 
tragen werden, ist die Methode absolut unzulässig, und die nach 
derselben in die Krankenjournale eingetragenen Zahlen sind gänz¬ 
lich wertlos. 

Dass sie für wissenschaftliche Untersuchungen nicht io An¬ 
wendung kommen kann, darüber sind ja schon längst alle einig. 

Die schlechtesten Resultate erzielt man mit der unten ver¬ 
jüngten, d. b. konisch ausgezogenen Röhre. 

Zu dieser gänzlichen Unsicherheit ihrer Resultate kommt 
dann bei der Esbach’schen Methode noch hinzu, dass sie in einer 
ganzen Reihe von Fällen überhaupt versagt, indem durch das 
Reagens trotz Ei weissgeb altes kein Niederschlag entsteht, und 
dass sie eine ganze Reihe von anderen Stoffen mit fällt, welche 
nicht Eiweiss sind. 

Eine sehr wichtige Fehlerquelle bei der Esbach’schen Methode 
ist die Nichtbeachtung der Temperatur, bei welcher der Nieder¬ 
schlag sich absetzt. Es muss genau die gewöhnliche Zimmer¬ 
temperatur zwischen 12 und 15° R eingehalten werden. Schon 
Temperaturen von 20° R lassen das Resultat sich sehr verändern, 
d. h. der Niederschlag setzt sich viel rascher und fester zusammen 
und die Ablesungen werden viel zu niedrig. Im hohen Sommer 
und unter den Tropen ist das wohl zu beachten. Sinkt die 
Temperatur zu sehr, so feetzt sich der Niederschlag viel zu lang¬ 
sam und zu voluminös ab, und die Ablesung wird viel zu hoch. 
Die Röhre darf daher auch nicht kalt stehen. Wie gross die 
Unterschiede sind, auf die zuerst Christensen 1 ) aufmerksam 
gemacht hat, geht aus folgendem Versuche hervor: Derselbe Urin 
gab nach 24 Stunden bei einer Temperatur von 25—30° R nur 
1,2 und 1,2 pM. Eiweiss, während er bei Zimmertemperatur 
(13° R) 5,7 und 6,2 und bei 3—4° R sogar 10 und 12 pM. er¬ 
gab. Ein anderer Versuch gab bei 20° R 1,7 pM. und bei 13° R 
5,5 pM. 

Aufrecht. 

Noch schlechter als die Resultate der Esbach’schen Methode 
sind die mit der Aufrecht’schen, welche, wie bekannt, darauf 
beruht, dass der durch ein dem Esbach’schen nachgebildetes 
Fällung8mittel erzeugte Niederschlag durch Centrifugieren in dem 
unteren Teile der Röhre angesammelt wird. Die Tabelle zeigt 
ihre Unbrauchbarkeit. Die Methode versagt ausserdem ausser¬ 
ordentlich häufig gänzlich, indem der Niederschlag sich nicht in 
dem graduierten Teile der Röhre ansammelt, sondern in der 
Flüssigkeit suspendiert bleibt, besonders da, wo der weitere Teil 
der Röhre in den engeren übergeht. 

Walbum. 

Diese Methode beruht darauf, dass in einer graduierten Röhre durch 
Trichloressigsäure im Urine eine Trübung erzeugt wird, welche mit einer 
matten Glasplatte verglichen wird. Aus der Verdünnung mit 10 proz. 
Kochsalzlösung, welche notwendig ist, um die Trübung in der Röhre 
genau der der matten Glasplatte gleichzumachen, wird der Eiweissgehalt 
berechnet. 

Dass die Methode unbrauchbar ist, geht aus der Tabelle hervor. 

Tsuchiya 2 ). 

Die Methode ist der Esbach’schen nachgebildet, mit dem Unter¬ 
schiede, dass zur Fällung eine Lösung von Phosphor-Wolframsäure io 
Salzsäure und Alkohol verwandt wird. Die für die Methode hergestellteo 
empirisch graduierten Röhren haben eine nach unten zu konisch ver¬ 
jüngte Gestalt. Die Methode unterscheidet sich von der Esbach’scheo 


1) Virchow’s Archiv, Bd. 115. 

2) Centralbl. f. innere Med., 1908, Nr. 5. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


679 


vorteilhaft dadurch, dass sie anscheinend niemals versagt. Unter 
200 Fällungen kam keine einzige Versagung vor. Die mit derselben 
erzielten Resultate sind jedoch nicht besser, als die mit der Esbach’schen, 
wenigstens wenn man die von Tsuchiya angegebene Vorschrift befolgt, 
nach 24 Stunden abzulesen. Besser werden die Resultate, wenn man 
erst nach 48 Stunden abliest, doch kommen auch hier noch Differenzen 
bis zu 1,8 pM. gegen die Gewichtsanalyse und zwischen Parallelbestim¬ 
mungen vor. 

Auch bei dieser Methode ist die Höhe des Niederschlages 
sehr abhängig von der Temperatur, in welcher die Röhre zum 
Absetzen hingestellt wird. Auch hier darf nur mit Temperaturen 
zwischen 12 und 16° R gearbeitet werden. Wie gross der Ein¬ 
fluss der Temperatur auf die Höhe des Niederschlags ist, zeigt 
folgender Versuch: Derselbe Urin gab bei 30—85° R nach 
24 Stunden , nur 0,7 pM., dagegen im Zimmer bei 13° R 6,2 und 
6,6 pM. und bei 2—3°R blieb die obere Grenze des Nieder¬ 
schlages 9 mm über der Marke U der Röhre. 

Wenn die Methode auch zuverlässiger ist wie die Esbach’sche, 
so ist sie doch noch unzuverlässig genug und wird daher am 
besten durch die später zu beschreibende von mir ausgearbeitete 
Modifikation derselben ersetzt. 

Brandberg. 

Die Methode ist aufgebaut auf der alten Heller’schen Probe mit 
konzentrierter Salpetersäure. Durch Versuche mit Eiweisslösungen von 
bekanntem Gehalte hat Brand borg nachgewiesen, dass eine Lösung, 
welche mit Salpetersäure nach 2 1 / 2~8 Minuten noch einen Niederschlag 
gibt, einen Eiweissgehalt von 0,033 pM. hat. Durch successive Ver¬ 
dünnung wird dieser Punkt ermittelt und dann aus der vorgenommenen 
Verdünnung und dem Faktor 0,033 der Eiweissgehalt berechnet. 

Die von Brandberg selbst unter Hammarsten’s Leitung vor¬ 
genommene Prüfung der Methode gab Differenzen bis zu 2—3 pM. 
gegen die Gewichtsanalyse. 

Meine Bestimmungen haben noch grössere Differenzen, be¬ 
sonders bei eiweissreichen Urinen ergeben, so dass die Methode 
als unbrauchbar bezeichnet werden muss. 

Claudius. 

Ganz neuerdings hat Claudius in Kopenhagen eine Methode ver¬ 
öffentlicht ! ), welche sehr schöne Resultate gibt. Dieselbe beruht darauf, 
dass der Fällungsflüssigkeit (Trichloressigsäure mit Gerbsäure) ein Farb¬ 
stoff (Säurefuchsin) zugesetzt wird, welcher zum Teile von dem Nieder¬ 
schlage aufgesaugt wird. Je mehr Eiweiss in dem Urin enthalten ist, 
desto mehr Farbstoff wird von dem Niederschlage absorbiert und desto- 
weniger Farbstoff bleibt im Filtrate zurück. In diesem wird dann der 
Farbstoffgehalt colorimetrisch bestimmt und dadurch der Einweissgehalt 
ermittelt. Die Verminderung des Farbstoffgehaltes im Filtrate entspricht 
gesetzmässig einem grösseren Eiweissgehalte. Die Methode arbeitet sehr 
exakt und gibt, wie die Tabelle zeigt, sehr gute Resultate. Ein Ver¬ 
sagen der Methode ist mir nicht vorgekommen. Allerdings kommen auch 
bei dieser Methode noch Differenzen gegen die Gewichtsanalyse und 
zwischen Parallelbestimmungen bis zu 0,7 pM. vor, doch sind dies seltene 
Ausnahmen. Besonders in den am häufigsten vorkommenden mittleren 
Eiweissgehalten ist die Methode vorzüglich. Urine mit einem höheren 
Ei weissgeh alte als 5 pM. müssen verdünnt werden. Das Arbeiten mit 
der Methode ist wegen ihrer Exaktheit eine Freude. Sie hat den grossen 
Vorteil, dass sie in kurzer Zeit ein Resultat gibt. Der für die Methode 
notwendige kleine Apparat ist mit den Reagentien von der Firma 
Dr. G. Grübler & Co. in Leipzig zum Preise von 23 M. zu beziehen. 

Die Methode bat für den Praktiker vielleicht den Nachteil, 
dass auch bei völliger Bereitschaft aller Utensilien, Apparate und 
Reagentien die Bestimmung eine ununterbrochene Arbeit von 
25—80 Minuten erfordert. Der allgemeinen Einführung in die 
Praxis und in die Apotheken und Kliniken würde es ausserdem 
hinderlich sein, wenn die Rezepte für die Reagentien nicht be¬ 
kannt gegeben würden, weil das Bestellen und Beziehen der 
Reagentien von der Firma Dr. G. Grübler zu zeitraubend und 
kostspielig wäre. 

Endlich gibt die Methode bei künstlicher Beleuchtung keine 
Resultate; wenigstens ist es mir nicht gelungen, den Uebergang 
von den letzten Stadien der Reaktion zur Endreaktion bei künst¬ 
licher Beleuchtung mit der nötigen Schärfe zu erkennen. 

Emil Pfeiffer. 

Die Beobachtung, dass bei den Bestimmungen nach Esbach die 
unten konisch zugespitzte Röhre die allerschlechtesten Resultate gab, 
und dass bei den Bestimmungen nach Tsuchiya in dem unteren koni¬ 
schen Teile der Röhre sich häufig Zwischenräume zwischen den Nieder¬ 
schlagmassen bildeten, welche sich durch Aufstossen der Röhre nicht 
beseitigen Hessen und welche doch sicherlich das Resultat wesentlich 
und ungünstig beeinflussen mussten, veranlassten mich, unter Weglassen 
der konischen Verjüngung im Gegenteil ziemlich weite, nicht veijüngte 

1) Münohener med. Wochensohr., 1912, Nr. 41. 


Röhren zu verwenden und ausserdem die bei Esbach und Tsuchiya 
auf den Röhren eingravierte empirische Graduierung, welche auch nach 
oben hin immer enger wird, zu verlassen und auf den Röhren die ge¬ 
wöhnliche Graduierung nach Kubikcentimeterinhalt anzuwenden. 

Diese weiten Röhren mit grader Wand lassen den Niederschlag sich 
unbehindert und gleichmässig absetzen und geben dadurch schon sicherere 
und zuverlässigere Resultate und die Graduierung nach Kubikcentimetern 
hat den Vorteil, dass dieselbe immer ganz gleichmässig hergestellt 
werden kann. Allerdings muss dann die abgelesene Niederschlaghöhe 
nach einer empirisch gefundenen Formel auf Eiweiss umgerechnet 
werden. 

Diese Methode gibt, wie die Tabelle zeigt, die allerbesten Resultate, 
welche ohne weiteres denen der Gewichtsanalyse gleichgestellt werden 
können. 

Ein Versagen der Methode findet nicht statt. 

Die grössten Differenzen gegen die Gewichtsanalyse betrugen in 
26 Bestimmungen 0,61 pM., in der Mehrzahl der Fälle aber nur 0,1 bis 
0,2 pM. und die Differenzen zwischen zwei Parallelbestimmungen nicht 
mehr wie 0,3 pM. 

Es ist also diese Methode die sicherste und genaueste aller 
bis jetzt bekanntgegebenen. 

Sie teilt mit der Esbach’schen die Einfachheit der Hand¬ 
habung und hat nur den Nachteil, dass man auf das Resultat 
48 Stunden warten muss. Das ist ja auch bei der Gewichts¬ 
analyse notwendig. Wenn man einen Urin zur Eiweissbestimmung 
durch Gewichtsanalyse in ein Laboratorium gibt, so wird man 
selten vor 48 Stunden ein Resultat erhalten. 

Wer ungeduldig ist und schon nach 24 Stunden ein Resultat 
haben will aus alter Gewohnheit an die Esbach’sche Methode, 
der kann auch nach 24 Stunden ablesen, und nach der Umrech¬ 
nungstabelle den Eiweissgehalt berechnen, er muss nur dann das 
Resultat um 20 pCt. vermindern und wird auf diese Weise immer 
noch ein viel besseres und sichereres Resultat erhalten als mit 
Esbach. 

Die Röhren, welche zu der Methode verwandt werden, 
müssen ein ganz bestimmtes Kaliber haben. Ich habe dieselben 
in der Fabrik in der Weise hersteilen lassen, dass dieselben 
etwa 14,5 cm hoch und 2 cm weit sind. Sie tragen eine 
Graduierung 10—20—30 ccm, aber nur der untere Teil von 
0 bis 10 cm ist in einzelne Kubikcentimeter eingeteilt, und zwar 
auf beiden Seiten, damit, wenn die Oberfläche des Niederschlages 
nicht ganz horizontal ist, man auf beiden Seiten ablesen und den 
Durchschnitt bestimmen kann. Die Graduierung in einzelne 
Kubikcentimeter ist nur im unteren Drittel durchgeführt, da nur 
dieses benutzt wird, da stärker ei weisshaltige Urine verdünnt 
werden müssen. 

Da es sehr wesentlich auf ein bestimmtes Kaliber der Röhren 
ankommt, so ist am besten, dieselben von der Firma Stoss, Wies¬ 
baden, Taunusstrasse 2, zu beziehen, da dieselbe die Röhren in 
einem ganz bestimmten Kaliber hersteilen lässt. Diese Firma 
liefert einen Kasten mit vier Röhren von dem genauen Kaliber 
und mit der oben angegebenen genauen Graduierung und einer 
Flasche für 200 Kubikcentimeter Reagens zum Preise von 9 M. 
Die Röhren sind numeriert, um Verwechselungen zu verhüten. 
Ein ähnlicher Kasten mit nur zwei Röhren kostet 7 M., doch ist 
gut, vier Röhren zu haben, da man am besten immer zwei 
Parallelbestimmungen ansetzt. 

Das Reagens ist 1,0 Acidum Phosphor-Wolframicüm, 

5,0 Acidum hydrochlor. concentr., 

100,0 Spirit, vini (96 proz.). 

Die Ausführung des Verfahrens ist nun folgende: 

Durch Kochen im Reagenzglase wird zunächst der Eiweissgehalt des 
Urines festgestellt. 

Ist der Eiweissgehalt so hoch, dass sich nicht einzelne durch 
Flüssigkeitsspatien getrennte hanfkorngrosse Flocken nach dem Kochen 
zeigen, sondern das Goagulum grosse Ballen oder gar zusammenhängende 
Massen bildet, so muss verdünnt werden, zunächst auf 1:1 Wasser, und 
wenn diese Verdünnung nicht ausreichend ist, auf 1:2 Wasser oder 
sogar 1 :3 Wasser. Die Methode gibt in Verdünnungen die besten Re¬ 
sultate, doch dürfen die Verdünnungen nicht gar zu gross sein, da sich 
sonst die Versuchsfehler zu sehr vervielfältigen. Zur Herstellung der 
Verdünnungen lassen sich die graduierten Röhren sehr gut verwenden. 

Jetzt wird der Urin bzw. die Verdünnung in eine oder am besten 
zwei der graduierten Röhren bis zur Marke 10 ccm eingefüllt und dann 
von dem Fällungsreagens bis zur Marke 20 ccm zugegossen. Durch 
zehnmaliges Umkehren und Wiederaufrichten der Röhre wird Urin und 
Reagens gut gemischt. Es tritt hierbei eine Erwärmung bis zu 27° G 
ein. Nun wird die Röhre in den Kasten gestellt und dieser bei ge¬ 
wöhnlicher Zimmertemperatur, welche nicht unter 12° R sinken und 
nicht über 15 0 R steigen darf, 48 Stunden stehen gelassen. Im Sommer 
muss daher dpr JKasteq an einem kühlen Ort, eventuell in den Keller 
gestellt werden. Diese Maassregel ist absolut notwendig, da bei Ab- 

8 * 


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UNIVERSUM OF IOWA 




680 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


weichungen von derselben ganz falsche Resultate erzielt werden. Sollte 
nach einigen Stunden ein Teil des Niederschlages nach oben gestiegen 
sein, so wird er mit einem dünnen Glasstabe vorsichtig angestossen, 
worauf er zu Boden sinkt. 

Die Empfindlichkeit des Niederschlages gegen ErwärmuDg hat mich 
veranlasst, ein abgekürztes Verfahren zu versuchen, bei welchem der 
Niederschlag sofort nach seiner Bildung in höhere Temperatur gebracht 
und längere Zeit in dieser erhalten wird. Dies wird dadurch erreicht, 
dass die Röhre in eine kleine Thermosflasche eingesetzt wird. Dadurch 
wird das Verfahren auf die Dauer von einer Stunde abgekürzt. Diese 
abgekürzte Methode gibt zwar keine so genauen Resultate, wie die 

48 Stunden-Methode, aber immer noch bessere, als die Esbach’sche, und 

kann, um ein vorläufiges Resultat zu erlangen und im Sommer, mit 

Vorteil angewandt werden. Wenn die Röhre 15 Minuten in der Thermos¬ 
flasche verweilt hat, wird nachgesehen, ob nicht Teile des Niederschlages 
nach oben gestiegen oder sich zu grossen Massen zusamraengeballt 
haben. Mit einem dünnen Glasstabe werden dann diese Massen vor¬ 
sichtig zerteilt, aber nicht zu stark umgerührt. Nach einer halben 
Stunde wird wieder nacbgesehen und eventuelle Unebenheiten der Ober¬ 
fläche des Niederschlages mit dem Glasstabe vorsichtig geebnet. Nach 
einer Stunde wird dann das Resultat abgelesen und nach der Um¬ 

rechnungstabelle auf Eiweiss berechnet. Die Tabelle ist empirisch für 
30° R und eine Stunde Aufenthalt in der Thermosflasche gefunden. 
Die Zeiten und Temperaturen müssen aufs genaueste eingehalten werden. 

Die Tabelle zur Umrechnung der Höhe des Niederschlages in pro 
Mille Eiweiss ist folgende. (Tabelle 1.) 


Tabelle 1. 


Höhe des 
Nieder¬ 
schlages in 
Kubik- 
centimeter 

Eiweiss 

bei 12—15°R 
nach 

48 Stunden 

3 r o Mille 

bei 12—150 R 
nach 

24 Stunden 

Höhe des 
Niederschlages 
bei 30° R nach 
einer Stunde 

Eiweiss 
pro Mille 

1,0 

0,5 

0,4 

0,5 

1,0 

1,5 

0,75 

0,6 

1,0 

1,5 

2,0 

1,0 

0,8 

1,2 

1,75 

2,5 

1,25 

1,0 

1,4 

2,0 

3,0 

1,5 

1,2 

1,6 

2,4 

3,5 

2,0 

1,6 

1,8 

2,8 

4,0 

2,5 

2,0 

2,0 

3,2 

4,5 

3,0 

2,4 

2,2 

3,6 

5,0 

3,5 

2,8 

2,4 

4,0 

5,5 

4,0 

3,2 

— 

— 

6,0 

4,5 

3,6 

— 


6,5 

5,0 

4,0 

— 

j — 


Eine Abkürzung der Methode der Fällung mit Phosphorwolfram¬ 
säure durch Centrifugieren gibt ebensowenig brauchbare Resultate, wie 
das Centrifugieren des Esbach’schen Niederschlages. 


Tabelle 2*). 



Gewichts¬ 

analyse 

Fr. | St. 

Esbach 

RundSpitz 

Aufrecht 

Walbum 

Tsuchiya 

24St.'48St. 

Brandberg 

Claudius 1 

Pfe 

24 St. 

iffer 

48 St. 

1 

10,02 


7,2 

6,5 

12,0 

_ 

_ 

_ 

l 

_ 

_ 

_ 

2 

2,36 

— 

1,9 

2,6 

1,8 

— 1 

— 





“ 

“ 

3 

2,36 


1,8 

1,8 

1,6 

3,0 

— 

— 


— 

_ 



4 

5,01 


4,6 

3,5 

6,0 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

5 

— 

1 0,2 

0,5 

0,5 

— 

— 

0,4 

— 

— 

— 




6 

— 

1 2,69 

5,0 

2,5 

— 

— 

3,2 

— 


— 




7 

— 

4,9 

6,0 

5,3 

— 

7,5 

4,6 


— 

— 

r 



8 


3,57 

3.3 
4,1 

3.4 
3,0 
3,7 

3,3 


2,9 







9 

— 

4,08 

8,4 

6,0 

— 

— 

5,5 

— 

— 

— 


_ 

~ 

10 


7,4 

4,5 

4,5 

3,5 

7,5 

2,7 

i 

3» 


1 " 






1) Die Urine stammten zum grössten Teile aus dem hiesigen 
städtischen Krankenhause. Ich bin den Herren Wein trau d und 
Göronne für die Erlaubnis, diese Urine zu beziehen, und den Schwestern 
vom Roten Kreuz Annemarie und Anita für die Besorgung derselben 
zu besonderem Danke verpflichtet. 




I 


1 




1 

bfi 




Z 

Gewichts¬ 

analyse 

Esbach 

ja 

ü 

<u 

'B 

S 

3 

.£ 

15 

Tsuchiya 

5 

X 

TJ 

fl 

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fl 

rt 

Pfeiffer 


Fr. | 

St. 

RundSpitz 

< 


24St.48St 

m 

O 

24St. 48St. 

11 


7,02 

1 

3,2 


__ 

2,5 

_ 

_ 





12 


0,78 

0,9 

0,75 

— 

0,55 

— 

— 

— 

- 

— 

— 

13 

3,7 

— 

3,6 

— 

— 

3,2 

— 

— 

— 

— 

— 

— 






3,1 







14 

2,46 

— 

L4 

— 

— 

1,6 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

15 

4,9 1 

— 

4,5 

— 

— 

2,5 

— 

— 

— 

— 

— 

— 



6,0 













4,4 










16 

7,3 1 

— 

6,1 

— 

— 

3,7 

— 

— 

— 

— 

— 

— 




7,0 



3,9 







17 

53,1 

50,7 

48,2 

— 

— 

34,0 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

18 

10,96 

— 

7,6 , 

— 

— 

6,4 

12,0 

— 

— 

— 

— 

— 




7,9 1 










19 

3,62 

— 

4.0 

1,8 


1,88 

4,0 

— 

— 

— 

. — 

— . 

20 

2,64 1 

2,76 

3,2 i 

— 

4,0 

1,6 

6,0' 

— 

— 

— 

— 

— 



3,4 



1,6 







21 

3,88 

3,76 

3,0 

1,8 

4,5 

2,0 

2,6 

— 

— 

— 

. — 

— 

22 

1,96 

2,12 

2,6 

— 

3,0 

1,7 

1,8 

— 

— 

— 

— 

— 




1,6 







23 

3,40 ' 

3,28 

3,4 

— 

3,0 

1,8 

4,6 

— 


— 

— 

— 

24 

0.4 

— 

— 

— 

— 

0,5 

0,4 

— 

— 

— 

— 

— 






0,5 






25 

1,71 

Li 

Li 

1,8 

— 

3,0 

1,0 

1,6 

— 

— 

— 

— 

— 


2,2 




1,4 






26 

2,35 

1,9 

3,2 

— 

— 

1,0 

3,4 

— 

— 

— 

— 

— 


1,8 

2,6 










27 

— ' 

1,9 

1,9 

— 

— 

LI 

3,0 

— 

— 

— 

— 

— 






2,6 






28 

_ 

1,6 

1,8 

— 

— 

0,9 

L6 

— 

— 

— 

— 

— 






1,8 






29 

4,66 

— 

4,6 

3,7 

9,0 

— 

7,0 

— 

— 

— 

— 

— 




4,9 


6,9 









5,1 










30 

5,1 

— 

4,6 

3,5 

6,0 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

31 

3,36 

— 

2,5 

— 


— 

— 

— 

— 

-7- 

— 

— 

32 

1,61 

— 

2,1 

— 


— 

2,0 

L7 

2,06 

— 

— 

— 



1,6 




2,0 

1,7 





33 

13,7 

— 

•24,4 

8,4 

— 

— 

16,0 

14,0 

4,719 

— 

— 

— 



26,8 



13,6 

12,8 








22,0 










34 

5,8 

— 

12,2 

7,4 


— 

7,7 

5,7 

2,19 

— 

— 

— 



9,0 




5,1 








9,0 










35 

2,89 1 

— 

3,7 

— 

— 

— 

3,9 

2,9 

1,089 

— 

— 

— 






5,4 

3,4 





36 

3,29 

— 

—. 

— 


— 

5,1 

4,1 

3,3 

— 

— 

— 







5,3 

3,9 





37 

3,01 i 

— 

— 

— 


— 

4,7 

3,8 

2,356 

— 

— 

— 







4,4 

3,7 





38 

1,68 

j L72 

— 


— 


L7 

1.5 

0,73 

— 

— 

— 






1,7 

1,4 





39 

1,42 

1,12 

— 

_ 

— 

— 

0,9 

0,8 

0,66 

— 

— 

— 







0,9 

0,9 





40 

2,35 

2,42 

— 

— 

— 

— 

3,1 

2,6 

1,65 

— 

— 

— 




1 



2,9 





41 

1,15 

— 

— 


— 

— 

1,2 

1,1 

0,94 

— 

— 

— 

42 

1,79 

— 

— 

— 

— 

— 

2,0 

1,7 

1,65 

— 

— 

— 

43 

1,20 

— 

— 

— 

— 

1 — 

1,5 

1,3 

0,83 

— 

— 

— 

44 

10,2 

— 

11,5 

1 6,0 

— 

1 — 

13,6 

I 9,2 

6,6 

— 

— 

— 



11,5 



14,8 

10,4 








10,4 




10,8 

10,4 





45 

8,1 

— 

8,6 

3,8 

— 

— 

12,0 

9,4 

5,48 

— 

— 

— 



9,5 



10,2 

8,2 







7,0 










46 

3,17 

— 

3,1 

2,0 

— 

— 

4,2 

3,0 

2,06 

— 

— 

— 




2,8 



5,0 

3,8 

3,00 







3,0 









47 

12,7 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

12,2 

— 

-r 

— 

— ’ 








12,0 





48 

0,93 

— 

0,75 

1,0 

0,45 

3,0 

— 

3,0 

1,8 

— 

1,6 

1,25 

1,1 


0,72 




2,3 

1,7 


1,6 








2,3 

1,9 





49 

2,64 

— 

1,7 

— 

5,0 

— 

4,3 

3,4 

— 

2,4 

3,3 

2,5 



1,7 



5,3 

4,1 


3,3 

2,5 







6,0 

3,2 












4,0 

3,2 












4,0 

4,1 





50 

1,56 

1 4 , 

L7 

1,7 


. Kein 
Resultat 

> 

3,5 

2,8 


1,6 

2,5 

1,7 


Digitized by Gougle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF [OWA 










14. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHR IFT. 


681 


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anal. 

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Tsuchiya 

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T3 

3 

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Pfeiffer 

24St.48St. 

51 

2,17 


1,9 ! 


4,5 


5,0 

4,0 


2,4 

3,0 

2,3 

52 

3,35 

— 

3,2 | 

2,5 

— 

— 

5,5 

4,0 

- 

3,2 

4,25 

3,5 












4,25 

3,5 

53 

2,81 

— 

1,9 1 

1,7 

7,0 

— 

5,0 

4,1 


3,2 

— 

3,0 

54 

5,58 

_ 

6,8 

5,8 

Kein 

— 

— 

— 

— | 

— 

— 

— 






Resultat 1 








55 

1,46 

_ 

0,5 

0,7 

2,4 

— 

3,1 

2,2 

— 

1,9 

1,5 

1,25 








2,8 

2,3 


1,4 



5G 

3,11 

— 

— 

— 

— 

— 

5,4 

3,8 


3,2 

3,3 

2,5 




I 




5,4 

3,8 


3,1 



57 

3,26 

— 


— 


— 

5,8 

4,6 


2,8 

4,3 

3,2 








6,0 

5,0 


3,0 



58 

2,79 

— 


— 

— 

— 

— 

— 

— 

2,8 

— 

3,0 











3,0 



59 

1,86 

— 


— 

— 

— 

— 

— 

_ 

1,8 

— 

2,0 











1,8 



60 

1,39 

— 

— 

— 

— 

_ 

— 

— 

— 

1,4 

1,35 

3,2 











1,5 

1,35 

1,15 

61 

1,12 

— 

_ 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1,1 

1,15 

1,0 












1,15 

1,0 

62 

0,56 

— 


— 

— 

— 

— 

— 

— 

0,5 

0,5 

0,45 












0,6 

0,5 

63 

1,39 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

2,0 

1,3 

1,2 











1,8 

1,5 

1.25 











1,2 



64 

2,00 

— 


— 

— 

— 

' — 


— 

2,4 

2,5 

2,2 











2,3 

2,5 

1,9 











2,0 



65 

0,69 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

0,6 

0,9 

0,75 












0,8 

0,8 

66 

1,00 

— 

— 

_ 

— 

— 

— 

— 

— 

1,0 

1,0 

1,0 

67 

1,92 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

2,2 

3,5 

2,4 











2,2 

3,6 


68 

0,96 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

0,9 

0,75 

0,75 












1,0 

1,0 

69 

3,268 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

3,5 

4,1 

3,5 












4,3 

3,5 

70 

1,61 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1,8 

1,5 

1,25 












1,5 

1,3 

71 

0,65 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1 0,76 

0,75 

0,5 












0,75 

0,7 

72 

1,63 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

2,0 

1,4 












1,5 

1,5 

73 

0,3 

— 

— 

— 

— 

— 

1,4 

— 

0,99 

— 

— 

— 

74 

0,78 

— 

— 

— 

— 

— 

1,0 

— 

0,726 

— 

— 

— 

75 

— 1 

0,5 

— 

— 

— 

— 

0,5 

— 

0,54 

— 

— 

— 

76 

3,50 

3,54 

— 

— 

— 

— 

2,6 

— 

2,145 

_ 

— 

— 










4,389 




77 

1,46 

— 

— 1 

— 

— 

— 

— 

— 

1,12 

— 

— 

— 









1 

1,715 




78 

3,24 

3,08 

— 

— 

— 

— 

— 

1 4,0 

2,24 


— 

— 


3,24 

3,06 






4,0 

4,125 




79 

— 

1,88 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1,254 

_ 

— 











1,715 




SO 

3,4 

— 

— 

— 

— 

— 

— 


4,0 

3,6 

— 

I 3,3 










4,2 

1 3,6 


3,4 

S1 

2,6 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1 2,9 

3,5 

2,5 











2,6 

3,5 

i 2,6 

82 

3,6 

— 

3,6 

— 

— 

_ 

6,2 

_ 

— 

3,8 

4.5 

j 3,6 




4,0 




6,5 



3,8 

4,5 


83 

2,33 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

2,8 

2,9 

2,6 











2,6 

2,9 


84 

1,75 

— 

— 

— 

_ 

— 

— 

— 

— 

1,7 

— 

i 1,5 











1,8 


| 1,5 













1,5 













1 1,5 

85 

4,36 

— 

5,5 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

4,4 

— 

! — 


4.56 









4,4 


| 

86 

2,18 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

2,4 

2,6 

1,5 


2,28 









2,3 

2,8 

2,0 

87 

1,49 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1,8 

1,5 

1,3 











1,6 

1,5 

I 1,3 

88 

1,75 

— 

1,5 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

2,0 

1,7 

1,6 


1,75 










2,3 

1,5 










* 



1,7 

89 

1,74 

— 

1,4 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

2,4 

2,0 

1,5 


1,75 


1,6 





_ 



2,0 

1,6 

90 

3,39 

— 

2,1 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

3,6 

2,9 

3,1 




2,1 







3,7 

3,2 

3,3 


£ 

Gewichts¬ 

analyse 

Fr. | St. 

Esbach 

RundjSpitz 

Aufrecht 

Walbum 

Tsuchiya 

24St.|48St. 

*> 

8 

ja 

r o 

a 

d 

Ui 

03 

CO 

.2 

'S 

3 

ca 

O 

Pfeiffer 

24St.[48St. 

91 

1,69 

_ 

1 



_ 




1,8 

1 

1,9 

2,0 











1,8 

1,9 

1,9 

92 

1,07 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

0,74 

0,8 

1,3 












1,0 

1,1 

93 

2,75 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

2,9 

2,8 

2,9 

94 

1,37 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1,2 

— 

— 

95 

2,3 

— 

1,8 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1,6 

2,0 

1,7 




1,9 







1,4 

2,1 

2,2 

96 

2,72 

— 

2,1 


— 

— 

— 

— 

— 

2,5 

2,8 

2,7 












2,7 

2,7 

97 

1,36 

— 

1,4 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

0,8 

— 

1,5 

98 

1,95 

1 — 

1,5 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1,8 

1,3 

1,5 












1,3 


99 

3,62 


3,8 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

3,2 

3,6 

3,5 












3,6 

3,6 

100 

1,81 

_ 

1,8 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1,5 

1,6 

1,7 



i — 









1,6 

1,7 

101 

1,2 


— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1,0 

1,0 

1,3 



1 

1 








1,2 

1,0 

1,3 


Schlusssätze. 

Die Esbach’sche Methode zur quantitativen Eiweiss¬ 
bestimmung im Urin ist wegen ihrer Unsicherheit und der auch 
bei sorgfältigster Beobachtung aller Vorsichtsmaassregeln in hohem 
Maasse unrichtigen Angaben vollständig zu verwerfen. Sie hat 
auch keinen approximativen Wert. Die mit ihr erhaltenen Re¬ 
sultate sind völlig wertlos. 

Brauchbare Methoden sind die von Claudius angegebene 
und die von mir oben beschriebene Modifikation der Tsuchiya- 
schen Methode der Fällung mit Phosphorwolframsäure. 


Aus dem Auguste Viktoria-Krankenhause Berlin- 
Schöneberg. 

Ueber die Blutveränderungen bei Icterus 
haemoly ticus.*) 

Von 

Prof. Huber. 

M. H.! Ich habe hier mikroskopische Präparate aufgestellt, 
um bestimmte Blutveränderungen zu demonstrieren, die man bei 
Icterus haemolyticus findet, und möchte mir im Anschluss daran 
einige Bemerkungen über diese bei uns noch wenig studierte 
Krankheit erlauben, ohne auf alle Einzelheiten eingehen zu wollen. 
Wir sind über das Wesen und die tiefere Ursache dieser merk¬ 
würdigen Krankheit noch ganz im unklaren, trotzdem erlaubt die 
Analyse der Blutveränderungen einen interessanten Einblick in 
die Vorgänge, die sich hier abspielen. Das, worauf es bei der 
Beurteilung von Blutveränderungen ankommt, liegt darin, dass 
man die Erscheinungen der Regeneration von den Schädigungen, den 
degenerativen Processen herausschält, um die eigentliche Krank¬ 
heit erkennen zu können. 

Die Bezeichnung Icterus haemolyticus ist unglücklich ge¬ 
wählt, denn der Icterus ist nur ein Symptom, das zuweilen sogar 
sehr im Krankheitsbilde zurücktreten kann, und die Beifügung 
des Wortes haemolyticus macht die Bezeichnung nicht klarer, da 
hämolytische Prozesse mit Icterus ganz differenter Natur sein 
können. Ich erinnere nur an Icterus bei Vergiftung mit blut¬ 
schädigenden Substanzen, wie Kalium chloricum, an Icterus bei 
Hämoglobinurie, bei schweren infektiösen Prozessen usw. Auch 
die neuerdings vorgeschlagene Bezeichnung Anaemia haemolytica 
ist nicht mehr befriedigend. Richtiger wäre es, die Krankheit 
nach den Autoren zu bezeichnen, die sie zuerst in ihrer allge¬ 
meinen Bedeutung richtig erkannt haben, nämlich Minkowski 
und Chauffard. 


1) Nach einem Vortrag in der Berliner medizinischen Gesellschaft 
am 8. Januar 1913. 


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082 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 15. 


Die Hauptsymptome der Krankheit sind in erster Linie ein 
chronischer Icterus, der nicht die Folge einer Lebererkrankung, 
sondern die Folge des massenhaften Zugrundegehens von roten 
Blutkörperchen ist, ferner Vergiösserung der Milz und gewisse 
tilutveränderungen. Das Krankheitsbild mit dem chronischen 
Icterus ist deswegen so auffallend, weil es Jahre und Jahrzehnte 
bestehen kann, ohne dass es zu einer Beeinträchtigung der Ge¬ 
sundheit zu kommen braucht. Ja, es sind Fälle bekannt, wo 
Menschen von der Geburt oder frühesten Jugend an ikterisch 
waren, ohne je in ihrer Leistungsfähigkeit gestört worden zu sein, 
ln anderen Fällen kommt es aber zu mehr oder weniger schwerer 
Anämie, besonders anfallsweise treten Verschlimmerungen ein, 
zum Teil mit heftigsten Beschwerden in der Milz. Manche 
Fälle nähern sich dabei sehr dem Bilde der perniciösen Anämie. 

Das, was die Krankheit von anderen unklaren Formen von 
Icterus und Anämien mit Megalosplenie heraushebt, ist eine Herabsetzung 
der Resistenz der Erythrocyten gegen hypotonische Kochsalzlösung, wie 
zuerst von Chauffard nachgewiesen wurde. Normale rote Blutkörper¬ 
chen bleiben in einer NaCl-Lösung von 0,6 bis 0,5 unveränderterhalten 
und erst bei einer Konzentration unter 0,5 pCt., etwa bei 0,46 tritt 
eine Auflösung ein, indem das Hämoglobin aus dem Stroma der Blut¬ 
körperchen herausgebt und so eine lackfarbene Blutlösung entsteht. 
Beim Icterus haemolyticus sind nun die Erythrocyten viel empfindlicher, 
schon ganz geringe Verdünnung der isotonischen Kochsalzlösung bringt 
sie zur Aullösung (0,7—0,6 pCt.). Worauf diese Veränderung der 
Erythrocyten beruht, ist noch ganz unbekannt, sie ist aber für den 
Icterus haemolyticus sehr charakteristisch und erklärt nach Chauffard 
das massenhafte Untergehen der Erythrocyten, die Hämolyse, die ihrer¬ 
seits den Icterus zur Folge hat. Im Gegensatz zum hämolytischen 
Icterus ist beim Retentionsicterus die Resistenz der roten Blutkörper¬ 
chen gesteigert, d. h. sie werden erst durch NaCl-Lösungen unter 
0,40 pCt. aufgelöst. Es muss aber erwähnt werden, dass in manchen 
Fällen von Icterus haemolyticus die Resistenzverminderung derErytbrocyten 
sehr gering ist oder ganz zu fehlen scheint, und dass auf der anderen 
Seite auch bei anderen Krankheiten eine Herabsetzung der Resistenz Vor¬ 
kommen kann (Mosse), dass sie also nicht ganz spezifisch ist. 

Eine weitere Eigentümlichkeit der roten Blutkörperchen besteht 
darin, dass eine grosse Anzahl derselben bei der sogenannten Vital¬ 
färbung die Substantia reticulo-filamentosa, eine basophile, netzartige 
Struktur aufweist, während im normalen Blut nur vereinzelte derartige 
Erythrocyten Vorkommen. Man bezeichnet sie als „bernaties granu- 
leuses“, als granulierte Erythrocyten, im Gegensatz zu den sogenannten 
punktierten, die im fixiert gelärbten Präparat basophile Körnchen zeigen. 
Zum Nachweis dieser Erscheinung setzt man dem frischen Blut eine 
Spur basischen Farbstoffs hinzu, und zwar geschieht dies am einfachsten, 
indem man auf dem Objektträger eine dünne Schicht alkoholischer Farb¬ 
lösung antrockneu lässt und dann ein Deckgläschen mit dem frischen 
Blutstropfen darauf legt. Nach einigen Minuten treten dann in den be¬ 
treffenden Erythrocyten intensiv gefärbte fadenartige, netzartige Figuren 
auf, und es ist erstaunlich, wie gross die Masse der basophileu Substanz 
ist, die in den Erythrocyten enthalten sein kann, ohne dass in dem 
normal fixierten und gefärbten Präparat irgendetwas davon zu bemerken 
ist. Ausser den netzartigen Figuren sieht man auch stets einige kleine 
Körnchen, die sich in dem Blutkörperchen lebhaft hin- und herbewegen, 
und die besonders bei Färbung mit Brillantkresylblau einen meta¬ 
chromatischen, roten Farbenton annehmen. 

In manchen Präparaten findet man bei der Vitalfärbung zahlreiche 
Zellen nur mit mehreren metachromatisch, bräunlich gefärbten Kügel¬ 
chen, während die eigentliche Reticulärsubstanz fehlt oder spärlich vor¬ 
kommt. Zieht man aber die Deckgläschen vom Objektträger vorsichtig 
ab, lässt die Rlutscbicht eintrocknen und untersucht sie nun, in Kanada¬ 
balsam eingelegt, so findet man die kugelförmigen Einschlüsse meist 
verschwunden und dafür reichlich gewöhnliche Reticulärsubstanz auf¬ 
getreten. Ich habe diese Erfahrung häufig bei menschlichem Blut wie 
auch besonders bei anämisierten Kaninchen machen können 1 ). 

Diese Erscheinung der vitalen Färbbarkeit entspricht in Wirklich¬ 
keit nicht einer echten Vitalfärbung, sondern sie ist eine Absterbe¬ 
erscheinung. Die im Innern der Blutkörperchen diffus verteilte Sub¬ 
stanz ist im fixierten Präparat durch die eosinophile Aussenscbicht vor 
einer Färbung geschützt. Dagegen dringt der Farbstoff im nativen Prä¬ 
parat in das Innere des Blutkörperchens ein und briugt die basophile 
Substanz zur Gerinnung, zur Ausfällung, wobei diese den Farbstoff an sich 
reisst. Verschiedene Farbstoffe verhalten sich dabei in bezug auf die 
Intensität ihrer Wirkung, gewissermaassen ihrer Giftigkeit, sehr ver¬ 
schieden. So tritt die Färbung bei Anwendung von Kresylblau viel 
schneller und intensiver auf als bei Methylenblau. Basophile Innen¬ 
substanz findet sich wohl normalerweise in jedem Blutkörperchen, nur 
ist ihre Menge sehr gering. Man kann sich davon oft überzeugen an 
Präparaten, die bei der Herstellung etwas gequetscht sind, so dass 
einige Blutkörperchen zum Platzen gebracht sind. Bei Färbung mit 
Eosin und Methylenblau sieht man dann zuweilen deutlich den aus¬ 
getretenen Inhalt blau gefärbt, während die Hülle mit Eosin schön rot 
gefärbt ist. Ist sehr viel basophile Innensubstanz vorhanden, so hat 

1) Wahrscheinlich sind die von Maliver beschriebenen Befunde 
(Deutsche med. Zeitschr., 1913, Nr. 4) in diesem Sinne zu erklären. 


man im gefärbten Präparat polychromatische Erythrocyten. Freilich 
spielt dabei vielleicht auch noch eine anormale Beschaffenheit, eine 
Schädigung der Aussenhülle, eine Rolle. Polychromatische Erythrocyten 
geben bei der Vitalfärbung stets die Fadenstruktur, aber die Poly¬ 
chromasie ist keine Vorbedingung für die Vitalfärbbarkeit, sondern auch 
im orthochromatischen Blutkörperchen kann so viel basophile Innen¬ 
substanz vorhanden sein, dass es bei der Vitalfärbung zur Ausfällung der 
Fadensubstanz kommt. Man hat viel über die Bedeutung und die Herkunft 
der Substantia reticulo-filamentosa diskutiert und besonders italienische 
und französische Forscher haben diesen Fragen eingehende Studien 
gewidmet, es würde aber zu weit führen, auf dieselben näher einzugehen. 
Soviel darf heute wohl als sicher angenommen werden, dass sie nicht 
von der Kernsubstanz abstaramt, sondern dass sie plasmatischer Her¬ 
kunft ist und dass sie ein Zeichen der Unreife und Jugendlichkeit der 
Zellen ist. Je jünger die Blutkörperchen sind, um so mehr basophile 
Substanz enthalten sie, je älter sie sind, um so mehr schwindet die baso¬ 
phile Substanz, und es wird mehr Hämoglobin gebildet. Dementsprechend 
findet sich die Vitalfärbung bei ganz verschiedenen Krankheiten, An¬ 
ämien, Bleivergiftung usw., besonders reichlich scheint sie sich freilich 
bei Icterus haemolyticus zu finden, obwohl auch da Fälle Vorkommen, 
wo sie fehlt oder wenigstens schwach vertreten ist. Experimentell kann 
man mit Leichtigkeit bei Kaninchen das Auftreten massenhafter vital¬ 
färbbarer Erythrocyten hervorrufen, wenn man durch mehrfache Ent¬ 
nahme von 20 bis 30 ccm Blut die Regeneration anregt. Chauffard 
sah ursprünglich in den „granulierten“ Erythrocyten den morphologi¬ 
schen Ausdruck der Fragilität, der Herabsetzung der Resistenz, doch 
hat sich diese Anschauung nicht halten lassen. Herabgesetzte Resisten» 
und Vitalfärbbarkeit haben nichts miteinander zu tun, beide gehen 
durchaus nicht parallel, und nach manchen Autoren bleiben gerade die 
granulierten Erythrocyten bei der künstlichen Hämolyse am längsten er¬ 
halten. 

Von weiteren Blutveränderungen sind zu erwähnen: Polychromasie, auf¬ 
fallende Anisocytose, Erythroblasten. Die Zahl der roten Blutkörperchen 
kann entsprechend der Anämie mehr oder weniger herabgesetzt sein, dabei 
entspricht der Hämoglobingehalt meist ziemlich der Erythrocytenzahl, der 
Färbeindex kann aber auch herabgesetzt sein, auf der anderen Seite aber 
auch über 1 betragen. Poikilocytose fehlt meist ganz, punktierte Erythro¬ 
cyten sind selten. Hämolysine fehlen bei reinen Fällen im Blute. 

Nach dem klinischen Verlauf sind hauptsächlich zwei Gruppen 
zu unterscheiden. Zu der einen gehören die angeborenen und 
familiären Fälle, die besonders häufig gutartig verlaufen. Auf 
der anderen Seite stehen die erworbenen Fälle. 

Die hier aufgestellten Präparate stammen von einem erworbenen 
Icterus haemolyticus. Die Patientin, ein IS jähriges Dienstmädchen, be¬ 
kam zum erstenmal mit 12 Jahren deutliche Gelbsucht, die damals über 
ein halbes Jahr angedauert hat. Sie soll dabei über Mattigkeit, 
Schwindel und Rückeuschmerzen geklagt haben, doch sind die Angaben 
sehr unsicher. In der Familie angeblich nie Gelbsucht vorgekommen. 
1911 zweimal monatelang andauernde Gelbsucht mit heftigen Schmerzen 
im Abdomen und Fieber. Im Aprill 912 wurde Patientin in das Scböne- 
berger Krankenhaus gebracht, da sie wieder seit zwei Monaten icteriscb 
war und über heftige Schmerzen im Abdomen und äusserste Mattigkeit 
klagte. Hier wurde folgendes festgestellt: Massig starker Icterus, Milz 
vergrössert, überragt den Rippenbogen zwei Querfinger, Leber wenig ge¬ 
schwollen, druckempfindlich. Im Urin reichlich Urobilin, kein Bilirubin, 
bei der Gmelin’schen Probe dunkelbrauner Ring, Stuhl dunkel gefärbt. 
Wassprmanu’sche Reaktion negativ. 

Während des Aufenthaltes im Krankenhaus wechselte der Icterus 
und das Befinden mehrmals. Im Anschluss an eine Fieberattacke, für 
die kein besonderer Grund vorlag, besserte sich der Zustand allmählich, 
so dass Patientin sich wieder arbeitsfähig fühlte. Milzschwellung und 
leichter Icterus bestanden aber noch fort. 

Anfangs betrug die Zahl der Erythrocyten 3 000 000, die der Leuko- 
cyten etwa 13 000, dabei war der Färbeindex ziemlich = 1,0. Später 
stieg die Erythrocytenzahl auf 4 000 000, sank aber wieder auf unter 
3 000 000, die Leukocyten gingen auf etwa 6000 herunter. Der Färbe¬ 
index wechselte, ging zeitweise über 1,0. 

Die Untersuchung des Blutes ergab eine hochgradige Herabsetzung 
der Resistenz der Erytrocyten. Schon bei 0,7 proz. NaCl-Lösung trat in 
15 Minuten starke Hämolyse ein. Dabei machte es keinen Unterschied, 
ob man gewaschene oder ungewaschene Erythrocyten benutzte. Da9 
Serum hatte keine lytische Eigenschaft gegen die eigenen oder fremden 
roten Blutkörperchen. Keine Autoagglutination. Mikroskopisch fand sieb 
auffallend starke Anisocytose, ferner reichlich Polychromasie, reichlich 
Zellen mit Reticulärsubstanz (etwa 35 pCt.). Manche Erythrocyten er¬ 
schienen entschieden hyperchrom. Vereinzelte Erythroblasten. Keine 
Poikilocytose. Unter den weissen Blutkörperchen fanden sich 1,5 pCt. 
Myelocyten, 32 pCt. Lympbocyten, 7 pCt. Mononucleäre. Blutplättchen 
reichlich. 

Ausser diesen Veränderungen habe ich einen besonderen Befund in 
meinem Fall zu erwähnen, der bisher bei Icterus haemolyticus nicht be¬ 
schrieben ist, nämlich eigentümliche Einschlüsse in den roten Blut¬ 
körperchen, und zwar sind zweierlei Arten zu unterscheiden. Die einen, 
spärlich vorkommend, sind kugelrund und färben sich nach Giern sw 
dunkelrot, lassen also ihre Herkunft von der Ghromatinsubstanz leicht 
erkennen. Die anderen sind rein basophil, färben sich mit allen Kern- 


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UNIVERSUM OF IOWA 






14. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


683 


Farbstoffen und erscheinen bei Giemsafärbung rein blau. Zur Darstellung 
■dieser Veränderungen ist Pappenheim’s May-Giemsafärbung gaoz be¬ 
sonders geeignet. Die Form der letzterwähnten Einschlüsse ist sehr 
verschieden, aber sie sind nie scharf abgerundet wie die ersteren. Bald 
sind sie punktförmig, eckig, rundlich, bald stellen sie ein gröberes 
Klötzchen oder einen längeren Splitter dar. Meist kommen sie in der 
Einzahl vor, zuweilen aber auch zu mehreren, zwei bis fünf. Sie sind 
nicht immer leicht zu erkennen, da man sie leicht mit Niederschlägen 
verwechseln kann. Deshalb ist es immer notwendig, verschiedenerlei 
Färbungen anzuwenden, um sicher zu sein. Diese Einschlüsse liegen 
meist io ganz normal aussehenden orthochromatischen Erytbrooyten. Zwar 
findet man ähnliche Körperchen vereinzelt auch bei manchen schweren 
Anämien, aber hier ist die grosse Zahl auffallend und weiter ist auf¬ 
fallend, dass sie in einem Blut Vorkommen, bei dem morphologische 
Zeichen von Anämie fast ganz fehlen, und dass eigentliche Punktierung 
daneben nicht vorkommt. Bei der Vitalfärbung färben sich die Körperchen 
intensiv, und zwar zeigt sich dabei keine weitere Reticulärsubstanz in 
der Blutsoheibe. Im Gegensatz dazu siebt man in den punktierten 
Erythrocyten, z. B. bei Bleivergiftung, bei der Vitalfärbung stets die 
Reticulärstruktur reichlich auftreten. Was die Herkunft dieser basophilen 
Körperchen anlangt, so darf man sie wohl nach Färbbarkeit und Form 
nicht vom Kern ableiten, sondern muss sie als ein Produkt der baso- 
plasmatischen Substanz betrachten und sie mit der Vermehrung der 
vitalfärbbaren Reticulärsubstanz in Beziehung bringen. Es hat sich hier 
schon intra vitam eine Verklumpung dieser Substanz ausgebildet. Da¬ 
nach wären diese Einschlüsse auch als Zeichen der Unreife und Jugend¬ 
lichkeit, also als besondere Regenerationserscbeioung aufzufassen. 

Die anderen runden, giemsaroten Einschlüsse sind bekannt als Jolly- 
körper oder Howellkörper. Sie sind nach Pappenheim verflüssigte 
Kernreste, also Zeichen mangelhafter Entkernung der Erythrocyten. Bei 
manchen Tieren, Katzen, Mäusen usw., sind sie schon länger bekannt. 
Bei Menschen sind sie auch beschrieben, aber nur selten, z. B. von 
Morris. Eine Bedeutung haben sie bisher nicht erlangt. Neuer¬ 
dings ist aber die Aufmerksamkeit auf diese Jollykörperchen gelenkt 
worden durch Roth, der einen Fall beschreibt, wo sich nach Milz¬ 
exstirpation bei e : nem Patienten mit Icterus haemolyticus ausserordent¬ 
lich viel Jollykörperchen zusammen mit einfachen basophilen, punkt¬ 
förmigen Einschlüssen fanden. Roth bringt das Auftreten der Jolly¬ 
körperchen mit der Milzexstirpation zusammen, da bei Icterus 
haemolyticus derartige Körperchen nie beschrieben sind, und er weist 
auf einen ähnlichen Befund hin, der von Schur bei einem Fall von 
Anämie mit Milzatrophie beschrieben ist. Unser Fall zeigt nun, dass 
Jollykörper auch bei Icterus haemolyticus ohne Milzexstirpation Vor¬ 
kommen, und ich habe Gelegenheit gehabt, Präparate von vier Fällen 
von Icterus haemolyticus, die mir von Kollegen zur Verfügung gestellt 
waren, durchzuseben, und habe in allen Jollykörper, wenn auch sehr 
spärlich, finden können. Dagegen habe ich nur in einem Fall rein 
basophile Einschlüsse gesehen. Am zahlreichsten habe ich die Jolly¬ 
körper aber bei einem Fall von Polyglobulie, bei dem die Milz exstirpiert 
war, gefunden. Auch Morris erwähnt einen Fall von Anämie mit Milz¬ 
exstirpation, bei dem zahlreiche Jollykörper nachweisbar waren. Ich 
irabe nun versucht, die Beziehungen der Milzexstirpation zum Auftreten 
von Jollykörpern experimentell zu untersuchen. Bei den meisten Tieren 
batte ich einen negativen Erfolg. So findet man bei spienektomierten 
Kaninchen nur ganz vereinzelt Jollykörper, auch wenn man die Tiere 
durch Blutentziehung anämisch macht. Ebenso vermehrt sich auch bei 
weissen Mäusen die Zahl der normal vorhandenen Jollykörper nicht. 
Dagegen treten bei Ratten sehr viel Erythrocyten mit Joilykörpern auf. 
Es entwickelt sich dabei ein sehr interessantes Blutbild: Sehr starke 
Polychromasie, zahlreiche Erythroblasten mit ganz strukturlosem, pyk- 
ootischem Kern, Vermehrung der Leukocyten, besonders lymphatischer 
Elemente usw. Nach diesen verschiedenen Erfahrungen darf man viel¬ 
leicht doch annebmen, dass der Ausfall der Milzfunktion unter Umständen 
die Blutregeneration beeinflusst, so dass die normale Entkernung der 
Erythrocyten gestört wird. Normalerweise scheint freilich die Milz keine 
wichtige Funktion auszuüben bzw. kann ihre Funktion von anderen 
.Stellen leicht übernommen werden. Wie die Verhältnisse aber unter 
pathologischen Umständen liegen, darüber sind wir noch ganz im Un¬ 
klaren. Deshalb sind vielleicht unsere Beobachtungen von Bedeutung 
für die Pathogenese des hämolytischen Icterus. 

Ueberblickeo wir die gesamten Veränderungen des Blutbildes: 
Polychromasie, Vitalfärbbarkeit, Anisocytose, Erythroblasten, 
Kernreste, so haben wir an der roten Komponente alle Zeichen 
auffallend starker Regeneration. Ein grosser Teil der Erythro* 
eyten ist vorzeitig in die Circulation gelangt and kreist hier in 
unreifem Zustande. Auf der anderen Seite haben wir in dem 
chronischen Icterus das Zeichen für dauernden Untergang massen¬ 
hafter Erythrocyten, die in der Milz zerstört werden. Dazu 
kommt noch die eigentümliche Veränderung der Resistenz. Es 
fragt sich nnr, worin das Wesentliche des Krankheitsprozesses 
besteht, wo die primäre Störung liegt, in dem Untergang der 
Blutkörperchen, in der Störung der Regeneration, in der Bildung 
minderwertiger Erythrocyten. Die meisten Antoren nehmen an, 
dass das Primäre in der Bildung minderwertiger, aresistenter 
Erythrocyten liegt, nnd dass diese den Einwirkungen der blut¬ 


zerstörenden Organe leichter unterliegen, und dass danach der 
Miiztumor als sekundär bedingt, als spodogen za betrachten ist. 
Damit stimmt gut überein, dass bei Verschlimmerungen des 
Krankheitsprozesses, bei Zunahme des Icterus auch meist eine 
Zunahme der Milzschwellung zu konstatieren ist. Dementsprechend 
betrachtete man ursprünglich auch die Milzexstirpation als 
kontraindiziert, da man die Stätte der Elimination der ab¬ 
sterbenden Blutkörperchen nicht aasschalten wollte. Neuere Er¬ 
fahrungen haben aber gezeigt, dass die Milzexstirpation bei 
hämolytischem Icterus nicht nur nicht schadet, sondern sogar 
Besserung und Heilung herbeiführen kann. Man musste also die 
primäre Störung in die Milz verlegen und nahm an, dass die 
Milz infolge einer Ueberfunktion Stoffe produziere, die das 
Knochenmark zur Bildung minderwertiger Blutkörperchen anrege. 
Dem widerspricht aber unbedingt der oben erwähnte Fall von Roth, 
bei dem noch Jahre nach der Milzexstirpation starke Herabsetzung 
der Resistenz und Störung der Regeneration (Jollykörper) vor¬ 
handen waren. Es liegt daher näher für die veränderte Blut¬ 
bildung als Erklärung eine negative Störung der Milzfunktion, 
einen Ausfall der Milzfunktion heranzuziehen, der die Reifung der 
Blutkörperchen im Knochenmark hindert. Sie bat die Fähigkeit 
verloren, gewisse das Knochenmark reizende Substanzen absu- 
fangen, so dass die Blutkörperchen zu früh, unreif in die Circu¬ 
lation gelockt werden. Dabei braucht man die Veränderung der 
Resistenz von der allgemeinen Regeneration nicht als selbständiges 
Symptom abzutrennen, sondern kann sie als eine sekundäre Folge 
der mangelhaften, peripheren Reifung der Erythrocyten betrachten. 
Auf der anderen Seite aber stebt die sicher positiv schädigende 
Wirkung der Milz, die die Zerstörung der roten Blutkörperchen 
innerhalb der Milz, die Hämolyse zur Folge hat. Nur hierdurch 
erklärt sich die Besserung der Krankheit nach Milzexstirpation. 
Damit ist aber das Wesen des Krankheitsprozesses durchaus noch 
nicht erschöpft, denn unter normalen Verhältnissen bleibt der 
Ausfall der Milzfunktion beim Menschen ohne wesentliche Wirkung, 
aber über die weiteren pathologischen Vorgänge und Ursachen 
sind wir noch ganz im Unklaren. Nur in einem neuerdings von 
französischen Autoren veröffentlichten 1 ) Fall von erworbenem, 
hämolytischem Icterus konnte die Ursache in einer intestinalen 
Intoxikation, bedingt durch Darmstenose, festgestellt werden. 
Durch operative Beseitigung der Ursache wurde vollkommene 
Heilung erzielt. Wir haben also ganz analog der pernieiösen 
Anämie eine primäre, kryptogene und eine sekundäre Form des 
hämolytischen Icterus zu unterscheiden. 

Zum Schluss muss ich noch besonders auf ein Symptom hin- 
weisen, das bisher wenig beachtet ist und das nicht ganz in den 
Rahmen des Blutbildes zu passen scheint, das ist die Hyper- 
chromie. Nach Pappenheim ist die Hyperchroraie als ein rein 
degeneratives, hämotoxisebes Symptom aufzufassen. Nun handelt 
es sich beim Ieterus haemolyticus nicht um eine bämofoxische 
Anämie, denn morphologische degenerative Veränderungen fehlen 
gerade, solange nicht sekundäre Aoämie hinzutritt. Man muss 
also hier die Hyperchroinie anders auffassen. Entweder entsteht 
sie durch die Ueberfunktion des Knochenmarkes, wäre also 
regenerativ, oder aber — was weniger wahrscheinlich ist — ent¬ 
steht sie sekundär durch Absorption des in der Milz frei- 
werdenden Hämoglobins. Dass Erythrocyten tatsächlich freies 
Hämoglobin absorbieren können, ist erst neuerdings durch 
Iscovesco*) nachgewiesen worden. 

Ich komme nun noch kurz auf den Gehalt des Blutserums 
an Gallenpigment zu sprechen. Entsprechend dem Icterus ent¬ 
hält das Blut stets Bilirubin, dagegen findet man im Urin auf¬ 
fallenderweise kein Bilirubin oder wenigstens nur vorübergehend 
geringe Mengen, aber der Urin enthält reichlich Urobilin, das 
Reduktionsprodnkt des Bilirubins. Umgekehrt ist im Serum Uro¬ 
bilin nur selten und in geringer Menge nachzuweisen. Der Stuhl 
ist dabei gut gefärbt. Diese Tatsachen, die auch bei anderen 
Formen des acholuriscben Icterus gefunden werden, sind unschwer 
zu erklären. Die Nieren sind für Bilirubin bis zu einem gewissen 
Grade undurchlässig, ebenso wie dies für den Blutzucker der 
Fall ist. Erst wenn ein bestimmter Schwellenwert überschritten 
wird, kann das Nierenfilter das Bilirubin nicht mehr zurückhalten 
und lässt es in den Urin passieren. Da die Gallenwege frei sind, 
wird immer genng Gallenfarbstoff von der Leber abgefangen and 
ausgeschieden, um den Gehalt im Blut nicht zu hoch ansteigen 


1) Widal, Abrami und Brulö, Bull, do la soc. des hop. de Paris, 
1912, 28, Nr. 13. 

2) Sem. möd., 1912, Nr. 39. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


zu lassen, so dass also das Bilirubin nicht in den Urin gelangt. 
Demgegenüber ist das Urobilin (oder richtiger Urobilinogen) ausser¬ 
ordentlich diffusibel, es passiert viel leichter das Nierenfilter, so 
dass es sich im Serum gar nicht anhäufen kann. Aus diesem 
Grunde ist es so schwer im Serum aufzufinden. Wenn aber be¬ 
sonders reichlich Urobilin im Urin vorhanden ist, kann mau es 
auch stets im Serum nachweisen, wie ich früher gegenüber 
H es eher gezeigt habe 1 ). Man muss nur eine geeignete Methode 
anwenden. In dieser Hinsicht ist die Methode Schlesinger’s 
mit Zinkacetat nicht brauchbar, da sie wie die anderen Zink- 
fiuoreszenzmethoden eine Probe auf Urobilin, nicht auf Uro¬ 
bilinogen, das ja im Blut enthalten ist, darstellt. Setzt man 
aber der Probe 1—2 Tropfen Lugollösung hinzu, um das 
Urobilinogen zu oxydieren, so erhält man sofort prächtige 
Fluoreszenz. Ich erwähne dies, da in den Lehrbüchern immer 
noch die alte Methode ohne Jodzusatz angeführt wird. 

Dass das Urobilin aus dem Darm stammt, ist wohl aus¬ 
reichend sichergestellt. Normalerweise wird das Urobilin vom 
Darm resorbiert, aber es wird in der Leber festgehalten 
und weiter verarbeitet. Ist die Leber aber in ihrer Funktion ge¬ 
stört, z. B. durch Ueberladung mit Bilirubin, so vermag sie das 
Urobilin nicht mehr festzuhalten, es gelangt in die Circulation 
und wird dann schnell durch die Nieren ausgeschieden. Aus 
diesem Grunde ist die Urobilinurie immer ein Zeichen einer 
Störung der Leberfunktion, was in der Praxis wohl häufig ver¬ 
nachlässigt wird. 

Ausser dem Urobilin kommt noch ein weiterer Gallenfarb¬ 
stoffabkömmling im Urin vor, der denselben braun färbt und bei 
der Gmelinreaktion einen mahagonibraunen Ring gibt. Er bat 
mit Urobilin nichts zu tun, da urobilinreiche Urine hell sein 
können und dann nicht den braunen Ring geben. Dieser Farb¬ 
stoff spielte früher bei französischen Autoren in der Erklärung 
des acholurischen Icterus eine grosse Rolle, da man in ihm die 
Ursache des Icterus sehen wollte. Man bezeichnete ihn als 
Hemapheine und sprach von H6raapbeine-lcteru9. Mit der Ent¬ 
deckung des Urobilins im Hemapheine-Urin geriet dieser Körper 
dann in Vergessenheit, und es ist bisher nicht weiter untersucht, 
um was für einen Farbstoff es sich genau handelt. 

Es bliebe nur noch die Frage nach der Herkunft des Bili¬ 
rubins im Blute zu erwähnen, da gerade wieder beim hämo¬ 
lytischen Icterus die alte Theorie vom hämatogenen Icterus von 
einigen Autoren vorgebraebt wird, d. h. es wird behauptet, dass 
das Bilirubin im Blute aus dem freigewordenen Hämoglobin direkt 
gebildet wird, ohne Mitwirkung der Leber. Die Gründe, die für 
diese Ansicht herbeigezogen werden, sind nicht stichhaltig. Wenn 
die Störungen fehlen, die bei Retentionsicterus auftreten und die 
auf Resorption der gallensauren Salze zurückzuführen sind, so 
erklärt sich das, wie Stadel mann gezeigt bat, dadurch, dass 
die Galle bei hämolytischer Entstehung von Icterus besonders 
farbstoffreich ist und dementsprechend relativ mehr Gallenfarb¬ 
stoff resorbiert wird, und dass andererseits die Gallensalze leichter 
ausgeschieden werden als das Bilirubin. Bei mässiger Resorption 
der Galle sammeln sich daher auch wenig gallensaure Salze im 
Blute an. Der Icterus ist daher zwar ein hämolytischer, aber 
kein hämatogener, sondern ein hepatogener im Sinne Stadel- 
mann’s, bedingt durch Pleiochromie. Welche mechanische 
Momente dabei noch mitspielen, bleibt ohne wesentliche Bedeutung. 


Zur Frage des hämolytischen Icterus. 2 ) 

Von 

M. Mosse-Berlin. 

In meiner Mitteilung über den familiären hämolytischen 
Icterus 3 ) bin ich bemüht gewesen, den Stand der Frage ergänzend 
zu den Darstellungen in den Lehrbüchern (Naegeli, Türk) zu 
schildern und dementsprechend auch literarische Hinweise zu 
bringen. Meine heutigen Bemerkungen sollen anknüpfen an eine 
kürzlich erschienene bemerkenswerte Arbeit von Lommel 4 ), der 


1) Ueber Urobilinurie. Med. Klinik, 1910, Nr. 2. 

2) Nach Diskussionsbemerkungen in der Berliner medizinischen Gesell¬ 
schaft am 8. Januar 1913. 

3) Diese Wochenschr., 1912, Nr. 88.* 

4) Verhandlungen der Naturwissenschaftlich-medizinischen Gesellschaft 
zu Jena, cf. Münchener med. Wochenschr., 1912, S. 2314. Deutsches 
Archiv f. klin. Med., 1912, Bd. 109. 


über zwei Fälle vom Typus des familiären hämolytischen 
Icterus (bei Mutter und Kind) berichtet, die dadurch ausgezeichnet 
waren, dass keine Verminderung der osmotischen Resistenz der 
roten Blutkörperchen naebgewiesen werden konnte. Nun ist 
allerdings zu betonen, dass die Lommerschen Untersuchungen 
insofern eine Lücke aufweisen, als über Prüfungen der Resistenz 
der Erythrocyten sowohl dem eigenen Serum wie dem Serum 
gesunder Individuen gegenüber nicht berichtet wird. Es gibt 
eine Mitteilung von Hijmans van den Bergh 1 ), die dartat, 
dass Fälle vom Typus des hämolytischen Icterus dadurch aus¬ 
gezeichnet sein können, dass das Verhalten der Erythrocyten 
Kochsalzlösungen gegenüber normal ist, dass dagegen eine abnorm 
geringe Resistenz gegen eigenes und fremdes Serum vorhanden 
sein kann. Des weiteren ist an die Beobachtungen von Chauffard 
(Hämolysinicterus) zu erinnern. 

Auf Grund seiner Resistenzbestimmungen kommt Lommel zu 
dem Ergebnis, dass die Herabsetzung der osmotischen Resistenz 
der Erythrocyten keine für die Diagnose des kongenitalen acbo- 
lurischen Icterus mit Splenomegalie charakteristische Erschei¬ 
nung sei. 

Uebrigens haben schon Claus und Kalberlah (1906) über 
einen Fall von chronisch-acholurischem Icterus mit Splenomegalie 
vom familiären Typ berichtet, bei dem sich bei der Unter¬ 
suchung durch Hans Sachs keine Veränderung der osmotischen 
Resistenz der roten Blutkörperchen gegen Wasser mit aufsteigendem 
NaCl-Gehalt der Norm gegenüber zeigte. Auf Grond des Fehlens 
der Anämie, der Anifcocytose sowie der verminderten Wider¬ 
standskraft der Erythrocyten rechnet R. Rosenfeld einen ähn¬ 
lichen Fall von familiärem Icterus nicht zur Gruppe des hämo¬ 
lytischen Icterus, eine Auffassung, der sich Isaac anschliesst. 

Jedenfalls muss man wohl die Tatsache als zu Recht be¬ 
stehend anerkennen, dass es Zustände gibt, die die klinischen 
Kennzeichen des familiären hämolytischen Icterus aufweisen, sieb 
aber von dem klassischen Bild durch das Fehlen der Resistenz¬ 
verminderung der Erythrocyten unterscheiden. 

Ich selbst verfüge über einschlägige Beobachtungen bei zwei 
Fällen von chronischem acholurischen Icterus mit Spleno¬ 
megalie, die dem erworbenen Typus angehören. 

Fall 1. Frau H., 26 jährig. Pat. hat als Kind die üblichen Kinder¬ 
krankheiten durchgemacht und will immer schwächlich gewesen sein. 
Bis zu ihrem 18. Lebensjahr will sie dann stets gesund gewesen sein. 
Sie überstand damals einen schweren fieberhaften Gelenkrheumatismus, 
von dem sie einen Herzfehler zurückbehielt. Seit dieser Zeit will 
die Pat gelb aussehen und fühlt sich leidend; sie klagt immer über 
grosse Mattigkeit und knappe Luft bei den geringsten körperlichen An¬ 
strengungen und konnte immer nur mit grossen Unterbrechungen ihrer 
Tätigkeit als Kartonarbeiterin nachgehen. Es hat nie Hautjucken be¬ 
standen; der Stuhlgang sah immer dunkel aus. Seit ca. 9 Wochen ist 
sie wegen zunehmender Hinfälligkeit und Stiche in der Brust bei Herrn 
Dr. S. Rothmann in Behandlung, der sie am 81. März 1911 meiner 
Poliklinik überwies. 

Pat. ist verheiratet, hatte zwei Kinder, von denen das eine mit 
19 Tagen, das andere mit 8 Monaten starb (beide an „Herzschwäche“); 
keine Aborte. Erste Menses im 15. Lebensjahre, immer regelmässig, 
massig reichlich, ohne Beschwerden. 

Status: Pat ist eine gracil gebaute Frau, von schwächlichem 
Körperbau, mässig entwickelter Muskulatur und spärlichem Panniculus 
adiposus. Farbe der Haut und auch der sichtbaren Schleimhäute deut¬ 
lich ikterisch; sonst Haut ohne Besonderheiten; keine Exantheme, keine 
Oedeme, keine Drüsenschwellungen. 

Es besteht kein Fieber. 

Puls: Regelmässig, Frequenz 90, leidlich gute Füllung und Spannung. 

Arterienrohr ohne Besonderheiten. 

Cor: Spitzenstoss in der Mammillarlinie fühlbar, ziemlich breit und 
hebend: man fühlt hier ein deutliches präsystolisches Schwirren. Grenze 
nach rechts bis zur Mitte des Sternums, nach oben bis zum oberen 
Rand der 4. Rippe. Ueber der Spitze hört man ein lautes präsystolisches 
Geräusch, das auch, aber schwächer, über den anderen Ostien hörbar 
ist. 2. Pulmonalton deutlich aoeentuiert. 

Pulmones: Grenze vorn rechts: Unterer Rand der 6. Rippe, gut 
verschieblich; hinten: unterer Rand des 10. Brustwirbels, ebenfalls gut 
verschieblich. Ueber der rechten Spitze hört man deutlich verschärftes 
Atemgeräusch und vereinzelte knackende Rhonchi, der Perkussionsschall 
ist hier auch leicht abgeschwächt. 

Sonst ergibt die Auscultation und Perkussion überall vesikuläres 
Atemgeräusch und lauten vollen Schall. Kein Sputum. 

Halsorgane: Ohne Besonderheiten. 

Abdomen: üeberall weich und nachgiebig, nirgends druck¬ 
empfindlich. 


1) Guillain et Troisier, Congres fran<;ais de mödecine, Lyon 
1911, Verhandlungen S. 181, und Maly’s Jahresbericht über das Jahr 
1911, S. 627. 


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14. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


685 


Abdominalorgane: Im linken Hypochondrium fühlt man deutlich 
zwei Querfinger unterhalb des Rippenbogens den unteren scharfrandigen 
Milzrand hervortreten. 

Sonst Abdominalorgane ohne Besonderheiten. 

Genitalorgane: Ohne Besonderheiten. 

Nervensystem: Pupillen reagieren prompt auf Lichteinfall, 
Patellarreflexe in normaler Stärke auslösbar, keine Sensibilitätsstörungen. 
Urin: Von hellgelber Farbe, kein Albumen, kein Saccharum. 

Kein Gallenfarbstoff. Urobilin +. 

Blutuntersuchung: 75 pCt. Hämoglobin, 4410 000 rote, 6500 
weisse Blutkörperchen, im gefärbten Präparat normaler Befund. Keine 
Herabsetzung der Resistenz der gewaschenen Erytbrocyten NaCl-Lösungen 
gegenüber. 

Januar 1913. Status unverändert. Milz überragt den Rippenbogen 
um zwei Qierfiager. Im Harn Urobilin und Urobilinogen. Blutserum 
gelbgrüalich, enthält Bilirubin, kein Urobilin (D. Gerhardt-Syllaba). 
80 pCt. Hämoglobin; 5 210 000 rote Blutkörperchen, 19 062 weisse. Die 
gewaschenen roten Blutkörperchen zeigen gegen NaCl 
normale Resistenz und werden weder durch eigenes noch 
fremdes Serum (ohne Gegenwart von C0 2 untersucht) hämolysiert. 
Kein Isolysin nachweisbar. Keine Autoagglutination. 

(Zusatz April 1913: Status wie oben). 

Fall 2 (Vorstellung des Patienten): Fritz W., 23 jährig. Die Mutter 
soll leberleidend gewesen sein. Er hat fünf Geschwister, mit denen er 
aber nicht zusammen kommt. Vor zwei Jahren ist zum ersten Male 
„Gelbsucht“ bemerkt worden, die seitdem unverändert fortbesteht. Der 
Urin soll immer hell gewesen sein; dagegen soll der Stuhl damals vor 
zwei Jahren heller als normal gewesen sein. Er hat nie an Hautjucken 
gelitten. Vor drei Wochen war er bei einem Arzte, der ebenfalls seine 
Gelbsucht und im Mageninhalt „zu viel Säure“ feststellte. Seine Klagen 
sind allgemeiner Natur; es besteht allgemeine Mattigkeit und Schwäche. 

Die Untersuchung ergibt einen deutlichen Icterus. Die Milz über¬ 
ragt den Rippenbogen um zwei Querfinger; die Milzdämpfung ist intensiv. 
Leber nicht palpabel; Gallenblasengegend nicht schmerzhaft. Blutunter¬ 
suchung ergibt einen Hämoglobingehalt von 100 pCt., 3 760 000 rote, 
12 800 weisse Blutkörperchen. Das Blutserum ist deutlich gelbgrünlich; 
es enthält Bilirubin, dagegen kein Urobilin. Die Untersuchung der 
Resistenz der gewaschenen roten Blutkörperchen gegen ab¬ 
gestufte NaCl-Lösungen, gegen eigenes und fremdes Serum 
ergibt normales Verhalten. Kein Isolysin, keine Autoagglutination 
nachweisbar. 

Der Urin ist hell, frei von Bilirubin. Urobilin und Urobilinogen 
deutlich +. 

Beide bier mitgeteilten Fälle haben das Gemeinsame, dass 
es sich nm das Bild des erworbenen chronischen acholuri- 
schen Icterns mit Splenomegalie bandelt, dass aber der 
typische Befund der Resistenzverminderung der roten Blutkörperchen 
Kochsalzlösungen gegenüber, des weiteren auch gegen eigenes and 
fremdes Serum nicht erhoben werden konnte. — 

Wenn man nun die Frage aufwirft, welche Krankheitszustände 
differentialdiagnostisch gegenüber dem gewöhnlichen Bilde des 
„hämolytischen Icterus“, d. h. dem chronisch-acholurischen Icterus 
mit Splenomegalie in Betracht kommen oder aber als ähnliche 
zu bezeichnen sind, so sind es die folgenden: 

1. die perniciöse Anämie (vgl. die Beobachtungen von 
v. Stejskal, Ohalier u. a.); 

2. die Gilbert’sche familiäre Cholämie, die nach Gilbert 
nicht identisch ist mit dem familiären hämolytischen Icterus. 
Auch Chauffard und Widal vertreten diese Ansicht. Aber 
Beobachtungen von Chalier zeigen, dass bei verschiedenen 
Familienmitgliedern die Verhältnisse sich verschieden ver¬ 
halten; das eine Mitglied zeigte normale osmotische Resistenz 
der Erytbrocyten, das andere veränderte, so dass Chalier 
den hämolytischen Icterus als eine „exageration de la 
cholömie familiale“ bezeichnet; 

3. die Banti’sche Krankheit und die splönomögalie hömo- 
lytique von Banti (Beobachtungen von Banti, Micheli, 
Lommel); 

4. die Polyglobulie, und zwar 

a) kompensatorische Polyglobulie: es entwickelt sich während 
der Beobachtung und Behandlung aus der — hämo¬ 
lytischen — Anämie eine Polyglobulie. Einschlägige 
Mitteilungen sind von Widal, Abrami und Brule 1 ) 
sowie von Renon und Riebet 2 ) gemacht worden; 

b) Cyanose mit Polyglobulie und dem „syndrorae hemo- 
lytique ictörigene“ [Jean Troisier 3 )]. Man hat auch 
experimentell im C0 2 -haltigen Medium die Resistenz 


1) Bullet, soc. m6d. des höpit., söance du 9 juillet 1909 und 
11 octobre 1912. 

2) Bullet, soc. möd. des höpit., söance du 26 juillet 1912. 

3) Bullet, soo. de biol., söance du 27 mai 1911. 


der Erythrocyten vermindert gefunden [Teissier et 
Duvoir 1 )]; 

5. die Splenomegalie Typ Gaucher, die ich besonders deshalb 
erwähne, weil in der Literatur dieses anatomisch gut charak¬ 
terisierte Krankheitsbild von den Fällen des chronisch-acho¬ 
lurischen Icterus mit Splenomegalie zum Teil nicht ausreichend 
genug abgesondert wird 2 ). 


Beiträge zur endoskopischen Diagnostik und 
Therapie endothoracischer Tumoren. 3 ) 

Von 

Dr. A. Ephraim in Breslau. 

Im Laufe des vergangenen Winters erlaubte ich mir, Ihnen 
die Radiogramme und histologischen Präparate einiger Lungen¬ 
tumoren zu demonstrieren, deren Diagnose nur auf dem Wege der 
bronchoskopischen Untersuchung möglich gewesen war 4 ). Heute 
möchte ich Ihnen über zwei weitere Fälle berichten, die ich 
zwar auf der vorjährigen Versammlung deutscher Laryngologeu 
schon ganz kurz erwähnt habe, die mir jedoch einer etwas 
genaueren Beschreibung wert erscheinen, nicht nur, weil sie 
wiederum die Ueberlegenheit der endoskopischen Methode für 
gewisse Fälle dartun, sondern weil sie auch in allgemein klini¬ 
scher Hinsicht Interesse verdienen. 

1. Echinococcus oder Tumor der Lunge? 

Clara U., 59 Jahre alt, trat am 9. V. 1912 in meine Beobachtung. 
Vor 23 Jahren ist sie wegen Gewächses im Leibe, im Jahre 1904 wegen 
Gebärmutterblutung operiert worden. Beginn der jetzigen Krankheit im 
Herbst 1909 mit Husten. Im Juni 1911 plötzliche Entleerung einer 
grossen Menge Blut per os, dessen Herkunft nicht sichergestellt werden 
konnte. Die Blutung wiederholte sich zunächst nicht, der Husten blieb 
trotz ärztlicher Behandlung, Badekuren usw. Am 1. XI. 1911 wiederum 
starke Blutung per os, die eine halbe Stunde dauerte und sich nach 
einigen Stunden noch einmal wiederholte. Die Untersuchung des Magens 
durch einen Magenspezialisten ergab ein negatives Resultat; auch sind 
bisher Magenbeschwerden niemals aufgetreten. In der letzten Zeit 
wieder öfters geringe Blutmengen im Auswurf, Husten ständig vorhanden, 
neuerdings auch dauernde, wenn auch nicht sehr erhebliche Atemnot, 
bisweilen Nachtschweisse. Schmerzen nicht vorhanden. 

Status praesens: Atmung massig, bei leichter Anstrengung stark 
beschleunigt; die linke Seito bleibt zurück. Leichte Skoliose der Brust¬ 
wirbelsäule nach rechts. Temperatur normal. 

Perkussion: Links hinten normal, dagegen zeigt die ganze 
Axillargegend starke Dämpfung, die in die Herzdämpfung übergeht. 
Rechts normaler Schall bis auf eine geringe Dämpfung dicht an der 
Wirbelsäule vom 4. bis 9. Brustwirbel; wegen der bestehenden Skoliose 
kann sie nicht als krankhaft angesehen werden. 

Das Atemgeräusch ist rechts vorn normal, rechts hinten leicht 
verschärft, neben der Wirbelsäule schwach bronchial, links ist das In- 
spirium durchweg sehr abgeschwächt, dabei etwas verschärft, exspira- 
torisch GiemeD. Der Spitzenstoss befindet sich in der linken vorderen 
Axillarlinie, die Herzdämpfung ist nach rechts normal, links geht sie in 
die grosse seitliche Dämpfung über. Herztöne rein und kräftig, Kehl¬ 
kopf normal, keine Stimmbandlähmung, Bauchorgane normal. 

Das Röntgenbild zeigt eine Skoliose der Brustwirbelsäule nach 
rechts. Diese scheint einem grossen Schatten zu folgeD, der fast die 
ganze linke Brusthälfte einnimmt. Dieser Schatten zeichnet sich durch 
seine fast kreisrunde Gestalt sowie durch seine Grösse aus; er reicht 
von der Wirbelsäule bis an die äussere Brustwand und von der vierten 
hinteren Rippe bis an das Zwerchfell; somit schliesst er den als solchen 
nicht erkennbaren Herzsohatten ein. Die seitlich und unten ganz 
scharfe Kontur muss jedoch nicht auf den pathologischen SchatteD, 
sondern, wie ein Vergleich mit der anderen Seite ergibt, auf den sehr 
ausgesprochenen Mammaschatten bezogen werden. Indes ist auch die 
Kontur des pathologischen Anteils, der im oberen Abschnitt sichtbar 
ist, auffallend scharfrandig. Ferner findet sich rechts in der Höhe des 
sechsten hinteren Intercostalraums ein gleichfalls scharf konturierter 
kreisförmiger Schatten; medial und etwas aufwärts von diesem ein 
segmentförmiger, an der medialen Seite gleichfalls scharfrandiger kleinerer 
Schatten. 

Die Diagnose begegnete in diesem Fall grossen Schwierig¬ 
keiten. Gegen Aneurysma sprach die Form des linksseitigen 
Schattens, das Fehlen von Geräuschen, Pulsationen, Stiramband- 

1) Bullet, soc. de biol., seance du 19 fevrier 1910. 

2) Weitere Literatur über den hämolytischen Icteru3 in meiner 
Arbeit 1. c. und in den dort erwähnten zusammenfassenden Berichten. 

3) Vortrag, gehalten am 31. Januar 1913 in der medizinischen 
Sektion der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur. 

4) Diese Wochenschr., 1912, Nr. 25. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 15. 



lähmung usw. Gegen einen Tumor sprach vor allem die aus¬ 
gesprochene Schärfe der Konturen. 

Vielmehr nahm sowohl Herr Kollege Geldner, der Haus¬ 
arzt der Patientin sowie Herr Kollege Goetsch, der die Röntgen¬ 
aufnahme gemacht hatte, Lungenechinococcus als höchst wahr¬ 
scheinlich an, zumal Patientin Jahre hindurch einen Hund gehalten 
hatte. 

In der Tat stimmt das Röntgenbild des vorliegenden Falles 
ganz ausserordentlich mit solchen überein, die als für Lungen¬ 
echinococcus charakteristisch veröffentlicht worden sind. Ist deren 
Zahl auch nur gering — es liegen bisher nur 16 Beobachtungen 
vor (Rosenfeld, Levy-Dorn, Zadek, Wadsack, Holz¬ 
knecht, Krause, Mollow [3 Fälle], Albers-Schönberg, 
Axhausen, Weber and Behrenroth [4 Fälle]) —, so stimmen 
sie, wenn auch nicht durchweg, so doch zum grösseren Teil darin 
überein, dass sie ein- oder beiderseitig einen kreis- oder scheiben¬ 
förmigen, bald helleren, bald tieferen, jedoch ganz scharf kon- 
turierten Schatten zeigen, von dem Holzknecht besonders her¬ 
vorhebt, dass er eine Verdrängung des Lungegewebes beweise 
und eine Substituierung desselben ausschliesse. Diese Erschei¬ 
nungen finden sich nun in dem vorliegenden Röntgenbilde so aus¬ 
gesprochen, dass die Diagnose mit Recht auf Echinococcus ge¬ 
stellt wurde, zumal auch die klinischen Erscheinungen ein¬ 
schliesslich der Lungenblutungen und die Anamnese damit 
übereinstimmten. 

Da hiermit die Frage der operativen Behandlung auftauchte, 
war es ganz besonders erwünscht, die Diagnose möglichst zu 
sichern; und da die Komplementbindungsmethode sich bisher nicht 
als zuverlässig erwiesen hat, wurde ich zur Vornahme der broncho- 
skopischen Untersuchung aufgefordert. 

10. V. 1912. Bronchoskopie: Trachea normal, Bifurkations¬ 
steg von normaler Konfiguration, schräg von rechts vom nach 
links hinten; im Inspirium bewegt er sich nach rechts vorn 
(Zeichen einer verminderten Beteiligung der linken Lunge). Der 
rechte Bronchus ist im oberen Teil normal, in der Tiefe zeigen 
sich jedoch die Teilungsstellen der kleineren Bronchien ver¬ 
breitert, vorgewölbt und auffallend weiss. Der linke Bronchus 
zeigt sich l x / 2 cm unter der Bifurkation durch rötliche 
Massen so ausgefüllt, dass nur ein kleines, annähernd centrales 
Lumen bleibt. Das Bild erinnerte sehr stark an eine Zeichnung 
in Schrötter’s Klinik der Bronchoskopie, die eine Stenosierung 
des linken Bronchus bei Aortenaneurysma darstellt 1 ); ein Fall, 
in dem Schrötter, in der Meinung, einen Tumor vor sich zu 
haben, die Probeexzision vornahm und dabei das Unglück hatte, 
das Aneurysma mit der Folge des sofortigen Exitus zu er¬ 
öffnen. 

Obwohl mir das hier in genaue Erinnerung kam, so ent¬ 
schloss ich mich doch zur Probeexzision. Vor allem, weil die 
klinischen Erscheinungen sehr stark gegen Aneurysma sprachen; 
ferner, weil andererseits aus der blossen Betrachtung kein Schluss 
auf die Art der vorliegenden Erkrankung gezogen werden konnte. 
Kommen ja doch auch bei allen verdrängenden Prozessen, so 
auch beim Lungenechinococcus, sekundäre fibrinöse Entzündungen 
der Bronchien vor, die einen derartigen Befund ergeben können. 


1) Tafel I, Figur 12. 


Immerhin beschloss ich, jede Gewaltanwendung zu vermeiden, 
und ging mit einer stumpfen (sogenannten Bohnen-)Zange ein. 
In der Tat fasste diese, ohne dass von einem eigentlichen Zuge 
die Rede sein konnte, ein Stück des ganz weichen Gewebes, 
worauf ich den Tubus entfernte. Blutungen oder sonstige Zufälle 
folgten dem Eingriff nicht. 

Die histologische Untersuchung des exzidierten Stückes 
ergab nun, dass es sich nicht um fibrinöse Massen, sondern um 
einen grossen, soliden Tumor handelte, und zwar wahrscheinlich 
um ein Endotheliom, worauf besonders eine Stelle hinweist. 
(Demonstration.) 

So wurde auf bronchoskopischem Wege der nach dem Röntgen¬ 
bilde anzunehmende Echinococcus ausgeschlossen, dagegen die 
Diagnose eines Tumors der linken Brusthälfte gesichert; wegen 
seiner Grösse und Lage wurde von einem operativen Eingriff Ab¬ 
stand genommen. Ueber die Schatten der rechten Seite gab die 
Bronchoskopie keine Aufklärung; hier waren, wie erwähnt, zwar 
Verdrängungserscheinungen, nicht aber die verdrängende Ursache 
selbst zu sehen. Indes müssen wir wohl, falls wir nicht zwei 
ganz verschiedene Affektionen in den Lungen der Patientin an¬ 
nehmen wollen, nunmehr auch die rechtsseitigen Schatten trotz 
der scharfen und kreisförmigen Kontur als den Ausdruck von 
Tumoren betrachten; und wir dürfen das um so eher, als Weil 1 ) 
neuerdings einen Fall beschrieben hat, in welchem ein gleichfalls 
ganz scharfrandiger und kreisförmiger Schatten als Lungenechino¬ 
coccus gedeutet wurde, bis die Sektion — eine bronchoskopische 
Untersuchung war hier nicht erfolgt — einen soliden Tumor 
aufdeckte. 

Vor kurzem hat Hampeln 2 ) davor gewarnt, das Röntgen¬ 
bild des Lungenechinococcus als ganz charakteristisch zu be¬ 
trachten und darauf hiugewiesen, dass unter Umständen ein ganz 
gleiches durch ein Aortenaneurysma bervorgerufen wird. Der 
Fall von Weil wie auch der oben angeführte zeigen die Be¬ 
rechtigung einer derartigen Warnung auch mit Rücksicht auf die 
Verwechslung mit Tumoren, da eben die Röntgenbilder derselben 
alle für Echinococcus als charakteristisch geltenden Merkmale 
haben können. Andererseits fehlen diese Merkmale einer ganzen 
Zahl der bisher publizierten Röntgenbilder von Lungenechino¬ 
coccus, wie deren Durchsicht ergibt. So sagt Otten 3 ) ganz aus¬ 
drücklich, dass die bisher (1910) beobachteten Fälle von Lungen¬ 
echinococcus keinen charakteristischen Röntgenbefund ergaben. 
Das erklärt sich ja ohne weiteres aus den sekundären Ver¬ 
änderungen, die das Bild sehr modifizieren können. 

Reicht also das Röntgenverfahren nicht aus, um in allen 
derartigen Fällen die Diagnose zu sichern, so zeigt die vor¬ 
stehend beschriebene Beobachtung ebenso wie die schon früher 
mitgeteilten, dass uns dann die bronchoskopische Methode die 
gewünschte, für die Therapie manchmal unbedingt nötige Klarheit 
schaffen kann. Ganz besonders gross ist ihr Wert bei denjenigen 
Prozessen, die sich im Bereich des Mittelschattens abspielen. Es 
ist daher schwer verständlich, dass für die Diagnose von Lungen¬ 
tumoren und ähnliche Erkrankungen das Röntgenverfahren noch 
immer als das allein in Betracht kommende bezeichnet wird. 

2. Lokales Amyloid der unteren Luftwege. 

Die zweite Beobachtung, über die ich Ihnen heute berichten 
möchte, ist deswegen bemerkenswert, weil sie in pathologischer 
Hinsicht eine Rarität vorstellt, und weil sie nicht nur in 
diagnostischer, sondern auch in therapeutischer Beziehung Interesse 
verdient. 

Die jetzt 37 jährige Frau Emma Kr. konsultierte mich zum ersten¬ 
mal am 14. VI. 1901 wegen einer seit zwei Jahren bestehenden, an¬ 
geblich nach Influenza entstandenen Heiserkeit. Keine Abmagerung oder 
Nachtschweisse, etwas Hüsteln, keine Halsschmerzen. An den Lungen 
nichts Abnormes, Gaumen sehr blass, das rechte Taschenband stark 
infiltriert, blassrosa, bedeckt das rechte Stimmband völlig. Diagnose: 
Tuberculosis laryngis. 

18. VI. Entfernung des Infiltrats mit der Landgraf sehen Curette; 
versehentlich werden die exzidierten Stücke entfernt, so dass eine histo¬ 
logische Untersuchung unterbleibt. Nachbehandlung mit Phenol, sulfo- 
ricinic. 

29. XL Kontrolluntersuchung: Das rechte Taschenband ist völlig 
restituiert, glatt, aber noch etwas breiter als normal und leicht gerötet. 
Das normale rechte Stimmband ist sichtbar. 

5. III. 1912. Bis vor einem Jahre ist es der Patientin gut gegangen. 
Seitdem besteht jedoch wieder Heiserkeit, ferner starker quälender 


1) Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstrahlen, Bd. 19. 

2) Diese Wochenschr., 1912, Nr. 25. 

3) Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstrahlen, Bd. 15. 


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14. April 1913, 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Husten, spärlicher, schleimiger Auswurf. Vor allem klagt Pat. über 
häufige, erstickuogsartige Zustande, die besonders beim Husten auftreten. 
Häufige abendliche Temperatursteigerungen. Seit längerer Zeit steht 
Pat. mit der Diagnose eines Lungenleidens io anderweitiger ärztlicher 
Behandlung. 

Kehlkopf: Grosser, lappiger, rötlicher Tumor, der die vorderen zwei 
Drittel des linken Taschenbandes einnimmt. Das rechte Taschenband 
ist in ungefähr gleichem Zustande wie bei der letzten Untersuchung im 
Jahre 1901; Stimmbänder und Kehlkopfhinterwand sind normal. Lungen: 
Der ganze linke Oberlappen zeigt deutliche Dämpfung, das Atemgeräusch 
über ihm ist verschärft, jedoch frei von Geräuschen. Der spärliche 
schleimig-eitrige Auswurf ist frei von Tuberkelbacillen und lässt keine 
Besonderheiten erkennen. 

6. III. Entfernung des Tumors des linken Taschenbandes mit 
schneidender Pinzette. Seine histologische Untersuchung ergab nichts, 
was für Tuberkulose sprach, vielmehr war Amyloid wahrscheinlich. 
Allerdings gelangen die spezifischen Farbreaktionen nicht, was aber 
darauf beruhen mochte, dass die Stücke längere Zeit in Formalin ge¬ 
legen hatten. 

Da die Diagnose der Lungenafifektion nicht zu stellen ist, nahm 
ich am 15. 111. 1912 die bronchoskopische Untersuchung vor. 
Hierbei fiel zunächst die Beschaffenheit der Trachea auf. Ihre Schleim¬ 
haut sah nämlich durchweg ganz glasig, wie ödematös aus. Au einigen 
Stellen befanden sich kleine graue Gebilde, die wie Schleimpolypen aus¬ 
sahen und im Atemstrom flottierten; ein Bild, wie ich es bisher weder 
gesehen noch beschrieben gefunden habe. Bei der Berührung durch den 
Tubus blutet die Schleimhaut leicht, so dass die Orientierung etwas er¬ 
schwert ist; jedoch lässt sich an der linken Seite der Bifurkation ein 
grösserer, bei der Atmung flottierender grauer Tumor erkennen. Der 
Versuch, ihn an dieser Stelle zu ergreifen, misslingt, weil er wiederholt 
der Zange entgleitet; dagegen gelingt es, ihn bei Eingehen in den linken 
Bronchus zu fassen, und mit leichtem Zuge wird ein graues derbes 
Stück (13:8 mm) zutage gefördert, das teilweise von Schleimhaut ent- 
blösst ist (vermutlich war diese bei den vorangegangenen Extraktions¬ 
versuchen abgelöst worden); darauf wird der Tubus entfernt. 

Schon nach wenigen Minuten gab die Patientin ganz spontan an, 
dass sie jetzt viel leichter atmen könne; und die sogleich vorgenommene 
Perkussion zeigte jetzt eine wenn auch nicht vollständige, so doch sehr 
erhebliche Aufhelluog der Dämpfung im Bereich des linken Oberlappens. 
Danach konnte es nicht zweifelhaft sein, dass es sich um eine Ver¬ 
legung des linken Oberlappenbronchus gehandelt hatte, die durch den 
soeben entfernten Tumor verursacht worden war. 

Die Untersuchung des letzteren ergab nun, dass es sich in 
der Tat um Amyloid handelte. Zunächst zeigte sich das mit 
Evidenz durch den positiven Ausfall der spezifischen Farb¬ 
reaktionen mit Jod und Methylviolett. Aber auch das histo¬ 
logische Bild ist völlig eindeutig: bis an das Epithel sehen Sie 
die Tumormasse beranreichen, die aus rundlichen oder mehr 
länglichen strukturlosen Schollen besteht. Es lässt sich, wie das 
auch sonst angegeben ist, verfolgen, wie das Amyloid sich um 
Blutgefässe und Drüsengänge bildet, so dass diese durch die neu¬ 
gebildeten Massen immer mehr komprimiert werden; und man 
ist wohl berechtigt, die einzelnen Konglomerate als das End¬ 
stadium eines derartigen Umschnürungsprozesses anzusehen. Das 
Verhältnis des Amyloids zu den noch vorhandenen strukturierten 
Gewebsteilen lässt sich am anschaulichsten an Präparaten ver¬ 
folgen, die nach van Gieson gefärbt sind. 

Ueber den weiteren Verlauf ist folgendes zu berichten: 

17. III. 1912. Husten viel geringer als bisher, Atem ganz frei. 
Die Dämpfung des linken Oberlappens ist ganz geschwunden. Die Brust¬ 
organe geben überhaupt einen völlig normalen Auskultations- und Per¬ 
kussionsbefund. Eine jetzt vorgenommene Röntgenaufnahme ergibt einen 
circumscripten wimpelförmigen Schatten in der rechten Hilusgegend, 
der sich unmittelbar an den Mittel schatten anschliesst. 

4. VI. 1912. Pat. hat sich dauernd wohl gefühlt, Husten kaum 
noch vorhanden, Heiserkeit sehr gering. Die Taschenbänder — in¬ 
zwischen hatte eine Nachbehandlung mit Höllensteinpinselungen statt¬ 
gefunden — sind glatt, leicht gerötet. Da der Perkussionsschall jetzt 
auf der rechten Seite auffallend tympanitisch klingt, nochmalige 
Bronchoskopie: Die Trachealschleimhaut gegen die erste Untersuchung 
unverändert; es lässt sich jetzt deutlich erkennen, dass die Bifurkation 
stark verbreitert (Schwellung der intrabifurkalen Drüsen) und ihre 
Schleimhaut leicht ödematös ist. Im linken Bronchus finden sich dicht 
unter der Bifurkation einige kleine graue Excreszenzen ( Amyloid), die 
mit der Zange entfernt werden; im rechten Bronchus dicht unter der 
Bifurkation eine ringförmige, durch zartgrauen Saum gebildete Stenose, 
die das Lumen auf kaum die Hälfte verengt. 

8. VI. 1912. Die Stenose des rechten Bronchus wird durch Spreizen 
der Hohlkörperzange erweitert un§ ein etwas dünnerer Tubus durch¬ 
geschoben, es zeigt sieb, dass in der Tiefe alles normal ist. 

13. VI. 1912. Nach dem letzten Eingriff hat Pat. leichte Atem¬ 
beschwerden, auch etwas Rasseln gehabt; seit 3 Tagen ist aber alles 
wieder in Ordnung. Von jetzt an: Arsen in Form von Sol. Fowleri. 

14. VIII. 1912. Pat. nimmt noch Arsen. Es geht ihr dauernd gut, 
Temperatur dauernd’ normal, Atem frei, Husten ganz gering. Taschen¬ 


bänder leicht gerötet und verdickt, aber glatt. Lungen perkutorisch 
und auskultatorisch normal. Die bronchoskopische Kontrolluntersuchung 
ergibt: Die Trachea zeigt bis auf diffuse Rötung ein ganz normales Bild, 
das glasige Aussehen ist gauz geschwunden. Die Bifurkation ist nach 
wie vor stark verbreitert. Ara linken Bronchus nichts Abnormes, im 
rechten ist die oben beschriebene Stenose noch nachweisbar, aber deut¬ 
lich geringer als vorher. Eine Nachuntersuchung im Januar 1913 ergab 
unveränderten Befund. 

Eine Zusammenfassung der vorstehenden Krankengeschichte 
ergibt: 

Eine 37 jährige Frau erkrankt 9 Jahre, nachdem sie wegen 
eines für tuberkulös gehaltenen, aber histologisch nicht unter¬ 
suchten Tumors des rechten Taschenbandes mit gutem Erfolg 
operiert worden ist, wieder an Heiserkeit, ferner an Husten mit 
schleimig-eitrigem Auswurf und AtembeBchwerden. Nach etwa 

1 Jahr wird ein tumorartiges Infiltrat des linken Taschenbandes, 
Dämpfung und verschärftes Atmen über dem linken Oberlappen 
festgestellt, Sputum ohne besonderen Befund. Das Röntgenbild 
zeigt einen kleinen rechtsseitigen Hilusschatten. Der Tumor des 
Kehlkopfs wird entfernt. Die Besichtigung der tieferen Luftwege 
ergibt ödemartige Beschaffenheit der Trachealschleimhaut, Ver¬ 
breiterung des Bifurkationssporns, eine Stenose des rechten 
Bronchus, die aber so gering ist, dass sie keine erheblichen Er¬ 
scheinungen macht, und einen Tumor des linken Bronchus, 
nach dessen Entfernung die Atembeschwerden sogleich nachlassen 
und die Dämpfung über dem linken Oberlappen verschwindet. 
Die histologische Untersuchung der entfernten Tumoren ergibt 
Amyloid. 

Der Mechanismus der Lungenerscheinungen bedarf kaum 
einer weiteren Erläuterung. Denn es ist nach dem Verlauf klar, 
dass diese in der Hauptsache durch den Tumor hervorgerufen 
waren, der, im oberen Teil des linken Hauptbronchus inserierend, 
diesen in geringem Grade, die Mündung des Oberlappenastes 
jedoch sehr stark verlegt und zu Atelectase sowie sekundärer 
Bronchitis mit gelegentlicher Temperatursteigerung geführt hatte. 
Die beim Husten aufgetretenen Erstickungsbeschwerden sind jeden¬ 
falls darauf zurückzuführen, dass der Tumor durch den Husten- 
stoss nach oben geschleudert wurde und so den ganzen linken 
Bronchus, vielleicht auch den untersten Teil der Trachea obturierte. 

Mit Rücksicht auf die Seltenheit des hier vorliegenden patho¬ 
logischen Prozesses dürfte es angebracht sein, hervorzuheben, 
dass dieser mit den bekannten sekundären Amyloidosis der 
Bauchorgane, soweit bekännt, nichts zu tun hat, sondern dass 
es sich hier um das seltene, sogenannte lokale Amyloid handelt. 
Kaufmann unterscheidet in Uebereinstimmung mit anderen 
Autoren eine infiltrierende Form desselben, wie sie besonders in 
der Harnblase, im Darm und der Conjunctiva beobachtet worden 
ist, und eine knotige, in Form von Tumoren auftretende, bei der 
wiederum eine solche, bei der es sich um aroyloide Umwandlung 
echter Geschwülste handelt, von der zu trennen ist, bei der die 
amyloiden Tumoren primär auftreten. Anlässlich eines eigenen 
Sektionsbefundes hat P. Seckel 1 ) vor kurzem die in der Literatur 
niedergelegten Beobachtungen zusammengestellt, und zwar von 
der ersteren, sekundären Form 20, von der primären 26 Fälle 
(einschliesslich seines eigenen), von denen übrigens bei 15 die 
Affektion erst bei der Sektion gefunden wurde. Abgesehen von 
3 Fällen, in denen das Knochenmark bzw. Urethra und Schild¬ 
drüse betroffen war, handelte es sich ausschliesslich um Lokali¬ 
sationen an der Zunge und den Luftwegen. Einmal war der 
Pharynx, 9 mal die Zunge, 13 mal der Kehlkopf erkrankt. In 

2 von diesen 13 Fällen war zweimal auch die Trachea und in 
einem dieser beiden letzteren waren auch die Bronchen mit¬ 
ergriffen. Auffallend ist es, dass von allen 11 klinisch beob¬ 
achteten Fällen die richtige Diagnose intra vitam nur einmal ge¬ 
stellt worden sein soll. 

In unserem Fall hat es sich anscheinend um eine Kom¬ 
bination der infiltrierenden Form [an der Trachealscbleim- 
haut, in gleicher Weise von Baiser 2 ) beschrieben] mit der pri¬ 
mären Tumorform (Kehlkopf, Bronchen) gehandelt. Während das 
lokale Amyloid hauptsächlich bei Männern über 50 Jahre beob¬ 
achtet wurde, betraf es hier eine etwa 30 jährige Frau. Aber 
die wesentliche Bedeutung unseres Falles liegt wohl darin, dass 
es vermittels der endoskopischen Methode hier zum ersten Male 
möglich gewesen ist, eine derartige Erkrankung in den tieferen 
Luftwegen nicht nur in vivo festzustellen, sondern auch sie wie 
die ernsten Folgeerscheinungen zu beseitigen; ein Erfolg, der des- 


1) Archiv f. Laryngol., Bd. 26, H. 1. 

2) Virchow’s Archiv, Bd. 91. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 15. 


wegen um so höher zu veranschlagen ist, als die Neigung dieser 
Tumoren zur Recidivierung sehr gering ist, soweit die bisherigen, 
allerdings sehr beschränkten Erfahrungen annehmen lassen. 

Bemerkenswert ist ferner der günstige Einfluss, den das Arsen 
gehabt zu haben scheint, ein Punkt, über den bisher keine An- 
gaben vorliegen. 


Ein (neuer) Kunstgriff zur (unblutigen) Er¬ 
weiterung des grad-verengten Beckens. 

Von 

Dr. Gustav Fr eudenthal - Peine. 

Im März 1911 wurde ich bei einer ca. 28 jährigen, gracil gebauten 
Primipara zur Entbindung nach auswärts geholt; den Anlass boten die 
Wehenschwäche und grad-verengtes Becken. 

Nach 4 ständigem Abwarten und dem vergeblichen Versuche einer 
hohen Zange wurde der in erster Stellung befindliche Kopf des lebenden 
Kindes angebobrt, da keine Möglichkeit vorlag, in anderer Weise die Ge¬ 
burt zu beenden. Sogar die Extraktion mit dem grossen Kranioklast 
gestaltete sich noch schwierig, und auch die Schultern mussten durch 
manuelles Einhaken hervorgezogen werden. 

Das Kind (Knabe) war aussergewöhnlich stark entwickelt und wog 
ca. 9 Pfund. 

(Der Vater ist ein grosser, kräftiger Schmiedemeister; die Schwester 
der Pat. wird jedes Mal wegen Beckenenge künstlich entbunden.) 

Mit Rücksicht auf diese unheilvoll verlaufene Geburt hatte sich die 
Ende 1911 abermals Geschwängerte auf Zureden ihrer Angehörigen und 
Bekannten entschlossen, zu der im November 1912 bevorstehenden Ent¬ 
bindung die Göttinger Frauenklinik aufzusuchen. In dieser Absicht wurde 
sie noch dadurch bestärkt, dass bei einer gelegentlichen Untersuchung 
in der Göttinger Frauenklinik mässige Verengerung des Beckens im 
Graden festgestellt wurde; nach Bekanntgabe des ersten Geburtsverlaufes 
wurde ihr dringend anempfohlen, beizeiten die dortige Entbindungs¬ 
anstalt in Anspruch zu nehmen. Trotzdem habe ich die Gravida über¬ 
redet, zumal es ihren eigenen Wünschen entsprach, die Geburt daheim 
abzuwarten. Denn einmal böte die Dauer (6 Stunden im ganzen) und 
Schwierigkeit der ersten Geburt keinen Maassstab für den Verlauf der 
folgenden, sodann hätte die Hauptschuld an dem unglücklichen Geburts¬ 
ausgange nicht so sehr das enge Becken, wie das abnorm grosse Kind 
getragen. 

Um die Erheblichkeit dieses letzteren, ungünstigen Faktors von 
vornherein möglichst auszuschalten, schlug .ich der Gravida vor, wenig¬ 
stens vom 6. Monat ab Proschownik’sche Diät (zur Verkleinerung des 
kindlichen Körpers) einzuhalten. 

So geschah es. 

Zum vorher berechneten Zeitpunkte (Anfang November 1912) trat 
die Geburt ein. Am 4. November um 11 Uhr nachts machten sich die 
ersten Wehen bemerkbar, die dann in mässiger Kraft etwa 1 j A stündlich 
sich wiederholten. (In banger Voraussicht setzte sich der Ehemann so¬ 
gleich mit mir in telephonische Verbindung und liess diese die Nacht 
hindurch bestehen; doch erst morgens 7 Uhr wurde wiederum davon 
Gebrauch gemacht.) 

Bei der ersten Untersuchung, etwa um 9 Uhr morgens, wurde 
folgender Befund erhoben: 

Urin und Stuhlgang entleert. Wehen mittelkräftig, etwa l /< stündlich 
Muttermund fast verstrichen. Blase stehend. Erste Schädelstellung. 
Kopf über dem Becken, noch beweglich; Pfeilnaht quer über der 
Symphyse. 

Da die Kreissende schon ziemlich erschöpft ist und über die grosse 
Schmerzhaftigkeit der Wehen klagt, wurde Pantopon (0,01) und Scopo- 
lamin. hydrobr. (0,001) aus einer Ampulle (La Roche & Co. in Basel) 
eingespritzt. Vorweg bemerkt, habe ich keinen besonders schmerz¬ 
lindernden Einfluss wahrgenommen; vielleicht ist dieser Misserfolg der 
zu kleinen Dosis zuzuschreiben. Daher liess ich, zumal nach gleich¬ 
zeitiger Pituitrineinspritzung (1,0) die Wehen an Häufigkeit, Kraft und 
Schmerzhaftigkeit Zunahmen, jedesmal bei einer Wehe etwas Chloroform 
inhalieren. — Inzwischen ist der Muttermund verstrichen, und daher wird 
die Blase gesprengt. Um die sagittale und frontale Einstellung der 
Pfeilnaht und den Ein- und Durchtritt des Kopfes ins und durchs 
Becken zu befördern, wird der Kr. eine Rolle unter das Kreuz ge¬ 
schoben, und sie selbst veranlasst, die Kniee an den Bauch zu ziehen, 
(Diese Haltung sollte, wie ich gelegentlich gelesen hatte, eine Erweite¬ 
rung des knöchernen Beckens erzielen.) Da jedoch die halbbetäubte Kr. 
die Beine unabsichtlich wieder ausstreckt, wird von mir und der 
Hebamme je ein Knie (Unterschenkel nach aussen) bei jeder 
Wehe mit aller Kraft, zumal sich die Kr. unwillkürlich, aber zweck¬ 
mässig entgegenstemrat, nach der Mitte des Bauches zu mög¬ 
lichst an diesen angepresst. 

Die vorausgesetzte Wirkung bleibt nicht aus, die Geburt geht jetzt 
schnell voran. Pfeilnaht im Graden, Kopf im Beckenausgang, Kopf¬ 
knochen (Parietalbeine) stark übereinander geschoben. Um den Damm zu 
schützen, der bei der ersten Geburt gerissen und genäht war, wird der 
Kopf während der Wehen zurückgepresst und in der Wehenpause 


manuell entwickelt; Extraktion an den Schultern. Um 1 Uhr ist die 
Geburt eines lebensfrischen, kräftigen (ca. 7 Pfd. schweren) Mädchens 
vollendet. Placenta etwas adbärent, daher Ergotineinspritzung und 
Tamponade des Uterus und der Scheide. Wochenbettsverlauf ungestört. 

Epikrise: Die Pan topon-Scopolamin-Anästhesie trat vielleicht 
wegen zu kleiner Dosis nicht merkbar in Erscheinung. Die Pituitrin¬ 
wirkung liess an Schnelligkeit und Kraft nichts zu wünschen übrig, 
vermochte aber ebensowenig wie die beschriebene Lageänderung (Rolle 
unters Gesäss und aktive Anziehung der Kniee) die Geburt zu Ende zu 
bringen. Von einer Hochschnallung der Kniee durch einen Gurt oder 
Handtuch wurde abgesehen, da diese Haltung einmal in den Wehen¬ 
pausen von der sensibelen Kr. unangenehm empfunden wäre, besonders 
aber, weil auch dieser halb passive Widerstand dem kräftigen, passiv¬ 
manuellen (ego und Hebamme) Gegendruck nicht gleichwertig erachtet 
wurde. 

Wie wäre nun die wenigstens in diesem Falle unbestreitbare Wirkung 
und Erweiterung bei dem (knöchernen) Becken zu erklären? Durch die 
passive Fixation der Femora wirken die an den Trochanteren inserierenden, 
ursprünglichen Beckenhalter (Glutaeen usw.), wenn sie von der Kr. 
zwecks Streckung der Beine nolens volens in Funktion gesetzt werden 
sollen, als Auswärtszieher an den Darmbeinen. Dadurch werden die 
Bänder des sacro iliacalen Gelenkes gedehnt, das Promontorium tritt 
zurück, und das ganze Becken wird besonders im Graden erweitert. 
Auch die durch das Gegenpressen der Femora vielleicht verstärkte Bauch¬ 
presse in ihrer Druckrichtung nach hinten und unten wird wohl das 
Endresultat (der Beckenerweiterung) günstig beeinflussen. 

Jedenfalls ist der oben beschriebene, einfache Hand- und Kunstgriff 
bei einschlägigen Fällen (Beckenverengung) jedem Praktiker zur Nach¬ 
prüfung auf seinen Erfolg hin dringend zu empfehlen. 


Ueber die Wirkung des Phosphors im Phosphor¬ 
lebertran bei Rachitis als Inflammator. 

Von 

Dr. Wilhelm Gessner-Olvenstedt-Magdeburg. 

So verschieden auch heute noch die Meinungen über die 
Aetiologie der Rachitis sind, so einstimmig lautet wohl das 
Urteil über die Wirksamkeit des Phosphors gerade in seiner 
Lösung in dem an freien Fettsäuren reichen, gewöhnlichen Leber¬ 
trane. Denn der Phosphor als Element gegeben erwies sich bei 
den dahingehenden Untersuchungen Scbabad’s 1 ) als völlig un¬ 
wirksam, und auch der Lebertran allein gegeben war auch nicht 
annähernd so wirksam, wie gerade die von Kassowitz auf 
Grund der Wegener’schen Tierversuche empfohlene und allgemein 
gebräuchliche Phosphorlebertranlösung. Weshalb nun gerade 
diese letztere Medikation so schöne Erfolge bei Rachitis zeitigt, 
wissen wir nicht, da unsere Kenntnisse von dem Fettstoff Wechsel 
im allgemeinen noch als recht bescheidene bezeichnet werden 
müssen und bei der ungemeineü Schwierigkeit der Materie auch 
noch lange bleiben werden. Ist doch auch heute die Frage noch 
nicht mit Sicherheit entschieden, ob das in der Nahrung zu¬ 
geführte Fett vor seiner Resorption vollständig oder nur zum Teil 
durch einen Verseifungsprozess in seine Komponenten Glycerin 
und Fettsäuren zerlegt und in der Zelle dann erst wieder zu¬ 
sammengesetzt wird. 

Dass per os zugeführte Fettkörper auch unzersetzt resorbiert 
und vom Körper assimiliert werden können, haben die Versuche 
Rosenfeld’s 2 ) bewiesen, welcher zeigte, dass, wenn man einen 
hungernden Hund, dessen Fettdepots auf diese Weise zum 
Schwinden gebracht waren, ausschliesslich mit einem jodierten 
Fettkörper (Jodipin) oder mit dem schwer schmelzenden Hammel¬ 
fette in seiner Nahrung später fütterte, diese Fettsubstanzen un¬ 
verändert in den Fettdepots der Tiere wiedergefunden werden, 
was bei einem vorherigen Verseifungsprozesse im Darmkanale 
ausgeschlossen wäre. Es ist daher sicher, dass mindestens ein 
Teil des infolge seines Reichtums an freien Fettsäuren besonders 
leicht und fein emulgierbaren Phosphorlebertrans auch unzerlegt 
die Darmwand des Kindes passiert und in die Cbylusgefässe 
Übertritt, von wo er dann fortwährend in kleinen Portionen auf 
dem Wege des Ductus thoracicus dem Blut zugefübrt wird und * 
schIlesslich in den Körperzellen der Verbrennung unterliegt. 

Der als Element allein gegebene Phosphor gelaugt meiner 
Ansicht nach bei der hohen Oxydabilität dieses Körpers einer¬ 
seits und den nur äusserst geringen Dosen, welche man bei seiner 
Giftigkeit einem kleinen Kinde geben kann, andererseits überhaupt 


1) Zeitschr. f. klin.Med., Bd. 67, 68 u. 69. 

2) Asch off in Ziegler’s Beitr., Bd. 47. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Dicht als solcher zur Resorption, sondern wird schon im Magen 
bzw. Darmkanal durch Oxydation unwirksam gemacht und lässt 
daher jeden therapeutischen Ginfluss auf die Rachitis vermissen. 
Gerade die Lösung des Phosphors in einem Pettkörper schützt 
den Phosphor bis zu deren Emulgierung relativ noch am besten 
vor der Oxydation im Magen und Darmkanal, und da Lebertran 
äusserst schnell und fein emulgiert und damit der Resorption 
auch leicht zugänglich gemacht wird, so gestattet gerade der 
Phosphorlebertran, dem kindlichen Organismus überhaupt Phosphor 
zuzuführen. 

Nun glaube ich nicht, dass der zugeführte Phosphor etwa 
zur Bildung des phosphorsauren Kalkes der Knochen Verwendung 
findet — man gab ja früher in dieser Absicht auch die ver¬ 
schiedensten Kalkverbindungen bei Rachitis —, denn die zuge¬ 
führte Milchnahrung enthält sowohl Phosphorsäure- wie auch 
Kalkverbindungen in genügender Menge, sondern ich glaube, dass 
der in jedem einzelnen Fetttröpfchen des im Darm emulgierten 
und schliesslich auf dem Chylus- und Blutwege den einzelnen 
Organen und ihren Zellen zugeführten Phosphorlebertrans ent¬ 
haltene Phosphor für diese Fetttröpfcben als Inflammator, d. h. 
als Sauerstoff Überträger dient, welcher die Verbrennung derselben 
nicht nur erleichtert, sondern auch viel lebhafter macht, da ja 
die Affinität des Sauerstoffs zum Phosphor eine sehr intensive 
ist, so dass es besonderer Vorsichtsmaassregeln, z. B. der Ab¬ 
sperrung der chemisch wirksamen Lichtstrahlen bedarf, um die 
Oxydation des Phosphors fcicht schon im Arzneiglase vor sich 
geben zu lassen. Wie man bei dem alten Phosphorschwefelholze 
den Phosphor als ioflammator des Schwefels und diesen wieder 
als luflammator des Holzes benutzte, genau so wirkte auch der 
Phosphor im Phospborlebertrane als Inflammator der einzelnen 
Fetttröpfchen. Der Vorgang, der sich hierbei im Stoffwechsel 
des lebenden Organismus abspielt, ist ein ganz ähnlicher, wenn 
auch, wie ich ausdrücklich hervorhebe, nicht der gleiche, wie 
bei der Katalyse. Denn während die Katalyse nach der Ostwald¬ 
echen Definition einen chemischen ümsetzungsVorgang darstellt, 
der durch die Anwesenheit eines dritten Stoffes, nämlich des 
Katalysators, in seinem zeitlichen Ablaufe beschleunigt wird, ohne 
dass dieser Stoff in die Endprodukte des Vorganges übergeht, 
wird der Inflammator gerade selbst verbrannt und damit die 
Oxydation der einzelnen Fetttröpfchen nicht nur beschleunigt, 
sondern auch der Intensität nach verstärkt. 

Auch der Stoffwechsel unseres Körpers stellt einen Ver¬ 
brennungsprozess dar und speziell die kindliche Rachitis wird 
von den meisten heutigen Autoren, und wohl mit Recht, als eine 
Störung des kindlichen Stoffwechsels aufgefasst, durch welche 
erst sekundär die rachitischen Knochenveränderungeu bedingt 
sind. Nun hat man bei dieser an sich wohl richtigen Anschauung 
bisher bei der Erklärung der Rachitis meiner Ansicht nach ganz 
unberücksichtigt gelassen, dass sich gerade während des ersten 
Lebensjahres am kindlichen Knochensystem — allerdings ganz 
im Verborgenen — eine für den kindlichen Stoffwechsel überaus 
wichtige Veränderung vollzieht bzw. vollziehen soll, nämlich die 
Umwandlung des fötalen, blutreichen roten Knochmarkes io das 
bleibende, fettreiche, gelbe Knochenmark des späteren Lebens, 
indem die in den grossen Markräumen liegenden Markzellen eine 
Umwandlung in Fettzellen erfahren. Welche Bedentuug dieser 
Umwandlungsprozess für den wachsenden kindlichen Knochen hat, 
wissen wir noch nicht, und was wir überhaupt über die Be¬ 
deutung des Knochenmarkes an sich Sicheres wissen, ist noch 
relativ wenig. Soviel lässt sich aber bestimmt behaupten, dass 
diese Metamorphose des kindlichen Knochenmarkes den Fettstoff- 
Wechsel ganz wesentlich belastet. Man hat beim rachitischen 
Knochen bisher immer nur auf die Kalkarmut und den Blut¬ 
reichtum bingewiesen, mir scheint gerade die Fettarmut des¬ 
selben das eigentlich primäre Moment zu sein, welches als eine 
Entwicklungsstörung bzw. Entwicklungshemmung des kindlichen 
Koochensystems infolge der chronischen Fettarmut der kindlichen 
Nahrung speziell bei der künstlichen Ernährung aufzufassen ist 
und eine normale Knochenbildung nicht zulässt, sondern nur 
weiches, blutreiches, gleichsam fötales Knochengewebe hervor¬ 
bringt. Denn dass alle jene Kinder, welche auf künstliche Er¬ 
nährung angewiesen sind — und diese stellen doch das Gros 
unserer Rachitiker dar —, in den üblichen Milchverdünnungen 
viel zu wenig Fettkörper zugeführt erhalten, haben früher be¬ 
sonders Biedert (Ramogen) und später vornehmlich Schloss¬ 
mann (Isokerdie und Anisokerdie bei an sich mit der Mutter¬ 
milch isody Damischen Milcbgemischen; vgl. Verhandl. d. Gesellsch. 
f. Kinderheilk., 1909) hervorgehoben und auf die dadurch be¬ 


dingte Belastung des kindlichen Stoffwechsels, welcher die 
fehlenden Fettkörper aus den übrigen Kohlehydraten der Nahrung 
erst bilden muss, aufmerksam gemacht. Diese nicht nur für die 
Diätetik des Säuglings, sondern auch für die Ernährungsphysiologie 
im allgemeinen m. E. überaus wichtigen Ausführungen Schloss- 
mann’s lehren weiter, dass es beim Fettmangel in der Nahrung 
und Bildung der nötigen Fettkörper aus deren Kohlehydraten 
zur Kohlensäureüberladung des Blutes mit ihren schädlichen 
Folgen für den Gesamtstoffwechsel kommen muss, wenn die 
Kohlensäure nicht durch erhöhte Atmongstätigkeit ausgeschieden 
wird. Die Fettkörper der Nahrung haben meiner Ansicht nach 
für den menschlichen Stoffwechsel eine ganz bestimmte unersetz¬ 
bare Bedeutung; das geht schon daraus hervor, dass für sie allein 
ein ganzes Gefässsystem — Chylusgefässe — angelegt ist, welche 
die Fettkörper der Nahrung erst auf Umwegen mit den ins Blut 
aufgenommenen anderen Verdauungsprodukten zusammenführen, 
damit sie mit ihren weit grösseren Calorienwerten — Fett pro 
Gramm 9,3 Calorien und Zucker pro Gramm 4,1 Calorien — die 
Stoffwechselintensität auf ihrer normalen Höhe halten. Io dieser 
Hinsicht lassen sich die Fettkörper höchstens durch den Alkohol 
ersetzen, welcher einen ähnlich hohen Calorienwert, pro Gramm 
nämlich 7,0 Calorien, repräsentiert und daher auch fettsparend 
wirkt. 

Fehlt es andauernd an Fettkörpern in der kindlichen Nah¬ 
rung, so kommt es zu einer Verlangsamung des Stoffwechsels, zu 
einer Herabsetzung der Stoffwecbselenergie, und es treten Zwischen¬ 
produkte des Stoffwechsels im Blut und den Gewebssäften auf, 
welche Säurecharakter tragen und zuerst das Blutalkali der 
resorbierten Nahrungsprodukte angreifen. Da von dem Alkali¬ 
gehalt des Blutes besonders an einfach kohlensaurem Natron und 
phosphorsaurem Natron wiederum die Koblensäureabgabe abhängig 
ist, so kommt es bei Abnahme des Alkaligehalts zur Kohlensäure¬ 
überladung des Blutes, die ihrerseits wiederum die roten Blut¬ 
körperchen schädigt und damit wieder die Sauerstoffaufnahme er¬ 
schwert und so ebenfalls die Oxydationskraft des Blutes schwächt. 
Damit ist schon ein Circulus vitiosus gegeben, und wenn alles 
im Blut verfügbare Alkali verbraucht ist, dann greifen die Säuren 
auch das Erdalkali der im Blut kreisenden resorbierten Nahrungs¬ 
stoffe an, und diese können nicht zum Aufbau des Körperskeletts 
und der Gewebe, speziell der Muskeln Verwendung finden, der 
Kalkhunger der Gewebe ist da, und dieser wird sich am stärksten 
an der Verkalkungszone der Knochen bemerkbar machen; aber 
auch die Weichheit der Knochen überhaupt wie auch die Schlaff¬ 
heit der Muskulatur beweisen, dass ihr Kalkgebalt ebenfalls ganz 
wesentlich herabgesetzt ist. Diese durch die Stoffwechselschwäcbe 
des Rachitikers herbeigeführte allgemeine Demineralisation der 
Knochen und Gewebe kann nur durch einen Körper, welcher auf 
dem Wege der Inflammation die Stoffwechselintensität zu heben 
imstande ist, wieder gutgemacht werden, und wie prompt hier 
gerade der Phosphorlebertran wirkt, haben die Stoffwechselunter- 
sucbungen von Birk 1 ) und Sch ab ad 2 ) erwiesen, wonach schon 
wenige Tage nach Darreichung des Phosphorlebertrans nicht nur 
die Kalkretention, sondern, was besonders interessant ist, auch 
der Stickstoffwechsel steigen, womit die durch den Phosphor¬ 
lebertran herbeigeführte Steigerung des gesamten Stoffwechsels 
bewiesen ist. 

Welche überaus grosse Verbreitung die Fettkörper und die 
fettähnlichen Körper (Lipoide) in allen Zellen und Gewebsflüssig¬ 
keiten unseres Organismus und welche Bedeutung sie für den 
Stoffwechsel der einzelnen Zelle haben, ist erst durch neuere, 
hauptsächlich von Asch off 3 ) und seinen Schülern ausgeführte 
Untersuchungen gezeigt worden, welche in dem Werke von 
Kawamura, „Die Cholesterinverfettung“ zusammengefasst sind, 
auf das ich verweisen muss, da auch nur eine skizzenhafte 
Wiedergabe der Resultate an dieser Stelle unmöglich ist. Nur 
so viel sei erwähnt, dass durch diese Arbeiten erwiesen ist, dass 
für den Nachweis von Fett und Lipoiden die bisherigen Färbe¬ 
methoden nsw. allein nicht genügen, und erst durch neuaus- 
gebildete Untersuchungsverfahren hat sich das universelle Vor¬ 
kommen von Fett und Lipoiden in allen Zellen und Gewebs¬ 
flüssigkeiten unseres Körpers nachweisen lassen. Für unsere Be¬ 
trachtung des Phosphors als Inflammator ist es nun besonders 
interessant, dass sich bei Jenen Untersuchungen eine Gruppe von 
sehr fettähnlichen Körperu hat ermitteln lassen, welche eben- 

1) Monatschr. f. Kinderheilk., Bd. 7, S. 450. 

2) Diese Wochensohr., 1909, Nr. 20. 

8) Ziegler’s Beitr., Bd. 47, vgl. auch Kaiserliog, Med. Klinik, 1909, 
| Nr. 49, und Jo lies, Chemie der Fette. Strassbarg, Trübner’s Verlag. 

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UNIVERSUM OF IOWA 




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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


falls das Phospboratom io ihrem Atomenkomplex enthalten und 
deshalb den Namen Phosphatide erhalten haben. Zu ihnen 
gehören die verschiedenen Arten der in allen Säften und Zellen 
des menschlichen Körpers reichlich enthaltenen Lecithine, z. B. 
das Kephalin, Myelin, Cholin, Jecorin, Spingomyelin usw. 

Die Natur hat also in den Phosphatiden schon längst in aus¬ 
gedehntem Umfange für die Unterhaltung des gesamten Stoff¬ 
wechsels von einer ähnlichen Kombination des Phosphoratoms 
mit einem Fettkörper Gebrauch gemacht, welche in der ein¬ 
fachsten Form ja auch der Phosphorlebertran darstellt. An Stelle 
des letzteren hat Carriere 1 ) in Frankreich den halbprozentigen 
Lecithinlebertran gegen Rachitis empfohlen. Neuerdings hat auch 
Klotz 2 ) die Wirksamkeit der Lecithinmedikation bestätigen und 
mit einem phosphorhaltigen Hypopbysenextraktstoff eklatante Er¬ 
folge bei Rachitis gesehen. Auch ist es meiner Ansicht nach 
durchaus kein Zufall, wenn ärztliche Erfahrung als Verdünnungs¬ 
mittel der Kuhmilch bei künstlicher Ernährung gerade Hafer- 
und Gerstenmehlabkochungen empfiehlt, oder wenn bei einer 
schweren Stoffwechselstörung der Erwachsenen der sogenannten 
Zuckerkrankheit sich gerade Haferkuren besonders bewähren, 
denn der Hafer enthält nach J. König, „Chemie der mensch¬ 
lichen Nabrungs- und Genussmittel“ 6,04 pCt. Fett, die Gerste 
2,12 pCt., der Roggen 1,71 pCt., der Weizen 1,70 pCt., der Reis 
nur 0,51 pCt. Fett. Die Fettkörper der Samenkörner gehören 
fast ausschliesslich zu den phosphorhaltigen Lecithinen, den so¬ 
genannten Phosphatiden, welche auch im Hühnerei sehr reichlich 
enthalten sind. 

Zusammenfassung. 

Die kindliche Rachitis stellt meiner Ansicht nach eine 
typische Stoffwechselerkrankung, speziell eine Störung des kind¬ 
lichen Fettstoffwechsels dar, an welchen gerade während des 
ersten Lebensjahres, in welchem sich physiologischerweise das 
fötale, rote Knochenmark in das bleibende, gelbliche, stark fett¬ 
haltige Knochenmark umbilden soll, besondere Ansprüche gestellt 
werden, welche bei den üblichen künstlichen Milchgemischen, die 
wohl isodynamisch, aber nicht isokerdisch im Sinne Schloss- 
mann’s mit der Muttermilch übereinstimmen, in keiner Weise 
erfüllt werden. Ein anisokerdisches Milchgemisch belastet, da 
der kindliche Organismus die fehlenden Fettkörper erst aus 
Kohlehydraten bilden muss, in mehr oder minder starkem Grade 
den kindlichen Stoff- und Kraftwechsel. Kann der kindliche 
Organismus dieser dauernden Stoffwechselbelastung und Kraft¬ 
vergeudung nicht mehr nachkommen und erlahmt seine Stoff- 
weckselintensität allmählich, dann ist der Fettbunger der Gewebe 
da, und die physiologische Umwandlung des fötalen roten Knochen¬ 
marks in das bleibende gelbe, welche sicherlich auch für die 
Entwicklung des Knochens von Bedeutung ist, kann nicht er¬ 
folgen, der Knochen bleibt bluthaltig wie der fötale. Und was 
die Rachitis daher allein heilen kann, ist ein leicht emulgier¬ 
barer und damit schnell resorbierbarer und durch den Phosphor¬ 
zusatz leicht oxydabler Fettkörper, wie wir ihn im Phosphor¬ 
lebertran zur Verfügung haben, welcher die sekundäre Deminerali- 
sation der Gewebe sofort zum Stillstand bringt. Bei dieser 
Auffassung der Rachitis als eine Störung des kindlichen Fett¬ 
stoffwechsels ist es ohne weiteres erklärlich, dass der Beginn der 
Krankheit meistens in die Winter- und Frühjahrsmonate zu fallen 
pflegt, in welcher Zeit ein chronischer Fettmangel der Nahrung 
bei der kälteren Aussentemperatur doppelt ungünstig wirken 
muss, und es ist ferner klar, dass die häufigsten und schwersten 
Komplikationen der Rachitis gerade vom Gehirn und Rückenmark 
auszugehen pflegen, da die Fettkörper für das Gesamtnerven¬ 
system das normale Brennmaterial darstellen und gleichsam eine 
Unterernährung von diesem Organ schlecht vertragen wird. 

Für die inflammatorische Wirkung des Phosphors im Phos¬ 
phorlebertran geradezu beweisend ist aber noch die weitere Tat¬ 
sache, dass eine andere chemische Substanz, welche ebenfalls im 
Wege der gegenseitigen Lösung eine enge Verbindung mit Fett¬ 
körpern eingeht, nämlich der Alkohol, ebenso wie der Phosphor 
den menschlichen Stoffwechsel steigert und bei den verschiedensten 
Stoffwechselstörungen (Diabetes, Blutarmut) den Stoffwechsel ver¬ 
bessert, genau wie der Phosphor eine ausgesprochene Kalkretention 
im Organismus zustande bringt, wie dahingehende genaue Stoff¬ 
wechselversuche am Menschen von Rösenfeld 3 ) und Prings- 

1) Ref. cfr. Archiv f. Kinderheilk., Bd. 39, S. 186. 

2) Münchener med. Wocbenscbr., 1912, S. 1145. 

8) Sammlg. zwangl. Abhandl. aus dem Gebiete der Verdauungs- u. 
Stoffwechselkrankh., Bd. 1, H. 5. 


heim gezeigt haben. Auch der Alkohol (Aether) ist ein Stoff¬ 
wechselstimulans, ein Inflammator wie der Phosphor, und darauf 
beruht nicht zuletzt sein bleibender, durch nichts zu ersetzender 
Wert. 

Olvenstedt-Magdeburg, 30. Oktober 1912. 


Bficherbesprechungen. 

Heinrich Rubens: Die Entwicklung der Atomistik. Rede am 2. De¬ 
zember 1912, am Stiftungstag der Kaiser Wilhelms-Akademie. 
Berlin 1913, A. Hirschwald. 40 S. 1 M. 

Zwischen der Medizin und der Physik bestehen seit altersher enge 
Beziehungen. Aristoteles, Berzelius, Borelli, Galilei, Galvani, 
Glisson, Humphry Davy, Helmholtz, Rob. Mayer und so viele 
andere stellen gewissermaassen die Lichtbogen dar, in welchen die Funken 
neuer Erkenntnisse zwischen beiden Disziplinen übersprangen. Darum 
war es ein glücklicher Gedanke, den künftigen Militärärzten an der 
Schwelle ihrer Laufbahn die Entwicklung und den dermaligen Stand der 
Atomistik vorzuführen und ihnen diese Basis der Naturwissenschaften 
eindringlich mitzugeben. Freilich, das Atom von heute ist etwas ganz 
anderes geworden, als es in unserer Jugend oder gar bei Dal ton oder 
Demokrit gewesen war. Es ist an sich schon ein komplizierter Körper, 
der dazu nicht einmal in beschaulicher Ruhe verharrt, sondern mit 
grosser Geschwindigkeit herumfliegt. Man kann diese Geschwindigkeit 
messen und ebenso die Grösse, Masse und Anzahl der Moleküle und 
fernerhin die Elektrizitätsquanta, mit welchen sie beladen sind. Der 
Vortrag von Rubens setzt auseinander, wie sich die kinetische Gas¬ 
theorie, die elektrischen Vorgänge, die Kathoden- und Röntgenstrahlen, 
die Optik und sogar die Zerfallsprozesse des Radiums dieser Lehre willig 
fügen. Man ist versucht, eine Parallele zu ziehen zwischen diesen 
komplizierten Gebilden der Physik und den zelligen Elementarorganismen 
unserer Physiologie, und wenn jene zeigt, wie die gleichen Fundamental¬ 
gesetze in ihren verschiedenen Einzeldisziplinen gelten, so mag das für 
uns Mediziner ein Anstoss sein, auch in unserem Spezialitätentum weniger 
die trennenden, als die gemeinsamen Momente wieder mehr zu betonen. 

Buttersack-Trier. 


A. P&880W: Trommelfellbilder. Ein Atlas für den praktischen Ge¬ 
brauch. Mit 26 farbigen lithographischen Tafeln. Jena 1912, 
Gustav Fischer. Preis 32 M. 

Im vorliegenden Atlas gibt Passow auf 26 farbigen lithographischen 
Tafeln eine reiche Sammlung von Trommelfellbildern, die in den zehn 
Jahren seiner Tätigkeit in Berlin gesammelt und von dem bekannten 
Maler Hel big in vortrefflicher Weise dargestellt worden sind. Besonders 
hervorzuheben ist, dass in zweckdienlicher Weise die Veränderungen der 
Trommelfellbilder so wiedergegeben sind, wie sie sich in verschiedenen 
Zeitabschnitten, bei Erkrankungen, Verletzungen, nach Paracentesen, bei 
verschiedener Beleuchtung und nach äusserer Einwirkung (Ausspülung) 
darbieten. Der Atlas wird sich zweifellos beim Unterricht als sehr nütz¬ 
lich erweisen, wozu die jeder Figur beigegebene Erklärung noch wesent¬ 
lich beitragen wird. Die Ausstattung des Buches lässt nichts zu wünschen 
übrig. Schwabach. 


S. Sehottlaender und F. Kermanner: Zar Kenntnis des Uternscarei- 
noms. Mit 268 Abbildungen im Text und 16 Tafeln. Berlin 1912, 
Verlag von S. Karger. 

Das grosse Werk Schottlaender’s und Kermauner’s über das 
Uteruscarcinom stellt ein Muster emsigen Fleisses und exakter wissen¬ 
schaftlicher Arbeit dar. Ein Material von 135 Garcinomen, fast durch¬ 
weg durch Operation gewonnen, ist in eingehendster Weise anatomisch 
und histologisch durchgearbeitet und die Ergebnisse dieser Forschung 
kritisch zusammengestellt. Dabei ist die Literatur in vollkommenster 
Weise berücksichtigt. Zahlreiche Skizzen und Zeichnungen illustrieren 
den Text des vom Verleger glänzend ausgestatteten Werkes. 

Wer immer über Carcinom, speziell über das Uteruscarcinom arbeiten 
will, wird sich an diesem Werk ein Vorbild nehmen, und jeder Unter¬ 
sucher wird es den Verff., speziell Sehottlaender, Dank wissen, ein 
solches Riesenmaterial in erschöpfender Bearbeitung vorgelegt zu haben. 
Dogmatismus und schematischer Schlendrian reissen auf jedem Gebiet, 
das eine Zeitlang sorgfältig studiert worden war, dadurch geklärt zu 
sein schien und lange Zeit nun nicht mehr neu bearbeitet wurde, ein 
— für die Gynäkologie sei nur auf die Endometriumfrage und ihre Um¬ 
wertung durch Hitschmann und Adler hingewiesen. — Dass mit alt¬ 
hergebrachten Thesen, mit falschen, aber immer wieder geglaubten An¬ 
schauungen aufgeräumt wird, ist also nicht der geringste Nutzen dieser 
Arbeit. Dazu kommt dann eine Fülle von Einzelheiten, die nachgeprüft 
werden müssen und Anregung zu neuer Arbeit liefern. 

Das Werk, das einer Anregung v. Rosthorn’s, dessen Andenkeq 
es gewidmet ist, seine Entstehung verdankt, bringt zuerst einen Beitrag 
zur Technik und klinischen Statistik der abdominalen Carcinomopera- 
tionen. 

Die Technik wechselte, wie bei vielen Operateuren, besonders in 
bezug auf die Versorgung der Wundhöhlen: anfangs Drainage der para- 


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14. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


691 


metraoen Wunden und Verschluss des Peritoneums, später Drainage des 
Peritoneums. Die Operabilität betrug etwa 55pCt. bei grossen Schwan¬ 
kungen in den einzelnen Zeitabschnitten; die Gesamtmortalität 18pCt., 
ebenfalls mit grossen Schwankungen, abhängig von der Operabilität und 
der zunehmenden Uebung. Die absolute Heilung beträgt etwas über 
13 pCt., die Wiener Zahlen kommen noch nicht in Betracht. Dem 
cystoskopiscben Befunde misst Herrnauner keine grosse Bedeutung zu. 

Aus den Ergebnissen der anatomischen Untersuchung, gewonnen 
an Sagittal- und Querschnitten, sei folgendes hervorgehoben: 

Wirklich parenchymatös liegendes Carcinom hat Sch. nicht gesehen. 
Nur in 8 von 120 Fällen war die eine Wand auch mikroskopisch un¬ 
beteiligt. In über der Hälfte der Fälle, die klinisch als Collumcarcinom 
imponierten, war das Parenchym des Corpus mehr oder weniger ergriffen, 
in nahezu der Hälfte der Fälle die Scheide miterkrankt. 

Als Wachstumstypen werden aufgestellt: 

1. Endophytisches Wachstum, d. i. in die Tiefe. 2. Ezophytisches 
Wachstum, d. i. über die Oberfläche. (Kombination beider ist sehr häufig.) 
3. Oberflächenwachstum. 

In rund 75 pCt. der Fälle hat das Carcinom die Grenzen des Uterus 
überschritten. Relativ selten ist eine Erkrankung der Blase, zweimal 
fanden sich Metastasen im Ovarium, zweimal war der Ureter erkrankt. 
Bei der grossen Mehrzahl der Fälle lässt sich sicher entscheiden, ob sie 
im Corpus oder im Collum entstanden sind, niemals dagegen mit voller 
Gewissheit, ob es sich um Cervix- oder um Portiocarcinome handelt. 
Ein Teil der Collumcaroinome entsteht im Gebiet des äusseren Mutter¬ 
mundes. 

Aus der histologischen Untersuchung sei angeführt die Einteilung 
in 1. solide und 2. primär drüsige, sekundär solide, 3. Kombination von 
primär soliden und primär drüsigen Carcinomen. 

Die soliden Carcinome teilt er in reife (Vorhandensein deutlicher 
Riffzellen), unreife (kleine rund oder länglich gestaltete oder unregel¬ 
mässige Zellformen) ein, zwischen denen mittelreife stehen, die in 
grösserer Menge polygonale und gut abgrenzbare Zellen enthalten; nach 
der Grösse der Alveolen erfolgt eine weitere Einteilung, ebenso nach 
der Beschaffenheit des Zwischengewebes. 

Dass das Einteilungsprinzip der Verff. aber kein befriedigendes ist, 
geht schon aus der Schaffung der „Mittel“ formen hervor. 

Im weiteren Verlaufe der histologischen Untersuchung sind dann 
Infiltrationszellen, Bindegewebsveränderungen, Riesenzellen studiert; 
Einzelheiten aufzuzählen, würde zu weit führen. 

Das Adenoma maligaum erkennt Sch. an. 

Bei der morphologischen Diagnose erkennt Sch. Lubarsch’s An¬ 
sicht, der die Mehrzahl der Pathologen bekanntlich folgen, dass die 
Krebsdiagnose erst im destruierenden Stadium gestellt werden kann, für 
das Uteruscarcinom nicht an und sieht in Veränderungen der Zellen und 
der Kerne Anhaltspunkte für die Carcinomdiagnose. Ref. hat sich durch 
die Ausführungen Sch.’s nicht überzeugen lassen können, dass eine ob¬ 
jektive Diagnose auf Carcinom so gestellt werden kann, und kann mit 
dem von Sohottlaender öfter gebrauchten Ausdruck praecancerös 
absolut niohts anfangen; derartige Ausdrücke rufen nur Verwirrung hervor 
und sind durchaus abzulehnen. 

In der Frage der Genese des Carcinoms spricht sich Sch. dahin 
aus, dass umgebildetes in situ befindliches Schleimhautepithel als Sub¬ 
strat des Krebses die Hauptrolle spielt. Für die kausale Genese zieht 
Sch. die Annahme embryonaler Zellveränderungen heran. 

Den Schluss des Buches bildet eine ausführliche klinische Epikrise, 
die von Kermauner geschrieben ist und dem Kliniker viele interessante 
Einzelheiten bietet. Asohheim. 


C. Nettberg: Beziehungen des Lebens zam Licht. Berlin 1913, All¬ 
gemeine med. Verlagsanstalt. 63 S. Preis 1,50 M. 

Der Verf. hat sich der dankenswerten Aufgabe unterzogen auf Grund 
der Tatsachen, die bisher von der Wirkung des Lichtes auf Bakterien 
und Pflanzen, auf Tiere und Menschen bekannt waren, und die er in 
bunter Folge zusammenstellt, zu untersuchen, auf welchem Wege das 
Licht diese Wirkungen entfaltet. Er zeigt, dass das Licht unter Um¬ 
ständen energisch in den Chemismus der Lebewesen eingreift und 
führt als Beispiele an: die Abtötung pathogener Keime im Licht, die er 
als eine katalytische. Lichtreaktion ansieht, die kräftigen biologischen 
Wirkungen einer Reihe von fluorescierendeu Substanzen im Licht, nach 
v. Tapp ein er eine photodynamische Wirkung, die auch bei dem Assi- 
milationsvorgange in den grünen Pflanzen eine Rolle spielen dürfte, 
ebenso enthalten bei der Pellagra und der Buchweizenkrankheit bestimmte 
Stoffe im Lichte Giftwirkungen. Ebenso sind normalerweise oder unter 
pathologischen Verhältnissen im Tierkörper auftretende Farbstoffe, z. B. 
Gallenpigment und Hämatoporphyrin befähigt, strahlende Energie in 
chemische uraznwandeln. Zum Schluss versucht der Verf. den Nachweis 
zu führen, dass dem Licht eine überragende Rolle für die Bäderforschung 
zufällt, und er stellt den Satz auf, dass jede Bade- und Brunnenkur, 
sowie jede klimatische Behandlung bei „Licht besehen“ eine Licht¬ 
therapie ist. Diese geistreiche Hypothese wird vom Verf. durch die 
Annahme gestützt, dass einmal durch Trinkkuren in unsern Körper 
Lichtkatalysatoren mit den Mineralwässern ein verleibt werden, dass wir 
durch Bäder diese auf die ganze Hautoberfläche bringen, und dass bei 
klimatischen Kuren vor allem die Sonnenbestrahlung wirkt. Wieviele 
voa diesen Annahmen der Wirklichkeit entsprechen, und ob wirklich 
dem Licht eine so ausgesprochen chemische Wirkung auf die Organismen 


zufällt, müssen nach Ansicht des Ref. weitere ausgedehnte Untersuchungen 
lehren. Dazu in seiner fesselnden Arbeit einen weiteren Anstoss ge¬ 
geben zu haben, ist das Verdienst des Verf. Haberling-Köln. 


Ivap Bing: Der Blutzucker. Wiesbaden 1913, Verlag von J. F. Berg¬ 
mann. 162 S. Preis 7 M. 

Die Frage des Blutzuckers ist eines der wichtigsten Probleme auf 
dem Gebiet des Zuckerstoffwechsels. Dafür zeugen die zahlreichen, diesem 
Thema gewidmeten Forschungsarbeiten der letzten Jahre. Es ist daher 
eine dankenswerte Aufgabe gewesen, der sich Bang, einer der Berufensten 
auf diesem Gebiete, unterzogen hat, das gesamte, grosse Material über 
unsere Kenntnisse vom Blutzucker in seiner übersichtlichen Monographie 
zu sammeln in einer Weise, die nicht nur dem Forscher, sondern eben¬ 
so dem Kliniker Interesse abgewinnen wird. Besonders übersichtlich 
sind die Kapitel VI und VII über die physiologischen Schwankungen 
des Blutzuckers und über die experimentelle Hyperglykämie gehalten. 
Hinsichtlich der Methodik der Blutzuckerbestimmung, über die noch 
lange nicht das letzte Wort gesprochen ist, bringt Bang insofern etwas 
Neues, als er eine Mikromethode, d. h. eine Zuckerbestimmung in kleinsten 
Blutmengen (Tropfen) angibt. Ob diese freilich die von ihm selbst 
postulierten Bedingungen der Einfachheit für den Gebrauch sogar in der 
Klinik erfüllt, scheint mir nicht ganz zweifellos. Ob sie wenigstens hin¬ 
reichend genaue Resultate ergibt, darüber werden Nachprüfungen zu 
entscheiden haben. * H. Schirokauer. 


Literatur-Auszüge. 

Physiologie. 

K. Hürthle - Breslau: Ueber Förderung des Blutstroms durch 
den Arterienpils. (Deutsche med. Wochenschr., 1918, Nr. 18.) Zur 
Entscheidung der Frage, ob am Zustandekommen der Blutstromkurve 
die Arterien auch aktiv mitbeteiligt sind, hat H. Stromuhrversuche mit 
Erregung und Lähmung der Gefässwand angestellt. Nach Erregung mit 
Adrenalin, Pituitrin und Digitalis war eine Verstärkung der systolischen 
„Abweichung“ der Stromkurve wahrzunehmen. Die pulsatorische Dehnung 
der Gefässe stellt einen Reiz dar, der die Muscularis zur systolischen 
Kontraktion veranlasst, und zwar ist die Reizwirkung nicht allein von 
der Grösse, sondern auch von der Schnelligkeit der Druckschwankung 
bzw. Dehnung der Wand abhängig. Durch den Nachweis von Aktions¬ 
strömen und durch Einschaltung eines Windkessels in die Strombahn 
konnte dieser Satz verifiziert werden. Wolfsohn. 

P. F. Zuccola*. Untersuchungen über die Mftgentätigkeit. (H 
Morgagni (Archivio), 1912, Nr. 3 u. 4.) Der neutralisierte Magensaft 
kann die emulgierten Fette spalten; diese Eigenschaft muss an die An¬ 
wesenheit eines Fermentes gebunden sein, weil er bei Erhitzung auf 100* 
jegliches Vermögen verliert. Das lipolytische Magenferment wirkt 
energischer in neutraler Flüssigkeit und minder lebhaft in alkalischer 
oder saurer; es ist gegen die Einwirkung der Säuren widerstandsfähiger 
als gegen jene der Alkalien. Obwohl das Bestehen einer Magenlipase 
nicht anzuzweifeln ist, so besitzt sie höchstwahrscheinlich keinen solchen 
Wert, dass sie auch nur im entferntesten die Pankreasfunktion zu er¬ 
setzen vermöchte. M. Segale. 

Ehrmann - Berlin: Untersuchungen über die Verdauung der 
Amylaceen. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 77, H. 1 u. 2.) Um die tür die 
Ernährung wichtige Art der Verdauung der Amylaceen zu studieren, hat 
E. an Fistelhunden zunächst mikroskopische Untersuchungen der Fäces 
vorgenommen. Es wurden Fisteln zum Teil vor, zum Teil hinter dem 
Coecum angelegt, um die Bedeutung sowohl des Dickdarms wie die des 
Dünndarms für die Amylaceenverdauung zu studieren. Es ergab sich 
folgendes: Aeltere Individuen zeigten eine bessere Ausnutzung als 
jüngere. Nach Ausschaltung des Dickdarms ist die Fleiscbausnutzung 
nicht verschlechtert, die Ausnutzung der Amylaceen dagegen herab¬ 
gesetzt. Der Dickdarm spielt daher bei der Verwertung der Amylaceen 
eine wichtige Rolle. 

Ehrmann und H. Wolff - Berlin: Untersuchungen über die Ver¬ 
dauung der Amylaceen. II. Mitteilung. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 77, 
H. 1 u. 2.) In weiteren Versuchen haben E. und W. die Menge der 
Stärke und der Zellulose im Kot auf chemischem Wege direkt bestimmt. 
Ihre Ergebnisse sind folgende: Die chemische Ausnutzung der verschiedenen 
Amylaceen ist abhängig von der zugeführten Menge, der vorausgehenden 
Zerkleinerung, vor allem aber vom vorhergehenden Kochprozess. Indi¬ 
viduelle Unterschiede in der Nahrungsverwertung bestehen auch bei ge¬ 
sunden Individuen. Bei Uebergang zu Amylaceenkost besteht eine all¬ 
mählich eintretende bessere Nahrungsverwertung. Damit ändert sich 
gleichzeitig die Bakterienflora, indem die Stäbchen die Ueberband ge¬ 
winnen und ihre Fähigkeit, sich mit Jod zu färben, fortschreitend eine 
grössere wird. Ob die bessere Ausnutzung der Amylaceen auf der 
Wirkung allmählich sich bildender diastatischer Fermente der Bakterien 
beruht oder aber durch eine allmähliche Einstellung der Bauchspeichel¬ 
drüse auf eine stärkere Sekretion infolge erhöhter Inanspruchnahme be¬ 
wirkt wird, kann vorläufig nicht entschieden werden. 

H. Fron zig- Berlin: Ueber die Verwendbarkeit der Schmidt’8cheu 
Ker» probe zur Paukreasfanktieisprüfung. (Zeitschr. f. klin. Med., 
Bd. 77, H. 1 u. 2.) Die Brauchbarkeit der Schmidt’sohen Kernprobe 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


und die Richtigkeit ihrer theoretischen Grundlagen ist vielfach ange- 
zweifelt worden. F. hat die Frage aufs neue studiert, indem er einmal 
Decbglastrockenpräparate von Froschblut und angetrocknetes Frosch¬ 
peritoneum den isolierten Verdauungssäften aussetzte und zweitens 
Patienten defibriniertes und gewaschenes Gänseblut, mit Bariumsulfat 
aufgeschwemmt, einnehmen Hess. Er fand, dass weder Magensaft noch 
Darmsaft mit oder ohne Galle einen verdauenden Einfluss auf Zellkerne 
ausüben, dass aber der Pankreassaft allein imstande ist, Kerne auflösen 
zu können. Basen, wie NaOH, KOH, NH 8 , sind schon in sehr schwacher 
Konzentration imstande, Kerne zu zerstören, doch werden bei der Fäulnis, 
falls sie 96 Stunden nicht überschreitet, diese Stoffe nicht in genügender 
Menge gebildet, um die Zellkerne zum Verschwinden zu bringen. Die 
Schmidt’sche Kernprobe ist demnach theoretisch wohl begründet. 

A. Oszacki - Wien: Ueber Enteiweissung und Reststiekstoff- 
kestimmnng des Blotes ond seröser Flüssigkeit®! mittels Uranilacetats. 
(Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 77, H. 1 u. 2.) Zur Enteiweissung des 
Blutes oder seröser Flüssigkeiten muss man eine Methode benutzen, die 
alles Eiweiss ausfällt, keine anderen stickstoffhaltigen Körper mitreisst 
und keine stickstoffhaltigen Komplexe bei der Enteiweissung abspaltet. 
Die Hitzecoagulation mit ihren Modifikationen erfüllt diese Bedingungen 
nicht, wohl aber die Fällung mit Uranilacetat, eine Substanz, deren 
eiweissfällende Wirkung zuerst von Kowalewski gefunden wurde. Die 
für Serum und seröse Flüssigkeiten zu benutzende Methode schildert 0. 
ausführlich und berichtet dann von 19 Reststickstoffbestimmungen in 
verschiedenen klinischen Fällen. Die Zahl derselben ist noch zu gering, 
um allgemeine Schlüsse zu ziehen, doch bestätigen die Ergebnisse, dass 
nicht die Konzentration des Reststickstoffes in der Volumeinheit Blut, 
sondern seine Gesamtmenge in allen Flüssigkeiten des Organismus für 
Urämie maassgebend ist. Es wird ferner die Ansicht von Hohlweg 
bestätigt, dass nur diejenigen chronischen Nephritiden mit oder ohne 
Urämie erhöhte N-Werte zeigen, welche eine schlechte Prognose haben. 
Unter vier malignen Neoplasmen ohne Erscheinungen der Niereninsuffizienz 
zeigten zwei eine Erhöhung des Reststickstoffes. Die geringste Serum¬ 
menge, mit der man noch zuverlässige Resultate erzielt, beträgt 15 ccm. 

H. Hirschfeld. 

R. Binaghi: Die elektrisch® Leitfähigkeit der Mileh und ihre 
Verwendung zum Nachweise der Wasservermischung und der allenfallsigen 
Hinzufügung von Elektrolyten. (Biochimica e ter. sper., 2. Jabrg., H. 9.) 
Die elektrische Leitfähigkeit ist bei der Milch einer gewissen Gattung von 
Säugetieren beständig, so dass ihre Bestimmung ein annäherndes Urteil 
über die Natur einer zu prüfenden Milch gestattet: sie nimmt in un¬ 
mittelbarem Verhältnis zur Wasservermengung ab. Die Elektrolyte, wie 
doppeltkohlensaures Natron, kohlensaures Salz, Borax, Borsäure, die zur 
Konservierung der Milch beigefügt werden, erhöhen ganz bedeutend die 
elektrische Leitfähigkeit, welche mithin bei der hygienischen Kontrolle 
der Milch vorzügliche Dienste zu leisten vermag. M. Segale. 

0. Rössler - Baden-Baden: Ueber Qnellprodnkte. (Therapeut. 
Monatsh., März 1913.) Verf. führt Beispiele an, um zu zeigen, welche 
Endergebnisse beim Abdampfen eines Mineralwassers erhalten werden 
und inwieweit aus den gewonnenen Salzen durch Auflösen das ursprüng¬ 
liche Heil wasser wiederhergestellt werden kann. Es ergibt sich, dass 
man durch das Auflösen eines aus einem Mineralwasser gewonnenen 
Quellsalzes nie mehr wieder das ursprüngliche Mineralwasser mit allen 
seinen Eigenschaften und Wirkungen herstellen kann. H. Knopf. 

C. Foa-Turin: Hypertrophie der Hoden und des Kammes nach 
Abtragung der Zirbeldrüse beim Hahn. (Pathologica, Bd. 4, Nr. 90, 
S. 445.) Die Zirbeldrüse übt mittelbar oder unmittelbar eine hemmende 
Wirkung auf die Entwicklung der Hoden aus. Durch frühe Ausrottung 
der erwähnten Drüse tritt die Entwicklung der Hoden und der sekundären 
geschlechtlichen Eigentümlichkeiten vorzeitig ein. Wahrscheinlich deckt 
sich auch normal diese Entwicklung mit der physiologischen Rückbildung 
der Zirbeldrüse. M. Segale. 


Pharmakologie. 

H. Fühner- Freiburg i. Br.: Ueber die Wirkung von Pituitrin und 
Histamin an der isolierten Gebärmutter. (Therap. Monatsh., März 1913.) 
Das Tierexperiment ergab, dass die Wirksamkeit von 1 ccm Pituitrin 
Parke-Davis (= 0,2 g Hypophyse) ungefähr derjenigen von 1 j 2 mg 
Histaminchlorhydrat entspricht. An Katze, Kaninchen und Meer¬ 
schweinchen hat das Histamin die gleiche Wirkung wie Hypophysen¬ 
extrakte. An der Ratte wirkt es verschieden. Inwieweit in der ärzt¬ 
lichen Praxis ein Präparat das andere ersetzen kann, lässt sich erst 
an der experimentellen Prüfung am Menschen entscheiden. Nach den 
Erfahrungen von Kehrer scheint das Histamin auch hier nicht unwirk¬ 
sam zu sein, doch muss es wegen zu befürchtender Atmungsstörungen 
und Krämpfe sehr vorsichtig gebraucht werdeu. H. Knopf. 

Fornet - Berlin: Untersnchongen überQaecksilbercyanid. (Deutsche 
militärärztl. Zeitschr., 1913, H. 4.) Unter Berücksichtigung des höheren 
Preises, der grösseren Giftigkeit, der nur etwas geringeren Schädlichkeit 
für Hände und Instrumente, besonders aber auf Grund des Ausfalls der 
zahlreichen vergleichenden bakteriologischen Untersuchungen kam man 
zu einer unbedingten Ablehnung des Quecksilbercyanids als Ersatzmittel 
für Sublimat. Schnütgen. 

P. Werner und J. v. Zubrzycki-Wien: Beeinflussung der Opsoiine 
durch Elektrargol. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.) Die 


Kolloidmetalle besitzen baktericide Eigenschaften. Die Untersuchung®! 
der Verff. zeigen, dass sie geeignet sind, die opsonisohe Kraft des Serum» 
in hohem Grade zu vermehren. Wenn die therapeutischen Erfolge in 
vielen Fällen ausbleiben, so muss man andere Faktoren dafür zur 
Rechenschaft ziehen: verschiedene Virulenz der Keime und Widerstands¬ 
kraft des Körpers. Dünner. 

Siehe auch Innere Medizin: Selter, Heilungsversuche bei 
Tuberkulose. 


Therapie. 

Strauss - Berlin: Ueber KoBibinatioBSwirkungen von Medikamente! 
bei der Behandlung der Herz- nnd NiereawaMenaeht. (Therap, 
Monatsh., März 1913.) Verf. empfiehlt folgende Kombinationen; Rp, 
Inf. e fol. Digit, titr. 1,0, Bulb. Scillae 5,0, cum aqu. dest.; adde: 
Diuretin. 10,0, Tct. Strophanthi 3,0, Spartein. sulf. 0.1, Sir. Juniperi ad 
180,0. M. D. S. 4 mal tägl. 1 Essl. Bei Fällen von Dyspepsie wurde 
dieses Gemisch unter Beifügung von Tct. Opii sirapl. rectal gegeben. 
Verf. hat den Eindruck, dass man es bei der Anwendung der hier ge¬ 
nannten Gemische nicht mit einer blossen Additionswirkung zu tun habe, 
sondern mit einem Effekt, welcher die einfache Summationswirkung dei 
einzelnen zur Anwendung gelangenden Substanzen erheblich übersteigt. 

H. Knopf. 

Mehliss - Hannover: Trivalin. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 14.) Trivalin (Overlach) enthält in 1 ccm 0,01935 Morph, valer., 
0,0037 Coffein, valer. und 0,00506 Cocain, valer. Es kann Morphium al» 
Analgeticum in allen Fällen ersetzen, ohne dabei Herz- und Atem¬ 
centrum zu beeinflussen. Auch das Sensorium bleibt frei. In seltene» 
Fällen treten leichte Magenstörungen danach auf. Wolfsohn. 

E. Gehna: Schilddrüsentherapie nnd Epilepsie. (Revue de möd., 
1913, Nr. 1.) Es gibt eine Reihe von Epileptikern, bei denen sich Ano¬ 
malien der Schilddrüse finden. In solchen Fällen erzielt man mit Dar¬ 
reichung von Schilddrüsensubstanz gute therapeutische Erfolge. Mit¬ 
teilung zweier Fälle. A. Münzer. 

Siehe auch Kinderheilkunde: Terrier, Suprarenaler Ursprung 
des sogenannten Acetonerbrechens. 


Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie* 

Ssamoylenko: Ueber das End»st. (Virohow’s Archiv f. pathol. 
Anatomie u. Pbysiol., Bd. 211, H. 2.) Das Endost bildet sich während 
der periohondralen Ossifikation aus dem Hineinwachsen von Periostfasern 
in die Knochenzwischenräume; während der enchondralen Ossifikation 
entweder nach Umwandlung des Knorpels in fibrilläres Gewebe oder 
vielleicht nach Hineinwachsen eines Gefässes in den Knorpel. Es ist 
dem lockeren Bindegewebe zuzuzählen und ist funktionell dem Periost 
identisch. Benn. 

Fr. Rost: Ueber agonale Blitgerinnnig. (Centralbl. f. Pathol., 
Bd. 24, Nr. 3.) Das Vorkommen von Leukocytengerinseln auf Cruor- 
und Speckhautgerinseln beweist deren agonale Entstehung. Experimentell 
lassen sich solche Gebilde durch intravenöse Collargoleinspritzung er¬ 
zeugen. Vielleicht kommt den sogenannten LeichengeriDseln manchmal 
eine grössere Bedeutung zu. Dietrich. 

Sato: Ueber die Atherosklerose der AtrioveBtrienlarklapp*!. 
(Virchow’s Archiv f. pathol. Anatomie u. Physiol., Bd. 211, H. 2.) Aus 
einer Tabelle über 82 untersuchte Fälle aller Lebensalter geht zunächst 
hervor, dass eine Atherosklerose im Gebiet des Mitralissegel eigentlich 
stets zu finden ist. Makroskopisch war sie zuerst 2 */i Monate nach der 
Geburt wahrzunehmen; nach ungefähr einem Jahr ist sie schon immer 
makroskopisch deutlich erkennbar. Die Tricuspidalklappen sind gewöhn¬ 
lich sehr schwach und erst in späterem Alter an der Atherosklerose be¬ 
teiligt. Hier tritt der „gelbe Fleck“ am stärksten und häufigsten auf 
dem vorderen Segel auf, bei der Mitralis stets nur auf der Ventricular- 
seite des Segels. Verf. bespricht dann die Ursachen bzw. Bedingungen 
der Atherosklerose und vertritt den AschofFschen Standpunkt der „Ab¬ 
nutzungstheorie“. 

Anitschkow: Ueber die Histogenese der Myocardveründeraage! 
bei einigen Intoxikationen. (Virchow’s Archiv f. pathol. Anatomie u. 
Physiol., Bd. 211, H. 2.) Injektionen von Diphtherietoxinen bei Kaninchen 
rufen folgende Veränderungen am Myocard hervor: körnigen Zerfall, 
Verfettung, Homogenisation bzw. Nekrotisation. Daneben reaktive Er¬ 
scheinungen von seiten des Herzstromas, namentlich in der Umgebung 
der zugrunde gegangenen Muskelelemente. Injektionen von Adrenalin- 
Spartein bewirkten hochgradiges Oedem desMyocards mit nachfolgenden 
diffusen Veränderungen des Stromas; daneben herdartige Wucherungen 
des Stromas entzündlicher Natur. 

Hummel: Ueber straklige Einschlüsse 1b Riesenzellen. (Virchow’s 
Archiv f. pathol. Anatomie u. Physiol., Bd. 211, H, 2.) In den knötchen¬ 
förmigen fibrösen Verdickungen der Lungen Oberfläche einer an Ent¬ 
kräftung gestorbenen Frau fand Verf. mikroskopisch zwischen Bündeln 
elastischer Fasern liegend reichlich Riesenzellen, durch die sich ein Netz¬ 
werk feiner, durch Weigert-Hämatoxylineosin intensiv violett gefärbter 
Strahlen zog. Verf. setzt diesen Befund in Beziehung zu den von Ernst 
in Krebszellen beschriebenen Einschlüssen. 


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14. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


693 


Wilke: Ueber Riesenzellenbilduiig io Thyreoidea and Prostata. 

(Virchow’s Archiv f. pathol. Anatomie u. Physiol., Bd. 211, H. 2.) Von 
chirurgischer Seite sind einige Fälle von durch Operation entfernten 
Strumen veröffentlicht, bei denen sich mikroskopisch Riesenzellen vom 
Langhans’schen Typus fanden; daraufhin wurde die Diagnose auf primäre 
Thyreoideatuberkulose gestellt. Verf. wendet sich gegen die Auslegung 
solcher mikroskopischer Bilder und gibt Material dafür, dass diese Riesen¬ 
zellen als Fremdkörperriesenzellen aozusehen seien, für die als Reiz das 
gesunde Kolloid anzusehen sei. Am Prostataconoremente fand er ganz 
die gleichen Riesenzellen. Bonn. 

Monogenow: Ueber Kolloidreteition in den Knotenkrtipfen. 
(Centralbl. f. Pathol., Bd. 24, Nr. 4.) Die Kolloidknoten werden auf 
das Fehlen normaler Lymphgefässe und ungenügender Verbindung mit 
dem lymphatischen System der Nachbarschaft zurückgeführt. Stielartige 
GefässVersorgung begünstigt durch Stauung die Retention des Kolloids. 

W. Hueck: Ueber Verknlknng von AlveolarepUhelien. (Central¬ 
blatt f. Pathol., Bd. 24, Nr. 4.) Es werden drei Fälle von Petrifikation 
der Alveolarepithelien beschrieben, aus verschiedenen Lebensaltern. Für 
die Entstehung kommt die Ausfällung des im C0 2 reichen Blut leichter 
löslichen Kalks bei Abgabe der CO* in Betracht. Dietrich. 

Ceelen: Ueher Plasmazelles in den Nieren. (Virchow’s Archiv 
f. pathol. Anatomie u. Physiol., Bd. 211, H. 2.) Verf. untersuchte 
Nieren von 52 Erwachsenen und 10 Neugeborenen anfangs „in der stillen 
Hoffnung, in einer Konstanz der Plasmazellen vielleicht ein gutes 
Criterium für die Diagnose der syphilitischen Nierenveränderungen ge¬ 
funden zu haben“. Dies erwies sich jedoch in dieser Allgemeinheit für 
irrtümlich. Nur bei Neugeborenen scheint das Auftreten von peri- 
vasculären und periglomerulären und intertubulären Plasmazellinfiltra¬ 
tionen charakteristisch für kongenitale Syphilis zu sein. Bei Erwachsenen 
finden sie sich bei allen, auch nur geringfügigen Nierenveränderungen; 
sitzen besonders an der Peripherie der Gefässe und in der Nähe der 
Malpighi’scben Körperchen; sie entstehen histidjgen, über ihre Funktion 
ist nichts Bestimmtes zu sagen. 

Berner: Zur Cystenniercnfrage. (Virchow’s Archiv f. pathol. 
Anatomie u. Physiol., Bd. 211, H. 2.) Verf. verfügt mit 23 von ihm 
untersuchten Fällen über das grösste bisher beschriebene Material in 
dieser Frage, deren Hauptproblem „Die Missbildungs- oder Gescbwulst- 
theorie bei der Entstehung der Cystenniere“ er in dem Sinne löst, dass 
er in allen Fällen gefunden habe, dass die Cystenniere Entwicklungs¬ 
störungen von wechselnder Art und Ausdehnung ausgesetzt gewesen sei. 
Cystennieren mit ausgesprochenem Geschwulstcbarakter fänden sich aller¬ 
dings auch oft; doch handele es sich hierbei regelmässig um Misch¬ 
geschwülste (mit Knorpel, glatter Muskulatur, Hornperlen). 

Benn. 

C. Ciaccio: Ueber einen seltener^ benignen Tumor des Snmen- 
fttraags (Fibroplasmocytom). (Centralbl. f. Pathol., Bd. 24, Nr. 3.) 
Kleinorangegrosser, benigner Tumor des Samenstrangs bei einem 38 jährigen 
Mann, mikroskopisch aus fibröser Grundsubstanz mit eingelagerten Plasma¬ 
zellen bestehend. Dietrich. 

Fischer und Yokoyama: Ueber eine eigenartige Form knotiger 
Hyperplasie der Leber, kombiniert mit Gehirnveränderungen. (Virchow’s 
Archiv f. pathol. Anatomie u. Physiol., Bd. 211, H. 2.) Klinisch war 
der Fall interessant, da sich bei einem bis dahin völlig gesunden Mädchen 
im Alter von 19 Jahren im Anschluss an einen Schreck allmählich zu¬ 
nehmende Demenz, Intentionszittern, spastisch paretischer Gang, positiver 
Romberg einstellten. Nach einigen Jahren trat der Exitus ein. Die 
Sektion ergab diffuse grossknotige Hyperplasie der Leber und Verände¬ 
rungen im Linsenkern. Lues ist sowohl anamnestisch, wie histologisch 
auszuschliesen. Die Verf. rechnen diesen Fall einer noch sehr wenig 
bekannten, in letzter Zeit von den Engländern eingehender beschriebenen 
Krankheit zu, über deren Wesen nichts Näheres zurZeit bekannt ist. 

Meyer: Zur Kasuistik der epidermoidalen Cholesteatome des Ge¬ 
hirns. (Virchow’s Archiv für pathol. Anatomie u. Physiol., Bd. 211, 
H. 2.) Sechs derartige Fälle sind bisher in der russischen Literatur be¬ 
schrieben worden. Verf. fügt einen weiteren Fall aus dem Charkower 
Institut hinzu. Die Geschwulst sass zwischen Pons Varoli und linkem 
Schläfenlappen, war haselnussgross und hatte keine klinische Erschei¬ 
nungen gemacht. Benn. 

G. Anzillotti-Pisa: Experimentelle Untersuchungen über die Patho¬ 
genese der tuberkulösen Gelenkerkranknngen. (Pathologica, Bd. 4, 
Nr. 98, S. 709.) Durch Tuberkelgifteinspritzungen entstehen leichte, un¬ 
beständige Veränderungen, welche pathologisch-anatomisch durch entzünd¬ 
liche Infiltration der Synovialhaut charakterisiert sind. Ausgesprochenere 
Veränderungen wurden dagegen in jenen Gelenken beobachtet, die gleich¬ 
zeitig mit den Einspritzungen ein leichtes Trauma erlitten hatten, 
welches an sich, wie an den Kontrollieren nacbgewiesen wurde, nicht 
fähig war, die beobachteten Veränderungen hervorzubringen. Typischer 
sind die Veränderungen bei tuberkulös gemachten Meerschweinchen oder 
bei solchen, denen in die Gelenke Toxin eingespritzt worden war; die 
Infiltration ist augenscheinlich, aber es bestehen keine spezifischen 
Tuberkelknoten. Die Injektionen mit heterogenen Bacillen verursachten 
Arthritis und Periarteriitis mit kleinzelliger Infiltration der Synovialhaut 
und sekundäre sklerotische Veränderung. Mittels der Einspritzung natür¬ 
licher toxischer Produkte und besonders des sterilisierten Tuberkeleiters 
erhält man einfache Entzündungsinfiltrationen, die zur fibrösen und 
fettigen Umbildung neigen. Die Inokulationen mit toter Tuberkulose 


ergeben die meisten Erscheinungen von Infiltration, Sklerose und endo- 
artikulären Ergüssen mit allen Anzeichen der typischen Synovitis, die 
man auch in der menschlichen Pathologie beobachtet; es sind diese 
Veränderungen im Falle von Inokulation getrockneter und mit Aetber be¬ 
handelter Kulturen mehr lokalisiert; manchmal erhält man auch 
Riesenzellen. In den Epiphysen tuberkulösen Prozessen naher Gelenke 
zeigt sich Entwicklung einfacher entzündlicher Synovitis mit Neigung 
zur Sklerose ohne Bildung wirklicher Tuberkeln. Durch Einspritzung 
von Emulsionen mit abgeschwächten Kulturen ergeben sich oft Syno- 
viten mit kleinzelliger Infiltration, Sklerose und fibröse Umwandlung. 
Alle diese Verletzungen gehen allmählich in Heilung über, und es bleibt 
nur Sklerose der Synovialhaut, wie sie bei einigen Formen trockener 
Arthritis des Menschen als Folge einer chronischen Synovitis, die tuber¬ 
kulöser Natur ist, vorkommt. M. Segale. 


Diagnostik. 

Fr. Fromme und C. Rubner - Berlin: Nierenfunktionspriifung 
mittels des Phenolsulfonphthaleins. (Münchener med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 11.) Die Phenolsulfonphthaleinprobe gibt bei intramuskulärer An¬ 
wendung absolut unsichere Resultate. Konstante Resultate erhält man 
bei intravenöser Injektion. Dünner. 


Parasitenkunde und Serologie. 

A. Bruschettini-Genua.: Die Impfung gegen Rindertnherknlose 
an Kaninchen und Meerschweinchen. (Pathologica, Bd. 4, Nr. 98, S. 716.) 
Der Gehalt des Blut an agglutinierenden, präcipitierenden usw. Elementen 
ist bei geimpften Kaninchen oder Meerschweinchen nicht bedeutend höher 
als bei den künstlich tuberkulös gemachten Tieren. Dessenungeachtet 
ist sowohl bei den Kontrollieren als bei den verschiedenen Gruppen das 
Verhalten gegen eine Einspritzung lebender und virulenter Bacillen sehr 
verschieden. Einige Gruppen zeigen nur schwache Widerstandskraft, 
während andere lange widerstehen und manchmal auch in dem Kampfe 
Sieger bleiben. Unter den verschiedenen Vaccinen gab eine Emulsion 
von Bacillen, die mit lebenden Leukocyten in Kontakt geblieben waren, 
die besten Resultate. Der Autor beschreibt die einschlägige Technik. 

G.Gennari-Deplano - Cagliari: Impf? ersieh© mit den autolytiseben 
Produkten von Organen, die mit Kuhpoekengift infiziert worden waren. 
(Pathologica, Bd. 4, Nr. 96, S. 645.) Mit den Nierenautolysaten von 
subcutan mit Rinderpockengift geimpften Hunden könuen Kaninchen 
gegen diese Infektion immunisiert werden. Die Vaccinwirkung ist von 
einer das Berkefeldfilter nicht passierenden Substanz abhängig, die weder 
von dem autolysierten Virus allein noch von dem Nierensafte allein 
dargestellt wird, und die sich nur nach einiger Zeit der Anwesenheit 
des Virus in den Nieren in diesen vorfindet. 

G. Caronia-Palermo: Versuohe zu wirksamer Immunisierung gegen 
die menschliche Leishmania beim gesunden Kinde. (Pathologica, Bd. 4, 
Nr. 98, S. 724.) Die von Di Gristina am Kaninchen mittels lebender 
Kulturen erhaltenen spezifischen Immunkörper können beim gesunden 
Menschen mittels toter Kulturen erzeugt werden. Die Leishman’schen 
Parasiten verhalten sich biologisch wie die anderen pathogenen Keime 
bezüglich der Erzeugung spezifischer Antikörper im Organismus, daher 
besteht die Möglichkeit, künstlich solche Antikörper in den an Leishman- 
scber Anämie Erkrankten hervorzurufen, bei welchen solche bis jetzt 
spontan fast noch von keinem Forscher gefunden wurden. 

S. Cannata-Palermo: Ueber die immunisierende Wirkung der 
Nueleoproteide des Meningococcus Weichselbaura.) Pathologica, Bd. 4, 
Nr. 95, S. 607.) Im Blutserum von Kaninchen, die mit Einspritzungen 
von Nucleoproteid des Diplococcus Weichselbaum behandelt worden 
waren, bilden sich Immunkörper, spezifische Antikörper (Amboceptoren 
und Agglutinine) hinsichtlich des Meningococcus. Nueleoproteide des 
letzteren sind also mit antigener Eigenschaft ausgestattet, ähnlich den 
Nucleoproteiden anderer Keime. 

C. Mantelli: Ueber die Methode Grossieh bezüglich der Haut¬ 
desinfektion. (II Morgagni, Archivio, 1912, Nr. 5.) Unerlässliche Be¬ 
dingung ist bei dieser Methode, dass die Jodpinselung auf trockener 
Haut ausgeführt wird und nicht auf vom Schweisse durchfeuchteter. 
Der Autor hat Kulturen angelegt von Hautstückeben, die 10 Minuten 
nach der letzten Bepinselung keimfrei entnommen worden waren, ln 
25 Fällen von trockener Haut hatte er 23 negative Kulturen und zwei 
positive. In 25 Fällen von sch weissfeuchter Haut waren 16 Kulturen 
negativ und 9 positiv. Indes auch in dem Falle positiver bakterio¬ 
logischer Kultur ist das praktische Resultat gut, und die Heilung er¬ 
folgt ohne weiteres, sei es infolge der Abschwächung der die Jodwirkung 
überlebenden Mikroorganismen, sei es infolge der erhöhten Widerstands¬ 
kraft und des erhöhten phagocytären Vermögens, die in situ durch die 
Jodanwendung wachgerufen wurden. M. Segale. 

Siehe auch Innere Medizin: Matson, Sputumuntersuchung auf 
Tuberkelbacillen. — Augenheilkunde: Wissmann, Pilzconcremente 
in Tränenkanälchen. — Psychiatrie und Nervenkrankheiten: 
Fauser, Spezifische Schutzfermente im Serum Geisteskranker. — 
Geburtshilfe und Gynäkologie: Engelhorn, Biologische Diagnose 
der Schwangerschaft. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 15. 


Innere Medizin. 

PI ehn-Berlin: Ein Fall von Herzblock Bit Adam-Stokes’sehem 
Symptonenkomplex. (Deutsche med. Wochenschr., 1918, Nr. 14.) Vor¬ 
trag, gehalten im Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde in 
Berlin am 3. Februar 1913. Wolfsohn. 

W. B. Thorne - London: Manifestationen eines gesunden Herzens. 
(Brit. med. journ., 8. März 1918, Nr. 2723) Thorne hält die Ansicht 
Mackenzie's, dass Geräusche und Unregelmässigkeiten bei gesunden 
Herzen juoger Leute Vorkommen, uicht für richtig. Er hält diese Er¬ 
scheinungen vielmehr für Zeichen einer Atonie des gesamten Gefäss- 
systems und ernster Beachtung für wert. Die Aetiologie ist meistens 
Autointoxikation, Gicht, Rheumatismus, Rachitis usw. Unter dem Medi¬ 
kamenten stehen Nebennierenpräparate obenan. Weydemann. 

R. C. Matson: Der Vergleichungswert einiger der neueren 
Methoden der Spotnmuntersuchung auf Tnberkelbacillen des Ziehl- 
schen und Much'sehen Typus. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 24, 
H. 2.) Eine Gruppe gab positive Resultate sowohl nach Ziehl wie nach 
Much, eine andere nur nach Much. In 27 pCt. fanden sich nur 
Much'sehe Formen, jedoch sind die mikroskopischen Befunde hierbei sehr 
schwer zu deuten, vereinzelte Granula sind mit grösster Vorsicht autzu- 
nehmen. Für Ziehl’scbe Typen gibt die Schulte’sche Anreicherung 
bessere Resultate als die Uhlenhuth’sche. Beiden letztgenannten ist 
Ellermann-Erlandsen überlegen, dauert aber wesentlich länger. 

Wolff: Moderne Fieberforsehnng and Tnberknlosefieber. (Beitr. 
z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 24, H. 2.) 

H. Selter: Heil tags versuche bei Tuberkulose. Polemik gegen 
v. Linden, Meissen und Strauss mit Entgegnungen der genannten Autoren 
und Schlusswort von Selter. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 24, H. 2.) 

Schut: Die Lungentuberkulose im Röntgenbide. (Beitr. z. Klinik 
d. Tuberklul., Bd. 24, H. 2.) Bei der Schilderung der Technik hebt 
Verf. den Wert stereoskopischer Aufnahmen hervor. Zur besseren Orien¬ 
tierung und nach den Prädilektionsstellen verschiedener Lungenaffekttonen 
wird das Lungenbild unterhalb der Spitzen in drei Flächen geteilt, ein 
oberes und ein unteres Dreieck, dazwischen die Flügel. Nach allge¬ 
meinen Gesichtspunkten über Röntgenbilder von Lungen wird die Tuber¬ 
kulose, die Miliartuberkulose^ das Emphysem, Bronchiektasien, Pneu- 
monia crouposa und Pleuritis abgehandelt. Energisch wird gegen die 
Auffassung Rieder’s über die Cavernen bei Initialtuberkulose Front 
gemacht. Der Arbeit sind 27 Röntgenphotographien beigegeben. 

R. Dietschy: Ueber Albnnosnrie bei Tuberkulose. (Beitr. z. 
Klinik d. Tuberkul., Bd. 24, H. 2.) Bemerkungen zu der gleich¬ 
namigen Arbeit von H. Deist in Bd. 23, H. 4 der Beiträge. 

Hinze und So rin: Zur orthostatischen Albuminurie der Tuber¬ 
kulösen. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 24, H. 2.) Von 106 Kranken 
gaben 18 nach 20 Minuten langem Stehen Eiweiss, 37 Kranke gaben alle 
nach 20 Minuten langem Stehen kein Eiweiss, nach 40 Minuten jedoch 
9 mal. Beide Gruppen gaben meistens nur das „Essigeiweiss“, seltener 
auch das Serumeiweiss. 

A. Lorey: Ueber Milztuberkulose. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., 
Bd. 24, H. 2.) Fall, der ursprünglich als Banti'sche Krankheit dia¬ 
gnostiziert worden war und sich nach der Milzexstirpation als Tuberku¬ 
lose erwies. Die Milztuberkulose ist zwar ein selbständiges Krankheits¬ 
bild, „primäre Milztuberkulose" wird aber beanstandet. 

J. W. Samson. 

K.Glaessner und J. Kreuzfuchs - Wien: Py lorospasmus. (M ünchener 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.) 1. Bei normalen Aciditätswerten des 
Magens und intaktem Duodenum erfolgt nach Uebertritt der Ingesta ins 
Duodenum ein Pylorusversohluss und Nachlassen des Tonus der Magen¬ 
muskulatur, der so lange anbält, als die Säure im alkalischen Duodenum 
neutralisiert ist. 2. Bei Ulcus ventriculi tritt bald nach der Nahrungs¬ 
aufnahme ein Pylorusversohluss (Immediatpylorospasmus) auf, bei Duo¬ 
denalaffektionen hingegen erst nach einiger Zeit (Tardiopylorospasmus). 
3. Bei normalem Magen bewirkt die Zufuhr von HCl gar keine Aenderung, 
bei ulcerösen Prozessen des Magens entsteht ein reflektorischer Pyloro- 
spasmus, bei Duodenalaffektionen schliesslich wird die Peristaltik ver¬ 
mehrt und die Entleerung des Magens beschleunigt. Aus ihren Beob¬ 
achtungen wollen die Verff. den Schluss ziehen, dass bei der Frage des 
Pylorospasmus das Verhältnis zwischen Magenacidität und Alkalescenz 
des Duodenums die grösste Rolle spielt, und zwar in dem Sinne, dass: 
HCl grösser als Alkalescenz = Pylorusversohluss bzw. Pylorospasmus, 
HCl = oder kleiner als Alkalescenz = offener Pylorus und Magen¬ 
automatismus. Man muss also in allen diesen Fällen die Alkalescenz 
des Duodenums kennen. 

Deck er-München: Gutartige Polypen des Mastdarms und des 
S romanum. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.) Abschnürung 
bei gestielten Polypen der Ampulla recti. Bei Polypen der Flexur 
empfiehlt sich wegeu der schwierigen Zugänglichkeit zur Stillung einer 
Nachblutung Entfernung mit Paquelin, den D. an seinem oberen Ende 
schmal konstruieren liess, um möglichst freies Gesichtsfeld zu haben. 
Den beim Abbrennen sich entwickelnden Rauch aspiriert ein Assistent 
durch einen in das Rectoskop an einer Spritze befestigten dünnen Gummi¬ 
schlauch. D ü n o e r. 

G. Vitry und A. Sezary: Kritische Phänomene bei der Resorption 
des cirrhotischen Ascites. (Mittels Autoserotherapie behandelter Fall.) 
(Revue de möd., 1913, Nr. 2.) Bei einem mittels Autoserotherapie be¬ 


handelten Fall von Lebercirrhose wurde während der Resorption des 
Ascites eine deutliche Hyperchlorurie zugleich mit einer Verminderung 
des Säuregehalts im Urin beobachtet Der Stickstoffstoffwechsel war nur 
wenig verändert. 

J. Goldberg und R. Hertz-Warschau: Die Elimination der 
Chloride bei einfacher Polyurie und der Einfluss des Natrinnbiearbo- 
nats auf diese Ausscheidung. (Revue de möd., 1913, Nr. 2.) In drei 
Fällen von einfacher Polyurie haben die Verff. nach Kochsalzzufuhr eine 
deutliche Erhöhung der Salzkonzentration im Urin festgestellt. Zugleich 
waren die Harnmengen vermehrt. Durch Natriumcarbonat gelang es 
jedesmal, die Salzkonzentration im Urin herunterzudrücken. 

A. Rodriguez: Neue Gesichtspunkte zur Diabotesfrage. (Revue 
de möd., 1913, Nr. 2.) Es gibt keine Krankheit Diabetes, sondern eine 
Reihe diabetischer Krankheitszustände, die aus der unregelmässigen 
Assoziation mehrerer diabetogener Elemente resultieren. Als einer dieser 
ursächlichen Faktoren ist eine übermässig chlorreiche Nahrung anzu¬ 
sprechen. A. Münzer. 

Galambos und Tausz - Budapest: Ueber Riweissstoffweehsel- 
Störungen bei Diabetes Mellitus. Das Verhalten der Aminosäuren im 
Urin bei normalen und pathologischen Zuständen. (Zeitschr. f. klin. 
Med., Bd. 77, H. 1 u. 2.) Die Verff. wollten feststellen, ob beim Dia¬ 
betes eine ähnliche Störung im Eiweissstoffwechsel besteht wie im Kohle¬ 
hydratstoffwechsel, ausgehend von der durch Eppinger wahrscheinlich 
gemachten Annahme, dass der Ausfall der Pankreasfunktion auch auf 
den Abbau der Eiweissstoffe einen Einfluss ausübt, speziell, dass beim 
Aminosäurenabbau der inneren Sekretion des Pankreas eine Rolle zu- 
komrae. Sie fanden, dass bei schweren Diabetesfällen sowohl die ab¬ 
soluten wie die relativen Aminosäurewerte bedeutend vermehrt sind, und 
dass in diesen Fällen die alimentäre relative Hyperaminosurie sehr 
häufig vorkommt. Sie sind daher geneigt, die Ursache der Glykosurie 
und der Hyperaminosurie auf einheitlicher Basis zu erklären. Wenn sie 
auch nicht leugnen wollen, dass Lebererkrankungen eine Hyperaminos¬ 
urie erzeugen können, so halten sie es doch auf Grund ihrer Befunde 
für sehr wahrscheinlich, dass die Erkrankungen des Pankreas in einem 
sehr engen Zusammenhang mit der Vermehrung der Aminosäuren im 
Urin stehen. H. Hirschfeld. 

E. Grafe-Heidelberg: Die Stellung des Riweisses im Stoffwechsel 
des fieberndes Menschen und ihre theoretische und praktische Be¬ 
deutung. (Münchener med. Wochenschr, 1913, Nr. 11.) Die Beteiligung 
des Eiweisses ist im Fieberstoffwechsel beim Hungern durchschnittlich 
die gleiche wie im Hungerzustand ohne Fieber. Der Stoffwechsel, ins¬ 
besondere die Eiweissverbrennung im Fieber, folgt keinen anderen Ge¬ 
setzen, als sie von den Regulationsvorgängen im normalen Organismus 
bekannt ist. Daraus ergibt sich die praktische Forderung, jeden Verlust 
an Eiweiss und Körpergewicht selbst bei schwerster Infektion durch 
rationelle Ernährung zu verhindern. Man kann von einem toxischen 
Einfluss auf den Eiweissstoffwechsel nur dann sprechen, wenn bei genauer 
Berücksichtigung der ealoriseben Verhältnisse die Eiweissverbrennung 
einen erheblich grösseren Anteil an der Gesamtwärmeproduktion hat 
wie io der Norm bei gleichem Ernährungszustände. Dünner. 

Siehe auch Physiologie: Zuccola, Magentätigkeit. Ehrmann, 
Verdauung der Amylaceen. Ehr mann und H. Wolff, Verdauung der 
Amylaceen. Fron zig, Schmidt’sche Kernprobe zur Pankreasfunktions¬ 
prüfung. Oszacki, Enteiweissung und Reststickstoffbestimmung. — 
Therapie: Strauss, Kombinationswirkung von Medikamenten bei Herz- 
und Nieren Wassersucht. — Geburtshilfe und Gynäkologie: Rubner, 
Elektrocardiogramm bei Schwangeren. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten« 

F. Lade- Hamburg: Anwendung der Herutaun-Perutc’schen Reaktion 
bei der Prüfung von Lnmbalpnnktaten. (Münchener med. Wochenschr., 
1913, Nr. 11.) Die Reaktion hat, wie L. glaubt, auch bei der An¬ 
wendung von Spinalflüssigkeiten diagnostische Bedeutung. 

A. Fauser - Stuttgart: Zur Frage des Vorhandenseins spezifischer 
Sehnt (fernen te im Serum von Geisteskranken. (Münchener med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 11.) F. berichtet weiter über seine Versuche, 
in denen er den Nachweis der Spezifität der Abderhalden’schen Reaktion 
bei organischen Geisteskrankheiten, Basedow zeigen konnte; bei funktio¬ 
nellen Psychosen Hessen sich keine Schutzfermente nachweisen. 

Dünner. 

L. Edinger: Zur Funktion des Kleinhirns. (Deutsche med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 14.) Vortrag, gehalten im Verein für innere 
Medizin und Kinderheilkunde in Berlin an\ 24. Februar 1913. 

R Bä ran y - Wien: Lokalisation in der Rinde der Kleinhirn- 
hemisphärea (Funktionsprüfung und Theorie). (Deutsche med. Wochen- 
s<*hri't, 1913, Nr. 14.) Diskussion in der Berliner Gesellschaft für innere 
Medizin und Kinderheilkunde und Chirurgie am 24. Februar 1913. 

Wolfsohn. 

J. Froment und 0. Monod: Gibt es wirklich notorische Artiku- 
lations-ErinnernngNbilder? (Lyon möd, 1913, Nr. 10.) Die Hypothese 
motorischer Erinnerungsbilder der Artikulation ist zur Erklärung des 
Mechanismus der artikulierten Sprache nicht notwendig. Vielmehr ist 
die Artikulation — genau wie die Schrift — bedingt durch einfache 
motorische Gewöhnungen. A. Münzer. 


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14. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


695 


Luithlen: Ueber einen Fall von Qaiaeke’sehen aigioieuroti- 
sehei Oedem. (Deutsobe militärärztl. Zeitse.hr., 1913, H. 5.) Verf. be¬ 
schreibt einen einschlägigen Fall mit Durchfällen bei einem nervös ver¬ 
anlagten Soldaten. Das Oedem bat eine nahe Zugehörigkeit zur Urti¬ 
caria. Das geht bei diesem Kranken daraus hervor, dass er eine 
Ueberempfindlichkeit gegen Sauerkraut hat. Angabe von Unterschieden 
zwischen der Nesselsucht und dem Quincke’schen angioneurotischen 
Oedem. 

Coste - Magdeburg: Die Kommotionsiieiirose mit vasomotorischem 

Symptomenkomplex. (Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1913, H. 5.) 
Verf. skizziert die Kommotionsneurose mit vasomotorischem Symptomen¬ 
komplex, deren Möglichkeit unbedingt zuzugeben ist. Weiterhin liefert 
er den Beweis, dass man berechtigt ist, das klinische Bild als auf 
vasomotorischen Veränderungen basierend anzunehmen. 

Schnütgen. 

Huber-Schöneberg: Ueber die Rückenmarks Veränderungen hei 
spinaler progressiver Mnskelatrophie. (Deutsche med. Wochenschr., 
1913, Nr. 14.) Demonstration im Verein für innere Medizin und Kinder¬ 
heilkunde in Berlin am 2. Dezember 1912. Wolfsohn. 

Siehe auch Militär-Sanitätswesen: Oesterlein, Schuss¬ 
verletzung de3 Rückenmarks. — Physiologie: Foä, Hypertrophie der 
Hoden und des Kammes nach Abtragung der Zirbeldrüse beim Hahn. — 
Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten: Lange, Labyrinthverände¬ 
rungen bei Tumoren des Kleinhirns. — Therapie: Gehna, Schild¬ 
drüsentherapie und Epilepsie. — Kinderheilkunde: v. Biehler, 
Heine-Medin’sche Krankheit in Polen. Zuber, Kongenitales Myxödem. 


Kinderheilkunde. 

Möry, H. Salin und A. Wilborts: Zwei Fälle von familiärer 
Hämophilie. (Bullet, de la societe de pediatrie de Paris, 1913, Nr. 2, 
S. 86.) Eines der beiden Kiuder wurde wegen unstillbaren Nasen¬ 
blutens eingeliefert. Die Anamnese ergab familiäre Hämophilie. — Das 
zweite kam wegen eines grossen Gelenktumors, der erst als Osteomyelitis 
angesehen wurde, sich späterhin aber als Bluterguss ins Gelenk infolge 
Hämophilie entpuppte. 

M. Zuber: Kongenitales Myxödem. (Bullet, de la societö de 
pödiatrie de Paris, 1913, Nr. 2, S. 57.) Fortlaufende Beobachtung eines kon¬ 
genitalen Myxödems vom 8.—21. Lebensjahre. Während der ganzen 
Beobachtungszeit Behandlung mit Schilddrüsentabletten. Der Erfolg der 
Behandlung ist derart, dass der junge Mann sich selbständig als 
Schreiber sein Brot verdienen kann. Eine gewisse Verzögerung der 
geistigen Entwicklung hat sich jedoch auch durch die Schilddrüsen- 
behandlung nicht verhindern lassen. 

E. Terrien: Ueber den snprarenalon Ursprung des sogenannten 

Acotoaerhrecheas. (Bullet, de la societe de pediatrie de Paris, 1913, 
Nr. 2, S. 66.) Bericht über drei Fälle von cyklischem Acotonerbrechen, 
wovon der erste zum Exitus kam, während die zwei anderen — an¬ 
geblich dank der Verabreichung von Adrenalin — geheilt wurden. Ex 
juventibus schliesst der Verfasser, dass das Erbrechen durch eine In¬ 
suffizienz der Nebennieren hervorgerufen wurde. Birk-Kiel. 

W. Beyer: Zur Frage der Wirksamkeit des Diphtherieserams 
bei Beteiligung des Nervensystems usw. Entgegnung auf die Be¬ 
merkungen von H. Kleinschmidt. (Zeitschr. f. Kinderheilk., 1918, S. 356.) 
Polemik. 

M. v. Biehler: Ein Beitrag zur Epidemie der Heine-Medin’schen 
Kraakbeit im Königreich Polen im Jahre 1911. (Zeitschr. f. Kinder¬ 
heilkunde, 1913, Bd. 77, S. 348.) Vortrag auf dem I. internationalen 
Kongresse für Pädiatrie in Paris (Oktober 1912), der sich hauptsächlich 
mit epidemiologischen Momenten beschäftigt. Die Epidemie bot kaum 
Besonderheiten. Hervorgehoben sei lediglich die Empfehlung des Verf., 
bei den Patienten eine Lumbalpunktion zu machen und nach Ablassen 
von 10 ccm Flüssigkeit ebensoviel Elektrargol zu injizieren. Er sah da¬ 
von in zwei Fällen schönen Erfolg. 

F. Lust-Heidelberg: Die Durchlässigkeit des Mageadarmkanals 
für heterologes Eiweiss bei eraähruugsgestörtea Säuglingen. (Zeit¬ 
schrift f. Kinderheilk., 1913, Bd. 77, S. 243.) Nicht beendet. 

R. Weigert. 

Nageotte-Wilbonohewitsch: Trockenmilch. (Bullet, de la 
sociöte de pediatrie de Paris, 1913, Nr. 2, S. 41.) Empfehlung von 
„Trockenmilch“ zum Gebrauch bei der Ernährung von Säuglingen. 

Variot, Lavialle und Rousselot: Studie über die anti-emeti- 
schea Eigenschaften von gerackerter kondensierter Milch. (Bullet, 
de la sociltö de pediatrie de Paris, 1913, Nr. 2, S. 44.) Bei Kindern 
mit Erbrechen — sei es infolge von Dyspepsie, von Ueberfütterung oder 
von Unterernährung — sistierte dasselbe sofort, wenn gezuckerte, ein¬ 
gedickte Milch gereicht wurde. Bei nichtgezuckerter Milch war der Er¬ 
folg nicht so prompt. Birk-Kiel. 

E. A. Frank - Hannover: Die Anwendung der Molketherapie bei 
rnhrartigen Dannkatarrhen und ihre Erfolge. (Zeitschr. f. Kinderheilk., 
1913, Bd. 77, S. 163.) (Schluss.) Der Verf. berichtet über Erfolge, die 
in der Göttinger Kinderklinik in der Behandlung von ruhrartigen Darm¬ 
katarrhen mit Kuhmilchmolke erzielt wurden. Die Molke wird zu gleichen 
Teilen mit Haferschleim in kleinsten, aber bald steigenden Mengen ver¬ 


abreicht, nachdem der Darm durch 01. Rioini und ausgiebige Darm¬ 
spülungen entleert und eine kurzfristige (höchstens 8 Stunden dauernde) 
Teediät eingeschaltet wurde. Am 5.—8. Tage wird die Molke allmählich 
durch Kuhmilch ersetzt. Dieses Vorgehen hat seine Vorzüge in der 
Vermeidung einer gefährlichen Unterernährung und bedrohlicher Ge¬ 
wichtsstürze. Ein grosses Material an Krankengeschichten wird vorgelegt 
und demonstriert die Wirksamkeit der Methode. Die Verwendung der 
Molke in der Therapie der Ernährungsstörungen steht im Gegensatz zu 
verbreiteten theoretischen Anschauungen über die Gefährlichkeit der 
Kuhmilchmolke für den magendarmkranken Säugling. Auch der Ref. 
macht seit langer Zeit von der Molke in der Therapie gerade der 
schwersten Ernährungsstörungen mit befriedigenden Erfolgen Gebrauch. 

M. Kassowitz - Wien: Ueber Rachitis. III. Rachitis bei Neu¬ 
geborenen. (Zeitschr. f. Kinderheilk., 1913, Bd. 77, S. 277.1 Der Verf. 
plädiert des weiteren (cf. diese Wochenschr., 1912, S. 2237), in der 
Hauptsache gegen Wieland polemisierend, dafür, dass die bei Neu¬ 
geborenen zur Beobachtung gelangenden Anomalien am Schädel und an 
den Knorpelknochengrenzen als Symptome einer Rhachitis aufzufassen 
seien. Zum Beweise bringt er ein grosses Material klinischer Gesichts¬ 
punkte und anatomischer Unterlagen, mit denen er gleichzeitig den 
syphilitischen Ursprung jener Veränderungen ablehnt. Die Annahme 
der Kassowitz’schen Lehre hat auch eine grosse praktische Bedeutung: sind 
solche Fälle von Schädelweichheit und Rosenkranz beim Neugeborenen 
rachitischer Natur, so ermöglichen sie eine wirksame Bekämpfung mit 
Ernährung, hygienischen Maassnahmen und mit der Verabreichung von 
Phosphorlebertran. R. Weigert. 


Chirurgie. 

0. Vulpius - Heidelberg: Die Behandlung des angeborenen Klump- 
fasses. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 13.) Klinischer Vortrag. 

Wolfsohn. 

H. Spitzy-Graz: Zur Ausnutzung der respiratorischen Kräfte in der 
Skoliosenbehandlnng. (Münchener med. »Wochenschr., 1913, Nr. 11.) 
Näheres siehe Bericht des Orthopädenkongresses in Nr. 14 dieser Wochen¬ 
schrift. Dünner. 

R. Vogel-Wien: Oberkieferbräche, eiu kasuistischer Beitrag. 
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 12.) V. berichtet auszugsweise 
über zehn in der neueren Literatur beschriebene Fälle von Oberkiefer¬ 
fraktur. Es handelte sich viermal um Hufschlag, viermal um Sturz und 
zweimal um Schlag in das Gesicht. Acht Fälle wurden geheilt, zwei 
sind gestorben, und zwar einer an Meningitis, der andere an Pyämie. 

P. Hirsch. 

J. Berry - London: Die Chirurgie der Schilddrüse, mit besonderer 
Berücksichtigung der Basedow’schen Krankheit. III. (Lancet, 15. März 
1913, Nr. 4672.) Der Verf. bespricht die übrigen Erkrankungen der 
Schilddrüse, die nicht als Basedowsche Krankheit anzusehen sind, mehr 
von seinem persönlichen Standpunkt aus. Bei kleinen Kindern will er 
überhaupt nicht operieren; möglichst auch nicht bei parenchymatösem 
Kropf, der innerlich behandelt werden soll und oft seinen Grund in 
chronischer Verstopfung hat. Die Operation des Kropfes soll auf beiden 
Seiten gemacht werden, da eine einseitige zu stärkerer Dyspnoe durch 
Verlagerung der Trachea Anlass geben kann; Berry entfernt dabei den 
einen Lappen fast ganz, vom anderen die Hälfte oder ein Drittel. Bei 
Adenomen und Cysten kommt er von der einfachen Enucleation mehr 
und mehr ab, weil die kombinierte Resektion und Enucleation bessere 
Erfolge hat. Bei malignen Erkrankungen will er nicht die ganze Drüse 
entfernen, er lässt meistens die obere Ecke des anderen Lappens zurück; 
eine frühzeitige Tracheotomie hält er nicht für wünschenswert; er macht 
sie erst, wenn der Patient selbst danach verlangt. Weydemann. 

0. Orth-Innsbruck: Partieller Volvulus des Magens. (Wiener klin. 
Wochenschr., 1913, Nr. 12.) Es handelt sich um einen chronisch- 
partiellen Volvulus bei einer 49jährigen Patientin nach einer vor 
l*/ 4 Jahren ausgeführten Gastroenterostomie. Durch Detorsion und An¬ 
legung einer Jejunostomie wurde Heilung erzielt. P. Hirsch. 

Sorge - Cassel: Zur Ricinusbehandlung der Blinddarmentzündung. 
(Therapeut. Monatsh., März 1913.) Auf Grund der beobachteten und 
mitgeteilten Krankengeschichten ist Verf. der Ansicht, dass man bei 
chronischen und subakuten Fällen von Blinddarmentündung zur Siche¬ 
rung der Diagnose im Krankenhauze Ricinus geben könne; treten 
Reizerscheinungen danach auf, so operiere man sofort. Bei akuten 
Fällen rät er von der Darreichung des Ricinus entschieden ab. 

H. Knopf. 

A. Kr ecke-München: Chronische Appendieitis. (Münchener med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 11.) Zwischen klinischen Erscheinungen der chro¬ 
nischen Appendieitis undOperationsbefund besteht oft ein Missverhältnis: 
allerdings findet man in einer Reihe von Fällen, bei denen der Blind¬ 
darm makroskopisch nicht erkrankt ist, mikroskopisch starke Verände¬ 
rungen. Zur Beurteilung der Appendicitisfrage ist daher zu fordern, 
dass in jedem Falle neben der makroskopischen auch eine exakte mikro¬ 
skopische Untersuchung zu erfolgen hat. Es gibt Fälle, bei denen 
absolut keine Erkrankung am Wurmfortsatz zu sehen ist, bei denen aber 
trotzdem der subjektive Erfolg der Operation erreicht wird. Wenn 
Patienten, deren Appendix einwandfrei chronische Erkrankung zeigt, 
keine Besserung durch die Operation erfahren, so muss man annehmen, 
dass neben der Appendieitis noch eine Affektion des Dickdarms be- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 15. 


standen hat, die mit ersterer in Zusammenhang steht. K. gibt einige 
differentialdiagnostiscbe Symptome zwischen chronischer Appendicitis und 
Colonerkrankung an. Dünner. 

H. Hinterstoisser - Teschen: Ein Ascaris im Ductus hepaticus (Ope¬ 
rationsbefund). (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 12.; Der Ascaris 
war durch die infolge von Lithiasis mächtig erweiterten Gallengänge ein¬ 
gedrungen. Der Yerf. glaubt, dass die kontinuierlichen Schmerzen, die 
in den letzten vier Wochen vor der Operation bestanden, durch die An¬ 
wesenheit des Wurmes bedingt waren. P. Hirsch. 

Siehe auch Parasitenkunde und Serologie: Mantelli, 
Grossich’sche Hautdesinfektion. — Militär-Sanitäts wesen: Oester¬ 
lein, Schussverletzung des Rückenmarks. 


Röntgenologie. 

C. Brügel: Bewegnngsvorgänge am pathologischen Magen auf 
Grund röntgenkinomatographischer Untersuchungen. (Münchener raed. 
Wochenschr., 1913, Nr. 11.) Erwiderung auf die Bemerkung von Holz¬ 
knecht und Haudek in Nr. 8 der Münchener med. Wochenschrift. 

Dünner. 

Siehe auch Innere Medizin: Schut, Lungentuberkulose im 
Röntgenbilde. Glaessner und Kreuzfuchs, Pylorospasmus. 


Urologie. 

O. Loose und E. Steffen-Berlin: Ueber Corpora amylacea im 
endoskopischen Befände der hinteren Harnröhre. (Deutsche med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 13.) Kasuistischer Beitrag mit Abbildung. 

Wolfsohn. 

C. Bruck-Breslau: Die Behandlung der Gonorrhöe und ihrer Kom¬ 
plikationen. II. Teil. (Therapeut. Monatsh., März 1913.) Ergebnisse 
der Therapie der Urethritis gonorrhoica posterior, der Epididymitis und 
Prostatitis nach den Erfahrungen der Neisser’schen Klinik. Ergebnisse 
der Vaccinbehandlung der Gonorrhöe. Vgl. auch Therapeut. Monatsh., 
Januar 1913. H. Knopf. 

Siehe auch Diagnostik: Fromme und Rubner, Nierenfunktions¬ 
prüfung mit Phenolsulfonphthalein. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

L. Freund-Wien: Die Strahlenbehandlung der Psoriasis vulgaris. 
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 12.) Die Therapie der Psoriasis 
gewinnt durch die Verbindung der Strahlenbehandlung mit der vor¬ 
bereitenden Excochleation. Die Ursache der Erkrankung wird hierdurch 
selbstverständlich nicht beeinflusst, auch das Auftreten der Krankheit 
an anderen Stellen nicht verhindert. Doch ist das Verfahren kürzer 
und, durch die geringere Dosis, gefahrloser als die blosse Röntgen¬ 
bestrahlung. P. Hirsch. 

A. Sezary und G. Sales-Paris: Bacilläre Elephantiasis. (Revue 
de med., 1913, Nr. 2.) Elephantiasis auf tuberkulöser Grundlage. 

A. Münzer. 

Fr. Schaefer*Breslau: Ein Beitrag zur Wirkung des per os ge¬ 
nommenen Quecksilbers. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 14.) 
Ein Luespatient erhielt graue Quecksilberkapseln ä 0,3 zum Schmieren 
und Zahnpasta zur Mundpflege. Er verwechselte beides und nahm täg¬ 
lich eine der Kapseln per os, 8 Tage lang. Es trat etwas Brechreiz 
und geringer Durchfall ein sowie eine leichte Stomatitis mercurialis. Im 
übrigen war aber die Wirkung auf die Roseola eine entschieden günstige. 

Wolfsohn. 

R. Polland - Graz: Zur Bewertung der internen Hg-Darreichnng. 
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.) Merjodin ist ein brauch¬ 
bares Antisyphiliticum. 150—200 Merjodinpastillen (5—6 Stück pro die) 
entsprechen einer schwachen Schmierkur. Die dabei im Harn nach¬ 
weisbare Menge des ausgeschiedenen Hg steht im richtigen Verhältnis 
zum einverleibten Quantum und ist nahezu so gross wie bei einer 
leichten Inunktionskur. Diese Tatsache erklärt die Wirksamkeit des 
Präparats. 

A. Pöhlmann - München: Ist die Ausführung der Brendel-Mfiller- 
schen Reaktion durch den praktischen Arzt empfehlenswert? (Münchener 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.) Nein! Dünner. 


Geburtshilfe und Gynäkologie. 

E. Engelhorn-Erlangen: Zur biologischen Diagnose der Schwanger¬ 
schaft. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.) E. stellte die 
Abderhalden’scbe Reaktion an Schwangeren, Nichtschwangeren, Carcinom- 
kranken, Puerperen, Myomkranken usw. an und kommt auf Grund dieser 
Untersuchungen zu dem Resultat, dass das Verfahren keine spezifische 
Reaktion ist. Dünner. 

M. Hirsch-Berlin: Ueber das Verhältnis der Geschlechter. Eine 
Anregung. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 13.) Auf Grund der be¬ 
stehenden Statistiken kommt Verf. zu dem Schluss, dass es weit mehr 
männliche als weibliche Föten gibt, dass die männlichen eine geringere 


Widerstandskraft gegenüber den Schädlichkeiten haben, welche zum 
Abort führen. Ferner, dass das Geschlechtsverhältnis in der fötalen 
Entwicklungszeit noch mehr zugunsten der Knaben verschoben wird, 
dass die männlichen Föten den fruchtscbädigenden Einflüssen gegenüber 
eine geringere Widerstandskraft haben, und dass sie um so mehr über¬ 
wiegen, je früheren Schwangerschaftsmonaten sie entstammen. Verf. 
weist darauf hin, dass eine viel vielseitigere und umfassendere Statistik 
nötig ist, wenn man aus dem Verhältnis der Geschlechter zueinander 
ihrer Zahl nach irgendwelche bindenden Schlüsse über ihre Ent¬ 
stehung usw. ziehen will. 

C. Rubner-Berlin: Ueber das Elektroeardiogramm bei Sekwaa- 
gerei. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 13.) Durch die bisherigen 
Untersuchungen an Schwangeren kann als festgestellt gelten, dass die 
Massenzunabme des Herzens in der Gravidität nur proportional der ver¬ 
mehrten Körpermaasse ist und gewisse Grenzen nicht überschreitet. 
Exakte Messungen hat aber erst das Elektrocardiogramm ermöglicht. 
Solche Messungen wurden an fünf Schwangeren in Abständen von 2 bis 
4 Wochen angestellt. Das Resultat ist, dass die Ventrikelzacke allmäh¬ 
lich ansteigt. Die übrigen bleiben so gut wie unverändert. Es kann 
dies auf das Hochheben des Diaphragmas und die seitliche Verschiebung 
des Herzens bezogen werden, welche zu einer grösseren Querlagerung 
führt, und passt völlig in den Rahmen unserer bisherigen Auffassung. 

E. Gerstenberg-Berlin-Wilmersdorf: Bemerkungen zu H. Rotteris 
Verfahren zur Heilung enger Becken. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, 
Nr. 12.) Verf. hat im Anschluss an die seinerzeit auch hier referierten 
Mitteilungen von Rotter über die Vergrösserung der Conjugata vera 
durch Abmeisselung des Promontoriums anatomische Untersuchungen an 
Leichen gemacht und kommt zu dem Resultat, dass sich allerdings die 
CoDjugata vera auf diese Weise um etwa 2 cm vergrössern lässt. Sehr 
wichtig is, worauf Kehrer hingewiesen, dass dabei zugleich auch der 
quere Durchmesser erweitert wird. Springt das Promontorium sehr vor, 
so ist es klar, dass beim Durchtritt des Schädels in Querstellung der 
ganze Schädel nach vorn verlagert, also an einer Stelle zum Durchtritt 
kommt, an welcher der Querdurchmesser kleiner ist, als er an seiner 
weitesten Stelle sein würde. Auf diese Weise wird jedes platte Becken 
bis zum gewissen Grade zugleich zum allgemein verengten. Jedoch 
glaubt Verf., dass Rotter zu weit geht, wenn er seine Operation für 
Becken mit 7 cm Conjugata empfiehlt. Die erzielte Besserung ist 
immerhin nur so gering, dass man unter 8,5 nicht herabgehen sollte. 
Im Gegensatz zu Rotter glaubt Verf. ferner, dass gerade die künstliche 
Frühgeburt durch diese Operation nicht ersetzt werden kann, mit der 
in Verbindung sie sich vielmehr gerade nützlich erweisen dürfte. Wegen 
engen Beckens allein kommen Sectio caesarea, Hebosteotomie usw. in 
Betracht. 

C. U. v. K lein- Graudenz: Uterus bicornis supraseptas als Aetio- 
logie chronischer Querlage (sechs eigene Wendungen in einem, Sectio 
caesarea in einem anderen Falle). (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 13.) 
Inhalt ergibt s,ich aus dem Titel. 

0. Krug-Magdeburg: Ein neuer Handgriff (KreuEgriff) bei Ent¬ 
bindungen. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 12.) Verf. hat schon vor 
2 Jahren diesen Handgriff beschrieben und hat ihn in einem neuen 
Falle wieder angewendet. Bei einer Diagonalis von 11 cm wollte der 
Schädel trotz starker Impression und Walcher’scher Hängelage und trotz 
2 Stunden langen Wartens nicht ins Becken eintreten. Mit seinem 
Kreuzgriff kam er in 5—6 Wehen zum Ziele. Verf. will das Urteil 
darüber, ob die Wirkung mehr auf einer Dehnung aller Bänder oder 
nur auf Erweiterung bestimmter Teile beruht, anderen überlassen, glaubt 
aber, dass es zu bedauern wäre, wenn man in der Geburtshilfe die 
enorme Hebelkraft der gekreuzten Hände nicht ausnutzen wollte. Bei 
richtiger Dosierung der Kraft sind Verletzungen unmöglich. 

A. Solowij-Lemberg: Ueber die Kontrolle des Verhaltens der 
Gebärmutter in der Nachgebnrtsperiode nnd in den ersten drei 
Stunden nach derselben. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 13.) Verf. 
bespricht die Dubliner und Dresdener Methode, welche in krassem 
Gegensatz zu den Angaben von Crede und Spiegelberg stehen, und 
erwähnt, dass Ahlfeld auch diese Methoden verwirft und den Grundsatz 
„Hand weg von der Gebärmutter“ aufgestellt hat. Im grossen und 
ganzen ist er auch ein Anhänger der abwartenden Methode, will aber 
doch sich nicht völlig Ahlfeld anschliessen, und hält es vielmehr für 
richtig, die Gebärmutter durch ganz sanftes Auflegen der Hand zu kon¬ 
trollieren. Jedoch ist jedes auch noch so leises Reiben und Kneten zu 
vermeiden und bis zu drei Stunden abzuwarten, ehe man den Cr6de- 
schen Handgriff anwendet. Siefart. 

A. Rieck-Altona: Zur Therapie übermässig starker menstrueller 
Blutungen. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 14.) Vortrag im 
Hamburger ärztlichen Verein am 14. Januar 1913. Wolfsohn. 

K. Fl ei sch mann-Wien: Beitrag zur operativen Myembehandlung. 
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 12.) In 6 Jahren wurden vom 
Verf. 251 operationsbedürftige Myome operiert. Wenn der Verf. auch 
glaubt, mit der erreichten Mortalitätsziffer von 2 pCt. zufrieden sein zu 
müssen, so ist doch jede Methode zu begrüssen, die eine noch geringere 
Ziffer verspricht; dies scheint mit der Röntgenbehandlung der Fall zu 
sein. Sollte auch die von Krönig angegebene Heilungsziffer von 
100 pCt. nicht erreicht werden, so bedeutet,dooh die Röntgenbehandlung 
eine wesentliche, willkommene Bereicherung unseres Könnens. 

P. Hirsch. 


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14. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


697 


L. Desgouttes und R. Olivier*. Ueber die Bedeutung von Dann¬ 
läsionen für die operative Prognose tuberkulöser Adnexentznndungen 
(hauptsächlich Läsionen des Dünndarms). (Lyon m6d., 1913, Nr. 11.) 
Die operative Prognose tuberkulöser Adnexentzündungen hängt zum 
grossen Teil von den Läsionen der Naohbarorgane ab, speziell vom Zu¬ 
stand des Darmes. Mitbeteiligung des letzteren erhöht die Gefahr. An¬ 
gabe genauer operativ-technischer Vorschriften bei Ergriffensein des 
Rectum und S romanum einerseits, des Dünndarmes andererseits. 

A. Münzer! 

Siehe auch Pharmakologie: Fühner, Wirkung von Pituitrin 
und Histamin an der isolierten Gebärmutter. — Parasitenkundeund 
Serologie: Mantelli, Grossich’sche Hautdesinfektion. 


Augenheilkunde. 

E. Wölfflin: Wie kann man das Rotwerden von Eserinlösnngen 
vermeiden? (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., März 1913.) Um Eserin¬ 
lösungen unverändert lange Zeit zu erhalten, müssen möglichst alkali¬ 
freie Glassorten gewählt werden. In dieser Hinsicht ist dem Schottglas 
das Quarzglas noch wesentlich überlegen. 

R. Wissmann: Ueber Pilzconeremente im Tränenkanälchen, zu¬ 
gleich ein Beitrag zur Frage der Streptotricheen. (Klin. Monatsbl. f. 
Augenheilk., März 1913.) Die aus den Tränenröhrchen gezüchteten 
Streptotrixstämme besitzen Eigenschaften, die in der grösseren Mehrzahl 
allen Stämmen gemeinsam sind und sie von den an anderen Stellen ge¬ 
fundenen pathogenen Streptotricheen unterscheiden lassen. Bei dem 
stets charakteristischen klinischen Bilde erscheint es nicht unwahr¬ 
scheinlich, dass auch der bakteriologische Befund einheitlicher Natur 
ist. Die einfache Bezeichnung „Pilzeoneremente“ dürfte wohl am zweck¬ 
entsprechendsten sein. Nach der Ansicht des Verf. hat man es zum 
allergeringsten Teil mit echter Aktinomykose zu tun, und so entbehrt 
von diesem Standpunkt aus die Bezeichnung Aktinomykose der Tränen¬ 
röhrchen jeder Berechtigung. 

J. Strebei und 0. Steiger: Ueber Keratoconns, seine Beziehungen 
zur inneren Sekretion und zum intraoeul&ren Drnek. (Klin. Monats¬ 
blätter f. Augenheilk., März 1913.) Veröffentlichung von neun Kranken¬ 
geschichten, im Anschluss daran Tabelle der Tensions- und Blutdruck¬ 
werte bei den Keratoconuapatienten, sowie die Resultate der Blutunter¬ 
suchungen, die ergänzt wurden durch Bestimmungen der Viscositäts- 
grössen und der Wassermann’schen Reaktion. Daran anschliessend 
epikritische Schlüsse aus den Blutuntersuchungen, sowie Erwägungen 
über den Wert und die Fehlerquellen der Schiot’schen Tonometrie bei 
Anomalien der Hornhautkrümmung und Beobachtungen beim Tonometrieren 
von Keratoconuspatienten. Zum Schluss quantitative Diagnostik speziell 
des Keratoconus incipiens. F. Mendel. 

R. Halben - Berlin: Die Indikation zur Monokelbehandlnng. 
(Therapeut. Monatsh., März 1913.) Das Monokel ist angebracht: 1. Wo 
nur ein Auge vorhanden oder brauchbar. 2. Wo nur ein Auge korrek¬ 
tionsbedürftig, a) weil das andere normale Refraktion hat (meist gar 
kein Glas nötig!), b) weil das andere auch ohne Korrektion zur Gewähr¬ 
leistung von Tiefenwahrnehmung ausreichendes Sehvermögen hat (weit¬ 
aus die grösste Gruppe aller Gläserbedürftigen; also Einglas nicht nach 
Laienanschauung bei nur einseitiger Refraktionsanomalie, sondern viel 
häufiger bei doppelseitiger!). Das Monokel ist, wo es angebracht ist, 
Kneifer und Brille vorzuziehen wegen seiner Billigkeit, Bequemlichkeit, 
Handlichkeit, Haltbarkeit und Einfachheit. H. Knopf. 

F. Grignolo-Genua: Aktuelle Reaktion und osmotischer Druck 
des menschlichen Kammerwassers unter normalen und pathologischen 
Bedingungen. (Pathologica, Bd. 6, Nr. 97, S. 675.) Das normale Kammer- 
waaser weist bei Hunden und Kaninchen eine annähernd neutrale Reak¬ 
tion auf, die jener des Serums entspricht. Weder bei den verschiedenen 
Formen von Glaukom noch bei vielen anderen Augenerkrankungen er¬ 
leidet das Kammerwasser bedeutende Veränderungen seiner wirklichen 
Reaktion. Der mittels der kryoskopischen Methode bestimmte osmotische 
Druck ist in der Mehrzahl der Fälle höher als jener des entsprechenden 
Serums und von Tier zu Tier verschieden. Ebenso ist der osmotische 
Druck des einem normalen menschlichen Auge und anderen Augen in 
verschiedenen pathologischen Zuständen entnommenen Kammerwassers 
höher als jener des Serums und wechselt von Fall zu Fall. Syste¬ 
matische Untersuchungen mit Vergleichung der Serumswerte können erst 
feststellen, ob Beziehungen zu den Schwankungen des Serums bestehen. 

M. Segale. 

Moreau: Geschichte der Heilung eines Blindgeborenen. (Schluss.) 
(Lyon möd., 1913, Nr. 11.) Hochinteressanter Bericht über operative 
Heilung eines blindgeborenen Knaben, der 15 Monate nach der Ope¬ 
ration beobachtet werden konnte. Es geht daraus hervor, dass die 
Fähigkeit des Sehens keineswegs mit beendeter Operation erlangt wird, 
sondern dass der konsequenten Erziehung des Auges die wesentliche 
Rolle zufällt. A. Münzer. 

E. v. Hippel: Ueber einen bisher niebt bekannten ophthalmo¬ 
skopischen Befand. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., März 1913.) Un¬ 
mittelbar unterhalb und etwas temporal von der Papille erhebt sich ein 
bei stereoskopischer Betrachtung walzenförmiger, sehr stark nach vorn 
vorspringender Tumor, der unter der Retina liegt und diese mit sich 
emporhebt. Von der Vorderfläche des Tumors erhebt sich auf der 


temporalen Seite ein glänzend weisser, zum Teil etwas grünlich 
schillernder pyramidenförmiger Zapfen, der sehr weit vorragt und an 
seiner Spitze drei ziemlich regelmässige knopfförmige Anschwellungen 
trägt, die in verschiedenen Ebenen liegen. Die Diagnose ist unsicher. 

F. Mendel. 


Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 

J. Veis-Frankfurt a. M.: Flttstersprache and Konversationssprache 
in ihren Beziehungen Zueinander. (Archiv f. Ohrenheilk., Bd. 90, H. 3.) 
Die Prüfung der Konversationssprache neben der Flüstersprache ist bei 
jedem Fall von stärkorer Schwerhörigkeit (Flüstersprache unter 1 m) zu 
prüfen, weil in diagnostischer, therapeutischer und prognostischer Hin¬ 
sicht wiohtig. Die Prüfung der Flüsterspraohe allein ergibt kein ge¬ 
nügendes Bild der Hörschärfe. Bei Otosklerose und bei manchen Fällen 
von abgeheilter Mittelohreiterung wird die Konversationssprache (tiefe 
Töne) nicht weiter gehört als die Flüstersprache (hohe Töne), während 
umgekehrt bei der „nervösen“ Schwerhörigkeit und bei exsudativen 
Mittelohrprozessen die Konversationssprache unverhältnismässig viel besser 
gehört wird als die Flüstersprache. Wenn die Konversationssprache 
weit die Flüstersprache überwiegt, bietet die Behandlung mehr Aussicht 
auf Erfolg. Die Besserung des Gehörs durch Lufteinblasung betrifft 
manchmal nur die Konversationssprache, während die Flüstersprache 
unter Umständen gar nicht oder nur unbedeutend gebessert wird. 

K. Lübbers - Greifswald: Hirnabscess. Osteomyelitis des Stirn¬ 
beins, Stirnhöhlenempyem. (Archiv f. Ohrenheilk., Bd. 90, H. 3.) Das 
Stirnhöhlenempyem mit seinen bekannten Beschwerden, Eiterausfluss 
aus der Nase, Kopfschmerzen usw., bestand jahrelang und konnte nur 
durch ausgiebige Operation von aussen geheilt werden; die Heilung 
drohte unvollständig zu werden und in chronische Fistelbildung aus¬ 
zulaufen, wenn nicht ein Vierteljahr nach der grossen Operation noch¬ 
mals eine energische Ausschabung der Stirnhöhlengranulationen vor¬ 
genommen wäre. Die Entstehungsursache dieses Stirnhöhlenempyems 
war wahrscheinlich eine frühere Osteomyelitis des Stirnbeins, die sich 
aus dem örtlichen Knochenbefund schliessen liess. Charakteristisch ist, 
dass vor 10 Jahren bereits eine Operation des Stirnbeins von anderer 
Seite gemacht war und Lues lediglich nach dem Aussehen der operierten 
Stelle angenommen worden war, obgleich sonstiges jegliches Zeichen für 
Lues fehlte. Auoh jetzt war die Wassermann’sehe Reaktion negativ. 

Lange - Greifswald: Labyrinthverändernngen bei Tumoren des 
Kleinhirns nnd Kleinhirnbrückenwinkels. (Archiv f. Ohrenheilk., Bd. 90, 
H. 3.) Fälle von Kleinhirnbrückentumoren usw. könnten geeignet sein, 
auoh über die Labyrinthveränderungen bei Erhöhung des intraoraniellen 
Druckes überhaupt Aufschluss zu geben. Die in der Regel hochgradigen 
Befunde am Augenhintergrund machen analoge Erscheinungen im Laby¬ 
rinth nicht unwahrscheinlich. Es ist darüber pathologisch-anatomisch 
wenig bekannt. Naheliegend wäre es, die Ansammlung eines eiweiss¬ 
reichen Transsudats, die hochgradige Hyperämie, die Blutungen und den 
Reichtum an Pigment als Ausdruck dieser Drucksteigerung anzusehen. 
Sichere Angaben darüber können aber nur auf Grund der Untersuchungen 
beider Felsenbeine gemacht werden. Da aber dem Autor derartiges 
Material nicht vorlag, so kann er leider allgemeine Schlüsse nicht ziehen; 
auf der Seite der Erkrankung bestehen die Vorbedingungen einer ein¬ 
seitigen Drucksteigerung, besonders wenn die Folgen der Operation 
hinzukommen. M. Senator. 


Hygiene und Sanitätswesen. 

C. Prausnitz: Isolierung bei ansteckenden Krankheiten (Hospital 
isolation in infectious diseases). (Journ. of state med., 1912, Vol. 20, 
Nr. 11, S. 658.) Bei der Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten 
kommt der Absonderung der einzelnen Krankheitsfälle in gesonderten 
Krankenhäusern eine grosse Bedeutung zu. In England sind nach dieser 
Richtung weitergehende Versuche gemacht als in Deutschland. Die 
gleichzeitige Behandlung verschiedener Infektionskrankheiten in dem¬ 
selben Raum lässt sioh wohl unter Umständen bei sehr geübten Pflegern 
durchführen, wird aber kaum jemals zu einem allgemein zuverlässigen 
Verfahren werden können. 

H. Sutherland: Tuberkulosebekämpfung in Edinburg (The 
Edinburgh System for the control and eradication of tuberculosis). 
(Journ. of state med., 1912, Bd. 20, Nr. 11, S. 641.) Beschreibung der 
in Edinburg durchgeführten und bewährten Maassnahmen zur Bekämpfung 
der Tuberkulose, die im einzelnen grosse Aehnlichkeit mit den bei uns 
üblichen Verfahren zeigen. W. H. Hoffmann. 


Militär-Sanitätswesen. 

Schmidt-Berlin: Die persönliche Feldausrüstung und die Aus¬ 
rüstung des Reitpferdes der Stabs-, Ober- und Assistenzärzte bei den 
leitenden Sanitätsdienststellen, bei den Truppen des Feldheeres, bei den 
Sauitätskompagnien und Feldlazaretten. (Deutsche militärärztl. Zeitschr., 
1913, H. 4.) 

Hammer: Eine Offizier-Taschenapotheke. (Deutsche militärärztl* 
Zeitschr., 1913, H. 4.) Enthält das allernotwendigste mit Gebrauchs¬ 
anweisung. Preis 6 M. In den Apothekon erhältlich. Ist zu empfehlen. 


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698 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 15. 


Flath - Königsberg: Chirurgische Neurungen und ihre Bedeutung 
für die militärärztliche Praxis. (Deutsche railitärärztl. Zeitschr., 1913, 
H. 5.) Verf. bespricht als Neuerungen, die für Militärchirurgen und 
Militärärzte eine besondere Bedeutung haben, die Jodtinkturdesinfektion 
des Operationsfeldes nach Grossich, die Anwendung der Michel^cben 
Wundklammern und die Nagelextension nach Steinmann bei der 
Behandlung von Knochenbrüchen. 

Hufnagel-Bad Orb: Krafträder im Feldsanitätsdienst. (Deutsche 
militärärztl. Zeitschr., 1913, H. 4.) Es hat vor dem Fahrrad sowohl wie 
vor dem Kraftwagen mancherlei Vorzüge. Angabe derselben. Nach 
seinen Ausführungen glaubt Verf., dass die Krafträder sich hervorragend 
für den Felddienst eignen. Schnütgen. 

D. J. P. Mo Nabb: Das Lazarettschiff im Flottendienst (The 
hospital ship as a permanent unit of the fleet). (Journ. of state med., 
1912, Bd. 20, Nr. 11, S. 678.) In der englischen Flotte war seit zehn 
Jahren ein besonderes Lazarettschiff im Gebrauch, und die Einrichtung 
hat sich so gut bewährt, dass die Forderung nach einem solchen Schiff 
als ständigem Bestandteil einer Flotteneinheit für begründet erachtet 
wird. Die Verwendung und der Betrieb des Lazarettschiffes im Frieden 
und im Kriege werden eingehend besprochen. W. H. Hoff mann. 

Morgenroth: Ueber Wahrnehmung des Gesundheitsdienstes im 
Felde durch den Truppenarzt. (Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1913, 
H. 6.) Zusammenstellung von Gesichtspunkten, die für den in Kriegs¬ 
zeiten hygienisch wirkenden Truppenarzt von besonderer Bedeutung sind. 
Als Grundlage seiner Ausführungen hat dem Verf. die Kriegs-Sanitäts¬ 
ordnung gedient. Dabei hat er trefflich seine eigenen, in das Gebiet der 
Feldgesundheitspflege fallenden Erfahrungen aus der Cbinaexpedition 
1900/1902 und aus dem südwestafrikanischen Kriege 1904/1906 ein¬ 
zuflechten verstanden. Er beweist, wie man unter Vermeidung alles 
Ueberflüssigen im Felde praktische Gesundheitspflege treiben kann. Man 
muss vor allen Dingen hygienische Maassnahmen in Vorschlag zu bringen 
vermeiden, die nicht durchführbar sind. Anhäufung einer Reihe von 
wichtigen Aufgaben. Schnütgen. 

W. Denk -Wien: Erfahrungen und Eindrücke aus dem Balkan¬ 
kriege. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 12.) Vorgetragen in der 
Sitzung der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien am 14. Februar 1913. 
Referat siehe den Sitzungsbericht. P. Hirsch. 

Oesterlen-Schwäb. Gmünd: Schussverletzang des Rückenmarks. 
(Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1913, H. 4.) Mitteilung eines ein¬ 
schlägigen Falles. Schnütgen. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Verein für innere Medizin and Kinderheilkunde za Berlin. 

Sitzung vom 31. März 1913. 

Tagesordnung. 

1. IIHr. v. Bergmann-Altona und Katsch (a. G.): 

Ueber Darmbewegung and Darmform. (Experimentelles und Klinisches.) 

In einem früheren Vortrag hat B. die grossen Colonbewegungen be¬ 
schrieben; die Begriffe Vagotonie und Sympathicosie enthalten sehr viel 
Konstruktives, da die Symptome nie rein sind. Trotzdem will er vom 
Adrenalinsystem im Sinne vom Sympathicussystem, vom Pilocarpin- und 
Cholinsystem im Sinne vom Vagussystem sprechen. 

Am Herzen sind die Verhältnisse am meisten studiert, der 
Sympathicus fungiert als Hemmer des Darmes, der erweiterte Vagus als 
Reizer des Darmes. Am Tier gibt das sogenannte Bauchfenster in Ver¬ 
bindung mit dem Röntgenverfahren wertvolle Aufschlüsse. 

Hr. Katsch demonstriert an zwei Kaninchen die Methode des Bauch¬ 
fensters. Das Röntgenverfahren ist ein indirektes, das nur die Verschie¬ 
bung des Inhalts demonstriert. Ein synthetisches Verfahren wie das 
Bauchfenster erlaubt den bis dahin vollkommen ungeklärten Einfluss 
kleiner und grosser Atropindosen zu analysieren, da die auf die Reiz- 
und Heramungsnerven ausgeübten Effekte sich theoretisch in entgegen¬ 
gesetzter Richtung bewegen können. Am Bauchfenster sieht man, wie 
Abkühlung die Därme blutleer macht und die Bewegungen hemmt, 
während psychische Tasteffekte, wie Fressen, die Bewegungen stark ver¬ 
mehren. 

Die kleinen Colonbewegungen bestehen zum Teil in einem langsamen 
Fliessen der Haustra, welche langsam die Skybala vorwärtsschieben. 
Daneben demonstriert er andere Bewegungen der Haustra von Kaninchen 
und Affen. Die Haustra sind nach ihrer Auffassung rein funktionelle 
Gebilde, die sich durchaus frei verschieben. 

Beim Menschen zeigen Röntgenbilder, dass nach Atropin das Colon 
transversum sich ändert, in dem der Tonus der Taenie nachlässt., bei 
Pliocarpin schneiden die Haustra tief ein (spastische Kontraktion). 

Alle diese Dinge können am Darm sponton bisweilen auftreten, doch 
lassen sie sich konstant durch die genannten Pharmaka erzeugen. Man 
darf vielleicht annehroen, dass in dem betreffenden Nervensysteme zu 
analogisierende Reize kursieren. Atropin sprengt oft den toxischen Ver¬ 
schluss der Valvula Baubinii, so dass Wismutbrei in den Dünndarm ein¬ 
läuft. Adrenalin lässt die haustrale Konfiguration verstreichen. In einem 
Falle spastischer Obstipation wurde die Stuhlbewegung durch Pliocarpin 


im Gegensatz zu Atropin beschleunigt, obwohl sich die spastische 
Komponente vermehrte. 

Zu einer Analyse der Obstipation liegt bisher kein genügendes 
Material vor. Nach den Erfahrungen am Bauchfenster werden alle Be¬ 
wegungstypen synchron vermehrt oder alle gleichzeitig vermindert. 

2. Hr. M. Senator: 

Weiteres über ätiologische Beziehungen zwischen Rbeunatosen and 
nasal Erkrankungen. 

Vortr. hatte früher darauf hingewiesen, dass als Eingangspforte für 
die Gelenkrheumatismusinfektion Nase und Nasenrachenraum in Frage 
kommt. Die sogenannten Rheumatosen, Erytheme, Peliosis, Chorea rainor 
beruhen ebenfalls auf Infektionen, für welche ebenfalls als Eingangs¬ 
pforte die nasalen Luftwege io Betracht kommen. 

Als Beispiel führt er ein lOjähriges Mädchen an, bei dem am dritten 
Tage nach der Entfernung der adenoiden Vegetationen eine Chorea minor 
eintrat. Vortr. lehnt einen Zufall ab. 

Die Operation der Rachenmandel ist nicht so harmlos, wie man 
manchmal denkt. Es treten doch öfter Infektionen auf, die allerdings 
meist leichter Natur sind. 

Vortr. erwähnt noch einen zweiten analogen, von anderer Seite be¬ 
obachteten Fall. H. H. 


Gynäkologische Gesellschaft za Berlin. 

Sitzung vom 14. März 1913. 

Hr. Scbäffer: 

Statistische Beiträge znn Geburtenrückgang in Deutschland. 

Er legt seinem Bericht sein poliklinisches Material zugrunde, das 
er für sehr brauchbar hält, da es gleichmässig ist. Io den letzten 
16 Jahren finden sich 7300 verwertbare Fälle, welche geeignet sind, als 
Material zu dienen. In den Journalen sind verzeichnet und zu berück¬ 
sichtigen: Das Lebensalter, ob verheiratet oder nicht, die Zahl der Ge¬ 
burten, die Zahl der lebenden Kinder, die Zahl der Aborte. Er teilt 
das Material in zwei Serien vom Jahre 1897 bis zum Jahre 1904, und 
von 1905 bis 1912. Aus der Gruppierung lassen sich nun allerlei Rück¬ 
schlüsse machen, wobei allerdings zu bedenken ist, dass es sich um 
Krankenmaterial handelt. Das fällt aber nicht so sehr ins Gewicht, weil 
es ja nur anamnestisch betrachtet wird. Auf 100 Fälle der Gesamtzahl 
kamen 198 Geburten bei Unverheirateten, 265 bei Verheirateten, d. h. 
31 bzw. 35pCt. Beim Vergleich beider Serien kommen auf 100 Fälle 
der ersten Serie 284, auf 100 Fälle der zweiten Serie 245 Geburten, 
d. i. 100:86. Für die Unverheirateten ist ein Zuwachs von 100 auf 
106 zu konstatieren. Dieselben Zahlen weist auch die Reicbsstatistik 
auf. Teilt man die Geburten in 10 verschiedene Kolumnen nach den 
Lebensaltern ein, so ergibt sich eine stetige gleiohmässige Abnahme für 
alle Lebensalter. Bei jüngeren Personen ist der Rückgang noch auf¬ 
fallender, woraus zu schliessen ist, dass die Abnahme noch weitergehen 
wird. Die Zahl derer, die 0 und 2 Geburten haben, hat zugenommen. 
Das beweist, dass das Vielkinderbekomraen abnimmt, und dass diese 
Abnahme eine künstlich gemachte ist. Dagegen glaubt Vortr. nicht, 
dass die Aborte, wie immer gesagt wird, zugenommen haben. Er hält 
diese Behauptung für eine Verkennung der Zahlen. Zugenommen bat 
nur die Zahl der in Behandlung kommenden Aborte, was an der Zu¬ 
nahme der Heilanstalten liegt, die sich um das 7 fache vermehrt haben, 
und am Krankenversicherungsgesetz. Die Fälle, in denen ein Arzt zu¬ 
gezogen wird, haben sich um mehrere Millionen vermehrt, und so maoht 
es den Eindruck, als ob die absolute Zunahme der Aborte eine grössere 
ist, als dies tatsächlich der Fall ist. Bei Vergleich mit den Geburten 
zeigt sich, dass die Zahl proportional der Zahl der Geburten steigt, 
woraus zu schliessen ist, dass dies wesentlich auf Abtreibung zurück- 
zufübren ist. Er schliesst ferner aus seinen Zahlen, dass nicht die 
Conceptionsfähigkeit abgenommen, sondern dass die Gonceptionsunlust 
zugenommen hat. So findet man denn auch eine gewaltige Zunahme 
der Conceptionsverhütungsmittel. Eine rationelle Therapie muss also 
darauf eingehen und die Aufzucht der Nachkommenschaft erleichtern. 

Diskussion. 

Hr. E. Martin bestätigt die Angaben des Vorredners aus seinen 
Erfahrungen, die er bei der poliklinischen Tätigkeit gemacht hat, und 
gibt eine statistische Uebersicht über die Einnahmen und Ausgaben des 
Durchschnittsarbeiters, woraus hervorgeht, dass der Durchschnitt der 
Bevölkerung im Norden Berlins etwa 100 Mark mehr ausgibt, als Ein¬ 
nahmen vorhanden sind, so ist es denn klar, dass für die Kinder¬ 
erziehung nichts übrig ist. 

Hr. Heymann hat seine Statistik von den letzten 10 Jahren durch¬ 
gesehen und kam bei 2300 Fällen ebenfalls zu dem Resultat, dass die 
Conception zurückgegangen ist. 

Hr. Gottschalk meint, dass hier noch viele andere Faktoren mit¬ 
sprächen, besonders die Frauenbewegung und die enorme Zunahme der 
Gonorrhöe. 

Hr. Strassmann legt Wert $uf den Willen zur Beschränkung der 
Kinderzahl. Das ist nur zu bessern durch Erleichterung der Steuern 
und eine vernünftige Bodenreform. 

Hr. Bumm hält für die Hauptsache die allgemeine Tendenz, die 
in einem Sinken der Moral ihren Ausdruck findet. Der Mangel an 
Achtung vor der Heiligkeit der Ehe ist eine geistige Epidemie, die nur 
mit den Mitteln der Religion zu bekämpfen ist. 


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14. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


699 


Hr. Nagel fragt, ob es denn sich nachweisen Hesse, dass der Zustand 
in katholischen Ländern besser wäre. 

Hr. Schaffer will auf das sozialpolitische Problem nicht Angehen, 
da dies vollständig in der Arbeit von Pistor und Dietrich enthalten 
sei. Am umfassendsten spricht sich Born träger darüber aus. Von 
ethischem Gesichtspunkte aus die Sache zu betrachten, hält er nicht für 
angezeigt. Man kann mit demselben Recht sagen, dass es auch eine 
ethische Forderung wäre, die Zahl der Kinder einzuschränken, damit sie 
besser erzogen werden können und die Familie nicht durch die Kinder¬ 
zahl verarmt. Ob die Religion von Einfluss ist, ist schwer zu sagen, 
da auch die Rasse mitsprioht. Tatsache ist, dass gerade in rein katho¬ 
lischen Ländern, wie Frankreich, Spanien, Italien der Geburtenrückgang 
ein ganz auffallender ist. Dagegen spricht die angeborene Sterilität gar 
nicht mit. Siefart. 


Medizinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für vater¬ 
ländische Kultur zu Breslau. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom Sl. Januar 1913. 

Vorsitzender: Herr Neisser. 

Schriftführer: Herr Minkowski. 

Diskussion zu dem Vortrage des Herrn Foerster. 

Hr. Tietze: M. H.! Der Gedanke, den Herr Foerster in seinem 
Vortrage ausgesprochen und in interessanterWeise entwickelt hat, näm¬ 
lich, dass ein Teil der bei spastischen Lähmungen beobachteten Kon¬ 
trakturen auf atavistische Rückschläge zu beziehen und durch diese zu 
erklären sei, lässt sich, wie es scheint, noch auf ein anderes Gebiet 
übertragen, nämUch auf dasjenige der bei manchen chronischen Gelenk¬ 
erkrankungen zu beobachtenden Verkrümmungen. Ich möchte Ihnen, 
m. H., über eine Reihe gemeinsam mit Herrn Foerster bei ver¬ 
schiedenen Formen von Gelenkkrankheiten angestellter Beobachtungen 
beriohten, die allerdings mit grosser Reserve mitgeteilt werden müssen, 
da es sich vorläufig nur um Hypothesen handelt. Immerhin ist das 
Material dooh so weit durebgearbeitet, dass es erlaubt erscheint, in der 
Diskussion davon Gebrauch zu machen. M. H.! Dass bestimmte Gelenk¬ 
erkrankungen ganz bestimmte und typische Kontrakturen zur Folge 
haben, ist eine sehr geläufige Tatsache. Das einfachste Beispiel ist das 
der tuberkulösen Coxitis. Hierbei liegen nun allerdings die Verhältnisse 
sehr kompliziert. Schmerz, Eiterung, Destruktion des Gelenkes beein¬ 
flussen das Bild derartig, dass man gut daran tut, zum Studium und 
zur Erklärung dieser Vorgänge einfachere Verhältnisse zu wählen. Wir 
gingen von jenen Erkrankungen aus, die allerdings mit einem sohlecht ge¬ 
wählten und nichts sagenden Namen als chronischer Gelenkrheumatismus 
bezeichnet werden, die auch unter dem Namen der Arthritis pauperum 
geben und sich im wesentlichen als ein atrophischer Prozess an den 
Gelenkenden mit mässiger Verdickung der Kapsel, hochgradiger Atrophie 
der Muskulatur darstellen. Zu der deformierenden Arthritis (Arthritis 
hypertrophicans nach Jacobsohn) stehen sie in einem scharf aus¬ 
geprägten anatomischen Gegensatz. Durch die Liebenswürdigkeit von 
weil. Geheimrat Jacobi und des Herrn C. S. Freund habe ich Gelegenheit 
gehabt, viele Fälle dieser Art am Claassen’schen Siechenhaus zu beob¬ 
achten und mehrere auch anatomisch zu untersuchen. Bei dieser Er¬ 
krankung, die an grossen und kleinen Gelenken, namentlich auch Hand 
und Fingern auftritt, beobachtet man nun höchst eigentümliche Kon¬ 
trakturen, die schon lange die Aufmerksamkeit der Forscher auf 
sich gezogen haben und auch lebhaft beschäftigten. Ursprünglich 
glaubte ich die Erklärung in bestimmten Abschleifungen der Gelenk¬ 
enden oder in desmogenen oder myogenen Kontrakturen suchen zu 
müssen, aber die anatomische Präparation ergab dafür keinen Anhalt. 
Als ich diese Formen dann Herrn Foerster zeigte, machte er mich auf 
die Aehnlichkeit dieser Vorstellungen mit bestimmten Formen der 
spastischen Lähmungen aufmerksam. Und in der Tat ist diese Aehn¬ 
lichkeit eine ganz auffallende und weitgehende (Redner demon¬ 
striert eine ganze Anzahl von Lichtbildern). Als einen Haupttypus 
hat man zu betrachten die Abduktionsstellung von Zehen und Fingern, 
aber auch an den Fingern eigentümliche Kombinationen zwischen Hyper¬ 
extension und Flexion: Grund- und Mittelphalanx hyperextendiert, 
Nagelphalanx gebeugt — eine ganz typische Form der Fingerbewegung 
beim Little und von mir auch bei einem normalen Individuum beob¬ 
achtet. Diese Stellung der Glieder bei gewissen chronischen Gelenk¬ 
erkrankungen ist nach meinen bisherigen Untersuchungen rein funktio¬ 
nell, und es liegt also die Tatsache vor, dass durch den vom Gelenk aus 
wie auch immer gesetzten Reiz ganz bestimmte Muskelkombinationen 
in Szene gesetzt werden, die denen bei spastischen Lähmungen sehr 
ähnlich sehen. Früheren Autoren ist das natürlich nicht entgangen, es 
wurden zur Erklärung gesetzmässiges Auftreten von Muskelatrophien 
herangezogen. Das Interessanteste der von Herrn Foerster auch auf 
die Gelenkkontrakturen übertragenen Theorie scheint mir eben zu sein, 
dass er für diese. Gesetzmässigkeit nach einer Hypothese sucht. Wie 
weit dieselbe sich als stichhaltig erweisen wird, ist abzuwarten. Die 
Tatsachen als solche glaubte ich hier schon festlegen zu dürfen. 

Hr. Ludwig Mann: Die Ausführungen des Herrn Foerster und 
die von ihm vorgefübrte Bilderreihe haben mich nicht vollkommen von 
der Richtigkeit .seiner Hypothese überzeugen können, so geistreich die¬ 
selbe auch ersonnen und durchgeführt ist. Es scheint mir zur Er¬ 


klärung der spastischen Lähmungen und Kontrakturen nicht notwendig, 
auf einen phylogenetischen Gesichtspunkt zurückzugehen; dieselben er¬ 
scheinen mir vielmehr aus dem Bewegungsmechanisrius, wie wir ihn 
heim Menschen vor uns sehen, erklärbar. Bekanntlich beschränkt sich 
die Lähmung bei allen Läsionen der Pyramidenbahn auf ganz be¬ 
stimmte Muskelgruppen, während andere Muskelgruppen relativ intakt 
bleiben. Ich habe zuerst im Jahre 1895 im Anschluss an eine Beob¬ 
achtung meines Lehrers Wernicke diesen Lähmungstypus studiert und 
habe darauf aufmerksam gemacht, dass einerseits die gelähmten, anderer¬ 
seits die intakten Muskelgruppen bestimmte funktionell zusammen¬ 
gehörige Bewegungskomplexe darstellen, und dass speziell beim Gange 
diejenigen Muskeln gelähmt sind, welche in dem Zeitabschnitt, zu 
welchem das Bein vorwärts schwingt, dasselbe „verkürzen“, während 
diejenigen intakt bleiben, welche dasselbe beim Aufsetzen vom Boden 
abstossen, also die Extremität „verlängern“. Dieser Wechsel von Ver¬ 
kürzung und Verlängerung liegt im Grunde genommen in verschiedenen 
Modifikationen allen lokomotorischen Funktionen unserer Extremitäten 
zugrunde. Die typischen hemiplegischen Lähmungen und ebenso die 
Spasmen kommen nun dadurch zustande, dass der eine Teil der Musku¬ 
latur ausfällt, der andere Teil erhalten bleibt und dieser dadurch das 
Uebergewicht erhält. Es resultiert daher eine fehlerhafte, unzweck¬ 
mässige Haltung und Bewegung, gewissermaassen ein Zerrbild der 
normalen menschlichen Bewegung, aber meiner Ansicht nach nicht 
ein Rückschlag in eine frühere Bewegungsform. 

Die von Herrn Foerster besonders hervorgehobene Supination des 
Fusses kann meiner Ansicht nach dadurch erklärt werden, worauf ich 
schon früher hingewiesen habe, dass der M. tibialis anticus von dem 
gesamten, der Dorsalflexion dienenden Muskelkomplex der am leichtesten 
erregbare ist und infolgedessen relativ am besten erhalten bleibt. 

Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse an der oberen Extremität; ich 
kann jedoch auf die Einzelheiten hier nicht eingehen. 

• « Zu den Bildern von Herrn Foerster möohte ich ferner bemerken, 
dass die gezeigte Beugekontrakturstellung durchaus nicht die Regel bei 
den spastischen Lähmungen bildet, dass vielmehr am Bein, jedenfalls 
bei den Lähmungen der Erwachsenen die Streckkontraktur das durchaus 
regelmässige und typische ist. Die Beugekontrakturen kommen gerade 
bei den infantilen Lähmungen häufig vor; überhaupt finden sich hier 
viel mehr Abweichungen von dem regelrechten Typus, und dies ist 
meiner Ansicht nach darauf zurückzuführen, dass beim Kinde noch nicht 
die festen, funktionell zusammengelügten Muskelsynergien bestehen, 
welche der Erwachsene bei der Erlernung seiner zweckmässigen Bewe¬ 
gungen allmählich erworben hat. Infolgedessen treten bei der infantilen 
Hemiplegie viel wechselndere Bilder auf, als bei den Lähmungen der 
Erwachsenen. 

Es scheint mir schon aus diesem Grunde nicht angängig, wie Herr 
Foerster will, alle spastischen Lähmungsformen, ganz gleich von 
welcher Art und welcher Lbkalisation die Läsion der Pyramidenbabn 
sei, auf seinen phylogenetischen Gesichtspunkt zurückzuführen. 

Was nun die interessante Mitteilung des Herrn Tietze anbetrifft, 
so scheinen mir die von ihm angeführten Beobachtungen durchaus nicht 
in das in Rede stehende Gebiet zu gehören. Es handelt sich hier 
offenbar um Muskelatrophien im Zusammenhang mit Gelenkleiden, soge¬ 
nannte arthropatbische Muskelatrophien, und es ist schon seit langem 
bekannt und experimentell nachgewiesen (Charcot, Vulpian), dass 
diese Muskelatrophien neurogenen Ursprungs sind, und dass sie erzeugt 
werden durch Reizung des sensiblen Anteils des durch die Vorderhörner 
hindurebgehenden spinalen Reflexbogens. Dass von diesen Atrophien 
ganz bestimmte Muskeln überwiegend betroffen werden, und dass da¬ 
durch typische Kontrakturstellungen zustande kommen, scheint mir recht 
bemerkenswert, und es entspricht der auch sonst in der Nervenpathologie 
zu beobachtenden Tatsache, dass bestimmte Anteile eines nervösen 
Apparates einer gewissen Schädlichkeit gegenüber vulnerabler sind als 
andere. Die Aehnlichkeit mit der Extremitätenhaltung der kletternden 
Affen scheint mir jedoch nicht charakteristisch genug, um danach diese 
Muskelatrophien auf eine Unterdrückung des Pyramidenbahneinflusses 
und Rückfall in die „Grundkomponenten des Klettertypus“ erklären zu 
können. 

Hr. Goerke: Den interessanten Ausführungen des Herrn Vor¬ 
tragenden kommt nicht bloss eine speziell-neurologische oder chirurgische 
Bedeutung zu, sondern auch eine viel weitergehende allgemein-patho¬ 
logische. Sie geben eine vorzügliche Illustration zu der schon mehrfach 
erörterten, aber vielleicht doch noch zu wenig bekannten Erscheinung, 
dass phylogenetisch jüngere Organe viel leichter erkranken, toxischen 
und infektiösen Einwirkungen gegenüber viel weniger widerstandsfähig 
sind als phylogenetisch ältere Organe. Ein prägnantes Beispiel hierfür 
bietet uns das Ohrlabyrinth, ln diesem ist die Schnecke phylogenetisch 
wesentlich jünger als die Pars superior (Utriculus mit Bogengängen). 
Während sie bei den Fischen einen unbedeutenden Appendix des 
Saoculus, die sogenannte Lagena bildet, zeigt sie eine immer weiter 
fortschreitende Entwicklung, je höher man in der Wirbeltierklasse empor¬ 
steigt; erst bei den Reptilien lässt sie eine deutliche Spiraldrehung 
sowie die Ausbildung einer Papilla acustica erkennen, während das 
Corti’sche Organ erst bei den Säugern seine höchste vollendete Diffe¬ 
renzierung aufweist. Demgegenüber hat die Pars superior bei der höchst 
entwickelten Klasse der Wirbeltiere den Höhepunkt ihrer Ausbildung 
bereits überschritten, ist dagegen in den niederen Wirbeltierklassen 
mächtig entwickelt. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 15. 


Die Pars inferior (Schnecke) ist nun unleugbar weniger widerstands¬ 
fähig als die Pars superior. Bei den meisten toxischen und infektiösen 
Erkrankungen ist* es die Schnecke, die vorwiegend oder auch isoliert 
erkrankt, während die Pars superior labyrinthi intakt oder nahezu un¬ 
berührt bleibt; ich erinnere an die Erkrankungen durch bestimmte Gifte 
(Chinin, Salicyl), an die toxischen Erkrankungen des Labyrinths bei 
Tuberkulose, Typbus usw. Auch Entwicklungsstörungen treffen die 
Schnecke viel eher und viel intensiver als Vorhof und Bogengänge; was 
ohne weiteres sich aus der Tatsache erklärt, dass erstere auch onto- 
genetisch das jüngere Gebilde darstellt. 

Die vom Herrn Vortragenden beigebrachten Tatsachen bilden einen 
weiteren Beleg für die Annahme, dass phylogenetisch jüngere Organe 
vulnerabler sind als phylogenetisch ältere, die gewissermaassen schon 
zum eisernen festen Besitztum des Organismus geworden ist. Ueberhaupt 
ist meines Erachtens diese Betrachtungsweise geeignet, dem Pathologen 
manche Erscheinung (Disposition bestimmter Organe, Systemerkrankungen 
usw.) auf ansprechende Art zu erklären. 

Hr. Foerster (Schlusswort): Ich habe ja in meinem Vortrag aus¬ 
drücklich hervorgehoben, dass durch die hier herangezogenen phylo¬ 
genetischen Gesichtspunkte keineswegs sämtliche Erscheinungen 
der spastischen Lähmung erklärt werden können oder sollen. Das 
paretische Moment, die Reflexsteigerung, die Spastizität der Muskeln im 
allgemeinen bedürfen alle dieser Gesichtspunkte nicht. Insoweit richten 
sich also die Ausführungen, die Herr Mann soeben gebracht hat, gegen 
Dinge, die von mir gar nicht behauptet worden sind. Ich habe ja auch 
ausdrücklich hervorgehoben, dass keineswegs alle Kontrakturstellungen 
bei den spastischen Lähmungen ohne weiteres von diesen Gesichts¬ 
punkten erklärt werden sollen. Für einen Teil der Kontrakturstellungen, 
besonders am hemiplegischen Bein der Erwachsenen ist sicher einfach 
die passive Lagerung der Schwere entsprechend maassgebend, sodann 
kommt für die Kontrakturstellung in Frage die Verteilung der willkür¬ 
lichen Lähmung. Es sind das ja Dinge, auf die ich so und so oft schon 
ausführlich hingewiesen habe. Das Gros der Kontrakturstellungen kann 
aber durch diese Momente nicht erklärt werden, so die Beugekontraktur 
der Beine und die Supinationsstellung des Fusses in Fällen von schwerer 
spastischer Paraplegie mit totaler willkürlicher Lähmung der Beine, in 
allen Fällen von Diplegie, von infantiler Hemiplegie, die Kontraktur¬ 
stellung des Armes in Beugung, die Pronation der Hand und Flexion 
der Finger, die ebenfalls bei totaler willkürlicher Lähmung vorkommt. 
Um diese Dinge kann Herr Mann doch einmal nicht herumkommen. 
Natürlich muss die Stellung der Kontraktur von Fall zu Fall vaiiieren, 
weil ja eben verschiedene Faktoren nebeneinander und zum Teil gegen¬ 
einander wirken. 

Wenn aber Herr Mann meint, dass der von mir geschilderte Typus 
nicht der Regel entspräche, so ist dem entgegenzuhalten, dass der Typus 
sich sogar in jedem Fall zum mindesten angedeutet findet und nur 
mehr oder weniger stark hervortritt, je nachdem auf die definitive Aus¬ 
gestaltung der Kontraktur verschiedene Faktoren Zusammenwirken. So 
befindet sich selbst am hemiplegischen Bein des Erwachsenen, das die 
einzige Ausnahme darstellt, die Herr Mann anbringt, in der Mehrzahl 
der Fälle die grosse Zehe in Dorsalflexion, der Fuss in Supination, das 
Knie zeigt in einer grossen Anzahl von Fällen auch eine leichte Flexions¬ 
stellung, die etwas grösser ist, als es der normalen Ruhelage entspricht, 
worauf alle Autoren, die sich mit diesen Fragen beschäftigt haben, 
bereits hingewiesen haben. An der oberen Extremität kommt in der 
Tat Extensionsstellung des Handgelenks manchmal vor, das ist aber bei 
weitem seltener als die Flexionsstellung. Vor allen Dingen aber sind 
die von mir genau bezeichneten typischen Bewegungen und Reflex¬ 
synergien nicht, wie Herr Mann will, aus dem normalen Bewegungs- 
Vorgänge des Menschen zu erklären. Wenn Herr Mann darauf 
hinweist, dass die synchrone Beugung von Hüfte und Knie und Fuss 
und umgekehrt Streckung von Hüfte, Knie und Fuss bereits die 
Grundkomponenten des menschlichen Ganges darstellen, so ist 
dagegen nichts einzuwenden, und wenn unser Erklärungsbedürfnis mit 
dem Fusse aufhören dürfte, soweit es sich einfach um Dorsal- und 
Plantarflexion handelt, so hätte Herr Mann recht. Aber welcher normale 
Mensch setzt denn seinen Fuss in Supination auf den Boden und krallt 
seine Zehen beim Aufsetzen in den Boden ein? Dies ist derartig un¬ 
zweckmässig und schmerzhaft, dass es für viele Spastiker ein reguläres 
Crux darstellt. Noch ein anderes Beispiel dafür, wie unrichtig die Be¬ 
hauptung von Herrn Mann ist. Beim normalen Gange schwingt mit 
dem rechten Bein gleichzeitig der linke Arm nach vorn, wenn ein 
Kranker mit rechtsseitiger Hemiplegie sein rechtes Bein beim Gange 
hocbzieht, so flektiert er dabei auch seinen rechten Arm, und Fälle von 
spastischer Diplegie beugen sogar alle vier Extremitäten synchron, wie 
ich dies in zahlreichen Bildern demonstriert hatte. An der oberen Ex¬ 
tremität hatte ich besonders auf die Unzweckmässigkeit der Pronations¬ 
bewegung am hemiplegischen Arm hingewiesen, die so viele Verrichtungen 
durchkreuzt und unmöglich macht. Gerade also das Gegenteil von dem, 
was Herr Mann sagt, ist der Fall. Die ßewegungssynergien bei spasti¬ 
schen Lähmungen können nicht aus den normalen Bewegungsvorgängen 
erklärt werden. Dagegen ähnelt sie den Kletterbewegungen der Affen 
in bezug auf die Grundkomponenten in einer ganz auffallenden Weise. 
Das ist unabstreitbar. Es braucht ja niemand den von mir heran¬ 
gezogenen Gesichtspunkt zu acceptieren, aber jedenfalls ist das sicher, 
dass bisher niemand eine bessere Erklärung gegeben hat. Die von Herrn 
Mann gegebene ist absolut unzureichend. 


Hr. Ephraim: 

Beiträge zur endoskopischen Diagnose and Therapie endothoraeiseher 
Tumoren. 

(Der Vortrag ist unter den Originalien dieser Nummer abgedruckt.) 

Diskussion zu dem Vortrag des Herrn Klaatseh: Die Einwirkung 
der aufrechten Körperhaltung und ihre Folgen für den menschlichen 
Organismus. 

Hr. Asch: In seinen ausserordentlich interessanten Ausführungen 
über die Folgen des aufrechten Ganges beim Menschen hat Herr 
Klaatseh schon eines pathologischen Vorkommnisses Erwähnung getan, 
das nur beim Menschen vorkommt und Vorkommen könne: der Hernien. 
Ich möchte hier noch auf einige andere Erkrankungsformen hinweisen, 
die lediglich Folge der aufrechten Haltung sind und den Kliniker im 
allgemeinen, den Frauenarzt ganz besonders interessieren müssen, die 
mich seit langen Jahren beschäftigen und über die ich in Aerztekursen 
und bei ähnlichen Gelegenheiten oft gesprochen habe. 

Vergegenwärtigt man sich, dass beim vierfüssig laufenden, höheren 
Wirbeltier das Beckenende meist den höchsten Punkt des Rumpfes dar¬ 
stellt, mindestens viel höher als das Herz gelegen ist, so kann man 
leicht begreifen, dass die vom Becken zum Kreislaufcentrum führenden 
Venen die Klappen leicht entbehren können. Es bedarf für den gleicb- 
mässigen Blutabfluss hier keiner Rückstauventile. Anders beim Menschen: 
Hier macht sich der Mangel solcher Stützpunkte für die Blutsäule er¬ 
heblich bemerkbar. Zwei Drittel der Lebenszeit muss das Blut in den 
grossen Venen, die es von den Beckenorganen zum Herzen führen, zu¬ 
meist fast senkrecht gepumpt werden und damit ist die Anlage zur 
Ausbildung von Hämorrhoidalknoten, Venenerweiterungen in den Genital¬ 
plexus, Varicocelen gegeben. Wir haben oft Gelegenheit, solche Varico- 
celen auch an den inneren Beckenorganen, in den Ligamentis latis als 
Krankheitserscheinungen zu beobachten, die erhebliche Störungen ver¬ 
ursachen. Jede weitere Stauung im Abdomen, der schwangere Uterus, 
Tumoren usw. erhöhen diese ätiologischen Momente, deren hauptsäch¬ 
lichstes aber eben in der physikalisch ungünstigen Anordnung liegt. 
Den Mangel der Klappen tragen wir als altes Erbstück aus einer Zeit, 
wo es noch kein Mangel war, von Vorfahren, die die Klappen hier noch 
nicht brauchten; an einen Ausgleich durch Variation und Auslese im 
Kampf ums Dasein ist noch nicht zu denken. 

Am meisten leidet die schwangere und gebärende Frau unter der 
aufrechten Haltung. 

Schon unter den Vorläufern der Säuger, bei den Beuteltieren, ver¬ 
sucht eins der jetzt noch lebenden, das Känguruh, mit Erfolg die auf¬ 
rechte Haltung; stark entwickelte hintere Extremitäten bilden den 
Gegensatz zu den zierlichen, fast zum Handgebrauch freigewordenen 
vorderen. In der mehr sitzenden als stehenden Stellung kann es seinen 
Schwanz, stark entwickelt, zur Stütze gebrauchen; seine Genitalien leiden 
unter der senkrechten Anordnung wenig, weil es seine Jungen in so 
frühem Stadium der Entwicklung legt, dass eine Schwierigkeit beim Ge¬ 
bärakt kaum eintreten kann. Anders beim Menscbenweibchen: Die 
aufrechte Haltung erfordert hier eine Verwendung der Reste der Schwanz¬ 
muskulatur als Stütze der sonst dem Herabsinken ausgesetzten 
Genitalien. Schatz hat das einmal in geistreicher Weise erwähnt: 
„Die Menschen mussten ihren Schwanz gehörig einkneifen, um ihre 
Scheide und Gebärmutter am Herausfallen zu hindern. 0 

Aber auch das höhere Säugetier leidet nicht an den Folgen des 
Geburtsvorganges und der Geburtsverletzungen. Einerseits ist das Ver¬ 
hältnis der Jungen zum Muttertier, zu dessen Becken und Weichteilen 
noch ein viel günstigeres als beim Menschen; wird das Kalb noch leicht 
mit beiden Vorderbeinen neben dem Kopf geboren, so ist der Schädel 
des vollentwickelten Menschenkindes schon bei der Geburt so gross, 
dass er knapp das Becken passieren kann, dass Weichteilzerreissungen 
zu den häufigen Erscheinungen gehören und die Grenze des physio¬ 
logischen vom pathologischen Vorgang hier schon verwischt ist. Aber 
auch wenn der Damm, die Stützmuskulatur beim vierfüssigen Säugetier, 
zerrisse, die Folgen wären keine besonders schweren. 

Anders beim aufrechten Homo sapiens; der nun fehlende Stütz¬ 
apparat lässt die Scheide herabsinken, die Gebärmutter ihre Lage ver¬ 
ändern, ein Vorfall ist die Folge, die eine Menge anderer Krankheits¬ 
erscheinungen nach sich zieht, Cystocelenbildung, Rectocele u. a. m. 
Sehen wir doch von der veränderten Beckenstellung bei nicht genügen¬ 
der Neigung, einem infantilen oder besser atavistischen Zustande, Pro¬ 
lapse der Genitalien auch bei Nulliparen, ja bei Virgines auftreten, 
selbstverständlich nur möglich durch den aufrechten Gang. 

Auch an den höherliegenden Organen, den Bauoheingeweiden, macht 
sich dieser Mangel, den wir mit den Vorteilen der aufreohten Haltung 
in Kauf nehmen müssen, bemerkbar. 

Mögen die Bauchdeoken eines Vierfüssers durch wiederholte 
Schwangerschaften noch so gedehnt, die Organe durch den mangeln¬ 
den Halt an diesen oder durch Schwund der Fettpolsterung noch so 
beweglich geworden sein, immer finden sie an der oberen Begrenzung, 
dem festen Zwerchfell mit seinem starken Widerhalt am Thorax und 
dessen Inhalt ihre Stütze. 

Sind aber die an sich nicht allzustark entwickelten Bauchwand- 
rauskeln durch häufig oder schnell sich folgende Schwangerschaften bei 
der Frau gedehnt, auseinandergewichen, so vermögen sie den Bauch- 
eingeweiden nicht mehr genügenden Halt zu gewähren. Die Saugkraft 
der capillären Peritonealräume, die Dupplikaturen des Bauchfells selbst 
und die Bandapparate sind nioht mehr imstande, der Schwere der 


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14. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Organe genügend entgegenzuwirken, und wir sehen das Bild der Entero- 
ptose sieh entwickeln, ein rein „menschliches“ Elend. Störungen in der 
Funktion der Organe, zum mindesten heftige Beschwerden durch die 
Zerrung sind die unliebsamen Folgen. Beim höheren Kulturweib sind 
nicht einmal Schwangerschaften notwendig, um diesen Symptomenkoraplex 
in Fällen schwach entwickelter oder vernachlässigter Bauchmuskulatur 
hervortreten zu lassen. 

Auch an die übrige Rumpfmuskulatur stellt die aufrechte Haltung 
erhöhte Ansprüche, die bei schwächeren Individuen nicht erfüllt werden. 
Heftige Kreuz* und Rückenschmerzen, wie sie bei jungen oder ge¬ 
schwächten Individuen so häufig Vorkommen, sind oft nichts als der 
Ausdruck dauernder Uebermüdung der überanstrengten Muskelgruppen, 
die den Oberkörper in seiner Balancelage zu unterstützen gezwungen sind. 
Ganz besonders treten diese Beschwerden in den Vordergrund, wenn 
nach überstandenen Erkrankungen der Wirbelkörper Verkrümmungen 
oder Verbiegungen der Wirbelsäule das Balanzieren des aufrecht zu er¬ 
haltenden Oberkörpers einzelnen, einseitigen Muskelgruppen zufällt. 

Ich bin überzeugt, dass manches von dem, was ich hier in aller 
Kürze vorgebracht habe, den Aerzten schon vielfach aufgefallen ist; es 
hat aber meiner Meinung nach bisher zu wenig Beachtung gefunden; 
es ist nicht nur von erheblichem, theoretischem Interesse im Sinne des 
von Herrn Klaatsch hier erörterten Themas, sondern dürfte auch in 
bezug auf die klinischen Erscheinungen, deren Deutung und Behandlung 
nicht unterschätzt werden. 

Die Aufmerksamkeit der Kollegen mehr, als es bisher der Fall war, 
auf diese Verhältnisse zu lenken, durch sie zur Aufklärung der unter 
diesen Bedingungen Leidenden beizutragen, war der Grund zu meinen 
Bemerkungen. 


Breslauer psychiatrisch-neurologische Vereinigung. 

Sitzung vom 17. Februar 1913. 

Hr. Alzheimer demonstriert 1 . eigenartige metasyphilitisehe Er¬ 
krankung. 

32 jähriger Kaufmann, vor 14 Jahren luetisch infiziert. Seit 1908 
gastrische Krisen. Aus diesem Anlass allmählich Morphinist in mässigen 
Grenzen. Auffallend rascher sozialer Verfall. 1908 in der Klinik behufs 
Morphiumentziehung. Damals entrundete, differente, träge reagierende 
Pupillen, leichte Facialisdifferenz, Flattern der Gesichtsmuskeln, schlaffe 
Gelenke bei lebhaften Sehnenreflexen an den Beinen, etwas unsichere 
Sprache. Wassermann: Blut +, Liquor —, Lymphocytose ziemlich stark, 
Eiweissvennehrung. Psychisch wehleidig, schlaff, indolent, ohne Initiative 
für die Zukunft. In Anbetracht des nur mässigen Morphiumgebrauchs 
wurde die Wahrscheinlichkeitsdiagnoso auf beginnende Paralyse gestellt. 
Letzte Aufnahme November 1912: Morphiumgebrauch jetzt unbedeutend, 
dennoch keine Aenderung des psychischen Verhaltens bei ebenfalls 
stationärem organischen Befund. Hat nur wenig und unzureichend ge¬ 
arbeitet. Intellektuell sind im übrigen irgendwie gröbere Defekte nicht 
nachweisbar. Das Gedächtnis und die Merkfähigkeit verhalten sich 
normal. Da keine Progredienz der Erkrankung innerhalb der zwei¬ 
jährigen Beobachtungszeit zu konstatieren ist, verliert die Diagnose der 
Paralyse ganz an Wahrscheinlichkeit. 

Vortr. vermutet, auch im Hinblick auf frühere Erfahrungen, dass 
es sich hierbei um eine Kombination metasypbilitischer Erkrankung des 
Rückenmarks mit einer eigenartigen psychischen Schwäche nichtparaly¬ 
tischer Art bandelt. 

Diskussion. 

Hr. Förster betont, dass gastrische Krisen lange Zeit ohne sonst 
sehr ausgeprägte tabische Symptome bestehen können, hat auch gelegent¬ 
lich Fälle dieser Art mit psychischer Abschwächung gesehen, die nach¬ 
her wieder besser wurden. 

Er stellt die Frage, ob Hirnpunktion nicht in solchen Fällen als 
diagnostisches Hilfsmittel heranzuziehen wäre. 

Hr. Alzheimer lehnt Hirnpunktion zu lediglich diagnostischem 
Zweck ab in Hinblick auf damit verbundene Gefahren. Sie kann nur 
empfohlen werden, wo therapeutische Eingriffe durch das Punktions¬ 
ergebnis ermöglicht würden. 

Hr. Förster hält gerade nur in Fällen von Hirntumor die Hirn¬ 
punktion für gefährlich, bei allen anderen Hirnkrankheiten für ganz un¬ 
bedenklich. 

Hr. Alzheimer erwähnt einen Fall von Verblutung nach Hirn¬ 
punktion, die aus differentialdiagnostischen Gründen ausgeführt war 
(Epilepsie? Tumor?). Die Obduktion ergab dabei keinen Tumor. 

Hr. Stöcker erwähnt die Gefahren der Punktion bei Hydrocephalus 
durch spätere Infektion von Liquorfisteln. 

Hr. Aliheimer: 2. Residuäre H&llucinose. 

48jährige Frau, die nach einem längeren depressiven Vorstadium 
im Jahre 1911 eine mehrmonatige akute Psychose mit starker Angst, 
entsprechenden Sinnestäuschungen optischer und akustischer Art, Eigen¬ 
beziehungen, zeitweisen Muskelspannungen und Mutacismus durch¬ 
gemacht hat. Nach Abklingen der akuten Symptome blieben als Dauer¬ 
erscheinung massenhafte Phoneme bestehen bei Krankheitseinsicht und 
soost ganz normalem Verhalten. Patientin sorgt für ihre fünf Kinder 
sehr ordentlich. Die Stimmen begleiten ständig ihr Denken und Handeln. 
Es seien nicht eigene Gedanken, die laut werden. Sie registrieren, 
kritisieren im wohlwollenden und ungünstigen Sinne, gehen die Ver¬ 
gangenheit durch („allwissende Stimmen“). Auch Phoneme imperativer 


Form, aber ohne zwingenden Charakter, keine Eigenbeziehungen, keine 
Verfolgungsideen, keine Systematisierung, keine Projektion, keine Er¬ 
klärungsideen. Etwas weitschweifig und labil im Affekt, sehr unglück¬ 
lich über die Stimmen. Nicht zerfahren. Im motorischen Verhalten 
nichts Auffallendes. Es handelt sich mithin um eine reine Gehörs- 
hallucinose, die Vortr. auch in anderen Fällen als Residuärsymptom von 
akuten Psychosen beobachtet hat. Die Unterbringung in eine der üb¬ 
lichen Gruppen, speziell in die Dementia praecox bietet bei diesen 
Fällen und namentlich auch dem vorliegenden erhebliche Schwierig¬ 
keiten. 

3. Zur Frage der Spätepilepsie demonstriert Vortr. eine 44jährige 
Frau, welche, nach unglücklichen Familienverhältnissen geschieden, vor 
einem Jahr den ersten epileptischen Krampfanfall bekam. Später häufige 
Anfälle mit Zungenbiss und Urinverlust, manchmal täglich und mehr¬ 
mals am Tage. Bei der Aufnahme, die nach gehäuften Anfällen erfolgte, 
starke Bewusstseinstrübung. Lues und Potus wird negiert. 

Organische Symptome sind am Nervensystem nicht festzustellen, 
doch reagiert Blutserum und Spinalflüssigkeit nach Wassermann + ; es 
besteht starke Lymphocytose (141 pro Kubikmillimeter) und Eiweissver¬ 
mehrung nach Nonne und Nissl. Zeichen von Arteriosklerose sind 
nicht vorhanden. Aufhellung des Sensoriums nach einigen Tagen. 
Schmierkur und Jodkali. Vereinzelte, immer seltenere Anfälle. Im 
ganzen etwas euphorisch, aber reizbar. Gedächtnis und Merkfähigkeit 
im allgemeinen nicht gestört, doch bestehen für die Wochen vor der 
Aufnahme grosse Erinnerungslücken. Ausgesprochene Intelligenzdefekte 
lassen sich nicht nachweisen. Das Vorliegen einer Paralyse schliesst 
Vortr. auf Grund des Fehlens von organischen Symptomen und einer 
charakterischen Demenz aus. Die Deutung des Krankheitsprozesses 
macht Schwierigkeiten, da einerseits der Lumbalbefund auf eine starke 
chronisch-entzündliche Erkrankung der Meningen hindeutet, andererseits, 
abgesehen von den epileptischen Anfällen, alle anderen Zeichen einer 
Erkrankung des Centralnervensystems fehlen. Nur dass die Erkrankung 
ätiologisch mit Lues zusammenbängt, lässt sich sagen. 

Diskussion: Hr. Förster kennt zwei Fälle von Spätepilepsie mit 
geringerer Lymphocytose und positivem Blutserum. Den einen Fall, 
der jährlich zwei Kuren macht, beobachtet er seit zwei Jahren, ohne 
dass neue Symptome aufgetreten sind, während die Anfälle allmählich 
fortblieben. Der zweite Fall wurde ohne nennenswerten Erfolg be¬ 
handelt. 

Hr. Alzheimer: 

4. Eigenartiger Verblödungsznstand auf arteriosklerotischer Grundlage. 

Der 60 jährige Mann erkrankte in seinem 55. Jahr mit Veränderung 
seines Wesens, Reizbarkeit, Neigung zu zornmütiger Erregung ohne Rück¬ 
sicht auf seine soziale Position, verlor dadurch seine Stellung, konnte 
sich auch in anderen nicht halten. In Ausdruck und Schrift machte 
sich Wortarmut durch häufige Wiederkehr derselben Wendungen bemerk¬ 
bar. Brutal auch gegen die Familie. Nie Schwindelanfälle. Bei der 
Aufnahme erregt und euphorisch, gesteigertes Gesundheitsgefühl, ab¬ 
wechselnd mit einzelnen Klagen über Schlaflosigkeit, Gedächtnisverlust, 
Müdigkeit. Einengung der Sprache auf stereotype Wendungen, die 
Aeusserungen über seinen Zustand, Klagen über die Umgebung, Wünsche 
enthalten. Sie werden stets in agrammatischer Form (Telegrammstil) 
vorgebracht, die einzelnen Silben werden nach Art eines übertriebenen 
Skandierens auseinandergerissen, zuweilen sind leichte artikulatorische 
Störungen in Gestalt von Stolpern und Schmieren bemerkbar, auch 
einzelne Paraphasien. Die Prüfung ergibt ausgesprochene amnestisoh- 
aphasische Defekte, Einengung des Sprachverständnisses. Mehrsilbige 
Worte versteht er meist nicht, ebensowenig einfache Aufforderungen. 
Nachsprechen einfacher Worte gut, sonst paraphasisch und ohne Ver¬ 
ständnis. Lesen erhalten, aber ohne Verständnis der Sätze. Schreiben 
mit vielen Paragraphien. Abschreiben besser. Deutliche aparaktische 
Störungen bestehen nicht. Rechenaufgaben löst er gut. Merkfähigkeit 
für das ihn Interessierende ganz gut, Gedächtnis nicht grob beeinträchtigt. 
Interessen kreis und Initiative eingeengt. Etwas träge Pupillenreaktion, 
lebhafte Reflexe. Keine hemiplegischen Symptome. Deutliche periphere 
Arteriosklerose. Wassermann im Blutserum +, im Liquor —. Keine 
Lymphocytose, keine Eiweissverraehrung. Differentialdiagnostisch sind 
Paralyse und präsenile Demenz auf Grund des eigenartigen circumscripten 
psychischen Defektes, erstere auch auf Grund des Verhaltens der Spinal¬ 
flüssigkeit auszuschliessen. Der Beginn mit Wesensveränderung und die 
chroniche Entwicklung aphasischer Störungen ohne Anfälle lässt den 
Fall vielleicht einer Gruppe arteriosklerotischer Erkrankungen (Pick) 
einordnen, bei denen anatomisch der Befund des spongiösen „Rinden¬ 
schwundes“ gefunden wurde, und die sich klinisch zur allgemeinen 
Arteriosklerose verhält wie die Lissauer’sche Paralyse zur typischen 
Paralyse. 

Hr. Stertz: 1. Hysterische Pseudo bnlbärparalyse. 

Die 27 jährige Patientin erkrankte im März 1912 in London, nach¬ 
dem zuvor allerlei missliche Verhältnisse ihr Seelenleben in depressiver 
Richtung beeinflusst hatten. Bei der Ankunft zu Haus Veränderung der 
Sprache (Bradylalie), später Schwäche und Schmerzen im linken Arm, 
unsicherer, taumelnder Gang. Gedrückte zum Weinen geneigte Stimmung. 
Vielfach ohne Erfolg behandelt. Bei der Aufnahme Amnesie für den 
Beginn der Krankheit und für Ueberfahrt nach Deutschland bei sonst 
gutem Gedächtsnis. Klagt über heftige Krämpfe und Schmerzen im 
linken Arm. Befund: rechte Pupille weiter als linke bei guter Reaktion. 
Spontan schlaffe Innervation des Gesichts, besonders der Mundpartie 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 15. 


(Analogie zur Facies myopathica), bei der Prüfung keine Paresen. 
Gaumensegel bei der Phonation kaum bewegt, gut beim Schlucken. 
Selten — nur in Anwesenheit des Arztes — Verschlucken (Kehlkopf). 
Die Sprachstörung besteht wesentlich in einer bei vielen Worten sich 
geltend machenden Bradylalie und Auseinanderziehen der Silben bei sehr 
ungleichraässiger Stimmstärke und sehr mangelhafter Regulierung der 
In- und Exspiration sowie in nasalem Beiklang. Doch werden sonst die 
Laute (Vokale wie Konsonanten) einzeln und zu Testworten verbunden 
ohne grobe Störung gebildet. Im übrigen ergibt die genaue Unter¬ 
suchung der bulbären Nerven inklusive elektrischer Erregbarkeit einen 
durchaus normalen Befund. Die Sprachstörung wechselt in hohem Grade 
und ist während der Demonstration kaum nachweisbar. 

Es besteht ein dauernder Krampfzustand der linken oberen Extre¬ 
mität, an welchem Schulter (Hochstand; Adduktion des Armes), die ge¬ 
samte Oberarm- und Unterarmmuskulalur beteiligt sind, nur dass eine 
ziemlich freie Beweglichkeit der Finger verbleibt. Ab und zu, besonders 
untur psychischen Einflüssen, treten schmerzhafte Beugekrämpfe des 
Armes auf, späterhin auch zu gleicher Zeit krampfhafte Streckung des 
linken Beines und Vorwärtsbeugen des Oberkörpers. Die Patellarreflexe 
sind etwas schwach, scheinbar different (r < 1) doch ist es niemals ge¬ 
lungen, völlige Entspannung zu bewirken. Der sonstige Nervenstatus 
ist in jeder Beziehung normal. Der Gang ist manchmal übertrieben 
taumelnd und geschieht oft unter mühsamem Schleifen des linken Beins, 
das mit dem äusseren Fussrand aufgesetzt wird. Zeitweise Besserungen 
wechseln mit Verschlechterung, psychische Einflüsse evident, in letzter 
Zeit Tendenz zur Besserung, besonders der Sprache. Zeitweise depressiv, 
weinerlich, die Attacken des Weinens haben bei der Untersuchung manch¬ 
mal einen krampfhaften Charakter. Bei der Deutung des Bildes wird 
hervorgehoben, dass sichere organische Symptome nicht vor¬ 
handen sind. 

1. Es fehlen eigentliche Lähmungserscheinungen organischer Art. 
2. Es fehlt Atrophie und Abänderung der elektrischen Reaktion. 3. Es 
fehlen begleitende spastische Symptome organischer Art. 4. Es fehlt die 
Beteiligung der Sensibilität, des Reccurrens, der Atmung, des Pulses. 
5. Es fehlen wesentliche Charakteristica der bulbären oder pseudo¬ 
bulbären Sprache. 

Andererseits ist bemerkenswert: 1. Der grosse Wechsel der Er¬ 
scheinungen. 2. Die offenkundige psychogene Beeinflussbarkeit. 3. Das 
allgemein hysterische Verhalten. 4. Die systematische Amnesien. Die 
Krarapferscheinungen, sowohl der dauernde Crarapus als auch die 
Paroxysmen sind eigentlich nur unter dem Gesichtspunkt psychogener 
Entstehung erklärbar. Vortragender kommt mithin zu dem Resultat, 
dass trotz teilweiser Aehnlichkeit mit bulbären Krankheitsbildern hier 
ein seltener hysterischer Symptomkomplex vorliegt, dem man nach den 
dominierenden Symptomen die obige Bezeichnung geben könnte. 

Diskussion. 

Hr. Ludwig Mann: Ich habe die demonstrierte Pat. vor der 
Aufname in die Königliche psychiatrische Klinik drei Monate lang in 
meiner Privatklinik beobachtet und bin auf Grund dieser Beobachtung 
zu einer anderen Auffassung des Falles gekommen wie der Herr Vor¬ 
tragende. Ich glaube, dass es sich um eine organische Affektion handelt, 
zu der allerdings im Laufe der Zeit hysterische Erscheinungen hinzu¬ 
getreten sind. Auch nach der heutigen Demonstration habe ich keinen 
Anlass, von dieser Auffassung abzugehen. 

Die bulbären Erscheinungen waren, als ich die Patientin übernahm, 
so ausgeprägt, dass ich sie nicht anders als organisch bedingt ansehen 
konnte. Es fand sich damals eine vollständige Lähmung des Gaumen¬ 
segels, die sowohl die charakteristische Sprach- wie auch Schlingstörungen 
verursachte. Die Zunge wich deutlich nach rechts ab und zeigte be¬ 
sonders auf der rechten Seite fibrilläre Zuckungen. Auch der Mund- 
facialis war zeitweise rechts leicht paretisch, der Lippenschluss etwas 
schwach. Das Gesicht hatte iu noch höherem Maasse wie jetzt den 
charakteristischen schlaffen, myopathiseben Zug. Der Gaumenreflex 
konnte früher nur bei sehr starkem Reiz ausgelöst werden; bei mässigem 
Reize sowie bei willkürlicher Intonation fehlte jede Bewegung des Gaumen¬ 
segels. Die elektrische Erregbarkeit desselben war vorhanden, es schien 
jedoch eine leichte Differenz zwischen links und rechts zu bestehen. Die 
auch jetzt noch vorhandene Pupillendifferenz war konstant nach¬ 
weisbar; zeitweise reagierte die rechte, weitere, Pupille entschieden 
schwach. 

Der Patellar- und Achillessehnenreflex war konstant rechts schwächer, 
zeitweise gar nicht auslösbar. Diese Reflexdifferenz ist ganz überein¬ 
stimmend von allen Beobachtern, von mir ebenso wie von dem früher 
behandelnden Kollegen und auch jetzt wieder von dem Herrn Vor¬ 
tragenden beobachtet worden; sie kann daher meiner Ansicht nach nicht 
auf mangelnde Entspannung der Muskulatur zurückgeführt werden. 

Auch den eigentümlichen tonischen Krampf des linken Armes 
möchte ich als organisch bedingtes Symptom auffassen. Dafür scheint 
mir besonders die Art der Verteilung des Krampfes in der Muskulatur 
zu sprechen. Der tonische Krampf ist nämlich lokalisiert in den Schulter- 
und Oberarmmuskeln und in einem Teile der Unterarmmuskeln. Von 
letzteren ist nur der Supinator longus befallen, so dass das Handgelenk 
eine radialwärts aufgerichtete Stellung einnimmt. Die anderen Hand¬ 
gelenkstrecker sowie die Fingerstrecker und -beuger waren stets frei 
vom Krampfe. Ich habe dieses Verhalten andauernd ganz überein¬ 
stimmend beobachtet. Diese Dissoziation des Krampfes spricht meiner 
Eifahrung nach gegen einen hysterischen Krampf, bei welchem die 


Muskeln eines Gliedabschnittes in toto befallen zu sein pflegen, und ver¬ 
einigt sich gut mit der Annahme eines von den Kernen des Halsmarke 9 
ausgehenden Krampfes, da die vom Krampf befallenen Muskeln ihre Ver¬ 
tretung in benachbarten Segmenten haben; der Kern des M. radialis 
externus longus schliesst sich nämlich an die Kerne der Oberarmmuskeln 
und des Supinator loDgus an, während die anderen Handgelenks- und 
die Fingermuskeln eine tiefere Vertretung haben. 

Noch eine andere Eigenschaft des Krampfes ist zu erwähnen; der¬ 
selbe war nicht konstant vorhanden, sondern in völliger Ruhe erschlaffte 
die Muskulatur. Er trat aber sofort wieder auf, wenn die Patientin an¬ 
gestrengt intonierte, ganz besonders aber dann, wenn das krampfhafte, 
zwangsmässige Weinen (seltener bestand auch Zwangslachen) auftrat, 
welches bei ihr in der für Bulbärerkratikungen ausserordentlich 
charakteristischen spastischen Form lange Zeit vorhanden war, durch 
den geringsten Affekt ausgelöst wurde uud dem Gesicht oft einen voll¬ 
kommen blöden Ausdruck verlieh. Ganz synchrom mit diesem bulbären 
Reizzustand trat nun jedesmal der Krampf in den Armmuskeln hervor, 
so dass ich im Zusammenhang mit der obenerwähnten Lokalisation mich 
dem Eindruck nicht verschliessen konnte, dass es sich bei dem Krampf 
der Armmuskeln um einen Reizzustand der Vorderhornzellen im Hals¬ 
mark analog dem der Bulbärkerne handele. Mir ist allerdings etwas 
ähnliches bisher nicht bekannt. Wir nehmen sonst an, dass Erkran¬ 
kungen der Vorderhornzellen Lähmungs- und nicht Reizerscheinungen 
machen. Immerhin erscheint das Auftreten des letzteren unter be¬ 
sonderen Verhältnissgn doch nicht ganz unmöglich. (Die fibrillären 
Zuckungen, deren Wesen als Reizerscheinungen von Strümpei kürzlich 
betont worden ist, könne vielleicht als Analogie herangezogen werden.) 
Vielleicht handelt es sich nicht um eine Reizung der Vorderhornzellen 
selbst, sondern gewisser supranucleärer Apparate. 

Alles zusammengenommen möchte ich meinen, dass es sich um eine 
organische Erkrankung handelt, die im Gebiete der Vorderhornzellen 
disseminiert lokalisiert ist, also einerseits die Bulbärkerne, dann Kerne 
im Halsmark und schliesslich auch im Lendenmark (Abschwäcbung des 
Patellarreflexes) befällt. Vielleicht liegt eine Infektionskrankheit vor, 
vielleicht eine botulismusartige Intoxikation. Für letztere könnte eine 
in der Anamnese erwähnte schwere Magendarmaffektion sprechen. Zu 
der für die Patientin sehr qualvollen Affektion sind allmählich, wie es 
ja häufig der Fall ist, hysterische Manifestationen, insbesondere eine 
hysterische Gangstörung, hinzugetreten; ich habe die Entwicklung der¬ 
selben selbst beobachtet. Diese scheint mir aber nicht das Wesen der 
Sache, sondern nur eine Begleiterscheinung darzustellen. Für den 
wesentlich organischen Charakter des Leidens spricht auch der Umstand, 
dass trotz aller therapeutischen Bemühungen bisher eine deutliche 
suggestive Beeinflussung nicht zu erzielen gewesen ist. Eine allmähliche 
leichte Besserung der organischen Symptome ist eingetreten, wie dies 
ja wohl verständlich ist. Auch waren von jeher gewisse Schwankungen 
im Befinden und eine gewisse Beeinflussbarkeit desselben durch psy¬ 
chische Momente unverkennbar, eine Beobachtung, die wir ja bei orga¬ 
nischen Affektionen oft genug machen können. 

Ich glaube also, dass es sich um eine eigenartige organische bulbär- 
spinale Affektion handelt, die nach Ueberwindung des Höhestadiums 
jetzt eine gewisse Tendenz zur Besserung zeigt, und die kompliziert ist 
durch hysterische Erscheinungen. 

Hr. C. S. Freund hat die Patientin früher in der Sprechstunde ge¬ 
sehen. Damals waren „bulbär“ aussehende Symptome noch nicht vor¬ 
handen. Die schmerzhaften Krämpfe hielt er für Crampi, die eventuell 
durch leichte ueuritische Affektion ausgelöst wäreö. Herrn Mann gegen¬ 
über betont er, dass Zwangsweinen nicht auf eine Affektion der 
bulbären Kerne, sondern auf supranucleäre Centren bezogen werden 
müsste. 

Hr. Foerster hält die Auslösung eines Monate dauernden Krampf¬ 
zustandes und der hier bestehenden schmerzhaften Paroxysmen durch 
einen „ReizzustaDd“ der grauen Vordersäulen nicht für möglich. 

Hr. Alzheimer hält ebenfalls eine solche Entstehung der Krämpfe 
für ausgeschlossen. Eine seit fast einem Jahre bestehende Erkrankung 
bulbärer Kerne würde längst zur Atrophie usw. geführt haben. Bei 
dieser systematischen Verteilung der Symptome lässt sich eine organische 
Erkrankung vom anatomischen und lok&lisatorischen Standpunkt aus 
nicht vorstellen. Die klinische Beobachtung hat die stark psychogene 
Beeinflussbarkeit ergeben. 

Hr. Stertz bat sich von der von Herrn Mann erwähnten, „nur 
organisch erklärbaren“ Auswahl der krampfenden Muskeln nicht über¬ 
zeugen können, ebensowenig von einem inneren Zusammenhang zwischen 
dem Sprechakt, dem Weinen und den schmerzhaften Krämpfen. 

Hr. Stertz: 2. Katatonische Papillen starre. (A. Westphal.) 

21 jähriges Mädchen, seit 1902 chronisch erkrankt, seitdem ohne Be¬ 
schäftigung. Jetzt wortkarg, negativistische und läppische Züge, ziemlich 
stumpf und gehemmt. Gehörshalluzinationen. Cyanose des Gesichts 
und der Hände, etwas lebhafte Reflexe. Pupillen etwas different. Die 
rechte, weitere, reagiert bei wiederholter greller Belichtung nicht mehr, 
erweitert sich vielmehr und verzieht sich ein wenig. Bei der anderen 
Pupille ist es nicht so deutlich ausgesprochen. Das Phänomen ist 
flüchtig und nicht immer nachweisbar. Ein gewisses Widerstreben der 
Patientin begünstigt sein Auftreten. Druck auf die Ileoooecalgegend 
(Meyer) hat keinen erkennbaren Einfluss. 


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14. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


703 


Hr. Stöcker: 

Kombinierte Hinterseitenstrangerkranknng bei Arteriosklerose. 

A. H., Schneider, 54 Jahre alt. Früher angeblich stets gesund, die 
Frau machte zwei Fehlgeburten durch; nie geschlechtliche Infektion; 
kein Trinker. Im Juli 1912 habe er eines Morgens beim Aufstehen 
bemerkt, dass er auf der linken Seite nicht mehr fortkomme. Seit der 
Zeit sei die linke Seite so schwach; im Laufe des letzten halben Jahres 
sei dann auch die rechte Seite allmählich immer schwächer geworden. 
Das Wasser komme ihm oft von selbst, ohne dass er es merke, seit 
Jahren sei er impotent. Schmerzen irgendwelcher Art habe er nicht. 

Hagerer Mann in dürftigem Ernährungszustände; kam mit blauen 
Flecken am ganzen Körper in die Klinik, die von Misshandlungen von 
seiten der Frau, die Trinkerin ist, herrührten. 

Innere Organe ohne Besonderheiten. Urin frei von Eiweiss und 
Zucker. Arteriosklerose der Speichenarterien mässigen Grades. Schlaffe 
dürftige Muskulatur, elektrische Erregbarkeit gut; Kraftleistung ent¬ 
sprechend. 

Pupillen eng, etwas verzogen, reagieren prompt auf Konvergenz, 
wenig ausgiebig jedoch auf Licht. 

Rechter Mundfacialis weniger gut als linker; beim Gehen werden 
die beiden Arme abduziert gehalten, pendeln wenig mit; rechts mehr 
als links. 

Die oberen Bauchdeckenreflexe sind bisweilen auslösbar, erschöpfen 
sich jedoch sehr leicht, bisweilen sind sie nicht auszulösen; die unteren 
fehlen konstant. 

Die Patellarreflexe sind beiderseits lebhaft, mitunter beiderseits 
Clonus. Die Achillesreflexe sind ebenfalls lebhaft, zeitweise Andeutung 
von Clonus. Rechts mitunter fragliches Babinski’sches Phänomen. 
Tonus nicht erhöht, eher nach einigen Bewegungen etwas schlaff. 
Keine Paresen, nur rechts Dorsalflexion vielleicht eine Spur schwächer 
als links. 

Patient geht breitbeinig, stampfend, setzt die Hacken zuerst auf, 
dabei werden jedoch die Beine deutlich etwas steif gehalten, auch etwas 
circumduziert. 

Es besteht ausgesprochene Ataxie der Beine in Rückenlage, die 
bei Augenschluss deutlich zunimmt. Romberg'sches Phänomen ist positiv. 

Wassermann’sche Reaktion in Blut und Liquor negativ; keine 
Lymphocytose, keine deutliche Eiweissvermehrung. Blutbild normal. 

Psychisch machte Patient stets einen etwas indolenten Eindruck, 
zeigte wenig Neigung, sich zu beschäftigen, hat wenig Interessen, kennt 
ausser dem Namen des Stationsarztes keinerlei Namen; doch sind deut¬ 
liche gröbere Defekte der Intelligenz nicht nachweisbar. 

Der Vortragende meint, dass sich zunächst auf Grund des negativen 
Blut- und Liquorbefundes eine luetische Erkrankung mit Sicherheit aus- 
schliessen lasse. 

Auch eine multiple Sklerose schliesst er aus, einmal auf Grund 
des hohen Alters des Patienten, dann wegen des Fehlens jeglicher 
Augensymptome; des weiteren auch irgendwelche toxische oder infektiöse 
Erkrankung, da hierfür keinerlei Anhaltspunkte vorliegen. 

Der Vortragende kommt schliesslich auf Grund der Tatsache, dass 
es sich doch wohl bei der CerebralerkrankuDg um eine arteriosklerotische 
Erkrankung handelt, zu dem Schlüsse, dass auch das Spinalleiden als 
arteriosklerotisch bedingt aufzufassen sei. 

Diskussion. Hr. Förster hat eine 75jährige Frau beobachtet, 
die ein ähnliches Krankheitsbild bot, nur dass die Hinterstrangssymptome 
mehr dominierten. Er ist geneigt, in seinem Falle die gleiche Aetio- 
logie anzunehmen. 

Hr. Golla: Kongenitale Muskel defekte bei einem Tabiker. 

34jähriger Patient, der sich mit 26 Jahren luetisch infiziert hat. 
Seit 4 Jahren lancinierende Schmerzen in den Beinen, Parästhesien, 
Gürtelgefühl. Blasenbeschwerden. 

Pupillen rechts > links, entrundet. Wenig ausgiebige Lichtreaktion. 

Ataxie der Beine in Rückenlage. Rhomberg -f-, Patellar- und 
Achillesreflexe fehlen beiderseits. 

Hypalgesie am Rücken im Bereich des 4. bis 11. Brustwirbels, sich 
nach vorn verlierend. 

Bewegungsempfindungsstörung an den grossen Zehen. 

Wassermann in Blut und Liquor +. 

Zell- und Eiweissvermehrung im Liquor. 

Abflachung der rechten Brustseite, Rippen scheinen deutlich durch. 
Inspektion und Palpation ergibt das Fehlen der Pars sternocostalis, des 
Pectoralis major; der Pectoralis minor fehlt anscheinend ganz. Die 
Pars clavicularis des Pectoralis major ist in fingerförmiger Anordnung 
vorhanden. Zwischen Wirbelsäule und rechtem inneren Schulterblatt¬ 
rand, etwa in Höhe des 3. Brustwirbels, flache, dreieckige Grube. Etwas 
nach unten und aussen davon eine zweite, ebenfalls etwa dreieckig an¬ 
geordnete Vertiefung; die Basis entspricht annähernd dem Schulterblatt¬ 
rand. Es fehlen Bündel des Trapezius und Rhomboidei. 

Elektrische Reizung in den defekten Partien ohne Erfolg, die Rest- 
bfindel zeigen normales elektrisches Verhalten und normale mechanische 
Erregbarkeit. 

Trophische Veränderungen der Haut: abnorm dünn, straff. Fett¬ 
polster fehlt, besonders fällt der Mangel an Fett in den Achselhöhlen 
auf. Die rechte Mamille ist etwas kleiner als die linke, steht etwas 
höher. Hochstand der rechten Scapula, Abstehen des inneren Scapula¬ 
randes. 

Dextero-konvexe Skoliose der unteren Hals- und oberen Brustwirbelsäule. 


Keine Rippendefekte. 

Keine Beeinträchtigung der Funktion. (Einstellung auf einen ge¬ 
ringen Muskelbestand seit frühester Kindheit.) 

Für die Annahme erworbener Defekte spricht das Vorhandensein 
von trophischen Störungen und die Beschränkung der Defekte auf einzelne 
Muskeln bzw. Teile einer Seite. Gegen tabische Atrophien, die ein 
ähnliches Bild bieten können, muss die Anamnese hervorgehoben werden. 
Der Patient selbst und seine Angehörigen geben bestimmt aD, dass die 
Abflachung der rechten Brustseite seit seinem 6. Lebensjahr beobachtet 
worden ist. 


Yereia der Aerzte Wiesbadens. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 5. Februar 1913. 

Vorsitzender: Herr R. Schütz. 

1. Hr. Herxheimer: Pathologisch - anatomische Demonstrationen. 

Vortragender demonstriert: 1. ein Magencarcinom, welches zu aus¬ 
gedehntesten, teils mehr knötchenförmigen, teils mehr diffusen Me¬ 
tastasen in den weichen Hirnhäuten, besonders oberhalb der 
Medulla oblongata, in der Gegend des Chiasma und der Hypophyse, aber 
auch über den Hemisphären geführt hat. Makroskopisch erscheinen die 
Veränderungen der Pia nicht sehr bedeutend, aber wie sich öfters eine 
gewisse Inkongruenz des makroskopischen und mikroskopischen Befundes 
gerade in den weichen Hirnhäuten feststellen lässt, deckt das Mikroskop 
ausgedehntes Carcinom, und zwar in den Lymphgefässen und -spalten 
verbreitet auf. 

2. Carcinom des Magens, direkt übergegriffen auf die verwachsene 
Leber mit Metastasen in dieser. Von besonderem Interesse ist der Tumor, 
weil es sich mikroskopisch um ein sogenanntes Adenocancroid handelt, 
d. h. ein grosser Teil desselben typisches Plattenepithel mit aus¬ 
gedehntester Verhornung aufweist, wie solche Fälle im Magen nur 
äusserst spärlich, so von Lubarsch und in einom früheren Falle von 
dem Vortragenden veröffentlicht, bekannt sind. 

3. Lymphosarkom von den rechtsseitigen Bronchiallyraphdrüsen aus¬ 
gehend und die Lunge sowie das ganze vordere Mediastinum tumorartig 
ergreifend. Mikroskopisch fällt auf, dass die den Tumor zusammen¬ 
setzenden Zellen grösser und ungleicbmässiger als wie die Lymphooyten 
des gewöhnlichen Lymphosarkoms-Kuodrats sind. 

4. Lebercirrh086 bei einem IV 2 jährigen Kinde. Syphilis war aus- 
zuschliessen, auch erinnerte das makroskopische und mikroskopische Bild 
keineswegs daran. Darreichungen von Alkohol oder dergleichen sowie 
besondere Medikamente waren anamnestisch auszuschliessen; hingegen be¬ 
standen schon seit etwa einem halben Jahre Verdauungsstörungen, und 
es fand sich bei der Sektion chronischer Katarrh des Dünndarms und 
besonders des Dickdarms mit tiefen Geschwüren in letzterem. Die 
Lebercirrhose ist auf jeden Fall als die Folge der Darmerkrankung auf¬ 
zufassen. Es wird die Girrhose in ihrer Abhängigkeit von Alkoholismus 
auch von diesem Gesichtspunkte aus besprochen. 

Diskussion. 

Hr. Ährens bemerkt, dass auch er an keine atavistische Aetiologie, 
zumal er den Beweis für eine entwicklungsgeschichtliche Ursache solcher 
fremden Epithelansiedelungen im normalen Epithel in einer Veröffent¬ 
lichung auf dem Chirurgenkongress iu Berlin 1901 gegeben zu haben, 
glaubt. Es handelt sich um eine zweite Magendarmanlage bei einem 
16jährigen Mädchen: Ein vier Liter Magensaft und Blut enthaltender 
Magen, mit etwa 25 cm langem Darmanhang, sitzend am persistierenden 
Gekröse des Colon ascendens. Die Blutung war durch Magengeschwüre 
entstanden, und die mikroskopische Untersuchung ergab, dass diese nur 
da sassen, wo fremdes Epithel vorhanden war. Es war einfaches und 
kubisches Plattenepithel, Flimmerepithel und gewöhnliches Cylinder- 
epithel vorhanden, wie es im Magen vorhanden ist. Es war eben eine 
noch nicht differenzierte Magendarmanlage des primitiven Urdarms, der 
noch Magendarm, Speise- und Luftröhre, Thymus und Leber zusammen 
darstellte, vorhanden, als Entwicklungskeim. 

Hr. Proebsting gibt zu dem Fall von Lymphosarkom des Me¬ 
diastinum einige klinische Daten: Anfangssymptom äusserst intensiver, 
quälender Husten; frühzeitige laryngoskopisch sichtbare Stenose der 
unteren Trachea. Differenzialdiagnose zwischen Basedow mit Struma, 
Lymphom und Lymphosarkom. Tracheotomie bestätigte das letztere, 
brachte wochenlang Euphorie ohne Husten und Dyspnoe; dann rapides 
Wachstum des Tumors in Mediastino und Exitus unter zunehmender 
Kompression. 

Hr. Böttcher erwähnt zur Demonstration des Lymphosarkoms, dass 
Otto Lassen in Hospitalstidende, 1912, Nr. 49 einen Fall von Lympho¬ 
sarkom des Mediastinums bei einem 17 jährigen jungen Manne raitteilt, 
als ein weiteres Beispiel des öfters beobachteten Vorkommens von posi¬ 
tiver Wassermannreaktion bei malignen Tumoren. 

2. Hr. Alfred Stephan (a. G.): Ueber Trockenhefepräparate. 

Der Vortragende spricht zuerst über die historische Entwicklung der Er¬ 
forschung der Gärwirkung der Hefe, beginnend mit der Entdeckung 
Lavoisier’s betr. die Zerlegung der Zuckerlösungen im Kohlendioxyd 
und Alkohol und endend mit Buchner’s Isolierung der Cymase, des 
die Gärung verursachenden Enzyms, wodurch die von Traube aufge¬ 
stellte Enzymtheorie bewiesen wurde. Die Entdeckung Buchner’s war 


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704 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 15. 


die Veranlassung zur Herstellung von Trockenhefepräparaten, welche 
einen Ersatz bieten sollen für die leicht verderbliche und oft recht un¬ 
angenehm schmeckende frische Hefe. 

Häufige Klagen über erfolglose Hefekuren veranlassten den Vor¬ 
tragenden, sich mit der Untersuchung der im Handel befindlichen me¬ 
dizinischen Trockenhefepräparaten zu beschäftigen. 

Da von den drei in der Hefezelle enthaltenen Enzymen — In¬ 
vertin, Endotrypsin, Cymase — das die Gärung verursachende Enzym, 
die Cymase, am leichtesten der Zersetzung anheimfällt, so ist für die 
Beurteilung der Trockenhefepräparate ihr Gehalt an Cymase bzw. ihre 
Gärkraft maassgebend. 

Die Gärkraftbestimmungen wurden in Koch’schen Gärcylindern 
unter Verwendung von 1 g Trockenhefe suspendiert in 50 ccm 10 proz. 
Traubenzuckerlösung bei 35 °C vorgenommen. Nach 24 Stunden wurde 
der Kohlensäureverlust der Zuckerlösungen bestimmt; die erhaltenen 
Zahlen bilden einen Wertmesser für Gärkraft und Haltbarkeit der unter¬ 
suchten Präparate. 

Während bei allen Trockenhefepräparaten die Versuchsdauer auf 
24 Stunden ausgedehnt werden musste, um wenigstens einen geringen 
Teil des Traubenzuckers zu vergären, genügte bei frischer Hefe und bei 
Biocyme bereits die Zeit von neun Stunden zur vollständigen Vergärung 
des Zuckers. 


1 g Cymin (2 Präparate) . . 

0,2 g Kohlensäureverlust in 24 Std. 

1 g Levurinose (3 Präparate) 0,0- 

-0,05 g 

* 24 

„ 

1 g Furunkulin (3 Präparate) 0,0- 

- 0,3 g 

. 24 

» 

1 g Merk’sche Hefe (3 Präpar.) 0,2- 

- 0,3 g 

* 24 

„ 

1 g Faexpillen (1 Präparat) 

0,0 g 

„ 24 

» 

4 g Presshefe (25 pCt. Trocken¬ 




substanz) . 

1,9 g 

n 9 


1 g Biocyme ...... 

1,8 g 

» 9 

n 

1 g Biocyme (nach 1 jähriger 




Aufbewahrung) . . . 

1,78 g 

» 9 

» 


Die Versuche zeigen, dass die meisten Präparate nur eine minimale 
Gärkraft bzw. Haltbarkeit besitzen, was teils auf Herstellung teils auf 
nicht luftdichte Verpackung zurückzufübren ist. 

Nachdem der Vortragende über seine Verdauungsversuche zur Fest¬ 
stellung der Wirkung des Endotrypsins gesprochen und über seine 
kulturellen Versuche berichtet hat, teilt er mit, dass Levurinose und 
Furunkulin etwa 50 pCt. Stärke enthalten, während in den übrigen Prä¬ 
paraten keine Stärke nachweisbar war. 

Es ist zu beanstanden, dass die Verpackungen von Furunkulin und 
Levurinose mit keinem Vermerk über die nicht unwesentliche Zumischung 
von Stärke versehen sind, denn erstens tritt eine Wertverminderung von 
etwa 50 pCt. ein, und zweitens ist die Stärke beim Diabetes mellitus 
keine indifferente Zugabe. 

Ueber den Wert der verordneten Trockenhefepräparate, hinsichtlich 
Gärkraft und Gehalt an lebenden Zellen kann sich der Arzt leicht Ge¬ 
wissheit verschaffen, indem er die Gärkraft mittelst des Lohnstein’schen 
Apparates kontrolliert. Der Gehalt an lebenden Zellen lässt sich 
leicht mikroskopisch in wässriger Hefeaufschwemmung durch Farben mit 
neutraler Methylenblaulösung feststellen. 

Biocyme eignet sich vorzüglich zur Feststellung kleinster Mengen 
von Traubenzucker, welche mittelst Nylander’s und Fehling’s 
Reagens nicht mehr sicher naohgewiesen werden können. Man fügt zu 
10 ccm Urin eine kleine Menge Biocyme und lässt es sechs Stunden 
stehen; setzt man dann die genügende Menge von Kalilauge und Lugol- 
scher Lösung zu, so gibt der Urin, auch wenn er nur 0,1 pCt. Zucker 
enthält, eine zweifelsfreie, durch den Geruch wahrnehmbare Jodoform¬ 
reaktion. _ 


Aerztlicher Verein zn Hamburg. 

(Biologische Abteilung.) 

Sitzung vom 4. März 1913. 

1. Hr. Stamm berichtet über ein neugeborenes Kind, das in den 
ersten sechs Lebenstagen, trotz guter Nahrungsaufnahme, keinen Stuhl 
entleerte. Nach Rioinus erfolgte ein intensiv stinkender Stuhl. Bei der 
Obduktion fand sich eine Enteritis necroticans als Ursache des Krank¬ 
heitsbildes. 

2. Diskussion zum Vortrag des Herrn Allard: Zar Diagnose des 
Uicns dnodeni. 

Hr. Schmilinsky glaubt nicht, dass durch das Oelprobefrübstück 
die Diagnose wesentlich gefördert wird; der Nachweis von Blut darin ist 
jedenfalls sehr vorsichtig zu beurteilen. Häufig fiel Schm, eine gewisse 
Periodizität der Schmerzanfälle auf (Frühjahr und Herbst), oft war die 
Gewichtsabnahme eine relativ erhebliche. 

Hr. Oehlecker hat im vergangenen Jahre sieben perforierte Ulcera 
operiert, wovon zwei Ulcera duodeni waren; sechsmal mit Erfolg, ein 
Patient starb. Häufig war die Erkrankung vorher anscheinend voll¬ 
kommen symptomlos verlaufen. 

Die Unterscheidung zwischen Ulcus ventriculi und Ulcus duodeni 
ist oftmals, auch bei der Operation, ganz ausserordentlich schwer! Die 
Zahlen der Gebrüder Mayo hält er, auf Grund persönlicher Eindrücke 
in Rochester, für unbedingt zuverlässig. 

Hr.Schottmüller: In einer ganzen Reihe von Fällen ist die Dia¬ 
gnose objektiv kaum zu stellen. Gelegentlich kann auoh bei offenen 
Ulcera duodeni Blut im Stuhl fehlen. 


Hr. v. Bergmann beobachtete im letzten Jahre 30 Fälle von Ulcus 
duodeni; er bespricht eingehend die Röntgendiagnostik desselben (Dauer¬ 
bulbus bei Hyperacidität, manchmal Hypomotilität mit starker Nüchtern¬ 
sekretion, fast an das Bild bei Morbus Reichmann erinnernd). Vaso¬ 
motorische Symptome finden sich bei Ulcus duodeni besonders häufig: 
unter 25 Fällen fand v. B. 24 mal Dermographie, 21 mal starke Schweisse, 
16 mal weite Pupillen, 18 mal Glanzaugen, 21 mal starke Pilocarpin- 
und 16 mal starke Atropinreaktion. 

Hr. Simmonds bemerkt, dass bei Säuglingen das Ulcus duodeni 
nicht so selten vorkommt. 

Hr. Luce: Gewisse Typen des Ulcus duodeni verlaufen ganz unter 
dem Bilde des Morbus Reichmann, meist Patienten im 5. bis 7. De¬ 
zennium. Morphium bewirkt in solchen Fällen Verschlimmerung, 
während auf Atropin wesentliche, oft erstaunliche Besserung erfolgt. 

Hr. E. Fraenkel betont die oft auch am Sektionstisch grosse 
Schwierigkeit, zu entscheiden, ob ein Ulcus am Pylorus oder am Duo¬ 
denum liegt. Blutentleerung per os und Stuhl bei Neugeborenen ist 
sehr häufig durch hämorrhagische Erosionen bedingt. 

Hr. Westphal hatte bei den 16 Fällen, die Herr v. Bergmaan 
operieren Hess, keine Schwierigkeit, als Grenze zwischen Pylorus und 
Duodenum die „Vene quer über den Pylorus“ zu benutzen. 

Hr. Allard: Schlusswort. 

3. HHr. Sch amm und Fleiscbmaun: 

Befände von Alkohol in der Spinalflässigkeit and in BlnL 

a) Hr. Schümm bespricht die Methodik des quantitativen Nach¬ 
weises und demonstriert eine von ihm ausgearbeitete einfache qualita¬ 
tive Probe. 

b) Hr. Fl ei sch mann teilt die klinischen Ergebnisse der gemein¬ 
samen Untersuchungen mit. Die Vorfrage, ob aus Kohlehydraten 
der Nahrung gebildeter Alkohol in den Liquor übergeht, ist zu ver¬ 
neinen. Bei 7 Betrunkenen (1. Untersucbungsreihe) fand sich starke 
Alkoholreaktion im Liquor. Bei 10 weiteren Betrunkenen ergab sich 
Gehalt von bis zu 0,4 pCt. Alkohol im Liquor (Schweissheimer fand 
im Blut nach Zufuhr von 385 ccm reinen Alkohols nur bis 0,22 pCt.). 
Unter 13 Deliranten hatten 10 keinen Alkohol mehr im Liquor nachzu- 
weisen; das Delirium tremens ist nicht durch Alkoholanhäufung im 
Liquor bedingt, sondern eine Abstinenzerscheinung. 

An einer Reihe dementer Paralytiker und senil Dementer wurden 
die Ausscheidungszeiten nach experimenteller Alkoholzufuhr geprüft; es 
zeigte sich, dass im allgemeinen der Alkoholgehalt des Liquors ziemlich 
parallel dem des Blutes geht; nach der ersten Stunde pflegt er im Liquor 
höher zu sein als im Blut. 

Diskussion. 

Hr. Schottmüller ist seit seinem Vortrag über den Alkoholgehalt 
des Liquors der Frage ebenfalls weiter nacbgegangen. Quantitative Ana¬ 
lysen mit dem Kaliumdichromatverfahren ergaben bis zu 0,5 pCt. 
Alkohol (nach 1 Liter Wein); einmal sogar, bei einem Schwerbetrunkenen, 
0,8 pCt.! In manchen Fällen geht nach seinen Beobachtungen die 
Alkoholausscheidung langsamer vor sich, als Herr Fleischmann fand. 

Hr. Nonne: Der Lumbaldruck ist in manchen, seltenen Fällen von 
Alkoholismus erhöht, meist aber, wie Herr Fleischmann schon angab, 
nicht gesteigert. Theoretisch interessant ist, dass bei Delirium tremens 
im Liquor kein Alkohol gefunden wird, man hat eine kumulative 
Schädigung der Nervenzellen durch im Liquor vorübergehend vorhandenen 
Alkohol anzunehmen; der Alkoholismus selbst ist wohl als Einzel¬ 
symptom einer allgemeinen Degeneration anzusehen. 

Hr. Bornstein fand im Blut von Alkoholikern vermehrte Lipoid¬ 
substanzen. 

Hr. Holzmannn weist auf die Untersuchungen von Pighini 
hin, der grosse Mengen von Cholesterin im Liquor von Alkoholisten 
nachwies. 

Hr. Jakob betont die toxische Komponente beim Zustandekommen 
des Delirium tremens. 

Hr. Troemner: Das Delirium tremens ist keine Abstinenzerschei¬ 
nung. Delirium tremens und akuter Rauschzustand zeigen bis zu einem 
gewissen Grade entgegengesetztes Verhalten. 

Hr. Kafka: Das interessante Ergebnis, dass der Liquor mehr Alkohol 
enthalten kann als das Blut, spricht dafür, dass gelegentlich eine Alkohol¬ 
retention im Liquor vorkommt. Vielleicht ergibt sich ein Unterschied 
im Gehalt des Liqors und der Ventrikelflüssigkeit. 

Hr. Brückner fragt, ob bei starkem Alkoholgehalt des Liquors 
positive Wassermann’sche Reaktion beobachtet wurde. 

Hr. E. Reye fand bei 60 Alkoholisten stets negative Wasser¬ 
mann’sche Reaktion im Liquor. 

Hr. Fleischmann: Schlusswort C. Hegler. 


Aerztlicher Verein zn Frankfurt a. M. 

Sitzung vom 3. März 1913. 

1. Hr. Fischer demonstriert zahlreiche pathologisch-anatomische 
Präparate. 

2. Hr. C. Haeberlin-Nayheim: Demonstration des Präparates einer 

Herzverletzung bei unverletztem Pericard. 

Das Projektil hatte das Pericard, ohne es zu verletzen, in die Ven¬ 
trikelwand hineingetrieben. Die Perforation des Herzmuskels führte zum 
Exitus. 

3. Hr. Hirsch-Tabor stellt einen Fall von atypischer Myotonie vor. 


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14. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


705 


4. Hr. A. Friedländer*. 

Klinik und Therapie der Alkaloidvergiftugen, speziell des Morphi¬ 
nismus. 

Wegen vorgerückter Zeit bespricht Vortr. nur die wichtigste der 
Alkaloidvergiftungen, den Morphinismus. Bei der Therapie der akuten 
Morphiumvergiftung, die nur gestreift wird, macht er auf den Erfolg der 
Verabreichung von Kalium permanganatum aufmerksam. Zu den Morphi¬ 
nisten stellen ein grosses Kontingent die Aerzte. Der Krankheitszustand 
wird fast ausschliesslich durch die subcutane Applikation hervorgerufen. 
In den schwersten Fällen werden bis zu 5 g pro die genommen. Der 
Morphinismus entsteht fast stets auf dem Boden einer psychopathischen 
Konstitution. Die Euphorie und die vorübergehend gesteigerte Lebens¬ 
energie befähigt die Leute häufig, ihrem Beruf nachzugehen. Die Sym¬ 
ptomatologie ist bekannt. Am schwersten von den Erscheinungen ist 
die Abstumpfung des ethischen Gefühls, die demoralisierende Wirkung 
des Morphiums. Einen geradezu gefährlichen Charakter können die 
, Abstinenzerscheinungen“ annehmen, deren schlimmste der CoUaps ist. 
Die Diagnose ist nicht schwer. Enge Pupillen, Stiohe der Injektions- 
spritze usw. Die Prognose des Morphinismus in bezug auf völlige 
Heilung ist ungünstig. Wohl gelingt es, die Entziehung durchzuführen, 
doch verfallen die meisten, da es sich um psychopathische Individuen 
handelt, nach mehr oder minder langer Zeit wieder dem Laster. Die 
Therapie darf sich daher nicht darauf beschränken, die Entziehung 
durchzuführen, sondern es muss eine Beeinflussung der psychopatbisohen 
Konstitution auf psychotherapeutischem Wege versucht werden. Am 
sichersten ist die Behandlung in geschlossener Anstalt, Dauer der Be¬ 
handlung 4—5 Monate. In den meisten Fällen gelangte Vortr. mit der 
plötzlichen Entziehung zum Ziel, bei den Fällen, in denen die langsame 
Entziehung vorgenommen wurde, leistete die Kombination des Morphiums 
mit Scopolamin gute Dienste. Dem Gebrauch von Ersatzmitteln, wie 
Cocain usw., widerrät Vortr. aufs dringendste. Gegen die Schlaflosigkeit 
gibt es Veronal und Brom in grossen Dosen. 

Diskussion. 

Hr. Hainebach macht darauf aufmerksam, dass man bei akutem 
Morphinismus unbedingt Magenspülung vornehmen müsse. 

Hr. Hahn bestätigt die von Herrn Fr. bei der plötzlichen Ent¬ 
ziehung in geschlossener Anstalt gemachten Erfahrungen. 

Hr. Dreyfuss stellt die Schwierigkeit, ausserhalb der geschlossenen 
Anstalt das Morphium zu entziehen, dar. 

Hr. Schulze-Kahle dagegen behauptet, dass es durchaus nicht 
notwendig sei, die Entziehung in der geschlossenen Anstalt vorzu¬ 
nehmen. 

Hr. Ei er mann berichtet von einem Patienten, der infolge von 
Osteomyelitis zum Morphinisten geworden war. Er machte verschiedene 
Entziehungskuren in geschlossenen Anstalten du^h, bis schliesslich ent¬ 
deckt wurde, dass er grosse Mengen Morphium uad die Injektionsspritze 
in einer Hautfalte verborgen hatte, die infolge Narbenbildung durch die 
Osteomyelitis entstanden war. 

Hr. Löwe hat auf einer Schiffsreise die Beobachtung gemacht, dass 
Opiumraucher wegen Mangels an Opium infolge eines Sturmes massenhaft 
collabierten und zum Teil zum Exitus kamen. 

Hr. Friedländer: Schlusswort. L. 


Aerztlicher Verein zu München. 

Sitzung vom 26. Februar 1913. 

1. Hr. Bann: 

Die triMatuehe Tfcroabose an der oberen ExtreMit&t. 

Die schon 1885 von Schrötter zuerst beschriebene Armvenen- 
thrombose nach übermässiger Muskelanstrengung ist erst in den aller¬ 
letzten Jahren wieder durch Schittelmann, Heinecke und Rosen - 
thal beobachtet worden. Der Vortragende berichtet über einen ganz 
analogen Fall, bei dem nach wiederholtem Heben sehr schwerer Gegen¬ 
stände eine Thrombose der Vena brachialis auftrat unter heftigen 
Schmerzen, hochgradiger Muskelschwäche, Blaufärbung und Weichteil' 
Schwellung, die bis auf denn M. pectoralis maior und die Fossa supra- 
clavicularis Übergriff. Eine motorische Lähmung bestand dabei nicht, 
die Vena brachialis war nicht iühlbar, es kam nicht zur Ausbildung 
eines Collateralkreislaufes. Auf Ruhe, Suspension, Hydrotherapie und 
endlich ganz leichte Massage trat wesentliche Besserung ein. Anatomisch 
handelt es sich dabei um keine Coagulation, sondern, wie Ebert, 
Sehimmelbusch und Schwalbe gezeigt haben, um eine Konglutination 
der Blutplättchen. Diese kommt zustande: 1. durch eine Stromstookung, 
da der Stillstand der Atmung bei starker Muskelanstrengung die venöse 
Strömung verlangsamt, eventuell sogar aufhebt. Einfache Rückstauung 
würde jedoch nioht genügen, es muss 2. zu einer Schädigung der 
Venenwand kommen, die durch starke komprimierende Anspannung be¬ 
sonders des M. latissiums dorsi und pectoralis in Form einer Intima¬ 
läsion herbeigeführt wird. Die Prognose quoad vitam ist immer gut, die 
quoad restitutionem nicht. 

2. Hr. Döderleia: 

lieber Radiotherapie in der Gynäkologie, insbesondere beim Uterns- 
carcinom. 

Es ist ein besonderes Verdienst der Freiburger Schule, dass die 
gynäkologische Röntgentechnik im Laufe des letzten Jahres so grosse 
Fortschritte zu verzeichnen hat, wie sie in der Bekämpfung der Metror¬ 


rhagien durch Ovarialbestrahlung erzielt worden sind. Die schon von 
Perthes versuchte Filtrierung der weichen, nicht penetrierenden, d. b. 
die Haut schädigenden Strahlen von den harten, in die Tiefe wirkenden 
unschädlichen Strahlen durch eine 3 mm dioke Aluminiumplatte ist von 
den Freiburgern weiter ausgebaut worden, ihnen ist auch im wesent- 
liohen eine weitere Errungenschaft zu verdanken, nämlich die sogenannte 
Felderbestrablung, d. h. die Bestrahlung des Bauohes an bis zu zwölf 
verschiedenen quadratischen oder sektorenförmigen Feldern. Die Ver¬ 
wendung, vornehmlich harte Strahlen aussendender, harter Röhren und 
die sorgfältige Abdeckung der nicht der Bestrahlung auszusetzenden 
Körperstellen durch Bleischutz ist dabei selbstverständlich. Seitdem ist 
die gynäkologische Röntgentechnik viel gefahrloser geworden; man kann 
heute weit über die sogenannte Erythemdosis hinausgehen und erzielt, 
während man früher immer Pausen von mindestens 3 Wochen zwischen 
die nur kurzen Bestrahlungen einschieben musste, eine bedeutend 
kürzere Dauer der Behandlung. Der Vortragende berichtet sodann über 
eine Reihe ausgezeichneter Erfolge mit derartiger Röntgenbehandlung 
von Metrorrhagien an der Münchener Frauenklinik; es gelang, Blutende 
an einem Tage und in einer Sitzung amenorrhoisch zu machen und 
manchmal auch zu einem Schwinden von Myomen beizutragen. 

Höchst überraschende Wirkungen konnte D. auch bei ulcerierenden 
Portio- und Cervixcarcinomen durch kombinierte Mesothorium- und 
Röntgenbestrahlung erzielen. Es wurde nachts von der Scheide aus 
Mesothorium in Substanz in die Carcinomhöhle eingelegt, sodann bei 
Tag naoh Wegnahme des Mesothoriums die Geschwürsfläche vaginal 
durch eine Art von Tubus röntgen bestrahlt. Nach achttägiger Behand¬ 
lung verschwand jede Spur von Jauchung, und es zeigte sich das 
Garcinomgeschwür ganz gereinigt und vernarbt. Excidierte Stückchen 
ergaben Zuammenschmelzung, Pyknose und Auflösung der Caroinom- 
zellen und Ersatz durch ein narbiges, ziemlich straffes Bindegewebe. 
Gesunde Epithel- und Drüsenzellen erschienen nicht verändert. In der 
Tiefe bestand das Garcinom allerdings noch fort, wie gelegentliche 
Operation bewies. 

Diskussion: HHr. Klein, Kästle, Sielmann, v. Seuffert. 

Hans Bachhammer - München. 


Physikalisch-medizinische Gesellschaft zu Würzbnrg. 

Sitzung vom 6. Februar 1913. 

Hr. Wessely: 

Die Behandln]; des Uleas serpens mit dem Dämpfkanier, sowie 
■ene Versuche in der Therapie der Dacryocystitis. 

Das Verfahren der Behandlung des Ulcus serpens mit dem Dampf¬ 
kauter hat Vortr. bereits auf dem vorjährigen Ophthalmologenkongress 
in Heidelberg kurz mitgeteilt, so dass von einer Beschreibung hier Ab¬ 
stand genommen werden kann. Die weiteren Erfahrungen, die sich jetzt 
auf 59 Fälle erstrecken, waren mit wenigen Ausnahmen sehr befriedigend. 
Die vorgelegte Statistik wird Vortr. an anderer Stelle ausführlich publi¬ 
zieren; in 80pGt. der Fälle genügte eine einmalige Kauterisation, um 
den Prozess zum Stehen zu bringen. 

Das im Anschluss mitgeteilte Verfahren der konservativen Behand¬ 
lung der Dacryocystitis besteht in der Injektion von einigen Tropfen 
Jodtinktur in den Tränensack. Sie wird mittels einer mit einem Gummi¬ 
hütchen versehenen kleinen Platinkanüle ausgeführt, nachdem vorher 
24 Stunden eine Dauersonde gelegen hat. Der momentane Erfolg ist 
ein auffälliger. Io 24 von 32 Fällen hat nach 1 bis 4 maliger Injektion 
die Absonderung völlig aufgehört. Um Dauererfolge zu erzielen, ist 
gleichzeitige Behandlung der vorhandenen Rasenaffektion erforderlich. 
Recidive wurden bisher nur dreimal beobachtet, doch ist, um nach dieser 
Richtung ein Urteil zu fällen, die Beobachtungszeit heute noch zu kurz. 


Sitzung vom 20. Februar 1913. 

Hr. Flnry: Ueker Trichinös!«. 

Vortr. berichtet über seine Untersuchungen über das Wesen der 
trichinösen Infektion vom toxikologisoh-chemisohen Standpunkte 
aus. Um giftige Substanzen aus den Organen und Ausscheidungen 
trichinenkranker Tiere zu isolieren, werden Meerschweinohen, Kaninchen, 
Hunde und Katzen mit trichinösem Material infiziert und deren Organe 
sowie das Muskelfleich von Ratten und Schweinen mittels chemischer 
Methoden verarbeitet. Da bei den ersten orientierenden Tierversuchen 
unter den äusserlich wahrnehmbaren Vergiftungserscheinungen besonders 
auffallende Ermüdungssymptome und Störungen der Muskelfunktionen 
in den Vordergrund traten, wurde der Gehalt der trichinösen Muskeln 
an dem „Ermüdungsstoff“ Kreatin und den Muskelstarre erregenden 
Purinbasen festgestellt. Es zeigte sich jedoch im ersten Stadium der 
Miwkeltrichinose eine deutliche Verminderung des Kreatins und der 
Purinbasen. Die im Anschluss daran unternommene vollständige che¬ 
mische Untersuchung stark trichinöser Muskeln führte zu zahlreichen 
neuen Befunden, die unsere Kenntnis der chemischen Pathologie des 
Muskelgewebes in verschiedener Richtung fördern. Je nach dem Stadium 
und der Intensität der trichinösen Infektion zeigen sich Veränderungen 
in der chemischen Zusammensetzung des Muskels. Der Wasser¬ 
gehalt des Muskels ist insbesondere in den ersten Wochen sehr ver¬ 
mehrt und die Menge der festen Bestandteile herabgesetzt. In dem 
Glykogengehalt des Muskels tritt bald ein starker Abfall ein, der fast 


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706 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


bis zu dessen Schwund nicht nur in der befallenen Faser und ihrer 
nächsten Umgebung, sondern auch in der gesamten Körpermuskulatur 
führen kann. Bei der Färbung soloher chemisch als fast glykogenfrei 
gefundenen Muskeln mit Besl’scher Carminlösung zeigen sich nur die 
Trichinen in ihrem Hautmuskelschlauch strotzend mit diesem Reserve¬ 
stoff gefüllt. Die wasserlöslichen Bestandteile, die sogenannten Extraktiv¬ 
stoffe, speziell die nicht coagulierbaren Anteile derselben, das „Nicht- 
siweiss“, zeigen deutliche Vermehrung auf Kosten des Gehaltes an 
Muskelfasern, die sich in manchen Fällen bis auf die Hälfte der normalen 
Werte reduziert erweist. Der anfänglichen Verringerung des Kreatin- und 
Puringehaltes kann im späteren Verlauf der Trichinosis eine starke 
lokale Häufung im Muskel folgen. Während der Gesamtstickstoff ver¬ 
mindert ist, ist der Gehalt an Ammoniak vermehrt. Grösser ist auch 
der Gehalt an Milchsäure und flüchtigen Fettsäuren und die direkt durch 
Titration bestimmbare Acidität. In der Leber: weit geringerer Gehalt 
an Glykogen, dagegen viel grösserer Betrag an Stickstoffsubstanz als bei 
den Kontrolltieren. Im Harn: anfangs weniger Kreatinin und Purine 
als bei gleicher Ernährung vor der Infektion; später Vermehrung dieser 
Stoffe. Bei der Katze zeigte sich eine starke Zunahme der durch Phos¬ 
phorwolframsäure fällbaren Basen, des Ammoniaks, der flüchtigen Säuren, 
der Phenole und des Indicans. Abgesehen von den bekannten morpho¬ 
logischen Veränderungen des Blutbildes ist der Wassergehalt des Blutes 
im 1. Stadium sehr hoch: starke Hydrämie. Durch die gesteigerte 
Ueberschwemmung mit den zur Resorption kommenden Zerfallsprodukten 
des Muskels können im späteren Verlauf gerade entgegengesetzte Ver¬ 
änderungen auftreten: abnorm hohes spezifisches Gewicht des Serums 
und derartige Veränderung der Erytbrocyten, dass sie sowohl von 
0,85 proz. Kochsalzlösung wie von Ringerlösung hämolysiert werden. Bei 
einem Dialyseversuch erstarrte das Serum eines schwer trichinösen 
Kaninchens zu Gallert. Das Serum von Katzen und Kaninchen enthielt 
grössere Mengen von Albumosen und Nucleoproteiden. Ueber eingreifende 
Veränderungen im Gesamtstoffwecbsel wird Vortr. in Gemeinschaft mit 
Hermann Groll noch ausführlicher berichten. — Die Tierversuche mit 
den Bestandteilen normaler und trichinöser Muskeln usw. führten zu 
folgenden, in toxikologischer Hinsicht bedeutsamen Schlüssen. Auch 
bei Tieren, besonders Fleischfressern, zeigen sich die aus der mensch¬ 
lichen Pathologie bekannten äusseren Krankheitserscheinungen im Muskel- 
und Nervensystem, Eosinophylie und, wenigstens bei Hunden und Katzen, 
starke Diazoreaktion. Für die heftigen Schmerzen bei der Trichinosis 
sind neben den osmotischen und sonstigen physikalischen Störungen im 
Muskel die lokalreizend wirkenden freien Säuren und wohl auch 
die vermehrt auftretenden basischen Abbauprodukte und sonstige Zerfall¬ 
stoffe des trichinösen Muskels verantwortlich, desgleichen zum Teil auch 
für Magen- und Darmerscheinungen. Die brettharten Infiltrationen der 
Muskeln sind Wirkungen von freien Purinen und nahestehenden Giften 
(pharmakologische Gruppe des Coffeins). Daneben handelt es sich um 
basische Stoffe mit curarinartiger Wirkung, welche die moto¬ 
rischen Nervenendigungen lähmen und zu der Erschöpfbarkeit des Muskels 
beitragen. Es sind dies vielleicht in erster Linie Zersetzungsprodukte 
des Kreatins (Guanidinderivate) und andere Gifte der Pyridin- und 
Chinolinreihe. Ferner sind im trichinösen Muskel noch kolloidale und 
und anscheinend sehr labile Stoffe, wie sich aus der stark lähmenden 
Wirkung beim Tierversuch feststellen lässt. Alle diese Verbindungen 
bilden neben den normalen Stoffwechselprodukten des Muskels eine grosse 
Gruppe von „Ermüdungsstoffen“, denen sich noch eigenartige 
Oedeme hervorrufende Gifte anreihen. Hier ist von grosser Be¬ 
deutung die Auffindung eines Capillargiftes im trichinösen Muskel, 
das zu Darmblutungen, Lungenblähung und Lungenödem führen kann 
und wohl das Frühödem, die Ecchymosen usw. bei Trichinosis bedingt. 
— In biologischer Hinsicht ergaben sich folgende Resultate: Die Trichine 
schliesst sich auch nach ihrer Lebensweise eng an die Darmhelminthen 
an. Sie besitzt hohen Glykogen gebalt, es spielt also der Kohle- 
bydratstoffwechsel eine grosse Rolle und deshalb findet die junge 
Trichine gerade im Muskel günstige Vorbedingungen. Wegen des 
Mangels an freiem Sauerstoff treten infolge der anoxybiotischen 
Lebensweise zahlreiche Produkte unvollkommener Verbrennung auf, 
besonders freie Fettsäuren. Die sonstigen sicher noch gelieferten 
Ausscheidungen sind wahrscheinlich grösstenteils mit den intermediär 
auftretenden Produkten des normalen Stoffwechsels des Wirtes identisch. 
Die jungen Trichinen werden also zu ihrem Aufenthalt im Muskel durch 
den Selbsterhaltungstrieb veranlasst. 

i 

Hr. Gerhardt: 

Ueber Störungen der Waeserbilans bei Herzkranken. 

Vortr. berichtet über einige Beobachtungen, welche den prompten 
Erfolg der Karelischen Milchkur bei Herzkranken deutlich demonstrieren. 
Gegenüber den Darlegungen einiger neuerer Autoren ist zu betonen, 
dass solche gute Wirkungen, bei denen das Körpergewicht einmal in 
8 Tagen um 17,5 kg sank, auch ohne Digitaliszugabe, ja mehrfach nach 
vorangehender wochen langer erfolgloser Digitalisbehandlung erzielt 
wurden. Für die Frage, ob Durstkuren mehr (nach Oertel’s Lehre) 
das Herz oder mehr (nach moderner Auffassung) die Nieren entlasten, 
lassen sich folgende Beobachtungen verwerten: Zwei Herzkranke mit 
mässiger Kompensationsstörung erlitten nach einmaliger Zulage von 
1 Liter Tee eine deutliche Steigerung der Störung; es blieb nicht nur 
die sonst zu erwartende Vermehrung der Urinmenge aus, sondern die 
Harnmenge sank am,.p'age nach dem reichlichen Trinken auf die Hälfte 
der früheren Höhe nerab.« Die hierdurch nahegelegte Vermutung, dass 


durch solch reichliches Trinken nicht die Nieren, sondern das Herz 
stärker belastet und überanstrengt werde, fand eine Bestätigung in 
folgendem Fall: Eine Herzkranke, welche 1 Liter superponierte Flüssig¬ 
keit retiniert hatte, schied 600 ccm intravenös injiziertes Salzwasser 
prompt aus. _ 


N&tnrhistorlsch-medizinischer Verein zn Heidelberg. 

Sitzung vom 25. Februar 1918. 

Schriftführer: Herr Bettmann. 

Vorsitzender: Herr Fischler. 

1. Hr. Frennd: 

Weitere Beiträge zia nervösen Meebanismns der Wftraeregnlatitn. 

Wie früher gezeigt wurde, ist bei Tieren nach Brustraarkdurch- 
schneidung bis hinauf zum zweiten Segment nur die physikalische Wärme¬ 
regulation gestört; eine völlige Störung der physikalischen und der che¬ 
mischen Regulation resultiert nach Halsmarkdurchschneidung. Es war 
zu untersuchen, wo der Sitz der chemischen Regulation liege und auf 
welchen nervösen Wegen ihre Beeinflussung möglich sei. Gegen die 
überwiegende Bedeutung der motorischen Innervation der Muskulatur 
sprach die Erfahrung nach Durchschneidung der peripheren Nerven und 
nach Gurarisierung (Stoffwechselversuche, Wärmestichfieber, aseptisches 
Fieber). Es ist daher das Hauptaugenmerk auf die Bauchorgane zu 
richten. Die nervöse Versorgung des Bauches erfolgt auf drei Wegen: 
1. Vagi, 2. Splanchnici, 3. Grenzstrang. Durchschneidung von Splanchnici 
und Vagi unter dem Zwerchfell schädigt das Regulationsvermögen sehr 
wenig (zum Teil kaum merklich). Werden aber Vagusdurchschneidung 
und Brustmarkdurcb8chneidung oberhalb des 6. Segments kombiniert, so 
verhalten sich die Tiere wie nach Halsmarkdurchschneidung „poikilo- 
therm' 4 . Der gleiche Effekt tritt ein, wenn nach Brustmarkdurch- 
schneidung noch die beiden Ganglia stellst«, oder die 8. Cervical- und 
1. Dorsalwurzeln durchschnitten werden. Das alles sind Operationen, 
welche den Grenzstrang teilweise vom Wärmecentrum abtrennen. Man 
muss mit der Möglichkeit rechnen, dass die nervöse Beeinflussung der 
Wärmebildung nicht unmittelbar, sondern auf dem Umweg über die 
Drüsen mit innerer Sekretion (Nebenniere, Thyreoidea, Hypophyse) er¬ 
folgt. So wäre es vorstellbar, dass die Muskulatur auch ohne direkte 
Innervation auf chemischem Wege für die Wärmeregulation in Betracht 
kommen kann. 

2. Hr. Fahreikaap: 

Ueber das Saiteagalvanoneter aad seiae klinische Bedeitnng. 

Nach einführenden Erklärungen über die Methodik und den Wert 
des normalen Elektrocardiogramms zeigt der Vortr., wie das Electro- 
cardiogramm imstande gewesen ist, die Arhythmie perpetua besser ver¬ 
ständlich zu machen. Die Arbythmia perpetua zeigt im Elektrocardio- 
gramm ein charakteristisches Verhalten der Vorhofzacken, indem für 
gewöhnlich an die Stelle der P-Zacken frequente Oscillationen getreten 
sind, die den Erregungen der flimmernden Vorhöfe entsprechen sollen. 
Neben Fällen von reinem Vorhofflimmern kann man zuweilen bei dem¬ 
selben Kranken Elektrocardiogramme aufnebmen, die bald mehr das 
Bild der flimmernden Vorhöfe zeigen, bald deutlich erkennen lassen, 
dass die Vorhöfe nicht flimmern, sondern nur tachycardisch schlagen. 
Es lässt sich bei demselben Kranken zu verschiedenen Zeiten das ver¬ 
schiedene Verhalten der Vorhöfe zeigen. Bei einem Kranken bestand 
eine Arhythmie mit tachycardischen Anfällen. Die Vorhöfe zeigten eine 
Tachysystolie von 240, die Ventrikel schlugen arbythmisch 46 mal pro 
Minute. In einem tachycardischen Anfall traten 240 Ventrikelschläge 
auf, am Ende der Krankenhausbehandlung konnte man bei dem gleichen 
Kranken ein normales Elektrocardiogramm erhalten. An zahlreichen 
anderen Kurven lässt sich zeigen, dass bei der Arhythmia perpetua Ueber- 
gänge bestehen zwischen Vorhofflimmern, arhythmischen Vorhofstachy- 
systolien und rhythmischen Vorhofstachysystolien bei langsam oder 
schnell arbythmisch schlagendem Ventrikel, und dass diese Rhythmus- 
störungen zur Norm zurückkehren können. 

Vortr. demonstriert ferner an Elektromyogrammen den Rhythmus 
der Innervation bei dem Willkürtetanus (Unterarmflexoren), dem Strychnin¬ 
tetanus (Ratte), dem Tetanus eines Wadenkrampfes und dem tonischen 
Krampfe (des Quadriceps) bei einem Falle von Jakson’scher Epilepsie. 
Bemerkenswert ist, dass der Tetanus bei der Jakson’schen Epilepsie mit 
einer Innervation beginnt, die einen ganz regelmässigen Rhythmus von 
12 pro Sekunde hat Dieser Rhythmus ist noch längere Zeit zu er¬ 
kennen, während später ein frequenterer Rhythmus in die einzelnen 
Phasen hineingesetzt erscheint. 

8. Hr. Rnben: 

Ueber Lokalisationsfehler bei AngennoskellähiiaBgen and bei Fusions- 
bewegoigen. 

Ueber den Einfluss der Augenbewegungen auf die absolute Lokali¬ 
sation, die Richtung, in der ein Gegenstand gesehen wird, stehen sich 
im wesentlichen drei Anschauungen gegenüber, die sämtlich die Lokali¬ 
sationstäuschungen bei Augenmuskellähmung als Beweis für sich in 
Anspruch nehmen. Die Anhänger der Innervationsempfindungen nehmen 
einen falschen motorischen Innervationsimpuls an, Hering und Mach 
eine falsche Richtung der Aufmerksamkeit; ihnen gegenüber führt James 
die Täuschung auf veränderte, peripher ausgelöste Empfindungen von der 
Stellung, des Augapfels zurück. , Sie , soll durch Mitbewegungen des 
zweiten Auges zustande kommen, indem sich die Lokalisation des ge- 


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14. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


707 


lähmten Auges nach der des in Schielstellung befindlichen gesunden 
richtet. 

Diese Hypothese lässt sich experimentell prüfen. Nach ihr muss 
sich die Lokalisation des gelähmten Auges ändern, wenn sioh dio Stellung 
des gesunden ändert. Der Versuch wurde so ausgeführt, dass in einem 
Falle von Abducenslähmung das verdeckte, gesunde Auge mit einer 
Pinzette an der Conjunctiva gefasst und gedreht wurde. An sioh selbst 
stellte Rüben ihn in der Weise an, dass ein Auge ständig, das zweite 
abwechselnd mit einer Pinzette fixiert wurde. Das Resultat war, dass 
der Lokalisationsfehler des gelähmten Auges immer genau der gleiche 
blieb. 

Zur Messung des Lokalisationsfehlers diente eine besondere An¬ 
ordnung des Gräfe’schen Tastversuches. Vor das zu prüfende Auge wird 
ein Maddoxstab gesetzt und der Patient aufgefordert, mit einem Stock 
auf den Liohtstreif zu deuten, als welcher ihm eine Kerzen flamme er¬ 
scheint, die vor einer Tangentenskala in 1 m Entfernung aufgstellt ist. 

Gegen James sprechen auch die Fälle von frischer, unkomplizierter 
Lähmung, in denen auch das gesunde Auge falsch lokalisiert. Diese 
bisher sehr selten beschriebene Lokalisationstäuschung wurde in zwei 
Fällen von Abducenslähmung beobachtet. Sie ist nach Rüben eine 
indirekte Folge der Parese am anderen Auge der einzigen somatischen 
Störung und beruht sehr wahrscheinlich auf der Nachwirkung von 
Fusionsbewegungen im Entwicklungsstadium der Parese. Bei letzteren 
treten infolge gleicher Kombination von willkürlichen und unwillkürlichen 
Bewegungen die gleichen Lokalisationsfehler auf wie bei Vorsetzen eines 
Prismas vor ein Auge. 

Der Einfluss der Fusionsinnervation auf die Lokalisation lässt sich 
mit Hilfe des oben näher beschriebenen Tastversuches untersuchen. Als 
Beleg für Hering’s Lehre von der gleichmässigen Innervation beider 
Augen kann angeführt werden, dass der Lokalisationsfehler annähernd 
gleich der Hälfte der prismatischen Ablenkung war. Haben sich durch 
Uebung die Handbewegungen der veränderten optischen Lokalisation an¬ 
gepasst, so besteht noch längere Zeit nach Fortnahme des Prismas eine 
Nachwirkung der veränderen Einstellung, so dass ein Tastfehler nach 
der entgegengesetzten Seite gemacht wird. 

Zum Schluss wird kurz angedeutet, in welcher Weise eine Verbindung 
zwischen den oben skizzierten Theorien möglich ist. 

(Ausführliche Veröffentlichung im Gräfe’schen Archiv für Ophthalmo¬ 
logie.) Kolb-Heidelberg. 

Nürnberger medizinische Gesellschaft und Poliklinik. 

Sitzung vom 27. Februar 1918. 

Hr. Federlein demonstriert vor dem Röntgenschirm einen Fall von 
Dextroeardie. Es besteht vollkommener Situs inversus. 

Hr. Rodler demonstriert einen Patienten mit Platteaepithelcarci- 
■om der Stirn, den er zurzeit mit Röntgenbestrahlungen behandelt. 

Hr. Heinlein berichtet die Krankengeschichte eines 67jährigen Fein¬ 
goldschlägers, welcher seit SO Jahren mit verschiedenen Unterbrechungen 
im Sebastian-Spital wegen der Folgen des chronischen Alkoholtests 
untergebracht war und dort verstorben ist. Patient hat im Rausch 
verschiedentlich Traumen erlitten, besonders im Jahre 1884 durch Sturz 
von der Treppe eine starke Brustwandquetschung erlitten, die jahrelang 
viel zu subjektiven Klagen Anlass gab, aber objektiv stets nur einen 
geringen positiven Befund ergab. 

Bei der Sektion fand H. eine 12 cm lange und 4 cm breite Kalk¬ 
platte der rechten Lungenpleura, welche, der Umgrenzung der 
hinteren Achselhöhlenlinie entsprechend, der 8. Rippe derbzellig ad- 
härent war. Diese Rippe selbst zeigte an ihrer Innenfläche in der Aus¬ 
dehnung des durch das derb-fibröse Gewebe hergestellten Kontaktes mit 
der Kalkplatte kleine, ziemlich dicht stehende, warzige Osteopbyten. 
Gröbere Veränderungen an der Rippe fehlten, eine Rippenfraktur war 
auszuschliessen. Infolge günstiger Elastizitätsverhältnisse bei diesem 
Patienten hat das Trauma lediglioh Kontinuitätstrennungen des Rippen¬ 
periosts an der Innenseite mit nachfolgender ossifizierender Periostitis 
und Läsionen der benachbarten Lungenpleura gesetzt, an die sioh die 
Entwicklung der in der Ausdehnung genau der Kontur der angrenzenden 
8. Rippe entsprechenden Kalkplatte anschloss. H. weist darauf bin, 
welche Schwierigkeiten der Fall geboten hätte bei den jahrelang be¬ 
stehenden erheblichen subjektiven Beschwerden und dem geringen ob¬ 
jektiven Befund für die Festsetzung einer Unfallrente. Die bei der 
Sektion gefundene beträchtliche Hypertrophie des rechten Ventrikels 
— ein Mitralisfehler oder ein stärkeres Emphysem bestanden nieht — 
illustriert den Folgezustand der durch die ausgedehnte Obliteration der 
Pleurahöhle und vielleicht auch durch die bestehenden Schmerzen hervor¬ 
gerufenen Beeinträchtigung der Costalatmung, des dadurch bedingten 
erschwerten Zuströmens des Blutes in die Lungen und des daraus her¬ 
vorgehenden Widerstandes für die rechte Kammer. Das Leichenpräparat 
wird demonstriert. 

(Der Fall wird in extenso in der Deutschen medizinischen Wochen¬ 
schrift publiziert.) _ 


Sitzung vom 13. März 1913. 

Hr. Fttnrohr: Die Binet-Simon-Bobertag’sehe Intelligeisprobe. 

Vortr. bespricht eingehend die Probe und illustriert dieselbe mit 
Resultaten, die er bei verschiedenen Patienten erhielt. Kraus. 

<; 


Unterelsftsslscher Aerztevereln zu Strasburg i. E. 

Sitzung vom 25. Januar 1913. 

1. flr. Madelung (Vorführung von Kranken): a) Wiedervorstellung 
eines Knaben, welcher in der Sitzung des Vereins vom Dezember 1911 
demonstriert wurde. Gewaltiger rechtsseitiger Stimhirnprolaps, im 
Anschluss an Hufschlag entstanden. Komplizierte Schädelfraktur. Bei 
Anwendung einer konservativen Therapie tritt spontane Zurückbildung 
des Prolapses ein. Derselbe bat sich überhäutet und ist vernarbt. 
Vortr. gedenkt die pulsierende Lücke im Knochen nach einigen Jahren 
durch eine osteoplastische Operation zu schliessen. 

b) Wiedervorstellung eines 15 jährigen Burschen, bei welchem wegen 
elephantiastischer angeborener Verdickung des linken Armes vor einiger 
Zeit die Lymphangloplastik (Handley’s Fadendrainage) ausgeführt 
worden war. Der Patient wurde vollständig arbeitsfähig und ist gesund 
geblieben. Die Methode hat sich also auch für die kongenitale 
Elephantiasis bewährt. 

c) Heilung einer Halswirbelfraktur bei einem 59 jährigen Mann, 
der in der Trunkenheit in einem Keller die Treppe hinabgestürzt war- 
Beide Arme waren gelähmt. Durch die Röntgenuntersuchung wurde 
festgestellt, dass eine komplette Luxation des 5. Halswirbels bestand. 
Das Rückenmark war offenbar unverletzt geblieben. Auffällig ist der 
Kontrast des Röntgenbildes mit der schweren Läsion der Wirbelsäule 
und den geringen klinischen Erscheinungen. Komplette Brüche der 
Halswirbelsäule können sogar symptomlos bleiben und werden nur 
durch das Röntgenverfahren aufgeklärt, welches darin Ausgezeichnetes 
leistet. 

d) Habituelle Luxation des linken Sehultergelenks bei einer 
36 jährigen Frau. Dieselbe ist zum erstenmal vor einem halben Jahre 
spontan ohne Trauma eingetreten. Diese Luxation kann jederzeit bervor- 
gerufen werden (Demonstration). Unter Knacken geht der Kopf aus der 
Pfanne, und zwar nach vorn (nicht unter den Processus coracoides) und 
wieder zurück. Die Röntgenplatte zeigt Kopf und Pfanne normal. 
Wahrscheinlich handelt es sich um Syringomyelie. Mit Erfolg wurde 
ein Apparat angewendet, um den Arm in normaler Lage zu halten. 

e) 37 jähriger Patient, der in eine Abfallgrube, die er reinigen 
sollte, gefallen war. Nach 8 Tagen trat Fieber, Schwellung des Gesichts 
und Eiterung aus der Nase ein. Die Jauche war in die Nase und in 
die Nebenhöhlen eingedrungen. Radikale Operation der Stirnhöhlen 
mit Entfernung eines grossen Teiles des rechten Stirnbeins. Spaltung 
des Abscesses und Abtragung des nekrotischen Knochens. 

f) Russ oder Teerkrebs des Scrotums bei einem Arbeiter aus den 
Petroleumwerken in Pecbelbronn. 

g) Zwei Fälle von Leberabseessen, deren Aetiologie nicht fest¬ 
zustellen war, da weder Amöben noch Bakterien nachweisbar waren. 
Der eine Fall stammt aus Mexiko. In beiden Fällen wurde transpleural 
vorgegangen. 

2. Hr. Tilp: Demoustratiou eiues Steinkindes. 

Bei der Sektion einer an chronischer Nephritis, Arteriosklerose und 
Herzhypertrophie gestorbenen 56 jährigen Frau fand sich ein Lithopädion. 
Dasselbe hing am unteren Ende des Omentum majus und war steinhart. 
Die bedeckenden Weichteile waren geschwunden und die Teile des 
Skeletts gut sichtbar. Der Kopfumfang betrug 16,25 cm, die Länge des 
Oberschenkelknochens 4,5 cm und die des Humerus ebenfalls 4,5 cm. 
Diese Maasse entsprechen, wie durch vergleichende Messungen festgestellt 
wurde, einem Fötus vom Ende des 5. Monats. Wie die Anamnese ergab, 
hatte die Frau keine Kinder gehabt. Die Menses waren bereits mit 
35 Jahren cessiert Daraus ergibt sich, dass der Fötus mindestens 
21 Jahre lang getragen wurde. Während die rechten Adnexe normal 
waren, zeigte die linke Tube in ihrem ampullären Teil eine Narbe mit 
Bildung eines derben weisslichen, fibrösen Knopfes. An dieser Stelle 
war das Tubarrohr inviabel. Diese Stelle muss als die Beratungsstelle 
der schwangeren Tube angesehen werden. Von Placenta und Eihäuten 
konnten makroskopisch keine Residuen gefunden werden. (Dieser Fall 
wird von Herrn stud. med. Bien er genauer beschrieben und mikro¬ 
skopisch untersucht werden.) 

3. Hr. Vogt: 

Icterus nach rectaler Salvarsaaiajektioi bei eiaem Falle yqb kon- 
genitaler Lues. 

Etwa 6 jähriger Knabe mit Hautausschlag, der nach anti luetisch er 
Behandlung verschwand. Jetzt linksseitige Pupillenstarre und Erlosohen- 
sein der Patellarreflexe. Wassermann positiv. Nach rectaler Applikation 
von 0,2 Salvarsan, die nach 8 Tagen erneuert wurde, trat Appetitlosig¬ 
keit, Erbrechen, Zeichen von Nierenreizung, Gewichtsabnahme, Leber- 
vergrösserung und Icterus auf. Vortr. erwähnt die Möglichkeit eines 
Zusammenhangs zwischen der Injektion und dem Icterus, obwohl er 
katarrhalischen Icterus und eine luetische Lebererkrankung nicht aus- 
schliessen kann. Jedenfalls seien die ersten Salvarsaninjektionen sehr 
vorsichtig zu dosieren, da die Möglichkeit einer Uebererapfindlichkeit 
bestehe. 

Diskussion: HHr. Wolff, Cahn,,jlügel. 

4. Hr. Reicher- Bad Mergentheim (a. G.): 

Ueber die Bedeataag von BlutzuekerbcstiaimnBgen für die Diagnose 
und Therapie des Diabetes Mellitus. 

Die vom V$rf. ausgearbeitete Methode der Bldtzuokerbestimmung 
ermöglicht ew, mit einfachen Mitteln und geringen Blutmengen zu arbeiten. 


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708 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 15. 


(Vorführung der Technik.) Die Vorzüge dieser Methode sind: 1. Es 
lassen sich Fälle von latentem Diabetes finden; 2. besitzt man eine 
Kontrolle für den Erfolg einer Diät- oder Trinkkur; 3. hat man ein An¬ 
zeichen für das Herannahen des Comas. Tilp-Strassburg i. E. 


Medizinische Gesellschaft za Basel. 

Sitzung vom 6. März 1913. 

1 . Hr. Gelpke (Demonstrationen): 1 . Incarcerierte Hernie mit aus¬ 
gedehnter Gangrän des Darmes, welche Resektion einer Darmschlinge von 
75 cm notig machte. Bruchsack wurde abgestossen, der rechte Hoden 
ebenfalls, Heilung.. 2. Magenresektionen mit ein- und zweizeitiger Ope¬ 
ration infolge Carcinoms mit guten Erfolgen quoad Allgemeinbefinden, 
die vorher marantischen Patienten erholten sich post operationem gut. 
3. Einige Fälle von llens. 

2. Hr. Fisch: Pestepidemie an der Goldktiste. 

Ref. berichtet über die Erfahrungen, die er als Missionsarzt während 
einer Pestepidemie in Agra gemacht hat. Früher war in Agra Cholera, 
Pest, Typhus, Diphtherie unbekannt. Im Jahre 1907 ereigneten sich 
viele Todesfälle, welche, da keine amtliche Todesstatistik vorliegt, den 
Eingeborenen auffielen; gleichzeitig wurden sehr viele tote Ratten vor¬ 
gefunden. Nachforschung im Jahre 1908 ergab, dass die Ratten Pest¬ 
ratten waren und es sich um eine Pestepidemie handelte. Die Erkran¬ 
kungen lokalisierten sich auf das Eingeborenenvierte], wo die Neger, 
namentlich die armen, unter sehr ungünstigen hygienischen Verhältnissen 
und in tiefem Schmutz leben; im europäischen Viertel, das etwas ab¬ 
seits liegt, keine Pesterkrankung. In zwei kleinen Krankenhäusern — 
nicht modern eingerichtet — pflegte Ref. im ganzen 38 Pestkranke mit 
einer Letalität von 58 pCt. Seine Beobachtungen stimmen in bezug auf 
das prozentuale Verhältnis des Befallenseins der verschiedenen Drüsen¬ 
regionen mit der Statistik von Aleppo überein. Symptome — abgesehen 
von lokalen — hochgradiger Status typhosus, selten Herpes labialis, 
grosse Hinfälligkeit, Dyspnoe, vermehrter Hautturgor, Milz und Leber 
vergrössert. Nervöse Symptome trüben Prognose nicht. Primäre und 
sekundäre Lungenpest haben absolut infauste Prognose, sämtliche Kranke 
starben. An Bubonenpest starben von Erwachsenen 2 / 8 , v° n Kindern l /s- 
Ref. schildert die Verschleppung der Epidemie in zwei benachbarte 
Dörfer durch an Lungenpest erkrankte Individuen. Die dort ent¬ 
standenen Epidemien kounten in relativ kurzer Zeit durch entsprechende 
Maassnahmen: Desinfektion, Isolation der Kranken, Verbrennen der 
Häuser, zum Verschwinden gebracht werden. Ref. rühmt das unbedingte 
Vertrauen, das die Neger ihm und seinem ärztlioben Handeln entgegen¬ 
brachten und das ihm die Arbeit weitgehend erleichterte. 

Wolfer - Basel. 


K. k. Gesellschaft der Aerzte za Wien. 

Sitzung vom 21. Februar 1913. 

(Eigener Bericht.) 

Hr. Benedikt demonstrierte eine Frau mit einem neuen Symptomen- 
komplex. 

Die Kranke hatte vor 6 Wochen vollständige Taubheit auf dem 
rechten Ohr, Parese und leichte Anästhesie auf der linken Seite uud 
eine Schwellung der Lymphdriisen. Ferner hatte die Kranke die Ten¬ 
denz, nach vorn zu laufen, die Hände hatten die Stellung einer Schreiben¬ 
den. Derzeit geht es der Kranken besser, die Drüsenschwellungen sind 
verschwunden, der Ohrbefund ist normal, Wassermann negativ. 

Hr. Finsterer demonstrierte 3 Fälle, bei welchen er ein Magen- 
carcinom zur Röntgenbestrahlung vorgelagert hatte. 

An der Klinik Höchen egg wurden bisher 8 Fälle in dieser Weise 
behandelt. Es wird durch einen medianen und einen sich anschliessen¬ 
den queren Schnitt das Magencarcinom freigelegt und vorgelagert. Der 
Tumor wird mit grossen Röntgendosen behandelt. Die Vorlagerung und 
Bestrahlung bilden eine palliative Behandlung und sind nur bei inope¬ 
rativen Fällen anzuwenden. 

Hr. Terc führte 2 Fälle vor, bei welchen akute retrobulbäre Neu¬ 
ritis durch Nasenbehandlung beseitigt wurde. 

Die Symptome bestanden in Verschlechterung des Sehvermögens 
eines Auges fast bis zur Amaurose; es wurde ein grosses centrales Skotom 
nachgewiesen. Der Befund am Auge war normal. 

Als Ursache dieses Leidens wurde eine Verdickung des vorderen 
Eudes der mittleren Nasenmuschel gefunden. Nach Scarifikation der 
Schleimhaut verschwand das Skotom. 

In den meisten Fällen reicht man mit der Cocainisierung des vor¬ 
deren Teiles der mittleren Nasenmuschel aus. Wenn dies binnen einigen 
Tagen nicht zum Ziele führt, so wird scarifiziert. Wenn auch dieser 
Eingriff versagt, müssen die Nebenhöhlen der Nase auf eine Erkrankung 
untersucht werden. 

Hr. Schwarzwald zeigte das anatomische Präparat einer mit 
Kollargol bei Pyelographie imprägnierten Niere. 

Eine 42jährige Frau bekam eine linksseitige Pyelonephritis. Es 
wurde die Pyelographie ausgeführt und das Nierenbecken mit Kollargol 
ausgefüllt. Die Niere wurde exstirpiert; an derselben fanden sich buck¬ 
lige Hervorragungen und auf dem Querschnitt keilförmige, durch Kollargol 
pigmentierte Herde. Die mikroskopische Untersuchung ergab, dass nur 


die schon früher erkrankten Teile der Niere mit dem Pigment impräg¬ 
niert waren. 

Hr. Schwarzwald berichtete über einen Fall von Naht der arro- 
dierten Iliaca exteraa. 

Nach einer Appendioitisoperation bei einem 10jährigen Knaben trat 
eine schwere Blutung auf, welche aus einem Längsriss der Iliaca externa 
stammte. Nach der ausgeführten Gefässnaht wurden Teile von 3 Zehen 
gangränös. Der Kranke starb an Ileus. Bei der Obduktion erwies sich 
die Gefässnaht als suffizient, im Gefässinnern sass über ihr ein Thrombus. 
Hr. Schopper: 

Erfahrungen über die Cholera in Ostrnmclien während des 
Balkaakrieges. 

Die ersten Cholerafälle wurden im türkischen Heere im November 
bei San Stefano beobachtet; als die Bulgaren in die türkischen Stellungen 
einrückten, trat die Cholera auch im bulgarischen Heere auf. Die bul¬ 
garische Heeresleitung verordnete deshalb für die nach Bulgarien Zurück¬ 
kehrenden eine 5 tägige Quarantäne auf türkischem Gebiete. Vortr. 
reiste mit 3 Aerzten auf Aufforderung der bulgarischen Regierung nach 
Sofia, um die Bekämpfung der Cholera zu organisieren. Es wurde ein 
bakteriologisches Laboratorium mitgenommen, und ein zweites wurde 
später nacbgeliefert. Da es unmöglich war, an allen Orten, wo die 
Cholera auftrat, bakteriologische Laboratorien zu errichten, reiste ein 
Arzt immer in den verseuchten Ort und untersuchte die verdächtigen 
Fälle, die Kulturversuche wurden erst nach Rückkehr in den Standort 
des Laboratoriums vorgenommen. Die Expedition arbeitete durch fünf 
Wochen in zwei Partien, deren Standorte Stara Zagora und Dimotikä 
waren. Die verseuchten Kasernen wurden desinfiziert und die Kranken 
isoliert. Als Vermittler der Choleraübertragung wurden die Transport- 
kutseber eruiert. Unter den am 10. Dezember gefangen genommenen 
16 000 Türken fanden sich’ mehrere Fälle von Cholera, auch hier wurden 
die nötigen Vorkehrungen getroffen. Unter 120 bakteriologisch unter¬ 
suchten Fällen fand sich in 28 Cholera, in 2 Typhus, in 8 Paratyphus, 
ausserdem Dysenterie. Der aus den Fällen gezüchtete Vibrio hatte eine 
verhältnismässig geringe Virulenz, da die Mortalität nur 85,7 pCt. betrug. 
Das klinische Bild der Cholera war bloss bei wenigen Fällen ganz deut¬ 
lich ausgeprägt. 


Sitzung vom 28. Februar 1913. 

(Eigener Bericht.) 

Hr. Freud berichtete über die Wirkung des Mesothorinns bei 
einem Lnpnsfalle. 

Das Mesothorium sendet ß - und y-Strahlen aus, welche eine etwas 
geringere Penetrationskraft als die Radiumstrahlen haben. Bei dem vor¬ 
gestellten Lupusfalle zeigten Mesothorium und Radium gleiche Ver¬ 
änderungen. 

Hr. Alt demonstrierte eine Frau, bei welcher er wahrscheinlich 
durch ein Aneurysma erzeugte Ohrgor&oschc dnreh Gefässnnterbindnng 
beseitigt hat. 

Die Frau litt, bei normalem Ohrbefunde, an Ohrgeräuschen, welche 
auch objektiv wahrnehmbar waren. Es handelte sich zweifellos um ein 
kleines, nicht nachweisbares Aneurysma in der Nähe des Ohres. Nach 
Unterbindung der A. occipitalis, auricularis posterior und Carotis 
externa über dem Abgänge der Maxillaris externa verschwanden allmäh¬ 
lich die Geräusche. 

Hr. ßachrach führte eine 30 jährige Frau mit einem Speichelsteil 
der Sabmaxillardrfise vor. 

Patientin hat seit drei Jahren starke ausstrahlende Schmerzen in 
der Submaxillardrüse, diese und die Umgebung sind geschwollen, die 
Geschwulst geht zeitweise unter starkem Speichelfluss zurück. Die 
Röntgenuntersuchung ergab einen Speichelstein im Ausführungsgang der 
Submaxillardrüse. 

Ferner demonstriert Hr. Bachrach zwei Blaseisteine toi Warei- 
ballenform. 

Man sieht auch deutlich eine Verschnürung derselben, ein organisches 
Gebildes ist an den Steinen nicht nachzuweisen. Die Steine sind bei 
einem 76 jährigen Manne durch Sectio alta entfernt worden. 

Hr. Breltner: 

Ueber kriegschirargische Erfahrungen im Balkankriege. 

Vortr. bringt in Vertretung von Herrn Clairmont eine Richtig¬ 
stellung gegenüber Herrn Steiner. Clairmont habe nicht gefordert, 
dass die zur Hilfeleistung im Kriege beigezogenen Aerzte Chirurgen sein 
sollen, sondern dass die Aerzte auch Wundärzte sein müssen, d. h. sie 
müssen es verstehen, die Wundbehandlung nach modernen Prinzipien 
durch zu führen, und dies muss gelernt sein. Im bulgarischen Kriege hat 
gerade die unzweckmässige Behandlung der Wunden zu irreparablen 
Schädigungen geführt. Neben dem Chirurgen, welcher in einer weiteren 
Etappe die notwendigen Operationen auszuführen hat, sind auch Ver¬ 
treter anderer Spezialfächer im Kriege notwendig. Die Kritik über die 
Pflegerinnen bezog sich nur auf die freiwilligen Pflegerinnen, welche 
Clairmont und dem Vortr. zugeteilt waren, nicht aber auf andere 
Pflegerinnen. Den ersteren hat der Wille zur Arbeit gefehlt, und sie 
haben alle versagt. Die Aerzte mussten selbst Betten machen und die 
Patienten reinigen, eine Diensteinteilung durchzuführen war unmöglich. 
Um 6 Uhr abends verliessen alle Pflegerinnen das Spital, unbekümmert 
darum, ob noch Verwundete zu versorgen waren. Sie haben auch in 
psychischer Beziehung versagt. _ 


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14. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


709 


Hr. Benedikt: 

Ueher die gekreiste Lfihnnng des Acustitus nd der Extremitäten. 

Yortr. erinnert an den in der vorigen Sitzung demonstrierten Fall 
von Taubheit an einem Ohre mit gekreuzter schwacher Lähmung und 
Anästhesie der Extremitäten und Sohwaohsinn. Die Labyrinthnerven 
waren intakt, ebenso die vasomotorischen Nerven, welche im Acusticus 
verlaufen. Es ist anzunehmen, dass die Läsion in dem sensorischen 
Ganglion des Acusticus sitzt, welches im äusseren oberen Winkel des 
Raumes liegt, welcher von den Corpora restiformia und der Acustious- 
strahlung begrenzt wird. Bei der Kranken war ferner Propulsion vor¬ 
handen, diese kommt auch als einziges Symptom bei manchen Fällen 
von Paralysis agitans vor. Magen di hat die Propulsion bei Tieren 
duroh Abtragung des Streifenhügels erzeugt. M. Schiff in Florenz hat 
naobgewiesen, dass die Versuchstiere Magendi’s nicht an Propulsion, 
sondern an Flexibilitas cerea leiden, dass sie zur Vorwärtsbewegung 
durch einen Reiz angeregt werden, und dass sie in derselben nicht will¬ 
kürlich aufhören können. Vortr. hat den Satz aufgestellt, dass die 
Pyramiden nichts mit den willkürlichen Bewegungen zu tun haben, 
sondern dass sie die Festlegung der Gelenke bei Bewegungen besorgen. 
Der Kern für diese Fixation befindet sich zwischen den Oculomotorius- 
und Acustiouskernen. Bei einem Fall von geheilter Myelitis hat Vortr. 
beobachtet, dass der Pat nicht ruhig stehen bleiben konnte, sondern 
immer Bewegungen vor- und rückwärts machte. H. 


Gesellschaft für Innere Medizin und Kinderheilkunde zu Wien. 

Sitzung der pädiatrischen Sektion vom 6. März 1913. 

(Eigener Bericht.) 

Hr. T. Khautz demonstrierte ein 5 jähriges Mädchen mit über¬ 
standener akuter eitriger Osteomyelitis der Clavicula. 

Hr. Bergmeister stellte einen Knaben mit angeborener beider¬ 
seitiger Linsenektopie vor. 

Der Knabe kann grössere Ziffern lesen; er hat an einem Auge 
zweierlei Refraktion, indem der obere Teil der Pupille wegen der starken 
Wölbung der Linse myopisch, der untere, linsenfreie Anteil hyper- 
metropisch ist. Gegenwärtig ist bei dem vorgestellten Falle ein thera¬ 
peutisches Vorgehen nicht indiziert. 

Hr. Frtisehels demonstrierte einen 10 jährigen Knaben, welchen er 
vor 3 Monaten mit absoluter Stummheit, aber normalem Sprach¬ 
verständnis vorgestellt batte. 

Das Kind kann jetzt, nach normalem Taubstummenunterrichte, viele 
Gegenstände benennen und kurze Sätze sprechen. 

Hr. Mayerhofer demonstrierte ein 5 Wochen altes Kind mit Mikro- 
myelie infolge Chondrodystrophie. 

Das Kind hat abnorm kurze Extremitäten, eine Plattnase; die Haut 
sieht aus, als wenn sie zu gross wäre, und es besteht eine Andeutung 
von Uvulaspaltung. 

Hr. Rach zeigte einen Säugling mit verrueöser Form des Brom¬ 
exanthems. 

Das Kind bekam einer schweren Pertussis wegen binnen 25 Tagen 
20 g Natrium bromatum, kaffeelöffelweise in wässriger Lösung. 

Hr. Hochsinger: 

Ueber bedeutungslose Geräusche in der Präcordialgegend von Kindern 
nnd Jugendlichen. 

Geräusche in der Präcordialgegend ohne pathologische Bedeutung 
kommen in jeder Epoche des Kindesalters vor, sind aber erst nach dem 

3. Lebensjahre häufiger und zwischen dem 10. und 14. Lebensjahre am 
allerhäufigsten. Man kann diese Geräusche einteilen in solche, welche 
durch eine Beeinflussung der inspiratorisch gefüllten Lungenränder 
seitens der Herzkontraktionen zustande kommen, sogenannte Herz- 
Lun gen geräu sehe, und in solohe, welche im Herzinnern selbst ent¬ 
stehen, sogenannte accidentelle oder funktionelle Herzgeräusche. 
Diese bedeutungslosen Geräusche zeigen gewisse Unterschiede, welche 
eine klinische Abgrenzung ermöglichen. Das wichtigste ist, dass die 
Herz-Lungengeräusche bei sistierender Atmung verschwinden, während 
die endooardialen accidentellen Geräusche vom Atmungsstillstand un¬ 
beeinflusst bleiben. Körperliche und psychische Erregung wirkt auf 
beide Geräuscharmen verstärkend. Endocardiale accidentelle Geräusche 
kommen nach den Erfahrungen des Vortr. im Säuglings- und frühen 
Kindesalter nicht vor, wohl aber Herz-Lungengeräusche und atonische 
Herzgeräusche, aber auch diese ganz ausserordentlich selten. Die 
Differenz der Anschauungen über das Vorkommen oder Fehlen von 
accidentellen Herzgeräusohen in der frühesten Kindheit beruht darauf, 
dass zwischen Herz-Lungengeräuschen, accidentellen und atonischen 
endocardialen Geräuschen der Kinder bisher nicht genügend differenziert 
wurde. Der von Schlieps eingeführte Terminus „atonische Herz- 
geräusche w deckt sich nicht mit dem, was die Autoren accidentelle 
oder funktionelle Herzgeräusche nennen, ist aber sehr bezeichnend für 
jene Geräusohe, welche bei nachweisbaren Zuständen von kindlicher 
Herzatonie (niederer Blutdruck, schlechte Arterienfüllung, dilatative 
Schwäche) Vorkommen. Diese Geräusche besitzen im Gegensätze zu den 
cardiopulmonalen una accidentellen Geräuschen eine erhebliche patho¬ 
logische Bedeutung, sind aber gleichfalls im frühen Kindesalter ausser¬ 
ordentlich selten. H. 


Verein deutscher Aerzte zu Prag. 

Sitzung vom 7. März ; 1913. . > . 

Hr. Pueher-Kladno: 

Ueber kriegsehirurgisehe Erfahrungen im letzten Balkankriege. 

Der. Vortr. weist zunächst auf die erheblichen Schwierigkeiten hin, 
die die österreichische Hilfsexpedition des „Roten Kreuzes“ (zwei Aerzte, 
zehn Krankenschwestern, reichliches Sanitätsmaterial) in der Türkei zu 
überwinden hatte, bevor sie ihre Tätigkeit entfalten konnte. Die 
Expedition führte erst nach Saloniki und von dort nach kurzem Aufent¬ 
halte nach Konstantinopel, wo sie in der als Notspital eingerichteten 
Taschkischlikaserne tätig war. Behandelt wurden 650 Verwubdete, von 
denen ca. 1 pCt. starb, 67 pCt. geheilt und 32 pCt. invalid wurden. Das 
Verhältnis der Verwundungen duroh Gewehrprojektile zu denen durch 
Geschützprojektile war 58: 42. 70 pCt. waren Extremitätenverletzungen, 
3 pCt. Lungenschüsse (von denen alle geheilt wurden), 2 pCt. Kopf¬ 
schüsse und 4 pCt. Bauchschüsse kamen zur Beobachtung. 75 pCt. aller 
eingelieferten Verwundeten waren infiziert. Alle Frakturen kompliziert. 
Von vier Tetanusfällen starb einer. Antitoxinbehandlung erwies sich 
als wertlos. 

Die Narkose bei den (ausschliesslich türkischen) Verwundeten zeigte 
auffallende Erscheinungen. Fehlendes Exzitationsstadium, keinerlei Uebel- 
keiten nach dem Erwachen. Die Therapie war möglichst konservativ, 
Jodtinktur und Mastinol bewährten sich bestens. Peinlichste Asepsis 
(Gummihandschuhe). Die konservative Behandlung erfordert vielfach 
plastische Operationen, derentwegen die Patienten viel länger in Spitals¬ 
behandlung bleiben müssen, als bei weniger konservativer Behandlung. 
Darin liegt nach der Meinung des Vortr. eine gewisse Gefahr, da die für 
den Kriegsfall vorbereiteten Spitäler eventuell nicht ausreichen könnten. 
Mit Rücksicht auf diesen Umstand müssen die Vorbereitungen noch er¬ 
weitert werden. Die kleinkalibrigen Infanteriegewehre erweisen sich als 
die humansten Geschosse, vielleicht für den Kriegszweck zu human, da 
doch der Verwundete für den ganzen Krieg ausgeschaltet sein soll. ! Da¬ 
gegen stellen sich die Geschützprojektile als fürchterliche Geschosse dar. 

Im Anhänge berichtet Herr P. über die gemachten Cholera¬ 
erfahrungen, wobei er bemerkt, dass das angewendete Serum keinerlei 
Erfolg brachte. 

Die freiwillige Krankenpflege durch Frauen bewährte sich nach der 
Ansicht des Vortr. nicht. Für das Allerwichtigste hält Herr P. die 
primäre Anlegung eines aseptischen Verbandes und empfiehlt Päckchen 
mit aseptischer Gaze, nicht mit imprägnierter. 0. Wiener. 


42. Versammlung der Deutschen Gesellschaft 
für Chirurgie zu Berlin. 

(Berichterstatter: Privatdozent Dr. M. Katzenstein.) 

(Fortsetzung.) 

Hr. Brandes-Kiel berichtet über experimentelle Untersuchungen 
aus der Anschütz'sehen Klinik, welche vorgenommen waren, um den 
zeitlichen Ein tritt der durch Inaktivität bedingten Knochen¬ 
atrophie im Röntgenbilde festzustellen. 

Es war bei Kaninchen ein Stück der Achillessehne reseziert worden, 
um die Funktion des Fusses, vor allem des Calcaneus herabzusetzen 
und den Einfluss dieser Funktionsberaubung auf das Knochenskelett in 
verschiedenen Versuchsserien zu studieren. Ausserdem wurde die durch 
Gipsverbände bedingte Immobilisationsatrophie am Kaninchenfusse eben¬ 
falls im Röntgenbilde untersucht. Die projizierten Röntgenbilder zeigen 
das auffallend frühe Entstehen und die weitere Entwicklung der In¬ 
aktivitätsatrophie. 

Die aus den verschiedenen Untersuchungen gewonnenen Resultate 
fasst Brandes in folgende Sätze zusammen: 

1. Der Kanlnchencalcaneus ist ein ausgezeichnetes Objekt für der¬ 
artige röntgenologische Untersuchungen über Knochenatropbie. Voraus¬ 
sichtlich lassen sich auf diesem Wege auch wertvolle vergleichende Re¬ 
sultate über die verschiedenen Atrophieformen gewinnen. 

2. Die Inaktivitätsatrophie des Knochens kann nicht als eine spät 
eintretende Form der Atrophie charakterisiert werden; an geeigneten 
Untersuchungsobjekten lässt schon eine einfache Funktionsverminderung 
eine rapide eintretende und schnell fortschreitende Knochenatrophie des 
Fussskeletts in Erscheinung treten. 

3. Auch nach Immobilisation tritt in kurzer Zeit eine Inaktivitäts- 
atropbie am Knochen ein. 

4. Die in diesen Experimenten gefundenen Zeiten des Eintritts der 
Ioaktivitätsatrophie sind noch kürzer als die für den Menschen ange¬ 
gebenen Zeitwerte des Eintritts der akuten, reflektorischen Atrophie. 

5. Nach diesen Ergebnissen der Experimente scheint die sogenannte 
akute, reflektorische, trophoneurotische oder entzündliche Knochenatrophie 
der Hauptstütze ihres Existenzbeweises beraubt zu sein, genau so wie 
auch die Existenz einer reflektorischen, akuten Muskelatrophie durch 
die Arbeiten von Schiff und Zack-Wien erneut bezweifelt werden 
konnte. 

Hr. Axbausen-Berlin: Ergebnisse der experimentellen freien 
Schleim h au tüberp fl an zung. 

Magen- und Blasensohleimhaut bleiben bei autoplastischer Ueber- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


Pflanzung erhalten. Das Epithel breitet sich aus und schliesst sich zur 
Cyste ab. Homöoplastisohe Transplantate gehen zugrunde. 

Hr. Glaessner- Berlin: Zur Entstehung der Coxa vara. 

Es handelt sich um eine Krankheit des Epipbysenknorpels; der 
Parallelismus der Aohsen von Schenkelhals und -köpf wird gestört, die 
Kopfkappe sinkt allmählich herab. Durch Redressement und Fixierung 
im Gipsverband gehen die Veränderungen zurück. 

2. Hauptthema: Ulcus duodeni. 

Referent: Herr Köttner-Breslau. 

Auf Grund seiner eigenen Erfahrungen sowie einer Rundfrage an 
80 Chirurgen, die 800 Fälle ergibt, bespricht Ref. die wichtigsten Fragen 
zur Pathologie und Therapie des Ulcus duodeni. Die scheinbaren Wider¬ 
sprüche zwischen den deutschen und anglo-amerikanischen Zahlen lösen 
sich bei gebührender Berücksichtigung der Verhältnisse (dort Zusammen¬ 
strömen der Fälle in wenige Hände, hier Operation nur in vorgeschrittenen 
Stadien) restlos auf. Die Vorbedingungen der Entstehung eines akuten 
Ulcus duodeni: Laparotomie* Appendicitis, septische Infektion usw., zu 
denen nach den Erfahrungen in seiner Klinik auch die Amputationen 
hinzukommen, gelten zum Teil auch für das chronische Ulcus, wiewohl 
hier verschiedene Bedenken stattfinden. Von der Symptomatologie wird 
seit Moynihan die Anamnese in den Vordergrund gerückt. Der Hunger¬ 
schmerz, gleichbedeutend mit dem Spätschmerz und dem Nachtschmerz 
und die Periodizität. Die Schmerzen beruhen auf Pylorospasmus und 
sind in ihrer Eigenart nicht streng pathognomonisch. Ulcus ventriculi 
und Carcinome können sie auch bewirken. 

Konstanter ist die Periodizität als Ausdruck von Heilungsvor¬ 
gängen und Recidiven — daher auch das Fehlen okkulter Blutungen 
im Intervall. 

An objektiven Symptomen ist in letzter Zeit einiges ermittelt 
worden. Die Hyperchlorhydrie ist nicht konstant, auch nicht über¬ 
wiegend häufig. Achlorhydrie kommt vor. Wichtiger ist die Hyper¬ 
sekretion, auch im nüchternen Magen. Die Motilität zeigt intermittierende 
Insuffizienzen, transitorische 12 Stunden-Retention (Kämp). Okkultes 
Blut kann selbst im floriden Stadium fehlen. Der spontane Schmerz 
wird ins Epigastrium, meistens wenig rechts von der Mittellinie verlegt. 
Der Druckschmerz sitzt an gleicher Stelle, noch häufiger ist die Empfind¬ 
lichkeit diffus. Sichtbar und tastbar sind nach der Laparotomie nur 
die Geschwüre der Vorderwand, daher ist die Eröffnung des Duodenums 
für den tastenden Finger notwendig (Wilms). Komplikationen sind sehr 
häufig, so dass Simmonds z. B. das Ulcus duodeni in 70pCt. als Todes¬ 
ursache (Blutung, Perforation) findet, das Ulcus ventriculi dagegen 
meistens als Nebenbefund. Als Grenze zwischen Magen und Duodenum 
ist (zwar nicht für wissenschaftliche, aber für praktische Zwecke) die 
Mayo’sche Vene ausreichend. Die Unterscheidung des Ulcus pylori 
vom Ulcus duodeni ist wegen der Verschiedenheit der Prognose von 
Wichtigkeit. 

Die Heilungstendenz ist gering, vernarbte Ulcera duodeni sind sehr 
selten. Die Behandlung muss, so lange die Erfolge der inneren Therapie 
unsicher bleihen, eine chirurgische sein, und zwar seltener eine direkte, 
da die Resektion nur bei Geschwüren der Vorderwand möglich ist, dort 
gefährlich ist und selbst da gegen Recidiv nicht schützt, als eine indirekte. 
Von den indirekten Methoden bewirkt die Gastroenterostomie beim 
Fehlen der Stenosen keine ausreichende Ausschaltung. Daher ist 
sie durch künstliche Stenosierung zu ergänzen. Die Uebernähung des 
Geschwürs nebst Raffung von Moynihan befriedigt nicht allgemein und 
zeigt sich im Experiment unzulänglich. Aehnliches gilt von der Faden¬ 
umschnürung. Auch die von Tappeiner experimentell gegrüfte Wilms- 
sche Fascienstreifenschnürung scheint nicht ganz sicher. Ideal ist die 
Durchtrennung des Pylorus nach Eiseisberg, doch gibt sie eine Er¬ 
höhung der Operationsmortalität um lOpCt. der Operierten und schützt 
nicht gegen Nachblutung. Sie ist daher nur da auszuführen, wo sie 
technisch einfach ist. In allen Fällen ist eine systematische Nach¬ 
behandlung notwendig. Von den Komplikationen erfordert die Per¬ 
foration eine Frühbehandlung. Schon nach 48 Stunden ist die Operation 
aussichtslos. Die Gastroenterostomie ist je nach den Umständen primär 
oder sekundär anzuschliessen. Die Behandlung der Blutung erfolgt nach 
denselben Prinzipien wie beim Magengeschwür; nur mittelschwere oder 
recidivierendo leichte Fälle sind zur Operation geeignet. Die Exzision 
des Ulcus verbietet sich meistens durch dessen Sitz an der Hinterwand. 

Hr. van den Velden-Düsseldorf: Pharmakotherapeutisohes 
zur Behandlung des Magen-Duodenalgeschwürs. 

Durch intravenöse Injektion von 5 ccm einer 5—lOproz. Kochsalz¬ 
lösung kann man prompt eine Beschleunigung der Blutgerinnung und 
häufig eine Sistierung von Blutungen erreichen. Die Injektion von 
Gelatine oder artfremdem Eiweiss vermehrt den Fibrogengehalt des 
Blutes auf mehrere Tage und ist als Vorbereitung zum Eingriff empfehlens¬ 
wert. Die Opiate stellen den Magen nicht ruhig, sondern vermehren 
seinen Tonus und führen bei erkranktem Magen direkt Schmerzen herbei. 
Will man sie unter diesen Umständen anwenden, so muss man den Vago- 
tonus durch Atropinisierung ausscbalten. 

Hr. G. v. Bergmann-Altona: Ulcus duodeni und vegetatives 
Nervensystem. 

v. Bergmann betont, in Uebereinstimmung mit dem Referenten, 
dass die Seltenheit der Diagnose Ulcus duodeni in Deutschland kaum 
auf geographische Verhältnisse zu beziehen ist. Er sah in 3 /s Jahren in 
Altona 30 durch Operation oder Melaena sichergestellte Fälle, im ganzen 


musste 40 mal die Diagnose gestellt werden. Die meisten, früher nicht 
diagnostizierten Fälle sind als Allgemeinneurosen oder Organneurosen 
aufgefasst worden. Untersucht man die Kranken mit Ulcus duodeni genau, 
so findet sich in der Tat auffallend häufig eine ganze Reihe neurotischer 
Zeichen. Nebenher wird die diagnostische Bedeutung des duodenalen 
Druckpunktes und der Unterscheidung von Schmerz bei Magenentleerung 
(2—5 Stunden post coenam) und Hungerschmerz (z. B. nächtlicher) be¬ 
tont, beides meist Pylorospasmus. 

Es werden an der Hand von 25 Röntgenbildern erwiesener Ulcera 
duodeni die charakteristischen, wenn auch nicht pathognomonisch ent¬ 
scheidenden Befunde demonstriert. An v. B.’s Abteilung haben West- 
phal und Katsch eine Gliederung der Ulcera duodeni derart vor¬ 
genommen, dass zwei Extreme, „die hyperperistaltischen“ und die 
„maximalsekretorischen Ulcera“, zu unterscheiden wären. Neben diesen 
reinen Formen, Mischformen beider Typen. Der „maximalsekretorische“ 
Typ kann absolut unter dem Bilde der Gastrosuccorrhöe (Reichmann- 
sche Krankheit) verlaufen, also unter dem Bilde einer klassischen sekre¬ 
torischen Magenneurose. 

Nicht nur am Magen finden sich aber die Zeichen gestörter Motilität 
und Sekretion in allen nur möglichen Kombinationen, sondern auch 
sonst im visceralen Nervensystem vor. Von 30 in diesem Sinne genau 
untersuchten Fällen werden die Befunde tabellarisch demonstriert, um 
die Häufigkeit der sogenannten „Stigmata des vegetativen Nervensystems“ 
zu beweisen. Dabei ist zu betonen, dass sowohl Zeichen geänderter 
Sympathicuseinstellung (z. B. Glanzauge, weite Pupille) als auch solche, 
die auf den Vagus bezogen werden (z. B. Hypersekretion, Bradycardie 
usw.) beim selben Kranken vorhanden sind, in bunter Mischung. Es ist 
keine Rede von isolierten Vagus- oder Sympathicuserkrankungen. Der 
Vortragende will es ausdrücklich vermeiden, für die Tatsache, dass 
Neurosen mit dem Ulcus pepticum (es gilt ganz das Gleiche für das 
Ulcus ventriculi) so häufig zusammen Vorkommen, den Kausalnexus hier 
zu erörtern. Nach seiner Hypothese ist die Neurose oft das Primäre, 
die anatomische Erkrankung (das Ulcus) das Sekundäre. Jedenfalls ist 
es aber an der Zeit, sich klar zu machen, dass der andere Kausalnexus, 
der anscheinend williger angenommen wird, ebenfalls blosse Hypothese 
ist. Es muss erst ein Verständnis dafür angebahnt werden, wie es 
möglich ist, dass ein linsengrosses Ulcus am Duodenum beispielsweise 
Pylorospasmus mit kolossalsten Schmerzen und Saftsekretionen von einem 
halben Liter und mehr erzeugt, ausserdem noch auch ausserhalb der 
Schmerzen etwa vermehrte Schweisssekretion, Blähhals oder ein Glanz¬ 
auge, um ganz beliebige Beispiele zu nennen. 

Der Kausalnexus ist in beiden Fällen heute noch hypothetisch. 
Die häufige Goincidenz aber von Symptomen, die zum vege¬ 
tativen Nervensystem Beziehung haben, und von Ulcus duo¬ 
deni ist auf Grund des vorgelegten Belegmaterials Tatsache. 

Hr. Gundermann bespricht kurz die Experimente Fried rieh’s 
und Engelhardt’s über Erzeugung von Magengeschwüren 
durch Netzgefässunterbindung, sodann die Versuche Payr’s, 
der durch Injektion ätzender Flüssigkeiten in die Magengefässe Geschwürs- 
bildungen hervorgerufen hat. G. konstatiert dabei, dass diese Autoren 
bei ihren Versuchstieren auch Leberveränderungen beobachteten. 

Die Beziehungen der Leber zur Gerinnbarkeit des Blutes im Verein 
mit den experimentellen Ergebnissen vorgenannter Autoren brachten ihn 
auf den Gedanken, den Versuch zu machen, durch partielle Pfortader¬ 
ausschaltung Magen- resp. Darmgeschwüre zu erzeugen. Durch Unter¬ 
bindung des linken Pfortaderhauptastes erhielt er bei Kaninchen aus¬ 
nahmslos zahlreiche, akute Magengeschwüre, in einzelnen Fällen auch 
Duodenalgeschwüre. Die meisten Tiere starben in den ersten 48 Stunden. 
An den überlebenden Versuchstieren, die in verschiedenen Zeitintervallen 
nach der Operation getötet wurden, war eine starke Tendenz zur Ge- 
sohwürsheilung erkennbar. Immerhin fand Gundermann nach 22 Tagen 
noch ein nicht vernarbtes und, wie die Gewebsneubildung bewies, chroni¬ 
sches Geschwür an der kleinen Kurvatur. 

Die vom Pfortaderkreislauf abgeschnittenen Leberlappen zeigten das 
Bild einfacher Atrophie, keine Nekrose. Der normal versorgte Leberrest 
zeigte rasche kompensatorische Hypertrophie. 

G. bespricht dann die verschiedenen in Betracht kommenden Mög¬ 
lichkeiten der Geschwürsbildung und kommt zu dem Schluss, dass allein 
in dem des Pfortaderblutes beraubten Leberteile die Quelle der Ver¬ 
änderung in der Magen- und Darmwand zu suchen sei. Nach seiner 
Ansicht handelt es sich um toxisch wirkende Stoffe, die in der normalen 
Leberzelle bereits vorgebildet sind, die von der normal funktionierenden 
Zelle aber zurückgehalten, bzw. weiter verarbeitet werden. Aus dem 
Umstande, dass er durch Injektion von Leberextrakt gleichfalls Magen¬ 
geschwüre und Darmblutungen erzeugen konnte, folgert G., dass von 
der toten Leberzelle ähnliche Substanzen abgegeben werden, wie von 
der das Pfortaderblut entbehrenden. 

Nach Anführung mehrerer Beispiele aus der menschlichen Pathologie, 
die seine Ansicht über den Zusammenhang von Leberscbädigung und 
Magen- und Darmgeschwüren stützen sollen, bespricht G. Doch einen 
Fall, in welchem es ihm gelungen ist, auch beim Hunde durch partielle 
Pfortaderausschaltung mehrere Duodenalgeschwüre zu erzeugen. 

Infolge der Analogie zwischen Mensch und Tier hält G. es für wahr¬ 
scheinlich, dass auch das menschliche Ulcus ventriculi et duodeni seine 
Ursache hat in einer Dysfunktion der Leber. 

Hr. Haudek-Wien führt folgende Röntgenbefunde bei Ulcus 
duodeni an: 

1. Die Duodenalstenose, die als Folgeerscheinung — Narbe — 


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14. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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oder als Begleiterscheinung — Spasmus — eines Geschwürs auftreten 
kann. Stenosen werden zumeist im unteren Anteile des Duodenums ge¬ 
funden. 

2. Persistierende Schatten im oberen Duodenum. Ein 
grosser persistierender Schatten im oberen Duodenum kann durch eine 
Stenose, durch Taschenbildung infolge eines Ulcus, sowie bei abnorm 
starker Knickung des Duodenums durch Entzündung Vorkommen, dooh 
ist seine Unterscheidung von der normalen Bulbusfüllung schwierig. Die 
Pars superior kann nämlich auch, ohne dass eine pathologische Ver¬ 
änderung vorliegt, gegen die Pars descendens stark abgeknickt sein, sie 
verläuft bei tiefstehendem Pylorus nicht horizontal, sondern steil auf¬ 
steigend, dann ist die Pars superior oft stark entfaltet und lange Zeit 
gefüllt. 

8. Die Nische ist ein gewöhnlich sehr kleiner Wismutschatten 
ausserhalb der normalen Duodenalfüllung, der den Krater eines tief¬ 
greifenden Geschwürs ausfüllt. 

4. Ein umschriebener Druckpunkt, der sich genau auf das 
Duodenum, gewöhnlich auf die Pars superior projiziert. 

5. Abnorm schnelles Uebertreten von Mageninhalt in 
das Duodenum, das namentlich unmittelbar nach Nahrungsaufnahme 
deutlich ist und dem Bilde einer Pylorusinsuffizienz gleicht. Die Ent¬ 
leerungszeit ist häufig verkürzt; manchmal kommt es zu einer Ver¬ 
zögerung der Austreibung der letzten Portionen und Rückständen nach 
6 Stunden. Beträchtliche Retention und Dilatation des Magens wird nie 
beobachtet 

6. Die Magenperistaltik ist zumeist sehr tief, der Tonus 
häufig verstärkt. 

7. Pylorusfixation. Der Magen liegt gelegentlich auffallend 
schräg, die passive Verschieblichkeit der Pars pylorica ist vermindert 
oder aufgehoben, doch kann auch Perigastritis oder Pericholecystitis 
den gleichen Befund hervorrufen. 

8. Die Röntgenbefunde, die bei Magengeschwüren Vor¬ 
kommen, fehlen. Die Resultate der Röntgenuntersuchung können 
folgendermaassen verwertet werden: 

a) Positive Befuude können die Diagnose unterstützen, gelegentlich 
auch sichern; doch ist die Verlässlichkeit und Eindeutigkeit der Röntgen¬ 
befunde bei Ulcus duodeni keine so grosse wie die der positiven Befunde 
des Magengeschwürs. 

b) Ein normaler Röntgenbefund des Magens und Duodenums ge¬ 
stattet niemals, Ulcus duodeni auszuschliessen. Ist nach dem klinischen 
Befunde, z. B. Magenblutungen, Ulcusbeschwerden, Hyperacidität ein 
flaches Ulcus anzunehmen, so spricht ein normaler Röntgenbefund, ins¬ 
besondere das Fehlen von Retention im Magen dafür, dass das vermutete 
Ulcus eher im Duodenum sitzt als im Magen. 

o) Bei normaler oder beschleunigter Magenentleerung erscheint die 
blosse Ausführung der Gastroenterostomie widerraten, selbst wenn das 
Ulcus bei der Operation am Pylorus gefunden wird, ohne dass der 
Magen dilatiert ist, da die radiologische Erfahrung in Uebereinstimmung 
mit der klinischen lehrt, dass in solchen Fällen die Speisen nach der 
Gastroenterostomie zum grössten Teile den Magen durch den alten Aus¬ 
gang verlassen. Für solche Fälle empfiehlt sich die Hinzufügung der 
Ausschaltung oder Verengerung des Pylorus. 

Hr. Richter Berlin betont die Wichtigkeit von Adhäsionen und 
eventuell durch diese herbeigeführten Spasmen. Erstere sollen durch 
Dickdarmbakterien bewirkt werden. Das Nervensystem ist von wesent¬ 
lichem Einfluss, wie er an einem Fall erläutert, in welchem bei gleich- 
bleibendem anatomischen Befund Symptome auftraten, nach Probe¬ 
laparotomie auf viele Jahre verschwanden und nach längerer Pause 
wiederkehrten. 

Hr. v. Haberer-Innsbruck bespricht an der Hand von drei, mit 
gutem Erfolge operierten Fällen von Ulcus peptioum jejuni nach 
Gastroenterostomie diese postoperative Spätkomplikation der Gastro¬ 
enterostomie. Sie ist häufiger, als man annehmen möchte. Wenn es 
viele Chirurgen gibt, welohe diese Komplikation am eigenen Material 
nie gesehen haben, so beweist das nicht, dass sie nicht doch 
auch Ulcera peptica jejuni naoh ihren Gastroenterostomien hatten. 
Viele dieser Patienten gehen nämlich nicht mehr zu dem Chirurgen 
zurück, der bei ihnen die Gastroenterostomie ausgefübrt hat, sondern 
wenden sich einem zweiten Chirurgen zu, weil sie durch die Operation 
des ersten nicht die gesuchte Hilfe fanden. So hatte v. Haberer im 
ganzen fünfmal Gelegenheit, bei Ulcus pepticum postoperativum zu 
intervenieren, während nur zwei Fälle auch primär von ihm operiert 
waren. Man muss zwischen dem Ulcus am Gastroenterostomiering 
und dem Ulcus pepticum jejuni unterscheiden, da manche Erklärung 
für das erstere (Nekrosen im Bereiche der Schleimhautnaht, kleine 
Nahtabscesse im Schleimbautring usw.), für das Ulcus pepticum 
jejuni nicht ausreicht. Zudem werden manche sekundäre Verände¬ 
rungen des Gastroenterostomieringes ganz fälschlich einem Ulcus 
pepticum jejuni in die Schuhe geschoben. Hierher gehören viele 
von den sekundären Veränderungen des Gastroenterostomieringes, wie 
sie z. B. nach Knopfanastomosen oder nach Anastomosen mit Naht 
auftreten, wobei die Anastomose im Verhältnis zur Wandhypertrophie 
des Magens von vornherein zu klein angelegt war. v. Haberer hat im 
letzten Jahre drei solcher Fälle zu operieren Gelegenheit gehabt, in 
denen es sich um einfache Verengerungen von Gastroenterostomie¬ 
fisteln handelte, und bei denen jede Spur von irgendwelchen frischeren 
oder älteren Entzündungserscheinungen fehlte. Bedenkt man nun .die 
allgemein anerkannte Hartnäckigkeit und Torpidität des Ulcus pepticum 


postoperativum, so ist man angesichts vollständig negativer Befunde am 
Gastroenterostomiering wohl nicht berechtigt, von einem abgelaufenen 
Ulcus pepticum zu sprechen. Diese Fälle gehören vielmehr in die 
Fragen der Technik, womit natürlich nicht gesagt sein soll, dass ein 
Ulcus pepticum nicht auch zur Verengerung der Gastroenterostomie 
führen kann. Aber man wird dann, wenn schon nicht mehr das frische 
Ulcus, so doch die Residuen eines Ulcus am herausgeschnittenen 
Anastomosenring finden. Ueber die letzte Ursache des Ulcus pepticum 
jejuni wissen wir nichts Sicheres, sondern sind diesbezüglich mehroder minder 
auf Hypothesen angewiesen. Sicher ist bloss, dass der Hyperacidität 
des Magensaftes dabei eine ausschlaggebende Bedeutung zukommt. 

Die drei, von v. Haberer operierten Fälle von Ulcus pepticum 
jejuni betrafen Männer von 29, 30 und 36 Jahren, welche laut 
Anamnese (alle drei) jahrelang an typisohen und zwar schweren Sym¬ 
ptomen von Magenulcus litten, ehe sie in chirurgische Behandlung kamen. 
In allen drei Fällen wurde bei der Operation ein Ulcus am Pylorus ge¬ 
funden, und deshalb die Gastroenterostomie ausgeführt. Die Operation 
war in allen drei Fällen von anderen Operateuren ausgeführt worden, 
doch konnte ermittelt werden, dass jedesmal eine Gastroenterostomia 
retrocolica posterior mit kürzester Schlinge angelegt worden war. Nur 
ein Patient fühlte sich zunächst wohl, bekam aber nach 8 / 4 Jahren 
wieder starke Magenbesohwerden. Die beiden übrigen Patienten waren 
trotz der Gastroenterostomie nicht beschwerdefrei geworden, sondern 
blieben ungebessert. Der eine von Ihnen kam nach einem Jahre wegen 
zunehmender Beschwerden zu v. Haberer. Die Diagnose konnte mit 
grosser Wahrscheinlichkeit auf Ulcus pepticum jejuni gestellt werden. 
Bei der Laparotomie fand sich bei vollständig zartem Gastroenterostomic- 
ring ein Ulcus peptioum jejuni genau gegenüber der Gastroenterostomie. 
Das Ulcus war im Begriffe zu perforieren, so dass nur seine Resektion 
in Frage kommen konnte. Diese war durch die Gastroenterostomie mit 
kurzer Schlinge sehr kompliziert, weil dadurch die Resektion bis hart an 
die Duodenojejunalgrenze heranging, was die folgende Versorgung dieses 
Darmteiles recht sehr erschwerte. Dazu kam noch die weithin reichende 
Infiltration im Mesenterium, welche, durch das Ulcus hervorgerufen, die 
anatomische Orientierung beeinträchtigte. Die Resektion musste wegen 
der weit reichenden entzündlichen Infiltration den ganzen pylorischen 
Magenabsohnitt inklusive Gastroenterostomiefistel und die zur Gastro¬ 
enterostomie verwendete erste Jejunumschlinge umfassen. Dabei konnte 
nun allerdings auch das alte Pylorusgeschwür entfernt werden. Die 
Versorgung wurde in der Weise ausgeführt, dass oardialer Magenbürzel 
und Duodenum blind vernäht wurden, während von den beiden Darm¬ 
lumina das unmittelbar dem Duodenum benachbarte End zu-Seit in das 
Jejunum, das Lumen des Jejunums End-zu-Seit in den Magen zwecks 
Herstellung einer neuen Gastroenterostomie eingepflanzt wurde, so dass 
jetzt eine Gastroenterostomie nach der Y-Methode resultierte. Glatte 
Heilung, Patient seither 3 Monate vollständig beschwerdefrei. 

Der zweite Patient, 30 Jahre alt, war wegeu Ulcus pylori gastro- 
enterostomiert worden, und nachher ®/ 4 Jahre beschwerdefrei gewesen. 
Dann wieder starke Beschwerden. Diagnose Ulcus pepticum jejuni. 
v. Haberer laparotomierte, fand das Ulcus am Pylorus vernarbt, 
Gastroenterostomie zart, aber ihr genau gegenüber im Jejunum am 
Mesenterialansatz ein ins Mesenterium penetrierendes Ulcus pepticum, 
das auch mit dem Colon und Mesocolon transversum bereits innig ver¬ 
wachsen war. Am Magen konnte sich v. Haberer in diesem Fall mit 
der partiellen Resektion begnügen, da das Pylorusulcus bereits ver¬ 
narbt war. Hingegen musste ausser der zur Gastroenterostomie 
verwendeten Jejunumschlinge, die das Ulcus pepticum trug, auch noch 
ein grosses Stück des Colon transversum reseziert werden. Versorgung 
von Magen und Dünndarmlumina in ähnlioher Weise, wie im ersten 
Fall, die Colonstümpfe werden blind vernäht und dann eine seitliche 
Colocolostomie hinzugefügt. Glatte Heilung, Patient seither 2 Monate 
vollständig beschwerdefrei. 

Der dritte Patient hat insofern die komplizierteste Krankengeschichte, 
als er bereits 1905 wegen eines blutenden Ulcus pylori gastroenterosto- 
miert worden war. Die Anastomose, mit Knopf ausgeführt, hatte sich 
verengert, der Patient seine alten Beschwerden behalten. Das Ulcus 
blieb offen. Obtober 1911 zum ersten Male von v. Haberer laparoto- 
miert. Schweres callöses Ulcus, am Pylorus starke Stenose, Gastio- 
enterostomie hochgradig verengert, aber ihr Ring ganz zart. Ablösung 
der Schlinge und neue hintere Gastroenterostomie mit kürzester Schlinge. 
Zunächst glänzende Erholung, seit Mai 1912 wieder starke Beschwerden 
und Blutung. Februar 1913 unter Diagnose eines Ulcus pepticum jejuni 
wieder von v. Haberer laparotomiert. Ulcus am Pylorus scheint in 
Ausheilung, Gastroenterostomie weit und zart, im Jejunum genau gegen¬ 
über der Gastroenterostomie ein ins Mesenterium bereits perforiertes 
Ulcus jejuni. Resektion nur unter querer Resektion des ganzen, die 
Gastroenterostomie tragenden Magenabschnittes möglich. Ulcus am 
Pylorus bleibt unberübt, wird nach Art der unilateralen Pylorusaus- 
schaltung versorgt. Magendarmnähte genau so, wie im ersten Fall. 
Heilung nach kleinem Bauchdeckenabscess. Patient seit der Operation 
beschwerdefrei. 

Die guten Ausgänge in diesen drei Fällen berechtigen zur Empfehlung 
der Radikaloperation des Ulcus pepticum jejuni in so schwer liegenden 
Fällen, wenngleich man ja nach einem so schweren Eingriff leider das 
missliche Gefühl hat, mit dem Ulcus nicht auch die Disposition zum 
Recidiv herausgeschnitten zu haben. Vielleicht hilft aber doch die be¬ 
trächtliche Nervendurchschneidung bei der Resektion die Gefahr des 
Recidivs herabsetzen. Für die Frage naoh der Aetiologie kann aus den 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


mitgeteilten Beobachtungen nichts Positives abgeleitet werden; immerhin 
ist es v. Haber er aufgefallen, dass alle drei Patienten so lange an 
Ulcusbeschwerden gelitten haben, ehe sie überhaupt zur Operation kamen; 
Es wäre immerhin denkbar, dass bei dem bekannten Circulus vitiosus, 
der zwischen Ulcus und Hyperacidität besteht, dadurch auch die Dis¬ 
position zum Ulcus peptioum jejuni erhöht würde. Daraus würde sich 
allerdings dann logisoherweise die Forderung nach möglichst früh¬ 
zeitiger und möglichst radikaler Operation . des Magenulcus ergeben. 
Sehr wesentlich ist strengste, interne Nachbehandlung aller am Magen 
Operierter. 

Hr. Schmieden-Berlin: Der Vortr. hat in Bier’s Klinik Studien 
über die Pathogenese des Duodenalgeschwürs gemacht und glaubt, dass 
hierfür die operative Autopsie verbunden mit der klinischen Beobachtung 
die besten Aufschlüsse zu geben imstande ist. Er hält den radiologisoh 
so häufig beim Duodenalgeschwür nachweisbaren konstanten 
Wismutsohatten im obersten Teil des Duodenums für einen 
wichtigen Hinweis auf die Aetiologie des Ulcus duodenale. 
Das Duodenum soll den Inhalt sehr rasch passieren lassen; dauernde 
Anwesenheit sauren Speisebreis führt zu Reizung und Geschwürbbildung 
an hierfür prädisponierten Stellen. In erster Linie führt die Formver¬ 
änderung des Magens im Sinne der Ptose zu scharfwinkliger Knickung 
im Gebiet der Pars superior duodeni oud zur Inhaltsretention; anderer¬ 
seits verhindert diese Knickung den Eintritt der neutralisierenden alka¬ 
lischen Darmsäfte in den oberen Duodenalteil. Unter diesem Gesichts¬ 
punkt erscheint das Duodenalgeschwür indirekt abhängig von der 
aufrechten Körperhaltung des Menschen. Auch bei dem zweiten Haupt¬ 
typus der Form Veränderung des Magens beim Ulcus duodeni, bei der 
Rechtsfixation des Pyiorus muss diese Lageveränderung der Pylorus- 
gegend nach den Beobachtungen des Vortr. zunächst nicht als die Folge, 
sondern als die einleitende präexistierende Ursache des Duodenal¬ 
geschwürs betrachtet werden. Auch hierbei lassen sich abnorme kon¬ 
stante Duodenalfüllungen nachweisen. Es handelt sich dabei um peri- 
colitisohe und pericholecystitische Verwachsungsstränge, welche die 
Motilitätsstörung des Pylorusgebietes herbeifübren. Es fehlt in solchen 
Fällen die peristaltische Selbstreinigung des Duodenums. Ein einmal 
vorhandenes peptisches Geschwür hält dann später stets saure Inhalts- 
massen in seiner Tiefe zurück. Bei der Betrachtung dieser Ver¬ 
änderungen ist also bisher Urs.aohe und Wirkung ver¬ 
wechselt worden. 

Analogien zu dem beschriebenen Entstehungsmodus finden sich 
reichlich im übrigen Darmkanal. Der Vortr. zweifelt nicht daran, dass 
bei sorgfältiger Anwendung des Röntgenverfahrens und bei kritischer 
Beobachtung des operativen Befundes die Operateure bald diese Auf¬ 
fassung bestätigen werden, und erinnert daran, dass auch andere Be¬ 
gleiterscheinungen des Magen- und Duodenalgeschwürs, so die digestive 
Hypersekretion und Hyperacidität und vor allem auch nach v. Berg-: 
mann’s Ansicht die spastischen Zustände im Geschwürsgebiet nicht 
mehr allein als ein Symptom der Erkrankung betrachtet werden dürfen, 
sondern dass sie an ihrer Entstehung ursächlich beteiligt sind. 

Hr. Friedrich-Königsberg bespricht Pankreasaffektionen (unge¬ 
wöhnlich grosse Steinbildung, Pancreatitis) und seltenere Affek¬ 
tionen des Duodenums (Carcinom, Polyposis, Divertikel¬ 
bildung) in ihrer Bedeutung für die Differentialdiagnose des Ulcus 
duodeni, auf Grund von 16 Fällen eigener Beobachtung. (An der 
Königsberger Klinik kamen in dem Zeitraum von IV 2 «fahren auf 
193 Magen- und Duodenaloperationen nur fünf Ulcera duodeni 
und zwei Carcinome.) Bei seinen Fällen von Duodenalulous ist immer 
die lange Dauer des vorausgegangenen Krankseins, fast ausnahmslos als 
„Magen“leiden bezeichnet, durchschnittlich häufiger als sonst berichtet, 
Erbrechen, fast regelmässig nächtlicher Schmerz, hin und wieder, die 
Belbst beobachtete Abmagerung aufgefallen. Stenosenerscheinungen und 
Blutbrechen fanden sich namentlich beim Duodenalcarcinom; blut¬ 
haltige Stühle auch beim Duodenalulcus. Das Symptom des „Hunger- 
scbmerzes“ trat ihm beim Ulcus nur vereinzelt entgegen, das der 
Duodenalblähung wurde häufiger bei gleichzeitigen oder isolierten 
Affektionen des Pankreas (Pankreatitis, Pankreasstein, Pankreasdermoid) 
beobachtet. Unter 14 Fällen von Ulcus und Carcinom des Duodenums 
fand sich sechsmal, und zwar dreimal bei Ulcus, eine Mitbeteiligung des 
Pankreas. Die von ihm beobachteten sechs Carcinome des Duodenums 
gingen in zwei Fällen mit lebenbedrohender Rückwirkung auf Chole- 
dochus (Melanicterus, Pankreasnekrose) und Pancreaticus einher. Ausser¬ 
dem berichtet Friedrich über zwei Fälle, wo ein grosses Divertikel 
des Duodenums hart an der Choledochusmündung, bzw. ein ungewöhn¬ 
lich grosser (3,9 X 3 cm) Pankreasstein tödliche• Komplikationen 
herbeiführten. 

Hr. Bier-Berlin hat das Ulous duodeni zuerst häufiger, dann auch 
richtiger diagnostizieren gelernt. Auf okkulte Blutungen legt er grossen 
Wert, fast stets führt er die Gastroenterostomie aus und verschliesst 
den Pyiorus nach verschiedenen Methoden, ohne von irgendeiner be¬ 
friedigt zu sein. Bei einer Relaparotomie nach Verschluss mittels 
Fascienstreifen sah er perigastritische Schwielen. Gegenwärtig zieht er 
die Einfaltung nach Moynihan vor. Die Resektien vermeidet er wegen 
der Schwierigkeit der Stumpfversorgung. 

Hr. Kolb-Heidelberg berichtet über 18 Fälle von Umsobnürung 
mit autoplastischem Material. Neun mindestens 6 Monate alte Fälle 
wurden röntgenologisch nachuntersucht mit bestem Ergebnis für die 
Methode. Der Streifen aus Fascia lata — eventuell einmal auch aus 
Netz — soll 3 cm breit sein und nicht übermässig angespannt werden. 


' Hr. Voelcker-Heidelberg: Der Circulus vitiosus kommt nach seiner 
Ueberzeugung durch kleine technische Fehler zustande. Um ihn zu ver¬ 
meiden, markiert man sich die Stelle, wo der Magen die Plica duodeno- 
jejunalis berührt und legt von da aus die Verbindung steil nach oben 
an. Nach der Reposition resultiert dann ein völlig ungeknickter Ver¬ 
lauf; wollte man bei dem eventrierten Magen die Verbindung anlegen, 
so würde man nach der Reposition Abkniokungen erhalten. 

Hr. Hofmeister - Stuttgart: Die angeblichen Schwierigkeiten der 
Pylorusausscbaltung nach v. Eiseisberg fallen fort, wenn man 8 cm 
oberhalb des Pyiorus durchtrennt. Er selbst bat 8 Ausschaltungen, 
3 Resektionen und 3 Gastroenterostomien wegen Ulcus duodeni aus¬ 
geführt, ohne in dieser Serie einen Todesfall zu zählen. 

Hr. Ke Hing - Dresden: Die Differentialdiagnose zwischen Ulcus 
pylori und Ulcus duodeni ist nicht ausführbar, ebensowenig die Ab¬ 
grenzung gegen Cholecystitis. Gegen Blutungen — er bat zwei Nach¬ 
blutungen gesehen — empfiehlt er Auflegen von Sandsäcken und Auf¬ 
blähung des Colons. 

Hr. Boit - Königsberg: Auch das Symptom der Blutungen ist un¬ 
sicher. Sie können, wie ein Fall von ihm zeigt, capillaren Ursprungs 
sein, ohne dass Ulcus da ist. Die Gastroenterostomie gibt selbst da, 
wo alle klinischen Symptome vorhanden sind, kein besonderes Resultat; 
er macht daher Probelaparotomien und macht einfach wieder zu, wenn 
er nicht selbst das Ulcus sieht. 

Hr. Adolf Schmidt - Halle a. S.: Zur Operation kommen meist 
nur vorgeschrittene Fälle, callöse Ulcera duodeni. Diesen müssen aber 
Sehleimhautulcera vorausgehen, deren Frühdiagnose anzustreben ist. 
Hier liegt der Wert der Säurebestimmungen. Hyperchlorhydrie und 
Hypersekretion, deren Unterscheidung undurchführbar ist, indem beide 
ein Missverhältnis zwischen Sekretion und Abfuhr ausdrücken, müssen 
den Verdacht , auf Ulcus lenken; bloss nervös sind sie niemals, 
können dagegen auf einem Katarrh . beruhen. Vielleicht wird die 
Röntgenuntersuchung hier weiterführen können. Was bei dem häufigen 
Zusammentreffen nervöser Symptome und Ulcus auch ursprünglich Ur¬ 
sache und was Wirkung sein mag, jedenfalls bilden beide einen Circulus 
vitiosus. Es liegt ein Widerspruoh darin, wenn man auf Grund patho¬ 
logisch-anatomischer Statistiken die Heilungsmöglichkeit des Ulcus 
duodeni bestreitet (dabei weiss man doch, dass Sehleimhautulcera spurlos 
verschwinden können) und andererseits die Remissionen im Krankheiten 
verlauf auf Heilungsprozesse zurückführt. Redner ist überzeugt, dass 
Sehleimhautulcera unter fachgemässer interner Behandlung auch im 
Duodenum häufig ausheilen, und betont, dass die Unmöglichkeit, den 
Erfolg der Therapie von spontanen Remissionen zu unterscheiden, die 
chirurgische Behandlung in dem gleichen Grade trifft wie die inter¬ 
nistische. 

Hr. A. Thies-Giessen: Behandlung akuter chirurgischer 
Infektionen mit rhythmischer Stauung. 

Auf Grund physiologischer Ueberlegungen empfiehlt Vortr. bei akuten 
Entzündungen anstatt nach der Empfehlung Bier’s, ununterbrochen 
über den grössten Teil des Tages zu stauen, eine häufig unterbrochene 
Stauung, etwa derart, dass 1—2 Minuten gestaut, ebensolange die 
Stauung ausgesetzt wird, wiederum eine Stauphase einsetzt usw. 

Diese „rhythmische“ Stauung erzielt er mit einem Apparat, der 
unter Zugrundelegung des Perthes’scben Dauerstauapparates konstruiert 
ist. Mit ihm lässt sich ein beliebiger Rhythmus in der Stauung erzielen^ 

Die Methode hat folgende Vorzüge vor der Dauerstauung: Man kann 
die rhythmische Stauung ohne längere Unterbrechung über viele Tage 
hin anwenden. Es bildet sich auch bei intensiver langdauernder Stauung 
kein so starkes Oedem, dass die Entstehung der Hyperämie beeinträchtigt 
wird, wie dieses bei der gleichmässigen Dauerstauung der Fall ist. Die 
gestaute Extremität bleibt stets warm. Die Endothelzellen der .Capillaren 
werden offenbar geschont, da sie immer wieder mit frischem Blut in 
Berührung kommen. Sie sind daher ihrer Aufgabe, die Toxine zu binden, 
mehr gewachsen. Es tritt kein „Stauungsfieber“ auf, das man sonst 
nach Lösung der Staubinde wohl beobachtet. Man kann die rhythmische 
Stauung auch bei Patienten anwenden, bei denen Sensibilitätsstörungen 
bestehen. Auch kleine Kinder können ununterbrochen über viele Tage 
gestaut werden. Die rhythmische Stauung hat sich in einer Reihe von 
Fällen akuter Entzündung gut bewährt. 

Hr. Vorschütz - Cöln: Behandlung septischer Prozesse 
durch Darreichung von Alkalien. 

Die Darreichung der Alkalien bei septischen Prozessen auf Grand 
der im Körper auftretenden Säuren und der physiologischen Wirkung 
der Alkalien wurde seit Jahren in der chirurgischen Klinik von Herrn 
Geheimrat Ti 1 man vorgenoramen, indem bei schweren Eiterungen mit 
septischem Charakter hohe Alkalidosen verabreicht wurden, 10—20 g 
bei Erwachsenen, 5—10 g bei Kindern. Um im Experiment die An¬ 
schauung am lebenden Tier zu beweisen, welche von Ehrlich an Serum¬ 
platten schon im Jahre 1890 auf Grund seiner Experimente ausgesprochen 
wurde, dass die baktericide Kraft des Blutes abhängig sei von seinen 
Salzen, wurde das Blut von Kaninchen angesäuert und dann eine be¬ 
stimmte Menge Ricin eingespritzt. Hierbei zeigte sich — es wurden 
50 ccm einer Vio*Normalsalzsäurelösung eingeführt —, dass das so an¬ 
gesäuerte Blut nicht imstande war, dieselbe Menge Gift zu binden als 
das normale Blut. Wenn man durch entsprechende Mengen Alkali die 
Ansäuerung behob, blieben die Tiere am Leben. 

Die günstigen Erfolge der Alkalien beruhen 1. auf ihrer katalytischen 
Wirkung, 2. auf Wasserzurückhaltung im Gewebe (Turgescenz, Oedem), 
3. auf ihrer Nieren Wirkung, indem eine starke Vermehrung des Urins 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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aoftritt, 4. auf der starken Sekretion der Drüsen, die für den Ver- 
dauungstractus einen grösseren Appetit bedeuten, 5. in der Erhöhung 
des Blutdruoks. 

Hr. Ch. Girard-Genf: Dysphagia und Dyspnoe lusoria. 

Als Dysphagia lusoria bezeichnet« der englische Arzt Bayford vor 
ungefähr einem Jahrhundert die Dysphagie, welche entsteht, wenn die 
Arteria subclavia dextra auf der linken Seite des Aortenbogens ent- >. 
springt und als Subclavia dextra recurrens, zwischen Speiseröhre und 
Wirbelsäule oder Trachea, quer verläuft, um zur rechten oberen Ex¬ 
tremität zu gelangen. Der Druck des Gefässes auf dem Oesophagus, 
namentlich bei starker Arterienfüllung, kann Schlingbeschwerden ver¬ 
ursachen. Diese Dysphagia lusoria (ex lusu naturae, wie man damals die 
angeborenen Anomalien nannte) ist in Vergessenheit geraten, nachdem 
eine Reihe von Autoren das Vorkommen eines solchen Zustandes 
leugneten. Im Jahre 1880 äusserte sich Franz König dahin, dass es 
in der damaligen neueren Literatur kein einziges verbürgtes Beispiel 
dieser Art gebe. 

G. hat jedoch in den letzten Jahren Gelegenheit gehabt, zwei Fälle 
von Dysphagia lusoria zu beobachten und operativ zu behandeln. Aber 
diese Fälle zeichneten sich dadurch aus, dass die Arteria subclavia 
recurrens nicht hinter der Trachea oder dem Oesophagus, sondern, was 
viel seltener ist, praetracheal verlief, so dass es nicht nur zu einer Dys¬ 
phagia infolge indirekten Druckes, sondern auch, durch direkte Kom¬ 
pression der Luftröhre, zu einer Dyspnoe lusoria gekommen ist. 

In einem Fall, Frau von 22 Jahren, bestand ausserdem noch die 
Thymusdrüse. Die Diagnose war übrigens darauf gestellt worden. Bei 
der Exstirpation der ziemlich dünnen Thymus musste man sich über¬ 
zeugen, dass die Druckerscheinungen durch die Anwesenheit der Drüse 
nicht erklärlich seien. Beim weiteren Nachforschen fand sich, auf der 
Trachea direkt aufliegend, die quer verlaufende Arteria subclavia dextra 
recurrens. Durch eine Arteriopexie gegen das Manubrium, Umschlingung 
des Gefässes mittels eines gestielten Streifens aus dem sehnigen Rande 
des linken Musculus sternomastoideus mit Naht des freien Endes am 
unteren Ansatz des rechten Sternomastoideus konnte die Arterie von der 
Trachea entfernt gehalten werden. Die Patientin ist sofort von ihren 
Beschwerden befreit worden. 

Im anderen Falle (48 jähriger Hann) waren früher die vorhandenen 
Erscheinungen von Tracheostenose und Dysphagie auf die Anwesenheit 
eines bilateralen Kropfes zurückgeführt worden. Ein Chirurg entfernte 
die eine Kropfhälfte, aber unter Zurücklassung einer Stimmbandlähmung 
(Recurrensverletzung) und ohne jede Besserung der Beschwerden. 

Ein anderer Chirurg entfernte später den grössten Teil der anderen 
Kropfhälfte, ebenfalls ohne Erfolg. Darauf trat eine ausgesprochene 
Cachexia thyreopriva ein. 

G. entschloss sich, den Patienten operativ zu behandeln, in der Ab¬ 
sicht, durch successive Eingriffe zuerst die Cachexia thyreopriva durch 
Implantation von gesundem Schilddrüsengewebe vor der Luftröhre zu 
heben, dann eine Anastomose des Stumpfes vom Nervus recurrens mit 
dem Nervus descendens hypoglossi vorzunehmen und zuletzt die ver¬ 
meintlich durch Kropfdruck entstandene Trachealstenose plastisch zu 
korrigieren. Der letzte Eingriff wurde nicht ausgeführt, weil als Ursache 
der Schluck- und Atmungsbeschwerden der abnorme Verlauf der Arteria 
subclavia dextra vorgefunden wurde. Eine Arteriopexie half auch hier 
in vollkommener Weise, soweit es sich nur um die Dysphagie handelte. 
Die Dyspnoe hingegen wurde in diesem Falle nur aut einige Monate ge¬ 
bessert und stellte sich später wieder ein, so dass Patient in einer 
anderen Stadt, wo er sich damals aufhielt, schliesslich tracheotomiert 
werden musste. Offenbar war beim Alter des Patienten die von narbigen 
Geweben umgebene Trachea ausserstande, sich zu erholen. 

Hr. Tiegel - Dortmund: Ueber Spontanheilung von Lungen¬ 
wunden. 

Ein Fall von sehr schwerer Lungenruptur, bei welchem eigentlich 
alle Indikationen für eine breite Thoracotomie und Nahtversorgung der 
Lungenwunde gegeben waren (erheblicher Hämothorax, Spannungspneumo¬ 
thorax und hochgradiges Zellgewebsemphysem, das schliesslich auch auf 
das Mediastinum Übergriff), kam ohne jeden grösseren Eingriff zur Aus¬ 
heilung. 

Das interstitielle Emphysem, das bereits zu Erstickungsnot geführt 
hatte, wurde zwei Tage lang ständig abgesaugt, und zwar von einem 
kleinen Schnitt im Jugulum aus, über welchen eine mit einer Wasser¬ 
strahlsaugpumpe in Verbindung gebrachte Bier’sche Saugglocke gestülpt 
wurde. Der starke Hämo- und Pneumothorax wurde durch ein in Lokal¬ 
anästhesie eingelegtes Ventildrain beseitigt. Der Verlauf war ein fieber¬ 
freier. In kurzer Zeit erfolgte völlige Wiederherstellung. 

Die Beobachtung dieses Falles regte dazu an, der Frage der Spontan¬ 
heilung von Lungenwunden experimentell näher zu treten. Es wurden 
bei 88 Hunden sehr ausgedehnte Riss- und Schnittverletzungen der 
Lungen gesetzt, die nicht versorgt wurden. Die anfangs meist sehr 
abundante Blutung kam auffallend rasch spontan zum Stillstand. Die 
Lungenwunden verklebten im Verlauf einiger Tage so fest, dass sie bei 
Aufblähung der Lungen Druckwerte von 80 bis 60 mm Hg aushielten. 
Die Resultate waren gleich günstige bei primärem Schluss der Pleura- 
wie bei Ventildrainage, bei glattem aseptischen Verlauf wie bei ein¬ 
tretender Infektion. 

Die «rosse Tendenz der Lungenwunden zur Spontanheilung, die in 
vorliegenden Versuchen festgestellt wurde, und die auch klinisch nicht 


selten sich beobachten lässt, spricht sehr zugunsten eines mehr konser¬ 
vativen Vorgehens. 

Diskussion. 

Hr. Burckhardt - Berlin hat experimentelle Studien über die In- 
fektionsempfängliobkeit in der Brusthöhle mit und ohne Pneumothorax 
ausgeführt und festgestellt, dass beim Vorhandensein eines Pneumo¬ 
thorax eine grosse Prädisposition für Infektionen besteht. Die praktischen 
Folgerungen ergeben sich von selbst. 

Hr. Guleke - Strassburg berichtet über penetrierende Brust-Bauch- 
wunden. Im Gegensatz zur reinen Bauchverletzung ist bei diesen 
kombinierten Wunden ein langsamer, kräftiger Puls infolge Vagusreizung 
vorhanden. Auch andere für Bauchverletzung charakteristische Symptome 
versagen hierbei oft. Während man bei Thoraxverletzungen sich ab¬ 
wartend verhalten kann, muss man bei diesen kombinierten Wunden 
operativ Vorgehen, da sonst die Prognose äusserst ungünstig ist. Es 
empfiehlt sich das transpleurale Vorgehen, da die Naht des meist ver¬ 
letzten Zwerchfells von der Pleuraseite aus leichter ausführbar ist. Bei 
vier einschlägigen Verletzungen hat Vortr. zweimal die Thoracolaparo- 
tomie und zweimal die Laparotomie ausgeführt. Einmal handelte es sich 
um eine Schussverletzung des Herzens und Milzverletzung. Ausgang in 
Heilung. Im zweiten Falle lag eine Peritonitis infolge Stichverletzung 
mit einem Stockdegen vor, der im siebenten linken Intercostalraum ein¬ 
gedrungen war und den Magen quer durchbohrt hatte. Trotz des Ein¬ 
griffes war die Peritonitis nicht mehr aufzuhalten. 

Hr. Schumacher - Zürich: Vortr. hat in zwei protrahiert verlaufen¬ 
den Fällen von Lungenembolie als diagnostisch bemerkenswertes 
Symptom ein Klappen des zweiten Pulmonaltones, sowie eine Vergrösserung 
des rechten Herzens festgestellt. Die Diagnose der Embolie ist häufig recht 
schwierig, da dieselben Symptome bei plötzlich eintretender innerer 
heftiger Blutung, sowie auch bei Myodegeneratio cordis auftreten können. 
In zwei Fällen einschlägiger Art wurde auf Grund einer solchen Diagnose 
die Trendelenburg’sche Operation ausgeführt. 

Vortragender unterscheidet drei Arten von Lungenembolie: 

1. Die momentan zum Tode führende Embolie, meist bedingt durch 
den enormen Shock, da hierbei nur eine partielle Verstopfung der Pul- 
monalis gefunden werden kann. 

2. Die in einigen Minuten zum Tode führende Embolie. Hierbei 
findet ein vollkommener Verschluss der Pulmonalis und damit eine 
Trennung des kleinen vom grossen Kreislauf, sowie eine Ueberdehnung 
des rechten Herzens statt. 

8. Die protrahiert verlaufende Embolie. Die meisten Fälle verlaufen 
in dieser Weise. Es findet hierbei primär der Verschluss nur eines 
Hauptastes und eines Nebenastes statt, und nur allmählich wird die 
ganze Pulmonalis verstopft. 

Von diesen Arten der Embolie ist die Möglichkeit der Trendelen- 
burg’schen Operation abhängig. Bei den momentan zum Tode führenden 
Fällen kommt sie nicht in Betracht, am günstigsten liegen die Fälle, 
wo ein Embolus die ganze Pulmonalis verstopft. Indessen ist hier die 
Zeit zum Eingreifen meist zu kurz. Bei den allmählich zur vollkommenen 
Verstopfung führenden Fällen ist die Frage der Operation deshalb so 
schwierig, weil sie klinisch nicht immer von den Fällen zu unterscheiden 
sind, die spontan zur Ausheilung führen. Die Operation sollte dann 
ausgeführt werden, wenn trotz innerer Behandlung eine Besserung der 
Symptome nicht stattfindet. 

Hr. Läwen - Leipzig hat mehrfach die Trendelenburg’sche Operation 
gemacht, jedoch stets ohne Erfolg, weil sie nur bei Moribunden aus¬ 
geführt wurde. Statt der von Trendelenburg empfohlenen und sehr 
gefährlichen temporären Abschnürung der Art. pulmonalis und der Aorta 
empfiehlt er, vermittels des Rehn’schen Handgriffes die beiden Venae cavae 
zu komprimieren, da hierdurch eine Entlastung des rechten Herzens 
stattfindet. Weiterhin empfiehlt er die Anwendung der künstlichen 
Atmung, die Injektion von Adrenalin ins Herz, jedoch die Vermeidung 
der Herzmassage. 

Hr. Schmid-Prag schlägt auf Grund von Leichenversuchen vor, 
das Herz vermittels Trennung des Sternums freizulegen. 

Hr. Rehn - Frankfurt durchtrennte in einem Falle das Sternum von 
unten her und klemmte die Venen in der besprochenen Weise ab, ohne 
jedoch den Patienten retten zu können. 

Hr. Müller - Rostock demonstriert Modelle, aus Filz dargestellt, 
mit deren Hilfe sich in sehr anschaulicher Weise zu Lehr- und Uebungs- 
zwecken plastische Operationen darstellen lassen. 

Hr. Zondek - Berlin: Zur Lehre von der Struktur des 
Knoohenoallus. 

Während Julius Wolff die Knochenstruktur nach vollendeter 
Heilung festgestellt hat, hat Z. diese Strukturverhältnisse im Verlaufe 
der Heilung untersucht. Der Vortragende berichtet über seine neuen 
einschlägigen Untersuchungen und die Bedeutung der Befunde für die 
Vorgänge in der Frakturheilung und die Maassnahmen bei der Fraktur- 
Behandlung. 

Hr. Friedrich • Königsberg bespricht, unter Vorstellung des ent¬ 
sprechenden Kranken, die bemerkenswerte Rückwirkung einer aus¬ 
gedehnten Brustwandresektion auf bestehendes hochgradiges 
Lungenemphysem. Ein 54jähriger russischer Kranker (Kutscher von 
Beruf) mit hochgradigem Lungenemphysem mit Thoraxstarre kam zur 
Aufnahme wegen periostalen Rippensarkoms, welches vom zweiten 
Intercostalraum bis zur vierten Rippe rechts als zusammenhängender, 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 15. 


massiger, fester Tumor sieh umgrenzen liess. Das Röntgenbild zeigte in 
der Lunge keine Tumormetastasen, zahlreiche verkalkte Hilusdrüsen. 
In örtlicher Anästhesie und unter Druckdifferenz wurde zur Tumor¬ 
entfernung die Brustwand aufgeklappt: Das Brustwandloch umfasste 
den Bereich der dritten, vierten, fünften, sechsten Rippe rechts, je 12 cm 
lange Rippenresektion, hatte also die Grösse von rund 120—150 qcm. 
Die Tumormasse hatte die Pleura costalis nach innen vorgebeult. Ein 
schmaler bandartiger Adhäsionsstreifen führte gegen die respiratorisch 
auf- und niedergehende Lunge. An der Lungenbasis dieses Streifens 
finden sich mehrere Metastasen des Tumors in der Lunge. Die Lunge 
wird vorgewälzt und ist im übrigen metastasenfrei. Daher wird der 
Metastasenherd aus der Lunge ausgeschnitten, die Lungenwunde genäht, 
die Lunge selbst in die Brustwandlücke nicht eingenäht, sondern ihrem 
freien Spiel überlassen, der über dem Tumor abtrennbare Hautlappen 
wieder dicht eingenäht, so dass nach Luftaustreibung aus dem Tborax das 
ganze Wundgebiet vollkommen geschlossen ist. Rasch überwundene, doch 
deutliche pneumonische Reaktion im' Operationsgebiet der Lunge; im 
übrigen reaktionslose Heilung per primam. In den der Operation 
folgenden Wochen der Beobachtung macht sich eine ganz auffällige 
Besserung der Emphysembeschwerden bemerkbar. Das Zusammentreffen 
kann natürlich ein zufälliges sein. Doch gibt Friedrich, mit aller 
Reserve, der Vorstellung Ausdruck, dass hier durch Anlegung der grossen 
Brustwandlücke, in der sich die in- und exspiratorischen Bewegungen 
der Lunge extensiv verfolgen lassen (Vorblähung und tiefes Einziehen), 
ähnliche Verhältnisse geschaffen worden sein könnten, wie durch die 
Rippendurchschneidung oder -Resektion im Freund’schen Sinne: mit 
der freieren Bewegung eines grösseren Lungenabschnittes fällt ein Teil 
des beim Emphysem bestehenden Widerstandes für den Pulmonalkreis¬ 
lauf fort. Die ganze Erwägung würde im Einklang stehen mit der von 
Friedrich entwickelten Theorie zur Erklärung des operativen Erfolges 
beim Emphysem mit Thoraxstarre, wie sie zum Chirurgenkongress 1911 
von Friedrich entwickelt wurde, und wie sie von pathologisch-anato¬ 
mischer Seite (Kaufmann) in Sumita’s Arbeit adoptiert worden ist. 

Hr. Klapp - Berlin: Ueber einen neuen Deberdruckapparat. 

K. bat den Vorversuch gemacht, die bisher nicht völlig gelösten 
Forderungen bei seiner Konstruktion zu berücksichtigen, und zwar haupt¬ 
sächlich die Vermeidung des Erbrechens und die Vermeidung der Auf¬ 
blähung des Magens. Diese beiden Forderungen sind dadurch gelöst, 
dass die Luft durch zwei in die Nase eingesteckte elastische Röhrchen 
eingeblasen und eine Magensonde in den Magen eingeführt wird. Nach 
dem Prinzip der kommunizierenden Röhren wird eine Ansammlung von 
Luft im Magen verhindert, der Mageninhalt fliesst durch den Katheter 
ab. Im übrigen ist auf möglichste Einfachheit Rücksicht genommen. 
Der Luftdruck wird durch einen Blasebalg erzeugt, die Gleichmässigkeit 
des Luftstromes durch einen am Anfang und Ende der Schlauchleitung 
eingeschalteten elastischen Beutel gewährleistet. 

Plastische Chirurgie. 

Hr. Hildebrand-Berlin: Ueber die Behandlung der Facialis- 
lähmung mit Muskelplastik. 

Ein junges Mädchen litt infolge einer Ohrenoperation an einer 
Facialislähmung, zu deren Heilung schon vorher neun Operationen der 
verschiedensten Art ausgeführt worden waren. Vortr. hat durch Ver¬ 
lagerung der sternalen Partie des Sternocleidomastoideus an den Mund¬ 
winkel eine wesentliche Besserung des Zustandes zu erzielen vermocht. 
Die Patientin wird demonstriert. 

Hr. Stein-Wiesbaden: Operative Korrektur der Facialis¬ 
lähmung. 

Vortr. hat in einem Falle, in welchem ohne Erfolg von anderer 
Seite eine Nervenplastik bei kompletter, seit vielen Jahren bestehender 
Facialislähmung versucht worden war, die kosmetische Korrektur des 
Leidens durch eine freie Fascienplastik vorgenommen. Ein aus der 
Oberschenkelfascie präparierter 20 cm langer und 2 cm breiter Fascien- 
streifen wurde von der Jochbeingegend her mit einem besonderen In¬ 
strument durch die Wange zu dem Mundwinkel der gelähmten Seite 
geführt und von dort wieder durch die Wange nach dem Jochbogen 
zurückgeleitet. Auf diese Weise wurde der herabhängende Mundwiukel 
mit Hilfe der Fascie an dem Jochbogen aufgehäDgt. Am Mundwinkel 
war als Voroperation drei Wochen vor Vornahme des Haupteingriffs ein 
kleines subcutanes Paraffindepot geschaffen worden, welches dem um 
dasselbe herumgeführten Fascienstreifen als Widerlager diente. Der Er¬ 
folg der Operation war gut und hat sich bisher ein Jahr lang erhalten. 
Die Operation eignet sich sowohl für Fälle, in denen eine Heilung der 
kompletten Facialislähmung auf andere Weise nicht gelang, als auch 
als Ersatz dieser Methoden, solange sichere chirurgische Methoden zur 
Heilung der Lähmung noch nicht zur Verfügung stehen. In psychischer 
Beziehung ist der Eingriff ausserordentlich wirksam, und in sozialer Hin¬ 
sicht ist er in vielen Fällen sehr vorteilhaft. 

Diskussion. 

Hr. Kofmann - Odessa hat in einem Falle von Ostitis fibrosa der 
rechten Augenhöhle durch plastische Operation eine wesentliche Besserung 
erzielt. 

Hr. Küttn er-Breslau berichtet über Dauerresultate der Trans¬ 
plantation an der Leiche und dem Affen. Demonstration zweier Prä¬ 
parate von Hüftgelenkstransplantation aus der Leiche. Im ersten Falle 
war einer Leiche 35 Stunden nach dem Tode der Hüftgelenkskopf ent¬ 
nommen und einem Menschen, dem wegen Chondrosarkoms der Schenkel¬ 


halskopf entfernt worden war, implantiert worden. Der Fall wurde vor 
zwei Jahren demonstriert und ging ein Jahr einen Monat nach Aus¬ 
führung der Transplantation an Lungenraetastasen zugrunde. Im zweiten 
Falle musste wegen Lokalrecidivs die Exartikulation im Hüftgelenk vor¬ 
genommen werden, das Transplantat war einer Leiche drei Stunden nach 
dem Tode entnommen und hatte drei Jahre zwei Monate funktioniert. 
Der Befund war in beiden Fällen der gleiche: der Knochen war bei der 
mikroskopischen Untersuchung tot und wurde vom lebenden Knochen 
langsam substituiert. Ganz besonders auffallend war die innige und 
funktionell richtige Verwachsung der Muskulatur mit dem toten Knochen. 

Weiterhin demonstriert Vortr. ein Kind, bei dem er vor einem 
Jahre wegon kongenitalen Defektes der Fibula die Fibula eines Affen 
implantiert hat. Die Affenfibula ist, wie die Demonstration von Röntgen¬ 
bildern ergibt, vollkommen eingeheilt. 

Hr. Lexer-Jena hat zweimal Leichengelenke transplantiert. In 
einem Falle trat eine Infektion ein, und im zweiten Falle, bei dem das 
Kniegelenk eines Hingerichteten kurz nach dem Tode verwendet wurde, 
nahm L. infolge der schlechten Funktion sekundär die Resektion des 
transplantierten Gelenks wieder vor. Bei der mikroskopischen Unter¬ 
suchung des Präparats ergab sich, dass der Knochen tot war. Die 
Fragestellung dreht sich aber nicht darum, ob die transplantierten 
Knochen am Leben sind, sondern ob ihre Resorption nicht so rasch 
vonstatten gebt, dass ihre Tragfähigkeit darunter leidet. Die besten 
Aussichten ergeben immer noch die horaoplastischen Transplantationen. 
Aber auch diese versagen, wenn der Empfänger tuberkulös oder luetisch 
ist. Die Heteroplastik macht deswegen so grosse Schwierigkeiten, weil 
die Eiweissarten der verschiedenen Individuen verschieden sind. An 
seiner Klinik sind erfolgreiche Versuche im Gange, durch entsprechende 
Vorbehandlung des Blutserums auch die Heteroplastik praktisch durch¬ 
führbar zu gestalten. 

Hr. Lexer - Jena berichtet über einen neuen Fall von idealer 
Aneurysmaoperation, welcher nach den von ihm 1907 aufgestellten 
Regeln operiert worden ist. Zur Erhaltung des Kreislaufs in normalen 
Bahnen wurde nach vollkommener Entfernung des oberhalb des Leisten¬ 
bandes beginnenden und bis ‘ unterhalb der Arteria profunda herab¬ 
reichenden spindelförmigen Aneurysmas der Gefässdefekt durch ein 18 cm 
langes Stück der Vena saphena ersetzt. Die stark durch Atherosklerose 
veränderte Wand der Arterie liess die Fäden der fortlaufenden Naht 
nach Carrel durchschneiden. Dagegen bewährte sich ausgezeichnet die 
fortlaufende ausstülpende Matratzennaht, deren Fäden nicht nur 
gut hielten, sondern auch jede Blutung verwehrten. Der starke Lumen¬ 
unterschied des Venenstückes und der erweiterten Arterie bot bei der 
Naht weniger Schwierigkeit. Der glanzende Erfolg zeigt auch, dass eine 
Erweiterung des Venenstückes wie im Experiment eingetreten sein muss. 
Der Fall, ein 62 jähriger Mann, bringt den sicheren Beweis, dass das 
eingepflanzte Stück gut durchgängig geblieben ist, denn die ebenso 
kräftig wie auf der anderen Seite pulsierenden Fussarterien verlieren 
sofort ihren Puls, wenn die Arteria femoralis im Gebiete des Ersatz¬ 
stückes komprimiert wird. Der vor */ 4 Jahr operierte Patient ist voll¬ 
kommen beschwerdefrei. 

Hr. Coenen - Breslau hat bei einem hochsitzenden arteriovenösen 
Aneurysma des Oberschenkels durch einen Mauserschuss, da kein hin¬ 
reichender Collateralkreislauf vorhanden war, nach Exstirpation des 
Aneurysmas die Kontinuität der Gefässbahn der resezierten Arterie und 
Vene wiederhergestellt durch Implantation der Vena saphena vom 
anderen Bein (23. II. 1913). Der Erfolg war vollkommen, der Puls in 
der Arteria dorsalis pedis gut fühlbar. Trotz der vielen Manipulationen 
in der Wunde, die die vier Gefässnähte erforderten, trat keine Wund¬ 
störung ein. 

Hr. Jeger-Berlin demonstriert einen Hund mit beiderseitiger Ver¬ 
pflanzung der Nierenvenen 10 Monate post operationem. Nierenfunktion 
völlig normal. Ferner zeigt er einen Hund, dem vor 3 Monaten ein 
Stück seiner Aorta abdominalis durch ein solches seiner eigenen Carotis 
in der Weise ersetzt worden ist, dass aus letzterer durch eine plastische 
Operation ein weites Gefässstück gebildet und letzteres zum Ersatz der 
Aorta verwendet wurde. Demonstration von Präparaten (sämtlich von 
Hunden, die die Operation um längere Zeit überlebt haben): 1. nach 
Operationen, wie eben beschrieben; 2. Ueberbrückung einer Ligaturstelle 
der Vena oava durch ein Stück der Vena jugularis desselben Tieres; 
8. End-zu-Seitimplantation einer durchschnittenen Arteria anonyma in 
die Arteria pulmonalis (künstlicher Botallo’scher Gang); 4. End-zu-End- 
anastomose zwischen dem centralen Ende einer durchschnittenen Arteria 
anonyma und dem peripheren der durchschnittenen linken Arteria pulmo¬ 
nalis; 5. freie Implantation eines Endes der herausgeschnittenen klappen¬ 
haltigen Vena jugularis in die linke Herzhöhle, des anderen in den 
Aortenbogen. 

Hr. Röpke - Barmen: Ueber die Verwendung freitrans¬ 
plantierten Fettes in der Gelenkchirurgie. 

Vortr. hat seit seinen ersten Mitteilungen über die Verwendung 
freitransplantierten Fettes in der Knochen- und Gelenk Chirurgie auf der 
Naturforscherversamralung in Karlsruhe im Jahre 1911 klinisch und 
experimentell mit diesem Material weitergearbeitet. Die klinischen Be¬ 
obachtungen haben ergeben, dass der freitransplantierte Fettlappen 
selbst bis zu Handtellergrösse ohne Wundstörung in den Geleuken zur 
Eioheilung gelangt. Die spezielle funktionelle Inanspruchnahme des 
Fettlappens im Gelenk bedingt ein anderes Endergebnis der Regene¬ 
rationsvorgänge im Fettlappen, als wenn er ins Subcutangewehe ver- 


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14. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRI FT. 


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pflanzt worden ist, indem die Neubildung von Bindegewebe zwischen 
den lastenden und sich bewegenden Knochenenden mehr in den Vorder¬ 
grund tritt Dort aber, wo bei der funktionellen Inanspruchnahme Fett¬ 
gewebe bestehen bleiben kann, findet sich nach anfänglichen Degene- 
rationsvorgängen nach etwa 24 Wochen wieder normales Fettgewebe. 
Ueber die feineren histologischen Vorgänge wird an anderer Stelle be* 
richtet werden. 

Mit der Interposition eines freien Fettlappens sind von Röpke 
13 Gelenke operiert worden. Sie verteilen sich auf Finger, Hand, Ellen¬ 
bogen-, Schulter-, Hüft- und Kniegelenk bei Fällen, die wegen veralteter 
Luiation synostotischer und fibrös ankylotischer Gelenke zur Behandlung 
kamen. Am Ellenbogengelenk soll vom Kocher'schen Schnitt aus ope¬ 
riert werden. Die Einheilung erfolgte in allen Fällen primär. Die 
funktionellen Resultate sind gut. 

Auch auf dem Gebiet der operativen Behandlung der Gelenktuber¬ 
kulose hat Vortr. die freie Fetttransplantation angewandt und hier wie 
in den anderen Fällen neben primärer Heilung ein gutes funktionelles 
Resultat erzielt. Am Hüftgelenk wurde nach Entfernung der erkrankten 
Kapsel, nach Ausräumung der Pfanne und Abtragung des erkrankten 
Kopfes der Rest des Halses modelliert, der Pfannenraum mit einem 
grossen Fettlappen ausgefüllt und hier wie in allen anderen Fällen das 
Gelenk primär geschlossen, das Gelenk im Gipsverband auf 3 Wochen 
ruhiggestellt. Danach beginnen aktive Bewegungen, die allmählich mit 
anderen orthopädischen Maassnahmen kombiniert werden. Robuste Be¬ 
wegungen sind in den ersten Wochen zu unterlassen, um keine Nach¬ 
blutungen beim Losreissen der Lappen und Störungen der aktiven Be¬ 
wegungsübungen zu veranlassen. Am Kniegelenk ist von zwei seitlichen 
nach hinten konvexen Bogenschnitten aus, nach T-förmiger Spaltung der 
Fascie Abtrennen der Seitenbänder von den Femurepikondylen, die er¬ 
krankte Kapsel exstirpiert, die Gelenkfläche der Patella, der Femur- 
und Tibiakondylen bogenförmig abgetragen, eine Fossa intercondylica 
am Femur, eine Aushöhlung der Tibiacondylen und eine Eminentia 
capitata wiederbergestellt, das Femur mit einem handtellergrossen 
Fettlappen überzogen, ein ebensolcher in das Lager des oberen Recessus 
durch Nähte fixiert, die Seitenbänder angenäht und das Gelenk ge¬ 
schlossen. Nach 3 Wochen dauerndem Gipsverband Beginn der aktiven 
Bewegungen und Massage der sehr atrophischen Streckmuskulatur. Die 
Stellung des Beines ist ausgezeichnet, und da der Streckapparat bei der 
Operation in keiner Weise geschädigt ist, kann das Bein bereits nach 
8 Wochen in Strecksteilung gehoben werden, im Pendelapparat ist zu 
dieser Zeit eine Beugung bis zu etwa 45° bereits möglich. 

In einem Falle mit Ellenbogengelenktuberkulose mit alten Fistel¬ 
narben hat sich die freie Fettinterposition ebenfalls sehr gut bewährt. 

Vortr. empfiehlt auf Grund seiner klinischen und experimentellen 
Beobachtungen den freitransplantierten Fettlappen als ausgezeichnetes 
Interpositionsmaterial in der Gelenkchirurgie, auch bei noch bestehender 
Tuberkulose. 

Hr. Fr. König-Marburg a. L.: Klinische und experimentelle 
Beobachtungen über Elfenbeinimplantation. 

Im Anschluss an früher erfolgreiche Implantationen (Unterkiefer, 
Oberarm) berichtet K. über Einheilung und Technik. Bei guter Asepsis 
treten Knochen- und Weichteile in innigste Beziehung zum Elfenbein, 
das sogar vom Knochen durchwachsen und substituiert wird. Weichteile 
besonders wichtig. Wenn, wie es vorkommt, ein grosser Bluterguss zu 
fistulösem Durchbruch geführt hat, so vermag eine Umhüllung des 
Elfenbeins mit sekundärer Muskelplastik die Fistel zum Schluss zu 
bringen. Bei Infektion ist das ausgeschlossen. 

Sichere Verankerung der Elfenbeineinlagen mit dem Knochen, 
innigste Umhüllung mit den sorgfältig zu schliessenden Weichteilen ist 
Bedingung. Die grossen Gelenke machen besondere Schwierigkeiten; 
hier können vielleicht die Muskeln direkt an die Elfenbeinprothese ver¬ 
näht werden. 

Zu den erfolgreichen Fällen — der 1912 vorgestellte von Elfenbein¬ 
kieferimplantation ist geheilt geblieben — fügt K. einen weiteren. Die 
mitgebrachte Patientin trägt seit einem Jahre einen Elfenbeinersatz eines 
grossen Teiles des Gelenks (Trochlea samt handbreitem Stück des unteren 
Humerus) im rechten Ellbogen. Sie bewegt das schmerzlose Gelenk, 
kann mit dem Arm heben, es besteht keine Fistel. 

K. empfiehlt erneut das Elfenbein bei Frakturen, bei Knochen¬ 
defekten, einschliesslich Gelenkenden, zu implantieren. Eine grössere 
Arbeit wird die genaueren Daten liefern. 

Hr. Eden-Jena: Tendo- und Neurolysis mit Fettplastik. 

In der Lexer’schen Klinik wurde in sechs einschlägigen Fällen durch 
Autoplastik Fett zur Tendo- und Neurolysis benutzt. Bei der Tendo- 
lysis handelte es sich um eine sekundäre Verwachsung der Extensoren¬ 
sehnen, bei der durch Fetttransplantation eine vollkommene Streck¬ 
fähigkeit erzielt wurde. Bei den vier Fällen von Neurolysis konnte 
einer nicht nachuntersucht werden, und einer ist erst vor vier Wochen 
operiert. In den beiden übrigen Fällen handelte es sich um eine 
Medianuslähmung, die durch Salvarsaninjektion entstanden war, und um 
eine Radialislähmung nach Radiusfraktur. In beiden Fällen wurde 
durch Lösung der Nerven aus den Verwachsungen und Umhüllung 
mit Fett eine Heilung der Lähmung erzielt. 

Hr. Rehn-Jena demonstriert Patienten aus der Lexer’schen Klinik, 
bei denen durch autoplastische Sehnentransplantation eine Heilung von 
Sehnenverletzungen erzielt wurde. 

Es wurden im ganzen acht Patienten operiert, von denen vier 
demonstriert werden konnten. 


1. Verletzung der Strecksehne des Zeigefingers und sekundäre In¬ 
fektion. Transplantation der Sehne des Palmaris longus. 2. Verletzung 
der Strecksehne des zweiten, dritten, vierten und fünften Fingers mit 
sekundärer Infektion. Ersatz durch die Sehne des Extensor communis 
vom Fusse. 3. Verletzung der Beugesehnen des vierten und fünften 
Fingers mit sekundärer Infektion. Ersatz durch die Sehne des Palmaris 
longus. 

In sämtlichen drei Fällen vollkommene Resultate. 

Im vierten Fall waren beide Beugesehnen des vierten Fingers ver¬ 
loren gegangen und durch den Palmaris longus ersetzt worden. Resultat 
fast vollkommen. 

Hr. Schmieden-Berlin: Ersatz von Unterkieferdefekten. 

Der Vortr. hat sehr viel Gelegenheit gehabt, Erfahrungen über die 
freie Knochenverpflanzung zu sammeln, und bevorzugt dieses Ver¬ 
fahren auch für den Ersatz von Kontinuitätsdefekten des Unterkiefers. 
Er zeigt einen Patienten, dem durch Knocheneiterung mit Sequester¬ 
bildung fast der ganze linksseitige horizontale Unterkieferast 
verloren gegangen war und bei dem Operationen von anderer Hand zur 
Wiederherstellung der Kontinuität des Knochens versagt hatten. Mit 
Prothesenbehandlung war nichts mehr zu erreichen, da kaum noch 
Zähne vorhanden waren. Unter Vorlegung einer schematischen Zeichnung 
erörtert Vortr., wie er durch sechs feste Drahtnähte eine starke Knochen¬ 
spange zum Ersatz des Defektes einfügte, nachdem die stark atrophi¬ 
schen Stümpfe unter peinlicher Vermeidung einer Eröffnung der Mund¬ 
höhle freigelegt waren. Während der Operation und später bis zum 
Festwerden des Implantats wurde durch eine von Prof. Schröder an¬ 
gefertigte Prothese die richtige Stellung des ganzen Unterkiefers 
garantiert. Ideale Heilung mit voller knöcherner Festigkeit. 
In einem zweiten Falle von traumatischem Defekt des Unter¬ 
kiefers wurde ebenfalls die freie Knoohenplastik angewandt mit Ein¬ 
setzung eines ganz besonders naoh Modell geformten Knochenstückes 
aus der Tibia, welches durch seine Gestalt eine Spreizung der zu der 
typischen Dislokation der losen Unterkieferfragmente neigenden Stümpfe 
gewährleistete. In dieser Stellung wurde das an einer Zeichnung illu¬ 
strierte Knochenersatzstück mit Drahtnähten fest fixiert. Leider ver¬ 
starb der Kranke vor der Heilung an Pneumonie. 

Der Vortr. fordert, Unterkieferdefekte nach Möglichkeit durch freie 
Knochenverpflanzung zu decken, die beim Geschlossenbleiben der Mund¬ 
höhle während der Operation beste Chancen für Einheilung und spätere 
knöcherne Festigkeit bieten. Die Knocbenstücke müssen durch absolut 
sichere Drahtnähte eine primäre, hochgradige Festigkeit erlangen und 
müssen sorgfältig nach Form zugeschnitten sein. Während und längere 
Zeit nach der Operation muss eine Prothese für Normalstellung der 
Unterkieferfragmente Sorge tragen. 

Hr. Hayward-Berlin berichtet über 4 Fälle von Fetttransplantation 
aus der Bier’schen Klinik. Es handelte sich hierbei um teilweise oder 
vollkommene Entfernung der Mamma wegen gutartiger Affektion, bei 
denen der Defekt durch autoplastische Fetttransplantation ersetzt 
worden war. 

Das kosmetische Resultat war, wie die Demonstration ergab, ein gutes. 

Hr. Ach-München: Fascientransplantation zum Zwecke der 
Rectopexie und Nephropexie. 

Bei der Rectopexie geht Vortr. dermaassen vor, dass er mittels 
suprasymphysären Querschnittes bei Beckenhochlagerung und starkem 
Anziehen des Colon pelvinum den Douglas freilegt. Nach Inzision des 
Peritoneums mobilisiert er ringsherum das Rectum sehr weit nach unten 
bis in die Nähe des Sphincters, ausserdem dringt er weit zwischen 
Scheide und Rectum nach unten vor. Nun entnimmt er dem Ober¬ 
schenkel einen etwa 25 cm langen, 8 cm breiten Lappen der Fascia 
lata und überträgt ihn als Fixationsmaterial für das Rectum und die 
Vagina. Der unten längsgespaltene Lappen wird mit dem einen Streifen 
hinten um das Rectum fast circulär herumgeführt und mit einer grösseren 
Anzahl von Nähten am Rectum fixiert. Der andere Streifen wird vorne 
zwischen Rectum und Vagina weit nach unten gebracht und mit seinen 
freien Rändern zunächst am Rectum und dann auch an der oberen 
Hälfte der Vagina fixiert. Um Adhäsionen vorzubeugen, wird der 
Fascienlappen extraperitoneal gelagert, und zwar derart, dass das Peri¬ 
toneum nach Herauspräparieren und Zurücklagern des rechten Ureters 
durch das rechte Ligamentum latum bis zum horizontalen Scbambeinast 
unterminiert wird. Hier wird nun der Fascienlappen, nachdem durch 
starkes Anziehen desselben Rectum und Vagina so weit als möglich 
nach oben gezogen sind, mit einer Reihe von Knopfnähten am Cooper- 
schen Ligament fixiert. Der freistehende Rand wird nun abermals extra¬ 
peritoneal in die Bauchdeckenwunde verlagert und hier an der Musku¬ 
latur mit Nähten fixiert. 

Nach dieser Methode hat Vortr. vor ®/ 4 Jahr eine Patientin mit 
hochgradigem Mastdarm- und Scheidenprolaps operiert. Der Fascien¬ 
lappen heilte glatt ein, und die Patientin ist trotz des ausserordentlich 
erweiterten geschwächten Beckenbodens recidivfrei. 

Zum Zwecke der Nephropexie hat Vortr. ebenfalls als Fixations¬ 
material einen Fascienlappen verwendet. Der Gang der Operation war 
folgender: 

Freilogen der Niere mit Simon’scbem Lendenschnitt und Luxation 
derselben. Hierauf wird an der vorderen wie an der hinteren Fläche 
der Niere eine etwa 7 cm lange Inzision durch die Capsula fibrosa an¬ 
gelegt und die Capsula fibrosa stumpf von dem Nierenparenchym von 
einer Inzision über die Konvexität der Niere zur anderen Inzision ab- 


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Original fro-m 

UMIVERSITY OF IOWA 




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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


gelöst. Einen etwa 20 cm langen nnd 6 om breiten, dem Oberschenkel 
entnommenen Fascia lata*Lappen zieht man nun von einer Inzision zur 
anderen unter der Capsula fibrosa hindurch und vernäht die beiden In¬ 
zisionen, indem man hierbei gleichzeitig den Fascienlappen mit jeder 
einzelnen Naht zweimal durchsticht. Als Endresultat hat man nun die 
in ihrem Capsula fibrosa-Sack vollständig eingehüllte Niere mit einem 
derben vorderen und hinteren Zügel, die sich zur Fixation sehr gut 
eignen. Nach Reposition der Niere werden diese Zügel an das tiefe 
wie an das obetfiächliche Blatt der Fascia lumbodorsalis fixiert. 

Vortr. hatte bis jetzt Gelegenheit, bei 10 Patienten die erwähnte 
Methode durchzuführen. Die ersten Operationen liegen schon fast zwei 
Jahre zurück. Die Fascienlappen heilten in allen Fällen glatt ein. Der 
operative Erfolg ist in allen 10 Fällen ein vollständiger, es wurde keine 
Niere mehr mobil, der kurative Erfolg ist in allen bis auf einen Fall 
vorhanden, hier handelte es sich um eine Hysterica, die zwar eine 
Besserung zugibt, aber nicht geheilt ist 

(Fortsetzung folgt.) 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. Am 9. März d. J. fand in Dresden eine Sitzung des Gesamt¬ 
vorstandes der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung des Kur¬ 
pfuschertums statt, in der sich der geschäftsführende Ausschuss neu 
konstituierte. Es wurden gewählt: als Vorsitzender Prof. Dr. Beythien, 
als stellvertretender Vorsitzender Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Schmorl, 
als Schriftführer Dr. Neustätter, als stellvertretende Schriftführer 
Dr. Decker und Dr. H. Weber, als Kassenführer Dr. Eger, als Bei¬ 
sitzer Exzellenz Geh. Med.-Rat Dr. Fiedler, Med.-Rat Dr. Thiersch, 
Prof. Dr. Rietschel, Dr. Weisswange, Dr. Leonhardt. Sämtliche 
Herren haben ihren Wohnsitz in Dresden. Zuschriften werden erbeten 
an den Schriftführer Dr. Neustätter, Dresden-Hellerau, auf dem Sand. 

— Der II. Tag der Fürsorgestellen für Lungenkranke wird 
in diesem Jahr vom Deutschen Zentralkomitee zur Bekämpfung der 
Tuberkulose zum 22. Oktober nach Berlin einberufen werden im An¬ 
schluss an die Internationale Tuberkulosekonferenz. — Auch die Tuber¬ 
kuloseärzteversammlung soll mit dieser Konferenz verbunden werden. 

— Der Berlin-Brandenburger Heilstättenverein für Lungenkranke, 
welcher die Lungenheilstätte Belzig betreibt, hält am Freitag, 
den 11. April, mittags 12 Uhr, im Landeshause, Mattbäikirchstrasse 20/21, 
seine XIX. Generalversammlung ab, zu der alle Freunde der Anstalt 
eingeladen sind. Ein Vortrag wird Aufschluss geben über die neueren 
Behandlungsmethoden der Lungentuberkulose. 

— Die Vereinigung zur Förderung des Hebammenwesens 
hält am Dienstag, dem 13. Mai, in Halle, Königl. Universitäts-Frauen¬ 
klinik, ihre 6. Versammlung ab. Als Hauptthemata kommen zur Ver¬ 
handlung: 1. Wiederholungskurse und Nachprüfungen. 2. Organisation 
der Hebammenschulen. 

— Vom 16. Februar bis 8. März 1914 findet an der psychiatrischen 
Klinik in München der nächste psychiatrische Fortbildungs¬ 
kurs statt. Als Dozenten beteiligen sich die Herren: AIlers: Chemische 
Pathologie und Diätotherapie der Psychosen. Bro dm an n-Tübingen: 
Topographische Histologie der Grosshirnrinde. Isserlin: Experimentelle 
Psychologie. Psychotherapie. Kraepelin: Psychiatrische Klinik. 
Liepmann - Berlin: Ueber aphasische, agnostische und apraktische 
Störungen. Plaut: Liquor-und Serumuntersuchungen. Demonstrationen 
zur forensischen Psychiatrie, einschliesslich der psychiatrischen Jugend¬ 
fürsorge. Rüdin: Ueber Entartung und über Vererbung geistiger 
Störungen. Spielmeyer: Anatomische Grundlagen der Geisteskrank¬ 
heiten. Weiler: Psychopathologische Untersuchungsmethoden. — An¬ 
meldungen an Herrn Dr. Rüdin, Nussbaumstrasse 7. 

— Der I. Congresso Italiano di Radiologica Medica findet 
in Mailand im Oktober 1913 statt. 

— Am 9. d. M. hielt Herr Müh lens einen Vortrag, in dem er über 
das Resultat der von ihm geleiteten Vorexpedition zum Studium der 
hygienischen Zustände in Jerusalem berichtete. Die Expedition wurde 
ausgeschickt von dem Deutschen Komitee zur Bekämpfung der Malaria 
in Jerusalem, das von dem Frb. v. Mirbach ins Leben gerufen wurde 
und unter dem Präsidium des Ministerialdirektors Kirchner steht. Es 
wurde ein Gesundheitsamt in Jerusalem errichtet, dessen Hauptziel die 
Bekämpfung der ganz ungeheuer verbreiteten Malaria ist, und Vortragender 
spricht die Hoffnung aus, dass dieses, uobeengt durch nationale und 
konfessionelle Eifersüchteleien, die ja dort eine so traurige Rolle spielen, 
sich seiner Aufgabe wird widmen können. (Vgl. hierzu den Artikel von 
Brünn und Goldberg in Nr. 14 dieser Wochenschrift.) Neuerdings 
wurde dem Institut auch eine Station zur Behandlung der Tollwut an¬ 
gegliedert. 

— Die k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien schreibt neuerdings 
den von Dr. med. Moritz Goldberger gestifteten Preis im Betrage 
von 2000 Kr. für die beste Beantwortung des vom Präsidium gestellten 
Preisthemas: „Entstehung und Therapie der Ref lexanurie“ aus. 
Um diesen Preis können Aerzte aus Oesterreich-Ungarn und ganz 
Deutschand konkurrieren. Berücksichtigung finden nur Arbeiten, welche 
in deutscher Sprache verfasst, bis längstens 15. Mai 1915 an das Prä¬ 
sidium, mit einem Motto versehen, eingesendet werden. 


— Die Niederlassung ausländischer, vorwiegend russischer 
Aerzte in deutschen Badeorten, mehr aber nooh das damit an¬ 
scheinend untrennbar verbundene Agentenunwesen hat, wie behauptet 
wird, solchen Umfang angenommen, dass der nächste deutsche Aerzte- 
tag veranlasst werden wird, dazu Stellung zu nehmen. Schon haben 
zahlreiche Aerztekammern sich mit der Angelegenheit befasst und aus 
den Vorschlägen zur Abwehr geht der Wunsch und die Absicht hervor, 
bei den gesetzgebenden Körperschaften des Reiches eine Aenderung der 
bisherigen Bestimmungen über die Kurierfreiheit zu beantragen. Und 
zwar soll nicht erst versucht werden, die Kurierfreiheit im ganzen auf¬ 
zuheben, denn die von uns Aerzten dann voraussichtlich verlangte Gegen¬ 
leistung der Annahme des Kurierzwanges wäre ein zu hoher Kaufpreis; 
sondern es sollen blos Bestimmungen getroffen werden, die es aus¬ 
ländischen Aerzten nur unter den gleichen Bedingungen ermöglichen, 
bei uns Praxis zu treiben, denen die deutschen Aerzte im Ausland 
unterworfen sind. Dies dürfte ganz gewiss nicht unbillig sein und doch 
zur Abhaltung der von der einen Seite drohenden Gefahr zunächst genügen. 

— Der bisherige ao. Professor der Dermatologie Wo 1 ff - Strassburg 
wurde zum ordentlichen Professor ernannt. Das Ordinariat ist zunächst 
ein persönliches, ist jedoch mit allen Rechten und Pflichten der übrigen 
Ordinariate verbunden. 

— Dem Leiter des neurobiologisohen Instituts der Universität, 
0. Vogt, und dem Abteilungsvorsteher am gleichen Institut, Max Biel- 
schowsky, wurde durch Verleihung des Professortitels eine wohl¬ 
verdiente Anerkennung zuteil. 

Hochschulnachrichten. 

Berlin. Der Privatdozent für Ophthalmologie, Dr. Köllner, ist 
nach Würzburg als Oberarzt der Augenklinik übergesiedelt. Dr. Levin- 
sohn, Privatdozent für Augenheilkunde, erhielt den Titel Professor. — 
Göttingen. Dem Privatdozenten Dr. Eichelberg wurde der Titel 
Professor verliehen. — Cöln. Prof. Dürck in München wurde als 
Direktor des pathologischen Instituts der Akademie für praktische 
Medizin berufen. — Königsberg. Dr. 0. Elieneberger wurde Ober¬ 
arzt der psychiatrischen Klinik in Bonn. Prof. Hedinger in Basel 
hat den Ruf als Ordinarius der Pathologie abgelehnt. — München. 
Dr. Cieszynski wurde zum ao. Professor der Zahnheilkunde in Lemberg 
ernannt. — Lausanne. Privatdozent Dr. Vulliet wurde zum ao. Prof, 
für Chirurgie ernannt und ihm der Lehrauftrag für Unfallheilkunde über¬ 
tragen. — Prag. Prof. Schmidt in Innsbruck wurde zum Ordinarius 
der inneren Medizin an der deutschen Universität ernannt. 


Wir bitten für uns bestimmte Mannskripte, wenn irgend mög¬ 
lich, in Maschinenschrift einsenden ca wellen. Red. 


Amtliche Mitteilungen. 

Personalien. 

Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 2. Kl. mit Eichenlaub: 
ordentl. Professor, Geh. Med.-Rat Dr. E. Ponfick in Breslau. 

Ernennungen: Arzt Dr. W. Klimm in Landeshut i. Schl, zum Kreis¬ 
assistenzarzt in Kattowitz, die Ernennung des Arztes Dr. R. Rüdlin 
in Triebei (N.-L.) zum Kreisassistenzarzt in Kattowitz ist auf seinen 
Antrag rückgängig gemacht worden. 

Zu besetzen: am 1. Juli 1913 die Stelle des Kreisassistenzarztes und 
Assistenten bei dem Medizinaluntersuchungsamte in Hannover. Jahres¬ 
remuneration 2000 M. Bakteriologische Vorbildung erforderlich. Die 
Stelle kann auch einem noch nicht kreisärztlicb geprüften Arzte 
vorläufig kommissarisch übertragen werden, wenn er den Bedingungen 
für die Zulassung zur kreisärztlichen Prüfung genügt und sich zur 
alsbaldigen Ablegung der Prüfung verpflichtet. 

Niederlassungen*. Privatdozent Prof. Dr. G. Joachim in Königs¬ 
berg i. Pr. 

Verzogen: Oberarzt Dr. F. Coler von Uchtspringe nach Spandau, 
Aerztin J. Cohn von Charlottenburg und Arzt H. Meltz von Loitz 
i. Pomm. nach Stettin, Arzt L. Alefeld von Stettin nach Wilden¬ 
sorg (Oberfranken), Arzt A. Kost von Bonn naoh Treptow a. Rega, 
Dr. D. Ges ter ding von Bergquell nach Dresden, Dr. G. St ehr von 
Breslau nach Lüben i. Schl., Arzt A. Lamers von Halle a. S. nach 
Herzogenbusch (Niederlande), Dr. W. Kiesow von Wusterhausen a. D., 
Dr. A. Reue von Hamburg und Dr. K. Behne von Berlin und Dr. 
E. Jooss von Ludwigsburg (Württemberg) nach Kiel, Dr. E. F. 
Berger von Ober-Jersdal nach Schleswig, Dr. E. Goetze von Glowno 
b. Posen und Dr. A. Pongs von Reisen nach Altona, Dr. J. H. Tb. 
Piening von Rendsburg nach Elmshorn, Arzt W. Andree von Kiel 
naoh Jever (Oldenburg), Geh. San.-Rat Dr. S. Fries von Nietleben 
nach Göttingen. 

Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. H. Beumer 
von Charlottenburg auf Reisen, Arzt J. Fischer von Berlin-Nordend, 
Arzt G. Neugebauer vou Greifswald, Dr. A. Hoppe von Altona, 
Dr. 0. Rössle von Neustadt i. Holst, auf Reisen als Schifisarzt. 

Gestorben: Dr. J. Karstensen in Altona. 


Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hana Kohn, Berlin W., Bayreuther Strasse 43. 


Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4. 


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Original frorri 

UNIVERSUM OF IOWA 




Dl* Berliner KUnisohe Woehenschrift erscheint jeden 
Montag in Nummern von es. 5—6 Bogen gr. 4. — 
Preis vierteljährlich 6 Merk. Bestellungen nehmen 
alle Buchhandlungen und Postanstaiten an. 


BERLINER 


Alle Einsendungen Ihr die Redaktion und Expedition 
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung 
August Hirschwald in Berlin NW., Unter den Linder 
No. 68, adressieren. 



Organ für praktische Aerzte. 

Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungene 

Redaktion: Expedition: 

Geb. Mcd.-Rat Prof. Dr. C. Posner und Dr. Hans Kohn. August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin. 


Montag, den 21. April 1913. Mm. 


Fünfzigster Jahrgang. 


INHALT. 


Originaliei: Cushney: Digitalistherapie. (Illustr.) S. 717. 

Stern: Ueber die Wirkung des Hocbgebirgsklimas auf die Puls¬ 
frequenz. (Aus dem physiologischen Institut der Universität 
Strassburg.) (Illustr.) S. 720. 

Heinrich: Zur Prognose der Herzklappenfehler. (Aus der Poliklinik 
für innere Krankheiten von Prof. M. Mosse zu Berlin.) S. 723. 
Mueller: Morpbiumentwöhnung mit Scopolamin? S. 724. 
Piotrowski: Ueber einen neuen antagonistischen Reflex. S. 726. 
Hübner: Ueber die accessorisohen Gange am Penis und ihre 
gonorrhoische Erkrankung. (Aus der Hautkrankenstation der 
medizinischen Klinik zu Marburg.) S. 728. 

Blumherg: Neue Operation zur Sterilisierung des Weibes mit 
Möglichkeit der späteren Wiederherstellung der Fruchtbarkeit. 
(Illustr.) S. 729. 

Peltesohn: Ueber einen Fall von operativ behandelter angeborener 
Missbildung der unteren Extremitäten. (Aus der Königl. Uni¬ 
versitätspoliklinik für orthopädische Chirurgie zu Berlin.) (Illustr.) 
S. 731. 

Ehrenreich: Die röntgenologische Diagnostik der Magenkrankheiten. 
(Aus dem medizinisch-poliklinischen Institut der Universität zu 
Berlin.) (Illustr.) S. 734. 

Btteherbespreehangei: Tarasewitsch: Handbuch der medizinischen 
Mikrobiologie. S. 738. (Ref. Rabinovritsch.) — Prutz und Monnier: 
Die chirurgischen Erkrankungen und die Verletzungen des Darm¬ 
gekröses und der Netze. S. 739. (Ref. Adler.) — v. Jauregg: 
Myxödem und Kretinismus. S. 739. (Ref. Meyer.) — Jacobi: 
Atlas der Hautkrankheiten mit Einschluss der wichtigsten venerischen 
Erkrankungen. S. 739. (Ref. Joseph.) — Bahrdt: Bibliographie 
der gesamten Kinderheilkunde für das Jahr 1911. S. 739. (Ref. 
Weigert.) — Reyn: Die Finsenbehandlung. S.739. (Ref. Schmidt.) — 


Cornet: Die akute allgemeine Miliartuberkulose. S. 739. (Ref. 
Aufrecht.) — Krohne: Die den Hebammen, Hebammenlehrern und 
Kreisärzten durch die Neuauflage des preussischen Hebammenlehr¬ 
buches erwachsenden Aufgaben. S. 739. (Ref. Holste.) 

Literfttnr-Auzüge : Physiologie. S. 740. — Pharmakologie. S. 740. — 
Therapie. S. 741. — Allgemeine Pathologie und pathologische 
Anatomie. S. 741. — Diagnostik. S. 742. — Parasitenkunde und 
Serologie. S. 742. — Innere Medizin. S. 743. — Psychiatrie 
und Nervenkrankheiten. S. 743. — Kinderheilkunde. S. 744. — 
Chirurgie. S. 745. — Röntgenologie. S. 747. — Urologie. S. 747. — 
Haut- und Geschlechtskrankheiten. S. 747. — Geburtshilfe und 
Gynäkologie. S. 747. — Augenheilkunde. S. 748. — Hals-, Nasen- 
und Ohrenkrankheiten. S. 748. — Hygiene und Sanitätswesen. 
S. 748. — Technik. S. 748. 

Yerhandlangei ärztlicher Gesellschaften: Laryngologische Gesell¬ 
schaft zu Berlin. S. 748. — Berliner Gesellschaft für 
Psyohiatrie und Nervenkrankheiten. S. 749. — Berliner 
mikrobiologische Gesellschaft. S. 751. — Medizinische 
Sektion der sohlesischen Gesellschaft für vaterländische 
Kultur zu Breslau. S. 752. — Medizinische Gesellschaft zu 
Kiel. S. 754. — Medizinische Gesellschaft zu Leipzig. 
S.754. — Medizinische Gesellschaft zu Göttingen. S.755.— 
Aus Pariser medizinischen Gesellschaften. S. 755. 

42. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 
zu Berlin. (Fortsetzung.) S. 757. 

Löwenstein: Ueber durch Nematoden hervorgerufene Geschwulst¬ 
bildungen bei der Ratte. S. 761. — Fihiger: Erwiderung zu Vor¬ 
stehendem. S. 762. 

Tagesgeschichtliche Notizen. S. 763. 

Amtliche Mitteilungen. S. 764. 


Digitalistherapie. 

Yon 

A. R. Cushney- London. 


Es gibt wenige Drogen, welche mehr die Aufmerksamkeit 
der klinischen und experimentellen Beobachter auf sich gezogen 
haben als die Glieder der Digitalisreibe. Doch besteht ein grosser 
Zwiespalt zwischen den beiden Arten von Beobachtungen, und 
bis jetzt ist keine befriedigende Regel für die Bestimmung der¬ 
jenigen Herzkrankheiten gefunden worden, welche aus dem Ge¬ 
brauch dieser wichtigen Gruppe von Heilmitteln Nutzen ziehen. 
Das liegt hauptsächlich an dem Mangel sorgfältiger Beobachtungen 
des Herzzustandes seitens der Kliniker vor und nach dem Digitalis¬ 
gebrauch. Andererseits haben experimentelle Forscher zwar ge¬ 
naue Methoden der Analyse in Anwendung gebracht, jedoch im 
allgemeinen Digitalismengen injiziert, welche ausserhalb der 
Grenzen der Therapie liegen. Ausserdem haben sie oft ange¬ 
nommen, dass die von ihnen nach massiven Dosen erhaltenen 
Resultate qualitativ, wenn auch in sehr verstärkter Form, den¬ 
jenigen äbniich sind, welche man bei bettlägerigen Kranken erhält. 

Die genaueren jetzt im Gebrauch befindlichen klinischen 
Untersacbungsmethoden scheinen uns zu versprechen, einiges Licht 
anf eine Seite des Problems zu werfen. Ich habe daher mit 
Freuden die Einladung James Mackenzie’s begraset, mit ihm 
zusammen die Wirkungen der Digitalis in seiner Herzabteilung 


zu beobachten. Diese Tätigkeit hat sich auf mehrere Jahre er¬ 
streckt, und es kam eine sehr erhebliche Anzahl von Patienten zur 
Beobachtung, in manchen Fällen einige Monate auf einmal. Die 
von uns angewandten Beobachtungsmethoden waren von Mackenzie 
angegeben; daneben worden, wenn nötig, von Lewis elektrocardio- 
grap bische Kurven aufgenommen. Die Resultate sind bereits aus¬ 
führlich iu einer Anzahl von Artikeln (1) veröffentlicht worden, 
und ich habe hier nun die Absicht, ein kurzes Resümee derselben zu 
gehen, am sie den deutschen Kollegen zugänglicher zu machen. 

Die Pharmakologie bat oft darunter gelitten, dass sie sich 
von der praktischen Medizin fernhielt. Ich ergreife daher diese 
Gelegenheit, um Mackenzie meinen Dank für das grosse Inter¬ 
esse auszusprechen, welches er an diesem Bemühen, die Kluft 
zwischen der Wissenschaft und der Kunst der Therapie zu über¬ 
brücken, genommen hat. Es ist zu wünschen, dass dieses Bei¬ 
spiel auf anderen Gebieten des Studiums Nachfolge finden und 
beide Seiten der Therapie sich mehr und mehr verbinden möchten. 

Die erste Frage, welche uns gegenübertrat, war diejenige, 
welche Präparate der Droge untersucht werden sollten, ln 
den letzten Jahren wnrden die Präparate der mehr oder weniger 
reinen Prinzipien der Digitalisgmppe mit freigebiger Hand auf 


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Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 







716 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


den Markt geworfen, and es scheint der Entschuldigung zu be- 
dürfen, dass wir unsere Beobachtungen fast ausschliesslich auf 
die Tinkturen der Digitalis, der Scilla und des Strophanthus be¬ 
schränkt haben. Unser Grund ist der, dass diese Präparate hier¬ 
zulande in allgemeinem Gebrauche und durchaus konstant in 
ihrer Wirkung sind, wenn die Standardpräparate benutzt werden; 
dass ferner zwar einige der aktiven Prinzipien in reiner und be¬ 
ständiger Form (z. B. das Strophanthin) erhältlich sind, dieses 
jedoch nicht der Fall ist beim Digitalis, dem Hauptglied der 
Gruppe. Die bei unseren Arbeiten benutzten Tinkturen wurden 
alle durch einen von uns am Froschherzen normiert. 

Anfänglich wurde Tinctura digitalis gegeben. Da es jedoch 
oft Uebelkeit und Erbrechen in den angewandten Dosen hervorrief, 
so versuchten wir, ob wir nicht dieselbe therapeutische Wirkung 
mit der Strophanthus- und Scillatinktur erhalten konnten. Diese 
Tinkturen wurden am Froschberzen normiert, und die kleinsten 
letalen Dosen ergaben daa Verhältnis von Tinctura digitalis 20, 
Tinctura scillae 15 und Tinctura strophanthi 1. Per os beim 
Menschen gegeben, erleidet Strophanthin zum sehr grossen Teil 
eine Zersetzung oder wird nicht absorbiert, wie allgemein bekannt 
ist. Verglichen wir die Dosen, welche imstande waren, die Sym¬ 
ptome bei unseren Patienten schnell zu bessern und im Maximum 
ohne störende Erscheinungen ertragen werden konnten, so fanden 
wir ungefähr das Verhältnis: Tinctura digitalis 1, Tinctura scillae 2, 
Tinctura strophanthi 2 

Die besten und schnellsten Resultate erhielten wir durch die 
Maximaldosen; war jedoch Besserung eingetreten, so konnten wir 
sie durch kleinere Mengen aufrecht erhalten, ln den meisten 
Fällen war die Besserung in den Kreislaufstörungen von Appetit¬ 
verlust, Kopfschmerzen, Uebelkeit, Erbrechen und oftmals Diar¬ 
rhöe begleitet. Digitalis, Scilla und Strophanthus haben alle 
diese Symptome hervorgerufen; es schien uns jedoch, dass Stro¬ 
phanthus und Scilla eine etwas grössere Neigung hatten, Darm¬ 
störungen zu erzeugen als Digitalis, andererseits aber von ge¬ 
ringeren Kopfschmerzen und geringerer Uebelkeit begleitet waren. 
Indessen war der Unterschied zwischen den drei Mitteln in dieser 
Hinsicht ein sehr geringer. Das ist bereits früher durch die 
jüngsten Untersuchungen von Hatcher und Eggleston (2) fest¬ 
gestellt worden, welche gezeigt haben, dass die emetische Wir¬ 
kung dieser Mittel centralen Ursprungs ist und nicht auf einer 
lokalen Reizung im Magen beruht. Die Wirkung auf das Herz 
geht ebenso von dem Mittel im Blut aus, und es ist daher nicht 
überraschend, dass eine gleiche therapeutische Wirkung von den 
gleichen Nebenwirkungen begleitet wird. Abgesehen von diesen 
leichten und unbestimmten Schwankungen, waren wir nicht im¬ 
stande, eine Differenz in der Wirkung dieser drei Mittel zu ent¬ 
decken. Man kann die Frage aufwerfen, wie es möglich sei, bei 
Patienten die entsprechende Wirksamkeit dieser drei verschiedenen 
Tinkturen zu bestimmen? Die Antwort darauf lautet, dass das 
ebenso exakt geschehen kann wie in dem experimentellen Labo¬ 
ratorium, nämlich durch die Reaktion beim Auricularflimmern 
mit Pulsbeschleunigung. Es wurde z. B. ein Patient in diesem 
Zustande mit Tinctura digitalis so lange behandelt, bis der Puls 
auf 65 fiel, die dazu gebrauchte Menge notiert und die Behand¬ 
lung eingestellt. Nach 10 bis 14 Tagen war wieder eine Puls¬ 
beschleunigung in früherer Höhe aufgetreten und nun wurde 
Tinctura scillae verabfolgt, die zur Herabsetzung derselben not¬ 
wendige Menge wieder notiert und mit der von Digitalis verglichen. 
Auf diese Weise erhielten wir eine grosse Statistik, aus welcher 
die relative Kraft der Mittel abgeleitet werden konnte. Dieselbe 
relative Stärke erhalten wir bei einigen nicht flimmernden Fällen, bei 
welchen eine ziemlich bestimmte Reaktion beobachtet werden konnte. 

Wir haben oft festgestellt, dass Digitalis den Puls verlang¬ 
samt, aber die Untersuchung zeigt, dass die gewöhnlichen thera 
peutischen Dosen diese Wirkung nur in einer beschränkten An¬ 
zahl von Fällen besitzen. Der Zustand, von welchem die Digitalis 
ihren Ruf der Pulsverlangsamung herleitet, ist das Auricular¬ 
flimmern, bei welchem Mackenzie zuerst gezeigt hat, dass der 
therapeutische Nutzen ungleich auffälliger ist als bei anderen 
Arten von Herzkrankheit. Die Besserung in der Girculation 
schreitet in gleichem Schritt mit dem Sinken der Pulsfrequenz 
vorwärts. Ferner bietet sich in einigen Fällen von Auricular¬ 
flimmern, bei welchen der Puls nicht sehr beschleunigt ist und 
die Digitalis die Pulsfrequenz nicht herabzumindern vermag, kein 

1) Tinotura digitalis B. P. wird hergestellt aus 12,5 g Blättern in 
100 ccm Alkohol; Tinctura scillae aus 20 g in 100 ccm und Tinctura 
strophanthi aus 2,5 g in 100 ccm. Die Dosen, welche wir gaben, ent¬ 
sprachen 0,5 Digitalis, 0,2 Strophanthus und 1,5 Scilla pro die. 


so auffälliges Zeichen von Allgemeinbesserung dar. In der 
grossen Mehrzahl der Fälle von Herzflimmern jedoch setzt Digitalis 
die Pulsfrequenz herab und beseitigt gleichzeitig die Cyanose, das 
Oedem und andere Symptome. So zeigten in 16 Fällen von 
Auricularflimmern, welche mit Digitalis behandelt wurden, 13 
(d. h. über 80 pCt.) eine deutliche Abnahme der Pulsfrequenz. 
Eine gewisse Anzahl Fälle von Auricularflimmern zeigen keine 
sehr deutliche Aenderung in der Pulsfrequenz unter Digitalis, und 
das ist besonders der Fall, wenn aus irgendeinem Grunde Fieber¬ 
temperatur vorhanden ist. Die auffälligste Abnahme der Puls¬ 
frequenz sah man bei jungen Menschen, deren Krankengeschichte 
auf Rheumatismus hin weist, während in einigen Fällen von alten 
Herzkrankheiten, bei welchen eine ausgedehnte Degeneration des 
Herzmuskels bestanden haben mag, der Puls nicht in gleichem 
Grade vor der Behandlung beschleunigt und das Sinken des¬ 
selben relativ gering war oder ganz fehlte. Als allgemeine Regel 
verlief die allgemeine Besserung der Symptome so genau parallel 
mit der Pulsverlangsamung in diesen Fällen von Auricular¬ 
flimmern, dass letzteres Symptom als Maassstab für die thera¬ 
peutische Wirkung des Mittels genommen werden kann. Der zu¬ 
grundeliegende Zustand des Herzens bleibt durch die Behandlung 
unverändert, denn die Herzohren fahren fort zu flimmern, wie 
das durch die Polygrapbkurven und ebenso durch das Elektro- 
cardiogramm bewiesen wird. Die Pulskurve bietet jedoch oft 
einen mehr regelmässigen Rhythmus dar, und sie wurde in einigen 
wenigen Fällen fast ganz regelmässig, und die Schwankung in 
der Grösse des Herzschlags, welche so charakteristisch für das 
unbehandelte Herzflimmern ist, war unter der Digitalisbehandlung 
oft weniger auffällig. Wurde die Behandlung mit grossen Dosen 
fortgesetzt, so war das Sinken der Pulsfrequenz oft ein extremes, 
z. B. von 130 auf 40 bis 50 pro Minute, und hierbei entwickelte 
sich in manchen Fällen ein merkwürdiger Pulsus bigeminus, 
wobei die Herzschläge paarweise durch einen Intervall getrennt 
sind und das zweite Paar schwächer als das erste ist. Die 
elektrocardiographische Untersuchung durch Lewis zeigte, dass 
der erste Schlag des Bigeminus die gewöhnlichen Wellen ergab, 
woraus hervorgeht, dass er von der normalen Stelle im Ventrikel 
ausging, d. h. vom His’schen Bündel. Der zweite, kleinere Puls, 
welcher auf den ersten sehr schnell folgte, gab kein so elektro- 
cardiographisches Bild und entstand offenbar von einer ungewöhn¬ 
lichen Stelle des Ventrikels. Der Bigeminus oder gekoppelte 
Rhythmus lehrte durch sein Bild, dass die zweite Kontraktion als 
eine direkte Folge des ersten oder normalen Ventrikelschlages 
auftrat. Das erhält eine gewisse Stütze durch Experimente, in 
welchen ein Bigeminuspol von etwas ähnlicher Form bei Tieren 
erhalten wurde, und wobei der zweite Schlag verschwand, wenn 
der erste unterdrückt worden war (8). Man kann daher an¬ 
nehmen, dass in diesen Fällen von Flimmern die Digitalis das 
Maass des gewöhnlichen Ventrikelrhythmus in solchem Grade 
herabsetzt, dass er nicht ausreicht, die spontane Rhythmicität an 
einer gewissen Stelle im Ventrikel zu erschöpfen, und dass das 
Auftreten des gewöhnlichen Impulses an dieser Stelle sie entladet 
und Anlass zu einer sekundären Kontraktion gibt. Dieser 
Bigeminusrhythmus wurde sehr leicht in einigen Fällen von 
Flimmern hervorgerufen und bestand bisweilen noch einige Tage 
lang, nachdem die Behandlung eingestellt worden war. Es schien 
das die Kranken nicht zu stören, welche sich oft in dem Stadium 
des niedrigen Pulses sehr wohl fühlten. 

Die experimentellen Studien über Digitalis haben seit 
Traube’s Untersuchungen darin übereingestimmt, dass sie die 
Verlangsamung des Herzschlages bei Tieren unter Digitalis auf 
eine Reizung des Hemmungsmechanismus zurückführten, und das 
wurde allgemein auf die klinischen Beobachtungen übertragen. 
Ueberdies zeigten einige direkte klinische Beobachtungen, dass 
die Verlangsamung beim Auricularflimmern unter Digitalis die 
Folge einer Hemmungswirkung war. So fand Wenckebach in 
einem Falle, dass Druck auf den Vagus am Halse dieselbe 
Wirkung auf die Pulsverlangsamung hatte wie die Darreichung 
von Digitalis, während in einem anderen Falle, bei welchem der 
Druck keine Wirkung auf die Herztätigkeit ausübte, auch die 
nachherige Verabfolgung von Digitalis ebenso erfolglos auf die 
Verlangsamung des Pulses blieb. Wir erwarteten daher, dass, 
wenn während des durch Digitalis verlangsamten Rhythmus der 
Vagus gelähmt würde, der Puls sich dann zu dem anfänglichen 
Rhythmus erheben würde, wie er vor der Injektion von Digitalis 
bestand. Wenn man jedoch Atropin (0,001—0,002) subcutan in 
diesen Fällen injizierte, so fanden wir nur eine sehr geringe Zu¬ 
nahme der Pulsfrequenz, welche allgemein Behr viel geringer war, 


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21. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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als man bei Atropin erhielt, bevor die Digitalisbebandlung ein¬ 
geleitet worden war. 

So war z. B. in einem Falle bei der Aufnahme die Puls¬ 
frequenz 120 in der Minute und, bevor irgendwelche Behandlung, 
ausser Ruhe, unternommen war, hob eine lujektion von Atropin 
den Puls auf 150—160 pro Minute. Darauf wurde einige Tage 
hindurch Digitalis gegeben und der Puls auf 70—77 pro Minute 
herabgesetzt. Wenn diese Verlangsamung von einer Vagusreizung 
herrührte, so müsste Atropin durch Lähmung der Hemmung die 
Pulsfrequenz wieder auf 150—160 Schläge erhöhen. Aber tat¬ 
sächlich steigerte Atropin den Puls nur auf 79—82 pro Minute. 

Die Resultate in einem anderen Falle von Auricularfiimmern 
finden sich in der Tabelle und der Kurve. 



Tabelle der Pulsfrequenz unter Atropin vor und während der Be¬ 
handlung eines Falles von Auricularfiimmern mit Tinctura digitalis. 
0,001 Atropin wurde subcutan eingespritzt und die Pulskurven in der 
nächsten Stunde verzeichnet. Die Zeit in Minuten nach dem Atropin 
wird durch Abscissen angegeben. 

7. Juni, Aufnahme vor der Digitalisbehandlung __ 

12. „ nach 5 Tagen mit Digitalis 

16. w w 9 „ w „ 

21. * * 15 „ 


—O—0 — 0- 



Pulsfrequenz 
vor Atropin 

Pulsfrequenz 
bei Atropin 

Prozentuale 
Beschleunigung 
bei Atropin 


Vor Digitalis 

83-87 

130—150 

59 

Nach 

6 Tagen Digitalis 

68 

102 

50 


10 


65 

82—84 

28 


15 


57 

76 

33 


5 

* ohne „ 

74—76 

84—86 

13 


12 


84 

98 

11 


30 

n » v 

96-98 

140-145 

47 


Die Schlussfolgerung ist nicht abzuweisen, dass die Puls¬ 
verlangsamung durch Digitalis beim Auricularfiimmern nicht von 
einer Hemmungswirkung herrührt, sondern von irgendeiner Ver¬ 
änderung im Herzen selbst. Ob diese Veränderung den Ventrikel¬ 
muskel oder das His’sche Bündel betrifft, das ist zurzeit unmöglich 
festzustellen. Man kann keine analoge Wirkung bei Tierherzen 
während des Auricularflimmerns bei akuten Experimenten erhalten. 
Es ist also möglich, dass die typische Digitalisverlangsamung, 
welche man bei Patienten beobachtet, nur in Fällen von ge¬ 
schwächter Kraft des Ventrikelmuskels vorkommt. 

Dieselben Resultate erhielt man bei einer Anzahl von 
Patienten, welchen man intravenöse Injektionen mit Strophanthin 
(0,0002) gemacht hatte. Hier fiel der Puls in drei bis vier 
Tagen so stark wie in sieben bis zehn Tagen bei Digitalis. 
Diese Abnahme wurde jedoch nicht verhütet, wenn man Atropin 
gleichzeitig oder vor dem Strophanthin injizierte, so dass auch 
hier die Verlangsamung keine Hemmungswirkung war. Bei 
Fällen von Herzkrankheit, bei welchen kein Auricularfiimmern 
vorhanden ist, sind die Wirkungen der Digitalisbebandlung weit 
weniger auffällig. Eine allgemeine Besserung tritt in diesen Fällen 


zwar ebenfalls ein; sie ist jedoch langsamer, und hier besteht 
immerhin der Zweifel, wie weit sie von der Bettruhe, wie weit sie 
von der speziellen Behandlung herrührt. In diesen Fällen zeigt 
eine sehr viel kleinere Anzahl derselben eine Pulsverlangsamung. 
So zeigten von 21 Fällen nur 7, also etwa 30 pCt. eine deutliche 
Verlangsamung, und diese zeigte keinen Zusammenhang mit der 
Besserung in den Allgemeinsymptomen, da der Fortschritt nicht 
grösser war bei solchen Fällen, in welchen der Puls verlangsamt 
war, als bei solchen, in welchen keine Veränderung eingetreten 
war. In fast allen denjenigen Fällen, bei welchen solche Ver¬ 
langsamung auftrat, bewirkte der fortgesetzte Gebrauch von 
Digitalis in grossen Dosen eine deutliche Arhythmie in Form von 
Sinusarhythmie oder Herzblock. Diese wurden von einer Anzahl 
Beobachter bei der Digitalis beschrieben und allgemein als Be¬ 
weis der Hemmungswirkung angesehen. Das wurde in einer 
Anzahl von Fällen durch die Tatsache bestätigt, dass sie unter 
Atropin verschwanden, welches das Herz zu seinem normalen 
Rhythmus zurückführte. Wir konnten diese Beobachtung in einer 
Reihe von Fällen bestätigen, bei denen Atropin den Herzrhytbmus, 
welcher durch Digitalis unregelmässig geworden war, wiederber¬ 
stellte, was beweist, dass diese Unregelmässigkeiten in ihrem Ur¬ 
sprung hemmender Natur waren. Das ist jedoch nicht immer 
der Fall, denn in zwei Fällen von normalem Rhythmus, bei 
denen Digitalis eine Sinusarhythmie und einen Auriculo-Ventricular- 
block herbeiführte, gelang es dem Atropin nicht, sie zu beseitigen. 
Daraus geht hervor, dass Digitalis neben einer Reizwirkung auf 
das Hemmungssystem in diesen beiden Fällen noch eine mehr direkte 
Wirkung auf das Herz, und zwar anscheinend auf die Sino-Auricular- 
und Auriculo-Ventricularverbindungen hatte. In einem Falle waren 
diese beiden Wirkungsarten vorhanden; denn im Beginn der Be¬ 
handlung beseitigte Atropin den Block, während es später versagte. 

Diese beiden Fälle sind nicht nur an sich von Interesse, sondern 
auch deshalb, weil sie vielleicht einiges Licht auf die Wirkung 
beim Auricularfiimmern zu werfen vermögen. Denn es dürfte plau¬ 
sibel erscheinen, die Verlangsamung hier einer direkten Wirkung auf 
das Auriculo-Ventricularbündel zuzuschreiben. Es bestehen jedoch 
in dieser Hinsicht einige Schwierigkeiten, und wir müssen betreffs 
der Beweisführung auf unsere ausführlichen Arbeiten verweisen. 

Digitalis und seine Verwandten wirken besonders beim 
Auricularfiimmern. Es bereitete daher einige Verlegenheit, als 
man fand, dass dieses Mittel in einigen Fällen Auricularfiimmern 
bei Patienten hervorrief, deren Herzen zuvor in normaler Weise 
geschlagen batten. Aber das kam in verschiedenen Fällen vor, 
und das Vorhandensein des Flimmerns war durch den Poly¬ 
graphen und Elektrocardiographen sichergestellt. Der Zustand 
ging vorüber, sobald man die Behandlung aufgab. Diese Fälle 
liefern einen gewichtigen Beitrag zu dem Problem der Puls¬ 
verlangsamung, welche so spezifisch für die Digitalis beim Herz¬ 
flimmern ist. Denn der Puls wurde nicht durch Digitalis ver¬ 
langsamt, solange der normale Rhythmus fortbestand, obwohl 
Uebelkeit, Erbrechen und Kopfschmerzen vorhanden waren. Wenn 
jedoch Flimmern selbst vorhanden war, dann nahm der Puls so¬ 
fort den langsamen Typus an, welcher bei OriginalfäUen von 
Flimmern, die mit Digitalis behandelt wurden, beobachtet wird. Die 
Verlangsamung durch Digitalis beim Auricularfiimmern ist so spe¬ 
zifisch für diesen Zustand, dass sie viel mehr hierbei als bei Verände¬ 
rungen mit normalem Rhythmus durch dieses Mittel anzutreffen ist. 

Zum Schluss wäre zu bemerken, dass keine Veränderung in 
der Grösse der Herzdämpfung zu entdecken ist, selbst wenn der 
Patient sich sehr erheblich durch die Darreichung des Mittels 
gebessert fühlt. Auch hat beim normalen Rhythmus Digitalis keine 
sichtbare Wirkung auf den Blutdruck. Beim Herzflimmern sind keine 
zuverlässigen Beobachtungen über den Blutdruck möglich, weil 
grosse Schwankungen in der Stärke des Herzschlages vorhanden sind. 

Zum Schluss erlaube ich mir, dem Herausgeber dieser 
Wochenschrift meinen Dank für seine Freundlichkeit auszusprechen, 
dass er mir diese Spalten zur Verfügung gestellt hat, und ich 
hoffe, dass die Wochenschrift in der Zukunft dieselbe hervor¬ 
ragende Stellung im medizinischen Journalismus einnehmen wird, 
die sie in den verflossenen fünfzig Jahren innegehabt hat. 


Literatur. 

1. Turnbill, Heart, 1911, Bd. 2, S. 15. Mackenzie, Heart, 
1911, Bd. 2, S. 873. Cushnyv Marris und Silberberg, Heart, 1912, 
Bd. 4, S. 33. — 2. Hatcher und Eggleston, Journ. of pharm, and exp. 
therap., 1912, Bd.4, S. 113. — 8. Cushny, Heart, 1912, Bd. 8, S. 357. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


Aus dem physiologischen Institut der Universität 
Strassburg. 

Ueber die Wirkung des Hochgebirgsklimas auf 
die Pulsfrequenz. 

Von 

Erich Stern. 

Der Einfluss des Hochgebirgsklimas auf die verschiedenen 
Funktionen des menschlichen Körpers ist seit längerer Zeit 
Gegenstand eingehender Untersuchungen gewesen. Bekannt sind 
hierüber die Arbeiten von Zuntz, die sich in erster Linie mit 
dem Stoffverbrauch beschäftigen, und die Arbeiten von Durig. 
Wenig untersucht ist aber bisher der Einfluss des Hochgebirgs¬ 
klimas auf die Herztätigkeit, und alle bekannten Beobachtungen 
beschränken sich, soweit aus der mir zugänglichen Literatur er¬ 
sichtlich ist, darauf, festzustellen, dass im Hochgebirge die Puls¬ 
frequenz im allgemeinen steigt und kurze Zeit nach Rückkehr in 
die Ebene wieder auf die Norm sinkt. Dies berichten auch Zuntz 1 ) 
und Durig 2 ), die gelegentlich der wissenschaftlichen Exkursion 
auf den Monte Rosa auch den Puls untersuchten. Durig und 
Kolmer 2 ) berichten auch bereits, dass Muskelarbeit die Puls¬ 
frequenz im Gebirge mehr beeinflusse als in der Ebene. Ge¬ 
nauere Angaben hierüber fehlen. So schien bei dem Mangel an 
systematischen Untersuchungen über den Einfluss des Hochgebirgs¬ 
klimas auf die Pulsfrequenz, insbesondere über den Einfluss, den 
Muskelarbeit ausübt, eine genauere Prüfung geboten. Die Ver¬ 
suche wurden auf Anregung von Herrn Prof. Dr. I. Rieb. Ewald- 
Strassburg im August und September 1912 in Arosa ausgefübrt 
und mit den im Oktober 1912 in Strassburg gewonnenen Daten 
in Vergleich gesetzt. 

Wenn auch Arosa nur 1800 m ü. M. liegt, also der Einfluss nicht 
so erheblich sein kann wie auf dem Monte Rosa, so sind die Ein¬ 
wirkungen, die ich fand, doch sehr bedeutend. 

I. 

Während der ganzen Dauer meines Aufenthaltes in Arosa zählte ich 
meinen Puls regelmässig viermal am Tage, und zwar um 8 Uhr morgens, 
um 12 Uhr mittags, um 4 Uhr nachmittags und um 10 Uhr abends. Ich 
zählte meinen Puls selbst, doch glaube ich, dass infolge der grossen 
Uebung psychische Momente ausgeschlossen sein dürften. Ich zählte 
jedesmal viermal, und zwar stets sitzend. Die Mahlzeiten wurden täglich 
um die gleiche Zeit eingenommen, das Frühstück um ^StUhr morgens, 
das Mittagessen um 1 Uhr, das Nachtessen um 7 Uhr. Das Körpergewicht, 
das ich wöchentlich kontrollierte, blieb während der ganzen Dauer 
konstant, es betrug im Mittel 64 kg und schwankte um Va hg. Die Blut¬ 
temperatur zeigte im Gebirge keine wesentliche Aenderung, sie betrug 
am Morgen 36,3, mittags 36,8 und abends 36,4. 

Zunächst fand ich, was ja lange bekannt ist, dass ira Gebirge die 
Pulsfrequenz eine grössere ist als in der Ebene, und zwar sind die Diffe¬ 
renzen zu den verschiedenen Tageszeiten ganz verschieden. In Arosa 
sowohl wie in Strassburg wurden 'die Beobachtungen an 30 aufeinander¬ 
folgenden Tagen gemacht und das Mittel aus diesen Zahlen genommen. 
Dabei zeigte sich, dass man die Zahlen, die für Morgen und Abend ge¬ 
funden wurden, ohne weiteres in Vergleich setzen konnte, nicht aber 
die für Mittag und Nachmittag. Denn der Vormittag wurde in Arosa 
oft zu grösseren Bergspaziergängen benutzt, infolgedessen war an diesen 
Tagen (in zehn Fällen) die Pulsfrequenz mittags und nachmittags be¬ 
trächtlich erhöht. Die Differenz zwischen Arosa und Strassburg würde 
zu gross ausfallen; deshalb wurden diese 10 Tage, wo am Vormittag 
grössere Arbeit geleistet wurde, bei Verwertung der Ergebnisse unberück¬ 
sichtigt gelassen. Die Resultate gibt folgende Tabelle 1. 

Es zeigt sich aber, dass die Differenz zu den verschiedenen Tages¬ 
zeiten verschieden ist, dass sie am grössten mittags ist, wo sie selbst 
nach Ausschaltung der zehn Beobachtungen an Tagen, wo grössere 
Muskelarbeit geleistet wurde, doch noch 13,02 beträgt, dass sie ferner 
am Abend 5,68, am Morgen 3,54 beträgt und nachmittags um 4 Uhr 
0,34, also fort verschwindet. Interessant ist ferner folgende Tatsache. 
Wenn man die Pulszahlen am Morgen (69,54 in Arosa, 66,0 in Strass- 


1) Zuntz, Ueber die Wirkungen des Sauerstoffmangels im Hoch¬ 
gebirge. Verhandlungen der Berliner physiologischen Gesellschaft, Engel- 
mann’s Archiv, 1905, S. 416. 

2) Durig und Kolmer, Ueber das Verhalten von Puls, Blut¬ 

druck und Körpertemperatur. Denkschrift der mathematisch-natur¬ 

wissenschaftlichen Klasse der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaft, 

Wien 1909. 


Tabelle 1. 


Pulsfrequenz in Arosa und Strassburg. 



>_ 

ja 

P 

Mittags 12 Uhr 

Nachmittags 

4 Uhr 

i* 

ja 

P 

Differenz 


CO 





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ja 

Morgen 
bis Abend 



<a cq 

3 Jl-i 

«S c! 

3 X 

<5 


Arosa. . . 

69,54 

87,17 

84,70 

80,80 

76,95 

83,04 

— 13,50 

Strassburg . 

66,00 

71,68 

71.68 

76,60 

76,60 

77,36 

— 13,36 

Differenz 

3 54 

15,49 

13,02 

4,20 

0,35 

5,68 

— 0,14 


bürg) mit den Pulszahlen am Abend (83,04 in Arosa, 77,36 in Strass¬ 
burg) vergleicht, so findet man deren Differenz für Arosa — 13,5, für 
Strassburg — 13,36. 

Die Pulsfrequenz sinkt in Hochgebirge und Ebene 
bei Nacht um annähernd denselben Betrag. Die Schwan¬ 
kungsbreite während der Nacht ist also gleich. 

II. 

Von besonderem Interessse erscheint der Einfluss der Muskel¬ 
arbeit auf die Herztätigkeit im Hochgebirge. Es hat sich nämlich 
herausgestellt, dass bei Aufenthalt io höheren Berglagen, sowie 
bei Ballonfahrten stets diejenigen Personen von der Berg- und 
Höhenkrankheit befallen wurden, die körperliche Arbeit leisteten, 
während andere, welche sich absolut ruhig verhielten, von den 
Krankbeitssymptomen verschont blieben oder diese wenigstens 
erst viel später und in viel milderer Form bei ihnen auftraten. 
Wenn man nun einen besonders grossen oder von dem in der 
Ebene abweichenden Einfluss der Muskelarbeit auf die Herztätig¬ 
keit im Hochgebirge konstatieren könnte, so wäre vielleicht 
daraus ein Anhaltspunkt für die Aetiologie dieser Krankheit zu 
gewinnen. 

Dass Muskelarbeit die Pulsfrequenz steigert, ist allgemein bekannt, 
wenn auch über die Ursachen dieser Steigerung keine einheitliche An¬ 
schauung herrscht. Guy 1 ) fand, dass bei einem Manne, der lief, die 
Pulsfrequenz bis auf 150 und mehr anstieg. Lichtenfels und Froeh- 
lieh 2 ) fanden, dass die Pulsfrequenz von 82 auf 156 stieg, als sie 
eine Versuchsperson mit dem mit zwei Pfund belasteten rechten Arm 
30 Sekunden lang eine Pcndelbewegung ausführen Hessen. Sie fanden 
die Grösse der Frequenzsteigerung abhängig von Geschwindigkeit und 
Dauer der Bewegung. In neuerer Zeit wurde dieser Frage wieder mehr¬ 
fach die Aufmerksamkeit zugewendet. So fand Aulo 3 ), dass lediglich 
aktive Bewegung die Pulsfrequenz erheblich steigert. Seine Versuche 
sind an Tieren ausgeführt, und er gibt an, dass Veränderungen der 
Atembewegung und des Kreislaufs nicht genügen, um die Beschleunigung 
zu erklären. Er schreibt sie der Erregung der Centren der Herznerven 
zu. In einer späteren Arbeit 4 ) führt Aulo aus, dass die Beschleunigung 
der Herzschläge bei Muskelarbeit durch Abnahme des Vagustonus be¬ 
dingt sei. Johansen 5 ) hält die Miterregung des Atemcentrums sowie 
die Wirkung von Stoffwechsel Produkten für möglich. Geppert und 
Zuntz 6 ) schreiben die Frequenzsteigerung den im tätigen Muskel ge¬ 
bildeten Stoffwechselprodukten allein zu. Mansfeld 7 ) steht auf dem 
Standpunkt, dass die vom tätigen Muskel gebildete Wärme als Reiz 
wirkt, der die motorische Acceleration verursache. Die Steigerung der 
Temperatur ist der „Blutreiz“, der vom Herzen aus reflektorisch die 
acceleratorischen Centren erregt. 

Frank 8 ) bestätigt dies dadurch, dass er zeigt, dass beim Kaninchen 


1) Guy, Tood’s Cyclopedia of anatomy and pbysiology, 1852, 
Bd. 4. 

2) Lichtenfels und Froehlich, Denkschriften der Kaiserl. Aka¬ 
demie der Wissenschaften, mathemat.-naturw. Klasse 8, 1852, Bd. 2. 

3) Aulo, Muskelarbeit und Pulsfrequenz. Skandinavisches Archiv 
f. Physiol., Bd. 21. 

4) Aulo, Beschleunigung der Herzschläge bei Muskelarbeit. Skan¬ 
dinavisches Archiv f. Physiol., Bd. 25. 

5) Johansen, Ueber die Einwirkung der Muskeltätigkeit auf Atem- 
und Herztätigkeit. Skandinavisches Archiv f. Physiol., Bd. 5. 

6) Geppert und Zuntz, Ueber die Regulation der Atmung. 
Pflüger’s Archiv, Bd. 42. 

7) Mansfeld, Die Ursache der motorischen Acceleration des Herzens. 
Archiv f. d. ges. Physiol., 1908, Bd. 134. 

8) 0. Frank, Der Einfluss der Herztemperatur auf die Erregbarkeit 
der beschleunigenden und verlapgsamenden Nerven. Zeitscbr. f. Biol., 
1907, Bd. 40. 


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21. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


721 


die Frequenz mit zunehmender Temperatur erst allmählich, dann schnell 
ansteigt. Bei Aoceleration wirkt die sinkende Temperatur dagegen 
stetig vermindernd auf die beschleunigende Wirkung. 

Hering 1 ) führt beim Kaninchen die Vagotomie aus und findet, 
dass danach die Schlagzahl steigt. Das Maximum tritt erst einige Zeit 
nach der Vagotomie auf. Er führt aus, dass die Steigerung der Herz¬ 
frequenz bei Muskelarbeit an die Integrität der Herzbeschleunigungs¬ 
nerven gebunden ist. Unterstützt wird die Wirkung durch gleichzeitige 
Abnahme der Erregung der herzhemmenden Nerven. Diese Abnahme 
wird reflektorisch erzeugt durch Atembewegungen. 

Athanasiu und Cavolla 2 3 ) führen die Frequenzsteigerung bei 
willkürlicher Anstrengung auf eine von den Muskeln ausgehende, rein 
nervöse Hemmung des Vaguscentrums zurück. 


Soweit reichen, wie aus der mir zugänglichen grösseren 
Literatur ersichtlich ist, die Beobachtungen. Hingegen habe ich 
noch nirgends Untersuchungen über die Nachwirkung der Fre¬ 
quenzsteigerung und über ihren Abfall gefunden. 

Tigerstedt 8 ) gibt zwar an, dass körperliche Arbeit relativ schnell 
vorübergeht, etwa nach 5—10 Minuten, wenn die Arbeit eine Minute 
gedauert bat. Anders wirken langdauernde Bewegungen, auch wenn sie 
an und für sich massig sind, aber bis zur Ermüdung fortgesetzt werden. 
Ihr Einfluss auf die Pulsfrequenz dauert oft stundenlang. Wenn eine 
Versuchsperson nur ein paar Kilometer zurückgelegt hat, so müssen 
wir mindestens 1 j 2 Stunde warten, bis die Frequenz auf die Norm 
gesunken ist. Die Dauer der Nachwirkung richtet sioh weniger nach 
der Grösse als nach der Dauer der Arbeit. 

Da hierüber aber genauere, zahlenmässige Angaben fehlen, 
so wollte ich die Art des Abfalls der Pulsfrequenz auf die Norm 
nach Muskelarbeit mit besonderer Berücksichtigung ihrer Ab¬ 
hängigkeit vom Hochgebirgsklima bestimmen. 

Als Arbeitsleistung wurde dabei ein Dauerlauf von 5 Minuten ge¬ 
wählt, während deren eine ebene Strecke zurückgelegt wurde. Die 
Frequenz wurde unmittelbar vor und unmittelbar nach dem Dauerlauf 
sowie in Abständen von 5 Minuten nach Beendigung des Dauerlaufs 
gemessen. Gezählt wurde stets sitzend der Puls der linken Arteria 
radialis und während der Zeit nach dem Dauerlauf jede Muskelarbeit 
vermieden. Die Nachwirkung wurde 45 Minuten lang beobachtet, und 
in Arosa sowohl wie auch in Strassburg zeigte sich während dieser Zeit 
ein Abfall bis nahezu auf die Norm. Wenn dabei in der Dauer der 
Nachwirkung in Hochgebirge und Ebene wesentliche Differenzen nicht 
festgestellt werden konnten, so zeigten sioh um so auffallendere Unter¬ 
schiede in der Art des Abklingens. Ich werde zunächst die Ergebnisse 
von 15 Arosaer und sechs Strassburger Beobachtungen tabellarisch 
wiedergeben. Die Strassburger Versuche sind alle frühmorgens ange¬ 
stellt, von der Arosaer habe ich drei Serien zu je fünf, woran die erste 
Versuche frühmorgens um 9 Uhr, die zweite Versuche mittags um 
12 Uhr, die dritte Versuche abends um 6 Uhr behandelt. Der grösseren 
Uebersichtlichkeit halber werde ich von jeder Serie eine Beobachtung 
graphisoh darstellen; dies wird genügen, da die Kurven alle ganz gleich 
aussehen. (Tabelle 2.) 

Tabelle 2. 

Pulsfrequenz vor und nach Muskelarbeit in Arosa. 


A. Morgens 9 Uhr. 


Zeit 


Beobachtung 



I 

II 

III 

IV 

V 

9 Uhr a. M. 

81 

76 

79 

84 

76 

9. bis 9,05 .... 

Dauerlauf von 5 

Minuten 

— 

— 

9,05. 

13t 

124 

132 

129 

128 

9,10. 

100 

98 

106 

100 

101 

9,15. 

95 

94 

100 

94 

98 

9,20.. 

94 

93 

95 

92 

96 

9,25. 

93 

91 

96 

90 

89 

9,80. 

89 

86 

94 

88 

87 

9,35. 

88 

86 

88 

85 

88 

9,40. 

87 

85 

87 

85 

86 

9,45. 

87 

84 

85 

84 

85 

9,50. 

86 

84 

84 

83 

85 


1) Hering, Ueber die Beziehungen der extracardialen Herznerven 
zur Steigerung der Herzscblagzahl bei Muskeltätigkeit. Archiv f. d. ges. 
Physiol., 1905, Bd. 60. 

2) Athanasiu et Cavolla, La travail musculaire et le rbythme 
du ooeur. Archive de physiol. normal et pathol., 1898. — Nagel’s Hand¬ 
buch d. Physiol., Bd. 1, S. 757. 

3) Tigerstedt, Physiologie des Kreislaufs. Leipzig 1893, S. 29. 


Kurve 1. 



Pulsfrequenz in der Nachwirkung von Muskelarbeit, Höhenklima. Morgens. 
Sekundäre Erhebung. 


B. Mittags 12 Uhr. 


Zeit 


Beobachtung 



I 

II 

III 

IV 

V 

12 Uhr mittags . . . 

90 

88 

82 

92 

86 

12 bis 12,05. . . . 

Dauerlauf von 5 

Minuten 

— 

• — 

12,05. 

146 

139 

124 

141 

132 

12,10. 

110 

107 

100 

101 

101 

12,15. 

107 

102 

98 

98 

98 

12,20. 

106 

100 

96 

96 

96 

12,25. 

105 

99 

91 

95 

91 

12,30 ...... 

99 

92 

90 

94 

90 

12,35. 

98 

90 

90 

90 

93 

12,40. 

97 

89 

89 

90 

92 

12,45. 

96 

89 

88 

89 

90 

12,50. 

96 

89 

88 

89 

89 


Kurve 2. 



Pulsfrequenz in der Nachwirkung von Muskelarbeit, Höhenklima. Mittags. 
Sekundäre Erhebung. 


C. Abends 6 Uhr. 


6 Uhr p. M. 

92 

90 

1 79 

80 

95 

6 bis 6,05 .... 

Dauerlauf von 5 Minuten 

— 

— 

6,05. 

138 

140 

127 

130 

141 

6,10. 

111 

101 

97 

99 

107 

6,15. 

107 

98 

99 

98 

100 

6,20. 

104 

96 

86 

97 

98 

6,25.. 

102 

95 

85 

89 

96 

6,30. 

96 

94 

83 

88 

89 

6,35. 

96 

91 

82 

87 

89 

6,40. 

95 

91 

81 

87 

89 

6,45. 

94 

91 

80 

86 

89 

6,50. 

94 

90 

79 

86 

90 


Es zeigt sich hier, dass in Arosa im Durchschnitt die Frequenz 
nach einer Muskelarbeit von 5 Minuten Dauerlauf um 48,8 stieg, 
während sie, wie die folgende Tabelle zeigen wird, in Strassburg 
nur um 40,7 stieg, was also einen Unterschied von 8,1 Pulsen 
bedeutet. (Tabelle 8.) 


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722 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


Kurve 3. 



Pulsfrequenz in der Nachwirkung nach Muskelarbeit, Höhenklima. Abends. 
Sekundäre Erhebung. 

Tabelle 3. 


Pulsfrequenz nach Mukelarbeit in Strassburg 


Zeit 

I 

II 

B e o b a 

111 

chtun 

IV 

S 

V 

VI 

8 Uhr a. M. . . . 

66 

67 

64 

71 

69 

60 

8 bis 8,05 . . . 

— 

Dauerlauf von 5 

Minuten 

— 

— 

8,05. 

109 

102 

107 

112 

110 

101 

8,10. 

79 

75 

81 

89 

76 

72 

8,15. 

78 

73 

78 

87 

74 

70 

8,20. 

77 

72 

75 

85 

72 

68 

8,25. 

76 

71 

73 

83 

72 

66 

8,30. 

76 

71 

72 

81 

72 

65 

8,35. 

76 

70 

71 

79 

71 

64 

8,40. 

75 

70 

69 

78 

71 

64 

8,45. 

75 

70 

68 

78 

71 

64 

8,50. 

74 

70 

68 

77 

70 

63 


Kurve 4. 



Pulsfrequenz in der Nachwirkung von Muskelarbeit, Ebene. Morgens. 

Keine sekundäre Erhebung. 

Sehr merkwürdig erscheint bei diesen Untersuchnngen die 
Art des Abfalls der Pulsfrequenz auf die Norm. Wie aus den 
Tabellen 2 und 3, noch deutlicher aber aus den beigegebenen 
Kurven ersichtlich ist,' zeigt die Kurve im Gebirge 
eine zweite relative Erhöhung (einen Wendepunkt), d. h. 
die Frequenz fällt erst schnell, dann langsam, dann wieder 
schneller und dann wieder langsamer zur Norm ab, während 
dies in der Ebene nicht der Fall ist, sondern die Puls¬ 
frequenz hier in glatter Kurve abfällt. Diese Erscheinungen 
habe ich an mir ausnahmslos beobachtet; ausserdem war ich aber 
in der Lage, sie auch an einer anderen Versuchsperson in zwei 
Versuchen in ganz gleicher Weise feststellen zu können. Ich 
glaube mich daher zu der Annahme berechtigt, dass es sich um 
eine durch das Höhenklima bedingte allgemeine Erscheinung 
handelt. Dass hier irgendeine pathologische Erscheinung vorliegt, 
erscheint ausgeschlossen, da nach ärztlicher Untersuchung mein 
Herz vollkommen gesund ist. 

Ich habe nun noch über einige andere Beobachtungen zu be¬ 
richten, die ich gelegentlich einiger Bergtouren machen konnte. 
Die Beobachtungen stimmten ziemlich genau unter sich überein, 
so dass ich mich begnügen kann, die Zahlen einer der in Frage 
kommenden Touren hier anzuführen. An dieser Tour nahmen zwei 
Herren und drei Damen teil. Die Schwankungen in der Pulsfrequenz 
traten bei allen Personen in der gleichen Weise auf. (Tabelle 4.) 


Tabelle 4. 


Beobachtungen auf einer Bergtour. 


Zeit 

Höhe 

Herr S. 

Herr C. 

Frl. R. 

FrauA. 

Frl. A. 

7 Uhr ... . 

1750 m 

92 

87 

102 

102 

94 

10,30 .... 

2190 „ 

118 

108 

121 

119 

110 

12,00 .... 

2375 „ 

118 

103 

99 

108 

116 

1,10 .... 

2600 „ 

126 

109 

107 

116 

122 

1,15 .... 

2600 „ 

132 

109 

114 

117 

129 

3,15 .... 

2150 „ 

136 

113 

114 

123 

129 

4,35 .... 

1575 „ 

143 

119 

125 

139 

126 

5,20 .... 

1650 „ 

124 

114 

120 

126 

123 

6,00 .... 

1750 w 

114 

107 

114 

120 

121 


Zunächst ist aus der Tabelle 4 ersichtlich, dass die Puls¬ 
frequenz beim Abstieg mehr ansteigt als beim Auf¬ 
stieg, bei dem sie sogar teilweise etwas sinkt. Als ich am 
Morgen nach der Tour den Puls zählte, fand ich bei sämtlichen 
Teilnehmern noch eine deutliche Nachwirkung; so war bei mir 
die Frequenz 78 (gegen 69 normal). Erst am anderen Morgen 
war die Frequenz wieder zur Norm zurückgekehrt. Dann aber 
zeigt sich weiter, dass bei fast allen der fünf Personen fünf Minuten 
nachdem die Höhe von 2600 m erreicht war, die Pulsfrequenz 
weiter anstieg, was höchstwahrscheinlich durch beschleunigte 
Atmung zu erklären ist. Denn ich habe sowohl an mir, wie 
auch an anderen Personen die Beobachtung gemacht, dass kurze 
Zeit nach Beendigung grösserer Muskelarbeit dis Atem¬ 
frequenz zunächst steigt, eine Tatsache, die meines Wissens 
in der einschlägigen Literatur noch nicht in Betracht gezogen 
worden ist. Dass dies bei den in der Tabelle 2 angeführten Ver¬ 
suchen nicht beobachtet wurde, rührt davon her, dass die Dauer 
der ausgeführten Arbeitsleistung zu kurz war und das in Rede 
stehende Phänomen nur nach Muskelausschlagung von längerer 
Dauer eintritt. 

III. 

Bei näherer Betrachtung der gewonnenen Resultate fallen 
vor allem zwei Tatsachen auf: 1. Der Puls steigt beim Berg- 
abgehen noch weiter an. 2. Die Nachwirkung bei Muskelarbeit 
ist im Gebirge eine andere als in der Ebene. 

Gehen wir zunächst auf die erste Erscheinung ein; sie steht 
im offenbaren Widerspruch mit der allgemein verbreiteten Ansicht, 
dass Bergabgehen weniger anstrengt als Bergaufwärtsgehen. Dies 
ist nun, vom physikalischen Standpunkt aus betrachtet, nicht der 
Fall. Wenn man ein Kilogramm 1 m hoch hebt, so leistet man 
dabei die Arbeit von 1 m kg. Wenn man dann das Gewicht 
fallen lässt, ist dazu keine Arbeit nötig, es erhält eine gleich¬ 
förmige Beschleunigung durch die Schwerkraft; wenn man da¬ 
gegen das Gewicht mit ganz gleichförmiger Geschwindigkeit ab¬ 
wärts bewegt, so muss man der auf das Gewicht wirkenden 
Schwerkraft Widerstand leisten, und dazu ist die gleiche Arbeit 
erforderlich, die notwendig war, um das Gewicht emporzuheben. 
Das gilt auch vom Bergsteigen. Würde man sich den Berg ein¬ 
fach heruntergleiten lassen, wie dies z. B. bei einer Rutschbahn 
geschieht, so ist dazu keine Arbeit erforderlich. Wenn man aber 
den Berg absteigt, so ist die Arbeit um so grösser, je mehr 
Widerstand der Schwerkraft zu leisten ist, d. h. auch je steiler 
der Berg ist. Nur eines kommt einem dabei zugute. Die Reibungs¬ 
widerstände, die beim Aufstieg hemmen, d. h. die Arbeit ver- 
grössern, helfen beim Abstieg mit, der Schwerkraft Widerstand 
zu leisten. So kommt es, dass die physikalische Arbeit beim 
Abstieg doch geringer ist als beim Aufstieg. Für die physio¬ 
logische Arbeit beim Abstieg kommt dann aber noch in Betracht, 
dass infolge der nach dem Aufstieg eingetretenen Ermüdung die 
Arbeitsbedingungen ungünstiger geworden sind. 

Das zweite in Rede stehende Phänomen, dass die Frequenz¬ 
steigerung anders abklingt, zeigt eine Kurve mit einer zweiten 
relativen Erhöhung im Gebirge, die in der Ebene fehlt. Die 
Kurve macht den Eindruck, als ob sie durch Superposition zweier 
Kurven entstanden ist; es müssen also zwei Komponente vor¬ 
handen sein, von denen wenigstens die eine im Gebirge anders 
abläuft als in der Ebene. Und hier müssen Stoffwechsel und 
Atmung zweifellos eine Rolle spielen. So haben schon Durig 
und Zuntz gezeigt, dass das absolute Atemvolumen auf dem 
Monte Rosa doppelt so gross ist, als in Berlin. Andererseits ist 
durch die Arbeiten von Zuntz und seinen Mitarbeitern bewiesen, 
dass der Stoffwechsel im Gebirge in Anderer Weise vor sich geht. 


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21. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


723 


Muskelarbeit beschleunigt nun aber die Atmung 1 ) dadurch, dass 
vom arbeitenden Muskel Stoffe gebildet werden, die ins Blut über¬ 
gehen und als Reiz für eine beschleunigte Atmung dienen. 

Zu diesen eben erwähnten Tatsachen kommt noch folgendes 
hinzu: Im allgemeinen kehrt das Blut, wieZuntz 2 ) gezeigt hat, 
mit einem grossen Ueberschuss an Sauerstoff ins rechte Herz 
zurück. Dieser Ueberschuss nimmt in höheren Berglagen ab und 
kann schliesslich ganz verschwinden. Wenn ein Ueberschuss an 
Sauerstoff besteht, wird dieser zunächst bei der Arbeit verbraucht 
und das Blut wird sauerstoffärmer ins rechte Herz zurückkehren. 
Tatsächlich zeigte sich auch bei Versuchen von Zuntz und Hege¬ 
mann 3 ), dass der Gehalt an Sauerstoff des dem rechten Herzen 
entnommenen Blutes bei Muskelarbeit geringer ist als bei Ruhe. 
Nun stammt aber das Blut, das dem rechten Herzen zufliesst, 
aus dem ganzen Kreislauf, und eine geringe Sauerstoffabnahme 
im rechten Herzen kann lokal zum völligen Sauerstoffaufbrauch 
führen. Im Gebirge ist der Sauerstoffgehalt des Blutes im rechten 
Herzen schon in der Ruhe geringer, er ist noch mehr vermindert 
bei der Arbeit. Die Stoffwechselprodukte, die vom tätigen Muskel 
gebildet werden, können also nur langsamer oxydiert werden, und 
darum muss, wie Loewy 4 5 ) tatsächlich nachgewiesen hat, der 
Sauerstoffverbrauch nach Muskelarbeit im Gebirge länger anhalten 
als in der Ebene, und indem also die beiden Prozesse, Respiration 
und Stoffwechsel, im Gebirge anders als in der Ebene verlaufen, 
bewirken sie auch, dass die in der Ebene glatt ablaufende Kurve 
der Pulsfrequenz nach Muskelbewegung in dem Höhenklima die 
von mir zuerst beobachtete zweite relative Erhöhung zeigt. 


Aus der Poliklinik für innere Krankheiten von Prof. 
M. Mosse zu Berlin. 

Zur Prognose der Herzklappenfehler. 

Von 

Dr. Max Heinrich, 

Spezialarzt für innere Krankheiten in Charlottenburg. 

Wie in den letzten Jahrzehnten für das gesamte Gebiet der 
Herzpathologie eine neue Aera angebrochen ist, so haben sich 
auch bezüglich der Prognose der Klappenerkraukungen die An¬ 
schauungen wesentlich gewandelt. Während noch vor etwa 
50 Jahren das Schicksal eines Patienten mit einem Vitium cordis 
als besiegelt galt, so stehen wir heute mit berechtigten Hoff¬ 
nungen am Bette eines solchen Kranken. Wissen wir doch sogar, 
dass Patienten mit einem Vitium cordis congenitum, dessen Pro¬ 
gnose ja erheblich ungünstiger ist als die der erworbenen Herz¬ 
fehler und früher als ganz infaust galt, ein reiferes, ja sogar ein 
höheres Lebensalter erreichen können. 

So berichtet Benfey 8 ) in seiner auf Veranlassung von M. Mosse 
verfassten Arbeit über fünf Fälle, in denen die Kranken 17, 20, 27, 42 
bis 69 Jahre alt wurden. 

Allerdings muss es, wie Cassel 6 ) ausfübrt, als seltene Ausnahme 
bezeichnet werden, wenn solche Kranke das Mannesalter erreichen, ein 
grosser Teil geht frühzeitig zugrunde und nur ein kleinerer erlebt die 
Pubertätsjahre. 

Um wieviel besser müssen die Aussichten für die erworbenen 
Klappenerkrankungen sein, wenn die kongenitalen Vitien eine 
verhältnismässig so günstige Prognose bieten. Allgemein be¬ 
kannt ist es ja, wie häufig und oft wie schnell im kindlichen 
Lebensalter erworbene Klappenprozesse vermöge der enormen 
Regenerationskraft des jugendlichen Organismus zur Ausheilung 
gelangen. 

Cassel 7 ) berichtet über drei Fälle von Heilung einer Mitralinsuffi¬ 
zienz bei Kindern, Gerhardt 8 ) beobachtete Heilung bei einem jungen 
Zimmermannslehrling, und auch Baginsky 9 ) gibt zu, dass mau sicher 


1) Durig und Zuntz, Beiträge zur Physiologie des Menschen im 
Hochgebirge. Engelmann’s Arhiv, 1904. 

• > 2) Zuntz und Geppert, Ueber die Regulation der Atmung. 
Pflüger’s Archiv, Bd. 42. 

3) Zuntz, Ueber die Wirkung des Sauerstoffmangels im Hochgebirge. 
Engelmann’s. Archiv, 1905. 

4) Citiert nach voriger Arbeit. 

5) Inaug.-Dissert., Berlin 1903. 

6) Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 48, H. 5 u. 6. 

7) Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 48. 

8) Lehrb. d. Kinderkrankh., 2. Aufl., $ 224. 

9) Lehrb. d. Kiaderkrankh., 1899. 


erwiesene Klappenfehler bei Kindern sich wieder vollständig zurück¬ 
bilden sieht. 

Wie steht es nun um die Prognose der Klappenfehler bei 
Erwachsenen? 

Auch hier ist eine verhältnismässig grosse Anzahl von Heilungen 
beobachtet worden. Die grösste Mehrzahl der Fälle betrifft Mitralinsuffi¬ 
zienzen, wie dies auch Leyden in seinem grossangelegten Vortrag „Zur 
Prognose der Herzkrankheiten“ 1 ) bestätigt. 

Aber auch Fälle von Heilung bei Aorteninsuffizienz finden sich ver¬ 
einzelt in der Literatur. So berichtet Jacksch 2 ) bereits im Jahre 1860 
über drei geheilte Kranke mit Aorteninsuffizienz, ebenso Gerhardt 8 ) im 
Jahre 1868 über einen geheilten Aortenfehler. 

v. Leyden 4 ) beobachtete Heilung bei einem 37 jährigen Kutscher mit 
Aorteninsuffizienz, Senator 6 ) in einem Falle, wo das Leben 33 Jahre 
fortbestanden hatte. Auch Lewinski 6 ) berichtet über einen geheilten 
Fall von Aorteninsuffizienz. 

ln der allergrössteu Mehrzahl der Fälle, in denen es nicht 
zur Heilung kommt, können die Patienten — was zunächst die 
Mitralfehler betrifft — unter einigermaassen günstigen äusseren 
Lebensverhältnissen viele Jahre lang ein glückliches Dasein 
führen. Treffend bestätigt dies Sir Andrew Clark in seinem 
im Jahre 1887 in der British med. association gehaltenen Vor¬ 
trage, der über 684 Kranke berichtet, bei denen das Vitium 
mindestens 5 Jahre laug bestanden hatte, ohne dass seine An¬ 
wesenheit durch Symptome angezeigt war, welche die Gesundheit 
merklich störten. 

Viel ernster ist im allgemeinen die Prognose der Aorten¬ 
insuffizienz, bei der ein plötzlicher Tod leider nicht zu den Selten¬ 
heiten gehört, wie dies auch Leyden in seinem oben erwähnten 
Vortrage anerkennt. 

Wenn man aber von den auf arteriosklerotischer Basis ent¬ 
stehenden Fällen älterer Leute absieht, die mit schweren struktu¬ 
rellen Veränderungen der Herzwand einhergehen, und von den 
auf luetischer Eudarteriitis beruhenden Formen, hinter denen sich 
sehr oft ein Aneurysma versteckt, so können auch solche 
Kranke mit Aorteninsuffizieoz bei günstigen Lebensbediuguugen 
eine Reihe von Jahren ein leidliches Dasein fristen. 

Die Beobachtung eines in der Poliklinik behandelten Falles von 
seit 30 Jahren bestehender Aorteninsuffizienz war Veran¬ 
lassung, die Literatur der letzten Jahrzehnte daraufhin zu prüfen, ob 
ähnliche Fälle mit nur annähernd so langer Erhaltung des Lebens vor¬ 
handen seien. 

Selbst der vorhin erwähnte Senator'sohe Fall, bei dem das Leben 
noch 33 Jahre forbestanden hatte, was Senator selbst als „bis jetzt 
wohl unerhört“ bezeichnet, wird noch übertroffen durch eine Beobachtung 
des englischen Arztes Forler 7 ). Dieser stellte in der Clinical society 
in London einen Mann von 66 Jahren vor, der eine Erkrankung der 
Aorten- und Mitralklappen von etwa 53jähriger Dauer aufwies. Er 
hat während der letzten 53 Jahre kaum einen Tag die Arbeit ausgesetzt. 
Sein Herz sollte auch jetzt noch keine Erscheinungen gestörter Kompen¬ 
sation zeigen. 

Eine 38jährige Dauer vollständiger Kompensation eines Klappen¬ 
fehlers fand Romberg 8 ) in den Krankengeschichten der Leipziger 
Klinik, gibt aber leider nicht an, ob es sich um ein Aorten- oder 
Mitralvitium bandelte. Auch Gerhardt 9 ) beobachtete unter seinen 
300 Fällen bei 23 eine ungewöhnlich lange Dauer des Kompensations¬ 
stadiums, 30, 40, bei zweien sogar 41—44 Jahre. Aber auch hier ver¬ 
missen wir nähere Angaben über die Art des Vitiums. 

Von einem 15 jährigen Bestand einer Aorteninsuffizienz bei Fehlen 
jeglicher Kompensationsstörungen berichtet Leyden in dem mehrfach 
erwähnten Vortrage. 

Nun die Krankengeschichte des von mir beobachteten Falles: 

Es handelte sich um die jetzt 54 jährige Wirtschafterin Frl. B., die 
mit 16 Jahren einen Gelenkrheumatismus acquirierte. Mit 24 Jahren, 
im Jahre 1882, suchte sie wegen geringer Herzbeschwerden die Königl. 
Charit! auf, wo damals von Senator die Diagnose Aorteninsuffizienz 
gestellt wurde. Sie erinnert sich heute noch lebhaft, wie sie damals in 
allen Kursen den Studenten als Schulfall einer Aorteninsuffizienz demon¬ 
striert wurde. In den nächsten 10 Jahren war ihr Befinden dann ein 
so ausgezeichnetes, dass sie niemals ärztliche Hilfe in Anspruch zu 
nehmen brauchte. Erst im Jahre 1892 musste sie wegen Atem- 


1) Deutsche med. Wochenschr., 1889. 

2) Vierteljahrsschr. f. d. prakt. Heilk., 17. Jahrg. 

3) Lehrb. d. Auscultation u. Perkussion, 1868. 

4) Deutsche med. Wochensohr., 1892. 

5) Therapie d. Gegenw., 1901. 1 

6) Deutsche med. Wochenschr., 1882. ’’ 1 

7) Clin. soc. of London, ref. in Deutsche med. Wochenschr., 1S88. 

8) Lehrbuch der Krankheiten des Herzens und der Blutgefässe, II, 

S. 221. ' 

9) Gerhardt, Herzklappenfehler. Wien und Leipzig 1913, 

2 * 


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724 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


beschwerden das Krankenhaus Gitsohinerstrasse aufsuchen, wo sie 
16 Wochen an einer Pericarditis behandelt wurde. Später hat sie dann 
bis auf den heutigen Tag nie einen Grund zur Klage über ihren Gesund¬ 
heitszustand gehabt. 

Die Patientin ist eine kräftige Person und in gutem Ernährungs¬ 
zustände. Die inneren Organe zeigen mit Ausnahme des Herzens keine 
Besonderheiten. Am Cor finden sich die typischen Zeichen der Aorten¬ 
insuffizienz, lautes diastolisches Geräusch über der Aorta, Hypertrophie 
und Dilatation des linken Ventrikels, starkes Hüpfen der Carotiden usw. 

Der Herzfehler besteht also 30 Jahre bei einer Patientin, die Zeit 
ihres Lebens in dienender Stellung war, stets schwere körperliche Arbeit 
verrichten musste, und hat fast 20 Jahre ununterbrochen der Trägerin 
überhaupt keine Beschwerden verursacht. 

Die Veröffentlichung des letztgenannten Falles liefert einen 
weiteren Beitrag zur Kenntnis der Herzklappenfehler, die sich 
durch eine aussergewöhnlich lange Dauer auszeichnen. 


Morphiumentwöhnung mit Scopolamin? 

You 

Dr. Franz Hubert Mueller, 

Sanatorium Schloss Rheinblick, Bad Godesberg bei Bonn. 

In dieser Wochenschrift (1912, Nr. 29) erschien ein Aufsatz 
von Herrn Dr. Arnold Fromme in Stellingen bei Hamburg mit 
dem Titel „Die protrahierte Scopolaminnarkose bei der Morphium¬ 
entziehung“. Herr Fromme schliesst mit den Worten: „Wir 
haben jetzt in der protrahierten Scopolaminnarkose das einzige 
und sichere Mittel, die Morpbiumentziehung nicht nur allein 
zu einer beschwerdelosen zu gestalten, sondern auch die 
Heilung des Morphinismus mit Bestimmtheit zu er¬ 
reichen.“ 

Herr Fromme hat also wieder einmal die „einzige and 
sichere und beschwerdelose Heilung des Morphinismus“ entdeckt. 
Zum ersten Male tat er dies 1898, da gab er ein Buch heraus: 
„Der Missbrauch von Morphium und Cocain und seine schonende 
Behandlung“. In ihm heisst es, „dass man durch Codeinum phos- 
phoricum die letzten 5 Centigramm bei der Morphiumentwöbnnngs- 
kur ersetzen kann“. — „So treten nachher nach dem Weg¬ 
lassen des Mittels keine abstinenzartigen Erscheinungen auf.“ 

Im Jahre 1899 kehrt Fromme diesem tadellosen Mittel 
aber den Rücken, wendet sich dem Dionin zu und lobt es dem¬ 
entsprechend in Nr. 14, Jabrg. 1899, dieser Wochenschrift. Das 
grösste Lob der Dioninbebandlung liegt allerdings in dem durch 
sie verursachten Verzicht auf Codein. 

Herr Fromme war aber mit Dionin auch nicht lange 
zufrieden, denn schon 1900 verbessert er sich, indem er in seinem 
Anstaltsprospekt schreibt: „Neueste Form der Morphiuraentziebung. 
Es ist dem Unterzeichneten gelungen, eine schon seit langer Zeit 
bei den chinesischen Völkern gegen den dort herrschenden 
Opiummissbraucb bekannte Pflanzenabkochung zu erhalten, welche 
die bei der Morphiumentziehung auftretenden Abstinenz¬ 
erscheinungen (Unruhe, Angst, Ziehen in den Gliedern, Gähnen, 
Niesen usw.) vollständig zum Schweigen bringt, ohne dabei 
die allergeringsten schädlichen Wirkungen auf das Nervensystem 
auszuüben. Eine Angewöhnung an diese Abkochung ist voll¬ 
ständig deshalb ausgeschlossen, weil dieselbe keinerlei Sparen 
von narkotischen Mitteln enthält, vor allen Dingen keine 
Opiate. Infolge der ausgesprochenen Wirkung gegen die Ab¬ 
stinenzerscheinungen bei der Morphiumentziehungskur ist es für 
den Kranken sehr leicht, eine Entziehungskur durchzumachen, 
da sich hierbei keinerlei Qualen noch unangenehme Erscheinungen 
einstellen.“ 

Aber schon 1902 hat Fromme auch dieses Mittel verlassen 
und empfiehlt nun das „Antimorphin“, von dem er sagt: „Die 
neue Droge gewährleistet eine leichte, schmerzlose, 
vollständige und dauernde Heilung.“ — „Kurz, diese 
neue Form der Morphiumeutziehung ist die idealste 
und vollkommenste, die kaum übertroffen werden 
kann.“ Die neue Methode stammte diesmal aus Südamerika. 
Es wird nicht nötig sein, Antimorphin hier näher zu be¬ 
schreiben. Alle Welt wird sich noch erinnern, dass, nachdem 
ich das Antimorphin ebenso wie seine Schwester, das famose 
Nicolicin, als 3—4 proz. Morphiumlösung entlarvt hatte 1 ), dieses 
Mittel ungestraft allerorts als Schwindel bezeichnet wurde 2 * ), und 

1) Pharmac. Ztg., 1902, Nr. 78 u. 98; 1903, Nr. 4 u. 49. 

2) Prof. Lewin-Berlin in der Deutschen med. Wochenschr.; das 

Berliner Tageblatt die Münchener Neueste Nachrichten, der Tag usw. 


dass der Herr Polizeipräsident von Berlin gegen Antimorphin eine 
öffentliche Warnung erliess 1 ). 

Aber schon im darauffolgenden Jahre hat Herr Fromme 
wieder eine neue Methode fix und fertig, nämlich die Ent¬ 
ziehungskur mit Brucio 2 ), das jetzt in der gleichen emphatischen 
Weise angepriesen wurde, wie die verschiedenen ebengenannten 
Mittel vorher gelobt worden waren. 

Leider aber taugte Brucin nichts. Schon in der Münchener 
med. Wochenschrift, 1903, Nr. 29, wies ich auf die eminenten 
Gefahren der Brucinbehandlung bin; tatsächlich hat auch niemand 
Brucin bei der Morphiumentziehung mit Erfolg angewandt, 
höchstens als Amarum bei Abstinenzerscheinungen von seiten 
des Magens. 

Jetzt bat Fromme selbst der Brucinbehandlnng das Todes¬ 
urteil gesprochen, indem er 1912 das Scopolamin anf den 
Schild hebt. Beklagenswerter Vater, der immer die eigenen 
Kinder morden muss! Damit kehrt Fromme aber zu einem 
Mittel zurück, das er selbst früher mit den Worten: „Jedoch ist 
meiner Ansicht nach die Sache (sc. Hyoscinscopolamin) ein 
bisschen reichlich gefährlich, und man sollte lieber etwas Leiden 
erdulden, als eine derartige Kur unternehmen,“ als höchst gefährlich 
verworfen hatte 8 ). 


Nach meiner Kenntnis, die ich mir in umfangreicher, etwa 
vierzehnjähriger Spezialtätigkeit auf dem Gebiete der Entwöhnungs¬ 
kuren sammeln konnte, muss ich sagen, dass die Anwendung 
der Narkotica — von Scopolamin gar nicht zu reden — bei 
den meisten Fällen der Morphiumentwöhnung absolut 
nicht nötig und vielfach sehr schädlich ist. Meine Er¬ 
fahrungen basieren in der Hauptsache auf dem „Substitutions- 
verfahren“, das ich zurzeit wie seit etwa 10 Jahren für das 
mildeste und darum erfolgreichste Verfahren halte. Selbst 
Fromme, der es in seinem Scopolaminartikel natürlich im 
Verhältnis zu dem Spritzverfahren der Scopolamin- usw. Behand¬ 
lung nicht allzu sehr lobt, sagt von der Substitutionsmethode: 
„Speziell die Substitutionsmethode ist geeignet, die Entziehung 
ohne Beschwerde auszuführen. Bei ihr wird das bisher mittels 
Spritze eingeführte Morphium innerlich gegeben, und zwar in 
einer Komposition mit geeigneten Nervinis und Magen anregungs¬ 
mittein“. — Das Substitutionsverfahren — und das ist auch ein 
Vorzug — zwingt zugleich zur individuellen, angepassten Be¬ 
handlung des einzelnen Falles. Ich möchte übrigens hier die 
Gelegenheit nicht versäumen, eine andere Bezeichnung für die 
einzelnen Entziehungs- oder Entwöhnungsverfahren vorzuschlagen. 
Bis heute erben sich die autiken Ausdrücke plötzliche, modifiziert 
plötzliche (in etwa 8 bis 10 Tagen) oder allmähliche Entziehung 
wie eine ewige Krankheit fort. Die erste Art, die plötzliche, 
führte ihren Namen zu Recht. Sie war die schematische Prozedur, 
der sich der Morphiumkrauke nolens volens unterwerfen musste, 
ob alt oder jung, ob stark oder schwach, ob Weib oder Mann, 
ob krank oder gesund, ob viel oder wenig Morphium, ob lange 
oder kurze Gewöhnung, alles gleich, plötzliche Entziehung. Sie 
war natürlich total falsch, denn io der Krankenbehandlung ist 
und muss alles Schematische falsch sein, denn Kranke gibt’s 
und nicht Krankheiten. Die Methode hat heute noch Verteidiger 
trotz ihrer Brutalität, Misserfolge, Todesfälle usw.; geübt wird sie 
wohl wenig mehr, da das Publikum zu aufgeklärt ist. 

Die beiden anderen Verfahren, das „modifiziert plötzlich“ 
und das „allmähliche“, tragen ihre Namen mit Unrecht. Jeder 
Morphiumkranke entzieht verschieden. Oft kann man im „an¬ 
gepassten“ Verfahren grosse Mengen Morphium sehr schnell ent¬ 
ziehen, in 3, 6, 8, 10, 14 usw. Tagen, ohne dem Patienten wehe 
zu tun, und oft braucht man bei kleinen Quanten lange Zeit, 
vier bis sechs und wohl noch mehr Wochen. Oft entzieht der 
Schwache, Hinfällige gut und schnell und der Starke schlecht, 
mit starken Entbehrangserscheinungen. Eine Entziehung bei 
Menschen, die in etwa einer Woche bei „angepasster“ Behandlung 
entziehen, würden also auch in dem „modifiziert plötzlichen Ver¬ 
fahren“ eine individuelle „angepasste“ Behandlung finden. Für 
alle anderen Patienten aber wäre diese modifiziert plötzliche Ent¬ 
ziehung ein unangepasstes und damit nicht mehr zweckdienliches 
Verfahren. Dieselben Missverhältnisse finden sich, wenn man die 
Bezeichnung „allmähliche Entziehung“ anwendet. Wer sich, wie 


1) Norddeutsche Allgemeine Zeitung, 10. Mai 1903, Aktenzeichen 
I Aa. 2075. 03, I Aa. 2730. 

2) Münchener med. Wochenschr., 1903, No. 27. 

3) Münchener med. Wochenschr., 1903, Nr. 27, 


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oben geschildert, gut zur Entziehung eignet, also in etwa ein bis 
zwei Wochen frei ist, der hat keine allmähliche Entziehung ge¬ 
macht im Sinne dieses Verfahrens. Diese Bezeichnungen „plötz¬ 
lich 14 , „modifiziert-plötzlich“ und „allmählich“ sind also falsch und 
müssen schwinden; eine Entwöhnungskur — ich gebrauche stets 
das Wort Entwöhnung und nicht Entziehung — richtet sich ent¬ 
weder nach der individuellen Leistungsfähigkeit, die bestimmt ist 
durch Anlage, Alter, Geschlecht, Gesamtbefinden, Dauer der Ge¬ 
wöhnung, Menge der Droge usw., und dann ist sie eine „ange¬ 
passte“, richtige Behandlung, oder sie richtet sich nicht danach, 
und dann ist sie eine „schematische 14 , also falsche Kur. 

Viele Entwöhnungskuren verlaufen bei dem Substitutions¬ 
verfahren absolut ohne jede Abstinenzerscheinung derart, dass 
3uch Klagen von seiten der Patienten kaum oder gar nicht vor¬ 
handen sind. Ein zweiter Teil der Morphiumkranken zeigt bei 
der Entwöhnungskur wirklich Abstinenzerscheinungen, und zwar 
entweder hauptsächlich von seiten des Herzens und der Gefässe 
oder mehr von seiten des Magens und Darms, d. h. der Vege¬ 
tationsorgane. Letztere Erscheinungen werden durchaus erfolg¬ 
reich und unter absolutem Ausschluss irgendwelcher Narkotica 
wie ein akuter (saurer) Magen-Darmkatarrh behandelt. Diese 
Erscheinungen sind fast nur die Folge der abundant arbeitenden 
Drusen gegen Ende der Entwöhnungskur. Eine geeignete Diät 
hilft meist schon allein; sonst wird ein alkalisches Wasser (Vichy 
oder Fachinger), eventuell noch Belladonna weiter helfen. Bett¬ 
ruhe, Wismut und Tanninpräparate bringen auch den Stuhl in 
Ordnung. 

. Die Abstinenzerscheinungen von seiten des Herzens und der 
Gefässe weichen klinischer Behandlung. Tun sie das nicht, so 
liegen nicht mehr funktionelle Störungen vor, nicht mehr Herz¬ 
schwäche, sondern Herzmuskelschwäche, schwere organische, nie¬ 
mals durch Morphium gesetzte Veränderungen, und da wäre aller¬ 
dings neben der Therapie das Narkoticum indiziert. Hat aber 
ein Morphiumkranker, wohlverstanden ein Morphiumkranker, eine 
organische Läsion am Herzen, so gibt es nur ein Narkoticum, 
das therapeutisch wirklich hilft, und das ist Morphium. Es 
wäre ein Fehler, diesen Kranken durch irgendwelche Prozeduren 
oder Narkosen, selbst wenn er sie uberstände, das Morphium zu 
entziehen, denn für diese Kranken ist Morphium das einzige Heil¬ 
mittel, weil e» unser stärkstes Toni cum ist. ln den meisten 
Fällen wird ein solcher Kranker derartige unzweckmässige Trac- 
turen auch nicht aushalten, sondern entweder mit dem letzten 
Rest der Kraft abreisen, sich also dieser Behandlung entziehen, 
oder er wird daran zugrunde gehen. ;. $$ 

Uogefähr das gleiche gilt von der dritten Kategorie der 
Abstinenzerscheinungen, die sich mehr von seiten des Nerven¬ 
systems offenbaren. Der Kranke ist überaus nervös, neurasthenisch 
oder psychopathisch (meist aber schon vor seinem Morphinismus). 
Er kann kein Glied ruhig halten; alles an ihm ist in fortwähren¬ 
der Unruhe, die ihn nicht stehen, nicht sitzen, nicht ruhen lässt. 
Dazu gesellt sich ein fortgesetztes Angstgefühl, eine weiche, weiner¬ 
liche Stimmung, hartnäckigste Schlaflosigkeit usw. 

Diese drei Gruppen von Abstinenzerscheinungen treten natürlich 
nicht immer schön gesondert auf, sondern mischen sich, und nament¬ 
lich die Erscheinungen der nervösen Abstinenz sind meist — darin 
stimme ich Er lenmey er vollständig bei — nur ein erweiterter Aus¬ 
druck für dieUnzulänglichkeit des Herzens. DieserTyp der Abstinenz- 
erBcbeinungen, also der sogenannte nervöse, ist für den Patienten 
der bei weitem unangenehmste und zugleich für den Arzt der 
schlimmste. Dieser Abstinenzzustand bietet seiner Geschicklich¬ 
keit ais Mensch und Arzt, seinem ganzen Können, seiner Geduld 
und Erfahrung die schwierigsten Aufgaben. Natürlich liegt es 
nun gerade bei diesen Fällen sehr nabe, Absperrmaassregeln und 
Narkotica zu verwenden, um durch Schlafmittel oder gar Scopolamin 
irgendwie den Patient endlich „ruhig“ zu machen, niederzu¬ 
schlagen, besonders da die Ursache dieser Erscheinungen, das 
kranke Herz, noch in den weitesten Kreisen unbekannt ist. Der 
erzielte Effekt ist aber meist nur gering und steht fast ohne Aus¬ 
nahme auf keinen Fall auch nur im entferntesten in einem be¬ 
rechtigten Verhältnis zur Gefährlichkeit der angewandten Mittel. 

Die Anwendung von narkotischen Mitteln am Ende der Ent¬ 
wöhnung, namentlich die gehäufte und in grossen Dosen, halte 
ich überhaupt für unangebracht, denn in nicbtkritischen Fällen 
sind die Narkotica durchaus unnötig und schädlich, und in 
kritischen Fällen sind die Narkotica das Gefährlichste, was es 
nur geben kann, ln diesen Fällen, in denen der Fortfall des 
letzten Restes wirklich erhebliche Schwierigkeiten macht, droht 
neben allen Maassnahmen der Collaps. Tritt der Collaps ein 


oder droht er auch nur, so ist die Anwendung von Morphium 
sofort nötig, um nur das Leben zu retten. Jetzt Morphium noch 
zurückhalten zu wollen wäre ein Fehler, der dem Patienten 
aller Wahrscheinlichkeit nach das Leben kostet. Der in Ent¬ 
wöhnungskuren erfahrene Arzt hat seine Anzeichen für den 
drohenden Collaps, die Vorboten: u. a. der Patient, der vorher 
noch lebhaft Morphium verlangte, wird allgemach ruhig und zu¬ 
frieden und verlangt gar nicht mehr nach Morphium. Er legt 
sich auch ruhig zu Bett und läuft nicht mehr umher; alle Klagen 
verstummen; dabei zeigt er aber Koordinationsstörungen und vor 
allen Dingen Schluckbeschwerden und Störungen in der Artikulation 
der Sprache usw. Jetzt ist der Patient durch richtig angewandtes 
Morphium und nur durch Morphium noch zu retten. Wird Morphium 
nicht gegeben, so schlummert der Kranke ohne jede weitere Auf¬ 
regung hinüber. Ist der Kranke in dieser Zeit nicht von narko¬ 
tischen Mitteln beeinflusst, so zeigt ein Blick, eine Unterhaltung 
oder der Versuch zu einer solchen dem geübten Auge des Arztes 
die Situation klar; er fühlt genau, ob er Morphium geben muss 
oder ob er es noch weiter riskieren und verantworten kann. Ist 
das Krankheitsbild aber von der Einwirkung irgendwelcher 
Nakotica verschleiert, so kann zuletzt kein Mensch mehr unter¬ 
scheiden, was natürlicher Ausdruck der Krankheit ist und was 
Folge der Medikamente. Veronal z. B. und fast alle Narkotica 
machen ähnliche Erscheinungen wie der drohende Collaps. Aus 
diesem Grunde vermeide ich gerade am Ende der Entwöhnungskur 
die narkotischen Mittel, wo und wie ich nur kann. Sie ver¬ 
schleiern die bei diesem nervösen Abstinenzzustand stets be¬ 
stehende Todesgefahr, setzen also den Patienten dringender Gefahr 
aus — ohne Zweck. 

Ausserdem wird aus Menschen, die so mit Ach und Krach 
gerade am Collaps vorbeigesegelt sind, meist doch nichts Rechtes. 
Sie waren fast alle vor dem Morphinismus schon Neuro- oder 
Psychopathen; durch diese Entwöhnung sind sie erst recht aus¬ 
gepumpt und schlaff, dass sie niemals recht auf die Beine 
kommen. Mouate oder Jahre zur Erholung stehen nicht jedem 
zur Verfügung; die meisten müssen bald ins Geschirr; arbeiten 
sollen sie und können nicht; also wird die Spritze genommen; 
der Rückfall ist hier Zwang; der Rückfall ist eine soziale 
Frage 1 ). 

Um aber ein Resultat vielleicht zu erreichen, das aller 
Wahrscheinlichkeit nach doch nicht gehalten werden kann, setzt man 
keinen Menschen der Gefahr aus, zu sterben. Meines Erachtens 
hat kein Arzt das Recht, einen Morphiumkranken lediglich der 
Entwöhnung wegen so akuter Lebensgefahr auszusetzen. So 
schlimm ist der Morphinismus gar nicht, dessen Folgen im Ver¬ 
hältnis zu anderen Gewöhnungen, z. B. Alkoholismus, immer 
übertrieben werden. Auf alle Fälle weiss ich, dass jeder Mensch 
lieber mit Morphium weiter leben, als durch die Entwöhnung 
sterben will; und die Angehörigen wollen lieber einen Ernährer, 
der Morphium nimmt, als einen, der tot ist. 

Alles, was ich hier gegen die Narkotica sage, gilt erst recht 
für Scopolamin. Von diesem Mittel gilt für seine allgemeine Brauch¬ 
barkeit das Dichterwort: „Von der Parteien Hass und Gunst zer¬ 
rissen schwankt sein Charakterbild in der Geschichte.“ Gewiss mag 
Scopolamin von nicht wenigen Aerzten in mancher Beziehung 
bei Gesunden als ein brauchbares Mittel gelten; der Stimmen 
dagegen sind aber mehr. Jede Stimme gegen ein Mittel gilt 
aber vielemal soviel als eine Stimme dafür. Die bei jedem der 
vielen neuen Mittel immer gleich zu hörenden lobenden Press¬ 
stimmen von manchen Aerzten, die immer gleich so und soviele 
„Fälle“ haben, sind ja überhaupt für sich ein nicht ganz helles 
Kapitel. Fest steht, dass Scopolamin allein nicht selten einen Herz- 
collaps verursacht. Es ist hier nicht der Ort, zu entscheiden, wo 
Recht, wo Unrecht, zu entscheiden, ob nicht in einzelnen Fällen bei 
sonst gesunden Menschen Scopolamin mit guter Wirkung angewandt 
werden kann. So wie kein Arzt bei einem Menschen eine In¬ 
jektionsnarkose machen wird, wenn er nicht die Ueberzeugung 
haben darf, dass der Betreffende zum mindesten herzgesund ist, 
so ist auch aus dem Für und Wider Scopolamin soviel heraus- 
geschält, dass gerade Scopolamin das Gift ist, das niemals ange¬ 
wandt werden darf bei einem Morphiumkranken zu der Zeit, wo 
er durch eine solche zehrende Entwöhnung in einen zum mindesten 
kritischen Zustand versetzt ist. In diesem Zustand eine Dauer- 
narkose von drei bis acht Tagen ä la Fromme machen zu wollen, 
hätte zum mindesten zur Voraussetzung: 1. dass Tag und Nacht 


1) Vgl. meinen Aufsatz: Morphinismus. Diese Wochensohr., 1908. 
Nr. 49. 


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Nr. 16. 


ärztliche Ueberwachung, in die sich also mehrere Aerzte za teilen 
hätten, stattfände, 2. dass die überwachenden Aerzte die Möglich¬ 
keit hätten, ans dem Lebensaasdrock des narkotisierten Patienten 
sichere Schlüsse zu ziehen über den jeweiligen Zustand des 
Patienten, 8. dass der überwachende Arzt dann in jeder Minute 
mit Sicherheit in gewollter Weise wirksam eingreifen, die Nar¬ 
kose beenden usw. konnte. 

Die erste Forderung ist nicht zu erfüllen, und was den 
zweiten und dritten Punkt angeht, so bestreite ich, dass ein Arzt 
überhaupt in der Lage ist, am Narkotisierten etwa einen 
drohenden Collaps festzustellen, und vor allen Dingen be¬ 
streite ich, dass er imstande wäre, bei solchem Narkotisierten 
dann wirksam einzugreifen. Es fehlt ihm z. B. jedes Mittel, die 
Narkose zu unterbrechen. 

Auch muss man die individuelle Empfindlichkeit für Scopol- 
amin (Kochmann, Kobert, Kessel) in Rechnung ziehen. 
Und was gegen die Anwendung von narkotischen Mitteln 
bei schwierigen MorphiumentwOhnungskuren gilt, das gilt zehn¬ 
mal gegen Scopolamin. Dieses Gift ist nach meiner lücken¬ 
losen Erfahrung ein Herzgift und damit sicher das allergefähr¬ 
lichste Narkoticum; ich habe so schlimme Wirkung immer nur 
von ihm gesehen, dass ich schon seit Jahren im Prospekt meines 
Sanatoriums Schloss Rheinblick besonders betone, wie sehr ich 
die Anwendung von Scopolamin verabscheue. Auch da, wo es 
nur bei Gesunden gelegentlich zur Injektionsnarkose angewandt 
wird, bat es gegen die Inhalationsanästhesie grosse Nachteile. 
„Denn bei der Einführung nichtflüchtiger Narkotica begibt man 
sich des grössten Vorteils beim Auftreten gefahrdrohender Sym¬ 
ptome, die Narkose auf dem raschesten Wege der Giftelimination 
durch die Lungenausscheidung wieder zu unterbrechen 1 ).“ 

Nach seinem Scopolaminartikel zu urteilen, hat Fromme in 
den langen Jahren seiner Spezialtätigkeit die Tatsache nicht 
erkannt, die, früher bestritten, heute jedem Fachmanne ge¬ 
läufig und in der ganzen Literatur ausgesprochen ist, dass 
es auch unheilbare Morphiumkranke gibt, ohne dass den 
Patienten oder den behandelnden Arzt eine Schuld trifft. Ehrliche 
Arbeit hat Gott sei Dank allgemein auch dem Morphiumkranken 
das Recht des Kranken erworben und die Ueberzeugung ver¬ 
breitet, dass der Morphinismus nicht ein Laster, sondern eine 
Krankheit ist. Gewiss, über die Art, wie der Morphinismus im 
einzelnen Falle entstand, mag man rechten können, obwohl noch 
immer richtig ist das Wort in Kobert’s klassischem Lehrbuch der 
Intoxikationen: „Der Morphinismus ist ein medizinisches Kunst¬ 
produkt.“ 

Tatsache ist und Tatsache wird angesichts der Verschieden¬ 
heit der Persönlichkeiten der starken, schwachen und schwächsten 
bleiben, was ich seit mehr als einem Jahrzehnt, damals gegen 
alle herrschende Meinung, ausgesprochen habe, und was Kraepelin 
in seiner Psychiatrie, 7. Auflage, Bd.2, S. 153, sagt: „Die vollständige 
und dauernde Entziehung des Morphiums erweist sich selbst beim 
besten Willen des Arztes und des Kranken in einer Reihe von 
Fällen als undurchführbar. Abgesehen von jenen Kranken, denen 
das Leben wegen irgendeines unheilbaren schmerzhaften Leidens 
nur durch das Morphium erträglich wird, sieht man bei älteren 
Personen jenseits der fünfziger Jahre sowie bei sehr lange (Jahr¬ 
zehnte) bestehendem Morphinismus unter Umständen die Ent¬ 
ziehung des Morphiums zu einem langsam fortschreitenden Siech¬ 
tum führen, welches die Lebensfähigkeit in höherem Grade 
beeinträchtigt als das Morphium selbst. Hier muss man sich 
damit begnügen, die Gabe des Mittels nach Möglichkeit niedrig 
zu halten und den Kranken dauernd unter ärztliche Aufsicht zu 
stellen.“ 

Das ist die Wahrheit. Der Kraepelin’sche Ausdruck 
„ältere Personen“ ist zwar etwas unglücklich, denn Alter ist ein 
sehr verschiedener Begriff, und ich würde „verbraucht“ Vor¬ 
schlägen; auch weiss ich nicht, wie Kraepelin es sich vorstellt, 
„die Gabe nach Möglichkeit niedrig zu halten“, denn der Arzt 
bat doch auf den Verschleiss seines morphiumkranken Patienten 
in der Praxis gar keinen Einfluss. Jeder Morphiumkranke nimmt 
erfabrungsgemäss so viel Morphium, als seine Natur verlangt; 
diese zwingt ihn, und die erzwungene Menge führt der Morphium- 
kranke auch ein, ob mit oder ohne Arzt, das ist allbekannt. 
Verweigert der Arzt das Rezept, so zwingt er den Morphium¬ 
kranken eben zur Fälschung oder zur Beschaffung aus dem Aus¬ 
lande U8W. 

Unverständlich ist mir darum auch der letzte Rat Kraepelin’s: 


1) Meyer - Gottlieb, Experim. Pharmakol., 1. Aufl., S. 72. 


„. . . . nnd den Kranken dauernd unter ärztliche Aufsicht zu 
stellen.“ Ja, soll da jeder Morphiumkranke auf Lebenszeit ins 
Hospital oder sich mit einem ärztlichen Begleiter bewaffnen? 
Wer täte das? Wer kann das? Mit Rücksicht anf diese beiden 
beanstandeten Punkte wäre also Kraepelin's Satz in meinen» 
Sinne wie folgt zu formulieren: „Nicht wenige Morpbiumkranke 
sind unheilbar. Unheilbar sind u. a. die Morphiumkranken, 
bei denen ein unheilbares schmerzhaftes Leiden vorliegt} 
ferner die „Verbrauchten“; letztere würden ein irgendwie er¬ 
zwungenes Freisein von Morphium mit dauerndem Siechtum be¬ 
zahlen, so dass bei diesen das Morphium besser nicht entzogen, 
sondern weiter als unentbehrliches Hilfsmittel in Anwendung 
kommt.“ Wie Morphium in solchen Fällen dauernd benutzt 
werden kann, ohne unerwünschte Begleiterscheinungen aufkommei» 
zu lassen, darüber will ich an anderem Orte sprechen. Bemerken 
müsste ich nur noch, dass der Hausarzt, der einen solchen Patienten 
kennt, das Recht und die Pflicht hat, das benötigte Morphium zt» 
verschreiben. 


Ueber einen neuen antagonistischen Reflex. 

Von 

Dr. med. et phil. A. Piotrowski, 

Nervenarzt in Charlottenburg. 

In Nr. 51, 1912, dieser Wochenschrift beschrieb ich ein 
Unterschenkelphänomen, welches darin besteht, dass nach Per- 
kussion des M. tibialis anterior, etwas unterhalb seiner Ursprungs¬ 
stelle (zwischen der Tuberositas tibiae und dem Capitulon» 
fibulae), eine reflektorische Dorsalflexion und Supination de» 
Fasses erfolgt; ich nannte diese Erscheinung Anticusreflex. 

Der Anticusreflex kommt bei Gesunden nicht häufig vor, da¬ 
gegen ist er oft anzutreffen bei Individuen mit allgemeiner Hyper- 
reflexie. 

Seine Bedeutung liegt darin, dass er bei Personen mit orga¬ 
nischen Läsionen des Centralnervensystems, insbesondere ber 
solchen mit spastischem Symptomenkomplex, aber auch bei an¬ 
deren, durch verändertes Verhalten — excessive Stärke, asym¬ 
metrischer Intensitätsgrad, einseitiges Auftreten — auffällt und 
infolgedessen als patbognomonisches Zeichen verwertet werdet» 
kann. 

Meine diesbezüglichen Nachuntersuchungen haben die bis¬ 
herigen Erfahrungen bestätigt und mir gleichzeitig ein andere» 
Phänomen offenbart. 

Bei Perkussion des entspannten M. tibialis anterior, zwischen 
der Tuberositas tibiae und dem Capitulum fibulae, beobachtet 
man in manchen Fällen anstatt der erwarteten Dorsalflexion und 
Supination des Fasses, wie dies beim Anticusreflex gewöhnlich 
der Fall ist, eine ganz andere, eigenartige Reaktion, nämlich eine 
kräftige Plantarfiexion des Fusses, einen Effekt, wie er nur dem 
Achillessehnenreflex eigen ist. Tatsächlich siebt man auch eine 
deutliche Kontraktion des Gastrocnemius. Anstatt des M. tibialis 
anterior kontrahiert sich dessen Antagonist und bewirkt jene, 
dem Anticusreflex durchaus konträre Reaktion. Man kann die 
Wirkung verstärken, indem man den Fuss ein wenig passiv 
dorsal flektiert und dann den M. tibialis anterior perkutiert. 

Das Phänomen kommt bei Gesunden nicht vor, auch nicht 
bei Nervösen oder anderen Kranken mit Hyperreflexie; es ist nur 
bei Individuen mit spastischen Erkrankungen vorhanden. Da¬ 
durch unterscheidet es sich vom Anticusreflex, welcher a priori 
kein pathologisches Symptom ist, sondern erst infolge abnormer 
Aenderung seines Charakters diagnostisches Kriterium wird. 
Demgegenüber ist jener Reflex von vornherein pathologisch, und 
seine Existenz weist mit Bestimmtheit auf ein organisches Nerven¬ 
leiden bin. Mitunter beobachtet man, dass beide Reflexe neben¬ 
einander bestehen; derselbe Reiz ruft das eine Mal den Anticus¬ 
reflex, das andere Mal, besonders bei erhöhter Intensität, die 
Plantarflexion des Fusses hervor. Diese durchaus pathologische 
Reaktion steht auf derselben Stufe wie Babinski, Rossolimo, 
Oppenheim, Mendel - Bechterew, Schaefer usw. 

Mit dem von Schaefer im Jahre 1899 beschriebenen Reflex 
— Streckung der Zehen bei seitlicher Kompression der Achilles¬ 
sehne mit den Fingern in Fällen von Hemiplegie und ähnlichen 
Affektionen des Centralorgans — ist er verwandt; auch er ist 
wie jener ein antagonistischer Reflex 1 ). 


1) Ebenso das Wadeuphänomen. 


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21. April 1913. 


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Uoter 19 Patienten mit organischen Erkrankungen des Central- 
cervensystems — Sclerosis multiplex (5), Myelitis, Wirbelerkran¬ 
kung, cerebrale Kinderlähmung, Lues cerebrospinalis, Hemiplegia 
luetica, Paralysis progressiva, Taboparalyse, spinale Muskel¬ 
atrophie, Apoplexie (2), Tabes dorsalis (4) — war das Symptom 
6 mal vorhanden, und zwar bei Sclerosis multiplex (4), Myelitis 
und Wirbelerkrankung, also in Fällen mit spastischen Erschei¬ 
nungen. Zweimal war das Phänomen mit dem Anticusreflex ver¬ 
gesellschaftet; es trat bei stärkerer Reizung des M. tibialis anterior 
in die Erscheinung. 

Zur Illustrierung des Gesagten lasse ich die entsprechenden 
Krankengeschichten in extenso folgen. 

1. Hermann E., 81 Jahre alt, Schuhmacher, Sohn eines Potators, 
litt als Kind an Enuresis nocturna; keine luetische Infektion; seit zehn 
Jahren an Sclerosis multiplex leidend; in letzter Zeit Verschlimmerung 
des Zustandes. Objektiv sind folgende Krankheitszeicben wahrzunehmen': 
Patellarreflex rechts > links: Patellarclonus rechts +; Fussclonus 
rechts -f-, links +; Mendel-Bechterew rechts +; Babinski rechts -f-, 
schwach; Bauchdeckenreflex links gesteigert, rechts unten erloschen; 
Romberg + ; Händedruck links > rechts; Armreflexe rechts > links; 
Hypertonie, Schwäche, Koordinationsstörungen im rechten Bein; Sensi¬ 
bilität links für alle Qualitäten herabgesetzt; Hyperästhesie rechts. 

Bei Perkussion der Mm. tibial. ant. erfolgt Plantar¬ 
flexion des Fusses rechts. 

2. Otto Sch., 22 Jahre alt, Kaufmann, Sclerosis multiplex. Seit 
einigen Jahren unsicherer Gang; Schwere und Steifheit in den Beinen. 

Objektiv bestehen folgende Symptome: Horizontalnystagmus, 
Intentionstremor, Romberg, Hyperreflexie, Spasmen an den Unter¬ 
extremitäten, Fussclonus, spastisch-paretischer Gang, Babinski rechts. 

Bei Beklopfen des M. tibialis anterior sieht man eine 
Plantarflexion des Fusses beiderseits. 

3. Martha K., 22 Jahre, Putzmacherin, Sclerosis multiplex. Pat. 
leidet an Ohnmachtsanfällen mit Bewusstseinsverlust; seit 10 Wochen 
hat sie quälende Kopfschmerzen, Ohrensausen links, Aengstlichkeit, 
Schmerzen im linken Knie. Das Treppensteigen falle ihr schwer; sie 
habe an den Unterschenkeln das Gefühl von Ameisenlaufen. Bei 
seelischen Emotionen lasse sie unwillkürlich Urin unter sich. Sie fühle 
eich matt, die Sprache ist verlangsamt, die Beine seien steif und 
schwer. 

Objektiv ist Folgendes wabrzunehmen. 

Horizontaler Nystagmus, Hyperreflexie an den Unterextremitäten, 
Rosenbach’sches Symptom. 

Bei Beklopfen des M. tibialis anterior erfolgt Plantar¬ 
flexion des Fusses links. 

4. Fr. W., 40 Jahre alt, Kaufmannsfrau. Sclerosis multiplex. Seit 
etwa einem Jahre könne sie nicht gehen; die Beine versagen ihr den 
Dienst. 

Objektiv bestehen folgende Symptome; Spastisch-paretischer Gang, 
besonders rechts Hypertonie und motorische Schwäche, Babinski und 
Rossolimo, Romberg, Intentiontremor. 

Bei Beklopfen des M. tibial. ant. erfolgt links Anticus¬ 
reflex, rechts Plantarflexion des Fusses. 

5. Kurt Sch., 33 Jahre alt, Monteur. Myelitis. 

Nicht belastet, früher gesund. Mit 19 Jahren Gonorrhöe. Militärzeit 
Absolviert. Keine luetische Infektion. Massiger Trinker, starker Raucher. 
Beit zwei Jahren leidend. Plötzlicher Beginn der Krankheit mit Urin- 
und Stuhlverhaltung. 

Die Beine wurden schwer, steif, schwach; auf einmal Zusammen¬ 
bruch. Lähmung und Gefühllosigkeit der Unterextremitäten. Gürtel¬ 
förmig ausgebreitete Schmerzhaftigkeit des Leibes. Nach achtwöchiger 
Bettruhe langsame Besserung und Beweglichkeit der Beine. Seit drei¬ 
viertel Jahren Hyperästhesie derselben. 

Objektiv ist zu Anden: Hypertonie, Hyperreflexie, Hyperästhesie au 
den Unterextremitäten, Patellar-, Fussclonus beiderseits, Babinski, Rosso¬ 
limo, Mendel-Bechterew, Oppenheim beiderseits, Anticusreflex 1 > r. 

Bei stärkerem Beklopfen des M. tibialis anterior Plantar¬ 
flexion des Fusses beiderseits. 

6. Arthur Sch., 27 Jahre alt, Techniker. Wirbelerkrankung. Nicht 
belastet. Wegen Armbruch nicht Soldat gewesen. Früher gesund; 
zweimal Gonorrhöe gehabt. Keine Lues. Seit sechs Wochen Schmerzen 
im Rücken, in der Wirbelsäule, besonders bei Bewegungen des Rumpfes 
und der Arme; ausserdom Schmerzen im linken Knie und in der 
rechten Hacke. 

Objektiv bietet der Kranke folgendes Bild: Mittelgross', mager, 
blass. Druokempfindlichkeit in der Gegend des vierten Dorsalwirbels. 
Hyperreflexie der Unterextremitäten. Antiousreflex 1. > r. 

Bei stärkerem Beklopfen des M. tibialis anterior erfolgt 
Plantarflexion des B'usses links. 

Der Fall 1 präsentiert sich in der Form des Brown-Söquard- 
echen Symptomenkomplexes. Nr. 2 ist eine vorgeschrittene 
multiple Sklerose. Nr. 3 befindet sich im Anfangsstadium der 
Entwicklung und ist deshalb interessant, weil das einseitige Vor¬ 
handensein der antagonistischen Plantarflexion den einzigen 
pathologischen Reflex an den Unterextremitäten darstellt. 


Babinski, Oppenheim, Rossolimo, Mendel-Bechterew, Schaefer 
usw. fehlen. Der Fall demonstriert deutlich, dass das Phänomen 
mitunter für die neurologische Diagnostik als Frühsymptom 
Geltung haben kann. Bei den Fällen 5 und 6 sind Anticusreflex 
und Plantarflexion des Fusses bei Reizung des M. tibial. ant. 
nebeneinander vorhanden. 

Das Zustandekommen der antagonistischen Plantarflexion des 
Fusses erklärt sich dadurch, dass bei Unterbrechung des Reflex¬ 
bogens im spinalen Schaltstück (4. bzw. 5. Lumbalsegment) oder 
im motorischen Abschnitt desselben der peripher applizierte Reiz 
die Lumbalregion verlässt und vermittelst Collateralscbaltungen 
auf die Sacralsegmente überspringt, von hier auf andere, 
motorische Bahnen übergeht und den antagonistischen Effekt be¬ 
wirkt. In denjenigen Fällen, wo dieser Effekt gleichzeitig neben 
dem Anticusreflex besteht, handelt es sich offenbar um Ausschal¬ 
tung der cerebralen Einflüsse. Infolge deren Ausbleiben wird der 
ordnungsmässige Ablauf des Reflexes gestört; der peripher appli¬ 
zierte Reiz gerät auf Abwege und ruft an Stelle der typischen 
Reaktion eine völlig entgegengesetzte Wirkung, nämlich eine 
Plantarflexion des Fusses hervor, die sonst nur bei Gesunden 
durch Perkussion der Achillessehne zu erzielen ist. Die 
antagonistische Plantarflexion zeigt ebenso wie der Schaefer’sche 
Reflex 1 ), dass zwischen der Innervation der antagonistischen 
Muskeln in der intraspinalen Sphäre enge Beziehungen be¬ 
stehen. 

Erwähnenswert ist noch eine andere Erscheinung, auf die 
ich bei meinen Untersuchungen gestossen bin. Ich sali nämlich 
in zwei Fällen an Stelle des Anticusreflexes nicht eine Plantar¬ 
flexion des Fusses, sondern eine solche der Zehen, ähnlich wie 
beim Rossolimoreflex. 

Der eine Fall betraf ein junges, gesundes Mädchen, bei dem 
keine Zeichen einer organischen Erkrankung des Centralnerven¬ 
systems zu konstatieren waren; die Plantarflexion der Zehen, 
vergesellschaftet mit einer Adduktion des Hallux, trat symmetrisch 
auf, d. h. an beiden Füssen gleichmässig und gleichartig. Die 
physiologischen Reflexe waren in normalen Grenzen auszulösen. 

Der andere Fall betraf den oben erwähnten Patienten mit 
Myelitis. Hier bestand blosse Piantarflexion der Zehen ohne 
Adduktion des Hallux, und zwar nur einseitig, nämlich links. 
Ob die Erscheinung im ersten Falle eine abnorme war, lässt sich 
bei dem im übrigen durchaus negativen Befund nicht mit Be¬ 
stimmtheit sagen; wohl aber darf das Phänomen im zweiten Falle 
den Umständen gemäss als ein krankhaftes Symptom, als ein 
pathologischer Reflex neben den anderen anfgefasst werden. 

Das Resümee obiger Ausführungen ist folgendes: 

Bei Perkussion des Musculus tibialis anterior beobachtet man 
entweder 

1. eine reflektorische Dorsalflexion und Supination des Fusses 
(Anticusreflex) oder 

2. eine reflektorische Plantarflexion des Fusses (antagonistischer 
Plantarreflex) oder 

3. eine reflektorische Plantarflexion der Zehen (antagonistischer 
Zehenreflex). 

Der Anticusreflex ist bei Gesunden inkonstant und a priori 
kein pathologischer Reflex. Erst durch Charakteränderung wird 
er ein pathognomonisches Zeichen und ist dann bei organischen 
Erkrankungen des Centralnervensystems anzutreffen. 

Der antagonistische Plantarreflex kommt bei Gesunden nicht 
vor; er ist a priori pathologischer Natur; seine Existenz deutet 
auf Organerkrankung des Nervensystems hio. Auch der anta¬ 
gonistische Zehenreflex scheint ein pathologischer Reflex zu sein. 

Alle drei Phänomene sind verschiedene Aeusserungen oder 
Folgeerscheinungen eines und desselben Reizes; sie bilden ein 
Gegenstück zum Babinski’schen Zeichen, welches seinerseits eine 
und dieselbe Reaktion auf vier verschiedenartige Reize darstellt. 
Denn Babinski wird bervorgerufen 1. durch Bestreichen der Fuss- 
sohle (Babinski), 2. durch Bestreichen der medialen Fläche des 
Unterschenkels mit der Pulpa des Daumens im kräftigen Zuge 
(Oppenheim), 3. durch kräftigen Druck mit der Daumenkuppe 
gegen die Innenkante der Tibia, etwa an der Grenze zwischen 
dem mittleren und unteren Drittel (Oppenheim-Druck) und 
schliesslich 4. durch raschen, energischen Druck in das Fuss- 
gewölbe unterhalb des Grosszehenballens (Babinski - Druck¬ 
phänomen). 

Wie die Perkussion des Musculus tibialis anterior das eine 
Mal den Anticusreflex, das andere Mal den antagonistischen 


1) Und das Wadenph&nomen. 

8 * 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


Plantarreflex oder Zebeureflex auslöst, so wird umgekehrt das 
Babinski-Pbänomen das eine Mal durch Bestreichen der Fusssohle, 
das andere Mal durch Bestreichen des Unterschenkels oder durch 
Druck auf denselben oder auf die Sohle hervorgerufen. Dort 
verursacht der gleiche Reiz drei verschiedene Wirkungen, hier 
erfolgt die gleiche Reaktion auf vier verschiedene Reize. 

Obgleich diese Erscheinungen durch ein gemeinsames Merk¬ 
mal, sei es durch den gleichen Reiz oder durch dieselbe Art des 
Effektes untereinander eng verbunden zu sein scheinen, so sind 
sie in Wirklichkeit voneinander ganz verschiedene Phänomene, 
jedes für sich ein selbständiger Reflex. Je nach dem Grade oder 
Sitz des einer Krankheit zugrunde liegenden pathologischen Pro¬ 
zesses können sie entweder nebeneinander zu gleicher Zeit auf* 
treten oder isoliert, d. h. es lässt sich nur das eine oder das 
andere Zeichen bervorrufen; daher verdienen alle die Reflexe 
gleichmässig kultiviert zu werden; bei der vollständigen Unter¬ 
suchung muss nach jedem von ihnen gefahudet werden, damit 
eine Frühdiagnose möglich werde. Das gilt von allen Reflexen, 
die infolge ihres besonderen Charakters pathognomonische Be¬ 
deutung haben. 

Man darf sich nicht mit dem Babinski-Zeicben allein be¬ 
gnügen, und wenn dasselbe fehlt, nun eine organische Erkrankung 
ausschliessen, denn häufig ist ein anderes der genannten Phäno¬ 
mene vorhanden und Babinski nicht. Bei Fall 3 dieser Abhand¬ 
lung z. B. ist nur der antagonistische Plantarreflex da, kein 
Babinski, kein Oppenheim, kein Mendel-Bechterew, kein Rosso- 
lirao usw.; seine Existenz ermöglichte in diesem Falle die Er¬ 
kennung des organischen Leidens. Damit ist sein diagnostischer 
Wert erwiesen. 

Zum Schluss spreche ich dem Herrn Prof. Dr. Georg 
Klemperer meinen verbindlichsten Dank aus für die gütige 
Erlaubnis, an seinen Kranken die beschriebenen Phänomene stu¬ 
dieren zu dürfen. 


Aus der Hautkrankenstation der medizinischen Klinik 
zu Marburg (Leitender Arzt: Prof. Dr. Hübner). 

Ueber die accessorischen Gänge am Penis und 
ihre gonorrhoische Erkrankung. 

Von 

Prof. Dr. Hübler. 

Wie sehr die Syphilisforscbung der letzten Jahre die Blicke 
der Autoren auf sich hingelenkt hat, erkennt man vielleicht am 
besten aus der Tatsache, dass ein Thema, ich meine das der 
accessorischen Gänge am Penis und ihre gonorrhoische Erkrankung, 
das. früher zu den meistdebattierten gehörte, seit 1905, dem Jahre 
der Entdeckung der Spirochaete pallida, kaum noch eine Be¬ 
arbeitung gefunden hat. Schon aus diesem Grunde glaube ich 
berechtigt zu sein, zwei Beobachtungen mitzuteilen, die ich kurz 
nacheinander hier machen konnte. 

In dem ersten Falle handelte es sich um einen 25jährigen Schneider, 
der wegen eines harten Schankers an der hypospadiseben Uretbral- 
mündung auf meine Abteilung aufgenommen wurde. In der Mitte der 
Glans penis befand sich eine normal grosse Fossa navicularis, die, wie 
man beim Auseinanderziehen der beiden Seiten sehen konnte, von dem¬ 
selben verhornten Epithel ausgekleidet war wie die Oberfläche der 
Eichel. Von dem Grunde der Grube führte ein feiner Gang io die Tiefe, 
in den man mit einem dünnen Uretherenkatheter etwa 9 mm weit 
hineindringen konnte. Die eigentliche Urethralmündung war nach hinten 
verlagert, an die Stelle, wo normalerweise das hier fehlende Frenulum 
sitzt. Die vordere Wand der Urethra setzte sich bis über die Mitte der 
Glans hin als eine flache, von weichem Schleimhautepithel ausgekleidete 
Grube fort. In der letzteren fällt eine in der Medianlinie gelegene 
punktförmige Oeffnung auf, in die ein dünner Uretherenkatheter 4 mm 
weit hineingeführt werden kann. Es zeigt sich bei diesem Versuch, 
dasä der Gang fast parallel zur Urethra unter der Schleimhaut in der 
genannten Länge dahinläuft. Ausser dem vorhergenannten Primäraffekt 
bestand bei dem Patienten seit mehreren Monaten eine chronische 
Gonorrhöe mit positivem Gonokökkenbefund. Aus dem eben be¬ 
schriebenen Gange konnte jedoch kein Sekret herausgedrückt werden; 
seine Umgebung zeigte auch keine entzündlichen Veränderungen. Die 
Ezcision des Ganges konnte wegen seiner Lage in der Nähe des Corpus 
cavernosum glandis leider nicht in Frage kommen. 

Den zweiten Patienten, einen 20jährigen Studenten, hatte ich be¬ 
reits vor einem halbeh Jahre zum ersten Male gesehen. Er kam damals 
wegen einer schmerzhaften, eiternden Anschwellung an der Rückseite 
des Penis zu mir. An der bezeichneten Stelle sah man, etwa 3 cm 
vom äusseren Präputialrande entfernt, eine etwa erbsengrosse, stark ent- I 


zündlich gerötete Vorwölbung der Haut, die auf ihrer Kuppe eine feine 
Oeffnung trug, aus welcher sich auf Druck Eiter entleerte. Nach der 
dem Präputialrande zugekehrten Seite setzte sich die Anschwellung 
wurstförmig etwa in einer Läoge von 2 cm fort und verlor sich dort 
mit unscharfer Grenze im Gesunden. Da in dem exprimierten Eiter 
zahlreiche typisch intracellulär gelagerte Gonokokken gefunden werdep 
konnten, war die Affektion als ein gonorrhoisch infizierter Gang in der 
äusseren Haut des Penis zu diagnostizieren. 

Der Patient konnte sich damals noch nicht entschliessen, meinem 
Rate zu folgen und sich den Gang exstirpieren zu lassen. Er versuchte 
— natürlich vergeblich — durch Borwasserumschläge die Entzündung 
zu bekämpfen und kam erst ein halbes Jahr später wieder. Die Ent¬ 
zündung bestand noch in derselben Weise fort, nur war die Oeffnung, 
aus der sich der noch immer gonokokkenhaltige Eiter ausdrücken liess, 
etwas grösser geworden; die Harnröhre war während der ganzen sechs 
Monate uninfiziert geblieben. Jetzt willigte der Patient in die Ex¬ 
stirpation ein, die unter Lokalanästhesie ausgeführt wurde. Der Gang 
wurde in toto entfernt, die 3Vz cm laDge Wunde heilte per primam. 

Bei der mikroskopischen Untersuchung des Präparates, die Herr 
Privatdozent Dr. Berblinger im hiesigen pathologisch-anatomischen 
Institut ausführte, zeigte es sich, dass der Gang von der Raphe des 
Penis seinen Ausgang nahm und, von dieser in spitzem Winkel sich ab¬ 
zweigend, unter der Haut weiterlief. Die entzündliche Leukocyten- 
infiltration des Bindegewebes begann bereits unter der Raphe, ging also 
beträchtlich über den eigentlichen Gang hinaus. Deshalb ergab sich das 
folgende Bild von den ersten, den Gang noch nicht treffenden Schnitten: 
Mehrschichtiges Epithel mit deutlich pigmentiertem Stratum germinativum 
grenzt beiderseits an ein schmäleres Epithel mit vorwiegend isodiametri¬ 
schen Zellen. Die mittlere Epithelschicht (i. e. die Raphe penis) zeigt 
eine starke Ausbildung der Epithelsprossen in die Tiefe, ist aber überall 
gegen das Corium hin scharf abgegrenzt. In dem letzteren finden sich 
zahlreiche Lymphocyten, Plasmazellen und spärliche polynucleäre Leuko- 
cyten. Letztere durchsetzen in grosser Zahl den verbreiterten Epithel¬ 
bezirk. Die entzündliche Infiltration im Corium reicht nicht sehr tief 
und beschränkt sich im Corium auf die perivasculären Zonen. Gono¬ 
kokken wurden in diesen ersten Schnitten nicht gefunden. Erst in 
weiteren Schnitten — der Gang war ja ganz im Gesunden exstirpiert — 
sah man, dass ein feiner Spalt sich in das verdickte Epithel (die Raphe) 
einsenkte, bald ganz von ihm umschlossen wurde und dann in das 
Corium eindrang. Dort verlief er als ein von mehrschichtigem, in den 
oberen Schichten verhornendem Epithel ausgekleideter Gang, der von 
einer starken zelligen Infiltration umgeben war. Hier fanden sich auf 
der Oberfläche und zwischen den oberen Lagen der Pflasterzellen sowohl 
freie wie in Eiterzellen typisch gelagerte Gonokokken. 

Dieser histologische Befund beweist zunächst auf den ersten 
Blick, dass es sich bei diesen Gebilden nicht um Fisteln handelt, 
wie Le Fort 1 ) und Wallerstein 2 ) sie nennen. Es sind viel¬ 
mehr präformierte, mit Epithel ausgekleidete Gänge, die man am 
besten, da normalerweise die Urethra der einzige Gang am Penis 
ist, als „accessorische“ zu bezeichnen bat. 

Diese Gänge sind an der Mündung der weiblichen Harnröhre 
viel früher gefunden worden als an der männlichen. An ersterer 
sind sie zuerst im Jahre 1864 von Guerin beschrieben worden, 
der auch ihre Wichtigkeit für den Ablauf der Gonorrhöe eikannte 
und den Namen „Urethritis externa“ für ihre gonorrhoische Er¬ 
krankung prägte. Einem schwedischen Autor, Oedmansson 8 ) 
verdanken wir die Kenntnis entsprechender Gebilde an der männ¬ 
lichen Urethra. Er fand sie bei 10 Patienten, 3 mal beiderseitig, 

7 mal einseitig. Ausserdem sah er in 6 Fällen feine Gänge 
zwischen den beiden Blättern des Präputium, die an der Innen¬ 
fläche desselben mit feiner Oeffnung mündeten. Oedmansson 
sah diese letzteren Gänge als dilatierte Lympbgefässe an, die 
nach aussen durchgebrocben seien. 

In Deutschland ist erst im Jahre 1889 durch Touton*) die 
Aufmerksamkeit auf diese Gänge am Penis gelenkt worden. Er 
beschrieb zwei Fälle. Als Folliculitis prae.putiali* gonorrhoica be- 
xeichnete er eine 7 bis 8 mm lange, drüsenähnliche, mit oinem 
spaltförmigen Lumen versehene und von geschichtetem Pflister- 
epitbel ausgekleidete Einsenkung, die aussen am Präputium als 
eine erbsengrosse, scharf vorspringende, entzündliche Geschwulst 
sichtbar war. Touton fasst dieses Gebilde als eine versprengte 
Tyson’sche Drüse auf, die ja auch im eigentlichen Sinne nur Ein¬ 
senkungen der äusseren Haut sind Im zweiten Falle Touton s 
lag die Mündung eines kleinen, etwa 5 mm langen Ganges einige 
Millimeter von dem Orificium urethrae entfernt auf der Glans 
penis. 

Touton’s Mitteilung hatte eine grosse Anzahl casuistisrher 
Beiträge in der deutschen Literatur zur Folge. Der für die 


1) Annales des malad, des org. gönito-urin., 1896. 

2) Dissertation Strassburg. 

3) Nord. med. Ark., 1885, Bd. 17. 

4) Archviv f. D., 1889, Bd. 21. 


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21. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


729 


Weiterbildung unserer Kenntnisse von diesen Gebilden wichtigste 
ist anstreitig der von Jadassohn 1 ). Er fugt den bis dahin be¬ 
kannten beiden Gruppen von Gängen am Penis — im Präputium 
und am Orificium urethrae — noch eine dritte hinzu, die er nicht 
benennt, aber beschreibt: die Gänge in der äusseren Haut des 
Penis in der Raphe. 

Das Jahr 1897 bringt dann eine bedeutsame Arbeit von 
Rona 2 3 ) aus der Ebrmann’schen Poliklinik, in der an der Hand 
der bisher in der Literatur niedergelegten und sieben weiterer 
eigenen Beobachtungen ein Versuch der Erklärung der Genese 
und eine neue Einteilung dieser Gebilde gegeben wird. 

Rona unterscheidet 1. solche Gänge, die an den Rändern 
der Urethra bzw. am Orificium ausmfinden. 2. Gänge bei 
Hypospadie. 3. Die präputialen Paraurethralgänge. 4. Präputiale 
Hautgänge. 5. Paraurethrale Gänge im Frenularkörper und 
6. solche, an der Hinterfläche des Penis in der Raphe oder schräg 
über diese verlaufend. 

Bei der Erklärung der Genese dieser Gänge geht Rona von 
der Entwicklungsgeschichte des männlichen Genitales aus. Er 
macht dabei folgende Ausführungen: Die Harnröhre bildet sich 
im vierten Monat durch Schluss einer vofher angelegten Rinne. 
Die Raphe am Scrotum und Penis und das Frenulum zeigen den 
Verlauf dieses Verschlusses an Störungen bei der Bildung dieses 
Verschlusses in Form von sekundären Leisten der Schleimhaut, 
die ebenfalls mit ihren Rändern verwachsen, geben dann die 
Veranlassung zu der Entstehung dieser accessorischen Gänge. 
Die später zwischen Urethra und Haut sich einschiebenden Cor¬ 
pora cavernosa drängen diese Gänge eventuell weit von der 
Urethra ab bis unter die Haut. 

Rona’s vom Standpunkt des Klinikers aus gewonnene Ein¬ 
teilung der Gänge steht eine andere, vom Standpunkt des Anatomen 
gegenüber, die von Paschkis 8 ) aus dem Weichselbaum’schen 
anatomischen Institut in Wien herrührt. Paschkis unterscheidet 

1. Crypten, das sind Einsenkungen der äusseren Haut von mehr 
oder weniger beträchtlicher Tiefe, die bis an ihr Ende von 
typischen Hautepithel samt Hornschicht bekleidet sind. 2. Irregu¬ 
läre Talgdrüsen, deren Ausführungsgänge ohne Vermittelung von 
Haaren an der Oberfläche frei enden. 3. Paraurethrale Gänge 
sensu strictori. Gänge mit geschichtetem Pflasterepithel oder mit 
Uebergangsepithel bekleidet, zum Teil mit Drüsen, aber so¬ 
wohl entwicklungsgeschichtlich als histologisch zur Urethra 
gehörig. 

In den zahlreichen Arbeiten über diesen Gegenstand, die im 
Laufe der Jahre erschienen waren, hatte sich mehr und mehr 
eine Verwirrung in der Nomenclatur geltend gemacht, indem alle 
überzähligen Gänge am Penis, nicht logischerweise nur die mit 
der Urethra in Beziehung stehenden, als „paraurethrale** bezeichnet 
wurden. Es ist ein Verdienst von Stieda 4 ) mit seiner Arbeit 
hierin Ordnung und Klarheit gebracht zu haben. Stieda ordnet 
die Gebilde in folgende Gruppen: 1. Ductus parurethrales (so 
schreibt er richtig an Stelle des gebräuchlichen paranrethralis). 

2. Ductos präputiales, zwischen den Blättern des Präputium ver¬ 
laufend. 3. Ductus dorsales, am Rücken des Penis. 4. Ductus 
cutanei an der Unterfläche, in der Raphe des Penis. 

Hinsichtlich der Genese der Gänge schliesst sich Stieda im 
allgemeinen Rona an. Nur in betreff der Hautgänge in der 
Raphe entfernt er sich etwas von der Rona’schen Auffassung. 
Er schreibt darüber: „Die Raphe, die sich durch Schluss der 
Genitalrinne gebildet bat, ist nicht glatt, sondern hat Leisten. 
Die Leisten und die zwischen den Leisten befindlichen, von den 
Leisten umschlossenen Rinnen sind es, die meiner Ansicht nach 
zur Entstehung der subcutanen Ductus Veranlassung geben, indem 
die Ränder der Leisten in einer unbestimmten Ausdehnung ver¬ 
wachsen und dadurch den Gang bilden. 1 * Selbstverständlich muss 
ein solcher Gang mit dem Epithel ausgekleidet sein, das der 
äusseren Haut entspricht. 

Diese Anschauung Stieda’s wird durch unseren mikro¬ 
skopischen Befand durchaus bestätigt: Wir sahen in den ersten 
Schnitten in der Mitte des Präparates das verdickte Epithel der 
Raphe, wir konnten in späteren Schnitten direkt verfolgen, wie 
sich aus den stark entwickelten Epithelsprossen, die von der 
Raphe in die Tiefe zogen, der Gang entwickelte, sich bald ganz 
vom Epithel abzweigte und in die Tiefe drang. 


1) Vierter Congress der Deutschen Dermatol. Ges., 1894. 

2) Archiv f. Dermatol., 1897, Bd. 89. 

3) Archiv f. Dermatol., 1902, Bd. 60. 

4) Archiv f. klin. Chirurgie, 1905, Bd. 77. 


Interessant war es nun, dass wir im Gegensatz zu Stieda, 
diesen Gang im Zustande der gonorrhoischen Entzündung unter¬ 
suchen konnten. Er war, wie schon vorher gesagt, entsprechend 
seiner Genese mit verhornendem Plattenepithel ausgekleidet. 
Dieses hielt man früher auf Grund der Anschauungen von 
Bumm 1 ) und Jadassohn für unzugänglich für den Gonococcus. 
Bumm bat die Möglichkeit der Infizierung dieses Epithels durch 
den Gonococcus geradezu geleugnet. Wo er es an gonorrhoisch 
erkrankten Schleimhäuten fand, erklärte er sein Vorkommen als 
das Produkt einer Metaplasie des Epithels unter dem Einfluss 
der gonorrhoischen Entzündung. Weiterhin, so führte Cohn 2 ) 
in einer aus der Jadassohn’schen Klinik stammenden Arbeit 
aus, verwandelt sich dies Plattenepitbel wieder in Cylinderepithel 
zurück, und dies sei dann immun gegen die Gonokokken. Warum 
aber einzelne Herde von Plattenepithel auf gonorrhoisch er¬ 
krankten Schleimhäuten so oft Zurückbleiben und eine Brutstätte 
für die Gonokokken bilden, das musste für Cohn bei dieser Auf¬ 
fassung der Wirkung der gonorrhoischen Entzündung auf das 
Epithel natürlich ein Rätsel bleiben. 

Ich habe in einer Arbeit 8 ), deren Ergebnissen meines Wissens 
bisher noch nicht widersprochen ist, schon vor mehreren Jahren 
ausgeführt, dass die Annahme einer doppelten Metaplasie des 
Cylinderepithels unter dem Einflüsse der gonorrhoischen Ent¬ 
zündung zum mindesten unnötig geworden ist, seitdem wir durch 
Cederkreuz’ 4 ) Untersuchungen, die ich durch die meinigen be¬ 
stätigen konnte, wissen, dass in der männlichen Urethra gar nicht 
selten grössere oder kleinere eingesprengte Inseln von Platten¬ 
epitbel schon normalerweise Vorkommen. Diese bilden, wie ich 
dort ausgeführt habe, im Falle einer gonorrhoischen Infektion für 
den Gonococcus zunächst freilich bei seinem Vordringen in die 
Tiefe des Epithels ein Hindernis; hat er sich aber erst einmal 
zwischen den eng miteinander verzahnten Pflasterzellen festgesetzt, 
so findet er gerade dort durch letztere einen starken Schutz vor 
der Einwirkung der Medikamente usw. Durch diese Annahme 
wird die Tatsache, dass wir die Gonokokken gerade immer im 
Plattenepithel zu finden gewohnt sind — die Cohn bei der 
Untersuchung seines parurethralen Ganges so sehr auffiel — 
meiner Ansicht nach viel zwangloser erklärt, als durch die Hypo¬ 
these einer doppelten Epithelmetaplasie. 

Die Ductus cutanei penis enthalten nun zweifellos primär 
Plattenepithel (Paschkis u. a.), und dies ist in unserem Falle 
mit gonokokkenbaltigen Eiterzellen durchsetzt, von einem ent¬ 
zündlichen Infiltrate umgeben, also gonorrhoisch infiziert. Ja, es 
geht diese Entzündung, wie die ersten Schnitte des Präparates 
deutlich sehen liessen, noch über die Umgebung des eigentlichen 
Ganges hinaus und war schon nnter der Raphe — und zwar nur 
unter dem verdickten Epithel der letzteren, nicht unter dem der 
benachbarten Haut — deutlich nachweisbar. Wir können hier 
fast von einer gonorrhoischen Entzündung der äusseren Haut 
sprechen. 

In klinischer Hinsicht ist vielleicht noch darauf aufmerksam 
zu machen, dass die Gonorrhöe des accessorischen Ganges am 
Penis im zweiten Falle mindestens ein halbes Jahr bestehen 
konnte, ohne zu einer Infektion der Urethra zu führen, während 
paradoxerweise im ersten Falle die schon lange bestehende 
Gonorrhöe nicht zu einer Miterkrankung des in die Fossa navi- 
cularis einmündenden Ganges geführt hatte. 


Neue Operation zur Sterilisierung des Weibes 
mit Möglichkeit der späteren Wiederherstellung 
der Fruchtbarkeit. 

Von 

Dr. Blomberg-Berlin. 

(Nach einem in der Berliner medizinischen Gesellschaft am 26. Februar 1913 
gehaltenen Vortrag.) 

M. H.! Ich möchte mir erlauben, Ihnen eine Operations¬ 
methode zu demonstrieren, die ich bisher in sechs Fällen an¬ 
gewendet habe. 

Die Frage der Einleitung des künstlichen Abortes in ge- 


1) Veit’s Handbuch der Gynäkologie, 1897, Bd. 1. 

2) Deutsche med. Wochenschr., 1907, Nr. 1. 

8) Frankfurter Zeitschr. f. Pathol., 1909, Bd. 2, H. 4. 
4) Archiv f. Dermatol., 1906, Bd. 79. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


wissen Fällen]} von Tuberkulose, Herzfehlern, psychischen Er¬ 
krankungen oder sonstigen Fällen, in denen eine Schwanger¬ 
schaft mit besonderen Gefahren verbunden ist, ist im 
letzten Jahrzehnt viel diskutiert worden, und die Entscheidung ist 
im positiven Sinne gefallen. Noch viel übereinstimmender sind 
die Ansichten über die Notwendigkeit der künstlichen Sterili¬ 
sierung solcher Frauen, damit sie erst gar nicht den bei ihnen 
besonders grossen Gefahren einer Schwangerschaft ausgesetzt 
werden. 

Der Entschloss zar operativen Sterilisierung ist für den 
Operateur ein besonders schwerer und sehr verantwortungsvoller, 
wenn durch die Operation die Conceptionsfähigkeit dauernd, 
irreparabel aufgehoben bleibt. Leider besitzen wir jedoch, 
wie ich an anderer Stelle nacbgewiesen habe, kein Verfahren, 
bei welchem später mit einiger Sicherheit die Sterili¬ 
sierung wieder rückgängig gemacht werden kann. Die 
einzige konkurrierende, am Menschen angewandte Methode, näm¬ 
lich die Seil heimische, erzeugt, wie die Erfahrung gezeigt 
hat, einerseits keineswegs mit Sicherheit eine Sterilisierung, 
andererseits ist die Möglichkeit der späteren Wiederherstellung 
der Conceptionsfähigkeit durchaus zweifelhaft. Günstige 
praktische Erfahrungen darüber sind bisher nicht bekannt ge¬ 
worden. 

Ich möchte mir nun erlauben, Ihnen eine Methode zu de¬ 
monstrieren, die es ermöglicht, die Fruchtbarkeit 
später wiederherzustel.len, falls die Krankheit, derentwegen 
die Sterilisierung ausgeführt wurde, ausgeheilt ist oder sonst ein 
Grund es wünschenswert macht. Mein Plan bei der Operation 
ging dabin, das Ovarium in einer für sich völlig abge¬ 
schlossenen kleinen Tasche des Peritoneums zu lagern, 
so dass das Ovum nicht in die Tube gelangen kann, 
sondern unbefruchtet resorbiert wird. Ich erreichte 
dies dadurch, dass ich die Ala vespertilionis wie einen 
Mantel auf die Rückseite des Uterus herumklappte und 
die freien Ränder der Ala vespertilionis an die hintere 
Fläche des Uterus, also unter Belassung der Tube im 
freien Peritonealraum, mit Seidennabt lückenlos annähte; 
die Naht wird durch dieMesosalpinx bis an die Seitenkante des Uterus 
fortgeführt (siehe Figur 1). Da nun das Ovarium an der Rückseite 

Figur 1. 

Linke Tube. 


Nabt, durch die das Lig. latum 
auf der RUckwand des Uterus 
fixiert wird. (Durchscheinend 
das Ovarium.) 


Schematische Darstellung der konservativen Sterilisierungsoperation. Die 
schraffierte Stelle stellt das auf die Rückwand des Uterus herübergezogene 
Ligamentum latum sin. dar. 

des Ligamentum latum gelegen ist, kommt es auf diese Weise in eine 
allseitig abgeschlossene, von Peritoneum überzogene Tasche zu 
liegen: auf der Vorderseite die Serosa der Hinteren Uteruswand, 
auf der Rückseite die beiden Blätter des Ligamentum latum. Das 
Ovarium gelbst bleibt also frei beweglich in dieser Tasche, da 
nur die Ränder des Ligamentum latum angenäht werden (siehe 
Figur 1 und 2). (Demonstration eines Präparates, an welchem 
die Art der Anlegung der Naht gezeigt wird.) Die Operation 
muss im Normalfalle selbstverständlich rechterseits und linker¬ 
seits ausgeführt werden. 

Die eventuelle Wiederherstellung der Conceptionsfähigkeit, 
die ja erst nach einer ganzen Reihe von Jahren in Betracht 
kommen kann, würde in der Lösung der Naht und Herstellung 
des früheren Zustandes bestehen. 




Bei der Ausführung der Operation sind folgende Einzelheiten zu 
beachten: 

Die Ligamenta lata müssen gut beweglich sein bzw. gut beweg¬ 
lich gemacht werden. 

Es empfiehlt sich, einen Fadenzügel durch das Ligamentum ovarii 
temporär zu legen, um an dem Zügel das Ovarium während der Sterili¬ 
sierungsnaht in der gewünschten Lage halten zu können; sonst ent¬ 
schlüpft es leicht und müsste wieder herangeholt werden; der Zügel er¬ 
leichtert die Operation wesentlich; nach Benutzung wird er wieder 
entfernt. 

Zur Erzielung eines sicheren Abschlusses der kleinen Peritoneal¬ 
tasche, in die das Ovarium zu liegen kommt, ist eine ganz exakt 
abschliessende Naht unbedingt erforderlich. Um die Adhäsionen am 
Rande der Tasche noch fester zu machen, werde ich künftig eventuell 
die Stelle der Uterusserosa, durch welche die Sterilisierungsnaht ge¬ 
legt wird, mit etwas Jodtinktur bestreichen, jedoch nur im Be¬ 
reich der Naht selbst, nicht im Bereich des Innern der 
Tasche oder ausserhalb derselben; die Jodtinktur wird dann durch 
den Rand des Ligamentum latum gedeckt; keineswegs darf auf der 
nach der freien Peritonealhöhle zu gelegenen Fläche des Ligamentum 
latum eine Spur Jodtinktur sein wegen Gefahr von Verwachsungen der 
Därme mit dieser Stelle. Eventuell könnte auch in diesem schmälsten 
Bezirk, der Sterilisierungsnaht entsprechend, die Uterusserosa etwas 
angefrischt werden, um eine festere fibroseröse Vereinigung herzustellen. 

Um das Operationsgebiet möglichst übersichtlich zu machen, habe 
ich mir ein Speculum anfertigen lassen, über das ich eventuell später 
berichten werde. 

Die Operation kann auf vaginalem oder abdominalem Wege 
aasgeführt werden. Bisher ist es mir stets gelungen, die Sterili¬ 
sierung anf dem vaginalen Wege durchzufübren. 

Ich möchte mir nun erlauben, Ihnen die Patientin vorzu¬ 
stellen, bei der ich zum ersten Male die Operation ausgeführt 
habe und zwar vor 2 Jahren. Patientin leidet an Tuberculosis 
pulmonum. Sie ist 82 Jahre alt, erste Menses mit 16 Jahren, 
die Menses waren mittelstark und schmerzlos. Patientin hat 
8 Partus durchgemacbt, davon einmal Zwillinge geboren. Von 
den 4 Kindern ist jedoch nur eins am Leben geblieben, die 
anderen sind im Alter von 4 bis 6 Monaten gestorben, wie das 
frühzeitige Hinsterben der Kinder tuberkulöser Mütter ja so häufig 
zu beobachten ist. Am 15. XI. 1910 war ich genötigt, bei ihr 
den künstlichen Abort einzuleiten, nachdem die Indikation von 
der Kgl. Universitätspoliklinik für Lungenkranke bestätigt war. 

Die Sterilisierungsoperation führte ich bei ihr am 
28. Februar 1911 aus, und zwar auf vaginalem Wege durch 
Colpotomia anterior. Die rechten Adnexe exstirpierte ich, da das 
rechte Ovarium eine walnussgrosse Cyste aufwies; die Sterili¬ 
sierungsoperation wurde also in diesem Falle nur linkerseits aus¬ 
geführt— ich habe sie anderweitig auch doppelseitig ausgeführt. 
Die Operation sowohl als auch die Rekonvaleszenz ver¬ 
liefen glatt. Patientin wurde 18 Tage post operationem geheilt 
aus der Klinik entlassen. Es sind bei allen 6 operierten 
Fällen nach der Operation keinerlei Unterleibs- 
bescbweiden, weder während noch ausserhalb der 
Menses aufgetreten; die Menses selbst sind stets un¬ 
verändert wie vor der Operation bestehen geblieben. 
Patientin bat nach der Operation an Gewicht bis zu 8—10 Pfund 
zugenommen. Ihre Lungentuberkulose ist noch nicht geheilt, so 
dass das Gewicht der Patientin Schwankungen unterliegt. 

M. H.L Eine Sterilisierungsoperation ohne die Mög¬ 
lichkeit der Wiederherstellung der Conceptionsfähigkeit ist in 
vielen Fällen nicht angebracht, wo sie sonst indiziert wäre, 
z. B. wenn es sich um jüngere Frauen mit einer heilbaren Form 
der Tuberkulose bandelt, wenn nur ein oder wenige Rinder vor¬ 
handen sind, wo später sehr wohl noch der Wunsch nach einem 


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21. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


731 


weiteren Kinde auftreten kann, sei es, dass alle Kinder ge¬ 
storben sind oder dass die Frau eine neue Ehe eingegangen 
ist, aus der sie wieder ein Kind haben möchte, ln psychischer 
Beziehung fernerhin ist es durchaus nicht gleichgültig, wenn 
die Patientin das Bewusstsein hat, dass ihre Fruchtbarkeit un¬ 
rettbar verloren ist. Schliesslich ist aber prinzipiell ceteris 
paribus eine konservative Methode einer Opferung von Organen 
vorzuziehen. 

Ich glaube. Ihnen die Methode empfehlen zu können, 
weil an den Tuben und Ovarien selbst sozusagen nicht 
gerührt wird, sondern alles sich am Ligamentum latum 
abspielt, so dass die grösstmögliche Garantie für die 
Möglichkeit der späteren Wiederherstellung der Con- 
ceptionsfähigkeit gegeben ist. 


Aus der Königlichen Universitätspoliklinik für ortho¬ 
pädische Chirurgie zu Berlin (Direktor: Professor Dr. 
Joachimsthal). 

Ueber einen Fall von operativ behandelter 
angeborener Missbildung der unteren Ex¬ 
tremitäten. 1 ) 

Von 

Dr. Siegfried Peltesohn, I. Assistenten. 

M.H.! Ich erlaube mir, Ihnen heute ein Kind mit schweren 
kongenitalen Missbildungen der unteren Extremitäten zu demon¬ 
strieren. Der Fall ist in morphologischer und ätiologischer Be¬ 
ziehung ebenso bemerkenswert, wie in bezug auf den thera¬ 
peutischen Erfolg. 


schenke! sehen wir einen der oberen Tibiahälfte entsprechenden Knochen; 
rechterseits fehlt fast jede Ossifikation. Nur etwa in der Mitte zwischen 
Femurepiphyse und Fussansatz ist ein bohnengrosser, unregelmässiger 
Kuochenschatten erkennbar. Das Kind war imstande, sich mühsam fort¬ 
zubewegen, wobei es sich auf die konvexen Unterschenkelrudimente 
stützte. 

Es entstand die Frage, wie man der geistig regen, durch 
ihre Missbildung stark deprimierten und dem Spott anderer 
Kinder ausgesetzten kleinen Patientin schnell ein möglichst 
normales Aussehen und möglichst gute Gehfähigkeit verschaffen 
konnte. Es musste zu diesem Zwecke zunächst eine Umformung 
der Beine bewirkt werden, um zweckmässige Apparate anlegen 
zu können. Demgemäss mussten die Knie gestreckt und die 

Figur 1. 



Das Kind ist im November 1907 geboren, stammt aus gesunder 
Familie, insbesondere sind der Vater und die Mutter wohlgebildet. Die 
Mutter hat ein älteres gesundes Kind zur Welt gebracht; wärend sie 
mit dem in Frage stehenden jüngsten Kinde schwanger ging, ist sie 
nicht krank gewesen. Die Geburt des Kindes 
war normal. Das Kind selbst ist als Krüppel 
zur Welt gekommen. Es hat, bevor es in unsere 
Beobachtung trat, lVW&hr in einem Krüppel¬ 
heim zugebracht. Dort wurde es an einer rechts¬ 
seitigen Fingersyndaktylie operiert. Man fertigte 
dem Kinde Apparate an, um es gehfäbig zu 
machen, was aber in nur recht unvollkommener 
Weise gelangen war. Schon kurze Zeit nach 
Verlassen des Krüppelheims, in welchem es u. a. 
an Scharlach darniederlag, mussten die dem 
Kinde gegebenen Apparate fortgelassen und die 
Kleine von da ab getragen werden. Die Eltern 
sowohl, wie das geistig sehr rege Kind litten 
unter diesen Umständen seelisch ausserordentlich. 

Ende Februar 1912 wurde uns das Kind von den 
Eltern zugeführt. 

An dem 4 1 /* Jahre alten Mädchen von grosser 
Regsamkeit des Geistes sehen Sie, dass Kopf und 
Rumpf normal gebildet sind. An den Oberarmen, 
den Unterarmen und der linken Hand finden 
sich keine Anomalien. An der rechten Hand 
fehlen der vierte und fünfte Finger. Die drei 
anderen Finger sind normal beweglich und ihr 
Skelett wohlgebildet. Sie erkennen weiter aus den 
vor der Behandlung aufgenommenen Bildern (Fig. 
la undb), dass, während dieOberschenkel normal 
gebildet sind, die Unterschenkel und Füsse rudi¬ 
mentär sind. Im besonderen ist der linke Unter¬ 
schenkel etwa halb so lang wie normal. Das 
linke Knie ist ankylotisch in einem Flexions¬ 
winkel von 140°; der Fuss ist adduciert und 
in Varusstellung und weist nur zwei Zehen auf. 

Der rechte Unterschenkel ist noch kürzer als der 
linke, auch er steht zum Oberschenkel, gegen welchen er anscheinend 
einige Wackelbewegungen auszuführen erlaubt, in starker Beuge¬ 
stellung, weist eine hochgradige Bogenform nach hinten auf und 
ist straff mit einem sehr kurzen, in Varität befindlichen Fuss, der 
eine grosse und zwei zu einer Zehe syndaktyl vereinigte Zehen auf- 
weist, verbunden. Die Röntgenbilder (Fig. 2) zeigen, dass die Femora 
normal gebildet sind. Die an ihrem distalen Ende befindlichen Epi¬ 
physen sind etwas grösser, als es der Norm entspricht. Im linken Unter- 


1) Nach einem Vortrag, gehalten am 6. Januar 1913 in der Berliner 
orthopädischen Gesellschaft. 


Unterschenkel und Füsse in eine bessere Richtung mit den Ober¬ 
schenkeln gebracht werden. 

Die Behandlung begann ich Ende Juli 1912. Am 29. Juli resezierte 
ich aus der Knie-Epiphyse des linken Beines einen niedrigen Keil mit 
vorderer Basis von l^cm Höhe, ohne die Wachstumszonen zu lädiereu. 
Die Form des angelegten Querschnitts bestätigte mir, dass die genannte 
Epiphyse je einen Kern für Femur und Tibia hatte, also eigentlich aus 
zwei Epiphysen bestand. Dann redressierte ich nach Bayer’scher 
Tenotomie der Achillessehne den Klumpfuss in plantarer Richtung. 
Etwas anders verfuhr ich am rechten' Bein. Da hier eine, wenn auch 
nur sehr geringe Beweglichkeit im Kniegelenk zu bestehen schien (eine 

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732 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


Figur 3. 



Figur 4. 



Annahme, die sich später als unrichtig und durch die Elastizität der 
fibrös-knorpeligen Unterschenkelknochen vorgetäuscht herausgestellt hat), 
so führte ich, um die angenommene Beweglichkeit an die richtige Stelle 
zu verlegen, die para-artikuläre Korrektur der Flexion des Knies in Form 
der subcutanen suprakondylären Femurosteotomie aus und stellte das 
distale Stück in Ueberstreckung zu dem proximalen ein. Weiterhin ver¬ 
längerte ich plastisch die Achillessehne offen, da die Untersuchung eiue 
aktive Kontraktibilität des Triceps surae gezeigt hatte, um die Beweg¬ 
lichkeit später vielleicht ausnützen zu können. Auch hier folgte das 
Redressement des Kusses. Nach Anlegung eines das Becken und beide 
Beine umschliessenden Gipsverbandes wurde das Kind nach Hause ge¬ 
schickt. Die Heilung erfolgte per primam ohne jede Störung. Es waren 
noch mehrfach adressierende Verbände nötig, bis auch die Füsse die 
gewünschte Stellung und Form hatten (Fig. 3). Das Resultat sehen Sie 
hier im Röntgenbilde (Fig. 4). 

Schon drei Monate nach der Operation konnten Prothesen konstruiert 
werden. Die Apparate, die ich für das Kind habe herstellen lassen und 
die es jetzt trägt, bestehen jeder aus zwei seitlichen, am Oberschenkel 
durch zwei Schellen, die vorn seitlich durch Schnallen geschlossen 
werden, verbundenen Schienen. Die rudimentären Unterschenkel und 
Füsse ruhen in je einem einfachen Ledertrichter und helfen mit, die 
Last des Körpers zu tragen. Das untere Ende der künstlichen Unter¬ 
schenkel wird durch je einen zurzeit noch unbeweglich mit dem Unter¬ 
schenkelteil verbundenen Holzfuss gebildet, über welchen ein gewöhn¬ 
licher Stiefel gezogen ist (Figur 5). 

Heute, erst fünf Monate nach Beginn unserer Behandlung, kann das 
Kind — wie Sie sehen — tadellos in aufrechter Stellung gehen. Der 
Gang ist, wie es bei doppelseitiger Knieankylose nicht anders zu er¬ 
warten ist, etwas schwerfällig, weil ja bei einem solchen Zustand das 
Becken stärkere Pendelbewegungen ausführen muss. Hier kommt noch 
hinzu, dass auch die Fussgelenke aktiv und zurzeit auch passiv noch 
unbeweglich sind. 

Der vorliegende Fall gibt zu einer Reihe von Bemerkungen 
Anlass. Rein morphologisch genommen handelt es sich hier bei 
in der Form normalen Oberschenkeln jederseits um eine Anky¬ 
losenbildung der Kniegelenke in Flexionsstellung, 
Defektbildung im Bereich der Unterschenkelknochen, 
Defektbildung und Syndaktylie an den Füssen, Klurap- 
fussstellung der letzteren. 

Was diese Deformitäten im einzelnen anbetrifft, so sehen 
wir an den Röntgenbildern die Details noch einmal genauer an. 

Am linken Kqie erkennen wir das untere Ende des Femur, ein¬ 
genommen von einer grossen, derben, massiven Epiphyse, die für das 
Alter von vier Jahren, in welchem das Kind steht, ein wenig zu gross 
ist. Auffallender ist schon ihre Form; die hinteren Teile sind wulstig 
nach abwärts aufgetrieben. Die Epiphysenlinie zeigt keine Anomalien. 
Soweit zu sehen, hat der sich im stumpfen Winkel anschliessende Unter¬ 
schenkelknochen keine Epiphyse. Dieses Fehlen der proximalen Epi¬ 
physen der Unterschenkelknochen ist nach unseren teromorphischen 
Kenntnissen von vornherein höchst unwahrscheinlich. Und in der Tat 
ist auch in unserem Falle der Epiphysendefekt nur scheinbar 
vorhanden. Es handelt sich hier um eine Verschmelzung der Epi- 


Figur 5. 



physen von Femur und Tibia. Spricht dafür schon die Grösse 
und Form des bezeichneten Knochenkerns, so zeigte sich bei der 
von mir ausgefürten Resektion, dass zwei durch eine dünne, schräg 
verlaufende Knorpelmasse getrennte Epiphysenkerne vorhanden waren. 
Während es sich an diesem linken Knie um eine echte knorpelige 
und knöcherne Ankylose handelt, lag eine solche Gewissheit über den 
Zustand des rechten Knies zunächst nicht vor. Hier schien es mir bei 
den verschiedenen Bewegungsversuchen, dass sich in Höhe des Knie¬ 
spaltes Bewegungen ausführen Hessen. Dagegen schien auch das 
Röntgenbild nicht zu sprechen. In diesem Punkte habe ich mich aber 
wohl getäuscht. Ich möchte annehmen, dass auch rechterseits eine 
knorpelig-knöcherne Ankylose des Knies besteht, bzw. in Ausbildung 
begriffen ist. Die Täuschung ist leicht entschuldbar und dadurch her¬ 
vorgerufen, dass die proximalen Teile des Unterscbenkelknochens, ja 
fast der ganze Unterschenkel selbst nur knorpelig ist; seine Elastizität 
täuschte Beweglichkeit vor. JZu der Annahme, dass . dieses rechte Knie 
ebenso knöchern-ankylotisch werden wird, wie es das linke bereits ist 


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21. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


733 


werde ich unter anderem durch den jetzigen (postoperativen) Befund 
veranlasst, der eine Verknöcherung der proximalen Unterschenkelteile 
zeigt; darauf werde ich später noch zurückkommen. Wir haben es also 
in unserem Fall mit doppelseitiger kongenitalerKernverschmelzung 
der Knieepiphysen zu tun. 

Es muss weiterhin die Frage aufgeworfen werden, welche Form 
der Defektbildung am Unterschenkel vorliegt. Wir sehen linkerseits 
das Knoohengerüst des Unterschenkels durch eine abnorm kurze, aber 
massive, kalkreiche Tibia repräsentiert. Ein zweiter Unterschenkel' 
knochen, eine Fibula, fehlt durchaus. Wir würden es demnach mit einem 
kongenitalen Fibuladefekt zu tun haben, der, wie so häufig, mit einer 
Hypoplasie und Formänderung der Tibia kombiniert ist. Was die 
anatomischen Verhältnisse des rechten Unterschenkels betrifft, so zeigt 
sich, dass zur Zeit unserer ersten Röntgenaufnahme fast der gesamte 
Unterschenkel ossifikationslos ist. Einzig und allein ein auf der Röntgen¬ 
platte etwa bohnengrosser, unregelmässiger, zerklüfteter Schatten lässt 
erkennen, dass auch hier Ossifikationsvorgänge Platz greifen. Es ist 
wohl kein Fehlschluss, wenn wir annehmen, dass auch hier ein Defekt 
der Fibula voriiegt; dafür spricht die sonstige symmetrische Anlage der 
bestehenden Deformität und die sich jetzt nach der Operation ein¬ 
stellende Ossifikation in der Tibia. 

Die Literatur der kongenitalen Missbildungen lehrt, dass der Fibula¬ 
defekt mit fast gesetzmässiger Regelmässigkeit mit einer Valgität der 
Füsse begleitet ist. Wir haben in unserem Falle aber eine Varität der 
Füsse vor uns. Da nur wenige Autoren, z. B. Kirmisson, Blumen¬ 
thal, Scharff, bei kongenitalem Fibuladefekt Verbildung der Füsse 
mit einer Varuskomponente gesehen haben, so würden wir in unserem 
Falle die seltene Tatsache zu verzeichnen haben, dass der Fibuladefekt 
mit Fussvarität vergesellschaftet ist. Betrachten wir die Füsse unserer 
Eatientin genauer, so zeigt sich die grosse Zehe beiderseits gut aus¬ 
gebildet. Nach den lateralen Seiten hin folgt dann jederseits ein ziem¬ 
lich tief eingeschnittener Raum und dann noch eine bzw. zwei rudimentäre 
Zehen, welch letztere miteinander verbunden sind. Röntgenologisch 
sehen wir, dass der ganze Tarsus beiderseits völlig knorpelig ist. Das 
Fussskelett wird durch zwei bzw. drei Metatarsaldiaphysen und einige 
Phalangen repräsentiert. Diese gehören den medial gelegenen Zehen an. 
Es fehlen die lateralen Fussstrahlen. Diese Feststellung ist insofern 
von Bedeutung, als wir daraus den Schluss ziehen können, dass es sich 
auch am Unterschenkel um eine Nichtausbildung des lateralen Strahles 
handeln wird, also um eineh Fibuladefekt. Die Fussanomalie unter¬ 
stützt also unsere Diagnose, dass es sich um doppelseitigen Fibuladefekt 
handelt Es fragt sich nur, wie hier die Varusstellung der Füsse zu 
erklären ist. Ich glaube, dass dieselbe durch die Torsion der zum 
Teil knorpeligen Unterschenkel vorgetäuscht wird. Am linken Fuss be¬ 
steht allerdings eine Varität am Fuss selbst, ähnlich wie sie bei den 
oben citierten Fällen vorlag. 

Interessant ist ferner die Hypoplasie der Tibien, die auf der 
rechten Seite zurzeit noch geradezu einer Aplasie gleichkommt. Letztere 
wird wahrscheinlich später einer ausgedehnten Knochenausbildung weichen, 
so dass dann die Uebereinstimmung der Anomalienbefunde der beiden 
Seiten noch ausgesprochener sein wird. 

Die hier genau analysierte Deformität gehört sicher zu den 
selteneren; unter den von Haudek und Scharff zusammen¬ 
gestellten Fällen von Fibutadefekten und den von Joachimsthal 
gesammelten Tibiadefekten finde ich keinmal das Vorkommen 
einer kongenitalen Ankylose des Kniegelenks verzeichnet. Dass 
der letztgenannte Zustand nicht schon beobachtet worden ist, 
wage ich nicht zu behaupten. So häufig auch Anomalien im 
Bereich des Femur bei den Defekten der Unterschenkel knochen 
beschrieben worden sind, fast immer bestand eine Beweglichkeit, 
ja, manchmal eine übermässige, zwischen Ober- und Unterschenkel. 
Eine Analogie findet die kongenitale Verwachsung von Femur- 
und Tibiaepipbyse in den seltenen Fällen von Verwachsung des 
Radius mit dem Humerus bei Ulnadefekt. 

Wie die ganze Aetiologie der beschriebenen Deformität zu 
denken ist, und zu welcher Zeit bei meiner Patientin diese Miss¬ 
bildung ihren Anfang nahm, ist nicht leicht zu sagen. In 
dieser Hinsicht ist zunächst zu bemerken, dass eine Erblichkeit 
oder ein familiäres Auftreten in der Verwandtschaft der kleinen 
Patientin nicht festzustellen ist. Auch die Multiplizität der De¬ 
formitäten scheint mir gegen die Annahme einer im Keime selbst 
gelegenen und zur Deformität führenden Anomalie zu sprechen, 
denn dann würde auch wohl die letzte der vier Extremitäten, 
die linke Hand, nicht so völlig unbeteiligt geblieben sein, wie 
es hier tatsächlich der Fall ist. Wir müssen hier vielmehr das 
Obwalten intrauteriner raumbeschränkender Momente zur Er¬ 
klärung heranziehen. Der abnorme Druck, unter dem der Fötus 
stand, ist kein diffuser, sondern ein lokalisierter, auf gewisse 
prominente Teile beschränkter gewesen. Ob dabei eine Ver¬ 
wachsung des Amnion mit den geschädigten Teilen die Entwick¬ 
lung gestört hat oder ob dadurch entstandene Simonart’sche 
Bänder die Deformität verursacht haben, will ich hier nicht ein¬ 
gehend untersuchen, neige aber der ersten Annahme zu. Be¬ 


merkenswert ist jedenfalls, dass ausser den Beinen auch die 
lateralen Finger der rechten Hand lädiert worden sind und dass 
gerade der rechte Unterschenkel schwerer in der Entwicklung 
gestört worden ist als der linke. Man kann demnach eine inten¬ 
sivere Einwirkung des schädigenden Agens auf die rechte Seite 
des Fötus annehmen. Zu gleicher Zeit dürften die verschiedenen 
Missbildungen nicht herbeigeführt worden sein. Es ist vielmehr 
nach den entwicklungsgeschichtlich bekannten Tatsachen und der 
verschiedenen Schwere der Missbildungen wahrscheinlich, dass 
die rechte Hand zuerst, dann das rechte Bein; zuletzt das linke 
Bein betroffen worden sind. Ich muss es mir leider versagen, 
an dieser Stelle ausführlich darauf einzugehen, wann die Ver¬ 
bildungen entstanden sein können. Die Hand bildet sich bekannt¬ 
lich beim Fötus schon sehr früh, etwa io der fünften Lebens¬ 
woche; zu dieser Zeit muss die erste Einwirkung auf den Fötus 
stattgefunden haben. An den unteren Extremitäten ist es nun zwar 
in unserem Fall zu einer Differenzierung von Femur und Tibia, 
aber nicht mehr zur Bildung des Gelenks zwischen beiden ge¬ 
kommen. Nach His, Bernays u. a. steht nun wohl ziemlich 
fest, dass der Fötus in der neunten Woche noch keinen Knie¬ 
gelenkspalt hat, während ein solcher in der zwölften Woche 
schon deutlich vorhanden ist. Da in der neunten Woche die 
Gelenkenden von Femur und Tibia normaliter bereits ausgebildet 
sein sollen, so würden wir die Haupteinwirkung des deformieren¬ 
den Faktors in unserem Falle in die Zeit zwischen fünfter und 
neunter Woche zu verlegen habeo. Die hier festgestellte Tat¬ 
sache, dass die Knochen von Unter- und Oberschenkel ihre Epi¬ 
physenanlagen, wenn auch verkümmert, besitzen, ist von einiger 
Bedeutung; denn wenn im späteren Alter bei unserer Patientin 
die Epiphysenfugen verknöchern, so ist mit ziemlicher Sicherheit 
eine völlige Verwachsung, ein völliges Aufgehen der beiden 
Knochen ineinander zu erwarten, so dass Unter- und Oberschenkel 
einen einzigen Knochen mit kontinuierlicher Markhöhle bilden 
werden. Das darf man wohl aus den analogen Befunden am 
Ellbogengelenk bei Ulnadefekten schliessen. Bekommt man aber 
eine solche, eigentlich aus zwei Knochen bestehende Extremität 
zu Gesiebt, so ist der Rückschluss auf den früheren Zustand, 
nämlich auf das ursprüngliche Vorhandensein beider Epiphysen, 
nachträglich kaum noch zu ziehen und scheint mir auch in 
manchen Fällen kongenitaler Ellbogenankylose nicht gezogen 
worden zu sein. 

Nicht uninteressant ist, und das sei hier noch einmal kurz 
hervorgehoben, dass bei unserer Patientin die rechte Tibia äusserst 
knochenarm ist, die linke einen relativ dazu gut entwickelten 
Knochen darstellt. Erstere ist offenbar in einem noch früheren 
Stadium der Entwicklung von der knorpligen zur knöchernen Be¬ 
schaffenheit und schwerer den schädigenden Einflüssen ausgesetzt 
worden. Diese intensive Schädigung hat aber die Bildung der 
geschützter gelegenen Tibia nicht hindern können, und so sehen 
wir denn schon etwa 3 Monate nach Ingebrauchnahme des Beins 
an einem Röntgenbilde, wie die bis dahin fast rein knorpelige 
rechte Tibia sich stärker mit Kalksalzen imprägniert. Weitere 
2 Monate später ist der ursprüngliche Knochenschatten weiter 
gewachsen, und es bildet sich ein Kalkdepot auch im distalen 
Teil der Tibia (Figur 4). Wir erkennen also daraus die Fähig¬ 
keit dieser in so früher Zeit der Entwicklung schwer geschädigten 
Teile des Skeletts, noch nachträglich, und zwar ziemlich schnell 
zu verknöchern. Es bedarf aber dazu günstiger mechanischer 
Verhältnisse. Dieser höchst interessante Befund nähert sich einer 
Beobachtung Parona’s, welcher bei einem Tibiadefekt das gleiche 
Verhalten des fibrösen, die Tibiaanlage repräsentierenden Stranges 
feststellen konnte, nachdem er die Fibula in die Fossa intercondy- 
loidea femoris implantiert batte. 

Ich bin damit zur Besprechung der Therapie gekommen. 
Eine Norm lässt sich für die Behandlung derartig komplexer 
Missbildungen nicht aufstellen. Immerhin lassen sich doch ge¬ 
wisse allgemeine Gesichtspunkte festlegen, die vor oder bei der 
Behandlung erwogen werden müssen. 

Die Gebfähigkeit derartiger Krüppel sobald als möglich her¬ 
zustellen, muss unser erstes Bestreben sein. Die untere Alters¬ 
grenze dürfte mit Beendigung des zweiten Lebensjahres gegeben 
sein. Vor dieser Zeit ist es nicht ratsam, solche Kinder Opera¬ 
tionen zu unterwerfen oder sie mit irgendwelchen komplizierteren 
Apparaten zu versehen. Andererseits darf man nicht zu lange 
warten. Es gilt allgemein als Prinzip, krüppelhafte Menschen 
soweit zu bringen, dass sie möglichst wenig der Umgebung als 
krüppelhaft auffallen. Das trifft ebensowohl für Erwachsene wie 
für Kinder zu, denn die zarte Psyche des Kindes empfindet das 

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734 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


Gebrechen schon frühzeitig and intensiv. Es nach Möglichkeit 
vor dem Spott anderer Kinder za bewahren, ist eine berechtigte 
Aufgabe. Das hat aber nicht za geschehen, indem man es in 
ein Krüppelheim sperrt. Meine kleine Patientin hat sich, seitdem 
sie selbständig gehfäbig geworden ist, auch in psychischer Be¬ 
ziehung prächtig entwickelt, sie möchte ihre künstlichen Füsse 
nicht mehr missen. 

Was nun die Frage betrifft, welche Maassnahroen bei der¬ 
artigen Defektbildongen zu treffen sind, so müssen die Prinzipien 
konservativer Chirurgie innegehalten werden. Die ältere 
Literatur weist eine grosse Reihe von Fällen auf, bei denen die 
deformen Unterschenkel und Füsse, sei es, dass es sich um Tibia¬ 
oder Fibuladefekte handelte, amputiert wurden. Albert ist der 
erste gewesen, der in einem Fall von Tibiadefekt konservativ 
vorgegangen ist, indem er bei einem neun Monate alten Rinde 
eine Einpflanzung der Fibula in das Femur vorgenommen hat. 
Er scheute also nicht vor einer künstlichen Versteifung des bis 
dahin beweglichen, allerdings funktionsuntüchtigen Knies zurück. 
Auch in meinem Falle habe ich konservativen Maassnahmen den 
Vorzug gegeben, indem ich operativ die Unterschenkel in die 
Verlängerung der Oberschenkel eingestellt, die Unterschenkelver¬ 
biegungen gerade gerichtet und die Füsse in plantigrader Richtung 
redressiert habe. Zu dem von mir gewählten konservativen Vor¬ 
gehen sah ich mich aus verschiedenen Gründen veranlasst. Mit dem 
eingeschlagenen Verfahren habe ich die Beine des Kindes verlängert 
und verhältnismässig feste Streben geschaffen, welche für die An¬ 
legung von orthopädischen Apparaten sehr geeignet sind, wesentlich 
geeigneter, als es vorher der Fall war. Auf diese Weise haben 
wir in kürzester Zeit das Kind zum aufrechten Gang gebracht. 
Ein anderer Vorteil ist der, dass wir mit verhältnismässig ein¬ 
fachen Apparaten auskommen. Je kürzer der Stumpf, um so 
länger muss der Apparat sein, je länger er ist, um so kürzer 
kann dieser sein. Das ist ein für die Kostenfrage wichtiger Punkt. 
Ich glaube sicher, dass es in diesem Falle gelingen wird, das 
Kind an Apparate zu gewöhnen, die, nur bis dicht oberhalb der 
Knie reichend, hier mit einer Schelle endigen. 

Wir haben also dem Kinde den Gang ermöglicht; allerdings 
nur mit doppelseitiger Knieankylose. Indessen bestand diese 
schon vorher. Es entsteht natürlich die Frage, ob man dem 
Kinde die Unannehmlichkeiten dieses Zustandes ersparen konnte, 
oder ob man wenigstens das eine Knie hätte so gestalten können, 
dass ein im Knie artikulierter Apparat angefertigt werden könnte. 
Das wäre mit der Amputation der oder wenigstens des einen 
Unterschenkels zu erreichen gewesen. Dass ich in dem vor¬ 
liegenden Fall dem mir von kollegialer Seite gegebenen Rat, die 
Amputation auszuführen, nicht gefolgt bin, war richtig, denn dann 
wäre es sicher nicht möglich gewesen, das Kind so schnell gut 
gehfähig zu machen. Die Amputation, die ja schliesslich immer 
noch übrig bleibt, hätte wieder klinische Behandlung erfordert, 
und die Kosten der Prothese wären, wenn man die dadurch ge¬ 
schaffene Bewegungsmöglichkeit hätte ausnutzen wollen, ganz be¬ 
trächtliche geworden. Solche den Eltern, die durch fast 
l 1 /* jährige Unterbringung des Kindes in einem Krüppelheim eine 
beträchtliche Schuldenlast (über 1600 M.) gegenüber ihrer Stadt¬ 
gemeinde kontrahiert haben, aufzubürden, war unmöglich. Nun 
war endlich noch die Möglichkeit gegeben, die vorhandenen 
Flexionsankylosen einfach weiter bestehen zu lassen und dem 
Kinde Beinprothesen zu geben. Die Flexionsstellung der Knie 
und die AdduktionssteHung der Unterschenkel Hessen dieses Ver¬ 
fahren als unzweckmässig erscheinen. Und tatsächlich hatte es 
sich ja auch gezeigt, dass diese Form der Prothesen dem Kinde 
keine guten Dienste geleistet batte. 

Endlich wäre noch eine letzte Möglichkeit hier ins Auge zu 
fassen, nämlich die, ob man nicht operativ eine Mobilisierung 
der oder wenigstens des einen Knies vornehmen sollte. Die 
anatomische Möglichkeit liegt vor. Aber es ist nach den Prin¬ 
zipien, welche Payr für die Mobilisierung ankylotischer Gelenke 
festgelegt hat, klar, dass zur Zeit dieser Weg nicht beschriften 
werden kann. Gegen eine operative Mobilisierung spricht nicht 
zuletzt die bekannte Tatsache, dass die kongenitalen Ankylosen 
eine schlechte Prognose für die Mobilisierung geben, indem die 
Knochen * die ausgesprochene Tendenz zur Wiederverwacbsung 
zeigen. Später wird ein solches Vorgehen in diesem Falle in 
Erwägung zu ziehen seio. Der Fall ist schon aus dem Grunde 
besonders hierfür geeignet, weil wir ja hier der funktionell 
störenden doppelseitigen Knieankylose gegenüberstehen. 

M. HJ Ich glaube, dass wir mit unserer Therapie allen 
berechtigten Ansprüchen genügt haben, indem wir in kürzester 


Zeit aus einem sich mühsam fortschleppenden Krüppel ein 
äusserlich kaum eine Missbildung mehr zeigendes, gut gehendes, 
frohes Kind geschaffen haben. Ich betone zum Schluss, dass die 
gesamte Behandlung ambulant ohne Schäden durchgefübrt worden 
ist, ein Punkt, der für die Kostenfrage von allerhöchster Be¬ 
deutung ist und nach meinem Empfinden vielfach nicht genügend 
berücksichtigt wird. 


Aus dem medizinisch-poliklinischen Institut der Uni¬ 
versität zu Berlin (Direktor; Geh. Med.-Rat Professor 
Dr. Goldscheider). 

Die röntgenologische Diagnostik der Magen¬ 
krankheiten. 

Kritisches Uebersichtsreferat. 

Von 

M. Ehrenreieh-Bad Kissiogen. 

Zur Methodik. Um eine radiologische Untersuchung des Magens 
vornehmen zu köonen, ist es zunächst erforderlich, dass der zu Unter¬ 
suchende eine, nach dem Begründer der Magenradiologie so benannte, 
Rieder’sche Kontrastmahlzeit zu sich nimmt, welche aus etwa 350g in¬ 
differenten Breies aus Gries, Mehl, Kartoffeln oder dergl. zu bestehen 
pflegt, in den etwa 50 g Bismuth. carbon. oder eine entsprechende Menge 
eines anderen Schwermetallsalzes (z. B. Bariumsulfat, Zirkonoxyd) hinein¬ 
gerührt wurden. Leider herrscht keine Einheitlichkeit über die Art der 
zu verwendenden Kontrastmahlzeit. Infolgedessen sind die Resultate der 
einzelnen mit verschiedenen Kontrastmahlzeiten arbeitenden Untersucher 
in bezug auf die sekretorische und motorische Funktion des gesunden 
und kranken Magens nur in beschränktem Maasse vergleichbar, worüber 
weiterhin noch einiges gesagt sein soll. 

Nach Holzknecht gibt man zweckmässigerweise vor dem Brei 
eine Aufschwemmung von Wismut in Wasser zu trinken, um auf diese 
Weise feine, für den Brei nicht durchgängige Stenosen zur Darstellung 
zu bringen sowie um in bestimmten Fällen das Duodenum mit dem 
Pulver füllen zu können, bevor sich der Pylorus schliesst, was bald 
nach dem Eindringen der ersten Bissen der Kontrastmahlzeit in den 
Magen einzutreten pflegt. 

Die eigentliche Untersuchung besteht in der Beobachtung der 
Aufnahme und Weiterbeförderung dieser Mahlzeit durch den Magen vor 
dem Röntgenschirm (Röntgenoskopie) und nötigenfalls in der 
Fixierung des Befundes auf der photographishen Platte (Röntgeno¬ 
grap hie). Die Röntgenoskopie ist der bei weitem wichtigere Teil der 
Untersuchung, jedoch kann man der Röntgenographie in einem grossen 
Teil der Fälle nicht entraten. Insbesondere sollte sie nie unterlassen 
werden, wenn Verdacht auf Garcinom oder Ulcus callosum besteht, da 
auf der Platte oft Feinheiten in die Erscheinung treten, die der Beob¬ 
achtung vor dem Röntgenschirm entgingen. Die Photographie muss eine 
sogenannte Momentphotographie sein, sonst besagt sie für die Differential- 
diagnose nichts. Für diejenigen Fälle, bei denen es darauf ankommt 
festzustellen, ob die Peristaltik an irgendeiner Stelle unterbrochen ist, 
eignen sich sehr gut die Polygrammaufnahmen (Levy-Dorn und 
Silberberg), bei denen mehrere Aufnahmen auf eine Platte überein¬ 
ander gebracht werden. Für den gleichen Zweck leistet auch sehr gutes 
die Röutgenkinematographie (Kästle, Rieder, Rosenthal), 
deren hohe Kosten allerdings eine allgemeine klinische Anwendung vor¬ 
läufig aussch Hessen. Eine andere Art von Polygrammen hat 
de Quervain vorgeschlagen, nämlich mehrfache Aufnahmen auf einer 
Platte zur Feststellung der Verschieblichkeit des Magens oder anderer 
Organe sowie Tumoren im Verhältnis zum Magen. Alle derartigen Poly¬ 
gramme sind ausführbar und zweckmässig besonders zu Zwecken der 
Demonstration, doch werden durch die mehrfache Belichtung die Bilder 
weniger scharf, so dass stets die Anfertigung einer besonderen Moment¬ 
aufnahme neben dem Polygramm zu empfehlen ist. 

Die Röntgenoskopie hat im einzelnen folgende Punkte zu be¬ 
achten: die Passage des Breies durch Oesophagus und Cardia, die 
Entfaltung des Magens, seine Form, Grösse, Lage und Beweglich¬ 
keit, und zwar sowohl die aktive als die passive (Massage), die Kon¬ 
turen des Organs, die Form der Luftblase, die Peristaltik, die 
Arbeit des Antrum pyloricum, den Uebertritt des Breies ins Duo¬ 
denum, den Tonus der Magenwand, den Grad der Saftsekretion und 
die Länge der Austreibungszeit. 

Die Beobachtung der Passage des Breies durch die Cardia ist 
wichtig bei Verdacht auf bestehende Veränderungen der Cardia selbst 
oder der Pars cardiaoa ventriculi. Die Entfaltung des Magens durch 
die ersten Bissen des Breies soll durch den mehr oder minder grossen 
Widerstand, den die Magenwand dabei leistet, einen Hinweis auf den 
Tonus des Magens, i. e. seine peristolische Funktion (Stiller) geben. 
Die Beweglichkeit des Magens oder seiner einzelnen Teile kann durch 


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21. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


735 


Verwachsungen, Schrumpfungen und Adhäsionen beeinträchtigt sein. 
Man soll es nie versäumen, den Magen auch bei schräger und seitlicher 
Durchleuchtung zu betrachten. Manche scheinbare Anomalien, ins- 
besondere der Antrumperistaltik, werden dann als solche erkannt, iso¬ 
lierte Fixationen der Magenwand können genauer lokalisiert werden, der 
Tiefendurchmesser des Magens kann ermittelt und damit erst ein sicheres 
Urteil über sein wirkliches Fassungsvermögen abgegeben werden. 

Dass man sich auch über die sekretorische Funktion des 
Magens radiologisch bei der Untersuchung nach Rieder-Mahlzeit ein 
sicheres Urteil verschaffen kann, dies gezeigt zu haben, ist das Verdienst 
E. Schlesinger's. Beobachtet man nämlich den Magen während der 
Verdauung der Bismutmahlzeit in grösseren Zeitabständen, so bemerkt 
man, dass sich beim sekretionstüchtigen Magen zwischen dem Brei und 
der Luftblase eine für die Strahlen halbdurchlässige, Succusion zeigende 
Schicht bildet und sich allmählich verbreitert. Sie wird gebildet durch 
das über die Mahlzeit ergossene Magensekret und wird als Inter¬ 
mediär- oder Saftschicht bezeichnet. Beim achylischen Magen fehlt 
sie entweder ganz, oder sie tritt nur in sehr geringem Maasse auf. 
Findet sie sich gleich zu Beginn der Mahlzeit, so ist dies nach 
Schlesinger ein Hinweis darauf, dass der Magen bereits nüchtern 
Sekret enthielt, dass also Supersecretio continua vorliegt. Es kann je¬ 
doch in solchen Fällen, wenn es sich um ektatische Mägen mit flüssigen 
Retentionsmassen handelt, die Intermediärschicht durch eben diese 
flüssigen Retentionsmassen gebildet sein (Schmieden und Härtel). In 
diesen Fällen wird man besonders darauf achten, ob die Schicht sich im 
weiteren Verlauf verbreitert oder nicht. 

Zur Beurteilung der Intermediärschicht muss man sich vor Augen 
halten, dass ihr Vorhandensein zunächst nur die Anwesenheit einer 
Flüssigkeit im Magen beweist. Diese kann sich aus verschiedenen Kom¬ 
ponenten, wie Speichel, Magensaft, Darmsaft und Verdünnungsekret 
(Strauss) zusammensetzen. Insbesondere ist zu bedenken, dass die 
vielfach zum Anrühren des Griesbreies verwendete Milch in den meisten 
Fällen zu einem dauernden Rückfluss flüssigen Duodenalinhalts führen 
wird, wodurch sich der Befund einer dauernden Iutermediärschicht auch 
bei vollständigem Darniederliegen der Magen Sekretion erklärt (Schle¬ 
singer). Man kann sich nach Schlesinger allenfalls noch überzeugen, 
ob der Magen Salzsäure enthält, indem man eine Lösung von Natrium 
bicarbonicum nachtrinken lässt und feststellt, ob sich infolge Bildung 
von C0 2 die Magenluftblase vergrössert. Jedoch erscheint es gewagt, 
aus dem Maasse dieser Zunahme oder der Breite der Intermediär¬ 
schicht feinere Störungen der Sekretion erschliessen zu wollen. 
Wollte man die Methode aber nach dieser Richtung ausbauen, so müsste 
man stets die gleiche Kontrastmahlzeit geben, die verschiedene Be¬ 
dingungen zu erfüllen hätte. Sie dürfte zunächst, um Rückfluss tunlichst 
auszuschliessen, keine Fettbestandteile enthalten, sie sollte ferner mög¬ 
lichst wenig säurebindende Stoffe führen, und sie müsste schliesslich 
schmackhaft sein, um die Sekretion anzuregen. Es wäre aussichtsreich, 
mit Einhaltung dieser Kautelen sondenscheue, ältere Leute mit nach¬ 
gewiesenem Ulcus unter dauernder röntgenologischer Kontrolle zu halten, 
um aus dem Zurückgehen der Sekretion möglichst zeitig feststellen zu 
können, ob das Ulcus in Carcinom übergeht, was bisher mit den ge¬ 
bräuchlichen röntgenologischen Methoden kaum zu erkennen möglich war. 

Eine andere Methode zur Prüfung der sekretorischen Magenfunktion 
stammt von Schwarz und besteht darin, dass der zu Untersuchende 
mit einem Probefrühstück eine Fibroderm-Pepsin-Wismutkapsel zu sich 
nimmt, deren bindegewebige Hülle durch den salzsäurehaltigen Magen¬ 
saft aufgelöst wird, ein Vorgang, den man röntgenologisch verfolgen 
kann. Die Methode dürfte jetzt nur selten mehr zur Anwendung ge¬ 
langen. 

Empfehlenswert scheint eine neuerdings von Fujinami angegebene 
Prüfung des nüchternen Magens auf Anwesenheit von Sekret. Er ver¬ 
abreicht den Patienten morgens nüchtern mit etwas Wasser zwei Wismut- 
kapselo, von denen die eine spezifisch schwerer, die andere spezifisch 
leichter als Wasser ist, so dass eine Kapsel auf den unteren Magenpol 
sinkt, die andere auf dem Flüssigkeitsniveau schwimmt. Solche Kapseln 
hat zuerst Schwarz angewandt. Die Methode ist natürlich nur an¬ 
wendbar bei Mägen, die keine motorische Insuffizienz zweiten Grades 
aufweisen, wovon man sich vorher überzeugen muss. 

Die Prüfung der motorischen Magenfunktion geschieht durch 
Ermittelung der Austreibungszeit der Kontrastmahlzeit (Rieder, 
Jolasse, Schwarz und Kreuzfuchs, Kästle, Haudek u. a.). 

Die Anschauungen über die normale Austreibungszeit der Rieder- 
Mahlzeit haben im Laufe der Zeit vielfache Wandlungen erfahren. Die 
Verschiedenheit der verschiedenerorts üblichen Kontrastmahlzeiten hat 
sicherlich hierbei mit verwirrend gewirkt. Es ist gewiss für die Aus- 
treibuogszeit nicht gleichgültig, ob die Mahlzeit Fett enthält oder nicht, 
da bekanntermaassen Fett die Verweildauer der Speisen im Magen ver¬ 
längert. Zurzeit ist es ziemlich allgemein üblich, als oberste Grenze für 
die Verweildauer der Wismutmahlzeit im Magen den Termin von sechs 
Stunden anzunehmen. Nach Haudek ist der gesunde Magen nach 
dieser Zeit leer, oder er enhält nur noch geringe Reste, etwa bis der 
Mahlzeit. Die Festsetzung der Sechsstdndengrenze ist äber ziemlich 
willkürlich und steht im Widerspuch mit der Tatsache, dass die meisten 
gesunden Mägen in zwei bis fünf Stunden mit der Mahlzeit fertig werden. 
Andererseits gibt es erwiesenermaassen Mägen, die die Mahlzeit erst in 
sechs bis acht Stunden bewältigen, ohne dass bei ihnen ein anatomisches 
Passagehindernis vorliegt. Die Ursache dieser physiologischen Schwan¬ 


kungen aufzuklären bat Holzknecht mit Erfolg unternommen. Er 
knüpfte an die Vorstellung Schlesinger’s an, der vier Grundformen 
des Magens unterscheidet, die durch den Tonus der Mägen bedingt sind, 
und zwar 1. hypertonische, 2. orthotonische, 3. hypotonische, 
4. atonische Mägen. 


Hypertonischer Magen Orthotonischer Magen Hypotonischer Magen Atonischer Magen 
c*. 2—3 Std. ca. 3—5 Std. ca. 4-6 8td. ca. 6-8 Std. 



1 und 2 entsprechen den sonst als normal angenommenen Formen 
der Holzknecht’schen Stierhorn- bzw. Grödel’schen Hackenform, 
3 und 4 entsprechen graduell verschiedenen Ptosen. Holzknecht hat 
nun angegeben, dass jeder dieser Formen eine andere — auf der obigen, 
der Holzknecht’schen Arbeit entlehnten Skizze angegebene — Aus¬ 
treibungszeit eigen sei. Demnach ist z. B. die Zeit von acht Stunden 
bei einem atonischen Magen noch als normal anzusehen, während sie 
beim hypertonischen Magen als Zeichen geringer motorisoher Insuffizienz 
zu betrachten wäre. Diese Auffassung hat sehr viel Bestechendes und 
stellt, wenn sie sich bewährt, eine ausserordentliche Verfeinerung der 
Motilitätsprüfung dar. Bis zu weichem Grade man aus der vermehrten 
Austreibungszeit dabei Schlüsse auf ein anatomisches Passagehindernis 
ziehen kann, müssen erst weitere, an operativ kontrolliertem Material 
gemachte Beobachtungen erweisen. Zu beachten ist die von Schle¬ 
singer gemachte Erfahrung, dass die einzelnen Formen während der 
Nahrungsaufnahme oder auch während der Verdauung (Haudek) in die 
nächstfolgende übergehen können. 

Von Haudek stammt der Vorschlag, die Motilitätsprüfuug der 
eigentlichen Röntgenoskopie in der Weise vorauszuschicken, dass man 
die Patienten sechs Stunden vor der Untersuchung eine Rieder-Mahlzeit 
zu sioh nehmen lässt und die Untersuchung mit der Restbestimmung be¬ 
ginnt. Diese Methode bietet einige Vorteile vor der gesonderten Bestim¬ 
mung der Austreibungszeit, insbesondere den der Zeitersparnis. Auch 
ist es in vielen Fällen, wenn Reste vorhanden sind, möglich, aus deren 
Form Rückschlüsse auf den zugrunde liegenden pathologischen Prozess 
zu ziehen. Dem stehen aber auch eine Reihe von Nachteilen gegenüber, 
z. B. der Umstand, dass durch die Vorfüllung auf der Platte manchmal 
störende Schattenbildungen seitens der mit Wismut gefüllten Därme 
auftreten, welche die Deutung des Bildes erschweren können. Ausser¬ 
dem ist die Beurteilung der sekretorischen Funktion des Magens bei 
derartigem Vorgehen ausserordentlich erschwert, da die Magensaft¬ 
sekretion stets eine viel reichlichere ist, wenn der Patient nüchtern 
war, als wenn sein Magen eben eine Rieder-Mahlzeit bewältigt hat, wovon 
man sich leicht überzeugen kann. Dazu kommt der Nachteil, dass 
die Hypermotilität auf diese Weise leicht der Beobachtung entgehen kann. 

Eine andere Prüfung auf „rohe Motilität“ nach Sahli ist neuer¬ 
dings von Fujinami und Holzknecht empfohlen worden. Sie besteht 
darin, dass man durch radiologische Beobachtung der oben erwähnten 
schwimmenden und sinkenden Kapseln die Verweildauer von 200 ccm 
Wasser im Magen feststellt, wie dies Kästle zur Bestimmung der Ver¬ 
weildauer von Flüssigkeiten bereits früher empfohlen hatte. Die Methode 
ist einfach auszuführen und entspricht der klinischen Methode von 
Sahli und der Chlorophyllmethode von Boas. Die Ergebnisse der 
beiden Methoden zeigen jedoch unaufgeklärte Differenzen. So fanden 
Holzknecht und Fujinami als normale Verweildauer für 200 ccm 
Wasser 60—70 Minuten, Kästle für 250 ccm Wasser etwa 
110 Minuten, Boas dagegen für 400 ccm Wasser nur 25—30 Minuten. 
Ob die Angabe Holzknecht’s und Fujinami’s, dass es mit Hilfe 
dieser Methode möglich sei, zu entscheiden, ob die verlängerte Aus¬ 
treibungszeit der Rieder-Mahlzeit eine Folge von Spasmus oder so¬ 
genannter Stenose im bestimmten Fall sei, sich bewähren wird, muss 
unter diesen Umständen weiteren Untersuchungen Vorbehalten bleiben. 

Die Lage- und Formveränderungen des Magens sind 
radiologisch ohne” weiteres erkenntlich. Von den Lageanomalien 
gebührt von altersher der Gastroptose der Rang eines selb¬ 
ständigen Krankbeitsbildes. Bei der erworbenen Gastroptose be¬ 
trifft die. Senkung anfangs nur die mittlere Magenpartie, da der 
Magen an Cardia und Pylorus fixiert ist. Dadurch entsteht eine 
Sdhlauchform mit einem längeren absteigenden und einem kürzeren 
aufsteigenden Schenkel. Erst später erfolgt Lockerung und 
Tiefer treten des Pylorus — Pyloroptose (Grödel). Die Be¬ 
urteilung des Grades der Ptose bat die Zugfoirkung des Gewichts 
der Mahlzeit in Rechnung zu stellen, die beim muskelkräftigän 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


Magen nur einen geringen, beim ptotisch-atonischen Magen einen 
um so stärkeren Ausschlag gibt (Bloch, v. Elischer). Ptose 
und Atonie sind sehr häufig vereint. Die Atonie äussert sich als 
fehlende Peristole, doch braucht bei ihr die Austreibungszeit nicht 
verlängert zu sein. Nach Grödel kann es bei hochgradiger 
Atonie zur Ectasia ex atonia kommen. Viele Röntgenologen 
gebrauchen diesen Ausdruck in seinem ursprünglichen klinischen 
Sinne, als ob eine wirkliche Magenerweiterung infolge der Ektasie 
entstanden wäre, eine Auffassung, die Boas mit Recht als im 
Widerspruch mit den Erfahrungen der Klinik stehend, entschieden 
ablehnt. 

Das Dlcus ventriculi. 

Das flache Ulcus ventriculi ist der direkten röntgenologischen 
Darstellung nicht zugänglich. Darin sind sich jetzt nahezu alle 
Röntgenologen einig. Bis vor kurzem hat man immer wieder, 
von der Tatsache ausgehend, dass auf dem Gescbwürsgrunde 
Wismutpartikel längere Zeit fest haften bleiben, versucht, ein 
circumscriptes Wismutdepot auf dem Ulcus zu erzeugen und radio¬ 
logisch darzustellen. Alle derartigen Versuche sind als gescheitert 
zu betrachten, was um so bedauerlicher ist, als sich das nicht 
blutende, unkomplizierte Ulcus auch allen klinischen Unter¬ 
suchungsmethoden gegenüber als recht unzugänglich erweist. Es 
gibt radiologiscb nur eine Reihe von Symptomen, die mit 
mehr oder minder grosser Sicherheit zugunsten der Diagnose 
Ulcus simplex verwertet werden können, deren Fehlen aber gar 
nichts gegen die Diagnose Ulcus beweist. 

Das wichtigste dieser Symptome ist die tiefe, schmale Ein¬ 
ziehung der grossen Kurvatur, die sich zuweilen jedoch 
durchaus nicht immer findet, wenn das Ulcus an der kleinen 
Kurvatur sitzt. Wird diese Einziehung bei mehrfacher Unter¬ 
suchung konstant und an derselben Stelle gefunden, und ver¬ 
schwindet sie auch nicht nach Injektion von 1 mg Atropin, sulf. 
(Rieder), so ist das Vorhandensein eines floriden Ulcus oder 
einer Narbe (Schmieden und Härtel) an der entsprechenden 
Stelle der kleinen Kurvatur sehr wahrscheinlich. Die sonstigen 
radiologischen Ulcussymptome sind noch unsicherer. Als ein solches 
wird die verlängerte Austreibungszeit des Bi-Breies an¬ 
gegeben, die ihrerseits eine Folge des durch Superacidität be¬ 
dingten Pyloro8pasmus sein soll, der angeblich bei jedem, auch 
dem Pylorus fernen, Ulcus vorhanden sein soll (Haudek). Gegen 
diese Auffassung sind verschiedenfach Einwendungen gemacht 
worden (Faulhaber). Nun sprechen sicherlich manche Momente 
für die Richtigkeit der Anschauung, dass die längere Verweilzeit 
bei Superacidität eine Folge von Pylorospasmus ist, doch geht 
es gewiss zu weit, aus der verlängerten Austreibungszeit zu 
schliessen, dass Superacidität bestehe, und dass diese durch Ulcus 
bedingt sei, denn einmal gibt es Superaciditäten anderer Aetio- 
logie und ausserdem ist nicht jedes Ulcus von Superacidität be¬ 
gleitet. 

Jonas hat als radiologisches Ulcussymptom angegeben das 
Vorhandensein eines auf eine bestimmte Stelle des Magens be¬ 
schränkten Druckpunktes, der mit der Lageveränderung des 
Magens durch Baucheinziehen oder Massage entsprechend seine 
Lage verändert. Faulhaber u. a. fanden dies Symptom wenig 
ergiebig. 

Nach Schmieden und Härtel spricht für Ulcus ad Curvat. 
minor. die sogenannte „schneckenförmige Einrollung“ der 
kleinen Kurvatur, die dadurch zustande kommt, dass das Ulcus 
immer mehr der gesunden Schleimhaut seiner Umgebung in sich 
hineinfrisst, so dass in ausgesprochenen Fällen der Pylorus in die 
Nähe der Cardia zu liegen kommt. De Quervain hat jedoch 
neuerdings gezeigt, dass auch dieses als sehr zuverlässig geltende 
Symptom zu Täuschung Anlass geben kann, da er in einem 
ausgesprochenen derartigen Fall operativ keine Veränderung an 
der kleinen Kurvatur finden konnte. 

Günstiger für den radiologischen Nachweis liegen die Ver¬ 
hältnisse beim Ulcus callosum und Ulcus penetrans. Vor 
allem Haudek, neben ihm Faulhaber, ferner Reiche haben 
gezeigt, dass es gelingt, diese Ulcera, wenn sie günstig sitzen, 
zur direkten radiologiscben Darstellung zu bringen. Sie prä¬ 
sentieren sich als divertikelartige Ausbuchtungen, die breit oder 
pilzförmig dem Magenschatten aufsijzen oder auch räumlich voll¬ 
ständig von ihm getrennt erscheinen können. Findet sich über 
einer Nische noch eine kleine Luftblase, so ist nach den über¬ 
einstimmenden Berichten aller bisherigen Beobachter der Schluss 
gestattet, .dass Ulcüs perforans vorliegt. Dieser Befund scheint 
für das Ulcus perforans in der Tat pathognomonisch zu sein. 


Haudek gibt als weitere Kennzeichen dieser Nischen an, dass 
sie längere Zeit zu persistieren pflegen, wenn der Brei den 
Magen bereits verlassen hat, dass sie meist palpatorisch nicht 
zu beeinflussen sind, sowie dass sie zuweilen durch ent¬ 
sprechende Lagerung des Patienten angereichert werden können. 
Manchmal muss man seitlich durchleuchten, um sie aufzufinden. 
Nach Faulhaber findet sich häufig spastischer „Sanduhr“- 
magen mit Ulcus callosum bzw. penetrans kombiniert. So 
beweisend dieser Symptomenkomplex für Ulcus callosum und 
gegen Carcinom ist, so muss man doch nicht vergessen, dass 
häufig das callöse Geschwür in Carcinom übergeht, ein Vorgang, 
der, wie einige Fälle zeigten, der radiologischen Beobachtung 
leicht entgehen kann (Strauss, Brandenstein, Holzknecht). 

Von den Folgezuständen des Ulcus sind röntgenologisch 
interessant der Sanduhrmagen und die Pylorusstenose. 

Der Sanduhrmagen wird von den Radiologen immer als 
diejenige Magenerkrankung hingestellt, die erst durch die Rönt¬ 
genologie in ihrer Häufigkeit richtig erkannt wurde. Das ist 
sicher richtig. Aber ebenso richtig ist es, dass gerade durch die 
Röntgenmethode die Häufigkeit des Sanduhrmagens ausser¬ 
ordentlich übertrieben und der klinische Begriff desselben ver¬ 
wirrt wurde. Denn durchaus nicht alles, was sich radiologisch 
als Sanduhrmagen darstellt, ist anatomisch ein solcher. Oft zeigt 
die Platte einen Magen, der förmlich in zwei Säcke gespalten ist, die 
manchmal sogar überhaupt keine Verbindung miteinander zu 
haben scheinen. Wird nun das Abdomen operativ eröffnet, so 
findet sich oft ein ganz anderes Bild (Faulhaber). Der Magen 
stellt sich dann als einheitlicher Sack dar, der an der Stelle der 
röntgenologisch sichtbaren Einziehung etwa eine Narbe oder peri- 
gastrische Verwachsungen zeigt, die vielleicht auch eine gewisse 
Verengerung des Lumens bewirkt haben, durch die man aber 
immerhin eine Kinderfaust bequem hindurchführen kann, so dass 
also von einer funktionellen Passagestörung keine Rede sein kann. 
Merkwürdigerweise haben solche Mägen gerade den Namen 
„funktionelle“ Sanduhrmägen bekommen. Besser ist die vielfach 
gebrauchte Bezeichnung: spastischer Sanduhrmagen, da es tat¬ 
sächlich ein Spasmus war, der die Sanduhreinschnürung vor¬ 
getäuscht oder zum mindesten stark übertrieben hatte (Jonas, 
A. Schmitt). Aber auch die Bezeichnung spastischer Sanduhr¬ 
magen besagt zuviel, denn in Wirklichkeit handelt es sich gar 
nicht um einen anatomischen Sandubrmagen. Richtiger wäre 
schon die Bezeichnung Ulcus spasticum bzw. Perigastritis 
spastica. Die Radiologen haben es aber nicht über sich gebracht, 
diese Formen aus dem Kapitel: Sanduhrmagen in dasjenige, in 
welches sie eigentlich gehören, nämlich: Ulcus und Perigastritis 
zu überweisen. Würde dies geschehen, so würde sich bald heraus- 
stellen, dass der echte anatomische Sandubrmagen eine ziemlich 
seltene Erkrankung ist. Ist man sich erst darüber klar, dass 
alle spastischen (auch intermittierende, funktionelle, entzündliche 
genannten) „Sanduhrmägen“ diese Bezeichnung nicht verdienen, 
so ergeben sich auch ohne weiteres die Fragen, welche die radio¬ 
logische Untersuchung zu beantworten hat, sobald auf dem 
Röntgenschirm das Bild des in der Mitte abgeschnürten Magens 
erscheint. Diese Fragen sind: 

Echter oder falscher Sanduhrmagen? 

Wenn echter: Gutartiger oder bösartiger Sanduhr¬ 
magen? 

Wenn falscher: Wodurch verursacht? 

Dabei wäre zunächst allgemein die Vorfrage zu ent¬ 
scheiden, von welchem Grade der Verengerung ab man überhaupt 
von anatomischen Sanduhrmägen reden will, denn der echte 
Sanduhrmagen entsteht nicht plötzlich, sondern er bildet sich 
allmählich durch narbige Schrumpfung. Solange die Enge noch 
so wenig ausgesprochen ist, dass die Ingesta glatt passieren, 
kann man nicht gut von einer Sanduhrenge sprechen. Es wird 
sich vielleicht empfehlen, eine solche anzunehmen, wenn das 
Lumen so eng ist, dass eine dicke Sonde nicht mehr durchgeht, 
da dann ungefähr eine funktionelle Beeinträchtigung der Passage 
zu beginnen pflegt. 

Zur Entscheidung der Frage „wahrer oder spastischer Sand¬ 
uhrmagen“ werden verschiedene radiologische Kennzeichen an¬ 
gegeben. Für Spasmus soll es sprechen, wenn sich.bei Beginn der 
Mahlzeit sö|leich der untere, pylorische Sack füllt (Faulhaber), 
was — nebenbei — am besten beweist, dass ein funktionelles 
Passagehindernis durch den Spasmus nicht gebildet wird, ferner 
wenn das Lumen inkonstant ist (Härtel), wenn die Einschnürung 
sich nach Verabreichung von 1 mg Atropin löst (Rieder). Für 


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21. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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wahren Sandnhrmagen spricht es, wenn der Brei sich zunächst 
lange Zeit im oberen, cardialen Sack aufbält und nur zögernd 
in den unteren Sack gelangt (Faulhaber), ferner wenn der 
cardiale Sack eine divertikelartige Ausbuchtung zeigt. Finden 
sich diese Zeichen, so ist die Enge auch wahrscheinlich so hoch¬ 
gradig, dass eine dicke Sonde nicht passieren kann. Ein radio¬ 
logisches Mittel, den Grad der Verengerung festzustellen, haben 
wir nicht, da man nicht ermitteln kann, weicher Anteil der Ver¬ 
engerung auf das Konto etwa begleitender Spasmen zu rechnen 
ist. Sicher ist, dass die angeführten radiologischen Kennzeichen 
des wahren Sanduhrmagens sich erst bei hochgradigen Ver¬ 
engerungen finden, woraus also folgt, dass die Röntgenunter¬ 
suchung den echten Sanduhrmagen einerseits nur in sehr vor¬ 
geschrittenem Stadium erkennen kann, andererseits aber oft einen 
Sanduhrmagen vortäuscht, wo es sich nur um ein mit Spasmen 
kombiniertes Ulcus oder Perigastritis oder Erosion oder gar um 
Spasmen ohne anatomische Ursache handelt. 

Leichter zu entscheiden ist oft die wichtige Frage, ob 
benigne oder maligne Sanduhrform. Bei den benignen Formen 
sitzt die Enge meist an der kleinen Curvatur, woraus eine B-Form 
des Magens resultiert; die Konturen der grossen Curvatur pflegen 
scharf zu erscheinen, die Querraffung des Magens ist oftmals der 
Länge nach wenig ausgedehnt (Kretschmer, Haudek), der 
cardiale Sack ist elastisch dehnbar (Faulhaber), es finden sich 
manchmal streifenförmige Stränge im oberen Sack (Schmieden). 
Beim carcinomatösen Sanduhrmagen pflegt die Enge mehr median 
oder nahe der grossen Curvatur zu liegen (X-Form), die Curva- 
turen zeigen verwaschene Konturen, zackige Begrenzungslinien 
oder auch kleine Füllungsdefekte, die Wandverengerung ist häufig 
der Länge nach sehr ausgedehnt bei relativ geringer Schrumpfung. 
Ist der Sanduhrmagen durch einen infiltrierenden Scirrhus ver¬ 
ursacht, so können allerdings die Konturen sehr glatt und scharf 
erscheinen, doch fehlt dann meist die Peristaltik, auch zeigt der 
cardiale Sack dann oft Trichterform und mangelnde Elastizität. 
Alle diese Kennzeichen können versagen, und man sieht 
zuweilen echte gutartige Sanduhrmägen, deren sichere radio¬ 
logische Unterscheidung von carcinomatösen unmöglich ist. 

Die Beantwortung der Frage nach den Ursachen des 
spastischen Sanduhrmagens im einzelnen Fall ist röntgenologisch 
und auch klinisch vorläufig nur in einem kleinen Teil der Fälle 
möglich. Als veranlassende Ursachen für spastischen Sandahr¬ 
magen sind beschrieben: Ulcerationen der kleinen Curvatur (de 
Quervain, Faulhaber), Perigastritis, Ulcusnarben (Schmieden- 
Härtel), Operationsnarben (de Quervain, Stierlin), Ulcus 
duodeni (Baron-Barsony). Es kommen aber auch spastische 
Einziehungen ohne jegliche anatomische Ursache vor (de Quer¬ 
vain, Stierlin), doch dürften sie zu den grössten Seltenheiten 
gehören. Sie sollen sich durch Inkonstanz von den anatomisch 
bedingten unterscheiden. Die radiologische Entscheidung der 
Frage, welche der genannten Ursachen im gegebenen Falle die 
Einziehung bewirkte, ist eigentlich nur in den Fällen mit 
Sicherheit möglich, bei denen sich neben dem Spasmus eine 
Haudek’sche Nische findet. 

Zu erwähnen ist noch die Tatsache, dass wahre Sanduhr¬ 
mägen auch der röntgenologischen. Kognition leicht in jenen 
seltenen Fällen entgehen können, bei denen die Stenose dicht 
vor dem Pylorus liegt, sowie dass das Bestehen einer Sanduhr 
vorgetäuscht werden kann durch den Druck benachbarter Tumoren 
oder gasgeblähter Darmschlingen auf den Magen, sowie durch die 
Ausziehung der oberen Magenpartie bei Gastroptose. 

Die Pylorusstenose mit konsekutiver Magenektasie macht 
in ausgesprochenen Fällen ein wohl charakterisiertes radiologisches 
Bild. Der Magen ist nach der Länge, mehr noch nach der 
Breite und Tiefe vergrössert, der Pylorus liegt weit nach 
rechts (Rechtsdistanz von Strauss). Die Austreibungszeit 
ist enorm verlängert, sie beträgt oft 24 Stunden bis mehrere 
Tage (Jolasse, Kästle, Haudek), die Mahlzeit füllt den er¬ 
weiterten Magen nicht aus und liegt als breiter, halbmondförmiger, 
weit nach rechts reichender Schatten im tiefsten Teil des Magens. 
Bei beginnender Stenose ist die Hackenform des Schattens meist 
noch erhalten. Die Peristaltik verhält sich verschieden. Bei 
guter Kompensation der Stenose ist sie sehr kräftig, tief ein¬ 
schneidend und sehr hoch einsetzend, bei bestehender Dekompen¬ 
sation zeigt sie baldige Erlahmung. Antiperistaltik wurde 
\ron einzelnen Beobachtern sehr häufig, von anderen nur ganz 
selten beobachtet; wahrscheinlich sind Verschiedenheiten der 
gebrauchten Kontrastmahlzeiten dafür die Ursache. Ein Früh¬ 


symptom der Pylorusstenose, wie Jonas ursprünglich annahm, 
ist die Antiperistaltik nicht, da sie auch bei organischen Affektionen 
der Pars pylorica beobachtet wurde (Haudek, Holz kn echt). 
Man hat versucht, den Grad der Verengerung bei Pylorus- und 
anderen intestinalen Stenosen mit Hilfe säurefester, wismuthaltiger 
Kapseln von verschiedener Grösse festzustellen. Die Zwecklosig¬ 
keit solcher Untersuchungen hat Fujinami erwiesen, der fest¬ 
stellte, dass derartige Kapseln einerseits im Magen stark quellen, 
andererseits aber so weich werden, dass sie sich durch ganz enge 
Stenosen hindurchzwängen können. 

Das Magencarcinom. 

Die Differentialdiagnose des Magencarcinoms hat durch die 
radiologischen Untersuchungen speziell von Holzknecbt, sowie 
von Jonas, Fanlhaber, Schmieden und Härtel, Haudek u. a. 
eine wesentliche Förderung erfahren. Die röntgenologischen 
Symptome sind verschieden, je nach Sitz und Art des Carcinoms. 
Der Scirrhus des Magens, der infiltrierend wächst, führt jene 
Magenform herbei, die als Schrumpfmagen (Jonas) bezeichnet 
wird. Der Schrumpfmagen verrät sich radiologisch durch seinen 
Hochstand, seine Kleinheit, geringe aktive und passive Beweg¬ 
lichkeit und fehlende Peristaltik an den infiltrierten Partien. 
Oftmals findet man eine links konvexe Ausbuchtung der kleinen 
Curvatur, manchmal eine Erweiterung der Pars superior. Beim 
Schrumpfmagen ist die Hackenform stets aufgehoben, der Pylorus 
bildet den tiefsten Punkt des Magens. Ist die Cardia mitergriffen, 
so staut sich der Speisebrei in den Oesophagus hinein. Fast 
immer besteht Insuffizienz des Pylorus, durch den der Brei in 
kontinuierlichem Strom den Magen verlässt. Die Austreibungszeit 
ist verkürzt. Gelegentlich sieht man die linke Zwerch feil kuppe 
durch die Schrumpfung herabgezogen. 

Die fungösen und medullären Magencarcinome bewirken 
Scbattenaussparungen oder Füllungsdefekte im Schatten¬ 
bilde des Magens. Die Grenzlinien zwischen Füllungsdefekten 
und Magenbild pflegen dabei verwaschen und oft gezackt auszu¬ 
sehen. An der Pars pylorica machen die medullären Carcinome 
besonders charakteristische Bilder. Oft fehlt die ganze Pylorus- 
partie auf dom Bilde, der Brei erscheint erst wieder im Duo¬ 
denum. So entsteht die sogenannte Carcinomdistanz. Der 
Kanal, der durch das Carcinom führt, ist dann so eng, dass seine 
Füllung auf dem Bilde nicht in Erscheinung tritt. Manchmal 
ist der Kanal weit und dauernd mit Bi-Brei gefüllt, dann er¬ 
scheint er auf dem Bilde als Zapfen mit mehr oder weniger un¬ 
scharfen Konturen. Solche, Carcinomzapfen genannte, Gebilde 
findet man jedoch zuweilen auch dann, wenn der Tumor nur eine 
kleine Stelle der Circumferenz einnimmt und auch, wenn er prä- 
pylorisch sitzt. Den Sitz des Carcinoms kann man dann daran 
erkennen, dass an ihm die Peristaltik abbricht, während sie an 
der gegenüberliegenden Seite noch vorhanden ist. Der medulläre 
Krebs des Pylorus führt selbst bei ziemlich hochgradiger Stenose 
nicht immer zu radiologisch nachweisbarer Retention, in anderen 
Fällen bildet sich wiederum Ektasie und Stauung aus. Die Ur¬ 
sache dieser Verschiedenheiten ist noch nicht geklärt. Findet 
man eine sehr hochgradige Ektasie und Dilatation in Verbindung 
mit Pyloruscarcinom, so ist die Annahme berechtigt, dass das 
Carcinom auf dem Boden einer alten Ulcusstenose gewachsen ist, 
da der Verlauf des Carcinoms meist ein zu rascher ist, als dass 
es zur Ausbildung einer hochgradigen Magenerweiterung kommen 
könnte. Dagegen führt nach Faul h ab er der Scirrhus des 
Pylorus stets zur Stauungsinsuffizienz. 

Medulläre und fungöse Carcinome der Pars media er¬ 
kennt man ebenfalls an den durch sie bewirkten Schattenaus¬ 
sparungen und dem Fehlen der Peristaltik an der Stelle ihres 
Sitzes. Sie zeigen zuweilen das Bild des carcinomatösen Sand¬ 
uhrmagens, dessen Differentialdiagnose gegenüber dem benignen 
Sandubrmagen oben abgehandelt wurde. Carcinome der 
Vorder- und Hinterwand entziehen sich leicht der Beob¬ 
achtung bei sagittaler Durchleuchtung. Sie werden oft erst 
sichtbar, wenn man mit dem Schirm einen leichten Druck auf 
den Bauch ausübt und so den Brei wegdrängt, der zwischen 
Carcinom und gegenüberliegender Magenwand liegt. Es empfiehlt 
sich bei allen carcinomverdächtigen Mägen, die Füllung des 
Magens vor dem Röntgenschirm während des Essens zu beob¬ 
achten, da man hierbei manchmal kleine Füllungsdefekte sieht, 
die bei weiterer Anfüllung wieder verdeckt werden. 

Carcinome der Cardia erkennt man an der durch sie be¬ 
wirkten Stauung und Regurgitation des Breies in den 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


unteren Oesopbagasabschnitt. Bei circulärem Cardiacarcinom 
kann man gewöhnlich den das Carcinom durchbohrenden Kanal 
erkennen. Tumoren der Pars cardiaca, die die Cardia selbst nicht 
ergriffen haben, sind röntgenologisch sehr schwer zu diagnostizieren, 
da die Breifüllung nicht so weit hinaufreicht. Für darauf ver¬ 
dächtige Fälle empfiehlt Faulhaber die Aufblähungsmethode. 
Durch die Aufblähung sollen diese Tumoren als Schattenbildungen 
innerhalb des Fundusteiles zum Vorschein kommen. 

Verschiedene Autoren (de Quervain, Dietlen, Strauss) 
haben darauf hingewiesen, dass sowohl das Bild des carcinoma- 
tösen Schrumpfmagens als auch Füllungsdefekte, Schattenaus¬ 
sparungen usw. vorgetäucbt werden können durch extraventri- 
culäre, mit dem Magen verwachsene Tumoren und durch peri- 
gastrische Stränge. Auch der Druck der lordotischen Wirbelsäule 
auf den Magen soll gelegentlich Füllungsdefekte vorspiegeln, 
v. Bergmann sah vollständigen Pylorusdefekt infolge von Spas¬ 
mus bei Ulcus. 

Ueber die Frage, ob ein Tumor noch resezierbar ist, soll die 
Röntgendurchleuchtung ebenfalls Aufschluss geben können. Für 
Resezierbarkeit spricht angeblich das Erhaltensein der Hacken¬ 
form (Haudek) die Rotatio post coenam, d. i. die Drehung des 
palpablen Tumors im Sinne des Uhrzeigers bis 90° bei Füllung 
des Magens (Holzknecht), beides Symptome, die darauf hin¬ 
deuten, dass noch eine erhebliche Strecke der kleinen Curvatur 
frei ist. Gegen die Resezierbarkeit spricht nach Fränkel die 
kinographische Unbeweglichkeit der oberen Magenpartie. 

Bezüglich des Wertes der Röntgenmethode bei der Unter¬ 
suchung des Magens herrscht jetzt allgemeine Uebereinstimmung 
darüber, dass sie nur als Ergänzung der klinischen Untersuchung 
Gutes leisten kann. Fraglich ist es aber, ob aus dieser Erkenntnis 
in der Praxis auch immer die Konsequenzen gezogen werden. 
Aus der Röntgenuntersuchung allein kann gewiss öfters eine 
richtige Diagnose gestellt werden, ebensogut wie dies manchmal 
allein aus der Anamnese oder allein aus dem Mageninhaltsbefund 
geschehen kann. Der eigentliche Wert der Methode liegt darin, 
das9 durch sie die Differentialdiagnose zwischen Ulcus und Carci¬ 
nom stets gefördert, in den meisten Fällen sogar entschieden 
werden kann. Dies allein genügt schon, um die Methode heute 
jedem Internisten als unentbehrlich erscheinen zu lassen. Es 
muss jedoch an der Forderung festgehalten werden, dass der 
röntgenologischen Untersuchung stets die klinische voranzugehen 
habe, und dass der Röntgenologe vor der Untersuchung über 
den klinischen Befund und die diflferentialdiagnostische Frage¬ 
stellung aufs genaueste informiert sein muss. 


Literatur. 

A. Baron und Th. Barsony, Spastischer Sanduhrmagen bei 
isolierter Duodenalaffektion. Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 31. — 
v. Bergmann, Das spasmogene Ulcus pepticum. Münchener med. 
Wochenschr., 1913, S. 169. — W. Bloch, Belastungsproben des 
Magens. Diese Wochenschr., 1910, S. 716. — J. Boas, Diagnostik und 
Therapie der Magenkrankheiten. Leipzig 1912. — H. Dietlen, Rönt¬ 
genologische Fehldiagnose bei Magenkrankheiten. Verhandl. d. Kongr. 
f. innere Medizin, 1912. — 0. v. Elise her, Ueber eine Methode zur 
Röntgenuntersuchung des Magens. Fortschr. auf d. Geb. d. Röntgen¬ 
strahlen, Bd. 18, S. 332. — Faulhaber, Die Bedeutung der Röntgen¬ 
untersuchung für die Diagnose des Magencarcinoms. Deutsches Archiv 
f. klin. Med, 1910, Bd. 101, S. 177. — Derselbe, Zur Röntgen¬ 
diagnostik des tiefliegenden, callösen Ulcus ventriculi. Münchener med. 
Wochenschr., 1910, S. 2073. — Derselbe, Die Röntgendiagnostik der 
Magenkrankheiten. Halle 1912. — A. Fränkel, Diagnostische und 
operationsprognostische Bedeutung der Röntgenkinographie. Verhandl. 
d. Kongr. f. innere Medizin 1912. — K. Fujinami, Ueber den Wert 
säurefester, sichtbarer Boli für die Röntgenuntersuchung des Pylorus 
und die Brauchbarkeit der Glutoid- und Geloduratkapseln. Fortschr. a. 
d. Geb. d. Röntgenstrahlen, 1911/12, S. 221. — Derselbe, Ueber eiue 
einfache Methode der röntgenologischen Ermittlung der Saftsekretion im 
speiseleeren Magen. Deutsche med. WocheDscbr, 1912, Nr. 7. — 
F. M. Grödel, Die peristolische Funktion des Magens im Röntgenbild. 
Münchener med. Wochenschr., 1909, S. 567. — Derselbe, Die rönt¬ 
genologisch nachweisbaren Merkmale der Gastrektasie und Pylorusstenose. 
Diese Wochenschr., 1908, S. 742. — Derselbe, Gibt es eine Ptose 
des Magens? Med. Klink, 1908, Nr. 9. — Derselbe, Atlas und 
Grundriss der Röntgendiagnostik in der inneren Medizin. München 
1909.—F. Härtel, Diagnostische und therapeutische Erfahrungen beim 
Sanduhrmagen. Archiv f. klin. Chir., 1911, Bd. 96, S. 1. — M. Hau¬ 
dek, Zur röntgenologischen Diagnose der Ulc.crationen in der Pars 
media des Magens. Münchener med. Wochenschr., 1910, S. 1587. — 
Derselbe, Die Röntgendiagnose des callösen (penetrierenden) Magen¬ 
geschwürs und ihre Bedeutung. Münchener med. Wochenschr., 1910, 
S. 2463. — Derselbe, Radiologische Beiträge zur Diagnostik des Ulcus 
und Carcinoma ventriculi. Münchener med. Wochenschr., 1911, S. 399.— 


Derselbe, Ueber die radiologischen Kriterien der Pylorusstenose. 
Wiener med. Wochenschr., 1910, S. 2094. — Derselbe, Die Technik 
und Bedeutung der radiologischen Motilitätsprüfung. Verhandl. d. 
Kongr. f. innere Medizin 1912. — G. Holzknecht, Die Ergebnisse 
der radiologischen Untersuchung palpabler Magentumoren, verwendet zur 
Diagnose nicht palpabler. Wiener med. Wochenschr., 1907, S. 222. — 
Derselbe, Die neueren Fortschritte der Röntgenuntersuchung des Ver- 
dauungstractus. Diese Wochenschr., 1911, S. 158. — G. Holzknecht 
und Fujinami, Häufigkeit des röntgenologischen Nachweises der Para¬ 
sekretion des Magens. Wiener med. Gesellschaft, 22. Dezember 1911. — 
Dieselben, Prüfung des Magens auf „rohe Motilität“ mittels Durch¬ 
leuchtung. Münchener med. Wochenschr., 1912, S. 345. — G. Holz¬ 
knecht und S. Jonas, Die Röntgenuntersuchung des Magens und ihre 
diagnostischen Ergebnisse. Ergebn. d. inn. Med. u. Kinderheilk., 1910, 
Bd. 4, S. 455. — 0. Jolasse, Beitrag zur Röntgendiagnose des Sand¬ 
uhrmagens. Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstrahlen, Bd. 11, S. 312. — 
Derselbe, Zur Motilitätsprüfung des Magens durch Röntgenstrahlen. 
Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstrahlen, 1907, Bd. 11, S. 47. — S. Jonas, 
Ueber die physiologische und pathologische Kleinheit des Magens. 
Boas’ Archiv, 1907, Bd. 17, S. 591. — Derselbe, Ueber Antiperistaltik 
des Mageus. Deutsche med. Wochenschr., 1903, S. 916. — Derselbe, 
Ueber die Entwicklungsstadien der Pylorusstenose und ihre klinisch¬ 
radiologische Diagnostik. Wiener klin. Wochenschr, 1909, S. 1515. — 
Derselbe, Zur Pathologie und Diagnostik des spastischen Sanduhr¬ 
magens. Wiener klin. Rundschau, 1909, S. 777 u. 809. — C. Kästle, 
Ueber Motilitätsprüfungen mit Hilfe der Röntgenstrahlen. Münchener 
med. Wochenschr., 1908, S. 1733. — C. Kästle, Rieder und Rosen- 
thal, Ueber Röntgenkinematographie innerer Organe des Menschen. 
Zeitschr. f. Röntgenkunde, 1910, H. 1. — Kretschmer, Zur Diffe¬ 
rentialdiagnose des benignen und malignen Sanduhrmagens. Diese 
Wochenschr., 1911, Nr. 21. — Levy-Dorn und Silberberg, Poly¬ 
gramme, eine neue Art Röntgenbilder zur Darstellung von BeweguDgs- 
vorgängen. Diese Wochenschr., 1912, S. 549. — F. de Quervain, 
Chirurgische Erfahrungen mit der Radiologie des Magendarmkanals. 
Verhandl. d. Kongr. f. innere Medizin 1912. — Derselbe, Zur Röntgen¬ 
diagnostik des runden Magengeschwürs. Münchener med. Wochenschr., 

1911, Nr. 17. — F. Reiche, Zur Diagnose des Ulcus ventriculi im 
Röntgenbild. Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgen strahlen, Bd. 14, S. 171. — 
H. Rieder, Radiologische Untersuchung des Magens und Darmes beim 
lebenden Menschen. Münchener med. Wochenschr., 1904, S. 1549, und 
Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstrahlen, 1904, Bd. 8. — Derselbe, 
Röntgenuntersuchung des Magens und Darmes. Münchener med. Wochen¬ 
schrift, 1906, S. 111. — Derselbe, Die Sanduhrformen des mensch¬ 
lichen Magens. Wiesbaden 1910. — Derselbe, Das Röntgenverfahren 
im Dienste der Pathologie und Therapie des Magendarmkanals. Ver¬ 
handl. d. Kongr. f. innere Medizin 1912. — Sahli, Lehrbuch der klini¬ 
schen Untersuchungsmethode, 1909, 5.Aufl.— H. Salomon, Verhandl. 
d. Gesellsch. f. innere Medizin u. Kinderheilk., Wien, 7. März 1907. — 
E. Schenck, Die Röntgensymptome der Gastroptose und Gastrektasie, 
bzw. der nichtchirurgischen Magenkrankeiten im Vergleich zu den übrigen 
klinischen Untersuchungsmethoden. Verhandl. d. Kongr. f. innere Medizin 

1912. — E. Schlesinger, Eine Aciditätsbestimmung des Mageninhalts 
mittels Röntgenverfahrens. Deutsche med. Wochenschr. 1911, S. 1391.— 
Derselbe, Zur Motilitätsprüfung des Magens mittels Röntgenstrahlen. 
Diese Wochenschr., 1910, S. 281. — Derselbe, Die Grundformen des 
normalen und pathologischen Magens und ihre Entstehung. Diese 
Wochenschr., 1910, S. 1977. —V. Schmieden, Die Differentialdiagnose 
zwischen Magengeschwür und Magenkrebs. Archiv f. klin. Chir., 1911, 
Bd. 96, S. 253. — V. Schmieden und Härtel, Röntgenuntersuchung 
chirurgischer Magenkrankheiten. Diese Wochenschr., 1909, Nr. 15—17.— 
Ad. Schmitt, Zur Diagnose des Sandubrmagens. Archiv f. klin. Chir., 
1906, Bd. 81, S. 487. — G. Schwarz, Radiologische Methode zur 
Prüfung der Magenfunktion. Zeitschr. f. ärztl. Fortbildung, 1906. — 
Derselbe, Neue Beiträge zur Röntgenuntersuchung des Digestions- 
tractus. Diese Wochenschr., 1912, S. 725. — Derselbe, Zur Aciditäts¬ 
prüfung des Mageninhalts mittels des Röntgenverfabrens. Deutsche med. 
Wochenschr., 1911, S. 1608. — G. Schwarz und S. Kreuzfuchs, 
Ueber radiologische Motilitätsprüfung des Magens. Die Schlusskontraktion. 
Wiener med. Wochenschr., 1907, S. 443. — E. Stierlin. Röntgeno¬ 
logische Erfahrungen über Magenspasmen. Münchener med. Wochenschr., 
1912, S. 796. — H. Strauss, Zur Differentialdiagnose des Ulcus pene- 
traus carcinomatosum. Diese Wochenschr., 1912, S. 2165. — H. Strauss 
und S. Brandenstein, Ueber Ulcus penetrans ventr. und Sanduhr¬ 
magen. Diese Wochenschr., 1911, Nr. 28, S. 1269. — J. Tornai, Bei¬ 
träge zur Röntgendiagnostik der Stenosen des Verdauungstractus.^ Diese 
Wochenschr., 1910, Nr. 29. 


Bücherbesprechungen. 

L. A. Tarsgewitsch: Handbuch der medizinischen Mikrobiologie- 

Für Aerzte und Studierende mit einer Vorrede von Metchnikoff 
* unter Mitwirkung zahlreicher Fachgelehrter herausgegeben. 2 Bände 
mit 154 Abbildungen im Text und einem Atlas von 16 Tafeln mit 
194 Photogrammen, zusammengestellt von Abrikosoff und Marzi- 
nowsky. Petersburg und Kiew 1912/1913, Sotrudnik; russisch. 
Mit grosser Freude ist es zu begrüssen, dass Tarasewitsch es 
unternommen hat, sowohl seinen Landsleuten, wie der gesamten medi- 


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UNIVERSUM OF IOWA 






21. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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zinischen Welt zu zeigen, dass die russische Wissenschaft sich nicht 
mehr auf die Uebersetzung deutscher und französischer Werke zu be¬ 
schränken braucht, sondern aus eigenen Kräften imstande ist, gute 
Handbücher zu schaffen. Der Herausgeber hat mit gutem Recht mög¬ 
lichst viele Mitarbeiter für sein Handbuch herangezogen, soweit als 
möglich Fachleute, welche auf den speziellen Gebieten gearbeitet haben. 
Trotz der verhältnismässig grossen Zahl von Mitarbeitern von über 30 
ist der Einheitlichkeit des Ganzen in keiner Weise Abbruch getan. In 
der Vorrede gibt Metchnikoff einen Ueberblick über die geschicht¬ 
liche Entwicklung der Mikrobiologie und spricht sein Befremden darüber 
aus, dass die sonst allem Neuen huldigenden Russen bis jetzt noch kein 
eigenes Lehrbuch in dieser Disziplin geschaffen und sich mit Ueber- 
setzungen begnügt haben. Der erste 428 Seiten starke Band enthält 
den allgemeinen Teil und bringt zuförderst die Morphologie und Physio¬ 
logie der Mikroorganismen, dann folgt in überaus klarer und fesselnder 
Sc reibweise die Lehre von der Infektion und Immunität usw. Der 
vierte Abschnitt des ersten Bandes enthält die bakteriologische Technik 
und Methodik, unter denen einzelne von Diatroptow geschriebene 
hervorzuheben sind. 

Der zweite spezielle Teil ist bereits in der zweiten Auflage (700Seiten) 
erschienen, da es aus redaktionellen Gründen unmöglich war, denselben 
schon in erster Auflage vollständig herauszugeben. Es liegt nicht im 
Rahmen eines Referates, hier alle einzelnen, von sachkundiger Feder 
geschriebenen Artikel aufzuzählen, deren wissenschaftlicher Wert natur- 
gemäss verschieden ist. Angenehm berührt auch in diesem speziellen 
Teil die ziemlich gleichmässige Berücksichtigung der ausländischen, zu¬ 
mal der französischen wie deutschen Literatur. Wir können nicht umhin, 
uns der Ansicht Metchnikoff’s anzuschliessen, der im Vorwort betont, 
dass so viele der in die russische Sprache übersetzten Lehrbücher einer¬ 
seits des weiten Blickes ermangeln, andererseits eine Anzahl mehr oder 
minder tendenziös geschrieben ist. Wissen wir ja, dass auch bedeutende 
Forscher leider die Gewohnheit angenommen haben, nur diejenigen 
Autoren zu citieren, die ihre Ansichten bestätigen, während sie die 
anderen verschweigen. Vergleichen wir in dieser Hinsicht verschiedene 
Abschnitte des russischen Handbuches mit den gleichen Kapiteln unserer 
bakteriologischen Literatur, so finden wir erfreulicherweise mitunter 
einzelne Fragen von ganz anderen und neuen Gesichtspunkten beleuchtet. 
— Die Anordnung der einzelnen Kapitel ist nicht immer glücklich ge¬ 
wählt; so findet sich z. B. manches im speziellen Teil, was in den all¬ 
gemeinen gehört. Auch sind einzelne wichtige Kapitel nicht eingehend 
genug bearbeitet worden. Diese vom Ref. zu erwähnenden und in neuen 
Auflagen zu berücksichtigenden Mängel tun jedoch dem ganzen und 
gross angelegten Werk, welches eine Zierde der russischen medizinischen 
Literatur bildet, keinerlei Abbruch. Lydia Rabinowitsch. 


W. Prntz und E. Monier: Die chirurgischen Erkrankungen und 
die Verletzungen des Darmgekröses nnd der Netze. Mit 

66 Textabbildungen. (Deutsche Chirurgie, Lieferung 46 K.) Stutt¬ 
gart 1913, Ferd. Enke. 406 S. Preis 18 M. 

In vorliegender Monographie erfährt die Chirurgie der Netze und 
der Mesenterien eine so umfassende, die gesamte Literatur berück¬ 
sichtigende Darstellung, wie sie uns bisher nicht zu Gebote stand. Das 
71 Seiten im Kleindruck füllende Literaturverzeichnis ist gut gegliedert 
und bildet eine höchst wertvolle Sammlung des in der Weltliteratur 
zerstreuten Materials. Die ersten sechs Abschnitte behandeln die Ent¬ 
wicklungsgeschichte und Anatomie von Netz und Mesenterium, die Falten 
und Taschen bi Idungen in denselben sowie die daraus resultierenden 
Störungen, abnorme Lagerungen, Lücken, Spalten und Hernien im Netz 
und Gekröse. In besonderen Kapiteln sind dargestellt die Verletzungen, 
die akuten und chronischen Entzündungen, die Netztorsion, die Geläss¬ 
erkrankungen, die Cysten und Geschwülste des Gekröses und der Netze. 

Die Darstellung ist alleothalben sehr anschaulich, die Abbildungen 
sind gut und instruktiv. Das Werk gibt einen ausgezeichneten Ueber¬ 
blick über den gegenwärtigen Stand der Materie und wird gewiss jedem 
Fachmann willkommen sein. Adler-Berlin-Pankow. 


Wagner v. Janregg: Myxödem nid Kretinismus. Handbuch der 
Psychiatrie, herausgegeben von Aschaffenburg, spez. Teil, 
2. Abt., 1. Hälfte. Leipzig und Wien, Deuticke. 91 S. Preis 
3,50 M. 

W. bringt eine sehr klare und übersichtliche Darstellung des Myx¬ 
ödems der Erwachsenen — das infantile Myxödem wird an anderer Stelle 
geschildert —, des operativen Myxödems (Cachexia strumipriva), des 
endemischen und sporadischen Kretinismus, mit besonderer Berück¬ 
sichtigung der psychischen Störungen bei denselben, deren Wesenart 
und Bedeutung, wie W.’s Zusammenfassung ergibt, noch sehr der Klärung 
bedürfen. Besonders sorgfältig werden wir über die Therapie orientiert. 
Dort wie auch sonst macht sich W.’s reiche eigene Erfahrung in erfreu¬ 
licher Weise bemerkbar. E. Meyer-Königsberg i. Pr. 


E.Jaeobi: Atlas der Hantkmkheiten mit Einschluss der wichtigsten 
venerischen Erkrankungen. 5. Auf!., 2 Bände. Berlin 1913, 
Urban und Schwarzenberg. 45 M. 

Wenn in noch nicht zehn Jahren ein Werk bereits seine 5. Auflage 
erlebt» so ist das ein sioheres Zeugnis für den Wert des Buehes sowie 


für das gelungene Bestreben des Verfassers, jeder neuen Auflage Ver¬ 
besserungen und Vervollkommnungen hinzuzufügen. Neue Fortschritte 
der Technik, wie der Vierkartendruck oder die Verwendung plastischer 
(Moulagen) anstatt flacher Vorlagen zur Reproduktion wurden von 
Jacobi zuerst für die Wissenschaft verwertet. Die Feinheiten und 
Schärfen des Modells treten bei seiner Wiedergabe mit bisher unerreichter 
Deutlichkeit hervor. In der neuesten Auflage kommen zu den alten 
Vorzügen des Atlas erhebliche Vermehrungen hinzu. Statt 243 farbiger 
Abbildungen auf 132 Tafeln finden wir jetzt 266 farbige Abbildungen 
auf 161 Tafeln, und zwar betreffen diese neuen Illustrationen seltenere 
Erkrankungen, wie Sporotrichosis, Hydroa vacciniformis u. dgl., welche 
in der allgemeinen Praxis kaum zur Beobachtung kommen und daher 
um so notweniger zu Lehrzwecken exakt abgebildet sein müssen. Aerzten 
und Studierenden, die sich in diesem Spezialfach unterrichten wollen, 
kann auch diese neue Auflage des vorzüglichen Werkes aufs wärmste 
empfohlen werden. Max Joseph-Berlin. 


H. Babrdt-Berlin: Bibliographie der gesamten Kinderheilkunde für 
das Jahr 1911. Berlin, Julius Springer. Preis 12 M. 

In dieser Bibliographie sind alle im Jahre 1911 erschienenen Arbeiten, 
die in den Bänden 1, 2, 3 des Referaten feiles der Zeitschrift für Kinder¬ 
heilkunde referiert sind, aufgefübrt. Es sind dies 4500 Arbeiten, die 
nach grösseren Kapiteln geordnet sind. Besonders wertvoll ist ein 
alphabetisches Namen- und Sachregister. R. Weigert. 


Axel Reyn -Kopenhagen: Die Finsenbehandlung. (6. Band der 
„Bibliothek der physikalisch-medizinischen Techniken“, heraus¬ 
gegeben von Heinz Bauer.) 126 S. 86 Abbildungen im Text. 
Berlin 1913, Verlag von Hermann Meusser. 

Keiner ist wohl berufener, die Finsenbehandlung zum Gegenstand 
einer Monographie zu machen als Axel Reyn, der Schüler und lang¬ 
jährige Mitarbeiter Finsen’s, welcher jetzt die Hautklinik des Finsen- 
Institutes in Kopenhagen leitet. 

Jedem, der die Grundlagen, die Technik und Anwendung dieser 
Methode kennen lernen will, kann das Büchlein auf das Angelegentlichste 
empfohlen werden. 

Eine grosse Anzahl guter Abbildungen gibt uns eine recht lebendige 
Vorstellung von der Konstruktion der Apparate, der Ausübung der Be¬ 
handlung selbst und den erzielten Erfolgen. Auch die Rotlichtbehandlung 
der Pocken und die Behandlung interner Erkrankungen mit chemischen 
Bogenlichtbädern, welche ebenfalls auf die Initiative Finsen’s zurück¬ 
zuführen sind, finden die gebührende Würdigung. Das Literaturverzeichnis 
am Schlüsse enthält alle wichtigen Arbeiten über Finsenbehandlung, 
resp. über Untersuchungen, welche mit dieser Methode in irgendeinem. 
Zusammenhang stehen. 

Referent hätte demnach an dem Werk nur eines zu monieren: Der 
Preis von 6,20 M. für eine Broschüre von 112 Seiten ist bei aller An¬ 
erkennung der guten Ausstattung etwas hoch. 

H. E. Schmidt-Berlin. 


fl. Conet: Die aknte allgemeine Miliartnberkolese. Zweite, gänz¬ 
lich umgearbeitete Auflage. Wien und Leipzig 1913, Alfred 
Holder. 79 S. Preis 2,30 M. 

Der Verf. gibt in knappster Form eine vollkommene Uebersicht über 
alle Gesichtspunkte, die bezüglich der akuten allgemeinen Miliartuber¬ 
kulose in Frage kommen. Besonderer Erwähnung wert ist die Erörterung 
der Heilbarkeit in bejahendem Sinne. Er sagt mit Recht: „Nach meinem 
Ermessen liegt die Gefahr für den Miliartuberkulosen oft viel weniger 
darin, dass die einmal gesetzten tausend und abertausend Tuberkel 
nicht heilen könnten, als darin, dass er durch neue Nachschübe von dem 
alten Gefässherd oder einer anderen Einbruchstelle aus, dass er durch 
die Vergiftung zugrunde geht, bevor noch eine richtige „Naturheilung 
in die Wege geleitet ist“. 

Ein eingehendes Literaturverzeichnis ermöglicht das genauere 
Studium aller für die Genese und den Verlauf des Leidens wesentlichen 
Umstände. Aufreoht. 


Krohie: Die den Hebammen, Hebammenlebrern nid Kreisärzten 
durch die Neuauflage des prenssischen Hebammenlehrbuehes 
erwachsenden Aufgaben. Veröffentlichungen aus dem Gebiete 
der Medizinalverwaltung. Bd. I, H. 16. Berlin 1912, Verlag von 
Richard Schoetz. 69 S. Preis 2 M. 

Die Veröffentlichung soll in erster Linie eine Begründung der 
wichtigsten Aenderungen des Hebam men 1 ehrbuch es sein. Als solche 
sind aufzufassen: Die Umgestaltung der Desinfektionsvorschriften, die 
Einschränkung der inneren Untersuchung, die Erweiterung der operativen 
Befugnis der Hebammen. Ueber diese drei Fragen ist an anderer Stelle 
ausführlich gesprochen worden. Von einem Verbot der Nachgeburts¬ 
lösung durch die Hebammen, das gleichfalls der Kommission zur Er¬ 
örterung vorlag, wurde abgesehen. Wenn wir auch im Prinzip dieser 
Entscheidung, ebenso wie der Beibehaltung der Tamponade zustimmen, 
so müssen wir doch Bedenken erheben gegen die Beweiskraft der 
statistisch festgestellten Infektionen nach Placentarlösungen, die in den 
drei Jahren 1909—1911 von den Hebammen in Preussen ausgeführt 

6 * 


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UMIVERSITY OF IOWA 




74Ö 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


wurden. Nach Ermittelungen der Regierungspräsidenten betrug die 
Morbidität der Fälle nur 4pCt., die Mortalität nicht mehr als 2,9 pCt. 
Nach Erledigung dieser Hauptpunkte citiert Kr., teilweise mit besonderer 
Begründung, in der Reihenfolge der Paragraphen die übrigen Abände¬ 
rungen, die zu zahlreich sind, als dass sie sich im Rahmen eines kurzen 
Referates des näheren besprechen lassen. C. Holste-Stettin. 


Literatur-Auszüge. 

Physiologie. 

H. Stassano*. Beitrag zur Kenntnis des Plasmas von Propepton. 
(Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 1913, Nr. 9.) Ungeronnenes 
Plasma von Propepton coaguliert durch Verdünnung mit destilliertem 
Wasser, selbst wenn diesem ein anticoagulierendes Salz zugesetzt wird. 
Salzhaltiges Plasma gerinnt unter dieser Bedingung nicht. Dieses ent¬ 
hält vor der Verdünnung das Fibrinferment in der inaktiven Form des 
Profibrinferments, während in dem Plasma von Propepton aktives Fibrin¬ 
ferment ist. 

Desgrez und Dorlöans: Einfluss der Aminogruppe auf den Blut¬ 
druck. (Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 1913, Nr. 10.) Die von 
den Verff. früher ausgesprochene Vermutung, dass das Guanin durch 
seine Aminogruppe Blutdrucksenkung macht, wird durch Versuche mit 
anderen Aminokörpern bewiesen. Man fand daneben, dass grössere 
Dosen dieser Körper, zu denen auch die Ptomaine und Glukomaine ge¬ 
hören, eine Steigerung des arteriellen Druckes hervorrufen. Dies ist eine 
Bestätigung der von Bouchard bei Autointoxikation gemachten Beob¬ 
achtungen. Wartensleben. 

A. Tominelli: Die Veränderungen des Glykogens in der Leber 
und in den Maskein infolge Abbindang des Gallenganges. (Gazz. intern, 
med., chir. e igiene intern., 1912, Nr. 16, S. 866.) Bei Gallenstauung 
geht die Verringerung der Quantität des Leberglykogens gleichmässig 
mit dem Fortschreiten des Uebels vor sich, bis nach 20 Tagen der Ab¬ 
bindung des Gallenganges das Glykogen fast vollständig verschwunden 
ist; dabei wird bedeutende Bindegewebshyperplasie und bis zur voll¬ 
ständigen Entartung fortschreitende Veränderung des Zellprotoplasmas 
beobachtet. Es scheint dies grösstenteils von der toxischen Wirkung 
der Galle sowie von dem unmittelbar auf die Zellen und Blutcapillaren 
seitens des Bindegewebsgerüstes ausgeübten Drucke abzuhängen. In den 
neugebildeten Leberzellen konnte kein Glykogen nachgewiesen werdeu, 
was zu der Annahme berechtigt, dass die zuckerbildende Funktion aus¬ 
schliesslich der erwachsenen Zelle zukommt utad in unmittelbarer Be¬ 
ziehung zur Unversehrtheit des Protoplasmas steht. M. Segale. 

J. Grode und E. J. Lesser- Mannheim: Ueber die Wirkung des 
diastatischen Ferments auf das Glykogen innerhalb der Zelle. (Zeit¬ 
schrift f. Biol., Bd. 60, H. 8 u. 9, S. 371—387.) Im Winter findet in 
Froschorganen ein postmortaler Glykogenschwund nicht statt. Die Zer¬ 
störung der Organzellen beschleunigt deutlich die Umwandlung des 
Glykogens. Anscheinend besteht intra vitam eine Trennung von Glykogen 
und Diastase, welche innerhalb der verschiedenen physiologischen Be¬ 
dingungen sich ändern kann. Vielleicht unterscheiden sich die diabetische 
und die normale Leber in ähnlicher Weise. Es würden also strukturelle 
Momente physikalisch-chemischer Natur ausschlaggebend sein. Die 
Untersuchung von Organextrakten beweist immer nur, dass in dem Organ 
ein Ferment vorhanden ist, aber nicht, dass es in Wirksamkeit ist. 

L. Wacker und W. Hu eck - München: Chemische und morpho¬ 
logische Untersuchungen über die Bedeutung des Cholesterins im Orga¬ 
nismus. (Archiv f. experiment. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 71, H. 5, 
S. 873—394.) Der Gehalt an Cholesterin der Nebennierenrinde scheint 
auch unter pathologischen Bedingungen konstant zu bleiben, während 
der Gehalt an Cholesterinestern Schwankungen unterliegt. Die mikro¬ 
skopische Untersuchung auf doppeltbrechende Substanz ergibt einen un¬ 
gefähren Anhaltspunkt für die Menge der vorhandenen Cholesterinester. 
Die Nebennierenrinde zeigt häufig einen sehr reichlichen Gehalt an 
Cbolesterinestern bei Atherosklerose, chronischen Nierenleiden, Diabetes 
und während der Schwangerschaft, einen stark herabgesetzten Gehalt 
bei allen etwas länger bestehenden infektiösen Prozessen, chronischen 
ulcerierenden Carcinomen und Tuberkulosen. Injiziert man Katzen töd¬ 
liche Dosen Saponins, so nimmt im Serum das Cholesterin ab, während 
gleichzeitig die Cholesterinester in der Nebennierenrinde schwinden. In¬ 
jiziert man allmählich in Zwischenräumen kleinere Saponinmengen, so 
nimmt der Cholesteringehalt des Serums und der Cholesterinester der 
Nebennierenrinde zu. Jacoby. 

A. Mayer und G. Schaeffer: Der Gehalt der Gewebe an nicht- 
flüchtigen Fettsäuren und an Cholestearin und die mögliche Existenz 
einer lipocytischen Konstante. (Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 
1913, Nr. 6.) Bei der gleichen Tierart ist der Gehalt eines Organs an 
Fettsäuren und an Cholestearin fast konstant; bei verschiedenen Arten 
ist die Menge dieser Körper sehr verschieden. Jedoch sind sie reich¬ 
licher vorhanden bei den Vögeln als bei den Säugern. Das Verhältnis 
von Cholestearin zu Fettsäuren ist für ein bestimmtes Organ ziemlich 
charakteristisch. Das Verhältnis von Fettsäuren zu Cholestearin (oder 
lipocytischer Koeffizient) hat oine grosse physiologische Bedeutung. 

R. Fosse; Bildung von Harnstoff durch zwei Schimmelpilze. (Compt. 
rend. de l’acad. des Sciences, 1913, Nr. 3.) Harnstoff entsteht nicht 


allein aus Eiweiss, sondern, bei Anwesenheit von Arsenik, auch aus dem 
Glycerin der Fette und den Kohlehydraten. Als Hauptfaktor bei der 
Ureogenese muss ein Oxydationsprozess, nicht eine Diastase angesehen 
werden. Durch Oxydation von Zucker und Ammoniak entsteht Harnstoff 
im Aspergillus niger und Penecillium glaucum, in deren Zellen er nach¬ 
gewiesen werden konnte. 

J. Stoklasa, J. Sebor und T. Zdobnicky: Ueber die Synthese 
von Zucker aus den radioakliven Emanationen. (Compt. rend. de 
l’acad. des Sciences, 1913, Nr. 8.) Untor dem Einfluss der Radium¬ 
emanation (wie auch der ultravioletten Strahlen) entsteht aus Wasser¬ 
stoff und Kohlensäure in Gegenwart von Kaliumbicarbonat Aldehyd, das, 
mit Pottasche in Berührung, sich polymerisiert und reduzierende Zucker 
ergibt. Wartensleben. 

W. Gessner - Olvenstedt - Magdeburg: Fettstoffwechsel. (Wiener 
klin. Wocbenschr., 1913, Nr. 13.) Die Lehre vom Fettstoffwechsel hat 
in den letzten Jahren ganz bedeutende Fortschritte gemacht, wenn auch 
eine ganze Reibe von Fragen noch als absolut unaufgeklärt gelten 
müssen. Als Körper, welche den Fettstoffwechsel direkt oder indirekt 
zu beeinflussen imstande sind, haben wir Phloridzin, Phosphor, Alkohol 
und Aether kennengelernt. Alkohol und Phosphor wirken in kleinen, 
therapeutisch anwendbaren Dosen direkt fett- und eiweisssparend, also 
ganz im Sinne eines Tonicums. Bedingung für die Wirksamkeit des 
Phosphors ist seine Darreichung in einem leicht emulgierbaren Fett¬ 
körper (Lebertran), während der als Element gegebene Phosphor sich 
als völlig unwirksam erwiesen hat. Der Verf. sieht auch bei den Noorden- 
schen Haferkuren der Diabetiker die in dem Hafer enthaltenen Phos- 
phatide als die wirkenden Bestandteile an. P. Hirsch. 

A. Labat: Ueber das normalerweise bestehende Vorkommen von 
Brom in den Organen des Menschen. (Compt. rend. de Pacad. des 
Sciences, 1913, Nr. 3.) Die Schilddrüse enthält stets Brom, allerdings 
in viel geringerer Menge als Jod. Ebenso findet man Spuren im Gehirn, 
in relativ grosser Dosis im Urin. Leber, Herz, Milz, Nieren und Blut 
sind gewöhnlich frei von Brom. Es wird in den Körper eingeführt mit 
der Nahrung, ausgeschieden durch den Urin. Wartensleben. 

F. Eberstadt - Heidelberg: Ueber den Einfluss chronischer ex¬ 
perimenteller Anämien auf den respiratorischen Gasweehsel. (Archiv f. 
experiment. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 71, H. 5, S. 329—363.) Kaninchen, 
die infolge von Aderlässen anämisch sind, zeigen meist nur eine geringe 
Steigerung der Oiydationem Toxische Anämie durch Injektion von 
Phenylhydrazin führt zu einer Verminderung der Wärmeproduktion. Die 
Verminderung der Oxydationen wird sekundär durch die Hypoplasie des 
Knochenmarks bedingt, welche von der Anämie bewirkt wird. 

J acoby. 

Bergeil: Ueber die Aktivierung der Fermente durch Badiim- 
emanation. (Zeitschr. f. BalneoL, 6. Jahrg., Nr. 1.) Die Radium¬ 
emanation hat zweifellos Einfluss auf manche Fermentkatalysen. B. ist 
der bestimmten Ansicht, dass Radiumemanation ein für Gicht spezifisches 
Gift ist. Bei manchen Gichtikern lösen einige Tausend Mache-Einheiten 
einen Anfall aus, während der normale Mensch Millionen Einheiten ver¬ 
tragen kann. Auch im Abklingen des Anfalls kann Emanation ver¬ 
schlimmern. Bei deformierender Gicht und chronischem Rheumatismus 
wirkt Emanation lokal angewandt in jüngeren Fällen eklatant, bei hohem 
Alter ungünstig. Milder Diabetes, milde Schrumpfniere werden durch 
jahrelange grosse Dosen günstig beeinflusst. E. Tobias. 

H. Bierry und Lucie Fandard: Adrenalin und Glykämie. 
(Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 1913, Nr. 6.) Die intraabdominelle 
Injektion von Adrenalin macht beim Hunde eine bis zur dritten oder 
vierten Stunde steigende Vermehrung von freiem Zucker im Blute; bei 
intravenöser Injektion tritt das Maximum früher ein. Die Menge des 
gebundenen Zuckers nimmt dagegen viel länger zu, und es ist an¬ 
zunehmen, dass so ein Teil des nach Adrenalininjektion ins Blut über¬ 
tretenden Zuckers dem Organismus erhalten bleibt. 

Wartensleben. 


Pharmakologie. 

0. Gros - Leipzig: Der pharmakodynamische Grenzwert des Stro¬ 
phantins für das Eskulentenherz. (Archiv f. experim. Pathol. u. 
Pharmakol., Bd. 71, H. 5, S. 364—372.) Die Untersuchung ist von 
speziell pharmakologischem Interesse. Jacoby. 

B. A. Houssay - Buenos-Ayres: Ueber die Kombination von 
Adrenalin und Hypophysin und deren klinische Verwendbarkeit. 
(Wiener klin. Wochenscbr., 1913, Nr. 13.) Durch entsprechende Kom¬ 
bination beider Substanzen wird die intensive Adrenalinwirkung auf Hera 
und Gefässe mit der protrahierten Hypophysinwirkung vereinigt. Die 
Harmlosigkeit des Hypophysins gestattet eine Reduzierung der Adrenalin¬ 
dosis unter Steigerung der günstiger), Wirkung. Es scheint ratsam, die 
Kombination im Verein mit den lokal anästhesierenden Substanzen in 
der Ophthalmologie und in der Oto-Rhino-Laryngologie zu erproben. 

P. Hirsch. 

R. Dalimier: Wirkung der arsenoaromatisehen Verbindungen 
auf das Hämoglobin des Blutes. (Compt. rend. de i’aead. des Sciences, 
1913, Nr. 8.) Das Salvarsan wirkt weder in vitro, nooh in vivo auf das 
Hämoglobin des Blutes. Das Neosalvarsan hämolysiert in vitro in be¬ 
trächtlichem Maasse das Blut und reduziert es vielleicht durch die 


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UNIVERSUM OF IOWA 





21. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Sulfoxylgruppe, die die Lösung erleichtert, aber ein wirksames Re¬ 
duktionsmittel ist. In vivo beobachtet man keine Reduktion, die Hämo¬ 
lyse ist nur ganz flüchtig. Doch könnten bei empfänglichen Individuen 
diese Reaktionen viel ausgeprägter sein und Störungen verursachen. 

Wartens leben. 

P. D. Siccardi: Wirkung des Bleisalzes auf den Tonus und die 
rhythmischen Bewegungen des Darmes. (Accademie Medien di Padova, 
Seduta 28 Ginguo 1912.) Sehr kleine Dosen Bleisalz lösen Erniedrigung 
des Tonus und Verringerung des Umfanges der rhythmischen Bewegungen 
des Darmes aus. Mittlere Dosen haben die gleiche Wirkung der geringen 
wie der starken Dosen. Auf den Darm übt somit das Blei hinsichtlich des 
Tonus eine gegensätzliche Wirkung je nach der Dose aus. Auch die 
verschiedenen Segmente des Darmkanals weisen verschiedenes Verhalten 
auf: Die gleiche Toxinquantität kann hypertonisch auf den Dünndarm 
und hypotonisoh auf den Dickdarm wirken. 

G. Tonnini: Untersuchungen über die morphologischen Elemente 
des Blutes hei akuter und subakuter Phospborvergiftung. (Patho- 
logica, Bd. 4, Nr. 97, S. 683.) Bei akuter und subakuter Phosphor¬ 
vergiftung besteht beständig Leukocytose; die Einspritzung einer geringen 
Quantität Phosphor ruft schon rasche Vermehrung der weissen Blut¬ 
körperchen hervor. Mit der Verschlimmerung des Zustandes des Tieres 
nehmen die Lymphocyten und polymorphen Neutrophilen zu, während 
die Lymphocyten und Eosinophilen fast gänzlich verschwinden, um 
dann, wenn die Giftdose nicht tödlich ist, wieder in grösserer oder ge¬ 
ringerer Anzahl zu erscheinen, je nach den natürlichen Verteidi* 
gungskräften des Tieres. Im subakuten Stadium und noch mehr im 
akuten Stadium der Phosphorvergiftung treten die Rieder’schen Zellen 
auf, welche mit der Zunahme der Anzahl der grossen Mononuclearen 
Schritt halten und bis zum Todes des Tieres im Kreislauf verbleiben. 
Die von Ragazzi beschriebenen Zellen bei chronischer Phosphorvergiftung 
besitzen keinen Spezifizitätswert, weil sie nicht nur bei anderen Ver¬ 
giftungen ebenfalls angetroffen werden, sondern auch manchmal im 
Blute normaler Hunde; sie sind nur grosse Mononucleare, mit amblyo- 
chromatischem Kerne (nach der Benennung von Pappen heim). Wie 
Cevidalli behauptete, weisen die roten Blutkörperchen keine be¬ 
merkenswerten qualitativen Veränderungen auf, sondern nur leichte 
quantitative. _ M. Segale. 


Therapie. 

A. Swauw: Behandlung der Urticaria mit Snprarenin. (Americ. 
journ. of med. Sciences, 1913, Nr. 3.) Mit kleinen subcutanen Gaben von 
Suprarenin sah Verf. ein schnelles Zurückgehen des Erythems und 
Oedems. Er empfiehlt die Anwendung auch bei Angioneurosen, dem 
bedrohlichen Larynxödem bei der Anaphylaxie. Sehe lenz. 

L. Fischel-Berlin: Jodipin per elysma bei Prostatitis. (Münchener 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 12.) 10 g einer Lösung von 100 25proz. 

Jodipin und 200 01. oliv, werden als Clysma gegen. Gute Erfolge. 

Dünner. 

L. Jaubert: Ueber die Bedingungen, welche die Anwendung der 
Heliotherapie begünstigen. (Lyon med., 1913, Nr. 12.) Die Sonnen- 
liohtbestrahlung ist möglichst an einem nach der Südseite gelegenen 
Platz, im Frühjahr oder Sommer bei klarer Luft mit mässigem Feuchtig¬ 
keitsgehalt und leichter Windströmung durchzuführen. Am besten 
eignen sich zu der Kur einerseits Hochgebirgsplätze, andererseits die 
Mittelmeerkurorte. A. Münzer. 


Allgemeine Pathologie u. pathologische Anatomie. 

Läwen: Ueber einen Fall von kongenitaler Wirbel-, Baach-, 
Blasen-, Genital- and Darmspalte mit Verdopplung des Coecums and 
des Wurmfortsatzes. (Ziegler’s Beitr. z. pathol. Anat. u. z. allgem. 
Pathol., Bd. 55, H. 8) Die seltenste unter den angeführten Miss¬ 
bildungen ist die Verdopplung des Wurmfortsatzes. Nur zwei sichere 
derartige Fälle sind in der Literatur beschrieben. Hinsichtlich ihrer 
Entstehung nimmt man an, dass das Material zu seiner Bildung von 
beiden Seiten des Darmrohres geliefert wird, und dass die beiden korre¬ 
spondierenden Punkte nicht zur Vereinigung gekommen sind. 

Zalewska-Ploska: Ueber zwei Fälle von Zweiteilung des 
ßiiekenmarks. (Ziegler’s Beitr. z. pathol. Anat. u. z. allgem. Pathol., 
Bd. 55, H. 3.) Bei dem einen Fall war das Rückenmark in der Höhe 
des 2.—5. Lumbalsegmentes in zwei annähernd symmetrische Stränge 
geteilt, die auf einer Strecke von 3 Va cm getrennt nach abwärts ver¬ 
liefen. Jeder der Teile hatte einen Centralkanal und ausgebildete graue 
Substanz. Beim zweiten Fall begann die Zweiteilung im unteren Brust- 
mark und reichte bis zum Ende des Rückenmarks. Die linke Hälfte 
war bedeutend besser ausgebildet als die rechte. Benn. 

B. Morpurgo und A. Donati - Turin: Beitrag zur Frage der 
Vererbung der Anlage zur Beschwulstentwicklang. (Münchener med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 12.) Aus den Versuchen geht hervor, dass die 
Impfausbeute bei den unmittelbaren Abkömmlingen von Geschwulst¬ 
trägern nicht grösser war als bei Abkömmlingen von Müttern derselben 
Kasse, und dass die Neigung zur Rückbildung der mehr oder weniger 
entwickelten Geschwülste bei den ersteren mehr ausgeprägt ist als bei 
den letzteren. Es ist daher eine Vererbung der individuellen Anlage 
zur Entwicklung von gepfropften Geschwülsten nicht anzunehmen. 

Dünner. 


Dam mann: Zur Pathologie der Adipositas dolorosa (Derenm’sehe 
Krankheit). (Frankfurter Zeitschr. f. Pathol., Bd. 12, H. 2.) Be¬ 
schreibung eines Falles von Dercum’scher Krankheit, der ebenso wie 
alle bisher beschriebenen derartigen Fälle durch die histologische Unter¬ 
suchung gar keine Aufklärung über diesen seltenen Krankheitsprozess 
bringen konnte. 

Schmey: Ueber Ochronose bei Mensch und Tier. (Frankfurter 
Zeitschr. f. Pathol., Bd. 12, H. 2.) Die Ochronose beim Tier ist prinzi¬ 
piell verschieden von der menschlichen. Beim Menschen entsteht das 
Pigment durch Abbauprodukte des Eiweisses und gehört in die Gruppe 
der Melanine. Beim Tier stammt es zweifellos vom Blutfarbstoff. Verf. 
schlägt daher für die tierische Ochronose den Namen Osteohämochro- 
matose vor, mit dem gleichzeitig die Hauptlokalisation, nämlich im 
Knochen, ausgesprochen ist. 

Kusama: Ueber Aufbau und Entstehung der toxischen Thrombose 
und deren Bedeutung. (Ziegler’s Beitr. z. pathol. Anat u. z. allgem. 
Pathol., Bd. 55, H. 3.) Verf. knüpft an die Versuche Dietrich’s an, 
die in der Hämolyse, Agglutination, Präcipitation gegebenen Bedingungen 
für die Thrombose zu ergründen. Er injizierte Kaninchen intravenös 
zunächst homologes Serum, dann Hämoglobinlösungen und Blutschatten 
allein; ferner artfremdes Serum, Glycerin, Ricin, Bakterienaufschwem- 
mungen, Fremdkörper, Sublimat. Verf. kommt zu dem Schluss, dass 
bisher nicht der geringste Beweis erbracht sei, dass eine primäre direkt 
ausgelöste Fibringerinnung bei einer bisher bekannten Thrombenform 
als ausschlaggebende Bedingung in Betracht komme, dass es ferner 
typische Plättchenthromben gibt, für deren Entstehung eine primäre 
Endothelschädigung in keiner Weise verantwortlich zu machen sei, dass 
jedoch nie als Bedingung für die Entstehung einer Thrombose Verände¬ 
rungen der Blutzellen selbst und die Stromverlangsamung auszuschliessen 
seien. 

F. Albrecht: Zur Entstehung der myeloiden Metaplasie bei 
experimentellen Blntgiftanämien. (Frankfurter Zeitschr. f. Pathol., 
Bd. 12, H. 2.) Verf. stellte eine Versuchsreihe mit je zwei Kaninchen 
an, von denen eines vorher entmilzt war, und injizierte steigende Dosen 
von Pyrodin. In dem einen entmilzten Fall liess sich einwandfrei eine 
myeloide Metaplasie in der Leber nachweisen. Es kann also die An¬ 
nahme nicht zu Recht bestehen, dass eine Einschleppung von Zell¬ 
elementen aus der Milz zur Entstehung jener Metaplasie notwendig sei. 
Als Nebenbefund ergab sich, dass durchgehende die entmilzten Tiere die 
Vergiftung leichter ertrugen als die nichtentmilzten, und dass die 
Lebern weniger schwer verändert waren. 

Anitschkow: Experimentelle Untersuchungen über die Neubildung 
des Granulationsgewebes im Herimnskel. (Ziegler’s Beitr. z. pathol. 
Anat. u. z. allgem. Pathol., Bd. 55, H. 8.) Sterile mit Celloidin durch¬ 
tränkte Ligaturen oder dicke Fäden aus trockenem Celloidin wurden 
Kaninchen ins Myocard eingeführt. In bestimmten Zeitabständen wurden 
die Tiere getötet, das Material in Helly’scher oder Zenker’scher Flüssig¬ 
keit fixiert und dann untersucht. Von den hämatogenen Zellen er¬ 
schienen zuerst die gewöhnlichen polymorphkernigen Blutleukocyten; 
etwas später lymphoide Wanderzellen, von denen ein Teil bald zugrunde 
ging, ein anderer, sehr geringer Teil sich in Plasmazellen umwandelte. 
Die fixen Zellen des Myocardstromes quollen zunächst auf, vermehrten 
sich dann lebhaft und bildeten schliesslich collagene und elastische 
Fasern. In gewissen Entzündungsperioden fanden sich ferner besondere 
Zellformen, die sich aus den Resten zerfallener Herzmuskelfasern bil¬ 
deten oder sozusagen „Muskelfasern mit verloren gegangener kontraktiler 
Substanz darstellend Verf. misst ihnen einen ganz besonders spezifischen 
Wert bei und glaubt sie auch im Myocard beim Menschen gefunden zu 
haben. 

Baehr: Ueber experimentelle Glemernlonepliritis. (Ziegler’s 
Beitr. z. pathol. Anat. u. z. allgem. Pathol., Bd. 55, H. 3.) Bei sub- 
cutaner Injektion von Urannitrat (0,00035 g) erkrankte von zehn Kanin¬ 
chen eines und starb. Die Untersuchung ergab, dass in der Niere 
Schädigungen Vorlagen, die fast ausschliesslioh die Glomeruli betrafen. 
Bei Injektion von Urannitrat in die Arteria renalis Hessen sich bei 
sämtlichen Versuchstieren schwere glomeruläre Veränderungen erzeugen, 
während die Schädigung der Tubulusepithelien verhältnismässig gering 
blieb. Injektionen von Jod, Crotonöl und Chromkali riefen keine Glo¬ 
merulonephritis hervor; mit Jod liess sich jedoch eine tubuläre Schrumpf¬ 
niere mit sekundärer Gefässsklerose erzeugen. Aus den Versuchen 
Parallelen zu den spontanen Nephritiden des Menschen zu ziehen, lehnt 
Verf. jedoch ab. Benn. 

G. Gargiulo: Ueber die Beziehung der Nierenstö'rnngen durch 

Uran und der Phloridzinglykosurie. (Gazz. osped. e olin., 1912, Nr. 29.) 
Phloridzin und Uran verursachen im 4 gros&n Ganzen beim Kaninchen 
so ziemlich die gleichen Funktionsstörungen der Nieren; die Wirkung 
des Urans äussert sich mehr durch Albuminurie, jene des Phloridzins 
mehr in Glykosurie. Wenig heftige und mit geringer Albuminurie ver¬ 
bundene Nierenverletzung durch Uran kann beim Kaninchen durch Ein¬ 
wirkung von Phloridzin tödlich enden, wenn dieses heftige Glykosurie 
herbeigeführt hat. Wenn die Glykosurie infolge Phloridzins beim 
Kaninchen sehr bedeutend ist und tödlich endet, so ist sie stets mit 
mehr oder minder heftig auftretender Albuminurie verbunden. Der 
Autor führt aech einige bemerkenswerte Schlussfolgerungen aus seinen 
Untersuchungen an. M. S e g a 1 e. 


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UMIVERSITY OF IOWA 





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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


Schönberg: Zur Aetiologie der Cystitis emphysematos*. (Frank¬ 
furter Zeitschr. f. Pathol., Bd. 12, H. 2.) Die Cystitis emphysematosa 
ist wie das Emphysem der Vagina und des Mesenteriums durch gas¬ 
bildende Bakterien hervorgerufen. Und zwar scheinen Bakterien aus 
der Coligruppe hierbei eine ausschlaggebende Rolle zu spielen. 

Benn. 

V. Nicoletti: Die Abbindang der Leberarterie und ihrer Aeste. 
(Policlinico, sez. chir., Bd. 17, Nr. 3, S. 134.) Die Abbindung des 
Stammes der Leberarterie vor dem Ursprünge der Arteria gastroduodenalis 
ruft zwar beim Kaninchen mehr oder minder umschriebene krankhafte 
Veränderungen des Leberparenchyms hervor, jedoch veranlasst sie keine 
allgemein klinisch beachtenswerten Erscheinungen. Die Abbindung der 
Leberarterie unmittelbar nach dem Ursprünge der Arteria gastroduodenalis 
ist beim Kaninchen beständig tödlich infolge der ausgedehnten Nekrose 
im Leberparenchym. Die Abbindung eines der beiden Hauptäste der 
Leberarterie hat beim Kaninchen verschiedene Folgen, je nachdem die 
Leberlappen genau voneinander getrennt oder mehr oder minder mit¬ 
einander verschmolzen sind. Im ersteren Falle tritt der Tod des Tieres 
vorzeitig ein, im letzteren Falle erweist sich die Abschliessung des 
arteriellen Zuflusses vollkommen unschädlich, und dementsprechend sind 
die pathologisch-anatomischen Verletzungen des der arteriellen Durch- 
tränkung ermangelnden Lappens sehr gering und auf die Ränder und 
die Rindenzone der konvexen Oberfläche desselben beschränkt. 

M. Segale. 

A. Robin: Ueber den Mineralgehalt der vom Krebs befallenen 
Leberteile, verglichen mit dem relativ gesunder Partien. (Compt. rend. 
de l’acad. des Sciences, 1913, Nr. 4.) Die Krebsleber ist reicher an 
anorganischen Stoffen als die gesunde, auch die vom Krebs ergriffenen 
Teile haben höheren Mineralgehalt als die relativ gesunden. Vermehrt 
findet man Phosphor, Natrium, Kalium, Magnesia und Silicium. Herab¬ 
gesetzt ist dagegen der Gehalt an Eisen und Kalk. Fast das gleiche 
findet man bei tuberkulösen Organen, nur dass hier mehr Kalium als 
Natrium vorhanden ist, im Krebsgewebe das Natrium vorwiegt. 

W artensieben. 

v. Wer dt: Zur Histologie und Genese der miliaren Lebergammen. 
(Frankfurter Zeitschr. f. Pathol., Bd. 12, H. 2.) Verf. bespricht die 
Differentialdiagnose zwischen den miliaren Lebergummen und den Blut¬ 
bildungsherden, die streng voneinander zu trennen seien. Bei den 
Gummen handelt es sich teils um echte knötchenförmige Granulome, 
teils um miliare Nekrosen in einem diffusen Granulationsgewebe. Die 
Blutbildungsherde sind in der Leber normaler Föten bis zum 9. Monat, 
höchstens bis zur Geburt vorhanden; bei luetischen Kindern dagegen 
auch noch nach der Geburt gut nachweisbar. 

A. In gier: Ueber die bei der Schnttlfelkrankheit am Rampf- and 
Extremitätenskelett auftretenden Veränderungen. (Frankfurter Zeitschr. 
f. Pathol., Bd. 12, H. 2.) Bei der Schnüffelkrankheit der Schweine 
treten am Rumpf- und Extremitätenskelett dieselben Veränderungen auf 
wie am Schädel, jedoch nicht so hochgradig. Der Krankheitsprozess 
stimmt in allen wesentlichen Punkten mit der menschlichen Ostitis 
fibrosa überein. 

Fl ebbe: Ueber das Magensarkom. (Frankfurter Zeitschr. f. Pathol., 
Bd. 12, H. 2.) Magensarkome sind äusserst selten. Nach einer Statistik 
nur 2 pCt. normaler Magentumoren. Andere fanden unter 3500 Sar¬ 
komen nur ein Magensarkom. Verf. beschreibt einen solchen Fall, der 
histologisch als Lymphsarkom anzusprechen war. Benn. 

Siehe auch Psychiatrie und Nervenkrankheiten: Henne¬ 
berg und Westenhöfer, Asymmetrische Diastematomyelie. 


Diagnostik. 

A. F. Hertz • London: Bastedo’s Zeichen, ein neues Symptom bei 
chronischer Appendiritis. (Lancet, 22. März 1913, Nr. 4673.) Der 
Verf. hält nach seinen Erfahrungen das Bastedo’sche Zeichen (Schmerzen 
beim Aufblähen des Dickdarmes mit Luft) für ein diagnostisch sicheres 
Zeichen bei chronischer Appendicitis. Weydemann. 


Parasitenkunde und Serologie. 

E. Job: Die Paratyphas B - Infektionen. Nosologische und 
epidemiologische Studie. (Revue de medicine, 1913, Nr. 3.) Zusammen¬ 
fassende Uebersicht mit reichhaltigen Literaturangaben. 

A, Münzer. 

A. Berthelot: Untersuchungen über die Fähigkeit des Protens 
vulgaris, Indol zu erzeugen. (Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 
1913, Nr. 8.) Die von van Loghem aufgestellte Art des Bacillus 
proteus anindologenes besitzt keine Existenzberechtigung, da jeder 
Proteus Indol zu produzieren vermag, wenn er sich auf geeignetem 
Nährboden befindet. Proteus gibt auf 3proz. pankreatischem Pepton 
nur Indolacetsäure, auf 1 oder 2 pro M. Tryptophan mit sehr wenig 
Gelatine oder auf Caseinnäbrboden Indol. Wartensleben. 

P. Uhlenhutb und E. Emmerich-Strassburg: Ueber das Verhalten 
des Kaninchenhodens hei experimenteller Trypanosomen- und Spiro- 
chateninfektion. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 14.) Bei 
direkter Impfung von Trypanosomen der Dourine und Schlafkrankheit in 
den Hoden von Kaninchen war eine Anreicherung festzustellen; be 


einem Naganastamm war sie nicht augenfällig. Auch bei der Impfung 
in die BLutbahn konnte bisweilen eine stärkere Vermehrung der Trypano¬ 
somen im Hoden als in der Blutbahn und anderen Organen festgestellt 
werden. Die Anreicherung ist oft so ausgesprochen, dass die Unter¬ 
suchung des Hodenpunktats der Kaninchen eine frühere Diagnose ge¬ 
stattet als die Untersuchung des Blutes der gleichzeitig und mit der¬ 
selben Menge geimpften Mäuse. Wolfsohn. 

J. Courmont und A. Rochaix: Ueber die Immunisierung gegen 
den Staphyloeoccas pyogenes anf intestinalem Wege. (Compt. rend. 
de l’acad. des Sciences, 1913, Nr. 7.) Die Einführung von abgetöteten 
Kulturen des Staphylococcus pyogenes in den Dickdarm des Kaninchens 
macht bei diesem einen gewissen Grad von Immunität, die in einem 
Ueberleben gegenüber den Kontrollieren sich äussert. Das Tier geht 
zugrunde an einer Infektion der Synovien, des Knochengewebes und der 
serösen Häute. Wartensleben. 

J. Bartel-Wien: Das Stadium „lymphoider“ Latenz im Infektions¬ 
gange bei der Tuberkulose. (Wiener ktin. Wochenschr., 1913, Nr. 13.) 
Polemik gegen Cornet (Die Scrophulose, 1912). Verf. hält an der 
Latenzmöglichkeit lebensfähiger und infektionstüchtiger Tuberkelbacillen 
auch in anscheinend unveränderten Geweben fest. Das Problem der 
Disposition in Verbindung mit den Erfahrungen der Infektionslehre ist 
berufen, uns der befriedigenden Lösung des Tuberkuloseproblems näher 
zu bringen. P. Hirsch. 

A. Verbizier: Neue Untersuchungen über das Vorhandensein des 
Koch’schen Baeiilns im strömenden Blnt der Tuberkulösen. (Revue 
de med., 1913, Nr. 3.) Im Gegensatz zu neueren Forschungen konnte 
Verf. bei 15 Tuberkulösen den Koch’schen Bacillus im strömenden Blut 
nicht nachweisen. Er hält daher die Bakteriämie bei tuberkulös Er¬ 
krankten für eine sehr seltene Erscheinung. A. Münzer. 

E. Rothe und K. Bierbaum - Berlin: Ueber die experimentelle 
Erzengang von Taberkaloseantikörpern beim Rind; zugleich ein Bei¬ 
trag zur Taberkuloseimmanisierang. (Deutsche med. Wochenschr., 
1913, Nr. 14.) Durch einmalige intravenöse Injektion toter Vollbakterien 
gelingt es, bei Rindern, auch bei nicht tuberkulösen, einen hohen Gehalt 
des Serums an spezifischen komplementbindenden Amboceptoren und 
Präcipitinen zu erlangen. Die Bildung dieser beiden Antikörper verläuft 
quantitativ nicht immer ganz parallel. Auch bei Pferden gelingen 
analoge Experimente. Durch mehrmalige Injektion toter Bacillen er¬ 
halten Rinder einen erheblichen Schutz gegen eine spätere Infektion mit 
Perlsuchtbacillen. Sera, die reich an Antikörpern sind, üben auch auf 
virulente Tuberkelbacillen einen Einfluss aus, in dem sie im Reagenz¬ 
glase deren Virulenz herabsetzen. Die nach den intravenösen Injektionen 
auftretenden Temperatursteigerungen sind diagnostisch nicht zu ver- 
werten, ebensowenig wie der Nachweis experimentell erzeugter Anti¬ 
körper. Wohl aber eignen sich hochwertige Sera mit experimentell er¬ 
zeugten Antikörpern zur Wertbemessung der verschiedenen Tuberkuline. 
Vorzugsweise empfiehlt sich hier die Präcipitationsmethode. 

Wolfsohn. 

F. Perussia - Mailand: Untersuchungen über die toxische Wirkung 
der Organextrakte. (Pathologica, Bd. 4, Nr. 95, S. 616.) Die Organ¬ 
extrakte sind sowohl für das Tier, von dem das Organ stammt, toxisch, 
als auch für die Tiere derselben oder verschiedener Gattung. Die Er¬ 
höhung der Widerstandskraft eines Tieres gegen einen autologen toxi¬ 
schen Extrakt durch entsprechende Einspritzungen ist möglich, aber es 
gelingt nicht, einen Ueberempfindlichkeitszustand bervorzurufen, indem 
man die Tiere mit Organextrakten, die von ihrem eigenen Organismus 
stammen, behandelt. Während toxische Dosen von Organextrakten fähig 
sind, die Temperatur des Tieres, dem sie eingespritzt werden, zu er¬ 
niedrigen, kommt eine pyrogene Wirkung der Organextrakte in kleinen 
und kleinsten nicht toxischen Dosen niemals zur Beobachtung, im 
Gegensätze zu dem, was bei Anaphylaxie einzutreten pflegt. Die 
Giftigkeit der Organextrakte verschwindet durch Erhitzung auf 100°, 
selbst wenn die Reaktion durch Hinzufügung von HCl sauer ist. Es 
genügt auch die Einwirkung kleiner Quantitäten von Alkalien oder 
Säuren, während weniger Minuten bei Zimmertemperatur, um den Organ¬ 
extrakten jedes toxische Vermögen zu entziehen. Letztere sind für die 
neugeborenen wie für die erwachsenen Tiere gleich toxisch. Ebenso¬ 
wenig es möglich ist, in vitro mittels biologischen Verfahrens die 
Giftigkeit der Organextrakte zu neutralisieren, ist auch eine Erhöhung 
ihrer Giftigkeit mittels der Verdauung während 12 Stunden bei Zimmer¬ 
temperatur in homologem oder heterogenem Blutserum zu erzielen. 

M. Segale. 

A. Desmouliere: Das Antigen bei der Wassermann’schen Re¬ 
aktion. (Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 1913, Nr. 4.) Verf. gibt 
die genaue Formel des in früheren Mitteilungen schon beschriebenen 
synthetischen Antigens und schildert die Bedingungen, unter deden es 
verwandt werden muss. Bei 150 Versuchen ergab es das gleiche Re¬ 
sultat wie ein Antigen aus heredosyphilitischer Leber. 

L. Tribondeau: Ueber die Anwendung vegetabilischer Extrakte 
bei der Wassermann’schen Reaktion. (Compt. rend. de l’acad. des 
Sciences, 1913, Nr. 4.) Mit Mehlen kann man gute Extrakte erhalten. 
Bisher das beste ist das Acetonextrakt von Erbsen, das mit Aether be¬ 
handelt wurde. Dieses gibt die gleiche Reaktion wie tierische Antigene,' 
hat aber vor diesen Vorzüge. Wartensleben. 


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21. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Innere Medizin. 

B. Berliner: Einige Richtlinien der klimatopsychologischen 
Forschung. (Zeitschr. f. Balneol., 6. Jahrg., Nr. 1.) Für die Er¬ 
forschung der physikalischen Grundursachen einer kliraatophysiologischen 
oder klimatopsychologischen Reaktion muss, so weit wie irgend möglich, 
der gesamte atmosphärische Zustand in allen seinen Elementen und in 
seiner für die betreffende Reaktion in Betracht kommenden zeitlichen 
Ausdehnung untersucht werden. Erst durch Vergleichen und Abstrahieren 
aus komplexen Beobachtungsergebnissen kann auf die Elementareinflüsse 
geschlossen werden. Die Kenntnis der seelischen Klima- und Wetter¬ 
wirkungen wird durch subjektive Selbstbeobachtung, durch Beobachtung 
der psychischen Aeusserungen anderer Personen einschliesslich der Tiere, 
durch statistische Feststellungen psychischer Phänomene und durch ex¬ 
perimentell-psychologische Untersuchungen ermittelt. Der Kernpunkt 
des klimatopsychologischen Problems liegt in der Frage nach dem 
Kausalzusammenhänge zwischen den physikalischen Reizen und den 
seelischen Reaktionen. E. Tobias. 

Grober-Jena: Allgemeine Behandlung der Infektionskrankheiten. 
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) Klinischer Vortrag. 

Wolfsohn. 

D. Vandini und F. Parisi: Die Albaminreaktion des Answnrfes. 

(11 Morgagni [Archivio], 1912, Nr. 1.) Durch eine Reihe persönlicher 
Beobachtungen bestätigen die Autoren die Wichtigkeit, welche der 
Albuminreaktion des Auswurfes klinisch zukommt, sowie den fast aus¬ 
schliesslichen Wert, den ihr Ausfall hinsichtlich der akuten und chroni¬ 
schen Erkrankungen des Atmuugsapparates besitzt. Bei tuberkulösen 
Lungenerkrankungen ermöglicht die Albuminreaktion eine frühzeitige 
Diagnose, wenn der bakteriologische Befund noch negativ ist; bei 
Lungenentzündungen verfolgt sie die Phasen des Krankheitsprozesses, 
bei Rippenfellentzündungen hilft sie zur Aufklärung der Aetiologie und 
zur Stellung der Prognose. M. Segale. 

A. Pic: Die entzündliche Tuberkulose. (Revue de m6d., 1913, 
Nr. 8.) Kritik des kürzlich von Poncet und Leriche über die ge¬ 
nannte Frage publizierten Werkes. A. Münzer. 

Ad. Schmidt: Diätetische Zeitfragen. (Zeitschr. f. physikal. u. 
diätet. Therapie, April 1918.) Verf. zeigt den Umschwung in der diäte¬ 
tischen Therapie vom Schematismus zum Individualismus an der Hand 
einiger Beispiele. So lautet heute das Prinzip beim Diabetes, die 
Kohlehydrate soviel als möglich am Stoffwechsel teilnehmen zu lassen. 
Bei der Fettsucht kommt es nicht auf bestimmte Schemen an, der 
Galorienwert und der N-Gehalt der Nahrung muss sich an die Grund¬ 
regeln halten usw. Die Aerzte müssen nicht nur auf dem Gebiete der 
Ernährungslehre besser durchgebildet sein, sie müssen sich auch in der 
diätetischen Küche umsehen, die für Krankenhäuser und Sanatorien 
neben der Hauptküche unbedingt notwendig ist. Für klinische Verhält¬ 
nisse sind fünf Standard Kostformen notwendig: die Schmidt’sche Probe¬ 
kost, eine salzhaltige und eine salzfreie laktovegetarische Kostform, eine 
Eiweiss-Fettkost mit koblehydratarmen Gemüsen und ohne Gemüse und 
Kartoffelo, die gemischte Schonungsdiät für Magendarmkranke sowie die 
flüssig-breiige Kost für Fiebernde. Aber die Diätküche muss ausserdem 
im Bedarfsfälle alles zu liefern imstande sein. Auch künstliche Nähr¬ 
präparate sind nicht immer zu entbehren. 

Einhorn: Weitere Bemerkungen über Cardiospasmus and idio¬ 
pathische Dilatation des Oesophagus. (Zeitschr. f. physikal. u. diätet. 
Therapie, April 1913.) Idiopathische Oesophagusdilatation ohne wirk¬ 
liche Stenose ist gewöhnlich das Resultat eines lange bestehenden und 
häufig wiederkehrenden Cardiospasmus. Cardiospasmus kann auch durch 
bösartige Geschwülste des Magens hervorgerufen werden. Der Cardio¬ 
spasmus in der benignen Form wird durch forcierte Streckung der 
Cardia mittels des Cardiodilatators, in leichteren Fällen mit sedativen 
Medikamenten und stärkeren Bougies behandelt. E. Tobias. 

E. Ruggeri: Beitrag zum Studium des Stickstoffwechsels hei 

Magenkrebs. (Gazz. int. med., chir., igiene, 1912, Nr. 14, S. 230.) 
Die Beobachtung des Stickstoffwechsels bei Magenkrebs gibt verschiedene 
Resultate, die mit der Nahrung, dem Krankheitsstadium, dem Sitze der 
Neubildung und den besonderen während der Entwicklung des Tumors 
frei und vom Organismus absorbiert werdenden Produkten im Zusammen¬ 
hänge stehen. Die Aufsaugung des Stickstoffes ist schwer geschädigt. 
Der Ursprung dieser Störungen im Aufsaugungsvermögen liegt ausser in 
dem Reflex, den die Neubildung im allgemeinen im Organismus erzeugt, 
auch im Sitze des Tumors und in den fast immer durch katarrhalische 
Prozesse des Magens und Darmes veränderten Zuständen. Hinsichtlich 
des Chlornatriums konnte der Autor bedeutende Retention feststellen. 
Harnstoff wurde im allgemeinen weniger ausgeschieden. Bezüglich der 
Harnsäure entfernten sich die erhaltenen Resultate nicht von den physio¬ 
logischen Grenzen. M. Segale. 

Funder-Altheide: Ueber den Einfluss intraabdominaler Druek- 
steigerung nid des Fülluagszustandes des Magens auf den Blntdrnck. 
(Deutsche med. Wochenschr., 1918, Nr. 14.)/ Bei den Herzstörungen 
digestiver Natur handelt es sich nicht einfach um mechanische Einflüsse 
auf den Kreislauf, sondern auch um reflektorische Vorgänge. 

Wolfsohn. 

M. Piery und A. Mandoul-Lyon: Zum Studium der entzünd¬ 
lichen Tnberknlose des Diekdarms. (Revue de möd., 1913, Nr. 3.) 
An 20 eigenen Beobachtungen wird das Bild der entzündlichen Tuber¬ 


kulose des Dickdarms erläutert; die Verff. unterscheiden 4 Formen der 
Erkrankung. Als wichtig hervorzuheben ist, dass auch in der Aetiologie 
der Hirschsprung’schen Krankheit die Tuberkulose bisweilen eine be¬ 
deutsame Rolle spielt. A. Münzer. 

R. Ehrmann: Zur diätetischen Therapie der chronischen Pankreas¬ 
erkrankungen. (Zeitschr. f. physikal. u. diätet. Therapie, April 1913.) 
An der Hand des Fleisches, der Fette und der Kohlehydrate werden die 
Funktionen der Bauchspeicheldrüse erörtert und aus ihren Störungen 
die diätetisch-therapeutischen Folgerungen abgeleitet. Man sieht bei 
gestörter Pankreassekretion die Ausscheidung von unveränderten Muskel¬ 
fasern und Muskelfaserkonglomeraten mit erhaltener Längs- und Quer¬ 
streifung — Kreatorrhöe. Therapeutisch wird man Fleisch geben dürfen 
bei vorhandener Magensaftsekretion, aber den Aufenthalt im Magen durch 
Sahne oder Butter verlängern. Dazu kommt von den Fetten erhöhter 
Fettgehalt des Stuhles. Butter ist daher einzuschränken, dafür mehr 
Milch und etwas Sahne zu geben. Gelbei ist in nicht allzu grossen 
Mengen bei vermehrter Lecithinausscheidung zu geben. Gemüse, Kom¬ 
potte u. dgl. sollen fein gerührt genossen werden. Zu empfehlen ist 
Pankreatin oder Pankreon, ferner Salzsäure. E. Tobias. 

K. Glaessner - Wien: Ueber Pankreassteine. (Wiener klin. 
Wochenschr., 1913, Nr. 13). Die Erkrankung an Pankreassteinen ist 
bei weitem nicht so selten, wie man im allgemeinen anzunehmen pflegt. 
Der Verf. selbst hat bereits fünf Fälle beobachtet. Wie bei den Gallen- 
und Nierensteinen handelt es sich bei dieser Litbiasis nur um eine vor¬ 
übergehende Insuffizienz des Organes, und darauf ist auch die Schwankung 
im Untersuchungsergebnis zurückzuführen. Boi diesen Erkrankungen 
sollte stets nach Schmerzanfällen auch eine Untersuchung des Stuhles 
vorgenommen werden, damit wichtige Veränderungen nicht übersehen 
werden. Interessant ist folgendes Phänomen: Bei der Anstellung der 
alimentären Zuckerproben, die in allen Fällen im Anfall positiv war, 
trat in zwei Fällen nach der Zufuhr von Glykose Temperaturerhöhung 
bis auf 39° auf. P. Hirsch. 

G. Pari und A. Zanorello: Ueber Galakturie bei Lebereirrkose. 
(Clinica med. italiana, 1912, S. 72.) Wegen der ausgedehnten indi¬ 
viduellen Verschiedenheiten der Assimilationsgrenze hinsichtlich des 
Milchzuckers bei normalen Individuen kann oft aus der Bestimmung 
dieser Grenze bei Lebercirrhosepatienten (wenn diese Bestimmung nur 
einmal ausgeführt wird) nicht geschlossen werden, ob die Grenze ver¬ 
ringert ist oder ob Leberinsuffizienz besteht. Es hat daher die Probe 
in dieser Weise wenig diagnostischen Wert. Sie gewinnt jedoch an Be¬ 
deutung, wenn die Bestimmung wiederholt an dem Kranken vorge¬ 
nommen wird und sich fortschreitende Verringerung der Grenze ergibt. 

M. Segale. 

H. Taohau-Berlin: Ueber den Zackergehalt des Blutes. (Deutsche 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) Vortrag im Verein für innere Medizin 
und Kinderheilkunde in Berlin am 3. Februar 1913. Wolfsohn. 

R. Stock mann-Glasgow: Die Wirkung der Salieylsäare und 
chemisch verwandter Körper bei Gelenkrheumatismus. (Brit. med. 
journ., 22. März 1913, Nr. 2725.) Als wirksam beim akuten Gelenk¬ 
rheumatismus erweisen sich ausser der Salicylsäure und des salicylsauren 
Natriums das Saligenin, Salicin, die Acetylsalicylsäure, das Methyl- 
salicylat und die Kresotinsäure. Unwirksam waren Phenol, die Meta- 
und Paraoxybenzoesäure, Salol, salicylsaures Chinin, Glykosal, Dimethyl- 
salicylsäure, Methoiybenzoesäure, Populin, Tetrabenzoy lsalicin, die 
Zimtsäure und die Cumerinsäure. Geringe Wirkung hat die Phthal¬ 
säure. Lokal wirksam sind Metbylsalicylat, Mesotan, Aethylsalicylat 
und Methylmetakresotinat; letztere beiden riechen stark. Spirosal und 
Ulmaran sind wirkungslos. Natr. salicyl. (0,12—0,18 in 0,5 Wasser) 
subcutan lindert rasch die Schmerzen, wirkt aber nur vorübergehend. 
Die Wirksamkeit aller dieser Verbindungen häugt von ihrem Gehalte an 
Salicylsäure ab, die wohl eher antitoxisoh als antibakteriell wirkt. 

Weydemann. 

Lamp 6 : Ueber die prognostische Bedeutung von Haferknren. 
(Zeitschrift f. physikal. u. diätet. Therapie, April 1913.) Verf., der 
bisher bei 513 Fällen von Diabetes die Haferkur angewandt hat, be¬ 
spricht an der Hand einiger Beispiele ihre prognostische Bedeutung. 
Der Einfluss der Haferkur gestattet Rückschlüsse auf die Prognose des 
betreffenden Falles. E. Tobias. 

Siehe auch Physiologie: Gessner, Fettstoffwechsel. — 
Diagnostik: Herz, Symptom der chronischen Appendicitis. — 
Parasitenkunde und Serologie: Verbizier, Tuberkelbacillen im 
strömenden Blut. — Chirurgie: Sauerbruch: Phrenikotomie bei 
Lungenkrankbeit. — Haut- und Geschlechtskrankheiten: Drey- 
fuss, Neosalvarsan. t 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Schnitzler: Zur Technik der Markscheidenfdrbung. (Neurol. 
Centralbl., 1913, Nr. 7,). Schnitzler benutzt eine Modifikation der 
PaPschen Markscheidenlärbung. Die Vorbehandlung der Schnitte erfolgt 
in Blutlaugensalz-Lithiumcarbonat. Die Methode und ihre Vorteile werden 
genau beschrieben. 

Sohüchterer: Eine bequeme Methode zur Darstellung der Zellen 
des Liquor cerebrospinalis. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 7.) Sch. 
setzt zum Liquor Sublimateisessig in bestimmter Lösung und nach 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


bestimmter Vorschrift hinzu und beschreibt genau die Methode, mit 
der er vorzügliche, scharfe, klare Zellbilder des Liquors erhält. 

E. Tobias. 

Kutzinski - Berlin: Ueber die Beeinflussung des Vorstellongs- 
ablaufe« durch Gesiehtskemplexe bei Geisteskranken. (Schluss aus 
Nr. 1 und 2 d. Monatsschr. f. Neurol. u. Psych., März 1913.) Von der 
grossangelegten Versuchsreihe, deren Deutung sich hauptsächlich gegen 
die Ansichten von Jung und Riklin richtet, interessieren besonders 
folgende Resultate: Bei geisteskranken Versuchspersonen sind Ausfalls¬ 
reaktionen (keine Reaktion auf Reizwörter nach 30 Sekunden) nicht nur 
die Folge von verdrängten Gefühlskorapleien, sondern jeder Wettstreit 
zwischen geläufigen und frischen eindrucksvollen Vorstellungen verzögert 
oder hemmt die Reaktion auf Reize. Der Einfluss des Komplexes kann 
sich bald in einer Verflachung, bald in einer Verinnerlichung der Objekt¬ 
associationen äussern. Welcher von beiden Faktoren überwiegt, scheint 
nicht vom Individuum, sondern vom Krankheitstypus abzuhängen. 

E. Loewy-München. 

Dubois: Die Isolierknr in der Behandlung der Psychoiearosen. 
(Zeitschr. f. Balneol., 6. Jahrg., Nr. 1.) Die Hauptsache in der Behand¬ 
lung der Psychoneurosen ist eine rationelle Psychotherapie. Zur Unter¬ 
stützung können einzelne Faktoren der Weir-Mitehell’schen Kur dienen. 
Eine relative Isolierung ist indiziert, wenn der Patient sie wünscht oder 
wenn der Verkehr mit den Verwandten ungünstig einwirkt; auch zu¬ 
gunsten der Angehörigen kann sie notwendig werden. Dubois hat im 
Verlauf der Jahre immer mehr auf die Isolierung verzichtet. 

E. Tobias. 

H. K ah an e-Wien: Angstznstäide. (Wiener klin. Wochenschr., 
1913, Nr. 13.) Der Verf. schlägt für eine gewisse Psychoneurose die 
Bezeichnung „Phobothymie“ vor. Er versteht hierunter eine gewisse 
Seelenverfassung, die besonders stark zu Angstaffekten neigt, solche 
selbst ohne wahrnehmbare objektive Veranlassung produziert, sie auffällig 
mit Ausdrucksreaktionen betont, aber auch in oft schwer verständlicher 
Weise die buntesten somatischen Symptome zeitigt. Die Therapie kann 
nur eine psychische sein. P. Hirsch. 

V. J. Müller-Zürich: Zur Kenntnis der Leitangsbahnen des 
psychogalvanischen Reflexphänomens. (Monatsschr. f. Psych. u. Neurol., 
März 1913.) Der Autor beweist, dass das psychogalvanische Phänomen 
auch bei höheren Tieren vorkommt. Bei perineuraler Injektion eines 
Anästheticums in die sensiblen Nerven der Elektrodenansatzstellen ist 
es möglich, das Phänomen an der anästhetischen Stelle zu unterdrücken, 
ebenso bei operativer Durchtrennung dieser Nerven. Die übrigen Resultate 
der interessanten — unter Veraguth — angestellten Versuche sind nur 
von spezialistischem Interesse. 

Henneberg und Westenhöfer - Berlin: Ueber asymmetrische 
Dia8tematomyelie vom Typus der „VorderhomabschnüniDg“ bei Spina 
biflda. (Monatsschr. f. Psych. u. Neurol., März 1913.) 17jähriges 

Mädchen mit Blasenbeschwerden und Geschwulst (Muskel- und Fettteile) 
in der Kreuzgegend, Fehlen der Sehnenreflexe an beiden Beinen und 
einseitigem Babinski, wird dural operiert und stirbt nach mehrtägigem 
Erbrechen und hohem Fieber. Die Sektion ergibt ausser starken Nieren¬ 
veränderungen (Eiterung und Doppelbildung auf einer Seite) Verdoppe¬ 
lung des Lendenmarks auf eine Strecke von 4—5 cm. Die genaue 
Durchsicht ergab Verkleinerung des linken Hinterstranges im Cervical- 
und Dorsalmark, Auftreten eines medialen Vorder- und Hinterbornes 
und eines rudimentären medialen Hinterstranges in LIl—V. Iu S I zwei 
völlig getrennte vollständige Rückenmarksquerschnitte, dann Verschmelzung 
beider Querschnitte und Schwund sämtlicher vier Hinterhörner. Im 
mittleren Sacralmark erneute Trennung beider hinterhornloser Säulen. 
Genaue Literaturdurchsicht und Warnung vor Kunstfehlern, die man 
fälschlich für Doppelmissbildungen des Rückenmarks sehr oft angesehen 
habe. Besprechung der Aetiologiehypothesen, besonders der Hertwig- 
schen, dass ein Missverhältnis zwischen Dotter und Keimanlage bestehen 
müsse. E. Loewy-München. 

0. Maas: Störung der Sehmerzempflnding bei Kleinhirnerkranknng. 

(Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 7.) Maas berichtet über die klinische 
Beobachtung eines 74 jährigen Mannes mit linksseitigem Kleinhirnherd, 
bei dem eine zuerst von Lotmar beschriebene Störung sich findet: es 
besteht eine deutliche Unterschätzung von Gewichten in der linken Hand. 
Vorderhand können Schmerzempfindungsstörungen nur dann auf Klein¬ 
hirnaffektion zurückgeführt werden, wenn keine anderen Teile des Central¬ 
nervensystems geschädigt sind. 

Marinesco: Behandlung syphilitischer Erkrankungen des Nerven¬ 
systems mittels intraarachnoidealer Injektion von Neosalvarsan. (Zeit¬ 
schrift f. physikal. u. diätet. Therapie, April 1913.) M. hat 13 Kranke 
(darunter Meningomyelitis, Tabes, Paralyse usw.) mit intraarachnoidealen 
Injektionen von Neosalvarsan behandelt; die luetische Infektion lag 
wenigstens 2 Jahre zurück. Der Injektion ging immer die Entnahme 
der gleichen Menge von Cerebrospinalflüssigkeit voraus. Die erhaltenen 
Resultate haben den auf sie gesetzten Hoffnungen im ganzen nicht ent¬ 
sprochen. Die Mehrzahl der Patienten zeigte stürmische Allgemein¬ 
erscheinungen, zum Teil auch mit Fieber. Sehr häufig waren Urin¬ 
beschwerden, einige Male verschlimmerte sich der Allgemeinzustand er¬ 
heblich. E. Tobias. 

K. Biesalski- Berlin: Die spastische Lähmung ia Kindesalter und 
ihre Behandlung. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) Vortrag 


im Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde in Berlin am 
17. Januar 1913. Wolfsohn. 

W. Scbüffner - Deli: Ist die Beri-Beri eine auch in Europa 
heimische Krankheit? (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 12.) 
Beri-Beri ist eine Polyneuritis, die durch alimentäre Schädigung ent¬ 
steht. Verf. wirft die Frage auf, ob unsere sogenannten idiopathischen 
Polyneuritiden nicht auch auf eine alimentäre Schädigung zurückzu¬ 
führen sind. Dünner. 

W. Alexander: Die Fortschritte der physikalischen Therapie 
bei Trigeminusneuralgie, einschliesslich der Injektionsmethoden. (Zeit¬ 
schrift f. physikal. u. diätet. Therapie, April 1913.) Von den neueren 
physikalischen Heilmethoden können alle gelegentlich leichtere und ver¬ 
einzelt schwere Fälle günstig beeinflussen. Einen grossen Fortschritt hat 
die Iojektionstherapie angebahnt. Die Alkoholinjektionen haben die Re¬ 
sektionen vollkommen ersetzt; die Exstirpation des Ganglion Gasseri ist 
nicht zu verdrängen, ein Versuch mit Einspritzung in das Ganglion zu 
empfehlen, aber derart, dass der erste Ast zwecks Vermeidung einer 
Keratitis verschont bleibt. 

L. Mann: Die Elektrotherapie der Lähmungen und Miskel- 
atrophien. (Zeitschr. f. physikal. u. diätet. Therapie, April 1913.) Als 
Wirkungsweise des elektrischen Stromes bei Lähmungen kennen wir die 
erregbarkeitssteigernden, die erfrischenden und kraftsteigernden, die 
trophischen und circulatorisohen und ganz besonders die kontraktions- 
erregenden Wirkungen. Letztere dominieren. Sie sind das eigentliche 
therapeutische Agens. Zu ihnen bedienen wir uns vor allem des faradi- 
schen Stroms, des sinusoidalen Wechselstroms, des undulatorischen Stroms 
und des Leduc’schen intermittierenden Gleichstroms. Nur bei Lähmungen 
mit Entartungsreaktion können sie nicht angewandt werden. Mit der 
Elektromechanotherapie steigern wir den Kontraktionseffekt durch An 
Wendung von Widerständen. Empfehlenswert sind langdauernde Sitzungen. 

E. Tobias. 

Siehe auch Allgemeine Pathologie und pathologische 
Anatomie: Zalewska, Zweiteilung des Rückenmarks. — Chirurgie: 
Cade und Leriche, Gastrische Krisen der Tabes dorsalis. Lau en¬ 
stein, Grosshirnschussverletzung. Eguchi, Traumatische Epilepsie. — 
Geburtshilfe und Gynäkologie: frayer, Bossi und die Gynäko¬ 
logie. 


Kinderheilkunde. 

L. Maier - München: Einfluss hygienischer Verhältnisse auf die 
Morbidität und Mortalität der Masernpnenmonie. (Münchener med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 12.) Die Letalität auf der Masernabteilung in 
der Münchener Universitäts-Kinderklinik sank ungefähr auf die Hälfte 
(Vergleich der Jahre 1906—1909 und 1910-1913); diese Verminderung 
ist durch ein beträchtliches Absinken der Frequenz der Komplikationen 
bedingt. Als Grund für diese Verbesserung müssen unbedingt die neu¬ 
geschaffenen guten hygienischen Verhältnisse angesehen werden. 

Dünner. 

E. Seligmann und E. Schloss-Berlin: Beiträge zur Epidemiologie 
und Klinik der Diphtherie. (Zeitschr. f. Kinderheilk., Bd. 4, H. 6.) 
Seligmann und Schloss stellen auf Grund ihrer Erfahrungen durch 
Schulepidemien an sechs Schulen, durch eine Hausepidemie in einer ge¬ 
schlossenen Anstalt und schliesslich an der Hand ihrer Erfahrungen an 
Krankenhausmaterial folgende Grundsätze zur Diphtheriebekämpfung auf: 
1. Io seuchenfreien Zeiten bakteriologische Untersuchung aller ver¬ 
dächtigen Hals- und Nasenerkrankungen. 2. Bei Epidemien in Schulen, 
Anstalten usw. bakteriologische Untersuchung auf gesunde Bacillen träger. 
3. Bakteriologische Untersuchung der Rekonvaleszenten. 

G. Nobel-Wien: Zur Pathologie vaccinogeier Aisschläge. (Zeit¬ 
schrift f. Kinderheilk., Bd. 4, H. 5.) Unter Hinweis auf Behauptungen 
der Impfgegner weist N. darauf hin, dass die Lymphe virulenter Impf¬ 
pusteln vom Patienten mit recenter Syphilis keine Spirochäten führt, da¬ 
her kann Impfsyphilis nicht durch Keimübertragung aus Vaccineinsertionen 
resultieren; ferner, dass Vaccina generalisata, bei der es sich um 
exanthematisch ausgestreute mikropapulöse Erytheme handelt, auf dem 
Wege der Autoinoculation oder durch accidentelle Uebertragung des 
Vaccinevirus zustande kommt. Er weist es nicht ganz von der Hand, 
dass Vaccinosen den hämatogenen Verbreitungsweg in Anspruch nehmen 
können, ist aber überzeugt, dass sie fast immer durch exogene Infektion 
Zustandekommen. In einer sehr grossen Beobachtungsreihe bei Kindern 
mit pruriginösen Hautzuständen ergab sich bei subcutaner Vaecioation 
kein einziges Mal eine Vaccinose. Dieser Umstand spricht zwar nur 
scheinbar gegen die Möglichkeit einer hämatogenen Verbreitung; denn 
der minimale Keimgehalt der Lymphe kommt hierbei ebenso in Betracht, 
wie die Herabsetzung der Vermehrungsmöglichkeit durch die frühzeitige 
Antikörperbildung. B. Grünfelder. 

E. Mensi: Ueber die Hautveränderungen bei Sclerema der Nei- 
geborenen. (Giorn. it. delle malattie veneree e delle pelle, Bd. 52, Nr. 2, 
S. 207.) Es bestehen zwei deutlich unterschiedene Formen von Sclerema 
neonatorum, je nachdem die Haut starr, gespannt, verdickt, wie succu- 
lent, oder verdünnt, verkürzt, wie ausgetrocknet erscheint. Diesen 
beiden Formen entsprechen besondere Hautverletzungen, die der Autor 
durch Mikrophotographien erläutert. Bei der Pathogenese ist das in- 


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21. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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fektiöse Element von Wichtigkeit und vielleicht das durch Hypo- oder 
mangelnde Funktion der Schilddrüse dargestellte angeborene Element. 

M. Segale. 

Cb. Watson-Edinburg: Bemerkungen über den Nahrungsbedarf 
der Kiader. (Erli, med. Journ., 22. März 1913, Nr. 2725.) Aus den 
Analysen der täglichen Nahrungsmenge einer Anzahl von Kindern aus 
gut situierten Familien berechnet Watson einen Durohschnitt von 72 g 
Eiweiss, 69 g Fett und 198 g Kohlehydrate = 1751 C&lorien für das 
Alter von vier bis sieben Jahren. Da die Kinder sehr gut entwickelt 
waren, glaubt er, dass dieser Durohschnitt richtiger sei als der von 
Atwater mit 48 g Eiweiss und 30 g Fett Tuberkulöse Kinder erhalten 
etwas mehr Eiweiss, gichtisch veranlagte weniger. Weiter gibt der Verf. 
einige Beispiele und Analysen von Mahlzeiten, die für eine billige Massen¬ 
ernährung von Schulkindern geeignet sind. Wey de mann. 

A. v. Reuss-Wien: lieber die Bedeutung der Unterernährung in 
der ersten Lebenszeit. (Zeitschr. f. Kinderheilk., Bd. 4, H. 6.) R. trennt 
bei der Beurteilung der Inanitionszustände den Begriff der Unterernährung 
von dem der Austrocknung. Die Ursachen der Unterernährung können 
von seiten des Kindes durch Saugschwäche, Trinkfaulheit und Scheu vor 
der Brust bedingt sein, andererseits kann die Schwierigkeit auf seiten 
der Mutter zu suohen sein, sei es, dass die Warze nicht den Anforde* 
rungen entspricht oder die Brust schwer in Gang zu bringen ist. Ausser 
bei trinkschwachen Kindern, bei denen Vermehrung der Mahlzeit an¬ 
gezeigt erscheint, hält auch R. an fünf bis sechs Mahlzeiten fest. Zur 
Verhütung der Ernährungsschwierigkeit von seiten der Mutter empfiehlt 
R. schon in den ersten Tagen der Lactation das manuelle Abdrücken 
bzw. Abpumpen der Milch, um so der Stauung und Versiechung vorzu¬ 
beugen und um auch die Sekretion zu steigern. Die Ezsiccation bzw. 
Unterernährung durch Hypogalaktie würde am besten durch abgedrückte 
Frauenmilch behoben, deren Fehlen im Privathaus durch Flüssigkeits- 
sufuhr bis in die zweite Woche hinein ersetzt werden kann. Zufütterung 
von Kuhmilch empfiehlt R. erst dann, wenn die Brustdrüsensekretion 
einigermaassen in Gang gekommen ist und dadurch die Aussicht für ein 
erfolgreiches Allaitement mixte gegeben ist. 

N. Krasnogorski(-Petersburg)-München: Ueber die Herkunft des 
Harneiweisses bei Albuminurien der Säuglinge. (Zeitschr. f. Kinder¬ 
heilk., Bd. 4, H. 6.) K. fand auf Grund von Untersuchungen mit der 
Präcipitin- und der Komplementablenkungsmethode bei Albuminurien 
von 20 bzw. 16 Säuglingen, dass das durch die Nieren ausgeschiedene 
Eiweiss kein artfremdes, sondern ausschliesslich menschlich arteigenes 
Eiweiss darstellt. B. Grün fei der. 

Siehe auch Psychiatrie und Nervenkrankheiten: Bie- 
salki, Spastische Lämung des Kindesalters. 


Chirurgie. 

H. Reichel- München: Erfahrungen mit dem Seopolamindänmer- 
sehlaf in Verbindung mit Morphium, Pantopon und Narkophin. 
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 12.) Günstige Erfahrungen 
mit der Scopolamin-Narkophinnarkose. Dünner. 

R. Dubois: Ueber die Anästhesie dureh den Verdauungstrakt' 
(Compt. rend. de Tacad. des Sciences, 1913, Nr. 3.) Die Anästhesierung 
mit Chloroform auf rectalem Wege ist zu verwerfen. Die Methode von 
P. Best mit titrierten Gemischen ist am besten, der nach diesem Prinzip 
vom Verf. konstruierte Apparat erlaubt, eine Anästhesie herbeizuführen, 
wo diese sonst nicht möglich wäre Warten sieben. 

P. Babitzki - Kiew: Zur Anästhesierung des Plexus braehialis 
■aeh Kulenkampff. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 14.) Zur 
Entfernung einer Nadel in der Hand wurden 15 ccm 3 proz. Novocain¬ 
lösung in den Plexus braehialis injiziert. Operation in Blutleere 
(Schlauch). Wochenlange Parese des ganzen Armes, die sich ganz all¬ 
mählich zurückbildete. B. glaubt, dem Schlauch die Schuld beimessen 
zu müssen (nach einer so kurzen Operation? Ref.). Wolfsohn. 

F. Rost - Heidelberg: Anatomische Untersuchungen einiger für 
die Lokalanästhesie wichtigen Hautnerven bezüglich ihrer Durchtritts¬ 
stellen durch die Fascien. (Deutsche Zeitschr. f. Cbir., Bd. 121, H. 5 
u. 6.) Versager bei der Anästhesie des Hautnerven bestehen auf un¬ 
genauer Kenntnis ihrer Austrittsstelle. An der Hand exakter Schilde¬ 
rungen und guter Illustrationen gibt R. eine Schilderung ihres ana¬ 
tomischen Verhaltens. Einzelheiten sind im Original nachzulesen. 

J. Becker. 

D. F. D. Turner • Edinburg: Mit Radium behandelte Fälle im 
Kgl. Krankenhause in Edinburg im Jahre 1912. (Läncet, 22. März 1913, 
Nr. 4673.) Behandelt wurden 12 bösartige Erkrankungen, je 11 Ulc. 
rodent. und Naevi und je 1 Leukoplakie, Lymphadenom, Frübjabrskatarrh, 
tuberkulöse Lymphdrüse, tuberkulöses Geschwür am Handrücken, Papillom 
und Hypertrichose. Besonders zugänglich für die Behandlung waren die 
Ulc. rodent.; auch das Papillom und das tuberkulöse Geschwür wurden 
geheilt. In den anderen Fällen war der Erfolg teilweise negativ. 

Weydemann. 

0. Grüne - Cöln: Die moderne Bardenhener’sehe Extensionsbehand 1 
im Vergleich zur Steinmann’schen Nagelextension. (Deutsche 
Zeitschr. f. Cbir., Bd. 121, H. 1 u. 2.) G. plädiert für eine ausgiebige 
Anwendung des Bardenheu er’schen Verfahrens, das gegenüber dem 
Steinmann’schen gänzlich gefahrlos und nach Einführung der Semi- 
flexion und modifizierter Heftpflasterzüge direkt ideal ist. 


W. Keppler - Berlin: Die blutige Stellung schlecht stcheuder 
Frakturen. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 1 u. 2.) Die 
Methode will Verf. hauptsächlich für Frakturen der oberen Extremität 
angewendet wissen. Sie ist ein harmloser Eingriff, der sehr vorteilhaft 
ist und am besten etwa acht Tage nach dem Trauma vorgenommen 
werden soll. 

O. Grüne-Cöln: Ein Fall von isolierter Kahnbeinfraktur des 
Fusses. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 1 u. 2.) Fraktur kam 
zustande durch Fall auf den Grosszehenballen. Behandlung mit Streck¬ 
verband und Rotationszug verhütete die Plattfussbildung. 

J. Becker. 

C. S. Walaoe-London: Hyperextension und Rttckschlagver- 
letiungen des Handgelenks. (Lancet, 22. März 1913, Nr. 4673.) Der 
Verf. glaubt aus seinen Beobachtungen an einigen Verletzten schliessen 
zu können, dass ein gewaltsames Zurückbeugen der Hand zwei Ver¬ 
letzungen verursachen kann: Bruch des Kahnbeines und Verrenkung des 
Mondbeines. Es kommen zwei mechanische Einwirkungen in Betracht: 
eine direkte, nämlich Druck der Handwurzelknoohen gegen das Radius¬ 
ende und eine indirekte, nämlich Hyperextension oder -Abduktion. Ebenso 
wie ein Fall auf die ausgestreckte Hand wirkt der Rückschlag beim 
Ankurbeln eines Motors; der verschiedene Verlauf der Bruchrichtung hat 
seinen Grund in dem Winkel, in dem die Hand im Augenblick des 
Schlages zum Unterarm steht. Weydemann. 

M. Hol lensen - Hamburg: Ein Fall von Hallux varu«. (Deutsche 
Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 5 u. 6.) Mitteilung eines sehr seltenen 
Falles von Hallux varus, der ohne Klumpfussbildung bestand. Operative 
Heilung. 

P. Ewald - Hamburg-Altona: Die Ursachen des Kniek- und Platt- 
fisses. (Deutsche Zeitschr. f. Cbir., Bd. 121, H. 1 u. 2.) Seit der 
Röntgenära ist die alte Einteilung der Formen des Plattfusses nicht mehr 
haltbar, vielmehr sind seine hauptsächlichsten Formen und Unterarten 
in Erkrankungen des Unterschenkels (Frakturen usw.) oder in Läsisnen 
der Fusswurzelknochen zu suchen. Einzelheiten der lesenswerten Arbeit, 
eignen sich nicht für ein kurzes Referat. 

0. Grüne-Cöln: Zur Luxatio pedis snb talo. (Deutsche Zeitschr 
f. Chir., Bd. 121, H. 1 u. 2.) Kasuistische Mitteilung zweier Fälle. 

J. Becker. 

H. M aass-Berlin: Die kongenitale Vorderarmsynostose. (Deutsche 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) Demonstration in der Berliner Gesell¬ 
schaft für Chirurgie am 10. Februar 1913. Wolfsohn. 

G. Koga - Kyoto: Zur Therapie der Spontangangrän an den Extremi¬ 
täten. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 3 u. 4.) Die in 
Japan häufige Spontangangrän infolge von Sklerose der Gefässe bei 
jugendlichen Individuen beruht nach Ito’s Ansicht auf der haupt¬ 
sächlich vegetabilischen Nahrung, wodurch die Gefässe bisweilen un¬ 
günstig beeinflusst werden. Verf. erzielte durch Herabsetzung der Viscosi- 
tät des Blutes durch Infusion von Kochsalz- bzw. Ringer’schen Lösungen 
günstige Heiluogsresultate. J. Becker. 

Miyauchi-Japan: Die Häufigkeit der Varieen am Unterschenkel 
bei Japanern und der Erfolg einiger operativ behandelter Fälle. (Archiv 
f. klin. Chir., Bd. 100, H. 4.) Unterschenkelvaricen sind in Japan selten. 
Verf. führt das auf die Sitzweise der Japaner zurück. Bekanntlich sitzt 
der Japaner derart auf Fussmatten, dass er die Beine im Knie voll¬ 
ständig beugt und die Fusssohlen unter das Tuber isohii bringt, dadurch 
wird die Vena saphena magna nicht gedrückt und infolgedessen keine 
venösen Stauongen hervorgerufen. Verf. bespricht kurz die Trendelen- 
burg- und Madelung’sche Operationsmethode, die Babcock’sche Operation 
kennt er nicht. Drei Krankengeschichten. 

Goto-Japan: Pathologisch-anatomische und klinische Studien über 
die sogenannte Myositis ossifieans progressiva mnltiplex. (Archiv f. 
klin. Chir., Bd. 100, H. 3.) Es handelt sich um eine progressive, nicht 
hereditäre Krankheit, welche hauptsächlich im Kindesalter auftritt. Der 
Prozess nimmt seinen Ausgang von der Fascie bzw. Aponeurose, Sehne 
oder dem Periost, eventuell auch vom Bandapparat. Das Intcrstitium 
des Muskels wird nur sekundär von der Nachbarschaft in Mitleidenschaft 
gezogen. Die rationellere Bezeichnung dieser Krankheit wäre: „Hyper- 
plasia fascialis ossifieans progressiva/ Der Verlauf lässt sich einteilen 
in 1. das Stadium der Bindegewebshyperplasie ohne Entzündung, 2. das 
Stadium der fibrösen Induration, 3. das Stadium der Verknöcherung. 
Der neugebildete Knochen zeigt immer einen normalen Knochenbau. 
Aetiologisch ist eine chronische Entzündung, speziell Lues, sicher aus- 
zusohliessen, als Prädisposition ist wichtig das Trauma, jedoch ist auch 
eine spontane Entstehung der lokalen Veränderung möglich. 19 Text¬ 
figuren. Schliep. 

C. Lauen stein »Hamburg: Grosshirnsehuss Verletzung durch ein 
7 mm-Geschoss ohne erhebliche Folgen. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., 
Bd. 121, H. 1 u. 2.) Verf. schiebt in dem mitgeteilten Falle das Aus¬ 
bleiben übler Nachwirkungen seitens des Geschosses auf dessen kleines 
Kaliber und auf das Ausbleiben einer Deformierung des Geschosses und 
dadurch eventuell bedingter Blutung. 

A. Horrwitz - Berlin: Uebei 1 eine neue Methode zur operativen 
Behandlug der isehämiseben Kontraktur. (Deutsche Zeitschr. f. 
Chir., Bd. 121, H. 5. u. 6.) Es ist möglichst bald zu operieren, 
sobald die ischämische Kontraktur sich ausgebildet hat, denn 
nur dadurch sind die Muskeln usw. noch wenig geschädigt und besser 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


regenerationsfahig. Klapp machte in einem Falle ischämischer Kon¬ 
traktur nach Fr. humeri, die mit Versteifung des Handgelenks aus¬ 
geheilt war, eine Resektion der proximalen Reihe der Handwurzelknochen 
und erzielte einen glänzenden Erfolg. (Modifikation der Henle’schen 
Operation.) J. Becker. 

Lucas-Trier: Ueber die freie Plastik der Fascia lata. (Archiv 
f. klin. Chir., Bd. 100, H. 4.) Verf. hat bei Operationen ausgiebigen 
Gebrauch von der Fascia lata gemacht und empfiehlt dieselbe angelegent¬ 
lich. Bei Danndefekten, Biasenwanddefekten, zur Sicherung der Naht 
bei der Magen- und Darmchirurgie, als Ersatz von Sehnen und Bändern, 
bei Blasenektopie, bei grossen Bruchpforten, bei Trachealdefekt und als 
Ersatz für Peritoneum hat sich Fascia lata ausgezeichnet bewährt. 

Schliep. 

T. Eguchi: Zur Kenntnis der traumatischen Epilepsie nach Kopf¬ 
verletzungen im japanisch-russischen Kriege. (Deutsche Zeitschr. f. 
Chir., Bd. 121, H. 3 u. 4.) Uebersicht über die bisherigen Mitteilungen 
traumatischer Epilepsie durch Geschosse. In den Fällen des Verf. trat 
in 3 pCt. nach Kopfverletzung traumatische Epilepsie auf, doch zeigt sie 
sich erst später nach eingetretener Narbenbildung. Sagittale Schuss¬ 
wunden rufen sie häufiger hervor als Querschüsse. Verwachsungen der 
Knochen oder Haut mit der Dura raater oder dem Gehirn rufen auch 
manchmal Epilepsie hervor. Therapeutisch nützen Medikamente nichts, 
doch können nach einer Operation, die Verf. stets anrät, die Anfälle, 
welche sich nach derselben noch einige Male wiederholen würden, mit 
Hilfe der Medikamente schneller beseitigt werden. 

A. Cade und R. Leriche - Lyon: Klinische, pathogenetische und 
therapeutische Studie über die gastrischen Krisen bei der Tabes dor* 
salis. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 1 u. 2.) C. gibt eine 
übersichtliche Schilderung der Symptomatologie, Pathologie und internen 
Therapie bei Krisen der Tabiker. Versagen die internen Medikationen, 
so ist chirurgisch vorzugehen. L. schildert die einzelnen Eingriffe nach 
Foerster, Guleke, Franke und König. 

G. Lerda-Turin: Beitrag zur totalen Meloplastik. (Deutsche 
Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 1 u. 2.) Totaler Wangenersatz ist sehr 
kompliziert, und es sind für ihn viele Wege angegeben worden. Verf. 
vollfühlte nach Exstirpation eines linksseitigen Wangencarcinoms eine 
Mobilisation der rechten Wange und Unterlippe von der Schleimhaut¬ 
seite her. Die nach der linken Seite verlagerte Mundöffnung schloss er 
später durch Anfrischung und legte einen neuen Mund an der richtigen 
Stelle an durch Vernähung der Haut und Schleimhaut. 

Molineus - Düsseldorf: Kleidoplastik aus der Spina scapnlae. 
(Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 1 u. 2.) In zwei Fällen eines 
Claviculartumors wurde durch Witzei nach Resektion der Clavicula der 
Defekt aus der Spina scapulae ersetzt. Der Erfolg war in beiden Fällen 
ein guter. 

Neu-Bonn: Wirkung der RÖntgenstrahlen bei chirurgischer 
Tuberkel ose. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H.- 3 u. 4.) Die 
lesenswerte Arbeit bringt die Erfolge, die die Röntgentherapie bei 
Drüsen-, Gelenk- und Bauchfelltuberkulosen gezeitigt hat. Die bis¬ 
herigen guten Resultate fordern zu ausgiebigem Gebrauch der Strahlen 
bei Tuberkulose auf. 

E. Gergö - Budapest: Subcntanes Emphysem nach Laparotomien. 
(Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 3 u. 4.) Bei einer Laparotomie 
und Hydrocelenoperation beobachtete G. einige Tage post operationem 
Auftreten eines subcutanen Emphysems. Das Emphysem kann durch 
Trauma oder Anaeroben bedingt werden. G. sucht in seinen Fällen die 
Aetiologie in anaeroben Bakterien. 

C. Lauenstein - Hamburg: Quetschung des Leibes durch Fahr¬ 
stuhl. Intraperitoneale Zerreissung der Blase. Laparotomie, Naht der 
Blase, Heilung. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 1 u. 2.) Das 
Wesentliche des Falles ist in der Ueberschrift enthalten. Heilung. 

E. Pfister - Cairo: Beiträge zur Histologie der ägyptischen Blasen¬ 
steine. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 3 u. 4.) Die Ansicht, 
dass die mit Bilharziasis in Verbindung zu bringenden Harnsteine als 
Fremdkörpersteine, bedingt durch die Eier der Parasiten, aufzufassen 
seien, ist nicht mehr haltbar. Die Mehrzahl der Steine muss als Ent¬ 
zündungssteine betrachtet werden. 

M. zur Verth und K. Scheele: Indnratio penis plastica. 
(Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 3 u. 4.) Die Krankheit ent¬ 
steht meist im höheren Alter am Dorsum des Penis. Die Aetiologie ist 
unbekannt, doch scheinen Traumen, Konstitutionskrankheiten (Gicht, 
Arteriosklerose, Diabetes) eine Rolle zu spieleu, da sie schädigend auf 
das elastische Gewebe einwirken. Bei der Verknöcherung scheint es 
sich um raetaplastische Veränderungen zu handeln. Interessant ist es, 
dass die Induratio penis oft mit der Dupuytren’schen Kontraktur ver¬ 
gesellschaftet ist. Therapeutisch wird mit operativer Entfernung der 
Platten mitsamt dem Rückenteil der Fascia penis das beste Resultat 
erreicht. 

A. Pawloff - St. Petersburg: Ueber accessorische Harnleiter. 
(Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 5 u. 6.) An der Hand von 
einschlägigen Beobachtungen gibt P. eine Schilderung der Entwicklung des 
Harnapparates. Einzelheiten sind im Original nachzulesen. Die acces- 
sorischen Harnleiter bilden die Ursache verschiedener Nierenerkrankungen. 

J. Becker. 


F. Sauerbruch - Zürich: Beeinflussung von Liflgenerkrankvagei 
durch künstliche Lähmung des Zwerchfells (Phrenikotomie). (Münchener 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 12.) Die durch Phrenikotomie hervor¬ 
gerufene Zwerchfeilähmung bewirkt Kompression der Lunge. Sie kommt 
als Operationsmethode entweder allein oder in Verbindung mit Thorako- 
plastik bei Lungentuberkulose in Betracht. Speziell ist sie indiziert bei 
Oberlappentuberkulose, weil durch die alsdann erfolgende Kompression 
des Unterlappens die Aspirationsgefahr von dem Oberlappen her herab¬ 
gesetzt wird. Ebenso ist die Phrenikotomie bei Unterlappentuberkulose 
in Erwägung zu ziehen. Es liegen noch nicht viele Erfahrungen vor; 
ein abschliessendes Urteil steht also noch aus. Die Phrenicusdurch- 
schneidung selbst ist einfach. Dünner. 

Heyrovsky-Wien: Casuistik und Therapie der idiopatbisehei 
Dilatation der Speiseröhre. Oesopbagogastroanastonose. (Archiv f. 
klin. Chir., Bd. 100, H. 3.) Die Erkrankung besteht in einer hoch¬ 
gradigen spindelförmigen Erweiterung der Speiseröhre ohne anatomisch 
nachweisbare Cardiastenose. Die daraus resultierende Schluckstörung 
wird oft so hochgradig, dass Gefahr der Inanition besteht. Der Verf. 
machte bei zwei derartigen Fällen eine Anastomose zwischen Oesophagus 
und Magenfundus, nachdem der unterste Abschnitt des Oesophagus in 
die Bauchhöhle gezogen war. Als Voroperation war eine Gastro¬ 
stomie gemacht wprden. Der Verlauf war glatt, der Erfolg ausgezeichnet. 

W. Meyer-New York: Der Oesophagaskrebs vom Standpunkt der 
thorakalen Chirurgie. (Archiv f. klin Chir., Bd. 100, H. 3.) Der Verf. 
berichtet über 4 Patienten, bei welchen er die operative Entfernung des 
Oesophaguscarcinoms versucht hat. Er beschreibt seine Operations¬ 
technik und die Erfahrungen, die er bisher bei dieser Operation gemacht 
hat. Obgleich auch bei ihm sämtliche Fälle kurz nach der Operation 
starben, glaubt er doch, dass es späterhin einmal gelingen wird, auch 
das Oesophaguscarcinom mit Erfolg operativ anzugreifen. 

Schli ep. 

F. Sasse - Frankfurt a. M.: Uless callosnm ventricnli totale 

(Schrumpfmagen, Exstirpation, nebst Bemerkungen über den dauernden 
Verlust sowie über die Technik der Magenresektion). (Münchener med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 12.) Inhalt ergibt sich aus dem Titel. Inter¬ 
essant ist, dass die Patientin, bei der eine Jejunumschlinge an die 
Cardia genäht wurde, alles essen kann. Dünner. 

G. Wetterstrand - Helsingfors: Zur Klinik und Therapie des per¬ 

forierten Magen- nnd Dnodenalgesehwiirs. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., 
Bd. 121, H. 5 u. 6.) Die Arbeit bringt nur Bekanntes. W. fordert 
zur Erzielung guter Resultate möglichst frühzeitige Operation. Im Gegen¬ 
satz zu anderen findet W., dass in Finnland vorwiegend Männer von der 
Magenperforation betroffen werden. J. Becker. 

Röpke-Barmen: Ueber die operative Behandlung der durch stumpfe 
Gewalt entstandenen Dnodenalverletzaagen. (Archiv f. klin. Chir., 
Bd. 100, H. 3.) Verf. operierte mit gutem Erfolg einen einschlägigen 
Fall, der von einem Wagen überfahren worden war, bei welchem eine 
totale Zerreissung des Duodenums und eine teilweise des Colon trans- 
versum bestand. Der proximale Abschnitt des Duodenums wurde 
End-zu-Seit mit dem Jejunum vereinigt, der distale mit der Hinterwand 
des Magens anastoraosiert. Prophylaktisch wurde noch eine Cöcalfistel 
angelegt. Schliep. 

E. Pölya - Budapest: Jejanemcoloii- und Mageneoionfistel nach 
Gastroenterostomie. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 1 u. 2.) 
Diese immerhin seltene Komplikation wird nach der Gastroenterostomie 
beobachtet. Eine genaue Diagnose lassen die Erscheinungen und be¬ 
sonders Röntgendurchleuchtungen stellen. Die einfachste Operation be¬ 
steht in der Trennung der Fistelränder und in der Vereinigung der 
hierdurch entstandenen Oeffnungen. Erweist sich die alte Gastroentero¬ 
stomie als zu eng, so ist eine neue anzulegen. 

Knape - Teuplitz: Die Pankreashämorrbagie. (Deutsche Zeitschr. 
f. Chir., Bd. 121, H. 5 u. 6.) Die Genese der Pankreashämorrhagie ist 
keine einheitliche. Lipomatose, Gallensteine, Traumen, Sekretioustätig- 
keit sind die Faktoren, welche sich in Form von Kombinationen meistens 
finden. Meist liegen mehrere Ursachen der Pankreasblutung zugrunde. 

E. A. Delfino - Genua: Ueber eine peripankreatische, zwischen 
den Blättern des Mesocolon transversum entstandene Cysto. (Deutsche 
Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 3 u. 4.) Kasuistische Mitteilung des 
Falles und Angabe einiger in der Literatur befindlicher Fälle sowie Be¬ 
sprechung der Genese. 

S. Rubascho w - Moskau: Ueber Bradycardie bei Leberver- 
letznngen. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 5 u. 6.) Verf. tritt 
der Ansicht von Finsterer entgegen, wonach die Bradycardie ein 
wichtiges, charakteristisches Symptom für Leberverletzungen sei. Auch 
ist die Erklärung Finsterer’s, dass die Brachycardie bei Leberver¬ 
letzungen durch Gallensäurewirkung beim Uebertritt der Galle ins 
Blut (?) zustande kommt, nicht wahrscheinlich. Eine Ansicht, die auch 
Thöle angenommen hat. 

H. Finsterer-Wien: Ueber Bradycardie bei Leberverletznngei. 
(Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 5 u. 6.) F. verteidigt seine 
Ansicht der Bradycardie bei Leberverletzüngen und verlangt eine 
mindestens alle halbe Stunde vorzunehmende Kontrolle des Pulses, um 
selbige feststellen zu können. Dabei ist zu beachten, dass ein voller, 
kräftiger und längsaraer Puls nicht gegen die Diagnose einer inneren 
Blutung durch Leberverletzung verwertet werden darf. 


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2i. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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R. Roaenthal - Karlsruhe: Ueber Ascaridiasis mit Berücksichti¬ 
gung eines selbst beobachteten Falles. (Deutsche Zeitschr. f. Chir M 
Bd. 121, H. 6 u. 6.) Wegen des Bildes einer Cholelithiasis wurde bei 
einer Patientin die Laparotomie gemacht. Es fand sich im Choledochus 
ein Spulwurm, der den Gang verstopfte. Besprechung des Hinein- 
gelangens des Parasiten in die Gallenwege. Eine sichere Diagnose lässt 
sich ante op« wohl nur bei Erbrechen von Ascariden stellen. 

J. Becker. 

•Sasse-Frankturt a. M.: Ueber Choledocho-Dnodenostomie. (Archiv 
f. klin. Chir., Bd. 100, H. 4.) Bericht über zehn operierte Fälle von Er¬ 
krankungen des Gallensystems, bei welchen sich dem Yerf. die Chole- 
dochus-Duodenostomie ausgezeichnet bewährt hat. Bei recidivierender 
Cholangitis cum et sine concremento bei der entzündlichen Stenose der 
Papille ist die Choledocho-Duodenostomie der Choledochus- bzw. Hepaticus- 
drainage weit überlegen, da diese Methode einen freien Gallenabfluss 
garantiert und vor Recidiven, auch solchen ohne Steinbildung, schützt. 
Sogenannte Recidive nach radikal ausgeführten Gallensteinoperationen 
beruhen nicht immer auf zurückgelassenen oder neugebildeten Steinen, 
sondern oft auf Stauung und Infektion infolge Stenose der Papille. 
Yerf. begnügt sich während der Operation auch nicht mit Sondierung 
der Papille allein, sondern stellt den ungehinderten Abfluss der Galle 
durch die Papille durch Einspritzen von Kochsalzlösung fest. Wenn 
jedoch die Kochsalzlösung leicht in den Darm abfliesst, wird ausser 
einer Cholecystektomie nur die primäre Choledochusnaht gemacht. 

Schliep. 

Molineus - Düsseldorf: Ueber die Möglichkeit eines Choledochns- 
ersatzes durch Einpflanzung des Processus vermiformis. (Deutsche 
Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 5 u. 6.) M. schlägt vor, bei grossen De¬ 
fekten des Choledochus diesen Defekt durch den Processus vermiformis 
zu ersetzen, und gibt eine Schilderung seiner an Leichen angewandten 
Technik. J. Becker. 

Henschen-Zürich: Nephropexie vermittels transplantativer Bildung 
einer fascialen Aufhängekapsel. (Archiv f. klin. Chir., Bd. 100, H. 4.) 
Die Operation besteht in der Einpackung der Niere in einen grossen, 
frei überpflanzten Lappen der Fascia lata. Dieser bildet um die Niere 
eine zweite neue Kapsel und dient der flächenhaften Fixation an der 
muskulären Hinterwand des Nierenlagers. Yier Textfiguren. 

Hadda-Breslau: Die Exzision der Hämorrhoiden nach Whitehead. 
(Archiv f. klin. Chir., Bd. 100, H. 4.) Nach einem Ueberblick über die 
heutigen Behandlungsarten der Hämorrhoiden bespricht Verf. die Technik 
der Wbitehead’schen Operation und empfiehlt diese Methode sehr auf 
Grund von 223 operierten Fällen. Zehn sehr schöne Bilder illustrieren 
die Operation. Schliep. 

H. Hart tun g-Breslau: Ueber Hypernephrome der Niere. (Deutsche 
Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 5 u. 6.) Die Grawitz'sche Theorie, dass 
die Hypernephrome von versprengten Nebennierenkeimen ausgehen, hat 
durch die Untersuchungen von Stoerck an Wahrscheinlichkeit verloren. 
Dieser wies nach, dass die Geschwülste vom Nierenepithel abstammen, 
welcher Meinung sich auch Yerf. anschliesst. Klinisch verlaufen sie 
unter Schmerzen, Fieber (Israel), Hämaturie. J. Becker. 

Dobbertin - Berlin-Öberschöneweide: Die direkte Danerdrainage 
des chronischen Aseites durch die Vena sapheaa in die Blutbahn. 
(Archiv f. klin. Chir., Bd. 100, H. 4.) Verf. gibt eine neue Operations¬ 
methode an zur Dauerdrainage des Ascites direkt in dieBlutbabn. 1. Die 
Yena saphena wird freigelegt, in Ausdehnung von etwa 10 cm ab- 
präpariert, peripher unterbunden und durchschnitten. 2. Inzision dicht 
oberhalb des Poupart’schen Bandes, Eröffnung der Bauchhöhle durch 
Bildung eines dreieckigen Lappens aus Peritoneum und Faso, transversa. 
8. Unterminierung der Haut, so dass die Saphena stumpf nach oben ge¬ 
zogen werden kann. 4. Einnähen ins Peritoneum und Schluss der Wunde. 

Schliep. 

R. Herzenberg - Moskau: Ueber sogenannte Nabelsteine. (Deutsche 
paed. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) Im Anschluss an ein leichtes Trauma 
entwickelte sich eine umschriebene Nabelphlegmone. Bei der Operation 
glitt aus der Nabelhöhle ein mandelförmiger harter Körper, bestehend 
aus Cholestearin, Fettsäurekristallen, Epithelzellen und centralen an¬ 
organischen Körpern. Wolfsohn. 

Brüning-Coblenz: 100 Bände Archiv für klinische Chirurgie. 
(Supplement zum 100. Band.) Verf. gibt eine sehr interessante und 
lesenswerte Uebersicht über den Inhalt der 100 Bände von Langenbeck’s 
Archiv. Wir erhalten dadurch einen ausgezeichneten historischen Ueber¬ 
blick der grössten Entwicklungszeit der Chirurgie der letzten 50 Jahre. 
Mit. grosser Sachkenntnis und ausserordentlichem Fleiss hat sich Verf. 
bemüht, kurz und bündig alle hervorragenden Arbeiten zu besprechen. 
Das Studium dieser schönen Zusammenstellung kann sehr empfohlen 
-werden. Namen- und Sachregister von Band 1—100. Schliep. 

F. Kuhn - Berlin-Schöneberg: Der Lnftkompressor im Krankenhaus. 
<Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 5. u. 6.) K. empfiehlt die von 
ihm eingefübrte Hochdruckmassage bei allen mit eventuellen Versteifungen 
einhergehenden Traumen (Frakturen, Luxationen), ferner bei allen Arten 
-von Oedemen, sowie, bei Ischämie und drohender Gangrän. Auch bei 
subcutanen Infusionen vermag Heissluft eine schnellere Rssorption der 
JHüssigkeit herbeizuführen. J. Becker. 


Siehe auch Diagnostik: Herz, Symptome der chronischen 
Appendicitis. — Innere Medizin: Glaessner, Pankreassteine. 
Ehrmann, Chronische Pankreatitis. — Technik: Bley, Instrument 
zum Oeffnen von Gipsverbänden. 


Röntgenologie. 

P. Goby: Die Mikroradiographie, eine neue Methode der Röntgen- 
nntersaehnng. (Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 1913, Nr. 9.) Die 
Mikroradiographie soll die Objekte in ihrer inneren Struktur erkennbar 
machen, die mikroskopisch klein sind, aber infolge ihrer Opacität durch 
das Mikroskop nicht betrachtet werden können. Beschreibung der 
Apparatur. Wartensleben. 

Siehe auch Chirurgie: Neu, Röntgen strahlen bei chirurgischer 
Tuberkulose. 


Urologie. 

Siehe auch Chirurgie: Zur Verth und Schiede: Induratio 
penis plastica. Pfister, Aegyptische Blasensteine. Pawloff, Accesso- 
rische Harnleiter. — Therapie: Fischei, Jodipin bei Prostatitis. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

A. Mac nab - London: Ionenbehandlnng bei Herpes zoster. (Lancet, 
22. März 1913, Nr. 4673.) Die Ionenbebandlung hat dem Verf. bei der 
Behandlung der Herpes zoster des Gesichts sehr gute Dienste getan; 
angewandt wurde Chininsulfat an der positiven Elektrode, 1—1,5 Mill. 
für den Quadratzoll, Dauer 15—30 Minuten; zwei Sitzungen innerhalb 
7—10 Tagen waren genügend. Die Bindehaut wurde ausserdem mit 
schwächeren Strömen und kürzere Zeit behandelt. Erfolg: sofortiges 
Aufhören der neuralgischen Schmerzen und der Sensibilitätsstörungen, 
Verschwinden der Iritis, Wiederkehr des Gefühls in der Hornhaut und 
der Bindehaut. Die Pustel- und Narbenbildung kann auch dies Verfahren 
nicht verhindern. Weydemann. 

L. Dreyfus - Frankfurt a. M.: Neosalvarsan. (Münchener med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 12.) Man kann wöchentlich 2 mal 0,7 Neo¬ 
salvarsan (die ersten Injektionen müssen mit kleinen, allmählich an¬ 
steigenden Dosen gemacht werden) ä 1 /* Wochen hintereinander in Kom¬ 
bination mit Quecksilber geben; insgesamt 7,5 Neosalvarsan. Man kann 
die Nebenerscheinungen bei wirklich exakter Technik auf ein Minimum 
herabdrücken. Was den Unterschied zwischen Alt- und Neusalvarsaii 
anlangt, so empfiehlt sich Neosalvarsan in allen den Fällen, wo man 
eine milde Salvarsanwirkung haben will, z. B. Anfangsbehandlung bei 
luetischer Meningitis, bei spezifischen Gefässerkrankungen, ferner bei 
Lues mit nicht spezifischer Nephritis usw. Dünner. 

Siehe auch Therapie: Swauw, Behandlung der Urticaria mit 
Suprarenin. 


Geburtshilfe und Gynäkologie. 

W. B. Bell-Liverpool: Die Bedeutung der Drüsen ohne Ausführungs¬ 
gang für die Geschleehtsfnnktionen des weiblichen Geschlechts. I. 
(Lancet, 22. März 1913, Nr. 4673.) Der Verf. beleuchtet unter Zu¬ 
grundelegung seiner eigenen Versuche und der Arbeiten anderer den 
Einfluss der Ovarien auf den Uterus, den Stoffwechsel und auf die übrigen 
Organe der inneren Sekretion. Die Ovarien unterstützen in gewissem 
Grade die Implantation des Eies, wahrscheinlich durch ein Sekret der 
Luteinzellen; das der interstitiellen Ovarialzellen scheint dazu zu dienen, 
die Tätigkeit des Uterus und regelmässige Kontraktionen auszulösen. Im 
allgemeinen Stoffwechsel scheint die gesamte Sekretion des Ovariums die 
Kalkausscheidung zu fördern, die Phosphorausscheidung zu verringern. 
Insuffizienz der Ovarialsekretion steigert die Tätigkeit der übrigen Drüsen 
ohne Ausiührungsgang. Weydemann. 

W. Rübsamen - Dresden: Klinisch-experimentelle Untersuchungen 
über die Wirksamkeit der Wehenmittel in der Nachgehartsperiode. 
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 12.) (Vortrag, gehalten auf 
dem internationalen Gynäkologenkongress am 11. September 1912 in 
Berlin und modifiziert am 16. Januar 1913 in der Dresdener gynäko¬ 
logischen Gesellschaft.) Cf. Kongressbericht der Berliner klin. Wochen¬ 
schrift, 1912, Nr. 41, S. 1959. Dünner. 

A. Mayer-Tübingen: Die Lehre Bossi’s und die Gynäkologie. 
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 13.) M. wendet sich gegen Bossi 
(Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 47.), der die Lehre aufgestellt hat, 
dass die Hälfte aller Frauenselbstmorde gynäkologischen Ursprunges und 
hauptsächlich durch Endometritis und Retroflexio bedingt seien. Die 
Behandlung und Heilung des Genitalapparates sei bei solchen Patientinnen 
unabweisbare Notwendigkeit und bedeute die gynäkologische Prophylaxe 
des Wahnsinnes. Der Verf. tritt Bossi recht energisch entgegen, er 
bezeichnet Bossi’s Erfolge als Suggestiverfolge. P.'Hirsch. 

L. Seeligmann - Hamburg: Ueber ein erfolgreiches Heilverfahren 
bei einem Sarkom (Recidiv) des Eierstockes, das die Wirbelsäule er¬ 
griffen hatte. (Münchener med. Wochenschr., 1913,- Nr. 12.) (Nach 
einer im ärztlichen Verein in Hamburg gehaltenen Demonstration am 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


11. Februar 1918.) Arsacetinipjektionen und Röntgenbestrahlung 
besserten ein Ovarialsarkomrecidiv mit Metastasen in der Wirbelsäule 
ganz erheblich. Dünner. 


Augenheilkunde. 

Gastpar - Stuttgart: Angenuntersuchuugeu bei Sehulkindern. 
(Münchener med. Wochenschr., 1918, Nr. 12.) Dünner. 


Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 

Gerb er-Königsberg: Die bisherigen Erfahrungen mit der Salvawan- 
und Neosalvarsanbehandlung der lokalen Spirochätosen. (Münchener 
med. Wochenschr., 1918, Nr. 12.) Die lokalen Spirochätosen, speziell 
im Munde, lassen sich durch Salvarsan sehr gut beeinflussen. Es emp¬ 
fiehlt sich zunächst lokale Behandlung von 5 bis lOproz. Salvarsan in 
Glycerin; man muss natürlich kräftig touchieren. Dünner. 


Hygiene und Sanitätswesen. 

Kuhn-Schöneberg: Die erste Hilfe bei Asphyxien mittels direkter 
Einblasung von Lnft. (Münchener med. Wochenschr., 1918, Nr. 12.) 

Dünner. 


Technik. 

Bley-Wiesbaden: Ein nenes Instrument zum Oelfnen der festen 
Verbände, speziell der Gipsverbände. (Deutsche med. Wochenschr., 
1913, Nr. 15.) Wolfsohn. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Laryngologlsche Gesellschaft zu Berlin. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 14. Februar 1918. 

Vorsitzender: Herr Killian. 

Schriftführer: Herr Grabower. 

Zur Verlesung gelangt ein Dankschreiben des Herrn Ghiari aus 
Wien für die ihm durch den Vorstand der Gesellschaft anlässlich seines 
60. Geburtstages übersandte Glückwunschadresse. 

Dem Aerzteausschuss von Gross-Berlin werden zur Unterstützung 
bei den Vorbereitungen für den Internationalen Kongress für Physio¬ 
therapie auf Vorschlag des Vorstandes 100 M. überwiesen. 

1. Hr. Th. Gluck: 

Erfahrungen auf dem Gebiete der Operationen der oberen Luft- und 
Speisewege. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

2. Hr. P. Heymann : M. H.! Ich habe einen Patienten mitgebracht, 
von dem ich gern möchte, dass die Herren mir eine Diagnose stellen. 
Es handelt sich um einen 33 jährigen Mann, der vor ungefähr vier 
Wochen mit Heiserkeit und stechenden Schmerzen auf der linken Seite 
des Halses erkrankte. Seitdem ist es nach seiner Angabe etwas besser 
geworden. Seit 14 Tagen kenne ich ihn. Das Bild hat sich in diesen 
14 Tagen nicht viel geändert. Sie sehen auf dem linken Stimmband, 
etwa im vorderen Teil des mittleren Drittels, eine ungefähr halblinsen¬ 
grosse Stelle, die weisslich belegt ist. Ich glaubte erst, es handele sich 
um eine weiss belegte Operationswunde. Der Patient leugnet aber, dass 
eine Operation gemacht sei. In den 14 Tagen, wo wir ihn ab und zu 
gesehen haben, hat sich dieser Belag etwas gelockert, ist etwas dünner 
geworden, ist aber noch vorhanden. Eine sichere Diagnose zu stellen 
bin ich nicht imstande. Herr Killian, der die Güte hatte, den Fall 
eben ; vor der Sitzung anzusehen, ist der Meinung, dass es sich um einen 
Belag bei einer schweren akuten Laryngitis handelt. Das ist möglich, 
doch ist dagegen anzuführen, dass die Aflektion ganz einseitig ist. Auch 
habe ich bei akuter Laryngitis einen so dicken vortretenden Belag noch 
nicht gesehen. 

Das Resultat der Wassermann’schen Prüfung war negativ. Der Ge¬ 
danke, dass es sich hier um Syphilis handelt, liegt ja nahe. Sehr inter¬ 
essant ist die Tatsache, dass der Patient vor sechs Jahren wegen eines 
akuten Rachenkatarrhs in unserer Behandlung war und ebenfalls eigen¬ 
tümliche weissliche Beläge hatte, so dass der Arzt, der ihn zuerst unter¬ 
suchte, in das Journal einschrieb: Lues secundaria. Ich erinnere mich 
des Falles nicht mehr genau. Das L. II ist dann durchstrichen und da¬ 
hinter w Pharyngitis acuta“ geschrieben. Der Patient hat im übrigen 
noch eine Kieferhöhleneiterung, die ja diese Frage nicht angeht. 

Ich habe .dann noch eine kurze Mitteilung zu machen. Die älteren 
Herren von Ihnen werden sich erinnern, dass vor ungefähr 80 bis 
40 Jahren in der Rhinologie die Ausspülung der Nase ein sehr häufig 
geübtes Verfahren war. Es wurden dann eine ganze Menge Bedenken 
erhoben, dass die Ausspülung der Nase eventuell gefährlich sein könne, 
und es wurden damals eine Reihe von Fällen publiziert, wo nach Aus¬ 


spülung der Nase Mittelohrentzündungen entstanden waren. Auch ich 
selbst erinnere mich aus den Anfängen meiner Praxis eines für mich 
sehr unangenehmen Falles dieser Art. Durch den positiven Druck, der 
in der Nase entstand, wurde der Eintritt der Spülflüssigkeit plus eines 
Teiles des Nasensekrets und des aus den Nebenhöhlen fliessenden Sekrets 
in das Mittelohr leicht ermöglicht. Darüber existieren Untersuchungen 
von Hartmann, Weber-Liel und vielen anderen Autoren. Allmählich 
wurde dann dieser Gefahren wegen die Ausspülung der Nase immer 
seltener geübt Es wurden die verschiedensten Methoden ersonnen, um 
den Druck herabzusetzen. Vor ungefähr 14 Tagen brachte mir ein 
hiesiger Mechaniker, Herr Hendrichs, einen Apparat, bei dem es ihm 
gelungen ist, den positiven Druck gänzlich auszuschalten, indem er an 
Stelle des positiven Druckes, der die Flüssigkeit durch die Nase hinauf¬ 
treibt, den negativen setzt, der die Flüssigkeit durch die Nase hindurch¬ 
saugt. Auf diese Weise ist es möglich, die Nase ohne den geringsten 
positiven Druck auszuspülen. Ich habe an einer Nachbildung aus Glas 
den Versuch gemacht, ob es gelänge, auch die Nebenhöhlen auszuspülen. 
Das scheint nicht jedesmal der Fall zu sein. Wenigstens bedarf es dazu 
ziemlich langer und mühseliger Bemühungen, um an dieser Glasnach¬ 
bildung die die Nebenhöhlen darstellenden Räume zu Bäubern. Ich muss 
aber hinzufügen, dass auch mit starkem positiven Druck die Ausspülung 
nicht gelungen ist. 

Ich habe gefunden, dass diese Durchspülung mit negativem Druck, 
die dem Patienten sehr angenehm ist — ich habe es an mir selbst ver¬ 
sucht und kann es bestätigen —, einen Fortschritt in der Behandlung 
der Nase bedeutet, und dass es auf diese Weise leichter möglich sein 
wird, Mittelohrerkrankungen zu vermeiden. Ich darf natürlich nicht 
unterlassen, anzugeben, dass mir wohl bekannt ist, dass ein wesentlicher 
Teil der Mittelohrerkrankungen, die sich an Durchspülungen anschliessen, 
nicht durch den positiven Druck bei der Spülung entsteht, sondern durch 
Schneuzen und Schlucken während und nach der Spülung. Doch ist 
immerhin eine Ursache der Folgekrankheiten ausgesohaltet. Herr 
Hendrichs ist so freundlich, den Apparat im Nebenzimmer zu zeigen und 
die Ausführung an sich selbst vorzunehmen. 

3. Hr. Stephan: Es handelt sich um Geschwalstbildnngeu seitlich 
am Halse bei zwei operierten Patienten. Schon die äussere Unter¬ 
suchung deutete darauf hin, dass cystische Tumoren in Frage kamen. 
(Demonstration des Präparats.) Von oystischen Tumoren kommen 
differentialdiagnostisch im wesentlichen in Betracht die sogenannten 
Kiemengangscysten, mit seröser Flüssigkeit gefüllte Cysten, die aus 
fötalen Kiemengangsresten entstehen, Dermoidcysten, die durch ver¬ 
sprengte und gewucherte Hautkeime gebildet werden und Cysten von 
Strumen, die sich durch abgetrennte Strumenlappen bilden. Im vor¬ 
liegenden Falle handelt es sich zweifellos, nach Beschaffenheit, Sitz und 
mikroskopischem Befund, um Dermoide. Ihre Kapsel besitzt eine derbe 
bindegewebige Struktur; sie sind mit einem Brei angefüllt, der mikro¬ 
skopisch Epithelmassen sowie Cholestearin zeigt, im übrigen aus Detritus 
besteht. Ein Gang war nicht vorhanden, die Cysten waren vollkommen 
abgeschlossen, sie lagen den grossen Halsgefässen dicht auf. Die Ab¬ 
lösung machte jedoch keine besonderen Schwierigkeiten. Die eine Cyste 
war seit sieben Jahren, die andere war erst seit kürzerer Zeit bemerkt 
worden. 

4. Hr. Sonntag: M. H.! Ich möchte mir gestatten, Ihnen einen 
Fall zu demonstrieren von Enbolie der Arteria centralis retinae nach 
Paraffininjektion; glücklicherweise ist nur ein Ast der Arteria centralis 
retinae betroffen. Die Patientin, ein 17 jähriges Mädchen, kam am 
28. Januar d. J. mit typischer Ozaena zu uns. Sie erhielt in einer 
Sitzung auf beiden Seiten unter die Schleimhaut des Septums und der 
unteren Muschel im ganzen 2 com Paraffin injiziert. Sieben Tage danach, 
am 4. Februar, nachdem sie bis auf ein leichtes Spannungsgefühl unter 
dem linken Auge keine Beschwerden gehabt hatte, bemerkte sie plötz¬ 
lich beim Sehen auf die linke Seite eine Verdunkelung. Der augenärzt- 
liche Befund, den die Herren Lehmann und Paderstein feststellten, 
ergab, dass sich von dem oberen inneren Rand der Papille entsprechend 
dem Laufe des oberen nasalen Astes der Arteria centralis retinae nach 
der Peripherie hin eine gräuliche Trübung erstreckte, ln der Netzhaut 
war keine Blutung zu sehen. Die Sehschärfe war normal. Das Gesichts¬ 
feld zeigte einen entsprechenden Trübungsumfang von 20 bis 40 Grad. 
Es handelt sich, da keine Blutung vorhanden ist, nach Ansicht der 
Herren zweifellos um eine Embolie eines Astes der Arterie, und zwar 
im Bereiche des oberen nasalen Astes. Zur Einspritzung wurde die 
Onodi’sche Spritze benutzt. Eine Anfrage in der Apotheke, die das 
Paraffin geliefert hatte, ergab, dass es sich um Hartparaffin handelte, 
vom Schmelzpunkt 58 bis 60°. Die Schmelzpunktbestimmung, die ich 
im Institut von Aufrecht vornehmen liess, zeigte, dass der niedrigste 
Schmelzpunkt bei 48,5° C. lag, der höchste bei 52° C. Herr Kollege 
Eckstein, mit dem ich über die Sache sprach, meinte, es hätte doch 
vielleicht eine Mischung von Hart- und Weichparaffin Vorgelegen. In¬ 
zwischen hat er selbst das Paraffin untersucht und glaubt feststellen zu 
können, dass es sich um Hartparaffin gehandelt hat. Ich habe bereits 
weit über 100 Injektionen mit diesem Paraffin gemacht, ohne dass ein 
derartiger Fall jemals eingetreten ist. Soweit mir bekannt, ist in der 
Literatur kein Fall von Hartparaffinembolie veröffentlicht worden. Vor 
allen Dingen ist bemerkenswert, dass sieben Tage nach der Injektion 
erst die Embolie eingetreten ist. Ich glaube also, dass man auch bei 
Injektion von Hartparaffin auf üble Zufälle gefasst sein muss. Möglich 
ist auch, dass solche Fälle öfter passieren und vom Patienten und Arzt 


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1. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


749 


nicht bemerkt werden. Ein intelligenter Patient merkt auch eine geringe 
Verdunkelung des Gesichtsfeldes sofort, während ein unintelligenter 
Patient über eine kleine Verdunkelung des Gesichtsfeldes vielleicht 
hinwegsieht. 

5. Hr. Hirschmann : M. H.! Ich möchte Ihnen eine junge Dame 
von Mitte der zwanziger Jahre zeigen mit einer Ulceration von etwa 
Fünfmarkstückgrösse an der rechten Seite des harten Gaumens, bei der 
ich mich für die Diagnose eines Lupus der Schleimhaut entscheiden 
möchte. Als Patientin vor etwa einem Jahre in meine Behandlung trat, 
fand sich an der rechten Seite des harten Gaumens eine etwa mark¬ 
stückgrosse flache Erhebung, die aus weisslichen Bläschen von der Grösse 
von Stecknadelköpfen zusammengesetzt erschien. Keinerlei Symptome 
von Lues nachweisbar. Wassermann negativ; keine Spirochäten im Be¬ 
lag. Keinerlei Symptome manifester Tuberkulose; Lunge vollkommen 
gesund; Pirquet negativ; keine Tuberkelbacillen im Belag. Keine 
Schmerzen, keine Beschwerden. Eine dennoch eingeleitete autiluetische 
Kur (Hg und KJ) war vollkommen negativ. Als Patientin nach einem 
vierteljährigen Fernbleiben wieder erschien, waren die weisslichen Er¬ 
hebungen oberflächlich ulceriert. Das Sekret ergab keioe Tuberkel- 
baoillen. Die mikroskopische Untersuchung eines probeexzidierten 
Sütckes ergab nur die Diagnose einer entzündlichen Granulation. Bei 
dem Verdacht auf Lupus habe ich die ulcerierte Stelle verschorft und 
mit Milchsäure geätzt, und ich hatte den Eindruck entschiedener Besse¬ 
rung. Die Patientin blieb dann mangels Beschwerden längere Zeit aus 
der Behandlung. Jetzt ist die Geschwürsfläche, ohne die Mittellinie zu 
überschreiten, auf Fünfmarkstückgrösse angewachsen, mit nicht bloss 
oberflächlichen Ulcerationen, sondern auch kraterförmigen Vertiefungen. 
Auch jetzt hat die Probeexzision wieder die Diagnose auf entzündliche 
Granulationen ohne charakteristische Eigenschaften ergeben. Keine 
Tuberkelbacillen im Belag. Lungen intakt. Kein Husten. Keine Ge¬ 
wichtsabnahme. Bei dem gesicherten Ausschluss von Lues sowie eines 
Carcinoms, das im Laufe eines Jahres tiefgehendere Zerstörungen her¬ 
vorgerufen haben würde, möchte ich per exclusionem bei der Diagnose 
Lupus der Schleimhaut bleiben und bitte Sie um Ihr Urteil. 

6. Hr. West: Demonstration einer Reihe von Patienten aus der 
Klinik von Prof. Silex, die an den verschiedenen Angenerkranknngen 
gelitten haben, die durch Dakryostenose hervorgerufen werden können 
und durch seine Operation, die Eröffnung des Tränensackes von 
der Nase aus ausgebeilt worden sind. 

Fall 1. Patientin, die an einer Tränenfistel gelitten hat und 
deswegen an einer hervorragenden Augenklinik behandelt und sieben¬ 
mal von aussen vergeblich operiert worden ist. Nach der An¬ 
legung einer Kommunikation zwischen Fistel und Nase von der Nase 
aus, so dass Drainage nach der Nase zu erzielt wurde, wurde die Fistel 
innerhalb zweier Tage zugeheilt und ist jetzt, nach drei Wochen, immer 
noch geheilt geblieben. Patientin hat selbstverständlich Tränen träufeln, 
weil die grosse Narbe (das Resultat der sieben Operationen von aussen) 
an dem Tränenröhrchen so fest zieht, dass er nicht mehr funktioniert. 

Fall 2. Im Gegensatz zu Fall 1 stellte er eine Patientin vor, die 
auch an einer Tränenfistel gelitten hat, aber von vornherein wurde 
der Tränensack von der Nase aus eröffnet. Resultat: gleich geheilt, 
ohne entstellende Narbe. Das Auge ist auch normal trocken, kein 
Tränenträufeln, weil die physiologische Funktion des Tränenweges 
wiederhergestellt ist. Als Beweis dafür: der Fluorescinversuch ist positiv. 

Fall 3. Tränensackphlegmone, geheilt durch Eröffnung des 
Tränensackes von der Nase aus. An dieser Patientin ist überhaupt 
nicht zu sehen, auf welchem Auge die Phlegmone gewesen ist. 

Fall 4. Tränensackeiterung, gleich geheilt durch dieselbe 
intranasale Operation. Jetzt ist das Auge trocken, und der Tränenweg 
funktioniert wieder normal. 

Fall 5. Dakryocystitis mit Ektasie des Sackes (Tumor 
lacrimalis). Nach derselben Operation ist die Eiterung und auch der 
Tumor lacrimalis versohwunden. 

Fall 6. Tränenträufeln nach Entfernung des Tränensackes von 
aussen wegen Tränensackeiterung. Die Epiphora wurde gleich geheilt 
nach der Anlegung einer Kommunikation zwischen Bindehautsack und 
Nase. West macht darauf aufmerksam, dass die Epiphora, die nach 
der Exstirpation des Sackes von aussen besteht, selten durch die intra¬ 
nasale Operation zu beseitigen ist, weil die Oeffnung, durch das narbige 
Gewebe angelegt, gewöhnlich zuwächst. Fall 7 ist eine glückliche Ausnahme. 

Bei allen den vorgestellten Patientinnen mit Ausnahme von Fall l, 
der schon vorher siebenmal von aussen operiert worden war, 
ist die physiologische Funktion des Tränenweges vollständig wiederher¬ 
gestellt. Man kann Flüssigkeit von dem Tränenröbrchen aus durch 
die Nase spülen (Demonstration), und auch der Fluorescinversuch ist positiv.. 


Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 
(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 17. Februar 1913. 

Vorsitzender: Herr Bonhoeffer. 

Schriftführer: Herr Henneberg. 

■* j Vor der Tagesordnung: 

1. Hr. Lewandowsky: 1 0 

Kampressionsfraktir des 3. Lendenwirbels. (KrankenVorstellung.) 

Es handelt sioh um einen typischen Fäll der in der Ueberschrift 


genannten Verletzung. Er war nicht, wie gewöhnlich, dureh Verhebung 
zustande gekommen, sondern dadurch, dass der Mann mit einer schweren 
Last auf der Schulter ausglitt und auf die Seite fiel. Der Mechanismus 
ist der gleiche wie bei der Verhebung. Die Wirbel werden, wenn die 
Absteifung der Wirbelsäule durch die Muskeln versagt, gegeneinander- 
gedrückt, nur der 5. Lendenwirbel, der gegen den festen Widerstand 
des Kreuzbeins stösst, wird komprimiert und frakturiert. Von nervösen 
Erscheinungen waren im Beginn Incontinentia urinae und Hypästhesie 
der Genitalgegend vorhanden gewesen, aber bald geschwunden. Kreuz¬ 
schmerzen traten erst ein, als der Mann, der wegen einer gleichzeitig 
erlittenen Fussverletzung 4 Wochen zu Bett geblieben war, wieder an¬ 
fangen wollte, zu arbeiten. Der Mann ist seitdem bis heute O/2 Jahr) 
von eiuer grossen Anzahl von Aerzten (Internen, Neurologen, Chirurgen) 
für arbeitsfähig und für einen Simulanten erklärt worden, das typische 
Schicksal gerade dieser Verletzung (Feinen, Pförringer u. a.). 
Vortr. hat vor einigen Monaten die Diagnose aus den klinischen Er¬ 
scheinungen (Inkontinenz im Anfang, Steifigkeit und Stauchungsschmerz 
der Wirbelsäule) und aus der Art der Gewalteinwirkung ohne weiteres 
stellen können. Trotzdem ist der Patient noch weiter für arbeitsfähig 
erklärt und mit seiner Familie in die grösste Bedrängnis gekommen, 
weil ein Röntgenlaboratorium der Kasse erklärt hatte, an der Wirbel¬ 
säule wäre nichts Pathologisches. Vortr. zeigt demgegenüber das von 
Dr. Schmidt nunmehr aufgenommene Bild, aus welchem der Kom¬ 
pressionsbruch mit seitlichen Absprengungen auf das sicherste zu er¬ 
kennen ist. Er macht darauf aufmerksam, dass schlechte Röntgen¬ 
aufnahmen eine neue Komplikation der neurologischen Diagnostik sind. 

(Autoreferat.) 

Diskussion. 

Hr.Schuster hat gleichfalls ziemlich häufigLendensäulenverletzungen 
gesehen, welche anfänglich nicht erkannt worden waren. Allerdings 
handelte es sich fast nie um die unteren Lendenwirbel, sondern meist 
um die oberen. Die Röntgenaufnahmen führen nur dann zur Diagnose, 
wenn sie absolut einwandfrei sind; sie lassen sich übrigens oft ent¬ 
behren, und die Diagnose kann auch ohne sie gestellt werden, wenn — 
wie im Falle des Herrn Lewandowsky — eine so charakteristische 
Wirbelsäulendeformität besteht. Viel schwerer zu beurteilen sind die 
Fälle, welche nach anfänglichen suspekten Erscheinungen (Urin¬ 
beschwerden usw.) später einen neurologisch fast negativen Befund auf¬ 
weisen und ausserdem keine sichere Wirbelsäulendeformität haben. 

2. Hr. Stier: Neurofibromatose mit Myxödem. (KrankenVorstellung.) 

35jähriger Lehrer, bis vor 10 Jahren völlig gesund, seitdem zu¬ 
nehmende Entwicklung von multiplen Fibromen von zum Teil erheblichem 
Umfang. Seit 3 Jahren ausserdem grosse Mattigkeit trotz soheinbar 
gutem Ernährungszustand, Verlangsamung und Schwerfälligkeit des 
Denkens, Gedächtnisabnahme, Gleichgültigkeit; musste s / 4 Jahre den 
Dienst aussetzen. Dazu traten: rauhe, heisere Stimme, dauernde Ver¬ 
mehrung der Sekretion der Nase, Blaufärbung und Vergrösserung des 
Umfanges der Finger und Zehen, blasses, gedunsenes Gesiebt, zu¬ 
nehmende, aber leichte Verdickung der Lippen, Rauheit der Haut an 
einigen Stellen, Abnahme des Schwitzens. 

Der Befund ergibt ausser diesen, dem Patienten selbst merkbar 
gewordenen Symptomen eine starke Vorwölbung des Bauches, kleine 
Polster von weichem, fettartigem Gewebe in den Oberschlüsselbein¬ 
gruben, gesteigerte Sehnenreflexe. Die Schildrüse ist links deutlich, 
etwa in normaler Grösse, rechts nicht sicher fühlbar. Die Hautverände¬ 
rungen halten sich überall in mässigen Grenzen, die Haare, auch die 
Augenbrauen und Wimpern sind voll erhalten; die Potenz soll sich ein 
wenig vermindert haben. 

Für die Diagnose dürfte in erster Linie die Neurofibromatose in 
Betracht kommen, doch sind die zum Myxödem gehörigen Symptome 
immerhin so zahlreich und so ausgeprägt, dass sie nicht übersehen 
werden können. Eine Schilddrüsentherapie soll eingeleitet werden. 

Tagesordnung. 

Hr. Sehnster: 

Anatomischer Befand eines radikotomierten Falles von multipler 
Sklerose. 

Vortr. berichtet über die anatomische Untersuchung eines Falles 
von multipler Sklerose, welcher im Anschluss an die Ausführung der 
Foerster’schen Operation zur Autopsie gekommen war. 33 jährige Frau 
mit ausgesprochener spastischer Parese der Beine, Steigerung der 
Tricepsreflexe, jedoch ohne Erscheinungen seitens der Hirnnerven. Im 
Laufe der etwa drei Jahre dauernden Beobachtung trat eine leichte 
Gesichtsfeldeinengung und eine unerhebliche Opticusabblassung sowie — 
in den letzten Monaten — leichter Nystagmus auf. Jede Behandlung, 
auch wiederholte Schmierkuren waren vollkommen erfolglos, und die 
spastische Parese der Beine nahm dauernd zu, so dass die Patientin 
schliesslich ganz unbeweglich war. Leichte Sensationsstörungen an den 
Beinen. Durchschneidung der 2., 3. und 5. Lumbalwurzel und der 
1. Sacralwurzel beiderseits (Prof. Bockenhetmer). Nach der Operation 
mittlere .Temperatursteigerung (zwischen 38 und 39®). Exitus nach 
7 Tagen an Pneumonie. ~ 

Bei der Sektion zeigte sich makroskopisch nichts Auffälliges, kein 
Wundbelag, keine meningitischen Erscheinungen am Rückenmark. 

Es wurde zuerst auf das Vorhandensein von Vorderhornveränderungen 
in den operierten Segmenten gefahndet Kurzer Ueberblick über die 
Literatur der diesbezüglichen Frage (Kahler und Piok, Friedländer 


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UMIVERSITY OF IOWA 






750 _BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT_ _____ Nr. 16. 


und Krause, Homen, Flemming, Warringtou, Bräunig, Onu- 
frowicz u. a.). Fast alle Experimentatoren fanden besonders die hintere 
laterale Zellgruppe im Vorderhorn befallen. Von Untersuchungen am 
Menschen nach Wurzeldurchschneidung fand ich nur einen von Groves 
im Lancet publizierten Fall, bei welchem nach Durchschneidung der 
7. bis 10. Dorsalwurzel Chromatolyse der Vorderhornzellen aufgetreten war. 

Vortr. fand in sämtlichen Segmenten des Lendenmarks und im 
1. Sacralsegment deutliche und frisch veränderte Zellen mit Chromato¬ 
lyse, Verschwinden des Kerns, Zellschatten usw. In jedem Vorderhorn 
ungefähr 4—5—6 derartige Zellen. In den Segmenten des Cervical- 
und Dorsalmarkes wurden diese akut erkrankten Zellen nie gesehen. 
Die Beziehung dieser Zell Veränderungen auf die Wurzeldurchschneidung 
ist deshalb nicht ohne weiteres möglich, weil für die Zellveränderungen 
auch andere ätiologische Momente in Betracht kommen konnten: der 
sklerotische Grundprozess, eine (bei der mikroskopischen Betrachtung 
zutage getretene) frische Leptomeningitis sowie der fieberhafte Prozess 
als solcher. Da jedoch alle diese Momente im Cervical- und Dorsal¬ 
mark ebenso stark eingewirkt hatten wie im Lendenmark (die menin- 
gitischen Erscheinungen und die Erscheinungen des sklerotischen Grund¬ 
prozesses waren sogar in den Dorsal- und Cervicalsegmenten viel stärker), 
so kommt der Vortragende per exclusionem zu dem Wahrscheinlichkeits¬ 
schluss, dass die Zellveränderungen auf die Wurzeldurchschneidung 
zurückzuführen sind. Er betont dabei aber, dass es sich lediglich um 
einen Wahrscheinliohkeitsschluss handelt, und dass erst weitere 
Untersuchungen bei ähnlichen Fällen eine sichere Entscheidung der 
Frage ergeben könnten. 

Weiter betont der Vortragende, dass auf Marchi-Präparaten keine 
frischen Veränderungen, keine Degeneration der Hinterstränge oder der 
extraspinalen Wurzeln zu sehen waren, trotzdem die Präparate gut ge¬ 
lungen waren. Der Zeitraum von 7 Tagen hat also offenbar zur Ent¬ 
wicklung der Marchi-Veränderungen nicht ausgereicht. 

Sodann demonstriert Vortr. eine Reihe von weiteren Präparaten, 
welche die Ausbreitung des sklerotischen Grundprozesses in den ver¬ 
schiedenen Höhen des Rückenmarks zur Anschauung bringen. 

Nissl- und von Gieson-Präparate zeigten das Negativ der Weigert- 
Präparate. Bei Betrachtung der von Gieson - Präparate erschien die 
Diagnose der multiplen Sklerose anfänglich erschüttert durch die vor¬ 
handenen, stark entzündlichen Veränderungen an der Pia, in den extra- 
spinalen Wurzeln und den Gefässen, welche zum grossen Teil irischer 
Natur waren. Es fanden sich Fibringerinsel auf der Pia und in der 
Höhe des ersten Lumbalsegmentes, in der Pia und auch im Gewebe selbst 
Staphylokokken. Pia und Gefässe haben Kerninfiltrate zum Teil von 
lymphocytärem Charakter, zum Teil von polynucleärem Charakter. Die 
polynucleären Zellen sassen bemerkenswerterweise in der Hauptsache 
dorsalwärts auf dem Querschnitt. Die Intima der Gefässe war sehr wenig 
verändert, hauptsächlich die Adventitia. In den Gefässen und im Qe- 
webe zahlreiche Mitosen. Manche Gefässe, besonders die des vorderen 
Spaltes zeigten eine eigentümliche gruppenweise erfolgte Anlagerung von 
Kernen. In den Gefässscheiden wurden nicht selten auch Plasmazellen, 
jedoch keine Mastzellen gefunden. 

Die sklerotischen Herde waren in ihrem Centrum völlig unentwirr¬ 
bar: an der Peripherie konnte man die Entstehung des Herdes verfolgen. 
Die Gliabälkchen waren verbreitert und verdickt, die Gliakerne vermehrt, 
und es zeigte sich ein Protoplasmasaum um die Gliakerne. Es fanden sich 
zahlreiche Spinnzellen. Die nervöse Substanz war jedoch kaum ver¬ 
ändert, höchstens waren die Markscheiden etwas geschwollen. Es be¬ 
standen die allerdeutlichsten Beziehungen jedes einzelnen kleinen Herdes 
zu centralen kleinen Gefässen (Demonstration eines eben entstehenden 
kleinen Herdes in der weissen Substanz). Bielschowsky-Präparate zeigten 
massenhafte freie Achsencylinder, welche übrigens gleichfalls verändert 
(teils verdickt, teils verdünnt) waren, an denjenigen Stellen, welche bei 
Weigert vollkommen ungefärbt geblieben waren. 

Der vorliegende Fall spricht durchaus gegen die allgemeine 
Gültigkeit der von der Wiener Schule (Marburg) betonten primären 
Genese des Krankheitsprozesses im Bereiche der nervösen Substanz. 
Die Inkongruenz zwischen der kolossalen Gliawucherung und den mini¬ 
malen Veränderungen der nervösen Substanz waren so ausserordentlich 
in die Augen springend, und die primäre Vermehrung der Glia in den 
in Entstehung begriffenen Herden war so eklatant, dass für den vor¬ 
liegenden Fall unbedingt die primäre Entstehung des Krankheitsprozesses 
im gliösen Gewebe behauptet werden muss. Die Herde waren offen¬ 
sichtlich in ihrer Lokalisation abhängig von Gefässen. Sekundäre De¬ 
generationen nennenswerter Art fehlten, die Ganglienzellen waren — 
wie gewöhnlich — dem Krankheitsprozess gegenüber ausserordentlich 
refraktär. 

Zum Schluss stellt Vortragender zur Erwägung, ob angesichts des 
ausserordentlich ungünstigen Verlaufes der Foerster’sohen Operation bei 
den Sklerotikern (von sieben operierten Fällen starben sechs) uicht eine 
besondere Empfindlichkeit des sklerotischen Rüokenmarks gegenüber 
operativen Eingriffen anzunehmen sein wird. 

h Diskussion. ' 

Hr. L. Jacobsohn meint, dass die Veränderungen an den Zellen 
des Vorderhorns in dem von Herrn Schuster vorgetragenen Falle nicht 
von eventuell bei der Operation mitgeschädigten vorderen Wurzeln, an 
welche man hier denken könnte, berrühre, sondern wahrscheinlich von 
den toxischen Einflüssen der hinzugetretenen Meningitis oder von dem 
eigentlichen Prozess, der sich im Rückenmark abgespielt hat. Wären sie 


Folge der Wurzelschädigung, so müssten die Zellen das typische Aus¬ 
sehen der sekundären Chromolyse zeigen, was nicht der Fall wäre. Wenn 
ferner auch bei dem vorgestellten Fall vieles dafür spräche, dass es sich 
um eine multiple Sklerose handele, so sei es doch recht auffallend, dass 
der Prozess sich so ausserordentlich diffus ausgebreitet habe, während 
es doch gerade für die Plaques der multiplen Sklerose charakteristisch 
sei, dass sie sich gegen das gesunde Gewebe recht scharf absetzen. 

Hr. Lewandowsky: Für die Frage der Degeneration der Vorder¬ 
hornzellen nach Hinterwarzeldurchschneidung ist der Fall völlig unge¬ 
eignet. Wo so viele schädigende Momente Zusammenkommen: multiple 
Sklerose, Freilegung des Rückenmarks, Meningitis, vielleicht Schädigung 
der vorderen Wurzeln, Fieber, kann man die eventuelle Wirkung der 
Hinterwurzeldurchschneidung gar nicht herauserkennen. In experi¬ 
mentellen Untersuchungen, die an dem geeigneten Objekt, der ohne Er¬ 
öffnung des Rückenmarkskanals zu durchschneidenden zweiten Cervical- 
wurzel der Katze, angestellt waren, habe ich keine Veränderungen der 
Vorderhornzellen findeu können. Was die Meningitis, an welcher die 
Kranke des Vortr. doch offenbar starb, angeht, so ist nicht einzusehen, 
was damit die multiple Sklerose zu tun haben soll. Die Kranke ist 
eben durch einen Fehler der Asepsis infiziert worden. Es kommt nicht 
so selten vor, dass auch bei Infektion im Bereiche des Rückenmarks die 
spinalen Meningen verhältnismässig wenig betroffen erscheinen, weil der 
Spinalraum ziemlich gut drainiert wird. Hätte Vortr. eine Schädelsektion 
gemacht, so würde er da wahrscheinlich sehr viel stärkere Entzündung 
gefunden haben. Man soll zwar wohl bei multipler Sklerose überhaupt 
keine Foerster’sche Operation machen, weil sie keinen Zweck hat, aber 
die Gefahr der Infektion kann keine besondere Kontraindikation bei 
multipler Sklerose bilden. 

Hr. Bonhoeffer hat in einem (nicht auf seinen Rat) radikoto- 
mierten Fall von multipler Sklerose ebenfalls raschen Exitus ge¬ 
sehen. 

Hr. Schuster (Schlusswort): Der von Herrn Jacobsohn erhobene 
Einwand — sofern ich Herrn Jacobsohn richtig verstanden habe — 
trifft für den vorliegenden Fall wohl nicht ganz zu, denn die nach Durch¬ 
schneidung des motorischen Nerven entstandenen Veränderungen der 
Vorderhornzelle können doch wohl nicht ohne weiteres mit den 
Zellveränderungen des Vorderhorns, welche nach Durchschneidung 
der hinteren Wurzeln eintreten, auf eine Stufe gestellt werden. 
Die von Herrn Jacobsohn erwähnte Schwellung der Zellen ist auch 
im vorliegenden Fall stellenweise vorhanden. Allerdings sind die 
sklerotischen Herde des vorliegenden Falles nicht überall scharf begrenzt, 
und der vorliegende Fall ist in dieser Hinsicht kein Schulfall. Bei 
starker Vergrösserung zeigt sich, dass die unscharfe Begrenzung zum 
Teil dadurch hervorgerufen wird, dass an der Peripherie eines grossen 
Herdes in Entstehung begriffene zahlreiche kleinere Herde liegen. 
Uebrigens habe ich auch in den in der Literatur gegebenen Abbildungen 
nicht selten derartig unscharf begrenzte Herde gesehen. 

Wenn Herr Lewandowsky die Beziehung der ZellveränderuDgen 
der Vorderbörner auf die Wurzeldurchschneidung deshalb beanstandet, 
weil jene Zellveränderungen durch viele andere Schädlichkeiten hervor¬ 
gerufen sein können, so ist dem zu entgegnen, dass Vortr. selbst ja 
ausführlich gerade über diese Möglichkeit gesprochen hat, dabei aller¬ 
dings naebgewiesen hat, dass jene anderen Schädlichkeiten für das 
Londenmark viel weniger als für das Dorsal- und Cervicalmark in Be¬ 
tracht kämen, und dass trotzdem in jenen Bezirken die Vorderhornzellen 
keine frischen Erkrankungen darboten. Eine Schädigung der vorderen 
Wurzeln, an die Herr Lewandowski denkt, hat nicht stattgefunden, 
das kann mit Bestimmtheit behauptet werden. 

Jedenfalls ist es aber in höchstem Grade gezwungen gegenüber 
dieser nur vermuteten, ganz hypothetischen Schädigung der vorderen 
Wurzeln, den gewaltigen Eingriff der achtfachen Durchschneidung der 
hinteren Wurzeln als ätiologisch unerheblich und unwirksam für die 
Veränderung der Vorderhornzellen aufzufassen. 

Experimentelle Untersuchungen am Tier liegen in grosser Zahl 
schon vor (Flemming, Onufrowicz, Warrington, Bräunig, 
Kopczynski, Lambert, Mann) und ergeben, wie schon oben erwähnt, 
fast übereinstimmend eine Veränderung der Vorderhornzellen nach der 
Durchschneidung der hinteren Wurzeln. Die Arbeit wird auswärts in 
extenso veröffentlicht werden. 

Hr. Bürger: Demonstration farbiger Photographien. 

Vortr. zeigt an der Hand von 40 farbigen Photographien die Be¬ 
deutung dieser für die Medizin und speziell für sein Spezialfach, die 
gerichtliche Medizin, so z. B. für die Identifizierung von Personen, 
speziell Ertrunkener. Blutbesudelungen und Blutspuren, die für die 
gerichtliche Medizin von grosser Bedeutung sind, werden durch die 
farbige Photographie ausgezeichnet wiedergegeben, ebenso Blutunter¬ 
laufungen, ferner Verbrennungen verschiedener Grade, endlich die Aus¬ 
dehnung des Pulverschraauohes und der Pulvereinsprengungen bei 
Schussverletzungen, die ja auch eine grosse Rolle spielen. Auch patho¬ 
logisch-anatomische Präparate, deren Konservierung in natürlichen Farben 
nur schwer gelingt, wie z. B. Cyankaliraagen, liefern gute Lumierebilder. 
Bei forensischen Blutuntersuchungen geben die für Blut charakteristischen 
Spektren, die Blutkristalle usw., die sich zum Teil schlecht längere Zeit 
konservieren, gute Lumierebilder. Für den Unterricht sind diese Bilder, 
wie in allen Zweigen der Medizin, besonders in der gerichtlichen Medizin, 
von grossem Wert. ' ‘ 


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21. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


751 


Berliner mikrobiologische Gesellschaft. 
(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 13. März 1913. 
Vorsitzender: Herr Abel. 

Schriftführer: Herr Friedberger. 


Tagesordnung. 

1. Hr. Weber: 

Die Bedentug der Rindertaberknlose für die Entstehung der mensch¬ 
lichen Tuberkulose. 

Der Vortr. gibt einen Ueberblick über den derzeitigen Stand der 
Frage. Es sei in dieser Beziehung verwiesen auf das vom Vortr. auf 
dem XV. Internationalen Kongress für Hygiene und Demographie 
zu Washington, September 1912, erstattete und in der Zeitschrift für 
Tuberkulose, Bd. 19, H. 6, S. 521, erschienene Referat sowie auf die 
in Nr. 12, S. 533 d. J., der Berliner klin. Wochenschr. veröffentlichten Dis¬ 
kussionsbemerkungen zu dem Vortrage des Herrn Geheimrats Orth in 
Nr. 10 derselben Wochenschrift. 


Des weiteren führt der Vortr. über den Tierversuch zur Unter¬ 
scheidung zwischen humanen und bovinen Baoillen folgendes aus: 

»Als Versuchstier zur Prüfung der Typen haben wir (Kossel, 
Weber und Heuss)in den ersten Jahren das Rind verwandt und dabei 
folgendes feststellen können. 

Während die Bacillen des Typus humanus, in einer Menge von 
0,05 g einem jungen Rinde unter die Haut am Halse gebracht, nur eine 
lokale, in den regionären Drüsen Halt machende Infektion setzen, und 
die dadurch bedingten Veränderungen mit der Zeit immer mehr und 
mehr wieder zurückgehen, dringen die Bacillen des Typus bovinus un¬ 
aufhaltsam vorwärts und führen zu einer fortschreitenden Tuberkulose. 

Die Methode, 50 mg subcutan am Halse zu verimpfen, ist von 
Robert Koch auf Grund seiner reichen Erfahrung empfohlen worden; 
es war dies ein besonders geschickter Griff, denn gerade diese Dosis 
gibt die deutlichsten Unterschiede. Nimmt man geringere Dosen, so 
macht sich, wie die englische Tuberkulosekommission 1 ) gefunden hat, 
die individuelle Verschiedenheit in der Empfänglichkeit der Tiere störend 
geltend. 

Neben dem Rind wurden von uns in jedem einzelnen Fall Kaninchen 
subcutan unter die Bauchhaut mit 0,01 g Reinkultur geimpft; in letzter 
Zeit wird jedesmal gleichzeitig auch ein Kaninchen mit 0,01 mg intra¬ 
venös injiziert. 

Die Bacillen des Typus bovinus, in einer Menge von 0,01 g sub¬ 
cutan unter die Bauchhaut geimpft, rufen beim Kaninchen eine All¬ 
gemeine, in verhältnismässig kurzer Zeit zum Tode führende Tuberkulose 
hervor, die Bacillen des Typus humanus dagegen nicht. Bei Impfung 
mit humanen Bacillen unter die Bauchhaut des Kaninchens bildet sioh 
ein Abscess an der Impfstelle, die regionären Drüsen bleiben makro¬ 
skopisch frei von Veränderungen, dagegen zeigen die Lungen oft mehr 
oder weniger tuberkulöse Herde. 

Die Bacillen des Typus bovinus, in einer Menge von 0,01 mg intra¬ 
venös injiziert, töten Kaninchen innerhalb 3 Wochen, die Bacillen des 
Typus humanus, in derselben Menge injiziert, rufen zunächst keine auf¬ 
fallenden Krankheitserscheinungen hervor, erst nach Monaten können 
sich Zeichen einer chronischen Tuberkulose, die am häufigsten in den 
Gelenken, Nieren, Lungen, Hoden lokalisiert ist, zeigen. 

Ich habe mich seinerzeit dahin ausgesprochen, dass der Kaninchen- 
versuch an Stelle des Rinderversuches treten könne, was deswegen sehr 
erwünscht ist, weil das Rind als Versuchstier zu teuer ist. Ich habe 
aber auch darauf hingewiesen, dass es im allgemeinen, namentlich bei 
nicht genügender Erfahrung, nicht angängig ist, schon auf Grund eines 
einzigen Unterscheidungsmerkmals die endgültige Diagnose zu stellen, 
dass vielmehr das Hauptgewicht darauf zu legen ist, dass die Unter¬ 
suchung nach den verschiedenen Richtungen (Kultur, Kaninchenpatho¬ 
genität usw.) übereinstimmende Resultate liefert. Entstehen in dieser Be¬ 
ziehung irgendwie Zweifel, so ist stets der Rinderversuch mit heranzuziehen. 

Das Kaninchen ist nach den jetzt vorliegenden Erfahrungen wegen 
seiner hohen Empfänglichkeit für die Bacillen des Typus bovinus und 
seiner nur geringen Empfänglichkeit für die Bacillen des Typus humanus 
allerdings entschieden das geeignetste Versuchstier zur Unterscheidung 
der Typen. Aber man muss sich auf den Kaninchenversuch verstehen 
und vor allem ihn richtig zu deuten wissen. Wir haben dies seinerzeit 
dadurch leicht gelernt, dass wir in etwa 100 verschiedenen Fällen von 
Verimpfung tuberkulösen Materials verschiedener Herkunft jedesmal 
gleichzeitig ein Rind und ein Kaninchen impften. Dagegen habe ich 
die Erfahrung gemacht, dass Untersuchern, die noch keine Uebung auf 
dem Gebiet der experimentellen Tuberkuloseforschung haben, denen 
keine Gelegenheit geboten ist, Rinderversuche auszuführen, die Deutung 
de$ Kaninchenversuches in der ersten Zeit nicht immer ganz leicht wird. 

Beim Kaninchenversuch ist auf peinlichste Ausführung der Impfung 
besonderer Wert zu legen. Schon früher habe ich darauf aufmerksam 
gemacht, dass bei der subcutanen Impfung am Bauche darauf zu achten 
ist, dass die Tuberkelbacillenaufschwemmung nur unter die Haut und 
nicht etwa, wie es bei unruhigen Tieren unbeabsichtigt geschehen kann, 
unter die Fascie in die Muskulatur gespritzt wird. In letzterem Falle 
wuchern nämlich die humanen Tuberkelbacillen durch das Peritoneum 


durch, und es entwickelt sich im Laufe der Zeit ein perlsuchtartiges 
Krankheitsbild, das fortschreitenden Charakter hat. 

Das Studium der englischen Tuberkuloseberichte hat mir ferner ge¬ 
zeigt, dass es nicht gleichgültig ist, an welcher Körperstelle man Kaninchen 
subcutan impft. Wir selbst haben stets, wie bereits bemerkt, unter die 
Bauchhaut geimpft, dabei hat sich als besonders charakteristisches Unter¬ 
scheidungsmerkmal ergeben, dass bei humanen Bacillen im Gegensatz zu 
bovinen nie eine Verkäsung der regionären Drüsen, der Leisten- und Achsel¬ 
drüsen eintrat. Vor allem Oehlecker hat diese Verhältnisse besonders 
eingehend studiert. Die englische Kommission 1 ) hat unter die Rücken¬ 
haut in der Scapulargegend geimpft. Bei dieser Impfung kommen die 
Scapulardrüsen, die im Winkel zwischen Musculus biceps und den 
Scapularmuskeln gelegen sind, als regionäre Drüsen in Betracht Unter 
122 Tieren, die mit humanen Bacillen am Rücken geimpft waren, er¬ 
wiesen sich nun diese Drüsen 54 mal tuberkulös und 6 mal geschwollen. 
Dio englische Kommission verwandte ferner frische, nicht über 3 Wochen 
alte Serumkulturen, während wir stets G lycerinbouillonkulturen’gebrauchten. 

Infolge dieser abweichenden Versuchsanordnung hat die englische 
Kommission bei den bovinen Bacillen auch einen akuteren Krankheits¬ 
verlauf bei Kaninchen erhalten als wir. Parallel versuche, die sie an¬ 
stellte, batten folgendes Ergebnis: 14 mit 1 rag boviner Tuberkelbacillen 
unter die Rückenhaut geimpfte Kaninchen gingen durchschnittlich nach 
59,25 Tagen, 35 mit derselben Dosis unter die Bauchhaut geimpfte 
Tiere durchschnittlich nach 75,5 Tagen zugrunde. 

Dies zeigt deutlich, wie vorsichtig man bei Beurteilung von Experi¬ 
menten an ein und demselben Tiere sein muss, und klärt manchen 
Widerspruch auf. So erinnere ich mich noch deutlich einer Kontroverse, 
die ich seinerzeit mit v. Baumgarten in einer Reichsgesundheitsrats¬ 
sitzung hatte, v. Baumgarten vertrat entgegen meiner Ansicht die 
Anschauung, dass auch humane Bacillen gar nicht so selten eine Ver¬ 
käsung der regionären Drüsen hervorrufen. Wie ich jetzt aus der im 
v. Baum garte naschen Institut angefertigten Arbeit von Mietzsch er¬ 
sehe, ist dort ebenso wie von der englischen Kommission unter die 
Rückenhaut geimpft worden, während ich unter die Bauchhaut impfte. 

Nicht für überflüssig halte ich es, auch wieder einmal darauf hinzu¬ 
weisen, dass zu allen, die Typentrennung betreffenden Untersuchungen 
nur frisch gezüchtete, keine alten Laboratoriumskulturen verwandt 
werden dürfen.“ 

Diskussion. 

Hr. Titze: Stützen Tierversuche und Beobachtungen aus der Tier¬ 
pathologie die Hypothese der Entstehung der Lungenphthise durch tuber¬ 
kulöse Reinfektionen? Nein. 

In unverseuohten Rinderbeständen, die es in manchen Gegenden 
Deutschlands gibt, verläuft die Tuberkulose genau so wie in verseuchten 
Herden. Auch bei älteren Rindern ist, wie beim Menschen, die chro¬ 
nische offene Lungentuberkulose weit häufiger als beim Jungvieh. Dass 
die Eigentümlichkeiten in der Disposition der Organe bei Tuberkulose 
nicht Folge von tuberkulösen Reinfektionen zu sein brauchen, sehen wir 
z. B. an dem unterschiedlichen Verhalten der Nieren und Milz des Meer¬ 
schweinchens einerseits und der Nieren und Milz des Kaninchens anderer¬ 
seits. Bei Jungrindern ist Nierentuberkulose selten, bei älteren Rindern 
häufig. Am empfänglichsten sind bei allen Tierarten die Lungen und 
die Mamma. Vielleicht hängt hier das bessere Gedeihen der Tuberkel¬ 
bacillen mit dem höheren Sauerstoffgehalt zusammen. Künstlich lassen 
sich die Lungen ganz junger Tiere leicht infizieren. Die Lungen sind 
aber bei jungen Tieren besser gegen das Eindringen von Tuberkelbacillen 
geschützt (bessere Flimmerepithelien, dichtere Lympbdrüsen). Auch 
Auftreten von Cavernen nach Infektion vorbehandelter Versuchstiere ist 
kein Beweis, da Lungencavernen nach Erstinfektionen bei Ziegen und 
Hunden häufig, bei Meerschweinchen und Kaninchen nicht selten ent¬ 
stehen, wie die mitgebrachten Präparate von Ziegen- und Meerschweinchen¬ 
lungen zeigen. Somit sind meiner Ansicht nach Beweise aus Tier¬ 
versuchen für die Entstehung von Lungenphthise auf der Grundlage 
tuberkulöser Reinfektionen nicht vorhanden. 

Hr. Davidsohn: Aus den Tabellen geht hervor, dass.lOpCt. der 
1400 untersuchten Fälle von bovinen Bacillen herrühren. 

Ist es da nioht sehr wahrscheinlich, dass die Möglichkeit alle Tage 
gegeben ist, dass die neu erkrankenden Kinder von diesen 10 pCt. 
mit bovinen Baoillen infizierten Kranken sich anstecken, 
denn dass sie von der Milch tuberkulöser Kühe ihre Krankheit direkt 
erhalten, ist unbewiesen, lässt sich auch niemals bei dem allgemeinen 
Genuss von Milch und der allgemeinen* Verbreitung der Tuberkulose 
wirklich beweisen. 

Wie ist es mit den Räumen, in denen die Kaninchen stalle stehen, 
bestehen getrennte Ställe oder" findet ein Luftverkehr zwischen den ver¬ 
schieden geimpften Tieren statt? 

Hr. Weber: Zu den Ausführungen des Herrn Davidsohn möchte 
ich bemerken, dass bei den Tuberkuloseversuchen im Kaiserlichen Ge¬ 
sundheitsamt stets besonderer Wert darauf gelegt werden ist, 'dass die 
mit humanen und bovinen Bacillen'geimpften grossen und kleinen Ver¬ 
suchstiere in getrennten Stallgebäuden oder doch getrennten Stallräumen 
untergebracht und von verschiedenen Stalldienern gepflegt wurden. Die 
einzelnen kleinen Versuchstiere (Meerschweinchen und Kaninchen) werden 
innerhalb dieser Stallräume nach 'den einzelnen zur Untersuchung 


1) Griffith, Final Report, Teil 2, Bd. 1, S. 22. 


1) FinaLReport of the Royal Conjmis^ion on human and bovine 
tuberculosis, Teil 2, Anhang, Bd. 1, S., 32. , 


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762 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


kommenden Fällen getrennt in besonderen Töpfen und Käfigen gehalten. 
Es geschieht in dieser Beziehung alles, was geschehen kann. 

Die Möglichkeit, dass von einem mit bovinen Bacillen infizierten 
Menschen eine weitere Uebertragung auf Menschen, namentlich Familien¬ 
angehörige stattfinden kann, ist natürlich nicht zu leugnen. Ich habe 
selbst darauf hingewiesen, dass in dieser Richtung hin Untersuchungen 
angestellt werden müssen. Bisher sind sichere Fälle nicht bekannt. Die 
Gefahr dürfte auch eine nur sehr geringe sein, denn es handelt sich bei 
den bovinen Infektionen doch meist um geschlossene Tuberkulosen. Die 
Fälle von Lungentuberkulose beruhend auf bovinen Bacillen, welche noch 
die grösste Gefahr bieten, sind sehr selten. 

Hr. Abel: A. dankt dem Vortragenden für seine Zusammenfassung 
des augenblicklichen Standes der Forschung; er stellt fest, dass aus der 
Versammlung die Prämisse des Herrn Weber, humane und bovine 
Tuberkelbacillen seien verschiedene Arten, unwidersprochen geblieben 
sei (während von bestimmter Seite bekanntlich noch die Identität beider 
Arten vertreten wird) und hebt hervor, wie ira Laufe der Zeit die An¬ 
nahme, dass die bovinen Tuberkelbacillen für die menschliche Patho¬ 
logie ohne Bedeutung seien, habe verlassen werden müssen, ohne dass 
man freilich zurzeit schon zu völliger Einigkeit über die praktische 
Bedeutung der Infektion mit den bovinen Bacillen habe gelangen 
können. 

2. Hr. H. Ziemann: 

Ueber die künstliche Knltnr vonlPiroplasma canis and des Perniciosa- 
parasiten. 

Ziemann versuchte bereits seit November 1912, nachdem Bass 
von seiner erfolgreichen Kultivierung der Malariaparasiten berichtet hatte, 
auch Piroplasma canis künstlich zu kultivieren. Nach manchen Miss¬ 
erfolgen fand er folgenden Modus am sichersten: Man entnimmt einem 
piroplasmakranken Hunde aus der Carotis absolut steril Blut, lässt es 
in ein wagerecht gehaltenes Gefäss einlaufen, defibriniert durch Um¬ 
rühren mit sterilem Glasstab, entfernt das Fibrin, setzt dann auf je 
5 ccm Blut 0,1 ccm 50proz. Dextroselösung und auf je 10 ccm Blut 
0,3 ccm 2 proz. Natrium citricum-physiologische Kochsalzlösung, mischt 
sorgfältig, füllt in Centrifugenröhrcben ab, centrifugiert, aber nicht zu 
lange und nicht zu scharf, um die Leukocyten aus der Tiefe in die 
Höhe zu treiben. Man pipettiert dann das Serum ab, inaktiviert das¬ 
selbe eine Stunde bei 45° und überträgt es in sterile Serumröhrchen. 
Die betreffende Serumschicht muss mindestens 2.5 cm hoch sein. Noch 
besser ist es, schon vorher, um keine Zeit verlieren zu brauchen, 
sich inaktiviertes Hunde-Dextrose-Natrium citricum-Serum von oben¬ 
erwähnter Zusammensetzung vorrätig zu halten, aber von einem gesunden 
Hunde. Dann überträgt man mit sterilen Pipetten aus der Mitte des 
Centrifugenröhrchens das leukocytenfreie Piroplasmablut auf den Boden 
der Serumröhrchen und stellt sie aufrecht in den Brutschrank bei 37°. 
Statt Hundeserum kann man auch inaktiviertes menschliches Ascites¬ 
serum nehmen, dem in gleichen Prozentverhältnissen Dextrose und 
Natrium oitricum zugefügt worden ist. Bedingung für erfolgreiche Kultur 
ist, dass man junge, kräftige Hunde nimmt, womöglich am ersten Tage 
der Infektion. Schon schwer erkrankte Hunde, mit zahlreichem Parasiten¬ 
befunde im peripheren Blute, zeigen bald Absterben der Parasiten in 
der Kultur. Analoges haben wir bei Trypanosomeninfektion, wo bei 
zahlreicher Vermehrung der Trypanosomen schliesslich auch ein rapides 
Abnahmen ihrer Vitalität eintritt. In der Kultur rapide Vermehrung 
der Piroplasmaparasiten, oft 16, nicht selten bis 32 Merozoiten in einem 
roten Blutkörperchen. Abimpfen des Piroplasmahundeblutes am besten 
aus zwei Tage alter Kultur, spätestens aber aus vier Tage alter Kultur. 
In drei bis sechs Tage alten Kulturen sterben die meisten Parasiten ab. 
Für die Anlegung von Subkulturen muss man leukocytenfreies Piro¬ 
plasmablut mit dem fünf- bis sechsfachen Volumen leukocytenfreier 
normaler roter Hundeblutkörper auf dem Boden neuer Serumröhrchen 
übertragen. Die Parasiten gedeihen dicht unter der Oberfläche der roten 
Blutkörperschicht des Sediments. Ziemann empfiehlt, wenn keine 
kleinen Hunde zu erhalten sind, um positive Infektion zu bekommen, 
die Hunde zu entmilzen und ihnen drei bis vier Tage später, je nach 
der Grösse, aus der Jugularis zur Anämisierung Blut zu entnehmen. 
Dann gelingt die Infektion, wenn man mindestens 10, wenn möglich 
20 ccm infektiösen Blutes überträgt, immer. Ziemann spricht die feste 
Hoffnung aus, dass man mit derselben Technik auch die Parasiten des 
Texasfiebers der Kinder kultivieren können müsste, eventuell unter ge¬ 
wisser Modifikation der Temperatur des Brutschranks. 

Die Kultur des Perniciosaparasiten erfolgte mit Blut eines Falles 
von Kameruner Malaria perniciosa. Am besten zeigte sich inaktiviertes 
Dextrose-Ascitesserum (vgl. oben), aber ohne Natrium citricum-Zusatz, 
Kultur bei 37°. Günstig wirkte Einstellen der Kulturröhrchen 
in den Brutschrank bei 40° während und dicht vor der 
Sporulation. Es gelang, in sechs Tage alter Kultur bereits drei Gene¬ 
rationen hintereinander zu verfolgen, ferner zweimal eine Subkultur am 
zweiten und fünften Tage zu erhalten. In der sechs Tage alten Kultur 
erhebliche Anreicherung der Parasiten, häufig drei-, vier- bis fünf¬ 
fache Infektion der roten Blutkörperchen. Halbmonde entwickelten sich 
nicht weiter. Kopulation junger Parasiten, die zur Erklärung der 
Dauerformen angenommen wurde, wurde nie gesehen, auch kein Wandern 
der Parasiten von einem roten Blutkörperchen zum anderen, wie es 
Mary Rowley Lawson neuerdings behauptete, um die bei Malaria oft 
akut eintretende Anämie zu erklären. 


Die erfolgreiche Kultur des gewöhnlichen Tertianparasiten hatte er 
bereits Anfang Februar 1913 in dem Verein für innere Medizin in Berlin 
demonstriert. Z. stellt auch weitere Mitteilungen über gelungene künst¬ 
liche Züchtung von Tryp. gamb. im flüssigen Medium und Versuche 
einer aktiven und passiven Immunisierung mit avirulent gewordenen 
Kulturformen (vom vierten Tage der Kultur an) in Aussicht. 

(Der Aufssatz erscheint im Original im Archiv für Schiffs- und 
Tropenhygiene.) 

Diskussion. 

Hr. Arnheim: Wenn ich den Herrn Vortr. richtig verstanden habe, 
so ist ihm eine Uebertragung mittels des von ihm kultivierten Tryp. 
gamb. auf Meerschweinchen nicht gelungen. Das würde auch in Ein¬ 
klang zu bringen sein mit den Erfahrungen, die mit anderen Kultur¬ 
trypanosomenarten gemacht worden sind. So gelingt es nur höchst 
selten, mit Kulturen von Schizotrypanon Tiere zu infizieren. Auch mit 
Kulturen anderer Protozoen derselben Familie der Flagellaten sind 
pathogene Wirkungen nur ausnahmsweise zu erzielen. Bekanntlich sind 
die Erreger der Kala-azar leicht zu kultivieren. Aber diese Leishmanien 
sind nur selten pathogen. „Erst vor kurzem gelang es durch Injektion 
von Kulturen, Laboratoriumstiere zu infizieren (Jemma, Kongressbericht 
der Internat, pädiatr. Gesellschaft, Paris 1912, ref. Deutsche med. 
Wochenschr., 1912, Nr. 46, S. 2199).“ Auch bei den Kulturspirochäten 
liegen die Dinge ganz ähnlich. Das Auftreten syphilitischer Erschei¬ 
nungen nach Einverleibung fortgezüchteter Spirochäten aus syphiliti¬ 
schem Ausgangsmaterial gehört zu den seltenen Vorkommnissen, und es 
hat dieser Umstand zu der Annahme verschiedener Autoren geführt, dass 
die in Kulturen vorhandenen Spirochäten vorwiegend dem Genus der 
Spir. refringens angehören. Meiner Ansicht nach zu Unrecht. Ich halte 
vielmehr auf Grund der vorstehend beschriebenen Analogien mit anderen 
ähnlichen Protozoen die Abnahme der Virulenz in Kulturen bei diesen 
Mikroorganismen für einen regelmässigen Vorgang, bedingt durch die 
ganz abnormen Lebensbedingungen dieser Individuen in künstlichen 
Nährsubstraten. 

Hr. Ziemann (Schlusswort): Dem Herrn Vorredner möchte ich be¬ 
merken, dass die Versuche der künstlichen Züchtung des Perniciosa¬ 
parasiten ja eben erst begonnen haben und aus diesem Grunde Tier¬ 
versuche noch nicht haben stattfinden können. Im übrigen haben bereits 
die Italiener, ich selber und auch Robert Koch immer wieder ver¬ 
sucht, die menschlichen Malariaparasiten auf Tiere zu übertragen, stets 
ohne Resultat, so dass wir wohl annehmen dürfen, dass diese Parasiten 
nur für die Menschen pathogen sind. Wenn dann ferner der Vorredner 
meint, dass die künstlich gezüchteten Leishmanien nicht virulent seien, 
so scheinen einige neuerliche Versuche gezeigt zu haben, dass bei endo- 
venöser Verabfolgung auch Kultur Leishmania unter Umständen viru¬ 
lent werden können. Weitere Untersuchungen sind darüber aber not¬ 
wendig. Im übrigen -handelt es sich bei den Kulturformen von Leish¬ 
mania um Gebilde, die als Produkte von abnormen Entwicklungsbedingungen 
zu betrachten, morphologisch jedoch zu trennen sind von den Leish¬ 
mania innerhalb des Organismus, während die von mir gezüchteten 
Piroplasmen und Malariaparasiten in der Kultur sich mit 
den im peripheren Blute gefundenen absolut identisch ver¬ 
hielten. Da ich selber bereits an Perniciosa erkrankt war, war ich 
nicht in der Lage, an mir selbst das Experiment zu machen und mir 
eine Kultur einzuspritzen. Die betreffenden Tierversuche mit Kultur - 
piroplasmen des Hundes sind noch im Gange. Ich betone jedenfalls 
noch einmal, dass die von Bass und mir gezüchteten Kulturformen 
des Malariaparasiten und des von mir gezüchteten Piroplasma 
canis absolut in keine Parallele zu stellen sind mit den 
Kulturformen der Leishmania und mancher Trypanosomen, die auf be¬ 
stimmten Blutagarnährböden abnorme Entwicklungsformen zeigen, die 
jedenfalls nicht zu den normalen zu gehören scheinen. 

3. Hr. Schuberg: 

Ueber Hühnerpocken. (Mit Demonstrationen und Lichtbildern.) 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 


Medizinische Sektion der gchlesischen Gesellschaft für yater- 
l&ndische Kultur zu Breslau. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 7. Februar 1913. 

Vorsitzender: Herr A. Neisser. 

Schriftführer: Herr Ponfick. 

Hr. Minkowski demonstriert vor der Tagesordnung a) einen Fall 
von Tabes dorsalis mit Spontanfrakturen der Wirbelsäule und des 
Unterkiefers. Erstere trat beim Heben eines erwachsenen Mannes, 
letztere beim Beissen auf eine harte Brotkruste ein. Erst mehrere Jahre 
später machten sich die tabischen Bewegungsstörungen bemerkbar; 

b) das Röntgenbild einer Oesopbagusbronchialfistel. Man sieht 
deutlich die Anfüllung des Bronchi alb au ms nach dem Verschlucken einer 
Bismutaufschwemmung; 

c) Fettstihle von einem Falle von Pankreaserkrankung vor und 

nach Verabfolgung von Pankreon. Gegenüber einer Angabe von Albu, 
dass Entleerungen eines flüssigen Oels, das nach der Abkühlung er¬ 
starrt, zuerst von Ury und Alexander im Jahre 1894 als patho- 
gnomonisch für Pankreaserkrankungen beschrieben seien, weist Redner 


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21. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


763 


darauf hin, dass bereits Bright im Jahre 1833 eine sehr charakteristische 
Beschreibung der eigenartig öligen und fettähnlichen Entleerungen gegeben 
hat, die er in mehreren Fällen von Pankreaserkrankungen beobachtet 
hatte. Schon vorher (1820) ist von Kuntzmann Abgang von Fett mit 
dem Stuhl in einem Falle von Pankreasinduration beschrieben worden. 
Nach der Totalexstirpation des Pankreas beim Hunde treten nach reich¬ 
licher Fettfütterung regelmässig ähnliche Entleerungen auf, wie das Redner 
schon 1889 bei seinen mit Abelmann ausgeführten Untersuchungen 
beobachtet hat. Das Eigenartige ist, dass das Fett nicht emulgiert 
ist; die Fettspaltung vollzieht sich auch nach vollständiger Aus¬ 
schaltung des Pankreas. Nach Darreichung von Pankreon erschien das 
Fett, das zwar in geringerer, aber immer noch in beträchtlicher Menge 
entleert wurde, nicht mehr in öl artiger, sondern in fein verteilten 
Formen wie bei den gewöhnlichen Fettstühlen der Icterisohen. Die 
Störung der Pankreasfunktion konnte in dem vorliegenden Falle übrigens 
auch durch die Abwesenheit von Trypsin im Darminhalt nachgewiesen 
werden. 

Hr. Felix Rosenthal: 

Experimentelle Untersuchungen über das Wesen nnd die Genese des 
Reeidivs. 

Es liegt in der praktischen Seite des Infektionsproblems begründet, 
dass im Vordergründe der Immunitätsforschung stets das Studium der 
-Abwehrmaassregeln des erkrankten Organismus gestanden hat. So wird es 
verständlich, dass die Immunitätsvorgänge, wie sie sich auch im Para¬ 
siten unter dem Einfluss der baktericiden Wirkungen der Körpersäfte 
abspielen mögen, bisher nur wenig in den Kreis der experimentellen 
Untersuchungen gezogen worden sind. Dass auch der Mikroorganismus 
den Antikörpern des infizierten Organismus gegenüber nicht untätig 
bleibt, zeigt sohon die grob sichtbare Eigenschaft einer ganzen Reihe 
pathogener Bakterien, im Tierkörper Kapseln zu bilden, in denen eine 
wichtige Schutzvorrichtung der Mikroorganismen zu erblicken sein dürfte. 
Es sei weiter an die Umwandlung der Darmamöben in Cysten er¬ 
innert, ferner an die Unempfindlichkeit von Typhusbacillen gegen 
spezifische Agglutinine, wie man sie häufig bei frisch aus dem Blute 
von Typhuskranken gezüchteten Stämmen beobachtet. 

In grosser Fülle und Mannigfaltigkeit drängten sich die Phäno¬ 
mene der Selbstwehr der Mikroorganismen gegen sie bedrohende 
Schädlichkeiten der Beobachtung auf, als es der experimentellen Therapie 
gelang, durch Auffindung optimal wirksamer ohemischer Verbindungen 
die Trypanosomeninfektion im Laboratoriumsversuch willkürlich zu 
beherrschen. Ehrlich, der diese Erscheinungen zuerst erkannte und 
sie mit seinen Mitarbeitern eingehend studierte, fasst sie unter dem 
Namen der Arzneifestigkeit zusammen. Was das Wesen der Vor¬ 
gänge betrifft, die zur Arzneifestigkeit führen, so rechnet sie Ehrlich 
zu den Mutationen im Sinne von de Vries. 

Es vollziehen sich in den Mikroorganismen unter dem Einfluss 
des chemotherapeutischen Agens tiefgreifende biologische Veränderungen, 
die sich als Mutationen charakterisieren erstens dadurch, dass die er¬ 
worbenen en Eigenschaften der Arzneifestigkeit in der Tat ganz neue 
sind, wie sie ursprünglich auch nicht einzelnen Individuen der betreffenden 
Mikroorganismen zukamen, und zweitens dadurch, dass diese erworbenen 
Eigenschaften wie die einer selbständigen Art erblioh bleiben. 

Wie in dem Kampfe zwischen den Mikroorganismen und den sie 
schädigenden chemotherapeutischen Agentien spielen sich auch in dem 
Kampfe zwischen den Mikroorganismen und den spezifischen Antikörpern 
des erkrankten Organismus analoge Prozesse ab. Ist es dort die 
Arzneifestigkeit, so ist es hier die Serumfestigkeit, die Unempfind¬ 
lichkeit gegen die Schutzstoffe des Wirtsorganismus, in der die Selbst¬ 
wehr der Mikroorganismen in die Erscheinung tritt. Auch hier hat 
Ehrlich die fundamentalen Richtlinien gewiesen. 

Derartige Umsetzungen innerhalb der Mikroorganismen spielen nun 
eine gauz besonders grosse Rolle bei dem Phänomen des Reeidivs. 

Die Genese des Frührecidivs, das in deutlich verfolgbarem Zu¬ 
sammenhänge mit der früheren Krankheitsperiode auftritt, aber doch 
von ihr durch eine scheinbar krankheitsfreie Zeit getrennt ist, ist bisher 
schwer verständlich gewesen, da wir auf Grund unserer heutigen Kennt¬ 
nisse zu der Annahme berechtigt sind, dass im Blute des Genesenden 
Schutzstoffe gegen die Erreger der abgelaufenen Krankheit meist in 
grosser Menge kreisen. Es sei z. B. an die von Jürgens mitgeteilten 
Typhusfälle erinnert, wo bei hohem baktericiden Titer des Blutserums 
sich trotzdem Recidive einstellten. 

, Hier ergibt sich die für die Genese des Reeidivs entscheidende 
Frage, warum in den Fällen, in denen die Rekonvaleszenz durch das 
Erscheinen des Reeidivs unterbrochen wird, die in der Girculation vor» 
handenen Schutzstoffe den Kranken vor einer zweiten Attacke der eben 
niedergekämpften Infektionserreger nicht zu bewahren vermögen. 

Die bisherigen Erklärungsversuche für das Zustandekommen des 
Reeidivs, soweit sie überhaupt diesen Namen beanspruchen dürfen, 
werden kurz gestreift (Henoch, Wolff - Eisner, Bungart, Menzer). 

Für das Studium der an die Heilung der Infektion sich an- 
schliesseuden Vorgänge, deren Wechselspiel schliesslich das Auftreten 
des Reeidivs bewirkt, bietet die Febris recurrens und vor allem die 
Trypanosomeninfektion besonders günstige experimentelle Bedingungen 
dar. Die experimentelle Analyse des Reeidivs wird dadurch auf 
breitester Basis ermöglicht, dass auch bei Uebertragung auf das Tier, 
z. B. das Meerschweinchen, die Infektion spontan in exquisit recidi- 
vierender Form verläuft, und ferner bei den Tieren, bei welchen der 


Reoidivtypus spontan nicht hervortritt, wie z. B. bei der Maus, die 
gerade auf dem Gebiete der Protozoenerkrankungen so erfolgreiche 
Chemotherapie dem Experimentator die Mittel gibt, das Recidiv künstlich 
auszulösen und willkürlich zu beherrschen. 

Die geschilderten Versuche, welche an das zuerst von Ehrlich bei 
Trypanosomen-Recidivstämmen erforschte Phänomen der Serumfestigkeit 
anknüpfen, wurden mit einem Naganastamm (Trypanosoma Brucei) aus¬ 
geführt. Behandelt man mit Trypanosomen infizierte Mäuse mit zur 
völligen Heilung ungenügenden Dosen trypanocider Agentien, so treten 
nach einiger Zeit Recidive auf (Demonstration). Die nun wieder im 
Blut erscheinenden Recidivtrypanosomen unterscheiden sich durch die 
Immunitätsreaktion von den ursprünglich zur Infektion verwendeten so, 
als ob es sich um eine andere Art handle (Demonstration von Tabellen). 

Von derartigen Recidivstämmen, selbst wenn sie von dem gleichen 
Ausgangsstamm sich ableiten und unter der gleichen chemotherapeutischen 
Behandlung entstehen, ist eine Vielheit möglich (Neumann, Ehrlich, 
Braun und Teichmann, Vortragender). * 

Die so erzeugte Abänderung der Parasiten ist nicht oberflächlicher 
Natur, sondern kann durch viele Monate uud Jahre bei Passagen durch 
normale Tiere fortgeführt werden, sie ist erblich (Ehrlich, Röhl und 
Gulbrausen). Doch kommt es auch vor, dass im Verlaufe der 
Passagen der Recidivstamm sich allmählich zum Ausgangsstamm zurück¬ 
bildet (Neumann, Mesnil und Brimont, Braun und Teichmann, 
eigene Erfahrungen). 

Auch durch Einwirkung eines Immunserums in vitro, und zwar in 
äusserst kurzer Zeit kann diese Serumfestigkeit eintreten (Ehrlich, 
Roehl und Gulbransen, Levaditi und Mutermilch, eigene Ver¬ 
suche). 

Nach Ehrlich vollzieht sich die Bildung des Reoidivstammes aus 
dem Ausgangsstamm in der Weise, dass bei Anwesenheit ge¬ 
nügender, aber nicht letaler, spezifisch gegen den Ausgangs¬ 
stamm gerichteter Antikörpermengen ein Umschlag der Trypanosomen 
in einer Richtung erfolgt, die die Erhaltung der Rasse auch unter den 
neuen Lebensbedingungen ermöglicht. 

Nach den vom Vortragenden demonstrierten Reagenzglasversuchen 
erscheint das recidivstammbildende Vermögen des Immunserums weit¬ 
gehend unabhängig von der Trypanocidie des Serums. (Demonstration 
von Tabellen.) 

Trypanocidie und Recidivstammbildungsvermögen sind hiernach nicht 
Funktionen eines einzigen Serumsubstrates, sondern mit Wahrscheinlich¬ 
keit Eigenschaften differenter Serumkörper (trypanocide Immunkörper 
und Recidivkörper). Versuche, welche für eine Trennung der trypano- 
ciden Körper von den „Recidivkörpern“ sprechen, werden demonstriert. 

Nicht als das Spiel von Zufallsmomenten, sondern als die Resultate 
wohl definierbarer biologischer Prozesse, die die grossen fundamentalen 
Lebensprobleme der Vererbung und der Umwandlung der Arten aufs 
innigste berühren, muss das Wesen des Frührecidivs begriffen werden. 

| Nicht in einem Aufhören der Immunität des Wirtsorganismus, sondern 
in der gerade unter dem Einfluss dieser Immunität sich vollziehenden 
biologischen Wesensänderung der Parasiten zu Individuen mit neuen 
Artcharakteren liegt die Genese des Frührecidivs begründet. 

Die Ausblicke, welche möglicherweise diese experimentellen Er¬ 
gebnisse für die Klinik des Frührecidivs eröffnen, werden im einzelnen 
bei den Recidiven der Pneumonie, des Typhus, des Scharlachs, der 
Masern, der Syphilis und dem Recidiv maligner Tumoren geschildert. 
(Die Arbeit erscheint ausführlich in der Zeitschrift für klinische Medizin, 
1913. Weitere Ergebnisse werden in der Zeitschrift für Hygiene und 
Infektionskrankheiten mitgeteilt.) 

Hr. Biberfeld: Ueber Atopban. 

Die wesentlichste Wirkung der Phenylchinolincarbonsäure, des 
Atophans, nämlich die Vermehrung der Harnsäureausscheidung beim 
Menschen, wird verschieden gedeutet; von Weintraud und seinen 
Schülern wird als eine selektive Wirkung des Mittels auf die eine 
Funktion der Niere, eben die U-ausscheidung, angesehen; Stark en¬ 
stein dagegen hat auf Grund seiner Tierversuche, in denen er eine 
Verminderung der Allantoinaussoheidung festgestellt hatte, eine Störung 
des PurinstofiWechsels angenommen, die sich beim Menschen in einer 
Steigerung des Zerfalls der zum Abbau reifen Harnsäurevorstufen 
äussert. Eine reine Nierenwirkung würde plausibler erscheinen, wenn es 
gelänge, noch andere gleich gerichtete Wirkungen des Atophans festxu¬ 
stellen. Der Vortragende hat deshalb untersucht, wie Atophan die Aus¬ 
scheidung eines anderen Purinkörpers, des Hydroxycoffeins, beeinflusst; 
diese Substanz wurde gewählt, da sie den menschlichen und tierischen 
Organismus unverändert passiert, während die meisten anderen Purine 
quantitativ im Stoffwechsel nioht verfolgbar sind. Am Menschen und 
Tier zeigte sieh nun, dass die Substanz unter Atophanwirkung keines¬ 
wegs schneller, sondern eher langsamer sezerniert wurde. Ferner wurde 
das Schicksal in grosser Menge subcutan injizierter Harnsäure beim 
Hunde untersucht. Im normalen Stoffwechsel scheiden alle Tiere nur 
sehr geringe Mengen von U aus, da sie diese zu Allantoin weiter 
oxydieren. Führt man aber grössere Mengen von Harnsäure subcutan 
ein, so kann der Körper nicht die Gesamtmenge bewältigen und die 
U-ausscheidung im Harn wächst infolgedessen an, aber unter Atophan¬ 
wirkung nicht mehr als ohne dieses. Eine spezifische Nierenbeeinflussung 
war somit an Purinsubstanzen nicht zu erweisen. Weiterhin versuchte 
der Vortragende, ob eine sicher auf die Niere beschränkte pharmako- 


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UMIVERSITY OF IOWA 



764 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


dynamische Wirkung, die des Phlorhizins, sich durch Atophan beein¬ 
flussen lasse; auch hier war das Resultat für die Weintraud’sche Auf¬ 
fassung nicht günstig; durch Atophan wird die Zuokerausscheidung ver¬ 
zögert und auch quantitativ vermindert. Von verschiedenen Beobachtern 
wird angegeben, dass Atophan beim Menschen keine Vermehrung der 
Phosphorsäureausscheidung bewirke; das wurde gegen die Anschauung 
verwertet, dass Atophan eine Beschleunigung des Nucleinzerfalls ver¬ 
ursache. Dieses Argument^ beweist nicht viel, da die beim Entstehen 
von beispielsweise 0,5 g U aus Nucleinsäure freiwerdende Phosphor¬ 
säure noch nicht einmal ebensoviel beträgt und eine relativ so geringe 
Menge sich im menschlichen Stoffwechsel kaum nachweisen lässt. 
Ausserdem ist es möglich, dass Atophan wohl eine schnellere Aus¬ 
scheidung von Phosphorsäure in den ersten Stunden nach seiner Dar¬ 
reichung hervorufe, dass diese aber in dem bisher allein bestimmten 
Tagesharn nicht in Erscheinung trete. Versuche an Hunden zeigten, 
dass Atophan tatsächlich eine Beschleunigung der Ausscheidung sub- 
cutan injizierter ionaler und nicht ionaler P s O* (Natrium glycerino- 
phosphoricum) erzeuge, 

Diskussion. 

Hr. E. Frank: Ein französischer Autor, Fauvel, hat sich bereits 
vor mehreren Jahren die Frage vorgelegt, ob auch Purine, die im 
Organismus nicht zu Harnsäure werden, eine Steigerung der Ausschei¬ 
dung erfahren in Fällen, in denen die Harnsäure vermehrt ausgeschieden 
wird. Er glaubt das für das Theobromin bejahen zu dürfen. Er be¬ 
diente sich allerdings zur Steigerung der Harnsäureausfubr nicht des 
Atophans, sondern des Natrium salicylicum. Das ist aber, wie ich 
glaube, im Prinzip das gleiche, denn die lange schon bekannte steigende 
Wirkung der Salicylsäure auf die Harnsäureausfuhr ist wohl mit der des 
Atophans identisch. Wenigstens suggerieren mir diese Ansicht neue 
Untersuchungen, die Fräulein med. pract. Pietrulla auf der hiesigen 
medizinischen Klinik ausgeführt hat. Bei Verwendung von 6 g Acidum 
salicylicum pro die zeigte sich, dass (bei geringfügiger Leukocytose) die 
Vermehrung der Harnsäureausscheidung ganz die gleiche ist wie durch 
Atophan und dass nach Aussetzen des Mittels ganz der gleiche tiefe 
Absturz zu konstatieren ist wie beim Atophan. In einem Falle stieg 
die Harnsäure von einem endogenen Werte von 0,26 g bei purinarmer 
Kost unter Acid. salicyl. auf 0,58, 0,63, 0,601 g während der drei 
Tage, die das Mittel gegeben wurde, dann fiel sie auf 0,444, 0,11, 
0,09, 0,05 g. 

In einem zweiten Fall fand sich ein Anstieg von 0,226 auf 

1,001 g. 

Danach hat es den Anschein, als ob die Gruppe der Nervina, Anti- 
pyretioa, Antirheumatioa doch ganz gesetzmässig eigenartige Beziehungen 
zur Harnsäure hat, nur dass beim Athophan diese Wirkung schon bei 
viel geringeren Dosen imponierend wird als bei Salicylsäure. 

Was nun die Frage nach dem Angriffspunkt des Atophans betrifft, 
so lässt sich mangels eines Einblicks in den feineren Mechanismus seiner 
Wirkung eine endgültige Antwort nicht geben; nur die Alternative, ob 
primärer Nudeinzerfall oder primäre Begünstigung der Harnsäure¬ 
elimination, lässt sich wohl sicher zugunsten der letzteren Vorstellung 
beantworten. Wie sollte man sich sonst die auffallende Heilwirkung 
beim Gichtanfall, wie das Schwinden der Tophi erklären. Wie wäre es 
sonst zu verstehen, dass eine Beschleunigung und Vermehrung der Harn¬ 
säureausscheidung unter Atophan stattfindet, gleichgültig, ob man 
Nucleinsäure, Hypoxanthin oder Harnsäure selbst einverleibt. Speziell, 
dass iojizierte Harnsäure auch vom Gichtkranken, der Atophan nimmt, 
rasch und quantitativ ausgeschieden wird, beweist, dass die Harnsäure 
selbst, d. h. die günstigere Gestaltung ihrer Eliminationsbedingungen 
das eigentliche Wirkungsbereich der Substanz darstellt. 

Hr. Minkowski bemerkt ergänzend, dass die von Herrn Frank 
erwähnten Untersuchungen des Fräulein Pietrulla nicht mit Atophan 
ausgeführt wurden, sondern mit dem Ester, der neuerdings als „Aoitrin“ 
in den Handel gebracht wird. Redner ist von Anfang an der Ansicht ge¬ 
wesen, dass die Wirkungen des Atophans auch auf die Harnsäure nur 
graduell von denen der Salicylsäure verschieden sein könnten. Vieles 
spricht dafür, dass es sioh um eine Einwirkung auf die Elimination 
der Harnsäure handelt Aber ob diese die primäre Wirkung und ihrer¬ 
seits die Ursache für die Besserung der gichtischen Erscheinungen ist, 
oder umgekehrt eine Einwirkung auf die dem Purinumsatz zugrunde 
liegenden Stoffwechselvorgänge erst indirekt die Harnsäureausscbeidung 
beeinflusst, ist noch nicht entschieden. Die Hauptfrage bei der Gicht 
ist ja auch: warum wird die im Uebersohuss vorhandene Harnsäure nicht 
eliminiert? Wenn man von einer „Dichtigkeit des Nierenfilters“ spricht, 
so ist das zunächst nur eine Umschreibung der Tatsache. Es liegt kein 
Grund für die Annahme vor, dass die Durchlässigkeit der Nieren nur 
speziell für eine ganz bestimmte Substanz geändert werden könnte. 
Wahrscheinlich handelt es sich bei der Gicht und wohl auch bei der 
Wirkung des Atophans um eine Beeinflussung von gewissen Stoffwechsel¬ 
vorgängen bei dem Abbau der Purinverbindungen. Es könnte ja sein, 
dass sich diese Vorgänge auch in der Niere abspielen, nur ist es dann 
nicht nur die „Durchlässigkeit“ der Niere, auf die es ankommt. Wahr¬ 
scheinlicher ist es, dass die entscheidenden Prozesse sich diesseits des 
Nierenfilters abspielen. 


Medizinische Gesellschaft zu Kiel. 

Sitzung vom 27. Februar 1913. 

Vor Eintritt in die Tagesordnung gedenkt der Vorsitzende in einer 
Ansprache der grossen Verdienste und der wissenschaftlichen Bedeutung 
des verstorbenen Mitgliedes, Geheimrats Heller. (Die Anwesenden er¬ 
heben sich von ihren Sitzen.) 

Vorstandswahl: Erster Vorsitzender Herr v. Starck. 

Diskussion zu den Vorträgen der Herren Kahn, Rost und 
Meyer. 

HHr. Goebell, Stoeokel (beide über die Strahlenbehandlung 
maligner Tumoren; es darf sich nur um inoperable Geschwülste handeln). 
Hr. Rost (Bericht über einen durch Röntgenstrahlen augenscheinlich 
geheilten Fall von Sarkom des Abdomens [Metastase eines Hodensarkoms]). 
Hr. Kahn. 

Hr. Miehaod: 

Ueber die Bedeitug des Reststickstoffs im Blute bei Nephritis. 

Die bisherige Klassifizierung der Nephritiden nach pathologisch¬ 
anatomischen Gesichtspunkten genügt für den Kliniker nicht; man ist 
deshalb zu physiologischen Methoden übergegangen und beurteilt die 
Nierenfunktion nach der Ausscheidung bestimmter Stoffe. Bei der Ur¬ 
ämie werden toxische Stoffe im Körper retiniert. Widal unterscheidet 
zwei Formen: 1. Die Chlorämie, die klinisch durch starke Oedeme 
und akut einsetzende Krämpfe gekennzeichnet ist, und 2. die Azot- 
hämie, wobei es sich um einen mehr chronischen, mit Kopfschmerzen, 
Erbrechen usw. einhergehenden Vergiftungszustand infolge von Anhäufung 
stickstoffhaltiger Substanzen im Blut — nicht in den Organen — handelt. 
Diese Substanzen sind keine Eiweisskörper, sondern lösliohe Stoffe, der 
Rest-N. Strauss, der zum ersten Male quantitative Bestimmungen 
des Rest-N im Blute machte, fand bei Schrumpfniere eine Erhöhung ira 
Gegensatz zur chronisch-parenchymatösen Nephritis. Andere Autoren 
kamen zu anderen Resultaten. Vortr. hat nach der Methode von Meyer- 
Hohlweg ebenfalls quantitative Bestimmungen im Serum Gesunder und 
Nierenkranker gemacht und glaubt zu eindeutigen Resultaten gekommen 
zu sein. Demonstration verschiedener Tabellen. Danach bietet der 
Rest-N nichts Charakteristisches bezüglich der einzelnen 
Nephritisformen. Um die Frage zu entscheiden, ob etwa die Des- 
amidisierung in der Leber dabei eine Rolle spielt, hat Vortr. an 
23 Leberkranken, bei denen eine wenigstens teilweise Leberinsuffizienz 
angenommen werden musste, sowie an Hunden mit Eck’scher Fistel 
Rest-N-Bestimmungen gemacht. Bei den Hunden stieg der Rest-N-Wert 
auch nach dem Genuss von Pferdefleisch nicht an, obwohl Urämie ein¬ 
trat. Vortr. kommt auf Grund der Beobachtungen an Leberkranken zu 
dem Resultat, dass extrarenale Faktoren dabei keine Rolle spielen. Da¬ 
gegen konnte Vortr. feststellen, dass bei Nephritikern eine plötzliche 
sehr starke Steigerung des Rest-N den nahe bevorstehenden Tod be¬ 
deutete. 

Diskussion: HHr. Lüthje, Höher, Ginsberg, Miohaud. 

HHr. Weiland und Schlecht: 

Ueber den anaphylaktischen Chok im Rffntgeibild. 

Vortr. haben bei anaphylaktisch gemachten Tieren die Magen- und 
Darmbewegungen am Röntgenschirm während des Anfalls studiert und 
eine stark vermehrte Peristaltik und Kontraktion des Magen-Darmkanals 
mit nachfolgender Lähmung beobachtet. Es werden einige Röntgen¬ 
photographien demonstriert. 

(Ausführliche Veröffentlichung erfolgt demnächst in der Zeitschrift 
f. experim. Pathol. u. Therapie.) 

Hr. Weiland: Ueber Alkalibehandlnag der AlbnHinnriea. 

Vortr. teilt seine Beobachtungen über den Einfluss der oralen 
Natrium bicarbonicum-Verabreichung bei Nephritiden und Albuminurien 
auf die Eliweissausscheidung im Urin mit. Die Resultate waren in 17 
von 24 Fällen negativ. Vortr. warnt vor der Natrium bicarbonicum- 
Medikation wegen der mehrfach beobachteten Tatsache, dass Oedeme, 
Verschlimmerungen des Krankheitszustandes, im Anschluss an diese 
Therapie auf traten. E. Richter. 


Medizinische Gesellschaft zu Leipzig. 

Sitzung vom 25. Februar 1013. 

1. Hr. v. Strümpell: 

Klinische Demonstration zweier typischer Fälle von Myotonie. 

2. Hr. Payr bespricht die operative Behandlang abstehender grosser 
Ohren. 

3. Hr. Niessl v. Mayendorf: Beiträge znr Aphasielehre. 

Vortr. bespricht zwei Fälle von motorischer Aphasie, deren Deutung 
nach der herrschenden Lehre auf unüberwindliche Schwierigkeiten stösst. 
Im ersten Fall hat sich die Sprachstörung sowie die rechtsseitige Ex¬ 
tremitätenlähmung binnen wenigen Wochen bis auf Rudimente zurück¬ 
gebildet, obgleich, wie an einer Serie von Weigert-Präparaten gezeigt 
wird, ein sehr umfangreicher Erweichungsherd den grössten Teil des 
linken Klappdeokels, und zwar Rinde und Mark verheert hat. Unter¬ 
gegangen waren die Pars triangularis und opercularis frontalis, das 
Operculum, Rolandicum und eine Markfaserentartung erstreckte sich im 
Operculum parietale weit nach hinten. Die linke Pyramidenbahn erwies 
sich zum grössten Teil als sekundär degeneriert. Welche noch leistungs¬ 
fähige Gehirnsubstanz mochte die rasche Restitution ermöglicht haben? 


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UNIVERSUM OF IOWA 





21. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


756 


Die einzig hier zulässige Erklärung appelliert an die korrespondierenden 
Hirnpartien der reohten Hemisphäre. Unterstützt wird dieselbe durch 
die auffallende Volumverschiedenheiten der beiden Hemisphären zu¬ 
gunsten der rechten. Durch die Anwesenheit typischer Symptome einer 
sich restituierenden Aphasie: „Anarthrie“, „erschwerte Wortfindung in 
der spontanen Rede“, „anstandsloses Nachsprechen“ bei ausserordentlich 
reduziertem Wortschatz in der spontanen Rede, „Paragraphie“, von 
denen sich die erste Erscheinung auf mangelnde Uebung der rechten 
motorischen Sprachsphäre, die anderen Symptome auf mangelhaft ein¬ 
geübten Verbindungen zwischen linkem Klangbildcentrum und rechter 
motorischer Sprachsphäre zurückführen. Drittens lassen sich die normalen 
markbekleideten Faserzüge in den äussersten Paketen der inneren Kapsel, 
innerhalb der Opercularregion der Centralwindungen, an der erkrankten 
Hemisphäre nachweisen, welche offenbar aus der Balkenbrücke hervor¬ 
gehen. Da gerade in diesen Bündelgruppen die gekreuzten absteigenden 
hier entarteten Bahnen von der Rinde für die Phonationskerne verlaufen, 
scheint eine Anlage von Leitungen aus beiden Hemisphären durch den 
Balken auch anatomisch sichtbar zu sein. Der zweite Fall betrifft 
eine nur etwa 8 Wochen währende motorische Aphasie, durch Embolie 
eines grossen Astes der Arteria fossae sylvii bei einem Herzkranken. 
Daneben eine rechtsseitige Parese, die sich bald verliert, hingegen per¬ 
manente Agraphie in allen Formen, keine Wortblindheit, Gedrucktes und 
Geschriebenes wird verstanden. Sektionsbefund: Linke Hemisphäre: ein 
enormer Erweichungsherd, welcher den hinteren Teil des ganzen Schläfen-, 
Scheitel-, Hinterhauptslappens zerstört. Ausserdem ein Plaque jaune 
in der hinteren Centralwindung und ein dritter in der hinteren Insel. 
Schräg von oben vorn nach hinten unten angelegte Schnitte naoh 
Weigert-Pal behandelt, lassen einen spaltförmigen Defekt in der 
Capsula externa hervortreten, die vordere Temporalquerwindung völlig 
intakt. Die Rinde der hinteren temporalen Querwindung zerfressen, wie 
angenagt, der Herd in der hinteren Centralwindung reicht mit einem 
Zapfen in die vordere hinein, deren corticaler Klappdeckelanteil weiss 
und faserleer ist Die motorische Aphasie erklärt sich hier aus einer 
Läsion des Operculum Rolandicum und dem spaltförmigen Herd in der 
Capsula externa, welcher die vom Klangbildcentrum beider Hemisphären 
aufsteigenden Assosationsbündel gleichzeitig unterbricht. Die Intaktheit 
des akustischen Wortsinnverständoisses erklärt sich aus der Intaktheit 
der vorderen temporalen Querwindung, das Erhaltenbleiben des Schrift¬ 
verständnisses aus der Unberührtheit der Sehstrahlungen. Rösler. 


Medizinische Gesellschaft za Güttingen. 

Sitzung vom 27. Februar 1913. 

Hr. Creite demonstriert: a) jungen Mann mit symmetrischer Biegung 
in der Mittelphalanx beider Kleinfinger; die Deviation verursacht keine 
Funktionsstörung. Nach dem Röntgenbild bestehen trophische Störungen 
an der Epiphysenlinie; 

b) kleinen Jungen mit einem quer verengten Nägele’schen Becken; 
es bandelt sich um eine Synchondrosis sacroiliaea sinistra. 

Hr. Bode demonstriert ein achtjähriges Kind mit Little’scher Krank¬ 
heit und bespricht die eingeschlagene Behandlung, die in Tenotomien 
(Adduktoren, Kniebeuger, Achillessehne) und aktiven sowie passiven Be¬ 
wegungsübungen bestand. Das Kind, das bei der Aufnahme weder gehen 
noch stehen konnte, ist jetzt imstande, sich mit Hilfe eines Stockes fort¬ 
zubewegen. Wichtig ist, dass die Behandlung genügend lange Zeit fort¬ 
gesetzt wird. Auch im vorliegenden Fall war nach einer nur vierzehn¬ 
tägigen Unterbrechung ein starker Rückschlag zu konstatieren. Im An¬ 
schluss an den Fall wird die Indikation zur Foerster’schen Operation 
besprochen. 

Hr. Roggenbau erörtert an der Hand von Röntgenbildern die neueren 
Resultate auf dem Gebiet der Röntgendiagnostik bei Magen- und Dana- 
erkrankungen. 

Hr. Port demonstriert einen 36 jährigen Eunuchoiden vom Typus 
des abnormen Fettwuchses und bespricht kurz die chemischen Corre- 
lationen zwischen Keimdrüsen, Hypophyse und Schilddrüse; er be¬ 
richtet über Versuche, bei dem Kranken durch die Acetonitrilreaktion 
eine Hypofunktion der Schilddrüse nachzuweisen. Seine Vorversuche an 
normalen weissen Mäusen haben jedoch ergeben, dass dieselben gegen 
Acetonitril sehr verschieden resistent sind, weshalb er an dem Wert der 
Acetonitrilreaktion zum Nachweis einer abnormen Schilddrüsenfunktion 
zweifelt. 

Hr. Reicher (als Gast): Ueber Fett- und Lipoidstoffwechsel. 

Nach Verabreichung von reinen Triglyceriden entsteht im Blut vor¬ 
übergehend eine Vermehrung nicht nur des Fettes, sondern auch von 
Lecithin und Cholesterinestern. Dabei sinkt der respirative Quotient 
zunächst langsam, dann stärker und erreicht seinen Treffpunkt zurZeit, 
wo die Fette und Lipiode im Blut rapide zu sinken beginnen. Dies 
scheint dafür zu sprechen, dass die Fette im wesentlichen nicht als 
solche, sondern einerseits gebunden an Glycerophosphorsäure- Cholin als 
Lecithin andererseits an Cholesterin als Cholesterinester verbrannt werden. 
Eine ähnliche Vermehrung der obengenannten Lipoide kann man zeit¬ 
weise bei phosphorvergifteten und bei anämischen Tieren sowie bei 
schweren Diabetikern beobachten, dergleichen in Hungerzuständen. Dies 
weist darauf hin, dass auch die Mobilisierung des Fettes aus den Depots 
heraus in Form des Lecithins und der Cholesterinester stattfindet und 
ihre Bildung die Vorbedingung für die Fettverbrennung bildet, ähnlich 


wie die Umwandlung des Glykogens in Traubenzucker der Kohlehydrat¬ 
verbrennung vorausgehen muss. 

Beim Diabetiker kann man ebenso wie beim Alkoholiker beobachten, 
dass die Kurve der Lipoidvermehrung im Blute nach Fettnabrung einen 
langsameren Ablauf und einen höheren Anstieg zeigt, und diese Ab¬ 
weichung von der Norm ist um so grösser, je stärker die Acidosis aus¬ 
geprägt ist. Durch Konkurrenz mit der vorher erwähnten Fettmobili¬ 
sierung in Form von Lipoiden wird die Kurve in Fällen mit starker 
Acidosis dahin umgeformt, dass ein Absinken bis zurAbscisse überhaupt 
nicht mehr stattfindet, sondern nur Gipfel mit geringen Wellentälern 
nachzuweisen sind. Port. 


Aus Pariser medizinischen Gesellschaften. 

Acadömie de mddecine. 

Sitzung vom 4. Februar 1913. 

HHr. Doainici, Cheroi und Rabens-Daval teilen ihre Reealtate 
der Radiambehaadlang bösartiger Tiaoren mit. Sie haben tiefliegende 
Angiome und oberflächliche Cancroidc regelmässig geheilt. Für tief¬ 
liegende Carcinome wurde Radium nur als palliatives Mittel verwendet 
und gab meist vorübergehende Besserungen. In einigen Fällen von 
Carcinom der Parotis, des Halses, des Uterus scheint klinisch die Heilung 
seit 3—4 Jahren vollkommen. Für tiefliegende Carcinome ist es vorzu¬ 
ziehen, Radium in Verbindung mit chirurgischer Behandlung zu ver¬ 
wenden. 

Sitzung vom 11. Februar 1913. 

Hr. Kirmisson bespricht die Ankylose des Kiefergelenks, nament¬ 
lich in diagnostischer Beziehung. Diese wird namentlich bei Kindern 
beobachtet und zwar entweder infolge von Infektionskrankheiten wie 
Scharlach oder nach eitriger Mittelohrentzündung verbunden mit 
diffusen Eiterungen, die bis ins Kiefergelenk sich erstrecken können. In 
solchen Fällen kann die Resektion des Gelenkkopfes besten Erfolg 
geben. In einem Fall des Autors war die Heilung noch nach 8 Jahren 
vollkommen. Die Schwierigkeit ist die Diagnose; vor allem muss man 
feststellen, ob die Ankylose beiderseitig oder einseitig, und in diesem 
Fall auf welcher Seite sie sitzt. Aufschluss darüber gibt die Unter¬ 
suchung der seitlichen und Vorwärtsbewegungen, welche bei doppel¬ 
seitiger Ankylose fehlen, bei einseitiger weiter bestehen. Der Condylus 
der gesunden Seite bewegt sich nach vorn und beschreibt so einen 
Kreis um das Gelenk der kranken Seite, so dass das Kinn gegen die 
kranke Seite verschoben wird. Gewöhnlich ist die Kiefergelenksankylose 
mit Atrophie der entsprechenden Seite des Gesichts verbunden; diese 
Beobachtung ist richtig, soweit sie das Skelett betrifft. Bei oberfläch¬ 
licher Betrachtung scheint die Atrophie auf der gesunden Seite zu sein, 
die Wange der ankylosierten Seite ist stärker vorgewölbt und mehr vor¬ 
springend, aber genau betrachtet, ist die ganze Unterkieferhälfte der 
kranken Seite atrophisch, während auf der gesunden Seite der Knochen 
sich normal entwickelt, so dass das Kinn ganz nach der kranken Seite 
verschoben wird. Die gleiche Verschiebung erfahren die Weichteile, so 
dass die Wange der gesunden Seite flach erscheint, während sie auf der 
kranken, von einem verkleinerten Kiefer eingerahmt, stark nach aussen 
gedrängt wird. 

Hr. M. v. Galippe beschreibt einen besonderen Ausseheidangsnodas 
der Harn8Üire. In den auf gewöhnliche Weise im Harn ausgeschiedenen 
Harnsäurekristallen findet man Mikroorganismen, welche man durch 
Impfung der Kristalle auf gewöhnliche Nährböden züchten kann. Diese 
Mikroorganismen sind nicht zufällig in diesen Kristallen, sondern sie 
sind die Ursache ihrer Ausscheidung. Wenn man diese Mikroorganismen 
in normalen Harn überträgt, so werden rasch reichliche Harnsäure¬ 
kristalle ausgeschieden, während in einer anderen Probe des gleichen 
Harns die Ausscheidung langsam und gering ist. Die Harnsäurekristalle, 
welche durch Zusatz von 1 proz. Salzsäurelösung zum Harn aus- 
geschieden werden, enthalten keine Mikroorganismen. 

Sitzung vom 25. Februar 1913. 

Hr. Chanffard lenkt die Aufmerksamkeit der Versammlung auf die 
von Herrn Rogers-Calcutta mit Erfolg eingeführte Eaetiabehandloiig der 
Aaöbendysenterie. Nach Rogers (1907) ist Ipecacuanha in hohen Dosen 
imstande, das Auftreten der Leberabscesse zu verhindern, ohne ihr Eiter¬ 
stadium einzuschränken. Durch subcutane Injektion von Emetinum 
hydrochloricum in Dosen von 3—4 cg, 1—2 mal täglich während 4 bis 
Tagen erzielt man fast sofortige Heilung der Amöbendysenterie. Es 
handelt sich um eine spezifische Wirkung, denn in vitro tötet eine 
Emetinlösung von 1:10 000 die Amöben sofort; eine Lösung von 
1:100 000 in wenigen Minuten. Herr Chauffard hat bei einem in die 
Bronchien durohgebrochenen Leberabscess mit der Methode ein sehr 
schönes Resultat erzielt. Die Leberbronchialfistel bestand schon seit 
5 Monaten; täglich wurden 200—250 g rötlichen Eiters ausgeworfen; 
ausserdem bestand im Rectum ein dysenterisches Geschwür; Temperatur 
zwischen 37—88°, mässiger Allgemeinzustand, radiologisch ein Schatten 
im rechten Unterlappen der Lunge, auf den Leberschatten übergehend. 
Vom 21.—26. Dezember wurden 6 Injektionen Emetin, muriat. 0,04 
gemacht und gut ertragen. Der Auswurf sank am 2. Tage von 200 ccm 
auf 150 ccm, am 3. Tage auf 60 ccm, dann auf 45 ccm und hörte dann 
auf. Die Temperatur sank unter 37° und blieb tief. Das Darm¬ 
geschwür heilt, die rechte Lungenbasis klärt sich auf. Patient ist 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


seither geheilt und hat 6 kg zugenommen. Die Methode ist weiterer 
Nachuntersuchungen wert. 

Hr. Bazy berichtet über die Prognose der Nephrektomien. Wenn 
die zurückgelassene Niere wirklich gesund war, verhalten sich diese 
Patienten, wie wenn sie noch beide Nieren hätten, was man besonders 
bei Anlass neuer Operationen ersehen kann. Eine vor 11 Jahren 
nephrektomierte Patientin ertrug eine Uterusexstirpation wie eine sonst 
normale Person, ln bezug auf die Prognose muss man je nach den 
Ursachen drei Gruppen unterscheiden: 1. Nephrektomie wegen Tumoren 
sind sehr günstig. Herr Bazy hat Patienten, die seit 14, 11, 8, 5 und 
3 Jahren geheilt sind. 2. Bei den Tuberkulosen hängt das Resultat vom 
Zustand der Blase ab. Wenn diese frei ist, so ist die Gesundheit der 
Patientin ganz gut. Ist die Blase mitergriffen, so bessert sich der Zu¬ 
stand um so rascher, je weniger diese erkrankt ist, daher die Not¬ 
wendigkeit möglichst frühzeitiger Operation. 3. Neprektomien wegen 
einfacher Eiterungen heilen ganz, und wenn die gesunde Niere eiweiss¬ 
haltigen Harn ausschied, verschwindet dieser, sobald die Eiterung durch 
Nephrektomie beseitigt ist. 

B[r. Delarme teilt einen Bericht des Herrn Laurent aus einer 
Ambulanz in Philippopolis mit. Hervorzuheben ist die Seltenheit der 
Unterleibsverletzungen und Laparotomien, die geringe Zahl der Schrapnel- 
verletzungen, relative Häufigkeit der Aneurysmen und Nervenverletzungen, 
Seltenheit der Amputationen; Leichtigkeit der Heilung der Weichteil¬ 
wunden, die Gefahr der Chloroformoperation bei infizierten Verletzten. 
Am interessantesten sind die Fälle von Aneurysraenexstirpation und die 
Behandlung der Nervenverletzungen, die Herr Laurent meist durch Ein¬ 
wicklung in die Aponeurose eines benachbarten Muskels zu lösen 
suchte. 


Soctätä medicale des hopitaux. 

Sitzung vom 7. Februar 1913. 

Hr. Lesoä berichtet über einen Fall von Paget mit positivem 
Wassermann. Patientin hatte starke Schmerzen der Beine, welche durch 
subcutane Hg-Behandlung gebessert wurden. 

Hr. Camby erinnert an die guten Resultate, die Herr P. Massi 
durch Salvarsanbehandlnng der Chorea erzielte, und meint, man er¬ 
ziele ebenso gute durch Injektionen mit Acid. arsenicos. 300 mit 
Liqueur de Bondin behandelte Patienten heilten durchschnittlich in 
28 Tagen. Dabei wurde nur eine Arsenikvergiftung beobachtet, eine Arsenik¬ 
lähmung bei sehr hohen Dosen. Das Kind muss zwei Wochen zu Bett 
liegen und isoliert sein, Milchdiät während der ganzen Arsenikkur. Am 
ersten Tage erhält das Kind 5 g Liqueur de Bondin (= Lösung von 
Acid. arsenic. 1:1000, also in 1 g Liqueur de Bondin 1 mg Acid. 
arsenic.) und 120 g Gummisirup, vor jeder Milcheinnahme ein Esslöffel 
der Lösung. Am zweiten Tage erhält das Kind 10 g Liqueur de Bondin, 
am dritten 15 g, am vierten 20 g, am fünften 25 g, dann geht man 
wieder herunter auf 20, 15, 10 und 5 g. Die Dauer der Kur ist 7 Tage. 
Kindern unter 7 Jahren gibt man kleinere Dosen. 

Diskussion. Hr. P. Massi: Die Salvarsanbehandlung der Chorea 
ist die beste Krankenhausbehandlung. Man hat keine Unannehmlichkeiten 
und keine Misserfolge. Heilung in 4—5 Wochen. 

Hr. Thiroloix bringt die Krankengeschichte eines ehemaligen 
Syphilitikers mit chronischer Nephritis, der von neuem mit Schmierkur 
behandelt werdeu sollte. Bei der zweiten Einreibung trat eine heftige 
Nierenblutung ein; Patient starb trotz Decapsulation. Gewöhnlich 
werden die kongestiven Nachschübe der Nephritis infolge Intoxikation durch 
die Operation gebessert. 

HHr. Canssade und Soltrain bringen drei Beobachtungen von 
Diphtherieansteckung durch Bazillenträger mit niehterkannten Bacillen¬ 
herden. Ein Mädchen von 9 Jahren behält noch einen Monat nach 
Heilung Klebs-Löffler-Bacillen im Rachen und wird dann nach negativem 
bakteriologischen Befund entlassen und infiziert trotzdem nachher den 
jüngsten Bruder. Ein Kollege infiziert sich bei Behandlung eines Kindes; 
er bleibt Bacillenträger, ohne dass die bakteriologische Untersuchung 
des Halses solche nachzuweisen vermochte. Er bekam dann Bronchial¬ 
diphtherie, der er erlag. Ein dritter Patient behielt während zwei 
Monaten Bacillen im Halse nach einer leichten Angina, die ohne Serum 
heilte. Er wurde später der Ausgangspunkt einer kleinen Schulepidemie. 
Die Autoren betonen die Notwendigkeit häufiger bakteriologischer Unter¬ 
suchungen nach der Heilung, und zwar mit Proben aus dem Rachen, 
der Nase und dem Nasopharynx. Nur nach vollkommenem Verschwinden 
der Bacillen dürfen die Patienten entlassen werden. 

Diskussion. 

Hr. Thiroloix fragt, welchen Wert man den Pastillen von Anti¬ 
diphtherieserum zuschreiben könne, welche in solchen Fällen Verwendung 
finden könnten. 

Hr. Martin erklärt, dass die vom Institut Pasteur hergestellten 
Tabletten in gewissen Fällen gut sind, aber bei infiziertem Rachen, in¬ 
fizierten adenoiden Wucherungen können diese nicht die Sterilisation 
erzielen. Uebrigens liefert das Institut die Pastillen nicht mehr, weil 
man beobachtet, dass zurzeit bei den Aerzten die nachteilige Tendenz 
existiert, die Seruminjektionen durch Pastillen oder Serumverabreichung 
per os zu ersetzen. Diese Tendenz entstand durch die Furcht vor 
anaphylaktischen Erscheinungen. Herr Martin bekämpft lebhaft diese 
Tendenz, er zeigt an der Hand der Statistik, dass die Diphtheritismortalität 
zunimmt, und citiert zahlreiche Fälle schwerer Diphtherien, die in das 


Spital kamen, weil aus Furcht vor Anaphylaxie die Seruminjektion ver¬ 
zögert wurde. Die Anaphylaxie hat die Seruminjektioo diskreditiert. 
Herr Martin kennt nur drei bis vier Todesfälle durch Anaphylaxie. Es 
ist ungeheuer, dass durch diese ^wenigen Fälle nun Hunderte von 
Diphtherien vernachlässigt werden. Die. Stadt Paris hatte eine aus¬ 
gezeichnete Diphtheriestatistik, die sich nun verschlechtert, weil man die 
Seruminjektionen vernachlässigt. 

Hr. Rist lehnt sich auch gegen den Ersatz der Injektion durch 
Ingestion auf. Er sah ein Kind sterben, das nur durch Ingestion von 
Serum behandelt worden war. 

Hr. Pissavy bat an der Hand von 400 Fällen die ätiolegisclien 
Faktoren der Arteriosklerose untersucht. Er bestätigt den Einfluss 
des Alters und des Geschlechts. Die meist inkriminierten pathologischen 
Zustände sind: Syphilis, Alkoholismus, Bleivergiftung, Malaria und Tabak¬ 
vergiftung. Der Autor bestätigt auch diese Faktoren mit Ausnahme der 
Syphilis, die nach ihm einen ganz geringen Einfluss bat. 

Hr. Beins hat drei Fälle von Zosterernption bei Gallen- nnd 
Nierensteinkolik beobachtet. Neuralgie und Zostereruption sind lokali¬ 
siert auf die Nierenzweige, welche den Zonen der Gallenblase und der 
Nieren entsprechen. Gestützt auf diese Fälle, auf post operationem ein- 
tretenden Zoster, auf traumatischen Zoster, nimmt er an, dass es reflek¬ 
torischen Zoster gebe, bald internen, visceralen, bald externen, peri¬ 
pherischen Ursprungs. 

Sitzung vom 14. Februar 1913. 

Hr. Martin zeigt, wie die Statistiken der Diphtheritismortalität in 
Paris und in Frankreich seit der systematischen Anwendung der Serotherapie 
günstige waren. Wohl zeigen sich Perioden, in denen die Mortalität 
höher ist. Diese entsprechen Zeiten, in denen man dem Praktiker vor 
dem Serum Angst gemacht hat. In einer derartigen Periode sind wir 
zurzeit. Man muss absolut auf die von den Herren Serestre,. Netter 
und Martin aufgestellten Behandlungsmethoden zurückkommen, d. h. eine 
gute Prophylaxe schaffen, diese durch präventive Seruminjektionen unter¬ 
stützen, nie zweifeln, in einem Falle, der klinisch für Diphtherie im¬ 
poniert, Serum einzuspritzen. 

HHr. Lesnä und Dreyfas beweisen die Nutzlosigkeit der Sero¬ 
therapie der Diphtheritis per ingestionem. Klinisch ist sie leicht zu 
sehen und lässt sich auch experimentell leicht feststellen. In den Magen 
eines Meerschweinchens in einer grossen Dosis oder mehrere Tage hinter¬ 
einander injiziert ist das Antidiphtherieserum vollkommen wirkungslos. 
Es schützt die Tiere nicht gegen Minimainjektionen von Diphtherietoxinen 
unter die Haut. Das Antitoxin ist durch den Magensaft inaktiv ge¬ 
worden, besonders aber auch durch den Pankreassaft und die Wirkung 
der Leber. Nur die subcutane Injektion des Serums hat eine Heil¬ 
wirkung. 

Hr. Tribonlet bringt bezüglich Arsenikbehaadlong der Chorea 

seine persönliche Statistik. Von 350 Fällen heilten 335 ohne Arsenik, 
also 97 pCt. Bei einer Krankheit, deren Intensität sich nicht voraus¬ 
sehen lässt, deren Beginn oft schwer zu bestimmen ist, macht man sich 
leicht therapeutische Illusionen. Eine wirklich wirksame Ghoreatherapie 
mu'js sich auch in schweren und recidivierenden Fällen als gut erwiesen 
haben. Diese Therapie muss auch schadlos sein, was mit Arsenik und 
Liqueur de Bondin nicht der Fall ist, sind doch Arseniklähmungen 
bekannt. Nach Herrn Triboulet kann Chorea mit Arsenik und trotz 
Arsenik heilen; man soll nicht vergessen, dass Chorea von selbst 
heilen kann. 

Bezüglich des syphilitischen Ursprungs der Chorea erbringt Herr 
Appert zwei Fälle, bei denen wohl Heredosyphilis vorhanden ist, bei 
denen aber auch andere Faktoren in Betracht zu ziehen sind. Eine 
jüngere Gravida hatte leichte Chorea, einige Stigmata von Heredosyphilis 
und teilweise positiven Wassermann. Ein 18jähriges Mädchen hatte 
schwere Chorea mit Fieber und Decubitus. Es besteht Heredosyphilis 
mit Plaques muqueuses der Zunge; positiver Wassermann. Schmierkur 
und Jodkali erfolglos. Da gleichzeitig Endocarditis besteht, wird Natr. 
salicylicum verabreicht, das sehr gut wirkt. Patientin heilt. Es ist also 
schwer festzustellen, inwieweit in dem Falle die Chorea vom Rheuma¬ 
tismus oder von der Lues abhängig ist. 

HHr. Pruvo8t und Mosny bringen die Beobachtung einer Pnenme- 
bacillenpnenmonie mit Septikämie. Die Patientin bekam Seitenstechen, 
Auswurf mit Husten, arbeitete aber weiter. Nach einem Monat neuer¬ 
dings heftiges Seitenstechen am gleichen Ort, Dyspnoe. Drei Tage 
nachher fand man pneumonische Erscheinungen an den zwei unteren 
Dritteln der rechten Lunge, der Zustand verschlimmerte sich, Patientin 
starb nach vier Tagen. Pneumobacillen waren im Sputum, im Blut und 
im Lungensaft einer Probepunktion in der Gegend des pneumonischen 
Herdes nachgewiesen. Hervorzuheben sind der wenig heftige Beginn, 
ohne Frost, ohne Herpes, blutige, nicht rostfarbene Sputa; langsamer 
Verlauf im Beginn, rasche Verschlimmerung. Es handelte sich um eine 
multilobäre nekrotisierende Pneumonie mit dickem, klebrigem Exsudat 

HHr. Mery, Salin und Wilbarts beschreiben einen Fall von Para- 
meningokokkenmeningitis. Das 3jährige Mädchen hatte die klassischen 
Symptome der Cerebrospinalmeningitis. Antimeningokokkenserum ohne 
Erfolg. 

Hr. Dopter konnte durch Agglutination den Parameningococcus 
feststellen. Patientin heilte nach Injektion von Antiparameningokokken¬ 
serum. Dieses wirkte trotz der schweren Symptome wunderbar. Es 
blieb als Spätfolge völlige Taubheit durch Labyrinthaffektion. 


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21. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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HHr. SmliB und Rolly beschreiben einen anderen Fall von Menin¬ 
gitis, der mit Dopter’schem Serum geheilt wurde. Anfänglich wurde 
das Antimeningokokkenserum mit Erfolg verwendet. Dann traten 
kaohekti9che Erscheinungen, Arayotrophie, Hautpigmentierungen, intellek¬ 
tueller Torpor ein. 

Hr. Dopter konnte Parameningokokken nachweisen. Das spezifische 
Serum, erst subcutan, dann intradural verwendet, brachte in drei Tagen 
Heilung. 

Sitzung vom 21. Februar 1913. 

Hr. Triboulet spricht über Pneamokokkeninfektioneii nnd Dann¬ 
reaktionen. Die normale Pneumonie hat keine Darmreaktionen im Ge¬ 
folge. Hartuäckige Diarrhöen nach Ablauf der Pneumonie lenken den 
Verdacht auf eine abnorme Dauer der Infektion und lassen Komplikationen, 
wie eitrige Pleuritis, Peritonitis oder Pneumokokkenotitis, befürchten. 
Handelt es sich um ausserordentliche Virulenz der Keime oder um 
Schwächung des Organismus? Die Pneumokokkeninfektionen nach 
Masern deuten mehr auf die durch Schwächung des Organismus ge¬ 
schaffene Prädisposition. Masern haben gewöhnlich keine Darmkompli¬ 
kationen. Beim abgewöhnten Kinde mit gemischter Kost ist der Stuhl 
alkalisch. Auftreten neutraler oder saurer Diarrhöen bei Masern deuten 
auf gleichzeitige Pneumokokkeninfektion. Die Masern haben den Orga¬ 
nismus geschwächt und zur sekundären Pneumokokkeninfektion vor¬ 
bereitet. 

HHr. Dnfoir-Thiers und Charron bringen einen Fall von syphi¬ 
litischer Hemichorea. Der 21jährige Patient hat seit zwei Jahren 
Hemichorea mit Remissionen; Wassermann positiv, deutliche Lympho- 
cytose des Liquor cerebrospinalis. Da andere infektiöse Antecedentien 
wie Rheumatismus nicht bestehen, beziehen die Autoren die Hemichorea 
auf die vorhandene Heredosyphilis. In einem ähnlichen Fall brachte 
Salvarsan rasche Heilung. Es gibt neben der gewöhnlichen Chorea 
Formen von Chorea, die immer an andere Symptome der Heredosyphilis 
gebunden sind. 

Hr. Dnfoar hat seit Jahren die Natur der Veränderungen festzu¬ 
stellen versucht, welche bei Nierenkranken mit vorübergehenden 
Lähmungen diesen mechanischen Störungen zugrunde liegen; er kommt 
zu dem Schluss, dass es sich nicht um einfache funktionelle Störungen 
handle, sondern dass ihnen immer Erweichungsherde oder hämor¬ 
rhagische Herde des Gehirns zugrunde liegen. Die Gifte des urämischen 
Zustandes machen nur die klinischen Symptome einer dauernden Ver¬ 
änderung der Centren erkenntlich. Als Beispiel citiert er einen 
37jahrigen Nephritiker mit vorübergehender Hemiparese und Babinski; 
die Behandlung der Nephritis bringt diese Symptome zum Verschwinden. 
Nach einigen Wochen neue Urämie mit Hemiparese. Exitus. Autopsie: 
Hämorrhagischer Herd, vom ersten Anfall stammend und im Linsenkem 
lokalisiert. 

HHr. Monier-Vinard und Donzelot berichten über einen Fall von 
eitriger Pnenmokokkenmeningitis, sowohl cerebral als spinal, bei der 
die Punktion eine reichlich Pneumokokken enthaltende Flüssigkeit zu¬ 
tage förderte, ohne Zellelemente. Die Autopsie zeigte ein dickes fibrinös¬ 
eitriges Exsudat auf den ganzen Meningen, ausserdem Hepatisation in der 
rechten Lunge mit starkem Oedem. Das Fehlen der Zellen ist bedingt 
durch Einschluss der Leukocyten in der fibrinösen Masse; bei der Punktion 
der tiefsten Teile wurde nur die ödematöse Exsudation mit den Pneumo¬ 
kokken gewonnen. 

HHr. Menetrier und Legrain haben einen Fall von Parameningo- 
kokkenmeningitia beobachtet. Die Affektion begann bei einer 29jährigen 
Patientin plötzlich mit schweren Erscheinungen und wurde in der ersten 
Woche mit Antimeningokokkenserum behandelt. Wegen des Misserfolges 
und Verschlimmerung des Zustandes wurde dann Antiparameningo¬ 
kokkenserum verwendet, Patientin bekam bis 150 ccm intradural. Der 
Liquor wurde besser, die Mikroben verschwanden, Lymphocyten nahmen 
zu. Patientin starb an einer Lungenkomplikation: eitrige Broncho¬ 
pneumonie mit Gangrän. Die meningitischen Erscheinungen waren be¬ 
schränkt, das Serum hat weitere Diffusion verhindert. Der Misserfolg 
ist durch den concomittierenden Alkobolismus zu erklären und durch 
andere erschwerende Umstände: beginnende Lebercirrhose, Nierensklerose, 
fibrinöse Verdickung der Meningen. Ferner wurde Antimeningokokken¬ 
serum zu spät verwendet. 

Sitzung vom 28. Februar 1913. 

HHr. Ri badean-Dumas, Thilibert und Mad. Wolfromm beschreiben 
einen Symptomenkomplex von Seknndärinfektion bei bronchopneu- 
monisChen Zuständen des frühesten Kindesalters. Dieser Symptomen- 
komplex ist immer gleich und ist das Signal eines raschen Todes. Die 
Kinder heilen relativ rasch von ihrer primären Infektion, Broncho¬ 
pneumonie, Bronchitis, Rhinitis oder einfachem Schnupfen; bald tritt 
Erbrechen ein, dünne Stühle, neue Lungenerscheinungen, sehr hohes 
Fieber, und die Patienten sterben nach einigen cerebralen oder menigi- 
tischen Erscheinungen. Es ist unwahrscheinlich, dass dieser Symptomen- 
komplex einer Lokalisation der Infektion auf ein bestimmtes Organ ent¬ 
spreche. Bei der Autopsie findet man in der Tat diffuse Veränderungen, 
degenerative, ödematöse und kongestive Störungen. Einmal ergab die 
Lumbalpunktion eine massive Infektion mit Pneumokokken. Der gleiche 
Mikroorganismus fand sich auch in den untersuchten Organen. Wahr¬ 
scheinlich sind diese Kinder durch die vorausgegangene Infektion sensi¬ 


bilisiert und in einem Zustand von Hyperergie, der die ausserordentlich 
rasche Entwicklung der Pneumokokken erklärt. 

Hr. Emile Weil beschreibt einen Fall von Menorrhagien mit 
Störuugcu der Blutcoagulation. Die 46 jährige Patientin hat seit 20 Jahren 
alle 14 Tage ihre Menstruation, die jeweils 8 Tage dauert. Die Patientin 
hat keine hereditäre Belastung für Hämorrhagien, der Genitalapparat ist 
normal. Nur eine Blutveränderung kann diesen Zustand erklären. In 
der Tat: das Venenblut coaguliert mit 30 Minuten Verspätung und das 
Serum ist dunkelgelb. Es handelt sich also um Störungen der endo- 
crinen Drüsen (in dem Fall Cholämie und Hypertbyreoidie). Bei profusen 
Blutungen muss man das Blut untersuchen und dann medikamentös be- 
handeln, ohne speziell den Uterus zu behandeln, der meist normal ist. 

HHr. Achard und Ribot haben bei einem Fall von Lebereirrhose 
mit Ascites, der mit Milchdiät sich langsam besserte, den Einfluss der 
Einnahme von Natr. bicarb. und von Kochsalz verglichen. Jedes 
der Salze wurde während drei Tagen eingenommen mit sechs Tagen 
Ruhepause zwischen den beiden Behandlungen. Die Kochsalzzufuhr be¬ 
wirkte eine Retention d69 Natriums, welches nachher in den sechs Tagen 
fast ganz ausgeschieden wurde. Während der drei Tage der Zufuhr des 
Bioarbonats wurde Natrium zurüokgchalten, und es bestand nachher noch 
eine Natriumretention in Form von Chlorür. Jedesmal nahm das Gewicht 
zu, aber mehr mit dem Kochsalz. Jedesmal sank das Gewicht, wenn 
die Salzzufubr aufhörte; aber die Entwässerung nach Aussetzen des 
Chlorürs geschah mit Ausscheidung des zurückgehaltenen Chlorürs. Nach 
Aussetzen des Bicarbonats machte sich die Entwässerung, trotzdem das 
Natrium des Bicarbonats zurückgehalten blieb. Das Bicarbonat hat eine 
hydratische Wirkung, indem es sekundär zur Retention von Kochsalz 
führt. 

Hr. Gnisez hat neuerdings einen Fall von Lingengangräu durch 
intrabronchiale Injektionen von Gornenolöl geheilt. E9 handelte sich 
um doppelseitige schwere Gangrän. Die Heilung war trotz ausgedehnter 
Störungen vollständig. Die öligen Heilmittel (Gornenol, Gaiavol) wurden 
in grossen Mengen, bis 20 ccm, eingeführt. Es handelt sich um einen 
Oelverband des Lungengewebes. Bei Hunden durchtränken solche In¬ 
jektionen sofort das ganze Lungengewebe. 

HHr. Caryilos und Perakiski haben in Saloni vier Fälle von 
Recarrensfieber beobachtet. Ein Fall heilte mit Salvarsan sofort. 


42. Versammlung der Deutschen Gesellschaft 
für Chirurgie zu Berlin. 

(Berichterstatter: Privatdozent Dr. M. Katzenstein.) 

(Fortsetzung.) 

3. Hauptthema: Hirn- und Rückenmarkschirurgie. 
Referenten: Herr v. Eiselsberg-Wien und Herr Ranzi-Wien* 
Hr. v. Eiselsberg-Wien teilt die Statistik der in seiner Klinik 
unter der Diagnose Hirntumor operierten (162) Fälle mit. Unter 
69 diagnostizierten Grosshirntumoren waren 20 Fälle, in denen blo9s 
aufgeklappt und nichts gefunden wurde — 7 von diesen starben. 40 mal 
wurde der Grosshirntumor exstirpiert, 9 mal kam os zu einem operativen 
Exitus, darunter 5 mal durch Meningitis; in 2 von diesen Fällen war 
drainiert worden, in 3 anderen war die Dura offen geblieben. 9 weitere 
Fälle erlagen in einigen Monaten dem Tumor, einige andere einem 
Recidiv. 3 blieben ungeheilt wegen diffusen Glioms usw. 9 wurden 
geheilt, 6 gebessert. Günstiger war das Ergebnis bei den Hypopbysis- 
tumoren, unter 16 Fällen 4 Todesfälle, 12 Heilungen oder Besserungen, 
unter diesen 3 Fälle von Gystenoperation. Die Meningitis serosa erkennt 
Redner im wesentlichen nur als Symptom, nioht als Krankheit sui 
generis an, unter 3 Fällen blieben 2 ungeheilt. Von den Kleinhirn¬ 
tumoren erlagen 9 nach der ersten Operation; 12 mal wurde nichts ge¬ 
funden, nur 8 mal der Tumor. Im Gegensatz dazu wurde die Dia¬ 
gnose des Acusticusturaors in allen 17 Fällen bestätigt. 2 Patienten 
gingen nach dem ersten Akt zugrunde, 11 hatten Tumoren von mehr 
als Eigrösse, nicht wenigor als 10 von diesen starben. In Zukunft wird 
Redner zur Verhütung des Shocks in solchen Fällen die Geschwulst per 
morcellement entfernen, ohne bei diesen relativ benignen Tumoren eine 
Dissemination oder ein Zurücklassen von Tumorresten allzu sehr zu 
fürchten, ln einem Fall von beiderseitigem Acusticustumor, wo Blind- 
und Taubheit bereits absolut waren, aber kein Kopfschmerz bestand, 
wurde der Eingriff abgelehnt. 2 Fälle von Ventrikeldrainage gingen zu¬ 
grunde. Da um das Drainrohr in einem Fall sich entzündliche Ver¬ 
änderungen etabliert hatten, wird Vortr. in Zukunft den Balkenstich 
vorziehen. Epikritisch bemerkt er zu 3 Fällen von diffuser Gliomatose, 
in welchen der Tumor nicht gefunden wurde, dass bei der Operation 
ein erfahrener pathologischer Histologe zur Untersuchung von Probe¬ 
exzisionen zugezogen werden sollte. Ferner hat er einige Male die An¬ 
wesenheit von Cysten verkannt, weil er ihren Inhalt für Liquor hielt. 
Zur Vorbereitung für die Operation gibt Vortragender zwecks Begünstigung 
der Blutgerinnung Calcium lacticum und als Desinfizienz für den Liquor 
Urotropin. Der erste Akt der Operation wird unter Novocain-Adrenalin 
ausgeführt. Er bespricht die Einzelheiten seiner Technik. Häufig hat 
er die Duraplastik mittels Fascia lata ausgeführt, 14 Fälle, von denen 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


mir 2 starben. Dies Verfahren erscheint berufen, die Gefahr der In¬ 
fektion zu verringern. 17 mal sah er Meningitis, darunter 4 mal bei 
Hypophysistumoren, die nach Schloff er auf nasalem Wege exstirpiert 
waren. Krause-Berlin hat bei doppelt so grossem Material keine In¬ 
fektion gesehen. 

Ausser dem Zufall sind für diesen Unterschied vielleicht verant¬ 
wortlich zu machen Quetschungen, Tamponaden, Drainagen und der 
Zustand der Patienten — unter den Privatfällen kam Meningitis nicht 
vor. Wahrscheinlich wurde auch zu selten der Verband gewechselt. 
An Shock und Atemlähmung starben 29 Kranke; diese Zahl wird sich 
vielleicht verkleinern lassen durch mehrzeitiges Vorgehen,- sorgfältigere 
Blutstillung und Morcellement. Wichtiger als alles dies wird indessen 
die Frühdiagnose bleiben. Wenn auch die Resultate der Hirntumor¬ 
operationen weit hinter denen anderer chirurgischer Eingriffe zurück¬ 
stehen, so ist doch der Zustand der von Kopfschmerzen gequälten, der 
Blindheit entgegengehenden Kranken ein so trauriger, dass der Eingriff 
mit all seinen Gefahren vollauf gerechtfertigt erscheint. 

Hr. Ranzi-Wien gibt eine Statistik der Rückenmarksoperationen 
von der gleichen Klinik. Von 5 extramedullären Tumoren wurden 3 
geheilt, 1 gebessert, 1 starb. 2 intramedulläre Tumoren kamen zur 
Heilung. Schlecht ist die Prognose bei Wirbeltumoren. Bei Carcinom 
aussichtslos. 5 Fälle mit 3 Todesfällen, 2 Besserungen. Der angenommene 
Tumor wurde in 5 Fällen nicht gefunden, 2 mal bestand eine Meningitis 
serosa circumscripta, 3 mal wurde die Dekompression vorgenommen, in 
1 Fall mit bleibendem, in 2 mit vorübergehendem, in 3 ohne Erfolg. 
Unter 5 Fällen von Fraktur der Wirbelsäule wurde 3 mal die neuerdings 
empfohlene frühzeitige Operation ausgeführt mit wenig befriedigendem 
Ergebnis. Erfolglos war die Operation in 2 Fällen von Spondylitis. Wegen 
Spasmus wurden 16 Operationen bei 15 Patienten vorgenommen. Bei 
Spasmus der unteren Extremität 4 Erfolge unter 6 Fällen, weniger 
günstig bei Spasmus der oberen Extremität, bei Athetose kein Resultat. 
Ebensowenig Erfolg hatte die Foerster’sche Operation in 1 Fall von 
gastrischen Krisen, in dem auch schon die doppelte Vagotomie vergeb¬ 
lich ausgeführt worden war. Im ganzen kamen auf 40 Fälle 13 Todes¬ 
fälle, 5 operativ, 2 durch Meningitis, diese bedingt durch Incontinentia 
urinae. Die Heilungen und Besserungen zeigen sich erst nach langer 
Zeit und entwickeln sich allmählich. Operiert wurde einzeitig unter 
Ailgemeinnarkose. Die Dura soll vorsichtig in kleinstem Umfange er¬ 
öffnet werden, um ein plötzliches Abstürzen des intramedullären Drucks 
zu verhüten. Aus dem gleichen Grunde operiert man in Beckenhoch¬ 
lagerung. Die extradurale Wurzeldurchschneidung nach Guleke stellt 
gegenüber dem ursprünglichen Förster’schen Verfahren eine technische 
Erschwerung, jedoch einen entschiedenen Fortschritt dar. Die Chancen 
der Rückenmarksoperationen sind besser als bei Hirnoperationen. 
4 Fälle sind seit Jahren (2—5 1 /») dauernd geheilt. 

Hr. Gold mann-Freiburg: Experimentelle Untersuchungen 
über die Funktion der Plex. chorioid. und der Hirnhäute. 

Angeregt duroh die Erfahrungen, die G. mit seiner Methode der 
Vitalfärbung an der Placenta gesammelt, hat er analoge Versuche für 
das Centralnervensystem unternommen. Hierbei hat er feststellen 
können, dass bei Tieren, bei denen die vitale Färbung durch mehrfache 
Farbstoffinjektionen in die Höhe getrieben worden ist, die Cerebrospinal¬ 
flüssigkeit ähnlich dem Fruchtwasser ungefärbt bleibt, trotzdem alle 
sonstigen Körperflüssigkeiten, wie Harn, Galle, Milch, ja selbst das 
Kammerwasser gefärbt sind. Desgleichen hat er Färbungen am Central¬ 
nervensystem, wie am Fötus vermisst, wenngleich alle sonstigen Organe 
des betreffenden Tieres in stärkerem oder geringerem Grade tingiert 
waren. Nur in einer einzigen Stelle des Centralnervensystems wird der 
Farbstoff nach subcutaner oder intravenöser Injektion gespeichert, und 
zwar in der Epithelzelle der Plexus choroidei. Dabei kommt es zu einer 
vitalen Färbung der für die Plexuszelle so charakteristischen Proto¬ 
plasmagranula. Einen Uebertritt gefärbter Granula in die Cerebrospinal¬ 
flüssigkeit hat G. nie beobachtet. Von dieser Tatsache ausgehend, hat 
er es unternommen, zwei Fragen genauer zu prüfen: 

1. Ob dem Plexusepithel eine sekretorische Fähigkeit zukommt. 

2. Ob die Plexus chorioidei, wie die Placenta den Fötus, als eine 
physiologische Ganzmembran das Centralnervensystem vor einem Ueber¬ 
tritt des Farbstoffes schützen. 

Bezüglich des ersten Punktes haben ihm Untersuchungen am fötalen 
Nervensystem eindeutige Resultate für das Sekretionsvermögen der Plexus¬ 
zellen gegeben. Wiederum ist die Plexuszelle die einzige des Central¬ 
nervensystems, die Glykogen im fötalen Leben intracellulär beherbergt. 
Sie sezerniert das Glykogen in Form von Kugeln und Tropfen in die 
Ventrikelflüssigkeit. Von hier aus wird das Glykogen in die intra- 
arachnoidealen Räume bzw. in das Centralnervensystem geschwemmt, 
wo es an Stellen lebhafter Zellentätigkeit in grösseren Depots‘abge- 
lagert wird. 

Zur Prüfung der Frage nach der Funktion der Plexus im Sinne 
einer „Ganzmembran“ hat G. zunächst die pharmakodynamische Wirkung 
seiner Farben geprüft, je nachdem sie von der Blutbahn oder dem 
Lumbalsack dem Nervensystem zugeführt werden. Hierbei ergab sich 
folgendes: * ! 

Ein Kaninchen verträgt eine wiederholte intravenöse Injektion von 
50 pCt. einer 1 proz. Trypanblaulösung, ohne dass irgendwelche nervösen 
Symptome ausgelöst werden. Wird jedoch l / 2 ccm einer i J i proz. Lösung 
dem Tiere durch Lumbalpunktion eingefübrt, so geht es unter den Er¬ 
scheinungen schwere^ Konvulsionen, im tiefen Coma, in 2—3 Stunden 
post injectionem zugrunde. Die Ursache dieses stürmischen Verlaufes 


ist durch makroskopische und insbesondere mikroskopische Untersuchung 
des Centralnervensystems leicht festzustellen. Vom Lumbalsack aus 
verbreitet sich die Farbstofflösung, ganz unabhängig von ihrer Kon¬ 
zentration, rasch über den ganzen Bereich des Rückenmarks, der Medulla 
oblongata, des Hirnstammes und der cerebralen Nerven bis zur Sclera 
einerseits, zur Regio olfactoria andererseits. Mikroskopisch findet man 
z. B. am Rückenmark neben Imbibitionserscheinungen an den Pialsepten 
und Glianetzen vitale Ganglienzellenfärbungen, wobei neben diffusen 
Protoplasmafärbungen Kernfärbungen bemerkbar werden. Das letztere 
deutet bekanntlich auf einen Zelltod hin. Demgemäss veranlasst die 
Lumbalinjektion einer Farbstofflösung, die in hundertfacher 
Menge bei intravenöser Applikation anstandslos vertragen wird, 
binnen kurzer Zeit eine diffuse Zerstörung von Ganglienzellen und da¬ 
mit den Tod des Versuchstieres. Die Wege, die von dem intra- 
arachnoidealen Raum zu den Ganglienzellen führen, hat G. durch Modi¬ 
fikation seiner experimentellen Methodik sicher nachweisen können. Dabei 
zeigten sich echte vitale Färbungen von Zellen, die den Reticulumzellen 
der Lymphdrüsen gleichen, an den Wänden der die Gehirn- und Rücken- 
marksgefässe umsoheidenden perivasculären Räume. Es führten also 
gleichsam gefärbte Zellstrassen vom Grunde der Pialtricbter zu den die 
Ganglienzellen umgebenden freien Räumen. Auch über die Strömungs¬ 
verhältnisse und Abflusswege der Cerebrospinalflüssigkeit hat G. mit 
seiner vitalen Färbung neue Beiträge geliefert. Er hat mit Sicherheit 
nachweisen können, dass die Cerebrospinalflüssigkeit zum Teil in die 
tiefen prävertebralen Lymphgefasse abströmt, in deren Verlauf gefärbte 
Lymphdrüsen sich nachweisen lassen. 

Zum Verständnis der pathologischen Veränderungen der Cerebro¬ 
spinalflüssigkeit ist nach G.’s Ansicht die Kenntnis des normalen Auf¬ 
baues der Meningen unerlässlich. Er hat nun festgestellt, dass die 
Meningen, insbesondere die Leptomeninx, sich, was ihre Zellenbewohner 
anbetrifft, genau wie das Peritoneum bzw. das Netz verhält. Neben 
eosinophilen Leukocyten, an denen G. stets Oxydasefermente entdeckte, 
finden sich in der Leptomeninx vereinzelt und in Zellhaufen seine 
„Pyrrbolzellen“, deren Granuloplasma vitale Farben anzieht. Diese 
Zellen sind chemotaktisch ausserordentlich reizbar, äusserst locomotions- 
fähig und in hohem Maasse phagocytär. Bei zahlreichen Versuchen, die 
G. am Gehirn vorgenommen (artificielle Blutungen, Entzündungsherde, 
Wunden usw.) hat er ausser massenhafter Vermehrung der Pyrrholzellen 
in den Meningen selbst dieselben frei in der Cerebrospinalflüssigkeit 
und insbesondere an der Stelle der Gehirnläsion angetroffen. G. steht 
nicht an, seine „Pyrrholzellen“ für identisch mit der bekannten „Körnchen¬ 
zeile“ des Centralnervensystems zu erklären. Ihre Brutstätte sind die 
Meningen. Genau die gleichen Zellen finden sich in den Spinalganglien 
und den peripheren Nerven, ein neuer Beweis für die Kontinuität der 
Hüllen des Central- und peripheren Nervensystems. 

Goldmann ’s ausführliche Arbeit wird demnächst in den Abhand¬ 
lungen der Preussischen Akademie der Wissenschaften erscheinen. 

Hr. Küttner-Breslau: In den letzten b l l 2 Jahren wurden 
92 Operationen ausgeführt. 42 mal blieb es bei einer Entlastungs¬ 
trepanation wegen Unzulänglichkeit der Diagnose oder Ausbreitung des 
Prozesses. Bei rechtzeitiger Operation sind die Resultate besser, daher 
55 pCt. Dauerresultate bei den Privatpatienten. Die diagnostischen 
Schwierigkeiten werden durch folgende Fälle illustriert: in einem Fall 
gingen die Tumorsymptome spontan zurück,, so dass die Operation ab¬ 
gelehnt wurde. Als die Patientien mit neuen Symptomen wieder kam, 
war es bereits zu spät zur Operation, zwei andere Patienten, die 
zur Operation bereits vorgesehen waren, wurden ohne solche bleibend ge¬ 
sund. Es gibt auch Herderscheinungen ohne raumengende Prozesse. So 
fand er in einem Fall von Bonhoefer nur einen arteriosklerotischen Er¬ 
weichungsherd. Umgekehrt ergab die histologische Prüfung eines wegen 
posttraumatischer Krämpfe entfernten Facialiscentrums eine Gliomatose. 
Bei der daraufhin vorgenommenen zweiten Operation fand sich in der 
Nachbarschaft ein inoperables Gliom, das keine Erscheinungen gemacht 
hatte. Uebedeuteud sind die Erscheinungen häufig, selbst wenn der 
Tumor gross ist und in der Nähe der Centralwindung sitzt, so lange er 
subcortical ist. Bei einem faustgrossen Tumor dieser Art war Stauungs¬ 
papille erst am Tag vor der Operation aufgetreten. Besonders bei Glia- 
tumoren kommt es zum Prolaps mit Parese. Allerdings könnte man 
durch Duraplastiken diesem Vorbeugen, jedoch nicht ohne dem Zweck 
der Dekompression untreu zu werden. Die dekompressive Trepanation 
versagte öfters, wenn sie mangels einer exakteren Lokaldiagnose 
fern von dem Herd angelegt wurde. Da es bei einmal ausgebildeter 
Stauungspapille nicht statthaft ist, im Interesse einer genaueren Lokali¬ 
sation zuzuwarten, so wären zwei Trepanationsöffnungen, entsprechend 
der vorderen oder hinteren Schädelgrube anzulegen. Vom Balkenstich 
hat er wenig gesehen, im Gegenteil, gelegentlich einer Sektion die 
Oeffnung nach 7 Wochen zugeheilt gefunden. Ebenso verwirft er die 
Lumbalpunktion. Die diagnostische Hirnpunktion ist wertvoll, ihre ver¬ 
meintlichen Gefahren sind illusorisch: einmal zeigte die Sektion, dass 
der Sinus transversus durchstochen war, ohne dass etwa eine Blutung 
eingetreten wäre, in einem anderen Fall war der Kanal der Meningca 
media durchsetzt, aber die Arterie war ausgeglitten. Er operiert zwei¬ 
zeitig unter Lokalanästhesie, die Dura vernäht er nicht, ebensowenig 
über der hinteren Schädelgrube den Knochenlappen, ln 30,5 pCt. der 
Fälle wurde der Tumor entfernt; in 32 pCt. fand er sich bei der Autopsie. 
In 15 pCt.’handelte es sich um Hydrocephalus und dergleichen. Von 
den Kranken erlagen 30,5^>Ct. der Operation oder ihren unmittelbaren 
Folgen. Die Zahl der noch Lebenden ist genau ebenso gross. Zehn 


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21. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


76Ö 


Patienten sind yoll arbeitsfähig. Davon hatten 6 einen Hydrocephalus 
internus, 4 hatten Tumoren. Im Ioteresse des Sehvermögens muss bei 
Stauungspapille, soweit dieselbe nicht sicher auf syphilitischen Prozessen 
beruht, stets die Dekompression ausgeführt werden. Nur viermal kam 
es zur Opticusatrophie, dem stehen gegenüber 20 Fälle von dauernder 
und 5 von vorübergehender Besserung des Visus. Die Prognose ist bei 
den unter der Diagnose „Hirntumor“ operierten Patienten nicht ganz 
schlecht, allerdings grossen Teils dank den Fällen, bei welchen sich die 
Diagnose als irrig herausstellt. 

Hr. H. Oppenheim - Berlin: Der zunehmenden Häufigkeit des 
operativen Eingriffs sowie der Hand in Hand damit gehenden Verfeine¬ 
rung der Diagnostik entspricht durchaus keine Verbesserung der operativen 
Resultate. Im Gegenteil, diese haben sich seit 1896 verschlechtert, und 
der Prozentsatz der Dauerheilungen ist z. Zt. nur 8 pCt. Diese Ver¬ 
änderungen im ungünstigen Sinn beruht nicht auf Zufälligkeiten oder 
persönlichen Gründen, vielmehr auf einer Ausdehnung der Indikationen 
und auf dem zunehmenden Drängen der Patienten. Indessen haben wir 
in der Zwischenzeit eine Mannigfaltigkeit an Krankheitsbildern kennen 
gelernt, die als Tumor imponieren können, ohne es zu sein: Pseudo¬ 
tumoren, die wir als kongenitale ansprechen müssen, die jahrelang be¬ 
stehen, ohne Symptome zu machen und, nachdem sie solche bewirkt 
haben, ohne Operation auf Jahrzehnte symptomlos werden können, ein 
Ergebnis, das durch Operation bisher noch niemals erreicht wurde. 
Im Gegensatz zu Horsley empfiehlt Redner daher eine Einschränkung 
der operativen Indikationen. 

Hr. Schloffer-Prag: Zur Behandlung der Sehstörungen 
beim Turmsohädel (Kanaloperation). 

Sch. hat in zwei Fällen von Sehstörung beim Turmschädel nach 
Lüften des Stirnhirns samt der Dura das Dach des knöchernen Canalis 
opticus entfernt. Die Operation wurde an zwei Knaben, und zwar bei 
beiden am schlechteren Auge vorgenommen. Veranlassung zu diesen 
Eingriffen gab die von Sch. mehrmals beobachtete Erfolglosigkeit der 
druckentlastenden Operation (einmal Balkenstich, zweimal Dekompressiv- 
trepanation), ferner die in der Literatur immer wiederkehrenden An¬ 
gaben über Kompression des Opticus im Canalis opticus oder hinter 
diesem als Ursache der Sehstörung bei synostotischem Schädel. 

Das Ergebnis der „Kanaloperation“ war zunächst unveränderter 
Visus und Spiegelbefund [von ophthalmologischer Seite (Elschnig) unter¬ 
sucht]. In einem der drei Fälle war drei Wochen nach der Operation 
an dem bis dahin amaurotischen Auge Lichtempfindung vorhanden, nach¬ 
dem zuvor die Dekompressivtrepanation an diesem Auge wohl zu einer 
Wiederkehr der Pupillenreaktion geführt, aber in den letzten vier Monaten 
vor der Kanaloperation den Zustand nicht weiter geändert hatte. 

Sch. zieht aus seinen bisherigen Erfahrungen nur den Schluss, dass 
man, wenn Balkenstich und Dekompressivtrepanation erfolglos geblieben 
wären, einen Versuch mit der Kanaloperation machen dürfe, während 
bisher diese Gegend als unangreifbar gegolten hatte, offenbar wegen der 
befürchteten Verletzung des Nervus opticus. 

Ueber die Aussichten der Kanaloperation, über ihre Indikationen, 
den Zeitpunkt des Eingriffs müssen erst weitere Erfahrungen entscheiden. 
Es wird in dieser Hinsicht sehr darauf ankommen, ob die neueren 
Theorien in bezug auf Einklemmung des Nerven im Foramen opticum 
(Behr) zu Recht bestehen. Nach Sch.’s Untersuchungen an skelettierten 
Schädeln ist dies wahrscheinlich. 

Hr. Sauerbruch-Zürich: Ueber das Zustandekommen der 
Epilepsie. 

In einer ersten Versuchsreihe untersuchte er die Bedingungen, unter 
denen es zur traumatischen Rindenepilepsie kommt. Bei Affen wurde 
auf verschiedene Weise die motorische Rindenregion geschädigt. Längere 
Zeit nach diesem Eingriff verabreichte man ihnen Cocain und konnte 
nun feststellen, dass die Schädigung der Hirncentren eine gesteigerte 
Erregbarkeit derselben hervorgerufen hatte. Kleine Dosen Cocain* die 
bei einem Kontrollier keinen Anfall auslösen, rufen hier eine Attake 
hervor. Werden diese Cocainkrämpfe in Intervallen längere Zeit wieder¬ 
holt, so können schliesslich bei den Tieren auch spontane Krämpfe ent¬ 
stehen. Bei solchen Tieren genügen schon sehr kleine Anlässe, um 
einen Anfall auszulösen. 

In einer zweiten Versuchsreihe konnte gezeigt werden, dass ana¬ 
tomische Schädigungen der Rinde keineswegs notwendig sind, um eine 
gesteigerte Erregbarkeit mit Neigung zu Anfällen hervorzurufen. Wenn 
bei einem Affen eine Vorder- oder Hinterpfote zwei Stunden durch 
passive Beuge- und Streckbewegungen ermüdet wird, so wird dadurch 
eine gesteigerte Erregbarkeit des korrespondierenden motorischen Centrums 
hervorgerufen. Es genügen kleinere Cocaindosen als in der Norm, um 
Krämpfe hervorzurufen, und bei längerer Fortdauer der Cocainverab¬ 
reichang kann es gelingen, die Tiere epileptisch zu machen. 

Das Hauptergebnis dieser Versuche ist der Nachweis, dass zwei 
Faktoren zur Auslösung der epileptiformen Anfälle und der später sich 
daraus entwickelnden Krankheit notwendig sind. Im Anschluss daran 
bespricht S. die Therapie und weist darauf hin, dass nur bei groben 
anatomischen Veränderungen in der motorischen Rindenregion die 
chirurgische Behandlung gute Resultate gezeitigt. In den anderen 
Fällen, besonders^ bei der sogenannten genuinen Epilepsie, kommt es 
mehr darauf an, die Erregbarkeit der Hirnrinde herabzusetzen. Hier 
scheint die von Trendelen bürg in die experimentelle Physiologie 
eingeführte reizlose Ausschaltung durch Kälteeinwirkung ein Verfahren zu 
sein, das in Zukunft auch bei der Behandlung der menschlichen Epilepsie 
in Anwendung kommen kann. 


Hr. J. J. Muskens - Amsterdam; Traumatische Epilepsie mit 
Schädelläsion. 

Vortr. legt Nachdruck auf die Seltenheit dieser Form von Epilepsie. 
Unter 1200 Nichtepileptikern, innerhalb 10 Jahren untersucht, fanden 
sich nur vier. Zwei Fälle wurden vor drei Jahren operiert und blieben 
seither recidivfrei. Die eine Kranke hatte in früher Jugend sich eine 
Schädelfraktur in der Parietalgegend zugezogen; im Jahre 1902 traten 
unlaterale Anfälle auf. Sie wurde anderweitig operiert (Wagner-Lappen), 
worauf die vorhanden gewesene Lähmung zurückging, die Anfälle blieben 
aber und verallgemeinerten sich. Im Anfang 1910 fanden sich in der 
Mitte des Wagoerlappens zwei kleine Sequester in einem lacerierten 
Defekte der Dura, nach deren Fortnahme die Anfälle bestehen blieben. Sie 
verschwanden erst nach Freilegung der Cortex und nach Aufsuchen und 
Ausscheiden des Centrums, von wo aus, (nach Winkler) genau der früher 
beobachtete Anfall hervorgerufen wurde. Im vierten Falle hatten sich 
12 Jahre nach einem Bruch im Frontalknochen schwere Kopfschmerzen 
und noch später epileptische Anfälle Jackson’schen Charakters ent¬ 
wickelt. Es fand sich bei der Operation unter der Dura ein Venen¬ 
geflecht, nach dessen Wegnahme Heilung (bis jetzt, nach drei Jahren) 
eintrat. 

Der ursprüngliche Rat Horsley’s, dass man erst die erkrankte 
Schädelstelle entfernt und später, wenn diese Maassnahme sich als un¬ 
genügend erweist, die Dura breit, wegen der so oft festgestellten Dis- 
cordanz zwischen Läsionsstelle und dem entladenden Centrum, eröffnet, 
ist immer noch wohl der beste. Das Aufsuchen geschieht auf elektrischem 
Wege, und zwar nur auf diesem, und zwar muss dessen Reizung stereotyp 
die beobachteten Anfälle hervorrufen, worauf man das Centrum excidiert. 
Die Indikation und Prognosis ist in hohem Grade von den Verhältnissen 
abhängig; nur als maassgebend können die Fälle betrachtet werden, in 
welchen sowohl die Beobachtung (spezielles Spital für nicht demente 
Epileptischen) als die Nachbehandlung sowie auch der chirurgische Ein¬ 
griff unter den der Zeit nach verfeinerten Umständen stattfindet. 

Hr. Ritter-Posen: Ueber Verminderung des Blutgehaltes 
bei Schädeloperationen. 

Das in drei Fällen angewendete Verfahren besteht in der tempo¬ 
rären Abklemmung der Carotiden. Arterielle Blutungen kommen nicht 
zustande, venöse versiegen nach kurzer Zeit; die Patienten sind be¬ 
wusstlos und bedürfen keiner Narkose. 

Hr. Hildebrand-Berlin fand bei 50 mit der Diagnose Kleinhirn¬ 
tumor ausgeführten Operationen die operativen Chancen besser als bei 
seinen 80 Grosshirntumoren. Bei der geringeren funktionellen Wichtig¬ 
keit des Kleinhirns kann man dort nach allgemein chirurgischen Prin¬ 
zipien im Gesunden operieren, am Grosshirn geben eigentlich bloss die 
von den Hirnhäuten aus hereingewachsenen Geschwülste (Endotheliome) 
eine leidliche Prognose. Am günstigsten ist die Operationsprognose bei 
den Rückenmarkstumoren, welche meistens ebenfalls von den Häuten 
ausgehen und nur geringe Tendenz haben, in die Medulla hineinzu- 
wuchern. Er stellt fünf dauernd (d. h. mehr als drei Jahre) ge¬ 
heilte Patienten vor, die sämtlich schwere Ausfallserscheinungen gehabt 
hatten. 

Hr. Küttner-Breslau: Demonstration eines Falles von angeborenem 
Turmsohädel. 

Hr. F. Krause-Berlin: Die Operationsprognose bei den Grosshirn¬ 
tumoren hat sich bei der erheblichen Zunahme der Operationen etwas 
verschlechtert, doch bleibt die Operation indiziert, sobald Verdacht auf 
Tumor besteht. Von den Tumoren der hinteren Sohädelgrube geben 
solche, der Kleinhirnsubstanz — und selbst solche des Daches des 
4. Ventrikels — eine leidliche Prognose. Recht schlecht waren seine 
Dauerresultate bei Acustioustumoren: unter 40 Fällen nur vier gute 
Erfolge. Stets waren die Tumoren gross, hatten Pons und Oblongata 
komprimiert, so dass nach ihrer Entfernung häufig das Atemcentrum 
gelähmt wurde. Es wäre nötig, diese Fälle in einem früheren Stadium 
zur Operation zu bekommen, zumal die Diagnose im allgemeinen leicht 
ist. Hypophysistumoren hat K. nach allen beschriebenen Methoden 
operiert, auch einmal nach derjenigen von Hirsch. 

Diese erfordert eine spezialistisch rhinologische Vorbildung, liegt 
dem Chirurgen wenig, hat indessen vor derjenigen Schloffer’s den 
Vorzug, dass sie keine entstellenden Narben hinterlässt und nicht zu 
Ozaena führt. Nach Schloffer bat er 7 mal operiert, konnte jedoch 
nur ein einziges Mal den ganzen Tumor exstirpieren. Er kommt daher 
auf seine Operation von der Stirn aus zurück. Eine auf diese Weise 
vor 4 V 2 Jahren wegen eines über pflaumen grossen Tumors operierte 
Patientin hat alle akromegalisohen Symptome verloren, und die Menses 
sind wiedergekehrt. Diese radikale Methode muss jedesmal angewendet 
werden bei Verdacht eines Uebergreifens des Hypophysistumors auf das 
Stirnhirn, überhaupt auf die benachbarten Hirnteile. 

Auf Grund mehrerer Dauerbeilungen hält er daran fest, dass die 
Meningitis serosa des Rückenmarks eine eigene Krankheit ist, mehrere 
Fälle sind seit 5 Jahren geheilt. Auch für die gleiche viel seltenere 
Krankheit des Gehirns verfügt er über zwei Dauerheilungen. Die In¬ 
zision in der hinteren Kommissur des Rückenmarks — genau in der 
Mittellinie — wird ohne bleibenden Sohaden vertragen. K. bat sie bei 
Rückenmarksoperationen mehrmals ausgeführt, um einen intramedullären 
Erkrankungsherd aufzusuchen. 

Hr. Stieda-Halle: Exstirpation eines 125 g schweren Hirn¬ 
tumors bei einem zehnjährigen Kinde d,urch v. Bramann. 
Krankenvorstellung. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


Hr. Zander-Halle demonstriert zwei durch Laminektomie von 
Spondylitis tuberculosa nebst Rückenmarkskompression geheilte Kinder. 

Hr. Schloffer-Prag demonstriert ein Gehirn mit einem mächtigen 
Gliom der linken Grosshirnhemisphäre, an welchem die ungünstigen Be¬ 
dingungen für die Ausführung des Balkenstiohes bei mächtigen Gross¬ 
hirntumoren besonders deutlich zum Ausdruck kommen. Schon bei 
Ausführung des Balkenstiches (links) war es aufgefallen, dass die Kanüle 
eine schiefe Lage annahm, dass wenig und sehr bald blutig tingierter 
Liquor abfloss. Der Kranke starb nach der Palliativtrepanation, und 
es zeigte sich, dass der Tumor, der vom Gyrus hippocampi (links) seinen 
Ausgang genommen hatte, den Seitenventrikel weitgehend erfüllte. Kein 
Hydrooephalus der Seitenventrikel. Der Balkenstich war gelungen, aber 
die Oeffnung durch den Plexus chorioideus verlegt. 

Hr. Cr eile-Göttingen: Operation einer Kleinhirncyste, welche sich 
nach Fall auf die Stirn ausgebildet hatte. Subcutane Drainage. 

Hr. y. Saar-Wien: Zwei Fälle von tumorartiger, epiduraler Granu¬ 
lationswucherung tuberkulösen Ursprungs. 

Hr. Becker-Coblenz empfiehlt an der Hand einer Kranken¬ 
geschichte statt der Sondierung des Rückenmarks Punktion mit einer 
feinen Spritze. 

Hr. Borchardt-Berlin: Sinus pericranii. 

Zu den Erkrankungen des Gehirns, welche Erscheinungen von Hirn¬ 
tumor hervorrufen, kann ausnahmsweise der Sinus pericranii gehören. 
Sieht man von den traumatischen Formen ab, so handelt es sich meist 
um circumscripte Varicen und Angiome, die mit einem Sinus in Ver¬ 
bindung stehen und nur lokale Erscheinungen machen. Gelegentlich 
aber treten die schwersten Hirnerscheinungen auf, bedingt durch eine 
mehr oder weniger diffuse Beteiligung der Schädel- bzw. Hirngefässe. 

B. fand bei einer 26 jährigen Frau neben einem pulsierenden 
Cavernom am Hinterhaupt, an der Grenze von Sagittal- und Parietal¬ 
naht doppelseitige Stauungspapille, die er auf gleichzeitige Cavernom- 
bildung an einer anderen Stelle des Gehirns bezog. Das Röntgeno¬ 
gramm des Schädels zeigte erweiterte Knochenkanüle, die auch als kon¬ 
genital aufgefasst wurde. Die vorgeschlagene Operation wurde abgelehnt. 
Nach einigen Wochen schneller Verfall der Kranken unter heftigsten 
Kopfschmerzen, Halbseiten- und Schlucklähmung und Exitus letalis. 

Die Sektion zeigte das Cavernom am Sinus sagittalis mit dem 
Cavernom der Kopfsohwarte in Verbindung, Erweichung fast sämtlicher 
Sinus, Erweichung, Schlängelung und streckenweise Varicenbildung der 
Venae meningeae. Erweichung und Vertiefung der den Gefässen ent¬ 
sprechenden Knochenkanäle, an mehreren Stellen Perforationen der 
Schädelknochen, also eine mehr oder weniger diffuse Beteiligung des 
ganzen Venensystems, die stellenweise zu einfacher Erweichung, stellen¬ 
weise zur Erweichung, Schlängelung, Varicen- und Cavernombildung 
geführt hatte, eine Erkrankung, die man als Phlebectasia progressiva 
cranii et cerebri zu nennen berechtigt ist, zumal die Arterien alle 
normal waren. 

Die Therapie müsste in solchen Fällen in der Exstirpation der 
eventuell vorhandenen Gefässgeschwulst und dekompressiver Trepanation 
bestehen. 

Bezüglich der Operation der Acusticustumoren empfiehlt B. wie 
v. Eiseisberg möglichst schonendes Vorgehen und den weiteren Aus¬ 
bau der von ihm zuerst vorgeschlagenen Methode durch die Felsenbein¬ 
pyramide hindurch. Zur Bekämpfung der häufig deletären Atem- 
störungen empfiehlt er ausgiebigste Anwendung der künstlichen Atmung, 
eventuell der Tracheotomie. Er warnt vor Einführung der Melzer’schen 
Intubation in Fällen, wo die Trachea schon voll Schleim ist. 

Die Tubage wäre als Prophylacticum statt der gewöhnlichen Nar¬ 
kose zu empfehlen, um das Auftreten der Atemstörungen zu verhindern. 
Er selbst operierte allerdings meist in Lokalanästhesie. 

Hr. Mertens-Zabrze hat einen Fall von Acustioustumor mit Erfolg 
exstirpiert. 

Hr. Franke-Braunschweig erinnert an die Möglichkeit nichtopera¬ 
tiver Heilung gewisser Hirnerkrankungen. Er hat mit intravenöser 
Sublimatinjektion einen Fall von Hirngummi, sowie eine Erkrankung an 
akut epileptischen Anfällen geheilt. 

Hr. Meisei -Konstanz hat einen Fall von Epilepsie durch Einwirkung 
einer Cocain-Adrenalinlösung auf die Dura des freigelegten Gehirns 
geheilt. 

Hr. Spechtenhauer-Wels demonstriert Instrumente, die rasche 
Ausführung der Trepanation ermöglichen. 

Hr. v. Eiselsberg-Wien bemerkt in seinem Schlusswort, dass er 
das Vorhandensein der Meningitis serosa als Ursache schwerer Störungen 
leugne, dass diese Erkrankung zu häufig diagnostiziert werde. Bei 
der Operation der Hypophysistumoren scheint die radikale Entfernung 
der Geschwulst nicht unbedingt erforderlich, wie mehrfache Beobachtungen 
ergeben haben. 

Hr. Kümmell-Hamburg: Das spätere Schicksal der Nephrek- 
tomierten. 

Mitteilung der Späterfolge seines eigenen unter einheitlichen Ge¬ 
sichtspunkten behandelten Krankenmaterials. Im ganzen wurden 
782 Nierenoperationen ausgeführt; davon 70 Nephropexien, 51 Decapsu- 
lationen, 7 Resektionen, 238 Nephrotomien, 386 Nephrektomien und 
etwa 30 andere Operationen. 

Die Tuberkulose der Nieren bildet gerade in bezug auf das end¬ 
gültige Schicksal der Operierten ein sehr interessantes Gebiet. Bei 
150 wegen Nierentuberkulose Operierten lagen fünf doppelseitige Er¬ 


krankungen vor, infolgedessen nur die Nephrotomie ausgeführt werden 
konnte. 

Von den 145 Nephrektomierten starben 30 innerhalb der ersten 
6 Monate nach der Operation. Von den überlebenden 115 starb ein 
Fall nach einem Jahr, einer nach 1 , / 2 Jahren, vier nach 2 Jahren, 
einer nach 3 und sieben nach 4—5 Jahren, meist an Tuberkulose der 
anderen Niere oder allgemeiner Tuberkulose. Eine Dauerbeilung von 
2—25 Jahren weisen 75—80 pCt. der Operierten auf. Die wegen einer 
Geschwulst Nephrektomierten geben bezüglich der Dauerheilung keine 
so günstigen Resultate. Die Prognose ist eine günstigere, wenn die 
Kapsel noch nicht durchbrochen ist. Wegen bösartiger Geschwülste 
wurden 58 Patienten operiert, es starben im Laufe der ersten 6 Monate 

19, von den 39 Testierenden wurden vier nicht eruiert. 2 und 
3 Jahre nach der Operation waren noch zehn ohne Recidiv; zwölf Pa¬ 
tienten zwischen 4 und 15 Jahren. Sechs Patienten waren noch in Be¬ 
handlung. Es geht demnach ein grosser Teil der Operierten bei fort¬ 
geschrittenem Tumor innerhalb des ersten Jahres an Recidiv zugrunde, 
nach vieijähriger Recidivfreiheiheit kann man von einer Dauerheilung 
sprechen. 

Das spätere Schicksal der wegen Hydronephrose (35 Fälle) und der 
wegen Pyonephrose (118 Fälle) Operierten ist ein gutes, vorausgesetzt, dass 
die andere Niere gesund ist. Dagegen gehen die wegen Nephritis Nephrekto¬ 
mierten einer ungünstigen Zukunft entgegen. Nicht absolut infaust 
ist die Prognose bei den Fällen, bei denen zur Zeit der einen Niere 
auch die andere erkrankt ist. Es bessern sich die Erscheinungen bei 
der leicht erkrankten Niere zuweilen, nachdem das schwer infizierte 
Schwesterorgan entfernt ist. Individuen mit einer Niere sind gegen be¬ 
stimmte Gifte empfindlicher, deshalb ist bei Operationen solcher Patienten 
Aether zu verwenden. Vortr. hat auch die Schwangerschaft bei Ein- 
nierigen studiert und 17 Graviditäten zusammenstellen können. Mit 
Ausnahme eines Falles, bei dem eine Nephritis auftrat, verlief die Ent¬ 
bindung ebenso normal und ungestört wie bei normalen Frauen. Kon¬ 
genitale Defekte einer Niere sowie Hufeisennieren hat Vortr. sechs bzw. 
vier beobachtet. Wird, wie Vortr. beobachtete, bei einem solchen 
Menschen die einzige Niere durch ein Trauma schwer zertrümmert oder 
durch Stein u. dgl. obturiert, so ist die Prognose sehr ungünstig. 

Wenn auch Patienten mit einer Niere als militäruntauglich gelten, 
so hat Vortr. eine Erfahrung von der grossen Leistungsfähigkeit eines 
Offiziers, dem eine Niere entfernt war, beobachten können. Er ist auch 
dafür, Frauen mit einer Niere die Heiratserlaubnis zu geben oder Indi¬ 
viduen die Aufnahme in eine Lebensversicherung nioht zu verweigern, 
wenn vier Jahre seit der Operation vergangen sind. 

Hr. Baetzner - Berlin teilt die Erfahrungen aus der Bier’schen 
Klinik mit. Von 100 Nephrektomierten leben zurzeit 60. Die un¬ 
günstigsten Verhältnisse zeigen die Tumoren; alle 18 beobachteten Fälle 
sind an lokalem Recidiv oder an Metastasen gestorben. Sehr günstige 
Resultate ergeben dagegen alle übrigen Fälle. Nicht nur die wegen 
Hydronephrose und Pyonephrose, sondern auch die wegen Tuberkulose 
Nephrektomierten. Von 27 wegen Tuberkulose Nephrektomierten leben 

20, davon sind 14 vollkommen gesund und arbeitsfähig. Sechs haben 
Blasenbeschwerden. Auch hier handelte es sich fast ausschliesslich um 
schwerste Formen. Diese Erhebungen ergeben, dass die durch Ver¬ 
besserung der funktionellen Untersuchungsmethoden gemachten Fort¬ 
schritte sehr wesentlich sind. 

Hr. Voelcker- Heidelberg tritt ebenfalls energisch für die operative 
Behandlung der Nierentuberkulose ein. Denn wenn auch die Herde oft 
nur klein seien, so sei eine Heilung eines circumscripten Knotens kaum 
möglich und führe allmählich im Laufe von Jahren zur käsigen Ein- 
scbmelzung der gesamten Niere. Nur ausnahmsweise sollte man unter 
dem Drucke äusserer Verhältnisse konservativ verfahren, dann aber 
stets nur unter genauer Berücksichtigung der Funktion der erkrankten 
Niere. 

Hr. Tietze - Breslau betont, dass nach Nephrektomie weiblicher 
Personen möglichst die Gravidität zu vermeiden sei, da er die Schädigung 
der Niere durch Ureterkompression auf Grund von experimentellen Unter¬ 
suchungen befürchtet. 

Hr. Zondek - Berlin betrachtet das Herz und das gesamte Gefass- 
system nioht allein in genetischer, sondern auch funktioneller Hinsicht 
als homologe Gebilde und findet darum die sehr nahen Beziehungen 
zwischen Herz und Niere in gewisser Hinsicht in dem sehr grossen Ge- 
fässreichtum der Niere begründet. Aber auch bei bestehendem Herz¬ 
fehler kann, wie der Vortr. beobachtet hat, nach Nephrektomie das 
Leben viele Jahre erhalten bleiben. Ferner zeigt Z. an einem Fall von 
Nephrektomie und schwerer Erkrankung der Testierenden Niere, mit wie 
wenig Nierenparenchym der Organismus auskommen kann. 

Hr. Graser - Erlangen: Klinische Beobachtungen über 
Nerveneinflüsse auf die Nierensekretion. 

Vortr. betont, dass trotz aller Fortschritte der Nierendiagnostik 
ein Bedürfnis bleibt, auch einfachere Hilfsmittel für Diagnose aus¬ 
zubauen. Bei den bekannten Schwierigkeiten der Feststellung, ob 
eine Reihe von unklaren Beschwerden im Abdomen überhaupt auf die 
Niere oder ein anderes Organ zu beziehen sind, bat sich ihm ein ein¬ 
faches Hilfsmittel als wertvoll erwiesen. Bei einer grossen Reihe, be¬ 
sonders einseitiger, Nierenerkrankungen (schwerere Fälle von Wander¬ 
nieren, Steinerkrankungen, Tumoren, Tuberkulose) hat er gefunden, dass 
die einzelnen Urinportionen, wie sie von den Patienten gelassen wurden, 
sehr auffallend regellose Schwankungen im spezifischen Gewicht aufwiesen, 
die sich nicht nur durch vermehrte Flüssigkeitszufuhr und entsprechende 


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21, April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


761 


Verdünnungen erklären lassen. Aus Kontrollyersuchen hat sich ergeben, 
dass unter normalen Verhältnissen in der Regel die Schwankungen nicht 
mehr als etwa 10 Einheiten betrugen, und dass Differenzen von 15 Ein¬ 
heiten von der einen Portion zur anderen doch immer stutzig machen 
müssen, ob hier nicht besondere Einwirkungen einer kranken Niere auf 
die Sekretion stattfinden. Bei einem Fall von einseitiger Nierentuber¬ 
kulose mit Verschluss des Ureters konnte Graser nachweisen, dass die 
vorher sehr starke Verschiedenheit in der Konzentration nachher nach 
der Entfernung der kranken Niere einer auffallenden Gleichmässigkeit 
Platz machte. Er hält daher auch die nächstliegende Erklärung, dass 
der dünne Urin durch starke Beteiligung der kranken Niere entsteht, 
für falsch und glaubt vielmehr die merkwürdigen Schwankungen auf 
fordernde oder hemmende Nerveneinflüsse, die von der kranken Niere 
auch auf die gesunde einwirkeD, zurückführen zu müssen. Er bespricht 
die anatomischen und physiologischen Verhältnisse, soweit sie bekannt 
sind, und betont namentlich die Häufigkeit der Reflexe im Experiment 
und in klinischen Beobachtungen. Man muss sich aber heute noch mit 
Allgemeinausdrücken wie „Nerveneinflüssen“, „Schädigung“, „Ueber- 
empfindlichkeit“ begnügen, da uns diese Gebiete noch nahezu unzu¬ 
gänglich sind. Zum Schlüsse verweist Graser auf den Beginn einer 
exakten Aufklärung, wie dies die Studien eines seiner Schüler eingeleitet 
haben. 

Hr. Lobenhoffer - Erlangen: Physiologisches über Nieren¬ 
innervation. 

L. hebt hervor, wie wenig geklärt bisher noch unsere Kenntnisse 
von der Abhängigkeit der Niere vom Centralnervensystem sei. Die bis¬ 
her gültige Lehrmeinung war, dass die Arbeit der Niere allein geleitet 
werde von nervösen Reizen, die ihr von Centren im Hirn oder Rücken¬ 
mark aus zugeleitet würden durch die vielen Nervenfasern, welche mit 
den Gefässen in den Nierenhilus eintreten. Das fast stets beobachtete 
Aufhören jeder Nierensekretion nach Durchtrennen dieser Nerven einer¬ 
seits und der Erfolg von Reizungsversuchen an bestimmten Stellen des 
Centralnervensystems und den peripheren Stümpfen der Nierennerven 
andererseits hatten diese Anschauung erweckt und gestützt. In manchen 
Experimenten schien ihm ein Widerspruch gegen diese Lehre zu liegen; 
er verfolgte deshalb diese Frage, die ihm vom physiologischen wie 
vom klinischen Standpunkte aus gleich wichtig erschien, experimentell 
genau. 

Die Transplantation mittels Gefässnaht diente ihm dabei als beste 
physiologische Arbeitsmethode; die Nieren wurden auf den Milzstiel 
verpflanzt. Solche Organe sind dann vollkommen aus jedem Nerven- 
zufluss für die Dauer ausgeschieden und andererseits unter Lebens- und 
Ernährungsbedingungen, die den normalen entsprechen. Die andere 
Niere wurde entfernt. 

Schon die bekannte Tatsache, dass Tiere mit solchen Nieren lange 
am Leben bleiben können — er konnte Hunde a / 4 Jahre und ein Jahr 
beobachten — entscheidet eigentlich die Frage. 

Mit Hilfe histologischer und physiologischer Untersuchungsmethoden 
suchte L. nach eventuellen Veränderungen der einzelnen Vorgänge der 
Nierenarbeit. Das Mikroskop zeigte, dass die Granulierung des Proto¬ 
plasmas, in der ein Ausdruck der sekretorischen Tätigkeit der Nieren¬ 
zellen gesehen werden muss, vollkommen den an normalen Nieren ge¬ 
wonnenen Bildern entsprach. Hier war also keine Veränderung durch 
den Ausfall der Verbindung mit dem Centralnervensystem zu finden; 
die sehr empfindlichen Bestandteile dos Protoplasmas, die Granula, 
präsentierten sich in ungestörter Form. Mit Diurese- und Ausscheidungs¬ 
versuchen bestrebte er sich dann die Tätigkeit tubulären und vasculären 
Anteiles der Nierensubstanz zu verfolgen: die Wasser- und Kochsalz¬ 
elimination einerseits und die Ausscheidung körperfremder Substanzen 
des Indigearmius, Milchzuckers und Phlorizins andererseits wurden dazu 
benutzt und ergaben ganz den normalen gleichende Ausschläge (Kurven). 
Auch Ueberlastungen konnten die transplantierten Organe gut über¬ 
wältigen. 

Damit war bewiesen, dass die Niere allein für sich, ohne irgend¬ 
einen Nervenzufluss von aussen her ihrer physiologischen Aufgabe vor¬ 
stehen kann, dass sie ein viel selbständigeres Organ ist, als man bisher 
glaubte. Namentlich die Diurese kann nur duroh aktive Tätigkeit der 
kontraktlichen Elemente der Gefässe sich in der normalen Form ab¬ 
spielen, dazu gehören aber unbedingt Nervenreize, diese müssen in der 
Niere selbst entstehen und können es nur in dem den Anatomen längst 
bekannten, aber von den Physiologen bisher fast nicht beachteten Plexus 
renalis. Die in den Hilus eintretenden Stämme können nur Bahnen 
führen mit regulatorischen und centripetal leitenden Einflüssen, keine 
Bahnen mit sekretorischen Fasern, weitere Versuche werden es hoffent¬ 
lich noch möglich machen, diese Einflüsse schärfer abzugrenzen, denn 
Ausfallserscheinungen müssen sich doch irgendwo finden lassen. Soviel 
ist jetzt aber gesichert, dass die Niere ein weitgehendes selbständiges 
Nervencentrum in sich selbst trägt, von dem der grösste Teil der zur 
normalen Funktion ihrer beiden Hauptbestandteile, des tubulären und 
vasculären notwendigen Nierenimpulses ausgehen. 

Diese Kenntnis ist sioher wichtig für die Erklärung mancher patho¬ 
logischer Zustände und klinischen Erscheinungen bei Nierenkranken und 
mehr als bisher dabei in Rechnung zu ziehen. 

Hr. Riedel-Jena: Ueber angeborene Harnröhrenstrik- 
turen. 

19 Fälle angeborener Harnröhrenstriktur bat Riedel beobachtet; 
sie bestanden teils seit früher Jugend, teils maohten sie erst später Er¬ 
scheinungen. Unbeb&ndelt ergeben diese Fälle eine ungünstige Pro¬ 


gnose. Und sie bleiben unbehandelt, weil sie vielfach nicht erkannt 
werden, weil sich die Patienten an ihren Zustand gewöhnen. Es tritt 
danach sehr häufig Phlegmone und Eiterung ein, lOpCt. der Fälle ging 
an Pyelitis, Stein und ein Fall an Garcinom zugrunde. Die Behand¬ 
lung besteht im Anfangsstadium in Dehnung, bei den fortgeschritteneren 
ist Exzision und gegebenenfalls die Transplantation des Appendix er¬ 
forderlich. 

Hr. Eugen Joseph - Berlin: Primäre Heilung ausgedehnter 
Urethralresektionen. 

Es lässt sich mit Hilfe der Marion’schen Modifikation der 
Beck - Hacker’schen Methode die Urethra in grosser Ausdehnung 
resezieren und zu einer Harnröhre von normaler Weite wieder vereinigen, 
welche nach der Operation einer Nachbehandlung nicht mehr bedarf. 
Nach Exzision des narbigen Teils der Urethra wird die Harnröhre nach 
vorn und hinten ausgiebig mobilisiert durch Präparation aus den Cor¬ 
pora cavernosa penis. Selbst Defekte von 7 bis 8 cm lassen sich da¬ 
durch überbrücken und ohne Spannung durch exakte Naht decken. 
Wichtig ist, dass man nach Rekonstruktion der Harnröhre dem Rate 
Marion’s folgend den gesamten Urin durch eine suprapubische Drainage 
für etwa zwölf Tage ableitet. Dadurch wird der sonst in der Nach¬ 
behandlung übliche Dauerkatheter überflüssig und die primäre Heilung 
der Urethranaht garantiert, während unter dem Einfluss des reizenden 
Däuerkatheters leicht eine Dehiszenz der Naht und damit erneute 
Narbenbildung und Strukturierung entstehen kann. Nach zwölf Tagen 
wird die Blasendrainage entfernt. Nunmehr fängt der Patient sehr bald 
durch die jetzt normal weite Harnröhre zu urinieren an. Die Blasen¬ 
wunde schliesst sich in kurzer Zeit. 

Hr. Goldmann • Freiburg hat die nämliche Operation schon vor 
vielen Jahren ausgefübrt und beschrieben. 

Hr. Garre-Bonn macht darauf aufmerksam, dass Socin schon in 
den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die nämliche Operation 
vielfach ausgeführt hat und dass das Verfahren genauestens be¬ 
schrieben ist. 

Hr. Frank-Berlin hat zwei Fälle von kongenitaler Harnröhren¬ 
striktur beobachtet. In beiden Fällen bestand Inkontinenz. Sie wurden 
beide durch innere Urethrotomie geheilt. 

(Fortsetzung folgt.) 


Ueber durch Nematoden hervorgerufene Ge¬ 
schwulstbildungen bei der Ratte. 

Von 

Dr. S. Lifwensteii-Frankfurt a. Main. 

In der Nr. 7 dieser Wochenschrift stellt Fibiger den Satz auf, 
dass bei allen seitherigen Untersuchungen über den Befund von 
Nematoden in Geweben mit geschwulstartiger Umbildung es noch in 
keinem Falle festgestellt worden sei, dass in solchen Fällen etwas 
anderes als ein zufälliges Zusammentreffen von Parasiten und Neu¬ 
bildungen vorliege, und will als „Erster“ durph seine Arbeit den Nach¬ 
weis erbracht haben, dass Nematoden wirklich die pathogenetische Be¬ 
deutung haben, die ihnen beigelegt wird. 

Es soheint mir, dass Fibiger nur meine erste Arbeit, die als vor¬ 
läufige Mitteilung bezeichnet war und den Titel „Epithelwucherungen und 
Papillombildungen der Rattenblase, verursacht durch Trichosoma *)“ trug, 
bekannt ist. Dagegen blieben ihm offenbar meine weiteren Veröffent¬ 
lichungen unbekannt. Es erscheint mir deshalb am Platze, auch hier 
auf dieselben zu verweisen. 

Schon der Titel der zweiten zusammenfassenden Veröffentlichung 
„Trichodes crassicauda specifica, eine Causa directa in der Aetiologie 
der Tumoren“ 2 ) beweist, dass ich den Nematodenfund in meinen 
Papillomen nicht als ein zufälliges Zusammentreffen auffasse, sondern 
eben als eine Causa directa gegenüber der Tumorerstehung anspreche. 

In diesen beiden Arbeiten besprach ich meine Untersuchungen und 
kam auf Grund von 32 wiedergegebenen Mikrophotogrammen zu folgenden 
Resultaten (siehe 2, Seite 765 und 766): 

Ich glaube, dass diese kleine, hier und in der früheren Arbeit ver¬ 
öffentlichte Auswahl aus einer grossen Anzahl von Präparaten leicht 
davon überzeugen muss, dass Trichodes crassicauda specifica kein harm¬ 
loser Blasenschmarotzer und kein zufälliger Nebenbefund sein kann, 
sondern dass dieser Parasit eine ätiologisch recht verantwortliche Rolle 
spielt, eine Rolle, die ich nicht anders denn als Causa directa der mit 
Epithelzellenwucherung und -Proliferation beginnenden und dann bis 
zum infiltrierenden Papillom führenden Charakterveränderung ehedem 
normaler Gewebszellen bezeichnen muss. 

Wir sehen dabei, dass in erster Linie die Eier und Jungformen des 
Trichodes — letztere aber auch erst von einem gewissen Grade der 
Entwicklung an — es sind, die die Zellen zu infektiös wuchernden 
machen und viel weniger die erwachsenen, älteren Tiere. Diese ver¬ 
hängnisvolle Veränderung des Charakters der Epithelzellen beruht gewiss 
nicht im rein mechanischen Reiz des Parasiten aufs Gewebe, sondern ist 


1) Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1910, Bd. 69, H. 2. 

2 ) Ebenda, 1911, Bd. 76, H. 3. 


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762_ BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. Nr. 16. 


bedingt durch chemische Stoffe — eventuell Toxine oder Stoffwechsel¬ 
produkte — insbesondere des Eies und der jüngeren Entwicklungsstadien. 
Dass solche Stoffe vorhanden sein müssen, bewiesen ja schon einige der 
Mikrophotogramme, deren Vorhandensein ergibt sich aber auch weiterhin 
unbedingt aus der in mehren Fällen von mir gemachten Beobachtung 
von Blasenpapillomen ohne Parasiten in der Blase oder von Nieren¬ 
tumoren ohne Würmer in der Niere; Fälle, in denen ich aber jeweils 
Trichodesformen noch in der Niere oder im Ureter resp. schon herunter¬ 
geschwemmt in die Blase gefunden habe. 

Sehen wir also eio Blasenpapillom bei freier Blase aber infizierter 
Niere, so ist die Annahme sicher zulässig, dass eben chemische oder 
toxische, vom in der Niere sich findenden Parasiten stammende, Reiz¬ 
stoffe mit dem Urin vermengt in die Blase gelangten und dort die 
Epithelzellen zu wuchernden und infektiösen Zellen umwandelten. 
Analog können Nierenepithelwucherungen bei schon wieder freier Niere, 
aber bereits infizierter Blase nur dadurch erklärt werden, dass eben 
diese chemischen oder toxischen Reizstoffe in der Niere zurückblieben 
oder aufgespeiohert wurden, während die grobcorpusculären Parasiten¬ 
bestandteile bereits die Nieren verlassen hatten. Ebenso sind die Fälle 
zu erklären, in denen der Parasit nur im Ureter, die Epithelverände¬ 
rungen aber in der Niere oder in der Blase sich zeigen. 

Es ergibt sich also der logische Schluss aus dem, was wir effektiv 
im Mikroskop sehen, und den eben angestellten Erwägungen, dass nicht 
allein der Parasit und von diesem insbesondere seine Ei- und Jung¬ 
formen die Epithelzellen elektiv zur Wucherung und Tumor¬ 
bildung anregen, sondern, dass auch vom Parasiten produzierte 
chemische oder toxische Reizstoffe, die möglicherweise Stoff¬ 
wechselprodukte sind, die Eigenschaften besitzen, Epithel zellen aus 
normalen in wuchernde Tumorzellen umzuwandeln. 

Auf der II. internationalen Krebskonferenz in Paris 1910, auf dem 
Naturforscher- und Aerztetag in Karlsruhe 1911 und an anderen Stellen 
mehr demonstrierte ich Präparate und Mikrophotogramme, die keinen 
anderen Schluss als den des zwingenden ursächlichen Zusammenhanges 
zwischen Triohodes crassioauda specifioa und Geschwulstbildung zu- 
liessen, was ich auch bei jeder Gelegenheit deutlich ausgesprochen habe. 

So. z. B. im Bericht über die Verhandlungen der II. Pariser Kon¬ 
ferenz für Krebsforschung 1 2 3 ): 

Löwenstein - Frankfurt demonstriert an einer grossen Anzahl 
von Bildern Papillome und Epithelwucherungen der Blase und Niere, 
sowie Ureteren der Ratte, die er als unmittelbar und nicht etwa indirekt 
durch Entzündung durch eine Trichodesart erzeugt, anspricht und diese 
Annahme erhärtet durch eine den allmählichen Uebergang von Reizung 
in Wucherung und Papillombildung dokumentierende Bilderserie. Redner 
weist auf die Wichtigkeit dieser Würmer als Versuchsmaterial hin und 
betont, dass die Wucherung einmal vom Parasiten oder seinen Eiern 
Jungformen erregt, in ihrem weiteren Wachsen nicht mehr von deren 
Gegenwart abhängig ist (vgl. diesbezüglich auch 2). 

Auf dem Naturforscher- und Aerztetag lautete der Schlusssatz meines 
Demonstrationsvortrages 8 ): 

Die naoh Infektion mit Trichodes crassicauda specifica entstehenden 
Tumoren sind der Ausdruck einer elektiv auf die Epithelzellen selbst im 
Sinne der Wucherung und Neubildung einwirkenden parasitären — chemi¬ 
schen oder toxischen — Reizung, also unmittelbar bedingt durch den 
Parasiten, nicht auf Umwegen entstanden, sondern in direkter Auf¬ 
einanderfolge von Ursache und Wirkung. Ferner führte ich im Laufe 
des Vortrages wörtlich aus: 

Ich glaube, dass diese kleine Auswahl aus einer grossen Anzahl 
von Präparaten uns leicht davon überzeugen musste, dass Trichodes 
crassicauda specifica kein harmloser Blasenschmarotzer und kein zu¬ 
fälliger Befund sein kann, sondern dass dieser Parasit eine ätiologisch 
recht verantwortliche Rolle spielt, eine Rolle, die ich nicht anders denn als 
Causa directa der mitEpithelzellenwucherungund-Proliferation beginnenden 
und dann bis zum infiltrierenden Papillom führenden Charakterverände¬ 
rung ehedem normaler Gewebszellen bezeichnen muss. 

Zum Schluss möchte ich nur noch meiner Vermutung Ausdruck 
geben, dass Fibiger’s Spiroptera und die von mir gefundene Nematode 
(Trichodes crassicauda specifica) zum mindesten eine recht grosse Aehn- 
lichkeit miteinander aufweisen, nicht nur die Würmer, die Eier und das 
Verhalten des Embryos in denselben, sondern vor allem auch dann, 
wenn man die Schnittbilder von Papillomen mit Nematoden, wie sie 
Fibiger veröffentlicht und wie ich sie in 1) und 2) veröffentlichte, mit¬ 
einander vergleicht. Auch in meinen Fällen war die Tumorerkrankung 
eine endemische, wie ich dies auch in meinen Veröffentlichungen be¬ 
kanntgegeben habe. Bezüglich aller Detailfragen verweise ich auf meine 
Arbeiten. 

Durch die Fibiger’schen Fütterungsversuche mit Periplaneta lernen 
wir Zwischenwirte kennen, die das Problem der Geschwulsterstehung 
durch Parasiten, insbesondere durch Nematoden, sehr wesentlich er¬ 
weitern. Darauf aber, dass eine Nematodenart, Trichodes crassicauda 
specifica, als direkte Ursache für Papillombildung bei der Ratte zu er¬ 
weisen ist, wiesen, wie aus den vorstehenden Sätzen wohl deutlich 
hervorgeht, schon vor Fibiger meine Arbeiten hin. 


1) Wiener klin. Wocbenschr., 1910, Nr. 45. 

2) Cancer Conference, Paris. Librairie Alcan, 1911, S. 774—776. 

3) Verhandlungen, 1911, Bd. 2, 2. Hälfte, S. 162-166. 


Erwiderung zu Vorstehendem. 

Von 

Prof. Johanaes Fibiger. 

Ich will Dr. Löwenstein gern einräumen, dass mir nur seine erste 
Arbeit 1 ) bekannt gewesen ist. Wenn ich seine zweite Arbeit gekannt 
hätte, würde ich seine darin enthaltenen Untersuchungen einer näheren 
Besprechung unterworfen haben, denselben aber beweisende Bedeutung 
in dem hier diskutierten Thema zuzuschreiben, wäre mir aber doch un¬ 
möglich gewesen. 

Dr. L. hat in seiner ersten Arbeit — wie schon früher Borrel — 
behauptet, dass Nematoden eine kausale Bedeutung für die Entwicklung 
von Geschwülsten gebührt, und hat gleichwie Borrel, Haaland u. a. 
seine Anschauung darauf basiert, dass Nematoden und Geschwulstbildung 
in einem und demselben Organe zusammen Vorkommen. Eine beweisende 
Bedeutung kann jedoch derartigen Beobachtungen nicht beigelegt werden, 
es sei denn, dass es, wie es bei der Bilharziose der Fall ist, unzweifel¬ 
haft festgestellt wird, dass die Geschwulstbildungen entweder ausschliess¬ 
lich oder jedenfalls so ausserordentlich häufig mit den Parasiten zu¬ 
sammen auftreten, dass ein zufälliges Zusammentreffen schon der Statistik 
wegen auszuschliessen ist. 

Wie grosse Bedeutung man den bei der statistischen Beweisführung 
notwendigen Kontrolluntersuchungen zusebreiben muss, zeigen die auf 
demselben Gebiet liegenden Arbeiten von Orth und Tsunoda über 
das Vorkommen des Demodex in der Mamma bei gesunden und bei 
krebskranken Frauen mit besonderer Deutlichkeit. 

Die in der ersten Abhandlung Dr. L.’s mitgeteilten Beobachtungen 
wurden an vier verschiedenen Stämmen von Ratten gemacht. „Nur 
ein Stamm erwies sich als derjenige, der die parasitäre Infektion primär 
zeigte“, und zwar wurdon Epithel Wucherungen und Papillome der Harn¬ 
wege nur bei den infizierten Ratten gefunden. Leichte parasitäre In¬ 
fektion der Harnblase und kleinste „Epitbelzellenaufstülpungen“ wurden 
aber auch bei zwei unter elf von den den anderen Stämmen angehörigen 
Ratten nachgewiesen. 

Inwieweit Dr. L. ausserdem Kontrolluntersuchungen angestellt hat, 
und in wie grossem Umfange dieselben gemacht sind, ging aus seiner 
Arbeit nicht hervor. Zahlenmässig beweisend kann die veröffentlichte 
Statistik doch entschieden nicht genannt werden. 

Es sei hier nur noch hinzugefügt, dass bei von mir angestellten 
Untersuchungen festgestellt worden ist, dass Trichosomen (Trichodes) 
bei Ratten hier in Kopenhagen so häufig Vorkommen, dass nicht ohne 
Schwierigkeit eine Ratte sich auftreiben lässt, deren Harnblase diese 
Parasiten nicht enthält. 

Aus meinen diesbezüglichen Aufzeichnungen sei z. B. folgendes an¬ 
geführt: 

Unter 64 wilden Ratten aus verschiedenen Bezirken von Kopenhagen 
wurden bei 48 Trichosomen in der Harnblase vorgefunden. 

Unter 55 bunten und weissen Ratten aus verschiedenen Laboratorien 
wurden sie bei 47 vorgefunden. 

Im ganzen bei 95 von 119 Tieren. 

Nur bei 3 von diesen 95 Ratten fanden sich in der Harnblase aus¬ 
gesprochene Papillombildungen, während unter den übrigen, von denen 
eine grosse Anzahl mikroskopisch untersucht wurde, nur in wenigen 
Fällen eine Verdickung des Epithels sich vorfand, die als unzweifelhaft 
pathologische Hyperplasie und nicht allein als auf Kontraktion der 
Blasenwand beruhend aufgefasst werden konnte. 

Es war also weder durch Dr. L.’s noch durch meine Untersuchungen 
gelungen, einen statistischen Beweis des ätiologischen Zusammenhanges 
zwischen Trichosomen und den in der Harnblase der Ratte vorkommen¬ 
den epithelialen Hyperplasien und Papillombildungen zu erbringen. Es 
liess sich somit nicht sicher ausschliessen, dass hier nichts anderes als 
ein zufälliges Zusammentreffen oder lediglich eine sekundäre Invasion 
von Würmern in das Geschwulstgewebe vorläge, ein Einwand, der schon 
im Jahre 1909 von Lewin gegen die von Borrel veröffentlichten ana¬ 
logen Angaben gemacht wurde, die, obgleich sie weit früher erschienen, 
von Dr. L. doch nicht citiert werden. 

Und eben auf der Internationalen Krebskonferenz in Paris 1910, wo 
Dr. L. zuerst seine Untersuchungen vorlegte, erwähnte C. 0. Jensen 
in seinem Vortrag „Von echten Geschwülsten bei Pflanzen“, dass 
Schmarotzer — darunter Nematoden —, welche früher in eine kausale 
Verbindung mit solchen Geschwulstbildungen gebracht worden waren, 
nur in beschädigten und hinfälligen Teilen des Geschwulstgewebes Vor¬ 
kommen, und dass derartige Geschwülste keinen parasitären Ursprung 
hätten. Dass das Vorhandensein von Nematoden in Geschwülsten auf 
sekundärer Invasion beruhen könne, ist demnach kein bloss hypothetischer 
oder a priori ablehnbarer Einwand. 

Statistische Beweisführung der parasitären Wirkungen kann nur 
als eine Nothilfe aufgefasst werden. Um endgültig festzustellen, dass 
eine Nematode imstande ist, Geschwulstentwicklung zu verursachen, 
muss man natürlicherweise — in Uebereinstimmung mit xler Beweis¬ 
führung über die Wirkungen anderer Parasiten — experimentell, d. h. 
durch Uebertragung der Nematode an gesunde Tiere Ge¬ 
schwulstentwicklung hervorrufen können. 

Eben mein Wunsch, meine statistischen Untersuchungen mit einem 
solchen endgültigen Beweis ergänzen zu können, war die Ursache, dass 

1) Bruns’ Beitr., September 1910. 


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21. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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ich meine Arbeiten jahrelang fortsetzte und nicht schon im Jahre 1908 
eine Mitteilung erscheinen liess, obgleich ich dann mit gleichem Recht, 
wie früher Borrel und später Löwenstein, hätte behaupten können, 
dass den Nematoden eine Bedeutung gebührt, die ich schliesslich ex¬ 
perimentell nachzuweisen imstande gewesen bin. 

Auch Dr. L.’s zweite Arbeit, auf die meine Aufmerksamkeit erst 
jetzt hingelenkt worden ist, enthält meiner Meinung nach keine anderen 
Anhaltspunkte für die Annahme, dass Trichosoma (Trichodes) tatsächlich 
Geschwülste bei Ratten verursachen kann, als dass dieser Parasit im 
Epithel ßei Papillombildung in den Harnorganen vorgefunden worden ist. 

Dr. L. teilt nur mit, dass die parasitäre Infektion sich durch 
gemeinschaftliche Käßge sowie durch die Hände des Laboratoriumsdieners 
leicht überträgt; es liegt aber kein Bericht über experimentelle Ueber- 
tragung auf vorher parasitenfreie Ratten und hierdurch hervorgerufene 
Papillombildung vor, und eine erschöpfende, von den notwendigen 
Kontrolluntersuchungen begleitete, geschweige denn eine nur detaillierte 
Statistik wird nicht veröffentlicht. Ausserdem teilt der Verfasser mit, 
dass er ein Blasenpapillora gefunden habe, ohne Parasiten in der Blase, 
den Ureteren oder den Nieren entdeckt zu haben. Dr. L. glaubt, dass der 
Wurm in diesem Fall die Organe schon wieder verlassen hat. Auch ich 
habe bei Papillombildung in der Harnblase der Ratte Parasiten vermisst. 

Ich glaube selbst, dass Dr. L.’s hier citierte Erklärung für das 
Fehlen der Parasiten die wahrscheinlichere ist, es lässt sich aber doch 
Dicht leugnen, dass ebensogut eine von Parasiten unabhängige 
Papillombildung vorliegen könnte, und die Annahme einer ätiologischen 
Bedeutung des Trichodes wird jedenfalls durch solche Beobachtungen 
eher abgeschwächt als gestützt. 

Alles in allem möchte ich jedoch meine kritischen Bemerkungen 
nicht missverstanden sehen. Die Möglichkeit, dass nur ein zufälliges 
Zusammentreffen oder eine sekundäre Invasion der Parasiten in das Ge¬ 
schwulstgewebe vorliegen könnte, ist zwar von L. nicht widerlegt worden, 
aber auch ich bin der Anschauung — wie es übrigens aus meiner 
kurzen Mitteilung in dieser Wochenschrift hervorgeht —, dass die 
Papillombildung durch Trichodes verursacht wird, muss aber 
daran festhalten, dass der endgültige Beweis dieser Annahme noch 
nicht erbracht worden ist, und dass eine solche Annahme nur feste 
Anhaltspunkte erhält durch den Hinweis einerseits auf die Wirkungen 
des Bilharzioseparasiten, andererseits gerade auf meine Untersuchungen, 
bei denen es zum ersten Male gelungen ist, endgültig (statistisch und 
experimentell) festzustellen, dass eine Nematode tatsächlich eine solche 
Wirkung haben kann. 

Dass den Wirkungen des Trichodes wahrscheinlich eine Toxin¬ 
produktion zugrunde liegt, betrachte auch ich als die natürliche Erklärung, 
es ist mir aber völlig rätselhaft, dass L. zu behaupten wagt, dass Mikro¬ 
photogramme oder mikroskopische Untersuchungen eine derartige Annahme 
„beweisen“ können. Ich bitte Dr. L., sich der Untersuchungsmethoden 
zu erinnern, die bei der Beweisführung der Toxinproduktion von Bakterien 
oder Helminthen (Bothriocephalus) sonst angewendet werden. 

Dr. L.’s Bemerkung, er habe in Schnittpräparaten eine „mindestens 
recht grosse“ Aehnlichkeit zwischen der von ihm Vorgefundenen Tricho¬ 
soma (Trichodes) und der von mir nachgewiesenen Spiroptera beobachtet, 
ist durchaus überflüssig. Es ist doch wohl — hoffentlich — Dr. L. be¬ 
kannt, dass in Schnittpräparaten als Regel eine sehr grosse Aehnlichkeit 
zwischen verschiedenen Genera von Nematoden besteht? 

Wenn Dr. L. obendrein die Bemerkung wagt, dass auch zwischen 
den Eiern der von ihm und den Eiern der von mir nachgewiesenen 
Parasiten eine Aehnlichkeit sich vorfindet, dann stehe ich ganz ver¬ 
ständnislos da. Die ausserordentlichen Verschiedenheiten zwischen den 
Eiern einer Spiroptera und denjenigen eines Trichodes sind zweifellos 
jedem Sachverständigen bekannt. Nicht-Sachverständige dagegen erlaube 
icb mir zu bitten, z. B. Leuckart’s Abbildung der Eier der Spiroptera 
obtusa 1 ) mit v. Linstow’s Abbildung der Trichodeseier 2 ) oder mit den 
Abbildungen in den Mitteilungen des Dr. L. selbst zu vergleichen. 



Um die Vergleichung zu erleichtern, sollen obenstehende, bei der¬ 
selben Vergrösserung hergestellte Photogramme beigefügt werden, von 


1) Die menschlichen Parasiten. 1876, Bd. 2, S. 113. 

2) Beobachtungen an Trichodes crassicauda Bell. Troschel’s Arch. f. 
Naturgeschichte, 40. Jahrgang, 1874, Bd. 1, S. 271, Taf. VIII, Fig. m und n. 


denen Figur 1 die reifen Eier des Trichodes crassicauda, Figur 2 
hingegen die reifen Eier der von mir gefundenen Spiroptera wiedergeben. 

Und die Verschiedenheiten dieser Eier verschwinden nicht in Schnitt¬ 
präparaten. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. Der 30. deutsche Kongress für innere Medizin wurde 
am 15. d. M. in Wiesbaden von Geheimrat Pentzoldt eröffnet. In seiner 
Eröffnungsrede wies er u. a. auf die beiden neuen Unternehmungen des Kon¬ 
gresses hin, die Arzneimittelliste und das Centralblatt für innere Medizin; 
und letzteres gab ihm Anlass zu Aeusserungen über das Anwachsen der 
medizinischen Publizistik, denen man im Interesse der Wissenschaft nur 
wünschen kann, dass sie bei alt und jung auf fruchtbaren Boden fallen 
mögen. Als erstes Thema stand das „Fieber“ auf der Tagesordnung, 
über das die Herren H. H. Meyer-Wien und Krehl-Heidelberg das 
Referat erstatteten. — Bei Erwähnung der Arzneimittellisten des Kon¬ 
gresses hatte Pentzoldt dem Wunsche nach Errichtung einer staat¬ 
lichen Arzneiprüfungsstelle Ausdruck gegeben. Dass eine solche nur 
mit sehr beschränkter Kompetenz möglich wäre, nämlich lediglich dem 
Recht der Prüfung, ob chemische Zusammensetzung und Dekla¬ 
ration übereinstimmen, wurde vielfach, u. a. auch von uns, wiederholt 
hervorgehoben. Neuerdings schlägt im Aerztlichen Vereinsblatt Apotheker 
Wickboldt-Darmstadt vor, diese Prüfung nicht in einer Zentralstelle, 
sondern in den Fabriken selbst von staatlich beauftragten Apothekern 
vornehmen zu lassen. 

— Am 30. April findet in Breslau die Hauptversammlung der 
Deutschen Gesellschaft für Volksbäder statt. Folgende Vorträge werden 
gehalten werden: Ueber Nutzen und Schaden von Bädern bei gesunder 
und kranker Haut (Prof. Dr. Carl Bruck); Die Uebertraguog von Augen¬ 
krankheiten in Berliner Volksbadeanstalten (Dr. H. Liefmann-Berlin); 
Deutsche Bäderhygiene im Mittelalter (Dr. med. H. Koenigsfeld- 
Breslau); Der jetzige Stand der Volksbäderversorgung in England (Dr. 
Carl Prausnitz); Die Bedeutung der Bäder für Technik und Industrie 
(Prof. Dr. R. Scheller); Die badetechnische Einrichtung des Stadtbades 
Mülheim a. d. Ruhr (Klaus). 

— Düsseldorfer Akademie für praktische Medizin. Der 
Kursus über „Diagnostik, Pathologie und Therapie der Krankheiten des 
Herzens und der Gefässe“, welcher unter Leitung von Professor August 
Hoffman n alljährlich an der medizinischen Klinik der Düsseldorfer 
Akademie für praktische Medizin abgehalten wird, wird auch in diesem 
Jahre zum sechsten Male in der Zeit vom 20. bis 29. Oktober stattfinden. 
Auskunft erteilt das Sekretariat der Akademie, Moorenstrasse. 

— Auf dem letzten Röntgenkongress ist von dem Vorsitzenden 
Im melmann - Berlin angeregt worden, von Zeit zu Zeit röntgenologische 
Studienreisen zu veranstalten. Der Vorschlag ist auf fruchtbaren Boden 
gefallen, und eine grosse Reihe von Röntgenlaboratoriurabesitzern ist 
bereit, die Teilnehmer der Studienreisen bei sich zu empfangen. Die 
erste dieser Reisen wird vom 15. bis 20. September dieses Jahres nach 
Wien unternommen werden. Für die zweite Studienreise ist die Woche 
vor Pfingsten nächsten Jahres in Aussicht genommen. Diese Reise wird 
sich auf die Städte Bremen, Hamburg, Altona, Cöln, Bonn, Frankfurt, 
Nauheim, Erlangen und München erstrecken. Vom Ausschuss der 
Deutschen Röntgengesellschaft ist eine Studienreisekommission gewählt, 
der die Herren Eberlein, Levy-Dorn und Immelmann - Berlin an¬ 
gehören. Alle die Reise betreffenden Anfragen sind an den letzteren, 
Berlin, Lützowstrasse 72, zu richten. 

— Die Senckenbergische naturforschende Gesellschaft hat den 
Sömmeringpreis, der alle vier Jahre für eine besonders hervorragende 
Arbeit auf dem Gebiete der Anatomie oder Physiologie erteilt wird, 
Herrn Prof. Correns-Münster für dessen Studien „über die Gesetze der 
Vererbung“ zuerkannt. Die Preiskommission legt Wert darauf, mit¬ 
zuteilen, dass in die engere Wahl noch die Arbeiten der Herren 
E. Goldmann-Freiburg: „Ueber Vitalfärbungen“ und 0. Kalischer- 
Berlin: „Ueber die Dressurmethode in der Psychologie“ gekommen sind. 

— Die Preisaufgabe der Dr. Heinrich Brock-Stiftung der Balneo- 
logLchen Gesellschaft lautet: „Bedeutung und Durchführung 
einer rationellen Krankendiät in Kurorten.“ Der Preis beträgt 
800 M. Die Arbeiten sind bis zum 1. Januar 1914 an Herrn Geheirarat 
Professor Dr. Brieger, Berlin N. 24, Ziegelstr. 18/19, einzusenden. Die 
Arbeiten müssen mit einem Motto versehen sein, welches auf einem 
dabei einzureichenden Briefkouvert, in dem eingescblossen sich der Name 
des Verfassers befinden soll, zu stehen hat. 

— In Bad Landeck (Schlesien) wurde ein Standesverein der 
reichsdcutschen Badeärzte gegründet, zu dessen Vorsitzendem 
Geheimrat Röchlin-Misdroy gewählt wurde. Vereinsorgan wurde die 
Zeitschrift für Balneologie. 

— Dem ärztlichen Zentralausschuss in Hessen wurde seitens des 
Ministeriums der Entwurf einer Aerzteordnung und eines Gesetzes zur 
Errichtung einer Aerztekamraer und eines Ehrengerichts vorgelegt. 

— Im Anschluss an die Notiz in Nr. 15 über die Zunahme nicht¬ 
deutscher Aerzte in Badeorten verdient Beachtung, dass aus dem Be¬ 
scheid des bayerischen Staatsministeriums auf die Eingabe der Aerzte- 
kammern hervorgeht, dass das bayerische Ministerium mit der Reichs¬ 
regierung in Fühlung getreten ist wegen eines Verbots der ärztlichen 
Tätigkeit durch nicht in Deutschland approbierte Aerzte. 


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UNIVERSUM OF IOWA 







764 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


— Der Senior der Nürnberger Aerzte, Hofrat Wilhelm Merkel, 
feierte am 11. d. M. seinen 80. Geburtstag; er übte bis vor kurzem eine 
umfangreiche gynäkologische Praxis aus. 

— Für die innere Abteilung des städtischen Krankenhauses in 
Hildesheim wurde beschlossen, einen eigenen Oberarzt anzustellen und 
Privatdozent v. Cri ege rn-Leipzig dafür gewählt; der bisherige Oberarzt des 
ganzen Krankenhauses, Medizinalrat Becker, wurde zum Direktor ernannt. 

— Das Gehalt der Assistenten an den städtischen Kranken¬ 
häusern bat eine Neuregelung erfahren. Es beträgt von jetzt ab bei 
freier Station 1200, 1500 und 1800 M. (bisher 12—1500 M.). Auch die 
Unfallversicherung hat die Stadt für ihre Assistenten übernommen. 

— Wie die „Statistische Korrespondenz“ angibt,• ist der Geburten¬ 
überschuss in Preussen im Jahre 1912 um 55 595, und zwar von 
492 863 auf 547 958, gestiegen; die Steigerung ist, wie nach den viel¬ 
fachen Abhandlungen über die Abnahme der Geburten wohl selbst¬ 
verständlich, nicht auf eine absolute Zunahme der Geburten zu setzen; 
diese ist im Gegenteil weiterhin im Sinken begriffen, und zwar trotz 
steigender Ehefrequenz. Während von 1902 bis 1911 die 
Geburtenzahl durchschnittlich 1 284 110, die der Sterbefälle 725 241, 
der Geburtenüberschuss somit 558 869 betrug, ist die Geburtenzahl im 
Jahre 1911 bereits um 59 019 unter dem zehnjährigen Durchschnitt ge¬ 
blieben, 1912 aber sogar um 64 243. Die Zahl der Todesfälle ist 1911 
7487 über dem zehnjährigen Durchschnitt gewesen, dagegen 1912 um 
53 332 unter dem zehnjährigen Durchschnitt geblieben. Also lediglich 
aus dem Sinken der Todesziffern resultiert der Geburtenüberschuss. — 
Neu ist weiter die Ermittlung, die uns Herr Geh. Rat Behla freundlichst 
zur Verfügung stellt, dass die Sterblichkeit an Tuberkulose im 
Jahre 1912 auf 14,49 pro 10 000 Lebende gesunken ist, gegen 15,2 
im Vorjahre, ihre sinkende Tendenz also in erfreulicher Weise anhält. 

Hochschulnachrichten. 

Berlin. Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Otto Hildebrand ist zum ordentl. 
Mitgliede der Kgl. wissenschaftl. Deputation für das Medizinalwesen ernannt 
worden. — Frankfurt a. M. Prof. Dr. Strasburger in Breslau wurde 
zum Direktor der neu zu begründenden medizinischen Poliklinik ernannt. — 
Cöln. Prof. Dr. Dürck in München hat den Ruf als Direktor des 
pathologischen Instituts abgelehnt. Geheimrat Bardenheuer gedenkt 
das Direktoriat der chirurgischen Abteilung an der Akademie für prak¬ 
tische Medizin niederzulegen. — Rostock. Zu Geheimen Medizinal¬ 
räten wurden ernannt die Professoren Müller (Chirurgie), Peters 
(Ophthalmologie), Pfeiffer (Hygiene), Körner (Oto-Rhino-Laryngologie). 

— Prag. Habilitiert: Dr. V. Guttmann für Oto-Rhino-Laryngologie. 

— Graz. Der Privatdozent Dr. Possek erhielt den Titel eines ausser¬ 
ordentlichen Professors. — Lemberg. Dr. Markovsky wurde Ordinarius 
der Anatomie. — Padua. Habilitiert: DDr. Baratozzi und Farini 
(medizinische Pathologie), Cecca und Marchetti (externe Pathologie), 
Megardi (Ophthalmologie), Silvestri (Pädiatrie). — Turin. Habilitiert: 
Dr. Provera (Chirurgie). 


Zur Einführung der neuen Krankenversicherung. 

Die von der Krankenkassenkommission des Deutschen Aerztevereins- 
bundes ausgearbeiteten und vom Geschäftsausschuss genehmigten Muster¬ 
verträge sind jetzt in der Buchhandlung des Leipziger Verbandes 
erschienen und können von dieser bezogen werden. Sie enthalten das 
Mindestmaass dessen, was wir Aerzte in unseren Beziehungen zu den 
Krankenkassen von diesen fordern müssen, und sind in ihren Einzel¬ 
heiten den Beschlüssen der Aerztetage, insbesondere denen des Stutt¬ 
garter Aerztetages, gleichzeitig aber auch den Bestimmungen der vom 
Reichskanzler erlassenen Mustersatzungen für Krankenkassen angepasst. 
Wir empfehlen den Herren Kollegen, besonders den Vorsitzenden der 
kassenärztlichen Lokalorganisationen und derVertragsprüfungskommissionen 
das Studium der Musterverträge und bitten sie, nach diesem Muster 
jetzt schon Vertragsentwürfe für den Abschluss mit den für sie in Be¬ 
tracht kommenden Krankenkassen vorzubereiten. Aber nur vor¬ 
zubereiten. Wir warnen dringend und immer wieder davor, etwa jetzt 
schon sich in Verhandlungen mit den Kassenvorständen einzulassen. 
Die Kassen müssen erst ihre Statuten neu errichten und deren Ge¬ 
nehmigung, vor allem aber ihre fernere Zulassung überhaupt abwarten, 
ehe sie imstande sind, ihrerseits Abmachungen, die für die Zukunft tat¬ 
sächlich Wert haben, zu treffen. Es empfiehlt sich aber, die Kassen¬ 
vorstände auf die Musterverträge hinzuweiseu und ihnen anheimzugeben, 
deren Bestimmungen bei der Aufstellung der Kassensatzungen Rechnung 
zu tragen. Auf keinen Fall dürfen jetzt schon Verträge abgeschlossen 
oder — auch nicht unter Vorbehalt — unterzeichnet werden. 
Wer das tut, gefährdet das vom Stuttgarter Aerztetag beschlossene ein¬ 
heitliche, gleichzeitige, gleichmässige und geschlossene Vorgehen. Im 
Interesse eines solchen liegt es auch, dass laufende Verträge nicht über 
den 31. Dezember d. J. in Kraft bleiben, und deshalb sind alle künd¬ 
baren Verträge unbedingt rechtzeitig für den letzten Tag 1913 zu 
kündigen. 

Dr. Dippe, 

Vorsitzender des Deutschen Aerztevereinsbundes. 

Dr. Hartmann, 

Vorsitzender des Leipziger Verbandes. 


Amtliche Mitteilungen. 

Personalien. 

Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 4. Kl.: Med.-Rat Dr. A. 
Gilbert in Dresden, Geh. San.-Rat Dr. R. Paprosch in Berlin, 
Marinestabsarzt Dr. Fr. Weispfenning vom Stabe S. M. kl. Kreuzers 
„Cöln“. 

Ernennungen: ordentl. Professor Dr. F. Hofmann in Prag zum 
ordentl. Professor in Königsberg, ausseretatsmässiges wissenschaftl. Mit¬ 
glied der Königl. Landesanstalt für Wasserbygiene in Berlin-Dahlem 
Dr. J. Wilhelmi zum etatsmässigen Mitgliede der Anstalt. 

Niederlassungen: Aerztin Dr. G. Böhm in Berlin, Arzt H. Cohn 
und Dr. M. Schönenberg in Berlin-Schöneberg, Marinestabsarzt a. D. 
Dr. W. Bugs in Fürstenwerder, Dr. P. Syring in Teupitz, Dr. W. 
Tauscher in Hohensalza, Arzt V. Szatkowski in Luisenfelde (Kr. 
Hohensalza), Dr. G. Fl ebbe in Fallingbostel, Arzt A. Ko 11 in 
Aachen, Dr. H. Wildt in Eupen. 

Verzogen: Dr. H. Simons von Harburg a. E. nach Pasing bei 
München, Dr. G. Cäsar von Bonn nach Bethel b. Bielefeld, Oberarzt 
Dr. K. Rabiger von Pless nach Cöln, Stabsarzt A. Casten von 
Breslau nach Aachen, Stabsarzt Dr. G. Scholtze von Stettin nach 
Bischofsburg, Dr. A. Tietz von Stettin nach Berlin, Dr. H. Mück 
von Berlin nach Berlin-Wilmersdorf, Dr. G. Benn von Spandau nach 
Charlottenburg, Dr. L. Caro von Berlin, Dr. L. Adler von München 
und Dr. J. Miekley von Breslau nach Berlin-Schöneberg, Dr. W. 
Eg 1 off von Berlin nach Stuttgart, Dr. R. Kall mann von Berlin 
nach Freiburg i. B, Dr. J. Köllner von Berlin nach Würzburg, 
Aerztin Dr. P. Selig von Berlin nach Worms, Dr. F. Kretschmer 
von Mainz, Arzt H. Neuhaus von Frankfurt a. M., Dr. E. Sohwarz 
von Breslau, Arzt K. Weber von Neuburg und Dr. L. Weiss¬ 
brenner von Halle a. S. nach Berlin, Dr. F. Ideler von Fürsten¬ 
werder nach Gramzow, Dr. A. Kaul von Breslau nach Woltersdorf, 
Dr. W. Schönebeck von Berlin nach Buch, Dr. E. Schnürpel von 
Berlin nach Biesdorf, Dr. K. Arendts von Reisen und San.-Rat Dr. 
Wachenfels von Berlin nach Strausberg, Dr. J. Hensen von Berlin 
nach Wittstock (Dosse), Aerztin Dr. A. Gehaab - Lieberknecht von 
Berlin-Lichterfelde nach Zehlendorf, Geh. San.-Rat Dr. M. Kaiser von 
Charlotten bürg nach Berlin-Schmargendorf, Dr. C. Jo chem von Berlin 
nach Berlin-Steglitz, Dr. W. Kotei mann von Wehrsdorf nach Bee¬ 
litz, Dr. H. Raettig von Wackersleben nach Caputh, Dr. E. Krause 
von Beelitz nach Brandenburg a. H., Dr. 0. Kirchhübel von Crim¬ 
mitschau nach Senftenberg, Dr. K. Hartig von Berlin nach Clett- 
witz, Dr. E. Flügge von Essen nach Waldfrieden b. Fürstenwalde, Dr. 
P. Flemming von Uchtspringe und Dr. J. Konietzny von Rybnik 
nach Städtel Leubus, Dr. 0. Kotzulla von Beuthen (O.-Schl), Geh. 
San.-Rat Dr. A. Kratzert von Pless und Dr. G. Lichtenstein von 
Bad Jastrzemb nach Breslau, Dr. P. J. Leupolt von Breslau nach 
Gleiwitz, Dr. F. Schröder von Gleiwitz nach Rostock, Dr. F. Zahn 
von Erlangen nach Uchtspringe, Dr. F. Rehra von Blankenburg a. H. 
nach Friedrichsbrunn, Dr. A. Haffner von Friedrichsbrunn nach 
Alexandersbad (Bayern), Dr. K. Wichura von Schierke nach Blanken¬ 
burg i. Thür., Dr. 0. Polz von Ilsenburg nach Jena, Dr. J. Bren- 
ning von Schraplau nach Ilsenburg, Dr. L. Gürich von Eidelstedt 
i. Holst, nach Schraplau, Dr. W. Hochgeschurz von Halle a. S. 
nach Nürnberg, Dr. E. A. Jüngermann von Hamburg und Dr. F. 
Knoff von Minden i. W. nach Hannover, Dr. E. Glombitza von 
Hamburg nach Harburg, Arzt J. Junkermann von Berlin und Arzt 
W. Schlüter von München nach Dortmund, Arzt K. Eyselein von 
Recklinghausen und Arzt E. Tuhr von Kottbus nach Bochum, Dr. M. 
Meyer von Strassburg nach Gelsenkirchen, Dr. F. Reuter von 
Herschbach nach Herdecke, Dr. W. Fenkner von Eschwege nach 
Braunschweig, Oberstabsarzt a. D. Dr. K. Vehling von Görlitz nach 
Duisburg, Dr. W. Steenbeck von Berlin nach Wesel, Dr. F. Wese- 
ner vom Ausland nach Aachen, Arzt F. Hofstadt von Aachen nach 
München. 

Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. K. Brock¬ 
mann von Charlottenburg, Arzt R. Bock von Berlin, Dr. S. Bloch 
von Berlin-Schöneberg, Dr. F. de Bra von Carolath, Dr. J. Less- 
hafft von Weissenfels auf Reisen, Arzt R. Kurtz und Dr. E. Lippert 
von Dortmund. 

Gestorben: Kreisarzt, Geh. Med.-Rat Dr. Roeper in Arnsberg, Dr. P. 
Werner in Allenstein, Dr. 0. Pielicke und Dr. M. Schlie in 
Berlin, Dr. 0. Faber in Ratibor, Geh. San.-Rat Dr. G. Ihlefeldt in 
Quedlinburg, Kreisarzt a. D , Geh. Med.-Rat Dr. F. Limper in 
Gelsenkircben, Arzt H. Meuser in Merken, Geh. San.-Rat Dr. F. 
Lucas in Erkelenz, Dr. A. Pellengahr in Waldfeuoht. 


Bekanntmachung. Die bisher in Berlin, Kochstrasse 73, befind¬ 
liche Königliche Versuchs- und Prüfungsanstalt für Wassersorgung und 
Abwässerbeseitiguog ist nach Berlin-Dahlem, Ehrenbergstrasse 38/42 
(Post: Berlin-Lichterfelde), verlegt worden. Sie führt jetzt die Bezeich¬ 
nung: „Königliche Landesanstalt für Wasserhygiene“. 


Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hans Kohn , Berlin W., Bayrenther 8trasse 43. 


Verlag und Eigentum von August Hirsohwald in Berlin. — Druok von L. Schumaoher in Berlin N. 4. 


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UNIVERSUM OF IOWA 









Dl« Berliner Klinische Wochenschrift erscheint Jeden 
Montag ln Nummern von ca. 5—6 Bogen gr. 4. — 
Preis Tiertelj&hrlich 6 Mark. Bestellungen nehmen 
alle Buchhandlungen und Postanstalten an. 


BERLINER 


Alle Einsendungen für die Redaktion and Expedition 
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung 
August Hirschwald in Berlin NW., Unter den Linden 
' No. 68, adressieren. 


KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Organ für praktische Aerzte. 

Mit Berücksichtigung der Medizinal Verwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 

Redaktion: Expedition: 

Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posner und Dp. Hans Rohn. August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin. 


Montag, den 28. April 1913. M 17. 


Fünfzigster Jahrgang. 


I N H 

Origiaaliei: Fraenkel: Ueber die Behandlung der Arteriosklerose. S.765. 
Uhlenhuth und Mulzer: Weitere Mitteilungen über die In¬ 
fektiosität des Blutes und anderer Körperflüssigkeiten syphilitischer 
Mensehen für das Kaninchen. (Aus dem Institut für Hygiene und 
Bakteriologie und der Klinik für syphilitische und Hautkrankheiten 
der Universität zu Strassburg i. E.) S. 769. 

Meyer: Infektion und Verdauung. (Aus dem Waisenhaus der 
Stadt Berlin.) S. 775. 

Markus: Untersuchungen über die Verwertbarkeit der Abder- 
halden’schen Fermentreaktion bei Schwangerschaft und Carcinom. 
(Aus der gynäkologischen Abteilung des Hospitals zu Allerheiligen, 
Breslau.) S. 776. 

Münzer: Ueber die Bedeutung der Ahderhalden’schen Forschungs¬ 
ergebnisse für die Pathologie der inneren Sekretion. S. 777. 
Drews: Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett bei ausgedehnter 
halbseitiger Teleangiektasie und Varicenbildung mit lymph- 
angiektatischer Elephantiasis. (Aus der geburtshilflichen Abteilung 
des städtischen Krankenhauses Charlottenburg.) (Illustr.) S. 779. 
Katz: Zur Behandlung des Ausflusses der Frau. (Aus der Privat- 
Frauenklinik von Professor Dr. A. Pinkuss zu Berlin.) S. 780. 
Stern: Diplomelliturie. S. 782. 

Loevy: Ein Beitrag zur Behandlung schwerer Formen von Tri¬ 
geminusneuralgie mit Alkoholinjektionen ins Ganglion Gasseri. 
(Aus der II. chirurgischen Abteilung des städtischen Rudolf 
Virchow-Krankenhauses.) S. 784. 

Bäeherbesprechiingeii: Sonnenburg: Pathologie und Therapie der Peri¬ 
typhlitis (Appendicitis). S. 784. (Kef. Beoker.) — Ach: Beiträge 
zur Oesophaguschirurgie. S. 784. (Ref. Unger.) — Horn: Ueber 
nervöse Erkrankungen nach Eisenhahnunfällen. S. 784. (Ref. 
Seiffer.) — Fischer: Grundriss der sozialen Hygiene. S. 785. 
Lundborg: Medizinisch-biologische Familienforsohungen innerhalb 


ALT. 

eines 2232 köpfigen Bauerngeschlechts in Schweden. S. 785. 
Tugendreich und Mosse-. Krankheit und soziale Lage. S. 785. 
(Ref. Weinberg.) 

Literatiir-Aiiszfige: Physiologie. S. 785. — Pharmakologie. S. 787. — 
Therapie. S. 787. — Allgemeine Pathologie und pathologische 
Anatomie. S. 787. — Parasitenkunde und Serologie. S. 788. — 
Innere Medizin. S. 789. — Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 
S. 789. — Kinderheilkunde. S. 790. — Chirurgie. S. 790. — 
Röntgenologie. S. 791. — Haut-und Geschlechtskrankheiten. S. 791. 
— Geburtshilfe und Gynäkologie. S. 791. — Augenheilkunde. 
S. 791. — Hygiene und Sanitätswesen. S. 792. — Unfallheilkunde 
und Versicherungswesen. S. 792. — Technik. S. 793. 
Verhandlungen ärztlicher Gesellschaftern: Berliner Gesellschaft 
für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. S. 793. — Hufe- 
landische Gesellschaft. S. 795, — Physiologische Gesell¬ 
schaft zu Berlin. S. 796. — Berliner ophthalmologische 
Gesellschaft. S. 796. — Medizinische Sektion der schlesi¬ 
schen Gesellschaft für vaterländische Kultur zu Breslau. 
S. 797. — Aerztlioher Verein zu Hamburg. S. 798. — Aerzt- 
licher Bezirksverein zu Zittau. S. 800. — Gesellschaft für 
Natur* und Heilkunde zu Dresden. S.800. — Medizinische 
Gesellschaft zu Leipzig. S. 801. — Unterelsässischer 
Aerzteverein zu Strassburg i. E. S. 802. — Aerztlioher 
Verein zu München. S. 803. — Aus Pariser medizinischen 
Gesellschaften. S. 804. 

42. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 
zu Berlin. (Fortsetzung.) S. 805. 

Deutscher Kongress für innere Medizin zu Wiesbaden. S.808. 
Unna: Chemiker und Biologe. S. 809. 

Tagesgeschiohtliche Notizen. S. 811. 

Amtliche Mitteilungen. S. 812. 


Ueber die Behandlung der Arteriosklerose. 

Von 

A. Fräenkel, 

Direktor des städtischen Krankenhauses am Urban in Berlin. 


Die erfolgreiche Behandlung der Arteriosklerose setzt eine 
genaue Kenntnis ihrer Pathogenese und Semiotik voraus. Be¬ 
sonders auf dem erstereo Gebiete sind in den letzten anderthalb 
Dezennien Fortschritte zu verzeichnen; aber auch die Kenntnis 
der klinischen Erscheinungsformen hat sich wesentlich vertieft. 
Von seiten der pathologischen Anatomen hat man neuerdings 
nach einem von Marcband gemachten Vorschläge die alte Be¬ 
zeichnung Arteriosklerose mit dem die mechanischen Verände¬ 
rungen in einem Worte kennzeichnenden Ausdruck Atherosklerose 
vertauscht. Das hat augenscheinlich den Vorzug, dass dieselbe 
Bezeichnung auch auf analoge Prozesse an den Herzklappen und 
in den Venen angewandt werden kann. Für die Klinik fällt 
dieser Umstand jedoch wenig ins Gewicht; für sie stehen die 
Vorgänge im arteriellen Abschnitt des Circulationsapparates so 
sehr im Vordergründe des Interesses, dass sie berechtigt ist, an 
der ursprünglichen Benennung Arteriosklerose festzuhalten. 

Marcband und Romberg definieren die Arteriosklerose als 
eine Ernährungsstörung infolge von Abnutzung der Gefässwand. 
Die Untersuchungsergebnisse von Jo res sowie vou Tor hörst 


und namentlich von Hallenberger, welcher unter Aschoff 
arbeitete, sprechen für die Berechtigung dieser Auffassung. Ins¬ 
besondere hat die methodische Verfolgung der Wandveränderungen, 
welche die Arterie fortschreitend vom kindlichen Alter bis in die 
späten Lebensjahre erfährt, auf klärend auf unsere Vorstellungen 
über das Wesen der Arteriosklerose gewirkt. Der Gefässdruck 
wirkt, wie Aschoff sagt, während der Wachstnmsperiode als 
formatier Reiz and bedingt zunächst die Verdickung des 
elastischen Rohres durch Anlagerung gleichwertigen Materials. 
Ohne in anatomische Details einzugehen, sei bemerkt, dass die 
Neubildung elastischen Gewebes, welche schon bald nach der Ge¬ 
burt einsetzt, in Form einer Abspaltung elastischer Streifen von 
der Elastica interna der Intima erfolgt. Hand in Hand damit 
findet ein Einbau muskulöser Elemente statt und beteiligt sich aq 
der Dickenzunahme des Gefässes. Nachdem mit dem Abschluss 
des Wachstums eine Art stabilen Zustandes der anatomischen 
Wandbeschaffenheit erzielt ist, beginnen von der Mitte bzw. dem 
Ende des vierten Lebensjahrzebnts die Involutionsvorgänge, welche 
schliesslich zur Sklerose führen. Sie bestehen zuvörderst in einer 


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UNIVERSUM OF IOWA 







766 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 17. 


Einlagernng von Bindegewebe zwischen die einzelnen elastischen 
Streifen und auf die alte Intima, wodurch die Gefässe zwar an 
Vollkommenheit der Elastizität verlieren, d. h. weniger dehnbar 
werden, gerade aber dadurch befähigt werden, bis zu einem ge> 
wissen Grade den unaufhörlich dehnenden Kräften des Blutdrucks 
Widerstand zu leisten. Diese Entwicklung von Bindegewebe ver¬ 
bindet sich allmählich — zum Teil gewiss wiederum infolge der 
direkten Wirkung des Gefässdrucks — mit degenerativen Pro¬ 
zessen, d. h. Verfettung und Nekrose, womit der Uebergang zur 
eigentlichen Atheromatose eingeleitet wird. 

Es versteht sich von selbst, dass die relative Schnelligkeit, 
mit welcher sich die eben skizzierten Veränderungen vollziehen, 
wesentlich durch die Lebensweise beeinflusst werden, und dass 
dadurch recht erhebliche Differenzen in dem Verhalten der 
einzelnen Individuen zur Wahrnehmung gelangen müssen. So 
werden z. B. die aussergewöbnlichen Muskelleistungen 
eines Arbeiters, welcher jahrein jahraus tagtäglich mit dem 
Tragen und Heben schwerer Lasten beschäftigt ist, oder die nicht 
minder grossen Anstrengungen eines Bergsteigers durch die mit 
ihnen verbundenen Insulte des Gefässsystems verhältnismässig 
früh zur Ausbildung sklerotischer Wandveränderungen führen 
können. Dennoch darf man die Bedeutung solcher rein mechani¬ 
schen Einflüsse nicht überschätzen und auf sie nicht allein alle 
frühzeitigen Sklerosen zurückführen. Noch weniger ist es erlaubt, 
das Gros der übrigen, erst im späten Lebensalter offenbar 
werdenden Erkrankungen des arteriellen Gefässapparates als 
blosse und ausschliessliche Folgen der Blutdruckwirkung an¬ 
zusehen. Hier kommt vielmehr ausser dem mechanischen 
Moment noch die ursächliche Bedeutung toxischer Ein¬ 
flüsse in Betracht. Menschen, bei welchen solche nicht 
wirksam waren, und die sich einer mässigen Lebensweise be- 
fleissigten, bei denen auch besondere Erregungen des Nerven¬ 
systems nicht statthaben, pflegen, wie die klinische Erfahrung 
lehrt, erst in ziemlich vorgerücktem Alter, d. h. in den sechziger 
oder gar siebziger Jahren ihres Lebens an arteriellen Circu- 
lationsstörungen zu erkranken. Die toxischen Ursachen, welche die 
Entwicklung der Arteriosklerose begünstigen, sind entweder durch 
Abweichungen des Stoffwechsels oder durch von aussen in den 
Körper aufgenommene Giftsubstanzen bedingt, oder sie sind bak¬ 
terieller Natur. Unter den Stoffwechselstörungen ist vor allem 
die Gicht zu erwähnen, ferner der Diabetes. Bei diesem ist 
wiederum das Freibleiben jugendlicher Individuen bemerkenswert. 
Dass er trotzdem eine wesentliche Rolle spielt, geht unter 
anderem aus dem so häufigen Vorkommen von Angina pectoris bei 
Diabetikern, welche das mittlere Lebensalter wenig überschritten 
haben, hervor. Der Unterschied ist wohl kaum anders als da¬ 
durch zu erklären, dass im jugendlichen Alter eben die Gefässe 
noch widerstandsfähiger gegenüber der einwirkenden Schädlichkeit 
sind. Von den mit der Nahrung zogeführten Giftstoffen kommt 
unzweifelhaft dem Alkohol die hauptsächlichste Bedeutung zu. 
Er wirkt um so schädlicher, als seine Aufnahme meist zugleich 
mit der Zufuhr grösserer Flüssigkeitsmengen verbunden ist, in¬ 
folgedessen sich hier wiederum das mechanische mit dem che¬ 
mischen Moment paart. Wie weit die chronische Bleiintoxikation, 
insofern sie nicht die Entwicklung eines Nierenleidens oder der 
Gicht verursacht, zur Sklerose disponiert, lässt sich schwer be¬ 
urteilen. Dass die chronische Nephritis nicht selten selbst bei 
verhältnismässig jungen Menschen von Arteriosklerose gefolgt ist, 
darf als sicher angesehen werden. Unter den bakteriellen In¬ 
toxikationen steht endlich die Syphilis als häufigste Ursache 
der Sklerose obenan. Aber auch manche akuten Infektions¬ 
krankheiten scheinen einen pathologischen Reiz auf die Gefässe 
ausüben und die Entwicklung der hierher gehörigen krankheit- 
lichen Veränderungen herbeiführen zu können. Am wahrschein¬ 
lichsten ist mir dies von der Influenza. Dass es sicht nicht um 
blosse hypothetische Bewertung dieser ätiologischen Einflüsse 
handelt, geht einerseits aus den anatomischen Untersuchungen 
Wiesel’s hervor; er fand bei den verschiedensten akuten Infek¬ 
tionskrankheiten, insbesondere bei Scharlach und Diphtherie, und 
zwar auch in den Herzen jugendlicher Individuen Veränderungen 
an den Arteriae coronariae cordis, die eine grosse Aehnlichkeit 
mit denjenigen der Arteriosklerose haben und in herdweiser 
Nekrose der Media und Intima mit sekundärer Verkalkung be¬ 
stehen. Andererseits gelang es Klotz und Saltykow experi¬ 
mentell durch Einspritzung von Bakterientoxinen nach dem Vor- 
gange von Gilbert und Lion der Sklerose nahe verwandte 
Gefässveränderungen zu erzeugen. — Endlich sei noch eines ätio¬ 
logischen Faktors Erwähnung getan, dessen Einfluss nicht zu 


unterschätzen ist, das sind schwere und andauernde Gemüts- 
depressionen. Viele Neurastheniker werden verhältnismässig 
früh von Arteriosklerose befallen. Die Frage, wie durch Ver¬ 
mittlung des Nervensystems die Krankheit zustande kommt, lässt 
sich nur veimutungsweise beantworten. Ich glaube nicht, dass 
hier blosse mechanische Einwirkungen der mit abnormer Erregung 
der Herztätigkeit verbundenen Schwankungen des Gefässdrucks 
in Betracht kommen, sondern bin eher geneigt, einen prädispo¬ 
nierenden Einfluss allgemeiner Schädigung der Ernährung durch 
die anormale Reaktionsweise des Nervensystems anzunehmen. 

Berücksichtigt man die verschiedenen Eotstehungsursachen der 
Arteriosklerose, so ergibt sich, dass die erste Aufgabe einer 
rationellen Behandlung des Leidens darauf gerichtet sein muss, 
dasselbe an der Wurzel anzugreifen, d. h. die Schädlichkeiten, welche 
seine Entwicklung begünstigen, von vornherein abzuwenden oder 
in solchen Fällen, wo dies nicht mehr möglich ist, ihre Wirkung 
in einem möglichst frühen Zeitpunkt zu beschränken, v. Basch 
hat den Begriff der latenten Arteriosklerose eingeführt, Andere 
sprechen von einem präsklerotischen Stadium. Die Vorstellung 
einer gewissermaassen inkubatorischen Entwicklungsperiode gründet 
sich im wesentlichen auf der durch Messung gewonnenen Beobachtung, 
dass der Blutdruck zuweilen schon erhöht gefunden wird, wenn 
andere klinische Zeichen ausgeprägter sklerotischer Veränderungen 
am arteriellen Gefässapparat noch fehlen. Die Möglichkeit eines 
wirksamen Eingreifens der Behandlung in diesem Zeitraum muss 
zugegeben werden, und ihre Verwirklichung erscheint soweit 
tunlich durchaus geboten. Aber man muss sich darüber klar 
sein, dass das Verhalten des Blutdrucks keineswegs bei allen 
Formen der Sklerose zur frühzeitigen Erkennung ihrer Entwick¬ 
lung ausreicht, da in nicht wenigen Fällen die arterielle Span¬ 
nungszunahme vermisst wird und selbst im weiteren Verlauf 
ausbleibt. Hier sind wir also ausschliesslich auf die Erfahrung 
angewiesen, dass das Vorhandensein gewisser Schädlichkeiten für 
die betreffenden Individuen eine Gefahr bedeutet, und sie müssen 
daher zunächst bekämpft werden. Wir werden also da, wo eine 
Luxuskonsumption besteht, sei es mit, sei es ohne übermässigen 
Alkoholgenuss, für eine entsprechende Regelung der Lebens¬ 
weise Sorge zu tragen haben. Neben der Einschränkung solcher 
Ueberscbreitungen ist bei denjenigen Patienten, welche sich zu 
wenig körperliche Bewegung machen, auf gesundheitsgemässe 
Betätigung der Muskulatur zu achten und darauf einzuwirken, 
dass sie ihre träge Circulation durch methodische und zweckmässige 
hydrotherapeutische Maassnahmen befördern. Ueberaus 
vorteilhaft ist die tägliche Vornahme zimmergymnastischerUebungen, 
unter besonderer Berücksichtigung der Atmung. Dass langsame 
tiefe In- und Exspirationen ein wichtiges Förderungsmittel zur 
Entleerung des Venen- und Capillarsystems sind, bedarf keiner 
weiteren Begründung. Auch die günstige Wirkungsweise anderer 
gymnastischer Uebungen dürfte darauf beruhen, dass durch die 
damit verbundene lebhaftere Blutdurchströmung der Muskeln eine 
Entlastung der inneren Organe herbeigeführt und damit der 
Blutstase in ihnen entgegengearbeitet wird. Und das Gleiche 
gilt von einer zweckmässigen Anwendung der Kaltwasserproze¬ 
duren. Diese lasse man zunächst in Form von Schwammdouchen, 
Uebergiessungen und Abreibungen mit etwas über Zimmer¬ 
temperatur erwärmtem Wasser (22° Reaumur) unter Zuhilfenahme 
eines Lufahandschuhes, nicht durch einen Badewärter, sondern 
von dem Patienten selber vornehmen; erst allmählich wird mit 
der Temperatur bis auf 16—18° R (sommerliche Zimmerwärme) 
heruntergegangen. Kräftige Trockenfriktionen der Haut müssen 
jedesmal nachfolgen, um eine tüchtige Erweiterung der Haut- 
gefässe hervorzubringen. Am rationellsten werden die Abreibungen 
des Morgens unmittelbar nach dem Aufstehen ausgeführt und 
ihndn die gymnastischen Uebungen unmittelbar angeschlossen. 
Alle derartigen Maassnabmen zielen, wie gesagt, darauf ab, den 
Blutgehak der inneren Organe, insbesondere der abdominellen zu 
regulieren, ihrer Ueberfüllung mit Blut entgegenzuarbeiten und 
damit die Ausbildung einer stärkeren Sklerose ihrer Gefässe zu 
verhindern. Das Bestreben ist insofern rationell, als ja be- 
kanntermaassen der vom Splanchnicus innervierte Gefässapparat 
der Unterleibsorgane eine Nebenschliessung des gesamten Kreis¬ 
laufes darstellt und gerade die an ihm sich entwickelnde 
abnorme Wandstarre der Arterien eine Rückwirkung auf die 
Druckverhältnisse im ganzen Aortensystem ausüben muss. Zu¬ 
gleich kommt jenen Behandlungsmethoden ein tonisierender 
Einfluss auf das Nervensystem zu, weswegen ihre Anwendung 
auch bei neurasthenischen Individuen angezeigt ist. Nur boü 
man sie dem Einzelfalle anpassen und sich vor Uebertreibungefi 


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28. April 1913, 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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io acht nehmen. Selbst diejenigen Kranken, welche zunächst 
eine ausgesprochene Abneigung gegen die Kaltwasserbehandlung 
an den Tag legen, kann man durch anfänglich möglichst milde 
gewählte Verfahren und allmähliche Steigerung an sie gewöhnen. 

Legen wir somit einerseits den zweckmässig abgemessenen 
Leibesöbungen einen prophylaktischen Wert zur Verhinderung 
vorzeitiger Sklerosen bei, so muss andererseits im Einklänge mit 
dem in der Einleitung Gesagten betont werden, dass solche 
Patienten, welche berufs- oder gewohnheitsmässig abnorm starke 
Muskelleistungen ausüben, rechtzeitig auf das Bedenkliche der¬ 
artigen Verhaltens hinzuweisen sind. Um so mehr ist das ge¬ 
boten, wenn es sich am Menschen handelt, deren Herz von Hause 
aus nicht besonders leistungsfähig ist, und welche die betreffenden 
Ueberanstrengungen nur unter Aufwendung eines hohen Maasses 
psychischer Kraft auszuführeo imstande sind. 

Von Bedeutung sind weiterhin — gleichfalls in prophylak¬ 
tischer Beziehung — die sachgemässe Behandlung vor¬ 
handener Stoffwechselstörungen und die Maassregeln, 
welche in Betracht kommen, wenn voraufgegangene Syphilis ent¬ 
weder durch die Anamnese oder durch die Wassermann’sche 
Reaktion sichergestellt ist. Auf die zur Bekämpfung der Gicht 
geeigneten Methoden kann hier nicht näher eingegangen werden. 
Ueber die ätiologische Bedeutung der Fettleibigkeit gehen die 
Ansichten auseinander. Jedenfalls ist es geboten, bei korpulenten 
Menschen, deren Arterienspanuung erhöht ist, eine Verminderung 
des Körpergewichts anzustreben, da der abnorme Fettbestand eine 
Belastung für das Herz bedeutet. Unter den Aerzten ist vielfach 
die an sich durchaus richtige Vorstellung verbreitet, dassArterio- 
sklerotiker ein lakto-vegetabilisches Regime innehalten und 
sich übermässigen Fleischgenusses enthalten müssen. Da Kohle¬ 
hydrate und Fettsubstanzen restlos im Körper verbrennen, während 
die stickstoffhaltigen Nahrungsmittel Schlackenbildner sind, so ist 
bei den Diätvorschriften auf reichlichen Genuss nicht blähender 
Gemüse und von Obst besonders Gewicht zu legen. Im allge¬ 
meinen sollen derartige Patienten bei mittlerem Körpergewicht 
nicht mehr als 200—250 g Fleisch in bereitetem Zustande pro 
Tag gemessen. Die Flüssigkeitszufubr ist auf 1—l 1 /* Liter zu 
beschränken. Bouillonsuppen werden am besten vermieden; ein 
mässiger Milcbgenuss ist dagegen vorteilhaft und wird bei 
Neigung zur Fettleibigkeit oder Flatulenz durch Buttermilch 
ersetzt. 

Bei allen frühzeitig in die Erscheinung tretenden Arterio¬ 
sklerosen ist der Arzt verpflichtet, auf Syphilis zu fahnden. 
Ergibt die Anamnese keinen bestimmten Anhaltspunkt, so muss 
unter allen Umständen die Wassermann’sche Reaktion vorge¬ 
nommen werden; sie beweist natürlich nur bei positivem Ausfälle. 
Es ist erstaunlich, wie schnell sich io vielen Fällen schwerste 
Gefässveränderungen und ihre Folgen: Herzhypertrophie, chro¬ 
nische Nierenentzündungen mit Uebergang in Schrumpfung, Angina 
pectoris, Sklerose der Hirngefässe bei Luetikern entwickeln. Ich 
habe ausgesprochene Sklerose des peripheren Gefässapparates mit 
beträchtlichen Störungen der Herz- und Nierentätigkeit schon zwei 
Jahre nach der Infektion auftreten gesehen. Solche Erfahrungen 
fordern dringend dazu auf, mit energischen antiluetischen Kuren 
vorzugehen auch in Fällen, in denen erheblichere Beschwerden 
noch nicht bestehen. Jedenfalls erstrebe man, bei positiver Blut¬ 
reaktion diese durch Wiederholung von Salvarsan- und Queck¬ 
silberkuren in mehrmonatlichem Abstande zum Schwinden zu 
bringen. Und auch wenn das gelungen ist, soll der Patient im 
Jahre mindestens zweimal eine Anzahl von Wochen Jod ge¬ 
brauchen, wozu nicht gerade besonders grosse Tagesdosen (siehe 
weiter unten) erforderlich sind. Ich habe die feste Ueberzeugung, 
dass durch ein derartiges planvolles prophylaktisches Vorgehen 
die Entwicklung von Aneurysmen, deren gewöhnlichste Ent¬ 
stehungsursache ja bekanntlich Syphilis ist, ebenso wie die Aus¬ 
bildung anderer Formen der Gefässsyphilis in vielert Fällen 
hintenangehalten werden kann. i 

Sobald ernsthaftere Störungen im Befinden der Kranken einen 
vorgeschritteneren Grad von Arteriosklerose offenbaren, erweitern 
sich die Indikationen der Behandlung. Man ist gewohnt, die¬ 
selben je nach dem Abschnitte des Gefässapparates, welcher vor¬ 
wiegend befallen ist, zu gruppieren und zu unterscheiden: 1. Die 
Sklerosen mit gesteigertem arteriellen Druck und Herzhyper¬ 
trophie; 2. die Fälle mit hauptsächlicher Beteiligung der auf¬ 
steigenden Aorta; 3. diejenigen mit cerebralen Erscheinungen. 
Hieran scbliessen sich als etwas seltenere Formen: 4. Sklerosen 
mit besonderen Funktionsstörungen der Extremitäten und 5. mit 
solchen des Darms und einzelner grosser Unterleibsdrüsen, z. B. 


des Pankreas. Die Nieren sind in den meisten Fällen, in denen 
eine Herzhypertrophie besteht, mit ergriffen, ja anscheinend dabei 
die hauptsächlich erkrankten Organe. Doch sind weniger ihre 
anatomischen Veränderungen der Angriffspunkt der Therapie, als 
die durch sie verursachten allgemeinen Kreislaufstörungen. Diese, 
welche, wie gesagt, sich einerseits in der vermehrten Arterien- 
spannung, andererseits in der durch sie verursachten Mehrarbeit des 
Herzens äussern, legen den Versuch nahe, das bestehende Missver¬ 
hältnis zwischen Herzkraft und circulatorischen Widerständen durch 
Herabsetzung des Druckes auszugleichen. Leider sind die Be¬ 
handlungsmethoden, welche uns in dieser Beziehung zur Verfügung 
stehen, beschränkt und nur für kurze Zeit von Erfolg begleitet. 
Die mildeste und einfachste ist die durch Anregung der Darm- 
tätigkeit erzielbare Depletion. Regelmässige Abführungen mit 
salinischen Mitteln, entweder in Form der einfachen Bitterwässer 
oder von Kuren in Karlsbad erleichtern viele der Kranken, so 
lange das Herz noch einigermaassen leistungsfähig ist, sichtlich und 
ermässigen geringgradigere Atmungsbeschwerden. Unter Umständen, 
namentlich dann, wenn man es mit vollsaftigen Individuen zu 
tun bat, sind auch ab und zu zu wiederholende kleine Blut¬ 
entziehungen durch Schröpfköpfe, Aderlässe wirksam. Von 
sonstigen Verfahren hat in den letzten Jahren die Behandlung 
mitHochfrequenzströmen und mitVasotonineinspritzungen 
viel von sich reden gemacht. Doch darf man nicht allzuviel 
von ihnen erwarten, und die Erfahrungen lauten zum Teil wider¬ 
sprechend. Es liegen darüber eine Anzahl von Mitteilungen 
nüchterner Beobachter vor. 

Die d’Arsonvalisation sowohl in Gestalt der Solenoidanwen¬ 
dung als auch der lokalen Applikation haben sich Braunwarth 
und Fischer weniger wirkungsvoll erwiesen als der Gebrauch 
der Dialhermiemethode. Immerhin sind beide so leicht anwend¬ 
bar und mit so geringen Unbequemlichkeiten für die Patienten 
verknüpft, dass Versuche mit ihnen anzuraten sind namentlich 
bei solchen Kranken, welche zugleich an Angina pectoris leiden. 
Das Vasotonin — bekanntlich keine chemische Verbindung, 
sondern ein blosses Kombinationsmittel von Yohimbin und 
Urethan — übt unzweifelhaft bei manchen Kranken einen druck- 
herabsetzenden, ausschliesslich auf Rechnung des Yohimbins 
kommenden Einfluss aus. Es zeigt auch wenig von den un¬ 
angenehmen Reizwirkungen dieser ersten Komponente auf den 
Geschlechtsapparat; aber es muss, wenn überhaupt ein Erfolg 
sich bemerkbar macht, längere Zeit fortgebraucht werden, um 
ihn einigermaassen nachhaltig zu gestalten. Man injiziert von 
den im Handol vorkommenden Ampullen eine halbe bis eine 
zwei- oder selbst dreimal wöchentlich subcutan und lässt nach 
8 bis 10 Injektionen eine Pause eintreten. Wie die Beobachtungen 
am Tier und am Menschen dargetan haben, beruht die Wirkung 
des Yohimbins auf einer Erweiterung der Haut- und Extremitäten- 
gefässe, ist demnach an und für sich für die Behandlung der Arterio¬ 
sklerose rationell begründet. In der Tat habe ich bei einer An¬ 
zahl von Kranken danach Abnahme der Atmungsbeschwerden 
eintreten gesehen; auch bei solchen, welche subcutane Injektionen 
scheuten und denen statt ihrer die gebräuchlichen Tabletten 
von Yohimbin, hydrochlor. zu 0,005, dreimal täglich verabfolgt 
wurden. Um Reizsymptome zu vermeiden, lasse ich bei letzterer 
Gebrauchsweise, die gegenüber dem Vasotonin noch den Vorzug 
grösserer Billigkeit hat, nach jeder Dosis eine kleine Menge ge¬ 
pulverter Muskatnuss nehmen. Im übrigen besitzt, wovon ich mich 
selbst durch Druckmessungen überzeugt habe, eine gleiche tensions- 
vermindernde Wirkung wie das Vasotonin das Nitroglycerin 
in kleinen Gaben (1,5—8 mg ipro die) und kann an Stelle des¬ 
selben gegeben werden. 

Zur Bekämpfung stärkerer cardial asthmatisch er Anfälle reichen 
die Vasotonineinspritzungen oder das Nitroglycerin nicht aus. Hier 
muss zur Digitalis-Morphiumtherapie geschritten werden. 
Durch sie wird die der Dyspnöe zügrunfle liegende Blutstauung in 
den Lungen beseitigt. Die Digitalis und ihr verwandte Präparate 
sind zwar imstande diese Wirkung allein auszuüben; aber dazu 
gehört eine gewisse Zeit, während das in genügender Dosis (0,01 bis 
0,015) subcutan eingespritzte Morphin sofort coupierend wirkt. Doch 
haftet auch dieser Behändlungsweise ein Nachteil an. Bei sich 
häufenden Anfällen und dadurch geforderter Wiederholung der 
Morphininjektionen nimmt die Wirksamkeit mehr und mehr ab, so 
dass man zu immer grösseren Dosen des Narkoticums greifen muss. 
Für solche Fälle habe ich den Ersatz durch Einspritzungen von 
Heroin 1 ) vorgescblagen, dessen Empfänglichkeit weit weniger 

_i_ 

1) Therap. MoSatstt., 1912, Januarheft. 

1 * 


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Nr. 17. 


schnell erlischt, so dass man mit der annähernd gleichen Dosis 
verhältnismässig lange Zeit anskommt. Ich beginne mit 0,006 
bis 0,01 Heroinum hydrochl. subcutan und habe dadurch bei 
selbst täglicher Wiederholung der Einspritzung die überaus qual¬ 
vollen Atemnotsanfälle der Patienten immer von neuem zu be¬ 
seitigen vermocht. Allerdings stellen sich nach längerem Ge¬ 
brauch des Mittels Abstinenzerscheinungen, eine Art Heroinismus 
ein, so dass man, sobald nach einigen Stunden der Effekt ab¬ 
zunehmen beginnt, die Einspritzungen wiederholen muss; andern¬ 
falls geraten die Patienten in höchst unangenehme Erregungs¬ 
zustände. Wie man sich die günstige Wirkung des Morphins 
bzw. Heroins auf das cardiale Asthma erklären soll, ist nicht 
ganz leicht zu beantworten. Die blosse Annahme einer durch 
das Mittel erzeugten Verringerung der Erregbarkeit des Atmungs¬ 
centrums reicht augenscheinlich nicht aus, da ja dann mit dem 
Abklingen der Wirkung die Dyspnöe sofort wiederkehren müsste, 
was tatsächlich — wenigstens in der ersten Zeit der Behandlung — 
keineswegs der Fall ist. Ich habe erwogen, ob nicht ein durch 
die Stauung im Pulmonalgefässgebiet herbeigeführter Spasmus 
der Bronchiolenmuskulatur an dem Auftreten des cardialen Asthmas 
mitbeteiligt ist und auf seine Beseitigung der günstige Einfluss 
der Morphin-Heroineinspritzungen zurückzuführen sei. Es ist aber 
noch an eine andere, wie ich glaube, näherliegende Möglichkeit zu 
denken. Durch die infolge der Stauung stattfindende Verminde¬ 
rung der Sauerstoffzufuhr zur Medulla oblongata wird das in der¬ 
selben befindliche vasomotorische Centrum übermässig erregt. 
Das bedingt für das Herz vermehrte Arbeit durch Steigerung 
der Widerstände im arteriellen Kreislauf. Indem das Narkoticum 
den Gefässkrampf löst, erleichtert es die Tätigkeit des Herzens, 
ermöglicht ihm, sich wieder vollständiger zu entleeren und damit 
auch aus den überfüllten Lungengefässen mehr Blut auszuschöpfen. 
Somit würde neben der Ruhigstellung des Atmungs¬ 
centrums der Hauptvorzug der Morphintherapie beim 
cardialen Asthma in einer Verringerung der diesem 
Symptomen komplex zugrunde liegenden ci reu lato rischen 
Störung, der Lungenstauung zu suchen sein. 

Hat man durch die geschilderten Maassnabmen die Kranken 
über die ersten schweren Zufälle ihres Gefässleidens weggebraebt, 
so können, wie jeder Praktiker weiss, längere Ruhepausen ein- 
treten, während deren die Patienten sich wieder in einem relativ 
erträglichen, nicht selten sogar völlig beschwerdefreien Zustande 
befinden. Dieser Zeitraum darf nicht ungenützt vorüber gelassen 
werden; er muss durch fortgesetzte Unterstützung und Kräftigung 
der Herztätigkeit ausgefüllt werden. Auch jetzt noch soll man, 
so lange die Gefässspannung wesentlich erhöht ist, durch metho¬ 
dische Abführungen die arteriellen Widerstände zu vermindern 
trachten. Ich lasse die Patienten selbst bei genügenden Spontan- 
entleerungen zwei- bis dreimal wöchentlich nüchtern 200 g Apenta 
trinken. Daneben kommt die übliche Jodtherapie in Anwen¬ 
dung, und zwar in Form kleiner Dosen des Mittels, d. h. täglich 
nicht mehr als 0,5 g Natrium jodatum oder zwei Sajodintabletten. 
Für Kranke, deren Gefässdruck bereits eine Tendenz zur Erniedri¬ 
gung aufweist, sind koblensaure Salzbäder am Platze, und 
nicht wenige von ihnen erzielen durch den Gebrauch der Kuren 
in Nauheim, Kissingen usw. einen wesentlichen Vorteil. Es ver¬ 
steht sich von selbst, dass diese Bäder, welche zum Teil eine 
drucksteigernde Wirkung ausüben, nur unter Beobachtung ge¬ 
nügender Vorsicht angewandt und jede Ueberanstrengung des 
Herzens vermieden werden muss. Von den Wechselstrom¬ 
bädern berichtet neuerdings Strubel 1, im Gegensatz zu Franze, 
dass dieselben öfter die Pulsfrequenz und die Arterienspannung 
erniedrigen als umgekehrt. Französische Autoren behaupten, 
dass speziell der Dreiphasenstrom den Blutdruck herabsetze, und 
erachten daher denselben für Arteriosklerotiker, welche sich noch 
im Stadium der Hypertonie befinden, für besonders geeignet. — 

Unter den Störungen, welche die Sklerose de* Brustaorta, 
insbesondere ihres Anfangsteiles, kennzeichnen, steht die Angina 
pectoris obenan. Auch ihre Behandlung hat in den letzten 
Dezennien wesentliche Fortschritte zu verzeichnen, so dass wir 
dem gefahrvollen Symptomenkomplex nicht mehr so ungewappnet 
gegenüberstehen wie früher. Ausser dem Jod und den Nitrititen 
(Amylnitrit, Natrium nitrosum), sowie den Salpetersäureestern 
höherer Alkohole (Nitroglycerin, Erythroltetranitrat), welche im 


Organismus ebenfalls in Nitrite verwandelt werden, verdienen 
hauptsächlich zwei Medikamente Berücksichtigung, die eine elek- 
tive Wirkung auf die Coronargefässe ausüben — das Theocin 
und Diuretin (Theobrominum natrio-salicylicum). Dieselben er¬ 
weitern die genannten Gefässe und ermöglichen dadurch eine 
bessere Durchblutung des Herzmuskels. Ich bevorzuge im all¬ 
gemeinen das Theocin, und zwar der leichteren Löslichkeit wegen 
dessen Doppelverbindung, das Theocin. natr. acet., weil man, was 
für die Schonung des Magens wichtig ist, mit kleineren Dosen 
(0,4—0,5 g pro die) auskommt als beim Diuretin. Ist die Arterien¬ 
spannung gering, so kombiniert man zweckmässigerweise mit 
kleinen Gaben Coffein (Coffein, natrio-benz. 0,1, zwei- bis 
dreimal täglich). Diese Mittel bieten auch den Vorzug, 
dass ihre Wirkung ziemlich schnell eintritt; es empfiehlt 
sich, sie eine Reihe von Tagen hindurch gebrauchen zu 
lassen. Neben der medikamentösen Behandlung ist noch die 
Beachtung einiger hygienisch-diätetischer Vorsicbtsmaassregeln von 
Bedeutung. Die Patienten müssen Ueberladung des Magens, Kälte¬ 
einwirkungen und abnorme Erregungen des Nervensystems ver¬ 
meiden, dürfen auch nicht unmittelbar nach den Mahlzeiten gehen 
und haben vor allem den Tabakgenuss aufzugeben. Das über¬ 
mässige Rauchen scheint in keiner direkten ätiologischen Be¬ 
ziehung zur Entstehung der Arteriosklerose zu stehen, sondern 
nur insofern fördernd auf den Eintritt anginöser Beschwerden zu 
wirken, als es angiospastische Zustände auslöst. Sein deletärer 
Einfluss beweist die Richtigkeit der Ansicht Neusser’s, dass dem 
Auftreten der Angina pectoris nicht bloss anatomische Verände¬ 
rungen der Coronargefässe zugrunde liegen, sondern dass zu 
diesen wahrscheinlich noch krampfartige Zusammenziehungen der 
Herzgefässe sich hinzugesellen müssen, damit der Anfall in die 
Erscheinung tritt, daher auch die coupierende Wirkung subcutaner 
Morphiumeinspritzungen. 

Bei weitem schwieriger ist die erfolgreiche Behandlung 
anderer, hinsichtlich der Entstehung der Angina pectoris nahe 
verwandter Folgezustände der Sklerose der peripheren Gefässe 
— des intermittierenden Hinkens und des sogenannten 
arteriosklerotischen Leibwehs. Dass bei der Aetiologie 
des ersteren, der Claudication intermittente par Obligation 
arterielle (Charcot), bzw. der Dysbasia angiosclerotica (Erb) 
Tabakmissbrauch eine wesentliche Rolle spielt, hat Erb zuerst 
gezeigt, und haben Andere nach ihm, wie noch neuerdings J. Pick, 
bestätigt. Ob das ursächliche Moment der Syphilis demgegenüber 
so sehr in den Hintergrund tritt, wie die genannten Beobachter 
behaupten, scheint mir noch zweifelhaft und müsste erst durch 
weitere Untersuchungen mittels der Wassermann "sehen Reaktion 
erhärtet werden. Jedenfalls sind aber auch hier wie bei der 
Angina pectoris vasokonstriktorische Einflüsse mitbeteiligt. Die 
Behandlung muss, worin Erb durchaus beizupflichten ist, eine 
recht vorsichtige sein, und alle gewaltsamen Eingriffe, z. B. 
Massage, Gymnastik, Einwirkung hoher Temperaturen sind durch¬ 
aus zu vermeiden, um die erkrankten Gefässe nicht noch mehr 
zu schädigen. Am wirksamsten erweist sich eine milde Jod¬ 
therapie. Vom Gebrauch des Diuretin« und Theocins habe ich 
gar keinen Nutzen gesehen. Das gleiche gilt bezüglich des 
arteriosklerotischen Leibwehs, der Dyspragia intermitlens angio¬ 
sclerotica abdominalis (Ortner). Einen der schwersten Fälle 
dieser Erkrankungsform habe ich in letzter Zeit zu behandeln 
Gelegenheit gehabt. Die ungemein schmerzhaften Attacken der 
78 jährigen Patientin dauerten über 1 Jahr bis zum Tode an und 
wiederholten sich täglich mehrere Male. Erleichterung brachte 
ausschliesslich Heroin innerlich und subcutan, während Atropin 
und verwandte Präparate, z. B. Scopolamin, abprallten. 

Auf die Behandlung der Sklerose der Cerebralgefässe 
an dieser Stelle eiezugehen, verbietet die Kürze der Darstellung. 
Ich möchte nur noch eines lästigen hierher gehörigen Symptoms kurz 
Erwähnung tun, der arteriosklerotischen Kopfschmerzen. 
Sie sind für manche Patienten überaus qualvoll, werden meist 
als Druck auf dem Scheitel oder als Schmerz im Hinterkopf 
empfunden und brauchen nicht mit anderen Cerebralerscheinungeo, 
wie Schwindel, Erbrechen usw., verbunden zu sein. Die kom¬ 
binierte Anwendung von Jodbrompräparaten ist imstande, die Be¬ 
schwerden der Patienten zu verringern und dieselben sogar manch¬ 
mal vollkommen zum Schwinden zu bringen. 


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Aus dem Institut für Hygiene und Bakteriologie 
(Dir.: Geh. Rat Prof. Dr. Uhlenhuth) und der Klinik 
für syphilitische und Hautkrankheiten (Dir.: Prof. 
Dr. A. Wolff) der Universität zu Strassburg i. E. 

Weitere Mitteilungen über die Infektiosität des 
Blutes und anderer Körperflüssigkeiten syphi¬ 
litischer Menschen für das Kaninchen. 1 2 ) 

Von 

P. Uhlenhnth und P. Mälzer. 

Wir haben bereits an anderen Stellen mitgeteilt, dass es 
uns in einer Anzahl von Fällen gelungen ist, durch Verimpfung 
von Blut und anderer Körperflüssigkeiten syphilitischer Menschen 
in die Hoden von Kaninchen in diesen Organen eine Haftung des 
syphilitischen Virus zu erzeugen, die sich darin äussert, dass 
typische spirochätenhaltige Hodensyphilome entstehen. 

Wir haben nun diese Untersuchungen in grösserem Maass- 
stabe fortgesetzt und können heute auf Grund zahlreicher neuer 
Befunde jene Ergebnisse ergänzen und erweitern*). 

Im Vordergrund unserer diesbezüglichen Untersuchungen 
stand auch bisher die Verimpfung von Blut florid syphi¬ 
litischer Menschen, die sich in verschiedenen Stadien ihrer 
Erkrankung befanden. 

Um noch einmal kurz die Versuchsanordnung mitzuteilen, so gingen 
wir in der Weise vor, dass wir nach gründlicher Desinfektion der Ellen¬ 
beuge aus der Vena mediana Blut in ein steriles, mit Glasperlen ver¬ 
sehenes Glas einfliessen Messen und dieses etwa 5 Minuten lang schüttelten. 
Um dem Einwande zu begegnen, dass vielleicht von der äusseren Haut 
stammende Spirochäten bei dem Einstich mit in das Blut gelangen 
könnten, was ja bei ausgebreiteten syphilitischen Manifestationen der 
Fall sein könnte, haben wir die ersten 10 ccm in ein Reagenzglas ab¬ 
laufen lassen und für die Seroreaktion verwendet. Nach dem Defibrinieren 
wurden von diesem Blute dann mittels einer sterilen Rekordspritze in 
jeden Hoden eines Kaninchens 1—2 ccm langsam eingespritzt. In einer 
Anzahl von Fällen haben wir nur links in das Hodenparenchym geimpft, 
während wir rechts das Blut unter die Scrotalhaut spritzten, ähnlich 
dem Verfahren, das Tomasczewski seiner Angabe nach mit beson¬ 
derem Vorteil bei der Verimpfung von Stückchen menschlicher Primär¬ 
affekte und Papeln angewandt hat. Die Impfung der Kaninchen erfolgte 
in der Regel spätestens 10 Minuten nach der Entnahme des Materials 
vom Menschen. Im Blut waren mikroskopisch (Dunkelfeld) Spirochäten 
niemals nachzuweisen. 

Wenn irgend möglich, haben wir mit dem so gewonnenen Blute 
eines Kranken immer drei Kaninchen, und zwar, wie eben bemerkt, in 
beide Hoden geimpft. 

Die geimpften Tiere wurden durchschnittlich 4 Monate lang beobachtet, 
und zwar wurden während dieser Zeit mindestens einmal wöchentlich 
die Hoden palpiert und nur bei nachweisbarer Verdickung derselben, 
bzw. bei Verdacht einer syphilitischen Erkrankung dieser Organe eine 
Punktion mittels steriler Glascapillaren vorgenommen und die Punktions¬ 
flüssigkeit im Dunkelfeld auf die Anwesenheit von Spirochäten unter¬ 
sucht. Als positive Ergebnisse wurden nur solche Fälle 
notiert, bei denen sich in den Hoden mit Sicherheit typische 
Pallidae nachweisen Hessen. 

Im Laufe dieser Beobachtungszeit starben nan immer - eine Anzahl 
der geimpften Tiere, ohne dass für ihren Tod etwa das eingeführte 
syphilitische Virus verantwortlich gemacht werden konnte. Wenn auch 
nur eines der drei jeweilig geimpften Kaninchen die Zeit von 4 Monaten 
überlebte, ohne syphilitisch erkrankt zu sein, so wurde das Ergebnis 
dieses Versuches als negativ betrachtet. Starben aber alle drei Tiere 
kurz nach der ImpfuDg, bzw. zu einer Zeit, innerhalb der noch kein 
positives Ergebnis zu erwarten war, so musste der ganze Versuch als 
unbrauchbar aus der jeweiligen Serie ausscheiden. 

Wie ans der nachfolgenden Tabelle 1 ersichtlich ist, haben 
wir in dieser Weise bis Anfang Januar 1913 das Blut von 
23 Syphilitikern, die sich in der ersten Periode ihrer Er¬ 
krankung befanden, verimpft. 

Hierzu wählten wir nur Patienten, die einen klinisch voll¬ 
kommen einwandfreien Primäraffekt mit oder ohne die 
bekannten charakteristischen lokalen Lympbdrüsenschwellungen 
aufwiesen, dessen syphilitische Natur mit Ausnahme eines Falles 
stets durch den Nachweis von typischen Spirocbaetae 


1) Nach einem auf der diesjährigen Tagung der mikrobiologischen 
Vereinigung (1. April) zu Berlin gehaltenen Vortrage. 

2) Die Untersuchungen sind ausgeführt mit Geldmitteln, die uns in 
dankenswerter Weise von Herrn Geheimen Kommerzienrat Dr. jur. et med. 
Eduard Simon, Berlin, sowie vom Reichsamt des Innern und der 
Cunitz-Stiftung in Strassburg zur Verfügung gestellt wurden. 


pallidae gesichert war. In dem einen Falle Hessen sich 
selbst bei wiederholten diesbezüglichen Untersuchungen keine 
Spirochäten auffinden, obwohl die klinische Diagnose ausser 
allem Zweifel stand. Stets wurde ausserdem noch die Wasser- 
mann’sche Reaktion vorgenommen. Die Patienten waren sämt¬ 
lich noch unbehandelt. 

Von den 23 bisher verimpften Fällen primärer Lues müssen 
nach unseren Protokollen vier Fälle ausscheiden, da sämtliche 
Tiere noch innerhalb der Inkubationszeit starben. Unter den 
19 Fällen aber, von denen wenigstens ein Kaninchen länger 
wie 4 Monate am Leben blieb und beobachtet werden konnte, 
sahen wir 16mal ein positives Resultat. Mindestens waren 
dabei immer ein oder beide Hoden eines der geimpften Tiere 
syphilitisch erkrankt; in einigen Fällen fanden wir aber auch 
bei zwei oder bei allen drei Kaninchen spirochätenhaltige syphi¬ 
litische Hoden. 

Die Erkrankung selbst dokumentierte sich entweder als 
kleine meist circumscripte Verdickung im Hodenparen¬ 
chym (Orchitis circumscripta syphilitica) oder, weit seltener, 
als ausgesprochene diffuse Orchiti9. Niemals sahen wir 
sogenannte periorchitische Knötchen oder reine Primäraffekte. 
Die Inkubationszeit betrug bei den Impfungen dieser Serie 
durchschnittlich 60 Tage. 

In Prozenten ausgerechnet haben wir bei 19 verimpften 
und genügend lange (bis Anfang März 1913) beobachteten Fällen 
primärer Syphilis 16 mal = 84,2 pCt. positive Impfungen 
erhalten, wobei es gleichgültig war, ob bei klinisch 
einwandfreien Primäraffekten Spirochäten gefunden 
worden waren, ob gleichzeitig lokale Lymphdrüsen- 
erkrankungen bestanden oder ob „der Wassermann 11 
positiv oder negativ war. 

In gleicher Weise haben wir nun auch das Blut syphilitischer 
Menschen, die sich in der sekundären Periode ihrer Lues 
befanden, verimpft. Bei allen diesen Fällen handelt es sich um 
Kranke in der sogenannten frühsekundären Periode mit ver¬ 
schiedenen manifesten syphilitischen Erscheinungen 
(Exanthemen, Polyscleradenitis, Schleimhauterkrankungen, Papeln 
und positiver Wassermann’scber Reaktion). 

Nach der Tabelle 2, in der wir alle diese Fälle zusammen¬ 
gestellt haben, ist von uns bis Anfang dieses Jahres das Blut von 
38 Patienten in oben angeführter Weise verimpft worden. Wenn 
wir infolge des noch vor Ablauf der typischen Inkubationszeit er¬ 
folgten Todes sämtlicher jeweilig geimpfter Tiere zwei Fälle aus¬ 
schalten müssen, so haben wir unter 36 Impfungen mit Blut 
von sekundär syphilitischen Menschen mit manifesten 
Erscheinungen in 27 Fällen, also in 75 pCt., positive 
Resultate erzielt. Auch hier wieder erkrankten die Hoden 
in der oben angegebenen charakteristischen Weise und enthielten 
stets massenhaft typische Pallidae. Die Inkubationszeit betrug 
ebenfalls im Mittel 60 Tage. Nur in einigen Fällen war sie hier 
wesentlich höher, so in einem Falle 101 Tage und in einem Fall 
109 Tage. 

ln einem Falle betrug die Inkubationszeit dagegen nur 
48'Tage, einmal sogar nur 38 Tage. 

Auf die Gesamtzahl aller Fälle primärer und sekun¬ 
därer Syphilis, von denen wir, wie aus dem Vorhergehenden 
ersichtlich ist, nach Ausscheidung der nicht geeigneten Fälle 55 
in der angegebenen Weise verimpft haben, berechnet, 
haben wir mittels dieser Blutimpfung 78,1 pCt. positive 
Impfresultate erhalten. 

Wir haben nun auch eine Anzahl verschiedener Kontrollimpfungen 
in genau der gleichen Weise vorgenommen. Wir haben Blut von drei 
vollkommen gesunden jungen Menschen verimpft, die nie¬ 
mals Syphilis acquiriert hatten. Sodann haben wir Blut von zwei 
unter 20 Jahre alten Patienten, die an einem akuten Ekzem litten und 
sich ebenfalls niemals syphilitisch infiziert hatten, verimpft. Ausser¬ 
dem haben wir noch Blut von einem Patienten verimpft, der eine sehr 
starke Plaut-Vincent’sche Angina mit massenhaften Spirillen aufwies. 
Wie bei unseren Impfungen mit syphilitischem Blute haben wir auch 
hier jedesmal beide Hoden von drei Kaninchen mit je 2 ccm Blut ge¬ 
impft, ohne jedoch, hier bei über fünfmonatiger Beobachtung, ein 
einziges Mal ein positives Impfresultat zu erzielen. So¬ 
dann haben wir sechs Kaninchen in beide Hoden mit je 1 ocm zahlreiche 
Spirochäten enthaltenden Blutes von Hühnern, die an der Hübner- 
spirillose erkrankt waren, drei Kaninchen mit je etwa 0,5 ccm massenhaft 
Spirochäten der Recurrens enthaltenden Mäuseblutes, drei Kaninchen 
mit einer Kochsalzaufschwemmung von Mundspirochäten und drei 
Kaninchen in gleicherweise mit Plaut-Vincent’schen Spirochäten 
geimpft, ebenfalls ohne den geringsten Erfolg. 

2 


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UNIVERSUM OF IOWA 




770 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 17. 


□Tabelle 1 . (Primäre Syphilis.) 


sJ 

<D 

32 

Anamnestische und klinische 
Angaben, insbesondere Status 
praesens 

Spirocbät.- 

Unter- 

suchung 

Wasser- 

mann’sche 

Reaktion 

Anzahl der geimpften 
i Kaninchen und Menge 
des Impfmaterials 

Tag der 
Impfung 

Impfresultat 

• •** 

•O M 
es « 
M 5 
fl ° 

Tf 

Be¬ 

merkungen 

1 

Herr Sch., Primäraffekt im Sulcus 

positiv 

positiv 

3 Kan. (332—334) mit 

7. II. 

Kan. 332 vorzeitig gestorben 




coronarius mit typ. Leistendrüsen; 



je 2 ccm Blut geimpft. 

1912 

„ 333 syph. erkrankt 

72 



unbehandelt 





„ 334 gesund gestorben 

— 


2 

Frau K., Primäraff. auf linker Labie, 


n egativ 

3 Kan. (335—337) mit 

10. II. 

„ 336 gestorben 

— 



keine Drüsenschwellung; 



je 2 ccm Blut geimpft 

1912 

„ 337 syph. erkrankt 

69 



unbehandelt 





„ 335 ohne Besonderheiten 

— 


3 

Herr Kl., Primäraffekt an der Lippe; 

»0 


3 Kan. (371, 373 und 

8. III. 

„ 371 syph. erkrankt 

70 



keine typischen Drüsen; un- 



395) mit je 2 ccm Blut 

1912 

» 873 j, 

70 



behandelt 



geimpft 


„ 375 ohne Besonderheiten 

— 


4 

Herr Schl., Primäraffekt auf dem 


positiv 

3 Kan. (458, 460, 462) 

19. III. 

„ 458 gestorben 

— 

Blathalb geronn. 1 


Präputium; keine Drüsen; un- 



mit je 2 ccm Blut ge- 

1912 

ft 460 dauernd gesund 

— 



behandelt 



impft 


. *62 

— 


5 

Frl. M., Primäraffekt auf linker 


negativ 

3 Kan. (468, 470, 472) 

26. IV. 

* 468 beide Hoden vereitert 

— 

Scheidet dem- 


Labie; keine Drüsen; un- 



mit je 2 ccm Blut ge- 

1912 

ff 470 gestorben 

— 

nach für d. Be- 


behandelt 



impft 


» 472 

— 

Wertung aus! 

6 

Herr St, zwei Primäraffekte im 


positiv 

3 Kan. (474, 477, 479) 

15. IV. 

ff 474 syph. erkrankt 

65 



Sulcus; starke linksseitige Sclera- 



mit je 2 ccm Blut ge- 

1912 

ff 477 gestorben 

— 



denitis 



impft 


, 479 

— 


7 

Herr Kl., Primäraffekt an der 



3 Kan. (489, 491, 493) 

2. V. 

» 489 ohne Besonderheiten 

— 



Glans; typische Drüsen; unbe- 



mit je 2 ccm Blnt ge- 

1912 

„ 491 syph. erkrankt 

82 



handelt 



impft 


ff 493 gestorben 

— 


8 

Frau S., Primärafiekt an der linken 

r 

negativ 

1 Kan. (486) mit 

18. IV. 

4 Wochen später beide Hoden 

— 

Scheidet aus! 


kleinen Labie; keine Drüsen 



2 ccm Blut geimpft 

1912 

total vereitert 



9 

Herr Th., Primäraffekt am Prä- 


negativ 

3 Kan. (505, 507 und 

4. V. 

Kan. 505 syph. erkrankt 

54 



putium; keine Drüsen; un- 



509) mit je 2 ccm Blut 

1912 

ff 507 gestorben, 

— 



behandelt 



impft 


. 509 

— 


10 

Herr K., Primäraffekt an der Lippe; 


positiv 

3 Kan. (526, 528, 530) 

15. V. 

,, 526 syph. erkrankt 

62 



typische Drüsen; unbehandelt 



mit je 2 ccm Blut ge- 

1912 

ft 530 gestorben 

— 






impft 


ff 528 syph. erkrankt 

62 


11 

Herr B., Primäraffekt am Prä- 


negativ 

3 Kan. (549, 541 und 

20. V. 

,, 549 gestorben, 

— 



putium; typische Drüsen; un- 



543) mit je 2 ccm Blut 

1912 

„ 541 ohne Besonderheiten 

— 



behandelt 



impft 


» 543 . 

— 


12 

Herr F., Primäraffekt am Prä¬ 


positiv 

3 Kan. (581, 583 und 

22. VI. 

„ 583 gestorben 

— 



putium mit typischen Drüsen; i 



585) mit je 2 ccm Blut 

1912 

,, 581 syph. erkrankt 

61 



unbehandelt 



geimpft 


f, 585 ohne Besonderheiten 

— 


13 

Herr Sch., kleines, kaum induriertes 


negativ 

3 Kan. (607, 609, 611) 

i7.VII. 

jf 607 gestorben 

— 



Geschwürchen am Penis; keine 



mit je 2 ccm Blut ge¬ 

1912 

. 611 

— 



Drüsen; unbehandelt 


i 

impft 


„ 609 ohne Besonderheiten 

— 


14 

Herr R., typischer Primäraffekt 

negativ 

n egativ 

3 Kan. (728, 730, 732) 

24. 

„ 728 gestorben 

— 



im Sulcus; keine Drüsen; un¬ 



mit je 1 ccm Blut ge¬ 

VIII. 

. 730 

— 



behandelt 



impft 

1912 

„ 732 syph. erkrankt 

52 


15 

Herr D., Primäraffekt am Penis 

positiv 

positiv 

3 Kan. (752, 754 und 

30. 

ii 752 ff 

46 



mit typischen Drüsen; unbe¬ 



756) mit je 1 ccm Blut 

VIII. 

ff 754 ohne Besonderheiten 

— 



handelt 



geimpft 

1912 

,, 756 syph. erkrankt 

76 


16 

Herr Sch., Primäraffekt am Penis 

w 


3 Kan. (832, 834 und 

25. IX. 

ff 832 gestorben 




mit typischen Drüsen; unbe¬ 



S36) mit je 1 ccm Blut 

1912 

„ 834 syph. erkrankt 

63 



handelt 



geimpft 


ff 836 gestorben 

— 


17 

Herr G., Primäraffekt am Penis; 

B 


3 Kan. (861, 863 und 

8. X. 

ff 861 ohne Besonderheiten 

— 



keine Drüsen; unbehandelt 



S65) mit je 1 ccm Blut 

1912 

,, 863 syph. erkrankt 

51 






geimpft 


. 865 „ 

66 


18 

Herr M., Primäraffekt am Penis 


B 

3 Kan. (1290, 1292, 

11.XI. 

„ 1290 gestorben 

— 



mit typischen Drüsen; unbe¬ 



1294) mit je 2 ccm Blut 

1912 

. 1292 ff 

— 



handelt 



geimpft 


n 1294 syph. erkrankt 

68 


19 

Herr R., Primäraffekt am Penis 


B 

3 Kan. (1344, 1846 u. 

23.XII. 

ff 1344 gestorben 

— 



mit typischen Drüsen; unbe¬ 



1348) mit je 2 ccm Blut 

1912 

» 1346 

— 



handelt 



geimpft 


ff 1348 syph. erkrankt 

50 

i 

20 

Herr Sch., Primäraffekt am Penis 

B 

B 

3 Kan. (1102, 1104 u. 

25.XII. 

„ 1102 gestorben 

— 

Scheiden dem¬ 


mit typischen Drüsen; unbe¬ 



1106) mit je 2 ccm Blut 

1912 

* H04 

— 

nach aus! 


handelt 



geimpft 


»1106 * 

— 


21 

Herr H., Primäraffekt am Penis; 



3 Kan. (1160, 1162 o. 

10.XII. 

„ 1160 syph. erkrankt 

64 



keine Drüsen; unbehandelt 



1164) mit je 2 ccm Blut 

1912 

ff 1162 gestorben 

— 






geimpft 


. H64 

— 


22 

Herr R., Primäraffekt am Penis 

» 

„ • 

3 Kan. (1338, 1340 u. 

23.XII. 

. 1838 

— 

Scheiden mit¬ 


mit typischen Drüsen; unbe¬ 



1342) mit je 2 ccm Blut 

1912 

. 1340 ff 

— 

hin aus. 


handelt 



geimpft 


n 1342 ff 

“ii 1 


23 

Herr B., Primäraffekt am Penis 

V 


3 Kan. (1408, 1410 u. 

11. I. 

ff 1408 syph. erkrankt 

53 



mit typischen Drüsen; unbe¬ 



1412) mit je 2 ccm Blut 

1913 

ff 1410 ohne Besonderheiten 

— 



handelt 



geimpft 


„ 1412 syph. erkrankt 

53 



(Beobachtet bis 1. März 1913.) 


Auf Grund unserer Versuche können wir wohl mit 
vollem Recht derartige spirochätenbaltige Hoden- 
syphilome, wie wir sie mit dem Blute manifest syphilitischer 
Menschen erzielten, als spezifisch für Syphilis bezeichnen. 

Dass die nach unserer Technik vorgenommene Verimpfung 
von Blut recent syphilitischer Menschen mit manifesten Erschei¬ 
nungen nicht in allen Fällen, sondern nur in 78 pCt. der Fälle 
positive Resultate ergibt, spricht nicht gegen den Wert dieser 


Methode, daja andere biologische Untersuchungsmetboden 
mit einem ähnlichen Prozentsatz negativer Ergebnisse 
arbeiten (z. B. die Wassermann’sche Reaktion bei Primäraffekten) 
und trotzdem einen grossen klinischen Wert besitzen. 

Es erschien uns nun weiterhin sehr wichtig, zu eruieren, ob 
es gelingt, mittels dieser Methode auch klinisch nicht 
sichere, bzw. syphilisverdächtige Krankheitsfälle und 
die sogenannte latente Syphilis zu diagnostizieren. 


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UNIVERSUM OF IOWA 













28. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


771 


□Tabelle 2. (Sekundäre Syphilis.) 


55 Anamnestische und klinische 

4 Angaben, insbesondere Status 

2 praesens 

Spirochät.- 

(Jnter- 

suchung 

Wasser- 

mann’sche 

Reaktion 

Anzahl der geimpften 
Kaninchen und Menge 
des Impfmaterials 

Tag der 
Impfung 

Impfresultat 

£ S 

m a Bemerkungen 

“•43 

Tage 

1 Frau Z., nässende Papeln am After; 

positiv 

positiv 

4 Kan. (12—15) mit je 

28. X. 

Kan. 12 syph. erkrankt 

73 

kein Exanthem; unbehandelt 



2 ccm Blut geimpft 

1911 

„ 13 gestorben 

— 






„ 14 syph. erkrankt 

60 







60 

2 Herr Cb., maoulo-papul. Exanthem; 



3 Kan. (23—25) mit je 

17. XI. 

» 23 , 

75 

Scleradenitis univ., Impet. capitis; 



2 ccm Blut geimpft 

1911 

* 24 „ 

42 

Plaques derTonsillen; vo^/zMon. 





n 25 „ „ 

38 

zweimal Salvarsan ä 0,6 g 







3 Frau Fl., maculo-papul. Syphilid; 



2 Kan. (33 u. 34) mit je 

29. XI. 

„ 33 gestorben 

— 

Papeln unbehandelt 



2 ccm Blut geimpft 

1911 

„ 84 syph. erkrankt 

101 

4 Herr S., Roseola, Scleradenitis uni?., 

n 


3 Kan. (60—62) mit je 

5.1. 

. 60 , 

95 

Primäraffekt; unbehandelt 



2 ccm Blut geimpft 

1912 

. 61 . 

54 






„ 62 gestorben 

— 

5 Herr Sp., Roseola, Soleradenitis; 



3 Kan. (78—75) mit je 

6.1. 

. 78 

— 

Primäraffekt; unbehandelt 



2 ccm Blut geimpft 

1912 

„ 74 syph. erkrankt 

53 






n 75 „ 

67 

6 Frau B., maculo-papul. Exanthem; 

— 

n 

3 Kan. (140—142) mit 

17. [. 

„ 140 gestorben 

— 

gravid im 9. Monat; unbehandelt 



je 2 ccm Blut geimpft 

1912 

„ 141 syph. erkrankt 

47 






„ 142 gestorben 

— 

7 Herr Ch., derselbe Patient wie Nr. 2 

positiv 


3 Kan. (131—133) mit 

16.1. 

„ 131 syph. erkrankt 

62 

nach Behandlung von 30 Hg succin.; 



je 2 ccm Blut geimpft 

1912 

„ 132 gestorben 

— 

die letzte Iojektion vor circa einem 





* 183 

— 

Monat. Jetzt Plaques an den 







Tonsillen und Impetigo spezif. 







8 Herr M., maculo-papulös. Exanthem; 



3 Kan. (327—829) mit 

2. II. 

. 327 

— 

Plaques; unbehandelt 



je 2 ccm Blut geimpft 

1912 

„ 828 syph. erkrankt 

72 






„ 329 gestorben 

— 

9 Herr M., nässende Papeln; Sclera- 

w 


2 Kan. (338 u. 339) mit 

10. II. 

„ 338 ohne Besonderheiten 

_ B1 u t f a s t g a n 7. 

denitis; unbehandelt 



je 2 ccm Blut geimpft 

1912 

„ 339 gestorben 


10 Herr H., Roseola; Primäraffekt; 



3 Kan. (348—345) mit 

12. 11. 

■ 343 

— 

unbehandelt 



je 2 ccm Blut geimpft 

1912 

„ 344 syph. erkrankt 

61 






„ 345 gestorben 

— 

11 Herr D., maculo-papulös. Exanthem; 



3 Kan. (349—851) mit 

14. II. 

„ 849 ohne Besonderheiten 

— 

Papeln ad gen.; unbehandelt 



je 2 ccm Blut geimpft 

1912 

„ 350 gestorben 

— 






, 351 

— 

12 Frl. Gr., kleinpapulöses Syphilid; 

— 

n 

3 Kan. (352—854) mit 

15. II. 

„ 852 ohne Besonderheiten 

— 

unbehandelt 



je 2 ccm Blut geimpft 

1912 

„ 353 gestorben 

— 






» 354 . 

— 

13 Frau M., maculo-papulös. Exanthem; 


» 

5 Kan. (359—363) mit 

26. II. 

* 359 

— 

Primäraffekt; unbehandelt 



je 2 ccm Blut geimpft 

1912 

t) 360 

— 






„ 361 syph. erkrankt 

63 






„ 362 gestorben 

— 






„ 363 , 

— 

14 Herr D., Primäraffekt, Roseola; 

w 

r> 

3 Kan. (377,879 u. 381) 

19. III. 

* 377 

— 

unbehandelt 



mit je 2 ccm Blut geimpft 

1912 

„ 879 syph. erkrankt 

51 






„ 881 ohne Besonderheiten 

— 

15 Herr B., Primäraffekt, Roseola und 


» 

3 Kan. (499,501 u. 503) 

3. V. 

„ 499 gestorben 

— 

nässende Papeln; unbehandelt 



mit je 2 ccm Blut geimpft 

1912 

„ 501 syph. erkrankt 

81 






„ 503 gestorben 

— 

16 Herr M., Reste von Primäraffekt und 


n 

3 Kan. (513,515 u. 517) 

15. Y. 

, 313 

— 

nässende Papeln; unbehandelt 



mit je 2 ccm Blut geimpft 

1912 

„ 515 syph. erkrankt 

62 






B 517 gestorben 

— 

17 Herr S., Primäraffekt, Roseola; un¬ 


B 

3 Kan. (519,521 u. 523) 

15. V. 

„ 519 ohne Besonderheiten 

— 

behandelt 



mit je 2 ccm Blut geimpft 

1912 

»521 B 

— 






„ 523 gestorben 

— 

18 Frl. W., Primäraffekt an der Lippe; 


n 

3 Kan. (531,533 u: 535) 

17. V. 

■ 531 

— 

Roseola; unbehandelt 



mit je 2 ccm Blut geimpft 

1912 

. 533 

— 






„ 535 ohne Besonderheiten 

— 

19 Herr G., Primäraffekt, Roseola; un¬ 


n 

3 Kan. (587, 589 n. 591) 

22. VI. 

. 587 , 

— 

behandelt 



mit je 2 ccm Blut geimpft 

1912 

„ 589 Hoden vereitert 

— 






„ 591 gestorben 

— 

20 Herr E., Primäraffekt und Roseola; 


n 

3 Kan. (663,665 u. 669) 

2. VII. 

„ 663 syph. erkrankt 

56 

unbehandelt 



mit je 1 ccm Blut geimpft 

1912 

» 665 , 

56 






„ 669 gestorben 

— 

21 Frau F., fapeln an den Genitalien; 

n 

B 

3 Kan. (722, 724 u. 726) 

25. 

„ 722 

— Da die Tiere vor 

früher schon behandelt 

” ; 


mit je 2 com Blut geimpft 

VIII. 

- 724 

_ Ablauf der In- 





1912 

v> 726 * 

atorben sind, 

22 Frau W., papulöses Exanthem, 

— 


2 Kan. (762 u. 764) mit 

80. 

* 762 

— scheidet dieser 

Fieber; Gelenkschmerzen ; früher 



je 1 ccm Blut geimpft 

VIII. 

„ 764 syph. erkrankt 

Versuch aus 

schon behandelt 




1912 



23 Herr M., Primäraffekt, typ. Drüsen 

positiv 

B 

2 Kan. (758 u. 760) mit 

30. 

„ 758 ohne Besonderheiten 

— 

und Roseola (schwächer); un¬ 



je 1 ccm Blut geimpft 

VIII. 

* 760 syph. erkrankt 

60 

behandelt 




1912 



24 Herr RI., papulöses Exanthem; 

— 

n 

3 Kan. (850, 852 u. 854) 

26. IX. 

„ 850 gestorben 

— 

Salvarsanrecidiv; vor einem 



mit je 1 ccm Blut geimpft 

1912 

„ 852 ohne Besonderheiten 

— 

Jahre zweimal Salvarsan ä 0,6 und 





„ 854 syph. erkrankt 

61 

30 Hg succin. Injektion 







25 Frl. W., papulo-macolöses Syphilid; 

— 

n 

3 Kan. (838,840 u. 842) 

25. IX. 

• 838 „ 

62 

unbehandelt 



mit je 1 ccm Blut geimpft 

1912 

„ 840 gestorben 

— 






„ 842 syph. erkrankt 

62 

2* 


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Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 











772 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 17. 


ü 

55 

Anamnestische und klinische 

Spirochät.- 

Wasser- 

Anzahl der geimpften 

1* 

« a 




jrg 


<y 

Angaben, insbesondere Status 

Unter- 

mann’sche 

Kaninchen und Menge 

SPS* 

H £ 


Impfresultat 

s 

Bemerkungen 

2 

praesens 

Buchung 

Reaktion 

des Impfmaterials 




Tage 

26 

Frl. H., papulöses Exanthem; Re- 


positiv 

3 Kan. (844, 846 und 

25. IX. 

Kan. 

844 

ohne Besonderheiten 




cidiv; vor 4 Wochen letzte 30 Hg 


848) mit je 1 ccm Blut 

1912 


846 

syph. erkrankt 

48 



succin. Spritzen 



geimpft 


99 

848 


69 


27 

Frl. Sch., papulo-maculöses Eian- 

positiv 


2 Kan. (857 u. 859) mit 

25. IX. 


857 

ohne Besonderheiten 

— 



them; nässende Papeln ad gen.; 
unbehandelt 


je 1 ccm Blut geimpft 

1912 

99 

859 

syph. erkrankt 

109 

C) 


28 

Herr R., Roseola und Primäraffekt; 

n 


1 Kan. (875) mit 1 ccm 

15. X. 


875 


I 58 



unbehandelt 



Blut geimpft 

1912 






29 

Herr D., maculöses Exanthem; Pa- 

» 


3 Kan. (883, 885 und 

21.X. 


883 

gestorben 

— 



peln ad gen.; unbehandelt 



887) mit je 1 ccm Blut 

1912 


885 

syph. erkrankt 

82 





geimpft 



887 

ohne Besonderheiten 

— 


30 

Herr M., Roseola und Primäraffekt; 



5Kan.(1226,1228,1230, 

5. XI. 


1226 

gestorben 

— 



unbehandelt 



1232 und 1234) mit je 

1912 


1228 


— 






1 ccm Blut geimpft 



1230 

ohne Besonderheiten ! 

— 








1232 


— 









1234 


.— 


31 

Frl. B., Papeln ad gen.; behandelt 

» 


2 Kan. (1256 und 1258) 

5. XI. 


1256 

gestorben 

— 



in früheren Jahren 



mit je 1 ccm Blut geimpft 

1912 

99 

1258 

ohne Besonderheiten 

— 


32 

Frl. H., Roseola und Papeln ad 

n 


3 Kan. (1260, 1262 u. 

5. XI. 

99 

1260 


— 



gen.; unbehandelt 



1264) mit je 1 ccm Blut 

1912 


1262 

syph. erkrankt 

77 





geimpft 


99 

1264 

ohne Besonderheiten 

— 


33 

Frau W., Papeln ad gen.; vor 

n 

» 

1 Kan. (1364) mit 2 ccm 

23.XII. 

99 

1364 

gestorben 

— 

Scheidet aus 


2 Jahren eine Schmierkur 



Blut geimpft 

1912 





34 

Frau W., maculo-papulöses Exan¬ 

v 


3 Kan. (1372, 1374 u. 

23.XII. 

99 

1372 

syph. erkrankt 

64 



them ; Papeln ad gen.; unbehandelt 



1888) mit je 2 ccm Blut 

1912 

99 

1374 

gestorben 

— 





geimpft 


19 

1888 

99 

— 


35 

Herr R., nässende Papeln am Scro- 



3 Kan. (1118, 1120 u. 

3. XII. 

99 

1120 

99 

— 



tum u. an der Eichel; unbehandelt 



1116) mit je 2 ccm Blut 

1912 

99 

1118 

ohne Besonderheiten 

— 






geimpft 



1116 

syph. erkrankt 

70 


36 

Frl. Sch., Papeln ad gen.; Plaques 

V 

* 

3 Kan. (1166, 1168 u. 

23.XII. 

99 

1166 

gestorben 

— 



der Schleimhaut; unbehandelt 



1170) mit je 2 ccm Blut 

1912 

99 

1168 

99 

— 






geimpft 


99 

1170 

ohne Besonderheiten 

— 


37 

Herr Sch., maculo-papulöses Exan¬ 

— 

v 

5Kan.(1324,1326,1328, 

23.XII. 

99 

1324 

syph. erkrankt 

51 



them; unbehandelt 



1330 und 1332) mit je 

1912 

99 

1326 

99 99 

51 






2 ccm Blut geimpft 


99 

1328 

gestorben 

— 








99 

1330 

99 

— 








99 

1332 

99 

— 


38 

Herr T., Papeln ad gen.; Sal- 

positiv 


2 Kan. (1382 und 1384) 

2. I. 

99 

1382 

sypb. erkrankt 

62 



varsanrecidiv 


mit je 2 ccm Blut geimpft 

1913 

99 

1384 

ohne Besonderheiten 




(Beobachtet bis 1. März 1913.) 


Wir haben bisher folgende Fälle dieser Kategorien verimpft 
und klinisch verfolgt: 

A. Suspecte Lues. 

1. Herr R., suspectes, spirochätenfreies Ulcus im Sulcus 
coronarius (keine Drüsen). Wassermann negativ. 

5. I. 1912 mit Blut Kaninchen Nr. 64, 65 und 66 geimpft. 

10. III. Kaninchen Nr. 64 gestorben; Hoden normal. 

18. Y. Kaninchen Nr. 65 und 66 normal. Versuch beendet. Im 
Laufe der klinischen Beobachtung sind keinerlei syphilitische Er¬ 
scheinungen aufgetreten. Wassermann dauernd negativ. 

2. Frl. Kr., Mutter eines fraglich-luetischen Fötus (in der 
Leber keiue Spirochäten; Extrakt aus dieser unbrauchbar für Wasser¬ 
mann; Knorpelknochengrenze normal). Wassermann schwach 
positiv. 

5. I. 1912 mit Blut Kaninchen Nr. 70, 71 und 72 geimpft. 

18. Y. Alle drei Tiere normal; Versuch beendet. Auch klinisch 
niemals irgendwelcher syphilitischer Befund. 

3. Herr H., Ulcera mollia; Spirochäten —, Wassermann 
negativ. 

4. V. 1912. Drei Kaninchen, Nr. 511, 103 und 105, mit je 2 ccm 
Blut geimpft. 

20. V. Ohne Besonderheiten. 

23. VI. Ohne Besonderheiten. 

26. VII. Ohne Besonderheiten. 

5. VIII. Ohne Besonderheiten. Dauernd kliilisoh syphilisfrei. 

4. Frl. B., fragliche Lues (papelähnliche Ulceration an 
der Scharalippe, keine Spirochäten), Wassermann negativ. 

22. VI. 1912. Drei Kaninchen, Nr. 593, 595 und 597, mit 2 ccm 
Blut geimpft. 

22. VII. Kaninchen Nr. 595 gestorben. 

23. VIII. Kaninchen Nr. 593 und 597 ohne Besonderheiten. 

20. X. Status idem. Niemals irgendwelche syphilitischen 
Symptome. 

5. Herr Z., fragliche Lues (kleines, herpesartiges Geschwürchen 
im Sulcus coronarius; Spirochäten —). Wassermann negativ. 

17. VII. 1912. Drei Kaninchen, Nr. 613, 615 und 617, mit je 2 ccm 
Blut geimpft. 

25. VII. Kaninchen Nr. 615 gestorben. 


20. IX. Kaninchen Nr. 613 und 617 ohne Besonderheiten. 

2. X. Kaninchen Nr. 613 ohne Besonderheiten; Kaninchen 
Nr. 617 ohne Besonderheiten, wegen Seuche getötet. 

Patient kommt am 5. X. 1912 mit zahlreichen nässenden 
Papeln ad genitalia (Spirochäten +) und positivem Wasser¬ 
mann. 

13. X. Kaninchen Nr. 613 ohne Besonderheiten. Versuch 
beendet. 

6. Herr W., fragliche Lues (Paraphimose; nach Reposition und 
später Circumcision Testierendes Ulcus im Sulcus, das zwar verdickte 
Ränder hat, aber doch mehr gangränösen Ursprungs scheint und auf 
Dermatolpuderung heilt; Spirochäten —). Wassermann negativ. 

26. VIII. 1912. Drei Kaninchen, Nr. 740, 742 und 744, mit je 1 ccm 
Blut geimpft. 

20. IX. Kaninchen Nr. 740 und 742 gestorben. 

13. XII. Kaninchen Nr. 744 ohne Besonderheiten. Patient 
dauernd ohne luetische Symptome; Wassermann stets 
negativ. 

7. Herr M., Ulcera mollia im Sulcus coronarius und auf der Eichel; 
Bubo inguinalis sinister. Wassermann negativ. 

8. IX. 1912. Zwei Kaninchen, Nr. 766 und 768, mit je 2 ccm Blut 
in beide Hoden geimpft. 

10. IX. Beide Kaninchen ohne Besonderheiten. 

29.X. Patient kommt in die Klinik mit starker typischer 
Roseola syphilitica und Scleradenitis universalis; Wasser¬ 
mann positiv. 

Kaninchen Nr. 766 und 768 ohne Besonderheiten! 

27. XL Kaninchen Nr. 766 und 768 ohne Besonderheiten. 

12. XII. Kaninchen Nr. 766 und 768 ohne Besonderheiten. 

11. I. 1913. Kaninchen Nr. 766 gestorben. 

Kaninchen Nr. 768 ohne Besonderheiten; Versuch beendet. 

B. Latente Lues. 

1. Frau D., Lues latens (symptomlose Mutter eines 18 Tage alten 
syphilitischen Kindes — Pemphigus syphiliticus. Der Mann hatte vor 
vier Jahren Lues acquiriert; Frau seit dieser Zeit drei Aborte; vorher 
zwei gesunde Kinder), unbehandelt. Wassermann positiv. 

26. I. 1912 mit Blut Kaninchen Nr. 306, 307 und 808 geimpft; 
mit Serum Kaninchen ,Nr. 312, 3}3 und 314 geimpft. 


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28. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


773 


1. V. Kaninchen Nr. 306—309 normal. 

Kaninchen Nr. 314 etwa linsengrosse spirochätenhaltige 
Erosion ohancreuse an der Impfstelle. Inkubation 93 Tage 1 ). 
Bei der Frau selbst bestanden zu dieser Zeit keinerlei syphilitische 
Symptome. 

2. Herr D., Lues latens (symptomloser Mann der vorhergehenden 
Patientin). Wassermann positiv. 

26. I. 1912. Drei Kaninchen, Nr. 318, 319 und 320, erhielten je 
2 ccm Blut. 

17. II. Sämtliche Tiere in der Zwischenzeit gestorben. 

3. Frau Sch., Lues latens (symptomlose, aber kurz vor der Ge¬ 
burt spezifisch behandelte Mutter eines anscheinend gesund geborenen 
Kindes). Wassermann positiv. 

10. VIII. 1912. Drei Kaninchen, Nr. 712, 714 und 716, mit je 2 ccm 
Blut geimpft. 

15. IX. Kaninchen ohne Besonderheiten; Kind und Mutter gesund. 

15. XII. Zwei Kaninchen gestorben; sonst Status idem. 

4. Frau W., Leucoderma colli; Wassermann positiv. Sonst ohne 
Besonderheiten. 

30. VIII. 1912. Drei Kaninchen, Nr. 746, 748 und 750, mit je 2 ccm 
Blut geimpft. 

29. X. Kaninohen Nr. 750 gestorben. 

Kaninchen Nr. 746 und 748 ohne Besonderheiten. 

22. XII. Status idem. 

Aus diesen wenigen Untersuchungen, die wir bisher mit dem 
Blute latent syphilitischer Personen oder solcher, bei denen 
wir aus den vorhandenen klinischen Symptomen eine Syphilis nur 
vermuten konnten, angestellt haben, lassen sich noch keine be¬ 
stimmten Schlüsse ziehen. Soviel ergibt sich jedoch schon, dass 
auch bei latenter Lues die B)utverimpfung ein positives Resultat 
ergeben kann. Als beweisend kann auch hier nur der 
positive Ausfall in Betracht kommen. 

Wir haben in letzter Zeit auch damit begonnen, derartige 
Fälle der Früh- und Spätlatens mit positivem Wasser¬ 
mann zu verimpfen und glauben, mittels dieser Methode die 
wichtige Frage einigermaassen lösen zu können, ob ein positiver 
Ausfall der Wassermann’schen Reaktion bedeutet, dass noch 
aktives Virus im Organismus vorhanden ist, oder ob er nur 
anzeigt, dass das betreffende Individuum zu irgendeiner Zeit ein¬ 
mal eine Lues acquiriert hat, ohne dabei noch syphilitisch 
krank zu sein. 

Ferner wollen wir versuchen, ob wir dieses Tierexperiment 
zur Beurteilung und Bewertung der Einwirkung spezifi¬ 
scher Medikamente, bzw. antisyphilitischer Kuren ver¬ 
wenden können. Ans diesem Grunde haben wir bereits in einer 
Anzahl von Fällen das Blut florid syphilitischer Menschen vor 
und acht Tage nach einer spezifischen Kur (Schmierkur, 
Hg-Injektionskur, Injektionen von Hg atoxylicum und Salvarsan) in 
oben angegebener Weise verimpft. 

Unsere bisherigen Versuche, die sich auf diese beiden Fragen 
beziehen, sind sämtlich nach einer derartigen Medikation 
negativ ausgefallen, doch sind ihrer noch so wenig vorgenommen 
und diese selbst noch nicht genügend lange beobachtet worden, 
dass wir noch keine bindenden Schlösse aus ihnen ziehen 
können. 

Eine Verimpfung von Blut Syphilitischer, die sich in der 
tertiären Periode ihrer Erkrankung befanden, bzw. tertiäre 
Erscheinungen aufwiesen (ulcerierte Gummen der Nase, der 
Zunge; und der Unterschenkel), haben wir bisher in vier Fällen 
vorgenommen. In einem Falle, wo ein typisches zerfallenes 
Gumma der Zunge vorlag (Wassermann positiv), ergab die 
Blutimpfung ein positives Resultat; sämtliche anderen 
Fälle waren negativ. 

Desgleichen ergaben ein negatives Resultat der Blut- 
irapfung zwei Fälle von Syphilis hereditaria tarda mit 
ulcerösen Erscheinungen (Wassermann positiv). 

Bald nachdem wir unsere ersten positiven Resultate bei Verimpfung 
von Blut und anderer Körperflüssigkeiten syphilitischer Menschen Mit¬ 
teilung gemacht hatten 2 * ), wurden unsere Ergebnisse von verschiedenen 
Seiten nachgeprüft. Frühwald 8 ) gelang es auffallenderweise nie, durch 
Blutimpfung syphilitischer Menschen in die Kaninchenhoden in diesen 
Organen Syphilome zu erzielen. Graetz konnte bereits auf dem vor¬ 
jährigen Kongress dieser Vereinigung gelegentlich unseres Vortrags über 


1) Erwähnen möchten wir hier, dass es Busohke seinerzeit gelungen 
ist (diese Wochenschr., 1906, Nr. 13), bei einer völlig symptomlosen 
Mutter eines hereditär-syphilitischen Kindes in einer etwa bohnen- bis 
haselnussgrossen, harten, rechtsseitigen Cubitaldrüse typische Spiro- 
chaetae pallidae nachzuweisen. 

2) Diese Wochensohr., 1912, S. 152. 

8) Frühwald, Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 16, S. 586. 


dieses Thema berichten, dass er in Gemeinschaft mit A um an n in einigen 
Fällen unsere Befunde bestätigen konnte. Auch E. Hoff mann 1 ) hatte 
ein positives Resultat bei einer derartigen Impfung. In der letzten Zeit 
hat nun Aumann 2 ) in zwei Publikationen über seine Resultate bezüg¬ 
lich der Infektiosität des Blutes Syphilitischer für Kaninchen berichtet. 
Da beide Mitteilungen in verschiedenen Punkten mit unseren Resultaten 
in Widerspruch stehen, wollen wir hier etwas ausführlicher auf 
diese eingehen. 

Aumann hat zunächst einen geringeren Prozentsatz positiver 
Resultate bei seinen Verimpfungen von Blut- und Blutserum 
syphilitischer Individuen erzielt. „Von 16 Kaninchen, die mit dem 
spezifischen Material geimpft worden waren, erwiesen sich 7 als syphi¬ 
litisch infiziert, während bei den übrigen auch trotz längerer Beob¬ 
achtungszeit nie der Nachweis von Spirochäten erbracht werden konnte 
(= 43,7 pCt; auf die Anzahl der einzelnen Fälle berechnet jedoch 
63,5 pCt.).“ 

Wie aus unseren beiden Tabellen ersichtlich ist, findet eine Haftung 
des syphilitischen Virus im Kaninchenhoden keineswegs gleichmässig 
statt, etwa in der Weise, dass sämtliche der in einem Falle geimpften 
Tiere syphilitisch werden. Man kann dies möglicherweise damit erklären, 
dass im Blute nur wenig Virus enthalten ist, und dass man deshalb 
auch, wie bereits Ho ff mann betont hat, immer grössere Mengen davon 
verimpfen muss (12 ccm auf drei Kaninchen). Abgesehen davon, dass 
fast niemals alle drei in jedem einzelnen Versuch geimpften Kaninchen 
die für die Beurteilung des Versuches unbedingt notwendige vier- 
monatige Beobachtungszeit überleben, kommt es auch, wie eben¬ 
falls aus unseren Tabellen ersichtlich, nur verhältnismässig selten 
vor, dass von den Tieren eines Versuches, die am Leben 
bleiben, mehr als eins syphilitisch erkrankt. Selten erkranken 
übrigens auch bei einem Kaninchen beide geimpfte Hoden gleich¬ 
zeitig. Aehnliche Erfahrungen, die wir an unserem ausserordentlich 
zahlreichen Kaninchenmaterial schon bei anderen Versuchen wiederholt 
gemacht haben, haben uns daher veranlasst, gleich von Anbeginn unserer 
diesbezüglichen Untersuchungen immer drei Kaninchen in beide 
Hoden mit dem Blute eines Patienten in der oben angeführten 
Weise zu impfen und denVersuch als „positiv" zu bezeichnen, 
wenn mindestens ein Hoden dieser drei Tiere typisch ver¬ 
dickt war und lebende Pallida enthielt. Für die Beurteilung 
eines Versuches war es uns demnach auch gleichgültig, ob beide Hoden 
desselben Tieres oder ob noch ein anderes oder ob, was nur einmal vor¬ 
gekommen ist, sämtliche Tiere syphilitisch wurden. Nur in dieser 
Weise kann unseres Erachtens nach diese Blutimpfung in die Hoden 
praktisch verwertet werden. Nur dann und nur bei genauer Innehaltung 
unserer Technik wird man bei Nachprüfung unserer Resultate an einem 
grösseren Tiermaterial ähnlich hohe Prozentsätze erhalten wie wir. 

Aumann hat nun zwar von jedem einzelnen Falle immer drei 
Kaninchen geimpft, aber einige von diesen teils mit Blut und teils 
mit Blutserum, und zwar im gleichen Versuch. Nun haben wir an¬ 
fänglich vier florid syphilitische Patienten vergleichsweise mit Blut 
und mit Blutserum geimpft, und zwar auch hier wieder in jedem einzelnen 
Falle je drei Kaninchen in beide Hoden. Wir haben nun mit Blutserum 
nur bei zwei dieser Patienten positive Impfresultate erhalten (Fall 2 
und Fall 4 der Tabelle 2), bei der Verimpfung des Blutes aber 
auch in den beiden anderen Fällen (Fall 7 und Fall 14 der 
Tabelle 2), also bei allen vier Fällen, positive Ergebnisse 
erzielt. Aehnliche divergierende Resultate hat übrigens auch Aumann 
erhalten. Aus diesem Grunde haben wir in der Folgezeit für die Be¬ 
antwortung der Frage nach der Infektiosität des Blutes syphilitischer 
und syphilisverdächtiger Menschen ausschliesslich die Verimpfung 
von Blut gewählt. 

Wir haben ferner in allen Fällen, mit Ausnahme von einem, nur 
defibriniertes, also flüssiges Blut verimpft, und zwar höchstens 
10 Minuten nach der Entnahme desselben aus der Armvene. 
In dem einen Fall war das Blut infolge zu kurzen Schütteins nicht 
genügend defibriniert, so dass es bei der Verimpfung halb geronnen war. 
Wahrscheinlich bleibt bei der Gerinnung des Blutes eine grosse Menge 
des Virus im Blutkuchen sitzen, worauf es wohl auch zurückzuführen 
ist, dass reine Serumimpfungen weniger positive Resultate ergeben. Der 
Versuch fiel demnach negativ aus (Fall 4 der Tabelle 1). Um übrigens 
eine zu rasche Gerinnung des Blutes zu verhüten, ist es nach unseren 
Erfahrungen gut, die Blutentnahme mindestens 3 Stunden nach 
der letzten, nioht zu reichlichen Mahlzeit vorzunehmen. 

Der Umstand, dass die Ergebnisse von Aumann „in allen Fällen 
durch Verimpfung von nicht mehr ganz frischem und zum Teil 
sohon geronnenem Material gewonnen werden" hat unserer Ueber- 
zeugung nach die Resultate dieses Autors und die von Frühwald be¬ 
einträchtigt 

Sodann müssen wir mit einigen Worten noch auf die Frage der 
Länge der Inkubationszeit eingehen, da auch hier die Angaben von 
Aumann mit den unseligen erheblich differieren. 

Nach Aumann schwankt die Inkubationszeit in genauer Uebcrein- 
stimmung mit allen seinen Versuchen „zwischen 6 bis 8 Wochen". Auch 

1) Hoffmann, Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 1, S. 15. 

2) Aumann, Kaninchenimpfung mit Syphilitikerblut und Blut¬ 
serum. Med. Klinik, 1912, S. 1710. Ferner: Weiteres über die In¬ 
fektiosität des Blutes Syphilitischer für Kaninchen. Dermatol. Wochen¬ 
schrift, 1913, S. 81. 

8 


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774 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 17. 


Kan. 140 
t 


Tabelle 3. 

Berta B. (6. Fall der Tabelle 2). 

3 Kaninchen mit je 2 ccm Blut in beide Hoden 

” 17. I. 1912 (beide Hoden) 

Kan. 141 

links 2 kleine Knötchen im Hoden (+ Spir.) 
Inkubation 47 Tage 


Kan. 142 

t 


Kan. 406 

beiderseits diffuse Orch. (-}- Spir.) 
Inkubation 34 Tage 


16. III. 1912 (beide Hoden) 

Kan. 408 

beiderseits diffuse Orch. (+ Spir.) 
Inkubation 34 Tage 


Kan. 676 
o. B. 


Kan. 555 Kan. 557 

kleines periorohitisches Knötchen (+ Spir.) + 

Inkubation 93 Tage (!) 

6. VIII. 1912 (beide Hoden) ~" — 

Kan. 678 Kan. 680 Kan. 682 

o. B. starke linksseitige schwache rechtsseitige 
Orchitis Orchitis 

Inkubation 42 Tage Inkubation 34 Tage 


Kan. 410 

linksseitige diffuse Orch. (-f- Spir.) 
Inkubation 84 Tage 

24. IV. 1912 (beide Hoden) 

1 Kan. 559 Kan. 561 Kan. 563 
f o. B. o. B. 


Kan. 684 Kan. 686 

o. B. schwacheiinksseitige 
Orchitis 

Inkubation 34 Tage 


2. Passage. 


= 3. Passage. 


: 4. Passage. 


25. IX. 1912 (beide Hoden) 

Kan. 22 (Neue Nr.) Kan. 23 (Neue Nr.) Kan. 24 (Neue Nr.) \ 

o. B. rechtsseitige Orchitis + l —5. Passage. 

Inkubation 40 Tage 9 

16. XI. 1912 (beide Hoden) 

Kan. 1010 Kan. 1012 Kan. 1014 Kan. 1016 Kan. 1018 Kan. 1020 Kan. 1022 Kan. 1020 

f beiderseitige linksseitige beiderseitige + o. B. o. B. rechtsseitige 

Orchitis Orchitis Orchitis Orchitis 

Inkubat. 48 Tage Inkubat. 48 Tage Inkubat. 48 Tage Inkubat. 48 Tage 

27. II. 1913 (beide Hoden) 

Kan. 1709 Kan. 1710 Kan. 1712 Kan. 1712 Kan. 1717 

t 


6. Passage. 


J = 7. Passage. 


nach unseren eben beschriebenen Versuchen schwankt die Inkubations¬ 
zeit. Aber während sie bei uns durchschnittlich 60—70 Tage beträgt, 
haben wir auch Inkubationszeiten von über 100 Tagen, und zwar 
sicher einwandfrei, gesehen! Nun kommt es bei der Beurteilung 
dieser Divergenz der Angaben natürlich darauf an, wann wir einen 
Befund als positiv ansehen. Wie wir bereits berichtet haben, unter¬ 
suchen wir alle Tiere mindestens wöchentlich einmal. Wir 
nehmen aber nur dann eine Punktion des Hodens mittels der Capillaren 
vor, wenn sich palpatorisch einwandfrei bereits eine circura- 
scripte oder diffuse derbe Verdickung in einem Hoden 
nachweisen lässt. Finden wir dann typische Pallidae, dann notieren 
wir den Versuch als positiv. Es ist wohl möglich, dass schon 8, ja 
vielleicht auch 14 Tage vorher vereinzelte Spirochäten im Hoden sich 
auffinden lassen. Wir haben aber die zu frühzeitige Punktion nur 
„verdächtiger“ Hoden unterlassen, da wir, wie wir bereits wiederholt 
mitgeteilt haben, die Punktion insbesondere noch nicht völlig ausge¬ 
bildeter Hodensyphilome ihre Rückbildung zu beschleunigen scheint, was 
sich vor allem darin dokumentiert, dass bei einer zweiten am anderen 
Tage vorgenommenen Punktion häufig keine Spirochäten im Punktions¬ 
safte aufzufioden sind, während der Hoden 24 Stunden vorher bei der 
ersten Punktion zahlreiche Spirochäten enthalten hatte. 

Was endlich die Angaben von Aumann betrifft, „dass ein Ab¬ 
brechen der Passagen, wie es sonst häufig beobachtet wird“, sich bei 
der Weiterverimpfung von aus menschlichem Blute gewonnenen Hoden- 
syphilomen auf andere Kaninchen „sich nicht mehr störend bemerkbar 
macht“, so können wir auch hier nicht ganz seiner Meinung sein. Wir 
haben wiederholt versucht, durch Blutimpfung gewonnene ausgesprochene 
Hodensyphilome auf andere Kaninchen, teils in die Hoden und teils auf 
intravenösem Wege, zu übertragen, aber nur von einem Falle gelang 
es uns bisher, wie obenstehende Tabelle 3 zeigt, das Virus bis zur 
7. Passage durchzuführen. In den anderen Fällen gelang die Weiter¬ 
impfung mit lokalen Gewebsveränderungen entweder gar nicht (besonders 
bei intravenöser Impfung), oder aber die Passagen brechen in der 2. oder 
3. Passage ab. Eine so ausgesprochene Verkürzung der Inkubations¬ 
zeit, wie sie Aumann gesehen hat' (von 2 Wochen DÄuer), haben wir 
aber auch dabei niemals notieren können. 

Wie wir bereits mitgeteilt haben, fanden wir trotz wieder¬ 
holten eifrigen Nachsnchens in dem von uns verimpften Blute, 
in Analogie mit Aumann, niemals Spirochäten. In letzter Zeit 
haben wir das Blut auch auf die Anwesenheit der von Ross 
angegebenen und för Syphilis als spezifisch ange¬ 
sprochenen Körperchen und intracellulären Einschlüsse 
nach der Agarfärbemethode untersucht, aber ebenfalls mit 
negativem Erfolg. Verschiedene intracelluläre Einschlüsse, 
die wir mittels der Ross’schen Technik in Leukocyten sahen, und 
die vielleicht eine gewisse Aehnlichkeit mit den von ihm be- 
sehriebeneh Gebilden aufwiesen, fanden sich in gleicher Weise 


auch im normalen Blut. Diese Nachprüfungen sind indes bisher 
auch noch nicht so zahlreich und exakt durcbgefübrt worden, 
dass wir uns in dieser Frage ein sicheres Urteil bilden konnten. 

In einem Falle (18. Fall von Tabelle 1) haben wir ferner 
das Blut in üblicher Weise unmittelbar nach der Entnahme ver- 
impft und 24 Stunden später. Eines der Tiere, die mit 
frischem Blute geimpft waren, erkrankte, während 
sämtliche drei Tiere, die nach 24 Stunden mit dem¬ 
selben Blute geimpft worden waren, gesund blieben. 

Ferner haben wir in einem Falle 6 Tiere mit Blutserum ge¬ 
impft, so zwar, dass wir zuerst 8 Tiere mit je 1 ccm in beide 
Hoden möglichst rasch nach der Blutentnahme mit unfiltriertem 
Serum impften und dann mit der gleichen Menge desselben 
Serums, das aber nun durch einen frischen Berkefeld-Filter 
filtriert worden war. Während die Impfungen mit nicht 
filtriertem Strum in zwei Fällen positive Resultate 
ergaben, zeitigten die Impfungen mit keimfrei 
filtriertem Serum keinerlei positive Ergebnisse. Dieser 
Versuch bestätigt früher von uns mit spirochätenhaltiger Hoden¬ 
aufschwemmung vorgenommene gleiche Versuche. 

Ausser diesen Blut- und Blutserumimpfungen haben wir nun 
auch noch andere Körperflüssigkeiten florid syphili¬ 
tischer Menschen in gleicher Weise verimpft. Ausser 
der einen Spermaverimpfung, die, wie wir bereits mitgeteilt 
haben, bei drei Tieren positive Resultate ergab 1 ), haben wir Harn, 
Sputum (in je einem Falle), Milch 2 ) (in acht Fällen) und Spinal¬ 
flüssigkeit verimpft. Letztere Untersuchungen nahmen wfr zu¬ 
sammen mit Herrn Dr. Steiner, Assistent an hiesiger psychia¬ 
trischer Klinik, vor, und uwar verimpften wir bisher sowohl 
Spinalflüssigkeit recent-syphilitischer Personen (sieben Fälle) 
als auch solche von Tabikern und Paralytikern (vier Fälle). 

1) Aus Mangel an geeigneten Fällen konnten wir diese Versuche 
bisher noch nicht wiederholen. 

2) Anmerkung bei der Korrektur: Inzwischen konnten wir bei zwei 
von den Fällen, in denen Milch verimpft worden war, positive Impf¬ 
resultate erzielen, in dem einen Fall handelte es sich um eine sym¬ 
ptomlose Mutter (Wassermann positiv) eines kongenital-syphilitischen 
Kindes, im anderen Fall um eine frisoh sekundär-syphilitische Schwangere 
mit manifesten luetischen Symptomen, deren Milch, in die Hoden von 
von Kaninchen “in üblicher Weise verimpft, nach etwa Z l J 2 Monaten, 
bzw. nach etwa 2 Monaten spirochätenhaltige Hodensyphilome in den 
geimpften* Organen hervorrief. Wir werden über diese Ergebnisse in 
Kürze ausführlicher berichten. 


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28. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Sämtliche derartige Impfungen, die natürlich fortgesetzt 
werden, ergaben bis jetzt ein vollkommen negatives 
Resultat. Auch Impfungen von Gehirnsubstanz von Paralytikern 
in die Hoden von Kaninchen sind im Gange. 


Aus dem Waisenhaus der Stadt Berlin (Oberarzt: 
Prof. Finkeistein). 

Infektion und Verdauung. 

Von 

Privatdozent Dr. Ladwig F. Meyer. 

Die engen Beziehungen zwischen Infektion und Verdauung 
oder, allgemeiner ansgedrückt, zwischen Fieberzustand und 
Verdauung sind bereits seit den ältesten Zeiten bekannt. Die 
Bedeutung dieser Beziehungen wurde jahrhundertelang überschätzt, 
solange die Lehre des Hippokrates galt, Fieberkranken die 
Nahrung fast völlig zu entziehen. Erst in neuerer Zeit wurde 
dank der Arbeit von Männern wie Graves, v. Hösslin, 
v. Leyden die Einschätzung der Beziehungen zwischen Fieber 
und Verdauung auf das richtige Maass zurückgeführt. Heute weiss 
man durch rationelle Ernährungsweise den fiebernden Erwachsenen 
sowohl vor Verdauungsstörungen als vor Konsumption zu schützen, 
und damit ist das vor einem Jahrhundert noch so rege Interesse 
des Klinikers für den Einfluss der Infektion auf die Verdauung 
in den Hintergrund getreten. 

In einem gewissen Gegensätze dazu ist das Interesse des 
Pädiaters an den Beziehungen zwischen Infektion und Verdauung 
in den letzten Jahren gewachsen. Finkeiste in’s Lehre vom ali¬ 
mentären Fieber hat eine schärfere Trennung zwischen Störungen 
auf alimentärer und infektiöser Basis ermöglicht. Und je mehr 
mit dem Fortschreiten der Ernährungstechnik bei natürlicher und 
künstlicher Ernährung des Säuglings die Störungen durch Er¬ 
nährungsfehler in der Häufigkeit zurückgetreten sind, desto mehr 
ist die Bedeutung der Infektion für den Ablauf des Brnährungsvor- 
ganges in die Erscheinung getreten. 

Die Zeichen der Verdauungsstörung ex infectione sind bei 
älteren Individuen und Säuglingen bei aller Aehnlichkeit in 
wichtigen Punkten voneinander verschieden. Appetitmangel und 
Erbrechen finden sich hier wie da, aber während das Erbrechen 
beim Erwachsenen meist nur als Prodrom der Infektion auftritt, 
herrscht es beim Säugling während der ganzen Dauer der In¬ 
fektionserkrankung vor und nimmt bisweilen so excessive Formen 
an, dass Tage hindurch die Aufnahme des notwendigen Nahrungs¬ 
quantums verhindert wird. 

Gänzlich verschieden ist das Verhalten des Darmkanals. 
Beim Erwachsenen findet sich bei fieberhaften Erkrankungen — 
wenn man von lokalen Erkrankungen des Darmes absieht — in 
der Regel Obstipation, beim Säugling Diarrhöe. Selbst¬ 
verständlich findet diese Regel sowohl beim Säugling als auch 
beim Erwachsenen bisweilen Ausnahmen. Beim Säugling ist der 
Eintritt des Durchfalles im Speziellen abhängig: von der Art der 
Infektion, der Jugend des Erkrankten, der Art der Ernährung und 
der Konstitution. 

Zweifellos disponiert eine Infektion mehr, die andere weniger 
zum Durchfall. So löst im Säuglingsalter z. B. Furunkulose seltener 
Diarrhöen aus als Pyelitis und vor allem die Grippe (klinische und 
nicht ätiologische Bepennung), die sich von allen infektiösen 
Erkrankungen am häufigsten mit Verdauungsstörungen verbindet. 
Uebrigens scheinen .sich auch beim Erwachsenen bei der Influenza 
(ätiologische Benennung) häufiger Diarrhöen zu finden als sonst; 
nach Stintzing 1 ) in 25 pCt., nach Ristowe 1 ) in 12 pCt., nach 
Anton 1 ) in 8 pCt. der Fälle. 

Innerhalb des Säuglingsalters selbst sinkt die Neigung zu 
Diarrhöen von Monat zu Monat; von einer grossen Anzahl an der 
gleichen Infektion (Grippe) erkrankter Kinder war der Durchfall 
die Reaktion des Darmkanals auf den Infekt, bei über drei Monate 
alten Kindern in 54 pCt., bei unter drei Monate alten Kindern in 
74,5 pCt., bei Neugeborenen (in den ersten 14 Lebenstagen) in 
87 pCt. der Fälle. Je jünger also das Kind, je labiler der Darm, 
desto häufiger der Durchfall. 

Der Einfluss, den Ernährungszustand tynd Ernährungsart, auf 


1) Gittert nach der Monographie von Leiohtenstern: Influenza, 
S. 139. 


den Eintritt des Durchfalles ausüben, ist ohne weiteres verständ¬ 
lich. Je mehr eine bestimmte Diät als solche zu Gärungen und 
Durchfall geneigt macht, je schwächer von vornherein der Wider¬ 
stand des Darmkanals ist, desto leichter wird Durchfall eintreten. 
Der häufige Eintritt des Durchfalls auch bei an sich harmlosen 
Infektionen im Säuglingsalter ist es, der diese so gefährlich macht. 
Denn manches künstlich genährte Kind kommt so — nicht durch 
die primäre Erkrankung, sondern durch die sekundäre Ernährungs¬ 
störung — in Lebensgefahr. 

Trotz dieser hohen Bedeutung der Infektion für den Ver¬ 
dauungsablauf beim Säugling ist man bezüglich des inneren Zu¬ 
sammenhanges zwischen Infektion und Verdauungsstörung hier 
ebensowenig orientiert wie beim Erwachsenen. Ueber die ganze 
Frage liegen überhaupt nur sehr spärliche Untersuchungen vor. 
Beim Erwachsenen hat man gewisse Abweichungen im Chemismus 
und in der Funktion des Magens festgestellt. Nach überein¬ 
stimmenden Befunden von Hildebrand, Klemperer, Brieger 
und anderen findet sich eine Herabsetzung der freien Salzsäure 
und in schweren Fällen eine Störung der Magenmotilität. Auch 
die Resorptionstüchtigkeit der Magenwände soll zur Zeit fieber¬ 
hafter Erkrankungen nach Sticker und Zweifel (geprüft an 
Jodkalium) hinter der Norm Zurückbleiben. Resorptionsstörungen 
des Darmes sind niemals gefunden worden. Um die eingangs er¬ 
wähnte Trias von Erscheinungen — Appetitlosigkeit, Erbrechen, 
Obstipation — in ihrer Pathogenese aufzuhellen, reichen die Be¬ 
funde nicht aus. 

Ueber das Zustandekommen der Verdauungsstörungen ex. in¬ 
fectione beim Säugling gibt der Nachweis einer Motilitätsstörung 
im Sione einer Verlangsamung der Magenentleerung und einer 
Verminderung bzw. Fehlens der freien Salzsäure (Czerny-Keller) 
ebensowenig Aufklärung. Man ist deshalb geneigt, die erwähnten 
Störungen ganz allgemein als Reaktionserscheinungen auf central- 
angreifende toxische Reize aufzufassen. Dass Säugling und Er¬ 
wachsener verschiedenartige Reaktionen zeigen, dass der Ver¬ 
dauungskanal des Säuglings viel erheblicher alteriert wird, wäre 
bei der Labilität des Magendarmkanals im Säuglingsalter ver¬ 
ständlich. Nun fragt es sich aber, ob man sich mit dieser all¬ 
gemeinen Erklärung beweits zufrieden geben muss, ob nicht durch 
die Infektion doch Veränderungen im Chemismus des Magendarm¬ 
kanals gefunden werden können, die für die Pathogenese der Ver¬ 
dauungsstörung von Bedeutung sind. 

Bei der Schwierigkeit diesbezüglicher Unsersuchungen am 
Menschen habe ich zunächst den Tierversuch zu Hilfe genommen. 
In ähnlicher Weise, wie das jüngst Salle 1 ) zum Studium der 
Hitzewirkung getan hat, experimentierten wir an zwei Hunden 
mit Pawlow’schem Magenblindsack (Herr Professor Bickel war 
so freundlich, die dazu notwendige Operation auszuführen). Bei 
diesen Tieren wurden verschiedene fieberhafte Erkrankungen 
hervörgerufen und in mehreren Versuchsreihen die Wirkung dieses 
willkürlich erzeugten Fieberzustandes auf die Saftsekretion des 
Magenblindsackes verfolgt. Die Hauptresultate dieser Versuche, 
die Herr Kollege Grünfelder ausgeführt hat und demnächst an 
anderer Stelle ausführlich publizieren wird, sollen im folgenden 
besprochen werden. 

Zunächst galt es, die normale Sekretion beider Tiere festzustellen. 
In länger dauernden Vorversuchen überzeugten wir uns von der Gleich- 
mässigkeit der Sekretion jedes Hundes und von der Art des Sekretions¬ 
verlaufes bei verschiedenen Nahrungsreizen. Es zeigte sich dabei, dass 
Hund I stets etwas schwächer, aber schneller sezernierte als Hund II. 
Die in normalen Zeiten ermittelten Sekretionswerte dienten als Unter¬ 
lage für die Veränderung der Sekretion während der Versuchszeit. 

Im ersten Versuch wurde durch Injektion einer Reinkultur von 
Staphylokokken (die wir 4er Freundlichkeit Professors Morgenroth’s 
verdankten) ein geringes zweitägiges Fieber bis3 9,7° erzeugt; die lokalen 
Reizerscheinungen an den Injektionsstellen blieben gering. Trotz der 
iGeringfügigkeit der Erkrankung zeigte sich sofort eine Veränderung 
in der Funktion der Magendrüsen. Während an sieben vorher¬ 
gehenden Tagen auf eine in bestimmter Menge dargebotene Lösung von 
Liebig’s Fleischextrakt im Durchschnitt 22,1 ccm Magensaft sich aus 
dem Pawlow’sohen Magen entleerte, verringerte sich die Absonderung 
an den beiden Fiebertagen nun fast bis auf die Hälfte der früheren 
Menge, 11,9 und 12,7. 

Neben dieser Verringerung trat eine gewisse Veränderung im Se¬ 
kretionstyp auf, indem die Hauptmenge des Saftes nicht wie sonst in 
der ersten Halbstunde nach der Nahrungsaufnahme, sondern erst in der 
zweiten zur Absonderung kam. 


1) Salle, Ueber den Einfluss hoher Sonnentemperaturen auf die 
Funktion des Magens. Verhandlungen der Gesellschaft für ifinderheil- 


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Nr. 17« 


Liebig nach Halbstunden 1. Tag 2. Tag 


1 .13,7 5,1 4,0 

2 . 7,3 5,7 7,7 

3 . 1,3 0,7 0,7 

4 . 0,7 0,4 0,3 


Die Veränderung und Hemmung der Saftsekretion wird noch viel 
deutlicher bei höherem Fieber und schwerer Allgemeinerkrankung. Das 
zeigte sich bei einer experimentell erzeugten Erkrankung der oberen 
Luftwege, die wir wählten, weil Verdauungsstörungen bei der Grippe 
ganz besonders häufig sind. Die Auslösung einer solchen Erkrankung 
gelang nach einer Reihe von Vorversuchen durch Einblasen einer 
Mischung von Schnupfensekret an Rhinitis erkrankter Tiere und Staub in die 
Nase der Tiere. Bei beiden Hunden stellten sich nach zwei Tagen Fieber 
bis über 40°, Rhinitis und Dyspnoe ein. Der eine Hund erlag am vierten 
Tage der Erkrankung, der zweite erholte sich nach sieben Tagen völlig 
und bot in der ganzen Zeit ausgezeichnete Gelegenheit zur Beobachtung, 
da trotz sichtlicher Depression des Allgemeinbefindens — Mattigkeit, 
struppiges Fell, schwankender Gang — die Versuchsnahrung spontan und 
restlos aufgenommen wurde. 

Die Senkung der Saftmenge war während der ganzen Zeit der Er¬ 
krankung sehr beträchtlich. Auf die Verfütterung von Liebig’s Fleisch¬ 
extrakt sank die Quantität des Saftes von 37,2 auf 15,7. Noch deut¬ 
licher trat diese Sekretionsverminderung bei Verfütterung von Pferde¬ 
fleisch zutage, bei der zu normalen Zeiten bekanntlich eine bedeutend 
grössere Saftmenge als bei Fleischextrakt ergossen wird. Von 154,9 ccm 
in der Zeit vor dem Versuch fiel die Sekretion auf 39,5, als auf den 
4. Teil des normalen Wertes. 

Ausser der Verringerung machte sich auch hier eine Verzögerung 
des Sekretionsverlaufs bemerkbar, indem die Absonderung statt 6 Stunden 
71/2 Stunden währte. Die Qualität des Magensaftes wich ebenfalls von 
der Norm ab im Sinne einer Verminderung der gesamten Acidität und 
der freien Salzsäure. Während in der fieberfreien Zeit die Werte für 
die Gesamtacidität 130 und freie Salzsäure 110 betrugen, fielen sie 
nun auf 100 und 70. 

Um endlich die Frage zu prüfen, ob die Infektion oder das 
Fieber als solches ohne die Mitwirkung bakterieller Prozesse die 
depressiven Veränderungen der Magenfunktion hervorruft, unter¬ 
suchten wir die Magensekretion bei aseptischem Fieber, und zwar 
durch Injektion von Terpentinöl. 

Nach einer solchen Injektion von 5 ccm in die Glutäen entstanden 
unter mehrtätigem Fieber (bis 40,5) Abscesse, die auf ausgiebige Inzision 
hin abheilten. 

Die Magensaftsekretion unterschied sich nicht von der bei 
bakterieller Infektion. Auch hier waren Verringerung und Ver¬ 
zögerung der Absonderungen festzustellen. 

In allen Fieberversuchen erhielten wir also das gleiche, fast 
monotone Ergebnis einer je nach der Schwere der Erkrankung 
abgestuften Herabsetzung der Magensaftabsonderung. Ob man 
ausser dieser quantitativen Veränderung auch eine qualitative des 
Magensaftes anzunehmen berechtigt ist, möchte ich dahingestellt 
sein lassen. 

Wie Pawlow hervorhebt, erhält man bei Hunden mit 
Magenblindsack den Magensaft nicht direkt aus den Labdrüsen, 
sondern „er fliesst, von ihnen ausgeschieden, längs der von alkali¬ 
schem Schleim bedeckten Magenwandung herab und wird teilweise 
neutralisiert“. Bei spärlicher Sekretion, wie sie in unseren Versuchen 
stattfand, muss die Acidität schon deshalb eine geringere sein, weil 
der Saft bei dem langsamen Abfluss ausgiebige Gelegenheit zur 
Neutralisation hat. Die festgestellte Verminderung der Acidität, 
die nach den Beobachtungen Pawlow’s von der Gleichmässigkeit 
der Zusammensetzung des Magensaftes bereits unwahrscheinlich sein 
musste, fände damit eine plausible Erklärung. 

Inwieweit darf man nun die gefundene Verminderung der 
Saftsekretion in Beziehung zu den Verdauungsstörungen ex in- 
fectione setzen? Von den Erscheinungen des Erwachsenen durfte 
so die Anorexie eine Erklärung finden. Freilich könnte man da¬ 
gegen einwenden, dass die Appetitlosigkeit — als Folge centraler 
toxischer Wirkung — das primäre sei, die Verminderung des 
Saftes ausschliesslich durch den völligen oder teilweisen Ausfall 
der psychischen Saftsekretion zustande käme. Dieser Einwand 
ist aber nicht berechtigt; denn, wenn man nach Pawlow das 
Maximum der durch psychische Reize bedingten Magensaftmenge 
von der Gesamtsekretion in Abzug bringt, so würde eine Er¬ 
niedrigung auf 8 / s der Normalsekretion ihre Erklärung finden 
können, nie aber bis zu 1 / 3 oder 1 / i herab, wie wir sie fest¬ 
stellten. 

Für den Säugling wäre ein derartiges Darniederliegen der 
Magenverdauung von ungleich grösserem Belang, denn der kind¬ 
liche Darm ist mehr auf die Vorarbeit der Nahrung durch den 
Magen angewiesen. Eine ungenügende Erfüllung dieser Vorarbeit, 
wie sie als Folge der geringen Saftsekretion eintreten muss, ist 


beim Säugling von um so grösserer Bedeutung, als durch den Weg¬ 
fall der baktericiden Kraft der Salzsäure allzu üppige, die normale 
Verdauung störende Wucherung der Darmbakterien zu erwarten 
ist. So ist wenigstens die Möglichkeit nicht von der Hand zu 
weisen, dass Durchfall, Erbrechen, Appetitlosigkeit bei den Ver¬ 
dauungsstörungen ex infectione im Säuglingsalter in pathogene¬ 
tischen Beziehungen zu den beobachteten Erscheinungen der ver¬ 
minderten Drüsentätigkeit stehen. 

Und diese Möglichkeit könnte zur Sicherheit erhärtet werden, 
wenn der Nachweis gelingt, dass der Infekt auf die Tätigkeit der 
anderen Verdauungsdrüsen in derselben Weise hemmend einwirkt 
wie auf die der Labdrüsen. 


Aus der gynäkologischen Abteilung des Hospitals zu 
Allerheiligen, Breslau (Primärarzt Dr. R. Asch). 

Untersuchungen über die Verwertbarkeit der 
Abderhalden’schen Fermentreaktion bei 
Schwangerschaft und Carcinom. 

Von 

Dr. N. Markos, Sekundärarzt 

(Nach einer Diskussionsbemerkung zum Vortrag Frank und Heymann, 
gehalten am 14. März 1913 in der Schlesischen Gesellschaft für vater¬ 
ländische Kultur zu Breslau.) 

Die grosszügigen Untersuchungen AbderhaldenV) über die 
Schutzapparate, welche der Organismus bei dem Eindringen blut- 
fremder Substanzen in die Circulation in Aktion treten lässt, 
haben schliesslich zu der praktisch bedeutsamen Fragestellung 
geführt, ob sich während der Schwangerschaft proteolytische Fer¬ 
mente in der ßlutbahn finden. 

Im Verlaufe eingehender Untersuchungen gelang es Abder¬ 
halden schliesslich, den Nachweis zu führen, dass das Serum 
von schwangeren Menschen und Tieren Fermente enthält, die 
Placenta abzubauen vermögen. Was die Technik anbetrifft, mit 
der dieser Nachweis geführt wird, so dürfte es wohl genügen, 
auf die bekannten Publikationen Abderhalden’s zu verweisen, 
in denen er seine Anschauungen eingehend begründet und de¬ 
taillierte Angaben über das bei der Fermentreaktion, insbesondere 
der Schwangerschaftsreaktion zu beobachtende Verfahren macht 
Soweit Erfahrungen von Abderhalden selbst, von Frank und 
Heymann, Franz und Jarisch, Henkel vorliegen, hat die 
Schwangerscbaftsreaktion, sofern Erkrankungen anderer Organe mit 
Sicherheit auszuschHessen waren, niemals versagt. Dagegen sind 
in letzter Zeit von Engelhorn*) aus der Erlanger Frauenklinik 
Bedenken über die Zuverlässigkeit der Schwangerschaftsreaktion 
gsäussert worden, der dem Abderhalden’schen Verfahren 
eine diagnostische Bedeutung abspricht. Desgleichen berichtet 
Herzberg 8 ) über Untersuchungen in der Fränkel’schen Privat¬ 
klinik in Breslau, nach denen der positive Ausfall der Schwanger¬ 
scbaftsreaktion mit dem klinischen, zum grossen Teil autoptischen 
Befände nicht übereinstimmte. Sie berichtet unter anderem über 
ein Myom, bei dem eine positive Schwangerschaftsreaktion nach¬ 
zuweisen war, bei sicherem Ausschluss einer etwaigen Gravidität 
Ich habe mich bald nach dem Erscheinen der Abder¬ 
halden’schen Arbeiten mit der Nachprüfung der Schwanger¬ 
scbaftsreaktion beschäftigt und hieran auch Versuche über das 
Verhalten des Serums von Carcinomkrankeh gegen Placenta und 
Carcinomgewebe geknüpft, Der Gedanke, das Verhalten von 
Carcinomserum gegen Carcinom zu prüfen, ist von Abderhalden 
bereits in seinen ersten Arbeiten in den Kreis der experimentellen 
Untersuchungen gezogen worden. Es lag naturgemäss nahe, nach¬ 
dem im Serum Schwangerer Fermente gegen Placenta nach* 
gewiesen waren, auch im Serum Carcinomkranker nach ähnlichen 
Fermenten gegen Carcinom zu suchen. Abderhalden selbst hat 
bereits über günstige Resultate in dieser Richtung mitgeteilt und 
gibt in seinen letzten Arbeiten an, dass seine Scbutzfermente 
einen gewissen spezifischen Charakter anfweisen, indem er stets 


1) Abderhalden, Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 24: 
1912, Nr. 36; 1913, Nr. 8. 

2) Engelhorn, Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 11. 

3) Diskussionsbemerkung zum Vortrag Frank und Heymann in 
der Sitzung vom 14. März 1913 der medizinischen Sektion der Schlesi¬ 
schen Gesellschaft für vaterländische Kultur zu Breslau. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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einen Abbau von Gareinom dnrch Carcinomserum, nicht aber 
s. B. einen Abbau des Carcinoms durch Schwangerenserum und 
umgekehrt einen Abbau von Placentargewebe durch Garcinom- 
serum beobachten konnte. 

Die Methodik, die Abderhalden bei der Anstellung der Ferment¬ 
reaktion vorschreibt, ist im Verlaufe der Zeit vielfachen Modifikationen 
unterlegen. So gibt Abderhalden in seinen ersten Publikationen und 
auch weiter im Handbuch der biochemischen Arbeitsmethoden noch an, 
dass es zur Anstellung der Reaktion genüge, Placentargewebe mit der 
zehnfachen Menge Wassers so lange zu kochen, bis 10 ccm der Wasch¬ 
flüssigkeit mit 0,2 ccm einer lOproz. wässrigen Ninhydrinlösung keine 
Blaufärbung mehr ergeben. Neuerdings hält Abderhalden diese 
Methode anscheinend nicht mehr für einwandsfrei, da er verlangt, dass 
die bereits vorher in der üblichen Weise ausgekoohten Placentarstück- 
chen vor der Anstellung der Reaktion nochmals mit der fünffachen 
Wassermenge so oft gekocht werden, bis 1 ccm einer 1 proz. Ninhydrin¬ 
lösung zusammen mit 5 ccm des Waschwassers keine Reaktion mehr 
zeigen. 

ich habe mich in meinen Versuchen peinlichst an die Abder- 
balden’schen Vorschriften gehalten und muss entsprechend den 
Wandlungen, welche die Abderhalden’sche Methodik im Laufe der 
Zeit erfahren bat, auch meine Versuche in zwei grosse Abschnitte 
teilen. Ich habe meine ersten Versuche nach der ursprünglichen 
Methode Abderbalden’s angestellt und nach diesem Verfahren 
15 Gravide bzw. Puerperae fast ausschliesslich unmittelbar nach 
der Geburt untersucht. Bei diesen liess sich überall mit Hilfe 
der Abderhalden’schen Fermentreaktion die Diagnose Schwanger¬ 
schaft mit Sicherheit stellen. Unter den von mir untersuchten 
Fällen verdienen besonders vier ein weitergehendes klinisches 
Interesse, da sie meiner Ansicht nach geeignet sind, über die 
Grenzen Aufschluss zu geben, innerhalb deren man mit einem 
positiven Ausfall der Schwangerschaftsreaktion rechnen kann. So 
habe ich einen Fall acht Tage nach dem Ausbleiben der Menses 
untersucht, zu einer Zeit, wo sich noch nicht der geringste Pal¬ 
pationsbefund erheben liess, und in diesem Fall einen starken 
Abbau der Placenta durch das Serum feststellen können. Weiter 
habe ich es mir andererseits znr Aufgabe gemacht, auch den 
Zeitpunkt des Verschwindens der Reaktion zu bestimmen, und 
habe dabei gefunden, dass eine Wöchnerin noch 10 Tage post 
partum, eine andere 18 Tage usw. positiv reagierte, während bei 
bei einer dritten 4 Wochen nach der Geburt die Schwangerschaf ts- 
reaktion negativ war. Es tritt somit die Abderhalden’sche 
Schwangerschaftsreaktion bereits 8 Tage nach dem Ausbleiben 
der Menses auf und ist etwa 4 Wochen nach dem Partus ver¬ 
schwunden. 

In drei Fällen von Extrauteringravidität war die Schwanger¬ 
schaftsreaktion immer positiv. Die Extrauteringravidität wurde 
jedesmal durch die Operation bestätigt. Zur Kontrolle habe ich 
18 nicht schwangere Frauen, zum Teil ganz gesunde, zum Teil 
Frauen mit Ovarialtumoren, gonorrhoischen Anexitiden untersucht 
und in keinem der 18 Fälle eine positive Schwangerschaftsreak¬ 
tion gesehen. Es hat somit in keinem Falle die Schwangerschafts¬ 
reaktion, nach der ursprünglichen Methode Abderhalden’s ange¬ 
stellt, ein irreführendes Resultat ergeben, und ich möchte es 
dahingestellt sein lassen, ob nicht schon in dieser Form die 
Abderhalden’sche Fermentreaktion eine brauchbare klinische Unter- 
suchungsmethode darstellt. 

Ich muss allerdings sofort einschränkend bemerken, dass nach 
dieser Methode auch fünf Sera von Carcinomatösen eine positive 
Reaktion bei Verwendung von Placenta ergaben, wobei es frei¬ 
lich noch dahingestellt bleiben muss, ob nicht hier die auch 
sonst bekannten biologischen Analogien zwischen Schwangerschaft 
und Carcinom zum Ausdruck gelangen. 

Als dann Abderhalden mit Nachdruck die Anwendung 
seiner neuen Vorschriften zur Anstellung der Schwangerschafts¬ 
reaktion bzw. zum eventuellen Fermentnachweise bei Tumorkranken 
verlangte, habe ich mich in meinen weiteren Untersuchungen nur 
an diese gehalten. Ich bin hierbei zu einer fast vollständigen 
Bestätigung der Abderhalden’schen Befunde gelangt. In sämt¬ 
lichen Fällen von Gravidität (20 Fälle) habe ich stets eine posi¬ 
tive Schwangerscbaftsreaktion auch nach der neuen Methode be¬ 
kommen. Dieselbe fiel auch positiv aus, allerdings nur schwach 

f iositiv, bei einer Frau, 10 Tage nach dem Ausbleiben der Menses, 
ch habe weiter 11 Carcinomsera, darunter Oesophaguscarcinome, 
Pharynx-, Uterus- und Magendarmcarcinome auf ihr Verhalten 
gegen Placentareiweiss geprüft und habe hierbei in 7 Fällen eine 
absolut negative Reaktion und in 4 Fällen einen sehr schwachen 
Abbau der Placenta durch Garcinomseren gefunden. 


Es scheint somit, wenn auch Abderhalden seine Schutz¬ 
fermente nicht als spezifisch bezeichnet hat, doch eine gewisse 
Spezifität zu bestehen, die in meinen Versuchen darin hervortritt, 
dass bei Anwendung der neuen Abderhalden’schen Methode 
Placenta stets stark und deutlich von Schwangerschaftsserum ab¬ 
gebaut wird, während Garcinomserum im allgemeinen keine 
placentaabbauenden Fähigkeiten besitzt. Worauf die Differenz in 
den Ergebnissen von Frank und Heymann 1 ) und meinen, die 
sich mit den Abderhalden’scben Befunden fast völlig decken, be¬ 
ruht, lässt sich natürlich nicht ohne weiteres sagen. Möglicher¬ 
weise spielen da individuelle Differenzen in der Zusammensetzung 
der verschiedenen Placenten eine gewisse Rolle. 

Ich habe weiterhin Versuche über das Verhalten von 
Garcinomserum gegen Garcinomgewebe bzw. Schwangerenserum 
gegen Carcinomgewebe angeknüpft und bin hierbei zu folgenden 
Resultaten gelangt: Als abzubauende Substanz benutzte ich Uterus- 
carcinom, das nach den neuesten Abderhalden’schen Vorschriften 
behandelt wurde. Von 8 Garcinomseren, darunter Portio- 
carcinome, Oesophagus - Magendarmcarcinome reagierten 5 mit 
Uteruscarcinomgewebe positiv, 3 negativ. In diesen 3 Fällen 
handelte es sich ausschliesslich um das Serum von Magendarm- 
carcinomen. 

Von 7 Schwangerschaftsseren reagierten 5 völlig negativ; in 
2 Fällen ergab jedoch das Dialyast mit Ninbydrin eine schwache 
Blaufärbung. 

Fasse ich meine Resultate zusammen, so hat sich in sämt¬ 
lichen untersuchten Fällen die Schwangerschaftsreaktion als eine 
sichere diagnostische Untersuchungsmethode erwiesen. Dagegen 
erfordert die Beurteilung der Schwangerschaftsreaktion bei Tumor¬ 
verdacht eine gewisse Vorsicht, da wir, wenn auch;nur in einer 
geringen Anzahl von Fällen und auch dann nur schwach, 
immerhin einen Abbau der Placenta durch Tumorserum nachweisen 
konnten. 

Inwieweit die Abderhalden’sche Fermentreaktion bei sicherem 
Ausschluss von Schwangerschaft für die Garcinomdiagnose ver¬ 
wertbar ist, darüber möchte ich mich auf Grund meiner Erfah¬ 
rungen vorläufig mit Reserve aussprechen. So weisen vor allem 
meine Versuche darauf hin, dass, wenn auch Carcinomserum 
häufig Garcinomgewebe abbaut, der negative Ausfall der Reaktion 
nicht mit Sicherheit gegen das Vorhandensein von Garcinomen 
spricht. Es muss natürlich abgewartet werden, ob sich nicht die Re¬ 
sultate durch Verwendung verschiedener Carcinome entsprechend 
den zu untersuchenden Fällen verbessern lassen. Hierfür sollen 
weitere bereits im Gange befindliche Untersuchungen Aufschluss 
geben. 


Ueber die Bedeutung der Abderhalden’schen 
Forschungsergebnisse für die Pathologie der 
inneren Sekretion. 

Vo« 

Dr. Arthur Münzer -Berlin-Schlachtensee. 

Durch die bahnbrechenden Untersuchungen Abderhalden’s 3 ), 
welche bereits in der biologischen Diagnose der Schwangerschaft 
ihre eminent praktische Bedeutung erkennen liessen, sind auch 
auf dem Gebiete der inneren Sekretion neue Strecken urbar ge¬ 
macht worden; eine ganze Reihe von Problemen ist nunmehr mit 
einem Schlage einem wirklichen Erfassen und Durchdringen näher 
gebracht. — Bis jetzt wussten wir immer nur von der vermehrten 
und verminderten Sekretion einer Gefässdrüse, und stets wurde 
einer Hyper- bzw. Hyposekretion des Drüsenorgans ein 
bestimmtes Krankheitsbild zugrunde gelegt. Gewiss sprach man 
auch von einer Dyssekretion, einer Abscheidung qualitativ ver¬ 
änderter Drüsenstoffe, und es wurde ja auch z. B. der Morbus 
Basedowii nicht selten als ein Dysthyreoidismus, als eine Para- 
thyreoidose gedeutet. Aber dieser Begriff war für uns nicht weiter 
fassbar, er blieb uns ein leeres Wort, weil zu seiner Begründung 
positive Argumente fehlten. Nun aber kommt zur rechten Zeit 
die neue Lehre und drängt unsere Gedanken in folgende Richtung: 
zweifellos existiert neben einer gesteigerten und einer verringerten 


1) Frank und Hey mann, Vortrag, gehalten in der Sitzung vom 
14. März 1913 der medizinischen Sektion der schlesischen Gesellschaft 
für vaterländische Kultur zu Breslau. 

2) Abderhalden, Die Sohutzfermente des tierischen Organismus. 
Berlin 1912, J. Springer. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 17. 


Absonderung (Hyper- and Hyposekretion) auch eine Dyssekretion, 
und diese besteht vermutlich in einer Produktion von unge¬ 
nügend oder falsch abgebauten Drüsensubstanzen. In solchen 
Fällen also mag die erkrankte Drüse Stoffe entsenden, die 
infolge ihres mangelhaften Abbaues noch nicht reif zur Aufnahme 
in das Circulationssystem sind und daher als blutfremdes Material 
eine verderbenbringende Wirksamkeit entfalten. Durch einwand¬ 
freie Methoden gelingt es, die Existenz dieser nicht genügend 
nivellierten Stoffe im Blutstrom nachzuweisen. 

Unmittelbar ersteht vor unseren Augen das Bild jener Base¬ 
dowfälle, die trotz verhältnismässig kleiner Struma dennoch mit 
den schwersten toxischen Erscheinungen einhergehen, und anderer¬ 
seits treten in unsere Erinnerung jene riesengrossen Strumen, 
welche ungeachtet ihrer Ausdehnung der charakteristischen Base¬ 
dowerscheinungen völlig ermangeln. Nicht die Quantität der 
Drüsensekrete ist das Wesentliche, nur ihre Qualität bedingt 
Gesund- bzw. Kranksein. Die QüantitätsVeränderung der Drüsen¬ 
produkte erzeugt, um gleich bei dem Beispiel der Schilddrüse zu 
bleiben, eine Lokalerkrankung (Struma), die Beeinträchtigung der 
Qualität hingegen führt zu einem schweren Allgemeinleiden 
(Basedow), durch welches unter Umständen das Leben ernstlich 
bedroht wird. 

Es wird in der Folgezeit überhaupt schwer werden, Hyper- 
bzw. Hyposekretion von einer Dyssekretion auf Grund klinischer 
Befunde zu scheiden. Möglicherweise ist jede Alteration der 
Quantität auch von einer solchen der Qualität begleitet und um¬ 
gekehrt. Eines erscheint aber schon jetzt sicher: in Zukunft 
wird bei den Erkrankungen der Blutdrüsen den dyssekretorischen 
Schädigungen ein weit grösserer Spielraum zugemessen werden 
müssen, als dies bisher geschehen; wir werden also mit kombinierten 
Störungen zu rechnen haben. Hierbei wird nun weiter zu ergründen 
sein, in welchem Abhängigkeitsverhältnis die beiden Gruppen von 
Sekretionsstörungen zueinander stehen: Inwieweit bzw. wann 
führt eine quantitative Aenderung der Drüsenabsonderung eine 
materielle Schädigung der glandulären Produkte herbei und um¬ 
gekehrt? 

Seitdem die reizvollen Probleme der inneren Sekretion im 
Vordergrund des Interesses steheti, ist auch die Frage nach Ur¬ 
sprung und Wesen des Diabetes immer wieder und wieder zur 
Diskussion gestellt worden. Jedoch sind wir noch fern von 
einer endgültigen Lösung. Die erste grosse Etappe bedeutete die 
Entdeckung des experimentellen Pankreasdiabetes durch v. Meri'ng 
und Minkowski. Endlich schien der rechte Weg gefunden; 
denn was lag näher, als die Genese der Zuckerkrankheit auf eine 
verringerte bzw. fehlende Sekretion des Pankreas zu beziehen! 
Auch die pathologische Anatomie erhärtete anscheinend die 
Richtigkeit dieses Gedankenganges, indem sie für die Mehrzahl 
der Diabetesfälle eine Atrophie des Pankreas nachweisen konnte. 
Aber es waren doch von vornherein mehrere Momente da, welche 
den aufmerksamen Beobachter stutzig machen mussten. Da war 
zunächst die unbestreitbare Tatsache, dass die erwähnte Pankreas- 
atrophie keineswegs in allen Fällen zu finden war. Ein klinisch 
fixiertes Krankheitsbild ohne einheitlichen anatomischen Be¬ 
fund weckt in uns aber stets ein gewisses Gefühl des Unbehagens. 
Und dann war von Anfang an sehr auffällig das völlige Versagen 
der Organtherapie. Warum sollte, wenn es sich um eine einfach 
verringerte Sekretion des Pankreas handelte, die Zufuhr von 
Drüsen material so absolut nicht helfen! Hatten wir doch beim 
Myxödem mit der Verabreichung von Scbilddrüsensubstanz so glän¬ 
zende Erfolge erzielt, und passte doch beim Diabetes unsere Auf¬ 
fassung des Krankheitsprozesses in eben den gleichen Rahmen! 
Aber die klinische Beobachtung lehrt uns immer wieder, dass 
wir nicht schematisieren dürfen. Auch in dem Kapitel von der 
Pathogenese der Zuckerkrankheit stimmten die theoretischen An¬ 
schauungen, zu denen wir nach langjährigen Stadien gelangt 
waren, mit den Erfahrungen der Realität nicht überein. Wenn 
wir nun aber, gestützt auf Abderhalden, annebmen, es handle 
sich nicht um eine reine Hyposekretion, sondern um eine fehler¬ 
hafte Absonderung, um einen mangelhaften Abbau der Drüsen¬ 
stoffe, so ändert sich die Situation mit einem Schlage. Erstens 
können wir nunmehr auch für die anatomisch negativen Fälle 
postulieren, dass die Funktion des Pankreas in der erwähnten 
Weise beeinträchtigt sei; und diese Hypothese bleibt keine leere 
Hypothese mehr, sondern wird sich mit den Abderbalden’schen 
Methoden intra vitam für alle Diabetesfälle nachprüfen lassen. 
Es kommt also der Begriff der Funktion bzw. der Funktions¬ 
störung wieder zu seinem Recht. In den Fällen aber, in denen 
eine reelle Pankreasatrophie vorliegt, da wird^auch wahrschein¬ 


lich, so meinen wir, die Qualität der Drüsenstoffe geschädigt 
sein. A priori kann man sich ja kaum denken, dass ein atro¬ 
phischer Prozess in einem Drüsenorgan die glandulären Pro¬ 
dukte völlig unangetastet lässt. Wir können aber auch, wie 
bereits oben hervorgehoben, auf Grund klinischer Erfahrungen 
(Morbus Basedowii) schliessen, dass fast immer eine Quantitäts¬ 
veränderung der Sekretion mit einer Alteration der 
Qualität Hand in Hand geht. Es ist also, so meinen wir, für 
die Entstehung des Diabetes sehr wohl eine kombinierte Sekretions- 
störung in Betracht zu ziehen (Hypo- -f- Dyssekretion). — Keines¬ 
wegs dürfen wir unserer Auffassung nach den experimentell er¬ 
zeugten Tierbiabetes mit der menschlichen Zuckerkrankheit ohne 
weiteres auf eine Stufe stellen. Allerdings ist hier wie dort der 
Krankheitsprozess Folgewirkung ein und derselben Ursache — als 
solche wird nach modernen Theorien der Fortfall der Dämpfung 
der Zuckerproduktion angesprochen, also vermehrte Zuckerbildung. 
Aber dieses Ziel scheint auf zwei verschiedenen Wegen erreicht 
zu werden, im ersten Falle durch absolutes Fehlen der Pankreas¬ 
sekretion, im zweiten vielleicht durch eine kombinierte Sekretions¬ 
störung (Hypo- + Dyssekretion). — Die Identifizierung beider 
Krankheitsprozesse ist für die Erkenntnis des Wesens der Zucker¬ 
krankheit entschieden nicht förderlich gewesen. 

Das Versagen der Organtherapie beim Diabetes führt uns als¬ 
bald auf das umfassendere Problem, warum überhaupt bei einer 
Reihe von Krankheitszuständen, die auf mangelhafter Funktion 
von Blutdrüsen beruhen sollen, die Organtherapie — mit Aus¬ 
nahme des Myxödems — so völlig im Stich lässt. Auch dieser 
Tatsache scheinen wir mit Hilfe der Abderhalden'scben Forschungen 
mehr auf den Grund zu kommen. Wenn ein Organismus unter 
irgendwelchen Einflüssen die Fähigkeit verliert, die Produkte 
einer bestimmten, ihm zugehörigen Blutdrüse richtig und voll¬ 
kommen abzubauen, so kann er natürlich auch nicht solche, die 
ihm von aussen zugelührt werden, gesetzmässig verarbeiten; 
sondern er muss sie — in gleicher Weise wie die seiner eigenen 
Drüse entstammenden — ungenügend abgebaut dem Blutstrom 
überliefern. Somit kann also die krankhafte Störung nicht be¬ 
hoben werden. Ja man könnte sich sogar vorstellen, dass unter 
ständiger Zufuhr von Drüsenprodukten das Leiden eher ver¬ 
schlimmert wird; und in der Tat finde ich bei Leschke 1 ) die 
Angabe, dass frischer Pankreasextrakt bei diabetischen Tieren und 
Menschen die Zuckerausscheidung steigert. Vielleicht wäre in be¬ 
stimmten Fällen der Versuch angebracht, zu organotherapeutischen 
Zwecken nicht mehr die reine Drüsensubstanz, sondern ent¬ 
sprechend abgebaute Organpräparate zu verwenden. 

Mit brennendem Interesse musste jedermann die Untersuchungen 
Fauser’s 3 ) verfolgen, der als erster aus den Forschungsergeb¬ 
nissen Abderhalden’« die praktische Nutzanwendung für die 
Psychiatrie gezogen hat. Gerade in dieser jung erblühenden 
Wissenschaft, die noch so viele der ungelösten Probleme bietet, 
musste die neue Lehre verheissungsvolle Ausblicke eröffnen. So 
haben denn auch schon jetzt Fauser’s Untersuchungen eine Reihe 
wichtiger Ergebnisse beigebracht: es gelang nämlich bei be¬ 
stimmten psychischen Erkrankungen (Psychosen bei Schilddrüsen¬ 
erkrankungen, Dementia praecox, luetischen und metaluetischen 
Psychosen) blutfremde Stoffe im Circulationssystem nachzuweisen. 

Wenn wir jetzt also hören, dass im Blute von Dementia 
praecox - Kranken mit vollkommener Sicherheit in der Mehrzahl 
der Fälle Geschlecbtsdrüsensubstanz aufgefunden wird, so müssen 
wir ehrlich zugeben: Jetzt scheint endlich ein Weg gebahnt, 
auf dem wir vielleicht zur Erkenntnis so mancher Psychosen ge¬ 
langen. Hier tasten wir nicht mehr im Dunkeln, sondern jetzt 
haben wir wirklich ein Fundament, auf dem weiter gebaut werden 
kann. Bezüglich aller näherer Einzelheiten verweise ich auf 
Fauser’s Arbeiten. Mir sei nur noch folgendes zu bemerken 
gestattet: es scheint — speziell für die psychischen Erkrankungen — 
geraten, nicht nur das Blut auf blutfremdes Material zu unter¬ 
suchen, sondern auch in der Cerebrospinalflüssigkeit auf 
„Liquor-fremde“ Bestandteile zu fahnden. So könnte bei Para¬ 
lyse wie auch bei Dementia praecox der Liquor auf Hirnsubstanz 
geprüft werden. Für letztere Erkrankung käme naturgemäss auch 
die Untersuchung auf Keimdrüsen resp. Schilddrüse in Betracht 
Vielleicht würden auch bei manisch-depressivem Irresein, das bis 
jetzt eine nur geringe Ausbeute geliefert hat, positive Befunde im 


1) Leschke, Die Pankreastherapie der Diabetes. Münchener med. 
Wochenschr., 1911. 

2) Fauser, Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 52, und Deutsche 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 7. 


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28. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Liquor zu erheben sein; wichtig wäre hier einerseits die Unter¬ 
suchung auf Gehirnmaterial, andererseits auf Schilddrüse. Be¬ 
züglich der Epilepsie müsste auf Hirn, auf Nebenschilddrüsen 
[Curschmann] 1 ) und auf Keimdrüsen geprüft werden. Weiterhin 
sollten sämtliche Formen der Tetanie auf Nebenschilddrüsen¬ 
substanz durchuntersucht werden (Kindertetanie, Maternitätstetanie, 
Tetanie gastrointestinalen Ursprungs), damit endgültig die Ein¬ 
heitlichkeit dieser Krankheitsformen festgestellt werden könnte. 
Von Bedeutung erschiene es auch, das Verhalten der Lumbal¬ 
flüssigkeit gegenüber Nebenschilddrüsenbestandteilen bei Paralysis 
agitans zu beobachten. Bekanntlich wurde dieses Leiden neuer¬ 
dings mit einer Insuffizienz der Epithelkörperchen in Zusammen¬ 
hang gebracht. Auch für die seltenere Erkrankungsformen, wie 
z. B. die Myasthenie usw., wäre ähnlich zu verfahren. Endlich 
wäre es bei der Hysterie, die ja mit der Sexualsphäre in so 
innigen Beziehungen steht, von Interesse, nach Keimdrüsen¬ 
substanz zu forschen. Die hier gegebenen Andeutungen möchte 
ich nicht weiter ausspinnen; es sollten nur einige Richtlinien für 
eventuelle weitere Untersuchungen gezeichnet werden. 

Schliesslich noch ein Wort zur Therapie. F'auser 2 ) hat be¬ 
reits den Gedanken ausgesprochen, dass die Ergebnisse Abder- 
halden’s vielleicht dereinst zu einer spezifischen Therapie 
psychischer F)rkrankungen führen würden. Von diesem so heiss 
ersehnten Ziel sind wir indessen wohl noch eine ganze Strecke 
entfernt. Vielleicht scheint folgende Anregung brauchbar: Be¬ 
kanntlich stehen im polyglandulären System eine Reihe von Blut¬ 
drüsen in einem antagonistischen Verhältnis zueinander, d. h. 
also eine bestimmte Blutdrüse hemmt die Sekretion ihres Antago¬ 
nisten. Nun circulieren, wie wir von Fauser gehört haben, im 
Blute von Dementia praecox - Kranken Keimdrüsenstoffe — die 
Folge einer Dyssekretion der Geschlechtsdrüsen. Solange wir 
noch nicht imstande sind, diese krankhaften Stoffe im Blut zu 
zerstören, müssten wir versuchen, die Sekretion der betreffenden 
Drüse — in unserem F'alle also der Keimdrüsen — möglichst 
einzuschränken. Das liesse sich vielleicht durch Verabreichung 
von antagonistischen Organen entstammender Drüsensubstanz er¬ 
reichen. ln diesem Sinne mag versuchsweise bei Dementia 
praecox eine kombinierte Opotherapie [Hypophysis, Nebenniere, 
Zirbeldrüse (?)] instituiert werden, deren Wirksamkeit unter Um¬ 
ständen die Absonderung der Keimdrüsen zurückzudrängen fähig 
wäre. 


Aus der geburtshilflichen Abteilung des städtischen 
Krankenhauses Charlottenburg (Prof. Dr. Keller). 

Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett bei 
ausgedehnter halbseitiger Teleangiektasie und 
Varicenbildung mit lymphangiektatischer Ele¬ 
phantiasis. 

Von 

Dr. med. H. Drews, Assistenzarzt. 

In dem beobachteten Falle handelt es sich um eine 23 jährige Ipara 
mit hochgradiger Teleangiektasie, varicöser und elephantiastischer Ver¬ 
änderung der Haut der rechten Körperhälfte vom Kopf bis zum Fuss. 
Rechts und Links steht in scharfem Kontrast zueinander sowohl an 
Farbe wie an Konsistenz und Beschaffenheit der Hautoberfläche. Die 
Grenzlinie ist auf der Vorderseite des Körpers scharf gegogen wie mit 
dem Lineal und entspricht der Linea alba. Links davon ist die Bauch¬ 
haut normal, rechts gebräunt und mit durchschimmernden varicösen Er¬ 
weiterungen der Venen, der grösseren sowohl wie der kleinen. Die 
Oberfläche erscheint rechts gegenüber links etwas erhaben, die Betastung 
hinterlässt zwar keine Delle, erweckt aber den Eindruck eines weichen 
teigigen, leicht infiltrierten Gewebes. Auf Druck schwindet die bläuliche 
Färbung, und zurückbleibt allein die rötlich-braune Pigmentierung. 

Wie median so grenzt sich auch nach oben die Veränderung scharf 
ab in der Höhe der rechteu Mamma. An der rechten Aussenseite des 
Körpers wird die obere Grenze undeutlich, um auf der Rückenseite ganz 
zu verschwinden und einem allmählichen Uebergang zum normalen Ge¬ 
webe Platz zu machen. Während die Veränderung an dem unteren 
Teil des rechten Glutaeus noch stark ausgeprägt ist, erscheint dieselbe 


1) Curschmann, Cerebrale Syndrome der Tetanie und Calcium¬ 
therapie. Verhandlungen der Gesellschaft deutscher Nervenärzte, Leipzig 
1912. 

2) Anmerkung bei der Korrektur: Vgl. auch die letzte Arbeit von 
Fauser, Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 11. 


im oberen Teil schon wesentlich geringer und geht von hier aus allmählich 
in das Normale über. 

Besonders stark sind die Veränderungen ausgesprochen an der 
rechten unteren Extremität und hier wieder besonders am Fuss. Der 
Fuss und der Unterschenkel geben den vollständigen Eindruck elephan¬ 
tiastischer Veränderung der Haut. Daneben grössere und kleinere beulen¬ 
artige Vorsprünge von prallgefüllten Varicen. 

Nach oben zu nehmen die varicösen Veränderungen ab, und am 
Bauche treten sie gegenüber den feineren teleangiektatischen Anomalien 
der Haut mehr in den Hintergrund. 

Die strenge Halbierungslinie läuft über den Mons veneris und teilt 
entsprechend auch die äusseren Genitalien, um nach hinten in die Rima 
ani überzugehen. Das rechte Labium tritt stark hervor in bläulich-röt¬ 
licher Farbe, von dicken varicösen Venen durchzogen; das linke Labium 
ist klein, von normaler Beschaffenheit. 

Besonders in die Augen fallend ist die starke Asymmetrie beider 
Gesichtshälften, indem die rechte wesentlich voluminöser als wie die linke 
erscheint. 



Die verdickte Backe hängt rechts schlaff herunter wie bei einer 
Facialislähmung mit nach unten verzogenem Mundwinkel. Die Nasolabial- 
falte ist verstrichen. Das obere rechte Augenlid steht tiefer als links, 
wie bei einer Ptosis. Es ist eine gewisse Aehnlichkeit mit dem Aussehen 
vorhanden, wie es bei apoplektischen Zuständen hervortritt. 

Auch die rechte obere Extremität ist, neben die linke gehalten, von 
letzterer verschieden. Die Haut ist diffus braunrot verfärbt, zugleich er¬ 
scheint sie etwas dicker, von weicher, leicht teigiger Konsistenz mit 
einzelnen kleineren und grösseren tiefblauen Fleckchen, welche Tele¬ 
angiektasien entsprechen. 

Irgendwelche Anomalien sowohl der Schädel- wie Extremitäten¬ 
knochen konnten durch Röntgenaufnahmen nicht festgestellt werden. 

Pathologisch-anatomisch handelt es sich um Teleangiektasien der 
kleinen und Varicenbildung der grösseren venösen Gefässe und des Lymph- 
gefässsystems mit diffuser Bindegewebsvermehrung, entsprechend der 
Elephantiasis. 

Die streng halbseitige Lokalisation der Veränderungen legt den Ge¬ 
danken nahe an eine ursächliche Nervenbeeinflussung. Die genaue Unter¬ 
suchung des Nervensystems ergab jedoch keine Anhaltspunkte dafür. 
Die Reaktion auf elektrische Ströme erfolgt beiderseits prompt in nor¬ 
maler Stärke, die Temperaturmessungen beider Körporhälften ergeben 
keine Differenzen, die Schweissproduktion ist beiderseits eine gleich- 
mässige, ebenso die Sensibilität. Die Pat. war bei der Aufnahme im 
5. Monat gravid. 

Die sonstige Untersuchung der inneren Organe, insbesondere der 
Zustand des Uterus und seiner Adnexe ergab vollständig normale Ver¬ 
hältnisse. Auch die chemische Untersuchung des Urins konnte keinerlei 
abnorme Bestandteile nachweisen. 

Bemerkenswert für die Vorstellung der Stärke und Ausdehnung der 
halbseitigen Veränderung ist vielleicht, dass sie dem zu Rate gezogenen 
Arzt wegen der Arbeitsbehinderung die Indikation zur Unterbrechung 
der Schwangerschaft begründete. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 17. 


Anamnestisch war, wie in ähnlichen Fällen, nur zu ergründen, dass 
die Veränderungen bis auf die Geburt zurückgingen. Schon damals soll 
die rechte Gesichtshälfte und das rechte Bein dicker gewesen sein als 
links. Dasselbe gilt bezüglich der Krampfadern and Hautveränderungen. 
Bei den Eltern, Geschwistern und sonstigen Verwandten sind ähnliche 
Vorkommnisse nicht beobachtet. 

Wie die Pat. augenblicklich, abgesehen von den beschriebenen Ver¬ 
änderungen, im allgemeinen den Eindruck der zurückgebliebenen körper¬ 
lichen Entwicklung macht, so spricht dafür auch die Angabe, dass sie 
erst mit 4 Jahren laufen gelernt hat und mit 18 Jahren zum ersten 
Male menstruierte. 

Auch geistig erscheint sie äusserst schwerfällig und gibt auch zu, 
in der Schule schwer vorwärts gekommen zu sein. 

Traumatische Verletzungen, welche bei der Ausdehnung der Ver¬ 
änderung kaum in Frage kommen, haben niemals stattgefunden. 

Das Fehlen frischer und alter luetischer Symptome, besonders der 
negative Ausfall der Wassermann'schen Reaktion sprechen gegen ein 
derartiges ätiologisches Moment. 

Mit dem Beginn der Schwangerschaft haben sich angeblich die be¬ 
stehenden Hautveränderungen allmählich verstärkt. Dieses gilt besonders 
bezüglich der Anschwellung des rechten Beines, welche das Gehen und 
Arbeiten erschwerte. 

Da die Pat. wegen ihrer Arbeitsunfähigkeit unter die Hausschwangeren 
der Anstalt aufgenommen wurde, war es möglich, die weiter im Laufe 
der Schwangerschaft eintretenden Veränderungen genau zu beobachten. 

Die Pat. wurde zunächst einige Tage zu Bett gelegt mit Hoch¬ 
lagerung des rechten Beines. Die Wirkung war keine bemerkenswerte, 
weshalb man die Pat. bald wieder aufstehen liess. Wir begnügten uns 
nun, durch eine entsprechende Binde bis zum Knie die Schwellung nach 
Möglichkeit zu beschränken und auch die Pat. vor Schädlichkeiten durch 
Stoss usw., wozu die Kranken erfahrungsgemäss besonders neigen, zu 
schützen. Im weiteren Verlaufe der Gravidität wurde die scharfe Grenze 
der Veränderung auf der Bauchhaut durch eine diffuse bräunliche Pigmen¬ 
tierung der Haut allmählich ganz verwischt, so dass bei der Geburt nur 
mit Mühe die alte Trennung zwischen Rechts und Links wahrgenommen 
werden konnte. Es blieb nur die leichte Erhabenheit der Haut rechter- 
seits gegenüber links bestehen. 

Die Geburt erfolgte am normalen Termin und verlief spontan. Mit 
dem Wehenbeginn trat eine Gestalt des Uterus entsprechend dem Uterus 
arcuatus mit deutlicher medialer Einkerbung zutage, die vorher nicht 
konstatiert werden konnte. Die Eröffnungsperiode verlief sehr langsam 
und dauerte 2 Tage. Als Grund dafür ist wohl eine geringe Leistungs¬ 
fähigkeit der Uterusmuskulatur anzusehen, wie sie mit der hypoplastischen 
Form eines Uterus arcuatus wohl verbunden sein wird. Nach zweitägigem 
Kreissen war zwar die Cervix verstrichen, aber der Muttermund noch so 
grübchenförmig klein, geschlossen, die Cervixwand straff über den im 
Becken stehenden Kopf gespannt. Durch Eindringen des Fingers gelang 
es rasch, den Muttermund auf Zweimarkstückgrösse zu erweitern, so dass 
von einer gewissen Rigidität des Orifioium ext. im Sinne der alten Con- 
glutinatio orificii ext. gesprochen werden kann. Unter Verstärkung der 
Wehen durch Pituglandol ging die Geburt rasch vorwärts und kam zum 
spontanen Abschluss. 

Im Wochenbett galt es in erster Linie einer Thrombose in 
den zahlreichen Varicen, ihrer Fortleitung in die grossen Gefäss- 
stämme und damit der Gefahr einer Embolie vorzubeugen. Dieser 
Komplikation sind solche Kranke, nach der Veröffentlichung von 
Wolff aus der Kgl. Universitätsklinik für Haut- und Geschlechts¬ 
kranke, Charit^, besonders ausgesetzt, wie seine einschlägige Be¬ 
obachtung zeigt. Allerdings handelt es sich in dem erwähnten 
Fall um gleichzeitiges Ekzem und Ulcus cruris an dem befallenen 
Bein, Komplikationen, welche die Entwicklung schwerer Thrombo¬ 
phlebitiden wesentlich erleichtern. In dem beschriebenen Fall 
trat der Exitus infolge Embolie ein. 

Demnach hielten wir eine gewisse Prophylaxe auch in unserem 
Falle für wünschenswert. Wir wählten Lagerung des rechten 
Beines auf schiefer Ebene mit sofortiger Bewegung desselben unter 
gleichzeitiger Anregung der Circulation durch kleine Dosei} 
Digalen. In Betracht gekommen wäre noch sofortiges Aufstehen 
und Umhdrgehen. Wir entschlossen uns zu ersterem, da Hoch¬ 
lagerang und Bewegung uns die beste Unterstützung der Circu¬ 
lation erschien. Eine Komplikation trat nicht ein; die Patientin 
verliess am fünften Tage das Bett und befand sich vollständig wohl. 
Die Hautveränderungen haben sich an sich im Wochenbett nicht 
wesentlich verändert, vielleicht ist eine geringe Abnahme der 
Schwellung des rechten Beines zu bemerken, welche naturgemäss 
post partum infolge der enormen Entlastung der Circulation durch 
Ausstossung der Frucht eintreten musste. 

Schon seit Jahren herrscht in unserer Anstalt folgendes 
Prinzip in der Behandlung der Wöchnerinnen. Schon am ersten 
Wochenbettstage Seitenlage, Bewegungen der Beine, ebenso am 
zweiten Tage; am dritten und vierten Aufsitzen im Bett, am 
fünften Tage Aufstehen eine halbe Stande, ebenso am sechsten 
Tage. Den nächsten Tag (siebenten) verlassen die Wöchnerinnen 


vormittags und nachmittags je eine halbe Stunde das Bett, am 
achten Tage morgens und nachmittags je eine Stunde. Am neunten 
Tage kommen sie gewöhnlich zur Entlassung. 

Mit dieser Behandlungsmethode sind wir äusserst zufrieden, 
da das Auftreten irgendwelcher Komplikationen als Thrombose 
und Embolie zu den Seltenheiten gehört. 

Fälle halbseitiger teleangiektatischer Veränderungen von der 
Ausdehnung wie in dem von mir beschriebenen Falle sind nach 
der Durchsicht der einschlägigen Literatur eine Seltenheit Wolff, 
der die Erkrankung des ausführlicheren beschreibt und die 
fremden Fälle dabei berücksichtigt, bringt einen selbstbeobachteten 
Fall. 

M. P. Gas ton 1 ) veröffentlicht einen ähnlichen Fall, wo sich 
die Veränderungen mit strenger Halbseitigkeit auf die linke untere 
Extremität, linke Hälfte des Scrotum und auf die linksseitige 
Region zwischen Steissbein und AnuR erstreckt. 

Heller 2 ) und Duzea 8 ) veröffentlichen beide je einen Fall 
von halbseitiger Teleangiektasie von ähnlicher Ausdehnung wie 
bei dem unsrigen. Häufiger beschränkt sich die Veränderung auf 
einzelne kleine Körperregionen, wie das Gesicht, die Geschlechts¬ 
teile und die Analgegend. Allen gemeinsam ist die Zurückführung 
der Abnormität auf die Geburt, Zunahme in der Pubertät und 
nach Traumen. Als Komplikationen wären zu nennen leichtes 
Ekzem und Geschwürsbildung an sich, wie insbesondere nach 
Traumen, des weiteren Thrombophlebitis mit der Gefahr der 
Embolie. 

Die Aetiologie liegt noch vollständig im Dunkeln. Weist 
die Verteilung der Veränderungen auch auf eine Beteiligung des 
Nervensystems hin, so sind doch Anhaltspunkte dafür selten ge¬ 
funden. 

Gaston beobachtete in seinem Fall anch auf der erkrankten 
Seite verminderte faradische Erregbarkeit, ferner herabgesetzte 
Temperatur und vermehrte Schweissproduktion. Das letztgenannte 
Symptom findet sich auch bei dem Patienten Duzöa’s, dagegen 
ist hier die Temperatur der befallenen Seite um 4 / 10 —®/ 10 ° höher 
als die der gesunden. Jedenfalls sind diese Befunde Symptome, 
welche auf irgendeine Beteiligung des vasomotorischen Centroms 
hinweisen, ohnö uns jedoch in der Frage der Aetiologie weiter¬ 
zubringen. 

Trotz genauester Anamnese, auch hinsichtlich der Familie, 
war auch bei dem von mir beschriebenen Fall nichts zu eruieren, 
was von ätiologischer Bedeutung hätte sein können. 


Aus derPrivat-Frauenklinik von ProfessorDr. A. Pinkuss 
zu Berlin. 

Zur Behandlung des Ausflusses der Frau. 

Von 

Dr. med. Georg Kate, Assistenzarzt der Klinik. 

Ein nicht geringer Teil der Klientel des praktischen Arztes 
besteht aus Frauen, die ihn wegen ihres Ausflusses konsultieren. 

Bevor die Frauen aber den Schritt zum Arzt machen, haben sie 
vorher meist den Rat ihrer Mütter, Freundinnen oder Hebammen be¬ 
folgt und auf eigene Faust medikamentöse Ausspülungen gemacht, ohne 
dass sie zumeist von ihren Leiden befreit wurden. Ein bisschen Ausfluss 
— dies hört man oft von Frauen — hat ja schliesslich jede Frau, und 
so warten sie eben weiter ab, statt die falsche Soham oder Nachlässig¬ 
keit zu überwinden und sich gleich sachverständigen Rat zu holen. Es 
ist erstaunlich, wie nachlässig sich viele Frauen ihrem eigenen Körper 
gegenüber verhalten und müssig abwarten, bis sie schliesslich einsehen, 
dass es ohne Hilfe des Arztes ni<&t geht, und sich dann endlich bequemen, 
'dessen Rat in Anspruch zu nehmet, nachdem ihnen vorher vielleicht 
erst noch ein Kurpfuscher gehörig Geld abgenommen hat, ohne ihnen 
Besserung zu verschaffen. 

Schon die Tatsache, dass ein scheinbar „harmloser* Ausfluss das 
erste Zeichen eines sich im Uterus oder Vagina etablierenden Carcinoms 
sein kann, macht es den Aerzten zur Pflicht, bei jedem Ausfluss genau 
nach dessen Aetiologie zu fahnden und sich nicht darauf zu be¬ 
schränken, mechanische Spülungen oder Pulverbehandlung zu ordinieren. 

Wie behandelt man nun am zweckmässigsten den Ausfluss 
der Frau? 


1) Annales de dermatologie, 1894. 

2) Diese Wochenschr., 1898, S. 1002. 

3) Gaz. des böp., 1885, Nr. 90. 


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28. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Die Arbeiten von Nassaner und anderen Autoren haben die 
Aneflusstberapie in eine neue Bahn gelenkt, in die der Trocken* 
behandlung. Sie haben die alte Spülungsbehandlung als unzweck¬ 
mässig, schädlich usw. aus der Therapie verwiesen. Jede neue 
Therapie, wie überhaupt jeder neue Gedanke muss, um durch¬ 
zudringen, „fanatische Anhänger“ haben. So ist es auch hier 
der Pall gewesen. Jedem muss sich aber die logische Frage auf¬ 
drängen: Demnach sind also alle Frauen vor der Trockenbehand¬ 
lung, denen man Spülungen verordnete, falsch und erfolglos be¬ 
handelt worden? Ferner: Demnach sind all dieAerzte, die heute 
noch Spülungen verordnen, veraltet und rückständig? Mit nichten! 
Tausende und Abertausende von Frauen sind und werden 
noch in Zukunft mit Spülungen behandelt und geheilt 
werden. Viele Wege führen bekanntlich nach Rom. Man 
kommt mit verschiedenen Methoden zum Ziele. Extreme An¬ 
sichten sind selten, besonders in der Medizin richtig gewesen. 
Wir sind durchaus keine Gegner der Trocken behandlung, wie wir 
weiter unten zeigen werden, haben aber die Ueberzeugung, dass 
man in jedem Fall individualisieren muss und nicht gleich bei 
jeder Patientin mit Ausfluss zum Pulverbläser greifen soll. Ist 
doch der Ausfluss in mancher Beziehung zu vergleichen mit 
katarrhalischen Affektionen der Halsrachenhöhle, und wo ist der 
Arzt, der bei einfachen Halskatarrhen sofort zur Einpulverung 
oder Aetzung der kranken Halspartien schreitet? Auch er wird 
es erst mit desinfizierenden Gurgelungen, Inhalationen usw. ver¬ 
suchen. Auch die neuerdings wieder empfohlene Trockenbehand- 
lung des Ausflusses durch Einlegen von Gaze (Tryen und der¬ 
gleichen) ist nicht unbedingt in allen Fällen angebracht, be¬ 
sonders nicht in Fällen, wo eine Endometritis corporis besteht, 
zumal in solchen Fällen durch die lokale Behandlung mit Uterus¬ 
tamponade Anlass zur Entstehung von pelveoperitonitischen Pro¬ 
zessen gegeben werden kann, ln solchen Fällen (bei Endometritis 
corporis): Finger weg von intrauterinen Eingriffen mit Gaze 

usw. Wie oft geschieht es doch auch, dass ohne alles Zutun, 
ohne Spülungen usw. ein Cervixkatarrh ausheilt, wenn von der 
Frau die nötigen hygienischen Maassnahmen beachtet werden: 
strengste Reinlichkeit, unbedingte Enthaltsamkeit vom Geschlechts¬ 
verkehr und dergleichen. 

Der Erwähnung bedarf hier der Fluor albus der chlorotischen 
jungen Mädchen und Frauen. Gerade hier wird wie selteu in der 
Medizin schädliche Polypragmasie getrieben. Beim Weissfluss 
der jungen Mädchen bedarf es nur allgemeiner, tonisierender- 
roborierender Maassnahmen, um den Ausfluss zum Verschwinden 
zu bringen. Jede lokale Behandlung — ob durch Spülung oder 
Pulverbehandlung — ist mit seltenen Ausnahmen durchaus un¬ 
angebracht. Eine Virgo intacta sollte uuhedingt ein Noli me 
tangere sein. 

Wir meinen, der richtige Weg der Behandlung des Ausflusses 
liegt in der Mitte. Wir gehen, um es vorweg zu sagen, dabei 
so vor, dass wir erst Spülungen mit leicht desinfizierenden 
oder adstringierenden Mitteln verordnen (bei Ausfluss, Katarrh, 
infektiösen Prozessen usw.), und oft haben wir dabei einen ekla¬ 
tanten Erfolg gesehen. Erst da, wo wir mit der Spülung nicht 
zum Ziele kommen, gehen wir zur Pulverbehandlung über, allein 
oder ro, dass wir abwechselnd trocken und feucht behandeln. Es 
will uns nicht einleuchten, dass Spülungen allein nach Ansicht 
der trocken behandelnden Aerzte mehr schaden als nützen sollen. 
Die Schleimhaut der Scheide ist bei gesunden Frauen durch das 
physiologische Sekret stets mehr oder weniger feucht. Ein völliges 
Austrocknen der Scheide gibt es selbst bei ausgedehntester Pulver¬ 
behandlung nicht, ist an sich auch schon dem Charakter einer 
„Schleimhaut“ nicht angepasst. Vielmehr entfernen wir bei 
katarrhalischen Entzündungen der Scheide das stagnierende Se¬ 
kret am besten durch Herausspülen, eventuell mit dem bekannten 
Pinkuss’schen Spülapaparat oder ähnlichen Apparaten. 

Schon vor Nassauer’s Vorschlag hat man die Trocken¬ 
behandlung des Ausflusses mit Borsäure und anderen Medika¬ 
menten, später mit Tann argentan (Wille) und Xerase (Abraham) 
versucht. Als bestes Mittel aber hat sich dabei die Bolus alba, 
die wewse Tonerde, bewährt. In neuerer Zeit eröffneten sich 
durch die Herstellung des Lenicets (polymerisierte essigsaure 
Tonerde) eine neue Anwendungsmöglichkeit der Bolus in Ver¬ 
bindung mit Lenicet. Nassauer, Liepmann und Wille be¬ 
dienten sich des 20proz. Lenicet-Bolus mit gutem Erfolge, zumal 
das Präparat seines billigen Preises wegen auch für ärmere 
Patientinnen in Betracht kommt. Neuerdings sind nun zur Ver¬ 
vollkommnung der Bolus-Therapie eine neue Reihe von Präparaten 


hergestellt 1 ), die ausser der Bolus und Lenicet noch Sauerstoff, 
Argentum und Jod enthalten. Es sind dies: 1. Lenicet Bolus 
mit Peroxyd 5 pCt. 2. Lenicet-Bolus mit Silber 0,5 pCt. 3. Lenicet- 
Bolus mit Jod 1 pCt. 

Lenicet-Bolus mit Peroxyd enthält 5 pCt. Peroxyd, 20 pCt. 
Lenicet und 75 pCt. sterilisierte Bolus. Lenicet-Bolus mit Silber 
enthält statt des Perborats ein zusammen mit Lenicet gefälltes 
basisches Silberacetat. Auf metallisches Silber berechnet enthält 
Lenicet-Bolus mit Silber l j 2 pCt. Metallsilber. 

Wir haben bei unserem reichlichen poliklinischen und klini¬ 
schen Material die beiden ersteren Präparate in ausgedehntem 
Maasse verwandt bei jeder Form von Ausfluss, ob infektiös, ob 
nicht infektiös bei Erosionen, Cervix- und Scheidenkatarrhen. 

Als besonders glücklich kann der Gedanke betrachtet werden, 
dem die Präparate 1 und 2, die wir ausschliesslich verwandten, 
ihre Entstehung verdanken. Die Bolus absorbiert die Bakterien 
und legt die Schleimhäute trocken, der Sauerstoff desinfiziert und 
das wegen seiner Schwerlöslichkeit lang vorhaltende Lenicet wirkt 
mild adstringierend und hemmt gleichzeitig die unerwünschte 
auflockernde Sauerstoffnebenwirkung. Beim Lenicet-Bolus mit 
Silber tritt an die Stelle der Sauerstoffwirkung die oberflächlich 
ätzende des Argentums. Wir verfolgten bei der Therapie des 
Ausflusses, welcher der blossen Spülbehandlung nicht wich, wie 
gesagt, zumeist die abwechselnde Methode, Spülung und Trocken¬ 
behandlung und gingen folgendermaassen vor: Wir vergewissern 
uns erst, woher der Ausfluss stammt, ob aus der Scheide 
allein, oder der Cervix bzw. dem Corpus uteri (Gonokokken¬ 
befund usw.). 

In einem der Weite des Vaginalrohres entsprechenden Milchglas- 
speculum wird die Portio vaginalis eingestellt, die linke Hand fixiert 
das Speculum, während die rechte mit einer langen Pinzette zuerst 
den äusseren Muttermund, die Portio und das hintere Fornix vaginae 
mit kleinen Wattestückchen vom Sekret frei tupft Darauf wird unter 
langsamem Herausdrehen des Speculums die Scheide mit neuen Watte¬ 
stückchen rein getupft. Dann schieben wir das Speculum wieder bis 
zur Portio vor und schütten direkt aus der Lenicetsauerstoff- bzw. 
Argentumbüchse das Pulver in das Speculum in der Menge von etwa 
2 bis S Teelöffeln je nach der Weite der Scheide. Die mit frischer 
Watte armierte Pinzette verteilt nun das Pulver gut um den äusseren 
Muttermund herum, so dass er von Pulver völlig umgeben ist und nach 
der Scheide zu einen Abschluss bildet, damit das aus der Cervix fliessende 
Sekret in diesen Pulverwall hineinsickert und sofort fixiert und ab¬ 
sorbiert wird. 

Auf diese Weise wird das etwa infektiöse Sekret auf dem Wege zur 
Scheide aufgefangen und kann in der Scheide keine neue Entzündung 
hervorrufen bzw. die alte nicht weiter auf der Höhe bleiben. Nach 
diesem ersten Akt der Umwallung der Portio vaginalis mit Lenicet- 
Bolussauerstoff ziehen wir das Milchglasspeculum centimeterweite heraus 
und bringen mit der Wattepinzette in alle Nischen der Scheide das 
auftrocknende Pulver. Ein trockener Tampon fixiert zum Schluss das 
Pulver in der Vagina. 

Wir lassen das Pulver bis zum nächsten Tag in der Scheide wirken 
uod dann die Patientinnen nach 24 Stunden den Tampon herausziehen 
und unter schwachem Druck eine lauwarme Spülung mit Kamillentee 
machen oder einem anderen indifferenten Mittel und bestellen sie dann 
am überfolgenden Tag unserer ersten Behandlung wieder zu uns, wo 
wir wieder, wie vorher, die geschilderte Einpulverung des Vaginalrohres 
vornehmen. Nach abermals 24 Stunden machen die Patientinnen zu 
Hause wieder nur eine lauwarme Kamillenteespülung. 

Die Spülung hat nur den Zweck, das mit Sekret imbibierte ver¬ 
backene Pulver mechanisch zu entfernen und alte, abgestossene Epithelien 
wegzuschwemmen. 

Wir haben mit Lenicet-Bolus-Sauerstoff und Lenicet-Bolus-Argentum 
Frauen mit folgenden Erkrankungen behandelt: akute und chronische 
Gonorrhöe, Erosionen gonorrhoischen und nicht gonorrhoischen Ursprungs, 
Cervixkatarrhe, alle Formen von Colpitis und Vulvitis. 

ln fast allen Fällen haben wir mit verschwindend wenig Ausnahmen 
mit Lenicet-Bolus-Sauerstoö und dem Argentum-Präparat sehr gute Er¬ 
folge (auch Dauererfolge) erzielt, wobei wir bei jedem Fall abwechselnd 
Lenicet-Bolus mit Peroxyd und Lenicet-Bolus mit Silber verwandten. 

Bei der akuten Gonorrhöe behandelten wir täglich, bis das eitrige 
Sekret geschwunden war, was in etwa 8 bis 10 Tagen eintrat. Dann 
liessen wir die Patientinnen alle 3, dann alle 5 Tage kommen und 
nahmen eine neue Einpulverung vor. Zu Hause machten die Frauen 
täglich, auch an den Tagen, wo wir nicht trocken behandelten, eine 
lauwarme Kamillentee-Ausspülung. Ein Ascendieren der Gonorrhöe haben 
wir dabei nicht beobachtet, falls die Frauen nicht schon mit Adnex- 
erkrankuDgen zu uns kamen. Wenn das eitrige Sekret geschwunden 
war, bestellten wir die Patientinnen alle 8 Tage wieder und pulverten 
an den Tagen nochmals gründlich ein. Später liessen wir die Frauen 
alle 14 Tage zum Nachsehen sich vorstellen und (fanden fast immer die 


1) Rheumasan- und Lenicet-Fabrik Dr. R. Re iss, Charlottenburg. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 17. 


Entzündung abgeheilt oder nur noch einen geringen Rest derselben, der 
durch Spülung allein verschwand. Es erübrigt sich eigentlich hervor¬ 
zuheben, dass wir während der Menstruation jegliche Manipulationen 
unterliessen. Bei Endometritis corporis uteri hat die Pulverbehandlung 
keinen Zweck, da wir es für falsch halten, intrauterin Pulver oder Gaze 
zu applizieren aus den Eingangs erwähnten Gründen. Eine Autorin 
will neuerdings 1 ) Fälle von chronischer Endometritis mit dem Symptom 
des Mittelscbmerzes durch die Trockenbehandlung mit Xerase geheilt 
haben. In der Xerase ist das wirksame Prinzip m.E. einzig und allein die 
Bolus alba. Es wäre interessant zu erfahren, welche, medizinische Vor¬ 
stellung sich die Autorin von der „Tiefenwirkung“ der Xerase auf den 
Uterus bei genannter Erkrankung gemacht hat. Absolute Ruhe, ver¬ 
nünftige Hygiene, eventuell andere Maassnahmen kommen hier in Be¬ 
tracht. Bei gewöhnlichen Cervix-Katarrhen behandelten wir im Verein 
mit Spülungen trooken in einem dreitägigen Zwischenraum mit bestem 
Erfolge, ebenso bei Erosionen, die unter dieser Behandlung oft flacher 
wurden, abblassten, bis sie schliesslich verschwanden. Bei der Behand¬ 
lung der Colpitis squammosa entfernten wir mehrere Tage hintereinander 
durch Auswaschung oder Ausreibung der Scheide die typischen weiss- 
lichen Beläge und Hessen danach zu Hause Spülungen mit Liq. plumbi 
oder Acet. bor. machen und erreichen hiermit zumeist Heilung innerhalb 
weniger Tage. Kommen wir dabei nicht zum Ziele, so leiten wir die 
Trockenbehandlung täglich ein und lassen zu Hause keinerlei Spülungen 
machen; die Entzündung der Scheide geht dann meist nach 4 bis 5 
maliger Einpulverung zurück. Der bei der Colpitis squammosa meist 
bestehende und als Hauptbeschwerde der Patientin hervortretende Pruritus 
vulvae verschwindet unter dieser Behandlung sehr bald. Ist die Ent¬ 
zündung geschwunden, so lassen wir noch Spülungen mit indifferenten 
Medikamenten, kühlem Kamillentee oder Liquor plumbi subacetici 
machen. 

Ein Wort noch über die Pulverbläser (Siccator usw.), die vota vielen 
Autoren den Patientinnen selbst in die Hand gegeben werden, damit 
sie die Einpulverung zu Hause vornehmen können. Wir halten sie nicht 
für empfehlenswert; denn erstens ist es immer ein Missding, einer Frau 
einen Apparat in die Hand zu geben, der möglicherweise zu mastur- 
batorischen Manipulationen Anlass geben könnte, andererseits aber — 
und das ist die Hauptsache — kann die ungeübte Hand der Patientin 
niemals so sorgfältig und exakt das Pulver an die Stelle bringen, wo 
es wirken soll und muss. Das ist einzig und allein Sache des behandelnden 
Arztes, denn man weiss aus Erfahrung, dass die Frauen den Apparat 
oft nur bis zur Mitte der Scheide und nicht bis zum Orte der Wirkung 
— der Portio vaginalis — führen, und so die Wirkung des Pulvers 
illusorisch machen. 

Wir kommen also zu dem Ergebnis unserer Erfahrungen: 
der Ausfluss der Frau wird zumeist mit Spülbehandlung geheilt. 
Führt diese nicht zum Ziele, so ist die Trockenbehandlung ein¬ 
zuleiten, eventuell in der oben beschriebenen Weise, kombiniert 
mit den Spülungen. Bei der Trockenbehandlung haben sich das 
Sauerstoffpräparat, die Lenicet-Bolus mit Peroxyd 5 pCt. und 
Lenicet-Bolus mit Argentum 1 / 2 pCt. bei den beschriebenen Ent¬ 
zündungen der Scheide vortrefflich und dauernd bewährt. 


Diplomelliturie. 

Von 

Prof. Dr. Heinrich Stern-New York. 

Unter Diplomelliturie verstehe ich das gleichzeitige oder ab¬ 
wechselnde Vorkommen von diabetischer und' nichtdiabetischer 
Glykosurie bei demselben Individuum. Obwohl ich bereits im 
Jahre 1904 in einem Vortrage vor der medizinischen Gesellschaft 
des Staates New York auf das Zusammentreffen von Zucker¬ 
ausscheidungen verschiedenen Ursprungs aufmerksam gemacht 
habe, bleibt dieser pathologische Zustand t; doch allgemein un¬ 
erkannt. Immerhin sehe ich mich durchs die verhältnismässige' 
Häufigkeit dieser Erscheinung — bis jetzt habe ich über 50 Fälle 
beobachtet, , und durch die n^cty unwichtige Frage der -ge¬ 
eigneten Behandlung solcher 'Fälle veranlasst, auf das Thema der 
Diplomelliturie zurückzukqmmen und meine vor 9 Jahren gemachten 
Angaben zu wiederholen. 

Glykosurie ist nur eine Folge, nur eine Manifestation einer 
Mannigfaltigkeit von Ursachen. Der diabetische Zustand kommt 
in ihr in gleicher Weise zum Ausdruck, wie sie ein Symptom 
verschiedenartiger Störungen ektogenen oder endogenen Ursprungs 
ist. Die Zuckerausscheidung stempelt einen Menschen nicht 
a priori zum Diabetiker, ebensowenig wie die Abwesenheit von 
Zucker im Urin einen schlüssigen Beweis für das Nichtvorhanden¬ 
sein des diabetischen Zustandes liefert, falls andere Symptome 
von Zuckerkrankheit vorliegen. 


1) Dr. Hedwig Prager, Vaginale Behandlung mit Xerase. 


Die Glykosurie als Symptom eines diabetischen Krankheits- 
znstandes ist eine feststehende Tatsache. Mit den ihr zugrunde 
liegenden Ursachen kommt oder verschwindet sie, verstärkt sie 
sich oder lässt sie nach. Sie kann daher ein vorübergehendes 
Symptom sein, sie kann aber auch bis zu einem gewissen Grade 
einen chronischen Charakter annehmen. Fälle von langdauernder 
Glykosurie, die durch ein zucker- und stärkefreies Kostregime 
nicht gemildert werden, sind in der Regel nicbtdiabetischer 
Natur. Dies trifft besonders dann zu, wenn auf ein antidiabetisches 
Kostregime, das längere Zeit ohne Unterbrechung verabreicht 
wurde, fortschreitender Körperverfall folgt. Selbstredend nehme 
ich dabei den Fall aus, dass der Patient sich im Endstadium des 
Diabetes befindet. 

Abgesehen von der Unähnlichkeit des klinischen Bildes, 
welches der echte Diabetes und die nicbtdiabetische Glykosurie 
darbieten, unterscheiden sich diese beiden Typen, wie von mir 
gezeigt worden ist, in folgenden Beziehungen (Tabelle). 


Nichtdiabetische 

Glykosurie 


Diabetische 

Glykosurie 


Ursache 

Dauer 


Stärkegrad (unbeein¬ 
flusst) 


Harnmenge (unbeein¬ 
flusst) 

Stickstoff und Ammo¬ 
niak im Harn (un¬ 
beeinflusst) 
Einfluss der anli- 
diabetischen Diät 


Einfluss der auf Ent¬ 
fernung oder Milde¬ 
rung der (bekannten) 
ätiologischen Unter¬ 
lagen gerichteten 
Maassnahmen 


In den meisten Fällen 
nachweisbar. 

Von der Natur und dem 
Stärkegrad der zugrunde 
liegenden Ursachen abhängig. 
Geringe Zuckerausscheidung 
im Harn, gewöhnlich weniger 
als 1 pCt. 

Normal oder vorübergehend 
leicht erhöht. 

Normales Verhältnis. 


Häufig gar nicht oder nur 
in geringem Grade nach¬ 
weisbar. Gerhardte Reaktion 
stets negativ. 

Häufig positiv; Aufhören oder 
Abnahme. 


Unbekannt. 

Chronisch. 


Ueber 1 pCt. Zuoker- 
aussoheidungim Harn. 

Ausgesprochene 
dauernde Vermehrung 
der Harnmenge. 
Vermehrt 


Stets nachweisbar. 
Gerhard Ps Reaktion 
gelegentlich positiv. 


Indem ich daran erinnere, dass ausser den obengenannten 
Punkten, in welchen die beiden G ly kosarietypen voneinander ab¬ 
weichen, der klassische Symptomenkomplex des Diabetes bei dem 
mit Glykosurie einbergehenden nichtdiabetischen Krankheits¬ 
prozess entweder ganz feblt oder nnr teilweise vorhanden ist, 
und indem ich nochmals betone, dass in der Mehrzahl der Fälle 
eine nachweisbare Ursache für die nicht auf Diabetes beruhende 
Grundlage der Glykosurie spricht, komme ich zu dem Schluss, 
dass die klinische Unterscheidung der diabetischen und nicht¬ 
diabetischen Formen der Melliturie durchaus keine Schwierig¬ 
keiten bereitet. 

Unter Berücksichtigung dieser verschiedenen Faktoren kann 
das Vorkommen von diabetischer und nichtdiabetischer Glykosurie 
bei einem und demselben Iudividuum diagnostiziert werden. Wir 
wissen, dass einfache Glykosurie nicht selten durch sicher kon¬ 
statierten Diabetes aufgehoben wird. Immerhin kann in solchen 
Fällen nicht von gleichzeitiger oder abwechselnder Glykosurie, 
Sondern nur von aufeinanderfolgendem Vpritommen beider Melliturie- 
typen in der Weise die Rede sein, dass dar eine zurücktritt und 
der andere, auf diabetischer Grundlage beruhende Typus sich 
dauernd : festsetzt, tS elbstverständlich gehören solche Fälle nicht 
in das Gebiet der DiplomeUiturie, die sich meiner Auffassung 
nach nnr auf das gleichzeitige oder abwechselnde Vorkommen 
von diabetischer und nichtdiabetischer Glykosurie bezieht 1 ). 

Während die Diplomelliturie ihrem Wesen nach gleichzeitig 
sein muss, kann sie klinisch nur durch das zeitweilige Nachlassen 
eines der zu ihr gehörigen Symptomenkomplexe nachgewiesen 
werden. Es ist charakteristisch für die in der Diplomelliturie 
vereinigten Affektionen, dass die auf die Verordnung anti¬ 
diabetischer Diät rasch, wenn auch vielleicht nnr vorübergehend 


1) Ich mache hier darauf aufmerksam, dass die durch Phloridzin 
induzierte Glykosurie zusammen mit einer schon bestehenden Glykosurie 
eine Diplomelliturie bedeuten. 


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28. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


788 


folgende Besserung sich auf den Diabetes bezieht. Daher rührt 
es, dass beim Abfallen oder Aufhören des diabetischen Sym- 
ptomenkomplexes die krankhaften Aeusserungen einer damit ver¬ 
bundenen oder hinzukommenden Störung, einschliesslich der 
Glykosuriesymptome, meist erkennbar werden oder deutlicher 
hervortreten. Die Diagnose der Diplomelliturie hängt deshalb 
von der Art und Weise ab, wie bald der eine, bald der andere 
Symptomenkomplex abwechselnd in den Vordergrund tritt. 

Wenn die nichtdiabetische Glykosurie ihr Erscheinen gleich¬ 
zeitig mit der diabetischen Melliturie macht, kann sie schwerlich 
jemals diagnostiziert werden. Diplomelliturie ist ebensogut eine 
durch das Glykosuriesymptom des Diabetes verschlimmerte ein¬ 
fache Glykosurie, wie sie eine Komplikation des Diabetes mit 
einfacher Glykosurie ist. Die beiden Glykosurietypen können 
wechselseitig voneinander abbängen. In der Mehrzahl der Fälle 
jedoch kommen sie augenscheinlich unabhängig voneinander vor. 
Sie mögen gleichzeitig entstehen, wofür der Beweis uoerbringlich 
ist. Vom klinischen Standpunkt aber geht ein Glykosurietypus 
dem anderen voraus, da der mit dem einen verbundene Symptomen¬ 
komplex stets die den anderen betreffenden Krankbeitszeicben in 
den Hintergrund drängt. 

Diplomelliturie ist das Resultat des Zusammentreffens oder 
Hinzukommens zweier Affektionen verschiedenen Charakters, 
welche das eine Symptom, die Glykosurie, gemeinsam haben. 
Kein vernünftiger Grund steht der Annahme entgegen, dass die 
Glykosurie gleichzeitig der Ausdruck zweier pathologischer Zu¬ 
stände sein könne, wie es ja auch beispielsweise beim Fieber der 
Fall ist. Der Umfang, in welchem jeder GlyJosurietypus zur 
Diplomelliturie beiträgt, lässt sich nur durch das Abfallen des 
neuen Typus bestimmen. Immerhin kann als allgemeine Regel 
gelten, dass die diabetische Glykosurie, wie bereits hervorgehoben, 
die nichtdiabetische Form an Stärke übertrifft. Beispielsweise 
scheidet ein Patient, welcher alle klinischen Symptome des 
Diabetes zeigt, täglich 8000 ccm Harn aus, der 8 pCt. (90 g) 
Harnstoff, übermässige Mengen anderer Stoffwechselprodukte, ins¬ 
besondere Ammoniak, sowie 5 pCt. (150 g) Glukose enthält. 
Nach Einhaltung eines antidiabetischen Kostregimes auf die Dauer 
von vier Wochen sind alle Aeusserungen des Diabetes zurück¬ 
gegangen, die tägliche Harnmenge hat sich auf 1500 ccm ver¬ 
mindert, der Harnstoff bat sich ungeachtet der grösseren Menge 
eiweisshaltigen Nährmaterials nicht vermehrt, was in Wirklichkeit 
einer entschiedenen Reduktion gleichkommt, der Ammoniakgehalt 
des Harns ist bedeutend geringer geworden, aber die Glukose- 
ausscheidung des Patienten beläuft sich dauernd auf 0,88 pCt. 
täglich (4,95 g). Diese Menge repräsentiert aller Wahrscheinlich¬ 
keit nach die Glykosurie nichtdiabetischen Ursprungs. Natürlich 
kann in weit vorgeschrittenen Diabetesfällen eine ähnliche Unter¬ 
scheidung zwischen den beiden grossen Glykosurietypen nicht 
gemacht werden. Hier bleibt die diabetische Glukose ungeachtet 
aller diätetischen Maassnahmen ein dauerndes Symptom, ebenso 
wie die anderen Manifestationen des diabetischen Zustandes. 

Bei unkompliziertem Diabetes geht, solange er noch nicht 
in das Endstadium eingetreten ist (dann ist er eo ipso ein kom¬ 
plizierter Krankheitsprozess), die Verminderung der Glykosurie 
unter dem Einfluss einer spezifischen Diät in der Regel Hand in 
Hand mit dem Verschwinden der übrigen diabetischen Symptome. 
Anscheinend ist die Mehrzahl der Diabetesfälle, in welchen bei 
fortgesetzter Diät der gesamte Symptomenkomplex mit Ausnahme 
einer geringfügigigen Glykosurie schwindet, mit Störungen kom¬ 
pliziert,? aus welchen diese Glykosurie folgt. Dies trifft ins¬ 
besondere dann zu, wenn der noch strikt antidiabetische Diät., 
einhaltende Patient fortgesetzt herunterkommt, nachdem die ,pia- 
bdtessymptome aufgehört haben? <1 

beim unkomplizierten Diabetes wird der Körper verfall, nicht 
nur flach dem zeitweilige^ Rückgang der GtykosuriÄ und der 
übrigen dazugehörigen Phänomene zum Stillstand gebracht, 
sondern der Patient nimmt häufig sogar dann, wenn er lange 
Zeit bei der .eintönigen, aber genügend Eiweiss und Fett 
enthaltenden Ernährung verharrt, an Körpergewicht und 
Kraft zu. 

Weiterhin können im diabetischen Harn Acetonkörper und 
Acid. diacet. in übermässigen Mengen auftreten, und nach einer 
langdauernden Diät mag sich sogar Acid. betaoxybutyr. zeigen. 
Die nichtdiabetische Glykosurie wird zwar hinsichtlich der Glu¬ 
koseausscheidung von der Diät nur in beschränktem Maasse be¬ 
einflusst, dagegen habe ich niemals ungehörige Mengen von 
Acetonkörpern oder Acid. diacet. beobachtet, noch konnte ich 


jemals die Anwesenheit von Acid. betaoxybutyr. feststellen, deren 
klinische Bedeutung weit überschätzt wird. 

Fälle von Diplomelliturie können ausgesprochene Unter¬ 
schiede in ihrer allgemeinen Symptomatologie zeigen, allen ist 
jedoch ein echter Diabeteszustand plus einer anderen Störung ge¬ 
meinsam, die ebenfalls durch eine mehr oder weniger deutliche 
Glykosurie charakterisiert ist. Die das Glykosuriesymptom dar¬ 
bietende andere Störung kann sehr verschiedener Natur sein. Sie 
mag auf einer leichten Funktionsänderung eines ziemlich un¬ 
wichtigen Organs beruhen, es kann ihr »aber auch eine organische 
Veränderung oder der Verlust eines sehr wichtigen Organs zu¬ 
grunde liegen. In vielen Fällen ist Diabetes das ursprüngliche 
Leiden, in anderen geht die nichtdiabetische Glykosurie ohne 
Zweifel dem Diabetes voraus. In fast allen Fällen, die unter 
meiner Beobachtung standen, hat das Körpergewicht bei Einhaltung 
einer strengen Diät, solange der Patient wirklich diabetisch war, 
zugenommen. Sobald jedoch der Diabetes latent wurde und die 
Phänomene der mit ihr zusammentreffenden Affektion in den 
Vordergrund traten, blieb das eingeschränkte Kostregime ohne 
entscheidenden Einfluss auf das absolute Körpergewicht. Von 
einigen wenigen Fällen abgesehen waren sämtliche diätetischen 
Einschränkungen nicht imstande, die geringe begleitende Glykos¬ 
urie nichtdiabetischen Charakters vollständig zu unterdrücken. 

Der nichtdiabetische Charakter dieser Glykosurie geringen 
Grades geht aus folgenden Gründen hervor: 1. Aus ihrer Fort¬ 
dauer nach der raschen Unterdrückung der Symptome eines 
milden oder mässig starken Diabetes. 2. Aus ihrem Fort¬ 
bestehen nach einer langdauernden und strengen antidiabetischen 
Diät. 8. Aus der Zunahme des Körpergewichts trotz des Fort¬ 
bestehens der Glykosurie. 4. Aus der normalen oder nahezu 
normalen Harnmeuge, welche nach dem Verschwinden der Glykos¬ 
urie hohen Grades entleert wird. 5. Aus der Ausscheidung ver¬ 
hältnismässig kleiner Harnstoffmengen trotz langdauernder Ein¬ 
verleibung stickstoffhaltigen Nährmaterials in grossen Quantitäten. 
6. Aus dem stärkeren Hervortreten gewisser, nicht bloss vorüber¬ 
gehender Symptome eines anderen als des diabetischen Krank- 
keitszustandes, nachdem die Latenz des Diabetes auf künstliche 
Weise herbeigeführt worden ist. 

Man könnte einwenden, der niedere Grad der Glykosurie sei 
nichts weiter als der nicht unterdrückbare Teil der diabetischen 
Glykosurie. Hierzu muss jedoch bemerkt werden, dass die nicht¬ 
diabetische Glykosurie nicht allein der diabetischen Glykosurie 
vorausgehen und in unveränderter Form nach dem Verschwinden 
der diabetischen Manifestationen weiterbestehen kann, sondern 
dass auch die diabetischen Erscheinungen meist einem Typus an¬ 
gehören, welcher bereitwillig und vollständig auf diabetische 
Maassnahmen reagiert und bei welchem die ausgeschiedene Glu¬ 
kose lediglich das Resultat unrichtiger Stärkeverdauung ist. 

Dass der begleitende niedere Grad von Glykosurie nicht auf 
unrichtiger Peptonisierung des einverleibten Nährmaterials oder 
des Körpereiweisses beruht, einer Proteolyse, die auf die 
schwereren und schwersten Formen des Diabetes hinweist, wird 
mit aller Bestimmtheit durch die fortschreitende Zunahme des 
Körpergewichts und die damit verbundene Verminderung der 
Stickstoffausscbeidung nach Aufhören der nachweisbaren diabeti¬ 
schen Erscheinungen ausgeschlossen. 

Aus dieser Arbeit lassen sich folgende Ergebnisse ableiten: 

1. Die diabetische Glykosurie ist weiter nichts als das her¬ 
vorstechendste Symptom des sogenannten diabetischen Zustandes 
in einem gewissen Stadium. 

2. Glykosurie ist eine Krankhflitserscheinung, in welcher 

mannigfache andere Störungen sowohl ektogenen wie endogenen 
Ursprung^ zum Ausdruck kommen. ' i * . , 

3. Mit Hilfe Verschiedener klinischer Untersuchungsmethoden 
können wir zwischen' den diabetischen und flicfrtdiabettechen 
Formen der Glykosurie unterscheidet!. 

4. Diplomelliturie ist das Resultat zweier zusammen treffen¬ 
der oder hinzukommender Affektionen verschiedenen Charakters, 
welche das eine Symptom, die Glykosurie, gemeinsam haben. 

5. Die Erkennung der Diplomelliturie hängt von dem 
wechselnden Hervortreten eines der Symptomenkomplexe, ein¬ 
schliesslich der betreffenden Glykosurie, ab. 


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784 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 17. 


Aus der II. chirurgischen Abteilung des städtischen 
Rudolf Virchow-Krankenhauses (Direktor: Professor 
Dr. M. Borchardt). 

Ein Beitrag zur Behandlung schwerer Formen 
von Trigeminusneuralgie mit Alkoholinjektionen 
ins Ganglion Gasseri. 

Von 

Dr. Arnffld Loevy, Assistenzarzt 

Die von Haertel aus der Bier’schen Klinik angegebene 
Methode der Injektionen ins Ganglion Gasseri durch das Foramen 
ovale hindurch, die im Anschluss an das von Schlösser geübte 
Verfahren ausgearbeitet wurde, batte ich Gelegenheit, an einer 
ganzen Anzahl von Leichen, in einem Falle auch am Lebenden, 
im hiesigen Krankenhause zu erproben. 

Die an über 40 Leichen ausgeführten Versuche bestätigten die An¬ 
gaben des Autors der Methode in jeder Hinsicht. Unter strikter Be¬ 
folgung seiner Angaben passierte die Kanüle immer ziemlich leicht den 
Kanal des Foramen ovale mit Ausnahme eines Falles, wo ein Knochen¬ 
vorsprung am vorderen Rande des Foramen diesem eine Nierenform gab, 
wodurch ohne Richtungsänderung es unmöglich war, in das Foramen zu 
gelangen. Ein seitliches Abweichen der Kanüle nach medial in Pharynx 
oder Tube oder auch lateral in die Fossa infratemporalis ist gar nicht 
möglich, wenn man nach der Vorschrift den Patienten geradeaus 
blicken lässt und dann Kanüle und Pupille in eine von vorn ge¬ 
sehen sagittale Verbindungslinie bringt. Leicht möglich ist es aber, 
dass die Kanüle zu weit nach hinten gelangt; auch ich sah sie manchmal 
durch das Foramen jugulare hindurcbgehen oder noch weiter dahinter 
am Hinterhauptsbein anstossen; ich schiebe die Schuld daran dem Um¬ 
stande zu, dass das Tuberculum articulare des Jochbogens, auf das bei 
seitlicher Betrachtung die Kanüle zeigen soll, ein nicht so eng um¬ 
grenzter Bezirk ist, wie ihn die Pupille darbietet, und deshalb grössere 
Ausschläge der Kanülenspitze nach vorn oder hinten möglich sind. 
Auch hier sind die Fehler zu vermeiden, wenn man sich an die Vor¬ 
schrift Haertel’s hält, die glatte Knochenfläche des Planum infra¬ 
temporale nicht zu verlassen, sondern „langsam tastend* auf ihr nach 
hinten zu gehen. Man fühlt deutlich, wenn die Kanülenspitze auf 
rauher, knorpeliger Fläche sich befindet und muss dann wieder zurück. 
Hält man sich an diese Angaben, und kommen dann noch die auf jeden 
Fall wertvollen Schmerzäusserungen des Patienten hinzu, so ist es — 
abgesehen natürlich von abnormen anatomischen Verhältnissen — nicht 
schwer, in das Foramen zu gelangen. Das Mittelmaass der Länge des 
eingeführten Kanülenteiles extracraniell betrug 5 1 /*— 6 cm, des intra- 
craniellen 1—1 */ 4 cm, dabei ist allerdings zu bemerken, dass die Kanüle 
nicht allzu selten sich neben und nicht in dem Ganglion befand, und 
zwar lateral von diesem nur einige Bündel durchbohrend. Obwohl sich 
die Kanüle wenn auch nur zum Teil im Ganglion befindet und man 
annehmen kann, dass der Alkohol in einem solchen Falle doch das 
ganze Ganglion durchtränkt und zerstört, ist ebenso das Gegenteil mög¬ 
lich; und wenn nur ein kleiner Teil des Ganglion intakt bleibt, wäre 
ein Erfolg infolge unserer Erfahrung über das Vorkommen gewisser 
regenerativer Prozesse doch wohl zweifelhaft. Ob das Ganglion, selbst 
wenn es central getroffen wird, völlig zerstört wird, kann trotz des 
klinischen Befundes nur der mikroskopische entscheiden. 

Noch einige Gefahren der Injektion seien erwähnt, so die der Ver¬ 
letzung der Arteria meningea media, wenn die Kanüle das Foramen 
spinosum fälschlich passiert oder die des Sinus cavernosus; es sind 
selten eintretende Vorkommnisse, die durch Entfernen der Kanüle ohne 
weiteres beseitigt werden. 

Beim Lebenden angewandt ergab die Methode einen sehr 
guten Erfolg. 

Es handelte sich um einen 77 jährigen Mann, der am 24. XI. 1912 
zur Aufnahme kam. Seit über einem Vierteljahr bestehende, an In¬ 
tensität rasch zunehmende Neuralgie des dritten, dann auch des ersten 
und zweiten Trigeminusastes.' Patient habe seit über 3 Wochen keinen 
festen Bissen mehr kauen können, das Sprechen sei ihm unmöglich, 
selbst seinen Auswurf könne er wegen der Schmerzen nicht mehr aus¬ 
werfen. Er wird vom Arzt, da alle inneren Mittel i versagt hatten, aus¬ 
drücklich zur GaDglionexstirpation hereingeschickt. 

Status: Aeusserst elender, alter Mann; Haut sehr welk. Patient 
kann weder kauen noch sprechen, noch seinen Auswurf herausbefördern. 
Es sind alle drei Aeste des linken Trigeminus ergriffen. Es besteht 
schwere Arteriosklerose und Bronchitis. Wegen des elenden Zustandes 
war an eine Operation nicht zu denken. 

4. XII. Injektion von 0,8 ccm Alkohol in das Ganglion Gasseri in 
typischer Weise. 

Während der Injektion gab Patient an, er habe das Gefühl, als ob 
der Blitz in seine linke Kopfhälfte einschlage. Nach etwa 1—2 Minuten 
erst hörten die Schmerzen auf. Prüfung der Sensibilität ergab Störung 
derselben in der ganzen linken Gesichtshälfte bis fast zum Scheitel 
herauf; linke Wangenschleimhaut und vordere Hälfte der linken Zungen¬ 
partie waren anästhetisch; Patient hatte das Gefühl, als ob diese Teile 
„geschwollen“ seien. Corneal- und Niessreflex waren links erloschen. 


Als der Patient darauf den ersten festen Bissen seit „Wochen* wieder 
genoss, ohne eine Spur von Schmerzen, erklärte er, an Wunder zu 
glauben, denn mit dem Leben hätte er abgeschlossen gehabt. Leider 
lehnte er jeden Schutzverhand des Auges ab, obwohl man ihn auf die 
Gefahren aufmerksam machte; aber er blieb trotzdem von der Keratitis 
neuroparalytica verschont. 8 Wochen nach der Injektion ist Patient 
weiter schmerzfrei, hat an Gewicht zugenommen, die Bronchitis ist fast 
völlig geschwunden 1 )* 

In diesem Falle hat sich die Methode also sehr gut bewährt, 
sie ist lebensrettend gewesen; eine Operation hätte dieser Patient 
nicht mehr überstanden. 

Was die Indikation betrifft, so ist es selbstverständlich, 
dass man zur Ganglioninjektion nur die schwersten Fälle heran¬ 
zieht, bei denen alle drei Aeste erkrankt sind, and wo das All¬ 
gemeinbefinden derartig ist, dass man ihnen eine Operation nicht 
mehr zumuten kann, zu der ihre Erkrankung reif wäre. Tritt 
ein Recidiv auf, so kann man ja die Injektion wiederholen; über¬ 
flüssig aber wird man damit die Ganglionexstirpation nicht 
machen, die gegen Recidive das sicherste Mittel ist Glückt 
aber die Injektion bei schwer heruntergekommenen Individuen, 
bei denen ausserdem infolge von Arteriosklerose oder Diabetes 
schwere Symptome bestehen, so ist die Methode sicher als ein 
erheblicher Gewinn zu bezeichnen. 


Bücherbesprechungen. 

E. Sonienburft: Pathologie und Therapie der Perityphlitis (Appendl- 

citis). Leipzig 1913, F. C. W. Vogel. 7. Aufl. 267 S. Preis 
geh. 6 M., geb. 7,25 M. 

Das in Fachkreisen sehr geschätzte Buch liegt jetzt io der siebenten 
Auflage vor. In Form einer Monographie enthält es den gegenwärtigen 
Stand der Lehre von der Perityphlitis, illustriert mit Beispielen aus dem 
reichen Erfahrungsschatz des Verfassers. Erneut weist S. auf die von 
ihm ausgebaute Lehre von dem Blutbilde bin, die sich „wie ein bunter 
Faden* durch das Werk hinziebt. Die Schreibweise ist klar und knapp, 
36 teils farbige gut reproduzierte Abbildungen erhöhen den Wert des 
Buches. Wir glauben, dass nicht nur der Chirurg vom Fach, sondern 
auch der beschäftigte Praktiker in dem Werk eine Fundgrube reichen 
Wissens und mancherlei Anregungen finden wird. — Mehr als Worte 
dürfte die rasche Folge der Auflagen das Buch empfehlen. 

J. Becker-Halle a. S. 


A. Ach: Beiträge nr Oesophaguschirurgie. München 1913, Leh- 
mann’s Verlag. 136 S. Preis 4 M. 

A., dessen Habilitationsschrift für München hier vorliegt, gibt eine 
gute Uebersicht über den Stand der heutigen Oesophaguschirurgie, dazu 
reichliche Literaturangaben und eine neue Methode der Operation. 

Die Operationen am Halsteil (Strikturen, Divertikel) sind verhältnis¬ 
mässig einfach und haben auch Erfolge gezeitigt. Dagegen sind trotz 
vieler experimenteller Vorarbeiten am Tier beim Menschen im Brustteil 
der Speiseröhre noch keine Erfolge erzielt. Die Schwierigkeiten be¬ 
ginnen mit der Narkose: A. empfiehlt das Ueberdruckverfahren, Ref. be¬ 
vorzugt gerade für die in Frage stehenden Operationen die Insuffl&tions- 
methode Meltzer’s nach eigenen Erfahrungen am Menschen. Zur 
Vereinigung der Oesophagusstümpfe nach Resektion empfehlen Sauer- 
bruch und Tiegel besonders konstruierte Knöpfe; die Methode ist un¬ 
sicher; ebenso verwirft A., wohl mit Recht, den Vorschlag, das obere 
Ende der Speiseröhre blind zu schliessen. Er selbst empfiehlt, den 
oberen Stumpf am Halse herauszuziehen und hier einzunähen, ein Ver¬ 
fahren, das Levy schon 1898 empfohlen hat. Ein Patient A.’s über¬ 
lebte den Eingriff 17 Tage. Die gleiche Methode scheint unabhängig 
von Ach Rehn am Tier eben versucht zu haben (diese Wochenschr., 
1913, S. 330) und Ref. hat sie ebenfalls schon am Menschen ausgeführt. 
Bis jetzt sind alle Versuche am Menschen fehlgeschlagen; wer aber die 
Arbeit des Verf. studiert, mit den jüngsten Darlegungen von W. Meyer, 
Heyrowski u. a. vergleicht, wird sich dem Eindruck nicht entziehen 
können, dass wir in kurzer Zeit auch auf diesem bisher so trostlosen 
Gebiete Erfolge erringen werden. Ernst Unger-Berlin. 


Paul Horn-Bonn: Ueber nervig® Erkrankungen naeh Eisenbuba- 
tnfällen. Mit besonderer Berücksichtigung ihrer Beeinflussung 
durch Kapitalabfindung bzw. Rentenverfahren. (Aus dem Seminar 
für soziale Medizin an der Universität Bonn. Mit einem Vorwort 
von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Th. Rumpf.) Bonn 1913, A. Marcus 
und E. Weber’s Verlag, Dr. jur. Alb. Ahn. 152 S. Preis 
brosch. 4 M., geb. 4,80 M. 

Die Anschauungen über die sogenannten „traumatischen Neurosen*, 
besonders über ihre Prognose, beginnen sich allmählich zu wandeln. 

1) Nachtrag bei der Korrektur** Bei einer am 14. IV. 1913, fast 
4V 2 Monate nach der Injektion vorgenommenen Nachuntersuchung be¬ 
steht absolute Schmerzfreiheit im ganzen linken Trigeminus; keine Kera¬ 
titis; gutes Allgemeinbefinden. 


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UNIVERSITY OF IOWA 




28. April 1913, 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


785 


Auoh die vorliegende, tüchtige Arbeit P. Horn’s, welche unter der 
Aegide und mit dem Material Rumpf’a entstanden ist, betont wieder, 
dass die Unfallneurosen bei weitem nicht so häufig sind, wie vielfach 
noch angenommen wird, und dass die fast allgemeine Behauptung ihrer 
höchst ungünstigen Prognose nicht mehr haltbar 'ist. Damit ist indessen 
das Ergebnis dieser wichtigen Untersuchungen nicht erschöpft, dem Yerf. 
kam es auch darauf an, an einer grossen Zahl gut untersuchter und in 
ihrem Verlauf verfolgter Krankheitsfälle eine schärfere Umgrenzung der 
Krankheitsbilder zu versuchen, was schon längst ein dringendes Be¬ 
dürfnis ist, und weiterhin im Lichte seiner Untersuchungen alle übrigen 
Fragen zu erörtern, welche auf dem Gebiet der Unfallneurosen noch un¬ 
gelöst sind. 

Wegen der Wichtigkeit für den Praktiker seien einige seiner Ergeb- 
oisse hier angeführt. Er unterscheidet mehrere Krankheitstypen, denen 
eine durchaus verschiedene Beurteilung zukommt. Die vielfach recht 
günstige Prognose hängt ausser von der Art der Störung wesentlich ab 
von der Art des Entschädigungsverfahrens. Renten sollten nur selten, 
in zweifelhaften Fällen gewährt werden; die besten Resultate in medi¬ 
zinischer wie sozialer Hinsicht, für Patient und Behörde gibt die ein¬ 
malige Kapitalabfindung. Aeusserst wichtig ist die möglichst frühzeitige 
und möglichst eingehende erste Untersuchung mit Klarstellung der 
Anamnese. Das beste Heilmittel ist allmähliche Wiederaufnahme der 
Arbeit, lang dauernde Rentengewährung trägt zur Fixierung der nervösen 
Beschwerden mit bei. Gesetzlich sollte die Möglichkeit geschaffen werden, 
nervöse Unfallpatienten auch gegen ihren Willen einmalig abzufinden. 

Im übrigen muss jeder Praktiker selbst zu diesem kleinen Büchlein 
greifen: was er hier findet, steht in keinem Lehrbuch, ist klar und ruhig, 
mit sachlicher Kritik vorgetragen und gehört zum nötigsten Wissens- 
bestande für die Unfallpraxis. W. Sei ff er. 


Alfons Fischer: Grundriss der socialen Hygiene. 70 Abbildungen 
im Text. Berlin 1913, Springer. VI und 448 S. Preis 14 M. 

Das vorliegende Buch gibt eine kurze, im ganzen befriedigende 
Uebersicht über den derzeitigen Stand der sozialen Hygiene; in manchen 
Kapiteln wäre etwas mehr Vollständigkeit und kritische Auswahl der 
gebotenen Literatur zu wünschen gewesen, wie z. B. bei dem Kapitel 
Krebs. Es muss aber anerkannt werden, dass das Gebiet der sozialen 
Hygiene bereits einen derartigen Umfang angenommen hat, dass es einem 
einzelnen Autor, der nicht völlig in diesem Gebiet aufgeht, schwer wird, 
das ganze Gebiet zu beherrschen. In der Anführung von Tabellen hat 
sich der Verf. einer lobenswerten Zurückhaltung befleissigt. Zu wünschen 
ist nur, dass jetzt einmal eine Zeitlang mit derartigen Werken Schluss 
gemacht wird, da das Bedürfnis der Leser nach solchen völlig ge¬ 
sättigt ist. 


H. Landborg: Medizinisch-biologische Familienforschangen inner¬ 
halb eines 2232köpfigen Baaerngeschlechts in Schweden. Mit 

einer Vorrede von Prof. Max von Grüber in München. 7 Karten, 
5 Diagramme, 37 Abbildungen auf 10 Tafeln und 51 Descendenz- 
tafeln. Jena 1913, Gustav Fischer. XII und 519 und 220 S. 
Folio. Preis 120 M. 

Das vorliegende vorzüglich ausgestattete Werk ist allen Interessenten 
für Familien- und Vererbungsforschung zur Anschaffung zu empfehlen. 
Es stellt die umfassendste Leistung auf dem Gebiete der Vererbungs¬ 
und Degenerationsforschung beim Menschen dar und zeigt, was durch 
Vereinigung der beim Menschen anwendbaren statistischen und individual¬ 
analytischen Methoden mit Ausdauer und Umsicht erreicht werden kann. 

Der durch seine Monographien über die Myoclonusepilepsie weithin 
bekannte Verf. bat nicht nur keine Mühe gescheut, um das über sieben 
Generationen sich erstreckende Material zu seiner Arbeit durch 
zahlreiche Untersuchungen von Personen und Studium der verschiedensten 
Akten zusammenzutragen; er hat sich auch bemüht, bei der Verwertung 
des gesammelten Materials den Rat der Sachverständigsten an Ort und 
Stelle einzuholen, und so darf man wohl sageD, dass die Arbeit von 
mehr als einem Jahrzehnt von dem verdienten Erfolge gekrönt wurde. 
Zu diesem Erfolge hat aber auch die vorbildliche und für unsere 
deutschen Verhältnisse etwas beschämende Opferwilligkeit seiner Lands¬ 
leute wesentlich beigetragen. Staat und Stiftungen haben gewetteifert, 
um ihm die Verfolgung der gewählten Aufgabe finanziell zu erleichtern, 
und soviel wir wissen, ist ihm auch künftig die Möglichkeit grosszügiger 
Untersuchungen ganzer Bezirke gesichert. 

In einem ersten Teile behandelt Lund borg die geographischen, 
kulturellen, anthropologischen und sozialen Verhältnisse der Provinz 
Biekinge, in der das untersuchte Geschlecht lebte, im Vergleich mit 
ganz Schweden. Sodann untersucht er die Personalgeschichte des Ge¬ 
schlechtes, seine demographische Statistik und Pathologie, vor allem auch 
seine Kriminalität. Es zeichnet sich durch einen Prozentsatz von 
mindestens 20 pCt. Minderwertigen aus, der in einzelne Generationen bis 
auf 30 pCt. steigt. Trotzdem zeigt es keine besonders hohe Sterblich¬ 
keit und eine grosse Fruchtbarkeit, nicht auffallend viel Tuberkulose 
und wenig Syphilis. 

Es liess sioh die enorme Zahl von 33 pCt. Verwandtenehen nach- 
vreisen. Bei einer Reihe der gefundenen Minderwertigkeiten, insbesondere 
bei Dementia praecox und der Myoclonusepilepsie ergab sich der Ver¬ 
dacht auf ein recessives mendelndes Merkmal, der sich durch Anwendung 
einer von dem Referenten angegebenen Methode als richtig erwies und 
bezüglich der letzteren Krankheit auch noch durch Verwertung der 
ganzen vorliegenden Literatur weiter bestätigte. 


Die Ursachen der starken Degeneration des Geschlechtes findet 
Lundborg in einer ungünstigen Rassenmischung, starker Inzucht und 
Alkoholismus. In einem Schlusswort betont er die Notwendigkeit der 
Errichtung von Instituten für Familienforschung und Vererbungsforschung 
am Menschen und die Wege für die Gewinnung eines brauchbaren medi¬ 
zinisch-biologischen Materials. 

Zahlreiche Auszüge aus Gerichtsakten, Krankengeschichten, Proto¬ 
kolle über die untersuchten Angehörigen des Geschlechtes und Stamm¬ 
tafeln geben einen tiefen Einblick in die Verhältnisse des Geschlechtes 
und die Möglichkeit einer weitgehenden Kontrolle. Auch in dieser Hin¬ 
sicht ist die Arbeit in hohem Grade instruktiv. 


Tngendreieh und Mosse: Krankheit und soziale Lage. 3. Lieferung. 

München 1913, J.F.Lehmann’s Verlag. S. 407—636. Preis 4M. 

Blasohko und Fischer behandeln die Abhängigkeit des Auftretens 
der Geschlechtskrankheiten und ihres Verlaufes von der sozialen Lage. 
Reiche gibt eine Uebersicht über das bis jetzt über den Einfluss der 
sozialen Lage auf Mortalität, Morbidität und Verlauf der Infektionskrank¬ 
heiten Bekannte, er betont, dass die Mortalitätsuntersuchung für diesen 
Zweck nicht ausreicht, und dass noch viele Arbeit auf dem Gebiete der 
Morbiditätsstatistik zu leisten sei. Mosse behandelt das schwierige 
Kapitel der Tuberkulose sehr gewissenhaft und vollständig. Mit den 
Beziehungen zwischen Krebs und sozialer Lage und Beruf beschäftigt 
sich Theilhaber. Die grosse englische Berufsstatistik des Krebses ist 
leider von ihm nicht verwertet, ausserdem findet er es für nötig, sich 
gegen Ausstellungen an seinen eigenen krebsstatistischen Arbeiten zu 
wenden, indem er die Erfahrung des ärztliohen Praktikers höher stellt 
als die technischen Ausführungen der „Berufsstatistiker“, die hinter dem 
grünen Tisch arbeiten. Wer eine solche Auffassung hat, der würde die 
Beschäftigung mit Statistik besser ganz aufstecken, da sie ja für ihn 
überflüssig, im übrigen nur als eine exakte Methode von Wert ist, deren 
Anwendung auch ein bisschen Selbstkritik erfordert. Den Beschluss 
dieser Lieferung bildet eine kurze Uebersicht über die Beziehungen 
zwischen sozialer Lage und Zahnkrankheiten von Williger. 

We i n b e r g - Stuttgart. 


Literatur-Auszüge. 

Physiologie. 

P. Lasareff: Studien über das Weber-Feehier’gch© Gesetz. 2. Mit¬ 
teilung. Ueber den Einfluss der Geschwindigkeit des Reizzuwachses 
auf den Schwellenwert der Gesichtsempflndnng. (Pflüger’s Archiv, 
Bd. 150, H. 6—8.) Auf Grund von Versuchen wird mathematisch die Be¬ 
ziehung zwischen optischer Wahrnehmung und der Geschwindigkeit, mit 
der der optische Reiz seine Intensität ändert, abgeleitet. 

S. Baglioni*. Ueber eine besondere Drnckempfindliehkeit der 
Glans penis. Ein Beitrag zur Kenntnis der an dem Geschlechtsakt teil¬ 
nehmenden peripheren Empfindungen. (Pflüger’s Archiv, Bd. 150, H. 6 
bis 8.) Nach B. wird durch breitflächige mechanische Reize an der 
Haut der Glans penis eine besondere, nicht den gewöhnlichen Tast¬ 
empfindungen gleichende, wollustbetonte Empfindung hervorgerufen, die 
besonders an der Corona glandis ausgesprochen ist. Sitz dieser Empfin¬ 
dung sind besondere, an der Corona mancher Individuen sichtbare 
Papillen. Die Empfindung wird in die Tiefe lokalisiert. Die Erregbar¬ 
keit wechselt je nach den Zuständen der sexuellen Centren und der 
Geschlechtsorgane und ist nach längerer sexueller Abstinenz besonders 
hoch. Anästhesierung der Glans stumpft sie ab. 

T. Kato: Zur Physiologie der Binnenmuskeln des Ohres. (Pflüger’s 
Archiv, Bd. 150, H. 9—12.) K. beobachtete am freigelegten Mittelohr 
von Katzen und Kaninchen das Verhalten des Tensor tympani und 
stapedius gegen Pfeifentöne verschiedener Höhe und ^Intensität. Er 
findet, dass bei schwachen akustischen Reizen nur der M. strapedius 
zuckt, und zwar auf kurzdauernde Reize mit kurzer, auf längere mit 
entsprechend längerer Kontraktion. Bei stärkeren Reizen tritt in 
analoger Weise auoh der Tensor tympani in Tätigkeit. Bei sehr starken 
Reizen kommt es zu tetanisohen Kontraktionen beider Muskeln. Hohe 
Töne stellen stärkere Reize dar als tiefe. Bei lange dauernder Ein¬ 
wirkung starker Schallreize kommt es zu eiuer Schädigung des Laby¬ 
rinthes, die früher eintritt, wenn die Mittelohrmuskeln ausser Funktion 
gesetzt sind. Im Anschluss an diese Befunde erörtert K. unter Be¬ 
sprechung aller darüber vorliegenden Theorien die physiologische Be¬ 
deutung der Binnenmuskeln des Obres. Er hält sie für Schutzapparate 
des Labyrinthes, die die Aufgabe haben, durch ihre Kontraktion die 
Intensität der Schallreize abzuschwächen, wobei der Stapedius die 
grössere Bedeutung hat. Sie stellen einen automatisch einsetzenden 
Dämpfungsapparat dar. 

B. Bocci: Die mit der komplexen Morphologie des Cortischen 
Organes am meisten im Einklang stehende Theorie des Gehö'rs. Ueber- 
setzt von Dr. Ph. Verderame. (Pflüger’s Archiv, Bd. 150, H. 3—5.) 
B. weist darauf hin, wie unbefriedigend die bisherigen Theorien der Ge¬ 
hörswahrnehmung sind, da sie immer nur eiozelne Teile des kompliziert 
zusammengesetzten Corti’schen Organes in Betracht ziehen. Er kritisiert 
in dieser Hinsicht die verschiedenen Anschauungen. Als Empfindungs¬ 
elemente kommen nur die Haarzellen in Betraoht, deren Schwingungen 

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UNIVERSUM OF IOWA 




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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 17. 


nur einfache sein können; ihnen passt das Protoplasma der Corti- 
schen Zellen seine Molekularbewegungen an. Die einzelnen Schwingungen 
kommen erst im Gehörscentrum wieder zur Verschmelzung. Mitwirkend 
ist dabei die besondere Endigungsweise der Schneckenfasern, die von 
zwei oder mehr peripherischen Zellen ausgehend zu einer cerebralen 
Aufnahmezelle führen soll, in denen die phonetische Schwingung zum 
akustischen Bilde wird. 

R. Dittler: Ueber die Begegnung zweier Erregungswelleii in der 
Skelettmnskelfaser. (Pflüger’s Archiv, Bd. 150, H. 3—5.) Reizte D. 
Skelettmuskeln mit einzelnen Induktionsöffnungsströmen zugleich an 
zwei Stellen maximal, so fand er, dass die beiden sich begegnenden 
Wellen nicht übereinander fortliefen, vielmehr an der Begegnungsstelle 
erloschen. Submaximale Erregungen laufen an- und übereinander 
vorbei, wobei sie sich jedoch schwächen. Die Aktionsströme zeigen bei 
Begegnung zweier maximaler Wellen keine Addition, vielmehr tritt nur 
der Effekt ein, der einer maximalen Erregung entspricht. 

R. Dittler: Berichtigung. Zur Arbeit: „Ueber die Begegnung 
zweier Erregungswelleii in der Skelettmiskelf&ser. (Pflüger’s Archiv, 
Bd. 150, H. 1—3; Pflüger’s Archiv, Bd. 150, H. 6—8.) Bezieht sich 
auf die zu einer Kurve gegebene Erläuterung. 

P. Schiefferdecker: Untersuchung einer Anzahl von Muskeln 
von Vögeln in bezug auf ihren Bau und ihre Kernverhältnisse. 
(Pflüger’s Archiv, Bd. 150, H. 9—12.) Sehr umfassende mikroskopische 
Untersuchungen an Vogelmuskeln. Das Bindegewebsgerüst hat für die 
verschiedenen Muskeln einen spezifischen Bau, doch so, dass sich be¬ 
stimmte Gruppen bilden lassen. Auch in bezug auf den Kernreichtum 
des Bindegewebes bestehen Unterschiede. Die Lage der Kerne der 
Muskelfasern ist bei den einzelnen Muskeln ganz verschieden; zum Teil 
sind sie binnen-, zum Teil randständig, auch sind sie bald mehr rund¬ 
lich, bald abgeplattet. Kernreihen fehlten stets; die Zahl der Muskel¬ 
kerne ist bei verschiedenen Muskeln verschieden; alle Vogelmuskeln sind 
jedoch kernreich. Die Querschnittsgrösse der Muskelkerne wächst so 
gut wie gar nicht mit der Zunahme der Faserdicke; sie ist gering. Da¬ 
gegen sind die Kerne verhältnismässig lang. Je länger der Kern im 
Verhältnis zum Durchmesser, um so grösser seine Oberfläohe. Das soll 
den Stoffwechsel zwischen Kern und Zelle begünstigen. Wieweit die 
morphologischen Eigentümlichkeiten mit der Funktion Zusammenhängen, 
muss weiter untersucht werden. Untersucht wurden Huhn, Grünfink, 
Sperling. 

R. Sieb eck: Ueber die Wirkung des Kaliumchlorids auf Froseh- 
mu8keln. (Pflüger’s Archiv, Bd. 150, H. 6—8.) In neutraler isotonischer 
Chlorkaliumlösung werden Froschmuskeln unter Gewichtszunahme schnell 
unerregbar. Die Wirkung ist reversibel. Organe, deren Struktur durch 
Gefrieren und Wiederauftauen verändert ist, nehmen in Chlorkalium¬ 
lösung nicht an Gewicht zu. Faradische Reizung beschleunigt die Ge¬ 
wichtszunahme normaler Muskeln in Chlorkalium, ebenso alkalische 
Flüssigkeiten (Viooo n NH 8 ) und Narkose. Die Grenzschicht der Zellen 
ist für Chlorkalium im Gegensatz zu den meisten anderen Salzen durch¬ 
lässig. 

F. Mares: Aenderungen der Reaktion8weise des Nerven auf die 
Pole des galvanischen Stromes. Zugleich ein Beitrag zur Bedeutung 
physikalisch-chemischer Theorien in der Physiologie. (Pflüger’s Archiv, 
Bd. 150, H. 9—12.) Ausführliche kritische und experimentelle Unter¬ 
suchungen. Nach M. kommt bei schwacher elektrischer Reizung nur 
eine Kathodenschliessungszuckung zustande. Wird aber bei absteigendem 
Strom die Schliessungserregung ausgeschaltet, so tritt eine Anoden¬ 
öffnungserregung hervor. Diese erscheint auch bei auf steigendem Strom, 
wenn die Kathode durch Anlegung an eine abgetötete oder durch starke 
Abkühlung unerregbare Stelle unwirksam gemacht wird. Die normale 
Prävalenz der Kathodenschliessungserregung ist danach mit einer 
Hemmung der ^nodenöffnungserregung verbunden. Durch Ausschaltung 
der Kathode beim absteigenden Strom kann eine monopolare Reizungs¬ 
methode gewonnen werden, mittels der die erregende Wirksamkeit der 
Anode untersucht werden kann. Am unversehrten Nerven bewirkt 
sie nur Oeffnungserregung; wird sie jedoch nahe einem Nervenquer- 
schnitt gelegt, so erfolgt Schliessungserregung. Die Nervenerregbar¬ 
keit am Querschnitt ist also qualitativ verändert, es besteht eine Um¬ 
kehr der Reaktion gegen die Pole des elektrischen Stromes. Sie hängt 
mit dem Absterben des Nerven zusammen. r 

E. Th. v. Brücke und J. Satake: Beiträge zur Physiologie der 
autoriom innervierten Muskulatur. VI. Ueber die Aktionsströme des 
Kaninchenösophagus während des Ablaufes einer Schluekwelle.’ (Pflüfcer’s 
Achiv, Bd. 150, H. 3—5,) Die Verflf. erzeugten durch Reizung des 
centralen Stumpfes des Nervus laryngeus bei Kaninchen Schluckwellen 
und verzeichneten die dabei am quergestreiften Halsteil des Oesophagus 
auftretenden Aktionsströme. Es ergab sich, dass die Schluckwelle einer 
tetanischen Kontraktion, die über den Oesophagus fortläuft, ent¬ 
spricht. 

H. Laurens: Die atrioventricnläre Erregnngsleitnng im Reptilien¬ 
herzen und ihre Störungen. (Pflüger’s Archiv, Bd. 150, H. 3—5.) In 
L.’s am isolierten und in situ gelassenen Herzen von Schildkröten und 
Eidechsen ausgeführten Versuchen, in denen Vorhof- und Ventrikelkon¬ 
traktion graphisch verzeichnet wurden, ergab sich, dass bei diesen Reptilien 
eine physiologische Differenzierung der atrioventriculären Leitungsbahnen 
besteht. Nur die seitlichen Verbindungsbündel zwischen Vorhof und 
Ventrikel leiten die Erregungen. Nach ihrer Durchschneidung existiert 


auch bei Erhaltensein der vorderen und hinteren Bündel keine Coordination 
mehr zwischen Atrium und Kammer. Die normale Frequenz de9 Herz¬ 
schlages beträgt bei der Eidechse 50, bei der Schildkröte 27,8 pro Minute, 
die der Ueberleitungszeit bei ersterer 0,51, bei letzterer 0,6 Sekunden. 
Im Anschluss an operative Eingriffe können letztere Werte sich erheb¬ 
lich verlängern. Durch verschiedene Schädigung der Ueberleitungsbündel 
Hessen sich die verschiedensten Ueberleitungsstörungen bis zu voll¬ 
kommener Dissociation herbeiführen. Diese können sich jedoch allmäh¬ 
lich wieder ausgleichen, so dass bei ihrem Zustandekommen wohl noch 
ein im Ventrikel selbst gelegener Faktor mitwirken muss. 

W. Einthoven, G. Fahr und A. de Waart: Ueber die Richtung 
und die manifeste Grösse der Potentialschwankngen im menschlichen 
Herzen und über den Einfluss der Herzlage auf die Form des Elektro- 
cardiogramms. (Pflüger’s Archiv, Bd. 150, H. 6—8.) Die Darlegungen 
der Verflf. betreffen die Aenderung der Form des Elektrocardiogramms 
durch Lageveränderungen des Herzens. Solche kommen bei manchen 
Menschen durch die Atembewegungen zustande. Zur Beseitigung der 
Unklarheiten, die bezüglich der mit Lageveränderungen des Herzens 
einhergehenden, im Einzelfalle ganz verschiedenen Aenderungen des 
Elektrocardiogramms bestehen, führen die Verflf. den Begriff der „mani¬ 
festen Grösse* ein, welche die Potentialunterschiede im Herzen selbst 
besitzen. Sie erörtern den Begriff an einem Schema (dem Schema des 
„gleichseitigen Dreiecks*), mittels dessen sie zeigen, dass während der 
Exspiration das Herz sich um eine sagittale Achse dreht, entsprechend 
den Befunden im Röntgenbilde. Der „manifeste Potential unterschied 
im Herzen“ ist diejenige Grösse, die sich bei einer der üblichen drei 
Stromableitungen ergibt, sobald die* Stromrichtung zwischen den Ab¬ 
leitungsstellen mit der Richtung des resultierenden Potentialunterschiedes 
im Herzen übereinstimmt. Die Verflf. besprechen den Einfluss ver¬ 
änderter Körperlage, gesteigerter Frequenz der Herzkontraktion und auch 
den von Herzerkrankungen. Einzelheiten lassen sich im Auszuge nicht 
gut wiedergeben. 

C. J. Rotbberger und H. Winterberg: Ueber den Einfluss von 
Strophantin auf die Reizbildangsf&higk.eit der automatischen Centren 
des Herzens. (Pflüger’s Archiv, Bd. 150, H. 3—5.) Im Anschluss an 
frühere Untersuchungen suchen die VerflF. im wesentlichen die Frage zu 
entscheiden, ob die Erregbarkeit der tertiären Herzcentren durch Stro¬ 
phantin ebenso gesteigert wird wie durch Baryum. Beide wirken ähn¬ 
lich, wenn auch quantitativ verschieden, indem vom Strophantin grosse 
Dosen erforderlich sind, um einen nur geringen Grad von Erregbar¬ 
keitssteigerung der tertiären Centren hervorzurufen, also ventrikuläre 
Tacbycardie zu erzeugen. Dabei ist diese stets geringer als nach 
Baryum Vergiftung. Auch über die Beeinflussung des Elektrocardiogramms 
durch Strophantin berichten die Verff. Kleine Strophantingaben ändern 
nichts Wesentliches, nach grösseren entstehen Aenderungen des Elektro¬ 
cardiogramms infolge der einsetzenden automatischen Kammerschläge. 
Da, wo infolge längerer Isolierung des Herzens vom Centralnervensystem 
die P- und T-Zacke verkleinert ist, wird duroh Strophantin die normale 
Gestalt des Elektrocardiogramms wiederhergestellt. A. Loewy. 

0. Loewi und Weselko-Graz: Abhängigkeit experimentell dia¬ 
betischer Störnngen von der Kationenmischnng. (Münchener med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 13.) Der Zuckerverbrauch der Herzen von dia¬ 
betischen Tieren ist bei verschiedenen Durchströmungsflüssigkeiten ver¬ 
schieden. So ist der Zuckerverbrauch normaler Herzen bei Tyrode’scher 
Flüssigkeit grösser als bei Binger-Locke’scher; diabetische Herzen ver¬ 
brauchen bei Durchströmung mit Tyrode’scher Flüssigkeit genau so viel 
Zucker wie normale Herzen. Die Verflf. fanden nun, dass eine wesent¬ 
liche AenderuDg im Zuckerverbrauch eintrat, wenn sie den KCl-Gehalt 
der Locke’schen Flüssigkeit, der normalerweise 0,04 pCt. beträgt, 
variierten: bei 0,02pCt. KCl war der Zuckerverbrauch des diabetischen 
Herzens zum Teil sogar über den normalen Wert erhöht, beiO,04pCt. KCl 
bedeutend erniedrigt. Durch Herabsetzung der Kalikonzentration wird 
also der herabgesetzte Zuckerverbrauch diabetischer Herzen zur Norm 
gehoben, eventuell sogar erhöht. Dünner. 

A. S. Loevenhart: Die Beziehungen des Atmungsceatriiiiis za 
OxydatioDsprozesseii. (Pflüger’s Archiv, Bd. 150, H. 6—8.) Auf Grund 
allgemeiner Betrachtungen und von Versuchen mit jod-, jodoso- und 
jodobenzoesaurem Natrium, von denen die beiden letzteren aktiven Sauer¬ 
stoff abspalten und, Tiereo injiziert, Apnoe machen, kommt L. zu 4er 
Anschauung, dass 'Oxydationsabnahmen im Atemcentrum zu Reizung, 
Oxydationszunahmen zu Verminderung seiner Tätigkeit führen. Wird 
die Oxydationsabnahme zu weit getrieben, so tritt Lähmung ein. Auch 
SäurQn sollen .(lie Atmung durch Oxydatiönsbehinderung im Atem¬ 
centrum reizen^ umgekehrt Alkalien sie durch OxydationssteigeruDg 
schwächen. Wie das Atemcentrum verhält sich auch das für die Vaso¬ 
motoren. 

E. Maydell: Zur Frage des Magensekretins. (Pflüger’s Archiv, 
Bd. 150, H. 6—8.) Im Anschluss an Edkins zeigt M. an nach Pawloff 
operierten Hunden, dass Extrakte aus dem Pylorusteil des Magens auf 
den Magen wirksame Sekretine enthalten; ihre subcutane Injektion ruft 
eine Absonderung von Magensaft hervor, dessen Gesamtacidität und 
Menge an freier Salzsäure dem des „psychischen“ Magensaftes ähnlich 
sind. Injektionen von Extrakten anderer Magenabschnitte haben keine 
magensafttreibende Wirkung. 

W. Sawitsch und G. Zeliony: Zur Physiologie des Pylerns. 
(Pflüger’s Archiv, Bd. 150, H. 3—5.) Ausgehend von der Beobachtung 


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von Edkins, dass intravenöse Injektion von Pylorussohleimhautextrakt 
die Magensaftsekretion anregt, haben die Verff. bei Hunden den Pylorus- 
teil des Magens vollkommen isoliert und durch eine Fistel von aussen 
zugängig gemacht. Ausserdem legten sie Magenfundus* und Darmfisteln 
an. Sie brachten nun in den Pylorussack Lösungen von Fleischextrakt, 
oder ölsaurem Natrium, oder Säuren, Natrium biarbonicum, Cblornatrium, 
Wasser und beobachteten die Menge des aus der Magenfundusfistel aus- 
fliessenden Saftes. Sie finden, dass vom Pylorus her die Sekretion der 
Fundusdrüsen von allen Stoffen, die als Erreger der Magensaftsekretion 
bekannt sind, angeregt wird. 

M. Ghiron: Ueber die Nierentätigkeit. Nach mikroskopischen 
Beobachtungen am lebenden Organ. Uebersetzt von Dr. Friedrich 
Mueller. (Pflüger’s Archiv, BJ. 150, H. 6—8.) Nach Injektion verschiedener 
Farbstoffe wurde die freigelegte Niere nach einer besonderen Methode 
direkt mit Hilfe des Mikroskopes betrachtet. Dabei zeigt sich, dass 
wenige Stunden nach der Injektion der Farbstoff im Bürstensaum der 
Tubulusepithelien erscheint, sich dann am äusseren Epithelsaum sammelt, 
um dann zu verschwinden. Bei reduzierbaren Farbstoffen (Methylen¬ 
blau) tritt die Reduktion in der äusseren Epithelzone ein. Das spricht 
für eine schnelle Eliminierung der Farbstoffe durch die Glomeruli und 
für ihre Absorption in den Tubuli und Wiederüberführung in den Kreis¬ 
lauf nach eventueller chemischer Umwandlung. Wahrscheinlich sind die 
Vorgänge gegenüber den normalen Harnbestandteilen die gleichen, so 
dass die Tubuli die Aufgabe hätten, das chemische Gleichgewicht in den 
Organflüssigkeiten zu erhalten und chemische Umwandlungen zu leisten. 

A. Loewy. 

L. Arzt und W. Kerl-Wien: Zur Kenntnis der biologischen 
Wirknngen des Radiums. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 14.) 
A. und K. fassen ihre Versuche in folgende Sätze zusammen: Der in¬ 
duzierten Radioaktivität kommt eine, wenn auch schwach baktericide 
Wirkung zu. Durch Bestrahlung von Lecithin, insbesondere in Sub¬ 
stanz scheinen Veränderungen vorzugehen, die sich zwischen dem be¬ 
strahlten und unbestraften Lecithin in bezug auf die Aktivierung der 
Cobragifthämolyse ergeben. Radium in Substanz ist, an Trypanosomen 
bemessen, eine baktericide Wirkung eigen, die im Tierversuche zum 
Ausdruck gebracht werden kann. P. Hirsch. 

Siehe auch Technik: Dautwitz, Vorrichtung zur Emanations¬ 
entnahme. 


Pharmakologie. 

Brunnthaler: Die toxischen Wirkungen des Formsldehyds. 
(Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1913, Nr. 7.) Ueberbliok über unsere jetzigen 
Kenntnisse der giftigen Wirkungen des Formaldehyds an der Hand der 
Literatur. H. Hirschfeld. 

R. Co bet: Ueber die Resorption von Magnesinmsnlfatlösnngen im 
Dünndarm und die Wirkungsweise der salinischen Abführmittel. (Pflüger’s 
Archiv, Bd. 150, H. 6—8.) C. brachte Bittersalzlösungen steigender Kon¬ 
zentration, zum Teil mit Kochsalzzusatz, in abgebundene Darmschlingen 
von Hunden und untersuchte nach bestimmter Zeit Menge und Zu¬ 
sammensetzung des Darminhalts. C. findet, dass nach Einführung 
hochconcentrierter Salzlösungen nicht mehr Flüssigkeit in den Darm 
Übertritt als bei niedrig concentrierten. Osmotische Prozesse hätten 
demnach nur geringen Anteil am Flüssigkeitsübertritt io den mit Bitter¬ 
salzlösung gefüllten Darm, die wesentliche Rolle spielt vielmehr die 
Sekretion von Darmsaft. Dass von dem Bittersalz etwas resorbiert wird, 
führt C. auf Diffusionsvorgänge zurück. Zudem kommt dem Darm die 
Fähigkeit zu, die Diffusion von Kochsalz in den Darm zu hemmen, 
ebenso den Uebertritt von Wasser in ihn. Dagegen vermögen die 
unteren Darmabschnitte entgegen dem Diffusionsgefälle zu resorbieren. 

W. J. Beresin: Ueber den Einfluss der Gifte auf das isolierte 
Fischherz. (Pflüger’s Archiv, Bd. 150, H. 9—12.) Strophantin wirkt 
auf das isolierte Herz des Hechtes wie auf das des Warmblüters und 
Frosches. Erythrophlein macht in geringer Konzentration Verlangsamung 
des Herzschlages und Zunahme seiner Amplitude, in höherer (1: 500 000) 
Arrhythmie und Stillstand des Ventrikels in Systole, des Atriums in 
Diastole. Coffein (1: 25 000 bis 1: 2000) bat höhere Schlagfrequenz und 
Aüiplitudenzunahme zur Folge. Ebenso wirkt Adrenalin 1:1 000 000, 
während bei einer Concentration 1: löö 000" Verlangsamung eintritt. 
Auf Nikotin 1: 10 000 tritt Herzstillstand in Diastole ein. Vorübergehend 
kommt dies auch bei Pilocarpin 1:2 000 000 bis 1:100 000 zustande. 
Veratrin machte neben Frequenzänderungen Unregelmässigkeit der Herz¬ 
aktion. Chloroform macht Verlangsamung und Stillstand; Aether wirkt 
verhältnismässig wenig. Blausäure 1 :100 000 verminderte die Kon¬ 
traktionsstärke des Herzens ohne Beeinflussung des Rhythmus. 

A. Loewy. 

OliVa-Genua: Einfluss der Chloroform-, Aether und Misch- 
Narkose auf die physikalisch-chemische Beschaffenheit des Blutes. (Zeit¬ 
schrift f. klin. Med., Bd. 77, H. 1 u. 2.) Bei der Aethernarkose findet 
eine Zunahme der Gefrierpunktserniedrigung, der Viscosität, des re- 
fraktometrischen Index, des spezifischen Gewichts, des elektrischen Wider¬ 
standes sowie eine Abnahme der Oberflächenspannung im Serum statt, 
woraus Verf. eine Zunahme der Albuminoide und Kolloide, dagegen eine 
Unveränderlichkeit oder vielleicht Abnahme der Kristalloide annimmt. 
Diese Veränderungen zeigen sich sofort nach der Aethernarkose. Ganz 
ähnlich verhält sich das Blutserum bei der Chloroformnarkose, ohne dass die 


Ergebnisse so konstante wären, dass daraus auf eine Zunahme der Kolloide 
geschlossen werden könnte. Die nach reiner Chloroformnarkose fest¬ 
gestellten Veränderungen waren nicht wesentlich anders, als die bei 
gleichzeitiger Morphiumverabreichung aufgefundenen. Bei der gleich¬ 
zeitigen Narkose mit Chloroform und AeÜier ergaben sich keine kon¬ 
stanten Veränderungen im Serum, die irgendwelche Schlüsse gestatteten. 

H. Hirschield. 

Siehe auch Physiologie: Rothberger und Winterberg, Ein¬ 
fluss von Strophantin auf die Reizbildungsfähigkeit der automatischen 
Centren des Herzens. 


Therapie. 

R. Poll and - Gratz: Zur internen und externen Anwendung des 
Hefepräparates „Fnrniikaliii“. (Therapie d. Gegenw., März 1913.) Verf. 
berichtet über günstige Erfahrungen mit dem „Furunkulin Zyma“. Für 
den inneren Gebrauch eignet sich am besten das Pulver, von dem täglich 
3 bis 4 Kaffeelöffel genommen werden: Es ist indiziert bei Furunkulose, 
Acne juvenilis, Seborrhöe usw. Zur äusseren Anwendung bei Impetigo, 
Furunkel, Acne, Folliculitis usw. wird die Furunkulinpasta „Zyma“ 
empfohlen. Weiter ist das Furunkulin indiziert bei Katarrhen der Vagina 
und des Cervicalkanals, bei denen Gazetampons mit Furunkulinpulver 
3 bis 5 Stunden eingelegt werden. R. Fabian. 

R. Hoffmann-München: Aiovarthyreoldsernm. (Münchener med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 13.) Von physiologischen Ueberlegungen, die 
die Wechselwirkung der Drüsen mit innerer Sekretion betreffen, aus¬ 
gehend, hat Verf. ein Serum von thyreoid- und ovariektomierten Schafen 
herstellen lassen. Mit diesem Serum wurde bei einer Patientin mit 
Osteomalacie Besserung erzielt. Dünner. 

M. Nemmser-St. Petersburg: Wiederholte Seraminjektionen and 
Ueberempfindlichkeit (Serananaphylaxie). (Deutsche med. Wochenschr., 
1913, Nr. 16.) Die Gefahr der Anaphylaxie nach wiederholten Serum¬ 
injektionen ist nicht eben gross. Für wiederholte Einspritzungen müssen 
möglichst hochwertige oder, noch besser, fremdartige Sera (z. B. Hammel¬ 
serum) benutzt werden. WolfsohD. 

P. Schrumpf-St. Moritz: Die spezifische Tuberknlosetherapie nach 
Maragliano. (Therapie d. Gegenw., März 1913.) Verf. berichtet aus der 
medizinischen Universitätsklinik zu Genua (Direktor: Prof. Maragliano) 
über die Behandlung von Tuberkulose mit dem Sero Maragliano-Bacterio- 
lysin. Das Serum wird, wenn möglich, direkt in loco (Pleura- und 
Peritonealhöhle, Gelenke) injiziert, sonst subcutan, und zwar im all¬ 
gemeinen: 1. Monat jeden zweiten Tag 1 ccm, dann zehn Tage Pause. 
2. Monat jeden zweiten Tag abwechselnd 1 ccm und 2 ccm; zehn Tage 
Pause. 3. Monat und folgende wie im zweiten Monat. Die Verab¬ 
folgung des Bacteriolysins per rectum scheint weniger wirksam zu sein. 
Gute Resultate wurden mit der direkten Verbitterung des Blutes und 
der Milch immunifizierter Tiere erzielt (Hämoantitoxin). Anführung von 
drei Fällen, die durch das Maragliano-Serum günstig beeinflusst wurden. 

Sippell-Bad Sooden a. Werra: Zur Behandlung der herabgesetzten 
Atmnngsenergie bei Anämischen. (Therapie d. Gegenw., März 1913.) 
Verf. empfiehlt bei Anämischen neben der Behandlung mit Kohlensäure- 
Solbädern zur Erhöhung der gesamten Muskelkraft eine Atmungs¬ 
gymnastik, die eine aktive ohne Zuhilfenahme von Apparaten sein 
soll. Die Erfolge sind in allen Fällen, wo eine Verkümmerung der 
Lungenspitzenatmung bei Blutarmen sich findet, sehr gute. 

R. Fabian. 

H. W4n kl er - Berlin: Snlfldal, ein modernes Schwefelpräparat zur 
Behandlung der Krätze. (Dermatol. Wochenschr., 1913, Bd. 56, Nr. 12.) 
Sulfidal wird 3—4 Tage lang täglich einmal anfgetragen, am 5. Tage 
wird es mit Salioylvaselin entfernt. Die Krätze heilt unter dieser Be¬ 
handlung meist in 8—10 Tagen. Immerwahr. 


Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. 

G. Lewin-Berlin: Die Aetiologle der malignen Geschwülste. 
(Therapie d. Gegenw., März 1913.) Verf. behandelt in neuer zusammen¬ 
fassender Uebersicht die Ergebnisse der Untersuchungen von Professor 
Fibiger (vgl. diese Wochenschr., 1913, Nr. 7) und Jensen, durch 
welche die Entstehung mancher bösartigen Tumorep als Folgen para¬ 
sitärer Einflüsse aufzufassen sind. . . R. Fabian. 

G. Ferrarini-Pisa: Die toxische Lehre in der Pathogenese des 
Verhrenniingstodes. (Dermatol. Woohenschr., 1313, Bd. 56, Nr. 12 
u. 13.) Von den zahlreichen Theorien, die aufgestellt werden, um das 
Zustandekommen jener äusserst komplexen Erscheinung zu erklären, 
welche der Tod infolge von Verbrennungen darstellt, ist die sogenannte 
toxische Lehre die am meisten bestechende; sie ist aber trotz der 
grossen Anzahl von klinischen und experimentellen Arbeiten, die ihr 
gewidmet wurden, die am wenigsten sicher begründete. 

Immerwahr. 

Krokiewicz: Ein Fall von Situs viscerum inversns completns. 
(Virchow’s Archiv, Bd. 211, H. 8.) Bericht über einen klinisch fest¬ 
gestellten totalen Situs inversus und Diskussion der experimentell er¬ 
hobenen Befunde hinsichtlich der Aetiologie seiner Entstehung. Verf. 
sieht als das Primäre oine Umlagerung der Mesoentodermalplatte an, 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 17. 


wodurch eine Verlagerung der Baucheingeweide und dann erst sekundär 
die des Herzens stattfindet. Benn. 

Blauel-Ulm und A. Reich-Tübingen: Versuch über künstliche 
Kropferzeugnng. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 2.) 
Verff. haben an Berliner Ratten Tränkversuche mit Wurmlinger, 
Hirsebauer und Tübinger Wasser ausgeführt, uod zwar an den be¬ 
treffenden Orten selbst mit stets frischem Wasser, bei welcher Versuchs¬ 
anordnung allerdings ein Nachteil dadurch entsteht, dass die Versuche 
nicht an einem kropfimmunen Ort durchgeführt wurden, so dass auch 
andere nicht an das Wasser, sondern an die Oertlichkeit gebundene 
Noxen mitspielen könnten. Doch glauben Verff. diese Bedenken durch 
die Kontrollversuche Bircher’s, Wilm’s und Repin’s widerlegt. Bei 
den Versuchen waren ausser einer makroskopisch wahrnehmbareu Schild- 
drüsenvergrösserung geringeren Grades als besonders wichtig mikro¬ 
skopische Veränderungen zu konstatieren, die sich in dem gehäuften 
Vorhandensein kleiner Follikel und solider Epithelkomplexe und dem 
Neuerscheinen von atypischen adenomatösen Follikelbildungen dokumen¬ 
tierten. Diese histologischen Befunde sind als Ausdruck einer be¬ 
stehenden abnormen Wucherungstendenz aufzufassen. Ausserdem scheint 
eine Prädisposition für Degenerationsvorgänge und Armut an histologisch 
nachweisbarem Kolloid vorhanden zu sein. Aus ihren Versuchen ziehen 
die Verff. den Schluss, dass die Kropfursache mit dem Wasser über¬ 
tragen wurde und dort jedenfalls noch die Kropfursache gefunden werden 
kann. Noch unbewiesen ist aber, ob das Wasser der alleinige Kropf¬ 
vermittler ist. Die geologische Wassertheorie (Bircher) kann noch 
nicht als einwandfrei bewiesen gelten. Die vorliegenden Versuche 
liefern den Beitrag, dass Wasser aus Keuperregion bei Ratten kropf¬ 
artige Veränderungen verursacht. Eine Prädisposition des weiblichen 
Geschlechts wurde nicht beobachtet. Die histologische Untersuchung 
vermag die Anwesenheit einer Kropfnoxe im Wasser früher anzuzeigen 
als die Prüfung auf makroskopische Vergrösserung. Daher haben der¬ 
artige Versuche auch praktisches Interesse, z. B. vor dem Bau einer 
neuen Wasserleitung, zur Bekämpfung des endemischen Kropfes usw. 
Zur Beseitigung der Kropfursache aus dem Wasser muss das Wasser 
gekocht und filtriert werden. Alleiniges Kochen oder alleiniges Filtrieren 
genügt nicht. W. V. Simon. 

Geigel: Die Mechanik der Embolie. (Virchow’s Archiv, Bd. 211, 
H. 3.) Verf., in der Meinung, dass die Pathologen nicht gern von den 
mechanischen Ursachen sprächen, durch die ein hämorrhagischer Infarkt 
bei Embolie eines Lungenarterienastes zustande komme, stellt gegen¬ 
über anderen „hohläugigen Erklärungen“ eine neue auf, in denen er die 
hydrodynamischen Gesetze für diese Verhältnisse in Geltung setzt. Sehr 
schwierige mathematische Berechnungen bilden den Hauptteil der Arbeit 
(die mit längst überwundenen Ansichten hinsichtlich von Blutgerinnung 
und Thrombosenbildung operiert). 

Fukushi: Pathologische Histologie der syphilitischen Aortitis mit 
besonderer Berücksichtigung des Vorkommens von Plasmazellen. 
(Virohow’s Archiv, Bd. 211, H. 3.) Umfangreiche histologische Unter¬ 
suchungen an luetischen Aorten (92 Fälle). Abgesehen von den all¬ 
gemein bekannten Veränderungen (Entzündungsherden in Media und 
Adventitia, Verdickung und Obliteration der Vasa vasorum) fand Verf. 
reichliches Vorkommen von Plasmazellen in Media, Adventitia und 
Intima. Im allgemeinen treten sie nicht unregelmässig mit Lympho- 
cyten vermischt auf, sondern sie sind besonders gruppiert. Sie treten 
sehr oft sogar stärker als Lymphooyten auf und umgeben oft in vielen 
konzentrischen Kreisen die Vasa vasorum. Bei der gewöhnlichen 
Skleratherose dagegen kommen nach Verf. fast gar keine Plasmazellen vor. 

Kato - Yasukichi: Ueber angeborenen Relief- und Leistcnschüdel 
bei Spina biftda and Encephaloeele. (Virchow’s Archiv, Bd. 211, H.3.) 
Unter Schädelrelief versteht Schwalbe gewisse Vorwölbungen an der 
Aussenfläcbe des Schädeldaches, die nach Lage und Form genau den 
darunter liegenden Hirnteilen entsprechen. Dieses bilde sich jedoch 
nicht vor Ablauf des ersten Jahres aus. Demgegenüber fand Verf. bei 
8 mit Spina bifida behafteten Kindern, die in den ersten Lebenstagen 
verstorben waren, ein — allerdings pathologisches — Schädelrelief. 
Verf. sieht in ihm nicht den Ausdruck eines eventuell vorhanden ge¬ 
wesenen hohen intracraniellen Druckes, fasst es vielmehr als eine der 
Spina bifida koordinierte Bildung auf. 

Saalmann: Ein Fall von Morhas Recklinghausen mit Hyper- 
nepbrom. (Virchow’s Archiv, Bd. 211, H. 3.) Verf. sieht zwischen den 
beiden Krankheitsbildern, die der Fall bot, keinen direkten ursächlichen 
Zusammenhang, glaubt aber doch, dass eine Erkrankung des chrom¬ 
braunen Gewebes, zu dem in weiterer Beziehung auch die Carotis- und 
Steissdrüse gehören, als zum Morbus Recklinghausen gehörig betrachten 
zu müssen. 

Saltykow: Zur pathologischen Anatomie des Paralyphns. (Virchow’s 
Archiv, Bd. 211, H. 3.) Die anatomischen Befunde bei dem typhus¬ 
ähnlichen Paratyphus und den verwandten Krankheiten sind keine ab¬ 
solut typischen. Sie nähern sich, im Gegensatz zu der in der Literatur 
wiederholt ausgesprochenen Ansicht, in der grossen Mehrzahl der Fälle 
denjenigen bei Typhus. 

K. Koch: Bedeutung der Langerhans’schen Inseln im mensch¬ 
lichen Pankreas. (Virchow’s Archiv, Bd. 211, H. 8.) Verf. studierte 
nach Anwendung der Methylgrün-Pyroninfärbung Pankreasschnitte unter 
dem Gesichtspunkt: sind die Langerbans’schen Inseln als Gebilde sui 
generis anzusehen oder nicht? Er kommt zu einer Verneinung der 


Frage und erklärt die Inseln als rückgebildete, wahrscheinlich nicht 
funktionierende Parenchymteile. Benn. 

Siehe auch Physiologie: Ghiron, Nierentätigkeit. — Para¬ 
sitenkunde und Serologie: Jastremby, Negri’sche Körperohen. — 
Chirurgie: Hassel, Mundbodendermoide. — Unfallheilkunde und 
Versicherungswesen: Weber, Commotio cerebri. Hiltmann, 
Duodenalgeschwür und Trauma. 


Parasitenkunde und Serologie, 

E. Morelli-Pavia*. Die Pankreatin]ösnng znr Knltnr der Mikro¬ 
organismen und besonders des Choleravibrio. (Centralbl. f. Bakterio¬ 
logie usw., 1. Abt., Orig., Bd. 66, H. 5 u. 6, S. 465.) Pankreatin in 
2 proz. Lösung ist ein ausgezeichneter Nährboden für viele Mikro¬ 
organismen und eignet sich, wenn man ihn stark alkalisiert, besonders 
für die Kultur des Choleravibrio. 

D. Jastrembsky - Kiew: Zur Frage über die Negri’schen 
Körperchen. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig., Bd. 67, 
H. 1 u. 2, S. 65.) Die Behauptung einiger Autoren, dass ausser bei 
Tollwut auch bei anderen Erkrankungen und sogar im Gehirn völlig 
normaler Tiere Gebilde, die von den Negri’schen Körperchen nicht zu 
unterscheiden sind. Vorkommen, ist vom Verf. an einer Reihe normaler 
Katzen nachuntersucht. Zwar konnte er 6 mal unter 19 Fällen Ein¬ 
schlüsse nachweisen, die den Negri’scben Körperchen ähnlich zu sein 
schienen, doch fehlten die charakteristischen Merkmale, so dass er zu 
dem Schluss kommt, dass sie gar nichts mit jenen zu tun haben. 

Bierotte. 

E. Fränkel-Bonn: Tnberkelbacillen im strömendes Blit. (Deutsche 

med. Wochenschr., 1913, Nr. 16.) Systematische Parallel versuche mit 
mikroskopischer Untersuchung und Tierversuch ergaben, dass der mikro¬ 
skopische Nachweis von Tuberkelbacillen im Blut unzureichend ist. 
Unter 25 Fällen mit 42 Tierimpfungen wurden nur zweimal positive 
Impfungen erzielt. Wolfsohn. 

A. Moeller - Berlin: Ueber aktive Immunisierung und Behandlung 
der Tuberkulose mit lebenden Kaltblütertuberkelbacillen. (Die Nicht¬ 
berechtigung der Patentschntzanwendnng lebender Bakterien.) (Therapie 
d. Gegenw., März 1913.) Verf. gibt eine zusammenfassende Uebersicht 
über seine immunisierungsversuche mit Kaltblütertuberkulose, die im 
Jahre 1899 an Versuchstieren begonnen und dann 1902 am Menschen 
fortgesetzt wurden. Verf. erhebt gegen die Patentanmeldung lebender 
Bakterien durch F’riedmann Widerspruch, da er die Priorität für die 
Behandlung und Immunisierung von Tieren und Menschen mit lebenden 
säurefesten Bakterien und insbesondere mit Kaltblütertuberkulose be¬ 
ansprucht. R. F’abian. 

M. 0. Romm und A. J. Balaschow - Kiew: Ueber Agglutinine im 
Krankenserum bei der Baeillearahr. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abi, 
Orig., Bd.66,H.5u.6, S.426.) Bei Dysenterie ist die Widal’sche Reaktion eine 
sehr beständige, nur selten fehlende Erscheinung. Als spezifisch hat die 
Agglutination für Shiga-Kruse-Bacillen in einer Verdünnung 1:50, für 
die anderen Typen bei 1:100 zu gelten. Das Auftreten der Reaktion 
schwankt zwischen 5.—14. Tag. Die Beständigkeit ihres Bestehen¬ 
bleibens nimmt von den leichten zu den schweren Fällen zu. Die 
Bildung von Agglutininen im Krankenserum ist anscheinend bei der 
Shiga-Kruse-Ruhr am energischsten; bei dieser Erkrankungsform ist die 
Gruppenagglutination für die übrigen Typen eine fast ständige Er¬ 
scheinung. Bei den durch die Mannitvergärer bedingten Erkrankungen 
fehlt die Agglutination gegenüber Shiga-Kruse-Bacillen entweder völlig 
oder ist nur sehr schwach vorhanden. Durch die Widal’sche Reaktion 
als diagnostisches Hilfsmittel ist zu entscheiden, ob eine Ruhrerkrankung 
durch Shiga-Kruse-Bacillen oder eine der mannitvergärenden Typen be¬ 
dingt ist. Bierotte. 

F. Schenk-Prag: Zur Serodiagnostik der malignen Geschwülste. 

(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 14.) S. hat mit der von Dungern- 
schen Methode seine Versuche angestellt. Es ist zweifellos, dass maligne 
Tumoren häufiger positiv reagieren als andere Fälle. Ob die Methode 
v. Dungern’s jedoch einer derartigen Ausgestaltung fähig ist, dass sie 
sich zu einer klinisch verwertbaren Reaktion wird ausbauen lassen, kann 
jetzt nooh nicht entschieden werden. P. Hirsoh. 

Bernbach - Cöln: Beitrags zur Serologie der Geschwülste. » 
(Aerztl. Sachverständigen-Ztg., 1913, Nr. 4.) Verf. berichtet, dass es ibm 
gelungen ist, mit dem Serum zweier an Uterusoarcinom leidender Frauen 
Komplementfixation mit Carcinomantigen zu erzielen. Die ungewandte 
Methodik wird nicht mitgeteilt. In einem dritten Falle fiel die Kom¬ 
plementbindung schon positiv aus, als die histologische Untersuchung 
ausgekratzter Massen noch kein Caroinom ergab, während bei einer 
später folgenden nochmaligen Auskratzung Garcinom gefunden wurde. 

H. Hirschfeld. 

E. v. Gierke-Karlsruhe: Ueber eigenlösende Eigenschaften des 
Meerschweinehenserums. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) 
G. beginnt die Wassermann’sche Reaktion stets mit der Prüfung des 
Komplements auf Eigenlösung. Er fand Eigenlösung öfter bei tuber¬ 
kulösen und jungen Meerschweinchen. Im ganzen „scheint es sich um 
ein Phänomen der Cachexie zu handeln“. Die Wassermann’sche Reaktion 
ist eine völlig objektive Untersuchung. Subjektiv kann höchstens die 
klinische Bewertung sein. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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G. Shibayama-Tokio: Ueber die Wirkung von Seron und Toxin 

bei rectaler Anwendung. (Deutsche raed. Wochenschr., 1913, Nr. 16.) 
Bei der rectalen Anwendung des Ziegenblutes beim Kaninchen entstehen 
Hämolysin und Präcipitin, wenn auch in geringerer Menge als bei sub- 
cutaner Anwendung. Bei rectaler Anwendung von Hundeblut bei Kanin¬ 
chen entsteht Agglutinin, aber kein Präcipitin. Diphtherietoxin und 
Tuberkulin können, auch in grosser Dosis, bei rectaler Anwendung keine 
Giftwirkung bei Tieren ausüben. Sie können dann vielleicht nicht als 
Antigen wirken. Die Diphtherie-, Typhus- und Cholerapferdesera geben 
bei rectaler Anwendung Tieren keine passive Immunität. Diese Tat¬ 
sache beweist sehr wahrscheinlich die Unmöglichkeit der Resorption der 
Antitoxine sowie Bakteriolysine durch das Rectum in einem wirksamen 
Zustand. Wolfsohn. 

R. Freund - Berlin: Zur Geschichte der Serodiagnostik der 
Schwangerschaft. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 13.) 

E. Abderhal den - Halle a. S.: Bemerkungen zu diesem Artikel. 
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 13.) Prioritätsstreitigkeiten. 

R. Freund und C. Br ahm -Berlin: Die Schwangerschaftsdiagnose 
mittels der optischen Methode und des Dialysierverfahrens. (Münchener 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 13.) Untersuchung' an 135 Fällen, bei 
denen das Dialysierverfahren 99 mal, die optische Methode 134 mal an¬ 
gewandt wurde. Der klinische Befund deckte sich mit dem optischen 
Untersuchungsergebnis unter den 134 Fällen 97 mal = 72,4 pCt. und 
mit dem Ergebnis der 99 mal angewandten Dialyse 66 mal = 66,7 pCt. 
An den Versagern der optischen Verfahren ist zunächst das wechselnde 
Verhalten eines Placentarpeptons verschiedenen Seris gegenüber schuld, 
wie die Verff. durch Versuche zeigen; man muss daher in zweifelhaften 
Fällen das Drebungsvermögen eines Serums mit einem zweiten oder 
dritten Pepton nachprüfen. Als zweite Quelle des Versagens kommt 
manchmal eine zu kurze Beobachtungszeit in Betracht; infolgedessen 
muss die Beobachtungszeit gelegentlich auf 36 und 48 Stunden ausge¬ 
dehnt werden. 3. Die Beschaffenheit der Sera ist Ursache der Versager: 
Primär trübe und hämolytische Substrate müssen unberücksichtigt 
bleiben. Bei den 99 Fällen, bei denen das Dialysierverfahren angewandt 
wurde, war 61 mal Uebereinstimmung mit der optischen Methode, und 
zwar 43 mal in positivem Sinne, 18 mal in negativem Sinne; es harmo¬ 
nierten demnach 31 Untersuchungsbefunde nicht. 

H. Schlimpert und J. He n dry-Freiburg: Erfahrungen mit der 
Ahderhalden’sehen Sehwangerschaftsreaktion. (Münchener med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 13.) Die Verff. können auf Grund einer grösseren 
Serie einwandfrei angestellter Reaktionen, bei denen sie keine Fehl¬ 
resultate beobachteten, den Wert der Reaktion bestätigen. Nur Unter¬ 
suchungsergebnisse, die durch Kontrollen an zahlreichen nichtschwangeren 
Individuen bestätigt sind, können Ansprüche auf Geltung erheben, da auch 
bei mangelhafter Technik bei Schwangeren scheinbar positive Resultate 
zustande kommen können. Eine der wesentlichsten technischen Schwierig¬ 
keiten, die Unmöglichkeit der Herstellung völlig blutfreien Placentar- 
gewebes, kann durch die Beschaffenheit des zur Auswaschung verwendeten 
Wassers bedingt sein. Diese Schwierigkeit ist durch Verwendung von 
Kochsalzlösung, speziell von 0,9 pCt., leicht zu beheben. 

P. Lindig: Serum fermentwirknng bei Schwangeren nnd Tumor- 

kranken. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 13.) Zu Abder- 
halden’s Kritik in Nr. 8 der Münchener med. Wochenschr. 

Dünner. 

R. Bottler-Berlin: Ueber die Brauchbarkeit von Rinderherz¬ 
extrakten mit Cholesterinzusatz hei der Wassermana’schen Reaktion. 
(Archiv f. Dermatol, u. Syphilis, 1913, Bd. 116, H. 1.) Normale alko¬ 
holische Rinderherzextrakte mit Zusatz von Cholesterin geben bfei der 
Wassermann’schen Reaktion häufig feinere Resultate als Rinderherz¬ 
extrakte allein. Vielleicht geben die Extrakte hin und wieder zu feine 
Ausschläge, deshalb sollten sie nur neben den gewöhnlichen Rinderherz¬ 
extrakten benutzt werden. Besonders wertvoll sind die Cholesterin¬ 
extrakte aber bei beginnender und bei latenter Lues. 

H. Nakano• Japan: Ueber Immnnisierongsversaehe mit Spiro- 
ehätea rein kalt drei. (Archiv f. Dermatol, u. Syphilis, 1913, Bd. 116, 
H. 1.) Im Serum von Kaninchen, die mit abgetöteten Spirochäten¬ 
kulturen vorbehandelt sind, lassen sich Spirochätenagglutinine nach- 
weiaen. Präoipitine sind nicht auffindbar. Eine aktive Immunisierung 
durch Vorbehandlung von Kaninchen mit Spiroohätenkulturen gibt kein 
Resultat. Ebensowenig lassen sich Erfolge von einer Spirochäten- 
Vaccinebehandlung beim Menschen erkennen. Das Serum ^vorbehandelter 
Kaninchen hat auf die Kaninchensyphilis weder eine Schutz- noöh eine 
Heilwirkung. Immerwahr. 

A. Glück-Breslau: Experimenteller Beitrag zur Frage der „Idio¬ 
synkrasien“. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 14.) In je einem 
Fall von Neosalvarsan-, Kawa-Santal- und Primelidiosynkrasie konnte 
der Verfasser die passive Uebertragung der Ueberempfindlichkeit auf das 
Meerschweinchen nicht nachweisen. Diese Resultate stehen den bei 
anderen Idiosynkrasien erhobenen gegenüber. P. Hirsch. 

Siehe auch Haut- und Geschlechtskrankheiten: Lade, 
Erfahrung mit der Hermann-Perutz’schen Syphilisreaktion. 


Innere Medizin. 

L. Huismans - Cöln: Die Heilwirkung der deutschen Seebäder. 
(Therapie d. Gegenw., März 1913.) Vortrag, gehalten am 10. Februar 1913 
im Allgemeinen ärztlichen Verein zu Cöln. R. Fabian. 

J. Hatiegan - Kolozsvär: Die klinische Bedeutung der Winkler- 
Sehulze-Oxydasereaktion. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 14.) 
Die Reaktion ist eine Eigentümlichkeit der Knochenmarkszellen (Granulo- 
cyten). Infolge ihrer leichten Ausführbarkeit ist sie auch für die Praxis 
geeignet, ihre Anwendung bei der akuten Leukämie ein klinisches 
Postulat. Die Reaktion bei Infektionskrankheiten gleicht der unter 
physiologischen Verhältnissen. P. Hirsch. 

W. Sternberg-Berlin: Die Therapie der Appetitlosigkeit. (Therapie 
d. Gegenw., März 1913.) Nach Ansicht des Verf. besteht das einzige 
Mittel, den Appetit zu erregen, in der Hebung des Geschmacks. Da 
gerade die gute Mundküche auf die vollkommene Steigerung der Schmack¬ 
haftigkeit zu achten hat, ist die gute Mundküche als das Muster der 
diätetischen Küche anzusehen. 

W. Ruland - Schiefbahn: Ein Fall von Darmverschlnss durch 
Ascariden. (Therapie d. Gegenw., März 1913.) Kasuistischer Beitrag. 
Heilung. Empfohlen wird als Medikament das Extr. chenopodii anthel- 
minthici. R. Fabian. 

E. Schum ach er-Trier: Ueber Spätansscheidnngen bei Typhus- 
rekonvaleszenten. (Centralbl. f. Bakt. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 66, H. 7, 
S. 481.) Beobachtungen an einem grossen Typhuskranken material haben 
gezeigt, dass eine zwei- bis dreimalige, bis in die dritte Woche sich er¬ 
streckende negative bakteriologische Schlussuntersucbung der Ent¬ 
leerungen nicht die Gewähr dafür bietet, dass die Rekonvaleszenten 
nicht doch noch Typhusbacillen ausscheiden und damit zu Sekundär¬ 
infektionen führen. Der Verf. berichtet über 10 Fälle, die sämtlich aus 
derselben Epidemie stammen, und bei denen nach anfänglich wiederholt 
negativem Befund noch nach Wochen wieder Bacillen naebgewiesen 
werden konnten. Es wird deshalb vorgeschlagen, die Kranken bzw. 
Rekonvaleszenten volle 6 Wochen nach der Entfieberung noch unter 
Beobachtung zu halten. Bierotte. 

Karas-Warschau: Ueber die Cammidgereaktion. (Zeitschr. f. klin. 
Med., Bd. 77, H. 1 u. 2.) Nach den Untersuchungen des Verf. spricht 
ein positives Resultat der Reaktion von Cammidge in hohem Maasse 
für Pankreaserkrankung, wenn es auch vom Verf. bei Lungentuberkulose, 
Lymphämie und putrider Bronchitis gefunden wurde. Die Mutter¬ 
substanz der Cammidge’schen Kristalle befindet sich wohl in allen 
parenchymatösen Organen und ist vielleicht ein Nucleoprotoid. 

Gomolitsky-St. Petersburg: Beiträge zur Lehre von der ortho- 
statisehen Albuminurie. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 77, H. 1 u. 2.) 
Die Verfasserin hat experimentell an Menschen und Tieren geprüft, in¬ 
wiefern traumatische Schädigungen der Nieren bei der orthostatischen 
Albuminurie eine Rolle spielen. Palpation der verlagerten Nieren bei 
Tieren und bei Menschen führte nur selten zur Eiweissausscheidung. 
Bisweilen wurde bei nepbritischen Nieren eine Abnahme der Eiweiss¬ 
ausscheidung nach der Palpation gefunden. Nur in zwei Fällen von 
Nephroptosen wurde Eiweissausscheidung nach Bewegungen oder bei 
orthostatischer Stellung konstatiert. Die durch Palpation hervorgerufene 
Albuminurie schwindet . meist nach 45—60 Minuten. Mechanische 
Vibration, starkes Schütteln des Patienten, Abkühlung der Nieren, 
galvanische und faradische Behandlung derselben führten nicht zu 
Albuminurie. Am häufigsten ist orthostatische Albuminurie bei Kindern 
zur Zeit des stärksten Körperwachstums. Infektionskrankheiten, ins¬ 
besondere Scharlach, disponieren dazu. Die orthostatische Albuminurie 
verschwindet nach längerem Stehen wieder, rascher allerdings in hori¬ 
zontaler Lage. Im Sitzen findet keine Albuminurie statt, beim Gehen 
beobachtet man keine oder spurenweise Eiweissausscheidung. Eine 
orthostatische Eiweisausscheidung hört auf, wenn man den Bauch mit 
festen Bandagen bewickelt. Durch Lendenlordose kann man nicht alle 
Fälle orthotischer Albuminurie erklären. Im allgemeinen kommt Verf. 
zu dem Schluss, dass traumatische Schädigungen als ursächliches 
Moment der orthostatischen Albuminurie keine Rolle spielen. Zur Aus¬ 
lösung einer orthostatischen Albuminurie gehört offenbar eine funktionelle 
Minderwertigkeit der Niere. H. Hirsch fei d. 

Siehe auch Therapie: Schrumpf} Tuberkulosetherapie. Sippel, 
Behandlung der herabgesetzten Atmungsenergie bei Anämischen. — 
Haut- und Geschlechtskrankheiten: Nanta, Syphilis und Lympho¬ 
matösen. — Parasitenkunde und Serologie: Frankel, Tuberkel- 
. bacillen im strömenden piut. — Unfallheilkunde und Ver¬ 
sicherungswesen: Bernhardt, Herzaffektion und elektrischer Unfall. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

H. Obersteiner-Wien: Ueber pathologische Veranlagung am 
Centralnervensystem. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 14.) Vor¬ 
trag, gehalten in der Sitzung der K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien 
am 14. März 1913. Referat siehe den Sitzungsbericht. 

P. Hirsch. 

Mathies - Hamburg: Vier familiäre Fälle multipler Neuromyxo- 
fibro8arkomatose. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 77, H. 1 u. 2.) Die vier 
mitgeteilten interessanten Fälle dieser seltenen Krankheit betreffen eine 
Mutter und drei Söhne. Bei der Mutter und dem einen Kind waren 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 17. 


nicht nur die peripheren Nerven, sondern auch einige Hirnnerven Sitz 
von Geschwülsten und hatten, besonders bei der Mutter, zu schweren 
cerebralen Erscheinungen geführt. Bei letzterer bestand völlige Taub¬ 
heit und Blindheit. Die Mutter starb infolge einer Atmungslähmung, 
so dass ein sehr ausführlicher Sektiousbefund vorliegt. Bei allen vier 
Fällen bestanden Kachexie-, dagegen nicht die in anderen Fällen viel¬ 
fach beobachteten Intelligenzstörungen. Die Wassermann’sche Reaktion 
war bei der Mutter und ihren gesunden Töchtern negativ, bei zwei der 
erkrankten Knaben positiv. Auch beim Vater war sie negativ. 

H. Hirschfeld. 

Siehe auoh Pathologie: Saalmann, Morbus Recklinghausen 
mit Hypernephrom. — Unfallheilkunde und Versicherungswesen: 
Weber, Commotio cerebri. Sachs, Traumatische Neurose ohne Renten¬ 
anspruch. Wohl will, Posttraumatische Psychose. Enge), Syringo¬ 
myelie, irrtümlich diagnostiziert. 


Kinderheilkunde. 

F. Lust-Heidelberg: Die Durchlässigkeit des Magen darmkanals 
für heterologes Eiweiss bei ernährnngsgestärten Säuglingen. (Jahrb. 
f. Kinderheilk., 1913, Bd. 77, S. 383.) Die Untersuchungen des Verf. er¬ 
gaben, dass die Toleranz des gesunden Darmes gegen Hübnereiweiss bei 
Säuglingen nur eine begrenzte ist. Bei Eintritt einer Ernährungsstörung 
sinkt die Resistenz des Darmes, und zwar am tiefsten, wenn es sich um 
eine schwere akute Störung handelt, besonders aber, wenn sie unter dem 
Bilde einer alimentären Intoxikation verläuft. In diesen Fällen können 
schon sehr kleine Mengen Hübnereiweiss, wenigstens teilweise, die Darm¬ 
wand in nichtdenaturiertem Zustande passieren und im Urin nachweis¬ 
bar sein. Jedoch auch bei chronischen Ernährungsstörungen und speziell 
bei Dekomposition ist diese Permeabilität der Darmwand für heterologes 
Eiweiss grösser als in der Norm, wenn auch nicht in dem Maasse wie 
bei den akuten Störungen. Auch beträchtliche Störungen der Permea¬ 
bilität sind durchaus nicht der Ausdruck einer irreparablen Störung der 
Darmwand. Das Hühnereiweiss ist für diese Vorgänge ein besonders 
feines und geeignetes Reagens, doch auch andere Eiweisskörper (Rinder¬ 
und Pferdeeiweiss) passierten in den Untersuchungen des Verf. den 
Darm. Zwischen Hühner- und Serumeiweiss bestehen in dieser Hinsicht 
nur graduelle Unterschiede. 

H. Hahn-Heidelberg: Die Durchlässigkeit des Magendarmkanals 
ernährangsgcstö'rter Sängliage für an heterologes Eiweiss gebundenes 
Antitoxin. (Jahrb. f. Kinderheilk., 1913, Bd. 77, S. 404.) Verf. konnte 
nachweisen, dass Antitoxin, das in grösserer Menge verfüttert wird, die 
Darmwand, speziell von jungen und ernährungsgestörten Säuglingen, zu 
passieren vermag, auch wenn es an heterologes Eiweiss gebunden ist. 
Zum Nachweis bediente sich H. der sehr empfindlichen Methode von 
Römer im Gegensatz zu Salge, der die Methode von Marx benutzt 
hatte. Dies, die Verabreichung von grösseren Immunitätseinheiten und 
die Ausführung der Versuche an ernährungsgestörten Kindern erklärt 
die von den Ergebnissen der Salge’schen Untersuchungen abweichenden 
Resultate der Experimente Lust’s. 

A. Benfey-Berlin: Die Finkeistein-Meyer’sehe Eiweissmilch. 
(Jahrb. f. Kinderheilk., 1913, Bd. 77, S. 475.) Sammelreferat. 

E. A. Frank - Hannover: Die Anwendung der Molketherapie hei 
ruhrartigen Darnkatarrhen und ihre Erfolge. (Jahrb. f. Kinderheilk., 
1913, Bd. 77, S. 422.) Schluss. Krankengeschichten. 

M. Soldin - Berlin: Ueber einen Fall von verengertem Meconium- 
abgang. (Jahrb. f. Kinderheilk., 1913, Bd. 77, S. 453.) Es handelt sich 
um einen Fall von hochgradiger Retention des Meconiums unter dem 
Bilde eines vollständigen Darmverschlusses. Es kam zu einem schweren, 
das Leben des Kindes gefährdenden Zustande, bis sich am fünften 
Lebenstage die gesamte Meconiummenge spontan entleerte, worauf eine 
normale Entwicklung des Kindes eintrat. Im Meconium fanden sich 
zwei Schleimpfröpfe, die als das den Darmverschluss hervorrufende 
Hindernis angesehen werden müssen. R. Weigert. 

0. Meyer - Berlin: Frühformen der Möller-Barlow’sehen Krank¬ 
heit und ihre Behandlung. (Ther. d. Gegenw., März 1913.) Nach einer 
Demonstration im Verein der Schöneberger Aerzte am 9. Januar 1913. 
Verf. behandelt ausführlich die Krankengeschichten, von i drei Fällen von 
larvierter Barlowerkrankung. Es waren Säuglinge, bei denen für die 
vorhandene Anämie und Atrophie keine andere Ursache nachzuweisen 
war. In solchen Fällen ist therapeutisch ein Versuch mit Rebmilch, 
frischem Gemüse und Obst zu machen. R. Fabian. 


Chirurgie. 

0. Bernhard-St. Moritz: Verletzungen heim Wintersport, (v. Bruns’ 
Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 2.) Verf. gibt aus seinen Er¬ 
fahrungen im Oberengadin innerhalb 27 Jahren einen Ueberblick über 
die bei den verschiedenen Arten des Wintersportes vorgekommenen Ver¬ 
letzungen. 

R. Hassel-Greifswald: Die Mundbodendermoide. (v. Bruns’Beitr. 
z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 2.) Verf. glaubt nicht, dass die Kiemen¬ 
bögen direkt an der Entstehung der Mundbodendermoide beteiligt sind, 
da sie in ihrem entwicklungsgeschichtlichen Verhalten viel zu wenig 
Chancen für Ektodermretention zu bieten scheinen. Allein derVesicula 


cervicalis zu beiden Seiten des Halses, als der Stelle, an der auch 
normalerweise Ektoderm zurückbleibt, möchte er in den meisten Fällen 
bei ihrem abnormen Bestehenbleiben die Bildung von Mundboden- 
dermoiden zuschreiben. Dass die Mundbodendermoide trotzdem später 
fast ausschliesslich in der Medianlinie liegen, erklärt der Verf. mit der 
Möglichkeit, dass die abgeschnürten Ektodermreste der dritten und 
vierten Kiemenfurche, die Vesicula cervicalis, ihrem ursprünglich dorso- 
ventral gerichteten Wachstum nach ihrer Abtrennung weiter folgen und 
mit dem Weiterwachsen des umgebenden Gewebes schliesslich zur, oder 
doch fast zur Medianlinie gelangen. Die Wahl des operativ einzuschlagen¬ 
den Weges ist je nach der Lage der Cyste zur Mundbodenmuskulatur 
zu wählen. 

W. Jaroschy-Prag: Zur Kenntnis des klinischen Bildes der 
Chondrodystrophia foetalis. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, 
Bd. 83, H. 2.) An Hand mehrerer sehr genau untersuchter Fälle gibt 
Verf. einen Beitrag zur Klinik der Chondrodystrophia foetalis. 

W. V. Simon. 

H. Heinlein-Nümberg: Zur Aetiologie and Therapie des Gern 
valgum. (Deutsche med. Wocbenschr., 1913, Nr. 15.) Angiofibrom im 
unteren Ende der medialen Vastusausbreitung. Consecutives Genu 
valgum. Nach Exstirpation der Geschwulst heilte das Genu valgum 
spontan, augenscheinlich infolge Wiederherstellung der normalen Muskel¬ 
spannung und Muskelfunktion. 

0. Vulpius-Heidelberg: Die neue Verbandbehandlung der Skoliose 
nach Abbott. (Deutsche med. Wochensohr., 1913, Nr. 15.) Es werden 
Abbott’s Ideen und Verbandtechnik referierend wiedergegeben. Auf 
Grund eigener Erfahrungen wird die neue Skoliosenbehandlung warm 
empfohlen. Wolfsohn. 

W. Hering-Zwickau: Luxationen im Kniegelenk, (v. Brun’s Beitr. 
z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 2.) Von vier Fällen waren drei duroh 
zu hartes Aufsetzen des Förderstuhles im Bergwerk erfolgt. Zwei von 
diesen waren durch subcutane Zerreissung der Art. poplitea kompliziert, 
die die Amputation wegen Gangrän nötig machte. Verf. tritt der Auf¬ 
fassung entgegen, dass die Luxation nach hinten die Art. poplitea mehr 
gefährde als die Luxation nach vorn. Das Gegenteil scheint der Fall 
zu sein. Nervenverletzungen scheinen seltener zu sein. In dem einen 
mitgeteilten Fall wurde eine Lähmung der Wadenbeinnerven festgestellt, 
die aber etwa nach einem halben Jahre wieder zurückging. 

W. V. Simon. 

0. Vulpius-Heidelberg: Arthrodese des Hüftgeleaks. (Münchener 
med. Wocbenschr., 1913, Nr. 13.) Angabe der Operationsmethode, die 
eine Ankylosierung mit gutem Funktionsresultat ermöglicht. 

Dünner. 

A. L. Mathey-Wiesbaden: Ueber sogenannte eingeklemmte Hernien 
der Adnexe, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 2.) Mit¬ 
teilung des Falles eines 3 Monate alten Mädchens, bei dem sich in 
einer incarcerierten rechtsseitigen Leistenhernie das Ovarium und die 
Tube befanden. W. V. Simon. 

0. Harzbeck er-Berlin: Ueber die Entstehung der Hernia pectiaea. 
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 16.) Vortrag in der Berliner 
Gesellschaft für Chirurgie am 13. Januar 1913. Wolfsohn. 

Hauch-Hamburg: Ueber Späthlutungen bei Appendicitis. (v. Bruns’ 
Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 2.) Die Veranlassung zu der vor¬ 
liegenden Arbeit gaben vier im Laufe des letzten Jahres auf der Kümmell- 
schen Abteilung beobachtete Todesfälle dieser Art. In Betracht kommt 
die Gruppe der Arrosionsblutungen, ganz besonders aber die Blutungen 
aus Geiässen des Magendarmschlauches in das Lumen dieser Organe 
hinein; auf die verschiedenen zur Erklärung ihrer Aetiologie aufgestellten 
Theorien geht Verf. näher ein und widmet schliesslich der Therapie 
einen besonderen Abschnitt. W. V. Simon. 

Merrun - Königsberg i. Pr.: Appendicitis und Paratyphns R. 
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) Appendicitis acuta. Bei 
der Operation mehrfach Hämorrbägien auf der Darmwand sichtbar. An¬ 
fängliche Besserung. Sodann Eifisetzen einer schweren Peritonitis. 
Sektion: Pylephlebitis. Gangrän des Colon asoendens. In der grossen 
schlaffen Milz Reinkulturen von Paratyphus B. Es empfiehlt sich, in 
Fällen schwerer Appendicitis häufiger nach dem Paratyphus B-Eoreger 
zu fahnden. -o 1 i< Wolfsohm 

J. M. van Dam-Alkmaar: Die radikale Behandlung angeborener 
Blasendivertikel. *(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 2.) 
Die vorderen und seitlichen Blasendivertikel (ohne 'Ureter in der Wand) 
exstirpiere ■ man von vorn aus extravesical. Die seitlichen Blasendivertikel 
(mit einem Ureter in der Wand) exstirpiere man am besten extravesical 
von vorn aus; wenn dies nicht geschehen kann, kombiniere man extra- 
uud intravesical oder gehe rein transvesioal vor. Blasendivertikel, 
welche infolge zu inniger Verwachsung mit der Umgebung nicht zu 
exstirpieren sind, werden am besten nach der etwas modifizierten (siehe 
Original) Pousson’schen Methode behandelt. 

J. H. Zaaijer -Leiden: Erfolgreiche transpleurale Resektion eines 
Cardiacarcinoms. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1918, Bd. 83, H. 2.) 
Verf. berichtet über ein von ihm ausgearbeitetes zweizeitiges Operations¬ 
verfahren und teilt einen von ihm nach dieser Methode erfolgreich 
operierten Fall mit. 

K. Pro pp in g- Frankfurt &. M.: Regenerierung des Choledeehas 
nach Einlegen eines T-Rohres. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913 


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28. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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BdL 88, H. 2). Gelegentlich eines Falles, bei dem aus anderen Gründen 
nach 2 1 /* Jahren eine Relaparotomie nötig wurde, konnte sich P. davon 
überzeugen, dass durch Einlegen von temporären Gummiprothesen — 
Verf. bevorzugt das T-Rohr — Defekte des supraduodenalen Choledochus- 
abschnittes ausheilen, indem sie sich nicht nur funktionell, sondern 
auch anatomisch wiederherstellen. Auch für Defekte des retroduodenalen 
Gholedochus kann das T-Rohr als temporäre Prothese dienen, dooh ist 
hierbei an die Möglichkeit einer eventuell auftretenden Duodenalfistel 
zu denken. W. V. Simon. 

Siehe auch Pharmakologie: Oliva, Aether und Mischnarkose. 
— Haut- und Geschlechtskrankheiten: Klausner, Zungenkrebs 
als Folgezustand bei Epidermolysis bullosa. 


Röntgenologie. 

F. Dessauer-Frankfurt a. M.: Versuche über die hart«! Röntgen- 
strablen (mit Berücksichtigung der Tiefenbestrahlung). (Münchener 
med. Wochenschr., 1918, Nr. 13.) Dünner. 

Siehe auch Augenheilkunde: Haudek, Lokalisation von 
Fremdkörpern im Auge mittels Röntgenstrahlen. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

K. Marcus - Stockholm: Klinische Beobachtungen über die Pro¬ 
gnose der kongenitalen Syphilis. (Archiv f. Dermatol, u. Syphilis, 
1918, Bd. 116, H. 1.) Weder das Alter der maternen Syphilis, noch 
die Erscheinungen der Mütter bei der Entbindung haben einen be¬ 
stimmten Einfluss auf den Zustand des neugeborenen Kindes gezeigt. 
Die spezifische Behandlung während der Schwangerschaft hat dagegen 
einen ausserordentlich günstigen Einfluss gezeigt. Eine durch Jahre 
fortgesetzte Behandlung ist jedoch notwendig, um Recidive zu verhindern 
und die Seroreaktion dauernd negativ zu halten. Die intrauterine Be¬ 
handlung hat auch auf den weiteren Verlauf der angeborenen Syphilis 
einen deutlich günstigen Einfluss sowohl klinisch als serologisch gezeigt. 

A. Nanta-Toulouse: Syphilis und Lymphomatösen. (Annales de 
Dermatol, et de Syphiligraphie, März 1913.) Bei Syphilitischen kommt 
auf der Höhe der Krankheit manchmal eine mit Leukämie verbundene 
Lymphomatöse vor, genau wie die klassische lymphatische Leukämie. 
Wahrscheinlich ist diese Erscheinung durch den syphilitischen Prozess 
selbst hervorgerufen. Immer wahr. 

F. Lade-Hamburg: Erfabrangei nit der HerBain-PerBtz’schea 

Syphilisreaktion an 600 Fällen. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 15.) Bei sicherer und fraglicher Lues ist die Hermann-Perutz’sche 
Reaktion genauer als die Wassermann’sche Reaktion. Bei Nicht-Lues 
unterlaufen selten positive und fragliche Resultate. Die neue Reaktion 
wird wohl die Wassermann’sche Reaktion nicht verdrängen. L. rät 
trotzdem zu ihrer Ausführung, wenn die Benutzung eines serologischen 
Instituts nioht möglich ist Wolfsohn. 

G. Stern-Düsseldorf: Die Anwendungsart des Salvarsans and Neo- 

salvarsans, lafnsion oder Injektion. (Münchener med. Wochenschr., 
1913, Nr. 13.) Verf. macht intravenöse Injektionen — nicht In¬ 
fusionen — in die Armvene in konzentrierter Form. Das ist besonders 
bequem beim Neosalvarsan, das sich in Wasser löst. Die Ausführung 
ist sehr einfach und, sterile Instrumente und aseptische Handhabung 
vorausgesetzt, überall durchführbar. Man gibt in eine Rekordspritze 
etwa 8 ccm frisch gekochtes Wasser, schüttet die Neosalvarsandosis 
hinein, mischt so lange bis sich alles gelöst hat und injiziert dann in 
bekannter Weise. Etwas komplizierter ist die Methode beim Altsalvarsan, 
da dabei Neutralisieren nötig ist. Dünner. 

P. Sobotka - Prag: Zur Kenntnis der Myose der Cutis und der 
Subcutis. (Archiv f. Dermatol, u. Syphilis, 1913, Bd. 116* H. 1.) Der 
Fall von multiplen reinen Cutismyomen gab Gelegenheit, die diagnosti¬ 
sche Bedeutung einer bestimmten Anordnung der Geschwulst eben von 
neuem und schärfer zu betonen, die Uebereinstimmung der Richtlinien 
dieser Anordnung mit den Spaltrichtungen der Haut auf noch bessere, 
gesichtete Grundlage zu stellen und endlich ein neues, übrigens nicht 
konstantes, „physiologisches“ Symptom der Arrektorenmyome, nämlich 
ihre Reaktion auf die für gewöhnliche Arrektorenkontraktion auslösenden 
Reize zu! beschreiben. Det zweite Fall gehörte zu den sehr seltenen 
Fällen von echt myomatösen Tumoren der Unterhaut, genauer gesagt 
zu den Angiomyofijiromen. * 

1 J. Toyama-Sendai (Japan): Ueber eine bisher nock nicht be¬ 
schriebene Dermatose: „Pityriasis circinata“. (Archiv V Dermatol, 
u. Syphilis, 1913, Bd. 116, H. 1.) Die Primärefflorescenz stellt regel¬ 
mässig kreisrunde Scheiben dar von 4—5 mm bis über 20 cm Grösse. 
Die Farbe ist lichtbraun bis dunkelbraun. Die Oberfläche ist schuppend. 
Die Lokalisation ist typisch. Am häufigsten und stärksten wird der 
Stamm betroffen, besonders Rücken, Lenden und Bauch. Der Verlauf 
der Affektion ist ein ausserordentlich chronischer. Ein Pilz oder sonstige 
Parasiten Hessen sich nicht nachweisen, auch fielen alle Kultur- und 
Uebertragungsversuche negativ aus. 

K. Herzheimer und K. Schmidt - Frankfurt a. M.: Ueber 
Erytheaa exsodativiiB Bilti forme vegetans. (Archiv f. Dermatol, u. 
Syphilis, 1913, Bd. 116, H. 1.) Vegetationsbildungen oder Wuoherungs- 
progesse sind bisher beim Erythema exsudativum nopht nicht beschrieben 


worden, obwohl sie sich bei allen mit Blasenbildung einhergebenden 
Hautkrankheiten entwickeln können. Unter entsprechender Behandlung 
bildeten sich die Produkte dieser gesteigerten lokalen Entzündung 
innerhalb weniger Woohen wieder vollständig zurück. 

E. Klausner• Prag: Zangenkrebs als Folgezustand bei einem 
Fall von Epidermolysis bvllosa (dystrophische Form). (Archiv f. 
Dermatol, u. Syphilis, 1913, Bd. 116, H. 1.) Verf. möchte die an¬ 
geborene Ueberempfindliohkeit und Störung in der Anlage der Haut, 
bzw. des Epithels, die in anderen Fällen von Epidermolysis bullosa zu 
Schleimhautverdickungen oder zu Leukoplaoie geführt hat, in seinem 
Fall für die Entstehung des Zungencarcinoms verantwortlich machen. 

G. Petges und Desqueyroux - Bordeaux: Entzündliche Tuber¬ 
kulose und Psoriasis. (Annales de Dermatol, et de Syphiligraphie, 
März 1913.) Der Patient litt an ankylosierendem Gelenkrheumatismus 
tuberkulöser Natur und hatte gleichzeitig eine Psoriasis. Die Verff. 
stellen nun die Hypothese auf, dass diese Psoriasis bacillärer Natur sei. 

Ad. Neiditsoh • Basel: Untersuchungen über den Eiweissabbau 
bei einigen Dermatosen. (Archiv f. Dermatol, u. Syphilis, 1913, 
Bd. 116, H. 1.) Die Untersuchung hat im wesentlichen zu einem 
negativen Ergebnis geführt, indem in keiner der geprüften Dermatosen, 
weder bei Psoriasis, noch Ichthyosis, noch Ekzem usw. eine konstante 
und daher für die Pathogenese der betreffenden Krankheit zu verwertende 
Vermehrung der im Harn ausgeschiedenen Aminosäuremenge sich kon¬ 
statieren Hess; ebenso erwies sich auch die Menge der in den spontanen 
Hautblasen eines Pemphigus vulgaris enthaltenen Aminosäuren nioht 
erhöht. Dagegen fand sich in einem Falle von chronisch recidivierender 
Urticaria jeweils parallel mit den neuen Schüben ein ganz auffallend 
starkes Ansteigen der ausgeschiedenen Aminosäuren, so dass hier eine 
ursächliche Bedeutung der Aminosäuren — Ausscheidung und damit eine 
Störung im Eweissabbau — nicht von der Hand zu weisen ist. 

Immerwahr. 

Siehe auch Therapie: Polland, Furunkulin. Winkler, Sul- 
fidal. — Parasitenkunde und Serologie: Glück, Zur Frage der 
Idiosynkrasien. _ 


Geburtshilfe und Gynäkologie. 

W. Zangemeister-Marburg: Ueber puerperale Uterus in Version. 
(Deutsche med. Wochenschr., 1918, Nr. 16.) Klinischer Vortrag. 

Wolfsohn. 

H. Waith er -Giessen: Synthetisches Hydrastinin-Bayer, ein Ersatz 
für Extr. Hydrastis oanadensis fluidum. (Münchener med. Wochenschr., 
1913, Nr. 18.) Das Präparat ist eine wertvolle Bereicherung unseres 
Arzneischatzes, wesentlich für gynäkologische Blutungen, vermutlich 
auch Hämoptoe, Epistaxis, Nieren- und Darmblutungen. Dünner. 

Siehe auch Unfallheilkunde und Versicherungswesen: 
Martin, Prolaps und Unfall. — Parasitenkunde und Serologie: 
Siehe Arbeiten über Schwangersohaftsdiagnose von Freund und Brahm, 
Schlimpert und Hendry, Freund, Lindig. 


Augenheilkunde. 

Gl au sen-Königsberg: Ueber Anwendung der Noviformsalbe in 
der äasserea Augenheilkunde. (Zeitschr. f. Augenheilk., März/April 
1913.) Das Noviform, ein Tetrabrombrenzkatechinwismut-Präparat (che¬ 
mische Fabrik von Heyden) erwies sich in Salbenform bei Lidrand¬ 
erkrankungen als ein ausgezeichnetes Mittel. Da es auch antiseptische 
Eigenschaften hat, ist der Vorschlag des Verf., es künftighin als Ersatz 
des Xeraforms, Jodoforms bei beginnendem Ulcus serpens anzuwenden, 
immerhin der Beachtung wert. 

Gzaplewski-Göln: Untersuchungen über Trachos. (Zeitschr. f. 
Augenheilk., März/April 1913.) Mit Hilfe der Nakanishi’schen Färbe¬ 
methode (Boraxmethylenblau), einer vitalen polychromatischen Minimal¬ 
färbung gelang es, im Trachomsekret und -follikel Gebilde festzustellen, 
die der Verf. den Mycetozoen am nächsten stehend glaubt. In alten 
Schnittpräparaten Hessen sich diese Gebilde nach vorheriger Behandlung 
mit Antiforminlösung ebenfalls nachweisen. Im hängenden Tropfen voll¬ 
führten die Gebilde amöboide Bewegungen, einige wiesen Geissein auf. 
Dass beim Trachom ätiologisch ein Protozoon in Betracht käme, nahm 
man eigentlich schon lange an. Man hielt unendlich kleine Formen, 
Chlamydozoen,;' für die Ertfsger. Der neue Parasit weist Formen von 
zum Teil sehr erheblicher Grösse auf. DieJ Conjunetfva würde in ähn¬ 
licher Weise wie bei der Amöbendysenterie erkranken. Eine Rolle in 
der Uebertragung würde verseuchtes Wasser spielen. 

0. Scheffels-Crefeld: Zur Prioritätsfrage betreffs des Kuhnt’schen 
Bindehautlappens. (Zeitschr. f. Augenheilk., März/April 1913.) Es 
handelt sich hier nur um Feststellung der Tatsache, dass die Bindehaut¬ 
plastik zur Heilung von Hornhautgeschwüren schon vor Kuh nt von 
Alexander Pagensteoher undSchöler ausgeführt wurde, dass aber 
Kuh nt das ganz in Vergessenheit geratene Verfahren neu entdeckt und 
systematisch zur Methode ausgebaut habe. 

0. v. Fürth und Hanke-Wien: Studien über QnellungsVorgänge 
aB Auge. (Zeitschr. f. Augenheilk., März/April 1913.) Die Versuche 
wurden sowohl am lebenden Tierauge als auch am enucleierten yorge- 
nommen. Pie Tension der Augen wurde vor und nach der Einspritzung 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 17. 


von verdünnter Säure bzw. Alkali mittels Schiotz’ Tonometer kontrolliert. 
Ausserdem wurden Verkürzungsvorgänge an säurequellenden Scleral- 
stücken und ihre Wägung und Volumsbestimmung und die Quellung des 
Glaskörpers beobachtet. Die Ergebnisse lassen sich dahin zusammen¬ 
fassen, dass in erster Linie die Sclera bei Säureeinwirkung quillt, dann 
erst in geringem Maasse der Glaskörper, und dass die konstatierte Druck¬ 
steigerung wohl auf beide Faktoren zurückzufübren ist. Beim Zustande¬ 
kommen des Glaukoms kann man eine Säurequellung nicht ausschliessen. 
Es dürften aber noch exakte Untersuchungen zum strikten Nachweis 
erforderlich sein. Die Säurequellung der Sclera besteht in einer Volums¬ 
und Gewichtszunahme. 

R. Hesse und E. Phleps-Graz: Schichtstar und Tetanie. (Zeit¬ 
schrift f. Augenheilk., März/April 1913.) Unter 43 Schichtstarpatienten 
zeigten 35, d. i. etwa 81 pCt., sichere Zeichen einer noch bestehenden, 
latenten oder abgelaufenen Tetanie. Auch andere Starformen im prä- 
senilen Alter Hessen bei der neurologischen Untersuchung eine Tetanie 
erkennen. Die Rachitis dürfte nach den vorliegenden Untersuchungen 
nicht die hervorragende ätiologische Rolle spielen. 

H. Wo 1 ff-Berlin: Ueber neue ophthalmoskopische Unlersuchungs- 
methoden. (Zeitschr. f. Augenheilk., März/April 1913 ) Der Autor be¬ 
schreibt 1. die unoculare und 2. die stereoskopische reflexfreie Ophthalmo¬ 
skopie im umgekehrten Bilde, 3. die Photographie und Projektion des 
stereo-ophthalmoskopischen umgekehrten Bildes, 4. ein einfaches Demon- 
strationsocular für die unoculare und stereoskopische reflexfreie Ophthal¬ 
moskopie im umgekehrten Bilde, 5. ein handliches Instrumentarium zur 
reflexfreien Ophthalmoskopie im aufrechten und im umgekehrten unocu- 
laren und stereoskopischen Bilde, 6. einen neuen Augenspiegel für das 
aufrechte Bild. 

M. Haudek-Wien: Ueber den Nachweis und die Lokalisation 
schwerer Fremdkörper im Auge mittels Röntgenstrahlen. (Zeitschr. f. 
Augenheilk., März/April 1913.) Im Original nachzulesen. 

_ G. Erlanger. 


Hygiene und Sanitätswesen. 

E. Moegle-Stuttgart: Zur Desinfektion milzbrandsporenhaltiger 
Häute und Felle. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 66, 
H. 5 u. 6, S. 442.) Die Verfahren von Schatten froh und Seymour- 
Jones zur Desinfektion milzbrandsporenhaltiger Häute sind, wie die 
Nachprüfungen des Verf. ergeben haben, einwandfrei und sicher; sie 
verursachen verhältnismässig geringe Kosten und schädigen auch die 
Gerbfähigkeit nicht. Ein Erfolg in der Bekämpfung und Verbreitung 
des Milzbrandes wäre nach Ansicht des Verf. zu erreichen, wenn sämt¬ 
liche überseeischen Häute und Felle an den Einfuhrhäfen der Des¬ 
infektion unterworfen würden. 

F. Pollak-Triest: Lebensdauer und Entwicklungsfähigkeit von 

Choleravibrionen auf Obst nnd Gemüse. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 
Abt. 1, Orig., Bd. 66, H. 7, S. 491.) Einige Beobachtungen an Cholera¬ 
fällen wiesen den Verf. auf die Ueberträgerrolle infizierter Nahrungs¬ 
mittel hin; er suchte deshalb durch Laboratoriumsversuche festzustellen, 
wie lange Choleravibrionen auf verschiedenen Obst- und Gemüsesorten 
(Orangen, Citronen, Aepfel, Kopfsalat, Spinat, Cichoriensalat, Vogelsalat) 
lebendig und entwicklungsfähig bleiben. Die verschieden lange Dauer, 
die zwischen einigen Tagen und mehreren Wochen schwankte (auf Kopf¬ 
salat z. B. fanden sich noch am 29. Tage entwicklungsfähige Vibrionen), 
ist durch das verschiedene Verhalten der Blättersorten gegenüber Aus¬ 
trocknung und Fäulnis zu erklären. Wenn auch die Ergebnisse der 
Versuche nicht ohne weiteres auf die wirklichen Verhältnisse übertragen 
werden können, so muss doch als sicher gelten, dass die genannten 
Vegetabilien unter günstigen Umständen beträchtlich lange infektions¬ 
fähig bleiben können; dies muss bei Aufstellung und Ausführung pro¬ 
phylaktischer Maassnahmen gegen die Choleraeinschleppung und -Ver¬ 
breitung entsprechend berücksichtigt werden. Bierotte. 


Unfallheilkunde und Versicherungswesen. 

E. Fro eh lieb - Berlin: Die Bedeutung der Aufnahme- and Revisions- 
nntersachang für die private Krankenversicherung. (Aerztl. Sachverst.- 
Ztg., 1913, Nr. 6.) 

Weber - Chemnitz: Commotio cerebri mit anatomischen Befunden. 
(Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1913, Nr. 3.) Die Arbeit ist ein wichtiger Bei¬ 
trag zur Frage der posttraumatischen Veränderungen des Gehirns. Ohne 
dass makroskopische Veränderungen trotz eines Knochenrisses an der 
linken Seite der Schädelbasis zu sehen waren, ergab doch die mikro¬ 
skopische Untersuchung eine pralle Füllnng vieler kleinster Gefässe, er¬ 
weiterte Lymphräume, kleinste perivasculäre Blutungen und Oedem und 
Auflockerung des perivasculären Hirngewebes. Ausserdem bestanden 
arteriosklerotische Veränderungen. Verf. nimmt an, dass durch die 
Gehirnerschütterung zunächst eine reflektorische Lähmung des Vaso¬ 
motorencentrums stattgefunden hat. Da die sklerotischen Gefässe den 
hierdurch bedingten Circulationsschwankungen nicht gewachsen waren, 
kam es zu Zerreissungen und Schädigung der Hirnsubstanz. 

H. Sachs - Breslau: Tranmatische Neurose ohne Rentenansprneb. 
Bemerkungen zu dem Artikel des Herrn Bloch in Nr. 24, 1912, dieser 
Zeitung. (Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1913, Nr. 6.) Polemik. 

H. Engel: Syringomyelie, irrtümlich diagnostiziert und als Folge 
einer peripheren Verletzung anerkannt. (Monatsschr. f. Unfallheilk., 


1913, Nr. 3.) Es wird ein sehr interessanter Fall mitgeteilt, der ur¬ 
sprünglich von namhaften Gutachtern als Syringomyelie aufgefasst wurde, 
entstanden nach einer unbedeutenden Verletzung, die darin bestand, 
dass der Betreffende mit beiden Knien auf eine eiserne Schiene aufstiess. 
Der ursächliche Zusammenhang wurde vom Reichsversicherungsamt an¬ 
erkannt und das erstattete Obergutachten in der Sammlung des Reicbs- 
versicherungsamts publiziert. Da aber die nach Jahren vorgenommenen 
Nachuntersuchungen zeigten, dass die nervösen Störungen ganz eiheblich 
zurückgegangen waren, kommt Verf. zu dem Resultat, dass hier gar 
keine Syringomyelie Vorgelegen hat, sondern höchstwahrscheinlich vom 
Unfall ganz unabhängige neuritische Prozesse auf alkoholischer Basis. 

Wohlwill - Hamburg: Posttranmatioehe Psychose. (Monatsschr. f. 
Unfallheilk., 1913, Nr. 3.) W. beobachtete bei einem 49 jährigen Arbeiter 
nach einer schweren Gehirnerschütterung ein halbes Jahr später lautes, 
prahlerisches Wesen, nach einem weiteren Jahre Reizbarkeit und traurige 
Verstimmung und dann im Anschluss an eine Röntgenuntersuchung eine 
schwere Psychose, deren Hauptsymptome ängstliche Erregung, unsinnige 
hypochondrische Ideen, Halluzinationen und Verfolgungswahn waren. 
Obwohl die ganze Entwicklung des Leidens nicht gerade sehr für eine 
traumatische Aetiologie sprach, ergab später dooh die Sektion sehr 
typische Veränderungen, die auf eine schwere traumatische Schädigung 
des Gehirns hinwiesen. Es fanden sich die von Koppen als besonders 
charakteristisch für traumatische Erkrankungen geschilderten Narben 
der Hirnrinde und Substanzdefekte derselben. 

M. Bernhardt - Berlin: Tod duroh Herzaffektion oder durch 
elektrischen Unfall? (Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1918, Nr. 4.) Mitteilung 
eines Obergutachtens für das Reiohsversicherungsamt, in welchem der 
plötzliche Tod eines Bergmanns mit einer Verletzung durch einen Strom 
von 220 Volt in Zusammenhang gebracht wird. 

G. S. Engel - Berlin: Lassen sich die neueren Errungenschaften auf 
dem Gebiete der Herz- nnd Gefässforschnng für die Lebensversicherung 
verwerten? (Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1913, Nr. 4.) Verf. tritt in diesem 
Aufsatz dafür ein, dass einige neuere Methoden der Untersuchung des 
Herzens, wie die Blutdruckmessung und die Sphygmographie, sowie die 
Funktionsprüfungen des Herzens Eingang in die Lebensversicberungs- 
praxis gewönnen. 

Hiltmann - Berlin: Duodenalgeschwüre nnd Tranva. (Aerztl. 
Sachverst.-Ztg., 1913, Nr. 7.) Beitrag zu der noch wenig erörterten 
Frage des Zusammenhangs zwischen Trauma und Duodenalgeschwür. 
Ein 51 jähriger Heizer blieb an einem eisernen Träger hängen und fiel 
nach der rechten Seite hin um. Er hatte sofort starke Schmerzen in 
der Hüftgegend und konnte nicht auftreten. Es wurde eine Fraktur des 
rechten Schenkelhalses festgestellt. 5 Tage nach dem Unfall bestanden 
starke Leibschmerzen. 8 Tage später eine Temperatur von 40°. (De¬ 
cubitus.) Auch wurde Blut im Stuhlgang beobachtet. Nach einer pro¬ 
fusen Darmblutung, die einen Monat später erfolgte, starb der Patient 
Die Obduktion ergab im Duodenum vier Geschwüre an der hinteren 
Wand. Verf. nimmt an, dass von dem septischen Decubitus aus Emboli 
in die Duodenalarterien eingeschwemmt worden sind, die zur Entwicklung 
der Geschwüre Veranlassung gegeben haben. 

Maröchaux - Magdeburg: Postmortale Behandlung eines Typhns- 
falles. (Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1913, Nr. 4.) In launiger Weise schildert 
M. einen Rentenstreit, in welchem es sich darum handelte, festzustellen, 
ob die Typhuserkrankung eines in Elbwasser gefallenen Arbeiters auf 
diesen Sturz in das infizierte Wasser, also auf einen Unfall, zurück¬ 
zuführen sei. Die Unfallgerichte kamen schliesslich zu einer Ablehnung 
des Zusammenhangs, und zwar deswegen, weil die Inkubationszeit eine 
auffällig kurze war. Der Mann war am 4. Dezember ins Wasser ge¬ 
fallen und schon am 8. klagte er über Schwindel und Durchfälle, am 
12. konnte schon Fieber und Benommenheit konstatiert werden. Der 
letzte Gutachter gab zwar in diesem Falle die Möglichkeit eines Zu¬ 
sammenhangs zu. Das Reichsversicherungsamt aber lehnte die Ent¬ 
schädigungsansprüche ab, weil mindestens der Nachweis der Wahrschein¬ 
lichkeit zu erbringen war. 

E. Martin - Berlin: Prolaps nnd Unfall. (Aerztl. Sachverst-Ztg., 
1913, Nr. 6.) Die Anschauungen, welche M. über die traumatische 
Aetiologie des Prolaps der weiblichen Genitalien äussert, weichen von 
den bisher geltenden durchaus ab. Er geht aus von seiner an anderer 
Stelle ausführlich erörterten Lehre, dass die Befestigungsmittel der 
Beckenorgane in einen Haft- und einen Stützapparat zu trennen sind. 
Vou diesem Standpunkte aus erörtert er die Befestigung der weiblichen 
Genitalien und den Mechanismus ihrer Lockerung durch traumatische 
Einwirkungen. Als primäre Prolapse bezeichnet er diejenigen, welche 
wie die Cystocele, der Uterusprolaps und die Hernien in der Bauchfeil¬ 
tasche vor und hinter der Gebärmutter durch ein primäres Nacbgeben 
des Haftapparats entstehen, zu den sekundären diejenigen, die wie der 
Prolaps der hinteren Scheidenwand, die Elongatio colli, zwar auch auf 
die pathologische Beschaffenheit des Bindegewebes zurückzuführen sind, 
in welchen aber der Haftapparat erst nach dem primären Defekt des 
Stützapparats durch allzu grosse Inanspruchnahme schadhaft geworden 
war. Die Auffassung des Verf. weicht wesentlich ab von der Lehre 
Winter’s, die bisher bei Rentenansprüchen als maassgebend angesehen 
wurde. Auch die Anschauungen von Schwarze, die vielfach als 
Richtschnur bei Gutachten galten, hält Verf. nicht mehr für stichhaltig. 

H. Hirschfeld. 


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28. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


798 


Technik. 

Deck er-München: Praktische künstliche Afterbandage and Mast- 
daran orfallbandage. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 13.) 
Angabe von Bandagen für Anus praeternaturalis und Mastd arm Vorfall. 

Dünner. 

F. Dautwitz-St. Joachimsthal: Vorrichtung zur portionenweisen 
Entnahme emanationshaltiger Flüssigkeiten nnd Gase. (Wiener klin. 
Wochenschr., 1913, Nr. 14.) Der Verf. hat einen Apparat konstruiert, 
welcher für Krankenhäuser und Sanatorien gedacht ist, die die Radium¬ 
emanationen sich selbst aus Radiumpräparaten darstellen wollen. Er 
gestattet die drei wichtigsten Anwendungsforraen der Radiumemanation: 
Bäder, Trinken und Inhalation. Anfertigung bei 0. Neupert Nachf., 
Wien 8, Bennoplatz 8. P. Hirsch. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Berliner Gesellschaft für Psychiatrie nnd Nervenkrankheiten. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 17. März 1913. 

Vorsitzender: Herr Liepmann. 

Schriftführer: Herr Henneberg. 

Yor der Tagesordnung. 

Hr. Oppenheim: Ueber vorzeitiges Auftreten der Paralysis agitans. 

Der 35 jährige Patient leidet, wie Sie auf den ersten Blick sehen, 
an einer typischen Paralysis agitans mit besonders starker Ausbildung 
der Muskelstarre, der Fixation der Haltungsanomalien, der Salivation usw. 
Das besondere Interesse, das er bietet, ist die vorzeitige Entwicklung des 
Leidens, das im 33. Lebensjahre aufgetreten ist. 

Trotzdem würde ich Ihnen denselben nicht vorgestellt haben, wenn 
ich nicht in derselben Woche einen zweiten Fall dieser Art gesehen 
hätte, einen 32 jährigen Kaufmann aus Paris, bei dem die Krankheit im 
27. Lebensjahre angefangen hat. 

Im Laufe der Jahre habe ich mindestens ein halbes Dutzend Fälle 
gesehen, aber trotzdem nicht nur die ausserordentliche Seltenheit der 
juvenilen Form der Paralysis agitans betont, sondern auch die Ver¬ 
mutung ausgesprochen, dass sie vielleicht einen besonderen Typus dar¬ 
stelle. Das kann ich nun auf Grund dieser meiner neueren Erfahrungen 
nicht aufrecht erhalten. Danach unterscheidet sich die Frühform des 
Leidens in keinem Punkte von der echten. 

Nun machen wir freilich dieselbe Erfahrung fast mit allen Krank¬ 
heiten, die wir in ein bestimmtes Alter zu verlegen gewohnt sind. Wir 
erkennen bald, dass es da keine starren Gesetze gibt. Ich erinnere Sie 
an die merkwürdigen Erfahrungen, die wir mit der Dementia paralytica 
gemacht haben, an das senile Irresein, andererseits an die multiple 
Sklerose, an die angeborenen Nervenkrankheiten, von denen die Mehrzahl 
auch im späteren Alter auftreten kann. 

Für die bemerkenswerte Erscheinung lassen sich ja verschiedene 
Gründe und Hypothesen ins Feld führen. Bei der Betrachtung des 
heute vorgestellten Falles ist wohl in Erwägung zu ziehen, dass er ein 
russischer Jude ist, deren Jahre, fast möchte man sagen, doppelt zählen, 
die auch meist körperlich einseitig gestaltet erscheinen. Denn das 
Lebensalter rechnet, um einen Ausspruch Byron’s zu modifizieren, nicht 
nach den Jahren, sondern nach unseren Kämpfen und Leiden. Aber 
damit ist der Kern der Sache nicht getroffen. Wenigstens habe ich die 
juvenile Paralysis agitans auch in einzelnen Fällen bei Individuen ge¬ 
sehen, die ein durchaus behagliches Leben geführt hatten. Es bleibt 
hier für die Hypothese und Forschung also noch ein weiter Spielraum. 

(Autoreferat.) 

Diskussion. 

Hr. Jaoobsehn fragt, ob bei dem vorgestellten Patienten am 
Gefässsystem Alterserscheinungen beobachtet worden sind, die vielleicht 
das frühzeitige Auftreten der Paralysis agitans erklären könnten. 

Hr. Förster fragt mit Bezug auf die von Wilson beschriebenen 
Fälle, ob bei dem Patienten eine Lebererkrankung vorliegt. 

Hr. 0. Maas: Ich möchte den Herrn Vortragenden fragen, ob der 
Patient Lues gehabt hat; falls das der Fall sein sollte, wäre daran zu 
denken, dass Gefässveränderungen im Gehirn als Ursache der Erkrankung 
anzusehen wären. 

Hr. Oppenheim (Schlusswort): Am Herzen und Gefässapparat habe 
ich keine wesentlichen Veränderungen konstatieren können, auch nicht 
an der Leber. Uebrigens bilden die von Wilson beschriebenen Fälle 
auch einen ganz speziellen Typus, der mit der Paralysis agitans nichts 
zu tun hat. Lues kommt bei dem heute vorgestellten Falle nicht in 
Frage (auch Wassermann negativ), aber in zwei anderen Fällen dieser 
Art, die ich gesehen habe, war Lues voraufgegangen, ohne dass aber die 
Paralysis agitans auf Rechnung dieser gebracht bzw. als syphilitische 
Nervenkrankheit gedeutet werden konnte. 

Hr. Förster stellt eine Patientin vor, bei der Anfälle von 6e- 
sehmacksparästhesien im Sinne eines sensorischen Jackson’schen An¬ 
falles auftraten. Es handelt sich um eine Patientin, die am 13. Februar 
1911 zuerst erkrankte mit einem Anfall, der mit Bewusstlosigkeit einher- 
ging. Sie hatte Krämpfe, die 2 Stunden gedauert haben sollen; Zungen¬ 
biss, Hess Kot und Urin unter sich. Nach dem Anfall fiel auf, dass die 


linke Körperhälfte schwächer wurde als die rechte. Es traten Kopf¬ 
schmerzen auf. Nach einem halben Jahr ein zweiter Anfall, ähnlich wie 
der erste, wieder Bewusstlosigkeit, Krämpfe, Zungenbiss; Dauer Stunde. 
Die Schwäche der linken Körperseite nahm bedeutend zu, das linke 
Bein schleifte nach. Es kamen nun Anfälle hinzu, in denen Patientin 
ein komisches Gefühl auf der ganzen linken Körperseite hatte. Zu 
gleicher Zeit stellte sich dann ein süssliches Gefühl in der linken Zungen¬ 
hälfte ein. Diese Anfälle dauerten nur einige Minuten. Im Februar 1912 
ein dritter Anfall ohne Bewusstlosigkeit, Es ging Druckgefühl von der 
Magengegend nach dem Halse zu voraus, und zwar sass das nur in der 
linken Seite im Halse; hinterher Krämpfe in den Kiefern, während die 
Beine sich steif streckten. Patientin war vom 22. Februar 1912 bis 
22. April 1912 in der Charitö. Auch dort wurden mehrmals Anfälle 
geschildert, in denen sie ein süsses Gefühl in der linken Zungenhälfte 
hatte. Seither ist es schlimmer geworden, öfter steigt es wie ein Gas 
hoch, es wird der Patientin schlecht, sie hatte einen süssen Geschmack 
im Munde, dann ist das linke Bein und der linke Arm taub, wie ein¬ 
geschlafen. Das dauert 1—2 Minuten. Seit Juli wurde auch das rechte 
Bein schwächer, etwas später fing auch der rechte Arm an schwächer 
zu werden. Sie fühlt manchmal auch Zuckungen im rechten Arm, beim 
Schlucken muss sie immer an der rechten Seite schlucken: wenn sie die 
Speisen auf der linken Seite des Mundes schluckt, komme öfter Ver¬ 
schlucken vor. 

Die Aufnahme erfolgte am 6. Januar 1913. Es bestand Anosmie 
rechts, die aber durch ausgedehnte Rhinitis atrophicans erklärt wird. 
Der Augenhintergrund zeigt beiderseits Stauungspapille, Nadelstiche 
werden links am Kopf übermässig schmerzhaft gefühlt, rechts ist das 
Gefühl normal. Der Cornealreflex ist rechts stärker als links. Beim 
Kauen habe sie links nicht dieselbe Kraft wie rechts. Beim Mundöffnen 
keine deutliche Abweichung des Unterkiefers. Der linke Facialis bleibt 
etwas zurück. Links wird besser geschmeckt als rechts. Rechts wird 
einmal bitter als süss, links als bitter angegeben, einmal Tinctura chini 
auch links als etwas süsslich bezeichnet. Es besteht eine leichte 
Pyramidenbahnlähmung der ganzen linken Körperhälfte. Das Lagegefühl 
am linken Daumen und grosser Zehe zeigt eine leichte Störung, rechts 
ebenfalls eine geringe Schwäche, aber keine deutlichen Pyramidenbahn- 
symptome. Babinski besteht weder rechts noch links, doch ist der 
Mendel’sche Reflex links positiv. Es kommen fast täglich kleine Anfälle 
vor, in denen Patientin angibt, dass es ihr in der Mitte des Körpers 
hocbgehe, die Zunge sinke links herab und sei schwach, zugleich ent¬ 
stehe ein süsses Gefühl in der linken Zungenhälfte, manchmal gehe das 
Gefühl auch nach der rechten Seite hinüber, dann hat sie an der rechten 
Körperhälfte das Gefühl des Ameisenlaufens. 

Es handelt sich hier um eine Patientin mit den Symptomen eines 
raumbeengenden Prozesses innerhalb der Schädelhöhle. Die Symptome 
lassen an einen tiefen Marktumor denken; da die Pyramidenbahn¬ 
lähmungen, als sie sich zuerst bemerkbar machten, zuerst im Bein be¬ 
gonnen hatten, konnte daran gedacht werden, dass der Tumor von der 
rechten Hemisphäre auf die linke übergegriffen hatte, da er so zuerst 
die Beinregion schädigen musste. Die Symptome von Kribbeln und von 
süssem Geschmack müssen ebenso wie die epileptiformen Anfälle als 
Reizsymptom der Rinde aufgefasst werden, wobei das Auftreten des 
süssen Geschmacks in der Zunge auf eine Reizung der Rinde im Gebiet 
des Geschmackscentrums hinweist. Eine genaue Lokalisation ist bei den 
ungenügenden Kenntnissen, die wir über die Vertretung des Geschmacks 
in der Rinde haben, nicht möglich. Da die Möglichkeit bestand, dass 
Tumormassen in der Innenfläche der Hemisphäre gefunden werden 
konnten, wurde über dem Beincentrum eine Trepanation vorgenommen. 
Es fand sich jedoch nur normales Hirn. Eine Absuchung mittels Hirn¬ 
punktion gestattete die Patientin nicht. Nach der Operation nahmen 
die Symptome zu. Das Bemerkenswerteste an dem Fall scheint mir 
das Auftreten von Geschmacksstörungen im Sinne der Jackson’schen 
Epilepsie. Vielleicht wird die anatomische Untersuchung eine Lokalisation 
ermöglichen. 

Diskussion. 

Herrn Oppenheim befremdet es, dass im Hinblick auf die Anos- 
mie und die Geschmacbsaura nicht der Lobus temporalis — besonders 
entsprechend den Erfahrungen von Jackson und Gowers — als Sitz 
der Neubildung in Erwägung gezogen worden ist. (Autoreferat.) 

Hr. Bernhardt: In einer Sitzung unserer Gesellschaft vom 
4. Dezember 1905 hat Herr Völsch über einen von mir und ihm in 
meiner Poliklinik beobachteten Fall von Kleinhirnbrückenwinkeltumor 
bei einem Manne gesprochen. , 

Ich erwähnte in der Diskussion eines bei dem Kranken beobachteten 
Gefühls von Brennen an der rechten Zungenhälfte (auch der 
Tumor sass rechts), das auch schon Bruns, später Ziehen beschrieben 
haben. Ich machte darauf aufmerksam, dass dieses Symptom vielleicht 
als ein frühdiagnostisches Merkmal pathologischer Zustände im Klein- 
birnbrüokenwinkel benutzt werden könne. 

Ich erinnere hier daran, nicht weil ich meine, dass es sich im 
Forster’schen Falle um einen Tumor in der erwähnten Gegend handelt, 
sondern um darauf aufmerksam zu machen, dass sensible und sensorische 
Störungen an der Zunge bei verschiedenem Sitz krankhafter Verände¬ 
rungen innerhalb des Schädels an verschiedenen Hirnprovinzen zur Er¬ 
scheinung kommen können. 

Hr. Förster (Schlusswort): Herrn Oppenheim erwidere ich, dass 
an einen Schläfenlappentumor zwar gedacht wurde, dass aber bei den 
starken Druckwirkungen ein Schläfenlappentumor unwahrscheinUch schien, 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 17. 


da keinerlei Symptome von seiten der basalen Hirnnerven, insbesondere 
auch keine vorübergehende Oculomotoriuslähmung jemals zur Beobachtung 
gekommen ist, die bei dem langen Verlauf und den starken Druck¬ 
symptomen bei einem Schläfenlappentumor doch zu erwarten gewesen 
wäre. Die Anosmie konnte, wie schon erwähnt, nicht verwertet werden, 
da sie nach Ansicht der Nasenklinik durch die Rhinitis atrophicans er¬ 
klärt wird. 

Hr. Bürger demonstriert einen Hund, der seit April v. J. dauernd 
pro Kilo 2 ccm Methylalkohol, mit der doppelten Menge Wasser ge¬ 
mischt, erhielt, eine für den Menschen tödliche Dosis. Vergiftungs¬ 
erscheinungen (Unruhe, Taumeln, Somnolenz) traten nur in den ersten 
6 Wochen auf, jetzt zeigt der Hund ein normales Verhalten. Die Ge¬ 
wöhnung an das Gift ist somit eine sehr weitgehende, eine solche kommt 
anscheinend auch beim Menschen zustande. 

Hr. Peritz: Heber Hypophysenerkrankungeii. 

Vortr. führt aus, dass die Untersuchungen der letzten Jahre gezeigt 
haben, dass die Drüsen mit innerer Sekretion nicht nur ein einziges 
Sekret liefern, sondern polyvalente Sekrete. Das haben die Unter¬ 
suchungen der Schilddrüse ergeben, wie für die Keimdrüsen und 
bei der Nebenniere wird man dasselbe Resultat erhalten, wenn man 
nioht nur nach dem Adrenin, sondern nach anderen Substanzen 
in der Nebenniere sucht. Die Hypophyse weist mit ihrem Bau direkt 
auf eine Polyvalenz der Sekrete hin: Vorderlappen, Pars intermedia 
und Hinterlappen. Die Untersuchungen der letzten Jahre haben Resultate 
gezeitigt, die unsere Kenntnisse über die Sekrete der verschiedenen Teile 
erheblich gefördert haben. Zuerst hatAschner gezeigt, dass die Hypo¬ 
physe kein lebenswichtiges Organ ist, dass Tiere nach Hypophysen¬ 
entfernung weiter leben können. Die sonstigen Resultate der Aschner- 
sohen Versuche sind auch schon vorher, besonders von Cushing, er¬ 
halten worden. Man hat einmal einen Zwergwuchs bei jungen Tieren, 
denen die Hypophyse entfernt worden war, festgestellt, dann eine ausser¬ 
ordentliche Fettentwicklung, welche nicht nur das Unterhautfettgewebe 
betrifft, sondern auch sich an alle Organe anlagert. Cushing hat dann 
ferner eine Erhöhung des Zuckerspiegels im Blute bei Tieren gefunden, 
denen der Hinterlappen entfernt worden war, und eine grössere Toleranz 
gegen Zucker; erst wenn den Tieren Hinterlappenextrakt gegeben wurde, 
sank die Toleranz gegen Zucker, und es trat eine alimentäre Glykosurie 
auf. Dazu kommt, dass A sehn er feststellen konnte, dass bei hypo¬ 
physenberaubten Tieren die Adrenalinglykosurie erheblich geringer ist 
als bei normalen Tieren. Endlich haben Aschner und Porges ge¬ 
funden, dass der Gasstoffwechsel bei Tieren ohne Hypophyse erheblich 
herabgesetzt ist. Falta und Bernstein sahen bei Injektion von 
Hypophysenvorderlappenextrakt eine Abnahme des Gasstoffwechsels mit 
ansteigendem respiratorischen Quotienten und bei Injektion von Hinter¬ 
lappenextrakt ein Ansteigen des Gasstoffwechsels. Ferner bat der 
Hinterlappenextrakt mitsamt der Pars intermedia oine Einwirkung 
auf die Beckenorgane. Von Schäfer ist bei Verfütterung des Hinter¬ 
lappens und der Pars intermedia Polyurie und Polydipsie gesehen 
worden. Neben hohem Blutdruck besteht auch eine Einwirkung auf die 
Nierengefässe und die Nierensekretion. Ferner besteht eine Wechsel¬ 
wirkung zwischen Hypophyse und Keimdrüsen. Nach Entfernung der 
Hypophyse sah Aschner eine Atrophie der Keimdrüsen, aber nur bei 
jungen Tieren, während Biedl und Cushing eine solche bei partieller 
Exstirpation auch bei erwachsenen Tieren feststellen konnten. Endlich 
ist in den letzten Jahren vorzüglich der Einfluss des Pituitrinum in- 
fundibulare auf den schwangeren Uterus studiert worden, nachdem 
Frankl-Hoohwart und Fröhlich den Einfluss dieses Extraktes auf 
die Beckenorgane nachgewiesen hatten. Eine Blutdrucksenkung durch 
Hypophysenextrakt ist wohl auf das Cholin, das sich in allen Drüsen 
mit innerer Sekretion findet, zurückzuführen. Wenn auch ganz 
schematisch, so vermag man heute schon zu bestimmen, welchen 
Funktionen die verschiedenen Lappen der Hypophyse dienen. Die 
Wachstumsstörungen nach Entfernung der Hypophysb in Zusammenhalt 
mit der Hypertrophie des Vorderlappens der Hypophyse bei der Akro¬ 
megalie spricht dafür, dass der Vorderlappen einen Einfluss auf das 
Knochenwachstum besitzt. Auf Grund der Versuche von Schäfer muss 
man annehmen, dass der Mittellappen Beziehungen znr Nierensekretion 
besitzt. Endlich scheint die Störung im Zuckerstoffwechsel durch ‘den 
Ausfall f des Hinterlappens bedingt zü sein. Die Theorie von Cushing 
geht dahin, diese Störung als die Ursache der Adipositas anzusehen. 
Fischer nimmt aus u allgemeinen Ueberlegungen ebenfalb an,% dass 
der Einfluss atjf die Keimdrüsen und 1 auf den Fettstoffwechsel Vo'ü dem 
Hinterlappen äusgeht. Auf Grund dieser Verteilung kann man, wenn 
auch mit aller Vorsicht, zu'einer Einteilung der verschiedenen Hypo¬ 
physenerkrankungen kommen. Man kann zwischen Hyperfunktion und 
Hypofunktion der einzelnen Lappen unterscheiden, ferner Mischformen 
und endlich eine Miterkrankung der Hypophyse bei Erkrankung mehrerer 
oder aller endokriner Drüsen. 

1. Erkrankung des Vorderlappens: a) Unterfunktion: Zwergwuchs; 
b) Hyperfunktion: Akromegalie, Gigantismus. 

2. Erkrankungen des Hinterlappens: a) Verminderung der Funktion: 
hypophysäre Adipositas; b) Hyperfunktion: Diabetes insipidus? 

3. Mischformen: a) Gesteigerte Funktion des Vorderlappens mit 
verminderter Funktion des Hinterlappens: Akromegalie mit hypophysärer 
Adipositas; b) Unterfunktion der gesamten Hypophyse: Zwergwuchs mit 
Adipositas. 


4. Erkrankungen der Hypophysen in Gemeinschaft mit anderen 
Drüsen: a) Keimdrüse und Hypophyse: Eunuchoidismus; b) Erkrankung 
aller Drüsen mit innerer Sekretion: pluriglanduläre Erkrankung von 
Claude und Gougerot, multiple Sklerose der endokrinen Drüsen von 
Falta, partieller Gigantismus. 

Es werden nun die verschiedenen Formen an der Hand von Krankheits¬ 
fällen, die im Diapositiv gezeigt werden, besprochen, nicht genau der 
Reihenfolge des Schemas entsprechend, sondern ihrer inneren Zusammen¬ 
gehörigkeit nach. 

Der Zwergwuchs kann, nachdem Ben da bei einem Zwerg ein Sarkom 
der Hypophyse festgestellt hat, auf Erkrankung der Hypophyse zurück¬ 
geführt werden. Es darf aber nicht übersehen werden, dass die Zwerge, 
welche man auf den Ausstellungen sieht, verschiedenster pathologischer 
Provenienz sind. Bekanntlich führt die Schilddrüsenerkrankung zum 
Zwergwuchs. Nach Klose und Vogt bedingt im Tierexperiment die 
Entfernung der Thymus Zwergwuchs, während beim menschlichen Status 
thymico-lymphaticus eher ein gesteigertes Grössenwachstum zu finden 
ist. Der Zwergwuchs als Folge eines Dyspituitarismus braucht, wie alle 
anderen Erkrankungen der Hypophyse, aber nicht mit einer Tumor¬ 
bildung verbunden zu sein, sondern kann duroh Sklerose oder einen 
anderen pathologischen Prozess hervorgerufen werden. Für diese Fälle 
fehlt bis jetzt die Möglichkeit einer Diagnostik. Die folgenden Aus¬ 
führungen sollen auf die Richtung hinweisen, wie eine solche Diagnostik 
möglich ist. 

Es werden dann zwei Fälle von Akromegalie gezeigt, bei denen vor 
allen Dingen darauf hingewiesen wird, dass es durchaus irrig ist, wenn 
man annimmt, dass der Verlust der Keimdrüsenfunktion als Früh¬ 
symptom der Akromegalie anzusehen ist. Bei beiden Fällen besteht die 
Akromegalie schon fünf Jahre, ohne dass eine Impotenz eingetreten 
wäre. In dem einen Fall war anfangs eine sexuelle Uebererregbarkeit 
vorhanden. Es wird dann die Theorie der gegenseitigen Beeinflussung 
von Keimdrüse und Hypophyse an Hand der Tatsachen besprochen. 
Man weiss, dass die Hypertrophie der Hypophyse zur Funktions¬ 
losigkeit der Keimdrüsen führt. Aplasie der Keimdrüsen oder Kastration 
führt umgekehrt zur Hypertrophie des Vorderlappens der Hypophyse, 
ebenso die Schwangerschaft. Man müsste also annehmen, das hier jede 
der beiden Drüsen hemmende Sekrete liefert. Dann müsste Entfernung 
der Hypophyse zu gesteigerter Tätigkeit der Keimdrüsen führen. Gerade 
im Gegenteil bedingt aber Abtragung der ganzen Hypophyse eine 
Atrophie der Keimdrüsen. Fischer sucht dieser Schwierigkeit dadurch 
Herr zu werden, dass er das Sekret, welches die Keimdrüsenfunktion 
regelt, im Hinterlappen der Hypophyse entstehen lässt. Die Vernichtung 
der Keimdrüsenfunktion bei den Tumoren des Vorderlappens erklärt er 
durch mechanische Einflüsse. Diese Theorie hat vieles für sich. Sie er¬ 
klärt aber nicht, warum beim Zugrundegehen der Keimdrüsen oder bei 
der Aplasie derselben es zu einer Hypertrophie des Vorderlappens 
kommt. Man muss, wie Fischer, annehmen, dass ein forderndes Sekret 
im Hinterlappen für die Keimdrüsenfunktion entsteht. Dagegen muss 
man ferner annehmen, dass zwischen Vorderlappen und Hinterlappen 
der Hypophyse ein Antagonismus besteht, wofür eine Reihe von Tat¬ 
sachen, besonders in Hinsicht auf den Zucker- und Gasstoffwecbsel 
sprechen. Hypertrophiert der Vorderlappen der Hypophyse, so geht 
duroh die zu starke Funktion die des Hinterlappens zugrunde und da¬ 
mit auch die Keimdrüsenfunktion, umgekehrt geht die Keimdrüse und 
infolgedessen auch der Hinterlappen der Hypophyse zugrunde, so ge¬ 
winnt der Vorderlappen, da ihm die Hemmung vom Hinterlappen fehlt, 
einen grösseren Spielraum für seine Funktion. 

Auch auf die Theorie von Freund und von Stumme wird hin¬ 
gewiesen, dass die Entstehung der Akromegalie die Folge einer Dys¬ 
funktion der Keimdrüse sein kann. Es werden dafür die Fälle von 
Gigantismus herangezogen, die auf dysgenitaler Basis beruhen, während 
bei anderen eine primäre Erkrankung der Hypophyse angenommen 
werden muss. Schliesslich werden die Symptome des Gigantismus und 
sein Uebergang in die Akromegalie besprochen; der psychische Infanti¬ 
lismus bei diesen Fällen wird zurückgeführt auf die lAplasie der Keim¬ 
drüsen. 

Die Dystrophia adiposo-genitalis wird gemeinsam besprochen. Man 
kann verschiedene Formen unterscheiden: den Eunuchoidismus, die echte 
hypophysäre Adipositas, und endlich Formen, die der allgemeinen Fett¬ 
sucht ähnlich sehen, endlich die Beziehungen zijr Dercum’schen Krank¬ 
heit. Es wird immer wieder auf die Schwierigkeit der Diagnose hinge¬ 
wiesen, wenn die cerebralen Symptome eines Hypophysentumörs und 
die bekannte Erweiterung der Sella tupcioa,im Röntgenbild fehlen. Es 
werden Fälle von Eunuchoidismus gezeigt,, dann zwei familiäre Fälle 
einer hypophysären Adipositas bei zwei Schwestern, bei denen die Fett¬ 
bildung Sich von den Hüften abwärts bis zu den Knöcheln in Form 
einer Pandurenhose ausgebildet hat. Bei der einen besteht eine Er¬ 
weiterung der Sella turcica, bei der anderen nicht. Bei der einen ist 
der Blutzuokergehalt erheblich erhöht, während bei der anderen noch 
die Untersuchung aussteht. Auch andere Formen werden gezeigt, die 
auf luischer Basis beruhen und in Form der Deroum’schen Krankheit 
aufgetreten sind. Die Diagnose wird erst möglich sein, wenn man nach 
Ansicht des Vortragenden den Zuckerstoffwechsel bei diesen Fällen ge¬ 
nauer durchforscht hat. Nach Cushing ist die Störung des Zucker- 
stofiwechsels in Form einer Stauung und Nichtverbrennung des Zuckers 
die Ursache der Adipositas. Mit Hilfe des Gasstofiwechsels kann man 
diesen Dingen naebgehen. Diese Untersuchungen müssen gemacht 
werden, um zu einer klaren Einsicht in die Verhältnisse zu kommen. 


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28. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Bis dahin sind wir nur auf den Aspekt angewiesen. So wird noch ein 
Fall von Zwergwuchs mit Adipositas bei einem 20jährigen Menschen ge¬ 
zeigt, bei dem Lues vorhanden ist. Der Fall ähnelt den von Neurath, 
Goldstein und anderen gezeigten. Wahrscheinlich handelt es sich 
auch um einen Hydrocephalus oder um eine Lues der Hypophyse. Doch 
besitzen wir bei diesen Fällen, wie betont, nur den äusseren Eindruck, 
der uns zur Diagnose führt. 

Endlich werden Fälle juveniler pluriglandulärer Erkrankung gezeigt 
und die Symptomatologie dieser Fälle und der des reifen Alters be¬ 
sprochen. 

Zum Schluss wird über die Operation der Hypophysentumoren ge¬ 
sprochen, auch solcher, die nur eine Adipositas gemacht haben. Die 
Entfernung des Tumors wirkt hier wie beim Basedow die teilweise Ab¬ 
tragung der Struma. Dagegen besitzen wir noch keine Therapie der 
Fälle, die ohne Vergrösserung der Hypophyse oder mit einer Sklerose 
des Hirnanhanges einhergehen. 


Hufelandische Gesellschaft 

(für Demonstrationen und Vorträge aus der gesamten praktischen Medizin). 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 13. März 1913. 

Vorsitzender: Herr Fritz Strassmann. 

Schriftführer: Herr J. Ruhemann. 

1. Hr. Dorendorf: 

Ein Beitrag zur Frage des ZutandekoMmeas linksseitiger Recnrrens- 
lähmnng bei Mitralstenose. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

Diskussion. 

Hr. Killian: Bei der Topographie des linksseitigen Recurrens kann 
die Vergrösserung des linken Vorhofs nicht die Gefahr der Paralyse 
dieses Nerven bringen. Eine Serie von Sektionen muss hier die Ent¬ 
scheidung abgeben. Wahrscheinlich spielt die Pericarditis eine Rolle. 

Hr. Zinn glaubt ebenfalls, dass das Fortschreiten der Entzündung 
von dem Pericard auf das hintere Mediastinum ätiologisch ausschlag¬ 
gebend ist. 

2. Hr. Finkeistein: Zar Thymnshypertrophie. 

Vorstellung eines einjährigen Knaben mit seit Geburt bestehendem 
Stridor, spastischem Husten, Dysphagie und Dämpfung auf und neben 
der oberen Hälfte des Sternum, die auf eine Thymusbypertrophie hin¬ 
deuten, die auch durch das Röntgenbild wahrscheinlich gemacht wird. 

Diskussion. 

Hr. Hirschfeld fragt, ob Todesfälle durch Thymushypertrophie 
öfter beobachtet sind. 

Hr. Dorendoif berichtet über den Fall bei einer jungen Dame, 
welche plötzlich Cheyne - Stokes’sches Atmen, heftige Tachycardie 
(180 Pulse) zeigte. Nach der wegen der Möglichkeit des Bestehens einer 
Vergiftung vorgenommenen Magenausspülung trat Exitus ein. Die 
Sektion ergab braunes Kolorit der Haut, Affektion der Spitze und der 
Nebennieren. Die Thymusdrüse wiegt mehr als 30 g, von kindlicher Be¬ 
schaffenheit. Starke Vergrösserung der Lymphdrüsen am Darm, itilz- 
hyperplasie. Hier lag Thymustodesfall durch Erstickung vor. 

Hr. Ben da: Vereinzelte Sektionen sprechen für Erstickung durch 
Thymusvergrösserung; aber es kommt hierbei auch Herztod vor, was die 
Erweiterung der Herzventrikel ohne Zeiohen von Suffokation beweist. 

Hr. Fritz Strassmann unterscheidet den plötzlichen Tod bei dem 
Status thymico-lymphaticus und den durch Kompression. Nur in einem 
ein neun Monate altes Kind betreffenden Fall war der Tod durch Druck 
der Thymusdrüse, die 40 g wog, bei Ausschluss aller anderen Ursachen 
wahrscheinlich. Bei anderen Fällen, wo Capillarbronchitis bestand, war 
die Sache zweifelhaft. Es ist nicht der Druck auf die Trachea, da hier¬ 
durch sohon vorher Erscheinungen vorhanden sind, sondern die un¬ 
erwartete Kompression tieferer Abschnitte, des Herzens, der Gefässe oder 
Mediastinalnerven für den Exitus maassgebend. Bei dem Status thymico- 
lymphaticus wird verhältnismässig kleine Drüse gefunden. 

Hr. Finkeistein: Plötzliche Todesfälle bei Thymushypertrophie 
kirnen vor. In dein Vbtfiegönden Falle, bei dem immer während<<des 
Futterns croupartiger; stridoröser Hüsten, Gyafnose, ja Suffokationsanfälle 
eintraten, machte die Ernährung grosse Schwierigkeiten; trotzdem erzielte 
die Pflege ein gut gedeihendes Kind. Vortr. will durch Röntgenbehand¬ 
lung aen Versuch einer therapeutischen Einwirkung* 1 machen. 

3. Hr. F. Strassmann: Sublimat- uad Lysolvergiftung. 

Bei einem unmittelbar tödlichen Vergiftungsfall, bei dem die Ver¬ 
mutung auf Arsen Vergiftung ausgesprochen worden war, konnte Vortr. 
durch den Sektionsbefund, obwohl sich die charakteristischen Aus¬ 
scheidungserscheinungen an Nieren, Darm, Mundhöhle noch nicht ent¬ 
wickelt hatten, ausschliesslich auf Grund des Magenbefundes alsbald die 
durch die chemische Untersuchung später bestätigte Diagnose auf Ver¬ 
giftung durch eine ziemlich konzentrierte Sublimatlösung stellen. Das 
Bild der gleichmässigen harten grauweissen Verätzung der ganzen 
Schleimhaut ohne Erweichungserscheinungen, wie es dieses und noch ein 
anderes vorgelegtes Präparat zeigen, kommt nur diesem Gift zu. Auoh 
die ihm in ihrer Wirkung nächststehenden Gifte Carbol und Lysol zeigen, 
wie vorgelegte Präparate beweisen, gewisse Abweichungen, ganz abge¬ 


sehen von dem charakteristischen Geruch. Lysol ist speziell durch die 
weiche seifige Beschaffenheit der verätzten Partien kenntlich. Vortr. 
gibt einen Rückblick auf die vor etwa acht Jahren auf ihren Höhepunkt 
gelangte Selbstmordepidemie mittels LysolvergiftuDg in Berlin, die seit¬ 
dem, offenbar im Zusammenhänge mit der Einschränkung des Verkaufes, 
fast völlig geschwunden ist. 

Diskussion. 

Hr. Leibholz weist auf die durch die frühere Anwendung sehr 
konzentrierter Sublimatlösung hervorgerufenen medikamentösen Intoxi¬ 
kationen hin. 

Hr. Lehr: In manchen Fällen von Sublimatvergiftung wird das 
schwere Krankheitsbild zum grössten Teil beherrscht durch das Versagen 
der Nierenfunktion. 

In einem Falle, den ich im Jahre 1909 mitzubeobachten Gelegenheit 
hatte, trat am siebenten Tage vollständige Anurie ein; am neunten 
Krankheitstage, also nach zweitägiger Anurie, entsohloss sich Herr Pro¬ 
fessor Ritter-Posen zu einer Nierenoperation. Es war die Decapsulation 
beabsichtigt, aber nachdem kaum die Niere freigelegt war, musste die 
Operation, die in Aethernarkose vorgenommen wurde, wegen schlechten 
Allgemeinbefindens abgebrochen werden. Schon nach wenigen Stunden 
kam die Urinsekretion wieder in Gang, die in 24 Stunden 1200 ccm er¬ 
gab und sich am folgenden Tage auf 2000 com steigerte. Gleichzeitig 
hob sich das Allgemeinbefinden so, dass die behandelnden Aerzte hofften, 
den Patienten, einen kräftigen, 35 jährigen Mann, der sich mit zwei 
Sublimatpastillen ä 1 g vergiftet hatte, am Leben zu erhalten. 

Nach dreiwöchigem Krankenlager jedoch ging von einer stoma- 
titischen Wunde am Mundboden eine Sepsis aus, der der Patient nach 
zwei Tagen erlag. 

Vielleicht wäre es geraten, in ähnlichen Fällen die Nierenoperation 
vorzunehmen, bevor noch die Anurie eingetreten ist, so dass der Patient 
in der Lage bleibt, das Gift nach Möglichkeit auszuscheiden. 

In einer Umfrage der Medizinischen Klinik, 1912, Nr. 27, über die 
Decapsulation erklärt sich auch Pels-Leusden für die Operation bei 
schweren Intoxikationsanurien, während Israel und Anschütz die 
Nephrotomie empfehlen. 

Ob in dem erwähnten Falle die Freilegung der Niere oder die 
Aethernarkose die günstige Wendung bewirkt haben, lässt Ritter dahin¬ 
gestellt. 

4. Hr. F. Strassmann: 

Ueber die Form der Knoehenschnsswanden. 

Vortr. zeigt das Schulterblatt einer von ihrem Mann erschossenen 
Frau. Es ist deutlich zu sehen, wie die zunächst von unten kommende 
Kugel gegen die Spina scapulae angeschlagen, daduroh an der Spitze 
gestaucht und in ihrer Richtung verändert worden ist, so dass sie nun 
weiter nach unten flog und Speiseröhre und Brustaorta im unteren 
Drittel traf und durchbohrte, wodurch die tödliche Verblutung bewirkt 
ward. Im Anschluss werden eine Anzahl Schädeldächer demonstriert, 
an denen die charakteristischen Verschiedenheiten in der Form von Ein¬ 
schuss und Aussohussöffnung deutlich zu sehen sind, und es werden die 
Bedingungen besprochen, unter denen reine Lochschüsse, solche mit 
Sprengungsfissuren und diffuse Zersprengungen des Schädels durch 
Schussverletzungen eintreten. 

5. Hr. P. Fraonekel (a. G.) demonstriert Präparate von spontanen 
Aortenrnptnren. Die typische Ruptur des höheren Alters illustriert 
das Herz eines auf der Strasse zusammengebrochenen 68 jährigen Mannes. 
Im Zusammenhänge mit Granularatrophie der Nieren und schwerer de¬ 
formierender Endoaortitis des Bogens stand eine starke Herzhypertrophie 
und cylindrische Erweiterung der Aorta ascendens. Der etwas quer¬ 
gestellte Riss sass wie gewöhnlich in der auch nach histologischer Unter¬ 
suchung gesunden Wand einige Centimeter über den Klappen. Die Zer- 
reissung war rasch durch die ganze Wand gegangen, da sich ein eigent¬ 
liches interstitielles Aneurysma nicht gebildet hatte. Ob in solchen 
Fällen ein leichtes Trauma vorangegangen ist, ist meist nicht festzu¬ 
stellen; notwendig ist es bei einem solchen Befunde nicht. Für die 
Ruptur der Aorta ascendens im jüngeren Alter liegt die Ursache 
nicht so selten in angeborener Stenose oder Atresie des Isthmus. 
Es wurden zwei (genauer in der Vierteljahrsschrift für gerichtliche 
Medizin, 1912, beschriebene) Präparate gezeigt; nämlich a) Herz eines 
33 Jahre alten* tuberkulösen, arbeitenden Mannes, der nach ganz kurzem 
Unwohlsein gestorben war. Totale Isthmusatresi^ ,an typischer Stelle, 
gut walnussgrosses, älteres kugeliges Aneurysma dissecans dicht über 
den Klappen, das ins Pericard durchgebrochen war; ausgebildete 
Collateralen; keine Dilatation oder Hypertrophie des jHerzens; unebene 
Intima der Aorta ascendeös und chrpoische Mesoaortitis. . b) Herz eines 
27 jährigen Güterbodenarbeiters der Eisenbahn, der jahrelang beschwerde* 
frei gearbeitet hatte, plötzlich nach dem Mittagessen erkrankte und nach 
lVz Stunden starb. Stenose des Isthmus oberhalb der linken Subclavia 
von 1 mm Weite und sofort eine zweite von 4 mm unterhalb der Sub¬ 
clavia. Starke Dehnung der nahezu glatten Aorta ascendens, in ihr 
einige Centimeter über den Klappen ein grosser Querriss; Abreissung 
der rechten Coronararterie; starke Hypertrophie des linken Ventrikels; 
Klappenanomalien; offenes Foramen ovale. Die kongenitale Stenose be¬ 
dingt zweifellos, wie auoh in diesen Fällen die sekundären Verände¬ 
rungen an der Aorta oder dem Herzen beweisen, trotz Collateralbildung 
eine Ueberbeanspruchung und disponiert zu früherem Tode, allerdings 
nicht nur infolge Ruptur. Dies zeigt auch ein Herz eines l 1 /* jährigen 
kräftigen Knaben mit starker Isthmusstenose, der einer ganz leiohten 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Bronchitis plötzlich erlag. Ausser einem ausgeheilten Niereninfarkt fand 
sich bedeutende Hypertrophie beider Ventrikel; besonders aber des 
rechten mit Stauung im grossen und kleinen Kreislauf. Die histologische 
Untersuchung hat übrigens auch in der Aorta dieses Kindes wie in denen 
der Erwachsenen keine Veränderungen nachweisen können, die als fehler¬ 
hafte Anlage gedeutet werden könnten. Die Befunde sind vielmehr, wie 
auch die von Moriand und Babes und Mironescu beschriebenen, 
einfacher als Folgen der Drucksteigerung aufzufassen. Warum im 
Einzelfalle Dehnung mit totaler Ruptur oder dissecierendes, lange trag¬ 
bares Aneurysma oder Anpassung und dann Tod an sekundären oder 
intercurrenten Erkrankungen erfolgt, ist bisher nicht aufgeklärt. Pro¬ 
phylaktisch dürfen aber Personen, bei denen, wie bei dem Güterboden¬ 
arbeiter, die Anomalie diagnostizierbar war, nicht zu schwerer körper¬ 
licher Arbeit angenommen werden. Erliegen sie der Ruptur, so ist der 
Arbeitgeber nach Ansicht des Vortr. wenigstens teilweise entschädigungs¬ 
pflichtig. 

Diskussion. 

Hr. Benda hält die Annahme, dass die Media zuerst einreisst, für 
nicht ganz zutreffend, da man neben dem Haupteinriss ältere kleinere 
Einrisse von der Intima ausgehend findet. Bezüglich der Aetiologie 
kommen viele Fälle von Aortenruptur ohne Trauma vor, wohl ist oft ein 
Trauma bei disponierter Aorta das ursächliche Moment. Benda erwähnt 
den Fall von zwei Gasarbeitern, die bei Rohrarbeiten durch Gasver¬ 
giftungen umfielen; intensive Sauerstoffinhalation, Aortenruptur. Hier 
war die Druckerhöhung durch die Atmung causales Moment. Ebenso in 
folgendem Falle. Eine Frau fiel in der Stube bei gewöhnlicher Be¬ 
wegung um, lag unter Angina peotoris-Erscheinungen da. Vornahme 
künstlicher Atmung. Exitus. In fünf Jahren hat Benda drei Fälle 
von Aortenruptur gesehen. Oft wird der Riss übersehen, wenn man an 
dieser Stelle das Gefäss gerade einschneidet. 

6. Hr. L. Bürger zeigte an der Hand von 40 farbigen Photographien 
die Bedeutung dieser für die Medizin und speziell für sein Spezialfach, 
die gerichtliche Medizin, so z. B. für die Identifizierung von Personen, 
speziell Ertrunkener. Blutbesudlungen und Blutspuren, die für die ge¬ 
richtliche Medizin von grosser Bedeutung sind, werden durch die farbige 
Photographie ausgezeichnet wiedergegeben, ebenso Blutunterlaufungen, 
ferner Verbrennungen verschiedener Grade, endlich die Ausdehnung des 
Pulverschmauches und der Pulvereinsprengungen bei Schussverletzungen, 
die ja auch eine grosse Rolle spielen. Auch pathologisch-anatomische 
Präparate, deren Konservierung in natürlichen Farben nur schwer gelingt, 
wie z. B. Cyankalimagen, liefern gute Lumierebilder. Bei forensischen 
Blutuntersuchungen geben die für Blut charakteristischen Spektren, die 
Blutkristalle usw., die sich zum Teil schlecht längere Zeit konservieren, 
gute Lumierebilder. Für den Unterricht sind diese Bilder, wie in allen 
Zweigen der Medizin, besonders in der gerichtlichen Medizin von grossem 
Wert. 


Physiologische Gesellschaft zu Berlin. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 21. Februar 1913. 

Hr. Boruttau: 

Ueber gegenseitige Beziehungen der Wirkungen von Adrenin nnd 
Infandibularextrakt. (Nach Versuchen des Herrn Dr. Niculescu). 

Die Verstärkung der blutdrucksteigernden Wirkung des Adrenins 
durch vorherige Injektion von Infundibularextrakt und umgekehrt 
(im Sinne der gegenseitigen Sensibilisierung, die Kepinoff beschrieben 
hat) ist ein am Kaninchen regelmässig zu erhaltendes Versuchsergebnis. 
Bei gleichzeitiger Injektion geeigneter Dosen wird eine starke und sehr 
langdauernde Biutdrucksteigerung erhalten, während die dem Infundibular¬ 
extrakt eigene anfängliche Blutdrucksenkung nebst Aussetzen der Herz¬ 
tätigkeit wegfällt. 

Zur Untersuchung der gegenseitigen Beziehungen der Uteruswirkung 
wurde der ausgeschnittene Meerschweinchenuterus verwendet, bei welchem 
Adrenin auch in stärkster Verdünnung nur Erschlaffung hervorruft. Iq- 
fundibularextrakt macht dagegen Kontraktion. Es konnten hier Dosen 
ermittelt werden, bei deren Kombination beide Wirkungen zunächst sich 
das Gleichgewicht halten; allmählich tritt aber Tonuszunahme ein, zum 
Zeichen, dass die Infundibularextraktwirkung auch hier von längerer 
Dauer ist als die Adreninwirkung. Viel intensiver als Infundibular¬ 
extrakt wirkt Imidazoläthylamin, welches, in zehnfacher Dosis mit Adrenin 
gleichzeitig wirkend, immer noch steilen Tonusanstieg bewirkt. Mutter¬ 
kornextrakte bewirken neben etwas Tonuszunahme hauptsächlich Ver¬ 
stärkung der rhythmischen Bewegungen. 

(Die ausführliche Veröffentlichung erfolgt an anderer Stelle.) 


Berliner ophthalmologische Gesellschaft. 

Sitzung vom 13. März 1913. 

Hr. WEtzold: 1. Amyloid der Conjonctiva tarsi. 

Vorstellung einer 50jährigen Frau, die vor 6 Jahren in Posen an 
Trachom erkrankte und nahezu 2 Jahre deswegen behandelt wurde. 
Vor 3 Tagen trat sie wegen Tränenträufeln links und Schwere der Lider 
in poliklinische Behandlung. Die Conjunctiva tarsi zeigt beiderseits, 
links stärker als rechts, eine bis zu 6 mm dicke graugelbliche, glasige, 


Nr. 17. 


tumorartige Beschaffenheit von derber Konsistenz nebst glatter Ober¬ 
fläche und bricht beim Ektropionieren querdurch; massig starke Narben¬ 
bildung ist damit verbunden. Während das Plasmom mehr sulzig, ge¬ 
lappt und ausgebuckelt ist, ebenso wie das Granulom und Sarkom, die 
differentialdiagnostisch in Betracht kommen, handelt es sich im vor¬ 
liegenden Falle um Amyloid der Conjunctiva An mikroskopischen 
Präparaten werden die genannten Erkrankungsformen demonstriert. 

2 . Elephantiasis phlebectatica. 

Ein 14 jähriger Junge, der in seinem 8. Lebensjahr mit ausser¬ 
ordentlich starker Schwellung des rechten Ohres erkrankte, begann bald 
darauf über Schwellung der Lider zu klagen, an die sich im Laufe der 
Jahre eine immer mehr zunehmende, entstellende, teigige Schwellung 
des ganzen Gesichtes über Nase und Lippen hin anschloss. Die Um¬ 
gebung der Augen ist zurzeit bretthart, zum Teil narbig. Ulcera, 
Lupus haben nie bestanden. Die Ränder der knöchernen Orbita sind 
infolge periostitischer Prozesse stark verdickt und verbreitert. Die 
Orbicularis oris ist derb infiltriert und lässt an den Mundwinkeln 
kirschgrosse, harte Knoten durchfühlen. Starke Erweiterung der Venen 
im Bereich der erkrankten Gesichtsabsohnitte legen die Diagnose 
Elephantiasis phlebectatica nahe. Aetiologie unbekannt. 

Hr. Meissner: Seleralabseess. 

Vor etwa 10 Tagen kam ein etwa 50 jähriger Herr zur Beobachtung 
mit der Angabe, dass seit 2 Tagen sein rechtes Auge angeschwollen 
sei. Die Lider waren leicht geschwollen, es bestand starke gemischte 
Iojektion des Bulbus und Chemosis der Bindehaut. Etwa im vertikalen 
Meridian am Limbus war eine leichte circumscripte Schwellung der 
Sclera, etwa halbpfennigstückgross, unter der Conjunctiva zu bemerken. 
Das Auge war stark licht- und druckempfindlich, im übrigen aber 
normal. Es wurde Scleritis diagnostiziert, nach der Aetiologie, besonders 
nach Lues oder Tuberkulose gefahndet. Für beide fand sich anamnestisch 
kein Anhaltspunkt. Die Temperatur war normal; Wassermann negativ; 
auch bei Injektion von >/a ccm Tuberkulin 1:10000 keine örtliche oder 
Allgemeinreaktion. Nach 2 Tagen, ehe die zweite Tuberkulininjektion ge¬ 
macht war, wurde eine etwa erbsengrosse Prominenz an der eben er¬ 
wähnten Stelle deutlicher und bildete sich central eine gelblich durch¬ 
schimmernde Nekrose heraus; es lag also ein Abscess der Lederhaut 
vor. Es entleerte sich bei der Inzision Eiter, in dem im Ausstrich sowie 
in der Kultur Staphylococcus aureus in Reinzüchtung nachgewiesen 
wurde. Der Seleralabseess ist jetzt ausgeheilt. Augenscheinlich hat 
man es mit einer Metastase zu tun. Die Erreger können nur auf dem 
Wege der Blutbahn hingelangt sein. Der Abscess liegt gerade in der 
Gegend, wo die vorderen Ciliargefässe die Lederhaut durchdringen, und 
es ist wohl eine Embolie dort anzunehmen. 

Der Ausgangspunkt für die Septikämie dürfte in einer gleichzeitig 
bestehenden Cystitis und Prostatitis liegen, auch im Urin konnten die¬ 
selben Erreger nachgewiesen werden, dagegen verlief eine Aussaat aus 
dem Blut negativ. Für eine zeitweise Anwesenheit der Mikroorganismen 
sprach aber auch der Umstand, dass ein Tag nach der Scleritis ein 
ziemlich grosser Furunkel am Gesäss auftrat. 

Hr. Adam: 

Ueber funktionelle Nachbehandlung nach Schieioperationen. 

• Bei dem Bestreben, das Schielen durch Uebungen zu heilen, ist 
das Gebiet der funktionellen Nachbehandlung nach der Operation in den 
Hintergrund getreten. Die operative Behandlung beseitigt nur einen 
Teil der Störungen, die in ihrer Gesamtheit den Begriff des Schielens 
ausmachen. Mit der Konstatierung und Beseitigung der Schieistellung 
ist das Wesen des Strabismus durchaus nicht erschöpft, es bestehen 
vielmehr noch eine Reihe von sensorischen Störungen, die auch nach der 
Operation sich noch bemerkbar machen und deren Beseitigung die Auf¬ 
gabe der funktionellen Nachbehandlung ist. Diese sensorischen 
Störungen sind: 

1. Die falsche Lokalisation. Diese wird allerdings durch die 
Operation in den meisten Fällen beseitigt, doch bleiben immerhin noch 
etwa 2pCt. übrig. 

2. Die Herabsetzung der Sehschärfe. Diese muss durch ge¬ 
eignete Seh- und Leseübungen gebessert werden. Es gelingt dies zu¬ 
weilen in ganz überraschendem Maasse. Vom Fingerzählen in 2 Metern 
steigt die Sehschärfe häufig bis S = s /i 5 * 

3. Die Exklusion des Schielaugenbildes. Diese kann am 
besten durch das Amblyoskop beseitigt werden. Hier bieten die Fälle 
von Strabismus altemans häufig eine ganz besondere Schwierigkeit, da 
sie eine regionäre Exklusion der Maculagegend bieten, die durch 
Uebungen häufig nicht zu beseitigen ist. 

4. Die mangelhafte Fusion. Diese kann durch stereoskopische 
Uebungen so gebessert werden, dass in etwa 80pCt. aller Fälle ein 
binoculares Einfacbsehen erzielt wird. Binoculare Tiefenwahrnehmung 
wird aber nur in etwa 20pCt. der Fälle möglich gemacht. 

Erst nachdem diese sensorischen Störungen beseitigt sind und 
nachdem das Fusionsvermögen angeregt ist, kann man hoffen, dass der 
durch die Operation erzielte Effekt auch dauernd bestehen bleibt Nur 
Operationen in Verbindung mit funktioneller Nachbehandlung garantieren 
einen dauernden Erfolg. Kurt Steindorff. 


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28. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


797 


Medizinische Sektion der schlesischen Gesellschaft Ihr Tater- 
ländische Kultur zu Breslau. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 14. Februar 1913. 

Vorsitzender: Herr Ne iss er. 

Schriftführer: Herr Röhmann. 

1. Hr. R. Meissner: 

Ueber die Bindang des Arscnwasserstoffes in Blut. 

In Anlehnung an eine vonLockemann, Reokleben und Eokardt 1 ) 
ausgearbeitete qualitative Arsenwasserstoffanalyse versucht Verf. der Be¬ 
antwortung der Frage näher zu kommen, zu welchen Bestandteilen des 
Blutes Arsenwasserstoff die grösste Affinität habe, zu den Lipoiden (wie 
Aether und Chloroform), zum Serum, zum Stroma oder zum Hämoglobin. 
Die hier in Frage kommenden Blutbestandteile wurden rein dargestellt 
und in demselben Verhältnis, wie sie im Blute vorhanden sind, in ge¬ 


eigneten Flüssigkeiten gelöst oder suspendiert. Für die Lipoide werden 
folgende Werte erhalten: 

1. Reines Chloroform band.32,7 pCt. 

Chloroform -}- Cholesterin band . . . 33,3 „ 

„ 4" Lecithin band .... 31,3 „ 

2. Reine Gummisuspension band . . .71,0 „ 

Gummisuspension + Lecithin band . . 71,0 „ 

„ -j- Cholesterin band . 64,0 „ 

3. Physiol. NaCl-Lösung band .... 63,0 „ 

„ „ + 20 g Menschen¬ 
hirnbrei band.65,0 „ 

4. Reiner Aether band.92,0 „ 

Aether 4~Cholesterin4~Lecithin -f- Fett¬ 
säuren 4" Fette band.91,0 „ 


Nach diesen Zahlen besitzen Lipoide kein starkes Bindungsvermögen 
zu AsHg 8 . Ebenso verhielt sich Serum und Stroma (in den verschiedensten 
Konzentrationen) Dagegen ergab reines Hämoglobin (nach Hoppe- 
Seyler dargestellt und von Merck bezogen) in wiederholten Analysen 
folgende Zahlen: 

Reine physiologische NaCl-Lösung band.44pCt. 

NaCl (0,92pCt.) 4" Hämoglobin in normalenMengen band 82 „ 

Diese Werte zeigen deutlich, dass im Blute das Hämoglobin allein 
den Arsenwasserstoff energisch zu binden vermag. 

Es konnte ferner festgestellt werden, dass die Hämatincomponente 
des Hämoglobins — wie bei der CO-Intoxikation — auch bei der AsH 8 - 
Vergiftung stark beteiligt ist; denn Hämatin vermag AsH 8 stark zu ab¬ 
sorbieren, wie folgende Zahlen lehren: 

Reine NaH (1: 500) band.70 pCt. 

Reines Hämatin (nach Küster) zu 0,1 pCt. 
in NaOH 1:500 gelösst band . . . . 96 „ 

Auch die Gegenwart des Eisens scheint bei dieser Bindung nicht 
ohne Bedeutung zu sein, da im Vergleich zum Hämatin das eisenfreie 
Hämatoporphyrin (rein nach Esohbaum) 23 bis 26pCt. in den gleichen 
Konzentrationen weniger absorbierte. 

Verschiedene Blutarten untereinander in ihrer Absorptionsenergie, 
gegenüber dem AsH 8 verglichen, zeigen keine wesentlichen Differenzen. 
Galle band etwas weniger als Blut. 

Eine grössere Reihe Entgiftungsversuche führten deshalb nicht zum 
Ziele, weil AsH 8 im Blute sehr schnell in eine andere As-Verbindung 
umgewandelt wird. Vergiftet man Tiere mit AsH 8 und infundiert ihnen 
darauf schnell eine in vitro stark AsH 8 bindende Substanz, so wirkt 
dieselbe im Tierkörper nicht AsH s entgiftend, weil freies AsH 8 hier schon 
nach ganz kurzer Zeit nicht mehr vorhanden ist. Denn dieses Blut gibt 
keine Reaktion auf AsH 8 . Fügt man ihm aber ein reducierendes Agens 
(H 2 aus HCl 4“ Zn) zu, so entsteht wieder freies AsH 8 . Da ein Re¬ 
duktionsmittel zur Wiederherstellung unseres Gases hier nötig ist, so 
wird es beim Zusammentreffen mit Blut möglicherweise in irgendeine 
Oxydationstufe übergeführt. 

Dieser Prozess: Aufnahme, Bindung und Ueberführung des AsH 8 
im Blute in diese noch nicht analysierte As-Verbindung geht sehr schnell 
vor sich; ich möchte ihn als erste Phase der AsH 8 -Intoxikation be¬ 
zeichnen. 

Die zweite verläuft langsamer: sie endet mit der Hämolyse. Die 
Arsenwasserstoffhämolyse hat zwei auffallende Symptome: 

1. Sie wird erst nach längerer Zeit sichtbar. 

2. Sie tritt nur bei bestimmten AsHg-Konzentrationen ein. 

Setzt man eine hämolytische Sk^la ah, so zeigt "sich beim Hinzu¬ 
fügen ganz geringer AsH 8 -Mengen keine Hämolyse und keine Verfärbung 
des Blutfarbstoffe; bei den folgenden AsH„ - Konzentrationen tritt 
Hämolyse ein, teils ohne, teils mit Verfärbung. Beim Zusatz von 
noch mehr AsH 8 tritt keine Hämolyse mehr ein; der Blutfarbstoff wird 
jetzt unter Verfärbung (graubraun-graugrün) völlig gefällt. 

Diese Farbenveränderung erinnert an die Erscheinungen, die man 
keim Zusammentreffen von Blut und SH* beobachtet. Der sich hierbei 
bildende Körper, das Sulfmethämoglobin, hat ein typisches Spektrum. 
Auch Arsenwasserstoff gibt mit Blut ein konstantes Spektrum, wenn man 
AsH 8 im Ueberschuss hinzufügt. Man erhält es am besten, wenn man 
einen Tropfen Blut, Blutkörperchenbrei oder Hämoglobin mit 10 bis 
15 ccm physiologischer Kochsalzlösung mischt, die AsH 8 in grosser Menge 

1) Zeitsehr. f. analyt. Chemie, Bd. 46, S. 671. 


absorbiert hat. Es tritt dann ausser einem Streifen (reduziertes Hämo¬ 
globin) oder zwei Streifen im Grün (Oxyhämoglobin) noch ein Streifen 
im Rot konstant auf. 

Diskussion. 

Hr. Pohl: Die Gesamtwirkung des Arseniks wird vielfach dahin 
zusammen gefasst, dass man sagt, er sei ein Protoplasmagift, das heisst 
nicht viel mehr als er wirkt, weil er wirkt. Gegenüber dieser Phrase 
scheint es mir ein wirklicher Fortschritt, dass in der Arsengruppe als 
Ursache einer cellulären Wirkung — hier die Schädlichkeit des Arsen¬ 
wasserstoffes für das rote Blutkörperchen — eine chemische Reaktion, 
eben die Affinität zwischen dem Eisenkern des Hämoglobins und dem 
Arsenwasserstoff andererseits, festgestellt ist. 

2. Hr. Eiseiiberg: 

lieber sogenannte Mutationen (Sprungvariationen) bei Bakterien. 

Die Erblichkeits- und Variationserscheinungen bei Bakterien sind nicht 
ohne weiteres mit denjenigen bei höheren Lebewesen zu analogisieren, 
da hier zunächst der Generationsbegriff ein ganz anderer ist. Es darf 
eine Zellgeneration der Mikroben nicht einer Individualgeneration der 
Vielzelligen gleichgestellt werden, sondern nur eben einer Zellgeneration 
in ihrer Entwicklung — ein Correlat einer Individualgeneration eines 
höheren Lebewesens, die viele Zellgenerationen umfasst, wäre auch erst 
in einer Reihe von Zellgenerationen bei Bakterien zu suchen, also etwa 
in einer Agar- oder Bouillonpassage. Das Fehlen der Amphimixis, die 
sehr beschränkte Möglichkeit, Eigenschaften einzelner Keime zur Anschauung 
zu bringen, die ungenügende Kenntnis der biologischen Bedeutung vieler 
Merkmale sind alles Faktoren, die eine gesonderte Betrachtung dieser Er¬ 
scheinungen bei Bakterien und grosse Vorsicht bei ihrer Anreihung an 
sonstige Variationserscheinungen geboten erscheinen lassen. 

Eine Sonderstellung kommt zweiffellos der Erscheinungsgruppe des 
B. coli mutabile zu, die wegen ihres ausgesprochen adaptiven Charakters 
am besten vielleicht als sprungweise Adaption bezeichnet wird. Ob bei 
der Entstehung der anderen „Mutationen“ adaptive Vorgänge mit im 
Spiele sind, lässt sich zurzeit kaum entscheiden, da wir über die bio¬ 
logische Bedeutung des Wachstums in längeren oder kürzen Verbänden, 
der Sohleimproduktion, der verschiedenen Bakterienfarbstoffe, der tryp- 
tisohen Fermente (Gelatinasen), der vermehrten Tyrosinbildung, der Fähig¬ 
keit zur relativen Anaerobiose und anderer Merkmale, die die zutage 
tretenden Unterschiede bedingen, nur mangelhaft oder gar nicht unter¬ 
richtet sind. Eine sprungweise Entstehungsweise sensu strictissimo, d. h. 
ein Umschlag von einer Zellgeneration zur anderen, ist bis jetzt nur in 
einem Fall festgestellt worden, nämlich bei Aussaat aus jahrelang auf¬ 
bewahrten Milzbrandsporenfäden wachsen neben typischen sporogenen 
Kolonien auch atypische asporogene — hier hat die Umstimmung wohl 
eine lange Zeit beansprucht. — aber nur eine einzelne im Zustand 
latenten Lebens befindliche Generation betroffen, unter Ausschluss von 
Vermehrung und Wachstum. 

Die Konstanz der resultierenden Formen ist eine recht verschiedene; 
es gibt solche, die monatelang in successiven Passagen den einmal er¬ 
worbenen Typus festhalten, es gibt welche, die nach Tagen bis Wochen 
einen teilweisen Rückschlag zur Vorsprungsform aufweisen, es gibt ferner 
auch solche, die immer wieder rückschlagen und nur durch ständige 
Auslese festzubalten sind („Ever sporting varieties“). Endlich bekommt 
man ab und zu quasi eruptive Perioden zu sehen, wo binnen kurzer 
Zeit immer neue Formen zum Vorschein kommen. Also eine gewisse 
Analogie zu den „Mutationsperioden“ von De Vries. 

Was die Ursache der beobachteten Umschläge betrifft, stehen wir 
erst am Anfang der Forschungsarbeit und können meist kaum über Ver¬ 
mutungen hinaus. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Stoffwechselvorgänge 
dabei eine hervorragende Rolle spielen, daneben wohl auch die Art der 
Sauerstoffzufubr, der Wassergehalt des Mediums, die darin enthaltenen 
Salze, osmotische Verhältnisse usw. Die Versuche, willkürlich durch be¬ 
kannte Faktoren den Typus umzuprägen (Sei ff er t, Penfold undVortr., 
Erzeugung asporogener Mutanten beim Milzbrandbacillus durch Kultur 
auf Glyoerinagar oder bei 42 0 C), werden bei weiterem Ausbau vielleicht 
erlauben, in den Mechanismus dieser Vorgänge tiefer einzudringen, und 
stellen wohl die wichtigste Aufgabe zukünftiger Forschung auf diesem 
Gebiete dar. 

Es wird augenblicklich wohl kaum möglich sein, die Bedeutung ab¬ 
zuschätzen, die die in Rede stehenden Spaltungsvorgänge für die'Frage 
nach der Entstehung neuer Bakterienarten besitzen. Wenn auch eine 
grosse" Anzahl der beschriebenen Erscheinungen Verlustvariationen dar- 
stelleri und zweifellose Fälle von Auftreten ganz neuer Eigenschaften noch 
nicht ganz sicher festgesteilt sind, so sei doch c^e Möglichkeit soloher 
durchaus nicht auszuschliessen. .Es verdient betont zu werden, dass in 
manchen Fällen nicht ein Merkmal, sondern eine Gruppe von verschiedenen 
Merkmalen correlative Abänderung zeigt, sodann aber, dass die in 
unseren Kulturen auftretenden Varietäten zum Teil mit solchen über¬ 
einstimmen, die an natürlichen Standorten gefunden werden. Jedenfalls 
wird die genaue Erforschung der Variationsbreite jeder Spezies zur 
exakten Artumgrenzung und zur Erkenntnis verwandschaftlicher Be¬ 
ziehungen zwischen den Bakterien manches beitragen können. Praktisch 
wird uns dadurch die Möglichkeit gegeben, vorkommendenfalls auch 
atypische Formen richtig zu diagnostizieren. Anderseits wird angesichts 
der grossen Plastizität der Bakterien grosse Vorsicht geboten bei Be¬ 
nutzung von Elektivnährboden, die durch ihre spezifischen Zusätze lelfeht 
wichtige Aenderungen der auf ihnen gezüchteten Bakterien bewirken, ander¬ 
seits aber manche atypische Föhnen unterdrücken können. 


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798 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 17. 


Im Anschluss an die Ausführungen wurden verschiedene Abarten 
von Cholera Vibrionen, B. prodigiosum, B. Kieliense, B. pyooyaneum, 
B. fluorescens liquef. und non liquef., B. violaceum, Sarcina t e tragen a, 
Kapselbakterien, ein eigener Stamm von B. typhi mutabile demon¬ 
striert. 


Klinischer Abend vom 21. Februar 1913. 

Vorsitzender: Herr Harttung. 

Hr. Groenouw stellt einen 21 jährigen Kranken vor, dem vor fünf 
Wochen ein Fibrosarkom der Augenhöhle mittels der Kroenlein’schen 
Operation entfernt wurde. Die früher vorhandene Stauungspapille ging 
zurück, das Auge besitzt jetzt Vs Sehschärfe. 

Hr. Harttung demonstriert einige Fälle von Lues des Schädels. 
1. Eine periost-ostale Erkrankung am Stirnbein aus dem Frühstadium, 
die mit schweren Störungen einhergeht und sich auf jede Behandlung, 
auch auf das Salvarsan, als refraktär erweist. 

Der Vortr. betont dabei die Notwendigkeit eventueller chirurgischer 
Eingriffe bei diesen Knochenherden, die für die allgemeine Therapie 
schwer zugänglich seien. Das beweisen auch der 2. und 3. Fall, die 
gleichfalls vorgestellt werden, und bei denen es sich um dieselbe Er¬ 
krankung im Spätstadium handelt. Beide haben sich zu schwerer Zer¬ 
störung der Knochen entwickelt und beide sind der allgemeinen Be¬ 
handlung insofern nicht zugänglich, als das örtliche Leiden durch die 
Allgemeintherapie so gut wie gar nicht beeinflusst wird. Fall 2 ver¬ 
weigert eine lokale Behandlung, ln Fall 3 ist der Krankheitsherd aus- 
gemeisselt und die Dura abgekratzt worden. Es hat sich aber eine 
neue Sequestration in der Bandzone entwickelt. 

Hr. Harttang demonstriert an Stelle des erkrankten Hrn. Urban 
unter Vorzeigung mikroskopischer Präparate und mehrfacher Lumiere- 
Photogramme eine Anzahl von Fällen von Hauttnberknlose* 

Der Vortr. geht dabei auf die Stellung der sogenannten Tuberkulide 
ein. Er zeigt 1. einen Fall von Scrofuloderm neben drei Fällen von 
Erytheme Bazin, 2. zwei Fälle von Tuberculosis verrucosa cutis, 3. zwei 
Lichen scrofulosorum in der Reaktion, 4. einen Folliclisfall, 5. ein Boeck- 
sches Sarkoid, 6. zwei Lupus erytheraatodes-Fälle, 7. einen Fall von 
Acnitis Barthölemy. Schliesslich zeigt der Vortr. noch einen Fall von 
serpiginösem Lupus neben einem tuberösen Syphilid von fast gleicher 
Ausdehnung, unter Hervorhebung der differentialdiagnostischen Momente. 

Hr. Leopold: Ueber Nerven Symptome bei Frühlies. 

50 Fälle von frischer Lues I und II wurden an der Hautabteilung 
des Allerheiligenhospitals zu Breslau (Prof. Harttung) vor der Behand¬ 
lung genau auf Nervensymptome untersucht and lumbalpunktiert. Das 
Lumbalpunktat wurde auf Nonne-Spelt’sche Reaktion, Wassermann’sche 
Reaktion und auf Spirochäten geprüft, der Eiweissgehalt nach Essbach 
wurde festgestellt und die Zahl der Lymphocyten im Kubikzentimeter 
mit der Fuchs-Rosenthal’schen Zählkammer ausgezählt. 

Unter 40 Fällen von sekundärer Lues fand sich 25 mal ein positives 
Lumbalpunktat, unter 10 Fällen primärer Lues 5 mal ein positives 
Lumbalpunktat. Die genaue Untersuchung des peripheren Nerven¬ 
systems ergab 7 mal positives Babinski’sches Phänomen, in 10 Fällen 
positives Oppenheim’sches Phänomen, 6 mal Pupillendifferenz, 6 mal 
Romberg’sehes Phänomen, 12 mal Fuss- oder Patellarclonus, 4 mal 
Sensibilitätsstörungen. An subjektiven Nervensymptomen fanden sich in 
10 Fällen Kopfschmerz, Schwindel und Ohrensausen. Auffallend waren 
bei allen Patienten die lebhaften und zum Teil gesteigerten Periost- 
Sehnenreflexe. Die stärksten positiven Nervenbefunde fanden sich bei 
den Fällen mit auch sonst stark ausgesprochenen Luessymptomen. Die 
Untersuchungen bestätigen die Ansicht Ravaut’s, der die frische Lues 
für eine Art Septikämie hält, welche mit Vorliebe die äussere Haut und 
das Nervensystem befällt. Die Affektion des Nervensystems dokumentiert 
sich einerseits durch den pathologischen Liquor, andererseits durch die 
oben beschriebenen mehr oder weniger starken Veränderungen im peri¬ 
pheren Nervensystem. 

Hr. Wallfi8eh stellt zwei Fälle von Spatexanthemen nach intra¬ 
venöser Salvarsaninjektion vor. In dem ersten Falle handelt es sich 
um eine Patientin, die 8 Tage nach einer Injektion von 0,4 Salvarsan 
unter Schwellung der Halsdrüsen, Magen, Kopfschmerzen und Erbrechen 
von einem maculösen Exanthem am Stamm, den Extremitäten und im 
Gesicht befallen wurde. Gleichzeitig bestand eine geringe Schwellung 
der Lider, der Lippen und eine leichte Cyanose des Gesichts. 

Bei der anderen Patientin trat 8 Tage nach einer Injektion von 
0,3 Salvarsan unter allgemeinem Unwohlsein, Schnupfen, Kopfschmerzen, 
Gelenkschmerzen, Druckgefühl in den Augen ein an den Unterarmen 
beginnendes Exanthem auf, das sich bald über den ganzen Körper ver¬ 
breitete und nach seinem Aussehen so sehr an Masern erinnerte, dass 
im Verein mit dem Schnupfen und der Conjunctivitis die Differential¬ 
diagnose Morbilli ernstlich in Betracht kam. 

Hr. Wallfisch stellt einen Fall von Fernlhronbose nach intra¬ 
venöser Salvarsaninjektion vor. 

Im Laufe von 8 Tagen nach einer intravenösen Salvarsaninjektion 
in die Vena media cubiti entwickelte sich ein Abscess auf dem Musculus 
vastus latus, der dasselbe Bild darbot, das früher bei Abscessen nach 
intramusculärer Salvarsaninjektion beobachtet wurde. 

Da die von dem Abscessinhalt angelegten Kulturen steril blieben, 
andererseits aber As chemisch in ihm nachgewiesen wurde, kann nur 


angenommen werden, dass das Salvarsan auf embolischem Wege diese 
Nekrose ausgelöst hat. 

Hr. Braendle berichtet über günstige Erfahrungen, die mit Röntgen¬ 
bestrahlungen allein, bzw. in Kombination mit Quarzlichtbestrahlungen 
bei taberknlösen Affektionen der Knochen, Gelenke nnd Drüsen er¬ 
zielt wurden. Die Beobachtungsresultate sind ähnlich denen, die aus 
der chirurgischen Klinik zu Basel von Iselin publiziert wurden. 

Die Röntgenbestrahlungen werden bei diesen Affektionen in Form 
der Tiefenbestrahlungen ausgeführt: Harte Röhre, grosse Focushaut¬ 
distanz, Filter 1 mm dickes Aluminium. Die Quarzlichtbestrahlungen 
werden mit der von Nagelschmidt angegebenen Modifikation der 
Kromayer’schen Quarzlampe gemacht. 

Die günstige Einwirkung der Bestrahlungen dokumentiert sich durch 
teilweise ganz erhebliche Gewichtszunahme der Patienten. Diese Ge¬ 
wichtszunahme tritt ein trotz der häufigen nach den Bestrahlungen ent¬ 
stehenden Temperatursteigerungen. 

Bei tuberkulösen Lymphomen wirken die Röntgenstrahlen ebenfalls 
bei den meisten Fällen sehr günstig, bei offener Drüsentuberkulose 
müssen nach Beobachtungen des Redners die Röntgenbestrahlungen mit 
Quarzlichtbestrablungen kombiniert werden. 

Hr. Mathmam stellt einen 39 jährigen Arbeiter mit einer Indaratio - 
pesis plastica vor, der in seiner Anamnese Gonorrhöe (1892) und Lues 
(1894) hat. Zwei antiluetische Kuren 1894 und 1900. 

November 1911 beobachtet Pat. ganz plötzlich eigentümliche Ver¬ 
härtungen in seinem Gliede, die bis heute unverändert geblieben sind 
und nie Schmerzen verursacht haben. Bei Erektion geringe Abweichung 
des Penis nach oben. Der Coitus wird ohne Schmerzen und Störungen 
vollzogen. Pat. bekam Jodkali intern. 

Status: Kräftiger Mann. 

Innere Organe gesund, ebenso das Nervensystem. Keine luetischen 
Symptome. Wassermann’sche Reaktion des Blutes negativ. 

Im linken Corpus cavernosum, dicht neben der Medianlinie ein 
bleistiftdicker derber Strang, der gegen die Glans zu allmählich in das 
Corpus cavernosum übergeht, gegen die Symphyse einen haselnussgrossen 
Knoten deutlich isolieren lässt. Von der Mitte des Stranges geht noch 
ein lakenförmiger Fortsatz nach abwärts. Die Penisschafthaut ist unver¬ 
ändert und zeigt normale Verschieblichkeit. 

Urin ist klar und enthält Flocken (mikroskopisch: Schleim, Leuko- 
cyten, keine Bakterien). 

Zucker und Eiweiss negativ. 

Urin centrifugiert: Plattenepithelien und spärliche Leukocyten. 

Die Urethra ist ohne weiteres für eine Sonde (Charriere Nr. 24) 
passierbar; endoskopisch lässt die Urethralschleimhaut nichts Patho¬ 
logisches erkennen. 

Es handelt sich hier um ein Induratio penis plastica. 

Alle durch lokal entzündliche und allgemeine Prozesse bedingten 
Indurationen lassen sich als ätiologische Faktoren ausschliessen, auch 
die Gonorrhöe, die etwa 20 Jahre zurückliegt, und die Lues. Es kämen 
hier nur gummöse Prozesse in Betracht. Die Konstanz der Affektion 
auch bei Jodtherapie spricht gegen einen gummösen, also luetischen 
Prozess. 

Die Aetiologie der Induratio penis plastica ist unbekannt. 

Histologisch ist auffallend die Aehnlichkeit des Bildes mit der 
Dupuytren’sohen Kontraktur, ferner das häufige Zusammentreffen mit 
Gicht. 

Die Prognose ist quoad sanationem infaust. Indes sind auch 
Fälle von Spontanheilung beobachtet (Jadassohn, Schaffer und 
Callomon. 

Die Therapie, lokale und allgemeine, ist machtlos, auch Fibrolysin- 
kuren. Die chirurgische Therapie ist auch erfolglos, da Recidive auf- 
treten. 


Sitzung vom 28. Februar 1913. 

Hr. Hin8berg: 

Ueber die medenen Fanktioisprüfangsmetkoden des Ohrlabyrintbs. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 


Aerztlicher Verein zu Hamburg. 

(Biologische Abteilung.) 

Sitzung vom 18. März 1913. 

1. Hr. Oehlecker: Ueber Nebennierentamoren. 

Zunächst referiert Vortragender über eine 36jährige Frau, die seit 
langer Zeit über anfallsweise Schmerzen in der rechten Bauchgegend, 
aber auch in der rechten Schulter klagte. Es fand sich ein Tumor, 
dessen Zugehörigkeit zur Niere durch Harnuntersuchung, Ureteren- 
catheterismus und „Pyelographie“ ausgeschlossen werden konnte. Die 
Operation ergab ein malignes Hypernephrom, ausgehend von der rechten 
Nebenniere. Zwei Tage später Exitus an Herzschwäche. Sodann geht 
Vortr. auf das klinische Bild der Nebennieren tu moren ein. Von den 
etwa 35 in der Literatur bekannten Fällen ist kein einziger vor der 
eventuellen Operation diagnostiziert. Die meisten werden überhaupt erst 
auf dem Sektionstisch gefunden. Ein weiterer Teil macht nur durch die 
Metastasen Symptome. In den übrig bleibenden Fällen ist die 
Differentialdiaguose gegenüber Nierentumoren oft unmöglich, zumal auch 


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28. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


799 


bei Nebennierengeschwülsten Hämaturie Vorkommen kann, sei es durch 
Uebergreifen des Tumors auf die Niere, sei es infolge Kompression der 
Nierenvene. Addison-Symptome fehlen stets. Es ist das geradezu 
charakteristisch und durch Erhaltenbleiben der in Betracht kommenden 
Zellen oder vikariierenden Ersatz zu erklären. Besonderen Wert legt 
Vortr. auf die Schulter sch merzen, die er bei den verschiedensten 
akuten Prozessen nahe dem Zwerchfell wiederfinden konnte und 
durch eine Reizung des Phrenicus erklärt, die auf die an der Ur¬ 
sprungsstelle (4.—5. Gervicalsegment) nahegelegenen, die Schulter 
innervierenden Nerven überspringt. Die operativen Erfolge sind durchweg 
unbefriedigend. 

Diskussion. 

Hr. Brauer fand das Symptom des Schulterschmerzes beim Ein¬ 
gehen mit einem Paquelin in einen bronchiektatisehen Abscess nahe 
dem Zwerchfell. Er weist auf die Analogie mit den Head’schen 
Zonen hin. 

Hr. Jacobsthal berichtet über einen Fall von Peritheliom der 
Nebenniere, bei dem sich ebenfalls Schulterschmerz auf der betreffenden 
Seite tand. 

Hr. Luce: Herr Oehleoker hält den Vergleich mit den Head’schen 
Zonen nicht für zutreffend. 

2. Hr. Brauer*. Ueber doppelseitigen Pneumothorax. 

Vortr. berichtet über einen Mann, der sich mit einer weitgehenden 
allgemeinen Anästhesie öffentlich produziert und bei dieser Gelegenheit 
eine Stichwunde des Thorax sich zuzog. Die Untersuchung ergab einen 
doppelseitigen Pneumothorax. Der Pneumothorax auch auf der nicht 
verletzten Seite hatte wahrscheinlich schon vorher bestanden. Weniger 
Wahrscheinlichkeit hat die Annahme einer pathologischen Kommunikation 
durch Oefinungen im Mediastinum für sich. Pat. kam (lediglich 
Morphiuminjektionen) mit dem Leben davon. Von den vielen sich hier 
ergebenden Fragen erörtert Vortr. hauptsächlich die des intrathoraken 
Druckes. Man muss drei Druckgebiete unterscheiden: erstens den im 
Alveolarbaum herrschenden, der dem Atmosphärendruck gleich ist; 
zweitens den Druck zwischen den beiden Pleurablättern, wo zwar, wenn 
man die beiden Pleurablätter voneinander trennt, ein negativer Druck 
herrscht, unter normalen Verhältnissen aber — wie sich durch be¬ 
sondere Versuchsanordnung sicher zeigen lässt — nicht; drittens den 
Druck im Mediastinum, der negativ ist. In der Ruhe kommt jedoch 
dieser negative Druck für die Aspiration des Bluts nicht in Betracht: 
was circulationsfördernd wirkt, sind die Atembewegungen, und dies 
fand bei dem Pat. in einer für das Leben genügenden Weise statt. 
Ausserdem bestand eine Scbluckstörung, die vielleicht in der Verringerung 
des negativen Druoks im Oesophagus ihre Erklärung findet. 

3. Hr. Sehottmüller und Lempe: 

Ueber anhämolytische Streptokokken. 

Vortragende haben gefunden, dass, wenn man anhämolytische Strepto¬ 
kokken in Blut — ohne Nährbodenzusatz — einsäte, diese nach 
24 Stunden in demselben abgetötet waren, während hämolytische sich 
rapide vermehrten. Dies lässt sich nicht anders als durch eine viel 
höhere Virulenz der letzteren gegenüber den Schutzstoffen des Bluts 
erklären, wodurch die Differenzierbarkeit der Streptokokken nach ihrem 
Verhalten auf Blutnährböden eine neue Bestätigung erfährt. Demon¬ 
stration entsprechender Kulturen. 


Sitzung vom 1. April 1913. 

Hr. Lippmann: 

Demonstration der Doehle’schen Lenkoeyteneinschl&sse beim Scharlaeh. 

Obwohl vieles für eine Protozoenätiologie beim Scharlach spricht, 
so ist diese doch immer noch nioht bewiesen. Ein einziges Mal hat 
Doehle eine Spirochäte im Blut gefunden, später nie wieder. Die von 
Doehle beschriebenen Leukocyteneinschlüsäe — die sich mit allen 
Blutfärbungen, mit Ausnahme der von Giemsa, darstellen lassen —, 
sind nicht spezifisch für Scharlach, kommen aber überwiegend häufig bei 
diesem vor, so dass ihr Fehlen bei einer scharlachverdächtigen Er¬ 
krankung gegen diese Diagnose sprach. Doch konnte Lippmann sie 
auch in einer Reihe leichter Scharlachfälle nicht nachweisen. Von Be¬ 
deutung ist der Parallelismus zwischen dem Vorkommen der Körperchen 
und dem Ausfall der Ehr lieh’schen Aldehydreaktion. Letztere fehlte 
in denselben Scharlaohfällen, in denen auch die Einschlüsse vermisst 
wurden. Beide kommen bei allen hochfieberhaften Prozessen vor und 
sind als Ausdruck des Zerfalls von Blutzellen zu betrachten. 

Diskussion. 

Hr. Paasohen fragt, ob der Vortr. bisweilen die Eiqsohlüsse 
von einem Hof umgeben fand. P. sah dies niemals und sohliesst 
daraus, dass es sich wohl weniger um phagocytäre Elemente handelt, 
als um Produkte der Leukocyten selbst. 

Hr. Lippmann fand auch in der Regel keinen Hof. 

Hr. Wohlwill: Ueber akute und chronische multiple Sklerose. 

Die Strümpell-Müller’sche Theorie von der endogenen Entstehung 
der multiplen Sklerose basiert bekanntlich auf der Annahme zweier 
wesensverschiedener Prozesse, der eigentlichen multiplen Sklerose resp. 
multiplen Gliose und der als Endprodukt disseminierter Entzündungs¬ 
prozesse auftretenden sekundären multiplen Sklerose. Zu letzterer 
rechnen sie auoh die sogenannten akuten Fälle. 

Vortr. will an Hand der Untersuchungsergebnisse in zwei akuten 
Fällen die Berechtigung dieser Trennung nachprüfen. Er demonstriert 


zunächst die histologischen Besonderheiten dieser Fälle und kommt dann 
zu folgenden Schlüssen bezüglich der Pathogenese: 

Die Beziehung zwischen Gefässsystem und sklerotischen Herden 
ist in die Augen springend. Auffallend ist, dass die Herde nicht den 
Capillarverbreitungsgebieten der Gefässe entsprechen. Wahrscheinlich 
sind lokale Circulationsstörungen dafür zu beschuldigen, dass die 
Herde an einer beliebigen Strecke des Gefässverlaufs auftreten. Dass 
die Infiltrations Vorgänge in den Gefässscheiden in so hohem Maasse 
maassgebend für den Prozess sind, dass die übrigen Vorgänge am 
Nerven- und Gliagewebe von ihnen abhängig sind, ist nicht wahr¬ 
scheinlich, weil diese zellige Infiltration der Gefässscheiden an den für 
den Herd in Betracht kommenden centralen Gefässen nicht aus¬ 
gesprochener ist, als an den übrigen Gefässen innerhalb des Herdes, 
und sie auch an frischen Herden nicht ausnahmslos angetroffen wird. 

Die Gliaproliferation kann nicht als reine Ersatzwucherung 
nach dem Markscheidenzerfall aufgefasst werden, weil sie sehr früh auf- 
tritt und z. B. über das bei sekundärer Degeneration gesehene hinaus¬ 
geht, auch an Stellen auftritt, wo Markzerfall nicht nachweisbar ist. 
Umgekehrt kann aber auch der letztere nicht durch eine erdrückende 
Wirkung der proliferierenden Glia erklärt werden, da es hierfür völlig 
an Analogien fehlt, und da Herde auch ohne Wucherung faseriger Glia 
auftreten (periphere Nerven, Grosshirn-, Kleinhirnrinde). Wenn in der 
Peripherie der Herde Gliawucherung bei noch intaktem Mark gefunden 
wird, so ist das als einfaches Ueber-das-Ziel-schiessen der Gliareaktion 
erklärlich. Schwer verständlich aber wäre, wenn die erdrückende 
Wirkung der wuchernden Glia das Maassgebende wäre, dass diese 
Wirkung — wie sich am Markscheidenbild ergibt — plötzlich mit so 
scharfer Grenze aufhört. Endlich kommt die so verschiedenartige Anlage 
der Glia in der grauen und weissen Substanz in Herden, welche beide 
betreffen, nie zum Ausdruck. 

Nach allem scheinen Markscheidenzerfall, Gliawucherung und Gefäss- 
wanderkrankung sämtlich primär zu sein. 

Ein Vergleich mit den chronischen Fallen ergibt keine prinzi¬ 
piellen Unterschiede. Es trifft auf die akute multiple Sklerose 
nicht zu, wenn Müller den Fällen sekundärer multipler Sklerose ein 
Mitzugrundegehen der nervösen Elemente, im Centrum der Herde auch 
eine Zerstörung der Glia zuschreibt. Umgekehrt finden sich auch bei 
typischer chronischer multipler Sklerose Herde in den peripheren Nerven, 
areolierte Herde usw., die man früher als der echten multiplen Sklerose 
fremd betrachtete. Insbesondere aber sind auch bei dieser die Be¬ 
ziehungen der Herde zu den Gefässen sowie die Erkrankung ihrer Wände 
an frischen Herden deutlich nachweisbar. Andererseits bestehen aber 
doch gewisse Differenzen, die namentlich darin zum Ausdruck kommen, 
dass in den typischen Fällen auoh die frischen Herde eine viel weniger 
lebhafte Wachstumsenergie zeigen als in den akuten Fällen. Diese 
Unterschiede sind nur quantitativer Natur, aber quantitativ sind die 
Differenzen gegenüber anderen Encephalitis- und Myelitisformen über¬ 
haupt nur. Es handelt sich um eine grosse Gruppe herdförmig auf¬ 
tretender entzündlicher Prozesse im Centralnervensystem, aus der sich 
gewisse typische Bilder herausschälen lassen, die aber an der Grenze 
ineinander übergehen. 

In klinischer Beziehung verhalten sich, wie zuerst Marburg betont 
hat, die akuten Fälle auch nicht wesentlich anders als die chronischen; 
insbesondere zeigen sie auch den charakteristischen Verlauf in Schüben, 
mit Remissionen und Exacerbationen. Bemerkenswert ist eine bäufig 
beobachtete, manchmal das ganze Krankheitsbild beherrschende Trübung 
des Sensoriums in den akuten Fällen. 

Was ferner von klinischen Gesichtspunkten zugunsten der endogenen 
Theorie angeführt wird, ist ebenfalls nicht stichhaltig. Von den etwa 15 
bekannt gewordenen Fällen familiärer multipler Sklerose halten die 
wenigsten einer strengen Kritik stand. Obduziert wurden nur die Fälle 
von Eichhorst. Da die Differentialdiagnose gegenüber den eigentlichen 
hereditären Erkrankungen sehr schwer sein kann, so muss bei nur 
klinisch beobachteten Fällen der Nachweis des für [multiple Sklerose 
charakteristischen Verlaufes verlangt werden; dieser ist nur in den 
Fällen von Reynold’s erbracht. 

Auch die heterologe Vererbung: neuropathische Belastung u. dgl. 
scheint keine Rolle zu spielen. Die Statistiken, die das Gegenteil be¬ 
weisen wollen (Roeper), sind nicht verwertbar, weil es an einem nach 
den gleichen Gesichtspunkten untersuchten Vergleichsmaterial an Ge¬ 
funden fehlt. Die Erfahrungen der praktischen Neurologen sprechen 
jedenfalls nicht für eine grosse Bedeutung dieser Momente. 

Die Auffassung, dass für die Entstehung der multiplen Sklerose 
exogene Momente (inkl. etwaiger im Organismus selbst entstandener 
schädlicher Stoffe) in erster Linie in Frage kommen, gewinnt nach allem 
immer weitere Verbreitung. 

Hr. Trö'mner demonstriert das Gehirn eines 9 jährigen Knaben, der 
3 Monate vor dem Tode an Schwindel, taumeligem Gang und Er¬ 
brechen erkrankte. Objektiv: Druckempfindlichkeit des Kopfes, Facialis- 
asymmetrie, Nystagmus, spastische Symptome. Diagnose: Prozess in der 
hinteren Schädelgrube; nach Ausschluss von Tumor/Meningitis, En¬ 
cephalitis, wahrscheinlich multiple Sklerose. Verlauf aber überraschend 
schnell. Obduktion ergab etwa 6 sklerotische Herde im Kleinhirn. 

Diskussion über den Vortrag von [Wohlwill und die 
Demonstration von Trömner. 

Hr. Lüttge weist darauf hin, dass diese „akuten“ Fälle meist 
schon länger bestehen, als nach der klinischen Beobachtung anzunehmen 


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Nr. 17. 


wäre, und fragt den Vortr., ob in seinen Fällen ebenfalls hierfür An¬ 
haltspunkte seien. 

Er. Jakob berichtet über zwei akute und zwei chronische Fälle; 
in allen waren die infiltrativen Vorgänge deutlich nachweisbar, im letzten 
standen aber endarteriitische Prozesse im Vordergrund. Zuerst treten 
Lymphocyten, dann Polyblasten, zuletzt Plasmazellen auf. ln den 
akuten Fällen geht die zeitige Infiltration über die Gefässscheiden hinaus. 
Das Alter des Herdes ist zu bestimmen nach dem Stadium der Abbau¬ 
zellen („Myelophagen“, Körnchenzellen der verschiedenen Typen). Zum 
Schluss demonstriert J. ein Gehirn mit diffuser Sklerose. 

Die weitere Diskussion wird vertagt. 

Hr. Nonie: 

Demonstration von Nognchipr&paraten von Spirochäten bei Paralyse. 

Die Spirochätennatur der Gebilde scheint ausser allem Zweifel, 
ebenso die Diagnose Paralyse. Bisher wurden die Spirochäten nur in 
akuten Fällen gefunden; sie finden* sich im Mark und allen Schichten 
der Rinde bis auf die Gliarandschicht, nicht in der Pia und in den 
Gefässscheiden. N. macht auf die grosse Tragweite dieser Entdeckung 
aufmerksam. Auch aus anderen Gründen sei man mehr und mehr dazu 
gekommen, dass die Unterscheidung in echte Lues und Metalues nicht 
aufrecht zu erhalten sei. Dagegen kann N. die von Ehrlich getroffene 
Analogisierung zwischen den doch ganz inkonstanten, langsam sich vor¬ 
bereitenden Remissionen der Paralyse und dem, bestimmten Regeln 
unterworfenen, anfallsweisen Verlauf anderer Spirochätenkrankheiten 
(„Spirillose“) nicht zutreffend finden. 

Die Diskussion wird vertagt. Fr. Wohl will. 


Aerztlicher Bezirksverein zu Zittau. 

Krankenhausabend vom 6. März 1913. 

Vorsitzender: Herr Körner. 

Schriftführer: Herr Klieneberger. 

1. Hr. Dreyzehner: a) Demonstration eines durch Resektion ge¬ 
wonnenen Carcinoma Pylori sowie des nach der Autopsie heraus¬ 
genommenen Magens. Der Tod war 5 Tage nach dem Eingriff infolge 
von Lungenentzündung (Aether ?) erfolgt. Die Autopsie zeigte, dass 
keinerlei Komplikationen von seiten des Bauchfells Vorlagen, dass die 
Gastroenterostomie tadellos war und dass die Nähte intakt waren. 

b) Demonstration eines mannskopfgrossen Uterusmyoms, in dessen 
Höhle ein grosser sarkomatöser Polyp sich fand, der breitbasig im 
Fundus inseriert zur Cervix heraustrat. 

c) Demonstration eines kindskopfgrossen myomatösen, per lapa- 
rotomiam gewonnenen Uterus. 

2. Hr. Moser: a) 50 jähriger Mann mit angeborener Muskel¬ 
geschwulst im Biceps beider Oberarme. Bei Krümmung im Ellenbogen 
springt beiderseits aus der Mitte des Biceps eine taubeneigrosse Geschwulst 
hervor, so dass man den Eindruck einer Muskelhernie hat. Beim ruhen¬ 
den Muskel ist eine Fascienlücke nicht deutlich fühlbar. Man fühlt 
links eine 5 cm lange derbe Schwiele im Muskel selbst, daneben noch 
eine scheinbar der Fasoie angehörende streifenförmige Verdickung. Rechts 
ist eine Schwiele weniger deutlich zu fühlen. Der Mann hat keinerlei 
Beschwerden oder Nachteile vou dieser zufällig entdeckten Affektion. 

b) 25 jähriger Mann mit beiderseitiger kongenitaler radioulnarer 
Synostose der Ellenbogengegend (zufälliger Befund gelegentlich einer 
vor 2 Jahren mit gutem Dauererfolg ausgeführten Leistenbruchoperation). 
Beide Hände stehen in Pronation; es ist keine Spur einer Supination 
möglich. Am linken Arm besteht ausserdem eine halbrandtellergrosse 
Hautverdünnung mit Gefässschlängelungen, ferner ist der kleine Finger 
in allen Gelenken leicht gebeugt. — Auf Röntgenplatten sieht man, dass 
das nicht fühlbare Radiusköpfchen vorhanden ist, auch in Gelenk¬ 
verbindung mit dem Humerus steht. Die Länge der Synostose vom 
distalen spitzbogenförmigen Beginn bis zum Anfang des Radiusköpfchens 
beträgt auf allen Platten ungefähr 5 cm. Sowohl Ulna wie Radius sind 
verdickt, letzterer ausserdem nach verschiedenen Richtungen ausgebogen, 
also verlängert, ln beiden Ellenbogengelenken besteht gute Beuge- und 
gute Streckfähigkeit, rechts sogar Ueberstreckung. Die gesamte Arm¬ 
muskulatur ist kräftig; Pat. verrichtet schon seit Jahren Arbeit als 
Hausdiener in einem Hotel. Familienanamnese ohne Belang. 

c) Retroperitonealer Echinococcus. 57 jährige Frau, die seit 
15 Jahren einen wachsenden Tumor im Leibe fühlte. Die Untersuchung 
ergab die Leber in die linke untere Bauchseite gedrängt, die rechte 
Bauchseite durch einen knochenharten Tumor ausgefüllt, der nur 
rechts unten, dort, wo er zu umgreifen war, Pergamentknittern aufwies. 
Beide Nieren funktionierten gut. Trotz dor starken Verdrängung der 
Leber waren die hinteren unteren Lungengrenzen gleichmässig hoch und 
gleichmässig verschieblich. Die Laparotomie ergab einen retroperitoneal 
gelegenen Echinococcus, der sich unten und rechts leicht ablösen liess, 
dagegen bei Trennung der Leber einriss. Deshalb Marsupialisation mit 
Vorlagerung und Abtragung des abgelösten Teils. 

d) Appendico8tomie wegen schwerer chronischer Colitis. Die 
87 jährige Frau litt seit V 2 Jahr an Blutabgängen und Durchfall (in 
letzter Zeit bis zu 40 Stuhlentleerungen in 24 Stunden). Colon descendens 
und Flexura sigm. auffallend deutlich als harte Stränge zu fühlen. 
Wassermann uegativ, keine Tuberkulinreaktion. Die Operation ergab 
entzündliche Rötung des ganzen Colon descendens und der Hälfte der 
Flexura sigm.; die Wandungen waren hochgradig verdickt, das Lumen 


eng. Die entzündliche Rötung setzte sioh etwas aufs Mosoeolon fort, 
daneben fanden sich alte schwielenartige Verdickungen des Mesocolons. 
Am ganzen übrigen Teil des Dickdarms und des Rektums fühlbare, aber 
viel geringere Wandverdickung. Knopfloch-Appendicostomie in rechter 
Unterbauchgegend; täglich 2 Spülungen (Argent. nitr., Tannin, Bolus) 
nach vorangegangenem Einlauf. Rasche Besserung, Entlassung nach 
3 Wochen. Jetzt, 6 Wochen nach der Operation, hat Pat. ein- bis zwei¬ 
mal am Tage Stuhlgang, gewöhnlich nur nach dem Einlauf, und hat 
bedeutend an Gewicht zugenommen. Das Colon descendens ist noch 
leicht verdickt zu fühlen. Die Behandlung setzt Pat. unter ärztlicher 
Aufsicht zu Haus fort. 

3. Hr. Rudolph: Therapie der Eklampsie. 

Herr Rudolph steht auf dem Boden der Stroganofsehen Ansichten. 
Es ist weniger wichtig, die Giftquelle, die nur langsam Gift dem Orga¬ 
nismus zuführt, zu beseitigen, also bei ausgesprochener Eklampsie mög¬ 
lichst rasch zu entbinden, als vielmehr von Bedeutung, die bereits im 
Körper aufgespeicherten Giftmengen zu verringern. Die in Betracht 
kommende Therapie, welche am meisten Aussicht auf Erfolg verspricht, 
sind ausgiebiger Aderlass, Flüssigkeitsersatz duroh Hypodermoklyse, 
Trinken, Rektaleinläufe und Fernhalten äusserer Reize, durch Herab¬ 
setzung der Reflexerregbarkeit (Chloral, Morphium und Isolierzimmer). 
Dass die Ansicht, es gelinge durch Eientfernung die Eklampsie unmöglich 
zu machen, irrig ist, beweist die Wochenbetteklampsie. 

Kasuistische Mitteilung: Bei einem Fall schwerer Scbwangerschafts- 
eklampsie hatte die nach dem Stroganofsohen Gesichtspunkte eingeleitete 
Behandlung vollen Erfolg. Verschwinden der Eklampsie und normal 
spontane Entbindung. 

Diskussion. 

Hr. Brodtmann: Bedeutet die Venaeseotio nicht insofern eine Ge¬ 
fahr, als sie das Vorkommen von Atonien begünstigt? 

Hr. Rudolph ist nicht der Meinung, dass durch die Venaesectio 
bei Eklamptischen Atonien bedingt werden, da das eklamptiache Blut 
stark gerinnungsfähig ist. Für die Richtigkeit der Stroganofschen 
Ansicht, dass durch Blutentziehung und damit Verringerung des auf¬ 
gestapelten Giftes die Eklampsie beeinflussbar ist, spricht die Tatsache, 
dass bei Placenta praevia Eklampsie nicht beobachtet wird. 

Herrn Fröde endlich gegenüber betont der Vortragende, dass 
Schwitzprozeduren bei Eklampsie sehr unzweckmässig sind. 

4. Hr. Peppmtiller: a) Hochgradiger einseitiger Keratoconis bei 
einer 30 jährigen Frau. Die Affektion besteht seit 11 Jahren. Obwohl 
Amblyopie, besteht und das Auge in Divergenzstellung steht, wird die 
Frau durch Doppelbilder (strahlige Figuren) erheblich gestört. 

b) 69 jährige Frau mit Careiion des Unterlids. Das Carcinom 
soll seit 10 Jahren bestehen. Unter Radiumbestrahlung ist eine weit¬ 
gehende Besserung eingetreten. Die Geschwürsfläcbe ist zum Teil 
epithelisiert. Der Rest soll demnächst exstirpiert, der Defekt durch 
Plastik (nach Köllner) gedeckt werden. 

c) Fall von doppelseitiger, symmetrisch gelegener sulziger 8chwellug 
der Conj. tarsi der Unterlider und Conj. bubi im unteren Teil des 
Bulbi. Ende November (1. Konsultation) bestand oberflächliche Membran¬ 
bildung, die den Eindruck einer Aetzung hervorrief. 

Gleichzeitig bestehen seit längerer Zeit Ulcera und Granulationen 
im Kehlkopf und in der Mundhöhle. Wassermann (3 mal) stets negativ, 
auf 5 mg Alttuberkulin weder örtliche noch allgemeine Reaktion. Nach 
Hydrarg.- Spritzkur und intravenöser Salv&rsaninjektion sowie Jodkali 
vorübergehende Besserung nur am rechten Auge, aber keine vollständige 
Abheilung. Es muss vorläufig unentschieden bleiben, ob Lues oder 
Tuberkulose das Grundleiden ist. 

5. Hr. Bretschneider: 42 jähriger Mann mit linksseitiger Hemi¬ 
plegie. Der Sohlaganfall trat vor 2 Monaten ein, nachdem 24 Stunden 
vorher wiederholt Vorboten (vorübergehende Lähmung) eingetreten waren. 
Es trat am Aufnahmetage* eine komplette cerebrale Lähmung der linken 
Seite ein, mit Beteiligung des Oculomotorius, des Facialis, des Hypo- 
glossus, daneben mässige Sensibilitätsstörungen. Der Blutdruck war 
normal. Erscheinungen von seiten des Herzens fehlten. Die Wasser- 
mann’sche Reaktion war negativ, die Lumbalflüssigkeit normal. An¬ 
amnestisch belastend kamen Abusus nicotinae und schwere Arbeit in 
den Tropen als Heizer in Betracht. Trotzdem wurde eine Schmierkur 
eingeleitet und Jodkali gegeben. Bereits 14 Tage nach dem Insult 
setzte mässige Bewegungsbehandlung, elektrische Behandlung (faradischer 
Strom) ein, mit dem Erfolge, dass der Mann bereits 2 Monate nach einem 
so schweren Schlaganfall mit Hilfe eines Stockes gehen und wenig aus¬ 
giebige Bewegungen im Schulter- und Ellenbogengelenk ausführen kann. 
Es besteht übrigens eine Mitbeteiligung der Psyohe (Weinen und Lachen), 
wie man das oft zu sehen gewohnt ist. 


Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden. 

Sitzung vom 12. April 1913. 

Hr. Schümann: Chirurgische Demonstrationen. 

1. 19 jähriges Mädchen, bei dem wegen Hirntnmors die HippePsche 
Palliativtrepanation mit gutem Erfolg ausgeführt wurde. Tumor nicht 
lokalisierbar. Seit 1912 doppelseitige Stauungspapille, heftige Kopf¬ 
schmerzen, Schmierkur ohne Erfolg. Lumbalpunktion: Druck 300 mm Hg, 
Liquor ohne Besonderheiten. Operationsbefund: Gehirn gespannt, Ab¬ 
plattung der Windungen. Kein Tumor erreichbar. Wundsohluss — 


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28. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Liquorfiatei, die sieh bald schloss. Bei Schluss der Liquorfistel trat 
Oedem des Gesichts auf, das sioh allmählich verlor. Nach der Operation 
wurden die Papillen normal. Sch. hält die Palliativtrepanation keines¬ 
wegs für eine Verlegenheitsoperation. 

2. 63 jähriger Elbschiffer mit doppelseitiger übergroßer Leistei- 
hernie, nie Bruchband oder Tragbeutel getragen. Gutes Resultat Bis 
1904 wurden riesenhafte Hernien überhaupt nicht operiert. Sauer- 
bruch und Witzei wagten sich als erste an die Operation. Kontra¬ 
indikation sind konstitutionelle Erkrankungen. Vorbereitung für die 
Operation dringend geboten: Bettruhe, Hochlagerung, Dauerbad usw. 

8. 47 jähriger Mann, bei dem im Februar 1911 wegen Sarcom 
himeri Amputation im oberen Drittel des linken Oberarms vorgenommen 
worden war. Oktober 1912 Resektion des Schultergürtels wegen 
Reoidiv mit ausgedehnter Geschwürsbildung. Im Heilungsverlauf trat 
ein kleines cutanes Recidiv auf, das ezstirpiert wurde. Heilung. 

HHr. Geipel und Rnppreeht I: 

Ueber Nieren- nnd Blasentiberknlose. 

Hr. Geipel bespricht die pathologisoh-anatomischen Verhältnisse 
und demonstriert Injektionspräparate der Niere. Bei 85 pCt. aller Tuber¬ 
kulosen findet man Rindentuberkel in der Niere. Die Infektion erfolgt 
auf dem Blutwege, neuerdings durch Nachweis der Tuberkelbacillen im 
Blut wissenschaftlich begründet. Die Ausscheidungstuberkulose ent¬ 
wickelt sich in den Pyramiden dadurch, dass die Bacillen die Glomeruli 
passieren und sich in den geraden Harnkanälchen festsetzen. Von 
chronischer Lokaltuberkulose der Niere sind Frühstadien selten be¬ 
obachtet. G. hat bei einem 8 jährigen Kind, das an Soharlach gestorben 
war, drei haselnussgrosse Herde im Mark der linken Niere gefunden. 
Die retrograde, ascendierende Nierentuberkulose kommt durch Ureter¬ 
verlegung zustande. Die „Kittniere“ ist als Ausheilungsstadium anzu¬ 
sehen, das für weitere Verbreitung der Tuberkulose ungefährlich ist, da 
niemals Tuberkelbacillen darin gefunded wurden. Nach einer Zusammen¬ 
stellung von Zacharias - Dresden (Stadtkrankenhaus Johannstadt) waren 
von 603 Tuberkulosesektionen 36 Nierentuberkulosen = 2,7 pCt. Davon 
waren 40pCt. doppelseitig, 60pCt. einseitig, Verhältnismässig häufig 
war mit Tuberkulose des Genitalschlauohes Knochentuberkulose ver¬ 
gesellschaftet. Zur Diagnose liefert der Tierversuch die günstigsten 
Resultate. Die Bacillenfärbung lässt besonders in Anfangsstadien oft 
im Stich. Die Bacillen sind im Urin in Form von Zöpfen angeordnet. 
Die Antiforminmethode ergibt häufig fehlerhafte Resultate, da die Unter¬ 
scheidung der Tuberkelbacillen von anderen im Urin vorkommenden 
säurefesten Stäbchen auch für geübte Untersucher oft schwer ist. G. 
empfiehlt die protrahierte Gramfärbung. Zum Schluss werden zahlreiche 
Photographien und makroskopische Präparate von Nierentuberkulose 
gezeigt. 

Hr. Rupprecht I erläutert vom Standpunkt des Chirurgen die 
Frage der Nieren- und Blasentuberkulose. Die chirurgisch bedeutsamen 
Formen der Nierentuberkulose sind: 1. das tuberkulöse Geschwür der 
Nierenpapille — Gefahr der Verblutung; 2. die cavernöse Nephrophthise 
— am häufigsteu; 8. die noduläre Form — sehr schlechte Prognose; 
4. die massive Form — sehr schlechte Prognose; 5. die verschlossene 
Nierentuberkulose durch Ureterverschluss — tubelkulöse Hydronephrose; 
6. tuberkulöse Pyonephrose; 7. atrophische Form — Kittniere. Von 
Sekundärerkrankungen sind wichtig die bindegewebige Entartung der 
Fettkapsel der Niere; die Perforation der Pyonephrose, die zu Lumbal-, 
subphrenischem oder Psoasabscess führen kann, sowie die Ureter- und 
Blasentuberkulose. Das Ueberwiegen nur einseitiger Nierentuberkulose 
und der descendierenden Form bedingen die therapeutische Bedeutung 
rechtzeitiger chirurgischer Behandlung. Die Sicherung der Diagnose, welche 
von beiden Nieren erkrankt ist, ist durch das von Max Nitze - Dresden 
1877 zuerst demonstrierte Cystoskop und die 1903 von Voelker und 
Joseph eingeführte funktionelle Nierendiagnostik (Chromocystoskopie) 
wesentlich erleichtert worden. Von klinischen Symptomen finden wir 
höchst selten Nierensymptome im Beginn der Erkrankung. Schleichend 
beginnt das Leiden mit Blasenbeschwerden, Harndrang und Polyurie, 
später beobachtet man Enuresis nocturna, Pyurie, schmerzhafte Mixtionen 
und Tenesmus. In der Anamnese fällt besonders das Fehlen jeglicher 
Aetiologie für diese Beschwerden auf, und das Versagen aller an¬ 
gewandten Therapie sichert die Diagnose. Diagnostische Tuberku)in- 
iojektion, die Schmerzen in der erkrankten Niere hervorruft, kann bei 
Patienten, besonders Kindern, bei denen die Uroskopie unmöglich ist, 
verwandt werden. Die Röntgendiagnostik versagt in den Initialfällen. 
Vor 20 Jahren schon führte R. zur Diagnostik die provisorische, tempo¬ 
räre Unterbindung des Uretesja der* wahrscheinlich erkrankten Seite aus 
und beobachtete, ob innerhalb 48 Stunden urämische Symptome auf¬ 
traten. Da dies nicht eintrat und in f) 24 Stunden l 1 /* Liter Urin von 
der anderen Niere ausgeschieden wurden, entfernte er die unterbundene 
Niere mit gutem Heilungsresultat. Marion und Schlagintweit in 
München haben eine andere Methode der provisorischen Ureterunterbin¬ 
dung angegeben, die ebenfalls die Feststellung, welche Niere erkrankt 
ist, ermöglicht. Die Prognose der Nieren tuberkulöse hängt ab von der 
Komplikation mit Blasentuberkulose, die glücklicherweise recht spät 
manifest wird, da die Ureter- und Blasenschleimhaut für Tuberkulose 
wenig empfänglich ist. Als Operation kommt die Exstirpation der er¬ 
krankten Niere, nur bei Hufeisenniere die halbseitige. Resektion in 
Frage. Nachbehandlung mit Tuberkulinkur. Da die Patienten auoh 
nach der Operation Bacillenausscheider bleiben, soll man den aus¬ 
geschiedenen Harn vorsichtshalber desinfizieren lassen. 


In der Diskussion sprachen die HHr. Brückner, Schmorl 
H. Hoffmann, Keitel, Hähnel. 

Schlusswort: Hr. Rupprecht I. 

K. Hoffmann-Dresden. 


Medizinische Gesellschaft zu Leipzig. 

Sitzung vom 4. März 1913. 

I. Hr. Rollv: 

Das Verhalten des Blntznckers bei Gesunden nnd Kranken. 

(Die Arbeit ist ausführlich in der Zeitschrift für Biochemie, Bd. 48, 
erschienen.) 

II. Hr. Weddy-Poenieke: Demonstration von Nervenkranken. 

1. 55 Jahre alter Schuhmacher. Seit Juni 1912 mit Zitterbewegung 
des rechten Armes erkrankt. Allmähliche Beugung des Kopfes nach 
hinten und der linken Seite. Das Bild erinnert an die Paralysis agitans. 
Es bestehen rhythmische Osoillationen der ganzen Extremität mit deut¬ 
lichem Intentionstremor, wie bei multipler Sklerose. Tremor besteht im 
Schlafe fort, Zahl der Schwingungen beträgt durchschnittlich 6,4 pro 
Sekunde. Rigidität der Muskeln ist nicht mit Sicherheit in den Ex¬ 
tremitäten festzustellen, bei der Kopfhaltung scheint sie eine gewisse 
Rolle zu spielen. Es liegt wohl eine seltene Form des Extensions¬ 
typus der Paralysis agitans vor. Dafür spricht auch die Bewegungs¬ 
armut und Verlangsamung der willkürlichen Bewegungen und der Sprache. 
Keine besondere Gleichgewichtsstörung, vielleicht eine geringe Latero- 
pulsion nach rechts. Multiple Sklerose ist wohl wegen des Alters aus- 
zuschliessen. Zitterbewegungen und Kopfhaltung lassen auch an einen 
Tumor cerebri (Kerne des Seh- und Streifenhügels) denken, dessen 
Läsion ein der Paralysis agitans ähnliches Bild hervorruft. 

2. Arbeiter, 59 Jahre alt. Februar 1909 Unfall: Brust- und Bauch¬ 
quetschung. Allmählich stellten sich Schmerzen und zunehmende 
Verkrümmung der Wirbelsäule ein; jetzt hochgradige Kyphose. 

Der chronische Vertebralrheumatismus ist schon wegen der 
Abhängigkeit vom Unfall auszuschliessen. Dann käme in Frage die 
Strümpell-Marie’sche Krankheit. Doch ist auch bei dem Flexions¬ 
typus derselben die Kyphose niemals so hochgradig und betrifft nicht 
die ganze Wirbelsäule. Ferner fehlt hier die infektiöse Ursache, auch 
das Alter spricht dagegen. Im Röntgenbild zeigt sich, dass eine Ver¬ 
knöcherung der vertikalen Bänderund der Zwischenwirbelsoheiben nicht 
besteht. Ferner sind Hals- und Hüftgelenke, Schulter- und Sterno- 
claviculargelenke usw. vollkommen frei. Keine Abplattung des Thorax, 
In die engere Wahlkommen differentialdiagnostisch nur die Bechterew¬ 
sche Krankheit und die Hysterie. Für die von Bechterew be¬ 
schriebene ankylotische Steifheit der Wirbelsäule spricht, dass die grossen 
Nachbargelenke der Wirbelsäule vollkommen verschont sind, dass eine 
ausgesprochene Kyphose und Schmerzen bestehen, und dass ätiologisch 
das Trauma verantwortlich zu machen ist. Im Röntgenbild ist aller¬ 
dings von entzündlichen Prozessen der kleinen Wirbelgelenke, die der 
Krankheit zugrunde liegen sollen, nichts festzustellen. In ganz seltenen 
Fällen soll es auch zu einer Kompression des Rückenmarks kommen, und 
man konnte daher den unfreiwilligen Urinabgang, der seit September 1911 
besteht, als Symptom einer medullären Kompression deuten. Anderer¬ 
seits ist seit nun l 1 /* Jahren kein weiteres Symptom binzugetreten, das 
für Kompression spräche. Daher wäre es wohl auch möglich, dass es 
sich um einen der allerdings sehr seltenen Fälle von hysterischer Lähmung 
dee Schliessmuskels handelte. Auch sonst mancherlei psychopathische 
Züge. Sichere Entscheidung, ob Bechterew’sche Krankheit 
oder tonische Muskelkontrakturen auf hysterischer Basis, 
ist nicht möglich. Zur Vornahme der Chloroformnarkose gibt Patient 
seine Zustimmung nicht. 

3. Frau, 41 Jahre alt. Befund: Pupillen lichtstarr, Konvergenz¬ 
reaktion gut. Linksseitige Extremitäten: Patellar- und Achillessehnen- 
reflei fehlen, Hypotonie. Rechtsseitig: Lebhafter Patellar- und Vorder- 
armrefiex, Achillessehnenreflex fehlt auch, Hypertonie, Andeutung von 
Babinski. Ausserdem an der rechten oberen Extremität: Atrophie des 
Daumen- und Kleinfingerballens sowie der Interossei, Afienhand. Herab¬ 
setzung der faradischen und galvanischen Erregbarkeit. Die Kranke 
leidet seit sieben Jahren an Tabes dorsalis. Vor drei Jahren trat 
eine rechtsseitige Hemiplegie ein, die die Wiederkehr des erloschenen 
rechten Patellarreflexes mit sich brachte. Seit einem Jahr entwickelt 
sich nun die beschriebene rAtrophie der rechten kleinen Hand¬ 
muskeln. Vortr. führt aus, warum eine Neuritis sowie progressive 
Muskelatrophie auszuschliessen seien.' Es handelt sich vielmehr sehr 
wahrscheinlich qm einen seltenen Fall von amyotrophischer 
Tab es, bei dem also zu der Erkrankung der hinteren Wurzeln eine 
solche der vorderen Wurzeln — hier in Höhe des achten Cervical- und 
ersten Dorsalsegments — hinzugetreten ist. 

Diskussion. 

Hr. Dumas fragt an, ob bei Fall 1 nicht an Hysterie zu 
denken sei. 

Hr. Weddy-Poenicke: Eine Hysterie sei wohl mit Sicherheit aus¬ 
zuschliessen, da alle anderen Merkmale derselben bei dem nun 55 jährigen 
Manne fehlen, da der Tremor suggestiven Einwirkungen gegenüber voll¬ 
kommen unbeeinflussbar ist und auch im Schlaf unverändert fort¬ 
besteht. 

Hr. Niessl von Mayendorf: Der vom Vortr. vorgestellte Fall 
bietet das typische Bild einer Kleinhirnerkrankung. Die Beschränkung 


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Nr. 17. 


des Schütteltreraors mit den grossen Osoillationen auf eine obere Ex¬ 
tremität, die Steigerung desselben bei intendierten Bewegungen, seine 
Unbeeinflussbarkeit durch den Schlaf sprechen für den organischen 
Charakter der Erkrankung und sind für Erkrankungen des Kleinhirns 
oder für dessen Verbindungen mit dem Grosshirn vielfach charakteristisch. 
Ausserdem spricht für eine Lokalisation in das Kleinhirn der tonische 
Kontraktionszustand der Hals- und Kopfmuskeln derselben Seite und die 
anarthrische, zuweilen skandierende Sprachstörung. Endlich ist der 
Gang entschieden cerebellar-ataktisch (Zickzackgang). Ueber ge¬ 
legentliche Schwindelerscheinungen wurde von dem Patienten gleichfalls 
geklagt. Gegen Paralysis agitans spricht das Fehlen des allgemeinen 
Rigors und der Retro- und Propulsionsbewegungen beim Gange. 

Hr. Weddy-Poenioke (Schlusswort): Daran, dass es sich um eine 
organische Erkrankung handelt, kann allerdings wohl kein Zweifel sein. 
Dagegen dürfte ein Tremor wie dieser, der sich auf eine obere Extremität 
beschränkt und schon seit neun Monaten Tag und Nacht unverändert 
anhält, ohne dass eine Parese hinzugetreten wäre, dooh gewiss 
nicht als die typische Begleiterscheinung eines Cerebeilartumors anzu¬ 
sprechen sein. Ferner dürfte, wenn wir einen tonischen Kontraktions¬ 
zustand annehmen wollten, nicht ein solcher derselben Seite vorliegen; 
es würde sich ja einmal, da der Kopf nach hinten gebeugt ist, um den 
beiderseitigen Gucullaris oder Splenius, dann aber, da auch eine Neigung 
des Kopfes nach links besteht und das Kinn dabei nach rechts oben 
gewendet ist, um den Sternocleidomastoideus der anderen Seite handeln. 
Weiterhin kann man von einer wirklichen cerebellaren Ataxie doch wohl 
nicht sprechen, weder von statischer noch von locomotorischer. Es ist 
nicht das charakteristische Hin- und Hertaumeln, sondern ein Abweichen 
nach der Seite, besonders nach der rechten, im Sinne der Lateropulsion. 
Es fehlt auch das so häufig bei Kleinhirntumoren beobachtete Auftreten 
von Parese der Extremitäten einer Seite mit Hypertonie, es fehlt die 
von dem Vorredner erwähnte Adiadochokinesis, es fehlt der charakte¬ 
ristische Kleinhirnschwindel, es fehlt der Nystagmus, es fehlen jegliche 
Symptome seitens der Hirnnerven, und es fehlen Allgemeinerscheinungen, 
auch besteht kein Kopfschmerz; die Sehnenreflexe zeigen keine wesent¬ 
liche Veränderung. Die Sprache ist doch wohl nicht als skandierend zu 
bezeichnen, sie erscheint nur etwas verlangsamt, und es dauert oft eine 
gewisse Zeit, ehe der Kranke zum Sprechen kommt. 

Vor allem aber hat sich im Laufe der neun Monate noch keine 
Veränderung des Augenhintergrundes entwickelt. Es besteht keine 
Stauungspapille, die ja gerade bei Tumoren der hinteren Schädelgrube 
ein fast nie fehlendes Symptom ist. Nach alledem dürfen wir sagen, 
dass man in unserem Fall von dem typischen Bild einer 
Kleinhirnerkrankung wohl kaum wird sprechen können. 


Sitzung vom 11. März 1913. 

Hr. Vtfrner: Die operationslose Behandlung des Krebses (Zeller). 

Der Vortragende gibt einen kurzen historischen Ueberblick über die 
operationslosen Methoden des Krebses, insbesondere über die von Zeller 
benutzten Mittel, Silicium und Arsen. Das letztere ist ein uraltes Mittel, 
und Silicium wurde bereits in den siebziger Jahren des vorigen Jahr¬ 
hunderts in gleicher Weise von dem schottischen Arzte Battge inner¬ 
lich verwendet. Die innerliche Verwendung des Arsens gegen Krebs 
stammt aus dem Mittelalter und ist in Italien aufgekommen unter dem 
Namen „Pasta di fratre Cosimo“. Diese Paste entspricht der Zeller’schen 
Arsenquecksilberpaste, sie wurde vor Zeller schon von Hebra zur 
Behandlung des Hautkrebses angewendet. Zur Bewertung des Zeller’schen 
Heilverfahrens erwähnt Vortr. kurz, dass die sanierende Wirkung des 
Siliciums, wenn überhaupt, dann nur in bescheidenem Maasse bei 
jüngeren sekundären Tumoren von Bedeutung sein kann. Die Wirkung 
der Arsenpaste kommt in der Hauptsache für den primären Hautkrebs 
als Heilmittel in Frage, kann aber auch durch andere Präparate ersetzt 
werden. Vortr. beweist dies durch Demonstration zweier Patientinnen, 
von denen die eine ein Gancroid, die andere einen walnussgrossen, 
tiefer greifenden carcinomatösen Prozess der linken Wange hatte. Hier 
hat Vortr. glatte Heilung durch Anwendung einer wechselnden Behand¬ 
lung von Pyrogallol und Chromsäure-Ionophorese erzielt. Zum Schluss 
fasst Vortr. seine Beobachtungen dahin zusammen, dass eine operations¬ 
lose Behandlung des Krebses nur für den äusseren primären Krebs mit 
Aussicht auf Erfolg durchführbar ist (Behandlung der chronischen 
Seborrhöe, des Ekzems usw.). Metastatische Krebse und solche von 
anderer Herkunft und Lokalnation wie die Haütkrebse sind für die 
operationslose Behandlung nicht geeignet. 

Diskussion. 

Hr. Alexander hat in drei Fällen von Brustkrebs bei einer 50 Jahre, 
einer 66 Jahre und einer 78 Jahre alten Frau die Zeller’sche Paste an¬ 
gewendet. Wegen zu grosser Schmerzen hat er die Anwendungsform 
etwas modifizieren müssen. Die Erfolge waren unbefriedigend. Nur in 
einem Falle von oberflächlichem, handtellergrossem Gancroid war Tendenz 
zur Heilung vorhanden; der Geschwürsgrund reinigte sich, an den 
Rändern traten deutliche Epithelwucherungen auf. In den beiden 
anderen Fällen von nichtulceriertem Mammacarcinom wurde der Tumor 
zerstört. Die dadurch hervorgerufene Ulceration war grösser als der 
Tumor selbst; die Frauen gingen beide unter eigentümlichen Allgemein¬ 
erscheinungen zugrunde. Es traten Oedeme, Ascites, pustulöser Aus¬ 
schlag usw. auf, und es blieb unsicher, ob das Carcinom oder eine 
schwere Intoxikation den Tod herbeigeführt hatte. Die dauernde Unter¬ 


suchung des Urins ergab keinen besonderen Befund. A. erachtet die 
Gefahr der Arsenintoxikation für nieht gering. 

Hr. Herzog demonstriert interessante mikroskopische Präparate von 
zwei Fällen von Brustkrebs, die Herr Alexander mit Zeller’scher 
Paste behandelt hatte. Sie stammten von Hautlappen, die an die durch 
die Paste zerstörten Garcinome an grenzten. Ueberall sind deutliche 
Krebsnester und -stränge zu erkennen. Gleichzeitig war in den 
nekrotischen Partien zu erkennen, dass neben den nekrotisch gewordenen 
Krebszellen auch das normale Gewebe zerstört worden war. Die Ver¬ 
kalkung von Gefassen innerhalb der nekrotischen Herde führt H. eben¬ 
falls auf den Einfluss der Paste zurück, also keine elektive Wirkung 
der Paste allein auf die Krebszellen, wie vielfach angenommen wird. 

Hr. Buchbinder hat sich persönlich bei Zeller über dessen Ver¬ 
fahren informiert und hat gleichzeitig eine Anzahl von geheilten Fällen 
gesehen. Zwei davon haben ein so günstiges Resultat ergeben, wie es 
durch Operation nicht besser erzielt werden konnte. Allerdings handelt 
es sich in der Mehrzahl der Fälle um oberflächliche Hautcancroide. 
B. glaubt, dass in vereinzelten Fällen von Hautkrebs, vornehmlich bei 
Ablehnung der Operation und bei inoperablen Fällen das Zeller’sche 
Verfahren anwendbar sei; im übrigen tritt er aber für die operative 
Behandlung des Krebses ein. Der inneren Anwendung des Siliciums 
kann er nicht das Wort reden, er hat dabei wiederholt Gollapszustände, 
Somnolenz und akute Herzschwäche beobachtet. 

Hr. Payr hat 11 Krebskranke klinisch nach dem Zeller’schen Ver¬ 
fahren behandelt, 10 davon sind gestorben, in einem Fall ist der Prozess 
verlangsamt worden, aber blieb deutlich prozediert. Von drei weiteren 
Fällen, die ambulatorisch behandelt wurden, starben zwei und im dritten 
Falle trat rapide Verschlechterung ein. Wiederholt wurden profuse 
Durchfälle und alle Anzeichen einer Arsenintoxikation beobachtet. Nach 
Ansicht von Herrn P. zerstört die Arsenpaste, soweit sie einwirkt, den 
Tumor radikal, verschont aber dabei auch nicht das gesunde Gewebe. 
Oberflächliche Cancroide, die schon 6—-8—12 Jahre bestanden, wurden 
bösartig und infiltrierend, und das geschah meist dann, wenn sie von 
der Haut auf die Schleimhaut Übergriffen. Im übrigen weist Herr P. 
darauf hin, dass es eine grosse Anzahl Methoden, z. B. Röntgen¬ 
bestrahlung, Radium usw., gibt, die ebenfalls unter Umständen das 
Hautcarcinom günstig beeinflussen, sie sind meist ungefährlicher und 
schmerzloser als das Zeller’sche Verfahren. Auf dem letzten Chirurgen- 
kongress in Brüssel wurden nicht weniger als 30 Moulagen von tadellos 
auf solche Weise geheilten Hautkrebsen gezeigt unter dem Hinweise, 
dass oberflächliche Gancroide auch spontan ausheilen könnten. 

Bezüglich angeblich geheilter Recidive weist Herr P. darauf hin, 
dass auch Fehldiagnosen möglich sind, und berichtet über einen ein¬ 
schlägigen Fall. Herr P. tritt energisch für die Operation des Krebses 
als erste und bisher einzige Methode ein, die einen dauernden Erfolg 
verspräche. Wenn überhaupt, dann käme das Zeller’sche Verfahren 
höchstens für inoperable Fälle oberflächlicher Hautkrebse einmal in 
Frage. 

Hr. Zweifel steht der Behandlung des Uteruscarcinoms mittels 
des Zeller’schen Verfahrens ablehnend gegenüber. Ob die bisher günstig 
beeinflussten Fälle recidivfrei bleibep, muss erst erwiesen werden. Bis¬ 
her hat man meist nur Va Jahr mit der Veröffentlichung der Fälle ge¬ 
wartet. Herr Zweifel verlangt 5 Jahre Recidivfreiheit, wenn man den 
Krebs wirklich als geheilt ansehen will, er erreicht es in 51 pGt. aller 
Fälle, die nicht zu spät in Behandlung kamen, einzig und allein durch 
die Operation. 

Hr. Vorn er (Schlusswort) hebt nochmals hervor, dass nicht nur 
oberflächliche, sondern auch tiefergreifende Hautcarcinome durch An¬ 
wendung geeigneter Aetzmittel geheilt werden können. Die elektiven 
Eigenschaften gewisser Aetzmittel — die ausschliessliohe Zerstörung des 
Krankhaften — sind nur für die Dauer weniger Tage vorhanden, bei 
lange fortgesetztem Gebrauche der gleichen Mittel ohne Abwechselung 
wird auch das gesunde Gewebe angegriffen. 

Aus den Ausführungen des Vortragenden und der Diskussionsredner 
ging mit aller Deutlichkeit hervor, dass das Zeller’sche Verfahren kein 
allgemeines Krebsheilmittel ist und seine Anpreisung weit über das Ziel 
des Erreichbaren hinausgeht. 

ila dankenswerter Weise hat der Vortragende erneut auf das eng¬ 
umgrenzte Feld der operationslosen Behandlung und Heilung des 
Krebses hingewiesen und hervorgeboben, dass eine Uebertragung dieser 
Methode auf andere Krebse, wie solche der Haut, nicht angängig ist. 

Rösler. 

-tm— ü 

Unterelsässischcr Aerzte verein zu Strassburg i. E, 

Sitzung vom 1. März 1913. 

1. Hr. v. Lichtenberg: 

Freie Fettäberpflanzung. (KrankenVorstellung.) 

20 jähriges Mädchen wurde am 7. April 1912 wegen Sarkoms des 
Oberkiefers operiert, welches durch die Highmorsböhle durch gebrochen 
war. Die Orbitalplatte konnte erhalten werden. Trotzdem entstand 
eine hässliche Einziehung des Gesichts, die auch durch Anwendung einer 
Prothese nicht ausgeglichen wurde. Es wurde daher aus der Gesässbacke 
ein entsprechender Fettgewebslappen in den Defekt überpflanzt und da¬ 
durch die Wölbung der Wange wieder hergestellt. 


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28. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


803 


2. Hr. Hügel: 

Kurze Mitteilang aber chemotherapeutische Versuche mit organischen 
Antimonpräparaten bei Spirillosen nnd Trypanosomenkranhheiten. 

In Anwendung gezogen wurden: Präparat I: p-acetylamino-phenyl- 
stibinsaures Natron, Präparat II: p-benzolsulfonphenylstibinsaures Natron 
und Präparat III: p-urethranophenylstibinsaures Natron. Diese drei 
Substanzen wurden bei der Spirillose der Hühner und bei der Kaninehen¬ 
syphilis mit Erfolg angewendet, versagten jedoch bei der Behandlung 
der menschlichen Syphilis. Auch bei der Durine, einer Trypanosomen¬ 
erkrankung, wurden Erfolge erzielt. 

Diskussion: Hr. Uhlenhuth. 

3. HHr. Guleke und Rosenfeld: 

a) Demonstrationen ans dem Gebiete der Chirurgie des Nervensystems. 

Guleke und Rosenfeld berichten über eine 84jährige Frau, bei 
welcher die Palliativtrepanation, und zwar die Freilegung beider Klein¬ 
hirnhemisphären aus folgenden Gründen indiziert war. Die Frau war 
früher im wesentlichen gesund gewesen. Im Jahre 1907 wurde sie wegen 
Empyem der linken Kieferhöhle operiert. Im Jahre 1911 soll angeblich 
eine leichte Blinddarmreizung stattgefunden haben. Für Lues liessen 
sich keine Anhaltspunkte finden. Conceptionen waren konsequent ver¬ 
hindert worden. Im Dezember 1911 erkrankte die Frau während eines 
Aufenthaltes in Bonn mit Kopfschmerzen, welche zunächst als funk¬ 
tionelle aufgefasst wurdeD. Sehr bald wurde aber eine doppelseitige 
Stauungspapille konstatiert. Die Reaktionen auf Syphilis fielen im Blut 
und im Lumbalpunktat negativ aus. 

Im März 1912 kam die Frau in die Poliklinik für Nervenkrankheiten. 
Ihr Ernährungszustand war schlecht. Eine Organerkrankung liess sich 
nicht nachweisen. Die Menses waren normal. Es fehlten alle Herd¬ 
symptome, welche für eine Erkrankung des Grosshirns sprechen konnten, 
ebenso die Symptome einer Kleinhirnerkrankung oder einer Erkrankung 
im Kleinhirnbrückenwinkel. Es fand sich beiderseits eine ausgesprochene 
Stauungspapille mit vereinzelten Blutungen. Die Sehschärfe war damals 
noch normal. Die Frau klagte über äusserst heftige Kopfschmerzen, 
welche ausschliesslich in den Hinterkopf lokalisiert wurden, und es war 
sehr auffällig, dass die Frau die Angabe machte, dass die Schmerzen 
in den Nacken, ja sogar in die Schultern und den linken Arm aus¬ 
strahlten. Es bestand regelmässiges Erbrechen, so dass die Frau sehr 
heruntergekommen war. Die Lumbalpunktion wurde nochmals ausge¬ 
führt und ergab starke Vermehrung des klaren Liquors, der unter be¬ 
trächtlichem Druck stand, und eine ganz geringfügige Lymphocytose. 
Die Syphilisreaktionen fielen im Punktat und im Blut negativ aus. Da 
der Fall zunächst weder in bezug auf die Lokalisation, noch in bezug 
auf die pathologisch-anatomische Grundlage klar und die Sehschärfe 
noch nicht herabgesetzt war, so wurde der operative Eingriff zunächst 
noch verschoben. Die Frau war — wie erwähnt — im Jahre 1907 an 
einem Kieferhöhlenempyem links operiert. Es fand sich ein solches 
Empyem auch rechts, welches dann von Herrn Prof. Manasse im Juni 
1912 operiert und glatt zur Ausheilung gebracht wurde. Die schweren 
allgemeinen cerebralen Symptome bestanden aber fort. Deutliche Herd¬ 
symptome fehlten dauernd. Es liess sich im Juni 1912 nur eine geringe 
Schwäche im linken Facialis und eine ganz geringe Unsicherheit beim 
Gehen konstatieren. Die Untersuchung mit Röntgenstrahlen ergab am 
Schädel nichts Besonderes. 

Am 26. Juli 1912 konstatierte Herr Prof. Hertel, dass die Seh¬ 
schärfe anfiug abzunehmen. Auch die schweren cerebralen Symptome 
nahmen eher zu. Spezifische Kuren hatten keinen Erfolg. So erschien 
die Palliativtrepanation über dem Kleinhirn indiziert, da die Kopf¬ 
schmerzen ausschliesslich in den Hinterkopf und in den Nacken loka¬ 
lisiert waren und die Stauungspapille so frühzeitig aufgetreten war. Ja, 
es wurde die Vermutung ausgesprochen, ob vielleicht eine eztradurale 
oder eine extracerebrale Affektion vorliegen könne, da trotz so langem 
Krankheitsdauer sichere Symptome einer Kleinhirnerkrankung fehlten. 

Operation am 26. Juli 1912: Freilegung beider Kleinhirnhemisphären 
unter grossen Schwierigkeiten, da der Schädel überall 1 cm dick und 
auffallend sklerosiert ist. Starke erweiterte Emissarien, sehr schwer zu 
stillende BlutuDg aus denselben. Am Confiuens sinuum stösst man auf 
einen 1 cm weit gegen dip Venen vorspringenden und diese stark kom¬ 
primierenden unregelmässig gestalteten Knochenvorsprung, der nur mit 
Mühe abgetragen werden kann. Seiner Grösse und Form nach kann er 
kaum als Spina aufgefasst werden, sondern, muss als Exostose bezeichnet 
werden. Anfangs schien sich die linke Kleinhirnhemisphäre stärker vor¬ 
zuwölben als die rechte, nach breiter Eröffnung des Schädels liess sich 
aber ein Druckunterschied zwischen links und rechts nicht nachweisen. 
Es- schien überhaupt kein besonders vermehrter Hirndruck zu bestehen. 
Die Palpation der Dura ergab nichts Abnormes. Da die Patientin schon 
zu Beginn der Operation stark collabierte und dauernd im Collaps blieb, 
wurde die Eröffnung der Dura und die Absuchung des Kleinhirns nach 
einem eventuell vorhandenen Tumor auf eine spätere SitzuDg verschoben, 
zumal eine Entlastung des Gehirns durch die Operation erreicht war. 
Die vor der Operation vorhandenen Symptome und Beschwerden inkl. 
Stauungspapille sind aber prompt und dauernd zurückgegangen, so dass 
die Frau jetzt — 7 Monate nach der Operation — geheilt erscheint und 
von einem weiteren Eingriff vorläufig Abstand genommen > wurde. 

Trotzdem wird man die Möglichkeit zugeben, dass dooh noch eine 
Tumorbildung in der hinteren Schädelgrube vorhanden ist, und dass 
der vorzügliche Erfolg der Palliativtrepanation nur ein vorübergehender 


ist. Sollte diese Vermutung zutreffen, so werden die Vortr. weiter über 
den Fall berichten. 

b) Operativ geheilter metastatischer Hirnabscess. (Schon vor 
2 Jahren im Unter-Elsäs9ischen Aerzteverein demonstriert) 

22 jähriger junger Mann. Anfang Juli 1910 fötider Auswurf. Fieber. 
Wal nussgrosse Caverne am Hilus der rechten Lunge. Besserung. Nach 
6 Wochen plötzlich epileptische Anfälle, im linken Arm beginnend. 
Nach wenigen Tagen Parese, dann Lähmung des linken Arms, 2 Tage 
später auch des linken Beins und des linken Facialis. Benommenheit. 
In der Annahme eines metastatischen Abscesses in der Gegend der 
rechten motorischen Region osteoplastische Trepanation am 18. August 
1910. Hühnereigrosser Abscess in der Gegend der zweiten Stirnwindung. 
Drainage. Anfangs beträchtlicher Hirnprolaps, der sich in wenigen 
Wochen fast völlig zurückbildet. Die Lähmung des Facialis verschwindet 
nach 8, die der Beine nach 14 Tagen. Bewegungen in der linken 
Schulter nach 7 Wochen, in den Fingern erst nach 4 Monaten. Hand- 
und Fingerbewegungen bleiben dauernd geschwächt. 

Die bronchektatische Caverne heilte einige Monate später in kli¬ 
nischer Behandlung (Prof. Cahn) völlig aus. Acht Wochen nach der Ope¬ 
ration traten nachts zwei epileptische Anfälle, kurz darauf ein dritter auf. 
Seitdem (in 2 Va Jahren) im ganzen vier Anfälle, der letzte im Januar 
1913, zwischen dem letzten und vorletzten Anfall über ein Jahr. 
Dauernd Brom, 2—3 g täglich. Klagen über starke Nervosität, psychische 
Depression. Vor 2 Tagen Suicid durch Schläfenschuss. Trotz des tra¬ 
gischen AusgaDgs des Falles beweist er, dass in allen Fällen, wo 
Lokalisation möglich ist und der Allgemeinzustand und der Befund am 
primären Herd einen Eingriff nicht kontraindiziert, die Operation auch 
beim metastatisohen Hirnabscess geboten ist. 

c) Fall von Little’scher Krankheit durch Foerster’sche Operation 
gebessert. 

Resektion der zweiten, dritten, vierten und fünften Lumbal- und 
zweier Sacralwurzeln beiderseits, vor einem halben Jahr bei einem fünf¬ 
jährigen Knaben mit hochgradigem Little und völliger Gehunfähigkeit. 
Der Knabe geht jetzt mit geriDger Unterstützung, wickelt die Sohlen 
gut ab, kann die Beine frei bewegen und strecken. Die Nachbehandlung 
muss dauernd und lange unter ärztlicher Kontrolle fortgeführt werden, 
da ein kurzer Aufenthalt zu Hause in diesem Fall genügt hatte, um 
einen grossen Teil der gemachten Fortschritte wieder verloren gehen zu 
lassen. Auffallende geistige Entwicklung des Kindes während der Be¬ 
handlung. 

4. Hr. Schmidt: 

Ueber die Radinmemanation nnd ihre therapeutische Bedeutung. 

Historischer Ueberblick über die Entdeckung der radioaktiven Sub¬ 
stanzen und Vortrag über das Wesen der Radioaktivität, über die für 
diese Stoffe geltenden physikalischen und chemischen Gesetze und Er¬ 
läuterung der Instrumente für den Nachweis der Radioaktivität. Demon 
stration von Kompressen, Besprechung der therapeutischen Anwendung 
und der Wirkungsweise der Emanation. Stellung der Indikationen und 
Gegenindikationen. Tilp-Strassburg i. E. 


Aerztlicher Verein zu München. 

Sitzung vom 12. März 1913. 

1. Hr. v. Baeyer: a) Demonstration künstlicher Beine, die ein 
Mittelding zwischen Prothese und Stelzfuss darstellen und sich durch 
Billigkeit, Dauerhaftigkeit und Einfachheit der Gelenkvorrichtungen aus¬ 
zeichnen. 

b) Ueber intermittierende Extension. 

Bei der Extension der Gelenke entsteht im Gelenk ein negativer 
Druck, dadurch leichte Exsudation, ferner Hyperämie der benachbarten 
Kapsel- und Knochenteile. Nach Einstellung der Extension gelingt es, 
durch Bewegung der Gelenke diese leichte Exsudation und Hyperämie 
wieder wegzumassieren. Die günstigen Wirkungen dieses Wechsels von 
Extension und Bewegung, die besonders bei chronischen Gelenkleiden, 
z. B. dem Malum coxae senile, in Erscheinung treten, erzielt B. durch 
einen neuerdings von ihm konstruierten Apparat, dessen Einzelheiten er 
erläutert. 

Diskussion: Hr. Lange. 

2. Hr. R. v. Hösslin: 

Ueber Lymphocytose bei i Ästhetikern und. Neuropathen und deren 
klinische Bedeutung. 

Der Vortr. berichtet über 100 im Laufe eines längeren Zeitraumes 
eobachtete Fälle von relativer und absoluter Lymphocytose, bei denen 
häufig zugleich Eosinophilie und Vermehrung der grossen mononucleären 
Zellen bestand, während das Verhalten der Erythrocyten und des Hämo¬ 
globins nur geringen Schwankungen unterworfen war. Die Fälle liessen 
sich in 4 Gruppen einteilen, in 1. solche mit anatomischen Verände¬ 
rungen (4), 2. solche mit Diabetes (7, darunter 6 mit neutrophiler 
Leukopenie), 3. Fälle von Basedowscher Erkrankung und Thyreosen 
(15 mit neutrophiler Leukopenie), 4. verschiedene Fälle ohne besonderen 
organischen Befund, meist reine Astheniker und Neuropathen (74, dar¬ 
unter 44 mit neutrophiler Leukopenie). In letzteren Fällen meist 
blasses Aussehen bei normalem Hämoglobingehalt, ptotischer Habitus, 
manchmal leichte Temperaturen ohne jeden Anhaltspunkt für Tuberku¬ 
lose wie bei Thyreosen, Lymphocytose. In zahlreichen ganz ähnlichen 
Fällen allerdings keinerlei Veränderungen des Blutbefundes. 


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804 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 17. 


Zwischen den letzten 3 Gruppen, besonders der dritten und vierten, 
bestehen auf Grund mancher gemeinschaftlicher Symptome nahe Wechsel¬ 
beziehungen, die vielleicht in den gemeinsamen Störungen der inneren 
Sekretion, d. h. deren Dysfunktion begründet sind. So findet sich Gly- 
kosurie häufig bei Basedow und Pankreaserkrankungen; bei Basedow 
wiederum kommen nicht selten Veränderungen der Thymus und des 
lymphatischen Gewebes in Drüsen und Schleimhäuten vor im Sinne 
einer Hyperplasie des lymphatischen Apparates, ähnlich dem 
Status thymico-lymphaticus, worauf offenbar die Lymphocytose zurück¬ 
zuführen ist. Auch zwischen der Asthenie und Neuropathie und den 
Störungen der inneren Sekretion scheinen Beziehungen zu bestehen, und 
zwar kommt dabei ebenfalls eine Dysfunktion der Thymus und des 
lymphatischen Gewebes in Betracht. Therapeutisch ist die Lympho¬ 
cytose durch Arsen sehr günstig zu beeinflussen, allerdings kommt es 
nach dem Aussetzen des Mittels meist wieder zu einem erheblichen An¬ 
stieg der Lymphocytenzahl. 

Diskussion: HHr. Mennacher, Hecker, v. Pfaundler, 
Krecke, v. Müller. 

3. Hr. Rosenberger: Ueber Dnodenaltberapie. 

Der Vortr. demonstriert ein in Anlehnung an die Gross’sche Duo¬ 
denalsonde konstruiertes Instrumentarium, mit dem es gelingt, Duodenal¬ 
saft zu gewinnen und unter Umgehung des Magens vom Duodenum aus 
künstlich zu ernähren. Letzteres Verfahren hat sich besonders bewährt 
beim runden Magengeschwür und bei der akuten Gärungsdyspepsie. 

Hans Bachhammer-München. 


Aus Pariser medizinischen Gesellschaften. 

Acaddmie de mddecine. 

Sitzung vom 4. März 1913. 

Hr. Monprofit herichtet über seine kriegschirnrgischen Erfah¬ 
rungen, die er beim griechischen Heer in Gemeinschaft mit Gruet 
und Nicoletis machen konnte. Auf dem Felde können mit einer guten 
Organisation den Verwundeten die meisten früher beobachteten Kompli¬ 
kationen erspart bleiben. Notwendig ist ein gut geschultes Personal, 
das genau weiss, was es zu tun hat und namentlich den ersten Verband 
möglichst antiseptisch anzulegen versteht, und zwar mit dem Verband¬ 
zeug, das der Verwundete selbst mit sich trägt. Die guten Resultate 
sind namentlich der von dem französischen Arzt Arnaud durcb- 
gefübrten Organisation zu verdanken und diesem Verbandzeug, das in 
vielen Fällen vom Verwundeten selbst möglichst rasch verwendet wurde. 
Die Grundbedingung für ein gutes Resultat ist die möglichst frühzeitige 
Anlegung dieses Verbandes, Eine zweite Bedingung ist die Enthaltung 
von jeder Exploration oder Tamponierung des Schusskanals. Jede nicht 
dringend indizierte Operation ist gefährlich. Der Verbandplatz muss eine 
Anstalt für antiseptische Verpackung, und ein rasches Speditionsbureau 
sein; und dieses gilt auch noch für die zweite Hilfslinie. Ein grosser 
Unterschied liegt in der Gefährlichkeit der Gewehrkugelverletzungen und 
der Schrapnellverletzungen. 

Die türkischen Kleinkaliberkugeln machen einen einfachen Wund¬ 
kanal, der leicht heilt; penetrierende Verletzungen der Brust heilten 
meist bei Enthaltung von jeglichem Eingriff. 

Bei komplizierten Frakturen der Glieder waren Amputationen selten 
nötig; die konservative Behandlung gab die besten Resultate. Schrapnell¬ 
verletzungen dagegen waren immer ernst, besonders diejenigen der Ge¬ 
schütze der Verbündeten. 

Diskussion. 

Hr. Reclus betont ebenfalls die Vorteile der konservativen Be¬ 
handlung bei kleinkalibrigen Schussverletzungen. Er ist für voll¬ 
kommene Enthaltung von chirurgischen Eingriffen. Er erinnert an die 
grosse Schwierigkeit kleinkalibrige Geschosse zu finden, selbst mit Röntgen¬ 
strahlen, und an die häufigen Infektionen, die bei diesem nutzlosen 
Suchen entstehen. Die Gefahr einer Bleivergiftung durch zurückgebliebene 
Kugeln ist gar nioht zu befürchten. 

Ferner betont er den günstigen Einfluss, im Krieg wie im Frieden, 
den man durch Behandlung mit frischer Jodtinktur erzielt (Jod 1 g, auf 
15 g 95 pCt. Alkohol). Dieses frische Präparat gibt nie Blasen¬ 
bildungen. 

Hr. Pazzi verdammt, wie Montprofit, die Laparotomie auf 
dem Schlachtfeld, aber nicht im Frieden, wie z. B. bei penetrierenden 
Bauchwunden. 

Hr. Tnffier zeigt, dass man in gewissen Fällen, in denen doppel¬ 
seitige Kastration mit Uternsexstirpation angezeigt wäre, den Uterus 
belassen und die Ovarien unter die Haut transplantieren 
kann. So bleibt die Menstruation erhalten, und mit ihr das physio¬ 
logische Gleichgewicht der Frau. Sollten die Ovarien schmerzhaft werden, 
so können sie nach einfachem Hautschnitt entfernt werden. Eine 
26jährige Frau bat, so operiert, nach 2 l f 2 Jahren noch regelmässig 
menstruiert. 

Das gleiche Resultat wurde bei 18 Patientinnen von 19 Operierten 
beobachtet. 

Hr. Kontier berichtet über eine breite Pylorostomie nach Stenose 
infolge Verätzung mit Snblimat. Patientin wurde mehrere Jahre nach 
Eintritt der Stenose, im Inanitionsstadium, mit vollkommenem Erfolg 
operiert Im Narbengewebe fand man zerstreute Tuberkelknoten, ohne 
dass sonst die Frau anderswo tuberkulöse Herde aufwies. 


Sitzung vom 11. März 1913. 

Hr. Chantemesse referierte über Antityphnsimpfnng im Heer der 
Vereinigten Staaten. Die seit 1909 fakultative Impfung wurde im 
März in einer Division und im September des gleichen Jahres für das 
ganze Heer obligatorisch. 

Von 1909 an sank die Morbidität auf 173 Fälle mit 16 Todesfällen; 
1910 verzeichnete man 142 Fälle mit 10Todesfällen; 1911 nur 44Fälle 
mit 6 Todesfällen und endlich in den ersten acht Monaten von 1912 
nur noch 9 Fälle mit 1 Todesfall. Von den 368 gemeldeten Fällen 
fallen nur 18 auf Geimpfte, und davon verlief kein Fall letal. Dieses 
Beispiel sollte man in Frankreich, besonders in Marokko befolgen. Die 
amerikanischen Resultate wurden mit reinen, einwertigen Typhusbacillen¬ 
kulturen erzielt, nach Sterilisation durch Erwärmung, also mit einem 
Impfstoff, wie er im englischen, deutschen und japanischen Heer ge¬ 
bräuchlich ist. Diesen gleichen Stoff lieferte Chantemesse im 
Jahre 1912 für die Flotte. Von den 3000 Geimpften wurde keiner 
typhuskrank, während viele nicht Geimpfte erkrankten. Man kann er¬ 
warten, dass diese gefahrlose Methode den Typhus zum Verschwinden 
bringt, wie die Blattern verschwunden sind. 

Diskussion. 

Hr. Netter betont, dass der von Chantemesse im Jahre 1888 
bei Mäusen verwendete Impfstoff auf 120° erwärmt wurde, während der 
amerikanische Impfstoff nur auf 53° erwärmt wird. Er hebt hervor, 
dass die Forschungen von Pfeiffer, und Kolle-Wright die 
praktische Verwendung der Methode erlaubt haben. Er erinnert, dass 
schon 1886 Salm an und Schmidt Impfung von Leuten mit auf 60* 
erwärmten Kulturen von Paratyphus B gemacht haben. Bei den Ver¬ 
suchen von Chantemesse an Mäusen starb eine Maus von vier, 
was für die Einführung in die Praxis nicht sehr einladend war. 

Hr. Vincent meint, ein Impfstoff, der auf 100 bis 120° erwärmt 
werde, sei nicht wirksam. Uebrigens lassen sich die Resultate des Tier¬ 
versuchs nicht auf den Menschen übertragen; die Tiere erliegen nicht 
der Typhusinfektion, sondern der Intoxikation. Vortr. zieht die mehr¬ 
wertigen Impfstoffe vor. Der amerikanische Stoff, eine Variante des 
Pfeiffer’schen und des von Chantemesse verwendeten, gibt ja gute 
Resultate, aber man muss mit dem Genius epidemicus des Landes rechnen, 
in dem man impft. In Amerika ist Typhus nur mässig verbreitet, von 
1907 bis 1909 war die Morbidität der Armee an Typhus nur 3 pCt., 
während sie in Indien zwischen 15 bis 85 pCt. schwankte. In solchen 
Ländern kann man Impfstoffe erproben. Unter den gewärmten Impf¬ 
stoffen sind diejenigen vorzuziehen, die am am wenigsten erwärmt sind, 
wie die von Leishman, der nur auf 53° erwärmt wird. 

Hr. Chantemesse behauptet, Erwärmung auf 100 bis 120° ver¬ 
mindere die Wirksamkeit nicht. Uebrigens ist er später auch auf tiefere 
Temperaturen heruntergegangen. Er beansprucht das Verdienst, das 
Prinzip der Antityphusimpfung aufgestellt zu haben, durch seine mit 
Widal gemeinschaftlich gemachte Arbeit. 

Sitzung vom 18. März 1913. 

Hr. Vincent bemerkt bezüglich der Antityphnsimpfnng, dass Chan t e- 
messe bei seinen ersten Versuchen von 1888 bis 1892 Typhuskulturen 
verwendete, die 10 Minuten auf 120° erwärmt worden waren, später 
eine Stunde auf 100°. Nach Vortr. sind solche Kulturen vollkommen 
wirkungslos. 

Hr. Chantemesse hält daran fest, dass er mit Widal, mehrere 
Jahre vor Pfeiffer-Wright, zuerst gezeigt habe, dass man bei für 
Typhus empfänglichen Tieren mit durch Erwärmung sterilisierten Typhus¬ 
kulturen eine Schutzimpfung machen könne. 

Hr. Netter gibt zu, dass diese Tiere immunisiert waren, also muss 
die auf 100—130° erwärmte Kultur dooh wirksam gewesen sein. 

Hr. Walther teilt seine Statistik der Spätresnltate seiner konser¬ 
vativen Eierstockoperationen (partielle Resektion oder Ignipunktur) 
mit. Von 139 in den Jahren 1901—1912 Operierten konnten 98 Frauen 
wieder untersucht werden. 68 Fälle waren ganz geheilt. In 12 Fallen 
bestand bei kombinierter Untersuchung mehr oder weniger starke 
Schmerzhaftigkeit der Ovarien ohne spontane Schmerzen. In seohs Fällen 
litten die Frauen noch besonders zur Zeit der Menstruation. In acht 
Fällen war gar keine Besserung zu verzeichnen, und in vier Fällen war 
wegen Recidiv die Hysterektomie gemacht worden. Der funktionelle 
Wert der so erhaltenen Ovarien ist durch die Geburten klargelegt. Von 
73 Operierten (doppelseitige partielle Resektion oder totale Resektion 
einer Seite mit partieller der anderen Seite) haben 18 (also 24 pCt.) 
Kinder geboren. Die partielle Resektion muss gemacht werden, wenn 
die Tube permeabel ist, selbst wenn das Ovarium sehr krank scheint. 
Bei zwei Frauen mit totaler Resektion einer Seite und Belassen eines 
kleinen Stückes des Eierstocks auf der anderen Seite sind je drei Ge¬ 
burten zu verzeichnen. 

Sitzung vom 25. März 1913. 

Hr. Ronssean-St. Philippe zeigt, dass bei gewissen hartnäckigen 
VerdanniigsstörangeD des Kindesalters (Appetitlosigkeit, Konstipation, 
Atonie, Dyspepsie, chronischer Enteritis) kleine Ipecacuanhadosen 
äusserst wirksam sind. Diese Störungen werden oft durch fehlerhafte 
Diät unterhalten. Sie verdanken ihre Entstehung grossenteils mangel¬ 
hafter Gallensekretion. Gallentreibende Mittel, besonders Ipecaouanba, 
sind deshalb angezeigt. Der Autor verwendet die Tinktur in kleinen, 
lange fortgesetzten und progressiven Dosen bis zur Heilung. 


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28. April 1913. 


BERLINER KLINJSCHE WOCHENSCHRIFT. 


805 


Qr. Engine Dopiy beachtet bei der Tabesbehandlong nicht das 
ätiologische Moment, die Syphilis. Er leitet möglichst rasch folgende 
Therapie ein: Regulierung der Verdauung, während 3—4 Wochen Jod¬ 
kali, dann Liquor Fowleri; gegen Schmerzen vermeidet er Morphium, 
zieht Canabis indica vor, oder Aconitin oder Exalgin. Am besten wirkt 
richtig angewendet der Phosphor. 

Hr. Dupny de Frenelle beschreibt eine nene Technik nnd Instru¬ 
mentation zur Operation der chronischen Appendicitis ohne sichtbare 
Narbe. Die Lage der Appendix wird erst genau festgestellt. Der 
Aussenrand des Rectus, die obere Haargrenze des Schamhügels, Nabel, 
Spina anterior und die durch Palpation festgestellte Situation der 
Appendix werden durch Bleifäden und Punkte markiert und dann radio- 
skopisch die Beweglichkeit des Coecums festgestellt, welch letztere den 
Sitz der Appendix zu bestimmen erlaubt. Diese liegt meist in den 
beiden unteren Dritteln der Fossa iliaca. Sie wird durch einen Schnitt 
in der Pubisgegend gesucht, und zwar mit besonderen dreiarmigen 
Ecarteuren, die mit Glühlampen versehen sind. Die Operationsnarbe ist 
vollkommen durch die Pubishaare gedeckt. 


Soctätä medicale des höpitaux. 

Sitzung vom 7. März 1913. 

HHr. Abrami, Gantier und Wissenbach beschreiben einen neuen 
Fall von erst eitriger, dann blutiger Reaktion des Liquor cerebro¬ 
spinalis im Verlauf eines embolischen Erweichungsherdes der 
Gehirnrinde. Es handelte sich um einen ausgedehnten Erweichungs¬ 
herd infolge Embolie bei Mitralstenose. Zwei Tage nach dem Anfall 
war der Liquor ganz eigenartig, dann trat eine meningeale Blutung ein, 
und nach derselben bestand mehrere Tage Lymphocytose. Dem Stadium 
des weissen Erweichungsherdes entsprach eine vasculäre Kongestion, die 
sich durch reichliche Leukocytose kundgab; dem Stadium des roten In¬ 
farkts entsprach die darauffolgende meningeale Blutung. 

HHr. Henri Claude und F. Levy besprachen die Behandlung der 
Facialisparesen mit lokalen Iojektionen von Magnesiasalzen. Die Methode 
der Alkoholinjektionen nach Schloesser gibt interessante, aber leider 
oft nur vorübergehende Resultate und muss mit grosser Vorsicht ver¬ 
wendet werden, weil der Alkohol, auf den motorischen Nerven ver¬ 
wendet, Paralyse erzeugen kann. Die Autoren haben, nach Meitzer 
und Auer, die inhibitorische Wirkung der Magnesiasalze auf das Nerven¬ 
system geprüft und gedacht, diese Wirkung bei spastischen Erscheinungen 
centralen Ursprungs zu verwenden. Sie zeigen eine seit 2 Jahren an 
halbseitigem Facialisspasmus leidende Patientin, die zuerst innerhalb 
3 Wochen 14 Injektionen von 1 ccm einer Lösung von Magnesium sul- 
furicum von 25 g auf 100 g erhielt. Die Zahl der Anfälle nahm be¬ 
deutend ab, aber sie verschwanden nicht. Man macht daraufhin an der 
Stelle des Austrittes der Facialis aus dem Foramen stylomastoideum eine 
Injektion von 2 ccm einer 50 proz. Lösung von Magnesiumchlorür. 
Nach 2 Tagen verschwanden die Spasmen und sind nun 5 Wochen aus¬ 
geblieben. Dieses Resultat ist beachtenswert, weil die Magnesiumsalze 
keine Paralyse erzeugen und deshalb die Injektion ruhig wiederholt 
werden kann. 

HHr. Merkten und Legras haben bei 25 Patienten mit Ungleichheit 
der Pnpillen die Wassermann’scbe Reaktion untersucht. Syphilis war 
in 12 Fällen sicher und dabei Wassermann positiv, ln sieben Fällen 
schien Syphilis trotz positivem Wassermann zu fehlen. Sechsmal war 
der Wassermann negativ, trotzdem in zwei Fällen darunter Syphilis 
sicher war. Somit war die Reaktion in 19 von 25 Fällen positiv, und 
in zehn Fällen bestanden klinische Zeichen von Syphilis der Nerven- 
centren. Die Ungleichheit der Pupillen geht dem Argyll voraus. 

Diskussion: Hr. Dufour hat vor 11 Jahren die Beziehungen von 
Ungleichheit der Pupillen und Syphilis festzustellen versucht und kam 
durch die klinische Untersuchung ungefähr zu den gleichen Schlüssen, 
die heute die Wassermann’sche Reaktion ergibt. 

HHr. Flaodin und R. Duma beschreiben einen Fall von grossem 
dysenterischen Leberabscess mit Durchbruch in die Bronchien; Heilung 
durch Operation und Emetinbehandlung. Patient wurde vor 
lVa Jahren operiert und geheilt. Ein Rückfall verlangte neuen chirur¬ 
gischen Eingriff, aber die Eiterung dauerte weiter fort, es blieb ein 
seitlicher Eiterabfluss, und der Allgemeinzustand wurde schlecht. Es 
wurden deshalb vier subcutane Iojektionen von Emetin, muriaticum ge¬ 
macht. Sofort fiel das Fieber ab, die blutig-eitrigen Sputa verschwanden, 
ebenso der Husten. Der Eiter wurde graufarben und nahm bedeutend 
ab. Nach einer zweiten Iojektionsserie konnten die Drains entfernt 
werden, und Patient heilte vollkommen. Die Heilung wurde radio- 
graphisch verfolgt und festgestellt. Diese Beobachtung zeigt den hohen 
Wert des Emetins. 

Diskussion: Hr. Dopter hat gerade jetzt eine Amöbendysenterie 
in Beobachtung mit reichlichen Amöben. Emetin, muriaticum hatte eine 
hervorragende Wirkung: die Stühle nahmen rasch ab, und die Amöben 
verschwanden aus dem Stuhle. 

Sitzung vom 14. März 1913. 

Bezüglich der Emetinbehandlirog der Amtibendysenterie berichtet 
Hr. Milian, dass er vor einem Jahr einen Kolonisten mit Syphilis und 
Dysenterie mit Salvarsan behandelte, und er war erstaunt von der 
günstigen Wirkang dieses Mittels auf die Dysenterie. Patient ist seither 
geheilt. Infolge dieser guten Wirkung des Salvars&ns auf Dysenterie 


versuchte der Autor die Wirkung des für Dysenterie spezifischen Emetins 
auf die Syphilis. Er sah eine sehr günstige Wirkung bei einem Patienten, 
der für Salvarsan und Quecksilber refraktär war. Jüngst sah er bei einem 
derartigen Patienten mit syphilitischer Periostitis ebenso den günstigen 
Einfluss des Emetins. Bei noch unbehandelter Lues sind die Resultate 
weniger gut. 

Hr. Chaaffard beschreibt einen neuen Fall von dysenterischem 
Leberabscess und Heilung durch Operation und Emetin. Der 
40 jährige Patient hatte Frankreich nie verlassen, aber in Brest bei den 
Kolonialtruppen gedient, bei welcher Gelegenheit er mit Dysenterie¬ 
fällen in Berührung kam. Er hatte nie charakteristische Dysenterie, 
bekam aber im vergangenen Juli einen 25 Tage dauernden Durchfall, 
ohne Tenesmus, ohne blutige Stühle. Daraufhin blieb er 4 Monate 
wohl und bekam dann die Symptome akuter Hepatitis mit Icterus, grosser 
Leber, Fieber, Frösten und Schweissanfällen, und nach einiger Zeit 
zeigten sich Anzeichen eines grossen Leberabscesses, Vorwölbung der 
Lebergegend, Subicterus, schlechter Allgemeinzustand, Fieber mit grossen 
Frösten und Leukocytose mit Polynucleose. Der Zustand verlangte 
raschen Eingriff, der einen Liter schokoladefarbenen, nicht fötiden und 
keine Amöben enthaltenden Eiters entlerte. In einem Fragment der 
Abscesswand konnte Dopter Amöben nachweisen. Das Fieber fiel ab, 
aus dem Drain floss hämorrhagischer Eiter. 5 Tage nach der Operation 
wurden subcutan 4 cg Emetin, muriaticum injiziert, am anderen Tage 
8 cg Emetin, in 40 g Wasser gelöst, in die Abscesshöhle eingespritzt, 
und darauf noch einige subcutane Einspritzungen gemacht. Schon nach 
der ersten Einspritzung war der Eiter nicht mehr blutig, und bald hörte 
die Sekretion überhaupt auf. 

Diskussion: Hr. Rouget hat einen Leberabscess mit torpidem 
Verlauf beobachtet. Durch Punktion wurden 200 ccm Eiter entleert. 
Emetin wurde subcutan injiziert, worauf sofort der Allgemeinzustand 
sich besserte. 

Hr. Gaillard fragt, ob es möglich sei, ein Emphysem des Mediasti¬ 
nums, bei Erzeugung eines künstlichen Pneumothorax, zu bewirken, 
infolge Stichs und Einblasens von Stickstoff ins interlobuläre Gewebe, 
ohne Verletzung der Lungenbläschen. Ein solcher Unfall wäre das Todes¬ 
urteil für die Methode des künstlichen Pneumothorax. Wenn , dieser mit 
Erfolg gemacht ist, kann ein Emphysem des Mediastinums auf drei Arten 
entstehen. Erstens durch subpleurales Platzen von Lungenbläschen 
infolge eines Hustenanfalls; dann wird das Emphysem rasch unter der 
Halshaut sichtbar und dehnt sich aus. Zweitens durch Einblasen des 
Stickstoffs zwischen Rippen und parietales Blatt der Pleura, und drittens 
durch Verletzung der Pleura visceralis und des interlobulären Gewebes, 
ohne Eröffnung der Lungenbläschen (Verletzung durch den Troicart) 
oder durch Verletzung der Pleura mcdiastinalis, Zerreissung von 
Adhäsionen. In den beiden letzten Fällen sind die infiltrierenden Gase 
allein durch die in der Pleura angesammelte Gasmenge geliefert, also 
beschränkt, somit kann sich das Emphysem nioht ausbreiten, ln einem 
Fall trat das Emphysem des Mediastinums wahrscheinlich durch Ver¬ 
letzung der Pleura mediastinalis ein. Die Operation des Pneumothorax 
arteficialis schien gut zu verlaufen. Nach 2 Stunden, infolge Husten¬ 
anfalls, starker retrosternaler Schmerz, daraufhin subcutanes Emphysem 
an der Halsbasis, das lokalisiert bleibt und rasch verschwindet. Kein 
Emphysem am Stichpunkt für den Pneumothorax, der sich übrigens 
rasch resorbierte. 


42. Versammlung der Deutschen Gesellschaft 
für Chirurgie zu Berlin. 

(Berichterstatter: Privatdozent Dr. M. Katzenstein.) 

(Fortsetzung.) 

Hr. Mühsam - Berlin: Ersatz eines Harnröhrendefektes 
durch die Vena saphena. 

Der vom Vortr. mitgeteilte Fall wurde wegen einer imper¬ 
meablen Harnröhrenstriktur operiert. Die Strikturen bestanden seit 
26 Jahren. Bei seiner Aufnahme ins Krankenhaus Moabit war eine 
36stündige Urinverhaltung vorhanden. Bougieren und Katheterisieren 
erwies sich als unmöglich. Es wurde daher die Blase oberhalb 
der Symphyse eröffnet und der retrograde Katheterismus versucht. Er 
misslang, da die Spitze des Katheters im Damm stecken blieb. Nun¬ 
mehr wurde vom Orificium urethrae aus ein Katheter eingeführt und 
auf eine von einer früheren Urethrotomia externa herrührende Narhe 
eingeschnitten. Die beiden Katheter dienten als Leitsonden, und auf 
ihnen wurde oberhalb und unterhalb derStriktur die Harnröhre eröffnet. 
Die zwischen ihnen liegende narbige Striktur wurde exstirpiert, der De¬ 
fekt betrug 6 cm. Die Harnröhre wurde nach beiden Richtungen hin 
nunmehr mobilisiert. Es gelang aber nicht, sie soweit freizumachen, 
dass eine Naht möglich gewesen wäre. Um den Defekt auszufüllen, 
wurde die Vena saphena rechts freigelegt und ein 8 cm langes Stück 
derselben entfernt. Ein ganz feiner Gummikatheter wurde durch den 
Ureter eingeführt. Als er zur Dammwunde herauskam, wurde das Venen¬ 
stück darüber geführt und der Katheter durch den centralen Harn¬ 
röhrenstumpf in die Blase geführt. Die Vene wurde dann nach beiden 
Enden hin nach Carrel-Stich vereinigt, die Wunde durch Naht ganz 
geschlossen. In die Blase kam ein Katheter, und die Wunde um ihn 
herum wurde verkleinert. Der Katheter blieb bis zum 8. Oktober, also 


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806 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 17. 


3 V 2 Wochen, liegen. Naeh seiner Entfernung Hess Patient spontan Urin 
durch die Harnröhre. Bei später vorgenommenem Bougieren zeigte es 
sich, dass an den Nahtstellen der Harnröhre mit der Vene zwei derbere 
Stellen vorhanden sind. 

Eine regelmässige Bougiebehandlung hat seit über einem Jahre 
nicht mehr stattgefunden. Trotzdem sind sämtliche Funktionen, auch 
die sexuellen, vollkommen in Ordnung. Patient lässt in gutem Strahl 
Urin. Das Bougieren ist nicht ganz leicht, glingt aber mit einem 
Timann-Katheter. Da seit einem Jahre jetzt keine Veränderungen im 
Befunde zu verzeichnen sind, so kann der Patient wohl als dauernd ge¬ 
heilt betrachtet werden und in geeigneten Fällen die Verwendung eines 
Venenstücks zum Ersatz von Harnröhrendefekten auch mit Rücksicht 
auf das Dauerresultat empfohlen werden. 

Hr. Voelcker-Heidelberg: Operation an den Samenblasen. 

Vortr. hat mittels seiner Operationsmethode mehrfach Gelegenheit 
gehabt, Operationen an den Samenblasen vorzunehmen. Im ersten Fall 
handelte es sich um ein Carcioom, das entfernt wurde, jedoch ohne dass 
eine Dauerheilung eintrat. Beim zweiten Fall wurden die in dicke 
Schwarten eingehüllten Samenblasen entfernt, weil sie zu Ureterkoliken 
Veranlassung gegeben batten. Die Exstirpation brachte Heilung. In 
drei weiteren Fällen wurden die Samenblasen entfernt, weil sie Veran¬ 
lassung gegeben hatten zur Entstehung eines chronischen Gelenkrheuma¬ 
tismus. Einmal wurden als Erreger dieser Samenblaseneiterungen Gono¬ 
kokken, einmal Pneumokokken festgestellt. Nach Exstirpation der er¬ 
krankten Organe trat eine wesentliche Besserung bzw. Heilung des 
Gelenkrheumatismus ein. 

Hr. Strobel - Erlangen: Experimentelle Untersuchungen 
über die Entstehung des mechanischen Kropfherzens. 

Vortr. hat bei einer Anzahl von Tieren durch partielle Knorpel¬ 
resektion der Trachea künstliche Trachealstenose verursacht und bei 
diesen Tieren, die längere Zeit am Leben blieben, durch Wägung und 
Vergleichung mit normalen Herzen eine Herzvergrösserung bis zu V® des 
Eigengewichtes feststellen können. Danach würde schon die Tracheal¬ 
stenose allein ausreichen zur Entstehung einer Herzhypertrophie. 

Hr. v. Haberer-Innsbruck: Thymektomie bei Basedow. 

Vortr. hat nach dem Vorschläge von Herrn Garre viermal 
die Thymektomie bei Basedow bzw. bei basedowoiden Zuständen aus¬ 
geführt. In einem fünften Falle war die Thymus wegen Stenosen¬ 
erscheinungen, die durch sie hervorgerufen waren, entfernt worden. In 
allen Fällen hatte die Operation guten Erfolg, doch soll von allen 
Fällen nur über einen berichtet werden, da die übrigen dem Vortr. aus 
dem Grunde zu wenig beweiskräftig erscheinen, als dabei jedesmal neben 
der Thymektomie auch eine Schilddrüsenreduktion gleichzeitig vor¬ 
genommen worden war. Der hier zu berichtende Fall betrifft einen 
30 jährigen Herrn, der im Jahre 1909 nach einer fieberhaften Erkrankung 
einen akuten, gleich mit schweren Herzsymptomen einsetzenden Basedow 
acquiriert hatte. Zunächst wurde, da sich die Symptome immer mehr 
verschlimmerten, 2 Jahre nach Beginn der Erkrankung die Halbseiten- 
strumektomie von einem anderen Operateur ausgeführt, die den Ex¬ 
ophthalmus dieser Seite besserte, während er auf der anderen Seite be¬ 
stehen blieb. Da sich aber die Herzsymptome nicht besserten, suchte 
der Patient einen berühmten Chirurgen auf, der ihm auf der 
zweiten Seite die eine Schilddrüsenarterie unterband. Statt einer 
Besserung trat aber zunehmende Verschlimmerung aller Symptome, 
sowohl der nervösen, wie vor allem der Herzerscheinungen auf. 
In ganz desolatem Zustande kam der Kranke Ende 1912 zu 
Vortr. Damals klagte der Patient auch über Anfälle von Erstickung 
mit Bewusstseinstrübung, die mit der Exspektoration von viel schaumigem 
Sputum stets ihr Ende fanden. Patient hatte damals eine Herzdilatation, 
die zu einer Verlagerung des Spitzenstosses bis in die Axillarlinie ge¬ 
führt hatte, eine grosse Stauungsleber und.Stauungsmilz, der Radialpuls 
war kaum tastbar, ganz irregulär, und selbst in der Ruhe zwischen 140 
bis 160. Der zugezogene Internist bezeichnete das Herz damals als 
Ermüdungsherz und stellte die Prognose infaust. 

Nur dem Drängen des Patienten und seiner Angehörigen nach¬ 
gebend, entschloss sich Vortr. zur Thymektomie, die, in Lokalanästhesie 
ausgeführt, zunächst für den Operateur recht unbefriedigend war, da 
statt der erwarteten Thymus von beträchtlicher Grösse nur ein ganz 
kleiner Tbymuskörper gefunden wurde, der kleinste* den Vortr. je ent¬ 
fernt hat. Histologisch erwies sich die Thymus in Involution, enthielt 
aber auffallend viel Hassal’sche Körperchen. Um so auffallender war 
der Erfolg der Operation. Er trat zwar nicht gleich ein, aber relativ 
bald. Jetzt ist bei dem Patienten die Herzdilatation verschwunden, der 
Herzspitzenstoss liegt innerhalb der Mamillarlinie, die Stauungsleber ist 
vollkommen zurückgegangen. Radialpuls 84 in der Minute ist voll und 
kräftig, allerdings noch etwas unregelmässig. Die nervösen Erscheinungen, 
wie Zittern und Unruhegefühl, sind verschwunden. Der Patient, der jetzt 
frei von jedem Herzmittel ist, konnte in letzter Zeit anstandslos eine 
Bergtour unternehmen. Man muss nach dem Gesagten doch wohl zu 
dem Schlüsse gelangen, dass in diesem Falle die Thymektomie aus¬ 
gezeichnet gewirkt hat. Sie liegt jetzt 4 Monate zurück. 

Hr. Hosemann-Rostock: Die Funktion der Schilddrüse bei 
Basedow. 

Nachdem Walter gezeigt hat, dass bei thyreoidektomierten Tieren 
der Verlauf der De- und Regeneration gequetscher Nerven stark ver¬ 
zögert ist, bei Verfütterung von Schilddrüsentabletten aber wieder 
normal wird, haben Hosemann und Walter auf diesem Wege die 
Funktion'der Basedowstruma im biologischen Experiment geprüft. Bei 


Kaninchen, denen die Schilddrüse radikal entfernt war, wie die verzögerte 
Nervende- und regeneration bewies, wurden Stücke von frischer Basedow¬ 
struma lebenswarm intraperitoneal, intramuskulär oder subcutan im¬ 
plantiert, in anderen Versuchsreihen wurden die Tiere mit Trocken¬ 
präparaten von Basedowstrumen wochenlang gefüttert: Die De- und 
Regeneration der gequetschten Nerven wurde dadurch nicht wesentlich 
beeinflusst und blieb stark verzögert, während die Implantation frischer 
normaler Schilddrüse bei denselben Tieren den Verlauf der Nervende- 
und regeneration beschleunigte, so dass er dem bei den normalen, 
nicht thyreoidektomierten Kontrollieren glich. Aus diesen Versuchen 
ist der Schluss zu ziehen, dass bei der Basedowschen Krankheit nicht 
eine Steigerung der Funktion der Schilddrüse, ein Hyperthyreoidismus 
vorliegt, sondern ein Dysthyreoidismus. 

Diskussion. 

Hr. Gap eile-Bonn hat bei einem Falle von Basedow durch Thym¬ 
ektomie Heilung eintreten sehen, wodurch die Anschauung Garre ’s be¬ 
stätigt wird, dass die Thymus in ihrer Funktion nebengeordnet ist der 
Wirkung der Thyreoidea, dass ihre Funktion der der Thyreoidea wesens¬ 
ähnlich ist. Bei der Frage der Beteiligung der Thymus kommt es nicht 
so sehr auf die Grösse dieses Organes an, als auf den mikroskopischen 
Nachweis, dass ihre Struktur eine infantile Persistenz der Thymus ergibt. 

Hr. Meise 1-Konstanz hat bei Untersuchungen von 800 Schulkindern 
in 40—70 pCt. Kropf gesehen. Er demonstriert eine Patientin, die früher 
einen Kropf gehabt hat, jetzt aber eine kaum fühlbare Schilddrüse zeigt. 
Abnorme Pigmentationen und Veränderungen der Haut gingen durch Ver¬ 
abreichung von frischer Hammelschilddrüse wesentlich zurück. 

Hr. Thost-Hamburg: Ueber die Behandlung der Tracheal¬ 
stenosen nach dem Luftröhrenschnitt. 

Vortr. beschreibt ein neues Verfahren, bei dem er von der Fistel 
aus neben der Kanüle einen Bolzen einführt, der eine Dehnung der 
Stenose bezweckt und erreicht. Das Verfahren hat sich in 70 ein¬ 
schlägigen Fällen bewährt. 

Hr. Jehn - Zürich hat vielfach chronische Lungeneiterungen ver¬ 
mittels Pneumothorax behandelt und gefunden, dass metapneumoniscbe 
sowie genuine Lungenabscesse sehr günstig hierbei beeinflusst werden. 
Sind aber Bronchiektasen vorhanden, dann kann zwar der Zustand ge¬ 
bessert werden, jedoch nicht ausheilen, weil die Bronchien starr sind. 
(Demonstration von Präparaten.) 

Kriegschirargische Mitteilungen. 

Hr. Goebel-Breslau bespricht die chirurgischen Erfahrungen 
der Tripolisexpedition des Deutschen Roten Kreuzes. 

Es werden seltenere Weichteil-, Knochen- und Gelenkschüsse be¬ 
sprochen. Im allgemeinen ist die Einzelwirkung des italienischen Klein¬ 
kalibers (6,5 mm) eine mässige. Querschüsse des Halses und Gesichts 
heilten gut, Gelenkschüsse ebenfalls. Eiterungen der Gelenke wurden 
möglichst exspektativ behandelt. Neu sind die Aeroplanbomben- 
verletzungen, die sich durch Multiplizität, vorwiegendes Befallensein der 
unteren Extremität und des Stammes und Verlauf des Wundkanals 
distal-proximalwärts auszeichnen. Sie sind teils durch die Bomben¬ 
splitter, meist aber durch die Schrapnellkugeln, mit denen die Bomben 
gefüllt sind, hervorgerufen. Schwere Vereiterungen sowohl dieser als 
anderer Verletzungen schlossen sich an Tolypragmasie von anderer 
Seite (Kugelsuchen, allzu häufige Verbände) an. Die Wirkung des aus¬ 
trocknenden Klimas, das dem von Südwest fast gleicht, zeigte sich in 
den trotz jener nicht indizierten Eingriffe relativ häufigen Heilungen. 
Auch Schrapnellschüsse heilten relativ oft primär. 

Die Erfahrungen mit der modernen Wundbehandlung und Anti¬ 
sepsis waren gute. Die Emanzipation vom Wasser (Desinfektion mit 
Alkohol bzw. Jodtinktur, Verband mit v. Oetting’schem Mastiol, Lokal¬ 
anästhesie mit Novocain-Suprareninlösungen in zugeschmolzenen Am¬ 
pullen, weniger mittels aufzulösender Tabletten) bewährte sich sehr. 
Zur Allgemeinnarkose wird Chloroform empfohlen. Es gab allerdings 
eine Chloroformsynkope bei einem durch Typhus geschwächten Herzen. 

Interessant waren chirurgische Komplikationen des Typhus: Parotis, 
Abscess an Stirn und Fingern, Empyeme, appendicitischer Abscess, 
Gangraena cruris und Gangrän der Zehen. Unter der Berberbevölkerung 
Tripolitaniens (meist Bewohnern des Djebel) wurden relativ zahlreich 
Hautcarcinome, meist Cancroide, Blasen- und Gallensteine beobachtet 
Auoh ein Leberechinococcus kam zur Operation. 

Hr. Coenen-Breslau hat mit Dr. Thom 665 Schussverletzungen in 
Athen behandelt. Es starben sieben Patienten; fast */< aller zeigte 
reaktionslose Wundheilung. 30 schwere Phlegmonen wurden mit aus¬ 
giebigen Inzisionen und vier Amputationen behandelt. Bei 23 Gelenk¬ 
schüssen wurde viermal reseziert einmal amputiert Die übrigen Ge¬ 
lenke heilten glatt aber in einigen Fällen mit arthritischen Erscheinungen. 
Von 94 komplizierten Schussfrakturen heilten 83 primär, 11 mit Kom¬ 
plikationen, eine mit Amputation. Die Aneurysmen, von denen fünf 
operiert wurden, werden am besten, wenn sie sich abgekapselt haben, 
operiert; man muss sie operieren bei Ruptur. Blutet der durchschnittene 
periphere Stumpf der abführenden Arterie nicht, so ist die Gefässnaht 
zu machen. Zwei vitale Bluttransfusionen hatten guten momentanen 
Erfolg. Die Nervenverletzungen sind an den oberen Extremitäten häufiger 
als an den unteren. Auch bei den diametralen Schädelschüssen muss 
trepaniert werden, wenn Herdsymptorae vorhanden sind. Die Rücken¬ 
markschüsse gehören zu den traurigsten Kriegserinnerungen. (Demon¬ 
stration von 16 anatomischen Präparaten von Schussverletzungen.) 

Hr. Kirsch n er -Königsberg beobachtete 1000 Fälle, von denen 300 


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28, April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


807 


operiert wurden. Die erste Zeit arbeitete er in Sofia, später dicht bei 
Adrianopel in Mustapha Pascha. Die Güte der Resultate wächst mit 
der Entfernung vom Kriegsschauplatz. Er sah Infektionen in 33 pCt. 
bei Knochenschüssen, 37 pCt. bei Gelenkscbüssen und gar in 50 pCt. 
bei Gefässverletzungen. Hierfür anzuschuldigen ist in erster Reihe der 
Transport, anfangs über 150 km, später über 75 km, auf einfachen 
Ochsenkarren, ohne Decken oder sonstige Unterlagen. Nach der Ein* 
lieferung waren die Patienten, soweit sie überhaupt noch am Leben 
waren, völlig erschöpft und bedurften eines tagelangen Schlafes, ehe 
man den geringsten Eingriff wagen konnte. Ausserdem fehlte es an der 
notwendigsten Immobilisierung; weder Gips noch Schienen waren ver¬ 
wendet worden. Der Verband bedeckte die Wunde meist nicht einmal, 
weil er nicht kriegsmässig ausgeführt worden war. Man muss ihn fest¬ 
kleben, und zwar mit Mastisol über die ganze Extremität. So aus¬ 
geführte Verbände kamen in Sofia tadellos an. 

Hr. zur Verth-Kiel: Seekriegsverletzungen. 

Quellen zur Erkenntnis der Seekriegsverletzungen sind 1. die theo¬ 
retische Ueberlegung, 2. Friedenserfahrungen (Unglücksfälle), 3. See¬ 
kriegserfahrungen, besonders die Erfahrungen der Japaner in ihren beiden 
letzten grossen Seekriegen. Leichenschiessversuche liegen für die Schiffs¬ 
artillerie nicht vor. 

Das Kriegsinstrument im Seekrieg ist nicht wie am Lande der 
Mensch, sondern das Kriegsschiff. Demgemäss sind auch die Waffen im 
Seekrieg andere wie am Lande, nämlich in erster Linie schwere Artillerie, 
weiter Minen und Torpedos. Drei Viertel aller Seekriegsverletzungen 
auf japanischer Seite waren Artillerieverletzungen (davon 2 / 8 durch 
direkte und Va durch indirekte Geschosse hervorgerufen), ein Viertel 
entstand durch Minen und Torpedos (davon mehr als die Hälfte durch 
indirekte Geschosse). Neben den Verletzungen durch feindliche Waffen 
bringt das Seegefecht eine recht grosse Zahl von Verletzungen, die 
durch das Kriegshandwerk selbst entstehen. Als Durchschnittszahlen 
an Gefechtsverletzungen sind mit sehr grossen Abweichungen nach oben 
und nach unten nach japanischen Berechnungen im Zukunftsseegefecht 
20 pCt. Verluste zu erwarten, davon 4 pCt. tot, 8 pCt. schwer und 
8 pCt. leicht verletzt. Die Verluste im Seegefecht sind, soweit sie zur 
ärztlichen Versorgung kommen, nach oben begrenzt, da bei Ueber- 
schreitung einer gewissen Anzahl das Schiff selbst zu sehr zerstört ist 
und dem sicheren Untergänge anheimfällt. Brauchbarere Auskunft als 
über die Zahl geben die japanischen Berichte über die Verletzungsart. 
Ein Viertel aller Seekriegsverletzungen sind Quetschungen, mehr als ein 
Drittel Quetschwunden, etwa ein Sechstel Schusskanäle (Steckschüsse 
und Durchschüsse) ein Zehntel Zermalmungen und Verstümmelungen, 
ein Zehntel Verbrennungen und ein Zwanzigstel Augen- und Ohren¬ 
verletzungen. In rund 5 pCt. sind Eingeweideverletzungen zu erwarten, 
in 20 pCt. Knochenbrüche. Bemerkungen über Sitz, Ausgang, Heilungs¬ 
dauer und Infektion der Seekriegsverletzungen folgen. 

Hr. A. Frank-Berlin: Kriegserfahrungen. 

Redner leitete auf griechischer Seite in Saloniki, sodann in Leukast 
ein Hospital; da es sich um mittlere Etappen handelte, so wurde wenig 
operiert. Die Behandlung hinter der Gefechtslinie war auf griechischer 
Seite zweckmässig, nur wurde vielleicht zu viel Jodtinktur gepinselt. 
Das Verbandpäckchen nach französischem Muster erwies sich als zweck¬ 
mässig, und seine Verwendung geschah in geeigneter Weise. Ein Unter¬ 
schied zwischen Jodtinktur und Mastisol ergab sich nur insofern, als mit 
letzterem auch das Ungeziefer festgeklebt wurde. Fixierende Verbände 
kamen auch bei isolierten Weichteilsverletzungen zur Anwendung, wenn 
diese ausgedehnter waren. Infiziert waren meist nur die Artillerie¬ 
schüsse, konnten aber trotzdem allermeistens konservativ behandelt 
werden. Eine Gasphlegmone, kein Tetanus. Verletzungen des Ab¬ 
domens, des Thorax heilen unter Ruhigstellung nur in seltensten Aus¬ 
nahmefallen, je einmal musste operiert werden. Als Objekt für die 
Operationen bleiben Sohädelverletzungen, Extremitäten, Nerven und 
Gefässverletzungen. In der vorderen Linie wurde zu früh trepaniert 
und die Trepanierten zu früh entlassen. Die Nervenoperation wurde 
den grosseren Hospitälern Vorbehalten. Häufig sind Weichteils Verletzungen 
der unteren Extremitäten, insbesondere, 25 pCt., der Wadenschuss, der 
sehr schmerzhaft ist und ein grosses Hämatom bildet. Dieses kommt 
zur Vereiterung. Trotz Inzision und Drainage kommt es gelegentlich 
zu Gangrän der Muskulatur. 

fir. Pochhammer: Hinsichtlich der Häufigkeit infizierter Wunden 
kommt er zu anderen Anschauungen als GoenOn. Er stand dicht 
hinter der Front bei Janina. An dieser Stelle häufen sich die infizierten 
Verletzungen, indem die Nichtinfizierlen abgeschoben werden. Zuletzt 
waren unter 52 Fallen 47 infizierte. Er ist zufrieden mit dem griechischen 
Verbandpäckchen, unzufrieden mit der Fixation der Knochenbrüche. 
Wieviel auf die erste Versorgung der Wunde ankommt, sah er in Salo¬ 
niki, wo von 4—500 türkischen Verwundeten fast alle infiziert waren, 
weil wegen der herrschenden Demoralisation sich niemand um sie ge¬ 
kümmert hatte. Er glaubt durch Stauung viel Infizierte gerettet zu 
haben. Bei komplizierten Frakturen wendet er ohne Rücksicht auf 
Sequester und dergl. den gefensterten Gipsverband an. Bei den grossen 
Granatenverletzungen fand er die Sonnenbehandlung sehr vorteilhaft. 

Hr. Golmers - Coburg: Ueber die Wirkung des Spitz¬ 
geschosses. 

Vortr. erörtert auf Grund seiner im Balkankriege gemachten Er¬ 
fahrungen die Wirkung des Spitzgeschosses bei den verschiedenen Ver¬ 
letzungsmöglichkeiten und vergleicht dieselbe mit der Wirkung des 
ogivalen Geschosses. Er kommt zu folgenden Ergebnissen: 


Durch das Spitzgeschoss gesetzte penetrierende Wunden unter¬ 
scheiden sich im wesentlichen nicht von den durch andere gleich- 
kalibrige Mantelgeschosse hervorgerufene Schusswunden; der Einschuss 
ist auffallend klein, der Ausschuss findet sich bei ihnen meist etwas 
grösser als der Einschuss. 

Die Neigung des Spitzgeschosses, im Widerstand den Schwerpunkt 
nach vorn zu werfen, d. h. sich um seine quere Achse zu drehen, gibt 
ihm einen grösseren Aktionsradius im Verlaufe des Schusskanals und 
scheint Einfluss zu haben auf das häufige Zustandekommen von Gefäss- 
und Nervenverletzungen. 

Aus demselben Grunde kommt es bei Schussfrakturen häufig zu 
Steckschüssen, bei denen das Geschoss Deformationen erleiden kann. 
Wenn ein Teil derselben auch auf Querschlägern beruhen mag, die 
beim Spitzgeschoss häufiger sind als bei den ogivalen Geschossen, so 
kommt diese Deformation doch nachweislich auch bei Ersttreffern vor. 
Sie kommt zustande durch verschiedene, gleichzeitig auf das Gesohoss 
einwirkende Kräfte in dem Augenbliok, in dem das Geschoss den Knochen 
trifft (Drall, Stauchung, Verwerfen des Schwerpunktes, lebendige Kraft, 
Härtegrad des getroffenen Knochens); von wesentlichem Einfluss ist 
dabei der Winkel, unter dem das Geschoss auf den Knochen auftrifft 
(Demonstration verschiedener deformierter Geschosse). 

Bei den tangentialen Schädelschüssen ist durchweg eine erhebliche 
Splitterung und ein vergrösserter Knochenausschuss vorhanden, der die 
Infektionsgefahr erhöht. 

(Demonstration von aus dem-Gehirn extrahierten Splittern bei einer 
Anzahl von tangentialen Schüssen.) 

Vortr. kommt zu dem Schluss, dass die Verwundungsfähigkeit des 
Spitzgeschosses zum mindesten die gleiche wie die des ogivalen Ge¬ 
schosses ist, wenn man sie infolge der auch in mittleren Entfernungen 
häufig auftretenden Steckschüsse mit Querschlägerwirkung auf den Knochen 
nicht als grösser bezeichnen will. 

Hr. Fessler-München hat die Lage, welche das Spitzgeschoss bei 
seinem Fluge einnimmt, studiert. Er liess es durch Sägespäne fliegen, 
von Zeit zu Zeit war eine Pappwand eingeschaltet. Aus der Gestalt 
des Loches konnte er die Bewegungen des Geschosses rekonstruieren. 
Er kommt zu dem Ergebnis, dass das Geschoss, nachdem es irgendwo 
aufgeschlagen hat, sich nicht etwa einfach umdreht, sondern fortgesetzt 
pendelt. Steril können die Verletzungen mit der Spitzkugel nioht sein, 
da Kleider und, wie besonders der Tierversuch zeigt, Haare tief in die 
Wunde gerissen werden. Der günstige Wundverlauf ist daher eine Folge 
der Wundbehandlung. 

Hr. Frank-Berlin: Gegenüber Colmers betont er, dass die Steck¬ 
schüsse beim Spitzgeschoss durchaus nicht häufiger sind als beim ogi¬ 
valen Geschoss. Die 12 pGt. Steckschüsse erklären sich seiner Ueber- 
zeugung nach aus Prallschüssen, was bei der mangelhaften Ausbildung 
der türkischen Schützen nicht wunderbar ist, selbst bei den Franzozen 
waren 30 pGt. der Treffer Rückschläger. Am Einschuss lässt sich dies 
nicht immer erkennen. 

Hr. Mühsam: Die im Deutschen Roten Kreuz-Lazarett in 
Belgrad beobachteten Gehirn-, Rückenmarks- und Nerven¬ 
verletzungen. 

Unter den im Deutschen Roten Kreuz-Lazarett in Belgrad beob¬ 
achteten Kopfschüssen waren die Mehrzahl Kontur-, Weichteil- oder 
Knochenschüsse, bei denen das Gehirn nicht mitbetrofien war. Bei 
einem Fall von Läogsschuss durch den Kopf, bei dem die Kugel neben 
dem Scheitelbeinhöcker herein und über dem medianen Drittel der 
Glavicula herausgegangen war, fehlten cerebrale Erscheinungen, ebenso 
bei zwei Querschüssen durch den Kopf. 

Gerebrale Erscheinungen sind nur bei drei Konturschüssen beob¬ 
achtet worden, und zwar nach einem Konturschuss eine Gommotio, bei 
einem zweiten eine vorübergehende Amaurose des gleichseitigen Auges, 
bei einem dritten eine Lähmung der kontralateralen Hand und des 
Vorderarms. Während die beiden ersteren Fälle ohne Operation heilten, 
musste der letzte operiert werden. Bei der etwa 4 Wochen nach der 
Verwundung vorgenommenen Trepanation fanden sich acht Knochen¬ 
splitter ins Gehirn eingedrungen und wurden entfernt. Eine nach der 
Operation hinzugekommene kontralaterale Facialis- und Beinlähmung 
ging zurück. Die Armlähmung blieb aber bestehen. 

Rückenmarksverletzungen sind zweimal beobachtet worden, und 
zwar in beiden Fällen Kontusionen bzw. Hämatomyelien. Im ersten 
Falle sassen Einschuss und Ausschuss auf der gleichen Seite, und es 
handelte sich um eine einseitige Lähmung der unteren Extremitäten, 
welche sich sehr wesentlich besserte. Im zweiten Falle war der Ein¬ 
schuss zwei Querfinger breit über dem medianen Drittel der linken 
Glavicula, der Ausschuss an der rechten Spina scapulae. Hier waren 
zunächst Lähmungen, dann starke Spasmen in beiden Beinen mit 
Steigerung der Patellarreflexe vorhanden. Der Zustand besserte sich, 
doch blieben bis zuletzt Spasmen, Kniescheiben- und Fussclonus und 
ausgesprochener Babinski zurück. 

Plexusverletzungen sind drei beobachtet worden. Der erste Fall 
betrifft den oben kurz erwähnten Längsschuss des Kopfes, der zweite 
und dritte Fall betrifft Halsschüsse. Die Symptome waren bei allen 
drei ausstrahlende Schmerzen, Schwäche, Bewegungsbehinderung des 
betreffenden Armes. In allen Fällen trat Besserung ein. 

Lähmungen peripherer Nerven kamen sieben zur Beobachtung. Zwei 
Plexuslähmungen waren durch Schulter- bzw. durch Schlüsselbeinschüsse 
hervorgerufen. Die nervösen Erscheinungen bei dem Sohlüsselbeinschuss 
besserten sich von selbst. Bei dem Schulterschuss wurden die Nerven 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 17. 


808 


in der Achselhöhle freigelegt, in Narbengewebe eingebettet gefundeu 
und durch Neurolyse aus der Narbe befreit. 14 Tage nach der Ope¬ 
ration begann Patient seinen bis dahin gelähmten Arm wieder zu be¬ 
wegen. 

Von drei Radialisverletzungen war eine durch Schuss auf das 
Schlüsselbein bedingt. Sie blieb ungeheilt. Zwei andere waren durch 
Schüsse durch den Oberarm verursacht. In einem Falle, in dem es sich 
nur um eine Kontusion des Nerven handelte, ging die Lähmung nach 
etwa 6 Wochen zurück. Im zweiten Falle wurde 6 Wochen nach der 
Verwundung zur Operation geschritten. Der Nerv fand sich durchschossen 
und wurde vernäht. 

Zwei Peroneuslähmungen besserten sich von selbst; es handelte 
sich wohl nur um unvollkommene Zerreissung oder Kontusion des 
Nerven. 

Hr. Jurasz-Leipzig sah 12 Hirnschüsse, darunter 11 infizierte. 
Diese wurden gespalten, die Splitter entfernt, die Wunde offen gelassen. 
3 mal kam es zu Spätabscessen. In einem Fall von Haarseilschuss 
unter das Periost kam es dennoch zu Osteomyelitis. Für die schlechten 
Resultate verantwortlich ist die unzweckmässige erste Behandlung, be¬ 
sonders das übertriebene Tamponieren der türkischen Aerzte. Unter den 
Rückenmarksverletzungen fand er 2 mal reine Commotio ohne Ver¬ 
letzung des Knochens und ohne Hämatom. Liquorbeschaffenheit normal. 
Trotzdem schlaffe Lähmung, Inkontinenz, Hypästhesie. Spontane Heilung. 
Bei einem Steckschuss des Rückenmarks wurde die Kugel aus der Cauda 
equina entfernt. Rückgang der Lähmungen binnen 3 Monaten. Auch 
am Nerven kommen Kontusionen vor, so in einem Falle, wo der Plexus 
brachialis durchsetzt war. Spontaner Rückgang der Lähmungen. 

Hr. Kirschner-Königsberg gibt das Vorkommen derartiger Fälle 
zu, kommt aber zu dem Ergebnis, dass man in jedem Fall freilegen soll, 
da es unmöglich ist, diese Fälle gegen solche abzugrenzen, bei denen 
der Eingriff geboten ist: nämlich Zerreissungen, Gegenwart irritierender 
Fremdkörper, Einmauerung des Nerven im Narbengewebe. Im letzteren 
Fall empfiehlt er, den Nerven nach der Neurolyse in Fascia lata ein¬ 
zubetten. 

Hr. v. Oettingen-Berlin: Die Infektion im Kriege. 

Im Gegensatz zu der Annahme v. Bergmann’s muss man heut¬ 
zutage daran festhalten, dass jede Wunde infiziert ist. Daher geht vieles 
auf primäre Infektion zurück, was man der sekundären zuschreibt. 
Man soll ausbluten lassen, aber dann zudecken. Die Unterlassung der 
Wuudbedeckung führte zu 1 pCt. Tetanus bei den 63 000 russischen 
Verwundeten nach Mukden. Die Kranken selbst, aber auch die Helfer 
infizieren die Wunden durch unzweckmässige oder unsinnige Maassnahmen. 
Spülungen mit Wasser oder giftige Antiseptica können nur schädlich 
wirken. Auch das Jodoform will er verdammen. Er rügt ferner die 
Unterlassung der Fixation. Statt sich über Sondierungen zu beschweren, 
soll man einfach die Sonde aus dem Instrumentarium entfernen. Er hat 
sie nie gebraucht. Die schädliche Tamponade entspringt einer unbe¬ 
gründeten Angst vor Blutungen. Es gilt der Grundsatz, dass eine 
Blutung entweder tödlich oder harmlos ist. 

Die gewöhnliche Form der Heilung ist die unter Schorf mit nekro¬ 
tischen Rändern und sekundärer Granulation. Redner glaubt, dass in 
den Statistiken, auf welche er aus den verschiedenen Gründen wenig 
Wert gelegt wissen will, diese Wunden mit Unrecht als nichtinfektiös 
geführt werden. 

Die Kriegsphlegmone und das zerstörte Gewebe hat nicht den fort¬ 
schreitenden Charakter, wie wir ihn vom Frieden kennen. Was als 
Abscesse aufgefübrt wird, ist allermeistens Eiterverhaltung unter dem 
Verband und beruht auf primärer Infektion. Den Satz, dass der erste 
Verband das Schicksal entscheidet, will er heute zugeben, wenn man 
die Fixation hinzunimmt. Die Hauptsache seien die drei Fixationen: 

1. Fixation der Bakterien durch Jodtinktur oder besser Mastisol. 

2. Fixation der verletzten Stellen und 3. Fixation des Kranken am 
Lager. Die Tragbahre kann dabei sehr vorteilhaft alle Schienen er¬ 
setzen. Er betont die Vorteile der Suspension bei Kriegsphlegmone, 
beklagt ihre zu seltene Anwendung und glaubt, dass alle Wadenschüsse 
durch sie glatt heilen würden. 

(Schluss folgt.) 


Deutscher Kongress für innere Medizin 

zu Wiesbaden vom 15. bis 18. April 1913. 

(Referent: K. Reicher - Bad Mergentheim.) 

Eröffnungsrede: Hr. Penzoldt- Erlangen. P., der Vorsitzende dieser 
Tagung, gedenkt der Verstorbenen dieses Jahres, hebt mit Genugtuung 
hervor, dass die Zahl der Mitglieder und der Vortragenden ständig im 
Wachsen begriffen und der Kongress nunmehr in Vollkraft in das vierte 
Jahrzehnt seines Bestehens eintritt. 

Die stark angefeindete Arzneimittelkommissiön hat als Erfolge zu 
verzeichnen, dass viele Firmen ihre Anzeigen den Grundsätzen des Kon¬ 
gresses an gepasst haben, und es ist zu hoffen, dass auch Arzneimittel¬ 
prüfungsanstalten zum Nutzen der Aerzte und zum Schutze der hilfe¬ 
suchenden Menschheit gegründet werden. 

Noch grössere Erfolge sind der Centralkommission beschieden 
gewesen, die als ein mächtiges Bollwerk zum Schutze der Einheit der 


inneren Medizin das Centralblatt ins Leben gerufen hat. Die Zahl 
der Publikationen in der inneren Medizin ist ins Unendliche gewachsen, 
behufs Einschränkung der Veröffentlichungen empfiehlt P., nur aus¬ 
gereifte Arbeiten mit grossen Untersuchungsreihen zu publizieren, die 
kleinen Einzelpublikationen sollten von den führenden Männern zurück¬ 
gehalten werden. 

1 . Referent: Hr. Hans H. Meyer-Wien: Die Erwärmung ist das 
Ergebnis chemischer, die Wärmeabgabe physikalischer Prozesse. Ver¬ 
liefen beide unabhängig voneinander, so würde die Temperatur des 
Körpers auf- und absehwanken «wischen einem die Aussentemperatur 
nur wenig übersteigenden Minimum und dem höchsten noch mit dem 
Leben verträglichen Wärmegrad (42° C) als Maximum. Bleibt die 
Körpertemperatur beständig gleich, so muss zwisohen beiden Vorgängen 
eine Wärmeregulation bestehen. Dieser centrale Temperaturregulator 
liegt im Gehirn; ist dieser intakt, so bleibt die Körpertemperatur 
konstant, mögen auch an der Wärmebildung und an der Wärmeabgabe 
beträchtliche Aenderungen nach oben oder nach unten vorgenommen 
werden. Der normale Regulationsapparat ist beim Menschen auf rund 
37° C abgestimmt, im Fieber ist er auf eine abnorm hohe Temperatur 
(38—42° C) eingestellt und wird durch Antipyretica wieder auf 37 9 
zurückgestellt. Man kann sich den ganzen Apparat als zwei örtlich 
vielleicht getrennte, korrelativ miteinander gekuppelte Centren vorstellen, 
als ein thermogenetisches, d. h. wärmespeicherndes bzw. temperatur¬ 
steigerndes und ein thermolytiscbes, d. h. temperaturminderndes, kurz 
als ein Wärme- und als ein Kühlcentrum. Beide Centren können von 
der Peripherie her reflektorisch vorübergehend erregt werden, und zwar 
reguliert der Organismus mit Gegenaktion schon bei nur drohender, 
durch die Hautempfindung angekündigter Abkühlung oder Ueberhitzung. 
Das Wärmecentrum kann auch reflektorisch gehemmt werden und zwar 
durch starke Hautreize wie Sinapismen. Beide Centren sind aber 
auch unmittelbar erregbar oder zu beruhigen, Erwärmung des Wärme¬ 
centrums erregt Sinken der Temperatur, Abkühlung fieberhafter Er¬ 
höhung. 

Das Aronsohn-Sachs’sche Wärmecentrum ist im Fieber ira Zustande 
einer erhöhten Erregbarkeit, das antagonistische Kühlcentrum ist dabei 
automatisch gehemmt. Das Wärmecentrum ist nicht nur mechanisch 
und elektrisch direkt erregbar, sondern auch reflektorisch und chemisch, 
z. B. durch NaCl, parenteral beigebrachtes artfremdes Eiweiss, Albu- 
mosen, andere Eiweissabbauprodukte, darunter auch das Anaphylatoxin, 
Toxine von Mikroparasiten, Adrenalin usw. Da letzteres das sym¬ 
pathische Nervensystem erregend oder sensibilisierend beeinflusst, wird 
wohl auch das Wärmecentrum demselben angehören. Dazu stimmt auch, 
dass bei Basedow eine grosse Neigung zu Temperatursteigerungen be¬ 
steht: nämlich auch das Schilddrüsenhormon steigert die Erregbarkeit 
des sympathischen Nervensystems. Das Kühlcentrum wird wohl auto¬ 
nomer Natur sein, damit stimmt, dass Erreger des autonomen Systems 
wie Pikrotoxin, Santonin, Digitalin auch einen typischen Temperaturabfall 
durch Erregung der Kühlcentren bewirken. 

Bei mangelhafter Tbyreoideafunktion oder der Pars anterior der 
Hypophyse besteht Neigung zu subnormaler Temperatur als Ausdruck 
einer verminderten Erregbarkeit des Wärmecentrums. Die Ausschaltung 
des Wärmecentrums bei Winterschläfern scheint auch auf Ausfall¬ 
erscheinungen von seiten der Hypophyse zu beruhen. 

Im Fieber ist das Kühlcentrum gehemmt, das Wärmecentrum aber 
übererregbar, d. h. erst durch eine höhere Temperatur als normal zu 
beruhigen. Bei übererregbarem Wärmecentrum tritt natürlich auch 
leichter als in der Norm Erschöpfung ein. Bei starker Badeabkühlung 
vermag der Fiebernde daher nicht seine hohe Eigenwärme konstant zu 
erhalten, er wird dadurch auf Stunden, der Gesunde nur für Minuten 
abgeküblt. Das Chinin schränkt schon in kleinen Gaben den Eiweiss¬ 
abbau ein, am Gesunden wird dies ausgeglichen, beim Fiebernden drückt 
Chinin aber die Temperatur herunter, es ist also ein leichtes Narkoticum 
des Wärmecentrums, ein stärkeres der Alkohol und Chloral. 

Als Gegenstück dazu wirken andere Gifte wie Pikrotoxin usw. durch 
Erregung des Kühlcentrums, ebenso die Bulbärgifte Veratrin, Akonitin 
und Digitalin. Die Entfieberung wird schonender durch Mittel herbei¬ 
geführt, die die Wärmeproduktion einschränken, während Anti- 
pyrin, Acetanilid und Salioylate, welche die Wärmeabgabe erhöben, 
leicht Schwächezustände zur Folge haben. 

2. Referent: Hr. L. Kreh 1 - Heidelberg: Der homöotherme 
Organismus besitzt Einrichtungen für die Erhaltung der Eigenwärme, 
welche im Gehirn zwischen dem frontalen Ende des Thalamus und den 
Vierhügeln liegen. Tiere, die unmittelbar hinter diesen Stellen an den 
Vierhügeln durchschnitten werden, besitzen nicht mehr die Fähigkeit 
der Regulierung. Nach Trennung von Vorderhirn und Streifenkörper an 
den caudalen Partien bleibt die Wärmeregulation erhalten. Die Unver¬ 
sehrtheit einer Hälfte genügt für die Erhaltung der Funktion. Die re¬ 
gulierenden Vorrichtungen sind von zahlreichen anderen Stellen des 
Hirns leicht zu beeinflussen. Die Auffassung des Fiebers als eines Er¬ 
regungszustandes des thermoregulatorischen Apparates setzt voraus, dass 
beim Gesunden und beim Fiebernden qualitativ gleiche energetische 
Vorgänge ablaufen. 

In der Regel befindet sich der Fiebernde im Zustand mehr oder 
weniger starker Unterernährung. Im reinen HuDger beteiligt sich das 
Eiweiss am Kraftwechsel mit 15 bis 20 pCt., der übrige Teil kommt auf 
Rechnung von Kohlehydraten und Fetten. Nach Grafe bestehen für 
das Fieber nun ganz analoge Verhältnisse, nur bei lange währendem 


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28. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


809 


Fieber sinkt der Eiweissquotient viel tiefer. Der Stoffweohsel des 
Fiebernden ist also qualitativ von dem in Unterernährung befindlichen 
Menschen nicht verschieden und der Annahme eines Erregungszustandes 
der Thermoregulatoren steht nichts im Wege. 

Auch bei der Wärmeabgabe bestehen prinzipiell keine Abweichungen 
von der Norm. In bezug auf Stoffzerfall beteiligen sich die Muskeln in 
der Norm sowohl als auch an der febrilen Wärmeproduktion, so kann 
man bei curarisierten Tieren aseptisches Fieber z. B. durch NaCl - In¬ 
jektion hervorrufen. Ebenso gelingt an ihnen der Wärmestich. Aber 
auch die grossen Unterleibsdrüsen haben Bedeutung für die fieberhafte 
Wärmeproduktion (Notwendigkeit des Glykogengehaltes der Leber für 
Piqure und Fieber). Im Hunger kommt aseptisches Fieber nicht zu¬ 
stande. Bei Tieren mit durchschnittenem Brustmark (bis hinauf zu d 2 ) 
ist die Regulationsbreite herabgesetzt. Nach Durchschneidungen des 
Brustmarks bei c 8 zwischen Hals- und Brustmark ist die Regulierfähig¬ 
keit völlig aufgehoben. Erzeugung von aseptischem Fieber und Wärme¬ 
stich gelingen dann nicht mehr. Kranke mit ähnlichen Läsionen des Hals¬ 
markes zeigen nicht selten besonders hohe Temperatursteigerungen. 
Gleiche Verhältnisse wie bei Durchtrennung des Halsmarkes bestehen 
bei Durchschneidung des Brustmarkes am vierten Segment mit beider¬ 
seitiger Entfernung des Ganglion stellatum oder bei gleichzeitiger Re¬ 
sektion der Nervi vagi. Bei ihnen kann man weder mittels Wärmestich 
noch auf aseptisch-chemischem Wege Fieber hervorrufen. 

Dem Grenzstrang spricht auch K. eine grosse Bedeutung für die 
Wärmeregulation und das Fieber zu (Adrenalinfieber, Hyperglykämie bei 
Fieber, Temperaturabfall bei Ausfall der Nebennieren). Im Zwischenhirn 
erzeugte Erregungen gehen auf sympathischen Bahnen jedenfalls auch zu 
den Drüsen mit innerer Sekretion. Die Entstehung von Fieber ist fast 
immer auf Zerfall von Eiweiss im Organismus zurückzuführen, so bei 
bakteriellen Injektionen, Kochsalzfieber usw. Die Blutplättchen, welche 
besonders leicht zerfallen und dabei ungemein leicht Fieber erzeugen, 
spielen möglicherweise bei der Genese des Fiebers auch eine Rolle. Von 
einem einheitlichen pyrogenen Körper kann man noch nioht reden. Die 
fiebererzeugendon Substanzen müssen aber jedenfalls eine Konstitution 
haben, die sie zur Bildung von Antitoxinen befähigt. Viele Fiebernde 
lassen sich durch reichliche Nahrungszufuhr annähernd oder völlig im 
Energiegleichgewichte halten. Mau kommt dabei mit mittleren Gaben 
Eiweiss bei reichlicher Kohlehydratnahrung aus. Immerhin erweisen sich 
beim Fiebernden 40—50 Nettokalorien als notwendig. Forcierte An¬ 
wendung von kaltem Wasser stellt an den Energieverbrauch der Kranken 
nicht zu untersohätzende Anforderungen und ist daher bei Fiebernden 
elnzuschränken. Die schlechte Sitte, gegen jede Temperatursteigerung 
sofort mit Antipyreticis vorzugehen, ist glücklicherweise jetzt verlassen. 
Mit vorsichtigen Dosen von Pyramidon kann man allerdings bei Typhösen 
viel Nutzen stiften. 

Hr. A. Schittenhelm - Königsberg: Anaphylaxie und Fieber. 

Injiziert man einem Tier eine kleine Menge artfremden Eiweisses 
parenteral und macht nach etwa 14 Tagen eine Reinjektion, so entsteht 
der anaphylaktische Shock des Meerschweinchens mit Temperatur- und 
Leukocytensturz, Atemnot, Lungenblähung und Aufhebung der Blut¬ 
gerinnung. Bei leichterem Verlauf der anaphylaktischen Erkrankung 
entstehen Fieber, Leukocytose, Blutdrucksenkung, vermehrte Lymph- 
strömung usw. Je nach der Menge der reinjizierten Dosis kann man 
Fieber oder Collapstemperatur hervorrufen. Schwierig 'ist die Erklä¬ 
rung des gesamten Symptomenkomplexes. Nach den Versuchen von 
Biedl und Kraus mit Wittepepton erklärt sioh scheinbar der ganze 
Prozess durch parenterale Verdauung. Wittepepton ist jedoch ein Ge¬ 
misch der verschiedensten Eiweissabbaustufen und enthält u. a. das 
niedrig moleculare Vasodilatin und hochmoleculare höchst giftige Eiweiss¬ 
spaltungsprodukte- Zum genauen Studium der Anaphylaxie muss man 
aber gut charakterisierbare isolierte Körper verwenden. Die zusammen¬ 
gesetzten Eiweisskörper, wie Nucleoproteide, Nucleohistone usw. beein¬ 
flussen den Organismus kaum. Sehr stark dagegen die abgetrennten 
Eiweisskomponenten, wie das Histon und das Protamin. Die Gift¬ 
wirkung wird wieder aufgehoben, wenn man sie mit anderen Sub¬ 
stanzen verkuppelt, ähnlich wie Wittepepton durch Pepsin zu Plastein 
verwandelt seine Wirkung verliert. Vielleicht spielt diese natürliche 
Entgiftung auch im Organismus eine Rollo. Bei allen diesen Sub¬ 
stanzen, ähnlich wie bei den basischen Abbauprodukten Histamin und 
Methylguanidin fehlen einige Kardinalsymptome- der Anaphylaxie, >wie 
die Aufhebung der Blutgerinnung und die Erzeugung der Eosinophilie, 
auch sind hierbei viel grössere Quantitäten notwendig als bei Serunj- 
reinjektionen. Durch parenteral^. Einverleibung von artfremdem Eiweiss 
wird der Organismus zur Abgabe von Schutzfermenten an d^s Blut 
behufs Aufspaltung desselben veranlasst, ehe noch durch Reiojektion 
Anaphylaxie ausgelöst werden kann. Die parenterale Verdauung bietet 
demnach keineswegs eine erschöpfende Erklärung der Anaphylaxie. 
Nach Friedberger soll eia einheitliches Anaphylatoxin als inter¬ 
mediäres Abbauprodukt aus den verschiedensten Eiweisskörpern ent¬ 
stehen und die spezifischen Antikörper das Eiweiss über diese Zwischen¬ 
stufe hinaus in ungiftige Spaltprodukte zerlegen. Die Giftwirkung ist 
aber viel geringer als bei den minimalen Mengen des Anaphylaxie¬ 
versuches. Ungeachtet der Sensibilisierung des Organismus durch 
Bakterieneiweiss kann auch primär bei Infektionen eine hohe Gift¬ 
wirkung durch Spaltprodukte der Bakterien entstehen. Die Bakterien¬ 
proteine rufen aber spezielle Symptomenkomplexe hervor, die für die 
einzelnen Bakterien variieren, ebenso sind die entstehenden Immun¬ 
körper streng spezifisch. Bei Malaria sind ausschliesslich die Sporu- 


lationsformen die Träger des Fieberagens. Beim Rückfallfieber entsteht 
der Fiebertypus dadurch, dass in der fieberfreien Periode spezifisch 
baktericide Stoffe im Blute kreisen. Nach ihrer Abnahme beginnt das 
Fieber von neuem. Alle diese Befunde sprechen gegen die Erklärung 
des infektiösen Fiebers durch ein einheitliches Gift. Bei einer natür¬ 
lichen Infektion sieht man auch kaum jemals Vergiftungsbilder, welche 
mit dem anaphylaktischen Shock auch nur entfernte Aehnliohkeit auf¬ 
weisen. Es könnten vielmehr Aenderungen im kolloidalen Gleichgewicht 
des Blutes die anaphylaktischen Erscheinungen hervorrufen, zumal durch 
Schütteln von ungiftigen Seren mit Kaolin, Kieselgur usw. diese in hoch¬ 
giftige umgewandelt werden, ebenso durch Behandlung mit kolloidaler 
Kieselsäure. Nebstbei erhöhen sich bei diesen Prozeduren die vaso- 
konstruktorisohen Fähigkeiten der Seren durch Desaggregation. Hierher 
gehört auch die Erzeugung von Fieber oder Gollaps durch intravenöse 
Injektion von feinsten Paraffinsuspensionen, das Fieber bei Messing- 
giessern sowie nach Einatmung von Zink und anderen Schwermetall¬ 
dämpfen. Nichtsdestoweniger hat die Anaphylaxie uns einen tieferen 
Einblick in die Pathologie des Eiweissabbaues gewährt. 

(Fortsetzung folgt.) 


Chemiker und Biologe. 1 ) 

Von 

P. G. Unna. 

Biologe: Also kurz und gut: die Reduktionsorte im tierischen 
Gewebe erkennen Sie an, die Sauerstofforte aber nicht. 

Chemiker: Ja und Nein. Gegen die von Ihnen aufgestellten Re¬ 
duktionsorte (Hornschicht, Spongioplasma, Muskeln, Nerven, Erythrocythen) 
ist chemisch nichts einzuwenden. Freilich sind die Manganbilder der¬ 
selben nicht eindeutig; denn Kali hypermanganicum wird nicht nur von 
reduzierenden Stoffen, sondern auch von H,O a , einem oxydierenden 
Mittel, zersetzt. Aber dafür treten die Färbungen der anderen und wie 
Sie nachgewiesen haben, identischen Reduktionsbilder ein (Eisen-Cyan¬ 
mischung und Tetranitrochrysopbansäure), die nur durch Reduktion 
(des roten Blutlaugensalzes bzw. der Nitrogruppe) und jedenfalls nicht 
durch H 2 0 2 zustande kommen können. 

Nur als sichergestellten und vollkommenen Gegensatz zu diesen 
Reduktionsorten erkenne ich auch Ihre Sauerstofforte (Kern, 
Mastzellen, Plasmazellen, Knorpel) an, da beide Gruppen sich nicht bloss 
unterscheiden, sondern sich wie Positiv und Negativ verhalten, so dass 
die mit Rongalitweiss dargestellten Sauerstofforte sämtlich keine Re¬ 
duktionsorte, die Reduktionsorte keine Rongalitweissorte sind. Aber ich 
erkenne die Sauerstofiorte nur als histologischen Befund an, der ja 
wichtig genug sein mag. Chemisch sind es für mich keine Sauer¬ 
stofforte, sondern da sie Leukomethylenblau aufnehmen und speichern, 
Säureorte, meinetwegen besonderer Art. 

Biologe: Dem muss ich entschieden entgegentreten. Wenn ich 
die Schnitte mit S0 2 oder Cyankalium vergifte, leidet darunter das Säure¬ 
bild gar nicht, wie die gute und dunkle Methylenblaufärbung derselben 
beweist. Aber die Färbung solchergestalt ihres Sauerstoffs beraubter 
Schnitte mit Rongalitweiss versagt vollständig. Ebenso beseitigt eine 
Erhitzung der Schnitte auf 100° das Rongalitweissbild, wärend das mit 
Methylenblau darstellbare Säurebild nicht im geringsten gelitten hat. 

Chemiker: Ich gebe zu, dass hierbei ein Unterschied zwischen 
Methylenblaufärbung und Rongalitweissfärbung zutage tritt. Ich würde 
denselben aber nur so ausdrücken, dass ich sage: die an Sauerstoff ver¬ 
armten oder erstickten Schnitte verlieren auf eine noch unerklärte 
Weise ihre Affinität zu Leukomethylenblau, während die zum Methylen¬ 
blau erhalten bleibt. 

Biologe: Nun genau das, was ich künstlich durch Sauerstoff- 
entziebuog an den Sauer9tofforten bewirken kann, findet sich schon von 
Natur an gewissen Gewebselementen, wie die Hornschicht, die Muskel¬ 
substanz, die sich als Säureorte wohl mit Methylenblau färben lassen, 
die aber als Reduktionsorte Rongalitweiss nicht zu bläuen vermögen. 
Sie werden wieder sagen, dass hier auf bisher noch unerklärte Weise 
die sauren Gewebe wohl Methylenblau, aber kein Leukomethylenblau 
aufnehmen können. Aber abgesehen davon, dass hierin noch keine Er¬ 
klärung liegt, ist es auch nioht ganz richtig. Denh in Wirklichkeit 
nimmt die Hornschioht, wenn auch nicht viel, so doch sicher etwas 
Leukomethylenblau auf, auch,wenn man es dem Rongalitweissbild der 
ungefärbten Hornschioht nicht ansieht. ,, 

Chemiker: Das kann ich mir nicht denken. Es gibt Körper, die 
bei Gegenwart von Luftsauerstoff dauernd oxydieren und andere, die bei 
Gegenwart von H 2 dauernd reducieren. Aber Körper, die bei Ueber- 
sohuss von Luft dauernd Oxydation hindern, gibt es nicht. Wo die Luft 
nioht bläut, da ist auch kein Leukomethylenblau und wo Leukomethylen¬ 
blau ist, da bläut die Luft schliesslich stets. Eine Reduktionskraft der 
Hornschicht, so gross, dass sie dauernd vorhandenes Leukomethylenblau 
an der Oxydation hindern könnte, ist undenkbar. 

1) Dieser Dialog entstand im Anschluss an die rege Diskussion 
nach meinem in der Berliner physiologischen Gesellschaft am 24. Januar 1913 
gehaltenen Vortrag: Tatsachen über die Reduktionsorte und Sauer¬ 
stofforte des tierischen Gewebes. 

(Vergleiche hierzu No. 13 dieser Wochenschrift. Red.) 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 17. 


Biologe: Dass dieses für Sie „Undenkbare“ dennoch in Wirklich¬ 
keit besteht, ist leioht nachzuweisen. Denn das in der Hornschicht latente 
Leukomethylenblau kann man mit verschiedenen stärkeren Oxydations¬ 
mitteln in Methylenblau verwandeln und dadurch kenntlich machen. Die 
beste Methode, die ich auch stets an wende, um irgendwo latentes Leuko- 
metbylenblau zu entdecken, ist ein kurzer Aufenthalt der Schnitte in 
Osmiumdampf; denn hier geht nicht gleichzeitig eine Auswaschung des 
gebildeten Methylenblaus einher. Doch gelingt die Bläuung der bis 
dahin weissen Hornschicht auch oft mit H 2 0 2 , Eisenchlorid usw. 

Aber wenn die Abweisung des Rongalitweiss durch die Hornschicht 
auch nicht so absolut ist, wie Sie annehmen, so stimme ich Ihnen doch 
darin bei, dass Rongalitweiss nur in sebr geringem Maasse von der Horn¬ 
schicht aufgenommen und noch sohleohter von ihr (unauswaschbar) fixiert 
wird. Eine naheliegende Erklärung dafür wäre übrigens der Säurezusatz 
(HCl, Essig), der dem Rongalitweiss gemacht werden muss. Denn wenn 
man eine Methylenblaulösung durch Säurezusatz abschwächt, färbt sich 
die Hornschicht auch nicht, sondern nur Mastzellen und Kerne. 

Doch werde ich auf den Hauptgrund der Nichtfärbung der Horn¬ 
schicht durch Rongalitweiss gleich zu sprechen kommen, nachdem wir 
uns über die Natur der Sauerstofforte verständigt haben, denn beide 
Fragen hängen untrennbar zusammen. Sie bestreiten also, dass die 
Sauerstofforte freien Sauerstoff besitzen und sich dadurch von ihrer Um¬ 
gebung unterscheiden. 

Chemiker: In der Tat. Ihre Sauerstofforte sind für mich nur 
Leukobasen fixierende Orte; da ihre Bläuung bei Luftabschluss 
nicht stattfindet, so ist dort auch kein freier Sauerstoff, alle Bläuung 
beruht vielmehr auf dem Zutritt des Luftsauerstoffs. 

Biologe: Sie denken offenbar daran, dass ich gleich anfangs die 
Abhängigkeit der Bläuung der Kerne durch Rongalitweiss vom Zutritt 
des Luftsauerstoffs nachgewiesen habe. Aber erstens waren diese älteren 
Versuche nicht mehr eiuwandsfrei, seitdem wir gelernt haben, dass durch 
Pyrogallol- bzw. Phosphorwasser nicht bloss der Luftsauerstoff ab¬ 
gehalten, sondern auch die Sauerstofforte direkt geschädigt werden. Sie 
sind später mit einwandfreier Methode wiederholt worden und haben zu 
ganz anderen Resultaten geführt. 

Weiter aber haben wir unterscheiden gelernt zwischen primären 
Sauerstofforten (Kern und Mastzellen), welche den Sauerstoff zu akti¬ 
vieren vermögen, und sekundären Sauerstofforten (Granoplasma, Plasma- 
zellen, Ganglien, Knorpel), die befähigt sind, freien Sauerstoff (sei es 
physikalisch oder locker chemisch) zu speichern. Für beide Kategorien 
hat offenbar der Zutritt des Luftsauerstoffs eine verschiedene Bedeutung. 
Für die primären Sauerstofforte ist der Sauerstoffzutritt die notwendige 
Bedingung, dass sie aktivieren können; ganz unabhängig davon können 
sie noch einen beliebig hohen Rest von früher aktiviertem Sauerstoff 
besitzen, da sie natürlich auch Sauerstoff zu speichern vermögen. 
Schliesst man da den Luftsauerstoff ab, so können die Kerne entweder 
Sauerstoff in ganz verschiedenem Grade anzeigen oder nicht. Schliesst 
man aber den Luftsauerstoff von den sekundären Sauerstofforten ab, so 
müssen dieselben (also Plasmazellen, Ganglien, Knorpel) unter allen 
Umständen Sauerstoff besitzen und anzeigen; denn darin besteht ihre 
einzige Funktion. Ein Fehlen des freien Sauerstoffs an den sekundären 
Sauerstofforten bei Luftabschluss würde beweisen, dass sekundäre patho¬ 
logische Veränderungen in ihnen stattgefunden haben (z. B. Aus¬ 
waschung der Cytose aus Plasmazellen, Ganglien). 

Die mit verbesserter Methode angestellten Luftabschliessungsversuche 
bestätigen diese Voraussetzungen sämtlich. Man hat hierzu nur nötig, 
die Schnitte aus dem Rongalitweiss dreimal in Reagiergläschen mit gut 
abgekochtem Wasser zu schütteln und auf das letzte Gläschen Paraffinum 
liquidum 3—4 cm hoch aufzugiessen. Man kann dann sicher sein, dass 
aller in den Schnitten vorhandene freie Sauerstoff sich nach einiger Zeit 
durch Bläuung der Schnitte anzeigt, ohne dass von aussen freier Sauer¬ 
stoff zutreten kann. Und das Resultat ist das erwartete. Alle sekun¬ 
dären Sauerstofforte (Plasmazellen usw.) sind prachtvoll gebläut; die 
primären (Kerne) meistens auch, aber in verschiedenem Grade, manchmal 
sehr stark, manchmal nur schwach. 

Chemiker: Nun wohl. Wenn diese Rongalitweissversuche unter 
Sauerstoffabschluss sich vollinhaltlich bestätigen sollten, gebe ich zu, 
dass in den Geweben an verschiedenen Orten Reservesauerstoff vor¬ 
handen ist; aber Sie müssen hinwiederum auch zugeben, dass, abgesehen 
hiervon, auch überall dort die Rongalitweissmethode Bläuung hervorruft, 
wo nur die zwei Bedingungen vorhanden sind, dass Leukomethylenblau 
gespeichert wird und Luftsauerstoff hingelangt. 

Biologe: Leider kann ich Ihnen auch nicht einmal dieses zugeben. 
Denken Sie nur an alle die ungebläuten, hell hervorleuchtenden Kerne 
der Plasmazellen, Ganglien, des Knorpels auf Schnitten, die mit Rongalit¬ 
weiss gefärbt und der Luft ausgesetzt sind. Hier sind beide Be¬ 
dingungen vorhanden und doch tritt keine Bläuung ein; denn Sie werden 
doch wohl kaum die Vorstellung wagen, dass die sauren Kerne der 
Plasmazellen usw. nicht, wie alle anderen Kerne, Leukomethylenblau 
aufnehmen könnten. Es muss also noch als eine dritte Bedingung hinzu¬ 
kommen, dass der Kern sich mit Sauerstoff belädt und diese 
findet sich in den drei erwähnten Fällen nicht erfüllt, denn in allen ist 
der Kern von einer dichten Masse sekundärer Sauerstofforte (Granoplasma, 
Knorpelgrundsubstanz) umlagert, die dem Kern beständig den von ihm 
aktivierten Sauerstoff entzieht. Dass wirklich nur dieser Grund hier die 
gewöhnliche Bläuung des Kerns verhindert, lässt sich leicht beweisen. 
Man entzieht (z. B. durch 1 proz. Borsäurelösung) den betreffenden 
Schnitten auf unschädliche Weise das räuberische Granoplasma und wird 


finden, dass die Kerne (der Plasmazellen, Ganglien) sich nun wieder 
ganz wie gewöhnliche Kerne mit Rongalitweiss bläuen. Fassen wir diese 
und die vorhergehenden Versuche zusammen, so haben wir also teils 
dort keinen freien Sauerstoff, wo wir ihn nach der einfachen „Küpen¬ 
theorie“ der Sauerstoffortc U finden müssten, teils dort freien Sauerstoff, 
wo er nach derselben Theorie nicht auftreten sollte, weil die zutretende 
Luft ausgeschlossen ist. 

Chemiker: Gut, dass Sie an die Küpenfärbung erinnern. Ich 
wollte schon lange fragen, weshalb Sie nur Methylenweiss zur Auf¬ 
findung der Sauerstofforte benutzen. Andere Leukofarben können doch 
zu anderen Gewebsteilen Affinität besitzen und es ist doch von vorn¬ 
herein gar nicht ausgeschlossen, dass auf demselben Wege noch andere 
Sauerstofforte als die von Ihnen angegebenen gefunden werden könnten. 
Insbesondere wäre es mir interessant, zu erfahren, wie sich das Leuko- 
produkt des indigoschwefelsauren Natrons (Indigcarmin), einer sauren 
Küpenfarbe, zum Gewebe verhält. 

Biologe: Ich habe in der Tat schon mit verschiedenen sauren 
Leukofarben experimentiert 2 ), unter Zugrundelegung derselben soeben 
von Ihnen berührten Fragestellung; besonders haben mir Leukorcein 
und Leukosäuregrün (in Rongalitmischungen) deutliche Befunde gegeben. 
Leukoindigkarmin (Indigweiss) habe ich erst in neuester Zeit benutzt 
und dieselben Resultate gefunden, wie mit den anderen beiden sauren 
Leukofarben. Alle ergeben das genaue Gegenteil der Rongalitweiss- 
färbung; Kerne ungefärbt, Hornschicht und Spongioplasraa gefärbt. Hinzu 
kommt als etwas Neues noch: eine Färbung des Kollagens. Das 
war vorherzusehen, denn diese sauren Leukofarben haben nur Affinität 
zu den basischen Bestandteilen des Gewebes, und da diese im grossen 
und ganzen mit den reduzierenden Bestandteilen desselben zusammen¬ 
fallen, so ergeben sich mit sauren Leukofarben ähnliche Bilder wie die 
Reduktionsbilder, wenigstens in bezug auf Kern, Spongioplasma und 
Hornschicht. Das KoIIagen macht eine Ausnahme, da es nicht wie die 
anderen Teile reduziert, aber durch die Menge seiner basischen Bestand¬ 
teile den sauren Leukofarbstoff doch speichert. 

Sollte ich aus diesen Bildern nun schliessen, dass alles Frühere 
verkehrt war, dass die Kerne keinen freien Sauerstoff besitzen, statt 
dessen aber die Hornschicht und das Spongioplasma? Doch gewiss nicht. 
Ich möchte mich vorläufig in diesem Punkte Ihrer anfangs geäusserten 
Ansicht anschliessen, dass den festen Punkt in der ganzen Sauerstoff¬ 
frage die Reduktionsbilder darstellen, die ebenso eindeutig wie leicht 
verständlich sind. Alles, was mit ihnen nicht harmoniert, muss genau 
auf irgendwelche besonderen Einflüsse untersucht werden. Und so ist 
es denn auch gar nicht schwer, die besonderen Umstände herauszufinden, 
welche die Bilder des Leukorceins, Leukosäuregrüns und des Indigweiss 
erklären. Zunächst lässt sich feststellen, dass diese Färbungen ohne 
Zutritt von Luft nicht stattfinden; auf sie passt also die Küpentheorie. 
Freien Sauerstoff im Gewebe zeigen sie nirgends an. Sie können das 
um so weniger, als sie sich fast nur an reduzierende Teile des Gewebes, 
die uns durch die Reagentien für Reduktion anderweitig bekannt sind, 
fixieren, und höchstens könnte man versucht sein, im gefärbten KoIIagen 
ausnahmsweise einen „basischen Sauerstoffort“ zu erblicken. So dachte 
ich auch, bis ich durch Ausschluss der Luft 8 ) fand, dass auch hier kein 
Sauerstoffort vorliegt. 

Chemiker: Sie geben also doch hier wenigstens zu, dass bei vor¬ 
heriger Speicherung eines Leukofarbstoffes allein das Hinzutreten der 
Luft genügt, um ohne weiteres eine Färbung im Sinne der oxydierten 
Farbe hervorzurufen. 

Biologe: Ohne weiteres — nein! Denn es kommt hier ausserdem 
noch wesentlich auf die günstige oder nicht günstige Reaktion des sich 
färbenden Gewebes an. Sie müssen nicht vergessen, dass zwischen 
basischen und sauren Leukofarben die Grunddifferenz besteht, dass nur 
die letzteren sich mit basischen Bestandteilen des Gewebes ver¬ 
binden, während für beide Arten von Farbstoffen die gemeinsame Regel 
besteht, dass die Oxydation durch die Gegenwart von Alkalien sehr be¬ 
günstigt wird. 

Chemiker: Sie scheinen also zu meinen, dass die Begünstigung 
der Oxydation durch Alkalien auch auf den Fall der Verbindung der 
sauren Leukofarben mit basischen Eiweissstoffen auszudehnen sei. 

Biologe: Ich habe Ihr mitleidig ironisches Lächeln bei dieser 
Frage wohl bemerkt und eigentlich auch erwartet. Die Sache scheint 


1) So will ich der Kürze halber die chemische Theorie der Sauer¬ 
stofforte nennen, welche nur die beiden Bedingungen: Speicherung von 
Leukomethylenblau und Zutritt von Luftsauerstoff berücksichtigt. 

2) Unna, Die Darstellung der Sauerstofforte im tierischen Gewebe. 
Med. Klinik, 1912, Nr. 23, S. 951. 

3) Diese vollkommene Ausschliessung des Sauerstoffes bedarf einer 
besonderen, aber einfachen Technik. Die mit den Leukofarben be¬ 
handelten Schnitte werden rasch in wenigstens zwei verschiedenen Ge- 
fässen mit Rongalitwasser (etwa 72 proz.) abgespült und kommen sodann 
direkt, ohne vorher in destilliertem Wasser abgespült zu sein, in ein 
etwa 10 cm hohes, cylindrisches Gefäss, in welches zuerst bis zur Hälfte 
der Höhe Glycerinum purissiraum eingegossen wird, das vorher gründlich 
abgekocht war. Die obere Hälfte wird sodann mit dem die Schnitte 
enthaltenden Rongalitwasser gefüllt. Man stösst die Schnitte mittels 
einer Glasnadel in das Glycerin und hält sie mit derselben auf dem 
Boden beliebig lango fest. Schnitte aus Indigweiss und Leukorcein 
bleiben in dem sauerstofffreien Glycerin ungefärbt, färben sich jedoch, 
herausgenommen, an der Luft in gewöhnlicher Weise. 


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UNIVERSUM OF IOWA 





28. April 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


811 


mir aber doch zu -wichtig, um sie damit abzumachen. Zunächst habe 
ich an Sie die Gegenfrage zu stellen, wie Sie denn den grossen 
prinzipiellen Unterschied zwischen der Reoxydation der sauren und 
basischen Leukofarben erklären wollen. Bei ersteren ist die Reoxydation 
im Gewebe sehr energisch und nur durch die allerstärksten reduzierenden 
Mittel zu verhindern. Sie findet im ausgekochten Wasser, ja selbst in 
Pyrogallol- und in Phosphorwasser statt, wio ich das schon bei Be¬ 
sprechung des Leukorceins mitgeteilt habe. Es werden offenbar alle 
Spuren von Sauerstoff aus der Umgebung mit grosser Energie zur Re- 
oxydation herangezogen und benutzt. Nur in Rongalitwasser hält sich 
Leukoroein und ebenso Indigweiss unverändert. 

Im Gegensatz dazu bläut sich das Leukomethylenblau viel weniger 
energisch; die schwächsten reduzierenden Mittel genügen, um die Re- 
oxydation zu verhindern. Da liegt doch der Gedanke am nächsten, dass 
bei den sauren Leukofarben die basischen, von ihnen angefärbten Gewebs- 
elemente die Reoxydation fördern, während bei den basischen Leuko¬ 
farben diese Förderung naturgemäss wegfällt. Denn Leukomethylenblau 
wird ja nur von den sauersten Gewebsteilen gespeichert (Knorpel, Kerne, 
Mastzellen, Plasmazellen, Ganglien); duroh seine Verbindung mit 
diesen allein wird seine Oxydation zu Methylenblau also durchaus 
nicht begünstigt, im Gegenteil, sogar verzögert und herabgesetzt, als 
fände sie in einer sauren Lösung statt. Wenn trotzdem alle Sauerstoff¬ 
orte sich gerade an den sauersten Orten des tierischen Gewebes befinden 
und nachweisen lassen, so kann es eben nur der daselbst aufgespeicherte 
Sauerstoff sein, nicht die Reaktion des Gewebes, welche die Oxydation 
bei der Färbung mit Rongalitweiss fördert. 

Dass — im Gegensätze zu Rongalitweiss — das Indigweiss und 
Leukorcein dort, wo sie sich im Gewebe verankern, keinen freien Sauer¬ 
stoff finden, sondern ihn nur aus der Luft beziehen, geht schon daraus 
hervor, dass genau dieselben Bilder, die, wie gesagt, den Reduktions¬ 
bildern ähnlich sind, ebensowohl bei Färbung des frischen Gewebes mit 
Indigweiss und Leukorcein entstehen wie bei Färbung desselben Gewebes, 
nachdem es erhitzt ist oder lange in Alkohol oder Formalin aufbewahrt 
war; unter solchen Umständen also, die das Vorhandensein von freiem 
Sauerstoff absolut ausschliessen. 

Sodann verträgt sich die folgende Tatsache nicht mit der Annahme 
ton Sauerstofforten an Stelle derjenigen basischen Gewebselemente, die 
von Indigweiss und Leukorcein angefärbt werden. Sauerstofforte, d. h. 
Ansammlungen freien Sauerstoffs, werden durch längere Aufbewahrung 
in starken Reduktionsmitteln allmählich vernichtet. So verschwinden 
die Sauerstofforte der Plasmazellen, wenn wir die Schnitte längere Zeit 
in einer Rongalitlösung aufbewahren. Schnitte aber, die mit Indigweiss 
oder Leukorcein behandelt und tagelang in Rongalitlösung aufbewahrt 
waren, bläuen sich doch sofort wieder, wenn sie an die Luft gebracht 
werden. Die Bläuung beruht hier eben nur auf der Speicherung der 
sauren Leukofarben in bestimmten basischen Gewebselementen, in Ver¬ 
bindung mit welchen sie zugleich ein energisches Oiydationsbestreben 
erhalten. 

Welches diese basischen Elemente sind, welche Indigweiss und 
Leukorcein speichern, wissen wir auch schon. Es sind dieselben oxy- 
philen Substanzen 1 ), welche durch ihre Affinität zu Hämatein -f- Alaun 
die sogenannten Hämatoxylinbilder hervorrufen. Behandelt man die 
Schnitte mit 5 proz. HCl, so lösen sich die sauren, basophilen Sub¬ 
stanzen auf und es bleibt eine basische Grundlage zurück, die aus den 
in 25 proz. HCl löslichen, basischen oxyphilen Substanzen und der eben¬ 
falls basischen, oxyphilen, aber nur sehr schwer löslichen Zellgrundlage 
(Spongioplasma, Plastin des Kerns) besteht. Die letztere speichert die 
sauren Leukofarben etwas, die basophilen Substanzen gar nicht, die 
löslichen, oxyphilen Substanzen aber stark 2 3 ). Die von ihren 
sauren, basophilen Elementen befreiten Schnitte färben sich daher mit 
Indigweiss und Leukorcein stark, ja sogar stärker als die unversehrten 
Schnitte, da in ihnen die basophile Substanz blossgelegt ist und ihre 
volle Basicität, ungehindert durch saure Beimischung, entfalten kann. 

Chemiker (nach einigem Besinnen): Wollte ich auch alle diese 
Schlussfolgerungen zugeben und mich Ihrer Ansicht über den funda¬ 
mentalen Unterschied der gewöhnlichen Küpenfärbung und der Rongalit- 
weissfärbung anschliessen, so finde ich doch noch keine Erklärung für 
den Hauptpunkt Ihrer Sache, weshalb nämlich das basische Leuko¬ 
methylenblau gerade nur eine Affinität zu denjenigen sauren Orten des 
Gewebes besitzt, in denen der Sauerstoff, wie ich mit Ihnen einmal an¬ 
nehmen will, gespeichert wird, während das Methylenblau auch andere 
saure Gewebsorte färbt. 

Biologe: Gerade dieser Umstand ist so leicht erklärlich, dass er 
mir geradezu selbstverständlich erscheint. Er ist nämlich die notwendige 
Folge des allgemeinen Gesetzes oder, besser, gesagt, der bei der Ver¬ 
wandtschaft zwischen Eiweiss und Farben, Eiweiss und Beizen und 
zwischen Eiweiss und Eiweiss durchgreifenden Regel, dass sauerstoffreiche 
und sauerstoffarme Stoffe sich anziehen und gegenseitig absättigen, ein 
Gesetz, das ich mit dem Namen der oxypolaren Affinität bezeichnet habe*). 
Dasselbe herrscht neben dem der Säure-Basenaffinität und durchkreuzt 
dieselbe häufig, wodurch eine Reihe paradoxer Verwandtschaften, so 

1 ) S. Unna, Biochemie der Haut, S. 52. Jena 1913, Fischer. 

2) Die Schnitte müssen vor der Behandlung mit den sauren Leuko¬ 
farben natürlich von anhängender HCl durch Sodalösung und destilliertes 
Wasser befreit werden. 

3) Unna, Die Bedeutung der Sauerstofforte in der Färberei. 
Dermatol. Stud., Bd. 22. Hamburg und Leipzig 1912, Leop. Voss. 


z. B. der sauerstoffreichen, sauren Pikrinsäure zur sauren, aber sauer¬ 
stoffarmen Stachel- und Hornschicht bei der van Gieson-Färbung erst 
verständlich werden. Nach diesem Gesetze muss die Verwandtschaft 
saurer Sauerstofforte zum Leukomethylenblau stärker sein als zu dessen 
Oxydationsprodukt: Methylenblau. Daher bildet sich beim Zusammen¬ 
treffen von Leukomethylenblau und sauren Sauerstofforten sofort eine 
feste, nur schwer auswaschbare Verbindung, in welcher der H 2 das 
Leukomethylenblau und der 0=0 des Sauerstoffortes sich ausgeglichen 
haben. Also auch diese scheinbare Paradoxie ist chemisch gut be¬ 
gründet. 

Würden Sie nun zum Schluss noch die Geduld haben, mir zuzuhören, 
wenn ich die paar Thesen für zukünftige Diskussionen über dieses Thema 
heraushebe, die mir nach unserer heutigen Unterhaltung beweisbar und 
bewiesen zu sein scheinen? 

Chemiker: Ich habe nichts dagegen. 

Biologe: 1. Es gibt Reduktionsorte im tierischen Gewebe, die 
sich jederzeit durch Reduktionsreagentien in charakteristischer Färbung 
darstellen lassen. 

2. Es gibt Sauerstofforte im tierischen Gewebe, die sich an 
Gefrierschnitten durch Rongalitweiss darstellen lassen. 

3. Chemisch lassen sich von diesen von Rongalitweiss bevorzugten 
Stellen zwei Dinge aussagen. Sie enthalten gespeicherten Sauerstoff 
und haben gerade deswegen eine oxypolare Affinität zum reduzierten 
Methylenweiss. 

4. Die Sauerstofforte befinden sich stets an hervorragenden Säure- 
orten des Gewebes; aber es gibt auch Säureorte, die keinen Sauerstoff 
speichern (z. B. Hornschicht) und deshalb keine oxypolare Affinität zum 
reduzierten Leukomethylenblau, wohl aber eine mässige zum Methylen¬ 
blau aufweisen. 

5. Die Sauerstofforte zerfallen in 2 Klassen; die primären akti¬ 
vieren Luftsauerstoff und zeigen bei Luftabschluss eine verschieden grosse 
Menge davon, unter Umständen gar keinen an (Kerne, Mastzellen); die 
sekundären speichern nur den von den primären aktivierten Sauerstoff 
und enthalten auch bei Luftabschluss stets eine erhebliche Sauerstoff- 
raenge (Plasmazellen, Ganglien, Knorpel). 

6 . Die sauren Leukofarben (Leukorcein, Leukosäuregrün, Indig¬ 
weiss) besitzen Affinität zu den basischen Teilen der Gewebe (oxyphile 
Zellsubstanzen, Kollagen). Die Verbindung mit diesen basischen Stoffen 
befördert ihre Oxydation, die aber nur bei Luftzutritt vor sich geht. 
Diese echten Küpen zeigen also nur basische Gewebsteile an, weisen 
dagegen keinen freien Sauerstoff in denselben nach, wie die Rongalit- 
weissfdrbung in den sauren. 

Chemiker: Ich muss gestehen, dass ich gegen diese Thesen, vor¬ 
ausgesetzt, dass die zugrunde liegenden Versuchsergebnisse weiterhin 
Bestätigung finden, nicht mehr viel einzuwenden habe. Jedenfalls halte 
ich Ihren Weg für den richtigen, um der geheimnisvollen Zellsubstanz 
chemisch und biologisch beizukommen. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. Der Leiter der Unterrichtsabteilung des Kultusministeriums, 
Herr Ministerialdirektor Naumann, wurde zum Wirkl. Geheimen 
Rat mit dem Prädikat Exzellenz ernannt. 

— Geheimrat C. A. Ewald begeht am 30. d. M. das 25 jährige 
Jubiläum als dirigierender Arzt der inneren Abteilung des Augusta- 
Hospitals in Berlin. Von seinen früheren und gegenwärtigen Schülern 
ist für diesen Tag eine besondere Ehrung geplant, und auch wir bringen 
dem langjährigen ehemaligen Leiter dieses Blattes die herzlichsten Glück¬ 
wünsche dar. 

— Unser geschätzter Mitarbeiter, Stabsarzt Möllers am Institut 
Rob. Koch, erhielt den Professortitel. Desgleichen der neue Privatdozent 
für soziale Medizin und Abteilungsvorsteher im Institut für Hygiene, 
Herr Grotjahn. 

— Aus dem Programm der vom 21. bis 26. September in Wien 
stattfindenden 85. Versammlung deutscher Naturforscher und 
Aerzte: Montag, den 22. September: F. Rinne - Leipzig: Das Wesen 
der kristallinen Materie vom Standpunkt des Mineralogen. H.vonSee- 
1 i g e r - München: Moderne Astronomie. Mittwoch, vormi ttags: Medizinische 
Hauptgruppe: Gesamtsitzung: Brodmann-Tübingen: Neuere Forschungs¬ 
ergebnisse der Hirnanatomie. Re ich-Wien: Anatomie des Bogengang¬ 
apparates. Rot hfeld -Wien: Physiologie des Bogengangapparates. 
Barany-Wien: Klinik des Bogengangapparates. Nachmittags: Natur¬ 
wissenschaftliche Hauptgruppe: Gesamtsitzung: H. Wien er-Darmstadt: 
Wesen und Aufgaben der Mathematik. A. Steuer-Innsbruck: Ziele 
und Wege biologischer Mittelmeerforschung. Donnerstag: Gemeinsame 
Sitzung beider Hauptgruppen: K. Ritter von Hess-München: Der 
optische Sinn der Tiere. 0. Lummer-Breslau: Das Sehen. E. Dolezal- 
Wien und Exz. A. von Hübl-Wien: Photogrammetrie. Freitag: 
E. Fischer-Freiburg im Breisgau: Das Rassenproblem. Max Neu¬ 
burger-Wien: Gedenkrede auf Joh. Christ. Reil (+ 1813). Othenio 
Abel-Wien: Neuere Wege phylogenetischer Forschung. 

— Vom 1. bis 5. August d. J. findet zu Brüssel die 3. Inter¬ 
nationale Konferenz für Krebsforschung statt. Zur Beratung 
kommen folgende Themata: 1. Die Anwendung der physikalisch-chemischen 
Verfahren bei der Behandlung des Krebses. Anwendung chemischer 
Mittel nach Radikalopetationen. 2. Vaocinationstherapie der Geschwülste. 


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UNIVERSIT7 OF IOWA 





812 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 17. 


з. Statistik der Krebskrankheit. Oertliche Verbreitung. 4. Einrichtung 
für die Fürsorge Krebskranker (Fürsorgestellen usw.), Pflege der Krebs¬ 
kranken und Unterricht in dieser Pflege. 5. Bericht über den Stand 
der Krebsforschung und Krebsbekämpfung in den einzelnen Ländern, 
unter Vorlage der betreffenden Drucksachen, Schriften für Aerzte, Merk¬ 
blätter für9 Volk usw. — Die Organisation der Konferenz liegt in den 
Händen der Belgischen Kommission für Krebsforschung (Dr. Henseval, 
Brüssel, Palais du Cinquantenaire). 

— Die 20. Versammlung des Vereins deutscher Laryngo- 
logen findet am 7. und 8. Mai in Stuttgart statt. Aus den Vorträgen 
seien erwähnt: Denker-Halle: Demonstration von Instrumenten zur 
Intercricothyreotomie; Preysing-Cöln: Beiträge zur Operation der 
Hypophyse; Ephraim-Breslau: Zur Theorie des Bronchialasthma; 
Brünings-Jena: Ueber ein Universal-Laryngoskop; Manasse-Strass- 
burg i. E.: Demonstration eines Gehirns mit äusserst hochgradigen 
rhinogenen Veränderungen; Katzenstein-Berlin: Neue Methode der 
direkten Laryngoskopie; Ki Ui an-Berlin: Demonstration zur Schwebe¬ 
laryngoskopie; Goerke-Breslau: Zur Tonsillektomiefrage; Brügge¬ 
mann-Giessen: Behandlung des erschwerten Decanulements; Solger- 
Breslau: Zur Kenntnis der Differentialdiagnose zwischen Syphilis und 
Tuberkulose der oberen Luftwege; Spiess-Frankfurt a. M.: Bericht über 
Positiver Wassermann bei malignen Geschwülsten. 

— Vom 5. bis 11. Mai 1913 findet in Lausanne der Kongress 
lür Sportphysiologie und Sportpsychologie statt. 

— Das Deutsche Centralkomitee zur Erforschung und Bekämpfung der 
Krebskrankheit hat die Schrift „Die klinische Frühdiagnose des 
Krebses“ von Dr. Fiscber-Defoy-Quedlinburg mit einem Preis gekrönt 
und „den deutschen Aerzten gewidmet“. Auf die vortreffliche kleine 
Abhandlung sei hiermit die Aufmerksamkeit der Kollegen gelenkt. 

:— Das „Archiv für klinische Chirurgie“ („Langenbeck’s 
Archiv“, wie es in der ganzen Welt heisst) hat das erste 100 seiner 
Bände soeben abgeschlossen. Ein Supplementheft von Stabsarzt F.Brüning 
bringt neben einem vollständigen Namen- und Sachregister für diese ganze 
Serie in grossen Zügen eine Skizze von dem Entwicklungsgang der 
Chirurgie der letzten 50 Jahre, wie er sich in diesem Centralorgan der 
deutschen Chirurgie widerspiegelt. Belegt mit Tatsachen und manchem 
trefflichen Citat ist dieser Artikel ebenso instruktiv wie amüsant und 
verdient auch in nichtchirurgischen Kreisen gelesen und um manches 
Wortes der grossen Altvordern willen wohlbeherzigt zu werden. 

— Das „Krankenpflege-Lehrbuch“, das die Medizinalabteilung 
des preussischen Ministeriums des Innern als Lehrbuch für das Kranken¬ 
pflegepersonal herausgibt, ist soeben in 3. Auflage bei Aug. Hirschwald 
erschienen. Von Prof. Dietrich, Vortragendem Rat in genannntem 
Ministerium, Generalarzt a. D. Körting und Oberstabsarzt a. D. Prof. 
Salzwedel verfasst, bietet das rund 400 Seiten starke Buch in klarer 
Diktion und etwa 170 instruktiven Abbildungen alles, was der preussische 
Krankenpfleger wissen muss. Ueber die Bedürfnisse der eigentlichen 
Pflege hinaus vermag er aus den Kapiteln über die Versicherungsgesetze 

и. ähnl. noch manches zu lernen, um auch weiterhin dem Kranken mit 
Rat beistehen zu können. 

Hochschulnachrichten. 

Jena. Habilitiert: Dr. Zange für Ohrenheilkunde. — Königs¬ 
berg. Prof. E. Schwalbe in Rostock hat einen Ruf als Ordinarius der 
Pathologie erhalten. — Heidelberg. Prof. v. Düngern wurde zum 
Direktor des neugegründeten Instituts für experimentelle Krebsforschung 
in Hamburg berufen. — Marburg. Dr. Zeissler, Abteilungsvorsteher 
am Institut für Hygiene, übernimmt die Leitung der bakteriologisch- 
serologischen Abteilung am Krankenhaus in Altona. — München. 
Habilitiert: Dr. Veiel — bisher in Tübingen — für innere Medizin. 


Aufruf. 

Das Direktorium der Hufeland’schen Stiftungen versendet nach¬ 
stehenden Aufruf: 

Berlin, Frühjahr 1913. 

Sehr geehrter Herr Kollege! 

Zu unserem Bedauern haben wir aus den Beitragsnachweisungen 
des Jahres 1912 ersehen, dass das Interesse der Herren Kollegen für die 
Hufeland’schen und Goburek’schen Stiftungen von Jahr zu Jahr ab¬ 
nimmt, obwohl die verschiedenen ärztlichen Hilfs- und Unterstützungs¬ 
kassen — wie sich wiederholt gezeigt hat — nicht in der Lage sind, 
dem Unterstützungsbedürfnis zu genügen. Um dem Sammelgeschäft 
mehr als bisher das wünschenswerte Ergebnis zu sichern, möohten wir 
nicht unterlassen, mit einigen Worten Ziele und Erfolge der Hufeland- 
schen und Goburek’schen Stiftungen näher darzulegen. 

Die Stiftung für Aerzte wurde im Jahre 1830 begründet. Im 
Jahre 1836 erfolgte die Stiftung für Arztwitwen. Letztere wird von 
derjenigen für notleidende Aerzte getrennt verwaltet. Beide Stiftungen 
dienen dazu, in Fällen der Not durch einmalige oder laufende Beihilfen 
lindernd und helfend einzugreifen. Materiell ungünstig gestellten Aerzten 
kann sodann vom 60. Lebensjahre ab eine Pension gewährt werden. 
Bedingung für die Zuwendungen aus den Stiftungen ist die Zu¬ 
gehörigkeit zu ihnen. Diese wird durch Zahlung eines jährlichen 
Beitrages von mindestens 6 M. (3 M. zu der Aerzte-, 3 M. zu der 
Witwenkasse) erworben. Unterbrechungen der Zahlungen heben die 

Verlag und Eigentum von August HirBchwald in 


Mitgliedschaft und den Anspruch auf Unterstützung auf. In besonders 
gearteten Fällen, in denen Unter9tützuugsansprüche bei unterbrochener 
Beitragsleistung geltend gemacht worden sind, hat das Direktorium die 
Nachzahlung der fehlenden Beiträge zugelassen und daraufhin die übliche 
Unterstützung bewilligt. Die Entscheidung hierüber hat sich das 
Direktorium von Fall zu Fall Vorbehalten. 

Die Unterstützungen und Pensionen, die an Aerzte gezahlt werden, 
belaufen sich im Einzelfalle auf 200 bis 500 M. jährlich, die einmaligen 
Unterstützungen an Arztwitwen auf 100 M., 120 M. und 150 M.; die 
laufenden auf jährlich 160 M., zahlbar in zwei Raten zu 80 M. Bis 
Ende des Jahres 1912 sind an Unterstützungen und Pensionen für 
Aerzte insgesamt 622 775,27 M., an Arztwitwen 978 011,79 M. gezahlt 
worden. Aus der Goburek’schen Stiftung für notleidende Arztwaisen 
sind seit dem Jahre der Gründung — 1907 — bis Ende 1912 Beihilfen 
im Betrage von 34 755 M. gegeben worden. 

Wir richten an Sie, verehrter Herr Kollege, die dringende Bitte, die 
verhältnismässig geringe Jahresausgabe von 6 M. nicht zu 
scheuen und uns zu helfen, die Stiftungen im Sinne des edlen Gründers, 
des Staatsrats Dr. Christ. Wilh. Hufeland, immer leistungsfähiger zu 
machen. Trotz der vielen ärztlichen Hilfs- und Unterstützung 9 kassen 
wird den Hufeland’sohen Stiftungen stets ein weites Feld ihrer segens¬ 
reichen Tätigkeit verbleiben. Die Geldsendungen bitten wir an den zu¬ 
ständigen Herrn Kreisarzt zu richten oder unmittelbar an unser Post¬ 
scheckkonto Berlin 16 350. 

Dietrich, Heyl, J. Hofmeier, J. Orth, Schlegtendal. 

Amtliche Mitteilungen. 

Personalien. 

Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 3. Kl. m. d. Schleife: 
ordentl. Honorarprofessor und dirigierender Arzt am Augusta-Hospital 
in Berlin, Geh. Med.-Rat Dr. A. Ewald. 

Roter Adler-Orden 4. Kl.: Arzt Dr. 0. Krumhaar in Eisleben. 
Königl. Kronen-Orden 3. Kl.: Kreisarzt a. D., Geh. Med.-Rat Dr. 
Esch-Waltrup in Cöln. 

Charakter als Medizinalrat: Pathologischer Anatom des Hygieni¬ 
schen Institus in Posen, Prof. Dr. K. Winkler. 

Prädikat Professor: Stabsarzt Dr. B. Möllers, kommandiert zum 
Institut für Infektionskrankheiten „Robert Koch“ in Berlin. 
Ernennungen: Landesgesundheitsinspektor, Reg.- und Geh. Med.-Rat 
Dr. Holtzmann in Strassburg i. E. zum Kaiserl. Landesmedizinalrat 
im Ministerium für Elsass-Lothringen; Geh. Med.-Rat Prof. Dr. 0. Hilde¬ 
brand in Berlin, an Stelle des ausgeschiedenen Geh. Med.-Rat 
Prof. Dr. Heubner zum ordentl. Mitglieds der Wissenschaftlichen 
Deputation für das Medizinalwesen. 

Zu besetzen: in der hygienisch-bakteriologischen Abteilung der Königl. 
Landesanstalt für Wasserhygiene, Post Berlin-Lichterfelde 3, Ehren¬ 
bergstrasse 3S/42, die Stelle eines wissenschaftl. Hilfsarbeiters. Aerzte 
mit entsprechender Vorbildung wollen ihr Bewerbungsgesuch mit An¬ 
gabe der Remunerationsansprüche an die vorbezeichnete Anstalt ein¬ 
senden. 

Niederlassungen: Aerztin Dr. Ch. Schütz geb. Basch und Dr. 
A. F. P. Böttcher in Königsberg i. Pr., Marineunterarzt Dr. H. 
Ehmsen in Kiel, Dr. H. Fe hl and in Hüls (Bez. Münster), Arzt M. 
Thürlings in Dielingen, Dr. K. Wesemann in Wolfhagen, Dr. K. 
Meinardus in Koblenz. 

Verzogen: Dr. K. H. Erler von Santomischel nach Schöneberg 
(Weichsel), Dr. E. Rösler von Königsberg i. Pr. nach Marienburg, 
Arzt W. Jonas von Frankfurt a. M. und Dr. G. Wolff von Berlin 
nach Greifswald, Dr. R. M. Willim von Reisen und Dr. W. Neu- 
mann von Waldenburg i. Schl, nach Breslau, Dr. F. Schrödter von 
Breslau nach Biberach (Württemberg), Dr. R. Fromherz von Aller¬ 
heiligen (Schweiz) nach Altheide, Dr. K. Stein von Oels nach Landeck 
i. Schl., Dr. V. Kawka von Luisenfelde nach Gross-Hammer, Dr. E. 
Matthäus von Nürnberg nach Obernigk, Dr. F. Pies von Duisburg 
nach Erfurt, Arzt J. Glau von Schreiberhau nach Wandsbek zum 
Militär, Dr. R. Köster von Kiel nach Flensburg, Dr. Th. Ebsen von 
Tarp und Dr. H. Schüssler von Jena nach Kiel, Dr. G. Boyksen 
von Deezbüll nach Altona, Dr. F. Wetze 11 von Laubach (Hessen) 
nach Deezbüll, Dr. R. Felten und Aerztin Dr. F. Felten von 
Woserin i. Meokl. nach St. Peter, Dr. K. Sommerlad von Schleswig 
nach Delmenhorst, Dr. E. Berger von Ober-Jersdal nach Schleswig, 
Dr. A. Knüppel von Kemberg nach Wedel, Aerztin Dr. E. Frank 
von Rendsburg nach München, Dr. A. Muszkat von Geestemünde 
nach Dresden, Dr. 0. Lauw von Beverstedt nach Langwedel, Dr. G. 
Mittmann von Grohnde nach Lehe, Dr. A. Feldmann von Lang¬ 
wedel nach Plauen i. V., Dr. F. J. Wes sing von Recklinghausen 
nach Hövel, Dr. K. Warnek von Bielefeld nach Paderborn, Arzt W. 
Uffelmann von Rosenthal nach Marburg. 

Verzogen ohne Angabe de9 neuen Wohnortes: Dr. J. G. Lipp- 
mann von Nordhausen. 

Gestorben: San.-Rat Dr. Ph. A. Teschenmacher in Neuenahr, San.- 
Rat Dr. H. Hertel in Vluyn. 

Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hans Kohn, Berlin W., Bayreuther Strasse 43. 

Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4. 


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Dl* Berliner Klinische Wochenschrift erscheint Jeden 
Montag in Nummern von ea. i —6 Bogen gr. 4. — 
Preis vierteljährlich 6 Mark. Bestellungen nehmen 
alle Bnehhandlungen nnd Postanstalten an. 


BERLINER 


Alle Einsendungen fflr die Redaktion nnd Expedition 
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung 
August Hirschwald ln Berlin NW., Unter den Linden 
No. 68, adressieren. 


KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Organ für praktische Aerzte. 


Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 

Redaktion: Expedition: 

Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posncr and Dr. Hans Kok Augnst Hirschwald, Yerlagsbachhandlung in Berlin. 


Montag, den 5. Mai 1913. 


M 18 . 


Fünfzigster Jahrgang. 


I N H 

Origioalien : Erlenmeyer: Ueber Epilepsiebehandlung. S. 813. 

Boehnoke: Ueber die Wirkung der Camphers bei bakterieller 
Infektion. (Aus dem Kgl. Institut für experimentelle Therapie 
zu Frankfurt a. M.) S. 818. 

Klinkert: Untersuchungen und Gedanken über den Cholesterin- 
stoffWechsel. (Aus der medizinischen Klinik in Groningen.) 

S. 820. 

Stadelmann: Ueber seltene Formen von Blutungen im Tractus 
gastro-intestinalis. S. 825. 

Unna: Zur Chemie der Zelle. S. 829. 

Spät: Ueber den Einfluss der Leukocyten auf das Anaphylatoxin. 
(Aus dem hygienischen Institut der deutschen Universität in Prag.) 
S. 831. 

Lublinski: Die akute nicht eitrige Thyreoiditis. (Eine Ueber- 
sicht.) S. 834. 

BtteherbesprechongeB : Roux: Terminologie der Entwioklungsmeohanik 
der Tiere und Pflanzen. S. 837. (Ref. v. Hansemann.) — Schall: 
Der menschliche Körper und seine Krankheiten. S. 837. Berkart: 
On bronchial asthma, its pathology and treatment. S. 887. (Ref. 
Knopf.) — DiGaspero: Hysterische Lähmungen, Studien über 
ihre Pathophysiologie und Klinik. S. 837. Sommer: Klinik für 
psychische und nervöse Krankheiten. S. 838. Löwenfeld: Bewusst¬ 
sein und psychisches Geschehen. Die Phänomene des Unter¬ 
bewusstseins und ihre Rolle in unserem Geistesleben. S. 838. (Ref. 
Seiffer.) — Dührssen: Gynäkologie. S. 838. Küstner: Kurzes 


ALT. 

Lehrbuch der Gynäkologie. S. 838. (Ref. Zuntz.) — Stein eg: 
Darstellungen normaler und krankhaft veränderter Körperteile an 
antiken Weihgaben. S. 838. (Ref. Holländer.) 

Literatur-Auszüge: Pharmakologie. S. 839. — Therapie. S. 839. — 
Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. S. 839. — 
Parasitenkunde und Serologie. S. 840. — Innere Medizin. S. 841. — 
Psychiatrie und Nervenkrankheiten. S. 842. — Kinderheilkunde. 
S. 843. — Chirurgie. S. 843. — Röntgenologie. S. 844. — Haut- 
und Geschlechtskrankheiten. S. 844. — Geburtshilfe und Gynäko¬ 
logie. S. 844. — Augenheilkunde. S. 844. — Hals-, Nasen- und 
Ohrenkrankheiten. S. 844. — Hygiene und Sanitätswesen. S. 845. — 
Unfallheilkunde und Versicherungswesen. S. 845. 

Verhaudlungeu ärztlicher Gesellschaften : Berliner orthopädische 
Gesellschaft. S. 845. — Medizinische Sektion der schlesi¬ 
schen Gesellschaft für vaterländische Kultur zu Breslau. 
S. 846. — Aerztlioher Verein zu Hamburg. S. 850. — Aerzt- 
licher Bezirksverein zu Zittau. S. 850. — K. k. Gesell¬ 
schaft der Aerzte zu Wien. S. 851. 

42. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 
zu Berlin. (Schluss.) S. 852. 

Bio oh: Die Aufgaben der „Aerztliohen Gesellschaft für Sexualwissen¬ 
schaft^ S. 855. 

Preisausschreiben. S. 859. 

Tagesgeschichtliche Notizen. S. 860. 

Amtliche Mitteilungen. S. 860. 


Ueber Epilepsiebehandlung. 

Von 

Dr. Albrecht Erlenmeyer, 

Geheimem Sanitätsrat und leitendem Arzte der Dr. Erlenmeyer’schen Anstalten für Gemüts- und Nervenkranke zu Bendorf bei Coblenz. 


Wenn ich auf Wunsch der Redaktion dieser Wochenschrift 
meine Erfahrungen über die Epilepsiebehandlung in den folgenden 
Zeilen niederlege, dann betrachte ich es nicht als meine Aufgabe, 
in eine kritische Besprechung der durchaus hypothetischen Auf¬ 
fassung vom Wesen der Epilepsie und vom Mechanismus des 
epileptischen Anfalles einzutreten; nur soweit das zur Begrün¬ 
dung gewisser therapeutischer Maassnahmen erforderlich erscheint, 
werde ich sie kurz erwähnen. Wichtiger und dem Zwecke dieses 
Aufsatzes entsprechender dünkt es mir, die Grundsätze zu ent¬ 
wickeln, die für die therapeutische Beurteilung und Behandlung 
der Epilepsiekranken zu beachten sind. Sie ergeben sich aus 
der genauen Analyse der. epileptischen Anfälle mit allen ihren 
Eigenheiten, Abarten und ßrsatzerscheinungen, aus der sorg¬ 
fältigen Aufnahme und Feststellung von Anamnese und Patho¬ 
genese, sie ergeben sich endlich aus der eingehendsten körper¬ 
lichen Untersuchung. Alle diese Bestrebungen zielen darauf ab, 
für jeden einzelnen Fall die . auslösende Ursache der Krankheit 
nnd der JVofälle aufznfinden nnd damit eine möglichst erfolgreiche 
Behandlung zu begründen. 

Die Diagnose der Epilepsie als Krankheit wird zwar 
in der übergrossen Mehrzahl der Fälle aus dem epileptischen An¬ 


fall gestellt, indessen der einzelne Anfall genügt dazu nicht. Dazu 
müssen viele solcher Anfälle in nicht allzu weit auseinander 
liegenden Zwischenräumen aufgetreten sein. Vereinzelte epilep¬ 
tische, oder — wie man bei solchem Verhältnis grundsätzlich 
richtiger sagen sollte — epileptiforme Anfälle kommen bei 
manchen anderen Krankheiten vor and sind dann immer nur als 
Symptom dieser Krankheit zu bewerten. Die Diagnose der Krank¬ 
heit Epilepsie dürfen sie nur dann begründen, wenn sie sich 
wiederholen, and wenn keine andere, namentlich keine andere 
Gehirnkrankheit nachweisbar ist. Handelt es sich z. B. um einen 
Hirntumor, der epileptiforme Anfälle hervorruft, dann sollten 
diese, auch wenn sie sich häufiger wiederholen, als Tumorsymptome 
und nicht als Epilepsiezeichen bewertet werden. 

Ueber das Wesen oder das pathologische Substrat 
der Epilepsiekrankheit gibt es nur Hypothesen. 

Die grösste Wahrscheinlichkeit bat die Annahme für sich, 
dass wir in der sogenannten „epileptischen Veränderung“ 
(Nothnagel) der motorischen Grosshirnrinde den die Krankheit 
bedingenden Zustand zu erblicken haben. Wir charakterisieren 
diese Veränderung dadurch, dass wir ihr die Eigenschaft der 
Ueberempfindlichkeit zusprechen, und dass wir von ihr behaupten, 


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UNIVERS1TV OF IOWA 







814 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18. 


sie besitze die Neigung, auf gewisse Reize mit „Entladungen“ 
(Hughlings Jackson) zu antworten. Ob diese „epileptische 
Veränderung“ der motorischen Hirnrinde histologischer, chemischer 
oder physikalischer Natur ist, wissen wir nicht, aber der ganze 
psychisch-motorische Symptomenkomplex der Epilepsie weist mit 
Notwendigkeit darauf hin, ihre Existenz vorauszusetzen, und. aus 
der Tatsache, dass epileptische Anfälle auch dann noch eine Zeit¬ 
lang fortbestehen, nachdem ihre sichere Ursache gänzlich be¬ 
seitigt worden ist, müssen wir schliessen, dass die „epileptische 
Veränderung 11 nicht ein vorübergehendes Symptom, sondern ein 
chronischer, dauernder Zustand ist. 

Ich neige zu der Annahme, dass die „epileptische Verände¬ 
rung“ und damit die Epilepsie am häufigsten durch dauernde 
intracranielle Drucksteigerungen hervorgerufen wird, und 
zwar sowohl durch allgemeinen, als auch durch örtlich wirkenden 
Druck. 

Da wir nur stärkere Druckgrade aus der Stauungspapille 
erschlossen können und kein Mittel besitzen, kleine, auf das Ge¬ 
hirn einwirkende Drncksteigerungen nachzuweisen, sind wir nicht 
daran gewöhnt, diese nach Gebühr zu schätzen. Es ist uns ge¬ 
läufig, dass Hydrocephalns, Hirnschwellung (Reichart) und Hirn¬ 
tumoren den intracraniellen Druck in die Höhe treiben, wir sollten 
aber mehr, als es meist geschieht, dasselbe voraussetzen von 
fötalen Encephalitiden, meningitischen Exudaten, Cysten, Ab- 
scessen, Sklerosen und anderen örtlichen pathologischen Zuständen. 
Auch bei den durch vorzeitige Nahtverknöcherung entstehenden 
Entwicklungshemmungen des Schädels erfährt das sich ausdehnende 
und wachsende Gehirn einen dauernden Gegendruck. Bei den 
gummösen, arteriitischen und meningitischen Prozessen der Syphilis 
kann durch Druck auf das Gehirn ebenso gut Schaden angerichtet 
werden, wie durch das syphilitische Virus. Auch bei der cere¬ 
bralen Atherosklerose handelt es sich meist um Drucksteigerung. 
Die capillaren Blutungen nach Gehirnerschütterung, Sturz auf den 
Kopf, Ohrfeigen and Sonnenstich sind von demselben Gesichts¬ 
punkte aus zu beurteilen. Ebenso Fremdkörper, wie Splitter der 
Tabula vitrea, die nach einer Schädelverletzung in das Gehirn 
eindringen, denn jeder in die Hirnrinde eindringende Körper ver¬ 
langt dort einen Platz, den er nur dadurch einnehmen kann, dass 
er die umgebenden Gewebsteile znrückdrängt und zusammen¬ 
drückt. 

Neben dem gesteigerten Druck kommen chemisch-toxische 
Ursachen für die Entstehung der Epilepsie zur Geltung. Ich 
erinnere an die chronische Vergiftung mit Alkohol, Blei, Absynth, 
Nikotin, Cocain, erinnere an die Ueberladung des Blutes mit 
Harnbestandteilen (Urämie). Auch durch Autointoxikation 
mit Stoffwechsel Produkten kann Epilepsie entstehen, wahrschein¬ 
lich auch durch Produkte der inneren Sekretion (Thyreoidea, 
Thymus), ganz bestimmt durch die Gifte des Scharlach, der Diph¬ 
therie, der Influenza und der Masern. 

Die „Entladung“ befällt corticale und subcorticale Gebiete. 
Sie tritt ein, nachdem das Höchstmaass einer in den „veränderten“ 
Zellen der Hirnrinde angewachsenen Spannung erreicht ist, ganz 
gleichgültig, ob das eine Flüssigkeits-, oder Gas-, oder elektrische 
Spannung ist. Das käme einer Selbsterregung der eigenen mo¬ 
torischen Zellenelemente gleich, zu der, wie wir aus dem Experi¬ 
ment wissen, schon äusserst geringe Reize ausreichen. Die alte 
vasomotorische Hypothese hat man fallen gelassen, obgleich Sie 
alle Symptome eines epileptischen Anfalles am ungezwungensten 
erklärte, und obgleich die auf sie gegründete Therapie keine 
schlechteren Ergebnisse aufzuweisen hatte, als jede andere. 

Ueber eine Gruppierung und Einteilung verschiedener 
Epilepsieformen fasse ich mich kurz. Als die natürlichste 
Einteilung ist mir immer die in angeborene oder in frühester 
Jugend entstandene und in erworbene Epilepsie erschienen. 
Erfolgt diese Erwerbung in späteren oder späten Jahren, dann 
spricht man von Spätepilepsie. Als unterste Zeitgrenze ihres 
Beginnes rechnet man die Vollendung der Gehirnentwicklung. 
Diese Einteilung ist in gewissem Sinne, wenn auch in beschränktem 
Umfang eine ätiologische. Wirwissen, dass für die angeborene 
Epilepsie intrauterin und in den allerersten Lebenszeiten über¬ 
standene Gehirnerkrankungen mit ihren Folgezuständen als Ursachen 
der Krankheit angenommen werden müssen, und wir wissen ferner, 
dass für die spät erworbenen Former« das Gehirn- und Schädel- 
trauma, der Alkoholismus, die Syphilis und die Atherosklerose 
ätiologisch j ln Frage kommen. 

Mit den Ausdrücken idiopathische .oder genuine Epi¬ 
lepsie wird gesagt. dass keine organischen oder symptomati¬ 


schen Formen vorliegen, als deren Ursachen man Gehirnkrank¬ 
heiten verschiedener Art betrachtet. Von ausgesprochen organischer 
Aetiologie ist die Jackson’sche Rindenepilepsie, die sich 
dadurch von allen anderen Epiiepsieformen wesentlich unter¬ 
scheidet, dass bei ihr Bewusstseinsstörungen meistens zu fehlen 
pflegen, und dass ihro Krampferscheinungen entweder nur einzelne 
Glieder befallen oder von einzelnen Gliedern und Gliederteilen 
aus ihren'Verlauf nehmen, der sich der Anordnung der motorischen 
Rindencentren entsprechend gestaltet. Unter Reflexepilepsie 
werden diejenigen Formen zusammengefasst, bei denen als Ursachen 
der Anfälle sich periphere Narben, Fremdkörper, Knochenauf¬ 
treibungen, Gewebsanschwellungen, cariöse oder zu eng stehende 
Zähne, Verzögerung des Zahndurchbruchs, Würmer und unzählige 
andere zufällige Dinge und Schädigungen finden. Die moderne 
Auffassung neigt dazu, diese Form abzulehnen, weil es sich bei 
ihr meist um hysterische und nicht um epileptische Anfälle 
handeln soll. 

So einfach das Symptomenbild des epileptischen Voll¬ 
anfalls mit seiner tonischen und seiner clonischen Phase er^ 
scheint, so mannigfaltig und oft schwer erkennbar treten uns die 
Abweichungen von ihm gegenüber, die sowohl durch eine Ver¬ 
minderung als auch durch eine Vermehrung und eine Veränderung 
der Einzelsymptome sich auszeichnen. Schon deshalb ist es un¬ 
erlässlich, alle diese sehr verschiedenen Arten, Unter- und Ab¬ 
arten eines epileptischen Anfalls genau zu kennen, weil 
der Arzt einen Anfall nicht immer zu sehen bekommt und bei 
seiner Diagnose auf Berichte angewiesen ist. Die Kranken und 
ihre Angehörigen lassen gewöhnlich nur die sogenannten grossen 
Anfälle mit Aura, Schrei, Hinstürzen, Bewusstlosigkeit, Krämpfen, 
Zungenbiss und Nachschlaf als epileptische gelten, benennen sie 
auch so und rechnen nach ihnen Beginn und Dauer der Krank¬ 
heit. Es ist aber ein grosser Fehler, sich auf derartige Angaben 
zu verlassen und auf die genaueste Feststellung darüber zu ver¬ 
zichten, ob nicht irgendwelche Variationen des typischen 
Anfalls, wie eingliedrige oder halbseitige Krämpfe, die Epilepsia 
cursoria oder rotatoria, Schwindel, Ohnmächten, Petit mal, Ab¬ 
senzen, Dämmer- uad Schlafzustände, plötzliche Verwirrtheit, 
nächtliches Aufscbrefen mit und ohne Bettnässen, nächtliches 
Zähneknirschen mit Gesichtsverzerrungen, periodische Schweiss¬ 
ausbrüche, Intoleranz gegen Alkohol und pathologische Rausch¬ 
zustände, plötzliches Fortlaufen und planloses Umherirren und 
noch manche andere Erscheinungen vorgekommen sind. Das 
alles muss genau abgefragt werden, und dabei ist dem Er¬ 
innerungsvermögen des Kranken nach diesen Vorfällen und Er¬ 
eignissen die grösste Beachtung zu schenken. Das ist deshalb 
so wichtig, weil der Ausfall der Erinnerung nach einem Anfalle 
ein sicheres differentialdiagnostisches Zeichen gegen 
hysterische Anfälle ist. Auch die Art der Muskelkrämpfe 
und Muskelbewegungen bei einem Anfalle lasse man sich genau 
beschreiben; plötzliches Einsetzen und strenge Begrenzung auf 
zusammengehörige Muskelgruppen, die zuerst sich krampfhaft 
strecken, dann zucken, spricht für Epilepsie, während allmählicher 
Beginn, langsame Steigerung verschiedenartiger regelloser Glieder¬ 
bewegungen, Herumwerfen des ganzen Körpers, Einnehmen 
grotesker Stellungen für Hysterie in Anspruch zu nehmen ist. 
Ist der Arzt bei dem Anfall zugegen, dann entscheide er nach 
der Pupille, die nur bei dem epileptischen Anfall erweitert und 
völlig reaktionslos ist. Io Zwe.ifelfällen, die durchaus möglich 
sind, versuche man die Anwendung äusserer Reize, wie Anspritzen 
mit kaltem Wasser, Faradisation mit dem Pinsel, Druck auf die 
Ovariengegend usw. Bei einem epileptischen Anfall bleiben 
solche Mittel ohne alle Wirkung, während sie einen hysterischen 
Anfall zu unterdrücken, Mindestens zu mildern vermögen. Ich 
warne auch davor, die Laienangabe über eine Spätepilepsie 
ohne kritische Prüfung hinzunehmen. Gerade bei solchen An¬ 
gaben sollten die Aufklärungsversuche über den Beginn und die 
Art der'Anfälld sehr genau vorgenommen werden. Sehr häufig 
findet man dabei hysterische Anfälle statt epileptischer. Diese 
Regeln sind dringend zu beachten, wdnn es gilt, eine Unfall- 
epilepsie zu begutachten. Bei eingehender und genauester 
Prüfung aller Unfallumstände konnte ich mehrere Male erweisen, 
dass der Unfall nicht die Ursache, sondern die Folge eines epi¬ 
leptischen Anfalls gewesen ist, voh> denen der Verunglückte schon 
vorher heimgesucht worden war. Allerdings darf man sich'bei 
diesen Erhebungen nicht mit der Verneinung der Frage begnügen, 
ob schon vorher epileptische Anfälle vorgekommen seien. Da£ 
Wort „epileptisch“ sollte man dabei , am * besten«' gar nicht an¬ 
wenden. Die grosse Reibe der Anfall Varietäten muss abgefragt, 


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6. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHEN SCHRIFT. 


815 


es müssen Erkundigungen bei Angehörigen» Nachbarn, Berufs¬ 
genossen, an früheren Arbeitsstätten gewissenhaft eingezogen 
werden. Trifft man auf Kranke, die über ihre Anfälle genau 
Bach geführt haben, dann wird dadurch die Feststellung des 
Beginns der Krankheit und ihrer möglichen Ursachen erleichtert, 
ln anderen Fällen pflege ich von zwei Seiten her aufklärend vor¬ 
zugehen. Ich suche in rückläufiger Reihe den letzten, vorletzten, 
yorvorletzten und die noch weiter zurückliegenden, und ich be¬ 
mühe mich dann, in vorwärtsführender Reihe den allerersten, 
den zweiten, dritten und die folgenden Anfälle festzustellen. Bei 
nicht zu alten Fällen gelingt es oft, beide Reihen zusammen- 
zubringen. Man erfährt jedenfalls bei dieser Art der Erhebung 
die Zwischenräume zwischen den Anfällen, die oft jahrelang 
dauern, man erfährt auch bei zweckmässiger Fragestellung die 
Verschiedenheiten und Abarten der einzelnen Anfälle. Von 
grosser Bedeutung ist es, diese Untersuchungen auch auf die 
Aura auszudehnen, die immer bei noch ungestörtem Bewusstsein 
abläuft. Sie kann oft auf eine anfallauslOsende Ursache hin- 
leisen. Sie ist von verschieden langer Dauer, die sich manchmal 
nur nach Sekunden, manchmal nach Stunden und Tagen bemisst. 
Bei der motorischen Aura tritt Zittern und Zucken oder 
lähmungsartige Schwäche in einzelnen Muskeln oder Muskel- 
gruppen, terner Erbrechen auf; bei der psychischen kommt es 
zu plötzlichem Angstgefühl, zu Unruhe, zu ungewohnten und ver¬ 
wirrenden Vorstellungen, zu Denkhemmung. Bei der psycho¬ 
motorischen habe ich aphasische Zustände beobachtet. Die 
vasomotorische äussert sich durch plötzliche Schweissaus¬ 
brüche, Absterben und Kältegefühl der Glieder. Am häufigsten 
kommt die sensorielle Aura vor mit verschiedenartigen Par- 
ästhesien, mit Ohrensausen, scharfen, oft unangenehmen Geruchs¬ 
und Geschmacksempfindungen, Funken- oder Feuererscheinungen 
in den Augen, Aufsteigen eines Hauchs oder Windes vom Bauche 
oder der Brust nach dem Kopfe. Als Stoffwechselaura mochte 
ich die starke Verminderung der 24 ständigen Urinmenge be¬ 
zeichnen, und eine allgemeine, nicht zu lokalisierende 
Aura besteht darin, dass der Kranke ein nicht definierbares, 
aber ganz bestimmtes Gefühl des kommenden Anfalls bat. 

Die Anfälle bewahren nur selten »einen und denselben 
Qharakter. Sie wechseln ihn sehr häufig,* und die meisten 
Kranken haben gewöhnlich mehrere Arten von Anfällen, am 
häufigsten wohl grosse, mit Petit mal-Anfällen wechselnd. Anderer¬ 
seits gibt es Kranke, bei denen ein Anfall genau so stereotyp 
verläuft wie der andere. 

Wenn sich die Anfälle häufen und so schnell aufeinander 
folgen, dass der eine noch kaum zu Ende ist, wenn der folgende 
schon beginnt, dann spricht man von Status epilepticus, ein 
nicht selten für das Leben des Kranken gefährlicher Zustand. 

Grosses Gewicht lege ich auf die Festlegung der Umstände, 
unter denen der allererste Anfall aufgetreten ist. Zu¬ 
nächst habe ich mich immer bemüht, die Stunde zu bestimmen, 
in der die Anfälle sich ereignet haben. Dadurch wird häufig 
schon die grosse Gruppierung in Epilepsia diurna und nocturna 
möglich, wobei die letztere schon in ganz bestimmter Weise auf 
gewisse Ursachenmöglichkeiten, wie gefüllte Blase, leeren Magen, 
Kopfnarben usw. hinweisen kann. Dann sind alle nur denkbaren 
und zu den Verhältnissen des Kranken passenden Umstände vor 
dem ersten Anfall zu erörtern. Sie werden am besten nach der 
körperlichen und seelischen Seite hin aufzuklären versucht. 
Zu den ersteren gehören Art und Menge der Nahrung, Zeit ihrer 
Zufuhr, Stuhlentleerung, Menstruation, Genuss von alkoholischen 
Getränken, von Tabak, körperliche Ueberanstrengungen, sexuelle 
Reizungen und Betätigungen, Aufenthalt in verdorbener Luft, 
vorhergegangene Krankheiten; zu den letzteren rechne ich Schreck, 
Angst, gemütliche Erregung in Schule und Kirche, Strafe, Zank, 
Streit und noch viele andere. 

Auch den Witterungs Verhältnissen kommt eine gewisse Be¬ 
deutung zu. Luftdruck und Temperatur sind durchaus nicht ohne 
Einfluss auf nervenempfindliche und gefässreizbare Menschen, und 
es steht durchaus fest, dass eine atmosphärische Depression eine 
Depression der Gemütslage, apoplektiscbe Insulte und epileptische 
Anfälle provozieren kann. 

Grosse Aufmerksamkeit ist den Zahnkrämpfen uBd der 
Schwierigkeit des Erwachens aus tiefem Schlafe zu 
schenken. Unter den ersteren verbirgt sich sehr häufig der An¬ 
fang deri Epilepsie. Bei solchen Kranken findet man häufig 
Störungen der seelischen Funktionen von der leichtesten Debftität 
bis zur ausgesprochenen Idiotie. Schweres Lernen und Begreifen 


in der Schule, mangelhaftes Erinnerungsvermögen sind bei genauer 
Prüfung und Nachforschung ebenso nachzuweisen wie eine nach 
Graden verschiedene Gemütsstumpfheit. Meist dürfte es sich bei 
solchen epileptischen Kindern um eine heredoluetische Encephalitis 
mit nachfolgender Entwicklungshemmung des Gehirns bandeln. 
Auch unsymmetrische, mikrocepbale und Turmschädelbildungen 
findet man bei ihnen. Als sehr verdächtiges Epilepsiezeichen 
betrachte ich bei Kindern und Erwachsenen die Schwierigkeit 
des Erwachens, die gelegentlich anftritt. Solche Personen können 
nur mit den äussersten Anstrengungen der Umgebung aus dem 
Schlafe erweckt werden und verweilen auch nach dem endlich 
eingetretenen Erwachen noch längere Zeit in einem Zustande von 
Dösigkeit und Benommenheit. Auch Handlungen und Ver¬ 
richtungen, die an und für sich nichts Auffälliges haben, er¬ 
wecken dadurch Verdacht auf epileptische Zustände oder epi¬ 
leptischen Charakter, dass sie bei unpassender Gelegenheit und 
am Unrechten Orte geschehen, vorausgesetzt, dass keine Betrunken¬ 
heit besteht. Wer in einem Konzert plötzlich den Hut aufsetzt 
und unter Gestikulationen laut spricht, ist sicher epileptisch, 
besonders wenn er sich nachher nicht an den Vorfall erinnert. 
Ebenso der, der auf der Strasse sich auszukleiden beginnt. Die 
meisten Exhibitionisten sind Epileptiker. 

Die spasmophilen Zustände der Kinder gehören ebensowenig 
zur Epilepsie wie Oppenheim’s myasthenische Krämpfe. 

Ueber die Untersuchung des Kranken brauche ich mich 
hier nicht zu äussern. Sie verläuft wie jede allgemeine Unter¬ 
suchung, sie mass umfassend, gründlich und erschöpfend sein. 
Es wäre ein grosser Fehler, sie nur auf das Nerven¬ 
system zu beschränken. Nie soll man dabei vergessen, die 
Schädelmaasse aufzunehmen und den Augenhintergrund zu besehen. 
Hinweise auf alle möglichen Gehirnstörungen und ihre Rückstände 
können dadurch gegeben werden. Auch eine Blutuntersuchung 
soll gemacht, jedenfalls der Hämoglobingehalt festgestellt werden. 
Werden Befunde erhoben, die die Annahme einer Reflexepilepsie 
nahe legen, wie Hautstellen mit veränderter Sensibilität, Narben, 
die angewachsen sind oder schmerzen, dann sollte man immer 
prüfen, ob diesen Stellen die Bedeutung von epileptogenen Zonen 
zukommt, d. b. man sollte versuchen, durch mechanische, 
thermische oder faradische Reizungen dieser Zonen einen Anfall 
auszulösen. 

Einzelne Befunde können auch in Verbindung mit den vorher 
festgestellten Umständen über die Zeit der Anfälle auf eine sichere 
ätiologische Diagnose hinleiten. Ein jünger Mensch bekam die 
Anfälle nur nachts im Schlafe, und zwar, wie die weitere Er¬ 
hebung ergab, nur dann, wenn er links lag. Die Untersuchung 
des Schädels deckte dann an der linken Seite eine talergrosse 
Stelle mit spärlichem Haarwuchs auf, die auf Beklopfen schmerzte, 
wobei ein Gefühl von Schwere und Schwäche im rechten Arm 
auftrat. 


Wende ich mich nun zur Behandlung, dann müsste ich zu¬ 
nächst etwas über die Prophylaxe sagen. Ich kann das aber 
übergehen, weil die Prophylaxe der Epilepsie sich im wesent¬ 
lichen mit derjenigen aller Nerven- und Geisteskrankheiten deckt. 
In der Praxis handelt es sich meist um die Heiratsfrage. Hierbei 
gilt die bewährte Regel, dass der Arzt die meist Beteiligten über 
alle Punkte genau aufklären, ihnen aber die Entscheidung allein 
überlassen soll. 

Die persönliche Behandlung muss dem Bestreben dienstbar 
gemacht werden, die krankhafte Erregbarkeit der Gehirnrinde, die 
Ueberempfindlichkeit der „epileptischen Veränderung“ zu beseitigen. 
Die Behandlung muss „depressorisch“ sein. 

Dieser Forderung entspricht in erster Linie die Ruhe. 

Epileptiker, die von mehr als zwei Anfallen in der Woche heira- 
gesuoht werden, gehören während einer Krankenhauskur ins Bett. 
Während einer ambulanten Behandlung suche man diesem Gebote mög¬ 
lichst nahe zu kommen. Stösst man mit der Bettkur auf Widerstand, 
dann verordne man sie unter der Firma einer Mastkur. Der Bettkur 
gleich zu achten sind Liegekuren im Freien. Hier ist darauf aufmerksam 
zo machen, dass ein Epileptiker niemals auf einem Federkopfkissen, 
sondern immer nur auf einem Rosshaarkissen schlafen soll; tritt während 
des Schlafes ein Anfall ein, in dem der Kranke auf das Gesicht rollt, 
dann erstickt er auf dem Federkissen, während! das Rosshaarkissen Luft 
durchlässt. **' ^ 

6 Zwischen den Liegestunden erweist sich ein ruhiges, auf jswei Tages¬ 
portionen von je 1 bis VU Stunden verteiltes Gehen sehr förderlich. 
Ich empfehle hierzu leicht steigende Wege zu wählen, weil die meisten 

1 * 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18. 


Epileptiker einen weichen Puls haben und eine Stärkung des Herz¬ 
muskels sehr gut gebrauchen können. Mit körperlicher Arbeit sei 
man besonders bei jugendlichen Kranken vorsichtig. Oie Grenze der 
Toleranz ist schnell überschritten, und dann kommt ein Anfall. loh 
stimme noch immer nicht in die allgemeine Begeisterung für Beschäfti- 
gungs- und Arbeitstherapie bei Nervenkranken ein und habe keine Ver¬ 
anlassung, von dem Standpunkte abzugehen, den ich in meinem bei der 
Naturforscherversammlung zu Aachen im Jahre 1900 über diese Frage 
erstatteten Referate eingenommen habe. Ich mache hier eine scharfe 
Trennung zwischen Geisteskranken und Nervenkranken, und so sehr ich 
Beschäftigung und Arbeit aller Art bei den ersteren hoehschätze, so 
wenig halte ich bei letzteren, besonders während einer gegen Erregungs-, 
Reiz- und Ermüdungszustände gerichteten Behandlung, die sogenannte 
Arbeitstherapie für indiziert. Für abgelaufene Fälle dagegen, an denen 
nichts mehr zu retten, kaum noch etwas zu verderben ist, ist sie ein 
ausgezeichnetes Mittel, den Kranken den Tag auszufüllen und die Zeit 
zu vertreiben. Dann verdient sie aber nicht mehr den Namen einer 
Therapie. 

Speisen und Getränke, die das Nervensystem erregen and 
reizen können, sollen vermieden werden. 

Alkoholische Getränke, Kaffee, Tee und Tabak sollten ganz verboten 
werden, besonders bei jugendlichen Kranken. Auch der Fleischgenuss 
ist einzuschränken. Man verfahre aber mit allen diesen Verordnungen 
nicht schematisch, sondern richte sich nach den persönlichen Erforder¬ 
nissen, Gewohnheiten und Folgen. Es kann sehr zum Nachteil aus- 
schlagen, wenn Magen und Darm mit Gemüsen, Früchten, Milch und 
Brot überfüllt und belastet werden, denn Gasaufblähung der Därme, 
Hebung des Zwerchfells und Verschiebung des Herzens können für die 
Auslösung eines epileptischen Anfalles viel gefahrvoller werden als eine 
Zigarre, oder ein Glas Bier, oder die beschwerdelose Verdauung einer 
gemischten Mahlzeit mit gut zubereitetem Fleisch. Auf alle Qualitäts¬ 
tüfteleien der Ernährung lege ich keinen Wert. Richtiger und wichtiger 
erscheint mir die Verordnung kleiner, aber häufiger Mahlzeiten. Auch 
während der Nacht lasse ich gelegentlich bei besonderen Indikationen 
essen, z. B. bei Anfällen in den frühen Morgenstunden, die meist mit 
dem leeren Magen ursächlich in Zusammenhang stehen. 

Für tägliche Stuhlentleerong muss bestimmt gesorgt 
werden. 

Reine Luft ist ein Haupterfordernis für die Kranken. 

Epileptische Anfälle können zweifellos durch Einatmung verbrauchter 
und verdorbener Luft entstehen, die Kranken sollen deshalb das längere 
Zusammensein mit vielen Menschen in geschlossenen Räumen vermeiden. 
Das Schlafzimmer ist in geeigneter Weise zu lüften, wobei aber die Er¬ 
wärmung berücksichtigt werden soll. Im Winter im Kalten zu schlafen, 
verträgt nicht jeder Kranke. 

Der Kranke pflege die Haut und sorge für Reinlichkeit 
durch Wäsche, Wasser und Seife. Der Zahnpflege ist grosse 
Aufmerksamkeit zu schenken. Vor notwendigen zahnärztlichen 
Eingriffen sollte ein Epileptiker nicht zurückschrecken. 

Die Wasseranwendung kann bei der Behandlung der Epi¬ 
leptiker wertvoll sein. Ihr muss nur immer eine bestimmte Auf¬ 
gabe gestellt werden. 

Meistens kommt sie vom Gefässsystem, und meistens handelt es sich 
um seine Kräftigung. Am sichersten erreicht man diese mit Halbbädern 
von 24 bis 22 0 C. Sollen kongestive Zustände des Kopfes beeinflusst 
werden, dann gebe ich Sitzbäder von 5 Minuten Dauer bei einer Tem¬ 
peratur von 22 bis 20° C. Auch wechselwarme Fussbäder mit einer 
Differenz zwischen 40 und 20° C sind dabei angezeigt, und feuchtwarme 
Packungen um Unterleib und Oberschenkel leisten gute Dienste. Liegen 
keine derartigen bestimmten Indikationen vor, dann lasse ich Vollbäder 
von 35° C bei einer Dauer von 20 bis 30 und 40 Minuten nehmen und 
lasse das Bad mit einer allgemeinen Begiessung mit 25 gradigem Wasser 
beenden. Das kommt der allgemein „depressorischen“ Tendenz der 
Behandlung am weitesten zur Hilfe.' Bei Wannenbädern muss stets eine 
zweite Person anwesend sein, um bei einem Anfalle das Ertrinken des 
Kranken zu verhüten. 

Auf die Anwendung irgendeiner elektrischen Behand¬ 
lungsmethode kann man bei Epileptikern verzichten. 

Wenn ganz bestimmte Anhaltspunkte zu operativen Ein¬ 
griffen am Schädel vorliegen, soll man sie ausführen lassen. 
Die günstigsten Erfolge lassen Verletzungen mit Knocheneindrücken 
erwarten. Die Trepanation an und für sich bringt oft durch 
Druckentlastung überraschende Erfolge. Ebenso der Balkeu- 
stich. Anton hat ihn bei einem 11jährigen Mädchen mit 
Status epilepticus, Dämmerzuständen, Benommenheit und be¬ 
ginnender Verblödung ausgeführt. Der unter der stark gespannten 
Dura angesammelte Liquor floss nach Einführung der Canüle unter 
starkem Drucke ab. Die Anfälle blieben aus, das Kind wurde 
lueider, : die geistige Stumpfheit verschwand, das Gedächtnis kehrte 
zdrück. * I j 

Narben'und andere Gewebsveränderungen, die sich' 
als epileptogene Zonen erweisen, lasse^ man beseitigen.^Ope¬ 


rationen in der Nase und im Nasenrachenraum, die ich 
sehr häufig habe ausführen lassen, teils um kongestive Zustände 
zu beseitigen, teils um die Luftwege zu erweitern, haben mir nur 
in seltenen Fällen einen vorübergehenden Erfolg gebracht 

Ableitende und revulsive Behandlungsmethoden 
pflege ich mit Vorliebe anzuwenden. Wenn nur der geringste 
Verdacht auf eine überstandene Encephalitis oder Meningitis vor¬ 
liegt, ziehe ich ein Haarseil in den Nacken und lasse es bei 
vorschriftsmässiger Behandlung monatelang liegen. Ich habe 
damit, besonders bei Kindern und jugendlichen Kranken, gläniende 
Erfolge erzielt. 

Von Medikamenten stehen noch immer an erster Stelle die 
Brompräparate, und zwar die anorganischen. Sie haben 
den höchsten Bromgehalt, und ihre Bromwirkung ist unstreitig die 
grösste. Die von mir empfohlene Kombination mehrerer Brom¬ 
salze hat sich bewährt. 

Ob man nun die Bromide einzeln oder kombiniert gibt, die 
wichtigste Maassregel ist die, sie stets in grosser Verdünnung dem Orga¬ 
nismus zuzuführen. Damit wird die Resorption befördert, die Entgiftung 
erleichtert, der Bromismus am längsten hintangebalten oder gar ver¬ 
hütet. Der Zusatz von Kohlensäure und von Salzen, die für Diurese 
und Stuhlgang förderlich sind (Bromwasser), erscheint sehr zweckmässig. 
Man fange mit kleinen Dosen an, etwa zwei- bis dreimal täglich je 
1—IV 2 g und steige ganz allmählich auf grössere Gaben. Man muss 
sich dabei ganz nach der Eigenart des Falles richten. Eine Bromsalzkur 
soll man nie plötzlich abbrechen, sondern unter allmählicher Ver¬ 
minderung der Tagesdosis zu Ende führen. Ich warne daher auch 
dringend vor einer intermittierenden Brombehandlung. Auoh die Sym¬ 
ptome des Bromismus sollten nie Anlass zum plötzlichen Aussetzen der 
Bromsalze geben. Bei Bromismus verringere man die Dosis oder ver¬ 
dünne die Lösung oder weohsele das Präparat. Ich habe es unzählige 
Male beobachtet, dass ein schwerer Kaliumbromismus unter dem Ge¬ 
brauche von gleiohen Dosen Bromnatrium oder meines Bromwassers 
prompt zurückgegangen ist. Die organischen Brompräparate ent¬ 
halten sämtlich sehr viel weniger Brom als die anorganisohen. Es ist 
deshalb vollkommen berechtigt, die Gefahr des Bromismus bei ihrem 
Gebrauche geringer anzuschlagen, aber die reine Bromwirkung bleibt 
ebenfalls stark hinter der der anorganischen Präparate zurück. Ob 
Brom in organischer Biodung besser oder schneller zur Wirkung kommt, 
ist nicht erwiesen. 

Zur Unterstützung der Bromsalzkur wird Chloral- 
hydrat und Opium empfohlen. 

Ich gebe das erstere sehr gerne und mit gutem Erfolge in refracta 
dosi, etwa zweimal täglich je 0,5 g. Opium bevorzuge ich bei Alkohol¬ 
epilepsie und gebe davon zwei- oder dreimal täglich je 0,05 g. In 
neuerer Zeit wird auch Luminal empfohlen, was ich auf Grund meiner 
Erfahrung auch befürworten kann. loh gebe vier Tage hintereinander 
abends eine halbe oder auch eine ganze Tablette (0,3) und setze am 
fünften Tage aus. Bei diesen drei Unterstützungsmitteln kann man 
hohe Bromsalzdosen vermeiden, kommt man mit kleineren Gaben aus. 
Auch die Verbindung von Bromsalzen mit einem Baldrianinfus 
(20—30 g auf 200) kann ich empfehlen, besonders bei leichten Anfällen. 
Ein nach amerikanischer Vorschrift hergestelltes Fluidextrakt von 
Baldrianwurzel ist wirkungsvoll, empfiehlt sioh aber wegen seines 
Alkoholgehaltes nicht bei jugendlichen Kranken. 

Eine besondere Beachtung verdient die Flechsig’sehe Opium- 
Bromkur. Sie eignet sich aber, wie ich ausdrücklich betone, nur für 
die Krankenhausbehandlung. Sie besteht aus zwei Teilen, einem Opium- 
und einem Bromteil. Im ersteren wird Opium gegeben, und zwar 
Opium purum, auf keinen Fall etwa Opiumtinktur oder Pantopon. Man 
beginnt mit dreimal täglich 0,05 g, am besten in Pillenform. An jedem 
zweiten Tage steigt man um dreimal 0,01, und erreicht in dieser Weise 
am 51. Tage dreimal 0,3, das sind 0,9 Opium. Während dieses Teiles 
der Kur lasse man den Kranken verdünnte Salzsäure nehmen oder gebe 
ihm Acidoltabletten, von denen eine (0,5) 4 Tropfen Salzsäure ent¬ 
spricht. Im allgemeinen werden, wie wir aus der Psychiatrie wissen, 
solche hohe Opiumdosen gut, vertragen, aber es ist durchaus nicht nötig, 
die Flechsig’sche Kur bis zum Maximum der Opiumzufuhr auszudehnen. 
Man richte sich ganz nach dem Verhalten des Kranken, seinem Herzen 
und seinem psychischen Zustande und breche ab, wenn sich grössere 
Schlafsucht am Tage einstellt Immerhin sollte man bis zu einer Tages¬ 
dosis von 0,5 bis, 0,6 ansteigen. Der zweite Teil der Kur beginnt mit 
dem plötzlichen Aussetzen des Opiums und seinem Ersatz durch Brom- 
kaliura, von dem man sofort 6 g pro die in drei Portionen zu je 2 g 
geben muss. Das ist ein gefährlicher Augenblick, in dem das Hers eine 
sorgfältige Ueberwachung beansprucht. Allmählich steige man mit dem 
Bromkalium auf dreimal 3 g und bleibe dann eine längere Zeit etwa 
2 Monate, auf dieser Dosis stehen, vorausgesetzt dass diese Dosen ver¬ 
tragen werden und kein Bromismus entsteht. Die Kur hat keine Dauer¬ 
erfolge aufzuweisen und sollte, wenn überhaupt, nur als ultimum 
refugium angewendet werden. 

• Auch die v. Rechtere w’sche Kur hat: Anhänger, wenn 
auch keine allgemeine Anerkennung gefunden. < 


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5. Mal 1919. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


817 


Sie besteht in einer Verbindung von Bromkalium, Godein und Adonis 
vernalis. Die Vorschrift lautet: Infus. Adonis vern. 4,0:180, Codein 0,15, 
Kal. bromat. 7,5—12,0. Täglich drei- bis viermal 2 Esslöffel zu nehmen. 
Den Esslöffel zu 15 g gerechnet, wären das täglich bei viermaliger Gabe 
5—8 g Bromkalium, eine immerhin beträchtliche Menge. 

Bemerkenswert, aber noch keineswegs nach allen Richtungen auf¬ 
geklärt, ist ein gewisses antagonistisches Verhalten zwischen 
den Chloriden und Bromiden im Organismus. Der Chlorgehalt 
des Blutes soll sich vermindern, wenn reichlich Bromsalze darin kreisen, 
die letzteren sollen also die ersteren verdrängen. Das scheint auch 
daraus hervorzugehen, dass im Beginne einer Bromretention die Kochsalz¬ 
ausscheidung gesteigert ist, und das3 andererseits eine vermehrte Koch¬ 
salzzufuhr die Bromausscheidung beschleunigt. Festgestellt nach Ver¬ 
suchen von B. Külz ist, dass bei Bromzufuhr die Chlorwasserstoff- 
saure des Magensaftes durch Bromwasserstoffsäure ersetzt wird, und dass 
dabei die sonst chlorreichsten Gewebe am meisten Bromsalze enthalten. 

Für die Behandlung der Epileptiker ist daraus die Ver¬ 
ordnung koch salzloser oder kochsalzarmer Nahrung 
entstanden, mit der Betonung, dass während ihrer Durchführung 
die Wirksamkeit der Bromsalze sich steigere, dass man also ihre 
Dosis verringern könne. 

Aus dem erwähnten antagonistischen Verhalten der Chloride und 
Btomide folgt einerseits, dass bei absoluter Kochsalzentziehung sehr 
schwerer Bromismus auftreten muss, andererseits, dass dieser durch ge¬ 
steigerte Kochsalzzufuhr wieder schnell beseitigt wird. Die von den 
französischen Aerzten Toulouse und Riohet empfohlene Kur ist von 
einer grossen 2ahl deutscher Forscher nachgeprüft, indessen eine über¬ 
einstimmende Anerkennung ihrer Wirksamkeit nicht erzielt worden. In 
der Ambulanz stösst die systematische Verminderung des Kochsalzes in 
der Nahrung auf zu grosse Schwierigkeiten, und bei den grösseren und 
besseren Erfolgen, die die Kur bei Krankenhausbehandlung unstreitig 
aufzuweisen hat, sind dafür die geregelten und ruhigen Verhältnisse des 
Krankenhauses nicht ausser Anschlag zu lassen. Auch die persönliche 
Abneigung der Kranken gegen eine längere Zeit fortgesetzte salzlose 
oder salzarme Nahrung, die durch ihren faden und widerlichen Ge¬ 
schmack schliesslich abstösst, ist nicht dazu angetan, der Kur eine all¬ 
gemeine Anerkennung und Einführung zu verschaffen. In neuester Zeit 
scheint eine Wendung in dieser Frage dadurch herbeigeführt werden 
zu sollen, dass auf Veranlassung des Dr. med. A. Ulrich, dirigierenden 
Arztes der schweizerischen Anstalt für Epileptische in Zürich, eine mit 
Bromnatrium und Kochsalz im Verhältnis von 1,1 :0,1 und eine Kleinig¬ 
keit Fett kombinierte Suppenwürze (Maggi) fabrikmässig in Tabletten¬ 
form hergestellt wird, das Sedobrol, mit dem es gelingt, heisses Wasser 
in würzig schmeckende, allerdings für die Ernährung wertlose Suppen 
ümzuwandeln* Ulrich hat mehrere Jahre hindurch 15 Epileptiker zu¬ 
erst mit salzlosen Suppen, dann mit Sedobrolwassersuppen ernährt und 
veröffentlicht nun seine sehr günstigen Ergebnisse in bezug auf die Ver¬ 
minderung und das gänzliche Ausbleiben der Anfälle bei einigen seiner 
Kranken. Er hat nicht nur das Suppensalz zum Ausfall gebracht, was 
er auf 10—20 g täglich angibt, er hat auch in anderen Speisen das Salz 
allmählich vermindert und seine Kranken schliesslich auf 8*/ a g Salz täg¬ 
lich heruntergesetzt. Die Arbeit muss im Original 1 ) nachgelesen werden. 
Eine bestimmte Stellungnahme zu der ganz gewiss wichtigen Frage er¬ 
scheint mir noch nicht möglich, und eine bestimmte Entscheidung 
darüber, wo nun eigentlich der ausschlaggebende und heilende Faktor 
liegt, ob in der Bromdosis, ob in der enormen Kochsalzverarmung, ob in 
einem gewissen Gleichgewichtsverhältnis zwischen Brom und 
Salz, das für jeden Kranken herausgefunden werden müsste, oder ob io 
der sehr grossen Verdünnung, in der das Brom-Kochsalz gereicht wird 
(Suppen), oder gar in der Suppenwürze, die eine vollkommenere Aus¬ 
nutzung der zugeführten Speisen und Getränke und wohl auch der Medi¬ 
kamente ermöglichen soll, das alles ist noch unklar. Immerhin ist diese 
neue, höchst einfache Methode wert, innerhalb eines Krankenhauses syste¬ 
matisch nachgeprüft zu werden. 

Ich verbiete Fleisch und Fische in gesalzenem und geräuchertem 
Zustande, Bratensauoen, Käse, gesalzene Butter und jeden Zusatz von 
Salz zu fertigen Speisen. Erweist sich ein weiterer Abzug von Salz als 
erforderlich oder wünschenswert, dann lasse ich Suppen durch Milch er¬ 
setzen. Dazu führe ich die Brombehandlung mit meinem Bromwasser 
aus, das auf 1,0 g Bromsalze 0,1 g Chlornatrium enthält. Ich 
lasse davon drei- bis viermal täglich je 75 ccm trinken, das sind 8—4 g 
Bromsalze plus 0,3—0,4 g Kochsalz. Experimenti causa habe ich fest¬ 
gestellt, dass sich eine salzlos hergestellte Suppe mit einer entsprechenden 
Menge meines Bromwassers sehr schmackhaft machen läst. 

Ausser den Bromsalzen haben mir bei der Behandlung von 
Epileptikern, namentlich bei Kindern und jugendlichen Kranken, 
die Jodsalze hervorragende Dienste geleistet. Wie ich schon 
hervorgehoben habe, sind Encephalitis und Meningitis, mögen sie 
in der fötalen oder der ersten Lebenszeit durchgemacht worden 
sein, mögen sie heredoluetischer Natur sein oder nicht, die 
häufigsten Ursachen der Epilepsie. Die verschiedenartigen Pro- 

J) Münchener med. jjVocljenschr. ? 1912, Nr, 36 u. 37. 


dukte and Rückstände dieser Entzündungskrankheiten bieten stets 
ein dankbares Objekt für eine Resorptionsbehandlung. 

Eine solche habe ich bei jugendlichen Epileptikern immer in erste 
Linie eingeleitet und babe versucht, von innen und aussen den patho¬ 
logischen Herden auf den Leib zu rücken. Jodsalze innerlich, Solbäder 
und Haarseil in den Nacken von aussen, damit habe ich den Kampf 
geführt. Selbstverständlich und aus der Natur der Dinge sich ergebend 
fordert eine derartige Behandlung lange Zeiträume, bis eine Wirkung, 
bis ein Erfolg erzielt wird. Alte Exsudate, Lymphstauungen, Verände¬ 
rungen der Gefässwände sind nicht in vier bis sechs Wochen zu beseitigen, 
sie sind auch nicht mit homöopathischen Jodsalzdosen zur Resorption zu 
bringen. Sie müssen schärfer angefasst werden, und es ist ein glück¬ 
licher Umstand, dass Kinder gerade Salz und Jod in starken Gaben so 
gut vertragen. Eine derartige Behandlung muss monatelang konsequent 
durcbgeführt und, wenn erforderlich, nach Pausen immer wiederholt 
werden. Die Pausen kann man mit einem roborierenden Regime aus¬ 
füllen und dabei Bromsalze geben, die ich während der eigentlichen 
Resorptionskur nicht gebrauchen lasse. Wie ich wiederholt bei anderer 
Gelegenheit angegeben und zur Nachahmung empfohlen habe — ich gebe 
stets Kalium und Natrium jodatum zusammen, stets in alkalischer Lösung, 
stets bei säurefreier Diät, stets mit kleinen Dosen einschleichend und 
sie progressiv steigernd. 

Von den unzähligen anderen Medikamenten, die früher gegen die 
Epilepsie angewandt worden sind, verdient heute höchstens das Atropin 
eine Erwähnung. Man gibt es entweder in Pillen zu je 0,005 g, wovon 
täglich eine bis zwei verordnet werden, oder in subcutaner Injektion 
(0,01:10,0; davon täglich eine viertel bis eine halbe Pravazspritze voll). 

Ganz neue Wege scheint die Krotalinbehandlung zu 
zeigen, die in England von Turner, in Amerika von Spangier, 
bei uns von Fackeuheim in Cassel inauguriert worden ist. 

Krotalin ist eine aus den Giftdrüsen der Klapperschlange gewonnene 
Substanz, die vermöge ihrer Zusammensetzung eine Doppelwirkung auf 
den menschlichen Organismus ausübt: die in ihr enthaltenen Pepton¬ 
bestandteile bringen eine nervenläbmende Wirkung zustande, während 
der zweite Bestandteil, das Globulin, die Gerinnungsfähigkeit des Blutes 
herabsetzt- Gerade zwischen der letzteren und der Epilepsie soll ein 
Zusammenhang, eine Wechselbeziehung bestehen, was auch daraus ge¬ 
schlossen werden müsse, dass Hämopbile niemals an Epilepsie erkranken. 
Es käme also bei Niohtblutern, die epileptisch sind, darauf an, die Ge¬ 
rinnungsfähigkeit ihres Blutes herabzusetzen, sie gewissermaassen zu 
Hämophilen zu machen. Die Anwendung erfolgt duroh subcutane In¬ 
jektion 1 ). Die Erfolge sind nach Fackenheim’s Veröffentlichung äusserst 
günstig. Die Krotalinbehandlung bietet Aussicht auf dauernden Erfolg. 
Unter ihrer Wirkung tritt eine auffallende Hebung des Allgemeinbefindens 
ein, und zwar noch mehr in psychischer als in somatischer Beziehung. 
Die Kur eignet sich nur für Krankenhausbehandlung. 

Gegen den Status epilepticus haben sich Klystiere von 
Chloralhydrat von jeher als wirksam erwiesen. Man darf mit ihrer 
Anwendung nicht zu lange zögern. Auf Grund des Brom-Kochaslz- 
antagonismus empfiehlt sich eine grössere Zufuhr von Kochsalz io 
Form von Klystieren oder Infusionen (0,8 pCt.). 

Zum Schlüsse noch ein Wort über die Coupierung des 
einzelnen epileptischen Anfalles. Von ihr kann natürlich 
nur da die Rede sein, wo dem Anfalle eine längere Aura vor¬ 
hergeht. 

Tritt diese auf bestimmte Körpergebiete lokalisiert auf, dann werden 
Hautreize, wie scharfe Einreibungen, Faradisation mit dem Pinsel, Bürsten 
und ähnliches angewandt, v. Strümpell hat bei solchen Fällen ein 
ringförmiges Blasenpflaster um die betreffende Extremität gelegt und den 
Anfall dadurch verhütet. Bei Jackson’schen Anfällen, die von dem distalen 
Extremitätenende aufwärts voranschreiten, kann eine feste, blutabsperrende 
Umschnürung am oberen Ende der Extremität den Anfall unterdrücken. 
Bei allgemeiner Aura sind Inhalationen von Amylnitrit empfohlen worden, 
auch Schlucken von Kochsalz soll nützlich sein. 


1) Durch die Apotheken von der Firma J. & H. Lieberg in Cassel 
zu beziehen. Es wird zur subcutanen Injektion in sterilen Ampullen 
von verschieden starker, genau dosierter Konzentration geliefert. Zur 
ersten Einspritzung nimmt man die niedrigste Dosis von 0,000325 g. 
Ist die entzündliche Reaktion, die immer entsteht, aber von Injektion 
zu Injektion geringer wird, abgeheilt, dann gibt man nach acht Tagen 
die zweite Einspritzung von 0,00065 g. Diese Injektion wiederholt man 
in Zwischenräumen von acht Tagen, im ganzen etwa vier- bis sechsmal. 
Dann steigt man auf die Dosis von 0,00086 g, von der meist zwei Ein¬ 
spritzungen in 14 tägigen Zwischenräumen genügen. Nach weiteren 
14 Tagen geht man auf 0,0013 pro injectione und wiederholt sie nach 
vier Wochen. Kommen dann noch Anfälle, kann man nach weiteren 
vier Wochen eine Einspritzung von 0,0025 geben, die unter Umständen 
nach vier Wochen zu wiederholen ist. Bleiben die Anfälle schon nach 
den niedrigen Dosen aus, dann ist eine weitere Steigerung nicht er¬ 
forderlich. Bei Kindern und Jugendlieben sind nur die zwei schwächsten 
Dosen in zehntägigen Zwischeoräumen anzuwenden. 


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818 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18. 


Aus dem Kgl. Institut für experimentelle Therapie zu 
Frankfurt a. M. (Direktor: Wirkl. Geh. Rat Professor 
Dr. P. Ehrlich). 

Ueber die Wirkung des Camphers bei bakte¬ 
rieller Infektion. 1 ) 

Von 

Stabsarzt Dr. K. E. Boehncke, Mitglied des Instituts. 

Der Campher hat — besonders in früheren Zeiten — in der 
Medizin eine grosse Rolle gespielt, teils als Excitans bei Collaps- 
znständen im Verlaufe akuter lofektions- und Entzündungskrank- 
heifcen, teils infolge seiner antiseptischen Eigenschaften direkt als 
Antisepticum in Pulverform bei eiternden und diphtherischen 
Geschwürsprozessen sowie endlich als Therapeuticum, meist aller¬ 
dings in Verbindung mit noch anderen Mitteln, bei Pneumonien. 

Unter diesen Umständen erschien es von Interesse, zu unter¬ 
suchen, ob dem Campher eine besondere chemotherapeutische 
Bedeutung im Tierversuch in einer spezifischen Wirkung auf 
irgendwelche Infektionserreger, namentlich solche bakterieller 
Art, zukommt. 2 3 ) 

Als Erreger für die zu setzenden bakteriellen Infektionen wurden 
in erster Linie Pneumokokken gewählt, einmal wegen der dem Campher 
von manchen Seiten vindizierten Wirkung bei der Pneumonie, haupt¬ 
sächlich aber deshalb, weil nach den ergebnisreichen Untersuchungen 
Morgenroth’s 8 ) und seiner Mitarbeiter sowie nach eigenen Erfahrungen 4 ) 
die Pneumoniekokken unter den bakteriellen Infektionserregern aus ver¬ 
schiedenen biologischen Gründen für chemotherapeutische Versuche be¬ 
sonders geeignet erscheinen mussten. 

Als Anwendungsform des Chemikale kam in erster Linie die 
ölige Lösung in Frage, da die anderen noch möglichen Lösungsmittel — 
Alkohol, Aetber, Chloroform — wegen ihrer eigenen, zum Teil hohen 
toxischen Wirkung nur wenig geeignet erscheinen konnten. Die An¬ 
wendung des Chemikale in öliger Lösung hatte zudem wegen der lang¬ 
samen, dauernden Wirkung manche Vorteile gegenüber einem schnell 
resorbierbaren Vehikel mit sehr starker, plötzlicher, dafür kürzeren und 
mehr toxischen Wirkung. Trotzdem wurden einige Versuche mit körper¬ 
warmen alkoholischen (38 proz.) Lösuugen von Campher (10 proz.) an¬ 
gestellt, nachdem sich ergeben batte, dass eine toxische Wirkung des 
Alkohols bei den im Schutzversuch benötigten Mengen nicht zu be¬ 
fürchten war. Als Versuchstiere in meinen seit mehreren Monaten 
systematisch unternommenen Schutz- und Heilversucben mit Campher 
dienten zunächst weisse Mäuse. Schon bei der Einstellung der 
Toxicität der öligen 10 proz. und 5 proz. sowie der alkoholischen Lösungen 
machte sich eine sehr verschiedenartige Empfindlichkeit der 
Versuchstiere gegenüber dem Chemikale recht unangenehm bemerkbar. 
Nachdem sich als Dosis tolerata 0,2—0,25 ccm der 10 proz. und 0,3 bis 
knapp 0,5 ccm der 5 proz. öligen sowie 0,25 ccm der 10 proz. alkoho¬ 
lischen Campherlösung (pro 20 g Gewicht der Maus) ergeben hatte, 
wurde das Mittel zunächst im Schutzversuoh angewendet. Die unten 
angegebenen Injektionsdosen gelten stets in der Berechnung pro 20 g 
Tiergewicht bei Mäusen. Die Injektion der Campherlösung in sterilem 
Olivenöl bzw. in sterilem Triolein erfolgte subcutan bzw. (siehe unten) 
einige Male intraperitoneal. Die Injektion mit Kochsalzverdünnungen 
eines für Mäuse hochvirulenten Pneumokokkenstammes (24 ständige 
Bouillonkultur) geschah stets in der Menge von 0,5 ccm intraperitoneal 
bzw. (siehe unten) suboutan. 

Schutzversuch l. 

0,2 ccm 10 proz. Campheröl subcutan, Infektion 4 Stunden später 
intraperitoneal. 

Kontrollmäuse (0,5 ccm Verd. Vioooo) : tot nach 24—36 Stunden. 
Von 10 behandelten Mäusen gehen 4 toxisch innerhalb 1—5 Stunden 
ein, die 6 Testierenden sind nach 7 Tagen munter. 

Schutzversuch 2. 

0,25 ccm 5 proz. Campheröl; Infektion wie oben. Therapie 24 Stunden 
später wiederholt. 

Kontrollmäuse: tot nach 24—48 Stunden. Von 10 wie oben be¬ 
handelten Mäusen leben nach 7 Tagen sämtliche. 

Nach diesen recht günstigen Ergebnissen wurde zunächst das Intervall 
zwischen Behandlung und Infektion von 4 auf 2 Stunden verkürzt. Wie 
die nachstehend wiedergegebenen Versuchsresultate zeigen, wurde da- 


1) Als Autoreferat mitgeteilt am 3. April d. J. auf der diesjährigen 
Tagung der Freien Vereinigung für Mikrobiologie. 

2) Auf die während der Drucklegung dieser Arbeit erschienene Ver¬ 
öffentlichung von Leo über therapeutische Versuche mit Campherwasser 
bei der Tneuraokokkeninfektion in Deutsche med. Wochenschr., 1913, 
Nf. 13, und seine Bemerkungen ebendort, Nr. 15, sei hiert verwiesen. 

3) Diese Wochenschr., 1911, Nr. 34 u. 44. Centralbl. f. Bakteriol., 

1912, Ref., Bd. 54, Beih. b 

4) Boehncke, Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 8. 


durch der therapeutische Effekt bereits in nicht unerheblichem Maasse 
beeinträchtigt. m 

Sohutzversuch 3 und 4. 

0,2 ccm 10proz. Campheröl subcutan; Infektion 2 Stunden später. 

Kontrollmäuse: tot nach 30 Stunden. 

Von den behandelten Tieren erlagen 60pCt. der Infektion, davon 
40 pCt. verzögert zwischen dem 3. bis 5. Tage post infectionem. 40 pCt. 
waren am 7. Tage munter. 

Bemerkenswert erscheint, dass diesmal entgegen dem Versuch 1 bei 
genau gleichen Campherdosen kein Tier infolge Toxicität ausfiel. Etwas 
besser war das Resultat bei Verwendung von 0,4 ccm 5 proz. 01. camphor., 
indem hierbei 40 pCt. der Mäuse der Infektion erlagen und 60 pCt. 
überlebten. 

Im Schutzversuch 5 wurde daher versucht, die Campherdosis 
noch etwas zu steigern, um so eventuell das Ergebnis etwas zu ver¬ 
bessern. Die Mäuse erhielten 0,25 ccm 10 proz. 01. camphor. pro 20 g 
Gewicht subcutan. Infektion 2 Stunden später intraperitoneal. 

Kontrollmäuse: tot nach 30—60 Stunden. 

Behandelte Mäuse*. 20pCt. tot infolge Toxicität, 20pCt. tot infolge 
Infektion, 60pCt. überlebend. 

Auch eine fraktionierte Therapie vermochte bei dieser Versuchs¬ 
anordnung die Resultate nicht zu verbessern, wie sich ergibt aus 

Schutzversuch 6. 

0,25 ccm 5proz. 01. camphor. subcutan; Infektion nach 2 Stunden 
intraperitoneal. Therapie nach 20 Stunden wiederholt. 

Kontrollmäuse: tot nach 30—60 Stunden. 

Von den behandelten Mäusen erlagen 40 pCt. der Infektion zwischen 
48—72 Stunden, 60pCt. lebten nach 7 Tagen. 

Also gegen das vorige Versuchsergebnis keine Verbesserung im 
Gesamtresultat, nur dass bei der fraktionierten Therapie kein Ausfall 
infolge toxischer Wirkung des Chemikale vorkam. Mehrtägige Camphe- 
rung, die die Mäuse allerdings infolge der wiederholten Oel-lnjektionen 
mit Collodiumverschluss etwas angriff, schien die Resultate infolge der 
Anreicherung des Camphers im Körper der Maus besser zu gestalten 
(s. auch weiter unten). 

Damit schien die therapeutische Wirksamkeit des subcutan appli¬ 
zierten Campheröls gegenüber Pneumokokken im Versuch an weissen 
Mäusen ihre Grenzen erreicht zu haben. Denn weder im Heilversuch 
noch auch nur bei gleichzeitiger Infektion und Therapie zeigte sich auch 
bei Verminderung der Infektionsdosis ein nennenswerter und sicherer 
Erfolg. Sehr starke Inlektionsdosen beeinträchtigten übrigens auch bei 
den Schutzversuchen mit den angegebenen Zwischenzeiten den thera¬ 
peutischen Erfolg recht erheblich. 

Da sich gezeigt hatte, dass weisse Mäuse von einem etwa 38 proz. 
Alkohol bis 0,5 ccm pro 20 g subcutan ohne Schaden vertrugen, so 
wurde eine 10 proz. alkoholische Campherlösung 37° warm in Dosen 
von 0,3 bis 0,25 bis 0,2 einer Reihe weisser Mäuse subcutan injiziert 
und eine Stunde später bzw. gleich darauf die Infektion mit Pneumo¬ 
kokken (Vioooo 0,5 ccm intraperitoneal) vorgenommen. Ausser den mit 
0,3 alkoholischer Campherlösung behandelten Tieren, die meist in 
wenigen Stunden toxisch eingingen, kamen alle davon. Besonders aber 
scheint die intraperitoneale Applikation des Campheröls mit folgender 
Suboutaninfektion geeignet, mit weit geringeren Campherdosen noch 
Erfolge im Schutzversuch zu erzielen: während die Virulenzkontrollen 
sowie nur mit sterilem Olivenöl intraperitoneal injizierte weisse Mäuse nach 
36—48 Stunden starben, blieben Reihen von Mäusen, die mit 0,15 ccm 
(toxische Ausfälle), 0,125 ccm (ein toxischer Ausfall), 0,1 und 0,075 ccm 
5 proz. sterilen Campheröls vorbehandelt wurden, bisher — 8 Tage — 
munter. Es scheint also infolge der schnelleren, dabei doch gleich- 
mässig andauernden Resorption die therapeutische Wirksamkeit erheblich 
gesteigert zu sein. 

Bemerkt sei dabei, dass gegenüber anderen Infektionserregern bak¬ 
terieller Art (Streptokokken, Bacillen der septisohen Pneumonie 
und Rotlaufbacillen [vgl. weiter unten]) dem Campher irgendwie spe¬ 
zifische Wirkung nach unseren Ergebnissen nicht oder nur bedingungs¬ 
weise zuzukommen scheint. Ebenso versagte das Mittel in Schutz¬ 
versuchen gegenüber Recurrensspiroohäten, wenn auch eine geringe 
Wirkung sich insofern bemerkbar machte, als die Spirochäten bei den 
behandelten Mäusen zunächst unverkennbar spärlicher sich zeigten als 
bei den nichtbehandelten Kontrollen und dadurch meist eine geringe 
Verzögerung des Todes bei den Camphertieren (um 20— 30 Stunden) er¬ 
reicht wurde. • 

Bereits im Beginn der vorgeschilderten Versuche war auch ein ver¬ 
einzelter Versuch mit Kaninchen gemacht, und zwar mit wenig ermuti¬ 
gendem Resultat. Allerdings dürfte dasselbe bedingt gewesen sein durch die 
äusserst starke Infektionsdosis: 1,0 ccm der Verdünnung Vio hochvirulenter 
Pneumokokkenbouillonkultur intravenös und besonders die viel zu geringe 
Menge des gleichzeitig verabreichten Campheröls: 2 ccm 10 proz. sub¬ 
cutan. Beide Tiere waren nach 24 Stunden tot. Ein gleichzeitig mit 
schwächerer Infektion (1 com der Verdünnung Vioo Kultur intravenös) und 
zweitägiger Vorbehandlung mit je 2 ccm 10 proz. 01. camphor., sowie 
12 Stunden post infectionem erfolgter Reinjektion der gleichen Campher¬ 
dosis angesetzter Versuch, bei dem das Versuchstier munter blieb und 
das Kontrolltier nach 24 Stunden einging, blieb deshalb nicht eindeutig, 
weil bei der Kontrolle sich ausser Pneumokokken im Blut auoh noch 
Polbakterien fanden, die auf eine intercurrente seuchenartige Erkrankung 
hindeuteten. 


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UMIVERSITY OF IOWA 





5. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


819 


Inzwischen war ich jedoch durch eine Notiz in dem Uebersichts- 
referat von Rosenthal 1 ): „Die Chemotherapie der Pneumokokken¬ 
infektion“ aufmerksam gemacht auf therapeutische Erfolge von Welch 
bei der Campherbehandlung der Pneumokokkeninfektion am Kaninchen, 
die er auf Seibert’s 2 ) Veranlassung unternommen hatte. Seibert 
hatte bei Pneumonien mit Subcutaneinspritzungen von grossen Dosen 
Campberöl, zweimal täglich während der ganzen Dauer der Erkrankung 
wiederholt, so günstige Erfahrungen gemacht, dass er diesen Effekt nur 
einer spezifischen Wirkung des Campbers auf die im Blute des Pneu- 
monikers kreisenden Pneumokokken zuschreiben zu dürfen glaubte, be¬ 
sonders da in Reagenzglaskulturen schon Spuren von Campher zu ge¬ 
nügen schienen, um eine Entwicklung der Pneumokokken zu verhindern 
(Hensel). Weiter wird noch kurz über Versuche von Welch berichtet, 
wonach fortschreitende Infektionen mit virulenten Pneumokokken an 
Kaninchen durch subcutane Campherölinjektionen erfolgreich beeinflusst 
werden konnten. Dieser „spritzte zuerst einer Anzahl Kaninchen ein 
abgemessenes Quantum einer subcutanen (? B.) Emulsion von Pneumo¬ 
kokken in die Ohrvene; diese Tiere gingen alle nach 36 Stunden ein. 
Bei der zweiten Serie spritzte Welch dieselbe Menge Pneumokokken¬ 
emulsion in die Vene und eine Stunde später 1 ccm 20 proz. Campheröls 
subcutan ein. Letztere Einspritzung wurde alle 12 Stunden wiederholt. 
Diese Tiere erkrankten ebenfalls, erholten sich aber binnen 2 Tagen 
ausser einem, welches erst nach 9 Tagen einging“. 

Diesen geradezu glänzenden kurativen Effekt konnten wir nicht 
bestätigen, wie das nachfolgende Protokoll zeigt: 

Heilversuch an Kaninchen nach Welch. 

Infektion von vier Kaninchen intravenös mit 1 ccm einer 24 stän¬ 
digen virulenten Pneumokokkenbouillonkultur in Verdünnung 1:150. 
Eine Stunde darauf den Tieren Nr. 117, 198, 252 subcutan je 1 ccm 
20 proz. 01. camphor. Die Therapie wird alle 12 Stunden wiederholt. 
(Tabelle 1.) 

Tabelle 1. 


Tag 

Nr. 117 

Nr. 198 

Nr. 252 

Kontrolle 

unbehandelt 

1. 

0 

fl 

0 

krank 

2. 

t*7« 

massenhaft 

+ 2 

+ IV2 


Pneumokokken 

Pneumokokken 

Pneumo¬ 

Pneumo¬ 



1 im Blut 1 

! i 

kokken 

kokken 


Es war also bei günstigster Kritik des Versnchsergebnisses 
lediglich eine vielleicht minimale Verzögerung des letalen Aus¬ 
ganges durch die nachfolgende Campherbehandlung erzielt 
worden. 

Einer Anregung von Exzellenz Ehrlich folgend, wurden in 
weiteren Heilversuchen (Therapie eine Stunde post infectionem) 
die Campherdosen erheblich erhöht, da sich gezeigt hatte, dass 
Kaninchen 12,5 bis 15 ccm 10 proz. 01. camphor. pro 1000 g 
Körpergewicht ohne Schaden vertragen. Jedoch auch bei In¬ 
jektion von 10 ccm 10 proz. Campheröls pro 1000 g war ein 
sicherer Erfolg nicht zu erzielen: 

Unbehandelte Kontrolle: f 1*/ 2 . 

Behandeltes Kaninchen Nr. 726, 1900 g: f 3 (Kaninchenseuche, 
keine Pneumokokken). 

Behandeltes Kaninchen Nr. 129, 1950 g: + 3 l / 2 (zahlreiche Pneumo¬ 
kokken im Blut). 

Bessere Resultate konnten in Schutzversuchen erzielt 
werden: 

1. Fraktionierte Behandlung nach Welch: 

Kontrolle: + U/ 2 bzw. f 3. 

Intervall zwischen Therapie und Infektion: 

3 ständig: 2 Kaninchen, davon 
2 „ 1 „ f 1*);T Kaninchen, davon 

gleichzeitig: 1 „ + 2; 1 „ -J- 5. 

*) Kaninchenseuche: massenhafte Polbakterien, dazwischen äusserst 
vereinzelt Pneumokokken. 

2. Einmalige grosse Campherdosen: 

10 ocm 10 proz. 01. camphor. pro 1000 g subcutan, 2 Stunden später 
Infektion intravenös. 

Kontrolle: t 3. 

Kaninchen Nr. 273: Nach 12 Tagen munter. 

Kaninchen Nr. 700: Nach 5 Tagen völlig munter, ist } Stunde nach 
der letzten Besichtigung tot aufrfefunden, keine Pneumokokken. Freie 
Blutung in die Peritonealhöhle (Fusstritt?). 1 


1) Zeitschr. f. Chemotherapie, Bd. 1, Ref., H. 12. 

2) Münchener tned. Wochenschr., 1909, Bd. 2. 


Es zeigen sich also bei Kaninchen ziemlich dieselben Er¬ 
scheinungen wie bei den Mäuseversuchen: im Schutzversuch, be¬ 
sonders bei Anwendung grosser Dosen, unzweifelhafte Wirkung 
des Camphers auf die folgende Pneumokokkeninfektion, die aber 
mit dem zeitlichen Näherrücken von Therapie und Infektion an 
Sicherheit und Intensität abnimmt, um im Heilversuch ganz un¬ 
sicher zu werden, so dass meist nur eine kürzere oder bisweilen 
längere Verzögerung des Todes des behandelten Tieres resultiert. 

Bemerkt sei noch, dass bei Kaninchen die Einverleibung des 
Camphers probeweise im Schutzversuch auch in alkoholischer Lösung 
vorgenommen wurde. Bei lOpCt. Camphergehalt wurden 5 ccm pro 
1000 g verwendet. Infektion 2 Stunden nach erfolgter Therapie. Trotz 
alle 24 Stunden wiederholter Injektion der gleichen Campherdosis konnte 
bei den Versuchstieren nur eine Verzögerung des Todes (+ 4 und + 2*/ 2 ) 
gegenüber der Kontrolle (f l 1 /,) erzielt werden. 

Da von den Kaninchen ohne Schaden grössere Mengen 
des 10 proz. Campheröls (bis 10 ccm pro 1000 g Gewicht) 
stomachal vertragen wurden, so schien es, besonders mit 
Rücksicht auf die Verhältnisse in der humanen Therapie, von 
Interesse, ob bei stomacbaler Applikation eine Wirkung zu er¬ 
zielen war. Zu dem genannten Zwecke wurden stomachal vor¬ 
behandelte Kaninchen 24 Stuuden später mit Pneumokokken in¬ 
fiziert. Mehr als eine Hinauszögerung des Todes um 1 bis 
IV 2 Stunden gegenüber den Kontrollieren liess sich bei dieser 
Applikation in unseren Versuchen nicht erreichen. Jedoch müssten 
noch ausgedehntere Versuchsreihen folgen, da wir in den Winter¬ 
monaten in allen unseren Versuchen zahlreiche seuchenkranke 
Tiere trotz aller Vorsicht fanden, so dass sich zu einer ge¬ 
legeneren Jahreszeit vielleicht auch die Erfolge günstiger gestalten 
dürften. 

Endlich wurde auch die Wirksamkeit des Camphers bei intra¬ 
pleuraler Infektion von Meerschweinchen mit Pneumokokken 
geprüft. Bei den bekannten Schwierigkeiten bei dieser Infektions¬ 
manier stets eindeutige Resultate zu erhalten, erscheint es viel¬ 
leicht nicht unberechtigt, anzuführen, dass unsere bisherigen Er¬ 
gebnisse wenigstens teilweise eine schützende Wirkung des Camphers 
gegenüber der Intrapleuralinfektion mit folgender experimenteller 
Lobulärpneumonie darzutun scheinen (Tabelle 2 und 8). 

Tabelle 2. 

Infektion sehr stark: 0,03 hochvirulentes, von Pneumokokken 
wimmelndes Meerschweinchenpleuraexsudat 4 Stunden nach Vorbehand¬ 
lung (subcutan) mit 1,0 bzw. 1,25 ccm 10 proz. 01. camphor. pro 100 g 
Körpergewicht. 








CO 

H 

Nr. 667 

Nr. 322 

Nr. 339 

Nr. 119 

Kontrollen 

1 

? 

? 

1 

0 

ti 1 +1 

2 

+ iV) 

t IV 2 ‘) 

1 2 

0 

'Massenhaft Pneumo¬ 

3 



Fast Reinkultur von 

0 

kokken im reich¬ 

4 



Seuchebacilen. Sehr 
spärliche Pneumokokken 

0 

lichen pleuritlschen 
Exsudat 

8 



im geringen Exsudat 

0 


1) Tiere versehentlich vor Sektion verbrannt. 


Tabelle 3. 

Infektion schwach. Behandlung wie oben. 



Campherdosis 

Kontrollen 

Tag 

1,0 ccm 

1,0 ccm 

1,25 ccm 

1,25 ccm 

— 

— 


Nr. 166 

Nr. 227 

Nr. 314 

Nr. 340 

Nr. 676 

Nr. 315 

1 

krank 

munter 

munter 

munter 

krank 

? 

2 

t 2 




? 

munter 

3 

4 

Rechtsseitige 

13 


Ji 

munter 

» 

R 

Pneumonie. 

Eitrige Peri¬ 


n 

n 

krank 

c 

Stich¬ 

tonitis. Keine 


* 

y> 


0 

Q 

verletzung 

Pneumo¬ 


yy 

» 

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9 

11 

der Lunge 

kokken 

* 


» 

Spärliches xihes 
Pleuraexsudat 




n 


* 

mit Pneumo¬ 







kokken 


r Wenn nach allem dem Campher apch keine überwältigende 
Wirksamkeit auf die Pneumokokkeninfektion zuzukommen scheint, 
so erscheinen die Ergebnisse doch lohnend, weitere'Kombinationen 
mit anderen Chemikalien (eine grössere Anzahl solcher Campher- 


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UNIVERSUM OF IOWA 




820 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18. 


derivate haben wir bereits geprüft) and mit spezifischem Sernm 1 ) 
anzustellen und auch andere Infektionserreger mit heranzuziehen, 
da sich neuerdings bei anderer Applikationsart im Schutzversuch 
der Campher auch gegenüber Rotlaufbakterien eine gewisse Wirk¬ 
samkeit zu zeigen scheint. 


Aus der medizinischen Klinik in Groningen (Direktor: 
Prof. Dr. A. A. Hymans v. d. Bergh). 

Untersuchungen und Gedanken über den Chole¬ 
sterinstoffwechsel. 

Von 

Dr. D. Klinkert. 

Das Cholesterin hat in der letzten Zeit für die klinische 
Pathologie an Bedeutung gewonnen, sowohl durch die neueren 
pathologisch-histologischen Untersuchungen Aschoff’s und seiner 
Schule 2 ), als durch die wichtigen klinischen Befunde, welche 
Chauffard und seine Mitarbeiter in einer Reihe von Mitteilungen 
an die Societe de biologie, veröffentlicht haben. 

1) Dass sich mit der Chemo-Serotherapie in Kombination im 
Schutzversuch jedenfalls die Resultate verbessern lassen, dürfte ohne 
weiteres aus nachstehend aufgeführten Protokollen ersichtlich sein: 


0,3 ccm Campberöl 5 proz., subcutan. 0,3 ccm Campheröl 5 proz., subcutan. 

Infektion 24 Stunden später. Infektion 4 Stunden später. 


Maus 1 1 

er. 

t 

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Ms. 1 kr. I +1- 

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—1- 

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— 

— 

— 1— 

0,9 ccm 

Pneumok.- 

Serum 

, Merck 

0,9 ccm Pneumok.-Serum, 

tferck 

(1:1000) 

i.p 

Infektion 1 / 2 Std. später. 

(1:1000) i.p. Infektion4Std. s 

päter. 

Maus 1 ? 

1 kr. 1 

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0 0 

Campheröl- 

+ Serumtherapie. 

Campheröl- + Serumtherapie. 

Maus 1 

0 

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Ms. 1 0 0 0 0 

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Kontr. 1 

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— 


— 

— — 


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— — 

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-— 

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— 

— 

— 

„ 3 

t 

— 

— 

— 

—j— 

— 

K. 3 t --- 

"”i — 


— 



Mehrtägige Campherung: dreimal 0,12 ccm Campheröl. 
Danach Infektion. 


Maus 1 

? 

0 

0 

0 

0 

0 

0 0 

o ! 

! o 

„ 2 

0 

0 

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0 0 

0 1 

1 0 

* 3 

? 

t! 

— 

— 

— 

— 

— — 

! 

— 


0,45 ccm Pneumokokkenserum, Merck (1 :500) 
i. p. Infektion 3 Stunden später. 


Maus 1 

0 

0 

o 

0 

0 

0 1 

0 

1 

0 

0 

0 

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0 

o 1 

o 

0 

0 

0 


Campheröl- -f- Serumtherapie. 



Bei der Rolle, die der Campher als Excitans bereits bei der Be¬ 
handlung der Pneumonie hat, dürften Kombinationen mit spe¬ 
zifischem Serum zu nachdrücklicher Therapie nicht aussichtslos 
erscheinen. 

2) R. Kawamura, Die Cholesterinesterverfettung. 


Die Untersuchungen der letzten Jahre über die Pathogenese 
des Gallensteinleidens haben es wahrscheinlich gemacht, dass die 
Auffassung Naunyn’s in vielen Punkten unrichtig zu nennen ist. 
Die Arbeiten Aschoff’s, Goodman’s, Röhmann’s und Kusu- 
muto’s haben die hepatogene Herkunft des Cholesterins der 
Galle bewiesen und damit der Naunyn’schen Hypothese ihre 
grösste Stütze genommen. 

Die alte klinische, von der französischen Schule nie aufge¬ 
gebene Auffassung, dass der Allgemeinstoffwechsel und konsti¬ 
tutionelle Momente eine bedeutende Rolle spielen in der Gallen¬ 
stein pathogenese, kam wieder zu Ehren. Damit war aber zu 
gleicher Zeit ein eingehendes Studium des Cholesterinstoffwechsels 
unter normalen und pathologischen Bedingungen eine dringende 
Forderung geworden. 

Die verbesserte Methodik hat es ermöglicht, dieses Studium 
in Angriff zu nehmen. Windaus 1 ) lehrt uns in seiner Digitonin- 
methode eine elegante und fehlerfreie Technik der Cbolesterin- 
bestimraung. Chauffard hat mit Grigaut 2 ) eine colorimetrische 
Bestimmung der Cholesterinmenge des Blutserums ausgearbeitet, 
welche zwar nicht vollkommen exakt ist, den klinischen Anforde¬ 
rungen aber genügend entspricht. Sie ermöglichte der Cbauffard- 
schen Schule das klinische Studium der Cholesterinpathologie. 

Chauffard und Grigaut haben die Farbenreaktion Lieber¬ 
mann ’s auf Cholesterin (Grünfärbung einer Cholesterinlösung in 
Chloroform, bei Zusatz von Essigsäureanhydrid und konzentrierter 
Schwefelsäure) zu einer quantitativen Bestimmung des Cholesterins 
benutzt. Die Technik ist folgende: 

2 ccm Serum werden mit 1 proz. alkoholischer Kalilange 
versetzt, das Serum wird auf dem Wasserbade verseift, der un- 
verseifbare Rest in Aether aufgenommen, gewaschen, der Aether 
verdampft und das Residuum in 5 ccm heisses Chloroform auf¬ 
genommen. Jetzt werden 2 ccm Essigsäureanhydrid mit zwei 
Tropfen konzentrierter Schwefelsäure zugefügt. Nach etwa 10 Mi¬ 
nuten tritt schöne Grünfärbung auf, welche in ihrer Intensität 
der Cholesterinmenge entspricht. Im Colorimeter wird diese 
Farbe verglichen mit denjenigen der Cholesterin-Chloroform¬ 
standardlösungen bekannter Konzentration, welche za gleicher 
Zeit der Liebermann’schen Reaktion unterzogen werden. Diese 
Methode ist von verschiedenen französischen Autoren (Iscovesco 
und Görard) als fehlerhaft bezeichnet worden. Soweit mir 
bekannt, hat sie in der deutschen Literatur bis jetzt keine Nach¬ 
prüfung gefunden. Sie hat als quantitative Methode den Fehler, 
auf Farbenreaktion begründet zu sein. Wie folgende Unter¬ 
suchungen zeigen werden, ist sie aber zuverlässig innerhalb der , 
Grenzen (6—8 pCt. Fehler), welche Chauffard und Grigaut*^ 
selbst angegeben haben. 

Zur Prüfung ihrer Zuverlässigkeit habe ich die Methode 
Windaus’ benutzt. Bei den Vorarbeiten stellte sich heraus, dass 
das gewöhnliche Extraktionsverfahren im Soxhletapparat für die 
kleinen Mengen Serum, welche die Klinik in den meisten Fällen 
zu liefern imstande ist, zu umständlich war. Die Extraktion nach 
Chauffard und Grigaut erwies sich als sehr bequem. So habe 
ich für kleine Mengen Blutserum die folgende Technik ausge¬ 
arbeitet, welche sich gut bewährt hat. 

5 ccm klares Serum werden in einem Kjeldahlkolben mit 
50 ccm 8 proz. alkoholischer Kalilauge versetzt. Verseifung wäh¬ 
rend 1 1 / 2 Stunden auf dem Wasserbade. Man lässt abkühlen. 
Nachher wird dreimal mit frischem Aether ausgescbüttelt, der 
Aether gewaschen, abdestilliert. 

} Das Residuum wird in 30—40 ccm heissen Alkohol aufge¬ 
nommen und jetzt 15—20 ccm einer heissen 1 proz. alkoholischen 
Digitoninlösung (Merck) zugefügt. Nach einiger Zeit wird die 
klare Flüssigkeit trübe und fällt das Digitonincholesterid aus. 

Es empfiehlt sich, die Flüssigkeit während der folgenden 
Tage zu schütteln, damit das Cholesterin absolut quantitativ aus¬ 
fällt, und erst am 6. Tage zu filtrieren mittels eines getrockneten 
und gewogenen Filters. Der Niederschlag wird mit Alkohol und 
Aether gewaschen und dann Filter mit Niederschlag nach Trock¬ 
nung bis zur Gewichtskonstante gewogen. Die Menge freien 
Cholesterins ergibt sich in einfacher Weise aus dem Quotienten 
der Moleculargewichte, Cholesterin : Digitonincholesterid = 1: 4. 

Das klare Filtrat wird aufbewahrt. Es ist m|r im Anfang 
passiert, dass nachher noch eine kleine Menge Digitonincholesterid, 
welche sich noch in Lösung befand, ausflockte. Wenn man aber 

1) Windaus, Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft, 
Bd. 42, H. 1. 

2) Chauffard et Grigaut, Soc. de biol., 25. November 1911. 



Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 


























5* Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


821 


die Flüssigkeit schüttelt and sie nicht vor dem 6. Tage filtriert, hat 
man in keiner Beziehung Unannehmlichkeiten zu befürchten. 

Ich habe mit beiden Methoden zwei Serien gesunder junger 
Frauen und Männer (Krankenschwestern und Studenten) unter¬ 
sucht. Es sind keine Parallelbestimmungen gemacht worden. 
Als ich schou mit der Chauffard’schen Methode beschäftigt war, 
veranlasste mich die ungünstige Kritik Iscovesco’s und Görard’s, 
eine neue Serie Bestimmungen nach der Methode Windaus 
auszuführen. Das Blut wurde bei jedem Falle am Morgen dem 
Patienten mittels Venaepunktion entnommen. (Tabelle 1.) 

Tabelle 1. 

Cholesteringehalt des normalen Serums in Grammen pro Liter. 


Methode Chauffard- 
Grigaut 

Methode Windaus 

1,875 

1,850 

1,575 

1,800 

1,725 

1,680 

2,400 

1,590 

1,875 

1,300 

1,500 

1,655 

1,650 

1,610 

1,800 

2,095 

1,800 

1,775 

1,875 

1,915 

1,575 

1,730 

1,425 

1,650 

1,875 

2,750 

1,500 

1,570 

1,875 

2,135 

1,800 

i 2,335 

1,650 

1,655 

Mittelwert 1,765 g 

Mittelwert 1,822 g 

pro Liter 

pro Liter 


Aus diesen Bestimmungen geht hervor, dass beide Methoden 
gut übereinstimmende Mittelwerte geben. Da die Methode 
Windaus vom chemischen Standpunkt fehlerfrei zu nennen ist, 
sind alle folgenden Bestimmungen mittels dieser Methode 
ausgeführt worden. Es muss aber hervorgehoben werden, 
dass die Resultate, welche Cbauffard in den folgenden klini¬ 
schen Fragen erzielt hat, zuverlässig sind. 

II. 

Neu mann und Hermann 1 ) hatten schon früher mit einer 
ganz anderen Methode gezeigt, dass während der letzten 
Schwangerschaftsmonate das Blutserum der Mutter mehr Chole¬ 
sterin enthält als in normalen Umständen. Chauffard 2 ) und 
seine Schüler konnten dieses Ergebnis bestätigen. Da noch keine 
exakten Zahlen in der deutschen Literatur vorhanden sind, fand 
ich es wünschenswert, die Untersuchung mit der Methode 
Windaus zu wiederholen. Das Blut von normalen schwangeren 
Frauen bekam ich durch Venaepunktion. Wo diese nicht mög¬ 
lich war, benutzte ich das Blut, welches post partum aus dem 
retroplacentären Hämatom so sauber wie möglich gewonnen 
wurde. Da diese Technik theoretisch nicht ganz fehlerfrei ist, 
sind die Zahlen gesondert geordnet (Tabelle 2). 

ln Uebereinstimmung mit den genannten Autoren fanden wir 
also, dass in den letzten Schwangerschaftsmonaten das Blutserum 
der Mutter abnorm reichhaltig an Cholesterin ist, während das 
Serum des Kindes einen abnorm niedrigen Gehalt aufweist. Aus 
den Untersuchungen Chauffard’s folgt weiter, dass diese Hyper- 
cholesterinämie in den ersten Tagen post partum geringer wird, 
daun wieder schnell ansteigt wie vor der Entbindung. Von der 
zweiten Woche an fällt die Kurve ganz lytisch ab und erreicht 
nach zwei Monaten post partum die Norm. 

Diese Tatsachen geben Anlass zu zwei wichtigen Fragen: 

J Wie entsteht diese Hypercholesterinämie? Ist es wahrscheinlich, 
dass die Frequenz der Cholelitbiasis bei Frauen, welche geboren 
haben, mit dieser Hypercholesterinämie während der Schwanger¬ 
schaft in kausalem Zusammenhang steht? 

^ Die französische Schule hat diese letztere Frage bejahend be¬ 
antwortet. Vorläufig, meiner Meinung nach, ohne genügend ex¬ 
akte experimentelle Beweise. 

Denn wie steht es um unsere Kenntnis in diesen Fragen? 

1) Wiener klin. Wochenschr., Nr. 12. 

2) Chauffard, Guy Laroche und Grigaut, Societe de biologie, 

1. und 8. April 1911. 


□ igitized by Gck >gle 


Tabelle 2. 

Normale Schwangerschaft (7. bis 9. Monat). 
Cholesteringehalt des mütterlichen Serums in Grammen pro Liter. 


Normalwert 

= 1,822 g. 

Mütterliches 

Mütterliches 

Punktionsblut 

Partusblut 

1,935 

! 

! 2,510 

1,875 

i 

2,325 

| 2,950 

2,765 


2,475 

3,670 

2,570 

1 

3,275 

2,350 

2,620 

i 

2,390 

1 3,970 

2,830 


1,860 

2,540 

2,980 


2,805 

3,475 

4,255 


2,835 

2,465 

2,475 


2,490 

3,410 


Cholesteringehalt des kindlichen Blutes (aus der Nabelschnur gewonnen). 


I . . 

. . 1,200 g 

II . . 

. . 1,275 „ 

III . . 

• - 1,490 , 

IV . . 

. . 1,085 „ 

V . . 

. . 1,325 , 

VI . . 

. . 1,140 „ 

VII . . 

. . 0,860 „ 


Wir wissen absolut nichts von der Gallensekretion während^ 
der Schwangerschaft. Menschliches Material fehlt vollkommen. 
Tierexperimente, welche ich in dieser Beziehung angestellt habe, 
sind mir bis jetzt infolge der komplizierten Technik misslungen. 
Meine Versuche gingen dahin, die Gallensekretion bei einer 
. Hündin mit kompletter Gallenfistel vor und während der 
Schwangerschaft zu studieren. Denn auf diese Weise muss das 
Problem gelöst werden. 

. Es steht fest, dass während der Schwangerschaft auch auf 
dem Gebiete des Fettstoffwechsels Aenderungen auftreten. Hof¬ 
bauer spricht bei seinen histologischen Untersuchungen von 
einer charakteristischen Schwangerschaftsleber. Positives vom 
Cholesterinstoffwechsel wissen wir aber nicht. Einzelne Tatsachen 
scheinen anzudeuteo, dass wir in diesen Fragen mit komplizierten 
Verhältnissen zu tun haben, welche wir noch nicht übersehen 
können. y 

Das Cholesterin circuliert im Blut hauptsächlich als Ester, 
an höhere Fettsäuren gebunden, während nur ein kleines Quantum^ 
nach HepnerV) Untersuchungen frei anwesend ist. Weder 
unsere noch Chauffard’s Methode ist imstande, die beiden Teile 
getrennt zu bestimmen. Nach Neumann ist es aber wahrschein¬ 
lich, dass in der Schwangerschaft die Ester vermehrt circulieren/ 
während bei der Hypercholesterinämie beim Icterus nach Panzer 2 ) 
und Widal 3 ) das freie Cholesterin hauptsächlich vermehrt ist.^ 
Diese Tatsachen sind wichtig, denn Untersuchungen von Röh- 
mann 4 ) zeigen, wie die Leber nicht imstande ist, die Cholesterin*' 
ester anzugreifen, während die Erythrocyten dieses Ferment be-^ 
sitzen. In der Galle kommt das Cholesterin hauptsächlich frei 
vor, und man könnte a priori eher einen Zusammenhang zwischen 
dem Gehalt des Serums und der Galle an freiem Cholesterin S 
erwarten. 

Allein, wir wissen überhaupt noch sehr wenig von den 
Faktoren, welche den Cholesteringehalt der Galle bestimmen. 
Wir wissen durch Aschoff und Bacmeister, dass das Cholesterin 
der Galle von hepatogener Herkunft ist und dass Naunyn’s 
Hypothese unrichtig genannt werden muss. Wir wissen durch 
die wichtigen Untersuchungen Goodman’s, dass die Cholesterin-^ 
menge steigt bei eiweissreicher Diät und parallel der Gallen- v 
Säureausscheidung verläuft. Diese Tatsache ist von grosser Be¬ 
deutung. Sie macht wahrscheinlich, dass die Cholesterin¬ 

ausscheidung auch als Sekretionsprozess der Leber aufzufassen ^ 

1) Hepner, Pflüger’s Archiv, 1898, Bd. 73. 

2) Panzer bei Chvostek, Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 73, H. 5 u. 6, 

S. 519. 

3) Widal, Semaine m6dicale, 1912, Nr. 42. 

4) Röhmann, diese Wochenschr., 1912, Nr. 42. 

3 


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822 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18. 


ist. Wie Goodman sagt: „Auch die der Cholsäureausscheidung 
parallel gehende Steigerung der Cholesterinmenge wird man als 
eine sekretorische Mehrleistung der Leberzellen aufzufassen 
haben 1 ). 

3 Dagegen scheint eine cholesterinreiche Nahrung wohl den 
Gehalt an Cholesterin des Blutserums vorübergehend zu beein¬ 
flussen 2 ) 3 ) 4 ), nicht aber die Menge des Cholesterins in der Galle 
zu vermehren. So fand Goodman bei einer Diät von 725 g 
Eiweiss, weiches sehr wenig Cholesterin enthält, eine Gallenmenge 
von 477 g mit 0,208 g Cholesterin, während 488 g Kalbshirn, 
welches sehr viel Cholesterin enthält, 367 g Galle lieferten mit 
0,145 g Cholesterin. Also ein Cholesteringehalt der Galle bei 
Eiweissnahrang von 0,0436 pCt. und bei cholesterinreicher Diät 
von 0,0395 pCt. 

. Schliesslich wissen wir durch Untersuchungen von Röhmann 
^ und Kusumuto 5 ), dass bei der Zerstörung von grösseren Mengen 
Erythrocyten der Cholesteringehalt der Galle steigt. 

Das sind die Ergebnisse, welche die experimentelle Patho¬ 
logie geliefert hat. Es ist gewiss verfrüht, aus diesen spärlichen 
Tatsachen weitgehende Schlüsse in bezug auf den Zusammenhang 
zwischen dem Gehalt des Blutserums und der Galle zu ziehen. 
Neuere klinische Tatsachen fordern aber unsere Aufmerksamkeit. 
Es hat sich nämlich berausgestellt, dass nicht nur in der 
^Schwangerschaft, sondern auch bei der chronischen Nephritis, 
dem Diabetes mellitus und dem Icterus eine Hypercholesterin- 
\ ämie vorkommt, während dagegen bei den akuten Infektions- 
^ krankheiten und der hektischen Tuberkulose eine Hypocholesterin- 
ämie besteht. 


Ich werde nachher auf diese Tatsachen und ihre Erklärung 
zurückkommen müssen. Uns interessiert hier der Befund 
Bacmeister’s 6 ), dass in einem Fall von Diabetes mellitus mit 
kompletter Gallenfistel der Cholesteringehalt der Galle bedeutend 
erhöht war. 

Eine Arbeit aus dem Freiburger Institut 7 8 ) macht uns weiter 
aufmerksam auf einen merkwürdigen Parallelismus zwischen dem 
Cholesteringehalt der Galle in den Fällen, wo durante vita ein 
vermehrter oder verringerter Gehalt an Cholesterin des Blut¬ 
serums zu erwarten ist. 

Ich muss bei den folgen Zahlen aber bemerken, dass Serum 
und Galle nicht von denselben Personen untersucht worden sind. 
Solch eine Untersuchung und eine experimentelle Studie, welche 
den Cholesteringehalt des Blutserums und der Galle unter ver¬ 
schiedenen Umständen berücksichtigt, fehlt leider noch ganz. Die 
folgenden Zahlen sollen daher nur als Anregung betrachtet werdea. 
(Tabelle 3.) 

Tabelle 3. 


Eigene Beobachtungen 

Methode Windaus 

Peirce (Freiburger Institut) 
Methode Windaus 

Cholesteringehalt d. normalen 

Cholesteringehalt d. Galle 

1,400 (?) 

Serumsin Grammen pro L 

ter 1,822 

in Grammen pro Liter . 

Typhus abdominalis . 

. 0,900 

Septikämie. 

0,090 

« * 

. 1,310 


0,110 

Pneumonia crouposa . 

. 0,990 

Erysipelas. 

0,260 


. 1,520 

Typhus abdominalis . . 

0,390 

Tuberculosis febrilis . 

. 1,775 

Pneumonia crouposa . . 

0,420 

» a 

. 1,850 
. 1,480 

Miliartuberkulose . . . 

0,570 

Chronische Nephritis . 

. 2,265 

Chronische Nephritis . . 

1,010 

Ti Ti 

. 2,660 

Ti V * 

4,900 

T> ji • 

. 3,910 

Ti Ti • * 

4,600 

T> Ti • 

. 4,760 

Ti Ti 

10,100 


Obgleich es gewiss nicht erlaubt ist, bei den grossen 
Schwankungen, welche der Cholesteringehalt der Galle innerhalb 
24 Stunden aufweist 8 ), weitgehende Schlüsse aus der Analyse 
der Blasengalle post mortem zu ziehen, so ist doch der Paralle- 
lismus dieser beiden Serien zu auffallend, und sind die Schwankungen 


1) Goodman, Hofmeister’s Beitr., 1907, Bd. 9, S. 91. 

2) Pribram, Biochem. Zeitschr., 1906, Bd. 1, S. 413. 

3) Doree and Gardner, Proceedings of the Royal soc., 1909, 
Bd. 81, S. 109. 

4) Grigaut et Huillier, Soc. de biol., 27. Juli 1912. 

5) Röhmann und Kusumuto, Biochem. Zeitschr., 1908, Bd. 13, 
S. 354. 

6) Bacmeister, Biochem. Zeitschr., 1910, Bd. 26, S. 223. 

7) Peirce, Deutsches Archiv f. klin. Mod., Bd. 61, H. 3 u. 4, S. 337. 

8) Bacmeister, Biochem. Zeitschr., 1. c. 


bei den beschriebenen Krankheiten zu gross, um als ganz zu¬ 
fällige bezeichnet werden zu können. Es ist daher empfehlens¬ 
wert, diese Untersuchungen mit der exakten Methode Windaus’ 
näher auszuführen. Wir haben es mit verwickelten Problemen 
zu tun. Die Tatsache, dass, wie wir bald zeigen werden, die 
kontinuierliche Hypercholesterinämie während der Schwanger¬ 
schaft nicht von der Nahrung abhängig ist, sondern durch endogene ^ 
Faktoren bestimmt wird, beweist die Schwierigkeit der Frage 
genügend. 

Wo wir einerseits wissen, dass die Cholesterinaasscheidung 
bei der Gallenproduktion eine Sekretion der Leber ist, und 
andrerseits bekannt ist, wie diese Drüse mit ihren vielen 
Funktionen in die Regulation der Drüsen mit innerer Sekretion 
eingeschaltet ist, sollen diese zwei wichtigen Tatsachen uns davor 
warnen, aus ungenügenden experimentellen Ergebnissen zu schnell 
Schlüsse zu ziehen bezüglich des Problems der Gallenstein¬ 
pathogenese; wie es bis jetzt zuviel geschehen ist. Die Klinik 
und die klinische Erfahrung sollen die Richtung angeben, in 
welcher die experimentelle Pathologie zu arbeiten hat. 

Ich komme auf die erste Frage zurück: Wie lässt sich die 
Hypercholesterinämie in der Schwangerschaft erklären? Das 
stete Vorkommen während der Schwangerschaft und das Ver¬ 
schwinden einige Zeit nach der Entbindung machen einen kausalen 
Zusammenhang wahrscheinlich und erlauben die Frage, ob wir 
vielleicht die Ursachen der Hypercholesterinämie in den ge¬ 
änderten Funktionen des Geschlechtsapparats zu suchen haben. 
Untersuchungen von Neu mann und Hermann 1 ) bestätigen diese 
Vermutung. Sie haben gezeigt, wie bei der künstlichen Mono -j 
pause durch Kastration diese Hypercholesterinämie gleich¬ 
falls auftritt, ja wie auch sogar während der Menstruation' 7 
Schwankungen des Cholesteringehalts des Blutes auftreten. Dieser 
Befund ist von grosser Bedeutung. Die Hypercholesterinämie bei 
fehlender Ovarial- (Follikel ) Funktion zeigt, wie der Cholesterin¬ 
gehalt des Blutes von den Drüsen mit innerer Sekretion 1 ' 
reguliert wird. 

Es sei hier an dieser Stelle erlaubt, klinisch feststehende 
Tatsachen der Cholelithiasispathologie von diesem Punkte aus zu 
beleuchten. Der kausale Zusammenhang zwischen Fettsucht und 
Gallensteinbildung ist selbst von Naunyn nicht geleugnet worden. 

Es ist wahrscheinlich richtig, die Fettsucht, welche während der 
Schwangerschaft oft auftritt, mit der geänderten Funktion des y 
Ovariums (fehlender Follikelfunktion?) in Zusammenhang zu 
bringen, wo bekanntlich Kastration in der Hälfte der Fälle Fett¬ 
sucht zur Folge hat. Von rein klinischem Standpunkt aus be¬ 
steht bei dieser Auffassung ein ungezwungener Zusammenhang 
zwischen genitaler Fettsucht, Hypercholesterinämie und Disposition y 
für Gallensteinbildung. 

Es ist weiter bekannt, wie die jüdische Rasse sowohl für 
diese Fettsucht während der Schwangerschaft besondere Neigung ' 
zeigt, wie auch für Gallensteinbildung sehr disponiert ist. Wenn 
ich schliesslich die Frequenz des Diabetes mellitus bei den Juden 
erwähne, das Vorkommen von Schwangerschaftglykosurien und 
die Hypercholesterinämie in vielen Fällen von Diabetes mellitus 
(s. unten), so glaube ich behaupten zu dürfen, dass von diesem 
klinischen Standpunkt aus betrachtet viele schon längst bekannten, 
aber in gegenseitigem Zusammenhang nicht erforschten Tatsachen 
in einem neuen Lichte erscheinen. 

Es fehlen bis jetzt weitere Einblicke in die Art, wie die 
Hypercholesterinämie während der Schwangerschaft entsteht. Nor 
ein Befand soll hier erwähnt werden. Während verschiedene 
Autoren (u. a. Prönant) dem Corpus luteum eine Rolle bezüg¬ 
lich der Pathogenese der fehlenden Follikelfunktion in der 
Schwangerschaft beimessen und dieses Organ gewiss von Be¬ 
deutung ist für die Physiologie der Gravidität, steigert sich der 
Cholesteringehalt der Luteinzellen während der Schwangerschaft 1 ). 
Es ist unwahrscheinlich, dass hier eine einfache Fettinfiltration 
im Spiele ist, wenn man die Aktivität des temporär arbeitenden 
Organs in Erwägung zieht. Ein Zusammenhang in umgekehrter 
Richtung ist aber ebenso unbewiesen. Wir müssen die beiden 
Tatsachen vorläufig im Zusammenhang registrieren. 

III. 

Chauffard 2 ) und Grigaut haben zum ersten Male gezeigt, 
dass auch bei der Nephritis, hauptsächlich bei den chronischen 
Typen der Cholesteringehalt des Serums vermehrt ist Eigene 


1) Neumann und Hermann, 1. c. 

2) Chauffard, Soci6tö de biol., 10. und 17. Februar 1911. 


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Original frnm 

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5. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


828 


Beobachtungen, welche wir hier folgen lassen, bestätigen diesen 
Befand vollkommen. Die Analysen sind wieder mit der Methode 
Windaus aasgeführt worden. 

Nehpritis chronica parenchymatosa et interstitialis. 
Cholesteringehalt des Blutserum in Grammen pro Liter. 


Normal wert = 1,822 g. 


1. 

Arteriosklerotische Schrumpfniere. . . . 

2,365 g 

2. 

Nephritis chronica parenchymatosa . . . 

2,660 * 

3. 

do. 

Retinitis albuminurica . 

3,910 „ 

4. 

do. 

parenchymatosa . . . , 

4,260 „ 

5. 

do. 

Retinitis albuminurica . 

2,685 „ 

6. 

do. 

(Schwangerschaft) . . 

3,985 „ 

7. 

do. 

do. . . 

2,710 * 

8. 

do. 

Retinitis albaminurica . 

2,980 „ 



Eklampsie. 




1. 2,760 g 




2. 3,315 „ 




3. 2,740 „ 




4. 3,210 „ 



Diese neuen Tatsachen sind insofern interessant, dass sie 
uns einen besseren Einblick in einzelne Erscheinungen des Krank¬ 
heilsbildes der chronischen Nephritis und der Schwangerscbafts- 
niere gewähren. Von Lauber und Adamuck 1 ) wurde gezeigt, 
wie die eigentümlichen weissen Flecken, welche in der Retina 
bei ernsten Fällen von Nephritis auftreten, aus Fett bestehen und 
^chemisch als Anhäufungen von Cholesterinestern aufgefasst werden 
müssen. Neuere Untersuchungen von Ginsberg 2 ) und Chauf- 
fard 3 ) haben diesen Befund bestätigt. Chauffard 4 ) bat keinen 
Anstand genommen, die Hypercholesterinämie, welche bei schweren 
Nephritisfällen konstant anwesend ist, und diese örtlichen Chole- 
sterininfiltrate miteinander in Zusammenhang zu bringen, ob¬ 
gleich Art und Weise dieser Cholesterininfiltration und der Grund, 
warum eben die Retina bei der Nephritis für sie disponiert 
scheint, ganz unbekannt bleiben. Wahrscheinlich spielen celluläre 
Vorgänge und Gefässänderungen, welche die Nephritis begleiten, 
eine bedeutende Rolle. 

Ihr Zusammenhang erfolgt aber aus der Tatsache, dass bei 
den reparablen Formen der Schwangerschaftsnephritis die Flecken 
verschwinden können, zu gleicher Zeit mit der Hypercholesterin- 
% ämie und Besserung der Nierenkrankheit. Ebenso die Tatsache, 
^dass dieselben Flecken beim Diabetes mellitas in der Retina auf- 
treten und diese Störung unter Diätbehandlung abbeilen kann 5 ), 
während, wie wir unten zeigen werden, auch hier eine Hyper- 
cholesferinämie besteht, welche der Schwere der Glykosurie 
parallel geht. 

Auch für folgendes möchte ich das Interesse erregen. Die 
Arteriosklerose, besser gesagt, das Atherom ist in den meisten 
Nephritisfällen der treue Begleiter der Nierenkrankheit. Merk¬ 
würdig ist dabei der Befund Aschoff’s und Windaus’, dass 
^ der Cholesteringehalt der atheromatösen Aorta stark vermehrt 
ist. Die Zahlen sind der Arbeit Windaus’ entnommen worden 6 ). 


Normale Aorta 

Freies Cholesterin 

Cholesterinester 

I 

1,19 pM. 

0,47 pM. 

II 

1,03 B 

0,32 „ 

Atheromatose Aorta 


I 

4,49 w 

3,75 ,, 

II 

7,41 „ 

10,53 j) 

III 

6,73 ,, 

7,92 „ 


Obgleich auch hier der feinere biologische Mechanismus 
dieser Cholesterininfiltration unbekannt bleibt, und celluläre 
Vorgänge eine Hauptrolle dabei spielen werden, bleibt das Zu¬ 
sammengehen der Hypercholesterinämie und des Atheroms der 
Beachtung wert. 

Zum Schluss noch zwei Punkte. Erstens haben P. Marie 
und Guy la Roche 7 ) gezeigt, dass der Arcus corneae senilis, 
welcher bei älteren Personen mit Gefässänderungen oft gefunden 
-^wird, eine Cholesterininfiltration der Hornhaut ist. Zweitens die 
'"^Tatsache, dass auch bei der chronischen Nephritis Xanthelasma 
"^nd Xanthomen auftreten 8 ). Ich werde später auf die Haut¬ 


1) Lauber und Adamuck, Archiv f. Ophthalmol., 1909, Bd. 71 
S. 429. 

2) Ginsberg, Archiv f. Ophthalmol., Bd. 82, H. 1. 

3) Chauffard, Soci6t6 de biol., 27. Juli 1912. 

4) Chauffard, Semaine m6dicale, 1912, Nr. 17. 

5) v. Noorden, Die Zuckerkrankheit, S. 205. Gal'ezowski, TraitS 
i oonographique d’ophthalmoscopie, S. 158. 

6) Hoppe-Seyler’s Zeitschr., 1910, Bd. 67, H. 2. 

7) P. Marie et Guy la Roche, Semaine m6d., 1911, Nr. 31. 

8) Geyer, bei Max Joseph, Lehrbuch der Hautkrankheiten, S. 229. 


affektionen noch ausführlich zurückkommen. Hier genügt festzu¬ 
stellen, dass sie aus Cholesterininfiltrationen der Haut bestehen 
und auch bei anderen Hypercholesterinämien (beim Diabetes und 
Icterus) gefunden werden. 

Wenn wir uns jetzt fragen, wie diese Hypercholesterämie bei 
der Nephritis entsteht, werden unsere Gedanken sofort in be¬ 
stimmte Bahnen geführt. Wir müssen, nach den Untersuchungen 
Neumann’8 und Hermann’s bezüglich Hypercholesterinämie und 
Geschlechtsfunktionen während der Schwangerschaft, auch bei 
dieser Hypercholesterinämie den Drüsen mit innerer Sekretion 
Rechnung tragen. Die Nebennieren rücken dann sofort in den 
Vordergrund unserer Betrachtungen. 

Das Zusammengehen von hohem Blutdruck, Herzhypertrophie 
und Hypertrophie der Nebenniere (Adenombildung) ist zu oft 
wahrgenoramen worden, dass man an Zufall hierbei denken dürfte. 

Es besteht nun wieder ein merkwürdiger Parallelismus 
zwischen der Hypercholesterinämie bei Nephritis und Vermehrung 
des Cholesteringehaltes der Nebenniere in dieser Krankheit. 
Analysen von Chaüffard zeigen es eindeutig 1 ). 


Arteriosklerose. 3 Fälle. Mittelwert des Cholesteringehaltes 

der Nebenniere.5,9 pCt. 

Schrumpfniere. 7 Fälle. do. 5,2 „ 

Akute Infektionskrankheiten. (HypocholesterinämieJ. Chole¬ 
steringehalt der Nebenniere.0,9 „ 

Tuberculosis (Hypocholesterinämie). Cholesteringehalt der 

Nebenniere.1,3 „ 


Auch Kawamura 2 ) beschreibt den hohen Cholesteringehalt 
der Nebennieren im histologischen Bilde bei Nephritis, Fettsucht 
und Gefässkrankheiten, umgekehrt Verminderung des Cholesterins 
bei Sepsis, Typhus und chronischer Tuberkulose. 

Es stellt sich sofort die Frage: Haben wir es bei dem 
Cholesterinreichtum der Nebennieren mit einer sekundären In¬ 
filtration zu tun, wobei, wie wir für Retinitis angenommen haben, 
die Hypercholesterinämie vielleicht eine der Ursachen ist? Die 
folgenden Tatsachen stehen damit in Widerspruch. Die Neben¬ 
niere ist (das Corpus luteum ausgenommen) das einzige Organ, 
in welchem auch unter ganz normalen Umständen, Cholesterin¬ 
ester im histologischen Bilde gefunden werden, während in allen 
anderen Fällen die Organe oder Gewebe, in welchen mit dem 
Polarisationsmikroskop Cholesterinester sich finden lassen, sich 
in pathologischem Zustande befinden. Diese Tatsache scheint mir 
von Bedeutung zu sein. Sie zeigt, wie vielleicht der normale 
Cholesteringehalt mit der Funktion der Nebenniere in Zusammen¬ 
hang steht und Reichtum oder Armut an Cholesterin eine Aeusse- 
rung von Hyper- oder Hypofunktion ist. Der Reichtum an Cholesterin 
bei Nephritis spricht um so mehr für diese Auffassung, wo wir 
den erhöhten Cholesteringehalt finden in einem Organ, das auch 
in anderer Hinsicht (Hyperplasie des chromaffinen Gewebes, 
Adenombildung) Zeichen von Hyperfanktion darbietet. 

Die Cholesterinester der Nebennierenrinde sind also wahrschein- ^ 
lieh Sekretionsprodukte dieses Gewebes. In diesem Sinne äussern 
sich Elliot und Tuckett 8 ), auch Biedel 4 ). Obwohl der Beweis, 
dass die Nebennieren diese Ester in die Blutbahn ausscheiden, 
nicht geliefert ist, ja Biedel dies nicht wahrscheinlich achtetauf 
Grund chemischer Analyse (I. c. Seite 269), ist der Parallelismus 
zwischen Hypercholesterinämie bei Nephritis und Reichtum der 
Nebenniere an Cholesterinestern zu auffallend, um jeden kausalen 
Zusammenhang leugnen zu wollen. Wir müssen diese Tatsache 
für die Zukunft registrieren. 

Schliesslich noch folgendes: Auch während der Schwanger¬ 
schaft treten in den Nebennieren Aenderungen auf, welche auf 
eine vermehrte Funktion dieses Organs weisen. Stoerk und 
v. Haberer sprechen selbst von Schwangerschaftshypertrophie. 
Beachtenswert 5 ) ist weiter die Tatsache, dass von verschiedenen 
Forschern die Uebereinstimmung zwischen gewissen Lutein¬ 
zellen und Zellen der Nebennierenrinde erwähnt worden ist. 

IV. 

Von Fischer 6 ) ist auf eine Vermehrung des Cholesterin¬ 
gehaltes des Blutes bei Diabetes mellitus durch sorgfältige 


1) SociSte de biol., 6. Juli 1912. 

2) 1. c., S. 70 u. 71. 

3) Elliot and Tuokett, Journ. of physiol., 1906, Bd. 34. 

4) Biedel, Innere Sekretion (1. Aufl.), S. 269. 

5) Mulon, Parallele entre le corps jaune et la cortico-surrSnale 
ehe* la cobaye. Societö de Biologie, 1906, S. 292. — Wallart, Archiv 
f. Gynäkologie, Bd. 81, S. 271. 

6) Fischer, Virchow’s Archiv, 1903, Bd. 217. 

3 * 


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824 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18. 


Analyse hingewiesen worden. Nach ihm haben in Deutschland 
Klemperer und Umber 1 ) über diese Frage Untersuchungen au¬ 
sgestellt und gefunden, dass diese Hypercholesterinämie nicht 
^stets vorkommt, sondern am meisten in schwereren Fällen. Auch 


Apert, Pöchery und Rouillard 2 ) fanden diese Vermehrung 
nicht konstant. Meine persönlichen Beobachtungen stimmen mit 
der Auffassung Klemperer’s überein. Die Analysen sind mit 
der Methode Windaus’ ausgeführt worden. 


Diabetes mellitus. 

Cholesteringehalt des Blutserums in Grammen pro Liter. 


Normalwert = 1,822 g. 

1. Glykosurie ohne Acidosis und Polyurie . . . 1,510 g 

2. do. mit leichter Acidosis. 2,835 „ 

3. do. mit mittelschwerer Acidosis . . . 3,340 „ 

4. do. mit schwerster Acidosis, Coma . . 3,500 „ 

5. do. mit leichter Acidosis.2,415 „ 

6. do. mit leichter Acidosis.3.610 * 

7. do. mit starker Acidosis. 3,580 „ 

8. do. mit starker Acidosis. 4,965 „ 


Die Erklärung dieser Hypercholesterinämie scheint beim 
ersten Anblick eine einfache zu sein. Wo wir wissen, dass täg¬ 
lich ungefähr 1 J / 2 g Cholesterin mit der Galle ausgeschieden 
werden und beim Icterus dieses Quantum ganz oder teilweise in die 
Lymphgefäs8e der Leber wieder resorbiert wird, sollte man 
a priori eine Vermehrung des Cholesteringehaltes des Blutes er¬ 
warten. Umso mehr, wo Panzer 1 ) und Widal 2 ) gezeigt haben, 
dass beim Icterus mehr das freie Cholesterin und nicht die Ester 
im Serum vermehrt ist und auch das Cholesterin der Galle frei 
ist. Bei dieser Auffassung vergisst man aber, dass auch normal 
liter der grösste Teil der Galle und wahrscheinlich auch des 
Cholesterins im Tractus intestinalis resorbiert wird. Auch andere 
Tatsachen, so das Vorkommen von Xanthelasma bei Cirrhosis 
hypertrophica hepatis sine ictero, lassen vermuten, dass eine 
Hypercholesterinämie hepatogener Herkunft anzunehmen ist. 
Merkwürdig bleibt aber die Tatsache, dass bei Leberkrankheiten 
(im anatomischen Sinne) ohne Icterus sehr oft auch keine Hyper- 
cbolesterinämie gefunden wird, wie folgende Zahlen zeigen: 

Krankheiten der Leber ohne Icterus. 


Gewisse klinische Erscheinungen lassen beim Diabetes mellitus 
in vielen Fällen eine Hypercholesterinämie vermuten. An erster 
Stelle das Auftreten der weissen Herde in der Retina. Ihre 
Pathogenese habe ich. schon bei der Retinitis albuminurica aus¬ 
einandergesetzt. Die Besserung, welche die Retinakrankheit unter 
diätetischer Behandlung aufweisen kann 3 ) macht einen ursäch¬ 
lichen Zusammenhang zwischen Rentinitis und Hypercholesterin¬ 
ämie um so mehr wahrscheinlich, wo die Vermehrung des 
Cholesteringehaltes des Blutes der Intensität der diabetischen 
Störung parallel geht. 

Auch das nicht seltene Auftreten von Xanthelasma bei Diabetes 
lässt in diesen Fällen eine Hypercholesterinämie vermuten, wo 
wir unten zeigen werden, wie eine Vermehrung des Cholesterins 
im Blute für diese Hautaffektion eine Conditio sine qua non zu 
sein scheint. Die Tatsache, dass auch diese Krankheit unter 
diätetischer Behandlung verschwinden kann und bei Verschlechte¬ 
rung des Krankbeitsbildes wieder auftritt 4 ), entspricht vollkommen 
unserer Auffassung. 

Die Erklärung dieser Hypercholesterinämie beim Diabetes 
\ liegt noch im Dunkeln. Die Hypothese, dass sie ihre Ursache 
^ in der fettreichen Nahrung findet, wird schon widerlegt durch 
die Tatsache, dass in meinem Fall von Coma diabeticum, wo 
Nahrungsaufnahme unmöglich war, eine starke Hypercholesterin¬ 
ämie gefunden wurde. 

Meine frühere Auffassung, dass der starke Eiweissgehalt 
beim Diabetes zur Hypercholesterinämie Anlass gibt, ist ebenfalls 
nicht aufrecht zu erhalten, wo beim Typhus und bei der 
stark fiebernden Tuberkulose eine Hypocholesterinämie gefunden 
wird. In beiden Zuständen mit ihrem starken Fieber ist ja ein 
grosser Ei weisszerfall wahrscheinlich. 

^ Ob auch hier die Drüsen mit innerer Sekretion eine Rolle 
spielen, ist möglich, aber nicht erwiesen. Merkwürdig ist der 
Befund Kawamura’s 6 ), dass die Nebennieren beim Diabetes einen 
geringen Gehalt an Cholesterin aufweisen. Weitere Untersuchungen 
sind auch hier dringend erwünscht. 

\ Schliesslich ist auch beim chronischen Icterus eine Vermeh- 
° rung des Cholesteringehaltes des Serums gefunden worden. Dieser 
Befund war schon vor Jahren von Forschern wie Pages und 
Flint festgestellt worden, in den späteren Jahren aber wieder 
vernachlässigt. Ich war imstande fünf Fälle zu analysieren. 

Krankheiten der Leber mit Icterus. 

Cholesteringehalt des Blutserums in Grammen pro Liter (Methode 
Windaus). 


1 . 

Normalwert = 1,822 g. 
Carcinoma hepatis mit Icterus . . 

• 2,750 g 

2. 

do. 

do. . . 

. 2,550 w 

3. 

do. 

do. . . 

. 3,850 * 

4. 

do. 

do. . . 

• 2,400 „ 


5. Cholelithiasis mit Icterus (Stein im 

Ductus choledochus). 2,390 „ 


1) Klemperer und Umber, Zeitschr. f. klin. Med., 1907, Bd. 61, 
1908, Bd. 65. 

2) Apert, P6chery et Rouillard, Society de Biologie, 25. März 
1912. 

3) v. Noorden, Die Zuckerkrankheit, S. 205. 

4) v. Noorden, Die Zuckerkrankheit, S. 171. 

5) Kawamura, 1. o., S. 67. 


Cholesteringehalt des Blutserums in Grammen pro Liter (Methode 
Windaus). 

Normalwert = 1,822 g. 

1. Cirrhosis hepatis. 1,425 g 

2. do. . 1,650 „ 

3. do. . 1,580 „ 

4. Carcinoma hepatis. 0,925 „ 

5. do. . 1,760 „ 

6. Cholelithiasis ohne Icterus .... 1,650 „ 

7. do. do. .... 1,570 , 

Die letzten zwei Zahlen zeigen, dass bei der Cholelithiasis 
von einer kontinuierlichen Hypercholesterinämie (als Diathese) 
gar nicht die Rede ist. Die Bedeutung, welche wir der Schwanger¬ 
schaft für die Steinbildung beimessen, steht mit diesem Befunde 
in vollem Einklang. 

Unter den klinischen Erscheinungen, zu welchen diese Hyper¬ 
cholesterinämie beim Icterus Anlass gibt, muss das Xanthelasma 
an erster Stelle genannt werden. Ich habe bei der Nephritis 
und beim Diabetes mellilus diese Affektion schon flüchtig er¬ 
wähnt. Hier soll sie einer eingehenden Besprechung unterzogen 
werden. Verschiedene Einzelheiten entnehme ich dabei dem er¬ 
schöpfenden Referat, welches Chvostek neulich in der Zeitschrift 
für klinische Medizin, Bd. 73, veröffentlicht hat. 

Die Xanthome sind zitronengelbe, scharf begrenzte Ge¬ 
schwülste, welche flach in der Haut eingebettet sind. Die haupt¬ 
sächlichste Lokalisation befindet sich an den Augenlidern. Aber 
nicht nur auf der äusseren Haut, sondern auch auf den Schleim¬ 
häuten, im Munde, der Vagina, auf dem Endo- und Pericard 
können sie auftreten. Im mikroskopischen Bilde erkennt man 
diese Infiltrate als Anhäufungen von Bindegewebe- oder Endothel¬ 
zellen, welche mit grossen Mengen Fett ausgefüllt sind. Pinkus 
und Pick 3 ) haben dieses Fett als Cholesterinester zum ersten 
Male erkannt. 

Das Auftreten beim chronischen Icterus, das Verschwinden 
beim Abheilen dieser Gelbsucht, ebenso wie die Besserung, welche 
das diabetische Xanthelasma unter entsprechender diätetischer 
Behandlung aufweisen kann, sprechen für die Annahme, dass 
eine Hypercholesterinämie für das Auftreten des Xanthelasmas ^ 
notwendig ist. 

Die Analysen des Blutserums bei Patienten mit Xanthom\/ 
haben diese Vermehrung des Cholesterins in allen untersuchten 
Fällen gezeigt. Merkwürdig und beachtenswert ist die Tatsache, 
dass schon 1878 Quinquaud 4 ) diesen Zusammenhang erwähnt 
hat. Die mir bekannten Analysen lasse ich folgen. 

1. Fall Chvpstek’s (Analyse von Panzer ausgeführt mit der Methode 
Windaus.) 

Freies Cholesterin . . 2,555 g pro Liter 

Gebundenes Cholesterin . 0,087 „ „ „ 

Gesamtmenge Cholesterin 2,642 g pro Liter 

2. Fall Thibierge’s 5 ) (Methode Chauf- 

fard-Grigaut).5,75 g pro Liter 


1) Panzer bei Chvostek, 1. c. 

2) Widal, Semaine med., 1912, Nr. 42. 

3) Pinkus und Piek, Deutsche med. Wochenschr., 1908, S. 426. 

4) Quinquaud, bei Chvostek, 1. c., S. 480. 

5) Thibierge et Weissenbach, Soci6t6 medicale des hopitaux, 
31. März 1911. 


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5. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


825 


{ 3. Fall Apert’s 1 ) (Methode Chauffard- 

Grigaut).5,50 g pro Liter 

4. „ Apert’s (Methode Chauffard- 

Grigaut).3,15 „ „ * 

Es ist der Mühe wert, etwas tiefer auf die Pathogenese 
dieser Xanthome einzugehen. Obwohl die Frequenz der Xanthome 
beim Icterus eine einfache Erklärung findet in der dabei auf¬ 
tretenden Hypercholesterinämie, muss betont werden, dass oft 
eine Inkongruenz besteht zwischen Xanthom und Intensität des 
Icterus. Einerseits sieht man Fälle von ganz leichter Gelbsucht 
mit starker Xanthombildung, andererseits schweren Icterus ohne 
Xanthom, in einzelnen Fällen zuerst Xanthom und später Icterus. 
Ich selber sah vor einigen Jahren einen typischen Fall von 
symmetrischem Xanthelasma palpebrarum bei einer jungen Frau 
mit hypertrophischer Lebercirrhosis ohne Icterus. Die stark ver- 
grösserte Leber und Milz und das fast unerträgliche Hautjucken 
sicherten die Diagnose der Leberkrankheit auch in funktionellem 
Sinne. 

. Solche Tatsachen veranlassten Chvostek 2 3 ) dazu zu schreiben: 
''„Nicht also der Icterus, sondern die Veränderung der Leber ist 
das Maassgebende für das Auftreten des Xanthoma.“ Sie zwingen 
zur Annahme einer hepatogenen Hypercholesterinämie, obwohl 
vorläufig die Einsicht in ihre Erklärung und Pathogenese fehlt. 
Die folgenden klinischen Einzelheiten sollen noch erwähnt werden. 
Die Tatsache, dass 70 pCt. der Xanthomfälle, welche mit Icterus 
auftreten, bei Frauen Vorkommen, erinnert einerseits an die Chole- 
lithiasis, lässt aber andererseits vermuten, dass auch die Ge¬ 
schlechtsfunktionen und ihre Aenderungen mit der Pathogenese 
der Xanthombildung in Zusammenhang stehen. Die Klinik steht 
mit dieser Vermutung in vollem Einklang. Erstens die Tatsache, 
dass diese Xanthomen am meisten auftreten zwischen dem 85. 
^ und 50. Jahre, beim Auftreten der Menopause, mit dem Aufhören 
der Ovarialfunktion. Weiter die folgenden Literaturangaben. 
Hutchinson 8 ) meint, dass Frauen mit Störungen der Genital- 
] funktionen zur Xanthombildung disponiert sind. Addison 4 ) be¬ 
schreibt den Fall einer Frau, bei welcher die Menses mit dem 
35. Jahre aufbörten, und bei der das Xanthelasma sich dann 
bildete. Futcher 5 ) sah das Zusammengehen von Xanthom und 
Ovarialkystomen, und Posner 8 ) erzählt folgenden sehr merk¬ 
würdigen Fall. Bei einer Frau trat während der Schwanger¬ 
schaft starkes Hautjucken auf. Der Pruritus verschwand post 
partum, kehrte aber bei jeder Menstruation mit grösserer Inten¬ 
sität wieder. Nachdem dieser Pruritus drei Jahre periodisch sich 
eingestellt hatte, trat Icterus auf und Xanthombildung. 

Das Auftreten dieses Pruritus, welchen wir als hepatogen 
aufzufassen haben (ich denke dabei auch an den Icterus 
gravidarum) während der Schwangerschaft und folgenden Men¬ 
struationen, zeigt den Zusammenhang zwischen Leberstörung und 
Geschlechtsfunktionen in deutlicher Weise. Auch für die Patho¬ 
genese der Cholelithiasis scheint mir der Zusammenhang zwischen 
Aenderungen des Cbolesterinstoffwechsels in der Leber und Modi¬ 
fikation der Geschlechtsfunktionen während der Schwangerschaft 
nicht ohne Bedeutung zu sein. 

Hier möchte ich aufhören. Noch vieles in der Physiologie 
und Pathologie des Cholesterinstoffwechsels bleibt unerklärt. Wir 
stehen erst im Anfang des Studiums dieses neuen Gebietes. Wo 
ich versucht habe, die neuen Ergebnisse in exakten Zahlen fest- 
zulegen, stellte ich mir zu gleicher Zeit die Aufgabe, auf die 
Lücken unserer Kenntnisse deutlich hinzuweisen. Zukünftiger 
Forschung bleibe es Vorbehalten, diese Lücken in befriedigender 
Weise auszufüllen. 


Ueber seltene Formen von Blutungen im Tractus 
gastro-intestinalis. 

Von 

£. Stadelmann. 

(Vortrag, gehalten in der Berliner med. Gesellschaft am 19. März 1913.) 

M. H.l Es stösst häufig auf die allergrössten Schwierigkeiten 
für den Praktiker, die Quelle von inneren Blutungen mit Be¬ 
stimmtheit bei Lebzeiten festzustellen. Das ist um so schlimmer, 


1) Apert, Pöohery etRouillard, Sooiete de biol., 25. Mai 1912. 

2) Chvostek, 1. c. 

3) 4) 5) Hutchinson, Addison, Futcher bei Chvostek, 1. c., 

S. 542. 

6) Posner bei Chvostek, 1. c., S. 532. 


als es sich ja hier um lebenbedrobliche, sehr ernste Zustände 
handelt, und der Arzt bei solchen Kranken vor eine schwere 
Verantwortung gestellt ist, besonders auch, um nur das eine zu 
erwähnen, nach der Richtung hin, ob er bei diesen Kranken eine 
Operation vornehmen lassen will, um das Leben des Betreffenden 
zu retten. 

Bei solchen inneren Blutungen denken wir zunächst in erster 
Linie an ein Ulcus ventriculi, weil das das Naheliegendste ist. 
Aber die Diagnose ist doch häufig sehr unsicher. Die Aufnahme 
der Anamnese bei diesen sehr schwer Kranken ist häufig gar 
nicht durchzuführeo, und dann gibt es auch Fälle, wie das jedem 
Praktiker bekannt ist, bei welchen diese Blutung auftritt, ohne 
dass die geringsten Anzeichen einer Magenerkrankung voran¬ 
gegangen sind und diese Blutung wie ein Blitz aus heiterem 
Himmel als erste Erscheinung eines Ulcns ventriculi einsetzt. 

Diagnostizieren wir nun in solchen Fällen ein Ulcus 
ventriculi, dann ist es uns gelegentlich keine kleine Ueber- 
raschung, wenn wir auf dem Sektionstisch die Quelle der Blutung 
als ans einem Ulcus ventriculi stammend nicht nachgewiesen 
bekommen, ja, wenn uns der pathologische Anatom, wie das mir 
und wohl auch anderen in manchen Fällen passiert ist, die Quelle 
der Blutung überhaupt nicht aufdecken kann. Es ist dann sehr 
wenig beruhigend, wenn wir etwa hören, diese Blutung soll aus 
einem geplatzten Varix des Oesophagus stattgefunden haben, wo¬ 
bei dann gelegentlich die Varicen auch nicht einmal nachweisbar 
sind, oder wenn uns gesagt wird, dass es sich hier um parenchy¬ 
matöse Blutungen handelt, wie das — ich will auf diesen Punkt 
später noch zurückkommen — in seltensten Fällen vorkommt. 
Ganz besonders unbefriedigend sind diese Annahmen, wenn keine 
Ursachen für solche Varicen in dem Oesophagus aufzufinden sind, 
wenn kein Leberleiden, kein Herzleiden, keine Quelle von sonstigen 
Stauungserscheinungen vorhanden ist. 

Schon verschiedene Autoren haben sich mit dieser Frage 
beschäftigt, und ich verweise nach dieser Richtung hin besonders 
auf den Aufsatz von Kuttner 1 ), der vor einiger Zeit er¬ 
schienen ist. 

M. H.l Ich gedenke Ihnen hier keine übersichtliche Zu¬ 
sammenstellung aller der bisher bekannten Ursachen von Blu¬ 
tungen in den Tractus gastro-intestinalis zu geben. Ich möchte 
Sie in bezug auf diese Frage auf den Aufsatz von Singer 2 ) ver¬ 
weisen, der vor kurzer Zeit erschienen ist, und in dem systematisch 
alle diese Ursachen zusammengestellt sind, sowie auf den eben 
erwähnten Aufsatz von Kuttner. Ich möchte Ihnen heute nur 
an der Hand von einzelnen Präparaten über einige eigene Er¬ 
fahrungen berichten, die ich in der letzten Zeit über Blutungen 
aus dem Tractus gastro-intestinalis gesammelt habe, und möchte 
bemerken, dass ich mich weniger auf die okkulten als auf die 
manifesten Blutungen hier einlassen werde. 

Ausgehen möchte ich von einem Fall tödlicher Magenblutung, 
der dann später noch zu einem Gutachten Veranlassung gab. 
Ich gebe Ihnen eine kurze Schilderung des Krankheitsverlaufs 
und des Befundes: 

Es bandelt sich um einen 35 Jahre alten Maurer, der bisher gesund 
gewesen war, und der nie über den Magen geklagt haben wollte. Am 
Tage vor der Aufnahme im Laufe des Nachmittags wird ihm ohne be¬ 
sondere Gelegenheitsursacbe plötzlich schlecht, und am Abend erbricht 
er grosse Mengen von Blut, angeblich einen ganzen Eimer voll. Am 
nächsten Morgen findet wieder Blutbrechen statt, diesmal ein halbes 
Wasserglas voll, und nun wird er ins Krankenhaus gebracht. Hier kann 
ausser starker Anämie nichts Besonderes festgestellt werden, keine 
Druckschmerzen im Epigastriuro. Der Patient ist sehr unruhig, wirft 
sich fortwährend, trotz strenger Gegenanordnung, im Bett hin und her. 
Der Stuhl ist dunkel, schwarzrot, enthält viel Blut. Am nächsten Tage 
erneutes leichtes Blutbrechen. Der Magen wird ganz ruhig gestellt. 
Pat. bekommt nichts per os; Ernährung und Flüssigkeitszufuhr erfolgt 
nur per rectum. 

Am darauffolgenden Tage (5. XI. 1910) ist der Patient wieder sehr 
unruhig, erscheint benommen, das Aussehen ist fahl und blass, der Puls 
ist celer, sehr frequent. Es erfolgt wieder Erbrechen blutig gefärbter 
Massen. Er klagt über ständige Uebelkeit und Brechreiz, sowie 
Schwindelgefühl. Gelatineinjektionen subcutan. 

Am 6. XI. findet mittags plötzlich Collaps statt. Pat. ist völlig 
benommen, und des Abends erfolgt der Exitus. Die Diagnose wurde 
auf ein Ulcus ventriculi mit Arrosion eines Gefässes gestellt. 

Die Sektion, die von Herrn Kollegen Pick vorgenommen wurde, 
ergab sonst keine Besonderheiten, speziell keine Leber-, Herz- oder 
Nierenerkrankung, keine Stauungserscheinungen, im Magen selber kein 
Geschwür, ebensowenig eins im Duodenum. Als Quelle der Blutung 


1) Med. Klinik, 1910, Nr. 16 u. 17. 

2) Med. Klinik, 1912, Nr. 22, S. 893 ff. 

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826 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18. 


findet sich an der grossen Curvatur, handbreit vom Oesophagus entfernt, 
ein stecknadelkopfgrosses Loch, das mit Blut bedeckt ist. Auf Druck 
entleert sich aus ihm flüssiges Blut. Mit einer Borstensonde gelangt 
man in das Gefäss hinein. Es ist das eine geplatzte Vene. Es fanden 
sich im Magen, wie Sie auch jetzt noch an dem Präparat sehen, starke 
Venenektasien, von denen eine geplatzt ist, und aus diesem Varix hat 
sich der Kranke verblutet. Die Leber ist makroskopisch vollkommen 
normal, auch mikroskopisch ergaben sich hier keine Anzeichen einer 
Lebererkrankung. 

Für diese Variceo in dem Magen des Patienten ist gar keine 
Aetiologie zu finden. Die Ursache derselben ist vollständig un¬ 
aufgeklärt Man muss also diese Varicen als idiopathische an¬ 
sprechen und muss an eine rein lokale Veränderung aus unbe¬ 
kannten Ursachen, bzw. an eine kongenitale Anlage bei diesen 
Varicen denken. 

Der Fall gab noch zu einem Gutachten Veranlassung. Es 
sollte hier ein Unfall vorliegen. Ein Unfall war aber gar nicht 
nachzuweisen. Ja, es war nicht einmal nachzuweisen, dass der 
betreffende Kranke bei seiner regulären Arbeit sich irgendwie 
überanstrengt hatte. Dieser Varix konnte natürlich bei jeder 
Gelegenheit plötzlich platzen. Es mussten also die Ansprüche 
in bezug auf einen Unfall abgewiesen werden. 

Solche Varicen finden sich nun, wenn man darauf achtet, 
gar nicht so selten, sowohl im Oesophagus, als auch im Magen 
und im Darm. Ich denke dabei — das möchte ich noch einmal 
ausdrücklich betonen — nicht an diejenigen Varicen im Oeso¬ 
phagus, welche bei Leberkrankheiten irgendwelcher Art, besonders 
Lebercirrhosen, aber auch bei anderen Leberkrankbeiten gewöhn¬ 
lich beschrieben sind, auch nicht an solche, die infolge von 
Herzkrankheiten, Lungenkrankheiten, Nierenkrankheiten usw. auf¬ 
getreten sind, für die also eine bestimmte Aetiologie aufzufinden 
ist. Diese sind demnach von der Besprechung hier ausgeschlossen. 

1. Wenn ich nun systematisch vorgehe und zuerst die Varicen 
des Oesophagus bespreche, so habe ich ja über die Aetiologie 
der gewöhnlichen Varicen im Oesophagus schon das Nötige ge¬ 
sagt. Es ist allgemein bekannt, dass bei Lebercirrhose sich 
häufig Varicen im Oesophagus ausbilden, dass dieselben platzen 
und zu tödlichen Blutungen Veranlassung geben können. Das¬ 
selbe gilt, allerdings viel seltener, augenscheinlich auch von 
anderen Leberkrankheiten. Varicen im Oesophagus finden sich 
nun durchaus nicht selten bei alten Leuten. Es ist wahrschein¬ 
lich, dass dabei Potatorium, Arteriosklerose, Phlebosklerose usw. 
eine ätiologische Rolle spielen. Idiopathische grössere Varicen, 
wie ich sie hier an diesem Magen zeigen konnte, habe ich nicht 
beobachtet und kann ich Ihnen nicht zeigen. Aber es ist von 
anderer Seite auf solche Varicen im Oesophagus aufmerksam ge¬ 
macht worden, besonders auch von Kuttner 1 ), der sie als Quelle 
von okkulten nnd manifesten Blutungen in seinem Aufsatz er¬ 
wähnt hat. 

2. Nun die Varicen im Magen. Einen solchen Fall habe ich 
Ihnen aus meiner Beobachtung schon gleich im Anfänge meines 
Vortrages gezeigt. Ein weiterer ist der folgende: 

Es handelt sich um einen 73 Jahre alten Mann, der sterbend mit 
den Anzeichen schwerster innerer Blutung ins Krankenhaus gebracht 
wird. Eine Anamnese ist nicht aufzunehmen, er stirbt bald unter den 
Zeichen von zunehmender Herzschwäche. Bei der Sektion zeigt sich, 
dass dieser Kranke an einem geplatzten Magenvarix gestorben ist. Sie 
sehen hier wunderschön ausgeprägt einen solchen Varix, Sie sehen auch 
die Oeffnung desselben, und Sie finden bei dem Manne ausserdem noch 
als einzigen weiteren Befund einen mässigen Sanduhrmagen. Ob dieser 
Sanduhrmagen zu der Bildung dieser Varicen Veranlassung gegeben hat, 
ist mir sehr unwahrscheinlich. Ich habe recht häufig Sanduhrmagen ge¬ 
sehen, aber solche Varicenbildungen sind mir noch niemals dabei vor¬ 
gekommen. 

Das dritte Präparat zeigt Ihnen ganz enorm ausgebreitete 
Varicen in dem Magen als Nebenbefund. 

Es bandelt sich in diesem Falle um einen 55 Jahre alten Bau¬ 
arbeiter, der vom Gerüst gefallen war und sich verschiedene Rippen¬ 
frakturen zugezogen hatte. Es fand infolge der Rippenfrakturen eine 
starke Blutung in die Pleurahöhle statt. Dann ist der Kranke ge¬ 
storben, und zwar fand sich bei der Sektion ausser dieser Blutung in 
der Pleurahöhle Myodegeneratio cordis fibrosa und atelektatische Pneu¬ 
monie im linken Unterlappen. Als Nebenbefund kann ich Ihnen ganz 
enorm ausgebreitete Varicen im Magen zeigen — Sie sehen sie am besten 
immer bei durchfallendem Licht —, die aber nicht geplatzt sind. Es 
ist das ein Nebenbefund, der bei der Sektion erhoben wurde. Natür¬ 
licherweise hätte, wie in den anderen Fällen, bei .irgendeiner Gelegenheit 
hier auch einer von diesen enorm ausgedehnte^ Varicen platzen können. 


1) Kuttner, 1. o. 


M. H., auf solche Magenvaricen ist auch gelegentlich vou 
anderen Autoren aufmerksam gemacht worden. Ich nenne hier 
zunächst Birch-Hirschfeld, Gel, Blume, le Cronier-Lan- 
caster, Kuttner und Ringel. Aber die Aetiologie, die Ent- 
stehangsweise dieser Varicen ist vollständig ungeklärt geblieben. 
Man hat auch augenscheinlich bisher nicht genügend auf diese 
Varicenbildung geachtet. Anders liegt das in dem Falle von 
Ringel 1 ). Dieser hat in seinem Falle einen Kranken zur Beob¬ 
achtung gehabt, der jahrelang an den schwersten Magenblutungen 
gelitten hat. Es wurde die Diagnose auf ein Ulcus ventriculi 
gestellt. Daneben aber konnte man schon bei Lebzeiten fest¬ 
stellen, dass bei dem Kranken eine Lues bestand, und dass eine 
starke Milzvergrösserung aufzufinden war. Der Kranke starb an 
einer von diesen Blutungen, und bei der Sektion zeigte sich, 
dass im Fundus des Magens ausgedehnte Varicen bestanden, von 
denen einer geplatzt war. Ausserdem fanden sich in der Milz 
Thrombosen, Infarkte, die Milzvene war obturiert, und Ringel 
meint nun, dass diese Varicen in seinem Falle durch die Throm¬ 
bose der Milzvenen entstanden seien, und zwar deswegen, weil, 
wie er angibt, die Venen des Fundusteils des Magens nicht in 
die Vena portarum, wie alle übrigen Magenvenen, sondern in die 
Vena lienalis einmünden, und er stützt sich dabei auf Angaben 
von Gegenbauer. 

Nun, ich habe mich nicht davon überzeugen können, dass 
Gegenbauer — ich habe die zweite Auflage seines Werkes 
durchgesehen — diese Ansicht ausgesprochen hat. Ich muss auch 
bezweifeln, dass diese Angabe richtig ist und dieser Erklärungs¬ 
versuch von Ringel demnach zu Recht besteht. Immerhin waren 
ja wenigstens in seinem Falle irgendwelche anatomischen Momente 
aufzufinden, die eventuell diese Venenstauung und diese Varicen¬ 
bildung hätten verursachen können. Bei den übrigen Autoren 
und in meinen Fällen fehlt jede Aetiologie für die vorhaudenen 
Venenektaaien, so dass nichts anders übrig bleibt, als diese 
Varicenbildung als idiopathische zu bezeichnen. 2 ) 

3. Varicen des Darmes. Die Phlebektasien des Darmes müssen 
wir in zwei Gruppen teilen, die klinisch wie pathologisch-ana¬ 
tomisch verschiedene Bedeutung haben. Die einen sind keines¬ 
wegs sehr seltene Befunde. Es handelt sich bei ihnen um multiple 
Venenerweiterungen, submucös und subserös, die ohne manifeste 
Stauung sich ausbilden und stets relativ klein bleiben, obgleich 
sie gelegentlich auch halberbsengross werden können. Am besten 
sind sie bei durchfallendem Licht zu sehen. Dass diese Venen¬ 
ektasien gelegentlich okkulte und manifeste Blutungen machen 
können, wenn sie platzen, ist klar. Ich zeige Ihnen zwei solcher 
Fälle. 

In dem ersten Falle handelt es sioh um einen 36 Jahre alten 
Kutscher. Sie sehen hier eine grosse Menge von diesen Venenektasien, 
auch die Knötchen sind sehr gut ausgeprägt, sie haben aber in diesem 
Falle zu Blutungen keine Veranlassung gegeben. 

Das nächste Präparat stammt von einem 54 jährigen Arbeiter, der 
an Lungentuberkulose mit Bronchopneumonie gestorben ist; auch hier 
sind diese Venenektasien zu sehen, wenn auch nicht so schön wie in 
dem vorigen Präparat. 

Diesen, wie gesagt, häufigeren Varicenbildungen steht eine 
andere Kategorie von Varicenbildungen gegenüber, die recht 
selten ist. Es sind dies grössere, ätiologisch unmotivierte und 
ganz isolierte Varicen. Von diesen haben wir folgende zwei Fälle 
beobachtet. 

In dem ersten Falle sehen Sie einen isolierten grossen Varix, der 
am Darm aufgefunden worden ist, und zwar bei einem 83jährigen Maurer. 
Der Mann ist infolge eines Unfalls gestorben, den er erlitten bat. Er 
fiel von der Treppe, erlitt eine Fractura humevi und starb an einer 
Apoplexie mit Bronchopneumonie. 

Das zweite Präparat stammt von einer 84 jährigen Frau, die infolge 
einer incarcerierten Cruralhernie gestorben ist. Dieser ganz isolierte 
Varix ist ausserordentlich schön zu sehen. 

Es ist klar, meine Herren, dass ein solcher Varix auch 
platzen und zu tödlichen Blutungen Veranlassung geben kann. 


1) Mitteilungen aus den Hamburger Staatskrankenanstalten. Separat¬ 
abzug. 

2) Einen ganz ähnlichen Fall wie den von Ringel habe ich übri¬ 
gens vor einer Reihe von Jahren ebenfalls beobachtet. Auch hier han¬ 
delte es sich um wiederholte, sich auf Jahre hindurch erstreckende 
schwerste Magenblutungen, bedeutende Milzvergrösserung und Lues. Der 
Tod erfolgte schliesslich im Anschluss an eine neue profuse Magen¬ 
blutung. Die Sektion ergab das Fehlen eines Magenulcus. Eine genaue 
pathologische Durcharbeitung dieses Falles aus der Privatpraxis war 
damals leider nicht möglich. 


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5. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


827 


Ueber Varixknoten, die linsengross bis erbsengross sind, hat 
vor nicht langer Zeit Ewald 1 ) berichtet. Dieselben finden sich 
im Dickdarm, und zwar 10 bis 15 cm und noch höher vom Anus 
entfernt. Sie wurden rektoskopisch festgestellt. Es handelte sich 
bei seinen Kranken um dauernde Blutungen aus dem Rectum; 
die Kranken wurden arbeitsunfähig, anämisch, elend und fielen 
zusammen. Wenn Ewald bei der rektoskopischen Untersuchung 
diese Var ixknoten auch nur leicht berührte, so bluteten dieselben, 
und es war monate- und jahrelang eine mehr oder weniger starke 
Blutung aus diesen Varixknoten erfolgt. Es sind das Hämorrhoidal¬ 
knoten, die aus dem Plexus haemorrhoidalis superior sich gebildet 
haben. Die Aetiologie dieser Hämorrhoidalknoten ist nicht klar. 
Chronische Obstipation kann es nicht allein sein; denn chronische 
Obstipation ist ein sehr häufiges Leiden, dagegen sind diese 
hochgelegenen Varixknoten ausserordentlich selten. Sie können 
nicht nur zu okkulten, sondern auch zu schweren manifesten 
Blutungen Veranlassung geben. So führt Ewald einen Fall, den 
ich nach ihm citiere, von Bensaude an, bei welchem sich die 
Kranke infolge des Platzens eines solchen hochgelegenen Varix¬ 
knotens verblutet habe. 

M. H.! Es war in meinem Vortrag hauptsächlich meine 
Absicht, Ihre Aufmerksamkeit auf solche Varicen als Quelle von 
Blutungen hinzulenken, da mir diese noch nicht genügend be¬ 
kannt zu sein scheinen. Blutungen aus anderen Ursachen im 
Tractus gastro-intestinalis sind aus einer Fülle von Ursachen 
möglich. Letzthin hat Singer 2 ) diese Fälle systematisch zu¬ 
sammengestellt. Ich verweise auf seinen Vortrag und auf den 
von mir schon mehrfach citierten Vortrag von Kuttner. Ich 
will mich auf eine solche systematische Zusammenstellung und 
Betrachtung hier nicht einlassen, sondern Ihnen nur noch eine 
Reihe von seltenen Fällen zeigen, die wir in der letzten Zeit be¬ 
obachtet haben, und bei denen schwere Blutungen in den Tractus 
gastro-intestinalis aus den verschiedensten Ursachen stattgefunden 
haben. 

Das nächste Präparat — ein Arrosionsaneurysma — schliesst sich 
hier wohl am besten an. Es handelt sich hier um eine 61 Jahre alte 
Frau; die Patientin hat viel an Magen- und Darmkatarrh gelitten. Es 
besteht starke Schwäche und Abmagerung. Sie bricht seit Monaten alles 
aus, was sie geniesst; seif einem Jahre hat sie 20 Pfund an Gewicht 
abgenommen. Der Tod erfolgte infolge von Schwäohe ohne weitere 
klinische Erscheinungen als allgemeiner Marasmus. 

Das Präparat zeigt Ihnen nun ein Stück Jejunum, in welchem Sie 
zwei gut gereinigte aber tief greifende Geschwüre sehen, welche 
mikroskopisch keine spezifische Struktur aufweisen. 

In dem oberen Geschwür sehen Sie ein erbsengiosses sogenanntes 
Arrosionsaneurysma, welches mit thrombotischen Massen gefüllt ist. Das 
Geschwür ist tiefer bineiDgegangen, hat ein Gefäss arrodiert, infolge Aus¬ 
buchtung dieses Gefässes hat sich ein Aneurysma entwickelt. Aehnliche 
Vorgänge sehen wir ja auch an den Gefässen von Lungenkavernen. 
Natürlich platzen gelegentlich solche Aneurysmen und geben zu mehr 
oder minder schweren Blutungen Veranlassung. 

Wieviel Blut die Kranke auf diesem Wege verloren hat, ist aus der 
Krankengeschichte nicht zu ersehen. 

Diese Patientin ist nun nicht an Blutungen gestorben, sondern an 
ihrem chronischen Magendarmkatarrh, der zu allgemeinem Körperverfall 
geführt hat. 

M. H.! Es wird öfter behauptet, dass bei chronischen Darm¬ 
katarrhen Blutung im Stuhl zu finden ist, und ebenso oft wird 
das Gegenteil behauptet. Ich meine, dieses Präparat, das ich 
Ihnen hier zeige, gibt unwiderlegbar den Beweis dafür, dass die 
positive Angabe zu Recht besteht, indem es nach weist, wie schwer¬ 
wiegende Veränderungen lediglich infolge eines chronischen Darm¬ 
katarrhs im Darm stattfinden. Wir werden also, wenn wir Blut 
in den Fäces finden, manifest oder occult, noch nicht einen 
chronischen Darmkatarrh ausschliessen können. 

Das nächste Präparat zeigt Ihnen Blutungen, die in einer anderen 
Weise erfolgt sind. Es findet sich hier eine verkalkte und verkäste 
Lymphdrüse, wahrscheinlich tuberkulöser Natur, zwischen Oesophagus 
und Trachea an der Bifurkation mit konsekutiver Vereiterung. Dieselbe 
ist auf der einen Seite in den Oesophagus und auf der anderen Seite 
in die Aorta durchgebrochen mit folgender Verblutung in den Oeso¬ 
phagus. 

Es handelt sich um einen 21 Jahre alten Arbeiter, der mit Fieber 
in etwas benommenem Zustande in das Krankenhaus kam, über den 
Magen klagte und unter den Erscheinungen einer inneren Blutung, mit 
Blut im Suhl, starb. Die Diagnose war auf ein Ulcus ventriouli ge¬ 
stellt; denn diese Quelle der Blutung, wie sie durch die Sektion £lar- 


1) Diese Wochenscht., 1911, Nr. 2. • 

2) 1. c. 


gestellt wurde, konnte natürlich nicht nachgewiesen werden, ausser¬ 
dem deuteten die Magenbeschwerden auf ein bestehendes Ulous 
ventriculi. 

Sondenverletzungen des Magens kommen beim Sondieren 
nicht so selten vor. Es handelt sich bei ihnen meist um ober¬ 
flächliche Arrosionen der Schleimhaut. Es finden leichte Blutungen 
statt, die wir bei der Spülflüssigkeit dann nachweisen können. 
In den meisten Fällen folgt gar keine schlimmere Erscheinung 
danach; die leichten Schleimhautverletzungen heilen augenschein¬ 
lich schnell. Wir bekommen also diese Sondenverletzungen auch 
kaum pathologisch-anatomisch zu sehen. 

Da ich Gelegenheit hatte, bei diesem Kranken hier eine solche 
Sondenverletzung aufzufinden, habe ich sie hier mitgebracht und zeige 
sie Ihnen. Es sind oberflächliche Arrosionen, die Schleimhaut fehlt an 
den betreffenden Stellen, die stark injiziert und hellrot aussehen. 

Das Präparat stammt von einem 56 jährigen Manne, der an einem 
Oesophaguscarcinom gestorben ist, das in die Aorta am Isthmus per¬ 
foriert ist. Er starb infolge akuter Verblutung in den Intestinaltractus. 
Da ein Verdacht auf Magencarcinom bestand, war ein Probefrühstück 
gegeben worden, die Sondenuntersuchung war am 11. Januar vorgenommen 
worden. Die Sonde ging ohne jede Schwierigkeit in den Magen durch, 
irgendwelche weiteren Erscheinungen traten nicht auf; auch ist Blut in 
den Fäces in den nächsten Tagen nicht nachgewiesen worden. Dann 
am 16. Januar, das heisst fünf Tage später, des Morgens, wird dem 
Patienten ohne jede weitere Veranlassung plötzlich schlecht, er erbricht 
grosse Mengen von Blut und stirbt innerhalb zwei Minuten. 

Das Präparat, welches den Durchbruch des Carcinoms zeigt, 
habe ich Ihnen auch noch mitgebracht. 

Wie stark die Blutung war, sehen Sie an dem Magenausguss, 
den ich Ihnen auch noch herumgebe. 

Sie sehen an ihm den Oesophagusansatz, den Fundus, den Duodenal¬ 
abgang in getreuem Abbild. 

Es ist so, als ob wir den ganzen Magen mit Gips ausgegossen 
hätten. 

Um einen seltenen Fall innerer Blutung in den Darm handelt es 
sich auch in folgendem Falle. Das Präparat stammt von einem 24 Jahre 
alten Dienstmädchen. Die Patientin kommt mit den Anzeichen schwerster 
innerer Blutung in das Krankenhaus und ist am Tage vor der Aufnahme 
unter starken Leibschmerzen collabiert. 

Die letzte Menstruation bat vor zehn Wochen stattgefunden. Sonst 
ist wenig aus der Kranken herauszubekommen. Aus der Scheide fliesst 
kein Blut, das Orificium ist geschlossen, dagegen entleert sich aus dem 
After hellrotes Blut. Die Patientin stirbt schon an demselben Tage 
mit plötzlichem Collaps unter Zunahme der Erscheinungen einer inneren 
Blutung. Die Diagnose kann nur insoweit gestellt werden, dass es sich 
um eine schwere Blutung in den Darmkanal handelt. 

Die Sektion ergibt nun einen ausserordentlich grossen, vom Rectum 
ausgegangenen retroperitonealen Abscess, der ausser dem Eiter erheb¬ 
liche Mengen von Blut enthält. Dieser Abscess war breit sowohl in 
das Jejunum als an zwei kleineren Stellen in das Rectum durchgebrochen. 
Der Darm war vollständig mit Blutmassen ungefüllt — ich gebe Ihnen 
auch hier die Blutcoagula herum —, die ganze Umgebung des Reotums 
war ausserordentlich stark schwielig verändert, die Abscesswand unten 
von derbsten Schwielen umgeben. Diese Blutungen stammten aus einem 
grossen Arrosionsaneurysma, der rechten Arteria iliaca. Sie sehen 
hier oben die etwas enge Aorta, von der die Iliacae abgehen. Dann ist 
die rechte Iliaca durch ein grosses Loch perforiert, und aus diesem hat 
sich die Kranke verblutet. Man muss sich den Fall also so vorstellen, 
dass hier bei der Kranken zuerst ein periproktitisoher Abscess bestanden 
hat, der sich dann durchgewühlt hat und auf der einen Seite in den 
Dünndarm sowie den Dickdarm durchgebrochen ist und auf der anderen 
Seite die Arteria iliaca arrodiert hat, die dann geborsten ist und die 
tödliche Blutung veranlasst hat. 

Ein sehr seltener Fall von syphilitischem Magengeschwür ist 
der folgende, von dem ich Ihnen das Präparat zeigen möchte. Die 
Patientin ist von dem dirigierenden Arzt der chirurgischen Abteilung, 
Herrn Dr. Braun, operiert und geheilt worden. Es handelt sich in 
diesem Falle um eine BO Jahre alte Zimmermannsfrau. Sie hat seit 
ltyt Jahren Schmerzen im Magen, nach dem Essen Aufstossen, zeitweise 
Erbrechen. Die Schmerzen sind manchmal sehr heftig und strahlen nach 
dem Rücken zu aus. Vor 14 Tagen will Patientin einen halben Tassen¬ 
kopf voll ziemlich hellroten Blutes gebrochen haben. Die Patientin ist 
in der letzten Zeit sehr abgemagert, fühlt beim Erbrechen eine dicke, 
schmerzhafte Gesohwulst um den Nabel herum. Die Patientin wiegt 
73 Pfund, ist sehr elend und wird auf die chirurgische Abteilung ver¬ 
legt, weil man Verdacht auf ein Magencarcinom hat. Man fühlt im Ab¬ 
domen, dicht oberhalb des Nabels, einen kleinapfelgrossen Tumor, 
der etwas beweglich ist, der schmerzhaft ist und der von der Leber ab- 
grenzbar ist. Die Leber überragt den Rippensaum um Querfingerbreite; 
die Milz ist nicht vergrössert. Der Magensaft wurde nach einem Probe¬ 
frühstück untersucht. Er reagierte sauer, enthielt aber keine freie Salz¬ 
säure, Spuren von Milchsäure, zeigte bei der Aufblähung leichte Sand¬ 
uhrform, hatte deutliches, kräftiges t peptisc^es Verdauungsvermögen. 

Bei der Laparotomie findet sich nun in der vorderen Magenwand 
eine derbere flache Partie. Desgleichen sind Schwellungen 4 vou derber 

4* 


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828 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18. 


Konsistenz in der Gegend des Pankreaskopfes zu finden. Diese Ver¬ 
dickungen des Pankreaskopfes machen den Eindruck von entzündlichen 
Wucherungen. An einem exzidierten Stück wird auch von Herrn 
Prof. Pick diese Annahme als richtig bestätigt. Es wird nun eine 
Resektion des Magens vorgenommen, etwa in der Mitte beginnend, bis 
fast zum Pylorus hin. Die beiden Enden werden verschlossen, das 
Duodenum wird mobilisiert und in die Magenwand eingenäht. Die 
Patientin übersteht die Operation gut, erholt sich sichtlich, die Bauch¬ 
höhle schliesst sich bald, und nun zeige ich Ihnen das resezierte Magen¬ 
stück, das von Herrn Prof. Pick auch genau untersucht worden ist. 
Es besteht auf der geröteten Schleimhaut ein Geschwür von höchst auf¬ 
fallender Form. Es ist flach, der Grund eitrig belegt, die Gestalt ist 
im ganzen hufeisenförmig. Was nun besonders auffällt, ist der eigen¬ 
tümlich gezackte, fast landkartenförmige an sich scharfe Rand, der von 
teils sanft, teils stärker geschwungenen Bogen linien begrenzt wird. Der 
Rand ist unterminiert, aber es fehlt eine Infiltration desselben. Es ist 
dies ein syphilitisches Geschwür, das als solches durch die mikro¬ 
skopische Untersuchung nacbgewiesen werden kann. Es zeigen sich 
zahlreiche, sehr charakteristische endarteriitische Gefässänderungen. 
Diese, sowie die ganze Abgrenzung, die ganze Gestaltung des Ulcus ent¬ 
spricht vollkommen den Beschreibungen, die Eugen Frankel über 
syphilitische Darmgeschwüre mehrfach gegeben hat. Es war allerdings 
bei der Kranken die Wassermann’sche Reaktion negativ, auch die Wolff- 
Eisner’sche und Pirquet’sche Reaktion waren negativ, dagegen ergab 
eine genaue Anamnese, dass hier Syphilis bei der Kranken im Spiel 
war. Sie hat im Anschluss an einen Abort einen bräunlichen, klein¬ 
knotigen Hautausschlag gehabt, der als syphilitischer Ausschlag an¬ 
gesprochen werden musste. 

Der vorliegende Fall ist auch ausführlich untersucht und be¬ 
schrieben worden von einem amerikanischen Kollegen, Herrn Dr. Curtis. 

Die Patientin wird nach einigen Woeben mit einer Gewichtszunahme 
von 13 Pfund — sie wiegt nunmehr 86 Pfund — aus dem Kranken¬ 
hause im Zustande vollkommenen Wohlbefindens entlassen, und, soviel 
ich weiss, ist sie auoh jetzt vollständig gesund. 

Ein sehr seltener Fall, den ich Ihnen zeigen möchte, ist der nächste. 
Es handelt sich bei ihm um eine Lungensyphilis. Bei dem grossen 
Interesse, welches dieser Fall hat, gehe ich ein wenig näher auf den¬ 
selben ein. 

Das Präparat stammt von einer 49 Jahre alten Arbeiterfrau, die 
am 20. I. 1910 in völlig ausgeblutetem Zustande in extremis ins 
Krankenhaus kommt. Sie kann gar nicht weiter untersucht werden, sie 
stirbt nach ganz kurzer Zeit. Bei der Sektion findet sich bei der 
Kranken eine schwielige Mesaortitis und eine Erweiterung der Aorta 
ascendens, die auf syphilitische Affektion hindeuten. Ausserdem findet 
sich eine syphilitische Erkrankung des Oberlappens der linken Lunge. 
Man sieht gelbe Gummaknoten in diesem Präparat, die sich in dem 
schwieligen helleren Gewebe ausgebildet haben. Die Gummaknoten sind 
am Abond nicht so schön zu sehen wie am Tage. Sie treten als gelb¬ 
liche Flecken und Erhebungen aus dem hellen Narbengewebe hervor. 
Dann sehen Sie eine mit eitrigen Gewebsfetzen bedeckte Höhle, welche 
sich in dem peripleuralen Gewebe ausgebildet hat. Dieser Abscess ist 
durchgebrochen nach der einen Richtung hin in den Oesophagus und 
nach der anderen Seite hin in die Aorta. Es ist wahrscheinlich zuerst 
die Perforation in den Oesophagus erfolgt, nachher in die Aorta, und 
aus diesem Riss hat sich die Kranke dann in den Tractus gastro- 
intestinalis hinein verblutet. 

Die syphilitische Natur dieser Affektion ist nun nicht nur durch 
den anatomischen Befund begründet, sondern wir haben zunächst auch 
zwei Meerschweinchen mit den Guramimassen geimpft. Dieselben sind 
nach II Monaten frei von Tuberkulose geblieben, also Tuberkulose ist 
ausgeschlossen. Sodann war die Wassermann’sche Reaktion positiv, 
und endlich fanden wir syphilitische Knochenveränderungen an den 
Tibien, auch war bei der Kranken eine leichte Sattelnase vorhanden, so 
dass an der syphilitischen Natur dieses Geschwürs kaum ein Zweifel 
besteht. 

Ein Präparat von erheblich praktischer und wissenschaftlicher Be¬ 
deutung, das auch nicht gerade häufig ist, ist das folgende. Es stammt 
von einem 26 Jahre alten Arbeiter. Der Patient wird im schwersten 
ausgebluteten Zustande in das Krankenhaus gebracht Er will seit 
längerer Zeit an Magenbeschwerden gelitten haben. Am Abdomen findet 
sich eine Narbe. Er gibt an, dass er vor zwei Jahren wegen eines 
Magenleidens operiert worden ist. Es hat augenscheinlich eine Gastro¬ 
enterostomieoperation stattgefunden. Trotz aller Bemühungen steht die 
Blutung nicht, es erfolgt weiteres stark blutiges Erbrechen. Der Stuhl 
ist blutig, teerfarben. Patient stirbt am nächsten Tage. 

Die Sektion ergab nun folgendes. Es besteht eine Gastroenterostomie, 
und Sie sehen, wie die Duodenalschlinge mit dem Magen verbunden 
worden ist. Der Pylorus ist derartig verengt, dass kaum ein Bleistift 
durch ihn durebgeführt werden kann. Das ist die Pylorusstenose ge¬ 
wesen, wegen deren vor zwei Jahren bei dem Kranken die Gastroentero¬ 
stomie gemacht worden ist. Nun findet sich aber in dem absteigenden 
Schenkel des eingenähten Darms ein Ulcus rotundum pepticum mit einem 
Arrosionsaneurysma, das Sie hier sehr deutlich und sehr schön liegen 
sehen, das geplatzt ist, und aus dem sich der Kranke verblutet hat. 
Ausserdem finden Sie aber, dass um die Gastroenterostomiewunde herum 
sich eine schwielige Narbe ; entwickelt hat. Dieser Befund ist von 
praktischer Bedeutung. Er stellt eine Mahnung an die Herren Chirurgen 
dar, bei solchen Gastroenterostomien die Gastroenterostomie so weit wie 


möglich zu machen, damit nachher nicht durch narbige Schrumpfung 
eine so starke Verengerung des Lumens auftreten kann, dass es, wie. 
hier, zu einer neuen Stenose kommt. Die hat hier stattgefunden, und 
wenn Sie genauer Zusehen, so werden Sie finden, dass der zuführende 
Schenkel des Duodenums sehr stark erweitert ist gegenüber dem ab¬ 
führenden Schenkel. Es hat hier augenscheinlich eine Stagnation von 
Speisemassen im Duodenum stattgefunden. Wahrscheinlich ist ein Teil 
der Speisen aus dem Magen durch die Gastroenterostomie in den oberen 
zuführenden Schenkel gegangen und der andere Teil in den absteigenden 
Schenkel. Es hat nicht alles gut und gleichmässig abfliessen können, 
weil sich hier diese Gastroenterostomiestelle stark verengt hat. Möglicher¬ 
weise ist das Arrosionsaneurysma auch die Folge dieser andauernden 
Stenose. 

M. H.! Ich erwähnte schon in der Einleitung zu meinem 
Vortrage, dass manchmal bei der Sektion die Quelle schwerster, 
ja tödlicher Blutungen nur mit grösster Mühe oder überhaupt 
nicht gefunden wird. Der letzte Fall, über den ich zu 
sprechen habe, soll ein Beispiel dafür abgeben. Ueber diesen 
Punkt sprechen sich auch die pathologisch-anatomischen Lehr¬ 
bücher aus, indem z. B. Kaufmann in seinem Werke sagt, dass 
es manchmal nicht gelingt, die Stelle, aus der es geblutet hat, 
aufzufinden, und dass man dann genötigt ist, zu der Annahme 
einer parenchymatösen Blutung zu greifen. Aehnlich sprechen 
sich auch andere Autoren aus, z. B. Ewald 1 ). Das ist natürlich 
eine sehr unbefriedigende Erklärung, unbefriedigend sowohl für 
den pathologischen Anatomen wie für den praktischen Arzt und 
eventuell auch für den Chirurgen, der in einem solchen Falle 
auf Veranlassung des Arztes operiert hat, und der dann natürlich 
vergebens operiert hat. 

Einen solchen Fall erlebte ich kürzlich bei einem 42 Jahre alten 
Kellner, bei dem besondere Krankheiten nicht vorangegangen sind. Er 
will seit Weihnachten 1912, d. h. seit etwa 2 l / 2 Monaten, krank gewesen 
sein. Er hat da einen Stoss vor die Brust bekommen, auf welchen er 
seine Krankheit schiebt. Seitdem ist er sehr matt, sieht elend und 
blass aus und klagt über den Magen. 

Am 3. Februar 1913 erbrach nun Pat. helles Blut. Die Menge ist 
nicht festgestellt. Die Blutung wiederholt sich am 4. Februar. Am 
6. Februar wird er in das Krankenhaus eingeliefert und erbricht auch 
dort Blut (ein Wasserglas voll). Zum Teil ist das Blut geronnen, es 
ist dunkelrot. Trotz aller vorgenommenen Maassnabmen erbricht der 
Kranke am 7. Februar wiederum Blut, das auch dunkelrot und zum 
Teil geronnen ist. Die Menge beträgt diesmal Vz L Im Anschluss an 
diese Blutung collabiert der Patient, und er stirbt am 10. Februar 
unter den Erscheinungen von Herzcollaps. Bei der Sektion finden wir 
schwerste Anämie, starke Herzverfettung, starke parenchymatöse Herz¬ 
degeneration. Der Mageninhalt ist leicht blutig verfärbt, im Dickdarm 
schwarzblutig verfärbter Stuhl. Der Mageo zeigte nun an keiner Stelle 
bei genauester Untersuchung eine grössere Ulceration, die man als 
Blutungsquelle in Anspruch nehmen konnte. Auoh der Oesophagus 
war frei von solchen Stellen, und wir haben auch, um ganz sicher zu 
gehen, die Mundhöhle und den Nasenrachenraum inspiziert, ebenfalls 
erfolglos. Einen einzigen Befund haben wir erheben können, und der 
war lolgender. An der Pars pylorica und dem angrenzenden Teil des 
Duodenums findet sich die Muskulatur um das Vierfache verdickt, und 
im Ring des Pylorus sowie unmittelbar dahinter war eine Anzahl von 
etwa linsen grossen Erosionen vorhanden, die ganz oberflächlich sind. 
Sie reichten, wie die mikroskopische Untersuchung ergab, nicht bis an 
die Submucosa, vor allem nicht bis an die Muscularis. 

Wie nun die Verdickung der Magenwand in Kombination 
mit den Erosionen beweist, bat sich hier ein chronischer Ent¬ 
zündungsprozess in der Pars pylorica und im Duodenalanfang 
abgespielt. Die mikroskopische Natur der kleinen Erosionen war 
vollkommen unspezifisch. 

Gewiss ist dieser Befund an sich geringfügig. Aber es ist 
der einzige, den man als Quelle für diese tödliche Blutung ent¬ 
decken konnte. Auch zu diesem Punkt sprechen sich erfahrene 
Anatomen in ihren Lehrbüchern in dem Sinne aus, dass bei mul¬ 
tiplen kleinen und einfachen Magenerosionen grössere, ja tödliche, 
Blutungen Vorkommen können. Dem muss also auch hier so ge¬ 
wesen sein. Der Kranke hat sich an diesen kleinen Erosionen 
verblutet. 

Diese Verhältnisse hat auch Engelsmann 2 ) vor einigen 
Jahren in einer Arbeit über Magenerosionen zum Gegenstände 
einer grösseren Untersuchung gemacht. Er hat drei Fälle aus 
der Lenhartz’schen Klinik beschrieben, bei welchen genau diese 
Zustände, wie ich sie eben geschildert habe, vorhanden waren, 
und die er auch nach dem Tode einer genauen mikroskopischen 

1) Krankheiten des Magens. 3. Auflage, S. 418, und neuerdirigs 
Deutsche med. Wochenscbr., 1913, Nr. 9, S. 398 u. ff. 

2) Mitteilungen aus den Hamburger Staatskrankenanstalten, 1909, 
Bd. 10, H. 10. 


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ß. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


829 


Untersuchung unterzogen bat. Seine Fälle und Untersuchungs¬ 
resultate stimmen vollständig mit der Schilderung überein, die 
ich Ihnen gegeben habe. Engelsmann kommt unter besonderer 
Bezugnahme auf die älteren Untersuchungen von Nauwerck und 
von Berger zu dem für uns wichtigen Ergebnis, dass Blutungen 
in lebenbedrohendem, ja tödlichem Umlange aus solchen Erosionen 
hervorgehen können, bei denen die Muscularis nicht betroffen ist 
und intakt bleibt, also grössere Gefässe nicht erodiert werden. 

Natürlich haben wir in unserem Falle auch den Pfortader¬ 
kreislauf und die Leber genügend untersucht und können be¬ 
zeugen, dass hier alles normal gewesen ist. 

Selbstverständlich haben diese Fälle, wie ohne weiteres er¬ 
sichtlich ist, eine grosse praktische Bedeutung, da die Diagnose 
in erster Linie bei ihnen natürlich auf ein Ulcus ventri- 
culi gestellt wird, und die Differentialdiagnose zwischen Ulcus 
ventriculi und diesen oberflächlichen Magenerosionen kaum durcb- 
zufübren sein wird. Die Anamnese führt uns da nicht weiter 
und ebensowenig die klinische Beobachtung und Untersuchung. 
Engelsmann meint nun, die Differentialdiagnose zwischen Ulcus 
ventriculi und Magenerosionen könne in folgender Weise gestellt 
werden: Wenn jemand unter den Erscheinungen eines Magenulcus 
erkrankt ist und die Lenhartz’sche Kur bleibt erfolglos — d. h. 
die Blutungen stehen nicht und das Magenulcus heilt nicht —, 
dann soll man an eine solche Magenerosion denken. Ich vermag, 
ro. H., diesen etwas kühnen Schluss nicht mitzumachen; denn es 
gibt doch auch sonst Fälle von sichergestelltem Magenulcus, die 
durch die Lenhartz’sche Kur nicht geheilt werden, und solche 
Magenerosionen sind doch ganz ausserordentlich seltene Prozesse. 
Die Zahl der Fälle von Sektionen solcher Magenerosionen ist 
jedenfalls sehr geringfügig. Zweifellos ist bei unserem Kranken 
die Blutung aus diesen oberflächlichen Erosionen erfolgt, und er 
ist denselben erlegen. 

M. H.! Zum Schluss möchte ich Ihnen noch ein paar Dia¬ 
positive zeigen. Vorausschickend möchte ich bemerken, dass es 
sich dabei um Transparentaufnabmen handelt, d. b. die Photo¬ 
graphien sind nicht bei auffallendem, sondern bei durchfallendem 
Licht gewonnen worden. Sie sehen also hier gleichsam Sil¬ 
houetten 1 ). Die Gefässschatten sind nicht durch irgendeine 
Gefässinjektion erzielt worden, die Photographien sind von den 
Präparaten in ihrem bei der Sektion gewonnenen natürlichen 
Gefässfüllung8zustande gemacht worden. 


Zur Chemie der Zelle. 

Von 

P. G. Unna. 

I. Granoplasma. 

Die Kenntnis der Zelleiweisse begann 1875, als Hoppe- 
Seyler, gestützt auf die Arbeiten von Denis (1859), Lieber¬ 
kühn, Brücke, Kühne und eigene Untersuchungen, zum ersten 
Male ein System der Ei weisskörper anfstellte 2 ). Er bezeichnete 
mit dem Namen Globuline 3 ) „Eiweissstoffe, die in Wasser un¬ 
löslich, in Salzlösungen löslich sind, durch Säuren und Alkalien, 
besonders aber durch erstere schnell in andere, gleichfalls in 
Wasser unlösliche aber minder veränderliche Stoffe übergeführt 
werden. Diesen Globulinsubstanzen gehören nun die Eiweissstoffe 
an, welche in Knospen, jungen Trieben und Samen von Pflanzen 
ebenso wie in Eiern, Spermatozoon und jungen Zellen von Tieren 
ohne Ausnahme gefunden sind, soweit bisher die Untersuchung 
in dieser Richtung vorgedrungen ist M3 ). Eine ebenso weite Ver¬ 
breitung besitzen nach Hoppe-Seyler: Vitellin und Myosin. 
Er sagt: „Es scheint, dass in allen Protoplasmen zwei Ei weiss¬ 
stoffe vorhanden sind: 1. durch gesättigte Chlornatriumlösung 
nicht fällbares Vitellin und 2. ein durch diese Lösung fällbarer 
Eiweissstoff: Myosin“ 4 . 

Dieser Anschauung trat zuerst Hammarsten entgegen, nach 
welchem die Hauptmasse der freien Zellen und zellreichen Organe 

1) Folgt Vorführung von vier Lichtbildern. 

2) Hoppe-Seyler, Handbuch d. physiol. u. pathol.-chemischen 
Analyse, 1875, 4. Aufl. 

3) Der Name Globuline geht auf Berzelius zurück, der den Eiweiss¬ 
körper, welcher in den roten Blutkörperchen mit Hämatin verbunden 
ist, Hämoglobulin nannte und in eine Klasse mit dem Eiweiss der 
Kristallinse und dem Casein stellte. 

4) Hoppe-Seyler, Allgemeine Biol., 1877, S. 76 u. 77. 


nicht aus genuinen Eiweissstoffen (Albuminen und Globulinen), 
sondern aus Pseudonucleinen besteht, worunter er die von Kossel 
als Paranucleine bezeichneten eisen- und phosphorhaltigen 
Proteide (im Eigelb, in der Milch) versteht, welche keine Nuclein- 
basen enthalten. „Diese Proteinsubstanzen repräsentieren das 
eigentliche Protoplasmaeiweiss, und die Albumine und^Globuline 
dürften vielmehr teils als das Näbrmaterial der Zelle, teils als 
Zerfallsprodukte bei der chemischen Umwandlung des Proto¬ 
plasmas aufzufassen sein“ 1 ). 

Halliburton, dem Lilienfeld und Mörner folgten, stellte 
solche Proteide aus der Niere, der Leber und aus kernlosen 
Erythrocyten dar und vertrat die Ansicht, dass dieselben im 
Protoplasma aller Zellen vorhanden seien. Sie gerinnen zwischen 
48 und 52° und werden aus den Lösungen von Kochsalz und 
Magnesiumsulfat bereits vor der Ganzsättigung, ähnlich wie Myosin, 
gefällt 2 ). 

Von da an gilt, nachdem auch Alexander Schmidt 3 ) für 
dieselbe eingetreten, allgemein die Lehre, dass im Zellprotoplasma 
Proteide vom Charakter der Nucleoalbumine den Hauptbestandteil 
ausmachen, von analoger Beschaffenheit etwa wie Casein und 
Vitellin; das Protoplasma soll reich an solchen Proteiden, da¬ 
gegen arm an nativen Ei weisskörpern sein. Auch Kossel 4 ) hält 
die „Nucleoalbumine“ genannten Proteide für weitverbreitete Be¬ 
standteile der tierischen Gewebe, betont aber, dass sie trotz ihres 
Phosphorgehaltes von den Kernsubstanzen grundverschieden seien, 
und schlägt vor, die Bezeichnung „Nuclein“ nicht mehr auf sie 
anzuwenden. 

Cohnheim 5 ) machte mit dieser notwendigen Unterscheidung 
Ernst, indem er die bis dahin als Nucleoalbumine den Nucleo- 
proteiden des Kerns gegenübergestellten Eiweisse mit dem Namen 
Phosphoglobuline bezeichnete, da sie in ihren Eigenschaften 
den Globulinen näher stehen als den Nucleoproteiden. Letztere 
enthalten Nucleinsäure, Pentose, Purin- und Pyrimidinbasen, alles 
Körper, die den Phosphoglobulinen fehlen. Neuerdings bezeichnet 
Cohnheim 6 ) diese als rhosphoproteide im Anschluss an die 
Engländer und Amerikaner. Aus den Phosphoproteiden wird der 
Phosphor als Phosphoreiweiss abgespalten, aus den Nucleoproteiden 
als Nucleinsäure. 

Auch die neuesten Arbeiten von Samuely 7 ) und Kanitz 8 ) 
vertreten denselben Standpunkt. Letzterer sagt geradezu: „Früher 
nahm man viel Globulin in den Zellen an. Sie sind der Haupt¬ 
sache nach mit Proteiden verwechselt worden.“ Nach Kanitz 
enthält das Protoplasma zusammengesetzte Eiweisse mit prothe- 
tischer Gruppe, Glykoproteide und Nucleoalbumine. 

So wichtig diese chemischen Untersuchungen über das Proto¬ 
plasma der Zellen sind, ein so wenig anschauliches Bild geben 
sie bis jetzt vom stofflichen Aufbau desselben. Bilden diese ver¬ 
schiedenen Proteide durch innige Mischung eine einheitliche Masse 
oder ist das Protoplasma mosaikartig aus ihnen zusammengesetzt? 
Leiten sich die Proteide nur vom Protoplasma oder auch von 
Kernbestandteilen ab? Diese und andere Fragen können nicht 
durch noch so subtile chemische Untersuchungen allein gelöst 
werden. Die Chemie muss sich entschHessen, mit der feineren 
Histologie einen Bund einzugehen, sie muss zur Mikrochemie 
werden. 

Freilich muss, um ein fruchtbares Zusammenarbeiten von 
Histologie und Chemie zu ermöglichen, die erstere schon so weit 
gekommen sein, den Protoplasmaleib mit ihren eigenen Mitteln 
in bestimmte, chemisch verschiedene Bestandteile zu zerlegen, und 
so weit ist sie heute in der Tat. So lange allerdings die Histo¬ 
logie noch allein mit metallischen Fixatoren arbeitete, war von 
solchen chemischen Differenzen im Protoplasma nichts zu sehen. 
Aber mit der Rückkehr zur alten Alkoholfixation zeigten sich 
solche und ergaben ein besseres Verständnis der Zusammensetzung 


1) Hammarsten, Studien über Mucin und mucinähnliche Sub¬ 
stanzen. Pflüger’s Archiv, 1885, S. 449. 

2) Halliburton, Nucleoproteids. The journal of physiol., 1895, 
Bd. 18. — Derselbe, The proteids of the kiduey and liver cells. The 
journal of physiol., 1880, Bd. 9, S. 229. 

8) Alexander Schmidt, Zur Blutlehre, 1892. 

4) Behrens, Kossel und Schiefferdecker, Die Gewebe des 
menschlichen Körpers, 1889. 

5) Gohnheim, Chemie der Ei weisskörper, 1904, 2. Aufl. 

6) Cohnheim, Chemie der Eiweisskörper, 1911, 3. Aufl. 

7) Samuely, Die Proteine, in Oppenheimer’s Biochemie, Bd. 1, 
S. 275. 

8) Kanitz, Das Protoplasma als chemisches System, in Oppen¬ 
heimer’s Biochemie, Bd. 2, S. 245. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18. 


des Protoplasmas. So viele Bereicherungen die Anwendung der ] 
Flemming’schen und ähnlicher Fixatoren auch der Lehre von der 
Kernstruktur gebracht hatten, so unfruchtbar hatten sie sich für 
das Studium des Protoplasmas erwiesen, und besonders des patho¬ 
logisch veränderten Protoplasmas — wie wir heute wissen, aus 
dem einfachen Grunde, weil diese hochoxydierten chemischen 
Substanzen (Osmiumsäure, Chromsäure, Platinchlorid, Pikrinsäure 
usw.) nach dem Gesetz der oxypolaren Affinität 1 2 3 * * ) nicht zu dem 
Sauerstoff abgebenden Kern, wohl aber zu dem stark reduzieren¬ 
den Protoplasma Verwandtschaft besitzen und die feineren geweb¬ 
lichen Differenzen im Protoplasma bei ihrer Verbindung mit dem¬ 
selben ausglichen und verwischten. 

Die einfache Alkoholfixation mit nachfolgender Färbung 
mittels basischer Anilinfarben führte Mitte der neunziger Jahre 8 ) 
mit Notwendigkeit im allgemeinen zu der Erkenntnis, dass jeder 
tierische Zellenleib aus zwei ganz verschiedenen Arten von 
Protoplasma zusammengesetzt ist, dem Spongioplasma und 
Granopiasma und auf dem Spezialgebiet der Gehirnanatomie 
zur Auffindung des bis dahin gänzlich verkannten Granoplasmas 
der Ganglienzellen, welches nach seinem Entdecker Nissl’sche 
Körperchen genannt wurde. Es ist kein Zufall, dass beide nahezu 
gleichzeitigen Funde mit derselben Methodik, Alkoholfixation und 
Methylenblaufärbung gemacht wurden; unter der Herrschaft der 
alten Kernfixatoren war ihre Entdeckung unmöglich, bei Abkehr 
von dieser Methodik musste sie notwendigerweise gefunden werden. 

Wer mit dieser Methodik aber pathologische und speziell 
hypertrophische Veränderungen des Gewebes studiert, wird sehr 
häufig Protoplasmateilcben auch dort begegnen, wo man sie nicht 
erwartet, nämlich getrennt von den Zellen in den Lymphspalten; 
mit anderen Worten, er wird an vielen Präparaten einen Proto- 
plasmatransport entdecken. Dieser pathologische Protoplasma- 
transport war mir schon lange bekannt, als ich gelegentlich einer 
Versuchsreihe über Protoplasmafärbung nach Fixation mit eiweiss- 
fällenden und -lösenden Mitteln eine einfache Methode fand, einen 
solchen Protoplasmatransport künstlich 8 ) in den GewebBschnitten 
zu erzeugen, und zwar durch Vorbehandlung der Stücke mittels 
Lösungen von Kochsalz und anderen Neutralsalzen. 

Es zeigte sich nun, dass durch schwachprozentuierte Lösungen 
von Kochsalz nur das Granoplasma den Zellen entzogen wurde, 
während das spongioplastiscbe Wabengerüst der Zellen erhalten 
blieb. Es war also durch diese einfache Kocbsalzbehandlung ein 
Mittel an die Hand gegeben, die beiden Hauptsubstanzen des 
Protoplasmas voneinander zu trennen, und ich stand nicht an, 
die Kochsalzmethode als „eine gewebsanalytiscbe Methode zu 
empfehlen, die sich an Sicherheit und Wert mit der Kühne’schen 
Verdauungsmetbode messen kann und diese an Einfachheit noch 
übertrifft 11 . 

Als diese Beobachtungen über künstliche Granolyse der 
Zellen gemacht wurden, stand nur die polychrome Methylenblau¬ 
lösung als bestes granoplasmafärbendes Mittel zu Gebote. In¬ 
zwischen haben wir die feiner analysierende Carbol -(- Pyronin 
+ Methylgrün-Methode (Pappenheim-Unna) gewonnen, welche 
uns u. a. auch in den künstlichen Protoplasmatransport einen 
klareren Einblick gewährt. Waren wir früher nicht imstande, 
die freien Granoplasmabröckel von den freien Cbromatinbröckeln 
der Kerne im Gewebe mit Sicherheit zu unterscheiden, so ist das 
seitdem ein leichtes, da die Granoplasmaabkömmlinge die rote 
Farbe des Pyronins, die Chromatinabkömmlinge die blaugrüne des 
Methylgrüns bewahren. Ich habe die Resultate der künstlichen 
Auslaugung von Zellsnbstanzen durch Kochsalz auf Tafel 38 und 
39 meines „Histologischen Atlas zur Pathologie der Haut“ (1903, 
H. 6 u. 7) zeichnen lassen. Durch bestimmte Modifikationen der 
Konzentrationen der Salzlösungen und der Dauer der Behandlung 
gelingt es, fast alle Bilder des spontanen pathologischen Zell¬ 
transports künstlich herzustellen. Es hat sich im allgemeinen 
dabei ergeben, dass die Abbanprodukte des Granoplasmas, soweit 
sie fest sind, sich strukturell wie letzteres verhalten; sie sind 
amorphkörnig, bröcklig, pulvrig, klumpig, niemals fadenförmig. 
Hingegen haben die Abbauprodukte des Kernchromatins nach der 
Kocbsalzbehandlung die Form von Tropfen, Schmelzgestalten, 


1) Ueber die dieses Gesetz beweisenden Tatsachen siehe Unna und 
Golodetz, Die Bedeutung des Sauerstoffs in der Färberei. Dermatol. 
Studien, Bd. 22. 

2) Unna, Ueber die neueren Protoplasmatheorien und das Spongio¬ 
plasma. Arbeiten aus Unna’s Klinik, 1895. Berlin 1896, Grosser. 

3) Unna, Ueber spontanen und künstlichen Transport von Zell¬ 

substanzen und über Kochsalz als mikrochemisches Reagens. Monatsh. 

f. prakt. Dermatol., 1901, H. 33, S. 342. 


Fäden und Fadennetzeo. Unterschiede zwischen Granoplasma 
und Kernchromatin bestehen darin, dass ereteres viel rascher und 
leichter von den gleichen Kochsalzlösungen angegriffen wird, und 
dass das gelöste Granoplasma die Neigung hat, alles Spongio¬ 
plasma und die Intercellularsubstanzen zu imbibieren und ihnen 
seine eigene Affinität zu basischen Farben zu verleihen, eine sehr 
bemerkenswerte Eigenschaft, die das gelöste Kernchromatin nicht 
besitzt. 

Wir verfügen mithin schon geraume Zeit über eine einfache 
Methode, bestimmte, morphologisch gut charakterisierte Teile des 
Protoplasmas und Kernes aus der Zelle herauszulösen, und zwar 
beeinflussen die Neutralsalze (Kochsalz, Natriumsulfat, Ammon¬ 
sulfat), wie wir gesehen haben, in verschiedener Konzentration 
sowohl das Granoplasma wie das Kernchromatin. Da 
letzteres Phosphorsäure enthält, so wird man natürlich, wenn 
man Gewebe mit verdünnten Neutralsalzlösungen auszieht, die ge¬ 
lösten Proteide stets phospborsäurehaltig finden, ohne dass dieser 
Befund die Gegenwart eines Phosphoproteids im Protoplasma 
beweist. 

Diese einfache Ueberlegung zeigt, dass der Weg der Salz¬ 
lösung und Salzfällung allein uns über keinen einzigen Zell¬ 
bestandteil genaueren Aufschluss geben wird. Denn die Extrakte 
haben ihren morphologischen Charakter als Gewebsteil eingebüsst 
und tragen keinen sicheren Index, an dem wir ihre Herkunft er¬ 
kennen könnten. Wir wären mithin ratlos, wenn nicht die er¬ 
wähnten Lösungsversuche uns gleichzeitig auch gelehrt hätten, 
dass die herauszulösenden Gewebsteile bestimmte färberische 
Eigenschaften besitzen. Wir sind mithin imstande, irgend¬ 
einem morphologisch gut charakterisierten Eiweisskörper im Ge¬ 
webe einen tinktoriellen Index anzuheften und dann vermittels 
desselben seine spezifischen Lösungsmittel auszukundschaften, 
d. b. solche, die nur diesen einen Zell bestand teil lösen, die 
anderen aber nicht. Haben wir dann mit einem solchen spezi¬ 
fischen Lösungsmittel im grossen das Gewebe extrahiert, so muss, 
wenn die mikroskopische Vorarbeit richtig war, der im grossen 
gewonnene Extrakt einerseits dieselben tinktoriellen, andererseits 
dieselben Lösungseigenschaften zeigen, wie der betreffende Be¬ 
standteil des Gewebes. Ich habe diese mikrochemische Methode 
der Zellanalyse, da sie stets sowohl spezifischer Färbungs- wie 
Lösungsmethoden bedarf, die chromolytische Methode ge¬ 
nannt 1 ). 

Nur auf diesem Wege, glaube ich, können wir nach und nach 
dem Aufbau des Zelleiweisses näher kommen. Die Zellchemie 
muss mit denjenigen Bausteinen beginnen, die sich 
tinktoriell gut charakterisieren lassen. Ein solcher Bau¬ 
stein ist das Granoplasma. 


Wenn man an die Untersuchung des Granoplasmas der 
Schnitte mit dem Gedanken geht, dass man es hier mit einem 
durch Fixation und Härtung geronnenen, denaturierten Ei weiss¬ 
körper zu tun habe, so wird man durch die geradezu ausser¬ 
ordentliche Löslichkeit desselben im höchsten Grade überrascht 
werden. Obwohl das Granoplasma im Gewebe stets nur in Form 
von festen Brocken erscheint, ist es schon in reinem Wasser 
ziemlich löslich. Lässt man z. B. granoplasmareiche Schnitte 
eine Nacht im Brütofen aseptisch (mit Toluolzusatz) in destilliertem 
Wasser liegen, so lässt sich in ihnen kein Granoplasma mehr 
dnrch Färbung nach weisen. Bei höherer Temperatur löst Wasser 
das Granoplasma noch schneller; ja, die Erhitzung in Wasser auf 
100°, bei der sonst alle Ei weisskörper gerinnen, löst das Grano¬ 
plasma aus Schnitten fast momentan. Die histologische Praxis 
bat schon lange das Wasser als einen schädlichen Faktor er¬ 
kannt, der selbst in 70 proz. Spiritus noch zur Geltung kommt; 
sie gibt den Rat, die auf Granoplasma zu untersuchenden Ge- 
websstücke auf einem mit absolutem Alkohol getränkten Watte¬ 
bausch möglichst rasch zu entwässern. 

Die Löslichkeit des Granoplasmas in kochendem Wasser be¬ 
weist aber, dass es sich nicht um einen genuinen Ei weisskörper, 
ein Albumin oder Globulin, handeln kann. Es kommen dagegen 
Peptone und Albumosen in Betracht. Peptone können leicht aus¬ 
geschlossen werden, da diese sich in absolutem Alkohol, in Tri- 
chloressigsäure und Pikrinsäure lösen, während das Granoplasma 
von diesen Flüssigkeiten ausgezeichnet gut konserviert wird. 


1) Siehe Unna und Golodetz, Ueber Granoplasma und eine all¬ 
gemeine Methode zur mikrochemischen Erforschung eiweissartiger Zell¬ 
bestandteile. Dermatol. Wochenschr., 1913, Bd. 56, S. 1. 


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5. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Dagegen besitzt das Granoplasma alle charakteristi¬ 
schen Eigenschaften der Albamosen. Es ist unlöslich in 
gesättigten Neutralsalzen und Alkaloidreagentien, dagegen löslich 
in kaltem and kochendem Wasser. Während es in einer Mischung 
von konzentrierter Kochsalzlösung und Essigsäure bzw. kon¬ 
zentrierter Ferrocyankaliumlösung und Essigsäure kalt unlöslich 
ist, löst es sich in denselben Mischungen bei Erwärmung 1 ). Es 
ist mir überhaupt keine einzige Eigenschaft des Granoplasmas 
bekannt, die sich nicht auch in der Klasse der Albumosen 
wiederfindet. 

Die speziellere Vergleichung mit den bekannten Albumosen 
ergibt nun, dass es sich nicht um Heteroalbumose handeln kann, 
da diese beispielsweise in Wasser und 2 proz. Kupfersalzlösungen 
unlöslich ist, während sich Granoplasma darin löst, und wiederum 
in Essigsäure löslich ist, die Granoplasma erhält. 

Noch weniger kommt Protalbumose in Betracht, da diese 
nicht bloss in Essigsäure, sondern sogar in 80 proz. Alkohol lös¬ 
lich ist. Auch gibt Protalbumose eine starke Milionreaktion, die 
dem Granoplasma fehlt. 

Viel ähnlicher als diesen primären Albumosen ist Grano¬ 
plasma den Deuteroalbumosen. Beide sind löslich in kaltem 
und kochendem Wasser, in Salpetersäure über 1 proz. und ver¬ 
dünnten Neutralsalzlösungen, in 2 proz. Knpferacetat- und Kupfer- 
sulfatlösungen, dagegen unlöslich in konzentrierten Neutralsalz¬ 
lösungen, in gesättigter Ammonsulfat- und Zinksulfatlösung, in 
konzentrierter Kochsalzlösung HNO s , in konzentrierter Pikrin¬ 
säure, in Phosphorwolframsäure bzw. Phosphormolybdänsäure 
+ HCL 

Trotz dieser starken Verwandtschaft im allgemeinen zeigt 
das Granoplasma im einzelnen doch auch Eigenschaften, die 
den Deuteroalbumosen fremd sind. So ist es bereits unlöslich 
in 1 j 2 und 2 3 / 3 gesättigter Ammonsulfatlösnng, in verdünnter 
Pikrinsäure und Essigsäure, in 1—2 prom. Salpetersäure, Salz- 
und Schwefelsäure. Diese Züge weisen aber auf eine Albumosen- 
art hin, welche Kühne 4 * ) im Tuberkulin und Witte-Pepton 
nach wies und Akroalbumose nannte. Diese ist nämlich, wie 
schon R. Koch vorher nach weisen konnte, in Essigsäure unlöslich. 
Kühne zeigte dann, dass sie überhaupt in sehr verdünnten 
organischen und unorganischen Säuren, mit Ausnahme von Bor¬ 
säure, unlöslich ist. Neben diesen nur der Akroalbumose zu¬ 
kommenden Charakteren zeigt aber das Granoplasma noch die 
besonderen Eigenschaften der Deuteroalbumosen: grosse Lös¬ 
lichkeit in Wasser, verdünntem Alkohol, 2 proz. Kupfersalzlösung 
und Salpetersäure (über 1 pCt.). Das Granoplasma ist daher 
als eine Akro-Deuteroalbumose aufzufassen. Da man die 
Albumosen nach ihrer Herkunft zu benennen pflegt (Fibrinöse, 
Myosinose, Gelatinöse usw.), so schlage ich für diese aus Zellen 
extrahierte Albumose den Namen Cytose vor. 

Als besonders charakteristische Eigenschaften der Cytose 
sind zu nennen: ihre Unlöslichkeit in Essigsäure, in stark ver¬ 
dünnten Mineralsäuren (1—2 pM.) und 80 proz. Alkohol, ihre 
Löslichkeit in Borsäure, schwächerem Alkohol und Wasser, be¬ 
sonders bei höherer Temperatur. 

Die Cytose ist wie die Akroalbumose Kühne’s und alle 
Deuteroalbumosen eine starke Säure; sie ist daher absolut baso¬ 
phil, d. h. färbt sich mit allen basischen, dagegen mit keiner 
sauren Farbe. 

Um die Cytose im grossen darzustellen, muss man sie mit 
möglichster Schonung anderer löslicher Eiweisskörper (Kern¬ 
chromatin, Nucleolin, Mastzellenkörnung) geeigneten Organen 
(Leber, Hirnrinde) entziehen. Hierzu haben sich ausser der Bor¬ 
säure einige Salze geeignet erwiesen: Ferrocyankalium, Blei¬ 
acetat und Baryumchlorid, teils allein, teils mit Borsäure zu¬ 
sammen 8 ). 

Die Existenz einer Albumose als eines normalen Bestand¬ 
teiles der Gewebe ist neu. Abderhalden hat in mehreren 
Arbeiten und neuerdings zusammen mit Oppenheimer 4 ) sicher 


1) Eine ausführliche Darstellung aller Lösungsverhältnisse des Grano¬ 
plasmas siehe in Unna und Golodetz, Ueber Granoplasma und eine 
allgemeine Methode zur mikrochemischen Erforschung eiweissartiger Zell¬ 
bestandsteile. Dermatol. Wochenschr., 1913, Bd. 56, S. 1. 

2) Kühne, Erfahrungen über Albumosen und Peptone. IV. Zeit¬ 
schrift f. Biol., nene Folge, 1892, Bd. 11, S. 308. 

3) Genaueres hierüber siehe Unna und Golodetz, Ueber Grano¬ 
plasma, 1. c. 

4) Abderhalden und Oppenheimer, Zeitschr. f. physiol. Chemie, 

Bd. 42, S. 155. 


nachgewieseu, dass iu den Körperflüssigkeiteo, in Blut und 
Lymphe, höchstens Spuren von Albumosen Vorkommen, und dass 
alle von der Verdauung herrührenden Albumosen vor ihrem Ein¬ 
tritt in die Körpergewebe bis zu den letzten Bausteinen, den 
Aminosäuren, abgebaut werden. Also i»t die allgemein in allen 
Gewebszellen vorkommende Cytose nicht aus der Nahrung auf¬ 
genommen, sondern in den Zellen gebildet. Sie entsteht aus dem 
Zellprotoplasma wohl ebenfalls durch eine Art Verdauung, einen 
fermentativen Abban des Protoplasmas. 

Die grosse Bedeutung dieses Vorganges, des Auftretens von 
Cytose in den Zellen, sehe ich in der nur dem Granoplasma, 
nicht dem übrigen Protoplasma, dem Spongioplasma, zukommenden 
Fähigkeit, Sauerstoff zu speichern. Während das Spongio¬ 
plasma ein Sauerstoffzehrer ist und sich nur mit Reduktions¬ 
färbungen, nicht mit Oxydationsfärbungen darstellen lässt, ent¬ 
hält das Granoplasma im frischen Zustande, auf Gefrier¬ 
schnitten mit Rongalitweiss I nachweisbar, stets freien Sauer¬ 
stoff. Selbst produziert es diesen freien Sauerstoff nicht, denn 
mit Rongalitweiss II untersucht zeigt es keinen selbständigen 
Aktivator, wie der Kern, mit Benzidin und Wasserstoffsuperoxyd 
untersucht kein Oxydationsferment, wie die weissen Blutkörperchen. 
Es ist also nur ein Sauerstofferhalter, ein vorzügliches Sauer¬ 
stoffreservoir. Als solches tritt es aber überall auf, wo das 
Gewebe durch übermässige Reduktion geschädigt werden würde; 
also besonders bei allen Infektionen, deren Träger oder deren 
Toxine reduzierende Eigenschaften haben. Dann füllen sich die 
ohnehin cytosehaltigen Deckepithelien und Drüsenzellen in maxi¬ 
maler Weise mit Granoplasma. Ebenso die normalerweise cytose- 
armen Bindegewebszellen, und zwar zunächst die Perithelien der 
Blutgefässe, denen der aktivierte Sauerstoff der die Blutgefässe 
einscheidenden Mastzellen aus erster Hand zu Gebote steht. Durch 
diese Aufspeicherung sauerstoffhaltiger Cytose wandeln sie sich 
in Plasmazellen um. Eine gehörige Ausbildung von Plasma¬ 
zellen bildet in jedem erkrankten, z. B. tuberkulösen oder krebsigen 
Gewebe einen Reservespeicher für Sauerstoff, den sich das Gewebe 
selbst zu seiner besseren Ernährung schafft. Freilich ist die 
chemische Substanz, die den Sauerstoff speichert, die Cytose, 
selbst ein Abbauprodukt der Zelle und daher hinfälliger Natur. 
Eine Ueberschwemmung mit kochsalzhaltiger Lymphe, eine seröse 
Entzündung genügt, um dieselbe mit ihrem Sauerstoff aus den 
Zellen auszuwaschen. 


Aus dem hygienischen Institut der deutschen Uni¬ 
versität in Prag (Vorstand: Prof. Dr. Oskar Bail). 

Ueber den Einfluss der Leukocyten auf das 
Anaphylatoxin. 

Von 

Privatdozent Dr. Wilhelm Spät, 

k. u. k. Rcglmontsarit. 

Während dem Problem der Anaphylaxie in der ersten Zeit 
ihrer Erforschung nur eine rein theoretische Bedeutung beige¬ 
messen wurde, trat dasselbe in der Folge dadurch in den Vorder¬ 
grund des allgemeinen ärztlichen Interesses, dass mit demselben 
die Erscheinungen im Verlaufe der Serumtherapie und eine Reihe 
von bekannten, aber bis dahin unaufgeklärten Affektionen als 
Ueberempfindlichkeitssymptome gedeutet wurden. Eine besonders 
bedeutsame Richtung nahmen diese Forschungen, als der Gedanke 
auftauchte, die Erscheinungen des anaphylaktischen Shocks mit 
den Vorgängen bei der Infektion in Beziehung zu bringen und 
letztere als eine besondere Form der Anaphylaxie hinzustellen 
(Friedberger, Neufeld u. a.). Nach dieser neuen Vorstellung 
soll auch bei der Infektion mit verschiedenen pathogenen Mikro¬ 
organismen immer dasselbe, also nicht spezifische Gift, das Ana¬ 
phylatoxin, entstehen; spezifisch wäre nur der Modus der Gift¬ 
bildung, indem durch die parenterale Anwesenheit des Antigens 
der homologe Antikörper spezifisch vermehrt bzw. entstehen würde, 
welcher den Abbau des Antigens bis zur giftigen Stufe des Ana- 
phylatoxins vollzieht. Die Verschiedenheit der Krankheitserschei¬ 
nungen und des Verlaufes wurde durch die verschiedene Lokali¬ 
sation, verschiedene Vermehrungsintensität, differente Virulenz- 
Verhältnisse einzelner Bakteriengruppen und durch das verschiedene 
Verhalten des tierischen Organismus gegenüber verschiedenen Er¬ 
regern erklärt. Während beim anaphylaktischen Versuch das 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18. 


Gift prompt gebildet bzw. abgespalten wird und in wenigen 
Minuten zu den schwersten Erscheinungen und znm Tode führt, 
soll nun die Produktion desselben Giftes während einer Infektions¬ 
krankheit in mehr chronischer, protrahierter Weise vor sich gehen, 
weshalb der Verlauf den stürmischen Charakter des anaphylakti¬ 
schen Symptomenkomplexes vermissen lässt. 

So bestechend nun auf den ersten Blick diese neue An¬ 
schauung über das Wesen der Infektion als eine besondere Form 
der Anaphylaxie wirken mag, so erscheint sie jedoch bisher keines¬ 
wegs experimentell begründet. Die Tatsache, dass aus Bakterien 
nach Einwirkung von Immun- oder Normalamboceptoren und 
Komplement ein Gift entsteht, das unter den für die Anaphylaxie 
charakteristischen Erscheinungen Meerschweinchen tötet, kann 
hierfür nicht besonders geltend gemacht werden, denn es ist nicht 
einzusehen, warum das Bakterieneiweiss für diese Versuche nicht 
ebenso geeignet sein sollte wie jedes andere Eiweiss. Auch die 
von Friedberger und Mita 1 ) beschriebenen anaphylaktischen 
Fieberreaktionen dürften nicht als ein schwerwiegender Beweis 
erachtet werden und noch eine andere Deutung zulassen. Es sei 
diesbezüglich nur auf die vor kurzem erschienene Arbeit von 
Friedberger und Ito 2 ) hingewiesen, durch welche die Beweis¬ 
kraft der früheren Anschauung stark herabgesetzt wird. 

Hingegen sind die Versuche Weil’s 3 ) geeignet, starke Be¬ 
denken gegen die Identifizierung der Infektion mit der Anaphylaxie 
wachzurufen. 

Weil ging mit Recht von dem Standpunkte aus, dass nach 
dem gegenwärtigen Stande unseres Wissens eigentlich nur eine 
Erklärung für das Zustandekommen der septikämischen Infektions¬ 
krankheiten auf Schwierigkeiten stösst. Bei den toxischen Er¬ 
krankungen, wie Diphtherie oder Tetanus, ist das Krankheitsbild 
durch das von den Bakterien produzierte Toxin, bei den endo- 
toxischen, wie Cholera oder Typhus, durch die primär toxische 
Leibessubstanz der betreffenden Krankheitserreger vollkommen er¬ 
klärt, wobei es bei der letzteren Krankheitsgruppe für die Krank¬ 
heitserscheinungen gleichgültig ist, ob das Freiwerden der giftigen 
Stoffe auf spezifische Weise (durch Bakteriolysine) erfolgt oder 
nicht. Dagegen stehen wir bisher bei den septikämischen In¬ 
fektionskrankheiten noch immer vor einem undurchdringlichen 
Rätsel, und es entsteht die Frage, ob und inwieweit bei diesen 
Affektionen, deren Erreger keinerlei giftige Produkte ausscheiden, 
eine Analogie zur Anaphylaxie nachzuweisen ist. Weil wählte 
zur Lösung dieser Frage den Hühnercholerabacillus und versuchte 
zunächst mit demselben ein Anaphylatoxin darzustellen. Diese 
Mikroorganismen wurden deshalb hierzu gewählt, weil sie zu den 
typischsten Vertretern der höcbstinfektiösen Bakterien gehören, 
denen namentlich die Kaninchen mitten im scheinbar besten 
Wohlbefinden plötzlich unter anaphylaxieähnlichen Erscheinungen 
erliegen. Die Versuche ergaben nun ein positives Resultat inso¬ 
fern, als das mit Hühnercholerabacillen behandelteMeerschweinchen- 
serum Meerschweinchen unter schweren typischen Symptomen 
tötete. Nachdem sich auf diese Weise der Hübnercholerabacillus 
zur Darstellung von Anaphylatoxin geeignet erwiesen hatte, modi¬ 
fizierte Weil die Versuchsbedingungen, um sie den natürlichen 
Verhältnissen näherzubringen. Zur Darstellung des Anapbyla- 
toxins wurde nicht Meerschweinchen-, sondern Kaninchen¬ 
serum verwendet und das Serum nach der Behandlung mit Hühner¬ 
cholerabacillen Kaninchen injiziert. Wenn die Anaphylaxie für 
die Infektion von Bedeutung wäre, so müsste gerade bei Kaninchen 
der Erfolg ein eklatanter sein, da diese Tiere der Hühnercholera¬ 
infektion unter anaphylaxieähnlichen Symptomen erliegen. Es 
zeigte sich aber, dass in keinem einzigen Falle Anaphylaxie¬ 
erscheinungen ausgelöst werden konnten. Auf Grund dieser 
negativen Versuchsergebnisse Weil’s kann man demuach einer 
Identifizierung der Infektion mit der Anaphylaxie nicht zu¬ 
sammen. 

Ungefähr gleichzeitig mit dieser Arbeit publizierten Fried - 
berger und Szymanowski 4 ), offenbar in dem Bestreben, neue 

1) Ueber Anaphylaxie. XVIII. Mitteilung. Die anaphylaktische 
Fieberreaktion. Zeitsehr. f. Immunitätsforsch., I. Teil, Orig., Bd. 10, 
H. 1 u. 2. 

2) Beiträge zur Pathogenese des Fiebers. III. Mitteilung. Die Be¬ 
einflussung der Körpertemperatur durch Salze nach Untersuchungen am 
Meerschweinchen. Zeitschr. f. Immunitätsforsch., I. Teil, Orig., Bd. 15, 

H. 4 u. 5. 

3) Ueber die Bedeutung des Anaphylatoxins für die Infektions¬ 
krankheit. Wiener klin. WocbeDschr., 1911, Nr. 40. 

4) Ueber Anaphylaxie. XXIII. Mitteilung. Einfluss der Leukocyten 
auf die Anaphylatoxinbildung in vitro. Zeitschr. f. Immunitätsforsch., 

I. Teil, Orig., Bd. 11, H. 5. 


Analogien zwischen der Infektion und der Anaphylaxie aufzu- 
decken, eine Reihe von Versuchen, die den Einfluss der Leuko¬ 
cyten auf das Anaphylatoxin betreffen. Aus diesen Versuchen 
geht hervor, dass die weissen Blutzellen sowohl die Bildung des 
Anaphylatoxins zu verhindern, als auch das fertige Anaphylatoxin 
zu entgiften vermögen. Die Autoren nehmen an, dass durch die 
Phagocytose, die sie bei der Behandlung, besonders mit Immun- 
sernm, tatsächlich in Erscheinung treten sahen, ein Teil der zur 
Giftbildung abznbauenden Bakterien von der Serumwirkung aus¬ 
geschaltet wird. Hierbei lassen die Autoren die Möglichkeit 
offen, dass im Tierkörper die Verhältnisse anders liegen, indem 
auch innerhalb der Leukocyten eine Giftabspaltung aus den 
Bakterien zustande kommen könnte. Nur bei der Einwirkung der 
Leukocyten auf das fertige Anaphylatoxin glauben die Verfasser, 
dass neben der eigenartigen Beeinflussung durch diese Blutzellen 
auch die Eventualität einer einfachen Absorption in Erwägung zu 
ziehen wäre. 

M. Massone 1 ), welcher in ähnlichen Versuchen den.Einfluss 
der Leukocyten auf das fertige Anaphylatoxin studierte und zu 
gleichen Ergebnissen gelangte, ist in seinen Schlussfolgerungen 
ganz dezidiert, er glaubt bewiesen zu haben, dass die Leukocyten 
ausgesprochene Giftzerstörer seien und hierdurch dem infizierten 
Organismus eine erhebliche Schutzwirkung verleihen, da „die 
Vergiftungserscheinungen, die der Bakteriolyse folgen, zum grossen 
Teil, wenn nicht ausschliesslich, auf Bildung des Anaphylatoxins 
zurückzuführen sind u . 

Mit gleicher Bestimmtheit macht S. Miyaji 2 ), der diese Ver¬ 
hältnisse auf Anregung P. Th. Müller’s untersuchte, die Pbago- 
cytose für die Behinderung der Giftbildung verantwortlich. 

Da wir auf Grund zahlreicher Untersuchungen, die in unserem 
Institute ausgeführt wurden, über die Wirkungsweise der Leuko¬ 
cyten wesentlich andere Vorstellungen haben, beschlossen wir die 
oben angeführten Angaben bezüglich der Beeinflussung des Ana¬ 
phylatoxins durch Leukocyten einer Nachprüfung zu unterziehen. 

Im Nachfolgenden seien einige dieser Versuche mitgeteilt. 

Zur Gewinnung von Leukocyten wählten wir einen Modus, der sich 
in unserem Institut seit Jahren als der zweckmässigste bewährte; er 
weicht von der von anderen Autoren geübten Technik in Einzelnheiten 
ab und ist ganz einfach. Wir injizieren einem Meerschweinchen 20 bis 
30 ccm sterile gewöhnliche Nährbouillon intraperitoneal; nach etwa 
15 Stunden wird das Tier verblutet, das stets reichlich vorhandene Ex¬ 
sudat sowie die durch Ausspülen der Bauchhöhle mit steriler physio¬ 
logischer Kochsalzlösung erhaltene Füssigkeit centrifugiert und der hier¬ 
durch gewonnene Leukocytensatz gewaschen. 

Die quantitative Auswertung der Leukocytenmengen, wie sie von 
Massone angegeben wird — Vergleich mit verschieden abgestuften Auf¬ 
schwemmungen von Kaolin —, erscheint uns sehr umständlich und vor 
allem nicht ganz genau. Wir bestimmen für gewöhnlich die Leukocyten 
einfacher und objektiver durch Abwägen des durch das Centrifugieren 
gewonnenen Satzes. Das zur Aufnahme der Leukocytenemulsion be¬ 
stimmte Röhrchen wird zunächst leer und dann nach dem Centrifugieren 
mit dem Satz abgewogen. Die Differenz ergibt das Gewicht der Leuko¬ 
cyten. 

Die Emulsionen verschiedener Organe (Leber oder Niere vom Meer¬ 
schweinchen), welche als Vergleichs- und Kontrollmaterial zu den Ver¬ 
suchen herangezogen wurden, erhielten wir durch Durcbpressen zer¬ 
kleinerter Organstücke, welche steril den frisch getöteten Tieren 
entnommen wurden, durch ein steriles Drahtnetz vermittels eines Mörsers. 
Die nach Zusatz von physiologischer Kochsalzlösung entstandene Auf- 
schwemmuag wurde zunächst in der Wassercentrifuge etwa drei Minuten 
lang centrifugiert, der entstandene Satz (der gröberen Partikel) entfernt. 
Die auf diese Weise hergestellte gleichmässige Emulsion wurde in der 
elektrischen Centrifuge scharf centrifugiert, zum Satz — wie in den 
einzelnen Versuchen ersichtlich —, die Bakterien und das Meerschweinchen¬ 
serum zugesetzt, gut durchgeraischt und zeitweise geschüttelt. Die Menge 
der Organemulsion wurde in analoger Weise wie die Leukocyten durch 
Abwägen bestimmt. 

Wir verwendeten in unseren Versuchen aussohliesslich Prodigiosus- 
bacillen, welche fünf Minuten lang bei 100° gekocht und in den in 
einzelnen Versuchen angegebenen Mengen zugesetzt wurden. 

A. Versuche über den Einfluss von Leberzellen auf die Ana¬ 
phylatoxinbildung. 

Versuch 1. 

Eine 24 stündige Agarkultur von Prodigiosusbacillen wird in 1 ccm 
physiologischer Kochsalzlösung aufgeschwemmt, fünf Minuten gekocht und 
in zwei Teile geteilt. 


1) Ueber die giftzerstörenden Eigenschaften der Leukocyten. Diese 
Wocbenschr., 1911, Nr. 52. 

2) Ueber den Einfluss von Leukocyten und Leukocytenextrakten auf 
die Anaphylatoxinbildung. Zeitschr. f. Immunitätsforsch., I. Teil. Orie., 
Bd. 13, H. 5. 


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5. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


838 


a) 0,5 com wird mit 4 ccm Meersohweinohenserum, 

b) 0,5 ccm mit dem Satz der Leberemulsion und 4 ccm Meer¬ 
schweinchenserum gut gemischt, eine Stunde bei 37°, &j 2 Stunden bei 
Zimmertemperatur gehalten und sodann centrifugiert. Der klare Abguss 
wird injiziert. 

Meerschweinchen 1. Erhält 4 ccm des Abgusses a) intravenös. Starke 
Krämpfe, liegt fast leblos, nach lange anhaltenden Wiederbelebungs¬ 
versuchen — künstlicher Atmung — Erholung. 

Meerschweinchen 2. Erhält 4 ccm des Abgusses b) intravenös. Keine 
Erscheinungen. 

Versuch 2. 

Vorbereitung wie im Versuch 1. 

Meerschweinchen 1. Erhält 4 ccm des Abgusses a). Sofort starke 
Krämpfe, liegt eine Zeitlang fast leblos, dann langsame Erholung. 

Meerschweinchen 2. Erhält 4 ccm des Abgusses b). Keine Er¬ 
scheinungen. 

Versuch 3. 

Vorbereitung wie im Versuch 1. Behandlung 3 1 /* Stunden bei 87°. 

Meerschweinchen 1. Erhält 4 ccm des Abgusses a) intravenös. Starke 
Krämpfe, stirbt nach wenigen Minuten. Sektion: Starke Lungenblähung. 

Meerschweinchen 2. Erhält 4 ccm des Abgusses b) intravenös. Keine 
Erscheinungen. 

Aus diesen Versuchen geht hervor, dass der Zusatz von Leber¬ 
emulsion die Anaphylatoxinbildung in vitro verhindert, 
ebenso wie in den oben besprochenen Versuchen von Fried¬ 
berger und Szymanowski die Leukocyten, dass hierbei aber 
nicht an einen biologischen Vorgang gedacht werden kann, wie ihn diese 
Autoren in der Phagocytose erblicken, durch welche etwa ein Teil der 
zur Giftbildung bestimmten Bakterien dem Abbau entzogen werden. Da 
von einer Phagocytose durch Leberzellen keine Rede sein kann, müssen 
wir die Wirkung der letzteren als eine rein physikalische Funktion 
im Sinne einer Absorption auffassen. 

In dieser Auffassung werden wir bestärkt durch folgende 

B. Versuche über den Einfluss der Leukocyten und anderer 
Zellen auf das fertige Anaphylatoxin. 

Versuch 1. 

Zwei frische Agarkulturen von Prodigiosusbacillen wurden mit 
16 ccm normalen Meerschweinchenserums l l / 2 Stunden bei 37° be¬ 
handelt und hierauf centrifugiert; 4 ccm des Centrifugats wurden mit 
0,75 g Leukocyten vom Meerschweinchen, 8 ccm desselben mit 3 g 
Leberemulsion I Stunde bei 37° digeriert und sodann abcentrifugiert. 
Der klare Abguss wurde zur Injektion verwendet. 

Meerschweinchen 1. Erhielt 3 ccm reines, unbehandeltes Anaphyla¬ 
toxin intravenös. Schwere Anaphylaxie, stirbt nach wenigen Minuten. 

Meerschweinchen 2. Erhielt 4 ccm Anaphylatoxin, welches mit Leuko¬ 
cyten behandelt wurde, intravenös. Keine Erscheinungen. 

Meerschweinchen 3. Erhielt 4 ccm Anaphylatoxin, welches mit Leber¬ 
emulsion behandelt wurde, intravenös. Keine Erscheinungen. 

Meerschweinchen 4. Erhielt 4 ccm wie Meerschweinchen 3. Keine 
Erscheinungen. 

Versuch 2. 

Die Anaphylatoxingewinnung wie im obigen Versuche. Dann wurde 
das fertige Anaphylatoxin in der oben angeführten Weise, und zwar 4 ccm 
mit 0,5 g Meerschweinchenleukocyten, 4 ccm mit Leber-, 4 ccm mit 
Nierenemulsion behandelt. Injektion intravenös. 

Meerschweinchen 1. Erhielt 2,5 ccm unbehandeltes Anaphylatoxin. 
Schwere Anaphylaxie, stirbt in wenigen Minuten. Künstliche Atmung 
ohne Erfolg. 

Meerschweinchen 2. Erhielt 4 ccm Anaphylatoxin, welches mit Leuko¬ 
cyten behandelt wurde. Sofort Krämpfe. Erholung naoh künstlicher 
Atmung. 

Meerschweinohen 3. Erhielt 4 ccm Anaphylatoxin, welches mit Leber¬ 
emulsion behandelt wurde. Keine Erscheinungen. 

Meerschweinchen 4. Erhielt 4 ccm Anaphylatoxin, welches mit Nieren¬ 
emulsion behandelt wurde. Keine Erscheinungen. 

Versuch 3. 

16 ccm Meerschweinchenserum werden mit zwei Agarkulturen 
3y s Stunden bei 37° behandelt und hierauf centrifugiert. Das fertige 
Anaphylatoxin wird dann, wie in den früheren Versuchen, mit Leuko¬ 
cyten (0,75 g), Leber- und Nierenemulsion behandelt. 

Meerschweinchen 1. Erhält 2,5 ccm unbehandeltes Anaphylatoxin. 
Schwere Anaphylaxie, stirbt in wenigen Minuten. 

Meerschweinchen 2. Erhält 4 ccm Anaphylatoxin, welches mit Leuko¬ 
cyten behandelt wurde. Schwere Anaphylaxie, stirbt in wenigen 
Minuten. 

Meerschweinchen 3. Erhält 4 ccm Anaphylatoxin, welches mit Leber¬ 
emulsion behandelt wurde. Keine Erscheinungen. 

Meerschweinchen 4. Erhält 4 ccm Anaphylatoxin, welches mit 
Nierenemulsion behandelt wurde. Schwere Anaphylaxie, stirbt in 
wenigen Minuten. 

Wir ersehen aus diesen Versuchen, dass das Anaphylatoxin, 
welches in der Menge von 3 ccm Meerschweinchen in wenigen Minuten 
tötet (Versuch 1, Tier 1), 4duroh Behandlung mit Leberemulsion 
ebenso unwirksam witd wie unter dem Einfluss der Leuko¬ 
cyten, 


Im Versuch 2 ist das Anaphylatoxin durch die Behandlung mit 
Leukocyten nur in sehr geringem Maasse abgesohwächt (weniger Leuko¬ 
cyten als im Versuch 1), während es durch die Leber- und Nieren¬ 
emulsion vollkommen entgiftet ist. 

Im Versuch 3 versagen sowohl die Leukocyten als auch die Nieren¬ 
zellen, während die Leberemulsion eine gänzliche Entgiftung des Ana- 
pbylatoxins herbeigefübrt hat (Tier 3). Offenbar ist die absorbierende 
Kraft, die hier einzig und allein für die Erklärurg der zutage tretenden 
Erscheinung in Betracht kommt, bei den Leberzellen viel grösser als bei 
den anderen zum Versuch herangezogenen Zellelementen. 

Unsere Versuche stehen demnach hinsichtlich der erhobenen 
Befunde vollkommen im Einklang mit den Angaben von Fried¬ 
berger und Szymanowski, allein die Erklärung, welche diese 
Autoren für die Behinderung der Giftbildung bzw. die Entgiftung 
des fertigen Anapbylatoxins angeben, erscheint nach unseren Er¬ 
gebnissen nicht zulässig. Denn wenn bei der Einwirkung der 
Leukocyten die Möglichkeit, dass die Phagocytose die Menge der 
dem Abbau anheimfallenden Bakterien verringert, diskutiert 
werden könnte, ist eine solche, sobald es sich um Leber- oder 
Nierenzellen handelt, vollkommen ausgeschlossen; bei der Be¬ 
urteilung der Versuche mit dem fertigen Anaphylatoxin ist wohl 
Annahme einer einfachen Absorption die einzig plausible Er¬ 
klärung. 

Unsere Auffassung steht in Uebereinstimmung mit den Be¬ 
funden von Ritz und Sachs, denen es gelungen ist, mit Kaolin 
sowohl die Anaphylatoxinbildung zu verhindern, als auch das 
fertige Anaphylatoxin zu entgiften. Die Autoren konnten auch 
aus dem behandelten Kaolin durch Digerieren bei 42° bis 45° 
das offenbar absorbierte Gift in physiologische Kochsalzlösung 
absprengen, welche dadurch giftige Eigenschaften erhielt. 

Wir können somit die Anschauung aussprecben, dass in den 
Versuchen von Friedberger und Szymanowski ebenso wie in 
denen von Miyaji und in unseren die Leukocyten keine 
biologische Funktion (Phagocytose) ausüben — wie diese 
Autoren behaupten —, sondern lediglich als ein einfaches 
Absorbens wirken. Durch unsere Befunde wird natürlich auch 
die oben angeführte Auffassuug Massone’s, die selbst durch 
seine eigenen Versuche nicht begründet erscheint, ganz hin¬ 
fällig. 

Wenn Friedberger und Szymanowski durch ihre Unter¬ 
suchungen Analogien zwischen der Anaphylaxie und Infektion 
auffinden wollten, ist dieser Versuch als gescheitert zu be¬ 
trachten. 


In den Versuchen von Friedberger und Szymanowski 
sowie in den unserigen wurde als stille Voraussetzung ange¬ 
nommen, dass das Anaphylatoxin aus dem Antigen, in unserem 
Falle aus den Bakterien durch Einwirkung von Normalambo- 
ceptoren gebildet wird, eine Annahme, die in der letzten Zeit 
stark in Zweifel gezogen wurde. Wir wollen nur auf die An¬ 
gaben Bauer’s 1 ) binweisen, nach denen das Anaphylatoxin aus 
dem Meerschweinchenserum entsteht, sowie auf die von mehreren 
Seiten (Ritz und Sachs, Weil u. a.) ausgesprochene Vermutung, 
dass das giftige Moment der behandelten Meerschweinchensera 
bereits in diesen präformiert ist und nur durch antagonistische 
Stoffe verdeckt ist, welch letztere bei der Behandlung des Serums 
beseitigt werden. Nach dieser Anschauung wären also die Bak¬ 
terien nicht die Matrix, aus der das Gift durch Abbau entsteht, 
sondern ein Absorbens, welches die antagonistisch wirkenden 
Substanzen entfernt und die giftigen Momente frei macht (Weil). 
Wenn wir auch in einer Reihe von Versuchen 2 ) die Angaben 
Brauer’s nicht bestätigen konnten, so muss man doch an die 
von Ritz und Sachs 8 ) berührte Möglichkeit denken, dass das¬ 
selbe Kaolin, welches die giftigen Substanzen von ihren Antago¬ 
nisten frei macht, im Verlauf der Behandlung auch das fertige, 
frei gemachte Anaphylatoxin absorbiert, so dass im Resultat das 
behandelte Meerschweinchenserum völlig unwirksam erscheint. 

Eine andere Frage, auf die wir hier nicht näher eingehen 
wollen, ist die, ob man berechtigt ist, die Ergebnisse der Ana- 
phylatoxinforschung ohne weiteres auf die Anaphylaxie und — 
wenn man auf den Gedankengang Friedberger und seiner Mit¬ 
arbeiter eingehen will — auch auf die Infektion zu übertragen. 

1) Ueber die Herkunft des Anaphylatoxins. Diese Woohenschr., 
1912, Nr. 8. 

2) 10 ccm frisches Meerschweinchenseerum wurden mit 2,5 g Kaolin 
5 Stunden bei 87° unter öfterem digeriert und sodann centrifugiert. Die 
Tiere vertrugen 4, 5 und 6 ccm des klaren Abgusses intravenös ohne 
die geringsten Erscheinungen. 

8) Ueber das Anaphylatoxin, Diese Woohenschr., 1911, Nr. 22, 

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834 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18. 


John Auer 1 ) betont mit Recht, dass bis jetzt keineswegs be¬ 
wiesen ist, dass bei der wirklichen Anaphylaxie die reizauslösen- 
den Stoffe mit dem Anapbylatoxin identisch sind, dass es nicht 
zulässig ist, aus der Aehnlichkeit der biologischen Reaktion auf 
die Identität der daran beteiligten Agentien zu schliessen. 

Zusammenhang. 

Der Einfluss der Leukocyten auf die Anaphyla- 
toxinbildung und auf das fertige Anaphy 1 atoxin kann 
nicht — wie Friedberger und Szymanowski, Massone und 
Miyaji behaupten — durch Phagocytose erklärt werden, 
durch welche die Zahl der zum Abbau bestimmten Bakterien ver¬ 
ringert wird. Wir haben dieselben Resultate mit Leber¬ 
und Nierenzellen erzielt, bei denen von Phagocytose 
naturgemä83 keine Rede sein kann. 

Der Einfluss all dieser Zellen auf die Anaphyla- 
toxinbildung kann auf Grund unserer Versuche nur als 
einfache Absorption gedeutet werden. 


Die akute nicht eitrige Thyreoiditis. 

Eine Uebersicht. 

Von 

Sanitätsrat Dr. W. Lublinski. 

Die akute Entzündung der gesunden Schilddrüse (Thyreo¬ 
iditis) wird weit seltener beobachtet als die der kropfig ent¬ 
arteten (Strumitis). Die ersten ausführlichen Beschreibungen 
machen noch keinen Unterschied dieser beiden Formen, trotzdem 
schon Conradi die allgemeine Bezeichnung „Struma inflamma- 
toria u als nicht zutreffend erklärte, weil sie nur auf die Ent¬ 
zündung der kropfigen Schilddrüse passe. Erst um die Mitte des 
vorigen Jahrhunderts wird die Trennung strenger durcbgeführt, 
und die Arbeit Bauchet’s de la thyroidite et du goitre enflamm4 
unterscheidet zum erstenmal streng zwischen den beiden 
Formen; sie hebt auch das Ueberwiegen des weiblichen 
Geschlechts hervor. Ebenso hat Lebert wenige Jahre später 
in einer Monographie die Verhältnisse ziemlich klargestellt und 
ausser einer pathologisch-anatomischen Beschreibung eine kli¬ 
nische Scheidung zwischen idiopathischer und meta¬ 
statischer Entzündung der Schilddrüse vorgenommen. Er kennt 
als ätiologische Momente den Typhus, die Pneumonie, das Puer¬ 
peralfieber und die Pyämie, sowie Bronchitis und Orchitis. In 
den nächsten Jahren beschäftigen sich vornehmlich französische 
Autoren mit dieser Frage; die Terminologie ist bei einigen wieder 
etwas unklar. Ein neuer Zug kommt in die Literatur durch die 
Arbeiten Kocher’s und seiner Schüler, die sich allerdings haupt¬ 
sächlich mit der Strumitis beschäftigen, aber auf die Unter¬ 
scheidung derselben von der Thyreoiditis dringen. Von Wert ist 
auch die Arbeit Mygind’s, der zuerst die nicht eitrige 
akute Thyreoiditis als eine Erkrankung eigener Art in 
einem klinisch scharf umgrenzten Krankheitsbilde beschreibt, was 
Ewald, der wohl zwischen akuter idiopathischer und meta- 
statischer Thyreoiditis unterscheidet, nicht tut, da er die nicht 
eitrige Form nur für eine leichtere Erkrankung hält, was übrigens 
auch v. Eiselsberg’s Meinung zu sein scheint. Die umfassendste 
Arbeit der letzten Jahre rührt her von de Quervain (1), der 
nach allen Seiten Klarheit zu bringen, auf das beste bestrebt ist. 
Seine Monographie gilt um so mehr als Grundlage für alle 
späteren Arbeiten, als in ihr die zahlreiche Literatur kritisch 
berücksichtigt wird. 

Das klinische Bild der akuten nicht eitrigen Thyreo¬ 
iditis ist ausserordentlich prägnant und erlaubt, die Diagnose in 
den meisten Fällen ohne Schwierigkeit zu stellen. In der Mehr¬ 
zahl der Fälle beginnt sie plötzlich mit hohem Fieber, nicht 
selten mit einem Schüttelfrost. Daneben bestehen Uebelkeit, 
oft Erbrechen und heftiger Kopfschmerz, ausstrahlende 
Schmerzen besonders nach Ohr und Hinterhaupt. Das 
Fieber kann bis 40° ansteigen, hat remittierenden Charakter; 
der Puls schwankt je nach dem Alter zwischen 100 und 
120 Schlägen, ist voll und hart. Oft schon am ersten, sicher 
aber am zweiten, seltener am dritten Tage tritt mit dem Gefühl 
einer unangenehmen Spannung in der vorderen Halsgegend, die 


1) Ueber Kriterien der Anaphylaxie. Diese Wochenschr., 1912, 
Nr. 33. 


sich besonders bei Kopfbewegungen zu heftigem Schmerz steigert, 
eine Anschwellung der Schilddrüse ein, die sich zunächst 
meist auf einen Lappen beschränkt oder doch in demselben vor¬ 
herrschend ist. Selten ist anfangs der Isthmus betroffen. Das 
sieht man aus de Quervain’s Zusammenstellung; nur einmal 
unter 45 Fällen, soweit Angaben vorhanden, ist der Isthmus als 
der zunächst erkrankte Teil angegeben, währene Dünger (2) 
sechsmal unter sieben Fällen den Isthmus sogleich mit ergriffen 
fand. In der Zusammenstellung Robertson’s (3), 96 Fälle, 
findet sich keine nähere Angabe. Ich selbst habe sie unter 
II Fällen niemals auf den Isthmus beschränkt gefunden. Nach 
der Meinung de Quervain’s wäre bei dieser Lokalisation an die 
Entzündung eines kleinen median gelegenen Kropfknotens za 
denken; das scheint aber nicht zuzutreffen, da sich in Dunger’s 
Fällen ein solcher nach der Rückbildung nicht fand; sonst hätte 
er es wohl erwähnt. Die Grösse der Geschwulst hängt von der 
vorherigen Beschaffenheit des Organs ab; war dasselbe schon 
vorher leicht byperplastisch, so kann der einzelne Lappen die 
Grösse eines Hühnereis überschreiten und seitlich über die Kopf¬ 
nicker vorquellen, so dass bei Erkrankung der Gesamtdrüse diese 
die Gestalt eines Hufeisens annimmt. Immer ist die Schwellung 
recht druckempfindlich, auch spontan bei Kopfbewegung 
tritt Schmerz ein, so dass der Nacken besonders gestützt werden 
muss. Die Konsistenz der Drüse ist mehr derb als elastisch; 
die bedeckende Haut fühlt sich häufig wohl warm an, ist aber 
sehr selten gerötet und immer verschieblich, während die Luft¬ 
röhre und der Kehlkopf von der Geschwulst gleichsam umkrallt, 
fest mit ihr verbunden sind. 

Subjektiv bestehen neben dem Druck und Spannungsgefühl 
vor allem die schon erwähnten ausstrahlenden Schmerzen ins 
Ohr und Hinterhaupt, die auch in der Schulter empfunden werden. 
Daneben sind die Schlingbeschwerden charakteristisch, die 
manchmal einen sehr hohen Grad erreichen [Goldberger (4)], 
ebenso wie die Behinderung der Atmung, die in der Haupt¬ 
sache als mechanischer Effekt der festen Umklammerung der 
Luft- und Speiseröhre durch die entzündete Drüse anzusehen ist. 
Daneben besteht in vielen Fällen Heiserkeit und ein quälen¬ 
der Reizhusten mit leicht blutig gefärbtem Auswurf, herbei¬ 
geführt durch entzündliche Schwellung der Kehlkopf- und Luft- 
röhrenschleimhaut (Mygind). Mir ist es in einem solchen Falle 
leider nicht gelungen, die Luftröhre zu spiegeln, da infolge einer 
Recurrenslähmung und einer starken Hyperämie des Kehl¬ 
kopfes mit leichtem Oedem ein Einblick in die Tiefe verwehrt 
blieb. Diese Lähmung scheint nicht so selten zu sein; ich habe 
sie viermal unter 11 Fällen gefunden. Stein (5) hat sie nie ge¬ 
sehen und will auch von einem solchen Fall nichts gehört haben; 
ebensowenig von einer Kompression der Trachea. Das beweist 
natürlich bei der geringen Zahl seiner Beobachtungen gar nichts. 
Ein anhaltender Schaden für die Stimme, der zunächst eintritt, 
besteht nicht, da nach Ablauf der Entzündung der N. recurrens 
wieder seine Tätigkeit aufnimmt. Weit seltener als dieser Nerv 
ist das sympathische Nervengeflecht betroffen. Ausser 
dem Fall von Holz, bei dem Ptosis des Augenlides, Myosis 
und Aufhebung der Schweisssekretion infolge Lähmung des 
rechten Halsteils des Nerven durch den Druck des rechten 
Scbilddrüsenlappens hervorgerufen wurde 1 ), gehört hierher der Fall 
von Sterkmans (6). 

Alle diese Erscheinungen erreichen ihren Höhepunkt meist 
am Ende der ersten Woche, um dann nach und nach abzu- 
klingen. Das remittierende Fieber hört auf, die Hauptbeschwerden 
mindern sich wesentlich. Allerdings kann es bis zum vollen 
Verschwinden aller Erscheinungen noch wochenlang dauern. Aber 
immer ist im Auge zu behalten, dass bei einseitiger Er¬ 
krankung der gesamte Symptomenkomplex sich auf 
der anderen Seite wiederholen kann, weshalb man mit der 
Vorhersage vorsichtig sein muss. 

Wenn auch die Mehrzahl der Fälle in der geschilderten 
Weise sich abspielt, so ist nicht ausser acht zu lassen, dass die 
Krankheit einerseits milder verlaufen kann — leichtes oder auch 
kein Fieber, keine oder nur geringe Beschwerden von seiten der 
Atmung, der Deglutition und der ausstrahlenden Schmerzen — 
andererseits so hettig werden, dass sich der Prozess nicht rück- 


1) Anmerkung während der Korrektur: Herr Kollege Holz, der den 
Kranken auf meine Bitte neulich nach vielen Jahren wieder untersuchte, 
fand zwar die Schilddrüse gesund, aber noch immer eine wenn auch 
geringe Ptosis und Myosis sowie ein leichtes Eingesunkensein des Bulbus, 
der auch weicher als der linke ist. 


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5. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


885 


bildet, sondern zu Eiterung und selbst zu Gangrän führt. 
Das wurde besonders bei den pneumonischen und puerperalen 
Fällen, sowie bei denen nach Diphtherie und Erysipelas 
beobachtet. Auf diese will ich nicht weiter eingehen, weil sie 
ausserhalb des Bereichs dieser Arbeit liegen und am allerhäufig¬ 
sten nach Strumitis eintraten. Robertson (3) hat 96 Fälle 
analysiert, von denen 63 Thyreoiditis, 83 Strumitis waren. Von 
den letzten gingen 27 in Eiterung über, von den ersteren 13. 
Gangrän ist sehr selten und prognostisch ungünstig. 

Wenn wir auch klinisch den Unterschied zwischen nicht¬ 
eitriger und eitriger Thyreoiditis aufrecht erhalten, so muss doch 
erwähnt werden, dass Eiterung eintreten kann, ohne erkannt zu 
werden. In einem Fall von Breuer fand sich 7 Monate später 
bei der Autopsie ein kleiner Abscess mit eingedicktem Staphylo¬ 
kokkeneiter. 

Gehen wir nunmehr zur Aetiologie, so stossen wir zu¬ 
nächst auf die Frage, gibt es eine genuine primär auf¬ 
tretende Form, de Quervain bejaht sie vom klinischen 
Standpunkt, wenn er auch zugibt, dass eigentlich alle Formen 
metastatischer Natur seien. Da aber der primäre Herd sich 
häufig in keiner Weise zu erkennen gibt, so müsse die Trennung 
aufrecht erhalten werden. Dünger steht auf dem entgegen¬ 
gesetzten Standpunkt; ich bin überzeugt, dass ebenso wie sich z. B. 
das Feld der kryptogenetischen Pyämien immer mehr aufhellt, so 
auch in dieser Frage nach und nach mehr Klarheit herrschen 
wird. Als Beispiel führe ich einen Fall von Ausset (7) an: 
Ein Kind erkrankt an Thyreoiditis, ohne dass sich ein Grund an¬ 
geben lässt; drei Monate später erfolgt ein Rückfall, diesmal be¬ 
gleitet von akutem Rheuma des Ellbogengelenks. Ein weiterer 
Fall von Dünger betrifft ein Mädchen mit Ulcus ventriculi, bei 
dem plötzlich der Mittel- und dann der linke Lappen anschwellen. 
Diesen Fall könnte man primär nennen. Nun hat aber Kocher, 
allerdings für Strumitis, nacbgewiesen, dass Mikroorganismen, 
vom Darm her resorbiert, als ihre Urheber anzusprechen seien. 
Könnten dieselben nicht auch io Dunger’s Fall die Schuldigen 
sein? Meiner Meinung nach ist vorläufig als primär nur die 
durch Jod bedingte Thyreoiditis, sowie die traumatische — 
wenn es eine solche gibt — anzusehen, während es bei den 
anderen nicht anders steht, wie mit der Frage: Ist der akute 
Gelenkrheumatismus eine primäre Krankheit oder nicht? Die 
häufigste „primäre“ Thyreoiditis ist die rheumatische; 
mindestens ebenso häufig ist ihre Komplikation mit akutem 
Gelenkrheumatismus, de Quervain führt unter 63 Fällen 
ausser drei eigenen noch sieben aus der Literatur an, ebensoviel 
Robertson. Nächstdem scheinen Masern am häufigsten von 
ihr begleitet zu sein. Dem me hat bei einer Masernepidemie 
(224 Fälle) 15 mal das Auftreten von zum Teil beträchtlichen 
Anschwellungen und in der Folge hyperplastischen Veränderungen 
der vorher gesunden Schilddrüse beobachtet. Nicht minder häufig 
ist die Influenza die Ursache; leider lässt sich, da häufig Strumitis 
in den Krankengeschichten als Bezeichnung gewählt, wo offenbar 
Thyreoiditis gemeint ist, kein genaues Zahlenmaterial geben, 
de Quervain teilt sieben Fälle mit, Robertson zählt vier, 
Dünger zwei; ich selbst habe ebenfalls zwei beobachtet, die sich 
etwa eine Woche nach Ablauf von lüfiuenza unter hohem Fieber 
und derber Anschwellung des rechten Lappens entwickelten. 
Abfall des Fiebers nach 3 bzw. 5 Tagen; Rückkehr zur Norm 
innerhalb 14 Tagen. Fieberhaftes Recidiv in dem einen Fall 
linksseitig mit Recurrenslähmung. Vollständige Wiederherstellung. 
Auch die Angina gehört zu den Krankheiten, denen sich die 
akute Thyreoiditis nicht selten anzuschliessen pflegt. Gewöhnlich 
ist der Verlauf ein leichter, de Quervain teilt vier, Robert¬ 
son drei Beobachtungen mit; ich (8) selbst habe neun solche 
Fälle beobachten können, eine verhältnismässig sehr grosse Zahl, 
wohl einerseits infolge meines speziellen Berufs, andererseits 
durch den Umstand bedingt, dass ich in jedem Fall von Angina 
die Schilddrüse untersuche und mich nicht begnüge, die Be¬ 
schwerden allein durch die Angina zu erklären. Bei Diphtherie 
ist nur einmal eine akute nicbteitrige Thyreoiditis von Brieger 
beschrieben worden, ebenso wie bei Erysipelas von Mygind, 
bei Parotitis von Servier, bei Orchitis von Eulenburg, 
von Barlow bei Erythema nodosum. In der Mehrzahl der 
Fälle von Diphtherie und Erysipelas geht, ebenso wie bei den 
pneumonischen und puerperalen Fällen, wie schon erwähnt, der 
Prozess in Eiterung über. Nach Lecene und Metzger (9) ist 
die puerperale Thyreoiditis eine seltene Komplikation. Der 
Typhus befällt mit Vorliebe Kröpfe und führt in der Regel zur 
Eiterung. Sehr interessant ist die Kombination von Malaria 


und akuter Thyreoiditis; solche Fälle haben unter anderen Zesas 
und Charcot mitgeteilt. Auch die Verbindung mit Syphilis 
ist nicht zu vergessen; nach Engel-Reimers ruft diese Krank¬ 
heit in ihrer Frühperiode Anschwellung der Schilddrüse hervor. 
Ich erwähne ferner die Alteration der Schilddrüse infolge Jod- 
gebrauchs. Seilei (10), Gundorow (11), ich (12) u. a. haben 
solche Fälle mitgeteilt. Interessant ist das von Dünger mitge¬ 
teilte Recidiv einer Thyreoiditis nach Gebrauch von Syr. ferri 
jodat. 

Ich komme nunmehr zu einem Gebiet, das noch der weiteren 
Forschung bedarf. Es ist der Zusammenhang der Erkrankung 
der Schilddrüse mit Anämie und Chlorose. Da diese Kombi¬ 
nation mir nur beim weiblichen Geschlecht aufgefallen ist, so 
könnte man an eine einfache Hyperämie oder leichte diffuse 
Hyperplasie denken, wie so häufig bei Menstruation und Gravi¬ 
dität, wenn nicht der spontane Schmerz, die plötzlich auftretende 
Druckempfindlichkeit, die häufige Beschränkung auf nur einen 
Teil der Drüse, der wenn auch seltene Beginn mit leichtem 
Fieber an eine wahre Entzündung denken Hesse. Diese Fälle 
gehören bei nötiger Obacht nicht zu den Seltenheiten. Auch 
der Zusammenhang der akuten Thyreoiditis mit Lungentuber¬ 
kulose ist von Bedeutung, weil er zur Klärung der Frage 
nach dem Zusammenhang der Thyreosen mit Lungen¬ 
tuberkulose beitragen könnte. Hufnagel (13) hat sie zuerst 
angeregt, und verschiedene Autoren, wie v. Brand enstein (14), 
Bialokur (15), Poncet und Leriche(16), Saathoff (17) u. a., 
haben sich mit derselben beschäftigt. Man hat der Tuberkulose 
eine wesentliche ursächliche Rolle für die Entstehung der Thyre¬ 
osen einschliesslich des Morbus Basedowii zugesprochen. Meist 
handelt es sich um beginnende prognostisch günstige Formen der 
Tuberkulose, bei denen die Erkrankung der Schilddrüse auftritt, 
die nach Besserung der Tuberkulose mit ihren Symptomen wieder 
schwinden kann. 

Ferner wird als ätiologisches Moment für die akute Thyreo¬ 
iditis das Trauma erwähnt, de Quervain glaubt, dass es sich 
bei den bisher mitgeteilten Fällen eher um Blutungen in die 
Drüse gehandelt habe. Der neueste von Burk (18) mitgeteilte 
Fall — Druck des hohen Kleiderkragens beim langanhaltenden 
Schreiben — scheint mir auch als Blutung in die Drüse 'auf¬ 
gefasst werden zu müssen. 

Prädisponiert für die Erkrankung ist das weibliche Ge¬ 
schlecht, und zwar stimmen die Beobachter, welche über 
grössere Zahlenreihen verfügen, überein, dass die meisten Fälle 
zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr Vorkommen. Meine Beob¬ 
achtung betraf nur weibliche Personen in diesem Alter. Daraus 
geht hervor, dass die Zeit, in der das weibliche Geschlecht sich 
am allerwenigsten im genitalen Gleichgewicht befindet, der Er¬ 
krankung am öftesten unterliegt. 

Die Diagnose ist im allgemeinen leicht zu stellen, wenn 
die Aufmerksamkeit des Beobachters nicht durch die Symptome 
des begleitenden Leidens abgelenkt wird. Differential diagnostisch 
kämen in Frage: 

1. Die akute diffuse Hyperplasie, welche oft in der 
Pubertät auftritt, die Menstruation und Gravidität häufig begleitet, 
bei der Anämie und Chlorose nicht selten ist. Aber diese ist 
weder von Fieber und Schmerzen begleitet, noch pflegt sie in 
Kürze zu verschwinden. 

2. Lymphdrüsenentzündungen und Phlegmonen der 
Umgebung. Eine genaue Untersuchung wird um so eher vor 
einer Verwechslung schützen, als die äussere Haut bei der Thyreo¬ 
iditis fast immer unbeteiligt ist. 

3. Blutungen. Diese sind besonders bei der Struma nodosa 
nicht selten; es gibt kleine Kropfknoten, dem Träger vorher gar 
nicht bekannt, da sie keine Erscheinungen machen. Durch eine 
plötzlich in dieselben eintretende Blutung wird eine starke Aus¬ 
dehnung des Isthmus oder eines Lappens hervorgerufen. Tritt 
eine solche Blutung, was nicht so ganz selten vorkommt, im 
Verlauf einer Angina oder einer Infektionskrankheit mit heftiger 
Atemnot auf, so ist zunächst eine genaue Diagnose kaum zu 
stellen; aber es ist im Auge zu behalten, dass alle Beschwerden 
bei einer Blutung plötzlich erscheinen, rasch ihren Höhepunkt 
erreichen, kaum ausstrahlende Schmerzen auslösen, erst bei der 
Resorption leicht fieberhaft werden und in Bälde vorübergehen. 
Aehnlich verhält es sich bei Blutungen in die gesunde 
Schilddrüse; dass trotzdem in der Auffassung des jeweiligen 
Falles, ob Blutung, ob Entzündung, sich verschiedene Meinungen 
geltend machen, zeigt die Literatur. Todesfälle sind nur bei 

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836 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18. 


Kropfblutung beobachtet worden. Bruening (19) zählt vier 
Fälle auf. 

4. Bösartige, rasch wachsende Geschwülste. Wenn 
sich solche vornehmlich auf strumösem Boden entwickeln, so 
kommen in der gesunden Schilddrüse besonders Sarkome vor. 
Immer wird eine genaue Anamnese und Untersuchung zum Ziel 
führen; die bösartige Geschwulst ist weit derber, die Abgrenzung 
gegen die Nachbarschaft nicht so ausgesprochen; Verwachsungen 
mit der Umgebung, Lymphdrüsenschwellung geben einen Finger¬ 
zeig für die Diagnose. 

5. Strumitis. Für die Differentialdiagnose ist die Herkunft 
und die Anamnese des Kranken von grosser Bedeutung. Stammt 
dieser aus einer Kropfgegend, so ist eine Strumitis um so wahr¬ 
scheinlicher, als in dieser Cysten und kleine Knoten der Schild¬ 
drüse so häufig sind, dass, wie de Quervain berichtet, sich 
Kocher nicht erinnert, eine reine Thyreoiditis gesehen zu haben. 
Immerhin ist es nötig, auch objektiv zu einem Resultat kommen 
zu können. Niemals wird bei der Thyreoiditis die Schilddrüse 
solche Dimensionen annehmen, wie wir sie häufig beim Kropf 
finden; niemals wird sich beim Kropf das plastische Bild des 
Hufeisens so ausgesprochen zeigen wie bei der allgemeinen 
Thyreoiditis; Verwachsungen mit der Nachbarschaft sind beim 
Kropf die Regel, während sie bei der Thyreoiditis fehlen. Ist 
der Kropf und nicht nur ein Knoten in ihm entzündet, so ist 
seine Gesamtheit betroffen, während bei der Thyreoiditis häufig 
nur ein Lappen ergriffen ist und öfters erst nach seiner Rück¬ 
bildung ein anderer Teil erkrankt. Diese Unterscheidung ist 
wichtig, weil die Strumitis weit eher zur Vereiterung führt als 
die Thyreoiditis. Unter den 96 Fällen Robertson’s war, wie 
schon erwähnt, 33mal Strumitis; von diesen 33 vereiterten 27, 
während von den 63 Fällen von Thyreoiditis nur 13 in Eiterung 
übergingen. 

Die Prognose der akuten nichteitrigen Thyreoiditis 
ist günstig. Es werden allerdings in der Literatur zwei 
direkte Todesfälle — Lebert und Weitenweber — an¬ 
geführt, denen ich noch einen dritten, den Sterckmans’ (6), an- 
schliessep kann. Der Fall von Lebert kommt nicht in Betracht, 
da die Sektion eine nichteitrige Strumitis erwies. Bei den beiden 
anderen fehlt die Sektion. Der Fall von Weitenweber betraf 
einen 17jährigen an „Blähhals“, also Struma, leidenden Menschen, 
der im Anschluss an gastrisches Fieber unter erneuter Temperatur¬ 
steigerung an schmerzhafter Schwellung der vorher nur un¬ 
bedeutend vergrösserten Schilddrüse mit Atem- und Schling¬ 
beschwerden und Heiserkeit erkrankte. Es wurde eine durch 
Zurücktreten des „Krätzeexanthems“ bedingte akute Schilddrüsen¬ 
entzündung diagnostiziert, der der Kranke durch Erstickung erlag. 
Wahrscheinlich handelte es sich um Strumitis bei Typbus, die 
wie gewöhnlich bei diesem eitrig war; der Fall rührt aus dem 
Jahre 1845 her. Der neueste stammt aus dem Jahre 1912 und 
erstickte ebenfalls; nach einer Angina entstand bei einem 
28jährigen Manne eine Anschwellung besonders des linken 
Lappens der Schilddrüse mit Parese der Stimmbänder, erschwerter 
Deglutition, Atembeschwerden und linksseitigem Exophthalmus. 
Dieser Zustand hielt etwa 6 Wochen an und führte unter schweren 
Respirationsstörungen nach einem heftigen Erstickungsanfall zum 
Tode. Da keine Sektion vorliegt, ist schwer zu sagen, ob Eiterung 
bestand, ob der Kranke durch Kompression der Luftröhre oder 
durch Lähmung der Stimmbänder zugrunde ging. Jedenfalls ist 
bisher kein einwandfreier Fall von akuter nichteitriger 
Thyreoiditis ohne weitere Komplikation tödlich verlaufen. 
Das muss gegenüber den zwei Todesfällen, die in der Literatur 
von einem Autjor zum anderen übergehen, einmal festgestellt 
werden. 

Wenn also die Prognose in dieser Hinsicht eine günstige 
ist, so muss doch eine gewisse Vorsicht bei ihrer Stellung 
geübt werden, weil es zweifellos Fälle gibt, in denen sich an 
die Thyreoiditis die Basedowsche Krankheit an¬ 
geschlossen hat. Diesen Uebergang erklärt de Quervain 
durch die Annahme einer durch die Entzündung der Schilddrüse 
bedingten anhaltenden Neigung des Epithels zu Wucherung und 
zur Bildung eines abnormen Kolloids. Hierdurch wird die Funktion 
der Schilddrüse verändert. Bei der Wichtigkeit dieser Kompli¬ 
kation seien die einzelnen Fälle genannt. Ganz sicherest der 
Fall von Gilbert und Castagne. Ein löjähriges Mädöben 
macht nach Typhus eine leichte ThyreoiditÄ durch und erkrankt 
4 Wochen später an den ersten Symptomen eines später gatiz 
offenbaren Morbus Basedowii. Der -zweite rührt von c Reinhold 
her, bei dem sich im Anschluss an Influenza eine akute Thyreo¬ 


iditis — vom Verfasser Strumitis genannt, entwickelte. Drei 
Monate später Morbus Basedowii. Der dritte, von Bauer, lautet: 
Bei einem vorher gesunden 43jährigen Manne, nicht nervös, aus 
gesunder Familie, entwickelt sich im Anschluss an eine an¬ 
scheinend einfache akute Thyreoiditis ein typischer schwerer 
Morbus Basedowii. Die Krankheit führte nach einem halben 
Jahre, zuletzt unter dem Bilde einer akuten Psychose, zum Tode. 
Bei der Sektion fand sich ein mit eingedicktem Staphylokokken¬ 
eiter gefüllter Abscess in der Schilddrüse. Im vierten Falle 
(de Quervain) litt die Patientin wiederholt und schwer an 
akutem Gelenkrheumatismus mit Endocarditis. Seit mehreren 
Jahren ist die rechte Halsseite etwas druckempfindlich; der rechte 
Lappen ist leicht diffus vergrössert, von etwas festerer Konsistenz 
als der linke. Leichte, nicht zu bezweifelnde Basedowerscheinungen 
stellten sich in der Folge ein. Als fünften reihe ich den Fall 
von Apelt (20) an. Etwa 3 Wochen nach einem im rechten 
Sinus pyriformis aufgetretenen Abscess entwickelte sich eine akute 
Thyreoiditis. Kurze Zeit nach Abklingen des akuten Prozesses 
sind die ersten Basedowsymptome aufgetreten, welche sich nach 
und nach vermehrten. Unter dem Einfluss einer rein expektativen 
Behandlung schwinden zunächst die Augensymptome, nach einem 
halben Jahre die Tachycardie, der Tremor. Gleichzeitig schwoll 
die Schilddrüse ab. 

Von diesen Fällen sind unzweifelhaft der erste, zweite 
und fünfte die Folge eiuer akuten nicht eitrigen 
Thyreoiditis, der dritte die Folge einer eitrigen; den 
vierten würde ich auf eine Struma beziehen. 

Diese Fälle verhalten sich denjenigen sehr ähnlich, welche 
nach Jodgebrauch bei Struma ausgesprochene Symptome 
des Morbus Basedowii darbieten. Trousseau, der diese 
Verhältnisse schon kannte, glaubte, dass es sich um Individuen 
handelte, die schon vorher mit Morbus Basedowii behaftet waren, 
bei denen aber erst das Jod die Symptome auslöste. Spätere 
Autoren, wie Horsley, Moebius u. a., führen sie aber auf die¬ 
selbe Grundlage zurück wie den „echten“ Morbus Basedowii. 
Th. Kocher (21) hält den Jodbasedow für einen echten, bei 
dem sogar im weiteren Verlauf Exophthalmus auftreten kann.. 

Ich mache diesen Nebenexkurs, weil, wie schon vorher er¬ 
wähnt, auch die anscheinend gesunde und die zur Norm zurück¬ 
gekehrte Schilddrüse auf Jod mit Entzündung bzw. Erneuerung 
derselben reagieren kann. Das ist für die Therapie von grosser 
Wichtigkeit. Es gilt noch vielfach das alte Dogma von der 
Wirksamkeit des Jods bei Schilddrüsenerkrankungen. Wie ge¬ 
fährlich diese Medikation unter Umständen werden kann, haben 
die obigen Erörterungen gezeigt. Im allgemeinen ist die 
Behandlung eine symptomatische. Man wird bei grosser 
Schmerzhaftigkeit lokal die Kälte anwenden, bei Schling- und 
Atembeschwerden Morphium oder Pantopon subcutan. Für die 
Anwendung anderer Heilmittel wird die Hauptkrankheit maass¬ 
gebend sein. Immerhin hat die Erfahrung ergeben, dass die 
Salicylsäure und ihre Derivate nicht nur bei den rheumatischen 
Formen von Nutzen sind. Natr. salicyl. Diplosal, Aspirin u. a. 
innerlich, lokal Spirosal in Oel gelöst (10 pCt.) werden sich wirk¬ 
sam erweisen. Bei der Malariathyreoiditis ist Chinin das gegebene 
Heilmittel, Arsen und Eisen bei der durch Anämie und Chlorose 
bedingten. Selbstverständlich wird man bei Jodthyreoiditis das 
schädigende Medikament weglassen. 

Ein operatives Vorgehen ist bei der akuten nicht eitrigen 
Thyreoiditis nicht notwendig. Wenn aber Erstickungsgefahr ein- 
treten sollte, so ist selbstverständlich der schuldige Drüsenteil 
zu entfernen, de Quervain und Haegier haben in je einem 
Fall auf diese Weise das bedrohte Leben gerettet. Es dürfte 
nicht Vorkommen, dass der Erkrankte erstickt, wie es noch im 
Jahre des Heils 1912 in dem Fall Sterckmans’ (6) gewesen ist. 
Wie bei eingetretener Eiterung die Behandlung zu gestalten ist, 
das liegt ausser dem Bereich dieser von der Redaktion angeregten 
Arbeit. 1 • 


Literatur. 

1. F. de Quervain, Die akute nicht eitrige Thyreoiditis. Mitteil, 
a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., 1904, 2. Supplementband. Die ge¬ 
sammelte Literatur bis 1904 ist hierselbst angeführt. — 2.' Dünger, 
Ueber akute nicht eitrige Thyreoiditis. Münchener <med. Wochenschr., 
1908, Nr. 36j — 3. Robertson, Die akute Entzündung der Glandula 
thyreoidea. Monthly Cyclopedia, Mai 1911, Lancet, 8. April 1911. — 
4. Goldberger, Zwei Fälle von primärer Tlqrreoiditis acuta. Wiener 
med. Woehenschr.,J910, Nr. 32. —? 5. Steint, Akute Entzündung der 
Schilddrüse. The Laryngoscope, August 1912. — 6. Sterckmans* 
Bericht über einen tödlichen Fall kongestiver Thyreoiditis. Annal. des 


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Original frorn 

UNIVERSUM OF IOWA 





5. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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malad, de l’oreille, du larynx etc., 1912, livr. 8. — 7. Ausset, Rheu- 
matische Thyreoiditis. Sociötö de Pädiatrie, 18. April 1907. — 
8. Lublinski, Ueber die Komplikation der Angina mit akuter Thyreo¬ 
iditis. Diese Wochenschr., 1908, Nr. 14, und Wiener med. Wochenschr., 
1910, Nr. 42. — 9. Lecene und Metzger, Die akute Thyreoiditis im 
Verlauf der puerperalen Infektion. Annal. de gynöcologie etc., Februar 
1910. — 10. Seilei, Archiv f. Dermatol, u. Syph., Bd. 64, H. 1. — 
11. Gundorow, Beitrag zur Frage der Thyreoiditis jod. acuta. Arch. 
f. Dermatol, u. Syph., Bd. 77 u. 89. — 12. Lublinski, Jodismus acutus 
und Thyreoiditis acuta. Deutsche med. Wochenschr., 1906, Nr. 8. — 
13. Hufnagel, Basedow im Anschluss an tuberkulöse Erkrankungen. 
Münchener med. Wochenschr., 1908, Nr. 46; Schilddrüsenerkrankungen 
auf tuberkulöser Grundlage usw., ebenda, 1912, Nr. 25. — 14. v. Branden- 
stein, Basedowsymptome bei Lungentuberkulose. Diese Wochenschr., 
1912, Nr. 39. — 15. Bialokur, Basedowsymptome als Zeichen tuber¬ 
kulöser Iofektion. Zeitschr. f. Tuberkul., Bd. 16, H. 6. — 16. Poncet 
und Leriche, Entzündliche Tuberkulose und Schilddrüse. Gaz. des 
höp., 1909, Nr. 148. — 17. Saathoff, Thyreose und Tuberkulose. 
Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 5. — 18. Burk, Ueber einen 
Fall von akuter recidivierender Thyreoiditis. Münchener med. Wochen¬ 
schrift, 1908, Nr. 41. — 19. Bruening, Ueber Kropfblutung. Archiv 
f. klin. Chir., Bd. 91. — 20. Apelt, Ein Fall von Basedow’scher Krank¬ 
heit im Anschluss an nicht eitrige Thyreoiditis acuta. Münchener klin. 
Wochenschr., 1912, Nr. 41. — 21. Th. Kocher, Ueber Jodbasedow. 
Archiv f. klin. Chir., Bd. 92. 


Bücherbesprechungen. 

Terminologie der Entwieklnngsmeehanik der Tiere vnd Pflanzen. 

In Verbindung mit C. Correns, Prof, der Botanik in Münster; 

Alfred Fisohel, Prof, der Anatomie in Prag; E. Küster, Prof. 

der Botanik in Bonn. Herausgegeben von Prof. Wilhelm Ronx. 

Leipzig 1912. Preis 10 M. 

Verschiedene der Medizin verwandte Zweige der Wissenschaft haben 
sioh allmählich so entwickelt, dass sie sich einer eigenen Sprache be¬ 
dienen, die in der allgemeinen Nomenklatur der Medizin sonst nicht ent¬ 
halten ist ln diesen Wissenschaften hat es sich als praktisch erwiesen, 
besondere Kunstausdrücke zu bilden für komplizierte Begriffe, und Worte, 
die auch sonst verständlich wären, in einem ganz bestimmten Sinne zu 
gebrauchen. Die Entwicklungsmechanik gehört zu diesen Zweigen der 
Wissenschaft. Ja, nicht bloss das, sie ist allmählich einer der hervor¬ 
ragendsten Teile der allgemeinen Biologie geworden, der die einzelnen 
Zweige derselben durchdringt. Für alle diejenigen, die sich nun mit 
der Entwicklungsmechanik selbst nicht ausführlich beschäftigt haben, 
wird es immer schwieriger dieser speziellen Terminologie zu folgen und 
sie sich einzuprägen. Das vorliegende Werk erweist sich deswegen als 
ein Bedürfnis für alle diejenigen, die entwioklungsmechanische Unter¬ 
suchungen selbst, sowie auch Untersuchungen über Entwicklungs¬ 
geschichte, Vererbung usw. lesen und studieren wollen. Wie 
umfangreich diese Terminologie geworden ist, geht daraus hervor, 
dass das vorliegende Lexikon auf 465 Seiten alle diejenigen Stich¬ 
worte gesammelt aufweist, die nicht ohne weiteres verständlich 
sind und die in der Entwicklungsmechanik eine bestimmte Deutung 
bekommen haben. Die einzelnen Worte sind kurz erklärt, und es finden 
sioh Hinweise auf diejenigen Autoren, die die Worte zuerst erfunden und 
angewandt haben. 

Das Werk zeichnet sich nicht nur durch eine ausserordentliche Voll¬ 
ständigkeit aus, sondern ist auch ein Muster, wie ein solches Lexikon 
der Terminologie verfasst werden muss. Trotz der Kürze der Erklärungen 
wird man kein Stichwort vergebens aufschlagen, ohne vollkommen Auf¬ 
klärung darüber zu erlangen. Das Werk dient als Ergänzung zu den 
Wörterbüchern der Biologie, der Zoologie und Medizin sowie zu denLehr- 
und Handbüchern der Entwicklungsmechanik der allgemeinen Biologie 
und Physiologie. Daraus ergibt sich der weite Leserkreis, für den das 
Buoh bestimmt ist. v. Hansemann. 


Hermann Schall: Der menschliche Körper and seine Krankheiten. 

Eine populäre Darstellung für die gebildeten Laien und Ein¬ 
führung für Mediziner und Krankenpfleger. Stuttgart 1912. 
J. B. Metzler’sche Buchhandlung. 

Der Zweck des vorliegenden Buches ist die Darstellung der Physio¬ 
logie und Pathologie des Menschen für gebildete Laien, für Studierende 
der Medizin und für ärztliches Pflegepersonal. Der Verf. sagt selbst in 
seinem Vorwort: „An Büchern populär-medizinischen Inhalts ist kein 
Mangel/ Indes soll uns diese Tatsache nicht verhindern, Freude zu 
empfinden bei jedem Versuch, in weiteren Kreisen das Verständnis für 
dieses interessante Gebiet der Biologie zu fördern. 

Der Verf. gibt zunächst einen kurzgefassten Abriss der Anatomie, 
deren Kenntnis für das Nachfolgende unerlässlich ist. Sodann behandelt 
Schall in knapper, leichtverständlicher Weise im allgemeinen Teil die 
normalen Lebensvorgänge, ihre Beeinflussung durch erbliche Veranlagung, 
durch Krankheitserreger usw. und den krankhaften Ablauf dieser Vor¬ 
gänge, wie er auch durch diß vorgenannten Schädigungen veranlasst 
wird. Der spezielle TeiP beschäftigt sich mit den Störungen des Kreis¬ 
laufs, der Atmung, der Ernährung und den Krankheiten des Nerven¬ 
systems. 


Dem Buch ist eine grosse Anzahl von Abbildungen beigegeben, die 
zum Teil recht schematisiert, aber gerade deswegen für den Gebrauch 
des Laien gut geeignet sind. Eine Erklärung der wichtigsten Fremd¬ 
wörter bildet den Schluss des Buches, das recht geeignet erscheint, bei 
dem ihm zugedachten Leserkreis aufklärend und belehrend zu wirken. 


J. B. Berkart: On broichial asthma, its pathology and treatment. 

Third edition. Henry Frowde. Oxford university press. 146 S. 

Dass das bekannte Büchlein seinen Umfang gegen die früheren 
Ausgaben nicht vermehrt, sondern verkürzt hat, zeigt, dass der Autor 
seine Ansichten für so bewiesen hält, dass sie der Stütze durch aus¬ 
führlicheres kasuistisches Material entbehren können. 

Von den theoretischen Ansichten des Autors über „die paroxysmale 
Dyspnoe, welche gewöhnlich Asthma genannt wird“, interessiert uns 
hauptsächlich, dass erden Bronchiolenkrampf im Asthmaanfall voll¬ 
kommen in Abrede stellt. Wir sind so daran gewöhnt, diesen Krampf 
als wichtigen — wenn nicht wichtigsten — Bestandteil des Asthma¬ 
anfalls anzusehen, dass wir leicht vergessen, dass es sich um eine 
Hypothese handelt, die allerdings viel Wahrscheinlichkeit hat. Jeden¬ 
falls darf die Ansicht eines so ausgezeichneten und erfahrenen Praktikers 
wie Berkart nicht unbeachtet bleiben, und es wäre sehr zu wünschen, 
dass stringente Beweise für oder gegen das Vorkommen des Broncho¬ 
spasmus erbracht würden. 

Nach B. zeigen alle Asthmatiker körperliche Abnormitäten. Sehr 
häufig ist überstandene Rachitis als Ursache des Asthmas anzusehen, 
wobei Verf. daran erinnert, dass auch in den Fällen, bei welchen die 
Knochen später wieder ziemlich normale Form angenommen haben, 
durch die überstandene Krankheit das Knochenmark abnorm funktionieren 
und krankhafte Erscheinungen hervorrufen kann. In 16pCt. der Fälle 
des Verf. lag Heredität vor; in 60pCt. der Falle reichte der Beginn des 
Asthmas in das erste Lebensjahrzehnt zurück. B. beweist an der Hand 
seiner Zahlen, dass zwar nur ganz ausnahmsweise Asthmatiker in oder 
am Anfall sterben, dass aber das Asthma, namentlich wenn es bis in 
die Kindheit zurückreicbt, das Leben wesentlich abkürzt. 

Etwa zwei Fünftel des Buches sind der Therapie gewidmet. Dass 
soviel Asthmatiker Opfer der Kurpfuscher werden, erklärt B. damit, 
dass diese skrupellos bedenkliche und direkt gefährliche Mittel an wenden, 
um den Anfall zu coupieren. Dafür ist der Kranke dankbar; dass 
Strammonium, Atropin, Hyoscin, Morphin usw. auf den Verlauf seiner 
in älteren Fällen immer bestehenden Lungen-, Herz- und Nervenkrank¬ 
heit ungünstig einwirken, weiss er nicht (der Kurpfuscher vielleicht auch 
nicht). Aber tatsächlich richtet der Kurpfuscher auch hier schweren 
Schaden an dadurch, dass durch seine Scheintherapie kostbare Zeit für 
eine wirklich erfolgreiche Behandlung verloren geht. 

Verf. behandelt schwere Fälle zunächst immer mit Bettruhe, eventuell 
Freiluftliegekur. Er verwendet auf die Behandlung von Hals- und 
Nasenleiden grosse Sorgfalt, da diese oft Gelegenheitsursachen für die 
Entstehung von Asthmaanfällen geben. Nasenoperationen sollen nur 
bei wirkliche^ Indikationen (Atmungshindernis) vorgenommen 
werden. Im übrigen wird das gesamte Armamentarium der modernen 
Therapie einschliesslich Diphtherieheilserum (zur Lösung der in den 
Bronchien gelagerten Fibringerinnsel) angewandt 

Dem Büchlein liegt eine aussergewohnlich ausgedehnte Erfahrung 
zugrunde, und es enthält auch für den, der nicht in allen Punkten mit 
dem Autor übereinstimmt, sehr viel Interessantes. Eine deutsche Üeber- 
setzung würde voraussichtlich guten Absatz finden. 

H. E. K n op f - Frankfurt a. M. 


Di Gupero-Graz: Hj sterische Lähmungen, Studien über ihre Patho¬ 
physiologie and Klinik. Mit 38 Figuren im Text und auf einer 
Tafel. (Aus „Monographien auf dem Gesamtgebiete der Neuro¬ 
logie und Psychiatrie“, herausgegeben von Alzheimer und 
Lewandowsky. Heft 3.) Berlin 1912, Verlag von Julius 
Springer. 174 S. Preis 8,50 M. 

Der Verf. dieser für Fachleute sehr interessanten Studie geht von 
der Tatsache aus, dass manche Kapitel der Hysterie, speziell der 
hysterischen Lähmungen einer eingehenden Revision bedürfen. Namentlich 
hirnphysiologische Untersuchungen hierzu fehlen fast ganz und hier 
setzen Di Gaspero’s Studien ein, welche sich neben der Darstellung 
der klinischen Eigentümlichkeiten der hysterischen Lähmungen die Er¬ 
forschung der Pathophysiologie derselben zum Ziele setzen. Dies ge¬ 
schieht durch Untersuchung der Blutverschiebungsverbältnisse, d. h. 
durch die plethysmographische Methode an hysterisch gelähmten Gliedern 
und zum Vergleich damit an organisch gelähmten, sowie an gesunden 
Extremitäten. Die gestellte Aufgabe ergibt von selbst die Scheidung- 
des Stoffes in zwei Teile, einen klinisch-symptomatologischen mit den 
Ergebnissen bezüglich der nosologischen Stellung, der Pathologie und 
Pathogenese solcher Lähmungen, und einen experimentellen Teil mit 
umfangreichem Kurvenmaterial, methodologischen Auseinandersetzungen 
und tabellarischen Auswertungen. Verf. kommt u. a. zu dem Schlüsse, 
dass es funktiouelle motorische Lähmungen an den Extremitäten gibt, 
welche nichts mit autosuggestiven Lähmungsvorstellungen, mit einer 
psychogenen Entstehung zu tun haben, also ausserhalb des heute noch 
überwiegend geltenden Hysteriebegriffes stehen und doch klinische 
Merkmale der Hysterie aufweisen; üie sollen als hysteriforme 
Lähmungen bezeichnet werdefi und unterscheiden sich schon nach 
ihrer Aetiologie von den echt hystensohen, psychogenen Lähmungen, 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18. 


indem sie gewöhnlich auf ein mechanisches Trauma zurückzuführen 
sind. Klinisch charakterisieren sie sich u. a. durch ein Ausbleiben der 
körperlichen Aeusserungen psychischer Zustände auf vasomotorischem 
Gebiet (sphygmograpbisch festzustelleo), also eine gleichzeitige vaso- 
vegetative Lähmung. Diese höchst merkwürdigen Lähmung9- oder 
HemmuDgsvorgänge auf dem Gebiete der Yasomotilität, welche bei 
organisch bedingten Extremitätenlähmungen nicht konstatiert werden, 
sind als integrierende Haupterscheinung seitens der Pathophysiologie und 
Symptomatologie der hysteriformen Lähmungsvorgänge zu betrachten. 


Robert Sommer - Giessen: Klinik für psychische nnd nervöse 
Krankheiten. 7. Bd., H. 4. Halle a. S. 1912, Carl Marhold, 
Verlagsbuchhandlung. Preis 3,00 M. 

Das 4. Heft des 7. Bandes der Sommerischen „Klinik“ enthält u. a. 
den Schluss des Berichts über den 2. Kurs mit Kongress für Familien¬ 
forschung, Yererbungs- und Regenerationslehre in Giessen (April 1912), 
einen psychologisch und psychiatrisch interessanten Aufsatz von 
K. v. Leupoldt über „Das Diktat als psychopathologische Unter¬ 
suchungsmethode“ und eine Mitteilung von W. H. Becker: „Ist die 
Dementia praecox heilbar?“, welche gleich wie die hierzu gemachte Mit¬ 
teilung von Sommer die Schwierigkeiten der Diagnose und besonders 
der Prognosenstellung der Dementia praecox illustriert. 


L. LSwenfeld-Müochen: Bewusstsein and psychisches Geschehe!. 
Die Phänomene des Unterbewusstseins nnd ihre Rolle in 
unserem Geistesleben. (Heft 89 der „Grenzfragen des Nerven- 
und Seelenlebens“, herausgegeben von L. Löwenfeld.) Wies¬ 
baden 1913, Verlag von J. F. Bergmann. (94 Seiten. Preis 
2,80 M.) 

Im ersten Kapitel dieser kritischen Studie untersucht L. Löwen- 
feld nach einer kurzen historischen Revue der Ansichten anderer 
Autoren die Frage, wie sich Bewusstsein und Psyche zueinander 
verhalten und welche Rolle das Unterbewusstsein in unserem Geistes¬ 
leben spielt. Die Lehre vom Unterbewusstsein wird breit erörtert und 
fundamentiert, seine Grösse, Leistungen, Beziehungen zum Oberbewusst¬ 
sein, zu Intelligenz, Gefühl usw. werden so ausführlich wie möglich dis¬ 
kutiert, und die Vertreter der Identität von Psychisch und Bewusst 
werden bekämpft, nicht ohne die vom Verf. gezeigte Möglichkeit einer 
Verständigung zwischen den Nur-Bewu3sten und den Auch-Unterbewussten. 
Nachdem so die Bedeutung des Unterbewusstseins, die diesbezüglichen 
Theorien und Gegenansichten einer eingehenden Beleuchtung unter¬ 
zogen sind und als Ergebnis festgestellt ist, dass es zwar kein Doppel- 
Ich, aber sicher ein gleichzeitiges Nebeneinander von Ober- und Unter¬ 
bewusstsein gibt, folgt ein kürzeres zweites Kapitel über Gedächtnis, 
Unterbewusstsein und Hypnose. Hier bespricht L. das, was wir 
vom Wesen des Gedächtnisses wissen bzw. nicht wissen, die Haupt¬ 
theorien, die Einteilbarkeit des Gedächtnismaterials in vier Gruppen, je 
nach der Reproduktionsfähigkeit, die dabei vom Unterbewusstsein ge¬ 
spielte Rolle, die bezüglichen Erscheinungen bei posthypnotischen 
Suggestionen, psychopathischen Zuständen (Hysterie, Epilepsie, Rausch), 
im Traum und in der Hypnose. In den Schlussbemerkungen fasst L. 
das Wesentliche seiner Untersuchungen nochmal zusammen: es ist 
herzlich wenig, was dabei herauskommt. Denn, stellst Du die psycho¬ 
logische Perspektive so ein wie Möbius, so besteht „Hoffnungslosigkeit“, 
stelltst Du sie weniger vermessen auf ein niedrigeres Niveau — und es 
bleibt uns nichts anderes übrig —, so kannst Du höchstens manche Pro¬ 
bleme lösen. Im konkreten Fall L.’s lautet die Lösung: Psychisch 
und Bewusst sind inkongruent. Der Möbius’schen Perspektive würde 
dies als „Kleinkram“ erscheinen. Indessen, man muss sich begnügen. 
Mehr wird die Psychologie der Zukunft (so etwa schliesst L. seine 
interessanten Ausblicke) erreichen, wenn sich die beiden Haupt¬ 
richtungen, die „allgemeine Psychologie“ und die „Tiefenpsychologie“ 
(Freud, Bleuler, Jung usw.), nicht mehr bloss gegenseitig dis¬ 
kreditieren, sondern abschleifen und ergänzen. W. Sei ff er. 


A. Dührssen: Gynäkologie. Berlin 1913, Verlag von S. Karger. 

10. Auflage. 

Nachdem die 1909 erschienene 9. Auflage eine Reihe wichtiger Er¬ 
gänzungen und Verbesserungen des mit Recht beliebten kleinen Buches 
gebracht hatte (s. Ref. 1909, S. 545), konnte sich Verf. in der nach so 
kurzer Zeit erschienenen Neuauflage auf wenige Hinzufügungen be¬ 
schränken. So wird das Mammin-Poebl zur Behandlung von Myom und 
klimakterischen Blutungen erwähnt, bei letzteren die Bedeutung der 
Röntgenstrahlen gewürdigt. 


0. Küstner: Karzes Lehrbuch der Gynäkologie. Bearbeitet von 
Bumm, Döderlein, Krönig, Menge, Küstner. Jena 1913, 
Verlag von G. Fischer. 5. Auflage. 

Bei einem so bekannten Buch wie dem vorliegenden, dessen frühere 
Auflagen in dieser Wochenschrift gebührende Würdigung erfahren haben, 
erübrigt es sich, auf den Wert desselben näher einzugehen, der ja im 
übrigen durch die rasche Folge der Auflagen genügend charakterisiert 
ist. In der vorliegenden 5. Auflage, bei deren Bearbeitung v. Rosthorn 


nicht mehr mitwirken konnte, sind die Kapitel Anatomie von Krönig 
und Tuberkulose von Menge neu bearbeitet worden. Die Abbildungen, 
namentlich die farbigen, sind vermehrt worden. Das Buch wird sicher 
wie bisher seinen grossen Leserkreis sich erhalten. L. Zuntz. 


Theodor Meyer Steiueg: Darstellungen normaler ud krankhaft 
veränderter Körperteile an antiken Weihgaben. (Jenaer medizin- 
historische Beiträge.) 1912, Verlag von Gustav Fischer. Preis 
3 Mark. 

Seitdem Stieda sich mit den antiken Exvotos mit Körperform be¬ 
schäftigt hat, hat das Studium dieser Dinge nicht geruht. Bietet doch 
diese Untersuchung sowohl von ihrem allgemeinen Standpunkt, als 
auch durch ihre äussere mehr anatomische Betrachtung eine dankbare 
Aufgabe. — Der grösste Reiz aber liegt darin, die Gegenstände selbst 
zu sammeln und für die Medizinhistorie zu retten. Und diese Aufgabe 
hat auch Meyer Steineg mit Freude erfüllt. Die Stücke, die er ge¬ 
sammelt und abgebildet, stammen meist von der Insel Cos. Die Beiträge 
anatomisch interessanter Weihgaben aus Griechenland sind nun aber 
deshalb von besonderem Werte, weil die Anzahl derselben im Verhältnis 
zur etrusko-latini9chen Provenienz ziemlich spärlich sind. — Ausser den 
in dem vorliegenden Hefte schon angeführten Sammlungen und Zusammen¬ 
stellungen hat die letzte Publikation des Direktors Svoronos im 
„Das Athener Nationalmuseum“ zu den bereits bekannten Stücken noch 
die Abbildung einer ganzen Reihe von Einzel weibgaben, meist aus dem 
Athenischen Asklepieion stammend, gebracht. Alle diese Stücke und 
die anderen mir bekannt gewordenen sind im Gegensatz zu den italischen 
aus Marmor gefertigt Meyer Steineg’s Funde sind aber aus rötlichem 
Ton, und bei mehreren Gegenständen weist er selbst darauf hin, dass 
möglicherweise diese Exvotos von auswärts nach der Heilstätte Cos ge¬ 
bracht wurden. — Den grössten Wert beansprucht ein Kopf eines 
Knaben mit vorgetriebenem und tumorartigem Bulbus. Dieses reizend 
gearbeitete Köpfchen und ein zweites mit möglicher Darstellung einer 
Facialislähmuog sind offenbar nicht Bruchstücke einer Figur, sondern 
als Einzelstück gearbeitet. Dafür spricht der dicke Halsteil mit glattem 
Abstrich. — Von solchen Köpfen habe ich bei allen orientalischen Anti¬ 
quaren massenhafte Fälschungen gefunden; gelegentlich waren auch echte 
Köpfe dabei, welche aber nach meiner Ansicht keineswegs mit Weih¬ 
gaben irgendetwas zu tun hatten. Die Unterscheidung von Echt und 
Unecht ist aber ebenso schwierig, wie bei dem Wandertrieb und Gewandt¬ 
heit griechischer Verkäufer solcher Gegenstände es schwer ist, die 
Provenienz eines Stückes einwandsfrei festzustellen. Diese Leute reisen 
mit ihren Objekten herum, und so werden die merkwürdigsten Dinge 
verschleppt. Ich erwähne aber ausdrücklich, dass Prof. Zahn, einer 
der hervorragendsten Kenner antiker Kleinkunst, den Kopf für einwands¬ 
frei und ausgezeichnet erklärt hat. 

Der Autor schliesst 9ich bei der Deutung und Bewertung solcher 
Krankheitsexvotos der von mir ausgesprochenen naheliegenden Auffassung 
an, dass Beauftragte und Stellvertreter nicht reisefähiger Kranken das 
Abbild ihres Leidens dem Gotte mitbrachten; während nun im allge¬ 
meinen auch die körperlichen Weibgaben in der Umgebung des Asklepieion 
massenhaft käuflich waren, musste ein solches Krank hei tsexvoto besonders 
angefertigt werden und hat für uns deshalb besonderen Wert. 

Der zweite Gegenstand, dem ein ganz besonderes Interesse zukommt, 
ist eine Platte mit einem rundlichen Körper und Nebenkörper, welcher 
für Griechenland vielleicht eine Rarität darstellt, während er in Italien 
massenhaft vorkommt. Die Tatsache, dass auch dieses Exvoto aus Ton 
ist, spricht demnach vielleicht für eine nicht hellenistische Provenienz. 
Während nun jetzt wohl ziemlich allgemein die Ansicht verbreitet ist, 
dass der grössere Körper auf den lateinisch-etruskischen Votiven die 
Gebärmutter ist, herrscht über den Nebenkörper eine verschiedene Auf¬ 
fassung. Man hält ihn für die Wasserblase oder, wie ich, für den Eier¬ 
stock. loh habe darauf hingewiesen, dass unter den hunderten Exem¬ 
plaren, die ich bisher untersuchte, kein einziger Nebenkörper eine 
Oeffnung zeige. Dieses ist aber auf dem Relief von Meyer Steineg 
nicht nur nicht der Fall, sondern im Gegensatz auch zu den anderen 
Töpferarbeiten hat hier die ganze äussere Form der Mündung einen 
Vulvacharakter, so dass für dieses einzelne Stück die wahrscheinliche 
Bezeichnung Uterus- und Harnblase ausser Zweifel steht. 

Heft 3. Krankenanstalten im griechisch-römischen Alter¬ 
tum. 

Das dritte Heft der Jenaer Beiträge gibt einen gedrängten, aber 
auch für solche, welche diesen Dingen ferner stehen, interessante und 
verständliche Darstellung der historischen Entwicklung der Kranken¬ 
pflege in der antiken Welt. Die Rekonstruktion der Koerheilstätte in 
ihrem Zustande des III. Jahrhunderts vor Christi gibt ein anschauliches 
Bild der Situation. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass im Gegen¬ 
satz zu anderen Asklepieien in Cos eine intimere Verbindung der Heil¬ 
stätte mit der dortigen Aerzteschule bestand. Auch die römischen 
Militärlazarette und die Sklaven-Valetudinarien werden einer Besprechung 
unterzogen. Die Hefte werden der Beachtung dringend empfohlen. 

Holländer. 


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UNIVERSUM OF IOWA 





5. Hai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


889 


Literatur-Auszüge. 

Pharmakologie. 

H. Januschke-Wien: Ein Beitrag zu den physikalisch-chemischen 
Bromwirk nagen im Organismus. (Wiener med. Wochensohr., 1918, 
Nr. 14.) 1. Je nach der Technik in der Darreichung von Bromnatrium 
können wir im Nervensystem Bromidionenwirkung oder Chlorid Verdrängung 
erzielen. Jeder dieser beiden Vorgänge übt seine physiologische Wirkung 
auf andere Nervencentren aus. 2. Es gibt Fälle von menschlicher Epi¬ 
lepsie, wo die Heilerfolge durch Bromidionenwirkung zustande kommen 
und nicht durch Chloridverdrängung. 3. Die Empfindlichkeit des Nerven¬ 
systems gegen die narkotische Wirkung der Bromidionen kann durch 
massige Entziehung eines lebenswichtigen Zellbausteines (von Lipoiden, 
Calcium oder Chloridionen) gesteigert werden. 4. Zu exakten Studien 
über Bromidwirkungen im Organismus ist nur das Bromnatrium ver¬ 
wendbar. Andere Bromsalze oder organische Bromverbindungen sind 
ungeeignet; die Salze deshalb, weil ihre Kationen (K, NH 4 , Ca, Mg) 
starke Eigenwirkungen entfalten und die Bromid Wirkungen stören; orga¬ 
nische Bromverbindungen (Adalin, Bromural, Neuronal u. a.) darum, 
weil sie physikalisch-chemisch und physiologisch Narkotica der Fettreihe 
sind und der Chloralhydrat-Urethangruppe analog wirken. 

G. Eisner. 

0. Gros-Leipzig: Das Wesen der Oxalsänrewirkiing auf das 
Frosekherz. (Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 71, H. 6, 
S. 895—406.) Im Gegensatz zu Janusohke sieht Gros das Wesen 
der Oxalsäurevergiftung nicht in einer Kalkentziehung, da er eine fast 
vollkommene Erholung des vergifteten Herzens auch durch Auswaschen 
des Giftes ohne Kalkzufuhr erzielen konnte. Jacoby. 

E. Bertarelli-Parma: Untersuchungen über das keimtötende 
Vermögen des Tanrins. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt 1, Orig., 
Bd. 67, H. 1 u. 2, S. 100.) Taurin ist ein Präparat, das eine an die 
Kreoline erinnernde Mischung darstellt, jedoch nicht so scharf und unan¬ 
genehm riecht und stärker wirksam sein soll wie diese; es besteht aus 
Phenolen und Kreosot. Wenn auch nicht so stark wirksam wie Sublimat, 
ist es in 5 prom. Lösung der 5 proz. Carbolsäure überlegen und wird 
deshalb vom Verf. an deren Stelle empfohlen, zumal es sich auch er¬ 
heblich billiger stellt. Bierotte. 

Siehe auoh Innere Medizin: Allard, Cymarin, ein neues Herz¬ 
mittel. Sohn, Beeinflussung des Stoffwechsels durch Benzol. 


Therapie. 

E. Freund und A. Kriser-Wien: Ueber die Behandlung der 
Ischias, Tabes and chronischer Gelenkerkrankugen mit Mesothor¬ 
sehlamm. (Therapeut. Monatsb., April 1913.) Verff. kommen zu fol¬ 
gendem Schluss: Die Behandlung mit Mesothorschlamm ist in erster 
Linie indiziert für Fälle von Ischias; hier kann man mit dieser Methode 
allein sehr günstige Erfolge erzielen. Die Behandlungsmethode ist auch 
sehr geeignet, zur Unterstützung anderer Methoden zu dienen (z. B. 
Radiumemanation), dabei tritt die rasche schmerzstillende Wirkung her¬ 
vor. Bei Gelenkerkrankungen waren die Erfolge wechselnd. Bei Tabes 
wurde keinerlei Erfolg erzielt. Einzelne gute Erfolge zeigten sich bei 
einer chronischen Tendovaginitis infolge beruflicher Anstrengung bei 
einem Klavierspieler, ferner in einem Fall von Pruritus ani bei einer 
Patientin mit perniciöser Anämie, so dass in derartigen Fällen ein Ver¬ 
such mit dem unschädlichen Mesothorschlamm gerechtfertigt erscheint. 

Welz-Frankfurt a. M.: Die Behandlung des Erysipels mit Anti" 
streptokokkensernm. (Therapeut. Monatsh., April 1913.) Nach Auf¬ 
zählung der verschiedenen Sera, ihrer Gewinnung und ihrer Erfolge nach 
der vorhandenen Literatur, wendet sich Verf. der Beschreibung der von 
ihm beobachteten einschlägigen Fälle zu. Das Serum wurde in einer 
Menge von 100 ccm intravenös injiziert, nachdem man durch eine Tags 
zuvor gemachte subcutane Probeinjektion sich vergewissert hatte, dass 
die Anwendung des differenten Mittels gut vertragen würde. Unter 
denjenigen Momenten, die einer allgemeinen intravenösen Serum¬ 
therapie des Erysipels im Wege stehen, befindet sich, abgesehen von 
dem hohen Preise (100 ccm kosten 30 M.), die Gefahr des akuten Collapses 
nach der Infusion. Man wird in jedem einzelnen Falle zu erwägen 
haben, ob die Schwere der vorliegenden Infektion diesen Eingriff recht¬ 
fertigt oder nicht. Bei leichten Krankheitsformen wird die Serum¬ 
behandlung unnötig sein, und in den Fällen, bei denen weniger die 
Schwere der Allgemeininfektion als die Kreislaufsschwäche das Bild be¬ 
herrscht, wird man wohl von der intravenösen Zufuhr so grosser Serum¬ 
dosen zunächst lieber noch ganz Abstand nehmen. Das Serum hilft 
nur in einem gewissen, wenn auch nicht unbeträchtlichen Teil der Fälle. 

H. Knopf. 

H. Rosenhaupt - Frankfurt a. M.: Die medikamentöse Behand- 
lmg des nervösen Erbrechens im frühen Kindesalter. (Deutsche 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 16.) Anästhesin wird in 2—3proz. gum¬ 
möser Mixtur kaffeelöffelweise empfohlen. Das Mittel wirkt nur bei 
nervösem Erbrechen, nicht in Fällen von Pylorospasmus, die zum Hirsch- 
sprung’schen Typus gehören. Es lässt sich diese Wirkungsweise direkt 
als Differentialdiagnosticum verwerten. Wolfsohn. 


Allgemeine Pathologie u. pathologische Anatomie. 

S. B. de Groot-Groningen: Erwiderung auf die kritischen Bemer- 
kungeu Ritter’s zu meiner Arbeit über das Entstehen and Ver¬ 
schwinden von Lymphdrttsen. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 122, 
H. 1 u. 2.) Die Mitteilung bringt im Anfang nur eine Entschuldigung 
dafür, dass er die Arbeit Ritter’s in der deutschen Bearbeitung seiner 
Arbeit nicht genügend gewürdigt habe. J. Becker. 

H. Löffelmann: Ueber Befunde beim Morbns Hodgkin mittels 
Antiforminmethode. (Beitr. z. Klin. d. Tuberkul., Bd. 24, H. 3.) Der 
Morbus Hodgkin oder die Lymphogranulomatosis stellt eine pathologische 
Entität dar, die klinisch und anatomisch charakteristisch genannt werden 
kann. Speziell das histologische Bild ist so typisch, dass aus demselben 
sofort die Diagnose gemacht werden kann. Bei geeigneter Methodik — 
Uhlenhuth’s Antiforininmothode — gelang es in sechs von sieben Fällen 
unzweifelhaft nach Ziehl färbbare Tuberkelbacillen in dem pathologisch¬ 
anatomischen Gewebe zu finden. Ferner wurden in allen sieben Fällen 
granulierte grampositive Stäbchen gefunden, welche der Much’schen 
Form des Tuberkelbacillus glichen. Vermutung eines kausalen Zu¬ 
sammenhanges zwischen Tuberkulose und Morbus Hodgkin. 

J. W. Samson. 

J. v. Wiczkowski-Lemberg: Zur Lehre über die Leakümie. 
Vorläufige Mitteilung. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) 
Der Verfasser injizierte einem Huhne intravenös 2 ccm Pleura¬ 
exsudat eines Leukämikers. Nach etwa sechs Wochen erkrankte das 
Tier unter Erscheinungen, die denjenigen der menschlichen Leukämie 
entsprechen. Im Blut fiel das Ueberwiegen der grossen Lymphocyten 
auf. Die Sektion zeigte eine mehrfach vergrösserte Milz, eine Vergrösse- 
rung der Leber und rotes Knochenmark. Einer kritischen Besprechung 
dieser Tatsachen enthält sich der Verf. vorläufig. P. Hirsch. 

N. Anitsohkow - St. Petersburg: Die pathologischen Verände- 
rangeB innerer Organe hei experimenteller Cholesterinesterverfettnng. 

(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 16.) Durch lange Fütterung mit 
cholesterinreicher Nahrung lassen sich bei Kaninchen typische ana¬ 
tomische Veränderungen bervorrufen: die Leber verwandelt sich im 
Sinne einer typischen Cirrhose; die Aorta zeigt Veränderungen, welche 
mit der Atherosklerose, auch der menschlichen, grosse Aehnlichkeit 
haben; in den blutbildenden Organen entstehen grosse Makrophagen, die 
anisotrope Einschlüsse und Pigmentkörnchen enthalten. In den Lymph- 
drüsen und in der Milz ist eine myeloide Umwandlung der Elemente 
nachzuweisen. Dieses pathologische Bild der Cholesterinverfettung ist 
auch beim Menschen schon öfters beobachtet worden. Wir haben allen 
Grund, anzunehmen, dass zwischen diesen Beobachtungen und den ex¬ 
perimentellen Tatsachen ein gewisser Parallelismus im morphologischen 
und pathogenetischen Sinne existiert. Wolfsohn. 

F. Harbitz - Christianis; Angeborene Tuberknlose. (Münchener 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 14.) Das beobachtete Kind starb an einer 
tuberkulösen Lungenaffektion 25 Tage nach der Geburt. Alle Be¬ 
dingungen zur Annahme einer angeborenen Infektion waren vorhanden: 
Die Mutter, die am gleiohen Tage zur Obduktion kam, litt an einer 
Tuberkulose im Endometrium an der Placentarstelle, so dass wohl die 
Uebertragung von Tuberkelbacillen direkt in das Blut des Kindes erfolgt 
ist. Der Uterus wurde wahrscheinlich während der Schwangerschaft von 
den tuberkulösen Tuben aus infiziert. Da ausserdem noch eine Miliar¬ 
tuberkulose der Mutter bestand, so kann man eine hämatogene Infektion 
der Placenta nicht ausschliessen. Als Ausgangspunkt der Infektion des 
Foetus ist die Placentartuberkulose am wahrscheinlichsten. 

Dünner. 

Cb. J. Bond-Leicester: Die Sehleimkanäle und der Blatstrom als 
Infektionswege. (Brit. med. journ., 29. März 1913, Nr. 2726.) Die 
drüsigen Organe können zunächst durch den Blutstrom infiziert werden. 
Ein wahrscheinlich häufigerer Weg der Infektion ist durch die Aus- 
fübrungsgänge. Diese haben einen schleimigen Wandbelag, und dieser 
Sohleim bewegt sich aufwärts, dem Sekretstrom entgegen nach der Drüse 
hin und führt feste Teilchen mit sich, was man mit Hilfe von Indigo¬ 
pulver naohweisen kann. Wie diese Farbteilchen können auch Bakterien 
mitgerissen werden. Dieser aufwärts gerichtete Strom entsteht z. B., 
wenn das Sekret der Drüse durch eine am oberen Ende des Ausfüh¬ 
rungsganges angelegto Fistel abfliesst, oder unter natürlichen Umständen, 
wenn der Schleim an verschiedenen Stellen des Ganges ungleichmässig 
resorbiert wird. Wird der Schleim an einer Stelle stark resorbiert, so 
rüokt der in der Umgebung befindliche dorthin nach, auch gegen die 
Richtung des Sekretstromes. So gelangen Bakterien verhältnismässig 
rasch ins Innere von Drüsen, was der Verf. an Beispielen von verschie¬ 
denen Organen ausführlich darlegt. Die Bakterien passen sich dabei 
ihrer Umgebung an, und das klinische Bild der Drüsenerkrankung ist 
verschieden, je nachdem die Infektion auf dem Wege des Blut- oder des 
Schleimstromes erfolgt ist. 

H. Blakeway-London: Ungewöhnlich grosses Teratom von einem 
Pferdehoden. (Brit. med. journ., 5. April 1913, Nr. 2727.) Die 30 Pfund 
(engl.) schwere Geschwulst zeigte bei der mikroskopischen Untersuchung, 
dass sie aus allen drei embryonalen Gewebssohichten bestand: Platten- 
epithelien, Haareu und Talgdrüsen vom Ektoderm, Cysten mit Cylinder- 
epithel ausgekleidet vom Entoderm und Stroma und Knorpel vom 
Mesoderm. Beim Menschen sind derartige Geschwülste sehr selten. 

Weydemann. 


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840 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18» 


F. L. Duraont-Bern: Experimentelle Beiträge zur Pathogenese der 
akuten hämatogenen Osteomyelitis. (Deutsche Zeitschr. t. Chir., Bd. 122, 
H. 1 u. 2.) Verf. verfolgte die Experimente Lex er’s, die er nur in 
ihren Folgerungen bestätigen kann. Bei jungen Kaninchen kann man 
Osteomyelitis erzeugen mit Staphylokokken, wenn man darauf achtet, 
dass diese auf Kaninchenblut hämolytisch wirken. Einen spezifischen 
Bacillus osteomyelitidis (Bencke) gibt es nicht. J. Becker. 

S. Skudro-Krakau: Ueber den Einfluss der QuecksiIberpräparate 
auf das Wachstum der Mäosecardnome. (Wiener klio. Wochenschr., 
1913, Nr. 15.) Ausgehend von der Voraussetzung, dass Quecksilber 
manchmal die Resorption pathologischer Gebilde beschleunigt (Gumma), 
hat der Verf. den Einfluss dieses Metalls auf die Entwicklung maligner 
Mäusetumoren studiert. Es ergab* sich, dass weder die Sublimatverfütte- 
rung, noch die Einreibung grauer Salbe in die Impfstelle, noch die 
subcutane Injektion von Sublimat einen Einfluss auf die Resorption der 
geimpften Tumoren ausübt. P. Hirsch. 

Siehe auch Innere Medizin: Kuthy, Vererbung des Locus 
minoris resistentiae bei Lungentuberkulose. 


Parasitenkunde und Serologie. 

S. Tscbachotin - Heidelberg: Eine hygienische Saugpipetto für 
bakteriologische and chemische Zwecke. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 
Abt. 1, Orig., Bd. 67, H. 4, S. 319.) Mit Abbildung versehene Be¬ 
schreibung einer Saugpipette, die das unangenehme Aufsaugen mit dem 
Munde vermeidet und durch Fingerdruck arbeitet. 

L. Dreyer-Breslau: Ueber Virulenzprüfang mittels intraarticularer 
Impfung. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 67, H. 1 u. 2, 
S. 106.) Auf Grund einer grösseren Reihe von experimentellen Unter¬ 
suchungen empfiehlt D. die intraarticulare Impfung für Virulenz¬ 
prüfungen von Bakterienstämmen. Dieses Verfahren gibt schon nach 
kürzester Zeit Resultate, es ist leicht ausführbar und sehr empfindlich; 
namentlich eignet es sich für die Prüfung der Eigenschaften der für den 
Menschen pathogenen Eitererreger. 

H. Bley - Stuttgart: Untersuchungen über die Negativfärbung von 
Bakterien mittels des Tugeheverfahrens nach Burri. (Centralbl. f. 
Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 67, H. 3, S. 206.) Das Tuscheausstrich¬ 
verfahren von Burri hat sich dem Verf. nicht nur bei Untersuchungen 
von Reinkulturen, sondern auch besonders von Ausstrichen von Material 
erkrankter Organe bewährt; er erklärt es vielen der jetzt üblichen Aus¬ 
strich- und Färbeverfahren für gleichwertig, manchem für überlegen; 
gerade in praktischer Hinsicht ist es wertvoll, da es schnell ausführbar 
ist und auf einfache Weise rasche Orientierung ermöglicht. 

Ph. Verderame - Freiburg: Zur Bifferenzieruug gramnegativer 
Diplokokken mit Hilfe der Agglutinations- und KomplementbinduDgs- 
probe. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 67, H. 4, S. 307.) 
Die Agglutinationsprobe ist neben dem kulturellen Verhalten zur Trennung 
des Meningococcus von anderen gramnegativen Kokken, namentlich der 
ihm nahe verwandten Catarrhalisgruppe, brauchbar. Das Komplement¬ 
bindungsverfahren jedoch eignet sich kaum zur Trennung des Meningo¬ 
coccus, Gonococcus und Mikrococcus catarrhalis, da es keine sicheren 
Schlüsse zu lässt. Bie rotte. 

W. Schürmann und C. Hajos-Bern: Erfahrungen mit den 
Tellnrnährbäden bei der bakteriologi8chen Diphtheriediagnose. 
(Deutsche med. Wochenschr., 1918, Nr. 17.) Der Zusatz von Tellur 
zum Löffler’schen Serumagar erleichtert die Diphtheriediagnose. Verff. 
empfehlen nicht die Anreicherung auf Serumplatten, sondern die direkte 
Aussaat auf Tellurplatten. Sie gibt bessere Resultate als die Anreiche¬ 
rung auf Löfflerplatten, kombiniert mit dem Tellurplattenverfahren. Es 
lässt sich auch in flüssigen Tellurnährböden eine stärkere Anreicherung 
der Diphtheriebacillen erzielen als in gewöhnlicher Bouillon. 

Wolfsohn. 

J. A. Waledinsky-Tomsk: Zur Frage der Färbung der Tnherkel- 
bacillen im Sputum. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 67, 
H. 3, S. 222.) Die Nachprüfung von Versuchen von Strauss, der 
Tuberkelbacillen mittels gewöhnlicher wässerig-alkoholischer Lösungen 
von Anilinfarben färben konnte, bestätigten dieses Ergebnis; doch 
steht diese Methode praktisch dem Carboiverfahren von Ziehl-Neelsen 
weit nach und kann in zweifelhaften Fällen nicht angewendet werden. 

Bierotte. 

A. Forbät-Budapest: Ueber „Splitter“ «im Sputum von 
Phthisikern. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 16.) In manchem 
tuberkulösen Sputum fand F. neben typischen Bacillen die Spengler- 
ischen Splitter. Sie sind durch Färbung nachweisbar (Kontrastfärbung 
mit Tropäolinalkohol) und zeigen sich in einer solchen Form, als ob sie 
Bruchteile der Bacillen wären. Ausschliesslich Splitter enthaltende 
Sputa fand F. nie. Der Splittergehalt wird wahrscheinlich bedingt durch 
Verminderung des Fettgehalts (und damit auch der Virulenz). Unter 
günstigen Lebensbedingungen können sie anstatt der Splitter wieder 
Bacillen zeigen. Wolfsohn. 

Weber - Berlin: Die Bedeutung der Rindertuberkulose für die Ent- 
stehuug der mensehliehen Tuberknlose. (Zeitschr. f. Tuberkul., Bd. 19, 
H. 6.) Die Rindertuberkulose kann beim Kinde eine zum Tode führende 
Tuberkulose hervorrufen und ausserdem, in seltener* Fällen unter dem 
Bilde jeder anderen Form tuberkulöser Erkrankung verlaufen. Zum 


Schutze des Einzelindividuums sind daher die Maassnahmen gegen die 
vom tuberkulösen Rinde drohende Gefahr nicht entbehrlich. In der Epi¬ 
demiologie der Tuberkulose als Volkskrankheit kommt die Rolle, welche 
die Rindertuberkulose für die Entstehung der Tuberkulose des Menschen 
spielt, überhaupt nicht zum Ausdruck, sie tritt gegenüber der Bedeutung, 
welche dem tuberkulösen Menschen als der gefährlichsten Infektions¬ 
quelle zukommt, vollkommen in den Hintergrund. 

Petersen - Kopenhagen: Untersuchungen über Tuberkelbacillei. 
(Zeitschr. f. Tuberkul., Bd. 19, H. 6.) Die Ausbreitung der Tuberkulose 
in Intensität und Schnelligkeit wächst mit der Grösse der infizierenden 
Dosis, die Virulenz der Bacillen und die spezifische Sensibilität der 
Tiere nimmt mit der Resistenz derselben ab. Aber Schwankungen in 
der Grösse der Dosis von bis über 100 pCt. geben erst Ausschlag bei 
der Anwendung kleiner Mengen Bacillen, wobei alle Verschiedenheiten 
am stärksten sind und sich am deutlichsten verfolgen lassen. Die 
Latenzzeit nimmt mit steigender Menge eingeführter Bacillen, deren 
Virulenz und der spezifischen Sensibilität der Kaninchen ab, wächst mit 
der Resistenz derselben. Bei Infektion mit humanen Stämmen und 
tuberkulösem Auswurf entwickelt sich in der Regel eine generelle Tuber¬ 
kulose, jedoch auf Auge und Lungen begrenzt. Impfung mit bovinem 
Material weist in jeder Beziehung die stärkste Entwicklung der Tuber¬ 
kulose aus. Bei Einimpfung in die Cam. ant. des Auges kann Wachs¬ 
tum von sogar sehr wenigen Bacillen Vorkommen. Die Methode lässt 
sich zur Anlegung von Reinkultur, Nachweis von Tuberkelbacillen in 
verdächtigem Material und zum Studium der Wachstumsformen unter der 
Entwicklung brauchen. 

Sata- Osaka: Immunisierung gegen Tuberknlose und deren 
Reaktionserscheinungen an einigen Tierarten. (Zeitschr. f. Tuberkul., 
Bd. 20, H. 1.) Die Immunisierung gegen Tuberkulose kann mittels art¬ 
fremder lebender sowie toter Tuberkelbacillen oder deren Gifte bis zu 
gewissem Grade erzielt werden. Die Ueberempfindlichkeit wird nioht nur 
durch lebende Tuberkelbacillen hervorgerufen, sondern auch dureh tote 
Bacillen wie deren Gifte, ebenso die Immunität, welche durch eine Reihe 
spezifischer Wirkungen des Immunserums in exakter Weise nachweisbar 
ist. Als Reaktionserscheinungen im klinischen Sinne nach der Injektion 
sind zu erwähnen: Temperatursteigerung, eventuell -stürz, Schwäche, 
Abnahme der Fresslust, Gelenkentzündung, progressiver Marasmus sowie 
akute Anaphylaxie. Die Schwierigkeit der Immunisation gegen Tuber¬ 
kulose beruht auf dem Marasmus und der akuten Anaphylaxie. 

Ott. 

H. Mehl er und L. Ascher - Nürnberg: Beitrag zur Chemotherapie 
der Tuberkulose. Versuohe mit Borcholin (Enzytol). Münchener med. 
Wochenschr., 1918, Nr. 14.) Zusammenfassung: 1. Lecithin und Lecitbio- 
spaltungsprodukte (Cholin) haben erhebliche bakteriolytische Kraft, auch 
bei Tuberkelbacillen. 2. Das Lecithinspaltungsprodukt Cholin lässt sich 
als locker gebundenes Salz (Borcholin) ohne Schaden in verhältnismässig 
grossen Dosen, auch bei Tuberkulösen, in die Blutbahn bringen. 3. Bei 
floriden Fällen von Tuberkulose löst Borcholin eine typische Reaktion 
aus. 4. Therapeutische Versuche haben die Brauchbarkeit von Boroholin 
bei Tuberkulose ergeben. 5. Ob Borcholin beim weiteren Ausbau der 
Methode sich als genügend wirksames antituberkulöses Mittel erweist, 
oder ob es anderweitig kombiniert werden muss, bleibt ferneren Unter¬ 
suchungen Vorbehalten. Dünner. 

R. Müller und K. Th. Willich - Kiel: Sareiueu in der mensch- 
lichen Harnblase. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 67, 
H. 3, S. 124.) Die Verff. konnten bei zwei Fällen in der Harnblase von 
Patienten eine in ihrem kulturellen Verhalten näher beschriebene Sarcine, 
die namentlich durch ihr Waobstum auf Blutagar und Agar gekenn¬ 
zeichnet war, feststellen. Sie halten es für wahrscheinlich, dass diese 
Sarcine, der sie den Namen Sarcina urica beilegen, in den betreffenden 
Fällen eine Reizwirkung auf die Blasenscbleimhaut ausgeübt hat. 

T. Sugai und J. M onobe- Osaka: Die Leprabacilleu in der Xilek 
von Leprakranken, (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 67, 
H. 4, S. 238.) In 2 von 10 Fällen von Lepra konnten in der vor und 
nach der Geburt untersuchten Milch der Kranken Leprabacillen fest¬ 
gestellt werden; bei beiden Hessen sie sich auch im Blut nachweisen, 
bei vier anderen nur in diesem, nicht aber in der Milch. 

Bierotte. 

M. Mayer, H. Roche-Lima und H. Werner - Hamburg: Unter¬ 
suchungen über Verruga peruviana. (Münchener med. Wochenschr., 
1913, Nr. 13.) Bei einem sicheren Fall von Verruga peruviana wurden 
in den Hautknötchen Einschlüsse in den gewucherten Zellen gefunden, 
die dafür sprechen, dass diese Krankheit in die Gruppe der Chlamydozoen- 
krankheiten gehört. Uebertragung auf Affen gelang. Dünner. 

Petzetakis: Ueber die Agglutiuatiou des Pnaumobaeillas. (Lyon 
med., 1913, Nr. 14.) In einem Falle von durch den Fried länder’schen 
Bacillus hervorgerufener Septikämie konnte ein agglutinierendes Ver¬ 
mögen des Blutserums nachgewiesen werden; desgleichen wurde mit 
Serum von Krebskranken, von Pferden und Hübnern eine Agglutination 
des Bacillus erzielt. A. Münzer. 

E. Jolowicz - Hellerau: Ueber „eigenlösende“ Eigenschaftei des 
Meersthweinchenserpms und dadurch bedingte Fehlerqaellea der 
Wassermann’schen Reaktion. (Deutsche med. Wochenschr., 19 J 3, Nr. 17.) 
J. hat eine Eigenlösung bei 7—8 Meerschweinchen desselben Stalls be¬ 
obachtet. Er hält die Erscheinung für ek) Degenerationsseichen infolge 
übermässiger Inzucht ' Wolfsohn. 


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6. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


841 


E. v. Kraffl-Lenz und E. P. Pick-Wien: Ueber das Verhalten 
der Plasteine im Tierkörper. II. Mitteilung. Plasteine als Antigene. 
(Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 71, H. 6, S. 407—425.) 
Plasteine haben antigene Eigenschaften, ihre Antikörper sind nicht art¬ 
spezifisch. Auch die zur Darstellung der Plasteine verwandten Pepsine 
können ihre Artspezifität nicht den Plasteinen übertragen. Dass im 
Plastein eine Atomgruppierung vorliegt, welche den verschiedenen, auch 
komplex gebauten Eiweisskörpern gemeinsam ist, geht daraus hervor, 
dass die Plasteinimmunsera auch mit den Goctoseren verschiedener Tiere 
reagieren. Die Coctoimmunsera sind an und für sich artspezifisch. 

Jacoby. 

A. Zinsser- Berlin: Ueber die Texieität des menschlichen Harns 
in pnerperalen Zustand und bei Eklanpsie. (Centralbl. f. Gynäkol., 
1913, Nr. 14.) Nach den Untersuchungen von Pfeiffer beruht die 
Giftigkeit des Harns in einigen Krankheitsfällen ganz einfach auf dem 
Uebergeben von Zwischenprodukten der Verdauung auf den Harn, d. b. 
auf sogenanntem parenteralen Ei weisszerfall. Es würde dies also aufs 
neue nahelegen, dass es anaphylaktische Vorgänge im puerperalen Zu¬ 
stand gibt, und die längst begrabene Lehre von der Harn gif tigkeit 
wieder zur Bedeutung kommen. Es gelingt nicht, ein Tier durch intra¬ 
venöse Injektion von eklamptischem Harn zu töten; die beobachteten 
Temperatursenkungen haben nichts Charakteristisches und sind ganz 
unabhängig vom Grad der Nierenerkrankung; ebensowenig konnte bei 
Eklamptischen auf Grund der biologischen Auswertung des Harns ein 
parenteraler Eiweisszerfall gefunden werden. Siefart. 

F. Scordo-Rom: Experimentelle Studien über die Therapie des 

Mittelmeerfiebers. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 67, 
H. 3, S. 151.) S. impfte Ziegen intravenös mit Reinkultur des Malta- 
mikrococcus und behandelte sie dann mit intravenösen Einspritzungen 
von Sublimat. Die Injektionen wirkten günstig auf die roten Blut¬ 
körperchen, deren Zahl sich vermehrte; gleichzeitig wurde damit ein 
Steigen des Hämoglobingehalts beobachtet. Ferner wurde eine Leuko- 
cytose mit Vorwiegen der neutralen Mehrkeruigen erzielt. Die Mikro- 
kokkenseptikämie wurde geheilt, die Keime verschwanden aus dem Blut. 
Ueber Versuche an einigen maltafieberkranken Menschen soll an anderer 
Stelle berichtet werden. Bierotte. 

Siehe auch Innere Medizin: Bruschettini: Behandlung der 
Tuberkulose mit dem Bruschettini’schen Serumvaccin. — Geburtshilfe 
und Gynäkologie: Scholl und Kolde, Bakteriologische Unter¬ 
suchungen bei gynäkologischen Erkrankungen. — Psychiatrie und 
Nervenkrankheiten: Noguchi, Spirochaete pallida im Central¬ 
nervensystem bei Paralyse und Tabes. 


Innere Medizin. 

Br ecke: Die deutsche Heilstätte Davos und die deutsche Heil¬ 
stättenbewegung. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 24, H. 3.) 

J. W. Samson. 

Dietschy- Allerheiligen: Zur Diskussion über die Heilstätten 
für Kranke des Mittelstandes. (Zeitschr. f. Tub., Bd. 19, H. 6.) D. 
empfiehlt, in den Volksheilstätten Einzelzimmer für Kranke des Mittel¬ 
standes zu reservieren und ihnen eigenes Speisezimmer zur Verfügung 
zu stellen. Das Verfahren hat sich in der Heilstätte des Verf. sehr gut 
bewährt. 

Kuthy - Budapest: Ueber die Turban’sche Vererbung des Locus 
■inoris resistentiae bei Lungentuberkulose. (Zeitschr. f. Tub., Bd. 20, 
H. 1.) Dort, wo K. einer Vererbung des Locus minoris resistentiae be¬ 
gegnete, dominierte sowohl bei den Geschwistern als auch bei Eltern 
und Kind die gutartigere Tuberkulose. Bei Kindern z. B., bei denen das 
Vererbungsstigma der mit der Elterntuberkulose identischen Lokalisation 
des Leidens vorhanden war, fanden sioh auffallend oft die gutartigsten 
Formen der Lungenerkrankung vor, nämlich die abortive Lungentuber¬ 
kulose, das sogenannte „Lungentuberkulosoid“ von Neisser und 
Bräuming. Die hereditäre Belastung hat also im allgemeinen nicht 
die ominöse Bedeutung, welche nach der heute noch gangbaren Ansicht 
ihr zugesprochen wird. Ott. 

Straub und Otten: Einseitige vom Hilus ausgehende Lungen¬ 
tuberkulose. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 24, H. 3.) An der 
Hand klinischer Beobachtungen wird der typischen doppelseitigen, von 
den Spitzen ausgehenden Lungentuberkulose eine vorwiegend einseitige 
von den Hilusdrüsen verlaufende Form der Lungentuberkulose gegen- 
übergestellt. Die Symptome, die eine Unterscheidung der beiden Formen 
auch in vorgeschritteneren Fällen ermöglichen, werden besprochen. 
Drei Wege der vom Hilus ausgehenden Lungentuberkulose werden ver¬ 
folgt, die Tuberkulose der Basis des rechten Oberlappens, die Tuber¬ 
kulose des rechten Mittel- und Unterlappens und die Tuberkulose der 
Basis des linken Oberlappens. Unter den für Kompressionstherapie ge¬ 
eigneten Fällen von Lungentuberkulose sind die vom Hilus ausgehenden 
Formen besonders zahlreich. Auf Grund des eigenen Materials und der 
Fälle von Brauer wird Kompressionstherapie befürwortet bei allen 
fortgeschritteneren vom Hilus ausgehenden, noch ganz oder fast ein¬ 
seitigen Lungentuberkulosen, bei denen einerseits Neigung zum Fort¬ 
schreiten, andererseits aber wenigstens eine gewisse Tendenz zu repara¬ 
tiven Vorgängen nachweisbar ist. J. W. Samson. 

F. Deutsch und 0. Ho ff mann - Wien: Untersuchungen über das 
Verhalten des vegetativen Nervensystems bei tuberkulösen Erkran¬ 


kungen der Lunge. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) Vor¬ 
läufige Mitteilung. Sympathicotoniker zeigen eine Verschiebung im 
Mischungsverhältnis der weissen Blutkörperchen zugunsten der uni- 
nucleären Zellen. Steigt der Tonus im autonomen Symptom, d. h. 
schreitet der Krankheitsprozess vorwärts, so ist der Mischungsquotient 
ein normaler, in Fällen des dritten Stadiums ein mehr oder weniger 
vergrösserter. Nach Adrenalininjektionen fanden die Verff. in den 
meisten Fällen eine relative Vermehrung der mononucleären Zellen. 

P. Hirsch. 

Kinghorn und Twichell - Saranac Lake: Komplementbindungs- 
reaktion zur Diagnose der Lungentuberkulose. (Zeitschr. f. Tub., Bd. 20, 
H. 1.) Für die Frühdiagnose der Lungentuberkulose ist die Komple¬ 
mentbindungsreaktion von keiner grossen Bedeutung. Der positive Aus¬ 
fall bedeutet zwar entschieden tuberkulöse Infektion, der negative 
spricht aber nicht mit Sicherheit dagegen. 

Fels-Lennep: Psychologische Betrachtungen bei der subcutanen 
Tuberkulindiagnostik. (Zeitschr. f. Tub., Bd. 20, H. 1.) Mitteilung 
einer Anzahl psychologischer Beobachtungen zu dem Zweck, anzuregen, 
dass auch die Lungenspezialisten der Psyche ihrer Kranken etwas mehr 
Rechnung tragen sollen. 

Helwes-Diepholz: Allgemeine, ambulante Tuberkulinbehandlung 
in einem ländlichen Kreise. (Zeitschr. f. Tub., Bd. 20, H. 1.) Im 
Kreise Diepholz wurde auf Beschluss des Kreistuberkuloseausschusses die 
Behandlung der Tuberkulösen mit Tuberkulin allen Aerzten auf öffent¬ 
liche Kosten freigest6Üt, seit zwei Jahren mit dem Erfolg, dass bei einer 
Menge von Tuberkulösen der Anfang der Krankheit erkannt ist, und dass 
dann durch die Einspritzungen die Heilung leicht erreicht werden konnte. 

Schumacher - M.-Gladbach: Die entano Diagnostik und das 
Eisen tuberkulin. (Zeitschr. f. Tuberkul., Bd. 20, H. 1.) Ob die Ver¬ 
wendung des Eisentuberkulins einen Fortschritt bedeutet, ob es ein 
brauchbares Mittel ist, aktive und inaktive Tuberkulose zu unterscheiden, 
ist sehr zweifelhaft. Es ist überhaupt nicht wahrscheinlich, dass eine 
spezifische Reaktion dies leisten kann. 

Klein - Holsterhausen: Die kritische Verwertung der Tuberkulin- 
diagnostik in der Unfallbegutachtung. (Zeitschr. f. Tub., Bd. 20, H. 1.) 
Nicht der klinische Befund allein, aber auch nicht die Tuberkulin¬ 
injektion allein ohne Berücksichtigung des klinischen Befundes vermögen 
die Tuberkulose festzustellen, sondern ein Abwägen derselben gegen¬ 
einander, aber dann auch mit fast immer zutreffender Sicherheit, lässt 
Fehler vermeiden. Ott. 

E. Lippert: Experimentelle Studien über das Verhalten der Blut¬ 
gase bei Erkrankungen der Lunge und der luftfährenden Wege. 
(Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 24, H. 3.) In sämtlichen Fällen von 
Pleuritis oderVerstopfungsatelektäse geht der Sauerstoffgehalt des arteriellen 
Blutes herab, und zwar um so stärker, je grösser der Ausfall der gas¬ 
austauschenden Oberfläche war. Der Kohlensäuregehalt des arteriellen 
Blutes steigt in diesen Fällen, nur einige Male geht der C0 2 -Gehalt 
etwas unter die Norm. J. W. Samson. 

Kirchen stein - Davos-Platz: Einfluss der spezifischen Jodcalium- 
therapie C. Spengler’s auf die Entgiftung des tuberkulösen Organismus. 
(Zeitschr. f. Tub., Bd. 19, H. 6.) In allen Fällen lässt sich eine mehr 
oder weniger starke, oder vollständige Entgiftung des Organismus kon¬ 
statieren. Die Folgen der Entgiftung sind auf zweierlei Art zustande 
gekommen: erstens durch die direkte lytische und antitoxische Wirkung 
des Jodcalium, und zweitens durch das Eintreten der indirekten durch 
die Entgiftung eingeleiteten aktiven immunisatorischen Reaktionen der 
eigenen Körperzellen. Die Jodcaliumtherapie ist also, worauf C. Spengler 
selbst hingewiesen hat, ein positiv-aktives Immunisationsverfahren gegen 
die Tuberkulose. 

Bruschettini - Genua: Die spezifische Behandlung der Tuberku¬ 
lose mit dem Bruschettini’schen Serumvaccin. (Zeitschr. f. Tub., 
Bd. 20, H. 1.) Koch’sche Bacillen, die ziemlich lange Zeit in Berüh¬ 
rung mit lebenden Leukocyten geblieben waren, lieferten Verf. das 
Vaccin; er hat bei dessen Anwendung im allgemeinen Eintrocknung der 
nassen Prozesse und beginnende Sklerosierung angenommen. Ott. 

A. Weiss: Ueber Komplikationen der Behandlung mit künstlichem 
Pneumothorax. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 24, H. 3.) In einem 
Fall konnte eine sichere ShockwirkuDg von der Pleura aus beobachtet 
werden. Hohe Druckwerte werden gut vertragen, nur gelegentlich nicht 
bei partiellem Pneumothorax neben dem Herzen. Ein Fall von Gas¬ 
embolie bei einer Nachfüllung wird beschrieben, desgleichen ein Durch¬ 
bruch des Pneumothorax durch das Mediastinum von der rechten auf 
die linke Seite. Begleitende Pleuritis soll etwa in der Hälfte der Fälle 
Vorkommen. Phthisen mit pneumonischem Charakter geben nicht so 
günstige Resultate wie sonst der künstliche Pneumothorax. 

J. W. Samson. 

S. N. Halbraith-London: Akute tuberkulöse Pneumoiie; Heilung. 
(Lancet, 5. April 1913, Nr. 4675.) Krankengeschichten von zwei Fällen 
dieser seltenen Erkrankung. Beide endeten in Heilung. 

Weydemann. 

Lindvall und Tillgren: Zur Kenntnis der Lungensyphilis. 
(Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 24, H. 3.) Zwei mit genauen 
Sektionsprotokollen und mikroskopisoh - anatomischen Befunden beob¬ 
achtete Fälle. J. W. Samson. 


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UNIVERSUM OF IOWA 




842 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18. 


G. Treupel -Frankfurt a. M.: Die Lnngengangrän und ihre Be¬ 
handlung. (Deutsche med. Wocheoschr., 1913, Nr. 17.) Klinischer 
Vortrag. Wolfsohn. 

S. Plaschkes-Wien: Zur Kasuistik der fetthaltigen Exsudate. 
(Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 14.) Beschreibung eines Falles 
Ton fetthaltigem Pleuraexsudat (nach Quincke), Hydrops adiposus 
oder chyliformis im Gegensatz zum echten Chylothorax, Hydrops 
chylosus. G. Eisner. 

Ed. Al lard - Hamburg: Cymarin, ein neues Herzmittel. (Deutsche 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 17.) Cymarin ist das chemisch reine, 
kristallisierte Glykosid von Apocynum cannabinum. Es ist ein rasch 
und energisch wirkendes Herzmittel, das noch häufig wirkt, wenn 
Digitalis versagt. Es besitzt zudem eine stark diuretische Wirkung. Es 
kann per os uhd als intravenöse Injektion angewendet werden. Bei 
letzterer Verabreichung tritt die Wirkung schon nach wenigen Minuten 
ein. Therapeutische und toxische Dosis liegen weit auseinander. 

Wolfsohn. 

A. Kakowski-Kiew: Weitere Beiträge zur Diätetik. (Therapeut. 
Monatsh., April 1913.) Verf. untersuchte den Einfluss der in Russland 
als Nahrung sehr verbreiteten Pilze auf den Verlauf von Nierenkrank¬ 
heiten und kommt auf Grund seiner Beobachtungen zu dem Schlüsse, 
dass Pilze dem Nierenkranken zu verbieten seien. H. Knopf. 

W. Bywaters und A. Rendle Short-Bristol: Aminosäure! nnd 
Zucker bei der Rectalernährung. (Archiv f. experim. Pathol. u. 
Pharmakol., Bd. 71, H. 6, S. 426—445.) Eiweiss wird bei der Rectal¬ 
ernährung nur resorbiert, wenn es in vitro vorher durch Verdauung in 
Aminosäuren zerlegt ist. Dabei findet eine nennenswerte Fäulnis der 
zugeführten Klysmen im Darm nicht statt. Dextrose wird viel besser 
wie Laktose resorbiert und hemmt den Verfall durch Hunger. Fett 
wird schlecht resorbiert. Das beste Nährklysma besteht aus Milch, die 
24 Stunden lang der Pankreaseinwirkung ausgesetzt ist, mit 5 proz. 
reiner Dextrose. Jacoby. 

K. Mattisson - Malmö: Ueber die sogenannte Capillaranalyse vom 
Magensaft nach J. Holmgren. (Archiv f. Verdauungskrankh., Bd. 19, 
H. 1.) Verf. kommt auf Grund sorgfältiger Untersuchungen zu dem 
Schluss, dass die Methode nicht brauchbar ist. 

J. P. Gregersen-Kopenhagen: Untersuchungen über Sehmidt’s 
Bindegewebsprobe. (Archiv f. Verdauungskrankh., Bd. 19, H. 1.) Es 
wurden 14 Patienten mit Achylie untersucht, wobei die Fäces bei mehr¬ 
facher Untersuchung fast regelmässig Bindegewebe nach Fleischkost ent¬ 
hielten, d. h. ein negatives Resultat auf vier positive bei ein und dem¬ 
selben Patienten kam. Bei 22 Patienten mit Salzsäure im Mageninhalt 
eine Stunde nach dem Ewald’schen Probefrühstück wurde in 14 Fällen 
kein Bindegewebe gefunden, bei den anderen waren die Ergebnisse 
wechselnd und die Bindegewebsverdauung war von dem mehr oder 
weniger grossen Gehalt an freier Salzsäure abhängig. Hierüber hat Verf. 
noch einige besondere Versuche angestellt. Die Eingabe von Salzsäure 
und Pepsin beeinflusst den Ausfall der Bindegewebsprobe gar nicht, 
ebensowenig die Aciditätswerte. 

A. Sommerfeld - Posen: Zur Differentialdiagnose des Ulcus ven- 
tricnli und des Ulcns duodeni. (Archiv f. Verdauungskrankh., Bd. 19, 
H. 1.) Sommerfeld gibt eine Analyse von 44 Fällen von Magen-bzw. 
Duodenalgeschwüren, die er in drei Gruppen einteilt: a) Magengeschwüre, 
die entfernt vom Pylorus sassen (11 Fälle), b) Pylorusgeschwüre 
(12 Fälle), c) Duodenalgeschwüre (21 Fälle). Es fand sich: Frühschmerz 
bei Magenkörpergeschwüren in 75 pCt., Spätschmerz bei Pylorus- und 
Duodenalgeschwüren in 69 bzw. 64 pCt. Linderung der Hungerschmerzen 
durch die Nahrung der oben angegebenen Reihe nach in 64, 50 und 
80 pCt. Lokalisierte und irradiierte Schmerzen sind bei a) mehr nach 

links, bei b) und c) mehr nach rechts (42 und 62 pCt.) gelegen. Der 

Mendel’sche Scbmerzpunkt und der Boas’scbe Druckpunkt sind inkonstant. 
Letzterer war links bei a) in 50 pCt., bei c) in 29 pCt., rechts bei b) in 
30 pCt., bei c) in 44 pCt. Hypersekretion bestand bei a) in V 2 » bei 
c) in 4 / b der Fälle. Pylorospasmus mit „transitorischer Zwölfstunden¬ 
retention (Kemp)“ wurde wiederholt beobachtet, eine Periodicität der 
Beschwerden fand sich bei Ulcus duodenale in 86 pCt., bei Ulcus ven- 
triculi nur in 9 pCt. Die Zahl der Fälle ist zu klein, um bindende 

Schlüsse zu erlauben (so finden sich z. B. bei Kemp in 25 pCt. perio¬ 

dische Schmerzen bei Ulcus ventriculi), immerhin sprechen die Zahlen 
ganz im Sinne der in Deutschland gefundenen Tatsachen. 

F. Bjalokur-Jalta: Zur Frage der Palpation des Wurmfortsatzes. 
(Archiv f. Verdauungskrankh., Bd. 19, H. 1.) Im Original einzusehen. 
Die Schlusssätze des Verf. bringen nichts Neues. Ewald. 

F. Monisset und L. Folliet: Ueber die Epilepsie im Verlauf 
des Typhus. (Lyon möd., 1913, Nr. 13.) In seltenen Fällen beobachtet 
man im Verlaufe eines Typhus Auftreten von Epilepsie. Das Leiden ist 
dann entweder als Folge eines Hirnabscesses, einer Hirnembolie, einer 
Meningitis oder Encephalitis zu deuten, oder es hat bereits in früheren 
Jahren bestanden und kommt unter dem Einfluss der typhösen Infektion 
wieder zum Vorschein. A. Münzer. 

S. Boyd-London: Nichtparasitäre Cysten der Leber. (Lancet, 
5. April 1913, Nr. 4675.) Klinische Besprechung der allgemein cysti- 
schen Erkrankung der Leber aus den solitären Lebercysten unter Be¬ 
rücksichtigung der Arbeiten über die einzelnen Fälle. Kranken- 


gescfiichte eines vom Verf. beobachteten Falles und tabellarische Ueber- 
sicht über 34 Fälle von Operationen solitärer Cysten. Weydemann. 

K. Byloff-Wien: Beitrag zur Kenntnis der Aneurysmen der Bauch¬ 
aorta. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) Es bandelt sich um 
ein kindskopfgrosses Aneurysma der Bauchaorta bei einem 57 jährigen 
Patienten, das zur Arrodierung des 8., 9. und 10. Brustwirbels führte. 
Die Diagnose konnte bereits intra vitam gestellt werden. Interessant 
ist, dass differentialdiagnostisch die Abgrenzung von einer Pankreas¬ 
erkrankung sich recht schwierig gestaltete, indem vier Attacken beob¬ 
achtet wurden, die durch das Auftreten von Appetitlosigkeit, Aufblähung 
des Leibes, Fettstühle, Kreatorrböe, alimentäre Glykosurie und Lävulos- 
urie an eine Erkrankung des Pankreas denken liessen. Das Wechselnde 
in der Funktionsstörung der Drüse sprach gegen die Annahme einer 
malignen Neubildung oder eines chronisoh-indurativen Prozesses, das 
Fehlen von Koliken gegen Pankreassteine. P. Hirsch. 

Reuss - Chemnitz: Hernia diaphragmatica oder einseitiger 
Zwerch feil hoch stand? (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 16.) 
ln dem beschriebenen Fall handelt es sich trotz des vorausgegangenen 
Traumas um einen einseitigen Zwerchfellhochstand, nicht um Hernia dia¬ 
phragmatica. Es werden die differentialdiagnostischen Momente, die sich 
zum grössten Teil auf das Radiogramm stützen, besprochen. 

Wolfsohn. 

I. Sohn - Lemberg: Ueber die Beeinflussung des Stoffwechsels 
durch Benzol samt Bemerkungen über seine Darreichung bei der 
Leukämie. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) S. hat eine Reihe 
von Stoffwecbseluntersuchungen an drei nicht leukämischen Patienten 
und an einem Falle von myeloider Leukämie angestellt. Er schliesst 
hieraus, dass durch das Benzol eine Veränderung der Oxydationspro¬ 
zesse im Organismus stattfindet. Die bisher durch die Benzolbehandlung 
beobachtete günstige Beeinflussung der Leukämie bezieht sich fast aus¬ 
schliesslich auf das Sinken der Zahl der weissen Blutkörperchen. Nach 
Ansicht des Verf. ist diese Abnahme nur eine scheinbare und erklärt 
sich durch Verminderung im Blute der peripheren Gefässe unter gleich¬ 
zeitiger Anhäufung in den Blutcapillaren der inneren Organe. Ein Zer¬ 
fall weisser Blutkörperchen im Organismus findet nicht statt; diese 
scheinbare Verminderung der weissen Blutkörperchen entspricht also 
nicht einer Bessserung des Krankheitszustandes. Vor einer Benzol¬ 
darreichung in gösseren Dosen und durch längere Zeit hindurch muss 
gewarnt werden. P. Hirsch. 

Siehe auch Therapie: Freund und Kriser, Behandlung der 
Ischias, Tabes und chronischen Gelenkerkrankungen mit Mesotborschlamm. 
Welz, Behandlung des Erysipels mit Antistreptokokkenserum. — Para¬ 
sitenkunde und Serologie: Waledinsky, Färbung der Tuberkel¬ 
bacillen im Sputum Mehler und Ascher, Chemotherapie der Tuber¬ 
kulose. — Chirurgie: Neudörfer, Pylorospasmus und Ulcus ventriculi. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

H. Vogt-Wiesbaden: Psychotherapie. (Therapeut. Monatsh., April 
1913.) Zusammenfassende Uebersicht. Ergebnisse der Therapie. 

H. Knopf. 

Keilner-Hamburg: Die mongoloide Idiotie. (Münchener med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 14.) An Hand von 7 Fällen mit Abbildungen 
bespricht K. die Symptome der mongoloiden Idioten. 

H. Noguchi-New York: Studien über den Nachweis der Spirochaete 
allida im Centralnervensystem bei der progressiven Paralyse nnd 
ei Tabes. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 14.) N. ist es 
zum ersten Male gelungen, in den Gehirnen von Paralytikern und 
Tabikern nach einer modifizierten Levaditi-Färbung Spirochäten nachzu¬ 
weisen. Damit ist der Beweis der Zugehörigkeit dieser Erkrankungen 
zur Syphilis erbracht; inwieweit die Bezeichnung „parasyphilitische Er¬ 
krankungen“ berechtigt ist, muss weiteren Untersuchungen Vorbehalten 
bleiben. Von ihnen hängt dann auch das therapeutische Eingreifen ab. 
Was die Verteilung der Spirochäten im Gehirn der Paralytiker betrifft, 
so wurden die Befunde speziell im Gyrus frontalis, Gyrus rectus und 
Regio Rolandi erhoben. 

K. Goldstein - Königsberg: Ein Fall von Akromegalie lach 
Kastration bei einer erwachsenen Frau. (Münchener med. Wochenschr., 
1913, Nr. 14.) Einer jetzt 48 jährigen Frau, die von jeher durch ihre 
Grösse und Grobknochigkeit auffiel, wurden im 39. Lebensjahre Uterus 
und Adnexe vollständig entfernt. Objektiv bestehen jetzt sehr grosse 
Extremitäten, Verdickung der Weichteile, Vergrösserung des Gesichts und 
Vorstehen des Kinnes. Brüchige Haut. Keine Symptome, die für 
Hypophysenvergrösserung sprechen. Die Anlage zum Riesenwuchs liefert 
die Grundlage. Die Ausschaltung der Genitaldrüsen war die Veranlassung 
zum Auftreten der akromegalischen Erscheinungen. Dünner. 

Siehe auch Innere Medizin: Fels, Psychologische Betrachtungen 
bei der subcutanen Tuberkulindiagnostik. Monisset und Folliet, 
Epilepsie im Verlaufe des Typhus. — Chirurgie: Mayesima, Förster¬ 
sehe Operation bei Erythromelalgie. Leriche, Dehnung des Plexus 
solaris wegen gastrischer Krisen. 


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5. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


843 


Kinderheilkunde. 

J. Schwenke - Breslau: Die diagnostische Bedeutung der Döhle- 
scheu Lenkoeyteneiischlüsse hei Scharlaeh. (Münchener med. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 14.) Die Untersuchung auf Döhle’sche Leukocyten- 
einschlüsse muss in ihrer diagnostischen Bedeutung eine ziemlich 
weitgehende Einschränkung erfahren. Infolge der einfachen Technik 
dürfte sie immerhin als unterstützendes Hilfsmittel in zweifelhaften Fällen 
mit Erfolg heranzuziehen sein. Dünner. 

W. Uffenorde - Göttingen: Bemerkung zu der Abhandlung von 
Dr. E. Benjamin: „Die Therapie des Scharlachs“ in dem Februarheft 
dieses Jahres der Therapeutischen Monatshefte. (Therapeut. Monatsh., 
April 1913.) Yerf. widerspricht der 1. c. geäusserten Ansicht, „sobald 
das Trommelfell (bei der Scharlachotitis) injiziert und vorgewölbt ist, 
sich zunächst lediglich auf Spülungen mit warmen Borsäurelösungen 
zu beschränken“. Vielmehr kann nach Yerf. hier sofortige ausreichende 
Paracentese allein als rationell erscheinende Maassnahme in Frage 
kommen, die der Eomplikationsgefahr der Scharlachotitiden entgegen¬ 
zuarbeiten sucht. Der lokale Befund, die Temperatur u. a. haben be¬ 
treffs der Maassnahmen in dieser Hinsicht zu entscheiden. 

H. Knopf. 

Siehe auch Therapie: Rosenhaupt, Medikamentöse Behandlung 
des nervösen Erbrechens im Kindesalter. 


Chirurgie. 

S. Muroya: Experimentelle Untersuchungen über Novocain bei 
Paravertebralinjektion. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 122, H. 1 u. 2.) 
Bei der Paravertebralinjektion ist die tödliche Dosis des Novocains im 
Kaninchenversuoh gegenüber der Dosis bei subcutaner Injektion ver 
riogert. Die Resorption kann verringert werden durch Zusatz von 
Gelatine und Adrenalin zu der Novocainlösung. J. Becker. 

v. G a z a - Leipzig-Gohlis: Gewebsnekrose nnd arterielle* Arrosions¬ 
blutung nach Anwendung alter Novocainlösungen nur Infiltrations¬ 
anästhesie. (Deutsche med. Wocbenschr., 1913, Nr. 16.) Yerf. sah 
nach dem Gebrauch einer alten Novocainlösung am Oberkiefer eine 
schwere Gewebsnekrose mit mehrfacher gefährlicher Arrosionsblutung aus 
der Arteria palatioa ascendens und vorübergehender Perforation des 
harten Gaumens. Vor der Anwendung älterer Lösungen ist demnach 
dringend zu warnen. Wolfsohn. 

F. Kuhn-Berlin: Zuckerinfusionen, ein Prophylakticum gegen 
Thrombose. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 122, H. 1 u. 2.) Trauben¬ 
zuckerlösungen von 4 pCt. haben neben ernährender, antitoxischer und 
blutdruckhebender Wirkung die Eigenschaft der anticoagulierenden 
Wirkung, was zur Verhütung postoperativer Thrombosen — allerdings 
nur für einige Stunden — von Wichtigkeit ist. Einzelheiten des inter¬ 
essanten Aufsatzes sind im Original einzusehen. J. Becker. 

R. Vogel-Wien: Ruptur des M. rectus femoris. (Wiener med. 
Wochenscbr., 1913, H. 13.) Ruptur in einem verfetteten Muskel mit 
scharfer, fast glattrandiger Trennungsfläche, hervorgerufen durch plötzlich 
einsetzende, die Leistung des degenerierten Muskels weit übersteigende 
Kraft. Adaption der Lappen und Naht. Vorzüglicher Heilerfolg. 

G. Eisner. 

0. Warschauer-Hannover: Ueber freie Fascientransplantation. 
(Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 122, H. 1 u. 2.) Historische Uebersicht 
des Transplantationsverfahrens. Sehr zu empfehlen ist die Fascienplastik 
nach Kirschner, die bei Ersatz von Sehnendefekten nach vorherigem 
Ueberzug eines Stücks resezierter Vena saphena über den Fascienstreifen 
gute Resultate gibt. 

W. Speck-Leipzig: Luxation der Hand radialwärts mit isolierter 
•Luxation des Kahnbeins volarwärts. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 122, 
H. 1 u. 2.) Mitteilung eines neuen Falles dieser seltenen Verletzung. 
Bei der Therapie leistet- die von Payr angegebene Kapselfüllung 
Gutes, sonst kommt eventuell blutige Reposition in Betracht. 

J. Becker. 

A. S. B. Bankart - London: Die Technik der Entfernung der Hals- 
rippen. (Lancet, 5. April 1913, Nr. 4675.) Der Verf. macht einen 
10 cm langen Schnitt 2,5 cm entfernt von der Linie der Darmfortsätze 
und parallel dazu. Die Mitte des Schnittes liegt in der Höhe des 
7. Halswirbels. Der Trapezius wird durchtrennt und beiseite gezogen, 
so dass die hinteren tiefen Halsmuskeln freiliegen, an deren äusserem 
Rande die Querfortsätze und der Ansatz der Halsrippe sichtbar wird. 
Diese wird dicht am Wirbel durchtrennt, ist nun beweglich und kann 
leicht aus den Weichteilen gelöst werden. Naht des Trapezius mit 
Catgut; seine Durchtrennung hatte keine üblen Folgen. Die Blutung 
war sehr gering. Diese leicht auszuführende Operation hat grosse Vor¬ 
züge vor den bisher üblichen Verfahren. Wey dem an n. 

R. L6riohe-Lyon: Chirurgische Gedanken über die Heliotherapie, 
besonders bei tuberkulösen Erkrankungen im Kindesalter. (Deutsche 
Zeitschr. f. Chir., Bd. 122, H. 1 u. 2.) Ponoet ist als Vater der Helio¬ 
therapie anzusprechen, die dann von Rolli er später weiter ausgebaut 
wurde. Die Methode muss mehr und mehr eingeführt werden. 

J. Becker. 

J. Zilz: Primäre Wangenaktinomykose. (Wiener med. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 13.) Beschreibung eines Schulfalles von primärer 


Wangenaktinomykose, bei dem sich alle Verlaufsphasen sehr schön 
präsentieren. Nach der traumatischen Inoculation des Strahlenpilzes 
durch einen mit demselben beladenen Kürbissamen lässt sich das In¬ 
vasionsstadium, die einleitende, meist unbemerkt verlaufende Schleim- 
hauterkrankung, genau verfolgen. Ihr schliesst sich dann das Studium 
der Monoinfektion, und zwar das Studium der latenten Bildung des 
Granulationstumors in der Wange an. Es ist dies eben dieser patho¬ 
logische Abschnitt, wo der Strahlenpilz allein sein schleichendes, lang¬ 
sam, aber hartnäckig progredientes Zerstörungswerk betreibt Im letzten, 
und zwar im floriden Stadium der Mischinfektion setzte die chirurgische 
Therapie noch vor dem bedrohlichen Uebergreifen des Prozesses auf die 
Umgebung wirksam und heilend ein. G. Eisner. 

N. Patterson-London: Ein Fall von Epitheliom der Ohrmuschel 
nnd der Halsdräsen; Entfernung der Ohrmuschel und der Drüsen. 
(Lancet, 5. April 1913, Nr. 4675.) Bei der Entfernung der in sehr 
weitem Maasse ergriffenen Halslymphdrüsen machte der Verf. zunächst 
einen Verschluss des Sinus lateralis, und er gedenkt dies in Zukunft 
stets zu tun. Hautschnitt wie bei der Operation am Processus mastoideus; 
Abheben des Periostes, Eröffoung des Schädels etwa 2 cm hinter der 
Mitte des äusseren Gehörganges, am besten mit dem Meissei. Wenn der 
Sinus freiliegt, wird die Oeffnung nach hinten und oben erweitert, damit 
ein Tampon eingelegt werden kann. Man vermeidet so die Gefahr, dass 
bei der späteren Entfernung der Halsdrüsen bei einer etwaigen Ver¬ 
letzung der Jugularis interna eine schwere und lästige Blutung eintritt. 
Die Freilegung des Sinus erfordert nicht mehr als 5—10 Minuten. 

Weydemann. 

Mayesima-Kyoto: Ein durch die Förster’sche Operation erfolg¬ 
reich behandelter Fall von Erythromelalgie. (Deutsch* Zeitschr. f. 
Chir., Bd. 122, H. 1 u. 2.) Die Aetiologie der Erythromelalgie ist strittig, 
vasomotorische Neurosen, Degeneration der peripheren Nerven u. a. hat 
man angenommen. Wahrscheinlich ist sie als vasomotorische Neurose 
anzusprechen, wofür auch der Erfolg der nach Förster ausgeführten 
Resektion der 4.-5. Lumbal- und 1.—2. Sacralwurzeln spricht. 

R. Leri che-Lyon: Dehnung des Plexus solaris wegen tabischer 
gastrischer Krisen. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 122, H. 1 u. 2.) 
Bericht über eine Patientin, die nach Försterischer Operation ein Recidiv 
bekam, das durch Dehnung des Plexus solaris geheilt wurde. Man ist 
zu dem Eingriffe berechtigt, da er Erleichterung herbeiführt, trotz der 
eventuellen Mortalitätsgefahr. J. Becker. 

J. T. Pilcher: Postoperative gastro-enteritische Parese. (Archiv 
f. Verdauungskrankh., Bd. 19, H. 1.) Pilcher findet, dass der Zu¬ 
stand nicht so selten vorkommt, als gewöhnlich angenommen wird. Er 
hat über 60 Fälle selbst beobachtet. Nach gedrängter Beschreibung 
der klinischen Symptome kommt P. zu der Auffassung, dass der ursäch¬ 
liche Faktor nicht in einer rein mechanischen Grundlage bestehen kann, 
sondern in einer Erschöpfung der Nerven des Magendarmkanals gelegen 
ist. Dieselbe kann durch ein Trauma oder durch Refleximpulse oder 
durch beides bedingt sein. Gegen die Annahme, dass die Narkose die 
Ursache ist, spricht der Umstand, dass akute Magendarmparese nach 
Operationen unter örtlicher Anästhesie aufgetreten ist. Therapeutisch 
wendet P. häufig wiederholte, genügend lange andauernde Magen¬ 
spülungen und Rectaleingiessungen unmittelbar nach der Operation von 
2 1 dezinormaler Salzlösung (?) an. Subcutan gab er früher Eserin, 
sulfuric. oder salicylic. in Dosen von 0,0015, jetzt Hormonal 20—40 ccm 
intramusculär oder intravenös. Die Wirkung war „ausserordentlich be¬ 
friedigend“ und schnell. Unangenehme-Nebenwirkungen fehlten. Es soll 
kein Laxans angewandt werden, ehe nicht eine gründliche Entleerung 
des Magens erzielt worden ist. Die operative Behandlung ist nicht am 
Platz, ebensowenig die Behandlung durch Lage Wechsel. Ewald. 

A. Neudörfer-Hohenems: Pylorospasmus and Ulcus ventriculi. 
(Müncher med. Wocbenschr., 1913, Nr. 14.) N. machte bei einem callösen 
Ulcus der kleinen Curvatur Resektion des Pylorus, der vollkommen 
spastisch kontrahiert war und geradezu den Eindruck eines Tumors 
machte. Das Ulcus heilte aus. Dieser Fall passt, wie N. ausführt, sehr 
gut in die in jüngster Zeit von v. Bergmann inaugurierte Theorie der 
Entstehung des Ulcus ventriculi. Dünner. 

G. Bien-Wien: Fall von Ileus, hervorgerufen durch Obliteration 
eines MeekePsehen Divertikels. (Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 13.) 
Beschreibung eines Falles von Ileus bei einem 2 Monate alten Kinde, 
dessen Aetiologie besonderes Interesse hat: Ein mit retiniertem rechts¬ 
seitigen Hoden verwachsenes obliteriertes Meckel’sches Divertikel zieht 
als strangförmiges Gebilde aus der rechten Fossa iliaca in den in der 
Bauchwand befindlichen offenen Processus vaginalis. Dadurch wird 
einerseits das Ileum zur Knickung gebracht, andererseits der Austritt 
einer Hernie ermöglicht. Alle klinisohen Erscheinungen werden durch 
diesen anatomischen Befund erklärt. Die Knickung des Darmlumens 
macht den langsam ansteigenden Ileus verständlich. G. Eisner. 

Bertelsmann-Cassel: Soll im Intermediärstadium der aknten 
Appendieitis operiert werden? (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 122, 
H. 1 u. 2.) B. rät im Gegensatz zu Fromme zur Operation, da in dem 
Intermediärstadium alle Wehrkräfte des Peritoneums noch mobil sind. 
Operiert man nicht, dann läuft man Gefahr, dass eine Laxheit bezüg¬ 
lich des Operierens zum Nachteil der Kranken auftritt. 

Bertelsmann-Cassel: Zur Technik der Appendektomie. (Deutsche 
Zeitschr. f. Chir., Bd. 122, H. 1 u. 2.) Nach Isolierung des Appendix, 
Durchquetschung desselben und Umschnürung des Stumpfes wird der 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18 . 


Appendix mit Paquelin abgetragen, der Stumpf durch Tabaksbeutelnaht 
in die Tiefe versenkt. Bei eitrig-gangränöser Form -wird zunächst eine 
Durchstechungsnaht nahe dem Ansatz nach Sprengel und Rehn an¬ 
gelegt und sonst wie üblich verfahren. J. Becker. 

0. Föderl-Wien: Herniologisehes. (Wiener med. Wochenschr., 
1913, Nr. 13.) Yerf. bespricht Bruchformen, welche durch Varianten 
des Bruchsackes und durch ihre relative Seltenheit besonderes Interesse 
beanspruchen. Daneben werden Geschwülste und Prozesse besprochen, 
die zu Verwechslungen mit Hernien Veranlassung geben könnten. Die 
Einzelheiten der Arbeit sind zum Referat nicht geeignet. 

G. Eisner. 

A. Polacco und A. Neu mann-Bruck: Zur Aetiologie, Symptomato¬ 
logie und Pathogenese der akuten Darmstrangulation. (Deutsche Zeit¬ 
schrift f. Cbir., Bd. 122, H. I u. 2.) Organisierte Gebilde, herrührend 
wahrscheinlich von einem peritonealen Exsudat früherer Zeit, veranlassten 
nach einem Trauma einen Obturationsileus, der sich durch Bradycardie 
und verzögerte Morphiumwirkung auszeichnete. 

W. Goebel-Cöln: Chirurgische Erfahrungen aus dem Balkan¬ 
kriege. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 122, H. 1 u. 2.) Abwartendes 
Verhalten ist angebracht. Die Wundinfektion ist meist eine Sekundär¬ 
infektion. Bei Schussverletzungen der Extremitäten wird der Gipsverband 
sehr empfohlen. J. Becker. 


Röntgenologie. 

Th. Groedel und Fr. Groedel - Frankfurt a.M.: Die Technik der 
Röntgenkinematographie. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 17.) 
Die kombinierte Herzröntgenkineraatographie und Elektrocardiographie 
(mit Kunstbeilage). Wolfsohn. 

F. M. Groedel-Frankfurt a. M.: Die röntgenologische Darstellung 
des Proeessus vermiformis. (Münchener med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 14.) G. vertritt auf Grund seiner Untersuchungen die Ansicht, dass 
die normale Appendix röntgenologisch nicht darstellbar sei. Nur in 
einem einzigen Falle von Invagination bei einem 7 jährigen Patienten 
wurde die Appendix nach Wismuteinlauf sichtbar. (Inzwischen hat 
Max Cohn-Berlin auf dem Chirurgenkongress eine Reihe Röntgenplatten 
mit Appendices vorgeführt, die also beweisen, dass die Appendix 
röntgenologisch sehr gut darstellbar ist. Ref.) Dünner. 

Siehe auch Geburtshilfe und Gynäkologie: Kawasoye, 
Einwirkung der Röntgenstrahlen auf die Eihäute. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

E. Finger-Wien: Qnecksilber und Salvarsan. Bemerkungen 
zur Syphilistherapie und zur Wirkung der gebräuchlichen Antisyphilitjca. 
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) Das Salvarsan in steter 
Kombination mit Quecksilber eignet sich im Primärstadium zur Abortiv¬ 
behandlung Wassermann-negativer Sklerosen vorzüglich, im Tertiär¬ 
stadium ist es dort am Platze, wo rasche Wirkung erzielt werden soll. 
Dagegen unterbleibt die Salvarsanbehandlung bei Wassermann-positiven 
Sklerosen und im frühen Sekundärstadium. Auch diese Indikations¬ 
stellung beugt dem Auftreten einer Encephalitis haemorrhagica nicht 
vor. Ueber das Schicksal der mit Salvarsan behandelten Patienten be¬ 
züglich der Meta- und Paralues.(Paralyse, Tabes, Aortitis) fehlt uns 
noch jede Erfahrung. P. Hirsch. 


Geburtshilfe und Gynäkologie. 

M. Kawasoye - Kiel: Einwirkung der Röntgenstrablen auf die 
Eihättte. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 14.) Verf. hat eingehende 
Tierexperimente darüber angestellt, ob die Röntgenstrahlen die Gravidität 
beeinflussen, und kommt zu dem Resultat, dass ein anatomisch nach¬ 
weissbarer Einfluss auf die Eihäute nicht besteht, wenigstens waren die 
mikroskopischen Befunde an den Eihäuten keine anderen, als man sie 
auch sonst am Ende der Schwangerschaft findet. Dasselbe gilt auch 
für die Uteruswand. Trotzdem waren die Schädigungen der Gravidität 
ganz offenbar. In drei von sieben Fällen trat Abort ein, es wurden 
tote und zum Teil macerierte Föten entleert. Genauere Untersuchungen 
zeigten, dass die Veränderungen sich namentlich auf Leber und Milz 
beziehen. Diese Feststellungen scheinen uns recht wertvoll, zeigt es 
doch, wie vorsichtig man z. B. bei Graviden mit der Anwendung der 
Röntgenstrahlen sein muss. 

H. Sieber: Zur Scopoiaminfrage. (Centralbl. f. Gynäkol, Nr. 14, 
1913.) Verf. weist wie schon einmal auf die ausserordentlichen Gefahren 
der Scopolaminanwendung hin. 

C. Koch - Giessen: Kritische Betrachtung zur Frage unserer modernen 
Wehemnittel mit besonderer Berücksichtigung des Betaimidazolyläthyl- 
amins. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 16.) Verf. hat früher die 
Anwendung des genannten Präparats durch Injektion in die Portio 
empfohlen, ist aber wegen der unter Umständen sehr heftigen und all¬ 
gemeinen Wirkung desselben von dieser Form der Anwendung zurück¬ 
gekommen. Dagegen hat sich das Präparat bei der Anwendung in 
Tropfenform (Lösung 1: 500 6—20 Tropfen) bewährt. Jedoch scheint 
es dieselbe Vorsicht in der Anwendung zu erheischen, wie Pituitrin und 


andere in gleichem Sinne wirkende Mittel, z. B. plötzliche Erschlaffung 
des Uterus, Uteruskrampf usw. Es werden aus der Praxis entsprechende 
Fälle angeführt und kritisch beleuchtet. Siefart. 

H. Reinhard • Osnabrück: Zar medikamentösen Bekandlnng der 
Webensehwäcke während der Geburt. (Deutsche med. Wochenschr., 
1913, Nr. 16.) Mit Pituitrin hat Verf. keine guten Erfolge gehabt 
Mehrmals sah er dabei gefährliche Dauerkontraktionen des Uterus. 
Etwas bessere Resultate gibt das Pituglandol, wenngleich auch hierbei 
Tetanus uteri vorkommt. Am günstigsten und ungefährlichsten wirkt 
noch das Secalan-Golaz. 0,5 reicht meist aus, kann jedoch unbedenklich 
wiederholt werden. Wolfsohn. 

E. Langes-Kiel: Intraperitoneale Verblutung intra pmrtnm infolge 
von Venenrnptnr des Uterus. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 15.) 
Sechs Wochen ante terminum traten bei einer Gravida heftige Schmerzen 
im Leibe auf. Patientin verfiel zusehends, und da die offenbaren Zeichen 
einer internen Blutung vorhanden waren, so schritt man zur Laparotomie. 
Als Ursache der Blutung wurde ein pfennigstückgrosses Loch in der 
Uterusserosa gefunden, welches in ein weit ausgebuchtetes Venen¬ 
aneurysma führte. Da das Kind abgestorben war, wurde die supra¬ 
vaginale Amputation gemacht. Trotz reichlicher Zufuhr aller denkbaren 
Analeptica trat der Exitus ein. Die mikroskopische Untersuchung der 
angefertigten Serienschnitte ergab, dass die Ruptur einer sehr dünn¬ 
wandigen varicös erweiterten Vene dicht unter der Serosa vorlag. 

F. v. Neugebauer-Warschau: Ueber eine Gebnrt 5 Jahre nach 
vorausgegangener Piccolioperation wegen puerperaler Uterusinversion. 
(Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 15.) Verf. hat bei einer Patientin eine 
Inversio uteri operiert durch die sogenannte Piccoli’sche Operation (Ex- 
cision eines Stückes der hinteren Uteruswand und Redression mit Ver- 
nähung des Excisionsschnittes). Nach 5 Jahren kam die Patientin 
wieder zur Entbindung und machte eine glatte Spontangeburt und ein 
normales Wochenbett durch. Die Placenta zeigte in ihrer Mitte eine 
Einschnürung, was anscheinend auf die Nahtnarbe zurückzuführen ist 
Er will konstatiert haben, dass die Inversio fast nur bei Primiparen 
vorkommt, und schliesst sich der Ansicht von Mannsfeld an, dass sie 
stets mit mangelhafter Entwicklung oder Störung im Wachstum der 
Nebennieren verbunden ist, ohne dass man bisher eine Erklärung 
dafür hat. 

E. Scholl und W. Ko lde - Erlangen: Bakteriologische Unter- 
snchangen bei gynäkologischen Erkrankungen. (Centralbl f. Gynäkol., 
1913, Nr. 16.) Die Verff. haben 100 in der dortigen Klinik operierte 
Fälle bakteriologisch untersucht, und zwar in der Weise, dass bei den 
Pat. nach der Aufnahme, bevor eine Spülung gemacht war, von der 
Portio und aus der Vagina mit der Platinöse Sekret entnommen wurde. 
Es wurden dann nach dem Verfahren von Heim aerobe und anaerobe 
Kulturen in Bouillon und Agar angelegt. Zur Beobachtung kamen 23 
nach Wertheim operierte Fälle, zwei Fälle von Ovarialcarcinom, fünf 
von Totalexstirpation wegen klimakterischen Blutungen, neun von Myom, 
drei von Totalexstirpation wegen Adnexerkrankungen, einer von Total¬ 
exstirpation wegen Lungentuberkulose, ferner plastische Operationen. 
Das Resultat war, dass das Vorhandensein von Streptokokken, seien es 
hämolytische oder anhämolytische, aerobe oder anaerobe, keinen Anhalts¬ 
punkt bietet, um eine Prognose über den Verlauf zu stellen. 

Siefart. 

Siehe auch Parasitenkunde und Serologie: Zinsser, Toxi- 
cität des menschlichen Harns im puerperalen Zustand und bei Eklampsie. 
— Psychiatrie und Nervenkrankheiten: Goldstein, Akromegalie 
nach Kastration. 


Augenheilkunde. 

M. Hoffmann-München: Doppeltbrechende Myelin« in Katarakten. 

(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 14.) H. bestätigt durch eine 
Nachuntersuchung die schon 1857 von Mettenheimer erhobenen Be¬ 
funde von doppeltbrechenden Myelinen in Katarakten; diese Myeline 
fand er bei normalen Linsen nicht. Unterwarf er jedoch normale Linsen 
der Hämolyse, so beobachtete er sie auch; ein Befund, der dadurch an 
Bedeutung gewinnt, dass auch andere Analogien zwischen kataraktösem 
Zerfall der Linse und autolytischen Zerfallsprozessen bestehen. 

Dünner. 


Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 

J. Lang-Prag: Znr Therapie der Entzündungen im Mud, 
Rachen nnd Kehlkopf. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 16.) 
Verf. hat eine grössere Anzahl von Mitteln in bezug auf ihre klinische 
Wirkung ausprobiert. Am wirksamsten erschienen ihm das Pyocyaneo- 
protein Honl und die Angioltabletten. Von Gurgelwässern ist Forma- 
mint sehr wirksam; Chlorkali ist sehr giftig und ein schwaches Gurgel¬ 
wasser. Es sollte aus dem Arzneischatz völlig gestrichen werden. 

Wolfsohn. 

J. F. O’Malley: Die Ausschälung der Tonsillen und die Ent¬ 
fernung der adenoiden Wucherungen unter Lachgas. (Brit. med. journ., 
5. April 1913, Nr. 2727.) Der Verf., der täglich über 30 Fälle zu ope¬ 
rieren hat, verwirft die gewöhnliche Amputation der Tonsillen und 
macht jedesmal die völlige Ausschälung mit Hilfe eines Tonsillektoms 


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5. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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unter Lachgasnarkose. Er gibt ausführlich alle Einzelheiten seiner 
Technik in bezug auf die Vorbereitung und Lagerung der Patienten, 
der Narkose, der Operation selbst und der Nachbehandlung. 

Weydemann. 

Garei und Gigno uz: Korrektionen der Deformitäten der Nase 
dar eh intranasale Operationen und Inklusionen der Prothese. (Lyon 
möd., 191S, Nr. 14.) Während die Deformitäten der Nase bisher nur 
auf extranasalem Wege korrigiert wurden, ist es neuerdings gelungen, 
dieselben durch intranasale Operationen zu beheben. Das erreichte kos¬ 
metische Resultat ist sehr befriedigend, da die verunzierenden Narben 
völlig fortfallen. . A. Münzer. 


Hygiene und Sanitätswesen. 

Siehe auch Parasitenkunde und Serologie: Weber, Be¬ 
deutung der Rindertuberkulose für die Entstehung der menschlichen 
Tuberkulose. —• Innere Medizin: Dietschy, Zur Diskussion über 
Heilstätten. Brecke, Die deutsche Heilstättenbewegung. 


Unfallheilkunde und Versicherungswesen. 

Siehe auch Innere Medizin:» Klein, Tuberkulindiagnostik in 
der Unfallbegutachtung. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Berliner orthopädische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Ordentliche Sitzung vom 4. März 1913. 

Vorsitzender: Herr Joachimsthal. 

Schriftführer: Herr Mai Böhm. 

Der Vorsitzende begrüsst die anwesenden Gäste: die Herren Prof. 
Dr. Dieck, Dr. Tedeschi, Dr. Melanotto und Dr. Katz. 

Aufgenommen sind in die Gesellschaft die Herren Prof. Dr. Ax- 
hausen, Dr. Wagner-Teplitz, Dr. Wolfsohn und Dr. Fritz Wachsner. 

Herr Wollenberg berichtet über die Vorbereitungen zum Inter¬ 
nationalen physiotherapeutischen Kongress. 

1. Hr. Reiner: Ueber Myatonia congenita. 

(Der Vortrag erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

2. Hr. Gränberg (a. G.): Die Grundlagen der Orthodontie. 

(Der Vortrag erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

Diskussion. 

Hr. Muskat-Berlin weist darauf hin, dass Anomalien in der Zahn¬ 
stellung und in der Zahnentwicklung gewöhnlich mit Störungen des 
übrigen Knochensystems zusammen Vorkommen. Er richtet an den 
Vortragenden die Frage, ob nicht auch in den gezeigten und sonst 
beobachteten Fällen Knochenveränderungen besonders rachitischer 
Natur Vorgelegen hätten. Für den Orthopäden wäre es wertvoll, wenn 
ein solcher Zusammenhang stets oder in der Regel bestände, um aus 
der falschen Zahnstellung einen sofortigen Rückschluss auf rachitische 
Veränderung des Knochenapparates ziehen zu können. 

Hr. Eckstein bittet um nähere Angaben, bis zu welcher Alters¬ 
grenze sich die demonstrierten Stellungskorrekturen ausführen lassen. 

Hr. Grünberg (Schlusswort): Ob die Rachitis stets Anomalien des 
Gebisses und der Kiefer zur Folge hat, lässt sich vorläufig mit Bestimmt¬ 
heit nicht sagen. 

Leider kommen die Patienten in der Mehrzahl der Fälle viel zu 
spät zu uns, um mit Bestimmtheit die rachitische Erkrankung feststellen 
zu können. Zur Lösung dieser Frage könnten meiner Ansicht nach nur 
die Orthopäden beitragen, da sie die Kinder in viel jugendlicherem Alter 
und meistens auch wegen der fraglichen Erkrankung zur Behandlung 
bekommen. 

Die Fälle von sogenanntem offenem Biss führt man fast in allen 
Fällen auf Rachitis zurück. 

Ich kann nur nochmals die Zuversicht aussprechen, dass die gemein¬ 
schaftliche Tätigkeit des Orthopäden und Orthodonten viele noch dunkle 
Punkte der Lösuug entgegenführen wird. 

Es unterliegt keinem Zweifel, dass jede Regulierung im jugend¬ 
lichen Alter sich viel leichter durchführen lässt. Man soll trotzdem 
es nie ablehnen, eine Regulierung auch bei einem Erwachsenen durch¬ 
zuführen, aber nur dann, wenn eine dringende Notwendigkeit vorliegt. 

Die Knochenformation geht im vorgeschrittenen Alter ebenso wie 
im ganz jugendlichen vor sich, aber bedeutend langsamer. Die Gefahr 
der Thrombosierung der Gefässe . bpi zu starker Kraftanwendung ist 
sehr nahe. „ 

So sind viele Fälle bekannt, wo Regulierungen noch bis zum 
35. Jahre durchgeführt wurden. Mein ältester Patient war etwa 
60 Jahre alt. 

Unter allen Umständen ist ein Unterschied zu machen, ob die 
Anomalie nur auf die Zahnstellung beschränkt ist oder aber auch die 


Kiefer in Mitleidenschaft gezogen sind. In letzterem Falle soll man im 
Alter von 20 bis 22 Jahren auch den Versuch einer Regulierung 
unterlassen. 

3. Hr. Evler: Mitteilungen zur orthopädischen Technik. 

Zunächst erlaube ich mir, Ihnen ein orthopädisches Glac61eder zu 
zeigen; es hat grössere Zug- und Reissfestigkeit als das bisherige, ist 
weniger dehnbar, wird nicht durch Schweiss entgerbt, kann also auf der 
Haut nicht trocknen oder hart werden und scheuern, verursacht auch 
keine Reizerscheinungen. Es lässt sich ausser mit Benzin mit Seife 
reinigen und eignet sich für Riemen, zum Füttern, Einfassen. 

Die Gerbung ist von der hiesigen Glacölederfabrik von Karplus & 
Herzberger nach einem von mir zusammengestellten Gerb verfahren, einer 
Kombinationsgerbung mit Formaldehyd, Oelemulsion und Magnesium¬ 
silicat vorgenommen worden. Die Gerbung kann mit Chrom- oder Loh¬ 
gerbung verbunden werden. Auch dickes Leder ist hergestellt. Mit 
dem letzteren weichen Material lassen sich ebenso wie mit Chromleder 
der Haut direkt unter Fortfall der Modelle, wie sie die Hessingapparate 
bedürfen, Spannungen anschmiegen, welche an vorspringenden Knochen 
und Weichteilen Widerhalt finden und die durch Bewegungen der Mus¬ 
keln bedingten Volumenänderungen der Gliedmaassen mitmachen. Sollte 
in Ausnahmefällen unter Beibehaltung der Biegsamkeit eine grössere 
Stützkraft erforderlich sein, so dürfte sich ein Balatariemen empfehlen. 
Der Preis ist derselbe wie für Leder. Erheblich billiger stellen sich 
dagegen Baumwollgurte; ich habe mir solche von 4,8 cm Breite und 
4 mm Dicke weben lassen, auch in ihnen haften Nieten, welche bei 
untergewickelter Trikotschlauchbinde nicht im geringsten drücken. Ich 
niete mit Schuhösen, Zweispitznieten oder mit Schrauben. Abgesehen 
von dem schnellen geräuschlosen Einsetzen der Niete, in den beiden 
ersteren Fällen mit besonderen Zangen, lassen sich dieselben leicht ent¬ 
fernen bzw. abfeilen. 

Amerikanische Riemenverbinder (Schraubennieten) sind ebenfalls 
mitunter zweckmässig; sie haften infolge der kleinen Häkchen an dem 
Unterteil an sich ziemlich fest. 

Um Schienen noch mehr am Verschieben (Drehen) zu hindern, 
wende ich gewöhnliche Schrauben und kleine die Schienen von oben 
umfassende Blechstücke mit zwei oder vier Zacken an der Unterfläche 
an, welche durch Druck der Schraubenmutter in die Gurte hineingepresst 
werden, von unten wirkende Blechstücke mit Zacken können direkt dem 
Schraubenkopf angelötet sein. 

Die Verbindung zweier Gurte machte bisher Schwierigkeiten, ich 
versuchte es mit Schnürhaken, Oesen, Schnallen und Riemen, aber der 
Verschluss war kein zuverlässiger und nicht in grösserer Ausdehnung zu 
verstellen, beiden Uebelständen wird durch unverrückbare Riemen- und 
Gurtenklemmen abgeholfen. 

Sie ermöglichen auch, Riemen von verschiedener Dicke, zwei Riemen 
übereinander zu verbinden. Dies erreiche ich durch die Schlitze in den 
Seitenbacken; in diese ist die Klemmvorrichtung eingesetzt, teils fest, 
teils abnehmbar, um Riemen und Gurte bei den beiderseitig zu ver¬ 
wendenden Apparaten je nach Bedarf über- oder untereinanderlegen zu 
können. Infolge der doppelten Reihe Zacken der Klemmvorrichtung 
und der Widerhaken am Boden ist weder Vor- noch Rückwärtsbewegung 
der eingeklemmten Gurte möglich. 

Der Verschluss geschieht ebenso wie das Oeffnen mit Hilfe eines 
einfachen zweispitzigen Drahtschlüssels, der in zwei Löcher der Klemm¬ 
vorrichtung passt. 

Um Schienen der Länge und Lage nach verschiebbar zu befestigen, 
habe ich eine Schraubenvorrichtung mit Oeffnungen in der Längs- und 
Querrichtung konstruiert, es können auch zwei Stahlschienen von je 
12 mm Breite und 3Va mm Dicke übereinander festgehalten werden, wie 
es am Knie erforderlich ist. Befestigt werden diese Verschlussköpfe an 
den Gurten mittels biegsamer Stäbe aus blauem Federstahl, deren 
Länge sich nach der gewünschten Verstellbarkeit richtet. Der Feder¬ 
stahl lässt sich mit Blechschere schneiden, die Löcher mit einer Zange 
eindrücken und mit einer fünfkantigen Ahle leicht erweitern, die Kanten 
sind abzufeilen. 

Gegenüber den Gewindeklötzen und geschlitzten Schienen dürften 
diese Verschlussköpfe einen Vorteil bedeuten. Mit Klemmzangen festzu¬ 
stellende Drehknöpfe haben sich zur Verbindung von geschlitzten Quer- 
und Längsschienen nicht bewährt. 

Wenn die Apparate Anklang fänden, würde es sich empfehlen, zum 
Gebrauch fertige Gurte in verschiedenen Längen mit aufmontierten 
Riemenklemmen und Verschlussköpfen und passenden Stahlschienen vor¬ 
rätig zu halten. Ich wollte aber die Möglichkeit der Selbstherrichtung 
ohne besonders dazu geschulte Kräfte gezeigt haben. Die Riemen¬ 
klemmen und Verschlussköpfe sind gestanzt, also verhältnismässig billig 
herzustellen, wie auch die durchlochten Federstahlstäbe. 

Ich glaube, dass hierdurch die von mir angegebenen Lederstreck¬ 
verbände eine Verbesserung erfahren. 

Nach diesem Prinzip hergestellte Apparate werden sich auch für 
die Unfallstationen vorteilhaft erweisen, sie bedeuten einen Fortschritt 
gegenüber den Hessingapparaten, sie sind dem Körper unmittelbar an- 
und nachzupassen, bedecken nicht grosse Flächen und haben ein geringes 
Gewicht, lassen sich leicht mit Heftpflaster und elastischen Zügen ver¬ 
binden, auch mit Spiralfederextension. Die Gurte liegen der Haut überall 
glatt und gleichmässig ^p, schmiegen sich genau an vorspringenden 
Knochen und Muskeln an und umscbliessen diese fest und sioher, ohne 
zu drücken oder einzuschnüren und den Kreislauf zu behindern; eventuell 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18 . 


ist dem Weichteilpolster mit einigen Touren einer Trikotschlauchbinde 
nachzuhelfen. Dadurch, dass jederzeit eine Aenderung der Extension 
möglich ist, wird die wenig feste Fixierung der bisherigen Schienen¬ 
spangenapparate vermieden. 


Medizinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für vater¬ 
ländische Kultur zn Breslan. 

(Offizielles Protokoll.) 

Klinischer Abend vom 7. März 1913. 

Vorsitzender: Herr Zieschö. 

Hr. Ludwig Mann stellt zwei Fälle von familiärer Myotonie mit 
Mnskelatrophie nnd Kataraktbildnng vor. 

Die beiden Brüder sind bereits vor 10 Jahren (am 6. März 1903) 
von Herrn Uhthoff in unserer Gesellschaft vorgestellt worden, und ich 
habe damals über den Nervenbefund berichtet. Inzwischen sind sie in 
das hiesige St. Josephs-Krankenhaus zur Untersuchung gekommen, und 
ich bin Herrn Zieschö dankbar, dass er mir Gelegenheit gegeben hat, 
den damaligen Befund nachzuprüfen. 

Bei dem älteren Bruder, dem jetzt 46 jährigen Patienten, ist im 
Jahre 1896 dio Kataraktoperation in der Kgl. Augenklinik ausgeführt 
worden. Damals fanden sich noch keine myotonischen Erscheinungen; 
dieselben sind erst später hinzugetreten und noch später ist die Muskel¬ 
atrophie hinzugekommen. 

Bei dem jüngeren, jetzt 40 jährigen Bruder sind die Krankheits¬ 
erscheinungen genau in dem gleichen Lebensalter und in derselben 
Reihenfolge aufgetreten. Im Jahre 1903 Kataraktoperation, damals 
myotonische Erscheinungen nur angedeutet, erst später weitere Ent¬ 
wicklung derselben und erst in den letzten Jahren Entwicklung von 
Muskelatrophie. 

Die Lokalisation und Ausbreitung der myotonischen sowohl wie der 
myotrophischen Störungen stimmen in beiden Fällen in einer geradezu 
frappanten Weise überein. Vollkommen atrophisch sind in beiden Fällen 
nur die Daumenballen und die ersten Interossei. Die übrige Musku¬ 
latur zeigt zwar im ganzen ein verringertes Volumen, aber es findet 
sich nirgends ein vollständiger Schwund irgendeines Muskels. Eine auf¬ 
fallende Kraftlosigkeit, aber keine Lähmung, besteht beiderseits im 
Facialisgebiet, worauf bereits damals Herr Uhthoff hingewiesen 
hat. Die myotonischen Erscheinungen sowohl bei Willkürbewe¬ 
gung wie bei mechanischer und elektrischer Reizung sind ebenfalls 
in beiden Fällen in ganz übereinstimmender Weise in den gleichen 
Muskelgruppen lokalisiert, nämlich in den Finger- und Handgelenks¬ 
beugern und in den Masseteren. In der übrigen Muskulatur, auch an 
den unteren Extremitäten findet man zwar einige Andeutung der myo¬ 
tonischen Bewegungsstörung, sie ist aber nirgends so ausgesprochen, 
wie in den Fingerbeugern, in welchen sich das Phänomen der Nachdauer 
der Kontraktion jederzeit sehr schön beim Faustschluss produzieren lässt. 

Erscheinungen der Tetanie, die wir vor 10 Jahren neben der Myo¬ 
tonie andeutungsweise beobachteten, sind jetzt nicht mehr vorhanden; 
insbesondere fehlt das Facialisphänomen. Ich habe auch bereits damals 
die Fälle mehr der Myotonie wie der Tetanie zugerechnet. 

Die vollständige Uebereinstimmung der beiden Fälle in bezug auf 
Verlauf und Lokalisation der Symptome und die Entstehung in genau 
dem gleichen Lebensalter zeigt in höchst eklatanter Weise, dass es sich 
hier um ein der Gruppe der familiären Muskelerkrankungen auf heredi¬ 
tärer Basis zugehöriges Leiden handelt. Die Entstehung durch eine 
Störung der inneren Sekretion, die für manche derartige Fälle ange¬ 
nommen wird (auch bei den vorgestellten Patienten betonten wir da¬ 
mals eine Hypoplasie der Schilddrüsen), scheint wenig wahrscheinlich. 

Diskussion. 

Hr. Uhthoff hebt zunächst hervor, dass die Prognose der Operation 
von Katarakt mit Tetanie bei relativ jungen Menschen nicht ungünstiger 
sei als bei anderen Kataraktkranken. Auch in diesen Fällen seien 
damals die Operationen ganz normal verlaufen. 

Er hält den jetzigen Befund von ausgedehnter Muskelatrophie be¬ 
sonders bei dem einen der Kranken für sehr bemerkenswert und fragt 
den Vortragenden, ob er diesen Muskelschwund für rein peripher be¬ 
dingt hält oder eine Affektion der Vorderhörner des Rückenmarks an¬ 
nimmt? 

Eine Parallelstellung dieses Befundes mit der Thomsen’schen Krank¬ 
heit halte er nicht für angängig, auch habe er Kataraktbildung bei der 
Thomsen’schen Krankheit nicht beobachtet. 

Hr. Kaposi (demonstriert): 1. Röntgenphotographie, welche ein 
Revolvergeschoss in der Wirbelsäule zwischen 6. und 7. Brustwirbel 
erkennen lässt. Patient hatte sich beim Einstecken des Revolvers in 
die rechte Brustseite angeschossen. Einschuss vom unterhalb des 
rechten Schlüsselbeines. Keine Lungenerscheinungen, aber totale Para¬ 
plegie vom 6. Segment ab, Blase, Mastdarm gelähmt, Reflexe erloschen. 
Durch Laminektomie das Geschoss aus dem Rückenmark, das völlig 
quer zerstört war, entfernt. Nach der Operation keine Besserung; 
Exitus aber erst nach % Jahr. 

2. Röntgenplatten, darstellend carcinomutöse Zerstörung des 2. 
und 3. Lendenwirbels und kyphotische Knickung. Patient seit einem 
Jahre „rheumatoide“ Schmerzen in den Beinen; jetzt deutliche Parese 


beider Beine neben ischiadischen Schmerzen, Schwäche von Blase und 
Mastdarm. 

Es findet sich eine sehr druckschmerzhafte kyphotische Lenden¬ 
wirbelsäule. Kleines, gut bewegliches, bisher ganz unbeachtet ge¬ 
gebenes Garcinom der rechten Mamma mit harten Achseldrüsen. 
Zerstörung der Wirbel zweifellos metastatisch. 

3. Bericht über einige schwere Sch&delverletznngen. 

a) Mann, 14 Tage nach Kopfhieb anlässlich eines Wirtshausstreites 
somnolent eingeliefert. Seit der Verletzung soll linker Arm, Bein und 
linkes Gesicht geschwächt sein. Somnolenz seit einem Tage rasch zu¬ 
nehmend. Ausser der linken Lähmung-und Somnolenz findet sich 
doppelseitige Stauungspapille und Druckpuls. Rechts über dem Scheitel¬ 
beine 2 cm lange Narbe. Wegen Verdachts auf Hirnabscess Trepa¬ 
nation; beim Aufklappen des Knochens wird mit diesem zugleich eine 
abgebrochene im Knochen feststeokende Messerklinge aus dem 
Gehirn herausgeholt. Nekrotische, eitrige Hirnmasse stürzt nach; 
in ihr ein Knochensplitter und ein ausgesprengtes Stück des Messers. 
Entfernung des Knochens samt Messer. Drainage. Somnolenz weicht 
völlig, Lähmung bleibt. Nach 4 Wochen Meningitis und Exitus. 

b) 16jähriger Junge mit Hirnerschütterung durch Hufscblag. 
Zertrümmerung des linken Schläfenbeines, Zerreissung der 
Arteria meningea media. Trepanation. Unterbindung der Meningea. 
8 Tage bewusstlos, dann allmählich Besserung, jetzt geheilt und voll 
arbeitsfähig. 

c) 20jähriger Mann. Automobilzusammenstoss. Schwere Zer¬ 
trümmerung der Nasenwurzel, des Stirnbeines mit Frei¬ 
legung des Gehirnes, Abriss des Sinus, Fissur in die Orbita. 
Knochensplitter entfernt, Sinus longitudinalis unterbunden. Heilungs¬ 
verlauf völlig reaktionslos. 

d) 10jähriger Junge, vom zweiten Stock gesprungen, weil er 
versehentlich vom Vater in die Wohnung ein geschlossen war und zur 
Schule musste. Zertrümmerung des Stirnbeines dicht über dem rechten 
Auge. 6 Tage post Trauma noch somnolent eingeliefert, Splitter ent¬ 
fernt, grösserer extraduraler Abscess. Glatte Heilung. 

e) Fast die ganze Schläfenbeinschuppe bildende Knochensplitter, 
entfernt bei einem 6 jährigen Jungen 3 Wochen nach schwerer Ueber- 
fahrung, extraduräler Abscess, grosser Hirnprolaps, nach mehreren 
Monaten epithelisiert. Deckung nicht gestattet. 

f) Zwei Fälle, die gleich nach der Verletzung aufgenommen und 
durch Entfernung der Knochensplitter in kurzer Zeit geheilt wurden. 

Vortr. bespricht kurz an der Hand der vorgestellten Fälle die 
chirurgische zutreffende Therapie der sofortigen Operation bei jeder 
schweren mit Splitterung und Depression einhergehenden Schädel¬ 
verletzung und weist auf den Gegensatz zwischen dem Heilungsverlauf 
der frisch eingelieferten und der verschleppten Fälle hin. 

Zum Schluss Demonstration des Schädeldaches einer überfahrenen 
Patientin, die an septischer Phlegmone des Beines zugrunde gegangen 
war. Intra vitam keinerlei schwere, cerebrale Symptome, nur Klagen 
über zeitweise Kopfschmerz, post mortem zeigt sich eine 26 Vs cm lange, 
fast das ganze Schädeldach durchsetzende Fissur der ganzen Schädeldicke. 

Hr. Zieschä: 

1. Demonstration eines Falles von kongenitalem Herzfehler mit 
Aneurysma der linken Arteria poplitea. 

12jähriger Knabe, Familienanamnese ohne Besonderheiten. Das 
Kind hat immer blass ausgesehen und stets nach stärkeren körperlichen 
Bewegungen über Atemnot geklagt. Vor zwei Monaten erkrankte er mit 
Fieber und Appetitlosigkeit, wobei ein Herzleiden konstatiert wurde. 
Sehr schmächtiger und schlecht genährter Knabe von blasser Hautfarbe, 
mit mässig starker Cyanose des Gesichts. Sinnesorgane ohne Besonder¬ 
heiten. Mässige Schwellung der submaxillaren Drüsen beiderseits. 
Herzgegend leicht prominent, Lunge frei von Veränderungen, Herzaktion 
regelmässig, verstärkt, Puls 100—120. Herzspitzenstoss im 5. Inter- 
costalraum ausserhalb der Mamillarlinie. Epigastrische Pulsation. Herz 
nach allen Seiten stark vergrössert, auscultatorisch Geräusch wie bei 
einer Aorteninsuffizienz und Stenose. Röntgenologisch typisches Bild 
eines kombinierten Aortenfehlers. Leber und Milz vergrössert; keine 
Oedeme, kein Ascites. Sehr deutlich ausgeprägte Trommelschlegelfinger 
und -Zehen. Blut: Erythrocyten 4 000 000, Leukocyten 6700, Hämo¬ 
globin 55 pCt., Blutdruck 106. Wassermann zweifelhaft. Andauernd 
Temperaturen um 38°. 

Es liegen also die Erscheinungen eines seit frühester Jugend be¬ 
stehenden kombinierten Aortenfehlers mit frischen endocarditischen Er¬ 
scheinungen vor. 

Vor einer Woche plötzlich ausserordentlich heftige Schmerzen im 
linken Unterschenkel unterhalb der Kniekehle, die auch durch Morphium 
nur ganz vorübergehlnd gemildert werden. Im Verlaufe der nächsten 
Tage bildet sich eine hühnereigrosse, prallgespannte, auf Druck ausser¬ 
ordentlich schmerzhafte Geschwulst dicht unterhalb der Kniekehle aus, 
die ein sehr starkes systolisches Rauschen hören und fühlen lässt 
Später infolge Druckes auf die Venap Oedem des linken Fusses und 
Unterschenkels. 

Klinisch handelt es sich nach den vorliegenden Symptomen sicher 
um ein Aneurysma der Arteria poplitea bzw. der Arteria digitalis 
fausteria. Die Entstehung ist schwer zu erklären. Man kann an die 
Verschleppung eines septischen Embolus mit nachfolgender Erweichung 
der Gefässwand denken. 


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5. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


847 


2. Demonstration eines Falles von progressiver Mnskelatropbie 
(neuraler Typus). 

53jähriger Mann, FamilienanamDese ohne Belang. Es leiden eine 
Tante und eine Kusine an ganz ähnlichen Krankheitserscheinungen wie 
der Patient selbst. Vor acht Jahren Brustfellentzündung, vor zwei 
Jahren Kontusion der Unterschenkel, Juni 1912 Kontusion des Kopfes 
und des rechten Oberarms. Nach dem zweiten Unfall wurden bei der 
klinisohen Beobachtung nervöse und muskuläre Störungen an den unteren 
Extremitäten gefunden, die man zunächst als Folgen des Unfalles auf- 
aufassen geneigt war. Eine genaue Anamnese ergab jedoch, dass Patient 
bereits im Anfang dieses Jahres derartige Störungen am Bein bemerkt 
hatte. Die Kräfte des Beines nahmen ab, komplizierte Bewegungen konnten 
nicht mehr exakt ausgeführt werden. Manchmal hatte er das Gefühl des 
Eingeschlafenseins im linken Bein. Bis Mitte Juli nahm das Schwäche¬ 
gefühl selbst nicht zu. Erst als der Patient nach dem zweiten Unfall 
das Bett verlassen wollte, war die Schwäche erheblich stärker ge¬ 
worden. Es fiel dem Patientes auch auf, dass das Bein dünner ge¬ 
worden war. 

Jetzige Beschwerden: Schwäche besonders im linken Bein, mitunter 
stechende Schmerzen in beiden Beinen. Auch im rechten Arm hatte 
Patient mehreremale krampfartige Zusammenziehungen der Musku¬ 
latur, früher (vor zwei Jahren) auch Kribbeln und Ameisenlaufen im 
rechten Arm. 

Organbefund normal, keine Veränderungen an den Augen und am 
Augenhintergrund. Es findet sich jetzt eine starke Atrophie des linken 
Beines, besonders am Unterschenkel (Mm. gastrocnemius, soleus, peronei), 
gleichmässige geringe Atrophie des Oberschenkels ohne Bevorzugung 
einzelner Muskelgruppen; keiner der atrophischen Muskeln ist völlig 
paretisch. Herabsetzung der groben Kraft. Starke Deformation des 
Fusses im Sinne eines Pes equinovarus mit starker Hyperextension der 
Zehen, insbesondere der grossen Zehen, deren Grundphalanx überstreckt 
ist, während die Endphalanx sich in Beugestellung befindet. Achilles¬ 
sehne stark verkürzt, entsprechend .starke Beschränkung der Dorsal¬ 
flexion des Fusses. Fussgelenk fast ankylosieri Sensibilität nicht ge¬ 
stört. Starke Verdickung der rechtsseitigen Wadenmuskulatur. An den 
oberen Extremitäten sind bisher Atrophien nicht wahrzunehmen. Keine 
Herabsetzung der tiefen Sensibilität und der Vibrationsempfindung. 
Elektrisch besteht partielle Entartungsreaktion, auch in der verdickten 
rechtsseitigen Wadenmuskulatur deutlich ausgesprochen, die sich da¬ 
durch als Pseudohypertrophie erwies. 

Reflexe: Bauchdecken- und Cremasterreflexe positiv. Patellarreflexe 
gesteigert, Patellarclonus, Achillessehnenreflexe nicht auslösbar, Babinski 
stark positiv. 

Im Bereiche der Unter- und Oberschenkelmuskulatur und ebenso 
auch an beiden oberen Extremitäten, rechts mehr als links, fibrilläres 
Muskelzittern. Wassermann’sche Reaktion negativ. 

Der etwas atypische Fall erinnert auch durch das Vorkommen einer 
Pseudohypertrophie sehr an einen anderen, den Oppenheim in seinem 
Lehrbuch beschrieben hat. 

3. Demonstration eines Falles von neoritiseher Mnskelatropbie. 

Der Name „neuritische Muskelatrophie“, der nicht ganz zutreffend 
ist, ist gewählt worden, weil die Erscheinungen unter dem Bilde einer 
Neuritis begannen. Die weitere Entwicklung des Falles hat ergeben, 
dass es sich auch hier um das Krankheitsbild der neuralen progressiven 
Muskelatrophie handelt. 

Es handelt sich um ein SOjähriges Mädchen, dessen Familien¬ 
anamnese ohne Belang ist; nur soll auch hier eine Kusine unter ganz 
ähnlichen Erscheinungen krank sein. Patientin hatte als Kind Masern, 
später starke Bleichsucht, mit 25 Jahren Nierenentzündung. Anfang 
Oktober begannen Schmerzen in den Knien und ein starkes Schwäche¬ 
gefühl in den Beinen, so dass die Beine beim Laufen einknickten; sie 
ist auch einigemale hingefallen. Vor drei Wochen Ameisenlaufen in den 
Waden und auffälliges Einschlafen der Beine. Dieser Zustand besserte 
sich allmählich. Vor ungefähr fünf Wochen Schmerzen in den Knie¬ 
kehlen. Patientin gibt jetzt noch an, dass schon vor Beginn der Krank¬ 
heit die Beine an Umfang abgenommen hätten. Früher will sie immer 
gut gelaufen sein und nie Schmerzen in den Beinen gehabt haben. In 
den letzten Tagen, sonst niemals, Erbrechen. Stuhlgang regelmässig, 
Wasserlassen ohne Besonderheiten. Morbus sexualis negatur. Kein 
Trauma, keine nachweisbare toxische Schädigung. Erste Menstruation 
mit 13 Jahren, stets regelmässig; angeblich niemals Ausfluss. Kräftiges 
Mädchen in gutem Ernährungszustände, mit im allgemeinen schwach 
entwickelter Muskulatur. 

Augen frei von jeglicher Veränderung, Augenhintergrund, Augen¬ 
muskelbewegung normal. Die rechte Nasolabialfalte ist weniger scharf 
ausgeprägt als die licke. Der Mundwinkel hängt nicht herab. Nase, 
Ohren, Rachenorgane ohne Besonderheiten. Keine Schwellung der peri¬ 
pheren Drüsen. 

Lungen ohne Besonderheiten, bis auf eine ganz leichte Schall¬ 
verkürzung links hinten oben bis zur Spina scapulae. Auscultatorisch 
ohne Besonderheiten. Herz von normaler Grösse, Herzaktion regel¬ 
mässig, Puls regelmässig, voll, nicht beschleunigt. Abdomen und Ab¬ 
dominalorgane unverändert, Bauchmuskulatur kräftig. 

Nervenstatus: An den Armen Muskulatur schwach, motorische 
Kraft beiderseits gleich, nicht herabgesetzt. An den Beinen starke 
Atrophie der Unterschenkel muskulatur beiderseits, besonders der 
Peronealgruppe, sowie der Adduktoren des Oberschenkels auf beiden 


Seiten. Aktive und passive Beweglichkeit in den Kniegelenken normal. 
Die Füsse stehen beiderseits in Supinationsstellung mit Einwärtsdrehung 
und Erhebung der inneren Fussränder, rechts mehr als links; beginnende 
Hyperextension der Zehen, besonders der grossen Zehe. Hohes Fuss- 
gewölbe mit stark prominentem Fussrücken und Verkürzung der Achilles¬ 
sehne beiderseits. Die aktive Plantarflexion der Füsse schwach, 1. > r. 
Passive Bewegungen in beiden Fussgelenken sehr schwach, r. > 1. Gang 
allein wegen der Peroneuslähmung unmöglich, mit Unterstützung unbe¬ 
holfen, schmerzhaft. 

Reflexe: Bauchdeckenreflex beiderseits vorhanden, lebhaft; Patellar¬ 
reflexe, Achillessehnenreflexe, Fusssohlenreflexe, Babinski fehlen; kein 
Fussclonus. 

Sensibilität: Muskelsinn beiderseits stark herabgesetzt, 1. > r. 
An beiden Beinen, von den Knien nach abwärts Berührungsempfindung 
am stärksten, weniger stark die anderen Qualitäten; ,an der medialen 
Hälfte des rechten Unterschenkels stärker als auf der lateralen, links 
auf der Aussenseite stärker als auf der Innenseite. Stärker noch ist die 
Herabsetzung der Sensibilität auf dem B'ussrücken beiderseits; an den 
Zehen ist dieselbe ganz erloschen. Diese Sensibilitätsstörung hat sich 
vom Tage der Aufnahme stetig zurückgebildet, so dass sie jetzt nicht 
mehr nachweisbar ist. Vibrationsgefühl erhalten. 

Die elektrische Untersuchung ergibt partielle Entartungsreaktion. 
Fibrilläres Muskelflimmern ist hier nicht beobachtet worden. 

Nach diesen Erscheinungen scheint die oben gestelllte Diagnose 
berechtigt. (Die später vorgenommene Wassermann’sche Reaktion ver¬ 
lief positiv.) 

Diskussion. 

Hr. 0. Fo erst er fragt, wie es mit dem Nachweis von Wassermann 
im Blut und Liquor in den demonstrierten Fällen steht. Es ist das 
deshalb wichtig, weil die chronisch-progressive Muskelatrophie häufig auf 
spinalluetischer Basis beruht. Redner selbst hat drei Fälle beobachtet, 
die genau so lokalisiert waren, wie der eine hier vorgestellte, und die 
luetischer Genese sind. Die Frage der Beziehung zwischen Lues und 
chronisch-progressiver Muskelatrophie ist auch deshalb interessant, weil 
sie die Beziehungen, die zwischen Tabes und Muskelatrophie in ätio¬ 
logischer Hinsicht bestehen, betrifft. Es gibt bekanntlich Fälle von Tabes 
mit Muskelatrophie, Fälle von reiner Muskelatrophie mit vereinzelten 
tabischen Symptomen und endlich Fälle von ausschliesslicher Muskel¬ 
atrophie ohne jedes tabische Symptom. Zur Erkrankung der Vorder¬ 
hörner kann aber auch eine luetische Seitenstrangerkrankung treten, 
dann bestehen spastische Symptome neben den atrophischen. Das gibt 
sich unter Umständen nur durch Babinski, manchmal durch richtige 
spastische Paraplegie zu erkennen. Derartiges hat Redner auch mehr¬ 
fach beobachtet. Die Therapie muss eine lange und intensive sein. 

Hr. Ludwig Mann: Ich möchte eine so enge Beziehung zwischen 
Tabes und progressiver Muskelatrophie, wie HerrFoerster meint, nicht 
annehmen. Dagegen spricht meines Erachtens die doch sehr grosse 
Seltenheit des Vorkommens der Muskelatrophie bei der Tabes dorsalis. 
Auch wenn man Gelegenheit hat, Tabesfälle in sehr grosser Zahl über 
Jahre und Jahrzehnte hinaus zu beobachten, sieht man doch exceptionell 
selten das Hinzutreten von Muskelatrophie. 

Hr. Bleisch demonstriert einen Fall von Aogenveräideringen bei 
disseminierter Myelitis. 

Diskussion. 

Hr Ziesche: Es handelt sich bei dem vorgestellten Kranken um 
einen 33 jährigen verheirateten Mann, dessen Familienanamnese ohne 
Belang ist. Mit elf Jahren war er wegen eines Augenleidens drei Wochen 
im Krankenhaus. Frau gesund, keine Fehlgeburten, drei gesunde Kinder, 
ein Kind jung gestorben. Bei der ersten Untersuchung, als der Patient 
noch auf der Augenabteilung lag, waren Motilität und Sensibilität völlig 
intakt, vor allem ist die Bauchmuskulatur kräftig, so dass sich der 
Kranke ohne Hilfe schnell aufsetzen kann. Patellarreflexe gesteigert, 
rechts > links, Achillessehnenreflexe lebhaft, Oppenheim beiderseits vor¬ 
handen, Babinski angedeutet. Wassermann’sche Reaktion negativ. 

Am 27. II. Klagen über Schwäche und Schmerzen in den Beinen, 
Patellarrefleie gesteigert, Babinski beiderseits lebhaft, Bauchdeckenreflexe 
fehlen. Aktives Aufrichten aus liegender Stellung unmöglich. Sensi¬ 
bilität auch dort, wo über Schmerzen geklagt wird, intakt. Stuhlgang 
und Blasenentleerung stets frei von Veränderungen. 

Am 1. III. Ischurie mit hochstehender, bis an den Nabel reichender 
Blase. Entleerung durch Katheter. Deutliche Schwäche der Beuge- und 
Streckmuskulatur der Ober- und Unterschenkel, Patient kann die Beine 
nicht mehr heben. In einer Gürtelzone vom Rippenrand bis zum Nabel 
scheint die Sensibilität für spitz und stumpf etwas herabgesetzt zu sein. 
Babinski deutlich, Patellar- und Achillessehnenreflexe gesteigert, rechts 
Fussclonus. Bauchdeckenreflexe fehlen, Lähmung der Bauchmusklatur. 

4. III. Blasenlähmung besteht fort, es besteht jetzt das typische 
Bild einer Querschnittsmyelitis mit vollständiger Lähmung der unteren 
Extremitäten und Fehlen der Sehnenreflexe. Bis in die Höhe des 12. Brust¬ 
wirbels vollkommene Anästhesie für alle Qualitäten, rechts darüber eine 
handbreite hyperästhetische Zone. Andeutung von Halbseitenläsion. 
Leukocyten 5000. Temperatur ist seit zwei Tagen ständig gestiegen 
und bewegt sich um 39°. Puls 100—120. 

6. III. In den beiden letzten Tagen klagt Patient über sehr heftige 
Schmerzen in den Beinen und dem Rümpf, die allmählich aufwärts ge¬ 
stiegen sind und den rechten Arm ergriffen haben. 'Empfindungslosig¬ 
keit heraufgegangen bis in die Höbe des 5. Brustwirbels, gleichmässig 


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848 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18 . 


für alle Qualitäten. Beide unteren Extremitäten vollständig gelähmt, 
ebenso Blasen- und Bauchmuskulatur sowie auch die Intercostalmuskeln 
und die Muskulatur des Schultergürtels. Starke Parese aller Muskeln 
des rechten Armes, nirgends Atrophie. Bauchdecken- und Cremaster¬ 
reflexe fehlen, ebenso sämtliche Haut- und Sehnenreflexe. 

Es besteht jetzt das deutliche Bild einer disseminierten Myelitis. 
Interessant ist, dass in einem Stadium der Erkrankung der Patient alle 
Zeichen einer multiplen Sklerose darbot. Dadurch und ebenso in dem 
weiteren Verlauf nähert sich der Fall einem Symptomenkomplex, der 
aus der Nonne’schen Abteilung als akute multiple Sklerose beschrieben 
und auch autoptisch erhärtet wurde. 

Hr. Uhthoff bemerkt, dass er den Fall auf Veranlassung von 
Herrn Bleisch auch untersuchen konnte, und er hält die Deutung 
des Vortragenden für richtig, dass es sich hier um einen der seltenen 
Fälle von Myelitis: mit akuter retrobulbärer bzw. Neuritis optica handele. 

Die Sehstörungen und die ophthalmoskopischen Veränderungen an 
sich würden sich ja allenfalls auch mit dem Krankheitsbild der multiplen 
Sklerose m Zusammenhang bringen lassen, aber das Bild der spinalen 
Erscheinungen (motorische und sensible Paraplegie der unteren Ex¬ 
tremitäten, Blasenlähmung, Lähmung der Bauchmuskulatur usw.) lasse 
schon keine andere Diagnose als die einer Myelitis über den ganzen 
Rückenmarksquerschnitt zu. 

Hr. Walliczek: 

1. (Jeher einen Fall von Verbrennung des Trommelfelles links. 

Der Patient,’ der sich mir heute zur Demonstration zur Verfügung 
gestellt hat, erkrankte am 15. IX. 1912 an einem akuten Schnupfen 
und Mittelohrkatarrh linkerseits. Am 16. IX. verordnete ich dem Kranken 
Eingiessungep von Menthol-Naphthol-Glycerin, die erwärmt dreimal täg¬ 
lich vorgenommen werden sollten. Am 20. IX. fand ich am linken 
Trommelfell eine erbsengrosse, die hintere und untere Hälfte der Membran 
einnehmende Blase, die mit gelblichseröser Flüssigkeit gefüllt war. Auf 
meine Frage, wie diese plötzliche Verschlimmerung entstanden sei, er¬ 
klärte Patient: er habe am Tage vorher den Einguss wie vorgeschrieben 
im Reagenzglase über der Lampe erwärmt, aber ohne Nachprüfen ins 
Ohr gegossen. Der ausserordentliche Schmerz, der momentan im Ohr 
entstand, liess ihn sofort die Flüssigkeit herausschütten. Aber der Nach¬ 
schmerz sei noch äusserst heftig und anhaltend gewesen. 

Es handele sich in der Tat um eine Verbrennung mit Blasenbildung 
am Trommelfell, während der Gehörgang ausser einer geringen Rötung 
eine Veränderung kaum aufwies. 

Durch diesen Befund wird die auch von Passow beobachtete Tat¬ 
sache wieder bestätigt, dass das Integument des Gehörganges gegen Ver¬ 
brennungen viel widerstandsfähiger ist als das des Trommelfelles. Da¬ 
gegen habe ich bisher die von Passow in seinem Buche „Verletzungen 
des Gehörorgans“ behauptete Tatsache, dass auf dem Trommelfell Blut¬ 
blasen entstehen, wenn das Spülwasser zu kalt temperiert ist, noch nie¬ 
mals bestätigt gefunden. Bei der Häufigkeit der calorischen Labyrinth¬ 
prüfung müssten aber doch bei der Kaltwasserprüfung solche Blutblasen 
sehr oft beobachtet werden. Es wäre daher nicht uninteressant, zu er¬ 
fahren, ob in anderen Kliniken solche Trommelfellreizungen als Folge 
calorischer Prüfung beobachtet wurden. Ich möchte eher annehmen, 
dass für das Entstehen ton Blutblasen am Trommelfell bzw. Gehörgang 
wohl eher ein zu tiefes Hineinführen der Ohrenspritze in den Gehörgang 
schuld ist, als etwa die geringen Gradunterschiede nicht genügend 
temperierten Wassers. 

Ich kehre zu unserem Fall zurück. Die Blase wurde geöffnet; sie 
zersprang beim Einlegen eines Adrenalin-Cocaintampons. Die Nach¬ 
behandlung mit Perhydrol konnte nicht verhindern, dass einige Tage 
später eine grosse Perforation in der Gegend der Blase entstand. Die 
Perforation wurde absolut sicher festgestellt. Eine eigentliche Eiterung 
entstand nicht. Das Ohr wurde nach einiger Zeit deshalb trocken be¬ 
handelt, und die Perforation heilte überraschend schnell in einigen 
Wochen zu. 

Jetzt kann man das Trommelfell völlig geschlossen sehen; man er¬ 
kennt auch noch vorn unten eine linsengrosse atrophische Stelle, 
während hinten unten und oben das Trommelfell schwach getrübt ist. 
Das Hörvermögen für Flüstersprache ist annähernd normal. 

Auch in diesem Fall zeigt es sich wiederum, dass bei einer relativ 
ausgedehnten Zerstörung des Trommelfells, wenn dieses bisher gesund 
war, schuell eine Regeneration der Membran bzw. Verschluss der Zer- 
reissung erfolgt, vorausgesetzt, dass keine interkurrente Eiterung den 
Heilprozess verhindert. Das sonderbarste in dieser Beziehung sah ich 
vor 12 Jahren bei einem Waldenburger Bergmann, der damals durch 
eine Dynamitexplosinn eine Zerreissung beider Trommelfelle erlitten 
hatte. Während das eine nur einen Riss aufwies, zeigte sich das andere 
völlig zerfetzt und die Fetzen des Trommelfells schienen eingerollt. Der 
Hammergriff ragte gerade in die Pauke und schien frakturiert. Ich 
reponierte den Hammergriff und behandelte das Ohr im übrigen trocken. 
Nach etwa vier Wochen stellte sich mir der Kranke mit völlig verheiltem 
Trommelfell und relativ gutem Hörvermögen wieder vor. Solche Fälle 
sind wohl grosse Seltenheiten, sind aber auch anderweitig beobachtet 
worden. 

2. Angeborener knöcherner Choanalverschlnss. 

Die Patientin, die ich Ihnen vorzustellen mir erlaube, ist ein 
klassisches Beispiel einer einseitigen kompletten Nasenverstopfung, näm¬ 
lich ein Fall von rechtsseitiger, angeborener, knöcherner Choanalatresie. 
Solche Fälle sind nach zwei Richtungen interessant; einmal sind sie an 


und für sich Seltenheiten, die schon deswegen ein erhöhtes medizinisches 
Interesse beanspruchen, und dann sind uns gerade die Fälle angeborener 
Nasenverstopfung die berufensten Zeugen in der Frage, ob die Wachs¬ 
tumsstörung und Missgestaltung des Oberkiefers und Nasengerüstes eine 
Folge der behinderten Nasenatmung ist, wie K örner Waldow behauptet, 
oder ob diese Missgestaltung durch intrauterine Veranlagung hervor¬ 
gerufen wird und mit Rasseneigentümlichkeiten des Schädels in Ver¬ 
bindung zu bringen ist, wie Siebenmann und Fränkel lehren. Ich 
möchte auf diese Streitfrage des Näheren nicht eingehen, sondern nur 
kurz meine persönliche Auffassung in der Frage dahin äussern, dass 
beide Parteien recht haben, d. h. dass sowohl die eine, wie die andere 
Möglichkeit in einer Reibe von Fällen nachweisbar ist. Da aber von 
den 80 in der Literatur veröffentlichen Fällen nur sehr wenige genaue 
Gesichts- und Gaumenmessungen aufweisen, so dürften die hier gefundenen 
Maasse ebenfalls interessieren. 

Nach Siebenmann-Fränkel beträgt der 
Breite 

mittlere Gaumenindex ' * 100 = 46 

Breite _ 

„ Nasenindex X 100 = 47 


» 


Höhe 

Obergesichtsindex 


X 100 = 50,1 


In unserem Falle 

der Gaumenindex 

„ Nasenindex 


Höhe 

1,6 

cm 

Breite 

3,5 

cm 

Breite 

2,3 

cm 

Höhe 

4,2 

cm 

Höhe 

5,2 

cm 


= 45,7 
=* 54,7 


= 52 


Da die Messung des Gaumens in vivo wegen der damit verbundenen 
Schwierigkeiten sehr ungenau ist, habe ich einen Gipsabdruck desselben 
vornehmen lassen und diesen in der vorgeschriebenen Weise gemessen. 

Unter etwa 45 000 Patienten, die ich während meiner Tätigkeit 
untersucht habe, habe ich nur drei Fälle von Choanalatresie beobachtet, 
und zwar 1 doppelseitigen bei einer Köchin, 1 rechtsseitigen und 
1 linksseitigen je bei einem Mädchen. Die Patientin mit der doppel¬ 
seitigen Choanalatresie ist alsbald aus der Behandlung fortgeblieben, als 
sie den Vorschlag einer Operation hörte. Genauere Daten fehlen deshalb. 
Den linksseitigen Verschluss habe ich im Jahre 1900 operiert, doch liess 
der Erfolg zu wünschen übrig. 

Die hier vorgestellte Patientin ist 13 Jahre alt und hat seit ihrer 
Jugend eine einseitig verstopfte Nase. Vor Jahren wurden ihr hier in 
Breslau von anderer Seite Nasenpolypen, A. V. und vergrösserte Mandeln 
entfernt. Zugleich wurde der Vater auf die später notwendig werdende 
Operation der Nasenverwachsung hingewiesen. 

Wenn man die Nasenmuschel mit Cocainadrenalin zur maximalen 
Schrumpfung bringt und den in der rechten Nasenseite massenhaft an¬ 
gesammelten Schleim entfernt hat, sieht man durch Rhinoscopia anterior, 
wie sich links das Gaumensegel beim U-Sagen hebt, und der Reflex der 
hinteren Pharynxwand tritt deutlich hervor. Rechts dagegen sieht man 
in geringerer Tiefe die Nase hinten durch eine frontale Wand abge¬ 
schlossen. Misst man die Tiefe der Nase mit einer graduierten Sonde, 
so gelangt man links SVaom und rechts nur 6 cm tief. Misst man nun 
die Tiefe der Nasenscheidewand durch eine an der Spitze senkrecht ab¬ 
gebogene Sonde, so erhält man einen Abstand von 6 l / 2 cm von der 
Nasenspitze. Es beweist dies also den Abschluss der Nasenöffnung in 
der Ebene der Choane. 

Giesst man Wasser in die rechte Nasenseite, so fliesst nichts nach 
dem Rachen, während es links glatt nach dem Rachen abfliesst und ge¬ 
schluckt wird. 

Bei Rhinoscopia posterior sieht man beide Tubenmündungen deut¬ 
lich; wärend aber links die Choane und die Nasenmuscheln deutlich zu 
erkennen sind, ist rechts nur eine glatte Wand bemerkbar, die in der 
Mitte eine linsengrosse Einziehung aufweist. Bei Palpation mit dem 
Finger und der Sonde wird ihre Konsistenz als knochenhart fest¬ 
gestellt. 

Geruchssinn ist rechts nicht vorhanden; Ohrbefund und Hörver¬ 
mögen beiderseits normal; Augenbefund ebenso. Die rechte Gesichts¬ 
hälfte scheint etwas kleiner zu sein, als die linke. Die rechte Nasolabial- 
falte etwas verstrichen, Mund rechts etwas schief. Zähne recht schlecht 
und unregelmässig gestellt. Gaumen mässig hoch, die Raphe ist an¬ 
scheinend etwas nach rechts verschoben. Sonst ist eine Anomalie am 
Kopf nicht wahrnehmbar. 

Therapeutisch beabsichtige ich hier mit einem elektromotorisch be¬ 
triebenen Rundbohrer die Membran zu durchlochen und von der Oeffoung 
aus die ganze Knochenwand fortzustanzen, bis eine annähernd normale 
Choane entstanden ist. Die Operation soll unter Lokalanästhesie aus- 
geführt werden. 

Hr. Malis berichtet über einen Fall von Gyn&tresie bei einem 
16 jährigen Mädchen (hochsitzende Scheidenatresie mit Hämatocolpus und 
doppelseitiger Hämatosalpinx ohne Hämatometra). Das Mädchen klagte 
seit zwei Jahren über Schmerzen im Leibe, die anfangs in 4 wöchigem 
Intervall auftraten und ein bis zwei Tage anhielten, seit etwa 8 Wochen 


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5. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


849 


aber fast kontinuierlich fortbestehen. Anamnestische Angaben über 
voraufgegangene Infektionskrankheiten fehlen. 

Derber, druckempfindlicher Tumor bis handbreit über die Symphyse 
reichend, nach links die Mittellinie zwei Querfinger überschreitend, nach 
rechts bis an den Darmbeinkamm sich erstreokend, mit sattelförmiger 
Einsenkung. Vulva schliesst; Hymen fehlt; an Stelle des Introitus 
leichte Einziehung. 5 cm oberhalb des Sphincter ani tastet man einen 
Tumor, der die Vorderwand des Rectums vorwölbt und in den obigen 
Tumor übergeht. 

Mach Querschnitt zwischen Harnröhre und Anus und teils stumpfer, 
teils scharfer Trennung der obturierenden Schicht Eröffnung des Blut¬ 
sackes und Entleerung schokoladefarbener, zäher Flüssigkeit. Nach 
Mobilisierung der Schleimhaut werden die Ränder des Restes des Scheiden¬ 
schlauches heruutergezogen und an die äussere Haut angenäht. Es resultiert 
eine gut für ein Finger passierbare Scheide. Man fühlt jetzt einen dick¬ 
wandigen Uterus ohne Inhalt mit rechtsseitigem, faustgrossem, adhärentem 
Adnex und linksseitig fingerdicken beweglichen Hämatosalpinx. Nach 
suprasymphysärem Fascienquerschnitt Entfernung des rechtsseitigen 
Tumors (Demonstration) und Entleerung des linksseitigen Hämatosalpinx 
mit nachfolgender Salpingostomie. Glatte Rekonvaleszenz. Pat. isst, 
hat sich recht gut erholt und ist regelmässig menstruiert. Die Scheide 
ist ziemlich geschrumpft, zurzeit, 5 Monate nach der Operation, für 
kleinen Finger knapp passierbar. Bei eventueller Verheiratung der Pat. 
käme dieserhalb eine Nachoperation in Frage. 

Kritik der zurzeit herrschenden Anschauungen über Aetiologie und 
Therapie der Gynatresien. 

Nach Ansicht des Vortr. findet die Nagel-Veit’sche Theorie durch 
obigen Fall eine neue Bestätigung. In Fällen von Gynatresie mit kom¬ 
plizierender Hämatosalpinxbildung ist in gleicher Sitzung mit Eröffnung 
des Blutsackes die Hämatosalpinx in Angriff zu nehmen. Ob man die 
Operation vaginal oder abdominal beginnt, ist irrelevant. Bei doppel¬ 
seitiger Hämatosalpinx ist der Versuch der Erhaltung der Conceptions- 
möglichkeit durch Salpingostomie zu machen. 


Sitzung vom 14. März 1913. 

Vorsitzender: Herr A. Neisser. 

Schriftführer: Herr Röhmann. 

Vor der Tagesordnung. 

Hr. Richard Levy demonstriert einen 35jährigen Mann mit tabi- 
scher Spontanfraktnr der Lendenwirbelsänle. 

Der Pat. wusste über Entstehung des Gibbus nichts anzugeben. 
Völlige Zertrümmerung des zweiten und dritten Lendenwirbels, trotzdem 
kann der Mann bei gestreckten Knien extreme Rumpfbeugung ausführen. 
Hypotonie der Hüftgelenke kommt hierbei wohl allerdings auch in Be¬ 
tracht. (Siehe nachstehende Figur 1 und 2.) 


Figur 1. 



HHr. E. Frank und F. Heimann: 

Ueber biologische Carcinomdiagnose. — Erfahrungen mit der Abder- 
halden'schen Fermentreaktion beim Carcinom. 

Hr. Frank gibt einen Ueberblick über die wichtigeren Versuche, 
das Carcinom serologisch zu diagnostizieren (Erhöhung des antitrypti- 
schen Titers nach Brieger-Trebing, Zellreaktion nach Freund - 
Karainer und Neuberg, Komplementablenkungsmethode nach 
v. Düngern, Meiostagmiereaktion nach Ascoli-Azar). 

Hr. Heimann berichtet sodann über die Resultate gemeinsamer 
Studien über die Verwendbarkeit der Abderhalden’schen Fermentreaktion 
für Carcinomerkennung. 

(Der Vortrag ist in Nr. 14 dieser Wochenschrift bereits abgedruckt.) 


Figur 2. 



Diskussion. 

Frl. Herzberg: Im Anschluss an den Vortrag des Herren Frank- 
Heim an n möchte ich über die Resultate berichten, die wir mit der Abder¬ 
halden’schen Schwangerschaftsreaktion an der Prof. L. Fraenkel’schen 
Frauenklinik erzielten. Vorausschicken will ich, dass nur die Fälle 
berücksichtigt wurden, in denen genau nach den Angaben Abder- 
halden’s unter peinlichster Beobachtung aller Kontrollproben gearbeitet 
wurde. Die Versuche datieren von Ende Oktober 1912 an, von welcher 
Zeit ab zugleich die Biuret- und Ninhydrinprobe angestellt wurde. 
Frühere Resultate blieben unberücksichtigt. Von diesem Termine an 
stellten wir bei 44 Frauen die Abderhalden’sche Reaktion an und zwar 
hauptsächlich bei jungen Graviditäten von 6—8 Wochen — denn nur in 
dieser Zeit wäre eine sichere Schwangerschaftsdiagnose von praktischem 
Wert — und bei zwei Tubargraviditäten. 

24 mal stimmte der klinische Befund mit der Reaktion überein: bei 
Gravidität positiv, bei Amenorrhoe aus anderen Ursachen negativ. Auch 
die beiden Tubargraviditäten gaben positiven Befund. Andererseits war 
bei 9 weiteren jungen Graviditäten von 6—8 Wochen die Reaktion 
negativ und bei 3 nicht graviden Frauen positiv. Unter die letzt¬ 
erwähnten Fälle fällt ein Myom. 

Es handelte sich um eine 29 jährige II para. Letzter Partus 1909. 
Menstruation nie ausgeblieben. Seit 3 Monaten bemerkt die Frau ein 
Stärkerwerden des Leibes und sucht deswegen die Poliklinik auf. Die 
Differentialdiagnose schwankte nach Berücksichtigung aller Momente 
zwischen erweichtem Myom und Gravidität von etwa 20 Wochen. 
Abderhalden positiv. Die klinische Beobachtung sprach dann doch 
für Myom, so dass laparotomiert wurde. Es handelte sich um ein ganz 
erweichtes Myom. Die Abderhalden’sche Reaktion hätte uns hier irre¬ 
führen können. 

Nach unseren Erfahrungen ist also die Abderhalden’sche Reaktion 
immer mit zu berücksichtigen bei der Diagnose, jedoch sind die Resultate 
noch zu schwankend, als dass man sich auf sie allein verlassen könnte. 

Zweimal gebrauchten wir Abortplacenten: Hier kamen wir zu dem 
interessanten Resultate, dass sie von Schwangerenserum, das mit anderen 
Placenten sicher positive Reaktion gab, nicht abgebaut wurden. 
Eklampsieplacenten verhielten sich hinsichtlich der Reaktion wie normale 
Placenten. 

Zusammenfassung: 44 Fälle. 

24 mal Abderhalden +: Gravidität 6.—8. Woche 

9 „ » » 6 .- 8 . „ 

3 „ „ nicht gravid (davon 1 mal Myom) 

3 mal Biuret — Ninhydrin +: Gravidität 6.—8. Woche 
5 „ „ — „ 4malGrav. 6.—8. „ 

1 „ „5. Mon. mit abgestorb. Fötus. 

Weiterhin stellt Prof. Fraenkel gegenwärtig Versuche darüber an, 
ob in den verschiedenen Schwangerschaftsmonaten Corpus lut. verum 
lösende Fermente im Blute kreisen. 


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850 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18. 


Hr. P. Rosenthal berichtet über zurzeit noch nicht abgeschlossene, 
mit Frank gemeinsam ausgeführte Versuche an Hunden und Kaninchen 
über die Spezifität der Abderhalden’sohen Fermente. Nach den bis¬ 
herigen Ergebnissen scheint eine gewisse Artspezifität der Fermente zu 
bestehen, doch scheint innerhalb der Organe die Placenta eine gewisse 
Sonderstellung einzunehmen. 

Hr. Marcus: (Die Diskussionsbemerkung ist in Nr. 17 dieser 
Wochenschrift abgedruckt.) __ 


Aerztlicher Verein za Hamburg. 

Sitzung vom 8. April 1913. 

Hr. KafTka bespricht Wesen nnd Technik der Abderhalden’schen 
Sehwangerschaftsdiagnose und geht sodann auf die Fauser’schen Unter¬ 
suchungsergebnisse ein. K. hat festgestellt, dass im Liquor selbst bei 
Verwendung grösserer Mengen die Fermente nicht nachweisbar sind, 
und zwar weder das gegen Placenta gerichtete noch — bei Gehirn¬ 
krankheiten — das gegen Gehirn gerichtete. Er schliesst daraus, dass 
die Anschauung Fauser’s nicht zu Recht besteht, nach der die Un¬ 
heilbarkeit z. B. der Paralyse darauf beruht, dass die bei Zugrunde¬ 
gehen von Nervensubstanz entstehenden Fermente ihrerseits wieder das 
Nervengewebe anzugreifen vermögen. 

Hr. Hegener berichtet über folgenden Fall: Otitis media naeh 
Angina führt zu spontaner Trommelfellperforation; danach trotz Tempe¬ 
raturabfall keine Erholung. Nach einiger Zeit wieder Fieberanstieg; 
längere Zeit hindurch sehr hohes, stark remittierendes Fieber. Bei 
Untersuchung des schwer collabierten Patienten fand H. ausser der ge¬ 
wöhnlichen radiären und Hammergriffinjektion noch eine diffuse Trommel¬ 
fellrötung, die auf irgendeinen sonst nicht zugänglichen Herd hinwies. 
Bei der Operation fand sich der Warzenfortsatz ostitisch verändert, hier 
und da kleine Eiterpünktchen. Im Sinus wahrscheinlich randständiger 
Thrombus: nicht eröffnet, noch Jugularis unterbunden. Heilung. H. fasst 
den Fall als Osteophlebitispyämie auf. 

Hr. Weygandt: 

Fälle von Dysgenitalismns mit psychischen Stör an gen. 

Fall 1. 13jähriger Knabe mit juveniler Paralyse. Mutter war 
syphilitisch. Der hier bestehende Dysgenitalismus mit einzelnen femininen 
Erscheinungen und eunuchoidem Körperbau wird auf die kongenitale 
Lues — die sonst keinerlei Stigmata (Hutchinson’sche Trias oder dgl.) 
gemacht hatte — zurückgeführt. 

Fall 2. Ebenfalls Dysgenitalismus mit eunuchoidem Längenwuchs. 
Psychisch ist Pat. kindlich, läppisch, weinerlich, ziemlich schwachsinnig; 
halluziniert. Als gemeinsame Ursache der körperlichen und psychischen 
Störungen ist abnorme Anlage zu betrachten. 

Fall 3. 20jähriges, 136 cm grosses Mädchen mit infantilen 

Genitalien. An den Beinen spastische Erscheinungen und erhöhte 
Sehnenreflexe, allerdings kein Glonus, kein Babinski. Psychisch: tiefe 
Idiotie der eretbischen Form; stereotype Bewegungen, ähnlich denen der 
Katatoniker. Der Fall dürfte als Nanisme diplegique (Bourneville) 
zu charakterisieren sein. 

Hr. Kümmell stellt eine Frau vor, der er die carcinomatöse Blase 
total exstirpiert hat. Die Ureteren wurden nahe der Wunde in die 
äussere Haut vernäht und der Patientin ein Gummireceptaculum gegeben. 
Infektion der Harnwege ist bis ietzt vermieden. 

Hr. Prochownik: 

Gynäkologische Röntgenbestrahlungen and Demonstrationen. 

Nach einem historischen Rückblick auf die verschiedenen Methoden 
der Myombehandlung bespricht P. seine Erfahrungen mit der Röntgen¬ 
behandlung. Nach den bei der Kastration gemachten Erfahrungen schloss 
er Frauen unter 40 Jahren von dieser Behandlung aus. Ferner galt 
ihm als Kontraindikation Blasenbeschwerden, dauernde Metro- (nicht 
Meno-)rhagien, submucöser Sitz der Myome. Bei Anämie und „Myom¬ 
herz“ bevorzugt er diese Therapie. Nach diesen Grundsätzen erwiesen 
sich ihm von 180 Myomfällen 45 geeignet zur Bestrahlung, die in 
39 Fällen erfolgreich war. Von den übrigen 6 kann nur einer als 
Misserfolg zählen, zwei entzogen sich der Behandlung, bei dreien erwies 
sich die Diagnose als unrichtig. Bei den erfolgreichen verschwanden 
nicht nur die Symptome, sondern es fand auch ein Rückgang der 
Tumoren statt, und zwar häufiger, schneller und erheblicher als bei 
Kastration. Stabil blieben sie nur in lOpCt. der Fälle (gegenüber 
25 pCt. bei Castratio). In zwei Fällen musste wegen „klinischer Malignität“ 
nach 1 */* bzw. 2 1 /* Jahren doch noch operiert werden. Das Dauer¬ 
resultat war meist um so besser, je schneller die Amenorrhoe erzielt 
war. P. nimmt eine Wirkung der X-Strahlen auch auf die Tumorzellen 
an. Wesentliche Schädigungen durch die Bestrahlung sah P. nie. An 
der Haut nur leichte Erytheme, nichts, was über kosmetische Bedeutung 
hinausging. Ganz ausnahmsweise leichte, schnell vorübergehende Albu¬ 
minurie; endlich nervöse Störungen: Schwindel, Kopfschmerz, Uebelkeit 
(„Röntgenkater“). 

Zum Schluss bespricht P. die Bestrahlungstherapie bei klimak¬ 
terischen Blutungen, die — in 15 besonders schweren Fällen — stets 
von promptem Erfolg war. _ 

(Biologische Abteilung.) 

Sitzung vom 15. April 1913. 

1. Fortsetzung der Diskussion znm Vortrag des Herrn Wohlwill: 
Ueber akute und chronische multiple Sklerose. 


Hr. Nonne bespricht die pathologisch-anatomische und klinische 
Differentialdiagnose zwischep der funiculären Myelitis und der multiplen 
Sklerose, die namentlich in beginnenden sowie in akuten Fällen schwierig 
sein kann. Er demonstriert die Präparate von zwei Fällen, von denen 
der erste klinisch das typische Bild der multiplen Sklerose geboten 
hatte, der zweite wie eine akute Querschnittsmyelitis verlaufen war. 
Beidemal anatomisch die charakteristisch symmetrische, aus konfluierten 
Herden (Lückenfelder!) entstandene strangförraige Affektion. 

Hr. Kafka fragt nach den Liquorbefunden bei den Wo hl will- 
sehen Fällen und geht auf die Fauser’schen Anschauungen ein, die 
ihm unwahrscheinlich erscheinen, da die betreffenden Fermente im Liquor 
nicht nachweisbar sind. 

Hr. Liebrecht möchte die Gliawucherung bei der multiplen Skle¬ 
rose doch als reine Ersatz Wucherung auffassen und beruft sich dabei 
auf Erfahrungen beim Opticus. 

Hr. Wohlwill (Schlusswort): Die Befunde im einzelnen können 
sehr variieren; ältere Herde batW. in seinen Fällen nicht gesehen, will 
aber nicht bestreiten, dass möglicherweise solche vorhanden waren. 
Liquoruntersuchung fand nur in einem Fall statt und ergab massige 
Lymphocytose. 

2. Diskussion zu der Demonstration des Herrn Nenne: Negaehi- 
Präparate von Spirochäten bei Paralyse. 

Hr. Stargardt: Schon die pathologisch-anatomischen Befunde 
nötigten, die Paralyse als eine echt syphilitische — aber nicht gum¬ 
möse — Erkrankung zu betrachten. Der Spirochätenbefund hat daher 
nichts Ueberraschendes. Paralyse, Tabes, Aortitis und Arthropathie sind 
als spätsyphilitische Prozesse zu bezeichnen. 

Hr. Paaschen: An der Spirochätennatur ist nicht zu zweifeln. 

Hr. Jakob maoht auf die Schwierigkeiten der Erkennung aufmerk¬ 
sam; sodann erinnert er an die pathologisch-anatomisch interessanten 
Fälle, in denen Uebergangsformen von Lues cerebri und Paralyse bzw. 
eine Kombination beider Erkrankungen vorzuliegen scheinen. 

Hr. Kafka: An der Sonderstellung der Paralyse ist trotz der 
Spirochätenbefunde vorläufig noch festzuhalten. 

Hr. Nonne (Schlusswort) betont ebenfalls, dass die Paralyse immer 
noch als Entität für sich zu betrachten sei. Therapeutisch könne man 
sich nicht allzuviel Hoffnungen machen. 

3. Hr. E. Fraenkel demonstriert das Sehädeldach eines Falles vei 
tnberkalöser Meningitis, bei dem die Nähte intensiv gerötet erscheinen; 
die Knochen sind in denselben beweglich. Dies ist ein typischer Be¬ 
fund bei Meningitis tuberculosa (Pielsticker). Er beruht lediglich 
auf einer Hyperämie der Gefässe der Markräume. Bei eitriger Menin¬ 
gitis ist er viel seltener zu beobachten. Die Erscheinung ist als der 
Ausdruck einer intensiven, ziemlich schnell auftretenden Drucksteigerung 
zu betrachten; sie findet sich von der Zeit des Fontanellenschluses bis 
zur Beendigung des Wachstums. Die tuberkulöse Meningitis ist be¬ 
vorzugt, weil bei ihr regelmässig die Hirnsubstanz beteiligt ist (Schwel¬ 
lung) und der Verlauf langsamer ist. 

Diskussion: HHr. Hegler, Preiser, Fraenkel. 

4. HHr. Rimmerle und Sehunrai: 

Ueber Bence-Jones’sehe Albamiaarie. 

Hr. Kimmerle berichtet nach ausführlichem historischen Rückblick 
über folgenden Fall: Männlicher Patient hatte Lues. Seit l*/i Jahren 
Ermüdbarkeit, später Abmagerung. Keine Knochenscbmerzen. Ob¬ 
jektiv: Erhebliche Kachexie. Grosser, grobhöckeriger Tumor in ab- 
dominc. Keine Drüsen. Knochen nicht druckempfindlich. Der Urin 
enthält neben Serumalbumin den Bence- Jon es’ sehen Eiweisskörper, 
Cylinder, Leukocyten, Bakterien. Röntgenologisch: Kein sicherer 
Befund. Späterhin zeitweise Schmerzen im Sternum und Druckempfind¬ 
lichkeit der 7. und 8. Rippe und des 6. Brustwirbels; verschwand später 
wieder. 

Differentialdiagnose: Für Myelom kein sicherer Anhalts¬ 
punkt. Auffallend wäre der grosse Tumor. Bei Car ein om ist die 
Bence-Jones’sche Albuminurie äusserst selten (nur ein sicherer Fall). 
Wahrscheinlicher: Sarkom, von den Knochen oder Lymphdrüsen aus¬ 
gehend, mit Lebermetastasen. 

Hr. Schümm demonstriert den Nachweis des Bence-Jones’scben 
Eiweisskörpers. Es handelt sich um eine den echten Eiweisskörpern 
sehr nahestehende Substanz, da durch Verdauung mit Pepsin und Salz¬ 
säure ein buntes Gemisch von Albumen abgespalten wird. Esbaoh’s 
Reagens ergibt stets Fällung; Fehlen derselben schliesst also das Vor¬ 
handensein des Bence-Jones’schen Körpers aus. Die Herkunft ist noch 
gänzlich dunkel. Da bisweilen 60—70 g pro die längere Zeit hindurch 
ausgeschieden werden, so ist die Entstehung im Tumor selbst unwahr¬ 
scheinlich. F. Wohl will - Hamburg. 


Aerztlicher Bezirksverein za Zittau. 

(Offizielles Protokoll.) 

Krankenhausabend vom 3. April 1913. 

Vorsitzender: Herr Körner. 

Schriftführer: Herr Klieneberger. 

1. Hr. Hering: Herstellung vegetativ keimfreier Rohmileh. 

Bisher war es durch kein Entkeimungsverfahren gelungen, nennens¬ 
werte Quantitäten einer keimfreien einwandfreien Nährmilch zu gewinnen 
Kurzfristiges Sterilisieren bei 100 und mehr Grad, oder anhaltendes Er- 


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5. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


851 


hitzen auf 80—90° (Pasteurisieren) „denaturieren“ frische Milch che¬ 
misch und biologisch derart, dass sie eigentlich nur noch als ein Milch- 
sunogat angesprochen werden kann. Um die baktericide Wirkung ultra¬ 
violetter Strahlen der Milchentkeimung dienstbar zu machen, versuchten 
vor mehr als 10 Jahren bereits Dr. Seifert, Dr. Lob eck-Leipzig, im 
abgeschlossenen keimfreien Raume vermittels einer Sprühdüse nebelfein 
zerstäubte Milch durch ultraviolette Bestrahlung zu entkeimen. Der 
Erfolg war nur ein teilweiser, weil den ultravioletten Strahlen die Kraft 
fehlt, dünne Milchschichten, ebenso feinste Milchstäubchen zu durch¬ 
dringen; jedes solches Stäubchen wirft quasi einen „Ultraschatten“, die 
hierin liegenden Keime entgegen der Abtötung. Diese Versuchsanstellung 
führte — theoretisch freilich auf ganz anderer Basis — zu einem neuen 
Verfahren, wonach kalte Milch in einem konstant auf etwa 73—75° er¬ 
haltenen Raum durch eine Sprühdüse hindurchgesprüht und die sofort 
wieder abfliessende Sprühmilch umgehend steril gekühlt wird. Durch 
diesen beträchtlichen, momentan sich vollziehenden Temperatursprung 
gehen alle vegetativen Bakterienformen zugrunde, während die Milch 
selbst hierbei nicht Zeit findet, weder chemisch noch bakteriologisch sich 
zu verändern. Es resultiert hierbei tatsächlich eine vegetativ keimfreie 
Milch, welche alle Qualitäten frischer Rohmilch besitzt; sie schmeckt 
wie diese, lässt sich verbuttern und verkäsen wie diese, liefert „fehler¬ 
frei“ und steril: Butter, Quark, Rahm, Magermilch. Dass hierdurch ein 
ganz gewaltiger Fortschritt auf dem Gebiete der Milch- und Molkerei¬ 
hygiene erreicht ist, bedarf keiner weiteren Erklärung. Das neue Ver¬ 
fahren der Leipziger Gesellschaft für Molkereifortschritte ist patentiert. 

2. Hr. Moser: a) Demonstration der Röntgenplatte des linken Ober¬ 
kiefers einer 50jährigen Frau, die seit 2 Jahren an Schmerzen und 
Gesichtssehwellungen litt. Mao sieht einen im Oberkiefer steckenden 
Zahn. Dieser, ein etwa 2 cm langer zapfenförmiger, retinierter, jeden¬ 
falls überzähliger Zahn wurde durch Inzision und Zurückschieben der 
Schleimhaut entfernt. 

b) Demonstration der Harnorgane eines 59 jährigen Mannes mit 
niehttranmatiseher Blasenrnptnr. Als der Patient sich bei der ersten 
Untersuchung umlegte, hatte er das Gefühl, als ob im Leibe etwas risse. 
Da aber der Leib sohon vorher bretthart war, und da auch der Puls 
ruhig blieb, kann man wohl annehmen, dass die Perforation schon vorher 
stattgefunden hatte. Mittels weichen Katheters — erste Katheterein¬ 
führung! — wurde ®/ 4 Liter völlig blutigen Harns entleert. Der spontan 
und tropfenweise entleerte Harn war schon seit 3 Tagen blutig. Fünf 
Stunden später die Zeichen des freien Ascites mit schnell zunehmender 
Pulsverschlechterung. Bei der Laparotomie wurde ein Loch auf der 
Hinterwand der Blase linksseitig gefunden, durch das sehr leicht der 
Zeigefinger in die Blase geführt werden konnte. Zweireihige fortlaufende 
Catgutnabt, dann Cystotomie und Ausschälung der nur kleinapfelgrossen 
Prostata, die aber weit in die Blase hineinragte und die Urethra circulär 
umgab. Dauerkatheter, Drainage und Tamponade der Blase. Tod nach 
3 Tagen. Bei der Sektion Peritoneum frei von pathologischer Flüssig¬ 
keit. Der obere Teil des Blasenloches war wieder offenstehend, die 
Catgutfäden nur noch zum Teil vorhanden. Die rechte Niere vergrössert, 
Nierenbecken erweitert, Harnleiter kleinfingerdick. Linke Niere stark 
verkleinert, mit Narben an der Oberfläche, Becken und Harnleiter er¬ 
weitert, in letzterem 6 cm vor der Harnblasenmündung ein 1 cm langer 
maulbeerförmiger Stein. 

Die Zerreissung der ausgedehnten Blasenwand, deren Muskulatur 
verdickt war, muss der mangelhaften Entleerung und Ueberdehnung zur 
Last gelegt werden. 

3. Hr. Klieneberger: a) Progressive Paralyse. 50 jähriger Bäcker, 
der halb erfroren im Chausseegraben gefunden wurde. Demente Form 
mit allen psychischen und somatischen Zeichen. Bemerkenswert ist das 
gleichzeitige Vorhandensein einer Aorteninsuffizienz sowie völliger An¬ 
algesie. Eine Phlegmone, die im Anschluss an ein Trauma entstanden 
war, konnte bis auf den Knochen inzidiert und ausgekratzt werden, ohne 
dass eine Abwehrbewegung erfolgte. Der Patient erleidet, wenn man 
ihn nicht genügend schützt, Brandwunden, obwohl er warm und kalt 
noch unterscheiden kann. 

b) Diphtberia vagiuae, die erst bemerkt wurde, als die wegen einer 
Lungenentzündung behandelte Frau nach der Krise über Urinbeschwerden 
klagte. Es bestand eine schwere Staphylokokkenoystitis mit Dysurie. 
Die kleinen Labien und der Eingang der Vagina zeigten dicke,- nicht ab¬ 
hebbare Membranen von speckgrauer Färbung. Bakteriologisch konnten 
wiederholt Diphtheriebaoillen aus den Membranen sowie aus dem Rachen, 
der keine Veränderung zeigte, gezüchtet werden. Die Behandlung der 
Scheidendiphtherie mit Pyocyanasespray, daneben Scheidenspülungen, 
führte binnen 8 Tagen zur Abstossung der Membranen und zur Bildung 
normaler Schleimhaut. Die Cystitis allerdings besserte sich langsamer 
unter Wärmebehandlung, Trinkkur und Salol. Es muss dahingestellt 
bleiben, ob neben den Diphtheriebacillen die Staphylokokken für die 
Entstehung der Affektion ursprünglich in Frage kamen. Der rasche 
günstige Ausgang — die erst 14 Tage in Behandlung befindliche Frau 
ist zurzeit fieber- und beschwerdefrei, die Reste der pneumonischen Ver¬ 
dichtung sind allerdings noch nachweisbar — ist jedenfalls bemerkens¬ 
wert. Eine Antitoxinbehandlung hat nicht stattgefunden. Im Gegensatz 
zu der infausten Prognose der Haut- und Scheidendiphtherie kleiner 
Kinder scheint also die chronische Diphtherie Erwachsener, selbst bei 
einer so bemerkenswerten Komplikation (croupöse Pneumonie), keine so 
ernste Prognose darzubieten. 


c) Pneumothoraxbehandlung. Demonstration einfacher Apparatur 
(in der Höhe verstellbare Flaschen, Wassermanometer, Dreiwegehahn und 
Nadel mit seitlicher Luftzuführung). Bei einer gleichzeitig vorgestellten 
Patientin war eine croupöse Lungenentzündung zu einer alten Tuber¬ 
kulose (Bacillennachweis) hinzugetreten. Wegen mangelnder Resolution, 
Fortdauer des Fiebers und reichlicher Exspektoration wurde ein Pneumo¬ 
thorax links angelegt und nach 5 Wochen wieder nacbgefüllt, mit dem 
Erfolge, dass eine Gewichtszunahme um 8 Pfund erzielt wurde, dass 
das Fieber verschwand, der Auswurf fast ganz aufhörte und das Allgemein¬ 
befinden sich entsprechend besserte. 

Bei einer zweiten Patientin mit ähnlichem Befund (Pneumonie und 
Tuberkulose) aber mit dem Unterschiede, dass es sich um eine floride 
Tuberkulose handelte, hatte die Pneumothoraxbehandlung vorübergehend 
anscheinend vollen Erfolg (günstige Wirkung auf das Allgemeinbefinden, 
den Ernährungszustand, das Fieber und die Exspektoration). Leider 
setzte im Anschluss an eine Angina 37 2 Wochen nach Anlegen des 
Pneumothorax, besonders auf der Pneumothoraxseite, eine floride Aus¬ 
breitung ein, die binnen kurzem zum tödlichen Ausgange führen wird. 

In einem dritten Fall (Tuberkulose dritten Grades bei Diabetes) 
hatte die Pneumothoraxbehandlung, die übrigens wegen Verwachsung 
nicht recht durchzuführen war, nur subjektiven Erfolg. 

d) Die Radiographie in der Diagnostik der Nephrolithiasis. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 


K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. 

Sitzung vom 7. März 1913. 

(Eigener Bericht) 

Hr. Marschik stellte einen Patienten vor, welchen er vor einigen 
Monaten mit Verschluss des Kehlkopfes demonstriert hatte. 

Es wurde seither der Larynx gespalten und eine Bolzendehnung 
durchgeführt. Der Kranke hat seitdem gelernt, mit einer normalen 
Larynxstimme zu sprechen: die Stimme ist noch ein Flüstern, während 
er, wie früher, mit einer deutlichen Pharynxstimme laut sprechen kann. 
Wenn das Lumen des Kehlkopfes und der Trachea sich nicht mehr ver¬ 
engen wird, soll der Kehlkopf geschlossen und die Kanüle weggelassen 
werden. 

Hr. Stein berichtet über eine chronische Form des Rotzes, welcher 
auf die Haut und die Gelenke lokalisiert ist. 

Pat. stammt aus Konstantinopel. Er hatte monatelang serpiginöse 
Geschwüre mit ausgenagten Rändern an den Unterschenkeln, am Ge¬ 
schwürsrande sassen kleine Pusteln, aus welchen sich auf Druck Eiter 
entleerte. Der Eitererreger konnte nicht aufgefunden werden. Unter 
chirurgischer Behandlung vernarbten die Geschwüre. Hierauf traten 
Schwellungen an den Knochen und Gelenken auf, die Punktion eines 
Kniegelenkes ergab Eiter, in welchem wiederum kein Erreger gefunden 
werden konnte. An mehreren Knochen sassen periostitische Auflage¬ 
rungen. Der ganze Prozess war von Fieber begleitet. Die Diazoreaktion 
im Harne war positiv, und der Harnbefund sprach für Amyloidose der 
Niere, sonst waren die inneren Organe normal. Pat. starb. Die Ob¬ 
duktion ergab die schon klinisch festgestellten Erscheinungen des ätio¬ 
logisch nicht geklärten septiko-pyämischen Prozesses. Aus dem Eiter 
konnte durch Kultur ein gramnegativer Bacillus gezüchtet werden, 
welcher sich als identisch mit dem Bac. mallei erwies. Bei Ueber- 
impfung auf Meerschweinchen entstanden multiple Gelenkschwellungen, 
Periostitiden und serpiginöse Geschwüre. Eine Analogie mit dieser Form 
des Rotzes bietet der Schweinerotlauf, welcher entweder als allgemeine 
Sepsis oder als eine Gelenkkrankheit verlaufen kann. 

Hr. Bäräuy demonstriert einen Apparat zur Prüfung des Zeige- 
versuches durch Abkühlung von Kleinhirnpartien. 

Er besteht aus einer Kapsel, in welcher Eis eingeschlossen werden 
oder durch welche eine Kältelösung zirkulieren kann. Wenn man diese 
Kapsel auf die Dura auflegt, so wird die darunter befindliche Partie des 
Gehirns abgekühlt. Vortr. hat die Abkühlung durch Eis bei einem 
Patienten versucht, welcher an Cholesteatom des Felsenbeins litt und 
bei welchem das Kleinhirn freigelegt wurde. Wenn eine Stelle am 
hinteren Pol des Kleinhirns abgekühlt wurde, so trat beim Zeigeversuch 
Vorbeizeigen mit dem Finger nach oben ein. 

Hr. Hofmaun berichtet über einen Fall von ausgetragener Extra¬ 
uteringravidität. 

Bei der kreissenden Patientin wurde der Schädel deutlich im Becken 
getastet, der Muttermund war aber verschlossen und der Uterus nicht 
hochgradig vergrössert. Bei der Laparotomie fand man das abgestorbene 
Kind frei in der Bauchhöhle, der Schädel stak im kleinen Becken. Die 
Placenta sass nahe der linken Uterusecke und war auch mit dem Uterus¬ 
fundus, dem Darm und dem Netze verklebt. Merkwürdig ist, dass Pat. 
während der ganzen Gravidität keinerlei Beschwerden hatte. 

Hr. Abels berichtete über einen Fall von Rheumatismus uodosus. 

Bei ihm bilden sich im Verlaufe des Gelenk- und Muskelrheumatismus 
subcutane Knoten von verschiedener Grösse, welche in der Umgebung 
der Gelenke, der Sehnen oder an Stellen sitzen, wo das Periost einem 
Drucke unterworfen ist. Der Rheumatismus nodosus ist fast immer mit 
Endooarditis kombiniert. 

Hr. Benedikt sprach über die Aetiologie der chronische« Neurose« 
und über ihr Verhältnis zur Syphilis, ferner über die Chemotherapie der 


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852 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18. 


Kieselsäure. Vortr. knüpft an den von ihm demonstrierten Fall von 
einseitiger Taubheit und Parese der anderen Körperhälfte an. Für 
Tuberkulose war kein Anhaltspunkt vorhanden, dagegen war die Wasser- 
mann’sche Reaktion positiv, es war aber wahrscheinlich, dass Pat. über¬ 
haupt keine Lues gehabt hat. Vortr. stellte die Diagnose auf Krebs 
mit unbekanntem Sitze und fasste die vorhandenen Lymphdrüsen- 
schwellungen als Metastasen auf. Er möchte der Vermutung Ausdruck 
geben, ob vielleicht die Wassermann’sche Reaktion nicht auch ein 
Symptom gewisser chronischer nervöser Sklerosen ist, vor allem der 
Dementia paralytica und der Tabes. Vortr. hat den Fall mit Kiesel¬ 
säure behandelt, und Pat. ist jetzt weitgehend gebessert. Vortr. hat 
schon im Jahre 1910 Versuche mit Kieselsäure bei Carcinom angestellt 
und ein diesbezügliches Schreiben bei der „k. k. Gesellschaft der Aerzte 
in Wien“ zur Wahrung der Priorität hinterlegt. Schuh hat schon im 
Jahre 1850 Versuche mit Kieselsäure vorgenommen, bekam aber meist 
Misserfolge. Reine Kieselsäure ist sehr schwer herzustellen, sie wurde 
dem Vortr. von Hofrat Ludwig zur Verfügung gestellt, die Versuche 
mit diesem Mittel hat Vortr. im Institute von Hofrat Paltauf an 
Mäusen und Ratten angestellt. Es gelang ihm schon im Jahre 1910 
bei Ratten, welchen präventiv Kieselsäure gegeben wurde, das Aufgehen 
eines eingeimpften Rattenkrebses zu verhindern, bei der Sektion wurde 
keine Spur von Krebszellen vorgefunden. Sarkom verhielt sich anders, 
Vortr. ist noch mit einschlägigen Versuchen beschäftigt. Bei centraler 
Syphilis führte Kieselsäure eine weitgehende Besserung herbei. Vortr. 
möchte sie als ein wichtiges chemotherapeutisches Mittel in der Be¬ 
handlung des Krebses und der centralen Syphilis sowie der Skrophulose 
der Lymphdrüsen zur weiteren Prüfung empfehlen. Wichtig ist die An¬ 
wendung der Kieselsäure als Präventivmittel zur Verhütung von Re- 
cidiven nach Krebsoperationen, die Präventivkur soll von Zeit zu Zeit 
wiederholt werden. Vortr. gibt die Kieselsäure, und zwar Orthokiesel- 
säure, per os in der Dosis von 1—2 cg pro Tag, bei Carcinomen des 
Verdauungstraktes beträgt die tägliche Dosis nur wenige Milligramm, 
da solche Patienten grössere Gaben nicht vertragen. Wie weit die 
Tolerabilität des Organismus für Kieselsäure geht, wie hoch also die 
Dosierung zu stellen ist, kann Vortr. derzeit noch nicht entscheiden. 


42. Versammlung der Deutschen Gesellschaft 
für Chirurgie zu Berlin. 

(Berichterstatter: Privatdozent Dr. M. Katzenstein.) 

(Schluss.) 

Hr. Korsch-Berlin berichtet über günstige Beobachtungen aus dem 
letzten türkisch-griechischen Kriege, in welchem die Griechen geschlagen 
wurden und ihre Verbandpäckchen nicht benutzten. Der Transport 
musste durch Träger geschehen und schadet aus diesem Grunde wenig. 
Er hat sehr viel Gips benutzt; gegenüber dem Mastisol bat er das Be¬ 
denken, dass es durch Blutungen aufgeweicht würde und dann In¬ 
fektionen erlaubte. 

Hr. Rehn-Frankfurt beanstandet es, dass die Zusammensetzung des 
Mastisols nicht bekannt gegeben werde. 

Hr. v. Oettingen-Berlin verweist auf die Patentschrift und ver¬ 
spricht die Bekanntgabe der Formel, die wegen ihrer Kompliziertheit 
ihm nicht gegenwärtig sei (diese Bekanntgabe geschieht am Nachmittag). 

Kr. Ko ler teilt seine Erfahrungen über Schuss Irak turen der Dia- 
physe von längen Röhrenknochen mit. Auch er betont die Wichtigkeit 
einer guten Immobilisierung. Streckverband an der oberen Extremität, 
circulärer Gipsverband an der unteren Extremität. Die Amputation ver¬ 
sucht er meist durch Resektion zu umgehen, hatte jedoch am Ober¬ 
schenkel sehr schlechte Erfolge. 3 Todesfälle. 

Hr. Spitzy-Graz glaubt mit einer Mischung aus Alkohol, Pech 
und Wachs mit geringeren Kosten das gleiche zu erreichen wie mit dem 
Mastisol. 

Hr. Lotsch - Berlin spricht auf Grund persönlicher Erfahrungen aus 
dem türkisch-bulgarischen Kriege über die Schussverletzungen der 
Blutgefässe und kommt zu folgenden Schlusssätzen: 1. Das moderne 
Spitzgeschoss verursacht häufig Gefässschüsse. 2. Abgesehen von den 
sofort tödlichen Blutungen sind infolge der Kleinheit von Ein- und Aus- 
sohussöffnung starke primäre Blutungen, die zu sofortigem operativen 
Eingreifen zwingen, relativ selten. 3. Alle Grade der Gefässverletzung 
vom Streifschuss bis zum Lochschuss bzw. Abschuss kommen zur Beob¬ 
achtung. 4. Häufig sind Arterie und Vene gleichzeitig verletzt. 5. Meist 
kommt es zur Bildung eines „stillen Hämatoms“, das nach mehreren 
Tagen eventuell zu pulsieren beginnt und zum Aneurysma spurium 
wird. 6. Alle Schwerverletzungen in der Nähe grosser Gefässe sind auch 
ohne jedes Hämatom der wandständigen Thrombose dringend verdächtig 
und wegen der Emboliegefahr sorgfältigst ruhig zu stellen. 7. Gut 
fixierte „stille Hämatome“ dürfen mit guten Transportmitteln unbedenk¬ 
lich in die Feldlazarette überführt werden. Die Blutungsgefahr ist auf 
den Wundtäfelchen zu vermerken. 8. Nur bei drohender Ruptur, bei 
Gefahr der Druckgangrän und bei Vereiterung sollte primär ligiert 
werden. Bei sachgemässer Ruhigstellung und eventueller Kompression 
werden viele Gefässschüsse ohne Operation heilen. 9. Unter den immer¬ 
hin primitiven Verhältnissen der Truppen- und Hauptverbandpläte sind 


Gefässunterbindungen schwierig und zeitraubend. Unnötige Ligaturen 
sind deshalb auf den Verbandplätzen zu vermeiden und den rückwärtigen 
Formationen zu überlassen. 10. Blutungen zwingen in jedem Falle zu 
sofortigem Eingreifen in Narkose und unter Blutleere. 11. Stets ist die 
doppelte Unterbindung dies- und jenseits der VerletzuDgsstelle anzu¬ 
streben. Unter ungünstigen Verhältnissen ist diese Forderung auch für 
den Geübten unmöglich. Als Ersatz tritt die Ligatur am Orte der Wahl 
ein. 12. Die Technik der Gefässunterbindungen hat für die Kriegs- 
obirurgie erheblich an praktischer Bedeutung gewonnen. Mehr denn je 
sollte in den Operationskursen an der Leiche die Unterbindung auch 
kleinerer Gefässe geübt werden. 13. Bei Spätblutungen nach etwa vier 
bis neun Tagen kann wenigstens an den Extremitäten bestimmt auf einen 
ausreichenden Collateralkreislauf gerechnet werden. 14. Aneurysmen 
versucht man zunächst durch Kompression zu behandeln. Die oben¬ 
genannten Gründe können jedoch jederzeit zum Eingreifen zwingen. 
15. Wenn möglich sind Aneurysmenoperationen den stehenden Lazaretten 
zu überlassen. Hier kann unter den Verhältnissen der Friedenspraxis 
operiert und nach doppelter Ligatur der zu- und abführenden Gefässe 
die Exstirpation des Aneurysmasackes ausgefübrt werden. 16. Die Ge- 
fässnaht ist nur in einer verschwindend geringen Zahl von Fällen wirk¬ 
lich unerlässlich, dann soll sie allerdings mit allen Mitteln unter den 
bestmöglichen Verhältnissen angestrebt werden. Primäre Gefässnähte 
auf den Verbandplätzen sind unmöglich. 

Hr. v. Frisch-Wien: Kriegschirurgisohe Erfahrungen über 
Aneurysmen. 

Vortr. hat 16 Aneurysmen beobachtet, von denen er 15 operiert 
und geheilt hat. Der eine nicht operierte Fall heilte ebenfalls. Regel¬ 
mässig bestanden sehr grosse Schmerzen. 

Die Indikation der Operation sah er in einer Störung der Funktion 
sowie im Grösserwerden des aneurysmatischen Sackes. Er hat in sämt¬ 
lichen Fällen die Exstirpation des Anearysma in doppelter Ligatur vor¬ 
genommen und hält Gefässtransplantationen nicht für erforderlich, da es 
sich um junge Leute handelt, bei denen die Ausbildung eines arteriellen 
Co 1 lateralkreislaufs sehr wahrscheinlich ist. Es trat in seinen fünfzehn 
operierten Fällen keine Gangrän auf. 

Hr. Colmer - Coburg teilt im allgemeinen diesen Standpunkt, war 
jedoch zweimal genötigt, eine Gefässtransplantation vorzunehmen. 

Hr. Dreyer-Breslau: Beobachtungen vonGangrän während 
des Balkankrieges. 

Beobachtungen von 31 Fällen von Fussgangrän bei Leuten, die 
tagelang mit feuchten Stiefeln herumzulaufen gezwungen waren. Die 
Temperatur war nicht sehr niedrig, so dass es sich um eine Erfrierung 
unmöglich handeln konnte. Die türkischen Soldaten tragen Schnürschuhe 
und Wickelgamaschen, und wenn die Gamaschen feucht werden, so üben 
sie einen stärkeren Zug aus als im trockenen Zustande und schaffen so 
eine Prädisposition zur Gangrän. Vortr. empfiehlt statt der auch im 
deutschen Heere bei Offizieren eingeführten Schnürschuhe die Verwen¬ 
dung des hohen Stiefels. Da dieser, wenn er nass geworden ist, nur unter 
grossen Schwierigkeiten aus- und anzaziehen ist, so empfiehlt Vortr. 
die Verwendung eines Modells, das er demonstriert und bei dem der 
der weiche Schaft mit Schnallen zu öffnen und zu schliessen ist. 

Hr. Clairmont-Wien: Bei Segmentalschüssen des Schädels darf zur 
Erweiterung des Schusskanals der Knochen nicht entfernt werden, da 
hier leicht zu grosse Defekte entstehen. Der Tangentialschuss ist der 
gefährlichste Schuss, weil hierbei der Einschuss sehr gross ist. Es muss 
die Kugel primär entfernt und die Wunde ohne Drainage geschlossen 
werden. Die Diametralschüsse sind konservativ zu behandeln. 

Hr. CoImers-Coburg hat 18 Schädelschüsse gesehen. Von zwölf 
Operierten starben sieben infolge Encephalitis. 

Hr. Carl - Königsberg i. Pr.: Eine neue Anwendungsweise 
der Hochfrequenz in der Chirurgie. 

Vortr. berichtet über die Erfolge der HochfrequeDzbehandlung der 
Angiome. Nach der ersten Mitteilung von Hoff mann- Meran über die 
blutstillende Wirkung der Hochfrequenzströme hat Vortr. diese Therapie 
auf angiomatöse Bildungen verschiedenster Art angewendet. 

Ausgewählt wnrden hauptsächlich solche Patienten, bei denen die 
bisher üblichen Behandlungsmethoden nicht anwendbar schienen. Es 
folgt Demonstration von Bildern. 

1. Ausgedehntes Cavernom au Zunge und Unterlippen eines drei¬ 
jährigen Knaben, 6 mal behandelt. 

2. Teleangiektasien am rechten Schultergürtel und am ganzen 
rechten Arm bei einem 10jährigen Knaben. 

3. Ciroumscriptes Cavernom an der rechten Hälfte der Unterlippe 
und ausgedehnteres an der rechten Zungenhälfte. 

Ausserdem noch andere Fälle, die nicht im Bilde vorgeführt werden. 
Demonstration von Bildern nach der Behandlung. Als Stromquelle 
dient ein Diathermieapparat von Reiniger, Gebbert und Schall. 
Bei Beginn der Behandlung Verwendung kleiner Funken, dann steigend. 
Bei Kindern bipolare Abnahme des Stromes. 

Schilderung der Wirkung auf das Gewebe: Schorfbildung mit an¬ 
ämischer Peripherie, die nach einigen Minuten abklingt Später Ab- 
stossung der Schorfe, Vernarbung und Schrumpfung der cavernösen Teile 
in der Umgebung. 

Bei der Behandlung erfolgt meist keine Blutung, Schmerzen gering. 
Schilderung der Einwirkung auf die Gefässwände, physikalische Er¬ 
klärung der Wärmeentwickelung. 

Darstellung der Unterschiede gegen die Paquelin-Behandlung. De- 


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UNIVERSUM OF IOWA 





5. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


853 


monstration einer durch Emaille gegen die Umgebung isolierten Nadel zur 
Behandlung von Angiomen mit normaler Hautbedeckung. 

Hr. Klapp: Ueber eine Methode der Tonsillektomie. 

Die technische Frage der Tonsillektomie ist noch nicht als gelost 
zu betrachten. Die Indikation zur vollständigen Entfernung erkrankter 
Tonsillen würde weiter gesteckt werden können, wenn die Operation 
einfach und nicht gefährlicher als die Tonsillektomie wäre. 

Vortr. gebraucht zur Tonsillektomie ein Instrument, welches der 
Luer’schen Hohlmeisselzange am nächsten kommt. Es ist mit zwei hohl- 
meisselartigen Fortsätzen ausgestattet, die ober- und unterhalb der Ton¬ 
sille in die Gaumenpfeilernische eingesetzt werden. In einer grösseren 
Reihe von Fällen hat es sich ergeben, dass die Tonsillen ganz radikal 
entfernt werden können. Es gehört natürlich eine gewisse Uebung dazu, das 
Instrument zu führen. 

Hr. Ach-München: Beitrag zur Oesophaguschirurgie. 

Vortr. führt folgendes aus: Dem endothorakalen Speiseröhren¬ 
ersatz nach Resektion des Oesophagus hängen verschiedene Mängel an, 
einerseits sind es die technischen Schwierigkeiten bei der Operation 
selbst, andererseits postoperative Störungen, so die erhöhte Gefahr der 
Pneumonie, die Zwerchfellhernien und vor allem die Infektion der Pleura¬ 
höhle, die zum Teil bedingt ist durch die langdauernde Operation, vor 
allen Dingen aber auf die Nahtinsuffiziens zurückzuführen ist. Da diese 
erwähnten Punkte nicht mit Sicherheit ausgeschaltet werden können 
und der blinde Verschluss des oberen Resektionsstumpfes erfahrungs- 
gemäss zur Perforation führt, kam Voitr. auf den Gedanken, den oberen 
Teil des Oesophagus überhaupt in toto zu entfernen. Dies erreichte er 
dadurch, dass er den oberen Oesophagusstumpf unter Invagination 
desselben nach oben extrahierte. Er baute die Extraktionsmethode an 
einer grossen Versuchsreihe beim Hunde für alle Möglichkeiten aus, die 
uns das Oesophaguscarcinom beim Menschen bieten konnte und über¬ 
trug schliesslich das Verfahren auch auf den Menschen, wo es bei vier 
Patienten Anwendung fand. 

Die Extraktion des Oesophagus lässt sich leicht bewerkstelligen, 
erfolgt bei langsamer Extraktion ohne Nebenverletzungen und geht 
ohne eine nennenswerte Blutung einher. Als Kontraindikation für 
die Extraktionsmethode sieht er stark ausgedehnte, eventuell ver¬ 
kalkte Bronchialdrüsen an, worüber eine Röntgenaufnahme Aufklärung 
verschafft. Bei der Extraktionsmethode besteht die Möglichkeit, durch 
das Vorgehen vom Abdomen und vom Halse aus die Eröffnung der 
Pleurahöhlen bei den meisten Carcinomen des thorakalen Oesophagus- 
abschnittes zu vermeiden. Je nach dem Sitze des Carciuoms ist 
natürlich die Art des operativen Vorgehens eine verschiedene. Die 
Cardiacarcinome sowie die Oesophaguscarcinome des unteren Abschnittes 
sind unbedingt auf abdominalem Wege operativ anzugreifen, da uns der 
abdominale Weg für die Operabilität dieser Carcinome am besten auf¬ 
klärt und auch die Entfernung dieser Carcinome leichter auf abdominalem 
Wege erfolgt. Bei den reinen Cardiacarcinomen ist die direkte Ver¬ 
einigung des Oesophagusstumpfes mit dem Magen oder Darm das er¬ 
strebenswerte Ziel. Gelingt dies aber nicht oder bei den Carcinomen 
des Oesophagus, deren obere Grenze bis in die Nähe der Bifurkation 
reicht, ist die Resektion mit nachträglicher Extraktion des oberen 
Oesophagusstumpfes zu empfehlen. Die Operation gestaltet sich folgender- 
maassen: 

Mittels eines grossen Rippenbogenschnittes wird der linke Rippen¬ 
bogen aufgeklappt, und man kann sich nun eventuell nach Durch¬ 
trennung des Zwerchfells am Hiatus oesophageus davon überzeugen, ob 
das Carcinom operabel ist oder nicht. Ist das Carcinom operabel, so 
wird der Oesophagus in seinem Halsteil circular freigelegt, wobei be¬ 
sonders auf die Nervi recurrentes zu achten ist. Nach Anlegen des 
Brauer’schen Ueberdruckapparates bei 1 cm Ueberdruck und Zuleitung 
von Sauerstoff wird nun abdominell vorgegangen und der Tumor mobili¬ 
siert; wenn es sich notwendig erweisen sollte, werden die beiden 
Nervi vagi durchtrennt, was nach des Vortr. Erfahrung von den Kranken 
auch ohne Cocainisierung anstandslos vertragen wird. Der Oeso¬ 
phagus wird nun oberhalb des Carcinoms abgebunden und die Ab¬ 
bindungsfäden werden lang gelassen. Hierauf wird ein Stahldraht mit 
einer Oese vom Munde aus in den Oesophagus nach unten vorgeschoben. 
Es wird nun d&r Oesophagus mit einer Naht oberhalb der Unterbindungs¬ 
stelle durohstocben und zwar derart, dass die Nadel durch die Oese 
durchgeführt wird. In einer Entfernung von etwa 12 cm von der Oese 
wird nun der Faden geknotet und der Oesophagus abermals circulär ab¬ 
gebunden. Nach Resektion des Tumors beginnt nun die langsame Ex¬ 
traktion; sobald in der Halswunde der Invaginationstrichter erscheint, 
ist die Extraktion beendet. Die aus dem Invaginationstrichter hervor¬ 
ragenden langgelassenen Fäden des Oesophagus werden nun zur Hals¬ 
wunde herausgezogen und nach Abschneiden des die Drahtöse fassenden 
Fadens vor dem Munde durch den Narkotiseur wird der Oesophagus 
retrahiert, d. h. aus der Halswunde herausgezogen und in seine frühere 
Lage gebracht und antethorakal subcutan verlagert. Konnten die beiden 
Nervi vagi erhalten werden, so wird eine Gastrostomie angelegt, mussten 
sie beide durchtrennt werden, so ist nach den Erfahrungen A.’s dringend 
anzuraten, dbn Magen zum antethorakalen Oesophagusersatz zu ver¬ 
wenden. '*■ ' 

Sitzt das Carcinom im Jugülum und reicht etwa 5—6 cra unter¬ 
halb des Jugulums, so geht man mittels Kragenschnittes vor, reseziert 
den Tumor und extrahiert den unteren Oesophagusabschnitt von einer 
Magenfistel oder von einer Gastrotomiewunde aus nach abwärts und ver-1 
wendet ihn durch subcutane Lagerung zum anthethorakalen Oesophagus¬ 


ersatz. Nur die Carcinome in der Gegend der Bifurkation selbst sind 
endothorakal anzugreifen unter Extraktion des oberen Resektionsstumpfes 
nach oben und des unteren nach unten. 

Vortr. hatte Gelegenheit, bei vier Patienten diese Extraktionsmethode 
durchzuführen, und es ist ihm damit gelungen, ausgedehnte Carcinome 
des unteren Oesophagusabschnittes, welche zum Teil auf den Magen 
Übergriffen, zu exstirpieren; in einem Falle handelte es sich um ein 
kleines Carcinom, 12 cm oberhalb der Cardia, das er vom Abdomen aus 
ohne Eröffnung der beiden Pleurahöhlen entfernt hat. Sämtliche Fälle 
verliefen letal, einer an Dilatation des Herzens mit sekundärer Pneu¬ 
monie, einer an Mediastinitis, der Patient mit dem kleinen Carcinom, 
welcher einen starren Thorax mit Emphysem und Bronobiektasien auf¬ 
wies, ging an eitriger Bronchitis und Pneumonie zugrunde. Der erste 
von A. operierte Patient, bei dem er beide Nervi vagi durchtrennen 
musste und welcher körperlich ausserordentlich heruntergekommen war, 
überstand die Operation gut, bekam jedoch eine Hypersekretion des 
Magens, einen Pylorospasmus und eine Insuffizienz der Magenfistel, 
Momente, die sicher auf die Durchtrennung der Nervi vagi zurückzu¬ 
führen sind. Er ging am 17. Tage infolge von Inanition zugrunde. Der 
antethorakal subcutan verlagerte Oesophagus war fest eingeheilt, die 
Schleimhaut normal verfärbt. Auch bei den übrigen Fällen war der 
vorgelagerte Oesophagus und Magen mit der Umgebung verklebt und gut 
ernährt, ein Zeichen, dass sie sich zur antethorakalen Oesophagoplastik 
sehr gut verwerten lassen. 

Gerade mit Rücksicht auf den letzterwähnten Fall glaubt A. zu der 
Annahme berechtigt zu sein, dass mit dieser Extraktionsmethode 
schliesslich doch gute Resultate gezeitigt werden. Verschiedene Momente 
müssen jedoch Berücksichtigung finden. Seines Erachtens nach ist es 
nötig, dass bei der Operation die Allgemeinnarkose möglichst aus¬ 
geschaltet wird, speziell bei Kranken mit Lungenemphysem und starrem 
Thorax. Vielleicht ist die Anwendung der oberen und unteren Rachy- 
anästbesie nach Jonnesco angezeigt; ferner muss der Ueberdruck auf 
ein Minimum beschränkt werden wegen der Gefahr der Dilatation des 
Herzens und ausserdem müsse dafür Sorge getragen werden, dass die 
Patienten nicht in einem derart desolaten Zustande kommen. Dies 
ist nur zu erreichen, wenn die Chirurgen an alle Aerzte, speziell an die 
Aerzte auf dem flachen Lande, ein Rundschreiben erlassen, worin sie 
über die Symptome des Oesophaguscarcinoms aufgeklärt und angehalten 
werden, Kranke, welche die ersten Symptome, wie leichtes Druckgelühl, 
Schmerz oder Brennen beim Schlucken aufweisen, sofort dem Chirurgen 
zur Oesophagoskopie zu überweisen. Unbedingtes Erfordernis ist es 
allerdings hierzu, dass auch die Oesophagoskopie Allgemeingut sämt¬ 
licher Chirurgen wird. 

Hr. Rchn-Jena hat ähnliche Versuche beim Tier und an der 
Leiche gemacht, nur mit dem Unterschied, dass er den Muskelschlauch 
des Oesophagus stehen lässt und nur seine Schleimhaut durch eine 
Wunde am Halse hervorholt. Das Ziel muss sein: alle Cardiacarcinome 
per laparotomiam, alle oberhalb des Zwerchfells gelegenen extrathorakal 
zu entfernen. 

Hr. Röpke-Barmen demonstriert an Zeichnungen die Bildung 
eines Schlauches aus einem Teil des Magens zum Ersatz des Oesophagus 
unter der Haut der vorderen Brustwand. 

Hr. Kümmel 1 - Hamburg hat ausser vier Roux’schen Operationen 
elf Oesophaguscarcinome reseziert. Davon sind drei Cardiacarcinome 
geheilt, die er per laparotomiam entfernt bat. Auf Grund seiner Er¬ 
fahrungen ist er durchaus gegen jede primäre Vereinigung, und der 
Meinung, dass die Möglichkeit einer Heilung nur in der zweizeitigen 
Operation gegeben ist. Falls bei der Operation ein Vagusast verletzt 
wird, muss auch der zweite durchschnitten werden. 

Hr. Heller - Leipzig hat interessante Tierversuche gemacht, mit 
Hilfe deren es ihm gelungen ist, durch Cocainisierung des intrathorakalen 
Vagusabschnittes Reflexe, die sich auf dessen Lungen- und Herzabschnitt 
bezogen, auszuschalten. 

Hr. Ernst Unger-Berlin hat wiederholt versucht, das Carcinom 
im Thoraxteil der Speiseröhre zu operieren, bisher ohne Erfolg. 

Er benutzt als Druckdifferenzverfahren die Meltzer’sche Insufflation; 
sie hat als Vorteil, dass der Thorax ruhig steht, ebenso die Lungen, 
und der Mund des Kranken zu Manipulationen des Narkotiseurs frei 
bleibt. 

Schnitt durch durch den 7. oder 8. Zwischenrippenraum; meist 
genügt die Resektion einer einzigen Rippe. Weder Knopf noch Naht 
sind brauchbar, man versenkt den unteren Stumpf in den Magen, den 
oberen zieht man mittels Sonde, vom Munde eingefübrt, hinaus bis ans 
Jugulum; in einem Falle riss der Oesophagus ab von der Sonde, man 
musste vom Thorax und Jugulum Zusammenarbeiten. 

Tod infolge Nachblutung nach 4 Tagen. Die Durchschneidung des 
Vagi in der Nähe des Zwerchfells ist unschädlich. 

Hr. Stieda- Halle demonstriert eine Patientin, bei der er ähnlich 
wie Lex er wegen Verätzung des Oesophagus einen künstlichen Oeso¬ 
phagus unter der Haut der vorderen Brustwand gebildet hat. Wie die 
Demonstration ergibt, funktioniert die neugebildete Speiseröhre gut. 

Hr. Nord mann-Berlin: N. verletzte bei einer Cholecystektomie 
wegen akuter Cholecystitis und Cholangitis ascendens dadurch den Ductus 
ctyoledochus am Uebergang in den Ductus hepaticus, dass die Gallen¬ 
blase, bei der der Cysticus fehlte, zu stark vorgezogen war und beide 
Gänge nebeneinander in die Klemme zu liegen gekommen waren. Nach 
Drainage des Ductus hepaticus wurden die durchschnittenen Gallengänge 
miteinander vereinigt. Vorübergehend lief die Galle in den Darm, später 


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Original frnm 

UMIVERSITY OF (OWA 





854 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18. 


entstand eine vollkommene Stenose infolge der pericholecystitischen 
Phlegmone, und alle Galle floss nach aussen. N. führte nun ca. acht 
Wochen nach der ersten Operation folgende Operation aus: Es wurde 
der Ductus hepaticus bzw. seine Verlängerung an der Leberunterfläche 
möglichst weit nach dem Leberhilus zu freigelegt und der Rest der 
äusseren Gallenfistel exstirpiert. Es war unmöglich, in den zahlreichen 
Schwarten an den Ductus choledochus und an das Duodenum heranzu¬ 
kommen. Deshalb wurde eine hohe Jejunalschlinge herbeigezogen und 
nach beiden Seiten abgeklemmt. Dann wurde ein dünnes Drain in den 
verlängerten Ductus hepaticus geschoben und in eine kleine Inzision des 
Jejunums hineingeführt und mit einer Kornzange ca. 10 cm tiefer durch 
eine zweite kleine Oeffnung wieder herausgezogen. Der innerhalb des 
Darmes liegende Drainteil war mit zahlreichen seitlichen Einschnitten 
versehen, und ferner war das Drain mit einigen Nähten im Ductus 
hepaticus fixiert. Dann wurde sowohl über der Einmündungsstelle des 
Drains in den Darm wie auch über der Ausmündungsstelle eine Witzel- 
sche Schrägfistel angelegt. Die Darmschlinge wurde möglichst dicht an 
den Ductus hepaticus herangebracht und hier die Anastomose mit Netz 
umwickelt. Unterhalb der Gallengangs-Darmverbindung wurde eine 
typische Enteroanastomose zwischen zu- und abführendem Schenkel an¬ 
gelegt. Bereits nach 5 Tagen entleerte sich sämtliche Galle in den 
Darm, und 4 Wochen nach der Operation wurde das Drain, welches zum 
lateralen Wundwinkel herausgeleitet war, herausgezogen. Glatte Heilung. 
N. empfiehlt dieses Verfahren für alle die Fälle, in denen die trans¬ 
duodenale Hepaticusdrainage nach Völker unmöglich ist. Er weist 
darauf hin, dass der schräge, in der Darmwand verlaufende Verbindungs¬ 
gang die Gefahren der Cholangitis ascendens sehr herabsetzt, und dass 
sich deshalb diese Methode vielleicht auch für jede Gallenblasen-Darm- 
verbindung eignet, besonders aber, wenn die gallenhaltige Gallenblase 
durch entzündliche Veränderungen eine sichere Naht bei der Cbolecyst- 
enteroanastomose nicht gestattet. N. betont, dass nach den Versuchen 
von En der len mit Sicherheit anzunehmen ist, dass das Serosaendothel 
durch Cylinderepithel der Gallengänge bzw. der Gallenblase ersetzt wird. 

Hr. L. Arnsperger-Karlsruhe: Zur Entstehung der akuten 
Pankreatitis. 

Vortr. berichtet über drei im letzten Jahre operierte Fälle von akuter 
hämorrhagischer Pankreatitis mit diffuser abdominaler Fettgewebs- 
nekrose, bei denen sich als einziger sonstiger Befund eine ausgesprochene 
Cholecystitis mit Gallensteinen vorfand, während die tiefen Gallenwege, 
die Pankreasgänge und das Duodenum völlig frei von Entzündung waren. 

Auf Grund dieser Fälle hält der Vortr. die Entstehung der Pan¬ 
kreatitis auf dem Lymphwege von der entzündeten Gallenblase aus für 
möglich, wie er es für die chronische Pankreatitis beschrieben hat. 

Für diese Annahme würde nach dem Vortr. auch sprechen, dass 
derjenige Fall, bei dem die Gallensteine entfernt und die Cholecystitis 
durch Drainage bekämpft wurde, die Erkrankung zunächst überstand 
und erst 4 Wochen später zu Hause starb, während die beiden anderen 
Fälle, bei denen nur das Pankreas freigelegt und tamponiert wurde, 
nach wenigen Tagen zum Exitus kamen. 

Der Vortr. empfiehlt daher, zur Klärung des Zusammenhanges bei 
den Operationen und Obduktionen der akuten Pankreatitis auf den Zu¬ 
stand der Gallenblase zu achten. 

Hr. Körte-Berlin hat drei Fälle schwerer akuter Pankreatitis in 
der letzten Zeit gesehen und sie durch breite Drainage sämtlich zur 
Heilung gebracht. 

Hr. Nordmann-Berlin weist darauf hin, dass in ca. 40 pCt. der 
Fälle die akute Pankreasstenose mit Gallensteinen bzw. Cholecystitis 
vergesellschaftet ist. Bei den bisher angestellten Versuchen, um diese 
Zusammenhänge zu klären, wurde Galle bzw. infizierte Galle in den 
Ductus pancreaticus injiziert. Die auf diese Weise erzielten positiven 
Befunde von Pankreasnekrose sind nach N.’s Ansicht wahrscheinlich da¬ 
durch zustande gekommen, dass die feinen Ausführungsgänge zersprengt 
wurden und der Pankreassaft in das Gewebe gepresst wurde. Demnach 
sind sie mit den Vorgängen in der menschlichen Pathologie nur unvoll¬ 
kommen in Parallele zu setzen. Es wurden deshalb an BO Hunden 
Versuche angestellt derart, dass die Papillen mit einer Silkwormnaht 
verschlossen und Bakteriengemische in die Gallenblase injiziert wurden. 
Es gelang auf diese Weise, bei richtiger Versuchsanordnung und Aus¬ 
schaltung aller manuellen Quetschungen am Pankreas beim Hunde 
14 mal eine typische Pankreasnekrose mit Blutungen und ausgedehnten 
Fettgewebsnekrosen zu erzielen, die sioh makroskopisch und mikro¬ 
skopisch vollkommen so verhielten, wie sie beim Menschen beobachtet 
wurden. Wurde nur die obere Papille verschlossen und der untere 
Ausführungsgang des Pankreas unberührt gelassen, so blieben trotz 
einer Infektion der Gallenwege alle Veränderungen am Pankreas aus. 
Ebenfalls waren die Versuchsergebnisse negativ, wenn beide Papillen 
zugebunden wurden, der Ductus choledochus seitlich vom Pankreas zu¬ 
geschnürt wurde und infektiöses Material in die Gallenblase gebracht 
war. N. ist der Ansicht, dass auf diese beschriebene Weise die Pankreas¬ 
nekrose durch drei Faktoren verursacht wird. Erstens durch den gleich¬ 
zeitigen Abschluss des Pankreassaftes und der Galle vom Duodenum, 
der ein vollkommener sein muss, zweitens durch die Anwesenheit in¬ 
fektiösen Materials in der Gallenblase; wurden nämlich die Papillen 
unterbunden und nicht gleichzeitig Bakteriengemische in die Gallenblase 
injiziert, so blieben alle Pankreasnekrosen aus. Drittens durch die ana¬ 
tomische Anlage, wie sie der Verlauf des Ductus choledochus und des 
Ductus pancreaticus beim Hunde zu zeigen pflegt, und die ähnlich wie 1 
bei einigen Menschen zu sein pflegt. Es mühden nämlich in der oberen 


Papille die beiden Gänge zusammen ins Duodenum ein und bilden hier 
sehr häufig durch ihr Zusammentreffen eine kleine Ampulle oberhalb der 
Papille, so dass nach dem Verschluss derselben Galle in den Ductus 
pancreaticus übertreten kann. 

Mit diesen experimentellen Erfahrungen stimmten die klinischen 
Beobachtungen N.’s vollkommen überein. Er hatte achtmal Gelegenheit, 
wegen schwerer akuter Pankreasnekrose operativ einzugreifen. Bei den 
ersten vier Fällen wurde das Pankreas dekapsuliert und von allen Seiten 
durch das Ligamentum gastrocolicum und durch das kleine Netz drainiert 
bzw. tamponiert und der Bauch ausgespült. Sämtliche Fälle starben 
im Collaps bzw. kurze Zeit nach der Operation. Bei den nächsten drei 
Fällen wurde einmal die Gallenblase drainiert und zweimal exstirpiert 
und in diesen drei Fällen neben der Dekapsulation, Drainage und Tam¬ 
ponade des Pankreas eine Galienwegsdrainage angeschlossen. Bei dem 
letzten Falle wurde wegen schwersten Collapses zunächst nicht operiert 
und einige Tage später ein linksseitiger grosser subphrenischer Abscess 
eröffnet. Der Fall, bei dem schwerste Gallensteinkoliken und leichter 
Icterus vorangegangen waren, ging in Heilung aus. Bei allen acht ope¬ 
rierten Fällen wurde bei der Autopsie bzw. bei der Operation ein Gallen- 
steinleidsn nachgewiesen. Bei zwei operierten Fällen, in denen die 
Gallenblase mit in Angriff genommen wurde, entleerte sich vorüber¬ 
gehend aus dem Choledochusdrain Pankreassekret, woraus N. mit Sicher¬ 
heit schliesst, dass die beiden Gänge ein gewisses Stück oberhalb der 
Papille sich vereinigten. Nach diesen mit dem Experiment völlig über¬ 
einstimmenden klinischen Erfahrungen rät N., wenn irgend möglich, bei 
jedem Falle von akuter Pankreasnekrose die Gallenblase bzw. den 
Ductus choledochus zu drainieren und die Gallenblase nur bei leid¬ 
lichem Kräftezustande, guter Zugänglichkeit und starken Veränderungen 
zu exstirpieren. 

Hr. Kehr-Berlin: Rückblick auf 2000 Operationen an den 
Gallenwegen. (Eine Gegenüberstellung der Erfolge des ersten und 
zweiten Tausend.) 

Die Gesamtsterblichkeit beträgt 16,7 pCt. Wenn man aber die bös¬ 
artigen Komplikationen nicht mitrechnet (Carcinom, biliäre Cirrhose, 
septische diffuse Cholangitis), so beträgt die Sterblichkeit 5,4 pCt. Hat 
man nur die reinen Steinfälle im Auge, so ist die Sterblichkeit noch 
niedriger und liegt bei 3 pCt. 

Die Gesamtsterblichkeit des ersten Tausend betrug 16,2 pCt., die 
des zweiten Tausend 17,2 pCt., die der Berliner Praxis (380 Fälle) 
18 pCt. 

Dass die Mortalität von Jahr zu Jahr gewachsen ist, liegt daran, 
dass die bösartigen Fälle zugenommen und das Material belastet haben. 
Beim ersten Tausend lagen 12,9 pCt., beim zweiten Tausend 17,8 pCt, 
bei den 380 Fällen der Berliner Praxis 20 pCt. bösartige Kompli¬ 
kationen vor. 

Dagegen ist beim zweiten Tausend die Sterblichkeit der reinen 
Steinfälle etwas niedriger wie beim ersten Tausend, und vor allem ist 
die Sterblichkeit nach der T-Drainage beim zweiten Tausend um 3 pCt. 
zurückgegangen. Sie betrug beim ersten Tausend (202 Fälle) 5 pCt., 
beim zweiten Tausend (333 Fälle) nur noch 2,1 pCt Bei den ersten 
50 Choledochotomien war die Sterblichkeit 10 pCt. 

Es entspricht demnach die Gesamtsterblichkeit ungefähr 
dem Prozentsatz der bösartigen Komplikationen plus 2 bis 
3pCt. Sterblichkeit der reinen Steinfälle. 

Es gibt, auch wenn wir ohne Handschuhe und Bartbinde operieren, 
keine operative Peritonitis mehr. 

Es gibt keine Wundinfektion schwerer Natur mehr, wenn wir den 
Panniculus adiposus nicht nähen. 

Zweierlei haben wir aber noch nicht erreicht: 1. eine ungefährliche 
Narkose und 2. die Verhütung von Blutungen der Ikterischen. 

Gegen die Blutungsgefahr der Ikterischen gibt es zurzeit nur ein 
Mittel: die rechtzeitige Operation beim Icterus. 

Extremitäten. 

Hr. Dollinger - Budapest: Suspension und Stützpunkte 
künstlicher Glieder. 

Zwei Punkte sind bei den bisherigen Prothesen unberücksichtigt 
geblieben: nämlich die Suspension und die Druckentlastung. Es ist zu 
berücksichtigen, dass die Prothese die Fortsetzung des Stumpfes sein 
soll. Zur Erreichung gut sitzender Prothesen macht D. einen Gips¬ 
abdruck des Stumpfes und, modelliert an ihm bestimmte Stütz- und 
Druckpunkte. 

Hr. Perthes-Tübingen: Ueber Osteochondritis deformans 
juvenilis. 

P. ist auf Grund der Beobachtung von 21, zum Teil mehrere Jahre 
verfolgten Fällen zu der Anschauung gekommen, dass unter dem als 
„Arthritis deformans juvenilis“ veröffentlichten Material eine Gruppe von 
Fällen existiert, welche sich von der Arthritis deformans prinzipiell 
unterscheidet. Die Krankheit, welche Perthes mit einem besonderen 
Namen (Osteochondritis deformans) benennen möchte, zeichnet sich patho¬ 
logisch-anatomisch durch eigenartige, auf Knorpelneubildung beruhende 
Destruktionsherde im Innern des Femurkopfes aus. Bei Kindern zwischen 
dem 5. und 12. Jahre auftretend, bedingt sie eine typische kegelförmige 
Deformität des Femurkopfes und macht mit Regelmässigkeit charakte¬ 
ristische klinische Erscheinungen: hinkender GaDg, positives Trendelen- 
burg’sches Phänomen, Abduktionshemmung bei freier Flexion, kein Druck-, 
kein Stauchungsschmerz. Sie heilt nach mehrjährigem,Bestehen aus unter 
Hinterlassung einer erheblichen Deformität des oberOn Femurendes, aber 


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5. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


855 


ohne andere funktionelle Störungen als eine sehr geringe Abduktions¬ 
hemmung. (Demonstration der Symptome an zwei Kindern.) 

Hr. Wilma: Operative Behandlung des Pes valgus und 
varus. 

Bei Pes valgus wird durch das Abgleiten des Talus nach vorn und 
innen vom Galcaneus das Umlegen des Fusses und seine Abflachung, 
die Abduktion des Vorderfusses und leichte Pronation bedingt. Um das 
Abgleiten des Talus in obengenannter Richtung zu verhindern, empfiehlt 
es sich, bei mittelsohweren Fällen von Plattfuss das Gelenk zwischen 
Talus und Naviculare zu ankylosieren, und zwar mit gleichzeitiger keil¬ 
förmiger Knochenresektion am vorderen Taluskopf und Einpflanzung des 
keilförmigen Knochenstückes, dessen breitere Basis nach der Planta pedis 
sieht, in das Gelenk zwischen Calcaneus und Guboideum von der Aussen- 
seite. Bei schweren Fällen genügen die genannten Eingriffe nicht, sondern 
es muss noch gleichzeitig die Stellung zwischen Talus und Galcaneus 
korrigiert werden, was am besten erreicht wird durch Entfernung der 
Gelenkknorpel zwischen diesen Knochen von zwei horizontalen Schnitten. 
Auch hier tritt dann eine Ankylose an Stelle des Gelenkes und verhindert 
das Abgleiten des Talus und Umlegen des Fusses. Bei der Nach¬ 
behandlung muss darauf geachtet werden, dass der Talus möglichst nach 
aufwärts geschoben und die Fusswölbung wieder stark ausgeprägt wird, 
was relativ leicht gelingt. 

Bei Pes varus (nur bei schweren Fällen bei Erwachsenen kommt 
der Eingriff in Betracht) lässt sich durch eine, bei der Pes valgus be¬ 
schriebene Methode, entsprechend geänderte Operation ebenfalls ein gutes 
Resultat erzielen, nämlich Ankylosierung im Chopart’schen Gelenk, 
eventuell mit Keilresektion aussen und Implantation in das Talo-Navicular- 
gelenk. Dann Redression des Calcaneus nach Lösung seiner Verbindung 
mit dem Talus durch Meissei und Hammer und Ankylosierung dieses 
Gelenkes mit starker Pronation des ganzen Fusses. 

Hr. Müller-Rostock hat bei schwerem Plattfuss die Keilexzision 
des Knochens aus dem medialen Fussrand vorgenommen und durch 
Verwendung dieses Knochenteils am lateralen Fussrande ein gutes ana¬ 
tomisches und funktionelles Resultat erzielt. 

Hr. Perthes-Tübingen hat eine ähnliche Operation bei Plattfuss 
ausgeführt. 

Hr. Hackenbruch-Wiesbaden: Die ambulante Behandlung 
von Knochenbrüchen mit Gipsverbänden und Distraktions¬ 
klammern. 

Nach kurzem geschichtlichen Ueberblick über die Distraktions¬ 
behandlung von Unterschenkelbrüchen (1893 v. Eiseisberg, 1901 
Käfer) zeigt Vortr. seine mit Kugelgelenken lind beweglichen Fuss- 
platten versehenen Distraktionsklammern, welche zu beiden Seiten der 
gebrochenen Extremität an den in der Frakturebene circulär durch¬ 
trennten Gipsverband angegipst werden und für fast alle Extremitäten¬ 
brüche verwendbar sind. 

Unter Demonstration von Röntgenbildern, mehreren Extremitäten¬ 
phantomen sowie von einigen Kranken mit frischen Knochenbrüchen, bei 
welchen die Distraktionsklammern angelegt sind, wird die Wirkung 
dieser Klammern illustriert. Werden nach erfolgter Ausgleichung der 
Verkürzung (kontrolliert durch Röntgenaufnahme) durch die Längs¬ 
distraktion die vier Kugelgelenke gelöst, so wird der untere 
Teil des Gipsverbandes nach allen Seiten beweglich: es 
können dann die Bruchfiächen der Knochen zur genauen Reposition ge¬ 
bracht werden; durch Festschrauben der Kugelgelenke wird die erhaltene 
gute Stellung der Fragmente fixiert. (Wiederum Kontrolle durch Röntgen¬ 
aufnahme.) 

Für besonders schwierige Fälle wird eine kleine Hilfsschrauben- 
vorrichtung demonstriert und deren Anwendung erläutert. 

Zur Polsterung des Gipsverbandes werden flache Faktiskissen 
(in Manschetten- oder Fussextensionslaschenform) verwendet und so 
schädigende Drucknekrosen vermieden. Bei in Gelenknähe befindlichen 
Knochenbrüchen werden die Distraktionsklammern so befestigt, dass die 
beiden einander gegenüberstehenden Kugelgelenke möglichst in die 
Ebene der Drehungsachse des Gelenkes zu liegen kommen, so dass nach 
Lösung der beiden betreffenden Kugelgelenke Bewegungen in dem mit- 
eingegipsten Gelenke (bei gleichzeitig bestehender Distraktion und 
Fixation der Bruchstücke) möglich sind. 

In den meisten Fällen von Knochenbrüchen an den unteren Extremi¬ 
täten können unter Verwendung der geschilderten Distraktionsklammern 
die Patienten schon einige Tage nach Anlage der Distraktionsklammern 
aufstehen und vor Ablauf der zweiten Woche nach dem Unfall gehen. 

Demonstration dreier Patienten mit Unterschenkel-, Malleolen- und 
Oberarmbrucb, bei denen die Klammern verwendet wurden. 

Hr. He 11 er-Leipzig berichtet über weitere Erfahrungen, die in der 
Payr’schen Klinik mit der Mobilisierung versteifter Gelenke gemacht 
wurden, und demonstriert geheilte Patienten. 

Hr. Oehleoker-Hamburg: Zur chirurgischen Behandlung 
tabischer Gelenkerkrankungen. 

Vortr. berichtet über drei (zum Teil atypische) Gelenkresektionen 
bei tabischer Arthropathie. In allen Fällen wurde eine knöcherne Anky¬ 
lose erzielt. Ebenso brachten sechs osteoplastische Fussamputatiönen 
gute und sehr nützliche Erfolge (gegebenenfalls Vorbehandlung mit Jod¬ 
tinkturinjektionen ins Gelenk und sicherer Fixierung in Gipsverbänden), 
'pas leitende Grundprinzip, bei den chirurgischen Eingriffen ist folgendes: 
Vollständige Ausschaltung des kranken und zügellos gewordenen Ge¬ 
lenkes; genaue Fixierung der Knochenenden zueinander; einseitig wir¬ 


kende Druckbelastung bei sorgfältigster Nachbehandlung. Auf jeden 
Fall muss eine knöcherne Ankylose erreicht werden; denn dann kommt 
der Krankheitsprozess zum Stillstand und schon atrophischer Knochen 
gesundet wieder unter einseitiger Belastung. Selbstverständlich ist auch 
die Indikationsstellung unter genauer Berücksichtigung des Grundleidens 
sorgsam abzuwägen. Besonders bei Tabikern aus dem Arbeiterstande 
ist eine frühe osteoplastische Fussamputation ratsam, es muss aber hier 
mit allen Mitteln erstrebt werden, dass der Galcaneus mit den Unter¬ 
schenkelknochen fest verheilt. Die tabischen Arthropathien des Knie¬ 
gelenks geben ein grosses Feld für orthopädische Behandlung, doch 
haben hier auch Resektionen ihre Berechtigung; in manchen Fällen 
bringt hier die chirurgische Behandlung gute Vorteile, wie es bei den 
drei oben angeführten Kniegelenksresektionen der Fall war.- 


Die Aufgaben der „Aerztlichen Gesellschaft für 
Sexualwissenschaft“. ‘) 

Von 

Dr. med. Iwan Bloch. 

Verehrte Anwesende! Hermann von Helmholtz, der grosse 
Arzt und Naturforscher, der tiefe philosophische Denker, hat einmal die 
Gründe zusammengestellt, die in der Erforschung der organischen Natur, 
in Physiologie und Medizin Deutschland die Führerrolle zugewiesen 
haben. In der herrlichen Rede „Ueber das Ziel und die Fortschritte 
der Naturwissenschaft“ erklärt er diese Führerrolle Deutschlands mit 
folgenden Worten: „Das Entscheidende war, dass bei uns eine grössere 
Furchtlosigkeit vor den Konsequenzen der ganzen und vollen Wahrheit 
herrscht als anderswo. Auch in England und Frankreich gibt es aus¬ 
gezeichnete Forscher, welche mit voller Energie in dem rechten Sinne 
der wissenschaftlichen Methode zu arbeiten imstande wären, aber sie 
mussten sich bisher fast immer beugen vor gesellschaftlichen Vorurteilen, 
und konnten, wenn sie ihre Ueberzeugung offen aussprechen wollten, 
dies nur zum Schaden ihres gesellschaftlichen Einflusses und ihrer Wirk¬ 
samkeit tun. 

Deutschland ist kühner vorgegangen, es hat das Vertrauen gehabt, 
welches noch nie getäuscht worden ist, dass die vollerkannte Wahrheit 
auch das Heilmittel mit sich führt gegen die Gefahren und Nachteile, 
welche halbes Erkennen der Wahrheit hier und da zur Folge haben 
mag. Ein arbeitsfrohes, massiges, sittenstrenges Volk darf solche Kühn¬ 
heit üben, es darf der Wahrheit voll in das Antlitz zu schauen suchen, 
es gebt nicht zugrunde an der Aufstellung einiger voreiliger und ein¬ 
seitiger Theorien, wenn diese auch die Grundlagen der Sittlichkeit und 
der Gesellschaft anzutasten scheinen.“ 

Wir wollen uns heute an diese Worte erinnern, gerade heute, 
wo wir im Begriff sind, das letzte Stück Mittelalter abzuwerfen, 
das bisher noch in der Medizin fortlebte und sie an der vollen Durch¬ 
führung des Prinzips der absolut freien wissenschaftlichen Forschung 
hinderte. Und es gereicht uns zur besonderen Freude, dass wiederum 
Deutschland, die deutsche Medizin es ist, die durch die Be¬ 
gründung der Aerztlichen Gesellschaft für Sexualwissenschaft 
mit dem letzten Rest mittelalterlicher Anschauung aufgeräumt hat, der 
noch in unsere Zeit hineinspukt. Wir wollen dieses bisher verpönte 
Gebiet zum Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung machen, d. h. 
wir wollen auch hier die ganze Wahrheit mit allen ihren Konsequenzen 
erkennen und nicht die halbe verschleierte, die allein gefährlich ist. 

Wenn man sich die Frage vorlegt, wie es möglich war, dass selbst 
die Medizin, die Wissenschaft vom nackten Menschen, es nicht wagfte, 
das berühmte delphische Wort: Mensch, erkenne dich selbst! wirklich 
voll und ganz zu erfüllen, und eine wissenschaftliche Diskussion und 
Erörterung der sexuellen Probleme perhorreszierte, so kommt man bei 
näherer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass der Grund hierfür nicht in 
den rein medizinischen Anschauungen lag und liegen konnte. Denn 
welcher Arzt hätte von jeher die gewaltige Bedeutung der Sexualität für 
die Physiologie und Pathologie, für das körperliche und geistige Sein des 
Menschen übersehen können? Es ist vielmehr gar kein Zweifel, dass 
das sexuelle Vorurteil, das unter den vielen Vorurteilen der Menschheit 
auf allen Gebieten der Kultur, des Glaubens und des Wissens vielleicht 
das hartnäckigste ist, dass dieses Vorurteil rein theologischen Ur¬ 
sprungs ist. Es war die mittelalterliche Theologie, welche in An¬ 
lehnung an die dogmatisch fixierte Lehre des Augustinus über die 
Erbsünde die Vorstellung von der allgemeinen Sündhaftigkeit, Schlechtig¬ 
keit und Schändlichkeit des Geschlechtlichen in alle Gebiete des Lebens 
einführte und diese Idee der abendländischen Kultur so tief ein¬ 
impfte, dass sie noch heute nicht nur die öffentliche Meinung be¬ 
herrscht, sondern auch in tausend Einzelheiten des täglichen Lebens, in 
Sitte, Brauch und Konvention überall hervortritt. 

Der berühmte protestantische Theologe Adolf Harnack hat das 
grosse Verdienst, in seinet glänzenden Analyse der augustiniscben Erb¬ 
sündenlehre den überzeugenden Beweis erbrapht zu haben, dass diese 

1) Vortrag in der ersten öffentlichen Sitzung 'der~Aei;?tlichen Ge¬ 
sellschaft für Sexualwissensöhaft am 21. Februar 19 iS. Vorher verlas der 
Redner die am Schluss abgedruokten Begrüssungsworte Ernst Haeekel 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18. 


Erbsünde wirklich wesentlich als „Fleischessünde 4 aufzufassen ist und 
dass das sexuelle Vorurteil einzig und allein auf diese Lehre zurückzu- 
führen ist. Wie tief dieses Vorurteil wurzelt, erkennen wir daraus, 
dass selbst die Reformation es nicht hat überwinden können, und dass 
Luther nach anfänglicher Lossagung ihm später wieder rettungslos ver¬ 
fallen ist. Luther ist ein lehrreiches Beispiel für die ja auch heute 
noch häufige Beobachtung, dass ein und derselbe Mensch in den ver¬ 
schiedenen Phasen seines Lebens verschieden über den Wert des Ge¬ 
schlechtlichen denken kann. Augustinus hatte seine Erbsündenlehre 
nach einer in wüsten sexuellen Ausschweifungen verbrachten Jugend 
aufgestellt, Luther trat zuerst als ein glühender Verteidiger des 
Rechtes und Wertes des Geschlechtstriebes auf und betonte seine emi¬ 
nente Bedeutung für die natürliche freie Entwicklung der menschlichen 
Persönlichkeit. Von seinen unzähligen Aeusserungen über das natür¬ 
liche Recht der sexuellen Betätigung seien hier nur zwei angeführt: 

„Eine Dirne, wo nicht die hohe seltsame Gnade da ist, kann sie 
eines Mannes eben so wenig geraten, als essen, trinken, schlafen und 
andere natürliche Notdurft. Wiederum auch also: Es ist eben so tief 
eingepfianzt der Natur Kinder zeugen, als essen und trinken. Darum 
hat Gott dem Leibe die Glieder, Adern, Flüsse und alles, was dazu 
dienet, geben und eingesetzt. Wer nun diesem wehren will und nicht 
lassen gehen wie die Natur will und muss, was tut der anders, denn er 
will wehren, dass Natur nicht Natur sei, dass Feuer nicht brenne, 
Wasser nicht netze, der Mensch nicht esse noch trinke noch schlafe? 

Ist’s Schande, Weiber nehmen, warum schämen wir uns auch nicht 
Essens und Trinkens, so auf beiden Teilen gleich grosse Not ist. Ach, 
was soll ich mehr davon sagen? Es ist zu erbarmen, dass ein Mensch 
so toll sein sollte, dass sich wundert, dass ein Mann ein Weib nimmt, 
oder dass sich jemand dess schämen sollte, derweil sich niemand wundert, 
dass Menschen zu essen und zu trinken pflegen. Und diese Notdurft, 
da das menschliche Wesen herkömmt, soll noch erst in Zweifel und 
Wunder stehen!“ 

Für den Luther dieser ersten Phase ist der Geschlechtstrieb in 
der Natur, daher wie diese eine Offenbarung Gottes, daher der Mensch 
als Träger der Sexualität verehrungsvürdig. Dem Worte folgte die 
Tat: die Heirat des Mönches Martin Luther mit der Nonne Katha¬ 
rina von Bora. 

Wie ganz anders aber, verehrte Anwesende, ist der Luther der 
zweiten Phase. Man könnte es nicht glauben, wenn man es nicht 
schwarz auf weiss lesen würde. Der ehemalige Augustinermönch ist in 
dieser zweiten Periode völlig zum echten und rechten Augustinismus 
zurückgekehrt, er bekennt sich wieder zur Lehre von der Erbsünde und 
sieht daher auf einmal wieder im Geschlechtlichen und in seiner Be¬ 
tätigung etwas „Schändliches“. Vielleicht hat bei dieser retrograden 
Entwicklung der Einfluss von Krankheit und Alter mitgewirkt. Auch 
hierfür seien einige Beispiele angeführt: 

„Ist nicht die fleischliche Lust eine Wunde aller Wunden? Ist 
sie nicht ein Geschwür und Plage über alle Wunden und Schläge?“ 

„Das männliche oder weibliche Glied ist an sich sehr schändlich 
und wird damit ein schändlich Werk ausgerichtet.“ 

„Man soll das Böse im Ehestande und in der ehelichen Beiwohnung 
nicht verteidigen, als ob es etwas Gutes sei. Wir sollen die böse Lust 
und Schande, so im Ehestand ist, nicht entschuldigen. Wir sollen nicht 
sagen, es ist wohlgetan, dass ich bei meinem Weibe geschlafen habe, 
sondern wir sollen unsere Unreinigkeit erkennen.“ 

So hat Luther schliesslich doch die „Erbsünde“ wieder eingesetzt, 
sie beherrscht auch die protestantische Sexualethik bis auf den heutigen 
Tag und ist die eigentliche Wurzel jener Zweideutigkeit, Scheinheilig¬ 
keit, Heuchelei und Prüderie, die noch heute das Sexualleben der Kultur- 
mensohheit von Grund aus vergiftet. Aber doch dürfen wir z. B. aus 
der scharfen Kritik, die Adolf Harnack in seiner klassischen Dogmen¬ 
geschichte der Erbsünden lehre zu teil werden lässt, die Hoffnung ent¬ 
nehmen, dass der moderne Protestantismus im Sinne der ersten Phase 
Luthers sich zu einer endlichen vorbehaltlosen Anerkennung der Sexuali¬ 
tät als einer natürlichen und an sich absolut nicht sündhaften oder gar 
schändlichen Lebensäusserung entschliessen wird. 

Es bedarf aber noch einer Erklärung, woher es kam, dass die Me¬ 
dizin sich in der Behandlung und allgemeinen Auffassung der sexuellen 
Fragen so ganz von der Theologie ins Schlepptau nehmen liess. Da 
haben wir nun die kulturgeschichtlich und psychologisch interessante 
Tatsache zu verzeichnen, dass dieselbe Theologie, die das Sexuelle als 
schändliche Erbsünde stigmatisiert batte, die Erörterung und Erforschung 
dieses Gebiets ausschliesslich für sich beanspruchte und die Medizin, die 
sie im übrigen einer strengen Censur unterwarf, so viel wie möglich von 
ihm fernbielt. Auch das Mittelalter und die Neuzeit bis zum 19. Jahr¬ 
hundert besassen ihre Krafft-Ebings. Nur waren die eifrigen Sammler 
einer erstaunlich reichhaltigen, nach systematischen Gesichtspunkten 
gruppierten Sexualcasuistik nach wissenschaftlicher Methode keine Me¬ 
diziner, sondern Theologen, waschechte Theologen. Diese Art von 
Schriftstellerei beginnt schon im 6. Jahrhundert und setzt sich in un¬ 
unterbrochener Folge bis zur Gegenwart fort. Sie wird hauptsächlich 
durch die zahlreichen mittelalterlichen Buss- und Beichtbücher und die 
Schriften der katholischen Moraltheologen repräsentiert. Ein Liguori, 
Thomas Sanchez, Bouvier, Debreyne, Claret und viele andere 
haben ad usum confessariorum, wie der technische Ausdruck lautet, 
das ganze menschliche Geschlechtsleben von (oder besser bereits schon 
vor) der Geburt bis zum Grabe in allen seinen Erscheinungen und 
Aeusserungen, den physiologischen und den pathologischen, bis in die 


kleinsten Einzelheiten und nur möglichen und denkbaren Beziehungen 
erörtert, immer aber unter dem Gesichtspunkte des Dogmas der Erb¬ 
sünde. »Sie zogen“, wie Adolf Harnack sagt, „das Verborgenste ans 
Licht und erlaubten sich über Dinge öffentlich zu reden, über die sonst 
niemand zu sprechen wagt.“ 

Sicherlich war es aber doch nicht ausschliesslich eine perverse 
Phantasie, die diese zahlreichen, für den Beichtstuhl bestimmten Schriften 
hervorgerufen hat. Die Kirche, die den Menschen auch durch Rat und 
Tat an sich zu fesseln suchte, hatte frühzeitig erkannt — und das mag 
uns rückständigen Medizinern eine Lehre sein —, dass das Geschlechts¬ 
leben mit seiuen mannigfaltigen Gestaltungen sehr häufig eine Quelle 
schwerer seelischer und körperlicher Leiden für das einzelne, oft un¬ 
erfahrene Individuum darstellen kann, und dass Augenblicke kommen, wo 
der Mensch das Bedürfnis empfindet, auch seiner sexuellen Nöte durch 
eine Beichte ledig zu werden. Hierin liegt eine gewisse Rechtfertigung 
für die Beichtbücher und die subtile Sexualcasuistik der Moraltheologen, 
die ja durchweg zum Zwecke der Anwendung im praktischen Leben ver¬ 
fasst sind. Soweit sich nun Aerzte an die wissenschaftliche Bearbeitung 
der praktischen Fragen des Sexuallebens heran wagten, bedurften sie 
einer kirchlichen Approbation, und ihre Schriften unterlagen der theo¬ 
logischen Zensur. Dieses Verhältnis änderte sich zwar mit dein 16. Jahr¬ 
hundert, als ein freierer Geist in die Wissebschaften einzog, und in den 
protestantischen Ländern hat sich die Medizin bald völlig von der Theo¬ 
logie emancipiert. In den katholischen Ländern und Landesteilen jedoch 
finden wir noch beute manche Spuren des alten Zusammenhanges, wie z. B. 
die von Aerzten mit kirchlicher Genehmigung verfassten Handbücher det 
sogenannten „Pastoralmedizin“, als deren bekanntestes ich das deutsche 
Werk von Capellmann nenne. Ja, in Italien hat sogar eine theo¬ 
logische Zensur bis zur kitte des 19. Jahrhunderts bestanden. In einem 
interessanten Reisewerk erzählt Dr. Wilhelm Horn, Kreisphysikus in 
Halberstadt, dass nach der Mitteilung des Arztes Dom in ici in Palermo 
ein katholischer Priester als Zensor für medizinische Bücher fungierte, 
der u. a. in einer vonDominici verfassten Abhabdlüng über Kastration 
das Wort „Hode“ als anstössig gestrichen habe, weshalb der Druck 
unterbleiben musste. 

In den letzten Jahrzehnten hat sich nun in der medizinischen 
Wissenschaft ganz allmählich die Erkenntnis Bahn gebrochen, dass 
erstens, um mit Forels Worten zu sprechen, der Mensch keinen wahren 
Grund besitzt, sich irgendeines Teiles seines Körpers zu schämen, und 
dass zweitens die Sexualität sowohl als hygienischer als auch als patho¬ 
gener Faktor arg vernachlässigt worden ist. Die Anthropologie und 
Völkerkunde, die Psychiatrie, die Kriminalanthropologie, die ProstitutioDS- 
forschung und schliesslich die soziale Medizin und Rassenhygiene zeigten 
uns nacheinander die sexuellen Probleme in einer neuen und vielseitigen 
Beleuchtung. Jetzt erst erkannte man ihro enorme Bedeutung für das 
individuelle und soziale Leben des Menschen. Es soll unserem Reichs¬ 
kanzler v. Bethmann - Holl weg nicht vergessen werden, dass er 
noch als Minister des Innern, in einer denkwürdigen Sitzung des 
Preussischen Abgeordnetenhauses im Jahre 1907, sich zum Interpreten 
dieser neuen Erkenntnis] machte und von dem Geschlechtstriebe sprach 
als von der „Lebenskraft, der wir nicht nur das Böse, sondern auch im 
letzten Grunde das Dasein verdanken, folglich Leben, Lust und auch 
das Gute und Edle, das wir schaffen“. Es handelte sich bezeichnender 
Weise bei diesem Ausspruche um eine Frage, in welcher die Aerzte in 
letzter Zeit die Führung übernommen haben, um die Frage der Bekämpfung 
und Beaufsichtigung der Prostitution. Es waltet ja hierbei die Tendenz ob, 
allmählich die polizeiliche Reglementierung ganz durch die freie ärzt¬ 
liche Kontrolle zu ersetzen, v. Bethmann-Hollweg hatte in der er¬ 
wähnten Rede anerkannt, dass die Behandlung solcher praktischen 
Fragen der Sexualhygicne bestimmten Spezialisten obliegen müsse, die 
sich, wie er sich ausdrückte, mit „Kopf und Herz“ mit der Sache be¬ 
schäftigen und auch bei der neuen Formulierung des Strafgesetzbuches 
zugezogen werden müssten. Es war hier wohl zum ersten Male vom 
Ministertische aus auf die hohe Bedeutung der ärztlichen Sexualforschung 
hingewiesen worden. 

In der Tat muss heute, wo es eine ernste wissenschaftliche 
Forschung auf diesem Gebiete gibt, wo glücklicherweise ein Teil der 
Aerzte es nicht mehr für unter seiner Würde hält, die Fragen des 
Sexuallebens selbst zu beantworten, statt sie gänzlich den Theologen zu 
überlassen, es muss heute der Arzt als der berufenste Vertreter die 
Aufgabe des Theologen übernehmen, für eine individuelle und soziale 
Hygiene des Geschlechtslebens zu sorgen. Wenn nach Gladstone’s 
Wort in Zukunft die Aerzte die Führer der Menschheit sein werden, 
so werden sie es ganz gewiss auf diesem Gebiet sein, zumal wenn sie 
gestützt auf eine umfassende Einsicht in die kulturellen und sozialen 
Zusammenhänge nicht bloss die körperliche, sondern auch die seelische 
Seite der Frage ständig im Auge behalten. 

Es ist ein erfreuliches Zeichen der Zeit, dass selbst ein katholischer 
Theologe, dass Joseph Mausbach neuerdings die Berechtigung der 
Erforschung des Sexuellen als reinen Wissengegenstandes anerkannt hat 
In der Tat handelt es sich hier um ein neues, durchaus selb¬ 
ständiges Forschungsgebiet, das sich in den letzten Jahren immer 
deutlicher als solches abgesondert hat, nachdem sich, wie unser verehrter 
Herr Präsident, Geheimrat Eulenburg, es richtig gekennzeichnet hat, 
die „Summe der Tatsachen, Erfahrungen, erkennbaren Beziehungen ge¬ 
rade für dieses Gebiet mit einem Male in früher unerhörter Massenbaftig- 
keit angehäuft und verdichtet hat.“ Diese einzelne Tatsachen und Pro¬ 
bleme waren bisher unter den verschiedenartigsten Gesichtspunkten be* 


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6. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


867 


arbeitet worden, ihre wissenschaftliche Ordnung und Zusammenfügung 
zu einem organischen Ganzen war dadurch erschwert, wenn nicht un¬ 
möglich gemacht worden, dass sie in ganz heterogenen Disziplinen 
bearbeitet oder besser unzureichend bearbeitet und oft nur gestreift 
worden waren. Zu diesen Disziplinen geboren vor allem die Psychiatrie, 
die z. B. die Frage der sexuellen Perversionen völlig einseitig behandelt 
hat, die Dermato-Venerologie, die ebenso einseitig die Prostitutionsfrage 
fast ausschliesslich für sich occupierte, die Urologie, die Gynäkologie, 
die Hygiene und die gerichtliche Medizin. Eine wahrhaft wissenschaft¬ 
liche Sexualforsohung, d. h. eine wirkliche objektive allseitige Be¬ 
trachtung und Erforschung der einschlägigen Probleme ist nur dann 
möglich, wenn man sie nicht mehr, wie bisher, als mehr oder weniger 
geduldetes Anhängsel irgendeiner anderen Wissenschaft auffasst, sondern 
als ein selbständiges Forschungsgebiet, als ein organisches Ganzes nach 
einheitlichen Gesichtspunkten bearbeitet. Für dieses neue Sondergebiet 
hatte ich 1906 den Namen „Sexualwissenschaft“ vorgeschlagen, 
welches Wort in seine Bestandteile zerlegt bedeutet: die Wissenschaft 
vom Sexuellen, d. h. von den Erscheinungsformen und Wirkungen der 
Sexualität in körperlicher und geistiger, in individueller, und sozialer 
Beziehung. Diese Begriffsbestimmung wird der eigentümlichen Doppel¬ 
natur des Geschlechtstriebes gerecht, seiner biologischen und kulturellen 
Seite, und weist darauf hin, dass wir auch als Aerzte und Naturforscher 
jene sozialen und kulturellen Beziehungen um so weniger vernachlässigen 
können, als sie stets ein biologisches Substrat haben. Wir haben ja 
der Tatsache, dass die Sexualwissenschaft mit so vielen Grenzgebieten 
der Natur- und Kulturwissenschaft Berührung hat, dadurch Rechnung 
getragen, dass wir in unseren Satzungen ausdrücklich den Beitritt 
nichtmedizinischer Akademiker als ausserordentliche Mitglieder 
vorgesehen haben, weil wir auf die Mitarbeit der Naturforscher, 
Philosophen, Theologen, Juristen, Soziologen und Kulturforscher 
nicht verzichten können und wollen. Aber wir betonen von vornherein, 
dass wir die Biologie für die Grundlage, den eigentlichen Kern der 
ganzen Sexualwissenschaft halten, dass aus den biologischen 
Phänomenen der Sexualität sich die geistigen und kultu¬ 
rellen erklären. Als „Aerztliche Gesellschaft für Sexualwissenschaft“ 
wollen wir an unserer streng naturwissenschaftlichen Methode festhalten, 
welche überall den Kausalzusammenhang zwischen Körper und Geist 
ihren Untersuchungen zugrunde legt und auoh bei der Erforschung mehr 
kultureller und sozialpsychologischer Probleme diesen Zusammenhang 
nicht ausser aoht lässt. Unter dieser Voraussetzung wird auch die 
Sexualwissenschaft die ihrer grossen Bedeutung entsprechende Stellung 
unter den übrigen medizinischen Disziplinen einnehmen und bald ihre 
Existenzberechtigung, ihre Notwendigkeit und ihren Wert erweisen. Es 
dürfte in dieser Beziehung von Interesse sein, dass wohl zum ersten 
Male an einer deutschen Universität im Sommersemester 1913 an der 
Berliner Universität ein sexualwissenschaftliches Kolleg gelesen werden 
wird. Herr Geheimrat Eulenburg hat im soeben ausgegebenen Vor¬ 
lesungsverzeichnis ein Publikum über „Grundzüge der sexuellen Psycho¬ 
logie und Psychopathologie“ angekündigt. Sicherlich wird dieses Bei¬ 
spiel bald Nachahmung finden, die Sexualwissenschaft wird akademisches 
Bürgerrecht erwerben, obgleich ja heute gerade die akademischen Kreise 
unter dem Einflüsse der schon erwähnten Vorurteile sich noch ablehnend 
verhalten. 

Lassen Sie mioh, verehrte Anwesende, in grossen Zügen und in 
kurzen Andeutungen ein übersichtliches Bild entwerfen von den Auf¬ 
gaben und Problemen, mit denen sich unsere Gesellschaft voraussicht¬ 
lich zu beschäftigen haben wird. Es kann sich dabei nur um eine 
knappe Skizze des gegenwärtigen Standes der sexualwissenschafftlichen 
Forschung handeln, um eine Hervorhebung der wichtigsten Kardinal- 
probleme der theoretischen und praktischen Sexualwissenschaft. 

Indem wir dabei vom Allgemeinen zum Besonderen fortschreiten, 
haben wir zunächst die biologischen Probleme, die allgemeinen ana¬ 
tomisch-physiologischen Grundlagen der Sexualwissenschaft ins Auge zu 
fassen. Ursprung und Wesen der Sexualität als einer der wichtigsten 
Lebenserscheinungen wird voraussichtlich einen breiten Raum in unseren 
Erörterungen einnehmen. 

Die Sexualität, d. h. die Fähigkeit zur Zeugung und Fortpflanzung« 
ist eine Funktion der lebendigen Substanz, als solche ist sie aber 
sekundärer Natur, d. h. das Leben war das Primäre, die Sexualität 
das Sekundäre, das erst durch einen Prozess der Differenzierung 
aus ihm hervorging. Der gegenwärtige Stand der Forschung über die 
Biologie der Zelle zwingt uns nicht nur zur Annahme einer Urzeugung, 
sondern gibt uns auch Anhaltspunkte dafür, wie sich aus der ersten 
lebendigen Materie am Anfang der Dinge bestimmte Teile differenziert 
haben, die die Funktion der Fortpflanzung übernahmen. 

Wenn wir die zuerst von H. E. Richter und Sir William 
Thomson formulierte, dann neuerdings von Svante Ärrhenius weiter 
ausgebaute Theorie von der Verschleppung der ersten Lebenskeime von 
anderen Weltkörpern durch Meteoriten oder den Strahlungsdruck der 
Soone hier beiseite lassen, da sie das Problem nur verschiebt, aber 
nicht löst, so jnüssen wir uns gegenüber der von Helm hol tz gestellten 
Alternative: „Organisches Lebeq hat entweder zu irgendeiner Zeit an¬ 
gefangen zu bestehen oder es besteht von Ewigkeit“ gegen die Ewigkeit 
des Lebens aussprechen, da die' natürliche Entwicklung und die Geo¬ 
logie eine solche aussohHessen. Die von Eduard Pflüger in seiner 
(berühmten Abhandlung: ^Ueber die physiologische Verbrennung in den | 
lebendigen Organismen“ r!875- aufgestellte Cyantheorie der Urzeugung, 


nach der das Plasma, die „lebendige Substanz“ ihre vitalen Fähigkeiten 
den chemischen Eigenschaften des Eiweisses verdankt, insbesondere dem 
darin enthaltenen aus einem Atom Kohlenstoff und einem Atom Stick¬ 
stoff zusammengesetzten Cyanradikal, dem sogenannten „halblebendigen 
Molekül“, das durch Polymerisierung zu dem lebendigen Molekül des 
Protoplasma wurde, ist durch die neueren Forschungen über die bio¬ 
chemische Struktur der Plasmazellen bestätigt worden. Danach sind die 
Lebensvorgänge in der Zelle nur unter der Voraussetzung hochwertiger 
Plasmamoleküle oder Biomoleküle zu erklären, welche der Assimilation 
und Teilung fähigen Atomgruppen nur durch die Komplikation ihres 
Baues von den vielatomigen Molekülen hochorganisierter organischer 
Verbindungen, wie z. B. der aromatischen Körper oder Eiweissstoffe, 
verschieden sind. 

Im weiteren Verlauf der in den hochwertigen Biomolekülen der 
lebendigen Substanz sich vollziehenden chemischen Prozesse der Assimi¬ 
lation und Dissimilation kommt es nun zu einer Sonderung der plas¬ 
matischen Massen. Es differenziert sich ein ausschliesslich der Fort¬ 
pflanzung dienender kleinerer Teil von einem grösseren Teil, der die 
Funktion der Ernährung und Anpassung übernimmt. Es scheidet sieh 
das Kernplasma oder Karyoplasma als Träger der Sexualität von dem 
Cytoplasma. Der letzte Grund für die Differenzierung von Kern und 
Zellplasma ist in der zunehmenden Komplikation des Chemismus der 
lebenden Substanz und in der Möglichkeit einer räumliohen Trennung 
gewisser chemischer Prozesse zu suchen. Das Problem des Ursprungs 
und Wesens der Sexualität ist also ein chemisohes, wie die Betrachtung 
der einfachsten Organismen zeigt, in Bestätigung des Wortes von 
Lorenz Oken: „Da muss der Grund aller Begattung sein, wo gar 
keine Begattung ist.“ Diese Vorstellung eines sexuellen Chemismus 
hat jetzt grundlegende Bedeutung für die Sexualwissenschaft gewonnen 
und erweist sich als ein überaus glückliches heuristisches Prinzip für 
den Fortschritt der Forschung, das übrigens durch immer neue Tat¬ 
sachen fundiert wird und das hellste Licht über viele Erscheinungen 
der sexuellen Physiologie und Pathologie verbreitet. 

Neben dem Chemismus erweist sich das grosse Prinzip der 
Variabilität als der Leitfaden in dem Labyrinth der sexualwissen- 
scbaftliohen Probleme. 

Man kann hierauf das berühmte Wort des Ovid anwenden: „Nicht, 
wann vorbei sie geeilt, rufst je die Welle zurück du.“ Es ist immer 
eine andere Welle in dem ewigen Flusse des Lebens. In der unauf¬ 
hörlichen Aufeinanderfolge der lebendigen Organismen, diesem ewigen 
Werden und Vergehen seit Jahrmillionen gleicht kein lebendiges Ge¬ 
bilde dem anderen, jedes ist ein bestimmtes Individuum für sich, 
das nie, niemals wiederkehrt, in gewissem Sinne also unersetzlich 
ist. Hier, verehrte Anwesende, liegt die philosophische Begründung 
für den neuerdings so oft betonten energetischen, ökonomischen und 
Kulturwert des einzelnen menschlichen Individuums. Diese wunderbare 
Variabilität liegt im Wesen der Sexualität, ist der Zweck der Befruchtung 
und Fortpflanzung, die von der einfachen Teilung und Knospung zur 
Kopulation und Konjugation, vom Hermaphroditismus zur Geschleehts- 
trennung fortschreitet und damit die Möglichkeiten der Differenzierung 
ins Ungemessene vermehrt. Es ist dabei bemerkenswert, dass auch die 
höheren Formen der Sexualität schon in den niederen angelegt sind, 
und dass sie selbst Spuren jener niederen Herkunft bewahren. So ver¬ 
mehren sich z. B. die der Gattung Volvox angehörigen Geisselinfusorien 
das eine Mal durch blosse Teilung, das andere Mal aber durch Kon¬ 
jugation, indem einzelne grössere, geissellose, kugelförmige, ruhende Indi¬ 
viduen, welche die weiblichen Geschlechtsindividuen vorstellen, mit 
spindelförmigen, geisseltragenden, beweglichen Individuen, den männ¬ 
lichen Fortpflanzungstieren, verschmelzen. Man hat zutreffend die 
ruhenden Individuen mit den Eizellen, die mit Geissein versehenen mit 
den Samentierchen der höheren Tiere verglichen. 

Eine ähnliche Erscheinung kommt bei manohen Insekten vor, bei 
denen in verschiedenen Generationen die ungeschlechtliche Fortpflanzung 
als sogenannte Parthenogenesis mit der'geschlechtlichen ab wechselt. 

Auch das sexualbiologische Studium der höheren doppeltgeschlecht¬ 
lichen Lebewesen zeigt uns, dass es eine absolute Männlichkeit und 
Weiblichkeit nicht gibt, sondern dass fast immer Spuren des anderen 
Geschlechts in irgendeiner Form nachweisbar sind. Diese „ Bisexualität“ 
ist eines der wichtigsten Probleme der Sexualwissenschaft, das schon in 
der hermaphroditischen Idee des Altertums symbolisiert, von Plato in 
einem tiefsinnigen Mythus erörtert wurde und neuerdings in der von 
Magnus Hirschfeld inaugurierten Lehre von den sogenannten 
„Zwischenstufen“ und später in den mehr auf das Psychologische 
und Charakterologische gerichteten Studien von Fliess,Weiningeru. a. 
wissenschaftlich formuliert wurde. 

Schon Darwin stellte in seinem Werke „Ueber das Variieren der 
Tiere und der Pflanzen“ die These auf: „Bei jedem Weibchen existieren 
die sekundären männlichen Charaktere und ebenso bei jedem Männchen 
alle sekundären weiblichen Charaktere in einem latenten Zustande, 
bereit, sich unter gewissen Bedingungen zu entwickeln.“ Er führt zahl¬ 
reiche Beobachtungen dafür an, z. B. die hahnenfedrigen Hennen, die 
Fasanenhennen, die Weibchen hirsebartiger Tiere, die im Alter Geweihe 
bekommen. Darwin erwähnt ferner, dass Hunter auch beim Menschen 
somatische Anzeichen der Bisexualität beobachtet habe. August W^is- 
mann hat diese Vorstellung des latenten Zwittertums auch auf f das 
Keimplasma und die Keimzellen übertragen, indem ^r annahm, dass die 
Keimzellen,, mit Doppeldeterminanten ausgestattet sein müssen. Dass 


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858 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18. 


hier die für die Sexualwissenschaft so bedeutsame Tatsache der Ver¬ 
erbung eine Rolle spielt, dass in jedem Geschlecht beide Zustände durch 
besondere Erbeinheiten vertreten sein müssen, haben Morgan und 
Valentin Haecker wahrscheinlich gemacht. 

Es wird vor allem zunächst die Aufgabe unserer Gesellschaft 
sein, die biologischen Grundlagen der Bisexualität näher zu erforschen 
als Vorbedingung für das wissenschaftliche Studium ihrer physiolo¬ 
gischen Aeusserungen und hierbei an die zahlreichen „Zwischenstufen“, 
wie z. B. die neuerdings von Ernst Haeckel studierte Gynäko¬ 
mastie sowie an die verschiedenen Formen des Hermaphroditismus 
anzuknüpfen. 

Wir wissen heute, dass die Ursache der „Geschlechtlichkeit“, der 
spezifischen „Männlichkeit“ und „Weiblichkeit“, eine chemische ist. 
Dieser chemische Einfluss geht von der sogenannten „inneren Sekretion“ 
der Keimdrüsen, der Hoden und der Eierstöcke aus und unter¬ 
hält nicht nur dauernd die „Sexualspannung“ der geschlechtsreifen 
Individuen, sondern ist auch von wesentlicher Bedeutung für die Ent¬ 
wicklung, volle Ausbildung und Präralenz der spezifischen Geschlechts¬ 
charaktere, der „sekundären Geschlechtscharaktere“ Darwin’s. Dies ist 
unter anderem durch die interessanten Experimente des Prager Physio¬ 
logen Eugen Steinach neuerdings bewiesen worden. Nach ihm kommt 
die Entwicklung der Männlichkeit, die ganze Wandlung, welche das un¬ 
reife Tier durchläuft, um ein reifes Männchen zu werden, durch den 
chemischen Einfluss der inneren Hodensekrete auf das Centralnerven¬ 
system zustande. Er bezeichnet diesen Einfluss als eine „Erotisierung“ 
des Central nerven Systems. Schon im 18. Jahrhundert hatte der fran¬ 
zösische Arzt Thöopile de Bordeu diese Erkenntnis vorgeahnt, als er 
seine „Aura seminalis“ ins Blut eindringen und einen incitierenden 
Einfluss auf den gesamten Organismus ausüben, sie als „Vermittlerin 
zwischen Geist und Seele“ dienen liess. Nach den neuesten, soeben 
veröffentlichten Untersuchungen von L. R. Müller und W. Dahl be¬ 
teiligen sich neben den Hoden auch die Vorsteherdrüsen und die 
Samenblasen an der inneren Sekretion. 

Die Erotisierung des Gehirns durch chemische Produkte der inneren 
Sekretion stellt nach Sigmund Exner eine Art von Intoxikation 
dar und macht das Wesen des bekannten „Liebesrausches“ aus, für 
dessen näheres Studium somit die biologischen Grundlagen gegeben 
wären. Wie ferner Kastrationsversuohe zeigen, überdauert diese Eroti¬ 
sierung längere Zeit den Ausfall des ursächlichen Faktors. 

Das führt uns zur Erklärung des eigentümlichen Phänomens der 
Fortdauer des Geschlechtstriebes bei Kastraten, wobei aller¬ 
dings auch in Betracht gezogen werden muss, dass die Prostata nach 
neueren Untersuchungen sich an der inneren Sekretion beteiligt. Die 
neueren Experimente von Foges und Lode, die Keimdrüsen trans¬ 
plantierten, haben auch die enge Beziehung von Störungen der inneren 
Sekretion zur Ausbildung der Zwischenstufen, z. B. weibischer Männer 
und männlicher Weiber erwiesen. Endlich ist es ziemlich sicher, dass 
der sogenannte Infantilismus mit einer Verkümmerung der Keimdrüsen 
und mit krankhaften Veränderungen der anderen Organe der inneren 
Sekretion (Schilddrüse, Hypopbysis) zusammenhängt. 

Die innere Sekretion werden wir auch als den wichtigsten ätiologi¬ 
schen Faktor heranzuziehen haben, wenn es sich um das Studium der 
individuellen Schwankungen der Sexualität handelt, wie sie 
im Laufe des Tages und des Jahres beobachtet werden. Es gibt nicht 
bloss eine Wellenbewegung im Sexualleben des Weibes, als deren typi¬ 
scher Ausdruck die periodische Menstruation aufzufassen ist. Auch der 
Mann zeigt periodische Schwankungen des Sexualtriebes. Als Rest der 
Brunstzeit, die noch heute bei primitiven Stämmen in Australien nach¬ 
weisbar ist, kann in Europa die statistisch von Ottomar Rosenbach 
und Strass mann nachgewiesene Steigerung der Zeugungstätigkeit im 
Frühjahr, speziell im Mai, betrachtet werden. Auch der Einfluss von 
Konstitution, Ernährung, Lebensweise, körperlicher und geistiger Tätig¬ 
keit auf das sexuelle Verhalten des Individuums bedarf noch genauerer 
Untersuchung. Die durch das Nervensystem vermittelte künstliche Er¬ 
regung ist bereits durch die Experimente von A. Lode sinnfällig de¬ 
monstriert worden, indem er an Hunden nachwies, dass die Tätigkeit 
des Hodens in Tagen künstlioh erzeugter geschlechtlicher Erregung eine 
Steigerung erfährt. Andererseits lehrt die Beobachtung, dass dauernde 
und Jahre hindurch fortgesetzte sexuelle Abstinenz, aber ebenso ein 
Uebermaass von sexueller Betätigung ein vorzeitiges Aufhören der Tätig¬ 
keit der Geschlechtsdrüsen bewirken kann. Die oft behauptete Beziehung 
der zeitweiligen sexuellen Enthaltsamkeit zur Steigerung der geistigen 
Leistungsfähigkeit würde eine neue Beleuchtung erfahren, wenn die Ver¬ 
mutung Einer’s richtig wäre, dass die Samenblasen bei längerer Ab¬ 
stinenz das Hodensekret resorbieren. 

Ueberhaupt wird die Untersuchung der so innigen Beziehungen 
der Sexualität zum Nervensystem und zum geistigen Leben 
eine Fülle von Aufgaben bringen, deren Lösung für die sexuelle Patho¬ 
logie, Hygiene und Therapie die grösste Bedeutung besitzt. Die che¬ 
mische Erotisierung durch die innere Sekretion konzentriert ihre Wirkung 
zunächst auf das Gehirn und setzt die Ganglien in Stand, die vom 
anderen Geschlecht ausgehenden Sinneseindrücke in Lustgefühle umzu¬ 
werten, den eigentlichen Trieb zum anderen Geschlecht hervorzurufen. 
Erst später entwickelt sich die Erektions- uod Begattungsfähigkeit. t -E^ 
spielen bereits die Sinnesein drücke bei dieser primären Erotisierung 
eine Hauptrolle*, und unter diesen Sinneseindrücken ist es besonders der 
Geruchssinn, dessen innige Beziehungen zur Sexualität schon seit 


langer Zeit im Volke bekannt, aber erst in den letzten Dezennien von 
Naturforschern, Biologen und Aerzten wissenschaftlich erforscht worden 
sind. Ernst Haeckel erklärt den Geruoh für die Quintessenz, das ur¬ 
sprüngliche Wesen der Liebe. Der Trieb, die sinnliche Regung, welche 
die Samenzelle zur Eizelle treibt, ist nach ihm eine geruchsähnliche 
Empfindung. Der „erotische Chemotropismus“ der beiden kopu¬ 
lierenden Germinalzellen beruht auf einer Anziehung durch den Geruch. 
Aehnliche Anschauungen vertreten Bidder und Kröner. Sie erfuhren 
eine gewisse Bestätigung durch die aufsehenerregenden Entdeckungen 
von H. Zwaardemaker und Wilhelm Fliess. Jener stellte die 
merkwürdige Tatsache fest, dass die sexuellen Duftstoffe bei Pflanzen 
und Tieren von einer einzigen chemischen Gruppe, der sogenannten 
Caprylgruppe, geliefert werden; dieser entdeckte die „Genital¬ 
stellen“ der Nase und eigentümliche reflektorische Beziehungen 
zwischen Sexualfunktion und Nase. 

Die innige Wechselwirkung zwischen der Sexualität und der geistigen 
und körperlichen Leistungsfähigkeit und Produktivität ist auf den Ein¬ 
fluss der inneren Sekretion der Keimdrüsen zurückzuführen, da sie bei 
Kastraten völlig fehlt. Pelikan hebt hervor, dass zwar im Laufe der 
Jahrhunderte manche Kastraten einen bedeutenden künstlerischen Ruf 
als Sänger genossen haben, dass aber nie ein solcher den Ruhm eines 
Komponisten oder eines anderen produzierenden Künstlers gewonnen hat 
Die Produktionskraft des Geistes ist abhängig von der Erotisierung des 
Gehirns duroh die innere Sekretion, aber obenso auch die körperliche 
Energie. Daher ist die Sexualität von der grössten Bedeutung für die 
menschliche Arbeit im weitesten Sinne des Wortes. Es spricht sich 
diese Beziehung aus in dem merkwürdigen Vikariieren von physischem 
und geistigem Zeugungstrieb, von geschlechtlicher und religiöser bzw. 
künstlerischer Ekstase, von geschlechtlicher und motorischer Energie. 
Es gibt psychische und körperliche Aequivalente, in die sich die 
potentielle Energie des Geschleohtstriebes umsetzen kann. Der Ausdruck 
„sexuelle Aequivalente“ ist weiter und umfassender als das in 
diesem Sinne gebrauchte Wort „Sublimierung“, das zudem nur die 
psychische Seite des Umsetzungsprozesses bezeichnet. Das Studium 
dieser sexuellen Aequivalente enthüllt uns vor allem die ungeheure Be¬ 
deutung des Sexuellen für das Individuum, für sein Geistes- und Affekt¬ 
leben und stellt es als ein gewaltiges Kulturprinzip in das hellste 
Licht. Es erweist vor allem die Richtigkeit der These, dass die 
Sexualität für das Individuum mindestens so viel bedeutet 
wie für die Gattung. 

Im Zusammenhänge mit dem grossen Einfluss des Centralnerven¬ 
systems, insbesondere des Gehirns auf die sexuellen Vorgänge und Vor¬ 
stellungen sei auch $uf die nicht zu unterschätzende Bedeutung 
früherer sexueller Kindheits- und Jugenderlebnisse hin¬ 
gewiesen, die imstande sind, gewisse Associationen ein für allemal fest 
zu verankern. Es ist von grösstem Interesse, dass bereits Goethe dies 
erkannt hat. An einer Stelle in „Wilhelm Meister’s Wanderjahren“ er¬ 
klärt er die Neigung junger Männer zu älteren Frauen aus der Er¬ 
innerung an die Ammen- und Säuglingszärtlichkeit. Es darf aber nicht 
übersehen werden, dass die Vererbung als mächtiger Faktor auch für 
die Genesis von Triebabweichungen in Betraoht kommt, da durch sie 
Zustände einer andersartigen Sexualität beim Nachkommen hervortreten 
können, die bei den Erzeugern latent geblieben waren. Wenn man 
mit Darwin und Weismann die Vererbung als Vermittlerin einer 
kontinuierlichen Variabilität auffasst, so kann sie auch in bezug auf die 
Sexualität eine allmähliche Steigerung kleiner individueller 
Abänderungen herbeiführen, die dann, schliesslich z. B. in einer Reihe 
scheinbar völlig heterosexueller Generationen das plötzliche Auftreten 
eines homosexuellen Individuums zur Folge hat. 

Das sind, verehrte Anwesende, im wesentlichen die grossen allge¬ 
meinen Probleme, die augenblicklich die Sexualforschung beschäftigen. 
Sie bilden die Grundlage für das Studium der zahlreichen speziellen 
Probleme der Sexualwissenschaft Ich muss mich darauf beschränken. 
Ihnen zum Schluss nur kurz, kaleidoskopisch, nur in Ueberschriften und 
Stichworten das grosse Arbeitsgebiet vorzuführen, das wir im Laufe der 
Zeit in unser Bereich ziehen werden und müssen. Es ist natürlich un¬ 
möglich, Ihnen aus dem grossen Gebiet der Sexualpathologie alle in 
Betracht kommenden Affektionen aufzuzählen. Es seien nur diejenigen 
genannt, die voraussichtlich den breitesten Raum in unseren Verhand¬ 
lungen einnehmen werden, wie z. B. die sogenannte Paradoxia 
sexualis, die häufig vorkgmmende Inkongruenz zwischen Geschlechts¬ 
trieb und Ausbildung der Genitalorgane, wobei der Trieb entweder der 
Entwicklung der Genitalien vorausgeht, wie bei der Säuglings- ond 
Kinderonanie, oder lange nach Erlöschen der Funktion der Keimdrüsen 
bisweilen im hohen Greisenalter wieder auftritt, wie ferner die sogenannten 
autoerotischen Erscheinungen, insbesondere die Masturbation, das 
vielgestaltige Krankheitsbild der sexuellen Neurasthenie, die männ¬ 
liche Impotenz, namentlich die starkverbreitete juvenile Impotenz, 
die sexuelle Frigidität des Weibes, die pathologischen Pollu¬ 
tionen, der Einfluss pathologischer Zustände der Genitalien und der 
accessorischen Geschlechtsdrüsen auf die sexuelle Funktion, die Ursache 
des idiopathischen Priapismus und endlich das grosse,jGebiet der so¬ 
genannten sexuellen Perversionen») wie Algolagnie, Fetischismus, 
Homosexualität, für die heute nicht mehr ausschliesslich der patholo¬ 
gische Gesichtspunkt in Betracht kommt, sondern auch der Gesichts¬ 
punkt der Variation und der Anknüpfung an gewisse physiologische 
Begleiterscheinungen des Sexualakts. Als von der Homosexualität ver¬ 
schiedene Erscheinungen wären die neuerdings beschriebenen Zustands- 


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5. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


859 


bilder der „Weiberscheu“ (Wilhelm Ebstein) und des yon Magnus 
Hirschfeld entdeckten „Transvestitismus“ zu erwähnen. 

Von grosser Wichtigkeit ist das Studium der Beziehungen der 
Sexualität zu anderen Krankheiten. Die Psyche wird durch 
Genitalaffektionen krankhaft verändert und hat ihrerseits einen gewaltigen 
Einfluss auf das Geschlechtsleben, der sogar bis zur Unterbrechung 
sexueller Funktionen gehen kann. So hat Brierre de Boismont 
zuerst Mitteilung von der interessanten Tatsaohe gemacht, dass bei 
jungen Mädchen, die aus dem Elternhaus in die Pension kommen, häufig 
plötzlich für einige Zeit der Monatsfluss aufhört. Die Menstruations¬ 
und Klimakteriumspsychosen, die Pubertätspsychosen beim Manne 
weisen auf denselben Zusammenhang hin. Ferner wird die sexuelle 
Grundlage des vielgestaltigen, aber in neuester Zeit sich immer mehr 
verflüchtigenden Krankheitsbildes der weibliohen Hysterie zu untersuchen 
und festzustellen sein, ob die von einigen Gynäkologen noch festgehaltene 
alte hippokratische Anschauung, dass die Hysterie eine Uterusreflex¬ 
psychose sei, noch zu Recht besteht. Zweifellos ist die epileptische 
Grundlage vieler sexualpathologischer Erscheinungen. Von Beziehungen 
der Sexualfunktion zu körperlichen Krankheiten stehen im Vordergrund 
diejenigen zu Magen- und Darmleiden, zum Diabetes mellitus, 
zur Tabes dorsalis. Erwähnt sei auch die Beziehung des Eunu¬ 
choidismus zum Diabetes insipidus und die angebliche sexuelle 
Salacität bei Tuberkulose. 

Was nun die Therapie der Sexualleiden betrifft, so kommt hier 
zunächst die Frage in Betracht, ob der Arzt überhaupt den Geschlechts¬ 
verkehr als ein prophylaktisches oder therapeutisches Mittel empfehlen 
darf. Kein Geringerer als Rudolf Virchow hat zuerst diese bedeutungs¬ 
volle Frage in einem 1870 erschienenen Aufsatze behandelt, auch wir 
werden uns eingehend mit ihr zu beschäftigen haben. Von den thera¬ 
peutischen Maassnahmen seien nur summarisch aufgezählt die Psycho¬ 
therapie in Form der hypnotischen und Wachsuggestion, der 
Willenstherapie, der Psychoanalyse, die medikamentöse 
Therapie, Diätetik und Ernährungstherapie, die Hydro-, Balneo- 
und Klimatotherapie, die Elektrotherapie, Massage, Gymnastik 
und Mechanotherapie, die Hyperämiebehandlung und Thermo- 
therapie, die Behandlung mit Röntgenstrahlen, die Organ¬ 
therapie und schliesslich die chirurgische Behandlung. Wir werden 
uns mit der genaueren Indikationsstellung für die einzelnen therapeu¬ 
tischen Methoden zu beschäftigen haben, da die vielgestaltigen sexuellen 
Erkrankungen das Prinzip der Individualisierung in der Behand¬ 
lung ganz besonders verlangen. Hierbei muss uns stets der Grundsatz 
leiten, dass wir nicht magistri, sondern ministri fiaturae sind. 

Die Sexualwissenschaft ist so gut ein Teil der sozialen Medizin wie 
die Rassenbiologie und die Hygiene überhaupt. Daher wird unsere 
Gesellschaft die Pflioht haben, die grossen sozialen Probleme der 
Sexualwissenschaft zum Gegenstand eingehender Erörterung und 
Förderung zu maohen. 

Die bedeutungsvollen Fragen der sexuellen Aufklärung und 
Pädagogik, der sexuellen Abstinenz und ihrer sozialen Bedeutung 
sind hier in erster Linie zu nennen. Aber auch die gegenwärtig von 
der Rassenbiologie mit Beschlag belegte Eugenik, die Frage der 
Rassenveredelung oder besser Menschenveredelung durch Heirats¬ 
beschränkungen bzw. Sterilisierung der mit erblichen Krankheiten be¬ 
hafteten oder antisozialen Individuen, durch Bekämpfung der Inzucht, 
des für die Keimdrüsen so verderblichen Alkoholismus, der venerischen 
Krankheiten fällt ebensosehr in das Forschungsgebiet der Sexualwissen¬ 
schaft. Das gleiohe gilt von der augenblicklich aktuellen Frage der 
Geburtenregelung und des Geburtenrückgangs, von der Unter¬ 
suchung des Einflusses der Schule auf das Sexualleben und 
der Frage, inwieweit die Schulärzte hier einzugreifen haben, endlich 
von der Statistik („Sexualverhältnis* u. a.), der Genealogie und der 
Familienforschung und der sogenannten „Pathographie“, bei der zu 
berücksichtigen sein wird, dass die Erforschung der Sexualität uns zu¬ 
gleich den Wesenskern des Individuums enthüllt. Mindestens zu 
zwei Dritteln gehört die Prostitutionsfrage unserem Gebiete an, 
in welches das biologische und sexualethische Problem der Prosti¬ 
tution ganz, das Problem der Persönlichkeit der Prostituierten 
selbst zu einem grossen Teile hineinfällt. Endlich werden die innigen 
Beziehungen der Sexualwissenschaft zur Kriminologie, Strafrechts¬ 
pflege und forensischen Medizin unfl auch zivilrechtliche 
Fragen auf diesem Gebiete berücksichtigt werden müssen. 

Eine letzte Seite der Sexualwissenschaft ist die ethnologisoh- 
historisohe Betrachtung ihrer Probleme, das Studium der sexuellen 
Elementargedanken der Menschheit, die Untersuchung der überein¬ 
stimmenden biologisch-sozialen Erscheinungen der Sexualität bei allen 
Völkern und zu allen Zeiten. Diese anthropologische Beträchtungs- 
weise (im weitesten Sinne des Wortes) liefert uns für die Sexualwissen¬ 
schaft an der Hand von Massenbeobachtungen solche wissenschaftlich 
verwertbaren Grundlagen, dass sie denselben Anspruoh auf Exaktheit 
und Objektivität erheben können wie die rein naturwissenschaftliche 
Einzelbeobachtüng. Das gilt sowohl von der sexuellen Ethnologie, 
die das Sexualleben der einzelnes Rassen und Völker, audh das 
Sexualleben der Misohlinge studiert, als auch von dem grössten Ge¬ 
biete des sexuellen Folklore, das Sprache, Mythus, Symbolik, 
Lebensgewohnheiten, Aberglauben umfasst. Das Studium der 
biologischen Grundlagen dieser sozialpsychischen sexuellen Phänomene 
wird eine unser# wichtigsten und interessantesten Aufgaben sein. Die 
historischen Forschungen haben deshalb für die Sexualwissenschaft 


die grösste Bedeutung, weil sie unwiderleglich die Unhaltbarkeit der 
Entartungstheorie dartan und zeigen, dass die sogenannte „sexuelle 
Korruption“ eigentlich immer existiert hat und also nicht die letzte Ur¬ 
sache des Unterganges gewisser Staaten und Völker gewesen sein kann. 
Nebenbei kann die Sexualwissenschaft durch den Nachweis, dass gewisse 
sexuelle Phänomene in der Kirchengesohichte weniger der historischen 
als im wahren Sinne des Wortes der hysterischen Theologie an¬ 
gehören, der Theologie einen besseren Dienst leisten, als diese ihr früher 
geleistet hat. Und auch die Philosophie wird der Sexualwissenschaft 
dankbar sein, wenn diese eine bisher bestehende schmerzliche Lücke, 
auf die allerdings Friedrich Nietzsche mit seinem Wort von der 
„Hinaufpflanzung“ hingewiesen hat, durch die Begründung einer natür¬ 
lichen Sexualethik ausfüllt, die von dem Begriff des Sexuellen als 
einer an sich durchaus natürlichen und edlen Lebenserscheinung aus¬ 
geht, und ihm durch den auf biologischer und medizinischer Basis be¬ 
ruhenden Begriff der sexuellen Verantwortlichkeit erst den wahren 
ethischen Inhalt gibt. 

Damit, verehrte Anwesende, hätten wir die erste flüchtige Wande¬ 
rung durch das weite und zukunftsreiche Gebiet der Sexualwissenschaft 
vollendet. Ich hoffe, dass sich Ihnen dabei die Ueberzeugung von der 
Notwendigkeit der Begründung unserer Gesellschaft aufgedrängt hat, und 
dass Sie gleich mir die Zuversicht auf ihre gedeihliche Entwicklung 
hegen und auf ihre immer mehr wachsende Bedeutung für die Medizin 
und die Soziologie. 

Worte Ernst Haeckels. 

Das Licht der wissenschaftlichen Erklärung, das die moderne Ent¬ 
wicklungslehre seit einem halben Jahrhundert in alle Gebiete des 
menschlichen Denkens und Forschens erfolgreich eingeführt hat, dürfte 
auch erfreuliche Helle verbreiten über jene „ägyptischen Geheimnisse“, 
welche seit Jahrtausenden unter dem Druck religiösen Aberglaubens und 
traditioneller Sitten * der Forschung unnahbar erschienen. Dazu gehört 
in erster Linie das ungeheuere, ebenso interessante als theoretisch und 
praktisch wichtige Gebiet der Sexualität, des organischen Geschlechts¬ 
lebens. Jeder Gebildete weiss, welche unermessliche Rolle im mensch¬ 
lichen Leben die sexuelle Liebe spielt, wie unser ganzes soziales und 
Familienleben, unsere Kunst und Literatur mit diesem gewaltigen 
Problem verwoben ist. Aber die wenigsten Gebildeten kennen die 
anatomischen Grundlagen und die physiologischen Prozesse dieses 
„Liebeslebens“, die wenigsten wissen, dass der „erotische Chemo¬ 
tropismus der Urquell der Liebe“ ist, wie ich schon vor 40 Jahren in 
meiner Anthropogenie darzutun versucht habe. Erst die gewaltigen 
Fortschritte der Sexualforschung in den letzten 30 Jahren, die über¬ 
raschenden Ergebnisse der physiologischen und morphologischen Unter¬ 
suchungen über Befruchtung und Bastardzeugung, über den innigen Zu¬ 
sammenhang unseres ganzen Sinnes- und Seelenlebens mit den geheimnis¬ 
vollen Vorgängen der Geschlechtsliebe, haben weiteren Kreisen die Augen 
geöffnet über die fundamentale Bedeutung der Sexualität. 

Wir müssen es daher als einen grossen Fortschritt begrüssen, dass 
in neuester Zeit eine „Aerztliche Gesellschaft für Sexualwissenschaft“ 
sich in Berlin konstituiert hat, und dass hervorragende Gründer derselben 
sioh bemühen, auch weiteren Kreisen von Gebildeten die Augen über 
diese bedeutungsvollen „Geheimnisse“ zu öffnen. 

Geschrieben den 10. Februar 1913. 

Preisausschreiben. 

Durch die wissenschaftliche Forschung ist die Tatsache erwiesen, 
dass die Uebertragung des Typhus in einer nicht geringen Zahl der 
Fälle durch Dauerausscheider oder Bacillenträger erfolgt. 

Besonders bedeutungsvoll ist die Gefahr solcher Dauerausscheider, 
die — meist ohne Kenntnis ihres gefahrbringenden Zustandes — in 
einem Nahrungsmittelvertrieb Beschäftigung gefunden haben, wodurch 
die Möglichkeit gegeben ist, dass eine grosse Anzahl von Menschen zu¬ 
gleich den Ansteckungsstoff in sioh aufnehmen und erkranken kann. 

So war auch im Dezember 1912 die Typhusepidemie in Hanau zu¬ 
stande gekommen. 

Es hat zwar nicht an Versuchen gefehlt, die Dauerausscheider von 
ihrem gefahrvollen Zustand zu befreien; ihr Ergebnis kann aber bisher 
nicht befriedigen. 

Um diese Forschung auf diesem Gebiete von neuem zu beleben, 
hat ein hochherziger Stifter 10 000 Mark zur Verfügung gestellt, die 
nach der Entscheidung des Unterzeichneten Preisrichterkollegiums dem¬ 
jenigen ohne Rücksicht auf Nationalität Zufällen, der ein 
Mittel oder Verfaßen angibt, womit es ihm in zuverlässiger 
Weise gelungen ist, die Typhusdauexjiusscbeider in ab¬ 
sehbarer Zeit von den gewähnten Krankheitserregern zu be¬ 
freien. * . *■ 11 ri * 

T I I J f. 

Es muss nachgewiepen werden, dass die Darmenßleerung^n und der 
Harn det Dauerausscheider naoh erfolgter Behandlung mindestens ein 
halbes Jahr von Typhusbakterien freigeblieben sind. 


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860 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18. 


Sollte eine nicht ganz befriedigende Lösung der gestellten Frage 
gefunden werden, so kann auch eine Teilsumme gewahrt werden. 

In der spätestens bis zum 1. Oktober 1914 an den Vorsitzenden 
des Preisrichterkollegiums in deutscher Sprache einzureichenden Arbeit 
sind die angestellten Versuche so eingehend zu beschreiben, dass als¬ 
bald in eine Nachprüfung eingetreten werden kann. 

Die zur Nachprüfung erforderlichen Präparate müssen dem Preis¬ 
richterkollegium kostenfrei zur Verfügung gestellt werden. 

Die Nachprüfung muss bis zum 1. Juni 1915 beendigt sein. 

Im Falle von Stimmengleichheit bei der Abstimmung entscheidet 
der Vorsitzende des Preisrichterkollegiums. 

Berlin W., Wilhelmstr. 86/87. 

Das Preisrichterkollegium. 

Professor Dr. v. Schjerning, Professor Dr. Ehrlich, 

Generalstabsarzt der Armee und Chef des Wirklicher Geheimer Rat und Direktor des 
Sanitätskorps. Kgl. Instituts für experimentelle Therapie 

in Frankfurt a. M. 


Professor Dr. Gaffky, 

Geheimer Obermedizinalrat nnd Direktor 
des Kgl. Instituts für Infektionskrankheiten 
»Robert Koch* in Berlin. 

Professor Dr. Uhlenhuth, 

Geheimer Regierungsrat und Direktor des 
hygienischen Instituts in Strassburg i. IS. 


Professor Dr. Kraus, 

Geheimer Medizinalrat und Direktor der 
II. medizinischen Klinik der Charite in 
Berlin. 

Professor Dr. Hoffmann, 

Oberstabsarzt und Referent im Kriegs- 
ministerhiiu. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. In der Sitzung der Berliner medizin. Gesellschaft 
vom 30. April 1913 demonstrierte vor der Tagesordnung Herr West 
(als Gast): Patienten mit geheilter Tränensackeiterung aus der Klinik 
von Prof Silex. (Diskussion: HHr. J. Hirschberg, Gutmann, West.) 
Hierauf hielt Herr Warnekros den angekündigten Vortrag: Kurze Mit¬ 
teilungen aus der technischen und chirurgischen Zahnheilkunde, und Herr 
G. Zuelzer seinen Vortrag über: Die objektive Feststellung der Neuralgie 
in ihrer klinischen Bedeutung. 

— Die diesjährige 60. Versammlung mittelrheinischer Aerzte 
wird am 18. Mai in Bad Kreuznach abgehalten. Nach Besichtigung der 
Sehenswürdigkeiten (Radiumfabrik,Radiuminhalatorium, Bäderhaus) werden 
von 1 bis 4 Uhr Vorträge aus allen Gebieten der Medizin von einer 
Anzahl Professoren und Aerzten gehalten; danach findet im Hotel 
Oranienhof gemeinschaftliches Mittagessen statt. 

— Die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten veranstaltet ihre Jahresversammlung diesmal 
am 20. und 21. Juni aus Anlass der Jahrhundertausstellung in Breslau. 
Auf der Tagesordnung stehen eine Reihe wichtiger Fragen. (Dr. Julian 
Marcuse - Ebenhausen „Geschlechtskrankheiten und Bevölkerungs¬ 
problem“. Korreferent Herr Blaschko. Herr J. Heller „Geschlechts¬ 
krankheiten und Eherecht“. Dr. Chotzen über die von der Gesell¬ 
schaft seinerzeit ins Leben gerufene sexualpädagogische Aktion und ihre 
bisherigen Erfolge.) 

— Ein internationaler Kongress für den Kampf gegen die Beschädi¬ 
gung und Verfälschung von Nahrungsmitteln findet in Gent vom 

1. bi» 3* August d. J. statt. Meldung an Herrn Antony Neuckens, 
Rathaus, Brüssel. 

— Der Geschäftsausschuss der Berliner ärztlichen Standesvereine 
hat eine Auskunftsstelle errichtet und mit der Leitung des Bureaus 
Herrn Sanitätsrat Dr. Heinrich Joachim betraut. Dieses Bureau gibt 
gegen Entgelt Aerzten und Privatpersonen mündlich und schriftlich 
(nicht telephonisch) Auskunft in ärztlich-rechtlichen Angelegenheiten. 
Der Leiter des Bureaus ist wochentäglich von 1—2 Uhr im medizini¬ 
schen Warenhaus (Karlstrasse 31) zu sprechen. Für jede Auskunft ist 
eine Gebühr von 3 bis 10 M. (je nach der Mühewaltung) zu entrichten. 
Bei besonders schwierigen und zeitraubenden Leistungen, insbesondere 
bei der Aufstellung von Liquidationen, kann über die Höchstgebühr von 
10 M. hinausgegangen werden. Organisationen können gegen eine jähr¬ 
liche Bauscbgebühr die unentgeltliche Auskunftserteilung an ihre Mit¬ 
glieder vereinbaren. Privatpersonen haben das Doppelte der Gebühren¬ 
sätze zu zahlen. Es steht dem Leiter des Bureaus frei, in besonderen 
Fällen von der Erhebung der Gebühr für die Auskunftserteilung Abstand 
zu nehmen. 

— Indem wir auf das vorstehende Preisausschreiben betr. 
Dauerausscheider von Typhusbacillen aufmerksam machen, geben wir 
dem Wunsche des Preisrichterkollegiums Ausdruck, dies Ausschreiben in 
in- und ausländischen Zeitschriften zum Abdruck gebracht zu sehen. 

— Herr Dr. Klotz in Schwerin teilt uns mit, dass die Firma 
Kopp & Joseph ohne seine Erlaubnis seine Arbeit in dieser Wochen¬ 
schrift, 1912, Nr. 2, zur Reklame für Zeozonpaste verwendet; Herr Kollege 
Klotz bittet uns, darauf hinzuweisen, dass er dieser Reklame voll¬ 
kommen fernsteht und die Firma seinen Wunsch, die Arbeit nicht zu 
solchen Zwecken zu gebrauchen, abgelehnt hat. Auch Herr Beerwald 
hat sich gegen eine solche Citierung seines Namens verwahrt. 


Hochschulnachriobten. 

Berlin. Prof. Kaiserling, bisher Custos am pathologischen 
Institut, ist zum Ordinarius in Königsberg ernannt. Sein Nachfolger 
wird Prof. Westenhoeffer. — Halle. Geheimrat v. Bramann ist 
gestorben. — Göttin gen. Privatdozent Bennecke ist durch einen 
Sturz vom Pferde tödlich verunglückt. 


Amtliche Mitteilungen. 

Personalien. 

Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 2. Kl. m. Eichenlaub 
und Schwertern am Ringe: Geh. San.-Rat Dr. A. Volmer in 
Berlin. 

Charakter als Geheimer Sanitätsrat: den San. - Raten Dr. 

A. Bayer in Aachen, Dr. Th. Conrad in Züllichau, Dr. A. Diester¬ 
weg in Berlin, Dr. H. Gemmel in Salzschlirf, Dr. H. Gerhartz in 
Rheinbach, Dr. E. Goetz in Danzig, Dr. E. Kelle in Weferlingen, 
Dr. W. Klein in Colo, Dr. Th. Köhler in Weilburg a. L., Dr. 
H. Krön in Berlin, Dr. A. Lenne in Neuenahr, Dr. P. J. Olbertz 
in Bonn, Dr. L. Palm in Andernach, Dr. F. A. Reinstadler in 
Dillingen, Dr. 0. A. F. Schmidt in Neudamm, Dr. K. Schumacher 
in Aachen, Dr. L. Sebold in Cassel, Dr. L. Sommer lat in Frank¬ 
furt a. M., Dr. J. Stern in Charlottenburg, Dr. Th. Voss in Ems¬ 
detten und dem Arzte Dr. Th. Treitel in Königsberg i. Pr. 

Charakter als Sanitätsrat: den Aerzten Dr. K. Abel in Berlin, 
Dr. B. Anton in Oels, Dr. G. Baron in Moye, Dr. E. Barth in 
Cbarlottenburg, Dr. H. Becker in Düsseldorf, Dr. K. Behrendt in 
Berlin, Dr. 0. Bense in Nienburg a. W., Dr. K. Blumenthal in 
Ilfeld, Dr. S. Bokofzer in Berlin-Lichtenberg, Dr. P. Bongers in 
Königsberg i. Pr., Dr. H. Brehm in Berlin, Dr. H. Runsmann in 
Münster i. W., Dr. K. Burhenne in Hannover, Dr. G. Buseban in 
Stettin, Dr. H. Claessen in Neuenahr, Dr. E. Claus in Grebenstein, 
Dr. M. Cohn in Berlin, Dr. E. Cramer in Breslau, Dr. H. Drescher 
in Pakosch, Dr. A. Elsässer in Hannover, Dr. H. Engel in Breslau, 
Dr. K. Fab er in Bochum, Dr. E. Fleck in Cöln a. Rh., Dr. 
K. Frank in Berlin-Schöneberg, Dr. H. Friede in Altona, Dr. 

G. Gensen in Berlin, Dr. J. Glaser in Burg, Dr. E. Grätzer in 
Berlin-Friedenau, Dr. M. Grobe in Franz. Buchholz, Dr. J. Hage¬ 
mann in Bonn, Dr. E. Heimbacb in Kyritz, Dr. S. Heinrichsdorff 
in Kolberg, Dr. H. Henningsen in Kiel, Dr. E. Henze in Berlin, 
Dr. H. Herz in Coblenz, Dr. M. Hirschberg in Lauenburg i. P., 
Dr. F. Hitzegrad in Kiel, Dr. C. Hoffmann in Hannover, Dr. 
C. Hoffmann in Habelschwerdt, Dr. J. Jacoby in Charlottenburg, 

J. Ide in Nebel auf Amrum, Dr. L. Ittmann in Breslau, Dr. 
M. Kandier in Kloster Haina, Dr. E. Keller in Berlin-Tegel, Dr. 

H. Kellner in Küllstedt, Dr. P. M. Ketelsen in Oldsum a. Föhr, 
Dr. P. Klaus in Hahnenklee, Dr. A. Kiessler in Barmen, Dr. 
F. Kooh in Bad Reichenhall, Dr. G. F. H. Kollath in Gollnow, Dr. 

B. Kosterlitz in Berlin-Wilmersdorf, Dr. B. Kreisel in Gleiwitz, 
Dr. H. Kreutzberg in Hannover, Dr. A. Künkler in Kiel, Dr. A. 
v. Kunowski in Leubus, Dr. R. Kunze in Reichenbach i. Schl., Dr. 
M. Kuntze in Kattowitz, Dr. H. Lembeck in Magdeburg, Dr. K. 
Lepere in Hirschberg i. Schl., Dr. R. J. L. Leymann in Nienburg 
a. W., Dr. A. Lippmann in Charlottenburg, Dr. A. Löwenstein 
in Elberfeld, Dr. M. Lubowski in Wiesbaden, Dr. E. Manche in 
Berlin-Schöneberg, Dr. K. Mannaberg in Gleiwitz, Dr. H. Mayer in 
Frankfurt a. M., Dr. Th. du Mesnil de Rochemont in Altona, Dr. 
M. Metz in Brandenburg a. H., Dr. M. Meyer in Berlin, Dr. P. 
Mildenstein in Altona, Dr. F. Mose in Kiel, Dr. G. Nauwerck 
in Möckern, Dr. M. Petersen in Leck, Dr. W. Pielicke, Direktor 
des Sanatoriums der Heilstätten in Beelitz, Dr. F. Plessner in Wies¬ 
baden, Dr. R. Pütter in Stralsund, Dr. K. Purrucker in Magde¬ 
burg, Dr. K. Schiele in Westeregeln, Dr. G. Schüler in Friedrichs¬ 
hagen, Dr. M. SpanjJjow in Berlin, Dr. F. Speyer in Berlin-Schöne¬ 
berg, Dr. R. Wedel in Neubarnim, Dr. H. Weidner in Frankfurt 
a. 0., Dr. M. Weile in Breslau, Dr. F. Weinstock in Berlin, Dr. 

K. Westphal in Fordon, Dr. P. Wolfheim in Königsberg i. Pr. 
Prädikat Professor: Privatdozent Dr. A. Grotjahn in Berlin. 
Ernennungen: ausserordentl. Professor Dr. Wolff in Strassburg i. E. 

zum ordentl. Professor daselbst. 

Niederlassungen: Dr. C. Grünwald in Frankfurt a. M., Dr. W. R. G. 
Havenstein in Bedburg, Dr. F. Koehl, Dr. E. Löhnberg, Dr. F. 
Wagner, Dr. J. Baus und Arzt W. Roedel in Cöln, Dr. C. Reuter 
in Bonn. 

Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. G. Box¬ 
berger von Frankfurt a. M., Dr. M. F. J. Graf v. Wiser von Wies¬ 
baden. 

Praxis aufgegeben: Dr. E. Frensdorf in Frankfurt a. M. 
Gestorben: Dr. 0. Schloss in Wiesbaden, San.-Rat Dr. H. Cor¬ 
nelius in Elberfeld, Prof. Dr. J. Seemann in Cöln. 


Berichtigung. 

In der Arbeit des Herrn Freudenthal, Nr. 15, S. 668 muss es 
heissen Scopolamin hydrobrom. 0*0001 anstatt 0,001. 

Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hans Kohn, Berlin Bayreutlier Strasse 43. 


Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Sohumacher in Berlin:N. 4. 


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UNIVERSITÄT OF IOWA 




BERLINER 


Dl« Berliner Klinische Wochenschrift erscheint jeden 
Montag in Nummern von ca. 5—6 Bogen gr. 4. — 
Preis vierteljährlich 6 Mark. Bestellungen nehmen 
alle Buchhandlungen und Postanstalten an. 


Alle Einsendungen ffir die Redaktion nnd Expedition 
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung 
August Hirschwald ln Berlin NW., Unter den Linder 
Ho. 68, adressieren. 



Organ für praktische Aerzte. 


Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 


Redaktion: 

Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posncr und Dr. Hans Kohn. 


Expedition: 

August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin. 


Montag, den 12. Mai 1913. M 19. 


Fünfzigster Jahrgang. 


I N H 

Originalien: Moure: Gegenwärtige Behandlung der Ozaena. (Illustr.) 
S. 861. 

Miller: Corpus luteum und Schwangerschaft. Das jüngste operativ 
erhaltene menschliche Ei. (Aus der Heidelberger Universitäts- 
Frauenklinik.) (Illustr.) S. 865. 

Lichtwitz und Thörner: Zur Frage der Oxalsäurebildung und 
-ausscheidung beim Menschen. (Aus der medizinischen Klinik in 
Göttingen.) S. 869. 

Unna: Zur Chemie der Zelle. (Fortsetzung.) S. 871. 

Hinsberg: Ueber die funktionelle Untersuchung des Ohrlabyrinthes. 
S. 876. 

Aron: Zur Aetiologie der Gefässerkrankungen beim Diabetes. S. 878. 
Wolff und Mulzer: Darf das Neosalvarsan ambulant angewendet 
werden? (Entgegnung auf die Abhandlung von Prof. Dr. Touton.) 
S. 879. 

Behla: Ueber die Sterblichkeit an Krebs in Preussen während der 
Jahre 1903—1911 nach Altersklassen. S. 882. 

Beckers: Ueber den qualitativen und quantitativen Nachweis von 
Traubenzucker im Harn. S. 883. 

Bächerbesprechnngen: Mohr und Staehelin: Handbuch der inneren 
Medizin. S. 884. (Ref. Strauss.) — Rick er: Grundlinien einer 
Logik der Physiologie als reiner Naturwissenschaft. S. 884. (Ref. 
Henneberg.) — Katz, Preysing und Blumenfeld: Handbuch 
der speziellen Chirurgie des Ohres und der oberen Luftwege. S. 884. 
(Ref. Brühl.) — Lohmann: Die Störungen der Sehfunktionen. 
S. 885. (Ref. Steindorff.) 

Literatur-Auszüge: Physiologie. S. 885. — Pharmakologie. S. 885. — 
Therapie. S. 886. — Allgemeine Pathologie und pathologische 


ALT. 

Anatomie. S. 886. — Parasitenkunde und Serologie. S. 886. — 
Innere Medizin. S. 887. — Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 
S. 887. — Kinderheilkunde. S. 888. — Chirurgie. S. 888. — 
Röntgenologie. S. 889. — Urologie. S. 889. — Haut- und Geschlechts¬ 
krankheiten. S. 889. — Geburtshilfe und Gynäkologie. S. 890. — 
Augenheilkunde. S. 891. — Hygiene und Sanitätswesen. S. 891. — 
Technik. S. 892. 

Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften: Berliner medizinische 
Gesellschaft. Saul: Beziehungen der Helminthen und Acari zur 
Geschwulstätiologie. S. 892. Mosse: Akrodermatitis chronica 
atrophicans und Splenomegalie. S. 893. Stadelmann: Ueber 
seltene Formen von Blutungen im Tractus gastrointestinalis. S. 893. 
West: Demonstration von Patienten mit geheilter Tränensack- 
eiteruog. S. 895. Warnekros: Kurze Mitteilungen aus der tech¬ 
nischen und chirurgischen Zahnheilkuude. S. 896. Zuelzer: Die 
objektive Feststellung der Neuralgie in ihrer klinischen Bedeutung. 
S. 896. — Berliner otologische Gesellschaft. S. 896. — 
Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde zu Berlin. 
S. 898. — Berliner Gesellschaft für Chirurgie. S. 898. — 
Gynäkologische Gesellschaft zu Berlin. S. 899. — Verein 
für wissenschaftliche Heilkunde zu Königsberg i. Pr. 
S. 900. — Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu 
Dresden. S. 900. 

Deutscher Kongress für innere Medizin zu Wiesbaden. (Fort¬ 
setzung.) S. 901. 

Vindobonensis: Wiener Brief. S. 902. 

Tagesgeschichtliche Notizen. S. 903. 

Amtliche Mitteilungen. S. 904. 


Gegenwärtige Behandlung der Ozaena. 

(Coryza atrophique ozenateux.) 

Von 

Prof. E. J. Moure- Bordeaux. 

(Uebersetxt von San.-Rat Dr. Lewin.) 


1. Allgemeine Bemerkungen. Wenn man die.Schwere 
eines Leidens nach der Anzahl der zu seiner Bekämpfung 
empfohlenen Behandlungsmethoden beurteilen darf, so kann die 
Ozaena mit Recht als eine sehr hartnäckige Krankheit gelten, 
die viele Aerzte sehr lange Zeit als unheilbar gehalten 
haben. 

In der Tat, wenn man nur wenige Jahre zurückgeht, so 
kann man die Spezialisten in zwei gesonderte Gruppen ein¬ 
teilen: Die eine war ganz davon überzeugt, dass die Ozaena 
ein angeborenes Leiden sei, ausschliesslich durch eine Missbildung 
der Nasenhöhlen hervorgerufen und den Hilfsquellen unserer 
Kunst ganz unzugänglich. Diese Autoren beschränkten sich also 
darauf, in Uebereinstimmung mit ihrer Auffassung von Krank¬ 
heit, den Kranken eine reinigende Behandlung zu verordnen. 
E>iese Behandlung bestand in Naseneinspritzungen, bald mehr bald 
weniger reichlich und bezüglich der angewandten Flüssigkeiten 
wechselnd. Diese Aerzte vergassen jedoch, dass die Ozaena keine 
Krankheit ist, welche sich ausschliesslich auf die Nasenhöhlen 
beschränkt, da sehr oft die hintere Nase, der Pharynx, Larynx 
und die Trachea selbst vom gleichen Krankheitsprozess befallen 
werden, so dass die sogenannten Reinigungsinjektionen nur einen 


Teil des kranken Gebietes abspülten, nicht aber die Krusten in 
ihrer Gesamtheit entfernten und fast immer den unangenehmen 
und ekelerregenden, vom Kranken verbreiteten Geruch bestehen 
Hessen. 

Die zweite Gruppe, welcher ich seit sehr vielen Jahren 
angehöre, betrachtete dagegen die atrophische fötide Coryza als 
ein Leiden, dessen Natur und Gestalt ausserordentlich verschieden 
sein können; ein Leiden, bisweilen angeboren, häufiger erworben, 
welches sich in der Kindheit entwickelt und besonders in der 
Wachstumsperiode verschlimmert. In der Ueberzeugung, dass es 
sich um einen trophischen Prozess infolge von Ernährungsstörungen 
der Schleimhaut handle, hat diese Kategorie der Spezialisten 
daran gedacht, dass es möglich sei, gegen die Entwickelung des 
Krankheitsprozesses wirksam vorzugehen, ihn in seiner Ent 
wicklung zu hemmen und zur Rückbildung zu bringen. Kurz 
sie glaubten, dass man die Kranken von ihrem schweren Leiden 
definitiv befreien könnte. 

Ich bin der Ansicht, dass heutzutage die grösste Mehrzahl 
der Spezialisten dieser Auffassung sich angeschlossen hat. Die 
Prognose der Ozaena scheint demnach weniger trübe zu sein, als 
sie es bis in die letzte Zeit hinein gewesen war. 


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UNIVERSUM OF IOWA 





862 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 19. 


Es liegt nicht in meiner Absicht, in diesem Artikel die 
übrigens noch sehr dunklen Theorien über die Pathogenese der 
Ozaena mitzuteilen, welche Prof. Alexander in Berlin einem 
Stadium za unterwerfen versucht hat. Unser Berliner Kollege 
hat in allen Ländern der Welt Komitees geschaffen, deren Auf¬ 
gabe es ist, die Ozaena nicht nur in ihren Krankheitssymptomen, 
sondern auch in ihrer Entwicklung, ihrer Art des Auftretens und 
ihrer inneren Natur zu studieren. 

Ich hoffe, dass diese Sammelforschung uns günstige Resultate 
liefern wird, und dass wir bald eine Reihe wichtiger und nütz¬ 
licher Dokumente zur Lösung dieses schwierigen Problems be¬ 
kommen werden. Heute will ich mich darauf beschränken, die 
moderne Therapie dieser schweren und hartnäckigen Krankheit 
der Nasenhöhlen mitzuteilen. 

Selbstverständlich habe ich nicht die mehr oder weniger 
chronischen Formen von Coryza mit Bildung von kleinen gelb¬ 
lichen Krusten ohne Geruch im Auge, diejenige Form, welcher ich 
den Namen „pseudatrophische oder präbacilläre Coryza“ beigelegt 
habe, auch nicht die ulcerösen Coryzas infolge von Nekrosen oder 
anderen Knochenveränderungen (Syphilis, Fremdkörper usw.). 

Ich meine hier nur die Coryza vom atrophischen, 
föti den Typus, bei der die unteren und mittleren Nasenmuscheln fast 
auf eine einfache Leiste reduziert sind, über welcher die granu¬ 
lierte, mürbe und atrophische Schleimhaut maximal erweiterte 
Nasenhöhlen aufweist. Diese noch gereizte Schleimhaut sondert 
mehr oder weniger Eiterprodukte ab, welche, in der Nase ein¬ 
trocknend, grünliche dicke, fötide Krusten bilden, die der Patient, 
je nach dem Fall, alle 2 , 3 oder 4 Tage in Form von grossen 
Pfropfen ausstösst: Die atrophische Rhinitis, oft von retro- 
nasalem Katarrh derselben Natur, bisweilen sogar von laryngo- 
trachealer Ozaena begleitet; die atrophische Rhinitis, bisweilen 
mit besonderen Sinusitiden kompliziert, welche gleichfalls Krusten 
oder vielmehr einen purulenten dicken Inhalt haben. Die In¬ 
fektion einer oder mehrerer Nebenhöhlen, welche ich nicht, mit 
Grünwald, als obligatorisch ansehen kann, ist meiner Ansicht 
nach eine einfache Komplikation, welche die Sekretmenge ver¬ 
mehrt und dadurch die Bildung von fötiden Borken begünstigt. 

Auf dieser Grundanschauung fussend, bleibe ich stets davon 
überzeugt, dass die Ozaena, mit welcher ich mich in diesem 
Artikel beschäftige, heilbar ist. Folgende Therapie muss man, 
meiner Ansicht nach, anwenden, um die Menge und darauf die 
Natur der Sekrete zu modifizieren, sie danach zu unterdrücken 
und der Schleimhaut ihre normale Beschaffenheit wiederzugeben. 

2. Behandlung. Zunächst muss man das Alter der Kranken 
in Betracht ziehen. Denn eine Behandlung, welche sehr wohl 
für Jünglinge oder Erwachsene geeignet ist, kann nur sehr schwer 
verwendet werden, wenn es sich um ganz junge Kinder und noch 
mehr um einfache Säuglinge bandelt. Bei diesen letzteren muss 
man sich oft darauf beschränken, einfach für Reinigung bis zu 
der Zeit zu sorgen, wo die Kinder vernünftiger und leichter zu 
behandeln sind (5 oder 6 Jahre). Dann erst kann man mit der 
Behandlung beginnen, welche bei dem schweren Leiden, dessen 
Träger sie schon sind, tatsächlich wirksam ist. 

A. Heisse Luft. Die heisse Luft ist ein Reizmittel für die 
Sehleimhaut, welches, allein angewendet, kein Heilresultat liefern 
kann. Es bringt zwar während seiner Anwendung eine Besserung, 
aber keine Heilung. 

B. Sera. Ebenso verhält es sich mit den Seren, welche, 
nachdem sie eine Zeitlang en vogue waren, heutzutage ganz in 
die Vergessenheit versunken sind. Einige derselben, wie das 
Diphtherieheilserum, hatten Unannehmlichkeiten sowohl für die 
Kranken als auch für gewisse Aerzte zur Folge, welche davon 
einen übermässigen Gebrauch zu der Zeit machten, wo diese Be¬ 
handlung als eine souveräne Methode zur Bekämpfung und Heilung 
der Ozaena empfohlen wurde. 

G. Atemübungen. Einige Autoren meinten, in der Ueber- 
zeugung, dass die an Ozaena leidenden Patienten schlecht atmeten 
oder wenigstens nicht verständen, durch die Nase zu atmen, dass 
die Behandlung in einer Wiedererziehung zur Nasenatmung be¬ 
stehen müsse. Zur Erleichterung dieser Uebungen macht man 
Gebrauch von Douchen mit komprimierter Luft, welcher man 
Sauerstoff hinzufügt, der rhythmisch unter einem Druck zwischen 
0 bis 5 Kilo eingeführt wurde. Diese Luftdouche (R. Foy) wirkt 
in der Weise, dass sie eine Massage der Schleimhaut berbeiführt, 
welche die Girculation belebt und den Drüseninhalt gewisser¬ 
maßen heraustreibt. Diese erste vom behandelnden Arzt aus¬ 


geführte Behandlung muss in Form von Uebnngen der Nasen¬ 
atmung seitens des Kranken fortgesetzt werden. 

Zur Ausführung dieser Behandlung hat R. Foy ein ganz 
kompliziertes Instrumentarium erfunden, bestehend in 1. einer 
Quelle für komprimierte Luft; 2. einem Manometer zur Regulierung 
des Sauerstoff drucks; 3. einer Ente, um die in die Nase ein¬ 
geblasene Luft feucht zu machen und gleichzeitig den in ihr etwa 
befindlichen Staub zurückzu halten; 4. einer Reihe von Griffen oder 
Hähnen, welche es ermöglichen, die Gasströme zu regulieren oder 
einzuschalten und demnach die Lufteinfuhr der Atmung des Kranken 
anzu passen. 

An diesem Apparat kann eine Art Pistole mit komprimierter 
Luft angebracht werden, auf welche gerade Röhren, retronasale 
Kanülen usw. derart aufgesetzt werden können, dass man die Luft 
in das Nasen innere oder in den Nasenrachenraum schleudern 
kann. 

Zu dieser vom Arzt ausgeführten Behandlung rät Foy, eine 
Reihe von Uebungen hinzuzufügen, deren Beschreibung wir in dem 
von Mahn in der Presse mödicale (4. Januar 1013) veröffent¬ 
lichten Artikel finden: 

„Uebung Nr. 1. — Nasenatmung. — Notwendiges Instru¬ 
ment.“ 

Nasenkompressor, bestehend aus zwei Metall platten, 
welche die äussere Form der Nasenflügel umfassen, durch ein 
Schloss verbunden sind und auf diese Partien einen mit Hilfe 
einer Feder regulierbaren Druck ausüben; der ganze Apparat 
wird nach Art einer Brille getragen. 

Dreimal täglich soll man 20 tiefe Naseninspirationen machen, 
wobei die Nasenflügel gegen den Widerstand des Kompressors an¬ 
kämpfen. Dieser Apparat soll, wenn möglich, während des 
ganzen Lebens zweimal täglich 1 / 2 Stunde lang benutzt werden. 

Uebungen Nr. 2. Costo diaphragmatische Atmung, a) Nasale 
Inspiration, indem man die Nasenflügel erweitert und die Regio 
subumbiiiealis des Bauches mit Hilfe der auf diese Gegend ge¬ 
kreuzten Hände eindrückt, was notwendigerweise zu einer maxi¬ 
malen Erweiterung des Brustkorbes führt. 

Diese Uebung muss stehend, sitzend und liegend gemacht 
werden. 

b) Der Kranke übt sitzend, den Oberkörper nach vorn ge¬ 
neigt, mit beiden seitwärts an den Stuhlsitz festgelegten Händen 
einen allmählichen Zug während der tiefen Inspiration aus; da¬ 
durch immobilisiert er die Schultern und zwingt die Regio 
xiphoidea, eine energische Bewegung nach vorn zu machen. 

c) Tiefe Inspiration und völlige Exspiration, indem man die 
Handflächen seitlich gegen den Brustkorb in der Höhe des Pro¬ 
cessus xiphoideus legt. Bei der Inspiration kontrollieren die 
Hände die völlige Erweiterung des Thorax, und bei der Ex¬ 
spiration tragen sie zur maximalen Entleerung der Lungen bei. 

Die Zahl der Atmungen bei jeder Uebung a, b, c wird 
allmählich je nach dem Training des Patienten zunehmen. 

Uebungen Nr. 3. Geschmeidigmachen. Diese Uebungen sollen 
nur verordnet werden, nachdem der Patient vollständig gelernt 
hat, mittels der voraufgegangenen Uebungen durch die Nase zu 
atmen und seinen Thorax zu mobilisieren, um Ermüdnug zu 
vermeiden, welche durch ihre vorzeitige Anwendung eintreten 
könnte. 

Diese Behandlung, obwohl sehr kompliziert und ein wenig 
langwierig in ihrer Anwendung, scheint, allein gebraucht, 
keine genügenden Resultate geliefert zu haben, um die in ihrer 
Drüsensekretion und Allgemeinernährung tief gestörte Nasen¬ 
schleimhaut zu verändern. Diese Luftmassage, welche in leichten 
Fällen und besonders in der Anfangsperiode eine gewisse Wirkung 
zu haben scheint, kann nicht genügen, um eine auf dem Wege des 
trophischen Rückgangs befindliche Schleimhaut wiederherzustellen. 

D. Mechanische Behandlung. Dagegen bewirkt die 
Massage mit Hilfe von Nasenduschen, welche regelmässig nicht 
auf Wochen oder Monate, sondern jahrelang fortgesetzt werden, 
die regelmässige und beständige Reinigung der Nasenhöhlen und 
bildet eine Behandlung, die tatsächlich wirksam ist, jedoch ein 
wenig lange dauert. 

Ich habe Kranke gesehen, welche aus dieser anscheinend 
wenig energischen Therapie eine wirkliche Besserang erzielten, 
so dass nach einer gewissen Zeit, im allgemeinen mehreren 
Jahren, die Schleimhaut nach und nach eine mehr rosige Farbe 
gewann, indem sie ihr granitenes poröses Aussehen verlor; das 
Schwellgewebe bildete sich wieder, die Drüsensekretion ver¬ 
änderte sich, und allmählich sah man unter dem Einfluss der 


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Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



12. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


863 


fortgesetzten Nasenduschen die Nasenhöhlen ihre alte Vitalität 
wieder aufnehmen. Dieses Resultat schien mir besonders in den 
Fällen schätzenswert, wo die Behandlung während der Ent¬ 
wickelungsperiode der Kinder, d. h. zwischen 8 und 16 Jahren, 
stattgefunden hatte. 

Ich gebe aber ohne weiteres zu, dass die Massage und 
Reinigung der Schleimhaut durch die Nasendusche nicht im¬ 
stande ist, ein dauernd günstiges Resultat zu liefern. Andererseits 
wirkt sie so langsam und so wenig kräftig, dass die Kranken, 
wenn man sie nicht in Händen behält, sich der Behandlung 
entziehen. Sie verlieren so in sehr kurzer Zeit den Nutzen, 
welchen sie in einem Zeitraum von mehreren Jahren erzielt 
haben. 

Dass die Natur der injizierten Flüssigkeit eine grosse thera¬ 
peutische Bedeutung habe, glaube ich nicht. Mag die Nasen¬ 
spülung mit einem alkalischen Wasser (Salz, Borsäure usw.) oder 
mit antiseptischen, anscheinend energischeren Mitteln, wie Pheno- 
salyl, carbol- oder salicylsaurem Natron, Carbolsäure, Resorcin usw., 
gemacht werden, keines dieser Mittel scheint mir eine elektive 
Wirkung auf die Ozaenainfektion auszuüben. Die Regelmässig¬ 
keit und die andauernde Sorgfalt, sie scheinen mir viel 
mehr ein günstiges Resultat zu erzielen als die Natur des ange¬ 
wandten Topica. 

Um wirksam zu sein, müssen die Nasenduschen nicht nach 
dem Verfahren von Weber, d. h. mit Hilfe eines in gewisser 
Höhe — im allgemeinen 1 m — angebrachten Irrigators, welcher 
eine mehr oder minder beträchtliche Menge Flüssigkeit enthält, 
ausgeführt werden. Sie sollen vielmehr in Form von rhyth¬ 
mischen Strahlen besonders mit der englischen Spritze (Enema) 
geschehen, so dass die Einspritzung der Flüssigkeit den respira¬ 
torischen Atembewegungeu entspricht (Figur 1.) Diese sacca- 


Figur 1. 



dierte Einspritzung hat den grossen Vorteil, die Ablösung der 
Krusten zu erleichtern und zu verhüten, dass sie in den Nasen¬ 
höhlen verweilen. Keinesfalls aber würde die vordere Nasen¬ 
dusche, wie zweckmässig sie auch ausgeführt werden mag, ge¬ 
nügend sein. Man muss ihr notwendigerweise die hintere Nasen¬ 
dusche anfügen, d. h. einen hinter das Gaumensegel getriebenen 
Strahl: vom Nasenrachenraum gegen die Choanenöffnungen und 
den Körper des Keilbeins. Die so eingetriebene Flüssigkeit er¬ 
zeugt eine vollständigere und besonders wirksame Reinigung. 
Man kann ohne Unbequemlichkeit die mittleren Nasengänge und 
selbst den hinteren oberen Teil der Hinternase, das Ostium maxil- 
lare usw. duschen. (Figur 2.) 

Um die retronasale Dusche auszuführen, bediene ich mich 
einer besonderen, mit drei Löchern durchbohrten Kanüle: das 
erste obere ist bestimmt, die Decke des Nasenrachenraums zu 
duschen, die beiden vorderen seitlichen senden die Flüssigkeit in 
die hinteren Nasenöffnungen vor dem Keilbeinkörper. Auf diese 
Weise löst man die Krusten ab, welche oft die Neigung haben, 
sich anzuhäufen und in dieser Gegend zu verweilen. Ferner 
muss auf die mit etwa 1 Liter Flüssigkeit ausgeführte Nasen- 
und Retronasaldusche sofort eine Oelverstäubung in jede Nasenhöhle 
nach der Injektion folgen. Diese Verstaubung hat den Zweck, alle 
dem Topicum zugängliche Partien der Schleimhaut mit einer dünnen 
Flüssigkeitsschicht zu imprägnieren, welche nicht nur einen ge¬ 
wissen Reiz auf die Schleimhaut ausübt, sondern auch besonders 


Figur 2. 



die Sekrete hindert, an den Unebenheiten der Nase sich festzu¬ 
setzen. (Figur 3.) Diese Art des Vorgehens erleichtert die 
Austreibung der Borken zur Zeit der zweimaligen täglichen 
Waschungen, auf welche ich soeben hingewiesen habe. 

E. Vibrationsmassage. Ich habe bereits erklärt, dass 
die Nasenduschen, wenn sie regelmässig ausgeführt werden, ein 
günstiges Resultat erzielen können, aber erst nach einem gewöhnlich 
sehr langen Zeitraum. Auch wenn die Patienten gelehrig genug 
sind, regelmässig unserer Behandlung zu folgen, so habe ich doch 
seit mehr als 20 Jahren die Gewohnheit, dieser Reinigungs¬ 
behandlung direkte Massagen der Schleimhaut zweimal wöchent¬ 
lich nach dem Prinzip, welches Brawn-Triest früher angegeben 
hat, hinzuzufügen. Dank der Einführung des Elektromotors in 
unser chirurgisches Arsenal ist es immerhin bequemer und leichter, 
die Massage der Schleimhaut in der Weise auszuführeD, dass 
man auf den Motor ein mit Watte umwickeltes Stilet aufsetzt, 
mit dessen Hilfe man eine ausserordentlich lebhafte und wirk¬ 
same Vibration der Schleimhaut herbeiführt. Es ist übrigens nach 
dem, was wir im allgemeinen von der Massage wissen, durchaus 
leicht einzusehen, dass die Vitalität des kranken, anämischen und 
atrophischen Gewebes durch eine regelmässig und sorgfältig 
ausgeführte Massage im günstigen Sinne verändert werden kann. 

Ausserdem habe ich in der festen Ueberzeugung, dass die 
pathologische Sekretion der Schleimhautdrüsen eine wichtige Rolle 
in der Bildung der Borken spielt, zu welchen sie das Haupt¬ 
element liefern, die Gewohnheit angenommen, auf jede Massage 
eine Zerstäubung in die Nase beiderseits folgen zu lassen, und 
zwar mit einer Argentum nitricum-Lösung von 1 :20, 1:16, 
1 : 10 und sogar 1: 6, deren elektive Wirkung auf diese Arten 
von Drüsenstörungen bekannt ist. 

Diese Therapie, einstmals von Meyje empfohlen, hat mir 
bis heute durchaus ermutigende Resultate gegeben, und ich kann 
Hunderte von Kranken, welche definitiv von ihrer atrophischen 
fötiden Coryza geheilt sind, aufführen nach einer Behandlung, 
die zwischen 3, 4, 6 und 6 Jahren schwankte. 

Ich erinnere mich einer Reihe von kranken jungen Frauen 
(man weiss, dass das weibliche Geschlecht häufiger an dieser 
Krankheit leidet), welche infolge dieser Behandlung eine der¬ 
artig regenerierte Schleimhaut zeigten, dass die unteren Nasen¬ 
muscheln fast geschwollen waren, so dass sie die Nasenatmung 
tatsächlich behinderten. Die Schwellung war derartig, dass, 
wenn ich diese Kranken nicht gekannt und nicht gewusst hätte, 
wie ihr früherer Zustand gewesen war, ich ihnen vielleicht vor¬ 
geschlagen haben würde, diese Verdickung zu beseitigen, entweder 
mittels Lichtstrahlen oder Cochotomie: Operationen, die ich 
mich hüten würde, bei alten Ozaenakranken zu empfehlen aus 
Furcht, infektiöse Prozesse herbeizuführen, welche ihren Ausgang 
in perakute Atrophie nehmen könnten. 

F. Behandlung mit Paraffin (Methode Moure und 
Brindel). Stets von der Heilbarkeit der Ozaena überzeugt, 
hatte ich mit mehreren Kollegen beobachtet, dass eine 
Deviation mit Verdickung der Nasenscheidewand einer Seite die 
Bildung von Borkenansammlung der verengten Seite verminderte. 
Von da bis zum Versuch, das durch Atrophie der Nasenmuscheln 
geschaffene Defizit zu decken, indem ich unter die Schleimhaut 
der unteren Muscheln, des Nasenbodens oder des Septums sterili¬ 
siertes Paraffin einspritzte, war kein weiter Schritt. Ausserdem 
kam mir, nachdem ich von den Arbeiten von Gersuny und 
Eckstein über Paraffineinspritzungen in die Gewebe Kenntnis 

1 * 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 19. 


erhalten hatte, die Idee, dass es ebenso möglich wäre, die 
atrophischen Muscheln mit Hilfe einer ähnlichen Injektion unter 
die Schleimhaut wiederherzustellen. Es war im Jahre 1902 
(Februar), als ich gemeinsam mit meinem damaligen Assistenten 
Dr. Brindel die ersten Versuche mit dieser neuen Methode 
machte. Unsere Resultate wurden im Mai desselben Jahres der 
französischen Gesellschaft für Oto Rhino-Laryngologie mitgeteilt. 

Seit dieser Zeit wurde die Paraffinage der Muscheln, nach¬ 
dem sie Gegenstand verschiedener Kritiken geworden war, all¬ 
gemein verbreitet, und fast in allen Ländern der Welt wurden 
Erfolge mit dieser Behandlungsmethode berichtet. Ich muss 
jedoch anerkennen, dass sie von einigen Autoren in glücklicher 
Weise verbessert wurde, besonders von Broeckaert-Gent, nach¬ 
her von Mahu, Gault und jüngst noch von Robert Leroux. 

Diese Autoren haben nämlich in vielleicht berechtigter 
Furcht, dass aus der Injektion flüssigen Paraffins in die 
Nasengewebe, welche in so ausgebreiteter Verbindung mit den 
Augen- und selbst Schädelvenen stehen, Unannehmlichkeiten ent¬ 
stehen könnten, versucht, festes Paraffin oder wenigstens eine 
Paste desselben zu injizieren. Jeder dieser Autoren bat zu¬ 
gleich zur Einführung desselben ein mehr oder weniger ingeniöses 
und auch mehr oder weniger kompliziertes Instrument erfunden 
(Figur 4), welche später vereinfacht wurden, besonders in den 
letzten Jahren. Denn die Spritze von Gault und der Parafino- 
style von Robert Leroux scheinen mir der letzte Triumph 
der Einfachheit zu sein (Figur 6). 

Dank dieser Instrumente ist die Technik der Paraffinage der 


Figur 4. 




Figur 5. 


“PARAFFINOSTYLE" ot Robert Leroux 


Muscheln sehr einfach geworden, die Vorbereitungen dazu sind 
es vielleicht weniger. Man muss nämlich nicht glauben, dass 
jeder Träger der Ozaena eo ipso für das Paraffin geeignet ist. 
Man muss wissen, dass gewisse Schleimhäute derartig brüchig, 
weich und degeneriert sind, dass es unmöglich ist, sie abzuheben 
und das Injektionsmaterial unter dieselben einzufübren. 

Bei diesen schweren Formen muss man zuerst kürzere oder 
längere Zeit von der Behandlung Gebrauch machen, deren 
Technik ich in dem vorhergehenden Abschnitt angegeben habe: 
die nasalen und retronasalen Duschen, begleitet von direkter 
Massage mit Verstaubung von Argentum nitricum, haben im all¬ 
gemeinen eine unleugbare Wirksamkeit, welche entweder nach 
mehreren Monaten oder bisweilen erst nach ein bis zwei Jahren 
der Behandlung in di“e Erscheinung tritt. Unter dem Einfluss 
dieser direkten Applikationen erlangt die Schleimhaut wieder 
einen Tonus und eine Elastizität, die für die Paraffininjektion 
genügend sind. Nur dann kann die Behandlung mit den Chancen 
eines fast sicheren Erfolges in Anwendung kommen. 

Der Modus faciendi ist durchaus einfach: Nachdem man 
die Nadel mit Paraffin unter die Schleimhaut längs der unteren 
Muschel bis zu ihrem hinteren Drittel eingeführt bat, wird das 
leicht erwärmte Paraffin sanft, allmählich unter die Schleimhaut 
getrieben, die dadurch abgehoben wird; in dem Maasse, wie es 
eindringt, zieht man die Nadel zurück, so dass man zunächst die 
Schleimhaut der Muschel, dann die des Bodens und selbst die des 
Septums anfüllt. Der Zweck besteht darin, das Lumen der allzu 
weiten Nasenhöhlen deutlich zu verengern. 

Sobald das Paraffin so eingespritzt ist, wird es an den 
Stellen fest und bleibt darin unbegrenzte Zeit. Ich sehe manchmal 
Kranke wieder, welche vor 7, 8 und 10 Jahren injiziert 
wurden und ihre voluminösen Muscheln stets behalten haben, die 
wie geschwollen aussehen, nur dass ihre Farbe ein wenig blass 
und gelblich ist. Alle diese so behandelten Kranken haben durch 
diese Behandlung eine erhebliche Besserung, selbst eine Heilung 
ihrer Ozaena erfahren. 

Man kann demnach behaupten, dass das Paraffin, zu ge¬ 
eigneter Zeit und unter passenden Verhältnissen angewandt, zwar 
nicht das einzige therapeutische Element bildet, welches 
wir anwenden und stets empfehlen müssen, aber eine Behandlung, 
deren durchaus nützliche Wirkung bei der Behandlung der atro¬ 
phischen, fötiden Ozaena man kennen muss. 

3. Komplizierende Sinnsitiden. Absichtlich habe ich 
es unterlassen, von den komplizierenden Sinusitiden zu sprechen, 
welche ziemlich oft, aber nicht beständig, wie Grünwald es 
beschrieben hat, die atrophische fötide Coryza begleiten. Denn 
ich bin der Ansicht, dass diese Komplikation, wenn sie besteht, 
mit den gewöhnlichen Mitteln behandelt werden muss, d. h. zu¬ 
nächst mit Einspritzungen in die Höhlen und in hartnäckigen 
Fällen mit Radikaloperation. 

Ich habe in der Tat zahlreiche Beobachtungen von Kranken 
gemacht, deren Ozaena sehr gebessert, ja selbst geheilt erscheint, 
die jedoch trotz der Wiederherstellung ihrer Nasenmuscheln 
eiterige, leicht borkige, nicht riechende Sekretionen haben. Die 
Hartnäckigkeit ihres Leidens ist die reine Folge von Sinusitiden, 
im allgemeinen der Kieferhöhlen, welche durch Ausspülungen 
ihrer Höhlen eine Zeitlang gebessert werden, jedoch wieder auf- 
treten, sobald 'man sie sich selbst überlässt. Nur die „Radikal¬ 
operation“, natürlich ohne Cochotomie, brachte bei mir diese 
Arten von Ozaena zur definitiven Heilung (im allgemeinen be¬ 
standen sie bei jungen Mädchen von 18 bis 22 Jahren). 

Eine Allgemeinbehandlung dürfte sich gleichfalls empfehlen. 
Sie müsste eine tonische regenerierende sein; bisweilen wäre Jod 
angebracht. Ebenso könnten Thermal-, Schwefel-, alkalische, 
Solbäder usw. ihre Indikation bei einer stets ebenso langwierigen 
wie jeder Behandlung trotzenden Krankheit finden. 

Schl us sfol gerungen. 

Ich erhebe nicht den Anspruch, eine unfehlbare, stets zur 
Heilung führende Behandlungsmethode der Ozaena angegeben zu 
haben. Ich bin aber überzeugt, dass alle diejenigen, Aerzte wie 
Patienten, welche den Mut und die Geduld haben werden, regel¬ 
mässig und methodisch die von mir im Verlauf dieses Artikels 
angegebenen Behandlungen anzuwenden bzw. durchzuführen, stets 
die Genugtuung haben werden, ihre Bemühungen von einem Er¬ 
folg gekrönt zu sehen, der sehr häufig ein vollständiger, bisweilen 
ein partieller, aber stets ein beachtenswerter ist. 


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12. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Aus der Heidelberger Universitäts-Frauenklinik 
(Direktor: Geh. Hofrat Prof. Dr. C. Menge). 

Corpus luteum und Schwangerschaft. Das 
jüngste operativ erhaltene menschliche Ei. 1 ) 

Von 

Privatdozent Dr. John Willooghby Miller, 

früherem wissenschaftlichen Assistenten der Klinik, jetzigem Assistenzarzt am patho¬ 
logischen Institut Tübingen. 

I. Einleitung. Die künstliche Befruchtung. 

Nicht geringes Aufsehen erregte im Laufe des verflossenen 
Sommerseinesters — obwohl es sich keineswegs um ein Novum 
handelte — die Mitteilung eines Falles von gelungener künst¬ 
licher Befrachtung durch Döderlein. Wenige Wochen später 
konnte Hirsch über die stattliche Zahl von sechs erfolgreichen 
Versuchen berichten. 

Uebereinstimmend geben beide Autoren — allerdings ohne ihre 
Ansicht zu begründen — als geeignetsten Operationstermin die Zeit 
unmittelbar vor dem Eintritt der Periode oder sofort nach dem Ver¬ 
siegen der menstruellen Fiuxion an, doch hält Hirsch den letzteren 
Zeitpunkt noch für den günstigeren. 

Rohleder, der in seiner Monographie über „die Zeugung beim 
Menschen“ 21 positive Versuche früherer Autoreu zusammenstellt, präzi¬ 
siert seinen etwas abweichenden Standpunkt folgendermaassen: „Viel¬ 
leicht ist die günstigste Kombination die Vornahme der künstlichen 
Befruchtung unmittelbar nach einem intermenstruellen (lies intra¬ 
menstruellen — Verf.) Coitus bei schwacher, nicht starker Menstruation“ 
(S. 233) „oder an den beiden ersten Tagen unmittelbar post men- 
struationem“ (S. 235). 

Wir finden also sowohl die Zeit vor als auch während als 
auch nach den Katamenien als erfolgverheissend bezeichnet; meines 
Erachtens kann aber unmöglich jede dieser physiologisch und 
histologisch so verschiedenen Phasen in gleicher Weise für den 
Eingriff geeignet sein, und die Frage nach dem vorteilhaftesten 
Augenblick scheint noch ihrer Beantwortung zu harren. Ihre 
Besprechung möchte ich zum Ausgangspunkt meiner Erörte¬ 
rungen nehmen. 

Als erwiesen gilt, dass das menschliche Weib in jedem Zeitabschnitt 
der von den Keimdrüsen geregelten periodischen Wellenbewegung seiner 
Lebensprozesse — die Tage der Blutausscheidung keineswegs selbst aus¬ 
genommen — zu concipieren vermag. Die Vereinigung von Ovulum und 
Samenfaden, die aller Wahrscheinlichkeit nach im lateralen Drittel der 
Tube vor sich geht, wird daher ceteris paribus um so sicherer erfolgen, 
je kürzere Zeit die Spermatozoon in der Ampulle des Eileiters auf das 
passierende Ei zu warten haben. Es kann also keinem Zweifel unter¬ 
liegen, dass in Anbetracht der schnellen Lokomotion der männlichen 
Keimzellen als der „fruchtbarste Moment“ die Zeit unmittelbar vor der 
Ovulation zu betrachten ist. Vermögen doch die Spermatozoon in der 
Minute eine Strecke von 2 bis 3 mm zurückzulegen „und würden dem¬ 
nach, ein stets gleichmässiges Vordringen vorausgesetzt, zu der 160 bis 
200 mm langen Strecke vom Orificium externura uteri bis zum Tuben¬ 
trichter, etwa ein bis zwei Stunden brauchen“ (Bumm). 

Es fragt sich nun, ob wir imstande sind, den Ovulations¬ 
termin der gesunden Frau mit hinreichender Genauigkeit zu be¬ 
stimmen. 

Die Antwort auf diese Frage muss dank den umfassenden Experi¬ 
mentaluntersuchungen und klinischen Autopsien Ludwig Fraenkel’s 
in Breslau einerseits und durch die histologischen Arbeiten Hitsch- 
raann’s und Adler’s in Wien und ihrer leider in Vergessenheit ge¬ 
ratenen Vorläufer andererseits trotz vielseitiger Opposition unbedingt 
positiv ausfallen. Es lässt sich nämlich aus ihren kombinierten Ergeb¬ 
nissen einwandfrei der Schluss ziehen, dass bei regulär menstruierten 
Individuen ein festes Abhängigkeitsverhältnis zwischen Eireifung und 
Blutung besteht, und dass die Ovulation der zu ihr gehörigen Periode 
um etwa 9 Tage vorausgeht. Als Durchscbnittstermin für den Follikel¬ 
sprung ergab sich Fraenkel — bei vierwöchigem Zyklus — ungefähr 
der 19. Tag nach Beginn der letzten Menses. Etwa 8 Tage später hat 
das Ovulum die Tube durchwandert; der gelbe Körper hat dann den 
Höhepunkt seiner Entwicklung erreicht, um sich mit Beginn der (bei 
ausbleibender Befruchtung) sofort einsetzenden neuen Menstruation all¬ 
mählich wieder zurückzubilden. Doch ist der zeitliche Ablauf dieser 
Vorgänge zweifellos nicht absolut regelmässig, sondern individuellen 
Schwankungen unterworfen, wie man sie ja bei den verschiedenen 
Generationsphasen — ich erinnere nur an die grossen Differenzen in 
Menstruationstypus und Schwangerschaftsdauer — niemals vermisst. 

Im allgemeinen werden wir jedoch den Zeitpunkt der Follikel- 
berstung auf den 9. Tag vor dem berechneten Eintritt der neuen 
Katamenien fixieren müssen. 


1) Auszug eines in der Sitzung des Tübinger medizinisch-natur¬ 
wissenschaftlichen Vereins am 18. November 1912 gehaltenen Vortrags. 
Die ausführliche Publikation erfolgt im Archiv für Gynäkologie. 


Wir finden demnaeb als gegebenen Termin für den Versuch 
der künstlichen Befruchtung bei vierwöchig menstruierten 
Frauen etwa den 18. Tag, bei Frauen mit dreiwöchigem Typus 
etwa den 11. Tag nach Eintritt der letzten Periode. 

Zum Verständnis der kausalen Zusammenhänge zwischen 
Follikelsprung und Corpus luteum-Bildung einerseits, Menstruation 
und Nidation andererseits ist die etwas ausführlichere Erörterung 
der Fraenkel’schen Arbeiten unerlässlich. 

Der verstorbene Breslauer Embryologe Gustav Born ist, wie 
Fraenkel in loyalster Weise berichtet, „der alleinige Vater der ur¬ 
sprünglich nicht publizierten Hypothese, das Corpus luteum verum 
graviditatis müsse nach seinem Bau und Entwicklungsgang eine Drüse 
mit innerer Sekretion sein, ausgestattet mit der Funktion, die An¬ 
siedelung und Entwicklung des befruchteten Eies im Uterus zu veran¬ 
lassen“ (S. 438). 

Wollen wir dem Gedankengang Born’s folgen, so müssen 
auch wir die Erörterung über die Funktion des gelben Körpers 
auf die Kenntnis seiner Struktur and seines Ursprungs basieren. 
Ich beginne daher mit der Genese, Histologie und Rückbildung 
des Organs, bespreche dann die Differentialdiagnose des Corpus 
luteum graviditatis, weiter die Biologie des gelben Körpers, seinen 
Einfluss auf die schwangere und nichtschwangere Gebärmutter, 
sowie den Funktionsmodus und schliesslich die durch sein 
Hormon ermöglichte Eieinbettung beim Menschen. 

II. Histogenese und Histologie des Corpus luteum. 

A) Der epitheliale Ursprung. 

Wie Sobotta betont, zeigt das Organ bei den al^verschie¬ 
densten Säugetierspezies absolut identische Gewebsformen und 
stellt ein vollkommen homologes Produkt dar. Der Schluss, dass 
seine Entstehung beim Menschen in genau der gleichen Weise 
vor sich geht wie bei den anderen Ordnungen der Mammalia, muss 
daher als durchaus berechtigt gelten. Nun ist durch die um¬ 
fassenden und exakten Untersuchungen Sobotta’s bekanntlich 
die epitheliale Genese des Corpus luteum und seine äusserst rasche 
Entwicklung bei der Maus und später beim Kaninchen und beim Meer¬ 
schweinchen sichergestellt und allseitig anerkannt. Wir werden 
also auf Grund dieses Analogieschlusses auch für den Menschen 
eine ähnlich schnelle Entstehung des gelben Körpers aus der 
epithelialen Membrana granulosa folliculi annehmen müssen. 

Um nun auch einen direkten Beweis für die Richtigkeit 
dieser Auffassung zu erbringen, habe ich in Anbetracht der 
schnellen Gewebsbildung und der daraus resultierenden schwierigen 
Beschaffung frühester Entwicklungsstadien au dem fertigen 
Organ nach einem Kriterium der Histogenese gesucht und glaube 
den Nachweis seiner epithelialen Natur dnreh das Auffinden von 
Kolloidtropfen innerhalb seiner Zellen erbracht zu haben. 

Man sieht nämlich in den Zellen des Corpus luteum graviditatis 
zahlreiche homogene runde oder rundliche Tröpfchen von ungleicher 
Grösse, von den allerfeinsten Kügelchen, so gross etwa wie die Granula 
der Leukocyten, bis zu gröberen Tropfen vom Umfang einer mässig 
starken Luteinzelle, im Durchschnitt etwas grösser als ein Erythrocyt. 
Diese Gebilde sind durch ihre starke Affinität zu sauren Anilinfarben, 
relative Gramfestigkeit, lebhaften Glanz und bräunlichgelbe Farbe bei 
der Tinktion nach van Gieson als Kolloidtropfen qualiflziert, und diese 
werden nur von Epithelien produziert. Der Nachweis solcher 
Tropfen sichert also die Epithelnatur der sie produzierenden 
Zellen. 

Als drittes Argument für die Entstehung des Corpus 
luteum aus der Membrana granulosa hat uns nun Robert Meyer 
vor zwei Jahren in dankenswertester Weise eine peinlich genaue, 
geradezu mustergültige Schilderung und Abbildung einer Serie in 
Entwicklung begriffener gelber Körper gegeben von einem Früh¬ 
stadium an, wie es seiner Meinung nach „beim Menschen noch 
nicht bekannt ist“ (S. 361) bis zur vollendeten Reife. 

Hier ist also erfreulicherweise das „missing link“ zwischen 
Granulosa-Epithel und Corpus luteum-Zelle aufgefunden, so dass 
wir also durch den dreifachen Beweis — Analogieschluss, Kolloid¬ 
befund und direkte Beobachtung eines allmählichen Uebergangs 
von annähernd normalen Granulosa-Epithelien in die grossen 
Luteinzellen — die epitheliale Herkunft des gelben Körpers als 
gesichert annehmen dürfen. 

B) Die Histologie des Corpus luteum. 

Die umfangreichen Zellen des fertigen Gebildes haben poly¬ 
gonale Form, das Protoplasma lässt deutlich eine staubartig fein¬ 
körnige Struktur erkennen; der runde, bläschenförmige Kern zeigt 
fein verteiltes Chromatin und deutlichen Nucleolus. Durch aus¬ 
gedehnte Gefässneubildung wird der junge Zellkomplex von einem 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 19. 


so feinen und engmaschigen Nets von Haarröhrchen durchzogen, 
dass jedes einzelne Zellindividuum mit einer Seite seines Leibes 
irgendeiner Kapillare dicht anliegt (Kreis, S. 421 f. und 
Wallart, S. 582) und eine auffällige Aehnlichkeit des Lutein¬ 
gewebes mit der Zona fasciculata der epithelialen Nebennieren¬ 
rinde oder einem Leberacinus resultiert. 

Der frische gelbe Körper enthält — entgegen dem allgemein 
verbreiteten Dogma, das sich wie eine ewige Krankheit in den 
Lehrb&chern fortgeerbt hat — kein Neutralfett und präsentiert 
sich demzufolge bei Färbung mit Hämatoxylin und Sudan III 
in reinem Blau. 

C) Die Ruckbildung des Corpus luteum. 

Erst nach dem Einsetzen der acht bis neun Wochen in An¬ 
spruch nehmenden regressiveu Metamorphose lässt sich im Corpus 
luteum, wie ich bereits 1909 gezeigt habe, Neutralfett nach weisen. 

Erst jetzt beginnt das Organ, die Sudanfärbung anzunehmen, und 
man sieht die blaue Farbe mit blossem Auge über blauviolett und rot¬ 
violett allmählich in ein wunderschönes Rot übergehen. Das mikro¬ 
skopische Aussehen der Zellen selbst erfährt im Hämatoxylin-Eosin- 
schnitt eine mit der forschreitenden Verfettung des Organs zunehmende 
Veränderung: der Zelleib wird kleiner, das Protoplasma viel heller und 
durchsichtiger. 

Hand in Hand mit dieser Veränderung an dem epithelialen Haupt¬ 
bestandteil des Corpus luteum geht eine Umwandelung seines binde¬ 
gewebigen Stützapparates, und es entsteht unter Zugrundegehen 
der verfetteten Luteinzellen allein durch hyaline Ent¬ 
artung des bindegewebigen Retikulums das Corpus albicans. 

D) DieDifferentialdiagnose der Corpus luteum 
graviditatis. 

Eine gesonderte Berücksichtigung erfordert noch das Corpus 
luteum graviditatis. Der gelbe Körper ist zwar immer das gleiche, 
periodisch sich bildende Organ von nur temporärem Bestand, 
doch ergeben sich aus der verschiedenen Lebensdauer des Ge¬ 
bildes bei Eintreten und bei Ausbleiben der Conception gewisse, 
nicht unwichtige Unterschiede, die uns eine Differentialdiagnose 
des Corpus luteum graviditatis gestatten. 

Das Schwangerschafts-Corpus luteum gibt während der ganzen Dauer 
der Gravidität so gut wie keine Fettreaktion, die vorherrschende De¬ 
generationsform ist neben der Atrophie die einfache Nekrose. Als neuer 
Faktor im Prozess der regressiven Metamorphosen des gelben Körpers 
tritt hier dann noch die bereits in ihrer histogenetischen Bedeutung ge¬ 
würdigte kolloide Entartung hinzu. 

Ich glaube daher, dass man durch den Kolloidnachweis die 
beiden Arten des Organs voneinander unterscheiden kann. Jeden¬ 
falls spricht reichlicher Kolloidgehalt mit grösster Wahrschein¬ 
lichkeit für ein Schwangerschaftsprodukt. In den späteren Tagen 
des Puerperiums ist übrigens in der Regel kein Kolloid mehr 
nachweisbar. 

Gleichfalls von differentialdiagnostischem Wert — wenn auch 
sonst von untergeordneter Bedeutung — ist die Kalkablagerung 
im gelben Körper. Der Kalk erscheint hier in Form von kleinen 
rundlichen Konglomeraten, die meist Brombeerform zeigen und 
die Grösse einer Luteinzelle kaum erreichen. 

Diese histologischen Unterscheidungsmerkmale des Corpus 
luteum graviditatis und menstrnationis haben nun nicht nur theo¬ 
retischen, akademischen Wert, sondern auch praktische klinische 
Bedeutung, wie ich an einem konkreten Fall demonstrieren möchte: 

Einer etwa 50jährigen, im Klimakterium befindlichen Patientin 
wurden bei Gelegenheit der Schauta-Wertheim’schen Prolapsoperation 
die Adnexe der einen Seite exstirpiert, da sich in dem betreffenden 
Ovarium eine pflaumen grosse Cyste fand. Bei der mir übertragenen 
Untersuchung des Eierstocks fiel mir ein besonders grosses und schönes 
Corpus luteum auf, so dass ich trotz des Alters der Patientin an die 
Möglichkeit einer Gravidität dachte und den Operateur von meiner 
Vermutung verständigte. Diese Eventualität war von dem Kollegen 
wegen des vorgerückten Alters der Patientin begreiflicherweise nicht in 
Betracht gezogen worden und wurde auch jetzt mit dem Bemerken abge¬ 
lehnt, „dass so eine alte Grossmutter doch keine Kinder mehr bekomme“. 

Dieser Einwand liess sich jedoch leicht durch den Hinweis wider¬ 
legen, dass die Existenz des gelben Körpers die stattgehabte Ovulation 
und — bei der verheirateten Frau — die Möglichkeit der Conception 
beweise. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet gewann die bei der 
Operation konstatierte Grösse, Sukkulenz und Hyperämie des Uterus eine 
gravierende Bedeutung. 

Dieser peinlichen Ungewissheit liess sich sofort durch die mikro¬ 
skopische Untersuchung des gelben Körpers ein Ende bereiten: Sie er¬ 
gab eine sehr deutlich ausgesprochene, etwas ungleich verteilte Ver¬ 
fettung des Luteingewebes bei Fehlen von Kolloidtropfen und 
Kalkconcrementen, und sicherte so die Diagnose des Corpus luteum 
roenstruatiQnis, 


m. Die Biologie des Corpus luteum. 

A. Die Funktion des gelben Körpers. 

a) Corpus luteum und Uterus gravidus. Ursprung und 
Bau des gelben Körpers, wie ich sie vorstehend kurz geschildert, 
batten in Born die Vorstellung erweckt, dass das genannte 
Organ eine Drüse mit innerer Sekretion sei, und schwerkrank, 
batte er Fraenkel ersucht, die experimentelle Verfolgung dieser 
Idee zu übernehmen. Die Bitte Born’s erfüllend, bat dieser dann 
nicht nur den Beweis für die Richtigkeit der genialen Theorie 
in der mitgeteilten Fassung erbracht, sondern erkannt, dass dem 
gelben Körper eine noch viel weitergehende Bedeutung zu¬ 
kommt: 

„Das Corpus luteum bewirkt den in den Generationsjahren erhöhten 
Ernährungszustand des Uterus. Der in dieser ganzen Zeit vermehrte 
Umfang und Turgor des Organs sowie seine vierwöchentlichen zyklischen 
Hyperämien sind die Folge der inneren Sekretion des Corpus luteum. 
Seine fortgesetzte sekretorische Tätigkeit bewirkt einerseits die Insertion 
und Entwicklung des Eies und andererseits, wenn die Befruchtung des 
letzeren unterbleibt, die Menstruation (S. 489).“ 

Zur Untersuchung der Funktion des gelben Körpers nahm 
Fraenkel seine Ausschaltung vor. Der Experimentalbeweis ist 
teils negativer Art: Ausbleiben der Trächtigkeit bei Eliminierung 
der Luteinsubstans, teils aber positiv: Entwicklung oder Fort- 
schreiten der Gravidität bei Belassung des gelben Gewebes und 
Vornahme der nötigen Kontrolleingriffe. 

Die Versuche erstrecken sich auf nicht weniger als 400 Kaninchen. 
112 isolierte Totalentfernungen der gelben Körper bei befruchteten 
Tieren innerhalb der ersten zwei Wochen nach dem Belegen verhinderten 
ausnahmslos die Eieinbettung (wenn die Operation im Laufe der ersten 
sechs Tage erfolgte) oder unterbrachen die sich bereits entwickelnde 
Gravidität (wenn der Eingriff erst nach der Insertion des Ovulums 
zwischen dem 7. und 14. Tage post coitum vorgenommen wurde). Bei 
doppelseitiger Kastration wurde naturgemäss in allen Fällen — es 
sind 51 — der gleiche Erfolg erzielt. Zahlreiche Kontrol(Operationen 
(einfache Narkose, einfache Laparotomie, Ausschaltung eines Teils des 
Eierstockparenchyms oder eines Teils der gelben Körper, Hineinbrennen 
von Löchern neben das unversehrte Luteingewebe) bewiesen die sou¬ 
veräne Dignität der Corpora lutea. Nach 53 Teilentfernungen der gelben 
Körper bis zum 15. Tage wurde 31 mal ein Fortschreiten der Schwanger¬ 
schaft konstatiert. 

Durch die imponierende Wucht dieser grossen Zahlen dürfte 
der Satz, dass das Corpus luteum die prägraviden Alterationen 
des Endometriums, die Deciduabildung, bewirkt, und dass es der 
Ansiedlung und ersten Entwicklung des Eies beim Kaninchen vor¬ 
steht, wohl hinlänglich erwiesen sein. 

Die Berechtigung einer Uebertragung dieser bedeutungsvollen 
Ergebnisse auf die menschliche Physiologie erhellt aus eioer ana¬ 
logen, bisher nicht publizierten klinischen Beobachtung Menge’s: 

„Laparotomie — Indikationsstellung nicht mehr erinnerlich — bei 
einer Gravida der 7. bis 8. Woche. Uterus gross, kugelig, weich. 
Grosses Ovarium mit cystischem Corpus luteum, das ausgeschält wird. 
Niemals Abgang von Gewebe, nur Absonderung einer blutigwässrigen 
Ausscheidung etwa 14 Tage lang. Uterus wird klein und hart.“ 

Also Rückbildung einer durch Autopsie in viva festgestellten 
Gravidität im zweiten Monat ohne Abort, genau nach dem Typas 
der Eikammerresorption beim Kaninchen. — Im übrigen wird 
auch, soweit ich sehe, von den Gegnern der Born - Fraenkel- 
schen Lehre die Berechtigung zu dem Analogieschluss auf die 
Funktion des gelben Körpers bei der Spezies homo sapiens nicht 
bestritten. 

Mit der Born - Fraenkel’schen Lehre wohl vereinbar, ja 
vielleicht als notwendige Ergänzung zu bezeichnen, ist die Theorie 
von Prenant und Sandes, die die Funktion des Corpus luteum 
in einer Hemmung der Ovulation während der Schwangerschaft 
erblicken (citiert nach Sobotta und Birnbaum, S. 43 f.) Tat¬ 
sächlich kann als erwiesen gelten, dass die Eireifung während 
der Gravidität sistiert. 

b) Corpus luteum und Uterus non gravidus. Logische 
Folge des bewiesenen ersten Teils vom Corpus luteum-Gesetz ist 
einmal, dass stets das Ovulum der zuerst ausbleibenden 
Periode imprägniert wird und dass die Nidation nie im 
Anschluss an die letzten Menses, sondern stets kurz vor dem 
Termin der ersten ausfallenden Regel stattfindet. Logische 
Folge ist zum anderen, dass auch die prämenstruelle Umwand¬ 
lung der Gebärmutterschleimhaut durch die Tätigkeit des Corpus 
luteum bedingt wird. Dieses kann ja, wie Fraenkel sich sehr 
treffend ausdrückt, nicht wissen, ob eine Conception zustande 
kommen, ob es einem Ei zur Nidation verhelfen wird. Mag Gra- 


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12. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


867 


vidität eintreten oder mag es zur menstruellen Blutung kommen 
— das histologische Bild muss zu dieser Zeit dasselbe sein. Tat¬ 
sächlich ist die Richtigkeit dieser theoretischen Schlussfolgerung 
durch die aufsehenerregenden Arbeiten Hitschmann’s und 
Adler’s, die uns den zyklischen Wechsel in der Architektur der 
Mucosa corporis — er war bereits vor 40 Jahren von Kundrat 
und Engel mann richtig erkannt — wieder kennen lehrten und 
die Endometritis glandularis mit Recht zum alten Eisen warfen, 
bewiesen. 

Der Experimental beweis für diese theoretische Deduktion ist 
an unseren gebräuchlichen Laboratoriumstieren naturgemäss nicht 
zu erbringen, da sie bekanntlich nicht menstruieren, dagegen hat 
Fraenkel wiederholt das zweifellos noch höher einzuschätzende 
Experiment am Menschen selbst ausgeführt. 

In 9 Fällen von Cöliotomie an Frauen mit gesunden inneren Ge¬ 
schlechtsorganen brannte er bei der Revision der Adnexe mit dem 
Paquelin ein frisches Corpus luteum bzw. einen springfertigen Follikel 
aus und konnte dann konstatieren, dass mit nur einer Ausnahme „die 
Ausschaltung des gelben Körpers oder die Verhütung seiner Entstehung 
einen deutlichen Einfluss auf die nächste Menstruation ausübt, der 
darin besteht, dass das normale Auftreten der Periode verhindert wird“ 
(S. 481). 

Diese quantitativ zur Stütze des Gesetzes wohl noch nicht 
ausreichenden Versuche werden durch gleichsinnige klinische 
Beobachtungen an einem grossen Operationsmaterial — es handelt 
sich ausschliesslich um Patientinnen mit extragenitälen Tumoren, 
Osteomalacie, unkomplizierter Appendicitis, Prolaps oder Retro- 
fiexio — in vorzüglicher Weise ergänzt. 

Da die Altersbestimmung nicht mehr ganz frischer Corpora lutea 
recht schwierig ist, so verwertete Fraenkel — bzw. liess durch seinen 
Schüler Hergesell verwerten — aus seinen IBS Fällen diejenigen, die 
entweder zur Zeit der Operation gerade menstruierten oder „ein hoch¬ 
rotes haselnussgrosses, weiches, sukkulentes und prominentes, bei leiser 
Berührung oder spontan blutendes Corpus luteum aufwiesen“. Elf 
Frauen wurden während der Menses operiert: niemals fand sich ein 
frisches Corpus luteum. Dagegen wurde bei 43 im Intervall operierten 
Frauen ein junger gelber Körper konstatiert, und zwar waren bei diesen 
Frauen 11 bis 26 Tage seit Beginn der letzten Periode verflossen. 
Niemals fand die Ovulation kurz vor, während oder kurz nach der 
Menstruation statt 

Die Schwankung um 15 Tage — es sind vereinzelte Fälle, 
die sich so weit vom Normaltypns entfernen —- erklärt sich 
dorch den nicht bei allen Frauen gleichmässigen Menstruations¬ 
zyklus, der Schwankungen von 2V 2 bis 4% Woeben aufweist. 
Lassen wir die extrem gelagerten Fälle ausser Betracht, so ergibt 
sich die zweite Hälfte des Intervalls als Ovulationsbreite, im 
Durchschnitt der 19. Tag nach dem Einsetzen der letzten Regel. 

Wie erinnerlich erstreckt sich aber das erweiterte Corpus 
lnteum-Gesetz nicht nur auf Eieinbettung und Schwangerschafts¬ 
protektion und nicht nur auf die Menstruation, sondern ganz all¬ 
gemein auf den in den Generationsjahren erhöhten Ernährungs¬ 
zustand des Uterus. 

Diese Theorie beruht auf den Beobachtungen L. Fraenkel’s über 
die Atrophie des Uterus naoh isolierter Ausbrennung der Luteinsubstanz 
bei Kaninchen; die Verkümmerung des Fruchthalters erreichte hier den¬ 
selben Grad wie naoh der Kastration. „Als kaum siohtbares Band hob 
er sich zunächst nur wenig von dem oft fettreichen Peritoneum der 
Bäuohwand, der Blase und des Mesometriums ab, war fast ohne jedes 
Konsistenzgefühl, naoh allen Richtungen verkleinert. Mikroskopisch war 
die Muskelscbicht so verschmälert, dass die Sohleimhaut sie an Breite 
übertraf“ (S. 478). 

In den Rahmen des Gesetzes fügen sich auch aufs beste 
folgende allbekannte Tatsachen ein: Ehe die Keimdrüse ihre 
Funktion der Eireifung und Luteinbildung beginnt, finden wir das 
Genitale in infantilem Zustand, und es erfolgt keine uterine 
Blutung. Stellt der Eierstock im Klimakterium seine Tätigkeit 
ein, unterbleibt also die Produktion von gelben Körpern, so ver¬ 
fällt die Gebärmutter der senilen Atrophie. Bessere Belege für 
die souveräne Dignität des Luteingewebes und die Abhängigkeit 
des Fruchthalters von dem Organ Hessen sich kaum erbringen. 

Dieselbe Causa movens wie bei der Altersschrumpfung des 
Uterus — den Fortfall der Luteinsubstanz — dürfen wir mit 
Fraenkel bei der zweiten Form der physiologischen Gebär¬ 
mutteratrophie voraussetzen, ich meine die von Thorn sogenannte 
Laktationsatrophie. 

B. Die Wirkungsweise des Corpus luteum. 

Den Erörterungen über die komplizierte Funktion des gelben 
Körpers schliesst sich die Besprechung der Frage an: Auf welche 
^W^ise wird das Organ seiner Aufgabe gerecht? 


Bekanntlich hatte Pflüger 1865 die Theorie aufgestellt, dass der 
von einem dichten Nervengeflecht umsponnene Follikel durch sein kon¬ 
tinuierliches Wachstum einen stetigen Druckreiz auf das nervöse Faser¬ 
netz ausübt, dass dieser Reiz nach Erreichung eines bestimmten In¬ 
tensitätsgrades auf dem Wege über das Rückenmark reflektorisch eine 
starke arterielle Fluxion bedinge, und dass schliesslich dieser intensive 
Blutzufluss sowohl den Follikelsprung wie die Menstruation veranlasse, 
doch erweist sich das Fundament der einst allgemein anerkannten Lehre 
durch den Nachweis der Inkongruenz von Ovulation und Menstruation 
als hinfällig, beruht sie doch auf der Voraussetzung eines Synchronismus 
der beiden Sexualprozesse. 

Experimentelle Widerlegung erlitt dann das alte Dogma einerseits 
durch die Versuche von Rein 1 ), der trotz „Durchschneidung sowohl des 
sympathischen als auch der Sakralnerven des Uterus, ausgeführt an ein 
und demselben Kaninchen“ (S. 77), also trotz Loslösung des Uterus von 
allen seinen Verbindungen mit cerebrospinalen Centren Empfängnis, 
Schwangerschaft und Geburt beobachtete, und durch die schönen Arbeiten 
von Knauer und Halb an andererseits, die nach Transplantation der 
so natürlich völlig isolierten Ovarien unter die Haut, unter die Musku¬ 
latur oder ins grosse Netz bei Hündinnen Brunst und bei Pavian¬ 
weibchen echte Menstruation auftreten sahen. 

. Damit ist die Frage „Nervenbahn oder Gefässbahn?“ un¬ 
bedingt zugunsten der letzteren entschieden, und die schon vorher 
von vielen Autoren vermutete, von Born und Fraenkel ins 
Corpus luteum lokalisierte innere Sekretion der weiblichen Keim¬ 
drüse sichergestellt. 

Eine wesentliche Stütze erhält das Breslauer Gesetz noch 
durch die Sicherstellung der epithelialen Natur des gelben 
Körpers. Allerdings stehe ich nicht auf dem Standpunkt, dass das 
Gesetz mit diesem Nachweis stehe und falle; immerhin entspricht 
aber ein epitheliales Corpus luteum zweifellos besser dem 
Bilde, das wir uns von einer Drüse mit innerer Sekretion machen, 
als ein bindegewebiges Organ. Gegenstandslos wird auch der 
Einwand, dass man einen Fettkörper nicht als endokrines Gewebe 
ansprechen dürfe, da das soviel umstrittene Gebilde sich während 
seiner Funktionsdauer gegen die Fettfarbstoffe refraktär verhält. 

Ich habe dann weiter vor einigen Jahren im Berliner Institut 
für Infektionskrankheiten „Robert Koch u versucht, durch die 
Komplementbindungsmethode im Reagenzglas ein Hormon des 
Corpus lutenm nachzuweisen. 

Ich injizierte Kaninchen, Gänsen und Tauben Carboikochsalz¬ 
emulsionen von Corpus luteum-Substanz zahlreicher Kühe bzw. Säue 
und erzielte mit dem sehr wirksamen Serum eines so präparierten 
weiblichen Kaninchens zwar eine Hemmung der Hämolyse in Verbindung 
mit dem homologen Luteinextrakt, aber auch mit den Extrakten anderer 
Organe derselben Tierart. Eine spezifische Immunisierung mit Lutein¬ 
gewebe war also nicht zu erzwingen. 

Der negative Ausfall der angestellten Reaktionen — ich 
komme auf diese 1908 publizierten Versuche überhaupt nur des¬ 
wegen zurück, um die Deduktion ungerechtfertigter Schluss¬ 
folgerungen zu verhindern — darf jedoch nicht als eine Wider¬ 
legung des Corpus luteum-Gesetzes angesprochen werden, da sich, 
wie wir jetzt wissen, gegen Sekrete überhaupt keine Antikörper¬ 
produktion erzielen lässt 

IT. Die Bedeutung der Menstruation. 

Die harmonische Kongruenz der experimentellen und klinischen 
Resultate Fraenkel’s und der histologischen Arbeiten der Wiener 
Autoren und ihrer Vorläufer beweist, wie wir gesehen hatten, 
dass das Corpus luteum die prägraviden Alterationen des Endo¬ 
metriums bedingt, und ich hatte es als logische Folge dieser Tat¬ 
sache bezeichnet, dass stets das Ovulum der zuerst ausbleibenden 
Periode imprägniert wird, und dass die Nidation nie nach Ab¬ 
klingen der Menses, sondern stets zum Termin der ersten aus¬ 
fallenden Menstruation stattfindet. Eine weitere notwendige Kon¬ 
sequenz ist die Reduzierung der bisher allgemein angenommenen 
Schwangerschaftsdauer um 19 Tage. 

Diesen Gedanken hatte schon vor vierzig Jahren zuerst Löwen - 
hard Ausdruck verliehen; mit Recht weist er darauf hin, dass das 
Endometrium — wenn die alte Theorie von der Einnistung des Eichens 
post menses richtig wäre — nachdem es sich eben umsonst zur Decidua 
(praemenstrualis) umgebildet, wenige Tage darauf, nach abgelaufener 
Blutung, schon wieder neue Empfangs Vorbereitungen treffen müsste 
(S. 488): 

Ganz eindeutig sprechen auch im Sinne des Fraenkel’schen 
Gesetzes die in jedem einschlägigen Lehrbuch besprochenen Be- 


1) Die in diesem Zusammenhang viel citierten Arbeiten von Goltz 
können meines Erachtens nicht gegen die Pflüger’sche Auffassung verwertet 
werden. 

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668 _ BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. Nr. 19. 


obachtungen von Eintritt der Schwangerschaft bei jungen Mädchen 
in südlichen Ländern vor der Menarche, bei stillenden Frauen vor 
dem Wiedereintritt der Regel nach dem Wochenbett und bei 
Matronen im Klimakterium. 

Die Menstruation ist also nicht, wie Pflüger vermutet, als 
„ein Inoculationsschnitt der Natur zur Aufimpfung des befruchteten 
Eies auf'den mütterlichen Organismus“ aufzufassen, sondern'zeigt 
im Gegenteil den Zerfall des bereiteten Nestes an. 

Bei Strassmann finde ich die Angabe, dass es Völkerschaften gibt, 
die — unbewusst — die äusserste Konsequenz aus dieser Auflassung 
ziehend, in der Menstruation gewissermaassen einen Kindesmord erblicken, 
weil sie ihnen das Zeichen der Nichtbefruchtung ist (S. 108 f). 

In der menstruellen Blutung haben wir nicht eine eigentliche 
sexuelle Funktion, sondern nach Fraenkel nur eine Art Kreis¬ 
laufentlastung zwar nicht des ganzen Organismus, wohl aber des 
hyperämischen Uterus zu sehen. Es ist vielleicht das Nährblut 
für das Ei, das beim Abbau des Nestes abfliesst. Die Menstruation 
ist der Indikator frustrauer Ovulation. „A woraan menstruates 
because she does not conceivc“ (Power). 

V. Die Eiciiihettung beim Menschen. 

Die passive Wanderung des befruchteten Ovulum, das auf 
der Reise Corona radiata und Zona pellucida verliert, soll beim 
Menschen 7 bis 8 Tage in Anspruch nehmen. Die Nidation ge¬ 
schieht durch aktives Eindringen des Eichens zwischen zwei 
Drüseumündungen („interstitielle Implantation“) — das Ei gräbt 
sich also wie ein Parasit sein Bett selbst — und das entstehende 
Loch wird durch ein „Schlusscoagulum“ (Bonnet) provisorisch 
verschlossen. Wir wissen jedoch nicht, in welchem Entwicklungs¬ 
zustand sich das Ovulum bei der Einboruug befindet, da dieses 
Stadium beim Menschen bekanntlich noch niemand gesehen hat, 
und wir wissen auch nicht, wieviel Zeit dieser Prozess in An¬ 
spruch nimmt. 

Selbst das jüngste bisher entdeckte Ei, dass in der Heidel¬ 
berger Frauenklinik zufällig bei der Untersuchung einer Kürettage 
gefunden wurde, ist bereits in die Schleimhaut eingebettet, rings 
von einer Trophoblastschale umgeben und lässt ein kleinstes 
Embryonalschild erkennen. Bevor ich jedoch mit der Beschrei¬ 
bung des histologischen Bildes beginne, seien die anaranestischen 
Notizen gegeben, die ich in Anbetracht der Wichtigkeit und Selten¬ 
heit des Fundes nicht kürzen zu dürfen glaube: 

Frau S. M., 26 Jahre alt, aufgenommen 8. I. 1909. 

Periode: Seitdem 15. Jahr, anfangs zwei Tage dauernd, spärlich; 
jetzt fünf Tage und stark; dabei Unterleibs- und Kreuzschmerzen. Inter- 
menstrueller Fluor. 

Menstruationstypus: Leicht anteponierend, etwa dreiwöchentlich. 

Letzte Periode: Vor Weihnachten 1908. 

Partus: Zwei Spontangeburten. Letzte Entbindung: Sep¬ 

tember 1907. 

Anamnese: Nach dem letzten Partus */ A Jahr lang gestillt, dann 
eintägige Periode (vor Pfingsten 1908), dann neun Wochen Pause, darauf 
vierzehntägige Blutung. Seitdem alle 14 Tage 5 bis 6 Tage dauernde 
Menstruation mit heftigen Schmerzen. Im Oktober raässig starke, drei 
bis vier Wochen dauernde Blutung. Jetzt kommt die Regel alle 24 Tage 
bei fünf- bis sechstägiger Dauer stark. 

Patientin klagt über die genannten Menstruationsbeschwerden und 
über dauernde Schmerzen im Kreuz und allgemeines Schwächegefühl. 

Operation: Abrasio; Alexan der-A dams, am 14. I. 1909. 

Spätere Ambulanznotiz: Blutungen regelmässig, keine Be¬ 
schwerden mehr. 

Leider existieren von dem kostbaren Material nur fünf Schnitte. Un¬ 
günstig ist auch der Umstand, dass die Schnittrichtung nicht senkrecht 
zur Schleimhautoberfläche, sondern schräg zu ihr gefallen ist, so dass die 
Einbruchsstelle des Eies mit dem „Gewebspilz“ (Peters) zur Darstellung 
gelangt ist. Dagegen ist das junge Gebilde glücklicherweise offenbar im 
grössten Durchmesser getroffen, und in drei Präparaten ist die Embryonal¬ 
anlage aufs deutlichste zu erkennen. Präparate und Beschreibung haben 
Herrn Prof. II e c h e 1 - Freiburg Vorgelegen, dem ich für die Durchsicht 
zu besonderem Dank verpflichtet bin, von ihm rührt auch die exakte 
Bestimmung der Maasse her. Das grösste äussere Maass beträgt 
0,83 mm, während das ganze Ei im Lichten nur 0,44 mm misst. 

Der Beschauer erkennt zunächst die Trophoblastschale und die 
durch einen bei der Paraffineinbettung entstandenen Spal t von jener 
getrennte lockere Mesoderm-Masse. Letztere hat die Gestalt eines nicht 
ganz regelmässigen Polygons und ist mit einer zarten, staubartig feinkörnigen, 
mit Eosin blassrosa getönten Masse vollkommen ansgefüllt und — nament¬ 
lich in der Umgebung der Keimanlage — von spärlichen Zellen vom 
Typus junger, noch relativ protoplasmaarmer Fibroblasten durchzogen. 
Einzelne von diesen lassen sehr schöne und deutliche karyokinetische 
Figuren erkennen. Aehnliche mesodermale Zellen umsäumen die 
centrale Masse in einfacher, nur stellenweise doppelter Lage und grenzen 
sie von dem erwähnten Retraktionsspalt ab; auch sie zeigen gut erhaltene 


G D C M ESpR Sy 



Bl Pr B Gj 


Leitz 3; Oc. 4; Tub. 15,5; Vergrösserung ca. 185: 1. 

E = solider Embryonalknoten, M = Mesoderm, K = Kernteilungsfigur 
(Diaster) im Mesoderm, B = Stelle des Bauchstiels, Sp = bei der Paraffin¬ 
einbettung entstandener Retraktionsspalt, C = Cytotrophoblast (Lang- 
hans’sche Schicht), Sy = Syncytium (Plasmoditrophoblast), Bl = Blut- 
lakunen, G = mütterliche Gefässe, G A = durch das Syncytium auf¬ 
geschlossenes Gefäss, Dr = Drüsen, D = Deciduale Reaktion. 

Mitosen. Es besteht also noch kein Cölora; auch fehlen meso¬ 
dermale Zotten noch vollständig. 

In der Nähe der Mitte, jedoch etwas excentrisch, liegt die Embryonal¬ 
anlage (samt der Anlage von Amnion und Dottersack); Embryonalschild und 
Amnion messen 0,095 :0,072 mm. Auf eine nähere Beschreibung des 
Gebildes gehe ich als zu weit führend hier nicht ein, zumal die 
Deutung eines nur in einem Präparat auffallenden Zellkomplexes noch 
strittig erscheint. Es sei nur kurz bemerkt, dass man in den Schnitten 
die Vorbereitung zur Bildung einer Markamnionhöhle verfolgen kann — 
ein Befund, in dem ich einen Beweis für die „mit einer an Sicherheit 
grenzenden Wahrscheinlichkeit“ aufgestellte Behauptung K ei bei’s er¬ 
blicke, dass der genannte Hohlraum „als Spaltbildung innerhalb einer 
soliden Zellmasse auftritt und dass demnach Amnionfalten beim Menschen 
nie vorhanden sein dürften“ (S. 60). 

Auf der Seite der kürzesten Entfernung der (wie erwähnt, etwas 
excentrisch gelegenen) Embryonalanlage vom Trophoplast hat sich das 
Mesoblastgewebe bei der artefiziellen Schrumpfung nicht losgetrennt, so 
dass die Mesodermzellen unmittelbar der inneren Lage der Trophoblast- 
schale anliegen. In einem Schnitt berührt letztere bemerkenswerter¬ 
weise die Zellen, welche die Markamnionhöhle, wie erwähnt, umgeben. 
Hier würde sich später wohl der Bauchstiel entwickelt haben. 
Der Ektoblastmantel lässt bereits die Differenzierung in den 
Cytotrophoblast (die Langhans’sche Schicht) und den Plasmodi¬ 
trophoblast oder Spongiotrophoblast (das Syncytium) erkennen. 
Es besteht jedoch durchaus kein prinzipieller Unterschied in der Kern- 
forra oder in der Kern- und Protoplasmafärbbarkeit, so dass man den 
bestimmten Eindruck kontinuierlicher Uebergänge zwischen den beiden 
Zelltypen gewinnt, wie dies auch Peters, Leopold und Jung für 
ihre Fälle nachdrücklich betonen. Auch die regelmässige Anordnung 
der Langhans’schen Zellen zu einer Basalschicht des Trophoblasts ist 
nicht überall ausgeprägt, und die Abgrenzung der einzelnen Zell¬ 
individuen gegeneinander ist stellenweise ganz undeutlich. Kernteilungs¬ 
figuren sind im Cytotrophoblast ziemlich reichlich, heben sich aber gegen 
das relativ basophile Protoplasma nicht so deutlich ab wie in den Zellen 
des Mesoblasts. 

Das Syncytium, das die bekannte lakunäre, jedoch nicht bienen¬ 
wabenartige Anordnung zeigt, nimmt nicht annähernd einen so grossen 
Raum ein wie bei dem nächst älteren Ei von Bryce und Teacher, 
und die Zahl der grösseren Bluträume beträgt pro Schnitt noch nicht 
ein Dutzend. Ich habe den Eindruck, dass sie nicht einer Vakuoli¬ 
sierung primär solider Zellhaufen durch ein proteolytisches Ferment, 
also nicht einer Art Selbstverdauung ihre Entstehung zu danken haben, 
sondern dass das Syncytium nach Arrodierung dilatierter Capillaren 
unter Verdrängung und Zerstörung des Endothels die Auskleidung der 
Bluträume übernimmt. Deutlich ist an mehreren Stellen das Aufschliessen 
der mütterlichen Capillaren zu erkennen. Gut erhaltene rote Blut¬ 
körperchen konnte ich in den Vakuolen jedoch nur ganz vereinzelt 
finden; man sieht nur eine eosinrote, etwas fädige Masse, die aber von 
dem Mesoblastgewebe wohl zu unterscheiden ist. Dagegen sind multi- 
nucleäre Leukocyten hier leicht erkennbar. Sehr bemerkenswert scheint 
mir noch der Befund einer grossen, schönen karyokinetischen Figur 


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12. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


869 


innerhalb des Syncytiums in der äusseren Begrenzung einer peripher 
gelegenen Lacune. 

Peripherwärts vom Spongiotrophoblast erkennt man in sehr be¬ 
grenztem Umkreis die beginnende Umbildung der Stromaelemente zu 
Deoiduazellen. Von einer epithelioiden Lagerung kann jedoch noch keine 
Rede sein. Mitosen sind in diesen hypertrophierenden Zellindividuen 
nur in geringer Zahl vorhanden. Ein nekrotischer Gürtel in der Um¬ 
gebung des Eies — wie im Fall Bryce - Teacher — fehlt vollkommen, 
vielmehr stösst das Syncytium überall an durchaus kernfrische Gebilde. 
Seine Begrenzung gegen das materne, von multinucleären Leukocyten 
spärlich durchsetzte Gewebe erfolgt zum Teil in Bogenlinien — dort wo 
an seiner Peripherie grössere Lacunen gelegen sind — zum Teil strahlt 
es aber in leicht divergierenden Zügen gegen die Schleimhaut aus; die 
Zellkomplexe der beiden Organismen lassen sich jedoch leicht von¬ 
einander abgrenzen. Von einer Zone gegenseitiger Durchdringung fetaler 
und mütterlicher Elemente, einer „Umlagerungszone“ (Peters), kann 
also nicht die Rede sein. Nur an der schon vorher erwähnten Seite des 
Mesoblastpolygons — der excentrischen Embryonalanlage am nächsten —, 
die der basalen Schicht des Cytotrophoblasten fest adhäriert, lässt sich 
die Trennungslinie nicht so ganz leicht ziehen. Wie bekannt, ist ja die 
Unterscheidung von Decidualelementen und einkernigen Abkömmlingen 
des Spongiotrophoblasten häufig — namentlich in älteren Placenten — 
eine etwas heikle Aufgabe. Erwähnung verdient noch die geringe Blut¬ 
menge in der unmittelbaren Umgebung des Eies. 

Eine Zerstörung der Drüsen durch den Trophoblast, wie dies in 
späteren Stadien (Frassi) zweifellos der Fall ist, findet nirgends statt; 
wohl aber sieht man an zwei Stellen auf den fünf Schnitten eine Be¬ 
rührung der beiden Epithelarten, jedoch nooh ohne Beeinträchtigung der 
mütterlichen Zellen. Die Drüsen, die der parallel zur Oberfläche ver¬ 
laufenden Schnittrichtung entsprechend vorwiegend quer getroffen sind, 
zeigen hier nicht die für die Schwangerschaftsdecidua typische Sternform, 
sondern erscheinen rundlich oder oval; die einzelnen Epithelien sind 
recht niedrig, zum Teil breiter als hoch, mit scharfen inneren Konturen, 
weisen aber ein teils basophiles, vielfach in Körnerfäden angeordnetes, 
teils oxyphiles, mehr diffus verteiltes Sekret auf. 

Die vom Ei weiter entfernten, hochgradig aufgelockerten und 
ödematös durchtränkten Schleimbautpartien bieten ein wunderschönes 
Bild prämenstrueller oder richtiger Graviditätsreaktion; Umbildung der 
Stroma- zu Deciduazellen erkennt man jedoch nur in der unmittelbaren 
Umgebung einzelner Schleimhautgefässchen. 

Zusammenfassung. 

Zwischen Menstruation und Ovulation besteht ein festes Ab¬ 
hängigkeitsverhältnis, und zwar geht der Follikelsprung der Blu¬ 
tung durchschnittlich neun Tage voraus. Während das Ei die 
Tube durchwandert, erfolgt die Umbildung der Membraua granu- 
losa des Follikels zum Corpus luteum, dessen epitheliale Natur 
durch die vergleichende Entwicklungsgeschichte, durch das Auf¬ 
finden des nur von Epithelien produzierten Kolloids innerhalb 
der Luteinzellen und den Nachweis direkter Uebergänge er¬ 
wiesen ist. 

Das frische Corpus luteum gibt keine Fettreaktion; erst nach 
Beginn seiner Rückbildung gelingt der Fettnachweis. Das Corpus 
luteum graviditatis gibt während der ganzen Dauer der Schwanger¬ 
schaft so gut wie keine Fettfärbung. Das Corpus albicans ent¬ 
steht unter Zugrundegehen der verfetteten Luteinzellen allein 
durch hyaline Entartung des bindegewebigen Reticulums. Eine 
histologische Differentialdiagnose des Corpus luteum graviditatis 
wird durch den Nachweis von Kolloidtropfen und Kalkconcre- 
menten bei negativem Ausfall der Fettreaktion ermöglicht. 

Der gelbe Körper ist eine periodisch sich bildende Drüse 
mit innerer Sekretion; sie veranlasst die cyklische Umbildung 
des Endometriums zur Decidua — das Ei ist hierzu nicht nötig 

— und ermöglicht so die Nidation; sie bewirkt — als trophisches 
Centrum für den Uterus — ganz allgemein den in den Gene¬ 
rationsjahren erhöhten Turgor des Organs und protegiert so die 
junge Schwangerschaft, und sie verhindert eine neue Eireifung 
während ihrer Funktionsdauer. Die sogenannte Laktationsatrophie 
des Uterus ist keine reflektorische Trophoneurnse, sondern nur 
die Folge der im Puerperium fehlenden Corpus luteum-Neu¬ 
bildung. 

Der Nachweis eines inneren Sekrets des gelben Körpers im 
Reagenzglasversuch durch die Komplementbindungsmethode miss¬ 
lingt, da Hormone niemals zur Antikörperbildung Veranlassung 
geben. 

Versuche, ein Sekret des gelben Körpers durch die vitale 
Färbung nachzuweisen, haben noch zu keinem Ergebnis geführt. 

Die Schwangerschaftstoxikosen einschliesslich der Eklampsie 
entstehen möglicherweise durch eine Unterfunktion von Corpus 
luteum und Nebenniere. 

Die Menstruation stellt — ein Indikator frnstraner Ovulation 

— nur eine Entlastung des hyperämischen Uterus vor; für das 


Zustandekommen der Conception hat sie keine Bedeutung. In 
dem Menstrualblut ist vielleicht die Nährflüssigkeit für das Ei, 
die beim Abbau des Nestes abfliesst, zu sehen. Brunst und Men¬ 
struation sind entwicklungsgeschichtlich und physiologisch prin¬ 
zipiell verschiedene Erscheinungen. 

Als geeignetster Termin für die natürliche wie für die künst¬ 
liche Befruchtung ergibt sich der zehnte Tag vor dem berechneten 
Eintritt der neuen Periode. 

Zur Implantation gelangt stets das Ovulum der zuerst aus¬ 
bleibenden Regel; eine postmenstruelle Einbettung gibt es nicht. 
Die Nidation erfolgt durch aktives Eindringen des Eichens zwischen 
zwei Drüsenmündungen. Beide Komponenten des Trophoblasts 
sind fetaler Natur. Capillarendothel und Drüsenepithel verhalten 
sich rein passiv. 


Aus der medizinischen Klinik in Göttingen. 

Zur Frage der Oxalsäurebildung und -aus- 
scheidung beim Menschen. 

Von 

L. Lichtwitz und W. Thömer. 

In der Lehre des Oxalsäurestoffwechsels ist die Unzerstör¬ 
barkeit der Oxalsäure jenseits der Darmwand eine der wenigen 
vollkommen gesicherten Tatsachen. Unzweifelhaft ist ferner, dass 
die Oxalsäure ein normales Endprodukt des Stoffwechsels ist. 
Aber bereits in der Frage nach ihren Muttersubstanzen im Hunger- 
zustand besteht keine volle Einigkeit. Noch grösser sind die 
Differenzen bezüglich der Bildung der Oxalsäure aus den Nähr¬ 
stoffen. 

Unsere Untersuchungen wurden in der Absicht unternommen, 
spärliche Beobachtungen über einige Punkte des Oxalsäureproblems 
zu ergänzen. 

Nach einem Befund von Mohr und Salomon 1 ) kann bei 
Icterus eine Erhöhung der Oxalsäureausscheidung im Harn be¬ 
stehen. Klemperer und Tritschler 2 ) fanden beim Hund nach 
Verfütterung von 2 g glykocholsaurem Natrium eine Vermehrung 
der Oxalsäure. Da nach den übereinstimmenden Untersuchungen 
von Lommel 8 ), Stradomsky 4 ), Mohr und Salomon der Leim 
ein Oxalsäurebildner ist, haben Klemperer und Tritschler das 
Glykokoll auf seine Fähigkeit, in Oxalsäure überzugehen, untersucht. 
Von ihren vier Versuchen ist nur in Fall 2 ein deutlicher positiver 
Erfolg eingetreten. In zwei Versuchen am Menschen ist die nach 
Glykokoll eingetretene Steigerung von 16,0 mg am Vortag, 16,6 mg 
am Glykokolltag, 15,9 und 19,1 mg an den beiden Nachtagen 
bzw. von 20,9 mg am Vortag, 22,3 mg am Glykokolltag, 23,4 
und 20,3 mg an den beiden Nachtagen nicht überzeugend. In 
einem Versuch am Hund trat nach subcutaner Injektion von 
500 mg Glykokoll eine erhebliche, aber mit starken Schwankungen 
einhergehende Steigerung der Oxalsäureausscheidung ein, die nach 
drei Wochen noch bestand, während dieser Zeit zu einer höheren 
Mehrproduktion von Oxalsäure führte, als aus dem Glykokoll 
entstehen kann und demnach mit diesem sicher nicht in Zusammen¬ 
hang stand. 

Satta und Gastaldi 6 ) haben bei einer Nachprüfung der 
Glykokollwirkung am Hund ein durchaus negatives Resultat 
gehabt. In einer soeben erschienenen Mitteilung bestätigt 
Wegrzynowski 6 ) die Beobachtung von Klemperer und 
Tritschler. Aber auch in diesem Versuch ist die Steigerung 
nach grossen Dosen Glykokoll (10 und 17 g bei einem 18 kg 
schweren Hund) sehr gering (Maximum der Vorperiode 18 mg, 
Maximum der Hauptperiode 22 mg). 

Wir haben den Einfluss des Glykokolls auf die Oxalsäure¬ 
ausscheidung gelegentlich der Untersuchungen an Ikterischen und 
an einem Normalen gemacht. Zugleich haben wir einige Male 
die Wirkung von Gelatine beobachtet. 

Die Oxalsäure wurde nach der Methode von Salkowski 
bestimmt. Die konstante Diät war nicht völlig frei von Oxalsäure, 
da sonst den Ikterischen bei gleichzeitigem Ausschluss des Fettes 
eine zu einförmige Kost gereicht worden wäre. (Tabelle 1.) 

1) Archiv f. klin. Med., 1901, Bd. 70, S. 486. 

2) Zeitschr. f. klin. Med., 1902, Bd. 44, S. 337. 

3) Archiv f. klin. Med., 1899, Bd. 63, S. 599. 

4) Virchow’s Archiv, 1901, Bd. 163, S. 304. 

5) Archiv p. 1. science m6d., 1908, Nr. 3 u. 4. 

6) Zeitschr. f. physiol. Chemie, 1913, Bd. 83, S. 112. 

3 


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870 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 19. 


Tabelle 1. 

Pat. W. Icterus oatarrhalis. 


Datum 

1912 

Harnmenge 

Oxalsäure pro die 

mg 

Bemerkungen 

23. V. 

440 

13,5 

Nachtharn, Stuhl acholisch. 

24. V. 

1050 

24,3 

— 

25. V. 

1642 

38,6 

— 

26. Y. 

1800 

29,8 

— 

27. V. 

1240 

26,9 

— 

28. V. 

1400 

34,4 

— 

29. V. 

1360 

27,0 

— 

30. Y. 

1246 

26,7 

Icterus nimmt ab. 

31. V. 

1800 

30,0 

— 

l.VI. 

1350 

19,0 

Kein Icterus mehr 

2. VI. 

1400 

13,0 

Gallenfarbstoffprobe negativ. 

3. VI. 

2040 

15,5 

— 

4. YI. 

1860 

19,7 

— 

5. YI. 

2670 

30,1 

Gemischte Kost. 

6. YI. 

— 

— 

— 

7. VI. 

1985 

29,8 



Io diesem Kalle war während des Icterus die Oxalsäure¬ 
ausscheidung erheblich gesteigert, nach Abklingen des Icterus 
normal. Der Einfluss der Roständerung ist deutlich. 


Tabelle 2. 

Pat A. Icterus bei Ulcus duodeni. 


Datum 

1912 

Harn menge 

Oxalsäure pro die 

mg 

Bemerkungen 

;. v. 

650 

10,3 

Nicht volle Tagesmenge. 

k Y. 

1220 

29,1 

Harn ikterisch. 

25. V. 

1500 

8,7 

Harn hell. 

26. V. 

— 

— 

— 

27. V. 

750 

14,0 

Harn hell. 


Der Patient kam erst kurz vor dem Aufhören seines Icterus 
zur Beobachtung. Das Abfallen der Oxalsäurewerte mit dem Ab¬ 
klingen des Icterus ist deutlich. 


Tabelle 3. 

Pat. K. Icterus catarrhalis. 


Datum 

1912 

Harn menge 

Oxalsäure pro die 
mg 

Bemerkungen 

15. VI. 

1080 

18,6 

Stuhl nioht acholisch. 

16. VI. 

700 

14,8 

— 

17. YI. 

700 

15,0 

— 

18. YI. 

940 

19,0 

Harn heller. 

19. YI. 

750 

5,0 

Ham ist nicht mehr 
ikterisch. 

20. YI. 

450 

7,0 

— 


Der Gallenabschluss vom Darm war bei dieser Patientin kein 
vollständiger. 

Die Oxalsäureausscheidung liegt erheblich niedriger. Der 
Abfall mit dem Abklingen des Icterus tritt hervor. 


Tabelle 4. 

Pat. P. Steinverschluss des Ductus choledochus. Starker 
Icterus. 


Datum 

1912 

Harnmenge 

Oxalsäure pro die 

mg 

Bemerkungen 

20. VII. 

1000 

16,7 

Stuhl acholisch. 

21. VII. 

1040 

15,5 

— 

22. VII. 

1250 

23,3 

— 

23. VII. 

1450 

15,0 

29 Glykokoll. 

24. VII. 

1350 

24,6 

Heftiger Schmerzanfall. Urin 
danach bedeutend heller, 
enthält Urobilin. Icterus ge¬ 
ringer. Auf Einlauf gefärbter 
Stuhl. 

25. VII. 

1270 

12,8 


26. VII. 

930 

8,4 

2 g Glykokoll. 

27. VII. 

1400 

16,0 

Stuhl leidlich gefärbt. 


Die Oxalsäureausscbeidung ist sehr unregelmässig. Sie über¬ 
schreitet nur an zwei Tagen ein wenig die Norm. 2 g Glykokoll 
bewirken keine Steigerung. 


Bei dem Rolikanfall am 24. wird der Choledochus frei. Die 
Oxalsäureausscheidung nimmt gleichzeitig ab. 


Tabelle 5. 

Pat. G. Icterus gravis (Carcinoma hepatis?). 


Datum 

1912 

Haramenge 

Oxalsäure pro die 

mg 

Bemerkungen 

6. VII. 

1050 

32,5 

Stuhl ist acholisch. 

7. VII. 

1425 

30,4 

— 

8. VII. 

1660 

36,0 

— 

9. VII. 

1760 

28,2 

4 g Glykokoll. 

10. VII. 

1900 

36,0 

— 


Die Oxalsäureausscheidung ist deutlich erhöht. 4 g Glykokoll 
sind ohne Einfluss. 

Tabelle 6. 


Pat. Sehr. Icterus catarrhalis. 


Datum 

1912 

Harnmenge 

Oxalsäure pro die 

mg 

Bemerkungen 

22. VII. 

1200 

30,0 


23. VII. 

1300 

31,0 

— 

24. VII. 

1160 

31,2 

5 g Glykokoll. 

25. VII. 

1170 

24.4 

— 

26. VII. 

1120 

25,5 

Icterus nimmt ab. Stuhl 
etwas gefärbt. 

27. VII. 

860 

25,7 

20 g Gelatine. 

28. VII. 

1220 

25,0 

Urin hell. 

29. VII. 

1050 

23,1 

— 

30. VII. 

1050 

32,0 

40 g Gelatine. \ TT • 
Stuhl gefärbt. Harn “ 

enthält Urobilin. ) ne,L 

31. VII. 

1030 

34,0 

l.VIII. 

1270 

27,0 

— 


Die Oxalsäureausscheidung ist erhöht. Sie sinkt mit dem 
Abklingen des Icterus auf Werte, die immer noch etwas über der 
Norm liegen. 5 g Glykokoll sind ohne Einfluss, ebenso 20 g 
Gelatine (= etwa 2,5 g Glykokoll). 40 g Gelatine (= 5 g Glyko¬ 
koll) bewirken eine deutliche Steigerung. 

Tabelle 7. 


Pat. L. Cholelithiasis. 


Datum 

1912 

Harn menge 

Oxalsäure pro die 

mg 

Bemerkungen 

28. VIII. 

750 

17,8 


29. VIII. 

1000 

17,4 

Stuhl acholisch. 

30. VIII. 

650 

13,4 

— 

31. VIII. 

630 

9,7 

— 

1. IX. 

1050 

13,0 

5 g Glykokoll. 

2. IX. 

1380 

16,8 

— 

3. IX. 

1010 

20,0 

40 g Gelatine. 

4. IX. 

153Ö 

15,4 

Bilirubin schwach Stuhl 

leicht gefärbt. 

5. IX. 

1200 

14,0 

Bilirubin —. 

6. IX. 

700 

18,0 

— 


Die Oxalsäureausscheidung ist niedrig und unregelmässig. 
5 g Glykokoll sind ohne Einfluss. Nach 40 g Gelatine der höchste 
Wert, aber kein überzeugendes Resultat, das vielfach durch das 
Abklingen des Icterus verdeckt ist. Auch das Abfallen der Oxal¬ 
säureausscheidung mit dem Schwinden des Icterus tritt nicht 
hervor. 

Tabelle 8. 


M. normal. 


Datum 

Harnmenge 

Oxalsäure pro die 

Bemerkungen 

1912 


mg 


29. VIII. 

1450 

44,4 

noch gemischte Kost 

30. VIII. 

1350 

20,0 

31. VIII. 

1490 

25,0 


l.IX. 

1940 

20,0 

4 g Glykokoll 

2. IX. 

1120 

18,0 

3. IX. 

1520 

29,0 

40 g Gelatine 

4. IX. 

1238 

28,0 

5. IX. 

950 

23,0 


6. IX. 

1330 

20,5 



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12. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


871 


4 g Glykokoll sind ohne Einfluss. 40 g Gelatine (= etwa 
5 g Glykokoll) bewirken eine deutliche Steigerung, die am 4. Tage 
wieder abgeklungen ist. 

Diese Beobachtungen ergeben, dass die Oxalsäureausscheidung 
bei Abschluss der Galle vom Darm in der Mehrzahl der Fälle 
erhöht ist und gleichzeitig mit dem Durchgängigwerden des 
Gallengangs zu normalen Werten absinkt. Glykokoll, in Mengen 
von 2—5 g per os gereicht, hat in 6 Versuchen nicht zu einer 
Steigerung der Oxalsäureausscheidung geführt. Die von allen 
Autoren übereinstimmend beobachtete Wirkung der Gelatine ist 
auch in diesen Versuchen eingetreten. 

Wenn aber das Glykokoll nicht als Muttersubstanz der Oxal¬ 
säure anznsehen ist, so ist auch die Hypothese von Klemperer 
und Tritschler, dass die Glykocholsäure über das Glykokoll 
im Darm Oxalsäure bildet, hinfällig. Da nach einem Versuch 
dieser Autoren die subcutane Zuführung von glykocholsaurem 
Natrium beim Hund zu einer Steigerung der Oxalsäureausscheidung 
nicht führt, also ein intermediärer Abbau der Gallensäure in dieser 
Richtung nicht nachzuweisen ist, so müsste, wenn die Auffassung 
von Klemperer und Tritschler richtig wäre, bei Icterus die 
Oxalsäureausscheidung geringer sein als in der Norm, 

Das entgegengesetzte Verhalten drängt zu der Auffassung, 
die nicht neu ist, dass die Oxalsäureausscheidung nicht allein 
durch den Harn, sondern auch durch die Galle erfolgt. Sal- 
kowski 1 ) hat in Rindergalle 21,65mg Oxalsäure pro Liter gefunden. 
Wir haben in einer kleinen Portion der Leiche entnommener 
menschlicher Galle vergeblich nach Oxalsäure gesucht. Zu einer 
Analyse grösserer Mengen frischer Galle fehlte bisher das Material. 
Aber die oben mitgeteilten Beobachtungen, dass mit dem Wegsam- 
werden des Ductus choledochus die Oxalsäureausscheidung im 
Harn sofort absinkt, lassen eine andere Deutung, als dass die 
Leber sich an der Ausscheidung der Oxalsäure beteiligt, kaum 
zu. Dass endogene Oxalsäure in den Darm abgesondert wird, 
geht auch aus Untersuchungen hervor, über die Noorden 2 ) 
berichtet. Man hat gefunden, dass bei Milchdiät die niedrigsten 
Oxalsäurewerte (2—4 mg pro die) im Harn zu finden sind. Da 
die endogene Oxalsäurebildung sicher grösser ist, so ist aus dieser 
für die Therapie wichtigen Beobachtung zu entnehmen, dass ein 
Teil der im Körper gebildeten Oxalsäure in den Darm gelangt 
und bei Anwesenheit von Kalk in grösseren Mengen (Milchdiät) 
durch Bildung des unlöslichen Kalksalzes der Resorption und 
damit der Ausscheidung durch die Nieren entgeht. 

Zweifellos kommt dem Kalkgehalt der Nahrung ein grosser 
Einfluss auf die Resorption der Oxalsäure und ihre Ausscheidung 
im Harn zu. ln dem Kalkgebalt der Nahrung und der Absonderung 
der Oxalsäure (durch die Galle?) in den Darm ist vielleicht der 
Grund für die grossen Differenzen zu suchen, die io den Unter¬ 
suchungen über den Oxalsäurestoffwechsel bestehen. 

Ein solcher Differenzpunkt ist die Bildung von Oxalsäure 
aus Kohlehydraten. Während die Mehrzahl der Autoren einen 
solchen Zusammenhang ablehnt, kommen andere zu dem entgegen¬ 
gesetzten Ergebnis. Wegrzynowski 3 ) hat in methodisch ein¬ 
wandfreien Versuchen dargetan, dass Kaninchen, Hund und Mensch 
bei Hafermehlfütterung und noch mehr bei Hafermehl -f- Zucker 
eine höhere Oxalsäureausscheidung haben. Der Autor zieht aber 
nicht den Schluss, dass aus dem Zucker nach der Resorption 
Oxalsäure wird (was bei allem, was wir über den intermediären 
Zuckerabbau wissen, als ausgeschlossen gelten kann), sondern 
dass die Mikroorganismen des Darmes an der beobachteten Stei¬ 
gerung der Oxalsäureausscheidung schuld sind. Auf diesen Zu¬ 
sammenhang ist wohl zuerst von Minkowski 4 ) hingewiesen 
worden. Dass gerade bei Hafermehlfütterung eine Aenderung der 
Darmflora eintritt, stimmt gut zu den Untersuchungen von Klotz 5 ) 
über den Abbau der Haferstärke. So wird es vielleicht möglich 
sein, umgekehrt aus der Aenderung der Oxalsäureausscheidung 
auf eine Veränderung in dem Verhalten der Darmflora zu schliessen. 
Für die diätetische Therapie des Diabetes mellitus und für wichtige 
Fragen aus dem Gebiet der Säuglingsernährung wäre ein solches 
Kriterium von Interesse. 

Es darf als sicher gelten, dass beim Diabetes mellitus die 
endogene Oxalsäureausscheidung nicht erhöht ist. Es gibt aber 


1) Diese Wochenschr., 1900, S. 434. 

2) In Krause und Garr&, Lehrbuch der Therapie innerer Krank¬ 
heiten, 1911, II. Bd., S. 194. 

3) Zeitscbr. f. physiol. Chemie, 1918, Bd. 83, S. 112. 

4) v. Leyden, Handbuch der Ernährungstherapie, 1904. 

5) Die Bedeutung der Getreidemehle für die Ernährung, Berlin, 
bei Julius Springer, 1912. 


in der Literatur zwei Fälle, die sich dieser Anschauung nicht 
einfügen. Fürbringer 1 ) fand bei einem Diabetiker eine ganz 
ungeheure Vermehrung der Oxalsäureausscheidung im Harn und 
gleichzeitig Oxalatkristalle im Sputum. Naunyn 2 ) berichtet 
über einen von Kausch beobachteten Diabeteskranken, der mehr 
wie 1000 mg Oxalsäure in 24 Stunden abgab. Eine ausführliche 
Publikation dieses Falles scheint nicht erfolgt zu sein. Der 
Patient Fürbringer’s hatte aber eine Pneumomykose. Bei der 
Sektion wurde in der Lunge ein Brandherd mit einem fruktifi- 
zierenden Mycel von Aspergillus niger gefunden. Von dem 
Aspergillus niger ist bekannt, dass er bei Gegenwart von Kalk¬ 
salzen aus Zucker Oxalsäure bildet. Es kann gar keinem Zweifel 
unterliegen, dass bei diesem Patienten das Oxalat des Sputums 
ein Produkt des Pilzes war, und es ist mehr wie wahrscheinlich, 
dass die grosse Steigerung der Oxalsäureausscheidung im Harn 
mit dieser „Symbiose“ zusammenhing. Dieser Fall kann in 
diagnostischer Hinsicht sehr lehrreich sein. Im übrigen ist er 
ein neuer Beweis der Bedeutung, die den Mikroorganismen für 
den Oxalsäurestoffwechsel zukommt 3 ). 

Klemperer und Tritschler haben gefunden, dass das 
Kreatinin ein Oxalsäurebildner ist. Kreatin und Kreatinin kommen in 
den Muskeln der Vertebralen in wechselnder Menge, in grösster 
bei Vögeln vor [Hammarsten 4 )]. Nach Monari steigt der 
Gehalt der Muskeln an diesen Stoffen bei der Arbeit. Aus 
diätetischen Gründen ist es daher interessant zu wissen, wie das 
Fleisch während einer Muskelarbeit getöteter Vögel auf die Oxal¬ 
säureausscheidung wirkt. Solche Vögel sind u. a. Rebhühner. 

Der eine von uns (Th.) hat einen Selbstversuch ausgeführt, 
der durch Aufnahme von 2 Litern Culmbacher Bier am letzten 
Tage der Einstellung auf eine konstante Kost leider an Ueber- 
sichtlichkeit verloren hat. 

Tabelle 9. 


Datum 

1912 

Harnmenge 

Oxalsäure pro die 

mg 

Bemerkungen 

4. IX. 

2300 

37 

Potus! 

5. IX. 

1200 

28 

4 gebratene Rebhühner 

6. IX. 

1600 

31 

3 „ 

7. IX. 

1150 

27,4 


8. IX. 

1300 

27,0 


9. IX. 

1550 

30,0 

freie Kost 


Ein deutlicher Einfluss ist also nicht zu bemerken. 


Zusammenfassung. 

1. In der Mehrzahl der Fälle von Icterus besteht eine er¬ 
höhte Oxalsäureausscheidung im Harn. 

2. Gleichzeitig mit dem Durchgängigwerden des Ductus 
choledochus sinkt die Oxalsäureausscheidung durch die Nieren. 

3. Aus diesem Verhalten und aus Beobachtungen anderer 
Autoren kann auf eine Ausscheidung der Oxalsäure durch die 
Galle geschlossen werden. 

4. 2—5 g Glykokoll bewirkt beim ikterischen und normalen 
Menschen keine Vermehrung der Oxalsäure im Harn. 

5. Leim ist ein Oxalsäurebildner. 

6. Die Beobachtungen von Wegrzynowski weisen von 
neuem auf die Bedeutung der Darmflora für die Oxalsäurebildung 
hin. Aus dem Fall Fürbringer’s ist diese Wirkung von Mikro¬ 
organismen (Aspergillus niger in der Lunge) mit grosser Deut¬ 
lichkeit zu ersehen. 

7. Gebratene Rebhühner führen nicht zu einer Vermehrung 
der Oxalsäureausscheidung. 

Göttingen, 4. Februar 1913. 


Zur Chemie der Zelle. 

Von 

P. 6. Uina. 

II. Kernkörperchen. 

Die Kernkörperchen werden heutzutage wohl von allen 
Anatomen, Zoologen und Botanikern vom übrigen Kern streng 

1) Deutsches Arch. f. klin. Med., 1875, Bd. 16, S. 499. 

2) Der Diabetes mellitus, Wien 1898. 

3) Herr Kausch teilt brieflich mit, dass sein Patient keine Asper¬ 
gillusinfektion hatte. 

4) Lehrbuch der physiol. Chemie. 

3* 


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872 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 19. 


geschieden. Schon Flemming nahm einen wesentlichen Unter¬ 
schied zwischen Kernchromatin uod Nucleolensubstanz (Nucleolin) 
an and wies darauf hin, dass frische Kerngerüste in destilliertem 
Wasser blasser, die Kernkörperchen dagegen stärker lichtbrechend 
werden 1 ). Strassburger gegenüber, der Uebergänge zwischen 
beiden Substanzen sehen wollte, betonte dann Zacharias mit 
Entschiedenheit, dass alle Lösnngs- und Pärbungserscbeinungen 
beim Chromatin und Nucleolin durchaus verschieden seien. Indem 
er seine sehr ausgedehnten und sorgfältigen Untersuchungen über 
Pflanzenkerne 2 ) mit Flemming’s Beobachtungen an tierischen 
Kernen zusammenfasste, schuf er das heute noch geltende System 
der Differenzierung zwischen Kernchromatin und Nucleolen- 
substanz, aus dem wir dasjenige, was für unsere weiter fort¬ 
geschrittene Technik der Untersuchung von Bedeutung ist, heraus¬ 
heben wollen: 

1. In Wasser blasst Chromatin ab, während Nucleolin stärker 
lichtbrechend wird. 

2. In 0,1—0,3 HCl quillt Nucleolin, nicht Chromatin, welches 
stärker lichtbrechend wird. 

8. ln Pepsin -J- HCl wird Chromatin ebenfalls stärker licht¬ 
brechend, Nucleolin quillt, wird blasser und löst sich teil¬ 
weise auf. 

4. In Trypsin und in Alkalien ist dagegen Chromatin leicht, 
Nucleolin schwerer löslich. 

5. In 10 proz. Kochsalzlösung quillt Cbromatin bloss, während 
sich Nucleolin zum Teil löst. 

6. In 15 proz. HCl löst sich Chromatin, Nucleolin dagegen 
nicht. 

Dazu kamen dann noch einige tinktorielle Differenzen, von 
denen die wichtigste ist: 

7. Chromatin färbt sich in Methylgrün -f- Essigsäure grün, 
Nucleolin nicht. 

Eine andere Differenz zwischen Kern und Kernkörperchen, 
welche Zacharias gegenüber der Carminfärbung auffand, dass 
nämlich die Nucleolen nur von einer neutralen (ammoniak¬ 
löslichen), das Chromatin von einer mit Essigsäure angesäuerten 
Carminlösung stark gefärbt werden, lässt sich heute bei der 
allgemeinen Verschlechterung des Carmins nicht mehr gut be¬ 
nutzen und konnte wohl nur aus diesem Grunde von mir nicht 
bestätigt werden. 

Sämtliche anderen Methoden der Differenzierung, die mehr 
oder weniger starke Quellung oder Lichtbrechung bei der Behand¬ 
lung mit Säuren, schwachen Alkalien und alkalischen Salzen 
haben beute nur noch den historischen Wert, dass sie ihrer Zeit 
die Lehre von Zacharias mit begründen halfen, dass das Kern¬ 
körperchen nicht etwa nur ein Reservestoff für den Kern, sondern 
dass Kern und Kernkörperchen zwei chemisch durchaus ver¬ 
schiedene Organe der Zelle sind. Jene Reagentien lassen 
sich wohl an frischen Pflanzenzellen anwenden, treten aber für 
unser Material und die heutige Technik hinter anderen Methoden 
zurück. 

Das Wesentliche, was Zacharias ausserdem in bezug auf 
die Kernkörperchen auffand, war ihr Eiweissgehalt. Es ver¬ 
dient das besonders hervorgehoben zu werden, da wir heute ge¬ 
wohnt sind, gegen das Vorkommen genuiner Ei weisskörper in der 
Zelle sehr skeptisch zu sein. Zacharias bewies das Vorkommen 
von Eiweiss zunächst durch die Abnahme des in ammoniakaliscbem 
Garmin färbbaren Anteils bei der Verdauung mit Pepsin -|- HCl 
und bei der Behandlung mit 10 proz. Kochsalzlösung. Er hielt 
den hiernach von den Nucleolen übrigbleibenden Rest für das 
Reinke’sche Plastin. Es gelang ihm dann auch, durch die vou 
ihm selbst ersonnene Eiweissfärbung mit einer Folge von Ferro- 
cyaokalium’ -f- Essigsäure und Eisenchlorid in den Nucleolen Ei¬ 
weiss in Form eines blauen Gerüstes und blauer Körnchen nach¬ 
zuweisen. 

Endlich hat Zacharias auch das Verdienst, auf eine morpho- 
logisch-tinktorielle Verschiedenheit im Kernkörperchen selbst auf¬ 
merksam gemacht zu haben. Er konnte in Wasser, Alkohol und 
in 5 proz. Essigsäure an grösseren Kernkörperchen zwei Teile 
unterscheiden, einen centralen, stärker lichtbrechenden und in 
neutraler Carminlösung stärker färbbaren und einen peripheren, 
schwächer lichtbrechenden und in derselben Carminlösung schwächer 
färbbaren. 


1) Zellsubstanz, S. 140. 

,,2) Botanische Zeitung, 1882—1887. 


Die schon von Tan gl (1882) bervorgehobene Tatsache, dass 
die Kernkörperchen bei der Mitose in das Protoplasma aus- 
gestossen werden 1 ), vertritt auch Zacharias. Um das Wieder¬ 
auftreten der Kernkörperchen nach der Mitose in den Tochter¬ 
zellen zu erklären, nimmt er an, dass die Plastingrundlage im 
Kern bei der Mitose erhalten bleibt, sich ebenfalls teilt und die 
Hälften sich später wieder mit Eiweiss anreichern. 

Wir sind heute in der Lage, die Thesen von Zacharias 
über das Kernkörperchen mittelst einer verbesserten und ein¬ 
facheren Technik fast alle bestätigen zu können, so die teilweise 
Löslichkeit- desselben in konzentrierter Kochsalzlösung und Pepsin 
+ Salzsäure sowie seine Unlöslichkeit in Wasser. Nur in einem 
allerdings sehr wichtigen Punkte muss die Lehre von Zacharias 
ergänzt und verbessert werden; er glaubte, die Anwesenheit von 
Nuclein im Kernkörperchen ausschliessen zu können, weil alle 
seine Reagentien erhebliche Unterschiede zwischen Kern und 
Kernkörpereben ergaben. Für die Kernkörperchen (der tierischen 
Gewebe wenigstens) müssen wir jedoch unbedingt die Anwesen¬ 
heit von Nuclein auch im Kernkörperchen behaupten. 
Der Beweis dieses Satzes ist leicht zu führen, da wir im (ge¬ 
reinigten) Methylgrün ein Mittel haben, Nuclein (und Nuclein- 
säure) von allen anderen Zelleiweissen sicher zu unterscheiden. 

Am besten eignen sich für diese Versuche in Alkohol fixierte und 
in Celloidin eingebettete spitze Condylome oder Hautcarcinome. Die 
Schnitte kommen zur Beseitigung der Lipoide eine Stunde in der Warme 
in ein geschlossenes Gläschen, das mit gleichen Teilen von absolutem 
Alkohol und Aether gefüllt ist, sodann in die 2 proz. gereinigte 
Methylgrünlösung. Die Reinigung der Methylgrünlösung muss kurz 
zuvor nach Paul Mayer mit Chloroform im Scheidetrichter vorgenommen 
werden, wodurch das verunreinigende, ei weissfärbende Methylviolett be¬ 
seitigt wird. Die gefärbten Schnitte werden in mit Essig angesäuertem, 
destilliertem Wasser abgespült, in einem Gemisch von absolutem Alkohol 
und Trichloressigsäure (2000: 1) rasch (ca. Va Minute) entwässert und 
durch eine Mischung von Xylol und Bergamottöl zu gleichen Teilen in 
Balsam gebracht. Der Trichloressigsäurezusatz beseitigt eventuell vor¬ 
handene letzte Reste von Methyl violett. 

So behandelte Schnitte zeigen in ungefärbtem Protoplasma 
dunkelgrüne Mitosen, eine ungefärbte Kerngrundsubstanz mit 
grünem Cbromatingerüst und grünen Kernkörperchen. Die¬ 
selben sind in homogener Weise methylgrün gefärbt mit stärkerer 
Färbung des Aussenrandes. Die dunkelgrün gefärbten Kerne der 
Plasmazellen des Bindegewebes weisen auch grün gefärbte Nucleolen 
auf, die allerdings weit schwächer gefärbt sind als die Chromatin¬ 
brocken dieser Kerne. 

Nuclein ist aber nicht die einzige und nicht einmal die 
hauptsächlichste saure Eiweisssubstanz der Kernkörperchen, was 
seit der Einführung der Pappenheim-Unna-Färbung allgemein be¬ 
kannt ist; denn mit dieser färben sich die Kernkörperchen 
bekanntlich nicht grün wie die übrige Kernsubstanz, sondern rot. 
Zur Sicherung dieses wichtigen Restultats im mikrochemischen 
Sinne bedarf aber auch diese Methode einiger Modifikationen; 
ich nenne die so veränderte, schärfere Methode, um späteren 
Unklarheiten vorzubeugen: die Nuclein-Nucleolinmethode*). 

Die Celloidinschnitte von spitzem Condylom, Hautcarcinom usw. 
werden erst (wie oben) sorgfältig entfettet. Die Farbmischung wird mit 
vor kurzem gereinigtem Methylgrün frisch angesetzt (Methylgrün 0,15 g 
+ Pyronin 0,25 g + 96 proz. Alkohol 2,5 g -f- Glycerin 25,0 g -f- 
0,5 proz. Carbolwasser ad 100 g). In diese kommen die Schnitte bei 
Zimmertemperatur 20—80 Minuten, werden in schwach mit Essigsäure 
angesäuertem destillierten Wasser abgespült, in Aloohol. absolut, -f- Tri¬ 
chloressigsäure (2000:1) zugleich entfärbt und entwässert und durch 
Bergamottöl + Xylol zu gleichen Teilen in Balsam gebracht. Gut ge¬ 
lungene Schnitte dürfen mit blossem Auge nicht gleichmässig blaurot 
aussehen; sie müssen eine gemischte grünlich-rötliche Färbung zeigen. 

Die so gefärbten Schnitte beweisen mit Sicherheit, dass in 
den Nucleolen auch eine vom Nuclein vollständig ver¬ 
schiedene, saure, mit Pyronin färbbare Eiweisssubstani 
vorhanden ist, und dass diese Substanz in ihnen sogar bedeutend 
vorwiegt. Denn nicht nur sind die Kernkörperchen diejenigen 
Elemente der Schnitte, welche am stärksten pyroninrot hervor¬ 
treten, beispielsweise noch stärker als das pyroninrote Grano- 
plasma der Plasmazellen, sondern das Pyronin hat auch das 
Methylgrün vom Kernkörperchen ferngehalten bzw. verdrängt, so 
dass nicht einmal dessen stark nucleinhaltige Randpartie grün ge- 


1) Denkschriften der Wiener Akademie: Mathemat.-naturwissenschaftl. 
Klasse, Bd. 45. 

2) Unna, Biochemie der Haut, S. 8. Jenal913t Fischer.. 


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12. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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färbt ist. Die Nacleolen der Plasmazellen sind schwächer gefärbt 
als die der Epithelien. Demgegenüber bilden die dunkelgrünen 
Mitosen, das dunkelgrüne Chromatin der Epithelien und Plasma¬ 
sellen die Beweisstücke dafür, dass bei dieser Methode alles 
Nuclein grün gefärbt ist, wo es nicht mit anderen sauren Eiweiss¬ 
körpern im Ueberschuss gemischt vorkommt wie eben in den 
Kernkörperchen. 

Die Nuclein-Nucleolinmethode zeigt also, dass Zacharias 
mit seiner Lehre insoweit vollkommen im Recht war, als die 
Kernkörperchen eine Eiweisssubstanz reichlich enthalten, die vom 
Nuclein ganz verschieden ist; sie zeigt aber, dass daneben Nuclein 
doch in ihnen vorkommt, wenn auch in geringerer Menge als im 
Chromatin. Hätte Zacharias bereits unsere heutige Färbe¬ 
technik besessen, so hätte er diesen Sachverhalt ebenso leicht 
feststellen können; ja, diese Erkenntnis wäre ihm sogar sympa¬ 
thischer gewesen, als sich aus seinen Worten so ohne weiteres 
schliessen lässt. Denn, wie schon erwähnt, hat Zacharias 
bereits in grösseren Kernkörperchen zwei verschiedene Substanzen 
entdeckt, eine centrale und eine periphere. Die centrale Substanz 
ist in Wasser und Alkohol unlöslich und stärker lichtbrechend 
und ist in Kochsalzlösung vorzugsweise löslich. Diese Attribute 
passen alle auf unsere pyroninophile Hauptsubstanz der Kern¬ 
körperchen. Die periphere dagegen ist weniger lichtbrechend in 
Wasser und Alkohol und geht offenbar auf das besonders an der 
Peripherie der Kernkörperchen angehäufte Nuclein. Denn im 
Gegensatz zu den reinen Nucleinbildern färbt sich die Randpartie 
der pyroninroten Kernkörperchen nicht stärker als die centrale; 
diese Randpartie enthält also einerseits relativ mehr Nuclein, 
andererseits aber nicht mehr pyroninophile Substanz als die Mitte. 
Es besteht also tatsächlich eine Differenz zwischen Mitte und 
Randsaum des Kernkörperchens, wie Zacharias richtig gesehen 
hat, und gerade diese wird durch Ansammlung von Nuclein in 
letzterem bewirkt. 

Die Nuclein-Nucleolinmethode bestätigt schliesslich auch noch 
die von Tangl und Zacharias aufgestellte Lehre, da«s bei der 
Kernteilung die Kernkörperchen sich vom Kerne vollständig 
trennen, der Mitosenbilducg fern bleiben und erst in den Tochter¬ 
kernen wieder auftreten. Sie ergänzt diese Lehre nur in dem 
einen wichtigen Punkte, dass das Nucleolin, wenn auch getrennt 
vom Kern, während der Mitosenbildung als Substanz erhalten 
bleibt. Zacharias konnte mit seinen einfachen basischen Fär¬ 
bungen basophiles Chromatin und Nucleolin nicht unterscheiden. 
Er glaubte daher, dass das Nucleolin während der Mitosenperiode 
bis auf die Plastingrundlage verschwände, dass diese unfärbbar 
erhalten bliebe, sich mit dem Chromatin in zwei Hälften teile 
und in den Tochterkernen erst durch Speicherung von Eiweiss 
wiederhergestellt und tinktoriell nachweisbar würde. Nun be¬ 
stätigen aber besonders die grossen Kernteilungsbilder des Car- 
cinoms in vollkommen überzeugender Weise 1 ) die Ansicht von 
Tangl, dass die Kernkörperchensubstanz mit normaler Färbbar¬ 
keit erhalten bleibt. Sie zeigen nämlich, dass entweder das 
(pyroninrote) Nucleolin vor oder nach Schwund der Kernmembran 
aus dem Kern in das Zellprotoplasma wandert, wobei es häufig 
die (grüne) Kernfigur mit (leuchtend roten) Protuberanzen umgibt 
oder sich wie eine Scheidewand zwischen die Tochterkerne schiebt 
oder endlich sich in unregelmässigen Brocken im Protoplasma 
verteilt. Hierbei verlieren die Kernkörpereben ihre regelmässige, 
tropfenförmige Gestalt; sie existieren bei der Kernteilung nicht 
mehr als solche, sondern nur noch als formlose chemische Sub¬ 
stanz und müssen sich demnach in den Tochterkernen wieder von 
neuem bilden. 

Die Kernkörperchen enthalten, wie das bisherige gezeigt hat, 
zwei verschiedene saure, basophile Eiweisssubstanzen, nämlich 
neben einer mässigen Menge Nuclein eine reichliche Menge von 
einem sauren, pyroninophilen, mit Methylgrün nicht färbbaren, 
in Wasser unlöslichen, in Salzlösungen löslichen Eiweisskörper. 

Während das Nuclein, besonders durch Kossel und seine 
Schüler, bereits eingehend erforscht ist, kommt von den baso¬ 
philen Teilen des Nucleolus für uns vor allem diese pyronino¬ 
phile Substanz in Betracht, deren Vorkommen und Eiweissnatur 
bereits Zacharias bekannt war, deren genauere Erforschung 
jedoch bislang nicht in Angriff genommen ist. Mit ihr zu be¬ 
ginnen, empfiehlt sich auch deshalb, weil sie gut färbbar und 
leicht löslich ist; denn die Isolierung jeder Eiweisssubstanz der 


1) Unna, Ueber Pseudoparasiten der Carcinome. Zeitschr. f. 
Krebsforsch., 1905, Bd. 3, H. 2, Taf. 6, Fig. 59-70. 


Zelle ist um so aussichtsreicher, je färbbarer und löslicher 
sie ist 1 ). 

Da bei der Nuclein-Nucleolinmethode ausser den Kernkörper- 
chen stets auch das Granoplasma der Epithelien und Binde¬ 
gewebszellen, insbesondere das der Plasmazellen, pyroninrot 
gefärbt wird, ist unsere nächste Aufgabe, die pyroninophile 
Substanz des Nucleolus mit dem Granoplasma zu vergleichen 
und ihre Identität oder Verschiedenheit festzustellen. Dieselbe 
ist leicht zu lösen, da schon der Aufenthalt der Schnitte in 
warmem, destilliertem Wasser alles Granoplasma aus ihnen heraus¬ 
löst, während das pyroninophile Nucleolin erhalten bleibt und 
sogar noch stärker gefärbt als sonst hervortritt. Das Grano¬ 
plasma besteht, wie neuere Untersuchungen gezeigt haben 1 ), aus 
einer Albumose (Cytose); seine Extraktion durch Wasser ist da¬ 
her selbstverständlich; das pyroninophile Nucleolin ist aber, wie 
dieser einfache Versuch zeigt, nicht mit dem Granoplasma iden¬ 
tisch und überhaupt keine Albumose. Es ist dagegen löslich in 
verdünnter Kochsalz- und Ammonsulfatlösung, in verdünnten 
Alkalien und alkalischen Salzen und in konzentrierten Mineral¬ 
säuren, unlöslich in verdünnten Mineralsäuren und konzentrierten 
Neutralsalzlösungen, in 10 proz. Essigsäure, Trichloressigsäure, 
Lösungen von Gerbsäure, Jodjodkalium, Jodkalium-Jodquecksilber, 
Sublimat, Kupfersulfat und -acetat. 

Vermöge dieser Löslicbkeitsverhältnisse schliesst sich das 
pyroninophile Nucleolin eng den Globulinen an. Es sind nur 
wenige Tatsachen gefunden, welche für einen Unterschied beider 
Substanzen sprechen — so die Unlöslichkeit des pyroninophilen 
Nncleolins in 1 proz. Trichloressigsäure, in Pepsin-Salzsäure, in 
10 proz. Phosphorsäure, in Alaun (1 proz. und 1 prom.) und in 
1 proz. Lösungen von MgS0 4 und ZnS0 4 . 

Diese wenigen Ausnahmen, welche gegen die Zugehörigkeit 
der basophilen Substanz im Kernkörperchen zu deu Globulinen 
sprechen und in dem (im Oktober 1912 abgeschlossenen) Werke: 
Biochemie der Haut 2 ) von mir als solche angeführt worden sind, 
haben sich bei weiterer Verfolgung des Gegenstandes nicht mehr 
aufrecht halten lassen. An jener Stelle wurde bereits die Ver¬ 
mutung geäussert, dass sie nur scheinbare Ausnahmen darstellten 
und auf eine Veränderung der Kernkörperchen durch den Auf¬ 
enthalt in Alkohol zurückzuführen seien, ln der Tat hat seitdem 
die Untersuchung an frischem Material und an Gefrier¬ 
schnitten gezeigt, dass die pyroninophile Substanz des Kern¬ 
körperchens. in den obengenannten Flüssigkeiten genau so lös¬ 
lich ist, wie die Globuline es sind. Es ist ja auch ganz ver¬ 
ständlich, dass die Einbettung in Celloidin die Löslichkeit der 
Kernkörperchen, wenn sie Globuline enthalten, stark beeinflussen 
muss, während sie auf den Gehalt des Protoplasmas an Cytose 
wirkungslos ist, weshalb die Extraktion der ebenfalls pyronino¬ 
philen Cytose auch noch bei alkoholgehärtetem Material vorge¬ 
nommen werden kann. 

Die beiden Zellteile, welche sich bei Anwendung der Nuclein- 
Nucleolinmethode pyroninrot färben: die Cytose im Protoplasma 
und die basophile Substanz im Kernkörperchen zeigen also gerade 
den einfachsten Reagentien gegenüber die grössten Unterschiede, 
entsprechend ihrer Natur als einer Albumose und einem Globulin, 
ln reinem Wasser ist die Cytose löslich, das pyroninophile 
Nucleolin vollkommen unlöslich. In heissem Wasser ist Cytose 
noch stärker löslich als in kaltem, während das pyroninophile 
Nucleolin gerinnt. Verdünnter (80 proz.) Alkohol löst Cytose, 
macht jedoch das Nucleolin unlöslich. 1 proz. Kochsalzlösung 
ist in der Kälte ohne Einfluss auf Cytose, löst dagegen das 
pyroninophile Nucleolin. Auch die Zunahme der Löslichkeit mit 
der Erwärmung im allgemeinen, die der Cytose eigen ist, fehlt 
dem Globulin der Kernkörperchen. 

Andererseits haben beide Eiweisskörper auch wieder manche 
Aehnlichkeiten. Sie sind beide stark sauer, färben sich nur mit 
basischen Farben (Metbylgrün ausgenommen) und sind in ver¬ 
dünnten Mineralsäuren, in verdünnter und konzentrierter Essig¬ 
säure und in konzentrierten Neutralsalzlösungen unlöslich. 

Die verschiedenen Lösungsverhältnisse der Cytose und des 
Globulins der Kernkörperchen machen es also leicht, beide von¬ 
einander zu trennen. Schon die Behandlung mit destilliertem 


1) Genaueres über die Technik der chromolytisohen Analyse der 
Eiweisskörper siehe Unna und Golodetz, Zur Chemie der Haut. X. 
Ueber Granoplasma und eine allgemeine Methode zur mikrochemischen 
Erforschung eiweissartiger Zellbestandteile. Dermatol. Wochenschr., 
1913, Bd. 56, S. 1. 

2) Unna, Biochemie der Haut, S. 13—14. Jena 1918, Fischer. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 19. 


Wasser in der Wärme entzieht den Schnitten alle Cytose und 
lässt alles Globulin ungelöst zurück. 

Es bleiben dann in den Kernen noch sechs wohlcharakteri¬ 
sierte, verschieden tingible Eiweisskörper erhalten: 

1. das basophile Chromatin (Nuclein); es färbt sich bei 
der Nuciein-Nucleolinfärbung grün, bei der Hämatein -f- Alaun- 
Safranin-Tanninfärbung 1 ) gar nicht; 

2. das oxyphile Chromatin (Flemming’s Achromatin); es 
färbt sich bei der Nuciein-Nucleolinfärbung gar nicht, bei 
der Hämatein Alaun-Safranin-Tanninfärbung dunkel blau¬ 
violett; 

3. das basophile Nucleolin (Globulin); es färbt sich bei 
der Nuciein-Nucleolinfärbung rot, bei der Hämatein -j- Alaun- 
Safranin-Taninfärbung rot; 

4. das oxyphile Nucleolin; es färbt sich bei der Nuciein- 
Nucleolinfärbung gar nicht, bei der Hämatein -|- Alaun- 
Safranin-Tanninfärbung blauviolett; 

6. die basophile Grundsubstanz verhält sich ebenso wie 
das basophile Nucleolin (3); sie kommt nur in den „sauren 
Kernen“ vor; 

6. die oxyphile Grundsubstanz (Plastin nach Reinke- 
Zacharias); sie färbt sich bei der Nuciein-Nucleolinfärbung 
gar nicht, bei der Hämatein -|- Alaun-Safranin-Tanninfärbnng 
schwach grauviolett. 

Auf die verschiedenen Elemente des Kerns verteilen sich 
diese sechs Eiweisse folgendermaassen: 

1. Das Kerngerüst besteht aus basophilem Chromatin, oxyphilem 
Chromatin und Plastin. 

2. Die Kernkörperchen bestehen aus basophilem 
Chromatin (Nuclein), basophilem Nucleolin (G lobul in), 
oxyphilem Nucleolin und Plastin. 

3. Die Grundsubstanz besteht normalerweise aus oxyphiler 
Grundsubstanz; nur die sauren Kerne enthalten auch basophile 
Grundsubstanz (Globulin). 

Die Kernkörperchen erscheinen hiernach als das komplizierteste 
Gebilde im Kern; sie sind ausgezeichnet durch den Besitz zweier 
saurer, grundverschiedener Eiweisskörper (Nuclein und Globulin). 
Ob die in ihnen enthaltenen zwei basischen Ei weisskörper: das 
in HCl löslichere oxyphile Nucleolin und die unlöslichere Plastin¬ 
grundlage mit den entsprechenden basischen Bestandteilen des 
Kerngerüstes identisch sind, müssen zukünftige feinere Lösungs¬ 
und Färbungsversuche ergeben. Die bisherigen machen ihre 
Identität wahrscheinlich. 

Wenn wir also einen frischen Gewebsschnitt — am besten 
eignen sich dazu der grossen Epithelkerne wegen Schnitte von 
grosszeiligen Carcinomen 2 ) — durch Behandlung mit Wasser von 
seinen wasserlöslichen Bestandteilen, speziell von Cytose befreit 
haben, so behalten die Kernkörperchen alle ihre vier Eiweisse, 
da diese in Wasser unlöslich sind. Mit der Nuclein - Nucleolin- 
methode gefärbt zeigen die Schnitte rein pyroninrote Kern¬ 
körperchen, weil die rote Globulinfärbung in ihnen die grüne 
Nucleinfärbung verdeckt; bei der Hämatein Alaun-Safranin- 
Tanninfärbung werden die Kernkörperchen rein safraninrot und da 
weder das basophile Nuclein, noch das oxyphile Nucleolin und 
das oxyphile Plastin, sondern nur das basophile Globulin Safranin 
annimmt, rührt die Safraninfärbung der Kernkörperchen auch nur 
von ihrem Globulingehalt her. 

Die drei anderen Eiweisse des Kernkörperchens (ausser dem 
Globulin) kommen färberisch erst zur Geltung, wenn das Globulin 
aus den Kernkörperchen herausgelöst ist. Dies ist leicht zu 
erreichen. 

Die Schnitte kommen 6 bis 12 Stunden in eine verdünnte 
Neutralsalzlösung im Brutofen. Alle Neutralsalze erfüllen diesen 
Zweck in gleicher Weise. Besonders haben sich mir die Chloride 
und Acetate von K von Na bewährt. Die Verdünnung kann von 
0,5 pCt. bis 6 pCt. gehen. 

Da auf diese Weise nur das Globulin den Schnitten entzogen 
wird, so verbleibt im Kern noch viel saure (basophile) Substanz, 
nämlich ausser dem Nuclein des Kerngerüstes und der Mitosen 


1) Hämatein -f Alaun-Safranin-Tanninmethode: 1. Hämatein + Alaun 
10 Minuten. 2. Abspülung in Wasser. 3. Einprozentige Safraninlösung 
10 Minuten. 4. Abspülen in Wasser. 5. Fünfandzwanzigprozentige, 
wässerige Tanninlösung 10 bis 15 Minuten. 6. Wasser, Alkohol, 
Oel, Balsam. 

2) Die Carcinomstücke können vor dem Scheiden in Alkohol kurz 
gehärtet werden. Aber eine Einbettung in Celloidin unterbleibt besser, 
um die Lösung des Globulins nicht zu beeinträchtigen. 


auch das Nuclein der Kernkörpereben. Daher ergibt an solchen, 
z. B. mit 1 proz. Kochsalzlösung extrahierten Schnitten die 
Nuclein - Nucleolinfärbung metbylgrüne Kernkörperchen neben 
methylgrünen Kerngerüsten und Mitosen. Die Kernkörperchen 
sind nicht gleichmässig grün gefärbt, sondern zeigen auch hier 
einen stärker gefärbten Randsaum und schwächer gefärbtes 
Centrum, da das Nuclein sich in ihnen am Rande anhäuft. Es 
besteht in diesem Punkte eine gewisse Aehnlichkeit mit den ganzen 
Kernen, in deren Membran sich ja auch stets etwas Nuclein an¬ 
gehäuft vorfindet. 

Ebenso wie diese Präparate beweisen auch die extrahierten 
und nach der Hämatein -f“ Alaun-Safranin-Tanninmethode gefärbten 
Schnitte, dass sie kein Globulin mehr in den Kernkörperchen 
enthalten. Die Kernkörperchen färben sich blauviolett wie das 
Kerngerüst und die Mitosen; von allen drei Elementen werden 
eben nur die oxyphilen Teile vom Hämatein gefärbt, das Safranin 
findet kein Globulin mehr vor, in dem es durch Tannin fixiert 
werden könnte. Freilich färbt Safran in allein in solchen 
durch Salz extrahierten Schnitten noch das vorhandene Nuclein 
rot; aber bei Vorfärbung mit Hämatein und Nachbehandlung mit 
Tannin, wird es dem Nuclein (im Gegensatz zum Globulin) wieder 
entzogen. 

Nach Beseitigung des Globulius ist es unsere nächste Auf¬ 
gabe, den Kernkörperchen auch das zweite basophile Eiweiss, das 
Nuclein, zu entziehen. Auch diese ist in sehr einfacher Weise 
lösbar. Es genügen hierzu schwache Lösungen von Alkalien mit 
oder ohne Trypsin. Dieselben lösen das basophile Chromatin 
(Nuclein) sowohl aus dem Kerngerüst wie aus den Kernkörperchen. 
Am einfachsten lässt man eine 1 proz. Sodalösung etwa 3 Stunden 
im Brutofen auf die mit Kochsalz ausgezogenen Schnitte wirken. 

Der tinktorielle Erfolg ist, wie vorherzusehen war, der, dass 
in den so extrahierten Schnitten die Kernkörperchen weder Pyronin 
noch Methylgrün mehr annehmen; sie bleiben daher bei der 
Nuclein-Nucleolinmethode ganz ungefärbt. Bei der Hämatein 
+ Alaun-Safranin-Tanninmethode dagegen färben sie sich ebenso, 
wie vor der Sodabehandlung; die Kernkörpereben sind sogar 
häufig stärker blauviolett gefärbt als vor der Extraktion. Die 
oxyphilen Teile sowohl des Kerngerüstes wie des Kernkörperchens 
werden durch die Sodalösung ebensowenig angegriffen, wie vorher 
durch die Kochsalzlösung. 

Zu diesen basischen und daher oxyphilen Eiweissen des Kern-, 
körperchens wenden wir uns jetzt; sie sind noch viel weniger 
erforscht wie die beiden sauren Eiweisse des Kernkörperchens, 
und eigentlich ist bisher durch die Arbeiten von Zacharias nur 
eine derselben bekannt geworden. Zacharias wies nämlich nach, 
dass bei Verdauung mit Pepsinsalzsäure die Kernkörperchen der 
Pflanzenkerne zuerst zwar an Masse abnehmen (3 :1), dass schliess¬ 
lich aber ein Rest der Verdauung widersteht. Diesen unverdau¬ 
lichen Rest erklärte er für identisch mit dem Plastin Reinke’s. 
Zacharias erhielt den gleichen Rest, wenn er statt mit Pepsin-HCl 
zu verdauen, die Gewebe mit einer 15 proz. HCl behandelte. Man 
kann diese Platingrundlage in allen Schnitten sehr leicht und 
rasch isolieren, wenn man sie (kalt) mit konzentrierter (25 proz.) 
Salzsäure behandelt. 

Geht man aber schonender vor, indem man die Schnitte 
stufenweise erst mit 5 proz. HCl bei Zimmertemperatur und dann 
erst mit 25 proz. HCl behandelt, so ergibt sich die interessante 
Tatsache, dass die beiden Produkte nicht bloss in bezug auf ihre 
Lösungsverhältnisse, sondern auch färberisch verschieden sind. 
Beide sind basischer Natur und färben sich daher ausschliesslich 
nur mit sauren (und zwar allen sauren) Farben; aber die io 
5 proz. HCl unlösliche, in 25 proz. HCl leicht lösliche basische 
Substanz färbt sich ausserdem noch sehr stark mit der sauren 
Beizenfarbe Hämatein -{- Alaun. Diese Eigenschaft geht dem 
Plastin ab und hierdurch ist ihre Anwesenheit oder Abwesenheit 
in verdauten Schnitten leicht festzustellen. 

Zwischen das Plastin auf der einen Seite und die sauren 
Eiweisse auf der anderen schiebt sich also in allen Teilen der 
Zelle noch ein leichter lösliches, basisches Eiweiss ein, 
das wir vorderhand, solange seine genauere Charakteristik noch 
fehlt, als oxyphile Substanz bezeichnen müssen. Genauer 
müssen wir von einer Gruppe von „oxyphilen Substanzen“ reden, 
da eine solche basische Einlage sowohl im Protoplasma wie im 
Kern und sowohl im Kerngerüst wie im Kernkörperchen vor¬ 
handen ist. Es macht den Eindruck, als ob diese Einlage nötig 
ist, um die so wichtigen, aber leicht löslichen sauren Zell- 
8«’-stanzen (Cytose, Globulin) an die mehr indifferente, basische 
Zellgrundlage zu binden. Da diese im Protoplasma bereits den 


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Namen Spongioplasma und im Kern den ebenso gut eingeführten 
Namen Plastin trägt, so kann es keine Verwirrung herbeifuhren, 
wenn wir die löslicheren oxyphilen Substanzen der Kürze halber 
einfach oxyphile Substanzen nennen und daher auch im Kern¬ 
körperchen ausser den beiden sauren (basophilen) Eiweissen und 
dem Plastin von einer sie verbindenden „oxyphilen Substanz“ 
reden. Dieses „oxyphile Nucleolin“ hat die Eigenschaften aller 
oxyphilen Substanzen, d. h. es ist unlöslich (bei Beschränkung 
auf 12 Stunden) in 5 proz. HCl, löslich in 25 proz. HCl und 
speichert mit grosser Energie Hämatein -j- Alaun. Hat man 
daher die sauren, basophilen Eiweisse aus den Kernkörperchen 
ausgewogen, so gibt die Alaun -|- Hämateinfärbung noch sehr 
scharfe Bilder derselben. Durch variierte Lösungs- und Färbungs¬ 
versuche lässt es sich erweisen, dass es überhaupt nur die 
oxyphilen Substanzen sind, die Anlass zu den Hämatein- 
bildern der Zellteile geben. Wo auch sonst diese beliebten 
sogenannten Hämatoxylinfärbungen in der Zoologie, Embryologie 
und Pathologie verwandt werden, sie färben in allen Zellen nur die 
oxyphilen Substanzen; sie geben sehr charakteristische und chemisch 
wertvolle, aber doch nur ganz einseitige Bilder der ganzen Zelle. 

Diese Erörterungen über die Darstellung und die Eigenschaften 
der oxyphilen Substanzen im allgemeinen waren nötig zur Wahrung 
des Zusammenhanges mit der neueren Entwicklung der Zellen¬ 
lehre. In dem speziellen Fall des oxyphilen Nucleolins ist aber 
gerade die Darstellung durch stufenweise Verstärkung der Salz¬ 
säure eine sehr unvollkommene. Während im Protoplasma und 
im Kerne sonst die 5 proz. HCl die basophilen Substanzen überall 
glatt entfernt und nur die oxyphilen Substanzen übrig lässt, 
bleiben gerade im Kernkörpereben stets Globulinreste zurück, und 
die letzten Reste werden erst entfernt, wenn nach längerer Zeit 
auch die oxyphilen Teile angegriffen werden. Dieses beruht auf 
der stark sauren Beschaffenheit des Globulins, welches die sauerste 
Substanz in der Zelle darstellt. 

Für die Blosslegung der oxyphilen Teile des Kernkörperchens 
muss man sich daher der oben von mir soeben eingehend er¬ 
örterten Methode bedienen, d. h. der Stufenfolge: Wasser, Koch¬ 
salz, Soda, die viel sicherer und zugleich viel schonender ist. 
Diese drei milden Lösungsmittel leisten successive dasselbe, was 
sonst auf einmal die 5 proz. Salzsäure bewirkt. Auch sie hinter¬ 
lassen einen rein basischen Zellenrumpf, der nur noch aus den 
oxyphilen Substanzen und der Zellengrundlage (Spongioplasma 
und Plastin) besteht, nachdem sie aber vorher schon zur Gewin¬ 
nung von Cytose, Globulin und Nuclein in reiner Form geführt 
haben. Der auf diese Weise gewonnene basische Rest kann dann 
in gewohnter Weise durch konzentrierte HCl in einen löslichen 
und einen unlöslichen Teil getrennt werden. 

Will man das Globulin aus den Kernkörperchen in grösserer 
Masse gewinnen, um die Globulinreaktionen daran im grossen 
prüfen zu können, so geht man am besten auch von Mikrotom- 
8chnitten des frischen durch C0 2 -Schnee vereisten Gewebes aus, 
z. B. von einer frischen Niere, da Schnitte besser als Stücke 
blutfrei zu machen sind. Die Menge der Schnitte muss wenigstens 
ein halbes Reagiergläschen füllen. Sie verbleiben 12 Stunden 
oder länger in destilliertem Wasser im Brutofen, wodurch die 
Cytose und etwaige Blutreste vollkommen ausgezogen werden. 
Ob dieser Punkt erreicht ist, erkennt man durch Färbung ein¬ 
zelner Schnitte mit der Nuclein-Nucleolinmethode; das Proto¬ 
plasma darf keine pyroninrote Färbung mehr aufweisen, während 
die Kernkörperchen noch ihre normale rote Farbe zeigen. Die 
Schnitte kommen sodann sechs weitere Stunden in eine 1 proz. 
Kochsalzlösung im Brutofen. Folgendes sind die Notizen eines 
derartigen Versuches: 

Die von den Schnitten abfiltrierte Lösung ergab beim Aufkochen 
eine starke Trübung. Dieselbe konnte nicht von Albumin, sondern nur 
von Globulin herrühren, da die Schnitte ja vorher mit Wasser aus¬ 
gezogen waren. Eine Bestätigung ergab die Aussalzung mit Kochsalz 
und Ammonsulfat. Bekanntlich wird bei neutraler Reaktion Albumin 
selbst bei Ganzsättigung von Kochsalz und HalbsättiguDg von Ammon¬ 
sulfat nicht gefällt. Hier führten beide Neutralsalze eine stärkere 
Fällung herbei. Ein Teil der Flüssigkeit wurde zur Verdunstung ge¬ 
bracht und mit Salpeter und Soda verbrannt. In der Asche war Phos¬ 
phorsäure auf keine Weise nachweisbar. Der getrocknete Rest der so 
als Globulinlösung erkannten Flüssigkeit wurde in Hollundermark auf¬ 
gefangen und färbte sich bei Behandlung mit der Nuclein-Nucleolin- 
methode im Gegensatz zum grüngefärbten Hollundermark rot 1 ). 

1) Die Hollundermarkmethode findet sich beschrieben in Unna und 
Golodetz, Zur Chemie der Haut, X. Ueber Granosplasma und eine 
allgemeine Methode zur mikrochemischen Erforschung eiweissartiger Zell¬ 
bestandteile. Dermatol. Wochenschr., 1913, Bd. 56, S. 16. 


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Es unterliegt also keinem Zweifel, dass das eine der beiden 
basophilen Eiweisse im Kernkörperchen ein Globulin ist. Da nun 
jede Zelle ihren Kern und jeder Kern sein Kernkörperchen be¬ 
sitzt, so heisst das mit anderen Worten, dass jede Zelle ein 
wenig Globulin enthält. Der im ersten Artikel dieser Serie 
citierte Satz von Hoppe-Seyler aus dem Jahre 1876, dass in 
allen jungen Zellen Globulin vorhanden sei, ist mithin durch die 
chromolytische Methode glänzend bestätigt und auf alle Zellen 
erweitert worden, und das so oft bezweifelte Vorkommen ge¬ 
nuiner Eiweisssubstanzen in der Zelle ist eine Tatsache. 

Wir sind aber vermöge der neuen Sauerstoffreagentien in der 
Erkenntnis der Kernkörperchen noch einen wesentlichen Schritt 
weitergekommen; wir verstehen, weshalb jede Zelle ihr Kern¬ 
körperchen hat und haben muss. 

Die Kernkörperchen als Ganzes sind Sauerstoff orte. Mit 
Rongalitweiss I (Rongalit -j- Leukomethylenblau) gefärbt, zeigen 
frische Gewebe dunkelblaue Kernkörperchen in heller blauen 
Kernen. Zu solchen Versuchen eignen sich gut spitze Condylome, 
von inneren Organen die Leber (z. B. der Maus), da hier relativ 
nucleinarme, nucleolinreiche Kerne Vorkommen. Diese dunkel¬ 
blaue Färbung verdankt das Kernkörperchen seinem Gehalt an 
Globulin, nicht an Nuclein. Denn wenn das Kernkörperchen 
durch 1 proz. Kochsalzlösung (kalt, 12 Stunden) seines Globulin¬ 
gehaltes beraubt wird, sinkt die Blaufärbung des Kernkörperchens 
mit Rongalitweiss 1 auf die des übrigen Kernes herab, und das 
Bild der blauen Kreisfläche wandelt sich meistens in das eines 
blauen Ringes, ln so extrahierten Kernen färbt sich mit Rongalit¬ 
weiss I nur noch das Nuclein des Kernkörperchens. Behandelt 
man die Schnitte mit destilliertem Wasser statt mit Kochsalz¬ 
lösung, so wird aus ihnen nur die ebenfalls Sauerstoff speichernde 
Cytose ausgezogen, nicht das Globulin. Demgemäss verbleibt 
den Kernkörperchen auch der vom Globulin gespeicherte 
Sauerstoff, und dieselben färben sich mit Rongalitweiss I 
dunkelblau. 

Zu demselben Resultate führt die Färbung mit Rongalitweiss II 
[Rongalit -f- Leukoblau 1900] *). Diese zeigt die Anwesenheit von 
einem Sauerstoffaktivator an, nicht von freiem Sauerstoff; sie 
färbt die primären, nicht die sekundären Sauerstofforte. Mit¬ 
hin färben sich mit Rongalitweiss II Kerne und Mastzellen, aber 
weder Granoplasma noch Knorpelgrundsubstanz. Da also diese 
Leukofarbe im Kern nur von Nuclein gebläut wird, aber nicht 
auf freien, gespeicherten Sauerstoff im Kerne reagiert, so färben 
sich mit ihr die Kernkörperchen nur schwach und meistens nur 
ringförmig. Diese Färbung wird natürlich auch weder durch die 
Extraktion mit Wasser noch durch die mit Kochsalz modifiziert. 
Sie gibt genau dieselbe Kernfärbung wie gereinigtes Methylgrün 3 ), 
welches bekanntlich auch nur von Nuclein aufgenommen wird. 

Wenn also in jungen, eben geteilten Kernen sich von neuem 
Kernkörperchen aus einem Teil des Kerngerüstes bilden, so 
sammelt sich an diesen Orten zunächst Globulin an, und dieses 
speichert den vom übrigen Kerngerüst aktivierten Sauerstoff. 
Der Sinn des Kernkörperchens als eines besonderen Organs der 
Zelle ist also der eines Sauerstoffreservoirs für den Kern 
selbst, wie das Protoplasma ein solches in der angesammelten 
Cytose besitzt. Da die Bildung des Kernkörperchens eine nahezu 
universelle ist, so müssen wir annehmen, dass zum regelrechten 
Funktionieren auch der Kern eines Reservoirs an gespeichertem 
Sauerstoff bedarf. Es ist auch wohl nicht ohne Bedeutung, dass 
dieses Sauerstoffreservoir im Kern im Globulin eine haltbarere 
Grundlage besitzt als das entsprechende, stark veränderliche 
Sauerstoffreservoir des Protoplasmas in der albumosenartigen 
Cytose. 

1) Unna, Die Darstellung der Sauerstofiorte im tierischen Gewebe. 
Med. Klinik, 1912, Nr. 23. Das dort empfohlene Blau 1900 der Firma 
Durand & Huguenin, Basel, bat sich neuerdings nicht als ganz zuver¬ 
lässig erwiesen, wie die übereinstimmenden Erfahrungen iu drei ver¬ 
schiedenen Laboratorien ergeben haben. Als Ersatz zur Darstellung von 
Rongalitweiss II ( empfehle ich in solchem Falle das Leukocoelestin 
der Firma Friedr. Bayer & Co., Elberfeld, welches auch bei Dr. Holl¬ 
born, Leipzig, vorrätig ist. 

2) Unna und Golodetz, Die Bedeutung des Sauerstoffs in der 
Färberei. Dermatol. Studien, Bd. 22, Kap. 1: Das Geheimnis des 
Methylgrüns. Leop. Voss, Hamburg und Leipzig 1912. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 19. 


Ueber die funktionelle Untersuchung des 
Ohrlabyrinthes. 

Von 

Prof. Dr. Hilisberg. 

(Vortrag, gehalten in der medizinischen Sektion der Schlesischen Gesell¬ 
schaft für vaterländische Kultur zu Breslau am 28. Februar 1913.) 

M. H.I Rein Gebiet der Otologie hat io den letzten Jahren 
so eingehende Bearbeitung gefunden, keins hat aber auch so 
interessante Resultate geliefert wie die funktionelle Untersuchung 
des Labyrinthes. Während es in der Hauptsache zunächst rein 
praktische Fragen waren, die den Anstoss zu diesen Unter¬ 
suchungen gaben — vor allem die Diagnostik der Labyrinth¬ 
eiterungen — kam bald eine ganze Reihe von allgemein wichtigen 
und interessanten Gesichtspunkten hinzu, so dass heute die Re¬ 
sultate dieser Forschungen auch für die Gesamtmedizin von Be¬ 
deutung sind. 

Da die Ergebnisse dieser Arbeiten bisher in der Hauptsache 
in otologischen Fachzeitschriften publiziert und deshalb der All¬ 
gemeinheit schwer zugänglich waren, glaube ich, Ihr Interesse 
heute für eine kurze Uebersicht über dieses Gebiet in Anspruch 
nehmen zu dürfen. 

Bekanntlich sind im Labyrinth die Endapparate zweier ganz 
verschiedener Sinnesorgane vereinigt: der des Gehörorgans in der 
Schnecke und der eines mit zur Regelung des Körpergleich¬ 
gewichts dienenden Organs im Vorhof Bogengangsapparate. 

Die funktionelle Untersuchung des Hörorganes ist Ihnen in ihren 
Grundzügen wohl bereits bekannt; Sie wissen, dass wir durch den 
Rinne’schen Versuch, die Feststellung der unteren und oberen Tou- 
grenze, den Schwabach’schen Versuch u. a. m. meist in den Lage 
sind, festzustellen, ob eine Erkrankung der Schnecke bzw. des Acusticus 
vorliegt. 

Ich will deshalb auf diese Fragen nicht näher eingehen und 
mich auf die Untersuchung des statischen Teiles des Labyrinths 
beschränken. 

In der Hauptsache interessieren uns dabei die Bogengänge, 
die bekanntlich halbkreisförmige Kanäle darstellen, die ungefähr 
in den drei Ebenen des Raumes angeordnet sind. Die Nerven- 
endorgane, die Cristae ampulläres, liegen in einer Erweiterung 
des Kanals, der Ampulle. Sie bestehen aus einer Bindegewebs- 
leiste, auf der mit Haaren versehene Sinneszellen liegen; diese 
Haare ihrerseits sind von einer homogenen Masse, der Gupula, 
eingeschlossen. 

Die physiologische Reizung dieser Sinneszellen geschieht nun 
dadurch, dass der flüssige Inhalt des Bogenganges, die Endo¬ 
lymphe, in Bewegung gerät, d. h. sich gegen die Bogengangs¬ 
wand und damit auch gegen die Cupula vorschiebt. Diese wird 
dadurch verbogen, und diese Biegung oder Zerrung bildet offen¬ 
bar den adäquaten Reiz für die Sinneszellen. 

Physiologisch kommt diese reizauslösende Liquorströmung 
dadurch zstande, dass zu Beginn einer Drehung des Kopfes die 
Flüssigkeit infolge des Trägheitsgesetzes zurückbleibt, nach Be¬ 
endigung sich weiterbewegt. Das lässt sich sehr schön an 
diesem Modell beobachten. (Demonstration.) 

Diese Vorgänge, die sich natürlich beim Menschen nicht direkt 
sichtbar machen lassen, sind durch Physiologen, vor allem Flourens, 
Breuer und Ewald durch Tierexperimente bis in die feinsten Details 
studiert wordeu. Dabei wurde nun festgestellt, dass durch eine be¬ 
stimmte Strömung der Endolymphe stets und ganz gesetzmässig be¬ 
stimmte Augenbewegungen ausgelöst werden. So z. B. sehen wir bei 
einer Bewegung des Liquor im rechten horizontalen Bogengang zur 
Ampulle hin (also ampullopetal), dass beim narkotisierten Tier beide 
Bulbi nach links abweichen, also nach der nicht gereizten Seite, und 
dort stehen bleiben, solange der Reiz andauert. Beim wachen Tier 
tritt dagegen im Moment der Reizung Nystagmus auf, und zwar nach 
der gereizten Seite hin. 

Die nystagmusartigen Zuckungen der Bulbi lassen stets zwei Kom¬ 
ponenten unterscheiden: eine langsame, die in ihrer Richtung der beim 
narkotisierten Tier beschriebenen Deviation entspricht, und eine schnelle, 
die ihr entgegengesetzt ist. Da letztere die auffälligere ist, wird die 
Richtung des Nystagmus nach ihr benannt, d. h. wir sprechen von 
Nystagmus nach rechts, wenn die schnelle Komponente nach rechts 
gerichtet ist. 

Eiu weiteres charakteristisches Merkmal dieses Nystagmus 
besteht darin, dass er bei Blick in der Richtung der schnellen 
Komponente stärker, bei Blick nach der anderen Richtung 
schwächer wird oder verschwindet. 1 Wir lassen deshalb, wenn 
wir auf Nystagmus nach rechts fahnden, den Patienten stets nach 
rechts sehen. 


Diese Augenbewegungen sind auch beim Menschen in gleich 
gesetzmässiger Weise mit den Liquorbewegungen verknüpft, auch 
beim Menschen sehen wir bei Reizung in Narkose oder bei Be¬ 
wusstseinsstörung Deviation der Bulbi, am nicht narkotisierten 
Nystagmus. Auf der .Beobachtung dieses Nystagmus unter be¬ 
stimmten Verhältnissen beruhen unsere ganzen modernen Unter¬ 
suchungsmethoden, auf der Arbeit der Physiologen basiert die 
der Otologen. 

Bei den ersten Versuchen ging man davon aus, dass man 
die Liquorströmung in den Bogengängen auf physiologische 
Weise, also durch aktive oder passive Drehung des Kopfes oder 
des ganzen Menschen, auslöste. Am zweckmässigsten bedient 
man sich dabei eines Drehstuhles, wie Sie ihn hier sehen. 
(Demonstration.) 

Dieser Weg hat sich in der Tat auch als gangbar erwiesen, 
und es gelingt mit dieser Methode häufig, Defekte in der Funktion 
des ganzen Bogengangssystems oder einzelner Bogengänge auf 
einer oder auf beiden Seiten nachzuweisen. 

Ich kann Ihnen das am besten an einem konkreten Beispiel 
klar machen. 

Wenn wir einen Menschen bei aufrechter Kopfstellung um seine 
Längsachse drehen, dann liegen die beiden horizontalen Bogengänge 
annähernd horizontal, sie werden also sehr stark erregt, während in den 
beiden anderen Bogengängen, die vertikal stehen, kaum eine Flüssigkeits¬ 
bewegung stattfinden wird. 

Bei Beginn der Drehung bleibt in beiden horizontalen Bogengängen 
die Flüssigkeit zurück. Es entsteht also, da bei beiden die Ampulle 
vorne liegt, im rechten eine Strömung zur Ampulle hin, also eine 
ampullopetale, im linken eine von der Ampulle fort, also am pul lo- 
fugal. 

Nun löst, wie Ewald nachgewiesen hat, eine ampullopetale Störung 
Nystagmus in der Richtung nach der gereizten Seite aus, eine ampullo- 
fugale Nystagmus in der Richtung nach der anderen Seite. In unserem 
Fall also erzeugt die Drehung im rechten horizontalen Bogengang 
Nystagmus nach rechts, die im linken ebenfalls; beide Reize wirken im 
gleichen Sinne, es resultierte Nystagmus nach rechts. 

Nach Auf hören der Drehung entsteht, wie ich bereits er¬ 
wähnte, eine Liquorströmung im umgekehrten Sinne, die selbst¬ 
verständlich auch Nystagmus im umgekehrten Sinne erzeugt, den 
sogenannten Nachnystagmus. Da dieser aus praktischen 
Gründen sich viel leichter beobachten lässt als der Nystagmus 
während der Drehung, ihm im übrigen völlig gleichwertig ist, 
wird er von uns aus Bequemlichkeitsrücksichten fast ausschliess¬ 
lich verwertet. 

Zu erwähnen ist nun endlich noch, dass nach einer bestimmten 
Anzahl von Drehungen der Nystagmus in der Regel eine bestimmte 
Dauer hat. So dauert er nach 10 Drehungen um die Vertikalachse meist 
20—40 Sekunden. 

Was geschieht nun bei Rechtsdrehung, wenn der horizontale 
Bogengang einer Seite, sagen wir z. B. der der rechten, 
funktionsunfähig ist? 

Es wird dann nur noch das linke Labyrinth, in dem die ampullo- 
fugale Strömung entsteht, gereizt. Nun wissen wir aber durch die 
klassischen Plombierungsversuche Ewald’s, dass die ampullofugale 
Strömung nur einen halb so starken Reiz ausübt als die ampullopetale. 
Dementsprechend ist auch der den Augenmuskeln zugeleitete Reiz nur 
halb so stark, und der Nystagmus dauert bei dieser Versuchsanordnung 
erheblich kürzere Zeit, etwa ö—15 Sekunden. Bei Drehung nach links 
dagegen entsteht im noch erhaltenen linken Bogengang die stärker 
wirkende ampullopetale Strömung, der Nystagmus ist demnach auch 
von normaler Dauer. Sie sehen demnach, dass wir aus dieser Differenz 
in der Nystagmusdauer bei Rechts- und Linksdrehung ohne weiteres die 
Ausschaltung des eine Bogenganges schliessen können. < 

Nun können wir aber durch Veränderung der Kopfhaltung 
auch die anderen Bogengänge in die für die Reizung durch 
Vertikaldrehung günstige horizontale Lage bringen, wir können 
also auch diese einzeln untersuchen. 

Die Dreh versuche haben, so interessante Resultate sie liefern, 
einen Nachteil: es wurden stets beide Labyrinthe gleichzeitig 
gereizt, und da einige Zeit nach der Zerstörung eines Labyrinthes 
häufig eine anscheinend central bedingte Kompensation eintritt, 
werden die Resultate verwischt; nach einer gewissen Zeit können 
wir deshalb vermittels der Drehung die Zerstörung eines Laby¬ 
rinthes oft nicht mehr nachweisen. 

Es war deshalb, speziell für die otologische Praxis, von 
grösster Bedeutung, dass Bäräny vor sieben Jahren eine Methode 
angab, die die Reizung jedes Labyrinthes qllein gestattete. Sie 
hat sich seitdem als „calorische Reizung u allgemein eingeführt 
und bewährt. ^ 


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12. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


877 


Es war schon früher wiederholt Physiologen nnd Otologen aufge¬ 
fallen, dass bei Ausspülung des Gehörganges mit kaltem Wasser bzw. 
bei Belastungsversuchen am Trommelfell mit Wasser oft Schwindel, 
manohmal auch Uebelkeit und Erbrechen auftreten. Ueber die Ursachen 
war man sich aber nicht recht klar, man dachte an einen abnormen 
Druck, abnorme Reizbarkeit des betreffenden Individuums oder ähn¬ 
liches. 

Bdräny konnte nun aber einwandsfrei feststellen, dass Labyrinth¬ 
reizerscheinungen, vor allem aber Nystagmus — und das macht gerade 
die Methode so wertvoll — sich stets gesetzmässig bei jedem Individuum 
mit normalem Labyrinth hervorrufen lassen, sobald man das Trommel¬ 
fell bzw. die mediale Paukenhöhlenwand, die ja zugleich die laterale 
Labyrinthwand ist, entweder abkühlt oder erwärmt. Als einfachstes 
Mittel zur Auslösung dieses „calorischen Nystagmus“ wird in der 
praktischen Otologie fast allgemein Ausspülung mit Wasser angewandt, 
dessen Temperatur höher oder niedriger ist als die des Körpers; doch 
lässt sich derselbe Effekt auch durch Einblasen von kalter Luft, Ein¬ 
führung kalter Gegenstände ins Ohr oder ähnliche Manipulationen er¬ 
reichen. 

Bärany gab nun auch gleich bei seiner ersten Publikation 
eine Erklärung des Phänomens, die heute fast allgemein anerkannt 
nnd wohl zweifellos auch richtig ist. 

Da die die Labyrinthhohlräume vom Mittelohr trennende Knoohen- 
schicht an verschiedenen Stellen von sehr verschiedener Dicke ist, muss 
dort, wo sie am dünnsten ist, zuerst eine Abkühlung der Endolymphe 
stattfinden. Dadurch wird, das bedarf wohl keiner weiteren Erörterung, 
ein Endolymphstrom erzeugt, da sich die kühleren Endolymphteile senken, 
die wärmeren in die Böhe steigen. Es entsteht also ein Endolymph¬ 
strom in bestimmter Richtung, ebenso wie bei der Drehung, die selbst¬ 
verständlich auch genau so auf die Gupula wirkt. 

Da nach der anatomischen Konfiguration der horizontale und der 
obere Bogengang der Paukenhöhlenwand am nächsten liegen, kommen 
diese für die calorische Reizung am meisten in Betracht, und zwar lässt 
sich durch Veränderung der Kopfhaltung bald der eine, bald der andere 
in die für die Erzeugung des Temperaturgefälles günstigste Stellung, 
die „Optimumstellung“, bringen. Da der Zusammenhang zwischen 
Richtung der Endolymphströmung und Nystagmus selbstverständlich 
ebenso gesetzmässig ist, wie der bei der rotatorischen Prüfung, kann ich 
mich hier auf das früher Gesagte beziehen. 

Um nur ein Beispiel anzuführen, so entsteht bei Kaltwasser¬ 
spülung des rechten Ohres rotatorischer Nystagmus nach links, bei 
Warmwasserspülung, bei der das Temperaturgefälle ja umgekehrt sein 
muss, Nystagmus nach reohts. 

Durch Veränderung der Kopfstellung lässt sich auch die Richtung 
des Nystagmus gesetzmässig beeinflussen. 

Ich will Sie aber nicht mit der Anführung weiterer Details 
ermüden und verwirren, m. H., und nur noch so viel sagen, dass 
wir durch die Prüfung des calorischen Nystagmus fast ausnahms¬ 
los imstande sind, festznstellen, ob der horizontale und der obere 
Bogengang einer Seite überhaupt erregbar ist. 

Nun wäre es sehr wünschenswert, wenn wir auch über den 
Grad der Erregbarkeit Aufschluss erhalten könnten, da Beob¬ 
achtungen an pathologischen Fällen die Annahme nahe legen, 
dass die Erregbarkeit gesteigert oder herabgesetzt sein kann. 

Man hat versucht sich darüber Klarheit zu verschaffen, indem man 
entweder feststellte, wie lange der Nystagmus nach Beginn der Erre¬ 
gung andauerte, oder indem man die Menge des Wassers und damit die 
angewandte Kälte- bzw. Wärmemenge maass, die zur Auslösung des 
Nystagmus verbraucht wurde. Für letztere Zwecke hat Brünings einen 
sehr handlichen Apparat konstruiert (Otocalorimeter), der anscheinend 
praktisch brauchbare Resultate liefert. (Demonstration.) 

Physiologisch interessaut und praktisch richtig ist ferner ein 
anderes Experiment, das uns über das Vorhandensein von Fisteln 
in der Labyrinthwand, wie sie bei Mittelohreiterungen nicht selten 
sind, Aufschluss gibt. Komprimiert man mittelst eines Gummi¬ 
ballons die Luft im. Gehörgang, so wird die Drucksteigerung 
durch die Fistel auf die Endolymphen übertragen und dadurch 
eine stossartige Endolymphbewegung erzeugt. 

Auch hier wieder sehen wir typische Augenbewegungen, und swar 
eine langsame Abweichung der Bulbi bald nach der gereizten, bald 
nach der anderen Seite, in einzelnen Fällen auch Nystagmus. 

Dass sich die Richtung der Augenbewegung im einzelnen Falle nicht 
vorher berechnen lässt, wie bei der calorischen oder rotatorischen Prüfung, 
liegt wohl daran, dass die Richtung der Endolymphbewegung (ob ampullo- 
fugal oder ampullopetal) von der uns ja unbekannten Lage der Fistel 
und vielleicht auch von Veränderungen im Lumen des Bogenganges ab¬ 
hängig ist 

Das Phänomen, meist als „Fistelsymptom“ bezeichnet, ist 
vor allem für die Indikationsstellung für Operationen wichtig. 

Praktisch weniger wichtig ist zurzeit noch die galvanische 
Untersuchung des Labyrinths, und das ist auch der Grund dafür, 
dass ich diese historisch ältere Untersuchungsmethode erst jetzt 
erwähne. 


Wir sind über Angriffspunkt (Nerv oder Labyrinth?) und 
Wirkungsweise des galvanischen Reizes noch zu wenig orientiert, 
um gerade für die praktisch uns am meisten interessierenden 
Fragen exakte Schlüsse ziehen zu können. 

Ich will deshalb auf die Schilderung der an sich sehr inter¬ 
essanten Fragen verzichten, um den Rest der Zeit noch auf eine 
andere Frage zu verwenden, die neuerdings mit viel Erfolg be¬ 
arbeitet wird: die Reaktionsbewegungen des Körpers oder ein¬ 
zelner Muskelgruppen bei Labyrinthreizung. 

Bekannt ist ja, dass bei stärkerer Labyrinthreizung neben 
den eben besprochenen Erscheinungen noch weitere auftreten: 
subjektiv Schwindel, oft Uebelkeit, objektiv Gleichgewichts¬ 
störungen, eventuell Erbrechen. 

Diese Gleichgewichtsstörungen, die ja schon durch die 
klassischen Versuche von Flourens bekannt waren, und die 
früher fast die einzigen bekannten Symptome der Labyrinth¬ 
erkrankungen bildeten, sind höchst wahrscheinlich auf eine Störung 
des von den beiden Labyrinthen der Körpermuskulatur zuge¬ 
leiteten Tonus zurückzuführen. 

Vor der Einführung der vorhin geschilderten Untersuchungs¬ 
methoden versuchte man, mit ihrer Hilfe Störungen im Bereich 
der Labyrinthfunktion festzustellen, und ich konnte Ihnen vor 
einigen Jahren an dieser Stelle an Patienten zeigen, dass in der 
Tat nach einseitiger oder doppelseitiger Labyrinthzerstörung auch 
nach dem Abklingen der stürmischen Gleichgewichtsstörungen, 
die den Einbruch des Eiters im Labyrinth regelmässig begleiten, 
noch Defekte vorhanden sind. Auch dann, wenn die Patienten 
sich unter den Bedingungen des täglichen Lebens wieder an¬ 
scheinend normal bewegen, lässt sich noch feststellen, dass bei 
Ausführung komplizierterer Uebungen, z. B. Hüpfen mit ge¬ 
schlossenen Augen, Koordinationsstörungen vorhanden sind. Das 
wurde von v. Stein in Moskau und von Krotoschiner in meiner 
Klinik einwandfrei bewiesen. 

Da die Ergebnisse dieser Prüfungen jedoch an Exaktheit weit 
hinter denen der calorischen Reizung Zurückbleiben, wurden sie 
zu deren Gunsten allgemein verlassen. 

Dafür haben wir aber gelernt, diese Störungen des Muskel¬ 
tonus in anderer Richtung diagnostisch zu verwerten. Man fand 
nämlich, dass bei einigermaassen starker Reizung eines Labyrinthes 
Fallbewegungen auftreten, nnd dass die Fallbewegung ganz ge¬ 
setzmässig in einer Richtung erfolgt, die der des gleichzeitig er¬ 
zeugten Nystagmus entgegengesetzt ist. 

Diese Beziehung zwischen Richtung des Nystagmus und Kopf¬ 
stellung ist so konstant, dass wir, wenn sie nicht vorhanden ist, 
wenn z. B. bei Nystagmus nach links bei aufrechter Kopfstellung 
Fall nach links eintritt, mit Bestimmtheit sagen können, dass die 
Fallbewegung nicht vestibulär ausgelöst ist, sondern dass es sich 
entweder um eine cerebellare Erkrankung oder um Hysterie, 
vielleicht auch um traumatische Neurose handelt. 

Ausserdem können wir aber auch, wie Baräny gezeigt hat, 
nachweisen, dass durch die Labyrinthreizung in den einzelnen 
Extremitäten deutliche und gesetzmässige Koordinationsstörungen 
auftreten. Am besten lässt sich das am sogenannten „Zeigever¬ 
such“ demonstrieren. 

Der zu Prüfende wird aufgefordert, z. B. bei ausgestrecktem 
Arm mit seinen Fingerspitzen die des Untersuchers zu berühren, 
dann den Arm zu senken und die Fingerspitzen des Untersuchers 
wieder zu berühren. 

Der Normale bringt das mit offenen und geschlossenen Augen 
prompt fertig. Wenn man nun aber den Versuch wiederholt, 
nachdem man experimentell Nystagmus erzeugt hat, tritt regel¬ 
mässig eine Abweichung des Armes in der dem Nystagmus ent¬ 
gegengesetzten Richtung ein, der Patient „zeigt vorbei“. 

Ein Ausbleiben der Zeigereaktion bei normalem Nystag¬ 
mus beweist eine Störung im Cerebellum oder eventuell im 
Acusticus. 

Ich kann auf die Erklärung der Erscheinung und auf weitere Details 
nicht mehr eingehen, möchte nur noch erwähnen, dass sich der Versuch 
vor allem für die Diagnostik der Kleinhirnerkrankungen als eminent 
wichtig erwiesen hat 

M. H.! Ich bin am Schluss meiner theoretischen Aus¬ 
führungen und möchte mir nur noch erlauben, Ihnen die ge¬ 
schilderten Versuche zum Teil wenigstens zu demonstrieren, so 
weit das in einer grösseren Corona möglich ist. 

Zur Demonstration habe ich ausser einen normalen jungen 
Mann Fälle gewählt, die Ihnen interessante pathologische Verhält¬ 
nisse zeigen. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 19. 


Bei diesem Patienten hier ist das Fistelsymptom ausser¬ 
ordentlich leicht auszulösen. Es ist das dadurch zu erklären, 
dass durch ein Cholesteatom anscheinend die Kuppe des horizon¬ 
talen Bogengangs abgeschliffen wurde, so dass das Endost des 
Bogengangs freiliegt, ohne dass aber das Labyrinth selbst er¬ 
krankt ist. Ebenso wie durch die Luftverdichtung lässt sich 
durch Berührung der Bogengangsgegend mit einer Sonde leicht 
Schwindel auslösen. 

Bei dem zweiten Patienten lässt sich durch die geschilderten 
Untersuchungsmethoden einwandfrei feststellen, dass der Vesti- 
bnlarapparat auf beiden Seiten vollständig gelähmt ist; auf der 
einen Seite ist auch die Hörfunktion stark herabgesetzt, während 
sie auf der anderen fast normal erhalten ist. 

Da bei dem Patienten nicht nur die rotatorische und calo¬ 
rische, sondern auch die galvanische Erregbarkeit vollkommen 
geschwunden ist, möchte ich annehmen, dass es sich nicht nur 
um eine Erkrankung des Labyrinthes, sondern mehr um patho¬ 
logische Vorgänge in den Nerven bzw. in ihren Kernen handelt. 
Die Ursache ist vielleicht ein Trauma. Ohne die exakte Vesti- 
bularuntersuchung würde Patient leicht in den Verdacht der Simu¬ 
lation gekommen sein. 

Bei dem dritten Patienten endlich sind dauernd auffallende 
Erscheinungen beim Zeigeversuch vorhanden: er zeigt dauernd 
nach aussen bzw. nach oben vorbei. 

Wir haben diese Erscheinungen ganz zufällig gefunden, und 
eine Erklärung dafür hat die neurologische Untersuchung nicht 
ergeben. Dafür, dass es sich wahrscheinlich nicht um rein 
funktionelle Störungen handelt, spricht der Umstand, dass sich 
das Vorbeizeigen nicht durch die Erzeugung von Nystagmus be¬ 
einflussen lässt, wie das sonst fast stets der Fall ist. 


Zur Aetiologie der Gefässerkrankungen beim 
Diabetes. 

Von 

Dr. E. Aron, 

Leitender Arzt am Krankenhause der jüdischen Gemeinde zu Berlin. 

(Vortrag, gehalten am 19. Febröar 1913 iu der Berliner medizinischen 
Gesellschaft.) 

Es ist eine heutzutage wohl ziemlich allgemein anerkannte 
und in ihrer praktischen Bedeutung vollkommen gewürdigte Be¬ 
obachtung, dass wir beim Diabetes mellitus einen auffallend hohen 
Prozentsatz von Gefässerkrankungen arteriosklerotischer Natur 
finden. Früher hat man nicht stets diese Anschauung geteilt. 
So schreibt Senator 18790: »Herz und Gefässe bieten gar keine 
charakteristischen und durch ihre Häufigkeit bei Diabetes auf¬ 
fallenden Befunde.“ Ferner: „Die Arterien hat man öfter athero- 
matös gefunden, indes keineswegs auffallend oft, ja Dickinson 
hält die Atheromasie für selten bei Diabetes“. Seitdem man je¬ 
doch intensiver auf diesen Zusammenhang besonders bei grösserem 
Materiale geachtet hat, hat man sich davon überzeugt, dass beim 
Diabetes in der Tat auffallend häufig Atheromatose vorkommt. 
Grube fand, um eine bekannte Statistik hier aufzuführen, unter 
177 Fällen von Diabetes 66 mal Arteriosklerose, also in etwa 37 pCt. 
der Fälle. Auch v. Noorden 1 2 * * * * ) gibt bei seinem sehr grossen Material 
in 40 pCt. seiner Diabetiker arteriosklerotische Gefässverände- 
rungen an. Man hat diese Erfahrung als eine Tatsache hinge¬ 
nommen, aber trotz vielfacher Ueberlegungen recht wenig darüber 
herausbekommen, warum die Arteriosklerose so überraschend oft 
in dem Krankheitsbilde des Diabetes in die Erscheinung tritt. 
Die bekannten Monographien über den Diabetes, soweit ich sie 
eingesehen habe, wissen über die Ursache der häufigen Gefäss- 
veränderungen bei der Zuckerkrankheit uns keine befriedigende 
Erklärung zu geben. Einer unserer besten Kenner und Forscher 
über Diabetes, Naunyn 8 ), sagt: »Welches der Zusammen¬ 
hang zwischen der Arteriosklerose und dem Diabetes 
sei, ist nicht zu entscheiden. Es ist möglich, dass er durch 


1) Handbuch der speziellen Pathologie und Therapie von Ziemssen, 
1879, 1. Hälfte, Bd. 13, 3- 415. 

2) v. Noorden, Die Zuckerkrankheit und ihre Behandlung. 1912, 

S. 199. 

8) Der Diabetes mellitus, Wien 1900. Nothnagel, Spezielle 

Pathologie Und Therapie, 1. Hälfte, Bd. 7, S. 84. Im Original nicht ge¬ 

sperrt gedruckt. 


die Lebererkrankung (Herzfehlerleber und Girrbose) vermittelt 
wird, vielleicht aber macht die Arteriosklerose der Pankreas¬ 
arterien, welche von Fleiner u. a. naebgewiesen ist, eine 
Funktionsstörung dieses für den Diabetes in erster Linie wichtigen 
Organes.“ Dass Lebererkrankungen, besonders cirrhotische Vor¬ 
gänge, in vereinzelten Fällen bei Diabetes auch die Ursache 
der Gefässerkrankungen sind, soll nicht bestritten werden. Der¬ 
artige Erkrankungen finden sich jedoch viel zu selten, als 
dass wir hierin nun etwa eine Erklärung für das häufige Vor¬ 
kommen von Gefässveränderungen bei der Zuckerharnruhr sehen 
könnten. 

Fleiner'und G. Hoppe-Seyler haben dann auf die Syphilis 
als ätiologischen Faktor hingewiesen, welche bekanntlich oft genug 
Erkrankungen der Gefässe verursacht, ln vereinzelten Fällen 
mag ja die Syphilis als Entstehungsursache des Diabetes und der 
Gefässveränderungen zu betrachten sein. Vielleicht werden uns 
hier systematische Untersuchungen über den Ausfall der Wasser- 
mann’schen Reaktion beim Diabetes weiter aufklären. Es ist je¬ 
doch nicht anzunehmen, dass die Syphilis eine so häufige Ursache 
der Zuckerkrankheit ist, dass wir nun dadurch gleichfalls die 
häufige Entwicklung von Gefässerkrankungen plausibel machen 
könnten. Wir werden uns daher wohl nach einer anderen Ur¬ 
sache umsehen müssen, wenn wir in ungezwungener Weise das 
häufige Zusammentreffen von Diabetes und Arteriosklerose er¬ 
härten wollen. Es ist vielleicht nicht überflüssig, darauf be¬ 
sonders hinzuweisen, dass wir bei unserer Betrachtung nur die 
Fälle von Diabetes im Auge haben, bei denen der Diabetes die 
primäre Erkrankung ist, und die GefässVeränderung erst im Ver¬ 
laufe der Zuckerkrankheit eintritt. Andererseits ist bekannt 
genug, dass es Fälle von Arteriosklerose gibt, welche später zum 
Diabetes führen. Das sind aber ganz andere Fälle. Sie treten vor¬ 
wiegend erst im späteren Lebensalter auf und betreffen meist hagere 
Leute. Bei ihnen ist die diabetische Erkrankung die mehr neben¬ 
sächliche. ln diesen Fällen mag ja häufiger eine arteriosklero¬ 
tische Erkrankung der Pankreasarterien von Bedeutung sein. 

In folgendem will ich es versuchen, eine, wie mir scheint, 
recht einfache und ungekünstelte Theorie zu entwickeln, welche 
das häufige Auftreten von Arteriosklerose bei Diabetes in voll 
kommenster Weise erklärt. Zuvor muss ich jedoch in aller Kürze 
auf eine der wichtigsten, bekannten Ursachen für das Entstehen 
der Arteriosklerose überhaupt eingehen. Unter diesen Ursachen, 
deren es sehr viele gibt, spielt eine sehr wichtige Rolle ein 
mechanisches Moment, das in der häufigen Ueberfüllung des 
Blutgefässsystems besteht. Dieses Moment trifft ganz besonders 
häufig bei allen starken Trinkern und Essern zu. Besonders führen 
starke Biertrinker ihrem Körper oft dauernd und regelmässig sehr 
grosse Mengen von Flüssigkeit gewohnheitsmässig zu. Diese Zu¬ 
fuhr von grossen Flüssigkeitsmengen bedeutet für den Körper 
und insbesondere für das Blutgefässsystem eine ausserordentliche, 
schädigende Belastung, welche auf die Dauer selbst ein noch so 
gesundes Circulationssystem oft nicht ungestraft aushalten wird. 
Auf diesen causalen Zusammenhang, besonders für das Herz, 
haben vor längerer Zeit Bauer und Bollinger die Aufmerk¬ 
samkeit gelenkt. Wenn auch bei chronischen Biertrinkern 
neben der oft exorbitanten Flüssigkeitsmenge, welche chronisch 
Tag für Tag für Jahre und Jahrzehnte dem Körper zugeführt 
wird, noch andere Schädlichkeiten mitsprechen und die Blut¬ 
gefässe schädigen, besonders der Alkohol und sehr oft 
gleichzeitig Nikotin, so ist doch wohl allgemein anerkannt, 
dass schon allein eine chronische Ueberlastung des Kreis¬ 
laufes durch Zufuhr übergrosser, mehr indifferenter Flüssigkeits- 
mengen, ohne dass diese andere Schädlichkeiten zu enthalten 
brauchen, für die Girculationsorgane oft verhängnisvoll wird. 
Wir betrachten eine derartige, chronische Ueberlastung des Gefäss- 
systems als eine der häufigsten Ursachen der Arteriosklerose. Wir 
werden im folgenden auf diese Aetiologie der Arteriosklerose 
noch des öfteren zurückzukommen haben. Ein anderes, ebenso 
anerkanntes Moment in der Aetiologie der arteriosklerotischen 
Gefässerkrankung ist die übermässige Aufnahme fester Nahrung, 
wie sie bei üppiger Lebensweise oft genug vorkommt. Audi 
hierbei kommt es zu einer Ueberlastung des Blutgefässsystems, 
und diese Ueberlastung schädigt die Arterien. Kombinieren sich 
beide Dinge, die chronische Zufuhr übermässiger, flüssiger und 
fester Nahrungsmittel, so werden die Konsequenzen an den Ge- 
fässen sich um so früher und intensiver fühlbar machen. Diese 
beiden Dinge sind es, welche nach meinem Dafürhalten vor 
allem mit dafür verantwortlich zu machen sind, dass wir beim 
Diabeteb sö häufig arteriosklerotische Veränderungen an den 


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12. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


879 


Arterien finden. Aach beim Diabetes wird bekanntlich im all¬ 
gemeinen übermässig stark getrunken und gegessen. Oft wirken 
diese Momente hier Jahre und Jahrzehnte ein und werden selbst¬ 
redend das Gefässsystem dauernd fiberfüllen und überlasten. Wie 
stark diese Ueberlastung ist, darüber geben uns einige wenige 
Zahlen einen ungefähren Anhalt. 

Die Harnmenge beim Diabetiker beträgt nach v. Noorden (S.125) 
bei mittelschweren Fällen 5—6 Liter; oft steigt sie auf 10 Liter und 
erreicht in seltenen Fällen sogar Werte von 20 Litern 1 ). Dass bei 
der Zufuhr von ähnlichen Flüssigkeitsmengen, wenn sie lange 
oder gar dauernd fortgesetzt wird, eine deletäre Ueberlastung des 
Arteriensystems zustande kommen muss, ist ja wohl recht plau¬ 
sibel. Diese Ueberbürdung des Gefässsystems wird um so 
markanter sein müssen, da beim Zuckerkranken bekanntlich die 
Haut meist wenig zum Schwitzen neigt. Die meisten Diabetiker 
haben eine auffällig trockene Haut. Auch die Perspiratio in- 
sibilis ist bei den Zuckerkranken nachgewiesenerweise im allge¬ 
meinen herabgesetzt. Diese beiden Dinge werden sicher im un¬ 
günstigen Sinne auf das Blutgefässsystem einwirken müssen. Sie 
werden eine Ueberlastung des Gefässsystems direkt fördern und 
unterstützen. Andererseits wissen wir zur Genüge, dass auch die 
Aufnahme fester Nahrung beim Diabetiker sehr oft stark ge¬ 
steigert ist. So erwähnt Külz 2 ) einen Patienten, welcher täglich 
5—6 kg Fleisch verzehrte. Diese Zufuhr übergrosser fester 
Nahrungsmengen wird natürlich in ähnlicher Weise auf das Gefäss¬ 
system einwirken, wie wir dies auch sonst bei starken Essern 
schon erwähnt haben. Dass die Aufnahme der flüssigen und 
festen Nahrungsmengen bei den Zuckerkranken eine gesteigerte 
ist, ist eine so bekannte Beobachtung, dass selbst Laien diese 
Tatsache kennen. Wenn wir also rekapitulieren, so finden 
wir beim Diabetiker zwei Momente in ganz hervorragender Weise 
zutreffend, die chronische Zufuhr grosser Mengen von Flüssigkeit 
und fester Nahrung, zwei Dinge, welche wir ganz besonders als 
häufige Faktoren für das Zustandekommen arteriosklerotischer 
Prozesse an den Gefässen kennen gelernt haben. Dafür, dass 
dieser Zusammenhang begründet ist, spricht auch die Beobachtung 
v. Noorden’s 8 ), dass „hochgradige Entwicklung der Arterio¬ 
sklerose sich häufiger bei fettleibigen Diabetikern findet als bei 
mageren“. Sehr erwünscht wären nach meinem Dafürhalten 
systematische Blutdruckmessungen bei Diabetikern. Allerdings 
müssten diese Untersuchungen an einer grossen Anzahl von 
Diabetikern der Privatpraxis ausgeführt werden und nicht 
etwa im Krankenhause, wo wir ja gewöhnlich Diabetiker 
im 2. Stadium antreffen. Bei den decrepiden Kranken des 
2. Stadiums würden sie gar nichts beweisen. Blutdruckbestim¬ 
mungen beim Diabetiker scheinen bisher nur wenig ausgeführt zu 
sein; einige sprechen dafür, dass der Blutdruck bei Diabetikern 
gesteigert sei. So fand v. Noorden (S. 111) bei längerdauerndem 
Diabetes oft Blutdrucksteigerung und Arteriosklerose auch ohne 
Nephritis. Dass die Ueberfüllung des Kreislaufes und die 
supponierte Blutdrucksteigerung beim Diabetes vermisst werden 
wird, wenn keine gesteigerte Nahrungsaufnahme stattfindet, oder 
wenn bei Regulierung der Diät diese künstlich herabgesetzt 
worden ist, das dürfte nur logisch sein. Auch bei körperlich 
herabgekommenen, schlecht ernährten Kranken wird man ja auch 
sonst wohl keine Blutdrucksteigerung erwarten dürfen. 

Wenn wir bei einer grossen Anzahl der Diabetiker infolge 
der gesteigerten Zufuhr der Nahrungsmittel eine chronische Ueber¬ 
füllung des Kreislaufes, welche die Arterien zu schädigen imstande 
ist, annehmen dürfen, so werden wir erwarten müssen, dass diese 
Schädlichkeit auch auf das Centralorgan, auf das Herz einwirken 
muss. Diese Ueberlastung des Blutgefässsystems ex ingestis wird zu 
einer Ueberdehnung und Hypertrophie des linken Herzens führen 
müssen. Man bat auch in der Tat bei den Autopsien von Zucker¬ 
kranken nicht selten Herzhypertrophien aufgefunden. So sah 
0. Israel in 10 pCt., J. Mayer in 13 pCt. und Saundby in 
13 pCt. der secierten Diabetiker Hypertrophie des linken Ventrikels. 
Da jedoch gleichzeitig meist Nierenveränderungen (Nierenhyper¬ 
trophie) vorhanden waren, so wurde im allgemeinen die Herz¬ 
hypertrophie hiermit in Zusammenhang gebracht. Israel, der 


1) Es erscheint mir recht verführerisch zu sein, viele Leber- und 
Nierenerkrankungen, welche im Verlaufe des Diabetes auftreten, mit 
dieser Ueberanstrengung der Nieren und Leber in Zusammenhang zu 
bringen, infolge der grossen Inanspruchnahme dieser Organe. 

2) Külz, Klinische Erfahrungen über Diabetes mellitus. 1899. 

ß; 378 . |1 ,, , 

3) v. Noorden, Die Zuckerkrankheit und ihre Behandlung. Berlin 

1912. S. 199. 


mit dieser Erklärung nicht zufrieden war, nahm an, dass der ver¬ 
mehrte Blutzucker die Herzhypertropbie bedinge. Nach meinem 
Dafürhalten bedarf es dieser Hypothese nicht, wenn wir berück¬ 
sichtigen, was ich ausgeführt habe, dass bei vielen Diabetikern 
eine chronische Ueberlastung der Blutgefässe obwaltet. 

Wir werden also wohl nicht fehl gehen, zur Erklä¬ 
rung der häufigen Beobachtung, dass bei Diabetikern 
Arteriosklerose oft in die Erscheinung tritt, als 
acceptables Bindeglied ein Moment heranzuziehen, 
welches boi beiden Erkrankungen, dem Diabetes und 
der Arteriosklerose, besondere Bedeutung hat, i. e. die 
Ueberlastung des Kreislaufes infolge zu reicher Er¬ 
nährung. 

Konsequenterweise drängt sich wohl von selbst die nahe¬ 
liegende Frage auf, ob es nicht möglich ist, in sehr einfacher 
Weise dieser verhängnisvollen Komplikation des Diabetes, welche 
oft das ganze Krankheitsbild beherrscht, vorzubeugen, indem man 
diese chronische Ueberlastung des Kreislaufes verhütet, dadurch 
dass man einerseits die Zufuhr der Flüssigkeitsmenge und anderer¬ 
seits die der festen Nahrungsmittel beschränkt. Diese Art der 
Therapie ist jedoch recht wenig aussichtsvoll. Diabetiker ver¬ 
tragen im allgemeinen eine Beschränkung, besonders der FJüssig- 
keitszufuhr recht schlecht und beachten meist eine derartige 
ärztliche Vorschrift nicht. Aehnlich, wenn auch nicht ganz so 
ungünstig, liegen die Verhältnisse bei der Verordnung einer Re¬ 
duktion fester Nahrungsmittel. Oft genug steht]dem das ge¬ 
steigerte Durst- und Hungergefühl der Diabetiker ; entgegen. 
Ganz anders gestalten sich jedoch die Dinge, wenn es uns 
gelingt, durch eine rationelle und dem Falle angepasste Diät¬ 
beschränkung die Zuckermenge herabzusetzen. Dann geht meist 
das Hunger- und Durstgefübl ganz von selbst herunter. Dann 
beugen wir einer chronischen Ueberlastung des Kreislaufes pro¬ 
phylaktisch vor und können hoffen, damit gleichzeitig eine effekt¬ 
volle Prophylaxe der Arteriosklerose beim Diabetes zu ^erreichen. 
Natürlich muss eine solche Prophylaxe möglichst frühzeitig ein- 
setzen. Es ist zu hoffen, dass auf diesem Wege die Entwicklung 
der Arteriosklerose bei vielen Diabetikern verhütet werden kann. 
Die Prophylaxe der Arteriosklerose beim Diabetiker deckt sich 
also in erfreulicher Weise mit der möglichst frühzeitigen Diagnose 
und einer rationellen Behandlung des Diabetes überhaupt. Hier 
heisst es, wie auch sonst so oft: frühzeitig die Krankheit er¬ 
kennen. Dann wird es auch möglich sein, die Komplikationen 
der Krankheit, die Arteriosklerose in vielen Fällen zu verhüten. 


Darf das Neosalvarsan ambulant angewendet 
werden? 

Entgegnung auf die Abhandlung von Prof. Dr. Touton. 

Von 

Prof. Dr. A. WollT und Privatdozent Dr. P. Mälzer. 

In einer in Nr. 31 der Münchener medizinischen Wochenschrift vom 
Jahre 1912 erfolgten Publikation „Zur Kasuistik der Behandlung der 
Syphilis mit Neosalvarsan“ haben wir über unsere Erfahrungen berichtet, 
die wir mit dem neuen, aus dem Salvarsan hervorgegangenen Arsen¬ 
präparat „Neosalvarsan“ bei der Behandlung der Syphilis erzielt haben. 
Wir haben gefunden, dass dem Neosalvarsan, in der von Ehrlich und 
Schreiber als ungiftig und wirksam angegebenen Dosierung angewendet, 
erstens eine grössere Giftigkeit zukommt als dem Altsalvarsan, da 
wir sehr schwere toxische Nebenwirkungen beobachtet haben (mehr oder 
weniger hohes Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerzen, starkes Erbrechen, 
Durchfall, ausgebreitete Arzneiexantheme, Herpeseruptionen, Lähmungen, 
Harnverhaltung, Nephritis, grosse Decubitalgeschwüre usw.) und zweitens 
eine geringere Wirksamkeit, da es nioht die gleiche therapeutische 
Beeinflussung spezifischer Krankheitsprodukte besitzt, wie entsprechende 
Salvarsan- oder Hg-Dosen. Auf Grund dieser unserer schlimmen Er¬ 
fahrungen, die im Laufe der Zeit noch von verschiedenen anderen 
Autoren [Bayet 1 ), Grünberg 2 ), Kall 3 ), Bernheim 4 ), Heuck 5 ), Busse 
und Merian 6 ) u. a.] mehr oder weniger bestätigt wurden, hatten wir 
keine Veranlassung, dieses Mittel weiterhin in unserer Klinik zu ver¬ 
wenden. Im Interesse der Patienten und der Aerzte glaubten wir ferner 

1) Bay et, Journ. med. de Bruxelles, lSfl2, Nr. 37. 

2) Grünberg, Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 44. 

3) Kall, Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 81. 

4) Bernheim, Deutsche med. Woohenschr. 1912, Nr. 22. 

5) Heuk, Therapeut. Monatsh., 1912, Nr. 11. 

6) Buss© und Merian, Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 43, 

5 * 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 19. 


energisch davor ■warnen zu müssen, einem Vorschläge von Touton zu 
folgen, der dahin lautete, dass das „Neosalvarsan so recht ein Mittel für 
die ganz ambulante, vom Krankenhaus unabhängige Privatpraxis sei“. 
Obwohl wir nun dieser unserer Warnung hinzufügten: „wenigstens in 
der von Ehrlich angegebenen Dosierung“, erblickt Touton in 
dieser Warnung, wie wir aus seiner in Nr. 11 dieser Wochenschrift, 
1913, erschienenen Abhandlung „Darf das Neosalvarsan ambulant ange¬ 
wendet werden“ entnehmen können, eine Kritik „seiner“ Methode der 
ambulanten Anwendung des Neosalvarsans. Diese irrige und völlig aus 
der Luft gegriffene Annahme veranlasst ihn nun zu den schärfsten, weder 
sachlich noch formell irgendwie zu rechtfertigenden Angriffen und Vor¬ 
würfen uns gegenüber. 

Herr Touton verlangte von uns, dass wir „vor Abgabe dieses 
scharfen Urteils (scilicet über Neosalvarsan) uns zunächst einmal die 
Mühe hätten nehmen sollen, die Methode des als unvorsichtig verurteilten 
Praktikers selbst nachzuprüfen“. Dem ist gegenüberzuhalten, dass wir 
ja nicht die Methode der ambulanten Anwendung des Neosalvarsans, 
wie sie Herr Touton angegeben hat, verurteilt haben, sondern dem 
generell gehaltenen Ausspruch von Touton entgegengetreten sind 
(der sich noch dazu auf Resultate gründete, die grösstenteils bei Spät- 
latens und bei den sogenannten metaluetiscben Erkrankungen, also nicht 
bei manifesten Symptomen der Syphilis gewonnen worden waren und 
wohl nur durch den jeweiligen Ausfall der Wassermann’schen Reaktion 
nachgewiesen werden konnten), dass „das Neosalvarsan so recht 
ein Mittel sei für die ganz ambulante, vom Krankenhaus 
oder Sanatorium unabhängige Privatpraxis“. Hätte HerrTouton 
bei seinem Resümee hinzugesetzt etwa: „wenn man es in so kleinen 
Dosen, wie ich es angegeben habe, und in Kombination mit Hg ver¬ 
wendet“, so wäre es uns niemals eingefallen, seinen Namen bei unserer 
Zusammenfassung auch nur in den Mund zu nehmen. Und ausserdem 
haben wir ja auch noch, worauf wir oben schon hinwiesen, hinzugesetzt: 
„wenigstens in der von Ehrlich angegebenen Dosierung“. 

Wir hatten demnach doch wohl keine Verpflichtung, vor Abgabe 
unserer Aeusserung erst die „neue Methode des Herrn Touton“ nach¬ 
zuprüfen. Die diesbezüglichen Angaben von Touton haben uns auch 
gar nicht weiter interessiert, denn erstens wollten wir ja die therapeu¬ 
tische Wirkung des neuen, als besonders wirksam und ungiftig 
erklärten Arsenpräparates allein kennen lernen und mit der 
uns bereits bekannten des alten Salvarsans vergleichen. 
Als die Touton’sche Arbeit, welche die diesbezüglichen Mitteilungen 
über die guten Erfolge seiner Kombinationsbehandlung enthielt, am 
10. Juni 1912 erschien, hatten wir bereits 13 Fälle mit Neosalvarsan 
behandelt und uns (siehe unsere damaligen Protokolle) dabei überzeugen 
können, dass so kleine Dosen von Neosalvarsan, wie sie Touton 
verwendet, bei manifesten Symptomen einer Syphilis allein 
überhaupt nicht oder doch nur sehr wenig wirksam sein 
konnten. 

Zweitens wussten wir demnach schon, dass die gute Wirkung 
der Touton’schen „Neosalvarsankur“ in erster Linie auf Rechnung 
der mindestens 10—14 Tage betragenden Vorbehandlung mit Hg 
und der Fortsetzung der Hg-Behandlung während der Neo- 
salvarsaninfusion zu setzen sein musste. Dass Salvarsan allein die 
Syphilis nicht heilt, das hat ja auch Ehrlich schon längst zugegeben. 
Seit mehr als l 1 /* Jahren kombinieren auch wir in den Fällen, wo wir 
Salvarsan verwenden, dieses mit energischen Hg-Kuren. In Ueberein- 
stimmung mit Jadassohn und anderen namhaften Dermatologen halten 
auch wir es für vollkommen gleichgültig, „ob man mit Hg anfängt und 
das Salvarsan nachfolgen lässt oder umgekehrt, oder ob man mit beiden 
zu gleicher Zeit anfängt“. In der Kombinationstherapie Touton’s 
konnten wir demnach nichts Neues und Nachprüfungswertes erblicken! 

Drittens warnt gerade Wechselmann immer wieder aufs 
entschiedenste vor einer Kombination des Salvarsans wie 
des Neosalvarsans mit Hg und insbesondere vor einer „Vorbehand¬ 
lung“ im Sinne Touton’s. Wechselmann erblickt ja gerade darin 
die Hauptursache eventuell toxischer Nebenwirkungen dieser Präparate. 

Weiterhin werfen uns Touton, Marschalko und einige andere 
Autoren vor, dass wir bei unseren therapeutischen Versuchen mit Neo¬ 
salvarsan von Anfang an zu hohe Dosen gegeben hätten. Dem ist 
nun folgendes entgegenzuhalten: Wir wollten die Wirkung des Neosal¬ 
varsans auf syphilitisohe Manifestation nacbprüfen. Wir erhielten eine 
Probesendung von Ehrlich mit der Weisung, uns an die vonSchreiber 
seit Oktober 1911 bei 230 Patienten erprobte Dosierung — ein mittels 
Schreibmaschine geschriebenes Schema lag bei — zu halten. Es ist wohl 
selbstverständlich, dass wir uns zunächst wenigstens an diese Dosen halten 
mussten, wenn wir die uns von Schreiber vielgerühmte Wirksamkeit 
des neuen Salvarsanpräparates am eigenen Material nachprüfen wollten. 
Hätten wir von Anfang an kleine Dosen gewählt und dabei 
keine oder nur geringe Wirkungen erzielt, so wäre uns ganz 
gewiss von Ehrlich und seinen Anhängern der Vorwurf ge¬ 
macht worden, dass wir nicht die richtigen bzw. genügend 
hohen, also wirksamen Dosen gewählt hätten. Zudem glaubte 
man ja gerade den grossen Vorteil des neuen Salvarsanpräparates dem 
alten gegenüber darin zu erblicken, dass es in weit höheren Dosen 
wie jenes ohne Schaden gegeben werden könne [Ehrlich, Schreiber 1 ), 


1) Schreiber, Münchener raed. Wochenschr., 1912, Nr. 34. 


Iversen 1 ), Duhot 2 )], und dass man „eben dadurch dem Ehrlich- 
schen Ziele einer Therapia magna sterilisans der Syphilis 
näher gekommen sei bzw. es schon erreicht habe“ (Iversen). 
Schon kurze Zeit nach Beginn unserer diesbezüglichen Versuche mussten 
wir aber, wie aus unseren veröffentlichten Protokollen hervorgeht, der 
bereits bei dieser Dosierung von uns beobachteten recht unangenehmen 
Nebenwirkung wegen die Dosen verkleinern und insbesondere die Zeit, 
die zwischen den einzelnen Injektionen lag, verlängern. Schwere toxische 
Zufälle, die auch andere Autoren bei der ursprünglich von Ehrlioh zur 
Verwendung empfohlenen Dosis beobachtet hatten, veranlassten Ehrlich 
bekanntlich in einem Rundschreiben vom 18. Juni 1912 ebenfalls zu 
fordern, dass nicht so hohe Dosen mehr verwendet werden dürften, dass 
zwischen die einzelnen Dosen Pausen von drei bis vier Tagen ein¬ 
zuschieben seien, und dass die Gesamtdose der Kur nicht über 5-—6 g be¬ 
tragen dürfte. 

Bis zum Erscheinen dieses Rundschreibens hatten wir nun im 
ganzen 19 von 30 Fällen bereits mit Neosalvarsan behandelt und dabet 
in keinem einzelnen Falle obige, doch gegenüber der ersten An¬ 
gabe bereits stark reduzierte Dosis überschritten. Im Durchschnitt 
haben wir nur sehr selten und nur in den ersten paar Fällen mehr als 
4 g als Gesamtdosis gegeben. Als wir später bei noch vorsichtiger 
Dosierung sogar bei einer Gesamtdosis von 3,3 g Neosalvarsan bei einem 
jungen 27 jährigen Mädchen ausserordentlich schwere Nebenwirkungen, 
wie wir sie mitteilten, sahen, da warfen wir allerdings, wie Touton so 
treffend sagt, „das Neosalvarsan in die therapeutische Rumpelkammer 
der Strassburger Universitäts-Hautklinik*. 

Ausserdem ist aber noch zu bemerken, dass wir, wie ebenfalls aus 
unseren Protokollen hervorgeht, ja direkt gezwungen waren, 
grössere Dosen Neosalvarsan zu verwenden, da nämlich 
kleinere — wenigstens ohne gleichzeitige Hg-Anwendung — auf 
manifest-luetische Symptome fast gar keine Wirkung ent¬ 
falteten. Erst nach der ein- oder zweimaligen Wiederholung einer 
intravenösen Injektion in etwas gesteigerten Dosen von Neosalvarsan 
trat eine deutliche therapeutische Beeinflussung der luetischen Krank¬ 
heitsprodukte ein. Insbesondere aus der Krankheitsgeschichte unseres 
Falles der erst nach sechsmonatigem schwersten Siechtums starb, lässt 
sich dies ausserordentlich klar ersehen. Wir wiederholen im folgenden 
einen Teil derselben: 

Martha Br., Näherin, 27 Jahre alt, niemals krank. Anfang März d. J. 
bemerkte Pat. ein Geschwür an den Geschlechtsteilen, das sich im Laufe 
der Zeit vergrösserte, dann aber wieder abheilte. 

Am 1. VI. in die Klinik aufgenommen, fanden wir bei dem etwas 
schwächlichen, aber gesunden (Cor und Pulmo ohne Besonderheiten) 
Mädchen an den Genitalien zahlreiche nässende Papeln und Reste eines 
indurierten Oedems und eine ausgeprägte Scleradenitis sinistra in der 
Leistengegend. Augenbefund und Gehörorgan ohne Besonderheiten. 
Urin normal. Wassermann’sche Reaktion stark positiv. 

Krankheitsverlauf: 1. VI. 1912 0,7 Neosalvarsan. 

2. VI. Temperatur normal, kein Kopfschmerz, Erbrechen oder 
Durchfall. 

3. VI. Status idem. Wassermann’sohe Reaktion positiv. Papeln 
nicht beeinflusst. 

4. VI. 1,2 Neosalvarsan. 

5. bis 8. VI. Keine Temperaturerhöhung, Allgemeinbefinden 
normal, Wassermann’sche Reaktion positiv, Papeln unverändert 
deshalb am 

8. VI. 1,4 Nersalvarsan. 

9. VI. Temperatur normal; äusserst heftiges, fast un¬ 
stillbares Erbrechen. 

Hier waren Dosen, die von Ehrlich, Schreiber, Iversen u. a. 
als absolut zulässig erklärt worden waren und noch erklärt werden 
(siehe oben), gegeben und scheinbar ausgezeichnet vertragen worden. 
Insbesondere war — „ohne eine vorsichtige Hg-Vorbehandlung im Sinne 
Touton’s — niemals Fieber aufgetreten, es hatte demnach, wenn man 
mit Touton u. a. das bei florider Lues nach der ersten Salvarsan- bzw. 
Neosalvarsandosis auftretende Fieber als „Endotoxinreaktion“ auffassen 
wollte, trotz florider Hauterscheinungen infolge der durch 
das Neosalvarsan zerstörten Spirochäten kein Freiwerden 
der so verderblichen Endotoxine stattgefunden. Wie ein Blitz 
aus heiterem Himmel traten plötzlich unstillbares Erbrechen und alle jene 
unheimlichen Erscheinungen auf, die uns doch als typische Wirkungen 
einer akuten Arsen Vergiftung so bekannt sind. Am 15. XII. 1912 starb 
das Mädchen. Die Sektion, die von Herrn Professor Ghiari am anderen 
Tage ausgeführt wurde, und die spätere histologische Untersuchung er¬ 
gab den Befund einer toxischen Myelitis, welche von Herrn 
Professor Chiari auf eine Arsenintoxikation zurückgeführt 
wurde. Der Fall wurde übrigens von Herrn Professor Chiari auf der 
diesjährigen Tagung der Deutschen pathologischen Gesellschaft in Mar¬ 
burg besprochen, und wir verweisen im näheren auf das diesbezügliche 
Protokoll. Einen fast ganz analogen Fall erlebten ausser uns auch 
Bayet nach 0,7 und 0,8, also im ganzen 1,5 Neosalvarsan in 10 Tagen, 
und Busse und Merian nach nur 0,6 Neosalvarsan. 

Herr Touton erwähnt in seiner, diesen Erörterungen zugrunde 
liegenden Abhandlung wiederholt Episoden aus einer anscheinend recht 
lebhaften Diskussion über Neosalvarsan, die während der Herbstversamm- 


1) Iversen, Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 26. 

2) Duhot, Revue beige d’urologie et dermato-syph., 1912, Nr. 40 


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12. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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lang der südwestdeutscben Dermatologen in Frankfurt a. M. stattfand, 
obwohl es unserer Ansicht nach nicht Usus ist, in wissenschaftlichen Ab¬ 
handlungen und Polemiken irgendwelche Aeusserungen zu verwerten, die in 
Privatgesellschaften getan werden bzw. die nicht in üblicher 
Form in irgendeiner Fachzeitschrift publiziert, dem Leser 
der betreffenden Abhandlung zugänglich sind. (Das ist zu 
unserem eigenen grossen Bedauern in Frankfurt nicht der Fall.) Leider 
waren wir damals aus äusseren Gründen verhindert, persönlich zu er¬ 
scheinen, was Herr Touton anscheinend ebenfalls lebhaft bedauert 
hat, da er ja „sich uns dann einmal persönlich gekauft hätte“. Diese 
unsere Polemik wäre dann wohl überflüssig geworden. Unsere Inter¬ 
essen wurden aber anscheinend in ausgezeichneter Weise durch Herrn 
Dr. Hügel, einem Assistenten unserer Klinik, vertreten, denn die 
Mehrzahl der anwesenden Kollegen gratulierte ihm zu seinen 
ruhigen und saohgemässen Diskussionsbemerkungen und erklärten 
sich mit seinen Ausführungen über die von uns beobachtete 
Neosalvarsanwirkung, insbesondere bei unserer „Myelitis“ 
völlig einverstanden. Diesen Erklärungen, die auch von dem gleich¬ 
falls dort anwesenden 2. Assistenten der Klinik, Herrn Dr. Mentberger, 
vollkommen bestätigt wurden, gegenüber verstehen wir nicht, wie Herr 
Touton behaupten kann, „dieser Deutung (Reaktion auf einen latenten 
Herd in der Umgebung des Lendenmarks, der mangels einer milden 
Hg-Yorbehandlung und wegen der relativ hohen, rasch aufeinander 
folgenden Neosalvarsandosen zu rasoher Schwellung kam) schlossen sich 
die Nicht-Strassburger Herren in der Diskussion vollständig an“. 

Aus eben diesem Grunde, einer unvollständigen Berichterstattung 
Toutons wegen, müssen wir hier auch mit einigen Worten auf den so¬ 
genannten „Wasserfehler“ eingehen. Im besonderen verweisen wir hier 
auf die Publikation von Herrn Dr. Obermiller 1 ), die im Verlage von 
Beust - Strassburg erschienen und die ganz im Sinne unserer diesbe¬ 
züglichen Anschauungen geschrieben ist. Herr Touton schreibt: „In 
vielen Fällen handelt es sich aber überhaupt ganz gewiss noch um den 
Wasserfehler, und er ist sicher kein „Märchen“, wie die Strassburger 
Herren Mulzer und Obermiller glauben macheu wollen. Da Ehrlich 
selbst in Frankfurt das Unzulässige ihrer Experimente zugleich mit ihrem 
Mangel an Beweiskraft gebührend gewürdigt hat, so bin ich dessen hier 
überhoben.“ 

Aus diesen Worten muss doch nun jeder Leser, der nicht an jener 
Versammlung teilgenommen hat, schliessen, dass Ehrlich tatsächlich 
die Ausführung beider Herren in exakter und streng wissenschaftlicher 
Weise widerlegt habe. Dem ist nun aber in Wirklichkeit nicht 
so gewesen! 

Nach den Mitteilungen unserer beiden Assistenten und zahlreicher 
anderer Gewährsmänner war Ehrlich so erregt, dass von einem ge¬ 
ordneten Beweis der „Unzulässigkeit“ unserer Experimente usw. nicht 
die Rede gewesen sein soll. Exz. Ehrlich war ferner offenbar falsch 
über die Versuche des einen von uns, Dr. Mulzer, orientiert worden, 
denn sonst hätte er sich nicht zu der Drohung hinreissen lassen, „uns den 
Staatsanwalt auf den Hals schicken zu wollen“ und doch absolut korrekte 
Versuche, auf die wir gleich noch einmal zurückkommen werden, ver¬ 
glichen „mit dem Vorgehen eines Chirurgen, der mit ungewaschenen 
Händen im Bauch eines Patienten herumwühle“ und sie ein „unerhörtes 
Verbrechen“ genannt. Nun diese Versuche, die lediglich dazu gemacht 
worden sind, um zu beweisen, dass aus bakterienhaltigem Wasser herzu¬ 
stellende Kochsalzlösung die starken Fiebersteigerungen hervorrufen könnte, 
aber zu unserem eigenen Erstaunen das Gegenteil ergaben, 
wurde folgendermaassen vorgenommen: Einige Liter gewöhnlichen, frisch 
destillierten und sterilen Wassers aus der Spitalapotheke wurden in 
zwei grossen weithalsigen Flaschen teils offen, teils nur ungenügend ver¬ 
schlossen 4—6 Wochen lang in einem Laboratoriumsraum aufgestellt. 
Nach Verlauf dieser Zeit fanden sich in einem Färbepräparat aus dem 
Bodensatz massenhaft Bakterien. Dieses so stark verunreinigte Wasser 
wurde nun nach Zusatz von 0,9 pCt. Kochsalz 2 Stunden lang im 
strömenden Wasserdampf nochmals sterilisiert (Sterilitätsprüfung!), 
mit sterilem Wattebausch und Verschlussstreifen verschlossen und als¬ 
bald zu Salvarsaninjektionen verwendet und zwar schadlos. 

Die Reaktionen verliefen genau so, wie wir sie auch bei 
ganz frisch aus der Leitung entnommenem destillierten und 
sterilisierten Wasser zu sehen gewohnt sind. Auch damit ge¬ 
spritzte Kaninchen haben nicht den geringsten Schaden erlitten. „Was 
speziell die Temperaturen anbetrifft, so hatten wir teils höheres (als 
Maximum jedoch nur ein einziges Mal 39,7°), teils mittleres, teils gar 
kein Fieber. Ja, wenn wirklich das mit Endotoxin banaler Bakterien 
geschwängerte Wasser so gefährlich wäre, so hätten doch die Reaktionen 
bei diesem „perniciösen Wasserfehler (Ehrlich)“ ganz anders 
ansfallen müssen, sie hätten vor allen Dingen regelmässig mit sehr 
hohem Fieber einhergehen müssen und niemals ausbleiben dürfen, 
und es hätte schliesslich in zwei Fällen die Reaktion auf eine wieder¬ 
holte Infusion mit frischem Wasser die auf die vorausgegangene mit altem 
Wasser nicht übersteigen dürfen“ (Obermiller). 

Dass es einen durch Toxine pathogener Bakterien hervorgerufenen 
„bakteriologischen“ Wasserfehler geben kann, das leugnen auch wir 
nicht, aber wir glauben nicht, dass die gewöhnlichen, unschädlichen 
Wasser- und Luftmikroben nun auf einmal eine so giftige Wirkung her¬ 
vorrufen können. Seit vielen Jahren liefert die Spitalapotheke für In¬ 
fusionen der Chirurgen und der Gynäkologen des hiesigen Bürgerspitals 


1) Strassburger med. Zeitg., 1913, Nr. 1 u. 2. 


die gleiche, absolut einwandfreie sterile Kochsalzlösung, wie wir sie zur 
Bereitung der Salvarsanlösung verwenden. 

Das Spitalwasser, das zur Herstellung dieser Kochsalzlösung bzw. 
des destillierten Wassers verwendet wird, gleicht aber bezüglich seines 
geringen Bakteriengehaltes dem von Touton so sehr gerühmten Wies¬ 
badener Leitungswcsser nicht nur, sondern es übertrifft es auch noch 
(Mulzer). 

Chirurgen und Geburshelfer sind nach wie vor mit dieser Kochsalz¬ 
lösung vollkommen zufrieden, auch jetzt noch, wo es bei uns Syphilido- 
logen, allerdings mit Salvarsan verbunden, doch recht oft sehr 
unangenehme bzw. toxische Wirkungen entfaltet. Wir haben seinerzeit 
Versuche einer Behandlung des Pemphigus mit Chinin, und insbesondere 
zahlreicher Lupusfälle mit Aurum kalium cyanat. vorgenommen, bei denen 
ebenfalls das jeweilige Mittel in derselben physiologischen Kochsalz¬ 
lösung gelöst war. Nun, in keiner der etwa 300 Injektionen ist 
irgendwelche Fiebersteigerung aufgetreten! 

Nachdem der bakteriologische Wasserfehler nicht in allen Fällen 
die Nebenerscheinungen erklären konnte, entdeckte Wechsel mann noch 
im chemischen Wasserfehler ein weiteres kausales Moment: Nach ver¬ 
gleichenden Analysen des im Wecbselmann’schen Destillationsapparate 
(ganz aus Glas) hergestellten Wassers mit dem, welches der Vebmel- 
Lautenschläger’sche Apparat (Kocbflasche und Kühler aus Metall) liefert, 
soll nämlich letzteres wegen zu vieler chemischer Rückstände zu bean¬ 
standen und nur das Wasser aus dem Wechselmann’schen Apparat 
einwandfrei sein. Der eine von uns, Mulzer, hat indes im Verein mit 
Oberapotheker Dr. Matter gefunden, dass sowohl mit dem Vehmel- 
Lautenschläger’schen als auch mit einem ganz aus Glas (Jenenserglas) 
hergestellten Apparate gleich gute Resultate erzielt werden können, und 
dass das Strassburger Leitungswasser auch nach dieser Hin¬ 
sicht dem Wiesbadener vollkommen gleichsteht. Mit chemisch 
reinem H 2 0 werden wir nun praktisch überhaupt nicht zu rechnen 
haben, stets werden minimale Spuren chemischer Bestandteile bei 
der Destillation oder bei der Injektion (Schlauch!) mit übergehen! 
Ebenso übertrieben ist nach unserer Ansicht die Warnung von Siccard 
und Leblanc, wegen ihres Bleisilikatgehaltes andere Destillations¬ 
apparate zu benützen als die aus Jenenserglas. Wozu macht man immer 
und immer wieder neue Versuche, die doch in jedem Lehrbaoh der 
Toxikologie als typisch für akute Arsenvergiftung beschrie¬ 
benen und nach der Einführung von einem Arsenpräparat, wie es doch 
das Salvarsan und das Neosalvarsan einmal kt, häufig auftretenden 
Nebenwirkungen, auf alle möglichen anderen Ursachen zurückzuführen, 
nur nicht eben auf das Arsen! Wenn man einem Patienten 1 g Mor¬ 
phium in einem Glas Wasser verabreicht, und er stirbt unter den An¬ 
zeichen einer Morphium Vergiftung, dann wird es doch niemand einfallen, 
das Wasser anzuklagen, um in ihm die Ursache des Todes za suchen. 
„Wenn ein anderer als Ehrlich, sagt treffend Pielicke, wenn irgend¬ 
eine Fabrik das Mittel direkt in die Therapie eingeführt hätte, so hätten 
wohl weniger Fachleute den Umweg der Erklärung über die Herxheimer- 
sche Reaktion und über den sogenannten Wasserfehler so lange mit¬ 
gemacht.“ (Obermiller.) 

Was schliesslich die generelle Frage betrifft, ob man Neosalvarsan 
ambulant geben soll oder nicht, so können und wollen wir hier niebt 
auf die teilweise doch recht harmlosen Einwände des Herrn Touton näher 
eingehen. Wir lehnen es auch fernerhin ab, das Neosalvarsan noch 
weiterhin zu verwenden, weder ambulant, noch im Krankenhaus, und 
zwar einmal, weil es in den allein wirksamen Dosen weit 
toxischer als Salvarsan wirkt, und dann, weil wir mit dem 
Salvarsan, das in den entsprechenden Dosen viel wirksamer 
und weit weniger giftig ist, völlig auskommen. 

Das Salvarsan aber geben wir nur in den seltensten Fällen, selbst 
in den kleinen Dosen (0,3—0,4 g), die wir in Verbindung mit ausgiebigen 
Hg-Kuren anwenden, ambulant. Wir verlangen zum mindesten, dass 
der Patient, wenn er seine ganze Kur nicht im Krankenhause vollenden 
kann, einige Tage nach der Infusion in der Klinik bleibt und sioh uns 
in kürzeren Zwischenräumen wieder vorstellt oder sich zu Hause unter 
genau orientierte ärztliche Kontrolle gibt. Gerade die Argumente, die 
Herr Touton im letzten Absatz seiner Publikation für die ambulante 
Verabreichung des Neosalvarsans (NB. Wieder generell gehalten!) an¬ 
führt, sprechen doch am schärfsten dagegen. Wir wissen nun 
doch wirklich leider zu gut, dass im Anschluss an eine Salvarsan- bzw. 
Neosalvarsaninfusion jederzeit plötzliche und unvorhergesehene üble Zu¬ 
fälle auftreten können. Vor kurzem erst wieder passierte es uns hier 
in der Klinik, dass ein vollkommen gesunder Patient, der vor 80 Jahren 
Lues acquiriert hatte und jetzt wegen einer suspekten Rhinitis 0,3 g 
Salvarsan erhielt, 24 Stunden später bewusstlos und schwer röchelnd im 
Abort aufgefunden wurde. Allmählich traten dann die Symptome einer 
Apoplexie bei ihm zutage und etwa 20 Stunden später war dieser Patient 
tot. Die Sektion ergab einen Blutergusss in einem Ventrikel und zahl¬ 
reiche punktförmige Hämorrhagien in der Rindensubstanz, 
die nach Prof. Chiari ausserordentlich für eine Arsenvergiftung sprachen. 
Besonders zu betonen ist hier noch, dass keinerlei syphilitische Ver¬ 
änderungen im Gehirn und an den Gefässen (keine Spur einer Arterio¬ 
sklerose!) gefunden werden konnten. Wäre dieser Patient nun nicht in 
der Klinik geblieben, sondern nach Hause gefahren, wo er höchstwahr¬ 
scheinlich seinen Angehörigen nichts von der, seine Krankheit ver¬ 
ratenden Kur gesagt hätte, so würde man eben einen gewöhn¬ 
lichen Schlaganfall angenommen haben. In Analogie hierzu steht 
folgender Fall: Ein hiesiger Herr hatte von einem Spezialkollegen am 

6 


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Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



882 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 19. 


Morgen Neosalvarsan erhalten und war noch am selben Tage nach 
Molsheim gefahren. Am Abend kehrte er wieder in seine Wohnung zu¬ 
rück, klagte aber über schwere Kopfschmerzen und Benommenheit. 
Nach zwei Stunden stellte sich Bewusstlosigkeit ein. Es wurde nun 
Herr Dr. Böllak gerufen, der den Kollegen, der die Einspritzung ge¬ 
macht hatte, vertrat. Dieser zog zu diesem Fall den einen von uns 
(Prof. Wolff) zu, der den Patienten im tiefsten Coma mit stark er¬ 
weiterten Pupillen und vollständige Resolution der Glieder vorfand. 
Epileptische oder epileptiforme Krämpfe wurden nioht beobachtet. Die 
Bewusstlosigkeit hielt 24 Stunden lang an, dann erholte sich der Patient 
allmählich wieder. 

Mit diesen unseren beiden Fällen decken sich nun eine ganze An¬ 
zahl von Mitteilungen in der einschlägigen Literatur, nach denen kurze 
Zeit nach einer aus therapeutischen Gründen vorgenommenen Salvarsan- 
injektion die Patienten bewusstlos in der Eisenbahn, im Arbeitszimmer, im 
Hotel oder irgendwo auf dem Erdboden gefunden wurden und in der Be¬ 
wusstlosigkeit meist (nach Lesser 16 von 18 derartiger Fälle) starben. 
Da wir nun noch ausserdem wissen, worauf ja auch Herr Touton noch 
hinweist, dass ein Syphilitiker, eben weil er an dieser Krankheit leidet, 
alles tut, diese seinen Angehörigen und auch dem Arzte sehr gern 
verheimlicht, so müssten wir schon im Interesse einer exakten Auf¬ 
klärung über die Wirkung des Salvarsans bei der Verabreichung desselben 
überall so verfahren, wie wir hier in der Klinik. 

Alle diese Gefahren und Möglichkeiten müssen nun aber auch dem 
Neosalvarsan zukommen, da es nach unseren Erfahrungen und der 
anderer Autoren (siehe oben) selbst in kleineren Dosen viel toxischer 
als das Altsalvarsan wirkt. Aus diesen Erwägungen heraus haben wir 
unsere Warnung von der ambulanten Verwendung des Neo- 
salvarsans ausgesprochen. Wir wiederholen sie hier und fügen 
noch hinzu, dass für uns damit die Akten über das Neosalvarsan end¬ 
gültig geschlossen sind. 


Ueber die Sterblichkeit an Krebs in Preussen 
während der Jahre 1903—1011 nach Alters¬ 
klassen. 


Robert Behla. 

Zunahme der Sterblichkeit an Krebs in Preussen überhaupt sowie 
in den Altersklassen von 0 bis 30, 80 bis 60 und über 60 Jahren für 
die Jahre 1903—1911, berechnet auf 10 000 Lebende derselben Alters¬ 
klasse. 

_ Gestorben _ 

an Krebs I an anderen Neubildungen 1 ) 


überhaupt 


auf 10 000 
Lebende 


überhaupt 


auf 10 000 
Lebende 


zus. | m. w. zus. m. 


öerhaupt*). 


11 

580 

21 

2581 

5,52 

6,42 

5,98 

949 

1213 

12 

192 

22 

586 

5,84 

6,66 

6.26 

1060 

1404 

12 

649 

23 

115 

5,77 

6,79 

6,29 

1143 

1446 

13 

111 

23 

906 

5,86 

6,93 

6,40 

1177 

1415 

13 

730 

25 

100 

6,08 

7,15 

6,62 

1356 

1578 

14 

051 

25 

602 

6,08 

7,21 

6,65 

1323 

1606 

14 

407 

26 

416 

6,23 

7,29 

6,77 

1377 

1636 

15 

420 

28 

093 

6,49 

7,70 

7,10 

1482 

1765 

16 

180 

29 

473 

6,64 

7,90 

7,28 

1461 

1726 


Altersklasse 


121 

196 

317 

0,11 

0,18; 

0,14 

235 

245 

142 

221 

363 

0,13 

0,20 

0,16 

256 

267 

182 

198 

330 

0,12 

0,17 

0,15 

276 

281 

141 

220 

361 

0,12 

0,19 

0,16 

317 

244 

150 

187 

337 

0,13 

0,16 

0,15 

345 

302 

124 

209 

338 

0,10 

0,18 

0,14 

335 

302 

167 

204 

871 

0,14 

0,17 

0,16 

359 

314 

152 

218 

370 

0,12 

0,18 

0,15 

877 

346 

175 

203 

878 

0,14 

0,17 

4 ) 

0,15 

362 

294 


Gestorben _ 

I an anderen Neubildungen 


überhaupt 
I w. I zi 


auf 10 000 
Lebende 


überhaupt 


auf 10000 
Lebende 


zus. I m. w. I zus.l 


Altersklasse 
5 706 10051 8,17 

5 918 10 567 8,61 

6 011 10 566 8,28 
6 286 10 911 8,29 
6 511 11421 8,56 
6 662 11 737 8,70, 

6 779 11 984 8,78 

7 268 12 708 9,07! 
7 880 18015 8,95 


von SO bis 
10,18 9,20 
10,42 9,54 
10,39 9,86 
10,57 9,45 
10,87 9,74 
,10,96 9,85 
10,98 9,91 
11,62 10,37 
11,32 10,16 
l ) l ) 


60 Jahren. 

400 564 964 0,75 
495 699 1194 0,92 
518 691 1209 0,94 
508 738 1246 0,90 
621 784 1405 1,08 
683 763 1396 1,08 
627 792 1419 1,06 
695 904 1599 1,16 
692 885 1577 1,10 
l ) 


1,01 0,88 
1,23 1,08 
1,19 1,07 
1,25 1,08 
1,31 1,20 
1,25 1,17 
1,28 1,17 
1,45 1,30 
1,86 1,28 
*) *) 


über 60 Jahren. 


1903 5 211 5 678 10 889 43,19 38,26 40,47 3141404 718 2,6012,72 2,67 

1904 5 602 6 053 11 655 45,85 40,17 42,72 309 437 746 2,53 2,90 2,73 

1905 5 777 6 439 12 216 46,40 41,96 43,95 349 474 823 2,80 3,09 2,96 

1906 5 979 6 655 12 634 47,41 42,45 44,66 352 433 785 2,79 2,76 2,78 

1907 6 309 7 032 13 341 49,36 44,13 46,46 390 491 881 3,05 3,08 3,07 

1908 6 851 7 179 13 530 49,10 44,40 46,49 355 541 896 2,74 3,35 3.08 

1909 6 636 7 424 14 060 50,70 45,23 47,66 391 530 921 2,99 3,23 3,12 

1910 7 076 7 936 15 012 53,41 47,78 50,28 410 515 925 3,09 3,10 3,10 

1911 7 483 8 595 16 078 55,26 50,30 52,49 406 547 953 3,00 3,20 3,11 

l ) 

Danach ist nach der amtlichen Statistik die Zunahme der Sterbe¬ 
ziffer überhaupt bei Krebs im Jahre 1903 = 5,98 bzw im Jahre 1911 
= 7,28, bei anderen Neubildungen im Jahre 1903 = 0,61, bzw. im 
Jahre 1911 = 0,79. 

Die Zunahme der Sterbeziffer beträgt speziell in den Alters¬ 
klassen: 


80—60 Jahre 


über 60 Jahre 


zus. ha. w. zus. 


10 11 12 13 


1 0,54 0,6710,61 

1 0,60 0,77 0,68 
) 0,63 0,78 0,70 

2 0,64 0,75 0,69 
l 0,72 0,82 0,77 
> 0,70 0,82 0,76 
1 0,71 0,83 0,77 
1 0,76 0,88 0,82 
1 0,73 0,84 0,79 


110,2210,22 
5 0,24 0,28 
1 0,25 0,25 
? 0,21 !0,24 
) 0,2610,28 
5 0,2610,27 
>0,2610,28 
L 0,29'0,30 
) 0,24 0,27 
•) | *) 


1) Hierzu sind ausser den Sarkomen alle anderen, auch die an gut¬ 
artigen Neubildungen Gestorbenen mitgezählt. 

2) Die Gestorbenen unbekannten Alters sind hier einbegriffen. 

3) 1912:29 912. 

4) Vgl. Fussnote 1 der rechten Spalte dieser Seite. 


bei Krebs 

im Jahre 1903 1911 im Jahre 1903 1911 im Jahre 1908 1921 

männl. von 0,11 auf 0,14 männl.von 8,17auf 8,95 männl. v. 48,19 auf55,24 
weibl. „ 0.18 „ 0,17 weibl. „ 10,18 „ 11,82 weibl. * 38,26 „ 50,80 

zus. „ 0,14 „ 0,15 zus. „ 9,20 „ 10,16 zus. „ 40,47 „ 52,49 

bei anderen Neubildungen 

im Jahre 1903 1911 im Jahre 1903 1911 im Jahre 1903 1911 

männl. von 0,21 auf 0,29 männl. von 0,75 auf 1,10 männl. v. 2,60 auf 3,00 

weibl. „ 0,22 „ 0,24 weibl. „ 1,01 „ 1,36 weibl. * 2,72 „ 8,20 

zus. „ 0,22 „ 0,27 zus. r 0,88 „ 1,28 zus. „ 2,67 * 3,11 

Hinsichtlich dor drei Kategorien der Altersklassen sehen wir, dass 
in der ersten Kategorie die Zunahme sehr wenig, in der Mittelkategorie 
massig ist; dagegen hat der-Krebs in der letzten Kategorie ganz be¬ 
deutend zugenommen. Diese Statistik mit Berücksichtigung der Alters¬ 
klassen stimmt im allgemeinen mit der anderer Länder überein; auch 
hier zeigt sich in Bayern, Baden, namentlich in England, die Zunahme 
hauptsächlich in der letzten Kategorie. Ebenso stimmt unsere preussische 
Krebsstatistik damit überein, dass stufenweise bis zu den höchsten 
Altersklassen der Krebs immer häufiger wird. Ohne hier auf die viel¬ 
umstrittene Frage, ob die Gesamtzunahme nur scheinbar oder wirklich 
ist, einzugehen, haben wir für diese Gradatimzunahme mit den Jahren 
und den steigenden Altersklassen bislang keine stichhaltige Erklärung. 
Ich bemerke noch, dass auch für das Militär, wo die erste Kategorie in 
Frage kommt, von einer eigentlichen Zunahme nioht gesprochen werden 
kann. Obwohl kein direktes Vergleichungsmaterial vorliegt, hat nach 
einer Mitteilung von Prof. Schwiening bei den krebsartigen Tumoren 
beim Militär eine Vermehrung nicht stattgefunden. 

Wollte man nun aus dieser augenscheinlichen Zunahme in der 
dritten Kategorie sohliessen, dass die Krebskrankheit eine exquisite 

1) Das Jahr 1911 weist gegen 1910 mehrfaeh ein Zurüokgehen der 
Sterbeziffer auf. Diese Erscheinung ist jedoch zum grössten Teil auf 
die grössere Zahl der Lebenden, die der Berechnung zugrunde gelegt 
sind, zurückzuführen. Die grössere Zahl erklärt sich daraus, dass im 
Jahre 1911 die Lebenden für den 1. Juli, dagegen 1910 für den 
1. Januar errechnet sind, besonders aber auch daraus, dass die durch 
die Volkszählung vom 1. Dezember 1910 ermittelte Einwohnerzahl be¬ 
deutend höher ist als die durch die Fortschreibung von 1906 bis 
1910 gewonnene Zahl. 


Digitized fr, 


Gck igle 


Original frorri 

UNfVERSITY OF IOWA 








12. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


888 


Alterskrankheit und lediglich dem Alter als solchem zur Last zu legen 
ist, so wäre dies ein ebenso unberechtigter Schluss, als wenn man für die 
Sommergipfel der Säuglingssterblichkeit lediglich die Hitze verantwort¬ 
lich machen wollte. 

Die Medizinalstatistik ist in ätiologischer Beziehung insuffizient; sie 
kann nur Hinweise, nicht wirkliche Beweise geben; die kausalen Faktoren 
dieser Phänomene festzustellen, muss Sache der speziellen experi¬ 
mentellen Forschung sein. Es kann sich in letzter Linie um eine ge¬ 
steigerte Disposition handeln, wo besondere Schädlichkeiten, unbelebte 
und belebte, leichter einwirken können. 

Da Sarkome nach der bislang Vorgefundenen Auszählung unter den 
anderen Neubildungen mit einbegriffen sind, lassen sich darüber be¬ 
sondere Angaben in bezug auf die drei Kategorien nach Zunahme und 
Alter nicht machen. Ich habe jedoch angeordnet, dass die an anderen 
Neubildungen Gestorbenen fortan einzeln nach 56 der Einteilung der 
Todesursachen des preussischen Ministerialerlasses vom 22. April 1904 
ausgezählt werden, um auch über die einzelnen Tumorarten, namentlich 
auch der gutartigen, näheren Aufschluss zu erhalten. 

Nach einer von mir erfolgten Stichprobe für 1907 starben von 
über 15 Jahr alten Personen an Krebs 25023, an Sarkom 772, an anderen 
Neubildungen 1887 (vgl. Mediz. Nachricht., Jahrgang 1, S. 116). Um jedoch 
eine solohe Statistik aufzumachen, ist es durchaus erforderlich, dass die 
Bezeichnung der einzelnen Tumoren eine sorgfältigere wird als bisher. Die 
Allgemeinbezeichnungen: Gestorben an Geschwulst, Gewächs usw., wie 
sie jetzt vielfach auf den Totenscheinen üblich sind, müssen fortfallen 
und durch spezielle Tumorbezeichnungen ersetzt werden. Es sei noch 
bemerkt, dass über die Häufigkeit der Geschwülste, bös- und gutartiger, 
im preussischen Staat zurzeit keine statistischen Angaben möglich sind. 
Die Heilanstaltsstatistik bildet nach dieser Richtung nur einen Teil der 
Fälle. Nach einem Durchschnitt der in den Heilanstalten zur Behand¬ 
lung bzw. Operation kommenden gutartigen Geschwülste kommen etwa 
ein Drittel auf Cysten, ein Drittel auf Polypen und Fibrome, das letzte 
Drittel auf die anderen benignen Neubildungen. Die Heilungsresultate 
der gutartigen Blastome sind dem hohen Stande der chirurgischen Kunst 
gemäss ausserordentlich günstige. Verschwindend wenig Todesfälle! 
Möge auch bei den malignen Tumoren die Mortalität sioh in Zukunft 
bald vermindern — die Kurve sich senken! 


Ueber den qualitativen und quantitativen Nach¬ 
weis von Traubenzucker im Harn. 

Von 

Wilhelm Beekers- Aachen, 

Chemiker und Apotheker. 

Der qualitative und quantitative Nachweis von Traubenzucker im 
Harn ist für den Arzt von grosser Wichtigkeit. Die Methoden zum 
Nachweis sowie zur Feststellung der Menge des täglich ausgeschiedenen 
Zuckers sind sehr zahlreich; sie verdienen, einer kritischen Betrachtung 
unterzogen zu werden. Das Deutsche Arzneibuch, 5. Ausgabe, 1910, 
führt bei den Reagentien für ärztliche Untersuchungen an: Kupfersulfat¬ 
lösung, Kalilauge, Nylander’s Reagens, Phenylhydracin und Natrium¬ 
acetat. Sie finden Verwendung zur Ausführung der Fehling’schen, 
Trommer’schen, Nylander’schen und Phenylhydracinprobe. Die ver¬ 
schiedenen Methoden sind von ungleichem Werte, wie ich mich im Laufe 
der Zeit durch vergleichende Untersuchungen überzeugen konnte. Bei 
Benutzung der Nylander’schen Probe z. B. ist zu beachten, dass der zu 
prüfende Harn Schwefel wasserstofffrei ist, da sonst auch bei Anwesenheit 
von Zucker durch Bildung von sohwarzem Schwefelwismut Zucker vor- 
getäuscht werden kann. Ausserdem muss man bei der Nylander’schen 
Probe die Flüssigkeit mindestens 3 Minuten im Kochen erhalten. Bei 
Ausführung der Fehling’schen Probe ist darauf zu sehen, dass man die 
beiden Lösungen getrennt aufbewahrt und nur bei Bedarf mischt, da 
spontane Zersetzungen der Fehling’schen Lösung beobachtet worden sind, 
die dann beim Kochen sowohl für sich allein, als auch mit zuckerfreien 
Harnen Reduktion zu Kupferoxydul ergaben. Es ist daher zweckmässig, 
dass man die getrennt aufbewahrten Fehling’schen Lösungen nach dem 
Mischen zuerst lür sich kocht, um sicher zu sein, dass keine Reduktion 
der Lösung selbst eintritt, und dann erst dem zu untersuchenden Harn 
zusetzt und wieder kocht. Es sei bei Anwendung der Fehling’schen 
Lösungen daran erinnert, dass auch noch andere in jedem normalen 
Harn vorkommende Körper die Reduktion zu Kupferoxydul veranlassen 
können; so bewirken Kreatinin und Harnsäure ebenfalls Reduktion der 
Febling’schen Lösung. Nach meinen Erfahrungen ist aber nun die 
Phenylhydraoinprobe die zuverlässigste zum qualitativen Nachweis von 
Zucker. Sie besteht in der Bildung von Phenylglykosazon, welches an 
den'charakteristisohen, intensiv gelben Kristallnadeln unter dem Mikroskop 
zu erkennen ist. Ich habe in allen zweifelhaften Fällen, in denen 
eine teilweise Reduktion qnd Verfärbung der Flüssigkeit sowohl bei 
-Nylander wie bei Fehling eintrat, durch den positiven oder negativen 
Ausfall dieser Probe mir die grösste Sicherheit in der Entscheidung ver¬ 
schaffen können. Die Kristalle sind so charakteristisch, dass das Auf¬ 
treten oder Ausbleiben der Kristallbildung bei all meinen Untersuchungen 


ausschlaggebend gewesen ist. Nach Groooo 1 ) erhält man noch bei 
0,01 Sacchar. uvae pro Liter deutliche, gelbe Kristallnadeln. Ich möchte 
daher empfehlen, zum qualitativen Nachweis von Zucker dieser Methode 
sich zu bedienen. Man verfährt zur Ausführung der Probe so, dass man 
50 ccm Harn mit 2 g salzsaurem Phenylhydracin und etwa 4 g Natrium¬ 
acetat im Wasserbade eine halbe Stunde lang erwärmt; man nimmt die 
Lösung alsdann heraus und lässt sie schnell erkalten; hierbei scheiden 
sich bei Gegenwart von Zuoker gelbe Kristallnadeln aus, die dann ab¬ 
filtriert und unter dem Mikroskop betrachtet werden. Die Methode ver¬ 
danken wir den Forschungen von E. Fisch er-Berlin, der gezeigt hat, 
dass Traubenzucker durch Phenylhydracin bei Gegenwart von essig¬ 
sauren Salzen in Reaktion tritt und charakteristische Verbindungen ein¬ 
geht. In der Kälte bildet sich beim Zusammentreffen der drei Sub¬ 
stanzen farbloses, leicht lösliches Dextrosephenylhydraein nach der 
Gleichung: 

C.H l2 0« + C 6 H 8 . NH — NH, = C 8 H 12 0 8 . N. NH. C e H 8 + H a O. 

In der Wärme des Wasserbades addiert diese Verbindung noch ein 
weiteres Molekül Phenylhydracin, und es entsteht Phenylglykosazon 
von der Formel Ci 8 H 22 N 4 .0 4 , welches aus gelben meist zu Drusen an¬ 
geordneten Kristallnadeln besteht 

Ausser diesen Methoden nach dem Deutschen Arzneibuch gibt es 
noch eine sehr charakteristische Reaktion zum qualitativen Nachweis 
von Zucker, die ich sehr empfehlen kann, es ist die Methode von 
Rubner. Dieselbe besteht darin, dass man etwa 10 ccm Harn mit 
5 ccm Liquor plumbi subacetici und 2Ya ccm Liquor ammonii oaustici 
versetzt. Man fasst das Reagenzglas oben und unten und erwärmt durch 
Drehen des Glases in einer Spiritusflamme mit der Vorsicht, dass man 
hauptsächlich nur an ein und derselben Stelle erhitzt. Die Flüssigkeit 
soll nicht zum Kochen kommen. Bei Gegenwart von Zucker zeigt sich 
an der erwärmten Stelle eine deutliche fleischfarbene oder rosenrote 
Zone. Dieselbe ist so charakteristisch, dass ein Harn von 0,05 pCt. 
Zuckergehalt die Reaktion noch sehr deutlich zeigt. Durch Kreatinin 
und Harnsäure wird die Reaktion nicht beoinflusst; sie ist daher besser 
als die Fehling’sche Probe. 

Das Arzneibuch führt als weiteres Reagens zum Nachweis von 
Zucker lOproz. Kupfersulfatlösung und 15proz. Natronlauge an. Diese 
werden benutzt zur Ausführung der Trommer’schen Probe. Man stellt 
die Probe an durch Versetzen von 5 ccm Harn mit 5 com Natronlauge, 
Hinzufügen von Kupfersulfatlösung tropfenweise so lange, als das zunächst 
gefällte Cuprihydroxyd sich noch klar löst. Zieht man nunmehr das 
Reagenzglas durch die Flamme, so erfolgt eine Abscheidung von rotem 
Kupferoxydul bei Gegenwart von Zucker. Diese Reaktion ist nicht 
einwandfrei, da auch Harnsäure und Kreatinin dieselbe veranlassen. 
Also auch diese Probe kann nur ein nebensächliches Interesse be¬ 
anspruchen. Was nun die quantitative Bestimmung von Traubenzucker 
im Harn anbetrifft, so sind eine ganze Anzahl Methoden im Gebrauoh. 
Für den Arzt aber kommen eigentlich, da derselbe meist nicht viel Zeit 
für derartige Untersuchungen erübrigen kann, nur zwei Methoden in 
Frage, es ist die polarimetrische und die Bestimmung mittels Gärung. 
Um nun ein Urteil über die Zuverlässigkeit beider Methoden zu ge¬ 
winnen, habe ich eine Anzahl Diabetikerharne nach beiden Methoden 
untersucht, und zwar habe ich gleichzeitig die Gärungsapparate von 
Einhorn, Fiebig und Lohnstein auf ihre Zuverlässigkeit unter¬ 
einander einer vergleichenden Prüfung unterzogen, deren Ergebnisse aus 
beifolgender Tabelle zu ersehen sind: 


Prozente Zucker naoh: 


Fiebig 

Einhorn 

Lohnstein 

Polarimeter 

2,8 

2,5 

3,3 

4,4 

6,78 

4,8 

4,3 

6,2 

4,0 

3,8 

4,6 

5,2 

1,6 

1,3 

2,0 

2,2 

1,0 

1,4 

1,8 

2,4 

0,6 

0,8 

1,4 

1,8 

1,0 

1,0 

2,4 

2,9 

3,2 

3,2 

4,0 

4,6 

2,4 

2,0 

3,1 

3,6 


Aus dieser Tabelle ist ersichtlich, dass ich mit demselben Harn 
unter Benutzung der verschiedenen Instrumente relativ grosse Differenzen 
feststellen konnte, dass ich ferner mit dem Polarisationsapparate stets 
höhere Werte erhielt als bei der Gärung, und dass endlich die Gärungs¬ 
apparate untereinander auch wieder grosse Ungleichheiten zeigten. Den 
wahren Werten am nächsten kamen die Zahlen, die ich mit dem Lohn¬ 
stein erhielt. Ich fand bei den einzelnen Untersuchungen meistens Unter¬ 
schiede von 1,2 bis 2 pCt., so dass diese Gärungsapparate kaum in Frage 
kommen sollten zur. quantitativen Ermittelung von Zucker im Harn. 
Schon deshalb sollte man die Gärungsapparate nicht verwenden, weil 
vielfach die zur Gärung benutzte Hefe nicht immer ganz stärke- und 
zuckerfrei ist. Ferner kann auch eine eintretende Selbstgärung der Hefe, 
welche mit Entwicklung von Kohlensäure verbunden ist, das Resultat 
ganz und gar unvollständig oder ungenau machen. 


1) Zeitsohr. f. analyt Chemie, Bd. 24, S. 478. 

6 * 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 19. 


All diesen Zufälligkeiten und Unzuverlässigkeiten entgeht man durch 
die Polarisation des Harnes. Diese stellt die bequemste und auch die 
exakteste Methode zur Bestimmung von Dextrose dar. Man benutzt 
meist den Halbschattenapparat von Mitscherlich hierzu, der zvar 
noch durch den Apparat mit Keilkompensation übertroffen wird. Während 
man bei letzterem Apparate jede Lichtquelle benutzen kann, lässt der 
Mitscherlich’sche Apparat nur die Anwendung von Natriumlioht zu. Der 
Polarisationsapparat mit Keilkompensation lässt einen Gehalt von 0,05 pCt. 
Zucker noch sehr deutlich erkennen, während man mit dem Mitscherlich- 
scben Apparate einen Gehalt von 0,2 pCt. noch ganz sicher erkennen 
kann. Da man aber meist keinen besonderen Wert auf einen Zucker¬ 
gehalt von 0,05 pCt. legt, so wird man in jedem Falle mit dem Halb¬ 
schatte napparate von Mitscherlich auskommen können. Eine Er¬ 
läuterung über den Gebrauch des Apparates ist jedem Instrument bei¬ 
gefügt; die Handhabung ist sehr einfach und nicht schwierig. Meine 
Erfahrungen kann ich dahin zusammenfassen, dass man zum qualitativen 
Nachweis von Zucker im Harn stets entweder die einwandfreie Osazon- 
probe machen soll oder die Rubner’sche. Will man noch ein Uebriges 
tun, so bestimmt man den Schmelzpunkt des gebildeten Osazons, wo¬ 
durch die Identität der Zuckerart festgestellt werden kann. Der Schmelz¬ 
punkt des Glykosazons sowie des Lävulosazons liegt bei 205°, der des 
Laktosazons bei 200°, der des Pentosazons bei 154—160*. Zur quanti¬ 
tativen Ermittelung von Zucker eignet sich am besten und sichersten 
die Polarisation. In diesen beiden Methoden haben wir die sichersten 
Mittel zum Nachweis und zur quantitativen Feststellung von Trauben¬ 
zucker im Ham. 


BQcherbesprechungen. 

Mohr und Staehelia: Handbuch der inneren Medizin. Berlin, Verlag 
von Julius Springer. Bd. IV (Preis 22 M.), Bd. V (Preis 28 M.). 

ln den vor kurzem erschienenen Bänden IV und V behandeln in 
Band IV Suter-Basel die Erkrankungen der Harnwege und die Sexual¬ 
storungen, Morawitz-Freiburg die Erkrankungen des Blutes, Lominel- 
Jena die Erkrankungen der Muskeln, Gelenke und Knochen, Falta-Wien 
die Erkrankungen der Drüsen mit innerer Sekretion, W. A, Freund- 
Berlin und R. von den Velden-Düsseldorf das Kapitel Konstitution 
und Infantilismus, J. Baer-Strassburg Diabetes, Oxalurie und Phosphat- 
urie, sowie Fettsucht, Gigon-Basel Gicht, Vogt-Strassburg Rachitis, 
Osteomalaoie und exsudative Diathese und die beiden Herausgeber die 
durch äussere physikalische (Kälte, Hitze, Elektrizität usw.) bedingten 
Erkrankungen. 

In dem vorliegenden Bande ist der Stoff nach manchen Richtungen 
hin anders eingeteilt, als in den üblichen Lehr- und Handbüchern. Die 
Einteilung berücksichtigt dabei sowohl die durch die modernen wissen¬ 
schaftlichen Forschungen, als die durch die praktischen Bedürfnisse ge¬ 
gebenen Fragestellungen. Ersteres trifft insbesondere für das von Falta 
mit grossem Geschick bearbeitete Kapitel der Drüsen mit innerer Sekretion 
zu, sowie auch für das von W. A. Freund und von den Velden ge¬ 
meinschaftlich bearbeitete Kapitel der auf anatomischer Basis erwachsenen 
Konstitutionsanomalien. Es darf als ein besonderer Vorzug des Werkes an- 
geseheu werden, dass sich die beiden Herausgeber die Mühe genommen 
haben, die als direkte Folgen physikalischer Schädigungen erzeugten 
Krankheiten in übersichtlicher und den praktischen Interessen entgegen¬ 
kommender Weise zu besprechen. Es sind dabei sogar die Seekrankheit, 
die Bergkrankheit und die Erkrankungen der Luftschiffer berücksichtigt 
Das Kapitel Blutkrankheiten, in welchem gleichzeitig auch die Erkrankungen 
der Milz und die hämorrhagischen Diathesen geschildert sind, ist im 
Vergleich zu manchen anderen Kapiteln etwas ausführlich gehalten, und 
es wird insbesondere den theoretischen Grundlagen eine etwas weitgehende 
Berücksichtigung gezollt. Knapp und zugleich übersichtlich sind die Erkran¬ 
kungen der Muskeln, der Knochen und der Gelenke geschildert. Die gleiche 
Eigenschaft zeigt auch die Bearbeitung des Diabetes.. Alle Kapitel des 
vorstehenden Bandes sind auf modernster Grundlage bearbeitet. Trotz¬ 
dem überall die neuesten Forschungsergebnisse zum Ausgangspunkt der 
Betrachtung gewählt sind, kommen aber doch die alten durch die Er¬ 
fahrung gesicherten Tatsachen zur vollen Geltung. Allerdings hätte 
in der Darstellung, entsprechend der in der Einführung zum ersten Bande 
mitgeteilten Absicht, die Besprechung der Therapie an manchen Stellen 
etwas mehr ins Detail gehen dürfen. 

Die für den vierten Band geäusserten Vorzüge in der Durchführung 
der Arbeitsgrundsätze treffen auch für Band V zu, obwohl hier die 
Arbeitseinteilung mehr als in Band IV an das Gewohnte erinnert. 

In diesem Bande behandeln E. Müller-Marburg die Erkrankungen 
des Rückenmarks und seiner Häute und M. Rothmann-Berlin die Er¬ 
krankungen des Gehirns und der Hirnhäute in ausgezeichneter Weise. 
Veraguth-Züricb schildert die Krankheiten der peripheren Nerven in 
sehr übersichtlicher Form und Bing-Basel entwirft in sehr instruktiver 
Weise ein Bild von den kongenitalen, heredofamiliären und neuromuskulären 
Erkrankungen (angeborene Erkrankungen des Gehirns, progressive Muskel- 
trophien, Friedreich’sche Krankheit, hereditäre progressive Chorea, Myo- 
tonia congenita usw.). Von den funktionellen Neurosen sind die Be¬ 
arbeitungen der Psyohoneurosen und der Epilepsie von Heilbronner- 
Utrecht in fesselnderWeise unter Berücksichtigung derneueren Auffassungen 
geschrieben» und C urschmann -Mainz gibt eine anschauliche Schilderung 
von Migräne, Schwindel, Chorea, Tetanie, Paralysis agitans, Tremor, 


Maladie des Tics, vasomotorischen und trophischen Neurosen. Von be¬ 
sonderem Interesse ist das von Kohnstamm-Königstein i. T. bearbeitete 
Kapitel über Physiologie und Pathologie des visceralen Nervensystems. 
Den Schluss des Bandes stellt eine aus der Feder von Gutzmann- 
Berlin stammende Bearbeitung der funktionellen Störungen der Stimme 
und Sprache und eine von E. Meyer-Königsberg gelieferte Bearbeitung 
der toxischen Erkrankungen des Nervensystems dar. Band V enthält 
ausserdem noch eine Summe ausserordentlich gelungener sehr instruktiver 
Abbildungen, welche die Darstellung an vielen Stellen in ausgezeichneter 
Weise unterstützen. H. Strauss-Berlin. 


6. Kieker: Grundlinien einer Logik der Physiologie als reiner 
Naturwissenschaft. Stuttgart 1912, Verlag von F. Enke. Preis 
3,60 Mark. 

Die Abhandlung zerfällt in einen ersten, der Logik der Naturwissen¬ 
schaft gewidmeten Teil und in einen zweiten, der diese auf die Physio¬ 
logie an wendet. 

Aus dem ersten Teil sei nur folgendes hervorgehoben: Indem der 
Verf. davon ausgebt, dass es in der Natur nichts in sich Beharrendes 
und Abgeschlossenes gibt, dass sie als eine unendliche Kette von Vor¬ 
gängen aufzufassen ist, die der Naturforscher zu untersuchen, nicht aber 
mit Wertungen zu versehen hat, behandelt er zuerst die Objekte der 
Naturwissenschaften, die Dinge der naiven Denkweise mit ihren Eigen¬ 
schaften, Tätigkeiten und Fähigkeiten, als solche Summen von gleich¬ 
wertigen Vorgängen, die mit anderen Vorgängen in Beziehungen stehen. 
Auf dieser Grundlage ergibt sich ihm insbesondere die Ablehnung des 
Begriffes der Aktivität im Bereiche der Naturwissenschaften. Zum 
kausalen Urteil übergehend, führt ihn die gleiche Betrachtungsweise, die 
Betonung des Geschehens in seinen unendlichen gleichwertigen Re¬ 
lationen, zum Satze von der Vielheit der Ursachen und Wirkungen. 

Es schliesst sich auf psychologischer Grundlage eine Erörterung des 
teleologischen Urteils an, wie es teils an Stelle kausaler Urteile gesetzt, 
teils als Ersatz nicht vorhandener kausaler Urteile verwandt wird. Das 
Werturteil, das in jeder teleologischen Auffassung enthalten ist, wird als 
dem Geiste der Naturwissenschaft, der alle Vorgänge gleichwertig sind, 
widersprechend nacbgewiesen und der philosophische Charakter des teleo¬ 
logischen Urteils dargetan. 

Es würde zu weit führen, wollten wir wiedergeheu, wie der Verl 
auf der skizzierten Grundlage den Begriff, das induktive und deduktive 
Schliessen, das Gesetz, die Hypothesen und das Experiment auffasst und 
darstellt. 

Im zweiten Teil geht der Verf. vom Verhältnis der Anatomie zur 
Physiologie aus und stellt jene als eine Methode dieser hin. Anknüpfend 
an die Zurückweisungen der Wertungen und der Aktivität im Bereiche 
der Naturwissenschaften gibt er eine Kritik des Begriffes der Zelle, die 
in der Vircho w’schen Auffassung als das Wesentliche und als aktiv 
tätig erscheint. Nachdem das kausale und das teleologische Urteil in 
der Physiologie an den Beispielen der Entwicklungslehre, der Organismus- 
auffassung des Körpers, des Verhältnisses von Physiologie und Patho¬ 
logie u. a. erörtert worden ist, wendet sich Verf. der Kritik des Lebens¬ 
begriffes und der Begriffe vom Leben zu. Dem Leben wird eine ledig¬ 
lich begriffliche Existenz zugesprochen. Die Lehre von der Lebenskraft, 
die mechanistische und die vitalistische Auffassung des physiologischen 
Geschehens, der cellularphysiologische Lebensbegriff Virchow’s und die 
neue Fassung, die ihm Verworn und 0. Hertwig gegeben, die Granula¬ 
lehre und die „OrganPhysiologie“ werden nacheinander mit Hilfe der 
gewonnenen Einsichten betrachtet und so jenes Ergebnis der lediglich 
begrifflichen Existenz des Lebens und des teleologischen Charakters der 
verschiedenen Lebensbegriffe gewonnen, aus dem die Unbrauchbarkeit 
des Lebensbegriffes für eine naturwissenschaftliche Physiologie hervorgeht 

Ein kurzer Ueberblick über den Inhalt der Physiologie gibt dem 
Verf. Gelegenheit, seine relativistische Auffassung derselben darzulegen: 
hierbei wird die Reihenfolge der physiologischen Vorgänge besonders 
betont und dem Nervensystem in seiner Beziehung zu Reizen die erste 
Stelle zugewiesen. Am Schlüsse wird die naturwissenschaftliche Physio¬ 
logie, die „Relationsphysiologie“ der teleologisch-naturphilosophischen 
Biologie gegenübergestellt und zu einer scharfen Trennung beider auf¬ 
gefordert. 

Es ist dem Verf. gelungen, seine Gedankengänge in klarer und 
anschaulicher Weise vorzutragen und durch Heranziehung von Beispielen 
aus allen Gebieten der Naturwissenschaft zu beleben. Niemand wird 
das Buch ohne grossen Nutzen aus der Hand legen, insonderheit kann 
das Studium desselben jedem Studierenden der Medizin zur Schulung 
des naturwissenschaftlichen Denkens nur dringend empfohlen werden. 

_ Henneberg-Berlin. 


Handbach der spesiellea Chirurgie des Ohres and der eherei Luft¬ 
wege. Herausgegeben von Dr. L. Kats, Dr. H. Preysiag und 
Dr. F. Bluateafeld. Würzburg 1912/1913, Verlag von Curt 
Kabitzsch. 

Die dritte und vierte Lieferung des 4. Bandes enthält den Schluss 
des Kapitels: die Chirurgie der Schilddrüse von Gluck und Sörensen, 
ferner von Hausberg bearbeitet die Laryngofissur. Dieses Kapitel wird 
ausführlich und anschaulich besprochen. Es werden die Indikationen zu 
diesem Eingriff nach den einzelnen Krankheitsgruppen geordnet be¬ 
handelt und die Technik der Operationen durch gute Abbildungen ver* 
anschaulicht. Den Schluss des Bandes bildet der Anfang des Kapitels: 


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12. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


885 


Endolaryngeale Operationen (indirekte Methode). In sehr klarer und 
übersicbtlioher Form werden von Blumenfeld die einschlägigen Ein¬ 
griffe im Kehlkopfinnern dargestellt. 

In der fünften und sechsten Lieferung des gleichen Bandes findet 
dieses Kapitel seinen Abschluss. Es werden die Eingriffe im Kehlkopf 
bei Tuberkulose, Syphilis und bei Tumoren (gutartigen wie bösartigen) 
ausführlich geschildert und durch eine reiche Anzahl von sehr guten, 
zum Teil farbigen Abbildungen illustriert. 

Die siebente Lieferung enthält die Bearbeitung der Tracheotomie von 
Bockenheimer, die durch sehr schöne Abbildungen der Operation 
und des notwendigen Instrumentariums ausgezeichnet ist. Ferner ent¬ 
hält diese Lieferung die Besprechung der Tracheo-Bronchoskopie von 
Mann. Mit allen Einzelheiten werden diese Untersuchungsmethoden 
anschaulich dargestellt. Sehr gut ausgeführte Abbildungen erleichtern 
das Verständnis dieses Kapitels. An einschlägigen Krankheitsfällen aus 
der Literatur und eigener Beobachtung werden die Anwendungsarten der 
Tracheo-Bronchoskopie auseinandergesetzt. 

Die Ausstattung der neu erschienenen Lieferungen ist ausgezeichnet. 
Der Preis der 3./4 und 5./6. Lieferung beträgt 8,50 M., der 7. Lieferung 
7,00 M. _ Brühl. 


W. Lohmann: Die Störungen der Sehfanktionen. Leipzig 1912, 
F. C. W. Vogel. 

Der Verf., der sich durch eine Reihe trefflicher Arbeiten aus dem 
Gebiete der physiologischen Optik hervorgetan hat, bietet mit diesem 
Buch einen ebenso neuen wie interessanten Versuch, die physiologische 
Optik unter dem Gesichtspunkt der Veränderungen abzuhandeln, die als 
krankhafte Störungen in die Erscheinung treten. In 12 Kapiteln be¬ 
spricht er die Pathologie des Sehvermögens, der Adaptation und des 
Lichtsinns, des Farbensinns (hier das „Farbenhören“ und andere Be¬ 
gleitempfindungen streifend), des binocularen Sehens und die Seh¬ 
störungen bei Erkrankungen der Sehbahnen und Sehcentren. Das Buch 
bringt eine Fülle von Anregungen und gewinnt an Wert durch die 
vielen Literaturnachweise. Die äussere Ausstattung ist über jedes Lob 
erhaben, nur wäre bei einer neuen Auflage, die dem Werke sehr zu 
wünschen ist, auf eine exaktere Rechtschreibung der Eigennamen zu 
achten. Kurt Steindorff. 


Literatur-Auszüge. 

Physiologie. 

E. L. Backman und C. G. Sundberg: Zur Frage des Verhaltens 
der Amphibien in verschieden konzentrierten Lösnngen. Bemerkungen 
zu der im ersten und zweiten Hefte von Pflüger’s Archiv, Bd. 150, 1912, 
veröffentlichten Mitteilung von Dr. Bruno Brunacci. (Pflüger’s Archiv, 
Bd. 151, H. 1—8.) Zurückweisung von Brunacci’s Prioritätsreklamation. 

F. Schaefer: Vergleichung der bei konstantem und rhythmischem 
Drnck durch die Hinterbeine des Frosches getriebenen Flüssigkeit. 
(Pflüger’s Archiv, Bd. 151, H. 1—3.) Nach Hamei sollte bei rhythmischer 
Durchtreibung von Flüssigkeit durch die Hinterbeine des Frosches weit 
mehr Flüssigkeit durchströmen als bei konstanter Durchströmung. Verf. 
macht auf einen Fehler in Hamel’s Versuchsanordnung aufmerksam. 
Bei Vermeidung dieses findet Verf., dass bei rhythmischem wie konstantem 
Druck die gleichen Flüssigkeitsmengen hindurchtreten, wenn die Mittel¬ 
drucke gleich sind. Bei Einwirkung gefässerregender Mittel scheint da¬ 
gegen rhythmischer Druck vorteilhafter zu sein als konstanter. 

J. Boeke: Die Regenerationserscheinangen bei der Verheilung von 
motorischen «nd receptorischen Nervenfasern. (Pflüger’s Archiv, Bd. 151, 
H. 1—3.) Verf. vereinigte an Hunden den centralen Stumpf des durch¬ 
schnittenen Hypoglossus mit dem peripherischen des Lingualis und 
untersuchte nach verschieden langer Zeit mikroskopisch das Verhalten 
der vereinigten Nerven. Er findet, dass die alte Lehre von der Unfähig¬ 
keit motorischer Nervenfasern mit sensiblen zu verheilen, unrichtig ist. 
Die motorischen Fasern verwachsen mit ihnen, können jedoch ihr End¬ 
gebiet, die Muskelfasern, nicht erreichen, weil sie die Bahn, in die sie 
hineingewachsen sind, nicht verlassen können. Sie wachsen an den 
Muskelbündeln vorüber und bilden erst am Ende der Lingualisbabn ihre 
Endverzweigungen aus. Dadurch ist allerdings eine physiologische 
Heilung (Wiederherstellung der Hypoglossusfunktion) im allgemeinen 
ausgeschlossen. Trotzdem könnte auch sie teilweise zustande kommen, 
weil einzelne Hypoglossusfasern im perineuralen Bindegewebe 
weiter wachsen und schliesslich Endplättchen auf Muskesfasern bilden. 

H. Fredericq: Die Hering’sche Theorie gibt keine Erklärung für 
den an ausgeschnittenen Herzmaskelstüeken hervorgerufenen Pnlsns 
altersaBS. (Pflüger’s Archiv, Bd. 151, H. 1—3.) Der Herzalternaus soll 
nach Hering auf einer partiellen Asystolie beruhen und diese dadurch 
zustande kommen, dass einzelne Muskelfasern sich noch in der refraktären 
Phase befinden. Verf. führt die Ergebnisse von Versuchen an, die dieser 
Anschauung widersprechen. 

M. Eiger: Die physiologischen Grundlagen der Elektrocardio- 
graphie. (Pflüger’s Archiv, Bd. 151, H. 1—3.) Verf. kritisiert zunächst 
die bisher aufgestellten Theorien über die Bedeutung des Elektrocardio- 
gramms, von denen er die meisten unvollkommen findet. Er selbst 
nahm Elektrocardiogramme auf von ganzen Froschherzen wie von 


einzelnen Teilen desselben. Erfindet, dass an jedem Teil des Herzens 
sich ein Elektrooardiogramm gewinnen lässt, das im wesentlichen dem 
Kammerelektrocardiogramm entspricht. Im Anschluss an Cybulski 
b.ingt Verf. die elektrischen Herzströme in Beziehung zu dessen Stoff¬ 
wechsel und führt den Teil S 0 T der Kurve sowie die Zacke T auf den 
Stoffwechsel während der Systole und Diastole zurück. Zum Schluss 
gibt Verf. ein Schema über die Gestalt der der Kontraktion der ein¬ 
zelnen Herzabschnitte zukommenden Kurven. A. Loewy. 

Lee und White: Ueber Blutgerinnnng. (Americ. journ. of med. 
Science, 1913, Nr. 4.) Um Fehlerquellen auszuschalten, ist es nötig, 
Blut direkt aus der Vene zu entnehmen, damit es nicht mit der Haut 
in Berührung kommt. Verff. entnehmen das Blut mit einer Spritze und 
füllen es dann erst in eine Capillare, wodurch meines Erachtens eine 
neue Fehlerquelle geschaffen wird, die bei früher beschriebenen Methoden 
(Schultz) vermieden wird. Schelenz. 

Arneth-Münster i.W.: Die Thorium X-WirkiBg auf das Blnt- 
zellenlebeB. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 16 u. 17.) A. hat 
die Wirkung der Thorium X-Strahlen auf die einzelnen Blutzellenarten 
eingehend studiert. Beim Kaninchen fand er einen Abfall der Gesamt- 
leukocyten. Besonders stark sind an diesem Abfall die pseudoeosino¬ 
philen Zellen beteiligt, so dass eine relative Vermehrung der Lympho- 
cyten zustande kommt. Dabei ist das pseudoeosinophile Blutbild „nach 
reohts“ verschoben. Der Grund für die Verarmung an weissen Blut¬ 
zellen ist in letzter Linie in einer mangelhaften Produktion des Knochen¬ 
markes zu suchen. Da sich die lymphoiden und Lymphzellen am 
längsten im Knochenmark erhalten und die Wirkung des Thorium X 
auf diese Zellen relativ gering ist, sind sie im strömenden Blute relativ 
vermehrt. Jedenfalls besitzt aber das Thorium X eine ausserordentlich 
schädigende bzw. hemmende Wirkung auf die Zellproduktion in den 
Centralorganen. Trotz der gewaltigen Zellabnahme ist nun im Blute 
nichts von jugendlichen Ersatzformen zu bemerken: vielmehr weist das 
Blutbild für alle Leuko- und Lymphocyten fortschreitende Altersver¬ 
änderungen der Kerne auf. Die Erythrocyteuzahl wird im Tierexperiment 
ebenfalls stark herabgesetzt (auf 1 l i \ desgleichen der Hämoglobingehalt. 
Bei vorher geschädigtem Blut macht sich jedoch eine günstige Beein¬ 
flussung kenntlich. So erklärt sich die günstige Wirkung des Thorium X 
bei perniciöser Anämie. Bei Behandlung der Leukämie kommt es 
durchaus nicht darauf an, die Gesamtleukocytenzahl möglichst weit 
herabzudrücken, vielmehr hat die Abstufung der Dosen unter genauer 
Kontrolle des qualitativen Blutbildes zu erfolgen. Erweist sich das 
„Leukämievirus“ als besonders hartnäckig, so geht trotz Thorium X der 
leukämische Prozess seinen Weg. Wolfsohn. 

Boit- Königsberg: Ueber PlenraresorptioB. (Centralbl. f. Chir., 
1913, Nr. 12.) B. hat Hunden Trypanblau-, Tusche-Karmin in physio¬ 
logischer Kochsalzlösung eingespritzt. Einzelnes sei nur erwähnt: Nach 
Monaten fanden sich tuschedurchsetzte Peribronchial-, Peritracheal- und 
Bifurkationsdrüsen. Fast sofort nach der Injektion der Flüssigkeit in 
die eine Pleura wurde sie auch in der anderen Pleurahöhle sichtbar, 
ohne dass Mediastinumverletzungen bestanden! Dasselbe Resultat nach 
vorheriger Unterbindung des Ductus lymphaticus und Truncus lympha- 
ticus dexter. Die Flüssigkeit scheint durch das Mediastinum durch¬ 
zudiffundieren. Beim Hunde tritt bei einseitiger Infektion auch eine 
Infektion der anderen Pleurahöhle durch das Mediastinum ein. 

Sehrt. 


Pharmakologie. 

J. Pal-Wien: Experimentelle und klinische Studien über die 
Wirkling des Papaverins. (Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 17.) 
Es ist unrichtig, dass die Nebenalkaloide des Opiums unwirksam sind. 
Das Papaverin setzt den Tonus der glatten Muskulatur herab (geprüft 
am Verdauungstraotus, an der Bronchialmuskulatur, Harnblase und 
Uterus), macht Blutdruckerniedrigung und Pulsbeschleunigung. Thera¬ 
peutisch wirksam ist das Papaverin beim Asthma bronchiale sowie bei 
Krampf- und Reizungszuständen im Bereich des Gastrointestinaltractus. 
Da es io den angewandten Dosen keine narkotische Wirkung hat, so ist 
das Papaverin ein gutes Mittel, um gewisse durch Krampf glatter Muskel¬ 
fasern erzeugte Sohmerzzustände zu beseitigen. Eine grosse Bedeutung 
kommt ihm in Kombination mit anderen Mitteln (besonders Opium¬ 
alkaloiden) zu. Papaverin wirkt dem Morphin funktionell antagonistisch 
und lässt daher abdämpfende und regulierende Wirkungen zustande 
kommen. G. Eisner. 

N. Schapiro: Ueber die Wirkung von Morphium, Opium und 
P&ntopon auf die Bewegungen des Magendarmtraetns des Menschen und 
des Tieres. (Pflüger’s Archiv, Bd. 151, H. 1—3.) Röntgenologische 
Untersuchungen mit Wismutbreifütterung. Am Hunde wurde zum 
Zwecke der gesonderten Untersuchung einzelner Magendarmabschnitte 
eine „Darmfistel am einseitig ausgeschalteten Dünndarm“ angelegt. 
Verf. findet, dass Opium, Morphium, Pantopon zu einer maximalen Kon¬ 
traktion der Dünndarmschlingen und Erweiterung des ganzen Colons 
führen. Beim nüchternen Hunde kommt es zu verlangsamter 
Dünndarmentleerung ohne Aenderung der Durch tri ttszeit durch den 
Dickdarm; beim gefütterten tritt keine Transportverzögerung im 
Dünndarm ein, eine geringe im Dickdarm. Die Wirkung am Menschen 
ist schwankend. In der Hälfte der Fälle trat eine starke Verzögerung 
der Magenentleerung ein, in einem kleineren Teil kam eine Beschleunigung 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 19. 


zustande. Im Dünndarm fand sich oft kein Effekt da, wo die Magen¬ 
entleerung verlangsamt war, sonst eine Verzögerung. Auch der Tonus 
des Dünndarms wurde verschieden beeinflusst. Der Tonus des Dick¬ 
darms wurde nicht beeinflusst. Die stopfende Wirkung der Opiate be¬ 
ruht nach Verf. auf einer zeitweiligen Abschwächung bzw. Ausschaltung 
des Defäkationsreflexes. A. Loewy. 

B. Doinikow-Frankfurt a. M.: Verhalten des Nervensystems ge¬ 
sunder Kaninchen zu hohen Salvarsandosen. (Münchener med. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 15.) D. stellte zahlreiche Versuche mit Salvarsan an, 
um eventuell die Frage der Schädlichkeit auf das Nervensystem zu 
fördern. Bei den Tieren, die langdauernde Salvarsaninjektionen in 
therapeutischer Dosis erhielten, Hessen sich keine Veränderungen am 
Nervensystem naohweisen. Bei toxischen Dosen waren die Resultate 
verschieden. Zum Teil fanden sich Veränderungen am Gehirn; die 
weitere pathologisch - anatomische Untersuchung muss die etwaigen 
Störungen an anderen Organen nachweisen. Dünner. 

Siehe auch Kinderheilkunde: Talbot und Sisson, Formal¬ 
dehydausscheidung bei Kindern. — Haut und Geschlechtskrank¬ 
heiten: Fischer, Auftreten von Exanthemen nach Gebrauch von 
Copaivabalsam. _ 


Therapie. 

W. Kühn-Leipzig: Die Anwendung des faradischen Stroms beim 
intermittierenden Hinken. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 17.) In einem 
Fall von intermittierendem Hinken, bei dem die Femoralis nicht mehr 
zu fühlen war, hat K. guten Erfolg durch Anwendung des faradischen 
Stroms in Form von Teilvierzellenbädern zu verzeichnen gehabt. 

Sehrt. 


Allgemeine Pathologie u. pathologische Anatomie. 

J. Jundell: Die chronischen Anstrengnngsver Änderungen des 
Herzens. (Nord. raed. Arkiv, 1912, Afd. 2, H. 3, Nr. 9.) Herzen, die 
einst chronisch überanstrengt, aber anderen schädigenden Einflüssen 
(Alkohol, Lues u. a.) nicht ausgesetzt waren, atrophieren gleich anderen 
Muskeln nach dem Aufhören der gesteigerten Inanspruchnahme und 
kehren zur früheren normalen Grösse und Beschaffenheit zurück. 

E. Herzfeld. 

C. Hegler, E. Fraenkel und 0. Schümm-Hamburg: Zur Lehre 
von der Haematoporphyria congenita. (Deutsche med. Wochenschr., 
1913, Nr. 18.) Demonstration im Aerztlichen Verein zu Hamburg am 
11. Februar 1913 (cf. Gesellschaftsbericht). Wolfsohn. 

Ch. Walker und H. Whittingham - Glasgow: Die Wirkung einer 
allgemeinen Kontraktion der peripheren Blutgefässe anf den Mänse- 
krebs. (Lancet, 12. April 1913, Nr. 4676.) Die unmittelbare Wirkung 
der von Wassermann und Neuberg u. a. benutzten Verbindungen 
bei der Behandlung des Mäusekrebses besteht in einer allgemeinen 
Kontraktion der peripheren Blutgefässe und einer gleichzeitigen passiven 
Erweiterung der Gefässe des Tumors. Die Verff. haben Versuche ge¬ 
macht mit dem gefässverengernden Mutterkornpräparat Ernutin und mit 
Hypophysenextrakt. Beide hatten eine ähnliche Wirkung wie die Sub¬ 
stanzen von Wassermann usw. Bei dem Hypophysenextrakt fanden 
sich Nekrosen und Blutungen in den Geschwülsten, und das Wachstum 
wurde gestört. Von einer spezifischen Wirkung der Mittel auf die Krebs¬ 
zellen kann keine Rede sein. Weydemann. 

Siehe auch Psychiatrie und Nervenkrankheiten: Finkeln¬ 
burg, Rindenatrophie und intakte Pyramidenbahn. — Geburtshilfe 
und Gynäkologie: Haeberle, Dicephalus tribrachius. Modena, 
Fehlen des Gehirns und Rückenmarks. Sunde, Herpes zoster frontalis 
und Bakterienbefund im Ganglion Gasseri. — Chirurgie: Holländer, 
Genese der Netztumoren. 


Parasitenkunde und Serologie. 

0. Mayer-Landau: Zosammenlegbftrer Bakterienbrntsehrank, 

besonders für den Gebrauch im Felde geeignet. (Centralbl. f. Bakteriol. 
usw., Abt. 1, Orig., Bd. 67, H. 5, S. 398.) Der vom Verf. konstruierte 
zusammenlegbare Brutschrank besteht in zwei ineinandergeschachtelten 
Blechkasten, einer Asbestauskleidung, einer Thermometerhülse, einem 
Thermometer und einer Petroleumlampe. Der leicht transportable 
Apparat ist in wenigen Minuten aufzustellen und in Betrieb zu setzen; 
er kann mit Vorteil Verwendung finden, wo mit Gas geheizte Brutschränke 
nicht aufzustellen sind. Bierotte. 

Mentz v. Krogh-Cordoba: Zur Erleiehternng der serologischen 
Titrationen mittels Verdünnungspipetten. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 
Abt. 1, Orig., Bd. 67, H. 6, S. 489.) Beschreibung einer für serologische 
Arbeiten bestimmten Verdünnungspipette, die es ermöglicht, die bisher 
gebräuchliche, etwas umständliche Art der Verdünnungsmethodik zu ver¬ 
meiden. 

M. Rabino witsch -Charkow: Ein neuer Hoiswasserfiltrierapparat. 
(Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 67, H. 6, S. 493.) Der 
vom Verf. nach dem Prinzip des Autoklaven konstruierte Apparat soll 
es ermöglichen, Agar- und Gelatinenährböden einfach und schnell zu 
filtieren. 


U. Cano und G. Martinez-Sassari: Einfluss der Wasserfanna anf 
Choleravibrionen. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 67, 
H. 6, S. 431.) Choleravibrionen können im Darm von Goldfischen 2 bis 
4 Tage am Leben bleiben. Die Wasserinfektion wird weder durch die 
Vibronenentleerung der Fische begünstigt, noch durch Beförderung der 
Bakterienentwicklung mittels der Ausscheidungen. Die Gegenwart ver¬ 
schiedener Wassertiere (Frosch- und Insektenlarven, Wasserkäfer) be¬ 
einflusst nicht die Lebensfähigkeit der Choleravibrionen; diese haben 
auf die genannten Tiere keinen Einfluss, mit Ausnahme vielleicht von 
Froschlarven. 

B aerthl ein-Gross-Lieh terfelde: Ueber eholera&hnliehe Vibrionen. 
(Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 67, H. 5, S. 321.) Echte 
choleraähnliche Vibrionen zeigen morphologisch und kulturell ein mit 
den Choleravibrionen übereinstimmendes Verhalten. In der Mehrzahl 
scheinen sie hämolytisch zu wirken. Serologisch sind sie von der 
Cholera scharf abzugrenzen; mit Hilfe der Komplementbindung ist dies 
manchmal nicht durchführbar. Sie besitzen ferner meistens eine gewisse 
Pathogenität für Meerschweinchen. Inwieweit ihnen bei sporadisch vor¬ 
kommenden Darmerkrankungen, bei denen sie gefunden worden sind, 
eine ätiologische Bedeutung zukommt, ist noch nicht aufgeklärt. 

A. Sugai und J. Monobe-Osaka: Ueber die Vererblichkeit der 
Lepra und einiger anderer Infektionskrankheiten. (Centralbl. f. Bakteriol. 
usw., Abt. 1, Orig., Bd. 67, H. 5, S. 336.) Durch Meerschweinchenver- 
suche konnte festgestellt werden, dass Tuberkelbacillen, die in die Hoden 
injiziert wurden, im Samen des Tieres nach einigen Tagen nachzuweisen 
sind. Sie bleiben dort lebensfähig, können sich an geeigneten Stellen 
vermehren und dort tuberkulöse Prozesse hervorrufen. Leprabaoillen, 
Tuberkelbacillen und kleine Kokkenarten können die gesunden Pla- 
centargefässe von Menschen und Tieren passieren und vom mütterlichen 
Blut in das fötale gelangen; die Zahl der Keime in letzterem ist sehr 
klein. Ein Passieren der Placentargefässe von Bac. coli und Typhus¬ 
bacillen findet kaum statt. Väterliche direkte Vererbung und mütter¬ 
liche Infektion mit Lepra, Tuberkulose und anderen Infektionskrank¬ 
heiten im Fötalleben ist nicht auszuschHessen. 

T. Ishiwara-Tokio: Ueber die Rattenlepra. (Centralbl. f. Bakteriol. 
usw., Abt. 1, Orig., Bd. 67, H. 6, S. 446.) Die Diagnose „Rattenlepra* 
ist bei alten Ratten nur mit einer gewissen Vorsicht zu stellen; aus¬ 
schlaggebend ist die bakteriologische Untersuchung durch den Nachweis 
der Rattenleprabacillen. Ob diese mit den Leprabacillen des Menschen 
identisch sind, ist noch eine offene Frage. Bierotte. 

H. Dostal-Wien: Zur Stellung des Tnberkelbaeillns im System 
der Mikroorganismen. (Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) Experi¬ 
menteller Beitrag zu dem Satze Coruet’s, dass die Faden- und Zweig¬ 
bildung des Tuberkelbacillus zeigt, dass dieser nicht zu den einfachen 
Bakterien (Schizomyceten) gehört, sondern die parasitäre Form eines 
Fadenpilzes darstellt. G. Eisner. 

J. Fraser - Edinburg: Eine Studie über die Organismentypen in 
einer Reibe von Knoehen- nnd Oelenktnberkulosen bei Kindern. (Brit. 
med. joum., No. 2728 v. 12. April 1913.) In einer Reihe von 70 Fällen 
von Knochen- und Gelenktuberkulose bei Kindern hat der Verf. 11 mal 
den bovinen, 26 mal den humanen und 3 mal beide Typen von Tuberkel¬ 
bacillen gefunden. In den ersten 3 Lebensjahren überwog der bovine 
Typus bei weitem; in späterem Alter fanden sich beide Formen etwa 
gleich häufig; wo Lungentuberkulose in der Familie vorlag, überwog die 
humane Form. Zur Identifizierung wurde erkranktes Gewebe zunächst 
auf Meerschweinchen übertragen und erst mit deren erkranktem Gewebe 
Kulturen angelegt. Zur Unterscheidung diente 1. die Säurebildung der 
humanen Form (nach Theobald Smith), 2. das Wachstum der Kolonien 
auf Dorset’s Eidotternährboden mit Glycerin und 3. die Impfung von 
Kaninchen mit sehr kleinen Mengen der Kultur intravenös. 

Weydemann. 

Küster und P. Wossner-Freiburg i. B.: Untersuchungen über die 
Bakterienflora der Nase, mit besonderer Berücksichtigung des Vor¬ 
kommens von Diphtheriebacillen. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, 
Orig., Bd. 67, H. 5, S. 354.) Bei Untersuchungen der Bakterienflora von 
100 Fällen meist normaler Nasenhöhlen und einiger durch leichte, nicht 
spezifische Entzündungsformen erkrankter Nasenschleimhäute konnten 
83 Reinkulturen gewonnen werden, die meistenteils zu den Kugel¬ 
bakterien gehörten; ferner fanden sich die verschiedensten Stäbchen, 
ausserdem Fäulnispilze und Hefenarten. Die Keime gehörten sämtlich 
zu den in der nächsten Umgebung des Menschen (Luft, W’asser, Staub 
usw.) oder in und an ihm selbst vorkommenden Sapropbyten. Diphtherie¬ 
bacillen wurden nicht gefunden, doch diphtherieähnliehe bei einem 
Fall von Ozaena, der in die Untersuchungen einbezogen war. 

Bierotte. 

A. Zaloziecki-Leipzig: Ueber „eigenlosende* Eigenschaften des 
Meersehweinehensernms und dadurch bedingte Fehlerquellen der 
Wassermann’schen Reaktion. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 17.) Die Eigenlösung des Meersohweinchenserums ist eine typische 
Amboceptorhämolyse durch Komplement und Normalamboceptoren, nicht 
wie Stern glaubt, lediglich Komplementvermehrung. Für die Praxis 
der Wassermann'schen Reaktion ist die dadurch bedingte Fehlerquelle 
nicht eben hoch zu bewerten, da sie im Vorversuch erkennbar ist! 

Wolfsohn. 

E. Hanoi 16ff-St. Petersburg: Ueber die Verdanungsf&higkeit den 
I Normal- und Lnessernms. (Centralbl, f. "Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., 


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UNIVERSUM OF IOWA 





12. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


887 


Bd. 67, H. 5, S. 382.) Luesserum wird nach den Untersuchungen des 
Verf. durch Magensaft bedeutend stärker verdaut als Normalserum. 
Offenbar besteht ein Zusammenhang zwischen Magensaft und Luesserum. 
Eine zutreffende Erklärung kann Verf. vorläufig nicht geben. 

Bierotte. 

H. Schl echt-Kiel: Allgemeine und lokale Eosioophilie bei Ueber- 
empfindlichkeit gegen organische Arsenpräparate. (Münchener med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 15.) Bei zwei gegen Arsenpräparate überempfind¬ 
lichen Individuen fand Sch. eine ausgesprochene lokale und allgemeine 
Eosinophilie. Sch. erklärt die Ueberempfindlichbeitssymptome derart 
entstanden, dass Verbindungen zwischen Arsen und körpereigenem Ei- 
weiss Zustandekommen, die dann als blut- und organfremd circulieren, 
also im Bruck’schen Sinne als „entarteignetes“ Eiweiss wirken. 

Dünner. 

L. Loeb, G. T. Moore und M. S. Fleisher-St. Louis: Vorkommen 
von Hefen in menschlichen Tnmoren, mit Versuchen über das Wachs¬ 
tum einer pathogenen Hefe im Tierkörper. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 
Abt. 1, Orig., Bd. 67, H. 6, S. 450.) Die Untersuchungen von 16 bös¬ 
artigen Tumoren des Menschen auf Hefen waren bis auf einen Fall stets 
negativ; nur aus einem Sarkom konnte ein dem Saccharomyces cerevisiae 
nahe verwandter Organismus gezüchtet werden, der den Namen Saocharo- 
myces parasiticus von den Verfassern erhalten hat. Dieser wurde zu 
eingehenden Studien bezüglich seiner Wachstumsbedingungen und 
Wirkungsweise im Säugetier, benutzt. Das seltene Vorkommen der 
Hefen wie der Ausfall der Tierversuche in dem positiven Fall machen 
es nach Ansicht der Verfasser durchaus unwahrscheinlich, dass den Hefen 
eine allgemeine Bedeutung für das Wachstum maligner Tumoren zu¬ 
kommt. Bierotte. 

W. Kolle, 0. Hartoch, M. Rothermundt und W.Schürmann- 
Bern*. Ueber neue Prinzipien und neue Präparate für die Therapie der 
Tryp&nosomeninfektionen. — Chemotherapeutische Experimentalstudie. 
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) Vortrag, gehalten am 
81. März 1913 auf der 7. Tagung der Freien Vereinigung für Mikro¬ 
biologie in Berlin. Wolfsohn. 

Siehe auch Kinderheilkunde: Kleinscbmidt, Milchanaphy¬ 
laxie. — Haut- und Geschlechtskrankheiten: Donagh, Mikro¬ 
organismen der Syphilis. Saisawa, Aetiologie des Erythema exsuda¬ 
tivum multiforme. 


Innere Medizin. 

C. v. Dapper-Saalfels und E. Jürgensen-Kissingen: Indikationen 
des Kissinger nuten „Lnitpold-Sprndels“. (Münchener med. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 15.) Der Luitpold - Brunnen ist bei interner An¬ 
wendung ein gutes Unterstützungsmittel bei Behandlung der Chlorose 
und anämischer Zustände. Auch Hyperaoiditäten leichteren Grades 
wurden günstig beeinflusst. 

H. v. Recklinghausen - Strassburg: Neue Apparate zur Messing 
des arteriellen Blntdnekes beim Menschen. (Münchener med. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 15 u. 16.) Dünner. 

K. Weiser-Wien: Vorhofsflimmern bei paroxysmaler Taehyeardie. 
(Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 17.) Beschreibung eines Falles 
von paroxysmaler Taehyeardie bei einem wahrscheinlich nur nervösen 
Herzen. G. Eisner. 

Sir J. Barr: Rheumatoide Arthritis. (Brit. med. journ., 12. April 
1913, Nr. 2728.) Nach der Ansicht des Verf. ist die rheumatoide 
Arthritis verursacht durch eine leichte chronische Acidose, durch die 
den Geweben Kalk entzogen wird. Es ist also eine allgemeine Er¬ 
krankung und die Vorliebe für die Gelenke liegt in deren Struktur und 
leichten Verletzlichkeit. Mit dem Verluste der Kalksalze fangen die 
Gewebe an zu schwellen und werden gefässreicher, die Muskeln kommen 
in einen Zustand reizbarer Schwäche. Die Behandlung besteht in der 
Erzielung einer möglichsten Alkalinität des Blutes: reichlich rotes 
Fleisch, wenig gärende vegetabilische Substanzen. Als Medikamente 
kommen Alkalien und Kalksalze in Frage; nur wissen wir leider nioht, 
ob per os gegebener Kalk überhaupt in die Gewebe gelangt oder einfach 
wieder ausgeschieden wird. Weydemann. 

Henius und Rosenberg-Berlin: Das Marmorek-Sernm ii der 
Behandlung der Lungentuberkulose. (Deutsche med. Wochenschr., 
1913, Nr. 17 u. 18.) Henius hat 23 klinische, Rosenberg 21 poli¬ 
klinische Lungentuberkulosen mit Marmorek-Serum behandelt, meist mit 
rectaler Applikation. Schädliche Folgen wurden nie gesehen, dafür sind 
aber auch die Erfolge nicht eben sehr eklatant. Die geeignetsten Fälle 
für die Serumbehandlung scheinen die schweren Fälle des zweiten und 
die leichteren des dritten Stadiums zu sein. Wolfsohn. 

J. Schütz-Marienbad: Ueber Sekretlous- und Motilitätsprüfnng 
des Magens. (Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 15 u. 16.) Verf. 
bespricht den Wert der Magenfunktionsprüfungen mit Magen schlauch. 
Das Ewald-Boas’sche Probefrühstück ist zur Funktionsprüfung sehr ge¬ 
eignet. Es gibt einen guten Anhaltspunkt bezüglich der Sekretion. Die 
Milch bietet eine zweckmässige Ergänzung. Man muss sich bei allen 
mit Magensonde erhobenen Befunden klar sein, ob sie symptomatische 
oder funktionelle Bedeutung besitzen. G. Eisner. 

Schlayer - München: Notiz zur Fnnktioisprüfnng der Niere. 1 
(Münohener med. Woohenschr., 1913, Nr. 15.) Dünner. 


N. Klodnitzky-Astrachan: Beobachtungen über Flecktyphus in 
Astrachan io den Jahren 1907—1909. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 
Abt. 1, Orig., Bd. 67, H. 5, S. 838.) In den Jahren 1907—1909 kamen 
in der Stadt Astrachan 2110 Fälle von Flecktyphus zur Beobachtung. 
Bezüglich der Frage der Bedeutung von Läusen bei der Verbreitung des 
Flecktyphus steht Verf. auf dem Standpunkt, dass diesen eine zu grosse 
Bedeutung zugeschrieben wird, wenn er auch nicht leugnen will, dass 
in einigen Fällen Ansteckung durch Läuse stattfindet. Versuche, die 
Krankheit durch Bisse von Wanzen auf Meerschweinchen zu übertragen, 
fielen negativ aus. Io klinischer Hinsicht wurden Besonderheiten nicht 
beobachtet; die Mortalität mit etwa 12 pCt. war verhältnismässig niedrig. 
Die Therapie war die übliche; besonderer Wert wurde auf häufigen 
Lagewechsel der Kranken gelegt, um Lungenhypostasen zu vermeiden, 
die man häufig als unvermeidlich angesehen hat; weiter wurde auf sorg¬ 
fältige Reinigung der Mundhöhle und Zähne geachtet. Die bakterio¬ 
logischen Untersuchungen verliefen bis auf einen Fall negativ; in diesem 
fanden sich vom Verf. näher beschriebene und in Reinkultur gezüchtete 
Bacillen von ausserordentlicher Virulenz, die er auch aus Wanzen einige 
Male isolieren konnte; sie als den Erreger des Flecktyphus zu be¬ 
zeichnen, wagt der Verf. nach seinen eigenen Worten nicht. 

Bierotte. 

Siehe auch Physiologie: Arneth, Thorium X-Wirkung auf das 
Blutzellenleben. — Parasitenkunde und Serologie: Schlecht, 
Lokale Eosinophilie bei Ueberempfindlichkeit gegen organisohe Arsen¬ 
präparate. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Goldbladt - Kiew: Neues Reflexoneter. (Deutsche Zeitschr. f. 
Nervenheilk., Bd. 46, H. 2.) Das Instrument besteht aus dem Schlag¬ 
apparat, einem Extensitäts- und einem Intensitätsmessapparat (Winkel- 
bzw. Geschwindigkeitsmesser). Es eignet sich zur Untersuchung sämt¬ 
licher Sehnenrefiexe und gestattet auch eine graphische Registrierung. 

Modena - Ancona: Totales Fehlen des Gehirns und des Rücken¬ 
marks. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk., Bd. 46, H. 2.) Reife Frucht, 
die einige Minuten gelebt hat. Rumpf und Extremitäten gut entwickelt. 
Echte Amyelie, Hirn- und Rückenmarksnerven vollkommen ausgebildet, 
mit ihren Wurzeln frei endend. Es ergibt sich daraus, dass das Muskel¬ 
system sich unabhängig vom Nervensystem entwickelt. 

Finkelnburg-Bonn: Partielle Rindenatrophie und iitakte Pyra¬ 
midenhahn in einem Fall von kongenitaler spastischer Paraplegie 
(Little). (Deutsche Zeitsohr. f. Nervenheilk., Bd. 46, H. 2.) Die Unter¬ 
suchung ergab neben einem mässigen Hydrocephalus deutliche Atrophie 
der motorischen Rindenzellen mit Ausnahme der untersten (fünften) 
Schicht und Fehlen jeder sekundären Pyramidenbahndegeneration. 
Lähmungen und Spasmen können also auch bei intakter Pyramiden¬ 
bahn duroh Affektion der obersten Rindenschicht entstehen. 

K. Kroner. 

G. Söderbergh: Kleinhinsymptome bei Myxödem. (Nord. med. 
Arkiv, 1912, Afd. 2, H. 3, Nr. 11.) Vier Fälle von Myxödem wiesen 
sämtlich eine Reihe von Kleinhirnsymptomen auf. Konstant fand sich 
in allen Fällen cerebellare Katalepsie und Störung der Diadokokinese. 

E. Herzfeld. 

A. Sunde - Ghristiania: Herpes xoster frontalis mit Bakterien - 
befaid im Ganglion Gasse?!. (Deutsche med. Wochensohr., 1913, 
Nr. 18.) Io einem Fall von Herpes zoster frontalis, der drei Tage nach 
dem Ausbruch ad exitum kam, zeigte die Obduktion eine frische, teils 
hämorrhagische, teils seropurulente Entzündung im Ganglion Gasseri der¬ 
selben Seite. Mikroskopisch fanden sich viele grampositive Kokken. 
Einen Bakterienbefund in Spinalganglien konnte S. sonst in der Lite¬ 
ratur nicht erwähnt finden. Wolfsohn. 

Merzbacher und Gastex - Tübingen: Ueber ein sehr grosses 
multilobuläres Fibrom im Cervicalmark. (Deutsche Zeitschr. f. Nerven¬ 
heilkunde, Bd. 46, H. 2.) Länge der Geschwulst 11 cm. Schmerzen 
fehlten fast ganz, da offenbar die Verbindung zwischen der poripheren 
und centralen Leitungsbahn unterbrochen wurde, bevor die Wurzeln ge¬ 
reizt waren. Krankheitsdauer 18 Jahre. 

Beck-Heilbronn: Moltiple Sklerose, Schwangerschaft und Ge¬ 
burt. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk., Bd. 46, H. 2.) Die Gravidität 
stellt einen bedenklicheren Faktor dar als die Geburt, wenn auch von 
einer generellen Schädlichkeit nicht gesprochen werden kann. In 
mehreren Fällen zeigte sich eine Verschlimmerung auch erst bei einer 
späteren Gravidität. 

Rosenblath - Cassel: Cystieerkenmeningitis mit vorwiegender 
Beteiligung des Rückenmarks. (Deutsche Zeitsohr. f. Nervenheilkd., 
Bd. 46, H. 2.) Fünfjährige Krankheitsdauer. Zunächst nur cerebrale 
Erscheinungen, die sich grösstenteils wieder zurückbilden. Nach drei 
Jahren Wiederaufflackern und Auftreten von ausgesprochenen Rücken¬ 
markserscheinungen, während die cerebralen nochmals zurüokgehen. Bei 
der Autopsie Erweichungen, namentlich im unteren Hals- und oberen 
Brustmark, das von Granulationsgewebe umschlossen ist; die Parasiten 
sind sämtlich abgestorben. Auffallenderweise fehlten Sensibilitäts¬ 
störungen fast gänzlich. K. Kroner. 


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888 BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. Nr. 19. 


Siehe auch Chirurgie: Sievers, Phrenicuslähmung bei Plexus¬ 
anästhesie. Payr, Technik der Hirnpunktion. Babitzki, Ischiadicus- 
anästhesie. — Haut- und Geschlechtskrankheiten: Müller, Vaso- 
commotio cerebri nach Salvarsaninfusion. 


Kinderheilkunde. 

A. Schlossmann - Düsseldorf: Die Arbeitsleistung des Säuglings. 
(Monatsschr. f. Kinderheilk., 1913, Orig., Bd. 12, S. 47.) Die Arbeits¬ 
leistung des Säuglings darf in Theorie und Praxis nicht vernachlässigt 
werden. Sie ist abhängig von dem Temperament des Kindes und einer 
Reihe im und ausser dem Kinde gelegener Faktoren. In vier Fällen 
berechnete sie Sch. auf 155—341 Meterkilogramm pro Kilogramm Körper¬ 
gewicht und Stunde und 345—1000 Meterkilogramm pro Kilo Muskulatur 
und Stunde. Es ist ersichtlich, dass diese Ausschläge bei der Fest¬ 
stellung des Nahrungsbedarfes der Säuglinge eine Rolle spielen müssen. 

E. Schloss - Berlin: Bemerkungen zu einer Kritik von Prof. Leo 
Langstein über mein Buch „Ueber Sänglingsernährung“. (Monats¬ 
schrift f. Kinderheilk., 1913, Orig., Bd. 12, S. 54.) Polemik. 

W. Birk-Kiel: Ueber den Einfluss psychischer Vorgänge auf den 
Ernährungserfolg bei Säuglingen. (Monatsschr. f. Kinderheilk., 1913, 
Bd. 12, S. 1.) Die Bedeutung psychischer Momente für das Gedeihen 
junger Säuglinge ist allgemein anerkannt, doch fehlten zum Beweise des 
Zusammenhanges dieser Dinge bisher Belege in Form klinischer, ein¬ 
deutiger Krankengeschichten. Verf. legt in der vorliegenden Mitteilung 
zwei einschlägige Beobachtungen vor, in denen in interessanter Weise 
die Bedeutung des Milieuwechsels (auch innerhalb eines Krankenhauses), 
der individuellen Einzelpflege, d. i. die Herstellung einer Art seelischen 
Kontaktes zwischen Kind und Pflegerin, und des psychischen Wohl¬ 
befindens für die körperliche Entwicklung mancher Kinder bewiesen 
wird. Insbesondere ist es in hohem Maasse lehrreich, zu sehen, wie es 
B. an der Hand seiner Fälle gelingt, zu zeigen, dass der Begriff der 
Einzelpflege durchaus nicht mit dem der individuellen Pflege identisch 
ist, und dass sich auch in der Anstalt durch Rücksichtnahme auf 
psychische Eigentümlichkeiten der Kinder ihre somatische Entwicklung 
beeinflussen lässt. 

P. Hecin und M. K. John - Budapest: Die kaseinfettangereicherte 
Kuhmilch (K. F. Milch) als Dauer- und Heilnahrung. (Monatsschr. f. 
Kinderheilk., 1913, Bd. 11, S. 621.) Der hohe Preis, der im Handel 
käuflichen Eiweissmilch und die Schwierigkeiten der Herstellung, speziell 
wegen der Unmöglichkeit, eine zuverlässige Buttermilch zu bekommen, 
veranlassten die Verff. zu dem Versuch, das Prinzip der Eiweissmilch 
in einfacherer Weise in einer Heilnahrung zur Geltung zu bringen. Sie 
erreichten das, indem sie das bei der Labung der Kuhmilch erhaltene 
Kaseinfettgerinnsel nach Verteilung in heissem Wasser und fünf- bis 
sechsmaligem Passieren durch ein Haarsieb zu 1 / 9 - bis y 2 -Kuhmilch¬ 
wassermischung hinzusetzten und 3 pCt. Soxhlets Nährzucker hinzufügten. 
Diese Nahrung enthält weniger Fett als die Eiweissmilch. Das Manko 
an Nährwerten wird durch den Zuckerzusatz ausgeglichen. Der wichtigste 
Unterschied gegenüber der Eiweissmilch ist der grössere Gehalt an Molke, 
doch glauben die Verff., das9 das wirksame Moment der Eiweissmilch 
ihr hoher Gebalt an Kaseinfett sei, und dass „die Molke und insbesondere 
deren Milcbzuckergehalt den Heilungsvorgang nicht im geringsten be¬ 
einträchtige“. Mit der Kasein fettmilch erzielten die Verff.“ bei der künst¬ 
lichen Ernährung junger, gesunder Säuglinge und bei der Behandlung 
chronischer Dyspepsien gute Erfolge. 

H. Kleinschmidt - Marburg a. L.: Ueber Milehanaphylaxie. 
(Monatsschr. f. Kinderheilk., 1913, Bd. 11, S. 644.) Zur Klärung des 
Phänomens der Milchanaphylaxie stellte der Verf. eine Reihe von inter¬ 
essanten Versuchen an, deren Ergebnis er selbst folgendermaassen zu¬ 
sammenfasst: „1. Gesunde, ausgewachsene Meerschweinchen können auf 
enteralem Wege mit Kuhmilch sensibilisiert werden. 2. Ob rohe oder 
kurz aufgekochte Milch dabei verwandt wird, ist gleichgültig; mit 
i/ 4 Stunde gekochter Milch aber werden die Resultate inkonstant, was 
offenbar auf die Reduktion der biologisch wirksamen Molkeneiweisskörper 
zurückzuführen ist. 3. An der Sensibilisierung ist in erster Linie das 
Milchalbumin beteiligt, doch kommt auch eine Kaseinüberempfindlichkeit 
vor. 4. Albumin- und Kaseinüberempfindlichkeit können nebeneinander 
bestehen (polyvalente Anaphylaxie). Das Ueberstehen eines Kaseinshocks 
hat nicht Antianaphylaxie für Albumin zur Folge. 5. Bei subcutan und 
durch Fütterung vorbehandelten Meerschweinchen lässt sich auf enteralem 
Wege kein Shock auslösen. 6. Es fehlen auch lokale celluläre anaphy¬ 
laktische Prozesse sowie Temperaturanomalien, Bluteosinophilie und Anti¬ 
anaphylaxie. 7. Dagegen erwiesen sich Tiere, die im Hungerzustand 
oder nach Podophyllinverabreichung die auslösende Milchraenge auf 
oralem Wege erhalten haben, gewöhnlich refraktär gegen die intracard-ial 
tödliche Dosis. Immerhin treten schwere Ueberempfindlichkeitserschei- 
nungen nach der Probeinjektion ein. 8. Das Berkefeldfiltrat von roher 
Kuhmilch erzeugt beim normalen Menschen und Meerschweinchen, intra- 
cutan eingespritzt, ausgesprochene Reaktionserscheinungen. 9. Mit in¬ 
aktiviertem Kuhmilch-Berkcfeldfiltrat oder Rinderserum ist bei einmalig 
subcutan mit Milch vorbehandelten Meerschweinchen eine lntracutan- 
reaktion nicht zu erzielen. 10. Eine positive Intracutanreaktion mit in¬ 
aktiviertem Milch-Berkefeldfiltrat wurde bisher beim Menschen nicht be¬ 
obachtet.“ 


M. Kretschmer - Strassburg: Ueber die Aetiologie des Scharlachs. 
(Monatsschr. f. Kinderheilk., 1913, Orig., Bd. 12, S. 11.) Sammelreferat über 
die bisherigen Forschungsergebnisse unter Mitteilung eigener Unter¬ 
suchungen. Das Referat zeigt die Ergebnislosigkeit aller bisherigen 
Untersuchungen, die bestimmt waren, die Aetiologie des Scharlachs auf¬ 
zudecken; auch die eigenen Untersuchungen des Verf., ausgeführt mit 
Scharlachblut, Blutserum, Harn, Zungenbelag, Drüsenpunktat, Cerebro¬ 
spinalflüssigkeit, Hautschuppen, Aufschwemmungen postmortal ent¬ 
nommener Organe und mit Streptokokken an Mäusen, Meerschweinchen 
und Kaninchen, batten kein positives Ergebnis. R. Weigert. 

Tal bot und Sisson: Formaldehydansscheidung bei Kindern nach 
Urotropin. (Boston med. journ., 1913, Nr. 14.) Die Formaldehydaus¬ 
scheidung verhält sich bei Kindern anders als bei Erwachsenen, die nur 
zum Teil Formalin abspalten. Bei 44 untersuchten Kindern fanden Verff. 
stets Formaldebyd nach Urotropin, oft erst nach grossen Gaben. Zu 
vermeiden sind gleichzeitig Medikamente, die den Urin alkalisch machen. 

Schelenz. 


Chirurgie. 

R. Klapp-Berlin: Physiologische Chirurgie. (Münch, med. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 15.) Verf. zeigt an einer Reihe von Beispielen, dass 
die Erfolge, die durch chirurgische Eingriffe erzielt werden, nur durch 
physiologisches Vorgehen bedingt sind. Zum Teil ist die Chirurgie dazu 
auf dem Wege der Empirie gelangt. Es ergibt sich die berechtigte 
Forderung, bei allem chirurgischen Handeln physiologisch zu denken; 
die Therapie kann sich nur auf dem Boden einer gründlichen Physio¬ 
logie weiter entwickeln. Dünner. 

Günther-Bielefeld: Verwendung des Bolus alba bei der Hände¬ 
desinfektion. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 13.) G. kann Bolus für 
die Hand, besonders auch zum bessseren Ueberstreifen der Handschuhe, 
nicht empfehlen; die Haut wird leicht rissig. Er verwendet sterilen 
Puder. 

Deutschländer - Hamburg: Gelenkanästhesie. (Centralbl. f. Chir., 
1913, Nr. 11.) D. empfiehlt unter Blutleere das Gelenk mit dem 
Anaestheticum (>/, pCt. Novocain-Suprarenin) zu injizieren. Bei grösseren 
Gelenken empfiehlt es sich, das Gelenkinnere in zwei Parteien zu 
injizieren. Grösstenteils verödete Gelenke eignen sich nicht zu dieser 
Anästhesie. 

H. Frowelin - Riga: Die Anästhesierung der rechten Darmbein¬ 
grube bei der Operation der chronischen Appendicitis. (Centralbl. 
f. Chir., 1913, Nr. 10.) Um eine Anästhesie des Peritoneum parietale 
zu erreichen, geht man mit der Nadel an der Spina sup. ant. in die 
Tiefe der Beckenschaufel und injiziert parallel der Beckenschaufel nach 
unten, oben und in die Tiefe. Gute Resultate! (Mesenterialunterbindung 
war schmerzhaft.) 

P. Babitzki: Zur Anästhesie des Nervus isehiadicns. (Central¬ 
blatt f. Chir., 1913, Nr. 13.) B. trägt zu seiner Arbeit in Nr. 7, 1913, 
nach: er braucht 20 ccm einer 3proz. Novocainlösung, bei Frakturen 
genügt es, nur die zwei grossen Nervenstämme (cruralis, ischiadicus) zu 
injizieren. Um eine Blutung zu vermeiden, ist es angezeigt, die Injektion 
am äusseren Rande der Nerven zu machen. 

R. Sievers - Leipzig: Phrenicuslähmung bei Plexusanästhesie 
nach Kulenkampf. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 10.) Im Anschluss an 
eine sonst normal verlaufene Kulenkampf’sche Plexusanästhesie war es 
bei einem bisher gesunden 29 jährigen Mann zu einer mit heftigen 
Schmerzen verbundenen röntgenologisch nachweisbaren Motilitätsstörung 
einer Zwerchfellhälfte gekommen, die sich in drei Tagen vollkommen 
verlor. Dieselbe ist vielleicht zustande gekommen durch subfasciale 
Diffusion des Anästheticums nach dem Phrenicus hin oder durch Aus¬ 
breitung der Iojektionsflüssigkeit auf der Plcurakuppe. 

W. Danielsen - Beuthen: Sind Wundinfektion und langdauernde 
Abschnürung Gegenindikation gegen die Gefässnaht bei Verletzungen? 
(Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 11.) An Hand eines Falles glaubt D. 
diese Frage verneinen zu können. 

Z. Slawinski - Warschau: Zur Technik des beweglichen Stumpfes 
bei Amputationen. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 13.) S. hat nach 
Amputation im unteren Drittel des Vorderarms dadurch einen beweg¬ 
lichen Stumpf erzielt, dass er 3 cm Knochen in einiger Entfernung vom 
Amputationsende resezierte. Die unteren und mehr mit den oberen 
Teilen der Vorderarmknochen in Verbindung stehenden Knochenstücke 
waren nur muskulös mit dem oberen Teile des Vorderarms verbunden. 
Das Ende des Vorderarms kann Patient jetzt gut handartig bewegen. 

W. Levy-Berlin: Ueber die Bildung tragfähiger Stümpfe bei der 
tiefen Amputation des Unterschenkels (Amputatio supramalleolaris) durch 
osteoplastische Verwendung der Knöchel. (Centralbl. f. Chir., 1913, 
Nr. 17.) Auf die Amputationsstelle deckt Verf. einen Hautlappen, an 
dem der abgemeisselte Knöchel noch vorhanden ist. Am meisten zu 
einer solchen Osteoplastik empfiehlt sich der innere Knöchel. 

R. Frank - Kaschau: Zur Behandlung beginnender Gangrän. (Cen¬ 
tralbl. f. Chir., 1913, Nr. 14.) Bei einem Fall von Erfrierung dritten 
Grades haben Borchardt’s Wechselbäder einen brillanten Erfolg gehabt. 

L. Moszkowicz-Wien: Diagnostik und Therapie bei Gangraena 
pedis. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 14.) Um zu erkennen, ob die 
Circul&tion eines Beins gestört ist, genügt es, es 1 — 2 Minuten empor- 


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12. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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zuheben, dann wird es leichenblass. — Durch Aufheben und Wieder- 
herabhängenlassen des Gliedes kann man dieselben Resultate erzielen, 
vie Borchardt mit seinem Wechselbad. 

Perthes - Tübingen: Ueber modellierende Osteotomie bei Platt- 
füssen mit schwerer Knochendeformität. (Centralbl. f. Cbir., 1913, 
No. 15.) Bei erheblicher Deformation nimmt P. aus dem Os naviculare 
einen Keil und treibt ihn in den osteotomierten Calcaneus hinein. Auf 
diese Weise wird die Deformität behoben. 

v. Brunn-Rostock: Ueber Fraktiren des Sternam. (Centralbl. f. 
Chir., 1913, Nr. 17.) Verf. teilt drei Fälle von Sternumfrakturen mit, 
die durch das Auflallen einer schweren Last auf das Genick und den 
oberen Teil der Halswirbelsäule bei leicht gebeugter Körperhaltung zu¬ 
stande gekommen waren. Sehrt. 

A. Lorenz: Ein Fall von doppelseitigem, angeborenem Defekt 
des Radios. (Wiener med. Wochenschr., 1913, No. 17.) Beschreibung 
des Falles und der Therapie (modellierendes Redressement). Nach fünf 
Jahren Reoidiv. Wiederholung des Redressements. Danach vollständiger 
Erfolg. G. Eisner. 

Payr - Leipzig: Zur Technik der Hirnpnnktion. (Centralbl. f. 
Chir., 1913, Nr. 11.) P. beschreibt eine mit Griff versehene Hohlrinne, 
die entlang des Bohrers bis in das Schädeldachloch eingeführt wird. 
Nach Herausziehen des Bohrers hat die Nadel auf diese Weise ihren 
sicheren Weg. 

Wilm8 - Heidelberg: Eine Rippenqnetsebe zur leichteren Resektion 
von Rippen. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 11.) Angabe eines neuen 
Instrumentes. Sehrt. 

E. de Verteuil-Port of Spain: Zwei Fälle von penetrierenden Herz¬ 
wanden; Operation. (Brit. med. journ., No. 2728 vom 12. April 1913.) 
Krankengeschichten. Nach den Erfahrungen des Verf.’s ist Catgut als 
Nahtmaterial für die Herzwunde unsicher; er zieht feine Seide vor; die 
Nähte dürfen nicht zu fest geknüpft werden. Die Eröffnung der Pleura 
ist nicht gefährlioh; der Pneumothorax schwindet rasch. Die Pleura¬ 
eröffnung gibt Gelegenheit, den Pleuraraum von Blutgerinnseln zu reinigen. 

Weydemann. 

A. Hofmann - Offenburg: Zur Frage der freien Transplantation 
des Peritoneums. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 13.) H. wendet sich 
sehr richtig gegen die Bemerkung Friedemann’s, dass auch nicht¬ 
serosabedeckte Darmstellen heilen können ohne die von H. vor¬ 
geschlagene Transplantation. Der Umstand, dass ohne Peritonisierung 
ein glatter Wund verlauf erzielt werden kann, spricht nicht gegen freie 
Peritoneal transplantation. 

F. v. Fink - Karlsbad: Ueber plastischen Ersatz der Speiseröhre. 
(Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 15.) Verf. empfiehlt ein Verfahren, das 
den Magenkörper, den Pylorus und den horizontalen Ast des Duodenums 
zum Ersatz der Speiseröhre verwendet, während der Fundus die Funktion 
der Verdauung zu übernehmen hat. — 1. Fall: Nach 6 Tagen Exitus, 
der nicht dem Verfahren zur Last gelegt werden kann. 

J. Hohlbaum - Leipzig: Zur Frage der Sehleimhantjodierong bei 
Operationen des Magendarmtractns. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 10.) 
Nach Erfahrungen aus der Payr’schen Klinik kann H. die Warnung 
Fiebers’ vor der Jodtinktur als nicht gerechtfertigt ansehen. 

Wolff - Hermannswerder: Sechsmalige Gastrotomie an demselben 
Magen. Gastroskopiseher Nachweis einer Zahnbürste (Dr. Eisner). 
(Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 11.) Mitteilung des Falles einer Psycho¬ 
pathin, die dreimal einen Löffel und dreimal eine Zahnbürste ver¬ 
schluckt hatte. Das letzte Mal hatte Röntgenuntersuchung kein 
Ergebnis, dagegen die Gastroskopie. 

F. Steinmann-Bern: Ausschaltung des Warmfortsatzes. (Central¬ 
blatt f. Chir., 1913, Nr. 12.) Verf. hat einen Wurmfortsatz, der in aus¬ 
gedehnten Verwachsungen lag, nach Kofmann „ausgeschaltet". Nach 
drei Tagen heftige Erscheinungen. Die Entzündung war in dem ausge¬ 
schalteten Processus weitergegangen (Abscesshöhle, Perforation, Kolpieren). 
Verf. warnt vor dem Kofmann’schen Vorgehen! 

Kaefer-Odessa: Appendectomia sabserosa. (Centralbl. f. Chir., 
1913, Nr. 14.) Verf. empfiehlt für Fälle, in denen eine Auslösung des 
Processus in der üblichen Weise nicht möglich ist, Ausschälung. Ein 
Zurückklaffen des Processus nach Durchtrennung seiner Basis, wie es 
Kofmann empfiehlt, verwirft auch Verf. richtigerweise! 

Bastianelli-Rom: Wie soll man die Pyelotomie wunde behandeln? 
(Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 12.) Pyelotomiewuuden heilen ohne Naht. 
Besser ist es jedoch, die Wunde zu nähen. Verf. erwähnt einen Fall, 
in dem er die Schnittwunde des Nierenbeckens durch einen Fett* 
Fascienlappen aus der Nierenkapsel deckte. 

K. Dahlgren - Gothenburg: Modifikation der kombinierten Ope¬ 
rationsmethode bei Cancer recti. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 13.) 
D. hat, um nach Resektion des carcinomatösen Rectums eine zu grosse 
Spannung und Neurose des heruntergezogenen Darmteiles zu vermeiden, 
in der ersten Sitzung von einem Rectalschnitt aus die Gefässe des 
Mesenteriums in der Flexur in einer Ausdehnung, die einer Länge Darm 
von 20—25 cm entsprach, unterbunden und dann das Mesenterium 
central von den Unterbindungen durchgeschnitten. Auf diese Weise war 
ein 20—25 cm langes Dickdarmstück ohne Mesenterialfixierung und Er¬ 
nährung.* -Trotzdem blieb die Darmwand gut ernährt und wurde wieder 
versenkt. Nach 10 Tagen wurde dann reseziert und die so vor¬ 


behandelte und deshalb bewegliche Darmsohlinge ohne Strammung 
heruntergeholt. 

Payr-Leipzig: Zur Nahtsicherung bei Pyelolithotomia. (Central¬ 
blatt f. Chir., 1913, Nr. 15.) Bastianelli will die von Payr emp¬ 
fohlene Deckung des Nierenbeckenschnittes mit eiuem Lappen aus der 
Capsula fibrosa schon vor zwei Jahren ausgeführt haben. — Da dieser 
Fall nirgends veröffentlicht ist, entzog sich derselbe P.’s Kenntnis. 

Sehrt. 

E. Holländer-Berlin: Zur Genese der Netztnmoren (Epiploitis 
plastica). (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) Vortrag in der 
Berliner Gesellschaft für Chirurgie am 10. März 1913. Wolfsohn. 


Röntgenologie. 

A. Schlesinger - Berlin: Zur Vereinfachung der Fremdkörper- 
extraktion. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 14.) Verf. bringt das be¬ 
treffende Glied zwischen Schirm und Röntgenlicht; mit einer Schreibfeder 
markiert er auf der zu- und abgewandten Seite des Gliedes mit Tinte 
einen Punkt (der den Fremdkörper deckt). Dann wird das Glied von 
der anderen Seite zwischen Schirm und Röhre gebracht und wieder diese 
zwei Punkte markiert. Nachher werden im aseptischen Operationssaal 
zwei lange Nadeln eingeführt, die die zwei korrespondierenden Punkte 
verbinden. Wo sie sich treffen, liegt der Fremdkörper. Sehrt. 

M. Reichmann - Chicago: Fremdkörperlokalisation im Auge, 

(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) Beschreibung der in einem 
Falle von Splitter hinter dem Bulbus angewandten Röntgentechnik; die 
Lokalisation war, wie die Operation zeigte, richtig. Dünner. 

N. Dohan: Ueber den derzeitigen Stand der Röntgentherapie. 

(Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) Nach einem kurzen geschicht¬ 
lichen Ueberblick, bei dem 4 Etappen in der Entwicklung der Röntgen¬ 
therapie unterschieden werden, geht Verf. auf einige biologische Grund¬ 
lagen ein. Die Röntgenstrahlen führen zur Degeneration und Nekrobiose 
der Gewebszellen. Die Empfindlichkeit der Zellen ist verschieden. Dem 
Degenerationsprozess kann eine Restitutio ad integrum oder ein Ab¬ 
sterben der Zelle folgen. Fieber tritt nach Röntgenbestrahlung nur auf, 
wenn grosse Zerfallsmassen zur Resorption gelangen. Folgende Gruppen 
bei Erkrankungen des menschlichen Organismus werden für die Röntgen¬ 
therapie aufgestellt: 1. Haut (die verschiedensten Hauterkrankungen); 
2. lymphatische Organe (Leukämie, Pseudoleukämie); 3. Drüsengewebe 
(Keimdrüsen, Schilddrüse, Schweiss- und Talgdrüse, Prostatahypertrophie); 
4. Centralnervensystem (Neuralgien, bes. Ischias); 5. maligne Tumoren; 
6. tuberkulöse Erkrankungen (Hauttuberkulose, tuberkulöse Symptome, 
Knochen-, Gelenk- und Sebnenscheidentuberkulose). Näheres s. Original¬ 
arbeit. G. Eisner. 

Siehe auoh Haut- und Geschlechtskrankheiten: Joseph 
und Siebert, Röntgenbehandlung des Hydrocystoma tuberosum multi¬ 
plex. — Geburtshilfe und Gynäkologie: B'oges, Röntgentherapie 
bei Uterusblutungen, v. Graff, Röntgentherapie der Gynäkologie. 


Urologie. 

P. J. Freyer - London: Eine Reihe von 236 Fällen von völliger 
Ausschälung der Prostata, die in den beiden Jahren 1911 und 1912 
gemacht worden sind. (Lancet, No. 4676 vom 12. April 1913.) Seinen 
schon früher veröffentlichten 800 Fällen fügt der Verf. 236 neue hinzu, 
von den 1036 starben nur teilweise an den Folgen der Operation 
5VipCt.; die übrigen hatten mit einer Ausnahme einen vollen Erfolg. 
In 190 Fällen waren gleichzeitig Blasensteine vorhanden, diese hatten 
8,4 pCt. Todesfälle, die übrigen, nicht mit Stein komplizierten 4,8 pCt. 
Die Patienten fühlten sich nach der Operation auffallend wohl und ver¬ 
jüngt, was den Verf. zu der Annahme bringt, dass die vergrösserte 
Prostata ein Toxin in den Kreislauf sendet. Weydemann. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

R. Weintraub - Wien: Zur Kenntnis der kongenitalen Cutis- 
defekte. (Dermatol. Wochenschr., 1913, Bd. 56, Nr. 14.) Bei den an¬ 
geborenen Alopecien handelt es sich um circumscripte Cutisdefekte. Die 
konstante Lokalisation dieser Defekte ist in oder nahe der Medianebene. 
Charakteristisch ist ihre gegen die umliegende normale Haut vertiefte 
Stellung, das verdünnte atrophische Aussehen, der Mangel der Haare 
und der den Hautdrüsen entsprechenden Oeffnungen. 

B. Hochstetter-Bonn: Ueber eine seltene Anonalie des Haar¬ 
wechsels. (Dermatol. Zeitschr., April 1913.) Verf. hat in Wien in 
Finger’s Kfinik einen Fall von Pinselhaar, welchem er Hautstückchen 
exzidierte, histologisch untersucht, und gefunden, dass die eigentümliche 
schwarze Färbung durch Schmutz verursacht war; dass der Grund für 
das zahlreiche Vorhandensein der Haare das Bestehen eines zusammen¬ 
gesetzten Follikels war, und dass die Haare nicht entsprechend aus- 
gestossen wurden, sondern dass die Kolbenhaare unbegrenzt lange im 
Follikelinnern liegen blieben. 

M. Hodara - Konstantinopel: Ein Ball von Hidradenoma eruptivum 
Darier und Jacquet (Syringocy^tadenom). (Dermatol. Wochenschr., 1918, 
Bd. 56, Nr. 15.) Die Drüsengeschwülste sassen in grosser Ausdehnung 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 19. 


auf der unteren Brustbälfte. Unter zweimonatiger Röntgen¬ 
behandlung flachten die Tumoren ab und die Ulcerationen des grossen 
Krankheitsherdes vernarbten, so dass vollständige Heilung des Leidens 
zu erwarten steht. 

M. Joseph und C. Siebert- Berlin: Ueber erfolgreiche Behand¬ 
lung des Hidrocystoma tuberosum multiplex. (Dermatol. Wochensohr., 
1913, Bd. 56, Nr. 15.) Die bisher wegen der kolossalen Anzahl der 
Effloreszenzen als unheilbar geltende Krankheit kann durch die Röntgen¬ 
strahlen günstig beeinflusst werden, was auch für ihren epithelialen Ur¬ 
sprung spricht. 

A. Wagner- Prag; Scabies bei Epidermolysis bullosa heredilaria. 
(Dermatolog. Wochenschr., 1913, Bd. 56, Nr. 16.) Verf. berichtet über 
einen einschlägigen Fall, welcher zuerst den Eindruck eines lange be¬ 
stehenden Pemphigus machte. Durch das Bestehen von MilbeDgängen 
und das Auffinden von Krätzmilben wurde die Diagnose auf Scabies 
gesichert, die schon seit drei Jahren bestehen sollte. 

Immerwahr. 

K. Saisawa-Tokio: Beitrag zur Aetiologie des Erythema exsuda¬ 
tivum multiforme. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 17.) S. be¬ 
obachtete bei einem Soldaten eine akute Infektionskrankheit mit visce¬ 
ralen Symptomen, in deren Verlauf sich ein Erythema exsudativum 
multiforme entwickelte. Im Blute des Patienten waren gleich nach 
Ausbruch des Exanthems kleine Stäbchen nachweisbar (desgleichen im 
Urin), die sich noch 2 Wochen nach der Entfieberung daselbst fanden. 
Diese Stäbchen werden zu der Krankheit in Beziehung gebracht. 

W. Fischer - Berlin: Ueber das gehäufte Auftreten von Exan¬ 
themen naeh dem Gebrauch von Copaivabalsam. (Deutsche med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 18.) F. macht darauf aufmerksam, dass nach 
Copaivabalsam relativ häufig (etwa 9 pCt.) sehr lästige Exantheme auf- 
treten. Gelegentlich werden auch schwerere allgemeine Störungen, be¬ 
sonders Circulationsstörungen, beobachtet. Es empfiehlt sich daher, den 
Copaivabalsam zu vermeiden und .in der Gonorrhöetherapie lieber 
Sandelölpräparate anzuwenden. Wolfs oh n. 

A. Kupffer-Kuda (Esthland): Die Lepra in Esthland. (Lepra, 
Bibliotheca internationalis, 1913, Bd. 14, H. 1.) Die Lepra ist nach 
Esthland von den verschiedensten Seiten eingeschleppt worden. In dem 
Landesleprosorium ist bereits seit dem Jahre 1906 mehr als ein Drittel 
aller in Esthland vorhandenen Leprösen interniert. Das administrative 
Verfahren mit den Leprösen ist durch Verordnungen geregelt und auf 
eine gesetzliche Basis gestellt. 

E. Meulergracht - Kopenhagen: Mitteilung über die Lepra in 
Serbien. (Lepra, Bibliotheca internationalis, 1913, Bd. 14, H. 1.) Verf., 
welcher während des Balkankrieges als Arzt nach Serbien geschickt war, 
hat dort einen Leprafall bei einem 21jährigen eingeborenen Serben be¬ 
obachtet. Bisher sollen in Serbien im Jahre 1897 nur drei Leprafälle 
beobachtet worden sein. Möglicherweise waren der verstorbene Vater 
und ein älterer Bruder des Patienten leprös. Immerwahr. 

P. W. Bedford: Die Behandlung des Nasenlupus mit nascieren- 
dem Jod. (Brit. med. journ., 12. April 1913, Nr. 2728.) Lupusbehand¬ 
lung nach Pfannenstiel gab ein gutes Resultat in Verbindung mit 
Tuberkulin. Als das Tuberkulin, mit dem der Patient vor Beginn der 
Jodbehandlung gespritzt wurde, weggelassen wurde, hörte die Besserung 
auf; sie schritt weiter fort, als wieder gleichzeitig Tuberkulin gegeben 
wurde. Weydemann. 

Bettmann-Heidelberg: Kombinierte Behandlung des Lupus mit 
Alttuberkulin und Aurum-Kalium cyanatum. (Münchener med.Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 15.) B. hat die von Bruck und Glück inaugurierte 
Methode der kombinierten Behandlung von Alttuberkulin und intra¬ 
venösen Injektionen von Aurum-Kalium cyanatum an 16 Lupuspatienten 
nachgeprüft. Interessant ist die Beobachtung, dass bei dieser Kom¬ 
binationstherapie hohe Temperatursteigerungen auftraten, die nach der 
Anwendung eines jeden Mittels für sich allein ausblieben; B. sah sogar 
Fälle, bei denen Tuberkulin zunächst kein Fieber im Gefolge hat, 
während nach Aurum-Kalium cyanatum-Injektion und nochmaliger Tuber¬ 
kulininjektion sich hohes Fieber einstellte. Das ist theoretisch sehr 
interessant, insofern als B. im Gegensatz zu Bruck und Glück nicht 
ira Tuberkulin, sondern im Aurum die „Gleitschiene“ sieht. Ein thera¬ 
peutischer Effekt mit der kombinierten Therapie bei Lupus besteht 
sicherlich. Man muss nur vorsichtig sein wegen der schweren Tuber¬ 
kulinreaktion en. Dünner. 

J. E. R. Mc Donagh - London: Der Lebenscyklus des Mikroorga- 
nisnns der Syphilis (Leukocytozoon syphilidis). (Dermatol. Wochen¬ 
schrift, 1913, Bd. 56, Nr. 14.) Nach Anschauung des Verf. besteht die 
Infektionskraft der Syphilis aus einem kleinen kreis- oder etwa nierenförmig 
gebildeten Körper, der mit Leichtigkeit in jedem Schanker gefunden 
werden kann. Dieser Sporozoit ist von aktiver Beweglichkeit, nimmt 
dann eine intercelluläre Form an und betritt eine Bindegewebszelle, in 
welcher er bedeutenden Veränderungen unterliegt. Das Maskuline be¬ 
tritt einen grossen mononucleäreu Leukocyten, und es werden drei 
birnenförmige Körper in seinem Innern unterscheidbar. Der maskuline 
Gametocyt gewinnt mehr und mehr an Gestalt, bis schliesslich eine 
Spirale gebildet ist. In einigen dieser Spiralen sind dunkelfarbige 
Strukturen zu beobachten, die unzweifelhaft mit den birnenförmigen 
Körpern korrespondieren. Von dieser Masse zweigen sich nun Spiro¬ 
chäten ab, wie die Speichen eines Rades von seiner Achse. Der weib¬ 


liche Gametocyt bleibt extracellulär und behält seine Form fast völlig. 
Die Art der Befruchtung wird des näheren beschrieben. 

A. Strauss - Barmen: KoBEentrierte iatraveiöse Salvarsai- 
iüjeküoaen. (Dermatol. Wochenschr., 1913, Bd. 56, Nr. 14.) Strauss 
empfiehlt die intravenöse Einspritzung von 0,9 Salvarsan in 10 ccm 
Wasser gelöst mittels einer 10 ccm enthaltenden Rekordspritze. Die 
Spritze wird mit einer Doppelnadel armiert, d. h. mit einer scharfen 
Nadel, die mit einem die Spitze deckenden inneren Rohre armiert ist, 
um die Venenwände zu schützen. Immerwahr. 

Kall-Jena: Die praktische Verwendbarkeit der provoxiereideH 
Wirkling des Salvarsans. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) 
1. In einer Reihe von Lues I mit negativer Seroreaktion erfolgt oft nach 
der ersten Salvarsaninfusion ein plötzlicher Umschlag. Prognostisch 
günstig sind die Fälle, wo die Reaktion negativ bleibt. 2. Bei un¬ 
behandelter Lues II und III mit negativer oder zweifelhafter Reaktion 
wird die Blutprobe nach einer Salvarsanspritze positiv. 3. Bei anderen 
Fällen, speziell Spätlues, ist der Wassermann am Ende der Kur stärker 
als zu Beginn. 4. Fälle von sicherer Lues mit negativem Wassermann 
bleiben trotz Provokation negativ. 5. Fälle, die unter der Behandlung 
negativ geworden waren, zeigten auf Provokation mit Salvarsan einen 
positiven Ausschlag. Die Blutentnahme ist am besten am Tage nach 
der Provokationsspritze zu machen. Es ist empfehlenswert, anstatt des 
Original-Wassermann die Stern’sche Modifikation, die früher positiv und 
später negativ wird, anzuwenden. 

M. Müller-Metz: Vasoeoamotio eerebri, ein neuer Symptomen- 
komplex von Gehirnerscheinungen schwerster Art nach Salvarsan- 
infasionen, eine mittelbare Folge des Wasserfehlers. (Nach einer auf 
der 84. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Münster 
gehaltenen Vorträge.) (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) 
Drei Fälle mit Magendarmstörungen nach Salvarsaninfusion. Ein vierter 
Fall erkrankte am 4. Tage nach der Infusion mit Bewusstlosigkeit. Im 
Laufe der weiteren Tage traten Symptome auf, die durch schnelle Ver¬ 
änderlichkeit auffielen: Eine starke Facialislähmung des unteren Astes, 
die nach 20 Minuten verschwunden war, eine nur wenige Stunden an¬ 
haltende Parese des linken Armes, kurzdauernde Gesioht9cyanose, Cheyne- 
Stokes’sches Atmen und Pulsverlangsamung für kurze Zeit. Alle diese 
Symptome fasst M. als Vasocommotio eerebri auf, die ihrerseits vielleicht 
durch Magendarmstörungen und durch dabei entstehende Toxine bedingt 
sind, wie sie nach Salvarsaninfusionen beobachtet wurden. Es ist nicht 
ausgeschlossen, dass die Darmstörungen auf den „Wasserfehler“ zurück¬ 
zuführen sind. Dünner. 

Siehe auch Pharmakologie: Doinikow, Verhalten des Nerven¬ 
systems gesunder Kaninchen zu hohen Salvarsandosen. 


Geburtshilfe und Gynäkologie. 

W. Weinberg-Stuttgart: Zur Frage der Vorausbestimmung des 
Geschlechts beim Menschen. (Hegar’s Beitr. z. Geburtsb. u. Gynäkol., 
Bd. 18, H. 1.) Polemik gegen Schöner. 

A. Häberle-Würzburg: Ein Fall von Doppelmissbildung (Dicephalus 
tribrachios). (Hegar’s Beitr. z. Geburtsh. u. Gynäkol., Bd. 18, H. 1.) 
Genaue Beschreibung eines Falles mit 2 Röntgen- und 2 Situsbildern. 

R. Mees - Heidelberg: KleinhirnexstirpatieB bei einem Fall von 
angeborener üydreneephalocele occipitalis. (Hegar’s Beitr. z. Geburtsh. 
u. Gynäkol., Bd. 18, H. 1.) Beschreibung eines Falles, der jetzt seit 
l 1 /* Jahren weiterlebt. K. Hoffmann-Dresden. 

H. Haus er-Rostock: Vierlinge and Vierlingsmütter. (Münchener 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) Kasuistik. Vierlingsmütter sind durch¬ 
schnittlich älter als Drillingsmütter, diese wieder älter als Zwillings¬ 
mütter. Die Anzahl der Erstgebärenden unter den Mehrlingsmüttern 
nimmt mit steigender Zahl der Mehrlinge ab. Die Vierlingsmütter sind 
in der überwiegenden Mehrzahl Vielgebärende (VIparae und darüber), 
während für Zwillings- und Drillingsmütter die Mehrgebärenden (Ilparae 
bis V parae) das Hauptkontingent stellen. Dünner. 

Pankow-Düsseldorf: Die anatomischen Grundlagen der Placenta 
praevia und ihre Bedeutung für die Therapie. (Deutsche med. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 18.) Vortrag auf dem Internationalen Gynäkologen¬ 
kongress in Berlin 1912. Wolfsohn. 

Schwarz - Elbing: Ruptur des graviden Uterus nach voraus¬ 
gegangenem klassischen Kaiserschnitt. (Münchener med. Wochenschr., 
1913, Nr. 15.) Kasuistik. Heilung. Dünner. 

A. May er - Tübingen: Ueber einige seltene Formen von engem 
Becken. (Hegar’s Beitr. z. Geburtsh. u. Gynäkol., Bd. 18, H. 1.) 1. Hebo- 
tomiebecken. Knöcherne Heilung nach der ersten Hebotomie ohne 
Störung der Gebärfähigkeit. Bindegewebige Heilung nach der zweiten 
BeckenspaltuDg mit verbesserter Dehnbarkeit des Beckens, so dass später 
Spontangeburt möglich. 2. Hebotomiebecken. Bei zweimaliger Becken¬ 
spaltung jedesmal knöcherne Heilung. Nach der zweiten Operation Ent¬ 
wicklung eines stark ins Lumen vorspringenden Callus; dadurch Becken¬ 
verengerung, die später extraperitonealen Uterusschnitt nötig machte. 
3. Durch traumatischen Pfannenbruch und centrale Luxation des Ober¬ 
schenkels verengtes Becken. 4. Atypisches plattrachitisches Becken mit 
luetischen Knochenveränderungen. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Y. Kasashima - Tübingen: Zur Frage über die aktive Therapie 
bei fieberndem nid septischem Abort. (Hegar’s Beitr. z. Geburtsh. u. 
Gynäkol., Bd. 18, H. 1.) Statistische Mitteilungen über 183 Fälle von 
Abort bis zum fünften Schwangerschaftsmonat. Gute Erfahrungen mit 
aktiver Therapie. Die Therapie und Prognose bei fiebernden Aborten 
kann nicht in zuverlässiger Weise vom bakteriologischen Befund ab¬ 
hängig gemacht werden; sie richtet sich vielmehr zum grössten Teil 
nach der Resistenz des Organismus. 

M. Ogata- Osaka: Die Symptomatologie der Rachitis and Osteo- 
malade in Japan. (Hegar’s Beitr. z. Geburtsh. u. Gynäkol., Bd. 18, H. 1.) 
Yerf. berichtet an der Hand von 240 Fällen über eine im Jahre 1906 
in der Provinz Toyama endemisch auftretende Knochenkrankheit, die 
sich bei genauerem Studium als „Rachitis und Osteomalacie“ heraus¬ 
stellte. Er schildert eingehend die Symptomatologie der je nach den 
verschiedenen Lebensaltern sehr verschiedenartigen Krankheitsbilder, 
insbesondere die Veränderungen des Knochensystems. 

K. Hoffmann-Dresden. 

W. E. Fothergi 11 - Manchester: Operation bei Uternsvorfall mit 
Hypertrophie des Cervix. (Brit. med. journ., 12. April 1913, Nr. 2728.) 
Ein Schnitt für die Amputation des Cervix und die vordere Colporrhaphie. 
Der Cervicalkanal wird erweitert, und es wird ein Schnitt rund um den 
Cervix gemacht. Die Scheidenwand wird mit der Schere abgetrennt und 
der Cervix in eine vordere und hintere Lippe gespalten, die amputiert 
werden. Die Scheidenwand wird auf jeder Seite des kreisförmigen 
Schnittes 2,5 cm gespalten und vom Parametrium und der Blase ab¬ 
getrennt und ein dreieckiges Stück mit der Basis am Cervix, der Spitze 
an der Harnröhrenmündung abgetragen. Der Cervixstumpf wird in den 
hinteren Teil des Einschnitts genäht. Dieses Verfahren gab bessere 
Resultate, als wenn beide Operationen für sich gemacht wurden. 

Weydemann. 

A. Foges-Wien: Ueber Röntgentherapie bei Uterasblntnngen. 
(Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 16.) Die Röntgentherapie in der 
Gynäkologie beruht auf physiologischen Grundlagen, nicht auf reiner 
Empirie. Der bestrahlte Eierstock wird kleiner und verliert seine 
Graaf’schen Follikeln. Die Elemente der weiblichen Keimdrüse, welche 
durch innere Sekretion die Funktion des Uterus normal erhalten, werden 
vernichtet. Die Kastration durch Röntgenstrahlen ist der operativen 
Therapie bei Uterusmyomblutungen vorzuziehen. Die wichtigsten In¬ 
dikationen für die Anwendung von Röntgenstrahlen in der Gynäkologie 
überhaupt sind schwere Genitalblutungen. Verf. berichtet über seine 
Erfolge an 16 Patienten: 11 vollkommene Amenorrhoen, 4 Oligomenor¬ 
rhoen. Die durch die Kastration bedingten Ausfallserscheinungen waren 
nicht sehr schwer. Verf. empfiehlt die Röntgenbestrahlung bei exakter 
Indikationsstellung sehr. 

E. v. Graff-Wien: Zur Technik der Röntgentherapie in der Gynä¬ 
kologie. (Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 16.) Zwei Methoden 
zur funktionellen Ausschaltung der Ovarien durch Röntgenstrahlen sind 
im Gebrauch: Albers-Schönberg arbeitet mit sehr kleinen Licht¬ 
minuten an drei aufeinanderfolgenden Tagen. Mehrfache Wiederholung 
nach 6—8 tägigen Pausen. Focushautdistanz 38 cm mit Hautschutz von 
Ziegenleder und Staniolpapier. In schroffem Gegensatz hierzu steht die 
von Gauss ausgearbeitete Technik, bei der in dreiwöchigen Abständen 
ungeheure Mengen von Röntgenstrahlen (bis über 50 Erythemdosen) in 
wenigen Tagen gegeben werden. Dazwischen gibt es viele Uebergänge. 
Gau ss verwendet zur Absorption der weichen Strahlen (Verbrennungen 
auf der Haut!) 3 mm dicke Aluminiumfilter. Man kann so die Menge 
der wirksamen harten Strahlen vermehren. Der Focushautabstand wird 
verringert. Dadurch wird die Wirksamkeit der Strahlen erhöht. 

G. Eisner. 

A. Hegar - Freiburg: Bericht über die Angelegenheit Niebergall. 
(Hegar’s Beitr. z. Geburtsh. u. Gynäkol., Bd. 18, H. 1.) Bericht, der in 
der Sitzung der Oberrheinischen Gesellschaft für Gynäkologie und 
Geburtshilfe verlesen wurde, mit zwei Zusätzen. 

K. Hoffmann-Dresden. 

Siehe auch Psychiatrie und Nervenkrankeiten: Beck, 
Multiple Sklerose, Schwangerschaft und Geburt. — Chirurgie: 
Günther, Bolus alba bei Händedesinfektion. 


Augenheilkunde. 

Flemming: Experimentelle und klinische Studien über den Heil¬ 
wert radioaktiver Strahlen hei Aogenerkranknngen. (Graefe’s Archiv, 
Bd. 84, H. 2.) Flächenhafte Ausbreitung der radioaktiven Substanz, 
die gasdicht abzuschliessen ist, muss wegen genauer Dosierung und der 
Möglichkeit, die Erfolge nachzuprüfen, gefordert werden. Auf die nor¬ 
male Haut wirken physikalisch gleichwertige Mengen von Radium und 
Mesothorium gleich. Radium (4,04 rag) erzeugt nach 15 Minuten langer 
Bestrahlung bleibende Pigmentierung (Mesothorium von 12 mg schon 
nach weniger als 10 Minuten), nach einer Stunde Narbenbildung mit 
später auftretenden Teleangiektasien; Polonium (10 mg) macht vorüber¬ 
gehende oberflächliche Rötung. Im Gebiet der bestrahlten Haut heilen 
Schnittwunden nur per secundam. Normale Cornea und Conjunctiva ist 
bei Kaninchen resistenter als die Haut; experimentelle Verletzungen 
beilen^nach Bestrahlung schneller, chemische Reizung (Dionin) wird 
nicht beeinflusst. Bestrahlung nach Injektion quantitativ bestimmter 
Tuberkelbacillenemulsion in die vordere Kammer verzögert die Inkuba¬ 


tion der experimentellen Augentuberkulose; doch ist die Baktericidie 
der radioaktiven Substanzen geringer als die des Sonnenlichts. Vor 
der Injektion ist die Bestrahlung wertlos; unmittelbar nachher erzielt 
Radium verzögerte Perforation, Mesothorium verlängerte Inkubation; 
nach Ausbruch klinischer Erscheinungen ändert die Bestrahlung den 
Prozess nicht mehr. Normale menschliche Augen werden auch durch 
relativ lange Bestrahlung nicht geschädigt. Marantische Hornhaut¬ 
geschwüre werden stets, Ulcera serpentia bisweilen, Ulcus gonorrhoicum, 
Keratitis parenchymatosa und eczematosa, Leukoma, Sklerose nie günstig 
beeinflusst. An der Iris erzeugen die Präparate Miosis, bei Iritis Ver¬ 
minderung der Schmerzen, aber keine Aenderung der Erkrankungsdauer. 
Bei chronischer Bindehautentzündung sind die Resultate gut, bei 
Trachom nicht besser als die anderer bewährter Methoden. Geschwülste, 
sofern sie nicht eine gewisse Grösse überschritten haben, werden durch 
die Bestrahlung ausserordentlich günstig beeinflusst. Ausser Abschälung 
der Haut hat das Hantieren mit radioaktiver Substanz keine Neben¬ 
wirkungen. K. Steindorff. 

P. v. Szi ly -Budapest: Zur Chemotherapie der luetischen Keratitis. 
(Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) Mitteilung über Heilung bei 
vier Fällen von luetischer Keratitis durch intensive intravenöse Salvarsan- 
applikation. G. Eisner. 

Seidel: Ueber hochgradigen tranmatischen Astigmatismus bei 
Schieiamblyopie des anderen Auges. (Graefe’s Archiv, Bd. 84, H. 2.) 
Nach perforierender Verletzung des einzigen sehtüchtigen Auges hinter¬ 
blieb ein Astigmatismus von über 14 D, nach dessen Korrektion eine 
Sehschärfe von fast 2 /s erzielt wurde. Für die Ferne gebrauchte der 
Patient hauptsächlich das andere schielamblyope Auge, obwohl es nur 
S = i/ 5 hatte, für die Nähe aber das aphakische. Die Sehkraft des 
schielenden Auges hatte sich, als es nach dem Trauma mehr zum Sehen 
berangezogen wurde, von Fingerzählen in 2—3 m (= 1 / 20 —Vso) auf Vs 
gehoben — ein Beweis für die Existenz einer Arablyopia ex anopsia. 

E. Fuchs: Ueber chronische endogene Uveitis. (Graefe’s Archiv, 
Bd. 84, H. 2.) Von den drei Abschnitten der Uvea kann jeder gesondert 
für sich erkranken. Die Exsudation bei akuter Iritis (durch eitrige In¬ 
fektion) ist durch polynucleäre Leukocyten, die bei chronischer Iritis 
durch Lymphocyten und Plasmazellen charakterisiert. Von den für 
Uveitis chronica typischen Hornhautbeschlägen gibt es zwei Arten: 
Pseudopräcipitate, die auf der Descemet einen kontinuierlichen Zellbelag 
bilden, und die echten Präcipitate, abgegrenzte, mehr kompakte Zell¬ 
haufen, die sich im Kammerwasser bilden und durch die Centrifugal- 
kraft gegen die Cornea geschleudert werden. Die die Präcipitate bil¬ 
denden Lymphocyten stammen aus der Iris oder dem der Kammerbucht 
zugehörigen Teile des Corpus ciliaca. Auch auf der Iris und der vor¬ 
deren Linsenkapsel kommen Präcipitate vor, ebenso auf der Netzhaut 
(hier aber nur bei exogener Entzündung), im Glaskörper und auf der 
Aderhaut. Fuchs gibt nun eine eingehende Beschreibung des patho¬ 
logisch-anatomischen Befundes, den er bei einer Reihe von Fällen er¬ 
hoben hat. Es handelt sich um eine Cyclitis mit Präoipitaten ohne 
Synechien, um eine Iridocyclitis chronica leichten Grades mit einzelnen 
hinteren Synechien, um zehn Fälle chronischer Uveitis. Zum Schluss 
seiner umfangreichen Arbeit bespricht Fuchs die nach Netzhautablösung 
bisweilen auftretende Iridocyclitis, die durch die reizende Wirkung des 
subretinalen Exsudats entsteht. 

R. Kümmell: Zur Frage der Netzhantabläsnng. (Graefe’s Archiv, 
Bd. 84, H. 2.) Verf. nimmt an, dass infolge einer Druckdifferenz 
zwischen Aderhaut und Glaskörper eine retro-retinale Transsudation aus 
den Aderhautgefässen die Netzhaut von ihrer Unterlage abhebt. Gleich¬ 
zeitig retrahiert sich der Glaskörper, der mit dem vorderen Teil der 
Retina fest verbunden ist, und zieht die Retina aktiv nach vorn. 

A. Vogt: Herstellung eines gelbblanen Lichtfiltrates, in welchem 
die Macula centralis in vivo in gelber Färbung erscheint, die Nerven¬ 
fasern der Netzhaut und andere feine Einzelheiten desselben sichtbar 
werden und der Grad der Gelbfärbung der Linse ophthalmoskopisch 
nachweisbar ist. (Graefe’s Archiv, Bd. 84, H. 2.) Am geeignetsten zum 
Sichtbarmachen der eventuell gelben Farbe der Macula centralis ist ein 
Mischlicht, das etwa zu gleichen Intensitäten reines Gelb und reines 
Blau enthält; dabei ist Rot tunlichst auszuschalten. V. erzielte diesen 
Effekt durch zwei flüssige Filter, deren eines aus konzentrierter wässriger 
Kupfersulfatlösung, deren anderes aus wässriger Erioviridin B-Lösung 
bestand. Durch dieses Filter gehendes Licht einer Projektionsbogen¬ 
lampe zeigt im aufrechten Bilde den Fundus oculi und die Papille 
gelbgrün infolge stärkerer Absorption kurzwelligen Lichtes durch Sclera, 
Blut, Pigment und Lymphe. Auch die Linse hat eine solche selektive 
Absorption zur Folge; stärkere Gelbfärbung der Linse verursacht rela¬ 
tive Gelbblindheit. Die centralen Teile der Maoulagegend erscheinen 
ebenfalls infolge von selektiver Absorption gelb. Man sieht in dem 
Filterlicht auch den Verlauf der Nervenfasern in der Netzhaut. 

K. Steindorff. 

Siehe auch Röntgenologie: Reichmann, Fremdkörperlokali¬ 
sation im Auge. _ 


Hygiene und Sanitätswesen. 

F. Schrammen - Cöln: Ueber Diphtheriebacillenträger in einem 
Cölner Schalbezirk. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., I. Abt., Orig., Bd. 67, 
H. 6, S. 423.) Innerhalb eines Schulbalbjahres wurden in einer Knaben- 
und in einer^Mädohenvolksschule^in sämtlichenJKlassen — mit Ausnahme 


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892 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 19. 


einer einzigen Knabenklasse — Diphtheriebacillenträger gefunden; ihre 
Zahl betrug bei den Mädchen im Durchschnitt 10,8 pCt. (niedrigste Zahl 
5,8 pCt., Höchstzabl 25,5 pCt. der Schölerzahl), bei den Knaben im 
Durchschnitt 6,3 pCt. (niedrigste Zahl 3,2 pCt., Höchstzahl 21 pCt. der 
Schülerzahl). Eine Erkrankung an Diphtherie ist jedoch io der Beob¬ 
achtungszeit unter den Kindern nicht vorgekommen und auch, soweit 
feststellbar, nicht in ihren Familien. Der Verf. betrachtet deshalb die 
Gefährlichkeit der Bacillenträger bei seinem Material nicht als gross 
und hält eine von anderer Seite vorgeschlagene rigorose Behandlung der 
Bacillenträger für unnötig wie auch für undurchführbar. Weitere Unter¬ 
suchungen an anderem Material sollen vorgenommen werden. 

Bierotte. 

P. Bassol: Spltemheinungen der Caisson-Krankheit. (Amerio. 
journ. of med. Sciences, 1913, Nr. 4.) Bericht über 16 Fälle, deren erste 
Erkrankung zum Teil mehrere Jahre zurückliegt. Die Erscheinungen 
erstrecken sich auf die sogenannte „Caisson-Myelitis“, Gelenkaffektionen, 
die sich als Arthritis deformans auf dem Röntgen bilde erwiesen und 
dauernde Ohrerkrankungen. 

S. Erdmann: Die akuten Erscheinungen der Caisson-Krankheit. 
(Amerie. journ. of med. Sciences, 1913, Nr. 4.) Beim Bau des East 
River-Tunnels in New York wurden bei 10 000 Arbeitern 3692 Fälle 
beobachtet. Bei der Sektion eines Mannes wurden aus dem rechten 
Herzen 3,1 ccm Gas aspiriert, dessen Analyse 80 pCt. N, 20 pCt. C0 2 
ergab. Schelenz. 

0. Sachs-Wien: Ueber Aetzgeschwüre nach Carbid. (Wiener med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 17.) Beschreibung von Hautverätzungen durch 
Carbid. Heilung mit Perubalsam. Verf. tritt für Schutzmaassregeln für 
die mit Carbid beschäftigten Arbeiter ein. 

E. Finger-Wien: Die Syphilis als Staatsgefahr und die Frage der 
Staatskontrolle. (Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 16.) Das Referat 
ist für den XVII. internationalen medizinischen Kongress in London 
1913 bestimmt. Verf. gibt Ratschläge zur Prophylaxe der Geschlechts¬ 
krankheiten. Näheres s. Originalarbeit. G. Eisner. 


Technik. 

Siehe auch Parasitenkunde und Serologie: Mayer, Zu¬ 
sammenlegbarer Bakterienbrutschrank. Mentz v. Krogh, Verdünnungs¬ 
pipetten. Rabinowitsch, Heisswasserfiltrierapparat. — Psychiatrie 
und Nervenkrankheiten: Goldbladt, Reflexometer. — Chirurgie: 
Wilms, Rippenquetsche. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Nachtrag zur Sitzung vom 12. März 1913. 

Hr. Saul: 

Beziehungen der Helminthen nnd Aeari zur Geschwnlstätiologie. 

Marchand 1 ) hat als erster unter den Medizinern den Gedanken 
ausgesprochen, dass Tumoren durch toxische Stoffwechselprodukte hervor¬ 
gerufen werden können. Er begründet diese These, indem er auf die 
hypertrophischen und hyperplastischen Prozesse hinweist, die im Gefolge 
der Gravidität auftreten. Nach dem Tode des befruchteten Ovulums 
können diese Prozesse die physiologischen Grenzen überschreiten und 
das Chorionepitbeliom hervorrufen. 

In den Fällen, wo übertragbare Tumoren endemisch auftreten, 
müssen wir im allgemeinen annehmen, dass die geschwulsterregenden 
Stoffwechselprodukte von Parasiten stammen. Die Untersuchungen von 
Rehn 2 3 ), Leichtenstern 8 ) und Leuenberger 4 ) lehren, dass in seltenen 
Fällen auch toxische Stoffe anderer Provenienz geschwulsterregend 
wirken. Diese Forscher beobachteten Endemien von gutartigen und bös¬ 
artigen Harnblasengeschwülsten, die bei Arbeitern der Anilinfarben¬ 
industrie auftraten: Papillome, Carcinome und Carcinosarkome. 

Aus den Erfahrungen, die sich auf den Botriocephalus latus, die 
Filaria Banorofti, die Filaria Medinensis, die Filaria rbytipleurites, den 
Bilharziawurm, die Kedanimilbe, die Notoedresmilbe, die Phytoptusmilbe 
und die Tarsonemusmilbe beziehen, ergibt sich die Folgerung, dass Hel¬ 
minthen und Milben toxische und geschwulsterregende Eigenschaften be¬ 
sitzen. — Nachdem Askanazy 5 ) das Distomum felineum in einem 
Lebercarcinom des Menschen nachgewiesen hatte, fand Borrel 6 ) in 
Mäusecarcinomen, Mäusesarkomen und Mäuselymphomen: Helminthen 
oder deren Trümmer, in einem Sarkom der Mäuseleber und einem Adeno- 
carcinom der Mäu9eniere je einen Cysticercus und in dem Blute einer 
Krebsmaus Nematoden. Borrel vermutete, dass diese Parasiten als 


1) Deutsche med. Wochenschr., 1902, Nr. 39 u. Nr. 40. 

2) Archiv f. klin. Chir., 1895, Bd. 50, S. 5S8 u. ff. 

3) Deutsche med. Wochenschr., 1898, Nr. 45, S. 709. 

4) v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 80, S. 208 u. ff. 

5) Centralbl. f. Bakteriol., 1900, Bd. 28. 

6) Zeitschr. f. Krebsforsch., 1909, Bd. 7, S. 265 u. ff. 


Zwischenwirte von Geschwulsterregern wirken könnten. Demgegenüber 
durfte ich darauf hinweisen, dass die Helminthen an und für sich 
toxische und geschwulsterregende Eigenschaften besitzen. Diese Wir¬ 
kungen beobachtete ich bei Mäusen, denen der Cysticercus fasciolaris — 
ein Schmarotzer der Mäuseleber — subcutan implantiert worden war 1 ). 
— Die Versuche von Fibiger 2 ) lehren, dass als Erreger der bei Ratten 
endemisch auftretenden gutartigen und bösartigen Epitheliome des Magen¬ 
darmkanals Filarien in Betracht kommen. Ihre Zwischenwirte sind nach 
den Resultaten des türkischen Forschers Osman üaleb 8 ), die Fibiger 
bestätigt hat, Schaben (Schwaben). Fibiger gebührt das Verdienst, 
diese Rattengeschwülste histologisch untersucht und als Epitheliome er¬ 
kannt zu haben. Im übrigen dürfte der Befund einer neuen Filarie in 
denVersuchen Fibiger’s ausschliesslich zoologisches Interesse besitzen, 
weil erfahrungsgemäss alle Filarien, die Gewebsparasiten sind, Geschwülste 
hervorrufen. 

Nachdem die geschw ulsterregen de Bedeutung der Milben in 
der Pflanzenpathologie anerkannt war, unternahm Borrel 4 ) den 
Versuch, die Demodexmilben für die Aetiologie derjenigen mensch¬ 
lichen und tierischen Tumoren in Anspruch zu nehmen, die auf 
der Haut oder ihren Anhangsgebilden auftreten. B o r e 11 ver¬ 
mutete, dass die Demodexmilben als Zwischenwirte von Ge¬ 
schwulsterregern fungieren. Diese Anschauung wurde von Orth 5 ), 
Tsunoda 6 ), Dahl 7 ) und mir 8 ) widerlegt. Indessen veranlassten mich 
die Veröffentlichungen Borrel’s, Milbenbefunde bei Tumoren zu be¬ 
achten. Da aus den Abbildungen des genannten Autors ersichtlich war, 
dass er duroh die Technik des Einbettens, Schneidens und Färbens die 
Milben bis zur Unkenntlichkeit entstellt hatte, so versuchte ich, dieselben 
aus dem Geschwulstgewebe zu isolieren. Auf diesem Wege fand ich in 
Carcinomen, Sarkomen, Fibromen und Cystomen des weiblichen Genital- 
tractus, sowie in Mäusecarcinomen, einem Hundesarkom und in der Huf¬ 
krebsgeschwulst eines Pferdes Milben, die schon bei oberflächlicher Be¬ 
trachtung als verschieden von der Milbengattung Demodex imponierten. 
Dahl®) konstatierte, dass es sich um neue Milbenarten handelte, dass 
die Milben der menschlichen und tierischen Tumoren voneinander ver¬ 
schieden waren, und dass sie zu der Gattung der Tarsonemusmilben 
gehörten, die in der Pflanzenpathologie als Geschwulsterreger bekannt 
sind. Bald darauf fanden G. Blanc und M. Rollet 10 ) die von Dabl 
und mir als Tarsonemus hominis beschriebene neue Milbenart in einem 
Falle von „hartnäckigem Blasenkatarrh“. Alsdann publizierte Borrel 11 ), 
dass er eine bisher unbekannte Milbenart in dem Talgdrüsenadenom 
einer Maus gefunden habe. Und Ascher 12 ) sowie v. Wasiliewski 18 ) 
berichteten über eine Milbenendemie bei Ratten. Die befallenen Tiere 
erkrankten an papillomatösen Tumoren, denen sie unter kachektischen 
Symptomen erlagen. Mittels der infizierten Käfige konnten die Ge¬ 
schwülste willkürlich hervorgerufen werden. 

Wie ich bereits in früheren Veröffentlichungen dargelegt habe, ge¬ 
statten die statistischen, kasuistischen, epidemiologischen, histologischen 
und therapeutischen Erfahrungen, Milben für die Gesohwulstätiologie des 
Menschen und der Tiere in Anspruch zu nehmen. Es ergibt sich nun 
die Frage: Erklärt die Biologie parasitischer Milben die mangelnde 
Kontagiosität des Carcinoms sowie diejenigen Erfahrungen, die sich auf 
präcarcinomatöse Erkrankungen beziehen? Dies ist in der Tat der Fall, 
wie die folgenden Darlegungen des Veterinärpathologen Schindelka 14 ) 
lehren: 

„Ueber die Art und Weise, wie die Hunde die Acarusräude er¬ 
werben, ist nichts mit voller Sicherheit bekannt. Künstliche Ueber- 
tragungsversuche gelingen nur ausnahmsweise. Das Zustandekommen 
der Ansteckung scheint auf einer besonderen Disposition zu beruhen, 
da wir einerseits aus zahllosen Beispielen wissen, dass gesunde 
Hunde oft jahrelang mit acaruskranken Hunden in der engsten Be¬ 
rührung gehalten werden können, ohne jemals zu erkranken, während 
in anderen Fällen nur eine kurzdauernde Berührung solcher Tiere 
zur Uebertragung und Weiterverbreitung der Acarusräude zu ge¬ 
nügen scheint. Durch vorausgehende andere Hautkrankheiten wird 
eine Prädisposition für die Invasion von Räudemilben geschaffen; 
z. B. werden gerade solche Hautstellen, die an Herpes tonsurans 
erkrankt waren, mehrere Monate nach vollendeter Heilung von der 
Acarusräude befallen. Das Gleiche gilt von Anätzungen der Haut, 
von Ekzemen, von seborrhoischen Zuständen. Umgekehrt muss 


1) Diese Wochenschr., 1908, Nr. 49, S. 2206; Centralbl. f. Bakteriol., 
1908, Bd. 47, S. 444: ebenda 1909, Bd. 49, S. 80 u. ff.; ebenda 1909, 
Bd. 50, S. 438. 

2) Diese Wochenschr., 1913, Nr. 7. 

3) Compt. rend., 1878, Bd. 87, S. 75 u. ff. 

4) Annal. de l’institut Pasteur, 1909. 

5) Diese Wochenschr., 1910, Nr. 10, S. 452. 

6) Zeitschr. f. Krebsforsch., 1910, Bd. 8. 

7) Deutsche med. Wochenschr., 1910, Nr. 7, S. 338, und Centralbl. 
f. Bakteriol., 1910, Bd. 53. 

8) Deutsche med. Wochenschr., 1910, Nr. 7, S. 838 u. ff., und 
Centralbl. f. Bakteriol., 1910, Bd. 55. 

9) 1. c. 

10) Compt. rend. de la soc. de biol., 1910, Bd. 69. 

11) Annal. de l’institut Pasteur, 1910. 

12) Archiv f. Dermatol., 1910, Bd. 101. 

13) Tagung der Freien Vereinigung für Mikrobiologie, Berlin 1912. 

14) Handb. d. tierärztl. Chir., 1903, Bd. 6, S. 70 ff. 


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12. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


893 


hervorgehoben werden, dass an den primär durch die Räudemilben 
erkrankten Hautstellen sich ebenfalls sehr leicht Pilze, wie auoh 
andere Milben ansiedeln.* 

So weit der Veterinärpathologe Sohindeika. 

Gegen v. Wasiliewski 1 ) möchte ich bemerken, dass Virohow in 
seinen Vorlesungen den Begriff Tumor definiert hat, wie folgt: „Tumor 
ist jede abgegrenzte Form der Anschwellung.* Virohow hebt hervor, 
dass diese Definition gestattet, z. B. die Hydrocele als Tumor zu be¬ 
zeichnen. Wird die „abgegrenzte Anschwellung* durch Epithelien be¬ 
dingt, so nennen wir sie Epitheliom, bei infiltrierendem Wachstum: 
Garcinom (malignes Epitheliom). 

Da v. Düngern 2 3 ) bemüht ist, den Granulationsgeschwülsten eine 
Sonderstellung gegenüber den Sarkomen einzuräumen, so sei bemerkt, 
dass Virchow in seinem Geschwulstwerk die aktinomykotischen Tumoren 
den Sarkomen zurechnete, da er nicht in der Lage war, die Granulations¬ 
geschwülste von den Rundzellensarkomen morphologisch zu unterscheiden. 
Die differentielle Diagnose der Fibrome und Sarkome ist in den Grenz¬ 
fällen völlig unsicher. Lubarsch*) bekundet, dass die Ovarialfibrome 
trotz klinischer Gutartigkeit mikroskopisch als Sarkome imponieren 
können. 

Die Beziehungen der Helminthen und Acari zur Geschwulstätiologie 
habe ich an zahlreichen Photogrammen demonstriert. Die ausführliche 
Veröffentlichung wird an anderer Stelle erfolgen. 


Sitzung vom 19. März 1913. 

Vorsitzender: Herr Landau. 

Schriftführer: Herr v. Hansemann. 

Vorsitzender: Ich habe Ihnen die traurige Mitteilung zu machen, 
dass unser lieber Kollege, der Geh. San.-Rat Dr. M. Marcus, seit 1869 
Mitglied unserer Gesellschaft, ein treuer Besucher unserer Sitzuogen, 
vor einigen Tagen gestorben ist. Er hat noch kurz vor seinem Tode 
seine Anhänglichkeit an die Medizinische Gesellschaft dadurch bekundet, 
dass er, was Statuten massig möglich ist, sich die immerwährende Mit¬ 
gliedschaft der Gesellschaft gesichert hat. Ich bitte Sie, sich zum An¬ 
denken dieses ausgezeichneten Kollegen zu erheben. (Geschieht.) Ich 
danke Ihnen. 

Herr Auffermann ist wegen Verzugs nach ausserhalb ausgescbieden. 

Herr Virchow hat die Annahme seiner Wahl als Ausschussmitglied 
angezeigt. 

Dann möchte ich Ihnen noch eine weitere Mitteilung machen. Sie 
haben mir die Ehre erwiesen, Sie auf dem Physiotherapeutischen Kongress 
vertreten zu dürfen. Ich werde voraussichtlich behindert sein und 
möchte Ihnen Vorschlägen, an meiner Stelle Herrn Kollegen Stadel¬ 
mann, der sich zur Vertretung bereit erklärt hat, zu delegieren. 

Wenn ich keinen Widerspruch erfahre, darf ich wohl annehmen, 
dass Sie mit.der Vertretung der Gesellschaft beim Physiotherapeutischen 
Kongress durch Herrn Stadelmann einverstanden sind. 

Vor der Tagesordnung. 

Hr. Mosse : Ich möchte Ihnen eine 58 jährige Patientin vorstellen, 
die zwei verschiedene Krankheitsbilder aufweist, die miteinander nicht 
in Zusammenhang stehen. 

Die Patientin hat eine lange Leidensgeschichte hinter sich. Sie hat 
eine grosse Anzahl gynäkologischer Operationen und anderer Behandlungs¬ 
methoden durchgemacht. Ich zeige sie Ihnen zunächst wegen einer 
Affektion, die sie seit ungefähr 30 Jahren hat. Sie sehen, dass die Haut 
der Beine bis zu den Nates herauf vollkommen atrophisch ist; man kann 
sie mit Zigarettenpapier vergleichen. Durch die Haut hindurch sehen 
Sie eine grosse Anzahl erweiterter Venen, an mehreren Stellen, besonders 
am Fuss ist die Haut rot verfärbt. 

Es handelt sich um den Zustand der idiopathischen Hautatrophie, 
im engeren Sinne der Akrodermatitis chronica atrophicans von Herx¬ 
heim er und Hartmann, die diesen Zustand von der idiopathischen 
Hautatrophie absondern und von ihm dann sprechen, wenn infiltrative 
Veränderungen vorangegangen waren oder noch gleichzeitig nachweisbar 
sind. Das ist hier der Fall. Die Patientin ist bereits im Jahre 1903 
von Herrn Hoffmann — jetzt in Bonn — in der hiesigen Dermato¬ 
logischen Gesellschaft demonstriert worden; damals waren auch sklero¬ 
dermieähnliche Veränderungen vorhanden, die jetzt nicht mehr nach¬ 
weisbar sind. Ich selbst habe übrigens einen ähnlichen Fall in dieser 
Gesellschaft im Jahre 1906 vorgestellt. 

Die Patientin zeigt aber zweitens noch eine andere Anomalie. Sie 
hat eine Splenomegalie und eine Anämie. Die Milz überragt den 
Rippenbogen um 2—3 Querfinger; die Milzdämpfung ist intensiv. Die 
Anämie kennzeichnet sich durch eine Oligochromämie, die wiederholt 
nachgewiesen wurde (60—65 pCt. Hämoglobin), während die Zahl der 
roten Blutkörperchen bald normal, bald subnormal war. Die Leber ist 
palpabel; im Urin Urobilin und Urobilinogen. Es ist anzunehmen, dass 
es sich um einen beginnenden Morbus Banti handelt; aber Sie wissen 
ja, dass diese Erkrankung mit Sicherheit erst durch die anatomische 
Untersuchung zu erkennen ist. Falls die Patientin auf meinen Vor¬ 


1) 1. c. 

2) Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 25, S. 1215. 

3) Lubarsch und Ostertag, Ergebnisse der allgemeinen Patho¬ 
logie usw., 1885* 2, S. 352. n ‘ 1 


schlag der Splenektomie eingehen sollte, werde ich später auf den Fall 
noch einmal zurückkommen. 

Tagesordnung. 

Wahl eines stellvertretenden Vorsitzenden. Der Vorsitzende 
beruft zu Stimmzählern die Herren Mosse, Munter und Philippi. 
Die Wahl ist dadurch notwendig geworden, dass Herr Kraus die auf 
ihn entfallene Wahl abgelehnt hat. Vorgeschlagen werden die Herren 
Kraus und Bier. 

Vorsitzender: Ich bitte, dem Wunsohe des Herrn Kraus nicht 
zu folgen. Wird sind jedenfalls nicht verpflichtet, uns danach zu richten. 
(Rufe: Akklamation! Rufe: Bier!) 

Das Ergebnis der Abstimmung verkündet der Vorsitzende wie 
folgt: 

Es sind 133 Stimmzettel abgegeben worden, davon waren zwei un¬ 
beschrieben. Es verbleiben 131 gültige Stimmen, die absolute Mehr¬ 
heit beträgt 66. Herr Kraus bat erhalten 84 Stimmen, Herr Bier 
47 Stimmen; demnach ist Herr Kraus gewählt. (Beifall.) Ich bitte 
ihn dringend, die Wahl anzunehmen. 

Herr Kraus nimmt die Wahl an. 

Tagesordnung. 

Hr. Stadelmann: 

Ueber seltene Formen von Blatangen im Traetns gastrointestinalis. 

(Erschien unter den Originalien dieser Wochenschr. in Nr. 18, S. 825.) 

Diskussion. 

Hr. L. Pick: Herr Stadelmann hat Ihnen durch seine Präparate 
und Ausführungen die grosse Variabilität der Ursachen für die Blutungen 
aus dem Magendarmtractus erwiesen, eine Variabilität, die auch dann 
eine ausserordentliche ist, wenn wir von den kleinen okkulten Blutungen 
ganz absehen und lediglich die grossen bedrohlichen und tödlichen 
Blutungen ins Auge fassen. 

Wenn ich auf eine bestimmte Form dieser tödlichen Blutungen — 
die aus rupturierten Varicen des Oesophagus und Magens — noch mit 
ein paar Worten eingehe, so bestimmt mich dabei eine besondere Tat¬ 
sache. Es findet sich nämlich in nicht häufigen, aber höchst charakteristi¬ 
schen Fällen solcher Blutungen eine pathologisch - anatomisch sehr auf¬ 
fallende Art der Veränderung, auf die ich vor einigen Jahren in einer 
Arbeit in Virchow’s Archiv, 1909, Bd. 97 eingehender verwiesen habe, 
und die seither in einer Reihe von Mitteilungen immer wieder in der 
nämlichen Form beschrieben wird. Man hat diese Veränderung in einer 
nicht ganz zutreffenden Weise als cavernöse Umwandlung der 
Pfortader bezeichnet. Statt der Pfortader findet sich ein bräunliches, 
fleischähnliches, derbes, ganz feinporiges Gewebe, aber — und das macht 
eben die Bezeichnung nicht zutreffend — nicht nur an der Stelle der 
Pfortader, sondern mehr oder weniger in diffuser Form durch das ganze 
Lig. hepatoduodenale hindurch.- Ich darf Ihnen vielleicht als den 
Ausgangsfall dieser Gruppe meine eigene Beobachtung hier kurz demon¬ 
strieren. 

Die 57jährige Frau war unter einer akuten Blutung in den Magen¬ 
darmkanal, die übrigens nach aussen nicht manifest geworden war, zu¬ 
grunde gegangen. Im Oesophagus fanden sich (Demonstration) ausge¬ 
dehnte Phlebektasien, ganz wie bei einfacher Lebercirrhose, und eine 
zweifache frisobe Perforation. 

Hier haben Sie nun das Hauptpräparat, das Ihnen Leber, Magen 
und Duodenum, das Omentum minus und das Pankreas in Einem zeigt. 
Sie sehen, das Ligamentum hepatoduodenale ist in toto ersetzt durch 
eine fast gänseeigrosse, sehr derbe, graubräunliche, feinporige Geschwulst¬ 
masse, und worauf ich Sie besonders aufmerksam mache, das ist ausser dem 
bedeutenden Volumen die ganz diffuse Verbreitung dieser Masse: sie 
geht einerseits bis an die Area portae hepatis, dann ganz diffus ver¬ 
schwimmend in den Pankreaskopf und erfüllt ebenso von rechts nach 
links das ganze Ligamentum hepatoduodenale. Die Leberarterie und 
ihre Aeste, der Ductus choledochus und cystious liegen mitten in dem 
geschwulstähnlichen Gewebe, das auch gegen den Hals der Gallenblase 
diffus vordringt. 

Die Vena lienalis und Vena mesenterica magna — das sind die 
Hauptwurzeln der Pfortader — lassen sich durch Präparation als fort- 
gesezt erweisen in Collateralb&hnen gegen den Oesophagus und die 
Gardia hin. 

Die Leber selbst ist von gewöhnlicher Grösse und Läppchen¬ 
zeichnung. 

Es sind dann in der Folge eine Anzahl ganz gleicher Fälle be¬ 
schrieben worden: 1909 von Vers6, später von Beitzke hier aus dem 
Orth’schen Institut, dann von Risel, von Kaufmann, neuerdings von 
Emmerich in München. Auch ältere Fälle von Köbrioh, D6v6- 
Gauohois gehören hierher. Klinisch sind fast alle ausgezeichnet durch 
einen meist sehr bedeutenden und immer sehr harten fibrösen Milztumor 
und ferner durch eine hervorragende Ghronicität, selbst über zwei De¬ 
zennien oder mehr. Wenn sich nun in diesen Fällen das cavernöse 
Gewebe lediglich auf den Umfang der Pfortader und ihrer Hauptäste 
beschränken würde — es können auch die intrahepatischen Hauptäste 
oder die Vena lienalis einbezogen sein —, so würde ganz selbstverständ¬ 
lich für die Genese dieses Zustandes in erster Linie an eine Thrombose 
der Pfordader aus irgendeiner Ursache und eine nachfolgende cavernöse 
oder sinuöse Metamorphose des Thrombus im Sinne Virchow’s zu denken 
sein. Wenn Sie aber, wie in meinem Fall und in manchem anderen der ge¬ 
nannten, das ganze Ligamentum hepatoduodenale von einer 1 gesdhwulst- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


massigen Masse aasgefüllt finden, die die Arteria hepatica und die 
grossen Gallenwege völlig umwächst und einschliesst oder sogar diffus 
in das Pankreas einwächst, dann kann man nicht gut generell von einer 
einfachen cavernösen Metamorphose der Pfortader auf der Basis einer 
vorgängigen Thrombose sprechen. 

Eben darum habe ich mich damals für eine neoplasmatische Genese 
des ganzen Prozesses, für eine cavernomatöse Wucherung phlebogenen 
Ursprungs aus der Wand der Pfortader heraus ausgesprochen, im Sinne 
der phlebogenen Angiome, wie sie vor vielen Jahren Virchow, v. Esmarch 
und v. Recklinghausen beschrieben haben. Beitzke hat als primäre 
Ursache eine Missbildung, ein primäres Fehlen des Pfortaderstammes 
postuliert. Die folgenden Autoren haben mit der Annahme einer ein* 
fachen cavernösen Metamorphose eines Pfortaderthrombus auskommen 
zu können geglaubt. 

Dass dies für eine so kolossale Bildung, wie Sie sie in unserem 
Falle hier sehen, zutrifft, halte ich für ausgeschlossen. 

Was an unserem Fall weiter auffällt, ist eine wiederum sehr eigen¬ 
artige Veränderung im Ligamentum hepatogastricum. Hier, wo normaler¬ 
weise überhaupt kaum Blutgefässe zu sehen sind, laufen mächtige, zum 
Teil fast federkieldicke geschlängelte Venen. Sie treten hier vom Magen 
aus direkt in die Leber. Sie finden also — das ist das prinzipiell 
Wichtige — neben der gewöhnlichen, die Leber umgehenden Collateral- 
circulation nach dem Oesophagus hin eine zur Leber gerichtete 
Collateralbahn, neben der entlastenden hepatofugalen eine die Leber mit 
Magen- und Darmblut versorgende hepatopetale. Ich erwähne diese 
Verhältnisse, die ich an anderer Stelle ausführlich erörtert habe, hier 
nur, weil es inzwischen gelungen ist, für sie auch eine experimentelle 
Grundlage zu schaffen, und weil gerade die Ergebnisse des Experiments 
auch für die Auffassung des cavernösen Gewebes im Ligamentum hepato- 
duodenale eine bestimmte, von der bisherigen abweichende Deutung ver¬ 
anlassen. Steenhuis und Reddingius in Groningen haben unter Auf¬ 
nahme meiner Vorstellungen von der hepatopetalen Collateralcirculation 
bei Pfortaderverschluss experimentell beim Kaninchen durch partielle 
Unterbindung der Pfortader hepatopetale Collateralbahnen erzeugt, und 
dasselbe ist beim Hund Herrn Neuhof in meiner Anstalt gelungen. 
Wenn (Reddingius) beim Kaninchen, das zwei rechte und zwei linke 
Leberlappen hat, für die beiden linken und den oberen rechten der Ductus 
hepaticus unterbunden wird und für den unteren rechten der zugehörige 
Pfortaderast, so schrumpfen die ersten drei Lappen, während der vierte, 
rechte untere stark hypertrophisch wird. Hier bildet sich an der Stelle der 
unterbundenen Vena portae ein cavernöses Gewebe mit reichlichen Ge- 
fässen, das dem vierten Lappen portales Blut zuführt. Es ist also das 
cavernöse Gewebe hier nichts als eine hepatopetale Collateralbahn, wie 
ich es auch damals selbst erwogen habe (1. c. 516 u.), und es ist von 
einer Thrombenrekanalisation ganz unabhängig, denn die Pfortader ist 
ja ligiert, ein zu rekanalisierender Thrombus also gar nicht vorhanden! 
Jedenfalls wird so die topographische Unabhängigkeit der cavernösen 
Masse vom Gefässrohr der Pfortader verständlich und so wohl auch ihre 
unter Umständen tumorartige, excessive Ausbreitung wie in unserer Be¬ 
obachtung. 

Was die eigenartigen Fälle von cavernöser Umwandlung im Liga¬ 
mentum hepatoduodenale zu dem heutigen Thema in besondere Be¬ 
ziehung bringt, ist nicht diese hepatopetale, sondern die gewöhnliche, 
bekaunte, hepatofugale Collateralbahn über Magen und Oesophagus zur 
oberen Hohlvene hin. Sie führt, wie Sie dies in unserem Falle oder 
z. B. im Fall Risel’s sehen, unter Umständen zur tödlichen Varix¬ 
blutung aus der Speiseröhre. 

Will man in solchen Fällen oder überhaupt bei altem intra vitam 
oder operationem diagnosticierten chronischen Verschluss der Pfortader — 
nach Analogie der Talma’schen Operation bei der Lebercirrhose — das 
Blut in zweckmässiger Weise ableiten, so zeigt dazu diese hepatopetale 
Collateralbahn den Weg. Man würde das Netz, Magen und Dünndarm 
in möglichst intime und ausgedehnte Verbindung nicht, wie bei der 
Talma’schen Operation, mit der vorderen Bauchwand, sondern mit der 
Leberoberfläche bringen müssen. So würde zugleich der Hämodynamik 
wie der Funktion des Organs genützt. 

Hr. Albu: Ich möchte zu den Mitteilungen des Herrn Vortragenden 
auch einen diagnostisch wichtigen Beitrag liefern: einen Fall von töd- 
icher Darmblutung aus einer diffusen Varicosis desRectums 
von einer solchen Ausdehnung, wie sie wohl zu den ausserordentlichen 
Seltenheiten gehört. Es war ein kräftiger Mann von 86 Jahren, der nie 
in seinem Leben krank gewesen ist, der insbesondere ein vollkommen 
gesundes Herz hatte. Die wiederholte Untersuchung liess auch an Leber 
und Milz nicht die geringste Erkrankung oder Veränderung erkennen. 
Er litt lange Jahre schon an kleinen Darmblutungen, die von seinen 
Aerzten als hämorrhoidale gedeutet wurden. 

Im August vorigen Jahres kam er zum ersten Male zu mir mit dem 
Bilde einer schweren Anämie. Die Untersuchung ergab, dass sogenannte 
Hämorrhoiden weder extern noch. intern (durch Herauspreasen) nachzu¬ 
weisen waren. Auch palpatorisch konnte man keinerlei varicöse Knoten 
finden. Das hauptsächlichste Interesse des Falles liegt in dem recto- 
skopischen Befund, wie er vielleicht noch nicht erhoben worden ist: 
Man^sah vom Sphincter internus ab zahlreich erweiterte, teilweis fast 
kleinfingerdicke (!) Varicen bis in die Flexura sigmoidea hinauf- 
ziehen, die sich tiefblau-rot gefärbt, prall gespannt und strotzend ge¬ 
füllt dem Auge darboten. Es war ein eigenartiges Bild, das im Moment 
etwas Erschreckendes hatte. Man konnte aber nicht genauer untersuchen, 


weil bei jeder Bewegung des Tubus sofort eine Blutung aus den Gefassen 
eintrat. 

Es gelang zunächst, das Befinden des Patienten durch absolute 
Ruhelagerung und strengste Diätbesohränkungen wieder zu bessern. Die 
Blutungen hörten auf, und Patient konnte seiner Tätigkeit wieder nach¬ 
gehen. Im November kam er aber wieder. Er hatte mit einem Male 
wieder eine Blutung bekommen, und zwar so stark, wie er sie bisher 
noch nie gehabt hatte. 

Ich habe den Patienten in die Klinik aufgenommen, weil ich die 
Gefahr, in der er schwebte, erkannte. Die Blutungen standen auch zu¬ 
nächst wieder bei absoluter Bettruhe und vorsichtigster Diät; dann aber 
kam nach etwa zehn Tagen im Bett ohne die geringste erkennbare Ver¬ 
anlassung plötzlich wieder eine profuse Blutung, an der er nach drei 
Tagen zugrunde gegangen ist. Alle therapeutischen Versuche, die in 
energischster Weise vorgenommen wurden, misslangen. Auch wieder¬ 
holte lokale Aetzungen mit Eisenchlorid, Adrenalin u. dgl. hatten keinen 
Erfolg. Ich habe mich schliesslich dazu entschlossen, im Rectoskop eine 
ganz hohe Tamponade zu machen und im Bett bei linker Seitenlage bis 
zu 80 cm hoch einen dicken Gazestreifen eiugeführt; aber durch diesen 
Tampon hindurch sickerte das Blut weiter heraus. Der Mann ging an 
Herzschwäche zugrunde. 

Wir haben nun die Sektion machen können. Es fand sich an den 
inneren Organen absolut keine Veränderung, sondern nur eine enorme 
Varicosis im Rectum, die bis in die Flexura sigmoidea hineinreichte, 
aber dort auch wie abgeschnitten aufhörte. Die stark erweiterten Venen 
waren stellenweise wie Haarlocken aufgekräuselt. 

Ich hatte das Präparat heute abend hierher bringen lassen. Leider 
ist es bei dem Transport beschädigt worden. Ich werde es später ge¬ 
legentlich demonstrieren. Es hat sich hier also um eine isolierte und 
circumscripte Varicosis des Dickdarms gehandelt, ohne dass eine 
Ursache dafür in allgemeinen Gefässerkrankungen ersichtlich ist. Die 
Kenntnis solcher seltenen Vorkommnisse hat immerhin Wert. 

Hr. Paul Lazarus: Ich möchte Ihnen von Darmblutungen 
berichten, experimentell erzeugt durch Einspritzung von toxischen Dosen 
radioaktiver Stoffe, insbesondere Actinium X in die Blutbahn von 
Hunden. Sie starben unter den Erscheinungen der hämorrhagischen 
Diathese. Man konnte Blutungen in der Darmschleimhaut, Blutungen 
in das Darmlumen nachweisen. Die histologische Untersuchung ergab 
eine mächtige Hyperämie der Darmvenen, eine starke Erweiterung der 
Darmcapillaren, eine Imprägnation der Capillarwand mit körnigem 
Niederschlag (vielleicht von der Actiniumsuspension herrührend), Epithel¬ 
läsionen und Blutungen in der Umgebung der Capillaren. 

Ich glaube, dass diese histologischen Befunde uns einen Wink geben 
für die Auffassung der Darmblutungen ohne makroskopisch nachweisbaren 
Befund. Freilich ist es schwer, solche aus Capillarvergiftungen hervor¬ 
gehende Blutungen nachzuweisen, man müsste denn den Darm in Serien¬ 
schnitten untersuchen. Diese experimentellen Studien geben uns ferner¬ 
hin einen Fingerzeig in ätiologischer Beziehung. Es ist möglich, dass bei 
Vergiftung mit Substanzen, welche vorzugsweise durch die Darmschleim¬ 
haut ausgeschieden werden, die Quelle der Blutung in den dadurch 
veranlassten Capillarschädigungen zu suchen ist. Für die Darmblutungen 
nach Quecksilbervergiftungen ist das ja seit langem bekannt. 

Hr. L. Kuttner: Die grosse Zahl der hochinteressanten Präparate, 
die Herr Stadel mann hier demonstriert hat, ist ein deutlicher Beweis 
dafür, wie zahlreich die Fälle von Blutungen sind, die im Mageodarm- 
tractus Vorkommen. Ich habe auf diese Vorkommnisse, wie Herr 
Stadelmann ja auoh erwähnt bat, wiederholt hingewiesen und will 
hier auf die einzelnen Fälle von Herrn Stadelmann nicht weiter ein- 
gehen. Ich möchte nur betonen, dass ich verschiedene Fälle von töd¬ 
licher Blutung, darunter auch solche mit sehr langem Decursus morbi, 
beobachtet habe, bei denen ich den Verlauf der Erkrankung jahrelang 
verfolgen konnte, wo die klinischen Erscheinungen alle für ein Ulcus 
ventriculi sprachen, wo nachher die Sektion aber nur ganz kleine, ober¬ 
flächliche Erosionen oder überhaupt keinen anatomischen Befund er¬ 
geben hat. 

Mit dieser Tatsache muss man unter allen Umständen in der Praxis 
mehr rechnen als das bisher geschieht. Wir sind nicht berechtigt, so 
ohne weiteres bei leisem Verdacht auf Ulcus oder Carcinom auf Grund 
von manifesten oder okkulten Blutungen eine derartige Erkrankung an¬ 
zunehmen. Wenn diese Präparate zum Teil auch Raritäten bedeuten, 
so ist deren Zahl doch eine so grosse, dass sie praktisch von aller¬ 
grösster Bedeutung sind. 

Hr. Kraus fragt, ob es sich in den Fällen des Herrn Stadelmann 
um terminale Ereignisse handelt oder um länger dauernde Krankheitsfälle. 

Hr. Stadelmann (Schlusswort): loh will nur ein paar Worte auf 
die Anfrage von Herrn Kraus antworten. Natürlich sind es mehrfach 
katastrophale Blutungen gewesen. Bei ein paar der Fälle habe ich 
aber von einer etwas längeren, auf mehrere Tage und vielleicht eine 
Woche lang sich erstreckenden Blutungen gesprochen. Immerhin kann 
ich doch sagen, bei diesen schweren Blutungen, die sich auf mehrere 
Tage erstrecken — wenn sie sofort zum Tode führen, ist ja davon nicht 
die Rede —, ist doch auch ein praktisches Interesse dabei, weil natür¬ 
lich der Arzt sich immer überlegen muss: kannst du nicht vielleicht 
durch eine chirurgische Operation helfen? In erster Linie wird natürlich, 
wie ich das schon ausgeführt habe, immer bei diesen Fällen an Ulcus 
ventriculi gedacht, wobei dann die Frage einer Operation immer wieder 
von neuem auftauchen muss, mit der. man vieUeicht / noch Rettung 


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12. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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bringen kann. Ich zeigte Ihnen bei allen diesen Fällen, wie häufig es 
doch vorkommt, dass eine solche Blutung nicht aus einem Ulcus ven- 
triculi kommt, während man doch an Ulcus ventriculi in erster Linie 
denken musste, und hier wäre eine Operation ein Fehlgriff gewesen, 
weil sie gar nichts genützt hätte. 

Die Beobachtungen von Herrn Kollegen Kuttner, die ich ja aus 
seiner von mir mehrfach citierten Publikation kenne, und über die er 
hier noch einmal aus dem Schatze seiner Erfahrungen gesprochen hat, 
stimmen mit meinen Beobachtungen durchaus und nach jeder Richtung 
hin überein. 


Sitzung vom 80. April 1913. 

Vorsitzender: Herr Landau. 

Schriftführer: Herr Rotter. 

Vorsitzender: Ich eröffne die Sitzung und begrüsse Sie freund- 
lichst. Ich hoffe, dass unsere Sommerarbeit eine erspriessliche sein 
wird. Als Gäste begrüsse ich die Herren DDr. West aus Baltimore, 
Schulhof aus Wien und Zanuttini aus Udine. 

Wegen Verzugs nach ausserhalb ist Herr Heuser aus der Gesell¬ 
schaft ausgeschieden. 

Ferner habe ich Ihnen mitzuteilen, dass Herr Fasbender seinen 
70. Geburtstag gefeiert, und dass der Vorstand ihm im Namen der Ge¬ 
sellschaft ein Glückwunschtelegramm gesandt hat. Er dankt für die 
Anteilnahme der Gesellschaft. 

Vor der Tagesordnung. 

Hr. West (a. G.): 

Demoistratie* von Patienten mit geheilter Tränensackeiterung. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift) 

Diskussion. 

Hr. J. Hirschberg: Nachdem Sie ebenso, wie ich selber, das vor¬ 
treffliche Aussehen des Operirten gebührend bewundert haben, erhebt 
sich für den wissenschaftlichen Arzt sofort die Frage, welche Stellung 
denn in der Geschichte 1 ) unsrer Kunst diese merkwürdige Operation 
einnehmen dürfte. 

Die alten Griechen hatten zwar nicht sehr vollkommene An¬ 
schauungen von dem Thränen-Apparat und seiner Wirkung, obschon 
Ly kos, der ältere Zeitgenosse des Galen, den Thränen-Nasengang be¬ 
schrieben, während Galenos sich rühmt, zuerst die [Thränen-]Drüsen 
und die Ausführungsgänge [der Thränen-Kanälchen] erwähnt zu haben. 
Aber die Thränen-Fisteln kannten die Alten ganz gut und haben 
eine Unzahl von Heilmitteln derselben angegeben. Die Durchbohrung 
der Thränensackgegend nach der Nasenhöhle hin finden wir nicht 
bei Gelsus, dem Compilator der Alexandrinischen Schriften, sondern 
erst bei Arhigenes, dem Zeitgenossen des Trajan. Die Stelle stammt 
aus seiner Arzneimittel-Lehre; sie ist uns bei Galen aufbewahrt und 
lautet folgendermaassen: 

„Wenn sie aber so (d. h. durch Auflegen von zusammenziehenden 
und ätzenden Mitteln) nicht gesund werden, so schneide ein am [inneren] 
Augenwinkel, spreize die Wunde und bohre mit dem dünnen Bohrer 
zahlreiche Löcher; dann wende das [scharfe] Schädelpflaster an; denn 
Hnochenschuppen werden abfallen, und die Kranken genesen. Oder 
lege den Knochen frei und drücke das Glüheisen auf; auch so werden 
Knochenschuppen abfallen, und die Kranken genesen. Einige aber 
schneiden am Winkel ein und drücken da, wo trepaniert ist, [das dünne 
Ende eines] feinen Trichters gegen, giessen geschmolzenes Blei ein und 
kauterisiren und erzielen so vortreffliche Heilung 2 3 )“. 

Der einzige griechische Arzt, von dem wir eine zusammenhängende 
Abhandlung über Chirurgie besitzen, Paulos von Aeguina, aus dem 
7. Jahrhundert unsrer Zeitrechnung, hat das Verfahren mit den folgenden 
Worten kritisiert: 

„Einige haben nach dem Ausschneiden des [wilden] Fleisohes den 
Bohrer angewendet und die Feuchtigkeit oder den Eiter in die Nase 
übergeleitet Ich aber bin stets mit dem Kauterisiren des Knochens 
aasgekommen.“ 

Die Araber haben diese Operationen von den Griechen über¬ 
nommen. In dem arabischen Kanon der Augenheilkunde, den Ali Ibn 
Isa zu Bagdad um das Jahr 1000 u. Z. verfasst hat, wird die Durch 
bohrung nach der Nasenhöhle hin mittelst eines Dreikants oder eines 
besonderen, für diesen Zweck angefertigten Instruments, ziemlich genau, 
wohl nach eigener Erfahrung des Vfs., beschrieben. „Sowie Blut aus 
der Nase fliesst, ist das Instrument bereits durchgedrungen.“ 8 ) 

Der geistreichste der arabischen Augenärzte, Am mar 4 ) aus Mosul, 
der zu Kairo, gleichfalls um das Jahr 1000, gewirkt hat, empfiehlt bei 


1) Vgl. m. Gesch. d. Augenh., § 361 (1908). 

2) Vgl. Galen, von den örtl. Heilmitteln, Vc. 2 (B. XII, S. 821). 
Versuche niemand, statt des griechischen Textes die beigefügte lateinische 
Uebersetzung zu lesen. Das ist vergebliches Bemühen. Der Uebersetzer 
bat diese Operationen nicht verstanden. Prof. Lagrange hat sich 
leider nur auf diese Uebersetzungen gestützt. (A. d. 0., B. 138, 
S. 161 fgd.) 

3) Arab. Augenärzte, von Hirschberg und Lippert, I, S. 126 u., 
1904. Gesch. d. Augenheilk., von Hirschberg, B. II, S. 128, 1908. 

4) Arab. Augenärzte, II, S. 68, 1905 ■ > 


der Thränen-Fistel, wenn der Knochen bereits sohadhaft geworden, das 
Durchbrennen des Knochens mit dem glühenden Eisen, — „bis der 
Rauch aus der Nase entweicht“. 

Die Arabisten im europäischen Mittelalter, wie Guy von 
Ghauliao, begnügen sich meist mit dem einfachen Brennen, während 
sie die Trepanation nicht loben. 

Ebenso ist es im Beginn der Neuzeit, der Renaissance. Ambroise 
Pure, der, grössere Erfahrung hat, verlässt sich auf das einfache 
Brennen; auch Fabricius al Aquapendente, der mehr Gelehrter, 
als Künstler gewesen. 

Zur Zeit der Wiedergeburt der Augenheilkunde, d. h. im 
Anfang des 18. Jahrhunderts, übt der Verfechter des Alten, der Eng¬ 
länder Woolhouse zu Paris, die blutige Durchbohrung des Thränen- 
beins (und Einführung eines goldnen Röhrchens) zusammen mit der 
Ausrottung des Thränensacks; während sein Gegner, der fortschrittliche 
Professor Heister zu Altdorf, allerdings in schlimmen Fällen auch 
die Durchbohrung nach der Nase zu verrichtet, aber das Glüheisen ver¬ 
wirft und für gewöhnlich das neue Verfahren von Anei verwendet. 

Dominique Anei aus Toulouse hat 1713 zu Genua ein neues 
Verfahren geübt und beschrieben, die Durchspritzung und die Sondierung 
des uneröffneten Thränenkanals von den Kanälchen aus. 

Natürlich wurde sehr bald diese Durchspritzung und Sondierung 
auch auf dem schwierigeren Wege, von der Nase her, empfohlen und 
geübt (von Bianchi zu Turin 1715, von La Faye in Paris, von 
de la Foreste, 1753; ferner von Gensoul zu Lyon 1826 und noch 
von Rau in Bern 1854). 

Aber dem Verfahren von Anei erstand bald ein siegreicher Neben¬ 
buhler in dem des berühmten Chirurgen J. L. Petit zu Paris, der, im 
Jahre 1734, den Thränensack von aussen aufschneidet und eine gerinnte 
Sonde durch den Nasengang bis in die Nase einführt: die Rinne dient 
dazu, um eine Kerze einzulegen, den Nasengang offen zu halten. Jeden 
Tag wird eine frische Kerze eingelegt, bis der Nasengang heil ist; dann 
kann man die äussere Wunde des Thränensacks schliessen. 

Der berühmte Chirurg Louis, der Berichterstatter der Pariser 
Akademie der Chirurgie, hat 1753 in seinem Bericht über die Verfahren von 
M6jan zu Montpellier und Cabanis zu Genf, Dochte in den Thränen- 
nasengang einzuführen, — ein Verfahren, das in unsren Tagen, 1908, 
von W. Koster Gzn in Leiden wieder neu erweckt worden ist, — aus¬ 
drücklich erklärt, dass die Alten irrten, wenn sie den Knochen immer (?) 
durchbohrten; die Neuen, wenn sie ihn nie durchbohren wollen. 

Das erste Drittel des 19. Jahrhunderts befreite sich von der 
Durchbohrung nach der Nase zu und von dem Irrtum, dass gewöhnlich 
Knochenfrass bei den schlimmen Thränenfisteln bestehe; verfiel aber in 
die grössere Verirrung, nach Spaltung der vorderen Thränensack wand 
das goldene Röhrchen Dupuytren’s — das übrigens schon 1753 von 
Fourbert und 1781 von Wathen in London angewendet worden, — 
oder den Blei-Nagel Scarpa’s in den Thränennasengang einzubringen 
und einheilen zu lassen. 

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts brachte drei neue 
Gedanken: 

1. Die Sondierung des Thränennasenkanals mittelst dickerer 
Sonden, nach Schlitzung des Röhrchens. Diese Verbindung des Anel- 
schen Verfahrens mit dem Petit’schen hat W. Bowman in London 
1857 uns geschenkt, u. A. Weber in Darmstadt 1868 verbessert. 

2. Die Ausrottung der Thränendrüse, schon früher empfohlen, 
1843 von P. Bernard zu Paris und 1846 von Kajetan von Textor 
zu Würzburg ausgeführt, 1888 von L. Wecker auf den Lidtheil der 
Drüse beschränkt. 

3. Die Ausrottung des Thränensacks, welche unbewusst schon 
seit den ältesten Zeiten, wenigstens seit den Alexandrinern, dann 
bewusst (allerdings zusammen mit der Durchbohrung) von Woolhouse 
und seinem Schüler Platner in Leipzig (1724) geübt worden, ist 1868 
als besonderes Verfahren von A. Berlin, damals zu Stuttgart, eingeführt 
und von Alfred Graefe, Kuhnt, Czermak, Axenfeld, Meller 
u. A. erheblich verbessert worden. 

Das Thränen an sioh stört meist nur wenig. Aber gefährlich ist 
die dauernde Eiter-Absonderung von Seiten der unheilbar erkrankten 
Thränensack-Schleimhaut *). 

Die Ausrottung ist das Haupt-Verfahren bei unheilbarer Thränen¬ 
sack-Eiterung, der Hauptschutz gegen den gefährlichen Hornhaut-Abscess 
sowie gegen Vereiterung des star-operierten Auges, wenn nicht in leichteren 
Fällen (naoh Haab und nach Hirschberg) der galvanokaustische Ver¬ 
schluss der Thränenröhrchen ausreicht. 

Jetzt komme ich zu dem 20. Jahrhundert und zu dem Ver¬ 
fahren des Herrn Vortragenden. 

Im Jahre 1904 hat Toti 2 ) in Florenz die alte Durchbohrung in 
neuer Form wiederaufgenommen. Er nennt sein Verfahren Dacryooysto- 
rhinostomie, d. h. Thränensacknasen - Einmündung oder -Verbindung. 
Er entfernt die knöcherne Scheidewand zwischen dem Thränensack und 
der Nasenschleimhaut und stellt eine bleibende Oeffnung zwischen Thränen¬ 
sack und Nase her. Guter Erfolg in sieben Fällen. 


1) Man denke nur an die Tuberkulose der Thränensack-Schleim¬ 
haut, die gar nicht so selten ist. 

2) Clinica moderna, Firenze 1904. Vgl.J C.-Bl. f. A., 1904, S. 461. 
(Michels’ Jahres-Bericht bringt nur den Titel.) In Czermak-Elschnig’s 
Operations-Lehre vom Jahre 1908 noch nicht erwähnt. Auch nicht bei 
Board (1910), wohl aber bei Meller (1913). 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 19. 


Der Urheber lobt sein Verfahren. Sein Landsmann Strazza tadelt 
dasselbe i ). 

Der erfahrene und sorgsame Elschnig in Prag stellte (1909) sich 
auf Toti’s Seite. Auch Lagrange 2 ) in Bordeaux (1907), der das Ver¬ 
fahren ein wenig abgeändert hat. 

Herr West macht nun die Operation von hinten, von der 
Nase aus. Sein Verfahren ist dem von Toti überlegen in kosmetischer 
Hinsicht. Es ist schwieriger; das hindert nicht die Anwendung, wohl aber 
vorläufig die Verbreitung der Operation. 

Um das Verfahren zu beurtheilen, müsste man die Fälle vorher 
gesehen haben und muss sie länger verfolgen. 

Das Durchspritzen ist an sich nicht entscheidend. Die Flüssigkeit 
könnte durch den Thränennasenkanal gekommen sein. Im vorliegenden 
Falle glaube ich allerdings, dass sie durch die künstlicheOeffnung 
herausgekommen ist, da der Strahl für den Thränenkanal zu breit war. 

Den „Fluorescin-Versuch“ kannten schon die Alten, nur in andrer 
Weise. 

Aristoteles sagt (von der Erzeugung der Tiere, IIc 5, 747a, 7): 
„Die schwangeren Frauen prüfen sie durch Einstreichen von gefärbten 
Substanzen in die Augen, ob sie den Speichel im Munde färben.“ 

Galen, vom Nutzen der Theile, Xc 11, berichtet, dass oft Arzneien, 
die in’s Auge gestrichen werden, nicht lange danach ausgeschnaubt oder 
ausgespuokt werden. 

Einspritzungen in die Thränenkanälchen sind schon von 
den griechisch-römischen Thierärzten gemacht worden. (Veget. 
Renat. mulomed. II, c. 21. Glaud. Hermeri mulomed. Chironis, 
o. 84. Vgl. m. Gesch. d. Augenh., III, S. 41.) 

Hr. Gustav Gutmann: Gestatten Sie mir einige Bemerkungen zu 
dem Verfahren des Herrn West. Ich selbst bin dieser Frage näher¬ 
getreten und habe einen Fall von Dakryocystektasie mit profuser 
Blennorrhoe im Tränensack Herrn Dr. Halle überwiesen, der bei Herrn 
Dr. West die Operation gelernt hat. Die Operation ist nicht leicht und 
wurde von Herrn Dr. Halle ausgezeichnet ausgeführt. Ich war über¬ 
rascht, muss ich sagen, von dem ganz ausserordentlichen Erfolge. Nach 
kurzer Zeit, als ich den Patienten wiedersah, war die Dakryocysto- 
blennorrhöe vollständig verschwunden, und ein glänzendes kosmetisches 
Resultat, wie ich es bisher nicht gesehen hatte, kann ich hier ver¬ 
bürgen. Als ich die Patientin 6 Wochen später sah, konnte ich den¬ 
selben Status feststellen. Nachher habe ich sie aus den Augen ver- 
loren. 

Ueber andere Fälle, welche ich Herrn Dr. Halle überweisen 
liess, habe ich nur ein bedingtes Urteil, weil ich sie zum Teil vorher 
nicht gesehen habe, zum Teil nur zu kurze Zeit beobachten konnte. 
Ich will nur einen Fall hervorheben, der mir die Vorzüge des West’schen 
Verfahrens klar vor Augen führte. Es ist ein Patient mit beiderseitiger 
Ptosis congenita mit beiderseitiger Tränensackblenuorrhöe. Er ist bereits 
in der Kindheit auf beiden Augen mit Exstirpation des Tränensackes 
behandelt worden, aber mit mangelhaftem Erfolge. Es blieb eine pro¬ 
fuse blennorrhoische Sekretion zurück. Infolgedessen operierte ich den 
Patienten auf dem rechten Auge und nahm ihm den Rest des zurück¬ 
gebliebenen Tränensacks heraus, mit dem Erfolge, dass die Eiterung 
aufgehört hatte und nur eine kleine Narbe entstand; Träuenträufeln 
aber blieb zurück. Ich hätte nun noch eventuell die untere Tränen¬ 
drüse herausuehmen können, habe aber vorläufig davon abgesehen. Als 
der Patient nun aber mit dem linken Auge kam, auf dem er ebenfalls 
Dakryocystoblennorhöe hatte, überwies ich ihn dem Kollegen Halle, 
der ihn nach West operiert hat. Auf dem linken Auge ist die Ope¬ 
ration mit demselben vorzüglichen Erfolge verlaufen, und ich habe den 
Patienten mehrfach nachher gesehen. Links bat er kein Tränenträufeln. 
Rechts ist zwar die Eiterung beseitigt, Tränenträufeln aber und die 
Narbe von den früheren Operationen hat er zurückbehalten. 

Ich glaube auch, dass die West’sche Operation der Toti’sohen vor¬ 
zuziehen ist, denn die Toti’sche wird immerhin von aussen gemacht 
und setzt eine äussere Narbe. Demnach meine ich, dass in gewissen 
Fällen, namentlich bei Dakryocystoblennorrhöe mit Ektasie des Tränen¬ 
sackes, es ein ganz ausserordentlicher Vorteil ist, das Verfahren des 
Kollegen West aozuwenden. 

Was nun aber die wiederholten Sondierungen anbetrifft, von denen 
Herr Kollege West hervorgehoben hat, dass sie nicht zur Heilung 
führten, so glaube ich, dass, wenn nicht Dakryocystektasie oder un¬ 
trennbare Strikturen vorliegen, keine Indikation gegeben ist, gleich die 
West’sche oder die Toti’sche Operation auszuführen. Ich habe zahlreiche 
solche Fälle gesehen, wo es besser gewesen wäre, wenn man die Finger 
davon gelassen und nicht so häufig sondiert hätte. Je seltener man 
solche Fälle von beginnender Dakryocystoblennorrhöe sondiert, desto 
besser heilen sie. Dies habe ich bereits 1893 in meinem Kompendium 
der Augenheilkunde hervorgehoben. Nach mir hat es auch Axenfeld 
betont. 

Hr. West (Schlusswort): Ich möchte Herrn Geheimrat Prof. Hirsch¬ 
berg für seine Bemerkung über die Geschichte der Entwicklung dieser 
Operation danken. Ich glaube, ich habe auch darauf aufmerksam ge¬ 
macht, dass die Idee uralt ist, und dass bereits Oelsus und Galen 
daran gedacht haben. Ueber das Toti’sche Verfahren möchte ich hier 
nur sagen, abgesehen von dem Hautschnitt und dem darin ab und zu 


1) Ebenda. 

2) Ann. d’Oc., B. 138, S. 161 u. fgd. 


entstehenden Keloid heilt Toti nur ungefähr 50 pCt. der Fälle; bei 
dieser Methode heilen wir aber 90 pCt. 

Zu Herrn Prof. Gutmann’s Bemerkung über seine guten Resultate 
mit Sondieren möchte ich folgendes bemerken: Wenn man mit ein paar 
Mal Sondieren Heilung erzielt, dann habe ich nichts gegen diese Methode, 
wenn man aber einen Patienten einer sogenannten Sondenkur Monate 
hindurch unterwerfen muss, dann bin ich sehr dagegen. Meiner Ansicht 
nach ist es viel vorteilhafter, in diesen Fällen meine Operation auszu- 
führen. Denn, wie Sie sehen, kann diese Operation bei Kindern und 
selbst bei alten Frauen vorgenommen werden, und man hat ein sofortiges 
Resultat. 

Ich danke dem verehrten Herrn Vorsitzenden und auch den anderen 
Herren für Ihre Aufmerksamkeit. 

. Hr. Warnekros: 

Karze Mitteilungen ans der technischen and chirurgischen Zahn- 
heilknnde. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

Hr. 6 . Znelser: 

Die objektive Feststellung der Neuralgie in ihrer klinischen Be¬ 
deutung. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 


Berliner otologische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 21. Februar 1913. 

Vorsitzender: Herr Passow. 

Schriftführer: Herr Beyer. 

Der Vorsitzende begrüsst als Gäste die Herren Bäräny und 
Wethlo. 

Die Beschlussfassung über die Bewilligung eines Fonds zu einem 
Schwartze-Denkmal wird vertagt. 

Vor der Tagesordnung. 

Hr. Herzfeld: Seit der Einführung des Salvarsans sind isoliert« 
V estibttlaraffektienen nicht mehr so selten. In dem vorzustellenden 
Fall spielt diese Aetiologie keine Rolle, da Patient weder Lues gehabt 
hat, noch je mit Salvarsan behandelt worden ist. Vor etwa 10 Wochen 
erlitt er plötzlich einen etwa eine Minute dauernden Schwindelanfall, 
einige Stunden später eioen zweiten, ebenso schnell vorübergehenden, 
in der darauffolgenden Nacht einen dritten, wesentlich stärkeren Anfall, 
begleitet von heftigem Erbrechen und Schweissausbrucb. 5 Tage nach 
dem Anfall konnten noch deutliche Vestibularstörungen nacbgewiesen 
werden: Positiver Romberg, Stehen auf einem Bein unmöglich, Gehen 
auch schon bei offenen Augen nur unter Schwanken möglich. Starker 
horizontaler Nystagmus beim Blick nach rechts. Beim Liegen auf der 
linken Seite wird der Schwindel sehr verstärkt. Die calorische Reaktion 
ist beiderseits erloschen oder wenigstens sehr stark herabgesetzt, 
Schwindel tritt bei der Spülung nicht ein. Die galvanische Reaktion 
ist ebenfalls links ganz erloschen, desgleichen die statische. Nach 
aktiver wie passiver Drehung um die gesunde Seite erfolgt kein 
Nystagmus nach links; nach Drehung um die kranke Seite wird der 
bereits vorhandene, nach rechts gerichtete Nystagmus etwas verstärkt. 
Bei den Bäräny’schen Zeigeversuchen wird kein Vorbeizeigen kon¬ 
statiert, ebenso ergibt die neurologische Untersuchung normale Verhält¬ 
nisse, desgleichen die interne wie ophthalmoskopische. Das Hörvermögen 
beträgt rechts 5 m, links 3 m für Flüstersprache. Im Laufe der Zeit 
haben sich die Gleichgewichtsstörungen wesentlich gebessert, immerhin 
schwankt Patient auch heute noch beim Gehen mit geschlossenen Augen 
und weicht nach links ab (Demonstration). Die galvanische Reaktion 
ist vor 8 Tagen wiedergekehrt. Wo haben wir den Krankheitsherd zu 
suchen? In Frage kommen: 1. der periphere Endapparat, 2. der intra- 
oraniell gelegene Teil des Nerven, 3. die grosse Vestibulariskernregion, 
in der der motorische Deiter’sche Kern liegt. Das Kerngebiet möchte 
ich ausschHessen wegen des Fehlens anderer Erscheinungen von seiten 
der Nerven, deren Kerne in derselben Region liegen, des Abducens und 
des Trigeminus. Aber auch das periphere Endorgan möchte ich aus- 
schliessen, und zwar einmal wegen des anfänglichen Fehlens der galva¬ 
nischen Reaktion. Ferner aber ist doch kaum anzunehmen, dass bei 
einer Blutung innerhalb des Labyrinths — eine solche müsste man doch 
annehmen — die Cochlea so wenig befallen worden wäre. Somit müssen 
wir also den Herd in dem intracraniell gelegenen Nervenabschnitt 
suchen und annehmen, dass der vestibuläre Anteil hauptsächlich be¬ 
troffen ist. Die Ursache liegt wahrscheinlich in einer Kreislauf¬ 
störung, sei es, dass es sich um eine capillare Blutung oder um eine 
Thrombose des zuführenden Gefässastes handelt.. 

Hr. Brühl: 1. Beiderseitige hysterische Taubheit Ein 17 jähriges, 
auf einem Ohr vor längerer Zeit radikal operiertes Mädchen ertaubt 
ohne besondere Veranlassung während der Arbeit auf beiden Obren. 
Noch 3 Tage später besteht vollkommene Taubheit beiderseits für 
Sprache und Töne, dabei eine sehr lebhafte Reaktion des Vestibulär- 
apparates. Der Trommelfellbefund war auf dem nicht operierten linken 
Ohre absolut negativ, Katheter ohne Erfolg. 2 Tage später zeigt 
Patientin auf dem linken Ohre eine traumatische Ruptur; Ursprung un¬ 
bekannt, wahrscheinlich durch Ohrfeige entstanden. Patientin hört 


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12. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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beiderseits am Ohr und 10 Minuten nach Anwendung von Metallotherapie 
links 3 m weit und am nächsten Tage auf dem operierten Ohre 1 m und 
dem anderen 6 m weit. Patientin, die ihrer Taubheit wegen die Arbeit 
verlieren sollte, ist jetzt wieder in ihrer Stellung. 

2 . Otitis interna im Anschluss an eine ganz frische Mittelohr¬ 
entzündung bei einem 18jährigen Manne. Am dritten Tage nach Ein¬ 
tritt der Otitis und 24 Stunden nach der Paracentese unter Schwindel 
Erbrechen, Nystagmus, vollkommene Taubheit, Unmöglichkeit, sich auf¬ 
recht zu halten und Unerregbarkeit des Vestibularapparates; keine Tem¬ 
peratursteigerung. Die Mittelohrentzündung heilte glatt ab. Die völlige 
Uneiregbarkeit des Labyrinthes blieb bestehen. 

3. Präparat von Kleinhirnabscess im Lohns biventer. 27 jähriges 
Mädchen mit Cholesteatom, Facialislähmung, Ataxie, Taubheit, Unerreg¬ 
barkeit des Vestibularapparates der erkrankten Seite, starkem Nystagmus 
nach der kranken Seite und erhöhter vestibulärer Erregbarkeit der anderen 
Seite. Patient zeigte mit dem Arm der kranken Seite spontan 
nach aussen vorbei, auf der auch die Ionenreaktion nach Drehung 
fehlte, während sie auf dem Arm der anderen Seite vorhanden war. 
Trotz sofort gestellter Diagnose und ausgeführter Operation (Radikal¬ 
operation und Resektion der stark erkrankten Pyramide bis zum inneren 
Gehörgang und mehrfacher lozisionen ins Kleinhirn) wurde der Abscess 
nicht gefunden; bei der Sektion zeigte es sich, dass derselbe 3 cm von 
der Oberfläche entfernt gelegen war. Der Tod erfolgte durch Meningitis. 

Diskussion. 

Hr. Bärany: Es freut mich, dass Prof. Brühl als einer der ersten 
bei einem typischen Fall von Kleinhirnabscess das Vorbeizeigen in 
der von mir angegebenen Weise beobachtet hat. Ich habe bis jetzt 
sechs Kleinhirnabscesse mit dem Vorbeizeigen des Armes nach aussen 
und Fehlen der Zeigereaktion nach innen gesehen. Ein analoger Fall 
wurde von Holmgren publiziert. Zu diesen kommen noch zwei 
Meningoencephalitisfälle und zwei Inzisionen des Kleinhirns, die Region 
des Kleinhirns zwischen Sinus und Labyrinth betreffend. In allen diesen 
Fällen waren dieselben Störungen nachweisbar. Ferner sind die Fälle 
hierher zu rechnen, bei denen ich die Abkühlung ausgeführt habe, es 
sind drei Fälle, an denen der Abkühlungsversuch 17 mal vorgenommen 
wurde. (Seither ist noch ein Fall der Klinik Passow hinzugekommen.) 
Alles zusammen liegen 28 Beobachtungen über das Gentrum für den 
Einwäitstonus der oberen Extremität vor, dessen Lähmung Vorbeizeigen 
nach aussen ergibt. Bei den Abscessen muss man aber trotzdem, wie 
ich glaube, darauf gefasst sein, einmal auch ein negatives Resultat zu 
erhalten. Ein Abscess in der Tiefe der Marksubstanz, der, von einer 
Kapsel umgeben, sehr langsam wächst, könnte unter Umständen wie 
ein Tuberkel oder eine Cyste die Fasern nur verdrängen und nicht zer¬ 
stören und dann müssen natürlich Ausfallserscheinungen fehlen. Nach 
der Inzision des Abscesses aber wird man wohl immer, wenn sie an der 
typischen Stelle, unmittelbar vor dem Sinus erfolgt, Vorbeizeigen nach 
aussen erwarten dürfen. 

Was den Fall Prof. Herzfeld’s betrifft, so ist es merkwürdig, dass 
er nach so vielen Monaten einseitiger Vestibularislähmung noch so leb¬ 
hafte Gleichgewichtsstörungen zeigt. Meist schwinden sie sehr bald voll¬ 
ständig. Herzfeld hat ja selbst einen Fall von doppelseitiger Zer¬ 
störung des Vestibularapparates beschrieben, wo die Gleichgewichts¬ 
störungen vollkommen fehlten. Vielleicht liegt hier doch noch eine 
Komplikation der Vestibularerkrankung vor. 

Den Fall von akuter Otitis mit Labyrinthitis hätte ich wohl auch 
nicht operiert. Bezüglich der serösen Labyrinthitis können wir aller¬ 
dings heute weniger als früher eine sichere Diagnose stellen. Bisher 
hatten wir geglaubt, dass eine Labyrinthitis serös ist, wenn keine 
Labyrinthfistel besteht. Nach den neueren mikroskopischen Befunden, 
nach denen aber durch die intakten Fenstermembranen hindurch eine 
Labyrintheiterung entstehen kann, müssen wir diesen diagnostischen 
Anhaltspunkt aufgeben. Auf der anderen Seite wissen wir aber, dass 
auch eine eitrige Labyrinthitis mit Fistel circumscript bleiben kann. 
Die Unterscheidung zwischen seröser und eitriger Labyrinthitis, wenn 
keine Komplikation der Labyrinthitis besteht, ist deshalb kaum je mit 
absoluter Sicherheit zu machen. Selbstverständlich erwachsen daraus 
grosse Schwierigkeiten für die Indikationsstellung zur Labyrinthoperation. 
Je nach dem Temperament und der persönlichen Erfahrung wird darum 
der eine Operateur radikaler, der andere konservativer sein, ohne dass 
man dem einen oder anderen einen Vorwurf machen könnte. 

Hr. Wischnitz: 

Fall von nicht eitriger Encephalitis im Anschluss an Otitis media. 

Derartige Fälle sind in der Literatur äusserst selten beschrieben 
worden. Ich möchte mir gestatten, über einen solchen Fall zu be¬ 
richten. 

Das hier vorliegende Präparat stammt von einem 34 jährigen Manne, 
bei dem wegen einer bestehenden akuten Otitis med. ac. des rechten 
Ohres in der Herzfeld’schen Klinik eine Aufmeisselung vorgenommen 
worden war, bei der ein epiduraler Prozess freigelegt wurde. Doch schon 
nach kurzer Zeit stellten sich bei dem Patienten wieder Kopfschmerzen, 
Druckgefühl über dem rechten Auge und Schmerzen im rechten Ohr ein. 
Ich führte daher in Abwesenheit von Herrn Prof. Herzfeld die Radikal¬ 
operation aus; doch auch diese brachte dem Patienten nur für wenige 
Tage Erleichterung, bald stellten sich dieselben Beschwerden ein, ohne 
dass der objektive Befund einen Anhaltspunkt für die Klagen des 
Patienten hatte geben können. Es bestanden weder Sensibilitäts- noch 
Motilitätsstörungen, Puls, Reflexe, Temperatur waren normal. Auffallend 


war nur eine leichte Ptosis rechts. Zu einem weiteren Eingriff lag also 
kein Anlass vor. 

Da trat plötzlich, etwa sechs Wochen nach der ersten Operation, 
Schüttelfrost und Temperaturanstieg bis 39,6° und Bewusstlosigkeit ein. 
Gröbere Lähmungserscheinungen Hessen sich bei dem somnolenten 
Patienten nicht nachweisen. Die Lumbalpunktion ergab getrübtes 
Punktat, in dem sich Eiterkörperchen und grampositive Pneumokokken 
fanden. War hiermit die Diagnose einer Meningitis gesichert, so lies» 
sich doch das gleichzeitige Bestehen eines Abscesses nicht ganz aus- 
schliessen. Ich legte daher die mittlere Schädelgrube frei, machte 
mehrere lozisionen in den Schläfenlappen, ohne aber Eiter zu finden, 
zwei Tage darauf trat der Exitus ein. 

Bei der von Herrn Prof. Jacobsohn vorgenommenen Hirnpunktion 
fand sich eine nicht eitrige Encephalitis in der rechten Grosshirnhemi¬ 
sphäre. Die rechte Hemisphäre zeigt, wie Sie sehen, im Bereich der 
Arteria foss. Sylv. eine starke Blutstauung, die sich auf den unteren 
Teil des Stirnlappens der Centralwindungen und des Parietallappens er¬ 
streckt. Bei den Frontalschnitten zeigt sich nun besonders ein merk¬ 
licher Farbenunterschied zwischen den Windungen der rechten und 
linken Grosshirnhemisphäre, und zwar zeigt sich rechts die Rindenregion 
derjenigen Bezirke, welche besonders die Fossa Sylvii umgeben, stark 
gerötet, und diese Röte hat auch in etwas geringerem Grade die Rinde 
der über und unter der Fossa Sylvii gelegenen Zone ergriffen. 

Hätte sich der Prozess auf der linken Seite abgespielt, so wäre die 
Diagnose einer Erkrankung der Hirnsubstanz leichter gewesen. Da hätten 
aufgetretene aphasische Störungen die Aufmerksamkeit schon frühzeitig 
auf eine Erkrankung der Hirnsubstanz gelenkt. Man hätte dann wahr¬ 
scheinlich einen Abscess diagnostiziert, ihn aber vergeblich bei der Ope¬ 
ration gesucht. 

Oppenheim, Voss, Jacobsohn u. a. haben auf den Zusammen¬ 
hang der nicht eitrigen Encephalitis mit der Otitis media hingewiesen, 
und ich glaube, dass es in manchem Falle von diagnostiziertem Hirn- 
abscess sich um eine solche Encephalitis gehandelt haben wird. 

_ Diskussion. 

Hr. Wagener: Ich möchte fragen, ob das Gehirn mikroskopisch 
untersucht ist. 

Hr. Wischnitz: Nein, die mikroskopische Untersuchung steht noch 
aus, Herr Prof. Jakob wollte sie vornehmen. 

Hr. Wagener: Bevor die mikroskopische Untersuchung des Gehirns 
gemacht ist, kann man nichts sicheres aussagen. Die Diagnose einer 
eitrigen Meningitis ist anzunehmen nach dem Befunde der Leukocyten 
im Lumbalpunktat. Wenn vermehrte Leukocyten oder Lymphocyten 
nachgewiesen sind, handelt es sich um eine Entzündung. Je nach der 
Art der Bakterien wird es verschieden sein, ob mehr Leukocyten auf- 
treten oder mehr Lymphocyten. Hier sind vermehrte Leukocyten ge¬ 
funden, und ich bin überzeugt, wenn viele Stellen des Gehirns unter¬ 
sucht werden, ist auch die Stelle nachzuweisen, von der diese Leuko¬ 
cyten ausgeschieden sind. Es handelt sich hier meines Erachtens um 
eine von den Formen, die Körner als Meningitis sine meningitide be¬ 
schrieben hat: eigentlich ein Widerspruch an sich, und trotz der vielen 
Widersprüche meines Erachtens insofern richtig, als makroskopisch oft 
keine leicht erkennbare Meningitis gefunden wird. 

Zur Erklärung solcher Fälle muss mehr, als es gewöhnlich geschieht, 
der verschiedene Toxingehalt des Lumbalpunktates herangezogen werden. 

Hr. Blumenthal: Ich möchte auf einen Unterschied aufmerksam 
machen, auf den von anderer Seite hingewiesen worden ist, das sind 
die Temperaturunterschiede bei Gehirnabscessen und bei Encephalitis. 
In der Regel verlaufen die Gehirnabsoesse ohne Temperaturerhöhung 
oder mit subfebriler Temperatur, während die Encephalitis sehr oft mit 
hoher Temperatur verläuft. Auch in dieser Beziehung steht der Fall 
wohl, wie Herr Wagener gesagt hat, der Meningitis näher als dem Ge- 
himabscess. 

Hr. Herzfeld: Dass es sich zum Schluss um eitrige Meningitis 
gehandelt hat, ist zweifellos, dafür spricht ja der Bakterienbefund. Es 
fragt sich nur, ob die Encephalitis nicht vorher bestanden hat. Tat¬ 
sächlich ist ja eine Reihe von Fällen publiziert worden, bei denen 
Meningitis nicht nebenbei bestand, und Oppenheim wie Koppen 
konnten sogar an später zur Sektion gekommenen Fällen Heilung der 
Encephalitis haemorrhagica beobachten. Wenn man unsere Literatur 
mit der neurologischen vergleicht, wundert man sich, wie wenig in der 
otologischen darüber zu finden ist. In dem Index der neuesten Lehr¬ 
bücher ist kaum der Namen der Encephalitis haemorrhagica an¬ 
gegeben, und doch lohnt es sich, auf diese Encephalitisart etwas mehr 
zu achten, zumal die Prognose durchaus nicht infaust ist. Der heikelste 
Punkt ist natürlich die Diagnose, da die Encephalitis haemorrhagica und 
die Encephalitis purulenta oft dieselben Erscheinungen machen wie der 
Hirnabscess. Immerhin gibt Oppenheim, dem wir die meisten ein¬ 
schlägigen Arbeiten über diese Art von Encephalitis verdanken, doch 
verschieden diagnostische Winke an, vor allen den, dass bei dieser 
Encephalitis „die lokalen Erscheinungen bzw. die Herderschei¬ 
nungen nicht den streng lokalen Beziehungen zur Otitis 
entsprechen“, wie wir es beim Abscess gewohnt sind. Die Herd¬ 
erscheinungen sind andere, weil die Encephalitis, sehr oft wenigstens, 
an anderen Stellen sitzt als der otitische Hirnabscess. Der otitische 
Hirnabscess bildet sich ja im allgemeinen per continuitatem von dem 
erkrankten Ohre aus, sitzt also an ganz bestimmten Stellen des Schläfen- 
lappens oder des Kleinhirns. Die Encephalitis hingegen entsteht auf 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 19. 


dem Wege der Blut- oder Lymphgefässe und kann an den verschiedenen 
Stellen des Gehirns, sogar in der entgegengesetzten Hemisphäre sitzen. 

Hr. Schwabach: Anknüpfend an die letzte Bemerkung des Herrn 
Herzfeld, dass eine Encephalitis auch eventuell an der entgegen¬ 
gesetzten Seite auftreten könne, möchte ich kurz über einen derartigen 
Fall berichten, den ich vor einer Reihe von Jahren beobachtet habe. 
Es handelte sich um den 3 V 2 jährigen Sohn eines Kollegen, der im An¬ 
schluss an eine Iofluenzaotitis eine Entzündung des linken Warzenfort¬ 
satzes acquirierte, die mich zur Vornahme der Mastoidoperation veran- 
lasste. Der Verlauf war zunächst ausserordentlich günstig, als nach 
ungefähr vier Wochen, nachdem die Wunde bis auf eine ganz kleine 
Oeffnung verschlossen war, plötzlich wieder hochgradiges Fieber auftrat, 
der Patient somnolent wurde, Krämpfe in den unteren Extremitäten, 
Strabismus und eine leichte Facialisparese zeigte. Ich dachte natürlich 
daran, dass ein Recidiv der Eiterung in dem Ohr eingetreten sein 
könnte: aber die genaueste Untersuchung gab nicht den geringsten An¬ 
lass für diese Annahme. Die Herren Oppenheim und Jansen wurden 
auf Wunsch des Vaters zur Konsultation zugezogen und sprachen sich 
dahin aus, dass die Erkrankung von dem operierten Ohre nicht aus¬ 
gehen könne. Herr Oppenheim stellte die Diagnose auf Encephalitis. 
Das Kind starb, und bei der Obduktion, die vom Kollegen Ben da aus¬ 
geführt wurde, fand sich eine hämorrhagische Encephalitis, und zwar 
auf der dem operierten Ohr entgegengesetzten Seite, während auf der 
operierten Seite bei genauester Untersuchung des Felsenbeins keine Spur 
von irgendwelchen eitrigen Prozessen nachzuweisen war; es fand sich 
nur auf der äusseren Seite des Warzenfortsatzes eine ganz kleine Oeff¬ 
nung, die nirgends mit einem Eiterherde in Verbindung stand. 

Ich glaubte diesen Fall, obwohl er mit der Ohrerkrankung selbst 
nichts zu tun hatte, er vielmehr höchstwahrscheinlich auf einen kurze 
Zeit vorher aufgetretenen Stickhusten zurückgeführt werden musste, er¬ 
wähnen zu sollen, da derartige Fälle sehr leicht zu Täuschungen, event. 
auch zu zwecklosen operativen Eingriffen Veranlassung geben können. 

Hr. Wolff: Es scheint mir in diesem Falle nicht ganz klar zu sein, 
ob die Encephalitis nicht im Anschluss an die Inzisionen entstanden ist. 
Man sieht in der Nähe der Inzisionsstelle ein grosses Blutgerinnsel im 
Cerebrum. Auch die blutige Durchtränkung der Umgebung könnte als 
eine Folge der bei den Inzisionen erfolgten Blutung angesehen werden. 

Hr. Passow: Diesen Eindruck hatte ich bei Besichtigung der Prä¬ 
parate auch; aber die Symptome waren ja vorher da, und ich wagte 
nicht, diese Behauptung aufzustellen. 

Hr. Wischnitz: Herr Professor Jacobsohn hat, sobald er das 
Präparat sah, die Ansicht ausgesprochen, dass nur Encephalitis in Be¬ 
tracht kommen könnte, und glaubte, die Diagnose auch durch den 
mikroskopischen Befund erhärten zu können. Ich möchte später über 
den Ausfall der mikroskopischen Untersuchung noch berichten. 

Hr. Bosch: 

Demonstration histologischer Präparate von Labyrinthitis. 

B. demonstriert mittels Projektionsapparates histologische Präparate 
von Labyrinthitis. An den beiden ersten Fällen, die an postoperativer 
Meningitis (nach Radikaloperation) zugrunde gegangen waren, wird die 
Art des Durchbruchs der Entzündung vom Mittelohr in das Vestibulum 
und von dort in den Hiatus internus erläutert. Die Schnecken selbst 
zeigten nur eine seröse bzw. serofibrinöse Entzündung. 

Der dritte Fall betraf eine Ertaubung nach Scharlachotitis. Die 
histologischen Präparate zeigen die Räume des inneren Ohres mit Binde¬ 
gewebe ausgefüllt, welches schon reichlich neugebildeten Knochen auf¬ 
weist. Interessant war, dass der Uebergang der Entzündung auf die 
Hirnhäute nicht wie sonst gewöhnlich durch Vermittlung des Labyrinths 
erfolgt war, sondern auf dem Wege des Facialiskanals bzw. durch cariösen 
Knoohen an der Pyramidenspitze. 

Diskussion. 

Hr. Wagener: In dem ersten Falle, den Herr Busch vorgestellt 
hat, war die Cochlea verschieden stark ergriffen, stark in der Basal¬ 
windung, minder stark in anderen Windungen. In diesem Falle war 
eine Labyrinthoperation indiziert. Sollte in diesem Falle aber nicht 
ein Fehler bei der Untersuchung des Hörvermögens vorgekommen sein? 

Ich glaube, es ist noch immer das sicherste, sich strikt an die 
Regel zu halten: können wir überhaupt noch etwas von Reaktion naoh- 
weisen am Vestibularis oder am Cochlearis, dann machen wir das Laby¬ 
rinth nicht auf. Wir wissen alle, wie schwierig es ist, einseitige Taub¬ 
heit festzustellen, und wie schwierig es oft ist, sicher festzusteilen, ob 
eine calorische Reaktion positiv oder negativ ist. Auch im dritten 
Falle halte ich einen Untersuchungsfohler bei der Vestibularisprüfung 
für wahrscheinlich. 

Dann möchte ich noch auf den zweiten Fall ganz kurz eingehen, 
wo die Facialisläbmung zustande gekommen war durch eitrige Ent¬ 
zündung der Facialis im Porus acusticus internus. Gewöhnlich kommt 
eine Facialisläbmung durch Läsion in der Gegend des ovalen Fensters 
zustande. Würden wir da immer bis zum Porus acusticus internus Vor¬ 
gehen, würden wir viele Patienten umbringen. Wir gehen nur dann so 
weit vor, wenn eine eitrige Meningitis bereits besteht, da wir ja mit 
der Freilegung des Porus acusticus internus an dieser Stelle auob die 
Dura eröffnen. 

Liegen also nicht besondere Gründe vor, so machen wir bei Facialis- 
lähmung eventuell die Labyrinthoperation, aber nicht die erweiterte 
Neunann’flch* Operation bi* >zum Porus acusticus internus. 


Hr. Blumenthal: In dem einen Falle von Herrn Busch sind die 
Veränderungen in dem Ductus cochlearis verschieden stark, ausgesprochen 
in der Basalwindang, weniger in der Spitze. Es wäre sehr wohl vor¬ 
stellbar, dass eine genaue Funktionsprüfuög nur einen partiellen Laby¬ 
rinthausfall ergeben hätte. Dabei besteht gewiss für uns alle kein 
Zweifel darüber, dass das Labyrinth in diesem Falle eröffnet werden 
musste. Es gibt sicher eine Reihe von Labyrintherkrankungen, die wir 
operativ angreifen, und bei denen wir das Labyrinth eröffnen müssen, 
auch wenn die Funktionsprüfung noch keinen völligen Labyrinthausfall 
ergibt. Bei den Eitereinbrüchen ins Labyrinth an der hinteren Pyra- 
midenfläche wird vermutlich die Cochlea eine Zeitlang wenig verändert 
sein. Ich glaube, dass wir uns nicht nur von dem Ausfall der 
Funktionsprüfung, sondern auch von den bei der Operation gefundenen 
Veränderungen an der Labyrinthkapsel leiten lassen müssen. 

Hr. Brühl: Ich glaube nicht, dass es die Absicht des Herrn 
Kollegen Busch war, irgendwelche klinische Fragen zu lösen. Es 
handelt sich bloss um einige sehr hübsche Labyrinthpräparate, aus denen 
man sicher etwas lernen kann. Die Fälle liegen Jahre zurück, und 
klinisch lassen sie sich nicht bewerten. 


Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde zu Berlin. 

(Pädiatrische Sektion.) 

Sitzung vom 28. April 1913. 

1. Hr. Fiakelstein: Seltene Hautkrankheiten im Kiadesaltor. 

An erster Stelle zeigt Vortr. ein Kind mit Favus, zweitens zeigt er 
einen 4 1 /* jährigen Jungen, der bereits im Alter von 6 Wochen erkrankte. 
Es bildeten sich an den Kniekehlen Blasen, später gleiche Effloreszenzen 
an den Lippen. Seit dieser Zeit treten derartige Hautausschläge häufiger 
auf. Eine sichere Diagnose kann nicht gestellt werden, vielleicht handelt 
es sich um Dermatitis herpetiformis oder eine Herpes zoster-artige Er¬ 
krankung. Es bestehen auch Anomalien von seiten des Darmes sowie 
Facialistik. 

Es handelt sich um schwere, wohl vom Nervensystem ausgehende 
chronische Störungen; wahrscheinlich sind Darm- und Hauterkrankungen 
koordinierte Symptome. 

Diskussion. 

Hr. Ledermann betrachtet den Fall als Epidermolysis bullosa 
hereditaria, eine oft auch ohne Heredität auftretende Krankheit. 

Hr. Neu mann hat eine solche Affektion bei Vater und Tochter 
gesehen. 

Hr. Eckert beriohtet über Erfolge der Behandlung mit Atropin 
und kleinen Dosen Schilddrüse. 

2. Hr. Roseistern: 

Ein Fall von Paehymeiingitis haemorrhagiea im Kiadesalter. 

R. berichtet über einen Fall von Facialisparese bei einem 6 Monate 
alten luetischen Kinde. Eine rapide Zunahme des Schädelumfanges (in 
einer Woche um 4 cm) wird auf eine Pachymeningitis haemorrhagiea 
zurückgeführt, die auch Ursache der Facialisparese ist, da am Ohr kein 
pathologischer Befund erhoben werden kann. 

3. Hr. L. F. Meyer: 

Hochfleberhafte Infektionszustände mit protahiertem Verlauf. 

Es handelt sich um Krankheitsbilder, die zunächst wie eine gewöhn¬ 
liche Grippe erscheinen, ohne dass aber das Fieber, welches einen 
pyämischen Typus zeigt, zurüokgeht. Das Krankheitsbild erinnert an 
die Typhobacillose der Franzosen. Die Diagnose ist zweifelhaft. 

Diskussion: HHr. Langstein, Mosse, Finkeistein, Tugend¬ 
reich. H. Hirschfeld. 


Berliner Gesellschaft für Chirurgie. 

Sitzung vom 28. April 1913. 

Vorsitzender: Herr Sonnenburg. 

Schriftführer: Herr Riese. 

Vor Eintritt in die Tagesordnung: Hr. Sonnenburg: Nachruf des 
verstorbenen v. Bramann, den Vorsitzender sohon frühzeitig als den 
ruhigen und entschlossenen Chirurgen kennen lernte. Nachdem er vor 
25 Jahren durch sein energisches und erfolgreiches Einschreiten in der 
Krankheit Kaiser Friedrichs seinen Ruf begründete, hat er später, fol¬ 
gend seinem Chef v. Bergmann, die Lehre der Chirurgie der Gehirn¬ 
krankheiten weiter gefördert. 

Die Versammlung erhebt sich zu Ehren des Verstorbenen. 

1. Hr. Mühsam: 

Exstirpation der Milz nnd der linken Niere wegen Ueherfahrens. 

Vortr. erinnert an einen Fall, den er 1910 in der Freien Vereini¬ 
gung vorstellte: Es handelte sich um einen Knaben, der überfahren war, 
Zeichen innerer Blutung hatte und durch Exstirpation der gequetschten 
Milz geheilt wurde. Obwohl Blut im Urin war, wurde nur eine 
leichtere Quetschung der Niere angenommen; die Niere konnte erhalten 
werden. 

Aehnlioh ist der jetzt vorgestellte Fall: Ein Knabe, der am 1. Oster 
feiertag von einem Omnibus überfahren wurde, pulslos, mit Anzeichen 
schwerster innerer Blutung eingeliefert wurde. Es fand sich nach Er¬ 
öffnung des Peritoneums ein grosser, linksseitiger Bluterguss, Bröckel 


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12. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


899 


der zertrümmerten Milz kamen entgegen. Exstirpation der Milz. Ferner 
fand sich die linke dislozierte Niere frei an ihrem Stiel hängend in der 
Bauchhöhle. Sie wurde gleichfalls entfernt. Die Heilung erfolgte glatt. 
Der Knabe konnte am 11. Tage aufsteben, wurde am 17. Tage geheilt 
entlassen. Die Leukocyten waren am 1. Tag post operationem gesteigert, 
dann wieder niedriger. Arneth 30 pCt. Rote Blutkörperchen einen Tag 
post operationem 3 1 /« Millionen, nach 4 Tagen über 4 Millionen. (Demon¬ 
stration des Patienten und der beiden Milzpräparate.) 

2. Hr. Holländer: 

Demonstration nur Technik der Rhinoplastik. 

Naoh.mancherlei Versuchen hat Vortr. bei Operation von grösseren 
Nasendefekten folgenden Modus prooedendi eingeschlagen: Umschneiden 
des Randes, quere Durchmeisselung auch des Vomer, Herunterklappen 
eines gestielten Stirnlappens. Die Narbe der Stirn wird später nicht 
entfernt Bei Materialentnahme von anderen Stellen hat H. keine guten 
Resultate gewonnen, auch nicht mit der italienischen Methode. Er hat 
darum eine andere Methode gewählt: Abpräparieren eines langen, 
schmalen, rechteckigen Lappens von der Gegend der Articulatio sterno- 
clavicularis bis zur Mamilla schräg verlaufend; Heraufklappen des 
Lappens, Anheilen an die angefrischte Nasenwunde. Nach Durch¬ 
schneiden der Brücke bleibt genügend Material zum Decken des Defekts. 
Dass gerade die Brusthaut der Glavioulargegend zu plastischen Zwecken 
sich sehr eignet, ist auch von anderen (Rosenstein) bestätigt. (Demon¬ 
stration.) 

Diskussion. 

Hr. J. Joseph hat im Gegensatz zu Herrn Holländer mit der 
italienischen Methode stets gute Resultate erzielt, hat darum keine 
Veranlassung, von ihr abzuweichen, vor allem betont er die gute Kopf¬ 
haltung bei dieser Methode. 

Auf Anfrage des Herrn Israel gibt er an, als Stützmaterial 
nach Anheilung der Armhaut zwei Stücke der Tibia unter die Haut 
einzupflanzen, ein längeres queres und ein kürzeres (3 om) als Septum. 

Auf Anfrage des Herrn Sonnenburg teilt er mit, dasB das weisse 
Aussehen der transplantierten Haut durch recht frühzeitiges Abnehmen 
des Verbandes vermieden wird und durch Einwirkung von Licht und 
Sonne versohwindet. Künstliche Bestrahlung hält er nicht für er¬ 
forderlich. 

Demonstration: Hr. Münnich (a. G.) zeigt einen transportablen 
Operationstisch, der sich durch Leichtigkeit, Festigkeit, Verstellbarkeit 
auszeichnet, der z. B. auch als gynäkologischer Untersuchungstisoh dient, 
zur Beckenhochlagerung verwandt werden kann usw. 

8. Hr. Casper: Znr Nierendiagnostik. 

Die Fortschritte der Diagnostik, namentlich der funktionellen Prü¬ 
fung durch Katheterismus der Ureteren usw. haben Wertvolles- speziell 
zur Erkennung der Nierentuberkulose geleistet. Demgemäss sind auoh 
die Operationsresulte erheblich bessere geworden. Während früher die Mor¬ 
talität über 20 pCt. betrug, hat Frisch unter seinen in den letzten Jahren 
Operierten nur drei Tote, Zuckerkandl nur einen, Vortr. selbst bei 
56 Operierten nur einen Exitus, also 2 pCt. Durch die verfeinerte Diagnostik 
kann jetzt eher entschieden werden: 1. Welche Fälle sind zu operieren? 
2. Welche sind inoperabel? Für die Spätresultate ist vor allem die 
Diagnose der Doppel- oder Einseitigkeit von ausserordentlicher Wichtig¬ 
keit. Die Tuberkulose der Nieren heilt spontan nicht aus; gut ope¬ 
rierte Fälle geben eine gute Prognose. Jede Nierentuberkulose kann 
daraus erkannt werden, dass Blut und Eiter sich nach einiger Zeit im 
Harn zeigen. Zeigt der Harn beiderseits Pus, ist der Harn beider¬ 
seits virulent für Meerschweinchen, so ist beiderseitige Erkrankung sicher. 
Ebenso bei einseitiger Tuberkulose. Wenigstens hatte man dies bisher 
immer so angesehen. Auffällig war nun, dass oft nach Exstirpation der 
einen Niere Tuberkulose der anderen auftritt. Darum impft Vortr. stets 
mit dem Harn beider Seiten, wenn auch der der anderen klar und 
frei von Albumen erscheint. So ist in zwei Fällen, in denen kein Sedi¬ 
ment vorhanden war, auoh der Harn der scheinbar gesunden Seite viru¬ 
lent gewesen. Andere, z. B. Israel, schlossen sich seinen Ausführungen 
an. Es fragte sich nun, ob Tuberkelbacillenbefund gleichbedeutend mit 
tuberkulöser Erkrankung der einen Seite ist, oder ob nicht möglicher¬ 
weise die im Blut kreisenden Bacillen durch die Niere ausgeschieden 
werden. Es ergab sich: Gesunde Nieren scheiden keine Tuberkel- 
baoillen aus, kranke lassen sie passier-en. Da ein stringenter Beweis 
dafür aber bisher nicht erbracht war, hat sich auf Veranlassung des 
Vortr. sein Assistent Dr. Philippsthal mit der Frage beschäftigt und 
gefunden: 1. Ganz gesunde Nieren scheiden keine Tuberkelbaoillen aus, 
2. wohl aber nephritische; Harn virulent für Meerschweinchen (Tier¬ 
experiment). Kielleuthner-München hatte schon zuvor gefunden, dass 
bei Tuberkulose der Lungen gesunde Nieren keine Tuberkelbacillen aus- 
scheiden, bei 18 Fällen mit Albumen war der Harn dreimal virulent, 
obwohl die Nieren selbst später keine Spur von Tuberkulose zeigten. 
Daraus schloss er: Nur wenn Blut und Eiter im Urin auftreten, ist die 
Diagnose Tuberkulose zu stellen. Alle drei Nephritiden zeigten Al¬ 
bumen und Cylinder. Ein Fall von Casper ist klinisch interessant: 
Vor 8 Jahren wurde wegen Tuberkulose die linke Niere exstirpiert. 
Vor 2 Jahren trat eine schwere tuberkulöse Cystitis auf. Deswegen 
schaltete er die Blase aus, nähte den rechten Ureter in die Bauchdecken 
ein. Vor 6 Monaten ergab sich, dass der Harn des rechten Ureters frei 
von Albumen und Cylindern war und avirulent. Vor kurzem ergab sich 
der gleiehe ■ Befund. Vor 2 Jahren handelte ws sich also um eine 
toxische Nephritis, nicht etwa um eine später ausgeheilte Tuberkulose. 


Es gilt der Grundsatz: Jede operierbare Nierentnberkulose muss 
operiert werden, wenn die andere Niere nicht tuberkulös, aber auoh, 
wenn sie leicht nephritisch ist. 

Findet sich Pus, so ist Tuberkulose wahrscheinlich. Da auch bei 
Nephritis Pus, su ergeben sich zwei Fälle: 1. Wenn rote und weisse 
Blutkörperchen nicht dauernd sich finden, so liegt keine Tuberkulose 
vor. 2. Bei Nephritis sind die weissen und roten Blutkörperchen nicht 
konstant; der Albumengehalt ist grösser, als den körperlichen Elementen 
entspricht. Bei Tuberkulose sind weisse und rote Blutkörperchen in 
grösserer Menge, dauernd; keine Cylinder. Resümee: Wenn sich Tuberkel¬ 
bacillen finden, soll man nur dann operieren, wenn der Harn wirklich 
von einem Tuberkuloseprozess stammt. 

Diskussion. 

Hr. Portner berichtet über vier Fälle, die zum Unterschied von 
den Casper’schen nicht die geringsten Anzeichen von Tuberkulose auf¬ 
wiesen, in einem Falle auch keine Zeichen von Nephritis, aber konstante 
Schmerzen der rechten Niere. Heilung durch Nephrektomie. Es handelte 
sich tatsächlich um eine beginnende Tuberkulose, nicht um eine Aus¬ 
scheidungstuberkulose. 

Hr. Israel: Eine Entscheidung ist zurzeit bei der ganzen Frage 
nicht zu treffen, da sie noch in der Schwebe ist. Von einer Ausheilung 
kann erst nach mehijäbrigem Gesundsein die Rede sein. Bei der Dia¬ 
gnose ist eine Fehlerquelle zu beachten: die Infektion des Ureteren- 
katheters durch die infizierte Blase; keimfrei kann diese durch Spülungen 
nicht gemacht werden. Es können demnaoh Tuberkelbaoillen in den 
Ureter verschleppt werden durch den Katheter. Beweisend war ihm 
folgender Fall: Bei einer Patientin war von anderer Seite doppelseitige 
Erkrankung angenommen, eine Operation daher abgelehnt. Vortr. hat 
nun unter besonderen Kautelen Urin durch Ureterenkatheter entnommen, 
ihn in Zeiten von 3 zu 3 Minuten in 12 verschiedenen Gläsern auf¬ 
gefangen. Die mit dem Harn der ersten Gläser geimpften Tiere starben, 
die letzten nicht. 

Hr. Casper: Schlusswort. 

Hr. Müller: Penetriereade Kniewnnden des Friedens. 

Vortr. berichtet über 33 Fälle aus dem Urbankrankenbause 1890 
bis 1912. Er unterscheidet, scharfe und stumpfe Gewalteinwirkungen, 
Verletzungen durch Hieb und Stich, Quetschungen des Gelenks. Letztere 
geben eine ungünstigere Prognose. 

Scharfe Verletzungen: 16,9 Männer, 7 Kinder; stumpfe: 17,6 Männer, 
11 Kinder. Es fehlen gänzlich die Frauen, was durch die Verschieden¬ 
heit der Berufe und durch den Schutz der Kleider bei Frauen zu er¬ 
klären ist. 

Scharfe Verletzungen sind sehr häufig bei Zimmerleuten, Holzhauern. 
Die Diagnose, ob penetrierend oder nicht, ist oft schwer zu stellen. 
Austritt von Synovia fand sich bei kleineren Wunden nur zweimal. 
Hämarthros wurde nie beobachtet, nur Synovitis serosa. Eingedrungene 
Nadel erzeugt Synovitis; sie wird erst lästig beim Wandern. Den Sitz 
zeigt das Röntgenbild. Früher bediente man sioh der Magnetnadel. 

Der klinische Verlauf hängt von der bakteriellen Infektion ab. 
Die sekundäre ist häufiger als die primäre. Die Behandlung ist kon¬ 
servativ. Bei Erguss Punktion. Bei Infektion Ausspülung mit Lysol, 
früher Sublimat. Eröffnung durch Längsschnitt, Ausspülung, Tampo¬ 
nade (lange Schnitte!). Breite Eröffnung. Resektion der Gelenkenden. 
Die Dauer der Behandlung bei scharfer Verletzung war durchschnitt¬ 
lich 88 Tage. Fünf heilten mit voller Beweglichkeit, acht mit be¬ 
schränkter, drei mit Ankylose. Bei Messerverletzung zeigten 55 pCt, bei 
Nadelstichen 66 pCt. keine Eiterung. Durch Injizieren von Methylenblau, 
Einblasen von Luft ist nachzuweisen, ob eine Wunde penetrierend ist. 
Der Austritt von Luft erfolgt bei gerader Lage, nicht bei gebeugtem Knie. 

Bei stumpfer Gewalteinwirkung ist die Verschmutzung der Wunde 
von Bedeutung. Der Schmutz dringt oft tief in die Weichteile, oft ins 
Gelenk selbst. Alle fieberten in den nächsten Tagen. Bei fünf kam es 
zu keiner schweren Eiterung. Die Innenseite ist doppelt so häufig be¬ 
troffen als die Aussenseite, wohl weil der Condylus medialis stärker ist 
und mehr nach unten ragt. Dauer der Behandlung: durchschnittlich 
150 Tage. 

Behandlung: Spaltung mit Drainage, Tamponade, Gegeninzision; 
Eröffnung des Gelenkes, lockere Tamponade. Nach Abklingen der 
akuten Erscheinungen bleibt der Verband lange liegen. Hinter den 
Condylen bleibt längere Eiterung bestehen. Aufklappen des Gelenks 
mit Resektionsschnitt. Die Eiterung geht oft in die oberen Recessus, in 
die Oberschenkelmuskulatur. Als letzte Mittel bleiben dann: 

Absägen der Condylen. Resektion. Sohliesslich Amputation. 

Mit Stauung keine guten Resultate. Heilung mit voller Beweg¬ 
lichkeit in 0 Fällen, teilweiser in 5, Ankylose in 7 Fällen. Zweimal 
Tod durch Sepsis, einmal durch Meningitis. Holler. 


Gynäkologische Gesellschaft zu Berlin; 

Sizung vom 11. April 1913. 

Vorsitzender Herr Mackenrodt teilt mit, dass sich ein spezial¬ 
ärztlicher Verein zur Vertretung der Interessen der Spezialärzte gebildet 
hat, und gibt eine Liste zum Zweck der Namen ei ntragung umher. 

Vor der Tagesordnung erhält Hem Gersten her# ;das Wort, da sein 
Vortrag schon gedruckt ist, für eine Mitteilung zur Rotter’sehen Pro* 


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UMIVERSITY OF IOWA 





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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 19. 


muntoriumr «Sektion. R Otter geht bis zu 7 om Conjugata vera herab, 
was der Vortragende für zu weitgehend hält. Er hat die Methode an 
der Leiche geprüft. Die Meisseiführung geschieht von oben nach unten, 
wobei die grossen Gefässe mit zwei stumpfen Haken zu schützen sind. 
In einem Falle ist die Conjugata von 8 auf 9Va cm gebracht. Hervor¬ 
zuheben ist, dass in gewissem Sinne dabei auch der quere Durchmesser 
erweitert wird. Glaubt, dass man sich der Operation nicht ganz wird 
verschliessen können, die Resultate muss erst die Praxis lehren. Dis¬ 
kussion findet nicht statt. 

Hr. Falk*. Ueber die Therapie der Extrauteringravidität. 

Er hält eine Aussprache über einige Punkte iür wertvoll. Alle sind 
darin einig, dass die nicht geplatzte und die frisch geplatzte Extra¬ 
uteringravidität zu operieren sind. Nur Schauta und Abel wollen 

nicht im Shock operieroo. Von Interesse ist die Frage, wie soll man 
sich verhalten, wenn bei abgelaufener Extrauteringravidität ein kleiner 
Tubentumor vorhanden ist? Auf dem Naturforschertag in Münster 

wurde die Operation allemal gefordert. Was hier die Abderhalden’sche 
Reaktion leistet, ist noch unbekannt. Er hat 84 Fälle operiert, davon 81 
radikal mit 3 Todesfällen. Gerade die kurz nach der Operation Ge¬ 
storbenen müssen berücksichtigt werden. Ob die abgelaufenen mit 
Hämatocele zu operieren sind, muss aber danaoh beurteilt werden, ob 
die Hämatocele wächst. 

Er hat es in 6 Fällen beobachtet, und in allen Fällen frische 

Blutungen gefunden. Diesen stehen aber so zahlreiche andere gegen¬ 

über, die ganz spontan gut verliefen, dass bei Vorhandensein einer 
Hämatocele ein exspektatives Verfahren angebracht erscheint. Aller¬ 
dings nur unter strengster klinischer Beobachtung. Blande verlaufen 
können alle Fälle, bei denen schon Hämatocele vorhanden ist, sind aber 
solide Tumoren da, welche eine gewisse Beweglichkeit besitzen und gegen 
Apfelgrösse steigen, so muss unter allen Umständen operiert werden. 
Irrtümer in bezug auf das Alter sind namentlich bei interligamentärer 
Entwicklung möglich. Ganz besonders gefährlich sind die interstitiellen 
und halbinterstitiellen, wo schon zu Anfang tödliche Blutungen auf- 
treten können. Dass die Operation in frühem Stadium gefahrloser ist, 
bestreitet Vortragender bis zum gewissen Grade, sicher gilt dies aber für 
den Tubenabort. Bei Notoperationen ist die Mortalität natürlich grösser 
(5—7 pCt.). Trotzdem soll man sich an den Shock nicht kehren. In 
einem Falle trat nach interner Blutung akute, gelbe Leberatrophie auf. 
Er glaubt, dass der Grund die plötzliche Ueberschwemmung mit totem 
Blut ist. Es ist nötig, alles Blut zu entfernen und womöglich ohne 
Beckenhochlagerung zu operieren. Bei frisch geplatzten und bei Hämato- 
celen muss stets die Laparotomie gemacht werden, kleine isolierte 
Tumoren können vaginal operiert werden. Er musste zweimal nach¬ 
träglich zur abdominalen Operation übergehen, was bei ausgebluteten 
Patientinnen stets schlecht ist. 

Diskussion. 

Hr. Mühsam bespricht das Material des Krankenhauses Moabit. 
Operiert alle Fälle, sobald die Diagoosc feststeht. Die Statistik zeigt, 
dass die Mortalität geringer ist, je mehr operiert wird. Seit 1908 sind 
alle Fälle geheilt, es starben überhaupt nur 4, die im Collaps ein¬ 
geliefert waren. Der Unterschied zwischen Abort und Ruptur ist zu 
schwer zu machen, so dass man einfach nur auf Extrauteringravidität 
zu fahnden hat. Ist die Diagnose zweifelhaft, so empfiehlt sich die 
Probepunktion vom Douglas her, welche fast stets zum Resultat führt. 
Auf das exspektative Verfahren darf man sich nicht verlassen. Das 
zurückgebliebene Blut fürchtet er nicht. Ausser 4 Fällen alle abdominal 
operiert. 

Hr. Hammerschlag ist von Falk’s Ansicht zu der Mühsam’s 
gekommen. Die abgelaufene ist von der noch bestehenden Extrauterin¬ 
gravidität nicht zu unterscheiden. Operiert nur verjauchte vaginal, ent¬ 
fernt das Blut nicht. Sieg wart erinnert daran, dass nicht alle Patienten 
die Zeit haben, die Resorption abzuwarten. Von 73 Fällen war 20 mal 
freie Blutung vorhanden, wovon 19 glatt genasen, eine starb, bei der 
die Operation infolge alter Verwachsungen besonders schwierig war. 
53 abgekapselte Blutungen, wovon 44 durch Laparotomie, 9 vaginal 
operiert wurden mit einem Todesfall an Embolie. Legt Wert auf pein¬ 
liche Peritonealisierung und Entfernung des Blutes, vermeidet Becken¬ 
hochlagerung, gebraucht auch die Probepunktion. 

. Hr. Mackenrodt erklärt den Standpunkt Falk’s für den der 
reinen Vernunft, die praktische Vernunft schreibt sofortige Operation vor. 
Nicht operierte Fälle machen oft nach Jahren noch heftige Beschwerden. 
Die Operation kann sogar im Bett gemacht werden. 

Hr. Falk hält das Material des öffentlichen Krankenhauses für so 
verschieden von dem anderen, dass es nicht zum Vergleich heranzu¬ 
ziehen ist. Die Grenze ist der zweite Monat. Die Heilung dauert mit 
und ohne Operation 5 bis 6 Wochen. Probepunktion ist wünschens¬ 
wert und anzuwenden, wenn Bluterguss vorhanden. Die Entfernung des 
Blutes ist nötig. _ Siefart. 


Verein für wissenschaftliche Heilkunde zn Königsberg i. Pr. 

Sitzung vom 17. März 1913. 

1. Hr. Lissaner: 

Mammatnberkniose (Demonstration vor der Tagesordnung). 
Vortragender untersuchte 3 Fälle von Mammatuberkulose bei Frauen 
über 40 Jahre. Sie batten mehrmals geboren. Die Fälle sind makro¬ 


skopisch einem cirrhösen Carcinom völlig ähnlich, wurden auch klinisch 
dafür gehalten. Bemerkenswert ist die relative Häufigkeit der Euter¬ 
tuberkulose beim Rind; vielleicht spielen hier mechanische Schädigungen 
durch das Melken eine gewisse Rolle. 

2. Hr. Poppe: a) Priorität der Sehädelbrfiehe. 

Vortragender bespricht an Hand von Präparaten das gegenseitige 
Verhalten verschiedener Frakturlinien in bezug auf die zeitliche Auf¬ 
einanderfolge der einzelnen Traumen. 

b) Zar Kenntnis der Klees&lzvergiftoog. 

Es werden zwei tödlich verlaufene Fälle besprochen. Auffallend ist 
die ausserordentlich rasche Wirkung des Giftes; am Magen sind schwere 
schwärzliche Aetzungen zu erkennen. 

3. Hr. Fester: 

(Jeher die Ursachen der Sommersterbliehkeit der Säuglinge. 

Ohne die diätetischen Schädigungen gering zu achten, glaubt der 
Vortragende der Wärmestauung an sich eine grosse Rolle bei dem Aus¬ 
bruch der schweren Krankheitserscheinungen zuschreiben zu müssen. 
Versuche an Säuglingen, welche einer leichten Ueberhitzung ausgesetzt 
wurden, ergaben, dass unter solchen Bedingungen dem Brechdurchfall 
sehr ähnliche Erscheinungen auftreten. 

4. Hr. Beothio: Ueber die Bedeutung des Blutzuckers. 

Er ist ein Maassstab für die Kohlehydratzersetzung im Körper. 
Interessant ist die Feststellung, dass während des Gebäraktes der Blut¬ 
zuckergehalt steigt; es wird diese Erscheinung in Beziehung gebracht 
zu der Steigerung der gesamten Muskeltätigkeit. 

Frey-Königsberg. 


Gesellschaft für Natur- nnd Heilkunde zu Dresden. 

Sitzung vom 19. April 1913. 

Vorsitzender: Herr Schmaltz. 

Hr. Hernig-Zittau (a. G.): Hygienisch einwandfreie Milchentkeianng. 

H. beschreibt das von Lobeck-Leipzig angegebene Zyma ver¬ 
fahren zur Keimabtötung in der Milch, bei welchem die Milch unter 
einem Druck von 4 Atmosphären durch eine Sprühdüse in einen auf 
72—75° C erhitzten Raum zerstäubt wird, hier etwa Vs Minute ver¬ 
weilt und dann keimfrei abgefangen wird. Die so entkeimte Milch zeigt 
keine chemische oder biologische Veränderung, d. h. sie kann wie frische 
Milch verbuttert und verkäst werden. Nachprüfungen der Keimfreiheit 
durch Hofmann ^Leipzig und Schlossmann-Düsseldorf ergaben, dass 
alle Keime ausser den auch mit anderen Verfahren nicht abtötbaren 
Dauersporen abgetötet waren. Sowohl für Volks-und Säuglingsernährung, 
wie auoh für die Landwirtschaft (Verbitterung keimfreier, von der 
Molkerei den Landwirten zurückgelieferter Magermilch an das Jungvieh) 
und zur Tuberkulosebekämpfung lassen sich wesentliche praktische 
Vorteile erhoffen, zumal die Zyma-Milch 100 pCt. haltbarer ist als Roh¬ 
milch. H. betont die Notwendigkeit der Zentralisation des Milchhandels 
zur Beseitigung der hygienischen Misswirtschaft in den kleinen Betrieben 
und im Milcbkleinbandel. 

Diskussion. 

Hr. Rietschel stellt die Keimfreiheit der Milch bei der Säuglings- 
ernährung nicht so sehr in den Vordergrund. Im Gegensatz zu Scbloss- 
mann glaubt er — was auch eine grosse statistische Arbeit aus Amerika 
bewiesen hat —, dass gekochte Milch besser vertragen wird als rohe. 
Unsere klinisch-experimentellen Untersuchungen sind aber über ihre An¬ 
fänge noch nicht hinausgekoramen. Jedenfalls liegt das Problem der 
Säuglingsernährung in der Zufuhr artfremder Nahrung. 

Hr. Faust fordert vor allem möglichst sorgfältige Gewinnung der 
Milch ohne sekundäre Verunreinigung. Von der keimfreien Magermilch- 
verfütterung an Jungvieh zur Tuberkulosebekämpfung verspricht er sich 
keinen Erfolg, da dadurch die Stallinfektion nicht beseitigt werde. 

Hr. Thiersch hält das neue Verfahren für wahrscheinlich billiger 
als die Pasteurisierung. Es ist aber wohl nur in grossen Molkereien 
anwendbar. Auch er fordert möglichst keimfreie Lieferung an die 
Molkereien. 

Hr. Schubart fragt, ob das Steroverfahren das gleiche sei wie 
das Zymaverfahren. 

Hr. Schmaltz verspricht, sich für die Verhütung der Typhusver¬ 
breitung sehr viel von dem Zymaverfahren, besonders wenn der gesamte 
Konsum an Milch auf diese Weise billig geliefert werden kann. 

Hr. Hernig (Schlusswort): Das Steroverfahren ist ein Durchlüftungs¬ 
verfahren, bei dem durch das Zerstäuben der gekochten Milch der Koch¬ 
geschmack beseitigt werden soll. Eine Regeneration des Eiweisses da¬ 
durch ist unmöglich. Für die Reinigung der Milch bei der Gerinnung 
hat die Zyma-Gcsellschaft eine Milchreinigungscentrifuge mit Wattefilter 
konstruiert. Sollte für die Ernährung eine Bakterienart von Wichtigkeit 
sein, so kann durch das Metschnikoff’sche Glykobakterverfahren nach¬ 
träglich wieder jede Bakterienart der Milch beigemischt werden. 

Hr. Krüger: 

a) Uebersichts&ufnahmen vom nropoetisehen System. (Mit Demon¬ 
strationen.) 

An der Hand ausgezeichneter Röntgenbilder zeigt K. den Wert der 
Uebersichtsaufnahmen mit Collargolfüllung des Nierenbeckens bei Nephro- 
lithiasis und anderen Nierenerkrankungen zur Lokalisation der Steine 
bzw. der Erkrankung. Die Collargolaufnahmen sind der Casper’schen 


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UNIVERSUM OF IOWA 





12. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


901 


Methode mit Einführung eines Mandrinkatheters überlegen. Beschreibung 
der Teohnik. 

b) Ein Fall tob Spondylitis tramatiea. (Mit Demonstrationen.) 
Spongiomalacie mit Gallusbildung am 6. Halswirbel nach gerinfügigem 
Trauma. K. Ho ff mann -Dresden. 


Deutscher Kongress für innere Medizin 

*u Wiesbaden vom 15. bis 18. April 1913. 

(Referent: K. Reicher - Bad Mergentheim.) 

(Fortsetzung.) 

Sitzung vom Dienstag, den 15. April 1918. 

Vorträge. 

Hr. Grafe-Heidelberg: Ueber das Verhalten des Eiweiss- 
minimums beim experimentellen Fieber. 

Im Fieber des Menschen spielt bei der Steigerung der Eiweiss¬ 
verbrennung eine toxische Komponente in der Regel keine Rolle. Viel¬ 
mehr ist sie ungefähr die gleiche wie im Hunger. Dafür spricht die 
Erhaltung von Hochfiebernden im N-Gleichgewicht mit eiweissarmer 
Kost. G. untersuchte nun, welche Veränderungen in der N-Ausscheidung 
ein treten, wenn ein Tier, dessen Stoffwechsel durch starke Ueber- 
ernährung mit Kohlehydraten auf das Eiweissminimum eingestellt ist, 
in fiebernden Zustand versetzt wird. Bei gleichbleibender starker 
Ueberernährung mit Kohlehydraten trat in der Fieberperiode entweder 
gar keine Steigerung oder eine so geringfügige ein, wie sie der Steigerung 
der Gesamtverbrennung durch das Fieber entsprach. Höhere Werte 
werden nur erhalten, wenn die Tiere während des Fiebers weniger 
Kohlehydrate erhalten wie während der Vorperiode. Anhaltspunkte für 
einen toxischen Einfluss des Fiebers auf den Eiweissstoffwechsel lassen 
sich also nicht feststellen. 

HHr. Citron und Leschke-Berlin: Experimentelle Beiträge 
zur Frage der Beziehungen zwischen Nervensystem und In¬ 
fekt beim Fieber. 

Wurden durch Ausschaltung des Mittelhirns poikilotherm gemachte 
Tiere mit Trypanosomen infiziert, so bekamen sie keine Temperatur¬ 
steigerung, die Infektion selbst blieb dabei ganz unbeeinflusst. Wurde 
die Operation bei bereits infizierten Tieren ausgeführt, so sank die Tem¬ 
peratur der Tiere. Schaltet man also das Mittelhirn aus, so tritt keine 
Temperaturerhöhung mehr ein. Berechtigt ist die Anwendung nur der¬ 
jenigen Antipyretica, welche wie das Chinin bei Malaria und das Sal- 
varsan bei Recurrens nicht den Reiz auf das Wärmecentrum ausschalten, 
sondern auch das primum movens beseitigen. Bei den Anaphylaxie¬ 
versuchen können Antigen und Antikörper wechseln. Gemeinsam ist, 
dass stets Komplement bei dem Anaphylaxieversuch verschwindet. Die 
Komplementbindung kann auch durch Kolloide verschiedenster Art Zu¬ 
standekommen. Ein Teil der aseptischen Fieberformen lässt sich wohl 
auch so erklären, dass durch Einspritzung von Paraffin u. dgl. Kom¬ 
plementverarmung und infolgedessen ein Gift entsteht. 

Frl. Rahel Hirsch: Anaphylatoxinfieber und Gesamt¬ 
energie- und Stoffumsatz. 

Das durch Trypanosomen erzeugte Infektionsfieber führt beim Hunde 
wie beim Kaninchen zu gesteigerter Wärmeproduktion, in geringerem 
Grade Wärmestiohhyperthermie. Beim Anaphylatoxinfieber dagegen 
findet man selbst bei 41° eine Einschränkung des Gesamtumsatzes. 
Daraus geht hervor, dass das Anaphylatoxin nur ein Stadium im Fieber 
darstellt, und dass die Stoffwechselvorgänge unabhängig von der Fieber¬ 
temperatur verlaufen können. Mit Chinin kann man den auf der Höhe 
des Fiebers bedeutend gesteigerten Gesamtstoff- und Energieumsatz 
wieder auf normale Werte herabdrücken und stark negative Bilanzen in 
positive umwandeln. Sowohl bei der Erhöhung als bei der Ein¬ 
schränkung des Stoffumsatzes im Fieber ist der Eiweiss- und der Fett¬ 
umsatz beteiligt. Im Fieber kommt es zu einer beträchtlichen Steigerung 
der Harnsäureausscheidung, welche sich im Gegensätze zu den Kontroll- 
tagen des. gesunden Tieres durch Chinin nicht verringern lässt. 

Diskussion. 

HHr. Rautenberg-Berlin, Edens-München. 

Hr. F. v. Müller-München: Die Relation zwischen der Beteiligung 
von Eiweiss und Kohlehydraten am Gesamtstoffwechsel ist sehr schwierig 
zu bestimmen und als Basis für die Entscheidung der Frage, ob es einen 
toxischen Eiweisszerfall im Fieber gibt, auch nach Senator’s Ansicht 
ungeeignet Ebenso ist N-Gleichgewicht ein relatives Maass, denn es 
lässt sioh auch im hoohfiebernden Zustand durch ungeheure Ueber- 
schwemmung mit Kohlehydraten erreichen. Zweckmässiger erscheint es, 
die Leute auf N-Minimum durch Ueberschwemmung mit Kohlehydraten 
zu bringen; durch Ueberhitzung oder durch grosse Märsche (Rundgang 
um den Starnberger See) lässt sich dann der N-Stoffwechsel nicht in 
die Höhe treiben, dagegen ist das N-Minimum bei fieberhaften Kranken 
immer etwas erhöht, selbst bei Ueberschwemmung mit Kohlehydraten. 
An dem febrilen ^N-Zerfall ist doch etwas ganz Besonderes. 

Hr. Loening-Halle: Es kann sioh im Fieber nioht lediglich um 
einen Hungerzustand handeln, Intoxikationen spielen sioher dabei auch 
eine Rolle. 


Hr. F. Kraus-Berlin: Zwischen beiden Referaten besteht ein ge¬ 
wisser Gegensatz. Herr Meyer spricht von einem thermoregulatorisohen, 
Herr Krehl von einem thermogenetischen Centrum. Während nach 
Krehl’s Ansicht Temperatur und Stoffwechselsteigerung im Fieber nicht 
getrennt marschieren, bezeichnet K. beide als zwei Tasten einer Klavia¬ 
tur, welche nicht immer gleich stark angeschlagen werden. Das zeigen 
die Untersuchungen im Anaphylaxie- und im Trypanosomenfieber, im 
fievre intermittante hepatique und beim Tuberkulösen. K. ist trotz der 
Arbeiten von Grafe überzeugt, dass beim Eiweissstoffwechsel im Fieber 
etwas Besonderes vorliegt. 

Hr. v. Jaksch-Prag ist gegen die Anwendung von Antipyreticis 
und Alkohol bei Typhus, von der früher übertriebenen Bäderbehandlung 
des Typhus möchte J. die Lakenbäder beibehalten. 

Hr. Schnöe-Schwalbach, Morawitz-Freiburg: Erzeugt man bei 
Kaninchen oder Meerschweinchen aseptische Thrombosen, so entstehen 
infolge Koagulation und Zerfall von zahlreichen Blutplättchen Fieber¬ 
steigerungen. 

Hr. Marohand-Heidelberg konnte gemeinsam mit Freund keinen 
Parallelismus zwischen Höhe des Blutdrucks und der Temperatur bei 
menschlichem infektiösen Fieber finden. Ebenso tritt bei aseptischem 
Fieber gewöhnlich keine Hyperglykämie beim Kaninchen ein. 

K. Reich er-Bad Mergentheim: Angesichts von subnormalen Tem¬ 
peraturen bei Hypofunktion der Thyreoidea und Neigung zu Fieber bei 
Basedow ist es von Interesse, dass R. bei mehreren Basedowkranken mit. 
reichlicher Fettnahrung Temperaturen bis zu 89° hervorrufen konnte, 
dagegen nicht mit isodynamen Eiweiss- oder Kohlehydratmengen. 

Hr. Lennhoff-Berlin hat mit Levy-Dorn an gesunden Ring¬ 
kämpfern ein Bewegungsfieber bis zu 39° konstatieren können. 

Hr. Moritz-Cöln befürwortet eine vorsichtige Pyramidonbehandlung 
bei Typhus. 

Hr. Krehl (Schlusswort): Gefässnerven- und Wärmeregulations- 
centrum liegen nach Müller und Leschke beide in der Regio sub- 
thalamica, das ist sehr plausibel. K. ist im Gegensatz zu Müller und 
Kraus von einem toxogenen Eiweisszerfall im Fieber nicht überzeugt. 
Für die Möglichkeit von fieberhaften Temperatursteigerungen ohne Er¬ 
höhung des Gesamtstoffwechsels wäre die Arbeit von Frl. Hirsch der 
erste Beweis. Doch ist dagegen der Ein wand zu erheben, dass das 
Anaphylaxiefieber an der Grenze zwischen Fieber und Kollaps steht. 
Es müssten stündliche Temperaturmessungen vorhanden sein, um die 
Ergebnisse ohne weiteres verwerten zu können. Neuerdings wird die 
Bedeutung niedriger Temperatursteigerungen (87,3—87,5) vielfach über¬ 
trieben. 

Hr. G. Jochmann: Salvarsan bei Scharlach. 

J. hat 109 Fälle mit Alt- und 8 mit Neosalvarsan behandelt. Auf¬ 
fallend günstig wurde die Scharlachangina, speziell die Angina neoroti- 
cans beeinflusst, deren Nekrosen sich unerwartet schnell zu reinigen be¬ 
gannen und vielleicht so das seltene Auftreten von Otitis zur Folge 
hatten. Nachkrankheiten wie Drüsenschwellungen und Nephritis wurden 
dagegen durch Salvarsan nicht verhütet. Leichtere Fälle von Soharlach 
bedürfen nicht der SalvarsanbehandluDg, wohl aber die sohwer toxischen. 
Das Neosalvarsan ist zur Scharlachbehandlung nicht geeignet. 

Diskussion: Hr. Schreiber-Magdeburg hat auch mit kleinen 
Dosen Salvarsan schöne Erfolge gesehen, selbst bei lokaler Anwendung. 

Hr. Benario-Frankfurt: Der anorganische Wasserfehler ist bei 
Neosalvarsan besonders zu beachten. Yolhardt’s Methode (kleine 
Dosis früh, grosse am Spätnachmittag) sollte bei Scharlach versucht 
werden. 

Hr. Menzer-Bochum hat Bedenken gegen die Anwendung von Sal¬ 
varsan bei Scharlach. 

Hr. H. Lüdke-Würzburg: Zur Deutung der kritischen Ent¬ 
fieberung. 

L. weist durch Tierversuche nach, dass zur Zeit der Krise bei der 
Pneumonie ein rapides, sprungweises Anwachsen der Sohutzstoffe im 
Körper, eine 10—100 fache Konzentrationssteigerung für das Phänomen 
der kritischen Entfieberung verantwortlich zu machen ist. 

Sitzung vom Mittwoch, den 16. April 1913. 

Hr. Goldmann-Freiburg: Der Yerd auungsvorgang im Lichte 
der vitalen Färbung. 

- Goldmann hat mit Hilfe seiner Methode der vitalen Färbung bei 
den verschiedensten Tieren und unter den mannigfachsten Yariationen 
der Ernährung den Yerdauungsprozess verfolgt. Schon makroskopisch 
lassen sich die tätigen Abschnitte des Magendarm kan als von den un¬ 
tätigen an ihrer dunkleren Färbung erkennen. Die Färbung beruht auf 
einer Anhäufung vital blau gefärbter Zellen, welche in ständiger Wan¬ 
derung innerhalb der Darmwand begriffen sind. Als Ursprungsstätte 
dieser Zellen hat Goldmann das Netz, die Lymphdrüsen und die Milz 
gefunden. In den Lymphdrüsen und der Milz, die periodischen Funk¬ 
tionswechsel erfahren, erhalten diese Zellen aus zerfallenen Blutzellen 
wichtiges Bildungsmaterial, das bei der weiteren Verarbeitung der vom 
Magendarmkanal aufgenommenen Nahrungsstoffe eine wichtige Rolle 
spielt. Neben diesen vital gefärbten Zellen hat G. andere gefunden, 
von denen er sicher hat zeigen können, dass die Oxydaseferment ent¬ 
haltenden im Verein mit den vorhin erwähnten an der Verarbeitung der 
Nährstoffe teilnehmen. G. bringt die bei der Ernährung auftretende 
zelluläre Reaktion innerhalb der Darmwand in Beziehung zu Vorgängen 
im Organismus, bei denen es sich darum handelt, dass der Körper sich 
gegen den Eintritt körperfremder Substanzen wehrt oder sich bemüht, 


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902 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 1Ö. 


dieselben in körpereigene umzuwandeln. An zahlreichen Präparaten 
mikro- und makroskopischer Natur erläutert er seine Ansichten. 

Diskussion: Hr. Friedrich*Königsberg: Mit der vitalen Färbung 
und zwar mittels Trypanblau konnte Beut die Wanderung des Farb¬ 
stoffes von einer Pleurahöhle über Mediastinum anticum und posticum 
▼erfolgen; dabei bäumt sich das Pleuraendothel förmlich auf und 
wandelt sich aus einem flachen in ein kubisches und schliesslich in ein 
cylindrisches um. 

Hr. K. Reicher-Bad Mergentheim: Ueber Fett- und Lipoid- 
stoffweohsel bei Diabetes mellitus. 

Nach Verabreichung von reinen Triglyceriden entsteht im Blut vor¬ 
übergehend eine Vermehrung nicht nur des Fettes, sondern auch von 
Lecithin und Cholesterinestern. Dabei sinkt der respiratorische Quotient 
zunächst langsam, dann stärker und erreicht seinen Tiefpunkt zur Zeit, 
wo die Fette und Lipoide im Blut rapide zu sinken beginnen. Dies 
scheint dafür zu sprechen, dass die Fette im wesentlichen nicht als 
solche, sondern einerseits gebunden an Glycerophosphorsäure-Cbolin als 
Lecithin, andererseits an Cholesterin als Cholesterinester verbrannt 
werden. Eine ähnliche Vermehrung der obengenannten Lipoide kann 
man zeitweise bei anämisierten und bei phosphorvergifteten Tieren sowie 
bei schweren Diabetikern beobachten, desgleichen in Hungerzuständen. 
Dies weist darauf hin, dass auch die Mobilisierung des Fettes aus den 
Depots heraus in Form des Lecithins und der Cholesterinester statt¬ 
findet und ihre Bildung die Vorbedingung für die Fettverbrennung bildet, 
ähnlich wie die Umwandlung des Glykogens in Traubenzucker der Kohle¬ 
hydratverbrennung vorausgehen muss. 

Beim Diabetiker kann man ebenso wie beim Alkoholiker beobachten, 
dass die Kurve der Lipoidvermehrung im Blut nach Fettnahrung einen 
langsameren Ablauf und einen höheren Anstieg zeigt (normaler Diabetes), 
und diese Abweichung von der Norm ist um so grösser, je stärker die 
Acidosis ausgeprägt ist. Durch Konkurrenz mit der vorher erwähnten 
Fettmobilisierung in Form von Lipoiden wird die Kurve in Fällen mit 
starker Acidosis dahin umgeformt, dass ein Absinken bis zur Abscisse 
überhaupt nicht mehr stattfindet, sondern nur Gipfel mit geringen 
Wellentälern nachzuweisen sind. 

Hr. Lüthje-Kiel: Bemerkungen zur Therapie des Diabetes 
mellitus. 

L. verabreicht 75—80 g Zucker in 4—5 proz. Lösungen als Tropfen- 
klystiere, welche ohne Darmreizerscheinungen vertragen werden. Die 
stattgehabte tatsächliche Resorption des Traubenzuckers beweisen An¬ 
stiege des Blutzuckerspiegels auf 0,187 von 0,085 pCt. usw. Dieser 
Zucker wird auch verbrannt, denn der Urinzucker steigt kaum an. Nach 
intraportalen Zuckerinjektionen steigt der Urinzucker stärker an als nach 
Injektion in die Vena femoralis. 

Hr. Hermanns - Freiburg: Ueber den Abbau der Acetessig- 
säure im Organismus. 

H. weist für Acetessigsäure und ihre Homologen nach, dass im 
Organismus sowohl die SäurespaltuDg unter Aufnahme eines Moleküls 
Wasser als auch die Ketonspaltung stattfindet. 

Hr. E. Frank - Breslau: Der renale Diabetes des Menschen 
und der Tiere. 

Es ist eine nooh immer umstrittene Frage, ob es in der mensch¬ 
lichen Pathologie einen Nierendiabetes gibt, d. h. ein Zuckerharnen trotz 
völliger Unversehrtheit der am Kohlenhydratstoffwechsel beteiligten Or¬ 
gane. Auf Grund der mit allen Kautelen durcbgeführten Untersuchungen 
des Vortr. lässt sich zunächst sagen, dass die Gifte Uran, Chrom, Queck¬ 
silber beim Versuchstier in kleinen Dosen konstant eine auf die Nieren 
zu beziehende Zuckerausscheidung hervorrufen, die längere Zeit anhält 
und durch Wiederholung der Dosis in gewissen Zeitabständen zu einer 
dauernden gemacht werden kann. Der Blutzucker bleibt dabei beim 
Hunde normal oder subnormal (0,108; 0,088; 0,078; 0,0G8). Für einige 
menschliche Fälle von Zuckerkrankheit (darunter drei von F. unter¬ 
suchte) muss ebenfalls eine wahrscheinlich durch endogene Giftstoffe 
krankhaft veränderte Tätigkeit der Niere verantwortlich gemacht werden. 
Eine typische Form des menschlichen Nierendiabetes ist die bei manchen 
Frauen in der Schwangerschaft auftretende Glykosurie, die durch starke 
Belastung mit Amylaceen oder Traubenzucker bei fast allen Schwan¬ 
geren hervorgerufen werden kann. 

Diskussion zu Reicher - Frank. 

Hr. Embden - Frankfurt a. M.: Was Reicher für den Fettsäure¬ 
abbau nachwies, nämlich die Verknüpfung desselben mit Lecithinbildung, 
stimmt nach noch nicht veröffentlichten Versuchen von E. auch für den 
Kohlehydratabbau. Im Muskelpresssaft bildet sich nach kurzem Stehen 
Milchsäure, obwohl der Muskel vorher weder Zucker noch Glykogen ent¬ 
hielt, und eine äquimolekulare Menge Phosphorsäure. Die Muttersubstanz 
der entstandenen Milchsäure muss daher Milch- und Phosphorsäure in 
äquimolekularen Mengen enthalten. Andererseits synthetisiert Trocken¬ 
hefe Zucker und Phosphorsäure zu Hexophosphorsäure. Setzt man dieser 
Hefe zu, so zerfällt sie wieder in fast äquimolekulare Mengen Milch- 
und Phosphorsäure. Die Untersuchungen von Hermanns sieht E. als 
eine Bestätigung seiner Ansichten vom Säureabbau durch Säure¬ 
spaltung an. 

Hr. Lang-St. Petersburg hat auch bei dauernder Anwendung der 
Zuckerklystiere ein Heruntergehen des Urinzuckers gesehen. 

Hr. Fischler-Heidelberg: Nach Herstellung einer Anastomose 
zwischen Pfortader und Vena cava verträgt der Hund annähernd gleiche 


Mengen Dextrose und Lävulose wie vorher, dagegen erscheinen dann von 
Laktose und Galaktose fast 80 pCt. im Urin. 

Hr. Jaksch - Prag hat zuerst die Acetessigsäure aus dem Harn als 
Kupfersalz dargestellt. 

Hr. Plönies - Hannover hat ebenfalls mit Zuckerklystieren gute 
Erfahrungen gemacht. 

Hr. Porges-Wien findet in den Frank’schen Befunden seine 
Untersuchungen über Schwangerschaftsglykosurie bestätigt. Von diesen 
harmlosen Fällen sind aber diejenigen von eohtem Schwangerschafts¬ 
diabetes zu trennen, welche sohechte Prognose geben und zu Acetonurie 
und Fruktosurie führen. 

Hr. G. K lern per er - Berlin: Die Lipoidämie des Diabetikers ist 
ganz unabhängig von der Fettnahrung, ist also, wie K. im Gegensatz zu 
Reicher annimmt, grundsätzlich von der Verdauungslipämie verschieden. 
Bei stark milchigem Serum ist die Prognose des Diabetikers immer eine 
infauste, Lipoid charakterisiert ein Coma differential diagnostisch stets als 
ein diabetisches. 

K. betont gegenüber Frank, dass er schon vor 18 Jahren die 
Grundzüge des renalen Diabetes dargelegt, zu dem er auch die Fälle 
von älteren Leuten mit Arteriosklerose rechnet, welche mit echtem Dia¬ 
betes nicht zu verwechseln und am besten unbehandelt zu lassen sind. 

Hr. Magnus-Aisleben - Würzburg: Bei Injektion von Zucker in 
die Vena portae kommt es zu einer Ueberschweramung der Leber mit 
Zucker und dadurch vielleicht zu einer schlechteren Ausnützung des¬ 
selben als bei Injektion in die Vena femoralis. 

Hr. Bacmeister - Freiburg konnte nur bei Diabetes eine ausser¬ 
ordentliche Vermehrung des Cholesterins im Blute ante mortem nach- 
weisen, bei allen anderen Krankheiten sinkt dessen Menge. 

Hr. Minkowski - Breslau weist auf Lipoidämie nach Pankreasexstir¬ 
pation hin, bei welcher auch intravenös injizierte Zuckermengen voll¬ 
ständig im Harn wieder ausgeschieden werden. 

Hr. Bönniger - Pankow: Der sechs Jahre beobachtete Fall 
von Nierendiabetes scheidet andauernd Spuren von Zucker aus, Zucker¬ 
zufuhr ist darauf voa keinem Einfluss. Erbliche Momente spielen bei 
renalem Diabetes sicher auch eine Rolle, denn der Sohn des Patienten 
leidet auch daran. 

Hr. Loschke - Berlin bat durch Leberexstirpation bei Fröschen einen 
Phloridzindiabetes nicht beeinflussen können. 

Hr. Lichtwitz - Göttingen spricht über Differenzen zwischen Harn- 
und Blutzucker. 

Hr. Reicher-Mergentheim (Schlusswort) hält daran fest, dass ein 
prinzipieller Unterschied zwischen der Lipoidämie bei Diabetes und der 
physiologischen nicht besteht. Für Coma diabeticum sind nebst hohem 
Lipoidgehalt des Blutes hohe Blutzuckermengen bei Herabgehen des 
Urinzuckers charakteristisch. 

Hr. Lüthje-Kiel (Schlusswort) ist in der Verwertung der Kriterien 
für einen renalen Diabetes viel vorsichtiger geworden, so hält L. die 
Unabhängigkeit der Glykosurie von der Grösse der Kohlehydratzufuhr 
nicht mehr für ein maassgebendes Charakteristikum. Auch bei Verwertung 
der Blutzuckerbestimmungen sollte man vorsichtiger sein. 

Hr. Herrmanns - Freiburg: Normalerweise vermag die Leber Acet¬ 
essigsäure nach dem Typus der Säurespaltung zu zerstören, im Coma 
diabeticum aber nur nach dem der Ketonspaltung. 

Hr. Frank - Breslau: Der von Klemperer seinerzeit beschriebene 
Fall ist angesichts seines hohen Blutzuckergehaltes kein echter renaler 
Diabetes. Nach den Versuchen v. Kontschek’s werden die im Nieren¬ 
protoplasma normalerweise aufgespeicherten Zuckermengen durch den 
Uranreiz herausgeworfen. 

(Fortsetzung folgt.) 


Wiener Brief. 

Eine grosse schulärztliche Enquete gab den Wiener Aerxten 
überreichen Stoff zur Debatte. Die Aerztekammer war aus äusseren 
Gründen gezwungen, in aller Eile eine derartige Enquete zu veran¬ 
stalten, um eigentümlichen Erscheinungen in der Schularztfrage zuvor¬ 
zukommen. Die pädiatrische Universitätsklinik hatte nämlich, ohne sich 
mit den Aerzten Wiens in Verbindung zu setzen, an alle staatlichen 
Mittelschulen die Anfrage gerichtet, ob die Uebernahme des schulärzt¬ 
lichen Dienstes von seiten der Klinik gegen ein bescheidenes Entgelt 
genehm wäre. Gegen dieses Vorgehen der Universitätsklinik, welches 
übrigens bei einigen Schulleitern Beifall gefunden hat, lehnte sich sowohl 
die gesamte Aerzteschaft als auch die Majorität der Eltern, deren Kinder 
Mittelschulen besuchen, auf. Es wäre auch ein Novum und mit den 
Zwecken und Zielen der Kliniken nicht zu vereinbaren gewesen, wenn eine 
derselben den schulärztlichen Dienst, etwa für die Hälfte oder ein Drittel 
der Wiener Sohulkinder, an sich gerissen hätte. 

Die Aerztekammer beeilte sich, die Angelegenheit in die normalen 
Bahnen zu leiten und stellte an Fachmänner eine Reihe von Fragen, 
deren Inhalt und Erledigung in den folgenden Zeilen kurz skizziert 
werden sollen. Die meisten Fachmänner sprachen sich dahin aus, dass 
in Grossstädten ein oder mehrere Aerzte die schulärztliche Tätigkeit im 
Hauptamt ausüben sollen und dass eine entsprechend grosse Zahl von 
praktischen Aerzte diese Tätigkeit im Nebendienste zu versehen hätten 
Die Maximalzahl der einem Schulärzte im Hauptamte zuzuweisenden 


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12. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


908 


Schüler sollte etwa 15 000, im Nebenamte 2000 bis 3000 betragen. Sehr 
heikel gestaltete sich die Diskussion über die Frage der Honorrierung der 
Schulärzte. Im allgemeinen siegte die Anschauung, dass die Humanität 
der Aerzte nicht missbraucht werden dürfe, dass die Aerzte auf ein 
Honorar nicht verzichten können, ein entwürdigendes Honorar nicht 
annehmen dürfen. 

Als Jahresgehalt eines Arztes im Hauptamte und in einer Gross¬ 
stadt wurden etwa 12 000 K. festgesetzt, für den Arzt im Nebenamte 
ein Minimalhonorar pro Kopf (der zu untersuchenden Schüler und Jahr) 
von 1 K. angenommen. Der Schularzt soll sich den schulerhaltenden 
Behörden zur Verfügung stellen, in dringenden f'ällen jedoch selbständig 
handeln. Die schulärztliche Aufsicht soll Volks- und Bürgerschulen, 
Mittel- und Hochschulen umfassen. Bei der Besprechung des Pflichten¬ 
kreises des Schularztes wurde mit Recht betont, dass der Schularzt nicht 
bloss als Schülerarzt zu gelten habe, sondern auch auf die Hygiene 
des Schulhauses und den ganzen Unterrichtsbetrieb sein Augenmerk 
richten müsse. Unser Hygieniker HerrSohattenfroh streifte auch das 
Gebiet der sexuellen Aufklärung; die geschlechtliche Aufklärung der 
Kinder solle nicht forciert werden, und wenn man sich dafür entschliesse, 
solle man diese Aufklärung nicht dem Lehrer der Zoologie, soodern dem 
Schulärzte übertragen. Prinzipiell wurde betont, dass der Schularzt die 
Behandlung der Sohulkinder nicht übernehmen dürfe. In einer Debatte 
wies ein Wiener Kollege auf die Gefahren hin, welche den praktischen 
Aerzten aus dem Forcieren der schulärztlichen Einrichtungen erwachsen 
könnten. Erwünschte, dass entweder nur Amtsärzte den schulärztlichen 
Unterricht übernehmen sollen oder dass eine allgemeine ärztliche Organi¬ 
sation die Aufgabe übernehmen und unter den hierzu sich meldenden 
Aerzten verteilen solle. Eine sehr lebhafte Debatte verursachte die 
Frage: Ausbildung des Schularztes, in welchen Fächern er etwa spezia- 
listische Kenntnisse unbedingt benötige, und ob er Erfahrungen in der 
Praxis haben müsse. Die Spezialisten verlangten Schulaugenärzte, Schul¬ 
ohrenärzte, Schulzahnärzte, Schulspraohärzte usw. Der Hygieniker Herr 
Grassberger regte an, dass der Schularzt einen dreiwöchigen Kursus 
absolvieren solle, in welchem er über die wichtigsten Kapitel seines Dienstes 
zu informieren sei. Das Verhältnis zwischen dem Schulärzte und dem 
Spezialisten charakterisierte Oberstadtphysikus Böhm treffend mit 
folgenden Worten: Der Schularzt ist gewissermaassen der Hausarzt. Er 
hat die Untersuchung und die sanitäre Ueberwachung der Schüler und 
der Schule durchzuführen. Nur in dem Falle, wenn der Schularzt es 
für indiziert hält, ist ein Spezialarzt pro consilio beizuziehen. Von 
Aerztinnen wurde die Einführung weiblicher Schulärzte für Mittel¬ 
schülerinnen und die Einführung von Schulschwestern als Gehilfinnen 
der Schulärzte angeregt. 

Das reiche Material der denkwürdigen Wiener schulärztlichen 
Enquete wird von der Wiener Aerztekammer redigiert und den Behörden 
zur Verfügung gestellt werden. Hoffentlich bekommen wir bald Schul¬ 
ärzte für alle Unterrichtsanstalten — ohne schwere Schädigung der 
Praktiker. 

Die leidige Zahlstockfrage! taucht wieder auf. Nachdem es ab¬ 
gelehnt wurde, für die neuen Kliniken Zahlstöcke einzurichten, sollen in 
einem neuen städtischen Spital Räume für den zahlungsfähigen Mittel¬ 
stand geschaffen werden. Wenn dieser Plan zur Tatsache werden sollte, 
dann würden etwa 1500 Aerzte in Wien, welche von der freien Praxis 
lebten, ökonomisch auf das schwerste betroffen werden. Die Aerzte sind 
bereit, nachzugeben und die Einführung von Zahlstöcken für den Mittel¬ 
stand als einer Zwischenstufe zwisohen den allgemeinen Spitalsabtei- 
lungen und den Sanatorien zuzulassen, wünschen jedoch die freie Arzt¬ 
wahl auf diesen Zahlstöcken. Die Aerzte fordern, dass der behandelnde 
Arzt, der aus irgendeinem Grunde einen Kranken auf die Zahlabteilung 
eines Spitales schickt, von der Weiterbehandlung dieses Kranken nicht 
ausgeschaltet werden soll. 

Die Zahl der Mediziner an der Wiener Universität nimmt in 
auffälliger Weise zu. Im Jahre 1906 waren an der Wiener Universität 
1009 Mediziner inskribiert, im Jahre 1912 2057. An allen österreichi¬ 
schen medizinischen Fakultäten zählte man im Jahre 1906 1872 Medi¬ 
ziner, im Jahre 1912 5640 Mediziner. Die bedenklich wachsende Hörer¬ 
zahl fordert von der Unterrichtsverwaltung die Schaffung neuer, wenn 
auch nur provisorischer, Lehrkanzeln. Der bekannte Kriegsohirurg und 
Abteilungsvorstand an der Wiener allgemeinen Poliklinik Herr Alexander 
Fraenkel bat vor einigen Tagen vom Unterrichtsministerium den Auf¬ 
trag erhalten, schon in diesem Sommersemester klinische Vorlesungen 
über Chirurgie zu veranstalten. Es wird sich demnach an der Poliklinik, 
welche früher von den Klinikern bekämpft und negligiert wurde, eine 
dritte chirurgische Klinik langsam entwickeln. Ferner soll im allge¬ 
meinen Krankenhause neben den zwei bestehenden chirurgischen Kliniken 
eine propädeutische Klinik eingerichtet und abwechselnd von den rang- 
ältesten Assistenten geleitet werden. Wien wird demnach in Bälde drei 
chirurgische Kliniken für Vorgeschrittene und eine propädeutische 
chirurgische Klinik für Anfänger besitzen. 

In den nächsten Tagen werden die Beratungen über die Besetzung 
der ersten medizinischen, durch den Rücktritt v. Noorden’s frei¬ 
werdenden, Klinik beginnen. Das Kollegium ist, wie an dieser Stelle 
bereits angedeutet wurde, nicht geneigt, diesmal einen Reichsdeutschen 
nach Wien zu berufen. Man will vorerst unter den einheimischen Inter¬ 
nisten, deren es eine sehr grosse Zahl gibt, Umschau halten. Die rang- 
ältesten auch in Deutschland bekannten Persönlichkeiten sind die Herren: 
Pal, Kovacs und Obermayer. Selbstverständlich hängt die Be¬ 
rufung eines Klinikers nicht von dem Range ab, den er als Primarius 


im Staatsdienste bekleidet. Es werden übrigens auch Namen von reiohs- 
deutschen Aerzten genannt, trotzdem, wie gesagt, ein Vorschlag noch 
nicht erstattet werden konnte. Es wäre müssig und voreilig, diese Namen 
heute zu publizieren; wir wollen nur betonen, dass immer und immer 
wieder der Wunsoh der Wiener Professoren und Aerzte zur Geltung 
kommt, Herrn Friedrich Kraus aus Berlin und Herrn Ludolf Krehl 
aus Heidelberg wieder nach Wien zu ziehen. Wir fürchten, dass dieser 
Wunsch, der schon oft ausgesprochen wurde, abermals ein frommer 
bleiben werde. Vindobonensis. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. In derSitzung derBerliner medizinischen Gesellschaft 
vom 7. Mai 1913 demonstrierte vor der Tagesordnung 1. Herr v. Hanse¬ 
mann Präparate des Herrn Fibiger: Zur künstlichen Erzeugung von 
Krebs; an der Diskussion beteiligten sich der zufällig in Berlin an¬ 
wesende Herr Fibiger und Herr C. Lewin. 2. Herr Katzen¬ 
stein: Heilung einer fast völligen Armlähmung durch Plexuspfropfung 
von der anderen Seite her (Diskussion: Herr Toby Cohn). 3. Herr 
Gontermann: Kalkablagerungen im Unterhautfettgewebe (Diskussion: 
Herr v. Hansemann), ln der Tagesordnung hielt Herr E.:Bumm den 
angekündigten Vortrag: Ueber die Erfolge der Röntgen- und Meso¬ 
thoriumbestrahlung bei Carcinom der weiblichen Genitalien; Herr 
Haendly: Demonstration der zu diesem Vortrage gehörenden mikro¬ 
skopischen Präparate. 

— Herr Rudolf Mosse hat anlässlich seines ,70. Geburtstages 
unter anderen ärztlich-humanitären Stiftungen (z. B. ein Krankenhaus 
in seiner Vaterstadt) die Berliner medizinische Gesellschaft 
mit einer hochherzigen Gabe bedacht. In einem liebenswürdigen Briefe 
teilt er der Gesellschaft mit, dass er sich freuen würde, den von der 
Gesellschaft geplanten Bau eines Hauses fördern zu dürfen, das dem 
Andenken Rudolf Virchow gewidmet sei, und dass er zu diesem Zwecke 
der Gesellschaft die Summe von 100 000 M. zur Verfügung stelle. 

— Die I. medizinische Klinik der Charitö hat mit Beginn 
dieses Semesters ihren prächtigen Neubau bezogen; am 5. d. M. fand in 
Gegenwart von Vertretern der beteiligten Behörden die feierliche Ein¬ 
weihung statt. Nach einer Ansprache seitens des Herrn Kultusministers 
hielt Herr W. His eine Eröffnungsvorlesung, in der er die historische 
Entwicklung der Klinik mit prägnanten Charakteristiken seiner Amts¬ 
vorgänger beleuchtete und über die notwendigen Reformen im klinischen 
Unterricht sprach. Wir werden die geistvolle Rede im Wortlaut ver¬ 
öffentlichen. 

— Der Vorstand der Gesellschaft deutscher Naturforscher 
und Aerzte hat an die Vorstände der medizinischen und naturwissen¬ 
schaftlichen Vereine Deutschlands und Oesterreichs ein Rundschreiben 
erlassen, in welchem eine einheitliche Regelung der deutschen 
Kongresse vorgeschlagen wird. Es sollen in Zukunft die Spezialgesell¬ 
schaften in einem Jahre für sich, im nächsten Jahre gemeinschaftlich 
mit der Naturforscherversammlung tagen und demgemäss auch das 
Arbeitsmaterial so gesichtet werden, dass bei den Einzeltagungen wesent¬ 
lich spezielle Fragen, auf der grossen Versammlung Gebiete allgemeinen 
Interesses behandelt werden. In logischer Folge einer solchen Neu¬ 
ordnung würden dann die Naturforscherversammlungen einen 
zweijährigen Turnus annehmen. Der hiermit ausgesprochene Ge¬ 
danke ist nicht neu. Seit vielen Jahren sind wir an dieser Stelle 
dafür eingetreten, dass endlich ein derartiges Zusammenarbeiten der 
Naturforschergesellschaft mit den Spezialkongressen angebahnt werde — 
das einzige Mittel, um ihre Tätigkeit in erfolgreichere Bahnen zu lenken 
und namentlich die Berechtigung der Naturforscherversammlungen über¬ 
haupt wiederherzustellen (vgl. hierzu z. B. meine Berichte über die 
Lübecker Versammlung, diese Wochenschr., 1895, Nr. 38; über die 
Braunschweiger Versammlung, 1897, Nr. 40; die Stuttgarter Versammlung, 
1906, sowie meinen Artikel Kougressfragen, 1905, Nr. 36). Ebenso hat 
Waldeyer, unstreitig die grösste Autorität in diesen Dingen, später 
G. Klemperer diesen Modus, insbesondere die Beschränkung der Natur¬ 
forschertagungen auf zweijährige Intervalle als unumgänglich, schon 
längst erkannt und gefordert. Und namentlich seit für die internationalen 
Kongresse der vierjährige Turnus proklamiert worden und ein permanentes 
Komitee eingesetzt worden ist, lag es sehr nahe, nunmehr endlich 
eine generelle Regelung auch für die nationalen Veranstaltungen 
herbeizuführen. Bisher sind alle diese Anregungen ungehört verhallt 
— um so erfreulicher ist es, dass sie diesmal von autoritativster 
Seite ausgehen. Es wird nicht leicht sein, die Widerstände der 
Ueberlieferung zu brechen — aber, wer in dem Kongresswesen einen 
gewaltigen Faktor für unser wissenschaftliches Leben erblickt, wer in 
dem bisherigen regellosen Durch- und Nebeneinander eine ungeheure 
Verschwendung von Energie erkannt hat, wird sich den Vernunftgründen, 
die für die geplante Neuerung sprechen, nicht verscbliessqn können. 
Kann man sich in Wien zu einer Beschlussfassung im Sinne dieses Vor¬ 
schlages durchringen, so wird die diesjährige Versammlung bedeutungs¬ 
voll für die ganze künftige Entwicklung werden! P. 

— XVII. Internationaler medizinischer Kongress, London, 
6. bis 12. August 1913. Wir machen nochmals darauf aufmerksam, 
dass die deutschen Kollegen ihre Beiträge durch Vermittelung des 
Schatzmeisters des Deutschen Reichskomitees, Herrn Kommerzienrat 
E. Stangen, Berlin W., Friedriohstr. 72, einzahlen können; derselbo 


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904 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 19. 


übersendet auf Verlangen die notwendigen Formulare und sonstigen 
Drucksachen. Es empfiehlt sich, die Anmeldungen zur Mitgliedschaft 
möglichst bald zu bewirken, damit die vor dem Kongress erscheinenden 
Auszüge aus den Referaten der betreffenden Sektion rechtzeitig zugeschickt 
werden können. — Der Vorsitzende der Sektion für Ophthalmologie, 
Sir Henry Swanzy, ist verstorben; an seine Stelle ist Sir Anderson 
Critchett getreten. 

— In der unter Vorsitz von Dr. Max Koch abgehaltenen Sitzung 
der Vereinigung zur Pflege der vergleichenden Pathologie 
vom 28. April 1918 sprach Herr Edmund Falk unter Demonstration 
vieler instruktiver Präparate über Schizosoma reflexum und zeigte 
die Bedeutung dieser Deim Kalb beobachteten Missbildung für die Er¬ 
klärung der Genese der Bauchspalten. Herr Kantorovicz legte eine 
grössere Zahl von Präparaten, die in der tierärztlichen Praxis gewonnen 
waren, vor und besprach ihre Bedeutung für die vergleichende Patho¬ 
logie. Herr Max Koch demonstrierte einen Pferdemagen mit zahl¬ 
reichen Oestridenlarven und anatomische Präparate der durch die 
Fliegenlarven erzeugten Epithelwucherungen. Herr Max Koch 
sprach ferner unter Vorzeigung vieler makroskopischer und mikrosko¬ 
pischer Präparate über die Spiropteren als Parasiten und Ge- 
schwulsterreger, ein Thema, das durch die Untersuchungen 
Fibiger’s zurzeit theoretische und praktische Bedeutung erlangt habe. 
(Diskussion: HHr. Dieterich, Saul, Koch.) 

— Am 15.—22. Oktober 1913 findet in Madrid mit Unterstützung 
der Regierung und unter Patronat des Königs der IX. internationale 
Kongress für Hydrologie, Klimatologie und Geologie statt. 
Mit dem Kongress ist eine Weltausstellung aller derjenigen Erzeugnisse 
verbunden, die mit demselben in Zusammenhang stehen. Zu näherer 
Auskunft ist der Vertreter für Deutschland, Sanitätsrat Dr. 0. Rosen¬ 
thal, Berlin, Potsdamer Str. 121g, bereit. 

— Die diesjährige VII. Jahresversammlung der Gesellschaft 
deutscher Nervenärzte wird vom 29. September bis 1. Oktober (mit 
Empfangsabend am 28. September) in Breslau abgehalten werden. Die 
Referatthemata sind: 1. Ueber die Abbauvorgänge im Nervensystem. 
Referent: Alzheimer-Breslau. 2. Röntgenologie in ihrer Beziehung 
zur Neurologie. Referent: A. Schüller-Wien. Anmeldungen bis späte¬ 
stens den 5. Juli an den ersten Schriftführer, Dr. K. Mendel, Berlin W., 
Augsburgers! r. 48. 

— Dozentenvereinigung für ärztliche Ferienkurse in 
Berlin. Ein kurzfristiger (zweiwöchiger) Kurs der Charlottenburger 
Krankenanstalten vom 19. bis 31. Mai wird abgehalten von den 
Herren: Bessel- Hagen (chirurgische Klinik), Umber (klinische 
Medizin), Dietrich (Pathologie u. Anatomie), Keller (Geburtshilfe u. 
Gynäkologie), Brüh ns (Dermatologie), Neupert (Unfallbegutachtung), 
Schultz (Hämatologie); ausserdem klinische und histologisch-bakterio¬ 
logische Technik, Stoffwechselkurs. Näheres durch Herrn Melzer, 
Ziegelstr. 10/11 (Langenbeck-Haus). 

— Die Impf frage wird bekanntlich den nächsten Deutschen Aerzte- 
tag beschäftigen. Da ist der Bericht über das Impfwesen von Inter¬ 
esse, den das Ministerialblatt für das Medizinalwesen in Preussen für 
das abgeiaufene Jahr bringt und aus dem einerseits hervorgeht, mit wie 
grosser Sicherheit der Impfstoff den gewünschten Erfolg bewirkt und wie 
selten jetzt schädliche Nebenwirkungen beobachtet werden. 
Abgesehen von unbedeutenden und vermeidbaren Schädigungen starb, 
wie die Sektion ergab, ein Kind an Purpura haemorrhagica, die mit der 
Impfung nicht in Zusammenhang gebracht werden kann, und zwei er¬ 
krankten an Wundrose — also ebenfalls an einer bei genügender Sorg¬ 
falt vermeidbaren Affektion —; eins davon starb. Das sind bei etwa 
•/ 4 Millionen Impfungen Resultate, die doch das Geschrei der Impfgegner 
zum Schweigen bringen sollten. 

— Sanitätsrat 0. Rosenthal erhielt auf der Internationalen 
Hygieneausstellung in Rom von 1912 für die Ausstellung seiner sta¬ 
tistischen und photographischen Tafeln, betreffend das Pflegeheim 
für erblich kranke Kinder in Berlin-Friedricbsbagen, die 
höchste Auszeichnung, den grossen Preis, und für seine Forschungen 
auf dem Gebiete der hereditären Syphilis die goldene Medaille der 
Stadt Rom. 

— Die Kurstadt Marienbad hat aus Anlass des 50 jährigen Doktor¬ 
jubiläums des daselbst praktizierenden Regierungsrats Professor Kisch 
eine im Gentrum der Stadt gelegene Gasse (bisher Waldquellgasse) als 
Dr. Kisch-Gasse benannt. 

Hochschulnachrichten. 

Berlin. Prof. Rumpel, welcher bisher die urologische Abteilung 
der Königl. chirurgischen Poliklinik verwaltete, wurde an Stelle des in 
den Ruhestand tretenden Prof. Köhler zum Leiter der Nebenabteilung 
der chirurgischen Klinik in der Charitö ernannt. Zum Nachfolger 
Rumpel’s wurde’ Privatdozent Dr. E. Joseph bestimmt. Der Privat¬ 
dozent für innere Medizin, Dr. Fleischmann, erhielt den Titel Professor. 
Dr. Adam wurde zum Lektor für Massage und Gymnastik an der 
I. medizinischen Klinik ernannt. — Jena. Der wissenschaftliche Mit¬ 
arbeiter der Zeiss-Werke, Dr. v. Rohr, wurde zum ao. Professor für 
Optik an der Universität ernannt. — Halle. Prof. Stieda wurde mit 
der Leitung der chirurgischen Klinik für das laufende Semester betraut. 
— Magdeburg. Prof. Thorn, Oberarzt der gynäkologischen Abteilung 


des städtischen Krankenhauses Sudenberg, starb infolge einer Infektion. 
— Marburg. Prof. Römer wurde mit der Stellvertretung des auf 
einer Auslandsreise befindlichen ersten Abteilungsvorstehers am hygie¬ 
nischen Institut der Universität Berlin, Prof. Dr. Ficker, beauftragt 
und zu dem Zweck in Marburg auf ein Jahr beurlaubt. — Tübingen. 
Prof. v. Brunn übernimmt die Leitung der chirurgischen Abteilung am 
Evangelischen Krankenhaus in Bochum. — Wien. Prof. v. Frisch 
wurde Hofrat. 


Gang der Volkskrankheiten. 

Pest. Deutsch-Ostafrika. Im Bezirk Muansa sind im März 
zahlreiche Personen an einer pestverdächtigen Krankheit gestorben. 
Chile (2.—8. III.) 1 und 1 +. — Cholera. Türkei (15.—21. IV.) 2 
und 2 f. — Pocken. Deutsches Reich (27. IV.—8. V.) 7. Oester¬ 
reich (18.—19. IV.) 1. — Fleckfieber. Oesterreich (13.—19. IV.) 
112. — Genickstarre. Preussen (20.—26. IV.) 9 und 3f. 
Oesterreich (6.—12.IV.) 4. — Spinale Kinderlähmung. Preussen 
(20.—26. IV.) 2. — Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb an 
Diphtherie und Krupp in Berlin-Steglitz; an Typhus in Halber¬ 
stadt. 


Amtliche Mitteilungen. 

Personalien. 

Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 4. Kl.: Arzt Dr. E. 
Paschen in Hamburg. 

Königl. Kronen-Orden 3. Kl.: Vorsteher der Landesanstalt für 
Wasserhygiene in Berlin-Dahlem, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. K. Günther. 

Königl. Kronen-Orden 4. Kl: Arzt Dr. A. Sohönstadt in Beriin- 
Schöneberg. 

Versetzt: Kreisarzt, Med.-Rat Dr. Ricken von Malmedy nach Arns¬ 
berg, Kreisarzt Dr. Gehrke von Putzig nach Berlin, Kreisarzt Dr. 
Krüger von Düsseldorf nach Putzig. 

Ernennungen: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. 0. Hildebrand in Berlin 
an Stelle des ausgeschiedenen Geh. Med.-Rats Prof. Dr. Heubner 
zum ordentl. Mitglied der wissenschaftlichen Deputation für das Medi¬ 
zinalwesen, Kreisassistenzarzt Dr. F. Peters in Cöln zum Kreisarzt 
in Löwenberg i. Schl., Kreisassistenzarzt Dr. H. Schopohl in Breslaa 
zum Kreisarzt in Malmedy, Arzt Dr. D. Schmidt in Hoya zum Kreis¬ 
assistenzarzt in Cöln, Oberarzt Dr. Halbey in Ueokermünde zum 
Kreisassistenzarzt in Kattowitz. Die Ernennung des Arztes Dr. W. 
Klimm in Landeshut i. Schl, zum Kreisassistenzarzt in Kattowiti ist 
rückgängig gemacht worden. 

Zu besetzen: die Stelle des Kreisassistenzarztes und Assistenten 
bei dem Medizinal untersuchungsamte in Breslau. Jahresremuneration 
2000 M. Bakteriologische Vorbildung erforderlich. Die Stelle kann 
auch einem noch nioht kreisärztlicb geprüften Arzte vorläufig kom¬ 
missarisch übertragen werden, wenn er den Bedingungen für die Zu¬ 
lassung zur kreisärztlichen Prüfung genügt und sich zur alsbaldigen 
Ablegung der Prüfung verpflichtet. 

Verzogen: Oberstabsarzt a. D. Dr. G. A. Kirstein von Rastatt 
(Baden) nach Rosen thal, Dr. F. Bröcker von Düsseldorf nach 
Altenahr, Dr. A. Homburg von Hanau, Dr. G. Voss von 
München und Dr. E. Becker von Bonn nach Düsseldorf, Arzt 
J. Rocoo von Halle a. S., Arzt E. Caro von Freising und Arzt 
L. Timphus von Dortmund nach Duisburg. Dr. A. Dorth von 
Gelsenkirchen nach Essen, Arzt P. Lindner von Bremerhaven 
nach Hamborn, Dr. M. Sarrazin von Berlin-Friedenau nach 
Kempen, Dr. H. Krüsemann von Rheinkamp naoh Mülheim (Ruhr), 
Dr. K. Kahler von Frankfurt a. M. und Dr. H. Fernmer von Mül¬ 
heim (Ruhr) naoh Oberhausen, Dr. J. Haenlein von Duisburg naoh 
Mainz, Dr. E. Kellner von Johannistal b. Süchteln naoh Galkbausen, 
Dr. D. Rath von Kempen nach Crefeld, Stabsarzt a.D. Dr. K. Peters 
von Mülheim (Ruhr) naoh Erlangen, Dr. H. Augustin von Moers naoh 
Vluyn, Arzt W. Friedrich von Landsberg a. W. nach Bonn zum 
Studium der Zahnheilkunde, Arzt K. Böhm von Niedaltdorf nach 
Kerperich-Hemmersdorf, Dr. W. Schwarze von Eyll nach Niedalt¬ 
dorf, Dr. F. Dietz von Fladungen naoh Saarlouis, Dr. H. Engländer 
von Bonn nach St. Wendel, Dr. H. Feuerhaok von Hohenlychen 
nach Charlottenburg, Dr. G. Reymann von Flonheim und Dr. H. 
Boennecken von Prag naoh Frankfurt a. M., Dr. P. Wössner von 
Frankfurt a. M. nach Freiburg i. Br., Arzt J. Kartsoher von Cam- 
borg nach Heddernheim b. Frankfurt a. M., Dr. W. Sohuler von 
Rostock nach Camberg, Dr. S. v. Dyminski von Berlin, Dr. A 
Roesen von Bonn und Dr. H. van der Vüürst deVries von Jeus 
nach Wiesbaden, Arzt W. Rüben von Wiesbaden naoh Hamburg, Dr. 

D. Rath von Kempen nach Crefeld, Dr. W. Raabe von Fulda, Dr. 

E. Zippe von Charlottenburg, Dr. J. Schumacher von Alfhausen 
und Dr. F. Burck von Kaiserswerth nach Düsseldorf, Dr. J. Leiber 
von Bremen, Dr. W. Ebermann von Goslar und Dr. Th. Funcoius 
von Düsseldorf nach Duisburg, Arzt W. Hofins von Cöln naoh Duis- 
burg-Meiderich, Dr. W. Sach von Lübeck naoh Walsum, Arzt F. E. 
Berk von Greifswald nach Steele. 


Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hans Ko hu, Berlin W., Bajreuther Strasse 41 


Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4. 


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UNIVERSUM OF IOWA 







Di« B«rliner Klinische Wochenschrift erscheint jeden 
Monte# in Nummern von es. S—6 Bogen gr. 4. — 
Preis vierteljährlich 6 Merk. Bestellungen nehmen 
alle Buchhandlungen und Postanstalten an. 


BERLINER 


Alle Einsendungen für die Redaktion und Expedition 
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung 
August Hirochwald ln Berlin NW., Unter den linder 
No. 68j adressieren. 


KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Organ für praktische Aerzte. 


Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen« 


Redaktion: 

Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posner und Dr. Hans Kohn. 


Expedition: 

August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin. 


Montag, den 19. Mai 1913. M 20 . 


Fünfzigster Jahrgang. 


INHALT. 


Origiialiei: His: Zur Einweihung der I. medizinischen Klinik. S. 905. 
Schmieden: Ueber oiroumscripte entzündliche Tumorbildung in 
der Bauchhöhle, ausgehend vom Netz. (Aus der Königlichen 
chirurgischen Universitäts-Klinik Berlin.) S. 908. 

Göppert: Die Rhinitis posterior im Säuglingsalter. (Illustr.) S. 910. 
Dorendorf: Ein Beitrag zur Frage des Zustandekommens links¬ 
seitiger Recurrenslähmung bei Mitralstenose. (Aus der inneren 
Abteilung des Krankenhauses Bethanien.) S. 912. 
Johannessohn: Ueber Eibon (Cinnamoylparaoiyphenylharnstoff). 
(Aus dem Königin Elisabeth-Hospital in Berlin-Oberschöneweide.) 
(Illustr.) S. 914. 

Unna: Zur Chemie der Zelle. (Schluss.) S. 916. 

Meyer: Zur Frage der Adrenalinwirkung auf den Coronarkreislauf. 
(Aus dem physiologischen Institut der Universität Berlin.) 
(Illustr.) S. 920. 

böhe: Beitrag zur Frage der Reinfection. (Aus der Königl. Uni¬ 
versitätsklinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten.) S. 922. 
West: Die Eröffnung des Tränensackes von der Nase aus in über 
100 Fällen von Dakryostenose. (Aus der Klinik von Prof. Silex- 
Berlin.) S. 926. 

Schmidt: Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenbehandlung 
in den letzten Jahren. (Uebersichtsreferat.) S. 927. 
Bfleherbesprechiiigen: Fromme und Ring leb: Lehrbuch der Kysto- 
photographie; ihre. Geschichte, Theorie und Praxis. S. 930. (Ref. 
Posner.) — Jung: Wandlungen und Symbole der Libido. Beiträge 


zur Entwicklungsgeschichte des Denkens. S. 930. Frank: Affekt¬ 
störungen; Studien über ihre Aetiologie und Therapie. S. 931. 
(Ref. Seiffer.) 

Literatur-Auszüge: Anatomie. S. 931. — Physiologie. S. 931. — Phar¬ 
makologie. S. 932. — Allgemeine Pathologie und pathologische 
Anatomie. S. 932. — Parasitenkunde und Serologie. S. 934. 
Innere Medizin. S. 934. — Psychiatrie und Nervenkrankheiten.; 
S. 935. — Kinderheilkunde. S. 935. — Chirurgie. S. 935. — 
Röntgenologie. S. 938. — Urologie. S. 938. — Haut und Geschlechts¬ 
krankheiten. S. 938. — Geburtshilfe und Gynäkologie. S. 938. — 
Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. S. 938. — Hygiene und 
Sanitätswesen. S. 938. 

YerhandlaDgei ärztlicher Gesellschaften: Vereinigung zur Pflege 
der vergleichenden Pathologie. S. 938. — Berliner uro- 
logische Gesellschaft. S. 939. — Aerztlicher Verein zu 
Hamburg. S. 940. — Gesellschaft für Natur- und Heil¬ 
kunde zu Dresden. S. 941. — Gynäkologische Gesellschaft 
zu Dresden. S. 941. —K. k. Gesellschaft der Aerzte zu 

• Wien. S. 942. — Gesellschaft für innere Medizin und 
Kinderheilkunde zu Wien. S. 944. 

Deutscher Kongress für innere Medizin zu Wiesbaden. (Fort¬ 
setzung.) S. 944. 

Lieske: Aerztliohe Rechtsfragen. S. 948. 

Tagendreich: Adolf Baginsky zum 70. Geburtstage. S. 951. 

Tagesgeschiohtl. Notizen. S.951. — Amtl. Mitteilungen. S.952. 


Zur Einweihung der I. medizinischen Klinik. 

Rede, gehalten am 5. Mai 1913. 

Von 

Professor W. His. 


Festlich feiern wir am heutigen Tage die Erfüllung eines 
lange gehegten Wunsches. Aus den düsteren und engen Räumen 
eines Gebäudes, dessen einzigen Vorzug die altehr würdige Tradition 
bildete, ziehen wir ein in einen Bau, dessen äusseriiehe 
Sittlichkeit in glänzendem Rahmen alles einschliesst, was den 
dreifachen Erfordernissen der Klinik, der Krankenpflege, der 
Forschung und dem Unterricht dienen kann. Der ansehnlichen 
Reihe von Instituten, in denen die alte Lehranstalt verjüngt auf¬ 
ersteht, reiht Bich unser Bau als gewichtiges Glied an und lenkt 
unsere Erinnerung auf den Mann, dessen Interesse, Geschick und 
Tatkraft wir die Neuordnung der Königl. Charite in erster Linie 
verdanken, auf Friedrich Althoff, dessen mächtige Persönlich¬ 
keit durch die Jahre, die uns von seinem Wirken trennen, viel¬ 
leicht erst in ihrer wahren Grösse erscheint. 

Wir erfüllen eine angenehme Pflicht, wenn wir unseren Dank 
gegenüber allen aussprechen, die den so wohlgelungenen Neubau 
ermöglicht und gefördert haben. 

ln erster Linie dem Königl. preussiseben Staatsministerinm, 
dem Herrn Minister der geistlichen and Unterrichtsangelegen¬ 
heiten, dem Herrn Finanzminister and ihren Räten; nicht minder 
dem Hause der Abgeordneten für die Bewilligung der reichen 
Mittel. Unser besonderer Dank gebührt dem Ministerialdirektor 
Exzellenz Naumann für sein nimmermüdes Interesse und seine 
reiche Erfahrung, ebenso den beiden Direktoren der Charitd, 
Herrn Obergenerhlarzt Professor Dr. Scheibe und Herrn Geheimen 
Regierungsrat Pütter, deren Hinsicht und Entgegenkommen uns 


von grösstem Wert war. Wenn ich nun die fachmännischen 
Leiter des Baues neune, Herrn Geheimrat Thür, Herrn Geheimen 
Baurat Diestel, Herrn Regierungsbaumeister Mylius und Herrn 
Regierungsbanführer Müll er, und der gewissenhaften Sorgfalt des 
leider verstorbenen Baurates Metzing gedenke, so weiss ich wobl, 
dass das Werk den Meister am besten lobt, aber es ist mir eine 
besondere Freude, das unermüdliche Geschick za preisen, mit 
dem diese Herren jederzeit hnseren Wünschen entgegenkamen, 
mochten diese noch so grosse Schwierigkeiten darbieten. Wenn 
wir von vornherein an einen gegebenen Grundriss gebunden 
waren, so batten wir den Vorteil, die Erfahrungen benutzen zu 
dürfen, die beim Bau und Betrieb der II. medizinischen Klinik 
gewonnen waren, and die uns von Herrn Geheimen Medizinalrat 
Kraus und seinen Mitarbeitern bereitwillig .übermittelt wurden. 
Auch von mancher anderen Seite erhielten wir vortreffliche Rat¬ 
schläge, besonders für die Einrichtung der Laboratorien. Ich' 
möchte nicht versäumen, meinen Assistenten und Mitarbeitern für 
ihren Eifer and ihren Fleiss aufs herzlichste zu danken. Meiue 
und ihre Aufgabe wird es sein, den Neubau seinen Zwecken 
dienstbar zu machen und ihn mit dem Geiste zu beleben, der 
durch die hundertjährige Geschichte der Anstalt wie durch den 
heutigen Stand der Medizin geboten ist. 

Der hohe Stand des wissenschaftlichen Lebens in Deutsch¬ 
land begnügt sieb niebt mit der Aufgabe, die Tradition fort¬ 
zusetzen und zu überliefern, er setzt von jedem Gliede des Uni- 
versitätskÖTpers selbsttätige Mitarbeit voraus in der Forschung 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 


wie in der Beurteilung und Behandlung jedes Einzelfalles. 
Er stellt hohe Ansprüche, aber er befriedigt durch das unauf¬ 
haltsame Fortscbreiten des Wissens auf allen Gebieten, und er 
lockt durch die Zukunftshoffnungen, die er in seinem Schosse 
birgt. Mochten noch vor einigen Jahrzehnten einzelne Staaten einen 
guten Praktiker für ausreichend zum Dozenten halten: so weit hinter 
uns liegt dieser Standpunkt, dass selbst mittlere und kleinere 
Stadtgemeinden heute angesehene Gelehrte an ihre Krankenhäuser 
zu fesseln suchen und verstehen. Ein Krankenhaus ohne Labo¬ 
ratorium ist eine überlebte Einrichtung. Je mehr die Medizin 
aufhört, die Krankheit als etwas Gegebenes zu nehmen, je mehr 
sie in ihr einen Lebensvorgang sieht, der durch innere oder 
äussere Ursachen vom normalen Geschehen abweicht, um so enger 
muss sie an die Physiologie sich anlehnen und das gesamte 
Rüstzeug ihrer Methodik und Denkweise übernehmen. Wie die 
Klinik auf diesen Weg gelangte und warum sie ihr Heil darin 
sucht, auf ihm zu verbleiben, das habe ich vor nahezu 6 Jahren 
in meiner Antrittsvorlesung auszuführen versucht; ganz analogen 
Standpunkt vertrat Kraus bei der Einweihung der II. medi¬ 
zinischen Klinik, und Goldscheider beim Antritt seines Amtes: 
ihn vertreten wohl alle Kliniker deutscher Sprache. Die enge 
Verkettung von Theorie und Praxis ist geradezu das Kennzeichen 
der deutschen Medizin der Gegenwart, und ein so aufmerksamer 
Beobachter wie Abraham Flexner, der kürzlich im Auftrag 
der Carnegie Foundation ein zusammenfassendes Werk über medi¬ 
zinischen Unterricht veröffentlichte, hat vollkommen recht, wenn 
er sagt, dass die Verbindung von Physiologie und Klinik, von 
Laboratorium und Krankenhaus, von Forschung und Anwendung 
nicht, wie in England und zum Teil auch in Frankreich, das 
Resultat einer zufälligen persönlichen Begabung des Klinikers, 
sondern der Grundstock des ganzen wissenschaftlichen und er¬ 
zieherischen Systems sei. 

Mit dieser Orientierung des Denkens und Arbeitens stellt 
sieh die Medizin auf die Forderungen ein, die Baco von Verulam 
für die induktive Wissenschaft im allgemeinen und mit über¬ 
raschender Voraussicht für die Medizin im besonderen aufgestellt 
bat. Sie verzichtet auf ein abgeschlossenes System, auf den 
Schein vollständigen Wissens, sie erkennt dessen Umfang als be¬ 
schränkt, unvollkommen und stets erweiterungsbedürftig; sie an-* 
erkennt Regeln und Methoden für die Forschung im allgemeinen, 
aber nicht für das Handeln im Einzelfall. Sie verwirft das 
Schema und verlangt Einsicht und Verständnis von Ursache und 
Wirkung als Grundlage der Praxis. Sie findet ein Recht zu 
dieser Forderung im Erfolg ihrer Prinzipien, in der ungeheuren 
Verbreiterung und Vertiefung des Wissens, in der gewaltigen 
Vermehrung des Könnens; sie postuliert, dass die Grundsätze, 
welche die Forschung und Praxis siegreich beherrschen, auch im 
Unterricht zur Geltung kommen. Das Problem der medizinischen 
Erziehung drängt sich in solcher Stunde dem akademischen 
Lehrer mit Macht auf, und ich darf mir wohl erlauben, seine 
verschiedenen Seiten in dieser Stunde, wenn auch nur flüchtig, 
zu beleuchten. 

Es mag an sich verwunderlich erscheinen, eine Tätigkeit er¬ 
örtern zu wollen, die so wesentlich mit der Persönlichkeit des 
Lehrers und ihren individuellen Eigenschaften verknüpft ist. Es 
handelt sich doch nicht um die blosse Ueberlieferung der Wissen¬ 
schaften, sondern, und dies gilt ganz besonders für die Medizin, 
um die Anleitung zur Beobachtung und zur Verknüpfung der oft 
so schwer zu deutenden Tatsachen zu einer Vorstellung, welche 
das Handeln bestimmen soll; die Entscheidung 'über Leben und 
Gesundheit des anvertrauten Patienten mit ihrer grossen .Ver¬ 
antwortung beruht recht oft auf einem Entschluss, der sich nicht 
exakt begründen lässt, sondern mehr in dem Charakter und 
fast unbewusst sich aufdrängenden Erinnerungsbildern des 

Arztes seine Stütze findet, und den oft mehr das Vertrauen zum 
Wissen und Können, als die Logik seinem Schüler verständlich 
machen muss. Daher lässt der Staat dem akademischen Lehrer 
volle Freiheit der Lehre; er umschreibt ihm das Gebiet in weiten 
Grenzen und lässt ihm völlig frei, wie und wieviel er von seinem 
Wissen dem Schüler mitteilen will. Wer sich interessiert für die 
Art des Lehrens, wird bei jedem seiner Kollegen eine besondere 
Art finden, und gerade an dieser Klinik, die von den Zeiten ihres 
Beginnes ab stets das Glück hatte, wirksame Lehrer zu besitzen, 
ist in sehr verschiedener Weise vorgetragen worden. Der erste 
Professor der Klinik war Johann Christian Reil, eine mächtige 
Persönlichkeit, gewaltig in Wort und Schrift, ein Organisator 
ersten‘ Range», der 4ü Hallet seine Schüler durch den Umfang- 
seiner Gedanken, wie durch die 1 ‘ Kunst äratMchen Handelns be¬ 


geistert hatte. Seinem umfassenden Geist genügte es nicht, bei 
Einzeltatsachen zu verweilen, er musste suchen, sie zu einer Ein¬ 
heit zusammenzufassen, und er gilt heute, da der hundertste 
Todestag herannaht und sein Gedächtnis durch einen Vortrag 
aof der Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte gefeiert 
werden soll, vielfach als ein Anhänger der so hart befehdeten 
Lebenskraft. Aber, obwohl er diese annehmen zu müssen glaubte, 
war er doch viel zu strenger Denker, um nicht ausdrücklich aus¬ 
zusprechen: „Doch bemerke ich, dass diese Hypothese gerade bei 
meiner Arbeit etwas ganz Ausserwesentliches sei. Wir sind ge¬ 
nötigt, die Phänomene des gesunden und des kranken Körpers 
auf irgendeinen festen Punkt zurückzuführen und sie von einem 
unbekannten Etwas als von ihrer Ursache abznleiten. Gleichviel 
wie wir dieses unbekannte Ding nennen .... wenn wir nur so 
etwas supponieren, das der ferneren Untersuchung kein Hindernis 
in den Weg legt. u Dieser Mann, welcher der medizinischen 
Schule Berlins zweifellos den Stempel seiner Persönlichkeit auf¬ 
gedrückt hätte, starb leider nach nur einjähriger Lehrtätigkeit, 
ein Opfer seines Berufs, in den Kriegslazaretten am Flecktyphus. 

Seine beiden Nachfolger gehörten einer jetzt ausgestorbenen 
Richtung an und werden in der Geschichte der Wissen¬ 
schaft kaum mehr genannt. Karl Aug. Wilh. Berends, der 
„letzte klassisch gebildete Kliniker“, ruhte noch ganz auf den 
Schriften der Alten, die auszulegen er für seine Hauptpflicht hielt. 
Bescheiden schrieb er: „Die Grundsätze, nach denen ich die Zu¬ 
hörer unterrichten und vor dem Krankenbett führen und leiten 
werde, beziehen sich durchaus auf alte, lange anerkannte patho¬ 
logische und therapeutische Wahrheiten: sie können sich also 
durch keine Neuheit empfehlen; ich bin aber auch zufrieden, 
wenn sie nur richtig und für die Anwendung nützlich und fruchtbar 
sind.“ Aber der schlichte Mann, den Goethe 1819 „einen sofort 
vertrauenerweckenden Medicus“ nannte, war, nach Stromeyer’s 
Zeugnis, noch in hohem Alter ein anziehender Lehrer, an dessen 
beredten Lippen die Hörer mit Liebe hingen. Er starb 1826. 
Mit seinem Nachfolger Ernst Daniel Aug. Bartels beherrschte 
wieder die damals in höchster Blüte stehende Naturphilosophie 
das Katheder, und trotz des glänzenden Stils, den Bartels in einer 
selbst in damaliger Zeit ungewöhnlichen Weise beherrschte, und 
obwohl er durchsetzte, dass der medizinische Unterricht von der 
Ziegelstrasse nach der an Mitteln und Betten reicher aus¬ 
gestatteten Charitö verlegt wurde, klagten doch seine Schüler, 
dass er sich zu oft in trocknen schematischen und subtil aus- 
getiftelten diagnostischen Differenzierungen verliere. Zudem war 
er kränklich und von der Gicht geplagt. 

Um so mehr leuchteten die Vorzüge Johann Lucas Schön¬ 
lei n’s, der nach Bartels’ Tode 1840 die Klinik übernahm, als 
genialer Arzt und Begründer der naturwissenschaftlichen Richtung 
in der Medizin bereits eine europäische Berühmtheit, dessen An¬ 
kunft ganz Berlin, vom König bis zum bescheidenen Bürger herab, 
mit Spannung entgegensah. Er führte die sorgsame Untersuchung 
jedes Organs mit Hilfe von Perkussion und Auscultation, Mikro¬ 
skop und chemischem Reagens in den Unterricht ein. Seine 
Krankendemonstration war, obwohl die Sprache durch ein Kropf¬ 
übel stockend und der Atem pfeifend war, in aller Knappheit so 
treffend und packend, dass Griesinger noch in späteren Jahren 
gestand: „Alles schien er mir zu wisseo, alles am Krankenbette 
zu könnenl u Seine Methode verlangte diagnostische Fertigkeiten: 
unter ihm zuerst wurden Kurse zu deren Erlernung eingerichtet, 
welche seine Assistenten Simon, Josef Meyer, Traube, Remak 
abhielten. 

Ganz anders war Frerichs’ Art. Er ist, neben Wunder¬ 
lich und seinen schwäbischen Freunden, der Begründer der 
modernen, auf die Physiologie gegründeten Klinik. Der Kranke, 
den er gerade vorstellte, war ihm nur der Ausgangspunkt für 
eine glänzende Darstellung eines Krankheitsbildes, bei dem er 
den Zusammenhang der Erscheinungen, den Ablauf der Verände¬ 
rungen und ihre Aeusserungen in den Symptomen hinreissend 
schilderte. Der Hörer* glaubte förmlich zu sehen, wie das eine 
aus dem anderen sich mit Notwendigkeit entwickelte, und genoss 
die Belehrung auch dann, wenn er mit zunehmender Erfahrung 
erkannte, dass die glänzende Schilderung auf den gerade da¬ 
liegenden Kranken gar nicht passte und gar die Sektion ein ganz 
anderes Leiden ergab. Die Therapie, auf die Schön lein von 
Fall zu Fall sorgsam eingegangen war, hatte für Frerichs wenig 
Interesse; sie wurde nur kurz und generell abgehandelt. 

Leyden wiederum war Therapeut von Anlage undUeberzeugung. 
S$in Wi8jMn,.idas er bis ins h«fee Alter stets im gesamten Gebiet 
seines Faches vollständig cu erbaten strebte, die sorgsame Beob- 


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19. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


907 


achtung, die er allen noch so unbedeutend scheinenden Eigen¬ 
heiten des Kranken widmete, war ihm in erster Linie Mittel zum 
Zwecke der Heilung. Nicht die Lehre vom Krankheitsverlauf, 
sondern die Besonderheit des einzelnen Krankheitsfalles stellte er 
beim Unterricht in den Vordergrund, und mit treffenden launigen 
Bemerkungen verstand er den Hörer zur Aufmerksamkeit auf 
alle die Einzelheiten hinzulenken und vor ihm den ganzen Reich¬ 
tum therapeutischer Möglichkeiten auszuschütten, um daraus 
das gerade für diesen Fall passende auszulesen. Soviel ihm die 
allgemeine Pathologie an wichtigen Ergebnissen verdankt, so 
stolz war er darauf, eine individuelle Pathologie und Therapie zu 
lehren. 

So verschieden war die Art, in der meine Vorgänger lehrten,. 
und doch hat jeder von ihnen hervorragende Schüler herari- 
gebildet, und jeder eine Generation tüchtiger Aerzte herangebildet. 

Es führen eben viele Wege zum Ziel; und das Ziel ist er¬ 
reicht, wenn es gelingt, das Interesse, die Begeisterung des 
Schülers für den Gegenstand zu erwecken und ihm den Weg zu 
eigenem und richtigem medizinischen Denken zu weisen. 

Hier aber setzt eine Schwierigkeit ein, die zu überwinden 
ausserhalb der Macht des einzelnen Lehrers steht. Richtiges Denken 
in der Medizin setzt, nachdem sie auf Systematisierung verzichtet 
bat und die Beurteilung und Beeinflussung der Krankheitsvorgänge 
als ihre Aufgabe ansieht, eine hinreichende Kenntnis eben dieser 
Vorgänge voraus. Wie weit reicht aber unsere Einsicht, wie weit 
sind unsere Vorstellungen hinreichend gesichert, um dem 
Studierenden dargeboten zu werden? Man braucht nur die Patho¬ 
logie der letzten 20 Jahre zu verfolgen, um den fortwährenden 
Wandel, das Schwanken der Ansichten zu erkennen. Das ist die 
unvermeidliche Begleiterscheinung jeder Wissenschaft, die in 
reger Arbeit sich entwickelt und erstarkt. Demgemäss muss 
auch der Unterricht darauf ausgehen, unser derzeitiges Wissen 
als ein unvollkommenes, ein vorläufiges darzustellen; die Gründe 
der gegenwärtigen Ansichten, die möglichen Einwände darzulegen 
und damit ein Fundament zu geben, auf dem der künftige Arzt 
weiterbauen und dem Fortscbreiten des Wissens folgen kann. Es 
leuchtet ein, dass eine solche Anleitung weit schwieriger ist als 
eine dogmatische Darstellung, und dass sie an das Wissen und L 
Denken des Studierenden weit grössere Anforderungen stellt. Vor 
allem verlangt sie eine sorgsame Scheidung des Hypothetischen 
vom Tatsächlichen; entgegen der jugendlichen Hinppigung zum 
geschlossenen System, zur glänzenden Hypothese muss der Wirk¬ 
lichkeitssinn geweckt und die Kunst der Beobachtung gelehrt 
werden. Dies erfordert eine früh einsetzende Schulung, welche 
zu geben die Macht des einzelnen Lehrers überschreitet. Bei 
aller Freiheit, in seinem Fache nach Belieben zu lehren, ist 
er ein Glied im gesamten System des Unterrichts, dass der 
Staat aufzustellen und durchzuführen die Pflicht und die Mittel 
auf sich nimmt: dieses ganze System muss auf diesen einen Ton 
gestimmt sein. Ich will hier nicht die Frage des Vorunterricbts 
anschneiden. Obwohl ich mit Kern in der Wertschätzung des 
humanistischen Unterrichts durchaus übereinstimme, würde ich 
auch mit einer Schule einverstanden sein, welche eine mathe¬ 
matisch-naturwissenschaftliche Richtung stärker betont: die Haupt¬ 
sache ist, dass sie die Grundlage einer allgemeinen Bildung ge¬ 
währleistet. „Die Bildung“, sagt Billroth, „ist immer etwas 
Aristokratisches: der Arzt, der Lehrer, der Richter, der Geistliche: 
sie sollen die äpunot ihres Dorfes, ihrer Stadt, des Menschen¬ 
kreises überhaupt sein, der sie umgibt. Damit sie es sein 
können, müssen sie die Uebermacbt des Wissens und 
Könnens haben, und diese gewinnt man nur durch die harte 
Arbeit des Lernens, noch mehr durch die Ausbildung des 
inneren Triebes zum Lernen.“ Diesen inneren Trieb zu er¬ 
wecken, das ist’s, was eine Wissenschaft, die selbst in ewigem 
Werden ist, von der Schule in erster Linie verlangt. Ihr grösster 
Feind ist nicht die Unwissenheit, gegen die sie hinreichend ge¬ 
rüstet ist, sondern das selbstbewusste Halbwissen und die Ober¬ 
flächlichkeit. Dagegen zu kämpfen ist eine Hauptaufgabe in der 
Organisation des medizinischen Unterrichte, dessen Studienordnung 
in den Ländern deutscher Zunge, wie in Frankreich, England 
und den Vereinigten Staaten zurzeit wieder emsig beraten wird. 

Die Schwierigkeit des Unterrichts ist heute gegenüber ver¬ 
gangenen Jahrzehnten erschwert worden durch den Umfang des 
Wissenstoffes, den der Studierende innerhalb einer gegebenen 
Zeit in sich aufnehmen soll. Erfahrene Examinatoren geben über¬ 
einstimmend an, dass trotz der Verbesserung des Lehrmaterials 
tmd der Detifonetrationsmittel Niveau der iütaataprtfungcan-, 
dauernd sinkt; ‘dass dibKenntnisse wohl nach der Breite waÄsen, 


an Tiefe aber abnehmen, und dass an Stelle des Verständnisses 
so oft nur Schlagworte zu finden sind. Da die Intelligenz unserer 
Studierenden zweifellos nicht abgenommen hat und ihr Fleiss 
wohl eher im Zunehmen begriffen ist, muss der Fehler wohl im 
System liegen, das eine Vertiefung in die Lehrfächer mehr und 
mehr erschwert. Die Ursachen sind unschwer zu finden. In 
allen deutschsprachlichen Ländern wird eine gründliche Aus¬ 
bildung in der Anatomie und der Physiologie mit Recht als 
Fundament des Medizinstudiums angesehen und eine eingehende 
Orientierung in Physik und Chemie, in Zoologie und Botanik ge¬ 
fordert. Nun beginnt der Unterricht in diesen sechs Fächern 
gleichzeitig im selben Semester, das daher mit Kollegien und 
Uebungen überreich besetzt ist, und wenn nun gar die Jugend 
ihr Recht auf Körperkultur und die Freuden ihreo Alters auch 
nur in bescheidenstem Maasse geltend macht, bleibt für systema¬ 
tisches Nacharbeiten des Gegenstandes kaum mehr Zeit übrig. 
So bleibt denn nur haften, was gelegentlich sich dem Gedächtnis 
einprägt: vor dem tentamen pbysicum wird rasch „gebüffelt“ 
und ebenso rasch hernach vergessen. Das Resultat sehen wir 
Kliniker an den entsetzten Gesichtern, wenn von den Studenten, 
die auf dem Gymnasium zwei bis drei Jahre, auf der Universität 
zwei Semester Chemie und Physik getrieben haben, auch nur die 
elementarsten Kenntnisse in diesen Fächern vorausgesetzt werden. 
Eine zweckmässigere Verteilung der Studien und Prüfungen, wie 
sie in Oesterreich und der Schweiz eingeführt ist, könnte auch 
bei uns das Uebel verringern. 

Ganz ähnlich geht es aber in den klinischen Semestern zu. 

Vor 2 Jahrzehnten mochte der Unterricht dem Stande .der 
Wissenschaft hinreichend angepasst sein. Heute ist er ein Kleid, 
aus dem der Inhaber herauswächst, das überall zu eng und zu 
kurz geworden ist. 

Früher wurden die Hauptkliniken 8, oft 4 Semester gehört und 
viele der Studenten suchten schon vor dem Examen durch Famu¬ 
lieren sich Uebung im Beobachten zu verschaffen. Die Einführung 
der Spezialfächer und Kurse hat aber die Zeit für die Haupt¬ 
fächer immer mehr beengt; wo nicht die Kliniker sich dagegen ver¬ 
wahren, können die erforderlichen Praktikantenscheine in 2 Semestern 
erworben werden, und dass dies für die Hauptfächer eine unge¬ 
nügende Ausbildung sei, wird kein Kundiger bestreiten, umsomehr, 
als der Umfang des in den Kliniken zu lehrenden Materials schon 
dadurch gewachsen ist, dass zusammenhängende Vorlesungen über 
spezielle Pathologie und Therapie selten gelesen, noch seltener 
gehört werden, ihr Inhalt also, so gut es geht, in den Kliniken 
mit vorgetragen werden muss. 

Seit den Zeiten des Sylvins und Boerhave hat der klinische 
Vortrag immer als Hauptstück des Unterrichts gegolten. Aber 
er hat seinen Charakter geändert. Mit steigender Zuhörerzahl 
rückte er aus dem Krankenzimmer in den Hörsaal, und wenn es 
an kleinen Universitäten noch möglich ist, gewisse Krankheits¬ 
phänomene jedem Einzelnen zu demonstrieren, so müssten bei 60, 
100 und mehr Teilnehmern die Surrogate, Abbildung oder Moulage 
die eigene Beobachtung zu ersetzen suchen. Immer weiter wird 
der Student vom Kranken abgedrängt,, immer mehr die Möglich¬ 
keit, selbst zu untersuchen und den Verlauf zu verfolgen, ver¬ 
kümmert. Darin liegt eine Gefahr für die ärztliche Ausbildung, 
die um so grösser ist, als der Sinn für schlichte Beobachtung, 
der Respekt vor der Tatsache dem Germanen nicht immer ange¬ 
boren ist, und er nur allzu sehr dazu neigt, den Prinzipat der 
Idee über die Wahrnehmung anzuerkennen. Gerade die deutsche 
Medizin ist der Gefahr der Spekulation besonders ausgesetzt und 
in mehreren Epochen in ihrer Entwicklung dadurch schwer ge¬ 
fährdet worden. 

Es liegt uns ferne, das Medizinstudium Frankreichs und Eng¬ 
lands dem unseren vorziehen zu wollen; gerade in diesen Ländern 
sind die lebhaften Reformbewegungen ein Zeichen, dass man deren 
Mängel tief empfindet, und allerseits wird die Folgerichtigkeit 
unserer Unterricbtsorganisation bereitwillig anerkannt. Dies darf 
uns aber nicht hindern, den Vorteil anzuerkennen, den das eng¬ 
lische und französische System für den Studenten dadurch bietet, 
dass es ihn reichlich und anhaltend ans Krankenbett führt. Da¬ 
durch wird der Sinn für Beobachtung geweckt, eine eindringlichere 
Anschauung gefördert und das Interesse für Diagnostik und Therapie 
mächtig gestärkt. Der Schüler sieht nicht mehr den Fall, sondern das 
leidende Individuum, an dessen Ergehen er lernt Anteil zu nehmen. 
Das praktische Jahr unserer Mediziner, dessen grosse Vorteile ich 
nicht verkenne, und das ich in Zukunft, weder gissen noch ver¬ 
kürzen möchte, ist nicht imstande, Gleich wertige» zu bieten. Jlis 
der angehendst Aut im dasselbe eiotritt, sind seine Studien abge- 

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UNIVERSUM OF IOWA 



908 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 


schlossen and die Gewohnheit, das Wort des Lehrers oder des 
Lehrbuchs der eigenen Beobachtang für überlegen zu halten, schon 
zu fest eingewurzelt. Wir bedürfen wieder der Famulatur, des 
Aufenthaltes auf dem Krankensaal während einiger Woeben im 
zweiten oder dritten klinischen Semester, wie es früher fast 
allgemein üblich war, und wie es dem Clerc des englischen, dem 
Stagiaire des französischen Spitals noch heute vorgeschrieben ist. 
ln diesem Sinne müssen wir bestrebt sein, den Studierenden zu 
eigener Beobachtung, selbständiger Tätigkeit wieder heranzuführen, 
und ihm dadurch ein Gegengewicht zu geben gegenüber dem 
reichen Maasse dessen, was ihm autorativ vorgetragen werden muss. 

Auf Einzelheiten einzugehen, ist hier nicht der Ort. Vielleicht 
wird die Konferenz der deutschen Medizinfakultäten, die ja gewisse 


gemeinsame Angelegenheiten so wirksam in die Hand in nehmen 
begonnen hat, dem Gegenstand ihre Aufmerksamkeit schenken 
und nach genügender Beratung positive Vorschläge den Behörden 
unterbreiten. 

Mögen solche Zukunftswünsche gewürdigt werden als Aus- 
druck unseres Bestrebens, uns nicht mit dem zu begnügen, was 
der Staat uns in diesem Gebäude und seinen glänzenden Ein¬ 
richtungen so freigebig geboten hat, sondern auch unsererseits 
an der Ausbildung des Unterrichts rastlos fortzuarbeiten. Wir 
können unRern Dank nicht besser ausdrücken, als in dem Bemühen, 
zu allen Zeiten unserer Medizinschule das zu erhalten, was sie 
sich dank der staatlichen Fürsorge, dank dem Eifer und der Be¬ 
deutung ihrer Lehrer erworben bat, ihren Weltruf! 


Aus der Königlichen chirurgischen Universitäts-Klinik 
Berlin (Direktor: Geheimrat Bier). 

Ueber circumscripte entzündliche Tumorbildung 
in der Bauchhöhle, ausgehend vom Netz. 1 ) 

Von 

Prof. Dr. V. Schmieden. 

Die nachfolgenden Zeilen scbliessen sich an eine vor kurzem 
publizierte Arbeit von Küttner 2 ) an, welcher im Anschluss an 
einige interessante Fälle ein bisher noch wenig bekanntes Krank¬ 
heitsbild aufstellt. Es entstand bei zwei Patienten mittleren 
Alters, von welchen berichtet wird, dass sie sehr fettleibig waren, 
ohne bekannte Ursache, insbesondere ohne dass Operationen vorher¬ 
gingen, ziemlich plötzlich eine umschriebene Geschwulstbildung 
im Bauch, einmal in der Ileocoecalgegend, das andere Mal in der 
Gallenblasengegend, und beide Fälle gaben Anlass zur baldigen 
Laparotomie, um so mehr, als bei der nicht sicher feststehenden 
Diagnose der Verdacht einer bösartigen Neubildung durchaus 
nicht von der Hand zu weisen war. In beiden Fällen fand sieb 
ein entzündlicher Konglomerattumor, der mit den Darmschlingen 
der Umgebung verbacken war, und welcher in dem einen Falle 
eine mit nekrotischen Fettmassen erfüllte Erweichungsböble ent¬ 
hielt und nur ausgeschabt wurde, im anderen Falle aber aus der 
Umgebung der Gallenblase mit dem umgebenden Netz total ex- 
stirpiert werden konnte. Dieser letztere Tumor gab Gelegenheit 
zu genauerer histologischer Untersuchung, weiche Fettnekrose mit 
mehr oder weniger frischen entzündlichen Veränderungen der 
Umgebung ergab, ohne dass eine Ursache des Prozesses sich 
histologisch nachweisen liess. Die bakteriologische Untersuchung 
ergab in beiden Fällen keinerlei Beteiligung von Bakterien. Beide 
Fälle heilten sehr glatt aus, und bei dem offen nachbehandelten 
Falle war besonders auffallend, dass jede Eiterung fehlte. 
Küttner, der die Literatur auf ähnliche Fälle durchstudierte, 
konnte nichts völlig Analoges finden und ist auch nicht in der 
Lage, die Entstehung dieser Fettgewebsnekrosen mit Sicherheit 
zu erklären. 

Ein von mir selbst beobachteter, ähnlicher Fall gibt mir 
Gelegenheit, das Küttner’sche Material zu bereichern und zu¬ 
gleich zu zeigen, zu wie hochgradigen Veränderungen, ja Störungen 
der Darmpassage die geschilderten Erkrankungen führen, und wie 
ausgiebige Eingriffe sie nötig machen können. Beim Lesen der 
Küttner’schen Fälle denkt man ja unmittelbar an die von Braun 
beschriebenen entzündlichen Fettgewebstumoren nach Netzunter¬ 
bindung, mit denen das Küttner’sche Krankheitsbild sicher ver¬ 
wandt, aber keineswegs identisch ist, und welche ebenfalls zu 
allerhand diagnostischen Schwierigkeiten und Verwechslungen 
Anlass gaben, und bei denen es sich der Hauptsache nach um 
gewaltige, mit der Zeit aber wieder verschwindende Schwielen¬ 
bildung im Netz handelt, in deren Mitte man bei genauerer Unter¬ 
suchung als deren Ursache Ligaturfäden und nekrotische Unter¬ 
bindungsstümpfe nachweisen kann. Die von Braun beschriebenen, 
auch uns in vereinzelten eigenen Beobachtungen begegneten Fälle 
dieser Art verlaufen gelegentlich ziemlich harmlos und heilen 
unter Behandlung mit Umschlägen oder anderen Resorbentien; 
die zum Teil recht grossen Operationen, welche dabei ausgeführt 
wurden, sind vielfach jedenfalls ganz überflüssig; sie wurden 

1) Teilweise vorgetragen als Diskussionsbemerkung zum Vortrage 
des Herrn Holländer: Zur Frage der Geschwulstbildung nach Netz- 
Unterbindungen. t ,Bexliner^,Gesellsch. f. Chir., 10. März 1913. 

, 2) H. Küttner, Ueber circumscripte Xumorbildung durch abdominale 
Feftnekrose und subcutane Fettspaltung. Diese Wochenschr., 1913, Nr. 1. 


wegen des anfänglich bedrohlichen Charakters des Leidens unter¬ 
nommen. Eine andere Gruppe von Fällen solcher Epiploitis 
plastica nach Braun zeigt aber keine Neigung zur Rückbildung; 
vielmehr wächst die entzündliche Geschwulst so lanee weiter, 
bis man mit Hilfe grosser Einschnitte in den Tumor hinein den 
Ligaturfaden entfernt und die nekrotischen Netzstümpfe zur Aus¬ 
stoßung gebracht hat. Diese Operationen begegnen um so 
grösseren Schwierigkeiten, als der weniger erfahrene Chirurg, 
der das Braun’scbe Krankheitsbild nicht kennt, mit dem per 
Laparotomie freigelegten Tumor gar nichts anzufangen weiss, 
höchstens bei dem meist vergeblichen Versuch der Totalexstirpation 
grossen Schaden anrichtet. Einer jüngst von Holländer 1 ) ge¬ 
gebenen Zusammenstellung verdanken wir ferner den erneuten 
Hinweis, dass das oft rasche und bedrohliche Wachstum der ge¬ 
schilderten Netztumoren schon in einer Reihe der in der Literatur 
beschriebenen Fälle zu schweren lleuserscheinungen durch Um- 
wachsung der Därme geführt hat, und dass Todesfälle vorkamen, 
bzw. das Leben nur durch sehr ausgedehnte Darmoperationen 
gerettet werden konnte. Wegen der Literatur über dieses Gebiet 
weise ich auf die Hoiländer’sche Arbeit hin. Man soll stets 
an diese Braun’schen Pseudotumoren denken, wenn sich einige 
Monate nach einer Bruchoperation, bei welcher Netzunter¬ 
bindungen stattgefunden haben, solche Geschwülste im Bauch 
zeigen. 

Auch in dem von mir zu schildernden Falle hat eine Bruch¬ 
operation »stattgefunden; aber trotzdem glaube ich, dass das 
Krankheitsbild durchaus den Küttner’schen Fällen von idio¬ 
pathischer „tumorbildender Fettgewebsnekrose des Netzes“ anzu¬ 
reihen ist, da bei der Bruchoperation keine Netzunterbindung er¬ 
folgte, und da die die entzündliche Netzgeschwulst einleitenden 
Schmerzanfälle und Stiche bereits lange vor der Bruchoperation 
beobachtet wurden. Ausserdem bestehen auch noch andere weit¬ 
gehende Analogien mit den Küttner’schen Fällen. 

Die Krankengeschichte des Patienten ist folgende: 

Am 23.1. 1911 wurde in die Königliehe Klinik der 48 jährige Dreher 
J. G. aufgenommen. Seit etwa 8 /< Jahren klagt er über Stiche und 
Schmerzen in der rechten Unterbauchgegend. Seit 7* Jahr leidet er an 
Leistenbrüchen und an einem Nabelbruch. Patient ist ausserordentlich 
fettleibig und von kräftigem Körperbau. Am 30.1. 1911 wird ihm unter 
Lokalanästhesie der Nabelbruch mit einem queren Schnitt beseitigt, und 
gleichzeitig die beiden Leistenhernien, von denen die rechte grösser ist, 
die linke nur eine Bruchanlage darstellt. Die Wunden heilen rasch; 
in der sehr fettreichen Leistenbeuge besteht freilich kurze Zeit Sekretion 
aus dem Unterhautfettgewebe. Am 25. II. 1911 wird Pat. vollkommen 
geheilt entlassen. 

Am 17.1. 1912 erneute Aufnahme in die Klinik. Nach der etwa 
1 Jahr zurückliegenden Operation war der Kranke etwa s / 4 Jahr lang 
vollkommen frei von Beschwerden. Seit 2 Monaten jedoch treten die 
rechtsseitigen Stiche in der Unterbauchgegend wieder auf, die von zu¬ 
nehmendem Charakter und anfallsweise beobachtet werden; auch 
breiten sie sich nach der Mitte der Unterbauchgegend zu aus. Die an¬ 
fänglich bestehende mässige Stuhlverstopfung wird gegen Ende Dezember 
so heftig, dass unter Verhaltung von Blähungen und unter starken 
Schmerzen Aufstossen eintritt mit kotigem Geschmack. Anfang Januar 
wird einige Tage Fieber beobachtet. Unter Zuhilfenahme von Abführ¬ 
mitteln wird bei häuslicher Behandlung der Zustand gebessert und die 
akute Gefahr beseitigt, aber in vermindertem Maasse bestehen die gleichen 
Beschwerden fort. Der ausserhalb der Klinik behandelnde Arzt denkt 
an eine atypisch verlaufende Blinddarmentzündung. Befund bei der 
Aufnahme: Pat. hat subfebrile Temperaturen. In der Ileocoecalgegend 
fühlt man bei dem fettleibigen Pat. undeutlich einen über kindskopf¬ 
grossen, nicht scharf abgegrenzten, druckempfindlichen, festen Tumor, 
welcher mit den Bauchdecken anscheinend zwar nicht verwachsen zu 
sein soheint, aber dessen Versohieblichkeit doch eine sehr geringe ist 

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1) Holländer, Berliner Gesellsch. J. Oblr^ 10. März 1918. 


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UMIVERSITY OF IOWA 








19. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


909 


Da wir sofort an eine entzündliche Netsgesohwulst im Sinne Braun’s 
dachten, trotzdem Netzunterbindungen bei der ersten Operation nicht 
stattgefunden hatten, verordneten wir bei Bettruhe flüssige spärliche 
Kost und grosse Priessnitz-Umschläge auf den Leib. Trotz gleichzeitig 
gegebener Abführmittel und Darmspülungen kommt keine nennenswerte 
Entleerung zustande, und die Beschwerden des Kranken nehmen einen 
bedrohlichen Charakter an. Somit war eine Operation unvermeidlich. 
Diese (22.1. 1912) beginnt mit einem grossen Pararectalschnitt rechter- 
seita und zeigt, dass es sich um einen grossen, aus ungemein harten 
Schwielen bestehenden Tumor handelt, an dem mehrere Dünndarm- 
scblingen fest angelötet sind, und in welchen das fettreiche Netz ohne 
scharfe Grenzen übergeht. Es gelingt nioht, in vollkommen freie Teile 
der Bauchhöhle vorzudringen. Eine totale Entfernung der Geschwulst, 
welche in ihre Umgebung eingemauert ist, erscheint vollkommen unmög¬ 
lich und wird auch aus dem Grunde unterlassen, weil der ganze Prozess 
mit grosser Wahrscheinlichkeit als ein chronisch-entzündlicher betrachtet 
werden muss. Ehe man nun versucht, in die Geschwulst einzudringen, 
um eventuell vorhandene centrale Erweichungen oder centrale ursäch¬ 
liche Herde freilegen oder drainieren zu können, wird der Vorsicht 
wegen die Vorderfläche der Hauptgeschwulst mit dem Peritoneum parietale 
der vorderen Bauchwand sorgfältig umsäumt. Dann wird eine etwa 
5 cm lange und IV 2 cm tiefe Inzision in die Geschwulst hinein geführt; 
sie zeigt aber überall denselben homogenen, schwielig weissen Quer¬ 
schnitt, in dem einzelne schon makroskopisch wie Nekroseherde aus¬ 
sehende Einsprengungen deutlich sichtbar sind. Ausserdem erkennt man 
hier und da im schwieligen Gewebe eingeschlossene Reste von Fett¬ 
gewebe. Um den vermutlich dahinter liegenden Dickdarm (Coecum) 
nicht zu verletzen, wird nicht tiefer eingeschnitten, auch nicht stumpf 
tiefer vorgegangen, sondern nur eine grosse schwielige Gewebsplatte zur 
Untersuchung herausgeschnitten. Das obere und untere Drittel der 
Wunde wird vernäht; im mittleren Drittel wird eine sterile Tamponade 
auf die Exzisionsstelle gelegt und nach aussen geleitet. 

Die mikroskopische Untersuchung der Geschwulst (Prof. Westen- 
höfer) ergibt ausschlieslich Schwielen von wenig entzündlichem Charakter, 
dazwischen eingestreut zum Teil nekrotisches Fettgewebe. 

Um die Resorption einzuleiten, werden im Stadium der Nachbehand¬ 
lung abwechselnd Thermophore und feuchte Umschläge aufgelegt. Die 
alten Beschwerden des Kranken sind aber nur ganz unwesentlich ge¬ 
bessert, die Stuhlentleerung bleibt minimal, Windverhaltung besteht 
nicht. Unter starker, im wesentlichen vergeblicher Peristaltik bildet sich 
am 28. I. in der Excisionsstelle der Schwielen in der Tiefe eine anfangs 
kleine Kotfistel, welche die grosse Fettgewebswunde der Bauchwand in¬ 
fiziert, so dass diese zum Teil wieder geöffnet werden muss. Während 
diese Kotfistel offen bleibt und gewissermaassen wie ein Sicherheitsventil 
(Gasfistel) wirkt, kommt die hauptsächlichste Stuhlentleerung auf dem 
natürlichen Wege langsam in Gang und die Beschwerden verringern sich. 
Die Kotfistel, welche mehrfach versiecht, dann aber wieder aufbricht, wird 
durch gelegentliches Ausbrennen mit dem Thermokauter stark verkleinert 
und schliesst sich gegen Ende April vollständig; auch die äussere Wunde 
hat sich so stark verkleinert, dass der Patient am 2. IV. sehr erholt 
und ohne wesentliche Beschwerden entlassen werden kann. Er bleibt 
in weiterer Behandlung, während welcher Zeit er stark an Gewicht zu¬ 
nimmt. Stets aber bleibt in der Umgebung der eingezogenen Narbe in 
der Tiefe der Tumor fast noch in der anfänglichen Grösse fühlbar, wenn 
auch keine Sohmerzhaftigkeit und keine wesentliche Darmstenose mehr 
besteht. 

Schon am 13. VI. 1912 muss aber der Kranke von neuem in die 
Klinik aufgenommen werden. Seit Mai beobachtet er wiederum die alten 
Schmerzen und Stiche in der rechten Unterbauohgegend, und wiederum 
beginnt hartnäckige Stuhlverhaltung, welche mit Abführmitteln und 
Darmspülungeu kaum nennenswert beeinflusst wird. Abführmittel 
steigern nur die Beschwerden, und in einem solchen Anfall bricht auch 
in der Mitte der schon in letzter Zeit verdickten und schmerzhaften 
Narbe die Kotfistel wieder auf. Im Stuhl ist auch jetzt ebenso wie 
früher weder Schleim noch Blut vorhanden. Das Allgemeinbefinden ver¬ 
schlechtert sich während der nun beginnenden klinischen Beobachtung 
dauernd. Bettruhe, Anwendung von Umschlägen führen keine Verkleine¬ 
rung der Geschwulst herbei, diese scheint vielmehr noch zu wachsen. 
Die heftigen, oft stundenlang andauernden Scbmerzanfälle nehmen 
schliesslich einen so bedrohlichen Charakter an, dass Patient von neuem 
operiert werden muss, um nicht seinem Leiden zu erliegen, welches 
durchaus den Charakter eines dauernden chronischen Ileus angenommen 
hat. Am 14. VII. wird daher nochmals, und zwar dieses Mal in der 
Mittellinie, nach sauberer Abdeckung der kleinen Kotfistel laparotomiert 
und oberhalb und unterhalb des Nabels die Bauchhöhle im wesentlichen 
frei von Verwachsung vorgefunden. Von dem Schnitt aus fühlt man in 
der Ueocoecalgegend den fast mannskopfgrossen, harten Konglomerat¬ 
tumor vollkommen unbeweglich mit seiner Umgebung verlötet. Nur 
mühsam erkennt man die in den entzündlichen Tumor einmündende 
tiefste Dünndarmschlinge. Sie wird handbreit vor der Geschwulst quer 
durohtrennt und beide Enden blind geschlossen. Darauf wird das zu¬ 
führende Ende durch breite laterale Anastomose mit dem Colon trans- 
versum verbunden. 

Der Eingriff wird vortrefflich überstanden. Die Scbmerzanfälle sind 
momentan beseitigt und die Stuhlentleerung erfolgt auf dem natürlichen 
Wege, zunächst 8—4 mal täglich. Im weiteren Verlauf bleibt die Kot¬ 
fistel zunächst noch immer offen und scheidet in wechselnder Menge 


Stuhlgang ab. Nur zeitweise treten leichte Beschwerden in der Gegend 
des Tumors auf, welcher sich nunmehr langsam verkleinert. Am 8. VIII. 
1912 wird der Kranke mit ganz unbedeutender Kotfistel in gutem Er¬ 
nährungszustand ohne Beschwerden entlassen. 

Die Nachuntersuchung im März 1913 ergibt, dass der Kranke seit 
mehreren Monaten voll arbeitsfähig ist. Er ist in gutem Ernährungs¬ 
zustand, klagt nie mehr über Leibsohmerzen, trägt wegen der vielen 
Bauchnarben eine breite Bauchbandage und hat normalen Stuhlgang. 
Leider bricht die alte Fistel alle 3—4 Wochen in der inzwischen über¬ 
heilten Narbe ohne bekannte Ursache wieder für einige Tage auf und 
entleert etwas Kot, manchmal nur etwas Eiter, um dann wieder ziemlich 
rasch zuzuheilen (Rückstauung im ausgeschalteten Coecum). Der Tumor 
in der Ueocoecalgegend ist nunmehr völlig verschwunden. Auch bei der 
Abtastung in Rückenlage des Kranken fühlt man nur die schwielige 
Narbe der Bauchdecken. 

Aus der geschilderten Entstehungsgeschichte, dem Verlauf, 
dem makroskopischen und mikroskopischen Befund, sowie aus 
den Erfolgen der operativen Eingriffe dürfte zur Genüge hervor- 
gehen, warum ich den geschilderten Fall nicht dem von Braun 
beschriebenen und seitdem in die allgemeine Kenntnis überge¬ 
gangenen Krankheitsbild unterordnen, sondern ihn den Küttner¬ 
sehen Fällen anreihen möchte. Wir lernen daraus, dass diese 
tumorbildende Fettgewebsnekrose mit plastischer Verdickung der 
Umgebung ebenfalls zu so hochgradigen Verengerungen des Darm¬ 
lumens führen kann, wie auch die Epiploitis plastica, welche sich 
um die Unterbindungsstümpfe des Netzes herum entwickelt, und 
dass leider nicht in allen Fällen eine Neigung zu centraler Er¬ 
weichung und damit zu einem Ausstossen der nekrotischen Ge- 
websmassen besteht, wie es in dem einen Küttner’schen Falle 
beschrieben wurde. Solche centralen Erweichungen sind also 
günstige Vorkommnisse und werden in Zukunft die Diagnose er¬ 
leichtern, wenn man ihnen bei der Operation begegnet. Die 
schweren Darmerscheinungen erklären sich in unserem Fall leicht 
dadurch, dass das Coecum von dem entzündlichen und zu sekun¬ 
därer Schrumpfung neigenden Schwielengewebe, so weit man sehen 
konnte, vollkommen umwachsen war. An diese Möglichkeit muss 
man denken und nie in einem solchen Falle operativ tief in die 
entzündliche Geschwulst eindringen, ehe man sich nicht wenig¬ 
stens überzeugt bat, dass die benachbarten Dickdarmabschnitte 
nicht mitten durch die Geschwulst hindurchziehen. 

Interessant ist in unserem Falle die Zeitdauer der Entwick¬ 
lung, welche sich in schubweisem Verlauf über viele Monate er¬ 
streckt und die einer wirklichen Heilung erst entgegengefübrt 
wurde, als der von der Kotpassage ganz offenbar ausgehende Reiz 
endgültig ausgeschaltet war. ln meinen Fällen haben sich also 
schmerzhafte Attacken, wie sie auch Küttner bei der Entstehungs¬ 
geschichte seiner Fälle schildert, mehrfach ereignet und jedesmal 
zur Verschlimmerung geführt. Ganz besonders günstig war die 
Erkrankung in dem zweiten Küttner’schen Fall lokalisiert, wo 
wegen dieses Umstandes sowie wegen des offenbar noch früh¬ 
zeitigen Krankheitsstadiums eine Totalexstirpation sich ermöglichen 
liess. Ob in meinem Falle die leichten Fiebererscheinungen sich 
einzig und allein durch die nekrotisierende Netzentzündung er¬ 
klären, bleibt um so unwahrscheinlicher, als nirgends Eiterung 
oder lebhafte frischere Entzündung sich nachweisen liess. Eite¬ 
rung trat erst hinzu, nachdem der Zustand durch die Kotfistel 
infiziert war. 

Ganz offenbar prädisponiert allgemeine Fettleibigkeit zu dem 
in Rede stehenden Krankheitsbild. Was tatsächlich dieser inter¬ 
essanten Gewebsveränderung ursächlich zugrunde liegt, geht aus 
meinen Fällen ebensowenig hervor. Zu denken ist entschieden 
an thrombotische Vorgänge mit Ernährungsstörungen im Netz¬ 
fettgewebe oder an Embolien (rasche Entstehung bei den Küttner- 
schen Fällen) oder an Blutungen, oder von kleinen Netztorsioneu 
mit unvollständiger Abschnürung ausgehende Circulationsstörung. 
Dass bakterielle Ursachen das Primäre sind, erscheint auch mir 
unwahrscheinlich. Insbesondere ist wohl nicht anzunehmen, dass 
sie aus dem Darmlumen herstammen. Bei der Differentialdiagnose 
darf jedenfalls ausser echten Geschwülsten auch Aktinomykose 
und Lues mitberücksichtigt werden. 

Möge der geschilderte Fall das Seine zur Klärung des inter¬ 
essanten Krankbeitsbildes beitragen. 


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UMIVERSITY OF IOWA 




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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 


Die Rhinitis posterior im Säuglingsalter. 

Von 

Prof. P. Gtfppert-Göttingen. 

(Nach einem Vortrag, gehalten bei der Tagung der südwestdeutschen 
und niederrheinisch-westfälischen Vereinigung für Kinderheilkunde zu 
Wiesbaden am 13. April 1913.) 

In den letzten Jahren hat die Lehre von der Bedeutung des 
Schnupfens im Säuglingsalter, wenn auch einstweilen mehr in 
kinderärztlichen Kreisen, die Aufmerksamkeit gefunden, die sie 
verdient. Wir haben nicht nur mehr als früher die Störungen 
kennen gelernt, die eine selbst unbedeutende Verlegung der Nasen¬ 
wege für die Nahrungsaufnahme darstellt, sondern würdigen auch 
den Schnupfen als Infektionskrankheit. So ist uns bekannt, dass 
die Schnupfeninfektion die Hauptursache der sogen, parenteral 
bedingten Durchfälle ist und dass das Misslingen künstlicher Er¬ 
nährung bei manchen Neugeborenen durch eine solche mitver¬ 
schuldet ist. Als Beispiel für diese uns allen wohlbekannte Tat¬ 
sache mag eine Kurve dienen, die eine Hausepideraie der früheren 
Göttinger Kinderklinik darstellt. Von den 10 im Hause an¬ 
wesenden Säuglingen erkrankten alle innerhalb 14 Tagen an 
Schnupfen. Nur wenige bekamen im Anschluss hieran Bronchial¬ 
katarrh, aber fast alle mehr oder weniger Durchfall und erlitten 
zum Teil erhebliche Gewichtsstürze. 

Bei einer so wichtigen Erkrankung, wie der Schnupfen sie 
für den Säugling darstellt, ist es wohl der Mühe wert, häufiger 
als bisher den Locus morbi einer Untersuchung zu unterziehen. 
Wir haben bei der Fahndung auf Nasendiphtherie gelernt, dass 
wir auch beim jüngsten Säugling doch genügend grosse Schleim¬ 
hautbezirke der Nase übersehen, um über den Krankheitsprozess 
etwas Bestimmtes aussagen zu können 1 ). 

Nur in verhältnismässig wenigen Fällen verläuft der Schnupfen 
unter dem Bilde der Rhinitis anterior. Der vordere Teil der 
unteren Nasenmuschel ist dann prall geschwollen, blassrot und 
füllt fast das ganze Nasenloch aus. Noch während der Inspek¬ 
tion ändert sich der Grad der Schwellung erheblich, so dass man 
mitunter Freiwerden und Zuschwellen des Nasenloches in wenigen 
Minuten beobachten kann. Wir finden diese Form der Erkrankung 
hauptsächlich bei blühenden, derben Kindern, in chronischer Form 
ausserdem im Beginn der hereditären Lues. 

Am häufigsten, und zwar namentlich bei den Schnupfen¬ 
katarrhen, wie wir sie in Säuglingsabteilungen nur zu oft sehen, 
ist die Schwellung der vorderen Nase recht unbedeutend. Die 
normal fast weisse Schleimhaut des vorderen Septums und der 
unteren Nasenmuschel ist mehr oder weniger erheblich gerötet 
und soweit wir in die Nase hineinblicken können, sehen wir den¬ 
selben Befund ohne erhebliche Schwellung. Trotzdem ist bei 
einem Teil dieser Fälle eine charakteristische Form von Ver¬ 
schluss der oberen Luftwege vorhanden. Einer besonderen Er¬ 
klärung bedarf die chronische Form dieser Nasenverstopfung. 
Klinisch stellt sich die Krankheit etwa folgendermaassen dar: 

Die erste Schnupfeninfektion, die das Kind oft in seinen 
frühesten Lebenstagen betrifft, hinterlässt eine mehr oder weniger 
schwere, andauernde Hemmung der Nasenatmung. In den leich¬ 
testen Fällen ist sie oft nur dadurch charakterisiert, dass der 
Säugling stets mit halb offenem Munde daliegt. Je nach Tempe¬ 
rament lässt er sich dadurch beim Saugen an der Brust mehr 
oder weniger stören. Schon ein geringes Hemmnis veranlasst den 
nervösen Säugling, sich gegen das Anlegen zu sträuben, während 
ein anderer selbst bei erheblicher Behinderung geduldig trinkt. 

Akute Schnupfenattacken führen jedoch oft plötzlich zu einem 
vollständigen Verschluss der Nasenwege. Das Kind sträubt sich 
dann mit augenscheinlich grosser Angst gegen das Anlegen, und 
die Mutter setzt es unter dem Eindruck dieses Verhaltens in der 
Regel dauernd ab. 

Während die leichteren Fälle trotz der Nasenverstopfung 
noch gut gedeihen können, gedeihen schwerer betroffene Kinder 
sehr schlecht, ja sie bleiben im Wachstum um Monate, in seltenen 
Fällen sogar um Jahre zurück. In der Regel bekommen wir die 
Kinder erst im 6.—8. Lebensmonat zu sehen. Nach dem Bericht 
der Mutter haben die Kinder öfters gefiebert, sind zeitweise 
appetitlos gewesen und haben auch wohl leichte spontan oder 
durch eine sonst nicht wirksame Therapie (Calomel) schnell ge¬ 
heilte Durchfälle gehabt. Die Nasenatmung ist bei diesen Kindern 


1) Siehe die Arbeiten von Blochmann aus der Göttinger Kinder¬ 
klinik. Diese Wochenschr., 1910, Nr. 44 u. 1911, Nr. 38. 


trotz Offenstehens der vorderen Nase extrem behindert, und zwar 
hat die Behinderung alle Charakteristica der Verstopfung, wie wir 
sie bei Adenoiden finden. Das sonstige Aussehen des Kindes ist 
so bezeichnend, dass sich die einzelnen Kinder untereinander 
geradezu ähnlich sehen (s. Figur 1). Die Nasenlöcher sind weit 
aufgerissen, der Gesichtsausdruck ein wenig ängstlich, die obere 
Gesichtshälfte ein wenig gedunsen. Beim nackten Kinde fällt es 


Figur 1. 



auf, wie schmal und kurz der Brustkorb ist. Die Rippen laufen 
horizontaler als sonst. Der untere Teil des Brustkorbes, nament¬ 
lich des Sternums, ist nach unten zu leicht eingebogen. Dem 
kurzen Thorax gegenüber erscheint der Bauch enorm verlängert. 
Namentlich ist die obere Bauchbälfte unverhältnismässig ver- 
grössert. Der Meteorismus kann zeitweise so erheblich werden, 
dass das Kind wochenlang an schwerster Atemnot leidet, ln 
diesen hochgradigen Fällen dürfte das von Usener beschriebene 
Luftschlucken der Säuglinge mit verstopfter Nase mit schuld an 
den schweren Erscheinungen sein. Ebenso wie bei den leichteren 
Fällen zeigen sich auch bei diesen Formen akute Reinfektionen 
oder Exacerbationen. Aber sie äussern sich mehr durch Störung 
des Allgemeinbefindens und der Verdauung. Die Vermehrung des 
Nasenverschlusses wird begreiflicherweise weniger schroff empfun¬ 
den. Folgender Fall möge die Leidensgeschichte eines solchen 
Kindes darstellen. 

Marie K., 5 Monate alt, kommt leicht intoxiciert im Februar 1911 
zur Aufnahme in die Klinik. Gewicht 4 kg. Starke Rhinitis posterior, 
Gesichtsausdruck wie auf dem Bilde, typische Deformierung des Brust¬ 
korbes. Zu den dauernden Beschwerden treten hinzu: 20. III. bis 
3. IV. Pneumonie. 16. IV. Angina mit zerfahrenen Stühlen. Ueber- 
führung auf Brust. 5. V. Rhinitis anterior. 5.—14. V. mit stärkstem 
Nasenverschluss, etwas Bronchitis. 20. V. wieder Verschlimmerung 
des Schnupfens. 5.—13. VI. Halsentzündung mit stärkerem Schnupfen. 
Die endlich beginnende Gewichtszunahme sistiert seitdem für einige 
Wochen. 21. VII. frische Angina, rechtsseitige Jugulardrüsenschwellung, 
Gewichtsstillstand. 30. VII. stärkere Angina, Fieber, zerfahrene Stühle, 
Rückkehr zur Brusternährung. 27. VIII. bis 2. IX. frische Nasopharyngitis, 
schleimige Stühle. 9. IX. und 11. IX. Mittelohrentzündung beiderseits. 
Links Paracentese. 27. IX. bis 1. X. wieder frischer Katarrh mit be¬ 
ginnender Otitis media. 23. X. dasselbe usw. 

Noch weitere 9 Monate setzte sich die Leidensgeschichte des Kindes 
in gleicher Weise fort, und so lange sistierte das Wachstum. Dann erst 
begann das Kind sich rapide zu entwickeln und damit öffnete sich auch 
die verschlossene Nase. 

Wie sehr man anfangs auch geneigt sein mochte, das ge¬ 
schilderte Krankheitsbild auf Vergrösserung der Nasenrachen¬ 
mandel zurückzuführen, so widerspricht dieser Annahme die Tat¬ 
sache, dass die bei weitaus grösste Anzahl der hiervon be¬ 
troffenen Kinder, selbst bei den allerschwersten Leiden gesund 
wird, sobald das Wachstum einsetzt. Die Kinder haben dann 
schon in der Mitte des zweiten Lebensjahres gewöhnlich freie 
Nasenatmung. In einem Falle, bei dem das Wachstum 2 Jahre 
lang sistiert hatte, war mit 2 l / 2 Jahren das gewünschte Ereignis 
eingetreten. 

Wenn wir als Ursache der Nasenverstopfung Hyperplasie der 
Nasenrachenmandel annehmen, so muss vorausgesetzt werden, 
dass zum mindesten bei dem Wachstum des Nasenrachenraums 
die Adenoiden nicht wachsen und dadurch relativ kleiner werden. 


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UNIVERSUM OF IOWA 








19. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


911 


Canal . 1 
choa- 
nalis J 


Die Annahme erscheint wenig plausibel, da gerade im zweiten 
und dritten Lebensjahre die Neigung zur Hyperplasie gemeinig¬ 
lich besonders stark ist. Dieser Hypothese wiederspricht auch 
z. B. folgender Fall, den ich dem freundlichen Entgegenkommen 
der Herren Prof. Erich Müller und 0. Herbst danke. 

Frida M., geboren den 27. Juni 1912. Seit 18. Juli im Waisenhaus 
Rummelsburg. Ernährt mit Frauenmilch aus der Flasche. Bis 
22. November hat sich langsam folgender Zustand entwickelt: Kind 
schwitzt viel, schnarcht sehr, offenbar infolge von Adenoiden, und sieht 
gedunsen aus. 2. Dezember: Die Verstopfung der Nase wird immer 
stärker. Offenbar Wucherungen im Nasenrachenraum. Kein Sekret aus 
der Nase. Die Atembehinderung nimmt in den nächsten Tagen stark 
zu. Zunehmende Blässe. Bei der Atmung werden die Rippen ein¬ 
gezogen. Es erfolgt bis 8. Dezember ein Gewichtssturz von 4600 bis 
4020 g. Seit dem 8. wird Adrenalin in die Nase eingeträufelt. Am 
12. findet sich folgende Notiz in der Krankengeschichte: Mund ge¬ 
schlossen gehalten, kein Schnarchen. Das Trinken, das seit Anfang des 
Monats stark erschwert war, geht jetzt wieder ungestört vor sich. 
Wiedererlangung des alten Gewichtes. Trotzdem Ende Dezember eine 
akute Schnupfenattacke erfolgt und an diese sich seit dem Januar eine 
Bronchopneumonie anschliesst, kommt es nicht wieder zum Rückfall in 
das alte Leiden. Befund bei der Untersuchung März 1913: Nasen¬ 
atmung ziemlich frei. Finger dringt nicht in den Nasenrachenraum ein, 
nur ein Stück der Hinterwand ist zu fühlen, das Gaumensegel aber so 
weit nach oben zu drängen, dass sehr erhebliche Vergrösserung der 
Rachenmandel mit Sicherheit auszuschliessen ist. 

Eine derartige Heilung ist nur verständlich, wenn der wesent¬ 
liche Teil der Atembehinderung durch eine Schleimhautschwellung 
verursacht ist. ln der Tat kann man sich gelegentlich bei 
Sektionen von schnupfenkranken Säuglingen überzeugen, dass bei 
der Erkrankung des Nasenrachenraums die Schleimhaut nament¬ 
lich der Seitenteile oft sehr viel stärker zur allgemeinen Ver¬ 
engung beiträgt, als die Adenoiden. Aehnliche Erfahrungen 
scheint nach den Angaben von Czerny 1 ) auch Bartenstein 
gemacht zu haben. Von besonderer Wichtigkeit aber ist es, sich 
klar zu machen, von welcher Stelle der oberen Luftwege eine 
Schwellung der Schleimhaut die grösste mechanische Wirkung 
entfalten kann. Wir bedürfen daher der Kenntnis der Anatomie 
des Nasenrachenraums im Säuglingsalter. Mangels Angaben in 
der Literatur schildere ich die Verhältnisse nach eigenen Ab¬ 
güssen und Präparaten 2 ). 

Der Aditus narium ist stärker nach oben gerichtet als im 
späteren Alter und zeigt an seinem Uebergang in die Nase eine 
Verengung. Bei Beginn der eigentlichen Nase steigt fast senk¬ 
recht die obere Begrenzung in die Höhe, um nach den Choanen 
zu wieder herabzufallen. Die Choanen verdienen ihren Namen 
nicht, sie stellen nichts weiter dar als kleine, kreisrunde Oeff- 
nungen bzw. Kanälchen, so dass die Nasenmuscheln völlig vom 
Nasenrachenraum abgetrennt werden. Für diesen 1—2 mm 
langen Kanal möchte ich daher den Namen „Canalis 
choanalis“ gebrauchen. Diese Kanäle sind durch eine stark 
schwellbare Schleimhaut eingesäumt. Namentlich die obere Be- 


Figur 2. 



1) Monatsschr. f. Kinderheilk., 1912, S. 162. 

2) Herrn Prof. Voit sage ich für seine freundliche Unterstützung 

besten Dank. 


grenzung nach dem Nasenrachenraum zeigt diese Eigenschaft, wie 
aus dem Bilde, das von einem chronischen Säuglingsschnupfen 
stammt, zu ersehen ist (Figur 2). 

Im Laufe des ersten Lebensjahres erweitert sich die Choane 
nach oben gleichzeitig mit den übrigen Wachstumserscheinungen 
des Gesichtsschädels. 

Nach der Vereinigung der beiden Canales choanales verläuft 
der Nasopharynx eine grosse Strecke völlig horizontal, sich nach 
hinten zu verbreiternd bis zu den nicht tief einspringenden 
Rosenmüller’schen Gruben, wo er seine grösste Breite erreicht. 
In scharfer Kante biegt er hier nach unten um und verläuft 
jetzt, sich verschmälernd in einen stumpfen Winkel gegen die 
Horizontale, also nicht rechtwinklig wie etwa beim Erwachsenen, 
bis zur Pars laryngea, etwa ein Verhalten, wie wir es beim Tiere 
sehen. Der horizontale Teil ist an der Oberfläche vollständig 
platt und trägt hier die Pharynxtonsille, die im ersten Lebensjahr 
häufig noch keine Keimcentren aufweist. Die Unterfläche dieses 
Pharynxteils ist begrenzt von dem vollständig horizontal ver¬ 
laufenden weichen Gaumen, der auch im Gegensatz zum Er¬ 
wachsenen noch in seinem letzten Teile, dem Gaumensegel, diesen 
horizontalen Verlauf beibehält. 

Der stumpfe Winkel, in dem der untere Teil des Pharynx 
diese Horizontale kreuzt, bedingt, dass der Zungengrund in 
schrägerer Linie aufsteigt und länger dem Pharynx anliegt. 

Wir sehen daher ausser anderen, für die Erscheinung des 
Säuglingsschnupfens wichtigen topographischen Verhältnissen, 
dass die Canales choanales einen Engpass darstellen, der durch 
unerhebliche Schleimhautschwellung schon verschlossen werden 
kann, und dass das in der Tat stattfindet, zeigt ja schon das 
Bild, das von einem chronisch schnupfenkranken Säugling stammt. 
Das Kind hatte in seinen ersten zwei Lebensmonaten dauernd 
verstopfte Nase. Zugleich zeigt uns dies Bild, dass die Nasen¬ 
rachenmandel an einer relativ weiten Stelle über dem horizontal 
verlaufenden Teile des Gaumensegels liegt. Ihre Anschwellung 
muss daher recht erheblich sein, um eine Wirkung hervorzu¬ 
rufen. Bei dem ganzen Verlauf des Pharynx aber ist ersichtlich, 
dass wir wenigstens in den ersten sechs Lebensmonaten den 
Finger gar nicht so krümmen können, dass er in den Nasen¬ 
rachenraum eindringt. Wir müssen zufrieden sein, die Nasen¬ 
rachenmandel durch das Gaumensegel hindurch abzutasten. Wenn 
wir auch auf diese Weise nur erhebliche Hypertrophien nach- 
weisen können, so genügt dies doch nach dem oben Gesagten für 
den praktischen Zweck völlig 1 ). 

Wir sind somit berechtigt, ein Krankheitsbild auf¬ 
zustellen, das sich durch chronische Verstopfung des 
hinteren Teils der Nasenwege charakterisiert, dessen 
klinische Erscheinungsformen oben beschrieben sind. 
Wohl ist die Schleimhaut des Rachenrauras und der 
hintersten Nase nicht frei von Schwellung, aber die 
Stenose entsteht an dem Engpass der Canales choanales. 
Mit der Erweiterung dieser Canales zur Choane findet 
die Krankheit ihre natürliche Heilung. 

Dass aber gerade hier die Schleimhaut besonders schwillt, 
erklärt sich leicht durch Stauung der Sekrete der weiten Nasen¬ 
höhle an dieser Stelle, die namentlich beim liegenden Kinde am 
deutlichsten sein muss. 

Es liegt mir fern, zu bestreiten, dass auch die Hypertrophie 
der Nasenrachenraandel schon in frühen Lebensmonaten eine selb¬ 
ständige Bedeutung gewinnen könne. Vereinzelt haben andere 
ebenso wie ich Fälle beobachtet, bei denen durch das Gaumen¬ 
segel ein dickes Polster zu fühlen war. Ein wirklich vollständiges 
Curettement des Nasenrachenraums, das allerdings mit dem ge¬ 
wöhnlichen Ringmesser in Anbetracht der anatomischen Verhält¬ 
nisse nicht immer gelingt, führt fast momentane Heilung herbei 2 ). 

Selbstverständlich gibt es auch gemischte Fälle. So sah ich 
bei einem Kinde, das seit den ersten Lebenswochen an Rhinitis 
posterior litt, mit ungefähr 3 / 4 Jahren nach schwerer Nasen¬ 
racheninfektion eine bedeutende Zunahme der Hemmung der 
Nasenatmung. Die Digitaluntersuchung ergab ziemlich stark ver- 
grösserte Nasenrachenmandel. Nach deren Entfernung war der 


1) Eine ausführliche Darstellung dieser Fragen soll später folgen. 

2) Auf die Technik der Operation gehe ich hier nicht ein. Den 
Einwand Czerny’s, dass es sich vielleicht in solchen Fällen nicht um 
Adenoide, sondern um Schleimhautschwellung handeln könne, kann ich 
in meinen Fällen durch anatomische Untersuchungen nicht widerlegen, 
doch spricht alles für die obige Annahme. Lugenbühl hat aber schon 
beim sechswöchigen Kintje anatomisch . nachgewiesene adenoide Wuche¬ 
rungen entfernt. 


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UMIVERSITY OF IOWA 



912 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr.' 20: 


Zustand des Kindes etwa derselbe wie in der letzten Zeit vor 
der Operation, nnd erst nach 2—3 Monaten setzte die Heilung ein. 

So wünschenswert in solchen Fällen daher die Operation 
auch ist, so können wir doch Vorhersagen, dass ihr Nutzen nur 
ein teilweiser sein kann. 

Zum Schloss noch einige Worte über die Therapie. Gelegent¬ 
lich gelingt es, unter Anwendung von Adrenalin eine Heilung zu 
ermöglichen, wie das citierte Beispiel von Herbst zeigt. Doch 
dürfen wir auf einen solchen Erfolg selbstverständlich nicht 
rechnen. Die Nebennierenpräparate werden hauptsächlich An¬ 
wendung finden müssen während der akuten Exacerbation. Man 
träufelt dann mit der Augenpipette 10 und 5 Minuten vor dem 
Trinken einige Tropfen folgender Lösung ein: 

Sol. Adrenalini oder Suprarenini (1:1000) 1,0 
Aq. boratae 2,0. 

Bei den chronischen Verschwellungszuständen nutzt gelegent¬ 
lich Argentum nitricum. Man träufelt in 1 proz. Lösung etwa 
2 Tropfen in jedes Nasenloch ein und wiederholt die Prozedur 
5 Minuten später noch einmal, nachdem man die Nase ab¬ 
gewischt hat. Jeden dritten Tag muss eine Pause gemacht 
werden. 

Den starken Meteorismus habe ich in einem sehr bösartigen 
Falle durch Einlegen einer grossen weichen Oesophagussonde in 
den Darm (30—50 cm weit) erfolgreich bekämpfen können. Es 
wurde abgewartet, bis das Kind die Sonde von selber ausstiess. 
Der Erfolg ist wohl nicht allein dem Ableiten der Winde, sondern 
dem Kontraktionsreiz durch den Fremdkörper zu danken. Künftig 
wird man auch an die Anwendung der Schlundsonde denken 
müssen. 

Die wichtigste Behandlung aber ist, das Kind vor akuten 
Anfällen zu schützen. Das Verhalten dieser Kinder gegenüber 
jeder Schnupfeninfektion in ihrer Umgebung lehrt uns, dass es 
sich meist, wenn auch nicht ausschliesslich, um Reinfektionen, 
nicht um Exacerbationen handelt. Es liegen also die gleichen 
Verhältnisse vor, wie sie L.F. Meyer 1 ) überhaupt bei an chronischen 
oder recidivierenden Erkrankungen der Luftwege leidenden Kindern 
nachweisen konnte. In den überfüllten Zimmern der Armen ver¬ 
laufen daher diese Fälle schwerer als beim einzelnen Kinde gut 
situierter Eltern. Bei klinischer Behandlung äussert sich die 
Empfänglichkeit für Schnupfen in sehr peinlicher Weise, wenn 
auch oft bei der Schwierigkeit der Ernährung einzig und allein 
die stationäre Behandlung das Kind retten kann. 

Soweit daher eine Isolierung des Kindes auch von scheinbar 
gesunder Umgebung möglich ist, muss sie durchgeführt werden. 

Der Widerstand gegen die einzelnen Infektionen lässt sich 
erfolgreich beben durch Freilufttherapie. So verlaufen die An¬ 
fälle viel milder, wenn die Kinder dauernd im Freien sind. 
Namentlich bei dem Kinde, dessen Leidensgeschichte wir zum 
Teil citiert haben, zeigt es sich, dass trotz der häufigen Anfälle 
Frische und Munterkeit so lange nur unbedeutend litt, als das 
Kind mindestens 6—8 Stunden im Freien lag. Das Wachstum 
setzte erst ein, als das Kind fast den ganzen Tag halb nackt 
und am ganzen Körper von der Sonne gebräunt im Freien lag. 
Auch im Winter muss die Lufttherapie fortgesetzt werden. Dann 
wird freilich oft das Spazierenfahren im kalten Zimmer als Not¬ 
behelf dienen müssen. 

Sehr wirksam ist ein Aufenthalt in möglichst staubfreier 
Gegend, Wald, Gebirge und See. Aber wir müssen bei dieser 
Verordnung ausserordentlich vorsichtig sein, soweit es sich 
wenigstens um fortgeschrittenere Fälle handelt. Nicht nur die 
Wobnungsverbältnisse müssen besonders bequem und günstig sein, 
sondern es ist auch darauf zu achten, dass ein in Ernährungs¬ 
fragen erfahrener ärztlicher Berater leicht zu erreichen ist. In 
der Tat sind mitunter die Schwierigkeiten in der Beurteilung und 
Behandlung der hier so häufigen parenteral bedingten Durchfälle 
so gross, dass es für das Kind oft wichtiger ist, in der Hand des 
Arztes zu bleiben, der es kennt. < 

Dass im übrigen die zugrunde liegende Konstitutionsschwäche, 
die exsudative Diathese bei der Wahl der Ernährungsmethode 
gleichfalls sorgfältig berücksichtigt werden muss, bedarf keiner 
besonderen Erörterung. 


1) L. F. Meyer, Festschrift für Heubner, S. 418. 


Aus der inneren Abteilung des Krankenhauses 
Bethanien. 

Ein Beitrag zur Frage des Zustandekommens 
linksseitiger Recurrenslähmung bei Mitral¬ 
stenose. 

Voa 

H. Doreadorf. 

(Nach einem am 18. März 1913 in der Hufelandischen Gesellschaft 
gehaltenen Vortrage.) 

Ortner hat als erster im Jahre 1897 zwei Beobachtungen 
von Mitralstenose mit Lähmung des linken Nervus recurrens mit¬ 
geteilt. Auf Grund seiner beiden Beobachtungen und der von 
Schlagenhaufer und Störck dem jüngeren erhobenen Ob¬ 
duktionsbefunde gelangte Ortner zu dem Schlüsse, dass gelegent¬ 
lich bei Stenose des Mitralostiums „eine derartig mächtige 
Dilatation des linken Vorhofs zustande komme, dass der Nervus 
recurrens sin. durch denselben an den Aortenbogen angedrückt, 
komprimiert, zur Degeneration seiner Fasern gebracht und hier¬ 
durch das linksseitige Stimmband gelähmt werde“. 

Seit dieser Publikation von Ortner sind vier weitere Beobachtungen 
von Recurrenslähmung bei Mitralstenose mit Obduktion und einige 
wenige, nur klinisch beobachtete Fälle derart mitgeteilt worden. 

In allen Fällen suchten die Autoren die Erklärung für die Stimm¬ 
bandlähmung in einer Kompression des Recurrens. 

Die Kompression des Nerven sollte stattfinden in einer Reihe von 
Beobachtungen (Fälle von Ortner, Freystadtl-Stranz, einem Falle 
Hofbauer’s) direkt zwischen Vorhofs wand und Aorta, oder aber — wie 
in einem Falle Ortner’s — zwischen Aorta und linkem Hauptbronchus, 
oder endlich zwischen der Arteria pulmonalis und der Aorta (Fall 
Frischauer’s, Gillie’s und Alexander’s). 

Dazu käme der Fall H. v. Schrötter’s, bei dem die Schädigung 
des Recurrens „durch seine Lagerung zwischen die Wandanteile der 
Aorta und des offen gebliebenen dilatierten Ductus Botalli und hierbei 
durch pulsatorischen Druck“ erklärt wird, und der Fall von Kraus, 
bei dem das Ligamentum Botalli den Recurrens kreuzte und schnürte 
und seine Degeneration bewirkte. 

Wenn wir die topographisch-anatomischen Lagebeziebungen 
der in Betracht kommenden Organe des hinteren Mediastinums 
betrachten, so wird es klar, dass eine wirksame, zur Faser¬ 
degeneration führende direkte Kompression des Recurrens durch 
einen dilatierten linken Vorhof während der Diastole wegen der 
Lagebeziehung des Aortenbogens zur Arteria pulmonalis aus¬ 
geschlossen ist. 

Eine derartige Kompression des Nerven durch den erweiterten 
Vorhof kann — wie bereits Kraus hervorgeboben hat — nur 
indirekt bewirkt werden, indem ein Druck von dem Vorhof auf 
den Aortenbogen und den Nervus recurrens durch Vermittlung 
der Arteria pulmonalis übertragen wird. 

(So verhielt es sich bei dem Kranken Frischauer’s, bei dem nur 
eine geringgradige Abduktionsparese des linken Stimmbandes zustande 
gekommen war. An dem von dem jüngeren Störck demonstrierten 
Präparat liess sich erkennen, dass der Nerv zwischen der Arteria pulmo¬ 
nalis, die duroh den vergrösserten linken Vorhof nach oben verschoben 
wurde, und dem Aortenbogen komprimiert war. 

In dem Falle Gillie’s, mir nur zugänglich in einem Referate der 
Semaine mödicale (1905, Nr. 51), komprimierte der dilatierte Ast der 
Arteria pulmonalis den linken Recurrens. 

Alexander nahm an, dass bei seinem in der Gesellschaft der 
Chariteärzte 1903 vorgestellten Kranken mit dem rechten Ventrikel auch 
der Conus arteriosus und die Arteriae pulmonales erweitert wären, und 
dass beide, der erweiterte linke Vorhof und die erweiterte Pulmonalis, 
zusammen durch pulsatorischen Druck den Nervus recurrens funktions¬ 
unfähig gemacht hätten.) 

Auoh dass der Druck des linken Atriums auf den linken Haupt- 
bronchus den Bronohus gegen den Aortenbogen anpressen könnte, wie 
Ortner für seinen ersten Fall angibt, erscheint anatomisch nicht recht 
verständlich. 

Sicher ist, dass eine beträchtlichere Vorhofserweiterung die Bronohien 
nicht unbeeinflusst lässt. 

Der jüngere Störck hat bei seinen Untersuchungen in toto ge¬ 
härteter Präparate bei Vitien mit Vorhofsvergrösserung (besonders 
Mitralstenosen) nachweisen können, dass in jedem Falle von linksseitiger 
Vorhofsvergrösserung entsprechenden Grades eine Abstumpfung des 
Interbronchial winkeis zustande kommt, dass die Bifurkation eine 
Spreizung erfährt, die beiden Hauptäste flacher abgehen als normal, ja 
in extremsten Fällen einen Winkel von 90° mit der Luftröhre bilden. 

Ausser dieser Heraufdrängung bewirkt der erweiterte Vorhof eine 
Abplattung des linken Brouchus von unten und vom her. 

Die an ausgegossenen Bronchien von : Störck und intra vitam 
bronchoskopisch von Kahler festgestellte Einengung des forderen 


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UNIVERSUM OF IOWA 





19. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


913 1 


unteren Quadranten deutet darauf hin, dass der Druok des erweiterten 
Vorhofs Ton vorn unten nach hinten oben auf den Bronchus wirkt, so 
dass zu erwarten ist, dass durch das vergrösserte, weiter heraufrückende 
Hers die Bronchien nach hinten verschoben werden müssen, also vom 
Aortenbogen weg, und dass dadurch einer Kompression des Nervus 
recurrens swisohen Bronchus und Aorta entgegengewirkt wird. 

Danach ist die Mehrzahl der Recurrenslähooungen bei Mitral¬ 
stenose anatomisch nicht befriedigend erklärt. 

Ich habe auf meiner Krankenabteilung in Bethanien, in der 
die laryngoskopische Untersuchung in einschlägigen Fällen syste¬ 
matisch ausgeführt wird, im Laufe von zwei Jahren vier Fälle 
von Mitralfehlern mit Recurrenslähmung gesehen. 

Bei meinen Fällen war der Entstehungsmodus der halbseitigen 
Kehlkopflähmung bestimmt ein anderer. Die Kehlkopflähmung 
hatte mit der Vergrösserung des Vorhofs nichts zu tun. 

Ich bringe Auszüge aus den Krankengeschichten: 

Die 46 jährige Frau K. trat mit dekompensierter Mitralstenose und 
-Insuffizienz am 26. Dezember 1912 in die Abteilung ein. Wie lange der 
Klappenfehler bestand, war nicht sicher. 1890 hatte sie ihrer Angabe 
nach Gelenkrheumatismus; ob damals das Herz beteiligt war, wusste 
sie nicht anzugeben. 

1900 stellte ein Arzt, der sie wegen einer „Influenza“ behandelt 
hätte, angeblich den bestehenden Klappenfehler fest. 

Seit 1902 zeitweilig Herzbeschwerden; überstand 1906 angeblich 
eine Lungenentzündung. 

Seit dem Winter 1911 stärkeres Herzklopfen und Kurzatmigkeit 
beim Treppensteigen, demnächst auch beim Gehen zu ebener Erde. 

Seit Februar 1912 begannen die Beine zu schwellen; sie litt an 
Appetit- und Schlaflosigkeit, Magen- und Leberdruok. 

Wenige Tage vor ihrer Aufnahme ins Krankenhaus sollen plötzlich 
Schmerzen hinter dem Brustbein aufgetreten sein. Seit der Zeit sei 
sie heiser. 

Bei der Aufnahme bestand eine Vergrösserung des Herzens in querer 
Richtung und nach oben zu. An der Spitze des Herzens, die im 6. Inter¬ 
oostalraum bis in die vordere Axillarlinio hinein gefühlt wurde, ein prä¬ 
systolisches und langes systolisches Geräusch. 

Als Ursache der heiseren, fast tonlosen Stimme wurde eine links¬ 
seitige Stimmbandlähmung festgestellt. Das linke Stimmband stand 
unbeweglich bei der Atmung und beim Anlauten in Cadaverstellung. 
(Eine Sensibilitätsstörung des Kehlkopfeingangs war nicht nachweisbar.) 

Nach etwa vierwöchiger Behandlung wurde die Kranke ziemlich gut 
kompensiert auf ihren Wunsch aus dem Krankenhause entlassen. 

Die Stimmbandlähmung war unverändert. 

Bei einer Nachuntersuchung am 8. Mai war die linksseitige Reourrens- 
lähmung unverändert. 

Am 27. Juli 1912 stellte sie sich mir wieder vor. Sie zeigte eine 
stärkere Dekompensation. Aber bei der Kehlkopfspiegeluntersuchung 
war ausser einer leichten linksseitigen Posticusparese (das linke Stimm- 
band bewegte sich nicht ganz so weit nach aussen als das rechte) nichts 
Abweichendes mehr nachweisbar. Seit drei Tagen habe sie bemerkt, 
dass sie wieder mit klarer Stimme singen könne. 

Im September 1912 wurde die Kranke stärker dekompensiert wieder 
ins Krankenhaus gebracht. Der Spitzenstoss reichte bis in die mittlere 
Axillarlinie, die rechtsseitige überschritt den rechten Brustbeinrand um 
zwei Fingerbreiten. Der Herzdämpfung setzte sich scbornsteinförmig eine 
retrosternale Dämpfung auf, die nach beiden Seiten das Manubrium um 
IV* Querfinger überschritt. Präsystolisches und systolisches Geräusch 
an der Spitze. Stauungsleber, Stauungsniere, Hydrothorax rechts mehr 
als links, Oedeme am Rücken und den unteren Extremitäten. 

Man hörte jetzt in der ganzen Regio cordis extrapericardiales Reiben. 
Das Oliver-Cardarelli’sche Symptom war vorhanden. 

Trotz der stärkeren Dekompensation waren die Stimme vollkommen 
rein und die Stimmbandbewegungen völlig frei, und sie sind es auch ge¬ 
blieben, wie wir uns bei der einmonatigen stationären Behandlung der 
Frau auf der Abteilung, während der die Dekompensation behoben wurde, 
und bei wiederholten späteren Nachuntersuchungen überzeugen konnten. 

Hier kann eine infolge des Mitralfehlers entstandene Dilatation 
des linken Vorhofs als Ursache der Recurrenslähmung nicht wohl 
in Frage kommen. 

Bei der in den letzten Monaten mehrfach vorgenommenen 
Röntgendurchleuchtung fand sich bei dorso-ventraler Strahlen- 
richtnng immer eine starke Verbreiterung des Herzschattens, der 
eine ausgesprochene Dreiecksform aufwies mit fast völliger Aus¬ 
gleichung der Bogenbildnng an seiner linken Seite. (Demonstration 
des Röntgenbildes.) Dabei waren die Herzpulsationen besonders 
gut ausgeprägt. 

Dieser Röntgenbefund, auf den meines Wissens zuerst durch eine 
Arbeit von Radonicic aus der Innsbrucker Klinik hingewiesen wurde, 
ist, falls keine klinischen Symptome für Pericardialerguss vorliegen, für 
die Diagnose Goncretio pericardii verwertbar, wie ich durch die Autopsie 
zweimal bestätigen konnte. 

Im ersten schrägen Durchmesser erwies sich das hintere Mediastinum 
im oberen Anteile streifig verdunkelt. (Demonstration des Röntgenbildes.) 


r 7 ' Die Angabe der Kranken, dass sie vor dem Auftreten der 
Stimmstörung t Schmerzen in der Brust hinter dem Brustbeine 
empfunden habe, deutete auf Mediastinitis hin. 

Das später festgestellte,? noch jetzt nachweisbare extraperi- 
cardiale Reiben und der jetzt deutliche Pulsus laryngeus descendens, 
die Schattenbildung im oberen Teile des hinteren Mediastinums 
und die röntgenologisch festgestellte Abweichung der Herzfigur 
(Dreiecksform derselben, Ausgleichung der linken Bögen) lassen 
die Diagnose Concretio pericardii nnd Mediastinitis fibrosa stellen 
und die vorübergehende Recurrenslähmung als Folge der Media¬ 
stinitis erklären. — 

Bei zwei weiteren Beobachtungen von Mitralstenose und In¬ 
suffizienz war die Recurrenslähmung eine dauernde. 

Die 17jähr. Kranke EliseK. (Krankenvorstellung) war imDezemberl910 
an Gelenkrheumatismus krank und wurde von Mitte Januar bis Mitte 
Februar 1911 im Augusta- Hospital wegen der dabei aufgetretenen Herz¬ 
komplikation behandelt. 

Nach*dem im Augusta-Hospital geführten Krankenblatt hat damals 
Pericarditis und Pleuritis exsudativa duplex bestanden. Im Kranken¬ 
hause noch wurde die Kranke heiser und ist es seitdem angeblich dauernd 
geblieben. 

Im Dezember 1911 Atemnot, Herzklopfen, demnächst wassersüchtige 
Anschwellung der unteren Körperhälfte. Wegen zunehmender Kurzatmig¬ 
keit am 29. I. 1912 Aufnahme in Bethanien. 

Bei der Aufnahme fanden sich bei der Kranken starke Oedeme au 
den Beinen, Rücken und seitlichen Abschnitten des Leibes, Hydrothorax, 
Ascites, Stauungsleber, Stauungsnephritis, die Herzdämpfung in querer 
Richtung und nach oben hin verbreitert. (Der Spitzenstoss des Herzens 
im 6. Intercostalraum von der Maraillarlinie bis in die vordere Axillar¬ 
linie reichend.) 

Retrosternale Dämpfung, die nach beiden Seiten den Rand des 
Manubriums um 2 cm überschreitet. (Linksseitige Herzdämpfung geht 
bis in die vordere Axillarlinie, rechtsseitige bis in die Mitte zwischen 
rechtem Brustbeinrand und rechter Mamillarlinie.) An der Herzspitze 
präsystolisches und systolisches Geräusch, II. Pulmonalton accentuiert; 
man fühlt den Klappenschluss der Pulmonalklappen. Oliver-Cardarelli’sches 
Symptom vorhanden. 

Stimme leicht heiser, manchmal umschlagend. Linke Stimmlippe bei 
der Inspiration und Phonation unbeweglich in sogen. Cadaverstellung, 
freier Rand leicht excaviert. Sensibilität des Larynx intakt. 

Durchleuchtung in dorso-anteriorer Strahlenrichtung ergibt eine Drei¬ 
ecksform des Herzscbattens. Von der Kuppe des Schattens der grossen 
Gefässe begrenzt sich das Cor auf der linken Seite mit einer nahezu 
geraden Linie mit Ausgleichung der Bogenbildung, Herzpulsationen dabei 
auffallend gut ausgeprägt. 

Auch hier zeigten sich bei Durchleuchtung im ersten schrägen Durch¬ 
messer Verdunklungen im hinteren Mediastinalraum. 

Die Kranke wurde leidlich kompensiert aus der Anstalt entlassen 
und erreichte nach mehrwöchiger Schonung volles Wohlbefinden und 
Arbeitsfähigkeit. Die linksseitige Kehlkopflähmung ist unverändert ge¬ 
blieben. 

Die klinisch sichergestellte Pericarditis, die retrosternale 
Dämpfung, der Pulsus laryngeus descendens, die dreieckige Herz¬ 
figur mit Ausgleichung der linken Bögen, die Schattenbildung im 
hinteren Mediastinum lassen mit Sicherheit eine Concretio peri¬ 
cardii und Mediastinitis fibrosa mit folgender Recurrenslähmung 
diagnostizieren. 

Bei einer dritten Kranken, der 9jähr. Margarethe S., war im 
Verlaufe eines im 8. Lebensjahre auftretenden Gelenkrheumatismus 
eine Mitralstenose und Insuffizienz entstanden. 

Das Kind kam am 13. XII. 1911 in schwer dekompensiertem Zu¬ 
stande (mit Oedemen, beträchtlichem Hydrothorax duplex und Ascites, 
Stauungsleber und -Milz) ins Krankenhaus. 

Systolische Einziehungen der Brust in der Gegend des 4.—6. Inter¬ 
oostalraumes und diastolisches Vorschleudern der Brustwand (Vorschleudern 
und Puls alternierten) Hessen in dem Falle die bestehende Herzbeutel¬ 
obliteration erkennen. (Der vorhandene Pulsus laryngeus descendens 
deutete auf die Mediastinitis hin.) 

Der Processus vocalis hing ins Kehlkopflumen hinein; das linke 
Stimmband ersohien verkürzt, hatte weniger Körper als das rechte, der 
mediAle Rand war leicht excaviert. Das linke Stimmband stand bei der 
Inspiration und Phonation unbeweglich in Cadaverstellung. Beim Phonieren 
überschritt das rechte Stimmband die Mittellinie und legt sich an das 
linke an. Die Epiglottis schwingt beim Phonieren kurz nach reohts 
herüber. Stimme rein. 

Die kleine Kranke kam einige Wochen, nachdem sie das Kranken¬ 
haus verlassen hatte, zum Exitus. Eine Autopsie war leider nicht zu 
erreichen. 

leb glaube aber, dass die nach dem klinischen Befunde vor¬ 
handene Mediastino-Pericarditis als Erklärung für die bis zum Tode 
bestehende Recurrenslähmung herangezogen werden muss. 

Schliesslich beobachtete ich einen Fall von akuter Mediastino- 
Pericarditis, die zur Lähmung der linken Stimmlippe führte. 

3 


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014 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 


Im Verlaufe einer Polyarthritis rheumatica, die mit Endocarditis, 
Pericarditis und Pleuritis exsudatica duplex verlief, trat bei einem 
28jährigen Arbeiter eine linksseitige Recurrenslähmung auf. Die Peri¬ 
carditis verlief in 3 Wochen. 

Der Kranke wurde nach 3monatigcr Behandlung mit kompensierter 
Mitralinsuffizienz und kompletter linksseitiger Recurrenslähmung arbeits¬ 
fähig aus dem Krankenhause entlassen. 

Die Kehlkopflähmung bestand — wie eine Nachuntersuchung zwei 
Monate nach der Entlassung ergab — wenigstens 5 Monate lang. 

Als ich den Mann im Herbst noch einmal untersuchte, war von der 
linksseitigen Recurrenslähmung nichts mehr nachzuweisen. 

Eine Drucklähmung des linken Recurrens durch das Peri- 
cardialexsudat lässt sich ausscbHessen. Die ersten Zeichen der 
Recurrensschädigung traten erst auf, als der Oberhaupt nur etwa 
roittelgrosse Herzbeutelerguss bereits in der Abnahme begriffen war. 
Viel plausibler erscheint hier die Erklärung der Lähmung durch 
Fortschreiten der Entzündung vom Pericard, dessen hintere Wand 
von Pleura mediastinalis nicht bekleidet ist, auf das hintere 
Mediastinum, wo der Vagus und Recurrens geschädigt werden 
können. Die Mitbeteiligung des hinteren Mediastinums an der 
das Pericard betreffenden Entzündung ist nach meinen darauf ge¬ 
richteten Untersuchungen ausserordentlich häufig nachweisbar. 
Bei dem Reichtum des lockeren Bindegewebes des Mittelfell¬ 
raumes an Lympbgefässen und Lymphdrusen müssen entzfiadlicbe 
Vorgänge hier die günstigsten Bedingungen zu rascher Aus¬ 
breitung finden. 

Die Mediastinitis und Mediastinopericarditis als Ursache der 
Recurrenslähmung bei Fällen von Mitralstenosen, die mit Stimm- 
bandläbmung verliefen, ist m. E. bisher nicht hinreichend ge¬ 
würdigt worden. 

Ich glaube, dass die Mediastinitis auch bei dem einen oder 
anderen der in der Literatur mitgeteilten Fälle von Recurrens¬ 
lähmung bei Mitralstenose als Ursache der Lähmung wohl heran¬ 
gezogen werden dürfte. 

Jedenfalls erscheint es bemerkenswert, dass bei den beiden 
Fällen Ortner’s, der zuerst auf die Mitralstenose als Ursache 
linksseitiger Recurrenslähmung hingewiesen hat, aber für seine 
Fälle anatomisch nur wenig befriedigende Erklärungen geben 
konnte, eine Pericardobiiteration bestand. 


Aus dem Königin Elisabeth-Hospital in Berlin-Ober- 
schoneweide (Chefarzt: Geheimrat Görges). 

Ueber Eibon (Cinnamoylparaoxyphenyl- 
harnstoff). 

Von 

F. JohaBnessohn. 

Der Kampf gegen die Tuberkulose ist, ehe man die verschiedenen 
Tuberkuline kannte als exquisit spezifisch wirkende Mittel, mit Hilfe 
verschiedener Antiseptica geführt worden. Diese entstammten haupt¬ 
sächlich der aromatischen Reihe, und besonders die Gruppe der Salicyl- 
säure und des Garbois lieferten die am meisten angewandten Mittel, wie 
z. B. Benzoesäure und Kreosot, sowohl in Form der Inhalationen wie 
auch intern gegeben. Die Inhalationsantiseptik kann natürlicherweise 
nur auf oberflächlichere Schleimhautaffektionen tuberkulöser Art ein¬ 
wirken, tiefere tuberkulöse Prozesse entgehen ihrem Einfluss. Und gerade 
die tieferen Prozesse an der Lunge sind es doch vor allen Dingen, die 
wir in die Behandlung bekommen. Von einer rein antiseptischen Wirkung 
im Blute durch intern dargereichte Antiseptica etwas erreichen zu 
wollen, würde ausserordentlich grosse Gaben der betreffenden Mittel er¬ 
forderlich machen, die in solchen Mengen vom Magen kaum vertragen 
werden dürften. Wenn nun trotzdem mit der internen Verabreichung 
relativ kleiner Mengen dieser Mittel unbestreitbare Erfolge erzielt worden 
sind, so sind diese auf andere Weise zu erklären, worüber weiter unten 
noch gesprochen werden soll. Der Gedanke, diese antiseptischen Mittel 
direkt auf dem Blutwege zu den tuberkulösen Prozessen zu befördern, 
lag ja eigentlich sehr nahe und ist in der Tat von Länderer be¬ 
schritten worden, der nach mannigfachen Versuchen auf dem Wege über 
den Perubalsam in der Zimmtsäure das Mittel gefunden zu habon 
glaubte, das ohne Gefahr iu die Blutbahn zu injizieren wäre und das 
die beste antiseptische Wirkung entfaltete. Die Resultate, die Län¬ 
derer erzielte, waren von Erfolg gekrönt und regten zu einer eingehen¬ 
den Prüfung seiner Methode an. 

Leider sind die Autoren, die die Methode nacbgeprüft haben, nicht 
zu einstimmigem Urteil über sie gekommen. So berichtet Länderer 
selber 1894 und 1896, dass chronische Tuberkulose der Lunge bei aus¬ 
reichender Behandlungsdauer (etwa drei Jahre), wofern noch keine 
Cavernen nachweisbar waren, völlig ausgeheilt sind. Auch Moschko- 
witz konnte in mehr als der Hälfte seiner Fälle eine wesentliche Besse¬ 


rung feststellen. Günstig spricht sich auch Krämer aus, und in der 
Diskussion zu einem Referate Ewald’s über die Zimtsäurebehaud- 
lung tritt Hansemann sehr warm für Landerer’s Methode ein. Ferner 
berichten Frank und Haentjens über günstige Resultate, ebenso wie 
Heusser und Kohn. Eine ganze Reihe von Autoren äussert sich sehr 
vorsichtig, vollständig verworfen wird die Methode von Mader, der an 
50 Kranken keine Spur einer Besseerung feststellen konnte, von Staub, 
Meyer, und auch Rebsamen kommt in seiner Inauguraldissertation, 
in der er die Methode Landerer’s kritisch bespricht, zu deren Ab¬ 
lehnung. 

Durch die Tuberkulintherapie ist Landerer’s Methode in den 
Schatten gedrängt worden, ehe noch ein allgemein gültiges Urteil fest¬ 
stand. Vereinzelte Aerzte hielten an ihr fest und bemühten sich, 
das Verfahren zu vervollkommnen. W. Minnich veröffentlichte 1911 
eine Arbeit, in der er seine diesbezüglichen Versuche schilderte. Das 
Endprodukt war die Herstellung eines Piäparates, das unter dem Namen 
Eibon von der Gesellschaft für chemische Industrie in Basel in den 
Handel gebracht wird. 

Eibon ist Cinnaraoylparaoxyphenylharnstoff 

[C 6 Hb—CH = CH—COO<ZI>NH—CO—NH a ]; 
es sind weisse Nadeln, die bei 204° schmelzen, sich in Wasser und 
Alkohol schwer, in verdünnten Alkalien und Säuren gar nicht lösen. Es 
ist aber lipoidlöslich und wird daher vom Körper trotz seiner schweren 
Löslichkeit in Wasser gut resorbiert. Zur Bestimmung der Resorption 
genügt die Hippursäurebestimmung im Harn, da Eibon wahrscheinlich 
im Körper so oxydiert wird, dass es in die Benzoesäure- und Paraamino- 
phenolgruppe zerfällt. Die Benzoesäure wird dann bei reichlichem Vor¬ 
handensein von Glykokoll als Hippursäure ausgeschieden. In Tierver¬ 
suchen der chemischen Fabrik wurden etwa 29 pCt. des eingeführten 
Eibons im Kote wieder aufgefunden, mithin also 71 pCt. resorbiert, doch 
betrug die im Harn ausgeschiedene Menge nur etwa 57,5 pCt. des ein- 
gebrachten Eibons. Ich habe nun die Resorption beim Menschen zu be¬ 
stimmen versucht. Nach Analogie des angeführten Tierversuches wurde 
zunächst die Benzoe- und Hippursäureauscheidung ohne Eibondarreichung 
bestimmt; dann wurden 5,0 g Eibon innerhalb zwei Stunden gegeben 
und die in den nächsten drei Tagen ausgeschiedene Benzoe- und Hippur¬ 
säure festgestellt. Abzüglich der sonst vorhandenen Benzoe- und Hippur¬ 


säure ergibt diese ein Maass für die Eibonresorption: 

ohne Eibon beträgt die tägliche Benzoe- und Hippursäure¬ 
ausscheidung . 0,065 g 

nach 5,0 g Eibon beträgt in 3 Tagen die Benzoe- und 

Hippursäureausscheidung. 2,239 „ 

minus 3 mal physiologische Benzoe- und Hippursäure- 
ausscheidung ..0,195 g 


für Eibon geltende Benzoe- und Hippursäureausscheidung . 2,044 g 
für 5,0 g Eibon berechnete Benzoe- und Hippursäure > < 3,100 „ 


Nach diesem Versuche dürften also 65,9 pCt. des eingefübrten Eibons 
zur Resorption gelangen. Kamphausen ist es gelungen, wenn er 
Tieren genügend grosse Mengen Eibon gab, im Lungensekret Benzoe¬ 
säure nachzu weisen. 

Wie äussert sich nun die Eibonwirkung? Nach Minnich’s An¬ 
gaben werden die Maximal- und Minimalamplituden der Temperaturkurve 
gedämpft; das Fieber geht langsam, Tag für Tag um wenige Zehntel¬ 
grade, herunter. Diesen Einfluss des Eibons auf die Temperatur bin ich 
in der Lage, durch zwei Kurven zu illustrieren (s. Kurve 1 und 2). In 
beiden Fällen handelte es sich um Patienten mit grossen und zahl¬ 
reichen Cavernen, die mit ziemlich hohen Temperaturen in die Behand¬ 
lung mit Eibon eintraten. Wenn sich auch physikalisch eine Besserung 
des Lungenbefundes nicht nachweisen liess — waren es doch beides 


Kurve 1. 


40° 

39 ( 

aff 

57' 

56' 



A 













7 


\A 


7 













Vr 
























7 


Sept. 17 18. 19 20 21 22 23. 24. 25. 26. 27 28. 29 30. 

Gustel Z., 18 jähriges Dienstmädchen, progrediente Tuberkulose. 
Täglich 4 mal 1 Eibontablette. 


Kurve 2. 


o7 














•0 


d 


7* 










0 



Y 







7" 




Okt. 25. 26. 27 28.' 29. W 31.NOV.1. 2 3. 4. 5. 6. 7 

Johannes H., 26 Jahre, Hämoptoe, progrediente Phthise. 
Täglich 4 mal 1 Elbontablette. 


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19. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


915 


ulceröse Endstadien und wurde eine objektive Besserung natürlich gar 
nicht erwartet —, so fühlten sich doch die Patienten in dem Maasse, 
als die Temperatur herunterging, subjektiv wohler. Auch in anderen 
Fällen als in diesen ulcerösen Endpyrexien war ein Einfluss auf die 
Temperaturkurve unverkennbar, der sich dahin äusserte, dass die Kurve 
ihre Zacken verlor, ja, in manchen Fällen hielt sich die Temperatur 
während des ganzen Tages auf annähernd derselben Höhe, so dass man 
bei der geringen Differenz von nur 1 oder 2 Zebntelgraden von einer 
Maximal- und Minimaltemperatur gar nicht sprechen konnte. Dies war 
besonders der Fall, wenn die Anfangsstadien mit subfebrilen Tempera¬ 
turen, jedoch verhältnismässig breiter Temperaturamplitüde in die Elbon- 
behandlung kamen. 

Einen weiteren Einfluss des Eibons, auf den Minnich schon hin¬ 
weist, konnten auch wir feststellen. Es ist das die Besserung des 
Sputums, sowohl quantitativ wie auch qualitativ. Diese Sekretions¬ 
beschränkung, die ja von der Benzoesäure schon längst feststand, war, 
wie bei Minnich, so auch bei uns in einigen Fällen derartig stark, 
dass wir namentlich natürlich bei Patienten mit Cavernen das Mittel 
auszusetzen gezwungen wurden. Aber auch qualitativ besserte sich das 
Sputum. Nach läogere Zeit fortgesetzter Eibonbehandlung nahmen die 
Tuberkelbacillen im Sputum auffallend an Zahl ab. Desgleichen ver¬ 
ringerte sich die Menge der Staphylo- und Streptokokken, die in der 
Regel, da es sich ja meist um bereits eingetretene Mischinfektion handelte, 
anfangs recht zahlreich vorhanden waren. 

Der Zimtsäuretherapie Land er er’s ist es vorgeworfen worden, dass 
sie die Neigung zu Lungenblutungen verstärke. So maobt besonders 
Frankel auf diesen Umstand aufmerksam. Wir haben Eibon bei 
mehreren Patienten mit Lungenblutungen gegeben, mitunter sogar bei 
frischer Hämoptoe; in drei Fällen kam die Blutung auch bei gleich¬ 
zeitiger Eibonbehandlung zum Stehen, und die Patienten blieben während 
der ganzen Zeit der weiteren Elbonkur frei von Hämoptoe. Nur in 
einem vierten Falle (Fritz B. [854], progrediente Phthise) trat nach 
längerer Eibondarreichung ein Hämoptoe auf, von der wir den Eindruck 
hatten, dass sie durch das Eibon begünstigt worden war. Die Blutung 
dauerte relativ lange Zeit und kam erst, als wir das Eibon aussetzten, 
sum Stehen; sie kehrte wieder, als wir nach einiger Zeit von neuem 
einen Versuch mit Eibon zu machen uns entschlossen hatten. Dieses 
Verhalten zwang uns, das Eibon überhaupt bei diesem Patienten fort¬ 
zulassen. Die zwei Monate, die er dann noch lebte, hatte er keine 
Blutung mehr zu überstehen. Ob dieses Zusammentreffen von Hämo¬ 
ptoe und Elbonkur nur zufällig war, müssen weitere Erfahrungen lehren. 
Rein theoretisch betrachtet kann wohl zwischen beiden ein innerer Zu¬ 
sammenhang bestehen. Nach histologischen Untersuchungen, die 
Richter an tuberkulös infizierten und mit Zimtsäure behandelten Kanin¬ 
chen ausgeführt hat, kommt es unter dem Einfluss der Zimtsäure zu 
einer Entzündung um die tuberkulösen Herde, die sich zunächst in 
Capillarektasie äussert. 

Wenn nun der Einschmelzungsprozess der tuberkulösen Herde 
rascher vor sich geht als die reparative Entzündung, so sind jene an¬ 
fänglichen Capillarektasien, die noch nicht junges Bindegewebe schützend 
umschliesst, in hohem Maasse gefährdet. Werden sie arrodiert, so wird 
es zu Blutungen kommen, die mehr den Charakter einer parenchymatösen 
Blutung tragen, im Gegensatz zu den gewöhnlichen Blutungen bei der 
Lungentuberkulose aus grösseren Gefässen, bzw. geplatzten Aneurysmen, 
d. i. die Eibon- bzw. Zimtsäureblutung wird längere Zeit mit derselben 
nicht allzugrossen Stärke andauern. Dieses Verhalten zeigte die Häm¬ 
optoe bei unserem Patienten, der 5 Tage lang ununterbrochen geringe 
Mengen Blut aushustete, was den Eindruck machte, als ob das Blut 
aus einem Schwamm hervorsickerte. Nach diesen Erörterungen darf 
man der Zimtsäuretherapie den Umstand, dass die Neigung zu Hämoptoen 
durch sie vielleicht vermehrt wird, nicht zum Vorwurf machen, im 
Gegenteil, es ist diese vermehrte Neigung, die ja doch nur bei sowieso 
verlorenen ulcerösen Endstadien in die Erscheinung treten wird, nur ein 
Beweis mehr für die Wirksamkeit des Mittels, ein Ausdruck dafür, dass 
in der Tat reparative Vorgänge an den tuberkulösen Herden stattfinden. 
Damit ist gleichzeitig angedeutet, dass es überall da, wo es noch zu 
keiner Einschmelzung tuberkulösen Gewebes gekommen ist, am ehesten 
möglich sein wird, mit der Elbonbehandlung volle Erfolge zu erzielen, 
während es an den Stellen, wo schon Einschmelzungscavernen bestehen, 
von der Stärke und Ausdehnung der Einschmelzung abhängen wird, ob 
Besserungen erreioht werden können, ln demselben Sinne hatte sich ja 
auch Länderer bereits über die Grenzen der Zimtsäurebehandlung ge- 
äussert, insofern, als er in jener Arbeit sich nur bei Cavernen ohne be¬ 
trächtliches Fieber, eben als Ausdruck geringer Ulceration, noch Besse¬ 
rung verspricht, während auch er Cavernen mit starker Neigung zu 
fortschreitender Einschmelzung, kenntlich am hohen, kontinuierlichen 
Fieber, stets für aussichtslos hält. Dieselben Grenzen mussten sich 
natürlicherweise auch bei der praktischen Erprobung des Eibon ergeben, 
über die W. Minnich zuerst und kürzlich Camphausen berichtet 
haben. Solange man sich die Fälle für die Elbonbehandlung auswählt 
nach Maassgabe jener theoretischen Ueberlegungen und praktischen Er¬ 
fahrungen, die bereits gemacht worden sind, wird man mit ihr Erfolge 
zu erzielen wohl in der Lage sein. 

Aus dem Erörterten heraus möchte ich nun auch blcgs den Lungen¬ 
befund bei physikalischer Untersuchung von den Fällen im folgenden 
anführen, die innerhalb jener eben bezeichneten Grenzen liegen. Denn 
dass bei Fällen jenseits dieser Grenzen subjektive und auch vorüber¬ 


gehende objektive Besserungen aufgetreten sind, spielt ja für die kli¬ 
nische Bewertung des Mittels keine grosse Rolle. 

1. Hermann P., 35 jähriger Maler (431). Pat. bietet bei Beginn 
der Elbonbehandlung folgenden Befund dar: Subfebrile Temperatur 87,5, 
87,8, 88,0°. Lunge: Rechts vorn im Bereiche des Lobus superior et 
medialis, sowie links hinten im Bereiche des Lobus superior feuchte, 
mittel- und kleinblasige Rasselgeräusche. Schallfeld links hinten ein¬ 
geengt. Rechts vorn oben Schallverkürzung. Sputum enthält reichlich 
Tuberkelbacillen. Es werden 4,0 g Eibon täglich gegeben. Nach etwa 
vierwöchiger Elbonbehandlung verlässt Pat. das Krankenhaus zur weiteren 
Heilstättenbehandlung; er bietet folgenden Entlassungsbefund: Dämpfungs¬ 
verhältnisse wie anfangs. Rechts vorn supra- und infraclavicular bis 
zur zweiten Rippe auf der Höhe des Inspiriums vereinzeltes leichtes 
Rasseln. Links hinten im Bereiche des Lobus superior abgeschwächtes 
Atmen und mitunter leichtes leises Rasseln. Sputum sehr gering, 
Tuberkelbacillen noch vorhanden, doch sehr spärlich. Temperatur nicht 
über 87,8°. Mithin wesentliche Besserung. 

2. Fritz G., 19 jähriger Arbeiter (893). Beginn der Elbonbehandlung 
am 25. IX. 1912 mit folgendem Befund: Temperatur abends stets 87,6 
bis 37,8°. Lunge: Untere Grenze beiderseits gut verschieblich. Hinten 
links unten etwa drei Querfinger breite geringe Schallverkürzung. Hinten 
links oben Schallfeld um einen Querfinger breit beiderseits eingeschränkt. 
Vorn rechts oben über der Clavicula Schallverkürzung. Hinten rechts 
neben dem zweiten Brustwirbel Dämpfung. Im Bereiche der Dämpfungen, 
mit Ausnahme der letzteren, Rasseln und hinten links unten Bronchial¬ 
atmen. Sputum enthält reichlich Tuberkelbacillen. Es werden nun 
4,0 g Eibon täglich gegeben. Die Temperatur sinkt ständig um kleine 
Beträge. Sputum wird geringer. Bei der Entlassung zu Anfang No¬ 
vember ist Pat. völlig frei von Temperatursteigerungen; Auswurf hat er 
überhaupt nicht mehr. Hinten links unten keine Schallverkürzung mehr, 
kein Rasseln, vesiculäres Atmen. Hinten links oben ist das Schallfeld 
in derselben Ausdehnung eingeschränkt wie bei der Aufnahme, auch die 
Dämpfung hinten rechts neben dem zweiten Brustwirbel besteht noch 
(Bronchialdrüsen?). Hinten links oben ist das Atmen etwas abge¬ 
schwächt, doch finden sich keine Rasselgeräusche noch sonstigen An¬ 
zeichen eines noch bestehenden Katarrhs. Ausserdem beträchtliche Ge¬ 
wichtszunahme. 

3. Benno B., 16 jähriger Arbeiter (1148). Pat. wird am 11. XI. 1912 
mit Hämoptoe eingeliefert. Sofortiger Beginn der Elbonbehandlung; 
Blutung steht am nächsten Tag vollständig. Temperatur bis 39,2°. 
Der nach einigen Tagen aufgenommene Lungenbefund ist folgender: 
Links oben vorn und hinten verschärftes Inspirium, verlängertes Ex- 
spirium, vereinzeltes Giemen. Links hinten Dämpfung. Sputum ent¬ 
hält Tuberkelbacillen. Entlassungsbefund vom 18.1. 1918: Hinten und 
vorn links oben in derselben Ausdehnung wie bei der Aufnahme etwas 
rauhes Atmen, kein Giemen und kein Rasseln. Die Schallverkürzung 
hinten links besteht noch. Keine Bacillen mehr in dem sehr spärlich 
gewordenen Sputum aufzufinden. Pat. ist fieberfrei. 

4. Otto T., 34 jähriger Gürtler (1069). Pat. wird wegen Morphium¬ 
vergiftung eingeliefert, die er wegen zu starken Hustens versucht hat. 
Temperatur 38,2°. Der bei eingeleiteter Elbonbehandlung erhobene 
Lungenbefund ist folgender: Ueber beiden Spitzen vorn supraclavicular 
und infraclavicular bis zur zweiten Rippe, hinten in gleicher Ausdehnung 
Dämpfung und in diesen Bezirken Rasseln; das Sputum enthält massen¬ 
haft Tuberkelbacillen. Bei der Entlassung hatte sich der Befund inso¬ 
fern gebessert, als die Maximaltemperatur bis auf 37,5° heruntergegangen 
und das Sputum spärlicher und ärmer an Tuberkelbacillen geworden 
war. Die Dämpfung bestand in derselben Ausdehnung wie im Anfang, 
doch war das Rasseln nur noch vereinzelt, bei tiefen Inspirationen zu 
hören. 

5. Minna B., 28 jährige Ehefrau (831). Beginn der Elbonbehandlung 
am 9. IX. 1912. Die Lungen bieten folgendes Bild: Hinten rechts unten 
vom Angulus scapulae abwärts, über beiden Spitzen hinten, vorn supra- 
und infraclavicular bis zur zweiten Rippe beiderseits reichliches Rasseln. 
Das Schallfeld hinten rechts oben ist um einen Querfinger breit von 
beiden Seiten her eingeschränkt Sputum ist reichlich und enthät viel 
Tuberkelbacillen. Temperatur subfebril bis 37,8° mit Tagesschwan¬ 
kungen von 8 / 10 — u /io°* Bei der Entlassung am 19. X. 1912 konnte 
folgender Befund erhoben werden: Das rechte Schallfeld ist immer noch 
in demselben Maasse wie anfangs eingeschränkt, jedoch findet sich hier 
kein Rasseln mehr. Auch hinten rechts unten findet sich nur bei ganz 
tiefer Inspiration vereinzeltes leises Knacken, kein eigentliches Rasseln 
mehr. Die linke Spitze ist ganz frei. Sputum hat die Pat. überhaupt 
nicht mehr. Die Temperatur gebt nie mehr über 37,2°, die Tages¬ 
schwankungen betragen höchstens 2 / 10 °. 

6. Klara V., 19 jähriges Dienstmädchen (923). Beginn der Elbon¬ 
behandlung am 30. X. 1912 mit folgendem Befund: Vorn links oben 
supraclavicular Dämpfung mit tympanitischem Beiklang, hier in dem 
Bereich der Dämpfung grossblasiges Rasseln zu hören. Hinten links 
oben Schallfeld von beiden Seiten um je einen Querfinger breit einge¬ 
schränkt, auch hier Rasseln. Rechts keine Schallverkürzung; vorn jedoch 
Rasseln bis zur zweiten Rippe. Auswurf sehr spärlich, jedoch reichlich 
Tuberkelbacillen zu finden. Temperatur subfebril bis 37,9°. Am 
12. XI. tritt Hämoptoe auf, die bei weitergegebenem Eibon wieder zum 
Stehen kommt. Entlassungsbefund vom 14. XII. 1912: Es ist weder 
rechts noch links, auch nicht an jener Stelle auf der Höhe der dritten 
Rippe, irgendwelches Rasseln zu hören, dagegen sind die Dämpfungen 
in demselben Umfange wie anfangs nachweisbar. Röntgendurchleuchtung 

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916 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 


zeigt rechts oben eine Narbe, die rechte Lunge frei Yon Cavernen, da¬ 
gegen im linken Oberlappen eine etwa haselnussgrosse Caverne an jener 
Stelle, wo das grossblasige Rasseln anfangs zu hören war. Pat. hat 
überhaupt kein Sputum mehr. Mazimaltemperatur bis 37,4°. 

Diese sechs angeführten Fälle beweisen mit ihrem objektiven 
Lungenbefund das, was oben behauptet wurde; leichte Fälle, wie Fall 1, 
2, 4, 5, werden wesentlich gebessert; Fall 2 bedeutet doch geradezu 
eine Heilung, ob diese freilich von Dauer sein wird, ist ja allerdings 
fraglich. Fall 3 und 6 mit Hämoptoe und zweifellos Cavernen deuten 
darauf hin, dass es, solange der Einschmelzungsprozess nicht zu lebhaft 
vor sich geht, was sich in diesen Fällen durch die verhältnismässig ge¬ 
ringe Temperatur zu erkennen gibt, möglich ist, wesentliche Besserungen 
zu erzielen; selbst die Cavernen reinigen sich, was sich im Fall 6 durch 
das Verschwinden der grossblasigen Rasselgeräusche kenntlich machte. 

Die 10 Fälle von Luugentuberkulose, die wir sonst noch mit Eibon 
behandelt haben, lagen jenseits der oben geschilderten Grenzen, wie es 
ja natürlich ist, dass dem Krankenhaus mehr schwere als leichte Fälle 
zur Behandlung^anheimfallen. Wenngleich auch hier sich ein gewisser 
günstiger Einfluss der Elbonbehandiung nicht leugnen lässt, wie es 
z. B. aus der Temperaturerniedrigung der beiden mitgeteilten Kurven 
ersichtlich ist, so war doch die Besserung stets nur vorübergehend und 
der Einscbmelzungsprozess schon so weit vorgeschritten, dass er nicht 
mehr dauernd aufgehalten_werden konnte. 

Fragen wir nun, auf welche Weise die Wirkung des Eibon zustande 
kommt, so wird es sich darum handeln, zu entscheiden, ob seine Wir¬ 
kung nuralsjrein^antiaeptische aufgefasst werden soll oder nicht. Wie 
bereits eingangs erwähnt ist, dürften die Mengen der ja an und für sich 
antiseptisch wirkenden Mittel, wie Benzoe und Zimtsäure, zu gering sein, 
um allein auf diese Weise eine Wirkung erzielen zu können. Für die 
Zimtsäure haben bereits Richter und Spiro nachgewiesen, dass eine 
erhebliche Vermehrung (um mehr als das Dreifache) der Leukocyten 
stattfindet, die sich auch im Arterienblute feststellen lässt, so dass sie 
auf eine vermehrte Bildung in den hämatopoetischen Organen zu be¬ 
ziehen ist. Ich habe auch in einigen Fällen einige Zeitlang die Leuko- 
cytenzahl bestimmt. Ueber diese Verhältnisse gibt die folgende Tabelle 
Auskunft: 


Datum 

Minna B. (831) 
Leukocyten 

Fritz B. (854) 
Leukocyten 

Herrn. P. (431) 
Leukocyten 

Fritz G. (893) 
Leukocyten 

11. IX. 

8000 

12000 

10 000 


18. IX. 

13 300 

13 000 

12000 

— 

25. IX. 

16 250 

18 750 

20 000 

9 175 

2. X. 

16 300 

20 000 

— 

12 500 


Die Messungen sind stets zu derselben Zeit, morgens zwischen 6 
und 7 Uhr, nüchtern ausgeführt worden in Abständen von 8 Tagen. 
Kon trollun Versuchungen ergaben, dass bei Patienten ohne Eibon sich 
die Zahl der Leukocyten annähernd auf gleicher Böhe hielt. 

Während bei der intravenösen ZimtsäureiDjektion die Vermehrung 
der Leukocyten wohl beträchtlicher war, sich aber in 24 Stunden bereits 
wieder die alten Verhältnisse einstellten, ist die Vermehrung bei der 
internen Eibondarreichung geringer, aber stetiger bei allmählichem lang¬ 
samen Anstieg. Auf dieser Vermehrung der Leukocyten, die ja als die 
Scbutztruppen des Körpers längst anerkannt sind, beruht meiner Meinung 
nach in erster Linie die Wirksamkeit der Eibontherapie. Ob neben der 
Vermehrung der Zahl der Leukocyten auch eine Stärkung bzw. Hebung 
ihrer Schutzkräfte eintritt, ist noch unentschieden, jedoch zu erwarten 
nach Analogie des Einflusses stark verdünnter Säuren auf die Lebens¬ 
tätigkeit einzelliger Organismen, die eine wesentliche Steigerung erfährt. 

Neben diesen Fällen von Lungentuberkulose haben wir eine ganze 
Reihe von Lungenentzündungen mit Eibon behandelt. Wenn es auch 
selbstverständlich nicht gelingen wird, den Gampher aus seiner domi¬ 
nierenden Stellung zu verdrängen, so hat uns doch das Eibon in manchen 
Fällen ganz wesentliche Dienste geleistet. 

Besonders bemerkenswert ist ein Fall, in dem beide Lungen mit 
Ausnahme des rechten Oberlappens hepatisiert waren. Die Patientin 
war ganz blau, Campher und Sauerstoffinhalationen besserten die Farbe 
nicht, erst durch langsame, ständige Sauerstoffinfusion unter die Haut 
verlor sich die Blaufärbung und machte natürlicher fieberhafter Rot¬ 
färbung Platz. Das Fieber dauerte 12 Tage, bis wir an diesem Tage 
mit der Elbonbehandiung einsetzten, worauf das Fieber fiel, der Husten 
und die Sekretion geringer wurde. Dass das Fallen des Fiebers durch 
das Eibon hervorgerufen wurde und nicht zufällig war, dürfte daraus 
hervorgehen, dass es von Tag zu Tag nur um wenige Zehntelgrade fiel, 
also nach Art der bisher beobachteten Eibonwirkung. 

Zusammenfassung: 

1. Eibon wird zu etwa 66 pCt. vom menschlichen Körper re¬ 
sorbiert. 

2. Eibon bewirkt eine Vermehrung der Zahl der Leukocyten. 

3. Die Temperatur sinkt nach Eibondarreichung langsam, Tag für 
Tag um wenige Zehntelgrade. 

4. Das Sputum bessert sich, sowohl hinsiohtlich der Menge, wie 
auch des Gehaltes an Tuberkelbacillen. 


5. Anfangsstadien mit subfebrilen Temperaturen werden derart ge¬ 
bessert, dass bei genügend langer Behandlung eine Heilung erzielt 
werden kann; Tuberkulosen mit Cavernen, jedoch geringer Einsohmelzungs- 
tendenz, kenntlich an dem nicht allzu hohen Fieber, erfahren auch noch 
eine wesentliche Besserung; Tuberkulosen mit Cavernen und hohem 
Fieber als Kennzeichen starker Einschmelzungstendenz werden nur sub¬ 
jektiv und höchstens vorübergehend objektiv gebessert. 

6. Lungenentzündungen werden durch Eibon in durchaus günstiger 
Weise beeinflusst. 


Zur Chemie der Zelle. 

Von 

P. 6. Unna. 

III. Die sauren Kerne. 

Von 

P. G. Unna und Eugen Wolf. 

Bereits seit 18 Jahren ist ein kleiner Kreis von Aerzten mit 
den „sauren Kernen“ gut bekannt, welche zunächst allerdings in 
pathologischer Haut (Lepra, Lupus, Condyloma accuminatnm, 
Purpura senilis) gefunden wurden, sich aber sehr bald als ein 
regulärer Bestandteil aller tierischen'Gewebe erwiesen. 
Das allgemeinere Interesse, welches diese Kernart daher verdiente, 
bat sie bisher nicht gefunden, weder bei Anatomen noch Patho¬ 
logen, weder bei Embryologen noch Zoologen. Diese eigentüm¬ 
liche Beschränkung der Bekanntschaft eines regelmässigen Gewebs- 
teiles auf einen Kreis von Dermatologen beruht keineswegs auf 
einer besonders schwierigen Darstellung der sauren Kerne; die¬ 
selbe ist vielmehr eine höchst einfache. Sie bedarf auch keiner 
neuen, wenig bekannten Färbetechnik, sondern nnr der seit langem 
als Entfärbungsmittel bekannten Substanzen: Tannin oder Jod, wie 
denn die überall geübten Gentiana-Jod-Methoden zu den besten 
Darstellungsweisen der sauren Kerne gehören. 

Der sonderbare Umstand, dass trotzdem die Lehre von den 
sauren Kernen bisher zu den histologischen Gebeimlebren gehörte, 
ist vielmehr einfach darauf zurückzuführen, dass die mit über¬ 
wältigender Macht über alle Biologen herein brechende and seitdem 
unsere Anschauungen gestaltende Mitosenlehre mit den sauren 
Kernen nichts anzufangen wusste. Denn die sauren Kerne weisen 
keine Mitosen auf; ihnen fehlt das, was die Kerne bis heute in 
den Mittelpunkt des histologischen Geschehens und Interesses ge¬ 
rückt bat. Das ist jetzt anders geworden. An den Kernen inter¬ 
essiert heute nicht nur ihre Potentia geueraudi, sondern fast 
ebensosehr ihre Fähigkeit, den für das Gewebe notwendigen 
aktiven Sauerstoff zu beschaffen, und wir können gleich hier ver¬ 
raten, dass die bisher so wenig gewürdigten sauren Kerne gerade 
diese Kerneigenscbaft in besonders hohem Grade besitzen. Sie 
haben unter Verlust der Potentia generandi, aber ohne die Fähig¬ 
keit der Sauerstoffaktivation zu verlieren, sich ansserdem za 
Sauerstoffspeichern ersten Ranges umgebildet. 

Diese neuen Erfahrungen über saure Kerne besitzen ein so 
weittragendes chemisches und physiologisches Interesse, dass voo 
nun an wohl alle biologischen Disciplinen sich eingehend mit 
ihnen beschäftigen werden. 

Da aber die Bekanntschaft mit ihnen hente noch sehr wenig 
verbreitet ist, können wir ans nicht der Pflicht entziehen, die¬ 
selben morphologisch noch einmal kurz zu schildern. 

Während in normalen Kernen das saure Chromatingerüst und 
die sauren Nucleolen in einer grösstenteils basischen, durch basische 
Farben mithin nicht färbbaren Grundsubstanz liegen, gibt es auch 
total saure Kerne, in denen sich auch die Grundsubstanz mit 
basischen Farben färben lässt. Diese ganz sauren oder kurz: 
sauren Kerne zeichnen sich ausserdem durch ihre besondere Grösse 
und meist ellip>oidische Gestalt aus. 

„Ihr zahlreiches Auftreten bei pathologischen Prozessen and 
besonders bei solchen, welche mit einer Ueberproduktion von 
Zellen einhergehen, spricht dafür, dass denselben innerhalb der 
ganz normalen Entwicklung der Zellenkerne keine Stelle zukommt. 
Andererseits beweist aber ihr vereinzeltes Vorkommen in der 
normalen Haut, und zwar an Stellen, wo sich gleichzeitig eine 
einfach regressive Metamorphose des Protoplasmas findet, nämlich 
im Fettgewebe, dass pathologische Ursachen für ihre Entstehung 
nicht gerade*notweudig sind. Wir haben die sauren Kerne also 
wohl jedenfalls aufzufassen als das Resultat einer stets möglichen, 
aber doch von der Norm abweichenden Entwicklungsricbtung, zu 


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Original fro-rn 

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19. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT*. 


der nur unter pathologischen Verhältnissen häufiger Gelegenheit 
gegeben ist. 

Die Verteilung der sauren Kerne bei den Epithelgeschwülsten 
(Condyloma acuminatum usw.) lehrt uns ferner, dass diese ab¬ 
weichende Entwicklung bereits an den jüngsten, der Bindegewebs- 
grenze direkt aufsitzenden Epithelien fertig ausgebildet sein kann, 
mithin durchaus nicht an ein besonderes Alter der Zellenkerne 
geknüpft ist. Und ferner bemerkt man an solchen Präparaten 
mit sauren Epithel kernen, dass in den verschiedenen Zellen¬ 
schichten die sauren Kerne in Gestalt, Farbenreaktion und Art 
der Chromatinverteilung sich auffallend gleichen, während die 
benachbarten basischeu Kerne in ihrer Form, Tingibilität und der 
Art des Chromatingerüstes von der Bindegewebsgrenze an aufwärts 
allmählich bedeutende und zwar regressive Veränderungen er¬ 
kennen lassen. Abgesehen von einer totalen und nicht bedeutenden 
Schrumpfung weisen die sauren Kerne kaum eine Veränderung 
auf, auch wo sie bereits in den Bereich der Verhornung gezogen 
werden; sie färben sich fast noch ebenso Btark mit basischen 
Farben, weisen noch in derselben Art, wie in den jnngen Epi¬ 
thelien, ein oder zwei Kernkörperchen und ein schwaches Gerüst 
von Chromatinfäden auf, welche wegen ihrer gleich starken 
Basopbilie innerhalb der Kerngrundsubstanz nur wenig hervortreten. 

Es scheint mithin, dass die sauren Kerne dadurch, dass die 
saure Beschaffenheit des Chromatins sich dem ganzen Karyoplasma 
frühzeitig mitgeteilt hat, in abnorm konstante Gebilde umgewandelt 
sind. Nehmen wir nun noch die Tatsache hinzu, dass die sauren 
Kerne auch meistens grösser sind, als die normalen basischen 
Kerne, was besonders auffällig bei den Bindegewebszellen der 
Cutis (z. B. in Lepromen) hervortritt, so liegt der Gedanke nahe 
genug, in ihnen sterile Gebilde zu sehen, welche durch 
Abgabe von Chromatin an die Kerngrundsubstanz ihre 
normale Entwicklungs- und Teilungsfähigkeit verloren 
haben“ 1 ). 

Diese eigentümlichen Kerngebilde gestatten uns „einen Blick 
in die Kehrseite des Zellenlebens, und wir können uns über die 
Menge der Zellen vergewissern, welche von dem Produktions- 
gescbäft ausgeschlossen sind. Wo sich viele saure Kerne unter 
den gewöhnlichen (mit neutral oder basisch reagierender Kern- 
grundsubstanz) eingestreut finden, da werden die Zellen zum Ver¬ 
harren in statu quo neigen und an ihrer Reproduktionskraft Ein¬ 
busse erlitten haben. Die Potentia generandi eines Ge¬ 
webes steht im umgekehrten Verhältnis zur Ausbildung 
saurer Kerne“ 2 * ). 

Wir haben diese alten Arbeiten nicht referiert, sondern direkt 
citiert, um zu zeigen, dass in den verflossenen 18 Jahren an der 
Lehre von den sauren Kernen der Hauptsache nach sich nichts 
geändert hat. Nur in einem Punkte ist allerdings eine wichtige 
Veränderung und Erweiterung unserer Kenntnisse zu verzeichnen. 
Die saure Substanz, welche die Grundsubstanz bei den sauren 
Kernen basophil macht, ist nämlich nicht, wie eben citiert, baso¬ 
philes Chromatin, sondern wie die neuen Färbemethoden ergeben: 
basophiles Nucleolin. 

In einer weiteren Arbeit über die Darstellung der sauren 
Kerne in normalem und pathologischem Gewebe 8 ) wurde gezeigt, 
dass die hierzu notwendige Beize (Tannin) den sauren Kernen 
eine andere Farbe verleiht wie dem Cbromatin, nämlich eine 
metachromatische (violett bei der Färbung mit polychromer 
Methylenblaulösung, rot bei Färbung mit Gentianaviolett) und 
dass zur Fixation Chromsäure und Zenker’s Lösung nicht ge¬ 
eignet sind, wohl aber ausser Alkohol Müller’s und Flemming’s 
Lösungen. Hier finden sich auch genaue Angaben über die für 
pathologische und normale Gewebe geeigneten Färbungen der 
sauren Kerne. Mittelst dieser untersuchte dann Hensel 4 * * ) die 
sauren Kerne der gesunden Haut und fand, dass sie ein normaler 
Bestandteil in allen Lebensaltern sind. Sie kommen schon beim 
Embryo vor. Individuell ist ihre Menge sehr schwankend. Am 
meisten enthalten in allen Fällen die Knäueldrüsen. 

Die wichtigste neue Erfahrung in bezug auf die sauren Kerne 
ist, wie eben schon gesagt, ihre chemische Verwandtschaft mit 


1) Unna, Zur Kenntnis der Kerne. Monatsh. f. prakt. Dermatol., 
1895, Bd. 20, S. 604. 

2) Unna, Saure Kerne. Deutsche Medizinal-Ztg., 1895, Nr. 42, 
S. 4 (des Sonderabdr.). 

8) Unna, Die Darstellung der sauren Kerne in normalem und patho¬ 
logischem Gewebe. Monatsh. f. prakt. Dermatol., 1905, Bd. 41, S. 358. 

4) Ben sei, Ueber saure Kerne in der normalen Baut. (Aus Unna’s 

Dermatologicum.) Monatsh. f. prakt. Dermatol., 1905, Bd. 41, S. 581. 

Hier sind auch viele Färbemethoden genauer angegeben. 


91? 


demjenigen basophilen Nucleolin, welches sich ausser Nuclein 
noch in den Kernkörperchen befindet. Im vorigen Artikel 1 ) wurde 
gezeigt, dass diese saure Substanz eine Globulinsubstanz ist und 
demgemäss haben wir auch in den sauren Kernen Globulin zu 
erwarten. 

In der Tat sind eigentlich alle spezifischen basischen Fär¬ 
bungen 2 ) der Kernkörperchen, die man auch kurz: Globulin- 
färbungen nennen kann, zugleich solche für saure Kerne. Die 
einfachste ist die folgende: 1. Polychrome Methylenblaulösung 
2 Minuten; 2. Abspülen in Wasser; 8. 26proz. wässrige Tannin¬ 
lösung 10—15 Minuten; 4. Wasser, Alkohol, Oel, Balsam. 

Auf einem schwach bläulichen Hintergründe treten allein zwei 
Elemente dunkel hervor, die blauschwarz gefärbten Kernkörperchen 
und die dunkelblauen sauren Kerne, in denen die Kernkörperchen 
noch tiefer gefärbt sich abheben. Statt der polychromen Metbylen- 
blaulösung kann man auch Safranin oder das gewöhnliche Carbol- 
fuchsin benutzen, muss aber in letzterem Falle zur leichteren 
Entfärbung der Tanninlösung etwas Orange zusetzen. Die Spezi- 
fizität dieser Färbungen beruht auf der Eigenschaft des Tannins, 
in starker Konzentration nur mit Globulin und den basischen 
Farben eine feste Tripelverbindung zu geben, während die anderen 
sauren Eiweisse (Cytose) gelöst oder (Nuclein) entfärbt werden. 

Eine zweite Art der Färbung der sauren Kerne beruht auf 
einer ähnlichen Affinität des Jods einerseits zu basischen Farben, 
andererseits zum Globulin: 1. Gentiana -f- Alaunlösung (Grübler) 
(oder Gentiana-)- Anilinlösung) 2 Minuten; 2. Wasser; 3. Lugol’sche 
Lösung 2 Minuten; 4. Wasser, Alkohol, Oel, Balsam. 

Eine dritte gute Färbung gleichzeitig für saure Kerne und 
Kernkörperchen beruht auf einem anderen Prinzip, welches auch 
bei der Färbung der Protozoenkerne eine Rolle spielt. Sättigt 
man nämlich zuerst die oxyphile Grundsubstanz der sauren Kerne 
mit Eosin dadurch ab, dass man die Schnitte x / 4 — 1 f 2 Minute in 
eine rotstichige, wässrige Eosinlösung legt, so färben sich jetzt 
die sauren Kerne wie die Kernkörperchen schon normalerweise 
auch mit dem Pyronin der Nuclein-Nucleolin-Färbung (modifizierte 
Pappenheim-Unna-Färbung). Die pyroninroten sauren Kerne 
zeigen noch im Innern ein grünes Nucleingerüst neben einem oder 
zwei dunkelroten Kernkörperchen. 

Bei diesen spezifischen Färbungen der sauren Kerne zeigen sie 
nicht immer dieselbe Tiefe der Färbung wie die Kernkörperchen; 
so überwiegt bei den Gentiana-Jod-Methoden gewöhnlich die Fär¬ 
bung der sauren Kerne, bei der Safranin-Tannin-Methode die der 
Kernkörperchen. Ausser Jod und Tannin kann man natürlich 
auch andere Substanzen als Beizen für saure Kerne gebrauchen, 
welche Globuline fällen und mit basischen Farben Niederschläge 
geben, z. B. Kali bichromicum, Eisenchlorid (1 pM.), Bleiacetat. 

Neben diesen Färbungen, die nur die sauren Kerne und Kern¬ 
körperchen in spezifischer Weise hervorheben, hat eine vierte 
Doppelfärbung für das Studium der sauren Kerne insofern grossen 
Wert, als sie zugleich die gewöhnlichen (basischen) Kerne in 
schärfstem Kontrast zu denselben darstellt, die Hämatein -j- Alaun- 
Safranin-Tannin-Methode. 

Die Alkobol-Celloidin-Schnitte erhalten zuerst mittelst irgendeiner 
guten Hämatein -|- Alaun - Mischung eine kräftige Kernfärbung, werden 
darauf besonders gut in Wasser abgespült, kommen auf 10 Minuten in 
eine lproz. Safraninlösung und, wiederum gut in Wasser abgespült, in 
eine 25 proz. Tanniniösung, bis die rote Farbe der Schnitte in eine rot¬ 
violette umschlägt. Darauf muss die überschüssige Gerbsäure sehr 
gründlich ausgewaschen werden, ehe die Schnitte in Alkohol entwässert 
werden und durch Bergamottöl + Xylol in Balsam kommen. 

Auch bei dieser Doppelfärbuug sind allein die Kernkörperchen 
und die sauren Kerne in den Epithelzellen rot gefärbt. 

Besteht so eine völlige Uebereinstimmung der sauren Kerne 
und Kernkörperchen gegenüber unseren Färbemetboden, so finden 
wir eine nicht minder grosse, fast absolut zu nennende gegenüber 
den Lösungs- und Fällungsmitttein der Globuline. Zu diesen Ver¬ 
suchen dienten Gefrierschnitte frischer spitzer Condylome, die 
zum Schluss nach der Hämatein -f- Alaun-Safranin Tannin-Methode 
gefärbt wurden. Der Uebersichtlichkeit wegen ordnen wir die 
Versuche in eine Tabelle, in welcher in drei Rubriken die sauren 
Kerne, Kernkörpereben und ein bestimmtes aus Milch frisch ge¬ 
wonnenes Globulin in ihrem Verhalten zu vielen Reagentien ver¬ 
glichen werden. 


1) Siehe diese Wochenschr., No. 19, S. 871. 

2) Die Färbuogsresultate beziehen sich alle auf Alkohol-Celloidin- 
Schnitte von spitzen Condylomen. 

4 


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Ö18 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 



Saure 

Kerne 

Kern¬ 

körperchen 

Globulin 

Aqua destill., kalt, 24 Std. 

+++ *) 

+++ 

unlöslich 

„ fontis 24 „ 

+++ 

+++ 


NaCl 36 pCt., kalt . . . 

+++ 

+++ 

fi 

* 18 „ „ ... 

++ 

++ 

etwas gelöst 

. 9 . » ... 

+ 

+ 

fi » 

. 8,6 . , ... 

0 

0 

löslich 

„ 36 „ bis 39° . . 

+ 

+ 

unlöslich 

f> 86 „ , 50«. . 

+ 

+ 

„ 

ft 86 „ „ 750. . 

++ 

++ 

„ 

» 86 , . 100*. . 

+++ 

+++ 

„ 

Ammousulfat . . 72 pCt. 

++ 

++ 

„ 

. • • 36 . 

++ 

++ 

fi 

ft • • 7,2„ 

0 

0 

löslich 

Magnesiumsulfat . 86 „ 

++ 

++ 

unlöslich 


0 

0 

löslich 

Zinksulfat . . . 100 „ 

++ 

++ 

unlöslich 

• ... 50 B 

++ 

++ 


. • • • 1 . 

0 

0 

löslich 

H 2 S0 4 .... 10 n 

0 

0 


. .... 1 . 

+ 

+ 

unlöslich 

.... 1 pM. 

+ 

+ 


HCl.10 pCt. 

0 

0 

löslich 

..1 , 

+ 

+ 

unlöslich 

..1 pM. 

4-4- 

++ 

n 

H 8 P0 4 .... 10 pCt. 

4- 

+ 

n 

•.1 . 

4- 

+ 


HNOg .... 5 „ 

0 

0 

löslich 

....... 1 fi 

4- 

+ 

unlöslich 

fi .Vs » 

4- 

+ 

fi 

fi .Vi* fi 

4- 

+ 

„ 

Essigsäure . . . 100 „ 

0 

0 

löslich 

* ... 50 , 

0 

0 

„ 

... 25 B 

0 

0 

fi 

. ... 10 B 

4- 

+ 

unlöslich 

KOH.5 „ 

0 

0 

löslich 

Soda.10 * 

0 

0 

fi 

-.1 , 

0 

0 


».1 P*. 

0 

0 

„ 

Ammonsulfid . . 10 pCt. 

0 

0 


fi • ■ 1 . 

0 

0 

fi 

. . 1 pM. 

0 

0 


Ferrocyankalium . 2 pCt. 

0 

0 

n 

„ bei 50° 

+ 

+ 

„ 

. . 75 # 

+4-4- 

+++ 

unlöslich 

fi . ioo* 

+++ 

+++ 

n 

Essigsäure Tonerde . . . 

0 

0 

löslich 

Alaun . . 1 pCt. 

0 

0 


„ . . lpM. 

0 

0 

fi 

fi . • 1 . bei 500 

0 

0 

fi 

« • • 1 . n 75 0 

++ 

++ 

gerinnt 

. • • 1 , fi ioo 0 

++ 

++ 

V 

bol. Calc. bisulfur. . . . 

++ 

++ 

unlöslich 

Sublimat .... 6 pCt. 

+ 

+ 

* 

Kuperacetat . . . 10 * 

+ 

+ 


Lugol. 

++ 

++ 

fi 

JK + HgJj. 

++ 

++ 

fi 

Bleiacetat. 

++ 

++ 


Platinchlorid. 

++ 

++ 

f) 

Phosphormolybdänsäure . . 

++ 

++ 


Phosphorwolframsäure . . 

++ 

++ 


Tannin.1 pCt. 

++ 

++ 


..1 PM. 

++ 

++ 

fi 

Trichloressigsäure . 1 pCt. 

++ 

++ 


Pikrinsäure . . . 1 „ 

Ferrocyankalium + 

++ 

++ 

fi 

Essigsäure . . . 2 * 

+ 

+ 

fi 

HCl + Pepsin, 4 Std. . . 

fast 0 

fast 0 

etwas gelöst 

« H- 9* 8 „ . . 

0 

0 

fast ganz gelöst 


0 

0 

löslich 


1) Die Kreuze bedeuten Erhaltung bzw. Färbbarkeit, deren Anzahl 
den Grad der letzteren. 0 bedeutet das Verschwinden des betreffenden 
Gewebselementes. 


Eine Durchsicht der vorstehenden Tabelle ergibt die absolute 
Identität der Reaktionen der pyrouinophilen Substanz einerseits von 
sauren Kernen, andererseits von Kernkörperchen und die ebenso 
absolute Identität beider mit dem aus Kuhmilch gewonnenen 
Globulin. Am überzeugendsten sprechen für die Identität mit 
Globulinen die Kurven der Löslichkeit bei sämtlichen Neutral¬ 


salzen und Säuren. Schwache Lösungen der Neutralsalze lösen 
gleichzeitig bei demselben Prozentgehalt die pyroniuopbile Sub¬ 
stanz der Kernkörperchen, der sauren Kerne und das Globulin, 
so Zinksulfat und Magnesiumsulfat bei 1 pCfc., Kochsalz bei 
3,6 pCt., Ammonsulfat bei 7,2 pCt., während stärkere Kon¬ 
zentrationen in allen Fällen nicht mehr lösend wirken. Bei 
Schwefelsäure, Salzsäure und Salpetersäure beginnt die Unlöslich¬ 
keit der Gewebselemente und des Globulins gleichzeitig mit lpCt., 
bei Essigsäure mit lOpCt., während die höheren Prozente der 
Säuren beides lösen. Phosphorsäure aber löst ausnahmsweise 
sowohl die Gewebselemente wie das Globulin noch nicht bei 
10 pCt. Interessant ist das verschiedene Verhalten der sauren 
Salze. Essigsäure Tonerde und Alaun lösen alle 3 Substanzen 
bei niederer, nicht bei höherer Temperatur; die Lösung von 
saurem schwefligsaurem Calcium löst dagegen auch in der Kälte 
nicht. In diesen Beziehungen verhalten sich also die Gewebs¬ 
elemente ebenfalls genau wie Globulin. 

Nachdem wir nun die chemische Natur der sauren Kerne 
erkannt und in ihnen dieselbe saure Eiweisssubstanz, dasselbe 
Globulin, wie in den Kernkörperchen gefunden haben, ist es an 
der Zeit, die Frage aufzuwerfen, wie denn die sauren Kerne ent¬ 
stehen. Wo wir dieselben vereinzelt zerstreut, z. B. im Binde¬ 
gewebe, im Fettgewebe, an den Blutcapillaren, antreffen, sind 
sie immer voll ausgebildet und wir können ihnen nicht ansehen, 
ob sie aus gewöhnlichen Kernen entstanden sind oder eine ganz 
besondere Genese besitzen. Anders an solchen Orten, wo sie 
gehäuft, in grossen Mengen auftreten, wie im Epithelgewebe. 
Besonders empfehlen sich zum Studium ihrer Entwicklung die 
Epithelgeschwülste der äusseren Haut. Durch den scharfen 
Gegensatz der jungen Epithelien an der Bindegewebsgrenze und 
der alten an der Verhornungsgrenze und die unverkennbare, ein¬ 
seitige Entwicklungsrichtung, von jener zu dieser, ist es hier ein 
Leichtes, bei jedem sauren Kern allein durch seinen Ort das 
Alter und die Entwicklungsstufe desselben zu bestimmen. Hier 
kann man nicht im Zweifel bleiben, ob schon die Kerne der 
jüngsten Epithelien sich wie saure verhalten, oder ob erst fertige, 
ältere Kerne eine Umbildung in saure erleiden. 

Das geeignetste Material unter den Epithelgeschwülsten liefert 
auch hier das spitze Kondylom, welches bekanntlich nur aus 
einer einfachen, aber hochgradigen Hypertrophie der Stachelschicht 
besteht. Hier findet man die grössten Deckepithelien und die 
grössten Kerne und wird durch keine Erweichungsprozesse, hya¬ 
line Degenerationen und sonstige sekundäre Veränderungen gestört. 
Besonders klar tritt hier die Altersstufe jeder Zelle zwischen 
Keimschicht und Hornschicht hervor. Dazu kommt als wesent¬ 
licher Umstand, dass das spitze Kondylom sowohl im Epithel 
wie in seinem Bindegewebsstiel von sauren Kernen wimmelt. Sie 
sind hier daher auch allen Dermatologen bekannt, die an dem¬ 
selben Objekte einmal mit der Gentiana • Jod - Methode nach 
Epithelfasern und Herxheimer’schen Spiralen geforscht haben. 

Bei der Färbung mit der Hämatein + Alaun-Safranin-Tannin- 
Methode treten alle Kernkörperchen und sauren Kerne dunkel- 
safraninrot hervor und heben sich prachtvoll von dem durch 
Hämatein blauvioletten Chromatin aller sonstigen Kerne und dem 
ebenso gefärbten Spongioplasma der Epithelien und des Kollagens 
ab. Der erste Eindruck für jeden, der zum ersten Male solche 
Färbungen ausführt, ist ein hochgradiges Erstaunen über die Fülle 
von früher nicht gesehenen, sauren Kernen. Bei schwacher Ver- 
grösserung sieht es zunächst so aus, als ob alle Kerne überhaupt 
in diese (rote) Kategorie gehören. Stärkere Vergrösserung lehrt 
aber bald, dass die gewöhnlichen Kerne mit basischer Grund¬ 
substanz in noch grösserer Anzahl dazwischen vorhanden sind 
und nur ihrer Farbschwäche wegen nicht auffallen. Aber gerade 
diese farbschwachen normalen Kerne der Stachelschicht, die 
weder Hämatein stark noch Safranin überhaupt aufnehmen, haben 
wir zunächst ios Auge zu fassen, um die Besonderheit der sauren 
Kerne recht zu verstehen. 

Ganz normale Epithelkerne besitzt eigentlich nur die Keim¬ 
schicht, die der Cutis direkt aufsitzt, und eine oder zwei darauf 
folgende Reihen von Stachelzellen. Hier hat der Kern in der 
Ruhe eine länglich ovale Gestalt, eine schwachblaue Grund- 
substanz mit etwas dunkler blauem Kerngerüst und rotem Kern- 
körpereben. Die etwas älteren Stachelzellen der mittleren Lagen 
zeigen einen etwas grösseren, rundlichen und heller gefärbten 
Kern. Diese Veränderungen beruhen auf einer Vermehrung der 
Grundsubstanz der Kerne und einer Rarefaktion ihres Kern¬ 
gerüstes, während die Kernkörperchen ihre Gestalt und rote 
Färbung beibehalten. Diese Veränderung der Kerne mit stärkerem 


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UNIVERSUM OF IOWA 



















19. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


919 


Hervortreten der Grandsubstanz und Zurücktreten des Chromatins 
wird im allgemeinen za wenig beachtet; sie tritt auch als 
normale Altersveränderung nicht überall so klar hervor, 
wie gerade im Deckepithel. Weit bekannter ist die entgegen¬ 
gesetzte Alters Veränderung unter dem Namen der Pyknose der 
Kerne, die in einem Schwund der Grundsubstanz und Zusammen¬ 
schrumpfen des zurückbleibenden Chromatingerüstes besteht. 

Die abnorme Veränderung der Kerne, die zur Bildung der 
sauren Kerne führt, beginnt nun, wie die doppelgefärbten Hämatein- 
Safranin-Bilder zeigen, bereits unmittelbar an der Cutis¬ 
grenze in einigen der jüngsten Epithelien. Hier färbt sich die 
normalerweise bläuliche Grundsubstanz rötlich, wodurch der 
ganze Kern mit blauem Kerngerüst und roten Kernkörperchen 
blauviolett bis rotviolett erscheint. In den folgenden Zellen¬ 
reihen sind die sauren Kerne schon rein safraninrot. Genauere 
Untersuchung lehrt, dass in diesen gesättigt safranin roten Kernen 
auch noch das blaugefärbte Cbromatingerüst und die dunkelroten 
Kernkörpereben enthalten sind, obwohl sie färberisch nicht zur 
Geltung kommen. Wenn diese Stufe erreicht ist, verändern sich 
die sauren Kerne nicht mehr; sie steigen mit den anderen, immer 
farbschwächer werdenden Kernen in die Höhe bis an die Ver¬ 
hornungsgrenze und werden dadurch in diesen höheren Lagen 
durch ihre starke Färbung immer auffallender. Ja, sie gehen in 
die Hornschicht ein, ohne ihre Röte und Gestalt zu verlieren. 
Sie erleiden also nicht die normale Altersveränderung der Epithel¬ 
kerne; aus ihnen sind dauerhafte Gebilde geworden. 

Die Erscheinung der sauren Kerne beruht also auf einer 
primären Veränderung der Grundsubstanz, indem diese basische 
Substanz sich mit demselben sauren Globulin füllt, welches 
normalerweise nur in den Kernkörperchen vorhanden ist. Man 
könnte diesen Prozess daher auch die Nucleolin-Metamorphose 
der Kerngrundsnbstanz nennen. Dass derselbe eine reine 
Kernangelegenheit darstellt und gänzlich unabhängig vom Proto¬ 
plasma ist, geht mit Sicherheit ans der Tatsache hervor, dass 
häufig im Epithel in einer Kernhöble 2 Kerne Vorkommen, von 
denen einer ein normaler, der andere ein saurer ist. 

Hand in Hand mit dieser Veränderung verliert der Kern 
sicher seine Fähigkeit, Mitosen zu bilden; noch niemals ist eine 
solche in einem sauren Kerne getroffen worden. Der anf diese 
Weise zugleich steril und stabil gewordene Kern repräsentiert 
gleichsam als Ganzes ein stark vergrössertes Kernkörperchen. 

Ganz ähnlich wie im Epithel verhalten sich die sauren 
Kerne im Bindegewebe, was ihre chemischen und tinktoriellen 
Eigenschaften betrifft, während sie morphologisch einige Be¬ 
sonderheiten zeigen. Dieselben lassen sich auch im binde¬ 
gewebigen Stiel des spitzen Kondyloms studieren; weit besser 
allerdings noch in tuberkulösen Geweben. Vom Lupus sind die 
betreffenden Bilder bereits ausführlich mitgeteilt 1 ). Die dort 
beschriebenen Präparate sind nach der dritten der oben angeführten 
Methoden gefärbt, welche für die sauren Kerne des Bindegewebes 
überhaupt manche Vorzüge hat, also mit kurzer Vorfärbung mit 
(rotstichigem) Eosin und darauffolgender Nachfärbung mit der 
Karbol -j- Metbylgrün -|- Pyronin-Mischung. Die Vorfärbung mit 
Eosin bewirkt eine starke Nachfärbung der Kernkörperchen und 
der sauren Kerne mit Pyronin, so dass diese Elemente nun 
ebenso stark rot hervortreten wie bei der Hämatein + Alaun- 
Safranin-Tannin-Methode. Auch die Entstehung der sauren Kerne 
in der Keimschicht des Epithels mit einer schwachen Rotfärbung 
der Grundsubstanz ist an so gefärbten Präparaten vorzüglich zu 
sehen. Aber der Hauptvorzug liegt in ihrer Hervorhebung der 
sauren Kerne des Bindegewebes und der scharfen Unterscheidung 
der letzteren von den chromatoliptischen 2 ) Kernen. Beide 
Kernarten gleichen sich bis auf ihre verschiedene Färbung in 
allen Stücken; sie sind grösser als die normalen spindelförmigen 
Bindegewebskerne und erhalten bei dieser Vergrösserung die 
Form grosser, seitlich abgeplatteter Ellipsoide oder Zylinder, die 
oft etwas über die Fläche gebogen und am Rande eingekerbt 
sind. In ihrer Mitte liegen stets 1—2 Kernkörperchen. Der 
Unterschied zwischen den sauren und den chromatoliptischen 
Kernen besteht nun darin, dass die ersteren bei der angeführten 
Färbung dunkelrot, die letzteren ganz blass aussehen. Nur die 
Kernmembran der chromatoliptischen Kerne ist wie bei den 
sauren Kernen durch Metbylgrün etwas blau und das Kern¬ 
körperchen rot gefärbt. Mit anderen Worten ausgedrückt heisst 


1) Unna, Histologischer Atlas zur Pathologie der Haut, H. 8, 
S. 212—218, 224-225, 237—241, Figuren 213, 214, 231—235. 

2) Chromatinarm, von Aetmo, intrans. schwinden. A. a. 0., S. 212. 


das: die sauren und chromatoliptischen Kerne haben beide den 
normalen geringen Nucleingehalt der Kernmembran und einen 
Globulingehalt des Kernkörperchens; die Grundsubstanz besteht 
aber bei den chromatoliptischen Kernen aus basischer Substanz, 
welche basische Farben abweist, bei den sauren Kernen hat diese 
Grundsubstanz sich mit Globnlin gesättigt und nimmt daher die¬ 
selbe basische Farbe (Pyronin) wie das Kernkörpereben an. Dass 
diese Färbung eine vorherige Absättigung der basischen Grund- 
Substanz mit Eosin erfordert, ist eine häufiger vorkommende Be¬ 
dingung (vgl. Protozoenkerne) für Speicherung basischer Farben. 
Diese Abneigung der Grundsubstanz chromatoliptischer Kerne 
gegen basische Farben hat zur Folge, dass sie nur bei Färbung 
mit diesen als ungefärbte Elemente scharf hervortreten. Man 
erkennt sie wohl mit ihren besonderen Eigenschaften auch bei 
der Hämatein -|- Alaun-Safranin-Tannin-Methode. Aber da hier 
das Hämatein das oxyphile Kerngerüst (Flemming’s Achromatin) 
etwas anfärbt, so erscheinen sie dunkler und weniger auffallend 
als bei der Eosin-Methylgrün -j- Pyronin-Metbode. 

Was stellen nun die chromatoliptischen Kerne des Binde¬ 
gewebes, die bis auf den Globulingehalt alle Eigenschaften mit 
den sauren Kernen teilen, eigentlich vor? Am nächsten liegt es 
wohl, sie mit den älteren Epithelkernen zu vergleichen. Auch 
diese sind durch Vermehrung der Grundsubstanz vergrössert und 
haben ein normales Kernkörperchen, zeigen dagegen einen Mangel 
an basophilem Chromatin, das sich auf die Kernmembran be¬ 
schränkt. Vielleicht sind die grossen chromatoliptischen Kerne 
des Bindegewebes wirklich nur gealterte Kerne. Rein histologisch 
lässt sich das schwer beweisen, da hier kein Altersindex in der 
Lokalisation besteht, wie im Epithel. Aber histogenetisch wird 
sich diese Aufgabe wohl bearbeiten lassen und wahrscheinlich zu 
der angedeuteten Lösung führen. 

Dass mit der Chromatinarmut der chromatoliptischen Kerne 
auch Sterilität einhergeht, ist wohl selbstverständlich. Aber es 
liegen interessante Befunde dafür von tuberkulösen Riesenzellen 
vor, dass sich die chromatoliptischen ebenso wie die sauren 
Kerne unter begünstigenden Umständen noch amitotisch, durch 
Zer8chnürung teilen können 1 ). Die Kernzerschnürung durch Ein¬ 
faltung der Kernmembran hat ja auch bei diesen Kernen nichts 
Auffallendes, da die Kernmembran bei ihnen das einzige Element 
ist, welches sich noch einen Rest von basophilem Chromatin 
(Nuclein) bewahrt hat. 

Licht auf die Bedeutung dieser vielgestaltigen Kernwelt hat 
aber erst die Erkenntnis geworfen, dass die Hauptfunktion der 
sauren Kerne ihre Sauerstoff aktivierende und speichernde ist. 
Alle besonderen und früher auffallenden Eigentümlichkeiten sind 
dadurch mit einem Male aufgeklärt. Die sauren Kerne wurden 
zuerst bei seniler Degeneration (Verwitterung) der Haut und bei 
Lepromen gefunden, bei denen die Ernährung und Regeneration 
des Gewebes stark darniederliegt. So schien es, dass sie einen 
Mangel an Regenerationskraft andeuteten. Das war richtig, aber 
nur die negative Seite der Sache. Ihr häufiges Vorkommen im 
Embryo, an den Blutcapillaren, in den immerfort tätigen Knäuel¬ 
drüsen machte alsbald das Suchen nach einer weiteren Funktion 
notwendig. Diese und damit die positive Funktion der sauren 
Kerne ist nun darin gefunden, dass sie ganz hervorragende Sauer¬ 
stofforte darstellen; sie färben sich mit Rongalitweiss I und 
Rongalitweiss 11 stärker als normale Kerne. Gewöhnlich tritt das 
Kernkörperchen in ihnen dabei noch besonders intensiv gefärbt 
hervor. Während der Kern durch saure Umwandlung seiner 
Grundsubstanz die Fähigkeit der Mitosenbildung verliert, wird er 
zu einem Sauerstoffreservoir ersten Ranges. Denn das in der 
Grundsubstanz eingeschlossene Nuclein aktiviert den zum Kern 
gelangenden Sauerstoff wie in jedem Kern; der aktive Sauerstoff 
wird aber dann sofort in der sauren, globulinhaltigen Grund¬ 
substanz gespeichert, wie sonst nur im Kernkörperchen. Die 
sauren Kerne sind also gleichzeitig gute Aktivatoren und sehr 
gute Sauerstoffspeicher, während die normalen Kerne zwar gute 
Aktivatoren, aber nur mässige Sauerstoffspeicher sind. Der 
Sauerstoff, den das Nuclein aktiviert, wird von der basischen 
Grnndsubstanz des normalen Kerns zum Teil schon wieder ebenso 
verbraucht, wie im Spongioplasma des Zellleibes. Unter diesem 
Gesichtswinkel erscheint die Produktion des Gewebes an sauren 
Kernen von ähnlicher Bedeutung, wie die vom Granoplasma im 
Epithel und von Plasmazellen im Bindegewebe. Es werden in 
allen Fällen rund um die Sauerstoffaktivatoren (Kernchromatin) 
saure Eiweissmassen abgelagert, welche imstande sind, Sauerstoff- 


1) A. a. 0., S. 240, Fig. 235. 

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UMIVERSITY OF IOWA 





920 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 


Vorräte zu bilden und den aktivierten Sauerstoff vor sofortigem 
Verbrauche zu bewahren. 

Von diesem Standpunkte aus begreifen wir natürlich ebenso 
sehr die Nützlichkeit der sauren Kerne beim Embryo und im 
Endothel der BlutcapiHaren wie in der Greisenhaut und im 
Leprom. Und wenn auch sicher durch die Ausbildung der sauren 
Kerne ebensoviele Einzelkerne dem Zellteilungsgeschäft entzogen 
werden, so tragen die gebildeten und Sauerstoff speichernden 
sauren Kerne doch insgesamt dazu bei, den Sauerstoffgehalt eines 
Gewebes zu erhöhen, und befördern damit indirekt auch seine 
mitotische, regenerative Kraft. 

Es ist vielleicht nicht unnötig, zum Schlüsse noch die Frage 
aufzuwerfen, ob die sauren Kerne ihren hergebrachten Namen 
auch verdienen. Ursprünglich war derselbe ein Notbehelf, eine 
Abkürzung für etwa „ganzsaure Kerne“ oder „Kerne mit saurer 
Grundsubstanz“. Seitdem sich aber ergeben hat, dass der in die 
Grundsubstanz abgelagerte saure Eiweisskörper die wichtige 
Funktion eines Sauerstoffspeichers ausübt, die eben auch nur von 
einem sauren Eiweisskörper ausgeübt werden kann, so scheint es 
uns, dass die sauren Kerne ihren hergebrachten Namen mit 
grösserem Rechte und Stolze tragen dürfen als bisher. 


Aus dem physiologischen Institut der Universität Berlin. 

Zur Frage der Adrenalinwirkung auf den 
Coronarkreislauf. 

Von 

Dr. Felix Meyer-Kissingen-Berlin. 

In den verschiedenen Gefässprovinzen des Körpers bietet 
kein in sich geschlossener Blutkreislauf so viele Schwierigkeiten 
in der Beobachtung und Bewertung des Experiments wie das 
System der Kranzgefässe des Herzens. Denn bei keinem anderen 
Organ ist die Blutverschiebung für die direkte Beobachtung so¬ 
wohl wegen der unausgesetzten Herzkontraktionen als auch wegen 
des Durchscheinens des in den Herzhöhlen strömenden Blotes so 
unzngängig und dabei doch so abhängig von dem Funktions- 
znstand des versorgten Organs wie bei den Coronargefässen des 
Herzens. Menge und Durchflussgeschwindigkeit des Coronarblutes 
steht ohne Zweifel im Verhältnis zur Herzkraft und Funktions¬ 
tüchtigkeit des Herzens — das beweist schon das Sistieren des 
venösen Blutausflusses aus der Kranzvene bei künstlichem Herz¬ 
stillstand durch Vagnsreiz —, aber umgekehrt wird die Herz¬ 
arbeit durchaus beeinflusst von der Menge und Beschaffenheit des 
das Herz ernährenden Coronarblutes, wofür ohne weiteres die 
Erfahrung und das Experiment des Herztodes durch Coronar- 
verschluss spricht. Es war daher nicht nur physiologisches 
Interesse, wenn die Forscher sich bemühten, über vasomotorische 
Beeinflussbarkeit der Coronargefässe Klarheit zu bekommen, 
sondern es musste auch der Nachweis selbständiger Gefässreaktion 
der Kranzgefässe auf das therapeutische Handeln von weittragender 
Bedeutung sein. Z. B. war es wichtig, über den Reaktionszustand 
der Coronargefässe bei Darreichung von Digitaliskörpern unter¬ 
richtet zu sein, um die Gefahr einer Angina pectoris vermeiden 
oder dieselbe eventuell beheben zu können. Kaum ein Arznei¬ 
mittel war anscheinend darum befähigter, die Frage der selb¬ 
ständigen Reaktionsfähigkeit der Coronarien zu beweisen wie das 
Adrenalin oder das synthetische Suprarenin, das im peripherischen 
Gefässsystem so offensichtliche und schnelle Kontraktionen der 
Gefässe zustande brachte und eine so verblüffend belebende 
Wirkung auf das ausgeschnittene Säugetierherz entfaltete. Bis 
auf die jüngste Zeit haben sich daher die Forscher des Adrenalins 
zum Nachweis der vasomotorischen Beeinflussbarkeit bedient, und 
zwar benutzten sie entweder die Langendorff’sche (1) Methode 
des Durcbfliessens einer Menge Nährlösung (Ringer) mit Zusatz 
des Adrenalins durch das ausgeschnittene überlebende Säugetier¬ 
herz, oder sie benutzen die 0. B. Meyer’sche (2) Methode der Be¬ 
stimmung der Längenzu- oder abnahme eines ausgeschnittenen 
circulären Kranzarterienstreifens in Adrenalin-Ringer- bzw. Adre¬ 
nalin-Ringer-Blutlösung. Die Resultate der Versuche mit beiden 
Methoden sind aber unzuverlässig und nicht auf die wirklichen 
Verhältnisse übertragbar, und es erklären sich daraus auch die 
Differenzen in den Meinungen über Vorhandensein oder Nicht¬ 
vorhandensein von Vasomotoren der Kranzgefässe, wie dies sowohl 
von mir (3) in einer früheren Arbeit als auch zu fast gleicher 


Zeit von Morawitz (4) und Zahn eingehender auseinander- 
gesetzt wurde. Denn in beiden Methoden ist der Einfluss des 
Nervensystems, des Blutdrucks und der normalen Blutflüssigkeit 
ausgescbaltet. Während z. B. Schäfer (5) bei künstlicher Durch¬ 
blutung des Herzens mit Ringer und defibriniertem Blut eine 
Adrenalinwirkungauf die Coronarien leugnet, wurde von Dogiel (6) 
und Archangelski eine Verengerung der Kranzgefässe durch 
Adrenalin, von Pahl (7), Eppinger und Hess (8), de Bonis 
und Susanna (9) sowie Langendorff (10) eine Erweiterung 
bzw. Verlängerung des Kranzgefässstreifens angegeben. Noch 
eine der neuesten Arbeiten aus dem Rostocker pharmazeutischen 
Institut von F. Rabe (11) gibt einen Unterschied in der Ein¬ 
wirkung von Suprarenin in der Ringerlösung und in der Blut¬ 
ringerlösung an. In der Ringerlösung findet eine Verengerung, 
in der Blutringerlösung eine Erweiterung der Gefässe statt. Um 
so mehr sind zur Beurteilung der Adrenalin Wirkung, soll man 
die Schlüsse auf die Verhältnisse beim lebenden Menschen über¬ 
tragen können, nur Versuche in physiologischer Anordnung, d. h. 
am lebenden Tiere in situ geeignet. Der von mir angegebenen 
Methode der Einführung einer abgebogenen Glaskanüle in eine 
vordere Hauptvene des schlagenden Herzens in situ und Re¬ 
gistrierung der verminderten oder vermehrten Blutdurchströmung 
mittelst Tropfenschreibers oder mittelst Volumschreibung durch 
den Pistonrekorder wurde nun von Morawitz und Zahn eine 
ihrer Ansicht nach verbesserte Methode entgegengesetzt. Mora- 
witz und Zahn führten eine neusilberne Tamponkanüle durch 
das rechte Herzohr und den rechten Vorhof in den Sinus coro- 
narius venosus ein und bestimmten die ausfliessende Blutmenge 
durch eine Art Briefwage. Der Vorzug ihrer Methode wäre nun 
die grössere Präzision, da bei ihrer Methode das gesamte, das 
Goronarsystem durchströmende venöse Blutvolumen gemessen 
würde, während bei der meinigen nur die Blntverschiebung in 
einer Abzweigung, also in der Mitte der Strombahn bestimmt 
würde. Abgesehen nun davon, dass die Gefässe in einem so ge¬ 
schlossenen Kreislauf wie in den Coronarien sich im ganzen 
wohl so verhalten wie in ihren Teilen — es müsste denn der 
Gegenbeweis erbracht werden —, so ist die Präzision der 
Morawitz’scben Methode durch dreierlei Umstände doch illu¬ 
sorisch. Zunächst ist die Einführung der Kanüle durch den 
Vorbof schon viel schwieriger und eingreifender als in eine offen 
sichtbare Vene. Zur Sichtbarmachung des Sinus venosus muss 
das Herz aufgerichtet werden. Dabei kommt es häufig zu einem 
Abknicken der grossen Gefässe, und es tritt Herzflimmern ein, 
wie sich dies mir in der Nachprüfung bei 5 vergeblichen Ver¬ 
suchen am Hundeherzen abspielte. Erst am Katzenherzen, das 
viel widerstandsfähiger ist, gelang mir die Morawitz’sche 
Methode. Ein zweiter Uebelstand ist die schnelle Verblutung 
ohne Infusion der defibrinierten Blutmenge und die Fehlerquelle 
der Blntdruckschwankungen durch die notwendige Infusion. 

Ein dritter Uebelstand ist die leichte Gerinnbarkeit des 
Blutes in der engen Tamponkanüle, welche die Anwendung von 
Hirudin erheischt, dessen blutdruckerniedrigende Wirkung aber 
eine weitere Fehlerquelle involviert. Ich habe deswegen bei der 
ferneren Anwendung der Morawitz’schen Methode eine weitere 
doppelwinklig gebogene Glaskanüle mit olivenförmigem Ansatz 
benutzt, bei der keine Gerinnungen während des Versuchs ein¬ 
traten. Demgegenüber wird nun bei meiner alten Methode dem 
Tier nicht so viel und so schnell das Blut entzogen, zumal ich 
durch Sistieren des Tropfblutes das Tier vor der Verblutung 
schützen kann. Zudem braucht das Herz nicht aus seiner Lage 
entfernt, die Herzspitze nicht gehoben zu werden. Die physio¬ 
logischen Verhältnisse werden dadurch weit mehr gewahrt und 
die Technik vereinfacht. Immerhin, das Prinzip der Morawitz- 
Zahn'schen Methode ist dasselbe wie das der meinigen, nämlich 
die Verfolgung der Gefässreaktion im lebenden Körper, und das 
einzig gegebene, um Klarheit in die Frage der Beeinflussung der 
Coronarien durch Arzneimittel, speziell das Adrenalin, zu bringen. 
Demzufolge sind auch die Resultate unserer beiden Methoden be¬ 
züglich des Adrenalins übereinstimmend. In beiden Versuchs¬ 
anordnungen sehen wir eine Beschleunigung des Blotausflusses 
ans den Kranzgefässen, die etwa das 3—5 fache der Norm be¬ 
trägt, aber auch noch höher steigen kann. Strittig allein blieb 
die Frage, ob diese Beschleunigung rein passiver Natur, d. h. 
durch den erhöhten Blutdruck, durch die vis a tergo bedingt sei, 
oder ob die Kranzgefässe sich dabei auch aktiv erweitern. In 
dem Versuch von Morawitz und Zahn sieht man — worauf die 
Autoren besonders binweisen —, die Beschleunigung auch nach 
Rückkehr des Blutdrucks zur Norm noch einige Zeit anhalten. 


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UNIVERSUM OF IOWA 



19. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


921 



Bei X-Injektion von 0,2 mg Adrenalin. 


Kurve 2. 


Blutdruck 



Bei X—X Injektion von 0,2 mg Adrenalin — 


gleichzeitig künstlich herabgesetzter Blutdruck (trotzdem vermehrte Durchfluss¬ 
geschwindigkeit). 


Kurve 3. 




Blutdruck IllflllPPlIllllp 






Tropfen¬ 

kurve 


444- !^J-y4^-jU-44iU^ 4—1-4-4- 



Bei + Injektion von 1 ccm Imido-Roche 1:10. 


Sie erklären dies auch als Ausdruck einer aktiven Erweiterung, 
doch halten sie den Vorgang in der Hauptsache für eine 
passive Gefässdehnung. 

Um nun völlige Klarheit in dieser Frage zu erhalten, habe 
ich bei Benutzung der Morawitz’schen Methode (modifiziert 
durch Anwendung einer weiteren Kanüle und Tropfenschreibung 
statt Wägung) folgende Versuchsanordnungen getroffen und hoffe 
damit eine eindeutige Lösung gefunden zu haben. 

Nach Einführung der Kanüle durch das Herzohr in den 
Sinus coronarius und Armierung derselben mit ölgefülltera Ansatz¬ 
schlauch und Glasrohr (mit bekannter Abbiegung) zur Tropfen¬ 
schreibung wurde ausser der Carotis zur Registrierung des Blut¬ 
drucks die Art. femoralis freigelegt und mit abklemmbarer Kanüle 
versehen. Sobald nach Injektion des Adrenalins der Blutdruck 
stieg, wurde aus der Femoralis soviel Blut abgelassen, bis der 
Blutdruck auf die frühere Norm gesunken war, bzw. eine gleich¬ 
bleibende Höbe zeigte. Beifolgende Kurven 1 und 2 veranschau¬ 
lichen nun, wie trotz des künstlich herabgedrückten bzw. niedrig- 
bleibenden Blutdrucks der Tropfenfall beschleunigt bleibt, also 
eine vermehrte Durchflussgeschwindigkeit anzeigt. Dass es sich 
dabei nicht um ein einfaches Trägheitsmoment handelt, lehrt der 
Vergleich mit Imido-Roche (/Mmidoazomethylamin) (vgl. meine 
Arbeit: Ueber die Wirkung verschiedener Arzneimittel auf die 
Coronargefässe des lebenden Tieres, Archiv f. Anat. u. Physiol., 
physiol. Abt., 1912, S. 214). Bei dieser Kurve zeigt sich bei 


Senkung des Blutdrucks eine deutliche Verminderung des Tropfen¬ 
falls, die sofort aufhört, sobald der Blutdruck wieder steigt und 
zur Norm zurückkehrt. Ich erkenne nun zwar an, dass bei 
Adrenalin die ausserordentliche Beschleunigung der Blutdurch- 
strömung der Coronarien in erster Linie durch die erhöhte Herz¬ 
arbeit bzw. durch den gesteigerten Blutdruck bedingt ist, aber 
es ist nach obiger Darlegung absolut nicht die elektiv coronar- 
gefässerweiternde Wirkung dieser Substanz zu verkennen. In 
dieser Erkenntnis werden wir noch mehr bestärkt durch die 
Resultate von Pahl (7), Rabe (11), Brodie und Cullis (12) u. a., 
welche eine Verlängerung der Coronargefässstreifen in Blut-Ringer¬ 
lösung sahen, während sich Gefässstreifen anderer Provenienz 
zusammenzogen, wie dies Argyll Campbell (13) in dem 
Schäfer’schen Institut zu Edinburg nachwies. Das Adrenalin 
macht also eine Erweiterung der Coronargefässe und 
eine lebhafte Beschleunigung und Vermehrung derBIut- 
durchströmung des Kranzgefässsystems. 


Literatur. 

1. Langendorff, Centralbl. f. Physiologie, 1907, Bd. 21. — 
2. 0. B. Meyer, Zeitschr. f. Biologie, 1906, Bd. 48, S. 352. — 3. Felix 
Meyer, Med. Klinik, 1912, Nr. 21. Archiv f. Anat. u. Physiol., 1912, 
S. 223. — 4. Morawitz und Zahn. — 5. Schäfer, Archive internat. 
de physiol., 1904, Bd. 2, S. 141. — 6. Dogiel und Archangelsk!, 
Pflügei’s Archiv, 1907, Bd. 16, S. 482. — 7. Pahl, Wiener medizin. 

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922 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 


Wochenschr., 1909, Nr. 8. — 8. Eppinger und Hess, Zeitschr. f. 
experim. Pathol. u. Therapie, 1909, Bd. 5, S. 622. — 9. de Bonis und 
Susanna, Centralbl. f. Physiol., Bd. 23. — 10. Langendorff, 

Centralbl. f. Physiol., 1907, Bd. 21. — 11. F. Rabe, Zeitschr. f. experim. 
Pathol. a. Therap., 1912, Bd. 11, S. 135. — 12. Brodie und Cullis, 
Journal of physiol., 1911, Bd.43. — 13. Argyll Campbell, Quarterly 
journ. of exp. physiol., Yol. 4, Nr. 1. 


Aus der Königl. Universitätsklinik für Haut- und 
Geschlechtskrankheiten (Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. 
Dr. Lesser). 

Beitrag zur Frage der Reinfektion. 

Von 

Dr. H. Löhe, 

Stabsarxt und Assistent der Klinik. 

Die Frage, ob eine einmalige Infektion mit Syphilis eine er¬ 
neute Ansteckung für immer ausschliesst oder ob eine Reinfektion 
unter Umständen möglich ist, hat in der Literatur verschieden¬ 
artige Auslegung gefunden. Diese Frage ist um so bedeutungs¬ 
voller, als damit zugleich die Möglichkeit der Heilbarkeit der 
Syphilis bejaht oder verneint wird. Besonders lebhaft musste 
naturgemäss das Interesse zu einer Zeit werden, wo eine neue 
Aera der Behandlung durch die Einführung des Salvarsans im 
Kampfe gegen die Syphilis anbrach, wo die Möglichkeit auf¬ 
tauchte, mit einem Schlage die Syphilis zu heilen. 

Nicht vereinzelt sind die Beobachtungen, welche beweisen, dass 
energische antisyphilitische Hg-Euren auch in verhältnismässig kurzer 
Zeit wohl imstande sind, die acquirierte Syphilis zur Ausheilung zu 
bringen. Mir selbst ist ein Fall eines Arztes bekannt, bei dem nach 
sofortiger Exzision des eben bemerkten Primäraffektes (mit Spirochäten¬ 
nachweis) und unmittelbar eingeleiteter sehr energischer Behandlung 
(mehrfache Calomelinjektions- und Einreibungskuren) die Sekundär¬ 
erscheinungen ausblieben, der Patient auch nach einem Zeitraum von 
7 Jahren ständig negative Wassermann’sche Reaktion aufwies und ge¬ 
sunde Kinder erzeugte. Einen solchen Fall nicht als geheilt be¬ 
trachten zu wollen, liegt kein Grund vor. Abgesehen davon, dass 
mehrere Kollegen den Fall eingehend beobachtet haben, auch der 
Patient selbst sich stets auf das genaueste überwachte, sprechen ja 
auch die dauernd negative Wassermann’sche Reaktion, die gesunden 
Kinder für eine völlige Ausheilung. 

Natürlich war und ist das sicherste Kriterium für das Ueber- 
stehen der Lues die Empfänglichkeit des Organismus für eine 
zweite Infektion. Dieser wichtigen Frage haben schon lange die 
Kliniker ihre Aufmerksamkeit zugewandt, und so finden wir im 
Laufe der letzten Jahrzehnte eine Reibe von Fällen beschrieben, 
die mit Sicherheit die Möglichkeit einer Reinfektion dartun. 
Natürlich hat es auch nicht an Gegnern dieser Anschauung ge¬ 
fehlt, und vor allem sind Ricord und nach ihm v. Bären¬ 
sprung und v. Sigmund zu nennen, die aufs entschiedenste 
eine Reinfektion ablehnten. 

Ricord’s Gesetz: „Niemand bekommt zweimal, d. h. zu ver~ 
schiedenen Zeiten, einen indurierten Schanker.“ „Niemand bekomm* 
zweimal die konstitutionelle Syphilis“ glaubte v. Bärensprung (1860' 
nach dem Resultat seiner klinischen und experimentellen Beobachtungen 
noch besser in die Sätze zusammenzufassen: „Es ist also ein Gesetz, 
von dem ich keine Ausnahme kenne: Personen, die einen indurierten 
Schanker haben oder die an der konstitutionellen Syphilis leiden oder 
die früher einmal syphilitisch waren und es nicht mehr sind, können 
von einem indurierten Schanker nicht mit Erfolg geimpft werden oder, 
was dasselbe ist, nicht zum zweiten Male syphilitisch angesteckt werden. 
Alle diese Personen haben aber die volle Receptivität für das CoDtagium 
des weichen Schankers.“ Trotz der Autorität v. Bärensprung’s 1 ) 
fanden seine Ansichten nicht allgemeine Geltung, und bald erschienen 
Mitteilungen anderer Autoren, welche die Unhaltbarkeit seiner Leitsätze 
erwiesen. Köbner*) erbrachte klinisch und experimentell durch eine 
grosse Reihe von Autoinoculationsexperimenten den zwingenden Beweis, 
dass ein syphilitischer Organismus gegen die örtlichen Wirkungen des 
sekundären Contagiums nicht völlig immun ist, und zwar weder vor 
Ausbruch der Allgemeinsymptome, noch während des Sekundär- oder 
Tertiärstadiums, noch auch nach Schwinden der syphilitischen Erschei¬ 
nungen. Gleichzeitig veröffentlichte er (1871) eine Statistik über 
45 Fälle von Reinfektion mit 8 eigenen Beobachtungen, bei welchen 


1) v. Bärensprung, Mitteilung, aus d. Abt. f. syphilit. Kranke. 
Charit6-Annal., Bd. 9, H. 1. 

2) H. Köbner, Ueber Reinfektion mit konstitutioneller Syphilis. 
Berliner klin. Wochenschr., 1872, Nr. 46, S. 549. 


zwischen erster Infektion und Reinfektion ein Zeitraum von 18 Monaten 
bis 5V* Jahren lag. Wenn auch nicht alle 45 Fälle als einwandfrei 
bezeichnet werden können, so bleiben doch immerhin nach Abzug von 

22 beobachteten Schankern — allein, ohne Sekundärerscheinungen — 

23 Fälle übrig, bei denen syphilitische Erscheinungen der Haut und 
Schleimhäute jeden Zweifel ausschlossen. 

In der B'olgezeit finden sich in der Literatur zahlreiche Einzelbeob- 
achtungen von Fournier, Lang, Boeck, Neumann 1 ) und vielen 
anderen Autoren verzeichnet. Ein grosser Teil derselben konnte einer 
ernsten kritischen Beleuchtung nicht standhalten, und so war die 
Forderung des Londoner Kongresses 1896 eine durchaus berechtigte, nur 
solche Fälle als sichere Reinfektion anzuerkennen, bei welchen der 
typische Verlauf der Infektion nicht nur anamnestiscb, sondern auch 
durch eine klinisch zuverlässige Beobachtung (multiple Drüsenschwellung, 
Roseola) sichergestellt und die abermalige Erkrankung einen für Syphilis 
typischen Verlauf haben muss, d. h. Primäraffekt, Lymphdrüsen- 
schwellung und Exanthem. Bei Anlegen dieses Maassstabes mussten 
natürlich eine grosse Zahl der beschriebenen Fälle ausscheiden, da das 
Auftreten eines skleroseähnlichen Geschwürs am Genitale allein eine 
Reinfektion nicht verbürgt, es sich vielmehr auch um ein irritiertes Ulcus 
molle, ein ulceriertes Gummi und vor allem auch um einen Chancre 
redux, also eine Reinduration handeln konnte. 

Aus der jüngsten Zeit verdient ganz besonders die grosse Arbeit 
von Felix John 2 ) hervorgehoben zu werden, der es unternahm, die ganze 
in- und ausländische Literatur auf Fälle von Reinfectio syphilitica 
kritisch zu sichten. -Unter den 356 zusammengetragenen Kranken¬ 
berichten findet er nur 14 Fälle, die allerdings auch den rigorosesten 
Forderungen genügen müssen; dazu kommen noch weitere 15 Fälle, die 
mit höchster Wahrscheinlichkeit als echte Reinfektion aufzufassen sind; 
das macht also 8,42 pCt., eine nicht sehr grosse Zahl im Vergleich zu 
den als Reinfection aufgefassten Fällen. 

Zu den sicheren Fällen dürfte auch folgender Fall zu rechnen 
sein, den ich erst kürzlich zu sehen Gelegenheit hatte und der 
von zuverlässigen Beobachtern erkannt und behandelt worden ist. 
Die kurzen Angaben sind folgende: 

Offizier, jetzt 51 Jahre alt. Infektion mit Lues 1897. Primäraffekt 
an der Urethra. Starke Roseola. Einreibungskur von 160 g. Früh¬ 
jahr 1897 wegen Angina specifica Calomelinjektionskur (6 Injektionen). 
1900 Einreibungskur 160—180 g. Längere Zeit Kalium jodatum 
20,0: 300,0. Eine Serie von Jodipininjektionen. Der ängstliche, sehr 
besorgte Patient war dauernd in spezialärztlicher Beobachtung; keinerlei 
Erscheinungen traten auf. 

Januar 1909 Primäraffekt mit Spirochaetae pallidae im Sulcus coronar. 
und in der Tasche neben dem Frenulum. Allgemeine indolente Drüsen¬ 
schwellung. Nach 6 Wochen maculo-papulöses Syphilid. März 1909: 
1. Kur, 14 Injektionen, Hydr. sal. 2. Kur Juli/August 1909. 10 In¬ 
jektionen Hydr. sal. Weihnachten 1909 Wassermann’sche Reaktion 
negativ. Januar 1910 Erscheinungen in der Hohlhand. 3. Kur, 12 In¬ 
jektionen, Hydr. sal. 4. Kur Juni/Juli 1910, 12 Injektionen Hydr. sal. 
März 1912 Wassermann’sche Reaktion stark positiv. 5. Kur 3 Injektionen 
Hydr. sal., 4 Injektionen 01. einer. Jetzt, März 1913, keine manifesten 
Erscheinungen von Lues, Wassermann’sche Reaktion positiv. 

Also ein Fall von einwandfreier Syphilis (Primäraffekt der 
Urethra, gefolgt von Roseola), der mit 2 Einreibungskaren and 
6 Calomelinjektionen behandelt wurde. 12 Jahre später erleidet 
der Patient eine Reinfektion, die sich manifestiert durch 2 Primär¬ 
affekte und ein maculo-papulöses Syphilid. 

War auch klinisch der unzweifelhafte Beweis erbracht, dass 
es eine Reinfectio syphilitica gibt, so wurde die volle Sicherheit 
in dieser Frage erst geschaffen durch die Entdeckung der 
Spirochaete pal 1 da, die ja den grössten Fortschritt in der Er¬ 
kenntnis der Syphilis und die Möglichkeit, den Initialaffekt als¬ 
bald nach seinem Auftreten als einen syphilitischen mit Sicherheit 
zu erkennen bedeutete. Und heute sind wir ja gewohnt, in allen 
zweifelhaften Fällen einen Primäraffekt nur als solchen anzu¬ 
erkennen, wenn der Nachweis der Spirochaeta pallida er¬ 
bracht ist. 

Aus dieser Periode stammt der erste Fall, den ich zu be¬ 
obachten Gelegenheit hatte, und der sich kurz folgendermaasseu 
darstellt. 

H. T., Schuhmacher, 28 J. (Aufnahme: 4. IV. 1906 — Entlassung: 
23. VI. 1906.) 

1904: Tripper. 

Jetzige Erkrankung: Letzter Coitus 12. November 1905. Einen Tag 
später trat linksseitige Leistendrüsenschwellung auf. Behandlung mit 
essigsaurer Tonerde und grauer Salbe. Die Geschwulst ging zurück, 
während eine rötlich gestreifte Hautpartie darüber blieb, in welcher sich 
bald gelbe „Pickel“ bildeten, die sich allmählich bis zu dem jetzigen 
grossen Geschwür entwickelten. Am Penis hat Patient nie etwas Krank- 


1) J. Neumann, Syphilis. Wien 1899. S. 197. 

2) F. John, Reinfectio syphilitica. Volkm. Sammlung klin. Vortr. 
Leipzig 1909. 


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19. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


928 


haftes bemerkt; kleine rötliche Flecke bestehen seit Ende Januar, der 
jetzige Ausschlag erst seit Mitte März. Seit 1. April ist Patient heiser. 
In den letzten Tagen hatte er heftige Kopfschmerzen. 

Befund: Mittelkräftiger Mann in leidlichem Ernährungszustand. 

Innere Organe: Ohne Besonderheiten. 

Haut: Auf der Kopfhaut erbsen- bis bohnengrosse nässende Papeln, 
zum Teil mit Schorf bedeckt. Im Gesicht nur vereinzelte Papeln und 
Flecke. Auf dem ganzen Oberkörper vorn ziemlich scharf, etwa hand¬ 
breit über dem Nabel aufhörend, rotfleckiges Exanthem, in welches zahl¬ 
reiche kleinere bis erbsengrosse papulo-squamöse Stellen eingelagert 
sind. Auch an den Oberarmen finden sich einzelne Papeln in dem 
roseolaartigen Exanthem. Die Roseola an den Armen reicht herab bis 
zum Handgelenk. Auf dem Rücken tritt die papulöse Art des Exanthems 
und zwar hier in grosspapulöser Form weit stärker hervor als auf der 
Brust, während etwa vom zweiten Lumbalwirbel abwärts wieder die 
Roseola überwiegt, die hier bis zur unteren Glutäalfalte reicht, wo sie 
noch schwach angedeutet ist. 

Genitalien: Ohne jede Besonderheiten. 

Drüsen: Inguinales links eine etwa 3'/i cm lange querlaufende, 
geschwürige Wundstelle mit entzündlich geröteten, wulstigen, weithin 
unterminierten, lappigen Rändern. Das Geschwür reicht etwa 1 cm in 
die Tiefe, wo sich reichlich dicker Eiter vorfindet über massenhaft 
glasigen Granulationen. 

Inguinales: rechts bohnen- bis pflaumengross, hart, indolent. 

Cubitales: beiderseits mandelgross. 

Axillares: beiderseits erbsengross. 

Submaxillares: über bohnengross. 

Postauriculares: rechts erbsen-, links linsengross. 

Im allgemeinen sind die Drüsen hart und indolent. 

Mundhöhle: Zähne grösstenteils defekt. 

Weicher Gaumen und hintere Rachenwand stark gerötet. 

Urin: Albumen fehlt. 

Diagnose: Lues II. Schankröser Bubo links, sponte perforatus. 
Lymphadenitis multiplex, Scleradenitis dorsalis penis. Maculo-papulo- 
crustöses Syphilid. Angina specifica; Impetigo capitis. 

Therapie: 8 Sublimatdoppelspritzen vom 5. April bis 11. Mai. 

14 Einreibungen (Hg. ein.), Jodkatium. 

8. IV. Wegen Heiserkeit Jodkali. Spritzkur wird gut vertragen. 

12. IV. Geringe Hg.-Stomatitis. Exanthem auf dem Kopf geht 
zurück. Auf Brust und Rücken Papeln in Heilung. Bubowunde in 
guter Heilung. 

18. IV. In Aethernarkose Umschneidung der Wundränder und Aus¬ 
räumung der vereiterten Drüsen. Dabei zeigt sich, dass die Drüsen¬ 
veränderungen bis dicht an den Funiculus spermaticus heranreichen und 
auch die im Drüsenpaket liegenden Gefässe verdickt und zum Teil 
obliteriert erscheinen. Das ganze Drüsenpaket reicht in die Tiefe bis 
in die nächste Nähe der grossen Gefässe. 

23. IV. Wunde sezerniert sehr stark, am unteren Rande stösst sich 
ein kleiner nekrotischer Fetzen ab, in der Tiefe frische Granulationen. 

25. IV. Der mediale Wundwinkel bildet eine sehr tiefe, fast nur 
unter der Haut gelegene Tasche. Spaltung. 

28. IV. Wunde granuliert gut. Umgebung weich, nicht schmerzhaft. 

14. V. Der laterale Wundwinkel bildet eine sehr tiefe Tasche nach 

oben hin, aus der sich auf Druck hin Eiter entleert. Man fühlt, der 
inneren Darmbeinschaufel aufsitzend, einen harten, etwas druckempfind¬ 
lichen Tumor, der mit diesem Gang nach oben hin augenscheinlich in 
Verbindung steht. In Aethernarkose Spaltung des Ganges nach oben. 
Beim Auskratzen mit dem scharfen Löffel werden eiterdurchsetzte Granu¬ 
lationsmassen zutage gefördert. Drainage, Jodoformgaze. 

29. V. Nach beendigter Kur keine syphilitischen Erscheinungen. 

7. VI. Bubo hat sich wesentlich verkleinert, etwa 6 cm lang und 

an der breitesten Stelle 2 cm breit. Schwarze Salbe. 

20. VI. Bubo noch weiter wesentlich verkleinert. Es besteht nur 
noch ein zweimarkstückgrosser granulierender Herd in der Mitte und 
eine 2 mm tiefe, 2 cm lange spaltförmige Wunde am äusseren Winkel. 

23. VI. Die Wunden haben sich noch etwas verkleinert, so dass 
sie noch etwa mandelgross und 1 cm gross sind. 

Gebessert, auf Wunsch entlassen. 

Anscheinend hat es sich um einen stark ulcerierten Primäraffekt in 
der linken Leistenbeuge gehandelt, an den sich ein schankröser Bubo 
anschloss. Als typische syphilitische Erscheinungen folgten: Lympha¬ 
denitis multiplex, ein maculo-papulo-crustöses Syphilid, Angina specifica 
und Impetigo capitis syphilitica. In der Krankengeschichte ist aus¬ 
drücklich vermerkt, dass am Penis keinerlei syphilitische Erscheinungen, 
insbesondere kein Primäraffekt, bemerkt wurden. Alle Erscheinungen 
heilten unter spezifischer Behandlung völlig ab. 

Derselbe Patient trat am 9. IV. 1907, also fast genau ein Jahr 
später, in poliklinische Behandlung mit einem seit drei Wochen an der 
Haut des Penis bestehenden Geschwür, das sich nach dem letzten Ver¬ 
kehr, etwa 20. II.. gebildet hatte. Io der Zeit seit seiner Entlassung 
waren nie wieder Erscheinungen bei ihm zur Beobachtung gekommen. 

Im poliklinischen Journal findet sich folgende Notiz: An der rechten 
Seite des Penis am äusseren Präputialblatt ein gut haselnussgrosser 
Primäraffekt (glatte, geschlossene Oberfläche, mattrot, leichte Einziehung 
nach der Mitte zu, wallartiger Rand, starke Härte). Am Rumpf Roseola, 
mittelgrossfleckig, linsengross, mässig reichlich, zum Teil urticata; an 
den Oberschenkeln, den Armen spärliche Roseolen. Nässende Papeln 
ad scrotum. Sechs linsengrosse Papeln auf der Haut des Penis. Zarte 


Plaques an der rechten Mandel. In der rechten Leistenbeuge ein klein¬ 
apfelgrosser Bubo; die darüberliegende Haut gerötet und infiltriert, an 
einer Stelle Fluktuation, Betastung sohmerzhaft. Es besteht Lymph- 
drüsenscbwellung: Inguinales links, Cubitales, Axillares, Submaxillares, 
Cervicales. 

In dem Primäraffekt fanden sich sehr zahlreiche Spirochaetae 
pallidae (-f-f-+). Das klinische Bild bot alle Charakteristica des 
syphilitischen Schankers dar; ausgesprochene syphilitische Sekundär- 
ersoheinungen waren vorhanden. Ausserdem wurde der Primäraffekt am 
9. IV. exzidiert und ein Teil auf einen Cercocebus fuliginosus über¬ 
impft, bei welchem sich an den Augenbrauen typische Initialaffekte ent¬ 
wickelten. 

In diesem Falle unterliegt es wohl keinem Zweifel, dass es 
sich um eine Reinfektion handelte, eine Reinduration ausge¬ 
schlossen werden konnte, zumal etwa ein Jahr zwischen erster 
und zweiter Infektion lag, die klinischen Erscheinungen beide 
Male eindeutig waren, auch der zweite Initialaffekt an einer 
anderen Stelle sass wie beim ersten Male. 

Natürlich setzte man in dieser Hinsicht die grössten Er¬ 
wartungen auf das Salvarsan. Wenn durch dieses so eminent 
wirksame Präparat die erhoffte Therapia sterilisans magna ge¬ 
glückt wäre, die Lues mit einem Schlage geheilt würde, so wäre 
damit auch die Frage der Reinfektion entschieden gewesen. Es 
liegen bereits mehrere einschlägige Beobachtungen aus der jüngsten 
Zeit vor (Stühmer, Bering, Finger, Milian). Es hat aber 
auch andererseits nicht an Widerspruch gefehlt; und insbesondere 
ist es E. Hoffmann, welcher derartige Fälle nicht immer als 
Reinfektion, sondern als sogenannte Solitärsekundäraffekte im 
Sinne Thalmann’s auffasst. Ich werde auf diese Frage noch 
zurückkommen und möchte zunächst einige eigene Beobachtungen 
aus der Kgl. Universitätsklinik schildern. 

Fall 1. M. W., Kaufmann, 38 Jahre alt. Aufnahme 26. III. 1912. 

1902, 1907 Gonorrhöe. 1904 weicher Schanker. Jetzige Krankheit: 
Pat. ist verheiratet. Infectio angeblich unbekannt. Frau gesund nach 
ärztlicher Untersuchung. 

19. III. 1912 bemerkte Pat. Jucken unter der Vorhaut. Zunehmende 
Schwellung und Schmerzen führten ihn am 21. III. in die Poliklinik, 
wo Spülungen des stark geschwollenen, sehr engen Vorhautsackes vor¬ 
genommen wurden. 23. III. wurden Spirochaetae pallidae in dem am 
Präputialring sitzenden Geschwür gefunden. Aufnahme in die Klinik 
angeraten. 

Status: Mittelgrosser, schwächlicher Mann. 

Gor, Pulmones: Ohne Besonderheiten. Urin: Albumen —, Sac¬ 
charin». —. 

Genitalia: Vorhautsackmündung entzündlich gerötet; es besteht 
Phimose. Aus der Oeffnung des Präputialsackes entleert sich wenig, 
dünner, schleimig-eitriger Ausfluss. Am inneren Vorhautblatt, dessen 
Oberfläche wenig erodiert ist, besteht rechts eine bohnengrosse Induration 
(reichlich Spirochaetae pallidae). 

Drüsen: Inguinales haselnussgross. Sonst keine allgemeine Drüsen¬ 
schwellung. Kein Exanthem. 

Diagnose: Primäraffekt an der Vorhautsackmündung. Phimose. 
Scleradenitis inguinalis sinistra. 

Therapie: 26. III. Salvarsan 0,5 intravenös. Abends Temperatur 
38,4°. Mehrmals Erbrechen und Durchfall. Nach der Injektion sofort 
starke Schmerzen in Brust und Rücken. 

27. III. 0,05 Hydr. sal. 

30. III. 0,1 Hydr. sal. 

Gebessert, auf Wunsch entlassen. 

Zweite Aufnahme 2. IV. 1912. 

Phimose besteht fort. Die bohnengrosse Induration ist kleiner ge¬ 
worden, das Oedem des Präputiums völlig verschwunden. Die haselnuss¬ 
grosse Inguinaldrüse bedeutend kleiner. Urin: Spur Albumen. 

Salvarsan 0,4 intravenös. 

Temperatur 38,9°, mehrmals Erbrechen und Durchfall. 

3. IV. Gebessert, auf Wunsch entlassen. 

III. Aufnahme 6. XII. 1912. 

Ausser dem ehelichen Verkehr angeblich kein ausserehelicher. 
Neben der alten Narbe soll vor acht Tagen ein neues Geschwür ent¬ 
standen sein. 

Befund: Innere Organe ohne Besonderheiten. Urin Albumen -f-, 
(Ep. + Ek. +.) Saccharum —. 

Genitalia: Am Vorhautsackrande, auf dem äusseren Vorbautblatt, 
ungefähr entsprechend dem Sitz des früheren Primäraffektes, der auf dem 
inneren Vorhautblatte sass, neben der alten Narbe, eine erbsengrosse, 
harte Stelle mit glatter, lackfarbener Oberfläche, die sich scharf gegen 
die weiche Umgebung abhebt. Spirochaetae pallidae ++• Es besteht 
sehr starke Phimose. Dorsales Lymphgefäss stricknadeldick, hart. Leisten¬ 
drüsen: links haselnuss-, rechts erbsengross, indolent, keine allgemeine 
Drüsenschwellung, kein Exanthem; behaarter Kopf und Mund frei. 

Wasser mann’sche Reaktion negativ. 

7. XII. Salvarsan 0,4 intravenös. Gut vertragen. Albumen —. 

Gebessert, auf Wunsch entlassen. 

17. XII. Der Primärafiekt zum Teil vernarbt, in der Mitte mit 
gelbgrünlicher Borke bedeckt. Leistendrüsen beiderseits erbsengross, 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 


Dorsales Lympbgefäss: stricknadeldick. Cubitales, Cervicales: linsen¬ 
gross. Kein Exanthem. Mund, behaarter Kopf: frei. Urin: SacchaTum—, 
Albumen + (Spuren). Ep. + Ek. +, keine Cylinder. 

Salvarsan 0,4. Gut vertragen. Wassermann’sche Reaktion + negativ. 

18. XII. In Lokalanästhesie Abtragung des vorderen Teiles der 
Vorhaut mitsamt Primäraffektrest; glans und inneres Vorhautblatt ohne 
Besonderheiten. 

18. XII. Gebessert, auf Wunsch entlassen. 

18. I. 1913. Herpes progenitalis im Sulcus coronarius. Dorsales 
Lympbgefäss nicht geschwollen. Leistendrüsen: erbsengross. Cubitales 
nicht geschwollen. Nuchales: links linsengross. 

Am Körper kein Exanthem. Mund, Kopf frei. Wassermann’sche 
Reaktion negativ. 

Calomel 0,05. — Einreibungskur 36 mal 4,0 Ungt. hydr. ein. 

27. II. Wassermann’sche Reaktion — negativ. 

10. IV. Wassermänn’sche Reaktion negativ. 

Fall 2. H. Sch., Kaufmann, 26 Jahre alt. Aufnahme 14. V. 1912. 

1911. Gonorrhöe und doppelseitige Epididymitis. 

Am 16. VIII. 1911 kleiner Pickel auf dem äusseren Vorhautblatt. 
Nach Mitteilung des Virchow-Krankenhauses Primäraffekt mit Spirochaetae 
pallidae +-f-. Wassermann’sche Reaktion 16. VIII. negativ. Behandlung: 

20. VIII. Salvarsan 0,4; 28. VIII. und 4. IX.: Salvarsan je 0,5. — Auf den 
Primäraffekt Calomelstreupulver. 

Jetzige Krankheit: 7. V. 1912: Nach mehrmaligem Verkehr im 
April eine juckende, rote Stelle auf dem inneren Vorhautblatt, die all¬ 
mählich hart wurde. 9. V. 1912: eine zweite Stelle gleicher Art neben 
dem Bändchen. 13. V.: linksseitige Leistendrüsenschwellung. 

Befund: Im Sulcus coronarius amUebergang auf das innere Vor¬ 
hautblatt eine bobnengrosse, knorpelharte Scheibe, die im Centrum 
erodiert ist; neben dem Frenulum links eine zweite kleinere Sklerose. 
Spirochaetae pallidae +++. — Auf dem Penisschaft eine weiche, 
bohnengrosse Narbe. 

Drüsen: Inguinales links, eine haselnussgrosse, barte, indolente 
Drüse. 

Haut: Auf der Brust mehrere rote Flecken (Roseola?). 

Mund: Frei. 

Diagnose: Zwei Primäraffekte im Sulcus coronarius (Roseola?). 

Therapie: Salvarsan 0,5 intravenös. Temperatur: 37,1. Hydr. 
sal. 0,05. 

15. V. Gebessert, auf Wunsch entlassen. 

Fall 3. A. L., Lederarbeiter, 37 Jahre alt. Aufnahme 7. XII. 1911. 

Frühere Geschlechtskrankheiten: 0. 

Jetzige Krankheit: Letzter Coitus Ende August: Nach 8 Tagen 
linsengrosses, hartes Geschwür im Sulcus coronarius, das unter Calomel- 
pulver in 8 Tagen heilte. Mitte Oktober: unmittelbar neben der Narbe 
kleiner Riss, der nach 2 bis 3 Tagen Einmarkstückgrösse erreichte. Ende 
November: starke Leistendrüsenschwellung links. Anfang Dezember: 
starke Kopf- und Halsschmerzen, zugleich auffallende Verengerung und 
Verklebung des Oriflc. ext. urethrae. 

Status: Mittelgrosser, kräftiger Mann. Innere Organe: ohne Be¬ 
sonderheiten. 

Albumeu —, Sacoharum —. 

Genitalia: Im Sulcus coronarius rechts bohnengrosses, speckig 
belegtes Ulcus, mit zweimarkstückgrosser infiltrierter Umgebung. Dorsales 
Lympbgefäss, federkieldick. Orificium urethrae und Urethra bis Sulcus 
coronarius derb, sklerosiert, durch eine festhaftende Borke verschlossen. 
Spirochaetae pallidae ++• 

Drüsen: Inguin.: links bohnengross, rechts höhnen—haselnussgross. 
Axillares, Cubitales: erbsengross. 

Haut: Am Oberkörper deutliche livide rote Roseola. 

Rachenring: mässig scharf, abgesetzte Rötung. 

Klagen über starke Kopfschmerzen und Abgeschlagenheit. 

Diagnose: LuesII. Zwei Primäraffekte im Sulcus coronarius und 
der urethra. Solerangitis dorsalis. Scleradenitis. Roseola, Ceph&laea. 
Wassermann’sche Reaktion stark positiv +++• 

Therapie: 9. XII.: Hydr. sal. 0,05. 11. XII.: Hydr. sal. 0,1. 

15. XII. Primäraffekt überhäutet sich, noch doppelt bohnengross. 
Roseola abgeblasst. Cephalaea besser. 

Salvarsan 0,4 intravenös. Temperatur 38,3. 

21. XII. Noch geringo Induration der Urethra. Primäraffekt im 
Sulcus noch infiltriert. Roseola noch schwach sichtbar. 

Salvarsan 0,4 intravenös. Wassermann’sche Reaktion stark positiv 

++++• 

22. XII. Befund wie 21. III. Gebessert, auf Wunsch entlassen. 

11. Aufnahme am 14. I. 1913. Ende Dezember 1912 bemerkte Pat. 
nach einem mehrere Wochen zurückliegenden Verkehr (Mitte Dezember) 
ein kleines Bläschen auf der Unterlippe, aus dem sich allmählich ein 
Geschwür entwickelte. 

Status: Innere Organe ohne Besonderheiten. Urin: Albumen, 
Saccharum —. 

Auf der Unterlippe links von der Mitte sieht man eine pfennigstück¬ 
grosse, runde, scharfgeschnittene, erodierte Stelle, deren Grund und Um¬ 
gebung sich hart anfühlen. Die Oberfläche ist nicht vertieft, lackfarben 
glänzend, zum Teil mit einem dünnen Borkchen bedeckt. Spirochaetae 
pallidae H—K 

Drüsen: Submental-, Submaxillardrüsen gut walnussgross. Hals¬ 
drüsen wenig geschwollen (linsengross). 


Cubitales: rechts erbsengross, links nicht geschwollen. 

Inguinales: erbsengross. 

Auf dem inneren Vorhautblatt rechts eine weiche pfennigstückgrosse 
Narbe (ehemaliger Primäraffekt). 

Am Körper kein Exanthem. Behaarter Kopf, Mund, After frei. — 
Wassermann’sche Reaktion stark positiv (++++)• 

Diagnose: Primäraffekt der Unterlippe. Skleradenitis. 

Therapie: 15. I. Hydrarg. sal. 0,05. 

17. I. Salvarsan 0,4, ohne Beschwerden vertragen. Submaxillar¬ 
drüsen links stärker geschwollen. 

19. I. Calomel 0,1. 

21. I. Borke des Primäraffektes bat sich abgelöst, am Rande be¬ 
ginnende Ueberbäutung. 

27. I. Ueberbäutung bis auf linsengrosse Stelle im Centrum. Wasser¬ 
mann’sche Reaktion stark positiv (+++*+■)• 

28. I. Salvarsan 0,4. Temperatur 38,4. 

80. I. Calomel 0,1. Primäraffekt völlig iiberbäutet. Lymphdrüsen- 
schwellung am Halse erheblich zurückgegangen. Keine Allgemeinerschei¬ 
nungen. 

3. II. Primäraffekt abgeheilt mit einer erbsengrossen, im Centrum 
leicht eingezogenen Narbe. Unterkieferdrüsen als kirsebgrosse einzelne 
Drüsen fühlbar. Leistendrüsen: links bohnen-, rechts bis erbsengross. 
Cubitales: links linsen-, rechts erbsengross. Nuchales: linsen- bis erbsen¬ 
gross. Kein Exanthem. Mund, behaarter Kopf, Hände, Fusssohlen frei. 

6. II. Salvarsan 0,4. Ohne Beschwerden. Wassermann’sche Reak¬ 
tion stark positiv (H—{-++). 

7. II. Befund beim Abgang: An der Unterlippe weiche, leicht ver¬ 
tiefte Narbe. Unter dem Unterkiefer rechts kirsohgrosse, links 4 hasel¬ 
nussgrosse harte Drüsen fühlbar. Cervicales*. links erbsen-, rechts linsen¬ 
gross. Cubitales: rechts linsengross, links etwas kleiner. Inguinales: 
erbsen- bis bohnengross. Mund frei. Kein Eianthem. 

Gebessert, auf Wunsch entlassen. 

Wenn wir das Ergebnis aus unseren Krankengeschichten kurz 
zusammenfassen, so bandelte es sich im 1. Fall um einen sicheren 
bohnengrossen Primäraffekt an der Vorhautsackmündung bei be¬ 
stehender Phimose mit typischer Leistendrüsenschwellong, der mit 
0,15 Hydr. sal. 4-04 Calomel und 0,5 Altsalvarsan (intramusku¬ 
lär) sowie 0,4 Salvarsan (intravenös) behandelt wurde. Allgemein¬ 
erscheinungen traten nicht auf; die anfangs positive (4~4~H—h) 
Wassermann’sche Reaktion wurde negativ. 9 Monate später bil¬ 
dete sich neben der Narbe des 1. Primäraffektes eine kleinere, 
ca. erbsengrosse Sklerose mit reichlichen Spirochaetae pallidae 
bei gleichzeitiger indolenter Leistendrüsenschwellung. Unter Cir- 
cumcision der Phimose wurde diese Sklerose entfernt, und sie 
erwies sich auch bei der histologischen Untersuchung (Endo- und 
Perilymphangitis, Endo- und Periphlebitis) als solche. Die Wasser¬ 
mann’sche Reaktion, die beim Auftreten des 2. Primäraffektes 
noch negativ war, blieb negativ bis heute (10. IV. 1918). Unter 
der eingeleiteten Kur: 0,3 4* 0,4 Salvarsan intravenös, 0,1 Calo¬ 
mel und einer Einreibungskur von 180 g Unguent. einer., traten 
Sekundärerscheinungen bis heute nicht aul. 

Es handelt sich also um einen abortiv behandelten Primär¬ 
affekt, ohne allgemeine Erscheinungen von seiten der Haut, 
9 Monate später gefolgt von einer neuen Sklerose typischer Art 
neben der alten Narbe. 

Der 2. Fall betrifft einen 26jährigen Mann, der am 3. VIII. 
1911 am Penisschaft eine Sklerose mit zahlreichen Syphilis-Spiro¬ 
chäten sowie doppelseitiger Leistendrösenschwellung aufwies. Die 
Wassermann’sche Reaktion war am 8. und 16. VIII. negativ; 
syphilitische Sekundärerscheinungen zeigten sich nicht. Patient 
bekam 3 mal intravenös Salvarsan, im ganzen 1,4. Nach fast 
9 Monaten (am 7. V. 1912), während deren keine syphilitischen 
Manifestationen auftraten, bekam Pat. auf dem inneren Vorhaut¬ 
blatt am Uebergang auf den Sulcus coronarius, bzw. neben dem 
Frenulum je einen Primäraffekt mit typischen Spirochäten; da¬ 
neben bestand geringe Leistendrüsenschwellung und ein Ausschlag 
am Körper, der als roseolaverdächtig erschien. 

Wir haben also wieder das Bild eines abortiv behandelten 
Primäraffektes am äusseren Präputialblatt, der unter Salvarsan 
allein abbeilte und nicht von Sekundärerscheinungen gefolgt war; 
9 Monate später am Penis, aber nicht an derselben Stelle, zwei 
neue typische Primäraffekte mit sekundärer Leistendrüsenschwellong 
und einer angedeuteten Roseola. 

Im 3. Falle liegen die Verhältnisse noch klarer. Etwa 
6 Wochen nach der Infektion bilden sich ein Primäraffekt im 
Sulcus coron., ein zweiter an der Harnröhrenmündung mit Scler¬ 
adenitis inguinalis. Nach weiteren 6 Wochen folgt eine gross¬ 
fleckige Roseola, mit deren Auftreten starke Kopfschmerzen ver¬ 
bunden sind. Wassermann’sche Reaktion stark positiv. I 1 /« Spritzen 
Hydr. sal., 0,1 Calomel und 2.mal 0,4,Salvarsan intravenös bringen 


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19. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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alle Erscheinungen zum Verschwinden. Wassermann’sche Reak¬ 
tion am 21. XI1. stark positiv (-)--)—|—|-). 

13 Monate später wird der Fatieut in die Klinik aufgenommen 
mit einem 10-pfennigstückgrossen typischen Primäraffekt an der 
linken Hälfte der Unterlippe und charakteristischer Drüsen- 
Schwellung der Unterkieferdrüsen, der nach einem Verkehr exira 
matrimonium im Dezember entstanden ist und jetzt ca. 2 Wochen 
besteht. Die Wassermann’sche Reaktion ist stark positiv(-j—|—|—J-). 
Die Erscheinungen gehen unter einer gemischten Kur, 0,05 Hydr. 
sal. + 0,2 Calomel und 3 mal 0,4 Salvarsan, innerhalb 3^2 Wochen 
völlig zurück. Wassermann’sche Reaktion am 6. II. 1913 stark 
positiv (++++)• 

Demnach ein Fall von sekundärer Syphilis (2 Primäraffekte 
am Penis, Roseola, starke Gephalaea), die unter einer gemischten 
Therapie von Hydr. sal., Calomel und Salvarsan abheilt. 13 Mo¬ 
nate später an der Unterlippe ein sicherer Primäraffekt, der so¬ 
fort abortiv behandelt und nicht von Sekundärerscheinungen ge¬ 
folgt wird. 

Die Frage, ob man die in unseren Fällen beobachteten 
zweiten Sklerosen als Pseudoprimäraffekte (Hoffmann), als 
Solitärsekundäraffekte (Thalmann) bezeichnen darf, müssen wir 
verneinen. Selbst wenn wir in dem ersten Falle nach dem 
klinischen Bilde annehmen, dass es sich nicht um eine Reinfektion, 
sondern um eine Reinduration gehandelt hat, da der zweite Primär¬ 
affekt sich unmittelbar neben der Narbe des ersten lokalisierte, 
so lässt sich dennoch in diesem Falle das Ergebnis der Wasser- 
mann’schen Reaktion zugunsten unserer Auffassung verwenden. 
Dieselbe war beim Auftreten des ersten Primäraffektes stark 
positiv (-]—|—|—f-), wurde im Laufe der Behandlung negativ und 
blieb auch negativ. Beim Auftreten der zweiten Sklerose war sie 
noch negativ; die sofort eingeleitete, sehr energische Therapie 
hielt sie negativ, und auch die mehrfachen Untersuchungen er¬ 
gaben stets dasselbe Resultat bis heute. 

Die Ansichten über die Berechtigung des Begriffes „Solitär¬ 
sekundäraffekt“ als einer Erscheinungsform der Syphilis, die eine 
besondere Bezeichnung erforderlich oder auch nur wünschenswert 
macht, sind geteilte. R. Müller 1 ) (aus der Finger’schen Klinik) 
weist in seiner Erwiderung auf die von Friboes 2 ) geübte Kritik 
der Fälle Finger’s dessen Einwürfe zurück und lehnt die Hypo¬ 
these des Solitärsekundäraffektes völlig ab. Er sieht in einer 
derartigen Manifestation der Syphilis nichts weiter als eine zu 
einer „schankriformen Papel u ausgewachsene isolierte Sekundär- 
effloreszenz, die als Recidiv auftreten könne, „ohne von neuer¬ 
lichen sekundären Erscheinungen gefolgt zu seih“; treten solche 
in der Folgezeit auf, so haben sie nur die Bedeutung zufällig 
später aufgetretener Sekundärerscheinungen, aber nicht die eines 
auf „einen Solitärsekundäraffekt“ folgenden allgemeinen Exanthems. 

Bei den von Friboes beschriebenen Fällen traten im längsten 
Falle nach i * j 2 Jahr bereits die Pseudoprimäraffekte auf, während 
in unseren Fällen das kürzeste Intervall 9 Monate, das längste 
13 Monate betrug. Auch die Lokalisation eines Teiles der 
Sekundäraffekte in den Fällen von Friboes (rechte Schulter, 
linker Vorderarm, linkes unteres Augenlid) weicht von der in 
meinen Fällen beobachteten und für Primäraffekte sehr gewöhn¬ 
lichen Lokalisation erheblich ab; auch ist eine spezifische Drüsen¬ 
schwellung in den beiden ersten Friboes’schen Fällen nicht be¬ 
obachtet. 

In unseren Fällen ist es bei den zweiten Sklerosen das Prä¬ 
putium, der Sulcus coronarius, die Unterlippe, also Eingangs¬ 
pforten für das Virus, die man als relativ häufige bezeichnen 
darf. In jedem unserer Fälle ist das Bild des Primäraffektes ein 
klinisch eindeutiges; charakteristisches Aussehen, Induration, 
regionäre Drüsenschwellung, in einem Falle sichere, im zweiten 
vermutliche Roseola, im dritten Falle geradezu klassische Drüsen¬ 
schwellung am Unterkiefer. Wenn es im letzten Falle nicht zur 
Ausbildung der Roseola kam, so war es hier die alsbald ein¬ 
setzende energische Therapie, welche die Sekundärerscheinnngen 
hintanhielt. 

Ebensowenig wie Friboes die von ihm beschriebenen Fälle 
als cutane Frührecidive nach Salvarsanbehandlung im Sinne Bett¬ 
mann’s 8 ) auf fasst, vermögen wir dies bei unseren Patienten zu 


1) R. Müller, Zur Differentialdiagnose zwischen Reinfectio syphilitica 
und .skleroseähnlichen Papeln. Dermatol. Zeitschr., 1911, Bd. 18, S. 809. 

2) W. Friboes, Ueber Pseudoprimäraffekte nach intensiver Behand¬ 
lung im Frühstadium der Syphilis. Dermatol. Zeitschr., 1911, Bd. 18, 
S. 543. 

3) Bettmann, Ueber cutane Frührecidive der Syphilis nach Salvarsan¬ 

behandlung. Deutsche med. Wochenschr., 1911, Nr. 10, S. 438. 


tun. Abgesehen davon, dass die von Bettmann beobachteten 
Frührecidive zeitlich viel früher auftreten („zweite bis sechste 
Woche nach der Injektion und nach völligem Schwinden der 
vorhergehenden Erscheinungen oder wenigstens nach deutlicher 
Rückbildung des Primäraffektes“) als in unseren Fällen, unter¬ 
scheiden sie sich teilweise auch durch ihre Lokalisation („Extremi¬ 
täten, besonders Vorderarme und Unterschenkel“, allerdings auch 
Penis und Unterlippe), ganz besonders aber durch die Form 
„papulöse Effloreszenzen von einem Multiplum des Umfangs lenti- 
ginöser Papeln“ und endlich auch durch die schlechte Heilungs¬ 
tendenz trotz energischer Anwendung sowohl von Salvarsan wie 
Quecksilber. Dass auch das klinische Bild ein anderes war als 
in Bettmann’s Fällen, die „zunächst ziemlich sukkulent, ohne 
eigentliche Neigung zum Nässen und ohne Induration“ eine Ver¬ 
wechslung mit „Chancre redux“ nahelegten, geht ja wohl aus 
unserer Schilderung zur Genüge hervor. 

Der von Bering 1 ) beobachtete Fall wird unseres Erachtens 
nach von ihm mit Recht als eine Reinfectio syphilitica bezeichnet. 
(15. X. 1909 Primäraffekt an der linken Seite der Glans, der mit 
12 Injektionen grauen Oels ä 0,075 behandelt wurde.) Der Patient 
infiziert sich im Januar 1911 bei seiner Frau, die breite Condy¬ 
lome ad genitalia hatte, und weist am 23. II. 1911 an der rechten 
Seite der Glans (bis dahin frei von syphilitischen Erscheinungen) 
eine zweite typische Sklerose mit reichlichen Spirochaetae pallidae 
auf, die am 8. III. von typischen Sekundärerscheinungen gefolgt 
ist. Die am 15. X. 1909 positive Wassermann’sche Reaktion ist 
noch am 3. II. 1911 negativ. Dass in diesem Falle der erste 
Primäraffekt mit nur einer, und zwar energischen Hg-Kur ausheilt, 
ist ja eine, wenn auch seltene, doch einwandfrei beobachtete Tat¬ 
sache (cf. Engel Reimers, Dreuw), die in diesem Falle auch 
durch die am 3. I. 1911 noch negative Wassermann’sche Reaktion 
ihre Stütze findet. Ja, dass sogar in manchen Fällen eine reine 
lokale Therapie genügt, einen klinisch und bakteriologisch sicheren 
Primäraffekt zur Ausheilung zu bringen, die sekundär-syphili¬ 
tischen Erscheinungen hintanzuhalten, bat uns der Vortrag 
Scherber’s 2 ) auf dem X. Dermatologenkongress in Frankfurt a. M. 
gelehrt. In dem von ihm selbst beobachteten und den ein¬ 
schlägigen citierten Fällen (vier Fälle von Taylor 8 ), die er be¬ 
sonders hervorhebt), müssen wir wohl annehmen, dass nicht die 
örtliche Therapie der wesentliche Heilfaktor ist, sondern dass 
wohl der betreffende Organismus eine ganz besonders starke 
natürliche Abwebrfähigkeit gegen das syphilitische Virus besitzt. 

Wenn wir auch für unsere Fälle — insbesondere die beiden 
letzten — in Anspruch nehmen, dass es sich nm sichere Fälle 
von Reinfektion handelte, so müssen wir andererseits doch die 
Bedenken von Friboes teilen, der einen grossen Teil der als 
Re- und Superinfektion beschriebenen Fälle als solche nicht an¬ 
erkennt, sie vielmehr als „Solitärsekundäraffekte“ auffasst. Machen 
wir uns diese Auffassung zu eigen, so ist damit bewiesen, dass 
eine vollkommene Heilung im Sinne der Therapia sterilisans 
magna Ebrlich’s nicht gelungen, aber doch eine fast voll¬ 
kommene erzielt ist, die ja die Vorbedingung für das Auftreten 
eines „Solitärsekundäraffektes“ bildet. 

Wir selbst verfügen bereits über eine grössere Zahl von 
Fällen, wo bei sicherem Primäraffekt mit Spirochäten, aber noch 
negativer Wassermann’scher Reaktion eine Abortivbehandlung mit 
Salvarsan und Hg (Salvarsan 0,3, 0,4, 0,4; 6 bis 8 Injektionen 
Calomel) nach Exzision des Primäraffektes eingeleitet wurde und 
die Patienten auch noch nach einem Jahr und länger frei von 
Erscheinungen blieben, auch die Serumreaktion stets ein negatives 
Resultat zeitigte. (Eine Arbeit hierüber wird in Kürze erscheinen.) 
Diese Beobachtungen berechtigen uns daher auch zu der Annahme, 
dass bei rechtzeitig eingeleiteter sehr energischer Behandlung, 
„besonders bei Primäraffekten ohne Sekundärerscheinungen“ es 
gelingt, mit grösserer Sicherheit dem Ziel, die Syphilis mit einer 
Kur zu heilen bzw. die zur Heilung erforderliche Behandlungszeit 
abzukürzen, näher zu kommen. Um jedoch ein abschliessendes 
Urteil hierüber abgeben zu können, wird es noch jahrelanger 
Beobachtung unter fortgesetzter Kontrolle des Blutes bedürfen. 
Dass wir aber diesem Ziel infolge der Errungenschaften der 
modernen Syphilistherapie näher gerückt sind, dafür scheinen 
auch unsere Fälle einen Beitrag zu liefern. 

1) Fr. Bering, Ein Fall von Reinfectio syphilitica. Münchener 
med. Wochensohr., 1911, Nr. 18, S. 958. 

2) Scherber, Die Abortivbehandlung der Syphilis. Verhandl. d. 
Deutschen dermatol. Gesellseh., X. Kongress 1908, S. 232. 

3) Taylor-New York. Lancet, 1907, S. 181. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 


Aus der Klinik von Prof. Silex-Berlin. 

Die Eröffnung des Tränensackes von der Nase 
aus in über 100 Fällen von Dakryostenose. 

Von 

Dr. J. M. West. 

(Demonstration, gehalten in der Berliner medizinischen Gesellschaft am 
30. April 1913.) 

M. H.! Die Idee, einen Abflussweg zwischen Auge und Nase 
in Fällen von Dakryostenose wiederherzustellen, so dass Drainage 
erzielt wird und Eiter und Tränen vom Tränensack durch die 
Nase abfliessen können, ist so rationell, dass es kein Wunder ist, 
dass dieser Gedanke uralt ist, und dass Galen und Celsus 
schon daran gedacht haben. Die alten Versuche, diesen Zweck 
zu erzielen, sind aber alle misslungen. 

In den letzten zwanzig Jahren sind wieder Versuche gemacht 
worden, um einen dauernden Abflussweg in Fällen von Stenose 
zu schaffen. Die Rhinologen haben von der Nase aus operiert 
und die Ophthalmologen von aussen durch einen Hautschnitt. 
Caldwell publizierte im Jahre 1893 einen Fall, in welchem er 
zunächst eine Sonde in den Tränennasengang bis zur Stenose ein¬ 
führte und dann mittels des elektrischen Trepan den vorderen 
Teil der unteren Muschel bis zum Ductus entfernte. Dann wurde 
der Gang aufwärts verfolgt bis zur Sonde und dadurch Drainage 
erzielt. Killian empfahl sechs Jahre später ein ähnliches Ver¬ 
fahren. Passow berichtet 1901 über vier Fälle, die er in ähn¬ 
licher Weise unter allgemeiner Narkose operiert hat. 

Ich glaube, ich kann wohl sagen, dass die bisherigen ver¬ 
einzelten intranasalen Eingriffe auf den Tränenweg keineswegs die 
Behandlung der Dakryostenose beeinflusst haben. 

Toti hat im Jahre 1894 eine Methode angegeben, bei welcher 
er durch einen Hautschnitt im inneren Augenwinkel eine dauernde 
Verbindung zwischen Tränensack und Nase erstrebt. Abgesehen 
von der Narbe und dem darin ab und zu entstehenden Keloid, 
teilt uns Toti mit, dass er gute Resultate in nur „über der Hälfte 
der Fälle“ erzielt. Die verhältnismässig geringe Prozentzahl von 
Heilungen muss daran liegen, dass die Anatomie des inneren 
Augenwinkels, insbesondere der zarten Tränenröhrchen, viel 
darunter leiden muss. 

Trotzdem diese verschiedenen Versuche, von innen (intra¬ 
nasal) und von aussen (durch die Haut), einen Abflussweg vom 
Tränensack zur Nase geschaffen haben, ist die Behandlung der 
Dakryostenose im allgemeinen unverändert geblieben. Und noch 
heute besteht diese Behandlung aus Sondierung, Ausspülungen, 
und in Fällen von Tränensackeiterung wird der Sack von aussen 
entfernt. Das Sondieren ist bekanntlich ein sehr unzuverlässiges 
Verfahren, und sehr oft wird die Stenose nur enger dadurch. Das 
Ausspülen kann manchmal eine Dakryocystitis ausheilen, doch 
bleibt die Stenose, die Ursache der Krankheit, zurück, und der 
Patient kann leicht ein Recidiv bekommen. Sehr oft findet man 
keine Besserung der Dakryocystitis durch Spülungen, und in diesen 
Fällen wird der Sack von aussen entfernt. Mit der Entfernung 
des Sackes von aussen wird die Verbindung mit der Nase voll¬ 
kommen verschlossen, und um dann zu vermeiden, dass der Patient 
nachher Trftnenträufeln hat, wird die Tränendrüse auch mit ent¬ 
fernt. 

Die Tränensackeiterung ist durch eine Stenose im 
Tränennasengang verursacht, und es wäre selbstver¬ 
ständlich viel rationeller und konservativer, wenn wir 
die anatomische Verbindung zwischen Auge und Nase 
wieder herstellen und die Tränendrüsen in Ruhe lassen 
könnten. 

Die konservative Behandlung der Dakryostenose hat mich 
seit Dezember 1908, wo ich meine erste Operation auf dem 
Tränenwege ausgeführt habe, interessiert. Im Jahre 1910, nach¬ 
dem ich sieben Fälle operiert hatte, habe ich eine Methode an¬ 
gegeben, welche ich „eine Fensterresektion des Ductus nasolacri- 
malis“ genannt habe, und welche sich von der Methode von 
Caldwell, Killian und Passow unterscheidet insofern, als sie 
konservativer ist und die beiden Muscheln intakt lässt. Aber bei 
diesen Fällen habe ich schon gesehen, dass, wenn die Stenose 
hoch oben an der Ausmündung des Sackes liegt (und gerade 
hier ist die häufigste Stenose), eine Fensterresektion des Ductus 
nicht genügt, weil man eine Oeffnung oberhalb der Stenose 
machen muss, und dreimal habe ich den Tränensack eröffnen 
müssen. 


Im Laufe des letzten Jahres habe ich durch das Interesse 
und die Liberalität des Herrn Prof. Silex Gelegenheit gehabt, 
an einem grossen Material die Erkrankungen des Tränenweges 
nnd ihre Behandlung eingehend zu studieren. Als operative Be¬ 
handlung habe ich die Fensterresektion des Ductus ganz und gar 
aufgegeben und habe mich nur mit dem Tränensack beschäftigt, 
weil, wenn man den Sack eröffnet hat, man selbstverständlich 
oberhalb aller Stenosen ist. ln einer Reihe von über 100 Fällen 
habe ich den Tränensack angegriffen und die Technik für diese 
Operation entwickelt. Diese Eröffnung des Tränensackes 
von der Nase aus ist die Operation, die ich jetzt in allen 
Fällen von Dakryostenose mache, wo überhaupt eine Operation 
indiziert ist. 

Die Methode besteht darin, dass unter Lokalanästhesie 
(Cocain, Adrenalin) zuerst unter Schonung der unteren Muschel, 
die den Tränenwulst deckende Schleimhaut entfernt wird, und als¬ 
dann ein Stück vom aufsteigenden Kieferast und auch ein Stück 
vom Os lacrimale weggemeisselt wird, wobei der Tränensack an 
der lateralen Nasenwand freigelegt wird. Dann wird die nasale 
Wand des Sackes weggeschnitten und eine neue künstliche direkte 
Verbindung zwischen Auge und Nase oberhalb der intakten unteren 
Muschel hergestellt. 

In der ophthalmologischen und auch in der laryngologischen 
Gesellschaft zu Berlin habe ich geheilte Fälle von Dakryostenose 
mit vollkommen normal funktionierendem Tränenwege vorgestellt 
und habe die Technik der Operation beschrieben. Die Arbeit 
will ich ausführlich in einer anderen Veröffentlichung mitteilen. 

Kurz zusaramengefasst bestehen die Vorteile meiner Methode 
über die Exstirpation des Sackes von aussen darin, dass 

1. die physiologische Funktion des 'Tränenweges 
wiederhergestellt wird, so dass nicht nur eine Eite¬ 
rung des Sackes ausgeheilt wird, sondern auch die Tränen, 
wie normalerweise, durch die Nase abfliessen könuen und 
daher eine spätere Epiphora vermieden wird, 

2. die Tränendrüse geschont wird, 

3. ein Hautschnitt und eventuelle Narbe vermieden werden. 

Was die Resultate anbetrifft, möchte ich bemerken, dass ich 

die oben beschriebene Operation bei allen den verschiedenen 
Krankheitsbildern (Epiphora, Dakryocystitis, Dakryoblennorrhoea, 
Phlegmone, Tränenfistel), die durch Dakryostenose hervorgerufen 
werden, ausgeführt and in 90 pCt. der Fälle sehr gute Resultate 
erzielt habe. 

Jetzt, m. H., erlaube ich mir, Ihnen einige Patienten vor¬ 
zustellen: 

Fall 1. Tränensackphlegmone, geheilt durch Eröffnung des Tränen¬ 
sackes von der Nase aus. Bei dieser Patientin ist überhaupt nicht zu 
sehen, an welchem Auge die Phlegmone gewesen ist. 

Fall 2. Im Gegensatz zu Fall 1 eine Tränensackphlegmone von 
aussen inzidiert. Nach dieser Inzision entsteht eine Fistel, die nicht 
ausbeilen wollte. Diese Fistel habe ich durch Eröffnung des Tränen¬ 
sackes von der Nase aus geheilt, aber eine sichtbare Narbe bleibt zurück; 
das ist das Resultat der Inzision von aussen. 

Fall 3. Ein Mann, der mit Dauersonden über ein Jahr behandelt 
wurde, ohne jeden Erfolg. Die Dauersonde wurde 7 verschiedene Male 
eingelegt, und jedesmal nach Entfernung der Sonde wächst die Stenose 
wieder zu. Nach Eröffnung des Tränensackes von der Nase aus habe 
ich sofortige Heilung erzielt. 

Fall 4. Ein junger Mann, der im Laufe von drei Jahren über 
150 mal sondiert worden war, weil er an einer Tränensackeiterung litt, 
jedoch ohne jeden Erfolg, ehe er an die Klinik von Professor Silex 
kam. Nach Eröffnung des Tränensackes von der Nase aus sofortige 
Heilung. 

Fall 5. Junges Mädchen, das an einem Auge an Dakryocystitis 
und an dem anderen an Dakryoblennorrhöe litt. In einer Sitzung habe 
ich beide Tränensäcke von der Nase aus eröffnet. Resultat: sofortige 
Heilung. 

Fall 6. Patient mit Tränenträufeln. Geheilt durch Eröffnung des 
Tränensackes von der Nase aus. 

Fall 7. 69jährige Frau, die bisher ohne jeden Erfolg sondiert 
wurde. Nach Eröffnung des Tränensackes sofortige Heilung, die bis jetzt 
bereits ein Jahr anhält. 

Fall 8. Kind von 6 Jahren, das an Dakryocystitis litt. Sofortige 
Heilung durch Eröffnung des Tränensackes von der Nase aus. 

Fall 9. Kind von 10 Jahren, das an Dakryophlegmone litt. Eine 
Inzision von aussen hatte die Krankheit nicht geheilt, dagegen ist eine 
Tränenfistel entstanden. Nach Eröffnung des Tränensackes von der Nase 
aus ist die Tränenfistel sofort geheilt. 

Fall 10. Patient, den ich erst gestern wegen Tränensackeiterung 
mit Ektasie des Sackes (Tumor lacrimalis) operiert habe. Wie die Herren 
sehen können, \st es überhaupt, nicht festzustellen, welches Auge operiert 
worden ist. < 


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19. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


927 


Fall 11. Patientin, die an Star und auch an Tränensackeiterung 
litt. Ich habe die Dakryostenose von derNase aus mit Wiederherstellung 
der Physiologie des Tränenweges geheilt. Die Staroperation, die ein 
paar Wochen später von Professor Silex vorgenommen wurde, ist ohne 
jede Komplikation verlaufen. 

Bei allen diesen Patienten ist der Fluorescinversuch positiv, 
d. b. Fluorescin, eine gefärbte Lösung, in das Auge eingeträufelt, 
läuft durch die Nase allein heraus. Bei der alten Frau (Fall 7) 
habe ich in den oberen Teil der Nase einen reinen weissen Watte¬ 
bausch geschoben. Nachher habe ich eine Lösung von Fluorescin 
in das Auge eingeträufelt. Wie Sie sich überzeugen können, ist 
der Wattebausch vom Fluorescin gelb gefärbt. (Demonstration.) 
Wenn also die gefärbte Flüssigkeit von selbst durch die Nase 
abfliesst, so müssen selbstverständlich die Tränen auch abfliessen; 
mit anderen Worten: wir haben diese Patienten nicht nur von 
ihrem Leiden befreit, wir haben auch die Wiederherstellung der 
Physiologie des Tränenweges erzielt. Jetzt, m. H., zum Schluss, 
um zu beweisen, wie frei und glatt der Weg vom Auge nach der 
Nase zu ist, will ich dieser alten Frau, die über ein Jahr geheilt 
geblieben ist, Flüssigkeit von den Tränenröhrchen aus durch die 
Nase durchspritzen. Wie Sie sehen, ergiesst sich die Flüssigkeit 
in einem Ström durch die Nase. (Demonstration.) 

Soviel ich weiss, ist dies der erste Versuch, an der Hand 
eines grossen Materials die Frage der Behandlung der Dakryo¬ 
stenose klinisch zu lösen, und ich glaube schon, dass diese Reihe 
von Fällen allein genügt, um zu beweisen, dass wir eine bessere 
Methode zur Behandlung dieser Krankheit gefunden haben. 

Ich danke dem Herrn Vorsitzenden und auch den anderen 
Herren für ihre Aufmerksamkeit. 


Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgen¬ 
behandlung in den letzten Jahren. 

Uebersichtsreferat. 

Von 

Dr. H. E. Schmidt-Berlin. 

Die Röntgenbehandlung hat sich im Laufe der Jahre immer 
neue Indikationsgebiete erobert; auch die Technik hat sich ständig 
weiter entwickelt und dadurch zum Teil erst Erfolge ermöglicht, 
dir früher nicht zu erzielen waren; die Gefahr der Schädigungen 
ist heute auf ein Minimum reduziert; diese Tatsachen rechtfertigen 
wohl den Wunsch der Redaktion, den Lesern dieser Wochenschrift 
einen Bericht über die wichtigsten Fortschritte zu geben, welche 
auf dem Gebiete der Röntgenbehandlung in den letzten Jahren 
zu verzeichnen sind, und lediglich der Erfüllung dieses Wunsches 
sollen die folgenden Zeilen dienen 1 ). 

Es ist ohne weiteres verständlich, dass die Fortschritte in 
erster Linie auf dem Gebiete der Technik zu suchen sind. Es 
sind neue und wichtige Apparate geschaffen worden, welche uns 
die Kontrolle der Röhrenkonstanz erleichtern oder zur Bestimmung 
der Qualität und Quantität der Röntgenstrahlen dienen oder eine 
stärkere Belastung der Röhre und dadurch eine intensivere Röntgen¬ 
strahlenwirkung ermöglichen. 

Zwei Apparate, welche zur Kontrolle der Röhrenkonstanz dienen, 
sind das Sklerometer von Klingelfuss und das Qualimeter von 
Bauer. Beide sind Zeigerinstrumente, welche die sekundäre Spannung 
messen; diese sinkt, wenn die Röhre weicher wird, und steigt, wenn sie 
härter wird. Dementsprechend wird auch der Zeigerausschlag dieser In¬ 
strumente kleiner oder grösser. Er ändert sich nicht, wenn die Röhre 
konstant bleibt. Diese Spannungsmesser leisten also eigentlich nicht 
mehr als die der Röhre parallel geschaltete Funkenstrecke, nur er¬ 
möglichen sie die Kontrolle der Röhreukonstanz in bequemerer Weise, 
da ein Blick auf den Zeiger genügt, um etwa eingetretene Aenderungen 
des Härtegrades zu erkennen. Als objektive Härtemesser kommen sie 
nach meiner Ansicht nicht in Betracht, da sie bei dem einen Instru¬ 
mentarium ganz andere Werte angeben können als bei dem anderen. 

Man ist also zur zablenmässigen Bestimmung des Härtegrades immer 
noch auf die bekannten Härteskalen, welche direkt auf optischem Wege 
die Penetrationsfähigkeit erkennen lassen, angewiesen, wie sie von 
Benoist, Walter, Wehnelt u. a. konstruiert worden sind. 

Statt der konventionellen Einheiten der verschiedenen Skalen 
(Benoist, Walter, Wehnelt u. a.) hat Christen als absolutes Maass 


1) Bezüglich näherer Details verweise ich Interessenten auf mein 
soeben erschienenes „Compendium der Röntgentherapie“ (dritte ver¬ 
mehrte Auflage, Hi rsohfeld-Berlin, 1913). 


der Penetrationskraft einer Röntgenstrahlung die „Halbwertschicht“ 
eingeführt. 

Unter Halbwertschicht versteht man nach Christen diejenige Dicke 
einer Schicht destillierten Wassers, gemessen in Centimetem, welche von 
jeder einfallenden Röntgenstrahlung gerade die Hälfte absorbiert und 
die andere Hälfte durchlässt. 

Je weicher also eine Strahlung ist, desto dünner, je härter, desto 
dicker ist ihre Halbwertschicbt, desto tiefer kann sie eindringen, ehe sie 
durch Absorption auf die Hälfte ihrer Intensität reduziert ist. Praktisch 
kann man nun die Absorptionsfähigkeit der menschlichen Weichteile der¬ 
jenigen des destillierten Wassers gleicbsetzen. Haben wir z. B. auf die 
Haut die Dosis 10 appliziert, und wir haben in 2 cm Tiefe noch die 
Dosis 5, so haben wir eine Strahlung von der Halbwertschicht 2 cm. 
Nach dem Vorschläge von Christen dürfte es sich der Einfachheit 
halber empfehlen, von 0,5, 1, 1,5, 2 cm-Strahlen zu sprechen, geradeso 
wie wir etwa von G mm-Geschossen reden. 

Zur Bestimmung der Halbwertschicht dient der von Christen an¬ 
gegebene absolute Härtemesser, mit welchem man an jeder in 
Betrieb befindlichen Röntgenröhre die Halb wertschicht der Strahlung 
direkt optisch ablesen kann. 

Ueber das Prinzip des Instruments sei hier nur so viel gesagt, dass 
es im wesentlichen aus dem „Absorptionskörper“ und der „Halb¬ 
wertplatte“ besteht, deren Schatten auf einem Fluoreszenzschirm ver¬ 
glichen werden. Der Absorptionskörper ist ein treppenförmiges Gebilde 
aus einer Substanz, deren Absorptionsvermögen dem der menschlichen 
Weichteile entspricht. Die Höbe der einzelnen Stufen steigt von 0,25 
bis 3 cm. Die Halbwertplatte besteht aus einer siebförmig durchlöcherten 
Metallplatte, und zwar ist die Summe aller Löcher gleich der halben 
Fläche der Scheibe, so dass von jeder auffallenden Strahlung nur die 
Hälfte hindurchgelassen wird (Halbwert). Der Absorptionskörper ist 
neben der Platte verschieblich. Bei einer weicheren Strahlung wird 
eine niedrigere, bei härterer Strahlung eine höhere Stufe die gleiche 
Schattenintensität auf dem Leuchtschirm geben wie die Halbwertplatte. 

Das Instrument scheint berufen, die bisher gebräuchlichen Skalen 
zu verdrängen, so dass wir endlich in der „Halbwertschicht“ ein 
einheitliches Maass für die Qualität einer Strahlung haben würden. 

Zur Messung der Quantität hat sich nach wie vor das ausserhalb 
Frankreichs zuerst vom Verfasser empfohlene Radiometer von Sabouraud- 
Noire so gut bewährt, dass Holzknecht eine neue „Skala zum 
Sabouraud“ konstruiert hat, welche nicht nur Voll dosen, sondern 
auch Teil dosen abzu lesen gestattet. 

Diese Modifikation entspricht jedenfalls keinem dringenden 
Bedürfnis; ‘denn wenn man die Röhren konstant zn halten ver¬ 
steht, was heute unbedingt zu fordern ist, braucht man sie nur 
einmal auszudosieren. Wenn man weiss, wie lange man braucht, 
um die Volldosis zu bekommen, kann man natürlich jede be¬ 
liebige Teildosis durch entsprechende Abkürzung der Expositions¬ 
zeit erhalten. Die Kontrolle der Konstanz erfolgt durch Milli¬ 
amperemeter und parallele Funkenstrecke. Statt derFunken- 
strecke kann man das noch bequemere Qualimeter von Bauer 
benutzen. Die Vorteile dieser vom Verfasser bereits vor 6 Jahren 
angegebenen kombinierten Dosierungsmethode sind so ein¬ 
leuchtend und schon so oft wiederholt worden, dass es sich er¬ 
übrigt, hier näher darauf einzugehen. Irgendwelche Modifikationen 
sind vollkommen überflüssig. Die Methode hat sich immer mehr 
eingebürgert, und erst kürzlich bat sie Frank Schultz wieder 
als „absolut zuverlässig“ empfohlen. 

Es ist in der Tat die einzige rationelle Dosierungsmethode, welche 
wir zurzeit besitzen. Wichtig für die Dosierung ist die vom Verfasser 
experimentell an seiner eigenen Haut festgestellte Tatsache, dass das 
Radiometer von Sabouraud-Noirö nur für eine mittelweiche Strahlung 
(5—7 We.) Gültigkeit hat; bei dieser enstspricht die Volldosis (Teinte B) 
der vom Verfasser eingeführten Erythemdosis. Dagegen entsprechen 
bei einer harten Strahlung von 10—12 We. erst zwei Volldosen der 
Erythemdosis. Bei noch härterer Strahlung müsste man noch mehr 
Volldosen geben, um die Erythemdosis zu erreichen. So gibt 
Gauss an, dass er mit einer möglichst harten Strahlung, die ausserdem 
noch durch 3 mm starkes Aluminium filtriert und dadurch noch härter 
geworden ist, bis zu 30 x (drei Volldosen nach Sabouraud-Noirö) 
gehen kann, ohne dass ein Erythem auftritt. 

Das erklärt sich ganz einfach dadurch, dass das Absorptions¬ 
vermögen der Sabouraud-Tabletten erheblich grösser ist als das der 
Haut. Daher muss bei härterer Strahlung die Tablette bereits die der 
Volldosis, entsprechende Teinte B zeigen, während die durchlässigere 
Haut noch lange nicht den entsprechenden Bruchteil der Strahlung ab¬ 
sorbiert hat. Umgekehrt liegen die Dinge bei einer sehr weichen 
Strahlung. 

Was für das Radiometer von Sabouraud-Noirö festgestellt ist, 
muss wohl auch für alle anderen „chemischen“ Dosimeter gelten, da 
alle Reagenzpapiere und -flüssigkeiten infolge ihres Gehaltes an metalli¬ 
schen Bestandteilen ein viel grösseres Absorptionsvermögen für Röntgen¬ 
strahlen besitzen als die menschliche Haut. 

Das neueste Messinstrument ist das von der Firma Reiniger, 
Gebbert & Sohall hergestellte Iontoquantimeter, welches auf der 
Ionisierung einer Luftstrecke (lonisierungskammer) durch Röntgenstrahjea 

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928 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 


beruht und die Ablesung mittels Zeigerausschlages auf einer Skala ge¬ 
stattet, die nach Kienböck-Einheiten geteilt ist. 

Dies Instrument 'würde insofern einen Vorzug vor den chemischen 
Dosimetern besitzen, als hier jede Subjektivität, wie sie bei der Ab¬ 
schätzung von Farbennuancen kaum zu vermeiden ist, fortfällt. Auch 
mit diesem Quantimeter dürfte man nur bei mittel weicher Strahlung 
richtig, bei harter aber unter- und bei weicher überdosieren. Praktische 
Erfahrungen und Vergleichsuntersuchungen liegen noch nicht vor. 

Bei den grösseren Anforderungen, die besonders in der Tiefen¬ 
therapie heute an die Röhren gestellt werden, hat es nicht ausbleiben 
können, dass man erstens nach Mitteln gesucht hat, welche eine 
Schonung der Röhren bei starker Belastung bezwecken, und dass man 
zweitens die Röhren selbst widerstandsfähiger gemacht hat. 

Den Zweck der Röhrenschonung erfüllt der sogenannte „Rhyth¬ 
meur“, ein Zusatzunterbrecher, welcher neben dem Hauptunterbrecher 
eingeschaltet wird und die Tätigkeit der Röhre in regelmässigen, rasch 
aufeinanderfolgenden Pausen unterbricht. In den Pausen hat die durch 
den Aufprall der Katbodenstrahlen auf der Antikathode entstehende 
Wärme Zeit, sich im Metall zu verteilen. Es kann also nicht so leicht 
zu einer Ueberhitzung des Antikathodenmetalls und damit zu einer Gas¬ 
abgabe und einem Weicherwerden der Röhre kommen. Durch den 
Rhythmeur erhält man also mit anderen Worten in kurzen Pausen 
aufeinanderfolgende Momentbelastungen, die man natürlich erheblich 
stärker wählen kann als eine Dauerbelastung. Die Röntgenstrahlen¬ 
menge nimmt natürlich mit der Belastung zu, und die Expositionszeit, 
welche zur Verabfolgung einer bestimmten Dosis Röntgenstrahlen er¬ 
forderlich ist, wird entsprechend abgekürzt. Der Rhythmeur ist sehr 
zweckmässig da, wo es auf besondere Gewaltleistungen ankommt, wie 
z. B. bei dem grossen Material der Freiburger Frauenklinik. 

Störend sind die unvermeidlichen grossen Schwankungen der Zeiger¬ 
instrumente, welche erstens für diese Instrumente nicht ganz gleich¬ 
gültig sein dürften und zweitens vor allem eine exakte Kontrolle der 
Röhrenkonstanz sehr erschweren. Ich ziehe es daher im allgemeinen 
vor, ohne Rhythmeur zu arbeiten, kann dann allerdings die Röhren 
nicht ganz so stark belasten und muss infolgedessen etwas länger ex¬ 
ponieren. 

Von den Röhren hat sich für starke Beanspruchung die alte 
Wasserkühlröhre von Möller gut bewährt, speziell der Typ 
„Rapidrohr“ mit, etwas kräftigerer Antikathode. 

Wenn das Kühlwasser zu heiss und die Röhre weicher werden 
sollte, kann man das heisse Wasser einfach ausgiessen und durch kaltes 
ersetzen. Es empfiehlt sich nur nicht, gleich alles Wasser auszugiessen, 
sondern noch soviel im Kühlgefäss zu lassen, dass wenigstens das Anti¬ 
kathodenmetall von heissem Wasser bedeckt ist, und dann vorsichtig 
kühles Wasser nachzufüllen. Auch gibt es eine einfache Vorrichtung, 
welche gestattet, das Wasser in dem Kühlgefäss circulieren zu lassen. 
Doch kommt man im allgemeinen mit der Kühlung durch stehendes 
Wasser, das ira Bedarfsfälle gewechselt wird, aus. 

Eine andere Art der Kühlung ist die durch circulierende Luft, 
welche mittels eines Pressluftgebläses oder einer elektrischen 
Luftdusche („Föhn“) gegen die Antikathodenplatte geblasen wird 
und dadurch eine gute Kühlung des Metalles bewirkt (Röhren von 
Reiniger, Gebbert & Schall und Burger). Auch derartige Röhren sind 
sehr belastungsfähig und besonders für Tiefenbestrahlungen geeignet. 

Die Regulierung der Röhren ist dadurch verbessert worden, dass 
man sie während des Betriebes aus der Ferne, von geschütztem 
Standort aus vornehmen kann (Distanzregulierung [Holzknecht], 
Luftfernregenerierung [Bauer]). Mir persönlich haben sich am 
besten die Osmoregenerierung und die neue Luftregenerierung 
bewährt. Letztere ist auf Wunsch an den meisten gebräuchlichen Röhren¬ 
typen anzubringen. Bei der Regenerierung handelt es sich bekanntlich 
immer um eine Gaszufuhr, sobald die Röhren die Neigung zeigen, 
„härter“ zu werden. Man benutzt zu diesem Zwecke auch Glimmer¬ 
und Kohleplättchen, welche bei Erwärmung durch den elektrischen Strom • 
Gas abgeben. Ganz abgesehen von der Umständlichkeit des Verfahrens 
sollte man diese Art der Regenerierung auch aus dem Grunde ganz 
fallen lassen, weil die gasabgebenden Substanzen zu rasch abgenutzt 
werden. 

Neben den Indnktor-Unterbrecherapparaten sind heute auch 
sogenannte unterbrecherlose Apparate in Gebrauch (Ideal¬ 
apparat [Reiniger, Gebbert & Schall]). 

Diese Hochspannungsgleichrichter kommen besonders da in 
Frage, wo Wechsel- oder Drehstrom vorhanden ist, weil man in 
diesem Falle für den Indukt or-Unterbrecherbetrieb einen Umformer 
nötig hat. Trotzdem ist die letztgenannte Betriebsart meines Erachtens 
dann empfehlenswerter, wenn der Röntgenapparat lediglich für thera¬ 
peutische Zwecke bestimmt ist. Die Stromkurve ist nämlich bei den 
Hochspannungsgleichrichtern ungünstiger für die Erzeugung harter 
Strahlen, auf welche es gerade in der Therapie vorwiegend ankommt; 
sie produzieren einen grösseren Anteil weicherer Strahlen; das ist wieder 
ein Vorteil da, wo es lediglich auf röntgendiagnostiscbe Zwecke ankommt, 
weil die Bilder kontrastreicher ausfallen. Ferner ist die Regulierung 
der Stromzufuhr nicht im, der feinen Weise möglich, jrie bei dpm In-, 
duktor-Unterbreoherapparat. Auch bei diesen ist leider meist die Unter¬ 
teilung des Widerstandes für den primären Strom nicht so fein, wie das 


für die Wahl einer möglichst passenden Röhrenbelastung wünschenswert 
ist. Ich habe daher die Firma' Reiniger, Gebbert & Schall ver¬ 
anlasst, gerade auf diesen Punkt bei der Herstellung neuer Schalttische 
oder Schalttafeln besonderen Wert zu legen. 

Günstiger, speziell für die Erzeugung harter Strahlen, soll die Strom- 
kurve bei dem Hochspannungsgleichrichter der Veifa-Werke sein, der 
unter dem Namen Reformröntgenapparat von Dessauer kon¬ 
struiert worden ist. Als neuester Unterbrechertyp sei hier der Gas- 
unterbrecher von Reiniger, Gebbert & Schall erwähnt. Statt 
der funkenlöschenden Flüssigkeit (Petroleum) wird hier Gas benutzt. 
Dadurch wird eine Verschlammung des Quecksilbers vermieden. Der 
Unterbrecher erfordert keine besondere Wartung und gestattet, grössere 
Stromstärken zu unterbrechen. 

Die Neuerungen auf dem Gebiete der Apparatur, soweit sie 
zurzeit praktische Bedeutung haben, dürften hiermit genannt sein. 

Auch auf dem Gebiete derBestrahlungstechnik, speziell der 
Tiefenbestrahlung, haben wir Fortschritte zu verzeichnen, welche 
wir den Gynäkologen, in erster Linie Krönig und Gauss, ver¬ 
danken. 

Die Erfolge, welche an der Freiburger Frauenklinik bei Myomen, prä¬ 
klimakterischen Blutungen und Dysmenorrhöen erzielt werden konnten, 
sind in der Tat wesentlich günstiger als an anderen Orten, und das 
dürfte vor allem auf das Konto einer besseren Technik zu setzen sein. 

Worin besteht nun die Freiburger Technik? 

In der systematischen Anwendung von zwei Mitteln zur Verbesse¬ 
rung der Tiefenwirkung, welche lange bekannt sind: der Filtration einer 
an sich schon möglichst harten Strahlung und der Anwendung zahlreicher 
Einfallspforten („Kreuzfeuer“). Dazu kommt als drittes Neues die Appli¬ 
kation grösserer Dosen auf die einzelnen Bestrahlungsfelder, als das bis¬ 
her für möglich gehalten war. Um ganz gerecht zu sein, muss man zu¬ 
geben, dass auch so zahlreiche Einfallspforten für die Strahlung bis dato 
noch nicht benutzt worden waren. 

Ueber das beste Filtermaterial dürfte nach den verdienstlichen 
Untersuchungen von Schatz wohl kein Zweifel mehr bestehen: es ist 
das Aluminium. Freilich kann man auoh mit Glas oder Leder filtrieren; 
doch hat jenes den Nachteil der Zerbrechlichkeit, während dieses 
in sehr dicker Schicht angewandt werden muss. Als ungeeignetes Filter¬ 
material kann wohl das von v. Jaoksch empfohlene Silber angesehen 
werden, da es nicht nur die weichen, sondern auch die harten Strahlen 
zum grossen Teil absorbiert. Nicht so einig wie über das Material ist 
man sich über die Dicke des Aluminiumfilters. Früher hat man 0,5 bis 
1 mm dickes Aluminium benutzt, Gauss hat wohl zuerst 3 mm dickes 
Aluminium angewandt. In Frankreich wird von manchen Röntgen¬ 
therapeuten (Jaugeas) 4 mm dickes Aluminium empfohlen. 

Untersuchungen, welche Verfasser mit dem Christen’schen Härte¬ 
messer angestellt hat, zeigen, dass die Penetrationskraft einer Strahlung 
erheblich zunimmt, wenn man sie durch 1 mm Aluminium filtriert; 
filtriert man sie durch 2 mm Aluminium, so nimmt sie zwar noch etwas, 
aber doch nur wenig zu, um dann stationär zu bleiben, auch wenn man 
sie 3, 4 oder 5 mm Aluminium passieren lässt. Dagegen findet eine 
erhebliche Sohwächung der Strahlungsintensität statt, weil durch dickere 
Filter auch die harten Strahlen zum Teil absorbiert werden. 

Zu etwas anderen Ergebnissen ist Hans Meyer gekommen. Filtrierte 
er eine harte Strahlung (von 6 B. W.) durch 1 mm Aluminium, so zeigte 
der Christen’sche Härtemesser eine Halb wertschicht von 2 cm; filtrierte 
er durch 2 mm, so stieg die Halb wertschicht auf 2,25 cm. 

Bis dahin decken sich die Resultate mit denen des Verfassers; 
dagegen fand Hans Meyer das Optimum bei Filtration durch 
4 mm Aluminium mit 2,5 cm Halbwert9chicht. 

Wenn wir diese letzten Angaben für die Wahl der geeigneten 
Filterdecke verwerten wollen, so haben wir also: 

bei 1 mm Aluminium eine Halbwertschicht von 2,0 cm, 

n 2 „ n n n n 2,25 „ 

n ^ „ n n n n 2,6 „ 

Man sieht also, dass auch nach den Angaben von Hans 
Meyer die Penetrationskraft einer durch 1 oder 2 mm Aluminium 
filtrierten Strahlung nicht in nennenswerter Weise steigt, wenn 
man sie noch weitere 2 mm Aluminium passieren lässt. 

Verfasser benutzt daher ausschiesslich Aluminiumfilter von 
1 bis höchstens 2 mm Dicke, da eine nennenswerte Steigerung 
der Penetrationskraft durch dickere Filter nicht möglich, anderer¬ 
seits eine erhebliche Abschwächung der Strahlungsintensität un¬ 
vermeidlich ist. 

Ein Mittel, welches in Freiburg nicht angewandt wird, ob¬ 
wohl es eine weitere Steigerung der Dosen um das l l /s* bis 2- 
fache gestattet, ist die Anämisierung der Haut, welche — wie 
Schwarz gezeigt hat — die Haut unempfindlicher für Röntgen¬ 
strahlen macht, sie also desensibilisiert. Schwarz wandte bei 
seinen Versuchen zur Erzielung einer Anämie die Kompression 
durch Holzplättchen an. 

Verfasser konnte experimentell nacbweisen, dass die gut 
komprimierte Haut die doppelte Erythemdosis verträgt, ohne dass 
eine sichtbare Hautreaktion auftritt. 


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UMIVERSITY OF IOWA 





19. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


929 


Reicher und Lenz haben dann an Stelle der Kompressionsanämie 
die Adrenalinanämie eingeführt, die etwa das Gleiche leistet, aber 
meines Erachtens nur an den Stellen den Vorzug verdient, an welchen 
eine Kompression aus technischen Gründen nicht möglich ist. 

Im übrigen ist zu bedenken, dass Adrenalin immerhin ein Gefäss- 
gift ist, und dass auch die Röntgenstrahlen die Gefässe schädigen, so 
dass Iselin die Adrenalinmethode aus diesem Grunde vollkommen ver¬ 
wirft, und man muss zugeben, dass sein ablehnender Standpunkt nicht 
unberechtigt erscheint. 

Durch die Kompression erreichen wir noch etwas anderes, näm¬ 
lich eine Annäherung des Focus an die zu bestrahlenden, tiefge¬ 
legenen Gewebe und eine Verringerung des Unterschiedes in der Ent¬ 
fernung der tiefgelegenen Gewebe und derjenigen der Haut vom Focus 
oder mit anderen Worten: ein günstigeres Verhältnis der Oberflächen- 
zur Tiefendosis. Besonders bei Tiefenbestrahlungen des Abdomens ist 
die Kompressionsanämie entschieden vorzuziehen; allerdings muss 'man 
genau darauf achten, dass auöh wirklich das ganze Bestrahlungsfeld 
gleichmäßig gut komprimiert wird. 

Verfasser hat speziell für radiäre Bestrahlungen des Abdomens 
unter Filtration und Kompression einen Tubus von annähernd drei¬ 
eckigem Querschnitt angegeben, der sich sehr gut bewährt hat 1 ). 

Ebenso wie Anämie die Hant unterempfindlich macht, wird 
sie durch Hyperämie überempfindlich für Röntgenstrahlen, wie 
das Verfasser zuerst experimentell an seiner eigenen Haut nach- 
weisen konnte. Auch diese Tatsache hat Bedeutung für die 
röntgen therapeutische Praxis gewonnen und erklärt die schon 
früher erzielten besseren Erfolge nach Vorbehandlung mit Hoch¬ 
frequenzströmen (Eijkmann, Frank Schultz). 

Durch eine derartige Vorbehandlung mit Hochfrequenzströmen, 
Licht, Kohlensäureschnee oder andere Irritantien) werden eben die 
pathologischen Gebilde, welche sich gegen Rontgenstrahlen refraktär 
verhielten, hyperämisiert und dadurch sensibilisiert. 

Zur Sensibilisierung tiefer gelegener Tumoren hat Verfasser 
zuerst die Thermopenetration empfohlen. 

Doch scheint sich die Methode nach den spärlichen, bisher vor¬ 
liegenden Erfahrungen nicht besonders für diesen Zweck zu eignen,' 
erstens weil die Haut immer mitsensibilisiert wird, zweitens weil auch 
tiefgelegene normale Gewebe (Niere, Leber, Darm usw.) mitsensibilisiert 
werden müssen, drittens weil sich die Wirkung der Thermopenetration 
mit nachfolgender Röntgenbestrahlung häufig in einer Erweichung, in 
einem Zerfall des Geschwulstgewebes zu äussem scheint, der wieder mit 
der Gefahr der Metastasierung verbunden ist. 

Die elektive Röntgenstrahlenwirkuug äussert sich aber bei den 
radiosensiblen Geschwülsten nicht in einer groben Nekrotisierung, 
sondern in einer allmählichen Schrumpfung des Tumors unter 
narbiger Degeneration. Vielleicht gelingt es einmal, auf chemisch¬ 
therapeutischem Wege die röntgen - refraktären Tumoren für 
Röntgenstrahlen zu sensibilisieren. 

Bemerkenswert ist, dass auch bei mancher Hauterkrankung, 
in welchem eine mittelweiche Strahlung keinen Erfolg bringt, 
eine härtere Strahlung bisweilen sehr prompt wirkt. 

Frank Schultz hat wohl zuerst auf diese Tatsache hin¬ 
gewiesen. Wir sind darum nicht genötigt, anzunehmen, dass 
härtere Strahlen biologisch wirksamer sind als weichere, wie 
das Meyer und Ritter auf Grund experimenteller Untersuchungen 
getan haben. 

Die bessere Wirkung der härteren Strahlung lässt sich auch rein 
physikalisch dadurch erklären, dass bei allen Hauterkrankungen mit 
tiefer greifender Infiltration von dieser Strahlung in den tieferen Schichten 
— bei gleicher Oberflächendosis — mehr absorbiert werden muss als 
von einer weichen Strahlung, welche schon zum grössten Teil von den 
oberflächlichsten Schichten einer pathologischen Zellanhäufung absorbiert 
wird und infolgedessen natürlich auf die tieferen Schichten nicht ge¬ 
nügend einwirken kann. 

Die geschilderten Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgen¬ 
technik und Röntgenbiologie haben vor allen Dingen in der 
Tiefentherapie bessere Resultate gezeitigt als sie früher möglich 
waren. Bei der Behandlung der präklimakterischen 
Blutungen und der Myome kommen wir heute viel schneller 
zum Ziele, und auch, (jie Dysmenorrhöen jüngerer Frauen, 
deren Ovarien zweifellos widerstandsfähiger sind, können wir 
heute leichter beeinflussen. 

Bei den Myomen hat die Röntgentherapie die chirur¬ 
gische Behandlung völlig in den Hintergrund gedrängt, wenn wir 
etwa von den submukösen Myomen absehen, die grösstenteils ge¬ 
boren in der Cervix liegen und die man natürlich schneller und 
einfacher operativ entfernt. 

Aber auch andere pathologische Prozesse tiefgelegener Organe 
dürften von. der verbesseren Technik viel profitieren, in erster 
-*—sir . h j’i - -ab 

1) Hergestellt von Reiniger, Gebbert & Schall. 


Linie die tuberkulösen Erkrankungen der Drüsen, der 
Knochen, der Gelenke, des Bauchfells, die auch schon bei 
einer primitiveren Technik gut zu beinflussen waren, dann auch 
die inoperablen Sarkome und Carcinome, welche eine auch 
nur mässige Radiosensibilität besitzen; denn das dürfen wir auch 
heute nicht vergessen: die Beeinflussbarkeit der malignen Ge¬ 
schwülste hängt vielmehr von ihrer biologischen Beschaffenheit 
als von der Quantität und Qualität der applizierten Röntgen¬ 
strahlen ab. Es gibt Geschwülste, welche auch auf die grössten 
Dosen der härtesten Strahlen nur mit einer rapiden Wucherung 
reagieren (Zungencarcinome!) und andere, welche schon auf 
kleine Dosen schrumpfen. 

Immerhin liegen einige Beobachtungen vor, welche doch dafür 
sprechen, dass wir bei mauchen inoperablen Garcinomen durch 
die Applikation grösserer Dosen bessere Erfolge erzielen, als das 
früher möglich war (Krönig und Gauss, Bumm). 

Dass an der Freiburger Klinik jetzt auch operable Uterus- 
carcinome mit- Röntgenstrahlen behandelt werden, erscheint zu¬ 
nächst etwas kühn. Immerhin ist die Möglichkeit nicht ausge¬ 
schlossen, dass wir mit unserer heutigen verbesserten Technik 
auch operable Carcinome erfolgreich behandeln können; man hat 
bei Portio-Carcinom ganz immense Dosen (bis zu IOOOO XI) auf 
den Carcinomtrichter appliziert. Meines Erachtens£sind_so grosse 
Dosen aus verschiedenen Gründen nicht unbedenklich. 

Auch an die Behandlung der Hypophysistumoren hat 
man sich mit Erfolg berangewagt (Böclere, Jaugeas). fcj 

Für die Oberflächenbestrahlung hat. besonders die Sensibili¬ 
sierung und die Feststellung der besseren Wirkung einer harten 
Strahlung bei mancher dermatologischen Affektion zur Erzielung 
besserer Resultate geführt, so dass wir heute auch in manchen 
bisher als refraktär angesehenen Fällen noch Erfolge erzielen 
können. 

Von neueren Indikationen für die Röntgenbehandlung seien 
hier noch folgende genannt: Malaria (Rieciardi, Skinner 
und Carson, Petrone), Morbus Addisonii (Golubinin, 
Wiesner), Syringomyelie (Raymond, Beaujard und Lher- 
mitte), multiple Sklerose (Marinesco). 

Hier sind zweifellos günstige Erfolge zu verzeichnen. 

Auch die progressive Paralyse hat man bereits in den 
Bereich der Röntgenbehandlung gezogen (Marinesco, V; Lützen- 
berger); doch scheint hier eine gewisse Skepsis bezüglich der 
angeblichen Erfolge vorläufig recht angebracht. 

Auch die Ophthalmologie hat sich der Röntgenbehandlung 
bei Lidepitbeliomen, Lupus conjunctivae, Trachom mit 
Erfolg bedient; besondere Erwähoung verdient der von Burk 
mitgeteilte Fall von Hornhautepitheliom, welcher durch 
Röntgenbestrahlung geheilt wurde, während man sonst in der¬ 
artigen Fällen zur Enucleation des Bulbus gezwungen war. 

In der Otologie sind Ekzeme, Psoriasis, Lupus und 
Ulcus rodens des äusseren Ohres erfolgreich behandelt worden. 

In der Rhinologie bilden Rosacea, Acne, Lupus der Hant 
und Schleimhaut,, Ulcus rodens und Ozaena ein dankbares 
Feld für die Anwendung der Röntgenstrahlen. 

In der Laryngologie ist es besonders die Tuberkulose, 
welche in manchen Fällen recht günstig beeinflusst wird. Auch 
bei inoperablen Carcinomen ist natürlich ein Versuch mit Röntgen¬ 
behandlung strikte indiziert. 

Die modernste Anwendung der Röntgenstrahlen ist die Be¬ 
strahlung der Nebennieren zwecks Herabsetzung des Blutdruckes 
bei Arteriosklerose, wie sie Zimmern und Cottenot 
empfohlen haben, in der Annahme, dass der arterielle Hochdruck 
eine Folge der Hyperfunktion der Nebennieren sei, und dass die 
Röntgenstrahlen auf die pathologisch gesteigerte Tätigkeit dieser 
Organe in gleicher Weise hemmend einwirken müssen, wie bei 
anderen drüsigen Organen (Schilddrüse, Schweissdrüsen, Talg¬ 
drüsen usw.) Die guten Erfolge von Zimmern und Cottenot 
und die experimentellen Versuche von v. Decastello und Kien¬ 
böck, welche an röntgenbestrahlten Mäusen schon makroskopisch 
eine Verkleinerung der Nebennieren feststellen konnten, ermutigen 
jedenfalls zu weiteren Versuchen. Die Weiterentwicklung der 
Röntgenbehandlung hat uns unerwartete Erfolge gebracht, aber 
leider auch unerwartete Nebenwirkungen. Es sind nach Appli¬ 
kation grosser Dosen harter, filtrierter Strahlen viele Monate nach 
Abschluss der Behandlung Ulcerationen der Haut beobachtet 
worden, zum Teil ohne dass Erytheme als Folge der Bestrahlungen 
vorausgegangen waren (Speder, d’Halluin, Iselin). Wenn es 
sich hier auch — anscheinend —TimAusnabmefälle handelt, die 
vielleicht puf eine besonder Empfindlichkeit 'des Gefässsystems 


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UNIVERSUM OF IOWA 





930 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 


zurückzuführen sind, so müssen wir doch die Warnung Iselin’s 
vor allzu grossen Dosen als berechtigt bezeichnen. Es handelt 
sieb bei diesen „Spätscbädigungen“ offenbar um ein Novum. 
Denn derartige Spätschädigungen sind nach Applikation mittel- 
weicher, unfiltrierter Strahlen bisher anscheinend nicht beobachtet 
worden. Das erklärt sich auch wieder rein physikalisch in zwang¬ 
loser Weise. Denn bei Verabfolgung gleicher Oberflächendosen 
wird die Schädigung der tiefen Hautgefässe um so grösser sein, 
je härter die Strahlung ist. Und gerade die Schädigung dieser 
tiefergelegeuen Hautgefässe ist wahrscheinlich für die spätere Er¬ 
nährungsstörung der Haut verantwortlich zu machen, weiche dann 
zur Atrophie oder sogar zur Nekrose führen kann. Meist scheint 
allerdings zur Auslösung der Schädigung noch die Einwirkung 
irgendeines äusseren Reizes erforderlich zu sein. 

Zum Schlüsse dieses Berichtes sei noch darauf hingewiesen, 
dass wir heute in allen Fällen, in welchen ein maligner 
Tumor operativ entfernt wurde, eine chronisch inter¬ 
mittierende prophylaktische Röntgenbehandlung fordern 
müssen, um etwa zurückgebliebene kleine Reime, die natürlich viel 
leichter zu zerstören sind als massige Tumoren, zu vernichten, 
noch bevor sie sich zu sichtbaren Recidiven entwickelt haben. 
Der Heidelberger Chirurg Werner begründet diese Forderung 
sehr richtig mit folgenden Worten: 

„Der Wert dieser Methode ist vorläufig noch nicht zu über¬ 
sehen, doch sollte sie in jedem Falle geübt werden, da man dem 
Patienten eine Chance gibt, für welche er keine Nachteile in den 
Kauf zu nehmen hat.“ 


Bücherbesprechungen. 

Lehrbach der Kystophotographie; ihre Geschichte, Theorie and 
Praxis. Von Prof. Dr. Fr. Fromme, Privatdozenten für Gynäko¬ 
logie und Geburtshilfe, und Dr. 0. Ringleb, Privatdozenten für 
Urologie an der Universität Berlin. Mit 29 Abbildungen im Text 
und 7 photographischen Tafeln. Wiesbaden 1913, J. F. Bergmann. 

Schon in mehrfachen Veröffentlichungen hat Ringleb über die Ver¬ 
besserungen am optischen Apparat des Nitze’sohen Rystoskops berichtet, 
die er, nach v. Rohr’s theoretischen Berechnungen, in die Praxis ein¬ 
geführt hat; ebenso ist durch mancherlei Demonstrationen bereits von 
ihm dargetan worden, dass die scharfe Detaillierung, die das neue 
System erlaubt, auch der photographischen Reproduktion sehr günstige 
Bedingungen bietet. Dank dem Entgegenkommen des Prof. Franz hat 
er nunmehr, in Gemeinschaft mit Fromme, ein grosses Krankenmaterial 
durchgeprüft — allerdings, was immer wieder betont werden muss, vor¬ 
läufig nur an Frauen, bei denen die anatomischen Verhältnisse die Ein¬ 
führung starker Instrumente wesentlich erleichtern. Das vorliegende 
Werk, die Frucht dieser gemeinsamen Untersuchungen, stellt daher nicht 
etwa einen kystophotographiseben Atlas im gebräuchlichen Wortsinne dar, 
wie ihn etwa der Lehrer zur Unterstützung für die Beobachtung am 
Lebenden benutzt; also keine Sammlung typischer oder seltener Fälle. 
Vielmehr handelt es sich hier um eine theoretische Darstellung und 
praktische Anweisung zur Verwertung der von Ringleb konstruierten 
Photographierkystoskope, denen lediglich eine Anzahl von Aufnahmen, 
gewissermaasssen als Beläge, beigegeben sind. Diese betreffen in ihrer 
überwiegenden Mehrzahl die verschiedenen Formen der Blasengefässe, 
namentlich ihr charakteristisches Verhalten am Harnleitereingang; 
ausserdem finden sich noch Abbildungen von Cystitis, von Tuberkeln, 
von einem Papillom und Divertikeln. Ihnen allen wird man unbedingt 
eine ganz besondere Feinheit und Naturtreue zuerkennen, auch der 
technischen Reproduktion das höchste Lob zollen. Sie bilden einen un¬ 
widerleglichen Beweis für die Richtigkeit der theoretischen Kon¬ 
struktionen, mit denen sich der Text beschäftigt, und deren freilich nicht 
müheloses Studium allen denen empfohlen werden muss, welche sich ein¬ 
gehender mit den photographischen Aufnahmen von Blasenbildern be¬ 
schäftigen. Im voraufgeschickten geschichtlichen Teil schildern die Verff. 
übrigens die früheren Methoden — die ersten Versuche Kutner’s, 
sowie die Apparate Nitze’s, Casper’s, Jaooby’s, Freudenberg’s — 
vielleicht hier und da mit zu scharfer Kritik der doch immerhin sehr 
schönen Resultate, die diese Autoren unter den schwierigeren Be¬ 
dingungen, wie die männliche Blase sie stellt, erreicht haben. 

P o s n e r. 


C. G. Jang - Zürich. Wandlungen and Symbole der Libido. Bei¬ 
träge zur Entwicklungsgeschichte des Denkens. (Sonderabdruck 
aus dem „Jahrbuch für psychoanalytische und psychopathologiscbe 
Forschungen“, 3. und 4. Band. Leipzig und Wien 1912. Franz 
Deuticke. 422 S. Preis 10 M. 

Es wäre unrichtig, zu sagen: dieses Buch ist nur für Anhänger der 
Freud’schen Psychologie geschrieben; denn es wendet sich, wie diese 
Psychologie überhaupt, an einen universellen Kreis Gebildeter, die eine 
Beziehung zu psychologischen Dingen haben. Aber das lässt sich wohl 


sagen: es wird nur von solchen verstanden werden, die mit der Freu fi¬ 
schen Psychologie bereits bekannt sind. Dem Publikum einer allge¬ 
mein-medizinischen Wochenschrift gegenüber muss dies bei der Ankündi¬ 
gung zuerst betont werden. 

Jung geht davon aus, dass bei dem gegenwärtigen Stand der 
Forschung die individual-psychologische Analyse durch Hinzuziehung 
historischen Materials erweitert werden müsse, um von da neue Auf¬ 
schlüsse über individual-psychologische Probleme zu gewinnen. Dies 
unternimmt er an der Hand einiger unbewusst dichterisch geformten 
Phantasien einer Amerikanerin, die als Beitrag zu den Fragen des Unter¬ 
bewusstseins vor mehreren Jahren in den „Archives de Psychologie“ 
publiziert waren. Dieses individuelle Phantasiesystem führt ihn zu 
Quellen aus der Urgeschichte des menschlichen Denkens und Phantasierens 
und seine historisch - analytischen Studien greifen an die höchsten Pro¬ 
bleme des menschlichen Geistes. In diesem Sinne handelt es sich nicht 
bloss um eine Monographie über die Libido, sondern auch um „Beiträge 
zur Entwicklungsgeschichte des Denkens“. 

Die Psychoanalyse unterscheidet danach zwei Denkformen, das be¬ 
wusste, „gerichtete“, „angepasste“ Denken und das phantastische Denken, 
welches zum Teil unbewusst, rein subjektiv ist und nur aus egoistischen 
Wünschen gespeist wird. Diese zweite Denkform erzeugt — ohne 
Korrektur durch die erste — ein überwiegend subjektives Weltbild, sie 
ist ein infantiles Denken aus der Vergangenheit des Individuums und 
des Menschengeschlechts, in welchem sich ein VerdichtuDgsprodukt der 
psychischen Entwicklungsgeschichte aufbewahrt hat. Die dem Unbe¬ 
wussten entstammenden Denkprodukte zeigen unter gewissen Bedingungen 
mythischen Charakter, Züge archaischer Geistesartung, als ob die Seele 
eine historische Schichtung besässe, wobei die ältesten Schichten dem 
Unbewussten entsprächen. Das Unbewusste ist in unendlich viel höherem 
Grade allen Menschen gemeinsam als die Inhalte des individuellen Be¬ 
wusstseins: es ist die Verdichtung des historisch Durchschnittlichen und 
Häufigen. 

Nach solchen, hier kaum nur andeutbaren Auseinandersetzungen im 
ersten Teil handelt der zweite, der Hauptieil des Buches über den Be¬ 
griff und die genetische Theorie der Libido, über die Verlagerung der 
Libido als mögliche Quelle der primitiven menschlichen Erfindungen, 
über die unbewusste Entstehung des Heros, über Symbole der Mutter und 
der Wiedergeburt, über den Kampf um die Befreiung von der Mutter 
und über das Opfer. 

Der Begriff der Libido erfährt hier eine so allumfassende Verall¬ 
gemeinerung, wie sie die Freud’sche Theorie bisher zwar andeutete, 
aber kaum anwandte, obwohl sie, ursprünglich von der Hysterie aus¬ 
gehend, auf die Psychoneurosen überhaupt, dann schon auf die Traum¬ 
deutung, die Mythen- und Märchenbildung, die Arbeit von Dichtern und 
Künstlern und schliesslich auf das Gebiet der Geisteskrankheiten über¬ 
tragen ist. 

Der Ursprung aller Religion beruht nach J. auf der Libido, die 
sich natürlich nicht auf den sexuellen Trieb beschränkt, sondern ein 
Begriff geworden ist, der fast das gesamte Streben der Menschheit seit 
ihren Urzeiten umfasst. An der Gottesidee ist das Wirksame nicht die 
Form, sondern die Kraft, die Uebergewalt, das Uebermenschliche, Furcht¬ 
erregende und zugleich Liebende, väterlich Sorgende: alles das sind 
Attribute der Libido im Freud-Jung’schen Sinne. Sie macht in der 
Entwicklungsgeschichte der Psyche die merkwürdigsten Wege und Um¬ 
wege, welche durch die psychoanalytischen Mechanismen aufdeckbar sind. 
Die Allmacht eines Gottes, z. B. der Sonne, ist die Allmacht der Libido, 
d. h. der treibenden Kraft unserer eigenen Seele, deren Wesen es ist. 
Nützliches und Schädliches, Böses und Gutes zu schaffen. Die religiösen 
Heroen des Dionysos-Christus-Kultes und ihre typischen Schicksale 
sind Abbilder der menschlichen Libido und ihrer Schicksale. Der 
Terminus Libido ist „weit genug, um alle die unerhört mannigfaltigen 
Manifestationen des Willens im Schopenhauer’schen Sinne zu 
decken, und genügend inhaltsreich und prägnant, um die eigentliche 
Natur der von ihm begriffenen psychologischen Entität zu charakteri¬ 
sieren.“ Er hat „auf biologischem Gebiet dieselbe Bedeutung wie der 
Begriff der Energie auf physikalischem Gebiet seit Robert Mayer.“ 
So ziemlich alles, was uns lieb und teuer ist, sagt J., muss auf den 
Fortpflanzungstrieb zurückgeführt werden. Der Libidobegriff wird ihm 
zum Begriff des Willens überhaupt, und er überlässt es dem Philosophen, 
„mit diesem Stück eines psychologischen Voluntarismus fertig zu werden“, 
indem er auf Schopenhauer’s „Welt als Wille“, aufPlaton’s „Eros“ 
und andere philosophische Begriffsschöpfungen hinweist. Dieser eingehend 
begründete, genetische Libidobegriff, diese „Urlibido“ wurde im Lauf 
derZeit mehr und Aehr desexualisiert, mittelst Ersetzung durch Phantasie¬ 
korrelate übertragen, verlagert. „Damit wurde allmählich eine gewaltige 
Erweiterung des Weltbildes erzielt, indem immer neue Objekte als 
Sexualsymbole assimiliert wurden: Es ist eine Frage, ob nicht über¬ 
haupt auf 'diese Weise der menschliche Bewusstseinsinhalt ganz oder 
wenigstens zum grossen Teil zustande gekommen ist.“ Die Erfindung 
der Feuerbereitung ist z. B. nach J. vielleicht dem Drange zu verdanken, 
ein Symbol für den Sexualakt einzusetzen. Für das primitive Denken 
war eben die sogenannte objektive Welt nur subjektives Bild, wie be¬ 
sonders aach vergleichende Sprachstudien zeigen. „Altes Vergängliche 
ist nur ein Gleichnis.“ Die feste Bedeutung der Dinge hat in diesem 
Reich (der entwicklungsgeschichtlichen Libidogleicbnisse) ein Ende. 

Von grösster Bedeutung für die Wandlungen der Libido ist ein ihr 
entgegengesetzter Widerstand, das Incestverbot. Der Raum verbietet 
es, auf diesen psychologischen Incestbegriff hier näher einzugehen. Er 


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19. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


931 


ist natürlich nicht rein sexuell, sondern ebenso weit wie der Libido¬ 
begriff gefasst: Das Streben nach der Rückkehr zur Mutter. Auch er 
ist den mannigfachsten Verlagerungen, Wandlungen, Verdrängungen 
unterworfen. 

Wie die bisherigen Studien, so führen auch die folgenden über die 
Muttersymbole und die Wiedergeburtssymbolistik der verschiedensten 
Kulturen, auch die erwähnten weiteren Themata (Befreiung von der 
Mutter und das Opfer) zu den kühnsten Deutungen, zu ebenso konse¬ 
quenten wie gewagten Schlüssen auf die Entwicklungsgeschichte des 
Denkens. Das beigezogene Ci taten material aüs allen Literaturen und 
Kulturen ist ungeheuer, die Belesenheit und Kenntnis fremder Studien¬ 
gebiete bei einem Einzelnen, einem Arzt erstaunlich. Völkerforschung, 
Sprach- und Altertumswissenschaft, Mythologie, Theologie, Philosophie, 
Kunst- und Literatur bieten dem Verf. die Quellen, die er mit einem 
horrenden Fleiss zusammenleitet, um den neuen Wein einer neuen Welt¬ 
anschauung in alle Schläuche zu füllen. So ist die Lektüre des Buches 
schon aus formalen Gründen sehr schwer, sie ist es aber auch bezüglich 
des Inhalts, denn „das psychoanalytische Denken läuft der bisherigen 
Denkgewohnheit entgegen“, indem es jene Symbolbildungen zurüok- 
denkt, die im Lauf der Zeiten immer komplizierter wurden. Vieles er¬ 
scheint dem unparteiischen Leser einleuchtend und für eine zukünftige 
Psychologie höchst bedeutungsvoll, vieles allzu gewagt und vorläufig 
nur geistreiche Conception, manches vom Verf. Gedachte aber wird 
manchem undenkbar erscheinen, und zwar nicht bloss mangels psycho¬ 
analytischer Denkgewohnheit. Nicht jeder wagt seine Symbolerkenntnis 
und seine Deutungskunst bis an die äussersten Grenzen des mensch¬ 
lichen Geistes vorzuschicken, und die neue Denkgewobnheit wird wie die 
alte in manche Sackgasse wandern. 

Damit ist aber diesem Buche keine Kritik gesprochen, denn sein 
Autor sagt es am Schlüsse selbst, dass Arbeitshypothesen nicht unter¬ 
drückt werden dürfen, weil sie vielleicht keine ewige Gültigkeit haben, 
vielleicht auch irrtümlich sind. Das ist der einzig richtige Standpunkt 
eines Forschers auf diesem Gebiete. Die vom Verf. geleistete Arbeit 
wird jedenfalls auf lange Zeit hinaus eine der fruchtbarsten Anregungen 
der Tiefenpsychologie im eigenen wie im feindlichen Lager bilden. 


Ludwig Frank: Affektstö mögen; Studien über ihre Aetiologie und 
Therapie. (Heft 4 der „Monographien aus dem Gesamtgebiete 
der Neurologie und Psychiatrie“, herausgegeben von Alzheimer 
und Lewandowsky.) Berlin 1913, Verlag von Julius Springer, 
399 S. Preis 16 M. 

Es handelt sich in dem vorliegenden Buche nicht um eine syste¬ 
matische Darstellung der Affektstörungen, sondern, wie sein Untertitel 
besagt, um Studien über die Aetiologie und Therapie der Affektstörungen. 
Auf solche nämlich, auf Afielrtstörungen, führt der Verf. alle sogenannten 
Psychoneurosen zurück, und so behandelt er nach einleitenden Vor¬ 
bemerkungen über psychologische Begriffe, über Hypnose und über seine 
eigene, von früher her bekannte bypnoide Methode die Aetiologie und 
Behandlung der neurasthenischen Zustände auf Grund von Erschöpfung, 
von Affektverdrängung (Aerger-, Eifersüchte-, Wut-, Libido-, Schmerz¬ 
neurosen, Neurosen des Müdigkeits- und Unlustgefühls, des Fremd¬ 
gefühls, Schreibkrampf, Schwindel bzw. Agoraphobie, hysterische Dämmer¬ 
zustände, neurasthenische Verstimmungen), sodann die Angstneurosen 
uud Zwangsneurosen, Störungen der Magen- und Darmfunktion, der 
Girculation, des Schlafes, Enuresis, Stottern u. a., und schliesslich sexuelle 
Anomalien, Perversionen und Perversitäten. 

Der Verf., ehemaliger Direktor der kantonalen Irrenheilanstalt 
Münsterlingen (Schweiz), ist den Fachgenossen als ausgezeichneter Arzt 
mit sehr grosser psychoanalytischer Erfahrung bekannt. Das tritt auch 
dem Leser dieses Buches auf jeder Seite entgegen. Psychoanalytisches 
Material kann nur durch ausführliche Wiedergabe überzeugend wirken; 
deshalb müssen die zum Teil langen, aber doch nur auf das wesent¬ 
lichste komprimierten Krankengeschichten vom Leser mit demselben Wert 
belegt werden wie vom Autor. Aus diesen lehrreichen Kranken¬ 
geschichten F.’s erkennt man seine Methode, ihre Einfachheit und ihre 
Erfolge. 

Was nun seine psychoanalytische Methode für die Aetiologie und 
Therapie der Psychoneurosen betrifft, so bedient sich F. einer Art von 
Hypnose, die er „Psychokatharsis“ nennt, und die sich mit dem ur¬ 
sprünglichen analytischen Vorgehen von Breuer und Freud deckt: es 
ist die Verwendung des künstlichen Halbschlafs zum Abreagieren ge¬ 
wisser Affekte und zum Aufsuchen ihres Zusammenhangs mit früheren 
Erlebnissen. F. nennt diese Methode ein objektives, rein wissenschaft- 
schaftlich-experimentelles Verfahren, das jeder lernen, nachprüfen und 
anwenden kann, was F. bei der Freud - Jung’schen Methode von heute 
für ausgeschlossen hält. Die Psychoneurosen nun entstehen meist aus 
dem Widerstreit zweier Affekte; der eine wird verdrängt und kann dann 
pathogen werden. In diesem Sinne sind auch die Schlafstörungen meist 
Affektstörungen. Durch die Psychokatharsis treten die früheren Erleb¬ 
nisse, auf welche es bei Analyse und Therapie ankomrat, szenisch und 
affektbetont unter der Kontrolle der noch erhaltenen, oberbewussten 
Aufmerksamkeit wieder ins Bewusstsein, und zwar genau so mit allen 
Details, wie sie den synchronen Erregungen beim primären Erlebnis 
entsprechen. So werden die verdrängten Affekte abreagiert, die dazu¬ 
gehörigen Erlebnisse bewusst, und das ist der therapeutische Faktor, 
vom Traum unterscheidet sich der kathartische Halbschlafzustand durph 


das Erhaltensein der Aufmerksamkeit. Das Anwendungsgebiet der 
Methode ist ein ziemlich grosses, hat natürlich aber auch seine Grenzen, 
die F. nicht verheimlicht. Das wesentliche ist nach F. eine besondere, 
psychoneurotische Veranlagung des Gehirns, welche eben die Katharsis, 
das eigenartige Wiederbewusstwerden früherer, gefühlsbetonter psychisoher 
Eindrücke ermöglicht. 

Das Verhältnis der Fränkischen Psychokatharsis zur Freu duschen 
Psychoanalyse ist derart, dass jene aus den Wurzeln dieser entstammt, 
aber sich selbständig als ein einfacher, besonderer Ast weiterentwickelt 
hat, ohne in das weite Geäst der Spekulationen Freud’s und seiner 
Schule (d. h. in die Lehren von der Abwehr und Zensur, von der Sym¬ 
bolik und ihrer Deutung, von der universellen Sexualdeterminierung usw.) 
hineinzuwachsen. Der Verf. spricht sich einerseits darüber ganz klar 
aus, ohne andererseits irgendwelche Prioritätsansprüche zu stellen. 
Durch diese sozusagen vermittelnde Stellungnahme, die als solche gar 
nicht beabsichtigt, sondern in jahrelanger Forschung von selbst ent¬ 
standen ist, wird er vermutlich viel Beifall finden, und zwar gerade 
auch bei Gegnern Freud’s, denen seine (Frank’s) Anschauungen und 
Erfolge bisher weniger bekannt geworden sind. 

Jedenfalls kann man diese Methode und dieses Buch jedem Arzt 
ohne jede Gefahr dringend empfehlen, was bei den Methoden und den 
literarischen Produkten der Freud’schen Schule leider nicht immer 
möglich ist. Von einem Kapitel z. B., wie dem über sexuelle Anomalien 
in Frank’s Buch, kann man nur wünschen, dass es die allerweiteste 
Verbreitung und Beachtung bei der Aerzteschaft finden möge. Das Buch 
ist August Forel gewidmet. W. Seiffer. 


Literatur-Auszüge. 

Anatomie. 

V. Jonesco: Untersuchungen über den Ursprung des Pigmentes 
im Hinterlappen der menschlichen Hypophyse. (Archives de m6d. 
expörim., 1913, Nr. 1.) Aus dem Vorderlappen wandern Eosinophile in 
den Hinterlappeu. Deren Kern zerfällt durch Karyolyse in Granula, 
diese vergrössern sich nach Schwund der Kernmembran und füllen 
schliesslich das ganze Protoplasma an. Die Zelle zerfällt, die Granula, 
die nun braun sind, färben sich mit Kresylblaurubinorange hellgrau 
(Propigment) oder leuchtend grün. Entweder findet man das Pigment 
nun frei, oder es wird von Neurogliazellen phagocytiert. Daneben be¬ 
obachtet man bisweilen eine histolytische Degeneration der Eosinophilen. 

Wartensleben. 


Physiologie. 

E. Abderhalden und A. Weil: Ueber eine lene Aminosäure 
von der Zusammensetzung C 8 H 18 N0 2 , gewonnen bei der totalen Hydro¬ 
lyse der Proteine und Nervensnbstanz. (Zeitschr. f. physiol. Chemie, 
Bd. 84, H. 1, S. 39.) Bei der Veresterung eines Hydrolysates von Nerven¬ 
substanz wurde in der Leucinfraktion eine Substanz gefunden, welche 
auf Grund ihrer Eigenschaften als d-a-Aminocapronsäure angesprochen 
werden muss. Verff. nennen sie analog dem Valin statt a-Aminoiso- 
valeriansäure Caprin. 

E. Grafe: Ueber Stickstoffansatz bei Fütternng kleiner Eiweiss¬ 
gaben und grösserer Mengen von Ammoniaksalzen und Harnstoff. (Zeit¬ 
schrift f. physiol. Chemie, Bd. 84, H. 2 u. 8, S. 69.) Es sollte entschieden 
werden, ob es gelingt, bei einem Tier bei Zulage von einer die Ab¬ 
nutzungsquote erheblich unterschreitenden Eiweissmenge mit einer 
calorien- und kohlehydratreichen Nahrung durch gleichzeitige Verfütterung 
grösserer Mengen von Ammoniaksalzen oder Harnstoff einen deutlichen 
Stickstoffansatz zu erzielen. Die Versuche wurden an Hunden und 
Schweinen ausgeführt und ergaben, dass man einen Stickstoffansatz bei 
gleichzeitiger Verfütterung sehr grosser Mengen von Ammoniaksalzen 
und Harnstoff nur dann beim Schwein erreicht, wenn die Menge des 
Nahrungseiweisses mindestens */a bis 2 / s der Abnutzungsquote beträgt. 
Welcher Art aber dieser Stickstoff Umsatz ist, bleibt noch zu entscheiden. 

E. Abderhalden: Weitere Versuche über die synthetischen Fähig¬ 
keiten des Organismus des Hundes. (Zeitschr. f. physiol. Chemie, 
Bd. 83, H. 6, S. 444.) Die mitgeteilten Versnche zeigen, dass es gelingt, 
Hunde 100 Tage und sicher noch viel länger mit vollständig abgebautem 
Fleisch unter gleichzeitiger Verabreichung von Kohlehydraten und Fetten 
zu ernähren. Die Versuchstiere mussten vor dem Versuch längere Zeit 
hungern und bekamen dann obiges Futter. Dabei nahm der eine Hund 
fast 10 kg an Körpergewicht zu. Die Versuche an einem anderen Hund 
ergaben, dass Tryptophan und Tyrosin in der Nahrung nicht fehlen 
dürfen. Die Beobachtung, dass das Fehlen des Tryptophans auffallend 
rasch schwere Symptome — Schlafsucht, leichte Ermüdbarkeit usw. — 
im Gefolge hat, macht es wahrscheinlich, dass das Tryptophan ein Aus¬ 
gangsmaterial zur Bildung von Produkten der inneren Sekrete darstellt. 
Doch fehlen vorläufig noch die direkten Beweise für eine solche Annahme. 

E. Laqueur: Zur Methode von Stoffwechselantersuchnngen an 
Kaninchen; Milch als ihre einzige Nahrung. (Zeitschr. f. physiol. Chemie, 
Bd. 84, H. 1 u. 2, S. 109.) Yerf. empfiehlt als Nahrung für Kaninchen 
bei Stoffwechseluntersuchungen reine Milch. Sie wird von den Tieren 
meist gut vertragen upd ermöglicht, täglich den äufgenömmenen Stick« 


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UNIVERSUM OF IOWA 




932 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 


stoff bequem zu bestimmen. Bei Milchfütterung ist die Urinaussoheidung 
regelmässiger, erfolgt spontan und in grösseren Mengen, und der Harn 
erscheint weniger zersetzlicb. 

H. Schade und E. Boden: Ueber die Anomalie der Harnsäire- 
löslichkeit (kolloidale Harnsäure). (Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 83, 
H. 5, S. 347.) Die einfache Salzforro des molekular- bzw. iondispersen 
Monourats ist keineswegs die einzige Form, in der die Harnsäure im 
Serum Vorkommen kann. Es existiert noch eine kolloide Form der 
Harnsäure im Blut, deren Menge in beträchtlicher Breite schwankt (5 
bis 90 mg pro 100 mg). Ob neben dieser experimentell bewiesenen 
kolloidchemischen Besonderheit der Harnsäure noch ein zwingender Grund 
zur Annahme einer zweiten davon unabhängigen chemischen Besonder¬ 
heit im Sinne der Laktimform gegeben ist, muss zweifelhaft erscheinen. 

M. Kashiwatara: Ueber das Verhalten der Harnsäure zu Zink¬ 
salzen. (Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 84, H. 2 u. 3, S. 223.) Bei 
Zusatz von Zinklösuogen zu Harnsäurelösungen bzw. Lösungen von barn¬ 
sauren Salzen entstehen sehr zinkreiche, barnsäurearme Niederschläge. 
Diese Beobachtung diente als Grundlage für eine neue Methode der 
quantitativen Harnsäurebestimmung im Urin, die sich als dem immerhin 
etwas schwierigen Silber verfahren gleichwertig erwies. Diese Methode 
besteht im Prinzip darin, dass man die Harnsäure im Harn mit Zucker¬ 
sulfat fällt, den Niederschlag abfiltriert, wäscht nnd zersetzt und die so 
in Freiheit gesetzte Harnsäure mit Salzsäure ausfällt, trocknet und wägt. 

E. Laqueur: Die Wirkung der Kohlensäure auf den Stoffwechsel. 
Autolyse und Stoffwechsel. 6. Mitteilung. (Zeitschr. f. physiol. Chemie, 
Bd. 84, H. 2 u. 3, S. 117.) Kaninchen wurden auf 2—7 Stunden mit 
einem Stoffwechselkäfig in einen Kasten gesetzt, durch den Gemische 
von Luft und Kohlensäure geleitet wurden. Dabei ergab sich, dass, 
sofern der C0 2 -Gehalt der Luft 7 pCt. für längere Zeit nicht übersteigt, 
ein sicherer Einfluss auf die N-Ausscheidung nicht zu konstatieren war. 
Wurde er dagegen höher als 10 pCt., so trat eine Mehrausscheidung von 
N ein. Das war besonders deutlich ausgesprochen, wenn der C0 2 -Gehalt 
13 pCt. überstieg. Mit der erhöhten N-Ausscheidung war regelmässig 
eine Wasserretention verbunden. Wohlgemuth. 

Frank-Greifswald: Der Ausgleich des arteriellen und venösen 
Druckes in aus der Bluthahn ansgeschalteten Teilen des Gefäss- 
systems. (Zeitschr. f. experim. Patbol. u. Therapie, Bd. 13, H. 1, S. 37 
bis 39.) Man kann direkt durch das Experiment nachweisen, dass ent¬ 
sprechend der theoretischen Vorstellung bei Ausschaltung eines Körper¬ 
teiles aus der allgemeinen Blutbabn ein Ausgleich zwischen dem 
arteriellen und dem venösen Druck im ausgeschalteten Gebiet stattfindet. 

R. Hirsch-Berlin: Fieber und Chininwirkung im Fieber. Trypano¬ 
somen-Wärmestich. Anaphylatoxinfieher beim Kaninchen. Adrenalin 
und Wärmehau8halt. (Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 13, 
H. 1, S. 84—163.) Beim Trypanosomenfieber ist im Fieberanstieg die 
Wärmebilanz noch positiv, wird aber am dritten Injektionstage bei einer 
Temperatur von 39° negativ. Auf der Höhe des Fiebers ist die Wärme¬ 
produktion um 40pCt. erhöht bei negativer Stickstoff- und Kohlenstoff¬ 
bilanz. Mit dem Einsetzen des Fiebers tritt intensiv vermehrte Harn¬ 
säureausscheidung auf. Wasserretention war bei den Hunden mit 
Trypanosomenfieber nicht nachzuweisen. Chinin wirkt nicht nur beim 
gesunden Tiere sparend auf den Wärmehaushalt, sondern übt auch auf 
der Höhe des Fiebers derartigen Einfluss auf den Gesamtumsatz aus, 
dass sich bei unverändert hoher Temperatur der Stoffwechsel auf normales 
Niveau wieder einstellt. Die vorher negative Bilanz wird wieder positiv; 
der Eiweiss- und Fettstoffwechsel wird in diesem Sinne durch Chinin 
günstig beeinflusst. Im Fieber reagiert die stark vermehrte Harnsäure¬ 
ausscheidung nicht auf Chinin, während der Purinstoffwechsel des ge¬ 
sunden Tieres durch Chinin nicht eingeschränkt wird. Der eine Versuchs¬ 
hund hat 2 Monate hoch gefiebert bei quantitativ und qualitativ 
gleicher Nahrung. Infektionsfieber erhöht auch beim Kaninchen die 
Wärmeproduktion. Auch der Wärmestich erhöht die Wärmeproduktion, 
aber weniger als das infektiöse Trypanosomenfieber. Beim Anaphyla- 
toxinfieber kann selbst bei hoher Temperatur die Wärmeproduktion beim 
Kaninchen weit unter die Norm sinken. Injektion von Adrenalin in 
verschiedene Organe ruft Hypothermie hervor, die als Sympathieusreiz- 
wirkung aufgefasst wird. Injektion von Adrenalin in die Niere und das 
Pankreas führt sofort zu Kalkablagerung. Nach Adrenalininjektionen 
in das Pankreas oder die Schilddrüse tritt Glykosurie auf. Bei der 
Adrenalinhypothermie ist die Wärmeproduktion eingeschränkt, und die 
Kohlensäureproduktion sinkt. Jacoby. 

St. v. Bogdandy: Quantitative Bestimmung der Pepsinwirkling. 
(Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 84, H. 1, S. 18.) Die vom Verfasser 
empfohlene Methode der quantitativen Pepsinbestimmung schliesst sich 
an die Volhard’sche Caseinmethode an. Der Grad der Eiweissspaltung 
wird aber nicht titrimetrisch sondern polarimetrisch festgestellt, indem 
nach der stattgefundenen Spaltung das unverdaute Casein ausgefällt und 
in dem Filtrat das optische Drehungsvermögen festgestellt wird. Diese 
Methode bietet indes keine sonderlichen Vorteile vor der Volbard’schen, 
sie hat vielmehr den Nachteil, dass zu ihrer Ausführung der sehr kost¬ 
spielige Polarisationsapparat von Schmidt-Haensch mit dreiteiligem 
Gesichtsfeld erforderlich ist. Wohlgemuth. 


Pharmakologie. 

S. Fränkel und P. Kirschbaum-Wien: Ueber Adigan, ein neues 
Digitalispräparat. (Wiener klin. Wocbenschr., 1913, Nr. 16.) Die Verff. 
stellten ihr neues Präparat durch Reinigung der Digitalisextrakte mit 
Cholesterin her, wobei Digitonin und die saponinartigen Substanzen aus¬ 
gefällt wurden. Das so hergestellte Präparat enthält, wie die Tierver¬ 
suche zeigten, alle wirksamen Bestandteile der Digitalis, auch die bisher 
vorliegenden klinischen Prüfungen bestätigten dies. Nebenwirkungen 
wurden nicht beobachtet. Adigan wird von der chemischen Fabrik 
S. Richter in Budapest in den Handel gebracht. P. Hirsch. 

S. Saneyoshi-Freiburg i. B.: Wirkungsmechanismus des Arseaiks 
hei Anämien. (Zeitschr. f. experim. Patbol. u. Therapie, Bd. 13, H. 1, 
S. 40.) Die Arsenwirkung bei Anämien scheint nicht in enger Beziehung 
zu der toxischen Blutwirkung des Arsens zu stehen. 

A. Langaard-Berlin: Die Giftlosigkeit des Methyl- nnd Aethyl- 
nlkohels. (Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 13, H. 1, S. 20 
bis 36.) In kleinen, täglich wiederholten Dosen ist der Methylalkohol 
giftiger als der Aethylalkohol, in einmaligen grossen Dosen ist der 
Aethylalkohol bedeutend giftiger als der Methylalkohol. In kleinen, 
wiederholten Dosen gegeben, äussert der Methylalkohol eine cumulative 
Wirkung, die wohl dadurch zustande kommt, dass er von gewissen Teilen 
des Centralnervensystems angezogen und dort langsam zu Ameisensäure 
oxydiert wird. _ Jacoby. 


Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. 

Walther: Zur formalen und kausalen Genese der Brmstmiskel- u4 
Brn8tdrfi8endefekte. (Vircbow’s Archiv, Bd. 212, H. 1.) Verf., mit 
Defekt des Pectoralmuskels und der Brustdrüse der rechten Seite be¬ 
haftet, beschreibt sich selbst eingehend und bespricht an der Hand der 
gesamten Literatur die Genese. Er kommt zu dem Schluss, dass der 
Pectoralisdefekt keine Missbildung für sich darstelle, sondern ein Teil 
einer Entwicklungsstörung am Thorax sei, die als Hemmungsbildung 
aufgefasst werden müsse. Das Hauptkriterium des Pectoralisdefektes 
gegenüber anerworbenen Muskelerkrankungen liege im Integumentdefekt, 
dessen Folge dann der Brustdrüsendefekt sei. 

Fischer: Grindprobleme der Geschwilstlebre. (Frankfurter 
Zeitschr. f. Pathol., Bd. 12, H. 3.) Es handelt sich um Vorfragen ganz 
allgemeiner Natur, die Verf. in dieser sehr bedeutungsvollen Arbeit stellt 
und beantwortet. Die radikale Anwendung des von Verworn postu¬ 
lierten konditionalen Denkens erscheint Verf. für Fortschritte innerhalb 
der exakten Forschung keineswegs förderlich. Er fordert energisch die 
Restituierung des Begriffs der. Ursache; ohne jeden mystischen Hinter¬ 
grund, ausschliesslich als die Bedingung eines Geschehens, die entweder 
für unser Verstehen oder für unser Handeln die wichtigste ist. Gerade 
in der Wertung der Bedingungen eines Geschehens sieht Verf. ein un¬ 
bedingtes Erfordernis, ja die Grundlage naturwissenschaftlicher Er¬ 
kenntnis überhaupt; und aus dieser bewusst subjektiv determinierten 
Formulierung des Ursachenbegriffs leitet er eine logische und praktische 
Rechtfertigung her, nun von neuem an die kausale Analyse der Lebens¬ 
vorgänge heranzutreten. Benn. 

K. Vogel-Dortmund: Die allgemeine Astboiie des Bindegewebes 
in ihren Beziehungen zur Wudheiling and Nirbenbildnng. (Münchener 
med. Woohenschr., 1913, Nr. 16.) V. vermutet eine allgemeine Schwäche 
des Bindegewebes bei Erkrankungen wie Enteroptose, Pes planus, 
Varicen usw. und versucht an einem reichhaltigen Material nachzuweisen, 
dass sich diese Schwäche, die ererbt sein kann, bei den davon betroffenen 
Personen in einer schlechten Callusbildung nach Frakturen oder in 
mangelhafter Heilung von Weichteilwunden äussern kann. Dünner. 

Dietrich: Ueber ein Fibroxanthosarkom mit eigenartiger Aus¬ 
breitung und über eine Vena eava Biperior siiistra bei dem gleichen 
Fall. (Virchow’s Archiv, Bd. 212, H. 1.) Bei einer 29 jährigen Pa¬ 
tientin, die Exophthalmus und Herzbeschwerden dargeboten hatte, fand 
sich ein retroperitonealer Tumor mit infiltrativem Uebergreifen auf die 
Nieren und andere benachbarte Organe, ferner mit Metastasen auf dem 
Peritoneum, vollständiger Durchsetzung des Herzens und mit symme¬ 
trischen Knoten um beide Nervi optici neben anderen Lokalisationen. 
Seinem histologischen Bau nach glich der Tumor einem Fibrosarkom; 
doch war er ausgezeichnet durch mächtige Aufspeicherung von doppelt- 
brechenden Lipoiden, die besonders in grösseren, zum Teil mehrkernigen 
Zellen (Schaumzellen) abgelagert erschienen. Der Fall gehört zu den 
Xanthomatosen Bildungen und ist am besten als Fibroxanthosarkom zu 
bezeichnen, da es Verf. nicht angängig erscheint, die hervorstechendste 
Eigentümlichkeit, nämlich die Lipoidspeicherung, nur adjektivistisch zu 
bezeichnen, wie es Pick tat, der den Ausdruck Fibrosarcoma xantho- 
matosum eingeführt hatte. Bei dem gleichen Fall fehlte die Vena cava 
dextra, und eine Vena cava sinistra bestand, die an Stelle des Sinus 
coronarius in den rechten Vorhof eintrat. Eine bisher nur sehr selten 
gemachte Beobachtung und gleichzeitig ein Beitrag mehr zu den nicht 
seltenen Fällen eines gleichzeitigen Vorkommens von Entwicklungs¬ 
störung und Geschwulstbildung im gleichen Körper. Benn. 

E. Prado-Tagle: Beiträge zum Studium der Riesen zellea lieb 
sibentanen Depots von Radiombleiverbindungen. (Centralbl. f. Pathol., 
Bd. 24, H. 6.) Die bei Mäusen sich unter den gegebenen Bedingungen 
bildenden Riesenzellen entstehen aus Fibroblasten durch Kernteilung. 

Dietrich. 


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19. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


933 


Thoma: Untersuchungen über das Sebädelwaebstim und seine 
Sttiraigen. (Vircbow’s Archiv, Bd. 212, H. 1.) Umfangreiche Arbeit 
über das Verhältnis von Schädelwachstum und Gehirnentwicklung, die 
reich ist an mathematischen und physikalischen Betrachtungen, und 
daher schwierig zu lesen und für ein kurzes Referat nicht geeignet ist. 

Fisoher: Ueber ein primäres Adamantinom der Tibia. (Fiank- 
furter Zeitscbr. f. Pathol., Bd. 12, H. 3.) Ein operativ entfernter Tumor 
der Tibia bei einem 37 Jahre alten Mann wurde makroskopisch zunächst 
als ein periostales Sarkom angesprochen. Die mikroskopische Unter¬ 
suchung ergab jedoch das Bild eines epithelialen Tumors, mit der Be¬ 
sonderheit, dass innerhalb der Zellnester und -stränge Lücken auftraten, 
die Drüsenlumina nicht unähnlich waren, dass ferner das Zwischengewebe 
auf grosse Strecken hin den Charakter eines myxomatösen Zwischen¬ 
gewebes annahm und die Zellen selbst zum Teil in einer schleimäbn- 
lichen Masse eingebettet lagen. Verf. begründet in längerer Ausführung 
die obengenannte Diagnose und nimmt als Ursache eine eigentümliche 
Epithelverlagerung des Ektoderms im embryonalen Leben an. 

Benn. 

J. F. Co ly er-London: Die pathologische Anatomie perideataler 
Erkrankungen. (Lancet, 19. April 1913, Nr. 4677.) Die zahnärztliche 
Sammlung des Royal College of Surgeons enthält eine ausgezeichnete 
Reihe von Präparaten zur pathologischen Anatomie der peridentalen 
Erkrankung. Die Präparate stammen von Menschen und wilden und 
zahmen Tieren. Die Erkrankung, die der Verf. bespricht, ist eine 
rarefizierende, fortschreitende Osteitis, die am Rande des Alveolarfort¬ 
satzes beginnt Sie ist rein lokalen Ursprungs und hat ihre unmittel¬ 
bare Ursache in einer Bildung von Stagnationsbezirken um die Zähne. 
Die verschiedene Dichte des Knochengewebess hat Einfluss auf die 
Schnelligkeit der Zerstörung. Weydemann. 

Martins: Maligner Sympathoblaatentamor des Halssympathicus, 
teilweise ausdifferenziert zu gutartigem Ganglioneurom. (Frankfurter 
Zeitschr. f. Pathol., Bd. 12, H. 3.) Bei einem 2'/ 2 jährigen Knaben fand 
sich ein mit dem Grenzstrang des Halssympathicus im Zusammenhang 
stehender Tumor, der in seinem grössten Teil aus Zellen bestand, die 
eine etwas höhere Differenzierung zeigten als die Zellen der bisher be¬ 
kannten Tumoren dieser Gruppe und eine deutliche fibrilläre Zwischen¬ 
substanz aufwies. Ein kleiner Tumorknoten wies neurofibromartige 
Struktur auf und stellte somit ein gutartiges Ganglioneurom des Sym- 
pathicus dar. Benn. 

A. J. Abrikossoff: Zur Kasuistik der Parenchymembolien. Klein- 
hirngewehsembolie der Arteria coronaria cordis beim Neugeborenen. 
(Centralbl. f. Pathol., Bd. 24, H. 6.) Durch Zerreissung des Sinus 
occipitalis bei Steisslage wurde Kleinhirngewebe in die Venen einge¬ 
schwemmt und gelangte durch das Foramen ovale in die Arteria coro¬ 
naria cordis. Dietrich. 

Wo 1 f f- Reiboldsgrün: Die hämatogene Verbreitnng der Tuberkulose 
und die Disposition bei Tuberkulose. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., 
Bd. 25, H. 1.) Die Verbreitung der Tuberkulose im menschlichen 
Körper ist immer hämatogen. Die im Blute kreisenden Tuberkelbacillen 
kreisen dort, wo ein krankhafter Zustand besteht, d. h. ein Organ durch 
fehlerhafte Anlage oder Funktion widerstandslos geworden ist. Die 
anatomischen und funktionellen Abweichungen von der Norm können 
ererbt oder erworben sein. Das Wesen der Disposition besteht aus 
pathologischen, teils anatomischen, teils physiologischen Zuständen, die 
dem einzelnen Individuum eigen sind oder als Familieneigensobaft 
bestehen oder zeitlich dem Individuum anhaften. 

J. W. Samson. 

Laqueur: Weitere Untersuchungen über die Herkunft der Speichel¬ 
körperchen. (Frankfurter Zeitschr. f. Pathol., Bd. 12, H. 3.) Die 
Tonsillen sind nicht die Quelle der Speiohelkörperchen. Sie stammen 
vielmehr von den Leukocyten des Blutes ab und treten durch das 
Epithel im Bereich der gesamten Mund- und Rachensohleimhaut, nament¬ 
lich in der Gegend des hinteren und oberen Rachendaches. Sie stellen 
echte neutrophile Leukocyten dar. Benn. 

E. Ludwig: Ueber ein malignes Adenomyom des Mesenteriums. 
(Centralbl. f. Pathol., Bd. 24, H. 7.) Ein carcinomatöser Mischtumor 
im Ligamentum gastrocolicum wird von versprengten Darmkeimen abge¬ 
leitet. Dietrich. 

M. Katzen stein-Berlin: Beitrag zur Entstehung des Magen¬ 
geschwürs. II. Die experimentelle Hervorrufung eines Magen¬ 
geschwürs. (Archiv f. klin. Chir., Bd. 101, H. 1.) Verf. ist es im 
Tierexperiment in zahlreichen Fällen gelungen, ein Ulcus ventriculi von 
charakteristischem Aussehen zu erzeugen. Er setzte einen Schleimhaut¬ 
defekt im Magen und störte das normale Verhältnis zwischen dem 
Pepsin des Magensaftes und dem Antipepsin der Magenwand durch 
Anwendung von Säuren teils lokal durch Umspritzen des Defektes mit 
schwachen Säuren, teils durch Zufuhr der Säure auf dem Wege der 
Blutbahn und durch Hitzeeinwirkung mittels eines in den Magen ein¬ 
geführten Porzellanbrenners. Die zur Entstehung des Magengeschwürs 
notwendigen Faktoren: circumscripte Nekrose, Herabsetzung des Anti¬ 
pepsins, Anwesenheit eines wirksamen Magensaftes, erreichte er beim 
Kaninchen, dessen Magensaft frei von Pepsin, und dessen Magenwand 
ohne Antipepsin ist, durch Zuführen eines pepsinhaltigen Saftes; beim 
Hunde, wo reichlich Pepsin und Antipepsin vorhanden ist, durch Zer¬ 
störung des Antipepsins. Baetzner. 


Gel 14: Der primäre Krebs des Pankreas. (Archives des m6d. 
exper., 1913, Nr. 1.) Das primäre Pankreascarcinom kann entweder 
den Bau einer exkretoriscben Drüse mit Drüsenschläuchen haben, die 
in erweiterte Ausführungskanäle oder in Hoblräume münden; oder es 
hat glandulären Bau und ähnelt dem Bau der Pankreasläppchen. Mit 
der Entwicklung des Krebses kommt es zu Sklerose, zu Läsionen der 
Acini, oft zu Infektionen, dann auch zu Alterationen in den Langer- 
hans’schen Inseln, die sich sehr reichlich aus dem aciuösen Gewebe ent¬ 
wickeln oder verkümmern können. All diese Momente bedingen das 
Auftreten einer Glykosurie oder von Diabetes. Wartensleben. 

Fischer: Ueber ein primäres Aagioendotheliom der Leber. 
(Frankfurter Zeitschr. f. Pathol., Bd. 12, H. 3.) Das sehr Merkwürdige 
und Interessante dieses Falles besteht darin, dass der primäre ge¬ 
schwulstbildende Bezirk von Anfang an ein ganzes Organ umfasste, 
nämlich das gesamte Capillarendothel der Leber, auch an den von 
Geschwulstknoten entfernten Partien wies das Gewebe Veränderungen 
auf, die nicht anders als eine Umwandlung in Geschwulstzellen gedeutet 
werden konnte. 

Fischer: Primäres Chorioiepitheliom der Leber. (Frankfurter 
Zeitschr. f. Pathol., Bd. 12, H. 3.) Makroskopisch einem Angio- 
endotheliom völlig gleichend, ergab die mikroskopische Untersuchung 
grosse epitheliale Zellen, Riesenzellen und Syncytien. Abgesehen von 
einem Tumorknoten im Pankreas fanden sich alle übrigen Organe frei 
von Geschwulstbildung. Hinsichtlich der Genese bestehen zwei Möglich¬ 
keiten: primäres Teratom der Leber mit einseitiger Entwicklung von 
Chorionepithel oder Verschleppung von Chorionzotten bei der Gravidität 
(vor IV 2 Jahren) und Ansiedelung in der Leber. Verf. nimmt das 
letztere an. 

v. Hansemann: Die Lösugsmöglicbkeit der Gallensteine. 
(Virchow’s Archiv, Bd. 212, H. 1.) Verf. nahm die Versuche von 
Naunyn auf, künstlich in die Gallenblase von Hunden eingebrachte 
menschliche Gallensteine auf ihre Lösungsmöglicbkeit hin zu studieren. 
An sechs Hunden stellte er diesbezügliche Experimente an und in allen 
Fällen erwies sich, dass nach einer gewissen Zeit eine Gewichts- und 
Volumenabnahme der Steine eiogetreten war, die durchschnittlich pro 
die 0,01 g betrug. Hauptsächlich waren es Cholesterinsteine, die Verf. 
eingeführt batte, deren Löslichkeit in Galle bereits gut bekannt war. 
Da aber das Cholesterin auch das Bindemittel in den Pigment- und 
Kalksteinen darstellt, folgert Verf., dass auch bei ihnen eine Auflösung 
oder Zerfall eintreten würde. Benn. 

H. Miyake-Kiuschu (Japan): Statistische, klinische und chemische 
Studien zur Aetiologie der Gallensteine, mit besonderer Berücksichtigung 
der japanischen nnd deutschen Verhältnisse. (Archiv f. klin. Chir., 
Bd. 101, H. 1.) Die Gallensteinerkrankung ist in Japan viel weniger 
häufig als in Deutschland. Die Frauen sind seltener befallen wegen 
Nichttragen des Korsetts. Cholesterinsteine werden in Japan infolge des 
mangelhaften Vorkommens der gallensauren Salze, das sich aus der 
japanischen Volkskost erklärt, ganz selten beobachtet. Die Infektions¬ 
quelle der Gallenwege ist vorwiegend der Darm, ascendierend durch den 
Ductus choledochus, die Erreger sind fast ausnahmslos Colibakterien. 

Baetzner. 

Lichten stein-Warschau: Sind die Galleigaagstiberkel in der 
Leber das Resultat einer Aisseheidangstaberkalose? (Beitr. z. Klinik 
d. Tuberkul., Bd. 25, H. 1.) Weder anatomische noch histologische 
Untersuchungen haben bisher einen sicheren Beweis für die Entstehung 
der Gallengangstuberkel durch eine Ausscheidungstuberkulose erbracht. 

J. W. Samson. 

Nowicki: Zur Kasuistik der durch einen 8palwarm hervorgerufenen 
Leberabstesse. (Centralbl. f. Pathol., Bd. 24, H. 7.) Bei einem 35 jäh¬ 
rigen Manne hatte sich ein Spulwurm tief in die Leber gebohrt und zu 
Abscessen geführt. Dietrich. 

Ch. Foix und H. Salin: Ueber die experimentelle Hämoglobin¬ 
urie. (Archives de möd. exper., 1913, Nr. 1.) Unter dem Einfluss einer 
Infektion, meist Syphilis, gelangt eine Substanz mit globuliciden Eigen¬ 
schaften in das Blut, die im Plasma oder direkt von den Erythrocyten 
gebunden wird. Diese werden so fragil, durch Kältewirkung kommt es 
zu Hämoglobiuurie. Das Hämoglobin schädigt als heterogenes Albumin 
das Nierenparenchym, es tritt Albuminurie ein, vielleicht auch intra¬ 
renale Hämolyse. In der Zirkulation bleiben noch freies Hämoglobin 
und geschädigte Erythrocyten. Diese werden in der Milz fixiert unter 
deren Vergrösserung, oft auch unter leichtem hämolytischen Icterus. 

Wartensleben. 

H. Ribbert: Die Hämoglobinansscbeidnng durch die Nieren. 
(Centralbl. f. Pathol., Bd. 24, H. 6.) R. hält daran fest, dass Hämo¬ 
globin in gesunden Nieren durch die Glomeruli ausgeschieden wird, nur 
in stärker veränderten Organen vielleicht durch die Harnkanälchen. 

Dietrich. 

Martins: Carcinoma psammosnm des Ovarinm beim Hohn. 

(Frankfurter Zeitsohr. f. Pathol., Bd. 12, H. 3.) Das Carcinom zeigte 
teils medulläre, teils adenomatöse Form; überall war es durchsät von 
kleinen, runden Kalkkonkrementen, die jedoch nur innerhalb der Drüsen 
lagen (beim Menschen auch im bindegewebigen Stroma) und kleine un¬ 
regelmässige Klumpen bildeten, in denen keine Schichtung zu er¬ 
kennen war. Benn. 


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UNIVERSITÄT OF IOWA 



934 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 


M. Herr mann: Experimentelle Studien über die histologisches 
Läsionen des Hodens nach Verletzungen des Samenstranges. (Archives 
de möd. expörim., 1913, Nr. 1.) Versuche an Hunden, bei denen kleinere 
oder grössere Schädigungen des Samenstranges gesetzt wurden, wie sie 
leicht bei Hernienoperationen Vorkommen, ergaben, dass es immer zu 
Läsionen im Hoden kommt, die bis zu tiefgreifender Schädigung führen 
können. Ebensolche Veränderungen kann die Radikalheilung der Hydro- 
cele machen. Wartensleben. 


Parasitenkunde und Serologie. 

E. Wiener-Tor: Ueber einen Vihrionenbefnnd in einem Yenen¬ 

geschwär. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 17.) Aus dem Ge¬ 
schwür am Fussrücken eines Pilgers wurden Vibrionen gezüchtet, welche 
als sichere Choleravibronen anzusprechen waren, die in enger Symbiose 
mit anderen Mikroben lebten. Bemerkenswert war das lange Bestehen 
des sonst so empfindlichen Gholeravibrio in dem Eiter des Yemen- 
geschwürs. P. Hirsch. 

R. Dubois: Ueber die Behandlung der Tnberknlose durch marine 
Mikroorganismen. (Compt. rend. de Tac. d. Sciences, 1912, Nr. 11.) Vor 
langem hatte D. aus Seetieren einen Micrococcus gezüchtet, den er Meer¬ 
schweinchen injizierte, bei denen sich nach Injektion von Tuberkel¬ 
bacillen Drüsen entwickelt hatten. Nach 10 Monaten waren alle bis 
auf eins noch am Leben. Warten sieben. 

F. Klopstock - Berlin: Ueber die Wirkung des Tuberkulins auf 
taberkulosefreie Meerschweinchen und den Ablauf der Tuberkulose am 
tuberkulinbebandelten Tier. (Zeitschr. f. eip. Pathol. und Ther., Bd. 13, 
H. 1, S. 56—57.) Wiederholte subcutane Injektionen von Alttuberkulin 
werden meistens von normalen Meerschweinchen gut vertragen. Auch 
monatelange Vorbehandlung mit Tuberkulin erhöht nicht die Resistenz 
gegenüber einer experimentellen Tuberkelbacillenemulsion. Die Tuber¬ 
kulinempfindlichkeit der vorbehandelten und später infizierten Tiere ist 
jedoch wesentlich herabgesetzt. Wiederholte Tuberkulingaben rufen bei 
gesunden Meerschweinchen keine Antikörperbildung hervor. Tuberkulin- 
vorbehandelte, tuberkuloseinfizierte Meerschweinchen weisen keine mittels 
der Komplementbindungsprobe nachweisbare Antikörper auf. 

Jacoby. 

C. Funk: Studien über Beri-Beri. (Brit. med. journ., 19. April 
1913, Nr. 2729.) Bei seinen weiteren Arbeiten konnte der Verf. aus 
der rohen Vitaminfraktion aus Hefe drei verschiedene Körper von¬ 
einander trennen: 1. Nadeln und Prismen, in Wasser fast unlöslich, 
wenn Schmelzpunkte 229°, die mit seiner früheren Substanz identisch 
sind; 2. eine leicht in Wasser lösliche Substanz, die ein schwer lösliches 
Pikrat bildet; Schmelzpunkt 235°; 3. eine Substanz, die in Wasser etwas 
leichter löslich ist als die erste, Schmelzpunkt 222°. Ueber die Wirk¬ 
samkeit dieser Substanzen bedarf es noch weiterer Arbeiten. 

J. C. G. Ledingham: Der bakteriologische Beweis der Anto- 
intoxikation vom Darm aus. (Brit. med. journ., 19. April 1913, 
Nr. 2729.) Abfällige Kritik der Arbeiten von Metschnikoff und seinen 
Schülern. Ihre Arbeiten über die Darmflora und die Autointoxikation 
haben bisher noch keinen sehr bemerkenswerten Nutzen ihrer Hypothesen 
gegeben. Weydemann. 

F. Luithlen-Wien: Veränderungen der Haatrcaktion bei Seron 
ind kolloidalen Substanzen. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 17.) 
Die Herabsetzung der Hautempfindlichkeit kann nicht allein auf Ver¬ 
änderungen der Gerinnungsfähigkeit des Blutes zurückgeführt werden. 
Es ist höchst wahrscheinlich, dass der Erfolg der Eiweissmjektionen auf 
nichts anderem beruht, als auf der kolloidalen Natur dieser Substanzen. 
Der Vorgang hat offenbar mit der antitoxischen und biologischen Fähig¬ 
keit der Sera nichts zu tun, sondern es handelt sich nur um die 
parenterale Einführung eines kolloidalen Komplexes und Stoffwechsel¬ 
veränderungen unbekannter Art. 

M. Hesse-Wien: Ueber Verwendung von aktivem und inaktivem 
Serum bei dem Komplementablenknngsversnch. (Wiener klin. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 16.) H. hat die Modifikationen der Wassermann’schen 
Reaktion daraufhin nacbgeprüft, ob der Methode mit aktivem oder mit 
inaktivem Serum der Vorzug zu geben sei. Er ist der Ansicht, dass die 
aktive Methode nioht nur ebenso verlässlich ist als die inaktive, sondern 
vielmehr noch sicherer, indem bei ihr noch Luetiker zur Beobachtung 
kommen, die der inaktiven Methode entgingen. Die Verwendung des 
aktiven Serums ist also vorzuziehen. 

E. Ferrari und L. Urizio-Tilsit: Die Meiostagminreaktion bei 
Verwendung von Lecithinextrakten. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, 
Nr. 16) Die Reaktionen wurdeu mit Alkoholextrakten aus Lecithin an¬ 
gestellt, und zwar erwies sich der Amylalkohol als besonders günstig. 
Die Verff. bezeichnen die Ergebnisse ihrer Untersuchungen geradezu als 
glänzende, welche die Resultate bei Verwendung von Acetonextrakten 
(Köhler und Luger) erheblich übertreffen. Dabei bewahren die Sera 
ihre spezifischen Eigenschaften durch längere Zeit unverändert, was einen 
grossen Vorzug vor der Dungern’schen Methode bedeutet. 

E. Ep st ein-Wien: Die Abderhalden’sche Serumprobe auf Carcinom. 
(Wiener klin. Wochouschr., 1913, Nr. 17.) Von 37 untersuchten Seris 
Krebskranker waren 36 befähigt, koaguliertes Carcinomeiweiss anzu¬ 
greifen (das eine Serum stammte von einem 80 jährigen kachektischen 
Carcinomkranken.) In keinem einzigen dieser Fälle wurde Placentar- 


eiweiss angegriffen. Von 18 untersuchten Schwangerenseren griffen 17 
Placentareiweiss an. Dagegen waren von 47 carcinomfreien Fällen, die 
zum Teil grossen Kräfteverfall zeigten, 46 nicht imstande, koaguliertes 
Carcinomeiweiss abzubauen. 

J. Bauer-Innsbruck: Ueber orgaaabbaiiend« Fermente im Serum 
bei endemischem Kropf. I. Mitteilung. (Wiener klin. Wochenschr., 
1913, Nr. 16.) Schilddrüsengewebe abbauende Fermente lassen sich in 
vielen Fällen von endemischem Kropf im Serum nachweisen, mitunter 
auch bei einzelnen Individuen der Endemiegegend, bei welchen eine 
klinisch nachweisbare Vergrösserung der Schilddrüse nicht besteht. Der 
Verf. schlägt vor, den Ausdruck „Dysthyreose“ statt endemischem Kropf 
anzuwenden, da die Funktionsstörung der Schilddrüse auch ohne Ver¬ 
grösserung des Organes bestehen kann. P. Hirsch. 


Innere Medizin. 

J. Baylac und M. Pujol: Ein Fall von progressiver pernieiöser 
Anämie von «plastischem Typns. (Gaz. des hop., 1913, Nr. 32.) Sehr 
schwere apiastische Anämie, die sich rasch vom siebenten Monat der 
Schwangerschaft mit schweren gastrointestinalen Störungen bei einer 
Multipara entwickelte, die immer schlecht genährt war und unter sein- 
ungünstigen hygienischen Bedingungen lebte. Die Entbindung wirkte 
nicht günstig, es trat sehr rasch der Exitus letalis ein. 

Wartensleben. 

St. E. Denyer-Hall: Der Gebrauch von Zaeker bei Herzkrank- 
beiten. (Lancet, 19. April 1913, Nr. 4677.) Nach den Erfahrungen des 
Verf. hat Zucker keinen Erfolg bei Fällen von Herzschwäche mit Oedem, 
mit Schmerzen von Angina pectoris und bei solchen infolge von Nieren¬ 
erkrankungen. Eine überraschende Wirkung entfaltet der Zucker oft in 
Fällen von primärer Herzschwäche. Weydemann. 

J. Rihl - Prag: Klinische Beobachtungen über Verlängerung 4er 
der Postextrasystole folgeadea Vorhofperioden bei sopraveatrikal&rea 
Extrasystolen. (Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 13, H. 1, 
S. 1 — 19.) Es werden klinische Beobachtungen über das Vorkommen 
einer Verlängerung der Vorhofpostextraperiode nach supraventrikulären 
Extrasystolen mitgeteilt. Im Anschluss daran wird nach kritischer Be¬ 
sprechung der vorliegenden experimentellen Befunde über die nach Extra¬ 
systolen an anatomisch tätigen Herzabschnitten zu beobachtenden 
frequenzhemmenden Effekte auseinandergesetzt, dass sich letztere nicht 
durch Störungen der Reaktionsfähigkeit erklären lassen, sondern wohl 
auf Störungen der Reizbildung zurückzuführen sind. Jacoby. 

Lafforgue: Associierte Pnenmokokkeninfektionen. (Rev. de med., 
1913, Nr. 4.) Bericht über 3 Fälle von Malaria, die durch echte 
Pneumokokkenpneumonien kompliziert wurden. A. Münzer. 

H. Deist: Bemerkung zu dem Aufsatz: Ueber Albnmosurie bei 
Tuberkulose (Bd. 24, H. 2). (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 25, H. 1.) 

E. Pachner- Prag: Erfahrungen mit dem Tnberkulomuzin Wele- 
minsky. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 25, H. 1.) Das Präparat 
muss als spezifisch wirksames Mittel bei Tuberkulose angesehen werden. 
Vom Tuberkulin unterscheidet es sich dadurch, dass es eine geringere 
toxische Komponente hat, ferner dass die wirksame Dosis fast stets die¬ 
selbe bleibt (Mangel an Gewöhnung), und dass die Wirkung sehr rasch 
eintritt. Die Resultate bei schwerer Lungentuberkulose sind recht er¬ 
mutigend. 

J. Holmgren - Stockholm: Die Uebereinstimmung zwischen dem 
Verhalten verdünnter Sänren in Löschpapier und der Tnberkulin- 
reaktion in der Hant. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 25, H. 1.) 
Grössere theoretische Arbeit, zu kurzem Referat nicht geeignet. 

Löffel mann: Nachtrag zu: Ueber Befunde bei Morbus Hodgkin 
mittels der Antiforminmethode (Bd. 24, H. 3). (Beitr. z. Klinik d. 
Tuberkul., Bd. 25, H. 1.) 

E. Kuhn: Bemerkungen zu der Arbeit Berlin’s in H. 3, Bd. 23, 
über Erfahrungen mit der Sangmaske. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., 
Bd. 25, H. 1.) Polemik. 

H. C. Jakobäus-Stockholm: Ueber Laparo- und Thorakoskopie. 
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Brauer. (Beitr. z. Kinik d. 
Tuberkul., Bd. 25, H. 2.) Besprechung der Technik und Indikationen 
der Laparoskopie, Befunde bei Lebercirrhose, Pickscher-Krankheit, Leber¬ 
lues, Bauchfelltuberkulose. Dann Besprechung der Technik und Indi¬ 
kationen der Thorakoskopie, mit Befunden bei tuberkulöser Pleuritis, 
idiopathischer Pleuritis, nichttuberkulöser Pleuritis, Pleuritis exsudativa 
chronica, Empyem, künstlichem Pneumothorax. J. W. Samson. 

E. Bitot und P. Mauriac: Hämatemese durch Arteriosklerose 
der Magengefässe. (Gaz. des hop., 1913, Nr. 30.) Innerhalb eines 
Jahres sehr häufig Blutbrechen bei einem Manne, der sechs Jahre zuvor, 
30 jährig, sich mit Lues infiziert und nun Tabes hatte. Temporalis stark 
geschlängelt, zweiter Aortenton accentuiert. Deshalb wurden die Blu¬ 
tungen auf Arteriosklerose der Magengefässe zurückgeführt. Die Autopsie, 
bei der Atberomatose der Oesophagus-, Magen- und Duodenalgefässe 
neben Coronarsklerose gefunden wurde, bestätigte diese Diagnose. 

Wartensleben. 

Th. Hausmann - Rostock: Die ätiologische Rolle der Syphilis in 
manchen Fällen von Ulcus callosum penetrais und bei einigen Tumoren. 
(Archiv f. klin. Chir., Bd. 101, H. 1.) Die syphilitischen Magenaffektionen 


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19. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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werden bei der operativen Freilegung häufig nicht erkannt. Bei benignen 
Tumoren und callösen penetrierenden Ulcera des Magens mit Anacidität 
muss man an eine luetische Basis denken. Histologisch geben besonders 
die Gefässveränderungen bei Elastieafärbung Aufschluss. Diagnostizierte 
Sarkome und Retroperitonealtumoren sind häufig gummöser Natur. 

Baetzner. 

M. Favre und L. Bonier: Ein Fall von typhöser Spoadylitis. 
(Lyon möd., 1913, Nr. 15.) 60 jährige Patientin erkrankte im Verlauf 
eines Typhus an starken Schmerzen in der Gegend der letzten Lenden¬ 
wirbel; auf Druck starke Empfindlichkeit, völlige Immobilisatiou der 
Wirbelsäule, Steigerung der Patellarreflexe, Ausstrahlen der Schmerzen 
in die unteren Extremitäten. Diagnose: typhöse Spondylitis. Restlose 
Heilung. A. Münzer. 

E. Behrenroth und L. Frank - Greifswald: Klinische und experi¬ 
mentelle Untersuchungen über die Funktion der Niere mit Hilfe der 
Phenolsnifophthaleinprobe. (Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie, 
Bd. 13, H. 1, S. 72—83.) Die Verff. halten die Phenolsulfophtbaleinprobe 
für die einfachste und zuverlässigste Methode der funktionellen Nieren¬ 
diagnostik. Wahrend bei der normalen Niere die Ausscheidung in der 
ersten Stunde die in der zweiten Stunde beträchtlich übertrifft, ändert 
sich das in pathologischen Fällen. Es lassen sich Nierenschädigungen 
mit dem Verfahren nachweisen, die klinisch in bezug auf Eiweissaus¬ 
scheidung und morphologische Bestandteile keinen pathologischen Befund 
bieten. Auch bei der Erkennung einseitiger Nierenerkrankungen leistet 
das Phenolsulfophthalein gute Dienste. Nach Ansicht der Verf. besteht 
bei chronischer Nephritis auch eine Leberschädigung. Jacoby. 

J. Brault: Phlegmone des Penisgewebes bei den Diabetikern. 
(Gaz. des hop., 1913, Nr. 21.) Eine ziemlich seltene Affektion, die noch 
relativ häufig bei Diabetikern beobachtet wird, ist eine mehr oder minder 
weit greifende Gangrän des Penis. Diese heilt nicht selten aus unter 
Hinterlassung einer Fistel. Wird diese nicht sorgfältig behandelt, so 
kann die Entzündung in die Tiefe fortschreiten, so dass schliesslich die 
Corpora cavernosa und die Urethra im Eiter florieren. Ein solcher Fall 
wird beschrieben. Wartensleben. 

Siehe auch Pharmakologie: S. Fränkel und P. Kirschbaum, 
Adigan, ein neues Digitalispräparat. — Pathologie: Miyake, Aetio- 
logie der Gallensteine, mit besonderer Berücksichtigung der japanischen 
und deutschen Verhältnisse. — Chirurgie: Nagelsbach, Blutbild bei 
Strumen. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

G. Froment und 0. Monod: Die Pronst-Lichtheim-Dtjeriiie’sche 

Probe. (Rev. de med., 1913, Nr. 4.) Die Fähigkeit einzelner Aphasischer, 
die Bucbstabenzahl bzw. Silbenzahl eines Wortes, welches sie nicht aus¬ 
sprechen können, anzugeben, findet sich bei allen Kranken mit reiner 
motorischer Aphasie; auch wenn die Aphasie sich noch mit leichter 
Agraphie verknüpft, ist sie erhalten. Ihr Vorhanden-bzw. Erloschensein 
ist kein Beweis für den subcorticalen bzw. corticalen Sitz der ursäch¬ 
lichen Läsion. A. Münzer. 

F. Corsy Anatomische Betrachtingen über die nenrolytischen 
Injektionen bei der Facialisnenralgie. (Gaz. des höp., 1913, Nr. 27.) 
Das genaue anatomische Studium lehrt, dass keine absolut sichere 
Methode existieren kann, um den gewünschten Nervenstamm mit der 
Nadel zu treffen. Jedoch vermag die Uebung zu einer recht grossen 
Sicherheit zu führen. Wartensleben. 

H. Mabille und A. Pitres: Ein Fall von postapoplektiscber 
Fixationsamnesie, der 23 Jahre hindurch bestanden hatte. (Rev. de 
möd., 1913, Nr. 4.) 34 jähriger Syphilitiker verliert nach einem apo- 
plektiscben Insult absolut das Vermögen, irgendwelche Ereignisse usw. 
in seinem Gedächtnis zu fixieren. Im Verlauf weniger Stunden vergisst 
er, was er kurz vorher gesagt, gehört und getan hat. Alles ist ihm 
neu, gleich als ob es zum ersten Male sich ereignete. Die Erinnerung 
an alle vor dem Insult geschehenen Dinge ist erhalten. Nach 23 Jahren 
Exitus. Die Sektion deckt zwei symmetrische Erweichungsherde im 
Centrum semiovale beider Hemisphären auf; sie waren unmittelbar vor 
dem Kopf des Schwanzkerns gelegen. Theoretische Erörterungen. 

A. Münzer. 

Siehe auch Chirurgie: Rorschach, Tumoren der Zirbeldrüse. 


Kinderheilkunde. 

Variot, Lavialle und Rousselot: Der Gebrauch überzuckerter 
Milch bei Dyspepsien im Kindesalter. (Bull, de la soc. de ped. de Paris, 
1913, Nr. 3, S. 109.) Bericht über 15 Fälle von Dyspepsie bei Säug¬ 
lingen, in denen Milch mit einem Zuckergehalt von lOpCt. angeblich 
mit gutem Erfolg aogewendet wurde. 

Dufour: Unvollständige Pylorusstenose bei einem Säugling von 
6 Monaten. (Bull, de la soc. de p6d. de Paris, 1913, Nr. 3, S. 150.) 
Typische Pylorusstenose. Nachdem alle Medikation erfolglos gewesen 
war, trat Besserung und Heilung ein, als man die Nahrungsmenge auf 
18 Mahlzeiten innerhalb 24 Stunden verteilte. Die Art und Weise, wie 
man die Nahrung gibt, ist also ebenso wichtig als wie: was man gibt. 

Birk-Kiel. 


R. Steiner-Wien: Mitteilungen über einen Fall von Hirscbspruug- 
scher Krankheit. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 16.) 9 jähriger 
Knabe. In Höhe von 10 cm wurde rectoskopisch ein kleinerbsengrosser, 
kurzgestielter Polyp gesehen. Die Therapie bestand in systematischen 
Darmentleerungen durch hohe Einläufe, Atropininjektionen, Verabreichung 
von Nux vomica, vorsichtiger Massage und Faradisation. Es wurde hier¬ 
durch erreicht, dass der Leibumfang abnahm, die Darmsteifung auf¬ 
hörte, ferner Gewichtszunahme und subjektives Wohlbefinden. 

P. Hirsch. 

Lange: Beobachtungen von kongenitaler Skoliose. (Bull, de la 
soc. de ped. de Paris, 1913, Nr. 3, S. 167.) Die Ursache kongenitaler 
Skoliosen kann sehr verschieden sein: überzählige halbe Wirbel mit ent¬ 
sprechender 13. Rippe, Atrophie einer Wirbelhälfte, vollkommenes Fehlen 
einer Wirbelhälfte, Aplasie eines Rippenbogens; ausserdem gibt es 
Skoliosen ohne anatomische Veränderungen der Wirbelkörper, die not¬ 
wendigerweise auf intrauterine anormale Druckverhältnisse zurückgeführt 
werden müssen. 

Nageotte-Wilbouchewitsch: Wie soll man die Skoliose infolge 
Missbildung des 5. Lumbal Wirbels behandeln? (Bull, de la soc. de 
ped. de Paris, 1913, Nr. 3, S. 117.) Bei Skoliosen ist es notwendig, 
rechtzeitig mit Röntgenstrahlen zu untersuchen. Findet man im Ent¬ 
stehen begriffene Läsionen, so besteht die Behandlung in Ruhe bei 
korrigierter Haltung. Bei Missbildungen dagegen soll man eine statische 
Korrektur, vermittels eines hohen Stiefels, gebrauchen. Man erreicht 
dadurch oft, dass unter dem Gewicht des Körpers sich die erhöhte 
Hälfte des Wirbels, der ja noch jung und modellierfähig ist, abflacht. 
Man kann auch auf blutigem Wege die Missbildung angehen, indem 
man entweder die zu hohe Hälfte des Wirbels wegnimmt oder auf der 
anderen Seite ein Stück unresorbierbarer Masse ein fügt. 

Roederer und A. Weil: Die Häufigkeit von Abscessen bei Pott’scher 
Krankheit. (Bull, de la soc. de ped. de Paris, 1913, Nr. 3, S. 152.) 
Während bei der üblichen klinischen Untersuchung Abscesse bei Pott¬ 
scher Krankheit nur relativ selten gefunden werden, erhält man bei der 
Röntgenuntersuchung einen ausserordentlich häufigen positiven Befund. 
Etwa in 85 pCt. der Fälle finden sich Abscesse. 

Weill undMouriquaud: Klinische und radiologische Bemerkungen 
zur Pneamonie des Säuglings. (Bull, de la soc. de ped. de Paris, 1913, 
Nr. 3, S. 182.) Die Pneumonie der rechten Spitze ist beim Säugling 
die häufigste und die gutartigste. Sie zeigt im Röntgenbilde die 
charakteristische Form eines Dreiecks. Ihr Sitz ist immer die Rand¬ 
zone. Eine „centrale“ Pneumonie gibt es eigentlich nicht. Das Röntgen¬ 
bild liefert einen prinzipiellen Unterschied zwischen der lobären Pneu¬ 
monie und der Bronchopneumonie. Die letztere gibt keinen scharf 
begrenzten Schatten und hat niemals die Dreiecksform. 

Cassoube: Verschiedener Ansfall der Wassermann’schen Reaktion 
bei Zwillingen. (Bull, de la soc. de ped. de Paris, 1913, Nr. 3, S. 179.) 
Bei dem einen Kinde fiel der Wassermann positiv, bei dem anderen 
negativ aus. 8 Tage später war er bei beiden positiv. 

Gautonnet und Schreiber: Anicidie und kongenitaler Katarakt 
auf beiden Augen bei einem Säugling von 3 Monaten. (Bull, de la 
soc. de ped. de Paris, 1913, Nr. 3, S. 147.) Kasuistischer Fall. 

Birk-Kiel. 


Chirurgie. 

R. Dax-München: Ueber 1500 Lumbalanästhesien, (v. Bruns’ 
Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 3.) Die Münchener Klinik hat 
gute Resultate zu verzeichnen und empfiehlt daher Verf. die Lumbal¬ 
anästhesie für geeignete Fälle aufs wärmste. W. V. Simon. 

A. Neumann-Kneucker- Wien: Kälteleitungsanästhesie am 
Nervns mentalis. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 17.) Die Be¬ 
täubung des knapp unter der Schleimhaut liegenden Nervus mentalis, 
geschieht durch Aufstäubung des Chloräthylstrahls. Die Anästhesie 
tritt schon nach etwa 25 Sekunden ein. Die Methode eignet sich vor 
allem für die Extraktion unterer Prämolaren. P. Hirsch. 

A. W. Meyer - Heidelberg: Beiträge zur Lokal- und Nervenleitungs¬ 
anästhesie. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 3.) 1. Um 
sich bei atypischen Verhältnissen über die Lage der grossen Nerven- 
stämme während der Operation orientieren zu können, empfiehlt Verf. 
die „fragmentierte Lokalanästhesie“, die darin besteht, dass man zuerst 
nur die Haut und während der Operation erst die tieferen Teile anästhe¬ 
tisch macht. Das gleiche Verfahren eignet sich beim Suchen nach tief¬ 
sitzenden Fremdkörpern. 2. Nach Ansicht des Verf.’s ist die Injektion 
eines Lokalanästheticums in entzündetes Gebiet (Abscesse usw.) nicht 
bedenklich und kann ohne Gefahr der Keimverschleppung angewandt 
werden. 3. Die Umspritzung der Frakturenden mit lokalanästhetischen 
Lösungen hat sich bei Einrichtung von Frakturen als sehr gut erwiesen. 
4. Ebenso gut hat sich die Einspritzung lokalanästhetischer Lösungen 
in Gelenke und um dieselben zur Stellung von Diagnosen, zu Operationen 
und zur orthopädischen Behandlung bewährt. Weiterhin gibt Verf. einen 
Weg an, um bei der KulenkampfFschen Plexusanästhesie die Haut des 
ganzen Oberarms gefühllos zu machen. Schliesslich gibt er technische 
Anweisungen zur Nervenleitungsanästhesie in der Ellen beuge und auf 
der Volarseite des Handgelenks, die sich ebenfalls in der Heidelberger 
Poliklinik bewährt haben. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 


D. Ku lenkampff - Zwickau: Die Radlkaloperation des Ohres in 

Lskalanisthesie, ihre Technik und Nachbehandlung, (v. Bruns’ Beitr. 
z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 3.) Verf. gibt in seiner Arbeit eine ge¬ 
naue Beschreibung des von ihm an einem grösseren Material (32 Falte) 
ausgearbeiteten Verfahrens und liefert ausserdem einen Beitrag zur Frage 
der Perichondritis der Ohrmuschel. W. V. Simon. 

N. Beresnego wsky - Tomsk: Die intravenöse Isopralnarkose. 
(Archiv f. klin. Chir.. Bd. 101, H. 1.) Verf. kommt auf Grund zahl¬ 
reicher Narkosen am Hund mit nachfolgenden pathologisch-anatomischen 
Untersuchungen zu dem Schluss, dass die intravenöse Isopralnarkose 
wegen der Unmöglichkeit der exakten Sterilisierung der Lösung, ihrer 
langwierigen Zubereitung und der schädlichen Wirkungen auf Nieren¬ 
parenchym und Herz in der Klinik kaum Anwendung und Verbreitung 
verdient. 

E. Unger und M. Bettmann - Berlin: Experimente zur Be- 

Mupfong der Atemlähmung bei Gehirooperationen mittels Meltzer’s 
Insafflation. (Archiv f. klin. Chir., Bd. 101, H. 1.) Verff. haben im 
Hundeexperiment gezeigt, dass bei Hirnoperationen die cerebrale Lähmung 
des Atemcentrums und die nachfolgende des Herzcentrums durch 
Meltzer’s Insufflation, dauerndes Einblasen von Sauerstoff und Luft in 
die Trachea, mit Erfolg bekämpft werden kann. Die Einführung des 
Katheters macht vielfach Schwierigkeiten, wird aber meist mit Hilfe des 
Röhrenspatels nachKillian auszuführen sein. Baetzner. 

H. Rorschach - Münsterlingen: Zur Pathologie und Operabilität 
der Tumoren der Zirbeldrüse, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, 
Bd. 83, H. 3.) Verf. teilt eingehend einen Fall mit, bei dem 
es sich um einen zusammengesetzten Tumor der Zirbeldrüse mit sarko- 
matös entartetem Bindegewebsgerüst und Ganglienzellennestern (Glio- 
sarcoma gangliocellulare) handelte. Der Fall ist dadurch besonders 
interessant, dass Pat. vorher an einer Dementia praecox gelitten hatte, 
deren Symptome sich, je mehr sich die Tumorsymptome bemerkbar 
machten, verloren. Verf. nimmt an, dass Psychose und Tumor in diesem 
Falle voneinander unabhängige Folgen einer fehlerhaften Keimanlage 
sind. Weiter berichtet Verf. über einen zweiten Fall, bei dem ebenfalls 
das Vorhandensein eines Zirbeldrüsentumors in Frage gezogen werden 
muss, und der den Vatersbrudersohn des ersten Patienten betraf. Auf 
die einschlägigen Fragen ist in der Arbeit ausführlich eingegangen worden. 

H. Strobel und Kirschner - Erlangen: Ergebnisse der Nervenaaht. 
(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 3.) Die Verff. berichten 
über die Erfolge, die bei 14 Nervenverletzungen an der Erlanger Klinik 
erzielt worden sind. Sie treten dem Lexer’schen Standpunkt entgegen, 
dass man bei mit Nervenverletzungen einhergehenden Frakturen zunächst 
konservativ behandeln und erst bei Misserfolg die Nervennaht machen 
soll. Vielmehr, soll man in diesen Fällen Bruchstelle und Nerv frei- 
legen, die Bruchstücke möglichst so durch Schrauben, Verbolzen usw. 
vereinigen, dass eine Verschiebung nicht mehr eintreten kann, und sofort 
die Nervennaht anschliessen. W. V. Simon. 

W. Trotter- London: Die operative Behandlung bösartiger Er¬ 
krankungen des Monde« und des Rachens. (Lancet, 19. und 26. April 
1913, Nr. 4677 und 4678.) Klinische Besprechung der Erfahrungen, die 
der Verf. bei 32 derartigen Operationen gemacht hat, und der von ihm 
in verschiedenen Fällen befolgten Technik. Er hatte pCt. Todes¬ 
fälle und 25 pCt. Heilungen. Weydemann. 

C. Eisenberg - München: Irreponible Radinsfraktnren. (v. Bruns’ 
Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 33, H. 3.) Mitteilung dreier Fälle. 

A. W. Meyer - Heidelberg: Zur Diagnose und Behandlung einiger 
Frakturen, besonders der Gelenke, (v. Bruns Beitr. z. klin. Chir., 
1913, Bd. 83, H. 3.) An der Hand mehrerer Fälle teilt Verf. inter¬ 
essante diagnostische und therapeutische Einzelheiten mit, die jedoch in 
einem kurzen Referat nioht wiedergegeben werden können. 

O. v. Angerer-München: Zur Operation des Genn valgom. (v. Bruns’ 
Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 3.) Verf. hat mit der Ausführung 
einer Keilosteotomie an der Tibia ebenso gute, wenn nicht bessere Re¬ 
sultate erzielt, als mit der technisch schwierigeren Femurosteotomie. Die 
Fibula brauchte nie mitdurchmeisselt zu werden und gab während der 
Heilungsperiode eine gute Schiene ab. Zweimal trat eine Peroneusparese 
ein, die aber nach einiger Zeit wieder von selbst schwand. 

E. Müller-Stuttgart: Zu der Arbeit von J. Geiges: Beitrag zur 
Aetiologie des Klaaenhohlfnsses. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, 
Bd. 83, H. 3.) Die von Geiges publizierten Fälle (v. Bruns’ Beitr., 
Bd. 78) von Klauenhohlfuss mit Spina bifida occulta haben ätiologisch 
mit den von M. publizierten Fällen von idiopathischem Klauenhohlfuss, 
bei dem alle Muskeln funktionieren, nichts zu tun. Verf. hatte in seiner 
von Geiges kritisierten Arbeit die auf Muskellähmung beruhenden Hohl- 
füsse extra von der Besprechung ausgeschlossen, ln 11 jetzt untersuchten 
bzw. nachuntersuchten Fällen von idiopathischem Klauenhohlfuss konnte 
Verf. keine Spur einer Spina bifida occulta nach weisen, womit er die 
Behauptung von Geiges, dass sich unter den Fällen von idiopathischem 
Hohlfuss mancher Fall von Klauenhohlfuss mit Spina bifida occulta ver¬ 
stecke, widerlegt. 

E. Barreau - München: Ueber C-Knorpelverletznngea. (v. Bruns’ 
Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 3.) An der Hand von neun Fällen 
behandelt Verf. die Anatomie und Physiologie wie das Zustandekommen 
der Verletzung. Bei frischen Fällen wird konservativ behandelt, erst 
Ruhigstellung, später Massage usw. Aeltere Verletzungen werden ope¬ 


rativ behandelt, und zwar bestand diese bei den Fällen des Verf. 7mal 
in Totalexstirpation und 2 mal in partieller Resektion der Knorpel. D^r 
angewandte parapitellare Schnitt gibt, wie auch der horizontale Schnitt, 
keine gute Uebersicht über das Gelenk und ist daher vielleicht die 
Kirschner’sche Methode, die sich bei Leiohenversuchen als praktisch 
zeigte, zu empfehlen. Die Resultate sind nicht sehr gut; meist bleiben 
Beschwerden zurück. W. V. Simon. 

N. Bogaras-Tomsk: Resedio extremitatis inferior». (Das neue 
Prinzip in der Knieresektion bei ausgedehnter Gelenkaffektion.) (Archiv 
f. klin. Chir., Bd. 101, Heft 1.) Entfernung des ganzen Gelenks ohne 
dessen Eröffnung ist das vom Verf. vorgeschlagene Prinzip der Resektion 
der Extremitätenteile in der ganzen Circumferenz, wobei die Haupt- 
gefässe und Nerven erhalten bleiben. Indiziert bei malignen Tumoren 
und ausgedehnten tuberkulösen Fungis. Baetzner. 

R. Horand und G. Courday: Feilende Hüfte. (Gaz. des höp., 
1913, Nr. 20.) Es werden zwei Fälle beschrieben, die dieses Krankheits¬ 
bild boten. Wartensleben. 

W. Lobenhoffer - Erlangen: Ueber Seapnlarkrachea. (v. Bruns’ 
Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 3.) Nach Besprechung des zuerst 
von Küttner in der deutschen Literatur ausführlicher besprochenen 
Krankbeitsbildes teilt Verf. den Fall eines jungen Mädchens mit, bei 
dem das Scapularkrachen durch eine proliferierende Entzündung einer 
Bursa anguli superioris verursacht wurde, die nach angestrengtem Mähen 
aufgetreten war. Nach Exstirpation der Bursa und eines vorhandenen 
Luschka’schen Knochenhöckerchens trat Heilung ein. 

W. V. Simon. 

Förster: Ueber Taberkaliatherapie bei der chinrguchea Taber- 
kalose des Kindesalters. (Beitr. z. Klinik der Tuberkul., Bd. 25, H. 1.) 
Die chirurgische Tuberkulose des Kindesalters scheint ein dankbares Feld 
für die Anwendung der Tuberkulintherapie zu sein; hygienische, klima¬ 
tische und allgemeine therapeutische Maassnahmen dürfen aber dabei 
nicht fehlen. In Anbetracht der fast überall vorhandenen Ueberempfind- 
lichkeit kommt nur die Applikation minimalster Dosen in Frage (durch 
schnittliche Anfangsdosis von 1 j t bis 1 Millionstel mg). Dabei sind 
Stichreaktion und massige Lokalreaktion nicht unerwünscht, leichte All¬ 
gemeinreaktionen nicht schädlich. Die Scrofulose verdient besondere 
Berücksichtigung bei der Tuberkulintherapie, doch darf hier nur streng 
nach der Sahli’schen Methode, als absolut reaktionslos, vorgegangen 
werden. J. W. Samson. 

A. Krecke-München: Zur Technik der Stramektomie bei beider¬ 
seitigem Kropf, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 88, H. 3.) Verf. 
geht so vor, dass er auf der einen Seite die Art. thyreoid. inf. sehr weit 
nach aussen unterbindet, um nicht mit dem Epithelkörperchen in Kon¬ 
flikt zu kommen. Da es aber doch immer möglich ist, dass man bei 
der Freilegung des unteren Poles und der Unterbindung der Art. thyreoid. 
inf. die Epithelkörperchen geschädigt hat, muss man auf der anderen 
Seite diese auf jeden Fall schonen, und daher auf die Freilegung der 
Gegend der Epithelkörper und auf die Unterbindung der Art. thyreoid. inf. 
verzichten. Verf. näht auf der zweiten Seite nach Unterbindung der 
oberen Gefässe und nach Ablösung des Kropfes von der Luftröhre den 
Kropf auf allen Seiten durch einige Nähte ab und macht eine Keilresektion. 

E. Nägelsbach - Erlangen: Untersuchungen über das Blutbild bei 
Strnnen und dessen Beeinflussung durch die Strumektomie. (v. Bruns’ 
Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 3.) Nicht nur bei Basedowkranken, 
sondern überhaupt bei fast allen Strumenträgern besteht eine Lympho- 
cytose, und zwar pflegt diese bei den Basedowpatienten am stärksten 
zu sein, etwas geringer bei leichten Tbyreosen, am wenigsten bei un¬ 
komplizierten Strumen. Der Grad der Lymphocytose entspricht jedoch 
durchaus nioht regelmässig der Schwere der sonstigen Erscheinungen. 
Für die Prognose hat der Blutbefund keine Bedeutung. Eine charakte¬ 
ristische Veränderung der Leukocytenzahl besteht weder bei Basedow 
noch bei den anderen Schilddrüsenveränderungen. Bei den operierten 
Strumen tritt zugleich mit der Besserung der übrigen Symptome ein 
Herabgehen der Lymphocytenwerte ein. 

H. Doerffler-Weissenburg i. B.: Kasuistischer Beitrag zur Opera¬ 
tion der starren Dilatation des Thorax, (v. Bruns’ Beitr. x. klin. 
Chir., 1918, Bd. 83, H. 3.) Mitteilung eines günstig verlaufenen Falles, 
bei dem Verf. zur Sicherstellung der dauernden Beweglichkeit der Rippen¬ 
enden in den Rippendefekt nach dem Vorschlag von Seidel einen Muskel¬ 
lappen eingeschlagen hatte. 

Stroebel - Erlangen: Der Micrococcns tetragenes als Erreger von 
Bakteriämien beim Menschen, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, 
Bd. 83, H. 3.) Mitteilung eines Falles, bei dem es im Anschluss an 
eine Empyemfisteloperation zu einer Tetragenessepsis kam. Das klinische 
Bild begann mit Schwellung und Schmerzen der Fuss- und Handgelenke, 
ging mit Hautblutungen auf dem Fussrücken und auf dem Penis und 
Oedemen einher. Sehr auffallend war, dass die teigigen Oedeme in ihrer 
Lokalisation ausserordentlich schnell wechselten. Es fand sich beispiels¬ 
weise am Morgen eine Schwellung der einen Hand, nachmittags war diese 
Schwellung wieder verschwunden und dafür eine solche an der linken 
Brustseite aufgetreten. Das Fieber war unregelmässig mit starken Re¬ 
missionen. Der Allgemeinzustand des Patienten hatte ausserordentlich 
gelitten. 

Enderlen-Würzburg: Gesichtspunkte und Thesen zur Peritoaitif- 
frage. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1918, Bd. 83, H. 3.) Vortrag 


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19. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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aus der zweiten Versammlung bayerischer Chirurgen am 6. Juni 1912 
in München. Diskussion. 

Hügel - Landau: Zur Behandlung der Peritonitis mit Campheröl. 
(y. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 3.) Bei zwei Fällen 
von diffuser Peritonitis nach Wurmfortsatzperforation brachte die Be¬ 
handlung mit Campheröl keinen Erfolg. Bei einer diffusen Peritonitis 
nach Gallenblasenperforation ging die Patientin kurz nach der Operation 
zugrunde. Verf. glaubt, dass es sich hierbei um eine Art Seifenver¬ 
giftung gehandelt habe und wird hierin durch das Ergebnis der von ihm 
angestellten Versuche bestärkt. Er warnt vor Campherölbehandlung bei 
der galligen Peritonitis. 

W. Pettenkofer-München: Behaadlug der postoperativen Darm¬ 
parese bzw. -paralyse. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 3.) 
Verf. rühmt zur Bekämpfung der Darmparese die Wirksamkeit der „elek¬ 
trischen Darmeinläufe“, deren Prinzip in der Hauptsache darin besteht, 
dass die in den Darm infundierte Flüssigkeit als Elektrode benutzt wird. 
Beschreibung der Technik und einer vom Verf. zu diesem Zwecke ange¬ 
gebenen Darmsonde. Der Stuhl erfolgt nicht unmittelbar nach der Appli¬ 
kation, sondern etwa nach 2 bis 3 Stunden. Eventuell kann man den 
elektrischen Einlauf noch mit Physostigmin kombinieren. 

Mandel-München: Ueber entzündliche Geschwülste des Bauches, 
(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 3.) Mitteilung dreier Fälle. 
Bei zwei Fällen war wahrscheinlich eine vorausgegangene Appendicitis 
die Ursache, bei dem dritten hat vielleicht eine vorher verschluckte Zahn¬ 
prothese eine Läsion der Darmwand verursacht und so zur schleichenden 
Entwicklung der Geschwulst geführt. W. V. Simon. 

Kr. Poulsen - Kopenhagen: Multiple mesenteriale Chyluseysten 
bei einem 7jährigen Mädchen. Volvulus mit Darmperforation und 
diffuser Peritonitis. Resectio ileh Heilung. (Archiv f. klin. Chir., 
Bd. 101, H. 1.) Ein Fall von multiplen lymphatischen Mesenterial¬ 
geschwülsten einer Dünndarmschlinge, die zur Achsendrehung und an 
der Torsionsstelle zur Perforation und sekundärer Peritonitis führte. 

Baetzner. 

Madien er-Kempten: Ueber gallige Peritonitis ohne Perforation 
der Gallenwege. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1918, Bd. 83, H. 3.) Bei 
Erkrankungen des Gallengangssystems kann es ausser durch Perforation 
auch durch Diapedesin zu einer Peritonitis mit ausgesprochen galligem 
Exsudat kommen. Bisher sind nur 4 Fälle dieser Art in der Literatur 
beschrieben, denen Verf. einen weiteren hinzufügt. Der gallige Charakter 
des Exsudates kann nur von direktem Durchtritt der Galle durch die 
nichtperforierte Gallenblasen- bzw. Gallengangwand herrühren, denn er 
wird auch bei fehlendem Icterus beobachtet. Vielleicht spielt neben 
der Entzündung eine vorhandene Gallenstauung dabei eine Rolle. Pro¬ 
gnostisch sind diese Formen günstiger, als die durch Perforation ent¬ 
standenen. 

K. Hügel-Landau: Mikroskopische Perforation der Gallenblase. 

(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 3.) Bericht über 5 selbst 
beobachtete Fälle. Für das Zustandekommen der mikroskopischen Per¬ 
forationen muss der Cysticus oder ein mehr darmwärts gelegener Ab¬ 
schnitt der Gallengänge absolut und fest verschlossen sein. Steine mit 
kristallinischer Oberfläche scheinen sich fester als solche mit glatter 
Oberfläche einzukeilen. Der Inhalt der Gallenblase muss infiziert sein. 
Von Komplikationen, die nach der mikroskopischen Perforation öfter ein¬ 
zutreten scheinen, sind die Lungenembolie und die Parotitis zu nennen. 

W. V. Simon. 

H. Finsterer-Wien: Freilegung inoperabler Magencarcinome zur 
Röntgenbestrahlung und die damit erzielten Erfolge. (Münchener med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 16.) 1. Die Resektion des Magencarcinoms ist 
überall auszuführen, wo sie technisch möglich ist. Bei Anwendung der 
Lokalanästhesie statt der Allgemeinnarkose können die allgemeinen 
Kontraindikationen fast ganz fortfallen. 2. Nach der Resektion weit 
vorgeschrittener Caroinome ist von der einfachen Tiefenbestrahlung oder 
besser von der sekundären Freilegung des Operationsterrains zur 
Röntgenbestrahlung behufs Zerstörung von Krebskeimen in den zurück¬ 
gebliebenen Drüsen eine Verminderung der Zahl der Recidive und Leber¬ 
metastasen zu erwarten. 3. Bei inoperablen Carcinomen soll der Magen 
vollkommen freigelegt und dann Gastroenterostomie weit gegen den 
Fundus zu bzw. Jejunostomie gemacht werden. Dann Bestrahlung, dje 
immer lange Zeit fortgesetzt werden muss. Dünner. 

A. Aoh-München: Arteriomesenterialer Ilens. (v. Bruns’ Beitr. 
z. klin. Cbir., 1918, Bd. 83, H. 3.) Verf. ist auf Grund zahlreicher Tier¬ 
versuche zu der Ansicht gekommen, dass das Primäre die akute Dilata¬ 
tion des Magens ist. Diese kommt durch eine motorische Insuffizienz 
des Magens zustande, die durch die Narkose auf nervösem Wege wie 
durch die Operation auf mechanischem Wege gesetzt wird und die duroh 
die Ueberfüllung des Magens durch feste, flüssige oder gasförmige Massen 
zur Dilatation die Veranlassung gibt. Durch Aenderung der Rückenlage 
des Patienten am besten in die Schnitzler’sche Bauchlage, verbunden 
mit gleichzeitigen Magenspülungen, wird meist prompte Heilung erzielt. 
In den allerschwersten Fällen kommt die Gastroenterostomia retrocolica 
in Frage. 

v. Stubenrauch-München: Technik der temporären Enterostomie 
bei Peritonitis und Inanitionazuständen. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 
'1913, Bd. 83, H. 3.) Verf. bildet durch die Anlegung zweier 1 cm von¬ 
einander entfernter Lembertnähte eine Falte in der Dünndarmwand und 
sticht nach Fixierung der Schlinge an das Peritoneum parietale in diese 


Falte eine Metallkanüle, an die ein Schlauoh befestigt wird, und die 
liegen bleibt, bis Darmgase per vias naturales abgeben. Nach der Ent¬ 
fernung der Kanüle tritt spontane Heilung ein. Decubitus der inneren 
Darmwand als Folge eines von der Metallkanüle ausgehenden Druokes 
hat Verf. nie gesehen. In ganz ähnlicher Weise geht Verf. bei der Enter¬ 
ostomie zum Zwecke der Nahrungszufuhr vor. Die hier angewandte 
Kanüle, die zur Eingiessung einer vom Verf. zusammengestellten Speise 
aus Hygiama, Ei, Zucker und Kochsalz dient, braucht nicht liegen zu 
bleiben, sondern kann jedesmal erneut in die Darmfalte eingestochen 
werden. 

A. Schmitt-München: Zur Frage des Coecum nobile, (v. Bruns* 
Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 3.) Verf. meint, dass man mit den 
beim Coecum mobile angewandten Ergänzungsdiagnosen „Typhlektasie 
und Typhlatonie“ den Kern der Krankheit viel besser trifft. Die bei 
diesen Patienten vorhandene Enteroptose führt zur Stuhlenthaltung, diese 
zur Dehnung und Erschlaffung des Coecums und des Col. ascend. Daraus 
ist die abnorme Weite und Beweglichkeit des Coecums erklärt. Die ab¬ 
norme Gestaltung und Bildung des ileocoecalen Mesenteriums ist durch¬ 
aus nicht so häufig und so stark entwickelt, um die Häufigkeit des allzu 
mobilen, allzuweit und schlaff gefundenen Coecums erklären zu können. 
Verf. hat in seinen Fällen die Faltung oder Raffung des Coecums aus¬ 
geführt und nur zweimal das Coecum mit einigen Nähten möglichst weit 
hinten an die mediale Bauchwand fixiert, weil es starke Neigung zur 
medianen Verschiebung hatte. Dadurch wird sicher nur eine ganz leichte 
Bewegungsbeschränkung erreicht. Eine Aufhebung derselben, wie sie 
Wilms fordert, hält Verf. für falsch. Die Resultate des Verf. waren 
gut, doch sieht er die operative Behandlung nur als eine die nötige 
interne Behandlung unterstützende Therapie an. 

L. Burkhardt-Nürnberg: Die operative Behandlung des Coecum 
mobile, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 3.) Das Coecum 
mobile braucht nicht immer Beschwerden zu machen, doch scheint es 
mehr als ein normales zur Erkrankung disponiert zu sein. Die Behaup¬ 
tung, dass das Coecum mobile keine Krankheit sui generis sei, sondern 
nur ein Teil einer allgemeinen Enteroptose, will Verf. wenigstens für 
alle Fälle nicht gelten lassen. Verf. hebt weiter den Wert der Röntgen¬ 
untersuchung hervor; er konnte sich von dem Symptom der seitlichen 
Verschieblichkeit nicht einwandsfrei überzeugen, doch scheint ihm der 
abnorme Tiefstand und die abnorme Länge und Weite des Coecalsackes 
im Röntgenbilde charakteristisch. Denen, die die operative Behandlung 
des Coecum mobile für unzweckmässig und widersinnig halten, kann sich 
Verf. nicht anschliessen. Für die hartnäckigen, jeder anderen Behandlung 
trotzenden Fälle hält er ein operatives Eingreifen für indiziert. Und 
zwar soll man nicht nur die abnorme Beweglichkeit, sondern auch die 
abnorme Länge und Weite des Coecalsackes beseitigen. Die operative 
Behandlung kann auch bei Versagung aller interner Behandlung noch 
gute Resultate zeitigen, vor allem habe sie nie geschadet. 

C. Eisenberg-München: Ueber die von erworbenen DivertikelB der 
Flexura sigmoidea ausgehenden entzündlichen Erkrankungen, (v. Bruns’ 
Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83. H. 3.) Zusammenstellung der bisher 
veröffentlichten Fälle unter Hinzufügung einer neuen Krankengeschichte. 
Grosser Fettreichtum der Patienten spielt vielleicht bei der Entstehung 
eine nicht unwichtige Rolle, weil die Gefässlücken, durch die die Diver¬ 
tikel herauszutreten pflegen, bei Fettreichtum erweitert zu sein pflegen. 
Die klinisohen Erscheinungen sind ausgesprochen: sie äussern sich in 
Störungen in der Darmfunktion, dann weiter durch Symptome, die auf 
intraabdominelle Verwachsungen oder Perforationen hinweisen. Letztere 
sind es auch vor allem, die die Prognose ernst gestalten. Diagnostiziert 
können bisher nur Fälle werden, bei denen sich ein fester Tumor in der 
linken Darmbeingrube findet. Bei der Differentialdiagnose gegen Caroinom 
ist der mangelnde Blutbefund in den Fäces, die Schmerzhaftigkeit des 
Tumors bei Druck und die rektoskopische Untersuchung von Wichtigkeit. 
Die Behandlung kann nur eine chirurgische sein. W. V. Simon. 

E. Müller-Hamburg: Ueber Carrinoide des Wurmfortsatzes. 
(Archiv f. klin. Chir., Bd. 101, H. 1.) Die unter der Diagnose „primäre 
Appendixcarcinome“ veröffentlichten Tumoren sind in drei Gruppen zu 
sondern: 1. Carcinome, bei denen das Coecum mitergriffen ist. Sie ge¬ 
hören zu den Coecumcarcinomen. 2. Carcinome der Appendix mit 
freiem Coeoum. Das sind die wirklichen primären Carcinome der 
Appendix. 3. Rundzellentumoren, mikroskopische Carcinome, klinisch 
gutartig. Sie stellen eine besondere Art epithelialer Neubildung des 
Darmes dar und werden am besten als Carcinoide charakterisiert. 

Baetzner. 

Geb eie-München: Ueber das Prostatacareinom. (v. Bruns’ Beitr. 
z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 3.) Da das Carcinom der Prostata nicht 
gar zu selten ist, muss man bei jeder Vergrösserung der Prostata an 
diese Erkrankung denken. Allerdings ist die Diagnose nicht leicht und 
wird stets nur eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose sein können. Die Ope¬ 
rationsresultate sind schlecht, doch muss man, da Dauerheilungen be¬ 
kannt sind, das Carcinom radikal in Angriff zu nehmen suchen, wenn 
es die Kapsel noch nicht durchbrochen hat und Metastasen nicht fest¬ 
stellbar oder sehr beschränkt sind. Entgegen Posner, der den trans- 
vesicalen Weg strikte ablehnt, empfiehlt Verf. die suprapubische Prostat¬ 
ektomie, wenn die Drüse nur teilweise vom Carcinom ergriffen ist und 
dasselbe mehr central im Drüsengewebe liegt. In den anderen Fällen 
wendet er die Zuckerkandel’sche perineale extrakapsuläre Methode 
an oder bei fortgeschrittenen Fällen den von Völoker zur Freilegung 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 


der Samenblasen angegebenen ischiorektalen Schnitt in Bauchlage de9 
Patienten. W. V. Simon. 

Longard-Forst - Aachen: Beitrag zur Behandlung der aknt 
eitriges Appendieitis. (Archiv f. klin. Chir., Bd. 101, H. 1.) Statistische 
Erfahrungen über eine zusammenhängende Serie von 100 Fällen ope¬ 
rativ behandelter akut eitriger Appendieitis mit circumscripter oder all¬ 
gemeiner Peritonitis. Baetzner. 

0. v. An ge rer-München: Ersatz eine» Harnröhrendefektes durch 
den Wurmfortsatz. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1914, Bd. 83, H. 3.) 
Yerf. benutzte nach der von Lexer angegebenen Methodik den Schleim- 
hautcylinder des Wurmfortsatzes als Ersatzstück und erzielte ein gutes 
Resultat. W. V. Simon. 

O. Uffreduzzi - Turin: Die Pathologie der Hodenretentioa. 

(Archiv f. klin. Chir., Bd. 101, H. 1.) Beim retinierten Hoden finden 
sich gewöhnlich noch andere Entwicklungsstörungen. Die frühzeitigen 
Alterserscheinungen im Hoden sind nicht eine Folge der fehlerhaften 
Lage, vielmehr in der Spärlichkeit ausbildungsfähiger Samenkanälchen 
bedingt. Neigung zu Bruch, Drehung und maligner Eutartung sind 
häufige Komplikationen des retinierten Hodens. Baetzner. 

P. Clairmont - Wien: Kriegschirorgische Erfahrungen. (Wiener 

klin. Wochenschr., 1913, Nr. 16.) Vortrag, gehalten in der k. k. Gesell¬ 
schaft der Aerzte in Wien am 31. Januar 1913. Referat siehe den 
Sitzungsbericht. P. Hirsch. 

Siehe auch Pathologie: Vogel, Allgemeine Asthenie des Binde¬ 
gewebes in ihren Beziehungen zur Wundheilung und Narbenbildung. — 
Innere Medizin: Brault, Phlegmone des Penisgewebes bei Dia¬ 
betikern. — Kinderheilkunde: Lange, Kongenitale Skoliose. 
Roederer und Weil, Abscesse bei Pott’scher Krankheit. Nageotte 
und Wilbouchewitsch, Skoliose. 


Röntgenologie. 

A. F. Hertz-London: Chronische Darmstanung. (Brit. med. journ., 
19. April 1913, Nr. 2729.) Auf Grund zahlreicher Röntgenbeobachtungen 
der Darmtätigkeit kommt der Verf. zu Schlüssen, die von den Ansichten 
manoher englischen Chirurgen (La ne) sehr ab weichen. Bei der Deutung 
der Röntgenbilder ist grosse Vorsicht nötig. Darmstauung führt nie zu 
Stauung des Mageninhaltes und nicht zu Knickungen, Erweiterungen und 
Geschwüren des Duodenums. Bei Duodenalgeschwüren entleert sich der 
Magen ungewöhnlich schnell, und dann sammelt sich der Wismutbrei in 
grösserer Menge im Duodenum an, zumal wenn der Untersuchte zeit¬ 
weise auf der rechten Seite liegt. Diese vorübergehende Ansammlung 
des Wismutbreies täuscht eine Erweiterung vor. Ebensowenig führt eine 
Knickung am Uebergang des Ileums zum Coecum zur Stauung. Hier 
liegt normal ein Sphincter, der den Darminhalt 4—5 Stunden und 
länger aufhält. Dieser Sphincter erhöht und verlängert die normale 
Stauung, wenn er durch pathologische Vorgänge gereizt wird, z. B. bei 
Appendieitis. Palpation oder Aufblähung des Dickdarmes unter dem 
Röntgenschirm lässt oft scheinbare Knicke verschwinden. Bei Stauungen 
im Colon ist zu unterscheiden zwischen mangelhafter Defäkation und 
echter Verstopfung dadurch, dass das Rectum vor der Untersuchung 
durch Klysmen gründlich entleert wird. Enteroptose führt nicht ohne 
weiteres zur Darmstauung. Weydemann. 

Siehe auch Geburtshilfe und Gynäkologie: Chilaiditis- 
Stavrides, Röntgenbehandlung der Uterusmyome. 


Urologie. 

Siehe auoh Innere Medizin: Behrenroth und Frank, 
Funktionsprüfung der Niere mit Phenolsulfophthalein. — Chirurgie: 
v. Angerer, Ersatz eines Harnröhrendefektes durch den Wurmfortsatz. 
Gebele, Pro9tatacarcinom. — Geburtshilfe und Gynäkologie: 
Spire und Boeckel, Geburtshilfliche Gründe zur Vornahme der 
Nephrektomie bei einseitiger Nierentuberkulose. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

F. Jampolsky - Wien: Initialsklerose an der Carnncnla lacrimalis. 

(Wiener klin. Wochenschr., Nr. 17.) Die Sklerose wurde bei einer 
40 jährigen Hebamme beobachtet, welche die Angabe machte, dass ihr 
vor zwei Monaten bei der Entbindung einer luetischen Frau Frucht¬ 
wasser in das Auge gespritzt sei. Der Fall ist ein äusserst seltener, 
der Verf. konnte in der Literatur nur sechs Fälle von Primäraffekt auf 
der Caruncula lacrimalis finden. P. Hirsch. 

J. Janet und A. Löf - Bing: Behandlung des Trippers und 
seiner Komplikationen mit Neosalvarsan. (Gaz. des hop., 1913, Nr. 21.) 
Die Gonorrhöe, besonders der Frauen, wird mit sehr gutem Erfolge 
durch Spülungen mit 2proz. wässriger Neosalvarsanlösung oder mit 
lOproz. Salbe behandelt. Aber auch die Gonokokkensepsis wird aus¬ 
gezeichnet beeinflusst durch intravenöse Neosalvarsaninjektionen. 

Wartensleben. 


Geburtshilfe und Gynäkologie. 

Leble-München: Behandlung der Vorderhanptslagen. (Münchener 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 16.) Dünner. 

H. Pan cot und A. Debeyre: Junge Ovarialschwangerschaften. 
(Annales des gynöcol. et d’obst., März 1913.) Beschreibung eines eigenen 
und Vergleich mit anderweit veröffentlichten Fällen. Die Schwanger¬ 
schaft kann sich an jeder Stelle des Ovars entwickeln und ist nicht an 
einen Graafschen Follikel gebunden. 

A. Spire und A. Boeckel - Nancy: GebnrtshUflieke Grlade zur 
Vornahme der Nephrektomie bei einseitiger Nieren tuberkulöse. (Annales 
des gyoecol. et d'obst., März 1918.) In dem Streit über konservative 
oder operative Behandlung der Nierentuberkulose stehen die Verf. 
durchaus auf dem operativen Standpunkt, wenn die Einseitigkeit der 
Erkrankung sicher ist. Gründe: Nephrektomierte haben gesunde Kinder 
ohne Schaden geboren und genährt. Nicht Nephrektomierte erfahren 
durch Gravidität schwere Verschlimmerung und Albuminurie auch der 
gesunden Niere; die Gravidität wird leichter gestört. F. Jacobi. 

F. Rousseau und Cassard: Di« Appendieitis bei der Fr an. 
(Gaz. des hop., 1913, Nr. 19.) Die bei der Frau nicht seltenen Be¬ 
ziehungen zwischen Appendieitis und Erkrankungen der Genitalorgane, 
sowie die differentialdiagnostischen Momente werden eingehend besprochen. 

Wartens leben. 

D. Chilaiditis und G. Stavrides - Konstantinopel: Die Behand¬ 
lung der Uterusmyome mit Röntgenstrahlen. (Annales des gynecol. et 
d’obst., März 1913.) Die Verf. benutzen die Verschieblichkeit der Haut, 
um mehr Eintrittsfelder für die Strahlen zu erhalten. Zwei Fälle mit 
gutem Erfolg. F. Jacobi. 

Siehe auch Parasitenkunde und Serologie: Epstein, 
Abderhalden’sohe Serumprobe auf Carcinom. — Innere Medizin: 
Baylac und Pujol, Perniciöse Anämie und Schwangerschaft. 


Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 

Sargnon und Vignard: Fall von Einklemmung eines Dernes 
in der Bronchialbifnrkation des rechten Unterlappens. Extraktion 
mittels Bronchoscopia inferior. Heilung. (Lyon mödical, 1913, Nr. 15.) 
Kasuistische Mitteilung. A. Münzer. 

Siehe auch Chirurgie: Kulenkampff, Radikaloperation des Ohres 
in Lokalanaesthesie. 


Hygiene und Sanitätswesen. 

G w erd er - Davos-Platz: Die Tuberknlosesterbliehkeit unter der 
einheimischen Bevölkerung von Davos. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., 
Bd. 25, Nr. 1.) An der Hand einer ausführlichen Statistik wird nach¬ 
gewiesen, dass in hygienisch geleiteten Lungenkurorten keine vermehrte 
Ansteckungsgefahr besteht. Die Kranken sowohl wie die Einheimischen 
können durch rationelle Maassnahmen so erzogen werden, dass jeder vor 
einer Ansteckung in solchen Kurorten (auch Sanatorien natürlich) sicher 
ist. Alle Staaten haben die Pflicht, die als wirksam erprobten Maass¬ 
nahmen zum Wohle ihrer Völker durchzuführen. 

F. A. Bauer-Inner-Arosa: Heilstätten er fahrnugen über Bronehi- 
ekt&sien. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 25, Nr. 1.) Für Kinder¬ 
heilstätten eher geeignet, von der Aufnahme in die Heilstätten der 
Laodesversicherungsanstalten ist vorläufig abzuraten. Privatheilanstalten 
sollten aufnehmen. J. W. Samson. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Vereinigung zur Pflege der vergleichenden Pathologie. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 28. November 1912. 

Vorsitzender: Herr Bongert. 

Schriftführer: Herr Max Koch. 

1. Hr. Bongert: Sarkome bei Rinden. 

Vortr. weist an der Hand eines Präparats von einem Uterussarkom 
beim Rinde darauf hin, dass die Sarkomatosis bei Rindern in der Regel 
von den in der Beckenböhle gelegenen Lymphknoten ihren Ausgang 
nimmt und von da aus auf die cranial gelegenen Lymphknoten fort¬ 
schreitet. Die Entstehung von metastatischen sarkomatöseo Geschwülsten 
in den grossen Parenchymen kommt so gut wie nicht vor. Demzufolge 
sprechen einzelne Autoren auch nicht von einer Lymphosarkomatosis, 
sondern von Lymphomen. Alles spricht dafür, dass diese sarkom- 
ähnlichen Geschwülste beim Rinde infektiösen Ursprungs sind. Ueber- 
tragungsversuche liegen noch nicht vor. 

2. Hr. Nenmark: 

Demonstration von Präparaten von Enteritis ebroniea pseudotnber- 
enlosa bovis. 

Ueber das Wesen dieser nur beim Rinde vorkommenden Krankheit 
macht Vortr. einige kurze Angaben. Die mit der Krankheit behafteten 
Rinder zeigen folgendes: hochgradige Abmagerung trotz guter Fresslust, 


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19. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


939 


jeder medikamentösen Behandlung trotzender Durchfall, keine Störung 
des Allgemeinbefindens; die Diarrhöe kann gelegentlich auch fehlen. 
Die Krankheit besitzt einen ausgesprochen chronischen Charakter, sie 
kann jahrelang dauern und führt stets zum Tode, wenn die Tiere nicht 
vorher geschlachtet werden. Bei der Sektion findet man ausser am 
Darm keinerlei Veränderungen. Die Schleimhaut des Darms bietet ein 
ausserordentlich charakteristisches Aussehen dar. Sie ist, ohne stark 
gerötet zu sein, enorm verdickt und in hohe, teils mehr parallel, teils 
unregelmässig gewunden verlaufende Falten gelegt. Dadurch erinnert 
sie lebhaft an die Grosshirnobei fläche mit ihren Windungen und Furchen. 
Diese Veränderungen können sich auf einen Teil des Darms, gewöhnlich 
die hintere Partie des Dünndarms, beschränken, sie können aber auch 
den ganzen Darm bis zum After einnehmen. Niemals zeigt die Schleim¬ 
haut Verkäsung. Die Gefässlymphknoten sind vergrössert, stark durch¬ 
feuchtet, ebenfalls niemals verkäst oder verkalkt. Mikroskopisch findet 
man schon im direkten Ausstrich des Darmschleims ungeheure Mengen 
von Stäbchen, die sich wie Tuberkelbacillen färben. Sie sind etwas 
kürzer als Tuberkelbacillen, die Form und Lagerung erinnert sehr an 
Leprabacillen. In Schnitten sieht man sehr viele epithelioide und manch¬ 
mal auch Riesenzellen, vollgepfropft mit den erwähnten Bakterien. Die 
Lieberkühn’schen Drüsen sind intakt, in ihrem Lumen findet man keine 
säurefesten Stäbchen. Die Krankheit wurde zuerst für eine besondere 
Form der Tuberkulose gehalten (Johne und Frothingham, Koch u. a.). 
B. Bang wies 1906 nach, dass die Krankheit mit Tuberkulose nichts 
Zu tun hat. Er konnte durch Fütterung und intravenöse Injektion 
Kälber infizieren. 1907 berichtete 0. Bang von der interessanten Tat¬ 
sache, dass die mit fraglicher Krankheit behafteten Rinder auf Vogel¬ 
tuberkulin reagieren. Nach Hove tritt die Reaktion auch bei Anwendung 
der conjunctivalen und cutanen Methode ein. Neuerdings ist es Twort 
gelungen, den Erreger auf Medien, denen er abgetötete Tuberkelbacillen 
zusetzte, zu züchten. Nach Ho Ith genügt auch der Zusatz von Tuberkel¬ 
bacillenextrakt. Twort konnte bei Vögeln und Kaninchen Agglutinine 
erzeugen, diese Antikörper konnte er auch bei spontan erkrankten und 
künstlich infizierten Rindern nachweisen. 

3. Hr. Dornig: 

Zar Frage der Behandlung bösartiger Geschwülste hei Haustieren 
mit Röntgenstrahlen. 

Der Vortr. teilt seine Erfahrungen mit, die er bei der Behandlung 
einer Reihe von bösartigen Geschwülsten bei Haustieren (Pferden und 
Hunden) mit Röntgenstrahlen gesammelt hat. Es hat sich dabei heraus¬ 
gestellt, dass eine Anzahl von Tumoren durch die Strahlenbehandlung 
sehr gut beeinflusst und vollständig und dauernd zum Schwinden ge¬ 
bracht werden kann. In anderen Fällen dagegen, und das war die 
grössere Zahl, konnte trotz Anwendung der gleichen Technik eine Ver¬ 
kleinerung der Geschwülste durch Strahlenbehandlung nicht erzielt 
werden. In einzelnen Fällen hatte es sogar den Anschein, als ob die 
Röntgenstrahlen direkt als Reiz auf das Tumorgewebe wirkten und zu 
noch schnellerem Wachstum anregten. 

Der Vortr. hat in einer Reihe von Fällen, die ihm in der chirurgischen 
Klinik der Berliner tierärztlichen Hochschule zur Behandlung zur Ver¬ 
fügung standen, mikroskopische Untersuchungen der Tumoren vor Beginn 
der Behandlung, nach einigen Sitzungen und am Schluss der Behand¬ 
lung ausgeführt. Es hat sich dabei ergeben, dass es in allen Fällen 
die schnell wachsenden, zellreichen und nicht organisierten Tumoren, 
welche wenig oder keine Stützsubstanz sowie keine Blutgefässe ent¬ 
hielten, die der Röntgenbehandlung zugänglich waren, während die 
bindegewebs- und gefässreichen, vor allem aber die Miscbgeschwülste, 
in der Regel gänzlich erfolglos bestrahlt wurden. Die mikroskopischen 
Veränderungen, welche im bestrahlten Tumorgewebe gefunden wurden, 
waren Degenerationen aller Art, wie sie auch normalerweise in Ge¬ 
schwülsten angetroffen werden, allerdings in viel geringerem Maasse. 

Der Vortr. glaubt, dass man durch systematische Untersuchungen 
des Gewebes vor Beginn der Röntgenbehandlung, nach einigen Sitzungen 
sowie nach Abschluss der Behandlungen gewisse Merkmale finden wird, 
die uns schon vorher die Möglichkeit geben, eine sichere Prognose zu 
stellen, ob ein bestimmter Tumor für die Röntgenbehandlung geeignet 
ist oder nicht. 

Diskussion. 

Hr. Heller fragt naoh der genauen Dosierung der therapeutisch 
wirksamen Bestrahlungen in der Veterinärmedizin. Er ersucht ferner 
um Auskunft über Röntgenschädigungen und über die eventuelle Röntgen¬ 
idiosynkrasie. 

Hr. Rosenthal fragt, ob die Ulcerationen der Tierhaut bei Röntgen¬ 
bestrahlung, die nach dem Vortragenden ja auch einmal einen Reiz für 
das Geschwulstwachstum abgegeben hat, schon einmal zur Beobachtung 
einer Tumorbildung bei Tieren durch Röntgenbestrahlung geführt haben, 
wie sie beim Menschen beobachtet ist. 

Hr. Eber lein weist unter Bezugnahme auf die Ausführungen des 
Vortragenden darauf hin, dass Verbrennungen durch Röntgenstrahlen 
und andere Röntgenschädigungen bei den Haustieren im ganzen selten 
sind, da offenbar die Haut derselben nicht so empfindlich ist wie die 
der Menschen. Gelegentlich der Behandlung eines Ulcus sarcomatosum 
hat E. einmal eine stärkere Röntgenschädigung beobachtet, die zu einem 
Tumor fibrosus führte. Der Tumor wurde exstirpiert und das Pferd ge¬ 
heilt. Auch sonst hat E. Reizungs- und Entzündungserscheinungen an 
der Haut des Pferdes und Hundes wahrgenommen, die im ganzen aber 
stets leichterer Art waren. Neubildungen, insbesondere Röntgencarcinome, 


sind trotz sehr zahlreicher Röntgenbehandlungen im übrigen nicht vor-« 
gekommen. 

Die von Prof. Heller angeregte Behandlung der Sarkome mit Sal- 
varsan verdient nach E. Beachtung, jedoch müssen Beobachtungen hier¬ 
über abgewartet und kritisch genau geprüft werden, um so mehr, als 
die früher gebräuchliche Behandlung der Sarkome mit Arsenik sich eine 
Anerkennung auch nicht errungen hat. 

Hr. H. Hirsohfeld: Ein amerikanischer Autor hat kürzlich mit 
Röntgenstrahlen am Rattenschwanz ein Cancroid erzeugt, das er auch 
transplantieren konnte. 

Hr. Regenbogen: 

Neubildungen bei kleinen Tieren, besonders bei Geflügel. 

Der Vortr. referierte zunächst über das Vorkommen von Tumoren 
bei kleinen Haustieren und Vögeln ganz allgemein auf Grund des ge¬ 
waltigen Materials der Klinik für kleine Haustiere der Tierärztlichen 
Hochschule. Dann ging er über auf die Geflügeltuberkuloseverbreitung 
der Hühner, die eine ausserordentlich grosse ist, und auf die Papageien¬ 
tuberkulose. Nach dem Beobachtungsmaterial von 15 Jahren, über 3000 

kranke Papageien, entfallen auf Tuberkulose der Papageien 20 pCt. _ 

gegenüber Eberlein 36 pCt, Fröhner 25 pCt., denen nur das Material 
von etwa 8 Jahren zur Verfügung stand. Die Formen der Papageien¬ 
tuberkulose kamen zur Besprechung — etwa 90 pCt. Haut- und Schleim¬ 
hauttuberkulose, etwa 7—8 pCt. Gelenk- und Knochentuberkulose und 
2—3 pCt. Tuberkulose der Lungen und des Darmes (Eingeweidetuber¬ 
kulose). Nur S Fälle konnten genannt werden, bei denen ein inniges 
Zusammensein mit tuberkulösen Menschen nachgewiesen werden konnte, 
die meisten Erhebungen blieben unbeantwortet. Tuberkulose bei der 
Taube, Sittich, Kanarienvögeln, Wildente und Rebhuhn wurde gleichfalls 
besprochen und an Präparaten vorgezeigt. Darmtuberkulose vom Papagei 
und Präparate. 

Alsdann kam die „Geflügelpocke“ — Bollinger’s „Epithelioma 
contagiosum“ zur Vorführung (Huhn, Pute, Taube). Hinweis auf die 
Theorien über die Aetiologie. Nach Uhienhuth handelt es sich um 
eine lokale Infektion der Haut mit Diphtherieerregern. Praxis lehrte 
immer, dass sehr oft Diphtherie und Pocke nebeneinander Vorkommen. 

3. Keratom (Xanthom) am Fuss einer Henne in seltener Grösse! 

4. Sarkome der Haut bei Hahn, Taube, Huhn in multipler Form! 
Kleinzellige Rundzellensarkome. 

5. Melanosarkom am Gaumen eines Teckels mit Metastasen in 
inneren Organen. 

6. Myosarkom am Darm eines Huhns. 

7. Carcinom, Fibrosarkome, Lipome beim Hunde, Sarkome am 
Schädel eines Hundes. 

8. Favus am Kopfe einer Maus. 

Hr. Eberleil: 

Demonstration einiger seltener bei grossen Haustieren beobachteter 
Geschwülste. 

Redner ging zuerst auf das Vorkommen der Geschwülste bei den 
grossen Haustieren ein und wies insbesondere darauf hin, dass und aus 
welchen Gründen die Tumoren bei den Haustieren nicht ganz so häufig 
beobachtet werden wie beim Menschen. Zum Beleg seiner Angaben 
verwies derselbe auf die vorliegenden Statistiken, welche er des Näheren 
erläuterte. Im übrigen aber kommen alle Tumorenformen, welche beim 
Menschen beschrieben sind, auch bei den grossen Haustieren zur Beob¬ 
achtung. Es zeigen sich jedoch auch nicht unerhebliche histologische 
Unterschiede zwischen den Neubildungen des Menschen und der Haus¬ 
tiere, welche in eingehender Weise beschrieben werden. 

Im Anschluss daran teilte E. seine Beobachtungen über seltene, 
bemerkenswerte Fälle, und zwar über acht Carcinome, 30 Sarkome, 
32 Botryomykome, ein Melanom und ein Aktinomykom des Pferdes und 
des Rindes mit. Zur Erläuterung des Vortrages dienten neben einer 
grösseren Zahl von anatomischen Präparaten 20 Projektionen und 52 Ab¬ 
bildungen. Von den einzelnen Fällen wurden insbesondere die kli¬ 
nischen Erscheinungen, die histologischen Eigenheiten und die Therapie 
besprochen. In eingehender Weise teilte E. auch seine Erfahrungen 
über die Röntgentherapie mit. 

Diskussion: HHr. M. Koch, Rosenthal, Regenbogen, 
Sohmey. 


Berliner nrologlsche Gesellschaft, 

Sitzung vom 15. April 1913. 

Ehrenvorsitzender: Herr Küster. 

Hr. Casper widmet dem an infektiösem Scharlach verstorbenen 
Mitglieds Dr. Oscar Pielecke Worte ehrenden Angedenkens. 

Hr. V. Steiler: Demonstration von Cystennieren. 

Vorstellung einer Patientin mit grosscystischer Degeneration der 
Nieren; grosser höckeriger Tumor rechts entspricht der rechten, kleiner 
linksseitiger höokeriger Tumor entspricht der linken Niere. Auch in 
der Leber sind höckerige Cysten fühlbar. Im Urin geringer Albumen¬ 
gehalt. Röntgenaufnahme zeigt die vergrösserten Nieren als tiefe 
Schatten. 

Hr. M. Roth: Demonstration über Cystenniere. 

45 jährige Patientin mit kindskopfgrossen Tumoren auf beiden Seiten. 
An der Oberfläche kleine prallelastische Knötchen fühlbar, die fluktuieren. 


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940 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 


Als erstes Symptom traten Blutungen während der Schwangerschaft auf. 
Urin ist klar, sehr dünn. Das Krankheitsbild hat grosse Aehnlichkeit 
mit chronischer Nephritis. Funktionsstörungen der Nieren vorhanden. 
Nach Phloridzininjektion erfolgt erst nach 40 Minuten Zuckerausscheidung, 
nach Indigoarmininjektion erste Spuren von Blaufärbung erst nach 
35 Minuten. Im Anschluss an die Vorstellung der Patientin demonstriert 
Vortr. ein Präparat von Cystenniere. 

Diskussion: Hr. Steiner: Die Differenz seiner Anschauungen 
über die Nierenfunktion zu denen des Herrn Roth ist darauf zurück¬ 
zuführen, dass die Entwicklung des Leidens verschiedene Stadien durch¬ 
macht, je nachdem noch gesundes Nierengewebe vorhanden ist, ist die 
Funktion mehr oder weniger gestört. Zur Differentialdiagnose gegen¬ 
über der Hydronephrose ist zu bemerken, dass man bei der letzteren 
das Gefühl der Fluktuation hat, bei der Cystenniere dagegen nicht Die 
Cysten fühlen sich knochenhart an. 

Hr. Rumpel: Cystische Erweiterung des vesicalen Creterendes. 

Die cystische Erweiterung des vesicalen Ureterendes entsteht durch 
Vorstülpung der Schleimhaut, wenn der Ureter die Blasen wand schräg 
durchsetzt und eine längere Strecke dicht unter der Schleimhaut entlang 
läuft. Bei einer 25 jährigen Dame bestanden hochgradigste Harn¬ 
beschwerden, immerwährender Urindrang. Harn frei von pathologischen 
Bestandteilen. Cystoskopie ergab sehr ausgebildete Erweiterung des 
unteren Ureterenendes. Demonstration desselben durch Projektions¬ 
apparat. Therapie: Sectio alta. Mit zwei Pinzetten wird die Spitze des 
Bürzels ergriffen, Harn Leiterkatheter eingeführt. Spaltung des Bürzels, 
Abtragung des Zipfels, Naht. Einlegen von Verweilureterenkatheter, der 
jedoch nicht vertragen und herausgenommen werden musste. Glatte 
Heilung trotzdem. Beschwerden verschwunden. 

Diskussion. 

Hr. Lohnstein: Demonstration einer grossen Ureterocele, die 
intravesioal operiert wurde. Die Ureteröftnung wurde kauterisiert. 
Heilung. 

Hr. Lipman-Wulf: Ausser der von Herrn Rumpel erwähnten 
Entstehungsursaohe der cystischen Erweiterung des unteren Ureteren¬ 
endes gibt es noch zwei andere Theorien für die Bildung dieser Anomalie. 
Dieselben sind besprochen in Lipman-Wulf’s Veröffentlichung im 
Centralblatt für die Krankheiten der Harn- und Sexualorgane, 1899: 
„Beobachtungen bei einer vor 14 Jahren Nephrektomierten.“ Ausser 
dieser angeborenen Anlage gibt es, wie in dem von mir publizierten 
Falle, auch eine erworbene, funktionelle Entstehung dieser Erweite¬ 
rung. Bei der Patientin hatte 14 Jahre lang die eine, übrig ge¬ 
bliebene Niere mitsamt dem Ureter die Ausscheidung des Urins zu be¬ 
sorgen. Infolge dieser Arbeitsüberlastung kam es zu einer kolossalen 
Hypertrophie der Niere, einer hochgradigen Erweiterung des Ureters 
mit divertikelartiger Ausstülpung des unteren Ureterenendes. Diese 
cystischen Erweiterungen machen für gewöhnlich keine Beschwerden, 
sie treten erst auf bei Verlagerung der UreterenÖffnung oder ex¬ 
zessiver Grösse des Divertikels. So wurde auch in meinem Falle 
die cystische Erweiterung bei der aus anderen Gründen ausge¬ 
führten Cystoskopie zufällig entdeckt. Es war dies der erste in 
der Literatur beschriebene am Lebenden mit dem Cystoskop 
beobachtete Fall einer cystenartigen Erweiterung des 
Ureterenendes. Lipman-Wulf hatte später Gelegenheit, die ver- 
grösserte Niere, den erweiterten Ureter mit der divertikelartigen Aus¬ 
stülpung des unteren Endes im Verein für innere Medizin zu demon¬ 
strieren *). 

Hr. E. Pflster-Cairo (a. G.): 

Ueber Histologie kleinerer Bilharziaconeremente. 

Demonstration eines Harnröhrensteins. Kleine Gruppe Eier in dem 
Stein; ebenfalls Harngriess, in dem Eier zu finden sind. Die Eier brechen 
in die Blase durch, auf den entstehenden Geschwüren entstehen Krusten 
und Ablagerungen. Demonstration cystoskopischer Bilder am Pro¬ 
jektionsapparat über die Entstehung der sogenannten durch Bilharzia 
hervorgerufenen Sandblase. Die Knötchen bestehen aus Eierkonglo¬ 
meraten. Diese Knötchen unterscheiden sich von Tuberkelknötchen, 
indem sie nicht den Gefässen folgen. Ethymologisch sollte man statt 
Bilharzia besser Bilharziasis sagen. 

Hr. 6 . Oelsner: Zur Pyelotomie. (Kurzer Vortrag.) 

0. berichtet über 17 Pyelotomien aus der Casper’schen Klinik. 
Er tritt für möglichste Erweiterung der Indikationen zu dieser Operation 
auf Kosten der Nephrotomie ein. Der Einwand, die Pyelotomie be¬ 
günstige die Fistelbildung, besteht bei exakter Technik zu Unrecht, wie 
eigene Erfahrungen und die anderer Autoren beweisen, da nicht nur 
genähte, sondern auch drainierte Nierenbeckenwunden glatt ausheilen. 
In erster Linie kommt die Operation bei kleinen aseptischen und in¬ 
fizierten Steinen, bei Fällen von beiderseitiger Calculosis und solitären 
Nieren in Frage; man wird sie aber auch in einer grossen Zahl von 
verästelten und Korallensteinen zur Anwendung bringen können, eventuell 
unter Kombination mit einer partiellen Nephrotomie. Zur Technik der 
Operation empfiehlt 0. die Pyelotomia posterior. Handelt es sich um 
eine stärkere Infektion, so ist das Nierenbecken zu drainieren und etwa 
8 Tage durch das Drain zu spülen. Besteht nach Schluss der Nieren¬ 
beckenwunde die Pyelitis noch fort, so ist möglichst frühzeitig mit Nieren- 
beokenspülungen von der Blase aus zu beginnen. 


1) Vereinsbeilage der Deutschen med. Wocbenschr., 1900, Nr. 45. 


Diskussion. 

Hr. William Israel sucht auch die Nephrotomie nach Möglichkeit zu 
beschränken, trotzdem ist sie in einzelnen Fällen geboten; zeitweise die 
Kombination zwischen beiden. Die Pyelotomien im jüdischen Kranken¬ 
haus sind fistellos geheilt. Wenn nicht zu starke Infektion bestand, 
wurde genäht, sonst drainiert. 

Unter 42 konservativen Nierenoperationen waren 22 Pyelotomien, 
in 18 Fällen wurde Nephrotomie gemacht. Die Nephrotomie ist nicht 
auszuschalten. Demonstration eines Falles mit vielen Steinen, in dem 
Nephrotomie + Pyelotomie gemacht wurde. Zuerst prima Intentio, 
Nachblutung, nach drei Wochen nochmalige Operation Nephrektomie, 
Pyelonephritis festgestellt. Grund dafür war das Zurückbleiben eines 
kleinen Sternchens am Ureterabgang. 

Hr. Zondek bestätigt die Ausführungen des Vortragenden, die mit 
seiner Indikationsstellung 1 ) übereinstimmen. Die Operation der Wahl 
ist die Pyelotomie. Nur wenn diese nicht möglich oder hinreichend ist, 
ist die Nephrotomie mittels Längsschnitts oder sind die von Zondek 
angegebenen Methoden: Radiärschnitt bzw. Radiärschnitt + Pyelotomie 
indiziert, die vonOasper wie von anderen Autoren angenommen worden 
sind. An der Hand klinischer Beobachtungen verbreitet sichZ. eingehend 
darüber und weist darauf hin, dass die Pyelotomie zweckmässig an der 
hinteren Wand vorgenommen wird, zuweilen aber nur an der vorderen 
Wand möglich ist. Bei Erweiterung des Nierenbeckens, was auch bei 
Hufeisenniere gewöhnlich der Fall ist, ist die Pyelotomie deshalb besser, 
als bei normaler Weite des Beckens auszuführen, weil eine Verletzung 
der vor dem Becken verlaufenden Gefässe leicht zu vermeiden ist 

Hr. Küster berichtet über einen von ihm behandelten Fall von 
doppelseitigem, riesigem Korallenstein; hier wurde vor 20 Jahren Pye- 
iolithotomie gemacht. Der Fall wurde völlig geheilt, Patientin ist heute 
noch gesund. Empfiehlt die Pyelotomie unabhängig davon, ob das Becken 
infiziert ist oder nicht. 

Hr. A. Lewin: Nierentnberknlose ind Addisoi’sche Krankheit 

Bei dem Patienten wurde vor 12 Jahren Tuberkulose der rechten 
Niere konstatiert. Nephrektomie angeraten, aber abgelehnt. Nach zwei 
Tuberkulinkuren sehr gebessert. Urin klar. 1907 wurden mit centri- 
fugiertem Urin zwei Meerschweinchen geimpft; bei beiden wurde um¬ 
fangreiche Tuberkulose gefunden. Tuberkulin hatte also nicht geheilt 
Befinden blieb ein gutes, bis schleichender Morbus Addison auftrat 
Bräunung der Haut, Muskelschwäche, Digestions- und Nervenbeschwerden. 
Tod im vorigen Jahre. Sektionsbefund: Tuberkulose beider Nieren, 
Verkäsung der Nebennieren, Tuberkuloseherd in der Prostata. 

Hr. L. Casper: a) Hyperplasie der Niere. 

Mann von 61 Jahren mit Nierenkolik und Blutung. Nach Klinik¬ 
aufnahme sistiert Harnentleerung. Cystoskopisch festgestellt Coagulum 
von Blut in rechter Ureterenöffnung. Entfernung durch Ureteren- 
katheter. Einsetzen der Urinfunktion. Dies wiederholt sich mehrere 
Male. Linke Ureterenöffnung nicht gefunden. Röntgenbild ergab grosse 
rechte, kleine linke Niere. Rudiment, angeborene Hypoplasie der linken 
Niere, kongenitale Missbildung. 

b) Grosser Ureterstein bei einer Frau im tiefsten Teil des Ureters, 
der nach gynäkologischer Operation durch Liegenbleiben von Fäden 
entstanden sein soll. Demonstration des Röntgenbildes. Entfernung 
durch Sectio alta. Dies ist die beste Methode zur Entfernung intramuraler 
Steine. Stein bestand aus Erdphosphaten. 

c) Gesehlosseao Tuberkilose der Niere. Plötzlicher Schmers in 
der linken Niere, trüber Harn, eitriger Urin aus dem linken Ureter, 
der meerschweinchenvirulent war. Patient gesund, bis im Februar wieder 
trüber Urin auftrat, der sich jedoch bald wieder klärte. C. fand, dass 
aus dem linken Ureterostium sich bei Indigcarminprobe kein Blau ent¬ 
leerte. Röntgenaufnahme ergab grosse linke Niere. Anamnese, zwei¬ 
maliges Auftreten von trübem Harn, Fehlen von Indigcarmin, der meer¬ 
schweinchenvirulente Urin liessen geschlossene Nierentuberkulose ver¬ 
muten. Operation ergab kleine verkäste Niere in grosser, verkäster, 
schwielendurchwachsener Fettkapsel. 

Diskussion. 

Hr. Lohnstein erwähnt einen Fall, bei dem ebenfalls Schwierig¬ 
keiten in der Diagnosestellung bestanden. Grosser Tumor der linken 
Nierengegend. Kombination einer geschlossenen tuberkulösen Hydro¬ 
nephrose und einer abnormen Ausmündung des rechten Ureters. 

Hr. Steiner: Bei .einseitiger Tuberkulose der Niere findet sich 
Verdickung des Ureters als pathognomonisches Zeichen. Dies ist bei 
Frauen leicht fühlbar, schwieriger zu konstatieren beim Mann. 

L. Lipman-Wulf - Berlin. 


Aerztlicher Verein za Hamburg. 

Sitzung vom 22. April 1913. 

Hr. Dentscbländer demonstriert zwei Patienten, bei denen er 
Ellenbogengelenksresektion ausgeführt hat Bei dem ersten war nach 
unbedeutendem Trauma des Ellenbogens eine mässige Funktionsstörung 
zurückgeblieben. Röntgenaufnahme ergab eine scharf abgegrenzte, xehn- 
pfennigstückgrosse Aufhellung in der oberen Radiusepiphyse. Operation: 
haselnussgrosse Cyste. Histologisch: Chondrofibrom. Vortr. meint 
dass der Prozess ins Gebiet der lokalisierten fibrösen Ostitis gehöre, und 

1) Nephrotomie oder Pyelotomie? Diese Wochenschr., 1909, Nr. 22. 


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19. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


941 


macht Entwicklungsstörungen für die Enthebung verantwortlich. Im 
zweiten Fall handelte es sich um eine komplizierte Fraktur. 

Hr. Spät stellt zwei Patientinnen vor, bei denen er wegen vor¬ 
zeitiger Lösung der normal sitzenden Placenta die Sectio caesarea vor¬ 
genommen hat. Da es sich um Erstgebärende handelte und bei beiden 
der Muttermund kaum eröffnet war, kam eine anderweitige Therapie 
nicht in Frage. Unter günstigen Bedingungen — bei Mebrgebärenden — 
wird man Blasensprengung, Wendung usw. anwenden. 

Hr. Brauer berichtet über die therapeutischen Maassnahmen in 
einem Fall schwerster Morphium Vergiftung. Patient hatte 0,6 g 
Morphium -}- 0,003 g Scopolamin subcutan appliziert. Tiefste Somnolenz. 
Hautreize, künstliche Atmung, Aderlass, Kochsalzinfusion, Lumbalpunktion 
(Druck 500 mm H 2 0!) mit nachfolgender NaCl- Ausspülung waren alle 
nur von vorübergehendem Erfolg. Darauf schritt Vortr. zur Sauer¬ 
stoffspülung der Trachea, Traoheotomie und Einführung eines 
männlichen Katheters durch die Kanüle bis zur Bifurkation, Anschluss 
an die Sauerstoffbombe. Schon nach 5 Minuten bedeutende Besserung. 
Patient wurde — nach Ueberstehen leichter Aspirationspneumonien — 
geheilt. Die Behandlung ist dadurch wirksam, dass sie die C0 2 *Ver¬ 
giftung, welche stets zur Morphiumvergiftung hinzutritt und dadurch den 
etwaigen letalen Ausgang verschuldet, behebt. - 

Hr. Sieveking macht einige Bemerkungen zur Tuberkulosefürsorge 
bei Mittelstandspatienten. 

Hr. Noobo: 

Weitere ErfahrBBgen an operierten Fällen von Rückenmarkstumoren. 

Vortr. hat in den letzten 4 Jahren 24 mal wegen Tumor spinalis 
operieren lassen und bespricht die praktisch wichtigen Ergebnisse, die 
die folgenden 15 Fälle boten: 

a) 2 durch Operation völlig ausgeheilte Fälle. Im ersten 
Fall — Tumor des unteren Halsmarkes — war bemerkenswert, dass 
Schmerzen lange Zeit hindurch nur im Bein bestanden, ferner das 
Fehlen von Brown-Sequard Symptomen, obwohl Kompression von links 
erfolgte. Im zweiten Fall war die Diagnose — Tumor am unteren Hals¬ 
mark — nur auf folgende Symptome hin gestellt: Konstante Schmerzen 
im Ulnarisgebiet, Druckempfindlicbkeit des 7. Halswirbels, Pupillen¬ 
differenz. 

b) 4 Fälle, die theoretisch hätten geheilt werden können, bei denen 
der Misserfolg unglücklichen Umständen zuzuschreiben war: 
1. Isolierte, absolut tumorartige Gummigeschwulst. Unter 
spezifischer Behandlung bedeutende Besserung, dann Exitus an Pneu¬ 
monie. 2. Der Tumor wurde nach D6 lokalisiert. Bei Operation 
starker Liquordruck, Tumor nicht gefunden. Exitus nach 4 Monaten. 
Der Tumor sass zwei Segmente tiefer: die oberen Polsymptome 
waren also durch lokalisierte Liquoransammlung bedingt. Be¬ 
merkenswert war ferner das Vorhandensein von Ataxie und Schmerzen, 
obwohl der Tumor vorn sass. 3. Diagnose: Tumor im unteren Hals¬ 
mark. Nach Lumbalpunktion plötzlich totale schlaffe Tetra¬ 
plegie. Operation ergab, dass eine Blutung in den Tumor, der sich 
an der supponierten Stelle fand, hinein stattgefunden hatte. Exitus 
nach wenigen Stunden. Gefährlichkeit der Lumbalpunktion bei 
Rückenmarkstumoren war bisher nicht bekannt. 4. Diagnose: Tumor 
am unteren Dorsalmark (eventuell multipel?). Bei der Operation wurde 
nichts gefunden. Exitus nach wenigen Tagen. Sektion ergab ein 
Enchondrom vom Wirbel körper des 9. Dorsal Wirbels ausgehend; 
wegen des Sitzes vorn war der Tumor nicht gefühlt worden. Trotzdem 
waren das Hauptsymptom Schmerzen gewesen. Paresen nur sehr 
geringfügig, dies erklärt durch den histologischen Befund, bei dem 
die Achsencylinder sich intakt zeigten. 

c) 5 maligne Tumoren. 1. Gliom, zunächst anscheinend extra¬ 
medullär, es zeigte sich aber, dass der Tumor von innen heraus 
gewachsen war. Klinisch war keine dissooiative Empfindungslähmung 
vorhanden gewesen, kein rascher Verlauf usw. 2. Riesenzellen¬ 
sarkom, das den ganzen Körper des 8. Halswirbels zerstört hatte. 
Röntgenbild hatte nichts davon erkennen lassen. 3. Hodgkin- 
Metastase im Wirbelkörper (kein Novum). 4. Metastasen eines primären 
Lungenoarcinoms, deren eine den Conus komprimiert batte. Dies ist 
bemerkenswert, weil sonst gerade der Conus relativ „resistent“ gegen 
Kompression ist. 5. Lungentuberkulose und Gibbusbildung liess an 
Spondylitis tuberculosa denken. Sektion: Sarkom. Bei Fehlen von 
Senkungsabscess wird man Spondylitis tuberculosa für unwahrschein¬ 
lich halten müssen. 

d) 3 Fälle von „Pseudotumor“ und Heilung nach Laminektomie. 
In den ersten beiden Fällen fand sich keine Liquordruckerhöhung; im 
ersten ist eine zur Heilung gekommene funiculäre Myelitis, im zweiten 
die sacrale Form der multiplen Sklerose nicht ganz auszuschliessen. Im 
dritten — Conusaffektion; erhöhter Lumbaldruck — konnte eine 
Liquorsperrung als Ursache angenommen werden. 

e) Fall von Kyphoskoliose mit Rompressionserscheinungen. 
Röntgenbild ergab eine Spaltung der unteren Hals- und oberen Brust¬ 
wirbel. Dadurch Dehnungslähmung. 

Vortr. betont, dass mit zunehmender Erfahrung die diagnostischen 
Schwierigkeiten — namentlich auch betreffs Unterscheidung intra- und 
extramedullärer Tumoren — immer wachsen. Aber die Erfahrungen 
ermutigen auch zu operativem Vorgehen. Hervorzuheben ist, dass eine 
Probelaminektomie nie von Schaden war. Fr. Wohlwill. 


Gesellschaft fttr Natur- und Heilkunde zu Dresden. 

Sitzung vom 26. April 19l3. 

Vorsitzender: Herr Schmaltz. 

Vor der Tagesordnung stellt Herr Magnus einen Fall von Entbin- 
dangslähmnug in Pleins eervicalis (nach Zangengeburt mit Armlösung) 
vor, den er duroh Osteotomie mit Verwandlung der bestehenden Innen¬ 
rotation des linken Humerus in Aussenrotation geheilt hat. 

Hr. Schmor! demonstriert 1. die Organe eines 14jährigen Knaben, 
der an generalisierter Aktinomykose zugrunde gegangen ist. In fast 
allen Organen fanden sich Aktinomykoseherde von Blutungen umgeben. 
Einbruch der Aktinomykose vom Lungenhilus in die Vorhöfe, Verschlep¬ 
pung auf dem Blutweg. 

2. Organe eines 16 jährigen leukämischen Mädchens mit hochgradiger 
Lungenphthise und Solitärtuberkulose im Heri. 

3. Vier Fälle von Salvarsanvergiftung. Bei dem ersten am 12., 
17. und 21. Dezember 1912 0,3 + 2 mal 0,2 Neosalvarsan, vom 6. bis 
23. Dezember täglich je 4 g Ungt. hydrarg. Pat. wurde 6 Tage nach 
der letzten Injektion bewusstlos aufgefunden. Exitus nach weiteren 
5 Tagen. Es fanden sich im Gehirn multiple punktförmige Blutungen, 
multiple kleine Erweichungsherde, die konfluierten und in deren Um¬ 
gebung keine Blutung war. Die Gefässe waren frei von Thromben. 
Verfettung der Capillarendothelien sehr ausgesprochen. Sch. glaubt die 
Blutungen auf ein Bersten der durch Verfettung der Endothelien ge¬ 
schädigten Gefässe beziehen zu müssen, während er die Erweichungs¬ 
herde auf toxische Schädigungen zurückführt. Wie das Arsen Parenchym- 
schädigungen hervorruft, so ist es auch ein Gefäss und zwar vorwiegend 
Capillargift und zeigt Neurotropismus. Wahrscheinlich liegt in den 
Vergiftungsfällen eine gewisse Idiosynkrasie gegen Arsen vor. Fehler¬ 
hafte Zubereitung spielt nach der Ansicht von Sch. keine wesentliche 
Rolle dabei. 

Der zweite Fall betrifft einen 43jährigen Mann, der an pro¬ 
gressiver Paralyse litt. Durch mehrfache Salvarsaninjektionen Besserung, 
die die Entlassung aus der Anstalt ermöglichte. Erneute Aufregungs¬ 
zustände. Auf Salvarsan wiederum so deutliche Besserung, dass das 
eingeleitete Entmündigungsverfahren aufgehoben werden musste. Zehn 
Wochen nach der letzten Injektion Krämpfe und Bewusstlosigkeit, 
36 Stunden später Exitus. Ausser einer Schluckpneumonie keine Ver¬ 
änderung der inneren Organe. Hirnwindungen abgeplattet, Hyperämie 
der Meningen, zahlreiche punktförmige Blutungen und kleine Er¬ 
weichungsherde. Genau begrenzte, symmetrische Erweichung der beiden 
inneren Glieder des Linsenkerns. Rinde frei von Erweichungsherden und 
Blutungen. Verfettung der Capillarendothelien, Verkalkung der Media 
und Verfettung der Intima der Gefässe in den Erweichungsherden. 
Sonst keine Arteriosklerose. Keine Thromben in den Gefässen. Sch. 
nimmt in diesem Falle pathogenetisch toxische Gefässwirkung an. Er 
erörtert die Frage der Neurorecidive und zeigt ausgezeichnete Präparate 
von Spirochäten im Gehirn, die dem letzteren Fall entstammen. 

Diskussion. 

Hr. Werder hält die Salvarsan Vergiftung für eine unberechenbare 
Folge, die uns bei der geringen Häufigkeit ihres Vorkommens nicht von 
der Salvarsantherapie abhalten soll. Er schliesst Epileptiker, Alkoholiker, 
die epileptische Anfälle hatten, und Paralytiker von der Behandlung mit 
Salvarsan aus und berichtet über mehrere Fälle, die ihn hierzu ver¬ 
anlassen. 

Ausserdem die Herren Galewsky, Naether, Rietschel. 

Hr. Arnsperger: 

Die Behandlung der Lungentuberkulose mittels künstlichen Pneumo¬ 
thorax. 

Eingehendes Referat über die historische Entwicklung, Technik und 
Erfolge des Pneumothorax. Befunde und Erfolge bei 15 vom Referenten 
mit Pneumothorax behandelten Fällen. Demonstration der zugehörigen 
Röntgenbilder. 

Diskussion: Hr. Geibel und Arnsperger. 

K. Hoffmann - Dresden. 


Gynäkologische Gesellschaft za Dresden. 

Sitzung vom 17. April 1913. 

Vorsitzender: Herr Goldberg. 

HHr. Rtthsamen und Weitzel demonstrieren den cystoskopischen 
Befund erstens bei einer 73 jährigen Frau, der vor 10 Jahren ein 
Zwauck-Schilling’sches Pessar eingelegt wurde, dass sie seitdem ununter¬ 
brochen und ohne Störung trug. Vor 6 Wochen traten Incontinentia 
urinae und Schmerzen beim Sitzen und Liegen auf. Das Pessar ist 
reizlos eingeheilt, der rechte Flügel desselben aber in die Blase durch¬ 
gewandert. Das Rectum ist intakt. Zweitens bei einer 60 jährigen 
Patientin mit Carcinoma cervicis uteri und proliferierenden, blumen¬ 
kohlartigen Metastasen in der Blase. 

Hr. Vogt demonstriert das makroskopische^ Präparat ein es^ Ulcus 
dnodeni beim Neugeborenen, bei dem am 2. Tag Bluterbrechen und 
Melaena auftrat. Injektion von Blutserum der Mutter und Gelatine er¬ 
folglos. Exitus am 4. Tag. 

Diskussioq: HHr. E, Kehrer und Rietschel, 


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UNIVERSIT7 OF IOWA 





942 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 


Hr. Rietsehel hält ein eingehendes Referat über das Problem der 
kiinstlichenlErnährnng der Säuglinge, in dem er die verschiedenartigen 
Hypothesen besonders von Pfaundler - München, Hamburger-Wien 
Czerny- Berlin darlegt. 

Diskussion: HHr. Teuffel und Brückner. 

K. Hoffroann - Dresden. 


K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. 

(Eigene Berichte.) 

Sitzung vom 14. März 1913. 

Hr. Obersteiner: 

Ueber pathologische Veranlagung im Nervensystem. 

Ueber dieses Kapitel wurden im Institut des Vortragenden zahl¬ 
reiche Untersuchungen ausgeführt. Wir verfügen betreffs dieses Themas 
schon über eine Anzahl wichtiger Tatsachen, doch geben diese noch 
keinen vollständigen Ueberblick, und das Untersuchungsgebiet dehnt sich 
immer weiter aus, je mehr man sich in die Frage vertieft. Schon 
Henle nahm ein inneres und ein äusseres Moment der Erkrankung an, 
das erstere würde der Konstitution entsprechen. Die Anlage und die 
Disposition bezeichnen etwas ähnliches, sind aber nicht identisch; es 
gibt neben Rassen- und Artdisposition auch eine individuelle und eine 
lokale Disposition. Zur Rassendisposition gehört z. B. der Umstand, 
dass bei Juden Diabetes häufiger vorkommt als bei anderen Rassen. Die 
Anlage entsteht schon in den frühesten Entwicklungsstadien, die Dis¬ 
position wird später erworben. Das Nervensystem zeigt individuelle 
Verschiedenheiten bezüglich der Reaktion vom Indifferentismus bis zur 
Idiosynkrasie, dies sieht man deutlich z. B. gegenüber dem Alkohol, 
Nikotin, Koffein, Morphin u. a. Eine besondere Abart der Anlage und 
Disposition bildet die Vererbung. Es gibt angeborene Formgestaltungen 
oder histologische Veränderungen des Nervensystems, welche unter dem 
Einflüsse eines äusseren Agens (z. B. der Ueberanstrengung) das Zu¬ 
standekommen einer Erkrankung erleichtern. Ueber das individuell ver¬ 
schiedene chemisch-physiologische Verhalten des Nervensystems wissen 
wir noch recht wenig; es wäre hier anzuführen, dass die Quellungsfähig¬ 
keit des Nervengewebes eine verschiedene ist. Die Hypophysis und die 
Glandula pinealis zeigen schon beim Neugeborenen eine wechselnde Aus¬ 
bildung. Die individuelle geistige Veranlagung steht mit dem Gehirn¬ 
gewicht in keinem Parallelismus, wenn man auch im allgemeinen sagen 
kann, dass die intelligenten Stände durchschnittlich ein schwereres Ge¬ 
hirn haben. Bei zu leichtem Gehirn bandelt es sich um eine Entwick¬ 
lungsstörung. Wichtig sind Abnormitäten der Gefässversorguog des Ge¬ 
hirns. Im Bereiche des Circulus Willisii finden sich manchmal Anomalien; 
ob diese für das Zustandekommen von Geisteskrankheiten eine Wichtig¬ 
keit habeD, ist noch nicht erwiesen, jedoch ist es denkbar, dass Störungen 
der Blutcirculation an der Gehirnbasis schwere Folgen nach sich ziehen 
können. Manchmal sind beide Art. communicantes post, eng oder sie 
fehlen ganz, in einem solchen Falle wäre nach Unterbindung der Carotis 
die Gefahr einer Gehirnerweichung sehr gross. Es ist bekannt, dass alle 
Gewebsteile des Organismus eine individuelle stärkere oder schwächere 
Widerstandsfähigkeit zeigen können. Die Grösse der Nervenzellen und 
ihre Leitung zeigen keinen Zusammenhang; die Zellen des Ganglion 
Gasseri, welchen ein Neuron von einigen Zentimetern Länge zugehört, 
und die gleichwertigen Zellen eines Lumbalganglions, zu welchen ein 
Neuron von 1— Vj 2 m Länge gehört, verhalten sich in ihrer Länge wie 
2:3. Die Vorderhornzellen im Cervicalmark sind grösser als diejenigen 
im unteren Teile des Rückenmarkes. Die physiologische Bedeutung der 
Neurofibrillen ist noch Gegenstand der Kontroverse. Es wäre wichtig, 
nachzuweisen, ob es Gehirne oder Gehirnteile gibt, in welchen die Zellen 
reicher an gewissen spezifischen Substanzen sind. Bei der Färbung er¬ 
geben sich bezüglich des Tinktionsvermögens gleichwertiger Nervenzellen 
Verschiedenheiten, eine ungenügende Ausbildung der Zelle oder ihres Keroes 
könnte auf eine Funktionsbeeinträohtigung hindeuten. Bei der Friedreich- 
schen Ataxie und derLittle’schen Krankheit wurde eine geringere Ausbildung 
der Nervenfasern nachgewiesen. Das „nervöse Grau“ erfährt bei der pro¬ 
gressiven Paralyse eine Lichtung, aber nicht bei seniler Demenz. Das Glia- 
gerüst zeigt individuelleVerschiedenheiten, besonders im Rückenmark, wo die 
gliöse Randschicht verschiedene Ausdehnung haben kann. Dies ist auch 
bezüglich der centralen Glia der Fall; ein grösserer Reichtum derselben 
kann hier zur centralen Sklerose und zur Spaltbildung führen. Zu 
weiteren Anomalien der Anlage gehören im Rückenmark die Hydro- 
rayelie und Veränderungen am Conus. Die feinen Gefässe des Gehirns 
können verschiedene Wanddicke haben, dünnwandige Gefässe sind 
leichter zerreisslich. Die endocraniellen Gefässe haben ihre eigenen 
Nerven. Verschiedene Veranlagung der Gefässe spielt sicher auch bei 
der Intoleranz gegen Alkohol eine Rolle. Eine atypische Lagerung von 
Gehirnteilen kann auf eine Minderwertigkeit des Gehirns hinweisen, 
hierher gehören z. B. Verlagerung der Purkinje’schen Zellen, der Pyra¬ 
miden u. a. Die relativ grosse Vulnerabilität der Pyramidenbahnen ist 
darauf zurückzuführen, dass sie zu den jüngsten Formationen des 
Nervensystems gehören. Zu einigen speziellen Beispielen übergehend, 
weist Vortr. darauf hin, dass ein Zusammenhang zwischen Lues und 
Tabes bzw. Paralyse nicht abzuleugnen ist, es muss aber zur Lues noch 
ein dispositionelles Moment hinzutreten, da nicht alle Luetiker tabisch 
bzw. paralytisch werden. Bei Tabes ist das Rückenmark sicher minder¬ 
wertig. Die Untersuchung von 168 Rückenmarken von Tabikern zeigte u. a. 
eine geringere Entwicklung des Rückenmarks, kurze Hinterstränge, das 


Vorkommen von markhaltigen Fasern, einen abweichenden Verlauf von 
Bahnen. Die gefundenen Anomalien hatten ihren Sitz vorwiegend im 
lumbalen Anteil, man könnte hier also auch von einer lokalen Dis¬ 
position sprechen. Man kann annehmen, dass ein mangelhaft angelegtes 
Rückenmark von Lues eher geschädigt, ebenso auch von Ueber¬ 
anstrengung stärker affiziert wird als ein normales Rückenmark. Es 
liegt nahe, zu erwarten, dass auch bei der progressiven Paralyse eine 
Minderwertigkeit des Nervensystems vorliegen wird. Die Wichtigkeit 
der Disposition für die Tabes und die juvenile Paralyse ist erwiesen. 
Die amyotrophische Lateralsklerose ist auf eine kongenitale Anlage 
(Schwäche des motorischen Systems) von Strümpell zurückgeführt 
worden. Bei der hereditären Ataxie besteht eine mangelhafte Ent¬ 
wicklung der später erkrankenden Bahnen und Kerne. Bei der hereditären 
cerebellaren Ataxie findet sich eine mangelhafte Entwicklung des Klein¬ 
hirns. Sohultze beschrieb bei Pseudohypertrophie eine mangelhafte 
Anlage des Nervensystems. Angeborene Beweglichkeitsstörungen im 
Bereiche der Hirnuerven wurden auf einen infantilen Kernschwund 
zurückgefübrt, sie sind jedoch durch Kernaplasie zu erklären. Es finden 
sich andererseits Aplasien von Gehirnteilen ohne irgendeine wahrnehm¬ 
bare Funktionsstörung; so hat Vortr. eine Aplasie des Wurmes gesehen, 
welche ohne auffallende Symptome verlief. Die Variabilität der Be¬ 
schaffenheit der Wand des 4. Ventrikels sowie des 3. Ventrikels werden 
sicher eine Bedeutung in der Pathogenese von Gehirnprozessen, z. B. in 
der Entstehung von Tumoren oder Spaltbildungen, haben. Bei juveniler 
Paralyse findet man im ganzen Nervensystem eine Unterwertigkeit; bei 
Irren wurde auch das dauernde Vorhandenhein {grosser Zellen nach¬ 
gewiesen, welche im Fötalleben unterhalb der Pia Vorkommen und 
später verschwinden. Bei Epilepsie kann die Ursache ihrer Entstehung 
in einer Keimschädigung durch Alkohol und Syphilis bestehen. Bei der 
familiären amaurotischen Idiotie handelt es sich um eine schwere Ent¬ 
wicklungsstörung im Nervensystem, die hereditäre Opticusatrophie beruht 
auf einer mangelhaften Anlage des Nerven. Das Gebiet der funktionellen 
Neurosen wird mit zunehmender Erfahrung immer mehr eingeengt. Da 
organische und funktionelle Symptome zusammen bei einer Krankheit 
Vorkommen können, wird es empfehlenswert sein, die Unterscheidung 
zwischen organischen und funktionellen Nervenkrankheiten fallen zu 
lassen und nur von organischen und funktionellen Symptomen zu 
sprechen. Vielleicht wird manchen der letzteren eine angeborene An¬ 
lage zugrunde liegen; als Beweis hierfür gelten vor allem die erbliche 
Belastung und das Vorkommen von Degenerationszeichen. Dies gilt 
bezüglich der Hysterie, der Neurasthenie und vielleicht auch der 
Psychosen. Für das Auftreten der traumatischen Neurose wird nicht 
ohne Berechtigung neben dem Trauma eine degenerative Veranlagung 
des Nervensystems verantwortlich gemacht. Die Störungen des Central- 
nervensystems können auf eine Entwicklungshemmung oder auf einen 
Bildungsexzess zurückgefübrt werden, sie sind entweder deutlich wahr¬ 
nehmbar oder können nur aus gewissen Symptomen erschlossen werden. 
Die meisten Gifte und Toxine haben eine konstante Prädilektion für 
bestimmte Nervenzellen, diese haben also eine verschiedene Widerstands¬ 
kraft gegenüber Giften. Diese Verschiedenheit kann auch von In¬ 
dividuum zu Individuum different sein. 


Sitzung vom 4. April 1913. 

Hr. Barany berichtet über seine Untersuchungen betreffs der Deviation 
conjagöe bei Hemiplegie. 

Die rechte Hirnhälfte reguliert die Bewegungen der Augen und des 
Kopfes nach links, die linke dieselben Bewegungen nach rechts. Wenn 
nun ein rechtsseitiger Hirnberd in der motorischen Region vorhanden 
ist, so folgt daraus eine Lähmung hinsichtlich der Wendung des Kopfes 
und der Augen nach links, die linke Gehirnhälfte überwiegt, und der 
Kranke wende’t Kopf und Augen nach rechts, „er sieht seinen Herd an“. 
Dieses Symptom verschwindet nach kurzer Zeit, und die Bewegungen 
werden wieder frei. Die Erklärung dieses Verschwindens ist für den 
Fall leicht, wenn die motorische Region oder ihre Leitungsbabn nur 
komprimiert, aber nicht zerstört ist. Bei einer Frau, welche bewusstlos 
eingeliefert wurde, war eine komplette Blicklähmung nach links vor¬ 
handen, die Augen und der Kopf waren nach rechts gewendet, es war 
ein rechtsseitiger Blutungsherd im Gehirn vorhanden. Am nächsten 
Tage war Pat. noch bewusstlos, die Lähmung hatte zugenommen, die 
Augen waren aber nach links gewendet. Die Frau starb noch an dem¬ 
selben Tage. In anderen Fällen, welche am Leben blieben, verschwand 
die Blicklähmung. Vortr. hat 50 alte Hemiplegiker auf dieses Symptom 
untersucht. In 25 Fällen bestand bei Ausschaltung der willkürlichen 
Innervation eine Deviation der Augen nach der entgegengesetzten Seite 
des Herdes. Vortr. erklärt dies durch die Tonussteigerung in den sub- 
corticalen Centren der erkrankten Gehirnhälfte analog der Steigerung 
der Reflexe nach Hemiplegie. Es handelt sich also bei dem Verschwinden 
der Deviation nicht um einen Heilungsvorgang. Bei alten Hemiplegikern 
steht der Kopf nicht genau in der Mitte, sondern er weicht nach der 
Seite des Herdes ab. Dieselben Symptome fand Vortr. bei 19 unter 
57 Epileptikern. 

Hr. Vogel demonstrierte eine 66 jährige Frau, bei welcher eine 
Magenresektion wegen Leiomyoms der Magenwand vorgenommen 
wurde. 

Pat. hatte seit 3 Monaten Schmerzen im linken Hypogastrium, da¬ 
selbst war ein faustgrosser derber Tumor zu tasten, welcher verschieblich 
war. Die Laparotomie zeigte, dass der Tumor an der kleinen Curvatur 


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UNIVERSUM OF IOWA 





19. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


943 


des Magens sass; nach Magenresektion erfolgte Heilung. Die histo¬ 
logische Untersuchung ergab ein Leiomyom der Magenwand mit centraler 
Erweichung. 

Hr. v. Khantz demonstrierte ein Kind mit einer ans der Orbita 
wachenden Geschwulst. 

Hr. Erdbeim führte eine 22 jährige Frau mit einer kolossalen 
Gr&viditätshypertrophie der Mammae vor. 

Pat. bekam vor 2 Jahren anlässlich einer Gravidität eine excessive 
Hypertrophie der Mammae, welche nach Einleitung des Abortus wieder 
zurückging. Gegenwärtig ist Pat. im 3. Monat der Gravidität, die 
Mammae haben sich wieder vergrössert, so dass sie jetzt grösser als 
Mannsköpfe sind. Auch die accessorischen Drüsen in der Achselhöhle 
sind zu kopfgrossen Tumoren vergrössert. Aus mehreren kleinen 
Grübchen an der Mamma fliesst Milch ab, in diese Grübchen münden 
einige Milchgänge. Es wird die künstliche Unterbrechung der Schwanger¬ 
schaft vorgenommen werden, später wird vielleicht eine Exzision von 
Drüsengewebe aus den Mammae ausgeführt werden. 

Hr. Breuer stellte einen Mann mit chronischer Strumitis vor. 

Der Kranke bekam vor 3 Jahren eine Schwellung des Halses, welche 
rasch zunahm und Atemnot mit Erstickungsanfällen verursachte. Durch 
die derbe Geschwulst wurde die Trachea nach rechts verdrängt. Wegen 
Atemnot musste ein Teil der Thyreoidea ausgeschnitten werden. Sie 
enthielt sehr hartes Bindegewebe und nur wenige dickwandige Gefässe. 
Die früher bestandene Recurrenslähmung ist zurückgegangen. 

Hr. Lorenz demonstrierte eine Frau, welche wegen Achsendrehung 
des S romanum operiert wurde. 

Nach Anfällen von sehr hartnäckiger Stuhlverstopfung bekam die 
Kranke Erscheinungen eines Dickdarmverschlusses. Bei der Operation 
fand sioh das S romanum um 180° gedreht und der zuführende Darm¬ 
teil bis zur Dicke eines Oberschenkels gebläht. Es wurde ein Stück 
des S romanum reseziert. 

Hr. Marschik demonstrierte eine alte Frau, bei welcher ein Ober- 
kiefemrkom durch Röntgenbestrahlung geheilt wurde. 

Die histologische Untersuchung ergab ein kleinzelliges Sarkom. Da 
die Radikaloperation nicht mehr möglich war, wurde der Tumor zum 
grossen Teil excochleiert und dann mit Röntganstrahlen behandelt. 
Dieses Verfahren wurde noch einmal wiederholt. Die Kranke ist geheilt. 

Hr. Kofler führte eine Frau nach Ausheilung eines komplizierten 
Kieferhöhlenempyems vor. 

Auf eine Kieferhöhleneiterung folgte eine Nekrose von Teilen des 
Oberkiefers und der Nasenwand. Der fortschreitende Eiterungsprozess 
machte eine Radikaloperation notwendig. Eine auftretende Orbital¬ 
phlegmone wurde inzidiert. Ein Auge musste wegen Panophtbalmie 
enucleiert werden. 14 Tage später bekam die Kranke meningeale Er¬ 
scheinungen. Die neuerliche Inzision einer Phlegmone des unteren 
Augenlides führte zur definitiven Heilung. 

Hr. Nobl demonstrierte das mikroskopische Präparat eines mit Silber 
imprägnierten Gehirnschnittes eines Falles von Dementia paralytlca. 

In dem Präparat finden sich auffallend zahlreiche Spirochäten. 

Hr. Löwit demonstrierte Uternsmyome. 

In einem Falle war noch ein Carcinom vorhanden, im anderen war 
das Myom zum Teil nekrotisch. Eine Röntgenbehandlung der Myome 
wäre in diesen Fällen wohl aussichtslos gewesen. 


Sitzung vom 11. April 1913. 

Hr. Nobl demonstrierte einen Mann, bei welchem nach Schreck all¬ 
gemeine Alopeeie eingetreten ist. 

Der Kranke ist Motorführer der Strassenbahn und hatte im Oktober 
1912 einen heftigen Wagenzusammenstoss. Er konnte einige Minuten 
lang nicht sprechen; nach einigen Tagen begannen die Haare büschel¬ 
weise auszufallen und nach 14 Tagen hatte er keine Haare mehr am 
ganzen Körper. Keine Sensibilitätsstörung, keinerlei Erscheinungen einer 
traumatischen Neurose. 

Hr. Weil demonstrierte einen Mann, bei welchem ein Haemangioma 
haemorrhagicum des Pharynx erfolgreich mit Radium behandelt wurde. 

Der Kranke bekam vor zwei Jahren am Gaumen eine Geschwulst, 
welche exstirpiert wurde. Es stellten sich schmerzhafte Drüsenschwellun¬ 
gen am Halse ein. Vor einigen Monaten stellte sich eine Entzündung 
des Pharynx ein, welche mit Membranbildung einherging. Röntgen¬ 
strahlen und Jod waren erfolglos. 

Nunmehr sieht man eine blaurote Geschwulst im linken Gaumen, 
ähnliche Tumoren an der hinteren Rachen wand und schmerzlose ver- 
grösserte Drüsen am Halse. Im Zusammenhang mit mehreren Angio- 
sarkomen wird die ganze Affektion als Hämangiosarkom aufgefasst. 
Arsenbeh andlung hatte einen geringen Erfolg, dagegen gingen die Ge¬ 
schwülste nach Radiumbestrahlung zurück. 

Hr. Spitzer stellte einen 30jährigen Mann mit Parpara papilata 
nrtieavs vor. 

Der Kranke bekam vor zwei Tagen ein fleckiges Exanthem am 
ganzen Körper, welches soharlachähnlich ist, ohne Fieber einhergeht und 
sehr stark juckt. 

Hr. Schüller demonstrierte Röntgenbilder und Präparate von intra¬ 
kraniellen Verkalkungen. 

Io den Hirnhäuten finden sich häufig Verkalkungsherde. In der 
Glandula pinealis, im Plexus ohorioideus, in den Capillaren und kleinen 
Hirngefässen sitzen oft Konkremente. DenUebergang zur pathologischen 


Verkalkung bilden die Verkalkungen der Pacchioni’schen Granulationen. 
Weiter finden sich Verknöcherungen in der Falx; pathologische Ver¬ 
kalkungen kommen vor bei Ganglienzellen nach Erweichungs- und Ent- 
zündungsprozessen. Grössere, makroskopisch sichtbare Konkremente und 
Auflagerungen kommen im Gehirn unter verschiedenen Umständen zu¬ 
stande. Eine Gruppe von Verkalkungen beobachtet man bei Epileptikern. 

Hr. Vogel demonstrierte 2 Präparate von Raptor eines Gallen¬ 
ganges nnd von chronischen Choiedochasverschlnss. 

Hr. Pal machte Mitteilung über experimentelle und kliuische Stadien 
über die'Wirkung des Papaverins. 

Die Untersuchungen haben gezeigt, dass das Papaverin den Tonus 
der glatten Muskulatur herabsetzt. Seine Wirkung tritt besonders nach 
tonuserregenden Giften hervor. Es gilt dies nicht nur für den Darm 
(Popper und Frankl), sondern auch für den ganzen Verdauungstrakt, 
lür die Broncbialmuskulatur und den graviden und virginelien Uterus. 
Papaverin setzt den normalen Blutdruck wenig, dagegen den durch 
Adrenalin, Uzara oder Pituitrin erhöhten rasch herab. Dieser plötzliche 
Abfall kann auch zum Stillstand des Kreislaufs führen. Papaverin setzt 
den Erfolg reflektorischer Reize auf die Gefässe und die glatte Musku¬ 
latur herab. Die tonusherabsetzende Wirkung ist von der Hemmung, 
z. B. durch Adrenalin, verschieden. In klinisch-therapeutischer 
Anwendung erwies sioh das Papaverin wirksam: 1. gegen den Broncho¬ 
spasmus bei Asthma bronchiale, 2. bei Krampfzuständen im Bereiche 
des Verdauuogstraktes; Cardiospasmus, Hyperemesis, Hyperaciditäts¬ 
beschwerden, gastrischen Krisen, Erbrechen nach Morphin sowie bei 
spastischen Darmzuständen. Das Papaverin bietet die Möglichkeit der 
kausalen Behandlung gewisser durch den Krampf glatter Muskelfasern 
erzeugter Schmerzzustände und vielleicht dadurch auch diagnostischer 
Direktiven. Das Papaverin wirkt auch beim Menschen nachweisbar bei 
erhöhtem Druck blutdruckherabsetzend. Dem Papaverin kommt, abge¬ 
sehen von seiner selbständigen Wirkung, eine besondere Bedeutung in 
Kombinationen zu, worauf seine Rolle im Opium hinweist. Aus der Zu¬ 
sammensetzung des Opiums haben wir noch manche Lehre zu ziehen. 
Hr. Jannschke: Ueber Entzändangshemmang. 

Experimentelle Untersuchungen an Kaninchen sowie klinische Beob¬ 
achtungen haben zu folgenden Ergebnissen geführt: Die akute flüssige 
Exsudation bei der empfindlichen Senfölchemosis des Kaninchenauges 
kann durch medikamentöse Lokalanästhesie der Bindehaut oder durch 
Degeneration der Trigeminusfasern nach Nervendurchschneidung verhütet 
werden. Senfölchemosis wird ferner sehr abgeschwächt und verzögert 
durch tiefe allgemeine Narkose der Versuchstiere, durch antipyretische 
und analgetisch wirkende Substanzen und durch andere Beruhigungs¬ 
mittel des Nervensystems. Die Senfölchemosis kann schliesslich noch 
gehemmt werden durch Abdichtung der Gefässwände mittels subcutaner 
Injektion von Calcium- oder Magnesiumsalzen oder von Adrenalin. 

Fast über sämtliche, im Experiment geprüfte Substanzen liegen 
Beobachtungen aus der menschlichen Klinik und Therapie vor, nach 
denen dieselben befähigt sind, in bestimmten Geiässprovinzen und gegen 
gewisse Entzündungserreger antiphlogistisch zu wirken. 


Sitzung vom 18. April 1913. 

Hr. v. Khaatz demonstrierte einen Fall, von Knocheneyste des 
Oberarmes. 

Hr. v. Anflschnaiter demonstrierte einen Apparat zar Eaterecleaaer- 
spfilang. 

Derselbe ist für Dauerirrigationen des Darmes bestimmt, wobei 
80 bis 40 Liter Wasser zur Verwendung gelangen. Damit Pat. diese 
Massenspülung verträgt, wird die Irrigation im Bade vorgenommen. Das 
aus dem Darm abfliessende Wasser wird in ein luftdicht verschlossenes 
Gefäss abgeleitet. Die Indikation zur Anwendung dieses Apparates ist 
vorwiegend die Obstirpation. 

Hr. Haadek demonstriert Röntgenbilder von perigastritisebea Ver¬ 
wachsungen des Magens. 

Diese finden sich oft bei Ulcus ventriculi und verraten sich durch 
eine Schattenzacke bei wismutgefülltem Magen. Manchmal werden diese 
Vorsprünge erst deutlich, wenn man den Magen künstlich disloziert. 
Die Zacken entstehen dadurch, dass der Magen an umschriebenen 
Stellen fixiert ist, welche die Spitze der Zacke bilden. Während sonst 
die Konturen der kleinen Curvatur eine scharfe krumme Linie ist, wird 
bei Verwachsung diese Linie durch eine Zacke unterbrochen. An der 
grossen Curvatur kommen schon bei normalem Magen Zacken vor, da er 
sich daselbst in Querfalten legt. Beim Sanduhrmagen, welcher funktionell 
oder infolge eines Ulcus entsteht, ist die enge Stelle durch eine scharfe, 
geschweift verlaufende Linie begrenzt; bei oarcinomatösem Sanduhrmagen 
ist diese Linie unregelmässig gezackt. Vortr. demonstriert eine Röntgen¬ 
aufnahme, bei welcher ein Füllungsdefekt des Magens durch Verdrängung 
des letzteren durch einen Milztumor vorgetäuscht wurde. 

Hr. Strisower berichtet über seine Untersuchungen betreffs Bildnag 
nnd An8seheidang von Ameisensäure im Harne. 

In der Norm kommt Ameisensäure in der Menge von 12 mg im 
Harne vor. Bei Muskelarbeit steigt sie etwas an, noch mehr bei Vitien, 
welche mit Dyspnoe einhergehen, hier kann sie bis auf 40 bis 80 mg 
ansteigen. Noch grösser ist ihre Menge im Harne bei Diabetes mit 
Acidose. Die Ameisensäure ist ein Produkt des intermediären Stoff¬ 
wechsels; sie entsteht aus Kohlehydraten, Fett und Ei weissstoffen, und 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 


zwar aus den Fettsäuren, welche als Abbauprodukte beim Zerfall der 
genannten Nährstoffe entstehen. Vorwiegend kommen hier die niederen 
Fettsäuren in Betracht. Vortr. hat auch bei Leukämie eine Vermehruog 
der Ameisensäure gefunden. H. 


Gesellschaft für innere Medizin und Kinderheilkunde zn Wien. 

Sitzung vom 24. April 1913. 

(Eigener Bericht.) 

Hr. Marburg demonstrierte in Vertretung des Herrn Marin esco 
mikroskopische Präparate, welche Spirochäten in der Hirnrinde von 
Paralytikern 'zeigen. 

Hr. Hollitschek stellte eine 25 jährige Frau mit Horbas Basedowii 
nnd Pnlsverlang8amnng vor. Die Kranke leidet seit Kindheit an Magen¬ 
beschwerden und Erbrechen. Vor einem Jahre gesellten sich Herzklopfen, 
Atemnot, Exophthalmus und eine Struma hinzu. Die Kranke zeigt an¬ 
gewachsene Ohrläppchen, ein enges peripheres Gefässsystem und Zeichen 
von Basedow. Merkwürdigerweise weist der Puls nur 50 bis 60 Schläge 
in der Minute auf. Vorübergehend steigt er nach starker Erregung auf 
70 bis 80 Schläge. Das seltene Zusammentreffen von Pulsverlangsamung 
und Basedow ist wohl damit zu erklären, dass die Kranke ursprünglich 
eine Bradycardie hatte. 

Hr. Schönstein führte einen 44 jährigen Mann vor mit einer iso¬ 
lierten Peroneuslähmung nach Influenza. 

Isolierte Nervenlähmungen, wie Satoriusläbmung oder Lähmung des 
Plexus brachialis, sind nach Influenza nur in wenigen Fällen bekannt. 

Hr. Kahler demonstrierte eine 53 jährige Frau mit klimakterischer 
Osteomalacie nnd Tetanie. 

Die Kranke kann weder stehen noch gehen; beim Versuche aufzu¬ 
stehen treten blitzartige Schmerzen in den Oberschenkeln auf. Durch 
Abbreohen der Zahnkronen ist der Oberkiefer zahnlos geworden. Die 
Kranke zeigt eine leichte Struma, lange schmale Plattfüsse, eine An¬ 
deutung von Syndaktilie zwischen der zweiten und dritten Zehe. Die 
Kranke leidet ferner an einer Mitralstenose, an hochgradiger Osteomalacie 
und Tetanie. 

Hr. Glässner demonstrierte RSntgenbilder, anatomische Präparate 
und einen Kranken mit einem Magenleiden. 

Ein Mann wurde wegen eines in die Milz weit vordringenden pene¬ 
trierenden Ulcus operiert, welches vom Fundus ventriculi ausging. Nach 
einigen Jahren traten Schmerzen und Magenblutungen auf, das Röntgen¬ 
bild zeigte einen von der grossen Curvatur zur Leber hinziehenden 
Schatten. Die Operation ergab ein in die Milz hineinreichendes Ulcus 
der Fundusgegend. Wegen einer starken Blutung aus der Vena 
lienalis musste die Milz exstirpiert werden. Die Magenresektion brachte 
Heilung. 

Der zweite Fall betrifft ein grosses Neoplasma unterhalb des Zwerch¬ 
fells, welches auf den cardialen Auteil des Magens und den Oesophagus 
übergreift. 

Im dritten Falle lag ein Neoplasma des Magens vor, welches schon 
ohne Wismutfüllung auf dem Röntgenschirm einen Schatten gab. 

Hr. Müller demonstrierte mikroskopische Präparate, in denen 
eosinophile Zellen im Blnte nach einer besonderen Methode gefärbt 
wurden. 

Vortr. wendet die Methode von Smith-Dietrich in folgender 
Modifikation an: Es wird nicht fixiert; bis zur Differenzierung dürfen die 
Präparate nicht mit Wasser oder Metallinstrumenten in Berührung 
kommen. Die eosinophilen Granula färben sich schwarzbraun oder 
schwarzblau. Die eosinophilen Granula enthalten Lipoidkörper; nach 
Entfernung der Lipoide tritt die Färbung nicht auf, ebenso auch nicht 
bei pseudoeosinophilen Zellen. H. 


Deutscher Kongress für innere Medizin 

zu Wiesbaden vom 15. bis 18. April 1913. 

(Referent: K. Reicher - Bad Mergentheim.) 

(Fortsetzung.) 

Sitzung vom Mittwoch, den 16. April 1913. 

Hr. G. Klemperer-Berlin: Wesen der Atophanwirkung. 

Gewisse dem Atopban nahestehende Körper, wie Novatophan und 
Acitrin zeigen dieselbe Wirkung wie Atophan: ändert man den Phenyl¬ 
ring, so bleibt die Harnsäureausscheidung aus, z. B. beim Sulfatophau. 
Ein Atophankörper besitzt sogar die Heilwirkung des Atophans, obDe 
die Harnsäureausfuhr zu vermehren. Die Wirkung des Atophans kann 
daher nicht auf Harnsäuremobilisierung beruhen. Bei 300 Fällen von 
akutem Gelenkrheumatismus hat sich das Atophan als fast gleich¬ 
wertig den Salicylaten erwiesen. Vorhergehendes Eiuträufeln von 
Atophan verhindert das Entstehen einer Entzündung der Gonjunctiva 
nach Senföleinträufelung. Manche Atophanderivate besitzen auch diese 
antiphlogistische Wirkung, andere nicht, obwohl sie ausgezeichnete 
Giobtmittel sind. Atophan wirkt auch schmerzstillend bei Ischias und 
Kopfschmerzen. 

Hr. Abel-Wiesbaden: Beziehung zwischen Splanchnicus- 
tonus und Harnsäureausfuhr. 

Verfüttert man gleichzeitig mit purinhaltigen Körpern Kalk, so er¬ 


hält man eine Verminderung der Harnsäureausfuhr gegenüber der Norm. 
Nach Atophanfütterung entsteht bei Kaninchen eine excessive Darm- 
byperämie. Es besteht offenbar ein Parallelismus zwischen der Grösse 
der Harnsäureausfuhr einerseits und der Darmtätigkeit und damit der 
Btutfülle im Pfortadergebiet andererseits. Baryumsulfat erzeugt eine 
Depression des endogenen Purinwertes auf 60—50 pCt. und Aufhebung 
der Atophanwirkung, ähnlich Wismut und Uzara. Dagegen entsteht 
nach Arsen eine Vermehrung der Harnsäure um 50—lOOpCt., bei Brech¬ 
wurz 50 pCt., geringere Wirkung bei Kolchicin, Theophyllin, Ghloral u. a. 
Eine stark vermehrende Wirkung bis zu 60pCt. ergaben auch alle 
Diarrhoica. Das Atophan vermehrt die Harnsäure, weil es den Splanch- 
nicus lähmt und damit die Durchblutungsgrösse und Sekretion der 
Gedärme erhöht. Bei einem Falle von Anus praeternat. konnte man 
nach Nucleinsäure- und Thymusdarreichung excessive Hyperämie und 
spontane Blutung t der Darmschleimhaut beobaohten. Auch die Harn¬ 
säure, die bei. der Verfütterung der sogeannten exogenen Purine aus¬ 
geschieden wird, wird bei der Hyperfunktion der Verdauungsdrüsen 
ähnlich wie bei der Atophandarreichung produziert. A. begründet dann 
eingehend die Unmöglichkeit, dass ein verfüttertes Purinmolekül zur 
Harnsäure umgewandelt wird. Insbesondere führt er die Unabhängigkeit 
von der Nahrungsaufgabe, die Abhängigkeit von der Verdauungsarbeit 
und das Vorhandensein eines Grenzwertes für die Harnsäureausfuhr 
an, der sich auch durch noch so hohe Puringaben nicht hinaufschrauben 
lässt. 

Hr. R. Bass-Prag: Ueber Nucleinstoffe und Harnsäure 
im menschlichen Blute. 

B. hat mittels einer von ihm und Wiechowski ausgearbeiteten 
neuen Methodik, bei welcher die Enteiweissung durch Goagulation mittels 
Phosphorwolframsäurechinin, Einengung bei mineralsaurer Reaktion und 
Fällung der Purine durch einen starken Silberüberschuss vorgenommen 
wird, feststellen können, dass das Blut normaler, purinfrei ernährter 
Menschen konstant isolierbare HarnsäuremeDgen enthält. Daneben 
kommen in weitaus überwiegender Menge Nucleinbasen, hauptsächlich 
Adenin, vor, fast kein Guanin. Die Nucleinbasen entstammen mit 
grösster Wahrscheinlichkeit gepaarten Muttersubstanzen (Nucleotiden), 
da sie nur nach der Säurebehandlung der Goagulationsflüssigkeit nach¬ 
zuweisen sind. Unter chronischer Atophandarreichung sinkt der Harn¬ 
säuregehalt des Blutes; eine ähnliche Senkung ist ausnahmsweise auch 
am Höhepunkte der akuten Atophanwirkung wahrzunebmen, während in 
der Regel hierbei noch normale Harn säure werte aufzufinden sind. Nie 
bewirkt das Atophan eine Steigerung der Blutharnsäurewerte. Das 
Atophan besitzt demnach seinen Angriffspunkt in der Niere. Die ge¬ 
paarten Nucleinbasen des Blutes werden durch Atopban wie durch 
Nucleinsäuredarreichung nicht beeinflusst. Ob die unter Atophan aus¬ 
geschiedene Harnsäure aus aufgestapelten Purinstoffen frisch gebildet 
wird, oder ob sie aus Harnsäuredepots stammt, bleibt unentschieden. 
Experimentell Hess sich die letztere Frage an Tieren mittels subcutaner 
Uratdepots nicht sicher entscheiden. Der Gehalt an Nucleinbasen ist 
eine besondere Eigentümlichkeit des menschlichen Blutes. 

Diskussion. 

Hr. Frank - Breslau: Die sehr schöne Methode von Wiechowski 
und Bass bedeutet einen grossen Fortschritt: die Enteiweissung kann 
man noch eleganter mit Uran vornehmen. In Uebereinstimmung mit den 
genannten Autoren konnte F. selbst bei purinfrei ernährten Menschen 
deutliche Mengen von Harnsäure im Blut nachweisen, so dass er in Ver¬ 
legenheit ist, wie man jetzt die Diagnose auf Gicht stellen soll. Das 
Verschwinden der Blutharnsäure nach Atopbangaben kann F. ebenfalls 
bestätigen. Allerdings kommt es nach 1—2 Tagen wieder zu einem 
enormen Sturz der Harnsäurewerte im Urin unter ganz erheblichem An¬ 
steigen der Harnsäuremengen im Blute. So sind die positiven Resultate 
von Retzlaff und Dohrn zu erklären. 

Hr. Weintraud -Wiesbaden fasst gegenwärtig die Atopban- 
wirkung ähnlich auf, wie die von Aspirin und anderen Neuralgicis. 
Der endogene Harnsäurewert ist eine individuelle Konstante und ab¬ 
hängig von der inneren Mauserung. Der exogene Wert ist über ge¬ 
wisse Grenzen hinaus überhaupt nicht zu steigern. Mit purinfreier 
Kost gelingt es nicht, das Blut von Harnsäure frei zu machen. Es 
ist also viel wichtiger, dass die im Organismus gebildete Harnsäure 
ausgeschieden, nicht dass sie besonders wenig gebildet wird. Wir 
müssen daher bei unseren diätetischen Vorschriften uns vor allzu 
strenger Betonung der purinfreien Kost hüten, vielmehr die Nahrung 
so einrichten, dass sie eine möglichst geringe Verdauungsarbeit erfordert 

Hr. v. Noorden-Wien schliesst sich der antineuralgischen Auf¬ 
fassung der Atophanwirkung an. Er hat mit Methylenblau gute Erfolge 
bei Gicht gesehen. 

Hr. Göppert-Göttingen: Die Purinausfuhr kann merkwürdigerweise 
auch durch Thymusextrakt mächtig angeregt werden, der keine Purine 
mehr enthält. 

Hr. Retzlaff-Berlin kam es bei seinen Untersuchungen darauf an, 
nachzuweisen, dass dem Atophan keine elektive Nierenwirkung zukomme, 
da unter Atophanwirkung im Blute Harnsäure auftreten könne. 

Hr. Minkowski-Breslau: Die Atophanwirkung ähnelt auch darin 
der von Salicylsäure, dass man bei genügend grossen Dosen Salicyl- 
säure ebenfalls eiiie Harnsäureausschwemmung hervorrufen kann. Nach 
Abklingen dieser Vermehrung kann man mit Atophan auch keine Harn¬ 
säure mehr zur Ausfuhr bringen. 

Hr. Klemperer (Schlusswort) hat auf die Aehnlichkeit von Atophan 
mit Salicylaten schon vor Jahresfrist hingewiesen; trotzdem bestehen 


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19. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


945 


gewisse Unterschiede, denn Atophan versagt vollkommen bei Typhus 
und anderen sohweren fieberhaften Erkrankungen. Die Wandlungen in 
den Ansiebten über die Pathologie der Gicht lehren uns, dass wir Beob¬ 
achtung und Erfahrung, nicht Theorie auf unsere Fahne schreiben sollen, 
dann werden wir vor dem Schicksal bewahrt bleiben, unsere Behandlungs¬ 
methoden alle 10 Jahre von Grund aus zu ändern. 

HHr. Frank und Behrenroth-Greifswald: Ueber funktionelle 
Nierensohädigung nach Infektionskrankheiten. 

Vortragende berichten über Schädigungen der Nierenfunktion, die 
sich mit Hilfe der modernen Methoden der funktionellen Nierendiagnostik 
nachweisen lassen. 

HHr. E. Meyer und Jungmann - Strassburg: Ueber experi- 
mentelle Beeinflussung der Nierentätigkeit vom Nerven¬ 
systeme aus. 

Die Verfasser konnten durch viele Tierexperimente zeigen, dass im 
verlängerten Rückenmark ein Centrum existiert, das einen Einfluss auf 
die NiereDtätigkeit ausübt. Wurde diese Stelle durch Stich verletzt, so 
war, unabhängig von der Wasser- und Kochsalzzufuhr, eine beträcht¬ 
liche Zunahme der Harnmenge und eine hochgradige Steigerung der 
prozentualen und absoluten Koohsalzausscheidung die Folge. Die gleiche 
Wirkung hatte die Durohschneidung der zur Niere gehenden Nerven, 
indessen war der Salzstich nach der Durohschneidung der Nierennerven 
erfolglos. Die Nervenbahn, die die Niere mit dem Gehirn verbindet, 
konnte dann durch besondere Versuche noch genauer bestimmt werden. 
Die durch Verletzung dieser Bahn hervorgerufene Vermehrung der Koch¬ 
salzabgabe und Harnmenge ist zum Teil als eine Reizung der Vaso¬ 
dilatatoren, zum Teil als eine direkte Anregung der Nierenzellen zu er¬ 
höhter Tätigkeit aufzufassen. Die gefundenen Tatsachen sind für die 
Erklärung der normalen Nierenfunktion von Bedeutung und dienen auch 
der Erforschung mancher noch unklarer Krankheitszustände. 

Diskussion. 

Hr. Roh de-Heidelberg hat durch andere experimentelle Eingriffe 
dieselben Resultate wie Meyer erhalten. 

Hr. Finkelnburg-Bonn: Beim Diabetes insipidus ist die Konzentra¬ 
tionsfähigkeit der Niere erhalten. Nervöse Polyurie entsteht beim Hund 
nach Thyreoideaverfütterung. 

Hr. Angyan-Pest: Bei einer inkompensierten Mitralinsuffizienz mit 
Oedemen verschwanden diese, als nach embolischer Hemiplegie Polyurie 
eintrat. 

Hr. Schlayer-München verwirft die intramuskuläre Milchzucker¬ 
injektion von Frank. Nach Entnerven der Nieren entsteht trotzdem 
durch Stich in den Wurm des Kleinhirns Polyurie. 

Hr. Kohnstamm-Königstein i. T. 

Hr. Lüthje-Kiel*. Verzögerung der Milchzuckerausscheidung ist bei 
Infektionskrankheiten gewöhnlich mit Auftreten von Cylindern und Nieren- 
epithelien im Urin begleitet. 

Hr. Forsch b ach -Breslau: Bei Diabetes insipidus ist die Kon¬ 
zentrationsfähigkeit für Phosphate, Kochsalz und Harnstoff erhalten. 

Hr. Benario-Frankfurt betont den Zusammenhang von Diabetes 
insipidus mit luetischen und Hypophysenerkrankungen. 

HHr. Morawitz und Zahn-Freiburg: Untersuchungen über den 
Koronarkreislauf. 

Ueber die Physiologie der Koronargefässe, besonders auch über den 
Einfluss arzneilicher Einwirkungen auf dieses so wiohtige Gefässgebiet 
ist noch wenig Sicheres bekannt, denn es war bisher nicht möglich 
(wegen der grossen technischen Schwierigkeiten), Versuche an den Kranz- 
gefässen lebender Tiere vorzunehmen. Alles, was man bisher wusste, 
erstreckte sich auf das Verhalten dieser Gefässe an herausgenommenen 
überlebenden Herzen. Die dort gewonnenen Erfahrungen entsprachen 
nur sehr unvollständig den Vorstellungen, die man sich am Kranken¬ 
bette über dieses Gefässgebiet gebildet hatte. Es erschien daher not¬ 
wendig, an Herzen zu experimentieren, die sich in nervöser Verbindung 
mit dem Centralnervensystem befinden, also am lebenden Tier. Solche 
Versuche waren bisher wegen der verborgenen Lage jenes Gefässgebietes 
als aussichtslos nicht in Angriff genommen worden. 

Die Vortragenden beschreiben ein Verfahren, mit dessen Hilfe 
es gelingt, am lebenden, narkotisierten Tier alles den Herzmuskel 
durchströmende Blut aufzufangen und zu messen. 

Eine besonders starke Wirkung auf die Gefässe des Herzens kommt 
dem Nikotin zu. Es zieht die Gefässe erst stark zusammen und lähmt 
sie später. Damit gewinnt man für das relativ häufige Vorkommen von 
Erkrankungen dieses Gefässgebietes bei starken Rauchern eine neue 
Grundlage des Verständnisses. Erweiternd wirken besonders die Nitrite, 
z. B. das Nitroglycerin, ferner das Coffein und ähnliche Körper. Eine 
enorme Verbesserung der Herzdurcbblutung ruft auch das Adrenalin 
hervor, das viele andere Gefässgebiete stark verengt, die Herzgefässe 
aber erweitert. 

Die neue Methode soheint geeignet zu sein, eine sichere experi¬ 
mentelle Grundlage für viele Fragen zu bieten, die sioh bei der Beob¬ 
achtung der so häufigen und wichtigen Erkrankungen der Kranzgefässe 
des menschlichen Herzens ergeben. 

Hr. Quincke - Frankfurt: Ueber den Blutstrom im Aorten¬ 
bogen. 

Vortr. untersuchte an Leichen die Strömung in der Carotis dextra 
und sinistra, er fand dieselben beiderseits gleich. Eine reichlichere 
Blutversorgung der linken Hirnhälfte kann also weder^für die Erklärung 
der Rechtshändigkeit der Menschen nooh für die grössere Häufigkeit der 


linksseitigen embolisohen Hirnerweichung herangezogen werden. In Ueber- 
einstimmung mit letzterer Tatsache gelangten in des Vortr. Versuchen 
suspendierte feste Körper mit dem Flüssigkeitsstrom häufiger in die 
linke als in die rechte Carotis; das muss auf dem asymmetrischen Ab¬ 
gang der Zweige des Aortenbogens beruhen. 

Hr. Gerhardt-Würzburg: Zur Lehre von der Dilatation des 
Herzens. 

Vortr. teilt einige Beobachtungen mit, welche dafür sprechen, dass 
die herkömmliche Unterscheidung zweier Formen von Herzerweiterung 
(einer rein kompensatorischen und einer infolge von Ueberanstrengungl 
m dieser Schärfe nicht zu Reoht besteht. 

Ferner bespricht er die Beziehungen zwischen Erweiterung der Vor¬ 
höfe und Unregelmässigkeiten des Pulses. 

Hr. Bruus - Marburg: Experimentelle Untersuchungen zur 
Frage der akuten Herzermüdung und Dilatation. 

Es kam darauf an, die Vorgänge und Veränderungen zu studieren, 
wie sie am gesunden Herzen als Folge hochgradiger körperlicher, z. B. 
sportlicher, Anstrengung eintreten können. 

Dabei stellte sich im Tierversuch heraus, dass sehr starke und sehr 
lang anhaltende Anstrengungen des Herzens, bei dem einen früher, bei 
dem anderen später, zu einer in vielen Fällen irreparablen Herzschädigung 
führen. Dieselbe besteht in einer Herzerweiterung und Abnahme der 
Pumpkraft des Herzmuskels. Diese letztere ist nicht die Ursache der 
Herzerweiterung. Es führt vielmehr die durch die Anstrengung be¬ 
dingte Herzschädigung zu einer Abnahme der Elastizität des Herz¬ 
muskels bzw. zu einer erheblichen elastischen Naohdehnung dieses 
muskulösen Organs. 

Diskussion. 

Hr. Schott-Nauheim: Durch die Untersuchungen von Gerhard 
und Bruns werden die Versuche von A. Schott aufs glänzendste be¬ 
stätigt, dass bei gesunden Menschen durch anstrengende Ringversuohe 
eine Dehnung des Herzens entstehen kann. A. Schott hob auch als 
der erste die Unterschiede zwischen kompensatorischer und diktatorischer 
Hypertrophie hervor. Er bezog den Ausdruck nur auf grössere Herz¬ 
füllung bei Aortenfehlern im Verhältnis zur Ausdehnung. 

Hr. Hering-Prag würdigt das Verdienst von Schott, die Begriffe 
der Stauungsdilatation und kompensatorischen Dilatation scharf getrennt 
zu haben. Mit ersterer wird gewöhnlich der Begriff der Herzsohwäche 
verbunden. H. schlägt jedoch für den Ausdruck Stauungsdilatation vor: 
inkompensatorische Dilatation. 

Hr. Moritz-Köln: Das diastolische Herzvolumen kann im Be¬ 
reiche der Norm einem beständigen Wechsel unterworfen sein. Das 
wirksame Moment ist hierbei die Füllung. Demgegenüber stehen Ver¬ 
änderungen der Herzgrösse, welohe durch Erkrankungen des Muskels 
verursacht werden, sogenannte myogene Dilatationen oder Stauungs¬ 
dilatationen im Sinne von Schott. Wenn der Herzmuskel gezwungen 
wird, sich gegen einen höheren Aortendruck zu entleeren, dann nimmt 
sein diastolisches Volumen zu. Der erweiterte Herzmuskel ist dann im¬ 
stande, eine grössere Kraft zu entwickeln, ähnlich wie ein stark ge¬ 
dehntes Gummiband sich auch kräftiger zusammenzuziehen vermag. Im 
Gegensatz zu Schott hat Moritz selbst bei maximalster Anstrengung 
bei Gesunden niemals eine Herzdilatation gesehen, sondern nur bei 
Kranken. Das Herz verkleinert sich vielmehr bei anstrengender Arbeit, 
wenn es dieselbe gut verträgt. 

Hr. de la Camp-Freiburg: Untersuchungen beim Ski Wettlaufen auf 
dem Feldberg zeigten interessanterweise beim Sieger absolut kein ver- 
grössertes, im Gegenteil ein verkleinertes Herz und keine Veränderung 
in der Pulsamplitude, dagegen die maximalste Steigerung des Blut¬ 
drucks. Alle anderen Läufer hatten verminderten systolischen und 
diastolischen Blutdruck. Je später der Fahrer am Ziel ankam, desto 
ausgesprochener waren Herzdilatationen und sonstige Störungen im 
Kompensationsmechanismus. Fast alle Fahrer wiesen eine mehr oder 
weniger starke Albuminurie auf, die stärkste unter Ausschwemmung von 
zahlreichen Cylindern der Sieger. 

Hr. E. Mosler- Berlin: Der Atemstillstand in tiefer In¬ 
spirationsstellung, ein Versuch zur Beurteilung der Kreis¬ 
lauffunktion. 

Der Vortr. misst 5 Minuten lang am Riva-Rocci’schen Apparat oder 
an dem von ihm empfohlenen Metallmanometer „Tykos“ den Blutdruck. 
Dann lässt er langsam und so tief als möglich inspirieren und den Atem 
auf der Höhe der Inspiration 25 Sekunden lang anhalten. Sodann 
müssen die Patienten wieder gewöhnlich atmen. Nach Beendigung der 
Atempause notiert M. nun den Blutdruck von Minute zu Minute. Bei 
diesem Verfahren unterscheidet er folgende Gruppen: 

1. Der Blutdruck bleibt nach dem Versuch unverändert: Bei allen 
gesunden und denjenigen kranken Herzen, die noch als gut leistungs- 
fähig anzusprechen sind. 

2. Der Blutdruck ist beträchtlich gestiegen: Bei den gut leistungs¬ 
fähigen hypertrophischen Herzen. 

3. Der Blutdruck ist gefallen: Bei nicht mehr leistungsfähigen 
Herzen mit und ohne erhöhtem Blutdruok. 

4. Der Blutdruck steigt anfangs, fällt dann, um erst allmählich zur 
Norm zurüokzukehren: Grenzfälle zwischen Gruppe 2 und 8. 

Der Vortr. bespricht eingehend die physikalischen und physio¬ 
logischen Bedingungen seines Versuches und setzt auseinander, weshalb 
er sich berechtigt glaubt, das psychogene Moment vernachlässigen zu 
dürfen. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 


Hr. Strubell-Dresden; Der Einfluss der Leibesübungen auf 
das Elektrocardiogramm und die Funktion des Herzens. 

St. hat als der erste mit der Elektrocardiographie die Teilnehmer 
eines sportlichen Ereignisses aufgenommen, und zwar waren es Schwimmer 
bei einer Schwimmkonkurrenz am 14. März 1909 zu Dresden. Ueber 
diese Versuche hat St. bereits auf dem Kongress für innere Medizin in 
Wiesbaden 1909 berichtet. Nun hat er seine Untersuchungen auch auf 
Skifahrer, Ringer und Sportsleute anderer Gattung ausgedehnt. Im all¬ 
gemeinen erhellt auch durch diese Untersuchungen der günstige Einfluss 
der rationell betriebenen Leibesübungen auf die Herzfunktion. Dagegen 
müssen alle Uebertreibungen, die infolge von starken Arteriendruck¬ 
steigerungen und übergrosser Herzanstrengung das Herz überdehnen, 
ganz entschieden als schädlioh bezeichnet werden. So ist z. B. der Ring¬ 
sport, wenigstens in der Form, wie ihn die Berufsringer treiben, ent¬ 
schieden als ungünstig für das Herz zu betrachten, trotz der damit ver¬ 
bundenen hochgradigen Stärkung der Muskulatur. Diese Ringer sterben 
denn auch jung, meist vor dem 40. Jahre. Günstig können nur die¬ 
jenigen Sportzweige auf das Herz wirken, welche ohne allzugrosse Steige¬ 
rung der Widerstände das Herz allmählich durch die gesteigerte Arbeit 
stärken, so z. B. der Skisport. Hier sollten freilich die einzelnen Sports¬ 
leute womöglich klinisch und elektrocardiographisch überwacht werden, 
um Schädigungen hintanzuhalten, wie sie eine übertriebene Betätigung, 
zu hohes Alter oder latent bestehende Kreislaufstörungen mit sich 
bringen. 

HHr. Ganter - Tübingen und Zahn - Heidelberg: Ueber das 
Elektrocardiogramm des Vorhofes bei normotroper und 
heterotroper Automatic. 

Es Hess sich feststellen, dass bei Entstehung der Herzreize an der 
normalen Stelle (Sinusknoten) der Aktionsstrom des Vorhofes sich im 
wesentlichen als eine einfache positive Zacke darstellt. Verliert der 
Sinusknoten die Führung des Herzens, was im Experiment durch Aus¬ 
schaltung dieser Gegend mittels Kälte oder Exzision herbeizuführen ist, 
so tritt, was schon in früheren Versuchen bewiesen werden konnte, der 
Atrioventrikularknoten an seine Stelle. Die Aenderung des Reizent¬ 
stehungsortes dokumentiert sich nun auch im Verlauf des Vorhofaktions¬ 
stromes, indem bei ihm zunäohst eine ausgesprochene negative Zacke 
auftritt, die bei der üblichen Ableitung meist allein die Vorhofaktion 
anzeigt. Diese typische Aenderung findet sich auch in denjenigen Fällen, 
bei denen nach Ausschaltung des Sinusknotens der Vorhof vor den 
Kammern schlägt. Es Hess sich mit Sicherheit feststellen, dass unter 
diesen Verhältnissen der Herzreiz von den obersten Ausläufern des Atrio¬ 
ventrikularknotens (Gegend der Einmündungsstelle der Coronarvenen) 
ausgeht. Denn durch Abkühlung auch dieses Teiles des Atrioventrikular¬ 
knotens werden die Vorhöfe zum Stillstand gebracht, während die 
Kammern in langsamerem Rhythmus eventuell weiterschlagen. Es wird 
aus diesem Verhalten der Schluss gezogen, dass in den Vor¬ 
höfen des Säugerherzens nur zwei Gebiete zur Bildung von 
regelmässigen Herzreizen befähigt sind: der Sinusknoten 
und die verschiedenen Teile des Atrioventrikularknotens. 

Wird bei der üblichen Ableitung beim Menschen eine 
negative Vorhofszacke im Elektrocardiogramm gefunden, so 
kann daraus geschlossen werden, dass die Reizentstehung 
im obersten Teil des Atrioventikularknotens stattfindet. 

Ein unter pathologischen Verhältnissen auch beim Menschen be¬ 
obachtetes Auftreten von Herzjagen (Tachycardie) konnte im Tierversuch 
an Katzen herbeigeführt und näher analysiert werden. Es zeigte sich 
dabei ebenfalls eine negative Vorhofszacke, und die Kühlung der obersten 
Atrioventrikularknotenabschnitte brachte die Tachycardie zum Ver¬ 
schwinden. Damit ist bewiesen, dass diejenigen Tachy- 
cardien, die mit negativer Vorhofszacke im Elektrocardio¬ 
gramm verlaufen, vom obersten Teil des Atrioventrikular¬ 
knotens ihren Ausgang nehmen. 

Hr. Bittdorf - Breslau: Ueber das Elektroangiogramm. 

Die lange strittige Frage nach der Mitbeteiligung der Schlagadern 
an der Blutbewegung wurde durch Ableitung elektrischer Ströme von 
demselben mit Hilfe des sogenannten Saitengalvanometers zu lösen 
gesucht. 

Es gelang, beim Menschen unter gewissen Bedingungen derartige 
Ströme von der Körperoberfläche (Bein) abzuleiten. Noch leichter 
ist der Nachweis des Auftretens elektrischer Ströme bei jedem Puls 
an der freigelegten Schlagader von Tieren (Kaninchen, Hunden). Es 
liess sich ferner zeigen, dass diese Strömung durch die direkte 
pulsatorische Dehnung der Gefässmuskeln erzeugt wird, während das 
Herzgefässnervensystem keinen Einfluss auf ihre Entstehung zu haben 
scheint. 

Diskussion zu den Vorträgen Mosler - Bittdorf. 

Hr. Volhardt - Mannheim. 

Hr. v. Bergmann - Hamburg-Altona: Bei der dynamischen Be¬ 
trachtungsweise des Pulses bekommt man keinen Aufschluss über Centren 
und Peripherie getrennt, sondern nur über die Resultate. Auf Grund 
derselben kann man trotzdem mit Sicherheit sagen, dass zu einem be¬ 
stimmten Zeitpunkt der Puls besser oder schlechter wird und hat auf 
diese Art objektive Anhaltspunkte für die Beurteilung der Einwirkung 
medikamentöser und hydrotherapeutischer Eingriffe. 

Hr. Christen - Bern begrüsst die ausführliche Nachprüfung seiner 
dynamischen Kreislaufdiagnostik; Die Richtigkeit seiner Messungen ‘hat 
er neuerdings durch einen versenkten künstlichen Puls studieren 


können, wobei sich wieder die völlige Unabhängigkeit der Resultate 
von der Dicke der Weich teile ergab. Eine neue Tabelle ermöglicht die 
direkte Ablesung des Untersuchungsergebnisses ohne vorhergehende 
Multiplikation. 

Hr. Magnus-Alsleben -Würzburg. 

Hr. Hering-Prag weist auf seinen Erklärungsversuch des Elekto- 
angiogramms hin. 

Hr. Riehl-Prag konnte in einem Falle von andauernder Vorhof- 
tachysystolie eine deutliche Verkürzung des Intervalls Vorhofeystole- 
Ventrikelsystole nachweisen. Angesichts des Verhaltens des Elektro- 
cardiogramms schloss R. auf heterotope Reizbildung. 

Sitzung vom Donnerstag, den 17. April 1913. 

Hr. K. Bürker - Tübingen: Die Thoma - Zeiss’sche Zähl¬ 
methode der Erythrooyten gibt um 7 pCt. zu hohe Werte an. 

Vor 2 Jahren ausgeführte vergleichende Versuche in Tübingen und 
im Sanatorium Schatzalp, 300 m über Davos, haben ergeben, dass es 
im Hochgebirge zu einer absoluten Vermehrung der roten Blutkörper¬ 
chen und des roten Blutfarbstoffes kommt, aber zu keiner so grosseo, 
als man bisher angenommen hat, dass ferner einen Monat nach der 
Rückkehr ins Tiefland noch eine sehr beträchtliche Nachwirkung be¬ 
steht. Weitere methodische, zur Sicherung des Resultats mit dem 
neuen Zählapparate des Vortr. angestellte Untersuchungen haben er¬ 
geben, dass die bisher meist benutzte Thoma Zeiss’sche Zählmethode 
mit einem Fehler von 7 pCt. behaftet ist. Das Missverhältnis, das bisher 
zwischen der Zahl der roten Blutkörperchen und dem Farbstoffgehalt 
des Blutes im Hochgebirge beobachtet wurde, beruht darauf, dass der 
durch das rasche Senkungsbestreben der schweren Blutkörperchen in 
der leichteren Verdünnungsflüssigkeit bedingte Fehler im Hochgebirge 
dadurch vergrössert wird, dass dort die Blutkörperchen farbstoffreicher 
werden und dabei sich noch rascher senken. Ganz gewaltig kann der 
Fehler bei Zählung im verschiedenartigen Blute werden, denn das 
Senkungsbestreben ist z. B. bei Rattenblutkörperchen nur 33 pCt 
kleiner, bei Taubenblutkörperchen nur ebensoviel grösser, und bei Frosch¬ 
blutkörperchen gar um 500 pCt. grösser als bei menschlichen roten 
Blutkörperchen. Auoh im pathologischen Blute mit seinen farbstoff¬ 
armen Blutkörperchen einerseits und seinen farbstoffreichen andererseits 
macht sich der Fehler, und zwar in sehr verschiedenem Maasse, geltend. 
Die älteren Zählmethoden sind daher schon unter gewöhnlichen Be¬ 
dingungen zur exakten Ermittlung der Zahl der roten Blutkörperchen 
ungeeignet. 

Hr. Matthes-Marburg: Ueber die Hunter’sche Zungenver¬ 
änderung bei perniciöser Anämie. 

Hunter hat eine Zungenentzündung beschrieben, die angeblioh 
nur bei dieser Erkrankung, und zwar in jedem Falle Vorkommen soll 
und mit analogen Veränderungen im Magendarmkanal einhergeht. 
Hunter hat namentlich auf den Befund von Streptokokken in diesen 
Veränderungen hingewiesen und sie als die Einfallspforte für die die 
Anämie erzeugende Infektion erklärt. Diese Zungenentzündung ist in 
Deutschland bisher nicht als charakteristisch angesehen worden. Vortr. 
berichtet über 10 derartige Fälle mit Zungenveränderungen. Dagegen 
konnte er das Vorkommen von Streptokokken darin nicht bestätigen. 
Wohl aber konnte man durch Sektionsbefunde das Vorkommen einer 
Hämolyse im Pfortadergebiet konstatieren. Darin sowohl wie in der 
Eisenverteilung in den Organen ist eine Stütze für den Ursprung der 
Erkrankung aus dem Gebiete des Verdauungstraktus zu sehen. Die 
Zungenentzündung kommt jedoch nicht in allen Fällen zur Beobachtung. 
Sie ist, wenn vorhanden, diagnostisch wichtig, da sie ein Frübsymptom 
ist und vor den eigentlichen Blutveränderungen auftritt. 

Der Vortr. hält einen infektiösen Ursprung der Erkrankung für 
wahrscheinlich und macht namentlich auch auf das familiäre Vor¬ 
kommen der Erkrankung aufmerksam. Erwiesen ist der infektiöse 
Ursprung aber bisher nicht. Auoh Uebertragungsversuche auf Affen 
schlugen bisher fehl. 

Diskussion: Hr. E. Meyer-Strassburg weist auf die perniciöse 
Anämie der Pferde bin, die man durch Ueberimpfung des Serums kranker 
Tiere auf andere übertragen kann. Nach einer Latenzperiode von zehn 
Tagen treten die anämischen Erscheinungen auf, und auch in Milz und 
Leber entwickeln sich allmählich dieselben histologischen Veränderungen 
wie bei den spontan erkrankten Tieren. 

Hr. Veil-Strassburg: Ueber gesetzmässige Schwankungen 
der Blutkonzentration. 

Bei Untersuchung der Blutkonzentration ist ein ständiger Vergleich 
von Gesamtblut und Plasma von Wichtigkeit. Ein Fall von chronischer 
nichttuberkulöser Bauchfellentzündung, bei dem duroh Bauchpunktion 
7 Liter Flüssigkeit entleert worden waren, zeigte z. B. eine erhebliche 
Eindickung des Gesamtblutes, während das Serum eine noch erheb¬ 
lichere Verdünnung aufwies, ein Verhalten, aus dem hervorgeht, wie 
gross nach solchen Funktionen nicht nur die Wasser-, sondern auch die 
Eiweissverluste des Körpers werden. Bei manchen Gesunden unterliegt 
die Blutkonzentration schon in absoluter Ruhe beträchtlichen Schwan¬ 
kungen, die nur durch den Schlaf aufgehoben werden können. Diese 
Schwankungen stehen in Beziehungen zu Veränderungen des Blutes, die 
für die arteriosklerotische Schrumpfniere typisch sind. Durch den Ader¬ 
lass können diese letzten Veränderungen, eine beträchtliche Blut¬ 
eindickung, für längere Zeit beseitigt werden, was diese Kranken in einen 
sehr gebesserten ffustand versetzt Endlich ergibt das genaue Studium 


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16. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


947 


der Blutkonzentration bei der Herzwassersucht, dass sie einen Grad¬ 
messer für die Wirksamkeit unserer Therapie darstellt. Das gewöhnliche 
Verhalten des Blutes soll dabei das einer mit der Therapie einsetzenden 
Blutverdünnung sein. Denn eine solche entspricht dem Transport des 
Odemwassers. 

Hr. Naegeli-Tübingen: Ergebnisse von Untersuchungen des 
Blutplasmas und Blutserums. 

Die morphologischen Untersuohungsmethoden des Blutes sind zu 
einem Abschluss gekommen. Um weitere Fortschritte zu erreichen, 
müssen physikalisch-chemische Methoden herangezogen werden. So gibt 
die Serumfarbe wichtige diagnostische Anhaltspunkte bei Anämien. 
Chlorosen haben stets abnorm blasses Serum, perniciöse Anämien konstant 
abnorm dunkles, gelbes Serum. Es muss Aufgabe der Zukunft sein, zu 
entscheiden, ob hier immer Bilirubinderivate die Färbung bedingen, oder 
ob es sich um Vermehrung des Luteins handelt. Die refraktometrische 
Methode zur Untersuchung des Eiweissgehaltes gibt viele wichtige 
klinische Befunde. Da die Refraktometer sehr teuer sind, wird ihre 
Anwendung beschränkt bleiben. Vortr. führt den Nachweis, dass durch 
die sehr einfache Viscosimetrie des Blutserums oder Blutplasmas voll¬ 
kommen gleichsinnige Resultate erreicht werden. Die Methode lässt sich 
durch eine kleine Umgestaltung des Viscosimeters noch erheblich ver¬ 
feinern. 

Hr. Julius Bauer - Innsbruck: Untersuchungen über Blut¬ 
gerinnung mit besonderer Berücksichtigung des endemischen 
Kropfes. 

Vortr. fand, dass das Gerinnungsvermögen des Blutes nicht nur, 
wie dies bereits bekannt war, bei Basedowscher Krankheit und ähnlichen 
Formen des Kropfes herabgesetzt ist, sondern auch bei allen Arten von 
Kropf, insbesondere auch bei den zum Kretinismus hinüberleitenden 
Formen, ferner auch bei anderen Affektionen der Drüsen mit innerer 
Sekretion (Pankreas, Hypophysen, Keimdrüsen u. a.). 

Vortr. sah einen Fall von Bluterkrankung (Hämophilie), bei dem 
das Gerinnungsvermögen so hochgradig herabgesetzt war, dass die Ge¬ 
rinnung, statt wie normal, nach 2—3 Minuten zu sein, nach 16 Stunden 
noch nicht erfolgte. Da der Kranke, ein 17 jähriger junger Mann, Sym¬ 
ptome gestörter bzw. mangelhafter Schilddrüsentätigkeit aufwies, be¬ 
handelte ihn der Vortr. mit Schilddrüsensubstanz. Unter dieser Behand¬ 
lung nahm nun das Gerinnungsvermögen so weit zu, dass die Gerinnung 
des Blutes bei dem Kranken in wenigen Woohen in 12 Minuten erfolgte. 
Vortr. zieht hieraus den Schluss, dass die Hämophilie in diesem Falle 
nur ein ins extreme gesteigertes Symptom war, wie es auoh sonst bei 
den verschiedensten Erkrankungen der Drüsen mit innerer Sekretion 
beobachtet wird. 

Hr. Magnus - Aisleben-Würzburg: Ueber die Ungerinnbar¬ 
keit des Blutes bei der Hämoptoe der Phthisiker. 

Das von Sohwindsüchtigen ausgehustete Blut zeigt manchmal die 
sonst ganz ungewöhnliche Eigenschaft, nicht zu gerinnen. Es beruht 
dies wahrscheinlich darauf, dass durch den tuberkulösen Prozess Stoffe 
ähnlich wie bei der Autolyse (Selbstverdauung) frei werden. Während 
nämlich der Presssaft frischer Organe gerinnungsfördernd wirkt, zeigt 
der durch Autolyse gewonnene Extrakt hemmende Eigenschaften. 

Diskussion. 

Hr. Quincke - Kiel: Wenn man den Urin unmittelbar nach dem 
Erwachen untersucht, so zeigt er eine dunklere Farbe und ein höheres 
spezifisches Gewicht, da die Harnsekretion im Schlafe vermindert ist. 
Lässt man den betreffenden Menschen 2—3 Stunden noch ruhig im Bette 
liegen, ohne etwas zu trinken zu geben, so ist der hernach gelassene 
Harn wieder heller und von geringerem spezifischen Gewicht. Schläft der 
Patient dagegen nochmal 2—3 Stunden ein, so bleibt das Absinken des 
spezifischen Gewichts und die Harnvermehrung aus. 

Hr.Determann-St. Blasien macht auf die bedeutenden Schwankungen 
der Viscosität aufmerksam, welche durch Schwankungen des Gasgehalts 
veranlasst werden und hauptsächlich das Gesamtblut, nicht so sehr das 
Serum, betreffen. Vor einer Ersetzung der Viscosimetrie durch Refrakto- 
metrie ist entschieden zu warnen. Um die Unstimmigkeiten der Resultate 
aufzuklären, die sioh bei den Bestimmungen mit den Apparaten von 
Hess und Determann ergeben, und die mit der Viscositätszunahme 
des Blutes wachsen, wäre eine objektive Prüfung der Apparate yon 
dritter Seite erwünscht. 

Hr. Volhardt - Mannheim hebt die ausgedehnten Versuche von 
Keller hervor, die bei cardialem Oedem Hydrämie vermissen lassen. 
Entsteht Hydrämie, dann tritt auch Diurese ein, das gilt auch für die 
Oedemkrankheit katexochen, die degenerative Erkrankung der Niere, die 
wir nach Müller Nephrose nennen. Es ist eben in diametralem Gegen¬ 
satz zu unseren bisherigen Anschauungen die schlechte Kochsalz- und 
Wasserausscheidung durch die Oedeme bedingt, und wir finden daher 
nicht hydrämisches, sondern abnorm eingedicktes Blut. Die Oedeme 
wurden also extrarenal, nicht renal bedingt. Es besteht offenbar ein 
Missverhältnis zwischen Wasseraustritt aus den Gefässen und Wasser¬ 
resorption aus den Geweben infolge einer Gefässschädigung, welche mit 
der Entzündung der Nierengefässe nicht parallel gehen kann, da wir bei 
entzündlichen Nephritiden jedes Oedem vielfach vermissen. Der Name 
„arteriosklerotische Schrumpfniere“ wird besser durch „arteriosklerotische 
Niere“ ersetzt. 

Hr. Reiss-Frankfurt a. M.; Sohon Böhme hatte darauf hingewiesen, 
dass Muskelkontraktion die Bhitkonzentr&tioh erhöhe.^Na*h Schlaf .ist 
daher auch die Blutkonzentration ausserordentlich niedrig. Die »von den 


Physiologen gefundenen Normalwerte können nicht der Praxis als Normal- 
werte zugrunde gelegt werden, da man unter den gewöhnlichen Versuchs¬ 
bedingungen höhere Werte findet als bei vollständig ausgeruhten Menschen. 
Man könnte auf diese Art leicht Werte als pathologisch bezeichnen, die 
es gar nioht sind. Viscosimetrie und Refraktometrie sind keine Kon¬ 
kurrenz-, sondern Ergänzungsmethoden. 

Hr. Bürker - Tübingen verhält sich gegen die Angaben über 
Aenderungen der Blutzusammensetzung unter physiologischen Verhältnissen 
sehr skeptisch, da er unter solchen Bedingungen stets eine erstaunliche 
Konstanz der Blutzusammensetzung beobachtet hat. Bei der Fuld- 
schen Methode der Gerinnungszeitbestimmung sprechen die Befunde von 
2—3 Minuten für eine Fehlerquelle, denn bei 25° C beträgt sie sonst 
noch 5 (Minuten. Bei 500 Einzelbestimmungen von Schiössmann- 
Tübingen stimmten die Vergleicbsbestimmungen aus Vene und Finger¬ 
kuppe nach der Methode von Bürker vollkommen überein, die Gewebs¬ 
flüssigkeit hat somit keinen Einfluss auf die Geriunungszeit. 

Hr. E. Meyer - Strassburg: Bei den Patienten mit Präsklerose 
tritt nach einmaligem Aderlass ein allgemeiner Umschwung im Befinden 
ein. Bei Trockendiät befinden sich diese Kranken ausserordentlich 
schlecht, was durch die hohen refraktometrischen Werte des Serums 
zu erklären ist. Bei reichlicher Versorgung mit Flüssigkeit bessert 
sich der Zustand dieser Patienten. Die übermässige Furcht vor zu 
grosser Wasserzufuhr rührt wohl von den Untersuchungen über das 
Münchener Bierherz her; tatsächlich zeigen Patienten, die sehr viel 
Flüssigkeit durch das Herz durchpumpen (Diabetes inaipidus) niemals 
Blutdrucksteigerungen oder Herzvergrösserungen. Bei Patienten mit 
Harnstauung und Polyurie im Gefolge von Prostatahypertrophie werden 
die allerhöchsten Serum werte gefunden. Die Operationschancen werden 
bei diesen Patienten bedeutend günstiger, wenn durch reichliche 
Flüssigkeitszufuhr die Serumwerte vorher zur Norm zurückgeführt 
werden. 

Hr. Morawitz - Freiburg: Spritzt man Hunden oder Katzen Blut, 
das man ihnen eben entzogen, in die Pleura ein und entnimmt es wieder 
nachher, so wird es ungerinnbar infolge Fehlens des Fibrinogens. 
Wahrscheinlich ist es durch die Endothelien der Pleura physikalisch ver¬ 
ändert worden. Mit Rücksicht auf diese Erfahrung ist an zu nehmen, dass 
auch bei der Ungerinnbarkeit des Hämoptysikerblutes eine Aenderung 
des Fibrinogens eine Rolle spielt. 

Hr. Lichtwitz - Göttingen: Die Werte der Viscosimetrie und Re¬ 
fraktometrie lassen sich nicht miteinander direkt vergleichen, wenn man 
nicht mit dem Thermostaten arbeitet, denn die Viscosität ist ausser¬ 
ordentlich abhängig von der Temperatur. Es kommt übrigens nicht nur 
auf die Eiweissmenge, sondern auch auf die Verteilung der Kolloide an. 
So erlangte Serum durch Schütteln mit Tierkohle vasokonstriktorische 
Eigenschaften. Naoh Heubner quillt die Sehne bei 0° besser als bei 
Körpertemperatur, hat also einen negativen Temperaturkoeffizienten, 
ebenso der Muskel. In der Niere besitzt die Rinde einen positiven, das 
Mark hingegen einen negativen Quellungskoeffizienten. Wenn nun eine 
physikalische Aenderung, wie Temperaturwechsel eine so entgegen¬ 
gesetzte Wirkung bei Mark und Rinde der Niere haben, kann man 
sich auch vorstellen, dass chemische Körper unbekannter Art eine 
andere Einwirkung auf das Serum und eine andere auf die Gewebe 
ausüben. 

Hr. Volhardt - Mannheim: Bei Nierensklerosen wirkt Trockendiät 
ausgezeichnet, speziell Anfälle von Asthma cardiale verschwinden sofort. 

Hr. Determann - St. Blasien: Bei seinem Viscosimeter ist ein 15° 
eingestellter Thermostat stets in Verwendung. 

Hr. Friedei Kahn-Kiel: Ueber hämolytischen Icterus. 

Kahn berichtet über eine Reihe von Fällen von sogenanntem hämo¬ 
lytischen Icterus und ihre Beeinflussung durch Milzexstirpation. Bei 
allen war das Krankheitsbild in charakteristischer Weise ausgebildet; 
es bestand meist seit vielen Jahren Gelbsucht, mehr oder weniger starke 
Blutarmut mit Verminderung der Widerstandsfähigkeit der roten Blut¬ 
körperchen. Sieben Fälle gehörten der erblich-familiären, drei der er¬ 
worbenen Form an. Bei zwei Patienten wurde die stark vergrösserte 
Milz mit überraschendem Erfolg exstirpiert. Die Gelbsucht verschwand, 
die Blutarmut wurde vollkommen behoben. Nach einer anfänglich starken 
Gallenfaibstoffausscheidung im Urin, die vor der Operation fehlte, ent¬ 
hielt der Harn keinerlei Gallenfarbstoffe mehr. Ebenso Hess sich im 
Stickstoff- und Harnsäurestoffwechsel nach anfänglicher übermässiger 
Ausschwemmung dieser Substanzen eine Rückkehr zur Norm zeigen. 
Die roten Blutkörperchen erlangten eine wesentlich bessere Widerstands¬ 
fähigkeit. Nach diesen Erfahrungen sollte man annehmen, dass die Milz 
nicht allein sekundär erkrankt ist, sondern primär den Sitz des Leidens 
ausmacht. Die zum ersten Male bei familiärer Form dieser Krankheit 
gemachte Milzexstirpation ermuntert bei dem relativ einfachen Eingriff 
unter Berücksichtigung besonderer Indikation zur öfteren Vornahme 
dieser Operation. Ferner sind diese Erfahrungen geeignet, für die heute 
noch grossenteils hypothetische Funktion der Milz neue Gesichtspunkte 
zu liefern. 

Diskussion. 

Hr. Lommel-Jena: Der Name hämolytischer Icterus ist nioht 
glücklich gewählt, denn die Hämolyse findet sich auch bei der per- 
niciösen Anämie und Icterus kann gelegentlich auch fehlen, die 
Resistenzverminderung bei sonst ganz typischen Fällen desgleichen. 
Zwei Kinder einer. Frau ny| hämolytischem Icterus besitzen chronische 
Milztumoren, die nunmehr seit 10 Jahren ohne jede Störung »des Blut- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 


bildes und des Allgemeinbefindens beobachtet werden, ein drittes Kind 
starb an Pseudoleukämie. 

Hr. Liohtwitz - Göttingen: Es ist eine ganz gesetzmässige Er¬ 
scheinung, dass im Harn Urobilin ausgeschieden wird und im Blute eine 
Gallenfarbstoffreaktion nachweisbar ist. Dabei ist die Niere aber für 
Gallenfarbstoffe nicht undurchlässig, denn bei intercurrierender Chole- 
lithiasis geht Gallenfarbstoff in den Urin über. Möglicherweise bandelt 
es sich also bei den Fällen von hämolytischem Icterus um andere Farb¬ 
stoffe als Bilirubin, die durch die Niere nicht durchgehen. 

Hr. Decastello-Wien: Bei einem Falle, der eine Mittelstellung 
zwischen erworbenem hämolytischen Ioterus und perniciöser Anämie 
ein nimmt, zeigte sich eine deutliche Herabsetzaug der Erythrocyten- 
resistenz. Auch hier war der Erfolg der Splenektomie ein aus¬ 
gezeichneter. 

Hr. Bauer - Innsbruck macht auf das häufige Vorkommen von 
Erythrocyten mit vitalfärbbaren Granulis aufmerksam, ferner auf die 
Herabsetzung der Erythrocytenresistenz bei Untersuchung nach Ent¬ 
fernung des Plasmas, während bei Versuchen im eigenen Plasma normale 
Werte gefunden werden. 

Hr. Kahn (Schlusswort): Bei der hereditären Form ist die Kesistenz- 
verminderung immer nachweisbar. Die Splenektomie ist nur bei er¬ 
heblicher Berufsstörung des Patienten durch die vefgrösserte Milz an¬ 
gezeigt. 

Hr. S. Bergei - Hohensalza: Die klinische Bedeutung der 
Lymphocytose. 

Die weissen Blutkörperchen spielen im Kampfe des Organismus 
gegen Krankheitserreger eine bedeutende Rolle. Die Lymphocyten 
speziell enthalten ein fettspaltendes Ferment. Die klinische Beobachtung 
lehrt, dass bestimmte Krankheiten mit einer Vermehrung bestimmter 
Gruppen von weissen Blutkörperchen einhergehen. Vortr. hat auf Grund 
experimenteller Untersuchungen das biologische Gesetz festgestellt, dass 
gegen fettartige Krankheitserreger die mit fettspaltenden Eigenschaften 
versehenen Lymphocyten in Funktion treten, während sich gegen die 
eiweissartigen Infektionserreger die eiweissverdauenden Leukocyten 
richten. In den Körper eingeführtes Fett wird von den einkernigen un- 
granuHerten Zellen aufgenommen und verdaut. Die Verklumpung und 
Auflösung der roten Blutkörperchen wird infolge Verklebung bzw. 
völligen Schmelzens ihrer fetthaltigen Oberfiächenschicbt durch das 
Ferment der gleiohen Zellart bewirkt. Vor allen Dingen aber erwiesen 
sich bei Krankheitserregern fettartigen Charakters, inbesondere bei 
Tuberkulose, Lepra, Syphilis, die Lymphocyten als ein mächtiges Ab¬ 
wehrmittel des Organismus. Hier umgeben sie den Krankheitsherd wie 
ein schützender Wall, der imstande ist, die Infektionsstoffe, teilweise 
wenigstens, in ihrer Giftigkeit abzuschwächen. Diese Fermente, die sich 
auoh in die Blutbahn ergiessen, haben die Fähigkeit, sich spezifisch 
gegen das betreffende Krankbeitsgift einzustellen und dasselbe unschäd¬ 
lich zu machen. Auch die Wassermann’sohe Reaktion beruht auf einer 
spezifischen Einstellung des fettspaltenden Lymphocytenferments gegen 
die fettartigen Syphiliserreger. Diese Befunde haben nicht bloss wissen¬ 
schaftliches Interesse, sondern eröffnen auch für die Therapie erfolg¬ 
versprechende Ausblicke. 

Diskussion. 

Hr. Turban-Davos: Die von Stäubli bei Gesunden im Hoch¬ 
gebirge gefundene Lymphocytose konnte bei Untersuchungen in T.'s 
Laboratorium in langen Versuchsreihen bestätigt werden. Man kann 
darin einen unterstützenden Faktor bei der Heilkraft des Hocbgebirgs- 
klimas suchen. 

Hr. Rothschild-Bad Soden: Lymphocytensputa bilden ein charakte¬ 
ristisches Phänomen der beginnenden Lungentuberkulose. 

Hr. Schröder-Schömberg hat, von ähnlichen Gedanken wie Vortr. 
ausgehend, Milzbreiinjektionen bei der Behandlung experimentell er¬ 
zeugter Tuberkulose vorgenommen. 

Hr. Reich er-Bad Mergentheim weist darauf hio, dass er mit Neu- 
berg und Rosenberg zuerst auf den weitgehenden Parallelismus 
zwischen Lipolyse einerseits und Hämolyse und Bakteriolyse anderer¬ 
seits hingewiesen hat. R. konnte in weiteren Versuchen durch In¬ 
jektionen verschiedener Lipoide, unter anderen auch des Nastins, die 
Fettspaltuogskraft des tierischen Organismus erhöhen. Auch bei der 
Immunisierung von Tieren gegen Erythrocyten kann man entsprechend 
dem Ansteigen des hämolytischen Titers eine Zunahme der lipolytischen 
Kraft des Serums wahrnehmen. 

Hr. Bergei (Schlusswort) erinnert an die klinische Bedeutung der 
verminderten lipolytischen Fähigkeit des Blutes Schwangerer, die Hof¬ 
bauer gefuuden, und bezeichnet die Fälle von Tuberkulose, welche ein 
starkes Fettspaltungsvermögen im Serum aufweisen, als prognostisch 
günstig. 

Hr. Jamin-Erlangen: Ueber juvenile Asthenie. 

J. berichtet über eine Untersuchungsreihe an jugendlichen Personen, 
bei welchen ohne die für Chlorose bezeichnenden Veränderungen des 
Blutbildes und der Blutfarbe die Symptome der Bleichsucht bestanden. 
Ein Teil der Fälle stand durch leichte Störungen in der Gestaltung und 
Farbe der roten Blutkörperchen der echten Chlorose nahe und war mit 
Eisen erfolgreich zu behandeln. Bei einem anderen Teil waren die An¬ 
zeichen der Schwäche, Blässe usw. auf anderweitige innere Krankheiten 
zurückzuführen. Eine dritte Gruppe von besonders hartnäckigen und 
schwer beeinflussbaren Fällen zeigte bei normalem roten Blutbild eine 
Veränderung der weissen Blutzellen, nämlich Abnahme ihrer Gesamtzahl 
und Vorherrschen der einkernigen Formen. Es ist anzunebmen, dass es 


sich bei dieser, als „juvenile Asthenie 0 bezeichneten Krankheit des Ent- 
Wicklungsalters um Störungen der inneren Sekretion, und zwar, wie der 
Vergleich mit dem kindlichen Blutbild nahelegt, um eine Entwicklungs¬ 
hemmung handelt 

Hr. Brauer-Hamburg: Weitere klinische und experimentelle 
Erfahrungen über arterielle Luftembolie. 

Vortr. beriohtet in abschliessender Form über die Klinik und 
Anatomie sowie experimentelle Untersuchungen über Luftembolie in die 
Lungenvenen und damit in das arterielle System. Der dieser Form der 
Luftembolie folgende klinische Symptomen komplex ist unter dem Ein¬ 
flüsse der sich häufenden lungenchirurgischen Maassnahmen in den letzten 
Jahren häufiger zur Beobachtung gekommen. 

Das Charakteristische ist, dass die Luft in die Lungenvenen ein¬ 
dringt. Dies geschieht entweder durch Ansaugung seitens des linken 
Herzens oder duroh inspiratorische Saugbewegungen in dem betreffenden 
Lungenabscbnitt oder endlich durch Ansaugung der Luft duroh den Blut¬ 
strom in einem Seitenast des eröffneten Gefässes. 

Das klinische Bild ist zu trennen in die akuten und in die Dauer¬ 
erscheinungen. Akut setzt gewöhnlich ein schwerer Shock, eventuell 
mit Bewusstseinsverlust, eventuell mit sofortigem Tode oder den aller¬ 
verschiedensten Hirnsymptomen ein. Im weiteren Verlaufe kann dann 
entweder eine völlige Rückkehr zur Norm eintreten oder irgendwelche 
Reiz- oder Lähmungssymptome am Centralnervensystem übrigbleiben. 
Es ist natürlich ausserordentlich wahrscheinlich, dass auch gelegentlich 
die zufälligen, plötzlichen, schlagartigen Tode, wie sie mit Einsetzen 
einer Lungenblutung gelegentlich beobachtet werden, durch Luftembolie 
und nicht durch Blutaspiration und Erstickung zustande kommen. In 
der Literatur existiert bislang ein positiver Sektionsbefund. Doch sollte 
auf diese Frage seitens der Kliniker und Anatomen unbedingt genauer 
geachtet werden. Eingehende experimentelle Untersuchungen, die im 
Verein mit Herrn Weber an einer grösseren Reihe von Affen, Hunden 
und Kaninohen und bei grössten Versuchsvariationen ausgeführt wurden, 
haben bei verschiedenen noch unklaren Fragen der Luftembolie nunmehr 
gezeigt, dass die so vielfach hervortretende Behauptung, es handle sich 
in den beobachteten klinischen Bildern um Pleurareflexe, irrig ist. Die 
feineren gehirnanatomischen Untersuchungen wurden von Herrn Dr. Spiel¬ 
meyer durchgeführt. Die Luftembolie in die Arterien stellt eine 
prinzipielle, eigenartige, experimentelle Läsion des Gehirns dar. Das 
meiste von dem, was in der Literatur bis auf die neueste Zeit als 
reflektorische Vorgänge geschrieben wurde, gehört in das Kapitel der 
Luftembolie. 

(Fortsetzung folgt.) 


Aerztliche Rechtsfragen. 

Streitfragen über die Liquidation der Aerzte. 

Von 

Dr. Haas Lieske-Leipzig. 

Soit geraumer Zeit liefern die Liquidationen der Spezialärxte 
zu Erörterungen der Judikatur und zu Klagen der Patienten ständig 
neuen Stoff. Die Kardinalfrage lautet hier: „Ist auch der 
Spezialarzt an die in der Gebührenordnung für Aerzte 
aufgestellte Taxe gebunden? u Eine Umschau in der juristi¬ 
schen Literatur hierüber zeigt, wie ja leider so oft, auch in diesem 
Punkte statt feststehender Thesen ein Chaos von Meinungen. Fest 
steht über all dem allein, dass die Anwendung der Taxe durch 
den Willen der Beteiligten ausschaltbar ist; Vereinbarungen zwischen 
Arzt und Patient über die Höbe des die Taxe überschreitenden 
Honorars sind also von vornherein zu respektieren. Zweifel er¬ 
blühen aber alsbald bei der Frage danach, wann angesichts des 
Fehlens bestimmter Abreden über den Geldpunkt aus dem Still¬ 
schweigen des Patienten ein unbedingtes Sichunterwerfen unter 
die die Taxe überschreitende Honorarforderung erblickt werden 
darf. Darüber hören wir hier von kompetenter Seite die Ansicht 
verfechten, eine Vereinbarung einer Vergütung in bestimmter Höhe 
sei aus dem Verhalten des Kranken schon dann herauszulesen, 
wenn sich dieser von einem Spezialisten in Kenntnis solcher Eigen¬ 
schaft als Arzt behandeln lasse, ohne über das Honorar zu reden. 
Anderenorts aber wird diese These lebhaft befehdet. Und zwar 
erklärt man hier, es sei nicht abzuseben, wieso das Schweigen 
des Patienten über die Honorarfrage zu der Deutung zwänge, dass 
er die Bemessung des Honorars in das freie Belieben des Spezial¬ 
arztes stellen wolle. Freilich sei dem Patienten ja meist bekannt, 
dass der Spezialist höhere Gebühren als ein gewöhnlicher Arzt 
nehme; diese Kenntnis rechtfertige aber nicht die Folgerung, es 
habe der Patient damit die Taxe aus dem Vertrags Verhältnis 
absolut ausschalten wollen. Vielmehr lege des Patienten Schweigen 
den Schluss nahe, es sei die taxenmässige Vergütung vereinbart 
Denn die Taxe sei ja gerade zum Schutze des Publikums gegen 
willkürliche Honorarforderungen erlassen, und die Gebührenordnung 
scbliesse sonder Zweifel auch die Tätigkeit der Spezialisten ein. 


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19. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


949 


Das ergebe sich schon aus dem Umstande, dass sie auch für 
solche Leistungen Gebühren auswerfe, die überhaupt nur von 
Spezialärzten vorgenommen werden. Mithin sollen nach der letzt¬ 
gedachten Auffassung die Sätze der Gebührenordnung in strittigen 
Fällen, d. h. überall dort, wo besondere Honorarvereinbarungen 
fehlen, auch für Spezialärzte maassgebend sein. Zur Bekräftigung 
solcher These wird weiter von ihren Verfechtern auf den weiten 
Spielraum der Gebührenordnung aufmerksam gemacht, der es an¬ 
geblich gestattet, auch den berechtigten Mehrforderungen hervor¬ 
ragender Spezialisten entsprechendes Gehör zu verschaffen. Reichen 
aber die Gebührenordnungssätze wirklich nicht aus, nun dann 
haben die Aerzte in solchen Fällen ja immer noch das Mittel 
ausdrücklicher Vereinbarung höherer Honorare Im allgemeinen 
aber sieht der Gewährsmann für die geschilderte Auffassung eine 
Aufgabe der Rechtsprechung auch darin begründet, gegenüber 
unmässigen Mehrforderungen der Spezialärzte die Sätze der Ge¬ 
bührenordnung nach Möglichkeit zur Geltung zu bringen, weil er 
es unberechtigt schilt, dass sich jeder beliebige Spezialarzt über 
die auch für ihn geschaffene Taxe ohne weiteres binwegsetzt. 
Lassen wir in dieser wichtigen Frage nach der Theorie die Praxis 
in einem Urteile des Stettiner Oberlandesgericbts zu Worte kommen. 

Der Fall behandelt eine Radikaloperation beiderseits von Stirn- 
und Siebbein in Narkose, vorgenommen von einem Spezialisten in 
seiner Privatklinik und zwar mit glänzendem Erfolge. Vergütungs¬ 
vereinbarungen fehlen. Dagegen besteht für das streitige Rechts¬ 
verhältnis in der Gebührenordnung für approbierte Aerzte und 
Zahnärzte eine Taxe. Frage: „Kann aus dem Stillschweigen über 
die Liquidation billigerweise der Wille der Beteiligten heraus¬ 
gelesen werden, sich über die Satzungen der Taxe binwegzusetzen 
und dafür das von dem Arzt Verlangte treten zu lassen ?“ Bei 
der Beantwortung fixiert das erkennende Oberlandesgericht zunächst 
als Norm, es sei im allgemeinen auf einen Willen des Patienten, 
die Taxe, die doch zu seinem Schutze und zum Schutze des 
Publikums gegen übermässige Honoraransprüche erlassen sei, zu 
überschreiten, nicht zu schliessen. Diese Norm aber soll auch 
unter den besonderen Umständen des zu entscheidenden Falles 
prävalieren. Der sein Honorar einklagende Arzt wird zwar als 
ein besonders verdienstreicher Spezialist und als Privatdozent von 
bestem Ruf und Leiter einer vielbesuchten Privatklinik in der Reichs¬ 
hauptstadt auch durch die Urteilsgründe besonders anerkannt. Als 
erwiesen betrachtet das Urteil des weiteren, dass die von dem 
Operateur vorgenommene schwierige Operation Gesundheit und 
Leben des beklagten Patienten gerettet hat. Weiter steht fest, 
dass der Beklagte der wohlhabenderen Geschäftswelt einer Pro¬ 
vinzial bau ptstadt angehört und durch seine Verwandten schon 
vor der Behandlung darüber instruiert war, dass der behandelnde 
Arzt in seiner Eigenschaft als ausgezeichneter und vielgenannter 
Spezialist und Universitätsdozent sich nach den seitens der Ver¬ 
wandten gemachten Beobachtungen mutmaasslich nicht nach der 
Gebührenordnungstaxe werde richten wollen. Bei solcher Sach¬ 
lage, meine ich, liegt allerdings der Schluss sehr nahe, es möchte 
sich namentlich im Hinblick auf die ausserordentlich schwierige 
und gefährliche Operation, im Hinblick ferner auf den grossen 
Ruf des Operateurs und auf die günstige pekuniäre Lage des 
Operierten annehmen lassen, letzterer habe bei Abschluss des 
Vertrages mit dem Arzte die Honorarbestimmung in dessen billiges 
Ermessen stellen mögen. Solche Auffassung teilt jedoch das er¬ 
kennende Oberlandesgericht nicht. Es negiert die Erlaubnis einer 
sicheren Folgerung dahin, dass der Beklagte dem klagenden Arzt 
ein solches freies Bestimmungsrecht habe einräumen mögen. Viel¬ 
mehr neigt das Oberlandesgericht zu der Auffassung, es habe 
zwar der Patient erwarten müssen, dass der Arzt die höchsten 
Sätze der '.Taxe liquidieren werde; ein Ueberschreiten der Tax¬ 
sätze habe , er dagegen nicht voraussehen müssen. Die logische 
Konsequenz j solcher Meinung musste selbstverständlich zu einer 
Abweisung der Klage des Arztes, der über die Taxe hinaus 
liquidiert hatte, führen. Der für die Spezialisten sich daraus er¬ 
gebende Rat aber lautet:' ;; Will ein Spezialaczt die den Patienten 
schütztende staatliche Taxe überschreiten, so erscheint es geboten, 
den Patienten darüber rechtzeitig zu informieren, zumal gerade 
der Arzt von vornherein allein den Verlauf der Behandlung sach¬ 
kundig zu beurteilen vermag. Sonst erscheint eben nach dem 
zitierten Verdikt] auchrein Spezialarzt an die in der Gebühren¬ 
ordnung für Aerzte aufgestellte TaxeJgebunden. 

Verweilen wir noch mit einigen Worten bei dem ohne Zweifel 
sehr wichtige^ Kapitel über die ärztlichen Honorare und ihre 
rechtliche Würdigung. Die Judikatur belehrt uns hier ^ a. aueh 
darüber, da*s es vor den Schranken des Gerichts versucht worden 


ist, die Zahlung des Honorars für Operationen von dem Erfolge 
der operativen Behandlung abhängig zu machen. „Haftet* 1 , so 
lautet danach die Frage, „ein Arzt für den Ausgang der 
Operationen? 11 Die kurze und unzweifelhafte Aufklärung aber 
heisst: Selbst wenn es sich um die Vornahme einer ganz be¬ 
stimmten vereinbarten Operation handelt, so kann doch der Arzt 
auch für ihren ungünstigen Verlauf nicht ohne weiteres haftbar 
gemacht werden. Schadenersatzansprüche und Honorarvorentbal- 
tungen wegen des Misserfolges einer Operation sind vielmehr aus¬ 
schliesslich dann begründet, wenn solcher Misserfolg von dem 
Arzte verschuldet ist, oder aber, wenn der Arzt ausdrücklich für 
günstigen Ausgang der Operation Garantie übernommen hat. 
Anderenfalls ist auf eine Absicht der approbierten Aerzte, für 
den Erfolg von vornherein einstehen zu wollen, berechtigterweise 
nicht zu schliessen. Und zwar um so weniger, als ja erfahrungs- 
gemäss bei Operationen der Erfolg keineswegs lediglich von des 
Operateurs Tüchtigkeit abhängt. Will man also annebmen, es habe 
ein Arzt im speziellen Falle wirklich seine Honoraransprüche voU 
dem Gelingen eines bestimmten operativen Eingriffes abhängig 
machen wollen, so findet man eine Berechtigung zu solcher Prämisse 
ausschliesslich in einer diesen Willen völlig klar und zweifelsfrei 
bekundeten Abmachung des Operateurs. 

Ebenso interessant und in das tägliche Leben einschneidend, 
wie viel diskutiert, ist schliesslich die Frage nach der Pflicht der 
Aerzte zur Spezifikation ihrer Deservitenrechnungen. 
Muss der Arzt auf Wunsch des Patienten seine Rechnung auch 
dann, wenn sie sich im Rahmen der Gebührenordnung hält, 
spezialisieren, oder muss er es nicht? Hierüber ist vor dem Forum 
der Gerichte wiederholt gestritten worden, ohne dass wir aller¬ 
dings aus dem Streite eine feststehende gerichtliche Praxis profi¬ 
tieren. Vielmehr hören wir hier ein Ja, dort ein Nein aus dem 
Munde der Richter. „Ja u , sagt das Oberlandesgericht München 
unter der Begründung: Das Rechtsverhältnis des Arztes zu seinem 
Patienten sei regulär ein Dienstvertrag, und nur geleistete Dienste 
verpflichteten zur vereinbarten taxenmässigen oder üblichen Ver¬ 
gütung. Schon daraus aber leite sich das Recht des Zahlungs¬ 
verpflichteten her, zu erfahren, welche Dienste denn nun eigentlich 
geleistet worden seien. 

Anders das Münchener Landgericht, das also des Arztes 
Pflicht auf Spezifikation seiner Deservitenrechnung ablehnt. Hier 
hören wir Proklamation der These: Es fehle ein Rechtssatz des 
Sinnes, dass der Arzt Bezahlung für geleistete Dienste erst nach 
Rechnungslegung hierüber verlangen könne, weshalb eine Ver¬ 
pflichtung zu einer Vorleistung des Arztes in der geschilderten 
Art nicht anzuerkennen sei. Gegen die letztgenannte von den 
beiden aufgezählten jüngst bekundete Auffassung haben sich 
allerdings, wenn auch nicht in den Kreisen der Richter, so doch 
in der Literatur Stimmen energischen Protestes erhoben. In ihm 
wird zur Begründung einer Spezifikationspfiicht des Arztes darauf 
aufmerksam gemacht, dass der Patient ja sonst, das heisst ohne 
Spezifikation, gar nicht nachzuprüfen vermöge, ob der Arzt in 
seiner Pauscbalforderung nicht die übliche Taxe überschritten 
habe, da er, der Patient, die Einzelansätze ja nicht kenne. Wolle 
man das Verlangen nach spezialisierter Abrechnung von der 
Hand weisen, so führe das zu dem unbefriedigenden Ergebnisse, 
wonach ein Patient die ihm vorgelegte Pauschalrechnung stets 
kritiklos begleichen müsste, selbst wenn sie ihm zu hoch erschiene. 
Auch sei es gar nicht einzusehen, warum nicht ein Arzt, ebenso 
•wie jeder andere, der selbständige Dienste leistet, zur Spezifikation 
seiner Rechnung verbunden sei. Schon des Bürgerlichen Gesetz¬ 
buches Norm, die eine Leistung so zu bewirken befiehlt, wie 
Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es fordern, 
schliesse die Verpflichtung in sich, dass der Arzt, wie jeder 
andere Geschäftsmann, sein Honorar erst beanspruchen könne, 
wenn er die verlangte Spezifikation gegeben und dem Patienten 
damit die Nachprüfung seiner Rechnung ermöglicht habe. Gegen 
diese Auffassung vermöchte aber der häufige Gebrauch der 
Aerzte, ihre Rechnung nicht zu spezifizieren, nicht anzukommen; 
denn ein Patient, der die Pauschalrechnung des Arztes zahle, 
verzichte stillschweigend auf Spezifizierung; er habe eben zum 
Arzte. das Vertrauen, dass dessen Paaschalforderung richtig 
berechnet sei; mit diesem Regelfall rechnen die pauschaliter 
liquidierenden Aerzte. Verlange aber der Patient spezifizierte 
Forderung, so"dokumentiere er hierdurch dem Arzte gegenüber 
seinen auf Nachprüfung gerichteten Willen; diese Nachprüfung 
könne ihm der Arzt nicht verwehren; er seT-vielmehr ver¬ 
pflichtet, die Unterlagen hierzu da*ch Spezifizierung der Rechnung 
zu geben. c ' 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 


Dem Begehren nach spezifizierter Rechnung wird freilich 
schon sehr oft das Berufsgeheimnis des Arztes entgegenstehen. 
Denn sobald es über Existenz und Höhe der Forderung zwischen 
den Parteien zu Dissonanzen kommt, die schliesslich vor dem 
Gerichte ausklingen, dann muss notgedrungen der seine Forderung 
im speziellen motivierende Arzt in den überwiegenden Fällen das 
Leiden des Patienten zum mindesten vor die Richter und — 
bei der in Deutschland herrschenden Oeffentlichkeit des Ver¬ 
fahrens — auch noch vor ein grösseres Auditorium bringen. Ein 
Punkt, der selbst von dem Oberlandgericht München, welches, 
wie wir hörten, für eine ärztliche Spezifizieruogspflicht plädiert, 
nicht übersehen wird. Auch nach jenem Urteil kann man einem 
Arzte solche Spezifizierung der Rechnung dann unbedingt nicht 
zumuten, wenn sie ohne unbefugte Offenbarung von Privatgeheim¬ 
nissen untunlich wäre. Und doch wird hier der beklagte Arzt 
trotz seiner Berufung auf die ihm obliegende Geheimnis- 
wahrung zur Spezifikation verurteilt. Kläger war in jenem 
Rechtsstreite der Ehemann der behandelten Patientin. Die ihm 
für Behandlung seiner Frau übersandte Rechnung erschien ihm 
zu hoch, weshalb er im Klagewege Detaillierung forderte. Dazu 
stellen die Urteilsgründe des genannten Gerichts ausdrücklich 
fest, dass der Ehemann durchaus nicht etwa die Natur der 
Krankheit seiner Frau oder die Ursachen derselben kennen lernen, 
sondern lediglich wissen wollte, welche Dienstleistungen der be¬ 
klagte Arzt im einzelnen gemacht habe. Zur Belehrung des 
sich auf sein Berufsgeheimnis stützenden Arztes meint nun das 
erkennende Gericht, es bedürfe keiner weiteren Ausführungen, 
dass derlei vom Kläger geforderte allgemeine Angaben, wie 
beispielsweise über Einspritzungen, Massage, Auskultationen usw. 
ohne nähere Angaben der Körperteile, an denen und in welchen 
sie vorgenommen wurden, eine Verletzung des Berufsgeheimnisses 
an sich nicht enthalte. Um so weniger, als hierbei der Kenntnis 
und dem Takte des Arztes ein weiter Spielraum im einzelnen 
gegeben sei. Selbstverständlich drängt sich jedem Arzte bei der 
Lektüre solchen Verdiktes der Einwurf auf die lächelnden Lippen, 
dass eine derartige Spezifikation für einen seriösen Menschen 
überhaupt untunlich ist, weil sie nichts, denn eine leere Spiegel¬ 
fechterei einschliesst., De'hft eine spezifizierte Rechnung im Sinne 
der hier von dem Oberlandgericht München vorgeschriebenen 
würde starker Komik zweifellos nicht entbehren, weil sie, ent¬ 
hielte sie beispielsweise die Posten — 11 Auskultationen, 14 Ein¬ 
spritzungen usw. — nicht nur farblos wäre, sondern eine ernste 
Nachprüfung auf ihre Ordnungsmässigkeit ganz unmöglich zuliesse. 
Das erkennende Gericht fühlt das auch; der Versuch, diesen 
Einwurf zu entkräften, muss aber wohl als gänzlich misslungen 
charakterisiert werden. Es erklärt nämlich, inwieweit eine solche, 
sozusagen „farblose“ Darstellung praktische Bedeutung habe, 
erscheine gleichgültig; der Kläger begnüge sich jedenfalls mit 
einer solchen und wolle nur wissen, was und wie oft etwas ge¬ 
schehen ist. Gerade diese Wissenschaft aber, meine ich, kann 
ihm ohne ernsthafte Spezifikation, welch letztere darum ohne 
Verletzung des Berufsgeheimnisses kaum zu ermöglichen gewesen 
sein dürfte, nicht werden. Denn sobald der Kläger wirklich 
erfährt, was geschehen ist, dann weiss er wohl auf alle Fälle 
auch um die Natur des behandelten Leidens, und zum mindesten 
würde es ihm möglich sein, auf Grund solch spezialisierter 
Rechnung sich derartige Kenntnis aus dem Munde eines Sach¬ 
verständigen, d. h. des Arztes, zu holen. Die Aerztewelt wird, 
meine ich, aus diesem Grunde mit vollem Rechte gegen das 
Ansinnen, ihre Deservitenrechuung spezialisieren zu müssen, 
Front machen und verlangen, dass sie sich etwa auf die An¬ 
gabe der Zahl der Besuche des Patienten oder bei ihm be¬ 
schränken darf. 

Die Kollision der Schweigepflicht des Arztes mit der 
ihm angesonnenen Verpflichtung, vor Gericht klagweise seine 
Honoraransprüche zu spezialisieren, ist gerade in einem jüngst 
vom Reichsgericht abgeurteilten Fall akut geworden und darf 
als ein gewichtiger Beitrag der ganzen Frage nach der Berech¬ 
tigung einer Forderung spezialisierter Liquidation gelten. Der 
Fall, in dem schliesslich das Reichsgericht ein „Schuldig“ gegen 
den angeklagten Arzt ausspracb, lag folgendermaassen: 

Bei einem Arzte A. erscheint ein Herr B. und beauftragt den 
Arzt, das erkrankte Mädchen G. auf seine, des Auftraggebers, 
Kosten in Behandlung zu nehmen. Der Arzt behandelt denn 
auch die Kranke, erhält aber trotz wiederholter Mahnung kein 
Geld yon deppB. und*sieht sich deshalb schliesslich veranlasst, 
.sjch mit seiner Liquidation -an den Vater des Mädchens C. zu, 
wenden. Indessen begegnet er auch vor dieser Instanz mit seiner 


Honorarforderung tauben Ohren und übergibt darum endlich die 
Sache einem Rechtsanwalt zu gerichtlichem Austrage. Der 
Anwalt, der seitens seines Klienten, des Arztes A., von der Natur 
der Krankheit der G. unterrichtet worden ist, reicht denn auch 
die Klage ein und lässt in ihr die Natur der Infektionskrankheit 
der G. durchblicken. Hierauf basiert die von dem Reichsgericht 
wegen Verletzung der Schweigepflicht ausgesprochene Verurteilung 
des angeklagten Arztes. Bei der Mitteilung des Sachverhaltes an 
den Rechtsanwalt ging der Arzt davon aus, dass jener alles ihm 
mitgeteilte zur Klage verwerten und in der mündlichen Ver¬ 
handlung zum Vortrag bringen werde. Es schützt aber, wie das 
Reichsgericht ausführt, das Strafgesetzbuch den An vertrauenden 
bedingungslos in jeder weiteren Mitteilung seines Privatgeheim¬ 
nisses an dritte Personen, soweit die Schweigepflicht besteht und 
die weitere Mitteilung unbefugt ist. „Ich bin“, macht der Arzt A. 
dagegen geltend, „aber befugt gewesen, meinem Rechtsanwalt den 
ganzen Sachverhalt mitzuteilen, weil ich nur so auf Zahlung 
hoffen durfte.“ Allein das Reichsgericht bestreitet diese Be¬ 
fugnis. Es erklärt dem Angeklagten, dass ihm die Natur und 
der Grund der Infektionskrankheit innerhalb der Ausübung seiner 
ärztlichen Tätigkeit bekannt geworden und ihm also kraft seines 
Standes oder Gewerbes anvertraut worden sei. Nach dem Grund¬ 
gedanken des die Schweigepflicht des Arztes statuierenden Straf¬ 
gesetzbuches sei der Arzt A. daher zur Schweigepflicht gegen¬ 
über jedermann obligiert gewesen. „Ob diese allgemeine Schweige¬ 
pflicht ausnahmsweise wegfällt, wenn der Arzt bei ihrer strengen 
Einhaltung ausserstande wäre, im Streitfälle seine Ansprüche 
auf Gegenleistung wirksam gerichtlich zu verfolgen, bedarf im 
vorliegenden Falle keiner Erörterung“, da das Gericht aus¬ 
drücklich festgestellt bat, dass zur Begründung der Klage die 
Offenbarung jenes Geheimnisses weder geboten, noch auch nur 
förderlich gewesen sei. 

Bei der Lektüre der von mir unter Anführungstrichen ge- 
äusserten Worte des Reichsgerichtes gewinnen wir die Ueber- 
zeugung, dass unserem obersten Gerichtshof die Befugnis der 
Aerzte, vor Gericht ihnen Anvertrautes dann auszuplaudern, wenn 
es zur Verfolgung ihrer berechtigten Ansprüche unerlässlich not¬ 
wendig ist, zum mindesten hochgradig problematisch erscheint 
Wenn aber ein Arzt in der Verfolgung seiner ohne jeden Zweifel 
unbedingt berechtigten Interessen, nämlich im Kampfe um sein 
Honorar, schon von einer Motivierung seiner Ansprüche Abstand 
nehmen muss, wie viel weniger kann ihm da zugemutet werden, 
seine Liquidation durch Spezifizierung seiner Deservitenrechnung 
zu begründen, sobald darin auch nur die Möglichkeit einer Ver¬ 
letzung des Berufsgeheimnisses erblickt werden kann. 

Die letzte hier za behandelnde Frage in Sachen ärztlicher 
Honorarforderung gelte dem Hausarzte. Auch über ihn ist sehr 
viel geschrieben worden. Leider aber herrscht auch hinsichtlich 
seiner an Stelle der notwendigen Einheit der Anschauungen Fehde 
unter den einzelnen Literaten. Die meines Wissens znm letzten 
Mal erörterten Probleme darüber stammen von Justizrat Korn 
und gewähren einen kurzen und doch erschöpfenden Ueberblick 
über den hier herrschenden Kampf der Ansichten. Der von 
Korn erörterte sog. Hausarztvertrag hat zum Gegenstände die 
bekannte nnd beliebte Vereinbarung zwischen Arzt und Patient, 
wonach ein Arzt eine bestimmte Zeitdauer lang die Behandlung 
der Familie gegen festgesetztes Pauschale übernimmt. Die Arbeits¬ 
leistung, die der Arzt dabei zu bewältigen hat, dankt er dem 
Zufall, d. h. er muss für sein Pauschale alle notwendigen ärzt¬ 
lichen Behandlungen vornehmen, sei es nun, dass sie, gemessen 
an der Höhe des Honorars, reichlich zahlreich oder lächerlich 
gering sind. Der Vertrag bindet eben beide Teile an ihre ge¬ 
troffenen Abmachungen. Natürlich aber gibt es Gründe, die eine 
vorzeitige Beendigung dieses Vertragsverhältnisses rechtfertigen. 
Korn denkt dabei an den Tod des Patienten und an den not¬ 
wendigen Wegzug des Arztes oder des Patienten. Im übrigen 
gestattet unser Bürgerliches Recht, das hierüber zu dem Arzte 
spricht, beiden Teiles Kündigung ihres Vertragsverhältnisses ohne 
Einhaltung einer Frist beim Vorliegen wichtiger Gründe. Worin 
aber liegt solch wichtiger Grund? Eine ebenfalls zweifelhafte 
Frage. Bei der Fixation von Beispielen dahin beantwortet sie 
Korn mit der Erklärung, es sei ein wichtiger Grund möglicher¬ 
weise in verletzender Kritik ärztlicher Leistungen, im Wegznge 
des Arztes oder Patienten nach einem entfernten Stadtteil, in der 
Unterlassung oder Verspätung von Besuchen zu finden. Liegt er 
auch darin, dass ein Hausarzt nicht unaufgefordert regelmässige 
Visiten machf, wenn der Hausarztvertrag dies nicht befieht? Koro 
verneint das mit Recht unter dem triftigen Hinweis darauf, dass 


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19. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


961 


ärztliche Leistungen besonders bestellt tu werden pflegen. Ge¬ 
setzt nun, der Vertragsschliessende Patient ist innerhalb der Ver¬ 
tragsfrist gestorben und der wichtige Grund zur Vertragslösung 
hierdurch gegeben und benutzt worden. Auch dadurch werden 
Streitpunkte über die Höhe des Honorars geschaffen, deren Exi¬ 
stenz ein kurzes Beispiel illustrieren möge. Der Hausarztvertrag 
läuft laut Vereinbarung vom 1. Januar bis 31. Dezember. Zu¬ 
folge des Todesfalles des ihn abschliessenden Familienvaters wird 
er aber bereits am 1. Mai gelöst. Als Vergütung hatte der Arzt 
für die ganze Jahresdauer 240 M. zu fordern. Wieviel darf er 
jetzt nach Lösung des Vertrages für die gehabte Mühewaltung 
verlangen? Ist ihm ein dem Jahrespauschale entsprechender Teil 
zu zahlen? Oder berechtigt die vorzeitige Lösung zur Aufstellung 
einer den gehabten Mühewaltungen angemessenen Berechnung? 
Man wird diese Frage, überdenkt man die Intentionen der Parteien 
beim Abschluss des Vertrages, im letztgedachten Sinne beant¬ 
worten. Denn als der Arzt den Vertrag abschloss, bat er sich 
bei der Fixation seines Honorars ohne jeden Zweifel von der 
Rücksicht auf die Länge der Vertragsdauer leiten lassen und 
seine Liquidation also im Hinblick auf Voraussetzungen angesetzt, 
die in der Tat nicht eingetroffen sind. So schliessen wir mithin, 
dass der bei Auslegung von Verträgen dominierende Wille der Ver¬ 
tragsschliessenden nicht darauf gerichtet gewesen ist, bei unvor¬ 
hergesehener vorzeitiger Lösung des Vertragsverhältnisses die 
Vergütung ebenfalls pauschaler zu liquidieren und zu zahlen 1 ). 

Sämtliche Literatur zitiert bei Staudinger, 5. u. 6. Aufl., Recht 
der Schuldverhältnisse, 2. Teil, S. 1069—71. 


Adolf Baginsky zum 70. Geburtstage. 

Am 22. Mai feiert AdolfBaginsky, der Mitbegründer der deutschen 
Kinderheilkunde, seinen 70. Geburtstag. Seine straffe, aufgereckte Ge¬ 
stalt, sein durchgearbeiteter, bedeutender Kopf verraten freilich nichts 
davon. Der lebhafte Anteil, den er hörend, redend, schreibend allen 
Fragen seiner Fachwissenschaft entgegenbringt, lässt den Gedanken an 
Greisentum nicht aufkommen. Und doch, wenn einer, so hätte Adolf 
Baginsky das Recht, müde zu sein. Wir glücklichen Nachfahren, 
denen vortrefflich eingerichtete Kinderkliniken zu fachmännischer Aus¬ 
bildung offen stehen, können uns nur schwer vorstellen, mit welchen 
Mühen und Opfern die Gründer unserer Wissenschaft ihre Kenntnis vom 
gesunden und kranken Kinde erworben und vertieft haben. Als der 
junge Arzt Baginsky die Früchte seiner gut angewandten Studienzeit 
als Landdoktor und später in Nordhausen ernten wollte, erkannte er 
sehr bald, dass ihn die Berliner Universität, wie ausgezeichnet ihre 
Lehrer auch waren, auf die Krankheiten des Säuglings- und Kindesalters 
nur höchst dürftig vorbereitet hatte; entsprechend der Gleichgültigkeit, 
mit der die Forschung damals das jüngste Lebensalter betrachtete. 

Gerade solch Brachland zu bebauen, musste den Forscherdrang und 
den Arbeitstrieb Baginsky’s reizen. Er kehrte nach Berlin zurück 
und eröffnete im kinderreichen Norden Privatpraxis und Ambulatorium. 
Gleichzeitig studierte er, mit erstaunlicher Arbeitskraft gesegnet, patho¬ 
logische Anatomie, physiologische Chemie und Bakteriologie; mit so 
gutem Rüstzeug versehen, untersuchte er in zahlreichen Arbeiten Physio¬ 
logie und Pathologie des Kindesalters. Die Ergebnisse seiner Forschung 
legte er grossenteils in dem von ihm mitbegründeten und noch heute 
von ihm herausgegebenen Archiv für Kinderheilkunde sowie in seinem 
in zahlreichen Auflagen verbreiteten Lehrbuch der Kinderheilkunde 
nieder. 

Stets bestrebt, nach dem Goethewort alle seine „ Eigenschaften zu 
kultivieren“, liess er neben seinem Forscherdrang auch sein hervor¬ 
ragendes Organisationstalent nioht unbefriedigt. In zahlreichen Arbeiten 
machte er sorgfältig durchdachte Vorschläge zum Ausbau der Kinder¬ 
fürsorge, in einer Zeit, wo die soziale Hygiene noch so gar nicht modern 
war und dem Kinderschutz noch nioht wie heute ein „augustisch Alter 
blühte“. Sein Lehrbuch der Schulhygiene legt Zeugnis ab von dem 
weiten sozialärztlichen Gesichtskreis Baginsky’s. 

Aber als Mann der Tat liess er es nicht bei Vorschlägen bewenden. 
Schon die Seehospize beispielsweise fanden an ihm einen energischen 
Förderer. Vor allem aber ist seiner nie erlahmenden Tatkraft die aus 
Mitteln der privaten Wohltätigkeit erfolgte Errichtung des ersten grossen 
modernen Kinderkrankenhauses im Jahr« 1890 zu verdanken, 
des Kaiser und Kaiserin Friedrich-Kinderkrankenhauses, 
wie es getauft wurde im Hinblick auf den warmen und tätigen Anteil, 
den die Kaiserin Friedrich dem Plane Baginsky’s entgegenbrachte. 
Die Errichtung dieses Kinderkrankenhauses ist in Wahrheit eine vorbild¬ 
liche soziale Grosstat zu nennen, besonders wenn man sich vor Augen 
führt, wie dürftig damals die Gelegenheit war, kranke Kinder anstaltlich 
zu versorgen. Ungezählte Scharen siecher Kinder fanden in den hellen. 


,, 1) Mittlerweile ist diese Auffa^pg von anderer Seite freilich wieder 
bestritten worden. ( ( 


luftigen Räumen ihre Gesundheit wieder. Dass Bau und Einrichtung 
mustergültig waren, ist selbstverständlich. Ueberall zeigt sich, mit 
welchem Weitblick Baginsky den Betrieb dieser Anstalt einriohtete. 
Um nur einige charakteristische Dinge zu erwähnen: Von Anfang an 
hatte sich das Krankenhaus der sachverständigen Mitarbeit eines be¬ 
soldeten Chemikers zu erfreuen, eine Maassnah me, deren Zweckdienlich¬ 
keit andere Anstalten erst viele Jahre später erkannt haben. Die An¬ 
gliederung einer vollwertigen chirurgischen Station, unter Gluck’s Leitung, 
erweist sich als gleich nützlich für die Behandlung der Kranken wie für 
die Ausbildung der Assistenten. Dann sei erinnert an die Pflegerinnen¬ 
schule, die Baginsky in der Einsioht ins Leben rief, dass die Säug¬ 
lings- und Kinderpflege eine besondere Schulung erfordere. Als die 
Stadt im Jahre 1900 das Krankenhaus übernahm, schlug dieser in voller 
Blüte stehenden Schule leider die Sterbestunde. Heute bildet die Aus¬ 
bildung von Säuglings- und Kinderpflegerinnen eine Hauptforderung der 
modernen Fürsorgebewegung. Die Musteranstalt wurde die Pflanzstätte 
einer stattlichen Schar von Aerzten, die ihr dort erworbenes Wissen in 
alle Teile Deuschlands und des Auslands trugen. Baginsky selbst 
reifte in klinischer Beobachtung und emsiger Bearbeitung des gewaltigen 
Krankenmaterials zu dem grossen Arzt, als den ihn seine Schüler und 
seine Klienten schätzen. Hier wurden die Grundzüge für die Anwendung 
des Behring’schen Diphtherieheilserums aufgestellt, hier wurde und 
wird manch neues Diaeteticum für das Säuglingsalter sorgsam und ob¬ 
jektiv geprüft. Allerdings fühlt sich Baginsky stark verantwortlich 
für das Wohl seiner Schutzbefohlenen, und das „nil nocere“ ist ihm 
oberstes Gesetz. Auch ist ihm eine gesunde therapeutische Skepsis 
eigen, wie sie bei einem kritischen Beobachter nicht verwunderlich ist, 
der TzeptnXofiev&v ivtaurätv so viel unfehlbare Heilmittel und Heilwege 
hat sang- und klanglos in den Orkus sinken sehen. 

Dies Krankenhaus mag Baginsky wohl als die Krone seines Lebens¬ 
werkes betrachten, und so ist es ihm eine tiefe Freude, dass die Stadt 
jetzt das Haus in stattlicher Weise ausbaut. 

So kann Adolf Baginsky heute mit freudigem Stolz auf den 
zurückgelegten Weg blicken. Gesundheit, Arbeitskraft und Arbeitsfreude 
sind ihm bis heute treu geblieben. Wie wir jungen Assistenten gar 
manches Mal, wenn wir in mitternächtiger Stunde die Potsdamer Strasse 
durchschritten, seine Studierlampe durch die Nacht schimmern sahen, so 
arbeitet auch heute noch bis in die tiefe Nacht hinein der von seiner 
Lebensaufgabe ganz erfüllte und hingenommene Mann. 

Dieser mit scharfem, eindringendem Verstände, mit unbeirrbarem 
Weitblick gepaarte Fleiss hat ihn gipfelwärts den Weg geführt, den ihm 
niemand geebnet hat. Er ist ihn gegangen immer sich selber treu, ohne 
seine Ueberzeugung je umzubiegen oder auch nur zu verbergen. 

Dem verehrten Lehrer, dem ausgezeichneten Arzt und Forscher, 
dem aufrechten Manne sei unser herzlichster Glückwunsch dargebracht! 

Tugendreich-Berlin. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. In der Sitzung der Hufelandischen Gesellschaft vom 
8. Mai (Vorsitzender: Herr Strauss) demonstrierte Herr Siegheim einen 
Fall von Lues heriditaria tarda, Herr Finkeistein einen Fall vonBronchial- 
drüsentuberkulose. (Diskussion: Die Herren Buttermilch, P.Frankel, 
Pollnow, Strauss.) Herr Sohmieden berichtete über einen Fall von 
Zerreissung der Vena cava inferior. (Diskussion: Herr W. Israel.) 
Herr Strauss demonstrierte einen Fall von aplastischer Anämie nach 
Magenblutung und besprach zwei Fälle von chronisch-acholurischen 
Icterus. (Diskussion: Herr Ewald.) Herr Gottsohalk fasste seine 
Erfahrungen betreffs der Abderhalden’schen Schwangerschaftsreaktion 
zusammen. (Diskussion: Herr Erler, Ublmann.) Herr Krön stellte 
einen eigenartigen Fall von Dystrophia musculorum progressiva an. 
(Diskussion: Die Herren Ewald, W. Alexander.) 

— In der Sitzung der Berliner orthopädischen Gesell¬ 
schaft am 5. Mai (Vorsitzender: Herr Joaohimsthal) sprach Herr 
Schuster über die Differentialdiagnose der Fingerkontrakturen. (Dis¬ 
kussion: Herren Kölliker - Leipzig, Joachimsthal, Schuster.) Herr 
Peltesohn und Herr Joachimsthal sprachen über seltene Thorax¬ 
anomalien (Diskussion: Herren Hel bürg und Böhm), Herr Oppen¬ 
heim über Röntgenbehandlung der Knochen- und Gelenktuberkulose. 

— Düsseldorfer Akademie für praktische Medizin. Der 
Kursus über soziale Medizin beginnt bereits am 80. Juni und dauert bis 
11. Juli. Auskunft erteilt das Sekretariat der Akademie Moorenstrasse. 

— Die Fortschritte in der ärztlichen und sozialen Ver¬ 
sorgung des gesunden und kranken Säuglings umfasst ein vom 
Gentralkomitee für das ärztliche Fortbildungswesen in Preussen in Ver¬ 
bindung mit dem Seminar für soziale Medizin veranstalteter Zyklus 
von Kursen und Vorträgen, der im Kaiserin Auguste Viktoria- 
Hause in Berlin vom 2. bis 11. Juni d. J. stattfindet. Bei dem Zyklus 
wirken als Dozenten mit: Prof. Dr. Langstein, Direktor des Kaiserin 
Auguste Viktoria-Hauses, in Verbindung mit dem Oberarzt Dr. Bahrdt 
(Säuglingsklinik), Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Franz und Prof. Dr. Lang¬ 
stein (Das Stillen, einschliesslich Am men wesen), Privatdozent Dr. Arndt 
(Hautleiden), Dr. A. Peyser (Hals-, Nasen-, Ohrenleideo), Prof. 
Dr, Krückmann (Augenleiden), Prof. Dr. Fintel st ein‘(Die Beziehungen 
der 1 KoBBfttotionsanomalien im Sä&glingsaltef zu den 1 Erkrankungen 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 


einzelner Organe), Stabsarzt Dr. Hörne mann (Milchhygiene), Dr. Edel¬ 
stein (Milchchemie), Prof. Dr. Langstein, Dr. Bahrdt und 
Dr. Thomas (Diätetik und Milchkücbenwesen), Dr. Rott (Was soll man 
Mädchen und Mütter in der Säuglingspflege lehren, und wie verhilft man 
ihnen zum Mindestmaass der erforderlichen Kenntnisse?), Dr. Bahrdt 
(Praktische Uebungen in der Säuglingspflege und ärztlichen Technik), 
Dr. Rott (Die Unterweisung des Hilfspersonals in der Säuglingspflege), 
Stabsarzt Dr. Hornemann (Stallhygiene der Milchtiere), Stadtrat San.- 
Rat Dr. Gottstein (Zusammenhang der Säuglingsfürsorge mit der all¬ 
gemeinen Wohlfahrtspflege), Dr. Rott Wie kann man Säuglingsfürsorge, 
einschliesslich Milchwesen, organisieren?), Prof. Dr. Langstein (Die 
Besonderheiten des Säuglingsalters). Ausserdem werden Vorträge in 
Verbindung mit Besichtigungen der für die Kursteilnehmer sehens¬ 
werten Institute gehalten von: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Baginsky 
(Tuberkulose im Säuglingsalter — Kaiser und Kaiserin Friedrich-Kinder¬ 
krankenhaus), Prof. Dr. Bendix (Sommersterblichkeit — Säuglingsklinik, 
Charlottenburg), Dr. Lissauer (Ueber Mütterheime — Mütterheim 
Westend), Abhaltung einer Sprechstunde (Säuglingsfürsorgestellen Berlin), 
Privatdozent Dr. L. F. Meyer (Lues congenita — Kinderasyl, Schmidt- 
Gallisch-Stiftung), Dr. Rott (Krippenwesen — Krippe Kyffhäuserstrasse), 
Dr. Japha, Dr. Oberwarth und Dr. Orgler (Demonstration poli¬ 
klinischer Fälle —-Kinderhaus Blumenstrasse), Dr. Rott (Berufsvor¬ 
mundschaft und Säuglingsfürsorge — Kaiserin Friedrich-Haus für das 
ärztliche Fortbildungswesen), Prof.Dr.Erich Müller (AkuteInfektionen 
im Säuglibgsalter — Waisenhaus in Rummelsburg). — Die Teilnahme 
an dem Zyklus ist nur Aerzten gestattet und unentgeltlich (gegen Er¬ 
stattung einer Einschreibegebühr von 5 M. für den ganzen Zyklus). 
Meldungen vom 15. Mai an im Bureau des Kaiserin Friedrich-Hauses für 
das ärztliche Fortbildungswesen, Berlin NW. 6, Luisenplatz 2—4. 

— Den Glückwünschen, die aus der Feder eines seiner Schüler 
unserem verehrten Mitarbeiter, Prof. Adolf Baginsky, in dem Artikel 
auf S. 951 dieser Wochenschrift zu seinem 70. Geburtstage dargebracht 
werden, schliesst sich die Redaktion dieser Wochenschrift aus vollem 
Herzen an! 

— Die italienische Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie 
hat Herrn Prof. Dührssen zum Ehrenmitglied, Herrn Prof. P. Strass- 
xhann zum korrespondierenden Mitgliede ernannt. 

— Häufig schon wurden Klagen darüber laut, dass es „nicht¬ 
offiziellen“ Forschern schwer falle, einen Platz für ihre Arbeiten zu 
finden; denn mit einem nach Studentenart zu belegenden Arbeitsplatz 
ist natürlich einem selbständigen Forscher nicht viel geholfen. Als die 
Gründung der Kaiser Wilhelms-Gesellschaft bekannt wurde, hofften wohl 
manche, dass in ihren Forschungsinstituten auch solchen freien Forschern 
ein Unterkommen gewährt werden würde. Ob dies möglich ist und in 
Zukunft geschehen wird, bleibt abzuwarten. Auf einem anderen Wege 
sucht ein Vorschlag Waldeyer’s die Aufgabe zu lösen, indem er im 
Herrenhaus die Schaffung eines Privatdozentenhauses anregte. Damit 
wäre schon viel gewonnen, aber keineswegs genug; denn wissenschaft¬ 
liche Arbeit ist heute nicht mehr ein Reservat der Dozenten, und gerade 
die Nicht-Habilitierten leiden besonders unter dem erwähnten Mangel. 
Also man folge nur Waldeyer’s Vorschlag, lasse aber dabei seine 
Konsequenzen nicht aus dem Auge und schaffe freie Forschungsinstitute. 

— Der „Verband der Tierschutzvereine“ hat sich an die Vertreter 
der ärztlichen Forschung gewandt, um sich von ihnen sagen zu lassen, 
„innerhalb welcher Grenzen der wissenschaftliche Versuch am lebenden 
Tier als unentbehrlich anzusehen ist“. Zu diesem Zwecke schrieb er 
unter dem eben citierten Thema eine Preisaufgabe aus, welche von den 
Herren Rieh. Lehmann in Freiburg i. Schl, und Werner Fischer- 
Defoy in Quedlinburg erfolgreich gelöst wurde. Man muss anerkennen, 
dass die Tierschutzvereine damit den richtigen Weg beschritten haben, 
und darf einem solchen verständigen, von den sonstigen maasslosen 
Angriffen wohltuend sich abhebenden Vorgehen gegenüber gerne und 
offen zugestehen, dass eine Schärfung des Gewissens bei manchen Ex¬ 
perimentatoren durchaus nicht unangebracht erscheint. Deshalb ist der 
kleinen Broschüre (Kommissionsverlag von Franz Wagner-Leipzig), die 
die beiden Preisausschreiben enthält, auch die weiteste Verbreitung zu 
wünschen, und zwar sowohl in den Kreisen der Forscher, wie in dem 
Lager der „Antivivisektionisten“. 

— Die „Deutsche Gesellschaft für Kaufmannserholungs¬ 
heime E. V.“ hat kürzlich in Wiesbaden ihr erstes Heim eröffnet. 
Dabei hielten der Handelsminister Dr. Sydow und Sanitätsrat Sonnen¬ 
berger-Worms Ansprachen. 

— In Nr. 19 dieser Wochenschrift erwähnten wir unter Hinweis auf das 
im Ministerialblatt veröffentlichte Resultat des Impfgeschäfts im 
Jahre 1912, dass der nächste deutsche Aerztetag sich mit der Impffrage 
befassen wolle, um gegen die immer bedrohlicher werdenden Angriffe 
gegen das deutsche Impfgesetz Stellung zu nehmen. Mit Rücksicht auf 
die Tatsache, dass die Gegner des Impfzwanges besonders in den 
Reihen der Sozialdemokratie zu fioden sind, ist von Interesse, dass in 
Nr. 9 der Sozialistischen Monatshefte Herr Kollege Chajes lebhaft für 
das Impfgesetz eintritt, wie er unseres Wissens auch schon früher 
einmal getan. 

— Die bekannte Streitfrage, ob unsere ärztlichen Lokalvereine, 
die mit den Krankenkassen verhandeln sollten, als wirtschaftliche Ver¬ 
eine anzusehen sind und demnach die Eintragung ins Vereinsregister 


nicht beanspruchen können, wurde jetzt für den Bereieh des preussischen 
Kammergerichts im Sinne des Ministers des Innern entschieden. 

— Die soeben erschienene erste Abteilung des Jahresberichts über 
die Leistungen und Fortschritte in der gesamten Medizin 
(Virchow’s Jahresbericht, jetzt herausgegeben von Waldeyer und 
Posner) weist eine wichtige Neuerung insofern auf, als den bisherigen 
Kapiteln: Descriptive Anatomie, Histologie und Entwicklungsgeschichte, 
die von Prof. Sobotta-Würzburg bearbeitet sind, ein neuer Abschnitt: 
Physische Anthropologie voraufgeschickt ist — die Anregung 
hierzu hat Herr Geheimrat Waldeyer gegeben, die Bearbeitung über¬ 
nahm Prof. Paul Bartels - Königsberg. An Stelle der Herren Prof. Wohl- 
gemuth und Loewy hat Herr Dr. Bornstein - Hamburg die physio¬ 
logische und pathologische Chemie übernommen — der Abschnitt Physio¬ 
logie verblieb in den Händen von Prof. R. du Bois-Reyraond. Auch 
sonst zeigt das Mitarbeiterverzeichnis einige bemerkenswerte Aende- 
rungen: Prof. Oestreich - Berlin übernahm die allgemeine Pathologie 
— als Nachfolger Pagel’s Herr Prof. Sudhoff - Leipzig die Geschichte 
der Medizin. Prof. Siemerling - Kiel berichtet jetzt über den grössten 
Teil der Erkrankungen des Nervensystems, Dozent Dr. v. Jagic-Wien 
über Krankheiten des Circulationsapparats, Privatdozent Dr. Franke- 
Heidelberg über allgemeine Chirurgie; Geheimrat Schwabach - Berlin 
über Ohrenkrankheiten; Prof. Asch - Strassburg über Krankheiten des 
Harnapparats. 

Hochschulnachrichten. 

Würzburg. Prof. Boveri hat den Ruf als Direktor des Instituts 
für experimentelle Biologie der Kaiser Wilhelms-Gesellschaft in Dahlem 
abgelehnt. — Wien. Nachdem der Wunsch, F. Kraus oder L. Krebl 
an Stelle v. No Orden’s zu erhalten, sich aussichtslos erwiesen, ist 
nunmehr A. Schmid- Halle dafür in Aussicht genommen worden. — 
Bern. Habilitiert: Dr. Landau für Anatomie. — Lemberg. Professor 
Gluzinski wurde zum Hofrat ernannt. 


Amtliche Mitteilungen. 

Personalien. 

Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 4. Kl.: San.-Rat Dr. 
A. Scheele in Schwelm. 

Königl. Kronen-Orden 8. Kl.: ordentl. Professor, Geh. Med.-Rat Dr. 
A. Heffter in Berlin, Marineoberstabsärzte a. D. W. Riegel, bisher 
vom Sanitätsamt der Mnrinestation der Ostsee, und Dr. R. Evers, 
bisher von der Marinestation der Nordsee. 

In den Ruhestand getreten: Kreisarzt, Med.-Rat Dr. Altendorf 
in Prüm. 

Niederlassungen: Dr. H. Machwitz in Charlottenburg, Dr. H. 
Putzig in Berlin, Arzt M. Bache in Halberstadt, Dr. P. Ritter in 
Jerichow, Arzt H. Schink in Erxleben, Dr. C. Schneider in Glad- 
beck-Brauck. 

Verzogen: Dr. J. Wittemann von Heidelberg nach M.-Gladbach, 
Arzt G. Haas von Würzburg nach Hamborn, Dr. A. Bittner 
von Giessen nach Mülheim (Ruhr), Dr. W. Theopol d von 
Duisburg-Meiderich nach Lemgo (Lippe), San.-Rat Dr. H. Hacken¬ 
berg von Remscheid nach Düsseldorf, Geh. San.-Rat Dr. F. Wolff 
von Berlin-Wilmersdorf, Dr. M. R. Bonsmann von Marburg und 
Dr. J. Fauth von Strassburg i. E. nach Cöln, Dr. A. Schneider 
von Wiesbaden und Dr. K. Koch von Barmen nach Bonn, Dr. E. 
Fränkel von Bonn nach Heidelberg, Dr. H. Baumeister von Cöln 
nach Bedburg (Kr. Bergheim). Dr. F. Appel von Schöneberg (Kreis 
Marien bürg, Westpr.) nach Spantekow, Dr. H. Appel von Spantekow 
nach Anklam, Dr. J. Hering von Clettwitz nach Stettin, Dr. P. 
Michaelis von Eggesin nach Chemnitz, Dr. G. Brinck von Wasser¬ 
leben nach Eggesin, Arzt F. Borchert von Degow nach Afrika, Dr. 
F. Büscher von Strelitz nach D*gow, Dr. G. Buchsteiner von 
Pennekow nach Stolpmünde, Dr. H. Wittenberg von Gadderbaum 
nach Neinstedt b. Thale, Arzt J. Bering von Gescher nach Münster, 
Dr. E. Lohmann von Borgentreich nach Arnsberg, Dr. F. Joelsohn 
von Bonn, Arzt A. Machatius von Apenburg (Kr. Salzwedel), Dr. 
K. Meyer von Birken werder, Dr. G. Reim an n von Nürnberg, Arzt 
R. Pott von Wilhelmsruh, Aerztin Dr. E. Troschel geb. Schulz 
von Mainz, Dr. H. Duesberg von Mülheim a. Rh., Dr. V. Schauss 
von Erfurt, Dr. E. Kobligk von Dortmund, Dr. H. Beumer von 
Düsseldorf und Dr. F. Wagner von Oberaching nach Berlin, Arzt 
W. Glaser von Tempelhof, Arzt J. Geiger von München, Arzt R. 
v. Hippel von Berlin-Lichterfelde, Dr. H. Jordan von Mannheim, 
Arzt J. Ohlmann von Frankfurt a. M., Dr. F. Prinzing von Ulm 
nach Charlottenburg. 

Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Aerztin E. 
Dinckelacker, Dr. E. Aronbeim, Dr. B. Goldmann, Dr. K. 
Heuser und Dr. F. Tbeilhaber von Berlin, Dr. W. Mirauer von 
Charlottenburg, Dr. A. Blitz von Bad Oeynhausen. 

Gestorben: Kreisarzt, Geh. Med.-Rat Dr. Lehmann in Hameln, Dr. F. 
Löwenstamm in Charlottenburg, San.-Rat Dr. A. Hamann in 
Jerichow, Arzt R. Uterwedde in Erxleben, Dr. K. Redecker in 
Koblenz. 


Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hane Kohn, Berlin W„ Bayrenther Strasse 43. 


Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin* — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4. 


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UNIVERSUM OF IOWA 




BERLINER 


Die Berliner Kliniache Wochenschrift erscheint Jeden 
Montag in Nummern von ca. 5—6 Bogen gr. 4. — 
Preis vierteljährlich 6 Mark. Bestellungen nehmen 
alle Buchhandlungen und Postanstalten an. 


Alle Einsendungen für die Redaktion und Expedition 
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung 
August Hirschwald in Berlin NW., Unter den Linden 
No. 68, adressieren. 



Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 


Redaktion: 

Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posncr und Dp. Hans Kohn. 


Expedition: 

August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin. 


Montag, den 26. Mai 1913. JV2 21. 


Fünfzigster Jahrgang. 


I N H 

Originalen: Gluck: Erfahrungen auf dem Gebiete der Chirurgie der 
oberen Luft- und Speisewege. S. 953. 

Faber: Anämische Zustände bei der chronischen Achylia gastrica. 
(Aus der medizinischen Universitätsklinik in Kopenhagen.) (Illustr.) 
S. 958. 

Döllken: Ueber Heilung tabischer Erscheinungen durch Arsen und 
durch Bakterienpräparate. (Illustr.) S. 962. 

Obermiller: Ueber Arsenlähmungen. (Aus der Klinik für syphi¬ 
litische und Hautkrankheiten der Universität zu Strassburg i. E.) 
S. 966. 

Adler: Zur Adrenalinbestimmung im Blut. (Aus dem patho¬ 
logischen Institut des Auguste Viktoria-Krankenhauses zu Berlin- 
Scböneberg.) S. 969. 

Vorkastner: Psychiatrie und Presse. (Aus der Königl. psychiatri¬ 
schen und Nervenklinik zu Greifswald.) S. 971. 
Bücherbesprechnngen: Faber: Die Arteriosklerose, ihre pathologische 
Anatomie, ihre Pathogenese und Aetiologie. S. 976. de Terra: 
Vademecum anatomicum. S. 976. (Ref. Pinner.) — Axenfeld: 
Lehrbuch der Augenheilkunde. S. 976. (Ref. v. Sicherer.) — 
Brauer: Der Tuberkulosefortbildungskurs des Allgemeinen Kranken¬ 
hauses Hamburg-Eppendorf. S. 976. (Ref. Samson.) — Mathes: 
Der Infantilismus, die Asthenie und deren Beziehungen zum Nerven¬ 
system. S. 976. (Ref. Münzer.) — Morawitz: Ueber Vorgänge der 
Selbstvergiftung und Entgiftung im Organismus. S.977. (Ref. Jacoby.) 
Literatur-Auszüge: Physiologie. S. 977. — Pharmakologie. S. 978. — 
Therapie. S.- 978. — Allgemeine Pathologie und pathologische 

Anatomie. S. 979. — Parasitenkunde und Serologie. S. 979. — 
Innere Medizin. S. 980. — Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Erfahrungen auf dem Gebiete der Chirurgie der 
oberen Luft- und Speisewege. 1 ) 

Von 

Prof. Dr. Gluck. 

M. H.! Seit Jahrzehnten habe ich wiederholt und ausführ¬ 
lich unter anderem neuerdings in einer Monographie im Verein 
mit meinem Mitarbeiter und Kollegen Herrn Dr. Johannes 
Sörensen unsere Methoden und Rosultate auf dem Gebiete der 
Chirurgie der oberen Luft- und Speisewege erörtert. Dem 
Resümee, welches ich heute über unsere Erfahrungen, einer an 
mich ergangenen Aufforderung Ihres geschätzten Vorstandes gern 
entsprechend, zn geben beabsichtige, darf ich eine kurze historische 
Reminiszenz vorausschicken. 

Als ich im Jahre 1877 den russisch-türkischen Krieg als rumänischer 
Arzt mitmachte, brachte ich bei einem Verwundetentransport von der 
Donau unter anderen einen Soldaten nach Bukarest, der vor Plewna 
eine schwere Schussverletzung des Halses und speziell der Kehlkopf¬ 
region erlitten hatte, mit consecutiver Hautgangrän und jauchender 
Phlegmone und Nekrosen- und Fistelbildung am Kehlkopf und der Speise¬ 
röhre. Die tiefen buchtigen Wundhöhlen reinigten sich nach Abstossung 
volumöser fötider Gewebssequester. Aber trotz aller unserer Bemühungen 
erlag Patient einer septischen Fremdkörperpneumonie. Die genaue Be¬ 
obachtung dieses Falles legte mir damals, also vor 36 Jahren, die Idee 
der prophylaktischen Resektion der Trachea nahe. Ein hervorragender 
russischer Kriegschirurg, dem ich davon sprach, sagte mir damals: ein 
so phantastischer Gedanke könne nur in dem durch die schrecklichen 


1) Vortrag (mit Demonstration von Patienten), gehalten in der Sitzung 
der Laryngologischen Gesellschaft zu Berlin am 14. Februar 1913. 


ALT. 

S. 981. — Kinderheilkunde. S. 982. — Chirurgie. S. 982. — 
Röntgenologie. S. 983. — Urologie. S. 985. — Haut- und Geschlechts¬ 
krankheiten. S. 985. — Geburtshilfe und Gynäkologie. S. 985. — 
Augenheilkunde. S. 986. — Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 
S. 987. — Hygiene und Sanitätswesen. S. 987. — Technik. S. 987. 

Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften: Berliner medizinische 
Gesellschaft, v. Hansemann: Demonstration von Präparaten 
des Herrn Fibiger zur künstlichen Erzeugung von Krebs. S. 988. 
Katzenstein: Heilung einer fast völligen Armlähmung durch 
Plexuspfropfung von der anderen Seite her. S. 989. Go nt er¬ 
mann: Demonstration von Kalkablagerungen unter die Haut. 
S. 989. Bumm: Ueber die Erfolge der Röntgen- und Mesothorium¬ 
behandlung bei Carcinom der weiblichen Genitalien. S. 989. — 
Vereinigung zur Pflege der vergleichenden Pathologie. 
S. 989. — Gynäkologische Gesellschaft zu Berlin. S. 992. — 
Medizinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für 
vaterländische Kultur zu Breslau. S. 992. — Aerztlicher 
Verein zu Hamburg. S. 993. — Aerztlicher Verein zu 
Essen-Ruhr. S. 994. — Nürnberger medizinische Gesell¬ 
schaft und Poliklinik. S. 994. — K. k. Gesellschaft der 
Aerzte zu Wien. S. 995. — Verein deutscher Aerzte zu 
Prag. S. 995. 

II. Tagung der Vereinigung sächsischer Chirurgen. S. 995. 

Deutscher Kongress für innere Medizin zu Wiesbaden. (Fort¬ 
setzung.) S. 997. 

Armit: Londoner Brief. S. 998. 

Aerztekurse in Wien. S. 999. — Vindobonensis: Pro domo. S. 999. 

Tagesgeschichtl. Notizen. S. 1000. — Amtl. Mitteilungen. S. 1000. 


Eindrücke überreizten Gehirne eines ganz jungen Arztes auftauchen. 
Als mir im Jahre 1879 Exzellenz v. Langenbeck die Aufgabe erteilte, 
nach einem Verfahren zu forschen, um die letale Schluckpneumonie nach 
chirurgischen Eingriffen, speziell nach der Kehlkopfexstirpation zu ver¬ 
hüten, kam ich auf diese Idee zurück und begann meine Tierexperi¬ 
mente und Leichenversuche über Resektion und Naht der Luftröhre und 
über das Tracheostoma circulare. Die Hauptthese, welche wir damals 
aufstellten, lautete: „Bei Exstirpation des Larynx oder, allgemeiner aus¬ 
gedrückt, bei all denjenigen Operationen, welche bisher durch Fremd¬ 
körperpneumonie so ungemein häufig den Tod herbeiführten, bietet die 
prophylaktische Resektion der Trachea und das Einnähen des Tracheal- 
stumpfes circulär in eine Hautboutoniere eine absolute Garantie gegen 
die Entwicklung der septischen Aspirationspneumonie.“ Es ist nun nicht 
uninteressant, zu konstatieren, dass diese Idee weit über 3 Jahrzehnte 
gebraucht hat, um sich in der praktischen Chirurgie das Bürgerrecht 
zu erwerben. Ich freue mich, dass gerade Mitglieder dieser Gesellschaft 
und speziell auch Herr Prof. Killian sich veranlasst gesehen haben, unsere 
Methode der Laryngektomie zu adoptieren und mit Erfolg davon Gebrauch 
zu machen. Ihnen allen ist ja bekannt, dass die Resultate unserer 
Versuche den Kern und Angelpunkt bilden, um den sich unsere erzielten 
Erfolge auf diesem Gebiete gruppieren, und dass diese Experimente 
einem Fermente gleich befruchtend auf die Entwicklung rationeller Modi¬ 
fikationen sowohl in der Technik und Nachbehandlung, als auch in den 
funktionellen Endergebnissen dieser Operation gewirkt haben. 

Die erste Gruppe von Operationen, welche die Gefahr einer 
Aspirationspneumonie in sich bergen, betrifft Eingriffe, welche 
oberhalb des Larynxeinganges und seines Reflexapparates sich 
abspielen, also beispielsweise Oberkiefer, Nasenrachenraum, Zunge 
und Mundboden betreffen. Hierbei sind Operationen im steilen 
Sitze oder am hängenden Kopfe in Halbnarkose mit Kuhn’scher 
Tubage, temporäre Wundkompression, temporäre elastische Ligatur 
der Carotis communis, exakte Tamponade, Umstechungsnähte, die 


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UNIVERSITY OF IOWA 





954 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 21. 


das Gewebe successive umschnüren und abnähen, bevor zwischen 
den Umstechungsligaturen und Suturen dasselbe weit im Gesandeo 
durchschnitten wird, rationelle und sichere Hilfsmittel während 
der Operation. Nach derselben Lungengymnastik, kräftiges Ab¬ 
husten und spirituöse Abreibungen des Brustkorbes neben Spülungen 
der Mundhöhle mit dem Irrigator und peinlicher Sorgfalt in der 
Nachbehandlung. Werden diese Gesichtspunkte exakt befolgt, so 
bedarf es keiner prophylaktischen Tracheotomie mehr für die 
überwiegende Mehrzahl dieser Fälle, dieselbe ist vielmehr als 
eine nachteilige Komplikation, ja sogar als eine eventuelle Gefahr 
zu erachteo. Ich kann Ihnen über Oberkieferresektionen, Ope¬ 
rationen von Tonsillar-Sarkomen und -Carcinomen, von Carci- 
nomen der Zunge und des Mundbodens berichten, welche, nach 
diesen Prinzipien operiert, tadellos verliefen, und zwar in grossen 
Reihen von Fällen. Auch wenn es bei sehr umfangreichen Pro¬ 
zessen nötig wurde, den Unterkiefer iu der Medianlinie zu re¬ 
sezieren und den Mundboden zu spalten, um sich einen bequemen 
Zugang zum Krankheitsgebiete zu bahnen; die einzige Hilfs¬ 
operation, nebenbei gesagt, die wir hierbei anerkennen, abgesehen 
natürlich von der Ligatur der Arteriae linguales bei Zungen- 
turaoren und der Ligatur der Arteria carotis externa oder tempo¬ 
rären elastischen Abklemmungen der Carotis communis bei Ton- 
sillargeschWülsten oder Oberkiefertumoren von besonderem Umfange 
oder besonderem Blutreichtum. Diese Ligaturen werden übrigens 
in einer anatomischen Region ausgeführt, welche an sich in einem 
ersten Operationsakte freigelegt werden muss, weil eine peinlich 
exakte Exstirpation der regionären Lymphdrüsen jedem dieser 
Eingriffe vorauszugehen bat. Diese Wunde wird dann genäht, 
drainiert und verbunden, bevor man zur Operation des primären 
Krankheitsherdes schreiten darf. Auch die krankhaften Zustände, 
welche eine Pharyngotomie zu ihrer radikalen Entfernung er¬ 
heischen, bieten im allgemeinen bei richtiger Technik und 
Lagerung und bei Vermeiden der Verletzung der Nervi laryngei 
superiores keine Gefahr der Bronchopneumonie ab ingestis. Es 
wird Sie interessieren, dass der Fall von enormen Tonsillar- 
carcinomen, welchen Herr Kollege Busch in der vergangenen 
Sitzung hier demonstriert hat, von uns vor B 1 /* Wochen mit Re¬ 
sektion des Unterkiefers in der Mittellinie nnd Drüsenexstirpation 
radikal operiert ist und einen glatten und tadellosen Wundverlauf 
genommen hat. Der Patient ist jetzt als geheilt zu betrachten. 

Die Gefahr der Aspirationspneumonie sowohl während der 
Operation, als auch nach derselben, wird zu einer drohenden und 
gravierenden bei denjenigen grossen Eingriffen, welche den Kehl¬ 
kopf selbst betreffen, oder mit und neben ihm den Rachen und 
die Speiseröhre. Die Aspirationspneumonie dezimierte diese 
Operierten bis zu 56 pCt. in den ersten Tagen oder Wochen nach 
dem Eingriffe, trotzdem die Technik schon eine recht zweck¬ 
mässige war und trotz der Tamponkanülen von Trendelenburg, 
Hahn und Michael, welche, so sinnreich sie an sich sind, den 
prinzipiellen Fehler an sich tragen, dass sie Teile, die konser¬ 
viert und geschont werden sollten, Dämlich die Luftröhre, auf 
das Intensivste reizten und schädigten, ohne den Zweck einer 
aseptischen Tamponade der Trachea in einwandfreier Weise 
garantieren zu können. Hier war das Gebiet, wo die prophy¬ 
laktische Resektion der Luftröhre und die Bildung des Tracheo¬ 
stoma circulare für alle Totalexstirpationen des Kehlkopfes, und 
zwar sowohl für die einfachen, wie für die mit Resektion oder 
Exstirpation des Rachens oder des Halsteiles der Speiseröhre, 
maliguen Strumen oder ausgedehnten Zungengeschwülsten so 
segensreich wirken sollten, während für die Hemilaryngektomie 
die cutane Laryngoplastik, kombiniert mit Jodoformschürzen¬ 
tamponade nach unseren Erfahrungen analoge Garantien bietet. 
Diese plastischen Operationen habe ich seit dem Jahre 1897 
geübt, denselben eiue grosse Zukunft vindiziert und sie im 
Jahre 1899 in einer Arbeit über Kehlkopfchirurgie und Laryngo¬ 
plastik beschrieben, speziell auch für endonasale Operationen. 
Durch die implantierten gestielten Hautlappen wird eine dauernde 
Erhaltung des momentan erzielten Operationsresultates garantiert. 
Es ist das eine prinzipielle Tatsache, welche eine Generalisierung 
für viele einer Operation zugänglichen stenosierenden und obli¬ 
terierenden Prozesse verdient Wir befinden uns, wie ich glaube, 
in der ersten Phase einer sehr entwicklungsfähigen Methode, das 
waren meine damaligen Worte. In der Tat ist die Dermatoplastik 
uns in der Chirurgie der oberen Luft- und Speisewege zu einem 
unentbehrlichen Hilfsmittel geworden. Ob wir ein Stoma cutaneum 
anlegen, ob wir die Hautlappen als organischen Schutzwall zur 
Umsäumung des Trachealstnmpfes benutzen, ob sie eine Pharynx¬ 
naht decken, ob sie die Wirbelsäule nach der queren Pharyng- 


ektomie bekleiden, ob wir ein cutanes Ersatzrohr für die Trachea 
oder den Oesophagus nnd Pharynx bilden, immer liefert uns die 
Haut ein ausgezeichnetes physiologisches adaptationsfähiges Ge¬ 
webe, welches im hoben Grade geneigt ist, an seinem lmplantations- 
orte eine funktionelle Metaplasie anzunehmen und sich dem Charakter 
seiner neuen Aufgaben in geradezu idealer Weise anzupassen. 

Für die totale Zungenexstirpation endlich mit Epiglottis und 
Zungenbein haben wir nach präliminarer tiefer Tracheotomie den 
Aditus ad laryngem temporär plastisch verschlossen und auf diese 
Weise die Schluckpneumonie mit absoluter Sicherheit vermieden. 

Neben der Lösung des Problems der Eliminierung der Gefahr 
der Schluckpneumonie war es unsere Hauptaufgabe, die Operation 
zu einer aseptischen zu gestalten. Gute Voibereitung des Kranken 
im weitesten Sinne des Wortes, tiefe Narkose mit Dräger’schem 
Sauerstoffapparat, Cocainpinselungen der Schleimhaut, um die 
Reflexe und die Würg- und Brechbewegungen während der Ope¬ 
ration aufzuheben. Exakte Blutstillung durch Ligatur wesentlich 
der Hauptstämme, und zwar immer Umstecbungsligatur, ver¬ 
meiden die Nachblutungen. Prinzipielles Vermeiden von Massen¬ 
ligatoren und des Thermokauters, Entfernung der Muskulatur des 
Larynx und ausgiebige Fascienspaltung brachten es mit sich, dass 
keine grösseren Gewebsnekrosen sich bildeten und einfache Wund- 
verhältnisse Vorlagen. Bei grossem Pharynxdefekt und zweifel¬ 
hafter Asepsis wurde der Defekt in Form eines Stoma an die 
äussere Haut angeheftet. 

Wir operieren immer, wenn nicht vitale Kontraindikationen 
vorliegen, in einem Akte und ohne zwingende vorausgegangene 
Tracheotomie, dabei in tiefer Allgemeinnarkose. Unser Verfahren 
besteht im wesentlichen darin, dass wir 

1. den Kehlkopf vor der Eröffnung der Luftwege völlig frei- 
legen, die zuführenden Gefässe unterbinden und die regionären 
Lymphdrüsen exstirpieren; 

2. nach Abtrennung des Kehlkopfes vom Pharynx den 
Pharynxdefekt sofort schliessen, während der Kehlkopf weit aus 
dem Wundgebiet hervorgezogen wird; 

3. nach Abtrennung des Kehlkopfes von der Trachea die 
letztere in die Hautwunde einDähen; 

4. die ganze Operationswunde durch Naht schliessen und 
durch eine Heilung per primam intentionem eventuell in 8 Tagen 
erzielen. 

Damit ist a) eine radikale Entfernung alles Kranken garan¬ 
tiert, b) die Operation so lebenssicher als möglich gestaltet und 
c) der postoperative Zustand ein möglichst günstiger. 

Die radikale Exstirpation der regionären Lymphdrüsen und 
Stränge weit im Gesunden eventuell mit Ausschaltung des Kopf¬ 
nickers und der Vena jugularis communis vom Angulus venosus 
bis zum Foramen lacerum mit Nackenfett und Nackendrüsen war 
eine weitere Aufgabe, der wir uns mit peinlichster Sorgfalt unter¬ 
zogen. Die exakte Wund Versorgung, die Bildung einer künst¬ 
lichen Lacuna vasorum znr Isolierung der Gefässscheiden von der 
Pharynxnahtlinie, die sekundären plastischen Operationen zum 
Schluss von Pharynxfisteln und Defekten bildeten eine fernere 
wichtige Aufgabe. Auch der Konstruktion unserer Kanülen und 
Ersatzprothesen widmeten wir unsere volle Aufmerksamkeit. Der 
Patient muss nach der Heilung dauernd unter ärztlicher Kontrolle 
bleiben. Jedes spätere Drüsenrecidiv muss sofort wieder operiert 
werden, ebenso Tracheal- oder Pharynxrecidive. Auch nach 
solchen wiederholten Recidivoperationen haben wir treffliche Er¬ 
folge noch zu erzielen vermocht. Nur die Hingabe an die ge¬ 
stellte Aufgabe und das sich dem einzelnen Patienten Widmen 
sichert einigermaassen den dauernden Erfolg im stets zunehmen¬ 
den Umfange. Sie werden nachher einen Patienten sehen, dem 
wir vor 7 Jahren ausser dem Kehlkopf, der halben Schilddrüse, 
den Drüsen mit der Vena jugularis mit dem Kopfnicker, den 
ganzen Pharynx und den Halsteil der Speiseröhre entfernt haben; 
er trägt keine Kanüle, die verlorenen Organe sind durch ein 
cutanes Rohr ersetzt, Patient ist blühend und gesund und gebt 
seinem Berufe als Polizeibeamter in vollem Umfange nach. Bei 
einem zweiten Patienten, den ich Ihnen vorführen werde, ist 
genau dieselbe Operation gemacht worden, wir mussten ihm aber 
wegen eines Recidivs noch den Pharynxstumpf bis zur Schädel¬ 
basis mit beiden Tonsillen entfernen, so 'dass ihm also vom 
Jugulum bis zur Schädelbasis Speiseröhre und Pharynx fehlt; er 
trägt noch unsere Gummiersatzprothese, wir wollen ihm aber 
demnächst die plastische Schlussoperation machen. 

Die am Larynx Operierten müssen nach der Heilung eine 
ausreichende Atmung garantiert erhalten, sie dürfen keine relative 
Enge, keine Ateminsuffizieuz aufweisen. 


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Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



26. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


955 


M. H.! Das klingt sehr selbstverständlich und ist es nach 
meiner Erfahrung leider doch nicht. Zu enge Kanülen und zu 
enge endolaryngeale Verhältnisse nach Laryngoflssuren oder Hemi- 
laryngektomie bedingen sehr ernste Gefahren. Zum Beispiel für 
das Herz und auch für das Gehirn, namentlich bei älteren Leuten, 
auch wenn der Patient subjektiv wenig klagt und sich mit dem 
Zustande abzufinden geneigt erscheint. Diese Gesichtspunkte 
haben uns veranlasst, analog unserem Tracheostoma circulare 
schon vor dem Jahre 1898 Laryngostomien und Tracheostomien 
' auszuführen, als Sicherheitsventile, ein Zustand, welcher dem 
Patienten eine absolut freie Atmung garantiert. Wird dieses 
künstliche Schisma der Luftwege durch eine Gummipelotte oder 
Ventilprotbese geschlossen, so ist nebenbei die Sprachfunktion 
eine ganz vortreffliche. 

Ist es nun möglich, den Larynx später auf normale Weite 
zu bringen, dann kann das Laryngostoma plastisch verschlossen 
werden, aber nur in diesem einen Falle, sonst ist es besser, das 
Schisma zeitlebens persistieren zu lassen. 

Das Alter der Geschwülste und die Kachexie der davon Befallenen 
betreffend herrschen unter den Aerzten oft die sonderbarsten Vor¬ 
stellungen. Zum Beispiel wird bezweifelt, dass jemand ein Garcinom 
haben könne, weil er blühend aussieht, ferner wird das Alter der Ge¬ 
schwulst etwa mit dem Zeitpunkt identifiziert, wo die ersten Symptome 
eine ärztliche Untersuchung erheischten. Ein Carcinom kann viele Jahre 
lang bestehen, ohne das Allgemeinbefinden irgendwie zu stören oder 
irgendwie ein Symptom zu veranlassen, das haben wir schon sehr oft 
einwandfrei beobachtet. Vor einiger Zeit haben wir unter anderem einen 
Patienten für Herrn Geheimrat Schoetz laryngektomiert und geheilt, 
bei dem der Herr Kollege vor über zwölf Jahren einen Kehlkopfkrebs 
konstatierte. Der Patient war nicht zu bewegen, sich chirurgisch be¬ 
handeln zu lassen, und erst, als vitale Indikation vorlag, liess er sich 
tracheotomieren und dann laryngektomieren. Analoge Beobachtungen 
über das Alter der Geschwülste und das Allgemeinbefinden ihrer Träger 
habe ich an den verschiedensten Organen anzustellen im Laufe der Jahre 
Gelegenheit gehabt. 

Beobachtungen über das sogenannte Verhältnis des Cancer ä deux 
haben wir relativ oft gemacht. In einem Falle sind beide Ehegatten im 
Verlaufe von zwei Jahren an Kehlkopfkrebs gestorben, in anderen Fällen 
hatte der Mann Kehlkopfcarcinom und die Frau Lebercarcinom, einmal 
beispielsweise hatte Vater und Sohn Zungencarcinom und ähnliches mehr. 

Kombinationen von Tuberkulose der Lungen mit Larynxcarcinom 
haben wir zweimal gesehen, Uebergang von Pachydermie einmal und 
Uebergang von Papilomen in Larynxcarcinom zweimal in einwandfreier 
Weise. Es würde zu weit führen, die Verhältnisse hier weiter ausfübren 
zu wollen. 

Eine wichtige Tatsache sei hier noch hervorgehoben, die Latenz der 
Primärgeschwülste, speziell der Pharynxtumoren betreffend. Wiederholt 
haben wir Patienten zugewiesen bekommen, bei denen entweder vor 
einiger Zeit oder aber schon vor mehreren Jahren Drüsengeschwülste 
am Halse operiert waren, deren histologische Untersuchung Carcinom er¬ 
gab. Man hatte sich zum Teil mit der Diagnose bronchogenes Carcinom 
geholfen und die laryngologische Untersuchung entweder oder den Be¬ 
fund nicht genau genug erhoben. In diesen Fällen fanden wir primäre 
Pharynxcarcinome und mussten die Radikaloperation ausführen. Wir 
möchten auf diese Verhältnisse mit aller Energie hinweisen. 

Was nnn die Indikationen zn den einzelnen operativen Ein¬ 
griffen anbelangt, so vertreten wir folgenden Standpunkt. 

1. Mittels der Laryngofissur operieren wir Stimmbandcarci- 
nome, solange sie auf dem freien Rand des Stimmbandes im 
wesentlichen beschränkt erscheinen, nach vorne die Medianlinie, 
nach hinten den Processus vocalis nicht erreichen, jedenfalls 
nieht überschreiten, und solange die Beweglichkeit des Stimm¬ 
bandes noch erhalten ist. 

2. Carcinome der Epiglottis kann man, wenn sie auf deren 
Rand oder ihren freien Flächen beschränkt sind, durch einfaches 
Abtragen der Epiglottis an der Basis entfernen. 

3. Mittels Hemilaryngektomie operiert werden endolaryngeale 
Krebse, die weder die vordere Commissur noch das Arygebiet 
der betreffenden Seite erreichen oder gar überschreiten, nach 
oben über den Aditus ad laryngem nicht hinausreichen und nach 
der Tiefe das Knorpelgerüst noch nicht durchbrochen haben. 

4. Die totale Laryngektomie erfordern alle Larynxcarcinome, 
die nicht auf eine Seite beschränkt sind, ferner alle diejenigen, 
welche in den Pharynx übergreifen, auch wenn das nur auf der 
einen Seite der Fall ist; endlich alle Carcinome, welche an 
irgendeiner Stelle das Keblkopfgerüst durchbrochen haben. 

5. Der Kehlkopf kann nicht erhalten werden bei Carcinomen 
des Zungengrundes und der Epiglottis, welche von oben in den 
Larynx hineingewachsen sind. Bei Pbarynxcarcinomen und Schild¬ 
drüsenkrebsen, welche auf den Kehlkopf übergreifen, auch wenn 


dieses Uebergreifen nur an einer umschriebenen Stelle sich nach- 
weisen lässt. Bei einer Struma carcinomatosa war von anderer 
Seite erst rechts, dann links ein Strumaknoten entfernt worden. 
Die Patientin wurde bei uns bei der Aufnahme asphyktisch, die 
Tracheotomie tief im Jugulum machte unglaubliche Schwierig¬ 
keiten. Einige Wochen später haben wir den Kehlkopf mit der 
ganzen Struma und einer Anzahl Trachealringen exstirpiert, die 
Struma maligna war in den Kehlkopf hineingewachsen. Wir 
haben noch niemals aus dem Mediastinum anticum den Luft- 
rührecstumpf so tief herausexatirpiert. Das Endresultat ist ein 
vorzügliches, auch heute noch, im 7. Jahre nach der Operation. 
Die Patientin spricht ausgezeichnet und leitet ein grosses Pensionat, 
in dem sie sich in verschiedenen Sprachen unterhalten muss. 
Besonders interessant ist es, dass wir vor kurzem bei ihr rechts 
und links vom Luftröhrenstumpf ein paar Drüsenknoten fühlten, 
die sich bei der geplanten Operation als Schilddrüsengewebe heraus- 
stellteD, welches sich von Drüsenresten wohl regenieit haben mag. 

6. Die Lymphdrüsenmetastasen des Kehlkopfkrebses müssen 
bei der Operation mitentfernt werden, und zwar radikal. 

7. Hat ein Kehlkopfkrebs schon umfangreiche Drüsen ver¬ 
anlasst, dann muss unter allen Umständen neben der radikalen 
Drüsenoperation der Kehlkopf mit der Epiglottis radikal entfernt 
werden. 

8. Es gibt für uns eigentlich nur zwei Umstände, die der 
Operabilität eine Grenze setzen; einmal wenn der Tumor vom 
Kehlkopf und der Speiseröhre aus diffus in die umgebenden 
Weichteile hineingewachsen ist, so dass Halsorgane, Muskulatur 
und die Haut eine undifferenzierbare carcinomatöse Masse bilden, 
zweitens wenn der Tumor selbst oder die erkrankten Drüsen¬ 
gruppen auf beiden Halsseiten so mit der Gefässscheide ver¬ 
wachsen sind, dass es a priori unmöglich erscheint, sie zu ent¬ 
fernen, ohne beiderseits die Vena jugularis communis resezieren 
zu müssen oder gar die eine Carotis primitiva mitzuunterbinden. 
Die Ligatur der Carotis communis ist unter allen Umständen 
selbst bei jungen Individuen eine höchst bedenkliche Komplikation 
der Operation, und man wird sich nur im äussersten Notfälle za 
derselben entschliessen dürfen. Die quere Naht und der plastische 
Ersatz der Blutgefässe, die, wie Ihnen bekannt sein dürfte, durch 
meine eigenen Experimente inauguriert sind, hat gerade für die 
Halsoperationen noch keine greifbaren klinischen Resultate ge¬ 
zeitigt. Selbstverständtieh haben wir trotzdem die Carotisligatur 
oft genug ausführen müssen. 

Die Laryngofissur wegen Carcinom haben wir 42 mal aus* 
geführt, die erste Serie von 35 Fällen mit einer Mortalität von 
OpCt.; unter den letzten 7 Fällen batten wir 2 Todesfälle, beide 
Patienten waren 70 Jahre alt, der eine davon Diabetiker, beide 
mit Emphysem und eitriger Bronchitis aufgenommen. Nur zwei 
von den 42 Fällen haben ein Recidiv bekommen, und bei dem 
einen davon konnten wir durch Radikaloperation die dauernde 
Heilung erzielen. 

Die Hemilaryngektomie haben wir 48 mal ausgeführt; die 
erste Serie von 28 Fällen ergab 3 Todesfälle, die letzte Serie 
von 20 Fällen hatte 0 pCt. Mortalität. 

Von 160 Totalexstirpationen des Kehlkopfes haben wir bei 
der letzten Serie von 63 Fällen OpCt. Mortalität. 

Wir konnten bei den 132 Operierten bis 1911 über 24 Fälle 
berichten, die 4 bis 15 Jahre recidivfrei waren, und über 21, die 
etwa 3 Jahre post Operationen) bei der Nachuntersuchung als 
recidivfrei befunden wurden. 

Pharynxresektionen mit Laryngektomien haben wir 84 aus- 
gefübrt. Sie haben mit 21 Todesfällen die grösste Mortalität von 
25 pCt., jedoch sind unter den letzten 24 Operationen nur zwei 
Todesfälle zu verzeichnen gewesen, so dass auch auf diesem 
schwierigsten Gebiet unsere Technik wesentliche Fortschritte ge¬ 
macht hat. 

Von den queren Resektionen des Pharynx und des Halsteils 
des Oesophagus hat v. Hacker aus der gesamten Literatur nur 
25 Fälle zusammenstellen können mit 48 pCt. Mortalität, nur 
einer davon war nach l l / 2 Jahren noch recidivfrei. Wir haben 
allein 47 solcher Fälle radikal operiert mit im ganzen 5 Todesfällen. 

In denjenigen Fällen, wo eine Radikalheilung durch Operation 
ausgeschlossen ist, helfen wir unseren Patienten durch die so¬ 
genannte Organausschaltung eventuell für längere Zeit und ge¬ 
nügen damit einer vitalen Indikation und einer humanen wichtigen 
ärztlichen Aufgabe. So haben wir bei den inoperablen Speise¬ 
röhrenkrebsen den intrathorakalen Oesophagus nach Gastrotomie 
und Oesophagotomie an der Körperoberfläche durch unsere Gummi- 

1 * 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 21. 


trichterprothese ersetzt, welche diese beiden Stomata vereinigt, 
so dass der Patient in ausgezeichneter Weise sich wieder er¬ 
nähren kann, und zwar auf einem der Norm analogen Wege. Für 
inoperable Zustände in den Mediastinen, welche zur Erstickung 
führen, haben wir, um einer vitalen Indikation zu genügen, die 
Operation der Lungenfistel ersonnen. Beide Methoden werden 
jetzt geübt und in den modernen chirurgischen Lehrbüchern ein¬ 
gehend beschrieben und empfohlen. 

M. H., wir dürfen wohl hoffen, das technische und thera¬ 
peutische Problem der chirurgischen Behandlung der oberen Luft- 
und Speisewege bei malignen Erkrankungen prinzipiell der Lösung 
näher gebracht zu haben. Immerhin bildet das von uns bisher 
erreichte experimentelle und klinische Forschungsresultat be¬ 
greiflicherweise nur eine Etappe auf der Bahn zu stetig voll¬ 
kommeneren Behandlungsmethoden. 

lieber die funktionellen Endresultate, speziell die Sprach- 
resultate bei den verschiedenen Operationen (Laryngofissur, Hemi- 
und Totalexstirpation, Bildung eines cutanen Trachealrohres), 
ebenso über die Pharynxstimme, die Sprache ohne Zunge und die 
Sprache mit künstlichem Kehlkopf möchte ich Sie durch die nun 
folgenden Kraokendemonstrationen aufklären. 

Der erste Fall, welchen ich Ihnen vor9telle, betrifft einen jungen 
Mann, den ich im Jahre 1899 wegen eines kolossalen hämorrhagischen 
Sarkoms des Oberkiefers operiert habe. Er war von verschiedenen 
Kliniken als inoperabel zurückgewiesen. Ich will bemerken, dass es der 
letzte Fall ist, bei dem wir die prophylaktische Tracheotomie angewandt 
haben. Acht Tage später unterbanden wir die rechte Carotis externa 
und entfernten den Oberkiefer mit der Geschwulst, wobei auch die Keil¬ 
beinhöhle von Geschwulstmassen ausgeräumt und reseziert werden musste. 
Im Jahre 1903 haben wir ein Recidiv an der Zungenbasis entfernt und 
1908 noch einmal einen kleinen Knoten an derselben Stelle. Die Ent¬ 
stellung ist gering, die Sprache eine sehr gute und Patient vollkommen 
gebeilt und arbeitsfähig. 

Der zweite Fall, den ich Ihnen vorstelle, betrifft einen 58 jährigen 
Patienten, dem wir wegen eines sehr grossen Carcinoms der Zunge nach 
vorausgehender Drüsenexstirpation und Unterbindung beider Arteriae 
linguales die ganze Zunge bis zur Epiglottis entfernt haben nach voraus¬ 
gegangener Resektion des Unterkiefers in der Mittellinie und Spaltung 
des Mundbodens. Die Zunge wurde am hängenden Kopf exstirpiert unter 
möglichster Schonung des Mundbodens und Rekonstruktion desselben, 
d. h. es wurde schrittweise vorgegangen unter tiefgreifenden Umstechungs¬ 
nähten und Urastechungsligaturen, immer etappenweise operiert, so dass 
also der eine Mitarbeiter unterbindet und erst nach der Unterbindung 
der andere Operateur schneidet. Mit der letzten Umstechung und der 
letzten Naht ist die sehr wenig blutreiche Operation beendet. Wenn 
Sie dem Patienten in den Mund sehen wollen, werden Sie den Eindruck 
haben, als ob er noch eine Zunge hätte, so vollkommen erreichen es die 
Kranken durch Uebung, ihren Mundboden zu heben und eine vioariierende 
Funktion für den Verlust der Zunge anzubahnen. Andere Fachgenossen 
haben das von uns geübte Verfahren ebenfalls erprobt und sich sehr 
anerkennend darüber geäussert. Wir können bei frühzeitiger Diagnose 
radikaler operieren, in der Ueberzeugung, nicht nur mit grösserer Sicher¬ 
heit eine recidivfreie Periode von langer Dauer zu erzielen, sondern auch 
trotz des radikalen Eingriffes ein tadellos funktionelles Sprachresultat 
zu erzielen. Diesem Patienten mussten wir übrigens vor einiger Zeit 
ein sehr ausgedehntes Drüsenrecidiv mit Entfernung des Kopfnickers und 
der Vena jugularis vom Angulus venosus bis zum Foramen lacerum ent¬ 
fernen, wobei der Drüsentumor von der Carotis lospräpariert und der 
Nervus vagus aus der Geschwulstmasse herausgelöst werden musste; 
auch diese Operation ist glatt verlaufen. Der 71jährige Herr, welchen 
ich Ihnen 1909 ohne Zunge demonstriert habe, ist heute noch im 
75. Lebensjahre recidivfrei und spricht ausgezeichnet. 

M. H., den dritten Fall, welchen ich Ihnen vorstelle, haben wir im 
Jahre 1897 operiert. Er litt an schwerer Lungentuberkulose mit Lungen¬ 
blutungen und erkrankte dann an schwerer Tuberkulose des Larynx. 
Die Tracheotomie war bereits in Hamburg ausgeführt worden. Das Lumen 
des Kehlkopfes war mit der feinsten Sonde von der Trachealwunde her 
nicht mehr zu passieren. In einem ersten Akte wurde die totale 
Laryngofissur ausgeführt mit Eistirpation der Tracheotomienarbe; die 
Epiglottis wurde exstirpiert mit der Schleimhaut der Sinus pyriformes, 
der Kehlkopf in seiner Totalität exenteriert sowie nekrotische Kehlkopf¬ 
knorpel reseziert. In der Testierenden Höhle wurden Hautlappen der 
Nachbarschaft hineingeschlagen und in den Hohlraum hineintamponiert 
und daselbst nach oben unter Bildung eines neuen Larynxeinganges 
sorgfältig eingenäht. Die Tuberkulose ist beseitigt, der Kehlkopf völlig 
mit gesunder äusserer Haut austapeziert. Bei der Untersuchung mit 
dem Spiegel sieht man einen völlig benarbten, linsenförmig gestalteten 
Spalt, ein Schisma, durch welchen die Atmung vor sich geben kann. 
Die Hautlappen haben einen mucösen Charakter angenommen; beim 
Laryngoskopieren bemerkt man, dass die Rima glottidis eine linsen¬ 
förmige, ganz vernarbte Eingangsöffnuug bildet, durch die Patient auch 
nach oben zu respirieren in der Lage ist; auch kann man sich über¬ 
zeugen, wenn ich mit dem Trousseau die Narbenlippen auseinander¬ 
sperre, dass die äussere Haut gar keinen cutanen Eindruck mehr macht, 


wohl verstanden, handelt es sich nicht etwa um eine Metaplasie des 
Epithels, die Haut hat sich aber den neuen anatomischen Bedingungen 
vollkommen adaptiert. Ich halte diesen Fall für prinzipiell wichtig, weil 
er beweist, dass es in der Tat möglich ist, nachdem auf chirurgischem 
Wege die Tuberkulose beseitigt ist, nur äussere Haut zur totalen Laryngo- 
plastik zu benutzen. Es ist ferner hier zum ersten Male nach einer so 
eingreifenden Larynxoperation eine Laryngostomie gemacht worden und 
durch dieselbe ein Zustand geschaffen, der den Patienten vollkommen 
befriedigt; er atmet durch den Spalt, trägt einen Hemdkragen, der hinten 
auf der Wirbelsäule geknöpft wird und ihm also sein Schisma während 
des Sprechaktes verschliesst und kommt seinem Berufe als Kaufmann 
nun schon im 17. Jahre nach der Operation in vollstem Umfange nach. 
Ich will noch bemerken, dass ich den Patienten später wegen einer 
käsigen Orchitis auf der rechten Seite kastrieren musste, und dass ihm 
vor einiger Zeit die linke Niere und der Harnleiter wegen Tuberkulose 
entfernt werden mussten. Genau so also, wie wir Gelenkresektionen und 
Drüsen bei Kindern und Erwachsenen oft an mehreren Stellen wegen 
Tuberkulose operieren müssen, so gehört der Kehlkopf auch zu denjenigen 
Organen, die wir nach genauer Erwägung der Indikationsstellung mit 
voller Aussicht auf Erfolg in den Bereich unserer chirurgischen Be¬ 
strebungen ziehen dürfen. Ich weiss wohl, dass ich mich mit dieser These 
in einem gewissen Gegensatz zu vielen Laryngologen befinde, muss aber 
dieser unserer Ueberzeugung im Interesse der Kranken Ausdruck geben. 

Der vierte Fall, den ich Ihnen vorstellen will, ist in seinem vierten 
Lebensjahr wegen Diphtheritis tracheotomiert worden; er hat dann jahre¬ 
lang eine Kanüle getragen und und ist darauf in der Charite, wo er 
zwei Jahre gelegen hat, mit Laryngofissur und Bougieren behandelt 
worden. Diese Behandlung ist erfolglos geblieben. Als der Knabe, jetzt 
neunjährig, vor einem Jahre zu uns kam, batte er eine sehr schwere 
eitrige Bronchitis und eine vollständige Obliteration des Kehlkopfes, auch 
litt er sehr unter Reizerscheinungen von der Kanüle und Reflexhusten. 
Wir sind bei ihm so verfahren, wie wir das im Jahre 1896 bereits be¬ 
schrieben haben. Zwei verschiedene Methoden stehen uns bei diesen 
Fällen zu Gebote. Zunächst legen wir die Tracheotomie tief unten im 
Jugulum an, dann exstirpieren wir die alte Tracheotomienarbe mit der 
narbigen Haut und resezieren hierauf die Trachea im Krankheitsgebiet 
bis auf den Oesophagus. Es wird, wie ich mich ausdrücken möchte, 
scheibenförmig schrittweise so lange und so viel von der Trachea reseziert, 
ebenso vom Ringknorpel, wenn nötig bis in das Arygebiet, bis man zwei 
weite, adaptationsfähige Lumina erhält. Diese beiden Lumina werden 
circuiär miteinander vernäht, darauf eine Hautnaht gemacht, die Kanüle 
wird später entfernt. Auf diese Weise haben wir bei einer Anzahl 
bereits publizierter Fälle vortreffliche Dauerresultate erzielt. Bei dem 
hier vorgestellten Knaben war diese Methode nicht ausführbar, und haben 
wir unser zweites Verfahren zur Anwendung gebracht. Zunächst haben 
wir vom Arygebiet nach abwärts nicht nur die Haut und die Tracheo¬ 
tomienarbe, sondern auch den Ringknorpel und eine Reihe von Tracheal- 
ringen radikal unter Freilegen der vorderen Wand des Oesophagus 
exstirpiert. Darauf haben wir zwei rechteckige Hautlappen der 
Nachbarschaft mobilisiert, auf den Oesophagus in der Medianlinie 
aufgepflanzt, nach unten an den Trachealstumpf und nach oben an 
den Kehlkopfrest angenäbt, nun die Wunde tamponiert und in den 
Trachealstumpf eine Kanüle eingesetzt. Während der Nachbehandlung 
trug der Knabe einen modifizierten Dupuis mit möglichst kurzem Tracheal- 
schenkel und Ventilprothese, dessen oberer Schenkel aus einem Gummi¬ 
rohr besteht, welches in den Larynx bineinreicbt. Nach Heilung dieses 
ersten Operationsaktes besass der Knabe zwischen Trachealstumpf und 
Larynx eine cutane Mulde, welche die Hinterwand und die Seitenwände 
des späteren cutanen Trachealrohres bildeten. Die Scblussplastik haben 
wir ein halbes Jahr nach der ersten Operation ausgeführt, so dass das 
Resultat ein tracheo-laryngeales Hautrohr darstellt, welches tief im 
Jugulum einen gut umsäumten Längsspalt als Sicherheitsventil für die 
Atmung besitzt. Der Knabe trägt keine Kanüle mehr, all seine Reflex¬ 
erscheinungen sind geschwunden, er kann mit lauter, wenn auch heiserer 
Stimme anhaltend sprechen und ist als vollkommen geheilt zu betrachten. 

Auf diesem Wege können wir ein cutanes Rohr bilden von der Ary- 
gegend bis hinab zum Jugulum. Es ist gar nicht notwendig, dass hier 
ein Periostknochenlappen zur Bildung der vorderen Trachealwand be¬ 
nutzt wird. Das blosse cutane Rohr genügt, wie Sie sehen, vollkommen. 
Das Schisma, welches als Sicherheitsventil für die Atmung bestehen 
blieb, kann man jederzeit später plastisch verschliessen. 

Ich lege auf die Ihnen vorgestellten Fälle einen besonderen 
Wert, weil, wie ich hervorheben will, wir die Laryngoplastik 
zuerst angegeben und mit Erfolg geübt haben und ebenso das 
Verfahren der Laryngo- und Trachostomie von uns begründet ist. 
Diese und ähnliche Operationen haben wir übrigens nicht nur bei 
Tuberkulose und bei postdiphtherischen Zuständen, sondern auch 
bei Folgezuständen nach Selbstmordversuchen und bei akuten 
eitrigen nekrotisierenden Prozessen am Kehlkopf und der Trachea 
mit ganz ausgezeichneten Dauererfolgen geübt. Noch bemerken 
will ich hierzu, dass wir bei unseren Tracbealresektionen und 
Heraufziehen des Trachealstumpf es und circulärer Naht desselben 
mit dem resezierten Larynx in der Höhe des Arygebietes das 
schon längst getan haben, was Föderl für das Kehlkopfcarcinom 
empfiehlt. Was aber bei unseren nicht carcinomatösen Fällen 


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26. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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möglich war mit Erhaltung des Larynxeinganges, das ist bei dem 
Kehlkopfcarcinom nicht durchführbar; fallen doch dabei die Epi¬ 
glottis, der Kehlkopfeingang und die Nervi laryng. superiores 
fort, und würde es zwecklos sein, nun den Trachealstumpf etwa 
an die Schleimhaut der Sinus pyriformes annähen zu wollen, un¬ 
weigerlich würde doch die letale Schluckpneumonie die Folge 
dieses operativen Versuches sein. 

Aus der Reihe unserer mit Laryngofusur behandelten Kehl- 
kopfcarcinome ist der hier anwesende 47jährige Patient erschienen, 
der vor 17 Monaten operiert wurde. Wenn Sie ihn laryngosko- 
pieren, werden Sie konstatieren, dass sich ein neues linkes Stimm¬ 
band gebildet hat. Patient ist in einer grossen Fabrik sehr tätig 
und spricht den ganzen Tag mit seinen Kunden, ohne sich an¬ 
gestrengt zu fühlen. 

Manche unserer Patienten mit konservativen Laiyngoüssuren 
und partiellen Larynxexenterationen sprechen wie Leute mit intak¬ 
tem Kehlkopf, andere wiederum haben ein etwas heiseres Organ. 

Wir kämen jetzt zu der Demonstration von halbseitig Laryngekto- 
mierten. Bei dem ersten Fall handelt es sich um ein 24jähriges Mädchen, 
welches ich vor 12 Jahren operiert habe; es war im Kinderkrankenhause 
mit schwerer Dyspnoe und Tuberkulose des Kehlkopfes aufgenommen. 
Wir mussten die geschwulstartige ulceröse Tuberkulose mit Entfernung 
des halben Kehlkopfes und nachfolgender Laryngoplastik behandeln. Die 
Patientin hat, wie Sie sich überzeugen können, eine geradezu normale 
tadellose Stimme, mit der sie auch zu singen imstande ist. Das Stimm¬ 
band der gesunden Seite schwingt über die Medianlinie hinaus und die 
Haut der Laryngoplastik kommt ihr funktionell entgegen. Das Laryngo- 
schisma wollten wir auch jetzt trotz des dringenden Wunsches der Pat. 
nicht schliessen, weil eine relative Atemeuge noch besteht. Dieser rela¬ 
tiven Enge des Kehlkopfeingaoges verdankt aber die Pat. die über¬ 
raschende Funktion, ln diesem Falle ist kein Recidiv der Tuberkulose 
weder lokal noch an anderen Drüsen oder Gelenken aufgetreten, sondern 
die Heilung ist eine definitive. 

Dem Herrn, welchen ich Ihnen jetzt demonstriere, habe ich vor drei 
Jahren den halben Kehlkopf wegen Carcinom exstirpiert und in einer 
zweiten Sitzung carcinomatöse Halsdrüsen radikal entfernt. Der Spalt 
ist bei ihm ein verhältnismässig grosser, und Sie können beim Sprechakt 
und beim Anlauten die Funktion des Stimmbandes der gesunden Seite 
direkt beobachten. Auch seine Sprache ist eine recht gute. Der dritte 
Herr ist vor 8 Jahren wegen eines Kehlkopfcarcinoms mit halbseitiger 
Exstirpation behandelt worden. Er spricht ausgezeichnet und hat gestern 
einen Vortrag von einer halben Stunde gehalten. Wenn das Laryngo- 
schisma fest zugehalten wird, so hören Sie einen deutlichen Stridor. 
Die Nacht über habe ich ihn verpflichtet, die Prothese abzunehmen und 
durch den Kehlkopfspalt zu atmen. Patient raucht stark, ist überhaupt 
ein Lebemann, und wenn er noch obendrein eine insuffiziente Atmung 
hätte, so würde zweifellos sein Herz diesen Anforderungen nicht ge¬ 
wachsen sein. Wenn er nicht eine relative Eüge hätte, würde er nioht 
so gut sprechen. Das Stimmband der gesunden Seite kann natürlich 
nicht in jedem Falle etwas Aussergewöbnliches leisten, es muss ihm 
etwas funktionell entgegenkommen von der implantierten Haut, und das 
ist nur möglich bei der schon so oft erwähnten relativen Enge. Sobald 
der Kehlkopfeingang zu weit ist, verschlucken sich die Kranken und 
sprechen schlechter. Beides sind Nachteile, lieber also ein Laryngo- 
stoma und eine kleine Pelotte und guter Schluck- und Sprechakt. 

Wir kämen nun zu den Totalexstirpierten. Der erste Patient ist 
vor 10 Jahren operiert worden, und zwar handelt es sich um eine 
totale Laryngektomie, partielle Pharynxresektion und Drüsenexstirpation. 
Er trägt noch eine Kanüle, weil er ängstlich ist und sich daran gewöhnt 
hat. Seine Sprache ist laut und verständlich, und er arbeitet schwer in 
seinem Berufe. Der zweite Herr, den ich demonstriere, ist vor 3 Jahren 
in seinem 22. Lebensjahre hemilaryngektomiert worden wegen Carcinoms. 
Vor 2 1 /* Jahren mussten wir ihm wegen Recidivs auch die andere Kehl¬ 
kopfseite entfernen und die erkrankten Drüsen. Er ist jetzt 26 Jahre 
alt, blühend und gesund, grosser Reiter und Tänzer und, wie Sie sich 
überzeugen können, spricht er geradezu verblüffend. Er kann tele¬ 
phonieren und verkehrt den ganzen Tag mit seinen zahlreichen Kunden. 
Ich erwähne hier noch einen Patienten, und zwar einen berühmten 
Baritonisten, dem wir wegen Carcinoms leider den Kehlkopf entfernen 
mussten. Dieser Kranke hat eine so ausgezeichnete Spracbfunktion 
wiedererlangt, dass er jetzt in Odessa als Gesangslehrer tätig ist. Der 
vierte Patient ist vor 5 Jahren operiert worden, und zwar handelte es 
sich um eine Totalexstirpation wegen Carcinoms. Er leidet im Herbst 
und Frühjahr an Tracheitis sicca und Bronchialkatarrben, sonst geht 
auch er seinem Berufe nach und spricht, wie Sie sich überzeugen 
können, ganz vortrefflich. 

Sie sehen an allen Fällen, wie bei dem Tracheo- und Laryngostoma 
äussere Haut und Tracheal- oder Kehlkopfschleimhaut an den Narben¬ 
linien miteinander verschmolzen sind und ineinander übergehen. 

Die Patientin, welche ich Ihnen jetzt demonstriere, ist vor 6 Jahren 
operiert worden; sie litt an Lungenphthise und sehr schwerer Kehlkopf- 
tuberkulöse. Wir mussten ihr den ganzen Kehlkopf mit der Epiglottis 
entfernen, seitdem ist sie gesund, trägt keine Kanüle und kann tadellos 
schlucken. Sie muss sehr schwer arbeiten und, um ihren Unterhalt zu 
verdienen, schon vor 4 Uhr früh aufstehen. Sie kann nun nicht die 


Pharynxstimme mit Erfolg gebrauchen, deshalb trägt sie einen von uns 
konstruierten Apparat, der unter Ausschaltung der Lungen auf mecha¬ 
nischem Wege eine Stimme ertönen lässt. Die Patientin trägt an einem 
Gurt einen leichten polierten Holzkasten, in diesem Holzkasten befinden 
sich vier Blasebälge und ein metallisches. Luftreservoir. Den Kasten 
verlässt ein Gummisohlauoh, welcher in einem Metallbügel endigt, der 
nach dem Gesicht, der Ohrgegend und dem Jochbogen der Patientin 
modelliert ist. Am Ende des Metallbügels befindet sich. eine * Metall¬ 
olive; diese Metallolive ist mit einer Klemme versehen, welche die 
Nasenscheidewand der Patientin zwischen ihre Branchen fasst. In der 
Metallolive befindet sich die Stimme, und von der Olive geht ein Gummi¬ 
schlauch noch etwa 11 cm in das Nasenloch der Patientin, um etwa 
hinter dem Velum pendulum zu münden. Wenn nun die Patientin mit 
der Kurbel« welche an dem Holzkasten angebracht ist, die Blasebälge 
in Tätigkeit versetzt, so entweioht aus dem Luftreservoir die Kom¬ 
pressionsluft in den Gummischlauch und bringt die Stimme in der 
Metallolive zum Tönen. Dieser Ton wird in den Nasenrachenraum ge¬ 
leitet, und wenn die Patientin gleichzeitig Artikulationsbewegungen 
macht, so dass Stimme und Artikulationsbewegungen einen physiologi¬ 
schen Akt bilden, so spricht sie mühelos mit lauter, im grössten Raume 
hörbarer Stimme, wovon Sie sich selbst überzeugen können. Der 
Apparat, wie Sie ihn hier sehen, ist das Resultat ziemlich schwieriger 
Ueberlegungen gewesen und durchaus brauchbar. Jeder Aphonisohe, 
jeder, dem für eine gewisse Zeit eine Sohweigekur auferlegt ist, sowie 
natürlich jeder Laryngektomierte kann mit Hilfe dieses Apparates seinem 
Sprachbedürfnis in tadelloser Weise naohkommen. Ich will noch kurz 
bemerken, dass wir auch versucht haben, den Apparat vom Munde aus 
in Tätigkeit zu setzen, und dass wir auch auf andere Weise, also z. B. 
auf elektrischem Wege oder mit Hilfe von Telephonmembranen oder aber 
endlich mit Hilfe von Tonkonserven, d. h. von phonographischen Platten, 
welche mit den lang ausgedehnten Tönen von Sängern oder Sängerinnen 
geladen sind, für unsere Zwecke erfolgreiche Versuche gemacht haben; 
ja, dass ich sogar Herrn Edison hei seiner letzten Anwesenheit in 
Berlin für diese Zwecke zu interessieren versucht habe. Er liess mir 
auch sagen, er wolle eventuell in Amerika darüber nachdenken und mir 
dann Bescheid zukommen lassen. 

Ich zeige Ihnen endlich die beiden Patienten, welche ich im Ein¬ 
gänge meines Vortrages bereits erwähnt habe, und denen also nicht nur 
der Kehlkopf und mehrere Trachealringe, sondern auch der Pharynx in 
seiner Totalität fehlt, denen ferner die Drüsen auf der rechten Seite mit 
Vena jugularis und Kopfnicker und der halben Struma mit dem Isthmus 
entfernt sind. Der erste Patient, bei dem schon die Schlussplastik 
längst gemacht ist, ist im Jahre 1907 operiert und hat auch eine ge¬ 
nügende Sprachfunktion. Bei dem zweiten Patienten wollen wir dem¬ 
nächst die Schlussoperation, d. h. die Bindung des cutanen Pharynx- 
Oesophagusrohres ausführen. Wir mussten bei ihm vor kurzem eine 
Recidivoperation ausführen und haben dabei den Pharynxstumpf mit 
beiden Tonsillen bis zur Schädelbasis hin wegnehmen müssen. Sie 
können sich durch Untersuchung mit dem Spiegel davon überzeugen, 
dass ihm also ausser dem Kehlkopf von der Schädelbasis bis zum 
Jugulum Pharynx und Oesophagus fehlen und von uns plastisch mit 
Erfolg rekonstruiert werden sollen, falls er kein Recidiv bekommt. 

Was nun die plastischen Operationen anbelangt, nicht bloss 
diejenigen wegen Carcinoms, sondern auch diejenigen bei steno- 
sierenden und ulcerösen Prozessen, so wird vielfach der Fehler 
begangen, dass einmal die Operation zu früh gemacht wird, wenn 
das Material noch ungeeignet für eine prima intentio und mangel¬ 
haft ernährt erscheint, und dass zweitens man nicht, so wie wir 
es empfehlen, alles narbige und alles pathologische Gewebe, 
ganz gleich ob es sich um Haut oder andere Gebilde bandelt, 
radikal weit im Gesunden umschneidet und entfernt, bevor man 
zu einer Plastik schreitet. Eine erfolgreiche Plastik erfordert 
unter allen Umständen, dass normale physiologische Gewebe für 
dieselbe benutzt werden. Nur dann können die neugebildeten 
oder rekonstruierten Kanäle oder Hohlräume, ganz gleich, ob es 
sich um Kehlkopf, Schlundkopf oder Luftröhre handelt, dauernd 
die ihnen durch die Operation wiedergegebene Form, Weite und 
Rekonstruktion beibebalten und eine tadellose Funktion liefern. 

M. H.! Ich hoffe, dass die Ihnen vorgestellten Fälle Ihnen 
bewiesen haben, dass wir von den subtilsten konservativen Ope¬ 
rationen bis zu den radikalsten und eingreifendsten in der Lage 
sind, durch unsere operativen Methoden funktionelle und kos¬ 
metische Dauerresultate zu erzielen. 

Was den Fall von cylindrischer Dilatation des Oesophagus 
im Halsteile bis zum Jugulum aubelangt, dessen Röntgenbild ich 
Ihnen demonstriert habe, so möchte ich denselben hier nicht 
genauer erörtern, weil' der inzwischen vollkommen durch die 
Operation geheilte Fall an anderer Stelle von uns ausführlich 
veröffentlicht werden soll. 


2 


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UMIVERSITY OF IOWA 




' 958 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 21. 


Aus der medizin. Universitätsklinik in Kopenhagen. 

Anämische Zustände bei der chronischen 
Achylia gastrica. 1 ) 

Von 

Prof. Kund Faber. 

Der Gegenstand, über den ich heute Abend die Ehre habe 
vor Ihnen zu sprechen, ist vielfach diskutiert und auch von mir 
und meinen Mitarbeitern wiederholt behandelt worden. Wenn 
ich gleichwohl die Frage von neuem besprechen möchte, so ge¬ 
schieht es, weil sie ständig ungelöste Probleme umfasst, und weil 
die Sache viel praktische Bedeutung hat und nicht immer nach 
Verdienst gewürdigt wird. 

Die chronische Achylia gastrica ist ja eine Krankheit, die 
in den letzten Dezennien die Aerzte mehr und mehr beschäftigt 
und auch die praktischen Aerzte interessiert, weil sie so ausser¬ 
ordentlich häufig ist und weil ihre richtige Behandlung für die 
Patienten so wichtig und in der Regel für den Arzt so dankbar 
ist, der die Natur der Krankheit kennt. Es ist denn auch eine 
beträchtliche Zahl, die in den Krankenhäusern behandelt wird, 
so dass ich aus den letzten Jahren ein Material von über 
200 Patienten aus meiner Klinik habe sammeln können, und 
dieses Material will ich meiner heutigen Darstellung zugrunde 
legen. 

In dem Material sind nicht mitgerechnet die Kranken mit 
Krebs, Lungentuberkulose, chronischer Bronchiektasie und Diabetes 
mellitus, bei welchen Krankheiten die Achylie ein häufiges sekun¬ 
däres Leiden ist. Auch die Fälle sind nicht mitgerechnet, wo 
die Achylie nur ein vorübergehendes Phänomen war, das sich 
nach einer oder zwei Untersuchungen als in eine Hypochylie mit 
niedrigen Säurezahlen übergehend erwies. 

Dahingegen sind alle Fälle von Anämie mitgerechnet, selbst 
wenn diese wie bei den perniciösen Anämien ein recht selb¬ 
ständiges und dominierendes Symptom war. 

Ueber die Anämie bei den ersten 112 Patienten habe ich in 
einer kleinen Mitteilung 1912 berichtet; sie werden in der Ge¬ 
samtzahl hier mit aufgefübrt. Seitdem ist das Material um 
95 Fälle vermehrt, so dass ich im ganzen über 207 Fälle von 
chronischer Achylia gastrica verfüge. 

Tabelle 1 gibt eine Uebersicht über die nach Altersgruppen ver¬ 
teilten Fälle, sowie eine Angabe der von Anämie begleiteten Fälle. 


Tabelle 1. 


Jahre 

Achylie 

80-65 pCt. 
Hb 

65 pCt. 
Hb 

Pern. 

Anämie 

10—20 

6 

0 

1 

_ 

21—30 

41 

5 

9 

1 

81-40 

40 

1 

4 

5 

41—50 

39 

3 1 

5 

7 

51—60 

56 

4 

2 

7 

61—70 

22 

2 

1 

2 

71—80 

8 

— 

— 

— 


207 

15 

22(15) 

22 59 


llpCt. 1 

llpCt. 28,5] 


Die Hauptmasse der Kranken verteilt sich auf die Jahre von 20 bis 
60 und ziemlich gleichmässig über diesen Zeitraum, wenn sie auch meist 
im Alter von 50 bis 60 Jahren stehen. Ich muss sogleich betonen, dass 
diese Tabelle nur Angaben über das Alter der Acbyliekranken macht, 
die das Hospital aufgesucht haben. Verschiedene Untersuchungen, so 
unter anderen von Seidelin, zeigen, dass die Achylie naturgemäss an 
Häufigkeit mit dem Alter der Kranken zunimmt und sich ausserordent¬ 
lich häufig im hohen Alter findet, doch macht sie in diesen Jahren 
selten starke Symptome, auch werden solche Kranken relativ selten in 
ein allgemeines Krankenhaus aufgenommen. Was das Geschlecht der 
Kranken betrifft, so habe ich es für die letzten 95 ausgezogen und 
43 Männer und 52 Frauen gefunden, also ungefähr gleich viel. 

Es hat sioh nun gezeigt, dass wir bei diesen 207 Krankenhaus¬ 
patienten mit Achylie eine Anämie mit höchstens 80 pCt. Hämoglobin 
bei 59 nachweisen konnten, was einen Prozentsatz von 28,5 ergibt. 

Die Anämie war sehr verschiedenen Grades. Bei 15 Kranken han¬ 
delte es sich nur um eine leichte Anämie mit einer Hämoglobinmenge 
von 65—80 pCt., bei 22 war die Hämoglobinmenge 65 pCt. oder darunter, 
und von diesen bei 15 unter 50 pCt. Schliesslich erweisen sich 22 Typen 
als echte Biermer’sche pernioiöse Anämie. 

1) Vortrag, gehalten in der medizinischen Gesellschaft zu Kopen¬ 
hagen. 


Was die leichteren Anämien betrifft, so muss man betonen, dass 
bei vielen der 207 Patienten das Blut gar nicht untersucht ist, da man 
aus dem Aussehen der Patienten keinen Grund hatte, eine Anämie zu 
vermuten. Wir können also gut einige leicht anämische Zustände dieser 
Kranken übersehen haben, während das bei den schwereren Anämien 
sehr unwahrscheinlich ist. Es bleiben daher wesentlich diese zwei 
Gruppen, die Anspruch auf nähere Untersuchung haben. Unterschieden 
habe ich zwischen ihnen nach dem Blutbefund, namentlich nach dem 
Verhältnis zwischen Hämoglobinmenge und Blutkörperchenzahl, so dass 
alle Anämien der ersten Gruppe — die einfachen Anämien — einen 
Farbenindez unter 1, in der Regel bedeutend niedriger, etwa 0,5 oder 
0,6, haben, während ich zu den eigentlichen pernioiösen Anämien die 
Fälle gerechnet habe, deren Farbenindez über 1 ist. In dieser Gruppe 
findet man somit fast alle die schwersten Anämien mit unter 1 Million 
roter Blutkörperchen, und die meisten dieser Fälle hatten einen töd¬ 
lichen Ausgang. Ich habe jedoch auch zu dieser Gruppe zwei Fälle mit 
weniger starker Anämie gerechnet — mit etwa 2 Millionen roter Blut¬ 
körperchen und etwa 50 pCt. Hämoglobin — da diese beiden Fälle 
konstant einen Indez über l zeigten, also Zeichen von megaloblastischem 
Regenerationstyp. Obgleich diese Einteilung ihre Mängel bat, da sich 
Uebergangsfälle finden, die schwer zu rubrizieren sind, glaube ich nicht, 
dass wir im Augenblick bessere Einteilungsmodi haben, und ich folge 
hier der von Hayem, Sdrensen und Laache begründeten Lehre, die 
auch von Ehrlich, Friedrich Müller u. a. acceptiert ist. 

Einfache Anämien. 

Wenn wir zunächst die 22 Fälle von schwererer einfacher 
Anämie untersuchen, so genannt im Gegensatz zu der perniciösen, 
so war die Hämoglobinmenge bei 15 bis 50 pCt. oder darunter 
gesunken, doch nur in einigen wenigen Fällen bis auf 34 bis 
35 pCt. Die Anzahl der Blutkörperchen hatte relativ weniger 
stark abgenommen, hielt sich in der Regel auf 3 bis 4 Millionen, 
in einzelnen Fällen ging sie jedoch unter 8 Millionen, bis auf 
2,8 Millionen, herunter, aber der Index war in allen Fällen unter 1, 
oft sehr niedrig, 0,5 bis 0,6. In Uebereinstimmung damit fand 
sich Poikylocytose und kleine blasse Blutkörperchen, keine Ver¬ 
änderungen der weissen. 

Der Zustand der Patienten wurde zunächst von dem Magen¬ 
leiden geprägt, das teils dyspeptische Störungen, teils Darm¬ 
störungen, namentlich häufig Diarrhöen verursachte. Oft waren 
diese Symptome jedoch wenig deutlich, wie wir das so oft bei 
Achylie sehen. Infolge der Anämie litten sie ausserdem an 
Müdigkeit, Kopfschmerzen, Kurzatmigkeit und ähnlichen anämi¬ 
schen Symptomen. 

Wie gewöhnlich war die Achylie selbst der Behandlung nicht 
zugänglich, sie war konstant vorbandetf, aber die Symptome, die 
sie hervorrief, sowohl die Dyspepsie als auch die Diarrhöen, 
Hessen sich in der Regel mit Erfolg bekämpfen. Weit weniger 
gilt das von der Anämie. In einem Teil der Fälle gelang es, 
die Anämie dauernd zu bessern oder zu heilen, selbst wenn die 
Achylie unverändert blieb, aber in einer grossen Zahl von Fällen, 
und namentlich in den späteren Fällen von Anämie zeigte sich 
die Anämie in einem bemerkenswerten Grad für die Behandlung 
unzugänglich, und diese Patienten möchte ich ganz besonders 
hervorheben. Die Anämie war bei diesen Patienten ausserordent¬ 
lich chronisch. Ich konnte einige von ihnen 6—7 Jahre ver¬ 
folgen, und stets bot sie eine Anämie vom selben Typ und un¬ 
gefähr demselben Grad. Zeitweise Hess die Anämie sich bessern, 
so dass die Hämoglobinmenge von etwa 50 auf 70—80 pCt. stieg, 
aber immer ging der Zustand wieder auf 50—60 pCt. zurück, 
und solche Verbesserungen und Verschlimmerungen setzten sich 
durch Jahre hindurch fort. Als ein typisches Beispiel kann ich 
einen Kranken anführen, den ich vor längerer Zeit beobachten 
konnte, und den ich in meiner früheren Publikation besprochen 
habe. 

Laura F., unverheiratet, geb. 1878. Behandelt auf Abteilung B 
Mai-Juli 1906 und April-Juni 1907. Seit der Pubertät litt sie an Cardi- 
algie, meist dünnem Stuhlgang, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Herzklopfen 
und Kurzatmigkeit. Niemals Hämatemese oder Melaena und auch keine 
okkulte Blutung. Zahlreiche Magenfunktionsuntersuchungen zeigten 
konstant Achylie. (Zum ersten Mal 1906 konstatiert.) Nach Probe¬ 
frühstück: Freie HCl 0, Totalacidität 4—12, Pepsin 0. Von den Blut¬ 
untersuchungen seien folgende angeführt (Tabelle 2). 

Ihr Aussehen und Allgemeinbefinden blieb alle die Jahre hindurch 
im wesentlichen unverändert. Sie ist blass, aber nicht mager und teil¬ 
weise infolge der Müdigkeit und häufig recidivierenden Darmstörungen 
arbeitsunfähig. 

Dem Charakter der Anämie nach ähneln diese Fälle am 
ehesten schweren Chlorosen, und sie finden sich auch ganz über¬ 
wiegend bei Frauen, da nur 3 von den 22 schweren einfachen 
Anämien bei Männern angetroffen wurden, aber sie verteilen sich 
auf höhere Altersklassen als die Chlorosen, da von den 22 nur 


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26. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


959 


Tabelle 2. 


Datum 

Hämoglobin 

pCt. 

Rote Blut¬ 
körperchen 

Weisse Blut¬ 
körperchen 

2. Mai 

1906 

•38 

4200 000 

6700 

23. Mai 

1906 

44 

— 

— 

6. Juni 

1906 

56 

. — 

— 

10. Juli 

1906 

75 

— 

— 

27. Sept. 

1906 

55 

— 

— 

24. April 

1907 

70 

4 500 000 

— 

2, Mai 

1907 

65 

4 300 000 

— 

5. Juni 

1907 

80 

— 

— 

4. März 

1908 

60 

— 

— 

8. Sept. 

1909 

55 

— 

— 

1910 

50 

— 

— 

— 


65 

— 

— 

21. Jan. 

1913 

54 

3 600000 

— 


10 ein Alter unter 30 Jahren hatten, während 12 30—70 Jahre 
alt waren. 

Man könnte nun fragen, ob es sich wirklich in allen diesen 
Fällen nur um einfache Anämien im Anschluss an Achylia gastrica 
handelt. Die Kombination der beiden Phänomene, Anämie und 
Achylie, ist ja für Magenkrebs charakteristisch, und solche 
langdauernden mittelstarken Anämien können auf Blutsickern aus 
den Genitalien und namentlich auf okkulten Blutungen aus Magen 
und Darm bei Ulcera, oder sie können auf Darmstrikturen beruhen. 
Hierauf ist zu' antworten, dass alle diese Patienten auf diese 
Möglichkeiten genau untersucht sind. Das Wichtigste ist ja, 
okkulte Blutung aus Magen und Darm anzunehmen, aber zahl¬ 
reiche Untersuchungen bei den Kranken haben negatives Resultat 
ergeben, so dass es sicher ausgeschlossen werden kann. Ich 
kann weiter anführen, dass Ellermann beim Durchgehen von 
Prof. Gram’s Journalmaterial 6 Fälle vollständig der gleichen 
Art hat sammeln können. 

Keiner der 22 Fälle starb infolge der Krankheit, aber in einem 
Fall trat der Tod infolge einer interkurrenten Krankheit nach einer 
Operation ein. Es zeigte sich bei der Sektion, dass ausser Blässe sioh 
keine makroskopischen Veränderungen fanden, speziell nicht im Magen 
oder Darmkanal. In den Organen kein Ulcus oder Krebs. Bei der 
mikroskopischen Untersuchung des Magens fand sich eine diffuse Gastritis 
mit reichlicher Bindegewebsentwicklung, diffuser Rundzellinfiltration und 
zahlreichen follikelartigen Rundzellanhäufungen. Sie hatte also am 
ehesten den Charakter einer chronischen, diffus follikulären Gastritis. 
Dadurch erklärte sich die chronische Achylie, aber für die Anämie fand 
sich keine andere Erklärung. 

Wir haben also hier einen entscheidenden Beweis dafür, dass 
sich bei diesen Patienten nichts anderes als diese beiden Phä¬ 
nomene zu finden brauchen, die Achylie und die Anämie. Man 
könnte somit fragen, ob es sich nicht um ein zufälliges Zusammen¬ 
treffen handeln könnte. 

Selbst wenn die beiden krankhaften Zustände häufig sind, 
ist es doch unwahrscheinlich, dass das Zusammentreffen zufällig 
sein sollte, wenn man den grossen Prozentsatz Achyliker, die 
Anämie haben, betrachtet (28,5 pCt.), und namentlich wenn man 
sieht, dass 11 pCt. schwere einfache Anämie hatten. Ein Kontroll- 
matefial ist doch sehr wünschenswert, nm diese Frage beurteilen 
zu können. Ich habe dazu zunächst die Verhältnisse bei Poly¬ 
arthritis chronica benutzt. 

Bei dieser Krankheit ist die chronische Achylie ein relativ 
häufiges Phänomen, wie ich das früher betont habe. In ca. 7* 
aller Fälle findet sich eine Achylie, somit bei 15 von 65, die 
in den letzten 3 Jahren auf Abt. B behandelt sind. (Tabelle 3.) 


Tabelle 3. 


1910—1912 

An¬ 

zahl 

Hämo¬ 
globin 
65 bis 
50 pCt. 

Hämo¬ 
globin 
50 pCt. 

Im 

ganzen 

pCt. 

Achylia gastrica. 

95 

4 

8 

12 

12,7 

Hypochylia gastrica. 

16 

l 

1 

2 

(12,5) 

Nervenkrankheit und Achylie . . 

8 

0 

1 2 

2 

(25) 

Polyarthritis chronica mit Achylie 

15 

2 

1 2 

2 

(27) 

„ „ ohne „ 

50 

(1) 

1? 

1 (2) 

2(4) 

Febris rheumat. ac. 

72 

2 


2 



Untersuchen wir das Verhalten der Anämie der Achylie- 
kranken in diesen Jahren, so haben wir im ganzen 95 Patienten 


mit Achylie. Ausser 10 perniciösen Anämien finden sich unter 
ihnen 12 schwerere Anämien vom Typus der einfachen Anämie, 
ungefähr 18 pCt. Nehmen wir allein die mit Polyarthritis 
chronica komplizierten 15 Achylien, so finden wir darunter 4 von 
diesen Anämien, was eine noch höhere Prozentzahl ergibt, und 
dasselbe gilt von 8 Achylien, die sich zusammen mit verschiedenen 
organischen Nervenkrankheiten finden, wie Myelitis, Paralysis 
agitans, Tabes, Ischias; darunter finden sich 2 schwere Anämien, 
also auch relativ viele. 

Dagegen finden wir bei den 50 Fällen von Polyarthritis 
chronica, bei denen keine Achylie nachgewiesen ist, starke Anämie 
nur in zwei Fällen, und in dem ausgesprochensten Fall vermissen 
wir sogar hier eine Untersuchung der Sekretionsverhältoisse des 
Magens; im zweiten Fall bestand eine starke Hypochylie, wenn 
auch keine komplette Achylie. 

Aehnlich finden wir bei der akuten Febris rheumat., wo 
die Achylie selten ist, allerdings relativ häufig, ganz leichte 
Anämien; aber kommen wir unter 65 pCt., so finden wirzwischen 
72 Fällen nur 2, und keiner von ihnen reichte unter 50 pCt. 
Wir sehen hier einen bedeutenden Unterschied im Auftreten der 
Anämie bei unseren Patienten mit Achylie und bei denen ohne 
solche, und wir können nicht im Zweifel sein, dass ein Zusammen¬ 
hang zwischen diesen beiden krankhaften Zuständen besteht. 
Wir werden später auf die Frage zurückkommen, wie weit ein 
Kausalitätsverhältnis hier besteht. 

Ich will noch darauf aufmerksam machen, dass man auch 
bei Patienten mit nicht vollständiger Achylie in ähnlicher Weise 
Anämien antreffen kann. Bei 16 Patienten, die bei der Aufnahme 
Achylie, aber später niedrige Säurezahlen zeigten, positive, wenn 
auch schwache Reaktion auf Kongopapier und negative mit dem 
Günzburg-Reagenz, also keine wirklich freie Salzsäure, fanden 
wir zweimal einfache Anämie unter 65 pCt. 

Bevor wir die Gruppe der einfachen Anämien* verlassen, will 
ich nur die praktische Bedeutung hervorheben, die ihre Kenntnis 
für den Arzt hat, und namentlich die Kenntnis der stets recidi- 
vierenden chronischen Fälle, die sich schwer heilen lassen. Kennt 
man sie nicht, wird man sich schwer überzeugen, dass es sich 
nicht um eine gefährliche innere Krankheit und speziell um Ulcus 
oder Krebs handelt. Aber io bezug auf das Leben ist die Pro¬ 
gnose in diesen Fällen gut, selbst wenn die Anämie schwer zu 
beeinflussen ist. 

Achylia gastrica mit perniciöser Anämie. 

Gehen wir nunmehr zur Gruppe der echten perniciösen 
Anämien über, so besteht kein Zweifel, dass ein enges Ver¬ 
hältnis zwischen der Anämie und der Achylie existiert, denn diese 
ist beinahe ein konstantes Phänomen bei der idiopathischen 
perniciösen Anämie. 

Ausser den 22 Fällen in unserem Material hier finden sich eine 
Menge anderer Fälle in der Literatur. Ich selbst habe nur in einem 
Fall einen Blutbefund wie bei der perniciösen bei einem Pat. mit er¬ 
haltener Magensekretion angetroffen, aber dieser Fall wich doch in 
mehreren Beziehungen von dem gewöhnlichen Biermer’schen Typ ab. 
Die Anämie des Pat. ging bis auf 1,5 Millionen herunter mit 30pCt. 
Hämoglobin, Index 1, nachdem längere Zeit Nasenblutungen und zuletzt 
Retinahämerrhagien bestanden hatten. 

Pat. erholte sioh vollständig und war bei normalem Blutbefund 
durch 7 Jahre lang ganz gesund. Dann bekam er ein typhoides Fieber 
und dabei eine starke Blutung, die eine bedeutende Anämie verursachte, 
die auch diesmal erhöhten Index zeigte, die sich aber sehr besserte, 
bis er an einer interkurrenten Erkrankung (Pneumonie) starb. 

In der Literatur habe ich ausserdem nur eine Beobachtung von er¬ 
haltener Magensekretion bei einem Pat. mit idiopathischer perniciöser 
Anämie gefunden, nämlich Sophie Herzberg’s Fall. Auch hier war 
der Verlauf jedoch nicht ganz typisch, da der Index zunächst niedriger 
als 1 war, danach allerdings höher, aber zuletzt hatten die weisaen Blut¬ 
körperchen bis auf 70 000 pro Kubikmillimeter zugenommen. 

Diese zwei Fälle hindern uns daher nicht, die Achylie als 
ein konstantes Phänomen bei der typischen idiopathischen perni¬ 
ciösen Anämie zu betrachten. Aber so allgemein anerkannt dieses 
Zusammentreffen ist, ebenso uneinig ist man doch, wenn man den 
Zusammenhang zwischen der Achylie und der perniciösen Anämie 
erklären will. Die ursprünglich von Fenwick vorgetragene An¬ 
schauung, dass die Anämie eine direkte Folge einer auf Schleim¬ 
hautatrophie beruhenden Achylie wäre, also eine Art Ernährungs¬ 
störung, musste sehr bald aufgegeben werden. Die Martius’sche 
Lehre, dass erst, wenn an die Magenatrophie sich eine Darm¬ 
atrophie anschliesst, die perniciöse Anämie entsteht, musste ver¬ 
lassen werden, nachdem Bloch und ich gezeigt hatten, dass eine 

V 


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960 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 21. 


solche Darmatrophie sich bei perniciösen Anämien überhaupt 
nicht findet. 

Statt dessen stellten Bloch und ich die Hypothese auf, 
dass die Achylie auf einer toxischen Gastritis beruht, die 
denselben Ursprung wie die Anämie hätte and dieser also koordi¬ 
niert wäre. Wir dachten nns die Anämie von einem blut- 
destruierenden Gift hervorgerufen, and dass dieselbe Vergiftung 
eine toxische Gastritis mit Achylie verursacht, wie man das bei 
anderen Intoxikationen und Infektionen sehen kann. 

Dass sich bei der perniciösen Anämie wirklich nicht nur 
eine Achylie fand, sondern konstant auch eine stark aus¬ 
gesprochene Gastritis, konnten wir in allen von uns untersuchten 
Fällen nachweisen, wie dies auch an vielen anderen Stellen nach¬ 
gewiesen ist. 

Diese Anschauung von der Achylie als Folge einer toxischen 
Gastritis wird auch von Lazarus vertreten. Scbaumann 
schloss sich ihr an, und sie ist wohl ziemlich allgemein acceptiert. 

Verschiedene von mir gemachte Beobachtungen haben jedoch 
in mir Zweifel an der Haltbarkeit dieser Hypothese entstehen 
lassen, von der man übrigens auch von anderer Seite, wenn auch 
mit anderer Motivierung, loszukommen versucht hat. 

Es ist mir immer auffällig gewesen, dass sich, wie zeitig 
man auch immer zur Untersuchung einer perniciösen Anämie 
kam, doch immer Achylie vorfand. Man sollte erwarten, 
dass man Fälle so früh treffen könnte, dass das eventuelle Gift 
auf das Blut einzuwirken begonnen, aber dem Magen noch nicht 
so sehr geschadet hätte, dass es zum Aufhören der Sekretion ge¬ 
kommen wäre, aber derartiges ist nicht beobachtet. Dagegen 
hatte ich jetzt Gelegenheit, einige Kranke zu beobachten, wo 
ganz entgegengesetzt die chronische Achylie ganze Jahre hin¬ 
durch konstatiert war, bevor die Kranken Zeichen von perniciö^er 
Anämie aufwiesen. Ich will drei solcher Beobachtungen an 
führen. 


1 . P. L., Kaufmann. Gestorben am 2. Mai 1911, 89 Jahre alt. 

Erste Untersuchung 1908. Komplette Achylie. (Professor 
Lorentzen.) 1 */* Jahre hatte er dyspeptische Symptome gehabt, Cardi- 
algie, unregelmässiger Stuhl, abwechselnd hart und dünn. Schmerzhafte, 
blutrote Zunge (Hunter’sohe Glossitis?). Keine Blässe der Haut. 

1907 wiederholte Untersuchungen: Achylie. Keine freie HCl. 
Totalacidität 12—20. Hämoglobinmenge 85—90 pCt. (Sahli.) 
Dyspepsie, Cardialgie und Obstipation. 

1908 wiederholte Untersuchungen: Achylie. Freie HCl 0. Total¬ 
acidität 6 . 

1911 Universitätsklinik. Letztes Jahr Blässe. Jetzt leichter Icterus 
und Retinahamorrhagien. Achylie. Freie HCl 0. Totalacidität 27. Keine 
okkulte Blutung. 

März Hämogi. 25 pCt., rote Blutkörperchen 1 500 000, Index 0,8 
• 28 , „ * 850 000 , 1,7 

April ^ 22 „ 9 ,, 840 000 „ 1,3 

„ ff 18 , ff ff 850000 ff 1 

Mai Tod. Sektion: Universelle Anämie und Fettdegeneration der 
Organe. Leichte Milzschwellung. Megaloblastische Degeneration des 
Knochenmarks. 


2. Chr. K., Anwalt. Gestorben am 17. April 1912, 55 Jahre alt 

Erste Untersuchung 1909. Komplette Achylie. (Dr. Kramer 
Petersen.) Freie HCl 0. Totalacidität 31. Kein Pepsin oder Lab¬ 
ferment. Hämoglobinmenge 90—100 pCt. Cardialgie, Erbrechen und 
Anorexie. Keine okkulte Blutung. 

1910. Hämoglobinmenge 90 pCt. 

1911. Hämoglobinmenge 90 pCt. 

1912. (Dr. Borgbjärg.) Achylie. Freie HCl 0. Totalacidität 30. 
Kleine Retention nach 12 Stunden. 

Febr. Hämogl. 37 pCt., rote Blutkörperchen 1 360 000, Index 1,4 

März * 42 „ „ « 1350 000 „ 1,5 

* * 40 ff ,, ff 1 390 000 ff 1,4 

„ . 31 » w ff 1060 000 , 1,5 

Makrocytose mit Megalocyten von 10 bis 12,5, Leukopenie. 

1912. Universitätsklinik. April Hämoglobin 23 pCt., rote Blut¬ 
körperchen 400000. Tod. Keine Sektion. 


3. Ch. W., Kaufmann, 54 Jahre alt. 

Erste Untersuchung 1902. Komplette Achylie. (Prof. Sjöqvist.) 
Hämoglobinmenge 95 pCt. Schwere im Epigastrium, sonst keine 
Symptome. 

1910. März: Hämoglobinmenge 60 pCt. Komplette Achylie. Freie 
HCl 0. Totalacidität 0. 

Mai: Hämoglobinmenge 65 pCt. 

Juni: Hämoglobinmenge 70 pCt. 

September: Hämoglobinmenge 60 pCt. 

1912. Juli: Hämoglobinmenge 54 pCt. 

1912. Privatklinik. Achylie. Freie HCl 0. Totalacidität 24. 
Keine okkulte Blutung. Starke Diarrhöen, periodisch leichter Icterus. 
Retinablutungen. Blässe, keine Abmagerung. Im Blut Makrocyten, 
kernhaltige rote Blutkörperchen, Leukopenie. Leichte Milzschwellung. 


Septbr. Hämogl. 46 pCt.. rote Blutkörperchen, 1 780 000, Index 1,3 

9 fl 

54 

» » 

9 

1500 000 

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40 

9 9 

9 

1 300 000 

9 

1,5 


Zustand seitdem unverändert, etwas schwankend. 
Tod im Februar 1912. 


In allen drei Fällen ist die Diagnose Anaemia perniciosa 
zweifelhaft, wenn auch nur der eine Fall zur Autopsie gekommen 
ist. Bei keinem von ihnen fanden sich in den Fäces Bandwurm¬ 
eier, und es war keine andere Krankheit bei den Patienten zu 
konstatieren. Die Achylie war sieben, bzw. drei und zehn 
Jahre nacbgewiesen, bevor die Anämie sich zeigte, und 
die normale Hämnglobiumenge des Blutes war bei allen ungefähr 
gleichzeitig mit der Achylie konstatiert worden. Es ist also klar, 
dass die Achylie in diesen Fällen der Anämie vorausgegangen 
ist. Von einer Koordination der Gastritis und Anämie kann keine 
Rede sein, aber die Vermutung liegt nahe, dass die Achylie auf 
eine oder die andere Weise in ursächlichem Verhältnis zu der 
später sich entwickelnden starken Anämie steht Selbst wenn sie 
nicht ein direkt veranlassendes Moment ist, muss man doch ver¬ 
muten, dass sie die Anämie indirekt verursacht. 

Von einem zufälligen Zusammentieffen kann nicht gut die 
Rede sein, dazu nimmt die Gastritis einen allzu centralen Platz 
in dem Krankheitsbilde der perniciösen Anämie ein, und ich 
kann binzufügen. dass der häufige Befund von auch leichteren 
Anämien bei Achylie gastrica die pathogenetische Bedeutung der 
Gastritis des weitereu stützt. 

Wir kommen hier auf die alte Fenwiok’sohe Anschauung zurück, 
dass die Gastritis Ursache der Anämie ist, wenn wir auch eine andere 
Erklärung als die suchen müssen, dass die Anämie durch die mangel¬ 
hafte Ernährung verursacht wird. Wir müssen ein Zwischenglied, eine 
Komplikation der Achylie als die eigentliche Ursache suchen. Von be¬ 
sonders grosser Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die von Tal 1- 
quist im staatlichen Seruminstitut in Kopenhagen ausgeführten 
Untersuchungen über Bothriocephalusanämie, die, wie bekannt, in 
Blutbefund und Symptomatologie mit der idiopathischen perniciösen 
Anämie ganz übereinstimmt. Er hat gezeigt, dass die perniciöse Bothrio- 
cepbalusanämie auf dem Auftreten besonders blutdestruierender Gifte 
im Bandwurm, Hämolysinen beruht, die durch den Darm resorbiert 
werden und Blutdestruktion hervorrufen. Bekanntlich schwindet die 
Anämie, wenn der Wurm ausgetrieben und die Quelle der Hämolysin¬ 
bildung verstopft ist. 

Wie natürlich, erweiterte Tallquist seine Betrachtungen auf die 
idiopathische perniciöse Anämie und berührte die Möglichkeit, dass hier 
Hämolysine aus den atrophischen Prozessen resorbiert werden könnten, 
die man im Magendarmkanal fand. Hierdurch erhielten die pathologi¬ 
schen Veränderungen in diesen Organen eine erneute Bedeutung, und 
namentlich, da ich nun Beispiele von Vorhandensein von Achylie lange 
vor der Anämie nachweisen konnte, verdienen die anatomischen Ver¬ 
hältnisse eine besondere Besprechung. 

Wie erwähnt, glaube ich nacbgewiesen zu haben, dass die Lehre 
von der Atrophie im Darm jedes Anhaltspunktes entbehrt, und das ist 
auch von denen acceptiert worden, die später mit guten Methoden unter¬ 
sucht haben. Wir finden auch keine Entzündungsprozesse im Darm¬ 
kanal dieser Patienten. Die häufigen Darmstörungen, namentlich die 
Diarrhöen, beruhen auf der Achylie; sie gehören zu der Gruppe von 
Diarrhöen, die von Schmidt dyspeptische Diarrhöen genannt werden, 
die gastrogen sind, auf Achylie beruhen. 

Von Schläpfer ist behauptet worden, dass sich bei Patienten mit 
perniciöser Anämie in der Darmschleimhaut Zellen mit eigentümlich 
lipoidartigem Inhalt finden sollten, bei denen man hämolytische Eigen¬ 
schaften vermuten könnte. In einem gut entwickelten Fall von per¬ 
niciöser Anämie haben wir sorgfältig auf diese Zellen untersucht, ohne 
eine Spur von ihnen finden zu können, während andererseits Aschoff 
angibt, sie gewöhnlich in Leichen von Patienten angetroffen zu haben, 
die nicht die mindeste Anämie hatten. 

Man kann daher kaum die Vorstellung von pathologischen 
Veränderungen in der Darmwand als Quelle der Resorption von 
Hämolysinen aufrechterhalten. Besser künnte man in der kon¬ 
stant vorhandenen Gastritis die Quelle solcher Stoffe soeben, 
namentlich, da sie so häufig zu Atrophie mit ausgesprochenem 
Drüsenschwund führt. 

Hiergegen kann jedoch angeführt werden, dass zwischen dem 
Prozess in der Magenwand und dem Entstehen der Anämie durch¬ 
aus kein Parallelismus nacbgewiesen werden kann. Die Gastritis 
führt allerdings zur Atrophie, aber der Grad derselben bängt von 
der Zeit ab, die sie bestanden hat, und die perniciöse Anämie 


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26. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


961 


scheint bald zeitig, bald spät im Verlauf der Gastritis auftreten 
zu können. 

In meiner und Lange’s Abhandlung über die Pathogenese 
der chronischen Achylie haben wir über einen Magen von einem 
Patienten mit perniciöser Anämie berichtet und ihn abgebildet 
Die Schleimhaut war hier stark entzündet, zeigte aber keine Spur 
von Atrophie, die Drüsenschicht war in ihrer ganzen Ausdehnung 
erhalten. Laut Krankengeschichte war auch kein Zeichen von 
Gastritis oder Magenleiden überhaupt vorhanden, bevor Anzeichen 
von der Anämie sich einstellten, die im Laufe eines Jahres zum 
Tode führten. 

Im Gegensatz hierzu haben wir einen 21jährigen jungen 
Mann beobachtet, der im Mai 1912 im Reichshospital unter allen 
Zeichen perniciöser Anämie starb, die bis auf 28 pCt. Hämoglobin 
und 925000 roten Blutkörperchen (Index 1,5) herabging und die 
sich bei der Sektion als eine typische perniciöse Anämie erwies. 
Er batte 4—5 Jahre lang Zeichen von Anämie gezeigt, aber die kom¬ 
plette Achylie, die er hatte, scheint schon längere Zeit bestanden 
zu haben, denn nach mehreren Lungenentzündungen in der Kind¬ 
heit litt er ständig an chronischer Diarrhöe, bis zu 7—8 mal 
dünnem Stuhl in 24 Stunden. Bei der Sektion zeigten sich die 
Därme völlig normal und bei der mikroskopischen Untersuchung 
ohne Atrophie, ohne zweifellose Entzündungsphänomene und ohne 
Schläpfer’sche Lipoidzellen. Die Diarrhöe musste also von der 
Magenerkrankung, der Achylie herrühren. Anatomisch fand sich 
im Magen überall eine starke diffuse Entzündung und an grossen 
Partien des Magens bestand, besonders in seinem Pylorusteil, eine 
komplette Atrophie der Magendrüsen (Fig. 1). Das Obeiflächen- 
epithel war erhalten, aber unter ihm fand sich nur ein zellen¬ 
reiches Granulationsgewebe mit reichlichem Bindegewebe und ver¬ 
einzelten Drüsenresteu. An vielen Stellen war das Ventrikelepithel 
durch Darmepithel mit Becherzellen und Lieberkühn’schen Drüsen 
ersetzt (Fig. 2). Nur im Cardiateil fanden sich Partien, wo die 
Ventrikeldrüsenschicht im wesentlichen erhalten war, aber auch 
hier stark entzündet mit Bindegewebs- und Rundzellanhäufungen 
(Fig. 3). 


Figur 1. 



Gastritis mit Atrophie der Magendrüsen und Follikelbildung der Schleim¬ 
haut. Nur das Oberflächenepithel und einige Magengruben sind erhalten. 
Vergrösserung 1:50. 


Figur 2. 



Gastritis mit Atrophie der Mageudrüsen. Obeiflächenepithel ist mit 
Darraepithel und die Magendrüsen mit Liebekühn’schen Drüsen ersetzt. 
Vergrösserung 1:46. 


Figur 3. 



Gastritis mit unregelmässiger Infiltration der Schleimhaut ohne Atrophie 
der Magendrüsen. Vergrösserung 1 : 42. 


Vergleicht man diese beiden Beobachtungen, so sieht man, 
dass die Atrophie für das Entstehen der Anämie nicht das Ent¬ 
scheidende sein kann, und man kann hinzufügen, dass man bei 
alten Leuten sehr oft Gastritiden mit der ausgesprochensten 
Atrophie ohne Spur von Anämie trifft. Wie auch Herzberg das 
betont hat, ist die Atrophie nur ein Ausdruck dafür, dass die 
Gastritis eine gewisse Zeit bestanden hat, und dass sie an Aus¬ 
dehnung mit dem Alter der Gastritis zunimmt. 

Es ist somit schwer, die mögliche Resorption von Hämo¬ 
lysinen direkt auf die anatomischen Veränderungen in der Magen¬ 
schleimhaut zu beziehen, und man muss auf andere Weise suchen, 
ein Mittelglied zwischen der Gastritis und der Anämie zu finden. 
Als ein solches Zwischenglied haben einige Forscher an eine 
vielleicht vom Magendarmkanal ausgehende Infektion gedacht 
(Hunter, Ellermanu). Man könnte auch an eine vom Darm¬ 
kanal ausgehende Intoxikation wie bei der Bothriocephalusanämie 
denken. 

Ich will in diesem Zusammenhang besonders die Bedeutung 
der bekannten bakteriziden Eigenschaften des sauren Magensaftes 
betonen. Diese sind ganz abhängig von der Anwesenheit der 
freien Salzsäure. Wie schon Madsen und Yundell vor einer 
Reihe von Jahren nachgewiesen haben, ist das Duodenum unter 
normalen Verhältnissen so gut wie immer steril, aber bei Patienten 
mit Achylie, wo die desinfizierende Eigenschaft des Magens auf¬ 
gehoben ist, bekommen wir eine reiche Flora in dem obersten, 
sonst sterilen Abschnitt des Darmes. Wie ich vor langer Zeit 
das betont habe, ist man berechtigt, in dieser abnormen Darm¬ 
flora eine Hauptursache der so häufigen, oft putriden Diarrhöen 
zu sehen, die die Patienten mit Achylie plagen, und wir könnten 
vielleicht hier auch eine Quelle für ihre Anämie haben, wie 
Grawitz es schon hervorgehoben hat. 

Man muss sich ja erinnern, dass eine ganze Reihe von Bak¬ 
terien im Besitz stark hämolytischer Eigenschaften und wohl zu 
merken solcher sind, dass sie Hämolysine ausscheiden, die sehr 
wohl Gegenstand der Resorption sein könnten. Hämolysine sind 
bei vielen pathogenen Bakterien nachgewiesen, beim Streptococcus 
longus, dem Staphylococcus aureus, Bacillus perfringens, Bacterium 
coli, ausserdem beim Tetanus, Cholera und vielen anderen, und 
sie können natürlich von weit mehr Bakterien produziert werden, 
als zur Zeit bekannt sind. 

So liegt der Gedanke nicht fern, dass sich in der Darmflora 
des obersten, besonders resorptionsfähigen Abschnitts des Darms 
solche hämolytischen Bakterien entwickeln könnten. Die Barriere 
des Magens ist gebrochen, und der Organismus ist nicht darauf 
eingerichtet, die Resorption von Hämolysinen an dieser Stelle zu 
hindern, wie das im Colon geschehen muss. Der ganz moderne, be¬ 
sonders von den französischen Pathologen bearbeitete Krankheits¬ 
begriff, der hämolytische Icterus, findet sich bei vielen Infektionen, 
speziell Septikämien, und äussert sich durch Icterus von wechseln¬ 
der Stärke, Anämie und Milzscbwellung, ganz wie wir das bei 
den perniciösen Anämien finden, und dieser Symptomenkomplex 
wird gewöhnlich bei verschiedenen Darmkraukheiten beobachtet. 
Betrachten wir den Darminhalt als Quelle der Hämolysine, so 
kommen wir damit auf alte Erfahrungen zurück, dass schwere 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 21. 


Anämien häufig bei Dünndarmstrikturen mit Stagnation in den 
dilatierten Darmteilen oberhalb der Strikturen entstehen. Be¬ 
sonders naheliegend scheint mir diese Hypothese als Erklärung 
für die leichteren Fälle von Anämie bei Achylie, die einfachen 
Anämien, zu sein. Aber sie kann auch auf die idiopathischen 
perniciösen Anämien ausgedehnt werden. Wir befinden uns hier 
auf wenig gesichertem Boden, und es ist nicht meine Meinung, 
neue Anschauungen über diese hingeworfene Hypothese hinaus 
auszusprechen, sondern nur einen von den Wegen zu zeigen, auf 
denen eine primäre Gastritis mit Achylie eventuell Anlass zur 
Entstehung einer Anämie geben kann. Mir kommt es speziell 
darauf an, zu zeigen, dass die Gastritis nicht eine Folge der An¬ 
ämie ist, und dass die Gastritis und die Anämie nicht auf einer 
gemeinsamen Ursache beruhen, sondern dass die chronische 
Gastritis mit Achylie der Anämie vorangebt und in ur¬ 
sächlichem Verhältnis zu der Anämie steht. 


Ueber Heilung tablscher Erscheinungen durch 
Arsen und durch Bakterienpräparate. 

Von 

Prof. Dr. Döllken in Leipzig. 

Von einer eigentlichen Heilung der Tabes kann nicht ge¬ 
sprochen werden, da die bestehenden Ausfallserscheinungen irre¬ 
parabel sind. Während der ganzen langen Dauer der chronischen 
Krankheit jedoch laufen an den Nerven und Organen des Tabikers 
Krankheitsprozesse ab, die therapeutischen Eingriffen gut zugängig 
sind. Die sehr zahlreichen stationären Tabesfälle in jedem Krank¬ 
heitsstadium (Naturheilungen) mahnen direkt zu aktiven Heil¬ 
bestrebungen. 

Wirklich kausale Therapie kennen wir bis jetzt nicht. 
Die unveränderte Spirochaeta pallida ist nicht der Erreger der 
Tabes. Daher wirken weder Salvarsan noch Quecksilber spezifisch 
bei Tabes. 

So ausgezeichnete Erfolge die rein symptomatische The¬ 
rapie (Frenkel, Förster u. a.) selbst in schweren Fällen er¬ 
zielt hat, die Notwendigkeit der allgemeinen Therapie bleibt 
bestehen. '•*' 

Einen besonders wichtigen Platz in der allgemeinen Therapie 
der Tabes nimmt neuerdings das Arsen ein. Die starke Wirkung 
der Arsenpräparate auf den Stoffwechsel, auf LeukocytenVermehrung 
im Blut, auf Kräftigung einzelner Organe setzen den Körper des 
Tabikers in Stand, sich wirksam gegen das Tabesvirus zu wehren. 
Es ist bislang kein Beweis erbracht, dass Arsenikalien den Er¬ 
reger der Tabes zu vernichten vermögen, wohl aber ist es 
wahrscheinlich, dass sie die Körperorgane zur erhöhten wirksamen 
Produktion von Schutz stoffen anregen. 

Salvarsan. 

Das grosse Interesse bat sich natnrgemäss dem Salvarsan 
zugewandt. Während non Alt, Wechselraann, Donath, Collins 
und Armour, Leredde, Haccius u. a. weitgehende Besse¬ 
rungen der tabischen Symptome durch Salvarsan beobachtet 
haben, fehlt es auch nicht an negativen Resultaten. Treupel 
sah, dass die Krankheitserscheinungen nach relativ kurzer Besse¬ 
rung sich wieder verschlimmerten. Oppenheim kennt Fälle, 
deren Ataxie sich nach der Salvarsaninjektion verschlimmerte. 

Es scheint, dass in neuerer Zeit die positiven Resultate 
uberwiegen, und zwar seitdem immer mehr die Tatsache erkannt 
wurde, dass nur grosse Dosen von Salvarsan in öfterer Wieder¬ 
holung metaluetische Prozesse günstig beeinflussen können (Drey- 
fus, Leredde u. a.). Damit muss allerdings nicht nur der 
Gedanke an die Möglichkeit einer Sterilisatio magna bei meta¬ 
luetischen Erkrankungen fallen, sondern auch die Idee ihrer 
spezifischen Beeinflussung durch Salvarsan. Die geringe Neuro- 
tropie des Mittels ist ein Grund dafür, dass meist nur durch 
häufige grosse Gaben Erfolge von relativer Dauer erzwungen 
werden können. 

Meine eigenen Erfahrungen an mehr als 100 Fällen gehen 
dahin, dass die Tabiker ungleicbmässig auf Salvarsan reagieren. 
Viele erfahren schon auf kleine intravenöse Dosen 0,25—0.3 
eine Hebung des Allgemeinbefindens und des Kräftezustandes. 
Das ist bei der gewöhnlichen Mutlosigkeit der Tabiker ein wich¬ 
tiger Erfolg. Manche aber bekommen nach der ersten Dosis 
starke Reizsymptome, eine erhebliche Verschlimmerung aller 


subjektiven Beschwerden, oder eine Verschlimmerung des Ge¬ 
samtzustandes. Die unangenehme Erfahrung kann man fast ebenso 
oft an Kranken im präataktischen Stadium, wie an solchen mit 
fortgeschrittener Tabes machen. Vermutlich handelt es sich dabei 
um eine Reizung der Produktionsstätten des Tabesvirus. 

Es ist sehr fraglich, ob es gelingt, durch Salvarsan allein oder durch 
Salvarsan und Hg die Erreger der Tabes auf direktem oder indirektem 
Wege zu vernichten. Ein Patient, der niemals die geringsten tabischen 
Beschwerden gehabt hatte, dessen Tabes durch Zufall entdeckt worden 
war, hatte es nach vorgelegten Unterlagen fertig gebracht, sich innerhalb 
eines Jahres fast 25 g Salvarsan injizieren zu lassen. Die in dieser Zeit 
etwa 6 mal vorgenommene Wassermannreaktion ergab stets einen posi¬ 
tiven Ausfall. Einen Monat nach der letzten Salvarsaninjektion hatte er 
zwar keine Beschwerden, von objektiven Symptomen aber Pupillenstarre, 
Fehlen der Achilles- und Patellarreflexe, deutliches Romberg’sches 
Zeichen, Herabsetzung der Haut- und Tiefensensibilität an den typischen 
Stellen. Demnach kein Ausfallssymptom beseitigt, aber auch nicht die 
Hypästhesie geheilt, die hier nicht Ausfallserscheinung war. 

Gelegentlich wird temporär die Wassermannreaktion ne¬ 
gativ. In vielen Fällen gelingt es, durch 4—6malige intravenöse 
Injektion von je 0,5 Salvarsan, am besten kombiniert mit Hg, 
lancinierende Schmerzen zu beseitigen, Krisen, Ataxie, Hypästhesie, 
Augenmnskel8törungen, Blasenbeschwerden erheblich zu bessern. 
Einfluss auf erloschene Sebnenreflexe und auf Pupillenstarre habe 
ich nicht nachweisen können. 

Leider lässt nicht selten nach einiger Zeit, etwa nach 3 bis 
10 Monaten, der erreichte Erfolg nach. Wiederholung der Kur 
hat längst nicht immer das gleiche Besserungsresultat. 

1. Sch., Kaufmann, 39 Jahre alt. Lues vor 15 Jahren. Starke 
Ataxie der oberen, geringe der unteren Extremitäten. Sehnenreflexe 
fehlen. Haut- und Tiefensensibilität stark herabgesetzt. Romberg mässig 
stark. Hypotonie. Anämie. Lancinierende Schmerzen im Ulnarisgebiet 
beiderseits und in beiden Beinen. 8. IX. 1910: Wassermannreaktion 
negativ. Salvarsan 0,5 intravenös. Kein Erfolg, keine Schädigung. 
Februar/März 1911 4 Salvarsaninjektionen intravenös je 0,5 werden glatt 
vertragen. Die Schmerzen schwinden, Schrift und Ataxie werden be¬ 
deutend besser, Gangstörungen sind nicht mehr nachzuweisen. Ver¬ 
schlimmerung des Zustandes September 1911. 

2. R., Kaufmann, 36 Jahre alt. Lues vor 13 Jahren. Intensive 
Hg-Kuren durch 5 Jahre. Im 30. Jahr begannen Magenkrisen, 2 mal im 
Jahr. Bald danach Pupillenstarre und Fehlen der Kniereflexe. Queck¬ 
silber- und Badekuren in Oeynhausen brachten keine Besserung. 1910 
in jedem Monat 3—8 Tage heftige Magenkrisen, die den Patienten sehr 
herunterbrachten. Wassermannreaktion stark positiv. 

Oktober 1910 Salvarsan 0,6 intravenös, glatt vertragen. Magen¬ 
krisen hören auf. April 1911 eine Magenkrise. Mai 1911 in jeder Woche 
Magenkrisen von 1—2 Tage Dauer, die an Heftigkeit rasch zunehmen, 
so dass Patient fast unfähig zu jeder Tätigkeit ist. Nun auch ataktische 
Störungen, Kniereflexe aufgehoben, Hautsensibilität, Tiefensensibilität an 
den Beinen stark herabgesetzt. 16. VI. Salvarsan 0,4 intravenös, glatt 
vertragen. Gleich nachher enorme Verschlimmerung der Magenkrisen. 
Naoh weiteren Salvarsaninjektionen 0,6 am 3. VII. und 0,6 am 18. VII. 
sistieren die Magenkrisen wieder. Ataxie bessert sich erheblich. Bis 
April 1912 kein Rückfall, Ataxie jedoch schon im November 1911 wieder 
deutlicher. 

3. S., 50 Jahre alt, Lues vor 25 Jahren. Typische Tabes seit 
10 Jahren. Starke Ataxie, lanzinierende Schmerzen in den Beinen, 
Kehlkopfkrisen, Anämie. Arteriosklerose. Haut- und Tiefensensibiiität 
von den Brustwarzen an nach unten zu stärker werdend sehr beträcht¬ 
lich herabgesetzt, an Unterschenkeln und Fussen fast aufgehoben. 
Sehnenreflexe aufgehoben. Stürzt hin beim Versuch, das Romberg’sche 
Zeichen zu prüfen. 

Juni 1912 Salvarsan 0,3 intravenös, glatt vertragen. Am nächsten 
Tage bereits starke Verschlimmerung der sämtlichen Beschwerden. Kehl¬ 
kopfkrisen ungemein heftig und quälend bedingen im Verein mit den 
lanzinierenden Schmerzen völlige Schlaflosigkeit. Bekämpfung der Er¬ 
scheinungen nur unvollkommen mit Pyramidon. Gehfähigkeit durch 
stärkere Ataxie verschlechtert. Patient ist zu weiteren Salvarsaninjek¬ 
tionen nicht zu bewegen. 

Die von mir meist angewandte Kombination von Salvarsan 
nnd Quecksilber ergab dieselben Resultate wie Salvarsan allein. 
Der therapeutische Effekt hielt nicht länger an. 

Enösol. 

Als wertvolles Mittel in der Tabestherapie bewährte sich 
auch mir die lösliche Arsenquecksilberverbindung Enesol. Selbst 
dekrepide Tabiker, denen Salvarsan oder Schmierkur schlecht 
bekommen war, vertrugen die Enösolkur durch 5 Wochen sehr gut. 

Mit ziemlicher Sicherheit Hessen sich auf Monate mit einer 
Enösolkur die lanzinierenden Schmerzen bessern oder vertreiben. 
Der Ernäbrungs- und Kräftezustand nahm stets zu. Ataxie und 
Sensibilitätsstörungen wurden jedesmal gebessert. Auch auf 
Krisen war ein günstiger Einfluss nicht zu verkennen. Nie da- 


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26. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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gegen habe ich die Pupillenstarre weichen und erloschene Sehnen¬ 
reflexe im Verlauf der Kur wieder anftreten sehen. 

Bezüglich der Heilungsdauer sah ich neben unverändert 
guten Erfolgen seit 2 Jahren (bis jetzt) auch mehrere Rückfälle 
nach etwa 4—6 Monaten. 

Noch bessere Resultate als ich haben Schaffer und auch 
Hudovernig mit Enöaol erreicht. 

Bakterien präparate. 

Wenn die Tabes durch ein aktives infektiöses Agens 
hervorgebracht wird, und das ist mehr als wahrscheinlich, so 
Rind es wohl veränderte Spirochäten, die ihre Wirksamkeit an 
den hinteren Wurzeln, am Rückenmark und an anderen Organen 
entfalten. Noguchi (1913) hat einmal bei Tabes Spirochäten 
gefunden. Natürlich ist es nicht ausgeschlossen, dass ein weiterer 
Mikroorganismus erst die Spirochäten mobilisiert und aktiviert und 
damit zu ihrer besonderen Wirkung veranlasst. 

Oder es werden von den Infektionsträgern in ihren Wirbel¬ 
knochenherden, die dem allgemeinen Säftestrom besonders schwer 
zugängig sind, Toxine erzeugt, die allein oder in Verbindung 
mit den Mikroorganismen als Hauptangriffspunkte die Hinter¬ 
wurzeln und Hinterstränge nehmen. 

Ausser den Zerstörungsprozessen an Rückenmark und 
Hinterwurzeln finden sich während der ganzen Dauer der Er¬ 
krankung subchronische, chronische und recidivierende anders¬ 
artige Krankheitsprozesse in peripheren Nerven und in 
Körperorganen, alle bedingt durch das Tabesvirus. 

Die Richtigkeit der Ueberlegung vorausgesetzt, müssen haupt¬ 
sächlich drei Arten von Mitteln therapeutische Erfolge 
erzielen. Zuerst baktericide Stoffe, wenn sie nur im Säftestrom 
an die Brutstätten der Tabeserreger herangebracht werden können. 

Ferner Bakterienprodukte und andere Mittel, welche die 
Fähigkeit haben, die Tabestoxine zu binden und in eine un¬ 
schädliche Form überzufübren. 

Drittens Eiweisskörper und ähnliche, die den Organismus 
unter Fieberbewegung und Hyperleukocytose zu einer starken 
Reaktion zwingen. Organe des Körpers selbst mögen dadurch 
zur erhöhten Bildung von Antikörpern angeregt werden. Dazu 
die Phagocytose und Fermentwirkung der Leukocyten. v. Wagner 
hat das Verdienst, zuerst und systematisch die günstige Wirkung 
eines solchen Stoffes, des Tuberkulin, auf Paralyse studiert zu 
haben. 

Pyocyanase. 

Es erschien mir aussichtsvoll, gegen Tabes baktericide 
Stoffe anzuwenden. Ich nahm meinen Ausgang von der Pyo¬ 
cyanase. 

Pyocyanase enthält bakteriolytische Enzyme, die aus den Zell¬ 
leibern des Bacillus pyocyaneus frei geworden sind (Emmerich und 
Löw) und einen isolierbaren, lipoiden, baktericid wirkenden 
Körper (Landsteiner und Raubitschek). Von den Verdauungs¬ 
säften wird Pyocyanase nicht leicht angegriffen (Emmerich). Die sehr 
stark auflösende Wirkung auf Spirillen — auch Spirochaeta pallida 
— ferner auf Milzbrandbacillen, Staphylokokken, Gonokokken, Diphtherie¬ 
bacillen und Diphtherietoiin ist durch Reagenzglasversuche und durch 
das Tierexperiment einwandfrei nacbgewiesen worden. 

Die interne Verabreichung hat selbstverständlich auf tabische Pro¬ 
zesse keinen Einfluss, auch nicht auf Magenkrisen. 

Subcutane und intramusculäre Injektion ist schmerzhaft und gibt 
eine starke lokale Reaktion. Es ist mir nicht gelungen, einen meiner 
Patienten zur Durchführung der Kur zu bewegen. Doch genügten die 
gemachten Injektionen zur Feststellung einer starken Hyperleukocytose 
und eines günstigen Einflusses auf lanzinierende Schmerzen. 

Py ocy an eus vaccine. 

Von einer Pyocyaneusvaccine konnte ich erwarten, dass sich 
eine besondere Wirkung durch Endotoxine neben der allgemeinen 
durch das Bakterieneiweiss erzielen lässt. Auf meine Veranlassung 
bat daher das sächsische Serumwerk und Institut für Bakterio- 
therapie in Dresden eine Pyocyaneusvaccine dargestellt und mir in 
dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt, ebenso alle weiteren Bak¬ 
terienpräparate meiner Untersuchungsreihe. 

Kulturen des Bacillus pyocyaneus werden ohne Bestandteile des 
Nährbodens in physiologischer Kochsalzlösung aufgeschwemmt und bei 
+ 65° C abgetötet. Von der Aufschwemmung werden Einzeldosen mit 
100—2000 Millionen Keimen in 1 ccm Lösung angefertigt. 

Angewandt habe ich Pyocyaneusvaccine in 19 Tabes fällen 
des frübataktischen und präataktischen Stadiums, jedesmal mit 
einem günstigen therapeutischen Erfolg. 

Die Injektionen erfolgen alle zwei Tage. Anfangsdosis 100 Millionen 
Keime. Steigen je nach Reaktion auf 1000—5000 Millionen Keime pro dosi. 

Oertliche Reaktion an der Einstichstelle wird häufig beob¬ 


achtet Sie besteht in leichter Rötung der Haut und geringer Schwellung 
des Gewebes, die nach 24—36 Stunden wieder verschwunden ist. Lokal¬ 
reaktion, Allgemeinwirkung und therapeutischer Erfolg stehen nicht in 
einfacher Beziehung zueinander. 

Von den Allgemeinerscheinungen ist zuerst die Tempe¬ 
raturerhöhung zu erwähnen. Es ist nicht nötig, die Temperatur um 
mehr als 1—1,5* C über die Normaltemperatur zu treiben. Damit ist 
gesagt, dass die Normaltemperatur im Einzelfall festgestellt werden 
muss. Ein sehr grosser Teil der Tabiker im ataktischen Stadium hat 
normal 35,5—36,1° C Tagestemperatur (cf. Kurven). 

10—20 Stunden nach der lüjektion wird die Höchsttemperatur 
erreicht. Dann erfolgt ein mässiger rascher, nie ein kritischer Abstieg. 
Gelegentlich zeigt sich eine zweite Kurvenspitze am folgenden Abend. 

Ausserordentlich variabel ist die Toleranz und Resistenz 
gegen Pyocyaneusvaccine. Während der eine Tabiker sehr rasch bei 
der Höohstdosis von etwa 5000 Millionen Keimen pro injectione ohne 
wesentliche subjektive Beschwerden anlangt (Krankengeschichte Nr. 1), 
kann bei dem anderen im langsamen Anstieg die Dosis von etwa 500 
bis 1000 Millionen Keimen nicht überschritten werden. Als objektiver 
Maassstab für das Injektionsquantum dient die Temperaturkurve. Für 
die ungleiche Toleranz der verschiedenen Individuen habe ich weder in 
der Schwere der Tabes noch in komplizierenden Erkrankungen einen 
Grund finden können. Es zeigt sich sogar gelegentlich, dass kräftige, 
sonst völlig gesunde Tabiker im initialen Stadium bei negativer Wasser¬ 
mannreaktion sehr stark auf Pyocyaneusvaccine reagieren. 

Ich beginne mit der Injektion von 100 Millionen Keimen in die 
Streckmuskulatur des Oberarms, gebe nach je zwei Tagen 100, dann 200, 
dann 300 Millionen Keime. Bei 200—300 zeigt sich stets eine deut¬ 
liche Temperaturerhöhung. Uebersteigt sie den gewünschten Effekt 
von 1 bis 1,5° G, so gehe ich zunächst etwas herunter, um dann langsam 
wieder anzusteigen. Unter Umständen musste ich 3—4 mal nach¬ 
einander 200—300 Millionen Keime injizieren, weil jedesmal die Tempe¬ 
ratur um 1,5—2° G stieg. Das sind die Fälle, in denen man nicht 
über 500—1000 Millionen Keime hinausgehen soll. Etwas häufiger sind 
Fälle, in denen die zweitägigen Iöjektionsdosen 50, 100, 200, 300, 500, 
1000, 1500, 2000, 3000, 5000 und jedesmal weiter 5000 bis zum Ende 
der 4—5 wöchigen Kur betragen. 

Die Pulsbeschleunigung geht der Temperatur parallel. Mit 
dem Fieber zeigt sich gelegentlich etwas Kopfdruck und erschwertes 
Einschlafen am Injektionstage. 

Die Darmentleerung ist während der Kur etwas verlangsamt, 
die Urin men ge etwas vermindert. Abnorme Bestandteile treten im 
Urin nicht auf. Das Körpergewicht sinkt in den Kurwochen langsam 
um 1—2 kg. 

Die Leukocytenzahl steigt nach jeder Injektion an, ist 24 Stunden 
später am höchsten und sinkt dann bald ab. Die Hyperleukocytose 
geht nicht dem Fieber parallel. Sie erreicht ihre höchsten Werte ge¬ 
wöhnlich etwa 14 Tage nach Beginn der Kur. Selten werden Werte 
von mehr als 15 000 bei einer Normalzahl von 6000 bis 7000 gezählt. 
In einem Fall betrug die Höcbstzahl 24 000. 

Eine Resistenz gegen Pyocyaneusvaccine wird nur sehr langsam 
erworben. Die Ausscheidung ihrer wirksamen Bestandteile ist in der 
Hauptsache nach 2—3 Tagen beendigt, wie sich durch superponierte 
Injektionen und durch die Temperaturkurve der meisten Normalkuren 
demonstrieren lässt (cf. Kurve 3). Der Heilerfolg hängt weder von der 
besonderen Höhe des Fiebers, noch von der Stärke der Leukocytose, noch 
von der mehr oder minder energischen Allgemeinreaktion des Körpers ab. 

Es ist nicht an wahrscheinlich, dass Pyocyanens- 
vaccine einen direkten Einfluss auf die Tabeserreger 
und auf das Tabesvirus ausübt, wohl im Sinne einer Wachs- 
tumsbemmung der Erreger und Bindung ihrer Toxine. 

Die therapeutische Wirkung zeigt sich bereits nach 
wenigen Injektionen. Zunächst werden die lanzinierenden 
Schmerzen geringer und schwinden bald völlig. Dann bessern 
sich die ataktischen Erscheinungen, die Gehfähigkeit wird 
besser; die Kräfte beginnen sich zu heben. Blasen- und Mast¬ 
darmstörungen erfahren bedeutende Besserung. Paretische 
Augenmuskeln wurden in den beobachteten Fällen beweglicher. 
(Verschwanden sind die Paresen erst völlig, als ich später noch 
Salvarsan gab.) Das Romberg’sche Zeichen wird meist in 
leichteren und mittelschweren Fällen zum Schwinden gebracht. 

Niemals aber habe ich während der Kur erloschene Sehnen¬ 
reflexe wieder auftreten oder licbtstarre Pupillen sich bewegen sehen. 

Die Wassermannreaktion blieb stets positiv oder negativ 
wie vor der Kur. 

3. S., 32 Jahre alt, Kassenbote. Präataktisches Stadium. Lues 
vor 11 Jahren. Seit einem Jahre heftige lanzinierende Schmerzen iu 
den Beinen. Grosse Mattigkeit. Pupillen starre. Patellarreflexe, 
Achillessehnenreflexe fehlen. Romberg’sches Zeichen deutlich. Ab und 
zu gehen morgens einige Tropfen Urin unbemerkt ab. Hypästhesie an 
den Unterschenkeln und Füssen. Ataxie beim Kniehackenversuch. 
Wassermannreaktion im Blut positiv. Beginn der Kur am 7. I. 1912. 
Verträgt Pyocyaneusvaccine sehr gut, reagiert aber bis zum Schluss der 
Kur mit annähernd derselben Temperaturerhöhung auf jede Injektion. 
Kumulati.vwirkung (Superposition) der Vaccine am 13. II. 

3* 


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964 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 21. 


Kurve 1. 


Tabelle 1. 

Id 19 Fällen: 



Laminierende Schmerzen nach 4 Injektionen geschwunden, Ataxie Unverändert ! 

und Blasen Störung, Romberg nach 8 Injektionen. Sensibilität an den 



16 



19 

19 


Unterschenkeln bessert sich allmählich. Keine Müdigkeit und Mattigkeit 
mehr. Kein Einfluss auf Sehnenreflexe und Pupillen. Gewichtabnahme 
2,5 kg. Wassermannreaktion bleibt positiv. 

Erfolg jetzt nach 1 1 / 4 Jahr unverändert. Ist im Dienst wie 
früher tätig. 

4. D., 85 Jahre alt, Kutscher. Ataktisches Stadium. Lues vor 
15 Jahren. Sehr heftige lanzinierende Schmerzen in den Beinen, Gürtel- 
gefühl. Alle 3 Wochen Magenkrisen. Anämie. Erhebliche Ataxie in 
den unteren Extremitäten, dadurch arbeitsunfähig. Gang stampfend. 
Starker Romberg. Knie- und Achillesreflexe erloschen. Bedeutende 
Hvpästhesie der unteren Extremitäten und des Leibes. Urinträufeln. 
Linkes Lid hängt etwas. Reflektorische Pupillenstarre. Wassermann¬ 
reaktion im Blut negativ. 

Beginn der Kur am 8. I. 1912. Ziemlich starke Reaktion auf mittlere 
Dosen der Pyocyaneusvaccine, zuletzt eine stärkere Empfindlichkeit 
statt Resistenz. Ausscheidung der Vaccine langsam, 3 tägiger Typus. 


Zuverlässig Hessen sich in allen Fällen lanzi- 
nierende Schmerzen und Blasenstörungen zum Ver¬ 
schwinden bringen. Krisen wurden nach Abschluss der 
Kur nicht mehr beobachtet. Nur in einem Fall waren die 
Krisen zwar sehr gebessert, aber doch nicht völlig beseitigt. 
Die Ataxie war in allen Fällen mindestens so erheblich 
gebessert, dass praktisch keine Gehstörung mehr vor¬ 
lag und die Arbeitsfähigkeit nicht mehr behindert war. 
In 3 Fällen wurde die vor der Kur nicht unerhebliche Ataxie 
der unteren Extremitäten so weit beseitigt, dass beim Knie¬ 
backenversuch ohne Augenkontrolle keine Störung mehr fest¬ 
gestellt werden konnte. Besonders hervorgehoben zu werden ver¬ 
dient die bis jetzt 1—l^jährige Dauer der Heilresultate. 
Es ist kein Rückfall zu verzeichnen. Nur in einem Falle schien 
nach 10 Monaten eine leichte Verschlechterung der sehr ge¬ 
besserten Ataxie eintreten zu wollen (cf. Fall 4). Auf eine Wieder¬ 


holung der Kur drängten alle 9 Patienten mit sehr gebesserter 
Ataxie. Ich habe nach 6—10 Monaten die Kur mit anderen 



Mitteln, zumTei) mit Pyocyaneusvaccine kombiniert, wieder¬ 
holt, in jedem Einzelfall mit einem Plus an Erfolg. 

Als Kontraindikation für meine Behandlung habe 
ich Tabes ira 3. Stadium und wesentliche Komplikationen von 
seiten des Respirations- und Verdauungstractus betrachtet. 

Staphylokokken vaccine. 

Viel weniger Erfolg habe ich mit der polyvalenten 
Staphylokokken vaccine gehabt. 


Die lanzinierenden Schmerzen schwinden nach wenigen Injektionen, 
später die Blasenstörung und das Gürtelgefühl. Die Hypästhesie bessert 
sich. Gegen Ende der 6 wöchigen Kur ist die geringe Ptosis fast ge¬ 
schwunden, das Romberg’sche Zeichen gering, der Gang fast normal bei 
offenen Augen. Gewichtsabnahme von 58 auf 57 kg. Vermag seinen 
Dienst als Kutscher wieder zu versehen. Während der Kur eine Magen¬ 
krise, seitdem nicht wieder. Wassermannreaktion im Blut negativ 
geblieben. Besserung der Ataxie liess um Weihnachten 1912 etwas nach, 
wurde dann durch eine andere Kur noch mehr gebessert als vorher 
durch die Pyocyaneuskur. 

5. P., 55 Jahre alt, Buohbinder. Präataktisches Stadium. Lues 
geleugnet. Wassermannreaktion im Blut stark positiv. Lanzi- 
nierende Schmerzen in Armen und Beinen seit 5 Jahren. Blasenkrisen, 
Urinabgang. Enge, starre Pupillen. Knie-, Achillesreflexe aufgehoben. 
Romberg deutlich. Hautsensibilität an der lateralen Seite der Unter¬ 
schenkel massig, Tiefensensibilität stärker herabgesetzt; dieselbe Hyp¬ 
ästhesie einer bandtellergrossen Fläche unter der linken Brustwarze. 

Beginn der Kur am 12. IV. 1912. Normaltemperatur unter 36,0° C. 
Reagiert gut auf mittlere Dosen Pyocyaneusvaccine. 


Kurve 3. 



Sehr bald schwinden die lanzinierenden Schmerzen, die Blasen- 
bescbwerden und nach beendigter Kur auch die Blasenkrisen. Bis jetzt 
kein Rückfall. • 

Im ganzen habe ich 19 Fälle mit Pyocyaneusvaccine behandelt. 
In allen Fällen war Lues nachweisbar entweder anamnestisch oder 
durch die Wassermannreaktion. Die Wassermannreaktion war 
positiv in 14, negativ in 5 Fällen. Demnach in 74pCt. posi¬ 
tiver Ausfall. 

Nach der Kur Wassermannreaktion positiv 14, negativ 5 Fälle. 
(Tabelle 1.) 


Ich habe in steigender Dosis von 100 bis 5000 Millionen Keime in¬ 
jiziert. Die Lokalreaktion ist meist nicht sehr stark, die Allgemein¬ 
reaktion gering. Eine bemerkenswerte Temperatursteigerung zeigt sich 
nicht, die Hyperleukocytose ist gering. Hohe Dosen von 5000 Millionen 
Keimen verursachen oft Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Gefühl schwerer 
Krankheit. 

Der therapeutische Erfolg einer 4—6 wöchigen Kur ist nicht be¬ 
deutend. Die lanzinierenden Schmerzen bessern sich oder verschwinden 
für einige Zeit. Auch die Ataxie bessert sich meistens. 

Von den 5 mit Staphylokokkenvaccine behandelten Fällen hatten alle 
vor der Kur und nach der Kur positive Wassermannreaktion. (Tabelle 2.) 



Ataxie 

Lanzi¬ 

nierende 

Schmerzen 

Krisen 

p 1 

II 

«2 

09 

Pupillen¬ 

starre 

1 

S 

* 

Vor der Kur. 

4 

5 

1 

4 

3 

5 

Geschwunden. 

— 

2 

— 

— 

— 

— 

Sehr gebessert .... 

— 

3 

— 

2 

— 

— 

Gebessert. 

2 


— 

— 

— 

— 

Unverändert. 

2 


1 

2 

3 

5 


Staphylokokken toxi ne. 

Weiter habe ich ein Präparat verwandt, welches durch keimfreie 
Filtration einer 3 wöchigen Staphylokokkenbouillon gewonnen ist und 
keinerlei Zusätze erhalten hat. Zur Kultur sind mindestens 4 Staphylo¬ 
kokkenstämme verwandt worden. Die in die Bouillon übergegangenen 
Bakterientoxine wirken energisch auf den menschlichen Organismus ein. 
Steigende Dosen von Vr. bis s / 4 ccm injiziert, rufen Hyperleukocytose und 
Fieber bis 39 °C hervor. Resistenz wird relativ rasch erworben. Sehr 
unbequem sind die starken Nebenerscheinungen, wie Kopfschmerz, Mattig¬ 
keit, Krankheitsgefühl. Der therapeutische Erfolg kleiner Dosen ist 
nicht genügend. Die unangenehmen Nebenerscheinungen lassen eine 
längere Kur mit grösseren Dosen untunlich erscheinen. Günstiger Einfluss 
auf lanzinierende Schmerzen und Ataxie unverkennbar. Behandelt 4 Fälle. 

Autolysierte Staphylokokkenvaccine. 

Gute Resultate habe ich mit einem Staphylokokkenautolysat 
gewinnen können. 


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26. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


965 


Es ist naoh der Vorschrift von Sei lei (1909) hergestellt, enthält 
aber ausserdem noch in 1 ccm etwa 4000 Millionen Keime, die durch 
Zusatz von 0,5proz. Karbolsäure abgetötet worden sind. 

Begonnen habe ich mit der intramuskulären Injektion von Vio com 
und konnte fast immer ziemlich rasch auf 1—2 ccm steigen. Bei Staphylo¬ 
kokkenautolysatvaccine gibt die jedesmalige Temperatursteigerung und 
das Allgemeinbefinden den Maassstab für die nächste Injektions- 
dosis. Die Temperatur wird zweckmässig auf etwa 38 °C gebracht — 
1—2° über die Normaltemperatur. Gelegentlich sind die Nebenerschei¬ 
nungen, Krankheitsgefühl, Schwäche usw., ziemlich stark. Die Hyper- 
leukooytose bewegt sich in mittleren Werten, kann aber ausnahmsweise 
auch einmal 20000 übersteigen. 

Einigemal erlebte ich es, dass nach den ersten Injektionen die lan- 
zinierenden Schmerzen heftiger wurden, dann aber rasch vollständig 
schwanden. Schon bald nach Beginn der Kur bessert rieh die Ataxie 
bedeutend. Als ziemlich hartnäckig erwiesen sich Gürtelgefühle, die erst 
gegen Ende der 5 wöchigen Kur aufhörten. Kehlkoptkrisen, Magenkrisen 
besserten sich bedeutend, vergingen aber völlig erst auf nachfolgende 
Salvarsankuren. Eine Ptosis besserte sich sehr rasch, wurde aber nicht 
völlig geheilt. In einem Fall schwand eine frische tabische Arthropathie 
nach etwa 8 Injektionen. Das Romberg’sche Zeichen wird stets schwächer 
oder schwindet. 

Die Wassermannreaktion im Blut, Papillenstarre, fehlende 
Sehnenreflexe werden nicht beeinflusst. 

6. Sch., 40 Jahre alt, Organist. Lues nicht zugegeben. Wassermann¬ 
reaktion negativ. Pupillenstarre. Westphal. Starker Romberg. Erheb¬ 
liche Hypästhesie der Beine. Lanzinierende Schmerzen in den Beinen. 
Blasenschwäche. Augenkrisen. Ptosis links. Beträchtliche Ataxie. Der 
Zustand hatte sich in etwa 8 Wochen entwickelt. Zu Beginn der Kur 
noch vor der ersten Injektion begann sich eine tabische Arthropathie im 
rechten Sprunggelenk zu entwickeln. Erhielt zuerst 4 Injektionen Staphylo¬ 
kokkenvaccine, dann Staphylokokkenautolysatvaccine. Während die erste 
keine deutliche Einwirkung hatte, zeigte sich nach wenigen Dosen des 
Autolysats eine erhebliche Besserung. Die lanzinierenden Schmerzen 
schwanden, gleichzeitig besserte sich rasch die Ataxie und bald auch die 
Blasenschwäche. Das linke Lid konnte besser gehoben werden. Patient 
brauchte bei Prüfung des Romberg nicht mehr gehalten zu werden. Die 
Hypästhesie der Beine wurde geringer. Nach etwa 8 Injektionen zeigte 
das rechte Sprunggelenk nur noch eine sehr geringe Verdickung und 
konnte mit normaler Kraft bewegt werden. 

Kurve 4. 


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Die Kur war im ganzen anstrengend. Nach der 4. und 8. Injektion 
grosse Abgesohlagenheit und Mattigkeit. Zum Schluss der Kur war der 
Gang mit Augenkontrolle fast normal, Patient konnte wieder Orgel 
spielen, was bis dahin völlig unmöglich war, weil er die Pedale nicht 
richtig traf. 2 Monate später Salvarsan 2,0 in 3 Injektionen. Danach 
Verschwinden der Ptosis, Aufhören der Augenkrisen. — Seit Beendigung 
der Autolysatkur tut Patient Dienst wie früher ohne Beschwerden. Ueber 
eine zweite andere Kur 8 Monate später zur Verbesserung des Resultats 
mit Erfolg werde ich in anderem Zusammenhang berichten. 

Behandelt habe ich mit Staphylokokkenautolysatvaccine 
8 Fälle. Wassermannreaktion bleibt trotz der Kur unverändert 
4 Fälle positiv, 4 negativ. (Tabelle 3.) 

Tabelle 8. 

In 8 Fällen: 



Ataxie 

Lanzi¬ 

nierende 

Schmerzen 

'.Krisen 

Blasen¬ 

störungen 

Pupillen¬ 

starre 

Westphal 

Vor der Kur. 

5 

5 

2 

6 

6 

8 

Geschwunden. 

— 

5 

— 

5 

— 

— 

Sehr gebessert .... 

4 

— 

2 

1 

— 

— 

Gebessert ...... 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

Unverändert. 

— 

— 

— 

— 

6 

8 


Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass bei 8 von den 5 Ataktikera 
gleich zu Beginn der Kur auch Frenkel’sche Uebungen angewandt worden 
sind. Im Fall Sch. jedoch erst einige Zeit nach Abschluss der Injektions¬ 
kur angefangen, brachten sie noch eine weitere kleine Besserung des 
Ataxierestes. 

Tuberkulin. 

Nach meinen ersten Untersuchungen mit Pyocyoneusvaccine 
war es mir selbstverständlich, dass auch Tuberkulin eine Heil¬ 


wirkung auf den tabischen Prozess haben müsste. Ich habe da¬ 
her 16 Tabiker des ersten und zweiten Stadiums mit Injektionen 
von Alttuberkulin behandelt, und zwar nach den Prinzipien, die 
v. Wagner und Pilcz für ihre Tuberkulinkuren bei Paralyse 
aufgestellt haben. Die erzielten Erfolge waren gut. Fälle mit 
kräftiger Fieberreaktion bis 39° C. und starker Leuko- 
cytose wiesen die günstigsten Resultate auf. Weniger gut be¬ 
einflusst wurden die Fälle, bei denen rasch Resistenz gegen hohe 
Tuberkulindosen von 1,0 bis 2,0 eintritt. Der Gang des Heilungs¬ 
prozesses ist derselbe wie bei den anderen Bakterienpräparaten. 
Zuerst Schwinden der lanzinierenden Schmerzen, dann Besserung 
der Ataxie und Krisen. In zwei Fällen sehr rasch sich ver¬ 
schlimmernder Tabes im ataktischen Stadium konnte ich mit einer 
energischen Tu berkul in kur nach wenigen Injektionen einen 
Stillstand und dann eine glänzende Besserung erreichen. 
Beide Patienten, die infolge ihrer Ataxie nicht mehr allein 
im Zimmer gehen konnten, sind seit mehr als einem Jahr 
wieder fähig, ohne Störung ihrem Beruf nachzugehen, in 
dem sie beständig zu stehen und gehen gezwungen sind. Bei 
beiden trat nur sehr langsam eine Resistenz gegen Tuber¬ 
kulin ein. 

Die Dauer der Tuberkulinheilung ist sehr verschieden. Während 
die gegen Tuberkulin minder Resistenten lange Zeit, ein Jahr und mehr, 
von Rückfällen verschont bleiben, scheint eine rasch erworbene, weit¬ 
gehende Tuberkulinimmunität einen viel geringeren Schutz gegen das 
Tabesvirus zu gewähren. Wenigstens erlebte ich in einigen Fällen, die 
zuletzt 2,0 Tuberkulin ohne deutliche Reaktion erhalten hatten, naoh 
vier bis sechs Monaten ein beträchtliches Nachlassen der Heilwirkung. 
Wiederholung der Tuberkulinkur zeigte, dass noch beträchtliche Immunität 
bestand, und dass nun die tabischen Erscheinungen nicht recht weichen ’ 
wollten. 

Behandelt habe ich 16 Tabesfälle mit Tuberkulin. Wasser¬ 
mannreaktion vor der Kur positiv in 13 Fällen, negativ in 
8 Fällen. Davon Lues 1 mal negiert. Nach der Kur dasselbe 
Ergebnis. (Tabelle 4.) 


Tabelle 4. 

In 16 Fällen: 



Ataxie 

«D g 

• 'O N 

'S S £ 

S | s 

GO 

Krisen 

Blasen- | 
Störungen ! 

Pupillen- 

starre 

Westphal 

Vor der Kur. 

8 

12 

2, 

9 

13 

15 

Geschwunden. 

— 

12 

_ 

8 

_ 

— 

Sehr gebessert .... 

4 

— 

— 

1 

— 

— 

Gebessert. 

4 

— 

2 

— 

— 

— 

Unverändert. 

— 

— 

— 

— 

13 

15 


Durch vereinzelte Zufallsfunde ist schon früher Heilwirkung 
von Bakteriengiften auf tabische Symptome mitgeteilt worden. 
Stembo beschreibt 1904 einen Fall, in dem Injektionen anti- 
rabischer Markemulsion die bis dabin unerträglichen lanzinierenden 
Schmerzen bereits seit Anfang 1902 beseitigt hatten. Allerdings 
gibt er, wie Hirschberg, eine unrichtige Deutung. Del Valle 
y Aldabalde (1908) hat eine Besserung der Tabes, besonders 
der lanzinierenden Schmerzen, nach häufiger Injektion von Diph¬ 
therieheilserum gesehen. 

Meioe Untersuchungen über Bakterienprodukte haben gezeigt, 
dass die Entgiftung des Tabesvirus im menschlichen 
Körper durch eine ganze Reihe von Bakterienpräparaten — 
sicher auf Zeit — erreicht werden kann. Der Effekt ist nicht 
durch das Bakterien ei w ei ss, sondern in der Hauptsache durch 
Endotoxine bedingt. So sind sehr rasch gewachsene Pyocyaneus- 
kulturen selbst in hohen Dosen nicht stark wirksam. Stapbylo- 
kokkenvaccine ist selbst in grossen Gaben wenig wirksam, die 
Staphylokokken vaccine aber, welche einen kurzdauernden 
autolytischen Prozess durcbgemacht bat, vermag in ge¬ 
ringen Mengen intensive Wirkung zu entfalten. Verschiedene 
weitere Bakterienpräparate, — die Versuche sind noch nicht 
ganz abgeschlossen — mit noch intensiverer Wirkung auf 
tabische Krankheitserscheinungen haben mir ebenfalls den Satz 
bestätigt. 


4 


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966 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 21. 


Aus der Klinik für syphilitische und Hautkrankheiten 
der Universität zu Strassburg i. E. (Direktor: Prof. 
Dr. Wolff). 

Ueber Arsenlähmungen. 

Ein Beitrag zur Beurteilung der Nebenwirkungen des 
Salvarsans (bzw. Neosalvarsans). 

Von 

Dr. Obermiller, 

Oberarzt im 2. Rhein. Hus.-Regt. Nr. 9. 

Obwohl in allen neueren toxikologischen Lehrbüchern Kon¬ 
vulsionen als cerebrale, Lähmungen als spinale Sym¬ 
ptome der Arsen Vergiftung erwähnt sind, scheinen diese Angaben 
in der Salvarsanzeit doch keine genügende Beachtung und 
Würdigung erfahren zu haben: sonst hätten nicht so viele 
Theorien über die Nebenwirkungen des Salvarsans auf¬ 
gestellt und gerade die neurotoxische Wirkung des 
Präparates so bekämpft werden können. Vor allem aber 
scheint das klinische Bild der Arsenlähmung, seit unser 
Reichsgesetz der verheerenden Wirkung dieses Giftes Einhalt ge¬ 
boten hat, in Vergessenheit geraten zu sein, so sehr, dass die 
neuerdings nach Salvarsanbebandlung aufgetretenen Paraplegien 
meines Wissens noch von keiner Seite aus als typische Arsen¬ 
paraplegien bezeichnet worden sind. 

Wenn ich auch an anderer Stelle 1 ) den Beweis für die 
Identität der Symptome der Arsen Vergiftung und aller Neben¬ 
wirkungen des Salvarsans durch Gegenüberstellung der beiden 
Krankheitsbilder erbracht zu haben glaubte, so empfand ich es 
doch noch als eine Lücke, dass mir gerade für die Identität der 
Arsen- und Salvarsanparaplegien beweiskräftiges Material nicht 
Vorgelegen hat. Muss man doch annehmen, dass, wenn wirklich 
die Salvarsanlähmungen rein areentoxisch sind — wovon wir 
stets überzeugt waren —, das gleiche Krankheitsbild auch bei 
Vergiftungen mit Arsenik schon zur Beobachtung gelangt sein 
muss. Diese Erwägungen waren es, die mich veranlasst haben, 
in der Literatur nach Arseniklähmungen zu suchen, wobei ich 
auf ein so umfangreiches kasuistisches Material stiess — ich habe 
etwa 70 Arbeiten gelesen —, dass es weit über den Rahmen 
dieser Abhandlung hinausginge, wollte ich alle Fälle hier einzeln 
aufführen. Ich begnüge mich mit dem Hinweis auf einige 
grössere Arbeiten von Alexander 2 ), Huber 8 ), Imbert- 
Gourbeyre 4 ), Jäschke 5 ), Jolly 6 ), Kovacs 7 ), Krehl 8 ), 
Marik 9 ), Müller 10 , Renner 11 ), Rubinowicz 12 ), Seelig- 
müller 18 ), die auch Referate über viele Fälle bringen, so¬ 
wie auf die Schmidt’schen Jahrbücher. „Hat ja doch von 
allen Giften, u sagt Sch um bürg 14 ), „die im Laufe der Jahr¬ 
hunderte den Gerichtsarzt beschäftigt haben, keines andauernd 
solches Interesse erweckt als gerade das Arsen, aber wohl auch 
keines absichtlich oder unabsichtlich soviel Menschen unter die 
Erde gebrachte Gehörten die Arsenvergiftungen früher zu den 
häufigsten Vergiftungen, so haben die letzten Jahrzehnte eine ganz 
bedeutende Abnahme derselben zu verzeichnen. 

Für die Beurteilung der Salvarsanparaplegien dürfte es nun 
im folgenden angebracht sein, das Bild von der Wirkung des 


1) Obermiller, Zur Kritik der Nebenwirkungen des Salvarsans 
(bzw. Neosalvarsans) mit besonderer Berücksichtigung des Wasserfehlers. 
Strassburg i. E. 1913, Verlag Beust. 

2) Alexander, Klinische und experimentelle Beiträge zur Kenntnis 
der Lähmungen nach Arsenikvergiftung. Habilitationsschrift, Breslau 1889. 

3) Huber, Bayerisches ärztl. IntelI.-Blatt, 1880, Bd. 27, H. 51; 
Zeitschr. f. klin. Med., 1888, Bd. 14, H. 5 u. 6. 

4) Imbert-Gourbeyre, Des suites de l’empoisonement arsenical. 
Paris 1881. Etudes sur la paralysie arsenicale, Gaz. med. de Paris, 
1858, Bd. 13, H. 3. 

5) Jäschke, Ueber Atrophie und Paralysen nach akuter Arsenik¬ 
intoxikation. Inaug.-Diss., Breslau 1876. 

6 ) Jolly, Deutsche med. Wochenschr., 1893,Nr. 5; Charit6-Annalen, 
1893, Bd. 18. 

7) Kovacs, Wiener klin. Wochenschr., 1889, Nr. 88. 

8 ) Krehl, Deutsches Archiv f. klin. Med., 1889, Bd. 44, H. 4. 

9) Marik, Wiener klin. Wochenschr., 1891, Nr. 31—40. 

10) Müller, Wiener med. Presse, 1894, Nr. 15 u. 16. 

11) Renner, Ueber einen Fall von chronischer Arsenvergiftung. 
Inaug.-Diss., Würzburg 1876. 

12) Rubinowicz, Ueber Lähmungen und Atrophie nach akuter 
Arsenvergiftung. Inaug.-Diss., Jena 1879. 

13) Seeligmüller, Deutsche med. Wochenschr., 1881, Nr. 14—16. 

14) Schumburg, Vierteljahrsschrift f. gerichtl. Med., 1893, Bd. 5 u. 6. 


Arsens auf das Centralnervensystem wieder ins Gedächtnis zurück¬ 
zurufen. 

Der Arsenicismus cerebrospinalis war infolge der 
vielen Schädigungen, die durch arsenhaltige Gegenstände (farbige 
Kleider, Möbel, Tapeten, ausgestopfte Tiere usw.) und fahrlässige 
Verwechselungen verursacht worden sind, infolge gewerblicher 
und arzneilicher Vergiftungen, infolge Missbrauchs des Arseniks 
in verbrecherischer und selbstmörderischer Absicht den früheren 
Aerzten wohl bekannt. 

Darnach folgen die Erscheinungen am Centralnerven¬ 
system, den Magendarmerscheinungen (die zuweilen von Tempe¬ 
ratursteigerungen begleitet sind, und von denen schon Orfila 
und Tardieu bekannt war, dass sie sowohl nach externer, wie 
nach interner und intravenöser Applikation aultreten), sowie den 
übrigen, die somatische Reaktion ausmachenden Symptomen 
(Uebelkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, Prostration, Tenesmus, 
Zyanose, Collaps, Dyspnoe, Oedemen, laryngo - bronchialen 
Katarrhen, Herzbeklemmungen, Tachykardie, Anurie, Albuminurie, 
Hämaturie [Seiffert 1 )], Icterus [Freer 2 ), Trost 3 )], Ekzemen, 
Herpes, Melanose) oft unmittelbar oder erst nach Tagen, 
Wochen, Monaten. 

Die rein cerebralen Symptome gehören in die akute 
Periode der Vergiftung; es sind mit Coma einhergehende 
Konvulsionen epileptoiden Charakters, die entweder rasch 
wieder verschwinden oder schon in wenigen Stunden und Tagen 
zum Tode führen, so bald, dass Veränderungen der Nerven- 
elemente noch gar nicht zustande kommen konnten. Bei der 
Autopsie ist daher nur eine Hyperämie des Centralnerven¬ 
systems, sowie der übrigen Eingeweide mit oder ohne 
punktförmige Blutungen festzustellen. Dieser Form der 
Areenvergiftung begegnen wir in zahlreichen Fällen in der 
Literatur. Auch die Tierexperimente von Popo ff 4 ) und 
Kreyssig 5 ) an Hunden bzw. Kaninchen (Vergiftungen mit 
Acid. arsenicosum) haben dieselben Befunde ergeben. Nach 
Heinz 6 ) und Silbermann 7 ) spielen bei diesen Prozessen Gefäss- 
verlegungen eine Rolle. 

Die spinalen Erscheinungen, die Lähmungen, sind 
die Hauptwirkung des Arsens. Ihr Vorkommen ist seit dem 
13. Jahrhundert durch Pierre d’Abano sichergestellt, aber wenig 
bekannt geworden; erst in den 60er, 70er Jahren brachte man 
ihnen grösseres Interesse entgegen. Sie weisen graduell grosse 
Unterschiede auf: man beobachtet Uebergänge von leichter 
Muskelschwäche bis zu vollständiger schlaffer Lähmung, von 
leichteren Gefühlsstörungen bis zu völliger Anästhesie, von 
leichten ataktischen Störungen bis zur Pseudotabes areenicalis. 
Lähmungen können bei der akuten, subakuten und chronischen 
Form der Vergiftung auftreten. „Jede Areen Vergiftung“, sagt 
Alexander (1. c.), „welche nicht ganz leicht oder nicht so schwer 
ist, dass der Tod in Kürze eintritt, kann Lähmungen im Gefolge 
haben.“ Am seltensten sind sie daher bei der Form der akuten 
Intoxikation, die Marik (l. c.) als die cerebrospinale bezeichnet, 
wo der Tod unter Krämpfen und partiellen Lähmungen innerhalb 
weniger Stunden und Tage eintritt, und am häufigsten stellen 
sie sich „konsekutiv“, d. b. nach völligem Verschwinden der 
akuten Intoxikationserscheinungen „ge wissermaassen 
als ein neuer abgeschlossener Prozess“ ein (Marik). 
Im übrigen ziehen die akuten Vergiftungen häufiger Lähmungen 
nach sich als die chronischen, und zwar beginnen diese schon, 
während die akuten Erscheinungen, auch seitens des Gehirns, 
noch bestehen oder im Schwinden begriffen sind. Bei der sub¬ 
akuten und chronischen Vergiftung, wo die cerebralen und gastro¬ 
intestinalen Symptome mehr in den Hintergrund treten, entwickelt 
sich erst Tage, Wochen und Monate nach der Vergiftung 
das Stadium der Arsenlähmung, nach Alexander (1. c.) selten 
vor dem 3. Tage und nach der 5. Woche, meist in der 2. und 
3. Woche. Diejenigen Lähmungen, welche erst Wochen und 
Monate nach Aufhören der primären, gastroenteritischen Er¬ 
scheinungen, also nach scheinbar vollständiger Genesung, 
sich einstellen, sind nach Imbert-Gourbeyre (1. c.) tardive 
Lähmungen. Die zeitlich so verschieden auftretenden Motilitäts¬ 
störungen stimmen jedoch in den wesentlichen Punkten mitein- 

1) Seiffert, Wiener med. Wochenschr., 1884, Nr. 34. 

2) Freer, Ref. Schmidts Jahrb., Bd. 207. 

3) Trost, Ref. Schmidt’s Jahrb., Bd. 159. 

4) Popoff, Virchow’s Archiv, Bd. 93. 

5) Kreyssig, Virchow’s Archiv, Bd. 102. 

6) Heinz, Virchow’s Archiv, Bd. 126. 

7) Silbermann, Virohow’s Archiv, Bd. 117. 


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26. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


967 


ander überein. Bei ihrer Entstehung spielt allerdings die Gift¬ 
dosis nur eine geringe Rolle: denn Lähmungen treten das 
eine Mal schon nach ganz geringen Dosen auf, das andere Mal 
bleiben sie nach sehr grossen Dosen aus, wie zahlreiche Bei¬ 
spiele lehren, wohl aber sind Resorptions- und Aus¬ 
scheidungsverhältnisse, die individuelle Toleranz, die 
Idiosynkrasie nicht zu unterschätzende Faktoren (Marik). 
Das Arsen ist heimtückisch und in seiner Wirkung unberechenbar. 

Fast stets eröffnen sensible Störungen den Reigen der 
Symptome. Sie bestehen in mitunter qualvollen, stechenden, 
bohrenden, neuralgiformen Schmerzen, sowie Parästhesien (darunter 
auch Gefühl des Erstarrens der Beine und abwechselndes Kälte- 
und Wärmegefühl). Weiterhin betreffen die Störungen das 
Empfindungsvermögen (Hyper-, Hyp- und Anästhesien) und die 
übrigen Qualitäten des Hautsinns (Schmerz-, Orts-, Lage-, Tempe¬ 
ratursinn). Es sind aber auch Hyperalgesien bei Herabsetzung 
der taktilen Sensibilität beobachtet worden, wie auch neben 
Anästhesie und -algesie an der Peripherie eine Anaesthesia dolo¬ 
rosa vorhanden sein kann. Die Sensibilitätsstörungen treten 
bilateral - symmetrisch und vorzugsweise und zuerst an 
den Beinen auf. Dabei sind die Zehen und Finger bevor¬ 
zugt — nach Müller (1. c.) die sensiblen Medianusendzweige — 
(Akrodynie). Von hier schreitet der Prozess centripetal weiter. 
Die Nerven und die von ihnen versorgten gelähmten Muskeln 
sind druckempfindlich. Zu den selteneren Erscheinungen gehören 
Störungen des Gesichts, des Gehörs, der Blasen- und Mastdarm¬ 
funktion (Inkontinenz) und der Koordination. 

Die Motilitätsstörungen beschränken sich meist auf die 
vier Extremitäten, mit Bevorzugung der unteren, welche früher 
und stärker befallen werden (im Gegensatz zum Blei). Charak¬ 
teristisch für die Arsenlähmung ist der Beginn an den peripheren 
Enden, Fingern und Zehen (Akroparalysen), bilateral und sym¬ 
metrisch; von hier erstreckt sie sich dann centripetal auf Hände 
und Füsse, Unterarme nnd Unterschenkel, höher hinauf selten. 
Die weitaus häufigste Form ist die paraplegische, Mono- und 
Hemiplegien sind nur wenig beobachtet worden. Im Gegensatz 
zur Bleilähmung mit ausschliesslicher Extensorenbeteiligung sind 
bei der Arsen Vergiftung Beuger und Strecker befallen, entweder 
gleichmässig oder ungleicbmässig mit stärkerem Ergriffensein der 
Strecker, so dass durch Ueberwiegen des Antagonistenzuges Kon¬ 
trakturen vom Flexionstypus zustande kommen können. Die 
Lähmung fängt mit Schwäche und Schwere in den Gliedern 
an (erschwertes Treppensteigen, Schleudern der Beine, Einknicken 
der Knie). Diese Parese kann sich dann bis zur völligen Para¬ 
lyse steigern. Nach Müller (1. c.) beginnt die Störung fast stets 
am Extensor hallucis longus und den Interossei der Füsse, später 
werden Extensor digitorum communis, Tibialis anticus, Peronaeus 
longus und brevis ergriffen (Pes equinus-Stellung); an den Händen 
nimmt sie ihren Anfang an den Opponentes und Interossei (die 
Endphalangen können nicht miteinander in Berührung ge¬ 
bracht werden, daher Greifbewegung und Pfötchenbildung der 
Hand unmöglich — Arsenikhand) (Müller). Die Lähmung ist 
stets eine schlaffe', mit Herabsetzung oder Aufhebung der 
Sehnenreflexe. Die Hautreflexe zeigen ein verschiedenes Ver¬ 
halten. Geradezu charakteristisch für Arsenlähmung ist die 
rasch (schon in der 2., 3. Woche nach der Vergiftung) und fast 
gleichzeitig mit den paretischen Erscheinungen eintretende 
Muskelatrophie, an den Spitzen der Extremitäten beginnend 
und centripetal fortschreitend, mit Herabsetzung der faradischen 
und galvanischen Erregbarkeit oder partieller oder kompletter 
Entartungsreaktion. Dieser Muskelschwund ist mitunter so hoch¬ 
gradig, dass die Extremitätenmuskulatur oft in auffallendem 
Kontrast zur sonst wohlerhaltenen Rumpf- und Kopfmnskulatur 
steht [Krehl (1. c.), Schaper 1 )]. Die gelähmten Muskeln sind 
druckschmerzhaft, die Haut ist darüber schlaff, welk, trocken. 
Hand in Hand damit gehen dann noch andere trophische 
Störungen der Haut (NagelVeränderungen, Haarausfall) — 
Decubitus ist selten beobachtet worden — und Sekretions¬ 
anomalien (Hyperidrosis und Salivation). Von motorischen 
Reizerscheinungen kommen Zuckungen, Tremor, Krämpfe vor. 
Seltenere Beobachtungen sind die Anaphrodisia arsenicalis und 
die Arsenikaphonie (Stimrobänderlähmung). 

Die Rückenmarksläbmung dauert Wochen, Monate und Jahre 
lang; cessante causa tritt Besserung, ja sogar vollständige Heilung 
ein. Dabei verschwinden die Erscheinungen in derselben Reihen 
folge, in der sie aufgetreten sind, es beginnen also die sensiblen 


1) Schaper, Beiträge zur Lehre von der Arsenikvergiftung. Berlin 1846. 


Störungen, folgen die motorischen und trophischen. Die Resti¬ 
tutio geschieht dabei ebenfalls symmetrisch, aber centrifugal 
absteigend und an den oberen Gliedmaassen zuerst. Am spätesten 
kehren die Kniesehnenreflexe zurück. 

Die Prognose qnoad vitam ist günstig, Todesfälle kommen 
selten vor: ist ja doch die anfängliche Lebensgefahr seitens der 
Vergiftung beim Eintritt der Lähmungen meist schon wieder 
überstanden. Darum sind auch unsere pathologisch - ana¬ 
tomischen Kenntnisse trotz der vielen klinischen Beob¬ 
achtungen ziemlich dürftig und mehr oder weniger rein hypo¬ 
thetisch. Weitaus der grösste Teil der Autoren, darunter auch 
Leyden 1 ), hält die Arsenlähmung ausschliesslich für eine 
periphere, toxische, degenerative Neuritis. Zum Teil 
mag dies wohl auch daran liegen, dass vielfach nur peripher 
nachgesucht wurde. (Eine Zusammenstellung der anatomischen 
Befunde s. bei Marik, 1. c.) Die Anhänger des centralen 
Ursprungs stehen hingegen nur vereinzelt da und haben dabei 
noch das gegen sich, dass sie nicht durch anatomisches Material 
den Beweis für ihre Hypothese erbringen können, so Da Costa, 
Scolosuboff (cit. nach Marik), Rubinowicz (1. c.). Letzterer 
Autor vertritt die Ansicht, dass wir es deshalb nicht mit einer 
Erkrankung der peripheren Nervenbahnen, sondern mit einem 
spinalen Leiden (der Vorder- und Hinterhörner) zu tun haben, 
weil in fast allen Fällen der beginnende Muskelschwund sich als 
das erste Symptom zeige, während die Lähmung sich erst später 
und allmählich ausbilde. Wie dem auch sei, zugunsten einer 
Läsion der peripheren sensiblen und motorischen Nerven, 
einer Polyneuritis, spricht jedenfalls der schlaffe, atrophische 
Charakter der Lähmung im Verein mit Schmerzen und den ver¬ 
schiedensten Sensibilitätsstörungen, der Druckempfindlichkeit der 
gelähmten Muskeln und Nerven, sowie das fast regelmässige 
Fehlen spastischer Erscheinungen, Blasen-, Mastdarmstörungen 
nnd Decubitus. Indes erinnert die regelmässig paraplegische 
Form der Lähmung mit der Lokalisation im Kerngebiet der Arm¬ 
and Beinmuskulatur, der Hals- und Lendenanschwellung, doch so 
sehr an das Bild der Poliomyelitis anterior, dass die Annahme 
wohl berechtigt erscheint, dass bei der Arsenläbmung neben 
der peripheren Neuritis zum mindesten auch eine Kern¬ 
lähmung im Rückenmark, eine Erkrankung der Ganglien¬ 
zellen der peripheren motorischen Nerven in den Vorderhörnern, 
vorliegt. Und dass der Prozess,, dort mitunter sogar noch grössere 
Dimensionen annebmen kann, dürfen wir aus dem, wenn auch 
seltener beobachteten Vorkommen von Blasen- und Mastdarm¬ 
inkontinenz [Fälle von Gerhardt 2 ), Henschen 8 ), Krehl (1. c.), 
Krön 4 ), Mills 6 ), Langendorff 6 )] und Decubitus [Fälle von 
Gerhardt, Stöcker 7 )] schliessen. Diese vermittelnde Ansicht 
wird geteilt von Dana 8 ), Erb 9 ), Faklam 10 ), Henschen (1. c.), 
Jolly (1. c), Marik (1. c.), Mills (1. c.). Während nach 
Henschen die Veränderungen im Rückenmark und an den 
peripheren Nerven gleichzeitig auftreten, ist nach Jolly das 
Primäre und Konstante die periphere Läsion, und erst sekundär 
kann dann auch noch der ganze motorische Tractus bis in 
die Vorderhörner des Rückenmarks hinein erkranken. 

Lässt uns nun so rein theoretisch betrachtet die Symptoma¬ 
tologie der Arsenlähmungen eine Mitbeteiligung des Rücken¬ 
marks vermuten, so werden wir durch einige wenige Autopsie¬ 
befunde in dieser Annahme nur bestärkt. Es sind dies die 
von Erlicki und Rybalkin 11 ). Gerhardt (I. c.); Henschen (I. c.), 
Oppenheim 12 ) und Popoff 18 ) beschriebenen Fälle. Wenn ich 
trotz eingehenden Suchens in der Literatur 14 ) kein grösseres 
Material habe auffinden können, so liegt dies eben an der schon 


1) Leyden, Klinik der Rüokenmarkskrankheiten. Berlin 1875, Bd. 2. 

2) Gerhardt, Sitzungsbericht der physikalisch-mediz. Gesellschaft 
zu Würzburg, 1882, Nr. 7. 

3) Henschen, Royal soc. of Sciences of Upsala, Sept. 1893. Ref. 
Neurol. Centralbl., 1894, und Schmidt’s Jabrb., Bd. 241. 

4) Krön, Neurol. Centralbl., 1902, Nr. 20. 

5) Mills, Boston med. and surg. journ., 15. März 1883. 

6) Langendorff, Henke’s Zeitschr., 1857, H. 2. 

7) Stöcker, Virchow’s Archiv, Bd. 118. 

8) Dana, Ref. Scbraidt’s Jabrb., Bd. 213. 

9) Erb, Ziemssen’s Handb., Bd. 1. 

10) Faklam, Archiv f. Psych., Bd. 31. 

11) Erlicki und Rybalkin, Archiv f. Psych., 1892, Bd. 23. 

12) Oppenheim, Zeitschr. f. d. gesamte Neurol. u. Psych., 1910, 
Bd. 8, Orig. 

13) Popoff, Virohow’s Archiv, Bd. 113. 

14) Herrn Prof. Chiari, der mir hierbei behilflich war, spreche ich 
an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank aus. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 21. 


oben erwähnten Seltenheit letal verlaufender Arsenlähmungen. 
Uebrigens ist auf den Mangel an Sektionsbefunden in dieser 
Hinsicht auch schon von anderen Autoren, wie Faklam, Jolly, 
Kovacs, Marik, Oppenheim, Popoff hingewiesen worden. 
Aus diesen wenigen Beobachtungen geht aber mit Sicherheit 
hervor, dass bei der Arsenlähmung in der Tat eine 
Degeneration in den peripheren Nerven und im Rücken¬ 
mark vorkommt. 

Des grossen Interesses wegen, das diese pathologisch - ana¬ 
tomischen Befunde beanspruchen durften, gebe ich sie im 
folgenden wieder: 

Erlicki und Rybalkin (1. c.): Vergiftung eines 50jährigen 
Mannes mit etwa 14 g arseniger Säure. Klinischer Befund: Zu¬ 
nächst heftiger Magendarmkatarrh, nach neun Tagen Schmerzen und 
Schwäohe in den unteren Extremitäten, am zwölften Tage vorübergehender 
comatöser Zustand und Schwäohe in den oberen Extremitäten, rechts mehr 
wie links. Allmähliche Steigerung der Paresen bis zur völligen 
atrophischen Lähmung der oberen (Hände, Vorderarme) und unteren 
Extremitäten (Füsse, Unterschenkel) mit Areflexie und Herabsetzung der 
elektrischen Erregbarkeit. Die Peripherie war dabei am stärksten be¬ 
fallen. Maximum der Lähmung in der vierten Woche mit Beteiligung 
der Rumpfmuskulatur. Druckschmerzhaftigkeit der Unterschenkel- 
muskulafur. Hypästhesie der unteren Gliedmaassen. Von der sechsten 
Woche ab allmähliche Besserung. Heilung innerhalb lVs Jahre mit 
Kontrakturen an den oberen und unteren Gliedmaassen. Die Regene¬ 
ration schritt vom Centrum nach der Peripherie vor. Tod nach zwei 
Jahren an tuberkulöser Pneumonie und Pleuritis. 

Sektionsbefund: Dura cerebri stellenweise verdickt. Miliar¬ 
tuberkulose der Lungen, Pleuritis adhaesiva sin., Infarctus hepatis, 
Enteritis ulcerosa tuberculosa, Myelitis toxica. 

Mikroskopische Untersuchung des Rückenmarks: Sämt¬ 
liche Nervenzellen des Rückenmarks, besonders in der grauen Substanz 
der Vorderhörner beider Anschwellungen, weisen tiefe Degenerationen 
auf. Sie sind an Zahl reduziert, die übrig gebliebenen abgerundet, ver¬ 
kleinert und haben ihre Fortsätze verloren. Ihr Protoplasma ist gelb¬ 
lich verfärbt und körnig degeneriert, des öfteren kam es zu Vaouolen- 
bildung, auch Leukocyten befanden sich stellenweise im Protoplasma. 
Die Zellkerne sind blass ohne Kernkörper, mit zernagten Rändern, gelb¬ 
lich körnig degeneriert oder oft völlig verschwunden. Das Nervennetz 
in den Vorderhörnern der beiden Anschwellungen ist geschwunden, das 
restierende Gewebe ist nur noch Neuroglia. Die Gefässe sind überfüllt. 
Die Vorderstränge sind in beiden Anschwellungen stark verdünnt, arm 
an myelinhaltigen Nervenfasern, atrophisch. 

Nn. radiales und peronaei: Verminderung der Zahl der Nerven¬ 
fasern ; an den erhaltenen dünne Markscheiden und dicke Aohsen- 
cylinder; Verdickung der Bindegewebssepta; stellenweise zeigen die 
Nervenfasern völligen Mangel von Myelin und Achsenoylinder (Degene¬ 
ration). 

Gerhardt (1. o.): Gewerbliche Arsenikvergiftung. Klinischer Be¬ 
fund: Kältegefühl und Schmerzen in den Armen, Schwäche in Armen 
und Beinen mit Muskelschwund und Herabsetzung der elektrischen 
Erregbarkeit, unfreiwilliger Urinabgang, Abnahme des Sehvermögens, 
Decubitus, Anästhesie und -algesie im linken Bein. Nach langem 
Krankenlager Tod infolge Sepsis (vom Decubitus ausgehend). 

Sektionsbefund: Weichheit des Rückenmarks, Konturen der 
grauen Substanz verwischt, Hyperämie der Gehirn- und Rückenmarks¬ 
meningen, Pseudomembran auf der Dura cerebri mit Blutpunkten, 
milchige Trübung der Pia längs der Gefässe, Hirnwülste abgeplattet, 
Furchen mit Serum gefüllt, Ventrikel stark gefüllt, beide Hemisphären 
in der Gegend der Vorderlappen vollständig verklebt. Amyloide De¬ 
generation der Nieren. 

Mikroskopische Untersuchung des Rückemarks: Vermeh¬ 
rung der Gliamasse, ausgehend von der hinteren grauen Kommissur des 
Lendenmarks, sich zunächst in das Hinterhoru, dann weiter nach oben 
im Halsmark in den rechten Seitenstrang und das rechte Vorderhorn 
erstreckend, überall die Struktur dieser Teile zerstörend und dabei voll¬ 
ständig scharf abgegrenzt gegen das umgebende mehr oder weniger 
normale Gewebe. Die centralen Teile dieser neugebildeten Glia- 
massen fallen einer Degeneration anheim, die zu Höhlenbildung Veran¬ 
lassung gibt. 

Henschen (l.o.): Klinischer Befund: 49jähriger Mann bekam 
vier Stunden nach irrtümlicher Einnahme Va Teelöffels Arsenik Uebel- 
keit, Erbrechen, Brennen im Halse. Am nächsten Tage blutige Stuhl¬ 
entleerungen und stechende Schmerzen und Parästhesien in Händen und 
Füssen. Nach einigen Tagen Exanthem. Paresen der Arme und Beine. 
Im Verlaufe von drei Monaten traten auf: Herabsetzung des Tast- und 
Drucksinns, weniger des Schmerz- und Temperatursinns in Händen und 
Vorderarmen, Füssen und Unterschenkeln; Parese der Vorderarme und 
Hände (besonders befallen waren Ab- und Adduktoren der Hände, 
Beuger und Strecker der Finger, Opponentes und Interossei) mit Kon¬ 
trakturen in Ellenbogen- und Fingergelenken, Atrophie der Hand- und 
Vorderarmmuskulatur und quantitative Veränderung der elektrischen 
Erregbarkeit. An den Füssen und Unterschenkeln kam es zur voll¬ 
ständigen Lähmung mit Kontrakturen in den Kniegelenken, Muskel¬ 
atrophie, Fehlen der Patellarreflexe und quantitativer Veränderung der 
elektrischen Erregbarkeit. Es bestanden Oedeme der Beine, aber keine 


Blasen- und Mastdarmstörungen. Der Tod erfolgte sechs Monate nach 
der Vergiftung. Kurz zuvor traten noch Hyperästhesien in den Extremi¬ 
täten, unfreiwilliger Abgang von Urin und Kot, Sprech- und Schling¬ 
störungen auf. 

Sektionsbefund: Hyperämie des Gehirns und seiner Häute, 
Füllung der Ventrikel mit Serum, Weichheit des Rückenmarks, Ver¬ 
wischung der Querschnittszeichnung. Mikroskopisch: Ausgedehnte 
Erkrankung der Vorderhornzellen, die alle Stadien der Degeneration er¬ 
kennen Hessen, vom Hals- bis zum Lendenmark (Verkümmerung und 
Schwund). Im Halsmark Degeneration der Goll’sohen Stränge. In der 
Höhe des zweiten Lumbalnerven eine 1 cm hohe, 1 mm breite Blutung 
ins linke Vorderhorn. Entartete Bündel in den Spinalnerven unterhalb 
der Ganglien. 

Oppenheim (l.o.): Chronische Vergiftung eines 60jährigen Mannes 
durch arsen-antimoDhaltige Tapeten und Vorhänge. Klinischer Be¬ 
fund: Kribbeln und Stechen in Händen und Füssen, Ekzem, taktile 
Anästhesien am stärksten distal und proximalwärts sich verringernd, 
Ataxie der Hände und Füsse, Hyperalgesien, Sehnenreflexe der Arme 
erloschen, an Knie- und Achillessehnen vorhanden, keine ausgesprochenen 
Lähmungserscheinungen, aber ataktischer, breitspuriger Gang. Rom¬ 
berg -)-. Nach einigen Monaten braune Pigmentation an den Ohren, 
vorübergehende Erblindung und Ataxie der Lippenzungenmuskulatur, 
Zuckungen und unter zunehmendem Kräfteverfall Tod. 

Sektionsbefund: Verdickung und ödematöse Durchtränkung der 
Pia; auffallende Verschmälerung der Hirnwindungen; mässiger Hydro- 
cephalus internus. In der Mitte des Pons hanfkorngrosser rötlicher 
Herd. Eotartungsspuren in den Pyramidenbahnen. Sklerose und klein¬ 
zellige Infiltration der kleinen Rückenmarksarterien, kleine zellige In¬ 
filtrationsherde in der Rautengrube. Geringe Entartung der peripheren 
Nervenfasern des Medianus. 

Popow (l.c.): Selbstmord mit Arsenik. Klinischer Befund: 
Zunächst Erbrechen, am andern Tage Dyspnoe, Schwindel, Zuckungen 
der Gesichts- und Extremitätenmuskulatur; Tod. 

Sektionsbefund: Gehirnsubstanz blutarm, kleine Blutungen in 
der Magenschleimhaut; Rückenmarkssubstanz weich mit intensiv rot ge¬ 
färbter grauer Substanz, aber noch deutlichen Grenzen. Mikroskopisch: 
Ueberfüllung der Rückenmarksgefässe mit Blutkörperchen im Hals- und 
Brustteil nahe am Centralkanal, ferner in den Hinterhörnern und den 
weissen Seitensträngen zahlreiche Blutergiessungen von verschiedener 
Grösse. Im Gebiet der Halsanschwellung ausserdem neben den Central- 
venen Massen plastischer Exsudate, womit das den obliterierten Central¬ 
kanal umgebende Gewebe durch tränkt war; grössere Anhäufungen davon 
in den Zwischenräumen der auseinandergeschobenen Elemente des um¬ 
liegenden Gewebes. Die Nervenzellen des Rückenmarks hatten oft trübes 
Protoplasma, wobei man keinen Kern unterscheiden konnte. Sie waren 
rundlich, ganz oder beinahe der Ausläufer beraubt, besonders im Gebiete 
der Hinterhörner. Bedeutend seltener waren Nervenzellen zu finden, die 
sich durch ein feinkörniges, schwach durch Karmin zu färbendes Proto¬ 
plasma mit einem gut erhaltenen and scharf bezeichneten Kerne und 
mit einem gerundeten Körper fast ohne Fortsätze auszeichneten. Zellen 
von solchem Typus fand man nur in den Vorderhörnern. Manchmal konnte 
man in ihrem Protoplasma rundliche Höhluugen verschiedener Grösse be¬ 
merken, welche sich übrigens öfters in den Zellkörpern ohne Verände¬ 
rungen befanden. Vacuolisierte Zellen zeigten sich nur selten. 

Die wenigen pathologisch - anatomischen Befunde letal ver¬ 
laufener Arsenikparaplegien werden noch ergänzt durch die Er¬ 
gebnisse der tierexperimentellen Forschung. 

JäsohkeO- e*X der einen Hund mit Sol. Fowleri vergiftet hatte, fand 
Apoplexien im Rüokenmark, besonders in der grauen Substanz und der 
Hals- und Lendenanschwellung. Vereinzelt waren Vorder- und Hinter¬ 
hörner alteriert. 

Vulpian 1 ) konnte bei mit Arsenik vergifteten Kaninchen eine 
Myelitis mit Zerstörung der Nervenfasern der weissen Substanz feststellen. 

Nach Schaffer’s 4 ) Experimenten an Hunden und Kaninchen findet 
ein Zerfall der chromatischen Substanz durch Zerklüftung statt. Das 
Paraplasma kann entweder unverändert oder durch Verschmelzung mit 
dem Chromatingerüst homogenisiert erscheinen. Nach Entartung des 
Zellleibes bleibt der bläschenförmige, lichte Kern mit seiner Körnchen¬ 
struktur noch lange sichtbar; erst bei ganz vorgeschrittener Degeneration 
des Nervenzellenleibes schrumpft auch schliesslich der Kern und dege¬ 
neriert. 

Die meisten Kenntnisse verdanken wir aber den eingehenden Studien 
Popow’s (1. c.). Seine Versuche an Hunden haben zu folgenden Ergeb¬ 
nissen geführt: 

1. Bei akuter Vergiftung mit Acid. arsenicos. kann der Tod 
schon nach 4—6 Stunden unter tonisoh-cloniscben Krämpfen eintreten. 
Sektion: Oedem und Hyperämie des Gehirns und Rückenmarks und 
deren Meningen mit kleinen petechialen Blutextravasaten. Konsistenz- 
Verminderung des Rückenmarks. Es schwillt besonders die graue Sub¬ 
stanz desselben an und wird intensiv rot. Hyperämie der Baucheingeweide. 
Mikroskopisch: Starke, venöse, kapilläre Hyperämie, Schwellung der 
Endothelkerne der Gefässe, Blutergüsse und Pigmentanhäufungen; 


1) Vulpian, Malad, du Systeme nerv., 1879. 

2) Schaffer, Ungarisches Archiv f. Med., 1898, Bd. 2, H. 1; Ref. 
Sohmidt’s Jahrb., Bd. 241. 


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26. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Ganglienzellen teilweise gut erhalten, teilweise vacuolisiert, degenerierend 
oder zugrunde gegangen. 

2. Bei subakuter Vergiftung tritt der Tod nach 4—6 Tagen 
ein. tfakro- und mikroskopisch ist im wesentlichen dasselbe Bild vor¬ 
handen. Der Unterschied zwischen grauer und weisser Rückenmarks¬ 
substanz ist jedoch nicht so stark in die Augen springend, die Weichheit 
und Lockerung der Gewebe ist stärker, und im Bereich der Anschwellungen 
trifft man neben dem Canalis centralis kleine Blutergüsse. Pigmen¬ 
tierungen und Degenerationen der Ganglienzellen sind ausgedehnter. 

3. Bei chronischer Vergiftung .tritt der Tod nach 3—6 Monaten 
ein. Es besteht keine Hyperämie des Rückenmarks, sondern ödematöse 
Schwellung und grosse Brüchigkeit. Die Grenzen zwischen grauer und 
weisser Substanz verwischen sich, die ganze Oberfläche des Durchschnitts 
ist gleichmässig gelbrot gefärbt, mit stärkerer Schattierung in der grauen 
Substanz. Die Konsistenz ist noch mehr vermindert. Mikroskopisch: 
Verdickung der Gefässwände, massige Exsudate, wenige Extravasate, von 
normalen Ganglienzellen kaum noch Spuren, viele sind blass, trüb ge¬ 
schwellt, der grösste Teil zugrunde gegangen; starke Pigmentanhäufung 
sowohl in der grauen wie weissen Substanz; in letzterer auch spindel¬ 
förmige Schwellungen der Achsencylinder und Degenerationen von Fasern. 

Bei dem nach 6 Monaten verendeten Tiere traten Parese 
der hinteren Extremitäten, Ataxie und Marasmus auf. 

Den ganzen Krankheitsprozess charakterisiert Popo w folgender- 
maassen: „Er beginnt an den Gefässen, aber die Nervenelemente 
der grauen Substanz nehmen schon sehr bald einen tätigen An¬ 
teil. Auf diese Weise entwickelt sich eine Myelitis centralis 
acuta oder, wie Erb sie zu nennen vorgeschlagen hat, eine 
Poliomyelitis acuta. Die weisse Substanz nimmt vermöge ihres 
geringen Gefässgehaltes nur im weiteren Verlaufe Anteil an der 
Entzündung, und dann haben wir eine Myelitis acuta diffusa 
vor uns; übrigens ergreift, soviel ich nach meinen Versuchen 
urteilen kann, der Prozess alle weissen Säulen ziemlich gleichmässig 
und lokalisiert sich nicht vorzugsweise in irgendeiner derselben.“ 

Wie ich bereits in meiner oben (1) citierten Arbeit hervor¬ 
gehoben habe, sind auch bei den Vorläufern des Salvarsans 
(Atoxyl, Arsacetin, Arsenophenylglycin) dieselben klinischen und 
pathologisch - anatomischen Veränderungen an den Organen und 
am Centralnervensystem beobachtet worden, wie wir sie jetzt bei 
der Salvarsanbehandlung sehen. Als weitere Belege dafür seien 
hier noch erwähnt die Arbeit von Schlecht 1 ) mit einer Zu¬ 
sammenstellung der Symptome der Atoxyl Vergiftung und einem 
Todesfall nach Atoxyl — epileptiforme Anfälle mit tonisch- 
clonisehen Krämpfen, Coma, Tod am 2. Tage; Section: Hyperämie 
der Organe, Lungenödem, punktförmige Blutungen im Bndocard, 
Organdegenerationen — und die tierexperimentelle Atoxylvergiftung 
von Köster 2 ), wobei Opticusatrophie, Blutungen und Degene¬ 
rationen io den Organen, Verfettung der Ganglienzellen des Ge¬ 
hirns, Degeneration der Hinterstränge, der Spinalganglien- und 
Vorderhornzellen und der Lissauer’schen Randzone gefunden worden 
sind. Die peripheren Nerven waren dabei meist intakt. Schliesslich 
haben auch noch Igersheimer und Itani 3 ) bei Atoxylhunden 
Hämorrhagien in Organen, bei Atoxylkatzen mit Ataxie, clonischen 
Zuckungen, Spasmen und spastischen Paresen zellige Degenerations¬ 
prozesse im Gehirn und Rückenmark (Protoplasmaschwund, Vacuo- 
lisation, Kernschrumpfung) festgestellt. 

All diese klinischen und experimentellen Beob¬ 
achtungen zeigen uns die Uebereinstimmung der Sym¬ 
ptome der Arsenik Vergiftung mit den Nebenwirkungen 
des Salvarsans (bzw. Neosalvarsans) von den Magen¬ 
darmerscheinungen angefangen bis zur akuten Hirn- 
schwellung (Encephalitis haemorrhagica) und Rücken¬ 
markslähmung. Was sollen denn die Fälle Wolff-Mulzer, 
Bayet, Jordan, Marie, Cimbal, Pechin, wo in einer für 
die Ausbildung eines luetischen Neurorecidivs viel zu kurzen 
Zeit nach Salvarsaninjektionen schwere Rückenmarkslähmungen 
sich einstellteo, was der Fall Juliusberg-Oppenheim, wo 
einige Tage nach einer Salvarsanbehandlung bei Lues I mit 
noch negativem Wassermann eine Paraplegie auftrat, was 
vor allem aber der Fall v. Bergmann, wo eine Nichtluetica 
im Anschluss an eine Salvarsaninfusion paraplegisch wurde, — 
was sollen all diese Fälle anders darstellen als eben die para- 
plegiscbe Form der Arsenvergiftung 4 )? 


1) Schlecht, Münchener med. Wochenschr., 1909, Nr. 19. 

2) Köster, Archiv f. d. ges. Physiol., 1910, Bd. 136. 

3) Igersheimer und Itani, Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., 
1909, Bd. 61, H. 1. 

4) Eine Beschreibung dieser Fälle siehe bei Obermiller (1. c.). 

Nachtrag zum Literaturverzeichnis dortselbst: Fall Bayet, Bullet, de la 

soc. fran<j. de dermatologie et de syphiligraphie, 1912, S. 430 u. 453. 

Fall Pechin, ebenda, S. 430. 


Wohl hat Bayet makroskopisch keine Veränderungen im 
Rückenmark bei seinem Falle gefunden, aber der Nachweis der 
für Arsenvergiftung typischen Degenerationen, nichtentzündlichen 
Veränderungen im Rückenmark ist meines Wissens bei Salvarsan- 
lähmungen bis jetzt noch nicht erbracht worden. Um so grösseres 
Interesse dürfte daher der inzwischen letal verlaufene Fall Wolff- 
Mulzer beanspruchen, bei dem nach den vorläufigen Mitteilungen 
über die mikroskopische Untersuchung (Prof. Ghiari) in der Tat 
toxisch-degenerative Prozesse im Rückenmark vorliegen. 
Durch diesen Fall dürfte die Beweiskette für die rein arsen¬ 
toxische Natur dieser Salvarsanparaplegien nun geschlossen sein. 

Nach den Beobachtungen der Klinik (siehe die citierte Arbeit 
Nr. 1) spielen überhaupt bei all den verschiedenen Nebenwirkungen 
des Salvarsans und Neosalvarsans andere Momente als die Arsen- 
vergiftung keine Rolle. Insbesondere kommt dem Wasser- 
fehler, d. h. dem Vorhandensein abgetöteter, banaler 
Wassermikroben im sonst sterilen Lösungswasser nach 
den hier angestellten Versuchen praktisch gar keine 
Bedeutung zu. Die Reaktion auf Salvarsan (und Neo- 
salvarsan) ist rein arsentoxisch und bei der Regellosig¬ 
keit in ihrem Auftreten eben noch abhängig von indivi¬ 
duellen, konstitutionellen Verhältnissen von seiten des 
Patienten. Damit lassen sich in der Tat alle Erscheinungen 
nach Salvarsan in befriedigender Weise erklären. 


Aus dem pathol. Institut des Auguste Viktoria-Kranken¬ 
hauses zu Berlin-SchÖneberg (Prosektor: Dr. Hart). 

Zur Adrenalinbestimmung im Blut 

Von 

Leo Adler. 

Die biologischen Methoden zur Adrenalinbestimmung im Blut 
haben gar viel von der ihnen anfänglich zugeschriebenen Be¬ 
deutung verloren. 

Am wenigsten wohl noch die älteste, die von Meltzer-Ebrmann, 
obwohl man ihr Unspezifität [Vatermann und Boddaert 1 ), Pick und 
Pineies 2 ), Comessatti 3 )] und grosse Ungesetzmässigkeit im Verhalten 
der einzelnen Bulbi [R. H. Kahn 4 )] vorgeworfen hat. Abgesehen von 
der nicht sehr grossen Empfindlichkeit kann man mit ihr recht gute 
Resultate erzielen [vgl. auch Goldzieher 5 )]. Der Gefässstreifenmethode 
von O. B. Meyer, der Kaninchenuterusmethode von FränkeJ, der 
Froschgefässdurchblutungsmetbode von Laewen-Trendelenburg hat 
man entgegengehalten, dass im Serum neben Adrenalin noch andere 
aktive Substanzen vorhanden seien (erregende Wirkung des Normal¬ 
serums, hemmende Wirkung des Adrenalins auf den Kaninchendarm 
[O’Connor 6 )], manchmal vorhandene erregende Wirkung des Normal¬ 
serums bei hemmender Wirkung des Adrenalins auf den Kaninchenuterus 
[Falta und Flemming 7 ), Kahn 8 )]), und dass die resultierenden 
Wirkungswerte nicht oder nur teilweise dem auf die glatte Muskulatur 
wirkenden Adrenalin, sondern anderen, jedenfalls bei der Blutgerinnung 
aus Fibrinogen oder zerfallenem Zellmaterial entstehenden adrenalin¬ 
ähnlichen Substanzen zuzuschreiben seien [O’Connor 6 ).] Dieser fand 
alle Sera, in denen er Adrenalin zerstört hatte, fast ebenso wirksam wie 
normale Sera, und er empfahl deshalb, die Adrenalinbestimmung im 
Plasma vorzunehmen, doch R. H. Kahn 9 ) fand die Wirksamkeit des 
Hirudinplasmas kaum geringer als die des Serums, und er bedenkt, ob 
nicht vielleicht Hirudin die Vasokonstriktion herabsetze. Diesen Ein¬ 
wänden begegnet nun wieder Trend eien bürg 10 ), indem er angibt, 
bei der Gerinnung enständen immer die gleichen Mengen vasokonstrik- 
torischer Substanz, so dass die Resultate seiner mit Bröking 11 ) an¬ 
gestellten Versuche keinen absoluten, aber doch relativen Wert behielten. 
Aber man hat gegen die einzelnen Methoden noch weitere Einwände er- 


1) Vatermann und Boddaert, Deutsche med. Woobensohr., 1908, 
Nr. 25. 

2) Pick und Pineies, Biochem. Zeitschr., 1908. 

3) Comessatti, Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., 1909, 
Bd. 60. 

4) R. H. Kahn, Pflüger’s Archiv, Bd. 140 u. 144. 

5) Goldzieher. Die Nebennieren. Wiesbaden 1911. 

6) O’Connor, Münchener med. Wochenschr., 1911, Nr. 27. 

7) Falta und Flemming, Münchener med. Wochenschr., 1911, 
Nr. 50. 

8) Fr. Kahn, Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 13. 

9) R. H. Kahn, Pflüger’s Archiv, Bd. 144. 

10) Trendeienburg, Münchener med. Wochenschr., 1911, Nr. 36. 

11) Bröking und Trendeienburg, Deutsches Archiv f. klin. 
Med., 1911. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 21. 


hoben. Schlayer 1 ) fand, dass die Gefässstreifenmethode nur dann er¬ 
höhten Adrenalingehalt durch verstärkte Kontraktion anzeigt, wenn 
gleichartiges Blut auf gleichartige Arterie wirkt. Weiter unten werde 
ich zeigen, dass jede leichte Verdichtung des Mediums, in dem der Uterus 
suspendiert ist, zu einer Erregung bzw. Tonussteigerung des Uterus 
führen kann. Der Froscbgefässmethode hielt O’Connor 2 3 ) entgegen, 
dass ein Teil der Serumwirkung der grösseren Viscosität des Serums 
zuzuschreiben sei. Und wenn auch Trendelenburg 8 ) und R. H. Kahn 4 ) 
die Viscosität im Trendelenburg’schen Versuch nicht von Einfluss er¬ 
achten, so muss es doch Eindruck machen, wenn O’Connor 5 ) bei An¬ 
wendung eines starren Glascapillarsystems mit vierfach verdünntem 
Serum noch eine kleine Abnahme der Tropfenzahl feststellen konnte. 
Von all diesen Methoden unterscheidet sich einigermaassen die in 
Deutschland augenscheinlich wenig bekannte von R. G. Hoskins 6 ), der 
das Versuchsserum auf den im Femoralvenenserum suspendierten über¬ 
lebenden Kaninchendarm einwirken liess und eine Parallele zog zwischen 
der im Versuohsserum enthaltenen Adrenalinmenge und dem Grade der 
Hemmuug von Tonus und Peristaltik 7 ). Die Vorteile dieser Methode 
sind augenscheinlich, nur scheint mir, muss man eines einwenden: Auch 
das Normalserum wirkt auf den überlebenden Kaninchendarm erst nach 
einer anfänglichen Tonushemmung steigernd. Hierauf hat schon 
O’Connor 8 ) aufmerksam gemacht (vgl. die Kurve dieser Arbeit!). Wie 
ich mich nachträglich wiederholt überzeugte, ist diese Hemmung manch¬ 
mal so ausgesprochen, dass man sie in nichts von der durch Adrenalin 
verursachten unterscheiden kann. Diese anfängliche Tonussenkung des 
Normalserums tritt offenbar auch bei wiederholtem Wechsel des Normal¬ 
serums auf. Worin sie begründet sein mag, dürfte vorläufig schwer zu 
entscheiden sein. 

Nach alledem kann es nicht wundernehmen, dass in der grossen 
Literatur über Adrenalinbestimmung im Blut eine hochgradige Ver¬ 
wirrung herrscht, und dass die von den einzelnen Autoren mittels der 
verschiedenen und auch gleichen Methoden festgestellten Adrenalinwerte 
im Blut gesunder und kranker Individuen ganz ausserordentlich diffe¬ 
rieren, so dass beispielsweise im menschlichen peripheren Venenblute 
Adrenalinwerte gefunden wurden, die nach dem einen Autor zweihundert¬ 
fach höher sind als die von einem anderen Autor gefundenen. 

Seit Ende 1911 hatte ich den überlebenden Meerschweinchen¬ 
uterus zur Feststellung des Adrenalingehaltes im Blute von Ver¬ 
suchstieren benutzt, und ich konnte mitteilen, dass auf den in 
Ringerlösung suspendierten überlebenden Meerschweinchenuterus 
Adrenalin stets einen hemmenden, Normalserum nie einen 
hemmenden, fast stets aber einen deutlich sichtbaren erregenden 
Einfluss hat 9 ). Daraus, das9 die Sera meiner Versuchstiere stets 
mehr oder weniger tonushemmend wirkten, schloss ich auf eine 
Hyperadrenalinämie meiner Versuchstiere. Ich habe mich nun 
aber weiter mit der Frage beschäftigt und einmal versucht, 
eventuell verschiedene der eingangs' erwähnten Streitfragen am 
überlebenden Meerschweincheouterus einer Entscheidung näherzu¬ 
bringen, vor allem aber weiter zu prüfen, ob in dem überlebenden 
Meerschweinchenuterus wirklich ein brauchbares Testobjekt für 
kleinste Adrenalinmengen im Blut gegeben ist, das sich eventuell 
auch zu quantitativen Bestimmungen eignet. 

Ich konnte nun bei im ganzen über 200 Versuchen nur einen einzigen 
Uterus finden, auf den Adrenalin nicht hemmend wirkte. Dieser rea¬ 
gierte auf kleine Adrenalinmengen überhaupt nicht, und erst nach Zu¬ 
satz einer Adrenalinlösung 1 :100 000 trat eine starke Kontraktion ein, 
die sioh nicht mehr löste. Eine derartig seltene Ausnahme kommt aber 
praktisch gar nicht in Betracht. Diese Feststellungen stehen im Gegen¬ 
satz zu den Kehrer’schen 10 ) Versuchen, der durch Adrenalin den über¬ 
lebenden Meerschweinchenuterus stets erregen konnte. 

Von vornherein erschien mir der Meerschweinchenuterus ein geeig¬ 
neteres Testobjekt zu sein als alle die anderen angegebenen, da auf ihn 
allein Normalserum und Adrenalin verschieden wirken und somit keine 
Wirkungswerte erhalten werden können, die nicht dem Adrenalin, son¬ 
dern dem Normalserum zugeschrieben werden müssen. Weiterhin aber 
schien mir eine Tonushemmung an einem überlebenden Organ viel spe¬ 
zifischer für Adrenalin zu sein als eine Tonussteigerung. Diese kann 
man durch alle möglichen leichten Reize [thermische (beim Wechsel der 


1) Schlayer, Münchener med. Wochenschr., 1908. 

2) O’Connor, l. c. 

3) Trendelenburg, 1. c. 

4) R. H. Kahn, 1. c. 

5) O’Connor, 1. c. 

6) R. G. Hoskins, cit. nach Hoskins und McClure, Archiv of 
Internal Medicine, Chicago, Oktober 1912. 

7) Auch mir wurde die Methode von Hoskins erst im Januar d. J. 
gegen Abschluss meiner Meerschweinchen versuche bekannt. Hoskins 
hatte die Liebenswürdigkeit, mir Separate seiner letzten diesbezüglichen 
Arbeiten zu schicken. Aus einer dieser entnehme ich auch eine kurz 
rekapitulierte Beschreibung seiner Originalveröffentliohung, die mir leider 
nicht zugänglich war. 

8) O’Connor, 1. c. 

9) L. Adler, Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., 1912, Bd. 36. 

10) Kehrer, Arch. f. Gynäkol., 1907. 


Flüssigkeit), chemische (Normalserum, alle möglichen Chemikalien), mecha¬ 
nische (Mucilaginosa? s. u.)] erreichen, jene offenbar viel schwerer und 
seltener. Schon im Anfang meiner Versuche fand ich, dass adrenalin¬ 
reicheres Serum eine vor allem dann deutliche Tonussenkung veranlasst, 
wenn es auf den in Normalserum suspendierten Uterus einwirkt (vergl. 
Kurve 5 meiner Mitteilung). Ich habe von da ab meine Meers ch wein eben- 
uteri nach einer eventuellen Erholungszeit in Ringerlösung immer in 
Normalserum (verdünnt) schreiben lassen und erst dann das Normal¬ 
serum durch in gleicher Weise gewonnenes und in gleicher Weise ver¬ 
dünntes Versuchsserum ersetzt.’ Bei Versuchen mit Meerschweinchen¬ 
serum wurde also Normal- wie Versuchsserum aus der Carotis, bei Ver¬ 
suchen mit menschlichem Serum wurde es beide Male aus der Cubitalvene 
entnommen. In der anfänglich angewandten Versucbsordnung habe ich 
nun noch folgende Aenderungen eintreten lassen: Zunächst entschloss 
ich mich zu einem jedesmaligen Wechsel der Flüssigkeiten, da ich bei 
meinen früheren Versuchen noch Wirkungen erhalten hatte bei Ver¬ 
dünnungsgraden, die offenbar zu hoch sein mussten und die einmal mit 
dem Zusammenwirken der verschiedenen Medien, hauptsächlich aber wohl 
damit in Verbindung zu bringen waren, dass die neu zugesetzte Flüssig¬ 
keit sich wohl doch nicht vollkommen mit der vorangehenden Flüssigkeit 
mischte, so dass die Konzentrationen doch höher waren, als anfangs an¬ 
genommen. Es ist aber einleuchtend, dass hierdurch die Resultate 
eventuell eine relative, aber keine absolute Aenderung erfahren. Um 
nun beim Wechsel der Flüssigkeit jeden thermischen Reiz zu vermeiden, 
liess ich das zuzusetzende Serum durch eine durch das Wärmebassin 
führende Röhre in den 20 ccm fassenden Uteruscylinder einfliessen, aus 
dem im Augenblick vorher das Normalserum durch einen selbstsaugenden 
Kautschukballon schnellstens herausgesogen worden war. Es bat sich 
gezeigt, dass diese momentane Entblössung des Uterus bei einem guten 
Präparat so gut wie nie eine Tonusänderung hervorzurufen pflegt. 

Auf diese Weise gelingt es unschwer, auch sehr kleine Adre- 
nalinvermebrungen im Serum festzustellen, wie ich das bei einer 
grösseren Anzahl von Versuchstieren fast stets konnte. Aber 
hierbei ist noch folgendes festsuhalten: Der überlebende Meer¬ 
schweinchenuterus ist ein gar difficiles Organ. Selbst bei voll¬ 
ständiger Beherrschung der Technik und bei grosser Erfahrung 
im Verhalten und in der Auswahl der einzelnen Uteri wird man 
gar viele Organe finden, die nicht oder zu träge schreiben, oder 
die so unregelmässig arbeiten, dass man sie nicht benutzen kann. 
Das ist auch der Fall, wenn man unter Ausschluss aller virgi- 
neller Tiere Individuen wählt, die nach einem oder mehreren 
Partus vollkommen zurückgebildeten und event. schon wieder 
kurze Zeit graviden Uterus haben. Wer einmal eine grössere 
Anzahl von Kontraktionskurven bat schreiben lassen, der erfährt 
bald, wie verschieden die Peristaltik der einzelnen Organe ist 
und wie selbst die bestfunktionierenden Uteri recht häufig spon¬ 
tane Tonusschwankungen zeigen (Steigerungen entschieden häufiger 
als Hemmungen). Aber man lernt bald, dennoch zu brauchbaren 
Resultaten zu kommen. 

1. Versuche mit Serum. 

Auf der Suche nach einer quantitativen Bestimmung des Adrenalin¬ 
gehaltes dachte ich daran, gerade das entgegengesetzte Verhalten von 
Serum und Adrenalin auf den überlebenden Meerschweinchenuterus zu 
benutzen. Ich ging dabei von folgender Ueberlegung aus: Im Blut be¬ 
finden sich zwei Substanzen von verschiedenem Verhalten gegenüber dem 
überlebenden Meerschweinchenuterus. Die eine erregt, die andere hemmt. 
Bei dem offenbar verschiedenen Chemismus dieser beiden Substanzen ist 
es unwahrscheinlich, dass beide, durch Verdünnung des Blutes gleich 
stark verdünnt, dasselbe Maass an Wirksamkeit einbüssen werden. Es 
ist vielmehr anzunehmen, dass die eine beider Substanzen mehr an Wirk¬ 
samkeit verlieren wird als die andere, so dass beispielsweise bei Aus¬ 
tausch 3 mal verdünnten Serums gegen etwa 5 mal verdünntes der Uterus 
mit einer Tonusänderung reagieren muss. Das ist tatsächlich der Fall. 
Anders ausgedrückt könnte man vielleicht von einer verschiedenen Wir¬ 
kungsbreite beider Substanzen sprechen. In beispielsweise 4 mal ver¬ 
dünntem Serum sind beide Substanzen so ausbalanciert, dass sie dem 
Uterus einen bestimmten Tonus geben. Die Wirkungsbreite beider Sub¬ 
stanzen ist derart, dass bei einer nur 3fachen Verdünnung der Tonus 
steigt, bei einer 5fachen der Tonus abnimmt. Ist der Adrenalingehalt 
vermehrt, so bleibt beispielsweise der Tonus bei einer 3 fachen Ver¬ 
dünnung unverändert, während er bei 4maliger Verdünnung fällt. Be¬ 
stehen die Angaben Trend eienburg’s 1 ), der mitteilt, dass bei der 
Gerinnung 9tets die gleichen Mengen erregender Stoffe entstehen, zu 
Recht, so muss ich aus dem Verdünnungsgrad des Versuchsserums, der 
den Tonus des in bestimmt konzentrischem Normalserum suspendierten 
Meerschweinchenuterus unverändert lässt, den Adrenalingehalt berechnen 
können. Wenn so der Schwellenwert 0, also der Grad der Wirkungs¬ 
losigkeit erreicht wird, so muss ich genauere Resultate bekommen, als 
wenn ich aus der Erregung der verschieden erregbaren Uteri Schlüsse 
auf den Adrenalingehalt ziehen wollte. Aber ich merkte sehr bald, dass 
ich so nicht zu einem Ziele kommen konnte. Es gelang wohl, ganz 
grobe Unterschiede im Adrenalingehalt einigermaassen festzustellen, aber 


1) Trendelenburg, Münchener med. Wochenschr., 1911, Nr. 36. 


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26. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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auch das nicht immer. Ich wurde mir bald darüber klar, dass bei der 
Gerinnung doch nicht immer gleiche Mengen der die glatte Muskulatur 
erregenden Stoffe entstehen. Das zeigte sich weiterhin bei Versuchen, 
in denen ich am in Ringerlösung suspendierten Meerschweinchenuterus 
Adrenalin gegen verschiedene Konzentrationen von Meerschweinchen-, 
Kaninchen- und Menschenserum auszutitrieren suchte. Allerdings sind 
die Unterschiede keine sehr grossen. Von Einfluss ist offenbar die 
Schnelligkeit, mit der die Gerinnung eintritt (Temperatur und Tier¬ 
spezies). So hat das langsam gerinnende Pferdeblutserum wohl weniger 
dieser erregenden Gerinnungssubstanzen in sich als das der meisten an¬ 
deren Tiere. Weiterhin entstehen bei der Gerinnung des Meerschweinchen¬ 
blutes grössere Mengen dieser erregenden Substanz als bei der Gerinnung 
des Kaninchenblutes. Ihre Mengen dürften sich etwa wie 7 : 5 verhalten. 

Die Folgerung, auch beim Trendelenburg’schen Versuch die 
nicht genau gleiche Menge der bei der Gerinnung entstehenden 
erregenden Stoffe zu berücksichtigen und von den Resultaten zu 
abstrahieren, liegt nicht weit. 

2. Versuche mit Plasma. 

Das Plasma wurde nach dem Vorgänge O’Connor’s gewonnen 
durch geringste Zusätze Hirudins zum Blut sowie durch intravenöse In¬ 
jektion von Hirudin in die Ohrvene von Kaninchen und Blutentnahme 
aus der Carotis. In allen Fällen war das Verhalten auf den überleben¬ 
den Meerschweinchenuterus, selbst wenn die geringste Gerinnselbildung 
vermieden wurde — R. H. Kahn 1 ) betont die unbedingte Vermeidung 
auch des kleinsten Gerinnsels —, ein ganz ausserordentlich verschiedenes. 
Manchmal war kaum eine sofortige Einwirkung zu konstatieren, in der 
Mehrzahl der Fälle jedoch trat eine hochgradige sofortige Steigerung im 
Tonus ein, die im Durchschnitt sicherlich höher war als bei Zusatz 
gleich stark verdünnten Serums. In allen Fällen aber, auch in denen, 
wo keine wesentliche sofortige Erregung vorhanden war, trat nach 
einiger Zeit eine immer stärker werdende Tonussteigerung auf, die häufig 
zu einer stärksten Dauerkontraktion führte. Um die Ursachen dieser 
Erregung festzustellen und in der Annahme, dass hier mechanische, 
etwa durch Verdichtung des Mittels entstandene Gründe maassgebend 
waren, probierte ich die Einwirkung verschiedener pharmakologisch 
indifferenter Mucilaginosa (Salep, Gummi arabicum, Dextrin usw.) und 
fand, dass auoh alle diese, entsprechend verdünnt, sehr wohl eine Tonus¬ 
steigerung hervorzurufen imstande sind. Ob das dichtere Mittel des 
Plasmas die Tonussteigerung ganz oder teilweise (nur die allmählich 
auftretende Tonussteigerung?) bedingt, dürfte aber trotzdem schwer zu 
sagen sein. 

Wenn wir diese Beobachtungen auf die anderen Testobjekte 
übertragen, so würde sich ergeben, dass es von Nachteil ist, 
wenn dem Vorschläge O’Connor'a 2 3 ) zufolge Adrenalinbestimmungen 
im Plasma vorgenommen werden würden. Die Wirkung von 
Seren, die nach gleicher Zeit und Verwahrung bei gleicher, 
möglichst niedriger Temperatur benutzt wurden, erwies sich als 
viel konstanter als die Wirkung des Plasmas. Auch R. H. Kahn 8 ) 
fand die Wirkung des Hirudinplasmas kaum geringer als die des 
Serums. 

3. Versuche mit defibriniertem Blute, 
t Es hat sich gezeigt, dass dem oben Ausgefübrten entsprechend 
die tonussteigernde Kraft des defibrinierten Blutes höher ist als 
die des bei langsamer Gerinnung gewonnenen Serums. Wir gehen 
wohl nicht fehl, wenn wir hierfür die Schnelligkeit der Gerinnung 
maassgebend erachten. 

4. Versuche zur quantitativen Bestimmung. 

In der Ueberzeugung, aus dem Grade der Hemmung unter 
keinen Umständen Schlüsse auf den Adreualingehalt ziehen zu 
dürfen — auch Hoskins und McClure 4 ) konnten am selben 
Darmstück mit einer schwächeren Adrenalinlösung stärkere Aus¬ 
schläge bekommen als mit einer stärkeren —, suchte ich ähnlich 
wie Fränkel den Schwellenwert 0 festzustellen und diesen 
parallel zu setzen der Adrenalinmenge, die diesen gleichen 
Schwellenwert 0 hat. 

Der Uterus wird also in Normalserum (etwa 1:4) suspendiert. 
Dieses Normalserum wird ausgetauscht gegen gleich konzentriertes 
Versuchsserum. Ist die Hemmung jetzt deutlich, so versuche ich an 
einem anderen Uterus oder Uterusstück, den ich in Normalserum (1:8) 
suspendiere, die Einwirkung des Versuchsserums (1:8). So bestimme 
ich den höchsten noch wirksamen Verdünnungsgrad. In ähnlicherWeise 
probiere ich jetzt Adrenalin, das wieder in gleich konzentriertem Normal¬ 
serum gelöst ist. Nach dem Adrenalin-Normalserumzusatz kann ich 
eventuell noch einmal den Zusatz meines Versuchsserums versuchen, 


1) R. H. Kahn, 1. c. 

2) O’Connor, 1. c. 

3) R. H. Kahn, Pflüger’s Archiv, Bd. 144. 

4) Hoskins und McClure, 1. c. 


um festzustellen, ob eine Aenderung im Verhalten des Uterus eingetreten 
ist oder nicht. 

Auf diese Weise habe ich versucht, den Adrenalingehalt des Blutes 
aus der NeDennierenvene dreier Kaninchen zu bestimmen, und ich erhielt 
Werte, die zwischen 1: 7 000 000 und 1:12 000 000 schwanken. 

Hoskins und McClure 1 ) haben mit ihrer Methode im Neben- 
nierenvenenblute des Hundes Adrenalinwerte von 1:1000 000 bis 
1: 8 000 000 festgestellt. 

Auf den in adrenalinfreiem Serum (Adrenalin durch Sauerstoff zer¬ 
stört!) suspendierten überlebenden Meerschweinchenuterus wirkte Kanin- 
chencavaserum nicht hemmend. 

Nach vergeblichen Versuchen, durch Muscarin und andere autonomen 
Gifte am Meerschweinchenuterus eine Adrenalinhemmung zu kompen¬ 
sieren und aus der zur Erreichung des Schwellenwertes 0 nötigen Menge 
des Muscarins die Adrenalinmenge zu berechnen, probierte ich dasselbe 
mit Nicotin, pur., da ja Nikotin in kleinen Dosen auch die sympathischen 
Endorgane erregt [Magnus*)]. Wegen der langen Dauer derartiger 
Versuche am überlebenden Meerschweinchenuterus versuchte ich Nikotin 
am überlebenden Kaninchendarm gegen Adrenalin auszutitrieren. Nun 
arbeitet aber der Darm so schnell, dass eine Paralysierung der Adrenalin¬ 
hemmung nicht gelingt, da offenbar beide Gifte verschieden schnell — 
Nikotin schneller als Adrenalin — wirken, so dass man erst eine Er¬ 
regung, dann eine Hemmung beobachten kann. [Die nach Kress 8 ) 
ausnahmsweise vorkommende Hemmung des Kaninchenserums durch 
Nikotin habe ich in keinem Falle feststellen können.] 

Anders scheint sich in dieser Beziehung der so langsam arbeitende 
Meerschweinchenuterus zu verhalten. Bei diesem finden offenbar beide 
Gifte genügend Zeit, ihre Wirkung zu entfalten. Die Titrierung gelingt 
nun soheinbar mit Nicotin, tartar. cryst. alb. besser als mit Nicotin, 
pur. Es mag sein, dass hierbei die Löslichkeitsverhältnisse eine Rolle 
spielen. 

Ich stehe noch am Anfang dieser letzteren Versuche, und wenn 
auch bei zwei Kaninchen mittels dieser Titrierung Werte für den Adre- 
nalingehalt der Nebennierenvene haben festgestellt werden können, die 
ungefähr den oben erhaltenen entspracben, so sollen doch erst aus¬ 
gedehntere Versuche ergeben, ob wirklich eine derartige quantitative 
Adrenalinbestimmung im Blut möglich werden wird. 

Io Berücksichtigung dieser gefundenen äusserst niedrigen 
Adrenalinwerte und der von Hoskins und McClure konsta¬ 
tierten Verdünnungsgrade des Adrenalins im arteriellen Blut, 
nicht zum mindesten aber unter Zugrundelegen der Arbeiten von 
Young und Lehmann 4 ), Frank 5 ) und Hoskins und McClure 0 ) 
müssen wir mit diesen Autoren stark bezweifeln, dass das ins 
Blut 8ezernierte Adrenalin ein direkter Regulator des Blut¬ 
drucks ist. 


Aus der Königl. psychiatrischen und Nervenklinik zu 
Greifswald (Direktor: Prof. Dr. E. Schultze). 

Psychiatrie und Presse. 7 ) 

Von 

Privatdozent Dr. Vorkastner, Oberarzt der Klinik. 

M. H.! Ihnen allen ist bekannt, dass Irrenheilkunde und 
Irrenärzte seit längerer Zeit in der Oeffentlichkeit schwere An¬ 
griffe erfahren haben. Diese Angriffe mehren sich zu gewissen 
Zeiten, sobald einmal ein sogenannter Sensationsfall die Gemüter 
erregt hat, und haben sich teilweise zu Mengenkundgebungen und 
Vereinsbildungen verdichtet. 

Man spricht heutzutage von einer antipsychiatrischen Bewegung. 

Die Psychiater sind weit davon entfernt, sich durch solche 
Angriffe — mögen sie auch noch so maasslos und unbegründet 
sein — die nötige Objektivität rauben zu lassen. Ich dürfte sonst 
heute abend nicht vor Sie hintreten und mich über diesen Gegen¬ 
stand verbreiten. Vor einem Verlust der Objektivität schützt uns 
schon unser wissenschaftlicher Standpunkt. Die ganze Strömung 
ist eine Erscheinung, die uns zunächst einmal vom Standpunkte 
des Psychologen und des Psychopathologen interessieren muss. 
Es wäre an sich gewiss möglich, sie rein von diesem Standpunkte 


1) Hoskins und McClure, Archiv of Internal Medicine, Okt. 1912. 

2) Magnus, Pflüger’s Archiv, 1905, Bd. 108. 

3) Kress, ibidem, Bd. 109. 

4) Young und Lehmann, citiert nach Frank im Deutschen Archiv 
f. klin. Med., 1911, Bd. 103. 

5) Frank, 1. c. 

6) Hoskins und McClure, American Joum. of Physiol., 1912, 
Bd. 30, H. 2; ibidem 1912, Bd. 31, H. 2. — Dieselben, 1. c. 

7) Nach einem am 17. November 1912 im Verein der Aerzte des 
Regierungsbezirks Stettin gehaltenen Vortrag. 

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UNIVERSUM OF IOWA 





072 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 21. 


aus zu betrachten, mit derselben Rübe, mit der etwa der Bakterio¬ 
loge die Bewegung eines Stäbchens unter dem Mikroskop betrachtet. 

Aber es erscheint denn doch etwas gefährlich, sich zu weit 
über die Sache zu stellen und die Rolle des objektiven Beobachters 
zu konsequent durchzufübren. Nicht nur für uns. Solange rein 
persönliche oder Standesinteressen verletzt sind, könnte ein Ver¬ 
zicht auf Abwehr noch gerechtfertigt erscheinen. Aber es kommen 
auch die Interessen der Allgemeinheit in Betracht. Es ist zu be¬ 
fürchten, dass eine Abneigung gegen Irrenbeilkunde und Irren¬ 
ärzte Platz greift, die sowohl Kranken als auch Gesunden Schaden 
bringt. Es ist zu befürchten, dass Geisteskranke aus Scheu vor 
der Irrenanstalt in der Familie zurückgehalten werden, und dass 
damit die Zahl der Selbstmorde, Morde und anderer Verbrechen 
durch diese Kranken ansteigt. 

Das Misstrauen des Publikums gegen die Psychiatrie ist 
ausserordentlich leicht zu verstehen. 

Die Psychiatrie als Wissenschaft ist verhältnismässig jung. 
Allerdings — Hippokrates und seine Schüler wussten es bereits, 
dass die Geisteskrankheiten Erkrankungen des Gehirns sind 1 ). 
Aber diese Kenntnis ging gänzlich wieder verloren. 

Eine dämonistische Auffassung, die Auffassung, dass die Geistes¬ 
krankheiten durch Besessenheit mit Dämonen, mit dem Teufel 
bervorgerufen seien, herrschte lange Zeit, nicht nur in Kreisen 
des Volkes, sondern auch der Aerzte 2 ). Der Einfluss auf die Be¬ 
handlung konnte nicht ausbleiben. 

Es ist hinlänglich bekannt, wie man die Geisteskranken das 
ganze Mittelalter hindurch bis in die Neuzeit hinein behandelt hat. 

Mau brachte sie mit in den Gefängnissen unter, man sperrte 
sie in Käfige, die sogen. „Dorenkisten“ man warf sie in die meist 
in den Stadtmauern gelegenen Narrentürme, und des Sonntags¬ 
nachmittags zog das Publikum hinaus, um sich wie an einer 
Menagerie an ihnen zu ergötzen. Allenthalben schmachteten sie 
in Ketten. Die Zustände in den späteren „Tollhäusern u waren 
nicht wesentlich besser. 

Erst das Zeitalter der französischen Revolution brachte einen 
Umschwung. Von den Vorkämpfern für eine Besserung der Lage 
der Geisteskranken ist an erster Stelle der französische Arzt 
Pinel zu nennen. Mit eigener Lebensgefahr setzte er es in den 
Schreckenstagen der Revolution bei den Behörden durch, den 
Geisteskranken ihre Fesseln abnehmen zu dürfen. 

Es war der erste Beginn des „No restraint-Systems“, das im 
folgenden Jahrhundert zur vollen Durchführung gelangen sollte. 

Die Wohltaten Pinel’s und der ärztlichen Nachfolger auf 
der von ihm betretenen Bahn muss man denen erzählen, die heut¬ 
zutage noch am liebsten die Behandlung der Geisteskranken in 
theologischen Händen sehen würden. Hier erscheint der Hinweis 
notwendig, dass das, was die christliche Milde jahrhundertelang 
nicht vermocht bat, nämlich den unglücklichen Geisteskranken 
ein menschenwürdiges Los zu bereiten, nait einem Schlage natur¬ 
wissenschaftliches Denken vermochte, die naturwissenschaftliche Auf¬ 
fassang, dass die Geisteskrankheiten Krankheiten des Gehirns sind. 

Aber die Tat Pinel’s blieb zunächst noch vereinzelt. Es 
dauerte noch eine geraume Zeit, bis Irrenanstalten in grösserer 
Menge entstanden, und auch als diese vorhanden waren, waren 
die Irrungen nicht zu Ende. Neben der sogenannten somatischen 
Richtung, die die Anschauung Pinel’s verfocht, blieb eine moral- 
theologische Richtung. Es ist noch nicht 100 Jahre her, dass 
He in rot h, Professor der Psychiatrie in Leipzig, gelehrt bat, die 
Geisteskrankheiten seien Folgen der Sünde und entstünden durch 
eigenes Verschulden. 

Die Behandlungsmethoden waren sinnlos und z. T. barbarisch. 

Noch verhältnismässig lange erhielten sich allenthalben die 
verschiedenartigen Zwangsmittel, die Zwangsjacken, die Zwangs¬ 
stühle U8W. 

Ich brauche an dieser Stelle ja nicht sagen, wie so ganz 
anders es in unseren heutigen Irrenanstalten aussieht, wie alle 
Zwangsmittel auf das strengste verpönt sind und wie die Irren¬ 
anstalt immer mehr und mehr die Physiognomie des Kranken¬ 
hauses angenommen hat. 

Das ist Ihnen, m. H.!, sehr wohl bekannt, nicht aber dem 
grossen Publikum, und dieser letztere Zustand ist ein wichtiges 
ätiologisches Moment der Strömungen gegen uns. Das Volk stellt 
sich die Irrenbehandlung auch heutzutage noch so vor, wie sie in 
früherer Zeit gewesen ist. Das ist ausserordentlich leicht zu er¬ 


1) Ziehen, lieber die allgemeinen Beziehungen zwischen Hirn- und 
Seelenleben. 1912. 

2) Pagel, Geschichte der Medizin. S. 98. 


sehen. Sie brauchen nur in die so zahlreichen kinematographiscben 
Theater unserer Gross- und Kleinstädte zu gehen. Sie werden da 
auch gar nicht so selten in die Irrenanstalt geführt. Es ist das 
ein beliebtes Thema, ein Thema, so recht für das Publikum, das 
die Sensation wünscht, das das Gruseln lernen will. Da sieht 
man denn z. B. folgenden Film 1 ): Ein Kranker wird in die An¬ 
stalt gebracht. Sofort fallen vier handfeste Wärter über ihn her, 
schleppen ihn in die Badewanne und bearbeiten ihn von allen 
Seiten mit Douchen. Die Douche spielt eine grosse Rolle in der 
Vorstellung des Volkes. Das rührt wohl zum Teil aus den Zeiten 
des Alexianerskandals her, eines Skandals, der auch den Irren¬ 
ärzten zur Last gelegt wird, während dieser Fall in Wirklichkeit 
recht eklatant zeigt, wie die Sache gehen kann, wenn eine An¬ 
stalt nicht nur unter ärztlicher, sondern unter theologischer 
Leitung steht, denn das war hier der Fall. Die deutschen Irren¬ 
ärzte hatten die Regierung vorher vor der Ueberantwortung von 
Irren in theologische Hände gewarnt. Sie sehen dann weiter 
auf dem Film, wie der Kranke in eine Zelle geworfen wird, die 
nur mit einem Strohbündel versehen ist. Es folgt dann ein heftiger 
Ringk&mpf des Kranken mit den Wärtern, an dessen Schluss 
der Kranke, aus vielen Wunden blutend, mit verbundenem Kopf 
dasitzt. 

Auch Mercklin 2 ) erlebte ähnliches. Er sah folgenden Film: 
Ein Kranker entflieht aus der Irrenanstalt. Mühsam schwingt er 
sich über die aus grossen Steinquadern bergestellte Mauer 
(Cyklopenmauer) der Anstalt. Ein Wärter in Uniform will den 
Flüchtling zurückfübren. Da ergreift der Wärter eine bereit ge¬ 
haltene Peitsche und setzt die Rückführung mit Peitschenhieben 
durch. Es wird dann wieder die Anstaltsmauer vorgefübrt. Ein 
Zug kranker Frauen, von Pflegern und Wärterinnen begleitet, 
strömt, vom Spaziergang heimgekehrt, einer Pforte zu. Die meisten 
Kranken gehen willig durch die Pforte; einige wollen draussen 
bleiben. Wiederum saust ein Hagel von Peitschenhieben auf die 
Unglücklichen nieder. 

Im Zuschauerraum sagte eine Frau: „So also werden sie 
behandelt.“ 

So stellt sich das Volk die Irrenanstalt vor, und diese Vor¬ 
stellungen werden noch durch derartige Vorführungen genährt. 
Es ist bedauerlich, dass solche Films die Zensur passieren. Da 
erscheint mir vorbildlich das Vorgehen des Berliner Polizei¬ 
präsidenten v. Jagow, der im vorigen Jahre, wie ich aus einer 
mir nicht mehr zugänglichen Zeitungsnotiz entnahm, die Auf¬ 
führung eines Sensationsstückes verbot, das Verhältnisse des 
Irrenwesens (es handelte sich um die Einsperrung eines Gesunden) 
in verzerrter Weise wiedergab. 

Und nicht nur in niederen Kreisen herrschen solche Vor¬ 
stellungen, sondern auch unter den Gebildeten. 

Ich lege Ihnen da zum Beweise eine Stelle aus einem Roman 
der bekannten modernen Romanschriftstellerin Olga Wohlbrück 3 ) 
vor. Es heisst da: „Weisst Du, was sie mit mir gemacht haben 
dort? Zwischen vier Gummiwände haben sie mich dort gesperrt, 
weil ich nach den Mitteln schrie, die meine Schmerzen linderten. 
Wie ein Tier gefesselt, haben sie mich in eine Badewanne gelegt, 
eine Maske vor dem Gesicht, weil sie fürchteten, dass ich ihnen 
die Hände durchbeissen würde wie ein tollwütiger Hund. 
Wärterinnen haben sie mit Schimpf und Schande davongejagt, 
weil sie Erbarmen gehabt haben mit mir. Und glaubst Du, die 
ich nichts auf der ganzen Welt habe als ihn, dass ich zugeben 
werde, zugeben, dass er eingesperrt werde zwischen vier Gummi¬ 
wände, wie ich eingesperrt war?“ 

Sie sehen, auch bei der geistigen Elite steht es nicht anders. 

Das ist eine Quelle des Misstrauens. 

Die andere, weit stärkere Quelle aber bildeten die mannig¬ 
fachen Broschüren und Zeitungsmitteilungen über angeblich un- 
rechtsmässige Internierungen von Gesunden in Irrenanstalten, wie 
sie sich besonders io den ersten Jahren des letzten Dezenniums 
ausserordentlich gehäuft haben. Sie stammten zumeist aus der 
Feder früherer Anstaltsinsassen oder waren durch sie veranlasst 
Diese Mitteilungen riefen mit Recht im Pablikum eine grosse 
Beunruhigung hervor, zumal sich die Irrenärzte vielfach schweigend 
verhielten. 

Verschiedene Umstände erklären dieses Stillschweigen. Ein 

1) Eigene Beobachtung. 

2) Mercklin, Psychiatrische Fälschungen auf Lichtbildbühnen. 
Psychiatr.-neurol. Wochenschr., Jahrg. XIV, No. 18 (3. VIII. 1912). 

3) Wohlbrück, Aus den Memoiren der Prinzessin Arnulf. Unter¬ 
haltungsbeilage der Täglichen Rundschau vom 22. Dezember 1911. Die 
Stelle ist in der Psychiatr.-neurol. Wochenschrift, 1911/12, abgedruckt. 


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26. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Teil der Angegriffenen begnügte sich mit der Anerkennung ihres 
rechtmässigen Handelns durch die Behörden. Es sprach weiter 
mit die Pflicht des Schweigens, die den Aerzten durch den § 300 
des StGB, und teilweise noch behördlicherseits auferlegt ist 1 ), 
und schliesslich der Umstand, dass Beleidigungsklagen doch zu 
keinem Ergebnis führten, weil die Gerichte entschieden, dass 
die Beleidiger in Wahrung berechtigter Interessen gehandelt 
hätten. 

So knnnte jene Massensuggestion zustande kommen, der auch 
namhafte Männer zum Opfer fielen, so konnte die antipsychiatrische 
Bewegung ungehindert an Ausbreitung zunehmen. 

Eine Folge der allgemeinen Beunruhigung waren dann der 
berühmte Kreuzzeitungsaufruf, unterzeichnet von einer Reihe an¬ 
gesehener Männer, die Göttinger Protestversammlung und die 
Reichstagsvei handlangen, ausgehend von der berüchtigten Rede 
des Abgeordneten Lenzmann 2 3 * ). Lenzmann hat sich zwar aller¬ 
dings dagegen verwahrt, dass er den „ehrenwerten Stand der 
Irrenärzte“ beleidigen wollte, aber seine Ausführungen enthielten 
doch stark Verletzendes. Und die Irrenärzte fanden im Reichs¬ 
tage keinen Verteidiger, nur der Abgeordnete Kruse trat für sie 
ein, wenn auch nicht gerade sehr energisch. Vor allem da9 
eine: die Regierung schwieg. Erst im folgenden Jahre erfolgte 
eine Rechtfertigung durch den Mund des Staatssekretärs Graf 
Posado wsky. 

Schliesslich half noch eines das Misstrauen gegen die Irren¬ 
ärzte erhöhen, der Umstand nämlich, dass die junge Wissenschaft 
der Psychiatrie bei ihrem Weiterdringen dazu kam, eine grössere 
Anzahl von Verbrechen wie bisher als psychopathologisch bedingt 
aufzufassen, und die Einbeziehung krimineller Fälle unter den 
§ 51 StGB, sich mehrte. Wie man einerseits die Psychiater be¬ 
schuldigte, gesunde Menschen widerrechtlich einzusperren, so 
alten sie nun andererseits als Befreier von Leuten, die hinter 
chlo8s und Riegel in sicheres Gewahrsam gehörten. 

Ich will hier gleich von vornherein feststellen: wir können 
von unserem Standpunkt aus die Grundlage der ganzen Bewegung 
gegen uns nicht als hinreichend fundiert anerkennen. Für die 
Mangelhaftigkeit der Grundlagen will ich Ihnen zunächst keine 
weiteren Belege geben. Sie finden diese Belege ausführlicher, 
als sie in der Kürze der Zeit zu geben sind, in einem ganz aus¬ 
gezeichneten und verdienstvollen Werke, das vor kurzem er¬ 
schienen ist. Herr Kollege Beyer 8 ) aus Bayreuth hat sich die 
Mühe genommen, ein grosses Material, Broschüren, Zeitungs- 
mitteilungen, die Verhandlungen in den Parlamenten, zusammenzu¬ 
tragen und den einzelnen Fällen, die dort als widerrechtliche Inter¬ 
nierungen zur Sprache gekommen sind, durch eigene Forschungen 
nachzugehen. In allen von ihm untersuchten Fällen bat es sich 
nachweisen lassen, dass eine widerrechtliche Internierung sicher 
oder höchstwahrscheinlich nicht vorlag. Vielfach bandelt es sich 
uro so schwere Psychosen, dass sie auch der Laie aus den 
Krankengeschichten ohne weiteres erkennt. Vor allen Diugen 
ist auch ersichtlich, mit welcher Schnellfertigkeit die einzelnen 
Broschürenscbreiber und Parlamentsredner vorgegangen sind, in¬ 
dem sie die angezogenen Fälle nicht auf ihre Richtigkeit nach¬ 
prüften, sondern sie einfach als gegebene Grössen aus den vor¬ 
liegenden Broschüren und den Zeitungen übernahmen. Ich will hier 
nur ein kleines Beispiel anführen: Der Abgeordnete Lenzmann 
hat in seiner Reichstagsrede von einer Kranken erzählt, die an¬ 
geblich widerrechtlich in eine Irrenanstalt gebracht war, die 
dann befreit wurde und jetzt als eine angesehene Aerztin in der 
Schweiz praktiziere. Tatsächlich verhielt sich aber die Sachlage 
so, dass die betreffende Dame nach ihrer Befreiung schon lange 
wieder als schwer Geisteskranke iu eine Anstalt gebracht war, 
dass sie niemals Medizin studiert hatte und niemals als Aerztin 
in der Schweiz tätig gewesen war. Und ähnlich liegen andere 
Fälle. 

Es ist ein altes Sprichwort: „Sage mir, mit wem Du um¬ 
gehst, und ich will Dir sagen, wer Du bist.“ Und da treffen wir 
denn bei den Antipsychiatern auf ganz eigenartige Kombinationen. 
Vielfach kombiniert sich die antipsychiatrische Tendenz mit den 
gegen die Gesamtheit der Aerzte gerichteten Bestrebungen, mit 
dem Naturheilverfahren. Viele Antipsycbiater sind zugleich Anti- 
vivisektiooisten, andere sind Spiritisten. Auch die Kombination 

1) Man kann darüber verschiedener Meinung sein, wie weit der Arzt, 
wenn er öffentlich angegriffen wird, den § SOO noch zu respektieren hat. 

2) Schon vorher ein Angriff Stoecker’s im preussischen Abge¬ 
ordnetenhaus mit anschliessender Debatte. 

3) Beyer, Die Bestrebungen zur Reform des Irrenwesens. Halle a. S. 

1912, Carl Marhold. 


mit dem Antisemitismus findet sich. Das ist sehr interessant. 
Denn auch alle diese Strebungen finden wir besonders häufig bei 
psychopathischen Personen, und auch die Wurzel der antipsychi¬ 
atrischen Bewegung liegt ja zum grössten Teil im Psychopatho- 
logiscben. Die mangelhafte Krankheitseinsicht Anstaltsentlassener 
spielt die wesentliche Rolle. 

Mein Thema lautet jedoch „Presse und Psychiatrie“, und 
ich muss nunmehr auf die Beziehungen zwischen diesen beiden 
zu sprechen kommen. Es kann da nicht anders gesagt werden, 
als dass die Presse in der ganzen Bewegung eine wenig er¬ 
freuliche Rolle gespielt hat. 

Wir Psychiater haben zwar zunächst keinen Anlass, zu 
zweifeln, dass, wenigstens in vielen Fällen, die Vertreter der 
Presse von der besten Absicht geleitet gewesen sind, die Wahr¬ 
heit ans Licht zu bringen; aber wir können ihnen den Vorwurf 
nicht ersparen, dass sie dabei oft nicht mit genügender Vorsicht 
vorgegangen sind. In der Tat haben sie meines Wissens nicht 
in einem einzigen Falle die Wahrheit ans Licht gebracht, sondern 
sie haben zur Förderung eines verhängnisvollen Massenirrtums 
beigetragen. 

Wenn ich hier von der Presse spreche, so ist damit zunächst 
die Tagespresse gemeint. Denn es existiert auch eine spezifisch 
antipsychiatrische Presse, deren Produkte ich Ihnen nachher vor¬ 
zulegen habe. Bezüglich der Tagespresse ist nun zunächst zu 
konstatieren, dass im Punkte der Psychiatrie bei fast allen Blättern 
eine seltene Einmütigkeit herrscht. Ob grosse oder kleine Blätter, 
ob politisch rechts- oder linksstehende, fast alle stossen gleich- 
mässig in dasselbe Horn. Um Ihnen einen Begriff von dieser 
Einmütigkeit zu geben, möchte ich erwähnen, dass z. B. die 
Sensationsbroschüre von Karl Brill in folgenden grösseren Zei¬ 
tungen durchweg günstig besprochen wurde: Reichsbote, Ham¬ 
burger Korrespondent, Die Welt am Montag, Nationalzeitung, 
Strassburger Post, Volksstimme, Wahrheit, Generalanzeiger für 
Frankfurt a. M , Badische Landeszeitung, Posener Tageblatt, Leip¬ 
ziger Tageblatt, Mainzer Neueste Nachrichten 1 ). Von grösseren 
Zeitschriften, die derb antipsychiatrischen Bestrebungen ihre Spalten 
geöffnet haben, benennt Beyer die „Gegenwart“ und die „Zu¬ 
kunft“ (unter Anführung der betreffenden Stellen). 

Diese Einmütigkeit beweist nun aber keineswegs die Richtig¬ 
keit der Ausstellungen, die in der Presse gemacht werden; es 
gibt da doch Verschiedenes zu berücksichtigen. 

Auch die Presse zeigt sich vielfach hinsichtlich psychiatrischer 
Fragen ebenso unorientiert wie die Laienwelt. 

So liegt mir folgender Zeitungsabschnitt über argentinische 
Irrenhäuser vor. Von argentinischen Irrenhäusern teilt ein Mit¬ 
arbeiter dem täglichen Korrespondenten mit: Es gibt dort keine 
zwangsweise internierten Irren; die Behandlung geschieht vielmehr 
nach schottischem Muster bei offenen Türen. Die Kranken werden 
mit denkbar zartester Schonung behandelt. So findet man über¬ 
haupt in keiner einzigen Irrenanstalt der Republik Argentinien 
eine Zwangsjacke. Die Irren kommen und gehen in den soge¬ 
nannten Besitzungen der Anstalten. Sie arbeiten auf dem Felde 
oder beschäftigen sich mit industriellen Handarbeiten oder helfen 
in Küche und Haus mit, und die Erfahrungen, die man im Laufe 
der Jahre sammelt, sind so ausgezeichnet, dass man das System 
unter allen Umständen beizubehalten gedenkt. 

Und dann kommt zum Schluss die in ihrer Naivität köstliche 
Frage: Warum machen wir nicht auch einmal die Probe? 

Sie sehen, wie spurlos an diesem Pressevertreter die Zeit 
vorübergerauscht ist. Dieser Mann weiss nicht, dass schon vor 
über 100 Jahren ein deutscher Arzt, nämlich der alte Reil, den 
Vorschlag gemacht hat, die Kranken mit Feld- und Gartenarbeit 
zu beschäftigen. Er weiss nicht, dass das Offentürsystem seit 
langem bei uns besteht, dass Zwangsmittel streng verpönt sind, 
dass unsere Kranken in ausgiebigster Weise draussen beschäftigt 
werden, er weiss auch nicht, dass wir in Deutschland die Muster- 
anstalt Alt-Scherbitz besitzen, wo ein ganzes Rittergut von Geistes¬ 
kranken bewirtschaftet wird. Das ist die Orientiertheit derer, 
die über Irrenbeilkunde und Irrenanstalten schreiben. . 

Gedankenlos wird auch nachgebetet, dass die Irrenärzte die 
meisten der zu ihrer Beobachtung gelangenden Verbrecher für 
geisteskrank erklärten. Re vera aber ist der wirkliche Prozent¬ 
satz der Exkulpierungen auf Grund psychiatrischer Gutachten 
durchaus kein übermässig hoher. In den Jahren meiner Tätigkeit 


1) Diese und eine Reihe weiterer Angaben entnehme ich dem Werke 
von Beyer. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 21. 


an der Greifswalder Klinik sind sogar von 27 Beobachtungsfällen 
nur 3 als unter den § 51 fallend erachtet worden. 

Trotz ihrer vielfach mangelhaften Orientiertbeit findet sich 
aber die Presse bereit, Mitteilungen aus Irrenanstalten Ranm zu 
gewähren, ohne die Glaubwürdigkeit der Ueberbringer zu prüfen, 
ohne die Gegenpartei zu hören, ohne sich zu orientieren. Ich 
selbst erlebte folgenden Fall: Ich hatte einen schwer verkommenen 
psychopathischen Alkoholisten auf der Station. Trotzdem der 
Mann sich draussen immer wieder unliebsam bemerkbar machte, 
sah ich kein Mittel, ihm die Entlassung zu verweigern, als er 
darauf drängte. Noch an demselben Tage betrank er sich in der 
Stadt gehörig und erregte wiederum unliebsames Aufsehen. So¬ 
fort brachte die Tageszeitung eine Notiz, es habe ein Mann in der 
Stadt durch sein wunderliches Gebaren Aufsehen erregt, und 
daran wurde die spitze, tendenziöse Bemerkung geknüpft, der 
Mann sei am Morgen geheilt aus der Klinik entlassen worden. 
Allem Anschein nach aber sei er doch wohl nicht geheilt und 
die Entlassung verfrüht gewesen. Wie leicht hätte es in diesem 
Falle der Redakteur gehabt, sich zu orientieren. Er hätte nur 
an das Telephon gehen und mich anzurufen brauchen, dann 
hätte er gehört, dass der Fall wesentlich anders lag, dass die 
Schuld in der Unzulänglichkeit der Bestimmungen über die Rück¬ 
haltung solcher Kranken und nicht bei dem Irrenarzte zu suchen 
sei. Allerdings sind uns ja bei solchen Mitteilungen durch den 
§ 300 in erheblichem Maasse die Hände gebunden. 

Nicht immer sind nun leider die Fälle, in denen sich die 
Presse schlecht orientiert hat, so harmloser Natur wie der oben 
von mir angeführte. Leider hat sich die Presse zu den ver¬ 
schiedensten Malen auch zu Beschützern der angeblich zu Unrecht 
Internierten aufgeworfen, ohne Erkundigungen bei der Gegenpartei 
einzuziehen. 

Es ist historisch interessant, dass auch die Presse schon in 
dem ersten überhaupt bekannten Falle angeblich widerrechtlicher 
Internierung sich so verhalten hat. Dieser Fall 1 ) liegt bereits im 
Jahre 1773. Er betraf einen geisteskranken, an Melancholie 
leidenden Domsyndikus, dem von der Münster’schen Regierung ein 
Tutor in Gestalt eines Paters beigegeben war. Der Kranke fühlte 
sich zu Unrecht in seiner Freiheit beschränkt und wandte sich, 
ein Mittel, das ja heute noch beliebt ist, an die Presse. In dem 
Hamburger Relationskurier fand er ein Blatt, das seine Sache 
verfocht und den ihn beschützenden Pater in gemeinster Weise 
verdächtigte. Die Münster’sche Regierung wandte sich daraufhin 
an den Hamburger Senat und das, was sie diesem schrieb, 
könnte auch beute noch die Presse sich zur Lehre sein lassen: 

„Nun ist uns zwar die Verfassung des dortigen Zeitungswesens 
unbekannt, indessen mögen wir doch nicht verhehlen, wie es uns 
ungemein dreist vorkomme, dass die Zeitungsschreiber einen 
solchen Aufsatz, der ihnen von einer unbekannten Person zuge¬ 
schickt wurde, ohne vorherige Nachfrage im Publikum verbreiten, 
vermessen dergestalt ein nichtsnutziger Mensch, allenfalls mit Er- 
borgung eines falschen Namens, angesehene Männer unter dem 
Vorschub eines solchen Zeitungsschreibers vor den Augen der 
ganzen Welt unbestraft zu verlästern sich erkühnen könnte. Die 
Prüfung überlassen wir den Herren, halten aber dafür, dass die 
Zeitungsschreiber wenigstens zu einer öffentlichen Widerrufung 
verbunden seien.“ 

Von den neueren Fällen, bei denen die Presse eine wenig 
rühmliche Rolle gespielt hat, will ich nur einen herausgreifen*, 
das ist der Fall Fuhrmann, der sich im Jahre 1901 in Neuenahr 
abspielte. Ich bin in der Lage, Ihnen über diesen Fall etwas 
Näheres berichten zu können, da mein Chef, Herr Professor 
E. Schultze, als damaliger Oberarzt in Andernach diesen Fall 
als Mitleidender erlebt hat und so gütig war, mir noch einmal 
die Details zu erzählen. 

Es handelte sich da um einen Mann, bei dem nach Ansicht 
des Arztes ein Delirium tremens in Ausbruch war, und der in¬ 
folgedessen in die Anstalt Andernach gebracht wurde. Plötzlioh 
erhob sich in der Bürgerschaft von Neuenahr die Meinung, dass 
die Frau den Mann widerrechtlich in die Anstalt habe bringen 
lassen, offenbar meinte man, um sich in den Besitz seines Ver¬ 
mögens zu setzen. Das Cölner Tageblatt brachte einen sensatio¬ 
nellen Artikel, der noch dadurch an Sensation gewann, dass der 
zufällig in Neuenahr zur Kur weilende Chefredakteur sich per¬ 
sönlich von der Richtigkeit der mitgeteilten Tatsachen überzeugt 
haben wollte. Weder der Hinweis, dass bei der Internierung ein 
ärztliches Attest Vorgelegen, noch eine Erklärung des Oberarztes 


1) Dem Werk von Beyer entnommen. 


E. Schultze vermochten die Zeitung zu belehren. Es folgten 
weitere ebenso tendenziöse Artikel. Die Frau strengte die Be¬ 
leidigungsklage an, aber das Gericht wies diese ab, da es sich, 
ungeachtet des ärztlichen Gutachtens, auf Grund der Zeugenaus¬ 
sagen ebenfalls nicht überzeugen liess, dass der Mann tatsächlich 
krank und aostaltsbedürftig gewesen sei, und Wahrung berechtigter 
Interessen annahm. Erst in der Berufungsinstanz wurde der 
Frau eine Genugtuung zuteil. Es wurde zwar ein Vergleich 
zwischen beiden Parteien geschlossen, aber der Angegriffenen 
wurde gestattet, das für sie günstige Ergebnis in den Zeitungen 
zu veröffentlichen. Das Schönste aber war: während all dieser 
Sachen sass der Kranke, von seinem Delirium tremens geheilt, 
in der Anstalt und war äusserst dankbar dafür, dass man ihn 
dortbin gebracht hatte, äusserst ungehalten aber über die 
Leute, die sich unbefugt in seine Angelegenheiten mischten und 
den öffentlichen Skandal provozierten. 

Nur dieses eine Beispiel will ich hier anführen. Sie werden 
daraus ersehen, dass auch Belehrungen von seiten der Gegen¬ 
partei bei der Starrheit der vorgefassten Meinung nicht immer 
ein offenes Ohr finden. 

Verschiedentlich ist es vorgekommen, dass Berichtigungen 
der Gegenpartei zwar aufgenommen wurden, aber durch redaktio¬ 
nelle Zusätze sofort eine Abschwächung erfuhren. So erschien 
in der Nationalzeitung ein Artikel: „Das Irrenhaus als Gefahr“ 1 ). 
Medizinalrat Kreuser aus Winnenthal veröffentlichte eine Ent¬ 
gegnung, in welcher er die einschlägigen Verhältnisse eingehend 
beleuchtete 2 ). Die Zeitung nimmt diese Erwiderung auf, fügt 
aber gleich hinzu, dass sie sich nicht mit allen Ausführungen 
des Verfassers einverstanden erklären kann. 

Vorgekommen ist es auch, dass eine Zeitung die für einen 
Irrenarzt ungünstige Entscheidung einer Instanz in aller Breite 
besprach, die für den Irrenarzt günstige Entscheidung der höheren 
Instanz jedoch nicht zur Kenntnis brachte 8 ). 

Bezeichnend für die Voreingenommenheit der Presse ist auch 
die Tonart, in der die einzelnen Artikel über die Missstände des 
Irrenwesens gehalten sind, und das auch in grossen und ange¬ 
sehenen Zeitungen. „Schutz vor den Psychiatern“ heisst es da 4 ) 
oder „das Irrenhaus als Gefahr 5 )“ usw. Die Deutsche Montags¬ 
zeitung schrieb 6 ), man müsse es sich gefallen lassen, dass die 
Psychiatrie das Regulin der öffentlichen Verdauung bilde, und 
weiterhin in demselben Artikel: „man braucht heute nur eine 
Hypothek und einen Schwager, ein Haus und einen Grosskousin, 
einen Tausendmarkschein und einen Stiefsohn zu haben, um das 
erlesenste Objekt für die lrrenpfiege abzugeben“. Die National¬ 
zeitung spricht von einem verderblichen System, das jeden von 
uns schon heute oder morgen in seine furchtbaren Krallen zwingen 
kann 7 ). Die Tägliche Rundschau schreibt 8 ): „Bisher ist es den 
Psychiatern stets gelungen, Schadensersatzansprücbe durch Bezug¬ 
nahme auf den guten Glauben zu Fall zu bringen.“ Die Vossiscbe 
Zeitung bringt ebenfalls diesen Satz 0 ), also auch diese medi¬ 
zinisch sonst so vorzüglich unterrichtete Zeitung scheint nicht 
ganz frei von Befangenheit. Das ist nur eine kleine Blütenlese. 

Nun sagte ich Ihnen schon, dass auch eine spezifisch anti- 
psychiatrische Presse existiert. Es handelt sich da um die Organe 
von Vereinen, die sich im Laufe der Zeit zum Schutze der an¬ 
geblichen Missstände des Irrenwesens gebildet haben. Solcher 
Verein war z. B. die Centrale für Reform des Irrenwesens in 
Hersbruck in Bayern und ist der Bund für Irrenfürsorge in Heidel¬ 
berg. Das Organ dieser letzteren Vereinigung lege ich Ihnen in 
einem Exemplar vor. An der Spitze steht ein gewisser Adolf 
Glöcklen, ein früherer Insasse der Heidelberger Klinik. Für 
die Redaktion zeichnen ausserdem noch der bekannte Professor 
Lehmann-Hohenberg in Weimar, ferner der grosse Befreier 
vermeintlich widerrechtlich Definierter Rechtsanwalt Ehren fr ied in 
Berlin, weiter von bekannten Juristen der Rechtsanwalt Lothar 
Schücking in Dortmund und schliesslich eine Anzahl von 
Aerzten. Diese Aerzte muss man sich aber erst einmal näher 


1) Nationalzeitung, 27. Juni 1911. 

2) Nationalzeitung, 9. Juli 1911. 

3) E. Schultze, Die ungerechtfertigten Einweisungen in Irren¬ 
anstalten und ungerechtfertigte Entmündigungen. Monatsschr. f. krimin. 
Psychologie u. Strafrechtsreform. 8. Jahrg. 

4) Deutsche Montagszeitung, 3. Juli 1911. 

5) Nationalzeitung, an oben citierter Stelle. 

6) An oben citierter Stelle. 

7) An oben citierter Stelle. 

8) Tägliche Rundschau, 13. Juli 1911. 

9) Vossische Zeitung, 13. Juli 1911. 


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26. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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anseben. AU mir bekannt will ich nur einen herausgreifen; das 
ist der Sanitätsrat Bilfinger, der frühere Leiter der Gossmann- 
schen Naturheilanstalt in Kassel. Er ist ein Vorkämpfer des 
Naturheilverfahrens — die charakteristische Kombination —, Impf¬ 
gegner, hat verschiedentlich für Kurpfuscher eine Lanze gebrochen, 
so z. B. für die Augendiagnostik des Lehmpastors Felke und 
kürzlich für die diagnostischen Künste eines Hellsehers. Er hat 
auch — ein Beispiel seiner anti-psychiatrischen Betätigung — 
im Falle Fuhrmann, ohne den Kranken zu kennen, in einem 
offenen Briefe an die Redaktion des Kölner Tageblattes seiner 
Deberzeugung Ausdruck gegeben, dass der Internierte gesund sei. 

Auf dem Titelblatt dieser Zeitung finden Sie die Ankündigung 
einer Protestversammlung gegen den „Psychiaterunfug“. Wie im 
Allgemeinen die Artikel gehalten sind, davon will ich Ihnen nur 
ein kleines Beispiel gebeo, indem ich Ihnen den Anfang eines 
Artikels vorlese. Dieser lautet 1 2 ): „Zu den Tricks, welche viele 
Irrenärzte seit Jahren anwenden, um ihr lichtscheues Handwerk 
möglichst ungestört zu betreiben, gehört die Praxis, in der Zu¬ 
lassung von Besuchen zu den Patienten die denkbar grössten 
Schwierigkeiten zu machen.“ ln dieser und ähnlicher Tonart geht 
es weiter. Die Nationalzeitung ist zwar gerecht genug, den Aus¬ 
führungen dieses Organs gegenüber von falschen Verallgemeine¬ 
rungen zu sprechen; allerdings könne man sie den armen Ge¬ 
schädigten nicht verdenken 3 ). „Es ist erschütternd, in der Mit¬ 
gliederliste eine ganze Reihe von Personen zu finden, die die 
Grausamkeit dieses Systems am eigenen Leibe schwer genug zu 
fühlen bekamen.“ Dann aber gewährt die Zeitung Anschuldi¬ 
gungen von ähnlicher Beschaffenheit und keiner gelinderen Tonart 
Raum. Es handelt sich um die Wiedergabe von Ausführungen 
des Herrn Ehrenfried, der nach Ansicht des Blattes „auf Grund 
eigener düsterer Eifahrungen energisch für die Reform des Irren¬ 
rechts eintritt und schon manchen Bedrohten aus harter Um¬ 
klammerung befreit hat“. Es heisst u. a.: „Da nun zumeist die 
geforderten Gutachten gut bezahlt werden, so ist Gefahr vor¬ 
handen, dass der Arzt nicht immer seine volle Objektivität wahrt, 
und das Gutachten fällt gar zu leicht im Sinne des Auftraggebers 
aus“ (notabene ist im Satz vorher erwähnt, dass ausschlaggebend 
das Gutachten des Kreisarztes ist). „Der Anstaltspascha legt 
sein ganzes Können und seine ganze Macht hinein, um die Ver¬ 
bindung des Patienten mit der Aussenwelt zu verhindern.“ „Bei 
Privatanstalten ist eine Abweisung von Besuchen oft darin be¬ 
gründet, dass ihnen viel daran liegt, die Kranken zu behalten, 
da die Freilassung nicht unerhebliche pekuniäre Ausfälle zur 
Folge hat.“ „Gerade hierin ist der Krebsschaden zu suchen, da 
es nur vereinzelt vorkommt, dass ein Psychiater das Gutachten 
eines anderen umstösst.“ 

Genug von diesen Stichproben! Wir wollen uns lieber noch 
rasch den hauptsächlich in den Presseartikeln erhobenen Vorwürfen 
zu wenden. Es sind 2 Punkte, die da immer wiederkehren. Das 
sind die angeblich ungerechtfertigten Aufnahmen und Rückbehal¬ 
tungen und die angeblich ungerechtfertigten Entmündigungen 3 ). 

Was den ersten Punkt betrifft, so besteht ein besonderer 
Argwohn gegen die Privatanstalten, weil diese ja ein geschäft¬ 
liches Interesse daran hätten, die Zahl ihrer Kranken zu ver¬ 
mehren. Man hat sogar den staatlichen Ankauf sämtlicher 
Privatanstalten gefordert. Grosse, ja unerschwingliche Summen 
würden dazu nötig sein (Laehr berechnete, dass im Jahre 1893 
zum Ankauf der preussischen Privatirrenanstalten eine Summe 
von mehr als 45 Millionen nötig gewesen wäre, und inzwischen 
sind noch viele neue, zum Teil mit hohen Kosten gebaute An¬ 
stalten hinzugekommen). 

Und herrscht nun wirklich die angeuommene Unsicherheit? 
Der Anstaltsleiter, der sich zur widerrechtlichen Einsperrung 
eines Gesunden verleiten Hesse, setzte sich den Gefahren der Be¬ 
strafung, der Konzessionsentziehung, der Schadenersatzpflicht aus. 
Die anderen Aerzte der Anstalt müssten mit ihm im Bunde sein. 

Sodann wird nicht berücksichtigt, dass heutzutage doch 
schon umfassende Vorsichtsmaassregeln gegen ungerechtfertigte 
Anstaltsinternierungen bestehen. Jeder, der in Preussen in eine 
Privatanstalt gebracht wird, muss mit dem Attest eines Kreis¬ 
arztes oder eines anderen beamteten Arztes versehen sein. Es 
ist horrend, bei diesen ein Mangel an Objektivität zu befürchten 
(siehe obige Ausführungen der National-Zeitung). Die Aufnahme 

1) Irrenrechtsreform, Nr. 20 u. 21. 

2) An oben zitierter Stelle. 

8) Ich folge hier im wesentlichen den Ausführungen von E. Scbultze 
an oben zitierter Stelle und in „Das Irrenreoht“, Handb. d. Psychiatrie 
v. Aschaffen bürg. 


wird den Polizeibehörden und der Staatsanwaltschaft angezeigt, 
die Anstalten werden zweimal jährlich vom Kreisarzt und mindestens 
einmal jährlich von der sogenannten Besuchskommission kon¬ 
trolliert. Ausserdem steht es den Kranken jederzeit frei, sich 
über ihre Freiheitsberaubung bei der Staatsanwaltschaft zu be¬ 
schweren. Durch die Nichtabsendung solcher Beschwerden würde 
sich der Anstaltsleiter wiederum der Gefahr von Unannehmlich¬ 
keiten aussetzen. 

Sollte das nicht vielleicht zu einer weitgehenden Sicherung 
genügen? 

Natürlich. Irren ist menschlich, und auch die Aerzte sind 
Irrtümern ausgesetzt. Es ist daran zu erinnern, dass es auch 
Justizirrtümer und schuldlos verbüsste Untersuchungshaft gibt. 

Ein sicherer Fall der widerrechtlichen Einsperrung eines 
gesunden Menschen ist zwar gar nicht bekannt (siehe auch die 
Beyer’schen Untersuchungen). Das ist ein wesentlicher Punkt. 
Aber schon im Hinblick auf die Möglichkeit, mag sie auch nach 
Erwägung von allem noch so entfernt liegen, und besonders im 
Hinblick auf die im Publikum nun einmal grossgezüchteten Be¬ 
fürchtungen würden wir ohne weiteres mit Verbesserungen ein¬ 
verstanden sein, wenn nur das, was in der Presse und ander¬ 
wärts als Verbesserung in Vorschlag gebracht worden ist, wirklich 
diesen Namen verdiente. 

Was ist vorgeschlagen? Es soll ein förmliches Aufnahme¬ 
verfahren stattfinden, es soll eine Aufnabmekommission zusammen¬ 
treten. Dadurch würde es aber unheilvolle Verzögerungen der 
Aufnahme geben, unheilvoll sowohl für die Kranken, die einer 
schnellen Behandlung bedürfen, als auch für die Gesunden, die 
vor den Kranken geschützt werden müssen. Man soll nur einmal 
versuchsweise solche Aufnahmekommissionen in einem Distrikte 
einfübren; es würde sich wahrscheinlich binnen kurzem ein 
Sturm der Entrüstung über die mangelhafte Irrenfürsorge erheben. 

Weiter ist vorgeschlagen: Diese Kommissionen sollen nicht 
oder wenigstens nicht allein ans psychiatrischen Sachverständigen 
bestehen, sondern ganz oder teilweise aus Laien. Also dadurch 
glaubt man eine grössere Gewähr für die richtige Beurteilung 
geistiger Zustände zu haben, dass man Leute hineinzieht, die 
nichts von der Sache verstehen. Der „gesunde Menschenverstand“ 
soll richten, derselbe gesunde Menschenverstand, der die Geistes¬ 
kranken bis in die Neuzeit hinein für Teufelsbesessene erklärt 
und sie in ihrem Unrat hat verkommen lassen. E. Schultze 
meint sehr richtig, dass man jeden für wahnwitzig erklären 
würde, der ein technisches Unternehmen einer Kommission unter¬ 
stellen wollte, von der er den Mangel jeder technischen Aus¬ 
bildung forderte. 

Die Hineinziehung von Laien ist nun auch ganz und gar kein 
Schutz gegen widerrechtliche Internierungen. Es wird meistens 
nicht bedacht, dass Laien nicht nur ausgesprochene Geisteskrank¬ 
heiten verkennen, sondern manchmal auch etwas absonderliche 
Leute für geisteskrank halten, die es re vera gar nicht sind. 
Chapin 1 ) hat sogar aus Amerika, wo eine Laienjury besteht, von 
derartigen Vorkommnissen berichtet. 

Dasselbe lässt sich bezüglich der Einschaltung der Polizei¬ 
behörde sagen. 

Der zweite Punkt sind die ungerechtfertigten Entmündigungen. 

Hier bedenkt man nicht, dass gar nicht der Irrenarzt ent¬ 
mündigt, sondern der Richter. Sobald aber der Verdacht einer 
ungerechtfertigten Entmündigung auftaucht, richtet sich die Wut 
nicht gegen den Richter, sondern gegen den Psychiater, dessen 
Gutachten doch der Beweiswürdigung des Richters unterliegt. 

Das Vorliegen von Geisteskrankheit genügt ja ferner nicht 
zur Entmündigung, sondern die geistige Störung muss noch ge¬ 
wisse rechtliche Folgen nach sich gezogen haben. 

Ueberdies sind nun auch ungerechtfertigte Entmündigungen 
unerwiesen. Dass Entmündigungen späterhin wieder aufgehoben 
sind, ist kein Beweis dafür, dass sie ungerechtfertigt waren. Und 
wie selten wird eine Entmündigung erfolgreich angefochten? Das 
zeugt eigentlich für das Zureichen der geltenden Bestimmungen. 

Ich breche hier ab; denn bei der Kürze der Zeit kann es 
mir nicht darauf ankommen, etwa alle Vorwürfe und Anregungen 
hier behandeln zu wollen. Einiges habe ich auch schon weiter 
oben widerlegt. Ich muss es mir auch versagen, auf die Siche¬ 
rungsvorschläge einzugehen, die von psychiatrischer Seite gemacht 
werden. 

Die Presse hat jedenfalls eine verhängnisvolle Rolle bei dem 
Grosswerden der ganzen gegen uns gerichteten Bewegung gespielt, 


1) Citiert nach E. Schultze. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 21. 


und sie spielt sie zum Teil noch. Aber auch hier hat es an 
Verbesserungsvorschlägen nicht gefehlt. Diese sind natürlich 
nicht von der Presse ausgegangen, sondern von den Psychiatern. 

Man hat z. B. vorgeschlagen, dass die Zeitungen einen 
psychiatrischen Korrespondenten annehmen sollten. Doch 
dürfte dies nur für die grossen Zeitungen möglich sein. 

Ansprechend erscheint folgender Vorschlag von Beyer: „Die 
Irrenärzte wählen aus ihrer Mitte eine Kommission, welche sich 
mit den Standesvereinen der Presse in Verbindung setzt und sich 
erbietet, gewissermaassen als Auskunftsbureau über zweifelhafte 
Irrsinnsfälle zu dienen, eventuell solche mit einer Pressekommission 
zu prüfen. Diese Kommission soll nicht den Zweck haben, ein 
Urteil über diese Fälle abzugeben und schliesslich nur eine kurze 
Notiz an die Zeitungen gelangen zu lassen, sondern sie soll diesen 
erforderlichenfalls ausführliches Material zur Verfügung stellen, 
damit an dessen Hand die Presse und eventuell das Publikum 
selbst sich ein Urteil bilden kann. Sie soll nicht gegen die 
Presse arbeiten, sondern mit ihr. u Ich halte den Gedanken 
eines solchen Zusammenarbeitens für besonders glücklich. 

Weniger zweckmässig erscheint mir die Einrichtung eines 
psychiatrischen Rechtsbureaus, das in jedem gegebenen 
Falle für die geschädigten Irrenärzte die zu Gebote stehenden 
Rechtsmittel ausnutzt und eventuell die Beleidigungsklage vertritt. 

Wenn ich mir noch einen Vorschlag erlauben darf, so wäre 
es der, zunächst in den Grossstädten von den Psychiatern auf¬ 
klärende Kurse über das Irren wesen vor den Vertretern der Presse 
halten zu lassen. 

Jedenfalls kann ich mich in Uebereinstimraung mit Beyer 
nicht der Meinung derjenigen anschliessen, die jegliche Auf¬ 
klärungen solcher Art als gänzlich nutzlos verwerfen, da die 
Pressevertreter doch gar nicht die Absicht hätten, sich im einzelnen 
und allgemeinen belehren zu lassen. Ebensowenig wie es uns 
Psychiatern behagt, wenn man unserem Stande eine mala üdes 
zu6chreibt, ebensowenig dürfen wir den Vertretern eines anderen 
Standes diese zuschreiben, sondern wir sollten wenigstens ver¬ 
suchen, in loyale Beziehungen zu diesem Stande zu treten 1 ). 


Bücherbesprechungen. 

A. Faber- Kopenhagen: Die Arteriosklerose, ihre pathologische 
Anatomie, ihre Pathogenese und Aetiologie. Jena 1912, Gustav 
Fischer. Mit 7 Tafeln. 186 S. Preis 9,00 M. 

Nach einer eingehenden Betrachtung der ausgedehnten Literatur 
über die Arteriosklerose berichtet Verf. über seine eigenen, durch 
mehrere Jahre fortgesetzten Studien über die arteriosklerotischen Ver¬ 
änderungen menschlicher und tierischer Gefässe. In seinen Ergebnissen 
schliesst F. sich im allgemeinen an die Auffassungen von Jo res an, 
insbesondere bezüglich der primären Verfettung und deren Uebergang in 
Atherombildung. Besonderes Gewicht legt er auf die Häufigkeit der 
Verkalkung in den elastischen Bestandteilen der Gefässwände, besonders 
der Media. Um die Verteilung dieser Veränderungen in den ver¬ 
schiedenen Teilen des Gefasssystems übersichtlich darzustellen, hat F. 
eine grosse Anzahl sorgfältig ausgearbeiteter Tabellen aufgestellt. 
Ausserdem ist das Buch mit Abbildungen mikroskopischer Schnitte, teils 
Zeichnungen, teils Mikrophotographien, ausgestattet. 


Paul de Terra -Zollikon-Zürich: Vadentecnm anatomicum. Kritisch¬ 
etymologisches Wörterbuch der systematischen Anatomie. Mit 
besonderer Berücksichtigung der Synonymen. Nebst einem An¬ 
hang: Die anatomischen Schriftsteller des Altertums bis zur 
Neuzeit. Jena 1918, Gustav Fischer. 647 S. Preis geb. 16 M., 
geh. 15 M. 

Ausgehend von der Idee, dass für den Arzt das Verständnis der 
lateinischen und griechischen Sprache unentbehrlich sei, hat de Terra 
die Ausdrücke der anatomischen Nomenclatur in einem Wörterbuch mit 
ungefähr 14 000 Schlagwörtern zusaramengestellt. Er hat dabei das 
Prinzip verfolgt, für die Wörter von allgemeiner Bedeutung die Ueber- 
setzung nebst der sprachlichen Ableitung und.Angabe der Aussprache 
zu bringen, während die speziellen anatomischen Bezeichnungen durch 


1) Nach Abschluss dieses Vortrages wurde die Frage einer Reichs¬ 
irrengesetzgebung aufs neue im Reichstage angeregt (am 26. XI. 1912). 
Siehe den Abdruck des stenographischen Berichts in der Psychiatrisch- 
neurologischen Wochenschrift, 15. Jahrgang, Nr. 1 und 2. Der Abge¬ 
ordnete Gerlach (selbst Psychiater) ergriff in der Debatte „im Interesse 
des Psychiaterstandes“ das Wort zu einem trefflichen Referat. Das vor¬ 
gebrachte Material wurde dem Reichskanzler überwiesen. Nach einer 
Notiz der Täglichen Rundsohau vom 4. Mai 1918 soll der neue Landtag 
sich mit einem preussiscben Irrengesetz beschäftigen. 


die Angabe der Teile erklärt sind, die sie benennen. So hat der Verf. 
in dankenswerter Weise die Aufgabe gelöst, ein Wörterbuch der anato¬ 
mischen Terminologie für den nicht klassisch gebildeten Mediziner mit 
einem Nachschlagebuche der anatomischen Bezeichnungen der Körper¬ 
teile zu verbinden. Im Anhänge enthält das Buch ein Verzeichnis der 
anatomischen Schriftsteller mit Angabe ihrer Hauptwerke und der von 
ihnen herrührenden anatomischen Benennungen. A. W. Pinn er. 


Axenfeld: Lehrbuch der Augenheilkunde. 3. Aufl. Jena 1912, 
Gustav Fischer. 724 S. Preis brochiert 15,00 M., geb. 16,50. 

Das ausgezeichnete Lehrbuch hat in dem kurzen Zeitraum von vier 
Jahren die dritte Auflage erlebt, gewiss der beste Beweis, wie sehr es 
unter den Studierenden beliebt ist. 

Zu den Oeller’schen Tafeln, welche dadurch, dass die Bilder jetzt 
einen leichten Glanz erhielten, noch wesentlich vorteilhafter wirken, als* 
in der zweiten Auflage, ist eine zwölfte hinzugetreten (Retinitis anaemica). 
Auch die zum grossen Teil mehrfarbigen Textabbildungen sind be¬ 
trächtlich vermehrt (um ca. 100) und der Text selbst hat in der neuen 
Auflage eine eingehende Ueberarbeitung erfahren und wurde entsprechend 
der neuesten Literatur ergänzt. 

Das Buch dürfte in seiner neuen Gestalt unter Medizinstudierenden 
und Aerzten noch mehr Freunde finden als bisher, um so mehr, als trotz 
der mannigfachen Neuerungen und der vom Verlag mit grosser Sorgfalt 
verbesserten Ausstattung des Werkes der Preis nur eine minimale Er¬ 
höhung erfahren hat. v. Sicherer-München. 


Der Tuberkulosefortbildungskurs des Allgemeinen Krankenhauses 
Hamborg-Eppendorf. Herausgegeben von L. Brauer. Würzburg 
1913, Curt Kabitzsch. XI u. 324 S. Preis 9 M. 

In modernster Weise wird hier die Tuberkulose von allen Seiten 
der Diagnostik, der Therapie und der Prophylaxe in dem vorliegenden 
ersten Bande behandelt. Den Auftakt bildet eine temperamentvolle Ein¬ 
führung Rudolf Brauer’s zugunsten einer medizinischen Fakultät an 
der neu zu gründenden Hamburger Universität. In der ersten Arbeit 
behandelt August Predöhl die soziale Fürsorge im Kampf gegen die 
Tuberkulose und die leitenden Gesichtspunkte bei der Auswahl Tuber¬ 
kulöser bei der Heilstättenbehandlung. Mit so mancher veralteten Vor¬ 
stellung wird hier aufgeräumt und in dankenswerter Weise wieder auf 
den modernen Standpunkt hingewiesen, dass die Lungenschwindsucht 
überall geheilt werden könne, dass Höhenklima ebensowenig wie Witte¬ 
rung und Jahreszeiten dabei eine spezifische Rolle spielen. Dies darf 
wohl nun als von der Mehrzahl der Tuberkuloseärzte anerkannt gelten. 
Bei der Auswahl für die Heilstätten prinzipiell alle mit Kehlkopftuber¬ 
kulose komplizierten Fälle abzuweisen, dürfte dagegen kaum allgemeinen 
Beifall finden, ebensowenig kann schon heute bezüglich der Erfolge, 
welche mit der Aufnahme von Schwangeren in die Lungenheilstätten für 
den weiteren Verlauf der Erkrankung auch nach der Entlassung aus der 
Heilstätte erreicht sind, die Entscheidung dabin getroffen werden, dass 
Schwangere unter allen Umständen abzulehnen seien. Das statistische 
Material über die Fürsorgestellen für Lungenleidende in Hamburg gibt 
Hermann Sieveking. Die neuesten Forschungen über die biologischen 
und Immunitätsverhältnisse bei der Tuberkulose setzt Hans Much in 
seiner gewohnten fesselnden und geistreichen, manchmal ein wenig 
phantastischen Weise in sechs Vorlesungen auseinander. Dass die 
Phantasie mitgearbeitet hat, darf in diesem Fall kein Vorwurf sein, 
durch sie ist vielmehr eine Reihe von neuen Fragestellungen und An¬ 
griffspunkten für das Tuberkuloseproblem gegeben und insbesodere für 
die Therapie der Zukunft manche Richtlinie festgelegt. Besonders inter¬ 
essieren dürften die zahlreichen positiven Resultate, die die Nachprüfungen 
über die nicht säurefeste granulierte, von Much entdeckte Form des 
Tuberkulosevirus ergeben haben. Fernerhin berichtet Deycke über die 
schon früher von ihm bekannt gegebenen Beziehungen zwischen Lepra 
und Tuberkulose, 0. Schümm über Farbstoffe und Reaktionen im Harn¬ 
stoff bei Tuberkulose, M. Nonne über die Differentialdiagnose der tuber¬ 
kulösen organischen Erkrankungen von Gehirn- und Rückenmark und 
F. 0 eh leck er in einer mit zahlreichen trefflichen Illustrationen ver¬ 
sehenen Arbeit, die auch als Monographie erschienen ist, über die Be¬ 
handlung der Knochen- und Gelenktuberkulose mit orthopädischen Maass¬ 
nahmen. Mit feinem Takt und wohltuender Zurückhaltung behandelt 
A. Thost die Larynxtuberkulose und befindet sich damit in angenehmem 
Gegensätze zu vielen anderen Autoren, die gerade dies schwierige Gebiet 
bearbeitet haben. Die Tuberkulose in der Gynäkologie und Geburtshilfe 
behandelt Walter Rüder, der auch die Frage der Schwangerschafts¬ 
unterbrechung bei tuberkulösen Frauen diskutiert, und „der Seelen¬ 
zustand der Tuberkulösen“ von W. Wey g an dt bildet den Schluss des 
auf der Höbe modernster Forschung stehenden Buches, so dass man dem 
zweiten Bande, der hoffentlich die weiten, noch nicht behandelten Ge¬ 
biete der Tuberkuloseforschung bald bringen wird, mit grösstem Interesse 
entgegensehen darf. J. W. Samson-Berlin. 


Paul Mathes: Der Infantilismis, die Asthenie and deren Be¬ 
ziehungen zum Nervensystem. Berlin 1912. S. Karger. 18$ S. 
In einer verdienstvollen Monographie behandelt M. das weitver¬ 
zweigte Gebiet des Infantilismus. — Es liegt in der Natur des Gegen¬ 
standes, dass die Studien des Verfassers sich nicht nur auf die infanti» 


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26. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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listischen Störungen beschränkten, sondern auoh verwandte Forschungs¬ 
gebiete berücksichtigten. So wurden einerseits noch die Eigenarten der 
asthenischen Konstitution und deren Beziehungen zum Infantilismus, 
andererseits die nervösen Schädigungen, die wir bei infantil-asthenischen 
Individuen so ausgeprägt finden, eingehend besprochen. Gerade jetzt, da 
die Lehre von der inneren Sekretion mit allzu gebieterisoher Gewalt sich 
ausbreitet, da immer wieder die Schlagworte vom myxödematösen oder 
genitalen Infantilismus usw. fallen, muss der Mathes’sche Standpunkt 
mit doppelter Schärfe hervorgehoben werden: der Infantilismus ist eine 
germinative Entwicklungshemmung. Gewiss mögen Funktions¬ 
störungen der Schilddrüse, der Keimdrüsen oder andere Schädlichkeiten 
die Genese des Leidens fördern, die Hauptsache aber bleibt stets die 
Behinderung des normalen Entwicklungsganges. 

Gegen die Bewertung der psychischen Störungen bei Infantil- 
Asthenisohen müssen vom psychiatrischen Standpunkt aus prinzipielle 
Bedenken eroben werden. M. schildert uns als hauptsächlich in Betracht 
kommenden Symptomenkomplex die psychische Depression. Schon das 
erweckt in dem Leser ein leises Missbehagen. Die Depression ist, wie 
M. ja selbst betont, nur ein Zustandsbild, ein Syndrom. Wir können 
nur von der Depression eines bestimmten Leidens, etwa der Cyklothymie, 
der Melancholie, der konstitutionellen Verstimmung usw. sprechen, nicht 
aber von der psychischen Depression im allgemeinen. Sodann hebt M., 
in Anlehnung an Dubois, den Zustand der Depression bzw. — um¬ 
fassender ausgedrückt — der Labilität des Seelenlebens aus dem Sym- 
ptomenbild der konstitutionell degenerativen Psychoneurosen (1. Kon¬ 
stitutionelle Depression; 2. Cyklothymie; 3. Neurasthenie; 4. Hysterie) 
heraus und bezeichnet diese krankhafte Seelenverfassung als Psych- 
asthenie bzw. psychasthenischen Symptomenkomplex (Dubois). In ihm 
erblickt er den Typus der infantil-asthenischen Seelenstörungen. Abge¬ 
sehen davon, dass hier im Hinblick auf das bekannte Janet’sche Krank¬ 
heitsbild eine gewisse Verwirrung in der Nomenklatur geschaffen wird 
— M. selbst ist das nicht entgangen —, scheint mir diese Auffassung 
aus folgendem Grunde angreifbar: Mit Hilfe eines einzigen Symptoms 
ist hier ein selbständiges klinisches Syndrom geschaffen worden; der 
psychiatrischen Untersuchung aber gelingt es nicht, diesen patho¬ 
logischen Zustand — weder in bezug auf die Eigenart, noch auf die 
Konstellation seiner Krankheitserscbeinungen — von anderen bekannten 
Krankheitsbildern abzugrenzen. Die Infantil-Asthenischen sind mangel¬ 
haft entwickelte Individuen, natürlich auch hinsichtlich ihrer psychischen 
Fähigkeiten. Sie gehören also von vornherein in die Kategorie der 
psychopathischen Persönlichkeiten. Dass diese minderwertige Anlage — 
besonders z. B. in der Pubertät — zu Seelenstörungen disponiert, ist 
sicher. Dass weiter sich hierbei häufig depressive Zustände finden, wird 
nicht bestritten. Aber es macht keine Mühe, diese Komplexe in das 
Krankheitsbild einer Cyklothymie, einer Hysterie, einer Neurasthenie usw. 
einzuordnen. — Schliesslich erscheint das Vorkommen von Sympathicus- 
ersoheinungen bei Infantilen vielleicht etwas zu einseitig betont. Gerade 
bei Deprimierten, speziell im Verlauf des manisch-depressiven Irreseins, 
finden wir nicht nur eine allgemeine Empfindlichkeit des sympathischen, 
sondern auch ebensosehr eine solche des cerebrospinalen Nervensystems; 
hierfür sprechen die mannigfachen über den ganzen Körper verbreiteten 
Miss- und Schmerzempfindungen, wie sie uns häufig von unseren Kranken 
geschildert werden. A. Münzer. 


Paal Morawiti: Ueber Vorgänge der Selbstvergiftung and -Ent- 
giftang im Organismus. Freiburg und Leipzig 1913, Speyer u. 
Kaerner. 30 S. 0,90 M. 

Ein Vortrag, der in klarer Darstellung sich mit dem Wesen einer 
Anzahl der wichtigsten Stoffwechselstörungen beschäftigt. Die Bedeutung 
der inneren Sekretion, der endogenen und exogenen Krankheitsursachen 
wird beleuchtet. Die Lektüre der kleinen Sobrift ist durchaus zu 
empfehlen. Jacoby. 


Literatur-Auszüge. 

Physiologie. 

H. Fabritius und E. v. Bermann: Zur Kenntnis der Haat- and 
Tiefensensibilität, untersucht mittels der Abschnürungsmethode. (Pflüger’s 
Archiv, Bd. 151, H. 4—6.) Verff. schnürten einen Finger an seiner 
Basis mittels Gummibinde ab und prüften die Veränderung der Tast¬ 
kreise (simultanen Raumschwellen) und der sogenannten Stereognose, 
d. h. der Fähigkeit Gegenstände durch Abtasten zu erkennen. 30 bis 
35 Minuten nach der Verschnürung beginnen die Tastkreise rasch grösser 
zu werden, so dass bei Entfernung der beiden Tasterspitzen um selbst 
50 mm nur eine Tastempfindung entsteht. Bei zeitlich getrennter 
Reizung mit beiden Spitzen wird dagegen jeder Reiz wahrgenommen und 
richtig lokalisiert. Zugleich verschwindet auch die Stereognose. Es be¬ 
steht aber zunächst noch Berührungsdruckempfindliohkeit, Schmerz-, 
Kälte- und Wärmeempfindlichkeit. Bald schwindet auch erstere, so 
dass nur Temperatur- und Schmerzempfindungen auslösbar sind. Sie 
können gut lokalisiert werden, besitzen aber keine Raumschwelle. Je 
mehr die Berührungsdruckempfindlicbkeit gelitten bat, um so weniger 
kann der Gewichtsunterschied verschieden schwerer Gewichte taxiert 
werden. Die hier mitspielenden Muskelempfindungen können deshalb 
nach Verff. nur geringe Unterschiodsempfindlichkeit besitzen. 


J. S. Beritoff: Zur Kenntnis der spinalen Coordination der rhyth¬ 
mischen Reflexe vom Ortsbewegangstypus. (Pflüger’s Archiv, Bd. 151, 
H. 4—6.) B.’s Untersuchungen betreffen das Wesen der kombinierten 
(Spring ) Reflexe am strychninisierten Rückenmarksfrosche und beziehen 
sich auf die Lokalisation der Coordinationsapparate der Beugungs- und 
Streckungsinnervation auf die Beeinflussung der Coordinationsapparate 
einer Seite von der anderen symmetrischen Seite her und auf die Succession 
der einzelnen Phasen der Beugungs- und Streckungsinnervationen, die dabei 
mitspielen. B. findet, dass die Coordination der Beugungs- und Streckungs¬ 
reflexe derHiuterextremitäten und ihre Verbindung zu rhythmischen Reflexen 
(Gehen, Springen) im 9. und 10. Rückenmarkssegment vor sich geht. 
Hier befinden sich also die spinalen coordinierenden Centren. Eine ge¬ 
steigerte Tätigkeit löst rhythmische Reflexe an den Hinterextremitäten 
aus. Eine richtige Regulierung der Centren durch sekundäre peri¬ 
pherische Impulse kommt nur bei freibeweglichen Hinterextremitäten 
zustande. Die Tätigkeit der Coordinationsapparate verläuft gewöhnlich 
getrennt sowohl von den gleichen Apparaten der entgegengesetzten 
Hälfte als auch von den Apparaten anderer Segmente derselben Seite. 
Sie wird also nicht auf „intercentralem“ Wege erregt. Bezüglich 
weiterer Einzelheiten sei auf das Original verwiesen. 

A. Basler: Ueber die Verschmelzung rhythmischer Wärme- and 
Kälteempflndangen. (Pflüger’s Archiv, Bd. 151, H. 4—6.) Mittels eines 
„thermische Reizmühle“ genannten Apparats hat Verf. folgendes fest¬ 
gestellt: Wärmereize, die in gleichen zeitlichen Abständen auf die 
Volarseite des Vorderarms wirken, verursachen eine gleichmässige 
Wärmeempfindung, wenn die Reize in Pausen von 1,5 Sekunden auf¬ 
einander folgen. Wenn die Reize nach mehr als je 1,88 Sekunden ein¬ 
ander folgen, tritt keine Verschmelzung der Wärmeempfindung mehr 
ein. Kälteempfindungen verschmelzen bei einem Zeitunterschied von 
0,53 Sekunden. Alternierende Wärme- und Kältereize verschmelzen bei 
noch längerem Zeitunterschied. Im Gegensatz zum Auge war für die 
Verschmelzung mehrerer Reize zu einer Empfindung die Dauer der 
Reize und der dazwischen liegenden Pausen maassgebend. 

H. Stübel: Ultramikroskopische Beobachtungen an Maskel-Geissel- 
zellen. (Pflüger’s Archiv, Bd. 151, H. 4—6.) Höher hatte, von der 
Hypothese ausgehend, dass bei der Erregung von Nerv und Muskel 
Aenderungen in der Beschaffenheit ihrer Kolloide erfolgen, versucht, 
ultramikroskopisch solche Aenderungen nachzuweisen. Er fand keine 
an den Nerven von Frosch und Hecht. St. hat nun an geeigneteren, 
dünneren, Objekten eine Nachprüfung vorgenommen Aber auch er 
konnte weder an glatten Froschmuskeln, noch an Myoidfäden von Vorti¬ 
cellen, noch an Flimmerzellen Veränderungen des Protoplasmas bei 
ihrer Bewegung wahrnehmen. Wo solche vorhanden zu sein schienen, 
z. B. bei Spermatozoen, handelt es sich wahrscheinlich um optische, 
durch wechselnde Beleuchtung bedingte Phänomene. 

A. Zahn: Experimentelle Untersuchungen über Reizbilduug and 
Reizleitung im Atrioventrikal&rknoten. (Pflüger’s Archiv, Bd. 151, 
H. 4—6.) Z. prüfte an Hunden, Katzen, Kaninchen mittels lokalisierter 
Abkühlung und Erwärmuug nach Ausschaltung des Sinusknotens die 
Funktion der einzelnen Abschnitte des Atrioventrikularknotens. Alle 
Teile dieses Knotens können rhythmische Reize bilden, wobei Erwärmung 
zur Steigerung der Frequenz führt. Die Verzögerung der Reizleitung 
findet hauptsächlich im mittleren Teil des Atrioventrikularknotens 
statt. Abkühlung des Atrioventrikularknotens in seinem oberen Ab¬ 
schnitt führt zur Verminderung der Frequenz, solche im unteren 
macht Ueberleitungsstörung zwischen Vorhof und Kammer. Bei Aus¬ 
schaltung des Sinusknotens durch Kälte bildet der mittlere Abschnitt 
des Atrioventrikularknotens die Herzreize, bei nicht reizloser Zerstörung 
des Sinusknotens dagegen bildet sie der obere Abschnitt. 

W. Koch: Ueber die Bedeutung der Reizbildangsstellen (cardio- 
motorische Centren) des rechten Vorhofes beim Säugetierherzep. 
(Pflüger’s Archiv, Bd. 151, H. 4—6.) Mikroskopische Untersuchungen 
der von Zahn für seine Versuche benutzten Herzen. Danach besteht 
der Aschoff-Tawara’sche Knoten aus zwei anatomisch und physiologisch 
trennbaren Abschnitten. Die Grenze zwischen ihnen ist die ursprüng¬ 
liche Vorhof-Kammergrenze. Das von Zahn im Coronarvenentrichter 
isolierte selbständige Centrum entspricht dem Vorhofabschnitt des 
Aschoff-Tawara’schen Knotens. Die spezifischen Muskelsysteme stehen 
in Beziehung zum venösen Klappenapparat des Herzens; der Sinusknoten 
zu den Klappen der Vena cava sup., der Kammerknoten zu den Atrio¬ 
ventrikularklappen. Der Vorhofsknoten ist vielleicht als Rest der Sinus¬ 
klappenwinkelmuskulatur zu betrachten und steht in Beziehung zur 
Vena cava inf. und Vena coronaria. Der Vorhofsknoten dürfte für ge¬ 
wöhnlich untätig sein und nur unter besonderen Bedingungen in Tätig¬ 
keit treten. 

H. E. Hering: Erklärungsversuch der U-Zacke des Elektrocardio- 
gramms als Elektroangiogramm. (Pflüger’s Archiv, Bd. 151, H. 4—6.) 
Die am Elektrocardiogramm nicht konstant vorkommende U-Zacke hatte 
Einthoven auf die Kammerkontraktion bezogen. H. hält diese An¬ 
nahme nicht für zutreffend, schliesst vielmehr aus verschiedenen Tat¬ 
sachen, dass sie der elektrische Ausdruck der Kontraktion der Arterien 
sei, also eigentlich ein Elektroangiogramm darstelle. A. Loewy. 

G. B oehm - München: Ueber den Einfluss des Nervus sympathicas 
und anderer autonomer Nerven auf die Bewegungen des Dickdarms. 
(Archiv f. experiment. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 72, H. 1, S. 1—55.) 
Die Arbeit bringt ausserordentlich wertyolle Tierversuche, die mannig- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 21. 


fache Aufklärung schaffen. Leider macht die Fülle des Materials ein 
Referat unmöglich. Jaeoby. 

H. Wörner-Frankfurt a. M.: Toleranz gegen Galaktose bei direkter 
Einführung in den Pfortaderkreislanf. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 
1913, Bd. 110, R. 8 u. 4.) Die Toleranz gegen Galaktose ist nach 
Phosphorvergiftung bei direkter Einführung dieser Zuckerart in den 
portalen Kreislauf herabgesetzt. Die Ursache ist in einer Parenchym¬ 
schädigung der Leber zu suchen. Die Richtigkeit dieser schon für die 
orale Zufuhr der Galaktose gegebenen Erklärung ist damit bewiesen. 

W. Zinn. 

H. Freund und F. Marchand-Heidelberg: Ueber die Beziehungen 
der Nebennieren za Blutzaeker and Wärmeregulation. (Archiv f. 
experiment. Pathol. u. Pbarmakol., Bd. 72, H. 1, S. 56—75.) Verlust 
der Nebennieren führt zu schweren Störungen der Wärmeregulation und 
Verminderung des Blutzuckers. Es scheint, als ob Rinde und Mark der 
Nebenniere in gleicher Weise wesentlich für die Funktion des Organs 
sind, wenn auch das eigentliche Sekret nur das vom Mark gelieferte 
Adrenalin ist. Jaeoby. 

Ph. Schopp-Heidelberg: Ueber Nährklystiere mit Eiweissabban- 
prodaktion und deren Einfluss auf den respiratorischen Stoffwechsel 
und die Wärmeprodnktion. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, 
Bd. 110, H. 3 u. 4.) In Selbstversuchen wurden Nährklystiere mit Ei- 
weissspaltungsprodubten (Riba, Hapan) in ziemlich hoher Konzentration 
aufgenommen (14—22 pCt.). Die Ausnutzung in zehnstündigen Ver¬ 
suchen betrug 68—90 pCt. Respirationsversuche zeigten im Anschluss 
an derartige Nährklystiere eine erhebliche Steigerung der Wärme¬ 
produktion (19—30pCt.). Infolge dieses Anreizes der verwendeten 
Eiweisspräparate zu stärkerer Wärmeproduktion erscheint ihre aus¬ 
schliessliche Darreichung in Form von Nährklystieren calorisch unzweck¬ 
mässig, und es ist zur Deckung des calorischen Bedarfs und der Schonung 
des Körperbestandes notwendig, gleichzeitig grössere Mengen von Fett 
oder Kohlehydraten per os oder per rectum mit zu verabreichen, wie es 
in der Regel schon bisher instinktiv richtig geschieht. W. Zinn. 


Pharmakologie. 

Beyschlag: Natürliche Bedingungen der Mineral- and Heilquellen. 
Veröffentlichung der Centralstelle für Balneologie. (Zeitschr. f. Balneol., 
6. Jahrg., Nr. 3.) Die natürlichen geologischen Bedingungen der Ent¬ 
stehung von Mineral- und Heilwässern sind: 1. das Vorhandensein löse¬ 
fähigen Minerals im Gestein unter auslaugbaren Bedingungen, 2. tief¬ 
greifende Störungs- und Verwesungsvorgänge in der Erdkruste, die ein 
Eindringen und Auslaugen der Schichten ermöglichen, 3. Vereinigung 
dieser Lösungen mit den vulkanischen, namentlich gasförmigen Produkten 
der Gegenwart und Vergangenheit. E. Tobias. 

E. Bernoulli - Basel: Einfluss der Digitalis auf die Erholung des 
Herzens nach Maskelarbeit. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) 
B. fand beim gesunden Herzen keinen Unterschied in der Erholung 
nach dosierter Muskelarbeit und nach Digitalisdarreichung. Daraus 
ergibt sich die praktische Folgerung, dass „prophylaktische“ Digitalis¬ 
verwendung ohne Zweck ist. Nur das kranke Herz reagiert auf Digitalis. 

Dünner. 

C. 0 eh me-Göttingen: Wirkungsweise des Histamins. (Archiv f. 
experiment. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 71, H. 1, S. 76—96.) Histamin 
ist bei der Injektion in die Portalvene ungiftig, bei langsamer Infusion 
auch bei Einführung in die Jugularvene. Dabei verschwindet der grösste 
Teil des Histamins sehr bald aus dem Blute und erscheint nicht im 
Harn. Es scheint auch durch den Uterus, auf den es einwirkt, weder 
zerstört noch in dem Organ gespeichert zu werden. Die Reizwirkung 
scheint eine Funktion der Geschwindigkeit zu sein, mit der eine be¬ 
stimmte Giftmenge dem Organe zugeführt wird, das Konzentrations¬ 
gefälle vom Blute zum Organ scheint für die pharmakologische Wirkung 
maassgebend zu sein. Jaeoby. 

A. Elfer-Kolozsvär: Ueber die Wirkung des Extraktes aas dem 
Iafaadibalarteil der Glandula pituitaria unter pathologischen Verhält¬ 
nissen. Untersuchungen über den N- and den Mineralstoffwechsel. 
(Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110, H. 3 u. 4.) Die sub- 
cutane Darreichung des Extraktes verschlechtert den Eiweissstoffwechsel 
nicht. Pituitrin verursacht eine vorübergehende Retention von P, Ca, 
Mg. Diese Tatsachen rechtfertigten die Behandlung von Osteomalacie, 
Rachitis mit Pituitrin eventuell durch längere Zeit hindurch. Versuche 
nach dieser Richtung mit Kontrolle des Stoffwechsels stehen noch aus. 

W. Zinn. 

J. Nerking-Düsseldorf: Zur Frage der Giftwirknng der Rhodan- 
salze. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 20.) Rbodanalkalien sind 
durchaus nicht, wie Biberfeld meint, in Dosen von 0,5 bis 1,0 pro 
die ungiftig. Wohl aber wird Rhodalcid, eine Eiweissverbindung des 
Rhodans, ohne unangenehme Nebenwirkung vertragen. Wolfsohn. 

Döblin und Fleischmann - Berlin: Zum Mechanismus der 
Atropinentgiftang ' durch Blat und klinische Beobachtungen über das 
Vorkommen der Entgiftung. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 77, H. 3 u. 4.) 
Es wurden die Eigenschaften der atropinentgiftenden Substanz des 
Kaninchenblutes genauer untersucht und festgestellt, dass dieselbe an 
das Serum und (Plasma gebunden und in den Blutkörperchen und im 
Blutgerinnsel kaum vorhanden ist. Die entgiftende Eigenschaft ist 


gegen Trocknen resistent und nicht dialysabel. Bei Wasserdialyse ent¬ 
giftet nur die Albuminfraktion, beim Aussalzen nur die Albuminfraktion. 
Die Substanz ist undurebgängig durch die Ghamberlandkerze, kein 
Lipoid und hitzeempfindlich. Schon Erwärmung auf 55° bewirkt eine 
deutliche Abnahme des entgiftenden Vermögens. Das menschliche Blut¬ 
serum hat nur höchst selten entgiftende Eigenschaften für Atropin, und 
zwar, wie es scheint, ausschliesslich nur bei Schildrüsenerkrankungen, 
aber keineswegs regelmässig. H. HirschfeId. 

Siehe auch Innere Medizin: Lindström, Arsenikvergiftung. 


Therapie. 

Chr. Schöne - Greifswald: Experimentelle Untersuchungen über 
die Wirksamkeit grosser Seramdosen bei der Diphtherievergiftaig. 
(Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110, H. 3 u. 4.) Die Arbeit 
zeigt, dass nach den experimentellen Resultaten auch im Verlauf der 
menschlichen Diphtherievergiftung unter Umständen nur grösste Serum¬ 
dosen lebensrettend wirken können. Der Zeitpunkt, wann diese im 
Einzelfalle anzuwenden sind, ist schwer bestimmbar. W. Zinn. 

E. Schreiber-Magdeburg: Zur Prophylaxe and Therapie der 
Diphtherie. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 20.) Schreiber’s 
Versucho an 40 Patienten haben ergeben, dass es mit Hilfe der neuen 
Behring’schen aktiven Immunisierung durch wenige Injektionen gelingt, 
einen hohen Antitoxingehalt des Blutes zu erzeugen. Nach allem, was 
wir bis heute über Schutzimpfung wissen, dürfte dieser Antitoxingehalt 
genügen, um die Individuen gegen eine nicht allzu virulente Infektion 
zu schützen. Die Zahl der bisher vorliegenden Untersuchungen ist 
allerdings noch nicht ausreichend, um die Frage praktisch zu entscheiden. 
Die Injektionen rufen leichte Reaktionserscheinungen hervor, die aber 
stets vollkommen ungefährlich verlaufen. Der Impfschutz tritt frühestens 
am 21. Tage nach der ersten Einspritzung auf. In der Zwischenzeit ist 
die Ansteckungsgefahr wahrscheinlich vorhanden, vielleicht sogar erhöht. 
Das Verhalten der Bacillenträger gegen die aktive Immunisierung konnte 
Schreiber bisher noch nicht beobachten. Für die Behandlung der 
Diphtherie wird eine möglichst frühzeitige intramuskuläre bzw. intra¬ 
venöse Serumanwendung empfohlen. Man tut gut, grössere Dosen zu 
wählen, als bisher üblich war. Für die Behandlung der Mischinfeklionen 
wird die lokale Applikation von Salvarsan bzw. Neosalvarsan empfohlen, 
eventuell auch die intravenöse Injektion kleiuer Dosen dieser Mittel. 
Auch mit der lokalen Anwendung des Diphtherieserums hatte Verf. 
gute Erfolge. Die Herzschwäche wird mit Adrenalin sehr vorteilhaft 
bekämpft. 

E. y. Behring-Marburg: Ueber ein neues Diphtherieschatzmittel. 
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 19.) Nach umfangreichen Vor¬ 
studien im Tierexperiment ist v. Behring dazu gelangt, eine Mischung 
von sehr starkem Diphtheriegift mit Antitoxin in solchem Verhältnis an¬ 
zuwenden, dass die Mischlösung im Meerschweinchenversuch nur einen 
geringen oder gar keinen Toxinüberschuss aufweist. Die alte Lehre der 
definitiven Giftneutralisierung durch Antitoxin in vitro hat sich in dieser 
Form als irrig erwiesen. Ein für Meerschweinchen neutrales Toxin-Anti¬ 
toxingemisch ist noch imstande, beim Esel und besonders beim Affen 
eine lebhafte Fieberreaktion mit nachfolgender Antitoxinbildung hervor¬ 
zurufen. Erst bei einem Mischungsverhältnis von 80—100 (Antitoxin) 
auf 1 (Toxin) hört das Gemisch auf, für Affen giftig zu sein. Der Mensch 
ist gegenüber einem für Meerschweinchen neutralen Gemisch viel weniger 
empfindlich, am meisten noch im Alter von 4—15 Jahren. Diphtherie¬ 
bacillenträger sind besonders überempfindlich. Sie sind durch das neue 
Behring’sche Mittel dementsprechend leicht zu starker Antitoxinproduktion 
zu bringen. In der der Publikation beigegebenen Gebrauchsanweisung 
sind eine Anzahl von Fragen enthalten, deren gewissenhafte Beant¬ 
wortung zunächst nur von ausgewählten Instituten wird stattfinden 
können. Besonderen Wert legt v. Behring auf eine fortlaufende Prüfung 
des Antitoxingehaltes im Blute. Kontraindiziert ist die Impfung im 
Inkubationsstadium der Diphtherie und bei Herzschwäche. Durch die 
Schutzimpfung wird eine langdauernde Immunität erzeugt. Weiterhin 
gelingt es auf diese Weise, ein anthropogenes (homogenes) Diphtherie¬ 
antitoxin zur passiven Immunisierung zu gewinnen. Durch bedeutungs¬ 
volle Experimente ist v. Behring zu der Gewissheit gelangt, dass beim 
passiv immunisierten Menschen ein homogenes Antitoxin ebensolaDge 
im Organismus wirkt wie das durch aktive Immunisierung erworbene 
autogene Antitoxin. Der Antitoxinschwund, welcher beobachtet wird, 
hängt hauptsächlich zusammen mit einer Ausscheidung durch die 
Sekretionsorgane. Im normalen Stoffwechsel wird dabei immer ein relativ 
geringer Teil ausgeschieden; es kann aber durch interkurrentes Fieber 
(z. B. infolge Tuberkulin) die Anwendung verstärkt und beschleunigt 
werden. Wolfsohn. 

J. Mannaberg-Wieri: Ueber Versuche, die Basedow’sehe Kraak- 
heit mittels Röntgenbestrahlung der Ovarien zu beeinflussen. (Wiener 
klin. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) Die Beziehungen, welche zwischen 
dem weiblichen Geschlechtsorgane und der Schilddrüse bestehen, regten 
in dem Verf. den Gedanken an, die Basedow’sche Krankheit durch 
Röntgenbestrahlung der Ovarien anzugreifen. In fast allen Fällen übten 
die Bestrahlungen einen günstigen Erfolg aus. Am greifbarsten ist der 
Einfluss auf die Gewichtszunahme, die bei 8 von den 10 bestrahlten 
Fällen im Durchschnitt llpCt. betrug. Die Pulsfrequenz nahm zum 
Teil erheblich ab, auch auf die Diarrhöen und den Tremor wurde eine 


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26. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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günstige Wirkung erzielt. Dagegen blieb der Exophthalmus in der 
Hälfte der Fälle unverändert, ebenso war der Einfluss der Bestrahlungen 
auf den Halsumfang sehr gering. P. Hirsch. 

A. Merckens - Köln: Ein Fall schwerster Melaena neonatorum 
geheilt durch Injektion von defibriniertem Menschenblnt. (Münchener 
med. Wochenschr., 1918, Nr. 18.) Intramuskuläre Injektion von 12 ccm 
defibriniertem Menschenblut brachten Heilung. 

H. Hahn - Heidelberg: Erfolgreiche Behandlung von hämophilen 
Blutungen mittels des Thermokauters. (Münchener med. Wochenschr., 
1913, Nr. 18.) Bei zwei Blutern (P /2 Jahre und 2 1 /* Jahre alt), die 
jeder anderen Therapie getrotzt hatten, stand die Blutung prompt nach 
Kauterisieren der verletzten Stelle. Erklärung: Vielleicht entsteht 
durch Hitzewirkung eine Coagulation des Gefässinhaltes, vielleicht 
werden bei der Nekrose Stoffe frei, die die Blutgerinnung erleichtern. 

Dünner. 

E. Keuper'Berlin: Melnbrin als Antirheomaticnm und Anti- 
pjreticum. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) Gute Erfolge 
bei akutem Gelenkrheumatismus, ferner auch bei Chorea minor, Ischias, 
Pleuritis exsudativa u. a. Keine üblen Nebenwirkungen. 

H. Sowade - Halle a. S.: Klinische Erfahrungen mit Embarin. 
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 20.) Embarin wird als gut 
wirkendes Antilueticum empfohlen. In einem hohen Prozentsatz (24pCt.) 
der Fälle wurden allerdings mehr oder minder schwere Störungen des 
Allgemeinbefindens mit Temperaturerhöhung beobachtet. 9 Patienten 
boten sogar ein vorübergehend recht ernstes Krankbeitsbild dar, be¬ 
stehend in Schüttelfrost, Collaps, Schwindelgefühl und Erbrechen. In 
solchen Fällen ist natürlich unter allen Umständen das Embarin auszu¬ 
setzen. Einen grossen Vorteil erblickt S. darin, dass es mit Embarin 
möglich ist, eine energische Quecksilberkur in 3—4 Wochen durchzu¬ 
führen. Wolfsohn. 


Allgemeine Pathologie u. pathologische Anatomie. 

L. Jores-Cöln: Eine verbesserte Methode der Konservierung ana- 
tonischer Objekte. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) J. er¬ 
zeugt durch Zusatz von Chloralbydrat zur Salzformalinmischung Hämo- 
chromogen, das eine dem Hämoglobin ähnliche Farbe besitzt. Er benutzt 
folgende Lösung zur Härtung der Objekte: 5 Teile künstliches Karls¬ 
bader Salz, 5 Teile Formol, 5 Teile Chloralbydrat und 100 Teile Wasser. 

Dünner. 

B. Hiromoto: Statistik der angeborenen Missbildungen in Japan. 
(Archiv f. Orthopädie, Mechanotherapie u. Unfallheilk., 1913, Bd. 12, 
H. 3.) Die Statistik (4804 Fälle mit 464 Missbildungen) ergibt fast 
dieselben Resultate wie die Statistik Hoffa’s, so dass ein Unterschied 
gegenüber europäischen Verhältnissen nicht festzustellen ist 

M. Strauss. 

D. v. Hansemann: Ueber die Benennung der Geschwülste. (Zeit¬ 
schrift f. Krebsforschr., Bd. 13, H. 1.) Nach dem Beispiel der Zoologen 
und Botaniker will v. H. für die Geschwülste einen aus ihrer morpho¬ 
logischen Beschaffenheit abgeleiteten Grundnamen einfübren, der durch 
ein oder mehrere Adjektive vervollständigt wird, die über die Histo- 
genese, Malignität usw. Aufschluss geben sollen. Er will in diesem 
Sinne auf die Kommission für die Geschwulstnomenklatur wirken, die 
von der Brüsseler internationalen Krebskonferenz eingesetzt ist, und 
hofft, auf diesem Wege Einfachheit und Einheitlichkeit in die so ver¬ 
worrene Nomenklatur der Tumoren zu bringen. 

Bericht des dänischen Cancerkomitees über die Zählangen der 
Krebskranken auf Island und auf den Färbern. (Zeitschr. f. Krebs¬ 
forschung, Bd. 13, H. 1.) Statistisches über das Vorkommen der bös¬ 
artigen Geschwülste auf den genannten Inseln. 

E. Ludwig: Sarkom der Leber mit beiderseitiger diffuser Nieren- 
sarkomatose bei einem Hahn. (Zeitschr. f. Krebsforsch., Bd. 13, H. 1.) 
Der Fall, der zunächst an Tuberkulose erinnerte, hatte grosse Aebnlich- 
keit mit dem Rundzellensarkom mit Lungen- und Nierenmetastasen, die 
v. Werdt bei einem 11jährigen Knaben beobachtet hat. 

H. Simon: Ueber ein klinisch an Botryomykom erinnerndes Fibro- 
sarkom beim Esel. (Zeitschr. f. Krebsforsch., Bd. 13, H. 1.) Fibro- 
sarkom am Schlauch (Präputium) eines Esels und Vergleichung des Be- 
undes mit einem Botrymykom vom Samenstrangrest eines Wallachs. 

F. A. Rogg-Rostock: Careinom aod Careinoid der Appendix. 
(Zeitschr. f. Krebsforsch., Bd. 13, H. 1.) Fall von Appendixcarcinom 
mit ausführlicher Literaturangabe und -besprechung. 

F. Eichhorn-Rostock: Heterotopeg Chorionepitheliom in Gehirn 
nnd Langen. (Zeitschr. f. Krebsforsch., Bd. 13, H. 1.) In Gehirn und 
Lungen wurden Tumoren gefunden, die das Bild des Chorionepithelioms 
boten, während im Uterus (10 Wochen post partum) keine Spur einer 
Geschwulst nachzuweisen war. Verf. nimmt an, dass die Chorion- 
epithelien, die fötalen Ursprungs sind, als fremde Zellen in den mütter¬ 
lichen Organismus eingedrungen und in das Gehirn und die Lungen 
verschleppt worden sind, wo sie günstige Bedingungen für die Geschwulst¬ 
bildung fanden, während der Uterus der Mutter „für die Weiterentwick¬ 
lung der Zellen einen geeigneten Boden nicht darbot“. Er nimmt dabei 
eine Verschiedenheit der Disposition zur Geschwulstbildung bei den ver¬ 
schiedenen Organen der Mutter an. A. W. Pinn er. 


Laache - Christiania: Ueber einige meta8tatische Hauttnmoren. 
Kasuistische Mitteilung. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 77, H. 3 u. 4.) Es 
werden eine Reihe seltener Fälle metastatischer Hauttumoren beschrieben 
und abgebildct, nämlich: 1. Multiple Hautmetastasen, generalisierte 
Pigmentsarkomatose mit Ausgangspunkt von einem Tumor der Parotis- 
gegend. 2. Hirnleiden, primärer Hauttumor, metastatische Hautge¬ 
schwülste, Sarkom. 3. Multiple Hautsarkome, primäres Sarkom der 
Wirbelsäule. 4. Vorübergehende Hämaturie, Nieren- und Nebennieren¬ 
krebs, multiple Hautmetastasen. 5. Geschwülste der Haut, nach einem 
operierten Mammakrebs. 6. Metastatischer Nabelkrebs nach Carcinoma 
ventriculi. 7. Zerstreute Hautcarcinome, als Primärherd Darmkrebs. 

H. Hirschfeld. 

G. Gr über-München: Beitrag zur Frage nach den Beziehungen 
zwischen Krebs und peptischem Geschwür im oberen Digestionstrakt. 
(Zeitschr. f. Krebsforsch., Bd. 13, H. 1.) Unter Benutzung einer grossen 
Zahl von Fällen erörtert Verf. die vielfach behandelte Frage und kommt 
zu dem Schlüsse, dass einmal der Krebs sich aus dem Ulcus pepticum, 
andererseits peptische Geschwüre sich sekundär auf dem Boden des 
Krebses entwickeln können. Die Entscheidung über die Frage der 
Priorität ist nicht in allen Fällen zu sichern, da man nicht immer 
zwischen krebsigem Zerfall und peptischer Geschwürsbildung unter¬ 
scheiden kann, und in manchen Fällen die krehsige Infiltration die ur¬ 
sprüngliche peptische Ulceration verdeckt. A. W. Pinner. 

Lee de-Hamburg-Eppendorf: Beiträge zur Diphtherie) mit besonderer 
Berücksichtigung der pathologisch-anatomischen Organ- und bakterio¬ 
logischen Leichenblutbefunde in ihrem Verhalten zum klinischen Bilde. 
(Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 77, H. 3 u. 4.) Resümee des Autors: Bei 
der Diphtherie weist das Alter zwischen 5 und 15 Jahren die meisten 
Erkrankungen auf, das weibliche Geschlecht ist stärker vertreten, beim 
männlichen kommt es häufiger zu Tracheotomien. Herzstörungen zeigten 
10,18 pCt. aller Aufnahmen, dieselben traten schon in den ersten Er¬ 
krankungstagen auf. Ihre Häufigkeit nimmt mit dem Alter ab, steigt 
aber jenseits des 25. Lebensjahres wieder an. Das weibliche Geschlecht 
war bei den Kreislaufstörungen nicht so stark beteiligt als das männ¬ 
liche, nach dem 15. Lebensjahre war seine Beteiligung aber stärker. 
Die Mortalität ist am höchsten bis zum 5. und jenseits des 50. Lebens¬ 
jahres, und es überwiegt bei den Verstorbenen das männliche Geschlecht. 
Der Tod erfolgt in 54—56pCt. in der ersten Erkrankungswoche, und 
von diesen kommen 37,10 pCt. schon innerhalb der ersten 24 Stunden 
des Spitalaufenthaltes zum Tode. Todesursachen bei Diphtherie sind: 
Toxinüberschwemmung und ihre Wirkungen auf das Vasomotorencentrum 
am Herzen und an den Nebennieren, Herzmuskelveränderungen, Ver¬ 
änderungen am Reizleitungscentrum und bronchopneumonische Verände¬ 
rungen. 65,13 pCt. der Verstorbenen zeigen infiziertes Leichenblut. 

H. Hirschfeld. 

Siehe auch Röntgenologie: E. Fraenkel, Syphilis platter 
Knochen. Alexander, Syphilis der fötalen Wirbelsäule. 


Parasitenkunde und Serologie. 

Riemer - Rostock: Beeinflussung der Agglatinierbarkeit von 
Typhasbacillen durch den Alkaligehalt des Nährbodens. (Münchener 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 17.) Von 10 Typhusbacillenstämmen 
zeigten 9 auf stärker alkalischem Nähragar (2—4 ccm */, n Na 2 C0 3 über 
dem Phenolphtbaleinneutralpunkt auf 100 ccm Nährboden) eine deutliche 
Verminderung ihrer Agglutinabilität. Diese Agglutinationsverminderung 
lässt sich durch Weiterzüchten auf stark alkalischem Nähragar nicht 
verstärken, sondern wird bei einzelnen Stämmen wieder ausgeglichen. 
Die Ueberimpfung der Typhusbacillen von alkalischem auf gewöhnlichen 
Agar stellt meist schon in der ersten Generation die frühere Aggluti- 
nationsfähigkeit wieder her. Paratyphusbacillen A verhalten sich auf 
alkalischem Agar wie Typhusbacillen, während Paratyphus B nicht be¬ 
einflusst wird. Dünner. 

A. Schubergund W. Böing-Berlin: Ueber den Weg der Infektion 
bei Trypanosomen- and Spirocbätenerkranknngen. (Deutsche med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 19.) Vortrag, gehalten auf der 7. Tagung der 
Freien Vereinigung für Mikrobiologie zu Berlin am 2. April 1913. 

Wolfsohn. 

F. Rosenthal-Breslau: Experimentelle Untersuchungen über das 
Wesen und die Genese des Recidivs. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 77, 
H. 3 u. 4.) Ausgehend von Feststellungen Ehrlich’s, dass Normal¬ 
trypanosomen, im Reagenzglase mit Immunserum digeriert, sich unter 
gewissen quantitativen Bedingungen zum Recidivstamm umwandeln, hat 
Verf. in interessanten Versuchsreihen mit Trypanosomen die Ursachen 
des Frübrecidivs aufzuklären versucht. Er kommt zu dem Resultat, dass 
die Ursache des Frührecidivs nicht in einem Aufhören der Immunität 
des Wirtsorganismus, sondern in der gerade unter dem Einfluss dieser 
Immunität sich vollziehenden biologischen Wesensänderung des Parasiten 
zu Individuen mit neuen Artcharakteren zu suchen ist. 

H. Hirschfeld. 

L. Quadflieg-Gelsenkirchen: Beitrag zur Modifikation der Wasser- 
mann-Neisser-Brack’scben Reaktion nach M. Stern. (Deutsche med. 
Wochenschr , 1913, Nr. 18.) Die Stern’sche Modifikation der Wasser- 
mann’schen Reaktion mit aktivem Serum gibt etwas feinere Ausschläge 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 21. 


als die Wassermann’sche Reaktion. Da9 Serum muss jedoch ganz frisch 
sein, und darin liegt eine gewisse Schwierigkeit. Um Irrtümern vor¬ 
zubeugen, sollte die Stern’sche Modifikation nur neben der Original¬ 
methode verwendet werden. Wolfsohn. 

J. Ha Ipern-Heidelberg: Serodiagnostik der Geschwülste mittels 
Komplementablenkungsreaktion. (Müochener med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 17.) Die Resultate zeigen, dass die v. Dungern’sche Tumorreaktion 
zwar nicht mit absoluter Sicherheit die Frage entscheiden lässt, ob ein 
maligner Tumor vorliegt, aber geeignet ist, unsere Diagoostik der ma¬ 
lignen Tumoren unter entsprechender Würdigung der klinischen Sym¬ 
ptome wesentlich zu unterstützen. 

H. Froesch-Zürich: Komplementbindaugsreaktion bei ange¬ 
borenem Schwachsinn und anderen degenerativen Zuständen des 
Centralnervensystems. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 17.) 
Mit Hilfe eines künstlichen Lipoidgemisches (Gholesterin-Lecitbin-Natrium 
oleinici in bestimmtem Verhältnis) ist bei angeborenen Schwachsinns¬ 
formen, sowie bei anderen organischen Krankheiten des Centralnerven¬ 
systems Komplementbindung zu erzielen. Ein grosser Teil dieser Fälle 
zeigte auch bei der Wassermann’schen Reaktion schwache Hemmung der 
Hämolyse, die nicht als durch Lues bedingt angesehen werden konnte. 
Das gleiche Lipoidgemisch gab auch mit der Mehrzahl der Luesseren 
Komplementbindung, mit anderen Seren nur ausnahmsweise. Die Reak¬ 
tion ist also für gewisse Erkrankungen des Centralnervensystems charak¬ 
teristisch, wenn auch nicht streng spezifisch. Dünner. 

R. Ekler-Wien: Erfahrungen mit der biologischen Diagnose der 
Schwangerschaft nach Abderhalden. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, 
Nr. 18.) Nach einem am 25. April 1913 in der k. k. Gesellschaft der 
Aerzte in Wien gehaltenen Vortrag. Referat siehe den Sitzungsbericht. 

G. Izar-Catania: Ueber Antigene für die Meiostagminreaktion. 
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) I. hat das Verhalten einer 
Reihe von Fettsäuren gegenüber Tumorseris studiert. Unter diesen 
zeigten die Leinöl- und die Ricinusölsäure in bezug auf die Oberflächen¬ 
spannung gegenüber menschlichen Tumorseris ein den Tumor- und 
Pankreasextrakten ähnliches Verhalten. P. Hirsch. 


Innere Medizin. 

0. Cohnheim und 0. H. Weber: Die Blntbildnng im Hochgebirge. 
(Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110, H. 3 u. 4.) Untersuchungen 
an Arbeitern der Jungfraubahn, die sich durch lange Zeit in wirklich 
grossen Höhen aufhalten. Es zeigten sich immer höhere Werte an 
Erythrocyten und Hämoglobin als die Durchschnittszahlen sonst. Wir 
haben eine wirkliche Neubildung von Blutkörperchen anzunehmen. 

F. Laquer-Col d’Olen: Höhenklimannd Blotnenbildnng. (Deutsches 
Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110, H. 3 u. 4.) Die Zunahme der roten 
Blutkörperchen und des Hämoglobins im Höhenklima (hier 2900 m) ent¬ 
spricht einer tatsächlichen Blutneubildung. Das Höhenklima übt einen 
spezifischen Reiz auf die Blutneubildung aus, als dessen ursächliche 
Komponente trotz aller Bedenken der verminderte Partialdruck des 
Sauerstoffs anzusehen ist. W. Zinn. 

K. Weihrauch - Edmundsthal-Siemerswalde: Resistenzbestimmnng 
der Erythrocyten bei Tnberknlose. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 18.) Im Gegensatz zu Liebermann und Fillinger fand W. nur 
in 2,9 pCt. aller Tuberkulosen eine Resistenzverminderung der Erythro¬ 
cyten, nach Vermeidung der von Schaeffer angegebenen Fehlerquellen. 
Ein prognostischer Wert kommt dieser Reaktion ebenfalls nicht zu, da 
sie bei schweren Fällen des dritten Stadiums fast stets fehlt. Nach 
einer Tuberkulininjektion verschwand die vorher bestehende Verminderung 
der Resistenz. Wolfsohn. 

*'■ 0. Müller und K. Vöchting- Tübingen: Zur Frage des Herz- 

sehlagvolnmens. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110, H. 3 
u. 4.) Das nach 0. Frank geschriebene optische Sphygmogramra der 
Subclavia oder Carotis des Menschen ist zur relativen Bemessung ein¬ 
tretender Aenderungen des Herzschlagvolumens zu empfehlen. 

Th. Christen - Bern: Neue Experimente zur dynamisches Pnls- 
diagnostik. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110, H. 3 u. 4.) 
Auseinandersetzung mit den Arbeiten Sabli’s. Beschreibung von Ex¬ 
perimenten zum Beweise der Unanfechtbarkeit des Energometerprinzips 
und der quantitativen Bestimmung des Elastizitätsfehlers beim Sphygmo- 
bolometer. 

0. Thorspecken: Beitrag zum Ausbau der intravenösen Stro- 
phanthinther&pie. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110, H. 3 u. 4.) 
Strophanthin intravenös ist bei chronischer Herzinsuffizienz angezeigt, 
wenn die galenischen Präparate schlecht oder nicht mehr vertragen 
werden, ferner bei Komplikationen der Kompensationsstörungen mit 
Magendarraleiden, zur Vermeidung dyspeptischer Nebenwirkungen, be¬ 
sonders aber bei Stauungszuständen von hepatischem Typus — einerlei, 
welcher Natur das Herzleiden ist — und bei Anfällen von cardialem 
Asthma und Lungenödem Scbrumpfnierenkranker: gewöhnliche Dosis 
0,5 mg, Wiederholung nach 24 Stunden, in 4 Tagen eventuell 3 bis 
4 Injektionen: nach 1 mg Anfangsdosis erst 36 Stunden bis zur Wieder¬ 
holung warten. Die Behandlung ist auch als sogenannte Serienbehand¬ 
lung monate- und jahrelang mit Erfolg durchführbar. Die Erfahrungen 
sind mit sehr guten klinischen Krankengeschichten begründet. 


N. Th. Golubow - Moskau: Scptikämie als häufiger Gast in der 
Familie der übrigen Infektionskrankheiten. (Centraibl. f. innere Med., 
1913, Nr. 9.) Anführung von Krankengeschichten einiger bemerkens¬ 
werter Fälle von Septikämie. Verf. meint, dass die nichtcbirurgische 
Sepsis häufig vorkommt oder zu selten diagnostiziert werde. Genauere 
Untersuchungen nach dieser Richtung könnten vielleicht zur Aufklärung 
der Aetiologie unklarer Krankheitszustände, wie der HodgkiD’scben Krank¬ 
heit (cf. die Untersuchungen von Fraenkel und Much! Ref.), Peliosis 
rheumatic., Dermatomyositis usw., beitragen. C. Kays er. 

F. Marchand Heidelberg: Ueber ungewöhnlich starke Lynphoeytose 
im Anschluss an Infektionen. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, 
Bd. 110, H. 3 u. 4.) Unter dem Einfluss verschiedener bekannter In¬ 
fektionserreger (Kokken, Pneumonie, Tuberkulose) entwickeln sich gelegent¬ 
lich Störungen an den Bildungsstätten der Blutzellen, welche zu Lympho- 
cytose, Drüsenschwellungen, Milzschwellung und häufig zu einer erheblichen 
Verminderung der polymorphkernigen Zellen führen. Die aus praktischen 
Gründen so wichtige Differentialdiagnose dieser Zustände gegenüber der 
lymphatischen Leukämie und Pseudoleukämie ist besonders hervor¬ 
zuheben. Der Verlauf dieser Fälle ist oft langwierig, scheint aber mit 
dem Abklingen der Infektion wieder zu einer Herstellung der normalen 
Morphologie des Blutes zu führen. Es handelt sich offenbar um eine 
infektiöse Reizwirkung auf die lymphatischen Apparate und Schädigung 
der Leukocytenbildungsstätten im Knochenmark. Aehnlich ist e9 z. B. 
beim Typhus. W. Zinn. 

F. Gudzent-Berlin: Ueber Veränderungen des Blutbildes beim 
chronischen Gelenkrheamatismiis. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 19.) Beim chronischen Gelenkrheumatismus findet sich in der über¬ 
wiegenden Mehrzahl der Fälle eine relative und absolute Vermehrung 
der Lymphocyten, wie G. an 100 Fällen nachweisen konnte. 

Wolfsohn. 

J. van Breemen: Französischer und deutscher Rheumatismus und 
seine Behandlung. (Zeitschr. f. physikal. u. diätet. Therapie, Mai 1913.) 
Verf. bespricht seine Erfahrungen mit chronischem Rheumatismus an 
der Hand von 900 Fällen, die er in den letzten 7 Jahren beobachten 
konnte. Ueber 75 pCt. gehören davon der wohlhabenden Klasse an. In 
einzelnen Gruppen stellt er Fälle zusammen, die gewisse charakteristische 
Differenzen aufweisen; in einigen war der gutartige Verlauf und der 
Erfolg richtig angewandter Therapie bemerkenswert, in anderen wechselten 
im Laufe der Jahre Gelenkleiden, Muskel-, Fascia- und Sehnenscheiden¬ 
rheuma mit Neuralgien ab, in wieder anderen zeigte sich ein starkes 
familiäres Vorkommen und hereditärer Einfluss usw. E. Tobias. 

E. Hesse: Die Beziehungen zwischen Kropfendemie und Radio¬ 
aktivität. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110, H. 8 u. 4.) Das 
Radium ist offenbar nicht imstande, in den verschiedenen Formen, in 
denen es auf den menschlichen Organismus einwirken kann, Kropf zu 
erzeugen. Pie von radioaktiven Gesteinen ausgehende Strahlung und 
die in die Luft übertretende Emanation sind zu gering, als dass sie 
einen Einfluss auf den Organismus ausüben könnten. Die im Trink¬ 
wasser enthaltene Emanation kann nicht als Kropfursache angesehen 
werden, denn es besteht keine Gesetzmässigkeit in der Verbreitung des 
Kropfes und dem Vorkommen von aktiven Wässern. Auch die Möglich¬ 
keit, dass das Radium bei der Kropfgenese eine untergeordnete, be¬ 
günstigende Rolle spiele, darf abgelehnt werden. Die Forschungen von 
H. erstrecken sich auf das Königreich Sachsen. W. Zinn. 

Gudzent, E. Stein und Beyser: Beitrag zur Heilwirkung der 
radioaktiven heissen Quellen von Teplitz-Schönau. (Zeitschr. f. 
Balneol., Bd. 6, H. 2.) Die Verff. haben die Einwirkung der radio¬ 
aktiven heissen Quellen von Teplitz-Schönau vor und nach der Behand¬ 
lung klinisch an einer Reihe von Patienten nachgeprüft und die 
empirisch bisher gefundenen Erfolge klinisch bestätigen können. 

C. Hiss: Hypertension und ihre Behandlung mit Hoehfrequenz- 
strömen. (Zeitschr. f. physikal. u. diätet. Therapie, Mai 1913.) Die 
Hochfrequenzströme verursachen in allen Fällen zuerst einen verminderten 
peripheren Widerstand, dem eine vergrösserte Arbeitsfähigkeit des 
Herzens folgt. Bei normaler cardio-vasculärer Stabilität tritt keine 
Veränderung im Blutdruck oder Puls ein. Bei niedrigem Blutdruck als 
Folge der verminderten Herzkraft wird der Blutdruck erhöht; ist er zu 
hoch, so wird der Puls besser und der Blutdruck niedriger. Der Puls 
kann nach der Behandlung regelmässig werden. ' E. Tobias. 

H. Rotky - Prag: Ueber träumati sehe Myositis. (Centraibl. f. 
innere Med., 1913, Nr. 10.) Beschreibung eines Falles sogenannter 
traumatischer Myositis, bei der eine übermässige Inanspruchnahme der 
Muskelfunktion das eigentliche Trauma vorsteilt. Diese Fälle sind streng 
von denen primärer, infektiöser Polymyositis zu trennen. Beiden Formen 
gemeinsam ist nur der entzündliche Prozess im Muskel, der aber in 
ätiologischer und wohl auch in anatomischer Beziehung verschieden zu 
deuten ist. Bemerkenswert ist weiterhin die bei beiden Formen von 
Myositis feststellbare relative Lymphocytose. C. Kays er. 

Hofbauer: Zur Frage des künstlichen Pneumothorax. (Zeitschr. 
f. physikal. u. diätet. Therapie, Mai 1913.) Der künstliche Pneumo¬ 
thorax bewirkt durch Ausschaltung der respiratorischen Lungentätigkeit 
eine Lahmlegung der Lymphbewegung und Toxinausschwemmung da¬ 
selbst. Daraus erklären sich die nach Auflassen des Pneumothorax 
wieder erscheinenden Fieber, Schweisse, Abmagerung und Appetitverlust. 
Die Operation schädigt schwer die Circulation durch wesentliche Herab¬ 
setzung der vitalen Retraktionskraft. Entsprechende Modifikationen der 


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26. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Atmung ersetzen den Pneumothorax, dessen Indikationen dementsprechend 
herabgesetzt werden müssen. Vorerst ist die Bekämpfung der All¬ 
gemeinerscheinungen durch funktionelle Ruhigstellung, die der lokalen 
Lungenerkrankung durch allmählich gesteigerte Heranziehung des Herdes 
zur Atmung unter steter Kontrolle durch Thermometer und Wage zu 
empfehlen. E. Tobias. 

N. Voorhove - Amsterdam: Zur Lehre des Kalkstoffweehsels. 
(Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110, H. 3 u. 4.) Untersuchungen 
über Tuberkulose und Kalkstoffwechsel ergaben, dass sich bei den Tuber¬ 
kulosen ein grösseres Kalkbedürfnis, d. h. eine Neigung zur Decalci- 
fikation, zeigt. W. Zinn. 

Rover - Bremen: Ueber Atmung des gesunden nnd slurevergiftetei 
Mensehen. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 77, H. 3 u. 4.) Verf. hat die 
hämodynamischen Verhältnisse beim gesunden und säurevergifteten 
Menschen untersucht und berichtet über einen Teil seiner Resultate. 
Die Kohlensäure reguliert die Sauerstoffaufnahme und -abgabe bei jeder 
Form der Atmung. Der Sauerstoffaustausch ist abhäogig von dem der 
Kohlensäure. Bei willkürlich forcierter Atmung entsteht durch Aus¬ 
schwemmen der Kohlensäure eine innere Dyspnoe, bei körperlicher Arbeit 
ist der Sauerstoffaustausoh prozentual und absolut vergrössert, prozentual 
desgleichen bei der Verdauung und der Atmung sauerstoffarmer Luft. 
Bei der Kohlensäurevergiftung wird die Oxydation im Körper erschwert 
und schliesslich ganz verhindert. Bei dem Diabetes mellitus entsteht 
durch den niedrigen Kohlensäurespiegel im Blute eine innere Dyspnoe, 
das Coma ist eine innere Erstickung. Auch bei der Gicht ist ein ver¬ 
minderter Austausch der Blutgase wegen Harnsäurevergiftung wahr¬ 
scheinlich. H. Hirschfeld. 

P. Hampeln-Riga: Ueber Lnngenblutiing bei perforierten Aorten¬ 
aneurysmen. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) Der im 
Verlauf von Aortenaneurysmen auftretende Blutauswurf kann völlig un¬ 
abhängig von der Grundkrankheit auftreten. Mitunter liegt jedoch eine 
mit dem Aneurysma zusammenhängende Lungenerkrankung vor (Infarkt, 
Pneumonie usw.). Schliesslich kann auch eine direkte Abhängigkeit 
vorhanden sein, sei es, dass es sieb um Perforation der Arteria pulmo- 
nalis handelt, sei es, dass die Perforation in die Luftwege bzw. die 
Lunge selbst erfolgt. Im letzteren Falle kann die Blutung rasch und 
tödlich oder in mehreren subakuten Schüben verlaufen. 

M. Bönniger - Pankow: Magenfonktion nnd Psyche. (Deutsche 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 19.) 

Reckzeh: Zur Frage der Entstebungsursache der Hämorrhoidal¬ 
knoten. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 19.) In einem Falle 
entstand ein Knoten durch Druck des eingeführten Uteruspessars. 

Wolfsohn. 

E. Lind ström - Gefvle (Schweden): Zur Kasuistik der Arsenik- 
Yergiftnng. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) Verf. beobachtete 
an sich selbst und an seinem Sohne eine Arseuikintoxikation, die durch 
den Arsengehalt der Wandfarben hervorgerufen war. Während sich bei 
dem Jungen die Vergiftung durch eine hartnäckige Conjunctivitis ausserte, 
traten bei L. selbst die Symptome einer schweren Neuralgie auf, die 
sich hauptsächlich im rechten Arm lokalisierte. Dass gerade der Arm 
der Sitz der Intoxikationssymptome wurde, erklärt Verf. durch die Theorie 
des Locus minoris resistentiae, da er sich lange Jahre mit Massage be¬ 
schäftigt habe und auf diese Weise den Arm besonders stark angestrengt 
habe. P. Hirsch. 

E. Herzfeld und J. Bauer-Zürich: Quantitative Bestimmungs¬ 
methode geringer IndolmeDgen. (Centralbl. f. innere Med., 1913, Nr. 11.) 
Die empfindlichste Indolreaktion ist die von Ehrlich beschriebene 
p-Dimethylaminobenzaldebydreaktion, die sich besonders für spektro- 
photometrische Bestimmungen eignet. Zur Isolierung aus festen und 
flüssigen Substanzen ist besonders die Destillationsmethode mit Wasser- 
dämplen und Ausschütteln des Destillates mit Xylol zu empfehlen. So 
gelang es aus relativ kleinen Mengen von Blut, Harn und Stuhl das 
Vorhandensein indolhaltiger Körper nachzuweisen. Technische Einzel¬ 
heiten siehe Original. C. Kays er. 

Forschbach - Breslau: Zur Frage des Konzentriervermögens der 
Niere beim Diabetes insipidus. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 77, H. 3 
u. 4.) Während Tallquist, E. Meyer u. a. enge Beziehungen zwischen 
Wasser- und Salzausscheidung beim Diabetes insipidus annehmen, hat 
Forschbach das Wesen der Krankheit nur in einer Mehrausscheidung 
von Wasser gesehen. In Erwiderung von Einwänden E. Meyer’s bringt 
er jetzt neue Versuche, aus denen hervorgeht, dass die Niere des Dia¬ 
betes insipidus-Kranken die Fähigkeit hat, auch über die Gefrierpunkt¬ 
erniedrigung des Blutes hinaus zu konzentrieren und in bezog auf die 
Elimination der festen Substanzen in Relation zu der Wasserflut das 
gleiche leistet, wie die normale Niere. Der Diabetes insipidus ist also 
eine Krankheit, bei der die Niere unter einem pathologischen Reizzu¬ 
stande abnorm grosse Wassermengen absondert. H. Hirschfeld. 

J. Löwy-Prag: Zur Kenntnis des Morbus Addisonii. (Deutsches 
Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110, H. 3 u. 4.) Der mitgeteilte Fall 
lehrt u. a.: Der Schwund der Nebennierenrinde führt bei Erhaltensein 
des chromaffinen Systems unter den klinischen Symptomen des Morbus 
Addisonii zum Tode. Die Ursache des Morbus Addisonii ist nicht 
immer eine Erkrankung des chromaffinen Systems.» W. Zinn. 

Goldscheider: Bewegungsbehandiung bei inneren Krankheiten. 
(Zeitschr. f. physikal. und diätet. Therapie, Mai 1913.) G. bespricht die 
Bedeutung der Bewegungsbehandlung bei den verschiedenen inneren 


Erkrankungen. So sollte man keinen an Herzinsuffizienz behandelten 
Patienten aus dem Bett aufstehen lassen, ehe nicht eine Zeitlang erst 
passive Bewegungen und Atmungsgymnastik, später aktive Bewegungen 
ausgeführt worden sind. Die Bewegungsübungen haben erst einzusetzen, 
nachdem die pharmakologischen Herzmittel völlig oder nahezu ausgesetzt 
sind. Auch bei Arteriosklerose ist die Bewegung in richtigen Bahnen 
von Bedeutung. Ueber die Bedeutung der Atemgymnastik in der 
Lungenpathologie sind die Autoren sich einig, während bei Magendarm¬ 
kranken die Gymnastik noch keine erhebliche Rolle spielt. Von grosser 
Bedeutung aber ist sie beim Gelenkrheumatismus, bei Stoffwechsel¬ 
krankheiten und vor allem bei Nervenkrankheiten. E. Tobias. 

A. Schnöe - Frankfurt a. M.: Neue Anwendungen des elektrischen 
Vierzellenbades. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 20.) Vortrag, 
gehalten auf dem V. internationalen Kongress für Physiotherapie in 
Berlin. 

P. Krause-Bonn: Ueber Vorkommen von Varicellen bei Er¬ 
wachsenen. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 19.) Vortrag, ge¬ 
halten in der Niederrheinischen Gesellschaft für Medizin und Natur¬ 
wissenschaften, medizinische Sektion, am 10. Februar 1913. 

Wolfsohn. 

E. Sehrwald-Strassburg i. E.: Erysipel nnd Tätowierung. (Mün¬ 
chener med. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) S. erwähnt einen einzigen Fall 
von Erysipelas migrans, das bei seinem Fortschreiten sich auf einem 
tätowierten Fleck am Arm ansiedelte und zunächst nur die rot täto¬ 
wierte Haut ergriff und dann erst auf die blaue überging. Daran 
schliesst S. Betrachtungen, die nicht ganz einleuchtend sind. 

Dünner. 

Siehe auch Psychiatrie und Nervenkrankheiten: Kliene- 
berger, Encephalomyelitis nach Pocken. — Röntgenologie: Reuss 
und Schmidt, Knochenatrophie nach Gelenkrheumatismus. Strauss, 
Duodenalulcus. Faulhaber, Ulcus pylori. — Geburtshilfe und 
Gynäkologie: Benthin, Kohlehydratstoffwechsel in der Gravidität 
und Eklampsie. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Gregor und Schilder: Ueber reflektorische Hegenspannung beim 
Normalen. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 8.) Die Gegenspannung des 
Normalen ist nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ von der des 
Spastikers verschieden. 

G. Grund: Ueber die chemische Zusammensetzung atrophischer 
Muskeln. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 8 ) Grund untersuchte das 
Verhalten des Stiokstoffs und Phosphors beim entarteten Muskel. Be¬ 
sonders bemerkenswert war das erhebliche Anwachsen des an Eiweiss 
gebundenen Phosphors. Dieser Befund ist spezifisch bei der Entartung 
und fehlt z. B. beim Hunger vollkommen. G. untersuchte weiter, ob 
die gefundenen chemischen Veränderungen nur bei der mit EaR ver¬ 
bundenen Atrophie des Muskels Vorkommen oder auch bei solchen 
Muskelatrophien, deren klinisches Cbarakteristicum das Fehlen der EaR 
ist. Als Vergleichsobjekt untersuchte er einen durch Inaktivität atro¬ 
phischen Muskel. Die Untersuchungen ergaben eine Uebereinstimmung: 
der durch Inaktivität atrophische Muskel verhielt sich wie der, dessen 
Nerv durchschnitten war. Die Einstellung der Funktion ist die Ursache 
der chemischen Veränderung des atrophischen Muskels, genau wie sie 
es auch in bezug auf die anatomischen Veränderungen ist. 

E. Tobias. 

Grund - Halle a. S.: Atrophische Myotonie. (Münchener med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 16 u. 17.) Dünner. 

A. H. Hübner-Bonn: Pathologie und Therapie der Degeneration. 
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 20.) Klinischer Vortrag. 

Wolfsohn. 

G. Peritz-Berlin: Die Spasmophilie der Erwachsenen. (Zeitschr. 
f. klin. Med., Bd. 77, H. 3 u. 4.) Verf. hat gefunden, dass es bei Er¬ 
wachsenen eine Konstitutionsanomalie gibt, die durch anodische elek¬ 
trische Uebererregbarkeit, das Chvostek’sche Symptom, durch eine 
mechanische Muskelübererregbarkeit, Hypertonie der Arterien, das 
Aschner’scbe Symptom (Aenderung der Pulsform durch Druck auf den 
Bulbus) und endlich durch eine Verschiebung des Blutbildes — Ver¬ 
mehrung der pathologischen Monocyten — charakterisiert ist. Diese 
spasmophile Konstitution gibt die Grundlage für sehr verschiedene Erkran¬ 
kungen ab, wie Epilepsie, Tic, myalgische Erkrankungen, vasomotorische 
Neurosen, manche Fälle von Vagotonie, von Migräne, von Asthma bron¬ 
chiale und Angstneurosen, deren gemeinsame Eigenschaft die Ueber¬ 
erregbarkeit des neuromuskulären Systems ist. H. Hirschfeld. 

F. Stern-Kiel: Beiträge zur Klinik hysterischer Sitnations- 
p8ychosen. (Archiv f. Psych., Bd. 50, H. 3.) Nach kurzem Literatur¬ 
überblick Schilderung von 31 Fällen unter Würdigung genetischer und 
differentialdiagnostischer Momente. In der Hauptsache befasst sich die 
vorliegende Arbeit mit den Stuporzuständen und ihrer Abgrenzung gegen 
die Katatonie und die Simulation. Die hysterischen Situationspsychosen 
sind namentlich unter den Erkrankungen der Untersuchungshaft sehr 
häufig, es muss an sie gedacht werden, auch wenn das Symptomenbild 
völlig dem einer katatonen oder epileptischen Psychose gleicht, selbst 
wenn Krampfanfälle epileptischen Charakters vorausgegangen sind. Die 
Situationspsychosen erwachsen meist, wenn auch nicht stets, atrf dem 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 21. 


Boden ausgesprochener psychopathischer Konstitution, deren Züge mit¬ 
unter nach der psychotischen Erkrankung deutlich hervortreten. Hyste¬ 
rische Antecedentien können völlig fehlen, auch während der Psychose 
können nur in seltenen Fällen gehäufte und charakteristische körperliche 
Stigmata neben den psychischen Symptomen die Differentialdiagnose 
gegenüber der Katatonie erleichtern. Sensibilitätsstörungen fehlen aller¬ 
dings nur in den leichtesten Graden, sie haben aber im allgemeinen 
nichts für die Hysterie Charakteristisches. In der Genese spielt neben 
der Wirkung stürmischer Affekte der Krankheitswunsoh oft eine erheb¬ 
liche Rolle, ohne dass hierbei dieser KrankheitswiIle immer auf klar 
durchdachten Gedankengängen erwächst. Symptomatologisch überwiegen 
die akut verlaufenden Stupor- und Verwirrtheitszustände; bei mehr 
chronischem Verlauf pflegt meist ein mehrfacher Wechsel des Zustands¬ 
bildes einzutreten. Eine gewisse Proportionalität zwischen Schwere der 
psychopathischen Veranlagung einerseits, Dauer der Erkrankung, Inten¬ 
sität und Recidiven andererseits ist unverkennbar. Sämtliche beob¬ 
achteten nicht belasteten Fälle erkrankten an nur kurzdauernden leichten 
Psychosen und erlitten keine Recidive, ausserdem Hessen sich hier stets 
ausser den gewöhnlichen Ursachen (Verhaftung und ihre Folgen) be¬ 
sondere exogene Schädigungen (Gemütsshock, Alkoholexzess) nachweisen. 
Die Gewohnheitsverbrecher verhalten sich wie schwere Psychopathen. 
Fast alle einigermaassen intensiven Störungen heilen mit Hinterlassung 
einer Amnesie ab, im übrigen ist die Prognose eine exquisit günstige. 
Gegenüber der Katatonie ist differentialdiagnostisch auf den akuten 
Beginn, die Beeinflussbarkeit ganzer Krankheitspbasen durch äussere 
Umstände, theatralische und affektierte Färbung des Zustandsbildes, 
das Fehlen von Störungen des Allgemeinbefindens, bezüglich des Stupors 
auch auf das Erhaltenbleiben des Sinnes für Bequemlichkeit, den 
charakteristischen stupiden oder kummervollen Gesichtsausdruck, viel¬ 
leicht auch auf das Festhalten an bestimmten Vorstellungen der Er¬ 
innerung Gewicht zu legen. Reine Simulation ist auch bei dem Auf¬ 
treten vortäuschungsverdächtiger Symptome unwahrscheinlich; nicht 
selten ist dagegen Kombination von echten psychischen und simulierten 
Störungen. Bemerkenswert ist endlich, wie gut im allgemeinen nach 
Beendigung der Psychose die Strafhaft vertragen wird (bis 4 1 /* Jahre 
Zuchthaus). 

P. Kirchberg - Frankfurt a. M.: Zur Frage der Häufigkeit der 
Wassermanureaktion in Liquor cerebrospinalis bei Paralyse. (Archiv 
f. Psych., Bd. 50, H. B.) Unter 100 untersuchten Fällen boten 78 pCt. 
eine positive Reaktion in Liquor, 93pCt. eine positive Blutreaktion. 
Von den 22 Fällen mit negativem Wassermann im Liquor sind 50 pCt. 
Taboparalytiker. Insgesamt bietet die Taboparalyse in rund 46pCt. 
einen negativen Wassermann im Liquor, so dass also diesem Befund 
eine differentialdiagnostische Wichtigkeit zwischen Tabes und Paralyse 
nicht zukommt. Das von Nonne u. a. hervorgehobene negative Ver¬ 
halten der Reaktionen bei hereditären metasyphilitischen Erkrankungen 
konnte nicht bestätigt werden. In zwei Fällen von Paralyse bestand 
eine negative Blut- und positive Liquorreaktion. Selbst mit der Aus¬ 
wertungsmethode ergaben zwei Fälle eine negative Reaktion bei Paralyse. 

0. Klieneberger- Königsberg i. Pr.: Eucephalomyelitis nach 
Pocken (zugleich ein Beitrag zu den Erkrankungen der Drüsen mit 
innerer Sekretion). (Archiv f. Psych., Bd. 50, H. 8.) Eine von Haus 
minderwertige (Asymmetrie des Gesichts, Degenerationszeichen) weibliche 
Person erkrankte im Anschluss an Pocken an einer plötzlich einsetzen¬ 
den motorischen Aphasie und Lähmung des rechten Armes und linken 
Beines mit unvollständiger Rückbildung der Lähmungen. 6—7 Jahre 
später Auftreten eines schnell- und feinschlägigen Zitterns im rechten 
Arm, das bald auf die übrigen Extremitäten und den ganzen Körper 
fortschritt. Wieder einige Jahre später Waohstumsstörungen (Grösser¬ 
und Dickerwerden der Hände, dabei unter anderem Herzklopfen, ge¬ 
steigerte gemütliche Erregbarkeit, Neigung zu Diarrhöen und vermehrter 
Transpiration. Die im Anschluss an Pocken entstandene Encephalo- 
myelitis hat einen Hydrocephalus im Gefolge gehabt, welcher eine 
Schädigung der Hypophyse bewirkt hat, die ihrerseits wieder sekundär 
zu einer Thyreoideaerkrankung geführt hat. Zugunsten der Diagnose 
Hydrocephalus sprach auch die Drucksteigerung im Cerebrospinalkanal 
und die vorübergehende Besserung der subjektiven Beschwerden nach 
der Lumbalpunktion. 

M. S.M arg u lies-Moskau: Ueber ependymäre Gliomatose der 
Hirnventrikel. (Archiv f. Psych., Bd. 50, H. 3.) Sieben eigene klinisch 
und anatomisch geschilderte Fälle. Die ependymäre Gliomatose ist eine 
Herdlokalisation eines allgemeinen proliferativen gliösen Prozesses und 
der Chaslin’schen Sklerose in der Rinde analog. Das klinische Bild ist 
nicht spezifisch und hängt von der Lokalisation des gliösen Prozesses 
ab. Letzterer ist nicht ein teratologischer Befund, sondern eine primäre 
produktive und progressive Erkrankung infektiöser oder toxischer Natur. 

Zweig-Dalldorf. 

H. Lauber-Wien: Ein Fall von cyklischer Oculomotoriuslähmung. 
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) Vorgestellt in der k. k. Ge¬ 
sellschaft der Aerzte in Wien am 7. Februar 1913. Referat siehe den 
Sitzungsbericht. P. Hirsch. 

R. Bälint: Die KochsalEentziehung in der Behandlung der 
Epilepsie. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 9.) B&lint bespricht im 
ersten Teil seiner Ausführungen die kochsalzfreie Diät bei Epilepsie und 
resümiert seine Erfahrungen über ihren Wert. Sie übt in Verbindung 
mit der Bromtherapie in frischen und in inveterierten Fällen einen sehr 
guten Einfluss aus. Sie hat scheinbar grösseren Einfluss auf das 


Sistieren der Krampfanfälle als auf das Petit mal. Auch das psychische 
Befinden bessert sich bei der Diät. Eine schlechte Wirkung kann sich 
zeigen, indem die Ernährung leidet oder Bromismus auftritt. Es ist 
empfehlenswert, mit strenger Diät anzufangen und allmählich erst durch 
Zusatz von Bromsalz zu leichterer Diät überzugehen. Neben der salz¬ 
freien Diät sind kleine Bromnatriumdosen (2—3 g pro die) zu verordnen. 
Im zweiten Teil seiner Arbeit befasst sich Bali nt mit den Theorien 
der Kochsalzentziehung in der Behandlung der Epilepsie. 

K. Mendel-Berlin: Halsrippen. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 9.) 
Eine 30 jährige Frau leidet seit 10 Jahren an Schwäche, Schmerzen und 
Parästhesien im linken Arm, seit mehreren Jahren ist die linke Hand- 
muskulhtur atrophisch. Es besteht deutliche Muskelatrophie mit Ent¬ 
artungsreaktion sowie eine rudimentäre Halsrippe links. Das Röntgen¬ 
bild zeigt rechts eine vollentwickelte Halsrippe, die weder objektive 
noch subjektive Symptome hervorgerufen hat, während die rudimentäre 
linksseitige Halsrippe hochgradige tropbiscbe, sensorische und motorische 
Störungen bedingte. Die Störungen der linken Seite hängen mit einem 
Druck auf den Plexus brachialis zusammen, der rechts vom Druck ver¬ 
schont geblieben ist. E. Tobias. 

F. Dunker: Generalisierte postdipktheritiseke Lähmung mit 
psychischer Alteration. (Archiv f. Orthopädie, Mechanotherapie u. Unfall¬ 
heilkunde, 1913, Bd. 12, H. 3.) Bei einem 17 jährigen Mädchen zeigte 
eine typische Rachendiphtherie trotz sofortiger Injektion von 8000 l.-E. 
Heilserum progressiven Charakter. 12 Tage nach Beginn bestehen 
Paresen, die rasch fast die gesamte Muskulatur ergreifen und auch zur 
psychischen Alteration (Stupor) führten. Intralumbale Injektion von 
6000 I.-E. führte rasch zur Besserung und Heilung. Um Störungen zu 
vermeiden, wurde vorher 5 proz. Calcium (dreimal ein Esslöffel innerlich) 
gegeben. M. Strauss-Nürnberg. 

Siehe auch Parasitenkunde und Serologie: Frösch, 
Komplementbindungsreaktion bei angeborenem Schwachsinn und anderen 
degenerativen Zuständen des Centralnervensystems. — Chirurgie: 
Allison, Muskelgruppenschilderung zur Beseitigung spastischer Lähmung. 


Kinderheilkunde. 

Siehe auch Geburtshilfe und Gynäkologie: Wall, Weiter¬ 
entwicklung frühgeborener Kinder. 


Chirurgie. 

Hayaski und Matsuoka: Angeborene Missbildungen kombiniert 
mit der kongenitalen Hüftverrenkung. (Zeitschr. f. orthop. Chir., 
Bd. 31, H. 3 u. 4.) Beschreibung von 25 Fällen, an denen angeborene 
Hüftverrenkung mit anderen angeborenen Missbildungen kombiniert war. 

Hayaski und Matzuoka: Ueber die Erblichkeit der angeborenen 
Hüftverrenkung. (Zeitschr. f. orthop. Chir., Bd. 31, H. 3 u. 4.) Unter 
230 Fällen von angeborener Hüftverrenkung fanden die Verfasser 14 erb¬ 
liche und 5 familiär vorkommende Fälle von Hüftluxation; es werden 
5 Typen von Vererbungserscheinungen unterschieden. 

Byehowsky: Ein Fall von angeborener Ellenbogenankylose 
eines im Wachstum zurückgebliebenen und missgebildeten Armes. 
(Zeitschr. f. orthop. Chir., Bd. 31, H. 3 u. 4.) Beitrag zur Kasuistik der 
Hemmungsmissbildungen auf amniotischer Basis. 

Loewenstein: Zur Kasuistik der Hemmungsmissbildungen an 
der oberen und unteren Extremität. (Zeitschr. f. orthop. Chir., Bd. 31, 
H. 3 u. 4.) Es handelt sich um eine Hemmungsmissbildung auf endo¬ 
gener Grundlage; sie setzt sich zusammen aus einer symmetrischen 
totalen knöchernen Synostose des Ring- und Mittelfingers, aus einer 
Bracbyphalangie des kleinen und Zeigefingers, sowie der Zehen mit 
sekundären Deviationen der Phalangen und Veränderungen ihrer 
Knochenstruktur; ferner aus Schwimmhautbildung, Madelungdeformität 
und Asymmetrie des Schädels. E gl off- Stuttgart. 

E. G. Abbott - Portland: Die Korrektur der seitlichen Rückgrats- 
verkrümmnngen. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 19.) Schilderung 
der Technik mit Abbildung des Abbott’schen Skoliosenredressionsapparats. 

Wie mann-Flensburg: Knorpelfaltnng bei abstehenden Ohren and 
Othftmatom. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) Gutes Resultat 
in je einem Falle. Wolfsohn. 

Albec: Knochentransplantation bei tuberkulöser Spondylitis. 
(Zeitschr. f. orthop. Chir., Bd.31, H. 3 u. 4.) Verf. empfiehlt bei tuber¬ 
kulöser Spondylitis die Transplantation eines der Tibia entnommenen 
Knochenspans. Er hat bei 50 Fällen sehr gute Resultate mit der 
Methode gehabt. Eglo ff - Stuttgart. 

Sakobielski: Zur Behandlung der Patellarfraktur. (Archiv f. 
Orthopädie, Mechanotherapie u. Unfallheilk., 1913, Bd. 12, Nr. 3.) Zur 
unblutigen Behandlung der Patellarfrakturen empfiehlt der Verfasser eine 
Heftpflasterbandage, die aus zwei Heftpflasterstücken besteht, die von 
oben und unten die Patella umgeben und mit Schnürhaken versehen 
sind, die mit Gummischnur miteinander verbunden werden. (Das Ver¬ 
fahren ist nicht neu, sondern stellt die sogenannte unblutige Naht dar, 
wie sie an der Mikulcz’schen Klinik vielfach verwendet wurde. D. Ref.) 

B. Looser: Ueber die Valgusstellung des Fusses. (Archiv f. 
Orthopädie, Mechanotherapie u. Unfallheilk., 1913, Bd. 12, Nr. 3.) Verf. 


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26. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


983 


untersuchte die Füsse von 250 Soldaten, indem er einen Abdruck nahm 
(Eisenchloridlösung und Gerbsäure nach Freiberg), mittels eines kleinen 
4 cm hohen Kästchens die genau projizierte Umrisslinie zeichnete und 
endlich noch die beiden Malleolen auf die Umrisslinie projizierte und so 
bestimmte, ob und um wieviel die Malleolen die Umrisslinie des Fusses 
überragt oder innerhalb derselben steht. Das Resultat dieser Unter¬ 
suchungen fasst Looser dabin zusammen, dass ein Fuss dann platt zu 
nennen ist, wenn sein Abdruck so beschaffen ist, dass die Gerade, die 
den hintersten Punkt mit dem lateralsten Punkt des Ionenrandes des 
Abdruckes verbindet, nach vorne verlängert, die grosse Zehe trifft oder 
innerhalb derselben durchgeht. Verläuft diese Linie mehr lateralwärts, 
so ist das Fussgewölbe normal zu nennen. 44pCt. der gemessenen 
Füsse ergaben einen platten Abdruck. Die Valgität ergibt sich aus den 
Malleolenabständen, das sind die Abstände der Projektion der Malleolen 
von dem entsprechenden Fussrand. Die Valgität ist um so aus¬ 
gesprochener, je mehr der innere Knöchel die Fusskontur überragt und 
je weiter sich der äussere Knöchel nach innen von der Umrisslinie ent¬ 
fernt. Die grosse Mehrzahl der menschlichen Füsse steht in Pronations¬ 
stellung, so dass eine gewisse Valgität des Fusses als normal zu be¬ 
trachten ist. Die Valgität geht nicht immer mit der Abflachung der 
Füsse parallel. Plattfussbeschwerdeu finden sich auch bei Leuten mit 
normalen Fussformen und sind also nicht direkt abhängig von diesen 
anatomischen Verschiebungen. Belastung der untersuchten Leute mit 
27 kg ergibt keine spezifische Veränderung. Nach all dem soll die 
Diagnose Plattfuss nicht gleich gestellt werden, wenn eine starke 
Valgität oder Abflachung des Gewölbes besteht, sondern es sollen die 
anderen Symptome, vor allem die subjektiven Beschwerden berücksichtigt 
werden. M. Strau ss - Nürnberg. 

E. L. Fieber-Wien: Kriegschirnrgische Eindrücke und Beobach¬ 
tungen aus Belgrad während des Balkankrieges. (Wiener klin. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 18.) Unsere Kenntnisse von der Pathologie der Schuss¬ 
wunden sind durch die Erfahrungen der letzten Zeit bei weitem nicht 
in dem Maasse verändert worden, als es nach dem ausserordentlichen 
waffentechnischen Fortschritt unserer Tage den Anschein haben könnte. 
Des weiteren hat der Verfasser den Eindruck gewonnen, dass in der 
Gefechtszone noch viel für den Chirurgen übrig bleibt, um eine 
Besserung in den Heilungsaussichten jener Verletzten zu erzielen, die 
bisher mit einem gewissen Fatalismus auf dem Transport ihrem Schicksal 
überlassen wurden. Er fordert daher eine konsequente Ausgestaltung 
der mobilen Sanitätsformationen, die reichlichst mit Aerzten und Material 
dotiert sein müssten. P. Hirsch. 

Allison: Moskelgrnppenschildernngen zur Beseitigung spasti¬ 
scher Lähmungen. (Zeitschr. f. orthop. Chir., Bd. 31, H. 3 u. 4.) Auf 
Grund der Erfahrungen an 25 Fällen empfiehlt A. die Isolierung einer 
spastischen Muskelgruppe durch Alkoholinjektion an den Nerven als 
wertvolles Hilfsmittel im Kampfe gegen die spastischen Lähmungen. 

Egloff - Stuttgart. 

H. Spude - Friedland: Erfolgreiche Behandlung von Gesichts¬ 
krebsen durch einfache Einstichelnng von Eisenoxyduloxyd. (Zeitschr. 
f. Krebsforsch., Bd. 13, H. 1.) Bericht über die Heilung eines Falles 
von Gesichtskrebs durch die im Titel angegebene Behandlung. 

A. W. Pinner. 

J. E. Schmidt - Würzburg: Bemerkungen über Dttnndarmstenose. 
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 17.) Nach einem in der physi¬ 
kalisch-medizinischen Gesellschaft zu Würzburg gehaltenen Vortrage, 
siehe Gesellschaftsbericht dieser Wochenschrift. 

A. Falkner-Liebau: Direkte Behandlung der tuberkulösen Peri¬ 
tonitis mit Jodpräparaten. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) 
F. hat die Hofmann’sche Methode, bei tuberkulöser Peritonitis das Peri¬ 
toneum mit Jodtinktur zu bestreichen, in drei Fällen mit gutem Erfolge 
angewandt. Dünner. 

v. Frühwald - Wien: Beitrag zur Kenntnis der postoperativen 
Todesfälle bei abnormer Enge der Aorta. (Deutsche med. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 19.) Ein 24 jähriger Mann wurde wegen Angiofibrom 
des Nasenrachenraums operiert. Langenbeck’scher Schnitt und Ab- 
meisselung der Apertura periformis. Mässiger Blutverlust. Exitus eine 
Stunde post operationem. Die Obduktion ergab eine auffallend enge 
Aorta. Dieser Befund wird, ebenso wie in den von Melchior mit¬ 
geteilten Fällen, für den Tod verantwortlich gemacht. Wolfsohn. 

Siehe auch Pathologie: Hiromoto, Angeborene Missbildungen 
in Japan. — Psychiatrie und Nervenkrankheiten: Mendel, 
Halsrippen. — Röntgenologie: Sudeck, Beugungsluxation des 5. Hals¬ 
wirbels. 


Röntgenologie. 

Faulhaber: Neues Plattenformat 40 : 40 cm. (Fortschr. a. d. Geb. 
d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 6.) Faulhaber meint, dass das Format 
30:40 nicht für alle Fälle den Zweck erfülle, eine vollkommene Ueber- 
sichtsaufnahme zu liefern. Speziell gilt dies für die so wichtigen Dick¬ 
darmaufnahmen. Auch bei Uebersicbtsaufnahmen der Lungen erweist 
sich das Format 30:40 oft als zu klein. Das neue Format 40=40 hat 
sich für alle Fälle als genügend herausgestellt. 

H. Bauer: Eine einfache Vorrichtung zur Untersuchung und Demon¬ 
stration von Seknndärstrahlen. (Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr. 
Bd. 20, H. 1.) Verf. beschreibt einen Apparat, der es gestattet, die 


Sekundärstrahlung sowohl in der Durchleuchtung als auf Platten direkt 
zur Anschauung zu bringen. Die beigegebenen Photographien sind sehr 
instruktiv und eignen sich gut für die Demonstration im Unterricht. 

M. Cohn. 

A. Gunsett - Strassburg: Eine Fehlerquelle beim Ablesen der 

Sabourand-Noirö-Tabletten. (Münchener med. Wohhenscbr., 1913, 
Nr. 18.) Dünner. 

E. Fraenkel: Ueber die angeborene Syphilis platter Knochen 
und ihre röntgenologische Erkennung. (Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgen¬ 
strahlen, Bd. 19, H. 6.) Verf. hat seine eingehenden Untersuchungen, 
welche er in dem Ergänzungsband 26 des Archivs niedergelegt hat, noch 
weiter verfolgt. Im besonderen hat er untersucht, ob neben der 
röntgenologisch erkennbaren Osteochondritis auch eine schwere, auf 
Aussen- und Innenfläche des Darmbeines lokalisierte Periostitis ossificans 
besteht. Von anderen breiten Knochen bat er noch das Schulterblatt 
untersucht und daneben auch den Rippen seine Aufmerksamkeit ge¬ 
schenkt. Er hat gesehen, dass in gleicher Häufigkeit wie die langen 
Röhrenknochen die Rippen, das Darmbein und das Schulterblatt an 
kongenitaler Syphilis erkrankt gefunden werden. Nie hat er das 
Schlüsselbein von der syphilitischen Affektion befallen gesehen. Die 
ossifizierende Periostitis entzieht sich der röntgenologischen Erkennung 
vollkommen. Man ist also auf Grund des in dieser Beziehung negativen 
Röntgenbefundes nicht berechtigt, eine Knochenhautentzündung auszu- 
sohliessen. 

Sudeck: Ein Fall von Bengnngslnxatien des fünften Halswirbels. 

(Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 20, H. 1.) Sudeck beschreibt 
des näheren die sehr seltene Verletzung, bei der keine starken Nerven- 
läsionen zu verzeichnen waren, und bespricht ausserdem die Chance, ob 
man nach der radiologischen Diagnose auch noch bei älteren Fällen die 
Reposition wagen darf, da man ja jetzt viel besser als früher eine Ueber- 
sicht über die Lage der Skeletteile hat. Es kommt bei veralteten Luxa¬ 
tionen natürlich nur die Operation in Frage und diese nur dann, wenn 
man dem Patienten alle Einzelheiten der Chancen bekanntgegeben hat, 
und damit seine eigene Verantwortung für die Operation kategorisch 
verlangt. 

B. Alexander: Syphilis der fötalen Wirbelsäule. H. Abteilung. 
(Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 6.) Verf., der sich seit 
langem eingehend mit der Entwicklung der fötalen Wirbelsäule befasst 
hat, gibt in der jeteigen Monographie ein Bild der syphilitischen Ver¬ 
änderungen an diesem Skeletteil. Wer sich über das in Rede stehende 
Gebiet näher unterrichten will, dem ist die Lektüre dieser Arbeit im 
Original dringend zu empfehlen. Sie eignet sich nicht zu kurzem 
Referat. 

E. Reu ss und H. Schmidt: Ueber einen Fall von Knoehen- 
atrophle nach Gelenkrheumatismus. (Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgen¬ 
strahlen, Bd. 19, H. 6.) Die Verf. beschreiben sehr eingehend einen 
monströsen Fall der im Titel wiedergegebenen Affektion, der sich an 
den Gelenken des ganzen Skelettsystems etabliert hatte. Es wird die 
Frage aufgeworfen, auf welcher Basis derartig hochgradige Knochen¬ 
atrophien entstehen und dabei besonders einer Sohädigung von seiten 
der trophischen Nerven gedacht. Interessant ist die Erwähnung, dass 
in einem Falle hochgradiger Knochenatrophie, der von Pick näher be¬ 
schrieben ist, Kalkmetastasen in den meisten Organen gefunden wurden. 
Am stärksten ist die Destruktion an den Skeletteilen, die nach Auf¬ 
treten der Erkrankung der weiteren Benutzung ausgesetzt werden. Da 
die Patientin schon 25 Jahre zu Bett liegt, so zeigte sich die Verun¬ 
staltung am deutlichsten an den Händen, die noch eifrig mit Hand¬ 
arbeiten beschäftigt werden. 

V. Revesz: Röntgenbilder normaler peripherischer Blutgefässe. 
(Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 20, H. 1.) Verf. erinnert daran, 
dass B. Alexander schon im Jahre 1908 von lebenden Patienten eine 
Röntgenplatte der Hand demonstrierte, auf der die Blutgefässe zu sehen 
waren. Nach seinen eigenen Erfahrungen handelt es sich bei der Ver¬ 
besserung der Technik nicht mehr um einen vereinzelten Fall. R. pro¬ 
testiert dagegen, dass noch 1912 Grödel in seinem Buche der Röntgen¬ 
diagnostik schrieb, man müsse jeder Behauptung, dass die Blutgefässe 
radiologisch darstellbar wären, mit möglichster Zurückhaltung begegnen. 
Verf. weiss allerdings nicht anzugeben, ob es sich bei seinen Bildern 
um die Darstellung von Arterien oder von Venen handelt. 

H. Rieder: Das PauEerherz. (Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr., 
Bd. 20, H. 1.) Während Kalkablagerungen in allen möglichen Organen 
des menschlichen Körpers schon lange gut darstellbar sind, ist das nicht 
im gleichen Maasse zu sagen von den Kalkablagerungen, wie sie so 
häufig in dem Gefässsystem des Herzens und der Aorta sich doku¬ 
mentieren. Am lebenden Herzen wurde nur in einzelnen Fällen, und 
zwar nur am Herzbeutel, die Ablagerung von Kalksalz vermittelst der 
Röntgenstrahlen vor Augen geführt. Rieder bringt zwei eigene Beob¬ 
achtungen, wo ihm die Kalkablagerung am Pericard sichtbar zu machen 
gelang. Die Kalkablageumg dokumentiert sich stets in der Begrenzung 
des linken Ventrikels. In technischer Hinsicht ist zu bemerken, dass 
sich für die Darstellung nur Blitzaufnahmen, nicht die gewöhnlichen 
Momentaufnahmen eignen. M. Cohn. 

Faulh ab er-Würzburg: Diagnose und Behandlung des chronischen 
Ulcus pylori. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 17 u. 18.) Aus 
der speziell für den Rontgenologen interessanten Arbeit sei die Zu¬ 
sammenfassung angeführt: Das chronische Ulcus pylori ist durch einen 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 21. 


wohl umrissenen Symptomenkomplex ausgezeichnet. Für die topische 
Diagnose sind ausser den bekannten noch drei weitere wichtige Sym¬ 
ptome maassgebend: 1. Periodizität der Beschwerden, 2. kontinuierliche 
Hypersekretion, 3. Pylorospasmus. Das Symptom des Pylorospasmus 
findet sich nicht bei pyloroformem Geschwür, sondern nur bei Lokali¬ 
sation des Ulcus am Pylorus oder in dessen nächster Nähe. Der Pyloro¬ 
spasmus kann auch aus leichten Motilitätsstörungen (motorische Insuffi¬ 
zienz ersten Grades) durch die Röntgenuntersuchung mit Sicherheit er¬ 
kannt werden. Da die interne Behandlung beim Ulcus pylori in über 
2 / s der Fälle — nach den Erfahrungen F.’s — versagt, so muss die 
Krankheit als relative Indikation zur Operation angesehen werden. 

Dünner. 

Strauss: Das Dnodenalnlens und seine Feststeilbarkeit durch 
Röntgenstrahlen. (Fortsehr. a. d. Geb. d. Röotgenstr., Bd. 19, H. 6.) 
Verf. bespricht eingehend die Diagnose des Zwölffingerdarmgeschwürs 
und glaubt die Röntgendiagnose stellen zu dürfen, wenn sich folgende 
Befunde bei einem Individuum vereinen: 1. ptotischer Magen, 2. hoch¬ 
gradig geartete Peristaltik, insbesondere des Antrums, 3. offener Pylorus, 
4. rascher Uebertritt von Mageninhalt in das Duodenum, 5. Vorhanden¬ 
sein eines grauen Duodenalschattens neben dem tiefschwarzen Magen¬ 
schatten, 6. palpatorische Feststellung eines Schmerzpunktes am Duo¬ 
denum, 7. Rückstände im Magen. M. Cohn. 

M. Cohn-Berlin: Die röntgenologische Darstellnng des Wurmfort¬ 
satzes. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 19.) C. weist zu dem 
gleichnamigen Aufsatz Grödel’s in Nr. 14 der Münchener raed. Wochen¬ 
schrift mit vollem Recht darauf hin, dass ihm der positive Nachweis 
der Darstellbarkeit des Appendix vollauf geglückt sei, wie ja auch seine 
auf dem Chirurgenkongress demonstrierten Bilder zeigen. Diese ohne 
weiteres einleuchtenden Bemerkungen will F. Grödel in seiner Antwort 
nicht gelten lassen. Obwohl Cohn seine Bilder als Gegenbeweis der 
Gr öd eTschen Ansicht anführt, spricht G. davon, dass für ihn die 
Retina phänomenal begabter Einzelindividuen -nicht beweisend sei. 

Dünner. 

K. Schramm: Zur Technik der graphischen Darstellung der ab- 
1 eiten den Harnwege mittels der Collargolröntgenaifnahme. (Fortsehr. 
a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 20, H. 1.) Sch. sucht die Nachteile, 
welche die Collargolinjektion in technischer wie pathologischer Beziehung 
noch hat, dadurch auszuschalten, dass er die Beckenhochlagerung bei 
den Patienten so weit herstellt, dass das vertikale Ende des Ureters 
höher liegt wie das Nierenbecken. Diese Anordnung gestattet, ohne 
Schwierigkeit die ableitenden Harnwege vollaufen zu lassen wie ein 
Gefäss. Dadurch wird erreicht eine bessere und ausgiebige Füllung des 
Nierenbeckens, die Aufhebung des Sekretionsdruckes der Niere und da¬ 
durch eine vorübergehemde Herabsetzung der Harnabsonderung. Die 
technische Leistung wird dadurch erhöht und zugleich eine sogenannte 
Sprengwirkung des Collargols vermieden, die in einem Falle (Rössle) 
den Tod der Patientin zur Folge hatte. 

J. u. S. Ratera: Ein grosser Nierenstein, Nephrektomieheilnng. 
(Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 6.) Verff. sahen auf 
der Röntgenplatte einen Stein, welcher beinahe das ganze Feld einnahm, 
das den normalen Verhältnissen der Niere entspricht. Der Stein war 
glatt an seinem inneren Rande, wie die Form, welche das Nierenbecken 
an der inneren Seite hat. An der äusseren Seite sah man Veränderungen, 
welche die Gestalt der Niere stark nachahmten. Trotz der angeratenen 
Operation verweigerte der Patient diese. Es trat aber bald darauf 
Anuria calculosa ein. Ohne Narkose konnte die Operation gemacht 
werden. Ein Nierenstein von 185 g wurde herausgenommen. Patient 
konnte sogleich Harn ausscheiden; bald kehrte das Bewusstsein zurück. 
Später musste zum Nierenschnitt die Nephrektomie hinzugefügt werden. 

M. Cohn. 

Schnäe: Zur Technik der Tiefenbestrahlnng. (Zeitscbr. f. physikal. 
u. diätet. Therapie, Mai 1913.) Verf. bespricht an der Hand einiger 
Abbildungen das Problem der Tiefenbestrahlung, das heute in der 
Röntgenologie eine so grosse Bedeutung erlangt hat. E. Tobias. 

G. F. Hänisch: Meine Erfahrungen, Resultate, Technik in der 
gynäkologischen Röntgentherapie. (Fortschr. a. d. Geb. d. Röngenstr., 
Bd. 20, H. 1.) Verf. hat im ganzen 68 Fälle, die wegen Myomen, myo- 
matösen Blutungen, Menorrhagien und Metrorrhagien verschiedener Art 
in Behandlung kamen, bestrahlt. Da ihm in seinem Privatinstitut nicht 
die Möglichkeit zustand, sich sein Material nach seiner Ueberzeugung 
auszuwählen und heranzuziehen, so ist die Zahl der behandelten Per¬ 
sonen im Vergleich zu dem Zeitraum von über 4 Jahren keine sehr 
grosse. Daher war die Beobachtung eine um so sorgfältigere. 40 Fälle 
waren für eine genaue Statistik zu verwerten. Von diesen blieben 5 
ungeheilt, 2 wurden wesentlich gebessert, 83 wurden geheilt. Bei den 
nicht geheilten Fällen handelt es sich einmal um grosse gestielte sub- 
mucöse Myome, einmal um eine sehr junge Frau mit kleinstem sub- 
mucösem Myom, einmal um ein nicht erkanntes Carcinom, einmal um 
zu grosse, wahrscheinlich auch zu alte Myome. Im fünften Falle 
war keine Erklärung zu geben, da die Patientin fortblieb. Unter den 
33 Fällen, welche gebeilt wurden, handelte es sich 8 mal um Fälle von 
grössten und mindergrossen, im Wachstum begriffenen Myomen, mit 
Schmerzen seitens des Herzens, der Blase oder des Mastdarms, ohne 
sehr wesentliche Blutungen. Zur Kühlung der Müller’schen Wasserkühl¬ 
röhre bedient sich Verf. einer einfachen Einrichtung, eines Doppelrohres, 
das von oben her Wasser empfängt und nach unten hin in einen Eimer 
abfliesst. 


M. Fraenkel: Die Röntgenstrahlen in der Gynäkologie. (Fortschr. 
a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 6.) Verf. schildert in einer 
längeren Abhandlung noch einmal ausführlich die Grundsätze, welche er 
bei der Behandlung gynäkologischer Leiden mittels Röntgenstrahlen ver¬ 
folgt. In den Vordergrund setzt er die von ihm geübte Felderbeband- 
lung, zu der er sich einer besonderen Einteilung bedient. Als neu teilt 
er ein Stativ mit, das es gestattet, von oben und von unten her gleich¬ 
zeitig eine Röhre gegen die Ovarien hin in Tätigkeit zu setzen. Die 
Röhre wird neuerdings mit einem sogenannten Tonapparat gekühlt. Mit 
diesem vermag Verf. einer Röhre einen Dauergebrauch von 5 bis 
6 Stunden täglich suzumuten. Die Röhre bleibt bei 4 Milliampere Be¬ 
lastung konstant auf demselben Härtegrad und erhitzt sich kaum merk¬ 
lich. Auch er warnt, wie andere, vor der forcierten Behandlung der 
Freiburger Schule und glaubt, dass die ungeahnten Erfolge, welche die 
Gynäkologie von den Röntgenstrahlen gesehen hat, auch noch auf andere 
gynäkologische Leiden ausser den Myomen sich erstrecken wird, be¬ 
sonders bei der Dysmenorrhöe, bei den Endometritiden und der fakul¬ 
tativen Sterilisierung bei Tuberkulösen. 

M. Immelmann*. Zur Technik der gynäkologischen Röntgei- 
nntersnehnng. (Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 6.) Als 
Instrumentarium dient ein 30 cm-Induktor, Quecksilberunterbrecher- 
Rhythmeur, 1 mm starker Aluminiumverschluss eines 8 cm Durchmesser 
und 10 cm Länge habenden Bleiglastubus. Die Röhre wird mit 3 Milli¬ 
ampere bei 15 cm Funkenstrecke belastet. An vier bis fünf Stellen 
des Abdomens werden je eine Erythemdosis Röntgenstrahlen appliziert. 
Häufig tritt starke Pigmentation auf, fast nie Erythem. Meist treten 
keine sekundären Erscheinungen auf. Bei Myomen hatte J. 50 pCt 
Besserung der Begleiterscheinungen, in 15 pCt. der Fälle wurden die 
Myome kleiner. 

A. Köhler: Zur Technik und den Erfolgen der gynäkologischen 
Röntgentherapie. (Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 6.) 
K. bestrahlt nur durch die Bauchdecken hindurch, von der Ueberzeugung 
aus, dass die Wirkung der kleinen Quantität Strahlen, die seitlich oder 
vom Rücken her an die Ovarien gelangt, praktisch ohne Bedeutung ist. 
Es werden drei aneinaudergrenzende rechteckige Eingangspforten gewählt. 
Mit der Zeit wurde die Einzeldosis entsprechend vergrössert, bei Herab¬ 
setzung der Zahl der Gesamtbestrablung. K. belichtet an drei hinter- 
einanderfolgenden Tagen. An Stelle des zuerst verwendeten Leders als 
Filter benutzt er jetzt 2 mm dickes Pappelholz. Als Instrumentarium 
dient ihm der rotierende Hochspannungsgleichricbter und auch noch das 
Induktorium mit Quecksilberunterbrecher. Bestimmte Zahlen über den 
Erfolg der Behandlung gibt Verf. nicht an, von dem Gesichtspunkt aus¬ 
gehend, dass es oft vorkommt, dass eine Statistik, zu günstiger Zeit 
veröffentlicht, weit bessere Resultate hat, als wie eine Uebersicht, zu 
späterer Zeit gegeben. Schätzungsweise meint Verf. die Chance der 
Heilung auf 50—60pCt. angeben zu können. 

M. Levy-Dorn: Zur Frage der gynäkologischen Röntgenbestrah- 
IMS- (Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 6.) Verf. hat 
im ganzen 41 Patientinnen wegen Frauenleiden mit Röntgen strahlen 
behandelt; darunter befanden sich 14 Myome. Die Chance des Erfolges 
der Behandlung wuchs mit der Veränderung der Technik. In letzter 
Zeit benutzte Verf. ein Aluminiumfilter von 2 mm Dicke. Die Zahl der 
Eingangspforten wurde vergrössert; auf jede Stelle wird bis 10 oder 
höchstens 15 x, unter dem Filter gemessen, in mehreren Tagen gegeben. 
Wenn sich Verf. auch der Freiburger Methodik im Laufe der Zeit- näherte, 
so machte er doch gegen eine vollständige Nachahmung derselben für 
alle Fälle Front. Es bleibt abzuwarten, ob die intensive Bestrahlung, 
wie sie in Freiburg geübt wird, wirklich gefahrlos ist. 

H. Dietlen: Zur Röntgenbehandlung in der Gynäkologie. (Fort¬ 
schritte a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 20, H. 1.) Die Erfahrungen 
Ditlen’s beziehen sich auf 10 Fälle, von denen zwei noch in Behand¬ 
lung sind. Bestrahlt wurden 3—9 Serien. Höchstens wurden 168 Minuten 
bei 85 x verabfolgt. Nur in einem Fall trat eine Dermatitis ersten 
Grades ein. Die Erfolge waren sehr gute. Auch Dietlen hält die 
Bestrebungen der Freiburger Schule für weit übers Ziel hinausschiessend. 

F. de Courmelles: Röntgentherapie der Myome. (Fortschr. a. d. 
Geb. d. Röntgenstr., Bd. 20, H. 1.) Verf. gilt bei den Franzosen als 
der Begründer der Röntgentherapie der myomatösen Blutungen. Diese 
geht bis auf den 11. Januar 1904 zurück. Der Begründer des Ver¬ 
fahrens berücksichtigt bei der Prognose das Alter des Myoms, seine 
elektrische Widerstandsfähigkeit, sowie die individuelle Empfindlichkeit 
des Patienten. Mit dem Aluminiumfilter hat Courmelles stets nur 
eine Schwarzfärbung der Haut und der Haare ohne die geringste Ver¬ 
brennung gesehen. Myome, die sich wirklich refraktär verhalten, gibt 
es nach Courmelles nicht. Wenn die anfängliche Wirkung der 
Röntgenstrahlen nicht vorhält, so wendet Verf. als Ersatz mit Erfolg 
Radium intrauterin an. 

Laquerriere und Delherm: Unsere Ansicht über die Röntgei* 
therapie des Uterasmyoms. (Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr., 
Bd. 20, H. 1.) Verff. heben neben den allgemeinen Gesichtspunkten 
hervor, dass die Röntgentherapie zweckmässig mit der Elektrotherapie 
zu verbinden ist. Die Röntgentherapie kann in allen den Fällen ver¬ 
sucht werden, wo keine dringende Indikation zur Operation besteht. 
Als solche gelten Verdacht auf carcinomatöse Entartungen, fieberhafte 
Infektion, Stiltorsion, Polypen usw. Die Wirkung der Röntgentherapie 
beruht darauf, dass sie die Funktionen der Ovarien zu verhindern sucht. 


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26. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


985 


Bei bejahrten Frauen lässt sich diese Sistierung viel leichter erzielen 
als bei jüngeren. Die Röntgentherapie ist kontraindiziert bei Frauen 
unter 40 Jahren. Mit 40—50 Jahren kann man sie versuchen, meist zu¬ 
sammen mit der Elektrotherapie nach Apostoli oder der Radium¬ 
elektrolyse. Bei älteren Frauen genügt die Röntgentherapie allein. 

Guilleminot: Die Behandlung der uterinen Myome. (Fortschr. 
a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 20, H. 1.) Guilleminot wendet zwei 
vordere und zwei hintere Einfallspforten an. Bestrahlung alle 10 Tage, 
einmal vorn, einmal hinten, so dass jede Zone nur alle 20 Tage be¬ 
handelt wird. Bei grossen Myomen drei vordere und zwei hintere Ein¬ 
fallspforten. Für die vordere wird stets eine Kompressionsblende be¬ 
nutzt. Als Filter dient ein Aluminiumglas, das einer 2,5 mm dicken 
reinen Aluminiumschicht entspricht. Pro Dosis (Sitzung und Einfalls¬ 
pforten) werden vier Holzknecht’scbe Einheiten appliziert. Es wurden 
vorwiegend Kranke von 38—48 Jahren behandelt. Bei mageren oder 
nur mässig korpulenten Individuen waren die Resultate im allgemeinen 
sehr gut. Bei sehr dicken Frauen waren die Erfolge ungleichmässiger; 
bei einigen gab es einen vollkommenen Misserfolg. 

Bordier: Fortschritte der Röntgentherapie in der Gynäkologie, 
ihre Vorteile, genane Technik, Indikation nnd Kontraindikation, Re¬ 
sultate, Zukunft. (Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 20, H. 1.) 
Bordier, der sich schon sehr lange mit der Behandlung von Blutungen 
myomatöser Kranker mittels Röntgenstrahlen befasst, hat von Anfang 
an die Serienmethode angewandt, die in je drei Bestrahlungen durch 
jede Einfallspforte besteht. Die Anzahl der Serien barg aber bei dem 
Fehlen eines Erythems bei der häufigen Wiederholung eine ernste Ge¬ 
fahr, die man nicht mit Sicherheit voraussehen konnte. Noch nach 
6—12 Monaten nach Beendigung der Behandlung trat Hautreaktion auf. 
Bei der neuen Technik, die eine Anzahl von Serien bis höchstens 6 um¬ 
fasst, treten derartige Unannehmlichkeiten nicht mehr auf. Bordier 
bedient sich bei jeder Bestrahlung der Messung der Strahlendosis. Die 
Strahlenmenge, welche jedesmal, auf dem Filter gemessen, einfällt, ist 
konstant und beträgt stets 5 H Einheiten. Nur die Dicke des Filters 
wechselt je nach den Einfallspforten und den fortschreitenden Bestrah¬ 
lungsserien. Bordier hat die Filtration des Aluminiumfilters genau 
untersucht und in Tabellen festgelegt. Die Erfolge, welche er zu ver¬ 
zeichnen hat, sind ganz ausgezeichnete. Er schildert genau den Verlauf 
der Beeinflussung nach der Applikation der einzelnen Strahlenserien. 

Iselin: Ueber Wachstums Schädigungen jünger Tiere duroh Rönt¬ 
genstrahlen. (Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 6.) Iselin 
ergänzt eine Arbeit R. Walter’s, die in einer der letzten Nummern 
des Archivs veröffentlicht war. Besonders hebt er hervor, dass bei Kin¬ 
dern immer, wenn man mehreremal therapeutisch mit Filtration be¬ 
strahlt, eine Wachstumsverzögerung, wenigstens an kleinen Knochen ein- 
tritt. Er verfügt über ein Dutzend solcher Beobachtungen. 

M. Cohn. 

Siehe auch Geburtshilfe und Gynäkologie: Siehe Klein» 
Hirsch und Hey mann zum Thema Röntgenbestrahlung. 


Urologie. 

Kielleuthner-Münohen: Wert der endovesicalen Operationen. 
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) Vortrag, gehalten im Aerzt- 
lichen Verein zu München am 18. November 1912; cf. diese Wochenschr., 
1913, Nr. 4, S. 191. Dünner. 

Siehe auch Röntgenologie: Schramm, Darstellung der ab¬ 
leitenden Harnwege duroh Collargolröntgenaufnahme. J. u. S. Rat er a, 
Nierenstein. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

Renz: Zur physikalischen Behandlung der Hautkrankheiten. 
(Zeitschr. f. physikal. u. diätet. Therapie, Mai 1913.) Verf. bespricht 
die Erfolge, die er mit Hydrotherapie und elektrischer Bogenlicht¬ 
behandlung bei einigen Hautleiden erzielt hat. Richtig angewandt, ver¬ 
trägt auch das Ekzem Wasserbehandlung, vor allem kurze heisse Pro¬ 
zeduren. Ausser bei der Psoriasis wurden auch bei der Furunculosis 
gute Wirkungen erzielt, und zwar mit Dampfkompressen und Bogen¬ 
lichtbestrahlung. Gegen Acne, Hyperidrosis usw. werden speziellere 
Vorschriften angegeben. E. Tobias. 

P. Uhlenhuth und P. Mulzer-Strassburg i. E.: Ueber die In¬ 
fektiosität von Milch syphilitischer Frauen. (Deutsche med. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 19.) Die Milch syphilitischer Frauen kann unter Um¬ 
ständen infektiös sein. In 2 Fällen gelang es den Verff., durch Ver¬ 
impfung von Milch syphilitischer Wöchnerinnen bei Kaninohen einwand¬ 
freie Hodensyphilome zu erzeugen. Einer dieser Fälle betraf sogar eine 
symptomenlose Mutter (mit positiver Wassermann’scher Reaktion). Man 
wird demnach in der Auswahl von Ammen ganz besonders vorsichtig 
sein müssen. Positive Wasserraann’sche Reaktion muss in jedem Falle 
Grund zur Abweisung sein. Der Weg der Infektion geht möglicherweise 
durch den Magen. Allerdings bewirkt stark konzentrierter Magensaft in 
vitro ein fast sofortiges Unbeweglichwerden der Spirochäten. 

Wolfsohn. 


Geburtshilfe und Gynäkologie. 

O. Schöner-Rottach: Zur Frage der Vorausbestimmnng des Ge¬ 
schlechts beim Menschen. (Hegar’s Beitr. z. Geburtsh. u. Gynäkol. 
Bd. 18, H. 2.) Eine letzte Antwort in der Polemik gegen Weinberg. 

Y- Kasashima - Tübingen: Pantopon - Scopolamindämmersohlaf. 
(Hegar’s Beitr. z. Geburtsh. u. Gynäkol., Bd. 18, H. 1.) Gegenüber¬ 
stellung zweier Tabellen: a) über 442 Operationen mit Pantopon Scopol- 
amindämmerschlaf und Lumbalanästhesie; b) über 437 Operationen mit 
Morphium-ScopolamiDdämmerschlaf und Lumbalanästhesie. Es ergibt 
sich daraus, dass bei Morphium-Scopolaminschlaf doppelt so viel Nar¬ 
kosenstörungen auftraten wie bei dem mit Pantopon-Scopolamin. 

K. Hoffmann - Dresden. 

F. Ertl-Linz: Klinische Versuche mit wehenanregenden Mitteln. 
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) Pituitrin (Parke, Davis) 
und Pituglandol (La Roche) bewährten sich ebenso wie Glanduitrin 
(Richter) als wehenanregende Mittel bei Wehenschwäche in der Er- 
öffnungs- und Austreibungsperiode. Secacornin (La Roche) und Systogen 
(Zyma) sind sehr brauchbare Mittel bei Wehenschwäche (Atonie) in der 
Nachgeburtsperiode. Secacornin eignet sich in geringen Dosen (bis 
höchstens 0,5 ccm) auch als wehenanregendes Mittel bei Wehenschwäche 
in der Eröffnungs- und Austreibungsperiode der Geburt. Dünner. 

H.Bayer: Lässt sich der künstliche Abort aus rassehygienischen 
Gründen motivieren? (Hegar’s Beitr. z. Geburtsh. u. Gynäkol., Bd. 18, 
H. 2.) „Paarungshygiene“ ist die erste Forderung im Interesse der 
Rassereinigung. Die Anwendung conceptionsverhindernder Mittel zu 
rassehygienischen Zwecken ist berechtigt, zuweilen sogar notwendig. 
Den künstlichen Abortus aus rassehygienischen Gründen — im Interesse 
des Kindes und der weiteren Nachkommenschaft — auszuführen sind 
wir im Prinzip berechtigt. Da wir aber bei dem jetzigen Stande der 
Wissenschaft von den Lebensaussichten des Kindes im Einzelfalle gar 
nichts Bestimmtes wissen, so ist die rassehygienische Indikation des 
künstlichen Abortus zu verwerfen. K. Hoffmann - Dresden. 

P. H ü s s y - Basel: Ein Fall von tödlicher Peritonitis nach Laminaria- 

dilatation. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 17.) Warnung vor 
Laminariadilatatoren. Dünner. 

Benthin - Königsberg: Ueber den Kohlehydratstoffwechsel in der 
Gravidität und bei der Eklampsie. Ein Beitrag zur Frage der 
Leberinsuffizienz. (Monatsschrift f. Geburtshilfe u. Gynäkologie, 
März 1913.) Die Störungen im Kohlehydratstoffwechsel sind nur 
geringgradige, wie die Untersuchungen anderer Autoren und eigene 
über den Blutzuckergehalt zeigen. Bei den beobachteten Alterationen 
ist dem Einfluss der Drüsen mit innerer Sekretion, die zu zeitweiliger 
Störung des physiologischen Gleichgewichts führen, Beachtung zu 
schenken. Bei der Eklampsie kommt es zu einem Anstieg des Blut¬ 
zuckers, der aber eine direkte Folge der Krämpfe ist. Eine erhebliche 
Beeinträchtigung der Leberfunktion in der Gravidität ist nicht anzu¬ 
nehmen; jedenfalls kommt eine solche als ätiologischer Faktor der 
Eklampsie nicht in Betracht. 

v. d. Hoeven-Leiden: Die Stellung der verschiedenen Kunstgehurten 
in bezug aufeinander. (Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. März 1913.) 
Auf Grund einer Zusammenstellung der in der Literatur niedergelegten 
Ergebnisse und meiner eigenen Resultate kommt Verf. zu dem Ergebnis, 
dass es sowohl um der Mutter wie um des Kindes willen, unser Bestreben 
sein muss, die Geburt womöglich ohne Kunsthilfe verlaufen zu lassen 
und Sorge dafür zu tragen, dass der Schädel nicht zu stark gedrückt 
wird. Ist die Conjugata vera grösser als 8,5 cm, so nehme man 
den Eihautstich im letzten Monat der Schwangerschaft vor, sobald der 
Schädel Neigung zeigt, über der Symphyse hervorzuquellen. Ist der 
Zeitpunkt für die Frühgeburt versäumt, so versuche man zuerst die ma¬ 
nuelle Blasensprengung. Zeigt sich diese unzureichend, so lege man bei 
völliger Eröffnung die Zange an, eventuell versuohe man die Heb¬ 
osteotomie. Ist die Conjugata vera kleiner als 8,5 cm, so ist die Sectio 
caesarea die Operation der Wahl. Die Prognose für alle diese Opera¬ 
tionen ist in der Klinik so viel besser als im Privathaus, dass alle Frauen 
mit verengtem Becken ihre Niederkunft in einer Klinik abwarten sollten. 

Kriwsky-Petersburg: Zur Frage von der Hebosteotomie. (Monats¬ 
schrift f. Geburtsh. u. Gynäk. April 1913.) Bei Mehrgebärenden mit 
geringer Beckenverengerung (Conjugata vera nicht unter 7 cm) ist die Heb¬ 
osteotomie ungefährlich und daher die Operation der Wahl. Bei Erst¬ 
gebärenden ist sie nur zu machen, wenn sonst nur die Perforation der 
lebenden Frucht in Frage kommt und der Kaiserschnitt nicht anwend¬ 
bar ist. Zum Schutz der Weichteile empfiehlt sich dann eine prophy¬ 
laktische Inzision nach Schuchardt. Die ungefährlichste Methode ist 
die von D öder lein. Nach der Hebosteotomie muss die Geburt sofort 
(durch Foroeps oder Wendung) beendet werden. Die Nachbehandlung 
beansprucht keinerlei besondere Vorrichtungen; eine frühzeitige Söiten- 
lage ist anzuempfehlen. Die Verwachsung der zersägten Knochenenden 
geht nicht so bald vor sich; es bildet sich entweder eine knöcherne oder 
bindegewebige Narbe; eine bleibende Erweiterung des Beckens kommt 
nicht häufig zustande. L. Zuntz. 

A. Ziegler - Basel: Was* leistet die Deventer-Mttller’sche 'Ent¬ 
wicklung des Schultergtirtels ? (Hegar’s Beitr. z. Geburtsh. u. 
Gynäkol., Bd. 18, H. 2.) „Liegen die Arme vor der Brust in gebeugter 
Haltung, so genügt häufig eine Senkung des Rumpfes, um den ventralen 
Arm unter dem Schambogen hervortreten zu lassen, worauf duroh Er- 


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986 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 21. 


heben des Rumpfes der dorsale Arm über den Damm schneidet"; so be¬ 
schreibt ▼. Herff prägnant den Deventer-Müller’schen Handgriff, bei 
dem also die Armlösung im gewöhnlichen Sinne in Fortfall kommt; Verf. 
schildert das Ergebnis von 575 Extraktionen nach dieser Methode. 

F. A. Loofs- Halle a. S.: Zur Aetiologie der Spfttblatnngen im 

Wochenbett. (Hegar’s Beitr. z. Geburtsh. u. Gynäkol., Bd. 18, H. 2.) 
1. Fall: Exitus durch Verblutung. Pathologisch fand sich ein Aneurysma 
spurium des Cervicalastes der Arteria uterina. 2. Fall: Exitus. Sektion: 
Atheromatöse Veränderungen der nicht geheilten Arteria uterina. 3. Fall: 
Oberhalb des inneren Muttermundes eine halbfingerlange, nach links ins 
Parametrium sich erstreckende Höhlung. Am Eingang der Höhle findet 
sich ein grösseres, frei flottierendes, arterielles Gefäss. Diagnose: 
Uterusruptur. Gemeinsam ist allen drei Fällen die völlige oder be¬ 
ginnende Ausbildung eines Pseudoaneurysmas. Spätblutungen, die 
recidivierenden Charakter zeigen, lassen auf „ Aneurysmablutung“ 
schliessen. Sie sind einzig und allein durch möglichst frühzeitige Ex¬ 
stirpation des Uterus zu retten. K. Hoffmann - Dresden. 

Wall - Breslau: Ueber die Weiterentwicklnng frühgeborener 
Kinder mit besonderer Berücksichtigung späterer nervöser, psychischer 
und intellektueller Störungen. (Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. 
April 1913.) Die von den Neurologen vielfach aufgestellte Behauptung, 
dass frühgeborene Kinder in höherem Maasse als reife zu Little’scher 
Krankheit, Idiotie, Imbecillität und Epilepsie disponiert sind, lässt sich 
bei Zugrundelegung der Geburtsjournale als einzig vollgültigen Beweises 
für die Frühgeburt nicht aufrecht erhalten. Ein grosser Teil der früh¬ 
geborenen Kinder entwickelt sich völlig normal. Bei einem anderen 
Teil macht sich eine gewisse Verzögerung der Entwicklung bemerkbar, 
die sich darin zeigt, dass diese Kinder mit Verspätung laufen und 
sprechen lernen, längere Zeit Bettnässer bleiben als normale Kinder, zu 
Sprechstörungen, Pavor nocturnus und Enuresis nocturna neigen, in der 
Schule zuerst nur mittelmässig oder schlecht mitkommen. Diese Ent¬ 
wickelungsverzögerung ist keine anhaltende und keine irreparable. All¬ 
mählich erfolgt der Ausgleich. Die Schwere der Erscheinungen ist um¬ 
gekehrt proportional der Anfangsgrösse dieser Kinder und steht in einem 
direkten Verhältnis zu den Schädigungen im extrauterinen Leben durch 
mangelhafte Pflege und Ernährung, durch schlechte hygienische Zustände 
und accessorische Krankheiten. L. Zuntz. 

E. Sehrt-Freiburg i. B : Zur thyreogenen Aetiologie der hämor¬ 
rhagischen Metropathien. (Münchener med. Wochenschr., 1918, Nr. 18.) 
S. vermutet, dass bei hämorrhagischen Metropathien eine Störung der 
Beziehung zwischen Ovarien und Schilddrüse besteht, in dem Sinne, dass 
eine Hypofunktion der Thyreoidea vorliegt. Danach würde es sich bei 
diesen Metropathien um Abortivforraen des Myxödems handeln. In der Tat 
konnte S. bei 20 Fällen dieser Art 13 mal alle Zeichen einer Schilddrüsen¬ 
hypofunktion beobachten (relativ^..Leukopenie mit Lymphocytose, Be¬ 
schleunigung der Blutgerinnbarkeit und Herabsetzung der Viscosität), 
die 7 anderen Fälle boten nur zum Teil die Symptome der Hypo¬ 
funktion. S. erörtert in diesem Zusammenhänge auch die Frage der 
Tetanie, Eklampsie und des habituellen Aborts, denen auf Grund 
ähnlicher Beobachtungen wie bei den hämorrhagischen Methropathien der 
Thyreoidea eine ätiologische Bedeutung zuzusprechen ist. Dünner. 

Hirsch - Berlin: Zur Lehre von der Aetiologie und Therapie der 
Uterusblntnageii. (Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., April 1913.) 
Zum Zustandekommen einer Uterusblutung wirken zusammen Hyperämie 
des Beckens und mangelnde Kontraktilität der Uterusmuskulatur. Zur 
Bekämpfung der letzteren erwiesen sich als sehr wirksam Injektionen 
von Ergotinpräparaten (Secacornin 0,25—0,5 g) in die Substanz der 
Portio. Kontraindiziert sind diese Injektionen bei allen akuten Ent¬ 
zündungserscheinungen am Uterus und den Adnexen. Vorbedingung ist 
ein leeres Cavum uteri. 

Mosbacher und Meyer - Frankfurt a. M.: Klinische und ex¬ 
perimentelle Beiträge zur Frage der sogenannten Ausfallerscheinungen. 
(Monatsschr. f. Geburth. u. Gynäkol., März 1913.) Im Gegensatz zu 
anderen Autoren, speziell zu Schi ekele, fanden Verff. bei operativ 
kastrierten Frauen keine gesetzmässige Blutdrucksteigerung, keine er¬ 
höhte Adrenalinglykosurie, keine korrespondierende Cocain mydriasis, 
keine regelmässig auftretenden sogenannten Ausfallserscheinungen. Es 
besteht also kein regelmässig erhöhter Sympathicustonus. Im Gegenteil 
fanden sich bei vielen kastrierten Frauen auch vagotonische Symptome 
im Sinne von Eppinger und Hess (Fehlen des Raohenreflexes, Er¬ 
niedrigung der Pulszahl bei Druck auf den Vagus, Hypersekretion der 
Magenschleimhaut, Dermographismus), und dies besonders bei denjenigen 
Frauen, welche einen Ausfall der Adrenalinglykosurie zeigten. Diese 
wechselnden Befunde sprechen einmal zugunsten des Vorwiegens der 
sympathischen, ein andermal zugunsten der autonomen Uebererregbarkeit. 

Hei mann-Breslau: Die gynäkologische Röntgentherapie. (Monats¬ 
schrift f. Geburtsh. u. Gynäkol. März 1913.) Auf Grund der vorläufig 
noch wenig zahlreichen Fälle der Breslauer Klinik kommt H. zu dem 
Ergebnis, dass die Röntgenbestrahlungen bei Myomkranken und klimak¬ 
terischen Blutungen sehr gute Erfolge erzielt haben; sie ersetzen nicht 
völlig die Operation, aber sie stellen eine wertvolle Bereicherung unserer 
therapeutischen Hilfsmittel dar. L. Zuntz. 

G. Hirsch-München: Die Röntgentherapie bei Myomen und Fi- 
hrosis nteri. (Münchener med. Wochenschr. 1913, Nr. 17.) Bei jeder 
Frau, gleichviel welchen Alters, kann man durch Röntgenbestrahlung 
die Ovarien zerstören, d. h. Amenorrhoe herbeiführen. Zur Erreichung 


dieses Zieles benötigte H. bei Myompatienten durchschnittlich 81 X 
und bei Fibrosispatienten 40 X. Die von anderer Seite angewandten 
grösseren Dosen hält H. für überflüssig. 

G. Klein-München: Röntgenbehandlung bei Careiiom des Uteras, 
der Mamma und der Ovarien. (Münchener med. Wochenschr. 1913, 
Nr. 17.) Mitteilung seiner Erfahrungen. Die Erfolge sind ermutigend. 
Ein definitives Urteil über Heilung kann K. noch nicht abgeben, da er 
seine Fälle noch nicht lange genug in Beobachtung hat. Man muss 
fordern, dass man nicht erst inoperable Garcinome mit Röntgenstrahlen 
behandelt, sondern erst operiert und dann bestrahlt. (Merkwürdig ist, 
dass K. über die Untersuchungen Fiebiger’s, über den Carcinom- 
erreger, nur in der Tageszeitung kurze Berichte fand; die Arbeit 
Fiebiger’s steht in Nr. 13 der Berliner klin. Wochenschrift. Ref.) 

Dünner. 

H. Sellheim - Tübingen: Aggregatznstand, Elastizität lad Festig¬ 
keit des Bauches. (Hegar’s Beitr. z. Geburtsh. u. Gynäkol., Bd. 18, 
H. 1.) Eignet sich nicht zu kurzem Referat. 

L. M. Bossi- Genua: Eierstocks-Uternskrankheiten und Psycho¬ 
pathien. (Hegar’s Beitr. z. Geburtsh. u. Gynäkol., Bd. 18, H. 1.) 
Psychopathien können ebenso wie durch Schwangerschaft, Geburt und 
Puerperium auch durch Erkrankungen des Genitalapparates hervor¬ 
gerufen werden; deshalb sollen Gynäkologen und Vertreter aller Speziali¬ 
täten bei den psychiatrischen Erkrankungen zugezogen werden, damit 
durch Heilung des Grundleidens eine Unterbringung im Irrenhaus über¬ 
flüssig wird. Vorstellung zweier Patientinnen, bei denen psychische 
Veränderungen nach Behandlung ihrer Cervicitis, Endometritis, Endo- 
cervicitis und Retrodeviation des Uterus angeblich verschwunden sind 
und die nach ihrer Heilung normale Schwangerschaften durchgemacht 
haben. K. Hoffmann - Dresden. 

Rathe - Breslau: Pseudomyxoms peritonei mit Beteiligung der 
Ovarien und der Appendix. (Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., März 
1913.) Bei der ersten Operation der Patientin fanden sich gallertige 
Massen in der Bauchhöhle und zwei gallertige Massen enthaltende 
Ovarialtumoren. Nach 2 1 /« Jahren wurde ein entsprechender Tumor der 
Bauohdecken entfernt; nach einem weiteren halben Jahr fanden sich 
massenhafte gallertige Tumoren in der Bauchhöhle und ein entsprechen¬ 
der Tumor der Appendix. Es ist dieser Befund interessant, weil die 
Appendix manchmal der primäre Ursprungsort des Pseudomyxoma peri¬ 
tonei ist. 

Czyborra-Königsberg: Ueber Hämophilie bei Frauen. Monatsschr. 
f. Geburtsh. u. Gynäkol. April 1913.) Bei 2 Frauen, deren Abstammung 
aus Bluterfamilien erst nachträglich festgestellt wurde, kam es nach ein¬ 
fachen plastischen Operationen zu sehr schweren Nachblutungen, die 
zu direkter Lebensgefahr und Störungen im Wundverlauf führten. Da¬ 
bei hatten aber diese Frauen — und dies scheint allgemein gültig zu 
sein — bei ihren spontanen Entbindungen nur sehr geringen Blutverlust. 

L. Zuntz. 

Siehe auch Therapie: Mannaberg, Versuche, Basedow durch 
Röntgenbestrahlung der Ovarien zu beeinflussen. — Röntgenologie: 
Siehe die zahlreichen Referate über Röntgenbestrahlung in der Gynäko¬ 
logie. — Parasitenkunde und Serologie: Ekler, Abderbalden’sche 
Reaktion. 


Augenheilkunde. 

J. Ginzburg - Kiew: Zur Kasuistik der Ptosis congenita mit 
eollateraler Vererbung. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., April 1913.) 
In dem veröffentlichten Falle stammt von gesunden Eltern eine Nach¬ 
kommenschaft, deren mehrere Mitglieder in verschiedenem Grade von 
Ptosis befallen sind. Das erste Kind war gesund geboren, das zweite 
hatte das Leiden nur auf einer Seite, beim dritten Kind ist die Anomalie 
besonders stark und auf beiden Seiten entwickelt; das vierte zeigt die¬ 
selbe auf beiden Seiten, aber bedeutend schwächer entwickelt; das 
fünfte Kind ist wieder vollkommen gesund. Auf diesen Fall sind die 
allgemeinen Grundsätze der Vererbung anwendbar, die in den siebziger 
Jahren des vorigen Jahrhunderts von Mendel angegeben wurden. 

Augst ein-Bromberg: Zur Aetiologie und Therapie des Keratoeoans. 
(Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., April 1913.) Nach den Altgemein¬ 
erscheinungen, dem Resultat der Blutuntersuchung und der erfolgreichen 
Behandlung der Struma und des Keratoconus durch Thyraden, muss 
man in dem veröffentlichten Falle als Grundursache des Krankheits- 
bildes, in dem der Keratoconus ein Symptom darstellt, eine Störung der 
inneren Sekretion, wahrscheinlich der Schilddrüse, annehmen. Der 
Keratoconus mit angeborenen Bildungsanomalien ist zu trennen vom 
Keratoconus ohne sie, der im jugendlichen Alter als Symptom dieser 
Allgemeinerkrankung auftritt. Was die Therapie anbetrifft, so bezeichnet 
Verf. als unzweckmässig alle Operationen mit Exzision der erkrankten 
Hornhautpartien. Es kommt nur die Kauterisation in Frage, und zwar 
ohne die Eröffnung der Vorderkammer. Das Ziel aller Operationen 
muss sein, eine Abflachung des Kegels zur normalen Krümmung der 
Cornea für die Dauer zu erreichen. 

W. L ö h 1 e i n: Ein bisher nicht beobachteter Saprophyt als Erreger von 
Panophtbalmie und Ringabscess der Hornhaat. (Archiv f. Augenheilk., 
Bd. 74, H. 1 u. 2.) Es handelt sich um ein schwach gram positives, 
unbewegliches, geissei-, sporen- und kapselfreies Stäbchen von wechselnder 


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26. MaiI19l8. 


BERLINER KLINiSCHE WOCHENSCHRIFT. 


987 


Grösse, das gern zu grossen Klumpen, kolbigen Formen und Schein¬ 
fäden auswächst, auf Glycerinagar und Kartoffeln am üppigsten und 
unter Bildung einer schleimig glänzenden, zäh zusammenhängenden 
Flächenkultur wächst, gegen Kälte und Hitze recht beständig ist, 
Traubenzucker vergärt, Milch coaguliert und Lackmusmolke bläut. 

F. Mendel. 

G e b b - Greifswald: Experimentelle und klinische Versuche über 
Chemotherapie bei der Diplobacilleninfektion des menschlichen Auges. 
(Münchener med. Wochensehr., 1913, Nr. 18.) G. untersuchte die 
Wirkung von 60 Anilinfarbstoffen' auf die Diplobacillen in den Con- 
junktivitiden und den Ulcera der Cornea. Das Wachstum der Diplo¬ 
kokken wurde von den verschiedenen Farbstoffen verschieden beeinflusst. 
Auf Grund dieser experimentellen Untersuchungen liess G. ein Farben¬ 
gemisch hersteilen, das er nach vorangegangenen tastenden Versuchen 
am Tiere bei Diplobacilleninlektionen eines Patienten mit sehr gutem 
Erfolge anwandte. Der Effekt war besonders dann eklatant, wenn es 
sich um eine reine Diplobacilleninfektion handelte. 

P. Cohn - Mannheim: Behandlung mit Hetoleinträufelung bei 
Iritis. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) C. sah sehr gute 
Erfolge von 2—5 pCt. Hetoleinträufelungen bei Iritis, die er jeden zweiten 
Tag vornahm. Der Lösung fügte er 1 pCt. Novocain zu. Vor jeder Ein¬ 
träufelung wurde ein Tropfen 3proz. Cocain gegeben. Dünner. 

J. Stähli: Persistenz von Resten der fötalen Pupillarmembran. 
(Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., April 1913.) Die Statistik des Verf. 
erstreckt sich auf 800 Fälle mit 1600 Augen. Man findet die Pupillar¬ 
membranreste häufig an beiden Augen ein und desselben Individuums 
vor; das gilt ganz besonders für die Fälle mit fadenförmigen Resten. 
Bei bejahrten Leuten findet man anscheinend relativ seltener Ueberreste 
der fötalen Pupillarmembran als bei jüngeren. 

Greeff: Ueber das Vorkommen von geschlitzten Papillen beim 
Menschen. (Archiv f. Augenheilk., Bd. 74, ü. 1 u. 2.) In allen fünf 
beschriebenen Fällen handelt es sich um ziemlich gleichartige De¬ 
formitäten der Pupillen. Bei heller Beleuchtung erscheinen diese 
schlitzförmig entweder von oben nach unten, oder von rechts nach links, 
oder schräg durch die Iris verlaufend, diese in der ganzen Ausdehnung 
oder nur im mittleren Teile durchsetzend. Die Pupillen wurden meist 
im Dunklen rund oder fast rund. In dem einen Falle ist wohl heredi¬ 
täre Lues vorhanden, in einem andern finden sich noch sonstige Miss¬ 
bildungen des Auges und anderer Körperteile, Ectropium uveae, Mem¬ 
brana pupillaris perseverans, Mikrocornea, Conus nach unten und Fehlen 
von Schneidezahnen. 

H. Haubach: Statistischer Beitrag zum Ort des Beginnes des 
Altersst&rs. (Archiv f. Augenheilk., Bd. 74, H. 1 u. 2.) Der Altersstar 
nimmt mit besonderer Vorliebe seinen Anfang an den unteren Linsen¬ 
partien. In der Ergründung der Aetiologie dieser merkwürdigen Vor¬ 
gänge ist man noch nicht zu positiven einwandfreien Ergebnissen ge¬ 
langt. 

L. Stein - Kreuznach: Untersuchungen über Glasbläserstar. 
(Archiv f. Augenheilk., Bd. 74, H. 1 u. 2.) Aus der Statistik (53 Fälle) 
ist ersichtlich, dass ca. 50pCt. der untersuchten Glasbläser, die sich 
noch im besten Mannesalter befinden, einen beginnenden Star aufweisen. 
Ueber die Hälfte der Bläser war hyperop, die Myopen sind nur in ver¬ 
schwindend kleiner Anzahl vorhanden. Die Vorrichtungen zur Ver¬ 
hütung des Glasbläserstars, die die chemische Strahlenwirkung aufheben 
sollen, haben keinen sonderlichen Erfolg. 

J. Stähli: Zur Anatomie und Pathologie der Loes hereditaria 
tarda oculi. (Archiv f. Augenheilk., Bd. 74, H. 2.) Die Arbeit zer¬ 
fällt in einen klinischen und in einen anatomischen Teil und eignet 
sich nicht zum Referat. 

J. van der Hoeve - Utrecht: Aagenanomalien bei kongenital¬ 
familiärer Taubheit und bei Labyrintherkranknag. (Klin. Monatsbl. f. 
Augenheilk., April 1913.) Verf. untersuchte eine Familie mit drei 
Taubstummen unter sechs Rindern. Bei den vom Verf. untersuchten 
Fällen fanden sich bei angeborener Labyrinthtaubheit öfters, bei später 
acquirierten nur sehr selten Pigmentabweichungen im Auge, und es ist 
bis jetzt noch nicht nachgewiesen, dass die eine Anomalie von der 
anderen abhängig ist. 

K. Boehm - Breslau: Blendungsretinis infolge der Beobachtung 
der Sonnenfinsternis am 17. April 1912. (Klin. Monatsbl f. Augenkeilk., 
April 1913.) Verf. gibt eine statistische Uebersicht über die Augen¬ 
schädigungen durch die Sonnenblendung, die in den Provinzen Schlesien 
und Posen den Augenärzten zur Kenntnis gekommen sind. Das ganze 
Material umfasst 412 Fälle. Unter diesen waren 196 = 59,4 pCt. 
männlichen Geschlechts und 134 = 40,6 pCt. weiblichen. Bei 82 war 
das Geschlecht nicht näher bezeichnet. 

B. Lindenfeld-Warschau: Zur Bildung rosettenartiger FigareB 
Ib der Netzhaut sonst normaler fötaler menschlicher Augen. (Klin. 
Monatsbl. f. Augenheilk., April 1913.) Körnerrosetten, Körnerfalten und 
Anhäufungen undifferenzierter Zellen können in fötalen sonst normalen 
menschlichen Augen Vorkommen. Es ist nicht anzunehmen, dass die 
vom Verf. beschriebenen Rosetten oder Faltenbildungen, die aus 
differenzierten Körnerzellen bestehen, die Urtypen des Glioms darstellen; 
möglicherweise können diese von ähnlichen, jedoch undifferenzierten 
rosettenförmig angeordneten Zellen abstammen. Es muss durch Be¬ 
obachtungen und Experimente nacbgewiesen werden, ob Netzhaut¬ 


veränderungen wie die beschriebenen durch Röntgenstrahlen hervor¬ 
gerufen werden können. 

A. Vogt-Aarau: Willkürliche Erzeugung und Beseitigung von vor¬ 
übergehenden Blendangsskotomen während der Fixation einer grellen 
Fläche. (Archiv f. Augenheilk., Bd. 74, H. 1 u. 2.) Für den Verf. 
steht nach den beschriebenen Versuchen die bisher nicht bekannte Tat¬ 
sache fest, dass es durch unseren Willen möglich ist, in dem einer 
grellen Liohtfiäche konstanter objektiver Helligkeit exponierten Seh¬ 
apparat eine Veränderung hervorzurufen, die in dem willkürlichen Er¬ 
zeugen und Verschwindenlassen von farbigen Blendungsbildern (relativen 
Skotomen) und insbesondere von völligen Verdunkelungen des mittleren 
Gesichtsfeldes (absoluten Skotomen) besteht, welche Veränderung unab¬ 
hängig von Konvergenz, Akkommodation und Pupillenweite ist und ihren 
Sitz sehr wahrscheinlich in der Zapfenregion der Netzhaut hat oder doch 
durch die Funktion dieser Region zum Ausdruck kommt. Die Er¬ 
scheinung lässt sich durch eine vom Willen abhängige Variabilität der 
subjektiven Helligkeit erklären. Es ist annehmbar, dass die beschriebene 
Veränderung auf dem Wege der centrifugalen Fasern der Sehbahn ver¬ 
mittelt wird und ihren Sitz in der Netzhaut hat. 

A. Jess: Die Ringskotome Bach SoBBCBbleBdang. (Archiv f. 
Augenheilk., Bd. 74, H. 1 u. 2.) Die Ringskotome waren in den meisten 
Fällen total, waren sie partiell, so war die untere Gesichtsfeldhälfte er¬ 
griffen. Die Ringskotome sind sämtlich vorübergebende Erscheinungen, 
die immer nur am geblendeten, nie am gesunden Auge in gleicher Weise 
nachzuweisen waren. In nur 6 Fällen überdauerten sie den Zeitraum 
von 4 Wochen. Stets handelte es sich nicht nur um eine Störung der 
Farbenempfindlichkeit, immer gaben die Patienten ein deutliches relatives 
Skotom für weiss an und nur dieses wurde aufgezeichnet; in einigen 
schweren Fällen war das Skotom vorübergehend für Farben absolut. 

Masuda - Tokio: Ein Fall von eigentümlichem Bindegewebsstrang 
um die Papille. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., April 1913.) In dem 
sonst vollkommen normalen Augenhintergrund fällt ein grau-weisser dünner 
Bindegewebsstrang auf, welcher die Papille unregelmässig umkreist. Es 
handelt sich nach der Ansicht des Verfassers wahrscheinlich um einen 
persistenten bindegewebigen Rest irgendeines groben Glaskörpergefässes 
abnormer Art. F. Mendel. 


Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 

M. Senator - Berlin: Weiteres über ätiologische BeziehongeB 
zwischen Rheumatosen und nasalen Erkrankungen. (Deutsche med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 19.) Vortrag, gehalten im Verein für innere 
Medizin und Kinderheilkunde in Berlin am 31. März 1913. 

Fröse-Hannover: Nasenoperationen zur Beseitigung von Kopf¬ 
schmerzen. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 20.) Vortrag, ge¬ 
halten im Aerztliohen Verein zu Hannover am 15. Januar 1913. 

Wolfsohn. 


Hygiene und Sanitätswesen. 

Siehe auch Geburtshilfe und Gynäkologie: Bayer, Künst¬ 
licher Abort aus rassehygienisohen Gründen. 


Technik. 

K. Sato-Tokio: Neues Hämometer. (Deutsche med. Wochenschr., 
1913, Nr. 19.) Eine kleine Menge Blut wird mit folgendem Reagens in 
ein graduiertes Röhrchen hin ein geblasen: 

Konzentrierte Salzsäure 2,0 
Eisessig 5,0 

Destilliertes Wasser 100,0. 

Dabei entsteht eine salzsaure, hämatinähnliohe Lösung, deren Färbung 
mit der eines konstant gefärbten Glasstäbchens verglichen wird. 

Wolfsohn. 

B. L e win s ohn- Altheide: Ein neues Herzplessimeter. (Münchener 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 17.) Dünner. 

Bettmann: Ein fahrbarer Gipstisch. (Archiv f. Orthop., Mechano- 
therapie u. Unfallheilk., 1913, Bd. 12, H. 3.) Beschreibung eines von 
Schädel-Leipzig lieferbaren Tisches, der alle zur Gipstechnik nötigen 
Utensilien übersichtlich angeordnet enthält und gleichzeitig auch mit 
Kästen zum Einlegen der Gipsbinden und zum Waschen der Hände ver¬ 
sehen ist. M. Strauss. 

H. Spitzy-Graz: Instrument zur radikalen Phimosenoperätion. 
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) 

A. Freudenberg - Berlin: Ein elektrisches Beckendammheizkissen 
in Badehosenform. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) 

Dünner. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 2l. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 7. Mai 1913. 

Vorsitzender: Herr Orth. 

Schriftführer: Herr F. Krause. 

Vorsitzender: Ich habe eine Reihe von geschäftlichen Mitteilungen 
zu machen. 

Zunächst begrüsse ich als Gäste Herrn Prof. Fibiger aus Kopen¬ 
hagen und Herrn Dr. Salzmann aus Helsingfors. 

In der letzten Sitzung der Aufnahmekommission sind folgende 
Herren aufgenommen worden; Walter Levinthal, Siegfried Simon, 
Klotzer,O.Sprinz, Alfred Totzke, Emil Loewenstein, W.Enters, 
San.-Rat Ernst Friedländer, Peter Danielsohn, M. Herbst, 
Hermann Meyer, Meyersohn, Hans Fronzig, Max Klopstock. 

Ausgeschieden ist wegen Aufgabe seiner medizinischen Tätigkeit 
Herr Dr. Fritz v. Liebermann, Mitglied seit 1891. 

Vor der Tagesordnung habe ich Herrn v. Hansemann das Wort 
zu geben zu einer kurzen Demonstration von Präparaten, die zwar keine 
frischen Präparate sind, aber wegen des Interesses und weil der Ver¬ 
fertiger, Herr Prof. Fibiger, hier persönlich anwesend ist, dachte ich 
vor der Tagesordnung das Wort erteilen zu dürfen. 

Vor der Tagesordnung. 

Hr. v. Hansemann: 

Demonstration von Präparaten des Herrn Fibiger znr künstlichen 
Erzeugung von Krebs. 

Sie werden sich erinnern, dass in der letzten Sitzung vor den Oster¬ 
feiertagen Herr Saul hier der Arbeit des Herrn Fibiger Erwähnung 
tat, in der mitgeteiit worden ist, dass bei Ratten künstlich Garcinome 
erzeugt worden sind. Allen denjenigen von Ihnen, die die vorläufige 
Mitteilung des Herrn Fibiger in der Berliner klinischen Wochenschrilt 
gelesen haben, wird es klar geworden sein, dass die Arbeit des Herrn 
Fibiger in den Worten des Herrn Saul durchaus zu kurz gekommen 
ist, und dass die Bedeutung, die dieser Arbeit zukommt, nicht in der 
genügenden Weise gewürdigt wurde. Die Bedeutung der Untersuchungen 
des Herrn Fibiger beruht im wesentlichen nicht darauf, dass er aufs 
neue festgestellt hat, dass durch gewisse tierische Parasiten, wie wir es 
ja von der Bilharzia schon kennen, gelegentlich ein Carcinom entstehen 
kann, sondern die Bedeutung dieser Untersuchungen liegt darin, dass 
Herr Fibiger tatsächlich zum ersten Male ein solches Carcinom künst¬ 
lich erzeugt hat, nicht nur bei einem Tiere, sondern bei mehreren. 
Nun sind freilich auch schon wiederholt, wie Sie wissen, künstliche Car- 
cinome, und zwar beim Menschen, durch Röntgenstrahlen erzeugt worden, 
aber das ist unabsichtlich geschehen, und es ist bisher noch nicht mög¬ 
lich gewesen, bei Tieren durch Röntgenstrahlen etwas Aehnliches zu er¬ 
zielen. Was Herr Fibiger aber hier gemacht hat, das ist das gewesen, 
dass er mit voller Absicht und Zielbewusstsein Carcinome bei Ratten 
erzeugt hat durch Uebertragung eines Parasiten, dessen Generations¬ 
wechsel er festgestellt hat, und den er kultiviert hat durch Uebertragung 
auf andere Tiere, auf die Küchenschabe, dass er ferner durch die Ueber¬ 
tragung des Parasiten auf Ratten wieder Magencarcinome erzeugt hat. 
Es sind das typische Magencarcinome, die nicht etwa bloss durch die 
histologische Diagnose festgestellt sind — wobei man ja schliesslich 
diskutieren könnte, ob es wirklich Krebse waren oder nicht —, sondern 
dadurch konstatiert, dass sie Metastasen in den Lymphdrüsen und in 
der Lunge gemacht haben. Weiter ist das Bedeutungsvolle wiederum, 
dass in diesen Metastasen die Parasiten nicht anwesend sind, wonach 
also, wie Herr Fibiger in seiner Arbeit ganz richtig hervorgehoben hat, 
die Parasiten nicht Krebsparasiten sind, sondern einen Reiz hervor¬ 
bringen, ganz wie bei der Bilharzia, wodurch eine Art Entzündung und 
eine Wucherung entsteht, und diese Wucherung geht dann selbständig 
in Krebs über. 

Das schien mir doch von solcher Bedeutung zu sein, dass ich 
glaubte, die medizinische Gesellschaft hätte ein Anrecht darauf, etwas 
davon zu sehen, und da Herr Fibiger die Liebenswürdigkeit gehabt 
hat, mir Präparate zu überschicken, so habe ich mir erlaubt, diese Prä¬ 
parate dort aufzustellen. Sie werden dort unter Lupenvergrösserung ein 
Uebersichtspräparat sehen. Dann werden Sie unter dem Mikroskop ver¬ 
schiedene Schnitte durch die Wucherungen des Magens sehen, auch 
Stellen, wo der Parasit und dessen Eier liegen, nicht in der Geschwulst, 
sondern an deren Oberfläche. Dann werden Sie Schnitte von den 
Metastasen in den Lymphdrüsen und in den Lungen sehen, und endlich 
ist ein Präparat von einem analogen Mäusetumor aufgesteilt, der aber, 
wie Herr Fibiger mir eben mitgeteilt hat, nicht Krebs, sondern 
nur eine papilläre Wucherung darstellt, welche durch die gleichen Para¬ 
siten hervorgebracht wird. 

Es ist ein Zufall, dass Herr Fibiger heute hier ist. Ich weiss 
nicht, ob der Herr Vorsitzende wohl gestatten würde, dass Herr Fibiger 
noch einige Worte zu diesen interessanten Präparaten spricht, die wir 
ihm verdanken. 

Vorsitzender: Selbstverständlich; bitte, Herr Fibiger. 

Diskussion. 

Hr. Fibiger (a. G.): Wie Herr Geheimrat v. Hansemann schon 
mitgeteilt hat, hatte ich gar keine Ahnung davon, dass ich heute abend 


die Ehre haben würde, hier meine Präparate demonstriert zu sehen. Ich 
bitte zunächst Herrn Geheimen Medizinalrat v. Hansemann, meinen 
Dank entgegenzunehmen, nicht nur für die Demonstration, sondern auch 
für die Anerkennung, die er meinen Untersuchungen gezollt hat. 

Ich habe meiner kurzen Mitteilung in der Beliner klinischen Wochen¬ 
schrift ganz wenig hinzuzuiügen. Es wird in der nächsten Zeit in der 
Zeitschrift für Krebsforschung eine ausführliche Mitteilung erscheinen, 
wo die Details veröffentlicht werden sollen. Es sei mir aber gestattet, 
hier einige Worte über die Untersuchungen zu sagen, die später aus¬ 
geführt worden sind. Natürlicherweise wird es der Hauptzweck dieser 
Untersuchungen sein, erstens, wenn möglich, festzustellen zu suchen, 
unter welchen Bedingungen es gelingt, überhaupt papillomatöse Tumoren 
willkürlich carcinomatös zu verändern. 

Es steht zu hoffen, dass vielleicht mit grosser Mühe eine Versuchs- 
metbode gewonnen werden kann, die uns in den Stand setzt, das Ziel 
zu erreichen. Natürlich wird auch das Ziel der künftigen Untersuchung 
sein, die Tumoren zu transplantieren. Ich habe schon mehrmals Ver¬ 
suche darüber gemacht, muss aber einräumen, dass es vorläufig noch 
nicht gelungen ist. 

Die Untersuchungen, die ich nach der kurzen Mitteilung in der 
Berliner klinischen Wochenschrift angestellt habe, haben in erster Linie 
den Zweck gehabt, Ratten mit Nematoden zu infizieren, damit ich sicher 
sein konnte, dass mir die Nematoden nicht aussterben. 

Wie vielleicht einigen der Herren bekannt geworden ist, sind meine 
früher publizierten Versuche hauptsächlich mit der grossen hellbraunen 
amerikanischen Schabe, die sich hier im Norden verhältnismässig selten 
findet, angestellt worden. Dass auch die gewöhnliche Küchenschabe, 
Periplaneta orientalis, als Zwischenwirt der Nematoden dienen kann, 
wurde gleichzeitig festgestellt. 

Meine späteren Versuche, die noch bei weitem nicht abgeschlossen 
sind, haben dann unter anderem natürlich den Zweck gehabt, darzutun, 
dass, auch wenn die Nematode der Küchenschabe auf die Ratten über¬ 
tragen wird, Geschwülste und Cancroide sich entwickeln können. 

Es ist mir gelungen, dies naohzuweisen, indem ich jetzt fünf bis 
sechs sehr starke Papillome bei in dieser Weise infizierten Ratten ge¬ 
funden habe und darunter einen Fall von Cancroid, wie Sie in einem 
aufgestellten Präparat sehen können. Ferner ist festgestellt worden, 
dass die Nematode auch die am meisten verbreitete Schabenarzt Blatta 
germanica, die ganz kleine Schabe, als Zwischenwirt benutzen kann. Ich 
muss aber hinzufügen, dass die Uebertragung durch diese Schabenart 
aus mehreren Gründen sicher weniger gute Resultate geben würde, in 
erster Linie, weil die Blatta germanica viel kleiner als die andere Schabe 
ist und darum Nematoden nur in spärlicher Zahl enthalten kann. 

Als Kuriosum kann ich nooh mitteilen, dass der gewöhnliche Mehl¬ 
käfer, Tenebrio molitor, der als Zwischenwirt einer anderen Nematode 
dient, auch als Zwischenwirt der von mir gefundenen Nematode benutzt 
werden kann. 

Grössere Bedeutung muss meiner Meinung nach dem Umstande bei¬ 
gelegt werden, dass die von mir gefundene Spiroptera sich nicht nur 
auf Ratten, sondern auch auf Mäuse übertragen lässt. Wie bekannt, 
sind Mäuse in weit höherem Grade als Ratten für Carcinomentwicklung 
disponiert, und die meines Wissens einzigen genau beschriebenen zwei 
Fälle von Cancroid des Vormagens bei Nagern sind eben bei Mäusen 
von Murray gefunden worden. Möglicherweise werden da Versuche an 
Mäusen gute Resultate ergeben. Diese Versuche sind jetzt eben be¬ 
gonnen worden. Ich habe auch schon sehr starke Papillomatose in dem 
Vormagen dieser Tiere gefunden und erlaube mir, auf das aufgestellte 
Präparat hinzuweisen. Inwieweit auch grössere Nager, wie Meerschwein¬ 
chen und Kaninchen oder ähnliche Tiere sich empfänglich zeigen, werde 
ich demnächst untersuchen. 

Zum Schluss möchte ich noch hinzufügen, dass es mir, sobald ich 
dazu imstande sein werde, d. h. sobald ich die ausreichende Zahl von 
infizierten Ratten besitze, eine angenehme Pflicht sein wird, meine Nema¬ 
toden anderen Instituten zu übergeben, um sie in den Stand zu setzen, 
meine Versuche zu kontrollieren und nachzumachen, damit die Fort¬ 
schritte, die möglicherweise durch diese Experimente erreicht werden 
können, so schnell wie möglich erreicht werden. 

Hr. C. Lewin: Ich möchte doch nicht versäumen, im Anschluss an 
diese Untersuchungen von Herrn Fibiger daraufhinzuweisen, dass noch 
eine andere Arbeit in der letzten Zeit das lebhafteste Interesse der¬ 
jenigen, die sich für die Aetiologie des Krebses interessieren, hervor¬ 
gerufen hat, das ist die Arbeit von PeytonRous im Rockefeiler- 
Institut. Herr Fibiger hat in seiner Arbeit schon angedeutet, es 
könne die Möglichkeit vorliegen, dass die Nematoden, welche seine 
Carcinome erzeugen, auch wiederum als Zwischenträger für ein invisibles 
Virus fungieren. Diese von Herrn Fibiger geäusserte Anschauung er¬ 
schien mir deswegen sehr beachtenswert, weil nämlich Peyton Rous 
durch invisibles Virus ein Hühnersarkom von Spindelzellencharakter und 
neuerdings auch ein Hühnersarkom von Osteochondrosarkomcharakter 
übertragen konnte, d. h. er hat die zerriebene Geschwulst durch Berke- 
feldfilter filtriert und mit der absolut zellfreien Flüssigkeit die gleich¬ 
artigen Tumoren bei anderen Hühnern erzeugt unter Einspritzung von 
Kieselgur, um eine mechanische Reizung hervorzurufen. So ist es ihm 
gelungen, Osteochondrosarkom jedesmal mit diesem zellfreien Filtrat su 
übertragen und überall Sarkom mit Knorpelgewebswucherung durch zell¬ 
freies Infiltrat zu übertragen. Im Hinblick auf diese Arbeit erscheint 


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26. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


989 


die Ansicht des Herrn Fibiger, dass dort noch ein invisibles Virus im 
Spiel sein könnte, doch sehr wahrscheinlich. 

2. Hr. Katzenstein: 

Heilung einer fast völligen AnnlShmung durch Plexnspfropfung von 
der anderen Seite her. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

Diskussion. 

Hr. Toby Cohn: Der Herr Vortragende hat nicht erwähnt, dass 
es sich um eine 7 Jahre lang bestehende poliomyelitische Lähmung 
handelt. Ich möchte ferner bestätigen, dass vor der Operation ledig¬ 
lich eine kraftlose, rasch erschlaffende Extension der Grundphalangen 
der vier letzten Finger, eine ebenso kraftlose Vorderarmilexion sowie 
eine Spur von Handgeleoksflexion aktiv ausführbar waren. Das war 
alles, was da war. Jetzt dagegen ist vorhanden: eine Extension der 
vier letzten Finger in den Grundphalangen, eine etwas schwächere 
Extension in den Mittelphalangen, Flexion in Grund- und Mittel¬ 
phalangen, Adduktion und Abduktion des Daumens, Extension des 
Handgelenks, Supination und Pronation des Vorderarmes, Extension und 
Flexion im Ellenbogen, sowohl in halber Pronations- als in Mittel¬ 
stellung zwischen Pronation und Supination. 

leb will auf den elektrischen Befund, der sehr interessant ist, nicht 
näher eingehen, weil ich glaube, dass sich die elektrische Erregbarkeit 
in der nächsten Zeit (etwa in den nächsten 2—3 Monaten) voraussicht¬ 
lich noch ändern wird. Ich möchte Sie nur noch einmal — Sie haben 
das ja auch durch Ihren Beifall gezeigt — auf die ausserordentliche 
prinzipielle Wichtigkeit des Falles hinweisen. Diese Operation zeigt 
einen neuen Weg, auf dem bei diesen sonst ganz trostlosen Fällen eine 
Gebrauchsfähigkeit eines Armes erzielbar ist. 

3. Hr. fiontermann-Spandau: 

Demonstration von Kalkablagernngen unter die Bant. 

Gestatten Sie, dass ich Ihnen kurz einen Fall von Kalkablage¬ 
rungen unter die Haut der Hand einer jungen Dame demonstriere. 
Die Anamnese ist folgende: Zeichen von Gicht sind weder bei der 
Patientin, noch deren Familie vorhanden. Das Leiden begann vor 
2 Jahren. Damals schnitt Patientin etwa eine halbe Stunde lang mit einem 
Messer Brot, wobei die Gegend des vierten Metacarpophalangealgelenkes 
der Hohlhand besonders stark dem Druck des Messergriffes ausgesetzt 
war ohne äussere Verletzung. 

An dieser Stelle hatte sich nach einigen Wochen eine Schwiele ge¬ 
bildet, unter welcher bald ein Knoten entstand. Derselbe nahm 
langsam an Grösse zu, ohne zu schmerzen. 

Vor V« Jahr sah ich die Patientin zum erstenmal. Damals lag 
unter der dünnen Hohlhandsohwiele des vierten Fingers ein linsengrosser, 
harter Tumor, anscheinend ohne Zusammenhang mit der Haut, auf der 
Unterlage beweglich, nicht schmerzhaft. Ich hielt denselben für eine 
traumatische, fibröse Verdickung im Unterhautfettgewebe auf Grundlage 
eines Hämatoms und verordnete resorbierende Mittel. Vor 5 Wochen 
sah ich die Patientin wieder. Das Bild war ein ganz anderes. In der 
Umgebung des alten Knotens waren mehrere neue entstanden, grössere 
und kleinere, alle frei im subcutanen Gewebe liegend. Besonders zahl¬ 
reich und deutlich waren sie an der Basis des fünften Fingers aufge¬ 
treten, wo sie im Begriff waren, den Finger nach dem Dorsum zu um¬ 
wachsen. Die Schwiele des vierten Finger war dicker und höokeriger 
geworden. 

Eine Probeinzision am fünften Finger stellte fest, dass es sich um 
kleine, stecknadelkopf- bis kleinerbsengrosse Tumoren handelte mit 
zarter Kapsel, von weissgelblicher Farbe, im Fett liegend, zerstreut oder 
nebeneinander, nirgends mit der Haut verwachsen. Die Kapsel war 
sehr dünn und riss öfter ein. Dann entleerte sich ein weisser Brei, der 
aus kohlensaurem und phosphorsaurem Kalk bestand. Herr Geheimrat 
v. Hansemann hatte die Liebenswürdigkeit, einen Kalkknoten zu unter¬ 
suchen und wird darüber berichten. 

Herr San.-Rat Wechselmann war so freundlich, sich auf meine 
Bitte für den mir unbekannten Fall zu interessieren und erkannte, dass 
es sich um ein in der dermatologischen Literatur mehrfach beschriebenes 
Krankheitsbild von traumatischer Kalkablagerung unter die Haut ban¬ 
delte. Auf dem auf sein Anraten angefertigten Röntgenbild sieht man 
die kugligen, starken Schatten gebenden Gebilde. Dieselben haben sich 
seit V 4 Jahr auffallend vermehrt. Man hat den Eindruck, als wenn sie 
nach der Peripherie zu mit der Gefässverzweigung weiterwüchsen. So 
sieht man bereits Andeutungen derselben an der Ulnarseite des vierten 
Fingers bis an die Spitze desselben. 

Man fühlt diese Knoten deutlich an der Basis des vierten Fingers 
vor der Sehnenscheide, wenn man die Sehne zwischen zwei Finger 
nimmt. 

Seit einigen Wochen ist die Schwiele deutlich mit ihnen verwachsen, 
was mir anfangs nicht der Fall zu sein schien. 

Die Schwiele ist höckriger geworden dadurch, dass die Kalkknoten 
allmählich nach der Oberfläche gewandert sind und die Hornschicht per¬ 
forieren. So sieht man auf der Schwiele eine stecknadelkopfgrosse, 
frische Delle, aus weloher ich heute morgen ein kleines Kalkkügelchen 
herausgehoben habe. Anfangs lagen die Kalkknoten unsichtbar unter 
der unveränderten Haut. 

Aetiologisch kommt meines Erachtens das Trauma in Betracht, 
welches durch den Druck des Messergriffs gegeben wurde. Seine Wir¬ 
kung ist wohl im Sinne Jaddassohn’s zu erklären, dass eine Gewebs¬ 


schädigung verursacht wurde. An der Stelle dieses Locus min. 
resistentiae lagerte sich der Kalk ab. 

Ungeklärt in meinem Fall sind zwei Beobachtungen: 1. dass die 
Kalkknoten sich in letzter Zeit so schnell vermehren, dass man an die 
Beteiligung von Mikroorganismen denken könnte; 2. dass die Vermehrung 
im Fettgewebe stattfindet, und zwar nach der Peripherie der Finger hin. 

Diskussion. 

Hr. v. Hanse mann: Ich habe nur ganz wenige Worte hinzu¬ 
zufügen. 

Der Fall ist deswegen bemerkenswert, weil solche Dinge überaus 
selten sind. Es ist, soweit ich aus der Literatur ersehe, erst der vierte 
Fall, der überhaupt zur Kognition gekommen ist. 

Wenn Sie das Präparat ansehen wollen, das da aufgestellt ist, so 
werden Sie sehen, dass die Kalkconcremente kaum ein organisches Sub¬ 
strat haben, sondern dass sie sich fast vollständig auflösen. Es bleiben 
nur ganz kleine Spuren amorpher Substanz zurück. Sie lassen sich 
sehr leicht auflösen. In Salzsäure schäumen sie sehr stark. Sie be¬ 
stehen in der Tat aus kohlensaurem Kalk. Es sind Spuren von phos¬ 
phorsaurem Kalk beigemischt. Sie liegen vollständig ohne irgendwelche 
Einkapselung im Unterhautfettgewebe, aber es hat sich dann reaktiv um 
diese Kalkkörper herum junge Gewebsbildung eingestellt mit Granulations¬ 
gewebe und mit Fremdkörperriesenzellen, die in grosser Zahl um den 
Kalk herumliegen. Also Sie werden im wesentlichen an den Stellen, 
wo die Kalkkörper gelegen haben, jetzt ein Loch sehen. 

Ueber die Aetiologie vermag ich Ihnen auch nichts weiter auszu- 
sagen. Herr Gontermann hat wohl vergessen, anzuführen, dass die 
Patientin sich in neuerer Zeit eine Syphilis geholt hat, die sie aber 
noch nicht hatte, als die Affektion anfing, die also keineswegs als Aetio¬ 
logie aufzufassen ist, die aber doch vielleicht für die Propagation in 
Frage kommt. 

Tagesordn ung. 

Hr. E. Bomm: 

Ueber die Erfolge der Röntgen- und Mesothorinmbehandlnng bei 
Careinom der weibliehen Genitalien. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 


Vereinigung zur Pflege der vergleichenden Pathologie. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 30. Januar 1913. 

Vorsitzender: Herr L. Pick. 

Schriftführer: Herr Max Koch. 

1. Hj Mat Koch: 

Demonstration von Sehilddrüsengesehwulsten des Hnndes. (Nach 
Untersuchungen von Dr. Johann Schaaf.) 

Zu fast sämtlichen bei Menschen an der Schilddrüse beobachteten 
Veränderungen oder mit ihr in Zusammenhang gebrachten pathologischen 
Zuständen finden sich Parallelen bei den Tieren. So liegen in der 
Literatur Angaben vor über angeborenen sporadischen und endemischen 
Kropf bei Tieren, über bösartige Kropfgeschwülste (Krebs), über Kreti¬ 
nismus, Myxödem, Basedow’sche Krankheit usw. Ueber das Vorkommen 
von Kröpfen oder Geschwülsten der Schilddrüse bei den Wirbeltierklassen 
unterhalb der Säugetiere liegen nur sehr wenige Beobachtungen vor. 
Hier sei nur auf die interessanten Beobachtungen M. Plehn’s u. a. 
über den endemischen Krebs der Schilddrüse bei Salmoniden und das 
durch Pick und Poll nachgewieseoe Vorkommen einer Struma thyreoidea 
bei einer Schlangenhalsschildkröte hingewiesen. Ueber das Vorkommen 
derartiger Bildungen bei Säugetieren finden sich zahlreiche Angaben. 
Von wilden, in der Gefangenschaft gehaltenen Säugetieren wird das Vor¬ 
kommen von Kropf bei folgenden Arten erwähnt: bei einer Löwin 
(Jakimow) und beim Bär (Leisering), beim Korsak (Canis corsac) 
(Hilgendorf und Paulicki), beim Dromedar und bei der Giraffe 
(Johne), beim Präriewolf (Präparat in der Sammlung der Berliner tier¬ 
ärztlichen Hochschule nach Schaaf). Von den Haustieren sind Angaben 
über das Vorkommen von Kropfgeschwülsten bei Hund, Katze, Pferd, 
Rind, Ziege, Schaf, Schwein vorhanden. Bei weitem am häufigsten wird 
der Hund von diesen Leiden befallen. Da über die Häufigkeit und den 
Bau der Geschwülste der Schilddrüsen bei Berliner Hunden bisher noch 
keine systematische Untersuchung vorlag, so bat Herr Dr. Johann 
Sohaaf im Institut und unter Anleitung des Vortragenden diese Fragen 
einer Untersuchung unterzogen. Untersucht wurden im ganzen 500 Hunde, 
die von Herrn Dr. Jost aus der Hauptsammelstelle der städtischen 
Flei8ohvernichtungsanstalt in dankenswerter Weise zur Verfügung ge¬ 
stellt wurden. Da keine Auswahl getroffen wurde, so handelt es sich 
um Hunde aller Rassen und jeden Alters. Am häufigsten waren darunter 
Foxterriers, Spitze, Dackel und Bastarde von diesen. 

Die normale Schilddrüse des Hundes ist ein paariges Gebilde von, 
der Grösse und Form eines Dattelkernes. Die Lappen liegen der Luft¬ 
röhre zu beiden Seiten direkt an, eine Verbindung zwischen beiden 
(Isthmus) fand sich nur bei pathologisch veränderten Schilddrüsen. Als 
Durchschnittsgewicht ergab sich nach von Herrn Dr. Schaaf ausge¬ 
führten genauen Wägungen von 30 Hunden 150—500 mg pro Kilogramm 
Körpergewicht, was etwa einem zwischen 1,5 und 12 g differierenden 
Gewiohte entspricht. Bei jungen Hunden ist sie im Verhältnis zum 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 21. 


Körpergewicht am grössten, der rechte Lappen ist fast durchweg etwas 
grösser als der linke. 

Von den untersuchten 500 Hunden erwiesen sich 35 als mit ver- 
grösserten oder erkrankten Schilddrüsen behaftet. Davon gehörten 28 
zu der gutartigen, 7 zu der bösartigen Form der Struma. Der Rasse 
nach handelt es sich meistens um Foxterriers, doch ist dabei zu berück¬ 
sichtigen, dass diese Rasse auch das Hauptkontingent zur Gesamtzahl 
stellt. Bemerkenswert erscheint, dass mit nur wenigen Ausnahmen nur 
ältere Hunde erkrankt sind, woraus hervorgeht, dass es sich ausschliess¬ 
lich um erworbenen Kropf handelt. Bei den mit der bösartigen Form 
der Struma behafteten Hunden handelt es sich durchgängig um ältere 
Hunde, und zwar waren je zwei 6 Jahre, einer 7, zwei 8 und je einer 
12 bzw. 15 Jahre alt. 

Die interessante Frage, ob der Kropf der Hunde in Berlin in neuerer 
Zeit eine Zunahme erfahren hat, wie das für den Menschen anscheinend 
der Fall ist, lässt sich leider mangels genauer Statistiken aus früherer 
Zeit nicht genau beantworten. Von den 28 gutartigen Vergrösserungen 
der' Schilddrüse gehörten 8 zum Typus der Struma diffusa und 20 zu 
dem der Struma nodosa, doch lässt sich die Grenze zwischen diesen 
beiden Typen nicht ganz scharf ziehen und muss der am meisten aus¬ 
gesprochene Typus bei der Einteilung den Ausschlag geben. Die kolloidale 
(gelatinöse) Substanz wird beim Hund nicht in der Massenhaftigkeit ge¬ 
bildet, wie man das beim Menschen hie und da sehen kann, sonst haben 
wir in bezug auf Cystenbildung, Blutungen, Ablagerung und Organisation 
fibrinöser Massen, ausgiebiger Bindegewebsproduktion usw. dieselben Ver¬ 
änderungen wie beim Menschen. Ebenso fand sich in zwei Fällen Kalk¬ 
einlagerung. 

Von den sieben bösartigen Schilddrüsenturaoren gehörten vier zum 
Typus des malignen Adenoms der Schilddrüse, ein Fall erwies sich als 
ein Carcinoma solidum und zwei endlich gehörten zu Tumoren der Binde¬ 
substanzreihe (Osteochondrosarkom und Osteoidchondrom). 

Von den vier Adenomen der Schilddrüse zeigten drei Metastasen, 
und zwar je zweimal iu den Lungen, einmal in den Lungen und Nieren. 
Der vierte Fall dokumentierte seine maligne Natur nur durch das schon 
makroskopisch wahrnehmbare Einwachsen von Geschwulstmassen in die 
Venen. Der gleiche Vorgang Hess sich auch bei zwei der übrigen drei 
Fälle schon makroskopisch nachweisen. In einem Fall fanden sich Lungen¬ 
metastasen, ohne dass makroskopisch ein solches Eindringen der Ge¬ 
schwulstmassen in die Venen wahrnehmbar war. 

Bei dem als Carcinoma solidum der Schilddrüse zu bezeichnenden 
Falle fanden sich zahlreiche bis taubeneigrosse Metastasen in den Lungen, 
ausgedehnte krebsige Infiltration in den Bronchialdrüsen, ausserdem 
Metastasen in Milz und Pankreas. 

In bezug auf die Gesamtmasse der Geschwulstbildungen nimmt 
dieser Fall die erste Stelle ein. 

Das Osteochondrosarkom zeigte Metastasen von gleiphem Typus in 
beiden Lungen und Nieren. Bei dem Osteoidsarkom fanden sich dagegen 
merkwürdigerweise Lungenmetastasen von adenomatösem Bau. Meta¬ 
stasierung im Knochenmark, wie sie sich beim Menschen bei 
malignen Schilddrüsentumoren so häufig findet, konnte trotz 
aller darauf gerichteten Aufmerksamkeit nicht aufgefunden 
werden. 

Diskussion: Hr. Schmey demonstriert ein Schilddrüsencarcinom 
von einem achtjährigen Terrier, der schon in frühester Jugend Anlage 
zum Kropf gezeigt hatte. Die Sektion ergab, dass das Schilddrüsen- 
carcinom Metastasen in der Lunge gebildet hatte, die durchaus den 
Charakter der Schilddrüsen zeigten. 

2. Hr. Erwin Christeller: 

Experimente znr künstlichen Erzeugung von Missbildungen bei Lepi- 
dopteren. 

Missbildungen werden bei den Insekten nicht allzuselten von Sammlern 
beobachtet. Trotzdem ist von wissenschaftlicher Seite sowohl die Syste¬ 
matik wie die Genese der Missbildungen, besonders bei den Schmetter¬ 
lingen, fast gänzlich unbearbeitet. 

Vortr. gibt zunächst eine Definition des Begriffes der Schmetterlings¬ 
missbildungen, die, in sinngemässer Abänderung der Definition 
E. Schwalbe’s für die Missbildungen des Menschen, als Missbildungen 
alle diejenigen Veränderungen der Morphologie des Schmetterlings be¬ 
zeichnet, welche vor dem Schlüpfen des fertigen Insektes aus der Puppe 
entstehen, soweit sie ausserhalb der Variationsbreite der Species ge¬ 
legen sind. 

Von derartigen Missbildungen liegt in der entomologischen Literatur 
eine grosse Menge bisher gänzlich ungeordneten, kasuistischen Materials 
vor. Vortr. konnte über 550 Fälle missbildeter Insekten zusammen- 
tellen und unter Heranziehung einer grossen Anzahl eigener Sammlungs¬ 
stücke folgendes, nach morphologischen Gesichtspunkten ausgebildete 
System der Schmetterlingsmissbildungen aufstellen. 

I. Abnorme Entwicklung des ganzen Körpers: A. Riesen¬ 
wuchs. B. Zwergwuchs. 

II. Abnorme Entwicklung ganzer Körperteile. A. Mehr¬ 
fachbildung: 1. der Flügel, 2. der Beine, 3. der Fühler, 4. der 
Maxillarpalpen. — B. Heteromorphose: 1. Bein statt Fühler, 2. Vorder¬ 
flügel statt Hinterflügel. — C. Defektbildung: a) Vollständiges Fehlen 

1. von Flügeln, 2. von Fühlern, 3. von Beinen; b) teilweises Fehlen 
1. der Flügel: a ) gleichmässige Verkleinerung, ß ) Schnittänderung, 
y) Kerbung, d) Lochung; 2. der Fühler: Verkürzung; c) Spaltbildung 
des Säugrüssels. 


III. Abnorme Entwicklung einzelner Organe: 1. der Schuppen: 
a) Albinismus: a ) universal, ß) lokal; b) Melanismus: a ) universal, 
ß) lokal; c) Zeichnungsänderung: a) universal, ß) lokal; d) Schuppen¬ 
mangel: a) universal, ß) lokal; 2. der Flügelrippen: a) Verlaufsände- 
rungen, b) Reduktion. 

Hiervon trennt er, als nicht zu den Missbildungen gehörig, die bei 
oder kurz nach dem Schlüpfen entstehenden, auf mangelhafter Ent¬ 
faltung an sich normal gebildeter Flügel beruhenden Verkrüppelungen, 
und anderes ab. 

Ueber die causale Genese dieser Missbildungen existieren nur einige 
Experimental Untersuchungen, die sich mit der Entstehung der Mehrfach- 
bildungen bei Käfern beschäftigen und in erster Linie Regenerations¬ 
vorgänge berücksichtigen (G. Tornier). Für eine zweite Gruppe, die 
Pigmentauomalien (Melanismus, Albinismus) wurden verschiedentlich 
Temperatureinflüsse verantwortlich gemacht; auch gelang es, durch ein¬ 
seitige Abkühlung von Sohmetterlingsgruppen halbseitige Albinos zu 
erzeugen. 

Demgegenüber liegen für die Defektmissbildungen bei Schmetter¬ 
lingen keine experimentellen Erfahrungen vor; Parasitenfrass, Nahrungs¬ 
mangel und mechanische Einwirkungen verschiedenster Art (Druck, 
Schnürung, Schwerkraft, Centrifugalkraft) wurden als mutmaassliche, 
ätiologische Momente herangezogen. Es gelang nun dem Vor¬ 
tragenden, durch Druckwirkung fast sämtliche obengenannte 
Missbildungen künstlich hervorzurufen, und somit ihre Ent¬ 
stehung in der Natur auf rein mechanische Weise durch das Ex¬ 
periment zu beweisen. 

Die Versuche wurden am Schwammspinner, Lymantria dispar, L., 
angestellt, dessen oberirdisch lebende, coconlose Puppe sich für die 
Versuche sehr gut eignet. Die frisch gebildeten, noch ganz weichen 
Puppen wurden in Seitenlage auf eine Unterlage gebracht, welche mit 
flachen, der Puppenform genau angepassten Vertiefungen versehen war, 
so dass die Puppen, mit der nach abwärts gerichteten Körperhälfte in 
ihnen ruhend, in ihrer Lage fixiert waren. Nun wurde jede Puppe mit 
einer kleinen Glasplatte bedeckt, die auf der Gegend der Flügelanlage, 
als dem höchsten Körperpunkte, auflag, und deren Druck durch auf¬ 
gelegte B leige wich tchen abgestuft werden konnte. Es resultierte an der 
Druckstelle eine Abplattung, welche, da die Puppen erst nach völligem 
Erstarren des Chitius aus ihrer Lage befreit wurden, eine dauernde 
Impression darstellte. 

61 so behandelte Puppen ergaben im ganzen 54 Falter, welche die 
folgenden Missbildungen aufwiesen: 

I. Abnorme Entwicklung ganzer Körperteile. C. Defekt¬ 
bildung. b) teilweises Fehlen. I. der Flügel: a. gleichmässige Ver¬ 
kleinerung, ß. Schnittänderung, p. Kerbung, d. Lochung. 2. der Fühler: 
a. Verkürzung, ß . Abplattung, y. Lochung. 

II. Abnorme Entwicklung einzelner Organe. 1. der 
Schuppen: d) Schuppenmangel: a. universal, ß. lokal. 2. der Bauch- 
decke: Vorbuckelung. 

Dass die hier aufgeführten Missbildungen genau den oben in der 
ersten Tabelle erwähnten entsprechen, demonstriert der Vortragende an 
einer grossen Zahl von Lichtbildern, sowohl nach im Freien gefangenen 
Exemplaren als auch nach den im Versuch erzeugten Stücken. 

Die durch gesperrten Druck hervorgehobenen Missbildungen stellen 
sogar völlig neue, bisher in der Natur noch nicht beobachtete Formen 
dar, nämlich: 

1. Fühlerabplattung, d. h. der Fühler, besonders bei den 
Männchen mit starkgekämmten Fühlern, weist, besonders in seinem 
peripheren Teile eine platte, chitinöse Verbreiterung von unregelmässiger 
Begrenzung auf. 

2. Fühlerlochung, d. h. im Fühler findet sich ein nadelöbr- 
artiges, 1 f 2 —IV 2 mm im Lichten messendes ovales Loch, welches durch 
Auseinanderweichen der oberen und unteren Fühlerteile zustande kommt: 
auch unvollkommene und doppelte Lochbilduug wurde erzielt. 

3. Abdominalbuckel, d. h. die seitliche Bauchwand war bei 
einem Tier in Form eines halbkugelförmigen, bruchsackähnlichen Knotens 
vorgetrieben. Zu einem Austritt von Eingeweiden war es jedoch, wie 
Querschnitte zeigten, nicht gekommen. 

Die meisten Tiere zeigten nicht nur eine einzige, sondern ver¬ 
schiedene der beschriebenen Missbildungen. Daher werden die Versuche 
nach der quantitativen Seite weiter ausgearbeitet werden, um die Genese 
einzelner dieser Missbildungen gesondert zu studieren. Auch Ver¬ 
erbungsversuche sollen mit derartigen Faltern angestellt werden, obwohl 
der Vortragende ein positives Resultat hierbei für unwahrscheinlich hält, 
da es sich um rein somatisch erworbene Eigenschaften handelt. 

(Autoreferat.) 

Diskussion. 

Hr. van t’Hoff: 1. Abnorme Entwicklung des ganzen Körpers, 
zum Teil nur abhängig von klimatischen Verhältnissen, z. B. gerade 
auch bei Pamphilus. Echter Riesenwuchs nur, wenn dieser an derselben 
Lokalität wie die normale Art sich findet. 

2. Dasselbe gilt zum Teil auch vom Melanismus, nördliche Formen , 
z. B. Endrom. Versicolora, Pieris var. Bryoniae usw. 

3. Vollständiges Fehlen eines Flügels kann sehr leicht durch 
Trauma der Puppe entstanden sein, so dass der Falter nur mit Zurück¬ 
lassen eines Flügels der Puppe entschlüpfen konnte. 

4. Die Flügeldefekte sind in keinem Falle durch Parasiten zu er¬ 
klären, da keine existieren (weder in Raupe, noch Puppe), die derartige 
Veränderungen hervorrufen könnten (Dipteren, Hymenopteren). 


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2Ö. Mai 19i3. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


991 


5. Druckwirkung dürfte für einen Teil der Fälle (neben an¬ 
geborener Keimvariation) sicher maassgebend sein; von grossem Inter¬ 
esse wäre Fortsetzung der Versuche für die Frage der Vererbung er¬ 
worbener Eigenschaften. 

3. Ludwig Piek: 

lieber kongenitalen Riesenwuchs bei Menseh und Sängetier. 

Vortr. entwirft auf Grund der in der Literatur niedergelegten und 
eigener Beobachtungen ein morphologisches System des kongenitalen 
allgemeinen und partiellen Riesenwuchses. Die einzelnen Glieder dieses 
Systems stellen zugleich eine Häufigkeitsskala im Vorkommen der ein¬ 
zelnen Formen dar. Die allgemeinen anatomischen und klinischen Be¬ 
funde bei den von Riesenwuchs betroffenen Individuen bzw. der von 
Riesenwuchs befallenen Teile werden besprochen, ebenso ihre Differential¬ 
diagnose gegenüber den Zuständen des postfötal entstehenden bzw. in 
postlötalen Ursachen sich begründenden Riesenwuchses. 

Vortr. demonstriert 1. einen Fall von halbseitigem „gekreuzten“ 
Riesenwuchs bei einem 10jährigen Mädchen. Bei kongenitaler Hyper¬ 
trophie eines grossen Teiles der rechten Körperseite war die linke 
Mamma in den Riesenwuchs einbezogen. 2. einen Fall von partiellem 
„gekreuzten“ Riesenwuchs beim neugeborenen Kalb. Hier unterliegt 
die linke Hälfte des Kopfes und der Halswirbelsäule (4.—7. Halswirbel) 
dem Riesenwuchs, zugleich auch die rechte Hälfte des fünften Hals¬ 
wirbels. Fälle von Riesenwuchs beim Säugetier sind bisher überhaupt 
nicht berichtet. 

Bei demselben Tier fand sich zugleich ein kongenitales haselnuss¬ 
grosses Fibrom am Aortensegel der Mitralklappe und eine enorme 
Bindegewebeproliferation in der Leber unter Zerteilung des Leber¬ 
parenchyms in kleine und kleinste Lobuli oder vollkommener Aufteilung 
der Trabekel in verschieden grosse Bruchstücke. Keine Gallengangs¬ 
wucherung oder irgendwie als „entzündlich“ aufzufassende Veränderungen. 
Auch diese Befunde an der Herzklappe und der Leber sind terato- 
1 ogisch, nicht im engeren Sinne pathologisch zu deuten: der Herz¬ 
klappentumor als lokaler geschwulstartiger Riesenwuchs des Binde¬ 
gewebes, die Leberfibrose als diffuser geschwulstmässiger Riesenwuchs 
des Lebrrbindegewebes. Die beiden an sich sehr eigenartigen Befunde 
rücken damit in den Kreis der auch sonst (beim Menschen) den Riesen¬ 
wuchs häufig komplizierenden Missbildungen und „Tumoren“: der Naevi 
vasculosi und pigmentosi, Makroglossie, überzähligen Finger oder Zehen. 
Syndaktylie, Lipome, Angiome. 

Eben wegen dieser häufigen Kombination mit Missbildungen dürfte 
für die spezielle Vorstellung der fötalen Störung beim Riesenwuchs unter 
den verschiedenen zahlreichen Theorien die eines „Fehlers der embryo¬ 
nalen Anlage“ zu bevorzugen sein. 

4. Hr. Seitmey: 

Zar vergleichenden Pathologie der Nierenentwieklang. 

In der Frage nach der Nierenentwicklung stehen sich noch heute 
zwei verschiedene Anschauungen gegenüber, die am besten mit den 
Schlagworten der Monisten und Dualisten charakterisiert werden. Wie 
in allen anderen embryologischen Fällen sind es zwei Momente, die 
bei der Schlichtung dieser Streitfrage die Hauptrolle spielen: 1. ver¬ 
gleichend embryologiscbe Untersuchungen, 2. pathologische Befunde 
bei Mensch und Tier in der Nierenentwicklung, die einen Rückschluss 
gestatten auf das normale Geschehen, und je häufiger in dieser Richtung 
bei Mensch und Tier gleichartig zu deutende Befunde erhoben werden, 
desto mehr verstäikt sich die Sicherheit der Theorie. 

Die Monisten lassen bekanntlich aus dem WolfPschen Gang nicht 
nur den Ureter, das Nierenbecken und die Sammelröhren, sondern auch 
die Schaltstücke, die Henle'schen Schleifen, die gewundenen Harn¬ 
kanälchen und die Glomeruli entstehen; im Gegensatz dazu bildeten 
sich nach den Dualisten nur der Ureter, das Nierenbecken und die 
Sammelröhren aus dem Urnierengang, während alle anderen Abschnitte 
des Kanalsystems der Niere aus dem Blastem hervorgehen, das sich 
hutartig über die Sammelröhren stülpt. Die Vereinigung dieser beiden 
getrennt angelegten Bestandteile kommt bereits in einer sehr frühen 
Zeit des embryonalen Lebens zustande. 

Ich gestatte mir Ihnen je eine Beobachtung aus der Pathologie der 
Niere des Menschen und des Tieres vorzuführen, die zweifellos beide für 
die dualistische Auffassung der Nierenentwicklung sprechen. 

Der menschliche Fall stammt aus dem Material des Herrn Prof. 
L. Pick. Georg Rosenow berichtete histologisch über ihn vor nicht 
langer Zeit in Virchow’s Archiv, Bd. 205. Es handelt sich um ein 
totgeborenes männliches Kind, das sehr zahlreiche Missbildungen auf¬ 
wies, von denen hier aber nur die des Urogenitalsystems interessieren. 
Das Rectum endigte nicht nach aussen in einen Anus, sondern mündete 
in die strangförmig dünne Harnblase; es bestand also eine Atresia ani 
vesicalis. Die Harnblase bildete gegen den Nabel zu einen Zipfel, an 
den sich der Urachus anscbliesst. Zu beiden Seiten der Harnblase und 
des Rectums lagen die Hoden und darüber kappenartig die Neben¬ 
hoden, aus denen jederseits ein blind endigendes Vas deferens hervor¬ 
ging. Die Nebennieren lagen an normaler Stelle und waren kräftig 
entwickelt. Die rechte Niere und der rechte Ureter fehlten; an Stelle 
der linken Niere fand sich unterhalb der linken Nebenniere ein doppel¬ 
bohnengrosses, traubenförmiges Gebilde aus dicht gedrängten bis linsen¬ 
grossen transparenten Cysten. 

Bei der mikroskopischen Untersuchung dieses als Niere ange¬ 
sprochenen Körpers fand man Cysten von verschiedener Grösse, die bald 
leer, bald aber mit einer homogenen Masse angefüllt waren; ihre Gestalt 


wechselte, sie waren bald ovoid, bald sanduhrförmig. Auch 
Glomeruli und Blutgefässe konnten schon bei schwacher Vergrösserung 
nachgewiesen werden. Bei starker Vergrösserung fand man die Cysten 
mit einem flachen oder cubischen Epithel ausgekleidet. Die 
Glomeruli zeigten die verschiedensten Entwicklungsphasen an; an sie 
schlossen sich unmittelbar an Tubuli contorti und vereinzelt auch 
U-förmig gebogene Henle’sohe Sohleifen. Unabhängig von diesen Be¬ 
standteilen und von ihnen immer isoliert fanden sich dichotomisch ge¬ 
teilte Röhrchen, die als Tubuli recti angesprochen werden mussten. 
Es fanden sich also vor: 1. Glomeruli und Tubuli contorti und Henle’scbe 
Schleifen und 2. Tubuli recti; beides in verschiedener Ausbildung; dar¬ 
unter auch Cysten, die aus den Tubuli recti hervorgehen. 

Die Nierenmissbildung aus der Tierpathologie habe ich selbst vor 
einiger Zeit unter dem Namen Hamartoma adenomatodes in Virchow’s 
Archiv, Bd. 202, beschrieben. Alle 7 Fälle, die zur Untersuchung 
kamen, boten makroskopisch und mikroskopisch die gleichen Verhältnisse 
dar und betrafen Pferdenieren. Bei oberflächlicher Betrachtung merkte 
man den Nieren nichts Besonderes an. Die Kapsel liess sich leicht ab- 
ziehen und nur, wo eben pathologische Veränderungon bestanden, zeigte 
sich etwas Adhärenz. Nach Entfernung der Kapsel bemerkt man in 
ausgesprochenen Fällen über die Nierenoberfläche stecknadelkopf- bis 
markstückgrosse, unregelmässig gestaltete herdförmige Flecken, die bald 
über die Oberfläche hervorragen, bald narbenartig in das Parenchym 
eingesunken erscheinen, so dass man dann an Infarktnarben denkt. 
Jeder Herd besteht, wie man bei näherem Zusehen erkennt, aus einer 
grossen Anzahl kleinster Bläschen. Auch auf dem Durchschnitt macht 
jeder Herd den Eindruck eines Infarktes, dessen Basis natürlich nach 
der Peripherie und dessen Spitze an die Markstrahlen und an die 
Pyramiden stösst, und man kann sehr wohl erkennen, dass kleine 
Cystosen jeden Herd zusammensetzen. 

Bei der mikroskopischen Untersuchung fällt sofort auf, dass in den 
helleren blasigen Partien das ganze Rindenparenchym fehlt; nirgends 
trifft man in dem Massiv der Herde auch nur eine Spur von Glomeruli 
oder Tubuli contorti an. Die Marksubstanz ist dagegen an den ent¬ 
sprechenden Stellen in gewöhnlicher Ausdehnung und Ausbildung vor¬ 
handen. An Stelle der fehlenden Glomeruli und Tubuli contorti siebt 
man das betreffende RindeDgebiet ersetzt durch eine grosse Anzahl 
rundlicher oder meist länglicher ovaler Hohlräume, die mit ihren Längs¬ 
achsen alle in der Richtung der Marksubstanz eventuell zu dieser kon¬ 
vergierend angeordnet erscheinen. Die Wand der Hohlräume ist mit 
einem flachen einschichtigen Epithel ausgekleidet; die Hohlräume sind 
meist erfüllt mit einer bröckeligen oder homogenen Masse; sie sind 
untereinander durch lockeres Bindegewebe verbunden, und zuweilen 
sieht man, dass die cystischen Räume sich kontinuierlich in die Tubuli 
recti fortsetzen. 

Wie lassen^ sich die Veränderungen in den beiden Nierenfällen er¬ 
klären? ln dem menschlichen Falle, wo es sich um ein totgeborenes 
Kind bandelt, kann ja nur eine angeborene Missbildung in Frage kommen. 
Bei dem Hamartoma adenomatodes der Pferdeniere müsste man 
aber auch an die Möglichkeit einer entzündlichen Störung denken. Diese 
Auffassung musste man aber fallen lassen, da sich bei der makro- und 
mikroskopischen Untersuchung niemals chronische und nur ausnahms¬ 
weise acute parenchymatöse Entzündungen feststellen Hessen. Man 
ist also gezwungen, auch das Hamartoma adenomatodes als eine Miss¬ 
bildung aufzufassen und die Entwicklungsgeschichte zur Erklärung 
heranzuziehen. 

Lassen sich nun die beiden Entwicklungsstörungen leichter mit 
Hilfe der monistischen oder der dualistischen Auffassung über die Nieren¬ 
entwicklung erklären? Es ist direkt unmöglich für den menschlichen 
Fall, mit Hilfe der monistischen Nierengenese eine Entwicklungsmöglich¬ 
keit anzunehmen. Denn da die Monisten vom WolfPschen Gang uno 
actu das ganze Kanalsystem der Niere sich bilden lassen, so ist es un¬ 
begreiflich, warum immer gerade nur Glomeruli, Tubuli contorti und 
Henle’scbe Schleifen in Verbindung stehen, während isoliert von ihnen 
und durch Bindegewebe getrennt die Tubuli recti angeordnet sind. Man 
kann sich auch nicht vorstellen, dass die Tubuli recti, die durch das 
trennende Bindegewebe gewissemaassen coupiert sind, weiterhin noch 
vollkommen geregelte Labyrinthe hätten bilden können. 

Dagegen muss man wohl sagen, dass sich das Hamartoma adenoma- 
todes nach der monistischen Ansohauung, wenn auch mit einigen 
Schwierigkeiten, erklären lässt. Man stellt sich dann vor, dass die 
Nierenentwicklung bis zu den Tubuli recti vom Nierengang her durchaus 
normal erfolgt ist. dann erst trat die Störung und die cystische Ent¬ 
artung ein. Kaum zu verstehen bleibt dabei aber die Tatsache, dass 
die normal angelegten Tubuli recti ausnahmslos und ganz gleich- 
mässig ihr normales Weiterwacbstum aufgeben und nirgends auch nur 
eine Spur von erhaltenen Tubuli contorti und Glomeruli zu ent¬ 
decken ist. 

Beide Nierenmissbildungen, sowohl die beim menschlichen Fötus 
als auch die in der Pferdeniere, lassen sich aber bequem mit Hilfe des 
Dualismus erklären. Der WolfPsche Gang lieferte den Ureterspross 
und die Tubuli recti, und über diesen Anlagen entstand gesondert vom 
Blastem, das bei dem menschlichen Fötus rechts ganz zugrunde ging, 
links an zahlreichen Resten erhalten blieb, die Anlage der Tubuli 
recti einerseits und die der Rindenblastemprodukte andererseits kam 
aber nicht zur Vereinigung, da sich zwischen beide Bindegewebe 
trennend einsohob. Ein Teil der Tubuli recti ist cystisoh entartet. 


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Berliner klinische Wochenschrift. 


Nr. 21. 


Genau so leicht lässt sich mit dem Dualismus das Hamartoma 
adenomatodes erklären. Alle Teile bis zu den Tubuli recti einschliess¬ 
lich sind stets abgeschlossen entwickelt, während die Abschnitte, die 
aus dem Blastem hervorsprossen sollen, fehleu. Die Tubuli recti sind 
dann, da sie in den Markstrahlen den Anschluss nicht erreichten, 
cys tisch entartet. 

Beide Arten der Nierenmissbildung sowohl beim Menschen als auch 
beim Tiere sind also durchaus geeignet, die dualistische Auffassung über 
die Nierenentwicklung zu stützen. Die vergleichende Pathologie wird 
hier nicht zu einem unerheblichen Faktor in der Entscheidung der 
Frage der Nierengenese. 

5. Hr. Fiskus berichtet über die von ihm vor Jahren beschriebenen 
Sinnesorgane neben den Haaren der Menschen und einer grossen Zahl 
von Säugetieren, welche er mit dem Namen Haarscheibe belegt hat. 
Sie liegen in dem Winkel, der vom Haarfollikel und dem M. arrector 
pili gebildet wird, und stellen sich als mehr oder minder grosse, aber 
in jedem Fall mit dem blossen Auge erkennbare kleine Knötchen dar. 
Genaue vergleichend-anatomische Untersuchungen ergeben eine prinzipielle 
Uebereinstimmung im Bau mit den Tastflecken der Reptilien, und 
ihre Anordnung auf den Reptilienschuppen deutet darauf hin, dass man 
aus der Beachtung dieser Haarscheiben der Entstehungsweise des Säuge¬ 
tierhaares näherkommen könnte, da dieses- näher dem Vorderrande als 
die Haarscheibe auf den Schuppen lokalisiert sein muss. Es wäre von 
der grössten Wichtigkeit, bei den Vögeln das Analogon des Tastfleckes 
nachzuweisen, da diese stammesgeschichtlich den modernen Reptilien 
viel näher stehen als die vermutlich schon aus stegocephalenähnliehen 
Reptilien abgezweigten Säuger (Maurer). Da die Feder mit viel 
grösserer Wahrscheinlichkeit aus der Reptilienschuppe abgeleitet werden 
kann als unser Haar, wäre diese Feststellung analoger Gebilde bei den 
Vögeln von allererster Bedeutung. 


Gynäkologische Gesellschaft zn Berlin. 

Sitzung vom 25. April 1913. 

Der Vorsitzende Herr Bumm teilt mit, dass die nächste und über¬ 
nächste Sitzung ausfällt, weil an den betreffenden Tagen das Stiftungs¬ 
fest und der Kongress in Halle stattfinden. Für das Stiftungsfest wird 
eine Kommission ernannt. Es folgen Demonstrationen: 

1. Hr. Voigts zeigt ein Kind mit Cephalhämatom, dessen Sitz am 
Hinterhaupt ein ungewöhnlicher ist. Nach Anwendung von Umschlägen 
erfolgte spontan Durchbruch, wodurch aber das Allgemeinbefinden nicht 
gestört wurde. Merkwürdig ist, dass in diesem Falle ein Hämatom sich 
bildete, obwohl Beckenendlage vorlag, man muss als Grund also das 
forcierte Durchziehen des Schädels ansehen. 

2. Hr. Schäfer spricht znr Technik der Abderhalden’schen 
Reaktion. Dieselbe wird beschrieben und vorgeführt. Als Indikator 
wird in Höchst hergestelltes Pepton benutzt. Es wird das Polarisations¬ 
und das Dialysierverfahren besprochen. Das ganze Verfahren ist so um¬ 
ständlich und kostspielig, dass es vorläufig nicht Allgemeingut werden 
kann. Die Reaktion schwindet 8—14 Tage nach Ausstossung der 
Placenta. 

Diskussion. 

Hr. Freund bemerkt, dass anfänglich die Methode nur bis zum 
4. Monat anzuwenden war. Später wurde festgestellt, dass bei der ver¬ 
besserten Methode in jedem Monat Abbau stattfände. Man darf niemals 
nur ein Pepton anwenden, sondern muss solches von verschiedener Her¬ 
kunft nehmen, ferner muss man nicht 24, sondern 48 Stunden ablesen. 
Beim Dialysierverfahren ist zu bemerken, dass es einwandfreie Hülsen 
nicht gibt, und dass mindestens immer 4 angesetzt werden müssen zum 
Zweck des Vergleichs. 

Hr. Heinsius bat einige Male auch bei eitrigen Adneztumoren 
positive Resultate erhalten, ferner auch bei einer 56jährigen Frau, bei 
der er die Amputation der Portio ausführte. Das Verfahren ist vor¬ 
läufig praktisch unverwendbar. 

Hr. Schäfer bestreitet die Angaben von Freund. 

3. Hr. Strasomann demonstriert a) einen grossen verkalkten Uteros- 
tnnor, der einer 63 jährigen Frau entfernt ist. Derselbe bestand, nach- 
gewiesenermaassen schon 25 Jahre. Patientin kam zur Operation, weil 
sie bemerkte, dass Gasblasen aus der Scheide abgingen, und ein sehr 
übler Geruch sich dabei entwickelte. Bei der in typischer Weise vor¬ 
genommenen Amputation zeigte sich, dass ein verkalktes, im Innern 
carcinomatös degeneriertes Myom vorliegt. Trotz des Befundes glatter 
Verlauf. 

b) Er bat bei einer 37 jährigen Patientin vaginal eine Tnbar- 
gravidität operiert. Dabei wurde konstatiert, dass die Adnexe der 
anderen Seite fehlten. Er schliesst daran die Mahnung, dass man doch 
stets ein Ovarium erhalten sollte. 

c) Er demonstriert eine 2—3 Monate alte Doppelnissbildaag. 
Interessant ist, dass kurz zuvor bei der Patientin ein Scheidenseptum 
entfernt war. Alle Verdoppelungen disponieren aber zu Zwillings- 
bildungen. 

d) Demonstration einer Zwillingsplaeenta, aus deren Gestaltung 
hervorgeht, dass es sich um monamniotische Zwillinge gehandelt hat, 
was trotz der Häufigkeit der Zwillinge selten ist. 


Hr. Bumm: 

Ueber Uretemnterbindnng als Therapie bei hoehsitiendea Ureter- 
verletzaageii. 

Jede Ureterverletzung, ob absichtlich oder nicht, ist stets eine 
schwere Komplikation. Wenn die Verletzung nahe der Blase zustande 
kommt, macht man natürlich am besten die Einpflanzung. Eine Ein¬ 
heilung erfolgt fast stets. Ueber diese Fälle will er sich nicht ver¬ 
breiten, sondern nur über die, in welchen eine Implantation unmöglich 
ist, ebenso auch eine Vereinigung. Besonders oft ereignet es sich bei 
der Operation des Carcinoms, es kommt aber auch bei Myomoperationen 
vor. Oft handelt es sich um das Herausschneiden von einzelnen Stücken, 
dann ist das Nähen wie das Einnähen sehr schwer. Es bleibt das 
Herausnehmen der ganzen Niere sofort, ferner die Einnähung in den Darm, 
die man aufgegeben hat, die Einpflanzung des einen Ureters in den 
anderen, was gänzlich zu verwerfen ist, da dann auch der noch intakte 
Ureter in Gefahr gebracht wird. Endlich ist noch die Einpflanzung in 
eine Tube zu erwähnen, was ebenfalls schlechte Resultate gibt. Er 
empfiehlt daher die einfache Unterbindung des Ureters, die er viermal 
ausgeführt hat. Jedesmal ist es reaktionslos verlaufen, nur ein Fall 
ging später infolge Verjauchung schlecht aus, was aber der Ureterver¬ 
letzung nicht zur Last zu legen ist. Die Fälle werden kurz beschrieben. 
Will man die Niere gleich ganz ezstirpieren, so ist zu bedenken, dass 
man immerhin dann noch eine neue grosse Operation zu machen hat. 
Ein Durchschneiden der Ligatur ist nicht zu fürchten, die Niere atrophiert 
merkwürdigerweise schnell, innerhalb 2 Tagen, so dass er eine Hydro- 
nephrose nicht gesehen bat. 

Diskussion. 

Hr. Jolly weist darauf hin, dass es sehr leicht gelingt, die Niere 
retroperitoneal zu ezstirpieren. 

Hr. Mackenrodt schlägt vor, da man nie wissen kann, ob die 
andere Niere gesund ist, den Ureter nach der Haut durchzuführen und 
erst nachträglich die Niere atrophieren zu lassen. 

Hr. Schäffer schliesst sich Bumm an, hat auch reaktionslose 
Heilung nach Unterbindung gesehen. 

Desgleichen Hr. Koblank, der noch darauf hinweist, dass man 
recht hochsitzende Verletzungen noch mit Erfolg nähen kann. 

An der weiteren Diskussion beteiligten sich Herr Gerstenberg, 
der sich Bumm anschliesst, und bei einer absichtlichen Durchschneidung 
von der Unterbindung reaktionslose Heilung gesehen bat, Herr Knorr, 
der die Methode Mackenrodt mit der Bumm’s kombinieren will, Herr 
Fromme, der ebenfalls reaktionslose Heilung sab, Herr Freund, der 
aufs neue die bisher nur an Tieren ausgeführte Einnähung in eine Tube 
empfiehlt, und Herr Franz, der erst festgestellt wissen will, ob die 
andere Niere gesund ist, der ebenfalls auch ganz hochsitzende Ver¬ 
letzungen für reparierbar hält, der einmal den Wurmfortsatz zu dem 
Zweck mit Erfolg benutzt hat, wobei allerdings eine Blasenureterfistel 
zurückblieb, und im übrigen für Mackenrodt’s Vorschlag sich aus¬ 
spricht. 

Hr. Bumm betont im Schlusswort, dass er nur von der Unter¬ 
bindung als Notoperation gesprochen habe und nicht von all den 
Methoden, die etwa bei irgendeiner Verletzung zu versuchen seieD. 
Für ihn handele es sich eben nur um die Fälle, bei denen eben eine 
Restitutio nicht möglich sei, und da sei es eben zu bemerken, dass die 
Unterbindung reaktionslos verläuft und deshalb das Schonendste sei. 

Siefart. 


Medizinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für rater- 
ländische Kultur zu Breslau. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 25. April 1913. 

Vorsitzender: Herr Rosenfeld. 

Schriftführer: Herr Rohm an n. 

Hr. Langenbeek: 

Die akustisch-chromatischen Synopsien (farbige Gehörsempfindnugen). 

Führt die Reizung eines Sinnesorgans neben der hierdurch ausge- 
löstcn Sinneswahrnehmung gleichzeitig zu einer zweiten, im Bereich eines 
anderen, primär gar nicht gereizten Sinnesgebietes gelegenen Miteropfin- 
dung, so wird dieser Vorgang allgemein als sekundäre Empfindung oder 
Synästhesie, und, sofern er visueller Art ist, als Synopsie bezeichnet. 
Am auffallendsten sind die durch Gehörseindrücke hervorgerufenen 
Farbenempfindungen: Klangphotismen oder audition coloree, Farbighören 
oder akustisch-chromatische Synopsien genannt. 

Von einer Reihe bekannter Musiker und Schriftsteller (Liszt, 
Wagner, Schumann, Meyerbeer, Raff, v. Bülow, Tieck, Mo- 
rike, Hoffmann, Heine, Gerstäcker, Ganghofer u. a.) wird an¬ 
gegeben, dass sie teils musikalische Eindrücke, teils Geräusche ver¬ 
schiedener Art mit Farbenempfindungen verbanden. In der wissenschaft¬ 
lichen Literatur sind seit Nussbaumer (1873) durch Bleuler und 
Lehmann, Flournoy, Hennig, Hilpert, Kaiser, Maierhausen, 
Stelzner, Thorp, Wallaschek u. a. zahlreiche einwandfreie Beob¬ 
achtungen derartiger Synopsien niedergelegt. 

Der Vortragende kann durch Selbstbeobachtung zur Kenntnis der 
Farbenempfindungen für Vokale und Zahlen beitragen. Jeder Vokal und 
jede Zahl wird durch eine bestimmte z. T. kombinierte Farbennüance 
repräsentiert, wodurch jede Silbe nach dem Wortklang einen charakte- 


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26. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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ristischen farbigen Abglanz erhält; ebenso jede Zahl, deren Farben jedoch 
unabhängig von denen für Vokale sind. 

Zur Erklärung sind zahlreiche Theorien versucht worden. Man nahm 
an, dass gewisse Schalleindrücke den Sehnerven in Mitschwingung ver¬ 
setzen oder dass einzelne Fasern des Aousticus sich in die Sehbabn ver¬ 
irren könnten; ferner dass bei nebeneinander verlaufenden Sinnesnerven¬ 
bahnen ein Reiz von der einen zur anderen übergehen, oder dass durch 
Assoziationsfasern oder auch durch vasomotorische Einflüsse die Erregung 
von einem auf ein anderes Centrum übertragen werden könne. Ferner 
wurde an die Möglichkeit einer direkten Umsetzung von Tonwellen in 
Lichtwellen gedacht und schliesslich auch an Darwinsche Prinzipien, 
nach denen es sich um Reste der Doppelleistungen des früheren Gesamt¬ 
sinnesorgans bandeln sollte. 

Der Vortragende lehnt diese Theorien, insbesondere auoh jede patho¬ 
logische Deutung der Erscheinungen als unwahrscheinlich und unbewiesen 
ab und vertritt eine psychologische Erklärung der synoptischen 
Phänomene, die durch Assoziationen der verschiedensten Art bedingt 
sein können, z. B. a = schwarz, e = gelb, bedingt durch das Vorkommen 
des Vokals in der betr. Farbenbezeicbnung. Häufiger als diese habi¬ 
tuellen sind zufällige Assoziationen, z. B. eu = grau, bedingt durch den 
Eindruck, den die Eule in Bilderbuch oder Fibel erweckt. Aehnlich ist 
die Deutung in allen Fällen, in denen Vokale, Zahlen, Wochentage, 
Eigennamen, Monate, Geräusche usw. farbig empfunden werden. 

Für die durch musikalische Klangwirkung hervorgerufenen Farben¬ 
empfindungen wird diese psychologische Erklärung jedoch von fast allen 
Autoren abgelebnt. Der Vortr. findet in den in der Literatur mitge¬ 
teilten Fällen dieser Art jedoch gleichfalls zahlreiche Anhaltspunkte für 
einen assoziativen Zusammenhang, z. B. Blechmusik als gelb, Violine als 
violett, bedingt durch den Gleichklang der Vokale; oder Flöte als blau, 
bedingt durch die Vorstellung Flötenspiel der Birten in blauer Ferne; 
oder C dnr als weiss, bedingt durch die Tastatur des Klaviers, oder F-dur 
als grün, bedingt durch die Vorstellung des ländlichen Grüns (Pastorale 
F-dur von Beethoven) u. a. m. Werden die einzelnen Töne der Ton¬ 
leiter als farbig empfunden, so ist anzunebmen, dass absolutes Gehör 
vorbegt. 

Es liegt somit kein Grund vor, an dem bisher geübten Dualismus 
der Erklärungen in physiologisch und psychologisch bedingten Synopsien 
festzuhalten, es lässt sich vielmehr eine einheitliche Erklärung in dem 
Satze zusammen fassen: Zufällige, meist in der Jugend entstandene Asso¬ 
ziationen, deren Ursprung durch die zahllosen wechselnden Eindrücke 
des Lebens bald verwischt und später meist völlig vergessen wird, bilden 
die Grundlage der synoptischen Erscheinungen. 

Diskussion. 

Hr. Hürthle wendet sich gegen die Ansicht des Vorsitzenden, dass 
es sich bei den „akustisch-chromatischen Synopsien® um physiologi¬ 
sche Vorgänge handle. Die physiologischen Assoziationen bilden sich 
in der Weise aus und sind dadurch charakterisiert, dass durch ein Ob¬ 
jekt oder einen Vorgang eine Anzahl verschiedener Sinnesorgane affiziert 
wird, dass sich zwischen diesen Sinneserregungen Assoziationen ausbilden 
und damit zur Bildung des Begriffes führen, welcher die sämtlichen 
durch unsere Sinne wahrnehmbaren Eigenschaften des Objektes oder Vor¬ 
ganges umfasst. Diese Begriffsbildung ist für alle Individuen überein¬ 
stimmend. Bei den farbigen Synopsien handelt es sich dagegen um 
Assoziationen, welche nicht duroh verschiedene Wirkungen des Objektes 
auf verschiedene Sinnesorgane hervorgerufen werden und bei verschie¬ 
denen Personen nicht in derselben Weise. Wenn z. B., wie es von 
einem der Anwesenden angegeben wird, mit den verschiedenen Wochen¬ 
tagen verschiedene, bestimmte Farben Vorstellungen verbunden sind, so 
sind eben diese Farben weder objektive Eigenschaften der Wochentage, 
die ja abstrakter sind, noch bei allen Personen in gleicher Weise auf¬ 
tretende Vorstellungen. Es handelt sich also bei den farbigen Synopsien 
nicht um gesetzmässige, sondern um zufällige, rein subjektive Vorgänge 
im Nervensystem. Sie können als Beweis dafür angesehen werden, dass 
beim jugendlichen Individuum Assoziationen zwischen allen möglichen 
Sinneserregungen Vorkommen, dass aber nur ein Teil derselben durch 
Bahnung auf Grund gesetzmässiger Wiederholung der Erregungen zu 
physiologischen Assoziationen wird. 

Hr. Traugott hält ebenso wie Herr Langenbeck die Theorie von 
der assoziativen Entstehung der Synopsien für zutreffend, meint aber 
aus dem Umstande, dass die Synopsien — wenigstens wenn man die 
sehr zahlreichen Fälle ausschalte, die offenbar nur eine Folge von Sug¬ 
gestionen und Autosuggestionen seien — doch im ganzen recht selten 
sich finden, eine Lücke in dieser Theorie herleiten zu müssen: denn 
wenn wirklich die Assoziationen die Grundlage der Synopsien sind, so 
müssten doch eigentlich die letzteren ganz allgemein, nioht aber so 
selten sich finden. Redner glaubt, dass es vielleicht angehe, diese 
Lücke auszufüllen, wenn man von der Erwägung ausgehe, dass 
die Menschen in bezug auf ihrp-Denktätigkeit und ihr Empfindungsleben 
sich in zwei Kategorien scheiden: in auditiv und in visuell veran¬ 
lagte. Bei den letzteren — insbesondere bei Künstlern, Technikern — 
bei denen alles Gedachte und Empfundene die Neigung habe, sich in 
plastische Ansohauung umzusetzen, dürfte sich vornehmlich die Fähigkeit 
bzw. Eigentümlichkeit finden, auch Töne in der Form visueller Empfin¬ 
dung zu perzipieren. 

Hr. Ephraim: Dass gelegentlich erworbene Assoziationen den hier 
besprochenen Phänomenen in der Hauptsache zugrunde liegen, wie der 
Herr Vortragende ausgeführt bat, kann wohl kaum einem Zweifel unter¬ 


liegen. Iodes sind wohl diese Assoziationen schon von vornherein in 
gewissem Sinne eingeschränkt Wir spreohen ja alle von dunklen und 
hellen Vokalen, von grellen und zarten Farben, ebenso wie von grellen 
und zarten Tönen. Und wir werden bei einer grellen Tonempfindung 
kaum jemals die Vorstellung einer zarten Farbe und vice versa haben, 
loh möchte daher glauben, dass bei den Synopsien das dynamische 
Moment eine gewisse, wenn vielleicht auoh nur nebensächliche Rolle 
spielt. 

Hr. Koenigsfeld teilt mit, dass er bei den Namen der Wochen¬ 
tage ausgesprochene Farbenempfindungen hat, die in den letzten Jahren 
etwas abgeblasst sind. 


Aerztllcher Verein zu Hamburg. 

(Biologische Abteilung.) 

Sitzung vom 29. April 1913. 

1. Diskussion zum Vortrag der Herren Kimmerle und Sehnmm: 
Ueber Benee-Jones’sche Albuminirie. 

Hr. Oehlecker berichtet über eine 24 jährige Patientin, bei der in 
dreimonatiger Beobachtung niemals der Benoe-Jones’scbe Körper nach¬ 
weisbar war. Die trotzdem auf Grund der Röntgenbilder auf „multiple 
Myelome“ gestellte Diagnose wurde duroh die Obduktion bestätigt. 
Demonstration der Röntgenbilder. 

Hr. Fraenkel demonstriert die Knochen des von Herrn Oehlecker 
erwähnten Falles. Differentialdiagnostisoh führt die Symmetrie der Herde 
nicht weiter, da auch z. B. Ca-Metastasen häufig symmetrisch im 
Knochensystem auftreten, Spontanfrakturen sind im allgemeinen selten 
bei Myelomen; wo sie Vorkommen, können sie mit guter Konsolidation 
heilen. In dem besprochenen Fall fand sich auch in den Nieren eine 
diffuse Infiltration, namentlich an der Basis der Markkegel (ebenfalls be¬ 
stehend aus Myelooyten), übrigens ein Beweis, dass Nierenschädigung nicht 
für das Auftreten des Bence-Jones’schen Körpers (der hier ja gerade 
fehlte) verantwortlich ist. 

Hr. Allert berichtet über einen Fall von Oesophaguscarcinom 
mit Peritonealmetastasen, der dauernd den Bence-Jones’schen Körper 
ausschied. Bei der Sektion erwies sich das Knochensystem als 
völlig intakt. Einwandfreie Fälle der Art sind bisher noch sehr selten. 

Hr. Fraenkel, Herr Allert, Herr Schümm (Schlusswort). 

2. Hr. Hirschsteiu: Ueber Nahnmsrsballast. 

Vortr. hat bei fünf Nervösen und drei Nichtnervösen feinem Gesunden) 
Stoffwecbseluntersuchungen gemacht, die erstens K, Na, CI, zweitens P 
und Ca, drittens S und N betrafen. Stoffwechselgleicbgewicht bestand 
in keinem Fall, ebensowenig einheitliche positive Bilanz (Retention) oder 
negative (Ausschwemmung); vielmehr stets Mischformen. In allen 
Fällen — sowohl bei positiver wie bei negativer Bilanz — wird CI in 
höherem Grade ausgeschieden als Na, P in höherem als Ca, N in 
höherem als S. Hirsch stein hat die verschiedenen Eiweisskörper unter¬ 
sucht und das Verhältnis S zu N in ihnen sehr variabel gefunden. Bei 
Verabreichung sehr N-reicher Eiweissstoffe (Rindfleisch usw.) wird N 
retiniert, sonst ausgeschieden. Hirschstein recurriert dann auf Abder¬ 
halden’s Lehre von der Zerlegung der Nährstoffe in die einzelnen in¬ 
differenten Bausteine und setzt auseinander, dass jede Nahrung nötige 
und überflüssige Bausteine enthalte. CI, P, N werden in Mengen zu¬ 
geführt, die das Notwendige überschreiten, sie sind Nahrungsballast. 
Nun hat der Körper die Fähigkeit zur Speicheruug; aber nicht in un¬ 
beschränktem Maasse: dem Retentionszustand muss ein Ausschwemmungs¬ 
zustand folgen, was physiologischerweise in der Ruhe durch Erleichte¬ 
rung der Nierenarbeit erfolgt. Aber auch diese Regulation kann 
schliesslich versagen; es kommt dann zu Hemmung der Ausscheidung, 
die verschiedene Kranheitszustände im Gefolge haben kann. Es ist 
daher nötig, die Toleranzgrenze für die einzelnen. Stoffe zu ermitteln, 
der bei Nervösen besonders tiefliegt, und dann solche Nahrung zu ver¬ 
abreichen, die in dem speziellen Fall noch Ausscheidung ermöglicht, 
ohne dass doch Armut an den betreffenden Stoffen entsteht. 

Diskussion: HHr. Schümm, Hess, Hirschstein (Schluss). 

Hr. Paulsen demonstriert „Protozoen“ bei Manl- and Klauen¬ 
seuche (Kulturen und mikroskopische Präparate). Die früher von ihm 
gezeigten Kulturen haben sich als Mischkulturen erwiesen. Sie be¬ 
standen aus Rhizopoden und Nematoden. Während erstere be¬ 
deutungslos sind, sioh vielfach auf Schleimhäuten, aber auch z. B. bei 
Pflanzenkrankheiten finden, scheinen die letzteren doch zu dem Krank¬ 
heitsprozess in Beziehung zu stehen. Eine sichere Klassifikation ist nooh 
nicht gelungen. 

HHr. Trautmann und Gaethgens: 

Einige schwebende Fragoa der bakteriologischen Diphtheriediagnose. 

1. Herr Tr. bespricht zunächst die Notwendigkeit, die Diphtherie¬ 
kulturen zweimal, nach 24 und nach 48 Stunden, zu untersuchen. Die 
erst nach 2 mal 24 Stunden gewachsenen Keime stammten zum grösseren 
Teil von Kranken, nur zum Geringeren von Keimträgern. In 75pCt. 
der Fälle erwiesen sie sich als tierpathogen. 2. Die Benutzung der 
Tellurplatte zur Züohtung der Diphtheriebacillen hat sioh praktisch 
nioht bewährt. Einerseits zeigen die Diphtheriekulturen alle Nuancen 
von grau bis schwarz, andererseits sind „Verunreinigungen“ bisweilen 
auch schwarz gefärbt. 3. Im Harn von Diphtheriekranken wurden bei 
50pCt. Diphtheriebacillen nachgewiesen; von 10 Gesunden hatten 5 
diphtheroide Stäbchen im Urin; einer absolut typische Diphtheriebacillen. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 21. 


Dieselben waren tierpathogeu. Eine Erklärung dieser epidemiologisch 
sehr interessanten Tatsache ist schwer zu geben. 4. Es wird über 
folgenden Fall berichtet: Ein Mädchen erkrankt an leichter Diphtherie. 
Im Rachen- und Nasenabstrich werden vorzugsweise Pseudodiphtherie¬ 
bacillen, daneben einzelne echte Diphtheriebacillen nacbgewiesen. Acht 
Tage nach der Heilung wieder fieberhafte Erkrankung. Im Abstrich jetzt 
nur Pseudodiphtheriebacillen. Die Kultur wird weiter gezüchtet: in 
der zehnten Generation finden sich in ihr zahlreiche echte Diphtherie¬ 
stäbchen. Tierversuche mit kleineren Dosen verliefen negativ. Bei In¬ 
jektion von drei Serumkulturen erkrankte das Meerschweinchen. 
Tötung. Bei der Obduktion fand sich ein sulziges Oedem, leichte 
Nebennierenschwellung, kein pleuritisches Exudat. Aus der Impfstelle 
wurden Kulturen gewonnen, die in der sechsten Generation den Diph¬ 
theriebacillen viel näherstanden als das Ausgangsmaterial; aus der 
Gallenblase ging eine siohere Diphtheriekultur auf. Tr. und G. sind 
der Ansicht, dass die Pseudodiphtheriebacillen degenerierte Formen 
echter Dipbtheriebacillen sind und dass der besprochene Fall die Mög¬ 
lichkeit einer Regeneration vor Augen führt. Denjenigen, die dem 
Gedanken einer Variabilität der Bakterien näher stehen, wird diese An¬ 
schauung nichts Widersinniges bedeuten. 


Aerztlicher Verein zu Essen-Ruhr. 

(Wissenschaftliche Abteilung.) 

Sitzung vom 16. Januar 1913. 

Vorsitzender: Herr Morian. 

Schriftführer: Herr Schüler. 

1. Hr. Prais stellt einen Fall von Addison’scher Krankheit vor. 
Er betrifft einen 88jährigen Asphaltarbeiter, der sich seit ungefähr einem 
Jahre matt und müde fühlt, sodass er seit acht Monaten arbeitsunfähig 
ist. Seit einem halben Jahre bemerkte er, dass seine Haut schmutzig- 
braun wurde. 

Die ganze Körperhaut ist braun verfärbt. In den Leistenbeugen 
und Achselhöhlen ist die Pigmentierung stärker ausgesprochen. Auch 
auf der Wangenschleimhaut finden sich braune Flecken. 

Der Blutdruck betrug bei der Aufnahme nur 50 mm Quecksilber 
(Riva-Rocci) und stieg nach länger fortgesetzter Suprarenindarreichung 
auf 90 mm. Der Hämoglobingebalt betrug 15pCt., die Zahl der roten 
Blutkörperchen 750000. Die Pirquet’sche und Wassermann’sche Re¬ 
aktion waren negativ, der übrige Organbefund bot nichts Abweichendes. 

(Autoreferat.) 

2. Hr. Balewski berichtet über einen Fall von Stomatitis ulcerosa 
bei einem 31jährigen Manne. (Mit Krankendemonstration.) 

Als Kind litt er an hartnäckigem Gesichtsekzem. Eine luetische In¬ 
fektion hat er nicht überstanden. Seit Mitte 1912 stellten sich 
brennende Schmerzen im Munde und Rachen ein, deretwegen er zum 
Arzt ging. Da eine Besserang nicht eintrat, kam er am 10. XII. 1912 
ins Krankenhaus. 

Die Mund-, Rachen- und Gaumenschleimbaut war fiächenhaft ero¬ 
diert, die Lippen waren bis zur Schleimhautgrenze mit kleinen Bläschen 
mit eitrigem Inhalt bedeckt. Die übrigen Organe boten keinen Krank¬ 
heitsbefund. Seit Anfang Januar 1913 zeigten sich in den Achsel¬ 
höhlen, Leistenbeugen und an den Genitalien, besonders dem Scrotum, 
pfenniggrosse Blasen mit wässrigem Inhalt, der bald eitrig wurde. Um 
den Anus herum bildeten sich kondylomäbnliche Gebilde. Trotz nega¬ 
tiver Wassermann’scher Reaktion wird eine antiluetische Kur eingeleitet, 
aber erfolglos. In den letzten Tagen sind grössere Blasen auf dem 
Rücken entstanden. (Autoreferat.) 

3. Hr. Pfeiffer: 

Neueres zur Diagnose und Therapie des Scharlach. 

Vortr. bespricht und demonstriert in aller Kürze die Ehrlich’scbe 
Amid oben za ldehydreaktion, die ein wertvolles Hilfsmittel bei der 
Diagnose des Scharlach darstellt. Er zeigt dann Blutpräparate von 
frischen Scharlachfällen, welche die von Döhle beschriebenen Leuko- 
cyteneinschlüsse aufweisen. Als Prophylakticum bei Scharlach er¬ 
wähnt er das Scarlatin Marpmann. 

Das eigene Material der mit Neosalvarsan behandelten Scharlach¬ 
fälle ist noch zu gering, um daraus Schlüsse ziehen zu können, doch 
soll mit den Versuchen fortgefahren werden. 

Vor dem Vortrag gelangte ein 24jähriger Arbeiter zur kurzen Vor¬ 
stellung, der eigentümliche hysterische Symptome zeigte, nämlich 
beim tiefen Atmen auftretende sprungartige, hüpfende Bewegungen. 

(Autoreferat.) 

4. Hr. Hessberg demonstriert a) Zwei Fälle von Ptosisoperation 
nach Hess. 

b) Kontosionsverletiaig des linken Auges bei einem 12jährigen 
Knaben durch eine aus einer Luftpistole geschossene Bleikugel. Ausser 
einem Haemophtbalmus internus war eine Iridodialyse nach unten und 
eine Cataracta polaris posterior entstanden. 

c) Gumma des Oberlides bei 45jähriger Frau. 

d) Schwere Keratitis parencbymatosa mit starker Beteiligung des 
gesunden Uvealtractus bei einer 38jährigen Frau. Wassermann stark 
positiv. Besserung unter energischer Hg-Kur. Es wurden auch lokale 
Instillationen von Neosalvarsan in 2 proz. Lösung nach dem Vorgang 
von Rosenmey er - Frankfurt a. M. vorgenommen. Ueber den Effekt 
lässt sich nach diesem einen Fall noch nichts sagen. 


e) Typische Siderosis bulbi mit Cataracta matureseens. Ver¬ 
letzung nicht mit Sicherheit festzustellen, aber bei dem auch in der Huf¬ 
schmiede oft tätigen Landwirt wohl möglich. Feine lineare Narbe in 
der Hornhaut, mit ihr korrespondierend ein kleines Irislöchelchen. Deut¬ 
licher Ausschlag am Sideroskop am unteren Hornhautrand — direkt 
unterhalb der fraglichen Einschlagstellen. Dem zur Beobachtung und 
Diagnose eingewiesenen Patienten wird die dringend notwendige Ex¬ 
traktion des Splitters vorgeschlagen. (Autoreferat.) 

5. Hr. Hohn: Pathologisch-anatomische Demonstrationen. 

a) Ein Fall von Peritonitis bei einer 75jährigen Frau, hervorgerufen 
durch perforierte Geschwüre in einer Dünndarmschlinge des kleinen 
Beckens. Veranlasst waren diese Geschwüre durch einen hühnereigrossen 
Gallenstein. Der Stein war durch Perforation aus der Gallenblase in 
in das Duodenum in den Darm gelangt, wie noch bei der Sektion nach¬ 
weisbar war. 

b) Akute Leberatrophie. Leber hat ein Gewicht von 810 g und 
zeigt das Bild der roton Atrophie. Sie stammt von einem 22 jährigen 
kräftigen Mann, der kurz vorher vom Militär entlassen war und seit 
14 Tagen an Gelbsucht litt. Bei der Aufnahme war der Patient bereits 
benommen, es traten Krämpfe auf und in derselben Nacht erfolgte 
der Exitus. • Kurze Besprechung der Aetiologie der akuten Leber¬ 
atrophie. 

c) Syphilitische Erkrankung der Aorta. Rückblick auf die Ent¬ 
wicklung der Lehre von der luetischen Aortitis. Demonstration von 
zwei Präparaten: 1. Aorteninsuffizienz bei einer 43jährigen Frau mit 
positivem Wassermann. Typische luetische Aortitis. 2. Aortitis luetica 
bei einem 62jährigen Mann mit positivem Wassermann in Verbindung 
mit einfach arteriosklerotischen Veränderungen. Die mikroskopische 
Untersuchung ergibt Lues (Gummata der Media). 

d) Einschlüsse bei Scharlach. Es werden zunächst die experimen¬ 

tellen Arbeiten über die Aetiologie des Scharlachs aus den letzten Jahren 
besprochen und die hierbei beobachteten Einschlüsse. Eino Nachprüfung 
der Frage betreffs der von Döhle zuerst beschriebenen Einschlüsse in 
den weissen Blutzellen ergab, dass sie in allen Fällen von Scharlach 
nachweisbar sind. Dann aber auch bei anderen fieberhaften Erkran¬ 
kungen, was ihren diagnostischen Wert beeinträchtigt. Mit dem Erreger 
des Scharlachs haben sie nichts zu tun. Es ist nicht gelungen, diese 
Einschlüsse bei Tieren experimentell zu erzeugen. Der negative Befund 
spricht bei Exanthemen gegen Scharlach. Der positive Befund in Ver¬ 
bindung mit der von Umber angegebenen Urinreaktion ist für Schar¬ 
lach zu verwerten. (Autoreferat.) 

6. Hr. Glimmert: Ueber Pitaglandol in der Geburtshilfe. 

7. Hr. Baamann: Klinische Demonstrationen. 

a) 36jähriger Lehrer; seit zwei Jahren, ganz langsam entstehend, 
ein Gefühl der Schwäche im linken Bein; beim Gehen schleift er das 
linke Bein mit den Fussspitzen am Boden nach. Sonst keinerlei Be¬ 
schwerden. Objektiv leichte Spasmen in beiden Beinen, gesteigerte 
Patellar- und Acbillessehnenreflexe, Knie- und Fussklonus 1. > r., beider¬ 
seits Babinski +, Oppenheim —. Bauchdeckenreflexe nicht auslösbar. 
Von seiten der Hirnnerven keinerlei krankhafte Erscheinungen. Es 
handelt sich natürlich um eine Erkrankung der spinalen Pyramiden¬ 
bahnen. Zurzeit besteht das Bild der typischen beginnenden Erb’schen 
spastischen Spinalparalyse. Die weitere Entwicklung muss zeigen, ob 
der vorliegende Symptomenkomplex nicht etwa den Beginn einer mul¬ 
tiplen Sklerose darstellt, wonach das Fehlen der Bauchdeckenreflexe ein 
gewisser Hinweis ist. 

b) Bei einem Paralytiker häuften sich die Anfälle derart, dass 

durchaus das Bild eines Status epilepticms sich zeigte. Patient bekam 
25 bis 30 typisch eleptische Anfälle täglich, war in der Zwischenzeit 
unbesinnlich, Temperatur 39,5, mit starkem Schweiss. Als vorzügliches 
Mittel gegen den epileptischen Status erwies sich Amylenhydrat per 
clysma. Schüler. 


Nürnberger medizinische Gesellschaft und Poliklinik. 

Sitzung vom 27. März 1913. 

Hr. J. Krans: Die Pathologie nd Therapie der Conjunctivitis. 

Aus dem referierenden Vortrage sei nur erwähnt, dass K. Sophol 
(Bayer) in lOpCt. und 5pCt. auch heute noch anwendet und mit den 
Resultaten zufrieden ist, doch vermag es das Argent. nitric. nicht völlig 
zu ersetzen in den Fällen, wo eine starke papilläre Wucherung der 
Gonjunctiva Aetzwirkung erwünscht erscheinen lässt. Da Sophol so gut 
wie nicht reizt, wendet er es bei der Blennorrhoea neonatorum gonorrhoica 
von Anfang an an uad streicht gleichzeitig Blenno-Lenicetsalbe ein, erst 
wenn die Lider abgeschwollen, träufelt er Argent. nitric. ein, besonders 
bei stark hahnenkammähnlicher Hypertrophie der Uebergangsfalte. Selbst¬ 
verständlich ist bezüglich Reinigung, Ausspülung das Vorgehen das 
Allgemeinübliche. . Eisumschläge werden nicht, in Anwendung gebracht. 
Von neueren Mitteln war K. mit dem von v. Ammon empfohlenen 
Unguent. hydrargyr. jodat. flav. bei den scrofulösen Conjunctivitisformen 
sehr zufrieden, es empfiehlt sich die Anwendung dieser Salbe besonders 
in den Fällen, die nicht durch eine schleimig-eitrige Absondening kom¬ 
pliziert sind. In solchen Fällen wendet K. mit gutem Erfolg Xeroform- 
Vaseline 5 proz. an, die sich ihm auch sehr gut bewährte bei chronischer 
Blepharitis und Blepharoconjunctivitis. Trachom ist in Nürnberg 


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26. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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äussersjt selten, doch hatte K. Gelegenheit, sich von der günstigen Wirkung 
der von Grün ert eingeiübrten Terminolsalbe und TerminolVaseline bei 
follikulärer Conjunctivitis zu überzeugen. Kraus. 


K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. 

Sitzung vom 25. April 1913. 

(Eigener Bericht.) 

Hr. Benedikt stellt eine Frau mit einer Kernläsion des Aensticns 
und des Vestibnlaris vor. 

Patientin hat in der Jugend spinale Kinderlähmung durchgemacht, 
von welcher noch eine Peroneuslähmung zurückgeblieben ist, ferner er¬ 
blindete sie am linken Auge. Seit 2 Jahren ist das Sehvermögen auch 
am rechten Auge herabgesetzt. Es besteht eine fast komplette centrale 
Lähmung beider Vestibularnerven und des Acustious einer Seite. 
Patientin hatte in der ersten Zeit Kopfschmerz und Schwindel, sie 
schwankt etwas beim Stehen mit geschlossenen Augen und bekommt bei 
seitlicher Blickrichtung auf einem Auge Nystagmus. Der Vestibularnerv 
hat nach der Ansicht des Yortr. die Aufgabe, bei Störung des Gleich¬ 
gewichtes dieses automatisch wiederherzustellen. Die Sella turcica ist 
bei der Patientin, wie das Röntgenbild zeigt, erweitert und vertieft, 
ohne dass dies als pathologisch aDzusehen wäre. 

Hr. Bachrach demonstrierte zwei Männer, bei denen er Tumoren 
der Drethra mittels Fulguration behandelt hat. 

Ein 38 jähriger Patient hatte seit 8 Jahren zunehmende Harn¬ 
beschwerden. Bei der Urethroskopie fand man den Colliculus seminalis 
hypertrophisch und geschwollen, rechts von demselben sass ein Polyp. 
Dieser wurde 10 Sekunden lang mittels Fulguration behandelt. Nach 
2 Wochen war der Polyp verschwunden und die Entzündung des Colli¬ 
culus war zurückgegangen. In einem zweiten Falle sassen bei einer 
Frau am Sphincter internus der Blase zwei Polypen, welche 6 Tage 
nach durchgeführter Fulguration verschwunden waren. In einem dritten 
Falle hat Vortr. eine Krebsimpfmetastase in der Narbe nach Sectio alta 
mit Hochfrequenzströmen behandelt. Patient ist jetzt nach einjähriger 
Beobachtung recidivfrei. Die Urethroskopie sollte öfters als bisher ver¬ 
wendet werden, weil sie Krankheitsbilder aufdecken kann, welche auf 
keine andere Weise festgestellt werden können. 

Hr. Schnitzler führte einen Mann vor, bei welchem er einen 
Abscess in der motorischen Hirnregion eröffnet hat. 

Patient erlitt im Raufhandel eine Schussverletzung am Schädel, 
nach 2 Tagen verschlechterte sich die Sprache. Es wurde die Wunde 
inzidiert und aus derselben ein Stück einer Revolverkugel und Eiter 
entfernt. Die Sprache wurde nicht gebessert. Nach einigen Tagen 
bekam Patient wiederholt Krampfanfälle, welche im Facialisgebiete be¬ 
gannen und auf die rechtsseitigen Extremitäten Übergriffen. Die Wunde 
wurde erweitert, und es wurden wieder Bleistücke und Splitter der Tabula 
vitrea entfernt. Da die Lokalisation der Wunde mit den funktionellen 
Reiz- und Ausfallserscheinungen nicht stimmte, wurde im Facialis- 
oentrum eine Gehirnpunktion ausgeführt, und es wurde ein Abscess auf¬ 
gedeckt, nach dessen Entleerung Heilung erfolgte. 

Hr. Schnitzler demonstrierte eine Frau, welche sich während einer 
Psychose 9 Haarnadeln in den Banch eingestochen hat. 

Die Kranke zog sich selbst 6 Nadeln heraus; 3 mussten durch 
Laparotomie entfernt werden. Es fehlten alle peritonitischen Erschei¬ 
nungen, trotzdem die Nadeln ein halbes Jahr im Körper verweilten. 

Hr. Blnm stellte einen 11jährigen Knaben vor, bei welchem er 
eine Urethralplastik wegen einer perinealen Harnfistel vorgenommen hat. 

Der Kranke hat vor 4 Jahren durch Sturz auf einen Stein eine 
Zerreissung der Urethra erlitten. Es blieb eine perineale Harnfistel 
zurück, welche 6 mal ohne Erfolg operiert wurde. Yortr. legte eine 
suprapubische Fistel an, um die Urethra auszuschalten. Da der Kranke 
an Pyelonephritis laborierte, wurde die Urethra freigelegt, 2 l l 2 cm der¬ 
selben reseziert und die Enden miteinander vereinigt. Aus der Blase 
wurde ein Stein entfernt. Der Kranke ist geheilt. 

Hr. Ekler: 

Erfahraigen über die Abderhalden’sehe Sehwaagersehaftsreaktioi. 

Yortr. hat das Dialysierverfahren zur Diagnose der Schwangerschaft 
nach Abderhalden nachgeprüft. Untersucht wurden 66 Fälle. Bei 
41 Graviden war die Reaktion immer positiv, bei 25 nicht Graviden 
immer negativ. Unter den positiven Fällen befanden sich ganz junge 
Graviditäten, Extrauteringraviditäten und sonstige Fälle, bei denen eine 
Diagnose mit Sicherheit nicht zu stellen war. Vortr. kommt zu dem 
Schlüsse, dass das Verfahren, wenn es mit der nötigen Exaktheit genau 
nach den Vorschriften Abderhalden’s ausgeübt wird, absolut verläss¬ 
lich ist. Er empfiehlt die Methode, die nicht nur für die Diagnose der 
Schwangerschaft bestimmt, sondern auch andere Probleme zu lösen im¬ 
stande ist. 

Hr. Paltanf demonstrierte das anatomische Präparat von Chorio- 
epitheliomen der Leber, welche erst nach mehreren Jahren als Meta¬ 
stasen aufgetreten waren. 

Das Präparat stammt von einer 61 Jahre alten Frau, welche Leber¬ 
tumoren hatte, die den Anschein von Echinococcus boten. Bei der 
Probelaparotomie wurden aber keine Echinokokken gefunden. Patientin 
starb bald an Anämie. Bei der Operation fanden sich in der grossen 
Leber zahlreiche eingelagerte Tumoren mit einer hämorrhagischen Peri¬ 
pherie und fibrinähnlicbe Massen im Centrum. Die mikroskopische 


Untersuchung ergab Chorioepitheliom. Da die Frau vor 22 Jahren zum 
letztenmal entbunden hatte, so müssen die Chorionzellen viele Jahre 
latent geblieben und erst später in Wucherung geraten sein. Yortr. hat 
in einem anderen Falle eine Metastase nach einem Melanosarkom des 
Auges erst nach 15 Jahren auftreten gesehen. Von langer Latenzzeit 
des Chorioepithelioms sind mehrere Fälle bekannt. H. 


Verein deutscher Aerzte zu Prag. 

Sitzung vom 24. April 1913. 

Hr. Hecht: 

Die Wassermann’sehe Reaktion als Indikator bei der Therapie der 
Syphilis. 

Die Wassermann’sche Reaktion kann häufig, jedoch immer nur im 
Zusammenhänge mit der klinischen Beobachtung wertvolle Anhaltspunkte 
für die Behandlung geben. Im Primärstadium lässt die negative Reaktion 
eine erfolgreiche Abortivbehandlung mit einiger Wahrscheinlichkeit er¬ 
warten. Bei positiver Reaktion muss die Behandlung bis zum Ver¬ 
schwinden der Reaktion geführt werden und muss auch weiter negativ 
erhalten bleiben. Sowie die Reaktion positiv wird, ist schon die Indi¬ 
kation für die Weiterbehandlung gegeben. Auch im sekundären Stadium 
ist die Behandlung bis zum Verschwinden der Wassermann’sohen Reaktion 
durohzuführen und durch häufige Kontrollen muss man sich von dem 
Negativbleiben der Reaktion überzeugen. Doch gibt es Fälle, die die 
positive Wassermann’sche Reaktion nur sehr schwer verlieren und sogar 
immer behalten. Diesen Fällen ist eine besondere Aufmerksamkeit zu 
widmen. Im Stadium der Frühlatenz bedeutet die positive Wassermann- 
sche Reaktion aktive Lues, die natürlich behandelt werden muss, im 
Spätlatenzstadium müssen Erscheinungen trotz der positiven Wassermann- 
sehen Reaktion nie folgen. Ein Versuch zur Aufhebung derselben kann 
keinen Schaden bringen. 

Eine grosse Rolle spielt die Wassermann’sche Reaktion bei der 
provokatorischen Salvarsaninjektion, da durch das Positivwerden der 
Beweis für eine noch latent bestehende Erkrankung erbracht werden 
kann. Bleibt die Reaktion auch nach der Salvarsaninjektion negativ, 
so kann mit grosser Wahrscheinlichkeit eine Ausheilung der Syphilis 
angenommen werden. 

Im tertiären Stadium dauert es oft lange, ehe man mit energischen 
Kuren die positive Wassermann’sche Reaktion umkehren kann. Bei 
Lues maligna ist eine Aenderung der Wassermann’schen Reaktion, sei 
es von positiv auf negativ, oder umgekehrt, ein günstiges Symptom, das 
für die Reaktionsfähigkeit des Organismus spricht. Hier kann eine zur 
riohtigen Zeit einsetzende Therapie Wunder wirken. 

Eine besondere Wichtigkeit kommt der Wassermann’schen Reaktion 
bei der Ehebewilligung, bei der Ammenuntersuchung, der Lebens¬ 
versicherung, der Prostituiertenkontrolle zu. Bei allen diesen Gelegen¬ 
heiten ist positive Reaktion die Indikation zur antiluetischen Behandlung. 

0. Wiener. 


II. Tagung der Vereinigung sächsischer 
Chirurgen. 

Dresden, 8. Mai 1913. 

Vorsitzender: Herr Lindner-Dresden. 

Hr. Payr - Leipzig: Ein lehrreicher Fall von schnollender 
Hüfte. 

In 99 pCt. aller Fälle beruht die schnellende Hüfte auf paraarti- 
culärer Ursache, in 1 pCt. auf articularer Ursache. Bei ersterer Form 
gleitet ein Teil des Tractus ileotibialis über den Trochanter major 
hinweg und hinter diesem nieder. Hierdurch entsteht das Schnellen. 
Als Therapie kommt in Betracht: Massage, Uebungs- und Balneotherapie 
oder Fixation der Sehne des Glutaeus maximus, der in den Tractus 
ileotibialis übergeht, an das Periost des Trochanter major. Vorstellung 
eines durch Operation geheilten 14 jährigen Mädchens. 

Hr. Weber - Dresden: Demonstrationen zur Säuglings¬ 
chirurgie. 

a) 4V 2 jähriges Kind, das als Säugling in Aethernarkose wegen 
Pylorospasmus operiert worden ist. Spaltung mit Vernähung, gutes 
Resultat, b) 4 Wochen altes Kind, in Lokalanästhesie wegen Pyloro¬ 
spasmus operiert ohne Vernähung. Guter Erfolg, c) 4 Wochen altes 
Kind, operiert wegen Nabelschnurbruch mit apfelgrossem Leber¬ 
vorfall. Guter Erfolg. 

Diskussion. Hr. Heller-Leipzig berichtet über einen 50 jährigen 
Mann, bei dem er Cardiospasmus durch Inzision geheilt hat. Man kann 
die Operation ohne Schleimhauteröffnung oder Pleuraverletzung aus¬ 
führen. Sie ist indiziert bei den Patienten, bei denen Sondenbehandlung 
erfolglos ist. 

Hr. Bachmann - Leipzig: Ueber Mobilisierung des anky- 
lotischen Hüftgelenks. 

B. erläutert an 5 Fällen die beiden Arten von Mobilisierung der 
Hüftgelenksankylose, wie sie an der Leipziger Klinik ausgeführt wird: 
a) Bildung eines Sattelgelenks am Oberschenkelhals mit Muskelplastik 
aus Musculus tensor fasciae latae; b) Aushöhlung der Pfanne, Einpassung 
des Schenkelhalses in diese, verbunden mit Muskel- oder Periostplastik. 


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UNIVERSITY OF IOWA 



096 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


: Nr. 21. 


Nachbehandlung mit SchieneDhülsenapparat. Demonstration zugehöriger 
Röntgeuaufnabmen. 

Hr Scbanz-Dresden: Operierte Ankylosefälle. 

Er benutzt als Interpositionsmaterial das Unterbautfettgewebe in 
der Form des gestielten Lappens und verwirft die Nachbehandlung mit 
Gymnastik und Massage. Er wirft die Frage auf, ob nicht später, ob¬ 
gleich kein typisches Gelenk mehr vorhanden sei, Arthritis deformans auf- 
treten kann. 

Diskussion. Hr. Payr hat selbst nach 3 1 /* Jahren in zwei Fällen 
keine Arthritis deformans auftreten sehen trotz reichlicher Bewegungen 
in dem mobilisierten Geleok. P. benutzt bei dem Kniegelenk prinzipiell 
gestielte Fascienlappen als Interpositionsmaterial. 

Hr. Credö-Dresden: 1909 nach Talma operierter Mann. 

Vorstellung des in Nr. 18 der Berliner klinischen Wochenschrift 1910 
veröffentlichten Falles, bei dem bis jetzt Dauerheilung erzielt wurde. 
Es ist kein Ascites mehr aufgetreten. Der Testierende Bauchbruob wird 
durch bequeme Bandage zurückgehalten. Völlige Arbeitsfähigkeit des 
Patienten. 

Diskussion. 

Hr. Tillmanns - Leipzig empfiehlt die Talma’sche Operation bei 
Banti’scher Erkrankung, wo die Exstirpation der Milz unmöglich ist. 

Hr. Laewen - Leipzig berichtet über Dauererfolg (6 Jahre) nach 
Talma'scher Operation bei Zuckergussleber und -Milz. 

Hr. Lindner - Dresden hat öfters wegen Fehlens des Netzes die 
Operation nioht durchführen können. In anderen Fällen sah auch er 
gute Resultate. 

Hr. Schümann-Dresden: Ueber Knochenbolzung. 

Demonstration eines durch Knochenbolzung geheilten Oberschenkel¬ 
bruches, bei dem 6 Wochen nach der Verletzung noch keine Callus- 
bildung eingetreten war. 

Hr. Lindner-Dresden: Zur Leberresektion. 

Demonstration eines wegen gummöser Veränderungen resezierten 
linken Leberlappens. Heilung nach 14 Tagen per primam intentionem. 

Hr. Heinecke - Leipzig: Ueber odontogene Kiefertumoren, 

Ausführliches Referat über dieses Thema an der Hand zahlreichen 
Materials der Leipziger Poliklinik. Die wirklich odontogenen Tumoren 
haben sich stets als gutartig erwiesen. Ein maligner centraler Tumor 
im Unterkiefer erwies sich als Metastase eines malignen Cylindroms der 
Speicheldrüse, war also nicht odontogen. 

Hr. Haenel - Dresden: Ueber den heutigen Stand der Car- 
cinombehandlung. 

Referat unter Benutzung eigener Erfahrungen. H. lehnt den Stand¬ 
punkt der Freiburger Universitäts-Frauenklinik ab. Er fordert un¬ 
bedingt radikale Entfernung operabler Caroinome. Ausnahmen von dieser 
Regel kommen nur bei schweren Herz-, Gefäss- und Nierenerkrankungen 
in Betracht. Bei der Operation vermeide man Dissemination des Tumors. 
Die Probeexzision mit dem Messer schränke man möglichst ein. In¬ 
operable Tumoren behandle man kombiniert mit Bestrahlung, eventuell 
nach partieller Operation oder Freilegung. 

Hr. Magnus - Dresden: Ein Fall von Entbindungslähmung. 

Vergleiche Bericht über die Sitzung des Vereins für Natur- und 
Heilkunde zu Dresden am 26. April 1918 (Berliner klin. Wochenschr., 
Nr. 20). 

Diskussion. Hr. Payr - Leipzig: Eine altbewährte Behandlungs¬ 
methode der Entbindungslähmung ist wochenlange Fixierung des ge¬ 
sunden Armes am Körper des Patienten und ausgiebige Bewegung des 
kranken Armes. 

Hr. Kulenkampff-Zwickau: Ueber Versorgung frischer Ver¬ 
letzungen. (Mit Projektionen.) 

Ausgiebige Verwendung des chemisch indifferenten Perubalsams 
empfohlen. Exakte Blutstillung ist für gutes funktionelles Resultat 
wichtig. Jede freiliegende Sehne ist verloren. Deshalb möglichst kurzes 
Abschneiden durchtrennter Sehnen oder Vereinigung der dorsalen und 
volaren Sehnen über dem Stumpf nach Wilms. 

Diskussion. Hr. Payr - Leipzig: Zur bequemen Befestigung von 
Prothesen bilde man je einen volaren und dorsalen Hautlappen, ver¬ 
einige die Streoksehnen untereinander zu einem Ring, desgleichen die 
Beugesehnen und bedecke sie getrennt mit den gebildeten Hautlappen. 
Später kann man in der Mitte der Sehnenringe je ein Loch durchstossen 
und darin die Prothese befestigen. 

Hr. Seidel - Dresden: Zur Operation der habituellen 
Schulterluxation. 

Modifikation der Clairmont und Ebrlich’schen Operation, beruhend 
auf dem Prinzip der freien Fascienüberpfianzung. 

Diskussion: Hr. Payr - Leipzig hat mit Kapselfaltung mehrere 
Recidive bei habitueller Schulterluxation gesehen. Ein mit Fascien- 
transplantation behandelter Fall ist gut geheilt. 

Hr. Frangenheim - Leipzig: Ueber die Ostitis chronica 
fibrosa capitis. 

Bericht über drei durch Resektion des Sobädels geheilte Fälle. Zur 
Vorbeugung allgemeiner Knochenerkrankung soll operiert werden. 

Hr. Tillmanns - Leipzig: 1. Ueber Glioma retinae mit aus¬ 
gedehnten Metastasen. Demonstration. 

2. Geber Geschwülste der Bauchhöhle, a) Demonstration 
eines bei einem ein Monat alten Kinde entfernten, mit Netz und Darm 
verwachsenen Tumors, in dem Gliascbicht, fötale Gehirnanlage, Re- 


spirations-, Genital-, Brustanlage usw. gefunden wurde. Diagnose: 
„abdominaler foetus in footu.“ b) Bei der Sektion eines 2 1 /* jährigen 
Kindes gefundene stielgedrehte Ovariaicyste, die bei der 4 Tage vor 
dem Exitus vorgenommenen Appendicitisoperation nicht bemerkt 
worden war. 

Hr. Payr-Leipzig: Erfahrungen aus dem Gebiet der 
Schilddrüsenchirurgie. 

Aus dem reichen Schatz seiner Erfahrungen teilt Herr Payr 
allerlei hochinteressante Ergebnisse zur Schilddrüsenchirurgie mit. In 
Gegenden, in denen der Kropf endemisch ist, herrscht der Kolloidkropf 
vor. Kröpfe mit Basedow-Erscheinungen sind dagegen in Norddeutsch¬ 
land, wo der Kropf sporadisch auftritt, häufiger. Das Wasser spielt 
sicher eine Rolle bei der Aetiologie des Kropfes. Kinder, die zur 
Sommerfrische in Kropfgegenden weilten, bekamen manchmal Kröpfe, die 
dann im Winter wieder verschwanden und auch im nächsten Jahr, wenn 
sie wiederum in derselben Kropfgegend waren, aber dort nur Mineral¬ 
wasser tranken, nicht wieder auftraten. Zur Strumadiagnose verwendbar 
sind folgende nicht allgemein bekannte Zeichen: 1. Die Struma endo- 
tboracica verursacht fast stets Trachealstenose, die sich durch eine 
darüberliegende Erweiterung der Trachea und durch Emphysem der 
Lungenspitzen äussert. 2. Verschiedene Formen abnormer Kopfhaltung 
sind charakteristisch für Struma. 3. Das Röntgenbild kann uns bei 
fehlender äusserlich erkennbarer Kropfanlage eine Skoliose der Trachea, 
hervorgerufen durch die sogenannten Ewald’schen Knoten, zeigen. Eine 
Anzahl von Strumen bedürfen gar keiner Behandlung. Andere sind 
durch Jod und Natrium phosphoricum zu beeinflussen, besonders die 
parenchymatösen Formen mit Basedow-Zeichen, Hyperthyreoidismus und 
Kropfherz. Eine dritte Reihe erfordert chirurgische Behandlung. Herr 
Payr bereitet seine Kropffälle auf die Operation vor; bei Kropfherzen 
und thyreotoxischen Formen durch Ruhe, Eisblase auf das Herz und 
Digalen, bei Tracheobronchitiden durch Inhalationen, Priesnitz’sche Um¬ 
schläge und kleine Jodkaligaben. Die Operation führt er in Lokal- oder 
Leitungsanästhesie, bei Basedow-Kröpfen in Scopolaminäthernarkose 
durch. Von Kropfoperationen wendet er folgende an: 1. Ligatur der 
Kropfarterien; 2. halbseitige Exstirpation; 8. Resektion der Thyreoidea. 
Er legt bei jeder Operation prinzipiell den Nervus laryngeus inferior 
frei. Die Tracheotomie, die der Ruin der Asepsis ist, hat er niemals 
ausgeführt. 

Diskussion: Hr. Lindner - Dresden betont ebenfalls die Wichtigkeit 
des Röntgenbildes zur Strumadiagnose und beschreibt seine Technik. 

Hr. Teske - Plauen: Ueber Statik und Mechanik der Brust¬ 
eingeweide. 

Hr. Braun - Zwickau: Ueber die operative Behandlung der 
eitrigen Thrombose der Vena ileo-colica. 

Bei mesenterialer Pyämie macht Wilms die Unterbindung aller im 
Winkel zwischen Coecum und Ueum gelegenen Venen in Analogie zur 
Jugularisunterbindung bei otitischer Pyämie. Braun hält es für besser, 
weiter centralwärts zu unterbinden und macht deshalb Unterbindung 
mit Resektion der Vena ileo-colica. 

Diskussion: HHr. Payr - Leipzig, Reichel - Dresden. 

Hr. Heller-Leipzig: Epiphysentransplantation. 

Experimentelle Ergebnisse an der Ellenbogenepiphyse des Radius. 

Hr. Kölliker - Leipzig: Beitrag zur Stoffel’schen Operation. 

Hr. Fabian - Leipzig: Ueber die Behandlung des Lympho¬ 
sarkoms. 

Differential diagnostische Bemerkungen. Da einzelne Dauerheilungen 
beschrieben sind, muss man operable Lymphosarkome operieren, obwohl 
die Ergebnisse der chirurgischen Therapie im allgemeinen trostlos sind. 

Hr. Credö - Dresden: Antiseptische Tamponade bei peri¬ 
tonealen Absoessen und Peritonitis. 

Eine Statistik über 10 000 Fälle von Appendioitis von 13 Autoren 
zeigt, 1. dass die Gesamtsterblichkeit sich zwischen 3 pCfc. und 13,2 pCt. 
bewegt, 2. dass sie bei Früh- und Intervalloperationen etwa 1,0 pCt 
beträgt, 3. dass von Abscessfällen etwa 9 pCt. bis 14 pCt. sterben und 
4. dass bei diffuser Peritonitis sich die Sterblichkeit in den Grenzen von 
28.3 pCt. bis 82 pCt. bewegt. Credö macht peritoneale Desinfektion mit 
50—100 g 1 proz. Collargollösung und deponiert in einem Gasebeutel an 
deu besonders gefährdeten Stellen einige Collargoltabletten. Die Tampons 
werden nach wenigen Tagen entfernt. Er hat bei dieser Behandlung 
meist kritischen Temperaturabfall erlebt. 

Hr. Werth er - Dresden (als Gast): Erfahrungen bei Prostata¬ 
hypertrophie und -Atrophie. 

Demonstration zahlreicher durch Operation gewonnener Präparate. 

Hr. Grunert - Dresden: Der gegenwärtige Stand in der 
Therapie der Prostatahypertrophie. 

Grunert fordert die Frühoperation an Stelle des jahrelangen 
Selbstkatheterismus. 

Hr. Kleinschmidt - Leipzig: Ueber die Magenfälle der 
Leipziger chirurgischen Klinik der letzten 1 Va Jahre. 
Statistische Mitteilung. 

Hr. Hohlbaum - Leipzig: Die diagnostische Bewertung der 
neueren Untersuchungsmethoden bei chirurgischen Erkran¬ 
krangen des Magens. K. Hoffmann - Dresden. 


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UNIVERSUM OF IOWA 




26. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


997 


Deutscher Kongress für innere Medizin 

zu Wiesbaden vom 15. bis 18. April 1918. 

(Referent: K. Reicher - Bad Mergentheim.) 

(Fortsetzung.) 

Sitzung vom Donnerstag, den 17. April 1913. 

Hr. Spielmeyer - München: Ueber die anatomischen Folgen 
der Luftembolie im Gehirn. 

Als anatomische Ursache für die (bei Lungenoperationen) infolge 
von Luftembolie auftretenden Gehirnkrämpfe und Lähmungen fand Vortr. 
bei Hunden und Affen, an welchen die Herren Brauer und Weber 
experimentelle Luftembolie ins Gehirn erzeugt hatten, kleinste herd¬ 
förmige Nervenzellendegenerationen in der Hirnrinde. 

Diskussion zu den Vorträgen Brauer und Spielmeyer. 

Hr. Turban - Davos: Die grosse Mehrzahl der üblen Zufälle bei 
Anlegung eines künstlichen Pneumothorax beruht zweifellos auf Gas¬ 
embolie. T. selbst bat bei einer N-Einblasung eine doppelseitige, zwei 
Tage andauernde Erblindung unter Krämpfen und schweren Bewusst¬ 
seinsstörungen auftreten sehen. 

Hr. Schottmüller - Hamburg: Bei einer Inzision in die Lunge be¬ 
hufs Eröffnung eines metapneumonischen Empyems entstand eine Blutung 
und brodelndes Rasseln in der Tiefe der Höhle. Es trat vollständige 
Bewusstlosigkeit, Dyspnoe und spastische Lähmung ein, nach drei Tagen 
Besserung, Exitus bei neuerlichem Eingriff. Sektion: Markstückgrosser 
Defekt beiderseits in der vorderen Centralwindung, nirgends ein Thrombus, 
Embolus oder Gewebsbröckel zu entdecken. Auch hier ist wahrschein¬ 
lich Luftembolie eingetreten. 

HHr. Hering-Prag und Bürker - Tübingen. 

Hr. Singer-Wien: Zur konservativen Behandlung der chro¬ 
nischen Lungeneiterungen. 

Bei reichlichem, eitrigem bzw. putridem Sputum infolge von Broncho- 
blenorrhöe, putrider Bronchitis, Bronchiektasie oder Spätfolgen akuter 
infektiöser Prozesse, metapneumonischer Prozesse und von Gangrän 
wendet Vortr. Durstkuren an. Dabei sinkt mehr oder minder rasch die 
Menge des Auswurfes, wobei gleichzeitig der putride und eitrige Charakter 
des Sputums einer mehr katarrhalischen Beschaffenheit Platz macht. 
Parallel damit kommen entzündliche peribronchitische Infiltrate, chro¬ 
nische Abscesse zur Aufhellung und Aufsaugung (was an zahlreichen 
Radiogrammen und Sputumkurven demonstriert wird). Die vom Vortr. 
geübte Durstkur unterscheidet sich von der strengen Schrotkur dadurch, 
dass die Ernährung eine reichliche ist und zweimal wöchentlich ein 
Trinktag oingeschaltet wird. Zumeist beobachtet man dabei ganz er¬ 
hebliche Gewichtszunahme. 

Bei einem Vergleiche mit den Methoden der Collapstherapie kommt 
Vortr. zu dem Ergebnis, dass, abgesehen von den eng gezogenen In¬ 
dikationen für diese, die Resultate dor Durstkur viel zuverlässiger und 
dauernder sind. 

Von den 14 Fällen, die Vortr. bisher überblickt, blieb bis auf 3, 
bei denen das Verfahren abgebrochen werden musste, das günstige Re¬ 
sultat weit mehr als l 1 /, Jahre konstant, während des Vortr. eigene Er¬ 
fahrungen mit dem künstlichen Pneumothorax bisher nicht ermutigend 
sind. Die Durstkur kann mit Schwitzbädern und anderen, die Sekretion 
beeinflussenden Verfahren kombiniert werden; sie ist kontraindiziert bei 
Tuberkulose und Nierenerkrankungen. 

Hr. Moritz-Cöln: Zur Anlegung des künstlichen Pneumo¬ 
thorax durch Punktion. 

Der zur Verwendung kommende Apparat ist so eingerichtet, dass 
erst dann Luft durch die Hohlnadel in den Thorax eindringen kann, 
wenn an dem Nadelende ein bestimmter Minusdruck auftritt. Es wird 
dies dadurch erreicht, dass die mit der Nadel in Verbindung stehende 
Aussenluft im Apparat selbst erst gewisse positive Druoke überwinden 
muss, ehe sie nachströmen kann. 

Die hierfür nötige Aspirationsluft findet sich nur im Pleuraspalt 
während der Inspirationsphase. In der Lunge selbst kommt es nicht 
zu derartigen Minusdrucken. Ist der Pleuraspalt erreicht, was man an 
dem Hineinperlen der Luft erkennt, so lässt man erst ein grösseres 
Quantum Luft inspiratorisch aktiv eintreten und erst dann und nur 
dann geht man dazu über, Stickstoff unter positivem Druck einzublasen. 
Der Apparat ermöglicht eine Abmessung eingeführter Stickstoffmengen 
unter fortlaufender manometrischer Kontrolle des Injektionsdruckes und 
erlaubt auch gegebenenfalls das in den Pleuraraum eingelassene Gas, 
ebenfalls unter Messung seiner Quantität, wieder auszusaugen. 

Hr. Königer- Erlangen: Ueber experimentelle Pneumo¬ 
thoraxpleuritis. 

K. prüfte im Tierexperiment den Einfluss des Pneumothorax auf 
die Entstehung und den Verlauf der Infektionen im Pleuraraum. Es 
zeigte sich, dass nicht nur der offene, sondern auch der geschlossene 
unkomplizierte Pneumothorax von einer gewissen Grösse ab die Wider¬ 
standskraft des Brustfelles gegen die Infektion herabzusetzen vermag. 
Daraus ergeben sich (praktisch wichtige Folgerungen für die Klinik des 
Pneumothorax, der bekanntlich auch zu Heilzwecken bei schweren 
Lungenkrankheiten vielfach aogewendet wird. Möglicherweise lässt sich 
die lokale Resistenzverminderung durch künstlichen Pneumothorax zu 
diagnostischen Tierimpfungen und anderem verwerten. 

Diskussion. 

Hr. Br au er-Hamburg pflichtet den Anschauungen des Vorredners 
durchaus bei. Es liegen auch im ganzen zahlreiche einwandfreie Beob¬ 


achtungen vor, dass die Pleura bei bestehendem Pneumothorax leichter 
Infektionen verfällt als wie normalerweise. Häufig sah B. das Auf¬ 
treten schwerer Pleurainfektionen, wenn der Punktierende bei unge¬ 
schicktem Vorgehen durch den Luftraum hindurch die kranke Lunge 
angestochen hatte, und dann von der kranken Lunge aus den Pleura¬ 
raum infizierte. Gelegentlich muss wohl auch ein Durchwandern von 
Krankheitserregern durch die Lungenpleura hindurch angenommen 
werden, ganz besonders bei übermässiger Druckspannung im Pleura¬ 
thoraxraum. 

Mehrfach sah B. auch unmittelbar im Anschluss an das Einsetzen 
einer Angina eine Pleurainfektion auftreten mit dem gleichen Krankheits¬ 
erreger wie auf dem Tonsillenabstrich. Dies erweist deutlich die ge¬ 
steigerte Vulnerabilität der Pleura bei Pneumothorax. 

Zur Operation ist nur bei sorgsam überlegter Indikation zu schreiten. 

Hr. Friedrich-Königsberg. 

Hr. Bacmeister-Freiburg: Weitere Untersuchungen bei ex¬ 
perimenteller Lungenspitzen tuberkulöse. 

Zum Ausbruch der Schwindsucht beim Menschen genügt nicht das 
Eindringen von Tuberkelbacillen in die Lunge, sondern es muss noch 
eine lokale Disposition hinzukommen, welche ererbt oder von dem Träger 
erworben sein kann. Ueber die erste Entstehung der Schwindsucht 
wissen wir nichts Genaues, da die allerersten Anfänge beim Menschen 
schwer zu untersuchen sind und bisher bei Tieren keine echte Schwind¬ 
sucht experimentell erzeugt werden konnte. B. berichtet im Ausbau 
früherer Experimente über seine Versuche an Tieren, bei denen es ihm 
gelungen ist, zum ersten Male Erkrankungen zu erzeugen, die der 
menschlichen Schwindsucht in allen Punkten ähnlich sind. Er liess 
Kaninchen in Drahtschlingen hineinwachsen, die die obersten Rippen in 
gleicher Weise gegen die Lungenspitzen drückten, wie es bei Menschen, 
die zur Tuberkulose disponiert sind, sein kann. An den erzielten 
Krankheitsbildern konnten nun alle Stadien der Krankheit studiert 
werden. Vor allem konnte festgestellt werden, dass der erste Beginn 
sowohl durch die Einatmung von Bacillen erfolgen kann, wie auch auf 
dem Blutwege von einer tuberkulösen Drüse usw., die sich schon im 
Körper befindet. Die Gelegenheit zu beiden ist fast für jeden Menschen 
gegeben, der Ausbruch der Krankheit erfolgt erst, wenn die Lungen¬ 
spitzen in irgendeiner Weise geschädigt werden. Eine wichtige Rolle 
spielt hierbei die mechanische Beengung der Lungenspitzen durch den 
ersten Rippenring, eine andere Ursache ist in der Staubinhalation zu 
sehen. Sowohl auf hämatogenem als auch auf aerogenem Wege gelingt 
die Infizierung der Lunge mit Tuberkelbacillen, wenn man nach der 
Infektion die Disposition in der Lunge dazu schafft. 

Hr. Hammer-Heidelberg: Die serologische Diagnose der 
Lungentuberkulose. 

Die sichere Diagnose einer beginnenden Lungentuberkulose macht 
in einer nicht geringen Anzahl von Fällen noch immer Schwierigkeiten. 
Die physikalischen Untersuchungsmethoden, zu denen auch die Röntgen¬ 
untersuchung zu rechnen ist, lassen uns ebenso wie die diagnostischen 
Tuberkulinmethoden vielfach im Stich. Auch die serologischen Unter¬ 
suchungsmethoden haben die auf sie gesetzten Hoffnungen bisher nicht 
erfüllt. Es gelingt jedoch neuerdings durch die Verwendung von Extrakt 
aus tuberkulösem Gewebe kombiniert mit Tuberkulin als Antigen in 
nahezu 100 pCt. der Fälle von ausgesprochener Tuberkulose die Diagnose 
durch Untersuchung des Blutserums mittels der Komplementbindungs¬ 
reaktion zu erhärten. E9 kommt aber natürlich weniger auf die Dia¬ 
gnose der ausgesprochenen Tuberkulose an, sondern auf die rechtzeitige 
Erkennung der beginnenden Tuberkulose. Aber auch diese lässt sich mit 
dieser Methode nachweisen. Schwierigkeiten macht nur die Differenzierung 
der Fälle, die einmal eine tuberkulöse Infektion durchgemacht haben, 
von denjenigen, bei denen die tuberkulöse Infektion zurzeit gerade 
eine aktive Rolle spielt. Es scheint aber, dass sich durch diese Methode 
sicherer als z. B. duroh die Methoden der Ueberempfindlichkeitsreaktion 
gerade die momentan aktive Tuberkulose erkennen lässt, und es ist zu 
hoffen, dass es durch weiter Verbesserung und Verfeinerung der Methode 
auf diesem Wege schliesslich regelmässig gelingt, eine aktive Tuberku¬ 
lose rechtzeitig zu diagnostizieren. 

Diskussion: Hr. Strubell-Dresden. 

Hr. Rothschild - Bad Soden a. T.: Beiträge zur Chemo¬ 
therapie der Tuberkulose. 

Ein Mittel, welches die Tuberkelbacillen im erkrankten Organismus 
mit Sicherheit abtötet, ist bisher nicht bekannt. Wir müssen somit in 
der Bekämpfung der Tuberkelbacillen Umwege machen. Die weissen 
Blutkörperchen enthalten Fermente, die imstande sind, die Bacillen ab¬ 
zubauen. Und zwar enthalten die Lymphocyten fettspaltendes, die Phago- 
cyten eiweissauflösendes Ferment. Eine Vermehrung der wichtigsten 
Lymphocyten, die durch ihr Ferment den Fettmantel der Tuberkel¬ 
bacillen angreifen, ist somit geeignet, die weitere Vernichtung dieser 
Schädlinge durch die Phagocyten vorzubereiten. Mittel zur künstlichen 
Vermehrung der Lymphocyten sind alle Jodpräparate sowie das Pilo¬ 
carpin. Unter den Jodpräparaten nimmt Jodoform, das ja schon lange in der 
chirurgischen Tuberkulose ein Rolle spielt, eine Sonderstellung ein, da 
Jodoform sowohl die Lymphocyten vermehrt als auch die Phagocyten 
zu erhöhter Tätigkeit anregt. Die Verbindung von Tuberkulin mit Pilo¬ 
carpin bzw. Jodpräparaten wird somit eine rationelle Bekämpfung der 
Tuberkulose ermöglichen. Referent hat mit dieser Methode ermutigende 
Resultate erzielt. 

(Schluss folgt.) 


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998 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT 


Nr. 21. 


Londoner Brief. 

Das Versicherungsgesetz in England. 

IL 

Am 19. November trat das Representative Meeting zusammen. Die 
Sitzungen waren aufgeregt, und einmal sah es bedenklich so aus, als ob 
die Verhandlungen ins Stocken geraten würden. Zuerst wurde, nicht 
ohne Opposition, beschlossen, dass das neue Anerbieten des Finanz* 
ministers „unausführbar und der Aerzteschaft unwürdig“ sei, und dass 
die Aerzte sich weigerten, dasselbe anzunebmen. Dann folgte der Vor¬ 
schlag, dass man dem Finanzminister zu verstehen geben sollte, dass 
durch sein Anerbieten die British Medical Association in die Lage ver¬ 
setzt worden sei, mit ihm und mit den Commissioners weiter zu unter¬ 
handeln in bezug auf die noch nicht bewilligten Ansprüche der Aerzte. 
Eine Aenderung wurde dann vorgeschlagen in dem Sinne, dass der 
Finanzminister von dem ersten Beschluss in Kenntnis gesetzt werden 
sollte, und dass man ihm zu verstehen geben sollte, dass, wenn die 
Regierung weitere Vorschläge zu machen wünschte, um den Widerstand 
der Aerzteschaft zu beseitigen, dieselben von der British Medical Asso¬ 
ciation sorgfältig in Erwägung gezogen werden würden. Abgestimmt 
wurde nicht nach der Zahl der Delegierten, sondern nach der Zahl der 
Mitglieder, die jeder Delegierte vertrat. Es stimmten dafür: 9292 und 
dagegen: 9269, also eine Majorität von nur 23, und wenn die übliche 
Methode des Stimmens gewählt worden wäre, würde das Resultat 
100 Vertreter dafür und 101 dagegen gewesen sein. Eine Schwierigkeit 
erwuchs daraus, dass laut den Statuten der British Medical Association 
zu bindenden Beschlüssen eine Majorität von mindestens zwei Drittel der 
Stimmen notwendig ist. Die Aenderung kam, nachdem sie angenommen 
worden war, als Resolution zur Sprache und bedurfte zur Annahme 
die oben erwähnte Majorität. Zu dieser Resolution wurde eine sehr 
lange, komplizierte Aenderung vorgeschlagen, wonach 1. der Finanz- 
minister von dem ersten Beschluss in Kenntnis gesetzt werden sollte, 
2. die Association ihre Aufmerksamkeit auf die Forderungen, die noch 
nicht bewilligt worden waren, lenken sollte, 3. die Association be¬ 
stimmen sollte, welche Bedingungen sie würde annehmen können, und 
4. ein kleines Komitee von Delegierten ernannt werden sollte, um 
eventuell mit dem Finanzminister zu verhandeln. Also gerade das Gegen¬ 
teil von dem, was vordem beschlossen worden war! Aber warum nicht? 
Die vorgeschlagene Aenderung wurde angenommen. Die gewählte 
Methode war folgende: Für den Fall, dass Mr. Lloyd George neue 
Vorschläge machen sollte, sollten die Delegierten sofort berichten, die 
Abteilungen die neue Lage sofort besprechen und in einem zweiten 
Representative Meeting bestimmen, was zu tun sei. Noch eins verdient 
Erwähnung, ln den Anfangsstadien des Kampfes, wie schon in einem 
früheren Londoner Brief berichtet worden ist, lag die Leitung der British 
Medical Association in den Händen von Dr. Maclean, Dr. Smith 
Whitaker u. a. m. Ausserdem haben Dr. Lauriston Shaw und Sir 
Victor Horsley eine bedeutende Rolle gespielt. Dann folgte die Aus¬ 
scheidung von Dr. Smith Whitaker, als derselbe zum Vizevorsitzenden 
der Insurance Commissioners ernannt wurde. Nachdem der Entwurf 
Gesetz geworden war, erhoben sich viele Stimmen gegen die Leitung der 
Association; Sir Victor Horsley ist ganz besonders angegriffen worden, 
desgleichen Dr. Maclean und Dr. L. Shaw. Sir Victor Horsley 
schied von dem Ausschuss und Representative Meeting aus, aber die 
zwei letzterwähnten blieben. Die Anhänger der nicht nachgebenden 
Partei, die dafür waren, das Anerbieten des Finanzministers energisch 
zurückzuweisen, griffen Dr. Maclean und Dr. Shaw bei dem Represen¬ 
tative Meeting scharf an, und bei dieser Gelegenheit trat es klar zutage, 
dass die Association unter sich durchaus nicht einig war. Ebenso fiel 
es auf, dass mehrere der ärztlichen Mitglieder des Advisory Committee 
entgegen den Wünschen der Association ihre Posten nicht niedergelegt 
hatten. Später machte sich diese Spaltung in der Aerzteschaft noch 
bemerkbarer, indem, während das Representative Meeting und die Mehr¬ 
zahl der Abteilungen es den Mitgliedern zur Ehrensache machen wollten, 
an dem gegebenen Versprechen, keine Behandlung unter dem neuen 
Gesetz zu leisten, festzuhalten, Dr. L. Shaw und eine Anzahl anderer, 
die Aerzte zu überreden versuchten, sofort Posten als Versicherungs¬ 
ärzte zu übernehmen. Dr. Lauriston Shaw steht im Augenblick in 
Konflikt mit dem Ausschuss der Association. 

Zu gleicher Zeit wurden energisch Mittel gesammelt, um es der 
Association möglich zu machen, den Kampf weiterzufübren. Die Gelder, 
die als Streikfond dienen sollten, waren lächerlich klein im Vergleich zu 
dem, was eventuell notwendig werden würde. Es waren weniger als 
4 Millionen Mark. Bis Oktober 1912 waren schon 277 400 Mark für 
Propagandazwecke, Reisekosten usw. verausgabt worden. Seitdem sind 
zwei Representative Meetings abgehalten und infolgedessen die Ausgaben 
bedeutend erhöht worden. 

Am 25. und 26. November legten die Deligierten der Association 
die Ansichten des Representative Body dem Finanzminister vor, und 
nach kurzer Zeit antwortete letzterer hierauf in Form eines Memorandums. 
In dieser Schrift wurden die Pflichten der „Panel“-Aerzte, d. h. der 
Aerzte, die den Versicherten Behandlung unter dem Gesetz zukommen 
lassen, detailliert auseinandergesetzt. In bezug auf diese Pflichten ist 
darin nichts Neues enthalten, nur werden Einzelheiten genauer be¬ 
sprochen. Dasselbe gilt für die Honorierungsfrage. Bezahlungen für 
Sonderleistungen, Nachtbesuche, Operationen usw. dürfen bewilligt werden, 
aber die Mittel, die dies decken sollen, werden nicht erhöht; das Re¬ 


sultat wird sein, dass die Honorare für die gewöhnliche Behandlung 
verhältnismässig niedriger ausfallen werden. Eins geht klar aus 
der Schrift hervor, nämlich dass von den versicherten Kranken 
der Arzt eine Bezahlung für besondere Leistungen nicht fordern 
kann; dies ist nur dann statthaft, wenn der Versicherte den Wunsch 
hegt, für ärztliche Behandlung selbst Vorkehrungen zu treffen und 
hierzu Erlaubnis erlangt bat. "Weiterhin wird auf Inspektion näher ein¬ 
gegangen, und zwar gibt Mr. Lloyd George zu, dass eine Kontrolle 
der Behandlung nicht stattfinden soll. Was das Schiedsgericht (Committee 
of Compliants) anbetrifft, so ist er geneigt, den Wünschen der Association 
nachzukommen und den Namen zu ändern. Sonst ist in dem Memo¬ 
randum nichts Neues und vor allem kein Nacbgeben von seiten des 
Finanzministers zu finden. Der Ausschuss der British Medical Asso¬ 
ciation veröffentlichte das Memorandum und hob hervor, inwieweit die 
Sachlage sich geändert hatte, und beschloss auf Grund dieser Aenderung (!), 
für den 21. Dezember ein weiteres Representative Meeting zusammen¬ 
zurufen. In der Zwischenzeit stimmten die Abteilungen ab, ob die 
Mitglieder den Versicherten Behandlung gewähren sollten oder nicht. Die 
Tagespresse brachte täglich die Zahlen der Stimmen für und gegen, 
und da die grosse Majorität dagegenstimmte, jubelte die konservative 
Presse. Es konnte einen traurig stimmen, den Sitzungen zu folgen; ge¬ 
bildete Männer, die in wissenschaftlichen Dingen klar denken können, 
schienen nicht imstande zu sein, zu sehen, dass ein Zurückweisen des 
Anerbietens des Finanzministers für die Mehrzahl der Aerzte eine 
Existenz unmöglich machen würde. Es wurden ihnen 6 sh und 6 d 
oder 7 sh pro Kopf und pro Jahr angeboten; es wurde ihnen Unabhängig¬ 
keit von den Approved Societies zugesichert, sie sollten eine Stimme in 
den Komitees haben, freie Aerztewabl wurde ihnen bewilligt; und wenn 
auch verschiedene Punkte noch nicht zur vollen Befriedigung der Aerzte 
entschieden waren, so stand doch zu erwarten, dass die Lage der meisten 
Kassenärzte bedeutend günstiger sein würde als bisher, und eine Möglich¬ 
keit, später Fehler auszumerzen, durchaus nicht ausgeschlossen war. 
Es unterlag ausserdem keinem Zweifel, dass eine ganze Anzahl Aerzte 
zur Verfügung stehen würden trotz des Verbots der Britisch Medical 
Association. Man tröstete sich mit dem Ausspruch, dass die Aerzte, 
die unehrenhaft genug wären, dies zu tun, minderwertig seien, und 
dass die Kranken sich damit nicht zufrieden geben würden. Es bildete 
sich ein Verein von Aerzten, die offen erklärten, dass sie die Behandlung 
übernehmen würden, trotzdem die British Medical Association sie nicht 
von ihrem Versprechen entbinden wollte. Noch konnte die British 
Medical Association den Sieg beanspruchen, denn Mr. Lloyd George 
hatte wahrlich bedeutende Zugeständnisse gemacht. Es herrschte grosse 
Spannung, und die Commissioners fürchteten, dass die British Medical 
Association in diesem Sinne entscheiden und sich bereit erklären würde, 
unter dem Gesetz versuchsweise zu arbeiten. Entschied die Association 
anders, so blieb den Commissioners immerhin der Ausweg offen, für den 
Fall, dass keine genügende Anzahl Aerzte bereit sein würden, unter 
Vertrag zu arbeiten, festbesoldete Aerzte anzustellen (National Medical 
Service) und das „panel“-System fallen zu lassen. Nur ein9 waren sie 
fest entschlossen nicht zu tun, nämlich den Versicherten die 8 sh und 
6 d für ärztliche Behandlung und Arznei in die Hand zu geben, um 
ihnen die Gelegenheit zu bieten, sich ärztliche Behandlung damit zu 
verschaffen, während die Association damit rechnete, dass dies ge¬ 
schähe. So erstaunlich es auch klingen mag, es ist aber Tatsache, 
dass die Association einsab, dass der Public Medical Service-Plan un¬ 
möglich funktionieren könnte, und dass die einzig übrigbleibende Methode, 
den arbeitenden Klassen ärztliche Behandlung zu gewähren, die sein 
würde, mit den Friendly Societies zusammen zu arbeiten, und dass 
letztere die Bezahlung und die Aerzte die Behandlung übernehmen 
sollten. Man darf dabei nicht vergessen, dass die British Medical 
Association bisher alles getan bat, um Unabhängigkeit von den Friendly 
Societies zu erzielen. Jede Nummer des British Medical Journals brachte 
eine Mahnung in Gestalt einer Wiederholung von dem Wortlaut des Ver¬ 
sprechens, das die Aerzte der British Medical Association geleistet batten, 
und am 21. Dezember wurde ausserdem das Resultat der Abstimmungen 
in den verschiedenen Abteilungen veröffentlicht. Es hatten bis dahin 
nur 9331 Mitglieder der Association und 1S88 Nichtmitglieder gegen 
Dienstleistung gestimmt und 1963 Mitglieder und 445 Nichtmitglieder 
dafür. Wenn die Leitung der Association je Fehlschritte getan hat, so 
verblassen sie im Vergleich mit dem Fehlschritte im Dezember. 

Die British Medical Association geschlagen. 

Am 23. Dezember trat das Representative Meeting wieder zusammen. 
Der Vorsitzende, Dr. Verrall, hatte eine schwere Aufgabe, und er hat 
sein Bestes getan, aber seine Leitung war mitunter kaum regelrecht. 
Zuerst wurde der Vorschlag diskutiert, ob der Beschluss vom November 
aufrecht erhalten werden sollte, wonach das Anerbieten des Finanz¬ 
ministers zurückgewiesen wurde, da die Bedingungen „unausführbar und 
der Aerzteschaft unwürdig“ seien. Es wurde hervorgehoben, dass, wenn 
der Ausdruck „unausiübrbar“ stehen bliebe, es unsinnig wäre, zu ver¬ 
suchen, ärztliche Behandlung laut dem Gesetz zu erteilen. Trotzdem 
die Mitglieder sich wohl bewusst waren, dass eine nicht geringe Anzahl 
Aerzte diese Behandlung auszuführen gedachte, und trotzdem die Asso¬ 
ciation keinen brauchbaren zweiten Vorschlag hatte, beschloss die Ver¬ 
sammlung fast einstimmig, dass der Beschluss bestehen bleiben solle. 
Der Antrag, die Mitglieder von ihrem Versprechen freizumachen, wurde 
zurückgewiesen. Dr. L. Shaw, Dr. Buist und Dr. Farquharson 
legten ihre Stellungen im Ausschuss während der Sitzung nieder; 


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UNIVERSUM OF IOWA 




26. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


999 


Dr. Maclean dagegen verschob seine Resignation bis zur nächsten Sitzung 
des Ausschusses. 

Ein kurzer Kampf folgte. Die Association versuchte diejenigen 
Aerzte, die schon einen Vertrag mit den Versicherungskomitees ab¬ 
geschlossen hatten, zu bewegeD, ihre Verträge zurückzufordern, während 
diejenigen Aerzte, die die Bedingungen für annehmbar hielten, und die 
bereit waren, an ihren Verträgen festzuhalten, versuchten, andere für 
ihre Sache günstig zu stimmen. Jedoch alles dies führte zu keinem 
Resultat. Täglich brachten die Zeitungen die Zahl der neuen „panel“- 
Aerzte; die konservative Presse machte sich ein Vergnügen daraus, 
darauf aufmerksam zu machen, dass in der offiziellen Liste einzelne 
Namen zwei-, drei-, vier- und sogar zehnmal aufgezählt wurden. Ausser¬ 
dem wurde berichtet (ob mit Recht ist unerwiesen), dass viele Aerzte 
sich von den „panels“ zurückgezogen hätten. 

Am 2. Januar trat Mr. Lloyd George wieder mit dem Advisary 
Committee in Verbindung und hielt bei dieser Gelegenheit eine lange 
Rede. Er stellte die Behauptung auf, dass seines Wissens kein Beruf 
sich jemals gegen die verwaltende Kontrolle von Laien gewehrt hätte, 
wenn letztere die Gelder beschafften. Die British Medical Association 
ginge darauf aus, die absolute Kontrolle zu behalten, und er könnte 
sich damit nicht einverstanden erklären. Dagegen sei klar, dass die 
Mehrzahl der Aerzte die Berechtigung der vorerwähnten Kontrolle ein¬ 
sähe. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf die praktischen Fragen. 
Zunächst untersuchte er das Problem, was geschehen sollte in den Fällen, 
wo eine genügende Anzahl Aerzte den Vertrag mit den Insurance Com- 
mittees abgeschlossen hätten. Er machte dabei einen Ueberblick über 
seine Verhandlungen mit den Aerzten und stellte die These auf, dass 
er berechtigt gewesen sei, die Aerzte vor der Einführung des Entwurfes 
nicht zu konsultieren, denn es habe sich seitdem herausgestellt, dass 
die Vertreter der British Medical Association, mit denen er zu ver¬ 
handeln gehabt hätte, niemals bevollmächtigt gewesen wären, An¬ 
erbietungen im Namen der Aerzte zu machen oder Bedingungen zu 
stellen. (Von Mr. Lloyd George’s prophetischem Talent hatte bisher 
keiner eine Ahnung!) Er kritisierte in schärfster Weise, wohl nicht 
ohne Berechtigung, die Inkonsequenz der Association, die in letzter 
Minute ihre Ansichten geändert hätte. Er erklärte, dass er für etwa 
drei Viertel der Gemeinden von England, Schottland und Wales ge¬ 
nügend „panel“-Aerzte hätte; für ganz Schottland sei er imstande, den 
Versicherten ärztliche Behandlung auf diese Weise zukommen zu lassen, 
mit Ausnahme vielleicht von den Orkney- und Shetland-Inseln. Auch 
fast ganz Wales sei mit Aerzten versorgt. Die Zahl der Aerzte, die 
sich bereit erklärt hätten, die Behandlung zu den von ihm im November 
auseinandergesetzten Bedingungen zu übernehmen, beliefe sich auf 10 000. 
Er sprach die Hoffnung aus, dass die Verträge zwischen den Aerzten 
und den Komitees nicht zu eng gehalten werden würden, erstens weil 
die ganze Sache noch im Versuchsstadium stehe, und zweitens weil 
zweifellos Schwierigkeiten entstehen würden, wenn man sich absolut nur 
nach dem Wortlaut der Verträge richtete. Er würde gern bereit sein, 
eventuell auftauchende Klagen auf ihre Berechtigung hin zu prüfen und 
für die Beseitigung der Ursachen zu sorgen. Nur eins müsste bestehen 
bleiben: kein Pfennig mehr Honorar würde den Aerzten bewilligt werden, 
denn er sei nicht geneigt, die Steuer noch zu erhöhen, um dies zu er¬ 
möglichen. In den Fällen, wo die Zahl der „panel“-Aerzte nicht aus¬ 
reicht, um Behandlung auf diese Weise zu gewähren, würde er sich 
gezwungen sehen, das „panel“*System fallen zu lassen und Aerzte von 
auswärts in die betreffenden Ortschaften einzuführen, damit diese die 
Behandlung unternähmen. Wo einige der ansässigen Aerzte bereit 
wären, die Behandlung zu erteilen, würden diese und eventuell noch 
binzugezogene auswärtige Aerzte mit den Insurance Comittees Sonder¬ 
verträge schliessen, und es würde kein weiterer Arzt zugelassen werden, 
ohne dass das Commitee die Sachlage erst untersucht hätte. Eine dritte 
Methode würde die sein, eine genügende Anzahl festbesoldeter Aerzte 
anzustellen, denen die ganze Beschäftigung zufallen würde. Das Gehalt 
dieser Aerzte würde sich auf 10 000 Mark jährlich belaufen. 

Aus seiner Rede ging klar hervor, dass nur im Ausnahmefalle ver¬ 
sicherten Personen die Möglichkeit geboten werden würde, mit ihrem 
Hausarzt ein Abkommen zu treffen dahin, dass ihnen die Gelder für 
ärztliche Behandlung überwiesen werden würden. Hiermit wurde den 
Hoffnungen der British Medical Association ein jähes Ende gemacht. 

Am 15. Januar trat das Gesetz in bezug auf ärztliche Behandlung 
in Kraft. Die Aerzte gerieten in Verzweiflung: Ueberall sahen sich die 
Aerzte, die geschworen hatten, unter keinen Umständen Verträge zu 
schliessen, gezwungen, sich vor sicherem Ruin zu retten. Die Abteilungen 
der Association beriefen Versammlungen ein, und es wurde beschlossen, 
in den Gegenden, wo die Gefahr der Einführung von Aerzten von aus¬ 
wärts gross war, Behandlung zu übernehmen. Die Liberalen jubelten! 
Am 17. und 18. Januar fand wieder ein Representative Meeting statt, 
und die Mitglieder wurden von ihrem Versprechen befreit. Zu spät: 
Die Regierung, Mr. Lloyd George, die Insurance Commissioners und die 
liberale Partei haben die Gelegenheit benutzt, und die British Medical 
Association ist geschlagen worden. Schade! Im November hatte die 
Association Gelegenheit, den Sieg davon zu tragen. 

Das Uebrige kann in wenigen Worten erzählt werden. In London 
existiert die freie Aerztewahl nur in beschränktem Maasse, denn die 
Mehrzahl der Aerzte hat sieb noch nicht mit den Bedingungen einver¬ 
standen erklärt. Dagegen haben ausserhalb Londons die Versicherten 
die Auswahl von fast allen im Orte wohnenden Aerzten. 

Mr. Lloyd George ist sehr gerissen, aber selbst der Sohlaueste kann 


gelegentlich einen Fehler machen. Und dies ist ihm passiert. Er batte 
86 500 000 M. nötig, um damit die Mehrkosten der ärztlichen Behand¬ 
lung für ein Jahr bestreiten zu können. Aber das Gesetz bestimmt, dass 
die Regierung nur zwei Neuntel beitragen soll. Dies hat er entweder 
vergessen, oder er muss geglaubt haben, dass die Abgeordneten es ver¬ 
gessen würden. Auf jeden Fall verlangte er in dem „ Appropriation“-Ent¬ 
wurf — einem Zuschussbudget — die erwähnte Summe. Die Regierung 
hat in letzter Zeit ein Gesetz erlassen, wonach das House of Lords Ge¬ 
setze in demselben Parlament zweimal ändern oder zurüokweisen kann, 
aber wenn das House of Commons der Aenderung oder Zurückweisung 
des House of Lords in den nachfolgenden Jahren immer wieder ent¬ 
gegenarbeitet, so wird einer dritten Zurückweisung des House of Lords 
ungeachtet das Gesetz eingefübrt. Dagegen, wenn ein Gesetz sich aus¬ 
schliesslich mit Finanz befasst, so bedarf es der Zustimmung des House 
of Lords überhaupt nicht. Da das Leben der jetzigen Regierung nur 
knapp so lange dauern kann, dass die zweimalige Zurückweisung eben 
überstanden werden könnte, da ebenfalls eine Hinausschiebung in diesem 
Falle höchst unbequem sein würde, war es dem Finanzminister darum 
zu tun, diese Sache, ohne sie dem House of Lords zu überweiseo, durch¬ 
zuführen. Kurz und gut, er schmuggelte sie in dem Appropriation Ent¬ 
wurf ein. Eine konservative Stimme jedoch erhob sich dagegen. Der 
betreffende Herr lenkte die Aufmerksamkeit des Hauses auf das Vor¬ 
gehen; er erklärte, dass Mr. Lloyd George eine Aenderung in der 
Politik einführen wollte, und hob hervor, dass dies mit dem Gesetz in 
direktem Widerspruch stände. Der Prime Minister erkannte die Richtig¬ 
keit dieses Einwurfes an, bat sozusagen um Entschuldigung für Mr. Lloyd 
George; er, Mr. Asquith, sei bereit, baldigt die Sache durch dies¬ 
bezügliche Legislation in Ordnung zu bringen, und er hoffe, die Ab¬ 
geordneten würden den Entwurf glatt durchgehen lassen. Dies geschah. 

In einem weiteren Londoner Brief soll gezeigt werden, wie die 
Aerzte die Arbeit erledigt haben, und ob die Bedingungen gut oder 
schlecht gewesen sind. Vorläufig lässt sich hierüber ein Urteil nicht 
bilden. H. W. Armit. 


Aerztekurse in Wien. 

In dem Boston medical and surgical Journal vom 1. Mai 
1913 (Nr. 18) finde ich einen „Brief aus Wien“ vom 27. März d. J. an 
den Herausgeber unter der Ueberschrift „Der Köder Deutschlands“. 
Der Inhalt befasst sich mit der Gewohnheit vieler amerikanischer Aerzte, 
nach vollendetem Studium an deutschen Universitäten sich fortzubildeo. 
Der Schreiber unterscheidet drei Klassen: Aerzte, die ohne vorherige 
lange Erfahrung den Schluss zu ihrer Ausbildung gewinnen wollen, alte 
erfahrene Aerzte, die ihr Wissen auffrischen wollen, und solche — etwa 
85 pCt. von allen —, die nach längerer oder kürzerer Praxis sich in 
kurzer Zeit zum Spezialisten ausbilden wollen. Die meisten von ihnen 
können kein Deutsch und geben sich auch keine Mühe, zu lernen. 
Darum wird ihnen in schlechtem Englisch ein Wust von Wissen vorge¬ 
tragen, den sie gar nicht in der kurzen Zeit in sich aufnehmen können. 
Zum Schluss erhalten sie in Wien nach 20 oder auch mehr Stunden 
ein Diplom der Universität durch eine Geschäftsverbindung ameri¬ 
kanischer Aerzte, in dem die spezialwissenschaftlicbe Ausbildung bezeugt 
wird — für das Publikum, für den Arzt nur ein Ausweis des gezahlten 
Geldes. 

Ganz mit Recht schreibt der „H. P. G.“ Unterzeichnete Verfasser, 
ein solches Verfahren schädige die Universität Wien, aber auch das 
Ansehen des Aerztestandes in Amerika (auch der ganzen Welt! Ref.). 

Eine Erklärung aus Wien gegen diese Angriffe, offenbar aus ärzt¬ 
lichem Stande direkt, wäre doch sehr bald zu erhoffen. Vielleicht han¬ 
delt es sich bei der Gesellschaft amerikanischer Aerzte in Wien doch 
nur um ein kaufmännisch gut geleitetes Schwindelunternehmen. 

Sch. 

Der Wunsch des Einsenders findet in nachfolgenden Zeilen schon 
Erfüllung. Red. 

Ein Wort pro domo. 

Der Wiener Brief in der Nummer vom 1. Mai d. J. des „Boston 
medical and surgical journal“ enthält in bezug auf die ausländischen 
Aerzte, welche österreichische Universitäten frequentieren, mehrere Irr- 
tümer. Es sei vorausgescbickt, dass in früheren Jahren jeder 
amerikanische Arzt, er mochte welche Vorbildung immer genossen haben, 
als Frequentant zugelassen wurde und eine Bestätigung — nicht 
ein Diplom! — in Betreff seiner Studien erhielt. Seit Jahresfrist er¬ 
halten nur jene amerikanischen resp. ausländischen Aerzte eine der¬ 
artige Bestätigung, welche an einer international anerkannten 
medizinischen Hochschule ihre Studien absolviert haben, ferner mindestens 
drei Monate lang Vorlesungen oder Kurse an einer österreichischen Uni¬ 
versität hören. 

Seitdem die Bestätigungen nach der Richtung hin restringiert 
wurden, dass sie nur Aerzten mit entsprechender wissenschaftlicher Vor¬ 
bildung erreichbar sind, hat die Zahl der amerikanischen Aerzte in Wien 
in auffälliger Weise abgenommen. Die meisten ausländischen Aerzte, 
welche sich an österreichischen Universitäten fortbilden, sind Spezial¬ 
ärzte oder wollen Spezialärzte werden. Viele dieser Kollegen sind der 
deutschen Sprache nicht mäohtig; doch besitzen wir z. B. in Wien zahl- 


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UNIVERSITÄT OF IOWA 








1000 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 21. 


reiche Professoren und Dozenten, welche sehr gut englisch sprechen. 
Der Passus des Bostoner Wiener Briefes vom „schlechten“ Englisch trifft 
für Wien nicht zu. 

Unwahr ist, dass amerikanische oder ausländische Aerzte überhaupt 
ein „Diplom der Universität“ erhalten, „in welchem die spezialwissen¬ 
schaftliche Ausbildung bezeugt wird“. Der anonyme Verfasser des 
Wiener Briefes konfundiert zwei Einrichtungen, welche an den Uni¬ 
versitäten des In- und des Auslandes bestehen. Jeder ausländische, 
also auch jeder amerikanische Arzt, der eine entsprechende wissenschaft¬ 
liche Vorbildung nachweisen kann und mindestens drei Uonate lang 
inskribiert war, erhält eine Bestätigung, aus welcher zu entnehmen 
ist, welche Gegenstände und welche Dozenten er gehört hat. Ueber den 
Erfolg seiner Studien steht in dieser Bestätigung kein Sterbenswörtchen. 
Die Bestätigung ist nichts mehr und nichts weniger als der Index, 
das Verzeichnis der inskribierten Vorlesungen und Uebungen jedes Uni¬ 
versitätshörers. Man überschätzt übrigens, nebenbei bemerkt, die Zahl 
der ausländischen Aerzte, welche sich in Wien fortbilden; es frequentierten 
die Wiener medizinische Fakultät im letzten Wintersemester 259 Aerzte 
und 2 Aerztinnen; davon stammten 3 Kollegen aus Deutschland, 1 aus 
Belgien, i aus Holland, 6 aus England, 1 aus Russland, 9 aus Asien 
und 44 aus Amerika. 

Es gibt einen Verein amerikanischer Aerzte in Wien. Dieser hat 
die Aufgabe, nach Wien kommenden Landsleuten mit Rat und Tat zur 
Seite zu stehen. Auf die Ausstellung von Bestätigungen der Wiener 
Universität hat dieser Verein — wie selbstverständlich — gar keinen 
Einfluss. 

Die Bestätigungen über absolvierte Vorlesungen und Uebungen 
sind — das sei nochmals betont — keine Diplome. Dagegen hat jeder 
Kliniker, jeder Vorstand eines wissenschaftlichen Institutes, jeder Pri¬ 
marius einer Krankenabteilung in Oesterreich das Recht, Aerzten, welche 
mindestens drei Monate an seiner Station tätig waren, ein Zeugnis aus¬ 
zustellen. Das ist ein woblbegründeter Usus, der ja auch ausserhalb der 
schwarz-gelben Pfähle nicht unbekannt ist. Der Verfasser des Wiener 
Briefes scheint die Zeugnisse privaten Charakters, welche jeder ärzt¬ 
liche Vorstand ausstellen darf, mit den Bestätigungen über inskri¬ 
bierte Vorlesungen und Kurse, die von der Universität ausgefolgt werden, 
zu konfundieren. Vindobonensis. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. In der Sitzung der Berliner medizinischen Gesell¬ 
schaft vom 21. Mai hielt Herr Hausmann den angekündigten Vortrag: 
Ueber topographische Gleit- und Tiefenpalpation. In der Diskussion 
über den Vortrag des Herrn E. Bumm: Ueber die Erfolge der Röntgen- 
und Mesothoriumbestrahlung bei Carcinom der weiblichen Genitalien 
sprachen die Herren Pinkuss, Arendt, Meidner und Sticker. Die 
weitere Diskussion wurde vertagt. 

— In Hamburg ist in Angliederung an das Terrain das Eppendorfer 
Krankenhauses eine Lupusheilstätte eröffnet worden. Sie ist u. a. mit 
allen Errungenschaften der modernen Licht- und Strahlentherapie aus¬ 
gestattet. Behufs Aufnahme stehen zurzeit 25 Betten zur Verfügung; 
während für ambulante Behandlung auf eine tägliche Frequenz von 
100 Lupösen gerechnet wird. Oberarzt ist Dr. Paul Wich mann. Auch 
in Giessen ist dieser Tage eine Lupusheilstätte eröffnet worden. 

— Medizinische Fortbildungskurse finden am Allgemeinen 
Krankenhause Eppendorf in Hamburg in derZeit vom 14. bis 23. Juli 
1913 statt. Diese Kurse stehen im Zusammenhänge mit den Aka¬ 
demischen Ferienku rsen zu Hamburg (24. Juli bis 5. August 1913). 
Es finden Vorlesungen statt über: 1. Die praktisch wichtigsten Kapitel 
der Mykosenlehre; 2. Tuberkulose und Lungenkrankheiten; 3. die Lepra¬ 
frage; 4. Infektionskrankheiten: 5. Herzkrankheiten; 6. Fortschritte auf 
dem Gebiete der Strahlenforschung und -Therapie. Sowohl während der 
Kurstage als auch eventuell später finden vormittags klinische Visiten 
und Uebungen, sowie nachmittags in mehr oder weniger grösserem 
Umfange klinisehe und bakteriologische Demonstrationen, praktische 
Uebungen usw. nach Verabredung statt. Ein detailliertes Programm 
versendet auf Anfordern kostenfrei: Bureau des ärztlichen Direktors, 
Allgemeines Krankenhaus Eppendorf, Hamburg 20. 

— Tageszeitungen zufolge schweben Verhandlungen, um in Danzig 
eine Akademie für praktische Medizin zu errichten. 

— Dezimalgewichte und -maasse in England. Es hat be¬ 
sonderes Aufsehen in England erregt, wie das British medical journal 
Nr. 2732 berichtet, dass der General Medical Counsil beschlossen 
hat, für die nächste Ausgabe des britischen Arzneibuches das 
metrische System anzuwenden, und die EdeLteinhändler in London 
bemühen sich um die Einführung eines amtlichen metrischen Karates. 
In Südafrika hat man die gleichen Neigungen, und einem Gesetzentwürfe 
über die Einführung gemeinschaftlicher Vorschriften über Maass und Ge¬ 
wicht in diesen Staaten ist das metrische System zugrunde gelegt Das 
Gesetz darüber ist allerdings noch nicht angenommen, ln Malta wird 
das metrische System im nächsten Jahre amtlich eingeführt. Ausser 
England hat in Europa Russland noch ein eigenes Maass- und Gewichts¬ 
system, doch regt die Duma zum Gebrauch des metrischen an. Auch 
China macht Anstalten, seine Maass- und Gewichtssysteme in das 


metrische umzuwandeln. Und Siam hat es bereits eingeführt Den Haupt¬ 
widerstand in England leisten die Baumwollfabrikanten in Lancaster, 
die fürchten, dass ihre Abnehmer im ferneren Osten jede Aenderung des 
gewohnten Maasses mit grossem Misstrauen aufnehmen werden. Dieser 
Eiowand würde wegfallen, wenn im Osten ebenfalls das metrische 
System eingeführt wird. Auch für die Schulkinder würde es eine Er¬ 
leichterung sein, wenn sie das komplizierte englische Maass- und Gewichts¬ 
system nicht mehr zu lernen brauchten, und endlich würde es die 
Lektüre englischer wissenschaftlicher Arbeiten erheblich erleichtern. 

— Die sämtlichen Arbeiten über Salvarsan zu sammeln ist ein 
glücklicher Gedanke, dessen Ausführung den engeren Fachleuten die 
Bewältigung dieser Riesenliteratur und damit die Würdigung des 
Ehrlich’schen Mittels ausserordentlich erleichtert. Das Frankfurter In¬ 
stitut hat sich dieser Arbeit unterzogen, und es liegt jetzt bereits der 
dritte stattliche Band (Verlag von Lehmann-München) der bisher er¬ 
schienenen Abhandlungen vor. 

— Herr Dr. Harry Benjamin - Berlin-Halensee hat „den dringenden 
Wunsch“ nach Aufnahme der Mitteilung, dass er zwar Herrn F. F. Fried¬ 
mann als Assistent nach Amerika begleitet, sich aber dort von ihm ge¬ 
trennthabe. „Die Ursache dafür liegt hauptsächlich in grundverschiedenen 
wissenschaftlichen und ärztlichen Anschauungen.“ — So begreiflich dieser 
Wunsch ist, so auffallend wird es bleiben, dass Herr B. diese „Grund- 
verschiedenheit“ erst jenseits des Ozeans entdeckt bat. 

Hochsch ulnaohr ich ten. 

Kiel. Habilitiert: Dr. Konjetzny für Chirurgie. — Bonn. Der 
Privatdozent für Chirurgie, Dr. A. Kocher, erhielt einen Lehrauftrag 
für chirurgische Operationslehre. — Prag. An Stelle des nach Königs¬ 
berg berufenen Prof. Hof mann wurde Prof. K. Kreibich zum Dekan 
der medizinischen Fakultät ernannt. — Bologna. Habilitiert: DDr. Co- 
lorni (Gynäkologie) und Poppi (Oto-Rhinologie). — Genua. Habilitiert: 
Dr. Licini (Chirurgie). — Budapest. Prof. Freiherr Fr. v. Koranyi, 
85 Jahre alt, ist gestorben. 


Amtliche Mitteilungen. 

Personalien. 

Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 3. Kl. m. d. Schleife: 
Direktor des Hygienischen Instituts in Posen, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. 
E. Wernicke. 

Roter Adler-Orden 3. Kl.: Leibarzt Sr. Königl. Hoheit des Prinz¬ 
regenten, Ober Med.-Rat Dr. v. Hoesslin in München. 

Roter Adler-Orden 4. Kl.: Stadtarzt, Prof. Dr. W. ?. Drigalski 
in Halle a. S., Chefarzt Prof. Dr. K. Goebel in Breslau, Arzt Dr. F. 
Käss in Barop. 

Königl. Kronen-Orden 2. Kl.: Geh. San.-Rat Dr. Wallichs in 
Altona. 

Königl. Kronen-Orden 4. Kl: Oberarzt Dr. J. Köllner io Würzburg. 
Charakter als Geheimer Medizinalrat: Kreisarzt a. D., Med.-Rat 
Dr. Altendorf in Prüm. 

Prädikat Professor: Privatdozent Dr. P. Fleischmann in Berlin. 
Ernennungen: ausserordentl. Professor Dr. C. Kaiserling in Berlin 
zum ordentl. Professor in Königsberg, Privatdozent, Prof. Dr. M. 
Westenhöffer in Berlin zum Abteilungsvorsteher am Pathologischen 
Institut der Universität daselbst. 

Versetzt: Kreisarzt und ständiger Hilfsarbeiter bei der Königlichen 
Regierung zu Oppeln Dr. Franz nach Lötzen, Kreisarzt Dr. Zelle 
von Lötzen nach Oppeln als ständiger Hilfsarbeiter bei der König¬ 
lichen Regierung daselbst. 

Niederlassungen: Stabsarzt Dr. 0. Jancke in Königsberg i. Pr., 
Arzt F. Ph. Marquardt in Reetz, Dr. G. Aebert in Sommerfeld, 
Dr. E. Pelz, Dr. P. Hoensch, Dr. E. Dieckmann, Dr. E. 
Loewenstein und Dr. A. Guttmann in Breslau, Arzt F. Volln- 
hals in Jannowitz, Dr. M. Melzer in Hirschberg, Aerztin Dr. J. 
Brinitzer geb. Kap lau in Altona, Dr. H. Martin in Lehrte, Dr. 
E. Lemminger in Lüneburg, Dr. M. Halle in Geestemünde, Arzt 
J. W. Haas in Waldfeucht, Kreis Heinsberg, Dr. J. Ch. Dorn in 
Ringingen. 

Verzogen: Dr. A. Reiche, Dr. H. Schmidt, Dr. J. Sprotte, Dr. fl. 
Stettiner sowie Dr. S. Wagner von Berlin nach Charlottenburg, 
Arzt R. Boettger von Leipzig, Dr. G. Brotzen von Sommerfeld 
und Dr. E. Reuss von Gottesberg i. Schl, nach Berlin-Schöneberg. 
Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Arzt M. 
Rosenthal von Frankfurt a. 0. und Dr. E. Cantor von Bunzlau 
auf Reisen, Arzt 0. Deilmann von Dortmund, Arzt G. Hirschberg 
* von Gelsenkirchen, Arzt W. Geulen von Bütgenbach, Kreis Malmedy. 
Praxis aufgegeben: Dr. J. Finck in Berlin-Rosenthal, San.-Rat Dr. 
0. Proetzsch in Hasslinghausen, jetzt in Erbenheim, Landkr. Wies¬ 
baden. 

Gestorben: Dr. F. Plathner in Liegnitz, Dr. A. Cossmann in 
Wehrau, Kr. Bunzlau, Geh. San.-Rat Dr. H. Dreesen in Elmshorn, 
Stadtarzt, Marine-Oberstabsarzt a. D. Dr. F. Behrens in Wilhelms¬ 
haven, Stabsarzt a. D. Dr. F. Plüm in Düren. 


Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hana Kohn, Berlin W., Bayrenther Strasse 42. 


Verlag und Eigentum von August Hirsohwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4. 


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UNIVERSUM OF IOWA 




Die Berliner Klinische Wochenschrift erscheint jeden 
liontag in Nummern von et 5—6 Bogen gr. 4. — 
Preis vierteljährlich 6 Merk. Bestellungen nehmen 
eile Buchhandlungen und Postanstalten an. 


BERLINER 


Alle Binsendungen für die Redaktion und Bxpeditioh 
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung 
August Hirschwald in Berlin NW., Unter den Linden 
No. 68, adressieren. 


KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Organ für praktische Aerzte. 


Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 

Redaktion: Expedition: 

Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posner und Dr. Hans Kohn. August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin. 


Montag, den 2, Juni 1913. 


M 22 . 


Fünfzigster Jahrgang. 


I N H 

Originaliea : Bumm: Ueber Erfolge der Röntgen- und Mesotborium- 
bestrahlong beim Uteruscarcinom. (Aus der Königlichen Uni¬ 
versitäts-Frauenklinik Berlin.) (Ulustr.) S. 1001. 

Wickham: Allgemeine histologische Veränderungen der Gewebe 
unter dem Einfluss der Strahlenwirkung. (Aus dem biologischen 
Radiumlaboratorium zu Paris.) S. 1006. 

Pinoussobn: Ueber die Einwirkung des Lichts auf den Stoffwechsel. 

(Aus der II. mediziu. Klinik der Universität zu Berlin.) S. 1008. 
Strauss und Brandenstein: Röntgenuntersuchungen bei chro¬ 
nischer Obstipation. (Aus der inneren Abteilung des Jüdischen 
Krankenhauses zu Berlin.) S. 1009. 

Klieneberger: Die Radiographie in der Diagnostik der Nephro- 
litkiasis. S. 1012. 

Rothmann: Kritische Untersuchungen über die Methoden der 
Viscosimetrie des Blutes. (Aus dem physiologischen Institut der 
Universität Breslau.) (lllustr.) S. 1018. 

Ephraim: Zur Theorie des Bronchialasthma. S. 1015. 
Baerthlein: Ueber Mutation bei Diphtherie. (Aus der bakterio¬ 
logischen Abteilung des Kaiserlichen Gesundheitsamtes.) S. 1017. 
Strubeil: Pharmako-dynamische Probleme. (Aus der Abteilung für 
Vaccine-Therapie derTierärztlichen Hochschule zu Dresden.) S. 1018. 
Schanz: Zur Abbott’schen Behandlung der Skoliose. S. 1019. 
Hausmann: Ueber die einfachste Gramfärbungsmethode. S. 1021. 
Kayser: Meningismus. (Uebersichtsreferat.) S. 1021. 

Bücherbespreehiuigei : Blumenthal: Handbuch der speziellen Patho¬ 
logie des Harns. S. 1022. Abderhalden: Handbuch der bio¬ 
chemischen Arbeitsmethoden. S. 1023. Lazarus: Handbuch der 
Radiumbiologie und -therapie, einschliesslich der anderen radio¬ 
aktiven Elemente. S. 1023. Tigerstedt: Physiologische Uebungen 
und Demonstrationen für Studierende. S. 1023. (Ref.Wohlgemuth.)—- 
Wechselmann: Ueber die Pathogenese der SaWarsantodesfälle. 
S. 1023. (Ref. Benario.) — Michaelis: Einführung in die Mathematik 
für Biologen und Chemiker. S. 1024. (Ref. Wolff.) 


ALT. 

Literatur-Auszüge : Physiologie. S. 1024. — Pharmakologie. S. 1025. — 
Therapie. S. 1025. — Allgemeine Pathologie und pathologische 
Anatomie. S. 1026. — Parasiten künde und Serologie. S. 1026. — 
Innere Medizin. S. 1027. — Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 
S. 1029. — Kinderheilkunde. S. 1029. — Chirurgie. S. 1029. — 
Haut- und Geschlechtskrankheiten. S. 1030. — Geburtshilfe und 
Gynäkologie. S. 1031. — Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 
S. 1032. — Hygiene und Sanitätswesen. S. 1032. — Unfallheilkunde 
und Versicherungswesen. S. 1032. — Militär-Sanitätswesen. S. 1032. 
— Technik. S. 1033. 

VerhaadluBgeB ärztlicher Gesellschaften: Berliner medizinische 
Gesellschaft. Haendly: Die histologischen Veränderungen der 
mit Röntgenstrahlen und Mesothorium behandelten Carcinomfälle. 
S. 1033. Hausmann: Ueber Gleit- und Tiefenpalpation. S. 1033. 
Diskussion über den Vortrag des Herrn Bumm: Ueber die Erfolge 
der Röntgen- und Mesothoriumbestrahlung hei Carcinom der weib¬ 
lichen Genitalien. S. 1033. — Berliner Gesellschaft für 
Chirurgie. S.1034. — Verein für innere Medizin und Kinder¬ 
heilkunde zu Berlin. S. 1035. — Wissenschaftlicher Verein 
der Aerzte zu Stettin. S. 1036. — Verein der Aerzte Wies¬ 
badens. S. 1038. — Aerztlicher Verein zu Essen-Ruhr. 
S. 1039. — Aerztlicher Verein zu Hamburg. S. 1040. — 
Naturhistorisch - medizinischer Verein zu Heidelberg. 
S. 1040. — Nürnberger medizinische Gesellschaft und 
Poliklinik. S. 1041. 

Deutscher Kongress für innere Medizin zu Wiesbaden. (Schluss.) 
S. 1041. 

Weisz: Budapester Brief. S. 1043. 

Cuno: Presse und Psychiatrie. S. 1044. 

König: Fritz G. v. Bramann. S. 1045. 

Kissinger ärztlicher Bezirksverein: Erklärung. S. 1047. 
Tagesgeschichtliche Notizen. S. 1047. 

Amtliche Mitteilungen. S. 1048. 


Aus der Königlichen Universitäts-Frauenklinik Berlin. 

Ueber Erfolge der Röntgen- und Mesothoriumbestrahlung beim 

Uteruscarcinom. 

Von 

E. Bumm. 


(Vortrag, gehalten in der Sitzung der Berliner medizinischen Gesellschaft am 7. Mai 1913.) 


Dass sich Epitheliome der Haut durch die Einwirkung von 
Röntgen- und Radiumstrahlen zur Ausheilung bringen lassen, ist 
schon lange bekannt. Bereits vor 6 Jahren hat Lassar an dieser 
Steile eine Reihe von Personen gezeigt, bei denen Cancroide an 
der Gesichtshant durch Radiumbestrahlung zum Verschwinden ge¬ 
bracht worden waren. In den letzten Jahren haben sich die Mit¬ 
teilungen ähnlicher Fälle gemehrt, zum Teil ist auch der Bestand 
der Heilung lange genug beobachtet worden, so dass man von einer 
wirklichen Dauerheilnng sprechen kann. Diese harten Hautkrebse 
heilen aber auch durch Aetzmittel der verschiedensten Art, sie zeigen 
ein relativ langsames, geschlossenes Wachstum und wenig Neigung 
zur Absplitterung von Keimen an der Peripherie and zur Meta¬ 
stasenbildung, die auch an den Lymphdrüsen meist spät eintritt. 

Ganz anders liegen die Dinge bei den weichen Carcinomen, 
die von Schleimhäuten oder Drüsen ihren Ausgangspunkt nehmen. 
Sie haben infolge ihres raschen Wachstums und ihrer Neigung, 


schon frühzeitig Metastasen in der näheren Umgebung und in den 
Lymphdrüsen za machen, den Heilversuchen von jeher grössere 
Schwierigkeiten entgegengesetzt. Auch hier wurden mit der Be¬ 
strahlung zuweilen bemerkenswerte Besserungen, Verhärtung und 
Verkleinerung der Krebsknoten, Aufhören des Zerfalles, der 
Jauchung und Blutung und eine Art Vernarbung an der Ober¬ 
fläche erzielt, in der Tiefe schritt die Neubildung aber weiter, 
und die Kranken erlagen schliesslich der Kachexie. Die Mehrzahl 
dieser Beobachtungen ist in dem Handbuch der Radiumbiologie 
and -Therapie von P. Lazarus (Kap. 22 Louis Wickham, 
Kap. 24 Czerny und Caan) zusammengestellt, hier finden sich 
auch schon ausführliche Darstellungen der histologischen Ver¬ 
änderungen, welche durch die Bestrahlung am Carcinomgewebe 
hervorgerufen wurden (Kaiserling, Bashford, Wickham und 
Degrais), und die also kein Novum sind. Im grossen und ganzen 
hielt man von der Bestrahlung der Drüsen- und Schleimhaut- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22. 


carcinome nicht viel, and wer der Diskussion beigewohnt bat, 
die in dieser Gesellschaft vor einem Jahre im Anschluss an die 
Vorträge von Pinkuss und Sticker stattfand, musste den Ein¬ 
druck gewinnen, dass die Bestrahlung bei diesen Carcinomen ver¬ 
sage, in frischen Fällen eine gefährliche Zeitvergeudung und in 
inoperablen Fällen gegen den tödlichen Ausgang machtlos sei. 

Es liegt mir daran, zu zeigen, dass sich diese skeptischen 
Anschauungen heute nicht mehr aufrecht erhalten lassen. Wir 
sind im Laufe des einen Jahres, das seit jenen Verhandlungen 
verflossen ist, mit der Bestrahlung in zweierlei Richtung um ein 
gutes Stück weiter gekommen. Erstens haben wir gelernt, durch 
harte Röhren und entsprechende Filterung ohne Schädigung des 
gesunden Gewebes viel grössere Mengen von Röntgenstrahlen in 
viel grössere Tiefen des Körpers zu schicken. Die frühere kurz¬ 
zeitige Anwendung weicher, schon von der Oberfläche fast voll¬ 
ständig resorbierter Strahlen ist mit der heutigen Tiefen¬ 
bestrahlung gar nicht zu vergleichen und mutet in ihrer Ver¬ 
wendung gegen den Krebs jetzt recht naiv an. Zweitens bat die 
industrielle Herstellung des Mesothoriums die Möglichkeit ge¬ 
schaffen, grössere und deshalb viel wirksamere Mengen radio¬ 
aktiver Substanzen in der Tiefe der Körperhöhlen zu verwenden, 
wo die Applikation der Röntgenstrahlen schwierig ist. Ich er¬ 
innere mich, dass vor 7 Jahren von der Gharitö-Direktion den 
Kliniken eine Kapsel mit 1 oder 2 mg Radiumsalz zu Versuchen 
zur Verfügung gestellt wurde. Wir haben damals vergeblich auf 
eine Einwirkung des Radium auf die Carcinome gewartet. Heute, 
wo wir dank dem Entgegenkommen der chemischen Industrie in 
der Lage sind, 420 mg Mesothorium auf einmal wirken zu lassen, 
haben wir einen Ueberfluss von strahlender Kraft und müssen wir 
uns durch dicke Bleifilter vor allzustarker Wirkung schützen. 

Wir betreiben an der Klinik die intensive Bestrahlung von 
Carcinomen seit einem Jahr und haben dabei bis heute die Menge 
der Strahlen stetig gesteigert, so dass wir jetzt bei Zahlen wie 
10 000 Kienböck x und 25 000 Milligrammstunden Mesothorium 
im Einzelfall angelangt sind. Ermöglicht wird eine so hohe 
Dosierung durch die Toleranz der Genitalschleimhäute gegenüber 
harten Strahlen, welche im Vergleich mit jener der äusseren Haut 
als eine besonders grosse bezeichnet werden muss. 

Bereits im Sommer vorigen Jahres konnte Händly in der 
hiesigen geburtshilflich-gynäkologischen Gesellschaft an zwei Fällen 
unserer Klinik zeigen, dass durch die Intensivbestrahlung beim 
inoperablen (Jteruscarcinom nicht nur ein Aufhören der Jauchung 
und Blutung, sondern auch eine Schrumpfung der Krebsknoten 
und eine Art von Stillstand des Wachstums eintritt. Der eine 
der Fälle wurde während der Ferien weiter bestrahlt und zeigte 
im Oktober eine derartige Besserung, dass er nunmehr gut ope¬ 
rabel schien. Durch 1600 x war der Carcinomtrichter in eine 
harte knorpelige Masse umgewandelt, es bestand keine Sekretion 
und Blutung mehr, mit dem scharfen Löffel liess sich aus der 
Collumhöhle nur mit Mühe etwas Gewebe abschaben, die Krebs¬ 
wucherung, welche früher diffus bis an die Beckenwand heran¬ 
ging, war nun als sklerotischer Knoten scharf abgesetzt. Die 
Exstirpation liess sich gut ausfübren, der Frau geht es bis jetzt 
gut. Auf den anatomischen Befund am Uterus, der überall eine 
mächtig entwickelte Gewebssklerose aufwies, komme ich später 
noch zu sprechen. Franz hat gelegentlich der Demonstration 
des Präparates eine ähnliche Beobachtung aus der Chariteklinik 
mitgeteilt, die Besserung war durch die Röntgenbestrahlung eine 
so grosse geworden, dass die Kranke v sich für geheilt hielt und 
die nachträglich vorgeschlagene Operation ablehnte. 

Uns hat die Umwandlung eines inoperablen Carcinoms in ein 
operables und die zweifellos günstige Beeinflussung der Krebs¬ 
wucherung in unserem Falle viel Vertrauen und die Anregung 
gegeben, die Bestrahlung der Carcinome in grösserem Umfang 
und in verstärktem Maasse fortzusetzen. Ich möchte Ihnen in 
folgendem über eine Anzahl solcher Beobachtungen berichten, in 
welchen zurzeit einigermaassen eine Beurteilung des Erfolges 
möglich ist: 

1. Frau K., 57 Jahre alt. Die linke Seite der Portio vag. und des 
Soheidengewolbes ist zerklüftet, es besteht ein Trichter, in den man ein 
Fingerglied einführen kann, und der mit bröckeligen Massen ausgefüllt 
ist. Vom Trichter aus zieht ein sehr empfindlicher Strang nach links 
und hinten entsprechend dem Lig. Douglassii bis zur Beckenwand. (Figur 1.) 

Mikroskopische Diagnose: Weiches alveoläres G&rcinom, teil¬ 
weise adenomatöser Bau. 

Nach 800 x-Kienböck haben Blutung und Sekretion ^tufgehört, der 
Carcinomtrichter hat sioh gereinigt und zusammengezdgen, mit der 
Curette lässt sich nichts mehr abschaben. 

Nach 367 x abdominal und 1559 x vaginal besteht an Stelle des 


Figur 1. 




ursprünglichen Carcinoms eine feste Narbe. An dem früheren 
Strang ist keine Induration mehr, aber noch eine gewisse Empfindlichkeit 
auf Druck nacbzuweisen, die auch bei stärkeren Bewegungen noch von 
selbst auftritt. Sonst keine klinischen Zeichen der Erkrankung 
mehr. 

2. Frau F., 59 Jahre alt. Portio in ganzer Ausdehnung zerstört, 
im Scheidengewölbe ein blutender und jauchender Carcinomtrichter. Das 
rechte Parametrium bis an die Beckenwand infiltriert. (Figur 2.) 

Figur 2. 


Mikroskopische Diagnose: Alveoläres Plattenzellenc&rcinom 
des Collum uteri. 

Probeexzision nach 20 tägiger Bestrahlung: Alle Stadien des Unter¬ 
ganges der Carcinomnester neben stellenweise besser erhaltenen Partien, 
starke hyaline Degeneration und Sklerose des Bindegewebes. 

Naoh 5 Wochen derselbe mikroskopische Befund. 

Nach 8 Wochen sind verabreicht: 8236 x und 12 000 Milligramm¬ 
stunden Mesothorium. Die Scheide verengert sich nach oben trichter¬ 
förmig, die Carcinomhöhle ist verschwunden. Auch bei starkem Druck 
mit der Curette lässt sich von den callösen Wänden des Collum nichts 
mehr absohaben. Keine Blutung mehr, Sekretion gering, nicht mehr 
übelriechend. 

Die Infiltration des rechten Parametriums ist nicht mehr vorhanden. 

Subjektives Wohlbefinden. 

3. Frau H., 40 Jahre alt Im hinteren Teil des Soheidengewolbes 
bis an die Portio ein grosses Carcinomgeschwür mit wallartig aufge¬ 
worfenen Rändern. Von dem Geschwür geht eine harte Infiltration nach 
beiden Seiten und um das Rectum herum bis an den Knochen. Uterus 
fixiert. (Figur 3.) 

Mikroskopische Diagnose: Alveoläres Plattenzellencarcinom 
der Vagina. 

Nach achttägiger Bestrahlung in einem mit der Curette heraus¬ 
geholten Stückchen bereits Carcinomnester in allen Stadien des Zer¬ 
falles, beginnende Sklerose des Bindegewebes. Nach 4 Wochen Befund 
ähnlich. 

Nach 7 Wochen sind verabreicht 8452 x und 8700 Milligramm¬ 
stunden Mesothorium. n . 

Im Scheidengewölbe kommt man in einen engen Triohter, der sieb 
zur Portio hinzieht, das frühere Geschwür ist zu einer callösen Nische 




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Figur 3. 


zusammengezogen, yon deren knorpelig barten Wänden sich nur mit 
Mühe ein paar kleine Partikel des fibrinösen Belages abkratzen lassen. 
Die Infiltration im Beckenbindegewebe ist in eine harte Schwarte um¬ 
gewandelt. 

Keine Sekretion mehr, die Schmerzen sind schon nach den ersten 
Bestrahlungen verschwunden. 

4. Frau K., 37 Jahre alt. Im hinteren Scheidengewölbe eine drei¬ 
markstückgrosse Ulceration mit zerfallender, blutender und jauchiger 
Oberfläche und infiltriertem Grund. Portio unverändert Vom Geschwür 
eine Infiltration bis an das Becken heranreichend. (Figur 4.) 



Mikroskopische Diagnose: Alveoläres Plattenzellenoaroinom 
der Vagina. 

Durch vaginale Hilfssohnitte wird das Geschwür für die Bestrahlung 
gut zugänglich gemacht. 

Nach 3 Wochen in einem exzidierten Stückchen: starke Sklerose 
des Bindegewebes, Carcinomnester zum Teil noch unverändert. 

Nach 6 Wochen sind verabreicht 3552 x und 14 200 Milligramm¬ 
stunden Mesothorium. 

Befund: Völlige Ueberhäutung des Geschwüres, Schleimhaut 
daselbst überall weich, auch bei kombinierter Untersuchung vom Rectum 
aus gar keine Infiltration mehr zu fühlen. Das rechte Scheidengewölbe 
ist narbig eingezogen, beim Versuch, etwas abzuschaben, bringt die 
Curette nur fibrinösen Belag herunter. 

Keine Sekretion mehr, subjektiv und klinisch Heilung. 

5. Frau S., 50 Jahre alt. Portio vollständig zerfallen, grosse krater¬ 
förmige Krebshöhle, nach rechts auf die Vagina übergehend. Starke 
Jauchung. Infiltration beiderseits bis zur Beckenwand. (Figur 5.) 

Mikroskopische Diagnose: Alveoläres Plattenzellenoarcinom 
des Collum uteri. r 

Nach 3 Wochen: Caroinomepithel schon deutlich verändert, starke 
Sklerose des Bindegewebes. 

Nach 6 Wochen schwere Schädigung der Carcinomnester, nach 
7 Wochen fortgeschrittene Sklerose, nur noch wenige Carcinomstränge 
im Zerfall. 

Nach 8 Wochen sind verabreicht 10004 x und 16120 Milligramm- 
-stunden Mesothorium. j... 

Befund: Man kommt im Grund der Scheide auf einen callösen Ring, 
darüber liegt eine mit starren Wänden umgebene kleine Höhle, die nicht 
mehr blutet, deren spärliches Sekret aber noch einen leicht fauligen 


Figur 5. 




Geruch aufweist. Die Infiltration in der Umgebung ist in eine derbe 
Schwiele umgewandelt. Keine subjektiven Beschwerden. Der Fall ist 
jetzt operabel. 

6. Frau J., 54 Jahre alt. Portio zerklüftet, Collum in einen 
Carcinomkrater verwandelt mit bröckeligen, jauchenden Wänden. Beider¬ 
seits Infiltration bis an die Beckenwand. (Figur 6.) 

Figur 6. 


Mikroskopische Diagnose: Alveoläres Plattenzellenoarcinom 
des Collum uteri. 

Nach 1938x und 10400 Milligraramstunden Mesothorium. Befund: 
Im Scheidengewölbe ein Trichter, der nur mehr die Fingerkuppe ein- 
dringen lässt, keine weichen Massen, keine Jauchung und Blutung mehr. 
Die Umgebung des Trichters sklerotisch. Mit der Curette lässt sich 
nichts mehr abschaben. 

7. FrauW., 35 Jahre alt. Kolbig verdicktes Collum, Muttermunds¬ 
lippen ektropioniert, aus der Cervixhöhle jauchig zerfallene und blutende 
Massen hervorragend. Uterus beweglich. (Figur 7.) 

Mikroskopische Diagnose: Alveoläres Plattenzellenoarcinom 
des Collum uteri. 

Figur 7. 








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Nach 12 Wochen 1218 x und 15 350 Milligrammstunden Mesothorium. 

Befund: Das obere Ende des Scheidenstumpfes mundet in einen 
Narbentrichter mit callösen Wänden, der nicht mehr absondert und 
blutet. Mit der Curette lassen sich bei starkem Druck nur dünne 
Lamellen nekrotischen, fibrinbelegteu Gewebes entfernen. 

Keine Beschwerden mehr, subjektive und klinische 
Heilung. 

Die vorstehende Schilderung der günstigen Veränderungen, 
welche mit intensiver Bestrahlung bei Genitalcarcinomen erreicht 
werden konnten und in einzelnen, zum Teil recht schweren 
Fällen bis zum klinischen Bilde einer Heilung führten, soll und 
kann natürlich über das definitive Resultat nichts anssagen. Ob 
die klinische Heilung auch eine anatomische ist, d. h. eine end¬ 
gültige Befreiung von allen Carcinomkeimen bedeutet und Reci- 
dive aus bleiben, wird erst eine mehrjährige Beobachtung ent¬ 
scheiden. 

Immerhin lässt sich heute schon so viel sagen, dass überall 
da, wo Röntgen , Radium- oder Meäbthoriurostrablen das Gewebe 
mit einer gewissen Intensität treffen, die carcinomatöse Neubildung 
zugrunde geht. Dies gilt in erster Linie für die harten Carci- 
nome, die Oancroide der Haut und Plattenepithelcarcinome mit 
reichlichem Stroma, aber auch die weichen Carcinome 
der Drüsen und Schleimhäute sind ebenso wie die 
Adenocarcinome nicht ausgenommen. Wo wir mit genügend 
grossen Strahlenmengen wirken können, gehen auch 
hier die Krebszellen unter Vacuolenbildung und 
Kernzerfall zugrunde. Und dies geschieht, soweit die 
Strahlenwirkung reicht, relativ schnell, nach 9 Tagen waren 
in einem unserer nachträglich operierten Falle die Krebsnester 
auf 1 cm Tiefe schon schwer geschädigt und teilweise in 
völligem Zerfall begriffen. Nach 24 Tagen und 13 000 Milli¬ 
grammstunden Mesothorium waren in einem anderen Falle über¬ 
haupt keine intakten Carcinomnester mehr vorhanden. Ob dabei 
eine spezifische, elektive Wirkung der Strahlen auf die Carcinom- 
zellen im Spiele ist oder die Strahlen überhaupt das rasch 
wachsende krankhafte Gewebe früher schädigen als das gesunde 
Gewebe oder sekundäre Schädigungen vorliegen, welche die 
Folge von primären Veränderungen am bindegeweblichen Stroma 
der Neubildung, am Bindewebe der Umgebung und an den 
Blutgefässen sind, ist noch nicht sicher entschieden. Jeden¬ 
falls gehen in den kräftig bestrahlten Geschwulstpartien beide 
Vorgänge, die hyaline Degeneration und Sklerose des Binde¬ 
gewebes und der Zerfall der Krebsnester nebeneinander her 
und erklären die klinischen Veränderungen. Die Verhärtung und 
und Schrumpfung der Neubildung, ihre schärfere Absetzung von 
der Umgebung, die Narben- und Schwielenbildung geschieht 
durch die Sklerose des Bindegewebes, das Aufhören der Jauchung 
und Blutung und die Ueberhäutung sind die Folge des Zerfalls der 
.Krebszellennester. Dabei handelt es sich aber, wenn die Be¬ 
strahlung richtig durchgeführt ist, durchaus nicht immer oder 
auch nur regelmässig um eine allgemeine Gewebsnekrose und 
eine brandige Abstossung der ganzen Neubildung. Solche Vor¬ 
gänge können streckenweise bei offenen Carcinomgeschwären, die 
sich unter der Bestrahlung reinigen, beobachtet werden, bei nicht 
ulcerierten Carcinomknoten geht der Zerfall der Neubildung mit 
ihrer Resorption Hand in Hand, es kann deshalb, wie wir bei 
unseren Urethralcarcinomen gesehen haben, die Rückbildung ohne 
Gangrän bei voller Erhaltung der Form] und Funktion der be¬ 
fallenen Gewebe erfolgen. 

Wichtig und für die definitiven Erfolge ausschlaggebend ist 
die Frage, wie tief wir mit der Bestrahlung wirken können, und 
ob Aussicht besteht, nicht nur die ursprünglichen Carcinom¬ 
knoten selbst zu vernichten, sondern auch ihre Metastasen in der 
näheren Umgebung und in den Lymphdrüsen zu treffen. Auf 
Grund unserer Kenntnisse über die physikalischen Eigenschaften 
der Strahlenarten, mit denen man es bei der Röntgen-, Radium- 
und Mesothoriumbehandlung zu tun hat, lassen sich darüber 
allerlei Vermutungen aufstellen, entscheidend kann aber nur sein, 
was wir bei der mikroskopischen Untersuchung an dem bestrahlten 
Gewebe sehen. 

Die Untersuchung herausgeschnittener oder abgeschabter 
Probepartikel gibt immer nur Aufschluss über den Zustand des 
Gewebes an der Stelle, wo das Stückchen entnommen worden ist. 
Wenn hier auch ein völliger Zerfall des Carcinomgewebes ein¬ 
getreten ist, so können sich doch in der näheren oder ferneren 
Umgebung noch reichlich lebensfrische Carcinomzellennester vor¬ 
finden. Das Nebeneinanderstellen von Bildern der ursprünglichen 
Carcinomzellenausbreitung und des nachträglichenZerfalles im 


sklerotischen Bindegewebe, wie es auf Grund der Untersuchung 
von Probestückchen in verschiedenen Publikationen zu sehen ist, 
beweist nichts für den Gesamterfolg der Bestrahlung. Dafür 
können nur die Befunde an den erkankten Organen herbeigezogen 
werden, die gelegentlich von Obduktionen oder durch nachträgliche 
operative Entfernung gewonnen sind. 

Derartige Untersuchungen liegen bis jetzt nur in geringer 
Zahl vor. In den meisten Fällen fanden sich in der Umgebung der 
primären Herde noch lebensfrische Carcinomzellennester. So war 
es in unserem ersten Falle von Collumcarcinom, wo die hoch¬ 
gradige Sklerosierung das Auftreten von Carcinomzellensträngen 
jenseits der sklerosierten Gewebspartien im Ligamentum latum 
nicht hatte verhindern können. So war es auch in zwei sehr 
intensiv bestrahlten Fällen von Magen- und Mammacarcinom von 
Krönig und Gauss, über deren anatomische Untersuchung 
Aschoff berichtet hat, und in einem Falle von Döderlein, der 
im Bereich des Ureters noch lebensfrisches Carcinom aufwies. 
Von den letzten, beiden von uns exstirpierten Uteri, die allerdings 
nur 21 resp. 9 Tage mit Mesothorium bestrahlt worden waren, 
zeigte der erste die Carcinomhöhle bis auf einen dünnen Saum 
nekrotischen Carcinomgewebes völlig gereinigt und nur in der 
Tiefe an den der Bestrahlung am wenigsten ausgesetzten Partien 
einige, aber auch schon geschädigte Carcinomnester, der zweite 
liess noch eine über 1 cm dicke Carcinomschicht erkennen, die 
aber in vollem Zerfall begriffen war und nur an den äussersten, 
am besten geschützten Partien noch intakte Zellnester beherbergte. 
Auch in den hypogastrischen Lymphdrüsen fanden sich noch 
Carcinomzellennester, zum Teil allerdings aber auch hier im Zer¬ 
fall. (Fig. 13 und 14.) Systematische Untersuchungen von Prä- 


Figur 13. Figur 14. 



Die schwarzen Punkte zeigen die Stellen noch gut erhaltener Carcinom¬ 
zellennester an. 

paraten, die in bestimmten Zwischenräumen nach länger fort¬ 
gesetzter Bestrahlung gewonnen sind, werden über die Tiefen¬ 
wirkung, die wir mit der Bestrahlung beim Carcinom anszuüben 
imstande sind, am ehesten Aufschluss geben. Wir verfügen auf 
diesem Gebiete noch über zwei bei der Obduktion gewonnene 
Präparate, die an anderer Stelle noch ausführlicher beschrieben 
werden sollen. Das eine stammt von einer Frau, die wegen eines 
Collumcarcinom8, das bereits die Blasenwand infiltriert batte, mit 
3880 x und 29 075 Milligrammstunden Mesothorium bestrahlt 
worden war. Es trat ein Zerfall der Neubildung, damit aber 
gleichzeitig auch ein Blasendefekt auf. Die Patientin erlag der 
Urininfiltration. In dem Genitalsystem fanden sich keine Car¬ 
cinomzellennester mehr, dagegen bestand eine Metastase in 
der Niere. Im zweiten Falle, einem schweren Recidiv nach vagi¬ 
naler Totalexstirpation, kam es nach 330 x und 28 260 Milli¬ 
grammstunden Mesothorium zur Nekrose der Wucherung, die bis 
ans Kreuzbein heranreichte und infolge davon zur Beckenzell- 
gewebsjauchung, der die Kranke schliesslich erlag. Auch hier 
wurden nur noch spärliche, im Zerfall begriffene Car¬ 
cinomnester gefunden. 

Zum Schlüsse noch einige praktische Bemerkungen. Was 
wir bis jetzt über die Tiefenwirkung der Strahlen wissen, lässt 
bei allen rasch wachsenden weichen Uteruscarcinomen, besonders 
jüngerer Personen, die Entfernung der Neubildung mittels der 
Operation vorläufig noch als das Sicherere erscheinen, weil dabei 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22. 


die durch die Bestrahlung schwerer beeinflussbaren Lymphdrüsen 
mit weggenommen werden können. Die Bestrahlung der Narbe 
und der Umgebung des Krebsherdes, in welchen die Mehrzahl aller 
Recidive auftritt, kann und soll dann nachfolgen. Wir bestrahlen 
jetzt alle wegen Krebs operierte Frauen in regelmässigen Intervallen 
und hoffen durch die Sklerosierung des Bindegewebes und die Zer¬ 
störung der bei der Operation etwa zurückgebliebenen mikroskopischen 
Metastasen die Zahl der Recidive beträchtlich zu vermindern. 

Da wir uns erst im Beginn der intensiven Tiefenbestrahlung 
befinden, kann die Verbesserung der Technik noch manche Ueber- 
raschung bringen. 

Mit Zuversicht dürfen wir schon heute die Be¬ 
strahlung bei den Carcinomen der Scheide, der äusseren 
Genitalien und der Harnröhre unternehmen. Dasselbe 
gilt von den langsam fortkriechenden Krebsgeschwören 


am Collum Uteri älterer Frauen. Alle diese verhältnis¬ 
mässig oberflächlich sitzenden Neubildungen lassen sich, eventuell 
mittels Hilfsschnitten, der Bestrahlung gut zugänglich machen, 
und das Resultat ist eine bessere klinische Heilung 
als die nach der Operation, da auch die Funktion der 
Teile ungeschädigt bleibt. 

Bei inoperablen Genitalcarcinomen gibt die Be¬ 
strahlung gönstigere Erfolge als jede andere bis jetzt 
bekannte Behandlungsmethode, und auch bei Recidiven 
nach Operationen ist die Bestrahlung einer erneuten Operation 
vorzuziehen. Diese ruft in der Neubildung ähnlich wie bei Narben- 
keloiden oft erst recht eine Neigung zu excessiver Wucherung 
hervor, während auf die Bestrahluug in der Regel ein unerwartet 
rasches Schrumpfen und Zurückgehen der Wucherung bis zur 
klinischen Ausheilung folgt. 


Aus dem biologischen Radiumlaboratorium zu Paris. 

Allgemeine histologische Veränderungen der 
Gewebe unter dem Einfluss der Strahlen¬ 
wirkung. 

Von 

Louis Wickham. 

(Vortrag, gehalten auf dem internationalen Kongress für Physiotherapie 
zü Berlin im März 1913.) 

(Uebersetzt von San.-Kat Dr. Lew in.) 

Vorwort. 

Das Referat, welches mir das Kongresskomitee in ehrenvoller 
Weise übertragen hat, ist genau umgrenzt. Es handelt sich 
darum, die durch alle Arten von Strahlen in den Geweben, 
sowohl den normalen als auch den pathologischen, erzeugten 
Veränderungen und zwar nur vom rein histologischen Stand¬ 
punkte aus zu studieren und zu vergleichen. 

Es ist das ein Gegenstand von ausserordentlicher Grösse und 
beträchtlichem Umfang. Letzterer ist derartig, dass es unmög¬ 
lich ist, in einem kurzen Bericht auf die Details aller Tatsachen 
einzugehen. 

Ich bin also gezwungen, mich an grosse allgemeine Züge zu 
halten. 

Ausserdem besteht meine Aufgabe nur darin, die 
Diskussion anzuregen und in gewissem Sinne die Frage 
auf dem Kongress anzuschneiden und festzulegen. 

Die nicht von mir citierten Autoren werden mich daher ent¬ 
schuldigen: Wir werden durch ihre Kritiken und Eigentums¬ 
ansprüche uns belehren lassen. 


Von den Strahlen werde ich besonders die X Strahlen nnd 
die Radiumstrahlen, alsdann die Lichtstrahlen nnd die der Sonne, 
aktinische Strahlen genannt, in Betracht ziehen. 

Hinsichtlich der letzteren werde ich etwas kurz sein, aus 
dem Grunde, weil wir nur eine kleine Anzahl von Beweisen zur¬ 
zeit hierfür besitzen, besonders was die Veränderungen der patho¬ 
logischen Gewebe betrifft. 

Was die übrigen radioaktiven Körper betrifft, so verbietet 
mir das Fehlen jedes genauen Berichts über ihre Wirkung auf die 
Gewebe, sie in dieses Exposö aufzunehmen. 

I. Einige allgemeine Angaben. 

Bevor ich jedoch auf die Grundlage des Gegenstandes ein¬ 
gehe, erscheint es mir von Interesse, einige allgemeine Angaben 
iestzulegen. Sie sind, kurz zusammengefasst, folgende: 

Jeder Strahl, der, welches auch seine Ursprungs¬ 
quelle 8ein mag, eine Zelle trifft, beeinflusst diese Zelle. 

Woher stammt diese Erscheinung, und welcher Natur ist 
dieser Einfluss? Es handelt sich wahrscheinlich um eine in dem 
physikalisch-chemischen Milieu, dem die Zelle ihr Eigenleben 
anpasst, herbeigeführte Störung; eine Störung, welche dahin strebt, 
die biologischen Verhältnisse, deren Sitz die Zelle ist, zu ver¬ 
ändern und ihr vitales Gleichgewicht zu modifizieren. 

Aber dieser Einfluss ist äusserst schwankend. Er kann ohne 
morphologisch sichtbare Wirkung sein, sobald das Eigenleben der 
Zelle der veränderungssüehtigen Kraft des Strahles überlegen oder 
ihr gleich ist. Im entgegengesetzten Falle k&nn er die Zelle 
reizen und ihre proliferierende Funktion steigern; er kann schliess¬ 
lich zu ihrer vollständigen Vernichtung führen. 


Dieser Einfluss und die Zellveränderungen, die daraus ent¬ 
springen, hängen in Wirklichkeit von mannigfachen Faktoren ab, 
welche sich mehr oder weniger kombinieren und die Deutung 
der histologischen Befunde zu einer sehr schwierigen machen. 

Folgendes sind die Grundlagen dieser Faktoren: 

1. Der Grad der Empfänglichkeit der Zelle, oder mit anderen 
Worten, die besondere Empfindlichkeit, welche sie für die 
Strahlen äussert. 

2. Die Strahlenmenge, welche in einer gegebenen Zeit absor¬ 
biert wird. Eine derartige Dosis, brüsk in einer kurzen Zeit 
absorbiert, wird durchaus anders wirken als eine gleiche Dosis, 
welche in längerer Zeit oder fraktioniert absorbiert wird. 

8. Die besonderen Eigenschaften dieser oder jener Strahlen. 

4. Die Zeit, welche zwischen dem Ende des Strahlenangriffs 
und der histologischen Feststellung verläuft. 

6. Die Filtration der Strahlen durch die Gewebe selbst. 

Hieraus ergibt sich die wichtige Tatsache, welche man fest- 
halten muss, dass, wenn man ein Stück eines bestrahlten Ge¬ 
webes studiert, jede Zelle, je nach ihrer Lage, nicht dieselbe 
Dosis Strahlen erhält wie die darüber gelegenen Zellen. 

Von diesen verschiedenen Faktoren ist der Grad der Empfäng¬ 
lichkeit der Zelle vielleicht am interessantesten zu betrachten. 

Die eine Zelle wird einer Strahlenwirkung widerstehen, 
während die andere eine schnelle Veränderung erleidet. So 
werden z. B. die gesunden Gewebe unendlich mehr Widerstand 
leisten als die sarkomatösen Gewebe. 

Handelt es sich um eine ausgebildete, völlig organisierte 
Zelle, so wird ihre Widerstandskraft der einer jungen, in Ent¬ 
wicklung begriffenen Zelle, wie der des Sarkoms, überlegen sein. 
Infolgedessen wird sie besser in der Lage sein, sich den Verhält¬ 
nissen eines neuen physikalisch-chemischen Milieus anzupassen. 

Die hochgradige Empfindlichkeit der jungen Zellen ist eine 
erworbene Eigenschaft. Auf dieser Basis haben Bergonie und 
Triboudeau ihr Gesetz einer so allgemeinen Lehre aufgebaut, 
wonach die Sensibilität der Zelle um so grösser ist, 1. je inten¬ 
siver ihre reproduktive Tätigkeit ist, 2. je länger ihre karyo- 
kinelische Entstehung ist, 3. je weniger bestimmt ihre Morpho¬ 
logie und Funktionen fixiert sind. 

Regaud und Blanc haben diesem Gesetz eine gewisse Prä¬ 
zision verliehen, indem sie die Aufmerksamkeit auf die be¬ 
sondere Ueberempfindlichkeit der ersten Entwicklungsstadien eines 
Zellelements lenkten. 

Sobald eine Zelle verändert ist, kann man nicht direkt be¬ 
haupten, dass der Strahl „eine spezifische Wirkung“ auf sie ans¬ 
geübt habe. Es handelt sich nicht um eine Spezifizität, sondern 
um eine besondere Empfindlichkeit der Zelle, eine 
eigentümliche Empfänglichkeit. 

Aus dieser besonderen Empfänglichkeit entspringt das 
Grundgesetz, dass jeder eindringende Strahl, nachdem 
er eine ganze Schicht voq gesunden Geweben durch¬ 
drungen hat, ohne sie zu verändern, therapeutisch auf in 
der Tiefe gelegene pathologische Zel len ein wirken kann. 

Es war nicht zwecklos, die allgemeinen vorhergehenden 
Daten festzulegen. Sie zeigen, wie kompliziert die Verhältnisse 
sind, welche diese oder jene Veränderung der einen oder anderen 
Zelle berbeiführen und wie die histologischen Befunde ver¬ 
schieden sein können, je nach den {Jmständep, unter welchen die 
Beobachtungen einsetzen. : 

'Nichtsdestoweniger ergeben sich gewisse Regeln aus gut aut- 
geführten histologischen Untersuchungen, und sie sind es, welche 


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2. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCÜEMSCHRltt. 


wir aaseinandersetzen wollen, indem wir mit dem Stadium der 
Wirkung der Strahlen auf die gesunden Gewebe beginnen. 

II. Wirkung der Strahlen auf die gesunden Gewebe. 

Natürlich sind die Hautgewebe unter den gesunden be¬ 
strahlten Geweben am meisten studiert worden. 

Die Bildungszellen der Epidermis, das erste Entwicklungs- 
Stadium einer Zellreihe, die mit einer intensiven Reproduktions¬ 
kraft ausgerüstet sind, bieten eine grosse Empfindlichkeit gegen 
die Strahlen dar. 

Die Haut besteht aus einem ganz besonders verwundbaren 
Gewebe. 

Unter den Befunden, welche bisher geliefert wurden, konnten 
wir ganz reine und wirkliche Differenzen in den histologischen 
Veränderungen als Folge der Wirkung der verschiedenen Be¬ 
strahlungen kaum nachweisen. 

In den verschiedenen Fällen scheinen die histologischen Ver¬ 
änderungen von gleicher Art zu sein; sie zeigen verschiedene 
Grade, je nach der Natur des Strahles selbst, seiner Stärke und 
seines Durchdringungsvermögens. 

Es sind das, kurz zusammengefasst, folgende: Die Be¬ 
strahlung, welcher Natur sie auch sein mag, ist von einer mehr 
oder weniger langen latenten Periode gefolgt, je nach den Be¬ 
strahlungen und den absorbierten Dosen. Sie besteht aus ein 
oder zwei Tagen bei den aktinischen Strahlen, wie das Möller, 
Leredde, Patrier und Miramond de la Roquette kon¬ 
statiert haben; sie ist ein wenig länger für die X Strahlen und 
Radiumstrahlen. 

Zwei Hauptcharaktere überraschen den Beobachter, wenn er 
einen Schnitt der mit einer nichtnekrotisierenden Dosis bestrahlten 
Epidermis mit dem einer normalen Epidermis vergleichen würde: 
1. Die Differenz der Dicke. 2. Das Fehlen der interpapillären 
Vorsprünge. 

Diese Epidermis ist in der Tat hypertrophiert oder atrophiert. 
Die Hypertrophie, welche eine der Formen der Radiodermatitis 
darstellt, ist besonders durch eine Zunahme des Volumens der 
Zellen des Rete Malpighii bedingt, ferner durch eine Verviel¬ 
fältigung der Lagen dieser Zellen und bisweilen der Eleidin¬ 
elemente. 

Die erste Erscheinung bei den Veränderungen der Epidermis 
im atrophischen Stadium zeigt sich in einer Schädigung der Zellen 
des Stratum mucosum, welche im ganzen eine Dickenabnahme er¬ 
leiden. Nachdem sie eine undeutliche Kontur angenommen haben, 
schwellen die Zellen an, ihre Elemente färben sich in diffuser 
Weise und zeigen in verschiedenen Graden die Höhlenverände¬ 
rung von Leloir; das Chromatin der Kerne zerfällt. 

Das Stratum granulosnm reduziert sich auf eine oder zwei Lagen 
abgeplatteter Zellen; ihre Granula nehmen ab oder verschwinden. 

Die Haarsellen zeigen oft eine Parakeratose oder Dyskera- 
tose. Sie lösen sich auf und stossen sich ab, nachdem sie 
stellenweise durch Blasen abgehoben worden sind, welche seröse 
Flüssigkeit, reich an polynucleären Zellen, enthalten. 

Wie ich beim Radium mit Degrais und Gand beobachten 
konnte, bewahrt das Stratum germinativum fast seine normale 
Struktur: Einige Basalzellen sind bisweilen hypertrophisch, aber 
ihre Funktion bleibt unversehrt, da dieser Teil der Epidermis 
sich erneuert und seine normale Entwicklung nimmt. 

Bei nekrotischer Dosis werden alle Elemente der Epidermis 
zerstört, nachdem sie vorher eine bisweilen kolossale Hypertrophie 
ihrer Körper und Kerne durcbgemacht haben; die Leukocyten 
spielen sofort ihre gewohnte phagocytäre Rolle. Sobald die Basal¬ 
schicht umwüblt oder zerstört ist, bildet sich eine Ulceration. 

War der Reiz weniger heftig, so tritt eine energische Reaktion 
ein, charakterisiert durch Verdickung der Epidermis in allen 
ihren Schichten. Die Basalschicht ist reich an Figuren von 
Karyokinese, wie es Magnus Möller, Leredde und Patrier 
beobachtet haben. Darier hat andererseits eine starke Zunahme 
des Eleidins in der Form von Keratohyalin nachgewiesen. 

Die ektodermalen Abkömmlinge unterliegen vorzeitigen Ver¬ 
änderungen. Die Haarfollikel und Schweissdrüsen bilden sich in 
Kanäle um, die mit dicht aneinandergereibten und ganz ähnlichen 
Epithelzellen erfüllt sind. Die Talgdrüsen atrophieren; die Epithel¬ 
zellen, welche das Fettläppcben umwinden, vervielfältigen sich, 
befallen die Drüse, welche sich in einen Haufen umbildet, ganz 
nach dem Bau des Rete Malpighii. Diese Veränderungen erklären 
die Wirkung der Strahlen auf die seborrhoischen Affektionen. 

Wenn die geringe Dicke der Epidermis die Ffestätellupg der 
histologischen Veränderungen in beinahe gleichem Grade 1 unter 


100 ? 


dem Einfluss der verschiedenen Bestrahlungen gestattet, so ver¬ 
hält sich das nicht ebenso für die tiefer gelegene Cutis. Das 
schwache Durchdringungsvermögen der Licht- und Sonnenstrahlen 
ist schon bekannt; obgleich analog, sind die Veränderungen, 
welche sie hervorrufen, weniger deutlich ausgesprochen. 

Jansen hat tatsächlich festgestellt, dass die aktinischen 
Strahlen in nicht mehr als 3—4 mm Tiefe einzudringen scheinen. 
Die Epidermis hält die ultravioletten Strahleo zurück, und diese 
Eigenschaft scheint grösstenteils der Hornschicht eigen zu sein. 

Dominici und Barcat haben die Cutis eines Meer¬ 
schweinchens untersucht, welches einer Reihe von Radiumappli- 
kationen in therapeutischer Dosis unterworfen worden war. 

Zusammengefasst ist folgendes das Resultat ihrer Unter¬ 
suchungen: 

„Die Bindegewebsbündel und die elastischen Fasern ver¬ 
schwinden fast vollständig und werden durch unzählige spindel¬ 
förmige und verzweigte Bindegewebszellen ersetzt, die dicht bei¬ 
einander stehen und in einem Netz von schrägen und engen 
Maschen anastomisieren. Dieses Zellnetz inseriert sich an die 
Wände kleiner erweiterter Blutgefässbündel, die mit roten Blut¬ 
körperchen vollgestopft und in embryonale Capillaren verwandelt 
sind. Es ist das eine reine Neubildung, denn sie entbehrt jedes 
entzündlichen Charakters. 

An den Gefässen selbst kann man weder einen Thrombus 
noch eine Wandverdickung erkennen.“ 

„Das Myxom verdrängt das Angiom, und diese Vorherrschaft 
drückt sich um so mehr aus, wenn die Vernarbung vorschreitet. 
Denn in einer zweiten Phase verengern sich die Capillaren in 
dem Maasse, dass ihr Lumen nur ein scheinbares ist, und die 
Bindegewebszellen bilden sich zu Fasern um. Diese Bindegewebs¬ 
bündel und die Zellen, welche sie trennen, legen sich regelmässig 
übereinander, den Linien parallel zur Oberfläche folgend, und 
geben dadurch diesem Gewebe einen Bau, vergleichbar dem eines 
jungen Fibroms. Schliesslich verdicken sich die Bindegewebs¬ 
bündel, während die elastischen Fasern in zunehmendem Verhältnis 
neugebildet werden.“ 

Bei den Formen von hypertrophischer Radiodermitis wird 
die Cutis von zahlreichen Zellen infiltriert; die Wände der Ar¬ 
terien und Venen verdicken sich, die Endothelzellen sind ge¬ 
schwollen und proliferieren, was noch mehr zu einer Störung der 
lokalen Circulation führt. 

Geringer sind die Veränderungen, welche durch aktinische 
Strahlen hervorgerufen werden. Auf einem Ohr eines mit Finsen- 
licht bestrahlten Kaninchens konstatierte Hans Jansen eine 
sehr ausgesprochene Gefässerweiterung; mehrere Capillaren sind 
thrombosiert. Es zeigt sich ausserdem eine serös-fibrinöse Ex¬ 
sudation, und der Druck, welchen sie ausübt, im Verein mit den 
Symptomen der Thrombose beschleunigt den Eintritt einer Zell¬ 
nekrose, welche das Licht direkt herbeigeführt hat. Aehnliche 
Befunde wurden von Magnus Möller, Leredde und Patrier 
erhoben, wenn sie den Apparat von Lortet-Genoud in Anwen¬ 
dung brachten. Die Histologie des Erythema solare, welches 
dieselben Autoren und jüngst Miramond de la Roquette 
Btudiert hatten, führte zu gleichen Beobachtungsresultaten, was 
uns nicht überraschen kann, da das gleiche chemische Agens in 
dem einen wie in dem anderen Falle seine Wirkung ausübt. 

Was die X-Strahlen und die Radiumstrahlen betrifft, so hat 
die Untersuchung der histologischen Veränderungen der gesunden, 
bestrahlten Gewebe sich nicht allein auf die Haut erstreckt; alle 
oder fast alle Gewebe sind Gegenstand ähnlicher Untersuchungen 
geworden. 

So haben Delbet, Herrenschmidt und Mocquot die Ver¬ 
änderungen einer normalen Mundschleimhaut studiert, welche 
24 Stunden lang mit 5 cg reinen Radiumbromürs bestrahlt worden 
war. Die erste Läsion, erst nach einer latenten Periode von 
8 Tagen sichtbar, besteht in einer Gefässerweiterung, begleitet 
von einer Blutextravasation. Am 15. Tage zeigen sich die Drüsen 
in der Weise verändert, dass die Hauptzellen rapide absterben, 
die Rand- und Schleimzellen in eine relativ lange regressive 
Phase eintreten. Die oberflächlichen Schleimhautschichten er¬ 
scheinen nicht stärker ergriffen zu sein als die tiefen; alle 
Schichten bis auf die Muscularis sind betroffen. Das Bindegewebe 
der Mucosa und Submucosa ist hyperplastisch. 

Das Interesse an diesen Befunden beruht auf dem Umstande, 
dass der Angriff auf die Gewebe ein direkter ist oder, besser 
gesagt, dass das Epithel keinen, von einer Erkrankung der Gefässe 
ausgehenden Ernährungsstörungen unterworfen ist, sondern langsam 
durch die eigene Energie der Radiumemanation getötet wird. 

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1008 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22. 


Zwei Organe, deren Ban und Funktionen ganz besonders die 
Aufmerksamkeit erregen müssen, waren Gegenstand interessanter 
Untersuchungen durch die X-Strahlen: Wir wollen vom Hoden 
und dem Eierstock sprechen. Schöneberg zuerst, später 
Bergoniö und Triboudeau, Regaud und Blanc verdanken 
wir sämtliche Tatsachen, von denen wir Kenntnis haben. 

Eine schwache Bestrahlung des Hodens gestattet, elektiv die 
interstitielle Drüse von den Samenkanälchen zu trennen, indem 
sie letztere vernichtet, jedoch die erstere weniger empfindliche 
verschont; bei stärkerer Dosis dagegen atropbiert das Organ ganz 
und gar, nimmt eine weiche Konsistenz an, während alle Elemente 
schwinden. Die Verletzbarkeit der Zellen der Spermanachkommen¬ 
schaft ist um so grösser, sagen ßergonid und Triboudeau, je 
jünger und je lebhafter sie auf dem Wege der Karyokinese sind; 
es werden infolgedessen die Mutterzellen am empfindlichsten 
sein und zuerst betroffen werden. 

Nach Regaud wäre die Empfänglichkeit vielmehr eine 
Funktion des mehr oder weniger ausgesprochenen Teilungs- 
zustaodes des Chromatins; die Stammspermatogonien mit staub¬ 
förmigem Chromatin würden schnell zerstört, während die Spermato¬ 
zoon, deren Chromatin kondensiert ist, widerstandsfähiger wären. 

Wie dem auch sei, die jungen Zellen bilden die ersten An¬ 
griffspunkte, weil sie weniger widerstandsfähig sind; doch kann 
die Aspermatogenese, welche in gewissen Fällen eine definitive 
ist, bisweilen eine vorübergehende sein, wenn einige Spermato- 
gonien den Strahlen entwischt sind und ihre Tätigkeit nach einer 
Periode verlangsamten Lebens wieder aufgenommen haben. 

Die Veränderungen des Eierstocks sind wegen der ana¬ 
tomischen Lage des Organs, welche für das Experiment wenig 
günstig ist, weniger bekannt. Während die polyedrischen oder 
spindelförmigen Zellen, welche im Centrum des Organs liegen und 
die Drüse mit innerer Sekretion bilden, wenig oder gar nicht ver¬ 
ändert werden, äussert sich die zerstörende Wirkung der X-Strahlen 
deutlich auf die Eierstocksrinde; das Chromatin des Kerns des 
Ovulums bildet sich zu einem Haufen um, das Zellprotoplasma 
retrahiert sich; das Epithel der Ovocyte verschwindet sofort, nach¬ 
dem es sehr wahrscheinlich das abgestorbene Ovulum resorbiert 
hat. Einige Monate nach der Zerstörung der Follikel trifft man 
keine Graafsehen Bläschen mehr an; man sieht nur alte Corpora 
lutea auf dem Wege der Rückbildung. 

Ich möchte hier nur auf die sehr grosse Empfindlichkeit der 
hämatopoetischen Organe gegen die X-Strahlen und das Radium 
binweisen. Die Veränderungen dieser Organe im Verlauf der be¬ 
strahlten Leukämien bringen in absoluter Weise diejenigen Ver¬ 
änderungen wieder hervor, welchen sie auch im normalen Zu¬ 
stande unterliegen. Wir werden sie untersuchen, wenn wir die 
Modifikationen der pathologischen Gewebe studieren. 

Der Muskel, der Knochen, das Nervengewebe, die Leber, die 
Schilddrüse, die Niere usw. waren Gegenstand einiger Unter¬ 
suchungen nach Bestrahlung: die Resultate sind noch zu unsicher, 
als dass ich mich für befugt hielte, die Diskussion über diesen 
Gegenstand zu eröffnen. Ebenso verhält es sich mit dem Auge. 
Es ist jedenfalls sicher, dass die Conjunctivitis, Keratitis, Störung 
des Glaskörpers Läsionen sind, welche durch wiederholte, selbst 
leichte Bestrahlungen hervorgerufen werden, und gegen welche 
man sich zu schützen hat. 

Was kann man aus diesen verschiedenen histologischen Be¬ 
funden vom Standpunkte des Vergleichs der Wirkung der ver¬ 
schiedenen Strahlen untereinander schliessen? Es scheint, dass 
man überall, wo man die X-Strahlen mit denen des Radiums 
vergleichen konnte, bis jetzt wenigstens beinahe eine wirkliche 
Analogie konstatieren konnte. Auf der Haut, wo die histologischen 
Wirkungen der aktinischen (Finsen- und Sonnen ) Strahlen (von 
Jansen, Leredde und Patrier, Miramond de Roquette) 
studiert wurden, ist die Analogie der Wirkung der X-Strahlen mit 
denen des Radiums auch sehr ausgesprochen. 

Es ist jedoch selbstverständlich, dass diese verschiedenen 
Analogien dennoch nicht tatsächliche Unterschiede ausschliessen, 
welche aus der Natur der Bestrahlung und ihres Durchdringungs¬ 
vermögens hervorgeben. 

Diese Variationen sind gewissermaassen nur verschiedene 
Grade einer Störung derselben Art. 

Wir werden beinahe auf dieselben Schlussfolgerungen nach 
dem Studium der Wirkung der Strahlen auf die pathologischen 
Gewebe hinauskommen — einem Studium, auf welches wir jetzt 
übergehen wollen. 

(Schluss folgt.) 


Aus der II. medizinischen Klinik der Universität zu 
Berlin. 

Ueber die Einwirkung des Lichts auf den Stoff¬ 
wechsel. 

Von 

Ludwig Pineissoha. 

(Vortrag, gehalten auf dem IV. internationalen Kongress für Physio¬ 
therapie.) 

Während über den Gasstoffwechsel unter der Einwirkung des 
Lichts eine Reihe von Mitteilungen bestehen, finden sich bisher 
gar keine Angaben über die Veränderung der Substanzen im 
intermediären Stoffwechsel unter dem Einfluss der Belichtung. 
Bekannt ist lediglich, dass die Fermente durch die Strahlen, be¬ 
sonders die des violetten und ultravioletten Teils des Spektrums 
beeinflusst werden, und dass im allgemeinen eine Steigerung der 
Oxydationsvorgänge erfolgt. 

Ich möchte Ihnen in kurzen Worten von einigen Versuchen 
Mitteilung machen, welche ich über die Einwirkung des Lichts 
auf den Purinstoffwecbsel des Hundes ausgeführt habe. Bei diesen 
Versuchen handelt es sich nicht um eine einfache Licbtwirkong, 
sondern dieselbe ist kompliziert durch die Injektion eines sensi¬ 
bilisierenden Farbstoffs in den Tierkörper, also einen pbotodyna- 
mischen Vorgang im Sinne von Tappeiner. 

Ich bemerke im voraus, dass irgendwelche besondere Ein¬ 
wirkungen auf die Haut, wie sie vor allem von Hausmann an 
weissen Mäusen beobachtet worden sind, in meinen Fällen nicht 
in die Erscheinung traten; ob dies an der grösseren Widerstands¬ 
fähigkeit der Hundehaut oder den verhältnismässig geringen an¬ 
gewandten Dosen liegt, kann ich zurzeit nicht entscheiden. 

Als Versuchstiere dienten mir weisse Hunde verschiedener Rasse; 
langhaarige Hunde wurden vor Anstellung des Versuches kurz geschoren. 
Bei den Tieren, die in Stoffwechselkäfigen gehalten wurden, wurde Ham 
und Kot in 3—4 tägigen Perioden zusammen analysiert, natürlich unter 
allen Kautelen, um etwaige spätere Veränderungen zu verhindern. Der 
Stoffwechsel des während der ganzen Versuchsdauer absolut gleichmässig 
gefütterten Tieres — die Nahrung, mit geringem Puringehalt, bestand 
aus Fleischpulver und Casein als stickstoffhaltigen Bestandteilen, Starke 
oder Reis zur Deckung des Bedarfs an Kohlehydrat, Schweinefett und 
Knochenasche — wurde zunächst ohne Belichtung untersucht, indem das 
Tier auf einer etwas positiven Stickstoffbilanz gehalten wurde. Darauf 
wurde, nachdem subcutan wasserlösliches Eosin (Grübler) in physiologi¬ 
scher Kochsalzlösung injiziert worden war, das Tier für bestimmte Zeiten 
dem Licht einer mit einer hellen Glasglocke versehenen Bogenlampe von 
etwa 500 Normalkerzen ausgesetzt. Von einer Kühlung der etwa 50 cm 
über dem Käfig angebrachten Lampe wurde abgesehen, da infolge der 
Circulation der Luft im Untersuohungszimmer eine merkbare Tempe¬ 
raturerhöhung durch die Lampenwirkung nicht eintrat. Die Eosin¬ 
injektion wurde zweckmässig an solchen Stellen gemacht, die dem Lichte 
nicht direkt ausgesetzt waren, also unter die Bauchbaut. Die Eosin¬ 
injektionen wurden unter diesen Kautelen gut vertragen, während bei 
Injektion in die Rückenhaut, also an einer stark dem Lichte ausgesetztec 
Stelle, bisweilen kleine Nekrosen an der Einstichstelle auftraten. Nur 
in einem Falle entstand nach Eosininjektion an der Injektionsstelle ein 
hühnereigrosser steriler Abscess. 

Bestimmt wurde Gesamtstickstoff, Allantoin, Harnsäure, 
Kotstickstoff, in einem Falle auch Oxalsäure. Die Bestimmung 
des Allantoin erfolgte nach der von Abderhalden und Einbeck 
modifizierten Wiechowski’schen Methode, die der Oxalsäure nach Sal- 
kowski. 

Die Tabellen geben alles Wissenswerte über zwei der ausgeführten 
Versuche an. In Tabelle 2 wurde nach einer zweiten lichtlosen Periode 
der sonst gleichen Nahrung Purinstickstoff in Form von nucleinsaurem 
Natrium zugefügt und in einer Lichtperiode der Einfluss des Lichtes auf 
diese Zugabe geprüft. Injektion von Eosin bei einem schwarzen Hund 
ergab keine Veränderung des Stoffwechsels. 

Wie sich aus den Tabellen eindeutig ergibt, erfolgt zu den 
Zeiten der Lichtwirknng eine wesentliche Aenderung des Purin- 
stoffwechsels in dem Sinne, dass die Allantoinausscbeidung erheb¬ 
lich vermindert ist. In dem in Tabelle 1 geschilderten Versuch, 
bei dem die tägliche Lichtwirkung nur wenige Stunden betrog, 
steigt beim Fortfall der Belichtung der Allantoinwert sofort, an¬ 
scheinend sogar etwas höher als anfänglich an, um bei erneuter 
Bestrahlung prompt wieder abzufallen. Bei einer täglichen durch¬ 
schnittlichen Belichtung von 10 Stunden, wie sie im Versuch der 
Tabelle 2 durebgeführt war, überdauert die Allantoinverminderung 
die Lichtwirkung um mehrere Tage, um dann sehr, langsam 
wieder anzästeigen, erreicht jedoch in den zur Verfügung stehen¬ 
den Zeiten auch nicht annähernd den ursprünglichen Wert Unter 


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2. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1009 


Tabelle 1. 

Weisser Hund. 

(Tagesharn einzeln bestimmt, Mittel der Werte einer Periode genommen.) 




s * 


Mittlere Tageswerte 


Period 

erhiode e 
hält Tag 

ewicht a 
Ende de 
Periode 

Tägliche 

Nahrung 

Nah- 

rungs- 

N 

Harn- 

N 

Allan- 

toin-N 

Bemerkungen 

Nr. 

Ph 



g 

g 

g 


1 

7 

6670 

15 g Casein, 
15 g getrockn. 
Pferdefleisch 

3,80 

3,56 

0,090 

- 

2 

4 

6770 

50 g Stärke, 

3,80 

3,45 

0,038 

0,1. 0,2. 0,2 g Eosin 




30 g Schmalz, 
4 g Knochen¬ 



in physiolog. Koch- 
Balzlosung subcut.: 
belichtet IS Std. 





asche 





3 

2 

6680 

— 

3,80 

' 3,77 

0,095 

— 

4 

4 

6800 

— 

3,80 

3,60 

0,058 

0,2, 0,3 g Eosin 
23 Std. bestrahlt. 

5 

3 

6830 

— 

3,80 

3,65 

0,108 

— 

6 

3 

6870 

— 

3,80 

3,50 

0,070 

0,3 g Eosin, 






15Std. bestrahlt. 

7 

2 

6850 

— 

3,80 

3,90 

0,140 

— 


Tabelle 2. 

Weiss-gelblicher, geschorener Spitz. 


bc a 

•Sr ® 

S&T3 
:ed o 
tj’g 

Nr. 


© 

■0 

a © 


Mitttiere 

Tageswerte 

55 

<z> 

u 

g -C 
* © 

Tägliche 

Ss 

53 

5 

c* 
= .2 

u 

a 

:<4 

r» 

.2 & 

Nahrung 

ja cn 

53 | 

03 

a 

1 s 

"5 

M 

° 

i'* 

0 


g 

cn 

; g 

< 3 

g ! 

| tu 



Bemerkungen 


|7050 

7100 

|7150 

7100 


10 g getrockn. 3,18 
I Pferdefleisch j 
15 g CaseiD, 3,18 1 2, 
25 g Schmalz,! i 
70 g Reis 


2,62 j 0,165 
1 ,67 0,164! 

’ ’ i 


0,012 j 
0,010 


0,008 

0,009 


70 g Reis 

4 g Knochen- 3,18,2,74 0,132 0,014 
asche 1 1 1 ! 


I , 

3,18j 2,80 0,137: 


0,009 
0,010 0,014 


7090 — 13,18;2,85| 0,080 

|7070 — , 3,18, 2,93 0,HO 1 

7100 Zulage: 2mal, 3,25 2,84, 0,132, 
l g nuclein- ! ! ! I 

isaur. Natrium ! 

|7150| Zulage: 5 g j 3,36 
nucleiosaures' 

Natrium 

|7100| Zulage: 2mal, 3,25 

1 g nuclein- j | I i 
Isaur. Natrium | | I 1 

|7120| Zulage: 5 g | 3,36; 2,80] 
nucleinsaures 
Natrium 1 

7080 — 1 3,18 2,78] 

7200 — 13,18 2,74 

7150 — ! 3,18 2,70] 


2,82 0,150! 

1 1 

| 1 

2,801 0,042, 


0,045 


0,0661 
0,084 1 
0,0881 


0,011 

0,011 

0,010 


0,011 

0,012 

0,010 


0,011 

0,013 

0,015 


0,024 

0,008 

0,009 


0,009 

0,031 

0,020 


0,010 

0,010 

0,010 


0,2 -|- 0,25 -f 0,3 g 
Kosin in Kochsalz 
siibcu tan: belichtet 

35 8tunden. 

0,3 + 0,3 g 
Eosin; bestrahlt 

36 Stunden. 


2 mal 0,2 g, 1 mal 
0,3 g Eosin, be¬ 
strahlt 40 Std. 

2 mal 0,2 g, 1 mal 
0,3 g Eosin, be¬ 
strahlt 40 Std. 


Die Zulagen beziehen sich auf die ganze Periode. 


Purinzugabe zeigt sich infolge der Lichtwirkung ein ganz be¬ 
sonders starkes Herabgehen des Allantoinwertes. Bemerkenswert 
ist in beiden Tabellen, dass die ausgeschiedene Harnsäuremenge 
während der ganzen Versuchsdauer fast ganz konstant bleibt, 
woraus also zu schliessen wäre, dass es sich bei der beob- 
aebteteten Veränderung des Parinstoffwechsels nicht um einen 
gestörten Abbau der Harnsäure zu Allantoin handeln kann. Be¬ 
achtenswert ist ferner die Zunahme der Oxalsäure, die besonders 
in den Perioden eintritt, in welchen die Allantoinmenge abnimmt. 
Der Gesamtstickstoff zeigt geringe Veränderungen; während in 
Tabelle 1 ein ziemlicher Parallelismus mit den AUantoinwerten 
zu konstatieren ist, findet sich in Tabelle 2 kaum etwas Charak¬ 
teristisches. 

Es handelt sich bei den geschilderten Untersuchungen um 
vorläufige Resultate, die mir aber wichtig genug schienen, um 
sie an dieser Stelle mitznteilen. Ich bin damit beschäftigt, die 


Untersuchungen weiter auszudebnen, und hoffe in kurzem darüber 
weiteres berichten zu können. Es scheint mir, dass auch die 
Verteilung des aus dem Eiweiss stammenden Stickstoffs im Harn 
unter dem Einfluss der Belichtung zum Teil erhebliche Aende- 
rungen aufweist, doch sind die Resultate noch nicht zahlreich 
genug, um sie der Oeffentlichkeit zu übergeben. Auch mit der 
Fortsetzung dieser Versuche bin ich beschäftigt. 

Es braucht wohl kaum erwähnt zu werden, dass diese bisher 
ganz im Anfang stehenden, erst am Tier exakt fortzuführenden 
Versuche auch in der menschlichen Pathologie Bedeutung ge¬ 
winnen könnten. Nach einigen orientierenden Versuchen, die ich 
zusammen mit Herrn Dr. Retzlaff ausgeführt habe, scheint auch 
der Purinstoffwechsel des Menschen unter dem Einfluss der Be¬ 
strahlung nach Zufahr sensibilisierenden Farbstoffs alteriert zu 
werden, eine Tatsache, welche für die Behandlung der Gicht viel¬ 
leicht Interesse gewinnen kann und vielleicht auch den Einfluss 
des Klimas auf diese Erkrankung zum Teil erklärt. 


Aus der inneren Abteilung des Jüdischen Kranken¬ 
hauses zu Berlin. 

Röntgenuntersuchungen bei chronischer Ob¬ 
stipation. 

Von 

H. Struss und S. Brandenstein. 

(Nach einem am 13. Februar in der Hufelandischen Gesellschaft gehaltenen 
Vortrag.) 

M. H.! Unter dem Begriff der chronischen Obstipation im 
engeren Sinne versteht man bekanntlich eine Verlangsamung des 
Kotlaufes — und zwar fast immer nur im Dickdarm — bei 
Abwesenheit von Passagehindernissen. Fälle der letzteren Art 
gehören in das Kapitel der Darmstenosen. Ebenso gehören 
Störungen des Defäkationsaktes selbst nicht zum Begriff der 
chronischen Obstipation. Ueber die Pathogenese der chronischen 
Obstipation existiert eine grosse Literatur. In der letzten Zeit 
bat man sich besonders mit der Frage eines atonischen und spasti¬ 
schen Ursprungs beschäftigt. Wir teilen hier den Standpunkt, dass 
beide Formen Vorkommen, und dass sich atonische und spastische 
Zustände zuweilen gleichzeitig bei demselben Patienten vorfinden 
können. Wir glauben aber, dass die Differentialdiagnose beider 
Zustände nicht so leicht ist, als es nach manchen Schilderungen 
der Fall zu sein scheint. Wie auf manchem anderen Gebiete hat 
auch auf dem vorliegenden das Röntgenlicht manches Dunkel be¬ 
leuchtet, wenn auch in zahlreichen Punkten die bisher mitgeteilten 
Feststellungen noch widerspruchsvoll lauten. Denn es sind vorerst 
nur einzelne Fragen mit dem Röntgenverfahren studiert worden, 
und es sind die Beziehungen der Röntgenbefunde znm sonstigen, 
insbesondere klinischen, Verhalten der Fälle nicht immer genügend 
scharf ins Auge gefasst worden. Aus vielen Arbeiten ist anch 
nicht klar zu ersehen, wie häufig die erhobenen Einzelbefnnde 
unter den Fällen von Obstipation überhaupt sind. Ans diesen 
Gründen, sowie mit Rücksicht auf einige besondere Beobachtungen 
halten wir es für richtig, hier über die Ergebnisse von Unter¬ 
suchungen zu berichten, die wir etwa vor einem Jahr begonnen 
und an 70 Fällen nach einem gleichartigen Schema durchgeführt 
haben. Durch diese Untersuchungen hoffen wir, einiges zur 
Klärung des praktisch-diagnostischen Wertes von Röntgenunter¬ 
suchungen auf dem vorliegenden Gebiet beitragen nnd auch zur 
Beurteilung einiger Fragen der allgemeinen Pathologie Material 
liefern zu können. 

Von den in der Literatur niedergelegten Angaben interessieren für 
unsere Frage in besonderem Grade folgende: Nach C an non lassen sich 
am Dünndarm des Tieres Bewegungen wahrnehmen, welche den Inhalt 
mischen und kneten, sowie solche, welche den Weitertransport nach dem 
Colon zu bedingen. Hertz sowie Kästle und Brügel konnten sich durch 
Röntgenaufnahmen von der Existenz der genannten Dünndarmbewegungen 
auch beim Menschen überzeugen. Wir selbst haben Bewegungsvorgänge 
im Dünndarm nicht beobachtet, ausser in solchen Fällen, in denen eine 
Passagestörung vorlag. Auch bei anderen Beobachtern haben wir über 
Dünndarmperistaltik, soweit sie sich nicht auf den Anfangsteil des 
Duodenums bezieht, keine Angaben vorfinden können. Ueber die Schnellig¬ 
keit, mit welcher der Dickdarm die Fäkalmassen unter normalen Um¬ 
ständen vorwärts bewegt, haben dio Autoren im allgemeinen gleich¬ 
lautende Beobachtungen gemacht. Die Kontrastmahlzeit lässt sich etwa 
2 bis 3 Stunden nach der Einnahme im Coeoum nachweisen, nach 4 bis 
6 Stunden au der Flexura hepatioa, nach etwa 12 Stunden ist das Colou 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22. 


transversum gefüllt, naoh etwa 24 Standen sieht man die Kontrast¬ 
schatten in der Ampulle, und nach 24—48 Stunden ist der Darm leer. 
Die schon vor vielen Jahren von Holzkneoht gemachte Beobachtung, 
dass ein Drittel der gesamten Golonsäule blitzartig um etwa ihre eigene 
Länge vorrüokt, ist inzwischen mehrfach bestätigt worden (v. Berg¬ 
mann, Haenisch, Schwarz u. a.). Immerhin scheint die genannte 
„grosse“ Colonbewegung nicht gerade häutig zu sein, wenn wir vom De- 
fäkationsakt selbst absehen, bei dem sie Schwarz regelmässig beob¬ 
achtet hat. v. Bergmann und Lenz konnten diese „grossen“ Colon¬ 
bewegungen willkürlich auch durch Verabfolgung von Seifen- und Koch¬ 
salzklysmen erzeugen. Neben den grossen Colonbewegungen hat Schwarz 
„kleine“ Colonbewegungen beschrieben, denen einerseits ein Misch-, 
andererseits eine Zerteilungsfunktion zukommt. Diese Bewegungen sollen 
ein langsames, kontinuierliches Vorrücken der Kotsäule bezwecken. Es 
scheint aber auch eine Mittelstufe zwischen den „grossen“ und „kleinen“ 
Colonbewegungen zu geben, denn wir sahen wiederholt solche, teils in 
der Form, dass der gesamte sichtbare Coloninhalt um 6—10 cm vor¬ 
rückte, teils in der Art, dass nur der Endteil der Kotsäule sich um die 
genannte Strecke verschob, während der Anfangsteil in seiner ursprüng¬ 
lichen Lage blieb. In letzterem Falle erschien der Darminhalt an seinem 
Ende spindelförmig ausgezogen. 

Bei Obstipation hat man bisher mittels des Röntgenverfahrens 
verschiedenartige Befunde erhoben. So hat Jonas gezeigt, dass trotz 
Hypermotilität der oberen Dickdarmabschnitte eine Hypo- 
motilität in den unteren und hiermit eine Obstipation eintreten 
kann. Auch Holzknecht und Singer beobachteten Obstipation durch 
Spasmus des Colon descendens und sigmoideum, während in den oberen 
Dickdarmabschnitten eine Hypermotilität zu konstatieren war. Schwarz 
sah das Zustandekommen von Obstipation trotz beschleunigter Passage 
im Anfangsteil des Colons durch eine Rückwanderung des Darm¬ 
inhaltes. Stierlin hat dann auf den Ascendenstyp und Holz¬ 
knecht auf den Sigma typ aufmerksam gemacht. Unter ersterem 
versteht Stierlin ein abnorm langes Verweilen der Inhaltsmassen im 
Colon ascendens, und unter letzterem begreift Holzknecht das abnorm 
lange Verbleiben von Kotmassen im Sigma. Die Bedingungen, unter 
denen Stierlin den Ascendenstyp vorfand, fielen meist mit dem Vor¬ 
handensein eines ungewöhnlich weiten und tiefstehenden Coecum zu¬ 
sammen. Gewöhnlich bestand gleichzeitig eine allgemeine Enteroptose 
mit Tiefstand der Flezura hepatica. Neben einer hypotonischen Form 
beschreibt Stierlin auch eine normo- und hypertonische Form, welch’ 
letztere im Gegensatz zur hypotonischen Form tiefe, meist unregel¬ 
mässige haustrale Einschnürungen am engen Coecum und Ascendens 
aufweist. Rosenheim und Hertz haben aber betont, dass der Sitz 
der Obstipation nicht nur im Ascendens oder Sigma zu suchen ist, 
sondern glauben, dass eine pathologische Veränderung oder abnorme 
Funktion irgend einer beliebigen Darmpartie Obstipation zur Folge 
haben kann. 

Eine genauere Untersuchung der Häufigkeit des Vorkommens 
der genannten besonderen Lokalisation der chronischen Obstipation 
sowie der Bedingungen, unter denen sie Vorkommen, erschien von 
besonderer Wichtigkeit. Für die hierfür notwendige Umgrenzung des 
Begriffes der Obstipation gibt es aber leider kaum ein einheit¬ 
liches Maass. Viele Autoren sind geneigt, von Verstopfung zu 
reden, wenn nach 48 Stunden noch Reste im Darm nacbzuweisen 
sind. Diesen Zeitpunkt haben auch wir zum Ausgangspunkt 
unserer Beobachtungen gemacht, wenn wir uns auch bewusst 
sind, dass ein Rest im Sigma nach mehr als 48 Stunden nicht 
unbedingt die Einordnung eines solchen Falles in die Gruppe der 
Obstipationsfälle erforderlich machen muss. Wir haben im 
ganzen 70 Fälle untersucht, von denen 29 auf Grund klinischer 
Betrachtung als obstipiert bezeichnet werden mussten. 

Von unseren 29 Fällen von Obstipation entfielen 6 auf den Ascendens- 
und 11 Fälle auf den Sigmoidal- bzw. Proctosigmoidaltyp. Eine 
Totalstagnation lag in 12 Fällen vor, und zwar war in 5 von diesen 
Fällen die Kotsäule nicht unterbrochen, während bei 7 Patienten mehrere 
kleinere Kotpartikel voneinander getrennt abnorm lange zu beobachten 
waren. 

Unsere Fälle wurden in der Weise untersucht, dass am 
Tage vor der Untersuchung zwei Klysmen verabreicht wurden. 
Dann wurde um 7 Uhr morgens eine Mahlzeit, bestehend aus 
150 g Bariumsulfat und 800 g Griesbrei, nüchtern verabfolgt. 
Die erste Untersuchung vor dem Leuchtschirm fand dann 
4—5 Stunden später statt, die weiteren Beobachtungen folgten 
hierauf meist 6 und 7 Stunden nach der Kontrastmahlzeit und 
von da ab in 24 ständigen Intervallen. Wurde gleichzeitig eine 
Röntgenuntersuchung des Magens vorgenommen, so fand die Be¬ 
trachtung des Dickdarmes meist erst nach 24 Stunden statt. 

Bei den 6 Fällen vom Ascendenstyp handelte es sich zweimal 
um Typhlektasie mit Ptose, in 2 anderen Fällen fanden wir die Existenz 
eines Coecum mobile, doch konnten wir Fälle tön Typhlektasie sowie 
von Coecum mdbile auch ohne das Vorhandensein einer Typhlostase, 
wie wir das abnorm lange Verweilen des Probeingestums im Typhlon 
nennen wollen, beobachten. Es kommt also Typhlostase auch 


unabhängig von anatomischen Veränderungen, wie Typhlo- 
ptose oder Typhlektasie oder von Coecum mobile vor, ebenso 
wie diese Zustände nicht immer notwendig mit einer Typhlostase ver¬ 
knüpft sind. 

Bei der Sigmostase haben wir viermal eine Hypermotilität der 
proximalen Dickdarmabschnitte feststellen können, d. h. es war das 
Colon ascendens und transversum nach etwa 6 Stunden passiert, während 
der distale Darmteil erst nach mehr als 48 Stunden — in einem Fall 
erst nach 7 Tagen — leer wurde. Diese Befunde reihen sich den von 
Holzknecht und Singer, Stierlin und Böhm beschriebenen an. In 
2 Fällen konnten wir uns von der auffälligen Enge des Kontrastschattens 
in den abhängigen Darmpartien — wie man sie bei spastischer Obsti¬ 
pation finden soll — überzeugen. Meist war nicht nur das Sigma, 
sondern auch die Ampulle gefüllt, so dass es sioh nicht nur um eine 
Sigmostase, sondern um eine Procto-Sigmostase handelte. 

Bei den Fällen von Colostase, wie wir die Stagnation im Gesamt¬ 
colon — im Gegensatz zur Typhlostase und Sigmostase — bezeichnen, 
interessieren vor allem die -schon genannten Fälle des „unter¬ 
brochenen Typus“, die der Hypersegmentation von Schwarz ent¬ 
sprechen dürften, einem Vorgänge, den der letztere Autor auf eine 
abnorm starke Zerteilungsfunktion des Colon zurückführt Die Gruppe 
des „ununterbrochenen Typus“ wäre dann wohl im wesentlichen 
als „asthenische“ Obstipation im Gegensatz zu einer „erethischen“ 
Obstipation zu deuten. Hinsichtlich der Beziehungen von Lageanomalien 
des Darmes zur Obstipation haben wir den Eindruck gewonnen, dass 
die Beziehungen der Enteroptose zur Obstipation im allge¬ 
meinen überschätzt werden. Wenigstens haben wir beim Fehlen von 
Verwachsungen bei Enteroptose sehr häufig ein gutes Funktionieren der 
Darmmotilität beobachtet. Immerhin dürfte eine ausgeprägte Enteroptose 
die motorische Arbeit des Darmes nicht gerade erleichtern. Bei unseren 
Untersuchungen fiel uns weiterhin wiederholt auf, dass der röntgeno¬ 
logische und klinisohe Begriff der Obstipation nicht immer 
parallel gehen. Wir haben dabei allerdings häufiger das Vorhanden¬ 
sein einer Obstipation beobachtet, welche nur auf Grund der Röntgen¬ 
untersuchung angenommen wurde, während vom Patienten Angaben über 
Verstopfung nicht gemacht wurden. 

Von interessanten Einzelbeobachtungen möchten wir folgende 
im Detail erwähnen: 

Bei einer Patientin, die wegen Verdachts auf Ulcus duodeni in Be¬ 
handlung war und neben den auf diese Krankheit hinweisenden Be¬ 
schwerden über unbestimmte, oft krampfartige Schmerzen im ganzen Leib 
klagte, war Stuhlgang alle 2—8 Tage nur nach Anwendung von Abführ¬ 
mitteln zu erzielen. Bei dieser Patientin fand sich über 48 Stunden 
hinaus im Anfangsteil des erweiterten Colon transversum 
Darminhalt, der von hier aus an die tiefer liegenden Partien weiter¬ 
gegeben wurde, während gleichzeitig das Ascendens nach 24 Stunden 
sich entleert batte. Nach der Entleerung des Ascendens fand aber eine 
Verschiebung der Kotsäule in analer Richtung nicht statt, sondern es war 
der Anfangsteil des Transversum deutlich erweitert, und es verengte sich 
das Volumen dieses Darmteils nach der Menge der abgegebenen Kontrast¬ 
menge. Naoh 70 Stunden konnte mau das ganze Transversum 
gefüllt sehen, während 2 Stunden später wiederum nur der 
beträchtlich erweiterte Anfangsteil des Transversum gefüllt, 
der Endteil aber leer war. Erst nach 97 Stunden war das Trans¬ 
versum leer, und der oberste Teil des Descendens wurstförmig gefüllt. 
Dabei war der untere Teil des Descendens leer, das Sigma aber in 
normalem Füllungszustand. Wegen heftiger Beschwerden wurde ein 
Klysma verabfolgt, nach welchem im Darm Barium-Reste nicht mehr zu 
erkennen waren. 

Dieser Fall ist reich an interessanten Einzelheiten. Es 
handelte sich um eine hochgradige Obstipation, die sich weder 
in das Schema des Ascendens-, noch des Sigma-Typs ein- 
fügen lässt, denn weder das erstere noch das letztere war 
abnorm lange gefüllt, vielmehr war es der Anfangsteil des 
Transversum, in welchem der Darminhalt abnorm lange 
stagnierte. Es liegt nahe, als Ursache für diese abnorme Retention 
Darmspasmen anzuschuldigen, da für andere Momente keinerlei 
Anhaltspunkte vorliegen. Ein mechanisches Hindernis war jeden¬ 
falls auszuscbliessen, und es bestand auch keine Coloptose, die 
übrigens — wie schon kurz bemerkt ist — bei einem nicht un¬ 
beträchtlichen Teil unserer Patienten mit durchaus normalen 
Entleerung8zeit.en einherging. Eine abnorme Gasansammlung, die 
Max Cohn in manchen Fällen für das Zustandekommen der Ver¬ 
stopfung verantwortlich machen will, bestand ebenfalls nicht, jedoch 
klagte die Patientin über krampfartige Schmerzen im Leib, sowie 
über Schmerzen beim Stuhlgang. Das Colon ascendens und 
descendens könnte zeitweise als derber Strang gefühlt werden. 
Im Stuhl zeigte sich zeitweise Schleim, und es war schon kliniscber- 
seits die Diagnose spastische Obstipation mit leichtem Katarrh 
gestellt worden. Es liegt nahe, anzunehmen, dass in dem vor¬ 
liegenden 1 Falle die' Darmspasmen, die ihren Sitz wohl haupt¬ 
sächlich ini Ascendens und Descendens hatten, den Danninhalt 
nach dem Ort des geringsten Widerstandes, d. h. io das Trans- 


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2. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1011 


versum drängten, oder dass die Kotsäule durch Spasmen eine 
Zeitlang an der oben genannten Stelle festgehalten wurde. 

Weniger leicht zu deuten waren die Verhältnisse in zwei 
anderen gleichfalls nicht ganz gewöhnlichen Fällen von Obstipation. 

Id dem ersten Fall handelte es sich um ein 15 Jahre altes Mädchen 
mit beträchtlicher Gastroptose und erhöhtem Salzsäuregehalt des Magens, 
das wegen Magengeschwürs in Behandlung war. Die Magenmotilität war 
etwas verlangsamt (der Magen war erst nach 6 Stunden leer). Nach 
48 Stunden zeigte sich der gesamte Dickdarm gefüllt, das Colon verlief 
leicht bogenförmig. Nach 72 Stunden war nur das Descondens mit bröckligen 
Kotmassen gefüllt, 24 Stunden später waren in der Mitte des 
Transversum wieder mehrere ca. Dreimarkstück grosse 
Brockel sichtbar. Nach 120 Stunden war die Flexura sigmoidea 
gefüllt und nach 166 Stunden war der Darm leer. Es hatte also 
in diesem Fall ein Rücktransport vom Descendens nach 
dem Transversum stattgefunden. Aehnlich verhielt es sich 
bei einem anderen Patienten, bei dem ein Jahr vorher wegen gut¬ 
artiger Pylorusstenose eine Gastroenterostomie gemacht war, die gut 
funktionierte. Bei diesem Patienten bestand ebenso wie in dem vorigen 
Fall eine Hypomotilität im Bereich des gesamten Colon. Trotz normaler 
Entleerungszeit des Magens war nach 24 Stunden erst Ascendens und 
Anfangsteil des Transversum gefüllt. Nach 48 Stunden war nur letzteres, 
welches einen normalen Verlauf zeigte, gefüllt. Nach 72 Stunden 
war wiederum das Ascendens, sowie der Endteil des Transversum 
gefüllt. Nach 120 Stunden war der Darm leer. 

Wir lassen es unentschieden, ob es sich in den beiden hier 
mitgeteilten Beobachtungen um den Effekt einer aktiven Retro- 
peristaltik oder um die Folge einer passiven Zurück¬ 
schiebung von Darminhalt gehandelt hat. 

Schon Sohwarz hat von der Möglichkeit einer Rückwärtsverschie- 
bung von Darminhalt als Folge von Druckdifferenzen gesprochen, die 
von der eigentlichen Peristaltik unabhängig sind. Man weiss, dass bei 
der Defäkation durch die Wirkung der Bauchpresse der Endteil des 
Darmes entleert wird, während die Kotsäule im Anfangsteil des Dick¬ 
darms meist keine nennenswerten Verschiebungen zeigt. Es scheint hier 
der Druck der Bauchpresse nicht in der Weise einzuwirken, dass da¬ 
durch der Darmiohalt analwärts getrieben wird. Nach einer von uns 
gemachten Beobachtung scheint es sogar, dass die Bauchpresse unter 
Umständen imstande ist, in diesem Bezirk auf den Darminhalt einen 
Druck in oraler Richtung auszuüben. Es handelte sich bei der be¬ 
treffenden Beobachtung um eine Patientin mit Obstipation, bei der sich 
nach 24-Stunden das Transversum bis fast zum Ende intensiv gefüllt 
fand. Die Patientin empfand plötzlich Stuhlgang, entleerte reichlioh 
Stuhl, der aber Barium nicht erkennen liess. Als wir nun abermals 
durchleuchteten, fanden wir die Kotsäule im Transversum nicht weiter 
in der AnalrichtuDg vorgerückt, dagegen schmäler und es war das vor¬ 
her leere Ascendens wieder gefüllt und stark segmentiert. Es 
hatte also während des Stuhlganges ein Rücktransport vom Transversum 
ins Ascendens stattgefunden. Wenn die Patientin bariumhaltigen Stuhl 
nicht entleerte, so kann dies entweder daher gekommen seiD, dass der 
Bariumbrei noch nicht bis zu den distalwärts gelegenen Massen vor¬ 
gedrungen war, oder dass die nach der Bariummahlzeit eingenommenen 
Speisen sich an dem Bariumbrei vorbeigeschoben hatten, eine Beob¬ 
achtung, die auch von anderen Autoren, so z. B. von Karewski ge¬ 
macht ist. Die mitgeteilte Beobachtung kann als besonders instruk¬ 
tiver Beleg für die Möglichkeit angeführt werden, dass eine Ver¬ 
stopfung durch ein Wechselspiel von nach vorwärts und rück¬ 
wärts treibenden Kräften bedingt sein kann. Es dürfte dabei 
das Ascendens gerade der Ort sein, in dem sich der Darminhalt am 
leichtesten wieder sammelt. Es erscheint auch nicht ausgeschlossen, dass 
gerade dieser Faktor eine der vielen Ursachen darstellt, die zur Ascendens- 
stagnation führen können. Schon Stierlin gibt neben Atonie und 
lokalen Spasmen die Antiperistaltik mit ihren Folgeerscheinungen 
als ätiologisches Moment an. Wieweit das Goecum mobile für das 
Zustandekommen des Ascendenstyps eine Rolle spielt, können wir auf 
Grund unserer eigenen Beobachtungen nicht mit Sicherheit entscheiden, 
denn wir haben das Goecum mobile unter unseren 70 Fällen nur 
viermal beobachtet. Dies kommt vielleicht daher, dass die Diagnose des 
Goecum mobile in weniger ausgesprochenen Fällen nicht ganz leicht ist, 
und dass wir nur sichere Fälle zum Gegenstand unserer Betrachtung ge¬ 
macht haben. Viel leichter ist dagegen die Diagnose derTyphlektasie. 
Die sackartige, mit wenigEinschnürungen versehene, tiefstehende Schatten¬ 
partie springt in solchen Fällen ohne weiteres in die Augen. Sie kann 
bald Ursache, bald Folge von Verstopfung sein und es kann die letztere 
als Komplikation noch entzündliche Prozesse nach sich ziehen. 
So sahen wir in einem Fall, in dem eine Golitis ulcerosa gleichzeitig mit 
einer Typhlatonie bzw. Typhlektasie bestand, noch nach 96 Stunaen 
reichlich Reste der Bariummahlzeit im Ascendens. Nach etwa 4 Mo* 
naten war die Golitis nahezu geheilt und die Patientin so gut wie 
schmerzfrei. Es war aber der röntgenologische Obstipationsbefund der¬ 
selbe wie vorher geblieben. 

In den hier mitgeteilten Befunden haben wir durch das Röntgen- 
verfahren eine fleihe höchst eindrucksvoller Einblicke in Fragen 
gewonnen, die mehr als theoretisches Interesse besitzen. Es fragt 
sich aber doch,, bis zu welchem Grade für die Zwecke der täg¬ 


lichen Praxis das Röntgenverfahren znr Untersuchung der einzelnen 
Fälle nötig ist. Für diesen Zweck wäre zu erörtern, wieweit 
man sich auf dem vorliegenden Gebiete bisher ohne Röntgen¬ 
strahlen orientieren konnte. 

Hier ist zunächst auf eine Mitteilung von Rosenheim zu ver¬ 
weisen, dass man die Stagnation im Goecum bzw. S romanum zuweilen 
schon durch die Palpation erschlossen kann. Auf Grund zahlreicher 
eigener gleichsinniger Beobachtungen können wir dies vollauf bestätigen, 
und zwar empfiehlt sich für die Palpation des Typhlon nach unseren 
Erfahrungen besonders der nüchterne Zustand, da 3—4 Stunden 
nach einer Mahlzeit eine neue Füllung des Typhlon erfolgt. Sodann 
hat H. Strauss für die Feststellung der Darmmotilität schon vor vielen 
Jahren die „ Karminprobe“ angegeben, die er seither stets im Zu¬ 
sammenhang mit der Probediät an wendet. Diese Probe liefert zur 
Beurteilung der Verweildauer des Darminhalts auf ein¬ 
fachem Wege beachtenswerte Resultate, so dass zu wünschen 
wäre, dass sie mehr, als es bisher geschieht, zur Anwendung gelangt. 
Wenn z. B. bei Durchfällen der karminrote Stuhl schon nach 1—2 Stunden 
erscheint, so kann man daraus schliessen, dass die Peristaltik im Dünn¬ 
darm und Diokdarm in gleicher Weise gesteigert sein muss, während 
das Erscheinen des Karmins nach 15—18 Stunden bei diarrhoisohen 
Patienten den Verdacht erweckt, dass die verstärkte Peristaltik erst 
im Dickdarm, und zwar meist jenseits des Typhlon eingesetzt hat. 

Auch für die Feststellung der „Proctostase“ dürfte in der Mehr¬ 
zahl der Fälle das Röntgenverfahren zu umgehen sein. Die Proctostase 
ist überhaupt keineswegs erst durch das Röntgenverfahren 
aufgedeckt worden, wenn auch das Interesse für diesen Typ in 
neuerer Zeit besonders durch die Röntgenbefunde von Hertz geweckt 
worden ist. Hertz hat die Proctostase mit dem von Barnes stammenden 
Namen der „Dyschezie“ bezeichnet, während H. Strauss diesen Zu¬ 
stand schon vor einer Reihe von Jahren unter dem Namen 
„proctogene Obstipation“ nicht nur in seinen klinischen, 
sondern auch ätiologischen Eigentümlichkeiten fast in der¬ 
selben Weise beschrieben hat, wie später Hertz. Speziell be¬ 
merkt Strauss über diese Form der Obstipation, dass sie bei einer 
nicht geringen Zahl der hier in Rede stehenden Fälle psychogen, 
d. d. durch systematische Ignorierung des Stuhldranges entstanden ist, 
und verlangt, dass da, wo infolge der Abstumpfung des sensiblen 
Apparates des Rectums der natürliche Drang fehlt, der Versuch ge¬ 
macht werden muss, die verloren gegangene Reizbarkeit des Rectums 
wiederherzustellen. H. Strauss wies seinerzeit schon darauf hin, dass 
man die proctogene Obstipation durch Digitaluntersuchung des Rectum 
aufdecken kann, und zwar bezeichnete er als charakteristisch den Befund 
mehrerer grösserer harter Kotknollen ohne gleichzeitige Anwesenheit des 
(prädefäkatorischen) Stuhldranges. H. Strauss hat auch schon einen 
prinzipiellen Unterschied gemacht zwischen den Fällen von Proctostase, 
die im wesentlichen auf Anästhesie des Rectums zurückzuführen sind, 
und solchen Fällen, bei welchen die Kotentleerung durch „Defäkations- 
schwache“, d. h. Schwäche des extraintestinalen Muskelapparates 
bedingt ist. 

Was schliesslich die Fälle von Typhlostase bzw. die Fälle vom 
Ascendenstyp betrifft, so haben unsere eigenen Beobachtungen häufig die 
Kongruenz mit einem fühlbaren, in seiner Konsistenz vermehrten, oft 
druckempfindlichen, Typhlon bzw* Golon ascendens kennen gelehrt, das 
meist einige Fingerbreit über dem Paupart’schen Band mit einer kuppen¬ 
förmigen Grenze endete und zuweilen feines Gurren zeigte. Dieser für 
die Diagnose wichtige palpatorische Befund kommt wohl daher, dass sich 
mit der Typhlostase nicht ganz selten entzündliche Prozesse 
am Typhlon in ähnlicher Weise verbinden, wie wir dies bei der Sigmo- 
stase zuweilen in der Form von sigmoiditisohen Prozessen beob¬ 
achten können. Die Fälle von Typhlostase zeichnen sich zuweilen auch 
dadurch aus, dass die Patienten gleichzeitig schon mehr oder weniger 
lange an Leibschmerzen — insbesondere an Schmerzen in der Regio 
typhlica — leiden. Sie machen einen nicht ganz geringen Prozentsatz 
der Fälle von „Obstipatio dolorosa“ aus, einem Zustande, der sich 
bei der Sigmostase zuweilen in bekannter Form mit einer Myxorrhöe 
(„Golitis muco-membranacea“) verbindet. Wenn wir die hier erwähnten 
Lokalbefunde zusammen mit einer verzögerten, insbesondere gleichzeitig 
auch fraktionierten, Karminentleerung antreffen, so gelangt die Ver- 
mutungsdiagnose oft schon auf das Niveau einer Wahrscheinlichkeits¬ 
diagnose, deren Richtigkeit dann in zahlreichen Fällen durch die Röntgen¬ 
untersuchung bestätigt wird. 

Die röntgenologischen Beobachtungen haben also auf dem 
vorliegenden Gebiet den Wert älterer Untersuchungsmethoden, 
d. h. einer zielbewussten abdominellen und rectalen Palpation, 
sowie einer systematischen Benutzung der Karminprobe nicht ver¬ 
drängt, sondern aufs neue in eine helle Beleuchtung gerückt. 
Ausserdem haben sie uns aber auch im Verein mit den klinischen 
Beobachtungen nicht unwichtige Fingerzeige zur Beurteilung eines 
schon früher angenommenen Zusammenhanges zwischen Koprostase 
und lokalisierten Entzündungsprozessen gegeben, indem sie in 
nicht geringem Grade zur Festigung der Auffassung beigetragen 
haben, dass .die Typhlostase nicht selten Veranlassung 
zur chronischen TyphUtis -gibt. So haben sie, wenn 
ns überhaupt noch nötig war., wertvolles Material auch 

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1012 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22. 


zur Rehabilitierung des alten Krankheitsbildes der 
Typhlitis stercoralis geliefert. Aber auch zur Feststellung 
einer Typhlatonie und Typhlostase haben die Röntgenstrahlen Fort¬ 
schritte insofern gezeitigt, als wir uns mit ihrer Hilfe oft ein 
klareres Urteil über Umfang, Lage, Grösse, Form und Beweglich¬ 
keit des Typhlon bilden können als mittels der Palpation. Was 
hier über die Typhlitis gesagt ist, darf in gleicher Weise auch auf 
die Procto-Sigmoiditis als Folge einer chronischen Procto- 
Sigmostase übertragen werden, welch letztere, wie H/Strauss 
an anderer Stelle auseinander gesetzt hat, in der Aetiologie 
der Proctitis und der Procto-Sigmoiditis eine grosse Rolle spielt. 
Da durch solche Leistungen das Röntgenverfahren nicht nur der 
Diagnostik, sondern auch der allgemeinen Pathologie wertvolle 
Dienste erwiesen hat, so darf deshalb das Röntgen verfahren trotz 
der hier ausgesprochenen Einschränkung des praktischen An¬ 
wendungsgebietes mit Recht denjenigen Methoden zugerechnet 
werden, welche in neuerer Zeit eine Vertiefung unseres Kennens und 
Könnens auf dem Gebiete der Darmkrankheiten ermöglicht haben. 

Denn auch für die Zwecke der praktischen Therapie sind 
die hier erörterten Untersuchungen nicht unwichtig. Einfache Ueber- 
legungen ergeben schon, dass bei dem proctosigmoidalen Typ die 
diätetischen Faktoren der Therapie nur wenig Aussicht auf Erfolg 
haben dürften, es sei denn auf mittelbarem Wege, indem eine 
weiche Beschaffenheit des Kotes auch io den vorliegenden Fällen 
die vom Darm zu leistende Arbeit erleichtert. Die therapeutisch 
wirksamen Faktoren sind hier, wie der eine von uns schon bei 
der Besprechung der proctogenen Obstipation auseinandergesetzt 
hat, mehr auf physikalischem Gebiete (lokale Evakuation mittels 
Klysmen, Herstellung der Reizempfindlicbkeit der unteren Darm¬ 
partien, Psychotherapie usw.) gelegen. Dagegen ergeben sich für 
die Fälle von Typhlostase doch gewisse Gesichtspunkte auch im 
Hinblick auf die Diätbehandlung. Es ist nämlich für diese Fälle 
der Gebrauch grosser Gelluiosemengen zu widerraten. Wenigstens 
hat der eine von uns wiederholt in solchen Fällen schwere Reiz¬ 
erscheinungen unter dem Einfluss eines lang dauernden Gebrauches 
einer cellulosereichen antiobstipativen Diät beobachtet. Deshalb 
kommen für die vorliegenden Fälle nur cellulosearme Zusammen¬ 
stellungen einer antiobstipativen Diät in Frage. Die vorliegenden 
Befunde können aber auch gewisse Fingerzeige für die Pharmako¬ 
therapie abgeben. Soweit die spasmodischen sigmoidalen Formen 
in Betracht kommen, sei hier nur auf Atropin und Belladonna 
und bezüglich der Ascendensformen auf die von Meyer-Betz und 
Gebhardt, sowie von Anderen ausgefübrten Untersuchungen 
über die topisch nicht gleichartigen Angriffspunkte der ver¬ 
schiedenartigen Laxantien (Senna usw.) verwiesen. 


Die Radiographie in der Diagnostik der 
Nephrolithiasis. *) 

Von 

Professor Carl Klieieherger. 

Die klinische Diagnose der Nierensteine ist besonders an das 
Auftreten von Koliken (Steineinklemmung) und Harnverände¬ 
rungen (Hämaturie, Pyurie) geknüpft. Schmerzen und Druck¬ 
empfindlichkeit der Nierengegend aber kommen ebenfalls bei 
anderen mit Koliken einhergehenden Unterleibserkrankungen, 
z. B. bei Cholelithiasis, Appendicitis, Gastralgie usw. vor, sie 
können sich in ähnlicher Weise auch bei Tuberkulose und Ge¬ 
schwulstbildung der Niere, beim Abgehen von Parasiten, Blut, 
Eiter, Echinococcusblasen durch den Ureter finden. Der Nephro¬ 
lithiasis ganz ähnliche Anfälle sind ferner bei Neuralgie der 
Niere, bei Tabes, in gewissen Lumbagofällen, bei Hydronepbrose, 
Abknickungen des Ureters (Wanderniere) beobachtet. Auch 
Tumoren oder Tuberkulose der Wirbelsäule, gewisse Nephritiden 
lösen mitunter Erscheinungen, die mit Nierensteinkolik ver¬ 
wechselt werden können, aus. Diese diagnostischen Schwierig¬ 
keiten der Nierensteindiagnostik sind durch die Einführung der 
Cystoskopie und durch die Anwendung der Radiographie ver¬ 
mindert worden. Immerhin muss man, was jene anlangt, berück¬ 
sichtigen, dass die Ureterencystoskopie nicht immer möglich ist 
bzw. gelingt. Ganz abgesehen davon, dass sie bei Hämaturie oder 
Pyurie, die nicht durch Nierensteine veranlasst sind, sowie bei 
doppelseitigen Affektionen differentialdiagnostisch weniger ins 

1) Nach einem Demonstrationsvortrag im Krankenhausabend des 
ärztlichen Bezirksvereins zu Zittau-am 3. April 1913, 


Gewicht fällt. Für die Diagnose der Nierensteine, wenn anders 
nicht durch den Steinabgang im Harn selbst in einfachster Weise 
die Frage gelöst wird, ist die Röntgenuntersuchung der Harnwege 
die bedeutsamere Methode geworden. Neuerdings werden sogar 
Misserfolge als Fehler der Technik angesehen. Mit Unrecht, da 
gewisse Nierensteine (Cystin und Xanthm) dem Röntgennachweis 
völlig, andere (Uratsteine) meist entgehen, und da auch die an 
sich darstellbaren Steine nicht regelmässig reproduziert werden. 
Dies kann man sich in einfacher Weise zur Kenntnis bringen, 
wenn man öfters Gelegenheit genommen hat, Steinnieren in situ 
und nach der Herausnahme zu photographieren und die Bilder 
zu vergleichen (zumal Aufnahmen mit verschieden weichen Röhren). 
Neben der Radiographie spielt die Radioskopie (Nogier) in der 
Nierensteindiagnostik keine besondere Rolle. 

Die Röntgenaufnahme vermag Steine aus phosphorsaurem, 
koblensaurem und oxalsaurem Kalk darzustellen. Unentbehrlich 
freilich ist eine exakte Aufnahmetecbnik. Grosse, das Nieren¬ 
becken ausfüllende Steine allerdings erscheinen auf jedem Radio¬ 
gramm. Kleine und dünne Becken- und Uretersteine aber lassen 
sich nur bei exakter Abblendung, Kompression, Anwendung 
weicher bis mittel weicher Röhren und Momentaufnahmen dar¬ 
stellen. In zweifelhaften Fällen ist der Prüfmesser der Aufnahme 
die deutliche Wiedergabe nicht nur der Muskelschatten (Psoas 
und Quadratus lumborum), sondern vor allem die Wiedergabe der 
Nieren (auch bei korpulenten Personen). Haben doch französische 
Radiologen nicht mit Unrecht die Radiographie in der Diagnostik 
der Nierenkrankheiten überhaupt eingeführt (Pasteau und 
Belot). Die Röntgendiagnostik der Nierensteine setzt unter allen 
Umständen wiederholte Aufnahmen nach gründlicher Darmreini¬ 
gung voraus. Ebenso wie negative Ergebnisse nicht beweisen, 
dass Nierensteine fehlen, darf andererseits aus dem scheinbaren 
Vorhandensein von Steinschatten, selbst wenn sie typisch gelagert 
sind (in den Nierenschatten, in den Ureterverlauf hineinfallen), 
nicht ohne weiteres die Diagnose gestellt werden, da mannigfache 
Täuschungsmöglicbkeiten in Betracht kommen. Als besonders 
wichtige Fehlerquellen sind Verkalkungen in den Schleim beuteln 
der Lumbalmuskeln, solche in den Lumbalmuskeln selbst, Ver¬ 
kalkungen in den Nieren (Tumoren, Tuberkulose, Verkalkungen 
in Gefässen), Verkalkungen von Lymphdrüsen, von knorpeligen Teilen 
der Rippen, Exostosen der Querfortsätze oder des Os ilei zu be¬ 
rücksichtigen. Zu Täuschungen können weiter Enterolithen 
(Appendix, Quercolon [die Täuschung kann dabei um so ver¬ 
hängnisvoller sein, weil derartige Schatten in die Nierenkontur 
hineinfallen]), Fremdkörper des Darms (Fruchtkerne, Wismut, 
Salol usw.) Veranlassung geben. Verkalkungen in der Gallen¬ 
blase liefern unscharfe Bilder, deren Genese durch Aufnahme in 
Bauchlage erkannt werden kann. Vor Täuschungen durch Ver¬ 
kalkungen in der Niere selbst (Tumoren, Atheromatose, Vasa defe- 
rentia) oder durch solche in extrarenalen Tumoren (Pankreas¬ 
kopf) wird man sich gelegentlich, selbst unter genauer Berück¬ 
sichtigung von Anamnese und klinischem Befund, nicht schützen 
können. Dass Plattenfehler, ganz abgesehen von Fehlern, die 
durch das photographische Verfahren hervorgerufen werden, zu 
Irrtümern Veranlassung geben, ist jedem Radiologen ebenso be¬ 
kannt wie die Tatsache, dass Steine bei schlechter Lagerung der 
Untersuchten (Atmung, Verschiebung) der Darstellung sich ent¬ 
ziehen. Abgesehen von solchen stets zu berücksichtigenden 
Fehlerquellen (wiederholte Aufnahme, eventuell bei verschiedener 
Lagerung, gründliche Darmentleerung, Momentaufnahme mit 
weicher Röhre) sind eine Reihe von Einzelbeobachtungen gemacht 
worden, in denen das Radiogramm zur falschen Diagnose geführt 
hatte (verkalkte Appendices epiploici, verkalkte Myome, Extra¬ 
uteringravidität, Nierennarben, Peritonealsteine, eingedickte 
Senkungsabscesse, Atheromatose, Reste von Jodipin usw.). 

Die Schwierigkeit der Deutung einfacher Radiogramme hat 
dazu geführt, Radiogramme nach Collargolfüllung oder nach 
Sauerstoffaufblasung zur differentiellen Diagnostik mitheran- 
zuziehen. Wenn anders aber die Ureterencystoskopie überhaupt 
gelingt, weder die Gasaufblähung (Cole [Embolie]), noch die 
Collargolfüllung (Voelcker [Sprengwirkungen, Koliken usw.]) ist 
ganz ungefährlich, von den Unannehmlichkeiten der Prozedur 
ganz abgesehen. Uebrigens kommen auch bei derartigen Füllungen 
Täuschungen vor; die Collargolfüllung z. B. misslingt öfters 
(Schramm), zeigt gelegentlich auch Aussparungen, die nicht 
durch Steine bedingt sind, so dass Nogier nur Schatten, die in 
den Anfangsteilen des Ureters liegen, mit Sicherheit als Stein¬ 
schatten ansprechen 1 möchte. Die Radiodiagnostik der Nieren¬ 
steine (Nierenschatten!) bietet vielleicht'>noeh weniger Täuschungs- 


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2. Juni 19lä. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


iois 


Möglichkeiten als die der Uretersteine. Von Phlebolithen, Psoas- 
Verkalkungen usw. lassen sich Uretersteine am sichersten 
unterscheiden, wenn ihre Verschieblichkeit nach Ureterencysto- 
skopie im Radiogramm dargetan wird. Voraussetzung dafür ist 
freilich, dass die Steine nicht eingekeilt sind. Wurde bei ent¬ 
sprechendem klinischen Verhalten auf Grund misslungener Stein¬ 
verschiebung durch den Ureterenkatheter Steineinkeilong ange¬ 
nommen, so können mitunter zwecklose operative Eingriffe 
vorgenommen werden, die in vivo übrigens manchmal nicht er¬ 
kennen lassen, was schattengebende Substanz war, und wo sie 
lag. Manchmal übrigens gelingt es auch ohne Uretersondierung, 
bei mehrfacher Aufnahme radiographisch die Steinwanderung 
festzustellen. Gelegentlich, besonders wenn man zeitlich aus¬ 
einanderliegende Aufnahmen nach verschiedenen Koliken macht, 
kann man bei Vergleich der verschiedenen Aufnahmen deutlieh 
erkennen, dass die Steine im Verlauf der Koliken gewandert sind 
(C. Klieneberger). Der radiographische Wanderungsnachweis 
von Nieren- und besonders von Uretersteinen, auf den ich kürz¬ 
lich an der Hand von Abbildungen bingewiesen habe, scheint 
mir untrüglich dafür zu sprechen, dass Nierensteine vorhanden 
sind, und genügt an sich vielleicht zur Fixierung der Diagnose. 
Im allgemeinen aber ist die Radiographie nur eine der klinischen 
Untersuchungsmethoden, die kritisch und skeptisch zusammen mit 
dem übrigen klinischen Material verwertet werden soll und die 
nicht gegen die Ergebnisse der klinischen Anamnese und des 
klinischen Untersuchungsbefundes ausgespielt werden darf. 


Aus dem physiolog. Institut der Universität Breslau. 

Kritische Untersuchungen über die Methoden 
der Viscosimetrie des Blutes.') 

Von 

M. Rothmann, Assistent am Institut. 

Unter den auch vom Kliniker geübten physikalischen Unter¬ 
suchungsmethoden des Blutes spielt die Viscosimetrie eine be¬ 
trächtliche Rolle; gestattet sie doch wichtige Schlüsse über die 
Beschaffenheit des Blutes im gesunden und kranken Zustande und 
gibt uns eine Vorstellung von der Arbeitsgrösse des Herzens, so¬ 
weit diese von dem Zustande des Blutes selbst abhängt. 

Eine grosse Zahl von Autoren hat sich mit der Viscosimetrie 
des Blutes beschäftigt, zahlreiche Apparate sind zu diesem Zwecke 
konstruiert und verwendet worden, und der Streit über die Güte 
resp. Richtigkeit der verschiedenen Viscosimeter ist auch augen¬ 
blicklich noch nicht zur Ruhe gekommen. 

Ich will hier nicht ausführlich auf die diesen Gegenstand 
behandelnde Literatur eingehen, da dies in einer demnächst er¬ 
scheinenden Publikation geschehen soll, sondern nur darauf hin- 
weisen, dass speziell Walter Hess in Zürich schon seit mehreren 
Jahren zahlreiche Versuche angestellt hat, deren Resultate den 
meinigen durchaus gleichsinnig sind. Insofern geben meine Ex¬ 
perimente qualitativ eine Bestätigung der Hessischen. Da sie 
jedoch quantitativ von ihnen beträchtlich abweichen, und da 
die von mir erdachte Methode eine eigenartige bisher noch nicht 
verwendete ist, glaube ich zur Veröffentlichung meiner Unter¬ 
suchungen wohl berechtigt zu sein. 

Alle bisher konstruierten Viscosimeter basieren auf dem 
Poiseuille’schen Gesetz, welches besagt, dass beim Strömen 
von Flüssigkeiten durch Capillaren die in der Zeiteinheit aus- 
fliessenden Volumina direkt proportional der treibenden Kraft und 
der 4. Potenz des Radius, umgekehrt proportional der Länge der 
benutzten Capillare sind; oder als Gleichung 

V = k.-^E-. (I) 

Später wurde dies von seinem Entdecker empirisch fest¬ 
gestellte Gesetz theoretisch abgeleitet; der dafür gefundene 
Ansdruck lautet: 


Hier ist an Stelle der Konstanten k deren reziproker Wert y 
getreten. Dieser wird als Viscositätskonstante oder als Koeffizient 
der inneren Reibung bezeichnet. Er ist nur abhängig von der 

1) Eine ausführliche Publikation meiner Untersuchungen unter 
Berücksichtigung der vorliegenden Literatur ist in Pflüger’s Archiv beab¬ 
sichtigt. 


Natur der betreffenden Flüssigkeit und von der Temperatur und 
besitzt, wenn letztere konstant ist, einen für jede Flüssigkeit 
charakteristischen Wert. 

Je grösser 7, desto geringer ist ceteris paribus die eine Ca¬ 
pillare in der Zeiteinheit passierende Flüssigkeitsmenge. Sind 
also die Dimensionen der benutzten Capillare, sowie die treibende 
Druckkraft bekannt und wird das ausfliessende Volumen gemessen, 
dann bietet Poiseuille’s Formel ein einfaches Mittel, die Vis¬ 
cositätskonstante der betreffenden Flüssigkeit zu bestimmen. Von 
den meisten Autoren wird diese Grösse nicht im absoluten Maass 
angegeben, sondern nur relativ, verglichen mit der Viscositäts¬ 
konstante des destillierten Wassers bei derselben Temperatur. 

Es fragt sich nun, ob das Poiseuille’sche Gesetz, dessen 
Gültigkeit zunächst nur für echte Flüssigkeiten erwiesen 
worden ist, auch für Suspensionen, wie das Blut Geltung be¬ 
hält. Um dieser Frage zunächst theoretisch näher zu treten, ist es 
erforderlich, sich zu vergegenwärtigen, wie die feineren Vorgänge 
bei der Strömung von echten Flüssigkeiten in Capillarröhren sich 
gestalten. 

Die theoretische Physik, die zur Aufstellung der Formel II 
geführt hat, nimmt an, dass bei der Strömung durch Ca¬ 
pillaren die Flüssigkeit sich nicht als Ganzes, in Form eines 
massiven Flüssigkeitscylinders, vorwärts schiebt, sondern, dass die 
in der Röhrenachse befindlichen Teilchen die grösste Geschwindig¬ 
keit haben, und dass die übrigen sich parallel der Achse mit 
nach der Capillarwand hin stetig abnehmender Geschwindig¬ 
keit fortbewegten; oder bildlich ausgedrückt: Flüssigkeitshohl- 
cylinder von unendlich kleiner Stärke der Wandung gleiten in¬ 
einander und verschieben sieb wie die einzelnen Rohre eines aus¬ 
ziehbaren Taschenfernrohrs. Es ist nun ohne weiteres klar, dass 
ein StrömungsVorgang der gedachten Art unmöglich ist, sobald 
in der homogenen Flüssigkeit Teilchen von messbarer Grösse sich 
in Suspension befinden. Alsdann ist die Geschwindigkeitsabnahme 
von der Achse nach der Wandung der Capillaren hin keine stetige, 
sondern eine sprunghafte. Tritt aber gar der Grenzfall ein, wie er 
im Capillarsystem des Tierkörpers verwirklicht ist, dass der Durch¬ 
messer der suspendierten Körperchen ebensogross wird, wie der 
der Capillare, dann muss die Flüssigkeit sich in Form eines 
massiven Cylinders durch die Capillare bewegen, und ihre Ge¬ 
schwindigkeit ist in allen Punkten eines Querschnitts dieselbe. 

Aus diesen Ueberlegungen, die übrigens bereits im Jahre 
1887, also lange vor der Konstruktion der heute gebräuchlichen 
Viscosimeter von J. v. Kries 1 ) angestellt worden sind, folgt mit 
absoluter Sicherheit, dass das Poiseuille’sche Gesetz für das 
Blut keine Geltung hat, dass also alle auf ihm basierenden Me¬ 
thoden der Viscosimetrie prinzipiell unrichtig sind. Vielmehr 
ist zu erwarten, dass die innere Reibung des Blutes eine kompli¬ 
zierte Funktion des treibenden Druckes, des Quotienten aus 
Körperchengrösse und Capillardurchmesser und der relativen Zahl 
der Körperchen sein wird. 

Die Abhängigkeit der Blutviskosität von dem letzteren Faktor 
ist von Walter Hess 8 ) geprüft worden. Er fand, dass wenn man 
steigende Volumina von Blutkörperchen dem Serum zusetzt, die 
Viscosität dieser Suspensionen annähernd eine hyperbolische 
Funktion ihres Volumgehaltes an Körperchen ist. 

Auch den Einfluss des treibenden Druckes auf die Viscosität 
des Blutes hat Hess zum Gegenstand zahlreicher Unter¬ 
suchungen gemacht. Dagegen ist der dritte Faktor, der Quotient 

KörperchcDgi-ö^e von ihm experimentell nicht geprüft worden. 
Capillardurchmesser r 0 r 

Meine eigenen Versuche haben spezielll den Einfluss dieses 
Quotienten und den des treibenden Druckes auf die Blutviscosität 
geprüft. Um den ersteren Zweck zu erreichen, wäre es er¬ 
forderlich gewesen, diesen Quotienten möglichst zu variieren und 
vor allem auch den Grenzfall zu untersuchen, bei welchem er 
gleich 1 wird, d. h. Körperchen und Capillare denselben Durch¬ 
messer besitzen. Leider war es technisch nicht möglich, dieses 
Postulat zu erfüllen, da die engsten mir zur Verfügung stehenden 
Capillaren immer noch einen Durchmesser von 60 p, die 
grössten Körperchen, nämlich die Erythrocyten des Frosches, 
nur einen solchen von ca. 22 p besassen. Aber auch die engsten 
vorhandenen Capillaren konnten keine Verwendung finden, da, 
falls die durchströmenden Mengen messbar sein sollen, der Ver- 

1) J. v. Kries, Ueber das Verhältnis der maximalen zu der mittleren 
Geschwindigkeit beim Strömen von Flüssigkeiten in Röhren. Festschrift 
für G. Ludwig zu seinem 70. Geburtstage. Leipzig 1887. 

2) Walter Hess, Blutviscosität und Blutkörperchen. Pflügers 
Archiv, 1911, Bd. 140, S. 854. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22. 


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such sehr lange (bis zu 1 Stunde) ausgedehnt werden muss, wo¬ 
bei Sedimentierung der Blutkörperchen eintritt, und die sehr enge 
Capillare verstopft wird. 

Ich habe mich daher darauf beschränkt, zwei Capillaren, 
deren Durchmesser 460 resp. 100 n betrug, für meine Versuche 
zu verwenden. 

Um den Einfluss des Druckes festzustellen, stand der auch 
von Hess betretene Weg offen, ein und dieselbe Capillare bei 
verschiedenen Drucken zu durchströmen, die ausfliessenden 
Volumina zu messen und zu untersuchen, ob sie den angewandten 
Drucken proportional seien oder nicht. Diese anfangs auch von 
mir benutzte Methode ergab mir keine einwandfreien Resultate 
und zwar deshalb, weil bei dem von mir untersuchten Druck¬ 
bereich 0—100 cm H 2 0 = 0—73,5 mm Hg speziell bei Durch 
Strömung der engeren Capillare die eben erwähnte Sedimentierung 
der Blutkörperchen eintrat und grobe Versuchsfehler bewirkte. 
Für Hess, der viel höhere Drucke (ca. 25—650 mm Hg) zur 
Anwendung brachte, kam diese Schwierigkeit weniger in Betracht. 

Ausserdem hat die aufgeführte Methode den Nachteil, dass 
die Gösse des Viscositätskoeffizienten immer nur in Druckinter- 
vallen bestimmt wird, und dass, um die Abhängigkeit des 
Koeffizienten vom Drucke darstellen zu können, immer eine grosse 
Reihe von Versuchen mit demselben Blut und derselben Capillare 
bei verschiedenen Drucken angestellt werden muss. 

Alle diese Schwierigkeiten lassen sich mit einer neuen 
Methode vermeiden, die gleichzeitig gestattet, die Aenderung der 
Viscosität bei kontinuierlich sich änderndem Drucke zu 
registrieren. 

Den dazu nötigen Apparat zeigt im Schema Figur 1. 

Figur 1. 

VI T .J-' ■- - -fs rzy 

oc. <v. 

R = Reservoir, K = Kappiliare, V = Volumeter. 

An die als Reservoir dienende Röhre R ist die Capillare K 
mittels Gummischlauches angeschlossen, so dass Glas an Glas 
stösst; letztere ist an ihrem anderen Ende in der gleichen Weise 
mit der als Volumeter dienenden Röhre V verbunden. Diese ist 
sehr sorgfältig ausgesucht, ihr Lumen ist genau cylindrisch, 
so dass das Volumen in ihr befindlicher Flüssigkeitssäulen deren 
Länge proportional ist. Der ganze Apparat ist horizontal 
gelagert. 

Wird nun eine echte Flüssigkeit, z. B. Wasser, in das 
Reservoir R gefüllt und dieses mit einem Druckbehälter — einer 
komprimierte Luft enthaltenden Flasche — verbunden, so passiert 
die Flüssigkeit die Capillare und gelangt in das Volumeter V. 
Hier wird der sich bildende Flüssigkeitsmeniscus, solange der 
treibende Druck konstant bleibt, sich mit gleichförmiger 
Geschwindigkeit vorwärtsschieben. Wird er auf einem gleich¬ 
förmig bewegten photographischen Film abgebildet, so erhält man, 
wie ohne weiteres einleuchtet, eine schräg ansteigende ge¬ 
rade Linie. 

Eine ganz andere Kurve ergibt sich jedoch, wenn während 
des Strömungsvorganges der treibende Druck nicht konstant 
bleibt, sondern kontinuierlich verschiedene Werte annimmt. 
Mittels einer besonderen Vorrichtung habe ich nun in meinen Ver¬ 
suchen erreicht, dass der Druck stetig proportional der Zeit 
von 0—100 cm H 2 0 anstieg. Dabei bewegte sich der Meniscus 
im Volumeter V mit immer steigender Geschwindigkeit. 

Wie eine einfache Differentialgleichung zeigt 1 ) muss bei 


1) Bezeichnet man das in einem unendlich kleinen Zeitteilchen d x 
auströmende Flüssigkeitsvolumen mit dy, dann ist der Differential- 
dy 

quotient gleich der in diesem Moment bestehenden mittleren Ge¬ 
schwindigkeit. Diese ist nach dem Poiseuille’schen Gesetze ceteris 
paribus proportional dem in jenem Moment einwirkenden Drucke; also: 
dy 

j • = a. p. Bei der gewählten Versuchsanordnung ist aber der Druck p 

jeweils proportional der Zeit (vgl. oben), d. h. p = b • x. Aus diesen 

dy 

beiden Gleichungen folgt unmittelbar die dritte: = c • x, oder inte- 

c 

griert y = ^ * 2 + fl* Für x = 0 wird y = 0, mithin auch die Inte¬ 
grationskonstante d = 0. Also y = ir x 2 , d. h. die gezeichnete Kurve 

* 

ist eine Parabel. 


einem derartigen Druckverlauf bei allen Flüssigkeiten, die dem 
Poiseuille’schen Gesetze folgen, das auf dem Film entstehende 
Bewegungsbild des Meniscus eine Parabel sein. 

Versuche mit einer Glycerinwassermischung, deren Viscosität 
annähernd gleich der des defibrinierten Hundeblutes war, ergaben 
bis auf Fehler von ca. 2 pCt. genau dieses Resultat. 

Ich habe dann zahlreiche Versuche mit Hunde- und Frosch¬ 
blut, deren Körperchen sehr verschiedene Grösse besitzen, und 
den erwähnten beiden Capillaren angestellt. 

Dabei zeigte sich, das bei Verwendung der weiteren Capillare 
und Froschblut die entstandene Kurve nahezu eine Parabel dar¬ 
stellte. Dasselbe Bild ergab sich, wenn Hundeblut mit seinem 
eigenen Serum soweit (etwa 10 mal) verdünnt wurde, dass es un¬ 
gefähr die gleiche Zahl an Blutkörperchen enthielt wie das 
Froschblut. Figur 2 zeigt eine solche Kurve. Sie ist bei Durch¬ 
strömung der weiten Capillare mit hirudinisiertem Froschblut ge¬ 
wonnen. An ihrem Fusse ist ausserdem eine Zeitmarkierung und 
Druckmarkierung in Abständen von je 20 cm Wasser zu sehen. 


Figur 2. 



Hirudinisiertes Froschblut. Capillardurcbmesser 0,46 mm, Druck kon¬ 
tinuierlich von 0—100 cm H a 0 ansteigend. 


Wurde dagegen un ve-rdünntes Hundeblut benutzt, dann wich 
die registrierte Kurve in ihrem Verlaufe wesentlich von einer 
Parabel ab. Die bei der Ausmessung dieser Kurven enthaltenen 
Resultate zeigten, dass die Viscosität bei niederen Drucken 
verhältnismässig hoch war und mit zunehmendem Drucke 
mehr und mehr abnahm. So betrug die bei einem Druck von 
10 cm H 2 0 vorhandene Viscosität etwa 40 pCt. mehr als die bei 
100 cm H 2 0 bestehende. 

Wurde die engere Capillare benutzt, d. h. näherte sich der 

Quotient ^rpercheDgrösse ^ er 2 a hl j dann wur d en die Diffe- 
Capillardurchmesser 1 

renzen noch beträchtlicher. Es traten Abweichungen bis zu 
100 pCt. auf, und zwar schon bei dem an Körperchen ver¬ 
hältnismässig armen Froschblute. 

Auch Hess bat bei seinen eingangs erwähnten Versuchen 
über die Beziehung zwischen treibendem Druck und Viscosität 
des Blutes den meinigen durchaus gleichsinnige Resultate erhalten, 
wenngleich die von ihm gefundenen Abweichungen vom Poiseuille- 
schen Gesetze sich in nur engen Grenzen bewegen und für hiru¬ 
dinisiertes Kaninchenblut den Wert von etwa 8 pCt. nicht über¬ 
steigen. Dies liegt meines Erachtens daran, dass Hess viel 
höhere Drucke zur Anwendung brachte, bei denen die Ab¬ 
weichungen, wie ich ebenfalls feststellen konnte, viel geringer 
sind, dann aber auch daran, dass er weitere Capillaren benntzte. 

Diese Untersuchungen bestätigen die eingangs angestellten 
theoretischen Erwägungen und beweisen, dass das Poiseuille- 
sche Gesetz für das Blut keine Geltung hat 

Zurzeit erscheint es jedoch nicht möglich, die komplizierten 
Beziehungen, die zwischen der inneren Reibung des Blutes einer¬ 
seits und den drei erwähnten Faktoren, Druck, Quotient aus 
Körperchengrösse und Capillardurchmesser und relativer Körper¬ 
chenzahl andererseits bestehen, in einer mathematischen Formel 
auszudrücken. Wenn man daher auf die Messung der Viscosität 
des Blutes nicht verzichten will, ist es erforderlich, nm die von 
verschiedenen Autoren gewonnenen Resultate vergleichen zu können, 
sich über die Grösse sowohl des treibenden Druckes, als auch 
des Durchmessers der gewählten Capillare zu einigen. 

Was den ersteren betrifft, würde ich in Uebereinstimmung 


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2. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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mit den Ausführungen von Hess vorschlagen, ihn nicht zu klein 
za wählen, damit auch bei Blutsorten mit relativ zahlreichen 
Körperchen, d. h. hoher Viscosität, derjenige Drackbereich znr 
Anwendung gelangt, innerhalb dessen eine wenigstens annähernde 
Proportionalität zwischen Druck and Stromvolumen besteht. 
100 mm Hg dürften hierzu ausreicben. 

Für die Grösse des zu wählenden Capillardurchmessers würde 
ich etwa 0,5 mm vorschlagen. Eine noch weitere Capillare wäre 
unzweckmä88ig, weil man dann, um in den für das Poiseuille’sche 
Gesetz zulässigen allgemeinen Grenzen 1 ) der Geschwindigkeit zu 
bleiben, die Capillarlänge gar zu gross wählen müsste. Bei 
einem Durchmesser von 0,5 mm genügt eine Länge von 20 cm. 

Ich fasse die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchungen 
folgendermaassen zusammen: 

1 . Das Blut als Suspensionsflüssigkeit gehorcht 
nicht dem Poiseuille’schen Gesetze. Seine innere Rei¬ 
bung ist vielmehr eine komplizierte Funktion des 
treibenden Druckes, des Quotienten aus Körperchen¬ 
grösse und Capillardurchmes8er und der relativen 
Zahl der Körperchen. 

2 . Alle auf dem Poiseuille’schen Gesetze basieren¬ 
den Methoden der Blutviscosimetrie, die diese Tat¬ 
sachen nicht berücksichtigen, geben daher keine ver¬ 
gleichbaren Resultate. 

8 . Da es zurzeit nicht möglich ist, die Beziehungen 
der Blutviscosität zu den genannten Faktoren exakt zu 
formulieren, erscheint es im Interesse der Vergleich¬ 
barkeit der von verschiedenen Autoren gewonnenen 
Resultate geboten, sich über die Dimensionen der Ca¬ 
pillare und über die Höhe des treibenden Druckes zu 
einigen. 


Zur Theorie des Bronchialasthma. 2 ) 

Von 

Dr. A. Ephraim-Breslau. 

Während früher die Theorie des Bronchialasthma sich vor¬ 
wiegend mit dem Mechanismus des asthmatischen Anfalls be¬ 
schäftigte, ist neuerdings mehr das Interesse an der Natur des 
ganzen Krankheitskomplexes, besonders der Asthmadisposition, io 
den Vordergrund getreten. Und zwar lässt eine Durchsicht der 
neueren Literatur — wenn man von einigen Autoren absieht, die 
zwar nicht an Bedeutung, aber an Zahl gering sind — eine 
völlige Uebereinstimmung in der Auffassung des Bronchialasthma 
als einer Organneurose erkennen, wobei man die neuerdings auf¬ 
gestellte Hypothese einer primären Erkrankung der peripheren 
Organnerven ausser acht zu lassen, vielmehr eine solche des Atem- 
ceotrum8 anzunehmen pflegt. 

So schwer es auch erscheinen mag, gegen eine so allgemein 
acceptierte Anschauung Stellung zu nehmen, so wird ein solcher 
Schritt doch vielleicht im Hinblick auf die Begründung, die sie 
zu erfahren pflegt, erleichtert. So gut wie regelmässig pflegt 
man den Versuch einer positiven Beweisführung zu unterlassen 
und sich auf den negativen Hinweis zu beschränken, dass nur 
durch die Annahme einer Neurose das Wesen des Bronchialasthma 
verständlich wird. 

Daher dürfen wir uns zunächst fragen, ob die Auffassung 
einer Krankheit als Neurose in der Tat ihr Verständnis erleichtern, 
ob sie überhaupt eine Erklärung, einen Fortschritt in unserer 
Erkenntnis bedeuten kann. Unbekannte Erscheinungen auf be¬ 
kannte zorückführen, das ist ungefähr dasjenige, was unsere Er¬ 
kenntnis verbessert. Aber mir will scheinen, als ob wir hier 
gerade den umgekehrten Weg gehen. Denn vom Asthma ist uns 
doch wenigstens die Erscheinungsweise bekannt (um Missverständ¬ 
nissen vorzubedgen, bemerke ich, dass ich nur vom Bronchial- 


1) Eine lineare, der Achse der Capillare parallele Strömung der 
Vlüssigkeitssohichten, wie sie die theoretisch-physikalische Ableitung des 
Poiseuille’s.chen Gesetzes verlangt, findet nur statt, solange die mittlere 

Geschwindigkeit kleiner ist als w — 26 . cm/Sekunden (wobei — = 1 

s. d s 

ist für Wasser von 10° C); y ist die Viscositätskonstante, s die Dichte 
der Flüssigkeit und d der Durchmesser der Capillare. Vgl. hierzu be¬ 
sonders Grüneiken, Wlssenschaftl. Abhandl. d. physikalisch-technischen 
Reichsanstalt, 1905, Bd. 4, H 2^ S. 151. 

2) Vortrag, gehalten im Verein deutscher Laryngologen zu Stuttgart. 


asthma, dem durch kürzere oder längere Zustände von Dyspnöe, 
verlängertem Exspirium, katarrhalische Geräusche und eigen¬ 
artiges Sputum charakterisierten Zustande spreche). Aber von 
dem, was wir Neurose nennen, wissen wir gar nichts, weder von 
seinem Wesen, noch von seiner Erscheinungsweise. Dass die 
klassische Definition der Neurose als funktionelle Nervenerkrankung 
ein Unding ist, kann ja keinem Zweifel unterliegen, da wir eine 
körperliche Erkrankung nur als mechanisch (grob- oder molekular- 
mechanisch) bedingt anerkennen können. Und auch das neuer¬ 
dings öfter gemachte Zugeständnis, dass die Organneurose eben 
eine materielle Nervenaffektion unbekannter Natur sei, könnte 
uns nur dann einen Schritt vorwärts bringen, wenn wir wenigstens 
Kriterien für ihr Vorhandensein hätten. In der Tat ist dies nicht 
der Fall. Wir können an dem krankhaften Ablauf einer Er¬ 
scheinung nicht erkennen, ob er durch eine primäre Erkrabkung 
der mitwirkenden nervösen Elemente oder durch eine primäre 
Erkrankung des Angriffs- oder Erfolgsorgans bedingt ist, sondern 
die erstere nur unter Umständen auf Grund begleitender ander¬ 
weitiger krankhafter Erscheinungen seitens des Nervensystems 
vermuten. Dann aber haben wir es mit einer allgemeineren Er¬ 
krankung des Nervensystems zu tun und keinen Anlass, eine 
Organneurose anzunehmen. 

So entbehrt der Begriff der Organneurose völlig eines vor¬ 
stellbaren Inhalts; er ist vielmehr nur eine leere und vor allem 
gänzlich unfruchtbare Konstruktion, die uns auch auf therapeu¬ 
tischem Gebiete völlig lahmlegt. Denn wie sollen wir einer Er¬ 
krankung beikommen können, die ihrer Lokalisation wie ihres 
rätselhaften Wesens wegen ganz unnahbar ist? Und die Nicht¬ 
berechtigung des Begriffs der Organneorose wird ja am besten 
durch die grosse und immer wachsende Reihe der Erkrankungen 
bewiesen, die früher als nervös galten, bis die fortschreitende 
diagnostische, histologische, serologische und chemische Technik 
materielle Organerkrankungen morphologischer oder chemischer 
Natur als ihre Grundlage feststellte. 

Auch das Bronchialasthma aus der noch Testierenden kleinen 
Schar der Neurosen herauszuheben, haben wir deswegen be¬ 
sonderen Anlass, weil hier die Annahme einer primären Nerven¬ 
erkrankung sich offenbar mehr auf. eine präjudiziell bedingte 
Intuition als auf die genauere Analyse der Erscheinungen 
gründet. 

Unter diesen findet man, wo überhaupt nach Beweisen für 
die nervöse Natur des Bronchialasthma gesucht wird, zunächst 
das anfallsweise Auftreten der Krankheit angeführt. Aber 
was wird dadurch zugunsten einer primären Neurose bewiesen? 
Der Cysticercus des Gehirns ruft nur anfallsweise Krämpfe, der 
Tumor des Gehirns nur anfallsweise Erbrechen, der Tumor, der 
einen Nerven drückt, nur anfallsweise Neuralgie, das Aorten¬ 
aneurysma und die geschwellten Broncbialdrüsen nur anfallsweise 
heftigen Husten und Atembeschwerden, die Arteriosklerose nur 
anfallsweise Angina pectoris, der Lungenspitzenkatarrh nur anfalls¬ 
weise Husten, die Stirnhöhlen- und Mittelohrentzündung nur 
anfallsweise Schmerzen hervor usw. Und wir werden sehen, dass 
wir beim Bronchialasthma das anfallsweise Auftreten viel häufiger 
verstehen können, als bei allen diesen grob materiellen Erkran¬ 
kungen. 

Als ein zweites Argument findet man die Plötzlichkeit 
der Anfälle angegeben. In Wirklichkeit ist aber von einer 
solchen Plötzlichkeit, wie wir sie bei rein nervösen Vorgängen, 
beim Erblassen, Erröten, bei Krämpfen, Ohnmächten finden, nicht 
die Rede. Das sogenannte essentielle Asthma, das ganz plötzlich 
ohne Prodrome und ohne katarrhalische Nachläufer auftreten soll, 
wird ja nach den übereinstimmenden Angaben überhaupt nicht 
beobachtet; dagegen ist allgemein bekannt, dass die Anfälle sich 
nach Art einer Kolik allmählich vorzubereiten und allmählich 
abzuklingen pflegen. Mir scheint diese Verlaufsweise weit eher 
gegen die rein nervöse Natur des Prozesses als für sie zu sprechen. 
Aber selbst wenn es umgekehrt wäre, so wäre damit durchaus 
nicht erwiesen, dass es sich nm eine Neurose, eine primäre 
Nervenerkrankung, und nicht vielmehr um eine sekundäre, vom 
erkrankten Organ ausgehende Erregung des Nervensystems handelt. 

Als das Kennzeichen einer nervösen Erkrankung finde ich 
ferner das relativ gute Aussehen der Kranken angegeben; 
aber abgesehen davon, dass dies nicht immer zutrifft, könnte 
daraus wohl nur auf das Fehlen einer destruktiven Organ¬ 
erkrankung, nicht aber einer Organerkrankung überhaupt ge¬ 
schlossen werden. 

-Schliesslich wird bisweilen noch immer das Argument an¬ 
geführt, dass die Asthmatiker auch sonstige Zeichen nervöser 

4* 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22. 


Erkrankung zeigen, eine Ansicht, die nach meinen Erfahrungen 
nicht auf Grund statistischer Feststellung, sondern nur unter dem 
Druck der Neurosetheorie zustande gekommen sein kann, aber 
durch die übereinstimmenden Angaben der maassgebendsten 
Kliniker widerlegt ist. Sie alle finden nur bei einer Minderzahl 
der Asthmatiker derartige Erscheinungen; und diese müssen wohl 
zum grössten Teil als Folgezustände der quälenden Krankheit be> 
trachtet werden. In der Tat wird ja auch das Asthma kaum 
jemals als das Symptom einer allgemeinen Neurasthenie, sondern 
eben als eine spezielle, isolierte Erkrankung des Atemcentrums 
angesehen. 

Sehen wir so, dass die Argumente, die für die neurotische 
Natur des Bronchialasthma angegeben werden, bei näherer Be¬ 
trachtung nicht Stich halten, so gibt es eine Reihe anderer 
Momente, die schon von vornherein gegen eine solche Auffassung 
sprechen. 

Zunächst ist es überhaupt schwer, sich eine isolierte Er¬ 
krankung des Atemcentrums vorzustellen, da es ein einheitliches 
Atemcentrum im Flourens’schen Sinne ja nicht gibt. Es ist ja 
durch die Forschungen der letzten Dezennien als feststehend zu 
betrachten, dass das Atemcentrum nichts anderes ist als eine 
grosse Zahl von einzelnen Muskelcentren, die voneinander weit 
getrennt sich von der Medulla oblongata bis ins Dorsalmark er¬ 
strecken and nicht anatomisch, sondern nur synergiscb zusammen¬ 
gehören. 

Ferner, wenn das Asthma die Folge der Erregung des Atem- 
centrnms ist, so müsste es möglich sein, durch seine Reizung 
oder durch die seiner Leitungsbahnen seine Erscheinungen hervor¬ 
zurufen. Das ist durchaus nicht der Fall. Man kann zwar im 
Tierexperiment durch Reizung des Vagus oder Trigeminus eine 
Kontraktion der kleinen Bronchien erzeugen: aber abgesehen 
davon, dass diese viel zu gering ist, um klinisch in Betracht zu 
kommen, fehlen alle charakteristischen Zeichen des Asthmas, die 
Geräusche, die Atmungsform, das Sekret usw.; Erscheinungen, 
die übrigens ebensowenig dann eintreten, wenn man durch 
Muscarin oder anaphylaktische Vergiftuog einen ganz hochgradigen 
Bronchospasmus hervorruft. Auch beim Menschen ist es noch 
niemals möglich gewesen, durch Erregung der Nerven oder des 
Atemcentrums Asthma zu erzeugen. Wir können die Erregung 
des letzteren in der denkbar excessivsten Weise gesteigert sehen, 
wie bei der Strychninvergiftung — und auch hier tritt zwar 
Dyspnöe eventuell bis zur Erstickung ein, aber nichts, was mit 
dem Bronchialasthma auch nur die geringste Aehnlichkeit hätte. 
Wenn also bei diesen verschiedenartigen Reizungen der Atmungs¬ 
nerven kein Asthma eintritt, wie sollen wir dieses dann lediglich 
auf eine solche Reizung zurückführen dürfen? 

Sie werden nun vielleicht im Hinblick auf das nasale Reflex¬ 
asthma ein wenden, dass es aber doch bisweilen möglich sei, 
Asthma durch Nervenreizung zu erzeugen. Aber zugegeben, dass 
dem wirklich so ist, so trifft dieser Hinweis das eben Gesagte 
nicht. Es ist meines Wissens nie genügend darauf hingewiesen 
worden, dass das nasale Reflexasthma sich von allen anderen 
Schleimhautreflexen in einem wesentlichen Punkte unterscheidet. 
Wir können durch Reizung der respiratorischen Schleimhaut oder 
auf andere Weise Niesen, Rötung der Gonjunctiva, Tränen, Husten 
usw. auch bei solchen Menschen hervorrufen, die sonst nicht an 
diesen Erscheinungen leiden, überhaupt durch einen hierfür ge¬ 
eigneten Reiz bei jedem Gesunden; das nasale Asthma, wenn 
überhaupt, aber nur bei Asthmatikern, d. h. nur dann, wenn vor 
der Reizung schon eine Krankheit, die Asthmadisposition, be¬ 
standen bat. Dass diese Disposition aber eben nicht im Nerven¬ 
system, sondern ausserhalb desselben liegen muss, ergibt sich ja 
daraus, dass auch seine maximale Reizung beim Gesunden kein 
Asthma hervorbringt, wie dies ohne weiteres bezüglich des Niesens, 
Tränens, Hustens usw. der Fall ist. Mit alledem soll ja die Mit¬ 
wirkung des Nervensystems beim Zustandekommen des asthma¬ 
tischen Anfalls nicht bestritten, sondern nur dargelegt werden, 
dass wir die Asthmadisposition, d. b. dasjenige, was den Asthma¬ 
tiker von allen anderen, auch den Neurasthenikern, Hysterikern 
und dergleichen Menschen unterscheidet, die Asthmafähigkeit, 
nicht in der krankhaften Beschaffenheit des Nervensystems und 
überhaupt nicht in diesem, sondern in einer anderweitigen mate¬ 
riellen organischen Erkrankung zu suchen haben. 

Hierfür spricht auch eine ganze Reihe anderer Tatsachen: 
das typische Auftreten der Anfälle im Schlaf, in welchem 
psychische und nervöse Reize zum mindesten stark vermindert 
sind, dagegen [eine^Hyperämie im Bereiche der Lungen auftritt, 
die so häufige Einleitung der ganzen Krankheit und der 


einzelnen Anfälle durch katarrhalische Prozesse, der 
regelmässig günstige Einfluss von Salpeter und Jodkali, 
von Substanzen also, die nicht im mindesten auf das Nerven¬ 
system wirken, das zähe zellreiche Sputum, da9 durchaus 
nicht einer nervösen Sekretion entspricht, die Sekretions- 
befunde, die regelmässig schwere organische Veränderungen in 
den Bronchien ergeben, das Auftreten von Fieber in ziemlich 
häufigen Fällen, das circumscripte Auftreten von Asthma 
in einzelnen Lungenabschnitten usw. 

Wenn trotz aller dieser bekannten Tatsachen sich so viele 
sträuben, das Wesen der Krankheit in einer materiellen Erkran¬ 
kung der Bronchialschleimhaut zu sehen, an welcher sich die 
Krankheitserscheinungen abspielen, so kann dies lediglich daran 
liegen, dass manchmal hier eine Kontinuität der krankhaften Er¬ 
scheinungen fehlt, die wir bei organischen Erkrankungen meist, 
wenn auch nicht immer zu sehen pflegen. Allerdings fehlt diese 
Kontinuität beim Asthma eben nur manchmal; und wo sie vor¬ 
handen ist, wie beim Vorhandensein von starker chronischer 
Bronchitis, dann hat auch eigentlich niemand den Eindruck einer 
Neurose. Aber wo, wie dies bei einem Teil der Fälle vorkommt, 
sich Intervalle finden, in denen weder subjektive noch objektive 
Erscheinungen vorhanden sind, da scheint uns zwar nicht das 
geistige Band, das vou Sänger in der Asthmatheorie vermisst 
wird — denn solche Bänder haben wir im Ueberfluss —, sondern 
vielmehr das körperliche Band zu fehlen, das von dem 
einen Anfall zum anderen führt. 

Nun habe ich neuerdings eine Beobachtung gemacht, welche 
in dieser Beziehung von Bedeutung zu sein scheint. Es war mir 
schon früher anfgefallen, dass, wenn ich einem Asthmatiker im 
absolut freien Intervalle eine endobronchiale Einstäubung von 
Adrenalin machte, die Reaktion eine andere war als beim Ge¬ 
sunden. Während nämlich bei letzterem eine solche nicht ein¬ 
trat, war der Eingriff beim Asthmatiker von der Expektoration 
eines meist nur mässig reichlichen, grauen, zähen Sputums ge¬ 
folgt, das vorher gänzlich gefehlt hatte. Erst neuerdings habe 
ich systematisch auf diesen Punkt geachtet und bei der Unter¬ 
suchung dieses Sputums einen Befund erhoben, wie er sonst wohl 
nie beobachtet wird. Es zeigte sich nämlich, und zwar in allen 
derartigen Fällen übereinstimmend, aus grauen, in dünnem Schleim 
suspendierten kleinen fadenförmigen Pfröpfen bestehend, die sich 
fast ausschliesslich aus cylinderförmigen flimmernden 
Bronchialepithelien zusammensetzten. Obwohl die Massen 
zur Präparation stark angestrichen sind, so sehen Sie doch, wie 
diese Zellen haufenförmig zusammenliegen; und ich brauche kaum 
darauf hinzuweisen, dass ihre ganze Anordnung sowie das Fehlen 
von roten und das ganz spärliche Vorhandensein von weissen 
Blutkörperchen sowohl einen traumatischen sowie einen entzünd¬ 
lichen Prozess ausschliesst. Auch zeigt die Färbung mit kern¬ 
färbenden Mitteln, dass diese Epithelzellen den Farbstoff nicht so 
annehmen wie normale Zellen, dass sie nekrotisch sind. Kurz: 
wir haben hier Pfröpfe vor uns, die aus desquamierten Bronchial¬ 
epithelien bestehen, und die unter dem Einfluss der endobron- 
chialen Maassnahme zur Ausstossung gekommen sind. Diese 
Beobachtung stimmt völlig überein mit der Beschaffenheit des 
Sputums im bzw. nach dem asthmatischen Anfall, wo ja — ira 
Gegensatz zur chronischen Bronchitis — das reichlichere Vor¬ 
kommen von Bronchialepithelien, wenn auch bei weitem nicht in 
dieser Massenhaftigkeit und Ausschliesslichkeit bekannt ist; sie 
stimmt auch mit den Sektionsbefunden überein, bei denen sich 
ziemlich regelmässig Verstopfung kleiner Bronchien mit des¬ 
quamierten Epithelien gefunden hat. Was aber das Wesent¬ 
liche an ihr ist, sie zeigt uns, dass der gleiche Prozess 
in der Bronchialschleimhaut auch dann vorhanden ist, 
wenn wir keinerlei Symptome davon entdecken können 1 ). 
Es unterliegt für mich keinem Zweifel, dass in dieser chronisch¬ 
desquamativen Entzündung der Bronchialschleimhaut 
die Asthmadisposition besteht — wie dies übrigens schon 
früher von mehreren Autoren angenommen wurde —, und dass 
es regelmässig eines so oder ähnlich vorbereiteten Bodens bedarf, 
damit ein asthmatischer Zustand überhaupt zustande kommen kann. 

Die Ursachen, aus denen der chronische, symptomlos ver- 


Ausdrücklich sei bemerkt, dass bei bestehenden katarrhalischen oder 
asthmatischen Erscheinungen die endobronchiale Einstäubung von Ad¬ 
renalin eine Ausscheidung solcher Epithelpfröpfe nicht oder nur an¬ 
deutungsweise zur Folge hat. Hier zeigt sich in Verbindung mit der 
subjektiven Besserung der Kranken lediglich Lockerung und Vermehrung 
des Sputum, manchmal auch die Ausstossung von Spiralen, die vorher 
gefehlt hatten. Näheres hierüber soll später berichtet werden. 


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2. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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laufende Desquamativkatarrh zum asthmatischen Anfall führt, 
können nun verschiedene sein; und zwar dürfen wir vielleicht 
innere und äussere Ursachen unterscheiden. 

Zu den inneren, die bei weitem am häufigsten in Betracht 
kommen, dürfte in erster Reihe die Zunahme des Desquamativ¬ 
prozesses, sowohl was die Zahl der erkrankten Bronchiolen wie 
den Grad der Verstopfung betrifft, ferner die Schwellung der 
Schleimhaut, wie sie beim Katarrh eintritt, gehören, ferner eine 
hinzutretende Hyperämie, wie sie in der horizontalen Lage, 
namentlich im Schlaf, hei starker Anfüllung des Magens usw. er¬ 
folgt. Hierhin ist auch der Einfluss zu rechnen, den abnorme 
energische Atmung, wie sie beim Husten, Lachen, Schluchzen 
und sonstiger psychischer Erregung eintritt, auf die Entstehung 
der Anfälle erfabrungsgemäss haben kann. Und wir dürfen wohl 
annehmen, dass, wenn durch derartige Vorgänge die Verlegung 
der Bronchiolen bis zu einem gewissen Grade gelangt, eine ent¬ 
zündliche und spastische Reaktion eintritt, analog den Spasmen, 
wie wir sie bei der Okklusion anderer Hohlorgane beobachten; 
das ist der asthmatische Anfall. 

Die äusseren Reize dürften ebenfalls durch Hervorrufung 
eines Bronchospasmus wirksam werden, aber, um es noch einmal 
zu wiederholen, eben nur dann, wenn eine entsprechende Er¬ 
krankung der Bronchialschleimhaut besteht. Dieser Broncho¬ 
spasmus kann wie bei der anaphylaktischen Vergiftung, der auch 
die Idiosynkrasien gegen Speisen, Gerüche und Ausdünstungen 
zuzurechnen sind, direkt oder durch Vermittelung des Nerven¬ 
systems erfolgen, und zwar durch toxische, zirkulatorische 
Störungen desselben, durch C0 2 *Ueberladung des Blutes, wahr¬ 
scheinlich auch durch reflektorische und psychische Einflüsse. 

Dabei ist es von vornherein in hohem Maasse wahr¬ 
scheinlich, dass das Nervencentrum sich im Zustande 
erhöhter Erregbarkeit befindet. Wir wissen ja, dass alle 
Erkrankungen der visceralen Organe, die vom vegetativen Nerven¬ 
system versorgt sind, einen dauernden Reizzustand der zugehörigen 
Segmente des centralen Nervensystems zur Folge haben, welcher 
durch die Irradiation auf benachbarte sensible Zellen zu den 
unter dem Namen der Head’schen Zonen bekannten und von allen 
Untersuchern bestätigten Hauthyperästhesien führt. Est ist nicht 
anzunehmen, dass eine derartige Einwirkung auf die Nerven- 
centren, die nicht nur bei Erkrankungen der Bauchorgane, sondern 
auch bei Lungenaffektionen, besonders bei der initialen Lungen¬ 
tuberkulose sowie auch bei der akuten Bronchitis exakt nach¬ 
gewiesen ist, bei einer chronischen Erkrankung der Bronchial¬ 
schleimhaut fehlen sollte; aber dieser Zustand ist keine primäre 
Neurose mystischen Ursprungs und rätselhafter Natur, sondern 
ein sekundärer, organisch bedingter Irritationszustand der zuge¬ 
hörigen Segmente des centralen Nervensystems. Indes scheint 
dieser abnorme Zustand der Nervencentra, abgesehen davon, dass 
man seine sekundäre Natur verkennt, auch in seinem Einfluss auf 
die Erregung der Anfälle gegenüber den oben erwähnten inneren 
Ursachen stark überschätzt zu werden. Ganz besonders aber 
glaube ich dies von den psychischen Einflüssen. Wenn man 
freilich Ausnahmefälle verallgemeinert, wenn man alle Ein¬ 
wirkungen mehr oder weniger unbekannter Natur (Klimawechsel, 
Wohnungswechsel, Idiosynkrasien usw.) kurzerhand der Psyche 
znschreibt und selbst den Weg von einer körperlichen Erscheinung 
zu einer unmittelbar anschliessenden nur auf dem Umwege über 
die Psyche sucht, dann wird man allerdings zu anderen Ergeb¬ 
nissen gelangen als bei einer unbefangenen und das überwiegende 
Gros der Kranken würdigenden Betrachtung. Es ergibt sich dann, 
dass bei weitem in erster Reihe körperliche Momente und in nur 
geringem Grade seelische Einwirkungen in Frage kommen. Dass 
letztere nicht fehlen, ist selbstverständlich, weil sie bei keiner 
chronischen visceralen Erkrankung fehlen (ich erinnere an die 
Herzkrankheiten, Phthise) und weil sie auch auf die Atmung des 
Gesunden von besonderem Einflüsse sind. Aber eine wesentliche, 
mehr als accidentelle Rolle kann ich ihnen nach meinen Beob¬ 
achtungen und nach dem Studium der Literatur auch beim 
Asthma nicht zuerkennen. 

Ueber die Bedeutung der peripheren Reize, speziell über 
das nasale Reflexastbma, habe ich keine Erfahrungen, da ich 
einen Fall dieser Krankheitsform bisher nicht gesehen habe. 
Indes sehe ich keinen Grund daran zu zweifeln, dass unter Um¬ 
ständen durch Reizung der Nasenschleimhaut oder einer anderen 
eine Irritation der Nervencentra hervorgerufen werden kann, die 
auch zu einem Asthmaanfall führen kann, falls die Bronchien 
sich in asthmafähigem Zustande befinden. Eine besondere Be¬ 
achtung verdient hierbei die Hyperästhesie der Nasen¬ 


schleimhaut, welche nach Killian die Vorbedingung des 
nasalen Asthma, aber schon an und für sich eine Neurose, d. b. 
central bedingt ist. Eine solche Anschauung stellt uns offenbar 
wieder vor ein grosses Rätsel. Ich möchte glauben, dass die 
Hyperästhesie der Nasenschleimhaut noch einer weiteren Unter¬ 
suchung zunächst in rein symptomatischer Beziehung bedarf, und 
dass statistisch festgestellt werden sollte, ob sie lediglich bei 
Asthmatikern oder ebenso häufig bei anderen Kranken und bei 
Gesunden, ferner ob sie kombiniert mit anderen circumscripten 
Hyperästhesien vorkommt. Es läge ziemlich nahe, diese Hyper¬ 
ästhesie der Nasenschleimhaut beim Asthmatiker nicht als eine 
primäre Neurose, sondern als eine der erwähnten Head’scben 
Zonen anzusehen, die unter den Symptomen von visceralen Er¬ 
krankungen oft im Vordergründe stehen. Man darf dies vielleicht 
um so eher annehmen, weil auch in den Head’schen Zonen der 
Haut sich regelmässig einige Punkte finden, in denen nicht nur 
die Schmerz- und Druck-, sondern auch die Reflexempfindlichkeit 
ausserordentlich gesteigert ist; auch würde damit übereinstimmen, 
dass diese Reflexhyperästhesie infolge von Lungenaffektionen auch 
im Bereich des Trigeminus festgestellt worden ist, und dass 
Quincke bei Reizung der Bronchialschleimhaut durch Lungen¬ 
fisteln Empfindungen in den obersten Luftwegen hat eintreten 
sehen. Indes möchte ich die sekundäre Natur der nasalen 
Hyperästhesie zunächst nur als hypothetisch ansehen, da, wie 
gesagt, hierfür noch tatsächliche Ermittelungen erforderlich sind. 

Auf die Therapie kann ich hier nicht eingehen, darf aber 
vielleicht kurz bemerken, dass ihre Ergebnisse nach meinen und 
anderweitigen Erfahrungen mit den hier dargelegten Anschauungen 
im Einklänge stehen. Ich hatte für heute nur den Wunsch zu 
zeigen, dass wir auch auf dem von Hypothesen durchwühlten 
Boden des Asthma zu einem ungezwungenen Verständnis der Er¬ 
scheinungen kommen können, wenn wir diese unbefangen würdigen 
und der Beobachtung den ihr gebührenden Vorrang vor der Speku¬ 
lation einräumen. Ich hoffe, dass mir das einigermassen gelungen 
ist, obwohl ich mich wegen der notwendigen zeitlichen Beschränkung 
lediglich in Andeutungen bewegen und auf die Berücksichtigung 
einer grossen Reihe einzelner Punkte verzichten musste, deren Er¬ 
wähnung Sie vielleicht vermisst haben, die ich aber der beab¬ 
sichtigten eingehenderen Bearbeitung des Gegenstandes Vor¬ 
behalten muss. 


Aus der bakteriologischen Abteilung des Kaiserlichen 
Gesundheitsamtes. 

Ueber Mutation bei Diphtherie. 1 ) 

Von 

Dr. K. Baerthlein, 

KSnigl. bayer, Oberarzt, kommend, zum Kaiser!. Gesundheitsamt, 

Im vorigen Jahre hatte ich an dieser Stelle bereits kurz 
mitgeteilt, dass es mir gelungen sei, auch bei Diphtheriekulturen 
mutationsartige Abspaltungsvorgänge zu beobachten. Ich hatte 
damals auf die Wiedergabe von näheren Einzelheiten verzichtet, 
einmal mit Rücksicht auf eine nochmalige genaue Ueberprüfung 
der Resultate, und dann in Anbetracht der verhältnismässig ge¬ 
ringen Zahl von Stämmen — vier Kulturen —, bei denen ich 
die erwähnten Feststellungen gemacht hatte. Heute, wo diese 
Arbeiten unter Verwendung eines grossen Materials zu einem ge¬ 
wissen Abschluss gekommen sind, möchte ich Ihnen nun kurz 
über die vorliegenden Ergebnisse berichten. 

Die Untersuchungen wurden von mir in dem von Herrn 
Regierungsrat Prof. Dr. Haendel geleiteten bakteriologischen 
Laboratorium des Kaiserl. Gesundheitsamtes ausgeführt. 

*Da bei der praktischen Diphtheriediagnose vorwiegend mit Löffler’s 
Serumnährböden gearbeitet wird, so benutzte ich bei meinen Unter¬ 
suchungen zunächst ebenfalls diese Nährmedien. Gewisse Schwierig¬ 
keiten, nämlich die Möglichkeit, dass auf der Serumplatte leicht Verun¬ 
reinigungen hochkommen, sowie das rasche Absterben der Diphtherie¬ 
kulturen auf diesen Nährböden, veranlassten mich, zu Glycerinagar¬ 
platten überzugehen. Nach dem Einsetzen der Mutationserscheinungen 
— ich impfte aus mehrere Wochen alten Bouillonkulturen über — 
konnte ich dann auf diesen Nährmedien, und zwar auf ein und derselben 
Platte sowohl bei frisch isolierten wie bei älteren Diphtheriestämmen 
regelmässig zwei bis drei gut voneinander unterscheidbare 
Kolonieformen feststellen und durch Abimpfung von diesen diffe¬ 
renten Kolonien verschiedenartige Stämme gewinnen, die monate- 

1) Vortrag, gehalten auf der 7. Tagung der Freien Vereinigung für 
Mikrobiologie in Berlin 1913. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22. 


lang bei kurzfristiger Ueberimpfung unverändert nur in der entsprechen¬ 
den Kolonieform wuchsen. Man unterscheidet 1. grosse, gelblichweisse, 
saftige Kolonien, 2. äusserst feine, durchscheinende, bläulich schimmernde, 
bröckelige Kolonien, und bei einer Anzahl Kulturen als dritte Art 
kleine, gelbe, saftige Scheibchen. Auch hier finden wir entsprechend 
deu differenten Kolonienarten weitgehende morphologische Unterschiede 
bei den Bakterien, aus denen jeweils die einzelnen Kolonien bestehen. 
Die grossen, trüben, saftigen Kolonien werden gewöhnlich von langen, 
bzw. mittellangen, schlanken, keulenförmigen Stäbchen mit deutlich 
segmentierter Färbung und charakteristischer Lagerung gebildet, die 
andere Varietät, also die kleine, durchscheinende Kolonienart setzt sich 
aus sehr kurzen, dicken, plumpen, mehr keilförmigen, gut segmentiert 
gefärbten Bacillen zusammen, während die Bacillen der dritten Kolonien¬ 
art zwischen diesen beiden Bacillenformen bezüglich ihres morpho¬ 
logischen Verhaltens eine Zwischenstellung einnehmen. 

Sehr charakteristisch treten die Unterschiede zwischen den Kolonien 
der einzelnen Varietäten beim Ueberimpfen auf gewisse andere Nähr¬ 
medien, z. B. auf Löffler’s Serumplatte oder auf den Conradi’schen 
Tellurnährboden hervor. Auf der Blutserumplatte entwickeln sich die 
grossen, trüben Kolonien der Glycerinagarplatte in Form von grauweiss- 
lichen, glasigen, saftigen Scheibchen, während die zarten, bläulich 
schimmernden Kolonien auf dem Serumnäbrboden wiederum äusserst 
zarte, porzellanartig weissliche, schwer abstreifbare Scheibchen bilden. 
Mitunter beobachtet man statt der porzellanartig weissen Farbe bei 
diesen Kolonien eine gelbliche, die an den folgenden Tagen noch inten¬ 
siver wird, eine Erscheinung, die vermutlich von der Beschaffenheit des 
Serums abhängig ist. Der dritten Varietät, nämlich den kleinen, gelben, 
saftigen Scheibchen der Glycerinagarplatte, entsprechen auf der Serum¬ 
platte die citronengelben Kolonieformen, welche ich bereits früher an 
anderer Stelle beschrieben habe. 

Auf dem Conradi’schen Nährboden wachsen die grossen, gelblich- 
weissen Kolonien der Glycerinagarplatte als grosse, tiefschwarze Scheib¬ 
chen, wie dies von Conradi als charakteristisch für Diphtherie ange¬ 
geben wurde; die kleinen, durchscheinendem Formen bilden dagegen 
äusserst zarte, hellbraune Kolonien, während die kleinen, gelben Kolonie¬ 
formen der Agarplatte sich auf dem Tellurnährboden wieder als kleine, 
tiefschwarze Scheibchen entwickeln. Bei der Ueberimpfung von der 
Glycerin agarplatte auf diese anderen Nährmedien bleiben die morpho¬ 
logischen Differenzen zwischen den Bacillen der verschiedenartigen Kolo¬ 
nien vollkommen erhalten. Der Umstand, dass so bestimmte Mutanten 
echter Diphtheriestämme auf dem Conradi’schen Nährboden eine Ver¬ 
minderung der reduzierenden Fähigkeiten aufweisen und im Gegensatz 
zu den Angaben des Autors in hellbraunen statt schwarzen Kolonien 
wachsen, dürfte indessen die praktische Bedeutung des Tellurnährbodens, 
mit dem ich besonders bei Diphtheriebacillenträgern und bei der Rein¬ 
züchtung von Kulturen sehr günstige Erfahrungen machte, nicht wesent¬ 
lich verringern, da der Hauptvorzug dieses Nährmediuras meines Er¬ 
achtens nicht allein in der Farbenreaktion, sondern auch in seiner 
hohen Elektivität zu suchen ist. 

Bemerkenswert sind weiter die Unterschiede zwischen den einzelnen 
Mutationsstämmen hinsichtlich des Wachstums in Bouillon. Während 
die Bacillen der auf der Glycerinagarplatte in grossen und trüben 
Kolonien wachsenden Varietät die Nährlösung gleichmässig trüben und 
am Boden und an den Wänden der Reagenzröhrchen einen sehr fein¬ 
körnigen Belag entwickeln, bilden die Bakterien der kleinen, durchscheinen¬ 
den Kolonieform der Agarplatte nur am Boden der Bouillonröhrchen grosse, 
grobkörnige Flocken, lassen die Nährlösung sonst aber vollkommen klar. 

Ein auffallendes Verhalten finden wir bei den verschiedenen Mutanten 
ferner in bezug auf die Neisser’sohe Körnohenfärbung, die wegen 
der geringen Wachstumsenergie der sogenannten kleinen, hellen 
Kolonien jeweils erst bei 36 bzw. 48 Stunden alten Kulturen ausgeführt 
wurde. Dabei zeigten die Bacillen der grossen, grauweisslichen Kolonien 
meist nur vereinzelt oder nur wenig zahlreich die für Diphtherie 
charakteristischen Körnchen, bei einzelnen Stämmen fehlte die Körnchen¬ 
bildung auch vollkommen. Die Stäbchen der kleinen, hellen Varietät 
wiesen dagegen eine ausserordentlich starke Körnchenfärbung auf, wobei 
die einzelnen Körnchen durchweg auffallend gross waren, verschiedentlich 
selbst den ganzen Bacillus ausfüllten. Die dritte Kolonienart nimmt 
auch hier eine Mittelstellung ein. 

Zur Prüfung des kulturellen Verhaltens der verschiedenen Mutations¬ 
stämme zog ich eine Anzahl bestimmter Zuckernährlösungen heran, 
denen nach den Angaben verschiedener Autoren in der Differential¬ 
diagnose der echten Diphtherie und der Pseudodiphtherie eine Bedeutung 
zugeschrieben wird, nämlich Zucker-Lackmuslösungen, die entweder 1 pCt. 
Mannose oder Lävulose oder Traubenzucker enthielten. Diese wurden 
von den Bacillen der grossen, gelblichweissen Kolonien in der als 
charakteristisch für Diphtherie geltenden Weise verändert, also gerötet 
und getrübt bzw. gerötet und ausgefällt, ebenso auch von den Bakterien 
der kleinen, gelben Mutationsformen, wenn auch erst nach etwas längerer 
Frist; die Bacillen der kleinen, bläulich schimmernden Kolonien da¬ 
gegen Hessen die Zuckerlösungen bei der Mehrzahl der Kulturen ganz 
unbeeinflusst, verhielten sich also kulturell wie Pseudodiphtherie. 

Die Virulenzprüfung ergab bei vier in dieser Hinsicht 
untersuchten Kulturen die beachtenswerte Tatsache, dass von den 
verschiedenen Mutationsformen eines Stammes regelmässig die 
Bakterien der grossen, gelblichweissen Kolonien Meerschweinchen 
bei subcutaner Verimpfung von einer Oese Material prompt 


töteten, während die Bacillen der entsprechenden kleinen, bellen 
Kolonieformen selbst bei mehrfach höherer Dosierung sich als 
avirulent erwiesen. 

Parallel mit dieser Beobachtung verlief auch das Ergebnis 
der Toxinprüfung. Bei diesen Untersuchungen wurden Filtrate 
von 2,3 bzw. 4 Tage alten Bouillonkulturen in fallenden Mengen 
Meerschweinchen intraperitoneal injiziert. Soweit eine Toxinbildung 
sich feststellen liess, war diese wiederum nur bei den Kulturen der 
grossen, trüben Varietät vorhanden, während die Filtrate des ent¬ 
sprechenden, in kleinen und hellen Kolonien wachsenden Mutations¬ 
stammes auch bei zehnfach höherer Dosis wirkungslos blieben. 

Die vergleichende serologische Prüfung durch Agglutination 
bzw. Komplementbindung der verschiedenen Mutationstämme ist 
noch nicht abgeschlossen. 

Bei meinen Untersuchungen über die Mutation bei Diphtherie¬ 
stämmen bin ich wieder von alteren Bouillonkulturen ausgegangen, da 
auf flüssigen Nährmedien diese Abspaltungserscbeinungen wesentlich 
früher einsetzten. Bei einzelnen Stämmen schwankt die Frist bis zum 
Auftreten der Mutation beträchtlich, und zwar zwischen 2—5 Wochen. 
Entsprechend lange mussten daher auch die isolierten Mutationsstämme 
in der Bouillon gezüchtet werden, bis wieder ein Rückschlag eintrat, 
bis also aus einem hell und zart wachsenden Mutationsstamm sich neben 
den entsprechenden kleinen, zarten, durchscheinenden Kolonien auch 
wieder vereinzelt grössere, gelblichweisse, saftige Formen entwickeln und 
umgekehrt. Ich konnte diesen Rückschlag auch bei den in bezug auf ihre 
Toxinbildung differenten Mutationstämmen einer Kultur beobachten, alsoz.B. 
die erneute Abspaltung (Rückschlag) von einzelnen grösseren, trüben, toxin¬ 
bildenden Kolonien aus der hell und zart wachsenden, atoxischen Varietät. 

Diese eben beschriebenen Mutationsvorgänge konnte ich über¬ 
einstimmend bei zahlreichen Diphtheriestämmen und bei einer 
Anzahl diphtherieverdächtigen Kulturen feststellen, die von Herrn 
Regierungsrat Prof. Dr. Küster aus Ozaenafällen isoliert und in 
dankenswerter Weise dem Laboratorium zur Verfügung gestellt 
worden waren. 

Noch eine andere Art von Mutation, die sogenannte Knopfbildung, 
die bereits von Bernhardt und Ornstein beschrieben wurde, fand ich 
bei meinen Diphtheriekulturen, allerdings nur bei dem kleineren Teil 
derselben. Man bemerkt bei den auf der Agarplatte in Form von 
zarten, kleinen, hellen Scheibchen wachsenden Kulturen nach 48 bzw. 
72 Stunden die Entwicklung von saftigen, gelben Knöpfen. Impft man 
von diesen auf andere Nährböden über, so erhält man auf diesen eine 
neue Varietät, die grosse, gelblichweisse, saftige Kolonien mit morpho¬ 
logisch von den Bacillen der hellen Kolonieformen stark abweichenden 
Bakterien bildet. Während aber die hell wachsenden Mutationsstämme 
bei der Weiterimpfung nach 2—3 Tagen immer wieder neue Ab¬ 
spaltungsvorgänge, von neuem Knopfbildung aufweisen, besitzt die aus 
den Knopfkolonien isolierte, grosse, gelblichweisse Kolonien bildende 
Varietät eine beträchtliche Konstanz, und erst nach längerer Züchtung 
in Bouillon kommt es wieder zum Rückschlag und auch zum Auftreten 
einzelner heller Kolonien. 

Iowieweit die oben erwähnten hell und zart wachsenden, 
avirulenten Mutationsstämme sonst virulenter Diphtheriekulturen 
zu immunisatorischen Zwecken, z. B. zur Gewinnung hochwertiger 
Immunsera, verwendet werden können, darüber sind entsprechende 
Untersuchungen noch im Gange. 


Aus der Abteilung für Vaccine-Therapie der Tierärzt¬ 
lichen Hochschule zu Dresden. 

Pharmako-dynamische Probleme. 

IV. Die pharmakologische Beeinflussung des opsonischen 
Index durch Ei Weisspräparate und durch Lecithin- 
Perdynamin. 

Von 

Professor Dr. med. A. Strubell. 

Nach meinen Versuchen, mit allerlei pharmakologischen 
Agentien (Jod, Brom, Arsen, Salzen, den Hormonen usw.) den 
opsonischen Index zu beeiuflusseD, bin ich dazu übergegangen, 
verschiedene Eiweisspräparate auf ihre diesbezügliche Wirkung 
zu prüfen. Meine Versuche mit krystallisiertem Eiweiss verliefen, 
was die opsonische Wirkung anlangt, ziemlich negativ, ebenso 
wie Versuche mit Pepton Witte. Es scheint also, dass es sich 
hier doch auch auf dem Gebiete der Eiweisschemie um besondere 
Wirkungen handeln muss. 

Um so überraschender waren die opsonischen Resultate, 
welche ich mit dem Lecithin-Perdynamin erzielte, ein Prä¬ 
parat, von dem hier freilich zugegeben werden muss, dass es 


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Original frn-rri 

UNIVERS1TY OF IOWA 





2. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1019 


kein einheitliches ist, indem es ausser dem Lecithin besonders 
auch noch Eisen enthält. Ich kann aber um so weniger umhin, 
dieser Wirkungen Erwähnung zu tun, als sie so exquisite und 
auch bei dreitägiger Beobachtung langdauernde gewesen sind. 
Unser Doktorand, Herr Rath mann, hat von dem wie ein an¬ 
genehmer Likör schmeckenden Präparat immer drei Esslöffel auf 
einmal genommen und sich nach der Einnahme stets sehr wohl 
befunden. Der Appetit des im Staatsexamen stehenden, also 
etwas nervös überarbeiteten Herrn hob sich entschieden ebenso 
wie sein Allgemeinbefinden. Wir haben nun'nicht im entferntesten 
daran denken können, dass dieses auf den ersten Blick als ein 
angenehmes Nährmittel erscheinende Präparat so beträchtliche 
Veränderungen des opsonischen Index hervorzurufen in der Lage 
ist, und zwar im allgemeinen im günstigen Sinne, im Sinne einer 
deutlichen Steigerung des Index gegen Staphylokokken und — 
soweit das untersucht wurde — auch gegen Tuberkelbacillen. 

Was mir besonders merkwürdig erschien, war die lang- 
dauernde Wirkung, wenn man bedenkt, dass es sich um die ein¬ 
malige Gabe von drei Esslöffeln des allgemein als ein harmloses, 
angenehmes und günstig wirkendes Kräftigungsmittel zu be¬ 
zeichnenden Präparates handelt. Wir werden wohl nicht umhin 
können, aof Grund dieser Versuche uns mit der Tatsache ab¬ 
zufinden, dass wir mit einem solchen Präparat wie das Lecithin- 
Perdynamin tiefergehende physiologische Wirkungen zu erzielen 
imstande sind, als man das bisher annehmen durfte, Wirkungen, 
die den günstigen Erfolg des Präparates doch zweifellos besser 
zu erklären scheinen, als dies bisher möglich war. 

Diese Wirkung unterscheidet sich, wie ich bemerken muss, 
ganz entschieden von der mir ebenfalls als günstig erscheinenden 
Wirkung bei der Einverleibung von Jodpräparaten io Gelodurat- 
kapseln vom Darm aus und in Form von Jodvasogen percutan, 
und zwar unterscheidet sich eben diese Wirkung des Lecitbin- 
Perdynamios durch ihre grössere Dauer. 

Es ist selbstverständlich, dass ich bei der wissenschaftlichen 
Ausdeutung dieser Tatsachen binzufügen muss, dass wir in Zu¬ 
kunft noch daran geben müssen, diese opsonische Wirkung des 
Lecithin-Perdynamins zu analysieren, um dieselbe in ihre ver¬ 
schiedenen Komponenten, Eisen und Lecithin, zu zerlegen. Aber 
bis ich Zeit dazu finde, schien es mir gerechtfertigt, diese Tat¬ 
sachen mitzuteilen, die nicht nur für die Beurteilung dieses hier 
in Frage kommenden beliebten Nährpräparates, sondern auch im 
allgemeinen für die pharmakologische Wirkung analoger Kräftigungs¬ 
mittel von Bedeutung sein dürfte. 


Lecithin - Per dyn am in. 
Versuch 1. 


Dr. Bhme., 14. V. 1912. 3 Esslöffel Lecithin-Perdynamin 1 ). 


Vor dem Versuch 
Nach 1/4 Std. . . 



1,00 Staph. I Nach 2 Std. 

1,20 „ I „ 4 „ 

1,52 „ „ 6 „ 

1,23 „ * 8 „ 


1,35 Staph. 
1,27 „ 

1,23 „ 

1,61 * 


Versuch 2. 


R., 20. VI. 1912. 


Vor dem Versuch 

. 0,81 Staph. 

Nach 1/4 Std. . . 

. 0,89 


» 7a 0 • • 

. 0,70 

0 

* 1 0 • • 

. 1,03 


0 2 „ . . 

. 1,07 

. 1,16 

0 

0 4 „ . . 

0 

• 6 „ . . 

. 1,10 


0 8 „ • - 

. 0,92 

0 

„ 24 „ . . 

. 0,90 

0 

Versuch 3. 


R., 4. VII. 1912. 


Vor d. Vers. 1,00 Staph., 1,15 Tbc. 

Nach 1/4 Std. 1,86 

„ 1,59 

99 

* V« ■ L57 

„ 1,96 


* 1 , 1,39 

* 2,78 


„ 2 „ 0,20 

* 2,75 


„ 4 „ 1,53 

0 2,78 


* 8 0 L28 

„ 2,40 


* 24 „ 1,47 

„ 2,18 

99 

„ 28 „ 1,32 

„ 1,34 


, 32 „ 1,26 

* 1,28 

n 

. 48 „ 1,03 

1,06 

99 


Versuch 4. 

Kr., 4. VII. 1912. 

Vor d. Vers. 1,00 Staph., 1,00 Tbc. 


Nach V* Std. 

1,05 

0 

0,83 

0 

„ 

V* - 

1,10 

0 

1,02 

0 

» 

1 * 

1,11 


1,57 

0 


2 » 

0,94 

„ 

1;44 

0 

0 

4 „ 

0,42 

0 

0,83 

0 

0 

6 » 

0,92 

0 

1,71 

» 

0 

8 , 

0,72 

0 

1,59 

0 

0 

24 „ 

0,56 

0 

0,91 

0 

1» 

28 „ 

0,65 

0 

— 



32 „ 

0,91 

0 

1,22 

0,86 

0 

* 

48 „ 

1,06 

0 



Versuch 5. 

Dr. B., 11. VII. 1912. 


Vor d. Vers. 1,00 Staph., 1,00 Tbc. 


Nach V 4 Std. 1,74 

99 

0,68 

» 

0 7 2 

* 

2,22 

99 

1,51 

99 

0 1 

99 

1,33 

99 

1,32 

99 

0 2 


1,46 


1,60 

99 

» 4 

99 

1,75 

99 

1,10 


0 6 

99 

1,05 

99 

Ml 

99 

0 8 

99 

1,65 


1,63 

99 

0 24 

99 

1,56 

99 

0,75 


0 36 

99 

2,26 

99 

1,00 

99 

0 48 

99 

1,40 

99 

0,78 



1) Bei allen Versuchen 3 Esslöffel. Indices, wenn nichts Besonderes 
bemerkt, in bei Versuch 1 angegebenen Intervallen. 


Versuch 8. 


Dr. B., 21. VII. 1912. 


Vor d. Vers. 1,00 Staph., 

1,00 Tbc. 

Nach »/, Std. — . 

0 

— 

99 

. 'k r, 1,59 

0 

0,26 

99 

„ 1 , 1,73 

0 

0,31 


„ 2 , 1,27 

0 

0,36 

99 

0 4 „ 

0 

— 

99 

* 6 „ 2,17 


1,26 

99 

» 8 „ 1,51 

0 

1,47 

99 

0 24 „ 1,80 


1,21 

99 

0 36 „ 2,22 

„ 

0,63 

99 

0 48 „ 1,31 

„ 

0,73 


0 72 * 0,92 

0 

0,94 

99 


Versuch 9. 

R., 23. VII. 1912. 

Vor d. Vers. 1,00 Staph., 1,00 Tbc. 


Nach 1/4 

Std. 0,87 

99 

0,45 


0 V. 
0 1 
„ 2 

0 

1,71 

99 

1,16 

99 

0 

0 

0,70 

99 

1,00 

99 

99 

0 4 

n 

0,99 

99 

1,48 

99 

0 6 


1,31 

99 

1,25 


0 8 

0 

0,97 

0,87 


0,70 

99 

» 24 

0 


1,38 


« 36 

0 

— 

99 

— 

99 

0 48 

0 

1,27 


0,77 


0 72 

0 

0,90 

99 

1,16 

„ 


Versuch 10. 

Dr. Bhme., 9. IX. 1912. 

Vor d. Vers. 1,00 Staph., 1,00 Tbc. 


Nach V*Std. 1,17 


0,86 


0 7z 0 L09 


1,22 


0 1 0 1,40 

99 

1,16 


0 2 * 1,46 

0 

1,62 


» 4 „ 1,14 

0 

1,63 


0 6 0 1,27 


1,45 

„ 

0 24 „ 1,05 

0 

0,97 

0 


Versuch 11. 


R, 9. IX. 
Vor dem Versuch 

1912. 

. . 1,00 Tbc. 

Nach J / 4 

Std. . 

. . 1,48 

79 

0 7a 

0 

. . 1,51 


0 1 

0 

. . 1,85 

99 

0 2 


. . 1,17 


» 4 

0 

. . 1,04 

99 

0 6 


. . 1,70 

99 

0 8 

0 

. . — 

99 

0 24 

0 

. . 1,07 

„ 

0 28 

0 

. . 1,29 

99 

0 32 

0 

. . 1,14 

99 

0 48 

0 

. . 1,19 

99 


Zur Abbott’schen Behandlung der Skoliose. 

Von 

Sanitätsrat Dr. A. Schaiz- Dresden. 

Seit dem Sommer letzten Jahres kommen zu iins Nachrichten 
von einer neuen Behandlungsmethode der Skoliose, welche in 
Amerika durch Prof. Abbott inauguriert wurde, und welche sich 
dort in kurzer Frist ausserordentlich grosse Verbreitung erworben 
hat. Es werden Resultate berichtet, die alles bisher Dagewesene 
weit in den Schatten stellen, und es wird berichtet, dass die 
Methode verhältnismässig einfach und erfolgsicher arbeite. 

Bei dem Kongress der Deutschen orthopädischen Gesell¬ 
schaft, welcher soeben tagte, fanden wir Gelegenheit, uns über die 
neue Methode authentisch zu informieren. Ihr Schöpfer, Abbott, war 
selbst herübergekoramen, erklärte uns die grundlegenden Ideen, führte 
uns die Anwendung der Methode vor und zeigte uns in einer Reihe 
photographischer Abbildungen seine Resultate. 

Ich habe in der Sitzung selbst zu kritischen Bemerkungen das 
Wort genommen und möchte dies hier vor einem weiteren Hörerkreis 
wiederholen, und zwar aus folgenden Gründen: 

ln der Geschichte der Skoliosentherapie zeigt sich seit etwa 
80 Jahren eine ganz eigentümliche Erscheinung, welche darin besteht, 
dass explosionsartige Aenderungen der Behandlungsmethoden er¬ 
folgen. Auf einmal wird alles, was bisher als gut und recht galt, weg¬ 
geworfen, für schlecht erklärt und eine neue Methode wird mit Begeiste¬ 
rung und höchsten Versprechungen auf den Schild erhoben. Eine solche 
Explosion bildete die Einführung der schwedischen Heilgymnastik, welche 
mit einem Schlage die alten orthopädischen Anstalten mit ihren recht 
guten Resultaten in der Skoliosentherapie über den Haufen warf. Eine 
zweite solche Explosion war die Einführung des Sayre’sohen Gips¬ 
korsetts, eine dritte war das Klapp’sche Krieohverfahren. Alle diese 
Explosionen haben zum Misserfolg geführt. Weder die schwedische 
Heilgymnastik, noch das Sayre’sche Gipskorsett, noch das Klapp’sche 
Kriech verfahren haben gehalten, was sie versprochen. 

Das wäre ja weiter nicht schlimm, wenn es sich nur darum ge¬ 
handelt hätte, dass diese Fehlschläge Enttäuschungen für die ausübenden 
Orthopäden waren. Wieviel Methoden sind schon empfohlen und wieder 
verlassen worden! Aber hier bei der Skoliosenbehandlung han¬ 
delt es sich um das Wohl und Wehe vieler Tausende von 
Kindern! Bei der Einführung der schwedischen Gymnastik in die 
Skoliosenbehandlung, bei der Propagierung der Klapp’schen Methode 
kann man wenigstens sagen, dass im allgemeinen keine schweren Schädi¬ 
gungen Kranker stattgefunden haben. Von der Sayre’schen Gips¬ 
beb andlung kann das aber durchaus nicht behauptet werden. Wenn 
man die Literatur jener Zeit studiert, so sieht man, dass die Begeiste¬ 
rung für diese Methode bald schwerer Enttäuschung Platz machte, denn 
es stellte sich heraus, dass das Gipskorsett durchaus kein 
gleichgültiges Mittel war; man sah unter seiner Anwendung 
Skoliosen statt in die erhoffte Besserung in schwerste Ver¬ 
schlimmerung geraten, und erschrocken wandte man sioh von der 
Methode, in der man eben die Erlösung gesehen hatte, wieder ab. 

Ganz ähnliche Erfahrungen sind auch gemacht worden, als im An¬ 
schluss an die Buckelkorrektion von Calot Wullstein und ich das 


5* 


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UMIVERSITY OF IOWA 











1020 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22. 


forderte Redressement der Skoliose empfahlen. Auch da wieder 
hat sich ergeben, dass der Gipsverband in der Skoliosenbehandlung 
durchaus kein indifferentes Mittel ist. Die Mehrzahl der Orthopäden 
hat mit dem Redressement schlechte, ja vielfach sehr ■ schlechte Erfolge 
gehabt. Trotz der ausserordentlich guten Resultate, welche Wulistein 
und ich zeigen konnten, ist es deshalb nicht zu einer allgemeinen Ein¬ 
führung des Redressements in die Skoliosenbehandlung gekommen. 

Gott sei Dank! 

Nach der Aufnahme, welche die neue Abbott’sche Methode 
gefunden hat, ist zu erwarten, dass diese wieder einmal wie die 
Sayre’sche und die anderen, welche ich oben genannt habe, 
mit einem Schlag das Feld erobert. Ist die Methode 
gut, leistet sie, was sie verspricht und was heute von ihr er¬ 
wartet wird, dann wollen wir ihr wie einer Siegerin den Einzug 
bereiten! Ist sie aber nicht gut, führt sie etwa gar Ge¬ 
fahren mit sich, wie wir sie an den bisherigen Methoden der 
Gipsbehandlung der Skoliose kennen gelernt haben, dann ist es 
unsere Pflicht, aufzustehen und uns vor unsere Pa¬ 
tienten zu stellen. 

Das sind die Motive, welche mich bewogen haben, in der 
Sitzung der orthopädischen Gesellschaft eine scharfe kritische 
Beleuchtung dessen vorzunehmen, was uns Abbott vorführte, 
und das sind die Motive, welche mich veranlassen, auch hier 
meine kritischen Betrachtungen zum Ausdruck zu bringen. 

Der Grundgedanke, welchen Abbott verfolgt, ist dieser: . Die 
Skoliose ist die Fixation einer beim Schreiben eingenommenen schiefen 
Haltung des Rumpfes. Eine so entstehende Deformität muss sich korri¬ 
gieren lassen, wenn man den Kranken in eine entgegengesetzte Haltung 
bringt und ihn in dieser Haltung fixiert, bis eine Umwandlung des 
Skeletts stattgefunden hat. Die bisherigen Methoden zur Umformung 
des skoliotischen Rumpfes im Gipsverband suchen die Korrektion in 
erster Linie durch scharfe Extension der Wirbelsäule zu erreichen. Man 
kommt dabei niemals zu voller Korrektur oder gar zu Ueberkorrektur 
der Deformität. Eine Ueberkorrektur ist aber zu erreichen, 
wenn man den Skoliotiker in einer Beugehaltung des 
Rumpfes eingipst. ^ ^ _ , „ , 

Diese Idee wird dadurch zur Ausführung gebracht, dass der Kranke 
in einem von Abbott besonders konstruierten Rahmen in eine Rumpf¬ 
haltung gebracht wird, welche etwa der eines an der Schulbank krumm 
sitzenden Kindes entspricht. In dieser Stellung werden zwischen dem 
Körper des Patienten und dem Rahmen Bindenzügel ausgespannt, welche 
darauf ausgehen, eine Drehung des Thorax auszuführen, die entgegen¬ 
läufig ist derjenigen Drehung, welche als Ausdruck der Torsion die 
Skoliose begleitet. Ist die Korrektionsstellung gewonnen, so wird sie 
durch einen Gipsverband fixiert. In diesen Gipsverband wird auf der 
Konkavität, also über dem Gebiet, wo der skoliotische Rücken eine Ab¬ 
flachung zeigt, ein grosses Fenster ausgeschnitten. Durch sohmale 
Fenster, die sonst in den Verband hinein kommen, werden dann nach¬ 
einander dicker werdende Filzpolster eingeführt, die im Verein mit 
Atemübungen die Thoraxwand in das grosse Fenster hineinpressen und 
aus demselben hervorwölben. In verhältnismässig kurzer Zeit, schon in 
ein paar Wochen, sieht man bei Abnahme des Verbandes, dass der 
Thorax eine Umformung gewonnen hat, welche sich dadurch kenn¬ 
zeichnet, dass in dem Gebiet des Verbandfensters eine Auswölbung statt¬ 
gefunden hat, die ganz wie der Rippenbuckel einer Skoliose aussieht, 
und man sieht den Rippenbuckel, der vorher auf der anderen Seite der 
Wirbelsäule war, verkleinert oder ganz verschwunden. 

Die Bilder, welche solche Patienten zeigen, maoben einen ganz 
verblüffenden Eindruok. Abbott führte uns Photographien vor, 
die er von einem Studenten gewonnen hatte. Der junge Mann hatte 
einen ganz normalen Rücken, keine Spur einer Skoliose; er wurde 
6 Wochen in den beschriebenen Verband genommen und das Resultat 
war eine „hochgradige Skoliose“. Man wechselte dann denVerband 
und stellte den Versuchspatienten in die gerade entgegengesetzte Stellung 
ein, legte wieder einen Verband an und gewann in weiteren 6 Wochen 
eine ebenso „hochgradige Skoliose“ wie im ersten Verband, nur mit 
gerade entgegengesetzter Ausschlagsrichtung. Weiter demonstrierte 
uns Abbott eine Reihe von Patienten in photographischen Aufnahmen, 
an welchen man den Eindruck gewann, dass das, was mit diesem Ver¬ 
such am Gesunden gelungen war, ebensogut an Kranken zu erzielen ist. 

Ist das nun Wahrheit, oder ist das Irrtum? 

Leider ist es Irrtum. Was uns Abbott als experi¬ 
mentelle Skoliose vorführte, das ist überhaupt keine Sko¬ 
liose, und was er uns als Ueberkorrekturen skoliotischer 
Verbiegungen zeigte, sind leider keine Ueberkorrek¬ 
turen! 

Wenn man sich ein Kind oder eine jugendliche Person nimmt 
und mit seinen Händen auf den Thorax einen Druck ausübt, so 
kann man ganz kolossale Deformierungen erzeugen. Man kann 
die Rippenwand eindrücken, so dass aus einer Konvexität eine 
Konkavität entsteht, und man kann, wenn man dazu noch Ver¬ 
änderungen der Wirbelsäulestellung — Beugungen, Drehungen 
oder Streckungen — hinzunimmt, die Thoraxwand auch an be¬ 


stimmten Stellen hinauspressen, so dass Konfigurationen entstehen, 
welche recht grosse Aehnlicbkeit besitzen mit jenen Verände¬ 
rungen der Thoraxform, die als Begleiterscheinungen der Skoliose 
auftreten. Diese Aebnlichkeiten mögen noch so gross 
sein; eine Skoliose erzeugen wir dabei nicht. Es ist und 
bleibt eine Thoraxdeformierung, selbst dann, wenn wir 
dieselbe in einem Gipsverband festhalten und ihr da¬ 
durch eine grössere oder geringere Dauerhaftigkeit 
verschaffen. Der Student, den uns Abbott im Bilde vorführte, 
batte keine Skoliose, sondern eine künstliche Thoraxdefor- 
mität, welche eine gewisse Aehnlicbkeit mit der Thoraxdefor¬ 
mierung bei Skoliose besass. 

Das war zunächst eine Behauptung von mir, für die ich 
weiter nichts als Grundlage hatte als die kolossale Schwere des 
demonstrierten Rippenbuckels. Wenn sich bei einer Skoliose ein 
so schwerer Rippenbuckel, wie ihn Abbott zeigte, findet, dann 
gehören dazu die allerhochgradigsten Veränderungen an den 
Wirbeln, jene bekannten Umformungen, die wir als Keil- und 
Schrägwirbel in der Skolioseliteratur beschrieben finden. Dass 
solche Umänderungen mit den von Abbott angewendeten Mitteln 
in der Zeit von 6 Wochen unmöglich erzeugt werden können, 
das musste dem Kundigen in die Augen springen. 

Den sicheren Beweis erbrachte aber eine Demonstration, welche 
nach den Demonstrationen des Herrn Abbott Herr Bö hm-Berlin 
veranstaltete. Er zeigte von Patienten, die er nach Abbott be¬ 
handelt hatto, nicht nur die Rückenphotographien, sondern auch 
die Röntgenbilder, und da ergab sich die merkwürdige Tatsache, 
dass dort, wo das Rückenbild eine Ueberkorrektur einer 
vorher bestehenden Skoliose zu zeigen schien, wo also 
in der Konkavität einer skoliotischen Biegung an Stelle der Ab¬ 
flachung der Thoraxwand ein Rippenbuckel entstanden war, die 
Wirbelsäulenverbiegung nicht etwa auch zur Ueber¬ 
korrektur gekommen war, sondern dass diese fast genau 
in derselben Grösse weiter bestand, wie vor Anlegung 
des Verbandes. Es handelte sich dabei nicht um einen nur * 
von Böhm etwa durch einen Fehler in der Methode erlangten 
Fehlerfolg, sondern Abbott sagte uns auch, dass mit seiner Methode 
die Torsion sich günstiger beeinflussen lasse als die Seitenbiegung. 
Er bestätigte damit, dass das, was die Böhmischen Bilder zeigten, 
eine Allgemeinerscheinung des Verfahrens ist. 

Wenn die hier entwickelte Anschauung, dass die Abbott’schen 
Korrekturen nur Scheinkorrekturen sind, richtig ist, dann muss 
sich das in Folgendem ergeben. Es muss nach Abnahme des 
Abbott’schen Verbandes die alte Skoliose wiederkehren, sowie die 
Wirbelsäule wieder ihren formenden oder in diesem Fall deformenden 
Einfluss auf die Thoraxwand zurückgewinnt. 

Wie steht es damit? Abbott zeigte uns Bilder von Patienten, 
welche vor der Anlegung des Verbandes, unmittelbar nach der 
Abnahme desselben und einige Monate später genommen waren. 
Die äusserste Frist zwischen Abnahme des Verbandes und Auf¬ 
nahme der den Erfolg zeigenden Photographien betrug 7 Monate. 
In dieser Zeit hatten die Patienten ein starres Korsett getragen, 
welches dieselbe Form besitzt, wie vorher der Verband. 

Diese Photographien zeigten nun folgendes: Zunächst waren die 
Deformitäten, welche uns Abbott vorführte, verhältnismässig 
gering; es waren Fälle, für welche nach meinen Anschauungen das 
Redressement im Gipsverband kaum indiziert erscheinen kann. Herr 
Wullstein, der auch in der Diskussion sprach, schloss sich betreffs der 
Indikationsstellung ganz meiner Anschauung an. Verglich man die Bilder, 
welche unmittelbar vor und nach der Abnahme des Verbandes genommen 
waren, so hatte man wohl den Eindruck, als sei eine Ueberkorrektur der 
Skoliose entstanden. Es sah aus, als wäre in der früheren Konkavität 
ein Rippenbuokel entstanden; aber schon diese Photographien waren 
nicht alle einwandsfrei. Mehrere von den Bildern zeigten nicht einen in 
der Konkavität der korrigierten Skoliose liegenden neuen Rippenbuckel, 
sondern sie zeigten den zur oberen Gegenkrümmung gehörigen alten Rippen¬ 
buckel. Sie illustrierten, wie vorsichtig man sein muss, wenn man mit Hilfe 
einfacher Photographien Skoliosenkorrektionsresultate demonstrieren will. 

Viel wichtiger war aber der Unterschied, den die später ge¬ 
nommenen Photographien gegen diese unmittelbar nach der 
Verbandabnahme genommenen erkennen Hessen. Sie zeigten 
ganz genau wieder die typische Form der Deformität, wie sie 
vor der Anlegung des Redressementsverbandes gewesen war. Der Rippen¬ 
buckel in der Konkavität, der nach der Abnahme des Verbandes vor¬ 
handen gewesen war, war wieder verschwunden; an seine Stelle war wieder 
eine deutliche Abflachung der Thoraxwand getreten, und der Rippen¬ 
buokel, welcher vor der Anlegung des Korrektionsverbandes dagewesen 
war, war wieder erschienen. Es war also ein echtes Reoidiv ein¬ 
getreten, das noch nicht die Höhe der Deformität vor der Anlegung 
des Verbandes erlangt hatte; aber der Patient war ja auch nach Ab¬ 
legung des Gipses nicht etwa frei gewesen, sondern hatte die ganze Zeit 


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UNIVERSUM OF IOWA 


2. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1021 


in einem starren, durch Schrauben geschlossenen Korsett gesteckt, welches 
den Rumpf in derselben Stellung wie der Gipsverband weiter gehalten 
hatte, und trotzdem ist aus der sogenannten Ueberkorrektur 
wieder das Recidiv gekommen! 

Wer auf dem Gebiet des Skoliosenredressements Erfahrungen 
hat, der weiss, dass man von einem Dauerkorrektionsresultat so 
lange absolut nicht sprechen kann, als man den Patienten noch 
in korrigierenden Apparaten hat, und der weiss, dass ein Recidiv, 
dass sich trotzdem schon 7 Monate nach der Abnahme des Redresse¬ 
mentsverbandes so deutlich zeigt, eine recht üble Prognose besitzt. 

Ich will nicht weiter in Einzelheiten gehen, sondern nur noch 
kurz mein Urteil über das Abbott’scbe Verfahren zusammen fassen. 
Das, was den grossen Fortschritt des Abbott’schen Ver¬ 
fahrens gegen die bisherigen Korrektionsmethoden ausmachen 
soll und auszumachen scheint, die Möglichkeit, eine skoliotische 
Verkrümmung in Ueberkorrektur einzustellen, ist ein Irrtum. 
Dafür hängen dem Abbott’schen Verfahren alle Gefahren an, die 
jeder Behandlung einer Skoliose im Gipsverband anhängen. Dazu 
kommen noch die Gefahren, welche langdauernde schwere Thorax¬ 
kompressionen mit sich führen. 

Noch ein paar Worte möchte ich anfügen über die Stellung 
des Redressements in der Skoliosentherapie im allge¬ 
meinen. Es ist das eine Frage, die durch das Abbott’sche Ver¬ 
fahren wieder aktuell gemacht worden ist, und über die ich ein 
Urteil aussprechen darf, da ich eine Erfahrung gerade auf diesem 
Gebiet besitze, wie sonst wohl kein anderer Ortbopäd. Ich übe 
das Redressement seit etwa 15 Jahren regelmässig aus und habe 
meine Anschauungen über den Wert und über die Gefahren der 
Methode in der orthopädischen Fachpresse wiederholt nieder¬ 
gelegt. Hier ein paar zusammenfassende Sätze: 

Das Redressement ist ausschliesslich ein Mittel zur Kor¬ 
rektion der skoliotischen Deformität. Neben und vor die 
Korrektion der Deformität sind aber in jeder Skoliosenkur Maass¬ 
nahmen zu stellen, welche zum Ziel haben, den deformierenden 
Prozess zur Austilgung zu bringen. Es kann deshalb niemals 
mit der Anwendung des Redressements eine ganze Skoliosenkur 
erledigt sein. Die anderen, zur vollen Kur gehörenden Maass¬ 
nahmen haben nie die Bedeutung einer Nachbehandlung des 
Redressements, sondern sie sind diesem zum mindestens gleich¬ 
wertig, ja meist weit überwertig. 

Mit dem Redressement sind bedeutende Korrektionserfolge 
auch bei schweren Skoliosen zu erreichen. 

Das Redressement ist aber ein gefährliches Mittel. 
Durch dasselbe wird der deformierende Prozess der Skoliosen¬ 
bildung nicht ausgeschaltet oder abgeschwächt, sondern in hohem 
Grade angefacbt. Gelingt es nicht, durch entsprechende Maass¬ 
nahmen diese Anfachungen des Deformationsprozesses unschädli.h 
zu machen, so ist das Endresultat der Redressementskur, auch 
wenn dieselbe zunächst einen ganz blendenden Korrektionserfolg 
erzielt batte, eine schwere Verschlimmerung der Skoliose: 
eine Verschlimmerung nicht etwa trotz des Redressements, sondern 
durch das Redressement. 

Die durch ein Redressement zu erzielenden Korrektionserfolge 
können zu Dauerresultaten werden; jedoch gelingt dies nicht in 
allen Fällen. Selbst wenn man die Behandlung nach dem 
Redressement mit allen uns heute zur Verfügung stehenden Mitteln 
io sorgfältigster Weise weiterfübrt, erhält man neben Dauer- 
resultaten Recidive von verschieden hohen Graden. 

Die Ursache dieser Verschiedenheit liegt darin, dass 
wir noch kein Mittel besitzen, den skoliosenbildendeo 
Prozess völlig zu beherrschen. Bei den schweren Skoliosen, 
für welche das Redressement in Frage kommt, ist die Ursache 
der Skoliosenbildnng eine Erkrankung, welche die Trag¬ 
kraft der Wirbelknochen bedeutend vermindert. Welches 
diese Erkrankung ist, das wissen wir bis heute nicht, noch viel 
weniger haben wir Mittel, sie unschädlich zu machen. 

Dass diese Erkrankung heilbar sein muss, ergiebt sich aus der 
Tatsache, dass wir schwere Skoliosen doch zum Stillstand kommen 
sehen, und aus der Tatsache, dass es gelingt, einen gewissen Prozent¬ 
satz von Redressementsresultaten als Dauerresultate zu erhalten. 

Die Lösung des Skoliosenproblems liegt an dieser 
Stelle. Wer uns das Wesen der Krankheit, die den Wirbel - 
knocben des schweren Skoliotikers dieTragkraft nimmt, 
erklärt, wer uns ein Mittel gibt, diese Krankheit zu 
heilen, dem gebührt der Lorbeer, dem wir Herrn Abbott 
ebensowenig zuerkennen können, wie allen denen, die sich bis 
heute, an der Lösung des« Skoliosenproblems versucht haben. 


Ueber die einfachste Gramfärbungsmethode. 

Von 

Theodor Hausmann. 

(Anlässlich der Mitteilung von Klausner in Nr. 7 dieser Wochenschrift.) 

Allgemein wird zur Gramfärbung eine Anilinwassergentianviolettlösung 
angewandt, die aber sehr wenig haltbar ist. Klausner maoht auf ein 
haltbares, von Grübler zu beziehendes Anilinwassergentianviolett auf¬ 
merksam. Dagegen ist nichts einzuwenden als das, dass dieses Präparat 
eine Speoialität ist, die man sich erst extra kommen lassen muss. 

Mir ist es unerfindlich, wozu überhaupt das Anilinwasser nötig ist. 
Man erreicht ganz dasselbe mit der lproz. wässrigen Lösung des 
gewöhnlichen käuflichen Gentianvioletts. Man lege auf das 
Deckglas oder auf den Objektträger ein Stück Filtrierpapier 
von der Grösse des Deckglases oder etwas grösser und giesst 
die Lösung einfach darauf. In der gewohnten Zeit ist die Färbung 
mit Gentianviolett beendet. Das Filtrierpapier hält alle Niederschläge 
zurück. Einfach, gut und billig. 


Meningismus. 

Ueber sichtsreferat. 

Von 

Dr. Curt Kayser-Berlin, 

Assistenzarzt am Krankenhaus im Friedrichshain. 

Unter dem Namen „Meningismus“ hat man nach dem Vor¬ 
schläge von Duprö einen Symptomenkomplex zusammenzufassen 
gesucht, der äusserlicb dem Bilde der echten Meningitis gleicht, 
sich aber von ihr in einigen wichtigen Punkten, besonders hin¬ 
sichtlich des Verlaufes und der Aetiologie, unterscheidet. 

Die charakteristischen Züge des Meningismus, den andere 
Autoren auch „Pseudomeningitis“ (Bouchut), „Meningitis sine 
meningitide“ (Schultze) oder gar „Meningitis disseminata septica 
acuta bzw. infectiosa“ (Schottmüller) nennen wollen, sind etwa 
folgende: Fieber, Nackensteifigkeit, Hyperästhesie, Kopfschmerzen, 
Kernig’sches Phänomen, normaler oder erniedrigter, gelegentlich 
auch gesteigerter Lumbaldruck, klare, zellarme, bakterienfreie 
Lumbalflüssigkeit und Uebergang der Erkrankung io Heilung ohne 
irgendwelche Residuen. 

Während das Fehlen jeglichen Bakterienbefundes im Lumbal¬ 
punktat ein absolutes Postulat für die Diagnose darstellt, kommen 
sonst die verschiedensten Kombinationen der erwähnten Einzel¬ 
symptome vor, doch fehlen Fieber, Nackensteifigkeit und Hyper¬ 
ästhesie wohl fast niemals. 

Dabei ist hervorzuheben, dass es sich beim Meningismus 
nicht um eine Krankheit sui generis handelt, sondern um ein 
Syndrom von Erscheinungen im Gefolge anderer Erkrankungen, 
besonders Infektionskrankheiten. 

Es gibt fast keine Infektionskrankheit, bei der Meningismus 
nicht schon beobachtet und beschrieben worden ist. Besonders 
reichhaltig in dieser Beziehung sind die Erfahrungen französischer 
Autoren, wie z. B. von Rocca, in dessen 1898 erschienener 
Arbeit sich ein ausführliches Literaturverzeichnis findet. 

Typhus, Pneumonie, Scharlach, Masern, Iufluenza, Keuch¬ 
husten u8w. werden von den meisten Autoren als Grundkrankbeit 
beim Meningismus angeführt. 

Beim Scharlach hat kürzlich Hans Sachs sogar in 4 pCt. 
der Fälle klinische Erscheinungen der Meningitis gesehen, während 
der Befund der Lumbalflüssigkeit — keine Bakterien, keine zeitigen 
Elemente und normaler, gelegentlich erhöhter Druck — die Dia¬ 
gnose „Meningismus“ rechtfertigte. 

Ueber Meningismus bei Typhus berichten Laurel, Sturs¬ 
berg u. a. Stäubli sah einen Fall von Typhus, bei dem neben 
ausgesprochenem Meningismus eine corticale Aphasie bestand, die 
wieder völlig zurückgiog. Aehnliche Symptome von Aphasie und 
Ataxie beobachtete Gennari bei einem sechsjährigen Kinde, das 
das Bild eines, vermutlich durch Intoxikation vom Magendarm¬ 
kanal bedingten Meningismus bot. Der Fall kam nach relativ 
kurzer Zeit zur Heilung, ohne dass irgendwelche Lähmungen 
zurückblieben. 

Verschiedentlich werden in der Literatur Beobachtungen von 
Meningismus bei Pneumonie erwähnt. Nach Noböcourt sind es 
nicht nur croupöse Pneumonien, sondern auch Bronchopneumonien, 
die das Bild des Meningismus hervorrufen können. Kirchheim 
spricht in diesem Zusammenhänge geradezu von einer cerebralen 
Pneumonie. Nach seinen Beobachtungen findet sich der pneumo- 

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UMIVERSITY OF IOWA 




1022 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22. 


nische Meningismus besonders bei Oberlappenpneumonien. Unter 
500 einschlägigen Fällen des Kölner Aagusta-Hospitals konnte 
13 mal die Diagnose Meningismus bei Pneumonie gestellt werden. 
Von diesen Fällen betrafen 12 Kinder unter 12 Jahren. In 
keinem Falle blieben Lähmungen zurück, nie fanden sich Krämpfe 
oder Pupillenveränderungen, dagegen war der Liquor stets klar 
und bakterienfrei. 

Schottmüller beobachtete Meningismus auch bei puerperaler 
Sepsis, Masern und Keuchhusten. 

Etwas eigenartig muten die Befunde von Meningismus bei 
Helminthiasis an. Nach einer Publikation von Taillens genas 
ein zweijähriges Kind von Meningismus nach plötzlichem Abgang 
von neun Ascariden. Ein von Annaratone behandelter Neger 
war unter gastrointestinalen Erscheinungen erkrankt, bekam 
Nackenschmerzen, Erbrechen, Bauchspasmen, Nystagmus, Zähne* 
knirschen, Pupillenstarre und Bewusstlosigkeit. Die Sektion er> 
gab ausser Hyperämie der Meningen im Magen eine grosse Menge 
von Ascariden. 

In derartigen Fällen muss man allerdings im Zweifel sein, 
ob es sich wirklich um einen, durch die Anwesenheit von Ascariden 
oder deren Stoffwechselprodukten bedingten Meningismus gehandelt 
bat oder vielmehr neben einer anderen Erkrankung um eine Form 
des Meningismus, die Schultze die hysterische nennt. Sie ist 
vor allem durch das Fehlen jeglicher Temperatursteigerung aus¬ 
gezeichnet und unter Umständen psychisch beeinflussbar. Es ist 
indessen wohl nicht zweckmässig, Erscheinungen hysterischer Natur 
mit dem Ausdruck „Meningismus“ zu belegen, besonders im Hin¬ 
blick auf die im allgemeinen mangelnde Exaktheit der Diagnose 
„Hysterie“. 

Ueber pathologisch anatomische Befunde beim Meningismus 
ist wenig zu sagen, einmal deshalb, weil es beim echten 
Meningismus meist zur völligen Ausheilung und Genesung kommt, 
dann aber auch weil gerade das Fehlen jeglichen pathologisch¬ 
anatomischen Befundes für das Krankheitsbild charakteristisch 
ist. Soweit aus der Literatur hervorgeht, beobachtet man 
gelegentlich nur Hyperämie und Oedem der Hirnhäute. Sturs¬ 
berg sah in einem Falle von Schultze eine Thrombose in ver¬ 
schiedenen Gehirnvenen. Ganz vereinzelt steht ein Fall Schott¬ 
mül ler*s da, der bei Meningismus im Anschluss an puerperale 
Sepsis bei der Sektion eine Pacbymeningitis haemorrhagica interna 
mit perivasculär angeordneten Zell häufen und Streptokokken¬ 
ansiedelungen fand. 

Die Diagnose des Meningismus, die von Ortner in grosser 
Ausführlichkeit besprochen wurde, kann unserer Ansicht nach 
unter strenger Beobachtung der obenerwähnten Kriterien und des 
Auftretens im Anschluss an eine bakterielle Erkrankung kaum 
grössere Schwierigkeiten bieten. Vor allem wird stets, worauf 
besonders Stadelmann seinerzeit hingewiesen hat, die Frage: 
Meningismus oder Meningitis? durch das Ergebnis der Lumbal¬ 
punktion nach der einen oder anderen Richtung entschieden 
werden können. 

Eine kürzlich von Daielopolu angegebene diagnostische 
Reaktion entbehrt nicht des praktischen Interesses. Daielopolu 
fand, dass der Liquor cerebrospinalis bei Meningitis in höherem 
Maasse die von taurocholsaurem Natron bervorgerufene Hämolyse 
zu hemmen vermag als bei Fällen von Meningismus. 

Ein Hineinbeziehen von meningitischen Symptomen bei Pacby¬ 
meningitis haemorrhagica acuta, Encephalitis, Sinusthrombose, 
Sarkomatose der Hirnhäute, Cysticercose des Gehirns, Paralyse usw. 
unter den Begriff des Meningismus, wie es Ortner tut, muss 
dazu angetan sein, das Krankheitsbild zu verwischen, zu Fehl¬ 
diagnosen zu verleiten und die Erforschung der Aetiologie des 
Meningismus unnötig zu erschweren. 

Die Prognose des Meningismus ist im allgemeinen gut. Nie 
bleiben Lähmungen oder sonstige cerebrale Störungen zurück; 
und eine ungünstige Beeinflussung des Grundleidens durch den 
Meningismus ist wohl bisher nicht beobachtet worden. Die 
Therapie ist eine rein symptomatische, bisweilen schafft die Lumbal¬ 
punktion Erleichterung. Im grossen ganzen ist ausser der üb¬ 
lichen Behandlung der Grundkrankheit keine spezielle Therapie 
des Meningismus erforderlich. 

Schliesslich bleibt noch die Frage nach der Aetiologie des 
meningistischen Symptomenkomplexes zu erörtern. Hier sind die 
Ansichten der Forscher noch sehr ungeklärt und strittig. 

Während die einen (Schottmüller, Zeidler, Bousquet 
u. a.) im Meningismus nur ein graduell von echter Meningitis 
unterschiedenes Krankheitsbild sehen, das seinen Ursprung un¬ 
mittelbarer Bakterieneinwirkung verdankt, gestehen andere Autoren 


(Schultze, Kirchheim, Schröder, Sachs usw.) dem Menin¬ 
gismus seine Existenzberechtigung als eigenes Krankheitsbild im 
oben erörterten Sinne zu und führen das Auftreten der klinischen 
Erscheinungen im allgemeinen auf die Wirkung von Toxinen 
zurück. 

Es ist selbstverständlich,dass das nur ein, man kann wohlsagen, 
bequemer Erklärungsversuch ist. Denn es muss mit Schultze 
zugegeben werden, „man kann sich nicht einfach vorstellen, dass 
diese Toxioe, welche doch bei den verschiedenen zugrundeliegenden 
Infektionskrankheiten verschiedener Natur sein müssen, direkt 
durch Vergiftung irgendwelcher Nervenapparate jedesmal die 
Nackensteifigkeit und Hyperästhesien hervorrufen, sondern man 
muss, wenigstens für die Fälle mit vermehrtem Hirdruck, an¬ 
nehmen, dass durch sie zunächst eine stärkere Transsudation durch 
die Gefässe gesetzt wird, die ihrerseits irgendwie durch Toxine 
verändert werden“. 

Eine Klärung der Frage ist vielleicht in Zukunft von um¬ 
fassenden, experimentellen Forschungen zu erwarten, die unserer 
eigenen Ansicht nach auch die Frage der Anaphylaxie berück¬ 
sichtigen sollten. 


Literatur. 

1. Annaratone, Un oaso di meningismo da elmintiasi. Giorn. 
med. del regio esercito. 1900, No. 3, citiert n. Centralbl. f. inn. Med. 
1900, Nr. 48. — 2. Bouohut, Des complications cerebrales et cerebro¬ 
spinales dans la fievre typhoide. Gaz. deshöpit, 1875. — 3. Bousquet, 
Le meningisme, ses rapports avec la ponction lombaire. Gaz. des höpit., 
1910, cit. n. Centralbl. f. Neurol., Bd. 80, S. 143. — 4. Daielopulo, 
Diagnostik der Meningitiden mittels der Taurocholnatrium-Reaktion. 
Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 40. — 5. Duprö, Du Meningisme. 
Congres de Lyon 1894, Söance 11 und Manuel de möd., Vel. 3, cit. n. 
Schultze, Nothnagel’s Handb., Bd. 9, S. 182. — 6. Gennari, Menin¬ 
gismo acuto con afasia ed atassia motorice transitorie d’origine tossico 
reflessa gastro-intestinale. Gaz. degli ospedali, 1908, Nr. 44, cit n. 
Centralbl. f. inn. Med., 1908, Nr. 34. — 7. a) Kirchheim, Meningismus 
und Meningoencephalitis bei croupöser Pneumonie. Med. Klinik, 1908, 
Nr. 38; b) Kirchheim und Schröder, Ueber Meningismus bei In¬ 

fektionskrankheiten. Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 103, H. 3 u. 4. 

— 8. Laurel, Meningisme apres fievre typhoide. Revue neurolog., 1908, 

Nr. 3. — 9. Nobecourt, Pathogönie des troubles meningös au cours 
des infections aigues de l’appareii respiratoire. Gas. des höpit., 1904, 
Nr. 50. — 10. Ortner, Meningitis oder Meningismus? Med. Klinik, 

1908, Nr. 2. — 11. Rooca, Du meningisme dans les maladies infectieuses. 
These de Paris, 1898, mit ausführlicher französischer Literatur, cit n. 
Schultze, Nothnagel’s Handb., Bd. 9, S. 182. — 12. Sachs, Menin¬ 
gismus bei Scharlach. Inaug.-Diss., Berlin 1910 und Jahrb. f. Kinder- 
heilk., Bd. 23, Ergänzungsheft. — 13. Schottmüller, Pacbymeningitis 
int. infect. acuta und Meningismus. Münchener med. Wochenschr., 1910, 
Nr. 88. — 14. Schultze, Krankheiten der Hirnhäute. Nothnagel’s 

Handb., Bd. 9, S. 141 ff. — 15. Stadelmann, Klinische Beiträge zur 

diagnostischen Bedeutung der Lumbalpunktion. Berliner klin. Wochen¬ 
schrift, 1895, Nr. 27, und Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., 1897. 

— 16) Stäubli, Meningismus typhosus und Meningotyphus. Deutsches 
Archiv f. klin. Med., Bd. 82, H. 1 u. 2. — 17. Stursberg, Ueber die 
Ursache meningitisähnlicher Krankheitserscheinungen beim Ueotyphus. 
Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk., Bd. 19. — 18) Tai 1 lens, Ascarides 
et möningisme. Arch. de m6d. des enfants, Vol. 9, cit. n. Centralbl. f. 
Neurol., 1906, S. 1111. — 19. Zeidler, Ueber Meningismus bei akuten 
Infektionskrankheiten. Russky Wratsch, 1910, Nr. 46, cit. n. Münchener 
med. Wochenschr., 1911, S. 917. 


Bücherbesprechungen. 

Ferdiaaud Blnnenthal: Handboeh der speziellea Pathologie des 
Harns. Berlin-Wien 1918, Urban und Schwarzenberg. 15,— M. 

Trotz der Ueberproduktion an medizinischen Hand- und Lehr¬ 
büchern fehlte bis heutigen Tages noch ein Buch, das, wie das vor¬ 
liegende, die spezielle Pathologie des Harns bei den verschiedensten Er¬ 
krankungen in umfassender Weise behandelt. Gewiss wird schon 
mancher die Idee, ein solches Buch zu schreiben, gehabt, dann aber 
auch sehr bald erkannt haben, welch ungeheuere Materie es dabei 
zu bewältigen gibt, und welche Sachkenntnis und Beherrschung der 
normalen, besonders aber der pathologischen Physiologie ein solches 
Werk verlangt. Es dürften eben nur wenige die Qualitäten für eine 
solche Aufgabe besitzen, und zu diesen wenigen gehört sicherlich der 
Verfasser. Diese Empfindung hat man sofort beim Lesen des Buches 
und je weiter man kommt, um so lebhafter empfindet man die reiche 
Erfahrung und tiefe Sachkenntnis, die aus jedem Kapitel sprechen. Dabei 
ist alles von einer Klarheit in der Darstellung und einer Frische in der 
Kritik, dass es eine wahre Freude macht, sich in das Buch zü ver¬ 
tiefen. Ganz besonders hervorgeboben zu werden verdient die.Voll¬ 
ständigkeit, mit welcher Verfasser die Literatur bringt; von deren Aus- 


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UNIVERSUM OF IOWA 





2. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1023 


dehnung macht man sich ungefähr einen Begriff, wenn man nur einen 
flüchtigen Blick in das Autorenregister hinein wirft. Ich habe trotz zahl¬ 
reicher Stichproben bisher noch keine Arbeit vermisst. Am besten ge¬ 
lungen scheinen mir die Kapitel Diabetes mellitus, Diabetes insipidus, 
Gicht, Nierenkrankheiten, bösartige Geschwülste, Syphilis. Aber auch 
die anderen Kapitel wie Scharlach, Masern, Pneumonie, Tuberkulose, 
Tetanus usw. treten keineswegs hinter den anderen zurück. Dass die 
ersten Anfänge dieses Werkes nunmehr 10 Jahre zurückliegen, wie in 
der Vorrede erklärt wird, spricht nur für die Gewissenhaftigkeit und 
Gründlichkeit, mit welcher Blumenthal sich seiner Aufgabe unterzog, 
und so können wir dem Verfasser nur dankbar sein für dieses ausgezeich¬ 
nete Werk. 


E. Abderhaldei: Handlich der biochemischem Arbeitsmethoden. 

Mit 335 Textabbildungen und einer farbigen Tafel. Berlin- 

Wien 1912, Urban und Schwarzenberg. 33,— M. , 

Dieser Band trägt den Fortschritten der Methodik auf verschiedenen 
Gebieten der Biologie Rechnung. Ausser Ergänzungen früher bereits 
abgehandelter Kapitel bringt er neue Gebiete aus der Pflanzenbiologie 
und einige Methoden, die zwar keine chemischen sind, aber doch in 
naher Beziehung zu solchen stehen. Neu sind in diesem Bande folgende 
Kapitel: 

G. Zemplön, Darstellung, Nachweis und Bestimmung der 
höheren Kohlenhydrate; V. Grafe, Physikalisch-chemische 
Analyse dej* Pflanzenzelle, Beiträge zum Nachweis von 
Alkaioiden, Methoden der Kautschukbestimmung, Sterili¬ 
sieren lebender Pflanzen; M. Nierenstein, Untersuchung und 
Analyse der Gerbstoffe; G. Giemsa, Biochemische Methoden 
bei Malariauntersuchung; E. Abderhalden, Diagnose der 
Schwangerschaft bei Mensch und Tier mit Hilfe der opti¬ 
schen Methode und des Dialysierverfahrens; J. Wohlgemuth, 
Methoden zur quantitativen Bestimmung des diastatischen 
Fermentes, des Fibrinfermentes und des Fibrinogens; 
H. Jessen - Hansen, Die Formoltitration; D. van Slyke, Die 
quantitative Bestimmung von aliphatischen Aminogruppen; 
0. Emmerling, Chemische und biologische Untersuchung des 
Wassers und Abwassers; H. Deetjen, Methoden der Unter¬ 
suchung von Blutplättchen; 0. Schümm, Spektographische 
Methode zur Bestimmung des Hämoglobins und verwandter 
Farbstoffe; W. Heubner, Anwendung der photographischen 
Methode in der Spektrophotometrie des Blutes; A. Carrel, 
Neue Methoden zum Studium des Weiterlebens von Geweben 
in vitro; J. Fischler, Die Anlegung der Eok'schen Fistel 
beim Hund; von der Velden, Technik und Anwendungsweise 
der Ueberdruckoperationen; E. Lampe, Thymektomie, Thy- 
reoidektomie und Splenektomie beim Hund; 0. Cohnheim, 
Methodik der Dauerfisteln des Magendarmkanals; R. Gott* 
lieb und M. O’Connor, Nachweis und Bestimmung des Adrena¬ 
lins im Blute; A. Lohmann, Methodik der Darmuntersuchungen 
(Darmbewegung). 

Mit diesem sechsten Bande kündigt Verf. schon das Erscheinen 
eines weiteren Bandes an, und wahrscheinlich wird auch der siebente 
Band noch nicht der letzte sein. Denn da das Handbuch die Aufgabe 
verfolgt, Methoden zu vermitteln, die sich bewährt haben, Methoden aber 
täglich neue erstehen resp. ständig abgeändert werden, so ist es nur 
natürlich, dass dem von dem Herausgeber in entsprechender Weise 
Rechnung getragen werden muss. 


Pail Lasar 18: Haidbich der Radlmbielogie nid -therapie, ein¬ 
schliesslich der anderen radioaktiven Elemente. Wies¬ 
baden 1913, J. F. Bergmann. 22,65 M. 

Das vorliegende Werk umfasst die ganze Radiumwissenschaft, so¬ 
wohl die theoretische, soweit sie für den Mediziner von Interesse ist, 
wie die praktische, und als solches dürfte es einzig in seiner Art da¬ 
stehen. Bei der Vielseitigkeit, welche die Radiumforschung heute so 
auszeichnet, war natürlich nur von einem Zusammenwirken Vieler ein 
umfasssendes und erschöpfendes Werk zu erwarten. Mit grossem Ge¬ 
schick und feinem Verständnis bat Verf. einen Stab von Mitarbeitern 
für seine Idee gewonnen, die ihm und seinem Werke alle Ehre machen. 
Wir finden unter ihnen Namen nicht nur von gutem, sondern viele von 
bestem Klang. So haben an dem theoretischen Teil mitgewirkt: 
Becquerel und Matout - Paris, Laborde - Paris, Szilard - Paris, 
Bickel - Berlin, Hahn-Berlin, Mach6 und Meyer-Wien, Neuberg- 
Berlin, Pfeiffer und Prausnitz - Breslau, 0. Hertwig - Berlin. Der 
praktische Teil ist bearbeitet von P. Lazarus - Berlin, Brieger und 
Fürstenberg - Berlin, Dautwitz, Noorden und Falta-Wien, 
Plesch - Berlin, Strassburger - Breslau, Gref-Berlin, Sobiff-Wien, 
Wickham - Paris, Bashford - London, Czerny und Caan - Heidelberg. 
Schon aus den aufgezählten Namen allein bekommt man eine Vor¬ 
stellung von den Qualitäten des Werkes, und diese Vorstellung realisiert 
sich auch, wenn man sich in das Werk vertieft. Es kann hier natur- 
gemäss nicht unsere Aufgabe sein, auf die einzelnen Kapitel des Näheren 
einzugehen, wir mussten uns darauf beschränken, nur ein allgemein um¬ 
fassendes Urteil abzugeben. Und dieses kann nur ein in jeder Be¬ 
ziehung günstiges sein. Dem Arzt, der Radiumtherapie auf streng 
wissenschaftlicher Grundlage treiben will, bietet das Werk eine physi¬ 
kalische, biologische und klinische Ausrüstung, wie man sie sich besser 


für ihn kaum wünschen kann. Ein die ganze medizinische Radium¬ 
forschung umfassendes Literaturverzeichnis vervollständigt das Werk in 
angenehmer Weise. 


R. Tigerstedt: Physiologische Uehnogei md Demoistratioien für 
Studierende. Mit 327 Abbildungen. Leipzig 1913, S. Hirzel. 

Das vorliegende Practioum bringt eine Auswahl physiologischer 
Versuche aus allen Gebieten der Physiologie mit Ausnahme der physio¬ 
logischen Chemie, wie sie in dem physiologischen Institut von Helsingfors 
in dem praktischen Kursus ausgeführt werden. Verf. hat sich bemüht, 
eine möglichst grosse Zahl solcher Versuche zu beschreiben, damit der 
Lehrende sowohl als der Lernende jederzeit einerseits eine bestimmte 
Auswahl treffen, andererseits wieder das Programm abändern kann. So 
bietet das Buch eine Fülle von Experimenten, die vielfach durch die 
beigegebenen ausgezeichneten Illustrationen sehr schön veranschaulicht 
werden. Würden diese fehlen, so wäre der Wert des Buches in keiner 
Weise beeinträchtigt, denn die Darstellung ist so klar und verständlich, 
dass man schon an der Hand des Textes allein jeden Versuch ausführen 
kann. Das Buch sollte in keinem physiologischen Laboratorium fehlen. 

Wohlgemuth. 


Weehselmann: Ueber die Pathogenese der Salvarsantodesfälle. 

Berlin und Wien, Urban & Schwarzenberg. 84 S. Mit 7 Text¬ 
abbildungen. Preis 4 M. 

In der vorliegenden Monographie sucht W., der um die Salvarsan- 
therapie so verdienstvolle Dermatologe, in die noch keineswegs geklärte 
Frage der Salvarsantodesfälle Licht zu bringen, nicht sie zu lösen, wie 
er selbst betont. Durch einen letal geendigten Fall eigener Beobachtung 
sowie durch das Studium der in der Literatur beschriebenen Todesfälle 
ist W. zu der Ansicht gelangt, dass es sich dabei nicht um eine Arsen¬ 
intoxikation handeln könne, zumal die in vielen Fällen konstatierte 
Encephalitis haemorrhagica in der Literatur der akuten Arsen¬ 
vergiftung keine Rolle spielt. „Die akuteste Form der Arsenvergiftung 
verläuft — nach Heinz —, wenn mit einem Male grosse Mengen von 
Arsen in den Kreislauf gelangen, abweichend von der gewöhnlichen 
„gastro-intestinalen“ Form, hauptsächlich unter Erscheinungen der 
Lähmungen des Centralnervensystems und des Herzens als „paralytische“ 
Form. Die letztere (beim Menschen übrigens seltene) Form beginnt 
wohl auch mit Erbrechen und Uebelkeit; doch können diese Zeichen 
ganz fehlen. Das Wesentliche ist grosse Schwäche, elender Puls, 
Temperaturabnahme; die Besinnlichkeit nimmt bald ab, Delirien, Ohn¬ 
mächten, nach und nach stellt sich Coma ein, bis schliesslich der Tod 
ohne jedes besondere Zeichen eintritt. Der Tod ist rasch; in einigen 
wenigen (bis 10 Stunden) erfolgt der Tod.“ Das entspricht nicht 
dem Bilde der Salvarsantodesfälle. 

Vielmehr glaubt W. die Erscheinungen unter das Bild der Urämie 
rubrizieren zu sollen, deren Hauptcharakteristicum das Unberechen¬ 
bare und Bizarre ist. ln dem von W. beobachteten Todesfälle fand 
sich 0,5 Harnstoff auf den Liter Lumbalflüssigkeit berechnet und starke 
Erhöhung des Reststickstoffs im Blut. Dieser Befund deutet auf eine 
Insuffizienz der Nieren hin; die Insuffizienz der Niere aber ist — 
nach Wechselmann — der Kernpunkt der ganzen Frage, und nicht 
die Ueberempfindlichkeit des Gehirns. 

Zur Stützung dieser seiner Ansicht führt W. einige Fälle aus der 
Literatur an, in deren Krankengeschichten'Anurie mit nachfolgendem 
Tode verzeichnet ist. Vorzugsweise aber recurriert W. auf die bekannten 
Versuche Schlayer’s über die Wirkung der Arzneimittel auf die 
Nierenfunktion bzw. der Schädigung dieser durch jene. Unter aus¬ 
gedehnter Anführung der Versuche des genannten Autors begründet W. 
seine Ansicht dahin, dass die kombinierte Anwendung von Quecksilber 
und Salvarsan eine Störung der Nierenfunktion verursacht, indem das 
Hg eine tubuläre Nephritis, das Salvarsan eine vasculäre Nephritis 
hervorzurufen imstande ist. Ein markantes Zeichen der Quecksilber¬ 
vergiftung ist die Anurie, wie überhaupt schon bei manchen Individuen 
auch auf geringe Quecksilberdosen eine Schädigung der Nierenfunktion 
eintritt, die sich nicht in der Ausscheidung von Eiweiss oder Formele¬ 
menten, sondern nur in einer Verminderung der Harnmenge äussert. 
Dieser Harnverminderung hat man, nach W.’s Meinung, bis jetzt 
zu wenig Beachtung geschenkt. Wird nun dem Organismus Salvarsan 
in einem Moment einverleibt, in welchem durch Quecksilber eine Hypo- 
sthenurie eingeleitet ist, so wird die Ausscheidung gestört und die 
Injektion gefährlich. Durch die verzögerte Ausscheidung aber könne 
sich das Salvarsan im Organismus in das giftige Arsenoxyd verwandeln. 
So gleicht der Salvarsantod auch nicht dem Arsentod, sondern er hat 
weitgehende Aehnlichkeit mit dem Tode an Kohlenoxydvergiftung. 
W. stützt diese seine Theorie auf die pathologisch-anatomischen Befunde 
bei der CO-Vergiftung, mit denen die bei den Salvarsantodesfällen ge¬ 
fundenen grosse Aehnlichkeit hätten. Man wird also bei Salvarsan- 
vergiftungen mehr wie bisher sein Augenmerk auf die Beschaffenheit 
des Blutes, besonders auf seinen Sauerstoffgehalt, richten müssen. 

Bei der Einleitung einer Salvarsankur wird man in erster Linie der 
Funktion der Nieren Beachtung schenken müssen und nach einer ersten 
Injektion, welche zweckmässig mit einer Tastdosis von 0,1 bis 0,2 ge¬ 
macht wird, genau auf die Urinmenge achten. Störungen der Diurese 
sind häufig mit Kopfschmerzen, Erbrechen, Abgeschlagenheit vergesell- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22. 


schäftet. Infektionskrankheiten, wie Scharlach und Diphtherie, können 
eine vasculäre Hypostheourie hinterlassen. 

Auch extrarenale Einflüsse können eine Verzögerung der Salvarsan- 
ausscheidung verursachen, so in erster Linie gewisse Zustände des 
Herzens. 

Auch das durch den Wasserfehler bedingte Fieber könnte, da 
nach neueren Untersuchungen im Fieber Kochsalzretention besteht, zu 
Salvarsanretention führen. Den Zuständen des Gehirns ist ebenfalls 
grosse Beachtung zu schenken. Wenn auch das kranke Hirn Salvarsan 
im allgemeinen gut verträgt, so sind in ganz vereinzelten Fällen Kranke 
mit weitgehenden Veränderungen oder mit Krankheitsherden an lebens¬ 
wichtigen Centren dem Eingriff nicht gewachsen, zumal wenn sie bald 
grössere Dosen erhalten. Eine gewisse Gefahr scheinen auch latente 
Meningealtuberkulosen zu bieten. W. pflegt daher bei Tuber¬ 
kulösen mit Kopfschmerzen stets vor Anwendung des Salvarsans das 
Lumbalpunktat genau zu untersuchen und differentialdiagnostisch 
Lues und Tuberkulose zu ergründen. 

Auch die mit akuter gelber Leberatrophie einhergegangenen 
Todesfälle führt W. auf Störungen in der Ausscheidung zurück, da die 
auf florider Syphilis beruhende akute gelbe Leberatrophie sich mit 
schweren Epithelnekrosen der Nieren, welche klinisch nicht erkennbar 
sind, verknüpfen kann und daher die Elimination jeden Arzneimittels 
grossen Schwierigkeiten begegnet. 

Von Insuffizienzen anderer Organe ist auch die des Plexus 
choroideus zu berücksichtigen, da unter der Retention des Salvarsans 
im Blute dieser so geschädigt werden kann, dass — wie in dem von W. 
beobachteten Falle — der vorher eiweissfreie Liquor reichlich Eiweiss 
enthält, ja sogar zu spontaner Gerinnung kommen kann. 

Als Facit seiner Untersuchungen und Erwägungen zieht W. nun 
den Schluss, „dass Salvarsan an sich für normale Menschen in den ge¬ 
bräuchlichen Dosen ungiftig ist. Stets bedingt eine Organinsuffizienz, 
besonders eine solche der Nieren, die beobachteten Schädigungen; für 
diese Insuffizienz ist häufig das Quecksilber, nur äusserst selten viel¬ 
leicht das Salvarsan, aber auch andere schwächende Momente, z. B. die 
Wirkung der Syphilis auf die Gefässe, andere Infektionen und Intoxi¬ 
kationen verantwortlich zu machen. Sache eines wirklichen Salvarsan- 
tberapeuten ist es, vor und während der Salvarsanbehandlung auf diese 
Zustände auf das sorgfältigste zu achten“. 

Das Buch enthält noch eine nach Rubriken zusammengestellte Auf¬ 
zählung der bisher publizierten Todesfälle, an deren Spitze die Tatsache 
vermerkt ist, dass bei subcutanen und intramuskulären Sal- 
varsaninjektionen der cerebrale Typus von Todesfällen 
nicht beobachtet ist. 

Das Bestreben Wechselmann’s, die klinischen und pathologisch¬ 
anatomischen Vorgänge von einem einheitlichen Gesichtspunkt aus zu 
betrachten, hat zweifellos etwas Bestechendes. Indes wir glauben, dass 
die Pathogenese der Salvarsantodesfälle doch ein etwas komplexerer 
Vorgang ist, bei dem die Insuffizienz der Organe eine nicht zu unter¬ 
schätzende Rolle spielen kann. Jedenfalls sind die aus den An¬ 
schauungen W.’s resultierenden Konsequenzen für die Praxis sehr zu 
beachten. Dagegen möchten wir nicht aus den obigen Erwägungen den 
Schluss gezogen sehen, dass die kombinierte Quecksilber-Salvarsan- 
behandlung verlassen werden müsste; dazu liegt keine Veranlassung vor, 
selbst wenn in dem einen oder anderen Falle eine Nierenschädigung 
eintreten würde, die, wie die Erfahrung bestätigt, passagerer Natur ist. 

Die Ausführungen Wechselmann’s lösen — wie schon erwähnt — 
das Problem nicht, sie bieten aber viele Anregungen und spornen zu 
weiteren Nachforschungen an. Benario-Frankfurt a. M. 


Leonor Michaelis: Einführung in die Mathematik für Biologen nnd 
Chemiker. 253 Seiten. Berlin 1912, Springer. Preis 7,80 M., 
broschiert 7 M. 

Im Vorwort seines Buches hebt der Verf. mit Recht hervor, dass 
die Notwendigkeit eines mathematischen Vorstudiums für alle Biologen 
immer dringender wird. 

Ein Mangel an guten Einführungen in die Mathematik für Natur¬ 
wissenschaftler besteht zwar, wie der Autor sagt, nicht; die Erfahrung 
hat ihn aber belehrt, dass die vorhandene Literatur gerade den Bedürf¬ 
nissen des Biologen nicht völlig entspreche. 

Es war daher sicherlich eine berechtigte und wichtige Aufgabe, der 
sich L. Michaelis unterzog, als er mit seiner „Einführung in die 
Mathematik“ ein Buch zu schaffen suchte, das gerade dem Biologen das 
. für ihn auf dem Gebiete der Mathematik Wissenswerteste an die Hand 
geben und, wie Verf. sagt, „dazu beitragen sollte, das mathematische 
Niveau der Jünger der biologischen Wissenschaft zu heben, oder gar 
das Verlangen bei ihnen zu erwecken, nach ausführlicheren Lehrbüchern 
der Mathematik zu greifen“. 

Demgemäss durfte die Ankündigung des hier zu besprechenden 
Buches aus der Feder des bekannten Verf. mit Freude begrüsst werden, 
und man darf wohl ohne weiteres anerkennen, dass Michaelis seine 
Aufgabe in vieler Hinsicht in ausgezeichneter Weise gelöst hat. 

Die Auswahl des Stoffes ist im grossen und ganzen eine zweck¬ 
mässige. Die Darstellung ist kurz und klar, dem Verständnis des Nicht- 
Mathematikers nach Möglichkeit angepasst. Zahlreiche Beispiele, haupt¬ 
sächlich aus dem Gebiete der Biochemie, erläutern den praktischen Wert 
der mathematischen Ueberlegungen für den Experimentator, 


Der Gedanke des Verf., auch die elementare Mathematik hier in 
einem kurzen Abriss wiederzugeben, war ein sehr glücklicher; denn bei 
dem viel zu geringen Interesse, das die Mediziner heutzutage mathe- 
mathischen Problemen entgegenzubringen pflegen, war es sicherlich 
angebracht, zuerst die Kenntnisse in der elementaren Mathematik auf¬ 
zufrischen, ehe mit der Darstellung der höheren Mathematik — im 
wesentlichen der Differential-und Integralrechnung — begonnen 
wurde. 

Besonders die Kapitel der Differentialrechnung und der 
schwierig zu erfassenden Integralrechnung sind, wie wir meinen, 
dem Verf. trefflich gelungen. 

Dagegen scheint uns das Kapitel der „Lehre von deD Funktionen“ 
etwas zu repetitorienhaft gehalten zu sein. Wenn der Charakter des 
Repetitoriums auch bei der kurzen Uebersicht über die elementare 
Mathematik nicht zu vermeiden war, so hätte doch gerade der soeben 
genannte Abschnitt, in dem die Grundgedanken der analytischen 
Geometrie dem Lernenden vor Augen geführt werden, Gelegenheit 
geboten, mit voller Wärme das wunderbare Gebäude zu beleuchten, das 
Descartes errichtet hat, indem er Zahlenverhältnisse geometrisch dar¬ 
stellen lehrte. Die eindringliche Hervorhebung der Grösse und Bedeutung 
dieses Gedankens wäre vielleicht besonders geeignet gewesen, das Inter¬ 
esse des Nicht-Mathematikers für das ihm scheinbar fernliegende Gebiet 
zu erwecken. 

Wichtiger aber ist, zu bemerken, dass auch das Buch des Verf 
leider im wesentlichen nur die Zwecke des Chemikers und, soweit die 
Biologie in Betracht kommt, des Biochemikers und Serologen 
berücksichtigt. Dem Titel und der Vorrede nach durfte man wohl 
hoffen, hierein Buch zu finden, in dem der Biologe im allgemeinen 
Sinne des Wortes (der wissenschaftlich arbeitende Mediziner über¬ 
haupt, oder doch mindestens der Entwicklungsmechaniker) die 
Grundlagen derjenigen Teile der Mathematik kurz vereinigt findet, die 
auf seinem Gebiete heute schon von Wert sind. 

Der Verf. hat aber, abgesehen von einigen kurzen Ausführungen 
über Kombinationslehre, gerade die Wahrscheinlichkeits¬ 
rechnung fortgelassen, eioen Teil der Mathematik, der für den Medi¬ 
ziner im allgemeinen und für viele Zweige der Biologie im speziellen, 
z. B. für das Gebiet der Vererbungslehre, zweifellos besonders wichtig 
ist. (Vergl. z. B. Przibram, Anwendung elementarer Mathematik auf 
biologische Probleme.) Besonders hätte Bernouilli’s „Gesetz der 
grossen Zahlen“ Erwähnung verdient, handelt es sich doch dabei um 
das mathematische Gesetz, das die „Statistik als Hilfsmittel der Forschung“ 
überhaupt ermöglicht, und ist das Bernouil li’sche Gesetz doch (nach 
Prof. A. Fick) „zu den bemerkenswertesten und allgemeinsten Wahr¬ 
heiten zu rechnen, die bis jetzt vom menschlichen Geist mit Sicherheit 
erkannt sind“ (citiert nach J. Hirschberg, Die mathematischen Grund¬ 
lagen der medizinischen Statistik). 

Nicht minder vermissen wir einen Hinweis auf die Grundlagen der 
graphischen Statik, mit denen besonders der Mathematiker Cul- 
man Wissenschaft und Technik beschenkt hat und auf deren Boden 
fussend Culman, Hermann v. Meyer, Julius Wolff, W. Roux u. a. 
die innere Architektur der Knochen unter normalen und pathologischen 
Verhältnissen aufgeklärt haben. 

Endlich vermissen wir eine Darstellung der sogenannten „Fehler¬ 
rechnung“, ein für den Experimentator sicherlich wichtiges Kapitel. 

Diese Bemerkungen, die sich, wenn man das Buch vom allgemein¬ 
biologischen Standpunkte aus beurteilt, aufdrängen, setzen natürlich 
nicht den Wert dessen herab, was der Verf. positiv geboten hat. 

Das Buch bietet eine wertvolle und originelle Bereicherung der Lite¬ 
ratur, und wir wünschen nur, dass es von vielen studiert wird. 

Auf einem Gebiete, dem sich die Mediziner noch wenig zugewendet 
haben, ist Michaelis mit seinem Werke mutig voran gegangen. Wir 
hoffen, dass sein Buch in einer künftigen Auflage in vollem Maasse zu 
einer Einführung in die Mathematik nicht nur für Chemiker, Biochemiker 
und Serologen, sondern für Biologen im allgemeinen Sinne des 
Wortes werden wird. Bruno Wolff-Rostock. 


Literatur-AuszQge. 

Physiologie. 

H. de Vach-Gent: Betrachtungen über Blntgerinauiig. (Zeitschr. 
f. Immunitätsforsch., Bd. 16, Nr. 8.) Um seine thromboplastische Wirkung 
zu entfalten, braucht ein Protein die Vermittelung von einem Komplex: 
Komplement und spezifische Aminosäure. Durch den Abbau der organi¬ 
schen Proteine kreisen solche Komplexe fortwährend im Blut; sie werden 
aber durch Sekretion von Antithrombin gelöst. Die Gerinnung in vitro 
lässt sich nach demselben Schema deuten. Je weniger das Blut vor- 
gcbildetes Antithrombin enthält, desto schneller wird die Gerinnung ab¬ 
laufen. Viele Nichtproteine haben die Fähigkeit, sich direkt mit den 
plasmatischen Bestandteilen zu verbinden und thromboplastisch zu wirken. 

Wolfsohn. 

0. Kraus und M. Adler: Ueber eine neue Methode der Blntmcker- 
bestimmiDg. (Wiener med. Wochenschr., 1913, H. 18.) Veiff. be¬ 
schreiben eine Methode der Blutzuckerbestimmung^ bei der man mit der 
sehr kleinen Blutmenge von 1 ccm auskommt- Vergleichende Bestim- 


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2. Jani 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1025 


mimgen zeigen gute Uebereinstimmung mit der Bertrand’schen Methode. 
Es wird so möglich seiD, zu jeder Zeit und unter verschiedenen Bedin¬ 
gungen Untersuchungsreihen anzustellen. Die Ausführung gestaltet sich 
folgendermaaassen: Entnahme des Blutes mit der Francke’schen Nadel. 
Aufziehen von 1 ccm mit Capillarpipette. Einblasen in ein Becherglas. 
Durchspritzen der Pipette mit destilliertem Wasser. Die mit dem destil¬ 
lierten Wasser versetzte Blutmenge wird unter Zusatz von konzentriertem 
wässerigen Kaliumsulfat (etwa 2 ccm) und kolloidalem Eisenhydroxyd 
unter Kochen enteiweisst. Eisenhydroxyd tropfenweise unter Kochen so¬ 
lange zutun, bis nach kurzem Absetzenlassen die darüberstehende Flüssig¬ 
keit klar erscheint, d. h. eiweissfrei ist. Abfiltrieren der Flüssigkeit. 
Auswaschen des Niederschlags mit destilliertem Wasser unter Kochen. 
Das jetzt etwa 100 ccm betragende Blutfiltrat wird mit Vio Fehling¬ 
lösung austitriert (die etwas komplizierten Angaben s. Originalarbeit). 

G. Eisner. 

H. de Waele-Gent: Differenzen zwischen venösem und arteriellem 
Blot nach Peptoninjektionen. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 16, Nr. 3.) 
Das arterielle Blut enthält nach Peptoninjektion Antithrombin früher, 
intensiver und länger als das venöse. Entweder wird das Antithrombin 
bei seiner Passage durch den Kreislauf an gewissen Stellen verbraucht, 
oder es wird durch gewisse Zell- bzw. Gewebsgruppen fixiert (oder beides). 

Wolfsohn. 

G. Lafon: Ueber die Bildung von Fett im tierischen Organismus 
aus dem Eiwelss. (Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 1913, Nr. 12.) Auf 
Grund von Stoffwechselversuchen am Hunde kommt Yerf. zu dem Re¬ 
sultate, dass die Eiweisskörper keine grosse Rolle spielen können als 
Bildner des Fettes im Organismus. 

G. Lafon: Ueber die Aufzehrung der Fette im Tierorganismus. 
(Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 1913, Nr. 16.) Durch Bestimmung des 
Gehaltes an Fett im arteriellen und venösen Blute vor und nach Muskel¬ 
tätigkeit wurde gefunden, dass das Fett, genau wie Glukose, direkt bei 
der Tätigkeit der Gewebe, und besonders der Muskeln, aufgebracht wird. 

M. S. Maslow: Ueber die biologische Bedeutung des Phosphors für 
den wachsenden Organismus und seine Einwirkung auf die intracellulären 
Fermente. (Petersburger med. Zeitschr., 1913, Nr. 8.) Reichlicher Ge¬ 
halt der Nahrung an assimilierbarem Phosphor geht parallel mit reich¬ 
licher B’ermentbildung des Organismus. Der Tierkörper vermag wohl 
nicht organische Phosphorverbindungen zu synthetisieren. Therapeutisch 
ist das Lecithin den anderen Phosphonrerbindungen vorzuziehen, wenn 
der Organismus an Phosphor angereichert oder die Fermenttätigkeit an¬ 
geregt werden soll. 

E. Wertheimer und G. Battez: Ueber den Mechanismus der 
Speichelsekretion, die durch Injektion von Salzwasser in die Gefasse 
hervorgerufen wird. (Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 1913, Nr. 16.) 
Die durch rasche Injektion von grossen Mengen iso- oder hypotonischen 
Salzwassers hervorgerufene Speichelsekretion ist eine Folge der Blut¬ 
drucksteigerung. Der gleiche Effekt tritt durch Kompression der abdo¬ 
minalen Aorta ein. 

L. Launoy und K. Oechslin: Ueber Sekretion und Yasodilatin. 
(Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 1913, Nr. 12.) Es gelang den Verff., 
die von Bayliss und Starling aus der Schleimhaut des oberen Dünn¬ 
darms isolierte Substanz in zwei Körper zu trennen, deren einer stark 
sekretionsanregend (Sekretin), wird, während der andere eine starke De¬ 
pression des Blutsdrucks macht (Depressin). 

R. Bajeux: Toleranzgrösse von Hund und Kaninchen gegenüber 
den intravenösen Injektionen von Sauerstoff. (Compt. rend. l’acad. 
des Sciences, 1913, Nr. 17.) Einem Hunde kann man ohne Gefahr innerhalb 
von einer Stunde ein Drittel seines Körpergewichts Sauerstoff intravenös 
injizieren, einem Kaninchen nur Vso bis Vioo- Injiziert man mehr, so 
tritt der Tod durch Embolie in den Lungengefässen ein. 

Wartensleben. 


Pharmakologie. 

H. Dorlencourt: Die Urinausscbeidung von Morphium, das 
einem Tier injiziert wurde. (Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 1913, 
Nr. 17.) Injiziert man einem Kaninchen, das vorher noch keine In¬ 
jektion erhalten hatte, intramuskulär Morphium (0,15 g pro kg), so wird 
dieses immer in schwacher Dosis — 4pCt. — durch die Nieren aus¬ 
geschieden und zwar als Alkaloid, ohne eine Umsetzung erfahren zu 
haben. Höchstens findet man auch Spuren von Oxymorphin. 

W artensieben. 

J. Schütz-Wien: Zur Kenntnis der Magnesiumii&rkose. Vorläufige 

Mitteilung. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 19.) Der Verf. hat 
bei Kaninchen subcutane Injektionen einer schlafmachenden Dosis von 
Magnesiumsulfat oder Magnesiumchlorid vorgenommen. Während das 
Blut und die Leber hierauf deutlich Magnesium zeigten, fanden sich im 
Gehirn nur Spuren davon. P. Hirsch. 

K. Hed6n-Stockholm: Die Einwirkung wiederholter Salvarsan- und 
NeosalvarsaniBjektionen auf das Blut. (Dermatol. Wochenschr., 1913, 
Bd. 56, Nr. 16 u. 17.) Der Blutdruck ist nach der ersten Injektion 
in den meisten Fällen mehr oder weniger herabgesetzt; nach weiteren 
Injektionen ist er meistens unverändert. Der Hämoglobingehalt des 
Blutes 2eigt manchmal nach der ersten Injektion eine unbedeutende Ver¬ 
minderung. Die Veränderungen der roten Blutkörperchen sind sehr un¬ 


bedeutend. Die gesamten weissen Blutkörperchen zeigen eine Vermeh¬ 
rung. Die Prozentzahl der neutrophilen Leukocyten ist mehr oder 
weniger vermehrt. Immer wahr. 

W. Bierast und A. J. M. Lamers-Halle a. S.*. Phobrol im 
Laboratoriumsversuch und in der Praxis. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 
1. Abt., Orig., Bd. 68, H. 2, S. 207.) Phobrol, eine 50proz. Lösung 
des Chlor-m-Kresols in ricinolsaurem Kali, ist eine braune, klare 
Flüssigkeit, die sich in jedem Verhältnis mit Wasser verdünnen lässt. 
Seine desinfektorische Wirksamkeit ist nach den Laboratoriumsversuchen 
nicht ungünstig; seine Giftigkeit ist rolativ gering. Händedesinfektions¬ 
versuche ergaben bei Verwendung 1 proz. alkoholischer Phobrollösung, 
mit 70 proz. Aethylalkohol hergestellt, vollständige Keimfreiheit der 
Hände. Die auch in der Praxis angestellten Versuche bestätigten die 
Brauchbarkeit des Präparates, dessen Preis im Vergleich nicht teurer 
wie der anderer ist. Bierotte. 

H. Dominici, S. Laborde und A. Laborde: Das Verweilen von 
injizierten Radinmsalzen im Tierkörper. (Compt. rend. de l’acad. des 
Sciences, 1913, Nr. 14.) Unlösliche oder lösliche Radiumsalze intravenös 
oder intramusculär injiziert, verweilen lange Zeit im Körper des Kanin¬ 
chens. Die unlöslichen Salze, die intramusculär injiziert werdeD, bilden 
dort sehr lange Zeit ein Depot. Die löslichen findet man nach einiger 
Zeit hauptsächlich in den Knochen, in den Nieren und im Verdauungs¬ 
trakt. Aus letzteren Organen scheinen sie ausgesohieden zu werden. 

Wartensleben. 

F. Miedreich-Jena: Klinischer und tierexperimenteller Beitrag zur 
Toxikologie des Salvarsans. (Dermatol. Zeitschr., Mai 1913.) Schwach¬ 
saure Salvarsanlösungen wirken entschieden toxischer als alkalische. 
Schwachsaure Lösungen ohne Kochsalzlösung hergestellt sind noch 
toxischer. Immerwahr. 

Siehe auch Innere Medizin: Roth, Nitrobenzolvergiftung. 


Therapie. 

C. Lewin: Der Valeriansäureester des Amylenhydrats (Valamin). 
(Therapie d. Gegenw., April 1913.) Das Präparat zeigte in Dosen von 
3—4 mal täglich eine Kapsel von 0,25 eine deutliche sedative Wirkung. 
Leichtere Fälle von nervöser Schlaflosigkeit werden durch Gaben von 
0,5 abends vor dem Schlafengehen günstig beeinflusst. 

J. Garnman n - Breslau: Therapie des Juckens, namentlich bei 
Urticaria. (Therapie d. Gegenw., April 1913.) Gute Erfolge mit Thigenol 
(5 pCt.) bei Urticaria und Pruritus. Alle affizierten Stellen werden be¬ 
pinselt. 

J. Hirschberg - Fichtenau: Ueber die Behandlung des Asthma- 
anfalls dnreb Exibard’s abyssinisches Räncherpulver. (Therapie d. 
Gegenw., April 1913.) Das Präparat, das aus Paris unter dem Namen 
„Remede d’Abyssinie“ kommt, enthält eine besonders wirksame Art der 
atropinbaltigen Belladonnablätter. Es hat eine prompte, sichere, nicht 
belästigende Wirkung und kommt in den Handel durch Vial und Uhl¬ 
mann, Frankfurt a. M.. 

S. Meidner: Weitgehende Beeinflussung eines Portiocarcinoms 
durch Mesothorbestrahlnng. (Therapie d. Gegenw., Mai 1913.) Die 
Bestrahlung erfolgte mittels einer Hartgummisonde, an deren einem Ende 
eine Aluminiumkapsel mit der radioaktiven Substanz sich befand. Die 
Sonde wird nach Umhüllung mit Verbandgaze und Gummi in die Scheide 
bis zu dem Carcinom eingeführt und dort 1—3 Stunden belassen. Eine 
Bestrahlungsserie dauerte 10—14 Tage, dann wurde eine Pause von 1 
bis 2 Wochen gemacht. Der Fall, der äusserst günstig beeinflusst wurde, 
betraf eine 74 jährige Frau mit inoperablem Portiocarcinom. 

R. Fabian. 

Wolzeund A. Pagenstecher-Braunschweig: Erfolgreiche Behand¬ 
lung eines inoperablen Mandelsarkous mit Cnprase nnd Röntgen¬ 
strahlen. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 19.) Innerhalb 
7 Wochen erhielt der Patient, bei dem die Diagnose Sarkom mikro¬ 
skopisch gesichert war, 8 mal 5,0 Cuprase. Darauf ging der Tumor zu¬ 
rück. Dann Röntgenbestrahlung. Bis auf einen haselnussgrossen Rest 
Rückgang. 

Hirsch - Halberstadt: Behandlung der Tabes, besonders der 
Schmerzen und Parästhesien. (Münchener med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 19.) Intramuskuläre Injektionen der sogenannten Injektion Dr. Hirsch 
(Hydrarg. oxycyan. 1 pCt., Akoin 0,4 pCt. in Wasser) brachten wesent¬ 
liche Besserung der im Titel genannten Beschwerden. Dünner. 

F. Gudzent und Winkl er-Berlin: Ueber die Behandlung von 
Psoriasis mit Thorium X. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 20.) 
Die Verff. haben 12 Fälle recidivierender Psoriasis mit Thorium X be¬ 
handelt, und zwar injizierten sie in Abständen von einer Woche Dosen 
von 0,02—0,08 mg Radiumaktivität intramusculär. In drei Fällen konnte 
der Krankheitsverlauf abgekürzt bzw. günstig beeinflusst werden. Bei 
den übrigen Patienten war eine besondere Beeinflussung nicht zu kon¬ 
statieren. Das Thorium X kann demnach den bisherigen Mitteln ange¬ 
reiht werden, ohne ihnen an Wirkung überlegen zu sein. 

Woifsohn. 


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1026 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22. 


Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. 

M. Favre und P. Savy: Pathologische Histologie des akuten Haut- 
lepromes. (Archives de med. experim., 1913, Nr. 2.) In einem ex- 
zidierten, erst seit einigen Tagen bestehenden Lepraknoten der Haut 
fanden sich Bindegewebszellen mit Leprabacillen vollgepfropft, die in 
gleichem Maasse zerfielen, wie die Conjunctivalzellen reicher an Vacuolen 
wurden. Fast ausschliesslich in diesen Leprazellen fanden sich die 
Bakterien, die wohl durch Phagocytose aufgenommen werden. 

P. Hebiard: Die Obliterationen der Vena cava inferior. (Gaz. 
des böp., 1913, Nr. 36.) Besonders eingehend werden die Aetiologie und 
pathologische Physiologie dieses Krankheitsbildes behandelt. Die Cardinal- 
syraptome sind das später mehr oder minder schwiudende Oedem unter¬ 
halb der Unwegsamkeit und die Ausbildung der mächtigen Collateralen 
am Leibe. Je nach dem Sitze der Obliteration können hinzukommen: 
Ascites, Darmblutungen, Hämorrhoiden, Milz- und Lebervergrösserung, 
starker Eiweissgehalt des Urins usw. Wartensleben. 

R. Jardine und A. M. K ennedy - Glasgow: Drei Fälle von 
symmetrischer Nekrose der Nierenrinde. (Lancet, 10. Mai 1913, 
Nr. 4680.) Drei Krankengeschichten und Beschreibung des Sektions¬ 
befundes. Es war jedesmal puerperale Eklampsie und Anurie von ver¬ 
schieden langer Dauer vorhanden. In einem Falle waren Symptome 
vorhanden, die an Raynaud’sche Krankheit erinnerten. Urämische Er¬ 
scheinungen fehlten oder waren nur* angedeutet. K. ist der Ansicht, 
dass die Nekrose der Nierenzellen ebenso zustande kommt, wie die der 
Leberzellen bei der Eklampsie, und dass diese Nekrose der Nierenzellen 
eine Thrombose der Capillaren und kleinen Arterien der Niere zur 
Folge hat. Wey dem an n. 

R. Chapuis: Ein Fall von reinem Cholesteatom des Ovarinms. 
(Archives d. med. experim., 1913, Nr. 2.) In den Ovarien eines 18 jährigen 
Mädchens fand sich ein typisches Cholesteatom. Dieses ist wohl ein 
Embryom mit ausschliesslich epidermoidaler Entwicklung. 

Wartensleben. 

G. v. Bonin - London: Die Klassifizierung der Hypophysen- 
gesehwfil8te. (Brit. med. Journ., 3. Mai 1913, Nr. 2731.) 1. Hetero¬ 
topische Tumoren: Teratome und Geschwülste des cranio-pharyngealen 
Ganges. 2. Homoiotopische Tumoren: epitheliale-chromopbile, chromo- 
phobe und kombinierte, ausgehend vom vorderen Lappen oder von der 
Pars intermedia; es können sein: Cylinder- oder Rundzellenadenome, 
Carcinorae. Bindegewebsgeschwülste: vom vorderen Lappen oder der 
Pars intermedia: Fibrome und Sarkome; vom hinteren Lappen Gliome. 
Mischgeschwülste: Fibroadenome. Kurze Charakteristik dieser Geschwulst¬ 
formen. Wey dem an n. 

Siehe auch Innere Medizin: Hart, Situs inversus partialis ab- 
dominis. — Haut- und Geschlechtskrankheiten: Boas und 
Eiken, Wassermann’sche Reaktion mit Leichenblut. — Geburtshilfe 
und Gynäkologie: Sachs, Holoacandeus mit ausgebildetem Rumpf. 


Parasitenkunde und Serologie. 

L. Heydenreich - Odessa: Ein Erstarrnngskasten für Nähr- 
medien. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt.. Orig., Bd. 68, H. 1, 

S. 126.) Um Nährmedien in kurzer Zeit erstarren zu lassen, hat sich 
der Verf. einen Erstarrungskasten gebaut, der mit den einfachsten 
Mitteln hergestellt werden kann. In die Wand eines beliebigen wasser¬ 
dichten Behälters (Kasten, niedriger Eimer oder ähnliches) wird etwas 
oberhalb des Bodens ein 2 cm im Durchmesser grosses Loch gebohrt und 
durch einen hier eingesetzten Kautschukstopfen ein rechtwinklig ge¬ 
bogenes Glasrohr (kurzer Schenkel nach aussen) durcbgeführt. Durch 
den längeren (inneren) Rohrschenkel fliesst das in den Kasten ein¬ 
laufende Wasser, sobald es die Höhe der Einflussöffnung erreicht hat, 
ab. Das Nährmedium soll also dauernd von kaltem Wasser umspült 
werden, während die oberen erwärmten Wasserschichten ablaufen. 

W. Pfeiler und W. Lentz - Bromberg: Ueber die Herstellung von 
festen Nährböden ohne Verwendung des Fleischwassers und der Fleisch¬ 
brühe. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig., Bd. 68, H. 1, 
S. 122.) Um die Herstellungsweise fester Nährböden zu vereinfachen 
und zu verbilligen, schlagen die Verff. vor, an Stelle des Zusatzes von 
Fleischwasser oder Fleischbrühe mit Eiweiss versetzte Ringer’sche Lösung 
zu benutzen, die man physiologisch etwa als eine von körperlichen 
Elementen befreite, enteiweisste Blutflüssigkeit betrachten kann. Die 
auf diese Weise hergestellten Agar- und Gelatinenährböden haben sich 
sehr gut bewährt; sie bedeuten eine Ersparnis an Zeit, Arbeit und Geld. 
Irgendwelche Abweichungen gegenüber dem gewöhnlichen Verhalten der 
auf solchen Nährböden gezüchteten Bakterienstämme wurden, niemals 
beobachtet. 

T. Ishiwara - München: Ueber neue Färbeverfahren zur Dar¬ 
stellung granulierter Taberkelbacillen. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 
1. Abt., Orig., Bd. 68, H. 1, S. 113.) Zur Darstellung der granulierten 
Formen des Tuberkelbacillus verwendet der Verf. folgendes von ihm 
gefundene Verfahren: Färben mit Petrolwasserätherkarbolfuchsin zwei 
Minuten unter wiederholtem Aufkochen; zwei Sekunden langes Ent¬ 
färben in 25 proz. Salpetersäure mit nachfolgendem Abspülen in 70 proz. 
Alkohol, bis das Präparat farblos erscheint. Nachfärben mit gesättigter, 
wässeriger Methylenblaulösung. Durch den Petroläther soll die Fett¬ 
hülle der Bacillen für Farbstoffe durchlässig gemacht werden. Auch für 


die Darstellung der Much’schen Granula vermittels einer modifizierten 
Gram-Färbung unter Zuhilfenahme von Petrolätherwasserkarbolgentiana- 
violett gibt der Verf. ein Verfahren an, das leicht und schnell auszu¬ 
führen ist. 

G. Valetti-Rom: Neuer Nährboden zur sehr raschen Entwicklung 
des Taberkelbacillns. (Centralbl. f. Babtetiol. usw., 1. Abt., Orig., 
Bd. 68, H. 2, S. 239.) Tuberkelbacillen wachsen nach den Angaben des 
Verf.’s auf einem von ihm angegebenen Nährboden, der aus Agar -J- an¬ 
gesäuertem Kuhmilcbserum besteht, in der ausserordentlich schnellen 
Zeit von 1—I */ 2 Tagen. Ob sich dieser Nährboden für eine Trennung 
des Typus humanus und bovinus eignet, muss noch dahingestellt 
bleiben; bei den bisherigen Versuchen wuchs stets nur der bovine 
Typus. Weitere Untersuchungen sind im Gange. Bierotte. 

A. Berthelot und D. M. Bertrand: Untersuchungen über die 
Eingeweideflora. (Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 1913, Nr. 13.) 
Bei Individuen, die zugleich eine Enteritis oder Colitis mucosa und saure 
Reaktion des Stuhles haben, findet man ziemlich häufig ein Bakterium, 
den Bacillus aminopbilus intestinalis, der aus den Eiweissstoffen im 
Darm sehr giftige Ptomaine zu bilden vermag. 

Cb. Nicolle, A. Ouenod und L. Blaizot: Einige Eigentümlich¬ 
keiten des Traehomviras. (Compt. rend. de Tacad. des Sciences, 1913, 
Nr. 15.) Durch Experimente an Macacus inuus kam man zu folgenden 
Schlüssen: Das Trachomvirus wird durch Vj 8 *ündiges Erhitzen auf 50® 
zerstört. Es wird maximal 7 Tage in Glycerin konserviert. Nach einer 
ausgeheilten Infektion zeigt sich der Affe immun gegen Neuinfektion. 
Es scheint möglich zu sein, das Tier durch wiederholte intravenöse 
Injektionen des Virus gegen die coujunctivale Inoculation immunisieren 
zu können. Entsprechende Versuche am Menschen haben noch kein 
eindeutiges Resultat ergeben. Wartensleben. 

A. C. Coles-Bournemouth: Protozoenartige BildnBgon Im Blnte 
bei Scbwarzwasserfieber. (Lancet, 3. Mai 1913, Nr. 4679.) Co les 
fand in einem tödlich verlaufenen Falle von Schwarz Wasserfieber eine 
geringe Zahl granulierter Körper, fast immer von kugeliger Gestalt, mit 
scharfer Umgrenzung und oft mit einer dicken Kapsel. Durchmesser im 
Durchschnitt 11,2 p. Sie enthielten keinen Kern, aber im Protoplasma 
40—200 kleine, runde oder ovale Körperchen von Chromatin, 0,8 bis 
0,75 p im Durchmesser, und etwas grössere, stäbchenförmige. Der Verf. 
hat derartige Gebilde trotz seiner grossen Erfahrung in Blutnnter- 
suchungen noch nicht gesehen und lässt die Frage nach ihrer Bedeutung 
offen. Er hält sie aber nicht für Degenerationsprodukte. 

Weydemann. 

R. 0 eh ler - Frankfurt a. M.: Ueber die Gewinnang reiicr Tiy- 
panosoBienstäaiaie durch Einzellenübertragung. (Centralbl. f. Bakterio¬ 
logie usw., 1. Abt., Orig., Bd. 67, H. 7, S. 569.) Mit absoluter Sicherheit 
kann die Gewähr dafür, dass eine Reinkultur vorliegt, nur dann über¬ 
nommen werden, wenn sie von einer Einzelzelle berstammt. Der Verf. 
gibt eine Methode an, welche es ermöglicht, Infektionen auch mit einem 
einzelnen Trypanosoma auszuführen. 

G. Dendrinos- Athen: Eia aeaer Krankheitserreger der Try- 
paaosomengrnppe. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig., Bd. 68, 
H. 1, S. 29.) Im griechischen Nordcephalonien wird eine „Apoplin&ko* 
genannte Krankheit — wegen der dabei tellerartig anschwellenden 
Milz — beobachtet, die nicht selten tödlich endet. Ueber den klinischen 
Verlauf ist schon vor Jahren berichtet. Der Verf. konnte in Milx- 
ausstricben solcher Kranken ein Protozoon feststellen, das eine Mittel¬ 
stufe zwischen Kala-Azar und Piroplasmen darstellt und wie der Erreger 
des Kala-Azar und der Aleppobeule seiner morphologischen Beschaffenheit 
nach zu den Trypanosomen gehört. 

A. Bevacqua-Neapel: Faso spirillare Association in einem 
Falle von Psenaoelephantiasis des unteren linken Gliedes bei einem 
Araber. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig., Bd. 68, H. 2, 
S. 182.) B. fand bei einem Tripolitaner, dessen linkes Bein elephanti- 
astisch geschwollen war, im Eiter, der sich aus verschiedenen Fisteln 
und auf Einschnitt entleerte, neben verschiedenen Kokken und Bacillen 
Spirillen und fusiforme Stäbchen, wie sie bei Vincent’scher Angina be¬ 
obachtet werden. Lepra- oder Tuberkelbacillen oder Spirochaeta pallida 
konnten nicht nachgewiesen werden. B. glaubt auch nach dem patho¬ 
logisch-anatomischen Befund und dem klinischen Bilde sich zu dem 
Schlüsse berechtigt, dass die Erkrankung auf die Infektion mit Spirillen 
und fusiformen Stäbchen zurückzuführen ist. Bierotte. 

H. Conradi - Dresden: Neues Prinzip der elektiven Züchten/ und 
seine Anwendung bei Diphtherie. (Münchener med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 20.) In einer Mischung von Wasser und Petroläther setzen sich 
naoh dem Schütteln auf dem Grunde des oben schwimmenden Petroläthers 
Diphtheriebacillen ab, während alle anderen Keime im Wasser schwimmen. 
Diese Tatsache gestattet Diphtheriekulturen anzulegen, die von allen 
Saprophyten rein sind. Die dazu erforderliche Technik gibt C. genau an. 

Klunker - Jena: Verwendbarkeit der Conradi-Troch’scheB Tellar- 
platte znm Diphtherienacbweis. (Münchener med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 19.) Nicht immer wachsen die Diphtheriestämme auf den Conradi- 
Troch’schen Tellurplatten tief schwarz. Andererseits sah K. andere 
Keime, speziell Staphylococcus aureus, die ganz typische schwarze 
Kolonien entwickelten. Eine grobsinnliche Feststellung der Diphtherie¬ 
kolonien ist nur dann möglich, wenn sich die Diphtheriebacillen tief¬ 
schwarz färben und keine Staphylokokken gewachsen sind. Solche 
Stämme kann man, selbst wenn die Neisserfarbung keinen sicheren Auf- 


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2. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1027 


Schluss geben sollte, als echte Diphtherie ansprechen. Von 140 unter¬ 
suchten Fällen wurden in 24,3 pCt. mit Löffler, in 26,4 pCt. mit Conradi- 
Troch Diphtheriebacillen nachgewiesen. Dünner. 

D. Orudschiew-Schuscha (Kaukasus): Ueber die Beziehungen der 
hämolytischen Hammelblotamboceptoren zu den Receptoren des Meer¬ 
schweinchens. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 16, Nr. 3.) Durch 
Immunisierung von Kaninchen mit Meerschweinchenniere und -leber 
konnte 0. hämolytische Amboceptoren für Hammelblut erhalten. Die 
Immunsera wirken auch auf Ziegenblut hämolytisch. Durch Injektion 
von Meerschweinchenserum (nicht Blut) gelingt es ebenfalls, die hämo¬ 
lytischen Amboceptoren für Hammelblut hervorzurufen. Die Ambo¬ 
ceptoren werden durch die betreffenden Organzellen gebunden, und zwar 
ist diese Bindung als spezifisch aufzufassen. Die Receptorengemeinschaft 
zwischen Hammelblut und Meerschweinchenorganen muss bei Hämolyse¬ 
versuchen berücksichtigt werden. 

A. Besredka, H. Strobel und F. Jupille-Paris: Anaphylatoxin, 
Peptotoxin ud Pepton in ihren Beziehungen zur Anaphylaxie. (Zeit¬ 
schrift f. Immunitätsforsch., Bd. 16, Nr. 3.) Die Experimente der Verff. 
scheinen dafür zu sprechen, dass die drei genannten Stoffe mit der Ana¬ 
phylaxie selbst nichts gemein haben. Der Nachweis eines anaphylak¬ 
tischen Giftes ist, soweit es Bakterien betrifft, bisher nicht gelungen. 

Wolfsohn. 

M. Belin: Ueber die Beziehungen zwischen Anaphylaxie nnd 
Imnanität. (Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 1913, Nr. 16.) Die 
Toxine lassen sich leicht oxydieren, man darf also keine oxydierenden 
Substanzen anwenden, um das Toxogenin der Anaphylaxie in vivo zu 
verringern. Injiziert man einem Kaninchen intraabdominal eine letale 
Dosis Colibacillen und danach fünfmal eine oxydierende Substanz 
(Pallianin), so bleibt es am Leben. 

L. C. Soula: Ueber die Beziehungen zwischen Anaphylaxie, Immu¬ 
nität nnd Antoproteolyse im Centralnervensystem. (Compt. rend. de 
l’acad. des Sciences, 1913, Nr. 16.) Der anaphylaktische Zustand wird 
begleitet von einer merklichen Erhöhung der Autoproteolyse im Central¬ 
nervensystem. Ist die Anaphylaxie geschwunden, und man macht eine 
zweite Injektion von Antigen, so wird die Autoproteolyse nicht gesteigert. 

A. Uoke: Ueber die Wasser manische Reaktion. (St. Petersburger 
medi Zeitschr., 1913, Nr. 5.) Neben theoretischen Erörterungen über 
die kolloidale Grundlage der ganzen Reaktion werden technische Einzel¬ 
heiten, wie Titration des Serums geschildert, und es wird die Frage ge¬ 
streift, wieweit die Stärke der Reaktion die Therapie beeinflusst und 
umgekehrt. Wartensleben. 

M. Rosenberg -Berlin: Die Meiostagminreaktion. Znr Frage 
der serologischen Carcinomdiagnostik. (Deutsche med. Wochensehr., 
1918, Nr. 20.) Die carcinomatösen Antigene bei der Meiostagminreaktion 
sind von Ascoli und Isar in letzter Zeit durch synthetische Präparate 
ersetzt worden, und zwar durch Myristilproteine, myristilsaure Gelatine¬ 
emulsionen und Ricinollinolsäure. Das letztgenannte dieser Präparate 
gibt für die Carcinomdiagnose die brauchbarsten Resultate. Zu bemerken 
ist jedoch, dass Lebercirrhosen, schwere Tuberkulosen, Fälle von Pneu¬ 
monie und Diabetes häufig positiv reagieren, desgleichen die Sera 
Gravider. Hautcarcinome geben öfters eine negative Reaktion. 

Wolfsohn. 

M. Isabolinsky-Smolensk: Eigenschaften der Pyocyanase. (Central¬ 
blatt f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 67, H. 7, S. 532.) Nach¬ 
prüfungen der baktericiden Eigenschaften der Pyocyanase (Präparat 
Laboratorium Lingner) in vitro und im Tierversuch ergaben, dass solche 
nicht vorhanden waren. In einer zweiten Versuchsreihe angestellte 
Untersuchungen über Kaninchenimmunisierung mittels Pyocyanase und 
über die Eigenschaften des Immunserums führten zu dem Ergebnis, dass 
das auf dem Wege der Kaninchenimmunisation gewonnene Serum alle 
Eigenschaften des Immunserums hat. Bierotte. 


Innere Medizin. 

K. Siess und E. Stoerk-Wien: Das ßlntbild bei lymphatischer 
Konstitution. (Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) Das Blutbild 
des Lymphatikers weicht von der Norm nicht wesentlich ab. Am 
charakteristischsten erscheint das sehr reichliche Vorhandensein von 
Blutplättchen und die geringe Zahl von Eosinophilen. Es besteht weder 
eine ausgesprochene Leukopenie, noch eine absolute Lymphocytose. So¬ 
wohl die Granulocyten als die Lymphocyten reagieren beim Lymphatiker 
auf äussere Noxen träger als beim Normalen. G. Eisner. 

F. P. Web er-London: Die prognostische Bedeutung der seknndären 
Polycythämie bei Herz- und Lungenerkrankungen. (Lancet, 10. Mai 
1913, Nr. 4680.) Eine sekundäre Polycythämie findet sich manchmal 
in den Endstadien des Emphysems, Asthmas, der chronischen Bronchitis, 
alter doppelseitiger pleuritischer Verwachsungen, chronischer inter¬ 
stitieller Pneumonie und der Fibrose der Lungen. Die Prognose dieser 
Erkrankungen wird ernst, wenn Cyanose und Polycythämie auftreten, 
denn diese zeigen an, dass die Sauerstoffversorgung des Organismus den 
Anforderungen nicht mehr genügt. In einem Falle, wo das Knochen¬ 
mark untersucht werden konnte, wurde eine deutliche erytbroblastische 
Reaktion gefunden. Krankengeschichten. Weydemann. 

A. H o f f m a n n - Berlin: Eisensajodin bei Arteriosklerose. (Deutsche 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 20.) Empfehlung auf Grund eines einzigen 
Falles! Wolfsohn. 


S. Salag hi -Bologna: Die Wirkung der Heilgymnastik anf die 
Blntzirkulation im Lichte der klinischen Erfahrung. 2. Mitteilung. 
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 19.) Der Verf. bespricht mehrere 
physikalische Heilmethoden und untersucht ihren mechanischen Effekt 
auf die Blutzirkulation. Dieser variiert hinsichtlich seiner Stärke je 
nach dem Körperteil, auf welchen die Heilmethoden einwirken, nach 
seinem Umfang, nach seinem Gefässreichtum (besonders bezüglich des 
Venensystems) und nach der Art, wie die Prozeduren ausgeführt werden. 

A. Arnstein-Wien: Ueber den sogenannten ,, Schneeberger Lungen¬ 
krebs“. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 19.) Der „Schneeberger 
Lungenkrebs“, der im Jahre 1878 zuerst beschrieben wurde, kommt 
auch gegenwärtig noch vor. Verf. selbst hat einen derartigen Fall bei 
einem 46jährigen Bergmann beobachtet, der seit 29 Jahren im Schnee¬ 
berger Bergwerk arbeitete. Während aber frühere Autoren die Tumoren 
als Lymphosarkome der Bronchialdrüsen oder seltener als Endothel¬ 
sarkome bezeichneten, handelt es sich in dem vorliegenden Fall am ein 
Plattenepithelcarcinom. Interessant ist, dass der Drüsentumor am 
Lungenhilus nur als Metastase aufzufassen war, während der primäre 
Tumor im rechten Unterlappen seinen Sitz hatte. P. Hirsch. 

Oechsner de Coninck: Anwesenheit von Propionsäure in den 
Sekretionen der Rheumatiker. (Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 
1913, Nr. 16.) In dem Urin von Rheumatikern, wie im Transsudat aus 
Ekzemen, die bei solchen Kranken auftraten, konnte Verf. Propionsäure 
nachweisen. Wartensleben. 

Junker-Kolkwitz: Mesbd bei Lungentuberkulose. (Therapie d. 
Gegenw., Mai 1913.) Mesbe ein aus einer Malvacee gewonnenes, wasser¬ 
lösliches Gummiharz, welches innerlich in Form einer Trinkkur, in Form 
von Iuhalationen und bei Kehlkopftuberkulose mittels direkter Be- 
pinselung einer 50 proz. Lösung angewandt wird. Nach den Erfahrungen 
des Verf. kommt dem Mittel ein günstiger oder gar spezifischer Einfluss 
auf Lungen- und Kehlkopftuberkulose nicht zu. Es scheint eine gewisse 
symptomatische Einwirkung auf Reizzustände der oberen Luftwege aus¬ 
zuüben, die aber nicht die bisher angewandten Mittel übertrifft. 

R. Fabian. 

W. Lang-Prag: Ueber das Vorkommen säurefester Stäbchen im 
Blute. (Centralbl. f. innere Med., 1913, Nr. 17.) Es wurde das Blut 
von 23 Patienten, und zwar 13 tuberkulösen, 10 unverdächtigen Fällen, 
geprüft. Das Resultat war folgendes: Es wurden säurefeste Stäbchen 
bei Tuberkulösen in den schwersten wie in leichten Fällen, ferner bei 
klinisch Unverdächtigen wie auch bei autoptisch Tuberkulosefreien ge¬ 
funden. Verunreinigungen usw. konnten ziemlich sicher ausgeschlossen 
werden. Eine exakte Identifizierung der Stäbchen als Tuberkelbacillen 
wurde nicht vorgenoramen. Die Untersuchungen wurden nach der 
Methode von Stäubli-Schnitter ausgeführt. 

A. Schnöe-Frankfurt a. M.: Neues zur Therapie de9 Morbus 
Basedowii. (Centralbl. f. innere Med., 1918, Nr. 19.) Von der Ansicht 
ausgehend, dass einzelne Fermente durch Hinzutritt anderer, welche 
nicht spezifisch auf die Spaltung der fraglichen Substanz wirken, in ihrer 
Wirkungsweise, wie z. B. bei der Fermenttherapie des Diabetes (vgl. 
Centralbl. f. innere Med., 1912, Nr. 32), erhöht werden können, versuchte 
Verf. mit Glück eine solche Antithyreoidin-Pankreontherapie beim 
Morbus Basedowii. Aehnlich günstige Erfolge wurden auch in Fällen 
von Anämie beobachtet, wenn statt der vorher allein verabreichten 
Medikamente, wie Liq. Fowleri oder Arsenferratose, später gleichzeitig 
noch Pankreon gegeben wurde. C. Kayser. 

Engelen-Düsseldorf: Auffallende Erscheinungen bei einem Fall 
von Urämie. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 21.) Typisch 
hysterische Krämpfe in einem Fall von Urämie mit tödlichem Ausgang. 

Wolfsohn. 

R. Lenk und F. Eisler-Wien: Experimentell-radiologische Studien 
zur Physiologie und Pathologie des Verdanungstractes. (Münchener 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 19.) Versuche an Katzen ergaben, dass 
die künstlich erzeugte Hyperacidität bei den Katzen keine Störung in 
der motorischen Funktion des Magens nach sich zieht. Wenn man diese 
Befunde ohne weiteres auf die Magenphysiologie und -pathologie des 
Menschen übertragen könnte, so wäre damit ein Beitrag zur Motilität 
bei Ulcus ventriculi geliefert, indem eine Hyper- bzw. Hypomotilität 
nicht in einem veränderten Chemismus ihre Ursache haben kann. 

Dünner. 

N. Franz: Ein Fall von Rnminatio hnmana. (Petersburger med. 
Zeitschr., 1913, Nr. 7.) Bei einem 20 jährigen Manne trat im Anschluss 
an eine fieberhafte Erkrankung nach Erkältung Rumination auf, die aus¬ 
blieb, wenn eine maximale Grenze der Nahrungsaufnahme nicht über¬ 
schritten wurde und therapeutisch nicht beeinflusst werden konnte. 

Wartensleben. 

Sk. Kemp - Kopenhagen: Der Einfluss der inneren Behandlung auf 
die Motilitätsstörungen des Magens. (Archiv f. Verdauungskrankh., 
Bd. 19, H. 2.) K. verwertet zur Beurteilung des Einflusses der inneren 
Behandlung auf die Motilitätsstörungen des Magens die Bourget- 
Faber’sche Retentionsmahlzeit, die aus V 4 Liter Hafersuppe mit 8 ge¬ 
kochten Pflaumen, 50 g gehacktem Kalbfleisch mit 1 Kinderlöffel Preissel- 
beerkompott und 2 Stücken Weissbrot mit Butter besteht. Diese Mahl¬ 
zeit soll normal nach 5 Stunden entleert sein. Finden sich noch später 
reichliche Nahrungsreste, eine „grosse Retention“, ist der Magen moto¬ 
risch insuffizient. Ist der Magen noch nach 12 Stunden nicht leer, so 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22. 


handelt es sich um eine kontinuierliche Retention. Verf. hat diese 
Untersuchungen bei 85 Patienten durchgeführt, die an Ulcus, Gastritis, 
Gastroptose und Atonia simplex (Patienten mit verzögerter Entleerung 
ohne nachweisbare organische Ursache) litten. Bei 60 von diesen 
Kranken war nach längerer Behandlung, die bis auf 4*/2 Monate ging, 
die bei der ersten Untersuchung nachgewiesene Retention geschwunden. 
Es scheint also, dass in leichteren Fällen die Motilitätsstörungen des 
Magens schnell und günstig durch eine geeignete innere Therapie sich 
beeinflussen lassen. Verf. erörtert schliesslich die Verwertbarkeit der 
verschiedenen Probemahlzeiten für derartige Untersuchungen und kommt 
natürlich zu dem Resultat, dass die von ihm angewandte die beste ist. 
Auch die Ewald’sche Probemahlzeit hält er für ungenügend, hat aber 
nicht beachtet, dass wir dieselbe für Motilitätsbestimmungen nur mit 
gleichzeitiger Bestimmung des Verhaltens der Probeabendmahlzeit ver¬ 
werten. Wenn Verf. diese beiden Untersuchungen, wie wir dies regel¬ 
mässig tun, miteinander kombiniert, dürften seine damit gewonnenen 
Resultate wesentlich bessere werden. 

V. Plitek - Triest: Klinischer Beitrag zur Kenntnis des Ulcus duo¬ 
denale. (Archiv f. Verdauungskrankh., Bd. 19, H. 2.) Besprechung von 
13 Krankengeschichten von Ulcus duodenale, die, wie der Verf. selbst 
sagt, nichts Neues bieten. Auffallend war, dass unter den 13 Fällen 
von Ulcus duodeni in 4 Fällen bei Bewegung eine Besserung der 
Schmerzen eintrat, während in den übrigen 9 der Schmerz zunahm. 
Unter 17 Fällen von Magengeschwüren trat 16 mal eine ausgesprochene 
Verschlimmerung bei Bewegung ein. Die Rectaltemperatur war unter 
11 Fällen von Magengeschwür in 5 über 37°; unter 10 Fällen von 
Ulcus duodenale hatten bloss 3 Fälle eine Temperatur über 37°. 

F. Best-Rostock: Ueber die Verweildauer von Salzlösungen im 
Darme und die Wirkungsweise der salinischen Abführmittel. (Archiv f. 
Verdauungskrankh., Bd. 19, H. 2.) Best stellte seine Versuche an drei 
Hunden an, die verschliessbare Darmfistelkanülen hatten. Der erste 
trug seine Fistel im untersten Drittel des Dünndarms, der zweite hatte 
eine Kanüle im Dickdarm, direkt oberhalb der Ueocoecalklappe und 
ausserdem eine Kanüle im Magen; der dritte hatte zwei Fisteln, eine 
im Duodenum unterhalb der Einmündung des unteren Paukreasganges, 
die andere im unteren Drittel des Dünndarms, direkt oberhalb der Ileoccoecal- 
klappe. Verf. fasst seine Versuche folgendermaassen zusammen: In die 
untersten Darmabschnitte gelangen innerhalb gewisser Grenzen am schnell¬ 
sten diejenigen Salzlösungen, die dem Blutserum isotonisch sind, wie die 
0,9proz. Kochsalzlösung; die meisten Mineralquellen stellen hyper¬ 
isotonische Lösungen dar und werden schon im Duodenum resorbiert, 
wenn sie nicht in sehr grosser Quantität von mindestens 1 Liter ge¬ 
trunken werden. Bei der abführenden Wirkung salinischer Mineral¬ 
wässer spielt ausser der Ansammlung grösserer Flüssigkeitsmengen im 
Colon und Rectum noch ein zweiter Faktor eine Rolle, nämlich eine 
vom Magen beginnende und auf den gesamten Darm sich fortpflanzende 
peristaltische Reizwelle. Die isotonische physiologische Kochsalzlösung 
wird als durchaus indifferente Flüssigkeit in kurzer Zeit bis in den 
Dickdarm transportiert und kann demnach zur Bespülung der gesamten 
Darmschleimhaut therapeutisch verwendet werden. Bei starker Ueber- 
sebwemmung des Dünndarms mit grossen Flüssigkeitsmengen entsteht 
auch im Dünndarm eine rückläufige antiperistaltische Welle, welche 
einen schnellen Transport der Flüssigkeitsmassen in die unteren Darm- 
absohnitte verhindert. Diese Antiperistaltik kann überwunden werden, 
wenn man den Magen in motorische Tätigkeit setzt. Die Verstopfung 
bei Mageninsuffizienz ersten Grades (Atonie) kommt weniger dadurch 
zustande, dass es dem Darm an der nötigen Füllung mangelt, sondern 
weil jene energische Reizwelle vom Magen ausgehend in Wegfall kommt. 
Nur die physiologische Kochsalzlösung, welche auch den atonischen 
Magen in normal schneller Zeit verlässt, kann auch bei Magenatonie zur 
Trinkkur verwendet werden. 

G. Hart-Schöneberg: Ueber die akute embolische Enteritis. 

(Archiv f. Verdauungskrankh., Bd. 19, H. 2.) Im Anschluss an zwei 
Fälle von akuter embolischer Enteritis, deren einer ein ö^jähriges 
Mädohen betraf, erörtert H. die Frage, wieweit der Darm einer hämato¬ 
genen bzw. bakteriellen Infektion unterworfen ist. Es fanden sich in 
der Mucosa des Magens und Darms grössere und kleinere zum Teil 
nekrotisierte Herde, die offenbar von circumscripten embolischen 
Blutungen ihren Ausgang nahmen, und wie die genaue mikroskopische 
Untersuchung lehrte, zunächst in Form eines starken Oedems der Sub- 
mucosa mit centraler Blutung begannen. Es lässt sich das Vorkommen 
einzelner mit bakterienhaltigem Material ausgefüllter Capillaren nach- 
weisen und zeigen, dass die Umgebung vielfach von zerfallenen Leuko- 
cyten durchsetzt, das Lumen der Gefässchen schnell verlegt wird, 
während die Schleimhaut vollständig intakt bleibt. .Später entwickelt 
sich dann in dem centralen Teil ein nekrotischer Zerfall der darüber 
gelegenen Schleimhaut. Ob es weiterhin zur Abscessbildung, zu phleg¬ 
monöser Eiterung oder zur Entstehung von Nekrosen kommt, scheint 
von der Natur der embolisch in die Darmgefässe eingeschleppten Keime 
abzuhängen. Der Wurmfortsatz war ganz unverändert. Die an diese 
Befunde sich anschliessenden weiteren Erörterungen des Verf., die sich 
namentlich mit früheren Beobachtungen von Kreetz und Obern¬ 
dorfer beschäftigen, sind im Original nachzulesen. Ewald. 

C. H. Fogge-London: Chronische Darmstase. (Lancet, 10. Mai 
1913, Nr. 4680.) Der Verf. verteidigt die Ansicht von Lane, dass 
abnorm entwickelte Bänder an bestimmten Stellen des Darmes 
Knickungen und dadurch Stauungen hervorrufen, die nach Erschöpfung 


medizinischer Maassregeln chirurgisch (Gastro- und Enterostomien) 
beseitigt werden müssen. Wey de mann. 

C. Hart-Schöneberg: Zur Kasuistik des Sitos inversus partial» 
abdominis. (Archiv f. Verdauungskrank., Bd. 19, H. 2.) Es handelt sieb 
um einen Befund, der bei der Sektion eines 18 Jahre alten jungen 
Mannes erhoben wurde, und das Vorhandensein eines Mesenterium com¬ 
mune ilei et coli ascendentis ergab. Das sehr komplizierte, bei der 
Sektion gefundene Bild, welches eine vollständig intraperitoneale Lage 
des Duodenums sowie einen abnormen Verlauf des Colon transversum 
hinter den Dünndarmschlingen ergab, wird genau beschrieben. Diese 
Lageanomalie dürfte als die primäre und sicher kongenitale Verände¬ 
rung aufzufassen sein. Klinisch handelt es sich um einen jungen Mann, 
der ein Jahr vor seinem Tode eine rechtsseitige eitrige Mittelohrentzün¬ 
dung bekam, die zu einer Radikaloperation führte. Danach entwickelten 
sich Beschwerden, die in unabhängig von der Nahrungsaufnahme und in 
wechselnden Intervallen auftretendem Erbrechen reichlicher gallig ge¬ 
färbter Flüssigkeit bestand, deren Menge in gar keinem Verhältnis zur 
aufgenommenen Nahrung war. Dem hauptsächlich im Liegen auf¬ 
tretenden Erbrechen ging jedesmal ein heftiger krampfartiger Schmerz 
in der Magengegend voraus. Nachdem das Erbrechen erst 8 Tage, dann 
noch einmal 3 Tage lang fortgeblieben war, trat es schliesslich plötzlich 
wieder mit grosser Heftigkeit auf und führte zum Tod im Collaps. Das 
Gewicht des Mannes betrug zuletzt nur noch 37,9 kg. Die Diagnose 
war auf hysterisches Erbrechen gestellt worden. Sehr mit Recht 
bemerkt Hart, dass „unmittelbar zum Tode führende hysterische 
Erscheinungen* wohl stets auf schweren anatomischen Läsionen beruhen”. 
Es handelte sich um eine sekundäre Incarceration des Jejunums un¬ 
mittelbar unterhalb der Duodeno-Jejuoalgrenze, bedingt durch eine Um¬ 
rollung des Mesenteriums von links nach rechts hinten. Am Situs vor- 
geuommene Versuche mit Wassereinläufen durch die Cardia des Magens 
zeigten, dass das Passagehindernis ein fast absolutes war, aber leicht 
behoben werden konnte, wenn man den Körper in aufrechte Stellung 
brachte. So erklärt es sich, dass das Erbrechen hauptsächlich im 
Liegen auftrat. Bei gleichzeitiger Füllung des Dickdarms wurde aber 
der Verschluss der eingeklemmten Darmscblinge ein absoluter, so dass 
er weder bei aufrechter Körperstellung noch bei starkem Druck behoben 
werden konnte. Durch Füllung des Dickdarms mit harten Kotmassen 
i. v. lässt sich auf diesen Befund hin die Periodicität des Erbrechens 
erklären. 

J. Maybaumra - Lodz: Ueber die extraanale unblutige Behand¬ 
lungsmethode der Hämorrhoidalknoten. (Archiv f. Verdauungskrankh., 
Bd. 19, H. 2.) Eine unbedingte Empfehlung der Boas’schen Methode. 

Ewald. 

W. H. Hurtley-London: Die Reaktionen auf Acetessigsäire 
und eine neue einfache derartige Reaktion. (Lancet, 26. April 1913 
Nr. 4678.) Die neue Reaktion auf Acetessigsäure ist folgende: Zu 10ccm 
Urin fügt man 2,5 ccm konzentrierte Salzsäure und 1 ccm einer 1 proz. 
Natriumnitritlösung, man schüttelt aus und lässt 2 Minuten stehen. 
Jetzt werden 15 ccm starker Ammoniaklösung zugefügt, dann 5 ccm 
einer 10 proz. Lösung von Ferrosulfat oder gleich starker von Ferro- 
chlorid, und ausgescbüttelt. Man giesst in ein 50 g-Glas aus und lässt 
stehen, am besten ohne zu filtrieren. Es entsteht eine schöne violette 
oder purpurne Farbe. Die Reaktion verläuft langsam und aus der 
Schnelligkeit ihres Verlaufes lässt sich auf die Menge der Acetessigsäure 
schliessen. Aceton gibt die Reaktion nicht. Aethylacetoacetat gibt 
eine blaue Farbe, aber nur, wenn mehr Nitrit zugesetzt wird. Die 
Empfindlichkeit ist 1 :50 000. Die Reaktion kann zu kolorimetrischer 
Bestimmung der Acetessigsäure gebraucht werden, wenn man sie gleich¬ 
zeitig mit Lösungen der Säure von bekannter Stärke ausfübrt. 

W. Broughton-Alcock -Paris: Vaccin&tioa mit lebenden Mikro¬ 
organismen bei verschiedenen Infektionen. (Lancet, 26. April 1913, 
Nr. 4678.) Vaccination mit sensibilisierten lebenden Mikroorganismen 
nach Besredka’s Methode mit Staphylokokken, Streptokokken und Gono¬ 
kokken an Menschen. Kein Erfolg bei akuter Gonorrhöe, sehr guter bei 
Orchitis, Epididymitis und rheumatischen Erkrankungen. Bei den 
Staphylokokken wurden alle 60 behandelten Fälle gebessert oder geheilt 
ln manchen Fällen, wo die toten Vaccinen versagten, trat auf Behand¬ 
lung mit lebenden rasche Besserung ein. Die lokale und allgemeine 
Reaktion war bei den Staphylokokken wie bei den Streptokokken leicht 
Autogene Vaccine waren auch bei diesem Verfahren wirksamer als 
fremde. Der Arbeit sind 21 mehr oder weniger ausführliche Kranken¬ 
geschichten angefügt. Weydemann. 

P. Cohnheim-Berlin: Die Erkrankung des Pankreas nnd ihre 
Behandlung. (Therapie d. Gegenw., Mai 1913.) Klinische Vorlesung. 

E. Hagenbach-Burokhardt: Ununterbrochene Spitalerfahrungen 
über Typhus abdominalis in den Jahren 1865—1911. (Korrespondeozbl. 
f. Schweizer Äerzte, 1913, Nr. 16.) R. Fabian. 

0. Roth-Zürich: Zur Kenntnis der Nitrobenzolvergiftnng. (Central¬ 
blatt f. innere Med.,. 1913, Nr. 17.) Auf Grund von Blutuntersuchungen 
bei einem Falle von Mirbanölvergiftung glaubt Verf. beweisen zu können, 
dass es zur Methämoglobinbildung kommen kann, ohne dass Hämoglobin 
ins Serum ausgetreten ist. C. Kayser. 

M. Oppenheim-Wien: Riesenzellentumoren nach subcutanen Ein¬ 
spritzungen eines Arsen-Eisenpräparats. (Archiv f. Dermatol, u. Sypb., 
1913, Bd. 116, H. 2.) Die subcutanen Injektionen des Arsen-Eisenpräparate, 
über dessen Zusammensetzung sich leider nichts mehr eruieren liess, rer- 


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2. Juni 1013. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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anlassten Entzündung, Ezsudation und Riesenzellenbildung. Später bildeten 
sieh dann bindegewebige Stränge und Knoten aus, die klinisch Deformierung 
und Härte der Oberarmhaut verursachten. Durch Einschluss der Nerven 
in diese schrumpfenden Schwielen entstanden die heftigen Schmerzen, 
welche die Kranke zum Arzte führten. Immerwahr. 

Siehe auch Geburtshilfe und Gynäkologie: Fellner, Herz 
und Schwangerschaft. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

E. Tobias-Berlin: Die physikalische Therapie der sexuellen 
Impotenz. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 20.) 

Lissmann * München: Ein seltener Fall von seltener Potenzsttirnng. 
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 21.) Psychischer Aspermatismus 
bei Erektionsmöglichkeit. Herabsetzung der Erregungsfähigkeit des Ejaku- 
lationscentrums. Epidurale Yohimbininjektionen waren erfolglos. 

Wolfsohn. 

H. Poin deck er-Wien: Ein Beitrag zur Kasuistik der Hypopbysen- 
verändernngen bei Akromegalie. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, 
Nr. 19.) Ein 41 jähriger Gerbergehilfe erkrankte unter den Erscheinungen 
der Akromegalie, der er im 47. Lebensjahr erlag. Bei der Autopsie 
zeigte die Hypophyse diffuse und knotige Hyperplasie und Hypertrophie 
nach dem Typus, wie er der Hypophyse einer schwangeren Frau zu¬ 
kommen würde. Der Verf. glaubt hiermit den Beweis erbracht zu haben, 
dass die Hypophysenhyperplasien und Adenombildungen bei der Akro¬ 
megalie nicht nur durch Vermehrung der eosinophilen Zellen, sondern 
auch durch Vermehrung der chromophoben Elemente enstehen können. 

P. Hirsch. 

0. Orth-Forbach: Ein Fall von raptariertem Aneurysma eiaer 
Hirnarterie darch Traama. (Münchener med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 19.) Kasuistik. Dünner. 

Tb. Schwartz: Ueber die Meniagitis serosa. (Petersburger med. 
Zeitschr., 1913, Nr. 6.) Auf Grund der verschiedenen Publikationen und 
seiner eigenen Erfahrungen kommt Verf. zu dem Schluss, dass die 
seröse Meningitis keine seltene Erkrankung ist. Ihre Erkennung ist für 
die Therapie sehr wichtig, die in Lumbal- oder Ventrikelpunktion be¬ 
steht, oder auch in Trepanation. So kann einer drohenden Erblindung 
forgebeugt. werden. Wartensleben. 

N. A. Rawitsch-Romny: Fall von epidemischer Cerebrospinal- 
meaiDgitis, geheilt durch Aatidiphtherieseram. (Centralbl. f. innere 
Med., 1913, Nr. 16.) Mitteilung eines Falles, bei dem in Ermangelung 
von Meningokokkenserum mit Diphtheiieheilserum Injektionen vorge¬ 
nommen wurden. Die Krankheit wurde anscheinend dadurch günstig 
beeinflusst. Der 17 jährige Patient genas. Worauf die Wirkung des 
Diphtherieheilserums in diesem Falle beruht, ist unbekannt. 

C. Kayser. 

Noohte - Halle a. S.: Die Behandlung der Tabes, speziell ihrer 
rudimentären Form und deren Beziehungen zu psyohopathischen 
Störungen. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 21.) Vortrag im 
Verein der Aerzte zu Halle a. S. am 12. Februar 1913. 

Wolfsohn. 

P. A. Hoefer-Berlin: Die Tollwat (Lyssa). (Therapie d. Gegenw., 
Mai 1913.) Verf. gibt eine zusammenfassende üebersicht über das 
Wesen, über die Aetiologie und Therapie dieser Krankheit. Die In¬ 
kubation beträgt beim Menschen 15—60 Tage. Man unterscheidet zwei 
Formen des Krankheitsverlaufs: Die „rasende Wut“, d. h. die eigentliche 
„Tollwut“, und die „stille Wut*. Das erste Stadium der Krankheit ist 
durch einen Excitationszustand ausgezeichnet, das durch anfallsweise 
auftretende Angst- und Aufregungszustände gekennzeichnet ist. Dann 
folgt die Paralyse. Bei der „stillen Wut“ fehlt das Excitationsstadium 
oder geht schnell vorüber und die Paralyse beginnt früher. Der Erreger 
der Lyssa ist bis heute noch nicht gefunden worden. Dagegen haben 
„die Negri’schen Körperchen“ eine spezifische Bedeutung. Dieselben 
werden am häufigsten in den Ganglienzellen des Ammonsbornes gefunden 
und stellen runde, ovale oder birnenförmige Gebilde dar. Die Therapie 
besteht in dem Schutzimpfungsverfahren von Louis Pasteur, welches, 
wie die Statistik beweist, gute Resultate erzielt. R. Fabian. 

G. Simon - Münster: Lähmungen im Verlauf der Tollwntsehntz- 
impfnng. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig., Bd. 68, H. 1, S. 72.) 
S. stellt in sehr verdienstvoller Weise aus der gesamten Literatur die 
Fälle von Lähmungen im Verlauf der Tollwutschutzimpfung zusammen 
und kommt zu folgenden Schlüssen: Die Lähmungen sind selten; 
die Häufigkeit des Vorkommens beträgt 0,48 pM.; sie kommen all¬ 
jährlich vor. Die Erkrankung befällt meist erwachsene Männer; als 
Vorbedingung muss eine besondere Disposition angenommen werden. 
Die Lähmungen ereignen sich bei Gebissenen wie nicht Gebissenen, die 
sich der Tollwutschutzimpfung unterzogen haben. Die Inkubationsdauer 
ist kürzer als bei typischer Lyssa. Die meisten erkrankten während der 
Kur, ein Viertel innerhalb 7 Tagen nach beendeter Kur. Als Gelegen¬ 
heitsursachen zur Erkrankung spielen Ueberanstrengungen und Ab¬ 
kühlungen eine Rolle. Die Lähmungen treten auf als Facialislähmungen, 
Paresen und Paraplegien der Beine mit Blasen- und'Mastdarmstörung, 
aufsteigende Landry’sche Spinalparalyse und als multiple Lähmungen. 
Sie verlaufen in 2 / s der Fälle akut, in Vs chronisch und befallen Ge¬ 
bissene wie nicht Gebissene. Die Prognose ist in jedem Falle unsicher, 


speziell bei den Paraplegien nicht günstig, bei den aufsteigenden 
Lämungen schlecht. Die Gesamtsterblichkeit beträgt 22,6 pCt. Patho¬ 
logisch-anatomisch handelt es sich um eine Myelitis, hauptsächlich des 
Len'Lnmarks, mit Zerstörung der weissen Substanz. Negri’sche 
Körperchen sind bei den Verstorbenen bisher nicht gefunden worden. 
Die Lähmungen sind bei allen Tollwutschutzimpfungsmethoden beobachtet 
worden, am seltensten bei der Dilutionsmethode von Högyes. Fort¬ 
setzung oder Unterbrechung der Kur hat den Krankheitsverlauf nicht 
merklich beeinflusst. Die Aetiologie dieser Lähmungen ist nicht ein¬ 
heitlich; sie werden mit grösster Wahrscheinlichkeit durch Strassenwut wie 
Virus-fixe-Wutinfektion verursacht. Bierotte. 

Trumpp - München: Erkrankung von Geschwistern an Heine- 
Medin’scber Krankheit. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 19.) 
(Nach einem Vortrag in der Münchener Gesellschaft für Kinderheilkunde.) 
Kasuistische Mitteilung von drei Geschwistern, die an Heine-Medin’scher 
Krankheit akut erkrankten; die Symptome gingen vollständig zurück. 
Das eine Kind erkrankte zweimal. Begründung der Diagnose und Ab¬ 
lehnung der sehr naheliegenden Hysterie. 

Jancke-Jena: Beitrag zur Diagnostik der Rttckenmarkstnmoren. 
(Münchener med. Woebensohr., 1913, Nr. 19.) Zwei Fälle, bei denen 
vorher eine andere Diagnose gestellt worden war. Operation und 
Heilung. Besonders hatten Sensibilitätsprüfung und Untersuchung des 
Lumbalpunktats (starker Eiweissgehalt und geringe bzw- keine Pleo- 
cytose) zur richtigen Diagnose beigetragen. Dünner. 

Siebe auch Allgemeine Pathologie und pathologische 
Anatomie: v. Bonin, Klassifizierung der Hypophysengeschwülste. — 
Geburtshilfe und Gynäkologie: Staude, Peroneuslähmung post 
partum. 


Kinderheilkunde. 

E. Gildemeister und K. Baerthlein-Berlin: Bakteriologische 
UBtersachnDgen bei darmkranken Säaglingen. (Deutsche med.Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 21.) Vortrag, gehalten auf der 8. Tagung der Freien 
Vereinigung für Mikrobiologie in Berlin am 2. April 1913. 

Wolfsohn. 


Chirurgie. 

W. Wo 1 ff -Leipzig: Ueber die Wirksaaikeit yob CollargolklysBien 
bei septischen Prozessen. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 20.) 
Gute Wirkung von Collargolklysmen (50 ccm einer 6proz. Lösung) in 
einem Falle von Sepsis. Wolfsohn. 

H. T. Depree-London: Adrenalin in der Chloroformnarkose. 
(Brit. med. journ., 26. April 1913, Nr. 2730.) Bei einem zur Operation 
am Nasenseptum leicht narkotisierten Patienten wurden 0,3 ccm Ad¬ 
renalinlösung subcutan in die Nase injiziert. Nach einer Minute 
frequenter Puls, Verfärbung des Gesichts und Erweiterung der Pupillen; 
Tod trotz Herzmassage. Der Vorfall entspricht den Ergebnissen der 
Arbeiten von Levy (Brit. med. journ., 14. September 1912), der bei 
Tieren nach Injektion von Adrenalin in leichter Chloroformnarkose De¬ 
lirium cordis und Tod beobachtete; bei tiefer Narkose war die Wirkung 
nur leicht und vorübergehend. Weydemann. 

M. Friedmann - Langendreer: Intravenöse Daoerinfosion. (Mün¬ 
chener med. Wochenschr., 1913, Nr. 19.) Entsprechend dem Tropf¬ 
klystier hat F. Versuche mit intravenöser Dauerinfusion von Kochsalz 
mit Zusatz von Adrenalin gemacht. Da die Wirkung des Adrenalins 
nur kurze Zeit vorhält, so wird durch die Tropfinfusion der Körper 
dauernd unter der Adrenalinwirkung gehalten. Die Indikation für dieses 
Vorgehen, das Fried mann ausführlich beschreibt, ist meistens chir¬ 
urgisch. Seine Erfahrungen sind gut. Dünner. 

H. L. Baum - München: Die tranmatisehe Venenthrombose an der 
oberen Extremität. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 21.) Vor¬ 
trag im Aerztlichen Verein zu München am 26. Februar 1913. 

Wolfsohn. 

W. J. de C. Wheeler-Dublin: Cheilotomie bei traumatischer 
Arthritis des Hüftgelenks. (Brit. med. journ., 10. Mai 1913, Nr. 2732.) 
Der Verf. stellt fest, dass er diese von Handley und Ball in Nr. 2731 
des Brit. med. journ. als neu beschriebene Operation bereits vorher mit 
grossem Erfolg bei einer Patientin am Knie- und Hüftgelenk ausgeführt hat. 

Weydemann. 

F. Kuhn-Berlin: Die erweiterte Operation der malignen Ober- 
kiefertnmoren. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 20.) Die Ope¬ 
ration soll mit grösster Ruhe und Sorgfalt ausgeführt werden. Aus 
diesem Grunde ist der Lokalanästhesie die Allgemeinnarkose mit per¬ 
oraler Intubation vorzuziehen. Der Eingriff hat sich auch, wenn nötig, 
auf die dem Oberkiefer benachbarten Höhlen zu erstrecken. 

Wolfsohn. 

W. S. Handley - London und C. P. Ball-Dublin: Cheilotomie, 
eine Operation zur Wiederherstellung der Funktion bei traumatischer 
Arthritis des Hüftgelenks. (Brit. med. journ., 3. Mai 1913, Nr. 2731.) 
Io Fällen von chronischer traumatischer, hypertrophischer Arthritis 
bilden sich zuweilen lippen- oder kranzförmige Exostosen, die die 
Funktion des Gelenks stark hemmen. Die Verff. geben zwei Kranken¬ 
geschichten von derartigen Fällen, wo es ihnen gelang, die Knochen- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22. 


Vorsprünge wegzumeisseln und die Funktion völlig wiederherzustellen. 
In beiden Fällen war das Hüftgelenk betroffen. Die Operation ist von 
den Verff. zum ersten Male ausgeführt und Cheilotomie genannt worden. 
Das Gelenk wird eröffnet und die Knochenvorsprünge mit geeigneten 
Instrumenten abgetragen. Fälle, bei denen eine toxische Osteoarthritis 
vorliegt, sind für diese Operation nicht geeignet. Weydemann. 

J. v. Budisavljevie - Innsbruck: Kriegschirorgische Erfahringea 
aus Serbien. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 19.) Vortrag in der 
wissenschaftlichen Aerztegesellschaft in Innsbruck in der Sitzung vom 
17. Januar 1913. B. bezieht die günstigen Resultate, die bei den serbi¬ 
schen Verwundeten erzielt wurden, auf die guten sanitären Einrichtungen 
bei dem serbischen Militär und darauf, dass von seiten der serbischen 
Regierung dem Friedenssanitätswesen grosse Aufmerksamkeit geschenkt 
wird. P. Hirsch. 

C. Sultan-Kiel: Eigentümliches Verhalten von Fremdkörpern. 
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 19.) Zwei Fälle. Zum Referat 
nicht geeignet. Dünner. 

E. v. Kutscha-Wien: Zur Frage: Operative oder konservative Be¬ 
handlung von Stich Verletzungen der Lunge. (Wiener klin. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 19.) Die Operation einer Stichverletzung der Lunge 
ist indiziert: 1. bei bedrohlicher Blutung, 2. wegen Infektion und 
3. wegen Spannungspueumothorax. Es empfiehlt sich eine breite Er¬ 
öffnung des Thorax und Naht der Lungenverletzung, bevor die Pneumo- 
pexie oder künstliche Aufblähung der Lunge ausgeführt wird. Der Verf. 
ist der Ansicht, dass die Indikationsstellung bei Stichverletzungen des 
Thorax bzw. der Lungen zu den schwierigsten Aufgaben zu rechnen ist. 

P. Hirsch. 

F. Sauerbruch - Zürich: Die Beeinflussung von Lungenerkran- 
kungen durch künstliche Lähmung des Zwerchfells. (Münchener med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 19.) Richtigstellung der Entgegnung von 
Hellin in Nr. 16 der Münchener med. Wochenschr. 

F. Jessen - Davos: Beitrag zur Freund’sehen Emphysemoperation. 
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 19.) Kasuistik* J. gibt eine 
eigene Methode an, um eine Neubildung von Knorpelsubstanz zu ver¬ 
hindern. Dünner. 

A. Sasse-Gottbus: Eingeklemmter Wurmfortsatz-Schlingenhruch, 

ein Beitrag zur Aetiologie der Appendicitis. (Deutsche med. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 20) In dem mitgeteilten Fall traten infolge von Ein¬ 
klemmung Circulationsstörungcn und sekundäre entzündliche Erschei¬ 
nungen auf. Wolfsohn. 

L. Mc Gavin - London: Bemerkungen zur Colotomie am Colon 
transversum als Operation der Wahl. (Brit. med. journ., 10. Mai 1913, 
Nr. 2732.) Diese Operation hat vor dem iliacalen künstlichen After den 
Vorzug einer besseren Sphincterwirkung des Rectus; ein Gürtel mit dem 
Verschluss sitzt hier besser, die Entleerung und Reinigung ist leichter 
und es bildet sich ein besserer Sporn, worauf der Verf. Wert legt. Von 
26 Fällen hat Mc Gavin 20 nach dieser Methode operiert. 

Weydemann. 

L. Heidenhain-Worms a. Rh.: Indikationsstellung heim akuten 
Steinverschluss des Dnctos choledochns nebst statistischen und tech¬ 
nischen Bemerkungen. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 19.) 
Man soll den akuten Steinverschluss des Choledochus operieren, wenn 
nicht innerhalb längstens einer Woche der Icterus unter vollkommener 
Erholung des Patienten gänzlich verschwunden und aus den übrigen 
Umständen mit Gewissheit zu entnehmen ist, dass kein Stein im Chole- 
dochus zurückgeblieben ist. Die Operation im akuten Icterus ist nicht 
gefährlicher als die im Intervall. Dünner. 

R. Collins und C. Braine - Hartnell - Cheltenham: Ein Aneu¬ 
rysma der Bauchaorta, operiert mit dem Colt’schen Apparat. (Brit. 
med. journ., 10. Mai 1913, Nr. 2732.) Die Verff. fanden bei der Sektion 
des Patienten, der 8 Tage nach der Operation gestorben war, dass die 
Drähte sich nicht in der wünschenswerten Weise gespreizt hatten. Bei 
Versuchen mit dem Colt’schen Apparat an Tennisbällen spreizten sich 
die Drähte ebenfalls nicht. Weydemann. 

Siehe auch Unfallheilkunde und Versicherungswesen: 
Brind, Traumatische Hüftgelenkentzündungen. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

E. Kuznitzky-Breslau: Das Mesothorium in der Dermatologie. 
(Archiv f. Dermatol, u. Syph., 1913, Bd. 116, H. 2.) Die Anwendung 
des Mesothoriums geschieht in Kapseln, ähnlich den Radiumkapseln. 
Die Dauer der Bestrahlung richtet sich nach der Tiefe der Dermatose 
und dauert von 20 Minuten bis zu 2 Stunden pro Stelle. Hautcarcinome, 
Warzen, Hämangiome, Naevi, Lupus vulgaris und erythematodes wurden 
zum Teil geheilt, zum Teil bedeutend gebessert. 

H. Geber-Kolossvar: Nitrogen- und Schwefelstoffwechseluuter- 
suchungen bei Psoriasis vulgaris. (Dermatol. Zeitschr., Mai 1913.) 
Neben Gewichtsbeständigkeit des Nitrogens ist eine gesteigerte Schwefel¬ 
ausscheidung nicht zu bemerken. 

C. Kreibich-Prag: Ueber Amyloiddegeneration der Hant. (Archiv 
f. Dermatol, u. Syph., 1913, Bd. 116, H. 2.) Das Auftreten des Amyloids 
ist als Alterserscheinung der Haut aufzufassen. 


C. Kreibich-Prag: Ueber lipoide Degeneration des Elastins der 
Hant. (Archiv f. Dermatol, u. Syph., 1913, Bd. 116, H. 2.) Bei der 
Untersuchung seborrhoischer Warzen alter Leute ergab sich, dass eine 
Degenerationsform der elastischen Fasern sich dadurch charakterisiert, 
dass die gesamte Faser einen sudanophilen Farbenton annimmt und 
dass in ihr Lipoidtröpfchen auftreten. 

W. Dubreuill - Bordeaux: Diffuses Elastom der Hant. (Annales 
de Dermatol, et de Syphiligr., April 1913.) Die Affektion hat 
grosse Aehnlicbkeit mit dem Pseudoxanthoma ela9ticum, sie befallt nur 
unbedeckte Körperteile, Gesicht und Hals. Die Haut ist in ihrer ganzen 
Ausdehnung verdickt, weich, pastös und gerunzelt und hat eine eigen¬ 
tümliche gelbliche Farbe. Histologisch handelt es sich um eine Neu¬ 
bildung von normalem elastischen Gewebe. 

E. Klausner - Prag: Die Beziehungen der Unna’sehen Parakera- 
tosls varlegata nur Pityriasis lichenoides. (Dermatol. Wochenschr., 
1913, Bd. 56, Nr. 17.) Die Parakeratosis variegata und die Pityriasis 
lichenoides sind miteinander identisch und stellen nur verschiedene 
Phasen desselben Krankheitsbildes dar. 

M. L. Heidingsfeld - Cincinnati: Morphoeaäbnliebes Epitheliom. 
(Archiv f. Dermatol, u. Syph., 1913, Bd. 116, H. 2.) Das morphoea- 
ähnliche Epitheliom ist dem Ulcus rodens in jeder Beziehung ähnlich. 
Die histologische Untersuchung und das vergleichende Studium derartiger 
Fälle lässt Verf. den Schluss ziehen, dass ein bösartiges Tumor der 
Haut, wenn er klinisch sicher zu diagnostizieren ist, kein sicheres Urteil 
mehr bezüglich seiner Histogenese gestattet, und dass die Grenze 
zwischen Gut- und Bösartigkeit in dem ersten Stadium noch keine 
scharfe ist. Die Haut bringt also in diesen Einzelheiten keine Vorteile 
gegenüber anderswo gelegenen Tumoren. Immerwahr. 

Zieler-Würzburg: Orthotische Albuminurie bei Tnberknlose. 
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 19.) Bemerkungen zu der in 
Nr. 14 der Münchener med. Wochenschr. unter gleichem Titel er¬ 
schienenen Mitteilung von J. Sturm. Dünner. 

J. Fabry-Dortmund: Ueber kombinierte Behandlung von Haut- 
earcinomen mit Kohlensänregefriernng und Röntgenstrahlen. (Archiv 
f. Dermatol, u. Syph., 1913, Bd. 116, H. 2.) Das Carcinom wird eine 
Minute mit Kohlensäureschnee gefroren, naoh dem Auftaueu noch einmal 
eine Minute gefroren und dann, meist nach 2 Tagen mit Röntgenstrahlen 
behandelt. Unter Salbenverbänden tritt in 2—4 Wochen Heilung ein. 

R. Boer-Berlin: Ueber Hexal bei Gonorrhöe und deren Kompli¬ 
kationen. (Dermatol. Centralbl., Februar 1913.) Hexal ist für die Uro¬ 
logie von nicht zu unterschätzendem Werte. 

J. Schumacher-Berlin: Ueber Gonargin, ein neues Vaceine- 
präparat. (Dermatol. Zeitschr., Mai 1913.) Das von den Höchster 
Farbwerken hergestellte Gonargin ist ein unschädliches Präparat, welches 
bei Epididymitis und Tendovaginitis therapeutisch gut wirkt. Unsicher 
sind die Erfolge damit bei chronischer Prostatitis, Vulvovaginitis und 
Rectal gonorrhöe. 

T. Ito-Tokio: Klinisch und bakteriologisch-serologische Studien 
über Ulcns molle und Dncrey’sehe Streptobacillen. (Archiv f. Dermatol, 
u. Syph., 1913, Bd. 116, H. 2.) Die Intracutanreaktion mit einem aus 
Ducrey’schen Streptobacillen hergestellten Vaccin ist spezifisch und kann 
als Hilfsmittel zur Sicherung der klinischen Diagnose in Betracht 
kommen. Eine Streptobacillenvaccinebehandlung bei Bubonen lieferte 
schnelle und gute Resultate. Zur Darstellung von Streptobacillennäbr- 
böden ist defibriniertes Blut am geeignetsten. Das Gift der Strepto¬ 
bacillen ist an den Bacillenleib gebunden, also ein Endotoxin. Durch 
VaccinvorbehandluDg kommt keine aktive Immunität zustande; auch 
eine passive Immunität ist nicht nachweisbar. 

H. Boas und H. Eiken-Kopenhagen: Die Bedeutung der Wmsaer- 
mamr ehen Reaktion, mit Leiebenblnt ausgeführt. (Archiv f. Dermatol, 
u. Syph., 1913, Bd. 116, H. 2.) Bei der Untersuchung von Leichenblut 
mit 0,2 ccm Serum als Ablesungsdosis ergeben sich so viele positive 
Reaktionen bei Patienten, bei denen vermutlich keine Syphilis vorliegt, 
dass dem positiven Ausfall der Reaktion keine grössere Bedeutung bei¬ 
gemessen werden kann. Bei der Untersuchung mit 0,1 ccm Serum wird 
die Reaktion annähernd spezifisch. Dagegen hat die negative Wasser- 
mann’sche Reaktion, auf diese Weise mit Leichenblut angestellt, weit 
geringere Bedeutung, als die bei lebenden Patienten. 

F. v. Poör-Budapest: Experimenteller Beitrag zur Inunnnitit bei 
Syphilis tarda. (Archiv f. Dermatol, u. Syph., 1913, Bd. 116, H. 2.) 
Das syphilitische Individuum reagiert in jedem Stadium der Syphilis auf 
die neue Einimpfung des syphilitischen Virus mit spezifischen Erschei¬ 
nungen. Gegen das im Organismus seit längerer Zeit verweilende und 
auf denselben Organismus autoinoculierte Virus zeigt aber der Orga¬ 
nismus eine wechselnde Resistenz. Diese Resistenz nimmt bei der Spät¬ 
form der Syphilis nicht im ganzen Organismus, sondern nur in einzelnen 
Organen ab; dadurch erklärt sich das isolierte Auftreten der tertiären 
Erscheinungen. 

H. Nakano - Japan: Experimentelle und klinische Studien über 
Cutireaktion und Anaphylaxie bei Syphilis. (Archiv f. Dermatol, u. 
Syph., 1913, Bd. 116, H. 2.) Das Spirochaeta pallida-Filtrat ist zur 
Cutireaktion für diagnostische Zwecke ein sehr brauchbares Hilfsmittel, 
ebenso wie das Alttuberkulin bei Tuberkulösen. Die durch Syphilis¬ 
leberextrakt hervorgerufene Anaphylaxie bei Tieren verhält sich ebenso 
wie die durch andere EJiweisskörper erzeugte. Abgetötete Spirochäten 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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und ihre von ihnen ausgehenden Toxine können bei Menschen im 
tertiären Stadium gummiähnliche Geschwüre bilden. Gemische von 
Luesseren mit Luesorganextrakten erzeugen nach intravenösen Injektionen 
bei Meerschweinchen Anaphylaxie, und zwar um so öfter, je älter die 
Lues ist. Auch aus gezüchteten Spirochäten oder Material von syphi¬ 
litischen Produkten kann man durch Digerierung mit Meerschweinchen¬ 
komplement das Anaphylatoxin gewinnen. 

A. Strauss - Barmen: Konzentrierte intravenöse Salvarsan- 
injektionen. (Dermatol. Wochenschr., 1913, Bd. 56, Nr. 18.) Die kon¬ 
zentrierten Injektionen eignen sich mehr für Neosalvarsan. Zur Her¬ 
stellung der Lösungen benutzt Yerf. unmittelbar vor jeder Injektion in 
einem Erlenmeyer’schen Kolben abgekochtes Leitungswasser. Dieses 
wird in ein sterilisiertes Glasgefäss gegossen, dann schüttelt man das 
Neosalvarsan auf das Wasser, in dem .es sich schnell auilöst. 

P. Ravaut und Scheikevitel - Paris: Ueber eine neue Methode, 
Neosalvarsan in konzentrierter Lösung einznspritzen. (Annales de 
Dermatol, et de Syphiligr., April 1913.) In eine graduierte Borrel’sche 
Flasche werden 10—15 ccm Wasser gegossen und darauf das Neo- 
salvarsanpulver geschüttet; die Lösung wird mit einer sterilen Glas¬ 
spritze aufgesogen und in die Vene eingespritzt. Die nach der 
Einspritzung auftretenden unangenehmen Symptome sind verschiedenartig, 
aber meist unbedenklich und unbedeutend. Jedenfalls soll man die 
Neosalvarsanbehandlung mit einer schwachen Dosis anfangen, die In¬ 
jektionen erst nach 8 Tagen wiederholen; wenn dieselben gut vertragen 
werden, die Dosis progressiv steigern, aber 0,9 nicht überschreiten. 
'Wird die erste Einspritzung nicht gut vertragen, so werden meistens die 
nächsten besser vertragen, man soll dann aber die Dosis nicht steigern. 

E. Tomasczewki - Berlin: Ueber die Todesfälle nach intra¬ 
venösen Injektionen von Salvarsan und Neosalvarsan. (Dermatol. 
Zeitschr., April und Mai 1913.) Zur Erklärung der nach intravenösen 
Salvarsan- resp. Neosalvarsaninfusionen beobachteten Todesfälle ist es 
nicht angängig, technische Fehler herauszuziehen. Das gleiche gilt für 
die Herxheimer’sche Reaktion syphilitischer, im cerebrospinalen Nerven¬ 
system sitzender Krankheitsherde. Auch anaphylaktische Erscheinungen 
kommen nicht in Frage. Viel näher liegt es, an direkte oder mehr in¬ 
direkte Nebenwirkungen des Salvarsans oder Neosalvarsans zu denken. 
Im allgemeinen werden Salvarsaninfusionen in den gebräuchlichen Dosen 
von 0,3 bis 0,6 bei fehlerfreier Technik und genügender Quecksilber¬ 
vorbehandlung von den meisten Patienten gut vertragen. Nur ver¬ 
einzelte Kranke reagieren in abnormer Weise. Eine derartige Reaktion 
muss man als spezielle Ueberempfindlichkeit bezeichnen, denn das Sal¬ 
varsan bzw. das Neosalvarsan ist ein in grösserer Menge stets toxisch 
wirkender Körper. Ob es sich nun bei den unter dem Bilde der Hirn¬ 
schwellung verlaufenden Erkrankungen, welche meist zum Tode führen, 
um eine Nebenwirkung der organischen Verbindung oder anorganischer 
Arsensalze, oder um eine kombinierte Wirkung beider handelt, lässt 
sich zurzeit nicht entscheiden. 

E.^Hoefler-Tölz: Ueber Jodipindarreichnng. (Dermatol. Central¬ 
blatt, März 1913.) Verf. gibt genaue Vorschriften für die intramuskuläre 
Jodipineinspritzung in die Glutäen. Immerwahr. 

Siehe auch Pharmakologie: Hedön, Einwirkung von Salvarsan 
und Neosalvarsaninjektionen auf das Blut. Miedreioh, Toxikologie des 
Salvarsans. — Allgemeine Pathologie und pathologische Ana¬ 
tomie: Favre und Savy, Histologie des Hautleproms. — Therapie: 
Gudzent und Winkler, Psoriasisbehandlung mit Thorium X. 


Geburtshilfe und Gynäkologie. 

Sachs • Königsberg: Ueber einen Holoacardins mit ansgebildetem 
Kampf, Extremitäten and Kopfskelett. (Monatsschr. f. Geburtsh. u. 
Gynäkol., Mai 1913.) Der Fall ist unter den bisher beschriebenen der 
am weitesten ausgebildete bei völlig fehlender Herzanlage. Es ist an¬ 
zunehmen, dass es sich in solchen Fällen um einen primären Mangel 
des Herzens handelt, da nicht einzusehen ist, wie das einmal angelegte 
Herz spurlos verschwinden soll. Die verhältnismässig gute Körper¬ 
ausbildung ist nur erklärlich und abhängig von der Gefässverbindung 
mit dem normalen Zwilling, die in diesem Falle insofern besonders gut 
war, als zwei Nabelarterien bestanden. 

Fellner-Wien: Herz and Schwangerschaft. (Monatsschr. f. 
Geburtsh. u. Gynäkol., Mai 1913.) Auf Grund der Beobachtung von 
242 Fällen von Herzerkrankungen in der Schwangerschaft und Geburt 
kommt Verf. zu dem Ergebnis, dass weniger der Klappenfehler als der 
Zustand des Herzmuskels für die Prognose entscheidend ist, und dass 
nicht die Schwangerschaft, sondern die Geburt für das Herz gefährlich 
werden kann. Bei kompensierten Vitien ist nur dann Frühgeburt bzw. 
Abort einzuleiten, wenn die Patientin in der früheren Geburt am Tode 
lag, bei nichtkompensierten wenn die interne Therapie aussichtslos ist 
oder weitere Komplikationen, so insbesondere Tuberkulose, Struma, 
chronische Nephritis, vorliegen. In Fällen von recurrierender Endo- 
carditis ist e» besser, nicht aktiv vorzugehen, ebenso bei Hydrothorax 
und Hydropericard in den späteren Monaten. Alle überstürzten Ge¬ 
burten, so insbesondere die Extraktion naoh der Wendung, sind zu 
unterlassen. Aus diesem Grunde erscheint es auch fraglich, ob die 
Sectio caesarea vaginalis, die 8 mal zur Anwendung kam, rationell ist. 
Wichtig ist die Sterilisation in allen Fällen, wo die Patientin in 
früheren Schwangerschaften am Leben schwer gefährdet war. 


Hirsch-Berlin: Wiederholte Tnbargravidität. Erwiderung. (Monats¬ 
schrift f. Geburtsh. u. Gynäkol., April 1913.) Polemik gegen eine Arbeit 
von Puppel (siehe Ref. dieser Wochenschr., 1913, Nr. 8, S. 361). Verf. 
verteidigt seine Ansicht, dass bei der Frage der Entfernung der zweiten 
Tube bei der Operation der Tubargravidität für die Entscheidung auch 
soziale Momente mitsprechen. — Puppel: Erwiderung an M. Hirsch. 
(Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., April 1913.) L. Zuntz. 

W. R übsamen-Dresden: Weiterer Beitrag zur Schwangerschafts- 
sernmtherapie der Schwangerschaftstoxikosen. (Deutsche med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 20.) 1. Juckender Hautausschlag während der 

Gravidität; durch einmalige Injektion von 20 ccm einer gesunden I para 
geheilt. 2. Schwangerschaftsdermatose, die sich im Wochenbett noch 
veschlimmerte, ebenfalls durch einmalige Seruminjektion geheilt. 

J. Bierer - Radautz; Creie’scher Handgriff nnd Uterusinversion. 
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 21.) Im Anschluss an den durch 
die Hebamme ausgeführten Cred6’schen Handgriff trat eine Uterus¬ 
inversion ein, an der die Wöchnerin sich verblutete. Wolfsohn. 

Staude - Hamburg: Peroneaslähmnng post partnm. (Monatsschr. 
f. Geburtsh. u. Gynäkol., Mai 1913.) Zwei Fälle; in dem einen blieb 
eine dauernde schwere Schädigung zurück; im anderen kam es zu 
völliger Heilung. Die anatomischen Verhältnisse des Plexus lumbo- 
sacralis werden genau besprochen und gezeigt, warum bei traumatisch 
verursachten Geburtslähmungen der Nervus peroneus am stärksten und 
in erster Linie betroffen wird. Die Lähmung desselben ist aber meist 
keine isolierte; viel mehr ist der Tibialis in geringerem Grade und 
manchmal auch der Obturatorius mitbeteiligt. L. Zuntz. 

H. A. Fairbank-London: Gebnrtslähmnng; Snblnxation des 
Schaltergelenks bei Kindern. (Lancet, 3. Mai 1913, Nr. 4679.) Klinische 
Abhandlung. Gänzliche oder teilweise spontane Heilung der Lähmung 
hat der Verf. in 60pCt. der beobachteten Fälle gesehen. Ganz be¬ 
sonders weist er darauf hin, dass in den meisten Fällen sich später eine 
Subluxation des Oberarmes nach hinten ausbildet, deren Zustande¬ 
kommen er eingehender beschreibt. Um dauernde Schädigungen zu ver¬ 
meiden, ist der gelähmte Arm gleich in eine Stellung zu bringen, in 
der die gelähmten Muskeln erschlafft sind, wozu F. eine Schiene an¬ 
gegeben hat. Ausserdem wird zweimal täglich massiert und passiv 
bewegt. Hier kommt besonders Rotation nach aussen, volle Beugung 
des Ellenbogens und Supination des Unterarmes in Frage. Nach drei¬ 
monatiger Behandlung wird die Muskulatur in Narkose elektrisch unter¬ 
sucht; wenn sie noch gelähmt ist, ist eine Plexusoperation am Platze. 
Wenn eine Reduktion der Subluxation nicht möglich ist, und dies ist 
häufig der Fall, so muss sie operativ beseitigt werden. Die Technik 
dieser Operation wird beschrieben. Weydemann. 

Hey mann und Moos - Breslau: Erfahrungen über Vaccinebehand¬ 
lung der weiblichen Gonorrhöe. (Monatsschr. f. Geburtsh. n. Gynäkol., 
Mai 1913.) Zur Anwendung kam das Bruck’sche Arthigon. Als dia¬ 
gnostisches Hilfsmittel versagte es; in einer Reihe von Fällen, in denen 
eine Gonorrhöe ausgeschlossen war, trat eine positive Reaktion auf. 
Therapeutisch bedeutet die Vaccinetherapie ebenfalls keinen wesent¬ 
lichen Fortschritt. Bei den offenen Prozessen der Urethral- und Uterus¬ 
schleimhaut versagte sie ganz, ebenso bei alten Pyosalpingen. Bei 
frischen Entzündungen der Adnexe gab sie neben Misserfolgen doch 
eine Reihe von Besserungen, und die besten Erfolge brachte sie bei 
Gelenkaffektionen. In Verbindung mit den bisherigen Methoden ist das 
Arthigon ein wirksames Adjuvans im Kampfe gegen die Komplikationen 
der Gonorrhöe. 

Fuchs-Danzig: Röntgentherapie oder Vaporisation hei hämor- 
rhagisehen Metropathien. (Monatsschr.f. Geburtsh.u. Gynäkol., April 1913.) 
Unter Hinweis auf seine vorzüglichen Resultate — unter 63 Fällen 
58 mal dauernde Heilung — spricht sich Verf. für die Vaporisation aus. 
Sie hat den Vorzug der Einfachheit und vor allem den, dass die innere 
Sekretion der Ovarien erhalten bleibt. L. Zuntz. 

S. Meidner - Berlin: Ueber den derzeitigen Stand der gynä¬ 
kologischen Röntgentherapie. (Therapie d. Gegenw., April 1913.) Zu¬ 
sammenfassende Uebersicht. R. Fabian. 

Döderlein - München: Röntgenstrahlen and Mesothorinm in der 
gynäkologischen Therapie, insbesondere auch bei Uternscarcinom. 
(Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., Mai 1913.) In der Behandlung 
der Myome hat sich die Münchener Klinik den Vorschriften der Frei¬ 
burger Schule (Krönig-Gauss) vollständig angeschlossen und mit den 
so angewandten hohen Dosen in 21 Fällen vollkommene Dauerheilung 
erzielt. Die von anderer Seite aufgestellten Kontraindikationen — hoch¬ 
gradigste Anämie, Tumoren, die Kompressionserscheinungen machen, 
jugendliches Alter — können nicht mehr als zu Recht bestehend an¬ 
erkannt werden. In 10 Fällen von hämorrhagischen, namentlich prä¬ 
klimakterischen Metropathien wurden die auch von allen anderen Autoren 
beschriebenen guten Erfolge erzielt. Günstig beeinflusst wurde Pruritus 
vulvae. Sehr überraschende Erfolge, die zu weitgehenden Hoffnungen 
berechtigen, wurden bei Carcinom erzielt, die besten durch eine Kombi¬ 
nation von direkter vaginaler Röntgenbestrahlung mit enorm hohen 
Dosen und vaginaler Einlage von Mesothoriumkapseln. In einer grösseren 
Reihe von Fällen gelang es, inoperable Carcinome so zu verändern, dass 
selbst bei weitgehender Probeexzision Carcinom nicht mehr nacbgewiesen 
werden konnte. Von einer Dauerheilung kann natürlich noch nicht 
gesprochen werden. Mikroskopische Untersuchungen zeigten, dass die 


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1032 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22. 


Bestrahlung zu einem vasculären Zerfall der Carcinomzellen und zu 
sekundärer Bindegewebswucherung führt. 

Schütze-Königsberg: Spätilens nach vaginalen Totalexstirpationen 
des Uterus. (Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., Mai 1913.) Unter 
171 vaginalen Hysterektomien, bei denen stets das Peritoneum durch 
Naht exakt verschlossen wurde, beobachtete Verf. zweimal einen Ileus 
in der dritten Woche nach der Operation. Im ersten Falle wurde 
laparotomiert und eine im kleinen Becken adhärente Dünndarmschlinge 
gelöst; Heilung. Im zweiten Falle war das Reclum durch einen peri- 
proctitischen Abscess komprimiert; nach vaginaler Inzision ebenfalls 
Heilung. L. Zuntz. 

Siehe auch Therapie: Meidner, Beeinflussung eines Portio- 
carcinoms durch Mesothorbestrahlung. — Allgemeine Pathologie 
und pathologische Anatomie: Jardine und Kennedy, Sym¬ 
metrische Nekrose der Nierenrinde. 


Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 

L. Chloroton und F. VIes: Kinematographie der Stimmbänder 
und ihrer Nachbarschaft. (Compt. rend. de Pacad. des Sciences, 1913, 
Nr. 12.) Mit Hille einer ziemlich einfachen Vorrichtung gelang es, die 
tätigen Stimmbänder zu photographieren. Aus dem Stadium der Auf¬ 
nahmen waren einige Schlüsse gezogen. Wartensleben. 

C. Horsford-London: Das Annähen der Epiglottis; ihr Wert bei 
der indirekten Kehlkopfspiegelung. (British med. journ., 3. Mai 1913, 
Nr. 2731.) Beschreibung eines vom Verf. angegebenen Nähinstruments 
zum Durchlegen eines Fadens durch die .Epiglottis. Dies ist praktischer 
als der Gebrauch eines Kehldeckelhebers. Wey de mann. 

R. Schreiber: Tonsillektomie (mit Berücksichtigung eines neuen 
Verfahrens nach Klapp). (Therapie d. Gegenw., Mai 1913.) Verfasser 
schliesst sich durchaus der von Hopmann aufgestellten Forderung an, 
in allen Fällen, wo überhaupt eine Mandeloperation indiziert erscheint, 
die totale Exstirpation vorzunehmen. Mit der neuen Methode der Ton¬ 
sillektomie nach Klapp gelingt es, die Tonsille radikal herauszuschälen. 
Das Instrument stellt eine modifizierte Luer’scho Hohlmeisselzange dar 
und ist bei Max Kohnemann, Berlin N.24, erhältlich. R. Fabian. 

R. Wolferz: Symptomatologie und Pathogenese der eitrigen 
Labyrinthitis und die Indikationen zur Labyrinthoperation. (St. Peters¬ 
burger med. Zeitschr., 1913, Nr. 7.) Zu kurzem Referat nicht geeignet. 

Wartensleben. 

Mangold-Freiburg i. B.: Weitere Beobachtungen über willkürliche 
Kontraktionen des Tensor tympani. (Münchener med. Wochenschr., 
1913, Nr. 19.) Dünner. 


Hygiene und Sanitätswesen. 

E. Finger-Wien: Die Syphilis als Staatsgefahr und die Frage 
der Staatskontrolle. Teil 2. (Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) 
Fortsetzung aus Nr. 16. Verf. fordert genügend langdauernde Spital¬ 
behandlung, deren Kosten eventuell vom Staat zu tragen sind. Die 
Frage eines ganz allgemein geltenden Behandlungszwanges hält er in¬ 
dessen noch nicht für spruchreif. G. Eisner. 

L. Hi 11-London: Die Physiologie der Freiluftbehandlung. L. Hill 
und F. F. Muecke-London: Kopferkältnngen. (Lancet, 10. Mai 1913, 
Nr. 4680.) Die ganze Wirkung der Freiluftbehandlung beruht auf der 
Bewegung, Temperatur und Feuchtigkeit der Luft. Die Verff. haben 
durch Spiegeluntersuchungen festgestellt, dass die Nasenschleimhaut in 
feuchter, warmer Luft (Zimmer) sich rötet und schwillt und sich mit 
dickem Sekret bedeckt, unter Verengerung des Nasenlumens bis zum 
Verschlüsse. Beim Uebergange in kalte Luft wird die Nasenschleimhaut 
blass, bleibt aber durch Lymphgehalt geschwollen und sekretbedeckt. 
In diesem Sekret finden die durch Tropfeninfektion vor anderen in die 
Nase gelangenden Bakterien einen guten Nährboden. Bewegung der 
Luft durch Ventilatoren macht die feuchte, warme Luft erträglicher. 
Kopfschmerz und Gefühl des Eingenommenseins in Zimmern, die durch 
Oefen oder Dampfheizung erwärmt werden, werden verursacht durch eine 
Schwellung der Nasenschleimhaut. Strahlende Wärme ist besser als 
geleitete Wärme. Wey de mann. 


Unfallheilkunde und Versicherungswesen. 

P. Gutmann-Berlin: Aerztliche Bemerkungen zu Bernhard’s 
Buch: Unerwünschte Folgen der deutschen Sozialpolitik. (Monatsschr. 
f. Unfallheilk., 1913, Nr. 4.) Verf. findet mit Bernhard, dass Simulation 
und Uebertreibung bei Unfallverletzten sehr häufig ist. Bei Unfall¬ 
neurosen soll man mit der Rente nicht über 33y 3 pCt. hinausgehen, 
noch besser wäre Kapitalabfindung in solchen Fällen. Die Berufs¬ 
genossenschaften sollten von ihrem Recht, die Verletzten bald nach 
dem Unfall untersuchen zu lassen, häufiger Gebrauch machen. 

Thiem-Cottbus: Die durch die Reichsversichenrogsordniiiig er¬ 
weiterten Aufgaben der Unfallbegutachtang. (Monatsschr. f. Unfall¬ 
heilkunde, 1913, Nr. 4.) Verf. gibt eine kurze Uebersicht über alle 
wichtigen neuen Vorschriften der Reichsversicherungsordnung, soweit sie 
die Unfallbegutaehtung betreffen. Der Aufsatz ist für jeden Arzt, der 


häufiger mit Unfallsachen zu tun hat, lesenswert. Zum kurzen Referat 
nioht geeignet. 

E. Frank-Berlin: Inwieweit sind neu aiifbreeheide Krampfader» 
geschwüre als unmittelbare Unfallfolge anzoseben? (Monatssehr. f. 
Unfallheilk., 1913, Nr. 4.) Häufig behaupten Verletzte, bei denen sich 
infolge eines Unfalles Krampfadergeschwüre gebildet haben, wenn diese 
nach Jahren wieder aufbrechen, dass es sich um eine Unfallfolge handelt. 
Nach Thiem ist in solchem Fall aber nur dann eine mittelbare Unfall¬ 
folge zu sehen, wenn der Gewebszerfall genau an der Stelle aufs neue 
stattfand, an der das primäre nach dem Unfall entstandene Geschwür 
sass. Liegt aber ein ganz besonders langer Zeitraum zwischen Unfall 
und neuer Geschwürsbildung, so wird man auch in diesem Fall keinen 
ursächlichen Zusammenhang mit dem früheren Unfall mehr annehmen 
können. Von diesem Gesichtspunkte aus lehnte Frank in einem ein¬ 
schlägigen Fall den mittelbaren Zusammenhang mit einem früheren 
Unfall ab, zumal eine erhebliche Krampfaderanlage bestand. 

Brind-Berlin: Zur Kasuistik der traimatisehen Hüftgelenk- 
eatzündangea. (Monatsschr. f. Unfallheilk., 1913, Nr. 4.) Vier Fälle 
traumatischer, nicht tuberkulöser Hüftgelenkentzündungen hat G. Müller 
kürzlich mitgeteilt. Einen weiteren Fall aus Müller's Klinik beschreibt 
Verf. Alle diese Fälle betreffen jugendliche Individuen. Nach einem 
leichten Trauma der Hüftgegend stellen sich Schmerzen daselbst und 
Hinken ein, und schliesslich entwickelt sich eine Coxitis mit Versteifung 
ohne Fieber oder sonstige Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens. 
Das Röntgenbild zeigt einige rarefizierte Stellen am Kopf und Hals des 
Femur. H. Hirschfeld. 


Militär-Sanitätswesen. 

G. Schmidt-Berlin: Deutsche und französische Kriegssanit&ta- 
ordnnng (K.-S.-O.). (Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1913, H. 8.) Wenn 
man sich in die Einzelheiten der französischen K.-S.-O. vertieft, so tauchen 
Zweifel auf, ob die zum Teil recht schwierigen Fragen des Kriegssanitäts¬ 
dienstes richtig gelöst sind. Manches, das als Neuerung vielfach und 
laut gepriesen wird, ist in der deutschen K.-S.-O. bereits vorgezeichnet. 
Auch in ihrer französischen Schwester begegnet man aber überall dem 
besten Wollen zugunsten der verwundeten Soldaten. 

Frhr. v. Maltzahn: Gehören Sanitätsformationen in die Vorhnt? 
(Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1918, H. 8.) Für das gewöhnliche Be¬ 
gegnungsgefecht ist der Platz der Sanitätsformationen vor den leichten 
Munitionskolonnen der Feldartillerie, also beim Gros, nicht zu weit zu¬ 
rückgelegen, denn bis das Gefecht zum Stehen kommt, ist auch die 
Sanitätskompagnie zur Stelle; beim Angriff auf eine feste Stellung des 
Gegners dagegen empfiehlt es sich doch im Interesse ihrer Aktions¬ 
bereitschaft, einen Teil der Sanitätskompagnie der Vorhut zuzuteilen. 

Haberling-Köln: Gesundheitsfürsorge im russischen Heere vor 
hundert Jahren. (Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1913, H. 8.) 

Lotsch-Berlin: Das Kriegssanitätswesen der bulgarischen Arnee 
im Feldzug gegen die Türken 1912/13. (Deutsche militärärztl. Zeitschr., 
1913, H. 9.) Vortrag, gehalten in der Berliner militärärztlichen Gesell¬ 
schaft am 21. II. 1913. 

Bockhorn-Langeoog: Ueber Erkrankungen der Kottmandostuume. 
(Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1913, Nr. 9.) Zu dem Artikel Zum¬ 
steegs in H. 2, 1912, der Deutschen militärärztl. Zeitschrift. Verf. feilt 
mit, dass er einen Aufsatz veröffentlichte, in welchem er auf die bei ihm 
und seinem Mitarbeiter seit 1910 eingerichteten stimmtechniscben Kurse 
hinwies. Den Gedanken Zumsteegs, dass eine mehrwöchige Stimm¬ 
ruhe dazu verwendet wird, die Stimme in ihren tieferen Lagen so zu 
kräftigen, dass sie sich derselben mühelos zum Sprechen bedienen kann, 
haben Prof. Seydel und der Verf. schon seit 1910 weiter ausgeführt 
und für die Zeit vom Juli bis Mitte September stimmtechnische Kurse 
eingerichtet. 

Eckart-Nürnberg: Zur Frage der DieustbeschSdiguug bei hyste¬ 
rischen Hörstörungen. (Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1913, H. 8.) 
Um den Beweis des ursächlichen Zusammenhanges zu erbringen, muss 
man verlangen, dass die Hysterie unmittelbar an den Unfall sich an- 
schliesst oder doch wenigstens in verhältnismässig kurzer Zeit folgt, und 
dass der Mann gleich bei seiner Krankmeldung eine bestimmte dienst¬ 
liche Veranlassung als Ursache beschuldigt, immer aber unter der Vor¬ 
aussetzung, dass Hysterie nicht schon vor dem Diensteintritt bestanden 
hat. Einfacher gestaltet sich die Dienstbeschädigungsfrage in den häufigen 
Fällen, in welchen sich die hysterische Hörstörung an eine organische 
Ohrerkrankung, meist eine solche des Mittelohres, anschliesst. Hier ist 
nur zu entscheiden, ob für diese Dienstbeschädigung anzuerkennen ist 

Weyert-Posen: Psychische Grenzznstände und Dienstfahigkeit. 

(Erwägungen und Vorschläge.) (Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1913, 
H. 7.) Besprechungen der einzelnen psychischen Grenzzustände in ihren 
Beziehungen zu der Militärdienstfähigkeit, vor allen Dingen bei der 
Dementia praecox, bei der Epilepsie, Neurasthenie, Hysterie, bei dem an¬ 
geborenen Schwachsinn und bei den Degenerierten. Eingehen auf einige 
Vorschläge, deren Verwirklichung mehr als bisher nach Verf.’s Auffassung 
die Fernhaltung von geistig für den Heeresdienst ungeeigneten Persön¬ 
lichkeiten ermöglichen würde, z. B. Erkennung militärisch ungeeigneter 
Elemente duroh Führung von Familienstammbüchern auch in den 
ärmeren Schichten der Bevölkerung, duroh Mitteilungen aus Central- 


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2. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1033 


stellen der Provinzialschul Verwaltung in Form von Zählkarten, die später 
den Ortsvorständen und dann mit eventuell neuen Einzeichnungen der 
Aushebungskommission zu übermitteln wären, ferner durch die Jung¬ 
deutschlandbewegung, Schaffung einer Centralstelle für die Fürsorge¬ 
zöglinge usw. Verf. hält eventuelle Einwände, dass seine Forderungen 
betreffs Befreiung degenerierter und leicht schwachsinniger Leute vom 
Heeresdienst zu weit gingen und seine Abänderungsvorschläge undurch¬ 
führbar seien, für nicht berechtigt. 

Badstübner - Torgau: Das Millianp&remeter bei Röntgenauf¬ 
nahmen und bei der Hilrtebestiminung von Röhren. (Deutsche militär- 
ärztl. Zeitsehr., 1918, H. 9.) 

Hans Köhler-Kiel: Saugbehandlung an Stelle von Amputation 
abgequetschter und erfrorener Glieder. (Deutsche militärärztl. Zeitschr., 
1913, H. 8.) Verf. hält es für sehr wahrscheinlich, dass, wenn das Ver¬ 
fahren der Saugbehandlung, das nur sehr geringe Mittel beansprucht, 
allgemein verbreitet würde, manche Verkrüppelung vermeidbar wird. 

Schnütgen. 


Technik. 

F. Ehrlich - Stettin: Einfache Methode zur Feststellung der Ur¬ 
sache des Versage« der elektrischen Beleuchtung eines Endoskops. 
(Archiv f. Verdauungskrankh., Bd. 19, H. 2.) Eine Besprechung von rein 
spezialistisch-technischem Interesse. Ewald. 

Schütz-Straubing: Gelenkwinkelmesser. (Münchenermed. Wochen¬ 
schrift, 1918, Nr. 19.) Dünner. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Nachtrag zur Sitzung vom 7. Mai 1913. 

Hr. Haendl y-Berlin: 

Die histologischen Veränderungen der mit Röntgenstrahlen nnd Meso¬ 
thorium behandelten Careinomfölle. 

Wir haben die Fälle von Carcinoma vaginae, cervicis und urethrae, 
über die Herr Geheimrat Prof. Dr. Bumm klinisch berichtet hat, vor 
und während der Behandlung mit Röntgenstrahlen und Mesothorium 
mikroskopisch untersucht. Auf die Einzelheiten soll ausführlich an 
anderer Stelle eingegangen werden. Ich möchte hier nur folgendes be¬ 
merken: An der Oberfläche der von uns untersuchten Probeexzisionen 
fand sich stets eine schmale Zone von nekrotischem Gewebe, darunter 
eine Schicht von Granulationsgewebe. In allen Präparaten war Sklerose 
und hyaline Degeneration der Bindegewebsfibrillen vorhanden, die mit 
der Länge der Behandlung und der Grösse der zur Verwendung kommen¬ 
den Strahlendosen zunabm und schliesslich dahin führte, dass nur noch 
breite hyalin degenerierte Massen ohne oder mit nur wenigen Binde- 
gewebskemen vorhanden waren. Von den vor der Behandlung vor¬ 
handenen breiten Strängen und Haufen von Carcinomzellen fanden wir 
zwischen den hyalin degenerierten Bindegewebsfibrillen und im Granu¬ 
lationsgewebe entweder gar keine Carcinomzellen mehr oder nur noch 
spärliche Reste oder isolierte Carcinomzellen, die alle Zeichen des Unter¬ 
ganges zeigten. Kern und Protoplasma waren aufgequollen, die Färbe¬ 
fähigkeit hatte abgenommen, es traten Vacuolen im Kern und Proto¬ 
plasma auf, im Kern fanden sich stark fingierte Klümpchen neben Stellen, 
die eine Färbbarkeit verloren hatten. Das Protoplasma war körnig, 
schliesslich verschwand der Kern vollständig und das Protoplasma prä¬ 
sentierte sich als eine homogen gefärbte kernlose Masse, die schliesslich 
auch zerfiel. Zuweilen kam es zur Pyknose, zur Verkalkung oder zur 
Verfettung. Diese Angaben beziehen sich in erster Linie auf die Be¬ 
funde an mehrfach wiederholten Probeexzisionen. Wir sind aber noch 
im Besitze mehrerer Uteri, die nach voraufgegangener Strahlenbehandlung 
exstirpiert worden sind. Diese Uteri, die das Caroinom in situ zeigen, 
sind in viel weitgehenderem Maasse geeignet ein Bild von der Wirk¬ 
samkeit dieser neuen Behandlung, vor allem was die Tiefenwirkung an¬ 
betrifft, zu geben als das an den Probeexzisionen der Fall ist. An diesen 
Uteri zeigte sich nun an der Oberfläche das gleiche: Nekrose, Granu¬ 
lationsgewebe und untergehende Carcinomzellen. In der Tiefe aber und 
besonders an der Peripherie der Neubildung fanden sich neben massen¬ 
weise zugrunde gehenden Carcinomzellnestern noch Haufen gut erhaltener 
Caroinomzellen, von denen sich hier und da Stränge bis dicht unter die 
Oberfläche hinzogen. Ebenso zeigte das Bindegewebe in der Tiefe viel¬ 
fach noch normales Verhalten. Als ein sehr bemerkenswerter Befund, 
der allerdings nur einmal erhoben werden konnte, wäre noch eine sehr 
ausgedehnte Bindegewebsneubildung zu erwähnen, die in ziemlich weiter 
Ausdehnung unter der Oberfläche sich fand, während sonst nur schwäch¬ 
liche Granulationen vorhanden waren. 


Sitzung vom 21. Mai 1913. 

Vorsitzender: Herr Orth. 

Schriftführer: Herr Israel. 

Vorsitzender: M. H., ich habe eine Reihe geschäftlicher Mit¬ 
teilungen zu machen. 

Zunächst habe ich anzuzeigen, dass Herr Professor Dührssen und 


Herr Sanitätsrat Dr. Rühl ausgeschieden sind, teils wegen Verzugs von 
hier, teils wegen Krankheit. 

Ich habe Ihnen dann ferner mitzuteilen, dass eines unserer Ehren¬ 
mitglieder mit Tod abgegangen ist, und zwar der Herr Professor Koränyi 
in Budapest. Er ist der erste Mediziner in Ungarn gewesen, und er ist 
nicht nur ein angesehener Arzt und Professor gewesen, sondern hat 
auch im Gesellschaftsleben Ungarns eine gewisse Rolle gespielt. Er 
war also einer der ersten Leute, die in Ungarn zu dieser Zeit gelebt 
haben. Er ist unser Ehrenmitglied gewesen seit 1910, und ioh bitte 
Sie, zu seinen Ehren sich von Ihren Plätzen zu erheben. (Geschieht.) 

Wir haben dann auch einige angenehme Nachrichten entgegen¬ 
zunehmen. Unser Mitglied Herr Riess hat sein 50jähriges Doktor¬ 
jubiläum gefeiert, und wir haben ihm in üblicher Weise die Glückwünsche 
der Gesellschaft dargebracht. 

Am morgigen Tage wird ein anderes unserer Mitglieder 70 Jahre 
alt, nämlich Herr A. Baginsky. Wir dürfen ihm wohl im Aufträge 
der Gesellschaft dazu die Glückwünsche aussprechen. (Zustimmung.) 

Sie haben vielleicht schon aus den Zeitungen erfahren, dass uns 
ein grosses Geschenk zuteil geworden ist. Herr Rudolf Mosse hat zur 
Feier der Vollendung seines 70. Lebensjahres ausser anderen Gaben 
auch der Medizinischen Gesellschaft eine Gabe von 100000 M. für das 
Virchow-Haus übergeben. (Beifall.) Vorstand und Ausschuss haben den 
Dank bereits schriftlich abgestattet, aber ich wollte doch diese Gelegen¬ 
heit nicht vorübergehen lassen, ohne auch hier vor der Gesellschaft ihm 
öffentlich den Dank abzustatten. (Erneuter Beifall.) 

Ich habe dann weiter mitzuteilen, dass die Geschäftsführung der 
85. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte, die in diesem 
Herbst in Wien abgehalten werden wird, eine Anzahl Prospekte. und 
Meldekarten übersandt hat mit der Aufforderung, möglichst viele Mit¬ 
glieder unserer Gesellschaft möchten sich doch an der Sitzung in Wien 
beteiligen. Ich lege die Sachen hier auf den Tisch des Hauses. 

Tagesordnung. 

1. Hr. Hausmann-Rostock (a. G.): Ueber Gleit- und Tiefenpalpation. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

2. Diskussion über den Vortrag des Herrn E. Bnmm: Ueher die 
Erfolge der Röntgen- nnd Mesothorinabestrahlang hei Cnreinont der 
weiblichen Genitalien. 

Hr. Bumm: Ich möchte eine kleine Zahlenberichtigung der Dis¬ 
kussion vorausschicken. Ich habe in einem Falle, bei dem es sich um 
die Heilung eines Urethralcarcinoms handelte, neulich angegeben, dass 
1700 Kienböck X angewendet wurden. Bei einer Unterredung zwischen 
Herrn Levy-Dorn und Herrn Dr. Voigts und genauere Nachrechnung 
hat sich herausgestellt, dass nicht 1700, sondern 700 X angewendet 
worden sind. 

Wir haben Gelegenheit genommen, sämtliche neulich angegebenen 
Zahlen noch einmal durchzurechnen, und ich habe dabei feststellen 
können, dass alle anderen Zahlen ausser diesem Irrtum, der offenbar 
auf ein Verhören beim Diktieren oder sonstwie zurückzuführen ist, 
stimmen, und ich betone ausdrücklich, dass wir unverhältnismässig 
grosse Mengen von Strahlen in der Vagina an wenden können, wie das 
an der äusseren Haut gar nicht möglich ist, ohne die schwersten Ver¬ 
brennungen zu maohen, also 1800, 2000, 5000 bis zu 10 000 X. Das 
muss ich trotz des Zahlenirrtums, der mir neulich unterlaufen ist, heute 
hier ausdrücklich aufrechterhalten. 

Die Diskussionsbemerkungen des Herrn Pin küss erscheinen unter 
den Originalien dieser Wochenschrift. 

Hr. Arendt: Vor 2 7* Jahren referierte ich hier über meine Re¬ 
sultate über die Behandlung der inoperablen Uteruscarcinome mit der 
Uranpechblende, das heisst mit den schwachen Radiumstrahlen. Ich habe 
damals einen Fall erwähnt, der einen besonderen Heileffekt aufwies. Es 
handelte sich um eine ältere Frau von 60 Jahren, die in einem ganz 
desolaten Zustande zu mir kam. Ich habe das Garcinom ex- 
cochleiert, ausgebrannt, ausgeätzt und zwei Tage darauf bereits die 
Uranpechblende eingelegt. Das Garcinom kam allmählich zur Heilung. 
Ich sagte damals, der Fall ist ein solcher, dass ioh ihn annähernd als 
geheilt betrachte. Ioh habe mich zurzeit vorsichtig ausgedrückt, weil 
mich die Erfahrung gelehrt hat, dass in der Tat Carcinome doch noch 
einem Recidiv unterliegen, auch wenn sie schon 1, 2 Jahre lang als ge¬ 
heilt von uns betrachtet werden. Diese Frau ist nun seit 2 l j 2 Jahren 
geheilt. Sie bezieht seit länger als 2 l / 2 Jahren die Invalidenrente. Sie 
ist zu dieser Zeit von einem erfahrenen älteren Gynäkologen untersucht 
worden, der nach der Untersuchung erklärte: „Sie ist ja bereits geheilt, 
Invalidenrente braucht sie eigentlich nicht.“ Ich setzte aber die Be¬ 
willigung der Invalidenrente bei dem Kollegen durch, weil ich in der 
Tat noch immer das Reoidiv erwartete. 

Sie sehen sie heute als ganz gesunde Frau vor sich, und wenn 
die Herren sich dafür interessieren — sie ist bereit, sich unter¬ 
suchen zu lassen —, so werden Sie finden, dass von dem 
Garcinom nichts mehr vorhanden ist. Es ist nur noch ein Nar¬ 
benstrang im Parametrium zu fühlen und eine Steile im hinteren 
Scheidengewölbe zu sehen, die andeutet, dass an dieser Stelle einmal 
eine Geffnung war. Das ist das alte Orificium extemum. 

Ich habe bei dieser Gelegenheit es auch für geraten gehalten, Ihnen 
einen Fall zu demonstrieren, der in der Heilung begriffen ist. Das ist 
die zweite jüngere Person. Ich habe sie 14 Tage vor Pfingsten in ziem¬ 
lich schlechtem Zustande in meine Klinik aufgenommen und das von 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22. 


mir erwähnte Verfahren angewandt; und als ich in der Pfingstwoche 
verreist war, hat mein Vertreter, Herr Dr. Alterthum, zu seiner 
Ueberraschung konstatieren können, dass der ganze Krater sich schon 
mit fester Granulationsmasse ausgefüllt hatte, und dass die Uranpech¬ 
blende, die ich in einem Fingerling hineingetan hatte, bereits heraus¬ 
gedrängt war. Ich fürchtete nun, es könnte ein Recidiv eingetreten 
sein; doch das ist es glücklicherweise nicht. Wenn sich die Herren 
aber für den Fall interessieren, sie ist auch erbötig, sich draussen 
untersuchen zu lassen. Wenn Sie mit der Sonde oder mit dem scharfen 
Löffel an die nur noch kleine Oeffnung herangehen, so werden Sie 
finden, dass es sich um festes Gewebe bandelt In kurzer Zeit, viel¬ 
leicht in 14 Tagen, hoffe ich, wird auch diese Oeffnung geschlossen sein. 

Herr Geheimrat Bumm wendet ausserordentlich starke, intensive 
Strahlen an, die in die Tiefe gehen, und er sagte, als er seinen Vortrag 
begann: es ist nur möglich, jetzt Resultate zu erzielen, weil die 
Technik uns so weit gefördert hat. Nun, ich habe mit ganz schwachen 
Strahlen gearbeitet und habe auch dasselbe Resultat erzielt, nur 
mit dem Uoterschiede, dass ich bereits eine 'Patientin als seit 
2'/ 2 Jahren geheilt Ihnen vorstellen kann. Ich ersetze die Intensität 
durch eine Dauerwirkung. Nicht minutenlang, sondern wochen-, 
monatelang behandle ich die Patientinnen, und ich habe auch, wenn ich 
einmal einige Monate lang die Bestrahlung aussetzte, mit der Behandlung 
nicht aufgehört. Ich habe es vorgezogen, auch bei anscheinender Heilung 
und bestem Wohlbefinden schon aus Vorsicht die Uranpechblende auf 
einige Wochen immer wieder einzulegen. 

Herr Bumm bedarf aber auch der intensiven Strahlen, da er ab¬ 
weichend von meiner Methode vorgeht. Die Röntgen- und Mesothorium¬ 
strahlen müssen das Carcinomgewebe durchdringen. Die a- und die 
weichen 0-Strahlen gehen dabei verloren, die harten dringen ein wenig 
vor, und wenn auch die ^-Strahlen, von denen eben Herr Kollege 
Pin küss sprach, in die Tiefe gehen, so sind sie doch nur zu 1 pCt. 
vorhanden und werden sehr wenig ausgenutzt. Es scheint mir bei der 
Erzielung der Heileffekte besonders wertvoll zu sein, dass aus der Uran¬ 
pechblende, also aus der Urmasse, aus der das Radium gewonnen wird, 
auch die Emanation entströmt. Diese Emanation wird von dem Gewebe 
aufgenommen, häuft sich an und wirkt, wie auch die Erfahrungen von 
anderen Kollegen bei anderen Organen festgestellt haben, ausserordent¬ 
lich vorteilhaft und heilbringend. 

Meine Methode hat noch den Vorzug, dass sie keine Verletzungen 
macht. Ich habe noch nicht in einem einzigen Falle — ich verfüge 
über 46 Fälle von Garcinomen, die ich nach meiner Methode behandelt 
habe — eine Verletzung gesehen. Gewiss, auch traurige Erfahrungen 
sind mir nicht erspart geblieben. Manche Patientin, die anscheinend 
gesund war, ist nach 1—2 Jahren durch ein Recidiv zugrunde ge¬ 
gangen. Aber es liegt trotzdem ein grosser Vorteil in meiner Behand¬ 
lung, denn ich habe beobachten können, dass die Patientinnen, die mit 
den schwachen Radiumstrahlen behandelt waren, ein ganz anderes Be¬ 
finden aufwiesen als die anderen. Sie fühlten sich wohler, die Schmerzen 
schwanden, der dem Carcinom entströmende Gestank blieb fort und die 
Blutungen hörten auf. Das ist der grosse Vorteil, den ich durch die 
Radiumbehandlung erzielt habe. Die Hauptsache aber ist und bleibt,' 
und das ist ihr besonderer Vorzug, dass meine Methode ungefährlich ist. 

Aber ihre Anwendung ist auch begrenzt, insofern, als ich nicht 
mehr die Radiumstrahlen anwenden kann, wenn das Carcinomgewebe 
die vordere Mastdarmwand oder die hintere Blasenwand ergriffen hat. 
Dann kann ich eben nicht mehr excochleieren, dann kann ich nicht 
mehr mit den Strahlen bis zur Grenze des Gesunden kommen, und für 
diese Fälle bin ich gern erbötig, meine Patienten der Mesothorium- und 
der Röntgenbehandlung zu unterwerfen. 

Hr. Meidner: Am Institut für Krebsforschung der Charitö ver¬ 
wenden wir seit längerer Zeit zur Behandlung inoperabler Uterus- 
carcinome ein Mesothorpräparat, dessen Aequivalenzwert sich auf 30 mg 
Radiumbromid beläuft. Es ist in einer Kapsel aus dünnem Alumium- 
blech untergebracht, welche auf eine Hartgummisonde aufmontiert ist. 
Diese Sonde legen wir den Patientinnen täglich auf 1—3 Stunden in 
die Scheide ein und setzen diese Behandlung mit etwa alle 2 Wochen 
eingeschobenen, mehrtägigen Pausen möglichst lange fort. Nach dem 
heutigen Stande der Dinge kann diese Art des Vorgehens nicht als eine 
sehr intensive bezeichnet werden; es ist uns eben erst in letzter Zeit 
gelungen, unsern Mesothorvorrat zu vergrössern. Immerhin kann ich 
Ihnen heute von einem erfreulichen Besserungserfolge berichten, den wir 
nach einer ganzen Reihe von Misserfolgen mittels der eingangs erwähnten 
Sonde haben erzielen können. Dieses Vorwiegen der negativen Resultate 
ist nicht zum wenigsten durch die Natur unseres Krankenmaterials be¬ 
dingt; es umfasst nämlich fast ausschliesslich ungemein fortgeschrittene 
Kranke, die oft genug überhaupt nicht mehr Gegenstand therapeutischer 
Bemühungen, geschweige denn Aussichten bietender sein können. Nur 
zu oft sind bereits Metastasen vorhanden, denen gegenüber diese Art 
der Radiotherapie, die ja nur lokale Wirkungen zu entfalten vermag, 
nichts ausrichten'kann. 

In unserem erfolgreich behandelten Falle handelt es sich um eine 
74 jährige Frau, die uns Anfang November v. J. von der Frauen¬ 
klinik der Charite wegen inoperablen Gebärmutterkrebses überwiesen 
wurde. Der lokale Befund, der auch von Herrn Geheimrat Franz er¬ 
hoben wurde, zeigte die Portio in einen klaffenden Geschwürstrichter ver¬ 
wandelt und beide Parametrien, besonders*das linke, infiltriert. u Von Zeit 
zu Zeit waren Blutungen aufgetreten, Ausfluss bestand seit einiger Zeit 


dauernd; das Allgemeinbefinden war noch leidlich. Die Frau wurde einen 
Monat lang fast täglich, einen weiteren, nachdem sie aus der Stations¬ 
behandlung ausgeschieden war, zweimal wöchentlich auf je 2 Stunden mit 
der Sonde behandelt. Nach dieser Zeit fühlte sie sich subjektiv erheblich 
gebessert und blieb einen Monat lang der Behandlung fern. Als sie 
unser Institut wieder aufsuchte, war auch eine objektive Besserung 
einwandfrei festzustellen, indem der Geschwürstrichter vollkommen fest 
vernarbt und die Infiltration der Parametrien rechts ganz, links bis auf 
einen geringen Rest, der auch heute noch nicht völlig beseitigt ist, 
zurückgegangen war. Herr Geh.-Rat Franz bezeiobnete die nunmehr 
vorliegende Affektion als wohl operabel, doch wurde wegen des hohen 
Alters der Patientin von dem Eingriff abgesehen. Durch Fortsetzung 
der Sondenbehandlung ist es uns gelungen, das recht günstige Resultat 
— vollkommene Beschwerdefreiheit bei normaler körperlicher Leistungs¬ 
fähigkeit — bis heute zu konservieren. Mit grösseren Mesothormengen 
hoffen wir auch bei weniger radiosensiblen Tumoren, als es dieser offen¬ 
bar sein muss, ähnlich Befriedigendes zu erreichen. 

Was diese unsere Versuche mit grösseren Quantitäten radioaktiver 
Substanz anlangt, so datieren sie noch nicht lange genug zurück, als 
dass die dabei gemachten Erfahrungen bereits spruchreif sein könnten. 
Erwähnen möchte ich nur, dass wir damit auch an andern maligne 
Tumoren, so solche des Mastdarms und der Speiseröhre, herangegangen 
sind. Gerade die letzteren, bei denen ja, abgesehen von Ausnahme¬ 
fällen, ein operativer Eingriff nicht in Frage kommt, soheinen uns sehr 
geeignet für die Mesothortherapie zu sein. Es gelingt jedenfalls ganz 
gut, eine mit dem Mesothorpräparat beschickte Kapsel vermittelst einer 
Sonde an Ort und Stelle der Stenose für ein bis mehrere Stunden zu 
plazieren. Freilich .werden auch diese unsere energischeren Bemühungen 
dadurch, dass uns kaum andere als desolate Fälle zu Gebote stehen, 
einerseits erschwert und andererseits von vornherein der Möglichkeit 
eines markanten Erfolges nahezu beraubt. Es wäre sehr zu wünschen, 
dass uns weit mehr als bisher noch nicht so vorgeschrittene Kranke zur 
Verfügung gestellt würden. 

Noch ein Wort über die bei intensiver Ausgestaltung der Mesothor¬ 
bestrahlung notwendig werdende Verstärkung der Filter. Bei der milden 
Art des Vorgehens, die wir bisher geübt haben, sind uns Nebenschädi- 
dungen auch bei Verwendung schwacher Silberfolien nicht begegnet. 
Bei energischen, zumal protrahierten Bestrahlungen dürften nunmehr 
jedoch nach dem Vorgang der Freiburger Frauenklinik zur Vermeidung 
von Verbrennungen dicke Bleifilter (etwa 3 mm) angezeigt erscheinen. 
Zur Ausschaltung der vom Filtermaterial emittierten Sekundärstrahlung 
ist ein Gummi Überzug zu verwenden. 

Die Diskussionsbemerkungen des Herrn Sticker erscheinen unter 
den Originalien dieser Wochenschrift 


Berliner Gesellschaft Ar Chirurgie. 

Sitzung vom 26. Mai 1913. 

Vorsitzender: Herr Sonnenburg. 

Schriftführer: Herr Riese. 

Vor der Tagesordnung. 

Hr. Hammerfahr: Fall toi Pseudomyxom der Appendix. 

Bericht über einen Fall von Pseudomyxomcyste des Wurmfortsatzes. 
Es handelte sich um eine 38 jährige Patientin in der Israel’schen Klinik, 
die seit 8 Jahren trägen Stuhlgang hatte, sonst aber keine Schmerzen. 
Januar 1913 stellten sich nach einem Spaziergang Schmerzen in der 
rechten Unterbaucbgegend ein. 2 Tage später war ein Tumor in der 
Ileocoecalgegend palpabel, es zeigte sich Blut im Stuhl, das angeblich 
von früheren Hämorrhoidalblutungen dem Aussehen nach sich unter¬ 
schied. Der Befund war: rundlicher Tumor in der Ileocöoalgegend fühl¬ 
bar, verschieblich. Röntgenuntersuchung nach Bismuteinlauf ergab eine 
Aussperrung im Coecum. Bei der Laparotomie zeigte sich am unteren 
Ende des Coecums ein 12 cm langer, 5 cm breiter, prall elastischer Tumor, 
dessen Farbe blasser als die des Coecums war. Unterer Teil des Ileums 
und Coecum wurden reseziert, Anastomose zwischen Dick- und Dünn¬ 
darm hergestellt. Glatte Heilung. Der Tumor 18:5 1 /* cm gross; der 
Processus vermiformis erwies sich als grosses Hohlorgan, an der Stelle 
der Ausmündung sah man ein kleines Grübchen. Die Schleimhaut war 
blass, der Inhalt teils heller, teils trüber glasiger Schleim. Mikrosko¬ 
pisch zeigte sich, dass der Epithelbelag teilweise verloren war, dieMus- 
cularis mittelstark infiltriert. Der Schleim enthielt Cholestearintafeln, 
Epithelien, keine Leukocyten. 

Schon früher operierte Vortr. einen ähnlichen Tumor bei einem 
16 jährigen Jungen. Das Coecum war verwachsen. Der Tumor 12:3 cm 
gross. Es fand sich ein sogenanntes falsches Rokitansky’sches Divertikel 
vor. Bei Durchbruch hätte es zuPseudomyxomatosis peritonei führen können. 

Diskussion. Hr. Neumann erinnert an einen Fall, den er vor 
Jahren operierte, ein mannsfaustgrosses Pseudomyxom des Processus 
vermiformis. Hierbei hat er einen Teil der Fascia iliaca exstirpieren 
müsseo. Der Patient ist später in einem anderen Krankenhaus an Vol- 
vulus des Magens zugrunde gegangen. Es fanden sich an der alten 
Operationsstelle keine Veränderungen. 

. 1. Diskussion über den Vortrag des Herrn Miller:. Peietriereade 
Kiiewanden des Friedens. 

Hr. Sohroth berichtet über dieselbe Art der Verletzung aus dem 
Material des Krankenhauses Moabit. Es waren häufig Verletzungen, die 


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2. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1035 


durch das hastige Strassengetriebe der Stadt verursacht wurden. Das 
Moabiter Material ist ähnlich dem des Urbankrankenhauses. In den 
letzten Jahren sind 30 Fälle behandelt, die meist durch stumpfe Gewalt¬ 
einwirkung, Ueberfahren besonders, zustande kamen. Es waren nur 
männliche Personon, viele davon Radfahrer. Die übrigen Verletzungen 
entstanden duroh Stich und Schnitt, 3 waren Schussverletzungen, 3 mal 
handelte es sich um Nadeln im Gelenk. Die Schüsse waren sämtlich 
Streckschüsse, die aseptisch verliefen. Bei einem wurde das Projektil 
später wegen Hydrops chronicus entfernt. Die Nadeln wurden gleich¬ 
falls später entfernt. 

Während Herr Müller den Austritt von Synovia nicht durchaus 
beweisend für Gelenkseröffnung ansehen will (sie könne auch durch 
Schleimbeutelverletzung entstehen), mahnt Vortr. zur Vorsicht und ist 
der Meinung, dass in solchem Falle stets an ein Eindringen in das Ge¬ 
lenk selbst gedacht werden müsse. Von Iufektionskeimen kämen vor 
allem Streptokokken in Betracht, die schwere Veränderung im Gefolge 
haben können. Die Therapie dabei besteht in breiter Eröffnung des 
Gelenks, besonders durch Querschnitt, Spaltung des Ligam. patellae inf. 
Die Funktion ist nicht schlechter als bei Längsinzision. Nach Quer¬ 
schnitt ist nie Resektion nötig gewesen. 

Die Punktion und Auswaschung ist nicht angewendet worden, 
ebensowenig die Bier’sche Stauung. 

Bei Komplikation mit Gelenkfrakturen ist stets Resektion oder 
Amputation nötig gewesen. Solche Verletzungen geben die schlechteste 
Prognose. Es waren erforderlich 2 Resektionen, 2 Amputationen. Im 
ganzen starben 4; 2 im Shook, 2 spät eingelieferte an Sepsis. 

Sobald Infektion eingetreten, soll radikal operiert werden (queres 
Aufklappen des Gelenks). 

Das Gesamtresultat ist: 29 Verletzungen (18 heilten beweglich, 
6 mit Ankylose, davon 3 reseziert), 2 Amputationen, 4 Toi 'sfälle. 

Hr. Müller erwidert, dass Synoviaausfluss auch bei kl insten Ver¬ 
letzungen eintreten könne, die sich von selbst schliessen. 

Hr. Klapp berichtet von einem Patienten, der während seiner 
Militärzeit als Gärtner tätig war; bei einem Fall in ein Mistbeet ver¬ 
letzte er sich durch Giassplitter. Er war nach Heilung der Wunde 
ohne Beschwerden. Zwei Jahre danach traten durch einen Fall Schmerzen 
auf, Knirschen im Gelenk. Das Röntgenbild ergab, dass Splitter im 
Gelenk waren. Bei der Operation fanden sie sich zwischen Meniscus 
und Tibia eingeklemmt im Knorpel. Es wurde durch die Bursa 
eitensorum nach oben drainiert und volle Funktion erzielt. 

Hr. Schroth demonstriert einen Patienten, der eine grosso quere 
Schnittwunde oberhalb der Patella sich zugezogen hatte. Er kam mit 
genähter Wunde ins Krankenhaus. Da Infektion des Gelenks ein¬ 
getreten war, wurde, entsprechend der Wunde, das Gelenk quer eröffnet. 
Heilung mit guter Funktion. 

2. Hr. Kort«: Colonearcinome. 

Vortr. will ausschliesslich über die chirurgische Behandlung 
der Coloncarcinome sprechen, da es zu weit führen würde, auf Ent¬ 
stehung usw. einzugehen. Sein gesamtes Material, das sich auf die Zeit 
seit 1890 erstreckt, umfasst 254 Fälle, davon sind 83 Radikaloperationen 
mit 28 pCt. Mortalität, 30 Enteroanostomosen mit 7 pCt., 64 Coeco- 
stomien mit 25pCt. Mortalität. 

Vortr. hat „umfassende Literaturstudien gemacht, die sich auf die 
Zeit von 1900 bis 1912 erstrecken, eine Summe von über 700 Fällen 
ergibt eine Gesamtmortalität von 39,2 pCt. 

Ueber die Technik ist zunächst zu sagen: Die Darmnaht, wie sie 
an Dünndarm und Magen mit gutem Erfolge geübt wird, versagt oft 
beim Dickdarm. Der Grund ist ein mehrfacher: 

1. Der Dickdarm ist weniger beweglich als der Dünndarm, er ist an 
mehreren Stellen fixiert. Man muss sich gegenwärtig halten, dass nach 
Lösung der fixierten Partien diese partiell von Peritoneum entblösst sind. 

2. Der unregelmässige Ansatz des Netzes, der Appendices epiploicae. 

3. Die Gefässverteilung des Mesocolons ist eine andere als beim 
Dünndarm. Während am Dünndarm mehrere Arkaden reihen, findet 
sich am Dickdarm nur eine Reihe. Unterbindung einos grösseren Ge- 
fässes führt darum leichter als beim Dünndarm zu Randgangrän. 

4. Leichteres Nachlassen der Nähte am Dickdarm. Man muss be¬ 
denken, dass bei Anwesenheit eines Tumors stets eine Stauung in ge¬ 
wissem Grade eintritt, die mehr oder weniger zu Zirkulationsstörungen, 
Schädigung der Darmnaht führt. Dadurch kommt es oft zu einer Naht¬ 
infektion. 

Die Hauptgefahren der Resektion sind Collaps; es handelt sich ja 
meist um Personen, die in ihrer Ernährung beeinträchtigt sind. Ferner 
Peritonitis, wenn nach Aufgehen der Nähte es zu einer Infektion der 
Bauchhöhle kommt. , 

Aus all den Gründen sah man sich zu mehrzeitigen Methoden 
veranlasst, um so bei einer zweiten Operation den gefährlichen Teil 
ausserhalb der Bauchhöhle vorzunehmen. So hat Martini 1879 den 
zuführenden Schenkel eingenäht, Volk mann 1883 die Darmschenkel 
parallel eingenäht. Im Buoh von Heinecke wird 1886 eine genaue 
Darstellung der Methoden gegeben. Auch andere haben mehrzeitig 
operiert, Paul (Liverpool), E. Hahn 1894, Mikulicz 1902; Anschütz 
hat 1907 f eine grosse Studie veröffentlicht, Scbloffer. 1902 dreizeitig 
operiert: 1. Golostomie, 2. Resektion am kotfreien Darm, 3. Verschluss der 
Wunde, Da der abführende Teil jedoch auch immer 'noch stark sezerniert, 
hat man neuerdings wieder c der einzeitigen Methode das Wort geredet. 


Bei allen Fällon hat man nun scharf zu unterscheiden, ob es sich 
um komplizierte oder um nicht komplizierte handelt. Darauf 
wird nach Meinung des Vortr. viel zu wenig geachtet ; es geht aus vielen 
Veröffentlichungen gar nicht hervor, ob kompliziert oder nicht. 

Von den Komplikationen ist die weitaus gefährlichste und häufigste 
der Darm Verschluss, der an sich schon eine Schwächung des 
Patienten bedeutet. Die geblähten Darmschlingen erschweren die Ope¬ 
ration ungemein. Die Ableitung des Darminhaltes ist oft nicht so leicht, 
da der Inhalt oft sehr eingedickt ist. Durch die seröse, ödematöse 
Durchtränkung ist die Darmvereinigung erschwert. So beträgt die 
Mortalität bei Ileus (nach verschiedenen Autoren) durchschnittlich 
60 pCt., während der Prozentsatz der Ileusfälle überhaupt 38 pCt. beträgt. 

Was den Sitz des Carcinoms betrifft, so nimmt die Häufigkeit nach 
der Flexura sigmoidea zu. 178 mal war der Sitz rechts, 280 mal links 
der Mittellinie. Der Ileus ist jedoch desto gefährlicher, je weiter oben 
er sitzt. Vortr. operiert zweizeitig, zunächst Colostomie oder Coeco- 
stomie, sekundär Radikaloperation oder Enteroanastomose. 

Weitere Komplikationen sind: Abscedierung, die Vortr. unter 
254 Fällen 18 mal beobachtete, von denen 11 später noch operiert wurden 
mit 4 Heilungen. 

Verwachsungen mit anderen Organen: 1 mal wurde die linke 
Niere exstirpiert, 3 mal Dünndarm, 1 mal Duodenumstück, 2 mal Blase 
(dabei 1 Todesfall). 

Die mehrzeitige Operation sieht Vortr. als Regel an. Auch die 
Statistik spricht datür. So fand sich bei 207 einzeitig Operierten 
22 pCt., bei 146 mehrzeitig Operierten 15 pCt. Mortalität Von den 
einzelnen Autoren hatten bei einzeitiger Operation: Borelius 22 pCt., 
Körte 24 pCt., Reichel 12,5 pCt., W. Mayo 13 pCt. Mortalität. 

Was die Operationsresultate betrifft, so warnt Vortr. vor 
Optimismus bei kleinen Zahlen. So hatte K. seit 1905 15 Ileocoecal- 
resektionen mit gutem Erfolg, bei der 16. trat eine Komplikation ein. 

Was die Ausführung der Resektion betrifft, so ist die früher viel 
geübte, von Sonnenburg u. a. empfohlene Darmvereinigung mit Murphy¬ 
knopf wohl heute meist aufgegeben. Die Gründe sind, dass oft die 
Lumina ungleich sind, und dass oft kein Peritoneum vorhanden ist. 
Vortr. empfiehlt die End-zu-Seit-Anastomose, wenn die Endzu-End- 
Vereinigung nicht möglich ist. Zur Sicherung der Nähte kann das Auf¬ 
lassen der Wunde dienen. Die dann entstehenden Kotfisteln heilen 
besser. Tampon und Drainage sind abzuraten, vor allem ist keine 
Gaze zu verwenden, die austrocknet und beim Herausziehen die Serosa 
verletzt. Wenn man ein Rohr einführt, soll man es nicht direkt auf 
die Resektionsstelle, sondern seitlich an einer gefährdet erscheinenden 
Stelle der Bauchdecken einführen. 

In den einzelnen Abschnitten sind die anatomischen Verhält¬ 
nisse so sehr verschieden. 1. Der Ueocoecalteil wird von der Arteria 
colica dextra und ileocolica versorgt. 2. Das Colon transversum steht 
ausser mit dem Mesenterium noch mit dem Ligamentum gastro-colica 
und Netz in Verbindung. Die Flexura lienalis ist schwer zu lösen. 
3. Die Flexura sigmoidea wird nur von der Arteria inferior ernährt. Bei 
Fällen der ersten Gruppe hat es keinen Zweck, im Colon ascendens zu 
trennen. Ueumfisteln sind unangenehm, weil die Haut zu sehr gereizt wird. 
Bei allen Fällen empfiehlt sich sofortige Vereinigung, seitliche Einpflanzung 
von Ileum ins Colon transversum. Das Colon transversum hat in der Mitte 
eine grosse Beweglichkeit. Hier ist End-zu-End-Vereinigung am Platze, 
bei Ileus Einnähung, sekundärer Verschluss. Die Flexura sigmoidea ist 
der häufigste Sitz der Carcinome. Am schwierigsten ist die Operation im 
untersten Teil der Flexur. (Die Grenze bildet für die Chirurgen das 
Promontorium.) Hier sind verschiedene Methoden angegeben, die Invagi- 
nation, die abdomino-sacrale Exstirpation von Sonnen bürg u. a. Die 
genähte Darmschlinge wird extraperitoneal gelagert nur, wenn der Tumor 
beweglich ist. Faltin in Helsingfors hat einen Dünndarmteil (der an 
seinem Mesenterium belassen wurde) in den Defekt eingenäht, mit gutem 
Resultat. Die Methode des Daueranus ist nicht aufrecht zu erhalten. 

Die Dauerresultate sind beim Vortr. verschieden. Ein Patient hat 
21 Jahre post operationem gelebt, ist aus anderer Ursache gestorben. 
Sieben Recidive traten im ersten Jahr, neun im zweiten, zwei im dritten, 
einer im vierten, endlich einer im siebenten Jahre auf. Nach langem 
Wohlbefinden ging der letztere Fall an Lungen- und Lebermetastasen 
sehr schnell zugrunde. Daher ist Vortr. mit dem Begriff „ Dauerheilung“ 
sehr zurückhaltend. 

Von der Enteroanastomose im Ileus ist abzuraten, da der Erfolg 
ungünstig. Für die Colostomie ist zweireihige Naht zu empfehlen. 

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Frage, ob einzeitig oder 
mehrzeitig von Fall zu Fall, auch nach den einzelnen Darmpartien zu 
entscheiden ist. Holler. 


Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde zu Berlin. 

Sitzung vom 19. Mai 1913. 

1. Hr. Kraus: 

Ueber eiue besondere Form experimentell hervorgerufenen Lungen¬ 
ödems. 

Injiziert man Kaninchen oder Katzen intravenös 200—300 ccm 
physiologischer Kochsalzlösung, so beobachtet man keine wesentlichen 
Störungen im Befinden der Tiere. Ihr Hetz bewältigt diese Flüssigkeits- 
mengfen ohne weiteres, doch 1 beobachtet man am Elektrocardiogramm 
charakteristische Veränderungen, die allmählich wieder verschwinden. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22. 


Durchtrennt man nun so vorbehandelten Tieren beide Vagi am Halse, 
so tritt sofort ein sehr starkes Lungenödem auf. Der Entstehungs¬ 
mechanismus derselben ist wohl so aufzufasseu, dass centripetale Fasern 
durchschnitten werden, welche den Tonus der Vasomotoren der Lungen- 
gelässe regulieren. 

2. Hr. Brngscb: 

Zur Behandlung der schweren Fälle von Diabetes mellitus. 

Vortr. bespricht zunächst die verschiedenen Diabetestheorien. Be¬ 
sonders verweilt er bei dem experimentellen Pankreasdiabetes und der 
durch die Piqüre hervorgerufenen Glykosurie. 

Letztere hat man dadurch erklärt, dass infolge dieses Eingriffes eine 
Adrenalinmobilisierung aus den Nebennieren stattfände. Das Adrenalin 
wirkt aber nicht unmittelbar auf die Leberzellen im Sinne einer ver¬ 
mehrten Glykogenbildung, sondern wirkt auf den Sympathicus. Die 
Forschungen von Zülzer, Biedl und Oifer zeigten dann, dass das 
Pankreas eine Substanz enthält, welche ein Antagonist des Adrenalins 
ist. (Froschaugenversuche.) Vortr. bespricht dann die charakteristischen 
Symptome des schweren Diabetes. Man bezeichnet im allgemeinen 
als schwer einen solchen Diabetes, bei welchem man durch kohlehydrat- 
freie Ernährung keine Entzuckerung herbeiführen kann. Doch empfiehlt 
es sich in der Praxis nicht, zur Feststellung der Schwere des Falles 
eine ganz kohlehydratfreie Kost zu geben. Man reiche vielmehr dem 
Kranken einige Tage seine gewohnte Kost, aber genau abgewogen und 
auf ihren Gehalt an den einzelnen Nahrungsstoffen berechnet und be¬ 
stimme die Kohlehydratbilanz. Eine negative Bilanz spricht für schweren 
Diabetes. 

Schwere Diabetiker reagieren auf Eiweiss wie auf Adrenalin. Es 
wird Glykogen mobilisiert und als Zucker ins Blut transportiert. Diese 
Empfindlichkeit ist gegen animales Eiweiss grösser als gegen pflanz¬ 
liches. Sie besteht aber nicht gegen körpereigenes Eiweiss. Durch 
Hungern wird jeder Diabetiker zuckerfrei. Auf Grund dieser Tatsachen 
ist bei der Behandlung des schweren Diabetes Eiweisseinschränkung 
erstes Erfordernis. Man muss in jedem Fall bestrebt sein, festzustellen, 
mit welcher Minimumquantität an Eiweiss der Patient auskommt, und 
dann so viel Kohlehydrate zulegen, dass nur eine massige Glykosurie 
entsteht. Auch soll man den schweren Diabetiker auf eine möglichst 
geringe Calorienzahl einstellen. Der Nutzen der Hafermehlkuren beruht 
auf der Eiweissarmut dieser Ernährungsart. H. Hirschfeld. 


Wissenschaftlicher Verein der Aerzte zn Stettin. 

Sitzung vom 4. März 1913. 

Vorsitzender: Herr Haeckel. 

Schriftführer: Herr Buss. 

Hr. Gehrke: In der Zeit vom 2. Februar bis zum 1. März d. J. 
(6.—9. Jahreswoche) sind in Stettin sanitätspolizeilich gemeldet worden 
126 (141) Fälle von übertragbaren Krankheiten, und zwar: 


G.-A.i) 

Pol.-Präs. 2) 



1913 

1912 


33 

36 

83 

Fälle von Diphtherie 

75 

80 

53 

„ „ Scharlach 

2 

3 

1 

» * Typhus 

6 

6 

4 

„ „ Kindbettfieber 

1 

1 

— 

„ „ Körnerkrankheit 

26 

27 

36 

Todesfälle an Tuberkulose 


Hr. Kalb zeigt einen Patienten mit Prostatahypertrophie, bei dem 
die Cystostomie nach Rovsing angelegt worden war. Besprechung der 
individuellen Indikation dieser Operationsmethode unter kurzem Hinweis 
auf die übrigen Behandlungsmöglichkeiten der Prostatahypertrophie. 

Hr. Mfihlmaon stellt vor: 1. Einen Fall von ambnlantem Ab¬ 
dominal typhös, der als einzige Symptome nur leichte Mattigkeit und 
vereinzelte bronchitische Geräusche bot. Daneben fand sich aber eine 
erhebliche Ausscheidung von Typbusbaoillen im Urin unter leichten 
oystischen Erscheinungen. Widal positiv (Vso—Viso)- I m Blut keine 
Bacillen. Nach achttägiger Behandlung mit Urotropin ist der Urin 
steril. 

2. Einen 40jährigeu Mann mit lymphatischer Leukämie und er¬ 
heblichen Drüsentumoren. Die Benzoltherapie nach Koranyi bringt 
innerhalb 3 Wochen die Leukocyten von 250 000 auf die Norm zurück 
unter erheblichem Rückgang der Tumoren. Das Benzol in Gelodurat- 
kapseln gegeben macht keine Nebenerscheinungen. 

3. Einen Fall von Mikrogastria luetica. 

(Erscheint ausführlich an anderer Stelle.) 

Hr. Lichteuauer: Ueber Röntgentiefentherapie. 

Das Thema Röntgentiefenbestrahlung ist heute ein sogenanntes 

1) Ermittelt im Gesundheitsamt auf Grund der einzelnen abschrift¬ 
lich mitgeteilten Anzeigen. 

2) Zusammengestellt auf Grund der Wochennachweise des Königl. 
Polizei-Präsidiums. 


aktuelles. Seitdem dieselbe bei der Behandlung gynäkologischer LeideD, 
Menorrhagien, Metrorrhagien und Myomen ihre Wirksamkeit gezeigt bat, 
ist die Diskussion darüber bisher nicht zur Ruhe gekommen, und ich 
habe mich daher entschlossen, auch in dieser Gesellschaft meine dies¬ 
bezüglichen Erfahrungen bekannt zu geben. 

Bevor ich aber auf diese eingehe, möchte ich ganz kurz noch einmal 
ausführen, worauf überhaupt die Wirksamkeit der Röntgenstrahlen be¬ 
ruht, und inwiefern gerade die Bestrahlung der tiefer liegenden Gewebe 
eine besondere Technik erforderlich macht. Wenn ich dabei diesem 
oder jenem längst Bekanntes sage, so bitte ich um gütige Nachsicht. 
Zum Verständnis des ganzen Themas ist ein Eingehen hierauf aber er¬ 
forderlich. 

Es ist seit längerer Zeit bekannt, dass die Röntgenstrahlen eine 
gewisse Wirkung auf das Gewebe ausüben. Bekannt sind ja in erster 
Linie die zum Teil recht unangenehmen Wirkungen auf die Haut, die 
wir als Verbrennung ersten, zweiten und dritten Grades bezeichnen. 
Das eigentümliche dieser Verbrennungen ist, dass sie ausserordentlich 
schwer heilen, ja, dass sie in ihren schweren Formen häufig überhaupt 
nicht ohne eingreifende Operationen zur Heilung zu bringen sind. Ab¬ 
gesehen von diesen von der Oberfläche ausgehenden Wirkungen kennen 
wir aber auch eine sogenannte elektive Wirkung der Röntgenstrahlen, 
und zwar auf wachsendes Gewebe, speziell auf embryonales. Auf dieser 
sogenannten elektiven Wirkung beruht im wesentlichen die Beeinflussung 
des Wachstums maligner, schnell wachsender Tumoren und die Beein¬ 
flussung der Funktion der Ovarien. Wäre diese elektive Wirkung nicht 
vorhanden, so wäre es natürlich vollkommen ausgeschlossen, auf die 
unter der Haut liegenden Tumoren oder Organe irgendwelche Wirkung 
auszuüben, ohne vorher bereits eine schwere Schädigung der Haut her¬ 
beizuführen. 

Wenn es nun auch tatsächlich möglich ist, ohne Hautschädigung 
eine Einwirkung auf derartige Gewebe auszuüben, so bleibt doch die 
über diesen liegende Haut ein grosses Hindernis für die Einwirkung der 
Röntgenstrahlen, da wir natürlich eine schwere Schädigung der Haut 
bei unseren Behandlungen durchaus vermeiden müssen. Ein sehr gün¬ 
stiges Moment dabei ist die Tatsache, dass wir imstande sind, durch 
bestimmte Messungsverfahren genau die Dosis von Röntgenstrahlen zu 
geben, die gerade noch von der menschlichen Haut vertragen wird. Wir 
haben zur Dosierung derselben gewisse Messungsverfahren, von denen 
jetzt das von Sabourat-Noiret und Holzknecht angegebene wohl 
das gebräuchlichste ist. Auf die Technik desselben will ich nicht näher 
eingehen. Jedenfalls sind wir imstande, mit Hilfe dieser Verfahren 
ziemlich genau die Grenze innezuhalten, die eben noch von der Haut 
vertragen wird. Wir wollen diese Dosis nach allgemeinem Gebrauch 
Erytbemdosis nennen. 

Wie können wir es nun erreichen, unter Innehaltung dieser Erythem¬ 
dosis auf der Haut doch die Menge von Röntgenstrahlen in die Tiefe 
zu schicken, die erforderlich ist, um die gewünschte Wirkung auf die 
tiefer liegenden Teile zu erreichen. 

Es stehen uns hierzu verschiedene Wege zur Verfügung, die ich im 
einzelnen aufführen will: 

1. Es hat sich herausgestellt, dass die Haut, wenn sie normal von 
Blut durchflossen ist, empfindlicher gegen die Röntgenstrahleneinwirkung 
ist, als wenn sie anämisiert ist. Wir können diese Anämisierung er¬ 
reichen, wenn wir die Haut komprimieren, oder wo ein Druck nicht ver¬ 
tragen wird, indem wir die Haut durch Adrenalininjektionen anämisch 
machen. Wir sind dann imstande, etwa 1 l 2 j 2 Erythemdosen auf sie zu 
applizieren, ohne sie zu schädigen. 

2. Wenn wir einen unter der Haut liegenden Körperteil durch 
Röntgenstrahlen treffen wollen, so können wir die Eingangspforte durch 
die Haut an verschiedenen Stellen wählen, wenn wir die Richtung der 
Strahlen konzentrisch auf die gewünschte Stelle richten. Es kann auf 
diese Weise von nebeneinanderliegenden Stellen der Haut je eine 
Erythemdosis verabfolgt werden, so dass sich in der Tiefe die verab¬ 
folgten Dosen summieren. Wir kommen damit zu der sogenannten 
Felderbestrahlung, die hauptsächlich von der Freiburger Klinik einge¬ 
führt wurde. 

3. Bekannt ist, dass die Intensität der Röntgenstrahlen mit dem 
Quadrat der Entfernung abnimmt. Noch stärker wird diese Abnahme der 
Intensität da, wo nicht nur Luft vorhanden ist, sondern wo Gewebe da¬ 
zwischen gelagert sind. Wir müssen also da, wo das zu bestrahlende 
Objekt in grösserer Tiefe unter der Haut liegt, mit einem recht beträcht¬ 
lichen Verlust an Strahlenintensität rechnen. Vermindern können wir 
diesen Verlust dadurch, dass wir das betreffende Objekt möglichst nahe 
an die Haut heranbringen bzw. umgekehrt, indem wir die Haut gegen 
diesen hineindrücken. Sehr wirksam ist dieses Mittel bei der Haut des 
Bauches, die wir ziemlich tief durch unseren Kompressionstubus in das 
Becken bineindrücken können. Wir haben also auch hier wieder das 
Mittel der Kompression, das schon bei der Anämisierung der Haut in 
Anwendung kam. 

4. Wenn wir wieder die bekannte Tatsache zugrunde legen, dass 
die Intensität der Strahlen mit dem Quadrat der Entfernung abnimmt, 
so ergibt sich folgende einfache Berechnung: 

Nehmen wir an, dass wir zwei Punkte bestrahlen wollen, von denen 
der eine 10 cm, der andere 20 cm von der Antikathode der Rohre ent¬ 
fernt ist, und bezeichnen wir die Strahlenintensität mit der Grösse x, 

so ist die Intensität der Röntgenlichtmenge an der Fläche A = , an 


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UNIVERSUM OF IOWA 



2. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1037 


der Fläche B = 


ax 

2Ö2’ 


Da wir an der Fläche A, welche die Haut dar¬ 


stellen soll, 10 x gleich der Erythemdosis anwenden können, so müssen 
wir von der Antikathode 1000 X aussenden, um die gewünschte Wirkung 

zu erreichen. Wir haben dann bei Punkt B noch = 2,5 x. Bringen 

wir nun die Antikathode der Röhre 30 cm von der Fläche A ab, so ist 
die Intensität der Lichtmenge an der ersten Fläche an der zweiten 


Pläche i^- 


Wenn wir wieder annehmen, dass wir an der ersten Fläche 


10 x gleich der Erythemdosis haben wollen, so müssen wir von der Anti¬ 
kathode 9000 x aussenden. Wir haben dann an der Fläche B jedoch 
^900 x _ _ 

T6ÖÖ“ — 5,6 


Für die Praxis angewandt, bedeutet das: Wenn ich einen 10 cm 
unter der Hautoberfläche gelegenen Punkt bestrahlen will, so bringe ich, 
10 x als Haximum für die Hautdosis als oberste Grenze vorausgesetzt, 
bei einem Focushautabstand von 10 cm nur 2,5 x an den gewünschten 
Punkt. Vergrössert sich der Focushautabstand auf 30 cm, so muss ich 
zwar 9 mal so lange bestrahlen wie bei der ersten Anordnung, ich bringe 
dann aber nicht 2,5 x, sondern 5,6 x in die Tiefe des Punktes B. Je 
weiter ich also die Röntgenröhre von der Hautoberfläche abbringe, desto 
geringer wird der Unterschied in der Strahlenintensität zwischen einem 
Punkt der Hautoberfläche und einem Punkt, der unter derselben in der 
Tiefe gelegen ist. Es ergibt sich dann die Folgerung, dass man bei der 
Tiefenbestrahlung den Röhrenabstand möglichst gross wählen soll. Aus 
der vorausgegangenen Berechnung ergibt sich hierfür eine gewisse Grenze, 
da man selbstredend die Sitzungen für die Bestrahlungen nicht in die 
Unendlichkeit ausdehnen kann. Man nennt diese Bestrahlungsart räum¬ 
liche Homogenität. 

5. Es ist bekannt, dass eine Röntgenröhre Strahlen von ver¬ 
schiedener Durchdringungsfähigkeit aussendet. Man unterscheidet hier 
weiche, mittelweiche, mittelharte und harte Strahlen. Je härter eine 
Röhre ist, desto mehr Strahlen der Qualität „hart“ hat sie, je weicher, 
desto mehr der Qualität „weich“. Nun haben die harten Strahlen am 
meisten die Eigenschaft, die Körper zu durchdringen, während die weichen 
mehr oder weniger in den Körpergeweben stecken bleiben und diese in 
der bekannten Weise beeinflussen. Wenn wir nun eine Wirkung in der 
Tiefe haben wollen, so haben diejenigen Strahlen, welche nicht imstande 
sind, in die Tiefe einzudringen, für unsere Zwecke gar keinen Wert, sie 
sind im Gegenteil sogar schädlich, da sie die darüberliegenden Körper¬ 
gewebe, speziell die Haut, in unerwünschter Weise beeinflussen. Wir 
werden daher bei der Tiefentherapie im wesentlichen harte Röhren 
verwenden, bei denen die Strahlung von der Qualität „hart“ prävaliert. 

Wir haben aber noch ein anderes Mittel, die auch in diesen Röhren 
noch vorhandenen weichen Strahlen auszuschalten, nämlich die Filtration 
der Strahlen. Wenn wir zwischen Hautoberfläche und Röhrenrand einen 
Körper halten, der die weichen und mittel weichen Strahlen abfängt, so 
gelangen diese nicht auf die Haut, werden also unschädlich gemacht. 
Als am brauchbarsten für diesen Zweck hat sich Aluminiumblech von 
3 mm Dicke erwiesen, sodann weiches Ziegenleder in vierfacher Schicht. 

Bei der Anwendung von Filtern sind wir tatsächlich imstande, un¬ 
gefähr die doppelte Menge Strahlen auf die Haut zu applizieren, wie 
ohne solche, demnach auch die doppelte Wirkung in der Tiefe zu er¬ 
zielen. 


Zweifel. Gauss nennt dies den Röntgenkater, ob es aber nur ein 
harmloser Kater ist, bleibt abzuwarten. Gewichtige Stimmen sind bereits 
dagegen laut geworden. 

Ueber meine Technik kann ich mich kurz fassen. Ich bestrahle 
bei Kompression und 32 cm Focushautabstand und Aluminiumfilter mit 
möglichst harter Röhre. Ich benutze zwei Felder zu jeder Seite des 
Unterbauches und gebe an zwei aufeinanderfolgenden Tagen annähernd 
die Erythemdosis, so dass ich an 4 Tagen die Sitzung vollende. So¬ 
dann lasse ich eine Pause von mindestens 14 Tagen und wiederhole 
die Sitzung, bis die gewünschte Wirkung erzielt ist. Diese Technik hat 
sich naturgemäss im Laufe der Jahre herausgebildet und allmählich ver¬ 
vollkommn 

Im ganzen habe ich bisher 20 gynäkologische Fälle bestrahlt. Yon 
denen sind zurzeit noch 3 in Behandlung. 

Die Indikation ergab sich aus Myomen und Blutungen, hauptsäch¬ 
lich präklimakterischen. 

Ein voller Erfolg wurde erzielt, d. h. Amenorrhoe, in 11 Fällen von 
16, 4 sind noch in Behandlung. Die übrigen wurden teils gebessert, 
teils schieden sie vorzeitig aus, weil eine Besserung der Beschwerden 
erzielt und kein Bedürfnis nach Weiterbehandlung vorhanden war, oder 
aus unbekannten Ursachen. Nicht erreicht wurde trotz fortgesetzter 
Therapie die Amenorrhoe nur in einem Falle, in dem zwar die profusen 
Blutungen aufhörten, aber eine kontinuierlich leichte Blutung zurück¬ 
blieb. Es handelte sich um eine sehr dicke Frau, bei der wohl das 
starke Fettpolster etwas hindernd für die Penetration der Strahlung war. 
Im übrigen habe ich aber gefunden, dass die Adipositas keine nennens¬ 
werte Beeinträchtigung der Wirksamkeit abgab. 

Für nicht geeignet für die Strahlentherapie halte ich die grossen 
Myome, die durch Druck auf die Nachbarorgane bereits hervortraten. 
Ob überhaupt eine wesentliche Schrumpfung der Tumoren nach der Be¬ 
handlung eintritt, erscheint zweifelhaft. 

Glänzend sind die Resultate bei schweren Blutungen, die durch 
Curettagen nicht zu beeinflussen sind, und bei denen man früher den 
Uterus exstirpieren musste. Ich habe mehrere derartige Fälle, die teils 
von mir selbst, teils von anderen vorher ohne Erfolg curettiert waren, 
und bei denen die Strahlentherapie wie ein Wunder wirkte. Die schwer 
anämischen Frauen blühten auf und sind später kaum wieder zu er¬ 
kennen gewesen. Die Ausfallserscheinungen durch die künstliche Meno¬ 
pause waren in den von mir beobachteten Fällen meist sehr gering, 
jedenfalls nicht grösser als bei der natürlichen Climax. 

Die Erfolge bei malignen Tumoren sind nach meinen bisherigen 
Erfahrungen so gut wie Null. Oberflächliche Ulcerationen heilen ab, 
in der Tiefe geht aber die Weiterentwicklung ihren üblichen Weg. 
Metastasen sind nicht zu beeinflussen. Vielleicht ist durch die moderne 
Tieientherapie etwas mehr zu erreichen. Sehr ermutigend sind die bis¬ 
herigen Erfolge nicht. 

Nun noch ein Wort über die jetzt wiederholt angeschnittene Frage: 
Wer soll die Bestrahlungen vornehmen, der Gynäkologe oder der Röntgeno¬ 
loge? Ich halte diesen Streit für vollkommen müssig. Sollten wir 
überhaupt wieder ein neues Spezialfach der Röntgenologie heranbilden? 
Ich meine, dass die Technik nicht so schwer zu erlernen ist, als dasa 
nicht jeder Arzt imstande wäre, sie in relativ kurzer Zeit zu beherrschen. 
Eine andere Frage wäre die, ob es wirtschaftlich rentabel ist, dass jeder 
Gynäkologe sich nun einen Apparat anschaflt, um ihn allein für die 
relativ selteneren Fälle in seiner Praxis zu verwerten. Ich glaube das 
verneinen zu müssen, während die Fabrikanten es anscheinend be¬ 
jahen, wie aus den jetzt überall abgehaltenen Reklamekursen hervorgeht. 


Das wären ungefähr in Kürze die Gesichtspunkte, die uns bei der 
Anwendung der Röntgentherapie leiten müssen. Ich möchte dabei gleich 
hervorheben, dass eine völlige Einigkeit über diese Fragen bei den ver¬ 
schiedenen Autoren, die sich speziell mit diesem Gegenstand beschäftigt 
haben, noch nicht erzielt ist. Während der eine Fernbestrahlung ohne 
Filter, der andere mit Filter empfiehlt, tritt der andere für Nah¬ 
bestrahlung mit Filter, der andere für eine solche ohne Filter ein. 
Während der eine nur ganz harte Röhren anwendet, glaubt der andere 
die spezifische Wirkuog nur durch mittelharte Röhren erreichen zu 
können. Ich kann natürlich heute auf alle diese strittigen Punkte nicht 
eingehen. Was die gynäkologische Bestrahlung betrifft, so scheint es 
mir, dass doch die grösste Beachtung die Arbeiten aus der Freiburger 
Klinik verdienen, wenn man auch nicht restlos alles, was von dort in¬ 
auguriert wird, anzuerkennen gezwungen ist. 

Auf eins möchte ich jedenfalls noch besonders hinweisen. Sowohl 
die Freiburger Schule, als auch Manfred Fränkel u. a. sind von der 
Fernbestrahlung zur Nahbestrahlung übergegangen, da sie hierdurch 
imstande sind, in viel grösserer Anzahl von Feldern von der Körperober¬ 
fläche zu wählen und von jedem dieser Felder einen grösseren Lichtkegel 
in den Körper hineinzuschieken. , 

Zweifellos ist die Ueberlegung dabei zutreffend, dass es auf diesem 
Wege möglich ist, eine ganz gewaltige Strahlenmenge in den Körper 
hineinzuschicken und das zu behandelnde Organ unter ein intensives 
Strahlenkreuzfeuer zu nehmen. Diesem Vorzug steht aber auch nach 
meiner Meinung, die mit der anderer auf diesem Gebiet tätiger Kollegen 
übereinstimmt, das schwere Bedenken gegenüber, dass nicht nur die zu 
bestrahlenden Organe, sondern auch andere getroffen werden, und dass 
wir heute noch gar nicht imstande sind, die späteren Wirkungen dieser 
Röntgenlichtbestrählungön auf Darm und Blase zu beurteilen. Dass ein 
gewisser unmittelbarer Eiriflüss tatsächlich vorhanden i&, steht ausser 


Diskussion. 

Hr. Schwarzwäller betont, dass nach seinen Erfahrungen die 
Röntgenbestrahlung noch immer sehr zeitraubend und kostspielig sei. 
Wenn Herr Lichtenauer mit so geringen Dosen Amenorrhoe erzielt 
habe, so müssten die Patientinnen schon im vorgeschrittenen Alter 
gewesen sein. 

Hr. Plagemann weist darauf hin, dass nach den Erfahrungen der 
letzten Jahre die Feldern ah bestrahlung mit Metallfilter bessere Erfolge 
erzielt hat als die vom Vortr. angewandte homogene Fernbestrahlung. 
So wird eine schnelle und ungefährliche Amenorrhoe erreicht in den 
meisten Fällen, ungefährlich, weil die Metallfilter vor Röntgenschädigung 
schützen, ungefährlich auch, N weil diese Röntgenklimax keine oder weit 
geringere Begleiterscheinungen macht als die operative. 

Hr. Schwarz: Ueber Chloräthyl rausch. 

Auf Grund der Mitteilungen von Kulenkampff und Stieda hat 
Vortr. in den letzten IV 2 Jahren eine grosse Anzahl kurzdauernder 
Eingriffe in Chloräthylbetäubung gemacht. Die Erfahrungen waren 
durchweg günstig insofern, als eine genügende Anästhesie sich bei aus¬ 
reichender Technik leicht erzielen liess und unangenelfme Neben¬ 
erscheinungen völlig fehlten. Vortr. benutzt die käuflichen Flaschen 
mit Momentverschluss und lässt auf eine vierfache, über Mund und Nase 
gedeckte Lage Mull auftropfen. Das Verfahren wird zur Nachprüfung 
empfohlen unter besonderer Betonung der Vorsichtsmaassregeln, dass 
nur ein Rauschzustand, keine Narkose erzielt werden darf, dass es daher 
nur für kurzdauernde Eingriffe verwendbar ist. 

Diskussion: HHr. Plagemann, Sagebiel, Maass, Schwarz¬ 
wäller, Kalb, Freund jun. 

Demonstrationen. 

Hr. Holste zeigt 1. eine monoamhiale Zwillingspl&centa. Die 
Mutter, 84 jährige Ipara, hatte 14 Tage vor dem normalen Schwanger- 


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UMIVERSITY OF IOWA 





1038 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22. 


schaftsende keine Kindsbewegungen mehr gefühlt. Die Geburt erfolgte 
spontan, beide Früchte in Schädel läge. Sie waren maceriert; ihre Länge 
betrug 45 cm, ihr Gewicht 2700 bzw. 2800 g, Kopfumfang 34 cm. Die 
Nabelschnüre waren vollständig ineinandergedreht und verknotet und 
maassen, die Knoten abgerechnet, je 70 cm. 

2. Einen Fall von ungewöhnlich grosser Rectnsdiastase, die sich 
seit 9 Jahren allmählich entwickelt hatte. Die Operation erfolgte ver¬ 
mittels Aushülsung der Musculi recti. Es wurde nicht der von Menge 
empfohlene Fascienquerschnitt angewendet, sondern die Fascie längs 
gespalten, und dann wurden nach ausgiebiger Resektion ihre freien 
Ränder in der Mittellinie flächenhaft miteinander vereinigt. Als Naht¬ 
material diente Catgut. Die Heilung erfolgte primär, und es ist bislang 
(4 Monate nach der Operation) kein Recidiv eingetreten. 

Hr. Schnitzer berichtet über einen seltenen Fall von Porencephalie. 
Es handelt sich um die Marie K., ein uneheliches Arbeiterkind, das am 
16. Juli 1896 geboren wurde. Hereditäre Belastung ist nur insofern 
vorhanden, als ein Bruder der Mutter periodisch geisteskrank ist. Das 
Kind ist von jeher idiotisch und gelähmt, litt an Rachitis und lernte 
weder gehen noch sprechen. Im Alter von 11 Jahren wurde Pat. den 
Kückenmühler Anstalten überwiesen. Die körperliche Entwicklung ent¬ 
sprach etwa der eines kaum fünfjährigen Kindes. Der geistige Zustand 
stellte sich als Idiotie höchsten Grades heraus. Von dem Untersuchungs¬ 
befund sei mitgeteilt, dass sich sämtliche Extremitäten im Zustande der 
spastischen Lähmung befanden und einen stark erhöhten Tonus zeigten. 
Am geringsten waren die Störungen im linken Arm, so dass mit diesem 
allein, wenn auch nur geringfügige Bewegungen ausgeführt werden 
konnten. Der kleine asymmetrische Schädel batte 47 cm Umfang, die 
linke Scheitelbeingegend war abgeflacht, die rechte vorgewölbt. Ferner 
wurde konjugierte Deviation nach rechts und horizontaler Nystagmus 
festgestellt, der besonders stark wurde, wenn ein angestrengter Versuch 
gemacht wurde, den Blick nach links zu richten. Die Sprache äusserte 
sich nur in einem unverständlichen Lallen, Gehen und Stehen un¬ 
möglich, auch beim Sitzen bedurfte sie der Unterstützung. Im Januar 1Ö12 
machten sich die Zeichen einer beginnenden Lungentuberkulose be¬ 
merkbar, der sie am 16. Februar erlag. Bei der Gehirnsektion ergab 
sich nun folgender eigenartiger Befund: 

Die ursprünglich der rechten wohl gleich grosse linke Hemisphäre 
zeigt in ihrem vorderen Teil einen Defekt, der durch eine etwa klein¬ 
faustgrosse Cyste ausgefüllt wird. Nach der Entleerung von ca. 300 ccm 
klarer Flüssigkeit übersieht man nicht nur den hydropisch erweiterten 
linken Ventrikel, sondern erhält auch einen Einblick in den rechten 
Ventrikel. Das linke Corpus striatum ist zum grössten Teil atrophiert, 
der Thalamus opticus tritt wie ausgeschält zutage. Das Ventrikel- 
ependym ist deutlich granuliert, die äussere Umrandung der Höhle ist 
relativ glatt und wird zum grössten Teil von leicht eingesunkenen 
Windungen gebildet. Der Pol des linken Stirnlappens ist zusammen¬ 
gedrückt und atrophiert. Vollständig fehlen an der linken Hemisphäre 
der grösste Teil der ersten und zweiten Schläfenwindung, der mittlere 
und untere Teil der Centralwindungen und der grösste Teil der zweiten 
und dritten Stirnwindung. Im übrigen zeigt der Windungsbau an ver¬ 
schiedenen Teilen der Konvexität mikrogyren Typ. Stellenweise sind Ein¬ 
senkungen der Rinde vorhanden. Aus dieser letzteren Tatsache ergibt sich 
auch die Folgerung, dass es sich wahrscheinlich um einen entzündlichen 
encephalitischen Prozess handelte, dessen Beginn vielleicht schon in 
die Fötalperiode fiel. An Stelle der erweichten Gehirnsubstanz, die all¬ 
mählich resorbiert wurde, trat eine Cyste, die den ausserordentlich 
grossen Defekt ausfüllte. 

Hr. Gehrke demonstriert 1. ein Milehfilter für den Hausgebrauch. 
Das Filter, bestehend aus zwei Metallsieben, zwischen die eine Watte¬ 
scheibe gelegt wird, soll der Hausfrau Gelegenheit geben, die für den 
Haushalt gelieferte Milch auf ihren Schmutzgehalt zu prüfen. Dazu ist 
das Filter sehr geeignet. Dagegen ist die Erwartung, dass damit nun 
auch eine wesentliche Reinigung der Milch erfolgt, unberechtigt; denn 
der grösste Teil des in die Milch hineingelangten Schmutzes ist zu der 
Zeit, wo die Hausfrau die Milch filtrieren kann, längst aufgelöst und 
wird von der Wattescheibe nicht mehr zurückgehalten. Das Filter ist 
in mehreren Haushaltungen ausgeprobt, überall sind recht erhebliche 
Schmutzmengen gefunden; keine der Hausfrauen hat sich aber ver¬ 
anlasst gesehen, deswegen die Milchbezugsquelle zu wechseln. Die 
Gleichgültigkeit gegenüber dem Milchschmutz ist zu gross. 

2. Ein Präparat von Mytilaspis citrieola. Auf den zurzeit in zahl¬ 
reichen Verkaufsläden angebotenen Apfelsinen zeigt sich ein schwarz¬ 
brauner, zunächst wie Schmutz aussehender Belag. Dieser Belag besteht 
aus massenhaft auf der Schale sitzenden Schildläusen, die bis 0,5 mm 
breit und 2—4 mm lang sind. Jede Schildlaus enthält unter dem 
Schild massenhaft Eier. (Demonstration unter dem Mikroskop.) Herr 
Dr. Enderl ein, Custos der naturhistorischen Sammlung des städtischen 
Museums, hatte die Freundlichkeit, die Artbestimmung vorzunehmen. 
Irgendwelche schädliche Wirkung der Schildlaus ist bisher nicht bekannt. 
Da die Schildläuse sich beim Schälen loslösen und so mit an die Innen¬ 
seite gelangen, besteht die Möglichkeit, dass sie mitgenossen werden. 


Yerein der Aerzte Wiesbadens. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 19. Februar 1913. 

Vorsitzender: Herr R. Schütz. 

Hr. Isaae: 

Die Funktioflsprüfung der Leber and ihre Bedeatug für die Dia¬ 
gnostik der Leberkrankheiten. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 
Diskussion: HHr. E. Pagenstecher, Weintraud, J. Müller. 
Hr. Isaae: Schlusswort. 


Sitzung vom 5. März 1913. 

Vorsitzender: Herr R. Schütz. 

I. Hr. Herxheimer: Pathologisch anatomische Demonstrationen. 

Vortragender demonstriert: 

1. Ein Colloidcarcinom des Colon transversnm mit ausgedehnten 
Metastasen am Peritoneum, ferner mit sehr grossen Massen von Gallerte 
frei in der Bauchhöhle und Knötchen am Peritoneum, eventuell nur 
durch einen dünnen Stiel diesem aufsitzend, welche erst durch binde¬ 
gewebiges Umhüllen von Colloidmassen zustande gekommen sind. Ausser 
Colloidcarcinom mit ausgedehnten Metastasen ist somit eine Art Pseudo¬ 
rn yxombildung anzunehmen. 

2. Ein Carcinom der linkea Nebeaaiere mit direktem Einwachsen 
in die Niere und fast völlige Zerstörung dieser. Makroskopisch resultierte 
ein Bild fast ganz dem Grawitz’schem Tumor entsprechend, nur weniger 
stark nekrotisch als diese zumeist; mikroskopisch lag einfaches indiffe¬ 
rentes Carcinom der Nebennniere, nichts von den für Grawitz’sche Tu¬ 
moren typischen Bildern vor. 

II. Hr. Katzmaai*. Ueber Uretcraicreabeckenplastik. 

Vortr. schildert kurz die verschiedenen Methoden der Ureternieren¬ 
beckenplastik und gibt an der Hand eines von Dr. Heile durch plastische 
Operation geheilten Falles von Hydronephrose einen Beitrag zur Aetiologie 
derselben, indem er bei Fehlen anderer Abflusshindernisse eine gleich¬ 
zeitige Senkung und Drehung der Niere als Entstehungsursache ansieht. 
Krankengeschichte: Der Patient, dem vor 5 Jahren die linke Niere wegen 
Tuberkulose entfernt wurde, erkrankte plötzlich unter den Erscheinungen 
einer schweren akuten Appendicitis. Appendektomie gibt keine genügende 
Erklärung für die Schwere des Kraukheitsbildes. Beim Palpieren der 
Bauchhöhle in der rechten Nierengegend fluktuierender Tumor, der sich 
als hydronephrotisch erweitertes Nierenbecken erweist. Pyelotomie. 
Nach 4 Wochen plastische Operation. Dabei ergibt sich, dass cfie hyper¬ 
trophische Niere sieb gesenkt und gedreht hatte, in der Weise, dass der 
untere Nierenpol mehr nach der Medianlinie und hinten zu gelegen ist 
und den Ureter vor sich her geschoben hat. Kein den Ureter kreuzendes 
Gefäss oder Verwachsungen nachweisbar. Uretersondierung und Durch¬ 
spülung ergaben überall Durchgängigkeit. Nierenbecken faustgross er¬ 
weitert. Durchtrennung des Ureters, dessen centrales Stück ligiert wird. 
Das periphere wird in einer Ausdehnung von 1 cm längs gespalten, so 
dass zwei Zipfel entstehen, die durch eine Oeffnung in den untersten 
Teil des Hydronephrosensackes gezogen und an seiner inneren Wand 
trichterartig angenäht werden. Verweilsonde in der neuen Uretermündung. 
Patient jetzt, nach 8 / 4 Jahren, völlig beschwerdefrei, normale Funktion 
der Niere. 

Diskussion: HHr. Heile, Konr. Schneider, Katzmann, 
Prüssian. 


Sitzung vom 2. April 1913. 

Vorsitzender: Herr G. Meyer. 

I. Hr. Herxheimer: Pathologisch-aiatomisehe Demonstration«. 

Vortr. demonstriert: 

1. Ein Carciaom des U eberganges des Daetas cystieas ia die 
Gallenblase, eines Sitzes, wo Carciuome häufiger gefunden werden. 

2. Drei Careinome des Rectnms: a) ein gewöhnliches Careinom, 
etwa 20 cm oberhalb des Anus, noch jung, welches aber durch Perfo¬ 
ration und Peritonitis frühzeitig zum Tode führte; b) ein von einem 
Polypen des Rectums ausgegangenes Carcinom, welches sich ganz diffus 
in der Submucosa verbreitete, während die Schleimhaut darüber zum 
Teil erhalten war, zum Teil ausgedehnte Nekrotisierung fast von dysen¬ 
terieartigem Charakter zeigte. Das Mikroskop bestätigte diese bei der 
Sektion angenommene, im Darm sehr seltene Verbreitungsart*, c) ein 
Carcinom des Rectums mit älterer, ausserordentlich starker Periproctitis. 
Diese erwies sich nach den M Gefässveränderungen usw. als höchstwahr¬ 
scheinlich syphilitischer Natur und das Carcinom war offenbar sekundär 
auf Grund dieser Veränderung entstanden. 

II. Hr. Stadler*. Deaionstratioi voi ßlatpräparatea mit Embryeaei 
von Filaria dinrna (fixiert und lebend). Die Embryonen Hessen sich 
tagsüber in grosser Menge im Blut eines Negers nachweisen, der seit 
fast 5 Jahren von Afrika (Liberia) weg war und erst vor einigen Wochen 
hier mit Conjunctivitis, Sehstörungen tagsüber und Schwindelgefühl er¬ 
krankt war. Irgendwelche Symptome von B’ilariasis hatten früher nicht 
bestanden, es ist die Krankheit also epst nach einer sehr langen Latenz¬ 
periode manifest geworden. Leukocytenyerhältnjsse*. L. 7000, Eosiono- 
phile 33 pCt.^ Neutrophile 48 pCt., Basophile 1 pCL, Moponucleäre 11 pCt, 
Lymphooyten 12pOt. v 


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UNIVERSUM OF IOWA 





2. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1039 


III. Hr. Hesel stellt folgenden Fall von Hieb verkling des N. ra- 
dialis vor: Ein Student erhielt vor 4 Wochen auf einer Säbelmensur 
einen tiefgehenden Hieb quer über die Streckseite des rechten Vorder¬ 
arms. Die Wunde wurde ohne Rücksichtnahme auf eine etwaige Nerven¬ 
verletzung genäht und heilte per primam. Es blieb aber eine Lähmung 
der Fingerstrecker zurück. Die Untersuchung ergibt, dass folgende 
Muskeln gelähmt sind und vom Radialnerven am Oberarm aus mit dem 
elektrischen Strom nicht erregt werden können, sowie bei direkter galva¬ 
nischer Reizung ausgesprochenste Entartungsreaktion geben: Mm. extens. 
carp. uln., extens. digit. commun. long., extens. digiti minimi, extens. 
indic. propr., abductor pall. long., extens. palt. long. et brevis. Sensi¬ 
bilitätsstörungen fehlen. Da die Nervenzweige, welche die eben ge¬ 
trennten Muskeln versorgen, den Stamm des N. radialis profundus nach 
dessen Durchtritt durch den M. supinator brevis verlassen, während die 
Zweige aller übrigen vom Radialnerven versorgten Muskeln, welche in 
diesem Falle intakt geblieben sind, vor dem Durchtritt des Nerven durch 
den Supinator brevis von dessen Stamm sich abzweigen, so muss eine 
schwere Verletzung des Radialnerven unmittelbar nach dessen Durch¬ 
tritt durch den Supinator brevis stattgefunden haben. Da nun der 
Säbelhieb gerade über diese Stelle gegangen ist, so muss angenommen 
werden, dass der Stamm des N. radialis profundus an der fraglichen 
Stelle durchtrennt worden ist. Eine Heilung der vorliegenden Lähmung 
ist nur von der Vornahme der Nahtvereinigung der durchtrennten Nerven¬ 
enden zu erwarten. 

Diskussion. 

Hr. Lossen bekam vor etwa 8 Wochen einen Fall von Stichver- 
verletzung in Behandlung, die analoge Ausfallserscheinungen machte. 
Infektion der Wunde hat bisher einen Eingriff verboten. 

Hr. Eonr. Schneider. 


Sitzung vom 9. April 1913. 

Vorsitzender: Herr G. Meyer. 

1. Hr. Hezel stellt einen Fall von herdförmiger Erkrankung der 
mittleren Schädelgrabe vor. Es bandelt sich um ein 25 jäbr. Mädchen, 
das vor einem halben Jahre mit Kopfschmerzen und Abnahme des Seh¬ 
vermögens erkrankte. Dazu gesellten sich im Laufe der folgenden 
Wochen als vorübergehende Symptome Doppeltsehen, Ohrensausen, Taub¬ 
heitsgefühl der linken Stirnhälfte, Kauschwierigkeit linkerseits, Schwindel¬ 
gefühl und Aufhören der bis dahin regelmässigen Menstruation. 

Bei der vor 4 Monaten erfolgten Aufnahme in die Augenklinik wurde 
doppelseitiger Exophthalmus mässigen Grades, leichte doppelseitige 
Ptosis, Neuritis optica (nicht Stauungspapille) beiderseits und herab¬ 
gesetzte Sehschärfe (R. 6 /w» L. e / 60 ) und träge Pupillenreaktion gefunden. 
Die Gesichtsfeldaufnahme von damals ist abhanden gekommen. 

Gynäkologische Untersuchung ergab infantilen Uterus. 

Während die oben als vorübergehend bezeicheten Symptome all¬ 
mählich schwanden, nahm die Sehstörung weiter zu. Spätere Gesichts¬ 
feldaufnahmen zeigten eine unregelmässige konzentrierte Einschränkung. 
Jetzt ist das Sehvermögen soweit gesunken, dass die Kranke kaum noch 
die Finger zählen kann. Die Sehnervenpapille beginnt abzublassen. Im 
Bereiche des Nervensystems sind sonst keinerlei Abweichungen zu kon¬ 
statieren, auch besteht keine Adipositas oder Akromegalie. Die unter 
Berücksichtigung der Hypopbysisgegend vorgenommene Röntgenunter¬ 
suchung ergibt eine schwer zu deutende Veränderung der Seila turcica 
und der Keilbeinhöble, aber nicht die für Hypophysistumoren charakte¬ 
ristischen Veränderungen. Die Diagnose kann deshalb nicht auf Hypo¬ 
physistumor, sondern nur auf herdiörmige Erkrankung unbestimmbaren 
Charakters in der Hypophysisgegend gestellt werden. 

Blutuntersuchung auf Wassermann fiel negativ aus. 

Hr. Köhler demonstriert die Röntgenogramme. 

2. Hr. Weintrand: 

Ueber die Pathogenese des akuten Gelenkrheumatismus. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

Diskussion: Hr. Vigener. 

3. Hr. B. Pfeiffer: Neues über Eiweissbestimmungen im Urin. 

(Der Vortrag ist unter den Originalien in Nr. 15 dieser Wochen¬ 
schrift abgedruckt.) 

Diskussion: Hr. Weintraud. 


Aerztllcher Verein zu Essen-Ruhr. 

(Wissenschaftliche Abteilung.) 

Sitzung vom 11. Februar 1913. 

Vorsitzender: Herr Morian. 

Schriftführer: Herr Schüler. 

1. Hr. Lindemann: 

Pathologisch anatomische Demonstrationen aus dem Huyssen-Stift. 
a) Fractnra cranii (ocoip., tegmen tympanis sin., tegmen orbitae 
sin.), Contusio cerebri multiplex. 

Ein 39 Jahre alter Fuhrmann hatte, nachdem er morgens um 6 Uhr 
zur Arbeit gegangen war, im Laufe des Vormittags eine Fuhre besorgt; 
was dann bis 3 Uhr nachmittags geschehen war, konnte dicht festgestellt 
werden; um letztgenannte Zeit wurde Patient vollkommen bewusstlos 
ins Krankenhaus eingeliefert. 


Ausser einem flachen Bluterguss über der hinteren Hälfte des rechten 
Scheitelbeines war keine äussere Verletzung festzustellen, wohl deuteten 
der Ausfluss von dunkelflüssigem Blut aus dem linken Ohr, die Reaktions- 
loaigkeit der engen Pupillen bei vollkommen aufgehobenem Bewusstsein, 
das Fehlen aller Reflexe, der verlangsamte, unregelmässige und ungleiche 
Puls (46 — 60 Schläge in der Minute) und das bisweilen sich bemerkbar 
machende Cheyne-Stockes’sche Atmungsphänomen auf eine schwere cere¬ 
brale Störung hin. — Es handelt sich darum, zu entscheiden, welcher 
Art dieselbe war, insbesondere ob eine intracranielle grössere, d. h. raum¬ 
beengende Blutung stattgefunden hatte, die einen baldigen Eingriff er¬ 
forderlich gemacht hätte. Auf Grund der Beobachtung während der der 
Einlieferung folgenden Stunden kam man zur Ablehnung der letzteren 
Annahme; hingegen wurde das Bestehen einer schweren Commotio und 
Contusio cerebri bis zu dem am fünften Krankheitstage erfolgenden Tode 
immer wahrscheinlicher. Drei Stunden nach der Aufnahme begann 
Patient auf Stiche in Wangen und Kinn beiderseits mit Hochziehen des 
betreffenden Mundwinkels zu reagieren, einige Stunden später machte er 
auch Abwehrbewegungen mit Armen und Beinen (eine leichte, aber deut¬ 
liche Schwäche des rechten Armes blieb bis zum Tode bestehen). Das 
Bewusstsein blieb auch weiterhin völlig gestört, im Laufe des zweiten 
Krankbeitstages trat eine lebhafte motorische Unruhe ein, die dann 
immer mehr zunahm, es trat eine deutliche Nackensteifigkeit und Fieber 
auf, der Urin, der anfangs mittels Katheter entleert werden musste, 
wurde unwillkürlich entleert, der Puls stieg allmählich an, seine Spannung 
liess nach, Schluckbewegungen wurden vom dritten Tage an nicht mehr 
gemacht, und unter zunehmendem Coma erfolgte am fünften Tage der 
Tod. Am letzten Tage zeigte sich noch ein Erysipel an der linken 
Hinterbacke, das von Kratzaffekten, die Patient sich selbst beigebracht 
hatte, ausgegangen und auch auf die linke Gesichtshälfte (Ohr) über¬ 
tragen worden war. Das Lumbalpunktat war am dritten Tage deutlich 
blutig gefärbt, der Druck betrug 350 mm Hg. 

Bei der Autopsie zeigte sich nur einmal eine über handflächeDgrosse 
2 mm dicke epidurale Blutschicht über dem linken Scheitel und Hinter¬ 
hauptlappen und etwas Blut über dem rechten Hinterhauptlappen. Weiter 
zeigte sich im linken Stirnhirn an der Vorderfläche ein Zertrümmerungs¬ 
herd, in den man ein Kleinfingernagelglied gut hineinlegen konnte und 
ferner zahllose kleinere und kleinste Zertrümmerungsherde in der Hirn¬ 
substanz nahe der Oberfläche, besonders in der motorischen Region 
linkerseits und in den Temporallappen. Am Knochen zeigten sich mehrere 
Frakturlinien im Hinterhaupt, teilweise in den Hinterhauptnähten ver¬ 
laufend und sich ins Foramen occipitale senkend, ferner eine Zer¬ 
trümmerung des Daches der linken Paukenhöhle und des linken Augen¬ 
daches. Das Hirn war im ganzen sehr blass. 

Die Hirngefässe und ihre grösseren Aeste waren nicht verletzt; das 
Blut, das sieb in den abhängigen Partien des epiduralen Raumes fand, 
musste also wohl zum grössten Teile aus den Zertrümmerungsherden der 
Hirnsubstanz stammen und sich der Schwere nach gesenkt haben. 

b) Fraktur des ersten Lendenwirbels, Zertrümmerung des Rücken¬ 
markes mit nachfolgender Degeneration. (22 Jahre alter Handlanger, 
Quetschung durch schweren Balken. Nach acht Monaten Exitus.) 

Klinischer Befund. Vollkommene Lähmung beider Beine bis zu 
den Hüften, zehn Tage lang anhaltende Blasenläbmung (Retentio). 

Cystitis, Pyelonephritis mit sekundären Abscedierungon, Marasmus 
mit schweren Ernährungsstörungen der Haut (ausgedehnte, die Wirbel¬ 
fortsätze freilegende decubitale Eiterungen). 

Das anatomische Präparat der Lendenwirbelsäule zeigt einen 
Bruch des ersten Lendenwirbelkörpers, der sich in den Rückenmarks¬ 
kanal eingeschoben und das Rückenmark fast vollkommen zerquetscht 
hat. Erweichung, Narbenbildung, Verwachsung der Dura mit der Narbe: 
sekundäre Degeneration der Hinterstänge und der Pyramidenvorderstrang¬ 
bahnen. 

c) Ein 30 cm langer Embolus ans der Arteria pnluonalis, auf 

der Verzweiguogsstelle der Arterie reitend, stammend aus der linken 
Vena femoralis einer 62 Jahre alten Frau, die seit sechs Tagen wegen 
Oberschenkelhalsbruch mit Kniekappeneitension behandelt wurde. Am 
Tage vor dem plötzlioh eintretenden Tode leichte Schwellung des Ober¬ 
schenkels. 

d) Magen eines l 3 /« Monate alten Säuglings, bei dem wegen Pylor©- 
spasmis nach einmonatiger ergebnisloser diätetischer und medikamentöser 
Behandlung die Gastroenterostomia retrocolica posterior mittels Naht 
ausgeführt worden war. Nahtinsuffizienz, Peritonitis, Ileus, Exitus. Der 
Pylorus stellt eine 2 cm lange, Vf 2 cm dicke Masse dar, Lumen sehr eng. 
Magen stark erweitert. 

e) Ulcus dnodeni perforatnm bei einem 41 Jahre alten Manne. 
Seit 10 Jahren Beschwerden. Operation infolge Weigerung des Patienten 
erst 15 Stunden nach Durchbruch möglich. Peritonitis. Ausspülung 
der ganzen Bauchhöhle mit Kochsalz (50 I), Uebernähung des an der 
Vorderwand des Duodenums nahe dem Pylorus sitzenden Ulcus, Naht¬ 
sicherung durch Netzaufpflanzung. Pylorusraffung. Gastroenterostomia 
retrocolica post, longit. mit Knopf. Tod an Ileus paralyticus. Ausge¬ 
dehnte Peritonitis. 

f) Gallenblasencarcinom mit Metastasen in Leber, Zwerchfell und 
beiden Pleuren. Fünf Monate vor dem Tode die ersten Beschwerden 
(Patientin 64 Jahre alt). Schmerzen in Oberbauchgegend, im Kreuz. 
Icterus erst später auftretend. In beiden Pleuren Erguss. Stuhl bis 
zum Tode nicht acholisch, wohl Haut und Urin gelbbraun. 

g) Torqnierter Hydrosalpinx (zweimal 360°). Operation, die in der 
Annahme einer akut einsetzenden Appendicitis ausgeführt wurde, ergab 


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UMIVERSITY OF IOWA 





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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22. 


faustgrosse, bläulichschwarze, oystische Geschwulst der rechten Tube. 
Inhalt blutige Flüssigkeit. 

h) Endometritis, Metritis septica, entstanden durch kriminellen 
Abort. An der Hinterwand des Uterusmucosa und -muscularis perforiert 
bis nahe an Serosa heran. Patientin, 32 Jahre alt, unverheiratet, kam 
im Zustande der septischen Peritonitis zur Operation, mikroskopisch und 
kulturell Streptokokken im peritonitischen Exsudat. Frucht fehlte, 
frisches Corpus luteum im rechten Ovarium. 

i) (Klinische Demonstration.) Ein 14 Jahre alter Junge balgte sich 

mit seinem jüngeren Bruder am Boden, eine lange Schneiderschere fiel 
von einem Tisch herab, traf den Knaben dicht abwärts der linken unteren 
Rippe handbreit von der Wirbelsäule entfernt. Drei Stunden nach der 
Verletzung Entleerung von blutigem Urin, 16 Stunden nach derselben 
kommt nach einem Einlauf erst normal gefärbter Stuhl, dann eine Menge 
Blut. Bauchdeckenspannung war vorhanden, aber nur in massigem 
Grade, sonst keine bedrohlichen Erscheinungen. Unter Abwarten Heilung, 
Klarwerden des Urins, Verschwinden des Blutes im Stuhl. Junge zeigt, 
elf Tage nach Verletzung, noch etwas Blässe, ist sonst wieder wohl. 
Die Schere muss zunächst die Niere und dann entweder gleich das vor 
ihr liegende Colon descendens bzw. die Flexura lienalis getroffen oder 
eine Blutung mit anschliessender umschriebener Thrombose im Mesocolon 
verursacht haben. (Autoreferat.) 

2. Hr. Pielsticker spricht an der Hand von Röntgenbildern, Photo¬ 
graphien und Kurven über den künstlichen Pneumothorax, seine Technik, 
Indikation und Wirkungsweise bei chronischen Lungenerkrankungen der 
Erwachsenen. Auch bei Kindern hat er gemeinsam mit Prof. H. Vogt 
in Strassburg diese Therapie angewandt; es zeigte sich, dass die Tuber¬ 
kulose, auch bei ganz jungen Kindern, durch den Pneumothorax in 
günstiger Weise, grossenteils sogar ausgezeichnet beeinflusst wird, während 
andere chronische Lungenaffektionen des Kindesalters, wie Bronchial- 
ektasen, keine Besserung durch diese Behandlungsmethode erfahren. Der 
Eingriff an sich wurde von sämtlichen Kindern stets anstandslos ertragen. 
(S. Monatsschr. f. Kinderheilk., 1912, Bd. 11, S. 143.) (Autoreferat.) 

Schüler. 


Aerztlicher Verein zu Hamburg. 

Sitzung vom 6. Mai 1913. 

Hr. Oehleeker bespricht Technik und Resultate der Phrenikotomie. 

Die Technik ist im allgemeinen einfach; doch können Variationen im 
Verlauf des Phrenicus die Auffindung erschweren. In symptomatischer 
Hinsicht war der Erfolg oft eklatant: Schmerzen wurden beseitigt, des¬ 
gleichen eine pfeifende Lungenfistel. Zur Einleitung der Collapstherapie 
mittels Rippenresektion ist die Phrenikotomie sehr geeignet. Vortr. geht 
sodann auf das Symptom des Schulterschmerzes noch einmal ein 
und empfiehlt, mehr als bisher darauf zu achten. 

Hr. Görlitz stellt einen Fall von Torticollis ocnlaire vor. Das 
jetzt 9 jährige Mädchen, das vom ersten Lebensjahre an den Kopf schief 
trug, wurde ohne jeden Erfolg mit Stützapparaten behandelt, bis 
Dr. Grüneberg-Altona die Vermutung aussprach, dass eine Augen¬ 
muskelparese dahinter stecke. Die genaue Analyse, die sich — wie 
meist in solchen Fällen — recht schwierig gestaltete, ergab eine Lähmung 
des N. obliquus super, rechts. In der von der Patientin gewöhnlich 
eingenommenen Haltung zeigten die Bulbi keinerlei Deviation. Vortr. 
hofft, durch Tenotomie auch den Schiefhals günstig beeinflussen zu 
können (zwei gute Erfolge in der Literatur.) 

Hr. Allert bespricht das neue Herzmittel Cymarill. Dasselbe eignet 
sich hauptsächlich zu intravenöser Injektion; man soll erst eine proba- 
torische Dosis von 0,3 bis 0,5 mg, späterhin 1 mg geben. Per os darf 
man stets nur sehr kleine Dosen (0,3 mg) geben und nie nüchtern, um 
Magendarmerscheinungen zu vermeiden. Subcutane Applikation ist zu 
schmerzhaft. Vortr. demonstriert an der Hand von Kurven den günstigen 
Einfluss auf Herztätigkeit, Puls und Diurese, der auch bei Versagen von 
Digitalis oft noch deutlich hervortritt. Gegenüber dem Strophantus hat 
Cymarin den Vorzug, dass zwischen therapeutischer und toxischer Dosis 
ein breiterer Zwischenraum ist. Cymarin wirkt nicht stark kumulierend, 
die Wirkung ist daher auch nicht sehr auffallend. Natürlich gibt es 
auch Fälle, die sich auch gegen dieses Mittel refraktär verhalten. 

Hr. Rose berichtet über einen Fall, in dem er die Trendelen- 
burg’sche Operation der Lnngenembolie ausgeführt hat. Während der 
Vorbereitung zu einer anderen Laparotomie collabierte plötzlich eine vor 
8 Tagen operierte Patientin. Mau nahm zunächst eine Nachblutung an 
und relaparotoraierte. Da der Befund negativ war, wurde sofort die 
Art. pulmonalis freigelegt und innerhalb 2 Minuten der Embolus ge¬ 
funden und entfernt. Trotzdem trat Atmung und Puls nicht wieder auf. 

Hr. Wichmann stellt einen Fall von Tuberculosis cutis serpiginosa 
ulcerativa vor, eine Form der Hauttuberkulose, die sich in keines der 
sonst bekannten Krankheitsbilder einordnen lässt, und die erst einmal 
beschrieben wurde. Die Affektion geht von den kleinen Lyraphgefässen 
aus und führt zu sehr beträchtlicher Atrophie. Daran anschliessend 
Besprechung verwandter, von Lympbgefässen ihren Ausgang nehmender 
Hauttuberkuloseformen. 

Diskussion zum Vortrag des Herrn Nonne: Ueber weitere Er¬ 
fahrungen an operierten Fällen von Rückenmarkstnmoren. 

Hr. Oehleeker bespricht an der Hand von Röntgenbildern die von 
Herrn Nonne auch erwähnten Fälle von kongenitaler Skoliose. 


Sodann tritt er für Anwendung der seitliohen Röntgenaufnahme der 
Wirbelsäule ein, bei der der Defekt eines Wirbelkörpers nicht der Be¬ 
obachtung entgehen könne. 

Hr. Böttiger: Beim Rückenmark ist die Tumordiagnose viel 
schwieriger als die Segmentdiagnose. Bezüglich der Schmerzen 
glaubt B. doch, dass Unterschiede zwischen intra- und extramedullären 
Tumoren bestehen: Bei letzteren haben sie neuralgieformen, bei ersteren 
mehr den Charakter schmerzhafter Parästhesien. Dem sogenannten 
Pseudotumor spinalis liegen anatomische Prozesse verschiedener 
Art zugrunde. Bisweilen mag auch spontane Rückbildung eines echten 
Tumors in Frage kommen. 

Hr. Haenisoh bespricht die Röntgendiagnose bei Fehlen eines 
Wirbelkörpers. In dem von Nonne erwähnten Fall würde er, ohne 
etwas von dem Obduktionsbefund zu wissen, die Diagnose nicht haben 
stellen können. 

Hr. Hess weist auf zwei Fälle aus der Literatur (Lindemann und 
Röpke) hin. 

Hr. Nonne (Schlusswort) glaubt doch nicht, dass Schmerzen bei 
intra- und extramedullären Tumoren sich stets werden unterscheiden 
lassen. Er berichtet dann nooh über einen Fall, der klinisch das Bild 
der progredienten Rückeumarkskompression bot; bei Operation und Ob¬ 
duktion fand sich äusserst starke Varicosis der V. spinalis posier.; die 
Varicen waren in die Rückenmarkssubstanz hineingewuchert und hatten 
zu multiplen Nekroseherden geführt. 

Hr. Stande: 40 Jahre operativer Behandlung des Uternacareinans. 

Im wesentlichen historischer Rückblick auf Anwendung und Erfolge 
der verschiedenen Methoden der Totalexstirpation des Uterus, namentlich 
auch in Hamburg. Auf Grund desselben und mannigfacher statistischer 
Angaben tritt Vortr. aufs neue für seine „erweiterte vaginale Radikal¬ 
operation" ein. Dieselbe hat bei der gleichen Zahl von Dauererfolgen 
nur den dritten Teil Mortalität gegenüber der abdominalen Methode. 
Das liegt keineswegs an der Gunst seines Materials, da er eine 
Operabilität von 72,3 pCt. hat, eine Zahl, die zu den allerhöchsten gehört. 

Fr. Wohlwill. 


Naturhistorisch-medizinischer Verein zu Heidelberg. 

Sitzung vom 6. Mai 1913. 

Vorsitzender: Herr Bettmann. 

Schriftführer: Herr Fischler. 

Hr. Moro: Myatonis congenita. 

Elf Wochen altes, gut genährtes Kind, bei dem eine abnorme 
Atmung auffällt. Der Thorax ist ganz ausgescbaltet, es besteht reine 
Zwerchfellatmung. An der rechten Hand ist eine Krallenstellung wahr- 
zunehmen, die auf eine Ulnarisschwäche zurückzuführen ist. Dieser Zu¬ 
stand ist angeboren. Ausserdem besteht eine inkomplette Lähmung der 
Beine, der Rücken- und Nackenmuskulatur, während Zwerchfell, Ge¬ 
sichts- und Schlundmuskulatur intakt sind. Es handelt sieh um einen 
Fall von Myatonia congenita (Oppenheim). Das Leiden hat einen 
regressiven Charakter. Es kann, wenn die Kinder am Leben bleiben, 
was allerdings selten der Fall ist, zu einer Restitutio ad integrum 
kommen. Da solche Aussichten vorhanden sind, besteht die Pflicht, das 
Leiden therapeutisch zu beeinflussen (Elektrizität, Massage, passive Be¬ 
wegungen). Bei der histologischen Untersuchung eines vor einiger Zeit 
ad exitum gekommenen gleichen Falles fanden sich keinerlei entzünd¬ 
liche Veränderungen; jedoch liessen sich degenerative Prozesse an den 
Ganglienzellen und Nervenfasern nachweisen. Entartungsreaktion fehlt 
bei dem Leiden. 

Hr. Bettmann: 

Ueber Folgeerscheinungen snbentaner Paraffininjektionen. (Mit De¬ 
monstrationen.) 

B. bespricht zunächst das Schicksal des injizierten Paraffins. Das¬ 
selbe wird von Bindegewebe durchwachsen, aufgesplittert und veranlasst 
ausgedehnte harte Narbenbildungen. Die Paraffindepots verändern all¬ 
mählich ihre Form, schrumpfen und geben Veranlassung zu Verfärbung 
und Geschwüren der deckenden Haut. Es wurde sogar Carcinom beob¬ 
achtet. Dies ist wichtig, weil das Paraffin häufig als Vehikel zu Queck¬ 
silberinjektionen benutzt wurde, und weil in der Chirurgie längere Zeit 
hindurch Defekte durch Paraffininjektionen ausgeglichen wurden. Man 
ist im allgemeinen von der Paraffinverwendung zurückgekommen. Im 
Anschluss an diese Darlegungen demonstriert B. einen Mann, bei dem 
ärztlicherseits zur Heilung einer Lungentuberkulose im Verlauf von fünf 
Monaten 308 Injektionen von Paraffinum liquidum ausgeführt worden 
waren. Im Anschluss daran kam es im Verlaufe von Jahren zu aus¬ 
gedehnten sklerodermieartigen Veränderungen am Rücken, Gesäss und 
Bauch, wodurch erhebliche Bewegungsstörungen besonders der Thorax¬ 
mobilisation und der Arme im Schultergelenk zustande kamen. Der 
Gedanke des injizierenden Arztes war der, durch Einverleibung von 
reinen Kohlenwasserstoffen Kohlensäuredepots zu schaffen (er nahm an, 
dass die Kohlenwasserstoffe zu Kohlensäure verbrannt würden), die im 
Sinne der Kohlensäurewirkung bei der Bier’schen Stauung auf die 
Tuberkulose heilend wirken sollten. Aus demselben Grunde hatte der 
betreffende Arzt auch Lävulose subcutan verabreicht. Merkwürdig ist, 
dass bei dem Patienten jetzt von Lungentuberkulose nichts mehr nach¬ 
weisbar ist. Eine grosse Anzahl ähnlich behandelter Patienten soll die¬ 
selben Erscheinungen zeigen wie der demonstrierte Fall. In einem 


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UNIVERSUM OF IOWA 





2. Jnni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1041 


anderen, in gleioher Weise behandelten Fall trat eine ausgedehnte Gan¬ 
grän der ganzen Rüokenhaut ein, die zum Tode führte. 

Diskussion. 

Hr. Moro: Da die Tuberkulose der Lunge jetzt ausgeheilt ist, konnte 
man daran denken, dass die Immobilisation des Thorax die Ausheilung 
begünstigt hätte. 

Hr. Voelcker hat manchmal Paraffindepots exzidiert. In den ex- 
zidierten Gewebsstücken ist Paraffin makroskopisch nicht nachweisbar. 
Man könnte daran denken, die Paraffininjektionen zum Verschluss von 
Bruchpforten heranzuziehen, um starke Bindegewebsplatten zu erzeugen. 
Hr. Voeleker: 

Ergebnisse der Pyelographie. (Mit Demonstration von Röntgenbildern.) 

Der photographischen Methode wurden von Blum zwei Vorwürfe 
gemacht: 1. Dass es zur Zerreissung und Verletzung des Nierenbeckens 
bei der Anwendung der Methode käme, und 2. dass Verätzungen mög¬ 
lich seien. Durch Versuche kam V. dazu, zu empfehlen, bei der In¬ 
jektion eine Spritze mit grossem Durchmesser einer engeren vorzuziehen, 
da dadurch bei der Füllung des Nierenbeckens ein geringerer Druck 
auftritt. Verätzungen kann man vermeiden durch Anwendung von ab¬ 
solut reinem kolloidalen Argentum. Weiterhin bespricht V. die Dia¬ 
gnostik der Hydronephrose und bemerkt dabei, dass die Leichtigkeit der 
Palpation nur von der Spannung und nicht von der Grösse der Hydro- 
nephrose abhängig ist. Es kommt vor, dass ganz grosse Hydronephrosen 
durch Palpation nicht nachweisbar sind. In den Lehrbüchern wird viel¬ 
fach behauptet, dass bei Entfernung des mechanischen Hindernisses einer 
Hydronephrose eine Harnflut auftritt. Die grosse Harnmenge stammt 
jedoch meist nicht aus der Hydronephrose, da sich bei Entfernung des 
Hindernisses nur ein kleiner Teil der Flüssigkeit aus dem Saok entleert. 
Die Hydronephrose selbst sezerniert meist nur wenig. Es liegen hier 
kompliziertere Verhältnisse vor. Kommt es zum Verschluss einer Hydro¬ 
nephrose, so tritt nicht selten eine reflektorische Herabsetzung der 
Sekretion der gesunden Niere auf. Wird das Hindernis der kranken 
Niere behoben, so sezerniert die gesunde Niere gewaltige Mengen, die 
dann die Entleerung der hydronephrotischen Niere Vortäuschen. Die 
Oollargolinjektion in eine Hydronephrose gibt auch Aufschluss über die 
Funktion der Niere; meist verweilt wegen der sehr schlechten Sekretion 
der Niere das Collargol stunden-, eventuell tagelang in dem Hydro- 
nepbrosensack, während es aus dem gesunden Nierenbecken in ganz 
kurzer Zeit ausgeschieden wird. Demonstration zahlreicher pyelographi- 
scher Röntgenbilder über Erweiterung des Nierenbeckens, der Nieren¬ 
kelche, der Ureteren, von Wandernieren, Prostatasteinen und Harnröbren- 
fisfeln. Kolb- Heidelberg. 


Nürnberger medizinische Gesellschaft und Poliklinik. 

Sitzung vom 10. April 1913. 

Hr. Görl demonstriert einen Patienten mit lymphoider Leakämie, 
bei dem zurzeit ein intensiver Ascites mit Oedem des Scrotums besteht. 
Der Patient kam 1911 in Behandlung des Herrn G. und wurde damals 
mit Erfolg mit Röntgenstrahlen behandelt. Im Juni 1912 schwollen 
die Drüsen wieder an, er wurde mit Thorium X 1 mal 1000 000 und 
4 mal 500 000 Macheeinheiten behandelt, die Lymphocyten gingen von 
140 000 auf 30 000 herunter. Oktober 1912 wieder Recidiv, auf Röntgen¬ 
strahlen Besserung. Intensiver Ascites und Oedem des Scrotums wie 
jetzt ging auf Benzol 3mal täglich 20 Tropfen zurück, danach 
As-Injektionen. Seit 2 Tagen nimmt Patient wegen der erneuten Ver¬ 
schlimmerung Benzol. Bei Röntgenstrahlenbehandlung der Drüsen wendet 
G. mittel weiche Röhren Vs~Va Erythemdosis an, filtriert nicht durch 
Aluminium. Thorium X verwendet er intravenös, wichtig ist, auf regel¬ 
mässige Stuhlentleerung zu sehen, mehrmals täglich. Thorium regt meist 
den Darm selbst an, dieser Patient hatte 12 mal täglich von selbst ohne 
Schmerzen Stuhl. Zu beachten ist, dass Thorium sich in den ersten 
24 Stunden anreiohert um etwa 10 pCt. Benzol wird in kalter Milch 
gegeben, reizt die Nieren nicht. Dieser Fall zeigt, dass durch ab¬ 
wechselnde Anwendung der uns jetzt zu Gebote stehenden 
Mittel die Aussichten auf Verlängerung der Lebensdauer günstiger ge¬ 
worden sind. 

Hr. J. Steiahardt: Ferienversichemng für Scknlkiader. 

Unter Hinweis auf die bedauerliche Tatsache, dass nur 1—2 pCt. 
aller Schulkinder an den segensreichen Ferienkolonien teilnehmen können, 
obwohl eine viel grössere Anzahl erholungsbedürftig sind, empfiehlt 
Vortr. die Einrichtung einer Ferienversicherung, analog der staatlichen 
Krankenversicherung: jedes Kind, das sich beteiligen will, hat pro Schul¬ 
tag 1 oder 2 Pf., d. i. im Laufe eines Jahres etwa 2,50 M., bzw. 5 M. 
zu zahlen und erwirbt dafür das Reoht, während der Dauer von jährlich 
etwa 4 Wochen an täglichen Ausflügen teilnehmen zu dürfen, welche 
sich je nach den vorhandenen Mitteln nur auf den Vormittag unter Ge¬ 
währung eines einfachen Frühstücks, oder aber auf den ganzen Tag mit 
Mittags- und Nachmittagsverpflegung erstrecken. 

(Ausführlich erschienen in der Zeitschrift f. Schulgesundheitspflege, 
1913, Nr. 1.) _ 


Sitzung vom 24. April 1913. 

Hr. Frankenau demonstriert ein 7 jähriges Mädchen mit orthotiseher 
Albnminurie. Es besteht geringe Lordose, Pirquet positiv, Fonnelemente 
im Urin nie gefunden. 


Hr. Kraemer demonstriert: 

1. einen Processns vermiformis, der bereits gangränös. Die 
objektiven Symptome waren keine besonders schweren gewesen; trotzdem 
bei Operation innerhalb der ersten 24 Stunden bereits Gangrän und Pus 
im Abdomen; 

2. ein Portiocarcinom, das abdominell nach Wertheim-Bumm 
exstirpiert wurde. Trotzdem Uterus nicht herabgezogen werden konnte, 
keinerlei technische Schwierigkeiten. 

Hr. Frankenau: 

Die Harnkrankheiten der Kinder und ihre Behandlung. 

Eingangs bemerkt Vortr., dass den Harnkrankbeiten der Kinder 
grösstenteils noch zu wenig Beachtung geschenkt wird. Cystitis und 
Cystopyelitis, die vorwiegend bei Säuglingen und besonders bei Mädchen 
zur Beobachtung kommt, wird häufig übersehen. Erreger ist meist der 
Colibacillus. Intern Salol, Urotropin, letzteres bei älteren Säuglingen 
bis zu 1,0 g, eventuell beide Mittel kombiniert. Flüssigkeitszufuhr: Bei 
schweren Fällen Blasenspülungen, nach diesen oft kritischer Abfall der 
Temperatur. Eingehend wird dann die orthotische Albuminurie be¬ 
sprochen, ihre Ursachen, ihr Verlauf. Therapeutisch kommt hauptsäch¬ 
lich Kräftigung und Stärkung des Gesamtorganismus in Betracht, zu 
meiden sind nur starke körperliche Anstrengungen. Sodann bespricht 
Vortr. die alimentäre Glykosurie, die Nephritis auf der Basis der here¬ 
ditären Lues, weiter die Nephritiden nach Infektionskrankheiten, ins¬ 
besondere nach Scarlatina. Neuerdings wird die Ansicht vertreten, dass 
besondere Diätvorsohriften keinen besonderen prophylaktischen Nutzen 
zur Verhütung der Nephritis hätten. Während der Fieberperiode ist 
Milchdiät einzuhalten. Bei Urämie ist ebenso wie bei Erwachsenen 
Venaesectio indiciert, Vio der Blutmenge. Chloralhydrat 0,5—1,0 als 
Clysma. Zum Schlüsse bespricht Vortr. noch die Pädonephritis. 

In der Diskussion äussern sich sämtliche Herren für eine strenge 
Diät bei Scarlatina. Hr. Scheiter berichtet noch über einen Fall 
von 8tägiger vollkommener Anurie nach Scarlatina, die ohne 
Schaden für das 6 jährige Kind verschwand und keine urämischen Sym¬ 
ptome ausgelöst hatte. Kraus. 


Deutscher Kongress für innere Medizin 

zu Wiesbaden vom 15. bis 18. April 1913. 

(Referent: K. Reicher - Bad Mergentheim.) 

(Schluss.) 

Sitzung vom Donnerstag, den 17. April 1913. 

Hr. Schrumpf-St. Moritz: Die Tuberkulosevaccination mit 
besonderer Berücksichtigung des Ueberganges der Schutz- 
körper in die Muttermilch. 

Ausgehend von der Tatsache, dass es möglich ist, mit abgetöteten 
Tuberkelbacillen lokale anatomische tubelkulöse Läsionen hervorzurufen, 
die nach einigen Monaten unter beträchtlicher Vermehrung des Gehalts 
des Serums an spezifischen Antikörpern ausheilen, hat Maragliano- 
Genua an zahlreichen Tuberkulosekandidaten (Kindern tuberkulöser 
Eltern) die Vaccination vorgenommen. 14 Tage nach der Impfung zeigt 
die serologische Untersuchung beim Patienten ein Steigen der opsoni¬ 
schen Indexkurven von 0,80 auf 2,10, des Agglutinationsvermögens von 0 
auf 250—300, ferner das Vorhandensein von spezifischen Präcipitinen 
und Antikörpern (Komplementablenkung). Von 1903 bis 1910 wurden 
an der Maragliano’sohen Klinik 3000 Kinder tuberkulöser Eltern ge¬ 
impft; neuerdings konnten 465 nachuntersucht werden; keines derselben 
war tuberkulös erkrankt. Einen ähnlichen, bei Menschen indes auch 
nur negativ zu beweisenden Erfolg haben die von Chantemesse aus¬ 
geführten, auf demselben Prinzip beruhenden Typhusimpfungen. Die 
durch die Vaccination erlangte relative Immunität scheint sich sechs 
Jahre zu erhalten. Zu empfehlen ist die Vaccination vorzugsweise bei 
Kindern tuberkulöser Eltern, bei Scrofulosen, bei konstitutioneller 
Schwäche. Kontraindiziert ist sie bei aktiver Tuberkulose, weil dann 
nutzlos. 

An der Hand von an der Maragliano’sohen Klinik ausgeführten 
Versuchen zeigt Sch., dass die durch die einmalige Vaccination in dem 
Serum sich bildenden Blutkörper bei Ziegen und ebenso auch bei stillen¬ 
den Frauen in die Milch übergehen, dass es also möglich ist, durch 
Impfung der Amme dem Säugling immunisierende Milch zu geben. Da 
wohl der grösste Teil der Tuberkuloseinfektionen in der Jugend, und 
wahrscheinlich in der frühesten Jugend stattfinden, so dürfte nach 
Schrumpf’s Ansicht die Darreichung immunisierender Ziegen- bzw. 
Kuhmilch oder noch besser Frauenmilch eine noch grosse Zukunft 
haben. 

Hr. Huismans - Cöln: Der Ersatz des Orthodiagrsphen 
durch den Teleröntgen. 

H. suchte den mit dem senkrechten Röntgenstrahl arbeitenden 
Orthodiagraphen durch die parallelen Strahlen des Teleröntgen zu er¬ 
setzen; die Möglichkeit dazu war vorhanden, als Fr. Des sau er 1909 
durch sein Blitzverfahren Herzphotographien in V 200 -—Vsoo Sekunden be¬ 
wirkte. Die technische Frage, sich die verschiedenen Herzphasen im 
Röntgenbilde sichtbar zu machen, lösten Dessauer und Küpferl'e 
1912 durch ein mit Via Sekunde Verspätung arbeitendes Relais (sie 
stellten in 10 Bildern aus 10 aufeinanderfolgenden Herzperioden die ge¬ 
samte Herztätigkeit dar). H. löste die Frage, wie man durch Vorbereoh- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22. 


Dung nur ein Bild in der Phase des Herzens erzeugen kann, in welcher 
es seine grösste Ausdehnung hat, nämlich am Ende der Herzdiastole, 
indem er den Teleröntgen und das Einzelschlaginduktorium mit einem 
Relais für Verspätung und einem Sphygmographenhebelkontakt verband. 
Eine einfache Zurückrechnung ermöglicht eine Photographie am ge¬ 
wünschten Punkte; das Schema für die Einstellung des Relais ist am 
Apparat befestigt und kann ohne weiteres abgelesen werden. 

Hr. Ohm-Berlin: Herzdiagnostik aus den gleichzeitig 
registrierten Bewegungsvorgängen des Herzschalles, Arte¬ 
rienpulses und Venenpulses mit eigenen Methoden. 

0. demonstriert photographische Kurven der gleichzeitig verzeich- 
neten Bewegungsvorgänge des Arterienpulses, Venenpulses und der Herz¬ 
töne bzw. -geräusche von herzgesunden und kranken Menschen mit eigenen 
hochempfindlichen Methoden. 

An den registrierten Herzschallschwingungen lassen sich bestimmte 
Klappenfehler voneinander unterscheiden. Die Form des registrierten 
Venenpulses lässt im Einzelfalle erkennen, ob die mechanische Arbeits¬ 
leistung des rechten Herzens normal ist und bei Klappenfehler, ob der 
betreffende Fehler gut kompensiert ist oder ob Herzmuskelschwäche vor¬ 
liegt. Ueber den Grad der Muskelschwäche, beurteilt an dem Grade 
der hiervon abhängigen Stauung im rechten Herzen, gibt die Venen¬ 
pulskurve mit dieser Methode ebenfalls Auskunft. 

Sitzung vom Freitag, den 18. April 1913. 

Hr. Stepp-Giessen: Ueber die Erregung der Pankreas¬ 
sekretion durch pathologische Magensäfte. (Nach Experimenten 
am Hunde.) Unter Mitarbeit von Erwin Schlagintweit. 

Die Tätigkeit der Bauchspeicheldrüse wird in der Norm vom Magen 
aus reguliert. Der Uebertritt von salzsaurem Mageninhalt in den Darm 
bewirkt durch Bildung eines chemischen Stoffes, der ins Blut aufgenommen 
und zur Bauchspeicheldrüse geführt wird, Absonderungen von Pankreas- 
sekret. Bei Achylia gastrioa ist der Magen nicht imstande, im Darm 
jenen chemischen Körper, der das Pankreas zu seiner Tätigkeit anregt, 
zu bilden, bzw. frei zu machen. Merkwürdigerweise war in vielen 
Fällen der Mageninhalt von Magenkrebskranken sehr stark wirksam. 

Hr. Kirchheim-Marburg: Untersuchungen über das Anti¬ 
trypsin des Serums. 

* Das Blutserum übt auf das Trypsin eine Hemmung aus, die durch 
ein Antiferment bedingt wird. Dieses soll als Reaktionsprodukt auf die 
Resorption körpereigenen Fermentes gebildet werden und also einen 
echten Antikörper darstellen. Der Beweis für diese Theorie ist keines¬ 
wegs erbracht. Es wurde deshalb untersucht, ob die Bindung Serum- 
Trypsin den Anforderungen genügt, welche nach der Ehrlich’schen Theorie 
an eine Antigen-Antikörperverbindung zu stellen ist Das Gesetz der 
Multipla gilt nicht. Auoh kleine Mengen Trypsin werden durch grossen 
Serumüberschuss nicht neutralisiert und grosse Mengen relativ viel 
stärker gehemmt als kleine. Serum hebt also die Fermentwirkung nicht 
auf, sondern verlangsamt sie nur. Eine Art- oder Organspezifizität der 
Serumhemmung war früher schon insofern abgelehnt worden, als ein 
Serum verschiedene Trypsine und auch Pflanzenproteasen ähnlich oder 
gleich hemmt, wie arteigenes Ferment. Es blieb aber noch die Mög¬ 
lichkeit, zu untersuchen, dass verschiedenen Trypsinen verschiedene Anti¬ 
trypsine entsprechen. Dies trifft nicht zu. Eine Spezifität der Serum¬ 
hemmung ist also ausgeschlossen. Die Bindung Trypsin-Serum gilt als 
irreversibel oder schwer reversibel. Man kann aber durch Chloroform¬ 
zusatz die tryptiscbe Wirkung eines Gemisches von Trypsin und Serum 
erheblich steigern, auoh wenn das Chloroform erst nach einer optimalen 
Bindungszeit dem Gemisoh zugefügt wird. Die Hemmung des Trypsins 
durch das Serum kann also nicht als eine Antikörperwirkung nach der 
Ehrlich’schen Definition betrachtet werden. 

Hr. Rosenberger-München: Ueber Duodenalsondierung. 

Zur Duodenalsondierung benutzt man dünne Gummischläuche, die 
man schlucken lässt, und die der Magen dann in den Darm weiter be¬ 
fördert. Dann sucht man Duodenalinhalt zu gewinnen, aus dessen Be¬ 
schaffenheit sich mit der Zeit diagnostische Schlüsse ziehen lassen werden. 
Zurzeit beruht der Hauptwert der Sondierung in der Möglichkeit, den 
Magen ruhen zu lassen, ohne dass der Kranke hungert: Man lässt die 
Sonde tagelang liegen und gibt durch sie flüssige Speisen. Arzneien, 
die den Magen angreifen oder vom Magensaft angegriffen werden, können 
auf diesem Wege in den Zwölffingerdarm gebracht werden. Für die bis¬ 
her schwierige Röntgenuntersuchung des Dünndarms eröffnen sich neue 
Aussichten. Die weiteste Verbreitung gebührt der Duodenalsondierung 
in der Behandlung des Magengeschwürs. 

Hr. Roith-Baden-Baden: Ueber die Mechanik rektaler Ein¬ 
läufe. 

Die Wirkung der Einläufe beruht nicht nur auf einer einfachen 
Spülung des Darmes. Es werden vielmehr hierdurch Bewegungen der 
Darmmuskulatur au9gelöst, welche sowohl auf dem inner- als auch ausser¬ 
halb des Darmes gelegenen und ihn versorgenden Nervengeflechte darm- 
aufwärts geleitet werden, hierdurch wird auch die Flüssigkeit in gleicher 
Richtung transportiert. Es ist dies besonders bei kleinen Einläufen auf 
dem Röntgenschirm zu erkennen. Dieselben erreichen in wenigen Minuten 
den Querdamm bis über die Mitte, ohne von der Lage des Rumpfes ab¬ 
hängig zu sein, später, längstens innerhalb einer Stunde, den ab¬ 
steigenden Dickdarmschenkel und den Blindarm. Bei grossen Einläufen 
vollzieht sich dieser Vorgang in viel kürzerer Zeit. Dieser Vorgang ist 
abhängig von der chemischen und physikalischen Beschaffenheit des Gin¬ 
laufes und der Erregbarkeit der Darmwand und ihrer Nerven. Abhängig 


von den gleichen Faktoren vollzieht sich mehr oder minder rasche Ent¬ 
leerung des unteren erstgenannten Dickdarmabschnittes bis über die 
Mitte des Querdarms. Der in den absteigenden Dickdarmschenkel ge¬ 
langte Teil bleibt längere Zeit zurück, in krankhaften Fällen tagelang. 
Kleinere Einläufe wirken im wesentlichen nur auf die untere Dickdarm¬ 
hälfte, grosse in höherem Grade auch auf die obere. Doch ist dieselbe 
auoh hier nicht so stark wie dort. Eine Beeinflussung des Dünndarms 
ist anzunehmen, doch nicht genau bekannt. 

Hr. Ernst Erlenmeyer-Freiburg: Experimentelle Studien 
über den Mechanismus der chronischen Bleivergiftung. 

Um zu untersuchen, auf welchem Wege die chronische Bleiver¬ 
giftung entsteht, wurde Katzen Bleikarbonat unter die Haut gebracht 
Das Tier löst dann aus diesem Depot ganz allmählich Blei heraus und 
stirbt schliesslioh unter den Zeichen der Bleivergiftung. Nach dem Tode 
des Tieres wird das noch unter der Haut befindliche Blei herausgeschnitten 
und analysiert. Ebenso wird das ganze Tier, ferner Kot und Urin au3 
der ganzen Versuchszeit auf Blei verarbeitet. Die wiedergefundenen 
Bleimengen betrugen 98 pCt. der einverleibten Menge. Auf Grund dieser 
Versuche stellt Erlenmeyer die These auf, dass die chronische Blei¬ 
vergiftung durch einen Bleistrom entsteht, der den Körper mit einer 
ganz bestimmten Stärke und einer ganz bestimmten Zeitdauer durch- 
fliesst. Da für das Eintreten der-Erkrankung die Stärke dieses Stromes 
ein wesentlicher Faktor ist, besteht für das therapeutische Handeln Aus¬ 
sicht auf Erfolg durch Anwendung solcher Mittel, die die Ausscheidung 
des Bleies fördern, dadurch also die Stärke dieses Bleistromes herabsetzen. 

Hr. Hahn-Magdeburg: Ueber Antikörperbildung bei Diph¬ 
therie. Experimentelles und Klinisches. 

H. berichtet über ein neues von Exz. v. Behring hergestelltes 
Diphtherieserum, welches zur prophylaktischen aktiven Immunisierung 
gegen Diphtherie dient. Es birgt weder die Gefahr der Anaphylaxie bei 
Reinjektionen noch die des Aufhörens der Immunität nach wenigen 
Wochen in sich. 

Diskussion. 

Hr. Matth es-Marburg hat das neue Behring’sche Serum mit gutem 
Erfolge vielfach verwendet. 

Hr. v.Behring-Marburg demonstriert 2Diagramme, in welchen die 
Ergebnisse von 2 aktiv und passiv immunisierten Patienten eingetragen 
sind. Nach einem steilen Abfall der Antitoxinkurve von 175 fach am 
8. Januar, auf 20 fach am 13. Januar sieht man die Kurve ganz flach 
weiterverlaufen. Ende des Monats März ist die Blutkurve 8 fach normal. 
Es wird etwa 2 Jahre dauern, wenn der Antitoxinschwund sich im gleichen 
Tempo weiter vollzieht, bis der Antitoxingehalt auf Vioofach gesunken 
sein wird. Spritzt man einem Kinde von etwa 25 kg Gewicht 100 A.-E. 
unter die Haut, dann wird der optimale Antitoxingehalt des Blutes 
1 / 2 5 fach normal, aber nach 10 Tagen sinkt er bis unter 7ioo fach, ohne 
dass die Immunität dann schon aufhört. Nach etwa 20 Tagen ist sie 
erst verschwunden. Einem 4 kg schweren Kinde wurden 375 A.-E. homo¬ 
loges, anthropogenes Antitoxin eingespritzt, danach war der maximale 
Blutantitoxingehalt Vsfrufii normal. Die Antitoxinkurve fallt auch hier 
bei der passiven Immunisierung zunächst steil ab, zeigt aber gleichfalls her¬ 
nach nur eine geringe Tendenz zu steigen, ln dem Zeitraum von 31 Tagen 
fiel der Antitoxingehalt von 720 fach bis auf Vsofaoh. Damit hat man 
die Gewissheit erlangt, dass im Wesen ein homologes Antitoxin bezüg¬ 
lich seines Verschwindens aus dem Blute sich nicht anders verhält, wie 
ein im aktiven Immunisierungsprozess entstandenes autogenes. Sehr 
stark wird der Antitoxinverlust durch interkurrente Fieber, in geringem 
Maasse durch den normalen Stoffwechsel beschleunigt. Das neue Diph¬ 
therieschutzmittel ist eine Kombination von Antitoxin und lebenden 
Diphtheriebacillen. 

Hr. Weintraud-Wiesbaden hat in einem äusserst schweren Falle 
von Diphtherievergiftung durch 2 malige intralumbaje Injektion von je 
6000 Immunitätseinbeiten einem Kinde das Leben gerettet. Am 3. Tage 
waren von den 6000 Immunitätseinheiten nur noch 7io pro Kubikzenti¬ 
meter vorhanden; der Rest war wohl von der Nervensubstanz gebunden 
worden. 

Hr. Rumpel-Hamburg: Die Erfahrungen von Behring sind von 
um so grösserer Wichtigkeit, als die prophylaktischen Impfungen mit 
dem jetzigen Diphtherieheilserum kein einwandfreies Resultat in der 
Praxis ergeben haben. Leider haben bei der letzten schweren Diphtherie- 
epidemie in Hamburg-Altona die Mortalitätsziffern die vorbehring'sche 
Zeit erreicht oder zeitweise sogar übertroffen. Schuld daran dürfte der 
Umstand sein, dass trotz des Diphtherieserums später ein ganz gewaltiger 
Teil der Fälle Herzlähmungen zum Opfer fällt. 

Hr. Göppert- Göttingen meint, dass in dem Wei ntraud 'sehen 
Falle das Serum im Arachnoidealraume resorbiert worden sei. 

Hr. Lennhoff-Berlin betont gegenüber Rumpel, dass man richtiger 
als Mortalitätsziffer das Verhältnis der Gestorbenen zur Zahl der Er¬ 
krankten nimmt, nicht die Sterbeziffer im Verhältnis zur Zahl der 
Lebenden. Bei dieser Art der Berechnung kann man in Berlin ein Her¬ 
abgehen der Mortalität von 30 pCt. auf 12—15 pCt. in der Heilserum¬ 
periode, also eine ganz eklatante Wirkung feststellen. 

Hr. Petruschky-Danzig: Die Beseitigung der Keimträger ist die 
wichtigste Aufgabe bei der Bekämpfung der Diphtherie. Leider ist sie 
bisher nur sehr unvollkommen gelöst worden. Der Erfolg von v. Beh¬ 
ring ist jedenfalls sehr zu begrüssen. 1 

Hr. Rumpel-Hamburg: Die Morbiditätskurve weist gegenüber 
früheren Jahren eine viel grössere Zahl auf, weil man jetzt in Gross- 


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2. Jani 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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städten viel häufiger Diphtherie diagnostiziert als früher, daher auch die 
grössere Differenz zwischen Morbidität und Mortalität. 

Hr. Stüber-Freiburg i. Br.: Ueber Phagooytose, phagocy- 
tären Index und dessen klinische Bedeutung. 

Ein wesentlicher Faktor in der natürlichen Widerstandsfähigkeit des 
Körpers gegen bakterielle Krankheitserreger bildet die Fähigkeit der 
weissen Blutkörperchen (Leukocyten) letztere in sich aufzunehmen (Phago- 
cytose) und zu verdauen. Diese vitale Eigenschaft der weissen Blut¬ 
körperchen kann in verschiedener Weise durch Aenderung chemischer 
und physikalischer Art der sie umspülenden Blutflüssigkeit beeinflusst 
werden. Stüber ist es nun gelungen, experimentell an Katzen die Be¬ 
deutung zweier in der Blutflüssigkeit normal vorhandener Körper, des 
Cholesterins und Lecithins, für die Phagocytose dazutun, indem das 
Cholesterin die Phagocythose hemmt, resp. aufhebt und das Lecithin 
diese Wirkung im Verhältnis 1:2 paralysiert. Es wird dann eine ein¬ 
fache klinische Methode zur Bestimmung der phagocytären Kraft der 
Leukocyten angegeben. Dieselbe hat insofern praktische Bedeutung, als 
sie prognostisch am Krankenbett zu verwerten ist. 

Hr. Mohr-Koblenz: Ueber die Beeinflussung des Blut¬ 
gefässapparates durch Diathermie. 

M. bespricht die Indikationen für die Anwendung der Diathermie, 
speziell Blutdruckerböhung, Herzneurose usw. 

Hr. Toenissen - Erlangen: Ueber die Bedeutung der Mu¬ 
tation für die Virulenz der Bakterien. 

Pathogene Bakterien können durch Mutation avirulente Rassen ab¬ 
spalten. Diese haben die Fähigkeit, durch Tierpassagen oder auch 
spontan in den virulenten Typus zurückzuschlagen. Derartige Virulenz¬ 
steigerungen durch Mutation spielen vermutlich bei den Autoinfektionen 
und bei der Entstehung autochthoner Epidemien eine Rolle. 

Hr. Funk-Köln: Ueber die intrastomachale Wärme¬ 
therapie durch Zuführung erwärmter Luft. 

Der Magen, als fast central im Körper gelegenes Hohlorgan, ist 
vorzüglich geeignet, als Ausgangspunkt für Wärmeanwendung zu dienen. 
Bei einer Reihe von Erkrankungen des Magens, der Bauchspeicheldrüse, 
der Leber, Flüssigkeitsansammlung im linken Rippenfellraum usw. hat 
Hitzeanwendung vom Magen aus bemerkenswerte Heilresultate ergeben. 
Die Behandlung erfolgt durch Einblasen von erwärmter Luft in den 
Magen mittels einer dünnen, weichen Hohlsonde und ist durchaus un¬ 
gefährlich. 

Hr. F. Pick - Prag: Zur Kenntnis der Adam - Stoke’schen 
Krankheit. 

P. beschreibt einen Fall mit andauernder hochgradiger Puls¬ 
verlangsamung, zu weloher zeitweise Ohnmachtsanfälle mit Zuckungen 
hinzutraten. Die Krankheit bestand von 1892 an und endete 1918 in¬ 
folge einer interkurrenten Erkrankung. Patient vollendete trotz der 
schweren Herzaffektion seine Studien und übte seinen Beruf als Zahn¬ 
arzt bis zum Tode aus. Bei der Sektion fand sich eine totale Zer¬ 
störung des His'schen Bündels infolge einer alten myocarditischen 
Schwiele. Von besonderem Interesse ist dabei, dass das Herz streng 
genommen fast völlig funktionstüchtig war. 

Diskussion. 

Hr. Hering-Prag hält das Herz des erwähnten Patienten doch 
nicht für vollständig suffizient, da beim Stiegensteigen ziemlich starke 
Dyspnoe auftrat. Es war ausser dem erwähnten Befunde eine Wanden- 
docarditis am linken Herzen nachweisbar. Auf Grund des Elektro- 
oardiogramms muss der rechte Schenkel des Bündels als der Ausgangs¬ 
punkt der Störung angesehen werden. 

Hr. Schütze - Bad Kosen hat mit Ichthyolcalcium bei Tuberkulose 
gute Erfolge erzielt. 

Hr. J. Tornai - Pest: Neue Methode zur Behandlung der 
Kompensationsstörungen. 

Wenn wir die Arbeit der an dem Einatmungsmechanismus teil¬ 
nehmenden übrigen Muskeln auf eine gewisse Zeit künstlich einstellen, 
so ist das Zwerchfell gezwungen, anf diese Zeit die ganze Aufgabe der 
Einatmung auf sich zu nehmen. Die Arbeit der iDspirationsmuskeln, 
d. h. die inspiratorische Erweiterung des Brustkorbes können wir einfach 
verhindern, wenn wir den Thorax und den Bauch ringsherum, von oben 
bis unten, mittels eines Mieders fixieren. Durch dieses massige 
Hindernis wird einerseits das Zwerchfell zu kräftigeren, ausgiebigeren 
Kontraktionen angeregt, andererseits werden auf diese Weise die Bauch¬ 
organe während der Inspiration wie von zwei Seiten zusammengedrückt, 
wodurch deren venöses Blut sozusagen künstlich mit gesteigerter Energie 
binausgepresst wird. Es ist auffallend, dass das Tragen der Mieder von 
sämtlichen Kranken als gar nicht unangenehm, eher noch als angenehm 
bezeichnet wird. Parallel mit der Besserung des subjektiven Befindens 
gestaltet sich auch der objektive Befund günstig. Die besten Resultate 
werden bei dekompensierter idiopathischer Herzhypertrophie, Klappen¬ 
fehlern, Herzmuskelschwäche und Dilatation erzielt. 

Hr. Retzlaff - Berlin: Einfluss des Sauerstoffs auf die Blut- 
circulation. 

Es gelang R. nachzuweisen, dass unter der Sauerstoffatmung eine 
bessere Entleerung des kleinen Kreislaufes und damit eine Entlastung 
des rechten Herzens zustande kam, sogar bei künstlich erzeugter 
Ueberfüllung des Lungenkreislaufes. Damit ist klargesteUt,, dass eine 
Gefässwirkung bei Abnahme der Gyanose von Herzkranken * im Stadium 
der Dekompensation infolge von Sauerstoffatmung in Betracht kommt. 


Hr. Benario - Frankfurt demonstriert Präparate (Noguchis) von 
Spirochaete pallida im Gehirn bei progressiver Paralyse, 
die in äusserst anschaulicher Weise die Anwesenheit dieser Spirochäten 
in den Krankheitsherden dartun. 

Hr. Brian-Köln: Der Nachweis giftiger Leibessubstanzen 
in Eingeweidewürmern. 

Wässerige und alkoholisch-ätherische Extrakte von Taenia saginata 
bzw. Ascaris lumbricoides, unter die Haut von Tieren gespritzt, ver¬ 
ursachen fast stets Vermehrung der Stickstoffaussoheidung im Urin, also 
toxogenen Eiweisszerfall. Je frischer das eingespritzte Präparat ist, um 
so stärker die Wirkung. Dagegen war Presssaft aus ganz frischen 
Parasiten, sofort, ohne Maceration bereitet, unwirksam; offenbar, weil er 
nicht genügend „aufgeschlossen“ war oder weil die wirksamen Stoffe 
erst nach einer gewissen Autolyse — im Wirtskörper durch die Ver¬ 
dauung — entstehen. Die Abnahme der Wirkung der Extrakte bei 
längerem Lagern dagegen beweist, dass die giftigen Bestandteile un¬ 
beständig sind und auch in steriler Lösung (Thymolzusatz) einer 
weiteren Veränderung unterliegen. Die Ergebnisse sind am gefütterten 
und am hungernden Tier dieselben. Immunitätserscheinungen oder 
anaphylaktische Erscheinungen bei wiederholter Einverleibung wurden 
nicht beobachtet. 

Hr. Engelmann - Bad Kreuznach: Weitere Beiträge über die 
Wirkung der Radiumemanation. 

Um das Verhalten grosser Radiumemanationsmengen im Organismus 
zu prüfen, injizierte Engel mann hochwertige Radiumemanations¬ 
lösungen, zum Teil intraarteriell, zum Teil intravenös, zum Teil in den 
Lumbalsack von Versuchstieren und gab es auch stomachal ein. Er 
beobachtete eine ganz erhebliche Leukocytose, die unmittelbar nach der 
Injektion auftrat und länger anhielt als die nach Thoriumeinführung 
auftretende Leukocytose. Einspritzung von Radiumlösungen, die in eine 
Arterie gemacht waren, zeigten, dass die radioaktiven Stoffe von dem 
Gewebe, das von der betreffenden Arterie versorgt wird, in beträchtlicher 
Menge zurückgeb alten werden. Man kann also therapeutisch durch 
intraarterielle Injektionen auf bestimmte Gewebsbezirke, z. B. bei der 
Radiumbehandlung von Geschwülsten, rationell einwirken. Die intravenös 
in die Blutbahn gebrachte Emanation bewirkte eine fast unmittelbar 
eintretende Pulsverlangsamung und Vergrösserung der Pulsamplitüde, 
die sich erst nach 2 Stunden langsam ausglich. Eine Unterstützung von 
örtlichen Erkrankungen durch Lokalbehandlung ist bei der Radium- 
emanationsbehandlung sehr erwünscht. 


Budapester Brief. 

Das schon von mehreren Ministern in Aussioht gestellte Landes- 
Pensionsinstitut der Gemeindeärzte soll nun endlich doch ins Leben 
treten. Es ist wahrlich auch schon die höchste Zeit, dass man nicht 
nur verspricht, sondern wenigstens die Elementarpflicht den armen Ge¬ 
meinde- und Kreisärzten gegenüber erfüllt und ihnen die Segnungen 
eines Pensionsfonds gewährt. Die Unzufriedenheit ist eine derartige, 
dass die Landesärzte förmlich mit dem Streik drohen. 

Bei den Eisenbahnärzten gärt es auch; die Regelung ihrer 
Interessen soll in Sicht sein. 

Während hier in Budapest die Spitalsfrage noch immer nicht er¬ 
ledigt ist, ist wenigstens in mehreren Städten des Landes neue Spitäler 
zu bauen beschlossen worden, so in Nagybänya, Karänsebes, Arad, 
Kaposvär, Sopron. 

Die neue hauptstädtische Desinfektionsanstalt wurde vor 
kurzem ihrem Zwecke übergeben, wodurch wir um eine allen modernen 
Anforderungen entsprechende nützliche sanitäre Einrichtung bereichert 
wurden. 

Das für 800 Kranke adoptierte Arbeiterkrankenhaus soll in 
kurzem eröffnet werden. 

Abermals haben wir einen unserer Grossen zu betrauern, den Hof¬ 
rat Otto Pertik, eine Zierde unserer Fakultät, einen ausgezeichneten 
Lehrer, einen Freund der Aerzteschaft, einen durchaus lauteren Cha¬ 
rakter. Er ist einem alten Herzleiden erlegen. 

Im Königlichen Aerzteverein standen wir im Zeichen des Balkan¬ 
krieges, wo wir teils die Erfahrungen der nach Serbien entsandten 
ungarischen Kollegen, teils der aus Bulgarien heimkehrenden entgegen- 
nahmen. 

A. Mokai berichtete über kriegschirurgische Erfahrungen 
in Serbien. Sogenannte interessante Fälle beobachtete er nur in 
geringer Zahl, zu grösseren operativen Eingriffen fand er keine Gelegen¬ 
heit, da infolge des 4—lOTage dauernden Transportes das Gros der Schwer¬ 
verwundeten teils vorher zugrunde ging, teils waren die Verletzungen 
relativ leichter Art. Im übrigen decken sich die Erfahrungen über die 
spitzen, kleinkalibrigen, mit Stahlmänteln versehenen Projektile der 
türkischen Gewehre, die ohne Zerstörung und Splitterung durch den 
Körper dringen, mit den in letzter Zeit wiederholt mitgeteilten Er¬ 
fahrungen anderer Kriegschirurgen. 

Die Mastisolbehandlung ist bei der ersten Wundversorgung nur bei 
Möglichkeit einer ständigen Kontrolle der Verletzung angebracht. Die 
im serbischen Heere eingeführten Wundpakete sind als ausgezeichnet zu 
bezeichnen, weil bei der Wundversorgung die Hand des Arztes oder 
Sanitätssoldaten nicht mit dem der Wunde aufliegenden Teile des Ver- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22. 


bandes in Berührung gelangt. Wo vollständiges Waschen und trockene 
Sterilisation der Gummihandschuhe unausführbar war, bewährte sich das 
einfache Einreiben der angezogenen Handschuhe mit Jodtinktur. Als 
Verbandmaterial hat sich Kaliko zweckmässiger erwiesen als Gazebinden. 
Kalico kann gewaschen und mehrmals benutzt werden, ferner verhindert 
dieser Stoff eine Beschmutzung der tieferen Bandschichten. Besser als 
Gipsschienen bewährten sich die Jedlicka’schen kombinierten Gips- 
Aluminium-Schienenverbände; sie ermöglichen die Behandlung von offenen 
und infizierten Frakturen ohne Schmerz und Beschmutzung der Gips¬ 
verbände. 

Ernst Egan, der die interne Abteilung leitete, verwies darauf, 
dass im allgemeinen das grösste Kontingent der inneren Erkrankungen 
im Kriege die Infektionskrankheiten stellen (80 pCt.), dass in dem sanitär 
wohlüberwachten japanisch-russischen Kriege die Zahl bei den Japanern 
nur 10 pCt. betrug. Die Grundlage des Kampfes gegen Infektionskrank¬ 
heiten im Kriege bilden die bereits zur Zeit des Friedens begründeten 
prophylaktischen Maassnahmen durch entsprechende Schulung der Sol¬ 
daten. Der wichtigste Teil der Hygiene im Felde ist die Entfernung 
der Excremente und Abfälle, was allerdings sehr schwer einzuhalten war, 
wenn z. B. bei Monastir Soldaten 2—3 mal 24 Stunden in Schützen¬ 
gräben verbleiben mussten. Frühzeitige Erkennung der ersten Infektion 
ist wichtig, weshalb im Feldspital ein Laboratorium nötig ist. Die 
klinische Diagnose allein genügt nicht, denn die im Kriege so häutige 
Gastroenteritis tritt oft unter dem Bilde der Cholera und Dysenterie 
auf. Dass trotz der mangelhaften prophylaktischen Vorkehrungen auf 
dem Kriegsschauplatz keine verheerenden Epidemien auftraten, ist wohl 
dem Winterwetter und dem Umstand zuzuschreiben, dass die Serben 
nicht gegen jene türkischen Truppen kämpften, die aus Asien die 
Cholera einschleppten. Beobachtet wurden Typhus, Magen- und Darm¬ 
katarrhe, Bronchitiden, Pneumonien, Ischias und zwei Fälle von Landry- 
Paralyse nach überstandener Gastroenteritis (toxische Genese?). Die 
zwei wichtigsten Faktoren der Feldhygiene sind Versorgung mit gutem 
Trinkwasser und zweckmässige Extfernung der Excremente und Abfall¬ 
stoffe. Gut ist der Feldofen Lion’s zur Verbrennung der letzteren. Die 
Glax’sche chemische Desinfektion des Wassers mit Kaliumpermanganat 
hat vor der Abkochung des Wassers den Vorzug. Weitere interessante 
Details gaben die Herren E. Töthfalussy, L. Boytha, der die 
Opferfreude der Damen in Zajecar pries, und Stabsarzt Alexius Sötör, 
ferner Herr E. Holzwarth, der über kriegschirurgische Er¬ 
fahrungen in Bulgarien berichtete. Der Verband der Verwundeten 
und die erste Hilfeleistung war im bulgarischen Heer wegen der geringen 
Anzahl des ärztlichen Personals — insgesamt 658 bulgarische Aerzte 
und nur 10 Chirurgen unter ihnen — unzulänglich. Meist wurden 
Feldscherer verwendet, die die Wunden tamponierten und unzweck¬ 
mässig verbanden. Die Mannschaft war mit Verbandpäckchen nur 
mangelhaft versehen und die praktische Anwendung war eine schlechte. 
In etwa einem Drittel der Fälle fand er schwere Infektionen (Phleg¬ 
monen, Abscesse). Während die Gewehrschussverletzungen im allge¬ 
meinen eine gute Prognose geben, bieten Schädelhöhlenverletzungen, von 
denen beiläufig 50 pCt. in erster Linie zugrunde gehen, auch späterhin 
weit weniger günstige Chancen. Gut heilen die diametral penetrierenden 
und die vom Schädel abprallenden Schüsse. Schlecht hingegen und 
relativ viel eiterten diejenigen Schusswunden des Schädels, bei denen 
das Projektil im Schädel stecken bleibt, denn selbst bei sekundärer und 
primärer Trepanation geht ein Teil der Verletzten zugrunde. Die 
tangentialen Sehädelschüsse bieten bei konservativer Behandlung eine 
schlechte Prognose, indizieren daher primäre Trepanation. Sehr schwer 
verliefen und endeten zumeist letal Wirbelsäulenschüssse mit Verletzung 
des Rückenmarks. Thorax Verletzungen heilten gut; der Hämothorax 
pflegt auf einmalige Punktion sich zurückzubilden. 

Regimentsarzt J. Pf ann beriohtet über die Tätigkeit des ungari¬ 
schen Roten Kreuzes in Sofia, wo die Vorgefundenen Einrichtungen 
recht mangelhaft waren. 

Grosse Erleichterung gewährte die einfache Jodtinkturdesinfektion, 
die leicht zu reinigenden Gummihandschuhe, die Ausschaltung der Hände 
beim Verband durch Vermittlung steriler Instrumente, und dass die An¬ 
legung der weichen, schmiegsamen Mullbinde selbst dem Hilfspersonal 
überlassen werden konnte. 

In der Diskussion orientiert Oberstabsarzt A. Szepessy über die 
voraussichtliche Zahl der Verwundeten in einem Zukunftskriege der Mon¬ 
archie. Auf 1000000 Soldaten dürfte es im Kriegsfälle etwa 140000 
bis 160000 Verletzte geben, hiervon 25 pCt. schwere und 25 pCt. töd¬ 
lich, 50 pCt. Leichtverwundete. Numerisch überwiegen die Intern- 
kranken im Kriege, deren Verhältnis zu den Verwundeten im russisch- 
türkischen Kriege wie 10:1, im deutsch-französischen wie 4,8:1, im 
russisch-japanischen wie 2,3:1 ist. Es wären 6000 Aerzte und ein 
Sanitätspersonal von 60000 Mann nötig. 

Regimentsarzt L. Magyar erörtert den Verlauf der ersten Hilfe¬ 
leistung hinter der ersten Frontlinie an einem von ihm selbst kon¬ 
struierten interessanten dioramaartigen Terraintisch. Im Hintergründe 
ist die Schlacht, am Terraintisch selbst der in Aktion befindliche Hilfs¬ 
platz durch plastische Figuren veranschaulicht. 

Prof. J. Donath, der vor 36 Jahren im russisch-türkischen Kriege 
als Feldchirurg teilnahra, zieht einige Parallelen. Die Lister’sche Anti¬ 
sepsis befand sich noch in den Kinderschuhen. Die Gewehrgeschosse 
grösseren Kalibers verursachten grössere Zertrümmerungen; infolge des 
abnorm strengen Winters traten viel Erfrierungen an Händen und 
Füssen auf. Die Alkoholabstinenz hält er für wichtig. Die abstinenten 


Türken waren leicht zu narkotisieren, nicht so die eine grosse Mortalität 
an inneren Erkrankungen darbietenden Russen. Eine wichtige Rolle 
harrt nebst dem Chirurgen des Feldbygienikers und Ioternisten. 

Hofrat E. Grosz unterbreitete dem Direktionsrat des Königlichen 
Aerztevereins ein Memorandum, worin er ersucht, man möge den Minister 
des Innern, den Unterrichtsminister, den Landwehr- und Reichskriegs¬ 
minister auffordern, sie mögen, die Erfahrungen des Balkankrieges ver¬ 
wertend, Vorschläge unterbreiten, wie man am zweckmässigsten schon zu 
Friedenszeiten den bürgerlichen Sanitätsdienst für einen eventuellen 
Krieg vorbereitet. Franz Weisz. 


Presse und Psychiatrie. 

Von 

Rudolf Cnno, 

Chefredakteur der .Berliner Morgenpost*. 

Den Herren Aerzten im allgemeinen und den Herren Psychiatern 
im besonderen wird es nicht unwillkommen sein, wenn ein alter Zeitungs¬ 
praktiker zu dem ausgezeichneten Vortrag des Herrn Dr. Vorkastner 
von der Nervenklinik in Greifswald 1 ) hier Stellung nimmt. 

Ich bedauere fast, dass ich diesen Vortrag als einen ausgezeichneten 
charakterisieren muss, und bei einem Mitgliede der von Herrn Dr. Vor¬ 
kastner so scharf getadelten Zunft wird man dieses Bedauern be¬ 
greiflich finden. Lieber wäre es mir, ich könnte den Tadel des Herrn 
Dr. Vorkastner als unberechtigt zurück weisen, aber es ist nun einmal 
Tatsache, dass in der Presse über alles psychiatrische Wesen vielfach 
noch gänzlich ungeklärte, schiefe, für die Sache selbst überaus schäd¬ 
liche Vorstellungen herrschen, und dass sie in vielen Tausenden von 
Zeitungsnummern täglich fast ihren Niederschlag finden. 

Freilich trifft hier die Presse nicht allein dre Schuld. Es ist viel¬ 
mehr zu sagen, dass dem Publikum im allgemeinen das Irrenhaus immer 
noch als ein Ort der Schrecken und des Entsetzens erscheint, und dass 
ihm die Tätigkeit der Irrenärzte als eine Art schwarzer Kunst un¬ 
heimlich und verdächtig vorkommt. In dieser Vorstellung wird das 
Publikum leider auch durch die Herren von der anderen Fakultät, 
nämlich durch die Herren Richter, unterstützt, die, wie ich au dieser 
Stelle des Näheren wohl nicht auseinanderzusetzen brauche, in foro dem 
psychiatrischen Sachverständigen nicht immer mit Wohlwollen entgegen- 
treten, häufig sogar geneigt sind, ihn als einen Mann anzusehen, der der 
Justiz in den Arm fallen und den Schuldigen der verdienten Strafe ent¬ 
ziehen möchte. Die Erkenntnis, dass das Verbrechen häufig nichts 
anderes ist, als eine Folgeerscheinung psychopathischer Zustände, als eine 
DegeDerationserscheinung — eine Erkenntnis, die glücklicherweise den 
Aerzten völlig geläufig ist — ist vielen Richtern noch ebenso fremd 
wie die Erkenntnis, dass die Kriminalität im engsten Zusammenhang mit 
den sozialen Verhältnissen steht, und dass sie, wie viele andere Uebel 
im Leben des Volkes, unter soziologischem Gesichtswinkel zu betrachten 
ist. Daher dann die Vorstellung von dem Irrenhaus als dem refugium 
peccatorum und von dem Irrenarzt als dem Störenfried in den heiligen 
Hallen der Themis. 

Wenn ich mich für legitimiert halte, zu dem Thema „Psychiatrie 
und Presse“ an dieser Stelle das Wort zu nehmen, so geschieht das 
nicht bloss deswegen, weil ich Zeitungsfaohmann bin, sondern auch 
darum, weil ich mich seit meiner Studienzeit für die juristische Medizin 
stets mit der Lebhaftigkeit interessiert habe, mit der sich der Jurist für 
diese Disziplin interessieren soll — oder besser sollte, denn leider ist 
von Interesse für das Grenzgebiet zwischen Juristerei und Medizin im 
allgemeinen wenig zu verspüren. Ich habe hier in Berlin zu Fussen 
eines Mendel, eines Moeli, eines Strassmann und eines Sander 
gesessen, und ich darf wohl sagen, dass ich als Frucht meiner Studien 
ein gewisses Verständnis für psychiatrische Dinge in die Zeitungspraiis 
mit hinübergenommen habe. Das ist auch von fachmännischer Seite 
einmal zu meiner grossen Freude anerkannt worden. Herr Dr. Julius¬ 
burger hatte die Freundlichkeit, in einem seiner Vorträge in der 
hiesigen psychiatrischen Gesellschaft meiner zu gedenken und mir sogar 
ein weitgehendes Verständnis für die Psychiatrie nachzurühmen. 
Dieses Lob muss ich nun zwar bescheidenerweise ablehnen, denn icb 
weiss von den Dingen, um die es sich hier handelt, nicht entfernt so 
viel, wie ich wohl zu wissen wünschen möchte. Immerhin kann icb 
sagen, dass meine Kenntnisse mich stets davor bewahrt haben, das anti- 
psychiatrische Treiben, das sich leider Gottes in der Tagespresse breit 
macht, mitzumachen, dass sie mich vielmehr veranlasst haben, in meinen 
Wirkungskreise diesem Treiben stets mit Entschiedenheit entgegenzu¬ 
treten und so weit es mir möglioh war, im grossen Publikum belehrend 
und aufklärend zu wirken. Herr Dr. Juliusburger hat mich hierbei 
mehrfach in dankenswertester Weise unterstützt und die „Berliner 
Morgenpost“ ist dank seiner Unterstützung in der Lage gewesen, eine 
Serie von Artikeln über moderne Irrenanstalten und die Tätigkeit des 
Arztes in diesen Anstalten veröffentlichen zu können. Ich glaube, dass 
ich damit im Sinne der Herren Psychiater gewirkt habe und eine gross* 
Reihe von Zuschriften aus dem sehr ausgedehnten Leserkreise meines 
Blattes bewiesen mir, dass die Beiträge des Herrn Dr. Juliusburger 


1) Diese Wochenschr., Nr. 21. 


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2. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1045 


dem allerlebhaftesten Interesse in den breiten Schichten des Publikums 
begegnet sind. 

Nun kann allerdings ein einzelnes Blatt, und mag sein Leserkreis 
auch so ausgedehnt sein wie derjenige der „Berliner Morgenpost“, für 
die Aufklärung des Publikums nicht das leisten, was geleistet werden 
muss. Das kann vielmehr erst geleistet werden, wenn die Presse im 
allgemeinen für die psychiatrischen Dinge interessiert wird und wenn 
bei den Männern der Presse die Erkenntnis eingezogen sein wird, die 
ihnen zurzeit, wie Herr Dr. Vor käst n er es leider nur allzu sehr mit 
Recht beklagt, noch fast völlig fehlt. Es kann nicht bestritten werden, 
dass die grosse Mehrzahl der Zeitungen, ob sie nun politisch rechts oder 
links stehen mögen, die verderblichen antipsychiatrischen Bestrebungen 
unterstützt, und zwar einzig und allein aus Unkenntnis der Dinge, um 
die es sich hier handelt. Das Beispiel, das Herr Dr. Vorkastner zur 
Kennzeichnung des Maasses dieser Unkenntnis anführt, nämlich jener 
Ausschnitt aus einer Zeitungskorrespondenz, ist allerdings schlagend. 
Es wird da dem Publikum eingeredet, dass die Insassen unserer 
Irrenanstalten ungefähr so behandelt werden wie die Zuchthäusler, 
und auf Argentinien wird verwiesen als auf ein Land, in dem 
nach den Grundsätzen der modernen Wissenschaft Irrenanstalten ein- 
gerichtet und Geisteskranke behandelt werden! Argentinien wird 
Deutschland als Muster und Vorbild hingestellt! Es wäre zum lachen, 
wenn’s nicht so traurig wäre. Dass die von Herrn Dr. Vorkastner 
zitierte Korrespondenz nicht gerade zu den besten Materialiensamm¬ 
lungen für die Tagespresse gehört, will natürlich gar nichts besagen, 
denn dieser Tatsache steht die andere Tatsache gegenüber, dass das 
insipide Zeug, das durch jene Korrespondenz verbreitet worden ist, in 
zahlreiche deutsche Blätter Eingang gefunden hat, auch in solche 
Blätter, denen die Qualität als ernster und anständiger Zeitungen nicht 
vorenthalten werden kann. Richtig ist es auch, dass unter den Zeitungs¬ 
leuten genau so wie unter den breiten Schichten des Publikums über¬ 
haupt die Vorstellung von Gummizellen, von Zwangsjacken, von Hand¬ 
schellen und von dergleichen Marterinstrumenten immer noch festhaftet, 
und dass man in der Zeitungswelt vielfach keine Ahnung davon hat, 
dass die moderne Psychiatrie die Anwendung solcher Zwangsmittel auf 
das Allerschärfste verpönt. Genau so fest haftet einstweilen 
leider noch die Vorstellung, die wahrscheinlich aus der Phan¬ 
tasie schlechter Romanschriftsteller entsprungen ist, die Vor¬ 
stellung, dass es bei den Irrenärzten etwas ganz Gewöhnliches 
ist, sich zur widerrechtlichen Verbringung von Leuten, die ihren 
Angehörigen unbequem werden, oder die von ihren Angehörigen um ihr 
Vermögen gebracht werden sollen, in die Irrenanstalten herzugeben. 
Dass unter solchen Umständen Leute, wie Herr Dr. Ehrenfried, Leh¬ 
mann-Hohenberg, Bilfinger e tutti quanti bei der grossen Mehrzahl 
der deutschen Zeitungen gewonnenes Spiel haben, ist dann freilich kein 
Wunder, ebenso, wie es kein Wunder ist, dass trotz aller Anstrengungen 
der psychiatrischen Wissenschaft die schiefen Vorstellungen von unserem 
Irrenpflege- und Heilungswesen im Publikum immer tiefere Wurzel 
schlagen und am Ende auch die Gerichte beeinflussen. Wir bewegen 
uns da in einem circulus vitiosus, aus dem herauszukommen, nicht eben 
leicht ist, aus dem wir aber unbedingt herauskommen müssen, nicht 
bloss um der psychiatrischen Wissenschaft und ihrer Vertreter, sondern 
vor allem um der armen Kranken willen, die unter der Abneigung des 
Publikums gegen die Irrenanstalten und gegen die Irrenärzte am aller¬ 
schwersten zu leiden haben. 

Welches ist nun der Weg, der uns aus dem beklagenswerten circulus 
vitiosus hinausführt? In dem Vortrage des Herrn Dr. Vorkastner ist 
er angedeutet. Leider aber auch nur angedeutet, während er nach 
meiner festen Ueberzeugung auf das Nachdrücklichste als derjenige 
bezeichnet werden müsste, der uns am ehesten zu dem erstrebten 
Ziele, Erkenntnis zu verbreiten, und Aufklärung zu schaffen, führen 
könnte. Ob der Weg, von dem ich hier sprechen will, bereits in dem 
von Herrn Dr. Vorkastner mehrfach zitierten Beyer’schen Buche vor¬ 
gezeichnet ist, weiss ich nicht, denn dieses Buch steht mir leider im 
Augenblick nicht zur Verfügung, und es gebricht mir an Zeit, es ein¬ 
zusehen. Ich meine den Weg, den Herr Dr. Vorkastner im vorletzten 
Absatz seines Vortrages andeutet, indem er sagt: „Wenn ich mir noch 
einen Vorschlag erlauben darf, so wäre es der, zunächst in den 
Grossstädten von den Psychiatern aufklärende Kurse über 
das Irrenwesen vor den Vertretern der Presse halten zu 
lassen. 

Dies ist der Vorschlag, den ich bereits vor etwa 2 Jahren Herrn 
Dr. Juliusburger in einem Gespräch, das ich mit ihm hatte, ge¬ 
macht habe, und diesen Vorschlag, der damals schon bei Herrn Dr. 
Juliusburger viel Sympathie fand, möchte ich heute mit allem Nach¬ 
druck wiederholen. Wie ich dem Schlussabsatz des Vorkastner’schen 
Vortrages entnehme, gibt es unter den Herren Aerzten solche, die der 
Meinung sind, „dass Aufklärungen solcher Art gänzlich nutzlos 
bleiben würden, da die Pressevertreter doch gar nicht die Absicht 
hätten, sich im einzelnen und allgemeinen belehren zu lassen“. 
Ich glaube in meinen vorstehenden Ausführungen gezeigt zu haben, 
dass ich imstande und gewillt bin, streng objektiv zu urteilen, und dass 
ich keinen Anstand nehme, Uebelstände, die in meinem Beruf und unter 
meinen Berufsgenossen vorhanden sind, ohne jede Beschönigung zuzugeben. 
Diese von mir betätigte Objektivität berechtigt mich aber auch, die Ansicht 
der Herren, die da meinen, dass die Presse sich nicht belehren 
lassen will** sondern dass sie lediglich aus Lust an der Verbreitung 
von Unwahrheiten solche verbreitet, mit aller nur denkbaren Schärfe 


entgegenzutreten. Ich wiederhole, dass der von Herrn Dr. Vorkastner 
und von den Herren Irrenärzten im allgemeinen beklagte, und mit 
Recht beklagte Mangel in der Presse, nämlich ihre Unkenntnis über 
psychiatrische Dinge, genau derselbe Mangel ist, den wir im grossen 
Publikum, auch in den gebildeten Schichten, überhaupt wahrnehmen, 
und dass die Angehörigen des Presseberufes hier derselben Sünde bloss 
sind, wie das Publikum im allgemeinen. 

Da ist es nun Sache der Herren Psychiater, aufklärend zu wirken, 
und am besten werden sie das können, wenn sie sich des Mediums der 
Presse bedienen. Kommt der Berg nicht zu Mohamed, so wird eben 
Mohamed zum Berge kommen müssen. Mein Vorschlag geht also dahin: 

Es möchten diejenigen ärztlichen Berufsvereine, die das Studium 
der Psychiatrie als Spezialfach pflegen, sich mit den Pressevereinen ins 
Benehmen setzen wegen Abhaltung von allgemeinverständlichen Vor¬ 
trägen über psychiatrische Dinge zur Belehrung und zur Aufklärung 
zunächst der Pressevertreter. Diese Vorträge müssten ungefähr so ein¬ 
gerichtet sein, wie jene, die wir als Rechtsstudierende bei Li mann, 
Mendel, Strassmann, Moeli usw. gehört haben. Es müssten 
den Zuhörern typische Krankheitsfälle vorgefübrt werden, und es 
müsste ihnen weiterhin Gelegenheit gegeben werden, unter sach¬ 
verständiger Führung unsere Irrenanstalten kennen zu lernen. Die 
Vertreter der psychiatrischen Wissenschaft, die sich auf diese 
Weise der Presse nicht bloss, sondern auch ihrer eigenen Sache 
annehmen würden, erlaube ich mir, auf das Verfahren hinzuweisen, 
das gerade jetzt vom Berliner Magistrat geübt, und zwar, wie 
ich versichern kann, mit schönem Erfolg geübt wird. Der Berliner 
Magistrat lädt von Zeit zu Zeit die Vertreter der hiesigen Zeitungen 
ein, um ihnen Anschauung von den städtischen Anlagen, Instituten usw. 
zu geben. So hat man die Pressevertreter in die Gasanstalten und auf 
die Rieselfelder geführt, hat ihnen die Kanalisationsanlagen demonstriert 
und hat ihnen letzthin erst wieder einen Einblick in die Tätigkeit des 
städtischen Nahrungsmittel-Untersuchungsamtes gewährt. Und die Er¬ 
folge, die die städtische Verwaltung durch diesen Anschauungsunterricht 
für die Presse erzielt, werden in kommunalen Kreisen als durchaus er¬ 
freulich gerühmt. Genau so erfreulich würden auch die Erfolge der 
Herren Psychiater sein, wenn sie nach meinem Vorschläge verfahren 
würden. Für Berlin käme als Berufsorganisation der Presse vor allem 
der Verein Berliner Presse in Frage. Falls ihm von ärztlicher 
Seite die Veranstaltung von aufklärenden Kursen angeboten würde, so 
würde er den Herren Aerzten für dieses Angebot ganz ausserordentlich 
dankbar sein, und die Mitglieder des Vereins würden es als eine Ehren¬ 
sache betrachten, den Aerzten ihr Interesse durch den eifrigsten Besuch 
und durch die lebhafteste Aufmerksamkeit bei den Vorträgen zu be 
tätigen. Ich selbst habe erst wieder in diesen Tagen in meinem 
Kollegenkreise über die eventuelle Veranstaltung solcher Vorträge ge¬ 
sprochen, und ich kann versichern, dass ich unter ihnen für diese Idee 
das allerlebhafteste Interesse, ja sogar einen förmlichen Enthusiasmus 
gefunden habe. 

Würde man in ärztlichen Kreisen meinem Vorschläge nähertreten, 
so wäre ich herzlich gern bereit, im Verein Berliner Presse im Sinne 
dieses Vorschlages zu wirken, und ich bin überzeugt, dass die Vereins¬ 
leitung ihren ganzen nicht geringen Einfluss nach der Richtung hin er¬ 
setzen würde, dass der zu veranstaltende Vortragscyklus einen den 
Interessen der psychiatrischen Wissenschaft sowohl wie den Interessen 
der Presse und ihrer Vertreter entsprechenden Erfolg habe. Ich glaube 
aber nicht, dass da besondere Anstrengungen vonnöten sein würden, 
denn, wie gesagt, die Angehörigen des Presseberufs würden mit beiden 
Händen nach der Gelegenheit greifen, ihr Wissen zu erweitern und sich 
aus eigener Anschauung die Möglichkeit zu objektiven Urteilen über unser 
Irrenheil- und Pflegewesen zu verschaffen. 

Welcher Segen von der Aufklärung der Presse und damit der 
breiten Masse des Publikums über diese Dinge ausgehen müsste, darüber 
brauche ich hier nichts zu sagen, denn das werden die Herren Aerzte 
besser wissen und besser beurteilen können, als ich es kann. 


Fritz G. v. Bram&nn, 

geb. 15. September 1854, gest. 26. April 1213. 

Am 26. April d. J. ist Fritz v. Bram an n, der Leiter der chirur¬ 
gischen Klinik der Hallenser Universität, einem Leiden erlegen, welches 
seit längerer Zeit seine Kräfte verzehrt hatte. Ein Leben, das in der 
Zeit des Wirkens und Schaffens kaum den einer Generation zugewiesenen 
Raum überstieg, in diesem aber reich war an Arbeit, an Anerkennung 
und Ehren, hat seinen Abschluss gefunden. Der Schule desselben 
Meisters entstammend, Ernst v. Bergmann’s, an dem wir alle in 
gleicher Liebe und Verehrung hängen, in der Tradition der nämlichen 
Klinik aufgewachsen, die der Verstorbene knapp 2 Jahre vor meinem 
Eintritt verlassen hatte, und oft in den vielen Jahren durch diese Ge¬ 
meinschaft zusammengeführt, unterziehe ich mich gern der Aufgabe, 
dieses Leben noch einmal zu überschauen. 

Fritz Bramann wurde 1854 zu Wilhelmsberg in Ostpreussen ge¬ 
boren und vollendete 1880 sein medizinisches Studium. Nach einigen 
Jahren der Tätigkeit am städtischen Krankenhaus zu Königsberg i. Pr. 
promovierte er 1883 mit einer Arbeit: Beitrag zur Lehre vom Desoensus 
testiculorum und dem Gubernaculum Hunteri des Menschen. 1884 


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1046 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22. 


wurde er Assistenzarzt in der Königl. chirurgischen Universitätsklinik in 
der Ziegelstrasse zu Berlin. Im Wintersemester 1887/1888 ward er an 
das Krankenlager des in San Remo weilenden Kronprinzen Friedrich 
Wilhelm gesandt, an welchem er in Vertretung v. Bergmannes am 
9. Februar 1888 die Tracheotomie ausführte. Im gleichen Jahre habili¬ 
tierte er sich an der Berliner Universität und erhielt 1889 eine ausser¬ 
ordentliche Professur. Im Jahre 1890 wurde er als Nachfolger von 
R. v. Volk mann zum ordentlichen Professor der Chirurgie und Direktor 
der chirurgischen Universitätsklinik zu Halle a. S. ernannt. 

Wissenschaftlich und literarisch ist Bramann nicht besonders pro¬ 
duktiv gewesen. Seine obengenannte Dissertation behandelt den Gegen¬ 
stand auf Grund embryologischer Forschung. Auf entwicklungsgeschicht¬ 
liche Themata ist er später wiederholt zurückgekommen, über das Offen¬ 
bleiben des Urachus und die Dermoide der Nase bat er aus eigener 
Beobachtung Beiträge geliefert. Aber der wesentliche Teil seiner Ver¬ 
öffentlichungen lehnt sich, wie bei der ausserordentlich fleissigen Arbeit 
über arteriell-venöses Aneurysma, an Krankenbeobachtung und ganz 
besonders an praktisch-chirurgische Fragen an. Die warme Empfehlung 
der v. Bergmann’schen Hydrocelenoperation, die eingehende Mitteilung 
über die Wundbehandlung der v. Bergmännischen Klinik in Anfang 
und Mitte der 80 er Jahre sind weiter hier zu nennen. Die zielbewusste 
Anwendung der Jodoformtamponade hatte die Erfolge der Wundbehand¬ 
lung ausserordentlich verbessert, daneben kam bereits der Uebergang 
zur reinen Asepsis. Durch die ausgezeichneten Resultate ermutigt, 
durfte Bramann die Indikationen zu seinen Eingriffen immer weiter 
stecken, und so tritt er mehrfach ein für die frühzeitige Laparotomie 
bei Schussverletzung der Bauchhöhle in einer Zeit, in der diese Frage 
der Lösung noch fern war. Er unternahm bei lebenbedrohendem Körper¬ 
emphysem durch Lungenverletzung infolge Rippenfraktur die Eröffoung 
und Ventildrainage der Pleurahöhle, wobei er — damals noch ohne 
Druckdifferenzverfahren — nur auf die Idealbehandlung, Naht der 
Lungenwunde, als dereinstiges Ziel hinweisen konnte. Ueberall, so bei 
der dreimal geübten Implantation von Schilddrüse in die Tibiamarkhöhle, 
bei Einheilung von Knochenersatz sehen wir Operationserfolge, die nur 
bei guter Wundbehandlung möglich sind. 

Zweimal hat er besondere Wege gewiesen, bei der durch temporäre 
Abmeisselung der Symphysenansätze der Muse, recti erleichterten 
Blosslegung der Blase für Tumoroperationen, dann bei der Ausbildung 
des auf Anregung An ton’s von ihm ausgebildeten Balkenstiches. Von 
1908 ab hat er in kleineren und grösseren Mitteilungen, zum Teil mit 
Anton zusammen, über diese zuletzt an 50 Kranken ausgeführte Ope¬ 
ration berichtet, die, aus der Unzufriedenheit mit den bisher üblichen, 
druckentlastenden Operationen hervorgegangen, durch einen ungefähr¬ 
lichen Eingriff eine über Monate hinaus offen bleibende Kommunikation 
zwischen Ventrikeln und Subduralraum herzustellen ermöglicht. Bei 
Hydrocephalus, bei Gehirndruck durch Tumor, Pseudotumor usw. ist 
diese Operation inzwischen wohl vielfach ausgeführt worden. Auch frühere 
Mitteilungen v. Bramann’s hatten Fortschritte auf dem Gebiet der 
Hirnchirurgie gezeitigt. 

v. Bramann liebte es, seine Mitteilungen auf Kongressen, bei der 
Naturforscherversammlung, auf dem Chirurgenkongress zur Kenntnis zu 
bringen. Er trat für das von ihm Vorgetragene auch in der Diskussion 
lebhaft ein. Auch in den ärztlichen Vereinen, zuerst in Berlin, dann 
in Halle, wirkte er mit und besuchte sie gern, wie er denn zu den 
ärztlichen Kollegen in gut kollegialem Verhältnis zu stehen stets be¬ 
strebt war. 

Auf freundlicher, wohlwollender Basis stand auch sein Verkehr mit 
den Studierenden der Klinik. Wenn er beim Praktizieren in nähere 
Berührung mit ihnen kam, da war er ein wohlwollender Lehrer, der das 
Vertrauen der heranwachsenden Aerzte zu stärken suchte. So konnte 
er wohl, wenn ein Praktikant selbst bei kleineren chirurgischen Ein¬ 
griffen, wie bei der Reposition einer Luxation, seine Kunst zeigen sollte, 
dessen Handgriffe unbemerkt so wirksam unterstützen, dass die wohl¬ 
gelungene Einrenkung von dem Klinizisten selbst vollführt schien. Er 
erfreute sich deshalb durchaus der Verehrung seiner Schüler. Schon in 
Berlin waren seine diagnostischen Kurse fleissig besucht. Er nahm es 
ernst mit seinen Aufgaben, mit Klinik und Operationskurs. Die Studenten 
wussten, dass er selten eine Diagnose verfehlte, und dass auch der 
pathologische Anatom kaum Gelegenheit fand, eine solche richtigzustellen. 

Am meisten aber nötigte sein operatives Können zur Bewunderung. 
Von seinen Zuhörern war wohl keiner, der nicht ohne Besinnen sich ihm 
zu jeder Operation in die Hände gegeben hätte. Er operierte nicht 
schnell, aber mit grösster Sicherheit und unerschütterlicher Ruhe. So 
ist ihm mancher grosse Wurf gelungen, und viele Demonstrationen und 
Berichte seiner Assistenten zeugten von trefflichen Resultaten. Er 
operierte ausserordentlich gern und brachte auch in späten Jahren noch 
viele Stunden in dieser Tätigkeit in der Klinik zu. Dabei trat, wie in 
allem, seine ruhige, kühl abwägende Kritik, sein strenges Pflichtgefühl 
zutage. 

In seiner Tätigkeit wurde er von manchen vortrefflichen Mitarbeitern 
unterstützt, welche dafür sorgten, dass in ausführlicher Mitteilung die 
Wirksamkeit der Hallenser Klinik zu weiterer Kenntnis kam. Eine 
Reihe von ihnen sind ihm lange hindurch verbunden gewesen und haben 
ihren Namen durch literarische Tätigkeit bekanntgemacht. Ich nenne 
von ihnen Haasler, Rammstedt, Wullstein und Alexander 
Stieda. 

Bramann war unermüdlich in der Arbeit. 10 Stunden hinter¬ 
einander brachte er oft in der Klinik zu. Darüber vergass er alles und 


wohl auch die Rücksicht auf sich. Urlaub und überhaupt Erholung 
gönnte er sich wenig. Und doch hatte man bei dem meist sehr blassen 
Aussehen des Mannes, das in früheren Jahren so mächtig mit dem tief- 
schwarzen Bart und Haar kontrastierte, das Gefühl, dass es ihm not 
getan hätte. 

Andere Neigungen oder Verpflichtungen, die ihn von seiner Haupt¬ 
arbeit abgezogen hätten, hatte er nicht. Freilich mochte sein Haus, 
die heranwachsende Kinderschar, ihn wohl in Anspruch nehmen, 
v. Bramann war seit 1890 mit Hanna v. Tronchin verheiratet und 
hatte vier Söhne, deren ältester vor kurzem in die Armee ein¬ 
getreten war. 

Wohl geht aus dem Angeführten hervor, dass Bramann ein Chirurg 
von glänzender Begabung war, der seine Pflichten als Arzt und Kliniker 
ernst nahm, unermüdlich in der Arbeit, seiner selbst nicht achtend, 
allen Mitmenschen, insbesondere den Studierenden und Aerzten wohl¬ 
gesinnt und bei allen äusseren Ehrungen einfach und bescheiden. 
Aber all das würde kein Grund sein, seinen Namen über gewohntes 
Maass zu erheben. 

Und doch hat Bramann ein Recht auf dauernde Anerkennung über 
das Grab hinaus. 

Dies Recht gründet sich auf das, was Bramann im Anfang des 
Jahres 1888 in San Remo geleistet hat. Diese Zeit war der Wende¬ 
punkt in seinem Leben. In jenen inhaltschweren drei Monaten hat er 
gezeigt, was er war; alle seine Erfolge, die ausserordentliche Wert¬ 
schätzung nahmen von da ihren Ausgang. Wir müssen sie deshalb 
kurz rekapitulieren. 

Um die Schwierigkeit seiner Situation in den entscheidenden Tagen, 
die einen ganzen Mann erheischte, zum vollen Verständnis zu bringen, 
scheint es mir unumgänglich, die Einzelheiten der Verhältnisse, be¬ 
sonders den Jüngeren von uns, etwas ausführlicher darzulegen. Ich 
beziehe mich für diese objektive Schilderung auf die offiziellen Fest¬ 
stellungen in den Akten des Kgl. preuss. Hausministeriums, die im 
Aufträge Seiner Majestät veröffentlicht sind und die Tatsachen un¬ 
anfechtbar richtig wiedergeben. 

Zu Anfang 1887 erkrankte der Kronprinz Friedrich Wilhelm, 
der nachmalige Kaiser Friedrich III. unter Symptomen, welche der 
unvergessene Gerhardt als hocbverdächtig auf Carcinoma laryngis so¬ 
fort erkannte. Am 16. Mai hinzugezogen, teilte v. Bergmann diese 
Meinung; die Laryngofissur wurde als notwendig vorgeschlagen. Am 
20. Mai war alles für den folgenden Tag zur Operation fertig, welche 
bei der geringen Ausdehnung des Tumors die grösste Aussicht auf radi¬ 
kalen Erfolg bei geringer Gefahr bot. 

An diesem Tage traf Mo re 11 Mackenzie ein, der englische Spe~ 
zialist, der sofort die Diagnose anzweifelte und durch sein bestechendes 
Wesen das Vertrauen des hohen Kranken gewann. Von da ab beginnt 
das verhängnisvolle Spielen mit nutzlosen Kuren und die systematische 
Verhetzung gegen die deutschen Aerzte. Der Kronprinz wurde, nach 
der Insel Wight gebracht, der Beobachtung der letzteren entzogen. 
Nach weiterem Aufenthalt in Toblach usw. liess sich endlich im November 
1887 eine erneute Untersuchung der deutschen Aerzte nicht mehr ver¬ 
meiden. Nun gab in der Konsultation in San Remo auch Mackenzie 
die Wahrscheinlichkeit des Carcinoms zu. Aber jetzt war nur noch von 
einer Exstirpatio laryngis etwas zu erhoffen. Dieselbe wurde von dem 
hohen Patienten vollkommen klar begründet abgelehnt, für die eventuell 
notwendig werdende Tracheotomie wurde aber jetzt schon v. Berg¬ 
mann’s Hilfe erbeten. Dieser sagte zu; einstweilen aber sollte an 
seiner Stelle Bramann in San Remo weilen, um zur rechten Zeit 
seinen Chef zu benachrichtigen. 

Am 16. September 1887 traf Bramann ein, und nun begann eine 
nervenerregende Zeit für ihn. Es vergingen Wochen, in denen er den 
Kronprinzen nicht zu sehen bekam. Trotz augenscheinlich zunehmender 
schwerster Atembeklemmungen blieb dies so bis zum 9. Februar 18SS. 
An diesem Morgen wurde Bramann von Mackenzie eiligst gerufen, 
um sofort selbst die Tracheotomie zu machen. 

Die beste Zeit war vorbei, v. Bergmann konnte nicht mehr ein- 
treffen. Bramann stand ohne jede Beratung und Hilfe, von den 
fremden Kollegen argwöhnisch betrachtet, die das Vertrauen der Kaiser¬ 
lichen Hoheiten hatten, ein junger Assistenzarzt, kaum 4 Jahre bei 
seinem Chef. 

Aber der junge Mann war vor dieser Aufgabe zur Reife erstarkt 
In voller Klarheit über das, was er tun müsse, unter Ueberwindung der 
peinlichsten Hindernisse, allein operierend und narkotisierend vollführte 
er mit „eisiger Ruhe“ den technisch schwersten und menschlich ver¬ 
antwortungsvollsten Eingriff in wenig über einer Viertelstunde. 

Wenn v. Bergmann schrieb: „Den deutschen Chirurgen gereicht 
das Handeln Bramann’s zur höchsten Ehre,“ so bat er damit die 
Situation gekennzeichnet. Auf die Operation waren damals die Augen 
der zivilisierten Welt gerichtet: ihr Versagen hätte der deutschen ärzt¬ 
lichen Kunst und Wissenschaft, die schon seit */♦ Jahr in jeder Weise 
von einem Teil der Presse gehässig verkleinert wurde, einen unabseh¬ 
baren Schaden zugefügt. Den Zuwachs an Ansehen, den sie damals 
erhielt, verdankt sie zu einem guten Teile der Leistung Bramann‘s, 
seiner Lebenstat. Gewiss war er in glänzender Schulung trefflich aus¬ 
gebildet. Ich weiss selbst durch mündliche Ueberlieferung, dass er die 
Tracheotomien zuletzt in der Klinik sämtlich ohne jede Hilfe gemacht 
hatte, und er schaute schon auf mehrere Hundert zhrüok. Aber dass er 
in diesem unerhört schweren Moment der Mann war, diese Kenntnisse 


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2. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1047 


mit kühlem Herzen zu nutzen, unbeirrt um alles Drum und Dran, das 
zeigte seine Grösse und hat ihm bleibenden Dank verdient. 

Es ist damals, als der junge Privatdozent, nach einer 6jährigen 
Assistentenzeit, ordentlicher Professor als Nachfolger des berühmten 
Yolkmann wurde, welcher der Hallenser Klinik ihren Weltruf verschafft 
hatte, viel über diese Berufung gemäkelt worden. Aber sie ist mensch¬ 
lich nicht nur verständlich, sondern schön gewesen. In wahrhaft könig¬ 
licher Weise wurde der Dank des Hohenzollernhauses dem tapferen 
Helfer in Lebensnot zuteil. Noch der Kronprinz selbst konnte ihm das von 
dem alten Kaiser verliehene Komturkreuz des Hohenzollern’schen Haus¬ 
ordens überreichen. Unser jetziges Herrscherpaar hat sowohl v. Berg¬ 
mann wie Bramann von jenen Tagen her seine dankbare Gesinnung 
erhalten. Und wenn Bramann im Jahre 1890 den erblichen Adel erhielt, 
wenn er noch kurz vor seinem Tode am 25. Tage der Wiederkehr der Ope¬ 
ration durch ein persönliches Schreiben des unauslöschlichen Dankes seines 
Kaiserlichen Herrn versichert wurde, so war die Ernennung zum ordent¬ 
lichen Professor nur der höchste Ausdruck dieses Dankes: das höchste 
Geschenk für seine tapfere Tat, welches sich der verehrte junge Chirurg 
ersehnen und welches Königliche Huld vergeben konnte. 

Aus unseren Ausführungen geht hervor, dass Bramann stets mit 
allen Kräften bemüht war, sich dieser hohen Auszeichnung würdig zu 
zeigen. Man muss heute schon das Aktenmaterial studieren, welches 
über die Krankheit Kaiser Friedrich’s vom Königlich preussischen 
Hausministerium veröffentlicht worden ist, um sich vor Augen zu führen, 
wie sehr damals deutsche ärztliche Kunst und Wissenschaft durch die 
gegnerische Presse lahmgelegt war. Bramann allein war es vergönnt, 
ihren Wert mit der Tat zu beweisen. Dass er dies unbeirrt, im sicheren 
Gefühl seines Könnens, unter den schwierigsten Umständen getan bat, 
dafür werden ihm deutsche Chirurgen, deutsche Aerzte für immer 
dankbar sein. F. König-Marburg. 


Erklärung. 

An sämtliche Aerzte der deutschen Kur- und Badeorte ist vor 
kurzem folgendes Schriftstück gesandt worden: 

„Wir fordern Sie hiermit ergebenst auf, der Vereinigung deutscher 
und russischer Kur- und Badeärzte in Berlin als Mitglied beizutreten. 
Der Hauptzweck der Vereinigung ist die Wahrung gemeinschaftlicher 
Interessen, insbesondere Pflege kollegialer Beziehungen, gegenseitige 
Unterstützung in der ärztlichen Fortbildung u. dgl. m. Das Vereins¬ 
organ, welches zweimal monatlich in deutscher und russischer Sprache 
erscheinen wird, wird den Mitgliedern gratis zugestellt. Mitglieder¬ 
beitrag ist auf 20 M. jährlich festgesetzt und an die Geschäftsstelle des 
Vereins, Berlin NW. 7, Friedrichstrasse 150 (Fa. Werrmann & Herrmann, 
G. m. b. H.), zu senden, welche Ihnen die Mitgliedskarte samt den 
Statuten zustellen wird. Hochachtungsvoll Vereinigung deutscher und 
russischer Kur- und Badeärzte E. V. Der Vorsitzende Dr. med. Hermann 
Mayer, als Stellvertreter Dr. med. Nikolai Cahn, der Schriftführer 
Dr. med. Alexander Guttmann, sämtlich Berlin.“ 

Was die Unterzeichner des Aufrufs betrifft, so ist zunächst zu 
konstatieren, dass zwei dieser Namen sich in keinem Verzeichnis 
deutscher Aerzte finden. Es handelt sich also nicht um deutsche Aerzte, 
sondern um zu Unrecht in Deutschland praktizierende ausländische 
Aerzte, deren Zahl in letzter Zeit immer mehr überhand nimmt, und 
die besonders Berlin und unsere grossen Badeorte als Feld ihrer Tätig¬ 
keit wählen. Jetzt ist es schon so weit gekommen, dass die Herren die 
Gründung eines eigenen Vereins für angezeigt halten, bei der sie sich 
durch Werbung deutscher Aerzte als Mitglieder den Rücken zu decken 
suchen. 

Nach allem, was wir über diesen Verein bisher in Erfahrung ge¬ 
bracht haben, müssen wir den deutschen Kollegen abraten, demselben 
beizutreten, und zwar aus folgenden Gründen: In einer Reihe von Fällen 
hat sich der Verein geweigert, seine Statuten vor Zahlung des Bei¬ 
trages von 20 M. zur Einsicht zu überlassen und mutet damit 
deutschen Aerzten zu, bedingungslos einem Verein beizutreten, ohne zu 
wissen, welche Pflichten sie damit übernehmen. Dies lässt darauf 
schliessen, dass die Zwecke des Vereins möglichst verschleiert werden 
sollen. Einen Einblick in das Geschäftsgebahren jener mit dem Verein 
liierten Firma gewährt der Umstand, dass dieselbe in einem uns ver¬ 
bürgten Falle einem deutschen Badearzt grossmütig versprach, dass er 
durch seinen Eintritt in den Verein durch Zuweisung zahlreicher 
russischer Patienten belohnt werden würde. Diese Art, an deutsche 
Aerzte heranzugehen, erinnert lebhaft an Vorgänge, die bei einer früheren 
Gründung eines deutsch-russischen Aerztevereins lange Zeit die Oeffent- 
lichkeit in unliebsamster Weise beschäftigt haben. Die enge Geschäfts¬ 
verbindung des Vereins mit einer Firma von solchen Gepflogenheiten 
wirft unseres Erachtens auf diesen kein gutes Licht. 

Noch aus einem dritten Grunde glauben wir die deutschen Kollegen 
vor der neuen Vereinigung warnen zu müssen. Es dürfte für deutsche 
Aerzte kaum standesgemäss sein und würde von jedem ärztlichen Ehren¬ 
gericht verurteilt werden, mit Leuten ein und demselben Verein anzu¬ 
gehören, die in unseren Augen und vor dem Gesetz als Kurpfuscher 
gelten. 

Für uns ist die Gründung der neuen Vereinigung insofern von 
Interesse, als sie uns ein erneuter Ansporn ist, in unseren Bemühungen 
nicht zu.erlahmen, die die Niederlassung ausländischer Aerzte in Deutsch¬ 
land ohne Approbation unmöglich machen sollen. Es wäre uns sehr 


erwünscht, wenn uns Kollegen, die dazu in der Lage sind, ihre Er¬ 
fahrungen mit diesem Verein oder anderen unliebsamen Nebenerschei¬ 
nungen der russischen Fremdenindustrie mitteilen würden. 

Der ärztliche Bezirksverein Bad Kissingen. 
i. A. A. Hesse. 

Unmittelbar vor Redaktionsschluss geht uns eine Mitteilung des 
Herrn Dr. Hermann Mayer, Vorsitzenden der oben genannten deutsch¬ 
russischen Vereinigung, zu, aus der u. a. zu entnehmen, dass er den 
Vorsitz niedergelegt habe und aus dem Verein ausgetreten sei. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. In der Sitzung der Berliner medizin. Gesellschaft 
vom 28. Mai demonstrierte vor der Tagesordnung Herr Hugo Stettiner 
einen Fall von Atresia ani vaginalis. In der Diskussion über den Vor¬ 
trag des Herrn Bumm: Erfolge der Röntgen- und Mesothoriumbestrahlung 
beim Uteruscarcinom sprachen die Herren Levy-Dorn, E. Schmidt, 
P. Lazarus, Rotter, Bickel, C. Lewin, Brieger, Franz, 
Szilard - Paris (a. G.), Hammerschlag, Falk und Klemperer. 

— Das fünfte Circular des XVII. Internationalen medizinischen 
Kongresses (London, 6—12. August d. J.) ist soeben ausgegeben worden 
und kann seitens der Kollegen beim Schatzmeister des deutschen Reichs- 
koraitees, Herrn Kommerzienrat E. Stangen, Berlin W., Friedrichstr. 72, 
bezogen werden. Dasselbe enthält unter anderem Mitteilungen über die 
Lokalitäten der verschiedenen Abteilungssitzuogen; das Programm der 
allgemeinen Sitzungen, die in der Albert-Hall stattfinden; dann Mit¬ 
teilungen über Verkehrs- und Hotelangelegenheiten. 

— Der IV. Kongress der Internationalen Gesellschaft für 
Chirurgie findet vom 14. bis 18. April 1914 in New York City statt. 
Die amerikanischen Kollegen beabsichtigen für die Mitglieder des Kon¬ 
gresses eine Reise durch die Hauptstädte Nordamerikas zu veranstalten. 
Die ganze Abwesenheit von Europa würde infolgedessen ca. 4 Wochen 
beanspruchen. Als Verhandlungsthemata für den Kongress sind in Aus¬ 
sicht genommen: 1. de Quervaiu, Hartmann, Lecene, Mayo, 
Moynihan und Payr: Ulcus ventriculi et duodeni. 2. Morestin: 
Pfropfung in der plastischen Chirurgie; Villard: Gefässpfropfung; 
Ulmann und Leier: Pfropfung und Transplantation; Carrel: Trans¬ 
plantation von Organen. 3. Witzei: Technik der Amputationen im 
allgemeinen; Ceci: Amputation des Arms und Vorderarms; Kuzmik: 
Amputation der Hand, Amputation des Oberschenkels; Binnie, Durand 
und Ranzi: Amputation des Unterschenkels und des Fusses. Delegierter 
für Deutschland ist Herr Geheimrat Professor Dr. Sonnenburg, 
Berlin W., Hitzigstr. 3, welcher gern bereit ist, jede auf den Kongress 
bezügliche Auskunft zu erteilen. 

— Ein internationaler Kongress für Neurologie, Psychiatrie und 
Psychologie findet in Berlin vom 7. bis 12. September 1914 statt. 

— Der Deutsche Verein für Volkshygiene wird in der Zeit 
vom 6. bis 8. Juni d. J. die 15. Mitgliederversammlung in Cassel ver¬ 
anstalten. Io der öffentlichen Festsitzung am Freitag, den 6. Juni, wird 
Herr Geh. Medizinalrat Professor Dr. Hildebrand - Berlin einen Vortrag 
halten über „Wie verhüten wir chirurgische Infektionen ?“ Im öffentlichen 
Volksvortrag am 7. Juni, abends, wird Herr Professor Dr. Külbs-Berlin 
über „Warum und wie treibt man Sport, ohne seiner Gesundheit zu 
schaden?“ sprechen. In der Gesohäftssitzung wird der Schriftführer 
Referate und Mitteilungen erstatten und Herr Dr. Blau-Görlitz über 
hygienische Belehrung auf den Lehranstalten referieren. Die Stadt 
Cassel wird den Teilnehmern ein Frühstück darbieten. Ferner finden 
Besichtigungen unter sachverständiger Führung und am Sonntag (8.) ein 
Ausflug in den Habichtswald statt. (Programm durch die Geschäfts¬ 
stelle: Berlin W. 80, Motzstr. 7.) 

— Bitte der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung des 
Kurpfuschertums. Die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung des 
Kurpfuschertums hat sich eines grossen Interesses seitens der Aerzte zu 
erfreuen. Sie bedarf indessen, will sie ihrem Ziel einer erfolgreichen 
Propaganda und der Errichtung einer Centrale näher kommen, einer weit 
grösseren Anzahl von Mitgliedern aus Aerzte- wie auch aus Laienkreisen. 
Die Kollegen seien deswegen auch an dieser Stelle gebeten, in ihrem 
Kreise in diesem Sinne zu wirken. Anmeldungen sind an den Schatz¬ 
meister der Gesellschaft, Dr. med. Eger-Dresden-A., PragerStrasse, zu 
richten. Der Jahresbeitrag ist 3 M. mindestens, doch ist ein höherer 
Beitrag dringend erwünscht. Dafür wird der rühmlichst bekannte, in 
Aerzte- wie in Laienkreisen weitverbreitete „Gesundheitslehrer“ um¬ 
sonst geliefert. Ferner bittet die Gesellschaft dringend darum, dass ihr 
baldmöglichst alle Bestrebungen zur Bekämpfung der Kurpfuscherei, die 
innerhalb der Aerzteschaft und ausserhalb im Gange sind, bekannt¬ 
gegeben werden. Mitteilungen dieser Art nimmt der Schriftführer, 
Dr. med. Neustätter-Dresden-Hellerau, entgegen. 

— Die Fortschritte der praktischen Medizin umfasst ein 
Kurszyklus, der in Berlin vom 19. bis 28. Juni von der „Dozenten¬ 
vereinigung für ärztliche Ferienkurse“ veranstaltet wird, und zwar unter 
Mitwirkung des „Zentralkomitees für das ärztliche Fortbildungswesen in 
Preussen“. Der erste Teil des Programms enthält eine grosse Reihe von 
Einzelvorträgen,-die nach bestimmten Gebieten gruppiert sind.' An den 
Nachmittagen werden täglich Kurse über sämtliche Sondergebiete der 
praktischen Medizin gehalten. Anmeldungen sind an das Bureau der 


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1048 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22. 


Dozenten Vereinigung für ärztliohe Ferienkurse (Herrn H. Melzer, 
Berlin N. 24, Ziegelstr. 10/11) zu richten. Anfragen beantworten das 
Bureau der Dozentenvereinigung und die Aerztliche Auskunftei im 
Kaiserin Friedrich-Hause (Berlin NW. 6, Luisenplatz 2—4). 

— Am Allgemeinen Krankenhause Eppendorf zu Hamburg 
ist eine Abteilung für Physiologie errichtet und als Vorsteher 
derselben der ao. Professor Dr. 0. Cohn heim aus Heidelberg berufen 
worden. 

— Prof. Holländer wurde von der Royal society of medecine in 
London in der historischen Sektion zum korrespondierenden Ehrenmitglied 
ernannt. 

— Ein internationales Preisausschreiben mit dem Thema: „Die 
Behandlung des Diabetes mellitus, mit besonderer Berück¬ 
sichtigung der Balneotherapie“ wird von der „Vereinigung Karls¬ 
bader Aerzte“ in Karlsbad veranstaltet. Das Preisgericht besteht aus 
den Herren v. Jaksch-Prag, Lüthje-Kiel, Ortner-Wien, Schmidt- 
Innsbruck und Ganz-Karlsbad. Preis 5000 Kr. im ganzen oder geteilt. 
Der Einlieferungstermin endet am Sl. Dezember 1913. 

— Der Verein deutscher Aerzte in Oesterreich ist, dem Beispiel 
anderer Vereine folgend, Mitglied der „Gesellschaft Burg Person“ im 
Luganertal, Südtirol, geworden und wird sich ein Zimmer als Ferien¬ 
aufenthalt für seine Mitglieder ausbauen lassen. Burg Persen, die land¬ 
schaftlich wundervoll gelegen ist, wurde vergangenes Jahr kanalisiert 
und mit einer Gebirgsquellwasserleitung versehen, jetzt ist elektrisches 
Licht eingerichtet und eine neue gu*e Fahrstrasse für Wagen verkehr 
nach der Bahnstation Persen geschaffen worden. 

- — Eine neue Zeitschrift „Zeitschrift für ophthalmologische 

Optik“ erscheint! Verlag J. Springer; Herausgeber R. Greeff-Berlin, 
E. H. Oppenheimer-Berliu, M. v. Rohr-Jena. Motiv: „Das grosse 
Interesse für die Brille, das sich jetzt zu erkennen gibt.“ — Nachdem 
also die Spezialgebiete durch literarischen Raubbau abgewirtschaftet sind, 
kommen die einzelnen Instrumentarien an die Reihe, eine aussichtsreiche 
Perspektive! Alles klagt über die immer grösser und schädlicher 
werdende Zersplitterung der Literatur, und Geh.-Rat Pentzoldt benutzt 
die Eröffnung des Kongresses für innere Medizin, um seinen Fach- und 
Amtsgenossen ernstlich ins Gewissen zu reden; aber kaum hat ein 
findiger Verleger eine neue Zeitschrift ausgeheckt, so hat er auch gleich 
einige dienstwillige Herren in Amt und Würden, die sich zur Vaterschaft 
bekennen, und ein Dutzend Ordinarii stehen huldreich zu Gevatter. So 
fehlt anscheinend jegliches Gefühl für die moralische Verantwortung, die 
sie, die berufenen Hüter wissenschaftlicher Zucht und Sitte mit der 
Protektion solcher Kinder auf sich nehmen, die nicht dem legitimen 
Bunde zwischen Wissenschaft und kaufmännischem Unternehmungsgeist 
entsprossen sind, sondern einer Art von Parthenogenesis mercantilis 
perfectissima ihr kurzfristiges Dasein zu verdanken haben. H. K. 

Hoch sch ulnachrichten. 

Leipzig. Geheimrat F. A. Hoffmann, Direktor der medizinischen 
Poliklinik, wurde zum Wirkl. Geheimen Rat mit dem Titel Exzellenz 
ernannt. — Halle. An Stelle von v. Bramann wurden als Ordinarius 
für Chirurgie vorgeschlagen: 1. Lexer-Jena und Sauerbruch-Zürich, 
2. Schmieden-Berlin und König-Marburg, 3. Stieda-Halle. Professor 

E. Abderhalden erhielt einen Ruf als Direktor des Instituts für medi¬ 
zinische Chemie in Wien. — Prag. Prof. Tschermak wurde zum 
Direktor des physiologischen Instituts ernannt. — Budapest. Professor 

F. v. Koränyi starb im 85. Lebensjahre. — Wien. Prof. H. Spitzy 
in Graz übernimmt die orthopädische Abteilung im Kaiser Franz Josef- 
Ambulatorium. 


Amtliche Mitteilungen. 

Personalien. 

Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 4. Kl.: Oberstabsarzt Dr. 
F. v. Ammon in München, Badearzt, Hofrat Dr. W. Dietz in Bad 
Kissingen, Arzt Dr. F. Dengler in Baden-Baden, ausserordentl. Pro¬ 
fessor an der Universität und Leiter der bakteriologischen Unter¬ 
suchungsanstalt in Strassburg i. E. Dr. E. Levy, Stabsärzte 
0. Fischer, Leiter der bakteriologischen Untersuchungsanstalt in 
Trier, Dr. P. Klinger, Bataillonsarzt beim Metzer Inf.-Regt. Nr. 98, 
Dr. W. Fornet und Dr. F. Goldammer an der Kaiser Wilhelms- 
Akademie für das militärärztliche Bildungswesen. 

König 1. Kronen-Orden 3. Kl.: etatsmässig. Professor an der Tier¬ 
ärztlichen Hochschule in Berlin, Geh. Med.-Rat Dr. P. Frosch. 

Ernennungen: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Bardenheuer in Cöln zum 
Ehrenmitglied der dortigen Akademie für praktische Medizin, Stabs¬ 
arzt a. D. Dr. Mangelsdorf in Poganitz zum Kreisassistenzarzt da¬ 
selbst. 

Niederlassungen: Arzt W. Wetzel in Danzig, Dr. G. Ewald in 
Halle a. S., Dr. B. Strauss, Dr. W. Kalbfleisch und Dr. W. 
Becker in Frankfurt a. M., Stabsarzt Dr. R. H. G. Peters in 
Koblenz. 

Verzogen: Dr. Brasch von Berlin nach Berlin-Wilmersdorf, Prof. Dr. A. 
Dührssen von Berlin nach Drosedow b. Wesenberg, Dr. 0. Eich¬ 
horn von Charlottenburg nach Chemnitz, Dr. K. Kopp von Char¬ 
lottenburg nach Dresden, Dr. E. Kroschinski von Charlottenburg 


nach Liebenstein i. Thür., Arzt B. Marlinger von Berlin nach Strass¬ 
burg i. E., Aerztin Dr. B. Steininger von München nach Vogelsang, 
Dr. Th. Deimler von Halberstadt nach Gross-Alsleben, Dr. K. 
Schmidt von Berlin naoh Halberstadt, Dr. W. Fischer von Quedlin¬ 
burg nach Dresden, Dr. P. Reissner von Geyer i. S. nach Grohnde, 
Dr. E. H. aus dem Bruch von Cöln nach Marl, Dr. G. Schipper 
von Gladbeck-Brauck nach Bottrop, Oberarzt Dr. W. Vollmer von 
Minden nach Cöln, Dr. S. Loeb von Stuttgart nach Ahrweiler, Dr. 
P. K. E. Felsch von München nach Neuenahr, Dr. E. Böttcher von 
Hersfeld nach Salzig, Dr. K. R. Brühl von Bonn nach Boppard, Dr. 
A. Klotz von Aachen nach Münster a. St., Dr. H. Kinscher von 
Schinne nach Polch, Dr. K. Rittmeier von Leipzig nach Leutesdorf, 
Dr. F. Zondervan von Polch nach Mannheim, Dr. D. Meyer-West¬ 
feld von Braunfeld nach Burg-Solms, San.-Rat Dr. Ph. A. Oechsler 
von Salzig nach Boppard, Dr. M. Ts ehern iak von Schippen heil nach 
Königsberg i. Pr., Dr. P. M. A. Philipp von Cöln und Assistenzarzt 
Dr. B. E. L. Geschke von Berlin nach Allenstein, Stabsarzt H. Pb. 
Koepchen von Hannover nach Soldau, Stabsarzt Dr. H. Hübner 
von Düsseldorf nach Osterode, Dr. A. Blitz von Berlin nach Berlin- 
Pankow, Arzt St. Puszewski von Breslau nach Berlin-Reinickendorf, 
Dr. H. Wentzel von Berlin-Wilmersdorf nach Berlin-Friedenau, Dr. 
H. Zahn von Berlin-Pankow nach Berlin-Grunewald, Dr. R. Bulla 
von Berlin-Schmargendorf nach Gera, Dr. K. Faltz von Zoppot nach 
Berlin-Dahlem, Dr. E. Hoffmann von Magdeburg nach Potsdam, 
Dr. K. Sadewasser von Charlottenburg nach Spandau, Dr. K. Zim- 
dars von Greifswald nach Landsberg a. W., Dr. A. Horn von Dresden 
nach Frankfurt a. 0., Dr. L. Ruess von Vechelde nach Fürstlich Drehna, 
Dr. P. Ziemendorf von Reetz nach Lübeck, Dr. M. Müller von 
Guben nach Forst i. L., Dr. E. Stilling von Breslau nach Strass¬ 
burg i. E., Dr. W. Gutzeit von Cöln, Dr. H. Eggert von Gotha, 
Dr. A. Welz von Frankfurt a. 0., Dr. H. Hanke von Neisse, Dr. W. 
Neumann von Waldenburg, Dr. V. Saalmann von Hamburg, Dr. 
M. Elporu von Strassburg i. E., Arzt A. Karfunkel von München 
und Arzt A. Petersen von Plön nach Breslau, Dr. F. Cohn von 
Breslau nach Bad Kudowa, Dr. K. Stein von Oels, Dr. A. Umlaut 
von Gross-Karlowitz und Dr. K. Levi von Berlin-Schöneberg nach 
Landeck i. Schl., Dr. S. C. Jarzebojwski von Neustadt b. Pinne 
nach Neuraittelwalde, Dr. J. Zu bar von Leubus nach Liegnitz, Unter¬ 
arzt Dr. K. Frost von Berlin nach Sprottau, Dr. G. Schönherr von 
Schreiberhau nach Friedrichroda i. Thür., Dr. B. Hahn von Marburg 
nach Magdeburg, Dr. H. Huch von Duderstadt nach Heiligenstadt, 
Dr. F. Strangmeyör von Leipzig nach Nordhausen, Dr. W. Schulze 
von Halle a. S. nach Bleicherode, Dr. A. Rudolphi von Graal in 
Mecklenburg nach Tarp, Dr. K. v. Kügeigen von Boldiium nach 
Russland, Dr. H. Dieckert von Greifswald nach Schleswig, Oberarzt 
Dr. W. Krause von Flensburg nach Altona, Dr. M. Wagner von 
Hamburg nach Nienstedten (Hoohkamp), Dr. E. Stürzinger von 
Würzburg nach Rendsburg, Dr. J. H. Reinhardt von Neumünster 
naoh Wandsbek, Dr. R. Saul von Harburg nach Neugraben, Dr. F. 
Goldschmidt von Geestemünde nach Bremerhaven, Dr. E. Würfel 
von Zerbst nach Geestemünde, Arzt Dr. jur. F. Ebert von GaDg- 
kofen (Niederbayern) nach Wilhelmshaven, Dr. F. Schlottmann von 
Bukow in Mecklenburg nach Gadderbaum, Arzt K. Dikore von 
Düsseldorf und Arzt H. Pruns von Hamburg nach Gelsenkirchen, Aut 
K. Wittich von Mainz, Arzt H. Paskert von Essen und Arzt H. 
Marxer von Augsburg nach Dortmund, Dr. A. Käppis von Geis¬ 
lingen nach Hagen, Dr. P. Schrey von Berlin nach Castrop, Arzt 
W. Baum er von Gelsenkirchen nach Siegen, Arzt W. Mannei von 
Berlin nach Fulda, Arzt K. E. R. Teppe von Fulda nach Hanau. 
Prof. Dr. M. Schmidt von Marburg nach Würzburg, Arzt B. Elsas 
von Mannheim, Dr. H. Görres vom Ausland nach Aachen, Oberant 
Dr. Barsikow von Karlsruhe nach Sigmaringen, Dr. W. Jacob von 
Lehe, Dr. 0. Schwer von Graudenz und Stabsarzt Dr. M. Boden- 
stein von Stolpmünde nach Danzig, Arzt F. Palmowski von Warten¬ 
burg (Ostpr.) nach Marienburg, Kreisarzt a. D., Med.-Rat Dr. A. 
Ri eck von Springe (Hannover) nach Zoppot, Dr. A. Schmidt von 
Obernigk nach Charlottenburg, Dr. 0. Kuffler von Giessen und Dr. 
H. Fischer von Halle a. S. nach Greifswald, Dr. G. Heermann von 
Reisen nach Kiel, Dr. W. E. G. H. Müller von Eckernforde nach 
Schkeuditz, Dr. R. Evers von Wilhelmshaven und Dr. E. Ramdohr 
von Rostock nach Eisleben, Dr. F. Aussendorf von Ariern nac!i 
Dresden. 

Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. 0. Alberts 
von Jeschowo, Dr. W. Mroczynski von Gorzow, Dr. W. Meyer ros 
Cassel, Dr. 0. Homuth von Frankfurt a. M. 

Praxis aufgegeben: Dr. W. Otto in Naumburg, Geh. San.-Rat Dr. 
K. Stein in Ehringshausen, jetzt in Wiesbaden. 

Gestorben: San.-Rat Dr. E. Bleyer in Elbing, San.-Rat Dr. A. Thiel 
in Marienburg, Arzt J. May in Czersk, Geh. San.-Rat Dr. J. Baetge 
in Lauchstedt, San.-Rat Dr. B. Schlesinger und Geb. Med.-Kat 
Prof. Dr. F. v. Bramann in Halle a. S., San.-Rat Dr. W. Goerd: 
in Bochum, Dr. L. Kaiser in Frankfurt a. M., Geh. San.-Rat Dr. K. 
Mittweg in Trier. 


Für dl« Redaktion verantwortlich Dr. Hans lohn, Berlin W M Bayreuther Strw« 


Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4. 


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Dl« Berliner Klinische Wochenschrift enehetnt Jeden ■ » g VTT *W ' 1 " T ■ ^ g v All« Blnaendnngeo für dl« Redaktion und Bxp«dltfoii 

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Organ für praktische Aerzte. 

Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 

Redaktion: Expedition: 

Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posner und Dr. Hans Kohn. August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin. 


Montag, den 9. Juni 1913. JI2 23. 


Fünfzigster Jahrgang. 


INHALT. 


Originalton: Küttner: Das Ulcus duodeni. S. 1049. 

Bierast und Ungermann: Ueber die Wirkung des „Prophylakticum 
Mallebrein* auf Infektionserreger und Toxine. (Aus dem hygieni¬ 
schen Institut der Universität Halle a. S.) S. 1052. 

Blüh dorn: Untersuchungen über die therapeutisch wirksame 
Dosierung von Kalksalzen mit besonderer Berücksichtigung der 
Spasmophilie. (Aus der Universitäts-Kinderklinik in Göttingen.) 
(Illustr.) S. 1057. 

Wickham: Allgemeine histologische Veränderungen der Gewebe 
unter dem Einfluss der Strahlenwirkung. (Aus dem biologischen 
Radiumlaboratorium zu Paris.) (Schluss.) S. 1058. 
Felten-Stoltzenberg: Die Sonnenbehandlung der chirurgischen 
und Bronchialdrüsen - Tuberkulose an der See. S. 1062. 
Hertzeli: Uebungsbehandlung bei Little’scher Krankheit mit Hilfe 
einer neuen Gehstütze. (Aus der klinischen Abteilung der 
hydrotherapeutischen Anstalt der Universität Berlin.) (Illustr.) 
S. 1064. 

Abraham: Zur Xerasehehaudlung des weiblichen Fluors. S. 1065. 
Warnekros: Mitteilungen aus der Zahnheilkunde. S. 1067. 

Kolb: Die chirurgische Behandlung der Pericarditis. (Uebersichts- 
referat.) (Aus der chirurgischen Klinik der Universität Heidel¬ 
berg.) S. 1070. 

Bftcherbesprechnngen : Schröder: Der normale menstruelle Zyklus der 
Uterusschleimhaut. S. 1074. (Ref. Meyer.) — Croner: Lehrbuch 
der Desinfektion. S. 1075. (Ref. Möllers.) — Taussig: Kropf und 
Kretinismus. S. 1075. Mathieu, Imgert, Tuffier: Traitö mödico- 
chirurgical des maladies de l’estomao et de l’oesophage. S. 1076. 
(Ref. Ewald.) 


Literatur-Auszüge: Therapie. S. 1076. — Allgemeine Pathologie und 
pathologische Anatomie. S. 1076. — Parasitenkunde and Serologie. 
S. 1077. — Innere Medizin. S. 1077. — Psychiatrie und Nerven¬ 
krankheiten. S. 1078. — Kinderheilkunde. S. 1079. — Chirurgie. 
S. 1079. — Röntgenologie. S. 1080. — Urologie. S. 1080. — Haut- 
und Geschlechtskrankheiten. S. 1080. — Geburtshilfe und Gynäko¬ 
logie. S. 1080. — Augenheilkunde. S. 1081. — Hals-, Nasen- 
und Ohrenkrankheiten. S. 1081. — Hygiene und Sanitätswesen. 
S. 1081. — Unfallheilkunde und Versicherungswesen. S. 1082. — 
Technik. S. 1082. 

Verhandlung«! ärztlicher Gesellschaften: Berliner medizinische 
Gesellschaft. Stettiner: Missbildung. S. 1082. Diskussion über 
den Vortrag des Herrn Bumm: Ueber die Erfolge der Röntgen- und 
Mesothoriumbestrahlung bei Carcinom der weiblichen Genitalien. 
S. 1082. — Physiologische Gesellschaft zu Berlin. S. 1086. — 
Gesellschaft für soziale Medizin, Hygiene und Medizinal¬ 
statistik zu Berlin. S. 1086. — Medizinische Gesellschaft 
zu Kiel. S. 1086. — Klinischer Demonstrationsabend im 
Allgemeinen städtischen Krankenhaus Nürnberg. S. 1087. 
— Aus Pariser medizinischen Gesellschaften. S. 1088. 

Bericht über die 13. Jahresversammlung des Vereins Nord¬ 
deutscher Psychiater und Neurologen zu Altona vom 
5. April 1913. S. 1090. 

Seeligsohn: Der Antrag Leipzig-Land. S. 1092. 

Richter: Ueber das Alter des Alkohols. S. 1094. 

Dworetzky: Moskauer Brief. S. 1094. 

Tagesgeschiohtliche Notizen. S. 1096. 

Amtliche Mitteilungen. S. 1096. 


Das Ulcus duodeni. 

Von 

Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Hermann Küttner-Breslau. 


Die Frage des Ulcus duodeni ist zurzeit eine der aktuellsten 
io der Chirurgie. Wie sehr sie die Chirurgen beschäftigt, hat 
erst vor kurzem wieder die lebhafte Debatte am zweiten Ver¬ 
bandlungstage des diesjährigen Kongresses der deutschen Gesell¬ 
schaft für Chirurgie gezeigt. 

Die Entwicklung unserer Kenntnis des Duodenalgeschwürs 
ist eine eigenartige gewesen. In Deutschland war die Erkrankung 
dem allgemeineren ärztlichen Gedankengange fremd, bis etwa in 
den Jahren 1906—1910 von England und Amerika eine wahre 
Hochflut von Mitteilungen über die, wie es fast schien, neue Er¬ 
krankung zu uns gelangte. Sie weckte in der deutschen Chirurgie 
lebhaften Widerhall und zeitigte eine Fülle von Publikationen, 
die es uns in kurzer Zeit ermöglichten, selbständig zu dem wich¬ 
tigen Gegenstände Stellung zu nehmen. 

In den Diskussionen der letzten Jahre hat die Frage nach 
der Frequenz des peptischen Duodenalgeschwürs eine 
besondere Rolle gespielt. Wir alle haben früher das Ulcus duo¬ 
deni für eine Rarität gehalten und sind dann von Mayo und 
Moynihan belehrt worden, dass es sich hier im Gegenteile um 
eine häufige Affektion handele, häufiger sum mindesten als das 


Magengeschwür; hat doch Moynihan bis zum April 1912 
389 Fälle und William Mayo in kaum 6 Jahren nicht weniger 
als 401 Fälle operiert. Dieser auffallende Unterschied in der 
Frequenz ist wohl vor allem darauf zurückzufübren, dass den ge¬ 
nannten Chirurgen wegen ihrer grossen Erfahrung und ausgiebigen 
literarischen Betätigung in ganz besonderem Maasse Kranke zoge- 
führt werden, bei denen das Vorhandensein eines Ulcus duodeni ver¬ 
mutet wird. Auf der anderen Seite aber steht fest, dass die heute 
als Ulcera duodeni bezeichneten Geschwüre, zumal die so häufigen 
der Pars superior, auch von uns früher bei Gelegenheit ope¬ 
rativer Eingriffe oft genug gesehen worden sind, dass wir sie 
jedoch schlechtweg als Ulcera ad pylorum bezeichnet haben. 
Eine scharfe Unterscheidung aber, ob das Ulcus dem Magen oder 
dem Duodenum angehört, ist keine einfache Modesache, sondern 
eine klinische Forderung, die besonders auf der verschiedenen 
prognostischen Bewertung der beiden Geschwürsformen beruht. 

Die wichtige Trennung von Ulcus duodeni und Ulcus ventri- 
culi ist von anglo-amerikanischer Seite auf die Lage der viel¬ 
genannten Pylorusvene gegründet worden, einer nach Mayo in 
etwa 95 pCt der Fälle vorhandenen Anastomose zwischen den 


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1050 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 23. 


Venen der kleinen und grossen Curvatur, welche genau dem 
Pylorus entsprechen soll. Obwohl diese Grenzbestimmung von 
anatomischer Seite vielfach als unzuverlässig angefochten worden 
ist, genügt sie doch in praxi, um in den meisten Fällen die Zu¬ 
gehörigkeit eines Geschwürs zum Magen oder Duodenum mit 
ausreichender Sicherheit bestimmen zu lassen. 

Wie das numerische Verhältnis von Ulcus duodeni 
und Magengeschwür tatsächlich ist, steht heute noch nicht 
sicher fest. Jedenfalls ergeben auch die neueren pathologisch¬ 
anatomischen Statistiken eine bemerkenswerte Zunahme der pep¬ 
tischen Duodenalaffektionen, die allerdings von Gruber und 
Rössle zum Teil auf die erhöhte Aufmerksamkeit der Sezierenden 
zurückgeführt wird. 

Die Frage nach der Aetiologie harrt beim chronischen 
Duodenalgeschwür noch ebenso der vollen Klärung wie beim 
Ulcus ventriculi. Darüber, dass die Geschwürsbildung in letzter 
Linie als peptische anzusehen ist, besteht zwar kaum ein Zweifel, 
die Schwierigkeit des Problems betrifft vielmehr die Vorbedingungen 
dieser peptischen Verdauung. 

Aetiologisch besser geklärt als das klassische chronische 
Geschwür sind gewisse akute Ulcerationen. Wir sehen sie 
im Gefolge operativer Eingriffe, vor allem Laparotomien, ferner 
bei akuter Appendicitis und septischer Allgemeininfektion; auch 
das Ulcus duodeni der Neugeborenen und das schon 1834 von 
Curling beschriebene Verbrennungsgeschwür dürften hierher zu 
rechnen sein. Heute neigt man dazu, diese Geschwüre als embo- 
lisch entstanden anzusehen, auf der Basis einer retrograden 
venösen Embolie im Payr’scben Sinne. Dass auch das septische 
Moment eine wichtige Rolle spielt, beweisen die Beobachtungen 
Codmann’s und die Mitteilungen meines Assistenten Melchior 
über das Ulcus duodeni nach Amputationen. 

Man hat diese akuten Geschwüre von den chronischen bisher 
prinzipiell getrennt, und in der Tat erscheint eine solche Schei¬ 
dung auf Grund rein klinischer Betrachtung auch wohl berechtigt. 
Neuerdings jedoch sehen wir in der Auffassung einen Wandel 
eintreten, der sich auf die viel diskutierte Abhängigkeit auch 
des chronischen Duodenalgeschwürs namentlich von primären 
Läsionen des Wurmfortsatzes gründet. Es würde danach 
das chronische Ulcus nichts weiter darstellen als das chronische 
Stadium jener akuten Geschwüre, die z. B. als Folge schwerer 
Appendicitis durch Perforation oder Blutung den tödlichen Aus¬ 
gang herbeiführen können. Die sekundäre Geschwürsbildung im 
Duodenum soll nach den einen Autoren durch Vermittlung der 
Blutbahn, nach den anderen durch reflektorischen Nervenreiz im 
Vagusgebiet (Rössle) zustande kommen. Die Theorie bedarf 
noch weiterer Begründung. 

Die Lehre von der Symptomatologie des Duodenal¬ 
geschwürs hat trotz der Kürze der Zeit bereits mancherlei 
Wandlungen erfahren, ohne dass jedoch ein Abschluss erreicht 
wäre. Gerade die Lehre von den Symptomen erfordert besondere 
Kritik, wenn nicht schwere praktische Missgriffe die Folge sein 
sollen. 

Die alte landläufige Auffassung war die, dass das unkompli¬ 
zierte Ulcus duodeni entweder überhaupt symptomlos verlaufe oder 
doch klinisch eine Unterscheidung vom Magengeschwür nicht zu¬ 
lasse. Um so grösseres Aufsehen erregte die These Moynihan’s, 
dass es nur wenige Krankheiten gäbe, die eine so typische Sym¬ 
ptomatologie aufzuweisen hätten wie das Duodenalgeschwür, ja, 
dass die Diagnose schon auf Grund der Anamnese mit Sicherheit 
zu stellen sei. 

Unter diesen anamnestischen Kriterien, die Moynihan 
als fast spezifisch für das chronische Duodenalgeschwür ansieht, 
spielt die Hauptrolle der sogenannte Hungerschmerz, ein epi¬ 
gastrischer Schmerz, der nicht, wie meist beim Ulcus ventriculi, 
sich unmittelbar an die Nahrungsaufnahme anschliesst, sondern 
erst 1 Vs—3 Stunden später einsetzt, seinen Höhepunkt erreicht, 
wenn normalerweise wieder Hungergefühl eintritt und durch er¬ 
neute Nahrungszufuhr beseitigt werden kann. Mit dem Hunger¬ 
schmerz ist der sogenannte Nachtscbmerz identisch. 

Am meisten Befremden erregte der Umstand, dass dieses 
Phänomen, welches Moynihan als Kardinalsymptom einer mate¬ 
riellen geschwürigen Läsion des Duodenums ansah, bisher als 
wichtiges Zeichen eines rein funktionellen Magenleidens, der Hyper¬ 
acidität, gegolten batte. Soweit es sich hierbei um die Frage handelt, 
ob der Hungerschmerz auf eine organische oder eine rein funktionelle 
Läsion des oberen Digestionstraktus hinweist, scheint Moynihan 
in der Tat eine wesentliche Bereicherung unserer Kenntnis herbei¬ 
geführt zu haben, eine andere Frage aber ist es, ob diese materielle 


Läsion auch wirklich jedesmal mit einem Ulcus duodeni zu identi¬ 
fizieren ist. Hier weichen nun die Erfahrungen zahlreicher 
Chirurgen wesentlich von denen Moynihan’s ab. Unter den 
Affektionen, welche ebenfalls einen typischen Spätschmerz nach 
der Nahrungsaufnahme hervorrufen können, sind die verschieden¬ 
artigen Adhäsionsbildungen an Pylorus und Duodenum zu nennen. 
Auch beim Magengeschwür und vor allem beim Magencarcinom, 
ferner bei Cholelitbiasis und chronischer Appendicitis ist' das 
Symptom beobachtet worden. Dass der Hungerschmerz nicht 
pathognomonisch für das Ulcus duodeni ist, erhellt umgekehrt 
auch daraus, dass in Fällen operativ sicbergestellten Duodenal¬ 
geschwürs das Phänomen keineswegs regelmässig vorhanden ge¬ 
wesen ist. Trotzdem müssen wir uns hüten, in das entgegen¬ 
gesetzte Extrem zu verfallen und das Symptom etwa als wertlos für 
die Diagnose des Ulcus duodeni zu bezeichnen. Das ist es ganz 
entschieden nicht, denn wenn es auch bei anderen Erkrankungen 
gelegentlich vorkommt, weitaus am häufigsten ist es jedenfalls 
beim Duodenalgeschwür. 

Ein zweites anamnestisches Moment vpn Wichtigkeit liegt in 
der Periodizität der Erscheinungen: nachdem wochen- oder 
monatelang die Schmerzen mit „programmartiger“ Regelmässig¬ 
keit den Kranken gepeinigt haben, sind sie plötzlich mit oder 
ohne Therapie wie fortgezaubert. Der Patient glaubt sich geheilt, 
bis nach kürzerer oder längerer Frist das Leiden wieder einsetzt. 
Dieser Wechsel, der von Melchior auf zeitweise Heilungs¬ 
vorgänge zurückgeführt wird, kann sich über Jahre und Jahr¬ 
zehnte fortsetzen, solange nicht das Auftreten einer Blutung, einer 
Perforation, einer Stenose die Szene ändert. 

Neben diesen subjektiven Erscheinungen sind auch eine An¬ 
zahl von objektiven Symptomen für die Erkennung des 
Ulcus duodeni bedeutungsvoll. Wenig zuverlässige Schlüsse ge¬ 
stattet die qualitative Untersuchung des Magensaftes, 
denn, entgegen früheren Annahmen, bildet eine Vermehrung der 
Magenacidität, besonders der freien Salzsäure, keineswegs die 
Regel. 

Charakteristischer scheint das quantitative Verhalten 
des Magensaftes zu sein. Kemp hat als erster darauf hin¬ 
gewiesen, dass eine vermehrte Magensaftproduktion beim Ulcus 
duodeni häufig ist, er fand Hypersekretionen, nüchtern von 60 bis375, 
nach Probemahlzeit von mehreren Hundert Kubikzentimetern beim 
Duodenalulcus nahezu regelmässig, beim Ulcus ventriculi weit 
seltener. Auch Westphalen, Blad und v. Bergmann haben 
ähnliches beobachtet. 

In engem Zusammenhänge mit dieser vermehrten Magen¬ 
sekretion steht ein weiteres, ebenfalls erst in neuester Zeit be¬ 
schriebenes Symptom des Ulcus duodeni, eine intermittierende, 
auf Pylorospasmus beruhende motorische Insuffizienz 
— beides nach v. Bergmann der Ausdruck eines erhöhten Vagus¬ 
reizes. Auch auf dieses Verhalten — den zeitweisen Befund von 
Nahrungsresten im nüchternen Magen: sogenannte „transitorische 
Zwölfstundenretention“ — hat Kemp zuerst hingewiesen. Ihm 
folgten Blad, Albu, v. Bergmann und Strauss. 

Sehr hoch hat man die diagnostische Bedeutung der 
okkulten Blutungen eingeschätzt. Es hat sich jedoch die 
wichtige Tatsache ergeben, dass selbst im floriden Stadium und 
bei wiederholten Untersuchungen die Feststellung solcher Blutungen 
misslingen kann. So wichtig also der positive Nachweis im ge¬ 
gebenen Falle ist, so wenig gestattet ein negativer Befund ohne 
weiteres ein Duodenalgeschwür auszuschliessen. 

Der spontane Geschwürsschmerz wird ebenso wie beim 
Ulcos ventriculi gewöhnlich ins Epigastrium verlegt, er ist meist 
fixer Natur, wenn auch Ausstrahlungen, zumal nach dem Röcken 
Vorkommen. Häufig wird der Spontan sch merz etwas rechts von 
der Mittellinie empfunden, ein linksseitiger Schmerz soll angeb¬ 
lich gegen Duodenalgeschwür sprechen. Die Druckschmerz¬ 
haftigkeit findet sich meist als umschriebene Druckzone etwas 
rechts von der Mittellinie. Sie ist als vieldeutiges Symptom 
ebensowerig beweisend wie die von Moynihan betonte Rigi¬ 
dität des rechten oberen Rectus abdominis. 

Dagegen liefert die Radiologie des Ulcus duodeni, um die 
sich besonders Haudek, Kreuzfuchs, Holzknecht und 
Barcley verdient gemacht haben, wichtige Anhaltspunkte für 
die Diagnose. 

Haudek hat auf dem diesjährigen Chirurgenkongrosse folgende 
Röntgenbefunde als charakteristisch hervorgehoben: 1. die Duodenal- 
stenose, die entweder durch Narbe oder Spasmus bedingt ist und 
meist im . unteren , Teile des Duodenum gefunden wird. 2. Per¬ 
sistierende Schatten im oberen Duodenum, die durch Stenose, 


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9. Jani 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1061 


Taschenbildung infolge eines Ulcos oder Abkniokung bei Periduodenitis 
hervorgerufeü sein können, aber niobt immer leicht von der normalen 
Bulbusfüllung zu unterscheiden sind. 3. Die Nische, ein gewöhnlich 
sehr kleiner Wismutschatten ausserhalb der normalen Duodenalfüllung, 
der den Krater eines tiefgreifenden Geschwürs ausfüllt. 4. Einen um¬ 
schriebenen Druokpunkt, der sich genau auf das Duodenum, be¬ 
sonders dessen Pars superior projiziert. 5. Abnorm schnelles 
Uebertreten von Mageninhalt in das Duodenum, namentlich un¬ 
mittelbar nach der Nahrungsaufnahme, unter dem Bilde einer Insuffi¬ 
zienz des Pylorus. Es scheint sich dabei um eine Störung des soge¬ 
nannten Säurereflexes des oberen Duodenums zu handeln, die nach 
Kreuzfuohs mit einer vermehrten Sekretion im Duodenum und dem- 
sprechend einer schnelleren Neutralisierung des aciden Mageninhalts zu¬ 
sammenhängt. Die Entleerungszeit des Magens ist häufig verkürzt; 
manchmal kommt es zu einer Verzögerung in der Austreibung der 
letzten Portionen und Rückständen nach sechs Stunden. Beträchtliche 
Retention und Dilatation wird nach Haudek nie beobachtet. 6. Die 
Mag enperistaltik ist zumeist sehr tief, der Tonus häufig 
verstärkt. 7. Pylorusfixation. Der Magen liegt gelegentlich auf¬ 
fallend schräg, die passive Verschiebliohkeit der Pars pylorica ist ver¬ 
mindert oder aufgehoben, Fixationen, die jedoch bei Perigastritis oder 
Pericholecystitis ebenfalls Vorkommen. 8. Die Röntgenbefunde, die 
bei Magengeschwür erhoben werden, fehlen. 

Die Resultate der Röntgenuntersuchung können nach Haudek 
folgendermaassen verwertet werden: Positive Befunde vermögen die Dia¬ 
gnose zu stützen, gelegentlich auch zu sichern, doch ist die Verlässlich¬ 
keit und Eindeutigkeit der Röntgenbefunde keine so grosse wie die der 
ositiven Befunde des Magengeschwürs. Ein normaler Röntgenbefund 
es Magens und Duodenums gestattet niemals, ein Ulcus duodeni aus- 
suschliessen. Ist nach dem klinischen Bilde ein Ulcus anzunebmen, so 
spricht ein normaler Röntgenbefund, insbesondere das Fehlen von Re¬ 
tention im Magen, dafür, dass das vermutete Ulcus eher im Duodenum 
sitzt als im Magen. 

Auf Grund der geschilderten objektiven und subjektiven 
Symptome wird in den meisten Fällen die Diagnose des 
Duodenalgeschwürs gelingen. Trotzdem werden Verwechs¬ 
lungen mit dem Ulcus ventriculi, den Adhäsionsbildungen an 
Magen und Duodenum, den vielgestaltigen entzündlichen Affektionen 
des Gallensystems gelegentlich immer Vorkommen. Einige Worte 
noch über die Feststellung des Duodenalgeschwürs bei eröffneter 
Bauchhöhle. Moynihan hat gesagt, dass es stets eine „visible 
und tangible u Läsion sei, man sehe entweder an der Vorder¬ 
wand die bekannte weissliche Narbe, oder man fühle eine in- 
durierte Platte. Für die Mehrzahl der Fälle ist dies zweifellos 
sutreffend, jedoch nicht für alle. Deshalb vermag die von 
Wilms und Körte empfohlene innere Austastung des Duo¬ 
denums unter Umständen wichtige Dienste zu leisten. 

Die Prognose des Duodenalgeschwürs ist bei unbeein¬ 
flusstem Decursus morbi entschieden ungünstiger als die des 
Ulcus ventriculi. Die Ursache liegt in der weit grösseren Häufig¬ 
keit vitaler Komplikationen, schwerer Blutungen und Perforationen 
in die freie Bauchhöhle. Sehr anschaulich ergibt sich dies Ver¬ 
hältnis aus den zwei neuesten Hamburger Sektionstatistiken: nach 
Simmonds bildeten die bei Autopsien gefundenen Duodenal¬ 
geschwüre in 40 pCt. die Todesursache, während die Magen¬ 
geschwüre überwiegend nur einen zufälligen Nebenbefund dar¬ 
stellten, und Dietrich fand beim Duodenalgeschwür in 20pCt. 
eine Perforation, in 11 pCt. eine tödliche Blutung gegenüber 7 
und 8 pCt. bei Ulcus ventriculi. 

Aber auch abgesehen von diesen Komplikationen scheint die 
Heiltendenz des chronischen Duodenalgeschwürs eine recht geringe 
su sein; gerade von seiten namhafter Pathologen ist hierauf hin¬ 
gewiesen worden. So haben Simmonds und Nauwerck, 
namentlich aber v. Hansemann betont, dass am Duodenum 
weit seltener als am Magen vernarbte Ulcera gefunden werden, 
und Gruber traf neben 82 Duodenalgeschwüren nur 2=2,4 pCt. 
Karben, während beim Magengeschwür die letzteren mehr als 
80pCt. ausmachten. Uebergang in Carcinom ist dagegen nach 
allen bisher vorliegenden Berichten beim Ulcus duodeni selten. 

Wie weit die natürliche Prognose des Duodenalgeschwürs 
durch eine interne Therapie wirksam beeinflusst werden kann, 
ist schwer zu sagen. Die einzig mögliche Unterlage für die Ent¬ 
scheidung dieser Frage — eine grössere Serie von genügend 
lange beobachteten, diagnostisch sicheren Fällen — steht noch 
aus. Wenn man aber bedenkt, dass eigentlich alle Patienten, 
die heute dem Chirurgen zugehen, jahrelang vorher in internen 
Behandlung gestanden haben, so wird man seine Erwartungen 
nicht allzu hoch schrauben dürfen. Augenblickserfolge, ja selbst 
xnonatelange Besserungen beweisen nichts, da derartige beschwerde¬ 
freie Intervalle gerade einen typischen Zog der Erkrankung dar¬ 
stellen. Wie Viel man sich von der neuerdings wieder durch 


v. Bergmann als eine Art Kausalbehandlung empfohlenen 
Atropintherapie versprechen darf, muss abgewartet werden. 

Es ist somit ohne weiteres verständlich, dass die neueren 
therapeutischen Bestrebungen vorwiegend chirurgischen 
Charakter tragen, wie denn auch hier erst die chirurgische 
Aera den tieferen Einblick in das Wesen der Krankheit ge¬ 
bracht hat. 

Die operativen Verfahren, welche uns zur Behandlung des 
Ulcus duodeni zur Verfügung stehen, streben entweder die radikale 
Beseitigung des Ulcus an, oder sie wollen nur die örtlichen 
Bedingungen ändern, um die zur dauernden Heilung des Geschwürs 
notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Im ersteren Falle 
sprechen wir von direkten, im zweiten Falle von indirekten 
Methoden. 

Die direkten Methoden haben in der Behandlung des 
Duodenalgeschwürs bisher keine grosse Rolle gespielt, und auch 
die Zukunft wird daran wohl kaum viel ändern. Es gilt dies in 
erster Linie von der Exzision des Ulcus. Aus technischen 
Gründen kommt sie vorwiegend bei kleinen Geschwüren der 
Vorderwand in Frage, da grössere Exzisionen Stenosen hinter¬ 
lassen und Ausschneidungen der hinteren Wand unsichere Naht¬ 
verhältnisse bieten. Vor allem aber ist gegen die Operation als 
selbständige Methode einzuwenden, dass sie keinen Schutz gegen 
Recidive bietet, da die örtlichen Bedingungen im Duodenum durch 
den Eingriff keine Aenderung erfahren. 

Häufiger als die Exzision ist die Resektion ausgeführt 
worden. Berechtigt ist nur das zweite Billroth’sche Verfahren, 
da bei Endvereinigung die Gefahr des Recidivs besteht. Die 
Resektion kommt nur unter sehr günstigen Voraussetzungen in 
Frage und ist nur dann berechtigt, wenn bei callöser Geschwürs¬ 
bildung der Verdacht eines Carcinoms naheliegt. 

Weit grössere Bedeutung als die direkten haben die in¬ 
direkten chirurgischen Methoden. Ihr Typus ist die 
Gastroenterostomie. Man erwartete von ihr, dass sie den 
sauren Mageninhalt vom Duodenum ableiten und damit die zur 
Heilung des Geschwürs notwendigen Voraussetzungen schaffen 
würde. Es hat sich aber in der Folge herausgestellt, dass bei 
fehlender Stenose die einfache Gastroenterostomie eine wirksame 
Ausschaltung des Zwölffingerdarms nicht garantiert, wenn sie 
auch in vielen Fällen für diesen Zweck vollkommen ausreicht. 

Um die gewünschte Sicherheit in der Ausschaltung des 
Duodenums berbeizufübren, hat man deshalb mit Recht die Forde¬ 
rung aufgestellt, dass bei fehlender organischer Stenose der Gastro¬ 
enterostomie wegen Ulcus duodeni eine künstliche Steno- 
siernng des Pylorüs binzuzufügen sei. Ueber die Berechtigung 
dieser Forderung sind heute die Chirurgen einig, um so mehr ist 
die Methodik noch Gegenstand der Diskussion. 

Das einfachste Verfahren, welches namentlich Moynihan 
und Mayo seit langem generell üben, ist die Uebernähnng eines 
an der Vorderwand gelegenen Ulcus. Sie entspricht im wesent¬ 
lichen der Einfaltungsmethode Kelling’s, welcher am Pylorus 
durch Raffnaht mehrere Längsfalten bildet. Das Verfahren bietet 
ebensowenig Gewähr für eine dauernde Stenosierung des Pylorus, wie 
die von Girard und Doyen empfohlene sogenannte „umgekehrte 
Pyloroplastik“ und die höchst einfache Fadenumschnürung, bei 
welcher ein starker Faden um den Pylorus gelegt und zugeschnürt 
wird, bis die Wände sich berühren. Eine Verbesserung des Um¬ 
schnürungsverfahrens scheint die Methode von Wilms zu bedeuten, 
der an Stelle eines künstlichen Fadens einen frei transplan¬ 
tierten Fascienstreifen aus der Rectusaponeurose verwendet, 
doch liegen für eine Beurteilung des Dauererfolges die Beob¬ 
achtungen noch nicht weit genug zurück. 

Das exakteste Verfahren, um das Duodenum mit aller Sicher¬ 
heit zu eliminieren, ist die von Eiselsberg’sche Methode der 
völligen Durchtrennung, die klassische Pylorusausschaltung. 
Sie wäre für alle Fälle prinzipiell zu fordern, wenn sie mit 
wesentlich grösserer Sicherheit die radikale Heilung des Ulcus 
duodeni gewährleistete. Da dies nach den bisherigen Erfahrungen 
nicht der Fall zu sein scheint, so ist der ziemlich grosse Eingriff 
für die Fälle zu reservieren, in denen er ohne besondere tech¬ 
nische Schwierigkeiten durcbgeführt werden kann. 

Betonen möchte ich im Einklänge mit v. Haberer die 
Wichtigkeit einer systematisch durchgeführten diätetischen 
Nachbehandlung. 1 Die Tatsache, dass wir nur indirekte Ope¬ 
rationen ausführen, und die Notwendigkeit, dem Ulcus pepticum 
jejuni vorzubeugen, lassen die Nachbehaudlung als integrierenden 
Faktor einer rationellen Therapie erscheinen. Nach einer Kur in 

1 * 


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1052 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 28. 


Karlsbad oder Kissingen habe ich mehrfach den von der Operation 
verbliebenen Rest der Beschwerden endgültig schwinden sehen, 
obwohl die Kuren vor der Operation ohne Erfolg gebraucht 
worden waren. 

Was die Behandlung der wichtigsten Komplikationen des 
Ulcus duodeni anlangt, so ist bei der akuten Perforation 
in die freie Bauchhöhle entscheidend für den Erfolg die 
frühstmöglicbe Operation. Schon 24 Stunden nach dem Durch¬ 
bruche sterben 50 pCt. der Patienten, nach 48 Stunden scheint 
niemand mehr gerettet worden zu sein. 

Die meist an der Vorderfläche gelegene Perforationsstelle soll, 
wenn nötig mit Netzsicheruog, exakt verschlossen werden. Ist 
bei morschen Geweben eine zuverlässige Naht nicht möglich, so 
ist die von Neu mann eingeführte Bildung einer Netzmanschette 
anzuraten, bei der ein Drainrohr mit dem einen Ende durch die 
Perforationsstelle ins Duodenum, mit dem anderen durch die 
Laparotomiewunde nach aussen geleitet und der durch die freie 
Bauchhöhle ziehende Teil allseitig in einen Netzlappen ein¬ 
genäht wird. 

Viel umstritten ist die Frage, ob der Naht der Perforations- 
Stelle grundsätzlich die Gastroenterostomie hinzugefügt werden 
soll. Da Short und Struthers, die eine grössere Anzahl von 


Perforationsfällen nachuntersuchten, gefunden haben, dass nur der 
kleinste Teil ohne Gastroenterostomie beschwerdefrei geblieben ist, 
so ist diese Operation bei ausreichendem Kräftezustand und Fehlen 
einer verbreiteten Peritonitis primär vorzunehmen, auch mit Rück¬ 
sicht auf etwaige multiple Geschwüre, welche nach Melchior in 
der Rekonvaleszenz vitale Komplikationen herbei führen können. 
War Eile notwendig, so sollte nach vollendeter Heilung die Gastro¬ 
enterostomie womöglich nachgeholt werden. 

Für die Behandlung der Blutungen gelten die gleichen 
Grundsätze wie beim Magengeschwür. Die Domäne der operativen 
Therapie bilden die mittelschweren und die leichteren recidi- 
vierenden Blutungen, während die foudroyanten Hämorrhagien 
konservativ zu behandeln sind. Im übrigen ist weder die ein¬ 
fache noch die mit künstlicher Stenosierung des Pylorus kombi¬ 
nierte Gastroenterostomie, ja selbst nicht die klassische Pylorus- 
ausschaltung als ein zuverlässiges Blutstillungsmittel anzusehen, 
und man sollte deshalb den Vorschlag Mayo’s erwägen, der für 
solche Fälle neben der Gastroenterostomie die Exzision des Ge¬ 
schwürs empfiehlt. Da die blutenden Duodenalulcera jedoch, im 
Gegensätze zu deu perforierenden, überwiegend der hinteren Wand 
angehören, so ist die Exzision nur selten mit der nötigen Sicher¬ 
heit durchzuführen. 


Aus dem hygienischen Institut der Universität Halle a.S. 
(Direktor: Geh. Medizinalrat Prof. Dr. C. Fraenken). 

Ueber die Wirkung des „Prophylakticum Malle- 
brein“ auf Infektionserreger und Toxine. 

Von 

Stabsarzt Dr. W. Bierast, und Dr. E. Uigermann, 

kommandiert zum Institut, I. Assistent am Institut. 

Obwohl durch die Untersuchungen von Robert Koch 1 ), 
Geppert 8 ), Krönig und Paul 8 ) und anderer Autoren die aus¬ 
gesprochene Ueberlegenheit des Chlors gegenüber den sonstigen 
Desinfektionsmitteln erwiesen worden war, stellten sich seiner 
therapeutischen Verwendung erhebliche Schwierigkeiten entgegen, 
da es nicht möglich war, den Stoff bei Körpertemperatur in be¬ 
grenzbarer Menge aus seinen Verbindungen abzuscheiden. Die 
Versuche wurden hauptsächlich mit Chlorhalogenverbindungen aus¬ 
geführt, unter denen v. Behring 4 5 ) das Jodtrichlorid als ein sehr 
gut baktericid und vorzüglich antitoxisch wirkendes Agens er¬ 
kannte. 

Aber auch diese Chlorverbindung wurde für therapeutische 
Zwecke fallengelassen, da man die Chlorabspaltung nicht be¬ 
grenzen, die Entstehung schädlicher Nebenprodukte nicht ver¬ 
hindern konnte. 

Bei den weiteren Versuchen, das Chlor der Therapie der 
Infektionskrankheiten za erschlossen, wie sie besonders vou Herrn 
Geh. Regierungsrat Dr. F. Mallebrein 6 * ) ausgeführt wurden, 
zeigten sich gewisse Chlorsauerstoffverbindungen zur Erreichung 
des Zieles am geeignetsten, weil sie teils wohl charakterisierte, 
beständige Salze bilden, aus denen sich die Abspaltung von Chlor 
genau begrenzen lässt; weil ferner die Entstehung schädlicher 
Neben- und Zwischenprodukte ausgeschlossen ist, und endlich, 
weil mit dem Zerfall der Chlorsauerstoffverbindung neben Chlor 
noch aktiver Sauerstoff entsteht, der selbst ein energisches Des¬ 
infektionsmittel ist, andererseits aber einem Verdünnungsmittel 
vergleichbar, eine zu einseitige und dadurch vielleicht zu schroffe 
Chlorwirkung verhütet. 

Als die zweckmässigste Chlorsauerstoffverbindung erwies sich 
die Chlorsäure in Verbindung mit einem eiweissfällenden Metall. 
Als Metall wurde Aluminium gewählt, da es bei seiner hohen 
Valenz und seinem kleinen Atomgewicht eine grosse Menge des 
Sänrerestes aufzunehmen vermag, wodurch eine intensive Des¬ 
infektionswirkung erzielt wird. 

1) Robert Koch, Ueber Desinfektion. Mitteil, aus d. Kaiserl. Ge¬ 
sundheitsamt, Bd. 1, S. 234. 

2) Geppert, Diese Wochensohr., 1890, Nr. 11. 

3) Krönig und Paul, Ueber die chemischen Grundlagen der Lehre 
von der Giftwirkung und Desinfektion. Zeitschr. f. Hygiene usw., 1897, 
Bd. 25, S. 71. 

4) v. Behring, Infektion und Desinfektion. Arbeit, aus d. Kaiserl. 
Gesundheitsamt, Bd. 2, S. 466. 

5) Mitteilung auf dem: 7. Internationalen Tuberkulosekongress zu 

Rom im April 1912. Mallebrein und Wasraer, Zeitschr. f. Tuber¬ 

kulose, 1912, Bd. 18, H. 3, S. Ä25 ff. 


Eine 25 proz. wässerige Lösung des wasserfreien chlorsauren 
Aluminiumsalzes stellt das „Prophylakticum Mallebrein“ 1 ) dar. 

Der Mitteilung unserer Versuche mag hier Mallebrein’s 
Darstellung die Wirkungsweise seines Präparates kurz voraus¬ 
geschickt werden: 


„Kommt eine verdünnte Lösung des Chloraluminiums heim Gurgeln 
oder Inhalieren mit den Schleimhäuten in Berührung, so geht das Aluminium 
mit den Eiweissstoffen derselben eine chemische Verbindung ein, die 
sich als Albuminatschicht auf den Schleimhäuten niederschlägt, während 
die Chlorsäure frei wird. Da jedes Molekül die sehr grosse Zahl vou 
3 Chlor- und 9 Sauerstoffatomen euthält, üben diese in statu nascendi 
wirksam die intensivsten Desinfektionseffekte auf vorhandene Krankheits¬ 
erreger und Gifte aus. Die frei werdende Chlormenge ist genau be¬ 
grenzt. Da sie ferner in äquivalentem Verhältnis zu der vorhandenen 
und in Reaktion tretenden Menge Eiweiss steht, kann kein Ueberschuss 
von freiem Chlor sich bilden. 

Weiterhin wird nach den Versuchen von M. Fluri 2 3 ) durch die 
Aluminiumsalze bei den Zellen eine Veränderung bewirkt, derart, dass 
Lösungen von Salzen ungehindert in den Zellkörper einzudringen ver¬ 
mögen. 

Da man nach Fluri’s Darstellung bei der Albuminatschicht mit 
einem gesteigerten Absorptionsvermögen für Salzlösungen zu rechnen 
hat, würde ein Teil des unzersetzt gebliebenen Salzes in die Zellen und 
weiter in das Gewebe eindringen, dasselbe gewissermaassen imprägnieren. 
Im Gewebsinnern würden weitere Albuminatfällungen entstehen, wo¬ 
durch die vorerst nur oberflächlich gebildete Albuminatschicht nach 
innen verstärkt und die frei werdenden Chlor- und Sauerstoffatome be¬ 
reits in das Gewebe eingedrungene Keime unschädlich machen, die ver¬ 
stärkte Albuminatschicht das Eindringen von Infektionserregern aber 
erschweren oder ganz verhüten würde. 

Neben dieser Tiefenwirkung käme als weiteres Moment hinzu, dass 
auf der chemisch veränderten Schleimhaut eine Erholung, Vermehrung 
und Weiterentwicklung der Bakterien, wenn nicht ganz ausgeschlossen, 
so doch sehr erschwert ist, da die Albuminatsohicht ein Wachstum und 
Gedeihen der Bakterien hindert; infolgedessen würde sich die, je nach 
dem Zustand der Schleimhäute eintretende Schutzwirkung des Präparates, 
die nach empirischer Feststellung bei gesunden Schleimhäuten bis 
12 Stunden und mehr beträgt, ergeben. 

Auf derselben Grundlage lässt sich aber auch die Beeinflussung 
tuberkulöser Prozesse der Lunge von den Schleimhäuten der oberen 
Luftwege aus als „Fernwirkung“ ungezwungen erklären." 


In den letzten vier Jahren nnn ist das „Prophylakticum“ 
Mallebrein bei Infektionskrankheiten verschiedenster Art als Heil- 
bzw. als Vorbeugungsmittel („Prophylakticum“) von seiten der 
Kliniker wiederholt einer Prüfung unterzogen worden. 


Wasmer 8 ) hat über seine mit dem Chloralumininm erzielten Er¬ 
folge ausführlich berichtet Er habe die Erfahrung gemacht, dass es 
sich bei diesem Präparat um einen Stoff mit panz ungewöhnlichen thera¬ 
peutischen Eigenschaften handele. Seine Heüresultate seien durchweg 
sehr günstige, vielfach ganz unerwartete und hervorragende. 

Von grösster Bedeutung scheint ihm aber die Wirkung des Mittels 
bei tuberkulösen Prozessen in der Lunge und im Kehlkopf zu sein. 


1) Das Präparat wird von der Firma Krewel & Co. in Köln a. Rh. 
in den Handel gebracht. 

2) M. Fluri, Der Einfluss von Aluminiumsalzen auf das Proto¬ 
plasma. Flora, 1908, S. 81 ff. 

3) Zeitsdhr. f. Tuberkul., 1912, Bd. 18 k H. 3, S. 225. 


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9. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1053 


„Besteht Fieber, so tritt, falls dasselbe nicht von Komplikationen 
berrührt, meist rasoher Rückgang ein. Wenn die Anwendungen (Gurgeln 
und Inhalieren) pünktlich fortgesetzt werden, so hält der Erfolg auch 
an. Husten und Auswurf vermindern sich, um in den meisten Fällen 
naoh einigen Wochen ganz zu verschwinden. Auch das bekannte 
Stechen hört bald auf. Die Patienten betonen fast immer ihr gutes 
subjektives Befinden, den guten Appetit und viel besseren durch Husten¬ 
reiz und Naohtschweisse nicht mehr beeinträchtigten Schlaf.“ 

’Wasmer kommt zu dem Schluss urteil, dass die Einführung dieses 
Mittels in den Arzneischatz eine bleibende und äusserst wertvolle Be¬ 
reicherung desselben bedeutet und die Bekämpfung der Tuberkulose von 
den oberen Luftwegen aus nur eine Frage der Zeit sein kann. 

Jarosch 1 ) teilt mit, dass ihm das, was er in der kurzen Zeit von 
der Wirkung des Präparates gesehen habe, die Ueberzeugung gäbe, dass 
das Mittel wirken muss, wenn es nur richtig und konsequent ange¬ 
wendet wird. 

Angesichts dieses ausserordentlich günstigen Urteils über das 
Mal leb rein'sehe Präparat stellten wir uns die Aufgabe, folgende 
Fragen einer näheren Prüfung zu unterziehen: 

1. Lassen sich im Tierkörper gleiche Resultate erzielen wie 
im menschlichen Organismus? 

2. Verhindert die Aluminiumalbuminatschicht der Zellen das 
Eindringen von Krankheitserregern in den Tierkörper? 

3. Werden Krankheitserreger oder deren Gifte, auch nach¬ 
dem sie ins Innere des Organismus eingedrungen sind, durch das 
Chloraluminium unschädlich gemacht? 

4. Wirkt hierbei das Mittel antitoxisch oder baktericid? 

5. Treten analoge Wirkungen auch beim Versuch in vitro 
zutage? 

Dieser Fragestellung entsprechend prüften wir zunächst die lokale 
Wirkung des Chloraluminiums auf Infektionserreger und Toxine in der 
Eintrittspforte selbst. Wir benutzten für diese Experimente an erster 
Stelle die Technik des Wundversuches, der eine fortlaufende 
Kontrolle des Zustandes der Infektion am leichtesten gestattet. In einer 
Reihe dieser Wundversuche schickten wir die Applikation des Mittels 
auf die Wunde der Infektion voraus, um die Möglichkeit der Bildung 
eines bakteriendichten Schutzwalles zu erproben, in anderen Hessen wir 
sie der vollzogenen Einimpfung der Keime nach kürzerer oder längerer 
Zeit folgen. Aber auch bei subcutaner Einverleibung der Erreger oder 
des Giftes wurde die lokale Wirkung des Mittels durch gleichzeitige 
Applikation mit dem Virus an derselben Stelle der Haut geprüft. 

Zur Untersuchung auf Resorption zurückzuführender Wir¬ 
kungen des Chloraluminiums benutzten wir als Infektionspforte eine 
Wunde oder die Subcutis, in einigen Versuchen auch die Blutbahn und 
versuchten dann, das Mittel auf subcutanem, intraserösem, intravenösem 
und stomachalem Wege zur Wirkung zu bringen. 

Diese Wege sind nun in bezug auf die Aeusserung giftiger Neben¬ 
wirkungen des Chloraluminiums nicht gleichwertig. Das Mittel hat 
bei Einführung ins Körpergewebe ganz erhebliche Gift¬ 
wirkungen, so dass nur verhältnismässig sehr geringe Mengen gefahr¬ 
los angewendet werden können. Am giftigsten ist es bei intravenöser 
Einführung. Beim Meerschweinchen ist die Maximaldosis für diese An¬ 
wendungsart etwa 0,05 g; aber wir sahen gelegentlich auch noch bei 
9,03 g plötzliche Todesfälle der Versuchstiere eintreten. Individuelle 
Empfänglichkeitsunterschiede traten auch bei den übrigen Applikations- 
weisen in störender Weise zutage. So vertrugen einzelne Tiere noch 
0,5 ccm der 25 proz. Lösung bei peritonealer Zufuhr, während andere 
schon nach 0,25 com unter dem Bilde einer schweren peritonealen Reizung 
zugrunde gingen. Das Mittel eignet sich nach unseren Versuchen nicht 
zur intraserösen Einführung; denn die so behandelten Tiere zeigten auch 
nach kleinen Dosen erhebliche Krankheitserscheinungen, was bei der 
intravenösen Einführung nicht der Fall war. Auch bei subcutaner 
Einführung folgten fast immer nicht unerhebliche lokale Reizwirkungen. 
Es entstand auch nach kleinen Dosen fast stets ein derber Knoten 
an der Injektionsstelle, der nur langsam resorbiert wurde. Nach Mengen 
über 0,25 g sahen wir mitunter ausgedehnte Nekrosen um die Injektions¬ 
stelle auftreten, die in einigen Fällen zu vollständiger Perforation der 
Bauchdecken und zum Tode des Versuchstieres führten. Es wurde von 
uns daher immer die relativ geringe Menge von 0,25 g für Schutz- und 
Heilversuche benutzt. Bei der Behandlung von Wunden mit Verband¬ 
gaze, die mit 25 proz. Chloraluminiumlösung getränkt war, haben wir 
niemals schwerere oder gar das Leben gefährdende Folgen eintreten ge¬ 
sehen, wohl aber in vielen Fällen derbe Infiltrate, die nur langsam 
resorbiert wurden. Stomachal zugeführt erzeugte das Mittel selbst 
bei zweimaliger Anwendung von 1 ccm an einem Tage keine sichtbaren 
Störungen. 

Das Kaninchen, welches uns bei den Versuchen, die Typhus¬ 
infektion mit Chloraluminium zu beeinflussen, als Versuchstier diente, 
ist gegen das Mittel mindestens ebenso empfindlich wie das Meer¬ 
schweinchen. Wir sahen nach der intravenösen Anwendung von 0,1 g 
akuten Exitus beim Kaninchen eintreten, wogegen die Hälfte dieser Dosis 
glatt vertragen wurde. 

1) Jarosch, Ueber die Bekämpfung der Tuberkulose von den 
oberen Luftwegen aus mittels des „Prophylakticutn Mallebrein“. Deutsche 
med. Wochenschr., 1912, Nr. 42, S. 1979. 


Als Objekte für die Einwirkung des Chloraluminiums haben 
wir eine Reihe von Infektionserregern und einige Tox- 
albumine herangezogen. Die meisten unserer Versuche bezogen 
sich auf den Diphtheriebacillus und sein Gift, eine Anzahl 
auch auf den Tuberkelbacillus und das Tuberkulin, einige 
auch auf den Typhuserreger, den Milzbrandbacillus und 
das Ri ein als giftigen Eiweisskörper eigener Art. 

Die Ergebnisse unserer Versuche seien im folgenden nach 
ihren Objekten geordnet dargestelt und mit den wichtigsten Re¬ 
sultaten, die sich auf das Diphtherievirus beziehen, begonnen. 

Wir benutzten einen frisch aus dem Körper gezüchteten Diphtherie¬ 
bacillenstamm (Kultur 278), der anfänglich Meerschweinchen nach Appli¬ 
kation von 2 Oesen in eine Schnittwunde des Rückens in 48 Stunden, später 
schon bei 1 j i Oese in 24 Stunden tötete. Die Wunde wurde durch einen etwa 
2 cm langen Schnitt in der Mittellinie des Rückens zwischen den Schulter¬ 
blättern gesetzt. Das Mittel wurde in konzentrierter Form zur Einwirkung 
gebracht, indem ein damit getränkter Verbandgazetampon mit Klammern 
auf der Wunde befestigt und durch eine Watteschicht und mehrere 
Bindentouren fest darauf gedrückt wurde. Für die Vorbehandlung einer 
Wunde wurde dieser Verband durchschnittlich zwei Stunden darauf be¬ 
lassen und nach der Infektion durch einen sterilen Verband ersetzt. Zur 
Behandlung nach der Infektion wurde der Chloraluminiumverband mehrere 
Tage hindurch angewendet und alle 24 Stunden erneuert; dabei wurden 
die häufig verklebten Wundränder wieder geöffnet, um dem Chlor, das 
sich durch intensiven Geruch zu erkennen gab, ungehinderten Zutritt 
zu der Wunde zu verschaffen. Der Einfluss des Mittels auf die Wunde 
machte sich schon nach wenigen Stunden bemerkbar und gab sich in 
einor eigenartig trockenen Beschaffenheit und grauen Verfärbung des 
Grundes der Wunde zu erkennen. 

Der folgende Versuch sei als Beispiel für die Wirkung des Chlor¬ 
aluminiums im Schutz- und Heilversuch gegenüber der Diphtherie¬ 
bacilleninfektion einer Wunde wiedergegeben. (Tabelle 1.) 

Tabelle 1. 

Versuch 1. 15.1. 1918. 


Tier 

Nr. 


Behandlung 


Ergebnis 


295 


Wunde. Iofektion 
m. 2 Oesen Kultur. 
Steriler 

Schutzverband. 


300 Wunde. 2 Stunden 
Mull verband mit 
Chloraluminium. 
Darauf Infektion 
mit Diphtherie¬ 
bacillen wie vor. 
Steriler Schutz¬ 
verband. 

297 Wunde. Infektion 
m. 2 Oesen Kultur. 

Schutzverband. 
Nach 51/2 Stunden 
Verband m. Chlor¬ 
aluminium. Ver¬ 
band erneuert am 
I6.,17.,18.u. 19.L 


f 17.1. Sektion: Entzündliches Oedem der 
Impfstelle und ihrer Umgebung, Injektion 
und Exsudation der serösen Höhlen, Hyper¬ 
ämie und Schwellung der Nebennieren. 
Kulturversuch: Diphtheriereinkultur. 

f 17. I. Sektion: Scharf umschriebene, 
trockene Veränderung des Grundes der 
Wunde. Entzündliches Oedem. Peritoneum 
injiziert,geringe Exsudatbildung. Sehr starke 
Hyperämie und Schwellung derNebennieren. 
Kulturversuch: Spärliche Diphtheriebacillen 
im Grunde der Wunde. 

Tier lebt. 18.1. Kulturversuch. Grund der 
Wunde steril. Wundrand vereinzelte Diph¬ 
theriebacillen. f intercurrent 27.1. Lunge 
mit zahlreichen bronchopneumonischen 
Herden, Leber mit vielen Nekroseherden, 
Milz stark vergrössert. Nebennieren etwas 
vergrössert, aber blass. Kulturversuoh 
negativ. 


Ans diesem Versuch darf wohl der Schluss gezogen werden, 
dass das Chloraluminium den tödlichen Ausgang einer 
schon bestehenden Diphtheriewundinfektion, der beim 
Kontrolltier innerhalb 48 Stunden eintritt, bei länger¬ 
dauernder Einwirkung auf die Wunde verhindert, wäh¬ 
rend die der Infektion vorausgehende Imprägnation der 
Wunde mit dem Mittel keinerlei Einfluss auf den Ver¬ 
lauf der Infektion zutage treten liess. Ueber den Mecha¬ 
nismus dieser Wirkung sagt der Versuch nur soviel mit Sicherheit 
aus, dass derselbe kein rein baktericider sein kann, da 
das Virus noch nach dreitägiger Einwirkung des Mittels 
in der Wunde nachgewiesen werden konnte. 

Ein ebenso günstiges Ergebnis hatte die Chloralurainium- 
behandlung der Diphtherie Wundinfektion im folgenden Versuch 
(Tabelle 2). 

Neben der zweifellosen Heilwirkung des Chlor¬ 
aluminiums auf den Diphtherieproxess zeigt der Ver¬ 
such wiederum, dass dieselbe in ihrem Wesen nicht auf 
einer schnellen und vollständigen Abtötung der Keime 
beruht; denn, bei einem der Tiere wurde noch 9 Tage 
nach Beginn der Chloraluminiumbehandlung ein posi¬ 
tiver Bacillenbefund in der Wunde erhoben. Die Ver- 

2 


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1054 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 23. 


Tabelle 2. 

Versuch 2. 10. I. 1913. 


Tier 

Nr. 

Behandlung 

Ergebnis 

35 

Rüokenwunde. Infektion 
mit 2 Oesen Dipbtherie- 
kultur Nr. 278. Wunde 
mit Hakenklemmen ge¬ 
schlossen. 

f 12.1. 1913. Starkes Oedem der 
Impfstelle. Reichliches Exsudat 
in den Pleurahöhlen. Intensive 
Rötung u. Schwellung der Neben¬ 
nieren. Im Wundödem reichlich 
Diphtheriebacillen. 

290 

Rückenwunde u.Infektion 
wie vor. Unmittelbar 
darauf Verband mit 
Chloraluminium, Mull¬ 
binde. 

Tier lebt. Am 19.1. Untersuchung 
des Wundsekrets auf Diphth.-Bac. 
mittels Ausstriches auf einer 
Serumplatte. Ergebnis: positiv. 
21. I. Der Wundschorf stösst 
sich ab. Tier geheilt. 

304 

Behandlung wie 290. 

Tier lebt. Bakteriologische Unter¬ 
suchung der Wunde am 19. I. 
negativ. 28.1. Wunde verheilt. 


mehrung der Bacillen konnte also unter dem Einfluss des Mittels 
nicht ganz aufgehört haben, und damit war auch eine Unter¬ 
drückung ihrer Toxinbildung nicht wahrscheinlich. Wenn also 
trotz der Anwesenheit entwicklungsfähiger Bazillen in 
der Wunde keine Schädigung des Organismus eintrat, 
so 'war als Ursache der günstigen Wirkung eine Ent¬ 
giftung des Toxins am Orte seiner Entstehung am 
leichtesten anzunehmen. 

Nicht alle unsere Wund versuche mit lokaler Applikation des Chlor- 
aluminiums hatten völlig günstige Resultate. Als der von uns benutzte 
Bacillenstamm infolge der zahlreichen Tierpassagen in seiner Virulenz 
zugenommen hatte und die Bacillen in kurzer Zeit eine weite Verbreitung 
von der Wunde aus erlangten, so dass sie der Einwirkung des Mittels 
nicht mehr so leicht zugänglich waren, hatten wir in manchen Versuchen 
Versager zu verzeichnen. Ebenso war das Mittel von der Wunde aus 
nicht mehr sicher wirksam, wenn zwischen Infektion und Behandlung 
mehr als 5 Stunden verflossen waren. Auch schienen uns Schwankungen 
der Beschaffenheit des Chloraluminiums selbst die Ursache mancher 
Misserfolge zu sein; wir hatten mit einer zur Neige gehenden Probe 
jedenfalls weniger günstige Resultate als mit einer frisch eröffneten 
Flasche, und glauben daher, dass die Konstanz des Mittels keine so 
absolute ist, wie sie sein Darsteller angibt. 

Unsere Wund versuche ergaben in ihrer Gesamtheit bei Ver¬ 
wendung einer 25 proz. Chloraluminiumlösung in 50 pCt. der Fälle 
einen Heilerfolg, während die Kontrollen durchweg eingingen. 
Versuche mit schwächeren Konzentrationen führten zu keinen 
einheitlichen, jedenfalls weniger günstigen Resultaten, als die mit 
der 25 proz. Lösung. 

Wenn aus unseren Wundversuchen das Ergebnis abgeleitet 
werden konnte, dass das Chloraluminium in erster Linie 
neutralisierend auf das Diphtherietoxin wirkt, so war 
weiterhin anzunehmen, dass es darauf nicht nur am Orte seiner 
Entstehung, sondern auch, wenn vielleicht auch nur in schwächerem 
Grade, in der Blutbabn Wirkungen entfalten werde; es 
musste dann also auch Fernwirkungen zu erzielen im¬ 
stande sein. Ferner musste es in diesem Falle nicht 
nur die Diphtherieinfektion, sondern auch die Ver¬ 
giftung mit dem reinen Toxin in günstigem Sinne beein¬ 
flussen. 

Zur Prüfung der Fernwirkung des Chloraluminiums infizierten wir 
Meerschweinchen subcutan mit Diphtheriebacillen und führten das Mittel 
teils intravenös, teils auch subcutan an anderer Stelle und auch 
stomachal meist eine Reibe von Stunden nach der Kulturgabe ein. 

Die subcutanen Applikationsversucbe, bei denen wegen der sonst 
eintretenden schweren lokalen Schädigungen nur immer 0,25 ccm der 
25 proz. Lösung angewandt wurden, ergaben keine günstigen Resultate, 
offenbar wegen der ungünstigen Resorptionsverhältnisse, die sich schon 
daran zu erkennen geben, dass sich bei den meisten dieser Tiere die 
beim Zerfall des Mittels entstehenden gasförmigen Produkte zum Teil in 
Gestalt einer Luftblase an der Injektionsstelle vorfanden. Die Experimente 
mit einer oralen Zufuhr des Mittels — es wurde vielfach in einer Menge von 
1 ccm in 4 ccm Kochsalz zweimal am Tage und in kleineren Mengen 
sogar in konzentriertem Zustande vertragen — zeigten in einigen Fällen 
eine deutliche Verlängerung des Lebens der Versuchstiere, in einem 
Falle um 48 Stunden. Doch ist die Zahl dieser Versuche nicht gross 
genug, um daraus sichere Resultate abzuleiten. Hier sei auch erwähnt, 
dass wir in einem Versuche, in dem die Infektion subcutan ausgeführt 
war und auf einer Rückenwunde eine mit Chloraluminium getränkte 
Mullkompresse und Watte aufgebunden wurde, ebenfalls eine Verzöge¬ 
rung des tödlichen Ausgangs gegenüber der Kontrolle beobachteten. 


Eine glatte Heilung wie in den Wundversuchen konnten wir zwar 
auch bei intravenöser Applikation des Chloraluminiums gegenüber der 
subcutanen Diphtherieinfektion nicht erzielen. Wohl aber trat hierbei 
fast stets eine ganz beträchtliche Verlängerung der Lebensdauer der 
Versuchstiere zutage. Das mag die folgende aus mehreren Versuchen 
kombinierte Tabelle 3 zeigen. 


Tabelle 3. 


Tier Nr. 

JE o 

g 

Infektion 

Chlor¬ 

aluminium 

intravenös 

Tod nach 
Stunden 

Anatomischer Befund 

296 

— 

2 ccm Bouillon¬ 
kultur subcut. 

0,05 in 

1 ccmNaCl 
n. 12 Std. 

72 

Nebennieren gerötet, m. ein¬ 
zelnen Blutungen. Pneu¬ 
monie beider Oberlappen. 

34 

405 

7s Oese Diph¬ 
therieserum¬ 
kultur subc. 

0,05 in 

1 ccmNaCl 
n. 18 Std. 

96 

Oedem der Bauch- u. Brust¬ 
decken. Pleuraexsudat. 

Nebennieren typisch. Bron¬ 
chopneumonie. 

405 

410 

72 Oese Diph¬ 
therieserum¬ 
kultur subo. 

0,05 in 

1 ccmNaCl 
n. 6 Std. 

148 

An d.Iojektionsstelle derbes 
Infiltrat. Nebennieren gross 
und blass. Milzvergrösse- 
rung. Diphtherietod? 

412 

380 

Va Oese Diph¬ 
therieserum¬ 
kultur subc. 

0,05 in 

1 ccmNaCl 
n. 6 Std. 

96 

Nebennieren fleckig gerötet, 
im ganzen blass. Oedem an 
Hals und Brust, hämorrhag. 
Exsudat d. Infektionsstelle. 

169 

375 

Vs Oese Diph¬ 
therieserum¬ 
kultur subc. 

0,05 in 

1 ccmNaCl 
n. 24 Std. 

96 

Typischer Befund an Neben¬ 
nieren und Injektionsstelle. 

417 

420 

Va Oese Diph¬ 
therieserum¬ 
kultur subc. 

0,05 in 

1 ccmNaCl 
n. 6 Std. 

48 

Nebenieren typisch. Sulziges 
Oedem der Infektionsstelle. 
Bronchopneumonie. 

293 

400 

2 ccm Bouillon¬ 
kultur subc. 


20 

Oedem d. Impfstelle. Starke 
Injektion des Peritoneums. 
Pleuraexsudat. 

61 

385 

7g Oese Diph¬ 
therieserum¬ 
kultur subo. 


24 

Oedem der Impfstelle. Hy¬ 
perämie und Blutung der 
Nebennieren. 

419 

360 

7a Oese Diph¬ 
therieserum¬ 
kultur subc. 


48 

Derbes Infiltrat an der In¬ 
jektionsstelle. Peritoneum 
rot injiziert. Nebennieren 
typ. Bronchopneumonie. 


Aus der Tabelle 3 ergibt sich, dass die mit Chloralaluminium 
behandelten Tiere durchschnittlich dreimal länger lebten 
als die Kontrollen; bei dem Tiere Nr. 405 besteht nach der 
sehr langen Lebensdauer und dem atypischen Sektions¬ 
befunde die Möglichkeit, dass es den Diphtherieprozess be¬ 
reits überstanden hat und sekundären Folgezuständen erlag. 
Dass der Erfolg einer vollkommenen Heilung in keinem der intravenösen 
Behandlungsversuche konstatiert werden konnte, möchten wir in erster 
Linie auf die durch die Giftigkeit notwendige Beschränkung in der Do¬ 
sierung des Mittels zurückführen. Eine mehrfache Injektion kleiner 
Mengen bei demselben Tier haben wir bisher nicht ausgeführt, um den 
Verlauf durch eine mehrmalige Halsoperation nicht zu komplizieren. Doch 
sind wir mit weiteren Experimenten nach dieser Richtung hin beschäftigt. 

Aus den Versuchen darf wohl gefolgert werden, 
dass das Cbloraluminiuin den Diphtherieinfektions¬ 
prozess auch von der Blutbahn aus in günstigem Sinne 
zu beeinflussen imstande ist, auch noch zu einer Zeit, 
wenn an der Stelle der Infektion eine reichliche Ver¬ 
mehrung der Keime ein getreten ist und ohne dass eine 
sichtbare Beeinflussung des lokalen Prozesses zu beobachten 
wäre. Die Verlängerung der Lebensdauer dürfte daher 
nicht auf einer Beschränkung des Infektionsprozesses 
selbst beruhen, sondern auf der Entgiftung des im 
Blute kreisenden Toxins. Das Ausbleiben des Dauer¬ 
erfolges wird durch die auch nach der Chloraluminium¬ 
anwendung fortdauernde Toxinproduktion im Infektions¬ 
herde bedingt. 

Die Versuche einer Heilung der Vergiftung mit Diphtherietoxin durch 
Chloraluminium sind nur wenig zahlreich und gestatten keine sichere 
Beurteilung, da ihre Erfolge nicht gleicbmässige waren. Von grosser 
Bedeutung scheint hier dieZeit zu sein, in der die Injektion 
des Mittels erfolgte. Bei Versuchen, in welchen dieselbe nach 37* 
und 3 Stunden vorgenommen wurde, sahen wir keine Beeinflussung des 
Prozesses. Die Nachbehandlung nach eioer Stunde mittels intravenöser 
Applikation erzielte eine deutliche Verlängerung der Lebensdauer und 
mitunter auch einen absoluten Heileffekt, wie im folgenden Versuch dar¬ 
gestellt wird. (Tabelle 4.) 

Während also die subcutane Zufuhr des Mittels keinerlei 
Einfluss auf den Verlauf der. Intoxikation hatte, zeigen die 


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9. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1066 


Tabelle 4. 

Versuch 3. 30.1. 1913. 


Tier Nr. | 

_ Ge¬ 
wicht 

Intoxikations¬ 
dosis 0,000 02 
p. Gramm Tier 

Nachbehandlung 

1 Std. später 

Ergebnis 

12 

340 

0,0068 g 

0,25 Chloralumi¬ 
nium subcutan 

f nach 24 Std. Infiltrat an 
d. Injektionsstelle. Rötung 
und Schwellung d. Neben¬ 
nieren. 

286 

280 

0,0056 g 

0,25 Chloralumi¬ 
nium subcutan 

t nach 36 Std. Typischer 
Befund. 

312 

400 

0,008 g 

0,05 Chloratumi- 
uium intravenös 

Tier lebt. 

311 

360 

0,0072 g 

0,05 Chloralumi¬ 
nium intravenös 

f nach 96 Std. Broncho¬ 
pneumonie. Nebenniere 
vergrössert, bräunlich ver¬ 
färbt. 

84 

370 

0,0074 g 

— 

f nach 36 Std. Typischer 
Befund. 


intravenös behandelten eine Heilung oder wenigstens 
eine starke Verzögerung des tödlichen Ausganges. 

Bei verspäteter Applikation war auch eine Verzögerung des 
tödlichen Ausganges nicht zu erkennen. Dagegen trat sie wieder 
zutage, wenn es sich dabei auch nur um Stunden handelte, sobald 
durch eine gar zu grosse Giftdosis der Tod der Kontrolliere 
innerhalb 18—20 Stunden erfolgte, die Zufuhr des Mittels dagegen 
zur rechten Zeit vorgenommen wurde. 

Gegen Giftmengen, die auch nur wenig über der einfach töd¬ 
lichen Dosis standen, erwies sich das Mittel immer machtlos, 
unserer Ansicht nach aus der geringen Quantität, deren An¬ 
wendung der Organismus gestattet. 

Regelmässig dagegen war bei der Mischung relativ 
kleiner Mengen des Chloraluminiums mit dem Diph¬ 
theriegift in vitro eine sehr erhebliche Beeinflussung 
seiner Wirksamkeit zu erkennen. 

Die vom Meerschweinchen noch gut subcut&n vertragene Menge von 
0,25 ccm der 25 proz. Lösung vermag die einfache, die fünffache 
und zehnfache Tozinmenge zu neutralisieren, während sie 
der 20fachen gegenüber versagt. Das zeigt das folgende, aus 
zwei Versuchen kombinierte Protokoll. (Tabelle 5.) 

Tabelle 5. 

Versuch 4. 29 I. und 15. II. 1913. 

Wechselnde Mengen Diphtherietozin werden in 1 ccm Kochsalzlösung 
mit 0,25 ccm 25 proz. Chloraluminium in 1 ccm Kochsalzlösung gemischt, 
18—24 Stunden bei 37° gehalten, dann im ganzen Meerschweinchen sub- 
outan injiziert. Die in Kochsalzlösung 24 Stunden bei 37° gehaltene 
einfache Giftmenge (0,000 02 pro Gramm Tier) erhält die Kontrolle. 


Tier Nr. 

■f* 

© -s 

8 

Giftdosis und Chlor¬ 
aluminiummenge 

Ausgang 

Befund 

400 

285 

0,2 Toxin (= 35 mal d. let.) 
+ 0,25 Cbloraluminium 

f nach 72 Std. 

Typisch 

434 

290 

0,12 Toxin (= 20 mal d. let.) 
+ 0,25 Chloraluminium 

t „ 72 „ 

do. 

544 

260 

0,104 Toxin (=20 mal d. let.) 
+ 0,25 Chloraluminium 

+ . 72 » 

do. 

344 

295 

0,1 Toxin (= 15 mal d. let.) 
+ 0,25 Chloraluminium 

+ ■ 96 „ 

do. 

402* 

228 

0,05 Toxin (= 10mal d. let.) 
+ 0,25 Cbloraluminium 

Tier lebt 

— 

483 

300 

0,03 Toxin (= 5 mal d. let.) 
+ 0,25 Chloraluminium 

do. 

— 

501 

270 

0,03 Toxin (= 5 mal d. let.) 
+ 0,25 Chloraluminium 

do. 

— 

481 

370 

0,007 Toxin (=lmald. let.) 
+ 0,25 Cbloraluminium 

do. 

— 

77 

340 

0,0068 Toxin (= 1 mal d. let.) 
-f- 0,25 Chloraluminium 

do. 

— 

306 

240 

0,0048 Toxin (= 1 mal d. let.) 
ohne Chloraluminium 

f nach 72 Std. 

Typisch 


Demnach vermag die suboutan vertragene Menge des 
Mittels das lOfache der tödlichen Giftmenge zu neutrali¬ 
sieren, während sie dem 15- und 20fachen Multiplum gegen¬ 
über versagt. Dieses Hervortreten quantitativer Beziehungen zwischen 
dem Tozin und der neutralisierenden Chloraluminiummege scheint uns 
bemerkenswert zu sein und die* Ursache der beschränkten 


Wirkung des Präparates im Tierkörper bei den kleinen 
Mengen, die wir bisher intravenös angewendet haben, zu er¬ 
klären. Denn wenn schon bei dem direkten Kontakt während 

24 Stunden nur eine verhältnismässig geringe Menge des Giftes ver¬ 
nichtet wird, so wird das bei den ungünstigeren Bedingungen im Orga¬ 
nismus in noch bescheidenerem Grade der Fall sein, sofern die Ver¬ 
hältnisse in vitro überhaupt mit denen in vivo verglichen werden 
dürfen. Jedenfalls aber beweisen die Versuche in vitro, dass 
zwischen dem Tozin und dem Chloraluminium Affinitäten 
bestehen, die zur Erklärung der Wirkungen des Mittels im 
Tierkörper wohl herangezogen werden dürfen. Aehnliche 
Verhältnisse haben wir übrigens auch dem Ricin gegenüber 
beobachtet, doch sind unsere diesbezüglichen Versuche noch nicht 
beendet. 

Wir haben auch die bakteriziden Wirkungen des Chloraluminiums 
in vitro untersucht und gefunden, dass sie sowohl bei Anwendung der 

25 proz. Lösung wie bei einer 5 fachen Verdünnung (also einer 5 proz. 
Lösung) in destilliertem Wasser bei 24stündiger Einwirkung ab¬ 
solute sind. Eine genaue Auswertung der baktericiden Kraft haben 
wir jedoch unterlassen, da sie im Tierkörper keine wesentliche Rolle 
spielt und daher für die chemotherapeutische Verwertung des Mittels 
ohne Belang zu sein schien. 

Kurz zusammen gefasst ergeben unsere Versuche mit Diph¬ 
therie eine deutliche günstige Wirkung des Chlor¬ 
aluminiums auf die Diphtherieinfektion und Intoxi¬ 
kation, besonders bei lokaler Anwendung auf eine mit 
Diphtheriebacillen infizierte Wunde, wobei in 50pCt. 
Heilerfolge erzielt wurden, aber auch bei subcutaner 
Giftzufuhr und intravenöser Ein Verleihung des Mittels, 
wobei eine Verlängerung der Lebensdauer ums Drei¬ 
fache beobachtet wurde. Der Mechanismus dieser Wir¬ 
kung kann wegen des Versagens prophylaktischer 
Effekte am Orte der Infektion und wegen der Fern¬ 
wirkungen kein mechanischer Fällungsvorgang, noch 
wegen des Ueberlebens von Bacillen im geretteten 
Tiere ein baktericider sein. Die günstige Wirkung bei 
der reinen Diphtherieintoxikation und der neutrali¬ 
sierende Effekt in vitro sprechen dafür, dass es sich 
hierbei in erster Linie um antitoxische Vorgänge handelt. 

An zweiter Stelle seien unsere Ergebnisse mit dem Chlor¬ 
aluminium bei der Tuberkulose dargestellt. 

Obwohl diese Versuche uns im Hinbliok auf die praktischen Erfolge 
beim Menschen besonders interessieren, sind unsere Ergebnisse aus 
äusseren Gründen auf diesem Gebiete nicht ganz sicher, weil die Zahl 
unserer Ezperimente hier nur gering ist. Zunächst versuchten wir eine 
therapeutische und prophylaktisch-therapeutische Beeinflussung der intra¬ 
venösen Tuberkelbacilleninfektion durch mehrfache intravenöse Zufuhr 
von 0,05 ccm der 25 proz. Lösung des Mittels zu erzielen. Unsere dies¬ 
bezüglichen Versuche beziehen sich auf 10 Tiere, von denen 3 eine 
dreimalige, 3 eine zweimalige, die übrigen eine einmalige Injektion des 
Mittels erhielten. Die Sektion ergab bei den 8 Tieren, welche die In¬ 
fektion 3 Wochen überlebten, keinen wesentlichen Unterschied der Aus¬ 
dehnung des tuberkulösen Prozesses gegenüber den Kontrollen. Bei 
einigen Tieren schien die Lunge im Vergleich mit den Kontrollen weniger 
schwer erkrankt zu sein als Milz und Leber, bei den anderen war aber 
auch von einem solchen Verteilungsunterschied nichts zu sehen. 

Das Mittel versagte also im Blutkreislauf voll¬ 
kommen gegenüber der Tuberkuloseinfektion. 

Im Anschluss an die Versuche mit Diphtheriebacillen haben 
wir auch mit den Tuberkelbacillen Wundversuche ange¬ 
stellt und diese lokal mit Cbloraluminium zu beeinflussen ver¬ 
sucht. Der Erfolg dieser Experimente an drei Tieren 
war ebenfalls vollkommen negativ. 

Anfänglich schien bei den mit dem Mittel behandelten Tieren wohl 
eine gewisse Verzögerung des Infektionsprozesses einzutreten, indem die 
Drüsen später erkrankten und kleiner blieben als bei der Kontrolle, 
aber bei der nach 6 Wochen vorgenommenen Sektion zeigten die Tiere 
eine durchaus gleichartige Verteilung und Ausbreitung des tuberkulösen 
Prozesses. Und dabei hatte die Wundbehandlung 10 Tage gedauert 
und der Verband mit der 25 proz. Lösung war fünfmal erneuert worden. 

Dieses gänzliche Versagen der lokalen Wirkungen auf eine 
mit Tuberkelbacillen infizierte Wunde Hess uns an baktericiden 
Wirkungen des Mittels gegenüber Tuberkel bacillen überhaupt 
zweifelo. Doch konnten wir uns überzeugen, dass das 
Chloraluminium in 25proz. Lösung bei 24stündigem 
Kontakt mit Tuberkelbacillen bei 37° diese voll¬ 
kommen abzutöten vermag. 

Der Bodensatz eines Gemisches von 5 mg Tuberkelbacillen in 1 ccm 
der 25 proz. Lösung erwies sich im Tierversuch zweimal vollkommen 
avirulent, während ein in gleicher Weise in Kochsalzlösung hergestelltes 
Gemisch im Verlauf von 8 Wochen eine schwere Impftuberkulose er¬ 
zeugte. Das Verhalten des Mittels den Tuberkelbacillen gegenüber war 

2 * 


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1066 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 23. 


also analog dem gegenüber den Diphtheriebacillen: in vitro starfee 
baktericide Wirkung, in vivo Versagen derselben. 

Von besonderem Interesse war für uns das Ergebnis der 
Anwendung des Chloraluminiums auf das Tuberkulin. Leider 
konnten wir es bisher nur in vitro dem giftigen Tuberkelbacillen¬ 
produkt gegenüberstellen aus Mangel an ausreichendem Material 
an tuberkulösen Tieren. Hier aber zeigte es sich, dass das 
Chloraluminium das Gift ebenso zu neutralisieren 
vermag wie das Diphtherietoxin. 

Als Beispiel dafür diene der folgende Versuch. (Tabelle 6.) 

Tabelle 6. 

Versuch 5. 18. II. 1913. 

Ein Tuberkulin, das bei subcutaner Injektion von 0,05 ccm tuberkulöse 
Tiere in 24 Stunden tötete, wird in wechselnden Mengen mit der sub- 
cutan gut vertragenen Chloialuminiummenge von 0,25 ccm in 2 ccm 
Kochsalzlösung gemischt und auf 8 Stunden in den Brutschrank bei 
37° gestellt Dann subcutane Injektion bei tuberkulösen Tieren. 


Tuberkulin- 

menge 

25 proz. Chlor- 
aluminiumlösuDg 

Ergebnis 

Befund 

0,5 ccm 

0,25 ccm 

Tier + 

Ausgedehnte 

Impftuberkulose 

0,1 * 

0,25 „ 

Tier lebt 

— 

0,05 „ 

0,25 „ 

do. 

— 

0,05 „ 


Tier f 

Tuberkulose 


Der Versuch 5 zeigt, dass die 20 fache M enge der tödlichen 
Tuberkulindosis durch Chloraluminium entgiftet wurde, 
während die lOOfache Dosis ihrer Giftwirkung auf das 
tuberkulöse Tier nicht mehr beraubt wurde. Wir möchten bei 
der spärlichen Zahl von Versuchen, über die wir bisher verfügen, noch 
nicht behaupten, dass dieses Verhalten regelmässig und jeder Tuberkulin¬ 
probe gegenüber zutage treten wird. Aber die Aehnlichkeit mit dem 
Verhalten gegenüber dem Diphtherietoxin scheint uns dafür zu sprechen, 
dass unsere bisherigen Ergebnisse nicht auf zufälligen Geschehnissen 
beruhten. Die Möglichkeit, dass es sich bei dieser das Tuberkulin 
neutralisierenden Wirkung um ganz unspezifische Effekte des Chlor¬ 
aluminiums gegen das Gift als Eiweisskörper handele, ist nicht von der 
Hand zu weisen. Indessen spricht die Analogie mit den Ergebnissen 
gegenüber dem Diphtherietoxin, die durch die Wirkungen im Tierkörper 
ergänzt werden, gegen eine solche Annahme. Ob die tuberkulinneutra¬ 
lisierende Wirkung des Mittels auch im Tierkörper zutage tritt, haben 
wir noch nicht entscheiden können, doch sind wir mit Untersuchungen 
nach dieser Richtung hin beschäftigt. 

Die Ergebnisse unserer Versuche mit Tuberkulose lassen sich 
dahin zusammen fassen, dass die Tuberkuloseinfektion weder 
bei prophylaktischer noch bei therapeutischer An¬ 
wendung des Chloraluminiums und weder bei lokaler 
Applikation noch bei allgemeiner Zufuhr zum Kreis¬ 
lauf irgendeine Beeinflussung erfährt. Dagegen tritt 
eine deutliche baktericide Wirkung des Mittels den 
Tuberkelbacilien gegenüber in vitro zutage und eine 
ParalysieruDg der spezifisch toxischen Wirkungen des 
Tuberkulins unter den gleichen Bedingungen. 

Nun unsere Ergebnisse bei der Typhus- und Milzbrand¬ 
infektion. 

In einem an vier Versuchstieren und einem Kontrolltier vorge- 
nommenen Typhusversuch, in dem die Kaninchen mit 1 j i Oese einer 
24 ständigen Agarkultur infiziert und 24 Stunden später zum erstenmal, 
darauf noch 5 Tage hindurch mit je 0,05 ccm behandelt wurden, fanden 
wir bei der Sektion Typhusbacillen bei der Kontrolle und einem be¬ 
handelten Tiere, während die drei übrigen typhusfrei waren. Der 
Versuch ergab also zum wenigsten keine regelmässige Be¬ 
einflussung des Infektionsprozesses. In späteren Versuchen er¬ 
wiesen sich zum Teil auch die Kontrollen als frei von Bacillen, so dass 
das eine günstige Resultat vielleicht nur durch die ungleichmässige In¬ 
fektion vorgetäuscht sein konnte. In einem Versuch behandelten wir 
Kaninchen intravenös mit 0,05 ccm Cbloraluminium und Hessen die 
Typhusinfektion intravenös unmittelbar folgen, so dass also das Mittel 
mit den Bacillen in der Blutbahn Zusammentreffen musste. Bei der 
nach 2 Tagen vorgenommenen Sektion waren die behandelten Kaninchen 
ebenso mit Typhusbacillen infiziert wie die Kontrolle. 

Wir glauben damit unsere Versuche, die Typbus¬ 
infektion durch das Cbloraluminium zu beeinflussen, 
als im wesentlichen negativ ausgefallen beurteilen zu 
müssen. 

Absolut ungünstig war das Ergebnis der lokalen 
Behandlung von mit M ilzbrand bacillen infizierten 
Wunden mit dem Chloraluminium. 


In drei Versuchen starben uns sämtliche mit in 25 proz. Lösung 
getränkter Gaze verbundenen Tiere fast zur gleichen Minute wie die un¬ 
behandelten Kontrollen. Auch bei wenigen Versuchen mit Reourrens- 
mäusen und mit Typhus Lewisi infizierten Ratten konnten 
wir einen nennenswerten Einfluss auf die Zahl der Parasiten 
im Blut und den Verlauf der Infektionen nicht erkennen. 

Wenn wir die Gesamtergebnisse unserer mit dem „Pro- 
pbylakticum Mallebrein u ausgeführten Versuche zusammen fassen, 
so glauben wir, darin einige Anhaltspunkte für das 
Verständnis der therapeutischen Wirkungen des Mittels 
beim Menschen gefunden zu haben. Mit dem Präparat 
Bind bei Diphtherie im Tierversuch zweifellos günstige 
Ergebnisse erzielt worden. 

Das Mittel hat bei der Technik des Wundversuches BOpCt 
der Tiere geheilt, bei den übrigen zum mindesten eine beträcht¬ 
liche Verlängerung des Lebens erzielt Den Mechanismus 
dieser Wirkung glauben wir als einen im wesentlichen 
antitoxUchen ansehen zu dürfen; denn das Mittel bat 
auch bei einer vollkommenen Heilwirkung auf den 
Diphtherieprozess keine absolute Baktericidie in der 
Wunde erzeugt und dem reinen Diphtherietoxin gegen¬ 
über ähnliche Heileffekte entfaltet, wie bei der bacil- 
lären Infektion. Dagegen hat es Infektionsprozessen 
gegenüber, die ohne eine wesentliche direkte Toxin¬ 
wirkung einhergehen, bei denen die Krankheit vorwiegend 
mit der Vermehrung der Erreger im Organismus in Beziehung steht, 
wie es beim Typhus und beim Milzbrand der Fall ist, 
teils vollkommen versagt, teils ganz unsichere Resultate 
geliefert. 

Das gleiche gilt von der Tuberkuloseinfektion, 
auch diese wurde nicht wesentlich beeinflusst. Ob das 
toxische Produkt der Tuberkelbacillen, das Tuberkulin, im Tier¬ 
körper durch das Präparat so beeinflusst wird, dass vielleicht die 
Ueberempfindlicbkeitserscheinungen tuberkulöser Tiere unterdrückt 
werden, ist Gegenstand weiterer Prüfungen unsererseits, ebenso 
die Frage einer eventuellen Abschwächung anaphylaktischer Vor¬ 
gänge. In vitro jedenfalls hat das Mittel auf das Tuber¬ 
kulin einen seine spezifischen Wirkungen deutlich 
herabsetzenden Einfluss entfaltet. 

Die baktericiden Leistungen, die das Chloralu¬ 
minium Mallebrein’s Diphtheriebacillen und, was be¬ 
sonders zu beachten ist, auch Tuberkelbacillen gegen¬ 
über in vitro ausübt, spielen im Organismus keine 
wesentliche Rolle, wie aus unseren Wund versuchen mit den 
Erregern der ebengenannten Infektionsprozesse hervorgeht. 

Diese Ergebnisse unserer Versuche stehen übrigens nicht allein. 
Schon v. Behring ist in seinen Untersuchungen über die Heilung der 
Diphtherie mit Chemikalien zu ähnlichen Resultaten gelangt. Er konnte 
sich davon überzeugen, dass auf diesem Wege eine Heilwirkung erreich¬ 
bar war, ohne dass die Erreger dabei zu gründe gingen. Er äussert 
sich dahin, dass die Heilwirkung der Chemikalien nicht sowohl durch 
ihre Beeinflussung der Bakterien als vielmehr durch die Paralysierung 
der Bakterienprodukte zu erklären ist. Die Ergebnisse unserer Versuche 
stimmen also mit der Anschauung v. Behring’s vollkommen überein, 
ohne dass uns diese früheren Befunde bei unserer Arbeit beeinflusst 
hätten, da uns v. Behring’s Versuche erst bekannt wurden, als unsere 
Resultate schon festgelegt waren. 

In einem Punkte jedoch weichen unsere Ergebnisse 
von v. Behring’s Beobachtungen ab: wir sahen eine 
deutliche Fernwirkung des 26 proz. Chloraluminiums 
auf den Diphtherieprozess, da wir das Mittel auch von 
der Blutbahn aus zu günstigem Einfluss auf denselben 
bringen konnten. 

v. Behring dagegen musste sich davon überzeugen, dass nur die 
Lokalbehandlung mit Chemikalien (Jodtrichlorid, Goldnatriumchlorid) 
einen einigermaassen sicheren Heilerfolg erwarten liess und dass sie ihre 
Wirkung versagten, wenn sie entfernt von der Infektionsstelle appliziert 
wurden. 

Diese Fernwirkung scheint uns daher einen beson¬ 
deren Vorzug des „Prophylakticum Mallebrein“ gegen¬ 
über den von v. Behring benutzten Chlorpräparaten dar¬ 
zustellen. Vielleicht ist die Ursache dieser Differenz in einer 
Verschiedenheit der Resorptionsverhältnisse des Chloraluminiums 
und den v. Behring’schen Chlorverbindungen zu suchen. Wir 
haben bei der Mischung des Mittels mit Meerschweinchenserum 
bzw. Eiereiweisslösung keine Fällung der Eiweisssubstanzen beob¬ 
achtet und die Abscheidung des Chlors in den Eiweisslösungen 
gestaltete sich bei Zimmertemperatur langsamer als in Kochsalz¬ 
lösung, erreichte innerhalb von 24 Stunden aber doch die gleiche 


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9. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1057 


Stärke. Mit der Prüfung dieses interessanten Verhaltens Eiweiss¬ 
stoffen gegenüber sind wir noch weiter beschäftigt. Fällungs¬ 
vorgänge im Sinne Mallebreins, durch die ein Schutz- 
wall gegen Krankheitserreger geschaffen werden könnte, 
halten wir auch aus diesen Beobachtungen nicht für 
die Ursache der günstigen Wirkungen des Mittels; die¬ 
selben dürften vielmehr ausschliesslich durch Resor¬ 
ptionsvorgänge erklärt werden können. 

Das „Prophylakticum Mallebrein M verdient nach unserer An¬ 
sicht seiner wertvollen Eigenschaften halber volle Berücksichti¬ 
gung von seiten der Chemotherapie und des praktischen Thera¬ 
peuten, und wir hoffen mit der vorliegenden Mitteilung, deren 
Lücken wir uns wohl bewusst sind, eine Anregung zur weiteren 
Prüfung dieser Chlorverbindung gegeben zu haben. 


Aus der Universitäts-Kinderklinik in Göttingen 
(Direktor: Prof. F. Göppert). 

Untersuchungen über die therapeutisch wirk¬ 
same Dosierung von Kalksalzen mit besonderer 
Berücksichtigung der Spasmophilie. 1 ) 

Von 

Dr. Kart Blfihdorn, Assistenzarzt der Klinik. 

Die therapeutische Verwendung des Kalkes hat in den letzten 
Jahren eine ziemlich grosse Ausdehnung angenommen, nachdem 
J. Loeb gefunden hatte, dass den Calciumionen eine die Erreg¬ 
barkeit des Nervensystems herabsetzende Wirkung zukäme, und 
vor nicht langem Chiari und Januschke 2 3 ) als eine bisher un¬ 
bekannte Wirkung der Kalksalze eine Verminderung der Durch¬ 
lässigkeit der Gefässwand festgestellt hatten. 

So ist der Kalk insbesondere bei Spasmophilie von Herbst 9 )} 
Rosenstern 4 5 ), L. F. Meyer 6 ) u. a., bei tetanischen Zuständen 
Erwachsener von Curschmann 6 ) und E. Meyer 7 ), bei Asthma 
bronchiale von Kays er 8 ) angewendet worden. Schon vor einer 
längeren Reihe von Jahren ist er von Wright 9 ) für die Behand¬ 
lung der Urticaria empfohlen worden, er ist ferner auch als Pro¬ 
phylakticum zur Vermeidung von Serumexanthemen benutzt worden. 
Dazu sei jedoch bemerkt, dass wir während therapeutischer An¬ 
wendung von Kalk in einem Falle eine sehr ausgeprägte Urticaria 
entstehen sahen, und dass wir ferner in zwei Fällen, die mit 
Diphtherieserum gespritzt waren und die gleichzeitig aus be¬ 
stimmter Indikation Kalk erhielten, schon sehr kurz nach der 
erstmaligen Injektion das eine Mal am fünften, das andere Mal 
am vierten Tage ein Serumexanthem auftreten sahen, ja in dem 
einen Falle das typische Bild einer mit Fieber einhergehenden 
Serumkrankheit beobachten konnten. Ein englischer Autor, 
Cassidy 10 ), hat ganz entsprechende Beobachtungen gemacht. 
Er hat eine Anzahl seiner mit Serum gespritzten Patienten mit 
Kalk behandelt, einen anderen Teil nicht; dabei bat er bei der 
ersten Gruppe häufiger und heftigere Serumexantheme als bei 
den nicht mit Kalk behandelten Kranken gefunden. 

Nichtsdestoweniger haben wir die innerliche Darreichung von 
Kalksalzen, z. B. bei akuten Schüben konstitutioneller Ekzeme 
versucht, und wir glauben, in einer Anzahl von Fällen dabei 
eine sehr günstige Beeinflussung gesehen, in anderen allerdings 
einen vollkommenen Misserfolg beobachtet zu haben. 

Unsere Aufgabe nun, die wir uns eigentlich gestellt hatten, 
war die: eine Dosierung des Kalkes zu finden, von der wir uns 
einen Erfolg für die Therapie versprechen konnten. Nachdem 
wir bereits im vorigen Winter mit längere Zeit fortgesetzten 

1) Die ausführliche Arbeit erscheint demnächst in der Monatsschrift 
für Kinderheilkunde. 

2) Chiari und Januschke, Archiv f. experim. Pathol. u. Therapie, 
Bd. 65. 

3) Herbst, Deutsche med. Wochenschr., 1910, S. 565. 

4) Rosenstern, Jahrb. f. Rinderheilk., Bd. 72. 

5) L. F. Meyer, Diskussion zum Vortrag Zybell, Jahrb. f. Kinder¬ 
heilkunde, Bd. 74, S. 558. 

6) Cursohmann, Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk., Bd. 39. 

7) E. Meyer, Therap. Monatsb., 1911, Nr. 7. 

8) C. Kayser, Therap. Monatsb., 1912. 

9) Wright, Lancet, 1896. 

10) Cassidy, Lancet, 1911. 


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Gaben von IV 2 —2 g Calcium aceticum keinen Einfluss auf die bei 
Spasmophilie vorhandene elektrische Uebererregbarkeit des peri¬ 
pheren Nervensystems (Auftreten der Kathodenöffnungszuckung 
vor 5 und der Anodenöffnungszuckung vor 4 Milliampere) erzielen 
konnten, gingen wir, da Rosenstern gezeigt hatte, dass es 
durch einmalige grosse Dosen von Calciumchlorid (3 g) möglich 
ist, die elektrische Uebererregbarkeit und andere spasmophile 
Symptome vorübergehend günstig zu beeinflussen, zu grösseren 
Kalkdosen über. & schien uns aussichtsreich, die Wirksamkeit 
des Kalkes an einem reversiblen Prozess, wie ihn eben die elek¬ 
trische Uebererregbarkeit bei Spasmophilie vorstellt, zu prüfen, 
ohne zunächst an die therapeutische Verwendung bei Spasmo¬ 
philie zu denken, für deren Behandlung wir allerdings dabei 
einige nicht unwesentliche Punkte gefunden haben. 

Wir hatten Gelegenheit, an einem ziemlich grossen Material 
des letzten Winters (17 klinische und 10 verwertbare poliklinische 
Fälle) recht häufige und eingehende Untersuchungen vorzunehmen, 
über die ausführlich in der Monatsschrift für Kinderheilkunde 
berichtet werden soll. Ich beschränke mich daher hier wesent¬ 
lich darauf, die Resultate der Versuche in kurzem wiederzugeben, 
und muss des näheren auf die spätere Arbeit verweisen. 

Es wurde bei unseren Untersuchungen mit verschiedenen Kalk¬ 
salzen gearbeitet. 

Wir haben vornehmlich das Stangencalciumchlorid verwandt, das 
sich als das bestwirksamste Calciumsalz erwies. Und dies ist leicht er¬ 
klärlich, wenn es sich bei der Kalkanwendung, wie wir nach unseren 
Versuchen annehmen müssen, um eine reine Kalkwirkung handelt. Denn 
berechnet man nach den Atomgewichten den Kalkgehalt der einzelnen 
zur Benutzung kommenden Kalksalze, so enthält: 


1 g Calciumchlorid = 

ungefähr 0,36 g Calcium 

(Stangenform) 



1 „ Calciumchlorid = 

„ 0,19 „ 

ff 

(cristallisatum) 



1 „ Calcium aceticum = 

, 0,26 , 

ff 

1 „ „ bromatum = 

. 0,2 . 

ff 

1 n „ lacticum = 

, 0,19 „ 

ff 

1 „ „ citrioum = 

. 0,18 „ 

ff 


Wir sehen aus dieser Zusammenstellung, dass z. B. eine Lösung 
von Calcium chlorat. crystallisatum nur halb so wirksam als eine solche 
von Calcium chlorat. aus Stangenform hergestellte sein kann. Von 
dieser Tatsache haben wir uns in unseren Versuchen überzeugen können. 
In zweiter Linie sind jedoch auch die für die einzelnen Kalksalze ver¬ 
schiedenen Resorptionsbedingungen für die bessere oder sohlechtere 
Wirksamkeit in Rechnung zu ziehen. 

Es ist dud mit grossen Dosen Calciumchlorid (3— 6 g in 
Abständen von 2 Stunden als Gaben von 1 g gereicht), in allen 
Fällen beim Säugling innerhalb weniger Stunden gelungen, die 
elektrische Uebererregbarkeit zur Norm zurückzuführen und bis 
auf einen Fall auch das Facialisphänomen und andere spasmo¬ 
phile Erscheinungen zum Schwinden zu bringen. Nur in einem 
Falle, bei einem 5 jährigen Kind, mit eben entstandener mani¬ 
fester Tetanie — alle unsere anderen Fälle betrafen Säuglinge — 
ist es nicht geglückt, durch innerliche Darreichung von 11g CaCl 3 
innerhalb von 24 Stunden die elektrische Uebererregbarkeit zu 
beseitigen, dagegen ist das Trousseau'sche und Facialisphänomen 
nach 3 g Calciumchlorid schon innerhalb 3 Stunden beseitigt 
worden. In dem anderen bereits eben angedeuteten Falle konnten 
wir im Gegensatz hierzu durch Kalk die elektrische Erregbarkeit 
zwar durchaus normal gestalten, trotzdem sind ohne elektrische 
Ueberregbarkeit schwere Krampfzustände aufgetreten, die durch 
Weglassen des Kalkes noch gesteigert wurden und erst durch 
hohe Dosen völlig beseitigt werden konnten. 

Wenn es uns gelungen war, durch grosse Kalkgaben (4—8 g 
innerhalb 24 Stunden) eine günstige Wirkung zu erzielen, 
gingen wir allmählich mit der Dosis herunter und konnten fast 
regelmässig beobachten, dass relativ grosse Dosen von 2 bis 
3 g CaCl 2 die elektrische Erregbarkeit nicht lange günstig be¬ 
einflussen konnten. Wir sahen jedoch bei längere Zeit gegebenen 
Gaben von 2 bis 3 g CaCI 2 oder Calcium bromatum (L. F. Meyer) 
nie wieder manifeste spasmophile Erscheinungen auftreten. Durch 
gehäufte, grosse Dosen konnten wir experimenti causa jedesmal 
wieder die elektrische Erregbarkeit normal gestalten. 

Die umstehende Kurve möge zeigen, wie Calcium lacticum 
und Calcium aceticum (in gleichprozentigen Lösungs-, nicht aber 
äquivalenten Mengen) gar keinen oder nur geringen Einfluss auf 
die elektrische Uebererregbarkeit auszuüben vermögen, während 
CaCI 2 auch nach 24stündigem vorherigen Aussetzen des Kalkes schon 
in wenigen Stünden nach Darreichung von 4 g die elektrische Er¬ 
regbarkeit normal gestalten kann und auch das vorher bestehende 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 23. 



Facialispbänomen zu beseitigen vermag. Eine während des Ver¬ 
suchs vorgenommene Zulage von Milch hat, wie aus der Kurve 
ersichtlich ist, keinen hemmenden Einfluss auf die Kalkwirkung. 

Besonders betont sei, dass die Kalkwirkung ebenso rasch, 
wio sie auftritt, wieder abklingt. Man soll darum, worauf 
Curschmann 1 ) hinweist, mit der Kalkdarreichung nicht brüsk 
abbrechen, weil man hierbei ein gehäuftes Wiederauftreten früherer 
Erscheinungen beobachten kann. Tatsächlich konnten wir in 
einem Falle, der längere Zeit Kalk bekam, nach plötzlichem 
Weglassen grosser Dosen ein Wiedererscheinen von Stimmritzen¬ 
krämpfen, die wochenlang sistiert hatten, sehen; in vielen anderen 
Fällen haben wir jedoch diese Beobachtung nicht gemacht. 

Wir sahen einen Erfolg der Kalkdarreichung in gleicher 
Weise bei Nahrungsentziehung im Hungerzustande, der nach 
Zybell 2 ) bei Spasmophilie in vielen Fällen besonders gefährlich 
ist, im Fieber und bei jeder beliebigen Nahrung auch bei An¬ 
wendung grösserer Milchmengen eintreten. 

Was nun die Form der Kalkmedikation betrifft, so haben 
wir für die innerliche Darreichung per os stets 5 proz. Lösungen 
verwandt. Da der Kalk vom Säugling zumeist schlecht genommen 
wird, fügten wir, wie ich 3 ) bereits bei anderer Gelegenheit hier 
erörtert habe, als Geschmackskorrigentien Liquor ammon. anis. 
und Saccharin zu. Die Verordnung würde also lauten: 


Rp. CaCl 2 (siccum) 10,0 
Liqu. ammon. anis. 2,0 
Gumm. arab. 1,0 

Saccharin q. s. 

Aqu. ad 200,0. 


M. D. S. z. B. sechsmal täglich 10 ccm (= 0,5 g CaCl 2 ). 

Wir haben den Kalk vereinzelt auch per clysma verabfolgt 
und haben dann, um jede Reizung zu vermeiden, nur 2 1 J 2 proz. 
Lösungen benutzt. 

Von Nebenerscheinungen, die eventuell zum zeitweisen Aus¬ 
setzen zwingen, haben wir Appetitlosigkeit, Obstipation mit 
massiger Auftreibung des Leibes und bisweilen Erbrechen ge¬ 
sehen, doch waren die Symptome nie irgendwie gefahrdrohend, 
vielmehr konnten wir ohne Schaden den Kalk bei einzelnen 
Fällen wochen- und monatelang verordnen. Darmkatarrhe jeglicher 
Art sind keinerlei Kontraindikation für die Anwendung des 
Kalkes. 

Zum Schluss fassen wir das Resultat unserer Untersuchungen 
dahin zusammen: 

1. Will man mit der Darreichung von Kalk eine rasche und 
sichere Wirkung erzielen, so müssen beim Säugling sehr grosse 
Dosen angewandt werden. 

1) Curschmann, Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk., 1912, Bd. 45. 

2) Zybell, s. 4. 

3) Blühdorn, Diese Wochenschr., 1913, Nr. 1. 


2. Das bestwirkende Kalksalz ist das nicbtkristallisierte 
Calciumchlorid. Andere^ Kalksalze haben zum mindesten keine 
Vorzüge. 

3. Die Wirkung des Kalkes ist zwar prompt, aber vorüber¬ 
gehend. Er Ist deswegen für die Behandlung der Spasmophilie 
bei akuten Erscheinungen sehr wertvoll, wenn freilich man auch 
im Krampfanfall auf Chloralhydrat nie verzichten wird. 

4. Der Kalk eignet sich auch für die Dauerbehandlung der 
Spasmophilie, da man durch fortgesetzte relativ grosse Dosen 
(2—3 g pro die) manifeste spasraophile Erscheinungen bis zur 
vollkommenen Genesung wird verhindern können, obwohl man 
auf die elektrische Erregbarkeit einen dauernden günstigen Ein¬ 
fluss nicht behalten kann. 

5. Er erleichtert die diätetische Behandlung der Spasmo¬ 
philie, weil er keine Beschränkungen in der Wahl der Ernährung 
auferlegt, sondern die Ernährung gestattet, die der Zustand des 
Kindes erfordert. 

6. Will man sich von der Kalkbehandlung bei anderen 
Krankheiten (diffusem konstitutionellen Ekzem, Blutungen, 
spastischer Bronchitis [Asthma]) einen Erfolg versprechen, so 
werden die grossen Dosen versucht werden müssen. 

Dabei müssen wir uns stets vor Augen halten, dass der Kalk 
kein Heilmittel ist, sondern nur symptomatisch, vorübergehend 
wirkt, und dass seine Wirkung mit dem Aussetzen verschwindet. 

Eine dankenswerte Aufgabe der Therapie ist es, aus dieser 
Wirkungsweise des Kalkes für die Behandlung Nutzen zu ziehen; 
dagegen warnen unsere Versuche auch, die Wirkungsbreite des 
Kalkes zu überschätzen. 


Aus dem biologischen Radiumlaboratorium zu Paris. 

Allgemeine histologische Veränderungen der 
Gewebe unter dem Einfluss der Strahlenwirkung. 

Von 

Lonis Wiekham. 

(Vortrag, gehalten auf dem internationalen Kongress für Physiotherapie 
zu Berlin im März 1913.) 

(Uebereetzt von San.-Rat Dr. Lew in.) 

(Schluss.) 

III. Histologische Veränderungen bei pathologischen 
Geweben. 

Ich werde nacheinander die histologischen Veränderungen 
besprechen: 1. der malignen Tumoren; 2. der Läsionen der 
hämatopoetischen Organe und des Blutes; 3. der Gefässtumoren, 
4. der Keloide; 5. der Hauttuberkulose. 


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9. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1069 


1. Maligne Tumoren. Was die malignen Tumoren, die 
hämatopoetischen Organe und das Blut, wie die Hauttuberkulose 
betrifft, so schien es uns, wenn wir uns an die reinen histologischen 
Befunde ohne eine andere Erwägung halten, bis jetzt wenigstens 
schwierig, die Wirkung der X-Strahlen von der der Radium¬ 
strahlen zu unterscheiden. 

Nunmehr wird man mir, nachdem ich mich mit den histo¬ 
logischen Veränderungen nach Radiumgebrauch besonders ver¬ 
traut gemacht habe, gestatten, als Grundlage meiner Beschreibung 
diejenigen Befunde zu nehmen, welche ich unter Mitarbeiterschaft 
von Degrais und Gad erhalten habe. 

Unsere Untersuchungen Ober die malignen Tumoren haben 
sich erstreckt auf die Hautepitbeliome, die Drösenepitbeliome 
und die Bindegewebstumoren. 

Als Beispiel des ersten Typus werde ich ein ulceriertes 
Epithelioma vegetans der Kinngegend mit Stachelzellen nehmen. 

Nach einer Latenzperiode von 15 Tagen konstatiert man, 
dass eine grosse Zahl von Epitheliomzellen ihr Volumen ver¬ 
doppelt oder verdreifacht hat. Der Kern gewisser Zellen unter 
ihnen ist monströs, oft vielgelappt, knospentreibend; die Nucleolen 
sind hypertrophisch, das Chromatin zerstreut oder verdichtet; es 
besteht eine deutliche Tendenz zur Eosinophilie des Protoplasmas. 
Viele Elemente verhornen isoliert, hypertrophieren beträcht¬ 
lich und bewahren bisweilen ihren Kern (atypische Verhornung). 
Das Stroma scheint an Lymph- und Bindegewebselementen be¬ 
reichert zu sein, unter welchen man juoge Fibroblasten mit reich¬ 
lichem Chromoplasma und umfangreichem Kern findet. Die Poly- 
nucleären sind in ziemlich grosser Zahl ausgewandert. Am 
25. Tage sind fast sämtliche neoplastische Knoten in verhornte 
Haufen umgewandelt, bestehend aus sehr voluminösen verhornten 
Zellen. Diese Hornhaufen sind brüchig, durch leimarme Gefäss- 
bindegewebsknospen disloziert, welche vom Stroma ausgehen und 
aus jungen Fibroblasten, Zellen von lymphatischem Typus, Plasma¬ 
zellen und zahlreichen Polynucleären bestehen. 

Kurz zusammengefasst, erfahren die Epitheliomzellen nach 
einer mehr oder weniger langen Phase der Latenz, je nach den 
Dosen eine ausserordentliche Hypertrophie ihrer Elemente und 
gehen nach einer monströsen Hornreifung, die disseminiert, 
total und atypisch ist, zugrunde. Die von den Lymph-Binde- 
gewebselementen des aktiv gewordenen Stromas an¬ 
gegriffenen Hornballen verschwinden durch Phagocytose, 
und die Vernarbung vollzieht sich auf Kosten des Stromas 
des Tumors. 

Es ist das derselbe regressive Prozess, welchen Chöron 
und Rubens Duval an den Malpighischen Tumoren des 
Uterus beschrieben haben. 

Gehen wir nunmehr zu den Drüsenepitbeliomen über. Die 
histologischen Veränderungen sind hier deutlich analog. Ich 
werde als Beispiel einen Brustkrebs wählen, welchen ich in der 
Soctätö medicale des .höpitaux von Paris im Juni 1910 mit 
Degrais und Gad demonstriert habe, und dessen wichtigste 
Abbildungen in der zweiten Auflage unseres Werkes über Radium¬ 
therapie zu finden sind. 

Auf die Aussenseite einer durch die Neubildung völlig in¬ 
filtrierten Brust wurden 19 cg reines Radium ausgebreitet und 
auf eine Fläche von 28 qcm 48 Stunden hintereinander appliziert. 
Die chirurgische Exstirpation wurde 16 Tage später ausgeführt. 
Die histologischen Untersuchungen wurden an Serienschnitten 
vorgenommen, die von der Oberfläche gegen die Tiefe gingen und 
sich fast auf die ganze Ausdehnung des Tumors erstreckten. 

Eine schwache Vergrösserung zeigte uns an der Stelle der 
voluminösen, kompakten und von einem zellarmen Bindegewebs- 
stroma begrenzten Lappen eine kleine Anzahl von kleinzelligen 
Epitheliominseln, die aus hypertrophischen und in ein an Zell¬ 
elementen äusserst reiches Bindegewebsstroma eingebetteten Ele¬ 
menten bestanden. Stellenweise fand man auch helle Zonen von 
Cytolyse. 

Bei stärkerer Vergrösserung wurde man sofort durch die 
bisweilen kolossale Hypertrophie der neoplastiscben Zellen über¬ 
rascht. Das Protoplasma neigt zur Acidophilie. Die Kerne sind 
oft unregelmässig, monströs und knospenreich. In gewissen 
Elementen ist das Ghromatin verdichtet, der Kern winklig und 
dicht retrahiert, bei anderen ist die chromatische Substanz in 
dem Zellplasma verstreut. Was die hellen Zonen betrifft, so be¬ 
stehen sie aus grossen Zellen, welche in eine Membranhülle ein¬ 
geengt sind, die ein Netz von grossen Vacuolen begrenzt. Der 
Kern ist verschwunden oder auf seine Membran reduziert. Es 
sind das Elemente im Zustande der Schmelzung, der Cytolyse. 


Diese Zellinseln von 20 bis 80 Elementen sind mit gefäss- 
bindegewebigen Knospen infiltriert, die reich an Zellen vom Typus 
junger lymphgefässbindegewebiger Fibroblasten, Plasmazellen, 
mononucleären, mittleren oder kleineren, sind. Oft befindet sich 
am Ende der Knospe eine embryonale Capillare. 

Diese Beobachtung ist eine der interessantesten, um so mehr, 
als sie uns gestattet, regressive Veränderungen bis zu einer 
Tiefe von 9 cm festzustellen. 

Resümieren wir, so werden die Epitheliomzellen, nach¬ 
dem sie eine bisweilen monströse Hypertrophie ihrer 
Elemente durchgemacht haben, vernichtet, indem sie in Schmel¬ 
zung durch Cytolyse oder in Absorption durch Pbago- 
cytose endigen. Das^hyperplastische Stroma dringt in die 
Lappen der degenerierten Elemente ein, dislociert sie, schliesst 
sie ein und organisiert ein glattes, elastisches, an Zellen reiches 
Narbengewebe. 

Dr. Anselme Bellot konnte ganz kürzlich absolut analoge 
Erscheinungen der Regression bei einem Adenoepitheliom der 
Prostata mit Epitheliombildungen des Alveolartypus beobachten. 
Unter dem Einfluss des Radiums wurden die Epitheliomkerne zer¬ 
stört, während die Bindege websknospen sich in voller Tätigkeit 
an ihre Stelle setzten. 

Der Vergleich der histologischen Veränderungen, deren Sitz 
die Malpighi’schen und Drüsenepitheliome sind, beweist eine offen¬ 
bare Aehnlichkeit. Es besteht in Summa nnr ein deutlicher Unter¬ 
schied darin, dass in der Entwicklung der monströsen Zelle beim 
Malpighi’schen Epitheliom die Reifung das Element in den Zu¬ 
stand eines Hornblocks überführt und beim Drüsenepitheliom in 
den Zustand der Zelle in Cytolyse, d. h. die Zellentwicklung wird 
von dem funktionellen Typus des Elements diktiert. Es handelt 
sich um eine der Funktion selbst anhaftende Eigentümlichkeit, 
welcher das gesunde Element angepasst ist. 

Diese Befunde stimmen absolut genau mit denen überein, 
welche andere Autoren und besonders Dominici gesehen haben, 
der sie zuerst demonstrierte. 

Sehen wir nunmehr, was bei den bestrahlten Bindegewebs¬ 
tumoren geschieht. Diese Tumoren erleiden eine Rückbildung 
nach einem ganz analogen Prozess wie derjenige, den wir eben 
festgestellt haben. Das histologische Studium, welches ich für 
meine Beschreibung ausgewählt habe, ist ein metatypisches Sar¬ 
kom, welches die Brustwand stark ergriffen batte: ein Sarkom 
mit polymorphen Elementen, wobei spindelförmige Zellen mittleren 
Umfangs vorherrschen. 5 cg Radium wurden während zweier 
Nächte mit einem Bleifilter von 6 j u mm angewandt. 48 Stunden 
später war die Rarefizierung der neoplastischen Elemente schon 
sichtbar. Die zurückbleibenden Zellen zeigten die Erscheinungen 
der Hypertrophie des Körpers und Kerns; die Diapedese, das 
Vorspiel einer späteren Phagocytose, kündigt sich schon an. 
Am 10. Tage sind die Veränderungen sehr ausgesprochen. In 
einer Tiefe von ungefähr 1 cm findet man neugebildete Zellen 
von kolossalen Dimensionen, bis auf 80 und 90 mm reichend; 
ihre Kerne, sehr entwickelt mit enormen Nucleolen, mit einem 
verdickten chromatischen Faden, sind sehr polymorph und an 
Zahl wechselnd. Diese Elemente werden grösstenteils von poly¬ 
nucleären neutrophilen Leukocyten angegriffen. Man trifft keine 
einzige Figur von Karyokinese mehr an. Die Gefässe sind an 
Zahl verringert und einige auf den Zustand einer Spalte reduziert. 
Ein drittes Präparat, 15 Tage nach der Bestrahlung, zeigt auf 
dem Schnitt das Vorhandensein dreier Zonen: eine Zone der 
absoluten Nekrose; eine Zone von zellulären Monstrositäten und 
Phagocytose,* die ^in ihrer Tiefe eine fortschreitende Umbildung 
zeigt; endlich eine Zone, wo das Sarkom am wenigsten ver¬ 
ändert l8t. 

Resümieren wir: Nach einer Latenzperiode, die viel 
kürzer als bei den Epitheliomen ist, erzeugen die Be¬ 
strahlungen in der Sarkomzelle eine gesteigerte nutritive und 
proliferierende Tätigkeit, die sich in einer kolossalen 
Hypertrophie äussert. Die mörderische Wirkung folgt nach, 
die Elemente erscheinen sternförmig und werden während ihres 
Wachstums und ihrer Entwicklung vom Tode überrascht. Sie 
werden dann von den Phagocyten, polynucleären Leukocyten über¬ 
fallen und absorbiert. 

Die fibrosarkomatöse Zone, von Mönetrier und Clunet an 
einem Präparat von Spindelzellensarkom des Beines beobachtet, 
scheint nach Bestrahlung mit X-Strahlen zu zeigen, dass in einer 
gewissen Tiefe die abgeschwächte Bestrahlung die Neubildungs¬ 
zellen nicht zerstört, jedoch eine Störung in ihrer biologischen 
Entwicklung herbeigeführt bat, sie veranlasst bat, Leim ausgq- 

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1060 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 28. 


scheiden, und ihnen die Morphologie der Elemente des Fibroms, 
einer gutartigen Bindegewebsgeschwulst, verliehen hat. 

Wir konnten demnach in einem Fall von Fibroblastom oder 
typischem Sarkom des Beins, welches einer Radiumbebandlung 
unterworfen worden war, die Umbildung des Sarkomelementes in 
ein Fibrosarkom, alsdann in ein gutartiges Fibrom und von dort 
in ein Sklerosegewebe beobachten. Dominici und Faurö- 
Beaulieu hatten zuvor dieselben Beobachtungen bei einem Sar¬ 
kom des Zahnfleisches gemacht. 

Es verhalt sich ebenso mit dem Prozess, den Dominici, 
Rubens-Duval und de Beurmann beobachtet haben, wo eine 
Rückbildung einer enormen Mycosis fungoides der Nates vom 
Typus eines Lymphosarkoms stattgefunden hatte. 

Als Schlussresultat sehen wir, wenn wir die Veränderungen, 
welche durch X-Strahlen und das Radium auf die Epitheliome einer¬ 
seits, auf die Sarkome andererseits ausgeübt werden, miteinander 
vergleichen, dass es stets derselbe Mechanismus ist, welcher Platz 
greift: Die Zelle stirbt im Zustand der Monstrosität ab, und ihr 
Verschwinden wird durch Phagocytose herbeigeführt. Es ist je¬ 
doch der Latenzzustand bei dem Sarkom kürzer: die prädegene- 
rative Hypertrophie des Sarkomelements scheint im allgemeinen 
viel ernster zu sein, als die des Epitheliomelements. Endlich 
werden gewisse Sarkome, genau genommen, nicht durch die Be¬ 
strahlungen zerstört, sondern durch sie einfach in gutartige fibröse 
Tumoren verwandelt und diese in Narbengewebe (Dominici). 

2. Hämatopoetische Organe und Blut. Hier sind wir 
am Studium der bestrahlten hämatopoetischen Organe und des 
Blutes angelangt. Die histologischen Befunde der durch die 
Wirkung der X-Strahlen und des Radiums herbeigeführten Ver¬ 
änderungen sind wenig zahlreich. Die therapeutischen Resultate 
sind jedoch so beweisend und bemerkenswert, dass es von hohem 
Interesse ist, die hauptsächlichen, bisher erhaltenen histologischen 
Ergebnisse zu studieren. 

Die nosologische Gruppierung der Läsionen der hämato¬ 
poetischen Organe und des Blutes umfasst eine zu grosse Anzahl 
von Affektionen mit verschiedenartiger Symptomatologie, als dass 
ich daraus ein Gesamtstudium machen könnte. Ich werde einer¬ 
seits die eigentlichen Leukämien betrachten, andererseits einige 
Typen pseudoleukämischer Affektionen, bei welchen man die 
Hyperleukocytose in weit schwächeren Verhältnissen antrifft als 
bei der echten Leukämie. 

Man teilt die Leukämien ein in eine lymphatische Leukämie, 
charakterisiert durch eine sehr vermehrte Lymphocytose mit 
einem hyperplastischen Prozess, der sich auf den Lymphdrüsen- 
apparat erstreckt und in eine myelogene Leukämie, deren hervor¬ 
stechende Symptome eine starke Hypertrophie der Milz und das 
Vorhandensein von embryonalen Blutelementen im Knochenmark, 
den Myelocyten, sind. 

Wir werden zuerst die Veränderungen der Organe und da¬ 
nach die des Blutes betrachten. 

Auf Drüsenscbnitten bei einem Kranken, der an lymphatischer 
Leukämie gelitten hatte und drei Tage nach der letzten Sitzung 
behufs Bestrahlung mitX-Strahlen gestorben war, haben Mönötrier 
und Touraine ausser einer Erweiterung der Capillaren ein blasses, 
verödetes, an Parenchymzellen armes Aussehen beobachtet. Es 
hat den Anschein, als ob man einen Schnitt durch eine normale 
Lympbdrüse vor sich hätte, der ausgepinselt worden ist, um die 
Zellen zu entfernen und das Netz sichtbar zu machen. Die 
Spuren der verschwundenen Lymphocyten sind reichlich: man 
findet Kerntrümmer, Fragmente von verdichtetem Chromatin, 
meist in Pbagocyten eingeschlossen. Die Endothelzellen des 
Rahmens zeigen eine diffuse Hyperplasie. 

Ebenso verhält es sich mit einem Fall von lymphatischer 
Leukämie mit rein splenischem Typus, bei welchem David und 
Desplats ihre histologischen Untersuchungen machen konnten. 
Es waren zahlreiche Applikationen von X-Strahlen auf die Milz, 
das Sternum und die Ellenbeuge gemacht worden, ohne dass 
irgendeine Abnahme der Lymphocyten beobachtet werden konnte. 
Die mikroskopische Untersuchung der Milz zeigte weder Bilder 
von Makrophagie noch die intensive Schwellung, welche Mönötrier 
und Touraine an den bestrahlten Drüsen beobachtet hatten. Im 
Gegenteil, das Organ war von einer sehr ausgesprochenen inter¬ 
stitiellen diffusen Sklerose befallen. 

Angesichts der so diametral entgegengesetzten Resultate 
werden wir keine Schlüsse ziehen; es wären neue Untersuchungen 
zu machen. Ich will jedoch erklären, dass wir unter der Wirkung 
des Radiums die beiden Phasen der Cytolyse und Phagocytose 
wiederfinden, welche Von Menetrier uiid Touraine beschrieben 


und ebenso von Heinecke, London, Thies, Werner and 
anderen mehr festgestellt worden waren. 

Die quantitativen und qualitativen Veränderungen des Blutes 
sind am interessantesten zu verfolgen; wir werden sie zuerst an 
den weissen, dann an den roten Blutkörperchen untersuchen. 

Das erste Resultat einer gemässigten Behandlung mit 
X-Strahlen und Radium ist nicht, wie man glauben könnte, eine 
Abnahme der Leukocytenzahl, sondern im Gegenteil eine Zu¬ 
nahme derselben, wie das Aubertin und Beaujard klargestellt 
haben. Es handelt sich jedenfalls um eine sehr flüchtige Er¬ 
scheinung, die sich im Verlauf von zwei oder drei Stunden nach 
der Bestrahlung zeigte. Diese numerische Zunahme zeigt sich 
stets zugunsten der Polynucleären, welche bei der myelogenen 
Leukämie weit mehr ausgesprochen ist. 

Auf diese erste Phase erfolgt eine Abnahme der Leukocyten. 
Bei der myelogenen Leukämie ist dieses Sinken durch das 
partielle Verschwinden der Myelocyten bedingt, welche z. B. nach 
David und Desplats von 34,4 pCt. vor der Bestrahlung auf 
26.3 pCt. nach einer Stunde und auf 19,6 pCt. nach 6 Stunden 
fallen können; in derselben Zeit gehen die Polynucleären von SpCt. 
auf 66,4 pCt. In der Folgezeit fahren die Myelocyten fort, sich 
zu vermindern, während das Verhältnis der Polynucleären sich 
der Norm nähert. Was die Mononucleären betrifft, so ist ihre 
Zunahme schwankend, sie erreichen jedoch niemals ihre Normal¬ 
ziffer. 

Bei der lymphatischen Leukämie nehmen die Eosinophileo, 
die Mastzellen an Zahl ab, besonders aber die Lymphocyteu. Das 
Sinken ist ein langsames; noch mehr, es dreht sich im Kreise 
in dem Sinne, dass es die Leukocyten im allgemeinen betrifft, 
ohne dass das Prozentverhältnis nennenswerte Veränderungen 
aufweist. Es ist eine Ausnahme, das Blut der lymphatischen 
Leukämie eine der Norm nahestehende Formel erreichen zu 
sehen. 

Was die roten Blutkörperchen betrifft, so äussern die Radio¬ 
therapie und Radiumtherapie ihre Wirkung in einer schnellen und 
andauernden Zunahme der Zahl derselben nach einer vorher¬ 
gehenden Abnahme. Der (Hämoglobin-)Wert nimmt verhältnis¬ 
mässig zu. Diese Veränderungen sind besonders bei den myelogenen 
Leukämien ausgesprochen. 

Die besondere Empfindlichkeit des Lymphgewebes hat natur- 
gemäss zu der Anwendung von X-Strahlen und Radium bei der 
Behandlung der pseudoleukämischen Affektionen geführt, mag es 
sich um eine Lymphadenie oder eine Splenomegalie handeln, 
welche als aleukämische bezeichnet wird, obwohl gewöhnlich 
eine leichte Hyperleukocytose besteht. 

Unter den grossen Milzen, welche ich mit Degrais Gelegen¬ 
heit hatte, mittels Radium zu behandeln, war eine von gewaltigen 
Dimensionen, die den ganzen Bauch, das kleine Becken erfüllte 
und die Mittellinie fünffingerbreit nach rechts überschritt. Die Blut¬ 
untersuchung ergab auf 3200000 rote 860000 weisse Blutkörperchen 
aller Arten. Es handelte sich um eine Splenomegalie mit Leuko- 
cythämie ohne Lymphadenie. iy 2 Monate nach Beginn der 
Behandlung fand man auf 4 900 000 rote 77 000 weisse Blut¬ 
körperchen; nach fünf Monaten war die Milz nicht mehr nach¬ 
weisbar; im achten Monat war das Allgemeinbefinden ausgezeichnet, 
die Blutuntersuchung ergab 10 000 weisse Blutkörperchen, und 
die Milz bewahrte ihre natürlichen Grenzen. 

In einem Falle von aleukämischer lymphatischer Lymph¬ 
adenie, welcher mit X-Strahlen behandelt wurde, konnte P. L. Weil 
ein Sinken der weissen Blutkörperchen von 8000 auf 6000 und 
eine Wiederkehr der normalen Leukocytenformel beobachten. 

Was den histologischen Prozess der Rückbildung einer 
Splenomegalie oder eines Lymphadenoms betrifft, so handelt es 
sich wahrscheinlich um Veränderungen, die den von Menetrier 
und Touraine in einem Falle von leukämischer Lymphadenie 
beschriebenen analog sind; es wäre jedoch leichtsinnig, das zu 
behaupten. 

8. Gefässgeschwülste; Angiome. Die Mitteilung, die 
ich jetzt im Begriff bin, über den Rückbildungsprozess der Angiome 
und Keloide zu machen, wird sich nur auf die Wirkung des 
Radiums beziehen; es ist mir nicht bekannt, ob ein Studium 
dieser Art nach einer Wirkung mit X-Strahlen gemacht worden ist. 

Die glücklichen Wirkungen, die wir den Radiumstrahlen in 
Hunderten von Fällen verschiedenster Art von flachen Gefäss- 
naevis, subcutanen und submucösen Gefässgeschwülsten und 
erektilen Tumoren erzielt haben, bewogen uns, den Rückbildungs¬ 
prozess dieser Tumoren histologisch festzulegen, wie wir es in 


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9. Jnni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1061 


gleicher Weise mit den Keloiden unter Mitarbeit von Degrais 
nnd Gad getan haben. 

Ich werde als Beispiel zunächst ein flaches, bestrahltes nnd 
geheiltes Angiom der behaarten Kopfhaut nehmen. 

Unter einer verdünnten Epidermis findet man eine Cutis 
ohne Papillen, deren verschiedene Elemente, wie Haare, Drüsen, 
Muskeln und Nerven verschwunden sind, um einem geschichteten 
Gewebe Platz zu machen, das aus Reihen von verlängerten Zellen, 
parallel zur Epidermis, besteht, hin und wieder mit einigen 
hellen Spalten. Ausserdem, und das ist der wichtigste Punkt 
hierbei, existieren die zahlreichen mit Blut vollgestopften Capillaren 
nicht mehr. Es finden sich davon nur einige Spuren in der 
Form von spärlichen Gefässen, die auf den Zustand enger Spalten 
reduziert sind, und deren Lumen von einem Endothel aus hervor¬ 
springenden, mit einem grossen Kern versehenen Zellen umgeben 
ist. Diese von Blut fast leeren Spalten enthalten einige Poly- 
nucleäre. 

Die Gewebe des Coriums sind vom Typus ausgereifter Fibro¬ 
blasten mit einem dünnen, faserigen Kern, umgeben von einem zarten 
Protoplasmarand; Leim und Elastin scheinen wie in einer normalen 
Cutis verbreitet zu sein, in parallelen Bündeln zwischen den 
Zellelementen angeordnet. Stellenweise, in der Nachbarschaft der 
Spuren von Capillaren, zeigt sich eine schöne und voluminöse 
Bindegewebszelle von embryonalem Typus, sternförmig, mit zahl¬ 
reichen dünnen protoplasmatischen Fortsätzen. Die Epidermis ist 
verdünnt; ihre Keimschicht ruht auf einer geradlinigen Basal¬ 
schicht. Dieses Ersatzgewebe unterscheidet sich deutlich von der 
normalen Haut; es unterscheidet sich aber auch von einer gewöhn¬ 
lichen postinflammatoriscben Narbe durch das Fehlen einer Vascu- 
larisation; von den Inseln der Embryonalzellen durch die Regel¬ 
mässigkeit und das kleine Volumen der Bindegewebsbündel, das 
Fehlen von Skleroseknoten und endlich durch seinen Reichtum an 
Fibroblasten. 

Der Rückbildungsprozess der neugebildeten Capillaren ist 
interessant zu verfolgen; die Veränderungen erstrecken sich auf 
das Endothel und das Perithel. 

Der Kern der Endotbelzellen ist kugelig, buckelig, während ihr 
reichlicheres Protoplasma in dendritische Fortsätze ausläuft, die 
mit denen der benachbarten Zellen und den perivasculären Binde- 
gewebselementen anastomosieren. Die Endothelzelle, flach und 
polygonal, wird eine sternförmige Bindegewebszelle. 

Was das Perithel betrifft, so ist es hyperplasiert; es besteht 
aus zahlreichen Spindelzellen mit grossem Kern und schliesst das 
verengte Lumen der Kapillare ein. Der Schnitt durch die Gefässe 
ist nicht mehr kreisförmig, er wird polygonal oder eliptisch. 

Zusammen fassend müssen wir sagen: Es findet eigentlich 
keine direkte oder unmittelbare Zerstörung der neuge¬ 
bildeten Elemente statt, welche den Tumor nach Art 
von Capillaren bilden. Es handelt sich also um einen Prozess, 
der durchaus von dem verschieden ist, welchen wir das Schwinden 
der Epitheliomsarkomzellen oder der leukämischen Blutkörperchen 
beherrschen sehen. 

Es besteht hier eine paraembryonäre Metaplasie mit 
Hyperplasie ihrer Elemente. Unter dem Einfluss des Radiums 
verändert sich das flache oder gewölbte Angiom derartig, dass es 
gewissermaassen sich weiter entwickelt: Der Prozess stellt 
wesentlich eine Verjüngung des Gewebes dar. 

4. Keloide. Derselbe Prozess beherrscht die Veränderungen 
der Keloide durch die Radiumbehandlung. Von den Keloiden, 
deren histologische Umbildung wir verfolgt haben, war das eine 
durch eine Verbrennung mittels Schwefelsäure, das andere durch 
eine Verbrennung infolge von Pulverexplosion entstanden. Ihr 
Bau war nahezu identisch. Unter einer verdünnten Epidermis 
mit einer ein wenig welligen Grundschicht bestand die Cutis aus 
einem Filz von voluminösen welligen, parallel zur Oberfläche ver¬ 
laufenden Bindegewebsbündeln und senkrecht zwischen ihnen ver¬ 
laufenden Schichten mit einigen spärlichen langen Bindegewebs¬ 
zellen und dünnen Rasen dazwischen. Die Gefässe, wenig zahlreich, 
sind von einer Zone zelliger Infiltration umgeben. Die elastischen 
Fasern sind sehr selten. 

Nach einer mehrwöchigen Behandlung, die zu einer Erweichung 
und Abflachung der Tumoren führte, zeigte die histologische 
Untersuchung eine Epidermis, die ein wenig dünner als zuvor 
war; die Zellen des Rete Malpighii sind weniger umfangreich; es 
besteht nur eine einzige Schicht von Eleidinelementen. Die Keim¬ 
schicht ruht auf einer fast geradlinigen Basis. 

Die Cutis, ohne Papillen, Haare und Drüsen, besteht in regel¬ 


mässiger Abwechslung aus feinen Bindegewebs- und elastischen 
Bündeln parallel zur Epidermis und aus zahlreichen Zellen vom 
Bindegewebstypus in verschiedenen Stadien ihrer Entwicklung. 
Wenn gewisse Zellen die Form und Grösse eines reifen Fibroblasten 
haben, welcher den Leim und das Elastin seiner Nachbarschaft 
verarbeitet, so haben andere, in Haufen gruppiert und mit reichlichem 
Chromoplasma versehen, das sich in lange Fäden ausspinnt, die 
mit den benachbarten Zellen anastomosieren und einen grossen, 
oft excentrischen Kern besitzen, die Morphologie der sternförmigen 
jungen, sogen, embryonalen Bindegewebszelle. Zwischen diesen 
beiden äussersten Typen finden wir alle Mittelstufen, Fibroblasten 
auf dem Wege der Differenzierung. Die elastischen Fasern sind 
zart und zahlreich. 

Resümieren wir, so zeichnet sich das veränderte Keloid durch 
seinen Reichtum an Bindegewebszellen, den Polymorphismus dieser 
Zellen, die Abnahme des Volumens der Bindegewebsbündel und 
endlich durch das Auftreten von elastischen Fasern aus. 

Es scheint demnach der Sitz einer Art von Entwicklungs¬ 
prozess geworden zu sein, bestehend in einer Verjüngung mit 
Hyperplasie der Bindege webselemente und nachfolgender normaler 
Entwicklung. Die Verbreitung des Elastins und Gollagens ist 
weniger dicht, als in einer normalen Cutis. Der Reichtum des 
wiederhergestellten Gewebes an Zellen und die Feinheit seiner 
Bündel elastischer Fasern erklären sehr wohl seine Nachgiebigkeit 
und Aplanierung. _ 


Bisher haben wir von der Wirkung der X-Strablen und der 
der Radiumstrahlen gesprochen. 

Unter den anderen radioaktiven Körpern muss man das 
Thorium und das Mesothorium nennen. Wir haben jedoch nirgends 
eine histologische Beschreibung der Wirkung dieser Körper ge¬ 
funden. Czerny und Caan behaupten, dass die Wirkung der 
der Radiumstrahlen analog sei 1 ). 

Die Wirkung der aktinischen (Sonnen- und Licht-) Strahlen 
war nicht Gegenstand irgendeines histologischen Studiums der¬ 
jenigen Affektionen, welche wir erwähnt haben. Ueberhaupt scheinen 
die durch Sonnenstrahlen hervorgerufenen Veränderungen kein 
Gegenstand histopathologischer Studien gewesen zu sein. Wir 
treffen wohl Vermutungen, Behauptungen seitens einiger Autoren 
an, aber keine Beschreibung histologischer Schnitte. Hingegen 
sind die Wirkungen der Lichtstrahlen (Finsen) histologisch von 
mehreren Autoren studiert worden, unter denen wir als Pionier 
ersten Ranges Hans Jansen - Kopenhagen erwähnen müssen, 
welchem wir die nachfolgenden Angaben verdanken. 

5. Hauttuberkulose. Diese Studien haben sich fast alle 
auf die Hauttuberkulose erstreckt, und wir werden sie mit den 
histologischen Studien der Wirkung der X-Strahlen und denen 
des Radiums anf dieselben Gewebe vergleichen können. 

Jansen konnte nach Bestrahlung einer Hornhaut des Kanin¬ 
chens, welche er mit dem Koch’schen Bacillus infiziert hatte, 
ausser einer Zerstörung der Oberflächenzellen eine sehr aus¬ 
gesprochene Erweiterung der Gefässe mit Erscheinungen von 
Bndarteriitis und partieller Thrombose konstatieren; ein seröses, 
später serofibrinöses Exsudat durchtränkt die Gewebe, während 
gleichzeitig eine Ansammlung von weissen Blutkörperchen mit 
Zellproliferation in der Tiefe stattfindet. Die Zellenzerstörung 
geschieht nur in einer Tiefe von 0,5 mm. Beim Lupus sind die¬ 
selben Veränderungen festzustellen. Die Gefässveränderungen 
sind jedoch wegen der Armut der Lupustuberkel an Gefässen 
weniger ausgesprochen. Die Zeichen der Vakuolisation und Zell¬ 
nekrose sind in einer Tiefe von mehr als 0,7 mm nicht sichtbar. 

Nach Jansen besteht die Lichtbehandlung in einer schicht¬ 
weisen und bis zu einem gewissen Grade elektiven Vernichtung 
der pathologischen Elemente, begleitet von einer äusserst lebhaften 
Regeneration. Es handelt sich nicht um eine Sterilisation, 
sondern um eine Zerstörung mit nachfolgender reaktiver Ent¬ 
zündung. 

Nach Growen und Doutrelepont sollen die X-Strahlen 
auf den Lupus in der Weise wirken, dass sie eine Hyperplasie 
des Bindegewebes hervorrufen, welche gewissermaassen die Lupus¬ 
herde erstickt. Scholtz dagegen konstatierte die Degeneration 


1) Anmerkung bei der Korrektur: Prado Tagle untersuchte den 
Einfluss subcutaner Depots von Radiothorium auf die umgebenden Zell¬ 
schichten und sah Nekrosen und Riesenzellenbildung auftreten. Biokel 
studierte den Einfluss der Mesothoriumbestrahlung auf das Auge und 
die Haut, Mas so re denjenigen auf die Ovarien. 

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1062 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 2a 


der Riesen- and Epitlielzelleo, welche an Stelle der Lapaskerne 
Zurückbleiben, deren Form nicht mehr za erkennen ist. Diese 
Widerspräche sind wahrscheinlich auf die Intensität der Be¬ 
strahlungen, je nach dem Grade der Tiefe der Läsion, zarückznführen. 
Ebenso verhält es sich mit der Radiumtherapie, wo wir uns in 
gewissen Fällen von tiefer Infiltration gezwungen sahen, die so¬ 
genannte „elektive“ Methode durch die der entzündlichen Reaktion 
zu ersetzen. In dem ersten Falle ist es die Hyperämie mit Aus¬ 
wanderung der Leukocyten und Erstickung der Lupusknötchen 
durch das neugebildete Bindegewebe; in dem zweiten ist es die 
Nekrose der Zellen, deren Trümmer sofort phagocytiert werden, 
und die Bildung einer einheitlichen glatten Narbe auf Kosten des 
embryonalen Bindegewebes. Dominici und Barcat haben be¬ 
sonders die histologische Wirkung der Radiumstrablen auf den 
Lupus studiert 

IV. Allgemeine Bemerkungen. 

An den Schluss dieses Referates angelangt, habe ich den 
Wunsch, einige allgemeine klinische und therapeutische Be¬ 
merkungen zu machen. 

Aus der Gesamtheit der festgestellten Tatsachen sind wir 
su dem Schluss gelangt, dass histologisch die verschiedenen 
Strahlen da, wo ihre Wirkung vergleichbar war, Veränderungen 
derselben Art hervorbringen. Und dennoch ist es offenbar, dass 
gewisse klinische Resultate diese Schlussfolgerungen Lügen 
strafen. Welches sind die Gründe eines solchen Widerspruchs? 

Von vornherein darf man nicht vergessen, dass die histo¬ 
logischen Studien noch in ihrer Kindheit sind, und dass in naher 
Zukunft mehr vertiefte und auf ein weiteres Feld der Erfahrung 
gesetzte histologische Arbeiten sehr wahrscheinlich die noch un¬ 
verstandenen histologischen Differenzen aufklären werden. 

Es ist notwendig, sich daran zu erinnern, dass die Haupt¬ 
ursachen dieser therapeutischen Differenzen materieller Art sind. 

Sie beruhen auf den Techniken, der Instrumentation, der 
mehr oder weniger grossen Vollkommenheit, zu welcher diese 
Methoden gebracht worden sind. 

Die eine Methode wird eine genauere, besser angepasste 
Dosierung gestatten, die andere die Anwendung mannigfacherer 
und subtilerer Techniken ermöglichen. 

Die materiellen Verhältnisse der Instrumentation selbst (ver¬ 
schiedene Methoden) spielen eine entscheidene Rolle. Wenn wir 
die Röntgentherapie mit der Radiumtherapie vergleichen, so be¬ 
sitzen wir in der ersteren das Mittel, leicht eine sehr ausgedehnte 
Fläche mit einer beträchtlichen Quelle von Strahlen zu über¬ 
schütten. Mit der Radiumtherapie besitzen wir Apparate, die zwar 
sehr mächtig, aber von sehr kleinem Umfang sind; sie können durch 
die künstlichen oder natürlichen Oeffnungen auf fast allen Körper¬ 
stellen, wo die Röntgentherapie nicht den Anspruch, zu wirken, 
erheben kann, eingeführt werden. Endlich vermag man mit den 
Radiumstrahlen, dank ihres ausserordentlichen Penetrationsver¬ 
mögens, wirksam in grosse Tiefen des Gewebes eindringen; man 
kann aber auch das Spiel der Filter benutzen, welche bis auf 
5 mm Dicke des Bleies gehen. Das allein beweist schon, dass 
die Technik der Radiumtherapie zu vielen Kombinationen ge¬ 
eignet ist und sich ganz besonders zur Behandlung gewisser 
Gegenden verwenden lässt. Auf diese Weise kann man wahrhaft 
unvergleichliche Resultate bei gewissen Fällen von bösartigen 
Uterustumoren erzielen. Man sieht auch leicht ein, dass die 
kleinen, sehr wirksamen radiumführenden Instrumente, da sie auf 
mehr als 9 cm Tiefe eindringen können, wunderbar geeignet sind 
zur Behandlung dieser Gegend, wo man sehr leicht die Kontakt¬ 
bestrahlung eine grosse Zahl von Stunden andauern lassen kann. 
Was die Methoden der Radiumtherapie betrifft, d. h. die emana¬ 
tionstragenden, welche direkt die Gasemanation des Radiums ver¬ 
wenden, wie die Ionotherapie, die löslichen oder unlöslichen 
Radiurasalze usw., so ist es klar, dass sie absolut besondere und 
einzigartige Techniken darstellen. 

M. H.! Wir möchten noch einmal daran erinnern, dass das 
Referat über die reine Histologie nicht den Anspruch erheben 
kann, alle Fragen zu erörtern, sondern dass es einfach unsere 
Absicht war, den Gegenstand so darzustellen, wie er uns bei dem 
gegenwärtigen Stande der Tatsachen erscheint und die Kritik 
und Diskussion unserer Kollegen anzuregen. 


Die Sonnenbehandlung der chirurgischen und 
Bronchialdrüsen-Tuberkulose an der See. 1 ) 

Von 

Dr. med. Richard und Dr. med. Felicitas Feltci Steltzeaherg, 

Sankt Peter an der Nordsee (früher Wyk-Föhr). 

M. H.I Es unterliegt keinem Zweifel mehr, dass es durch 
die Heliotherapie im Hochgebirge gelingt, die meisten, auch 
schweren Tuberkulosen ohne verstümmelnde Operation bei ge¬ 
nügend langer Behandlung zur Ausheilung zu bringen. 

Aber die Bedeutung dieser neuen Errungenschaft der konser¬ 
vativen Therapie wurde dadurch geschmälert, dass ihre Durch¬ 
führung an das Hochgebirge gebunden schien. 

Es musste versucht werden, ob es nicht auch an anderen 
Orten gelingen sollte, gleich günstige Resultate mit der Sonnen¬ 
behandlung zu erzielen. Jerusalem berichtet schon'über gute 
Erfolge im Mittelgebirge in 760 m Meereshöhe. 

Vor allem aber lag der Gedanke nahe, zu versuchen, ob 
nicht die Seeküste sich zur Durchführung der Sonnenbehandlung 
eigne. 

Hierzu ermutigten verschiedene anscheinend recht bedeutsame 
Faktoren: 

1. Die Intensität des Lichtes am Strande, die zurückzuführen 
ist auf die Reflexion des Lichtes vom Sande und Wasser und be¬ 
sonders vom bewegten Wasser. 

2. Die Möglichkeit, eine wenn nötig stundenlange und inten¬ 
sive Besonnung durchzuführen, ohne dank der ständigen Luft- 
bewegung eine Wärmestauung befürchten zu müssen. 

3. Die Tatsache, dass das Seeklima den Küstenbewohnern 
eine fast absolute Immunität gegen chirurgische Tuberkulose 
verleiht. 

4. Die alte Erfahrung, dass die See scrofulöse und tuber¬ 
kulöse Kinder günstig beeinflusst. 

So haben wir seit dem Frühjahr 1912 den Versuch gemacht, 
die Sonnenbehandlung an der See durcbzuführen. Die Erfolge 
haben unsere Erwartungen weit überstiegen. Immer wieder 
waren wir selbst erstaunt zu sehen, einen wie gewaltigen Einfluss 
die Insolation hat. Deshalb sehen wir uns veranlasst, Ihnen 
heute kurz über unsere Erfahrungen zu berichten. 

Die Erfolge der bisher an der See geübten Behandlung — 
warme Seebäder, Körpermassage, Atemgymnastik, Luftbad, Liege¬ 
kur — sind, soweit wir sie kennen gelernt haben, mittelmässig 
bis vielleicht gut. Das Allgemeinbefinden wird gehoben, bei ein¬ 
zelnen Kindern verschwinden wohl die Drüsen, bisweilen erweichen 
sie, brechen auf, heilen dann aus, sofern sie an licht- und luft¬ 
zugänglichen Stellen sitzen. Bronchialdrüsen-Kinder verlieren 
bisweilen ihr Fieber, bisweilen auch nicht. 

Wir haben selbst anfänglich namentlich die leichten Fälle 
so behandelt, weil wir den Wert der Heliotherapie noch unter¬ 
schätzten. 

Nur die schweren Fällle, die nach unseren während unserer 
Assistentenzeit bei Oberst, v. Bramann und Barden heuer 
gewonnenen Erfahrungen unbedingt einem operativen Eingriff, 
einer Resektion oder Amputation, verfallen waren oder aber 
wegen des Sitzes der Erkrankung chirurgisch nicht angreifbar 
waren und deshalb als äusserst desolat galten, haben wir von 
Anfang an einer systematischen Sonnenkur unterzogen. 

Nach den kurzen Krankengeschichten einiger solcher Fälle, 
bei denen die Heliotherapie schon genügend lange durchgefübrt 
ist, werden Sie am besten ihren Wert bemessen können 2 ). 

1. Ein sechsjähriger Knabe aus Moskau mit Coxitis, erkrankt im 
zweiten Lebensjahre, mit Gips verbänden behandelt, vorübergehend Besse¬ 
rung, im vierten Lebensjahr wieder Schmerzen, Temperaturen bis 39°, 
seitdem dauernd krank. Mit Gips- und Schienenverbänden behandelt, 
wird seit Januar 1912 vollkommen bettlägerig, magert ab, Appetit 
schlecht, häufig Erbrechen. 

Der Knabe wurde Anfang April 1912 gebracht; Ende April über¬ 
nahm ich die Behandlung. Damals war der Befund folgender: Der 
magere, blasse Junge hatte häufig Erbrechen, Durchfall, die Temperatur 
bewegte sich um 38°. Die rechte Hüftgelenksgegend erscheint ver¬ 
breitert, der Trochanter ca. 2 cm über der Roser-Nelaton’schen Linie, 
die Gegend der Hüftgelenkskapsel war verdickt, sehr schmerzhaft. Das 
Bein stand in leichter Flexion, Adduktion und Aussenrotation war um 
2 V 2 cm verkürzt. Die spindelförmige Anschwellung reichte bis zur Mitte 


1) Nach einem auf der 84. Versammlung Deutscher Naturforscher 
und Aerzte in Münster in der Abteilung Chirurgie gehaltenen Vortrage, 

2) Diese Fälle hatten wir während unserer früheren Tätigkeit in 
den Nordsee-Kuranstalten auf Föhr zu beobachten Gelegenheit. 


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9. Jnni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1068 


des Oberschenkels hinab. Auf der Vorderinnenseite in geröteter Haut 
drei Punktionsöffnungen, von denen zwei trübseröse Flüssigkeit sezer- 
nieren. Das Röntgenbild liess scharfe Knochenumrisse in der Umgebung 
des Hüftgelenks nicht erkennen. 

Nach einigen Tagen Insolation trat eine eminente eitrige Sekretion 
aus beiden Fisteln auf, die aber nach 2—3 Wochen nachliess und serös 
wurde. Gleichzeitig sank das Fieber, die Schmerzhaftigkeit nahm ab. 
Schliesslich bestand seit der 6. Woche nur noch eine kleine, oberfläch¬ 
liche, nicht sezernierende Fistel, die durch zweimalige Injektion von 
Campher-Naphthol zum Verschluss gebracht wurde. Die Fixation wurde 
allein durch einen Streckverband erreicht. 

Der Junge ist heute munter. Die Gegend des Hüftgelenks ist nicht 
mehr aufgetrieben, die Hüftgelenkskapsel nicht mehr schmerzhaft. Passiv 
lässt sich das Bein gegen das Becken nach allen Richtungen um einige 
Grade bewegen. Durch die Extension ist es gelungen, die Adduktion 
ganz, die Flexion fast ganz zu beseitigen, die Verkürzung auf 1 , / 2 cm 
zu beheben. 

Das Röntgenbild zeigt, dass Hals und Kopf fehlen, das Femur 
endet kolbenförmig in dem Trochanter und einem kurzen Teil des Halses. 
Es liegt dem Becken an und zeigt Knochenatrophie. Die Pfanne ist 
vollkommen geschwunden, aber am oberen Rande hat sich am Becken 
eine kleine Leiste gebildet, an der das Femur Halt hat 1 ). 

M. H.! In diesem Falle ist es gelungen, nach etwa dreimonatlicher 
Insolation an der See eine schwere Hüftgelenksentzündung zur Ausheilung 
zu bringen. 

2. Bei einem 13 jährigen Mädchen, dessen Vater an malignem 
Lymphom gestorben war, das selbst im dritten Lebensjahr wegen einer 
vereiterten Drüse im Nacken operiert war, hatte sich seit November 1910 
im Anschluss an eine Verstauchung eine Schwellung des rechten Fusses 
entwickelt. Es wurde zunächst mit Plattfusseinlagen, Heissluft usw. be¬ 
handelt. Die Schwellung wurde mit Remissionen immer stärker. Seit 
Februar 1912, also l 1 /« Jahr später, traten verschiedene Fisteln auf, 
Auskratzungen wurden vorgenommen, ein Sequester vom Metatarsus 5 
entfernt. Der Zustand des Fusses wurde immer schlimmer, der Hausarzt 
drängte zur Amputation. Im Mai 1912 kam das Kind auf Veranlassung 
eines Spezialkollegen in meine Behandlung, um als letztes Heilmittel 
einen Aufenthalt an der See zu versuchen oder aber um hier unter 
günstigen Bedingungen nach Kräftigung des Körpers die Amputation 
vornehmen zu lassen. 

Das blasse, sehr aufgeregte Rind zeigt über der rechten Spitze 
feinblasiges Rasseln; im spärlichen eitrig-schleimigen Sputum werden 
keine Tuberkelbacillen gefunden. Die Temperatur schwankt um 39,0°. 

Die Gegend des rechten tarsalen Fussabschnittes von den Malleolen 
bis zu den Metatarsen ist spindelförmig aufgetrieben, der Fuss steht in 
starker Equino varus-Stellung, die Haut ist gespannt, glänzend, an ver¬ 
schiedenen Stellen fluktuierend und zeigt zahlreiche oberflächliche Haut¬ 
defekte und tiefe Fisteln, darunter auf der Innenseite eine zehnpfennig¬ 
stückgrosse, trichterförmige, schmierig belegte, auf der Aussenseite eine 
4 cm lange und 2 cm breite, unregelmässig begrenzte, ebenfalls trichter¬ 
förmig in die Tiefe führende Fistel. Leichte Bewegungen sind im oberen 
Sprunggelenk möglich, die Zehen sind aktiv nicht zu bewegen, die Mus¬ 
kulatur des Unter- und Oberschenkels ist stark atrophisch. 

Es wurde langsam zuerst mit lokaler, bald mit allgemeiner Inso¬ 
lation begonnen. Der Erfolg war der, dass zunächst eine abundante 
eitrige Sekretion stattfand. Stundenlang rieselte Eiter ununterbrochen 
aus den Fisteln heraus. An verschiedenen Stellen bildeten sich neue 
Abscesse, die aufbrachen und nach einigen Tagen sich wieder schlossen. 
Man -hatte den Eindruck, als ob in der Tiefe auf einmal kolossale Eiter- 
mengen produziert wurden, die auf den nächsten Wegen nach aussen 
ausgetrieben wurden. An Punktionen war wegen der Aufgeregtheit der 
Patientin nicht zu denken. Von der dritten Woche an wurde die 
Temperatur normal, die Schmerzen Hessen nach, die Zehen wurden be¬ 
weglich. Gleichzeitig wurde das eitrige Sekret spärlicher, seröses trat 
an seine Stelle. 

Heute haben wir ein gesund aussehendes, munteres Kind vor uns; 
das Körpergewicht, das in den ersten vier Wochen um 4 Pfund abge¬ 
nommen hatte, wohl infolge von Flüssigkeitsverlust, ist inzwischen um 
11 Pfund gestiegen. 

Der lokale Prozess ist zwar noch nicht ganz ausgeheilt. Das ist bei 
der Schwere der Erkrankung in der kurzen Zeit auch nicht zu erwarten. 
Aber wir können heute sicher sagen, dass er bei Fortsetzung dieser Be¬ 
handlung ausheilen wird. Die Schwellung ist wesentlich zurückgegangen, 
die Haut ist faltig, auf dem Fussrücken sieht man deutlich die Umrisse 
der Strecksehnen, Schmerzen sind nicht mehr vorhanden. Die trichter¬ 
förmige, zehnpfennigstückgrosse Fistel auf der Innenseite ist glatt ver¬ 
narbt. Das grosse tiefe Ulcus auf der Aussenseite ist zu einem schmalen, 
spärlich serös-eitrige Flüssigkeit sezemierenden Spalt geworden. Die 
Equino varus-Stellung ist ganz geschwunden, die Beweglichkeit wesent¬ 
lich gebessert. 

In den letzten Wochen, nachdem die Heilung nunmehr relativ weit 
vorgeschritten war, konnte ich eine ziemliche Unabhängigkeit von der 
Insolation beobachten. Auch bei trübem Wetter schritt die Heilung 
langsam voran, die Sekretion blieb gering, die Ulcera überhäuteten sich 
weiter. 


1) Mitte Dezember: Der Junge läuft seit 2 Vs Monaten im Gips- 
verband, bekommt jetzt Gehapparat. 


3. 23 Jahre alte Dame aus tuberkulös schwer belasteter Familie, 
seit dem elften Jahre krank, zunächst an rechtsseitigem Lungenspitzen¬ 
katarrh, bald darauf Eiterungen und Blutungen aus dem Darm. 
Wechselnder Krankheitsverlauf bei versohiedentlichem langdauernden 
Aufenthalt auf dem Lande und im Hochgebirge. Vor vier Jahren an¬ 
scheinend wegen drohender Perforation Laparotomie. Vor zwei Jahren 
abermals Peritonitis, danach viermonatiger Aufenthalt im bayrischen 
Hochgebirge. Während des letzten Winters dauernd Temperaturen über 
38,0°, Abmagerung, Mattigkeit, Uebelkeit, Attacken kolikartiger, starker 
Leibschmerzen mehrmals am Tage. 

Es handelte sich um eine stark abgemagerte Frau von phthisischem 
Habitus mit Bronchialatmen über der rechten Spitze ohne frische 
katarrhalische Symptome, eingesunkenem Abdomen, das in den unteren 
Partien, besonders rechts, sehr druckempfindlich war, mit einer breiten 
bogenförmigen Narbe rechts vom Nabel. Der Stuhl war häufig diarrhoisch 
und enthielt regelmässig Eiter und Blutbeimischungen. 

Nach drei Wochen kehrte die Temperatur dauernd zur Norm zurück, 
die pathologischen Beimengungen verschwanden aus dem Stuhl, der 
normale Konsistenz annahm. Nach sieben Wochen wurden die kolik¬ 
artigen Sohmerzen und Uebelkeiten seltener, besonders nachdem eine 
vorsichtige Streichmassage des Leibes begonnen wurde. Die Patientin 
hat 10 Pfund zugenommen, sieht sehr frisch aus, die Stimmung ist heiter, 
das Gefühl der Leistungsfähigkeit derartig gestiegen, dass Spaziergänge 
bis zu zwei Stunden Dauer unternommen werden, kurz, eine schwere 
Darmtuberkulose erscheint nach etwa dreimonatiger Besonnung an der 
See völlig ausgeheilt. 

4. Das Kind dieser Dame, ein lVt jähriger Junge, machte vor einem 
halben Jahre eine anscheinend normal verlaufende Bronchitis durch, 
behielt aber seitdem eine morgendliche Temperatursteigerung bis 38,1°. 

Bei der ersten Untersuchung fand sich bei einem leicht rhachitiscben 
und pastösen Kinde an circumscripter Stelle in der Fossa infraspinata 
rechts feinblasiges Rasseln und rechts neben der Wirbelsäule in Höhe 
des vierten Brustwirbels eine Dämpfung. Die Diagnose musste demnach 
auf Bronchialdrüsentuberkulose lauten, wenn auch die Erhärtung durch 
das Röntgenbild von den Eltern abgelehnt wurde. 

Nach dreiwöchiger Besonnung schwand das Rasseln, nach vierwöchiger 
das Fieber. Das Kind gedieh prächtig, nahm dauernd an Körpergewicht 
zu und bietet jetzt ein Bild der Gesundheit. Bei der letzton Unter¬ 
suchung, Mitte August, war von einer Dämpfung rechts neben der Wirbel¬ 
säule nichts mehr nachweisbar *). 

5. 33 jährige Dame, war vor zwei Jahren mehrere Monate in einem 
Lungensanatorium wegen eines leichten Spitzenkatarrhs, der ausgeheilt 
ist. Seit etwa D/a Jahren hat sie starke Schmerzen im linken Hypo¬ 
gastrium, die während der Menses exacerbieren. Dazu eine eigentümliche 
Temperaturkurve von monatlichem Turnus, Temperatursteigerungen bis 
38,6° in den letzten 14 Tagen vor der Menstruation, mit dem Höhepunkt 
am letzten Tage, Abfall während der Blutung, annähernd normale Tempe¬ 
raturen in den nächsten 14 Tagen, palpatorisch eine leichte Verdickung 
der linken Adnexe, Druckempfindlichkeit des linken Parametriums, 
mässiger Fluor albus. Also eine linksseitige Genitaltuberkulose. 

Nach 7 wöchiger Besonnung, kombiniert mit der Nassauer’schen 
Pulverbehandlung, sind die Schmerzen während der Periode ganz, in 
der Zwischenzeit bis auf ein gewisses Druckgefühl nach körperlichen 
Anstrengungen geschwunden, ebenso der Ausfluss. Die Temperatur ist 
völlig normal 2 ). 

M. H.! In allen diesen Fällen bestand die Behandlung im 
wesentlichen in der Insolation. Daneben legen wir allerdings 
auf die Allgemeinbehandlung grosses Gewicht. So glaubten wir 
ein möglichst reines Bild von dem Werte der Heliotherapie au 
der See zu erhalten. 

Wir haben die Ueberzengung gewonnen, dass die Helio¬ 
therapie, deren Wert im Hochgebirge nicht mehr bezweifelt 
werden kann, sich mit mindestens ebenso gutem Erfolge an der 
See durchführen lässt, vielleicht sogar mit besserem. Denn neben 
der Besonnung stehen an der See noch andere wesentliche Heil- 
faktoren zur Verfügung. Das beweist die Tatsache, dass die 
Heilung, wenn sie erst durch Besonnung in die Wege geleitet ist, 
ziemlich gleichmässig fortschreitet, gleichgültig, ob Sonne scheint 
oder nicht. 

Die an der See ansetzende Anregung des Stoffwechsels, die 
Vermehrung der roten Blutkörperchen und des Hämoglobins, die 
Abhärtung des Körpers sind allgemein bekannt; die Feuchtigkeit 
und Staubarmut der Luft ist subjektiv angenehm, für die Atmungs¬ 
organe heilsam. Die Hauptrolle kommt wohl den chemischen 
Bestandteilen der Seeluft zu, dem hohen Ozon- und Wasserstoff¬ 
superoxydgebalt und vielleicht einem, wenn auch nur sehr 
geringen, Jodgehalt. Aber wenn man bedenkt, dass bei ruhiger 
Atmung täglich etwa 15 000 1 Luft die Lunge durcbstreichen, 
und dass an der See die Atmung noch vertieft ist, so kann man 

1) Beide Patienten erfreuen sieh jetzt, Mitte Dezember, sechs Wochen 
nach der Rückkehr ins Binnenland, des besten Wohlbefindens. 

2) Patientin ist vor 6 Wochen als Lehrschwester eingetreten, fühlt 
sich ihrem Berufe durchaus gewachsen. 

4* 


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UMIVERSITY OF IOWA 





1064 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 23. 


auch von einem ganz geringen Jodzusatz zur Luft einen Heil¬ 
effekt erwarten, der für die fungösen Formen der Tuberkulose 
spezifisch zu sein scheint, worauf Bier jüngst wieder aufmerksam 
gemacht hat. 

Einen Punkt möchte ich nicht unterlassen hervorzuheben: 
Die an die See geschickten Kinder müssen in chirurgisch-ortho¬ 
pädischer Behandlung stehen. Ein Facharzt muss die Heilung 
überwachen, die Stellung der Extremitäten durch geeignete 
Lagerung, Streckverbände usw. günstig gestalten, den rechten 
Zeitpunkt zu den kleinen Eingriffen, Punktionen, Sequester¬ 
extraktionen ermessen, die Besonnung dosieren. Es ist ohne 
jeden Wert, die Kinder mit den Eltern selbst monatelang an die 
See zu schicken. Eine systematische Kur unter steter ärztlicher 
Aufsicht ist erforderlich. Zur Durchführung der Sonnenbehand¬ 
lung sind ganz besonders zu diesem Zweck erbaute Häuser nötig; 
die heutigen Seehospize eignen sich, soweit mir bekannt, nicht 
für den Zweck. 

M. H. I Ich darf noch einmal kurz das Ergebnis unserer 
Erfahrung zusammenfassen: 

1. Die Heliotherapie ist ein wesentlicher Fort¬ 
schritt in der konservativen Behandlung der chirurgi¬ 
schen Tuberkulose. 

2. Die Heliotherapie lässt sich an der See mit 
bestem Erfolge durchführen. 

3. Neben dem Sonnenschein bietet das Seeklima 
noch andere wertvolle Heilmittel, so dass, nachdem 
erst die Heilung durch Insolation angebahnt ist, sie 
unabhängig davon fort sch reitet. 

4. Die Heliotherapie der chirurgischen Tuber¬ 
kulose an der See muss an sorgfältig ausgewähltem 
Platze in eigens dazu gebauten Häusern unter chir¬ 
urgisch-orthopädischer Aufsicht erfolgen. 

Im Dezember 1912. 


Aus der klinischen Abteilung der hydrotherapeutischen 
Anstalt der Universität Berlin (Leiter: Geheimrat 
Prof. Dr. L. Brieger). 

Uebungsbehandlung bei Little’scher Krankheit 
mit Hilfe einer neuen Gehstütze. 

Von 

Dr. Carl Hertzeil, Assistent. 

(Nach einer Demonstration auf dem XII. deutschen Orthopädenkongress, 
Berlin.) 

Vor kurzem hatten wir Gelegenheit, in unserer Anstalt einen 
Fall von Little’scher Krankheit zu behandeln, der uns wegen der 
Eigenart der Behandlung, bestehend in einer Kombination von 
hydrotherapeutischer, orthopädischer und Uebungsbehandlung und 
wegen des dadurch erzielten günstigen Heilerfolges ein all¬ 
gemeineres Interesse zu verdienen scheint. 

Genia 0. aus Besco in Galizien leidet an ihrer Krankheit von Ge¬ 
burt an. Sie wurde als Siebenmonatskind geboren und ist unter vier 
Geschwistern die einzige Kranke. Trotzdem sie bereits 12 Jahre 
alt ist und ständig von Aerzten behandelt wurde, war sie 
bis zur Aufnahme in unsere Anstalt selbst mit Hilfe von 
zwei Stöcken nicht imstande, sich auf den Füssen aufrecht 
zu erhalten, geschweige denn zu gehen. Nur an eine Wand an¬ 
gelehnt konnte sie sich mühsam im Gleichgewicht erhalten und sich 
dann auch langsam seitwärts fortbewegen. Nach Angabe der Eltern 
wurde sie vor 3 Jahren in Wien operiert (Tenotomie beider Achilles¬ 
sehnen). Die Stellung der Füsse wurde dadurch zwar verbessert, der 
erwartete Erfolg in bezug auf den Gang trat indessen bis heute nicht 
ein. Am 31. Januar 1913 wurde das Kind in unsere Anstalt auf- 
genomraen. 

Befund bei der Aufnahme. Wohlgenährtes Kind. Gesichts¬ 
ausdruck blöde. Irregulärer Strabismus. 

Nervensystem und Bewegungsapparat. Die Bewegungen 
beider Arme sind ungestört und die Arme kräftig entwickelt. An den 
beiden Oberschenkeln ist die Muskulatur dem äusseren Anschein nach gut 
entwickelt, jedoch ist das Kind nicht imstande, in Rückenlage die beiden 
Oberschenkel um mehr als 45° aktiv zu beugen. Versucht man die 
passive Beugung der Oberschenkel gegen das Becken, so hat man dabei 
einen grossen Widerstand zu überwinden und die vorher schlafien 
Muskeln werden plötzlich prall und hart. An den Unterschenkeln ist 
fast die gesamte Muskulatur atrophisch, doch besitzt die Wadenmusku¬ 
latur noch ein gewisses Uebergewicht über ihre Antagonisten. Die 


Kraft der Plantar- oder Dorsalflexion der Füsse ist äusserst gering. 
Beide Füsse stehen in Plattfussstelluug. Wenn das Kind mit Unter¬ 
stützung anderer Personen Gehversuche macht, so schleifen beide Fuss- 
spitzen am Boden. Allein sich aufrecht erhalten oder gehen kann das 
Kind überhaupt nicht, weder mit einem Stock, noch mit zwei Stöcken, 
noch mit Krücken. Am Laufstuhl sich festhaltend kann sie stehen, ohne 
ihn fortbewegen zu können. An eine Wand angelehnt, kann sie sich 
aufrecht erhalten und sich auch langsam seitwärts bewegen. Patellar- 
reflexe ausserordentlich gesteigert. Babinski negativ. 

An den übrigen Organen keine krankhaften Veränderungen. 

Unsere Therapie richtete sich zunächst gegen die ausserordent¬ 
liche Schwäche der gesamten Unterschenkelmuskulatur des Kindes. Die 
atrophische Muskulatur der Unterschenkel war so wenig imstande, den 
Füssen des Kindes einen sicheren Halt zu geben, dass ihm dadurch das 
freie Stehen zur Unmöglichkeit wurde, und so suchten wir diese Er¬ 
scheinungen durch aktive Beinübungen in Rückenlage mit anschliessender 
Massage der Unterschenkel zu bekämpfen. Gleichzeitig suchten wir die 
Spasmen durch passive und aktive Bewegungen im warmen Wasserbade 
zu überwinden und Hessen im Anschluss daran durch den Auftrieb des 
Wassers erleichterte Gehversuche in der Wanne ausführen. Diese Maass¬ 
nahmen Hessen auch schon nach kurzer Zeit eine deutliche Besserung 
des Krankheitsbildes erkennen, indem die Muskulatur kräftiger und 
fester wurde, die Spasmen weniger störend sich bemerkbar machten. 
Trotzdem reichte dies allein nicht aus, die Krankheit so weit zu bessern, 
dass das Kind selbständige aktive Gehübungen hätte vornehmen können, 
da bei jedem Versuche desselben, sich mit Hilfe zweier Stöcke aufrecht 
zu erhalten, die Stöcke nach der Seite auswichen, wie es die Figur 1 
veranschaulicht. (Dieses Bild wurde erst nach Abschluss der Behand¬ 
lung zur Illustration des Gesagten aufgenommen.) 


Figur 1. Figur 2. 



Zwei einzelne Stöcke können nach Die Vereinigung zweier Stöcke gibt 
der Seite ausweichen. eine festere Stütze. 

Das Kind sass daher in der ausserhalb der Uebungen gelegenen 
Zeit meist teilnahmslos und mit blödem Gesichtsausdruck auf seinem Stuhl. 

Um dem Kinde nun trotzdem selbständige Gehübungen möglich zu 
machen, verfiel ich auf den Ausweg, die beiden Stöcke, mit denen ge¬ 
trennt das Kind nichts anzufangen wusste, durch zwei parallele Ver¬ 
bindungsstäbe zu einer einzigen Gehstütze 1 )» dem Doppelstock, wie 
wir sie nennen, vereinigen zu lassen. Eine derartige Vereinigung zweier 
Stöcke zu einer einzigen starren Verbindung bietet in der Tat eine viel 
festere Stütze als zwei einzelne Stöcke, da hierbei das oben erwähnte 
Ausweichen der Stöcke nach den Seiten hin ausgeschlossen ist (siehe 
Figur 2). 

Die Erwartungen, die wir an den Gebrauch dieser Stütze gestellt 
hatten, haben sich denn auch im vollen Maasse bestätigt. Das Kind 
konnte schon beim ersten Versuch mit ihrer Hilfe aufrecht stehen und 
sich auch durch successives Vorsetzen der Stütze mit nachfolgender 
Annäherung der Füsse an dieselbe über eine freie Fläche fortbewegen. 
Die Art der Benutzung des Doppelstockes erinnert demnach in gewisser 
Weise an den Gebrauch einer Gehbank, die er jedoch durch seine 
Leichtigkeit und die Verwendbarkeit im Freien übertrifft. 

Sobald dem Kinde durch die neue Stütze die Gelegenheit gegeben 
war, sich, so oft es wollte, selbständig im Gehen zu üben, flog die 
Krankheit an, sich auffallend schnell zu bessern. Nach Verlauf von 


1) Die Stütze wurde von der Firma H. Windler, Berlin, Friedrich¬ 
strasse, nach unseren Angaben hergestellt. 


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9. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1065 


4 Wochen hatte es im Gebrauche der Stütze bereits eine ziemliche 
Sicherheit erworben und bewegte sich ganz geschickt damit durch das 
Zimmer. Da das Kind indessen eine Neigung zeigte, statt beim Gehen 
die Füsse vom Boden zu heben, die Beine gestreckt zu lassen und sich 
im Entengang vorwärtszubewegen, liess ich zeitweise Kriechübungen ein- 
schieben, wie sie von Klapp 1 ) zur Behandlung der Skoliose angegeben 
wurden. Beim Kriechen ist das Kind nämlich gezwungen, die Ober¬ 
schenkel in eitremster Weise gegen das Becken zu beugen und, da 
gerade diese Bewegung fast allen von Little’scher Krankheit befallenen 
Kindern äusserst schwer fällt, stellt es eine ausgezeichnete Uebung für 
sie dar. Wir erzielten auf diesem Wege eine weitere erhebliche Ver¬ 
besserung des Ganges. Bald darauf war das Kind dann soweit vor¬ 
geschritten, dass es beim Gehen den Doppelstock mit zwei einzelnen 
Stöcken und dann mit einem Stock vertauschen konnte und jetzt, nach 
Verlauf von 3 Monaten seit der Aufnahme, kann es bereits kleine 
Strecken im Zimmer ohne Stütze gehen und frei stehen, wie es die 
Figur 3 zeigt. 


Figur 3. 



Nach der Behandlung freistehend. handlung. 


Zum Schluss verdient noch der Umstand erwähnt zu werden, dass 
mit der Erlernung des aktiven Gehens auch das ganze Wesen des Kindes 
eine auffällige Veränderung erfahren hat. Während es früher in seiner 
Untätigkeit meist einen äusserst blöden Gesichtsausdruck zeigte (Figur 4), 
sieht es jetzt, wie die später aufgenommenen Bilder 1—3 zeigen, be¬ 
deutend intelligenter aus. Die ganzen psychischen Funktionen scheinen 
sich gehoben zu haben, und es fällt nur noch sehr selten in den alten 
Zustand der Apathie zurück. 

Ergebnisse. 

1 . Der Erfolg unserer Behandlung hat von neuem die schon 
wiederholt von Bisalski betonte Ansicht bestätigt, dass auch 
bei den operativ behandelten Little-Fällen das Schwergewicht auf 
die der Operation folgende Nachbehandlung zu legen sei, und 
dass diese in keinem Falle vernachlässigt werden dürfe. Dies 
zeigt zur Evidenz die hier von uns festgestellte Tatsache, dass der 
Erfolg der Operation 3 Jahre lang ausbleiben konnte, um in dem 
Moment einzusetzen, wo eine konsequent und zweckmässig durch¬ 
geführte Uebungs- und physikalische Nachbehandlung eingeleitet 
wurde. 

2 . Weiter bestätigte unser Fall die schon wiederholt von uns 
gemachte Erfahrung, dass man bei gymnastischer Behandlung der 
Lähmungen, und zwar ganz besonders dann, wenn sie bei Kindern 
zur Anwendung kommt, mit allen Kräften das Stadium zu über¬ 
winden streben muss, in dem nur einfache aktive Bewegungen 
auf Kommando vorgenommen werden. Kinder bringen dieser Art 
der Behandlung ein zu geringes Verständnis entgegen. Sie führen 
die betreffenden Bewegungen nur gezwungen und mit Unlust aus, 
und der therapeutische Erfolg ist gering. Dagegen erzielt man 
sogleich schnelle Fortschritte, sobald es gelingt, diese einzelnen 
Bewegungen in eine Form der Tätigkeit zu kleiden, an der die 
Kinder selbst ihre Freude haben, z. B., wenn man den zur Un- 


1) Klapp, Funktionelle Behandlung der Skoliose. 2. Auflage. 
Jena 1910. 


tätigkeit verurteilten Kindern mit Little’scher Krankheit mit wie 
immer gearteten Hilfsmitteln die freiwillige aktive Fortbewegung 
ermöglicht. 

3. Bei diesen Bestrebungen hat uns der oben be¬ 
schriebene Doppelstock die besten Dienste geleistet. 
Er ist ein Hilfsmittel, das Patienten, die sich weder 
mit einem, noch mit zwei Stöcken, noch mit Hilfe von 
Krücken fortbewegen können, in vielen Fällen doch 
noch das Gehen ermöglicht. 

4. Kriechübungen haben sich uns als ausgezeichnet brauchbar 
erwiesen, die bei Kindern mit Little’scher Krankheit meistens 
bestehende Unfähigkeit, die Oberschenkel gegen das Becken zu 
beugen, wirksam zu bekämpfen. 


Zur Xerasebehandlung des weiblichen Fluors. 

Von 

Dr. Otto Abraham. 

In den Jahren 1902, 1904 und 1910 *) habe ich meine Erfahrungen 
in der Hefebehandlung des weiblichen Fluors veröffentlicht. 

Im Laufe dieser, nunmehr 11 Jahre umfassenden Zeit sind zahl¬ 
reiche Arbeiten erschienen, die meine Angaben bestätigen, erweitern und 
theoretisch ergänzen. Verschiedene Abhandlungen sind speziell dem 
neuen Hefepräparat Xerase gewidmet, das aus einem Gemisch von reiner 
getrockneter, aber gärfähiger, obergäriger Bierhefe und Bolus, Zucker und 
Nährsalzen besteht. 

Sowohl die theoretischen, physikalischen und bakteriologischen, Be¬ 
trachtungen wie die klinischen Versuche hatten ergeben, dass gerade die 
Zusammensetzung der Hefe und der Bolus ein geradezu spezifisch 
wirkendes Präparat gegen den gonorrhoischen Ausfluss beim Weibe ist. 
Die wissenschaftliche Erklärung dieser, auch von anderen bestätigten 
Wirkung der Xerase hat verschiedene Deutungen erfahren, die haupt¬ 
sächlich daraus resultieren, dass die baktericide Wirkung der Hefe sich 
auffallenderweise im klinischen Fall sicherer erweist als im bakterio¬ 
logischen Experiment. 

Die verschiedensten Hefearten wurden mit verschiedenen Mikro¬ 
organismen zusammengebracht. Ich 1 ) stellte Versuche an mit Gono¬ 
kokken, Streptokokken, Staphylokokken und Proteus, mit dem Resultat, 
dass Gonokokken nach 6 Stunden vernichtet werden, Proteus nach 16, 
Streptokokken nach 32, Staphylokokken nach 48 Stunden. Am wirk¬ 
samsten erwies sich lebende Hefe mit Asparaginzusatz, etwas schwächer 
sterile Dauerhefe mit Zuckerzusatz, gar keine Wirkung zeigte Hefepresssaft. 

Rapp 2 ) fand, dass Zymase und Levure de Biere in 24—48 Stunden 
Staphylokokken und Typhusbacillen töten. Geret 3 ) vernichtete mit Albert- 
scher Dauerhefe und Zuckerzusatz Typhusbacillen, Bacterium coli, Bacillus 
lactis aerogenes und Staphylokokken; Turro Torraella und Presta 4 ) 
Hessen Hefereinkultur auf Staphylokokken und Streptokokken einwirken 
und fanden, dass die Kokken sich in demselben Medium in agglutinierter 
Form entwickeln und nicht mehr als virulent auf Gelatine übertragbar 
seien; Ledermann und Klopstock 5 ) fanden besonders Presshefe 
baktericid gegen Bacterium coli und Typhusbacillen, Gardiewski 8 ) und 
Krause wandten mit Erfolg Zymin gegen Coli, Typhusbacillen und 
Staphylokokken an. 

Den zahlreichen positiven Ausfällen des bakteriologischen Ex¬ 
perimentes stehen negative Resultate Czervenka’s 7 ) und Cronbach’s 8 ) 
in bezug auf die hier wichtigsten Gonokokken gegenüber. Diesen 
schliessen sich Versuche von mir in bezug auf das Bacterium coli an; 
auch Geret 8 ) hat das Bacterium coli als den am widerstandsfähigsten 
Mikroorganismus erklärt. 

Cronbach erklärt den negativen Ausfall seiner und Czervenka’s 
Versuche dadurch, dass vielleicht in ihren Nährböden irgendwelche 
Bestandteile die Hefe ihrer baktericiden Kraft beraubt haben, da durch 
Versuche von Henneberg 9 ) festgestellt sei, dass schon durch Spuren 
mancher Stoffe, z. B. gewisser Kalksalze die Gärfähigkeit der Hefe sehr 
stark verändert wird. Cronbach kommt also im Gegensatz zu den 
meisten Forschern zu dem Resultat, dass Hefezellen zwar baktericid 
wirken können, aber nicht immer und unter allen Umständen ihre bak¬ 
tericide Kraft entfalten. 

Bei verschiedenen bakteriologischen Nachprüfungen habe ich die 
Cronbach’schen Angaben auch hinsichtlich der Gonokokken und Strepto¬ 
kokken bestätigen müssen; manchmal wurde eine sichere Abtötung 


1) Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., 1902 u. 1910; Centralbl. 
f. Gynäkol., 1904. 

2) Münchener med. Wochenschr., 1902. 

3) Münchener med. Wochenschr., 1901. 

4) Zeitschr. f. Bakteriol., 1903. 

5) Naturforscherversammlung, Karlsbad 1902. 

6) Inaug.-Diss., Breslau 1903. 

7) Wiener klin. Wochenschr., 1904, Nr. 47. 

8) Klin.-therapeut. Wochenschr., 1911, Nr. 23. 

9) Jahrb. d. Versuchs- u. Lehranstalt f. Brauerei. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 23. 


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schon nach wenigen Stunden erreicht, manchmal kaum irgendwelche 
Beeinflussung des Kokkenwachstums. Vor allem sind also die chemischen 
Verhältnisse der Nährböden, die für Hefe, Kokken und Bacillen gleich 
günstig sein müssen, noch genau zu erforschen. 

Die Art der Hefewirkung wurde zuerst von Theodor Landau 1 ) 
kritischen Betrachtungen unterzogen: er gibt folgende Möglichkeiten an. 
1. Mechanische Verdrängung der Mikroorganismen durch die über¬ 
wuchernden Hefezellen. 2. Entziehung von Wasser oder für die Mikro¬ 
organismen nötigen Nährstoffen durch die Hefezellen. 3. Wirkung von 
Stoffwecbselprodukten, die entweder die Bakterien töten oder die Toxine 
neutralisieren oder den Nährboden so verändern, dass die Bakterien 
ausgehungert werden. 

Die erste Erklärung, die Ueberwucherung der Mikroorganismen durch 
die Hefezellen hatte ich 1902 auf Grund mikroskopischer Untersuchungen 
für unmöglich erklärt. Dass die Bakterientötung nicht auf Grund einer 
Lebenstätigkeit der Hefe beruhen könne, bewies W. Albert 2 3 ), der zuerst 
sogenannte sterile, also tote Hefe verwandte und gute, klinische 
Resultate erzielte. Demzufolge also kann Ueberwucherung oder physio¬ 
logische Nährstoffentziehung nicht die Ursache der baktericiden Wirkung 
sein; ebensowenig können Stoffwechselprodukte, soweit sie von der 
lebenden Hefe gebildet werden, das wirksame Agens enthalten. Die 
Gärungsprodukte, Alkohol und Kohlensäure, Bernsteinsäure, Essigsäure 
und Glycerin sind nach Versuchen von Geret (I. c.), Büchner 8 ) und 
Ehrlich 4 ) (siehe 0. Abraham 1904) sicherlich nicht die bakterien¬ 
tötenden Gifte. So drängt alles zu der Annahme, dass die baktericide 
Kraft der Hefe in einem Enzym besteht, entweder in einem der be¬ 
kannten, der Zymase, oder der Endotryptase oder einem neuen un¬ 
bekannten Ferment. Nach meinen und Conradi’s 5 ) Versuchen ist die 
Zymase wahrscheinlich nicht schuld an der Bakterientötung, denn frischer 
Hefepresssaft ist gärfähig, aber nicht baktericid; auch die Endotryptase 
scheint nicht für die bakterientötende Wirkung anzusprechen sein, da 
sie nach Büchner in den lebenden Hefezellen nur als Zymogen ent¬ 
halten sein soll, die baktericide Wirkung aber gerade bei der lebenden 
Hefe besonders stark in die Erscheinung tritt. 

Wenn man nicht mit Conradi annehmen will, dass die bakterien¬ 
tötende Kraft der Hefe überhaupt keine Fermentwirkung, sondern die 
Folge eines autolytischen Giftes ist, dann sieht man sich zu der Ansicht 
hingedrängt, dass irgendein Ferment, das mit den bekannten Fermenten 
nicht identisch ist, dem man den Namen Baktericidase geben könnte, 
Ursache der Bakterientötung ist. 

Es ist also Aufgabe der Bakteriologen, nach der Natur des bakteri¬ 
ciden Agens zu suchen und nach den Bedingungen, unter welchen das¬ 
selbe im bakteriologischen Experiment in Wirksamkeit tritt. 

Uns Frauenärzten genügt es, durch die Versuche der verschiedenen 
Forscher die Ueberzeugung von einer baktericiden Wirkung der Hefe 
gewonnen zu haben und dadurch eine theoretische Grundlage für 
klinische Versuche zu besitzen. Uns liegt es ob, die Hefe in brauch¬ 
barer Form und Zusammensetzung möglichst nahe an den Erkrankungs¬ 
herd zu bringen. 

Diese Zusammensetzung scheint nach meinen und den Untersuchungen 
anderer Autoren in der Xerase gefunden zu sein. Die zweite Haupt¬ 
komponente der Xerase, die Bolus, deren medizinische Geschichte in der 
Dissertation von Toybin 6 ) klar dargestellt ist, ist ein physikalisch, nicht 
chemisch wirkendes Mittel. Verschiedene bakteriologische Versuche, in 
denen ich Bolus mit Gonokokken, Streptokokken, Staphylokokken und 
Proteus zusammenbrachte, bewiesen, dass eine baktericide Wirkung der 
Bolus nicht besteht. Wenn Mikroorganismen durch Bolus an der Weiter¬ 
entwicklung verhindert werden, dann geschieht dieses auf mechanischem 
Wege. Denn Bolus ist ein feinkörniges Pulver, ausgezeichnet durch ein 
grosses Porenvolum und eine starke Austrocknungsfähigkeit; die capillare 
Attraktion und die Steigehöhe des Wassers in der Bolus ist entsprechend 
der Feinheit und Kleinheit der Boluskörnchen zwar langsam, aber sehr 
stark. So kann im klinischen Fall den Mikroorganismen Wasser und 
Nährstoff entzogen werden, und die bei Trockenbehandlung in die feinen 
Boluskömchen eingehüllten Bakterien können an der Fortpflanzung ver¬ 
hindert werden. 

In der Xerase sind also Hefezellen und Boluskörnchen innig ge¬ 
mischt und können so eine kombinierte Tätigkeit entfalten. Gronbach 
(I. c.), der im Gegensatz zu seinen bakteriologischen Versuchen sich von 
der vorzüglichen klinischen Wirkung der Xerase überzeugte, glaubt, dass 
es sich hierbei um eine mechanische Reinigung der erkrankten Teile 
handelt. Im Gärungskolben beobachtete er bei Xerase unter gleichen 
Bedingungen eine viel kleinblasigere Gärschaumentwicklung als bei der 
entsprechenden Hefe allein. Er glaubt, dass die Boluskörnchen als 
Kristallisationspunkte die sich bildende Kohlensäure zu dieser kleinen 
Bläschenbildung zwingen; ähnlich denkt er sich die Wirkung der Xerase 
in der Vagina, nämlich, dass die Schleimhaut gewissermaassen stunden¬ 
lang unter Pressluft gesetzt, von der Bolus ausgescheuert wird. Er hält 
es auch für denkbar, dass der stundenlange Reiz der Kohlensäureperlen 


1) Deutsche med, Wochenschr., 1899, S. 171. 

2) Centralbl. f. Gynäkol., 1901, S. 418, und 1902, S. 865. 

3) E. Büchner-Halle: Die Zymasegärung. München 1903, R. Olden- 
bourg. 

4) Biochem. Zeitschr., 1909. 

5) Beitr. f. chem. Physiol. u. Pathol., 1902. 

G) Inaug.-Diss., Berlin 1911. 


während der Gärzeit einen regen Stoffwechselumsatz eventuell eine ver¬ 
mehrte Blutzufuhr anregt, die nach Art der Stauungsbyperämie die 
Zellen im Kampf mit den Gonokokken unterstützt. 

Dieser Vergleich der Vagina mit einem Gärkolben wäre nur dann 
berechtigt, wenn in der Scheide genügend Wasser vorhanden wäre, um 
eine Gärung zu ermöglichen. Der Vaginalsobleim ist aber im Vergleich 
zur Menge des Xerasepulvers (3 bis 5 g) sehr gering und ergibt mit 
dieser einen so dicken Brei, dass der Gasdruck eventueller Gärbläschen 
kaum ausreichen würde, die Widerstände zu überwinden und eine derart 
ausgiebige kleinblasige Kohlensäureentwickelung zu ermöglichen; irgend¬ 
eine Schaumentwickelung habe ich auch niemals weder nach 3, noch 
nach 8 oder 16 Stunden in dem der Vagina entnommenen Xerase- 
gemisch nachweisen können. 

Ein anderer kleiner Versuch dürfte eher die Wirkung der Xerase 
erklären: Wenn man mehrere gleich grosse, mit Wasser gleich stark 
getränkte Wattebäusche zum Teil auf einem blossen Teller, zum Teil 
auf eine Unterlage von Xerasepulver legt, dann findet sich nach einer 
Stunde schon ein deutlicher Unterschied dieser Bäusche. Die Watte, 
die auf dem blossen Teller lag, ist noch ganz nass; die auf 
dem Xerasepulver lag, stark ausgetrocknet, auch in den der 
Xerase entfernteren Gewebspartien. Dagegen ist die gelbe 
Farbe des Xerasepulvers mehrere Millimeter in die Watte 
durch Capillarattraktion hinaufgedrungen. 

Analog denke ich mir die Xerasewirkuog in der Vagina: Zunächst 
wird der auf der Schleimhaut liegende Schleim resp.Eiter durch das trockene 
Hefebolusgemisch aufgesaugt und für die WeiterentwickeluDg der Bak¬ 
terien und eine Reinfektion unschädlich gemacht; eine dicke, pasten¬ 
artige, graugelbliche Masse umgibt jetzt Portio und Vaginalwand so fest, 
dass sie nur durch vielfaches Abwischen mit Playfairwattestäbchen ab¬ 
gelöst werden kann. Die Xerase entzieht aber auch den obersten er¬ 
krankten, vielfach macerierten Gewebspartien Wasser infolge ihrer starken 
capillaren Attraktion. Dafür dringt in die oberflächlichsten Teile dieser 
Zellschichten das Hefebolusgemisch ein und kann so die baktericiden 
Eigenschaften der Hefe, worin sie immer bestehen mögen, direkt an den 
erkrankten Gewebspartien entfalten. 

Ein Beweis für die Richtigkeit dieser Annahme scheint mir in der 
Heilungsart der Erosionen nach Xeraseapplikation zu sein, ln 
meiner Abhandlung 1910 (l.c.) hatte ich schon geschildert, dass Erosionen 
in den ersten Tagen der Xerasebehandlung sich anscheinend verschlimmern, 
dass sie röter und bei geringer Watteberührung leicht blutend werden. 
Die mikroskopische Untersuchung des Xerasebreis zeigt dann neben 
Zelldetritus und Plattenepithelien zahlreiche Cylinderepithelien, die dar¬ 
tun, dass die Erosionen nicht in der Form selbständiger Proliferation 
der Cylinderzellen mit nachfolgender Metaplasie in Plattenepithel heilen, 
sondern dass erst eine Umwandlung der Pseudoerosionen in wahre 
Erosionen stattfindet, indem die leicht zerstörbaren Cylinderzellen durch 
die ein dringende Xerase getötet und abgestossen werden. 

Dass neben dieser auch die andere Heilungsart der Erosionen bei 
der Xerasebehandlung vorkommt, beschreibt Toybin (1. c.) der wegen 
einer auch vorkommenden allmählichen Abblassung der Erosionen an¬ 
nimmt, dass auch eine wirkliche Metaplasie des Gylinderepithels in 
Plattenepithel eintritt; auch diese Heilungsart würde nicht gegen die 
obige Heiihypothese sprechen, denn man kann annehmen, dass hier die 
Cylinderzellen zum Teil mehr Widerstandskraft hatten, als in anderen 
stärker macerierten Fällen. Xerase wirkt also meines Erachtens in zwei¬ 
facher Weise baktericid, mechanisch und chemisch (s. oben). Die mecha¬ 
nische Wirkung der Bolus allein hat sich mir klinisch nicht annähernd 
so schnell und sicher erwiesen wie die kombinierte Wirkung der Xerase. 
Meine Erfahrungen stehen hierin also im Gegensatz zu der Annahme 
von G. Katz 1 ), der das wirksame Prinzip der Xerase einzig und allein 
der Bolus alba zuschreibt, aber trotzdem die Hinzufügung chemischer 
Mittel zur Bolus (Lenicet, Peroxyd, Argentum) empfiehlt. 

Die vaginale Anwendung der Xerase hatte ich in zwei Formen emp¬ 
fohlen 1. als Pulver, 2. als Gelatinekapseln, die mit 3 g Xerase gefüllt sind. 

Beide Anwendungsformen haben ihre Vorteile und Nachteile: Der 
Vorteil des Pulvers ist, dass es in ausreichender Menge an alle 
erkrankten Partien gebracht werden kann; sein Nachteil ist, dass eine 
Selbsteinführung des Pulvers selbst für intelligente Patienten schwierig 
ist. Für die Sprechstunde scheint es am bequemsten zu sein, das 
Xerasepulver in ein, in die Vagina eingeführtes Glasspeculum zu schütten, 
dieses so lange zu drehen, bis die Portio mit dem Pulver bedeckt ist, 
und es unter fortwährendem Drehen langsam herauszuziehen, bis auch 
die Vagina genügend mit Xerase versorgt ist. Ein bis zwei Faden* 
tampons müssen das Herausfallen des Pulvers verhindern. Für den 
Selbstgebrauch ist am besten, den Nassauer’schen Siccator 2 ) zu verwenden. 

Der Vorteil der Xerasekapseln ist ihre bequeme Selbstein- 
führung durch den Patienton. Ihr Nachteil besteht in der Gelatine¬ 
hülle, die 1. durch langes Liegen oft austrocknet und schwer löslich 
wird, 2. auch bei Leichtlöslichkeit die gute Adhäsion der Xerase mit 
dem erkrankten feuchten Gewebe stört und 8. leicht einen guten Nähr¬ 
boden für die Mikroorganismen, besonders Fäulnisbakterien, abgeben 
kann, die durch die Xerase nicht beseitigt werden. 

Der beiden Xeraseformen gemeinsame Nachteil ist der 
üble Geruch der nach längerem Verweilen in der Vagina den Xerase- 


1) Diese Wochenschr., 1913, Nr. 17. 

2) Münchener med. Wochenschr., 1909, und Centralbl. f. Gynäkol., 
1909. 


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9. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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resten anhaftet. Ich lasse deshalb den Xerasebrei nicht mehr wie früher 
48 Stunden in der Scheide, sondern nur, je nach der Menge des Fluors, 
8—24 Stunden und lasse ihn dann mit einer Kamillenspülung entfernen. 
H. Prager-Heinrich 1 ) lässt die Xerase ebenfalls 24 Stunden liegen und 
durch Kamillenteespülung beseitigen. Auch Toybin 2 * ) lässt die Xerase 
18—24 Stunden wirken, während Cronbach (I. c.) in der Annahme, dass 
die Xerasewirkung (Gärkräft) schon nach 3-4 Stunden erschöpft ist, 
schon nach dieser Zeit eine gründliche Reinigung der Vagina folgen lässt. 
Die vorherige und nachherige Spülung der Vagina mit 5 proz. Lysoform- 
lösung, wie sie Samoilow 8 ) empfiehlt, ist natürlich nicht nur im Interesse 
der Reinheit der Versuche, sondern auch wegen der durch das Des- 
infizienz gestörten Xerasewirkung abzulehnen. 

Ich habe anstatt der Xerasekapseln jetzt Xerasetabletten ä 1,5 g 
anfertigen lassen, die sich ebenfalls sehr leicht einführen lassen und 
sehr schnell in der Vagina zergehen. In Wasser zerfallen diese Tabletten 
sofort zu einem äusserst feinkörnigen Brei, während die Xerasekapseln 
erst nach längerer Zeit zergehen und die Feinkörnigkeit des Pulvers 
durch die Gelatinereste stören. 

Der üble Geruch der Xerase wird jotzt durch Zusatz von Nelkenöl, 
das nachweislich nichts an der Gärkraft und klinischen Wirkung ändert, 
erheblich gemildert. 

Ich habe nach den 1910 besprochenen 200 mit Xerase behandelten 
Fällen noch weitere 100 Fälle protokolliert. Es handelte sich meist um 
gonorrhoische Colpitiden (72), Erosionen (35) und Cervixkatarrhe (55) 
und um katarrhalische Colpitiden, in denen Gonokokken nicht nachweis¬ 
bar waren. Die Colpitiden und Erosionen wurden ausnahmslos in kurzer 
Zeit, nach 3—15 Xerasebehandlungen, geheilt. Nur 6 Fälle von Cervix¬ 
katarrh, also etwa 10 pCt., bedurften noch einer weiteren intrauterinen 
Behandlung. 

Auffallend ist in meinen Fällen wie in denen der anderen Autoren 
wieder der günstige Einfluss der Xerase auf die Cervix uteri, die doch 
direkt gar nicht mit ihr in Berührung kommt; es scheint, dass nicht 
nur die Verhinderung der Reinfektion daran schuld ist, sondern dass 
doch durch die capillare Attraktion der Xerase eine Wirkung in die 
Feme ermöglicht wird. Dass aber H. Prager-Heinrich (I. c.) sogar den 
Mittelschmerz in manchen Fällen durch vaginale Anwendung der Xerase 
beseitigt haben will, erscheint mir, besonders wegen der noch proble¬ 
matischen Natur des Mittelschmerzes eine etwas mystische Fernwirkung. 

Ferner hatte ich Gelegenheit, 4 Fälle von Vulvovaginitis kleiner 
Mädchen mit Xerase zu behandeln, indem ich teils Einpulverungen mit 
einem kleinen, in die Vagina geführten Nasenspeculum vornahm, teils 
aus Xerase und Tragant zusammengesetzte kleine Stifte in die 
Vagina einführte. Diese Fälle heilten nach 4—17 maliger Anwendung 
der Xerase ausnahmslos; auch H. Prager-Heinrich empfiehlt die 
Xerase zur Behandlung der Vulvovaginitis. Endlich wurde ein Fall von 
Proctitis gonorrhoica trotz langen Bestehens in 8 Tagen durch 
Xerasekapseln zum Schwinden gebracht, der sich den beiden von Toybin 
(I. c.) veröffentlichten Proctitisheilungen anschliesst. 

Meist wende ich jetzt ein kombiniertes Verfahren in der 
Xeraseapplikation an: zweimal wöchentlich führe ich im Speculum 
5—8 g Xerasepulver in die Vagina, das ich nach 8—24 Stunden durch 
Kamillenspülung entfernen lasse, an den übrigen Abenden lasse ich die 
Patientin selbst eine Xerasetablette möglichst tief in die Vagina ein¬ 
führen, deren breiige Reste sie am nächsten Morgen durch eine Kamillen¬ 
teespülung entfernt. 


Mitteilungen aus der Zahnheilkunde. 

Von 

Prof. Dr. Wirnekros. 

(Vortrag, gehalten in der Berliner medizinischen Gesellschaft am 
80. April 1913.) 

I. Mitteilungen ans der technischen Zahnheilknnde. 

Seit BonwilTs Aufenthalt in Deutschland im Jahre 1891 
habe ich mich mit den Bewegungen des Unterkiefers beschäftigt 
und meine Erfahrungen bei der Anfertigung des Zahnersatzes zu 
verwerten gesucht. Mit hoher Anerkennung habe ich die Arbeiten 
der anderen Autoren, Wallich, Breuer, Gysi, Spee, 
Christensen, Zsigmonty, Andreesen, Eltner und vieler 
anderer, verfolgt. Die meisten der Herren und auch ich haben 
einen neuen Artikulator einzuführen versucht, aber mit ge¬ 
ringem Erfolg, denn die Anwendung dieser neuen Artikulatoren 
war zum Teil so kompliziert, dass sie schon aus diesem Grunde 
auf keine allgemeine Einführung rechnen konnten. Meiner An¬ 
sicht nach können wir auch mit einfacheren Mitteln, wenn auch 
nicht vollendete, aber immerhin überraschend gute Erfolge in 
der Praxis erzielen. Meine Aufgabe soll es nun sein, Bon will, 


1) Therapie d. Gegenw., 1912, H. 12. 

2) Med. Klinik, 1911, Nr. 10. 

8) Referat: Fortscbr. d. Med., 1910, Nr. 47, 


dessen Leben ein Kampf um die Anerkennung seines Prinzips 
war, zu seinem Rechte zu verhelfen. 

Was leistet nun eigentlich Bonwills Apparat? Er gestattet 
uns, wenn der Zahnreihenschluss bezweckt ist, die Schaffung von 
Mahlflächen auf der einen Seite und entsprechende Unterstützung 
auf der anderen Seite des Zahnersatzes. 

Bei geringem, offenen Biss der Schneidezähne war für die 
Abbeissbewegung auch die Möglichkeit gegeben, abzubeissen. 
Nach den Bonwillschen Prinzipien konnte auch leicht eine Er¬ 
neuerung der Mahlflächen durch Goldeinlage hergestellt werden, 
wenn die Zahnersatzstücke sich durch Kaudruck tiefer in den 
Kiefer eingedrückt hatten. 

Dass die Bonwi lIsche Theorie richtig war, davon kann man 
sich leicht überzeugen, wenn man Modelle von Abdrücken von 
Personen mit vollständigem Gebiss auf dem Bonwill-Artikulator 
befestigt. Diese Abdrücke lassen die Bewegungen des Unter¬ 
kiefers an der Abnutzung der Schliffläche erkennen und beweisen, 
dass der Artikulator richtig funktioniert und seine Bewegungen 
nicht nur in einer horizontalen Ebene stattfinden, sondern z. B. 
bei der Bewegung nach rechts ein Aufgleiten der äusseren Kau¬ 
hügel der unteren rechten Mahlzähne auf die äusseren Hügel der 
oberen rechten Mahlzähne gestatten. Ebenso umgekehrt, wenn 
die Bewegung nach links stattfindet. 

Auch habe ich zur Kontrolle Patienten mit Zahnersatz¬ 
stücken versehen, deren Mahlflächen genau den*Mahlflächen natür¬ 
licher Gebisse mit denselben Breiteverhältnissen entsprachen. Ich 
habe sie entweder mit mühsam hergestellten Porzellanschliff¬ 
flächen angefertigt oder durch gegossene Gold-Mahl- und 
Schneideflächen nachgeahmt, denen ich künstliche Flachzähne 
vorsetzte. 

Beim Tragen eines ganzen Gebisses war es von Vorteil, wenn 
das Unterstück durch eine gewisse Schwere im Kiefer festgehalten 
wird. Bei poliklinischen Patienten wird die Schwere durch Guss¬ 
platten als Unterlagen aus unechtem Metall zu erreichen gesucht. 
Von grossem Vorteil sind in der Praxis die Unterlagen aus 
Goldguss. 

Trotz der sorgfältigsten Befestigung des Kautschuks auf 
diese Unterlagen kann doch nach einer gewissen Zeit ein be¬ 
ginnendes Ablösen des Kautschuks beobachtet werden, das durch 
den Kaudruck hervorgerufen wird. Ich habe deswegen, um dies 
zu vermeiden, häufig nicht nur die Kiefeifläche, sondern auch die 
innere Fläche des Zahnersatzes mit einer gegossenen Goldplatte 
bedeckt. 

Das angenehmste aber kostbarste untere Zahnersatzstück 
wird stets ein mit Platinunterlage versehenes Emailstück bleiben. 

Diese nach Bon will angefertigten Zahnersatzstücke haben 
nicht nur die Zahnärzte, sondern auch viele Patienten befriedigt. 
Der gleichmässig verteilte Kaudruck verhinderte Druckbescbwerden, 
gab den Patienten auch beim Abbeissen immer mehr Sicherheit. 
Das untere Zahnersatzstück lagert, wie ich bereits erwähnte, gut 
durch seine Schwere, während das obere durch Saugkraft nicht 
nur als Kautschuckplatte, sondern auch als gegossene Gold platte 
genügend festgehalten wird. Selbst bei Patienten, deren Ersatz¬ 
stücke noch durch Obturatoren beschwert wurden, können wir 
jetzt die Gewissheit haben, dass wir ihnen brauchbare, voll¬ 
ständige Ersatzstücke im Ober- und Unterkiefer ohne Federn an¬ 
fertigen können. (Hier folgte Demonstration der Patientin mit 
Gaumen defekten.) 

Der Haupteinwurf, der gegen Bon wills Artikulator erhoben 
wurde, war stets der, dass seine Bewegungen beim Kauen nicht 
das Hinaufgleiten des Gelenkfortsatzes des Unterkiefers auf den 
Gelenkbügel des Schläfenbeins berücksichtigten. Ich werde non 
an anatomischen Präparaten den Beweis liefern, dass auch dieser 
Einwurf hinfällig ist. 

Die seitlichen Bewegungen haben den Zweck, die Mahlflächen 
der Zähne zur Ausnutzung zu bringen. Entweder auf der einen, 
oder auf der anderen Seite stellen sich die* Zähne entsprechend 
ein und gleiten zum Zahnreihenschluss zurück. Die Nachahmung 
dieser Mahlflächen bei der Aufstellung der künstlichen Zähne muss 
uns der Artikulator gestatten, um ihre Ausnutzung beim Kauen 
für den Patienten zu ermöglichen, und diese Möglichkeit gibt 
uns der ßonwillsche Artikulator. 

ln meiner Dissertationsarbeit habe ich bereits darauf hin- 
gewiesen, dass diese Bewegung innerhalb der Pfanne geschieht. 
Meine mit der Röntgentechnik hergestellten Nachprüfungen sollen 
die Richtigkeit dieser Behauptung erweisen. 

Sie finden hier ein Spirituspräparat, bei dem die hintere Hälfte 
des Kopfes durch einen Sägescbnitt entfernt ist, der senkrecht 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 23. 


dicht vor den äusseren knöchernen Gehörgang gelagert wurde. 
Es gelang jetzt, nach Entfernung der äusseren Haut, des Fettes 
und der betreffenden Muskeln, das Kiefergelenk mit intakter Ge¬ 
lenkkapsel beiderseits freizulegen. 

Wenn Bon will nun eine vollständige Ausnutzung der Mahl- 
fiäcben der Backenzähne sicherstellte, so könnte eine Ausnutzung 
der Schneideflächen immer nur in beschränktem Maasse statt¬ 
finden, da die Saugkraft des oberen Zahnersatzstückes nicht ge¬ 
nügend war, um ein Loslösen des oberen Zahnersatzes zu ver¬ 
hindern, wenn der Zahnersatz zum Abbeissen eines mehr oder 
weniger harten Bissens benutzt wurde. Will ich dies erreichen, 
so habe ich jetzt nur nötig, bei dem auf dem Bonwillschen 
Artikulator aufgebauten Zahnersatz auf die Ausnutzung des zweiten 
grossen Backenzahnes zu verzichten und die Eltnersehe Gleit¬ 
schiene zu modellieren. 

Ich modelliere die Gleitschiene in der Höhe des aufzu¬ 
nehmenden Bissens und forme die Gleilfläche in der Breite, dass 
bei der Abbeissbewegung, welche eine seitliche Verschiebung 
nach rechts oder links in sich schliesst, eine Unterstützung beim 
Hineingleiten in den Zahnreihenschluss ermöglicht wird. Nun 
gewinne ich mit Leichtigkeit eine vollständige Ausnutzung der 
Schneidezähne. Ich brauche jetzt keinen offenen Biss mehr zu 
wählen, sondern schleife die unteren Schneidezähne gegen die 
oberen so, dass bei den künstlichen Zähnen eine ebenso voll¬ 
ständige Ausnutzung wie beim natürlichen Gebiss ermöglicht ist. 

Wenn früher bei den nach Bonwillschen Angaben her¬ 
gestellten Gebissen, trotz des bisweilen eintretenden Loslösens der 
oberen Platte, der Patient doch eine Sicherheit beim Kauen er¬ 
langte, weil er wusste, dass beim zweiten Schliessen des Mundes 
die Platte in ihre richtige Lage sich zurückbegab und ein Zer¬ 
malmen der Speisen gestattete, so wird er jetzt beim Abbeissen 
ebenfalls, wenn der Bissen etwas grösser ist, ein Loslösen der 
oberen Platte bemerken, aber unbehindert dadurch die Sicherheit 
erlangen, den Bissen abzubeissen, weil er merkt, dass die Gleit¬ 
schiene die Lagerung des oberen Zahnersatzes wieder sicherstellt 
und eine vollständige Ausnutzung der Schneideflächen ermöglicht. 

Christensen, Gysi, Andreesen, Eltner haben Artikula- 
toren gebaut, welche die Bewegungen kennzeichnen, die mit weit 
geöffnetem Munde ausgefübrt werden. Ihre Feststellungen sind 
so umständlich und ungenau, dass es nur Wenigen möglich ist, 
hintereinander dieselben Ergebnisse zu finden. Wenn sie trotz 
dieser Fehler gute Erfolge bei der Anfertigung des Zahnersatzes 
erzielten, so lag es daran, dass für die Aufstellung der Zähne, 
wie Bon will nachgewiesen hat, eine so geringe seitliche Ver¬ 
schiebung zu berücksichtigen war, dass diese unnützen und zum 
Teil unausführbaren Feststellungen für den Zahnersatz keinen 
Nachteil boten. Für die Praxis ist der alte Bon will sehe Arti¬ 
kulator von Ch ritt man ohne Veränderung seiner Prinzipien 
verbessert worden. Es ist dieser Ch ritt mansche Artikulator 
wohl der gebräuchlichste für die Zahnärzte, die nach den Bon- 
will’schen Angaben arbeiten. 

Von der Richtigkeit meiner Ausführungen können Sie sich jetzt bei 
dieser Patientin überzeugen. Sie ist 74 Jahre alt, hat bis zum 72. Jahre 
im zahnlosen Unterkiefer überhaupt keinen Zahnersatz getragen, hat 
dann einen von mir nach Bonwillschen Angaben hergestellten Zahn¬ 
ersatz getragen, die Ausnutzung der Mahlflächen der Backenzähne erlangt 
und wird Ihnen jetzt, nachdem ich in dieser einfachen Herstellung den 
Bonwillschen Zahnersatz mit der Eltn er sehen Gleitschiene versehen 
habe, zeigen, welche Ausnutzung der Schneidezähne überhaupt möglich 
ist. Sie beisst ohne Schwierigkeit in einen Apfel hinein, beisst grössere 
Stücke von einem Apfel ab, mit Leichtigkeit noch Radieschen und 
Rettige durch, in hartes Weissbrot hinein, von harten Hörnchen einzelne 
Stücke ab, zerbeisst Schokolade in Tafeln und in stärkeren harten 
Stücken und zeigt, obgleich sie Nichtraucher ist, auch zum Schluss, 
dass sie die Spitze von jeder Zigarre glatt abbeissen kann. Ich hoffe, 
dass sich der Name Bon will mit und ohne Eltnersche Verbindung 
einen dauernden Ehrenplatz in der technischen Zahnheilkunde erworben 
hat, und werde mich freuen, wenn meine Ausführungen hierzu ein klein 
wenig beigetragen habön. 


II. Mitteilaugen aas der chirurgischen Zahnheilkunde. 

Sie sehen hier eine Wacbsnachabmang (Moulage), den Kopf 
eines älteren Mannes, bei welchem der Chirurg die linke Hälfte 
des Oberkiefers eines Sarkoms wegen entfernen musste. Bei der 
Operation erkannte der Chirurg, dass er nicht nur den Oberkiefer, 
sondern auch di6 ganze Orbita (Augenhöhle) ausräumen musste. 
Nach der Operation wurde der Patient gebeten, nicht in den 
Spiegel zu sehen, bis der Defekt im Gesicht, den er für klein 
hielt, geschlossen wäre. Der Patient hat wochenlang den Verlust 


seines Auges nicht geahnt. Der Chirurg wandte sich nun an 
mich und bat mich, dem Patienten in möglichst vollkommenster 
Weise zu helfen. 

Damit dem Patienten das Kauen und Sohlucken möglich wurde, 
fertigte ich einen Obturator (Verschlussplatte) an. Ein Zahnersatzstüok 
fand an den Zähnen der rechten Kieferhälffcp genügend Halt und be¬ 
deckte mit einer Platte auch den Defekt der linken Kieferbälfte. Um 
einen vollständigen Verschluss auch beim Schlucken und Sprechen zu 
erreichen, wurde auf der linken Seite an der Platte schwarze Gutta- 
perebamasse aufgetragen, und zwar bis zur Höhe des zurückgebliebenen 
weichen Gaumens, soweit er sich beim Schlucken und Sprechen hob. 
Durch mehrmaliges Aufträgen, nachdem die Guttaperohamasse durch 
Einpackungen in Salz und Eisstücke erhärtet war, wurde ein Verschluss 
erreicht, sowohl im Zustand der Ruhe als auch beim Schlucken und 
Sprechen. In der gleichen Weise wie die Anfertigung von Obturatoren 
wurde dann der kastenförmige Guttaperchakloss hohl, mit hineingestopfter 
Watte an dem Zahnersatzstück, anvulkanisiert. Für den Patienten wurde 
durch diese Verschlussplatte ein Zustand geschaffen, der ihm ohne Be¬ 
schwerden die Nahrungsaufnahme und das Sprechen gestattete. Die 
weitere Aufgabe für mich war nun, auch den äusseren Defekt zu schliessen 
und mit einem künstlichen Auge zu versehen. Ich löste diese Aufgabe 
in der verschiedensten Weise. 

Der Abdruck des Defektes wurde durch in warmem Wasser erweichte 
Abdruckmasse (Stents) gewonnen. Um den Patienten nicht zu be¬ 
lästigen, wurde zunächst ein Klumpen Masse oberflächlich gegen den 
Defekt gedrückt. Ich sah hierbei nicht auf Genauigkeit, denn die ganze 
Abformung erhielt ich dadurch, dass ich auf der Rückseite der nach 
diesem ersten Abdruck angefertigten Kautschukplatte erweichte Gutta¬ 
perchamasse auftrug, die ich dann vorsichtig gegen den Defekt andrückte. 
Nachdem die Masse erkaltet war, hatte ich nun eine genaue Abformung 
der Wundränder. Ich konnte jetzt gleich eine zweite Platte aus Kaut¬ 
schuk anfertigen, die an Genauigkeit nichts mehr zu wünschen übrig 
liess. In der Kautschukplatte wurden die Augenlider und die Oeffnung 
für ein passendes Glasauge modelliert und dann die eine Platte von 
einem Porträtmaler in der passenden Hautfarbe des Patienten bemalt. 
Eine zweite Kautschukplatte wurde mit Moulagenwachs in passender 
Farbe bedeckt, und es wurden dann weiter die Augenbrauen mit künst¬ 
lich eingezogenen Haaren versehen. Bei der dritten Platte wurde die 
Unterlage aus Platin-Iridium gestanzt und durch Brennen auf dieser 
schwerfliessende Porzellanmasse befestigt, welche dann mit leichtfliessen- 
dem Porzellan, wie es zur Färbung der Zähne benutzt wird, in der ge¬ 
wünschten Färbung fertiggestellt wurde. Die Befestigung des Ver¬ 
schlusses beim Patienten konnte leicht erzielt werden. 

Die Platte fand durch den Nasenrücken und durch ein genaues 
Aufliegen auf dem Bogen der Augenbrauen guten Halt. Dieser konnte 
entweder durch Klebmasse (Mastikon) oder durch Heftpflasterstreifen, 
die auf der einen Seite mit Moulagenwachs und eingezogenen Augenbrauen 
überzogen wurden, unterstützt werden. Ich glaubte so das Vollkommenste 
erreicht zu haben, änderte aber meine Meinung, als mir in Wien in dem 
Zahnärztlichen Universitätsinstitut des Regierungsrates Prof. Dr. Sehe ff 
ein Mann mit einer künstlichen Nase vorgestellt wurde, die aus der 
Dr. Henningschen 1 ) patentierten Moulagenmasse angefertigt war. Diese 
ist das Vollkommenste, was man sich für ein derartiges Ersatzstück 
denken kann. Es ist eine gallertartige, bewegliche Masse, die sich der 
Patient selbst beliebig oft umgiessen und dann wieder gebrauchen kann. 
Ich würde diese in dem von mir obenerwähnten Falle auf einer hart 
vulkanisierten, angerauhten Kautschukplatte anbringen. 

Sie sehen hier eine zweite Wachsabformuug (Moulage). Es 
ist auf dem Oberarm eine Verletzung nachgebildet, bei der der 
Chirurg die Wunde nicht durch einen Heftpflaster verband 
schliessen kann, wie es bei frischen Verletzungen jetzt üblich ist 

Es war aber sein Wunsch, die sich an den Wundrändern bildenden 
frischen Granulationen nicht durch häufiges Abreissen des Heftpflasters 
zu zerstören. Um ihm dies zu ermöglichen, fertigte ich eine Celluloid¬ 
kappe, ähnlich wie sie zum Schutz bei der Pockenimpfung getragen wird, 
für die Form des Körperteils passend, an. Diese bedeckte die Wunde 
und einen Teil des umliegenden gesunden Gewebes und wurde mit einem 
grossen Ausschnitt versehen. Ueber diese offene Celluloidkappe wurde 
eine geschlossene Celluloidkappe von der gleichen Form mit Heftpflaster 
befestigt. Dadurch wurde die Wunde nicht nur vor neuem Reiz bei den 
Bewegungen des Armes und durch die Bedeckung mit Kleidungsstücken 
geschützt, sondern der Arzt brauchte auch bei einer notwendigen Be¬ 
handlung der Wunde nur die oberste Celluloidplatte zu entfernen und 
konnte so den Heilungsprozess ohne Störung in sachgemässer Weise be¬ 
einflussen. Da die käuflichen Celluloidkappen nicht immer die ge¬ 
wünschte Form haben, so wird es notwendig sein, dass der Chirurg sich 
mit einem Zahnarzt in Verbindung setzt oder selbst die leichte Her¬ 
stellung dieser Celluloidkappen in die Hand nimmt. Das Celluloid be¬ 
hält, wenn es unter einem gewissen Hitzegrad, etwa 80°, den man in 
einem Oei- oder Wasserbade erreicht, gepresst wird, die ihm gegebene 
Form. Den Abdruck gewinnt man durch Auflegen einer in warmem 
Wasser erweichten Abdruckmasse (Stents). Der Abdruck wird dann in 
Gips gegossen, die Kappe aus Wachs modelliert und dieses Wachsmodell 
zwischen einer Abformung von Gips (Matritze) und einem zweiten Gips- 

1) Wien IX. Allgemeines Krankenhaus, Moulagenabteilung, 1. Hof. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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modell (Patritze) geformt. An Stelle dieses Wachsmodells wird nun die 
Celluloidmasse in oben beschriebener Weise unter Wärme langsam ge¬ 
presst. Wir Zahnärzte müssen die Technik der Celluloidpressung be¬ 
herrschen, da wir diese jetzt in vielen Fällen von Kieferbrüchen ge¬ 
brauchen. 

Bei der Behandlung von Kieferbrüchen standen in früherer 
Zeit sich hauptsächlich Vertreter zweier verschiedener Behand¬ 
lungsmethoden gegenüber. Die einen waren für Drahtverbände 
und die anderen für Kautschuk verbände. 

Die Vertreter der ersteren Methode tadelten an den Kautschuk- 
verbänden die notwendige, längere Lagerung des Verbandes und die 
hierdurch erschwerte Aotiseptik. Diesem Uebelstand habe ich durch die 
Einführung der abnehmbaren Verbände und durch die Zwischenlagerung 
zwischen Kautschuk und Kiefer von Guttaperchamasse, die täglich ent¬ 
fernt und erneuert werden konnte, abzuhelfen versucht. Die Vertreter 
der anderen Methode setzten an den Metallverbänden die dadurch ver¬ 
ursachte Schmerzhaftigkeit und das langsame Aufheben der Verschie¬ 
bungen der Bruchteile aus. Die früheren Behandlungsmethoden der 
Kieferbrüohe haben sich seit einigen Jahren verändert. Durch die Ein¬ 
spritzungen mit Adrenalin und Novocain in die Nähe der Bruchstelle 
oder als Leitungsanästhesie in die Nähe des Foramen mandibulare ist 
eine Schmerzlosigkeit sofort zu erreichen. Die verschobenen Bruchteile 
können so weit wie möglich in die richtige Lage gebracht werden und 
durch Draht oder Angersche Verbände festgelegt werden. Zur Sicher¬ 
stellung dieser Drahtverbände wird dann nach dem Abdrucke eine oben 
beschriebene Celluloidkappe angefertigt und diese mit provisorischer 
Füllungsmasse (Artificial-Dentine) auf dem Kiefer befestigt. Der Patient 
hat dann in wenigen Stunden einen sicheren Verband, der ihm erlaubt, 
seinen Kiefer bei der Nahrungsaufnahme und dem Sprechen sicher zu 
gebrauchen. 

Ob der AngeTsche Verband Anwendung finden kann, ent¬ 
scheidet lediglich die Verklebnng der zerbrochenen Kieferteile 
mit den Weichteilen. Wenn diese nicht vorhanden ist, dann bat 
der Muskelzug eine solche Gewalt, dass der AngeTsche Verband 
keine genügende Befestigung gibt. Ich habe diese Erfahrung in 
einem Falle gemacht, wo wegen eines ausnahmsweise starken 
offenen Risses der Unterkiefer vom Chirurgen in der Gegend des 
ersten kleinen Backenzahnes durchmeisselt wurde und die einzelnen 
Kieferteile, nachdem zwecklos der AngeTsche Verband versucht 
war, nur durch einen abnehmbaren Kautschukverband in der 
gewünschten Lage zur Heilung gebracht werden konnten. 


III. Das Radium in der Zahnheilkunde. 

Die Behandlung der Mundkrankheiten, insbesondere der Al- 
veolarpyorrhöe mit Radium ist von Prof. Dr. Traun er-Graz 1 ) in 
der ausführlichsten und glänzendsten Weise beschrieben worden. 
Die Zahnärzte aller Länder haben nun die Pflicht, seine Angaben 
zu prüfen, zu erweitern und, wenn die Behandlungsmethode etwa 
auch in veränderter Weise Nutzen verspricht, diese den anderen 
Kollegen zur Prüfung vorzulegen. 

In den ersten Tagen des März besuchte ich Herrn Professor 
Trauner in Graz. Dieser war so liebenswürdig, mir die Patienten, 
die er in seiner Schrift bezeichnet bat, vorzustellen. Bei einigen 
Patienten batte sich das Zahnfleisch wieder fest an die Zähne 
angelegt, trotzdem die vorangehende Behandlung nicht genügend 
gewesen war. Zwar war die sorgfältige Entfernung des Zahnsteins 
vorangegangen, aber die übermässige Belastung wegen Fehlens 
der Backenzähne, die die notwendige Unterstützung geben mussten, 
war nicht durch ein Ersatzstück aufgehoben. So konnte ich mit 
Trauner übereinstimmen, dass dieser Erfolg nur durch die 
Radiumbebandlung möglich seien. Zu meiner Freude bestätigten 
die Kollegen, die sich bis jetzt mit der Behandlung vertraut ge¬ 
macht haben, die überraschenden Erfolge. Es bandelt sich nur 
noch um Verbesserungen in der Art und Weise, io der die Radium¬ 
emanation zur Geltung kommen kann. So hat auf zahnärzt¬ 
lichem Gebiet bereits, wie Trauner in seiner mehrfach erwähnten 
Abhandlung über die Behandlung der Mundkrankheiten mit 
Radium, bereits darauf hingewiesen, dass der Zahnarzt M. Levy 
in Berlin in der Zeitschrift „Radium in Biologie und Heilkunde“ 
einen Versuch beschrieben hat, betreffend „Wesentliche Besserung 
einer Psoriasis der Schleimhaut durch Radiumemanation“. 

Die Mundhöhle ist besonders geeignet, mit einer Radium¬ 
emanation von geringer Konzentration, wie sie zu einer Trink¬ 
kur vorgeschrieben ist, gute Erfolge zu erzielen, da die 
Flüssigkeit während einer halben Stunde hin- und hergeschüttelt 
werden kann und dadurch die Radiumemanation fortwährend 


1) Oesterreichisch-ungarische Viertel]ahrsschrift, Januarheft.] 1913. 


zur Abgabe von Gasteilchen veranlasst wird. Während Pro¬ 
fessor Trauner diese Spülungen täglich zweimal eine halbe 
Stunde vornehmen liess, habe ich diese, wie ich später aus 
praktischen Gründen nachweisen werde, nur einmal am Tage 
ausführen lassen. 

Die Radiumtherapie ist aber dazu berufen, nicht nur bei 
Alveolarpyorrhöe günstig zu wirken, sondern auch das Hohl¬ 
werden der Zähne (Caries) zum grossen Teil zu verhindern. 
Wie ich in einer früheren Arbeit 1 ) nacbgewiesen habe, wird das 
Hoblwerden durch eine unregelmässige Stellung der Zähne wesent¬ 
lich begünstigt. 

Die Spülungen mit den bisherigen Mundwassern konnten, 
wie die treffliche Arbeit 2 ) von Prof. Küster und cand. med. Weis¬ 
bach beweist, keinen nennenswerten Einfluss zur Verhinderung 
der entstehenden Caries ausüben. Anders liegen jetzt die Ver¬ 
hältnisse bei der Radiumspülung, wo an den bedrohten Stellen 
der Schleim mit den festgehaltenen Bakterien aufgelöst und weg¬ 
gespült wird. 

Auch Wurzelerkrankungen der Zähne werden jetzt durch 
Radium in vielen Fällen zur Heilung gebracht werden können. 
Ich zeige Ihnen hier das Röntgenbild eines kleinen oberen 
Schneidezahns, aus dessen Wurzelspitze deutlich eine Aufhellung 
zu erkennen ist. Sie sehen an dem zweiten Bilde, das nach 
kurzer Zeit aufgenommen wurde, dass die Aufhellung verschwunden 
und die Wurzelspitze von einem gesunden Gewebe umgeben ist. 
Die Behandlung geschah durch radioaktive Kakaobutterstäbchen, 
wie sie die Deutsche Radium-Gesellschaft in Hannover in den 
Handel bringt, und ferner durch den Gasemanationsapparat, 
den ich auf alle Fälle in der Zahnbeilkunde eingeführt haben 
möchte. Bei ausgedehnteren Wurzelerkrankungen wird die Ein¬ 
führung von grösseren Mengen Radium in die Wurzelkanäle not¬ 
wendig sein. 

Der Gasemanationsapparat bat eine viel stärkere Wirkung 
als der oben erwähnte Apparat zur Spülkur. Er enthält so viel 
radioaktive Steine, dass die Lösung schon nach s / 4 Stunde die 
gleichen Mache-Einheiten enthält, wie die Lösung in dem Glase 
zur Spülkur in 24 Stunden. Es kommt aber nicht diese Lösung 
zur Wirkung, sondern es sind dies die Gasteilchen, die freiwerden, 
wenn mit Hilfe eines Gummiballes, der im Emanationsapparat in 
eine Glasröhre endet, durch Auf- und Niederdrücken die Lösung 
durch Luftzufuhr bewegt wird. Die Gasteile werden durch eine 
zweite Röhre mit Gummiverbindung, an der passende Glasmund¬ 
stücke mit Ausführungsöffnungen verschiedener Weite angebracht 
sind, in den Zahn eingeführt und in den Wurzelkanal hinauf¬ 
getrieben. Der Gasapparat unterstützt auch die Spülkur, indem 
Radiogasteilchen dorthin gebracht werden, wohin sie beim Spülen 
nicht genügend gelangen können, wie z. B. an den Wangenflächen 
der hinteren grossen Backen- und Weisheitszähne gezeigt werden 
kann. Ganz besondere Dienste hat er mir geleistet in einem 
Fall, wo eine Eiterung am oberen Eckzahn bestand. Dort hindert 
der Lippendruck das Umspülen des Zahnes an der Aussenfläche, 
und es müssen daher die Gasteilchen auf diese Weise an die er¬ 
krankte Stelle gebracht werden. 

Hierauf folgte Beschreibung des Spülapparates und die Ge¬ 
brauchsanweisung für Zahnärzte. 

Der Gasemanationsapparat bat ferner grosse Dienste bei 
einem Patienten getan, der durch einen Schlaganfall auf der 
rechten Seite gelähmt war. Der Patient war beim Spülen und 
Schlucken behindert. Es war aber wichtig, dass die Mundhöhle 
rein gehalten wurde, und er nicht die Schleimteilchen der Mund¬ 
flüssigkeit und die sich festsetzenden Bakterien, die sich beim 
behinderten Gebrauch der Nahrungsaufnahme immer geltend 
machen, einatmete und verschluckte. Durch Anwendung der Gas¬ 
teilchen, die der Wärter mit Hilfe des Emanationsapparates leicht 
an die Zähne und an das Zahnfleisch heranbringen konnte, wurde 
der Mund auch bei dieser schweren Erkrankung im sauberen Zu¬ 
stande erhalten, ln Zukunft wird bei allen Erkrankungen, wo 
durch behinderte Nahrungsaufnahme die Mundhöhle in Unordnung 
gerät, sowohl in Krankenhäusern wie in privaten Häusern dieser 
Uebelstand durch eine einfache Spülkur gehoben werden. Auch 
die Begünstigung des Hohlwerdens der Zähne durch orthodon¬ 
tische Verbände kann durch Spülen mit radiumhaltigem Wasser 
verhindert werden. 


1) Warn ekr os-Berlin, Einige Fälle aus der technischen Zahnheil- 
kunde und Erläuterung der normalen Stellung der Zähne im Kiefer. 
Oesterreich-ungarische Vierteljahrsschr. f. Zahnheilk., 1909, H. 3. 

2) Deutsche Monatsschr. f. Zahnheilk., Nr. 3. Organ des Central¬ 
vereins deutscher Zahnärzte. Verlag von Julius Springer, Berlin W- 9, 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


'Nr. 23. 


Fragen wir uns nnn, wie kann diese Radiumbehandlung mit 
den bis jetzt schon beobachteten Erfolgen, die sicher noch er¬ 
weiterungsfähig werden, der Allgemeinheit zugute kommen? Es 
kann dies nur geschehen, wenn die Patienten sich selbst einen 
Apparat zur Spülkur anschaffen. Der Preis beträgt jetzt für ein 
Glas von 1 Liter Flüssigkeit 50 und 35 Mark, ein halber Liter 
wird sicher für 20 Mark herzustellen sein. Wenn wir nun be¬ 
denken, dass die Steine viele Jahre oder für immer ihre radio¬ 
aktive Eigenschaft behalten und eine Spülkur vielleicht drei- 
oder viermal im Jahre notwendig sein wird, so scheint mir die 
Anschaffang nicht unmöglich. Trauner liess seine Patienten 
täglich zweimal zu sich kommen und eine halbe Stunde lang 
spülen. In einer grossen Stadt würde schon allein durch die 
Entfernung und den dadurch verursachten Zeitverlust dies den 
meisten Patienten unmöglich Bein. Viel bequemer wird die Be¬ 
handlung werden, wenn der Patient sich einen Spülapparat selbst 
anschafft, vor Beginn der Behandlung seinen Zahnarzt aufsucht 
und ihn bittet, den Zahnstein zu entfernen, den zu stark be¬ 
lasteten Zähnen durch Ersatz Unterstützung zu geben, und dann 
die Spülkur beginnt. Das Spülen nimmt gar keine Zeit fort, 
da er dies ausführen kann, wenn er seiner Beschäftigung im 
Hause nacbgeht. Es ist allerdings notwendig, dass er dann 
seinen Zahnarzt mehrere Male aufsucht, denn die Spülkur ist ein 
ausserordentlich gutes diagnostisches Mittel. Schon nach wenigem 
Spülen erkennt der Zahnarzt an der Färbung des Zahnfleisches 
die Stellen, an denen sich in der Tiefe noch Zahnstein befindet, 
und die Heilung ist erst nach der Entfernung desselben möglich. 
Durch die Reinigung der versteckten Höhlen in den Zähnen wird 
beim Spülen eine Schmerzhaftigkeit entstehen, und die Radium¬ 
kur ein gutes diagnostisches Mittel auch für das Hohl werden 
sein. Das Spülwasser den Patienten mitzngeben, ist zwecklos, 
da die Macbeeinheiten der Radiumemanation schon nach wenigen 
Tagen um die Hälfte herabsinken und die Wirkung nach kurzer 
Zeit ganz verlieren. Ein Spülapparat im Hause wird jedem 
Haushalt zugute kommen; denn schon das einmalige Spülen nur 
für wenige Minuten reinigt die Mundhöhle. Die Handhabung ist 
sehr einfach, es wird täglich der Apparat entleert und mit frischem 
Wasser gefüllt. Die entleerte Flüssigkeit ist nicht zwecklos, 
wenn man sie in ein Glas füllt, das gut verschlossen wird. Man 
kann sie dann zur Nasendusche oder zum Abwaschen der Haut 
verwenden, wenn durch ein Schwitzen Reizungen hervorgerufen 
sind, oder zu Ausspülungen mit Irrigatoren, Ausspülungen in der 
Scheide und in der Blase während der Anwendung des Katheters. 

Ich nehme an, dass die meisten Spezialärzte noch viel mehr 
mit passender Radiumbehandlung erreichen werden. Aber bei 
allen Spezialfächern liegen die Verhältnisse nicht so günstig wie 
in der Zahnheilkunde. Hier können Erfolge mit den schwächsten 
und unschädlichsten Radiumemanationen erzielt werden, weil, nach 
obiger Beschreibung, diese in der Mundhöhle hin- und herbewegt 
werden kann. Gewiss wird der Nasen- und Halsarzt durch Gas¬ 
emanation die erkrankten Stellen im Halse beeinflussen oder 
Spülungen bei Vereiterung der Kieferhöhle anwenden; wie der 
Augenarzt das Radium bei Eiterung im Tränenkanal und bei 
Entzündung der Bindehaut anwenden kann. Ebenso wird der 
Frauenarzt bei leichter Erkrankung der Uterusschleimhaut Aus¬ 
spülungen mit diesen schwachen Radiumemanationen vornehmen 
oder durch Lagerung die Flüssigkeit in der Gebärmutter längere 
Zeit zurückhalten. Ich selbst habe bei einem Patienten, bei dem 
eine Stomatitis selbst die geringste Anwendung des Quecksilbers 
verhinderte, in kürzester Zeit die Stomatitis geheilt, und eine 
Qaecksilberbehandlung konnte durch seinen Arzt eingeleitet 
werden. Bekannt sind die Erfolge, die die Hautärzte bei der 
Radiumbehandlung verzeichnen, aber bei keinem aller dieser 
Spezialfächer liegt die Anwendung so günstig, wie für uns Zahn¬ 
ärzte in der Mundhöhle, wo die Flüssigkeit längere Zeit hin- und 
herbe wogt werden kann. 


Die abgefüllte Flüssigkeit des Spülapparates leistet aber 
auch im Haushalt gute Dienste, indem sie Zahnbürsten, ebenso 
Schwämme, auch Zahnersatzstücke reinigt, wenn sie längere Zeit 
darin aufbewahrt werden. Ebenso können auch durch starke 
Transspiration verunreinigte Unterkleider zur Reinigung vorbereitet 
werden. Ich möchte das Kapitel nicht weiter ausführen, denn es 
wird mit Ihrer Mitwirkung noch ausserordentlich gross werden. 

Während in der Medizin grosse Erfolge durch die Anwendung 
des Radiums zur Heilung des Krebses und der bösartigen und 
gutartigen Geschwülste bei stärkster Bestrahlung der Gewebe, 
wie sie jetzt durch die verfeinerte Technik möglich ist, zu er¬ 


warten sind, so wollen wir uns freuen, dass wir mit kleinen 
Mitteln bei unseren kleinen Leiden als Zahnarzt helfen können. 

M. H.l Sie werden denken, dass ich mich heute mit fremden 
Federn geschmückt habe. Es ist richtig, dass ich in der Zahn¬ 
ersatzfrage durch den Eifer, mit dem ich die Bonwillschen Fest¬ 
stellungen immer Vertrat, Erfolge erzielt habe und jetzt zeige, 
dass in leichter Weise die Ausnutzung der Schneidezähne mit der 
Eltner’schen Gleitschiene möglich ist. 

Nicht unbeachtet werden meine Arbeiten über die Entstehung 
der Gaumenspalten 1 ), ihre Behandlung, und die Anfertigung von 
Obturatoren 3 ) bleiben, ebenso betreffend die Behandlung der 
Kieferbrüche 8 ) und die Anregungen, die ich den Kollegen ge¬ 
geben habe, auch bei anderen Verletzungen die Chirurgen zu 
unterstützen. Es war dies aber auch zu erwarten, da ich als 
Lehrer der Zahnheilkunde an der hiesigen Universität die Unter¬ 
stützung bei meinen Arbeiten von seiten , der bedeutendsten Autori¬ 
täten fand. Mich unterstützte vor allem der verehrte Vorsitzende 
dieser Gesellschaft, Herr Geheimrat Professor Dr. Orth, ferner 
Herr Geheimrat Professor Dr. Waldeyer, viele Chirurgen und 
andere praktische Aerzte dieser Gesellschaft. 

Wenn ich oben gesagt habe, dass ich mich mit fremden 
Federn geschmückt habe, so werden Sie darin die Erklärung 
hierfür finden, dass Ihr Hauptinteresse heute nicht allein der 
bisher nicht genügend bekannte Ersatz der Nase durch Henning- 
sche Gelatine und vor allem die österreichische Einführung der 
Radiumemanation in Anspruch genommen hat, und ich möchte 
hier besonders Gelegenheit nehmen, den österreichischen Kollegen 
für ihre bahnbrechenden Leistungen auf diesem Gebiet zu danken. 

Von vielen Seiten wird in der Zahnheilkunde auf Oesterreich 
verwiesen, dass die Verhältnisse darin nicht so liegen, wie es 
für die spätere Ausbildung der Zahnärzte wünschenswert ist. 

In Oesterreich müssen die Zahnärzte Aerzte sein. Sie 
brauchen aber keinen besonderen Nachweis einer speziellen zahn¬ 
ärztlichen Ausbildung. Ausserdem fehlen in Oesterreich noch 
genügende Mittel für zahnärztliche Institute. 

Beide Uebelstände werden in absehbarer Zeit beseitigt werden, 
aber die Leistungen der Kollegen beweisen jetzt schon, dass der 
Zahnheilkunde in enger Verbindung mit der allgemeinen ärzt¬ 
lichen Wissenschaft die beste Zukunft beschieden ist. 

Wir dürfen hiernach annehmen, dass die jetzige hiermit gekenn¬ 
zeichnete Bewegung die Veranlassung zur Gründung einer internationalen 
zahnärztlichen Radiumgesellschaft geben wird. Ich beabsichtige, Herrn 
Dr. Peter in Wien einzuladen, das Schriftführeramt, und Herrn Pro¬ 
fessor Trauner in Graz, den Vorsitz einer derartigen Gesellschaft für 
Oesterreich-Ungarn zu übernehmen. 

Herrn Professor Trauner zollen wir unseren Dank, und er wird 
der Ehrenvorsitzende der zahnärztlichen Radiumgesellscbaft aller Länder 
werden. Ich selbst aber werde versuchen, in Deutschland die Gesell¬ 
schaft zu begründen. Amerika wird gern das Geschenk annehmen, das 
wir ihm mit der Radiumgesellschaft als Gegengabe für die vielen und 
wertvollen Anregungen darbieten, die wir ihm in der Zahnheilkunde 
verdanken. Die anderen Länder werden folgen, aber die Gründung der 
internationalen zahnärztlichen Radiumgesellschaft ist zu unserer Genug¬ 
tuung in Paris erfolgt, in der Stadt, wo das Radium von Madame Curie 
entdeckt wurde und auch bereits mit Radiumbestrahlungen in der Zahn¬ 
heilkunde von M. L6ger-Dorez gearbeitet worden ist. 


Aus der chirurg. Klinik der Universität Heidelberg. 
(Direktor: Prof. Dr. M. Wilms.) 

Die chirurgische Behandlung der Pericarditis. 

Uebersichtsreferat. 

VOD 

Dr. Karl Kolb, Assistenzarzt der Klinik. 

Die Erkrankungen des Herzbeutels, die einen operativen Ein¬ 
griff erheischen, sind meistens so ernster Natur, dass man sich 
nicht wundern darf, wenn die operative Mortalität nach der 

1) Gaumenspalten. Archiv f. Larvngol. u. Rhinol., herausgeg. von 
Dr. B. Fränkel, Bd. 21, S. 144. Berlin 1909, Verlag von Aug. Hirschwald. 

2) Obturatoren. Handb. d. Zahnheilk., herausgeg. von Dr. Julius 
Sehe ff, Bd. 3, S. 357, 8. Aufl. Wien und Leipzig 1910, Verlag Alfred 
Holder. 

3) Behandlung der Kieferfrakturen. Vortrag in der Berliner medi¬ 
zinischen Gesellschaft, siehe Verhandlungen. Separatabzug aus dem 
Korrespondenzblatt für Zahnärzte, 1901, Bd. 30, H. 1. — Kieferbruche 
und Obturatoren. Deutsche zahnärztl. Wochen sehr., 8. Jahrg. Nr. 45. — 
Abnehmbare Verbände bei Kieferbrüchen. Korrespondenzbl. f. Zahnärzte, 
Bd. 32, H. 1. 


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9. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE* WOCHENSCHRIFT. 


1071 


Punktion und der Pericardiotomie sehr hoch ist. Diese ist nicht 
als eine Folge des operativen Eingriffes aufzufassen, sondern findet 
ihre Ursache in der Schwere der Erkrankung. 

Der Herzbeutel, das Pericardium externum, umhüllt das Herz. 
Er liegt nicht der Herzoberfläche, dem Pericardium internum, eng 
an. An zwei Stellen zeigt sich die Inkongruenz des äusseren und 
inneren Pericardialsackes besonders ausgeprägt, an den sogenannten 
Komplementärräumen oder Pericardialsinus. Die eine 
Stelle befindet sich an der Herzbasis und wird dadurch gebildet, 
dass das äussere Pericardialblatt sich nicht auf die Vorhöfe zu¬ 
rückschlägt, sondern noch bis auf die grossen Gefässe reicht. Die 
zweite ist am unteren, rechten Umfang des Pericards in der Höhe 
des Sternalwinkeis des rechten fünften Intercostalraums. 

In der Literatur findet man die verschiedensten Angaben über 
die Menge des Exsudats, das der Herzbeutel aufnehmen kann. 
Ergebnisse aus Leichenversuchen sind, wie Curschmann aus¬ 
drücklich betont, nicht mit den Erfahrungen am Kranken zu ver¬ 
gleichen, da durch die mit der Exsudation einhergebenden Krank¬ 
heitszustände Veränderungen gesetzt werden, die zu einer Auf¬ 
lockerung und Nachgiebigkeit des Herzbeutels gegen das zu¬ 
nehmende Exsudat führen. Die massigsten Exsudate scheinen bei 
der skorbutischen Pericarditis (2—3000 ccm Kyber) vorzukommen. 
Die Form und die Grösse, die der Herzbeutel bei Ergüssen ein¬ 
nimmt, wird von dem Verhalten der Nachbarorgane, besonders 
den Lunge und dem Zwerchfell, beeinflusst. Bei auftretenden 
Ergüssen füllen sich zuerst die Komplementärräume des Herz¬ 
beutels (bis 200 ccm). Bei weiterem Wachsen des Exsudats wird 
entweder das Pericard erweitert, und zwar besonders seitlich und 
nach hinten, weil die knöcherne und knorpelige Thoraxwand 
vorne einen festen Widerstand bilden, oder es treten, falls die 
Vorhöfe komprimiert werden, Erscheinungen zutage, die Rose 
unter dem Namen der Herztamponade zusammenfasste (Herz¬ 
druck Rehns.) 

Die Frage, wie sich die Lage des Herzens zu dem peri- 
cardialen Erguss verhält, hat Schaposchnikoff auf Grund von 
Leichenexperimenten festgestellt. Seine Resultate stimmen mit 
den klinischen und Obduktionsbefunden überein. Bei Exsudaten 
im Herzbeutel liegt das Herz der vorderen Brust wand eng an. 

Bei der chirurgischen Behandlung der Pericarditis kommen 
drei Eingriffe in Frage, über die im folgenden berichtet wer¬ 
den soll: 

1. Die Punktion des Herzbeutels, 

2. die Pericardiotomie mit Rippenresektion, 

3. die Cardiolyse. 

Die einzelnen Chirurgen dürften selbst bei Verfügung über 
ein grosses operatives Material nicht allzuviel Erfahrungen be¬ 
sitzen, wenn man bedenkt, dass in der Heidelberger Klinik in 
den Jahren 1897 bis einschliesslich 1911 bei einer Gesamtzahl 
von 30 050 Operationen 1 Punktion, 4 Pericardiotomien und 
4 Kardiolysen vorgenommen wurden. 

Die Punktion des Herzbeutels (Pericardiocenthese). 

Die Punktion des Herzbeutels gehört eigentlich zur Domäne 
des inneren Mediziners, und wenn wir sie in derselben Breite wie 
später die Pericardiotomie behandeln, so ist der Grund dafür der, 
dass die Punktion als Probepunktion der Pericardiotomie vor¬ 
ausgeschickt zu werden pflegt. 

Die Punktion des Herzbeutels ist indiziert 1. wenn bei akuter 
und chronischer Pericarditis die Erscheinungen der Herz¬ 
tamponade auftreten (Atemnot, Cyanose, kleiner, unregelmässiger, 
schneller Puls, Verbreiterung der Herzdämpfung, leise Herztöne); 
2. als Probepunktion zur Feststellung der Beschaffenheit des 
Exsudats; 8. als Noteingriff in Fällen, in denen durch einen 
Bluterguss die Erscheinungen des Herzdrucks sich zeigen, eine 
Eröffnung des Herzbeutels aus äusseren Gründen nicht ratsam ist 
(Küttner). 

Bei jeder Punktion muss man, da das Herz der vorderen 
Brustwandung eng anliegt, an die Möglichkeit der Verletzung 
des Herzens denken. Die Punktion sollte daher nur auf Grund 
der strengsten Indikation vorgenommen werden. Erfolglose Punk¬ 
tionsversuche sollten immer zur Pericardiotomie führen. Im 
Falle Calanders trat infolge der Verletzung der rechten Herz¬ 
kammer der Exitus unmittelbar nach dem Eindringen der Punk- 
tionsuadel in den vierten Interscostalraum dicht neben dem linken 
Sternalrand ein. In einigen anderen Fällen soll die Verletzung 
des Herzens keine üblen Folgen gehabt haben (Bouchert, 
Roger u. a). Venus ist der Ansicht, dass im Verhältnis zu der 
Anzahl der Punktionen direkte Verletzungen des Herzens selten sind. 


Zur Punktion wurde fast schon jede Stelle der Herzgegend 
angegeben. Im allgemeinen kann män sagen, dass man bei der 
Herzpunktion von ganz anderen Gesichtspunkten ausgeben muss, 
wie wenn man das Herz frei legen wollte. Es kommen für die 
Punktion die Stellen der Brustwand nicht in Betracht, an denen 
das vorgedröngte Herz und der Herzbeutel der Brustwand an- 
liegen. Auch die Tatsache soll nicht unerwähnt bleiben, dass 
mehrkammerige Herzexsudate beobachtet wurden. 

Betreffs des Intercostalraums, in den eingegangen werden 
soll, ist zu bemerken, dass der 5. eventuell der 6. von den 
meisten Autoren vorgescblagen wird. Von den Punktionen im 
3. oder 4. Iotercostalraum ist man vollkommen zurückgekommen. 

Curschmann empfiehlt, bei grösseren Exsudaten im 5. oder 
6. Iotercostalraum in der Mamillarlinie einzugehen, vielleicht 
auch noch etwas seitlicher. Er glaubt dadurch eine Verletzung 
des Herzens ausschliessen zu können. Beide Pleurablätter müssen 
dabei durchbohrt werden, eine Gefahr soll dadurch nicht ent¬ 
stehen, da die Pleurablätter sowohl bei serösen, als auch bei 
eitrigen Ergüssen verklebt zu sein pflegen. Curschmann be¬ 
zeichnet seine Methode als extramammär. Er stellt ihr die 
intramammären Methoden gegenüber, bei denen die Punktion 
zwischen linkem Sternalrand und der Arteria mammaria interna 
ausgeführt wird. Diese Methoden hält Curschmann für un¬ 
nötig und gefährlich. Sie werden von Delorme, Mignon und 
Voinitsch empfohlen. Die Verletzung des Herzens als auch die 
der Arteria mammaria interna ist bei der Punktion möglich. 
Letztere verläuft inkonstant, bald in naher, bald in weiterer Ent¬ 
fernung von dem Sternalrand. Nach Pels-Leusden vermeidet 
man die Verletzung der Arteria mammaria interna sicher, wenn 
man direkt am linken Sternalrand punktiert. Die Gefahr, dabei 
das Herz zu verletzen, ist natürlich grösser. 

In jüngerer Zeit empfiehlt Axhausen, die Punktion am 
linken Sternalrand im 5. Intercostalraum vorzunehmen und eventuell 
weiter nach der Mamillarlinie dieselbe zu wiederholen. Er empfiehlt, 
wie es auch Damsch tut, den Hauptansammlungspunkt des Ex¬ 
sudats durch physikalische Methoden festzustellen. Auch die 
Röntgenstrahlen sind verwendbar. Bei Dämpfungsbezirken, die 
über den Spitzenstoss nach aussen gehen, soll in dieser Dämpfung 
punktiert werden. In dem Falle, dass der Herzleberwinkel rechts 
gedämpft ist, sticht Axhausen im 5. Intercostalraum links dicht 
am Sternalrand ein und führt die Spitze der Nadel nach aussen 
rechts. 

Curschmann hat darauf hingewiesen, dass sich bei grossen 
Herzbeutelexsudaten alsbald eine Dämpfung links hinten unten 
bemerkbar macht, die vielfach mit einem pleuritischen Exsudat 
verwechselt wird. In zwei Fällen hat Curschmann bei solchen 
Exsudaten die Punktion links hinten unten im 8. und 9. Inter¬ 
costalraum mit Erfolg vorgenommen. Auch Heinrich Cursch¬ 
mann hat einmal bei einem besonders grossen Exsudat (1250 ccm) 
an dieser Stelle punktiert. 

Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass auch rechts vom 
Sternum die Punktion des Herzbeutels mit Erfolg ausgeführt 
wurde (Doebert, Fränkel, Schaposchnikoff). 

Der Grundsatz von Curschmann, der keine typische Punk¬ 
tionsstelle anerkennen, sondern jeden Fall individuell behandelt 
wissen will, scheint auch uns der richtige zu sein. Auch Ax¬ 
hausen und Damsch pflegen, wie oben schon erwähnt, diese 
Art des Vorgehens. 

Küttner hält jede Punktion, die in der Nähe des Sternums 
vorgenommen wird, für gefährlich und bevorzugt in zweifelhaften 
Fällen die Pericardiotomie, die leicht unter Lokalanästhesie aus¬ 
geführt werden kann. 

Die Punktion muss wie jede Operation unter aseptischen 
Kautelen vorgenommen werden. Jedes schroffe Vorgehen ist bei 
derselben wegen der Gefahr der Verletzung des Herzens zu ver¬ 
meiden. Da die zähe Lederhaut dem Eindringen des Troicart 
oder der Nadel Schwierigkeiten bieten kann, wurde schon früher 
und auch in letzter Zeit von Küttner empfohlen, an der Punk¬ 
tionsstelle nach Anwendung der Lokalanästhesie eine kleine In¬ 
zision durch die Haut zu machen. Um nach dem Durchdringen 
der Lederhaut ein zu rasches und plötzliches Vordringen der 
Nadel zu verhindern, sucht sich Küttner mit dem Finger eine 
Stütze an der Thoraxwandung, wodurch er für die Hand, die die 
Nadel führt, einen Halt gewinnt. 

Bei den Probepunktionen kann man sich im allgemeinen 
feiner, dünner Kanülen bedienen, bei den Punktionen von serösen 
Ergüssen, den sogenannten Entlastungspunktionen, kann man 
dicke Nadeln wählen. Es ist von ausserordentlicher Wichtigkeit, 

6 * 


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1072 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 28. 


zu wissen, dass bei Entlastungspunktionen, die rasch vorgenommen 
werden, eine direkt lebensgefährliche Herzschwäche auftreten 
kann. Es wird daher von den meisten Autoren, vor allem 
Curschmann, in letzter Zeit Küttner, geraten, die Flüssigkeit 
nur ganz langsam abzulassen, um dem Herzen die Möglichkeit 
der Akkommodation an die neuen Verhältnisse zu geben. So wird 
von verschiedenen Seiten empfohlen, einen mit einer Flüssigkeit 
gefüllten Gummischlauch als Hebeeinrichtung zu benutzen. 
Curschmann warnt vor dem Gebrauch der Aspirationsspritze, 
wenn durch den Gummischlauch nichts mehr abfliesst. Der Ge¬ 
brauch des Aspirators von Dieulafoy und Potain wurde in 
letzter Zeit wieder von Pels-Leusden empfohlen, Küttner 
warnt vor der Anwendung derselben. Ganz besonders rät Pels- 
Leüsden zur Bier’sdien Spritze, da dieselbe den Vorteil des 
Auskochens habe. Es muss bei der Entleerung des letzten Restes 
des Exsudates vermieden werden, dass das Herz durch die Kanüle 
angesangt und verletzt wird. Die Spülung des Herzbeutels kommt 
unseres Erachtens bei der Punktion gar nicht in Frage. 

Lenhartz bezeichnet den Erfolg der Punktion als „ver¬ 
blüffend“, da die Erscheinungen der Herztamponade rasch zu¬ 
rückzugehen pflegen. Dieser Erfolg ist aber meist nur vorüber¬ 
gehend, da das Primärleiden keine Beeinflussung erfährt. Die 
Punktion ist also meist ein Palliativeingriff, dessen thera¬ 
peutischer Erfolg von dem Grundleiden abhängig ist. 

Die Gefahr des Eingriffs ist bei sicherer, operativer Technik 
nicht gross, sie steht jedenfalls, wie Küttner mit Recht bemerkt, 
in keinem Verhältnis zur Schwere der Erkrankung. 

Während Chirurgen, wie Küttner, eine Pericardiotoraie der 
Punktion in der Nähe des Sternums vorziehen, sucht in letzter 
Zeit Sinn hübe r für die Punktion des Herzbeutels mehr Boden 
in der Praxis zu erobern. Nach der Ansicht Lund mar k’s ver¬ 
dient die Pericardiotomie nach Rippenresektion den Vorzug vor 
der Pericardiocenthese oder der Pericardiotomie im Intercostal- 
raum selbst in Fällen von serösem Exsudat. Souligoux will 
die Punktion allein für den Hydrops pericardii aufbewahrt wissen. 
Auf Grund von Leichenexperimenten glaubt er eine Verbindung 
des Pericardg mit der Bauchhöhle durch eine Zwerchfelldiszission 
für solche Fälle empfehlen zu dürfen, da man auf diese Weise 
einen dauernden Abfluss des Hydrops in die Bauchhöhle bewirken 
könne. 

Angesichts der Gefahren der Punktion rät v. Watzel, die 
Punktion des Herzbeutels selbst bei rein serösen oder serös¬ 
hämorrhagischen Exsudaten nicht vorzunehmen, sondern empfiehlt 
als Radikaloperation die Inzision des Herzbeutels nach Resektion 
eines Rippenknorpels, da nur dadurch eine exakte Drainage 
ermöglicht werde. Nur bei serösen Exsudaten ohne alarmierende, 
das Leben bedrohende Erscheinungen soll man sich mit der 
Punktion begnügen. 

Die Pericardiotomie mit Rippenresektion. 

Die Indikation zur Pericardiotomie liegt immer dann vor, 
wenn der Herzbeutel eitriges Exsudat enthält Meist ist die Peri¬ 
cardiotomie erst nach Vornahme einer Probepunktion indiziert, 
da erst durch letztere der sichere Beweis für das Vorhandensein 
von Eiter geliefert werden kann. Wie ausserordentlich wichtig 
es ist, dem Eiter dauernd genügenden Abfluss zu verschaffen, 
wird durch die These von Fevrier, die bis in die jüngste Zeit 
in der Literatur immer wieder angeführt wird, zu bekräftigen 
versucht: Unter neun durch Punktion behaqdelten Fälle von Peri- 
carditis purulenta sind neun Todesfälle zu verzeichnen.. 

Von Küttner und v. Watzel wird auch die Pericardiotomie 
bei nichteitrigem Herzbeutelerguss unter Umständen anempfohlen, 
auf die wir oben bereits eingegangen sind. 

Gussenbauer ist zur Behandlung der eitrigen Pericarditis 
als erster den richtigen Weg gegangen. Er verlangt, dass vor 
Eröffnung des Herzbeutels durch Resektion eines Rippenstückes 
eine dauernde Oeffnung im knöchernen Thorax geschaffen wird, 
ein Verfahren, wie es für die Empyeme der Pleurahöhle schon 
längere Zeit bekanntlich mit sehr gutem Erfolg in Anwendung 
ist. Brentano verwirft auch die Pericardiotomie ohne vor¬ 
herige Rippenresektion, und seiner Ansicht sind wohl alle heutigen 
Chirurgen. Die stark ausgebildete Muskulatur des Thorax macht 
nach vorgenommener Inzision die Uebersicht über die tiefer ge¬ 
legenen Teile sehr beschwerlich. Fast jede Orientierung ist, wenn 
man in das Thoraxinnere gekommen ist, unmöglich. Die Pleura 
und die Arteria mammaria interna können verletzt werden. Weil 
man in der Nähe des Sternalansatzes der Rippen arbeiten muss, 
ist ein genügendes Auseinanderweichen der Rippen kaum zu 


bewerkstelligen. Dazu kommt noch, dass nach vorgenommener 
Pericardiotomie eine sicher wirkende Drainage nicht immer zu 
erreichen ist. 

Gussenbauer und Ollier raten zur Resektion der 5. Rippe, 
während Axhausen, Kocher und Pels-Leusden die 6. Rippe 
reseziert wissen wollen. Delorme und Mignon raten, beide 
Rippen zu entfernen. Larrey, Mintz und Rehn glauben durch 
Entfernung des 7. Rippenknorpels einen besseren Zugang zu er¬ 
reichen und für einen besseren Abfluss des Eiters Gewähr leisten 
zu können. Einige andere Vorschläge lassen wir, um uns nicht 
in zu grosse Einzelheiten zu verlieren, unberücksichtigt. Nur die 
wichtigsten und heute am meisten gebrauchten Methoden wollen 
wir im folgenden besprechen: 

Methode Ollier: Inzision von der Mitte des Sternums längs 
des 5. Rippenknorpels. Resektion des Knorpels der 5. Rippe. 
Der Knorpel bricht meist an der Verknöcherungszone mit der 
Rippe von selbst ab. Der 4. und 5. Intercostalraum liegt nun 
frei da. Dicht neben dem Brustbein werden die Intercostal- 
muskeln eingeschnitten und lateralwärts verzogen. Man befindet 
sich nun auf dem Musculus triangularis. Da nach den Angaben 
von Delorme und Mignon der Pleurasack nur leicht mit dem 
Pericard verwachsen ist, dagegen viel fester mit dem Musculus 
triangularis, muss man den Triangularis lösen und nach der Seite 
ziehen. Eine Reihe von flachen Zacken, mit denen der Musculus 
triangularis sich an dem hinteren Periost des Brustbeines ver¬ 
liert, sind am besten mit Hilfe einer Sonde, die man hin- und 
herschiebt, und des Fingers zu lösen. Durch einen breiten Haken 
kann man jetzt den Pleurasack und die verschiedenen Schichten 
der Thoraxwandung zur Seite verschieben. Das Pericard liegt 
dann frei da. Die Arteria mammaria interna ist gleichfalls un¬ 
verletzt zur Seite geschoben. Ist der Zugang zum Pericard nicht 
genügend, so muss man die Musculi intercostales des 4. und 
5. Z.wiscbenrippenraumes spalten und die Arteria mammaria 
interna nach doppelter Unterbindung durchtrennen. Dadurch er¬ 
reicht man, dass man den Pleurasack mit der Thoraxwandung 
weiter nach aussen ziehen kann. 

Methode Delorme und Mignon: Hautschnitt in I-Form. 
Der vertikale Schnitt geht einen Querfinger links vom Sternal- 
rand vom oberen Rande der 4. Rippe bis zum unteren Rande der 
7. Rippe. Die horizontalen Schnitte ragen etwas auf das Brust¬ 
bein hinauf und können beliebig seitlich verlängert werden. Die 
durch die medialen Fasern des Pectoralis major verstärkten Haut¬ 
lappen werden nach innen und aussen mittels Haken gezogen. 
Nun folgt typische Resektion des 5. und 6. Rippenknorpels. Der 
Herzbeutel wird jetzt wie bei der Methode Ollier freigelegt. 
Der Augenblick, den Herzbeutel zu eröffnen, ist nun gekommen. 
Lejars empfiehlt dabei die grösste Vorsicht, wenn auch das 
Pericard noch so sehr gespannt ist. Man soll das Pericard 
zwischen zwei Kocher’sche Pincen nehmen und zwischen den¬ 
selben einschneiden. Unter Umständen ist die Spannung des 
Herzbeutels so stark, dass die Pincen immer an der convexen 
Fläche abgleiten; man muss dann vorsichtig in der Längsrichtung 
einscheiden und darf sich nicht über die Dicke des Herzbeutels 
wundern, die als eine Folge der Entzündung eingetreten sein kann. 

Methode Kocher: 10 cm langer Schnitt, der 6. Rippe 
entsprechend, von der Mittellinie schräg nach abwärts verlaufend. 
Am Sternalansatz wird die 6. Rippe reseziert. Doppelte Unter¬ 
bindung der Vasa mammaria interna und Durchtrennung der¬ 
selben. Nach Beseitigung der Muskelsehnenfasern des Musculus 
triangularis wird die Pleura nach der Seite geschoben und das 
Pericard eröffnet. Ist der Zugang zum Herzbeutel nicht gross 
genug, so kann man nach oben weitergehen und die 5. eventuell 
auch noch 4. Rippe resezieren. Auch kann eventuell noch die 
Entfernung des 7. Rippenknorpels in Frage kommen, wenn man 
sicher drainieren will. 

Methode Rehn: Ein 6 cm langer, bogenförmiger Schnitt 
am unteren Rande der 7. linken Rippe zieht nach der Basis des 
Processus xiphoides hin und quer über diesen hinweg. Resektion 
des 7. und eventuell des 6. und 7. Rippenkorpels. Unter Um¬ 
ständen ist es noch nötig, ein Stück des Brustbeines mit der 
Knochenzange wegzunehmen. Die Vasa mammaria interna bleiben 
intakt. Nach Abziehen des Sternums und der 7. Rippe kommt 
man unter einer Fettschicht von verschiedener Stärke, wenn man 
direkt nach oben geht, auf den Herzbeutel. Rehn macht be¬ 
sonders darauf aufmerksam, dass der Eingriff technisch um so 
leichter ist, je stärker die Füllung des Herzbeutels ist. Die 
Gefahr der Eröffnung der Peritonealhöhle besteht, wenn man sich 
nicht immer unter dem Sternum nach oben hält. 


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9. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Diese vier Methoden werden wohl meistens angewandt und 
bieten sicher keine besonderen technischen Schwierigkeiten dar. 
Bedingung für eine erfolgreiche Pericardiotomie ist, dass der Herz¬ 
beutel sich dauernd gut entleeren kann. Rehn ist der Ansicht, 
dass diese Bedingung bei seiner Methode in sehr hohem Grade 
gewährleistet ist, da der Herzbeutel an der tiefsten Stelle er¬ 
öffnet wird und die beiden Recessus zur Entleerung gebracht 
werden können. Die Pleura kann dabei mit Sicherheit geschont 
werden. Gluck und Küttner bevorzugen auch dieses Ver¬ 
fahren. 

Mintz stellte diesen Methoden, die von vorne durch den 
Thorax durchgehen, eine Methode gegenüber, durch welche man 
von unten unterhalb des Rippenbogens zum Herzbeutel gelangen 
kann. Theoretisch ist dieses Verfahren schon von Larrey vor¬ 
geschlagen worden, doch Mintz hatte erst Gelegenheit, es an 
einem Kranken erfolgreich durcbzuführen. Der Schnitt wird 
längs dem unteren Rande des 7. Rippenknorpels geführt. Es 
wird ein Hautknorpellappen gebildet, der nach oben geschlagen 
wird und Zutritt zu dem Raume gewährt, von dem man aus den 
Herzbeutel eröffnen kann, ohne die Pleura zu verletzen. Diese 
von Mintz durchgeführte Methode scheint uns viel Aehnlichkeit 
mit der Rehn’schen zu haben, doch dürfte der Zugang zum 
Herzbeutel bei der Rehn’schen Methode grösser sein. 

Auch die Resektion und Trepanation des Sternums 
ist empfohlen worden. Nach Kocher soll Riol an 1653 als 
erster für sie eingetreten sein. In jüngerer Zeit wurden sie von 
Giordanno und Voinitsch anempfohlen. Eine Sternumresektion 
dürfte sicher nicht genügen, einen schnellen operativen Eingriff 
zu gewährleisten. In Verbindung mit einer der vier oben¬ 
genannten Rippenresektionsmethoden ist sie nicht zu verachten, 
kann sogar, um eventuell den Zugang zum Herzbeutel zu er¬ 
leichtern, geradezu notwendig werden. So empfiehlt Rehn bei 
seiner Methode ein Stück des unteren Brustbeins wegzunehmen. 

Es ist wegen der Möglichkeit der Pleuraverletzung und des 
dadurch eintretenden Pneumothorax äusserst wünschenswert, einen 
Ueberdruckapparat zur Hand zu haben, der jederzeit in Funktion 
gesetzt werden kann. Uns leistet der Roth-Dräger’sche Kom¬ 
binationsapparat vorzügliche Dienste. 

Bei der Technik hält es v. Eiseisberg für besonders 
wichtig, den Herzbeutel mit der Muskulatur zu vernähen, um die 
freiliegende Pleura vor einer Infektion zu schützen. Gussen- 
bauer nähte den Herzbeutel an die Wundränder an. 

Es ist heutzutage wohl selbstverständlich, dass man bei 
eitriger Pericarditis drainieren muss. Die Frage, ob man die 
Drainage mit Gummirohr oder mit Jodoformgazestreifen durch¬ 
führen soll, ist dahin zu entscheiden, dass ein Gummirohr eine 
bessere Ableitung des Sekrets bewerkstelligt als ein Gazestreifen. 
Es dürfte sich aber bei Anwendung des Gummiröhrchens empfehlen, 
vorsichtig vorzugehen; denn Tartarinow teilt einen Fall mit, 
bei dem sich bei der Sektion auf dem Herz eine Druckusur, von 
dem Drainrohr herrührend, vorfand. 

Die Drainage erfüllt nur dann ihren Zweck, wenn das 
Sekret dauernd gut abfliessen kann und sich nicht staut. Bei der 
linksseitigen Eröffnung des Herzbeutels muss man darauf achten, 
dass man nach rechts über die Vena cava inferior ein Drain¬ 
rohr legt, da dort sehr leicht eine Absackung stattfinden kann. 

Sowohl während der Operation als auch während der Nach¬ 
behandlung soll der Patient sitzende Stellung einnehmen, da 
der Abfluss des Sekrets so am leichtesten und sichersten statt¬ 
findet, besonders auch noch dann, wenn man sich der Rehn’schen 
Methode bedient hat. 

Die Ausspülung des Herzbeutels nach der Pericardiotomie 
bei eitriger Pericarditis ist immer gepflegt worden, um Gerinnsel 
und Fibrinfiocken zu beseitigen. Desinfizientien (Thymollösung, 
Carbollösung, Lysollösung) wurden viel benutzt. Kocher warnt 
vor der Anwendung derselben. Er bedient sich der physiologi¬ 
schen Kochsalzlösung, wie es auch Küttner tut. Lejars be¬ 
dient sich des sterilen Wassers. 

Da bei jeder Pericarditis der Herzmuskel in Mitleidenschaft 
gezogen ist und in mehr oder weniger starkem Grade geschädigt 
ist, so muss man bei den nötigen operativen Eingriffen möglichst 
die Narkose zu vermeiden suchen. Die Lokalanästhesie 
lässt sich gut durchführen, und genügt meistens, da man bei der 
Schwere des Krankheitsbildes möglichst rasch und einfach Vor¬ 
gehen muss. Es empfiehlt sich auch, wegen der Herzschädigung 
die Patienten in der Rekonvalescenz nicht zu früh aufstehen zu 
lassen, da durch Ueberanstrengungen leicht Kreislaufstörungen 
auftreten können. 


Die tuberkulöse, exsudative Pericarditis nimmt eine 
besondere Stellung ein. Souligoux .empfiehlt für sie die Peri¬ 
cardiotomie ebenso wie die Laparotomie bei Bauchfelltuberkulose 
als die einzig anzuwendende Behandlungsmethode. Auch Jacob 
und Chavigny empfehlen sie. Die Drainage ist bei der tuber¬ 
kulösen Entzündung nach ihrer Ansicht eher schädlich als nützlich, 
und sie raten, die Wunde völlig zu verscbliessen, oder nur die 
Haut zu vernähen und den Einschnitt ins Pericard offen zu lassen, 
um die Diffusion des Ergusses in die Umgebung zu erleichtern 
und die Entstehung eines neuen Ergusses zu vermeiden. Wencke- 
bach berichtet über einen Fall von tuberkulöser Pericarditis mit 
sehr reichlichem Exsudat, bei welchem durch wiederholtes Ent¬ 
leeren des Exsudats keine Besserung erzielt wurde. Erst als man 
bei späteren Punktionen sterile Luft (die halbe Menge des vorher* 
entleerten Exsudats) eingelassen hatte, besserte sich der Zustand 
des Patienten so, dass er entlassen werden konnte. 

Ein gefürchteter Folgezustand der Pericarditis ist die 
Obliteration des Herzbeutels. Um diesen zu vermeiden, empfiehlt 
Alexander aus theoretischen Gründen ein Pneumopericard durch 
Einblasen von steriler Luft zu erzeugen. Rehn # konnte experi¬ 
mentell mit Sicherheit durch Injektion von dickflüssigen Oelen 
Verwachsungen des Herzbeutels verhüten. Auch das Jodipin ver¬ 
sprach ihm bei Experimenten Erfolg. 

Selbst in verzweifelten Fällen soll man das Exsudat ablassen, 
da man gesehen hat, dass sich sogar Moribunde nach der 
Operation wieder vollständig erholen können (Noris, Peters 
und Rudolph, Sloan). Auch Axbausen teilt Fälle mit. 

Wie sind nun die Erfolge nach der Punktion und 
der Pericardiotomie? Venus stellte 1908 178 Fälle operativ 
behandelter Pericarditis in der Literatur zusammen. Davon 
starben 100 = 56,18 pCt., 72 = 40,45 pCt. wurden geheilt und 
6 = 3,77 pCt. wurden gebessert. Venus gibt selbst zu, dass 
man nach diesen Zahlen werten den Erfolg oder Misserfolg der 
operativen Behandlung der Pericarditis nicht beurteilen dürfe, da 
die Pericarditis nur in ganz seltenen Fällen eine primäre Er¬ 
krankung sei. Die Patienten erlagen meistens ihrem Grundleiden. 
Auch die Autopsieberichte zeigen, dass für die hohe Mortilität 
nicht die Operation zu beschuldigen sei. 

Wenn wir die Zahlen der Venus’schen Statistik sprechen 
lassen wollen, so müssen wir der Pericardiotomie nach voraus¬ 
gegangener Rippenresektion sowohl vor der Punktion als auch 
vor der der Pericardiotomie ohne Rippenresektion den Vorzug 
geben. 



Heilung 

Tod 

Besserung 


pCt. 

pCt. 

pCt. 

Punktion. 

31,18 

62,37 

6,45 

Pericardiotomie ohne Rippenresektion 

47 

63 

— 


55,6 

45,5 

— 


Diese Zahlen sind aber vorsichtig zu beurteilen, da ein 
grosser Teil der mit Punktion behandelten Fälle vor die Zeit 
(1884) fällt, in der Güssen bau er die Pericardiotomie mit Rippen¬ 
resektion empfahl. 

Im allgemeinen muss man sagen, dass für die chir¬ 
urgische Behandlung der Pericarditis heutzutage nur 
die Punktion und die Pericardiotomie mit Rippen¬ 
resektion in Betracht kommt. Letztere Methode muss 
bei eitriger Herzbeutelentzündung angewandt werden. 

Die Cardiolysis (Pericardiolysis, Thoracolysis 
praecardiaca). 

Ein Referat über die chirurgische Behandlung der Peri¬ 
carditis dürfte keinen Anspruch auf Vollständigkeit machen, wenn 
man nicht noch auf die Behandlung der chroniSch-adhäsiven 
Mediastinopericarditis eingehen wollte. 

Delorme war es, der im Jahre 1898 eine Methode mit¬ 
teilte, die darin besteht, Verwachsungen zwischen Hers und Herz¬ 
beutel zu durchschneiden und zu zerstören. Auf seine Methode 
einzngehen ist deshalb nicht nötig, weil die Grundlagen, die zur 
Delorme’schen Operation führten, heutzutage nicht mehr haltbar 
sind. Brauer hat das grosse Verdienst, an Stelle dieses Ver¬ 
fahrens eine Methode gesetzt zu haben, die bei einfacher Technik 
wenigstens für einen Teil der Fälle sich als vollkommen zweck¬ 
mässig erwiesen bat. Brauer bezeichnet seine Methode als 
„Cardiolysis“. Er entfernt die Rippenstücke der Thorax¬ 
wandung, die über dem mit Herzbeutel und Brustwand ver¬ 
wachsenen Herzen liegen. Die Bezeichnung ist sicher nicht glück¬ 
lich gewählt, ebensowenig wie der Ausdruck „Pericardiolysis“. 
Kocher schlug deshalb vor die Methode Brauer’s „Thoraco- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 28. 


lysis praecardiaca“ zu nennen. Köttner stimmt der Kocher¬ 
seben Bezeichnung bei, glaubt aber, dass „die sehr gefällige und 
einfache Bezeichnung ,Cardiolyse ( kaum verdrängt 1 ' würde. 

Die Brauer’sche Methode versucht, das Herz „von der un¬ 
geheuren Mehrarbeit“ zu entlasten, zu der es durch Ver¬ 
wachsungen gezwungen wird. Diese Verwachsungen, die teils 
innere sind, die zur Verlötung des Herzbeutels führen können, 
teils äussere sind, die das Herz, den Herzbeutel und die vom 
Herzen abgehenden Gefässe mit den nachbarlichen Organen, wie 
Brustbein, Zwerchfell, Lungen und Mediastinum fixieren, verlangen 
eine bedeutende Mehrarbeit von seiten des Herzens, das meistens 
selbst schon durch eine Myocarditis in seiner Leistungsfähigkeit 
herabgesetzt ist. Die Diastole des Herzens wird durch die 
narbigen Schwielen, die das Herz geradezu umgittern können, er¬ 
schwert, und bei der Systole muss eine besonders vermehrte 
Arbeitsleistung eintreten, da bei Verwachsungen mit der Thorax¬ 
wandung bei jedem Zusammeuziehen des Herzens die knöcherne 
Thoraxwandung eingezogen werden muss. Gerade dieser letzte 
Punkt, die Behinderung der Systole, bildet die Hauptursacbe für die 
rasche Ermüdung und Erlahmung des Herzens. Diese zu beseitigen 
gelang Brauer durch die Entfernung von Rippenstückchen. 

Die Technik der Brauer’schen Operation ist folgende: 
Ueber der 4., 5. und 6. Rippe wird ein Hautlappen gebildet, 
dessen Basis etwa in der Axillarlinie liegt. Die Spitze derselben 
befindet sich am linken Rande des Brustbeins. Nach Freilegung 
der Rippen werden die 4., 5. und 6. Rippe subperiostal von dem 
linken Sternalrande bis zur Mamillarlinie reseciert. Das Sternum 
bleibt erhalten. Die Rippenknorpel sind vollständig mitzuent¬ 
fernen. Die Entfernung des Periostes der Rippen ist soweit, als 
es ohne Gefährdung der Pleura möglich ist, vorzunehmen. Exakte 
Blutstillung. Hautnaht. Drain durch eine eigene Oeffnung an 
der Basis des Hautlappens. 

Brauer stellt folgende Grundsätze für seine Methode auf: 
1. Das Herzfenster soll nicht zu klein angelegt werden. 2. Das 
Sternum ist auf jeden Fall zu erhalten, da ihm die Aufgabe zu¬ 
fällt, das Herzfenster offen zu erhalten. 3. Das Periost der 
resezierten Rippen soll so sorgsam wie möglich beseitigt werden. 

Danielsen, Küttner und Senkenbach stimmen dieser 
letzten Forderung Brau er's bei, da nach ihrer Ansicht der Er¬ 
folg der Operation illusorisch würde, wenn sich vom zurück¬ 
gebliebenen Periost die Knochen wieder regenerieren würden. 

König hat zeigen können, dass es vollständig genügt, das 
vordere Periost mit den Rippen zu resezieren, das hintere aber 
unbekümmert stehen zu lassen. Blauel konnte an drei Fällen 
die Erfahrungen König’s bestätigen. Auch Ensgraber berichtet 
über einen dauernd günstig verlaufenen Fall. Küttner bedient 
sich jetzt wohl auch des König’schen Vorschlages, wenn er auch 
bemüht ist, soviel Periost wegzunebmen, als ohne Verletzung der 
Pleura möglich ist. 

Der operative Eingriff ist ohne grössere Schwierigkeiten aus- 
zuführen. Küttner nimmt zur Anästhesierung den Morphium- 
ätberrauscb, der sich ihm in desolaten Fällen bewährt hat. Auch 
die Anwendung der Lokalästhesie ist möglich, doch hält Küttner 
die psychische Erregung für die meist elenden Patienten nicht 
für günstig. 

Venus konnte 1908 17 Fälle von Cardiolysis sammeln, 
Küttner 1912 zwei weitere Fälle anfügen. Die Wirkung der 
Cardiolysis war stets günstig. Küttner’s zwei Patienten wurden 
aus bettlägerigen Kranken wieder arbeitsfähige Menschen, und 
auch bei den übrigen mitgeteilten Fällen war der Effekt der 
Operation ähnlich. Es kann sich bei dieser Operation natürlich 
nicht um eine Heilung im strengen Sinne des Wortes handeln, 
sondern es ist nur möglich, durch die Entlastung des Herzens 
eine wesentliche Besserung des Allgemeinbefindens des Patienten 
zu erreichen. Die Myocarditis besteht ruhig weiter und ist für 
die endgültige Erhaltung des Lebens von grossem Ausschlag. Die 
Mortalität der Operation ist gleich Null, wenn man die Spättodes¬ 
fälle unberücksichtigt lässt, die als eine Folge der Myocarditis 
aufzufassen sind. 

Wir schliessen uns der Ansicht Venös' vollauf an, dass die 
Brauer'sehe Cardiolyse eine lebensrettende Operation ist, die be¬ 
stimmt ist, in der Therapie der chronisch-adhäsiven Mediastino- 
pericarditis eine hervorragende Rolle zu spielen. 


Literatur. 

(Literatur vor 1908 siehe bei Venus.) 

Alexander, Die Verhütung der Herzbeutelverwachsungen. Zeit¬ 
schrift f. physik. u. diät. Therapie, Bd. 14 u. 16. — Axhausen, Die 


Behandlung der Herzkrankheiten. Fortscbr. d. Med., 1910, Nr. 31. — 
Blauel, Centralbl. f. Chir., 1907, Nr. 33. — Brauer, Die Herzbeutel- 
verwaebsungen, ihre Erkennung und Behandlung. Münchener med. 
Wochenschr., 1909, S. 2033. — Curschmann, Münchener med. Wochen¬ 
schrift, 1912, S. 390. — Derselbe, Eine Modifikation der Herzbeutel¬ 
punktion. Therapeut. Monatsb., Mai 1912. — Delorme, Sur la p6ri- 
cardiotomie. Bull, et möm. de la soc. de chir. de Paris, 1911, Bd. 37, 
Nr. 9. Ref. Centralbl. f. Chir., 1911, S. 844. — Gluck, Zur Chirurgie 
des Herzbeutels. Archiv f. klin. Chir., Bd. 83, S. 827. — Jacob und 
Chavigny, Die tuberkulöse Pericarditis und ihre Behandlung. Revue 
de meL, Juli 1912. — v. Jagic-Haberer, Ein Fall von Cardiolyse. 
Wiener klin. Wochenschr., 1909, S. 1579. — Kocher, Chirurgische Ope- 
rationslebre, 1907. — Küttner, Die Operationen am Brustkorb, in 
Bier, Braun, Kümmel. Chirurgische Operationslehre, Bd. 2. — Der¬ 
selbe, Allg. med. Centralzeitung, Bd. 73, Nr. 14, S. 198. — Lejars, 
Dringliche Operationen, 1909.— Leriohe und Cotte, Lyon Chirurgical. 
A., 1. Oktober 1909, Bd. 2, Nr. 5. (Ausführliches Literaturver¬ 
zeichnis über Cardiolysis.) — Lundmark, Ett bidrag tili peri- 
kardiets kiurgi. Festschrift für J. Berg. Nord. med. Arkiv, 1911, Abt. 2. 
Ref. Centralbl. f. Chir., 1911, S. 1622. — Mintz, Zur Frage der 
chirurgischen Behandlung der eitrigen Pericarditis. Chirurgia, April 1912, 
Bd. 31. Ref. Centralbl. f. Chir., 1912, S. 1046. — Pels- Leusden, 
Chirurgische Operationslehre, 1910. — Rehn, Zur Chirurgie des Herzens 
und des Herzbeutels. Archiv f. klin. Chir., Bd. 83. — Derselbe, Die 
Fortschritte der Brustchirurgie in „Entwicklung und Fortschritte der 
Chirurgie“, Jena 1909. — Derselbe, Ueber Chirurgie des Herzens und 
des Pericards. Münchener med. Wochenschr., 1912, S. 1735. — Der¬ 
selbe, Die Chirurgie des Herzens und des Herzbeutels. Diese Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 6. — Schlayer, Ueber adhäsive Pericardobiiteration 
und Cardiolyse. Münchener med. Wochenschr., 1910, Nr. 14 u. 15. — 
Sinnhuber, Die Erkrankungen des Herzbeutels und ihre Behandlung. 
Berlin 1911, Verlag Hirschwald. — M. Souligoux, Sur la pöricardio- 
tomie. Bull, et mem. de la soc. de chir. de Paris, 1911, Bd. 37, Nr. 10. 
Ref. Centralbl. f. Chir., 1911, S. 844. — Strauss, Münchener med. 
Wochenschr., 1909, S. 2037. — Umber, Deutsche med. Wochenschr., 
1908, Nr. 7, S. 308. — Venus, Die chirurgische Behandlung der Peri¬ 
carditis und der chronisch-adhäsiven Mediastinoperioarditis. Centralbl. 
f. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., 1908, Bd. 11. (Ausführliches Lite¬ 
raturverzeichnis bis 1908.) — Derselbe, Wiener klin. Rundschau, 
1908, Nr. 44 u. 45. — v. Watzel, Ueber Pericardiotomie. Mitteil. a.d. 
Grenzgeb. d. Med. u. Chir., Bd. 25. — Wenckebach, Beobachtungen 
bei exsudativer und adhäsiver Pericarditis. Zeitschr. f. klin. Med., 
Bd. 71. 


Bücherbesprechungen. 

Robert Schröder: Der normale meistrnelle Zyklus der Uterns- 
scbleimhant. Seine Anatomie, dargestellt in Text und 25 Bildern 
auf 20 Tafeln. Gezeichnet von Fräulein Ella Burohard. 
Berlin 1918, Verlag Aug. Hirschwald. Preis 16 M. 

Die Wiederentdeckung der zyklischen Veränderungen in der Uterus¬ 
schleimhaut, wie sie in erster Linie Hitschmann und Adler zu danken 
ist, hat schon eine grössere Reihe von Publikationen zur Folge gehabt, 
welche im wesentlichen nur in den histologischen Einzelheiten voneinander 
abweichen und der Uebertreibung der genannten Autoren steuern, als 
ob für die entzündlichen Veränderungen der Schleimhaut nur die 
Plasmazellen allein zur Begutachtung dienen könnten. Eine Zusammen¬ 
fassung des menstruellen Zyklus in einer fortlaufenden Reihe von 
Bildern, wie in vorliegendem Werke, ist nooh nicht gegeben, und so darf 
es Anspruch auf Beachtung aller Interessenten erheben. Der Verf. be¬ 
vorzugt Fälle mit zeitlich regelmässigem Menstruationstypus, ein freilich 
an sich nicht beweiskräftiges Moment für die Gesundheit der Schleim¬ 
haut; da ihm jedoch ein grosses Untersuchungsmaterial in mehrjähriger 
Arbeit zu Gebote stand, so ist er in der Lage, die normalen Typen ab¬ 
zubilden. Strittig kann nur das Bild vom ersten Tage der Menstruation 
sein, welches vom Verf. auch klinisch mit Endometritis bezeichnet wird; 
die Abstossung eines grossen Teiles der Schleimhaut darf nicht als Norm 
bezeichnet werden, da es sicher Menstruation ohne solche gibt. Nur an 
grossem Materiale könnte die Häufigkeit der Abstossung beurteilt werden. 
Die meisten Präparate sind in Hämalaun-Mucicarminfärbung dargestellt; 
Verf. selbst lässt es fraglich, ob das Zellsekret Schleim sei, und zwar 
mit Recht, denn alle Schleimzellen färben sich auch in der Ruhe 
wenigstens teilweise. Die rotgefärbten Massen sind Glykogen. 

Den Hauptwert des prächtigen Werkes hat man mit dem Verf. in 
den Abbildungen zu suchen, deren Ausführung die Namensnennung der 
Künstlerin auf dem Titelblatt durchaus rechtfertigt; mit verhältnismässig 
einfachen Mitteln wird eine vorzügliche, nicht zu schematische und 
recht naturgetreue Darstellung erreicht. Die 25 in grossem Formate 
gegebenen Bilder ermöglichen es an der Hand des Textes jedem Ante, 
dieses wichtige Untersuchungsgebiet in bequemer und eindringlicher 
Weise kennen zu lernen. Die Ausstattung ist nur zu loben. 

Robert Meyer. 


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9. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1076 


Fr. Croner-Berlin: Lehrback der Desinfektion. Für Aerzte, Chemiker, 
Techniker, Tierärzte und Verwaltungsbeamte. Mit 44 Abbildungen. 
Leipzig 1913. Verlag von Dr. Werner Klinkhardt. Preis 
20 M., geb. 22 M. 534 Seiten. 

Während die zahlreichen, grösstenteils vorzüglichen kurzen Leit¬ 
faden der Desinfektion sich meistens auf einige allgemein anerkannte 
Gebiete und Gesetze der Desinfektion beschränken, haben wir in dem 
vorliegenden „Lehrbuch“ ein grösser angelegtes Werk vor uns, welches 
uns gleichzeitig einen Ueberblick über die glänzende Entwicklung gibt, 
die die Desinfektionslehre in den letzten 30 Jahren auf der Grundlage der 
klassischen Arbeiten unseres grossen Meisters Robert Koch erfahren hat. 

Eine glückliche Idee war es, dass Verf. sich in bezug auf die Aus¬ 
dehnung des Begriffes „Desinfektion“ eine weise Beschränkung auferlegte. 
Die sogenannte „innere“ Desinfektion ist ebenso wie die Konservierung 
und Sterilisation von Nahrungsmitteln unberücksichtigt geblieben; auch 
die sogenannten Antiseptica sind nur ganz oberflächlich gestreift. In der 
Hauptsache beschränkt sich der Inhalt des Lehrbuches auf das, was man 
vor 30 Jahren unter Desinfektion verstand, d. h. auf die Abtötung von 
pathogenen Keimen durch physikalische und chemische Methoden ohne 
jede Mitarbeit des menschlichen oder tierischen Organismus. Der erste 
allgemeine Teil des Lehrbuches behandelt die verschiedenen, zur Ver¬ 
fügung stehenden Desinfektionsmethoden und -mittel und ist rein wissen¬ 
schaftlicher und theoretischer Natur. Die Desinfektionsmittel sind nach 
den in der chemischen Literatur üblichen Gruppen zusammengefasst, 
wobei vor der Angabe der Desinfektionswirkung das physikalische und 
chemische Verhalten derselben näher besprochen wird. Dem zweiten 
Abschnitt der speziellen Desinfektion wurden die reichsdeutschen Ge¬ 
setzesvorschriften zugrunde gelegt, jedoch auch den ausländischen Be¬ 
stimmungen durch ihre Kommentierung in ausreichender Weise Rechnung 
getragen. Den Abschluss bildet eine Besprechung der für die Tier¬ 
medizin in Betracht kommenden Vorschriften und Gesichtspunkte. Dank 
der eingehenden Berücksichtigung der umfangreichen Literatur von etwa 
1500 Originalarbeiten ist so ein Werk erstanden, welches nicht nur dem 
Wissenschaftler als Nachschlagewerk und als Anregung für weitere 
Arbeiten, sondern auch der Technik zur Erkennung und Ausfüllung der 
noch vorhandenen Lücken wertvolle Dienste leisten wird. Vierundvierzig 
beigegebene Abbildungen der verschiedenen Desinfektionsapparate er¬ 
läutern die Ausführungen des Textes. Für jeden, der sich über das 
Wesen und den heutigen Stand der Desinfektionslehre näher orientieren 
will, wird das Croner’sche Lehrbuch ein willkommener Ratgeber sein, 
dem auch in den Kreisen der Aerzte eine weite Verbreitung zu 
wünschen ist. Möllers - Berlin. 


S. Tranig: Kropf and Kretinismus. Eine epidemiologische Studie. 

Mit 8 Abbildungen und 2 Karten im Text. Jena 1912, Fischer. 
8. 156 S. 

Verf. hatte Gelegenheit als Militärarzt, in dem Bezirk Srebrenica in 
Bosnien sehr eingehende Studien über die Aetiologie und Verbreitung 
des Kropfes in der dortigen Bevölkerung zu machen, die er später 
durch Untersuchungen in Steiermark und Tirol erweiterte. Nahezu 
jeder dritte Mensch ist in obigem Bezirk mit Kropf behaftet (23,8 pCt. 
der stellungspfliobtigen männlichen Bevölkerung hat Kropf), während 
die in einer Kaserne mit eigener Wasserleitung in der Stadt Srebrenica 
untergebrachte Infanteriekompagnie bei ihrem Zuzug keinen einzigen 
Fall von Kropf hatte und kropffrei blieb. Dies schien ganz im Sinne 
einer Infektion durch Vermittlung des Wassers und der Bodenbeschaffen¬ 
heit zu sprechen, aber bei genauerem Zusehen ergaben sich eine Reihe 
von Tatsachen, die mit der bekannten (auch vom Referenten in seinem 
Buche über die Krankheiten der Schilddrüse vertretenen) Anschauung 
über die Wasserinfektion nicht stimmten. Nach H. und E. Bircher 
ist aber Kropf eine chronische Infektionskrankheit, deren organisches 
Miasma an gewissen marinen Ablagerungen unserer Erdrinde haftet und 
durch das Trinkwasser in den Körper gelangt. Aber die geologische 
Beschaffenheit des von Taussig durchforschten Bezirks, die nach den 
Angaben des Lande9geologen Katzer dargelegt wird, entspricht nicht 
den Anforderungen Bircher’s, um so weniger als in dem Nachbar¬ 
bezirk mit gleicher Gesteinsbeschaffenheit Kropf fast gar nicht vorkommt. 
Auch lassen sich aus der Literatur verschiedene Beispiele zusammen¬ 
stellen, die ebenfalls der Bircher’schen Bodentheorie widersprechen. 
Die Erörterung dieser Frage durch den Geologen Prof. Lepsius 1 ), 
welcher den Unterschied zwischen „Schichtsystemen“ (Formationen) und 
„Gesteinsarten“ hervorhebt, hätte Taussig ebenfalls anführen können. 
Denn Lepsius erklärt, dass, wenn überhaupt, nur die Beschaffenheit 
der Gesteinsarten in Frage käme, dass sio aber in ihrer Art und Zu¬ 
sammensetzung meistens sehr rasch wechseln, „und es daher oft gar 
nicht mit Sicherheit festzustellen ist, aus welchem einzelnen Gestein 
von bestimmter chemischer oder mineralogischer Zusammensetzung das 
betreffende Trinkwasser wirklich herrührt“. 

Es zeigte sich ferner, dass die übrige, kröpfige Bevölkerung ihr 
Wasser aus demselben Quellengebiet erhält, aus dem die Militär¬ 
wasserleitung kommt, und dass kein zugezogener Einwohner der Stadt 
an Kropf erkrankt war, trotzdem er dasselbe Wasser wie die Ein¬ 
geborenen trank. Es kommen ferner räumlich isolierte Ortsteile vor, 
die trotz des gleichen Wasserbezuges kröpf- und kretinfrei sind. Diese 


1) C. A. Ewald, Zur Frage der Kropfätiologie. Deutsche med. 
Wochensehr., 1910, Nr. 46. 


und ähnliche Beobachtungen machen Taussig zu einem ausgesprochenen 
Anhänger der vonKutschera aufgestellten Kontaktinfektionstheorie, die 
er nun in weiterem Verlauf seiuer Monographie durch eine Kritik der 
in der Literatur vorhandenen und bisher zugunsten der Wasserinfektion 
verwerteten Angaben und Beibringung von Beobachtungen, die für eine 
Uebertragung von Person zu Person sprechen sollen, zu erhärten sucht. 
Hierfür werden eine grosse Anzahl von sorgfältig und unter grossem 
persönlichen Aufwand von Zeit und Mühe erhobene Familiengeschichten 
beigebracht, die durch eine schwierige Umfrage von Ort zu Ort ge¬ 
sammelt sind. Nach Taussig’s Annahme kann der Infektionsstoff von 
der Mund- und Rachenhöhle direkt in die Blutbahn übertreten, viel¬ 
leicht aber auch erst in den menschlichen Verdauungsapparat gelangen 
und von hier „duroh die Säftemasse in die Circulation gelangen“. Je 
schwerer die Störung des Stoffwechsels, die ihren Angriffspunkt in der 
Schilddrüse findet, desto stärker muss die Arbeitsleistung derselben 
werden. Sie bypertrophiert daher im Sinne einer Arbeitshypertrophie. 
Gleicht sich die Störung aus, so bildet sich das Volumen der Schild¬ 
drüse wieder zurück. Das Auftreten von Strumen in Kropfgegenden, 
wo durch den Kontakt mit kropfigen Menschen steter Zuschub an In¬ 
fektionsmaterial stattfindet, das Verschwinden derselben an kropffreien 
Orten werden dadurch erklärt. Der Infektionsstoff kann möglicherweise 
im Speichel oder in den Sekreten der Mudhöhle liegen, weil die Lebens¬ 
weise der Bevölkerung in Bosnien, wo die gemeinsame Benutzung der 
Ess- und Trinkgeschirre Sitte ist, dazu disponiert. (Und anderwärts, 
wo dies Moment fortfällt und doch Kropf endemisch ist? Ref.) Auf¬ 
fallend ist das Freibleiben der Gegenden, wo Meersalz statt Sudsalz ge¬ 
nossen wird. Taussig glaubt, dass dies mit einem wenn auch noch 
so kleinen Gehalt des Meersalzes an Jod zusammenhängt und schlägt 
vor, dem Sudsalz prophylaktisch etwas Jod zuzusetzen oder statt des¬ 
selben Meersalz gebrauchen zu lassen. 

Von der kretinischen Degeneration nimmt T. an, dass der Kretin 
als solcher geboren wird, trotzdem es meist schwer hält oder unmöglich 
ist, das Bestehen des Kretinismus in den ersten Lebensmonaten zu kon¬ 
statieren. Immer aber ist er das Kind einer kröpfigen Mutter, was sich 
mit Deutlichkeit aus den Familiengeschichten ergibt. Das Kropfgift 
schädigt die Entwicklung der Frucht. Die kröpfigen Frauen abortieren, 
bringen tote oder lebensschwache Kinder zur Welt, und letztere werden 
oder sind Kretinen, während der Zustand des Vaters ohne direkten Ein¬ 
fluss auf den Kretinismus der Nachkommenschaft ist. Auch hier wieder 
wird ätiologisch der Einfluss des Wassers und des Bodens auf die Ent¬ 
stehung der Krankheit geleugnet. Die Erfolge der Schilddrüsentherapie 
bei Kretinismus sind, sowohl prophylaktisch — während der Schwanger¬ 
schaft gegeben — als bei ausgesprochenen Kretinen, wie sich T. in Tirol 
und Steiermark überzeugt, sehr bescheiden und haben die ursprünglich 
auf diese Therapie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllt. 

Alles in allem sehr schätzbare und wichtige Beiträge zu der Kropf- 
und Kretinenfrage, aber — und diese Ueberzeugung wird sich wahr¬ 
scheinlich den meisten Lesern aufdrängen — die Theorie der „Kontakt¬ 
infektion“ wird dadurch nicht begründet. Abgesehen davon, dass die 
vorgebrachten Beobachtungen, die zugunsten einer direkten Uebertragung 
sprechen sollen, wie z. B. der Ausbruch eines Kropfes bei zwei Hunden, 
die von einem mit Kropf behafteten Diener gefüttert und gepflegt wurden, 
auch anders ausgelegt werden können, so gibt es eine Ueberzahl von 
Fällen, wo ein direkter Kontakt überhaupt gar nicht in Frage kommen 
kann, oder wo sich die Ausbreitung des Kropfes, selbst unter der An¬ 
nahme einer Kontaktinfektion nicht erklären lässt. Es sei nur an die 
Kropfherde erinnert, die nachweislich an den Wasserkonsum aus einem 
„Kropfbrunnen“ geknüpft sind, die T. freilich für „haltlose Gerüchte“ 
erklärt. Darauf einzugehen ist in einem Referat nicht Raum. Dagegen 
erscheinen die Tatsachen, die T. über die Unabhängigkeit des Kropfes 
von der Wasserversorgung beibringt, auf den ersten Blick sehr be¬ 
stechend. Er will ihm allenfalls einen indirekten Einfluss auf die Ent¬ 
stehung von Kropf und Kretinismus zugestehen, indem durch bessere 
Wasserversorgung sich die allgemein hygienischen und sozialen Verhält¬ 
nisse bessern, eine direkte Wasserinfektion lehnt er ab und gibt der 
Verwunderung Ausdruck, dass Ref. „noch immer an der Wasserinfektion 
festhalte“. Aber hier ist zu erwidern, dass nicht jedes Trinken von 
Kropfwasser unabweisslich die Entstehung eines Kropfes nach sioh zieht, 
ebensowenig wie jeder eingeatmete Tuberkelbacillus eine Phthise, jedes 
verschluckte Choleravibrio eine Cholera usw. zur Folge hat. Das aus¬ 
schliessliche Befallenwerden der eingeborenen Bevölkerung in Srebrenica 
dürfte sich aus den besonderen diätetisohen und sozialen Gewohnheiten 
derselben erklären und auch hier die Ansicht zutreffen, „es muss sich 
um einen pathogenen Organismus handeln, der auf einem bestimmten 
Nährboden und hier nicht zu allen Zeiten gleichmässig wächst und der, 
wenn er (mit dem Trinkwasser) in den menschlichen Organismus ge¬ 
bracht ist, zur Entfaltung seiner pathogenen Eigenschaften noch einer 
besonderen Disposition bei den befallenen Individuen bedarf“ (Ewald). 
Dass aber die Entstehung dieser supponierten pathogenen Organismen, 
die zu entdecken auch T. trotz mehrerer dahinzielonden Versuche nicht 
gelungen ist, in viel geringerem Maasse an das gehäufte Vorkommen 
bestimmter Gesteinsarten gebunden ist, wie wir dies bisher annahmen, 
und besonders die geologischen Formationen dabei nicht in Frage 
kommen, geht aus den Erhebungen T.’s und anderer von ihm ange¬ 
führten Beobachter scheinbar einwandfrei hervor. Man wird also die 
Bircher’sohe Anschauung, dass der Kropf nur auf den marinen Sedimenten 
des paläozoischen Zeitalters vorkommt, aufgeben müssen. 


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1076 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 23. 


A. Mathiei, L. Imgert, Th. filier: Traitä nldica chirirgieal des 
maladies de l’estomac et de l’oesophage. 800 Figuren. Paris 19) 8, 
gr. 8. 934 S. 

Der Gedanke, sieh gleichzeitig als Spezialist für die innere Be> 
handlung der Magen-Darmkrankheiten und Operateur derselben zu be¬ 
tätigen oder, wie Ref. sich auszudrücken pflegt, ä double courant zu 
arbeiten, ist in Deutschland zuerst von Kelling in die Praxis eingeführt 
worden. Das vorliegende Buch verfolgt ähnliche Tendenzen. Die Verf. 
haben sich vorgesetzt, für die Speiseröhren- und Magenkrankheiten ein 
Buch zu schreiben, das dem Praktiker, der zugleich Innerer und Chirurg 
ist, die nötigen Anleitungen gibt. Der erste Teil behandelt sehr aus¬ 
führlich die Oesophaguskrankheiten (Mathieu und Imgert), der zweite 
die Magenkrankheiten und zwar in 4 Kapiteln: Diagnostik, Semiologie, 
Indikationen für operative Eingriffe, chirurgische Technik. 

Die einzelnen Kapitel sind klar und eingehend behandelt, die Ab¬ 
bildungen vorzüglich und das Werk für Jeden, der sich über die Fort¬ 
schritte auf diesen Gebieten orientieren will, ein ausgezeichneter Weg¬ 
weiser. Ewald. 


Literatur-Auszüge. 

Therapie. 

A. Stephan-Wiesbaden: Ueber ein neues Dauerhefepräparat „Bio- 
zyne M . (Therapeut. Monatsh., Mai 1918.) Aus den Versuchen des 
Verf. geht hervor, .dass die Dauerhefe Biozyme in bezug auf ihre ohe¬ 
mische Zusammensetzung, ihren Gehalt an Zyroase und ihre Gärkraft 
vollkommen gleichwertig ist der frischen Hefe. Als hervorragende Eigen¬ 
schaft ist ihre grosse Haltbarkeit zu bezeichnen, die nicht allein auf 
das Herstellungsverfahren, sondern auch auf die patentierte Verpackung 
mit einem konservierenden Exsiccans zurückzuführen sein dürte. 

G. Eisner-Berlin: Erfahrungen mit Narkophia. (Therapeut. Monats¬ 
hefte, Mai 1913.) Narkophin ist eine Kombination von Morphin und 
Narkotin. Verf. versuchte das Präparat an Phthisikern, Herzkranken, 
Lungenkranken, Nervenkranken, Patienten mit Erregungszuständen und 
hält es auf Grund seiner Erfahrungen für ein sehr brauchbares Nar- 
koticum. Vor dem Morphium, dem Opium und auch dem Pantopon 
zeigt es manche nicht zu unterschätzende Vorteile; die bisweilen 
schwächere Wirksamkeit wird durch die Möglichkeit einer höheren Do¬ 
sierung aufgehoben. 

B. Bend ix-Berlin: Behandlung des Ekzens jaager Kinder. (The¬ 
rapeut. Monatsh., Mai 1913.) Verf. empfiehlt die Anwendung einer 
2 proz. Pellidol-Vaselinsalbe der Firma Kalle & Co., A.-G., Biebrich, die 
ihm auch bei sehr hartnäckigen Fällen gute Erfolge gebracht hat. Die 
Salbe ist bei allen Stadien des Ekzems von Nutzen. 

W. Sternberg-Berlin: Digalea bei Schlaflosigkeit. (Therapeut. 
Monatsh., Mai 1918.) Verf. ist der Ansicht, dass das Digalen in geeig¬ 
neten Fällen (Unregelmässigkeiten der Herztätigkeit) nicht nur die Herz¬ 
funktionen reguliert, sondern auch das ebenso quälende wie praktisch 
wichtige Symptom der Schlaflosigkeit indirekt beseitigt. Er empfiehlt 
deshalb dieses Cardiacum für passende Fälle von Schlaflosigkeit wärmstens. 

_ H. Knopf. 


Allgemeine Pathologie u. pathologische Anatomie. 

P. Albrecht und G. Joannovics-Wien: Beiträge zur ktiast- 
liehea Kalter menschlicher Tnmeren. (Wiener klin. Wochenschr., 
1913, Nr. 20.) Angeregt durch die Versuche Burrows und Carreis, 
welche zeigten, dass tierische Gewebe nach ihrer Entfernung aus dem 
Organismus und auf geeignete Nährmedien übertragen, noch nach Monaten 
Wachstumserscheinungen darbieten, haben die Verff. sich der künst¬ 
lichen Kultur neoplastischer Gewebe zugewendet. Sie verwendeten zu 
den Versuchen kleine Tumorstüokohen, die vorwiegend Mammacarcinomen 
entstammten und als Nährboden verdünntes Plasma, welches dem 
Tumorträger entnommen war. In 23,8 pCt. der Experimente war eine 
partielle Ueberkleidung der Oberfläche mit Epithel zu beobachten, welches 
mit den Drüsenschläuchen und Carcinomnestern in Zusammenhang stand. 
Wenn auch Mitosen nicht nachzuweisen waren, so führen die Verff. doch 
die Epithelbildung auf Vermehrung der Caroinomzellen in vitro zurück. 

P. Hirsch. 

Frühwald: Zwei Fälle von kongenitaler Triehterbrast. (Ziegler’s 
Beitr. z. pathol. Anat. u. z. ailgem. Pathol., Bd. 56, H. 1.) Ihre Folge 
waren Anomalien in der Insertion verschiedener Muskeln und Verdrängung 
der Brusteingeweide. Verf. sieht die Trichterbrust als eine Bildungs¬ 
anomalie an, die bereits in der embryonalen Entwicklung sich bildet, 
um dann im extrauterinen Leben eine progrediente Entwicklung zu 
zeigen. 

Castiglioni: Untersuchung über Traasplaatatioa von Blatgefässca. 
(Ziegler’s Beiträge z. pathol. Anat. u. a. ailgem. Pathol., Bd. 56, H. 1.) 
Verf. experimentierte an Hunden und Katzen, denen er in die Carotis 
communis bzw. Vena jugularis externa Gefässstücke einsetzte. Die Er¬ 
folge waren im allgemeinen nicht sehr ermutigend. Nur wenn man 
demselben Tier ein von einer anderen Körperstelle entnommenes Arterien¬ 
stückeben wieder in eine Arterie einsetzte, blieben sowohl die mecha¬ 
nischen Kreislaufstörungen als auch die dadurch hervorgerufenen Wand¬ 
veränderungen aus. 


Henschen und Bergstrand: Studien über die Melanose dei 
Damochleimkaat. (Ziegler’s Beitr. z. pathol. Anat. u. z. ailgem. Pathol., 
Bd. 56, H. 1.) Pick lenkte 1911 die Aufmerksamkeit auf die Melanose 
des Dickdarms. An 69 Fällen studierten Verff. die genauere Histologie 
und Aetiologie. Das Melanosepigment ist ein gelbes, amorphes, eisen¬ 
negatives, säurefestes Pigment in der Tunica propria. Fast alle pigmen¬ 
tierten Därme hatten Individuen mit Obstipation angehört. Umgekehrt 
ergab der Vergleich von klinischen Tatsachen mit Sektionsbefund, dass 
ungefähr die Hälfte von allen Obstipationsfällen einen pigmentierten 
Darm hatten. In mikrochemisch-tinktorieller Hinsicht stimmt das 
Melaninpigment weder mit den normalen Melaninen des Körpers überein, 
noch mit den typischen Abnutzungspigmenten. 

Herzog: Ueber bvaliae Thrombose der kleine! Nieroigeffase 
und einen Fall von Thrombose der Nierenveie. (Ziegler’s Beitr. z. 
pathol. Anat. u. z. ailgem. Pathol., Bd. 56, H. 1.) Bei zwei Fällen 
(einer Pneumonie und einer diffusen Peritonitis) fanden sich Nieren¬ 
veränderungen derart, dass die Glomeruli in allen Schichten gleich- 
mässige Ausgüsse ihrer Schlingen mit hyalinen Fibrinmassen aufwiesen; 
ebenso waren die Vasa afferentia mit Fibrinmassen ausgestopft. In 
einem dritten Fall waren die Arteriae interlobulares fast alle mit hya¬ 
linem Fibrin gefüllt, so dass Nekrose fast der ganzen Rinden Substanz 
eingetreten war. In einem vierten Fall fand sich Thrombose des Stammes 
der Nierenvene mit vollständiger Nekrose der Marksubstanz. 

Goldschmid: Lebercirrhose ud Kalkiafarkt der Niereapyr* 
mideo. (Ziegler’s Beitr. z. pathol. Anat. u. z. ailgem. Pathol., Bd. 56, 
H. 1.) Von 51 Sektionen, bei denen sich Leberveränderungen fanden, 
die irgendwie auf Cirrhose deuteten, untersuchte Verf. die Nieren auf 
Kalkinfarkte. 47 mal fand er solche. Unter diesen 47 waren 44 tat¬ 
sächlich mikroskopisch Lebercirrhosen. Also 91,6 pCt. aller beobachteten 
Cirrhosen waren mit Kalkinfarkten vergesellschaftet, während bei 
anderen Leberaffektionen nur ausnahmsweise Kalkinfarkte beobachtet 
wurden. Benn. 

0. Hess: Experimentelle Untersuchungen über die Baetoriim eoli- 
Iafektioi der Haraargaae. (Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., 
Bd. 26, H. 1.) Das Bacterium coli ist für Kaninchen pathogen, beson¬ 
ders schwere Veränderungen kann es am Harnapparat hervorrufen. Die 
Experimente, von denen ausführlich berichtet wird, zeigen, dass Stauung 
in dem Harnapparat die Infektion sehr begünstigt. Die Abflussbehinde¬ 
rung wird am besten durch Ureterverengerung gesetzt. In das Nieren¬ 
becken eingebrachte Bakterien ascendieren nicht nur im Kanalsystem, 
sondern auoh in den Lymphbahnen der Nieren. Der Modus der Infek¬ 
tion ist nicht klarzustellen; die Möglichkeit der hämatogenen und lympho- 
genen Infektion der Niere vom Darm aus ist hypothetisch, da die Durch- 
läsigkeit der Darmwand für Bakterien selbst bei Darmstörungen noch 
keineswegs bewiesen ist. Th. Müller. 

Baehr: Ueber die Sekretion von Glykogea in Diabetikeriierei. 
(Ziegler’s Beitr. z. pathol. Anat. u. z. ailgem. Pathol., Bd. 56, H. 1.) 
Verf. untersuchte die Nieren von 12 Diabetikern und konnte feststellen, 
dass entgegen sämtlichen bisherigen Angaben die Glykogenablagerung 
hauptsächlich in den Endabschnitten der Hauptstücke, d. h. den Ueber- 
gangsstüoken, und nicht in den Henle’schen Schleifen zustande kommt 

Benn. 

J. W. Mo Nee - Glasgow: Zur Frage des Cholesteringehalts 4er 
Galle während der Schwangerschaft. (Deutsche med. Woohenschr., 19IS, 
Nr. 21.) Verf. hatte Gelegenheit, in 3 Fällen von Gravidität, die zur 
Obduktion kamen, die Galle zu untersuchen und fand stets eine deut¬ 
liche Vermehrung des Cholesteringehalts (0,621 pCt. im Durchschnitt 
gegenüber 0,15 pCt. normaler Galle). — Im Anschluss au diese Arbeit 
fordert Aschoff zu weiteren Untezsuchungen an einem grösseren 
Material auf. Ueberblickt man das bisher vorliegende Material der 
Literatur, so wird Aschoff’s Hypothese gestützt, nach welcher eine 
Cholestearindi&these in ursächlicher Beziehung zu Cholestearinsteinen steht. 

Wolf sohn. 

Hess: Ueber die bei der akitoo gelhei Leheratrophie aoftreteidei 
Regcaerationsprozesse. (Ziegler’s Beitr. z. pathol. Anat. u. z. ailgem. 
Pathol., Bd. 56, H. 1.) An drei genau studierten Fällen erörtert Verf. 
die Frage, ob sich die Gallengangsepithelien an der Regeneration des 
Lebergewebes beteiligen? Er bejaht diese Frage. Zahlreiche Bilder 
wiesen deutliche Uebergangszellen auf. Die vollständige Regeneration 
jedoch, mit Bildung hyperplastischer Knoten und typischer Anordnung 
von Leberparencbym, scheint doch nur im Anschluss an noch vorhandene 
Reste von Leberparenchym einzutreten. Benn. 

G. Steiner-Strassburg i. E.t Histopatbologische Befunde am Ceitrtl- 
nervensystem syphilitischer Kaninchea. (Deutsche med. Wochenschr., 
1913, Nr. 21.) Verf. konnte in den bindegewebigen Hüllen und an den 
Gefässen des Centralnervensystems entzündliche Gewebsreaktiönen nach- 
weisen; dagegen misslang der Nachweis primär-degenerativer Erschei¬ 
nungen. Die entzündlichen Reaktionen stellen sich im allgemein« 
als Gefässinfiltrationen dar. Die infiltrierenden Zellen bestehen fast 
ausschliesslich aus typischen Plasmazellen und Lymphocyten. Die mehr 
caudal gelegenen Partien des Rückenmarks zeigen die histopathologisch« 
Veränderungen am stärksten. Wolfsobn. 

Siehe auch Psyohiatrie und Nervenkrankheiten: Schuster. 
Anatomischer Befund einer mit Förster’scher Operation behandele 
multiplen Sklerose. 


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9. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1077 


Parasitenkunde und Serologie. 

Viereck-Marburg: Technische und theoretische Bemerkungen zur 
Anwendung des neuen Diphtherieschntzmittels. (Deutsche med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 21.) Die Injektionen werden beim Menschen 
subcutan in den Unterarm gemacht, unter genauer Beobachtung der 
nachfolgenden lokalen bzw. allgemeinen Reaktionen. Die krankmachende 
Wirkung des Gemisches hängt nicht nur von der absoluten Dosis, Bon¬ 
dern auch von der Konzentration ab, so zwar, dass konzentrierte 
Lösungen relativ stärker wirken als verdünnte. Die Gebrauchsanweisung 
v. Behring’s schreibt eine regelmässige Prüfung des Antitoxingehalts 
im Blutserum vor. Die Technik dieser Prüfung wird eingehend mitge¬ 
teilt, so wie sie das Marburgor Institut handhabt. Es liegt derselben 
die Römer’sche Methode der intracutanen Titrierung zugrunde. Die 
Antitoxinmenge wird dabei nach dem Ausbleiben bzw. Eintreten der 
typischen toxischen Hautnekrosen schätzungsweise bestimmt. Die Einzel¬ 
heiten des Verfahrens müssen in der Originalarbeit nachgelesen werden. 

W. Zangemeister-Marburg a. L.: Dritte Mitteilung über Y. Beh¬ 
ring’s nenes Diphtherieschutzmittei. Die Anwendung des Mittels in. 
der Marburger Frauenklinik. (Deutsche med. Wochenschr,, 1913, Nr. 21.) 
Durch Versuche an Schwangeren wurde festgestellt, dass die Reaktions¬ 
schwelle etwa bei einer Dosis von 30 mg des Mittels liegt. Nur bei 
überstandener Diphtherie wird die Reaktion schon durch wesentlich 
kleinere Mengen ausgelöst. Die Immunkörperproduktion tritt schnell 
ein, bei verhältnismässig geringen Reaktionserscheinungen. Neugeborene 
vertragen weit höhere Dosen des Gemisches M. I. Erst bei 100 mg tritt 
bei ihnen eine deutliche Reaktion ein mit vermutlich wirksamer Anti¬ 
toxinproduktion. Bei der fehlenden Ueberempfindlichkeit erscheinen die 
Neugeborenen für die Immunisierung mit dem Toxin-Antitoxingemisch 
ganz besonders geeignet. Ihre Reaktionsschwelle dürfte ziemlich gleich- 
mässig sein. Es ist nach Z. mit dem neuen Behring’schen Mittel die 
Möglichkeit gegeben, die Immunität Gravider passiv zu übertragen, sei 
es auf Neugeborene (natürlicher Weg), sei es auf andere Menschen 
(künstlicher Weg) unter Benutzung von placentarem Serüm. 

W. J. Goss-St. Petersburg: Eine neue Methode zur Gewinnung des 
Antigens für die Wassermann’sche Reaktion. (Zeitschr. f. Immunitäts¬ 
forschung, Bd. 17, H. 1.) Glycerinextrakt aus luetischer Leber ist ein 
gutes Antigen. 

A. Bessern ans-Löwen: Die Bedeutung der beiden Alexinkompo¬ 
nenten beim Phänomen der Hämolyse. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., 
Bd. 17, H. 1.) Bezüglich der hämolytischen Wirkung können Endstück 
und Mittelstück durcheinander ersetzt werden. Dabei ist Mittelstück 
leichter durch Endstück ersetzbar als umgekehrt. Vergrösserte Ambo- 
ceptorenmengen gestatten kleinere Komplementdosen. Diese Verände¬ 
rung bezieht sich auf Mittel- und Endstück in gleicher Weise. 

E. Zunz-Brüssel: Die physikalisch-chemischen Veränderungen 
des Blutes bei der Anaphylaxie. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 17, 
H. 1.) Bei Kaninchen, die mit Heteroalbuminose vorbehandelt sind, 
erleidet das Blutserum keine charakteristischen Veränderungen im ana¬ 
phylaktischen Zustand; ebensowenig bei Hunden nach Vorbehandlung 
mit Ochsenserum. Nach zweistündigem Aufenthalt bei 38—40° zeigen 
Gemische von Hetero- oder Protoalbuminose mit gleichem Serumvolumen 
eines normalen oder vorbehandelten Kaninchens eine höhere Refraktions¬ 
zahl als die ungemischten Bestandteile. Die Densität und Oberflächen¬ 
spannung liegen zwischen denen beider Bestandteile des Gemisches, 
nähern sich aber meistens mehr denen des Serums. 

M. Kashiwabara-Takamatsu: Inaktivierung der Komplemente 
dnreh Sehiittetn. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 17, H. 1.) Thermo- 
inaktives Serum aktiviert oft Schüttelserüta, doch ist dieses Phänomen 
nicht konstant, was vielleicht damit zusammenhängt, dass die Schüttel¬ 
inaktivierung in zwei Etappen erfolgt. Mittelstück- und Endstückfraktion 
aktiviert Schüttelserum. Serum, welches erst geschüttelt und dann auf 
53* erhitzt wurde, ist nicht imstande, Schüttelserum zu aktivieren. 

Wolfsohn. 

R. Kraus und P. Kirsch bäum-Wien: Zur Frage der anaphylak¬ 
tischen Vergiftung. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 20.) Es 
wäre unrichtig, anzunehmen, dass untereinander so differente Agentien 
wie das Anaphylatoxin nach Friedberger, kolloidale Kieselsäure 
naoh Doerr und digeriertes Meerschweinohenserum dieselbe Vergiftung 
erzeugen, wie die als anaphylaktisch charakterisierte. Die Verff. sind 
der Ansicht, dass man das Meerschweinchen allein zur Entscheidung 
dieser Frage nicht heranziehen dürfe. Diese Vergiftungen müssen auch 
bei anderen Tierarten, besonders bei Hunden studiert werden. 

P. Hirsch. 

A. Sata-Osaka: Untersuchungen über die spezifischen Wirkungen 
des Taberkaloseserums durch Annphylntoxinversuche. (Zeitschr. f. 
Immunitätsforsch., Bd. 17, H. 1.) Das Anaphylatoxin ist aus Tuberkel- 
Bacillen leicht herzustellen, durch einfache Behandlung mit Komplement 
oder durch Vorbehandlung mit Normalpferdeserum sowie Immunserum. 

A. Sata-Osaka: Passive Uehertragbarkeit der Tnberknlinempfind- 
liehkeit durch Tnherknlosesernm und dessen Wertbestimmung durch 
dieselbe Wirkung. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 17, H. 1.) Die 
Uehertragbarkeit der Anaphylaxie auf Meerschweinchen gelingt sicher 
duroh einmalige Injektion von Tuberkuloseserum. Bei Einspritzung einer 
Reaktionsdosis von Tuberkulin entsteht eine typische Temperatursteige¬ 
rung, nach Injektion tödlicher Tuberkulindosen tritt ein typischer Tuber¬ 


kulintod ein. Es gelingt mit Hilfe dieser Methode sogar, die Wirkung 
des Tuberkuloseserums zahlenmässig zu prüfen. 

A. Sata-Osaka: Untersuchungen über die spezifischen Wirkungen 
des Tiiberkulosesernnis duroh Mischungsversucbe von Tnberkulin nnd 
Tnberknlosesernm. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 17, H. 1.) Durch 
Mischung von Tuberkulin und Tuberkuloseserum gelingt es unter be¬ 
stimmten Bedingungen, ein Gift herzustellen, das bei gesunden Meer¬ 
schweinchen Tuberkulinreaktionen hervorruft. Dabei tritt Temperatur¬ 
steigerung und anaphylaktischer Tod des Tieres ein. Nach weiterem 
Vorgang kann das Gift wieder zerstört werden. Wolfsohn. 


Innere Medizin. 

K. Potpeschnigg - Graz: Pocken. (Wiener klin. Wochenschr., 
1913, Nr. 20.) Ein sechswöchiger Aufenthalt im k. k. Seelazarett in 
Triest gab P. Gelegenheit, die Pocken eingehend zu studieren. Das Auf¬ 
treten der Krankheit erfolgte grösstenteils in familiären Gruppen. Die 
meisten der Blatternkranken waren nach ihrer Aussage geimpft, doch 
war zumeist nur die Spur von je einer Impfpustel nachweisbar. P. weist 
mit Nachdruck darauf hin, dass eine oder sehr wenige Impfpusteln nur 
einen ungenügenden und kurzdauernden Schutz verleihen. 

L. Arzt und W. Kerl-Wien: Variola- aad Fleektyphnsstadien an 

den bosnischen Rückwanderern aus dem Balkan. (Wiener klin. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 20.) Auszugsweise vorgetragen in der Sitzung der 
K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien vom 2. Mai 1918. Referat siehe 
den Sitzungsbericht. P. Hirsch. 

Sormani: Vaccinotherapie hei Bakteriämie. (Ned. Tijdschr. v. 
Geneesk., 1913, Bd. 1, Nr. 15.) Verf. sah sehr guten Erfolg bei einigen 
pyämischen Patienten, nachdem er aus ihrem Blut oder Eiter die Kokken 
in Reinkultur gezüchtet und mit dem daraus bereiteten Vaccin inokulierte. 
Die Temperatur sank sofort und die bedrohlichen Erscheinungen Hessen 
nach. v. Suohtelen. 

E. Löwen st ein-Wien: Ueber das Vorkommen von Geflngeltnber- 
kalose beim Menschen. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 20.) Vor¬ 
trag, gehalten in der Sitzung der K. k. Gesellschaft der Aerzte in 
Wien am 2. Mai 1913. Referat siehe den Sitzungsbericht. 

S. Zarzycki-Wien: Typhöse Infektion der Hallenwege bei Aplasie 
der Gallenblase. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 20.) Demonstriert 
in der Gesellschaft für innere Medizin und Kinderheilkunde in Wien am 
11. Mai 1911. Referat siehe den Sitzungsbericht. P. Hirsch. 

' J. Bertog: Beitrag zur Frage der Entstehung der sogenannten 
weissen Galle bei absolutem, dauerndem Choledochasverschluss. (Mit¬ 
teilungen a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., Bd. 26, H. 1.) Die Bildung 
der weissen Galle kommt nur bei lange dauerndem, absolutem Verschluss 
des Choledochus — meist durch Tumoren — zustande, der einen Ueber- 
druck in den Gallengängen bedingt. Es kann dann die in den Gallen¬ 
gängen befindliche Galle resorbiert werden und an ihre Stelle die Ab¬ 
sonderung der Gallengangsschleimhaut treten, deren Sekretion zumeist 
gesteigert ist; von produzierter Galle können die Leberzellen in das 
Gallengangssystem wegen des dort herrschenden Ueberdruckes nichts ab¬ 
geben. Th. Müller. 

Snijders: Eine Typhisbaeillenträgerfamilie. (Ned. Tijdschr. v. 
Geneesk., 1913, Bd. 1, Nr. 17.) Der Patient des Verf. erkrankte während 
seines Typhus an Gallenblasenentzündung. Nachher blieb er Bacillen¬ 
träger. Die Frau des Patienten, die öfters Gallensteinkoliken hatte, 
wurde operiert. In ihrem Gallenstein und in ihren Fäces wurden Typhus¬ 
bacillen gefunden. Nie hatte sie an Typhus gelitten. Wahrscheinlich ist 
sie die ursprüngliche Bacillenträgerin gewesen und hat ihren Gatten 
infiziert und ebenfalls zu einem Bacillenträger gemacht. 

Kol ff: Ein Fall von Lebercirrhose mit Osteoarthropathie hyper- 
trophiante kombiniert. (Ned. Tijdschr. v. Geneesk., 1913, Bd. 1, Nr. 17.) 
Verf. beschreibt einen 19 jährigen Jüngling, der seit sechs Jahren an 
einer Lebercirrhose litt und allmählich Verdickungen von Endphalangen, 
Pulsen, Knien und Fussgelenken zeigte. Auch konnten die Endphalangen 
stark überstreckt werden. Uebrigens war Pat. sehr in der Entwicklung 
zurückgeblieben und stand ungefähr auf dem Niveau eines 13jährigen. 
An der Hypophysis war bei Durchleuchtung nichts Abnormes zu sehen. 
Verf. meint, dass die Cirrhose irgendwie schädlich auf die Drüsen mit 
interner Sekretion gewirkt hat. v. Suchtelen. 

A. Sohmidt: Chronische Pankreatitis. (Mitteil. a. d. Grenzgeb. 
d. Med. u. Chir., Bd. 26, H. 1.) Die chronische Pankreatitis ist ein viel 
zu wenig gekanntes und gewürdigtes Krankheitsbild. Wichtig für die 
Diagnose ist vor allem die Stuhluntersuchung, die einen ganz charakte¬ 
ristischen Ueberzug geronnenen Fettes über die stets sehr reichlichen 
Kotmassen ergibt. Nebenerscheinungen sind katarrhalische Zustände des 
Darmes; Störungen in der Gallenabsonderung fehlten in Schmidt’s 
Fällen. Spezifische Proben, Palpationsbefund am Bauch usw. treten 
zurück gegen Stuhluntersuchung. Verlauf und Prognose sind immer un¬ 
sicher, Therapie intern (Regelung der Ernährung). 

W. F. Dagaew*. Aendernng in den VerdannngsprozessenTnach 
Gastrodnodenostomie nnd Gastrojejanostomie nnd nach totaler Magen¬ 
exstirpation. (Mitteil r a. d. Grenzgeb. d. Med., u. Chir., Bd. 26,„H. 1.) 
Die Verdatung operierter Hunde (Methoden: Kocher und Billroth II) 
weicht nach den tabellarisch dargestellten Versuchen nicht wesentlich 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 23. 


von der Norm ab, nur ist sie infolge des Fehlens des Pylorus wesentlich 
verzögert. Diese Verzögerung der Verdauung ist bei dem Billroth II 
entschieden grösser als bei der Kocher’schen Gastroduodenostomie. Die 
Kontraktionen des Darmes, die ein Hindernis für die Entleerung des 
seines Pförtners beraubten Magens darstellen, sind im Dünndarm offenbar 
stärker als im Duodenum. Auch die Verdauung eines gastrektomierten 
Hundes war nicht sonderlich gestört, ein Beweis, dass der Darm die 
Verdauuogstätigkeit des Magens fast völlig übernahm. 

L. Frank: Zur Diagnose der Hirschsprung’schen Krankheit. (Mit¬ 

teilungen a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., Bd. 26, H. 1.) Ein Fall wurde 
sehr schön durch Röntgenaufnahme geklärt. Wismutaufnahme gab kein 
befriedigendes Bild, dagegen erhellte Lufteinblasung ins Rectum die 
anatomischen Verhältnisse, besonders die enorme Dilatation des Sigmoides, 
aufs deutlichste. Th. Müller. 

Th. Rosen heim-Berlin: üeber Colitis chroniea gravis. (Deutsche 
med. Wochenschr., 1918, Nr. 21.) Der Unterschied zwischen Colitis 
gravis und simplex ist nur graduell. Es handelt sich stets um einen 
entzündlichen Schleimhautprozess, bei dem sich sekundär Erosionen und 
Ulcerationen entwickeln. Die Krankheit betrifft meist anämische, nervöse 
Menschen in jugendlichen Jahren. Die Prognose ist zweifelhaft. Von 
15 Fällen sah Verf. 8 sterben. Durch Diät und medikamentöse Behand¬ 
lung lässt der Zustand sich oft bessern, desgleichen durch lokale 
Behandlung. Eine Heilung ohne Operation ist wohl möglich; der 
chirurgische Eingriff (Coecostomie) kommt jedoch in Frage, wenn die 
Hilfsmittel der internen Therapie erschöpft sind. Fieber, Kräfteverfall, 
starke Eiterabsonderung und septische Komplikationen geben besonders 
dringliche Indikationen zar Operation, die mitunter lebensrettend wirkt. 

Wolfsohn. 

E. Weisz - Pöstyen: Die klinische Bedeutung gesteigerter Haut¬ 
temperaturen über erkrankten Gelenken. (Wiener med. Wochenschr., 
1913, Nr. 19.) Je nach dem Vorhandensein oder Fehlen von erhöhten 
Temperaturen bei chronischen Gelenkerkrankungen muss die Prognose 
schwerer oder leichter gestellt werden. 

M. Damask-Wien: Zur Behandlnng des Fiebers bei der Lungen¬ 
tuberkulose. (Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 19.) Ausgehend 
von der günstigen Beeinflussung septischer Prozesse durch kolloidale 
Metallinjektionen, wandte Verf. bei Tuberkulösen, die infolge Misch¬ 
infektionen septische Fieberkurven zeigten, ein kolloidales Kupferpräparat, 
Elektrocuprol, an. Es wurden mit Dosen von 1 bis 2 ccm oft vorzüg¬ 
liche Erfolge erzielt. Nach einigen Injektionen in zwei- bis dreitägigen 
Intervallen gelang meist eine völlige Entfieberung. Daneben kommt dem 
Mittel ein tonisierender Einfluss zu. Eine nachweisbare Aenderung im 
physikalischen Lungenbefund ist jedoch nicht zu konstatieren gewesen. 
In den zahlreichen Fällen von subfebriler Phthise konnte die Kombination 
von Arsen und Aspirin ebenfalls gute Erfolge aufweisen. Kontraindi¬ 
kation: Neigung zu Lungenblutungen. Ein deutlich roborierender Ein¬ 
fluss sowie Besserung des lokalen Prozesses war nachzuweisen. 

G. Eisner. 

E. Rautenberg-Berlin: Vorhofspuls und Venenpuls. (Deutsche 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 22.) Vortrag im Verein für innere Medizin 
und Kinderheilkunde in Berlin am 17. März 1913. Wolfsohn. 

Favre und Tournade: Ueber eine Varietät von Adipositas dolo¬ 
rosa, die an den unteren Extremitäten lokalisiert ist und bei Ischias 
auftritt. (Lyon mdd., 1913, Nr. 19.) Die beiden Autoren beobachteten 
bei Kranken mit Ischias schmerzhafte Fettansammlungen an den unteren 
Extremitäten. Diese Erscheinungen wurden als trophische Störungen 
aufgefasst. Durch Massage gelang es, sie günstig zu beeinflussen. 

A. Münzer. 

G. Nob 1 -Wien: Zur Kenntnis des hyperplastisehen GesiehtsÖdems. 
(Wiener med. Wochenschr., 1918, Nr. 19.) Das Krankheitsbild zeigt eine 
massige Auftreibung der Gesichtsweichteile und kommt stets nach Ery¬ 
sipel zustande. Die Gewebszunahme betrifft das Cutangewebe, während 
die Epithelschicht normal bleibt. Die verdickten Hautpartien sind sehr 
blass. Bemerkenswert ist die eigenartige, weichelastische Konsistenz. 
Die Häufigkeit dieser posterysipelatösen Gesichtsödeme ist nicht gross. 
Eine besondere lokale Gewebsdisposition muss angenommen werden. Die 
Differentialdiagnose ist leicht, am ehesten käme noch Myxödem in Frage. 

G. Eisner. 

Siehe auch Therapie: Eisner, Narcophin. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Romagna-Manoja-Rom: Ueber eephalalgische und hemicranielle 
Pyselcjsen. (Monatsschr. f. Psych. u. Neurol., Aprilheft.) Verf. kommt 
nach Durchsicht der Literatur und Wiedergabe von 4 Krankengeschichten 
zu der Folgerung, dass neben den psychopathischen Formen in enger 
Verbindung mit anderen Neurosen zweifellos eine Anzahl psychotischer 
Zustände besteht, die nicht sehr häufig sind und ein einförmiges klini¬ 
sches Bild darbieten, die ihren Ursprung anscheinend aus einem 
Schmerze nehmen. Trotz neuropathischer Konstitution oder Belastung 
fehlen sämtliche Zeichen einer hysterischen oder epileptischen Konstitution. 

Sittig-Prag: Kasuistik der Dysmegalopsie. (Monatssohr. f. Psych. 
u. Neurol., Maiheft.) Verf. beschreibt 4 Fälle von hysterischer Makropsie bzw. 
Mikropsie und folgert aus ihnen, dass die hysterische Dysmegalopsie (falsche 


Grössenabschätzung der Gegenstände) einseitig auftreten kann und mit 
Störungen der Grössenschätzung durch den Tastsinn verbunden ist. Bei 
der hysterischen Dysmegalopsie zeigt sich keine solche Gesetzmässigkeit 
wie bei der corticalen, hier findet sich aber eine entsprechende Schreib- 
Störung. 

Bonhoeffer- Berlin: Ueber die Beziehung der Zwaagsvorstellingei 
zum Manisch Depressiven. (Monatsschr. f. Psych. u. Neurol., Aprilheft.) 
Demonstration in der Berliner psyoh.-neurol. Gesellschaft, siehe diese 
Wochenschr,, 1913, Vereinsberichte. 

C. Lampe - Chemnitz: Arteriosklerose, Spätparalyse and Ulfall. 

(Monatsschr. f. Psych. u. Neurol., Aprilheft.) Verf. erörtert im Anschluss 
an eine Krankengeschichte die Möglichkeit von klinisch und anatomisch 
typischen Paralysen jenseits des 60. Lebensjahres. Eine Kombination 
von diffuser Arteriosklerose und Paralyse ist in dem Sinne möglich, dass 
zur länger bestehenden Arteriosklerose die paralytische Erkrankung bin- 
Zutritt. Ein Trauma ist als auslösende Ursache für die Paralyse unter 
bestimmten Kautelen nicht von der Hand zu weisen. 

K. Mendel - Berlin: Selbstmord bei Unfallverletzte!. (Monatsschr. 
f. Psych. u. Neurol., Aprilheft.) Mendel fand unter etwa 2000 Unfall¬ 
geheilten trotz vieler Reden der Patienten über Lebensüberdruss nur 
7 Suicidversuche und Selbstmorde. Die Vielzahl der nicht versorgten 
Kinder kann eine Rolle beim Entschluss zur Tat mitspielen. Die Todes¬ 
art (meist Erhängen) lässt einen Schluss auf die Art des vorhanden ge¬ 
wesenen Gemütsleidens nicht zu. Der Unfall war meist auffallend un¬ 
erheblich. Das 1—2 Jahre betragene Intervall zwischen Trauma und 
Suicid ist ausgefüllt mit neurasthenisch-hypochondrischen Beschwerden 
traumatischer Genese. Meist führen hypochondrische Depressionszustände 
zum Entschluss, der regelmässig nicht genügend motiviert, nichtphysio¬ 
logisch erscheint (für das Gutachten sehr wichtig!). Der Unfall allein 
ist nicht schuld an dem Selbstmord, aber den Hinterbliebenen steht 
eine Rente doch zu, da regelmässig das Trauma eine mitwirkende Rolle 
beim Entstehen des Selbstmordeutschlusses spielt. Verf. gibt noch die 
beherzigenswerte Mahnung, dass nur ein psychiatrisch vorgebildeter Arzt 
die Begutachtung solcher Fälle übernimmt, — oft wird die Psychose für 
Renitenz gehalten. 

Haenisch - Berlin: Zur diagnostischen Bedeutung des Gauser- 
schen Symptoms. (Monatsschr. f. Psych. u. Neurol., Maiheft.) Berliner 
psychiatr. Verein, siehe diese Wochenschr., 1918, Vereinsberichte. 

Bregman und Krukowski - Warschau: Beiträge zur Meningitis 
serosa. (Monatsschr. f. Psych. u. Neurol., Aprilheft.) Verff. sahen einen 
Fall von akuter Meningitis serosa durch schweren psychischen Shock 
entstehen (während der russischen Revolution 1906). Mit Quincke 
glauben sie an angioneurotische Störungen, die zu einer vermehrten 
Ausscheidung des Liquors Anlass geben. Durch postneurotische Atrophie 
hervorgerufene Erblindung wurde einigemale beobachtet, ebenso ein 
centrales Skotom. Verff. erklären dies für einen lokalen Druck auf das 
Chiasma durch Erweiterung des Infundibulums. 

Peritz - Berlin: Hypophysenerkrankungen. (Monatsschr. f. Psych. 
u. Neurol., Maiheft.) Peritz gibt ein ausgezeichnetes Referat über 
seinen Gegenstand, bei dem besonders seine Einteilung der Hypophysen¬ 
erkrankungen interessiert: I. Erkrankung des Vorderlappens, a) Unter¬ 
funktion: Zwergwuchs, b) Hyperfunktion: Akromegalie, Gigantismus. 
II. Erkrankung des Hinterlappens, a) Unterfunktion: Hypophysäre Adi¬ 
positas. b) Hyperfunktion: Diabetes insipidus? III. Mischformen, a) Ge¬ 
steigerte Funktion des Vorderlappens mit Unterfunktion des Unterlappens: 
Ib-f-IIa. b) Unterfunktion der gesamten Hypophyse: Zwergwuchs 
mit hypophysärer Adipositas. IV. Erkrankung der Hypophyse in Ge¬ 
meinschaft mit anderen Drüsen, a) Keimdrüse und Hypophyse: Eunuchoi¬ 
dismus. b) Erkrankung aller Drüsen mit innerer Sekretion: pluri¬ 
glanduläre Erkrankung von Claude und Gougerot, multiple Sklerose 
der endorinen Drüsen von Falta, partieller Gigantismus. 

E. Loewy - München. 

H. v. d. Bergh: Tumor glandulae pinealis. (Ned. Tijdschr. v. 
Geneesk., 1913, Bd. 1, Nr. 19.) Bei einem 8jährigen Knaben fand Verf. 
die Erscheinungen von Hydrocephalus internus. Die Männerstimme, die 
Behaarung der Schamgegend und die männlich entwickelten Hoden und 
Penis führten Verf. zur Diagnose Erkrankung der Glandula pinealis, was 
sich nach dem Tode als richtig herausstellte. Fettsuoht sowie auch 
Bart- und Achselhaare fehlten, wohl aber zeigte der Knabe unlöschlichea 
Durst. v. Sucht eien. 

J. Froment und Monod: Anatomische und klinische Untersuchung 
eines Falles von totaler Aphasie. (Lyon möd., 1913, Nr. 17.) Klinisch 
und anatomisch genau analysierter Fall. Die Beobachtung ist im Hin¬ 
blick auf die lebhaften Diskussionen, deren Gegenstand die sogenannte 
Broca'sche Aphasie ist, besonders wichtig. A. Münzer. 

P. Schuster - Berlin: Anatomischer Befond eines mit der Färster- 
schen Operation behandelten Falles von multipler Sklerose, nebst Be¬ 
merkungen zur Histologie der multiplen Sklerose. (Monatsschr. f. Psych. 
u. Neurol., Maiheft.) Berliner neurol. Gesellschaft, siehe diese Wochen¬ 
schrift, 1913, Vereinsberichte. E. Loewy - München. 

Siehe auch Chirurgie: Marx, Kleinhirnbrückenwinkeltumoren. 


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Kinderheilkunde. 

St. Ostrowski-Petersburg: Die Engel-Tiiriiaii’gclie Reaktion bei 
Brustkindern. (Jahrb. f. Kinderheilk., 1913, Bd. 77, S. 575.) Verf. 
zeigte durch Untersuchungen an natürlich und künstlich ernährten 
Kindern, dass die Eogel-Tumau’sche Reaktion (Schwarziärbung des Urins 
von Brustkindern bei Zusatz von Silbemitratlösung) spezifisch für die 
Ernährung mit Frauenmilch ist und ein praktisches Interesse besitzt. 

E. Aschenheim-Heidelberg: Beitrag zum Fett-, Kalk- nod Stick¬ 
stoffwechsel beim Säugling. (Jahrb. f. Kinderheilk., 1913, Bd. 77, 
S. 507.) Vortrag auf der Deutschen Naturforscherversammlung in Münster, 
siehe diese Wochenschr., 1912, S. 2201. R. Weigert. 

H. Wo 1 ff-Frei bürg: Untersuchungen über den Einfluss des Calcinms 
auf die Knorpel quell ang. (Zeitschr. f. Kinderheilk., Bd. 5, H. 1.) Verf. 
stellt Versuche über die Knorpelquellung in verschiedenen Salzlösungen 
(NaCl und CaCI 2 ) an. Er prüft dabei die Resultate Krasnogorski’s 
nach und kommt im Gegensatz zu diesem Autor zur Erkenntnis, dass 
das Ga keinen spezifischen Einfluss auf die Quellungshemmung ausübe. 
Verf. führt die Knorpelquellung in den genannten Salzlösungen auf ein¬ 
fache Imbibition zurück. 

L. F. Meyer - Berlin: Wasserbedarf des Säuglings. (Zeitschr. f. 
Kinderheilk., Bd. 5, H. 1.) Verf. belegt zuerst durch einen Fall die 
Beobachtung 0. und W. Heubsaer’s, dass ein Kind zwar calorisch 
völlig ausreichend versorgt sein kano, aber trotzdem an Gewicht nicht 
zunimmt, und zwar nur wegen des zu genügen Wassergehaltes der zu¬ 
geführten Nahrung. Im Anschluss daran erbrachte er den klinischen 
Beweis, dass auch bei künstlicher Ernährung die Frage der Deckung 
des Wasserbedarfs akut werden kann, und zwar bei Zuführung eines 
konzentrierten Nabrungsgemisches. Bei ungefähr gleichalterigen Säug¬ 
lingen erreichte Verf. durch Ernährung mit konzentrierter Eiweissmilch 
einesteils eine Gewichtsabnahme, die durch Wasserzufuhr behoben wurde, 
anderenteils einen Gewichtsstillstand. Eine dritte Gruppe nahm trotz 
geringer Wasserzufuhr anfangs zwar zu, blieb aber schliesslich im Ge¬ 
wicht so laoge stehen, bis eine genügende Wasserzufuhr stattfand. Die 
Austritierung des zur Gewichtszunahme nötigen Wasserangebots ergab 
bei fast allen Kindern eine Wassermenge, die der bei der Brusternährung 
ungefähr gleichkommt. Der berechnete Mittelwert betrug pro Kilo 
Körpergewicht täglich 150 g. Die daran an geschlossenen Stoffwechsel¬ 
versuche ergaben bei geringer Wasserzufuhr Sinken der Nierensekretion 
und der Perspiration, bei Wasserzulage Erhöhung der Diurese, der Aus¬ 
schwemmung von N und erhöhte Abgabe von Mineralsubstanzen. Die 
Mineralstoffbilanz gewährte aber kein einheitliches Bild. 

B. Grünfelder. 

S. Wolf!-Wiesbaden: Beitrag zur Frage der Sommerdiarrhoen der 
Säuglinge. (Jahrb. f. Kinderheilk., 1913, Bd. 77, S. 569.) Bei einem 
2 Monate alten Kinde von 1400 g trat in fortgeschrittener Reparation 
bei Eiweissmilchernährung infolge Ueberhitzung mit Wärmeflaschen eine 
Temperatursteigerung auf 42® und gleichzeitig ein intoxikationsäbnlicher 
Zustand mit akuten Darmerscheinungen auf. Dieser besserte sich bei 
derselben Nahrung schnell lediglich durch Temperaturregulierung. Verf. 
ist geneigt, anzunehmen, dass der Verlauf dieses Zwischenfalls als eine 
reine Hitzeschädigung analog der Sommerdiarrhöe der Säuglinge an¬ 
zusehen sei. 

J. Zeutner-Graz: Warum sollen und wie können wir das kranke 
Kind vor Fliegen sehätzen? (Jahrb. f. Kinderheilk., 1913, Bd. 77, 
S. 560.) Verf. empfiehlt eine besondere Vorrichtung zum Schutze der 
Säuglinge gegen Fliegen, die so konstruiert ist, dass sie das Kind selbst 
nicht belästigt. R. Weigert. 

Milatz: Ein Zngverband für den Säugling. (Ned. Tijdschr. v. 
Geneesk., 1913, Bd. 1, Nr. 18.) Die bis jetzt zur Anwendung kommenden, 
an Wiege oder Kinderwagen befestigten Zugverbände bereiten dem 
Stillen grosse Schwierigkeiten. Verf. befestigt das betreffende Glied mit 
Heftpflasterverband an einem federnden Stahlbogen, der wiederum mit 
einem dem Körper des Kindes genau anliegenden, dem Gipsbett ähnlichen, 
aus Celluloid und Aluminium angefertigten Bett fest verbunden ist. In 
diesem Apparat kann das Kind überall hingeführt und auch leicht ge¬ 
stillt werden. v. Suchtelen. 

W. Zipperling-Tobelbad: Ueber eine besondere Form motorischer 
Reizzustände hei Neugeborenen (sogenannte Stäupehen). (Zeitschr. f. 
Kinderheilk., Bd. 5, H. 1.) Verf. beschreibt Reizzustände der motorischen 
Sphäre, besonders der Augennerven und des Facialis ohne sonstige 
pathologische Begleiterscheinungen. Es besteht dabei eine blitzartige 
Ablenkung beider Augen nach einer Seite in der horizontalen und 
langsame Rückkehr in die Ruhelage. Die Saugbewegungen dieser Kinder 
(meist Frühgeburten) werden während dieser „Stäupehen“ schwächer 
und hören bald ganz auf. Atmung wird unregelmässig, ruckweise, oft 
aber auch überstürzen sich die Inspirationen. Es kommt dabei nie zur 
Cyanose. Blepharospasmus setzt ein mit schnell darauffolgendem Lid¬ 
schluss. Unterdessen kommt es zu Zuckungen im Mundfacialisgebiet 
(„Visus sardonicus, Sardiosis“ usw.). Zu dem ganzen gesellen sich 
ruckweise, kurze Bewegungen des Kopfes nach hinten bei vollständiger 
Ruhe des übrigen Körpers. Verf. citiert eine Reihe von Beobachtungen 
alter Autoren aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts und vermisst das 
Bild der „Stäupehen“ in den modernen Werken. Er führt diese Reiz¬ 
zustände auf physiologische Reize im Ursprungsgebiet der Kerne einzelner 


motorischen Hirnnerven bei dem unfertigen Säuglingshim zurück. */ 4 
bis */« aller Säuglinge zeigen innerhalb der ersten Monate „Stäupehen“. 

B. Grünfelder. 

P. T ach au - Zürich: Leberingnffizienx bei Scharlach. (Jahrb. f. 
Kinderheilk., 1913, Bd. 77, S. 534.) Verf. untersuchte die Leberfunktion 
bei einer Reihe leichter Scharlacherkrankungen und kam zu folgenden 
Ergebnissen: „Urobilinurie, alimentäre Lävulosurie und erhöhte Amino¬ 
säureausscheidung weisen mit Sicherheit auf eine Störung der Leber¬ 
tätigkeit im Beginn des Scharlachs hin. ln den leichtesten Fällen, in 
denen nur eine Urobilinurie besteht, ist vielleicht die Annahme einer 
rein passiven Insuffizienz infolge gesteigerten Blutzerfalls berechtigt. 
Ueberall aber, wo die stickstoffhaltigen Ausscheidungsprodukte eine Ver¬ 
schiebung gegen die Norm erlitten haben, dürfte gleichzeitig eine Er¬ 
krankung des Leberparenchyms vorhanden sein. Diese besteht in 
unseren Fällen nur kurze Zeit. Schon am vierten Krankheilstage ist 
meistens die Urobilinurie das einzige Symptom des vorher beträchtlichen 
Funktionsausfalls. Dafür, dass auch in ausgesprochenen Fällen die 
Leberinsuffizienz verhältnismässig gering ist, spricht der Umstand, dass 
die Zulage von 20 g Glykokoll niemals den Rückgang der Aminosäure¬ 
ausscheidung aufhalten konnte, und dass die Aminosäurewerte an sich 
oft hinter den bei Leberkranken bekannten Zurückbleiben.“ Da dieser 
Funktionsausfall schon bei den leichten Fällen zu konstatieren ist, glaubt 
Verf. ihn als für den Scharlach spezifisch annehmen zu können. 

R. Weigert. 

B. Gomperz - Wien: Ueber die Ursachen des Offenbleibens und 
Vernarbens von Trommelfelliicken im Kindesalter. (Zeitschr. f. Kinder¬ 
heilk., Bd. 5, H. 1.) Veranlassung zur Entstehung bleibender Trommel¬ 
fellücken geben fast ausschliesslich die eitrigen Mittelohrentzündungen. 
Die Otitiden können entweder in den ersten Lebenswochen durch Frucht¬ 
wasseraspiration oder durch die Grippe hervorgerufen werden. Auch 
Diphtherie, Keuchhusten, Varicellen und besonders Scharlach und Masern 
müssen für die Otitis media verantwortlich gemacht werden. Lang- 
dauernde bzw. chronische Perforationen werden vom Verf. fast nur durch 
Scharlach sowie Tuberkulose und Syphilis hervorgerufen beobachtet. 
Die Vernarbung kleiner Lücken geht schnell vor sich. Auch bei 
Scharlachotitis ist eine Verheilung durch entsprechende rechtzeitige pro¬ 
phylaktische (Paracentese) und therapeutische Maassnahmen zu erzielen. 
Gepaart damit muss eine Hebung des Allgemeinzustandes einhergehen. 

B. Grünfelder. 

F. Reiss-Graz: Hernia diaphr&gmatica congenita bei einem drei¬ 
jährigen Kinde. (Jahrb. f. Kinderheilk., 1913, Bd. 77, S. 550.) Kasuistik. 

R. Weigert. 

Siehe auch Therapie: Bendix, Behandlung des Ekzems junger 
Kinder. — Innere Medizin: Frank, Hirschsprung’sche Krankheit. 


Chirurgie. 

P. Kuzmik - Budapest: Beiträge zur operativen Behandlung der 
Venektasien der nnteren Extremität, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 
1913, Bd. 84, H. 1.) In Entfernungen von 5 cm voneinander werden 
die erweiterten Venen mit starken Seidenfäden umstochen und diese 
über einem zusammengerollten Gazestück geknotet. Der erste Verband 
bleibt 12 Tage liegen, nach 15 Tagen ist kein Verband mehr nötig. Bei 
dem Vorhandensein von Ulcera wartet man mit der Operation, bis sich 
die Geschwürsflächen gereinigt haben. Verf. ist mit den Resultaten auch 
bei ausgedehnten Ektasien sehr zufrieden. Die Gefässe werden völlig 
undurchgängig. W. V. Simon. 

C. Fromberg: Die Fettembolie des grossei Blitkreislaefs und 
ihre Ursachen. (Mitteil, a, d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., Bd. 36, H. 1.) 
Neun Fällen dieser seltenen Affektion wird ein zehnter beigefügt, bei 
dessen Sektion in allen Organen hochgradige Fettembolie gefunden wurde. 
Starke Beteiligung des Gehirns fiel vor allem auf; das Organ war durch¬ 
setzt mit multiplen miliaren Blutungen, die stets Verdacht auf Fett¬ 
embolie wachrufen sollen, wenn ein Unfall mit Knochenbruch voran¬ 
gegangen war. Prädisponierend wirken Fettreichtum des Verletzten, 
Lumenweite der Lymphcapillaren, der in den Lymphgefässen herschende 
Druck; im vorliegenden Fall begünstigte offenes Foramen ovale den 
Vorgang. Theo Müller. 

K. v. Schiller-Budapest: Die entzündungswidrige Wirkung der 
Hyperämiebohandlong. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 84, 
H. 1.) Auf Grund seiner experimentellen Forschungen kommt Verf. zu 
folgenden Schlüssen: Die Wirkung der Stauungsbehandlung besteht in 
dem Auftreten einer passiven Hyperämie, später einer Hyperlymphie. 
Die Leukocyten bilden in den Venen und in der VeneDwandung ein 
perivasales Infiltrat. Um den Entzündungsreiz herum ist beinahe kein 
Infiltrat zu sehen. Die Leukocyten gehen durch eine eigenartige Dege¬ 
neration zugrunde, die Bakterien ihrerseits wieder durch die Wirkung 
der aus den zugrundegegangenen Leukocyten stammenden proteolytischen 
Enzyme. Bei diesen Vorgängen spielt die Stauungslymphe eine grosse 
Rolle; je ausgeprägter das Oedem ist, desto ausgeprägter sind auch 
diese Erscheinungen. Die Wirkung ist am ausgesprochensten, wenn die 
Stauung gleich vom Anfang der Entzündung angewendet wird. Doch 
lässt sich auch ein schon ausgebildetes Infiltrat durch die Stauung 
günstig beeinflussen, und zwar um so günstiger, je früher die Stauung 
angewandt wird. Noch mehrere Stunden nach Sistierung der Stauung 
dauert der Leukocytenzerfall und die Bakterienzerstörung fort. Bei 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 23. 


übermässiger Stauung treten Hämorrhagien auf und der für die Stauung 
charakteristische Leukocytenzerfall und die Bakterienarretiemng findet 
nicht mehr statt. W. V. Simon. 

Graf-Düsseldorf: Moderne Wundbehandlung im Frieden und Kriege. 
Fortbildungsvortrag. (Therapeut. Monatsb., Mai 1913.) Ergebnisse der 
Therapie. H. Knopf. 

M. Horväth - Budapest: Ueber die nach Reposition von kon¬ 
genitalen Hftftgelenklnxationen entstandenen Obersehenkeldeformi- 
tfiten. (v. Bruns 1 Beitr. z. klin. Chir., Bd. 84, H. 1.) Die nach der 
Reposition von angeborenen Hüftgelenkverrenkungen auf tretenden Ober¬ 
schenkeldeformitäten (Coza vara), auf die zuerst Lud 1 off aufmerksam 
gemacht hat, haben meist sekundären Charakter, sind also selten primäre 
Epiphysenlösungen und haben ihre Entstehungsursache in einer 
Knoohenatrophie, die sich besonders bei älteren Kindern entwickelt und 
mit den bei der schweren Reposition erlittenen Traumen in Zusammen¬ 
hang zu bringen ist. Duroh die bei älteren Kindern länger dauernde 
Behandlung wird diese Atrophie durch die Gelenkinaktivität noch ge¬ 
steigert. Daher soll die Reposition möglichst früh (2.—3. Jahr) aus¬ 
geführt werden. Bei älteren Kindern muss möglichst schonend reponiert 
werden, eventuell mit vorausgehender Dehnung der Weichteile. Man 
darf ferner bei älteren Kindern keine allzugrosse Gelenkstarre aufkommen 
lassen und muss daher der Gipsverband häufiger gewechselt und die 
Fixationszeit auf ein Minimum beschränkt werden. Ebenso sollen während 
der Nachbehandlung gewalttätigere Eingriffe möglichst vermieden werden. 

W. V. Simon. 

W. May-Kiel: Oeber das Endresultat radikal operierter Knie- 
geleakstBberkilosen bei Erwachsenen. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., 
Bd. 122, H. 8 u. 4.) Die bogenförmige Resektion nach Helferich er¬ 
gibt günstige Resultate, was die Statistik des Materials des Verf. be¬ 
weist. Bei 32 lebenden Patienten ist eine feste Ankylose und Erwerbs¬ 
fähigkeit nachzuweisen. Es ist niemals zu -einer Flexion in den nach¬ 
untersuchten Fällen gekommen. Bemerkenswert ist, dass im Alter von 
über 45 Jahren noch 50 pCt. Erfolge waren. Man soll daher in ge¬ 
eigneten Fällen auch in diesem Alter operieren. 

R. G ob eil -Kiel: Beseitigung der ischämischen Muskelkontraktur 
durch freie Muskeltransplantation. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 122, 
H. 3 u. 4.) Jores hat gezeigt, dass quergestreifte Muskulatur, die täg¬ 
lich nach der Transplantation faradisiert wird, eingeheilt werden kann. 
Verf. wandte bei einer ischämischen Kontraktur des Vorderarmes Trans¬ 
plantation von mit ihrem Nerven abgelösten Sartorius und Obliquus- 
feilen mit Erfolg an. Einzelheiten hinsichtlich der Methode und des 
mikroskopischon Befundes sind im Original nachzulesen. 

J. Fl eis sic;-Wien: Ueber die bisher als Riesenzellensarkome 
(Myelome) bezeichneten Grannlationsgeschwttlste der Sehnenscheiden. 
(Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 122, H. 8 u. 4.) Die Geschwülste 
kommen in den Sehnenscheiden der Finger, der Zehen, der Hand und 
des Fusses vor, auch am Unterarm und Unterschenkel werden sie beob¬ 
achtet. Sie sind keine Sarkome, sondern entzündliche bzw. 
Granulationsgeschwülste. Vorschlag, sie als Sehnenscheiden- 
granulome zu bezeichnen. Aussehen und Farbe sind charakteristisch, 
lappiger Aufbau und gelblich-rötliche gesprenkelte Farbe. Mikroskopisch 
fehlt jegliches Sarkomgewebe. Sie sind durchaus benigne. Behandlung 
besteht nur in ihrer Exstirpation ohne Entfernung von Gliedteilen. 

U. Stoppato-Bologna: Eine neue Methode der dekompressiveii 
Kraniotomie mit primärer Seh&delplastik. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., 
Bd. 122, H. 8 u. 4.) Allen bisherigen Methoden haftet der Mangel an, 
dass sie nicht genügend entlasten. Verf. bildet deshalb in der Parietal¬ 
region einen vierseitigen Haut-Knochenlappen, den er beim Zurücklegen 
um 45° dreht, so dass seine Ecken auf den Schädelknochen zu liegen 
kommen. Es kommen so an den vier Ecken vier Oeffnungen zustande. 
Je nach dem Sitz des Hirnleidens kann man auch einen Occipital- oder 
Frontallappen bilden. J. Becker. 

H. Marx: Zur Chirurgie der Kleinhirnbrückenwinkeltnrnoren. 
(Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., Bd. 26, H. 1.) Mitteilung 
eines einschlägigen Falles und vergleichende Würdigung der drei zur 
Exstirpation der genannten Tumoren ausgearöeiteten Methoden von 
Krause, Panse und Borchard. Empfehlung der letztgenannten 
Methode, die die Nachteile der Krause’schen (weite Entfernung der ope¬ 
rativen Schädelwunde am Hinterhaupt von dem Krankheitsherd her, 
weiter Operationswunde) sowie der Panse’schen (schlechte Zugänglichkeit 
bei geringer Entfernung der Operationswunde vom Krankheitsherd) ver¬ 
meidet Theo Müller. 

Fr. H. v. Tappeiner-Greifswald: Zahnfleischtaberkulose. (Deutsche 
Zeitschr. f. Chir., Bd. 122, H. 3 u. 4.) Mitteilung eines Falles dieser 
seltenen Affektion. Als charakteristisch werden angesehen bei der ge- 
8cbwürigen Form die unregelmässigen, gezackten, oft unterminierten 
Ränder, umgeben von einem dichten Kranz kleiner gesunder roter Granu¬ 
lationen. In der Umgebung der Geschwüre sind oft noch frische graue, 
hirsekorn- bis stecknadelkopfgrosse Knötchen. Prognose ist infaust, da 
die Tuberkulose des Zahnfleisches meist sekundär ist. J. Becker. 

D. BaI äs - Budapest: Die Bedeutung chirurgischer Eingriffe in 
der Bauchhöhle bei Kindern, (v. Bruns 1 Beitr. z. klin. Chir., 1913, 
Bd. 84, H. 1.) Die hauptsächlichsten chirurgischen Erkrankungen der 
Bauchhöhle bei Kindern sind die Appendicitis, der Ileus und die 
Peritonitiden, die Verf. in der vorliegenden Arbeit in ihrem Verhältnisse 


zum Erwachsenen und in ihrem Verhältnis zueinander beleuchtet und 
bespricht. 

D. Röna-Bq'a: Ueber Lymphangioma cysticnm niesen terii. 
(v. Bruns 1 Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 84, H. 1.) Mitteilung eines 
Falles. 

N. Zyövity-Budapest: Zur Kasuistik der gutartigen Magen¬ 
geschwülste. (v. Bruns 1 Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 84, H. 1.) Mit¬ 
teilung eines operierten Falles, bei dem es sich um ein apfelgrosses, ge¬ 
stieltes Fibrom des Magens, ausgehend von der Submucosa, handelte, 
das transgastrisch entfernt wurde. W. V. Simon. 


Röntgenologie. 

C. Müller: Die Leistungsfähigkeit der Radiologie in der Erkennung 
von Dnodenalerkranknngen, besprochen auf Grund von Erfahrungen an 
31 operierten Fällen. (Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., Bd. 26, 
H. 1.) Bestätigung der Befunde der Wiener Radiologen: das Röntgen- 
bild zeigt gesteigerte Peristaltik und rasche, in vielen Fällen aber un¬ 
vollständige Entleerung des Magens, häufige Verziehung des Magens nach 
rechts (Verwachsungen am Duodenum!) und Insuffizienz des Pylorus. 
Der Duodenalschatten verschwindet nicht, wie bei normalen Verhält¬ 
nissen, alsbald, sondern bleibt lange sichtbar. Noch besser sind Ver¬ 
wachsungen des Duodenums im Röntgenbilde zu sehen infolge der 
Störung seiner normalen Entleerung und Peristaltik durch Adhäsionen, 
Knickungen, Stenosen. Illustration durch die einschlägigen Kranken¬ 
geschichten. Theo Müller. 


Urologie. 

Siehe auch Allgemeine Pathologie und pathologische 
Anatomie: Hess, Bacterium coli-Infektion der Harnorgane. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

Mondes da Costa: Infeelio secaada syphilitica. (Ned. Tijdschr. 
v. Geneesk., 1913, Bd. 1, Nr. 10.) Obgleich Verf. die Möglichkeit einer 
Reinfektion mit Syphilis nicht verneint, meint er doch, dass sie sehr 
selten ist. Am meisten kommt sie bei früh und kräftig behandelter 
Syphilis vor. Weiter führt er an, dass Superinfektion als Hautinfektion 
auftritt. Die späteren Superinfektionen verhalten sich wie Reinfektionen. 
Aus der Seltenheit der Reinfektionen geht hervor, dass Syphiliskranke 
fast ihr ganzes Leben unempfindlich für eine neue Ansteckung sind. 

v. Suchtelen. 

M. Tsuzuki-Himeja, Japan: Antilaetin, ein neues Mittel der 
Kombinalionstherapie. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 21.) Auf 
Grund kombinierter chemotherapeutischer Studien beim Kaninchen ist 
T. zu einem neuen Antilueticum gelangt, das die Formel eines Bitan- 
tratocaliumammoniumantimonoxyds bat. 

M. Tsuzuki, Ichibagase, Hagashi und Htano-Himeja: Die 
therapeutische Wirkung des Antilnetins. (Deutsche med. Wochenschr., 
1913, Nr. 21.) 

Antiluetin 2,5 
Cocain, mur. 2,5 
Aq. dest. 100,0 

Von dieser Lösung werden 1—2 ccm subcutan injiziert Die Heilerfolge 
sind gut, besonders in Kombination mit den alten Antilueticis. Je mehr 
man sich der Dosis 0,75 Luetin beim Menschen nähert, desto sicherer 
ist der Heileffekt. Sehr empfohlen wird eine Etappenbehandlung, be¬ 
ginnend mit 0,025 und steigend bis 0,05 Antiluetin, bis die Gesamt¬ 
menge von 0,15—0,3 erreicht wird. 

E. Portner-Berlin: Das gehäufte Auftreten von Exanthemen nach 
den Gebrauch von Copaivabalsam. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 22.) P. bestätigt die Erfahrung Blaschko^, wonach in diesem 
Jahr nach Verordnung vou Copaivabalsam in der Kassenpraxis häufig 
Exantheme auftreten, wahrscheinlich infolge Minderwertigkeit des Prä¬ 
parats. Wolfsohn. 

Siehe auch Allgemeine Pathologie und pathologische 
Anatomie: Steiner, Histopathische Befunde am Centralnervensystem 
syphilitischer Kaninchen. 


Geburtshilfe und Gynäkologie. 

S. W. Malz-Reicbenberg: Ueber eine seltenere Art des Zustande¬ 
kommens von Uternsverletznngen. (Centralbl. f. Gynäkol, 1913, 
Nr. 17.) Verf. hat eine mit einem Dilatationsinstrument gemachte Per¬ 
foration der vorderen Uteruswand gesehen. Ein gewiss wegen seiner 
Seltenheit interessantes Ereignis, da naturgemäss solchen Verletzungen 
in erster Reihe die hintere Wand ausgesetzt ist. Er führt derartige 
Verletzungen auf die Rigidität des Os internum zurück. Laparotomie, 
Heilung. 

W. Li epmann - Berlin: Retentio placentae nid PituglandoL 
(Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 17.) In einem Fall, wo zwei Ex¬ 
pressionsversuche vergeblich waren, traten nach 1 ccm Pituglandol (La 
Roche) so kräftige Wehen ein, dass die Placenta naoh 5 Minuten 


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9. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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spontan geboren wurde. Yerf. benutzt diese Gelegenheit, das Pituglandol 
aufs neue zu empfehlen und glaubt, dass viele Zangen dadurch zu ver¬ 
meiden sein werden. Siefart. 

A. Schlossberger-Ujvidök: Zwei Fälle von Eklampsie geheilt 
mit Hypophysenextrakt. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 22.) 

Wolfsohn. 

Pobedinsky-Moskau: Erfolge des Kaiserschnittes in Russland in 
den letzten 25 Jahren. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 17.) In der ersten 
Periode (1886—1890) starben von 42 Patientinnen 11 nach klassischem 
Kaiserschnitt = 40 pCt., 6 nach der Porrooperation = 48 pCt. In der 
zweiten Periode (1891—1900) ist die Sterblichkeit auf 6pCt. gesunken 
und beträgt 1991—1912 3,2 pCt. Yerf. bekennt sich als Anhänger des 
klassischen Kaiserschnitts. 

Nädory-Budapest: Einfache chirurgische Versorgung des Nabel- 
schnurrestes. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 17.) Die Nabelschnur wird 
mit Catgut Nr. 3 oder Seide Nr. 5—6 oder Silk einfach an der Grenze 
zwischen Haut und Warthon’scher Sülze unterbunden und V 2 cm vor 
dem Faden mit der Schere abgeschnitten. Sodann ist die Wundfläche 
mit Tinct. jodi energisch zu bepinseln, und dies in den ersten Tagen 
nach jedem Bad zu wiederholen. In 3—5 Tagen ist der Stumpf ver¬ 
trocknet. Nachteile treten dabei niemals auf. Die Methode ist so 
einfach, da sich der Stumpf sofort retrahiert, auch so gefahrlos, dass 
man ihre Anwendung getrost der Hebamme überlassen kann. 

Siefart. 

v. Dusschenbroek: Der Einfluss von Schwangerschaft and 
Wochenbett auf die Tnberknlosesterblichkeit der weiblichen Be¬ 
völkerung. (Ned. Tijdschr. v. Geneesk., 1913, Bd. 1, Nr. 13.) Verf. 
kann sich nicht einigen mit der AuffassuDg der heutigen Gynäkologo- 
Chirurgen, dass Tuberkulose einer Schwangeren eine Indikation zum 
künstlichen Abort sein soll. Seiner Meinung nach stützen diese Chirurgen 
sich auf eine irrige Verwertung von Statistiken. Yerf. sendet daher 
Fragebogen an die niederländischen Aerzte mit der Bitte, ihre Erfahrungen 
auf diesem Gebiete mitteilen zu wollen. v. Suchtelen. 

A. Gisel-Zürich: Die Styptica mit besonderer Berücksichtigung 
des Erystypticnm „Roehe“. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 22.) 
Besondere Empfehlung des Erystypticums. 

A. Pin küss-Berlin: Die Mesothorinmbehandlnng bei hämorrha¬ 
gische« Metropathien and Myomen. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 22). Vortrag, gehalten auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft 
für Gynäkologie in Halle am 16. Mai 1913. Wolfsohn. 

Kaiser: Ein Fall von hartnäckiger Metrorrhagie. (Ned. Tijdschr* 
v. Geneesk., 1913, Bd. 1, Nr. 10.) Ein 15 jähriges Mädchen menstruierte 
sehr stark. Auskratzen und Aetzen des Uterus half nicht. Jetzt kam 
Yerf. auf den Gedanken, eine konstitutionelle Blutung könnte vorliegen. 
Er injizierte 70 ccm Pferdeserura, wonach die Blutung sofort aufhörte. 
Nachdem hat das Mädchen regelmässig menstruiert, v. Suchtelen. 

Th. v. Wenczel-Budapest: Thrombosen and Embolien nach gynä¬ 
kologischen Operationen, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 84, 
H. 1.) Als ätiologische Faktoren, die im Verein oder jeder für sich 
Thrombose verursachen können, kommen in Betracht die Störung in der 
Blutciroulation, die Trägheit derselben, die krankhaften Veränderungen 
und Verletzungen der Blutgefässwände und die vom Normalen ab¬ 
weichende abnormale, zur Stauung veranlagte Blutzusammensetzung. 
Die Infektion ist nicht unbedingt zum Zustandekommen der Thrombose 
nötig. Prophylaktisch muss vor jeder Operation, besonders Laparotomie, 
die Qualität des Blutes verbessert, die Leistungsfähigkeit des Herzens 
gesteigert und die Widerstandsfähigkeit des Körpers auf jede Weise er¬ 
höht werden. W. V. Simon. 

Wijn: Organtherapie bei Menstruationsstörungen and Uterns- 
flbromyomen. (Ned. Tijdschr. v. Geneesk., 1913, Bd. 1, Nr. 12.) Verf. 
sah sehr Günstiges von der Behandlung mit Mammaesiccat Merck bei 
obengenannten Erkrankungen. In derselben Zeitschrift warnt v. d. Hoe ven 
vor zu langer interner Behandlung, zumal bei Myomen in Hinsicht auf 
die maligne Entartung derselben. Ueberdies hat v. d. Hoe ven sich 
nicht von der guten Wirkung des Mammins überzeugen können. 

v. Suchtelen. 

Siehe auch Parasitenkunde und Serologie: Zangemeister, 
III. Mitteilung über v. Behring’s neues Diphtherieheilmittel. 


Augenheilkunde. 

E. Bock-Laibach: Ueber Behandlung scrofolöser and tuberkulöser 
Angenerkranknngen mit Immunkörper (J. K.) Dr. Karl Spengler. 

(Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 19 u. 20.) Verf. zeigt an der Hand 
von 53 mit dem J. K. Dr. Karl Spengler behandelten Patienten, dass 
wohl schöne Erfolge damit erzielt werden können. Das Mittel wirkt 
zwar nicht unbedingt sicher. Da aber doch in 10 Fällen glänzende 
Erfolge erzielt worden sind, so empfiehlt er J. K.-Einreibungen als eine 
wertvolle Bereicherung in der Behandlung scrofulöser und tuberkulöser 
Augenerkrankungen. G. Eisner. 

Tange: Traumatische Myopie. (Ned. Tijdschr. v. Geneesk., 1913, 
Bd. 1, Nr. 18.) Ein vorher emmetroper Matrose wurde bei einer Explosion 
an Bord eines Kriegsschiffes ins Antlitz getroffen. Kurz nachher wurde 
siraskopisch E + 6 gefunden. Mit Atropinbehandlung verschwand diese 
Akkommodationsmyopie, um sofort bei Aussetzen dieser Therapie wieder 


aufzutreten. Auffallend war bei dieser ziemlich starken Akkommodation 
das Fehlen von Miosis. 

v. d. Hoeve: Entfernung eines Knpfcrsplitters aus dem Glaskörper 
nach Ortsbestimmung mit Wessely’s Knnstangen. (Ned. Tijdschr. 
v. Geneesk., 1913, Bd. 1, Nr. 12.) Verf. berichtet über einen Fall von 
Kupfersplitter im Glaskörper. Nachdem er mit Hilfe eines Wessely- 
schen Kunstauges den Ort, an dem der Splitter sich im Auge befand, 
bestimmt hatte, konnte er nach Abpräparieren eines Bindehautlappens 
und nach Inzision der Sclera den Fremdkörper fassen und herausziehen. 
Das Auge blieb erhalten mit einer Sehschärfe von */eo' 

Rochat: Erkranknng der sekundären Angenblase als Ursache 
angeborener Angenmissbildnng. (Ned. Tijdschr. v. Geneesk., 1913, 
Bd. 1, Nr. 10.) Verf. untersuchte ein Auge, in dem er erstens eine 
Membran zwischen Linse und Augenrand fand; zweitens beobachtete er 
eine persistierende Arteria hyaloidea, welche mittels einer Bindegewebs- 
masse mit der obengenannten Membran zusammenhing, und drittens 
befand sich an der Eintrittsstelle des Sehnervens ein Oolobom. Die erst¬ 
erwähnte Membran datiert aus der Zeit, als Linse und Augenrand noch 
verwachsen waren, also vor dem Entstehen des circumlentalen Raumes. 
Die Persistenz dieser Membran schreibt Verf. einer fötalen Erkrankung 
zu. Das Vorkommen der Arteria hyaloidea kann in diesem Fall nicht 
die Bedeutung haben, die man ihr sonst beilegt, denn es fehlen hier 
Uvealcolobome. Verf. meint, dass, wo sonst wegen aufhörenden venösen 
Abflusses bei der Entstehung des circumlentalen Raumes das Veröden 
der Arteria hyaloidea herbeigeführt wird, in diesem Fall mit der Per¬ 
sistenz der Linsenaugenrandverbindung auch der venöse Abfluss und 
somit das Bestehen der Arterie gesichert war. Wo hier jedes Zeichen 
einer Entzündung fehlt und das Colobom im Hintergrund des Auges 
für eine fötale Erkrankung spricht, meint Verf. auch die erste Ab¬ 
weichung dieser Erkrankung zuschreiben 1 zu müssen. 

v. Suchtelen. 


Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 

E. Pollatschek - Budapest: Kehlkopfoperationen auf direktem 
Wege. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 84, H. 1.) Verf. hebt 
den grossen Wert der von Killian angegebenen Sohwebelaryngoskopie, 
auf deren Technik er näher eingeht, für Operationen am Kehlkopf hervor. 

J. Safranek - Budapest: Ueber primäre bösartige Geschwülste der 
Nasenhöhle und der Nasennebenhöhlen, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 
1913, Bd. 84, H. 1.) Alle angegebenen Heilverfahren können den Wert 
der chirurgischen Behandlung nicht schmälern, vielmehr sind jene nur 
für inoperable Fälle und Recidive vorzubehalten, während man alle 
bösartigen Geschwülste der Nasenhöhle und der Nebenhöhlen operativ 
angreifen muss, wenn sie noch nicht in die Sobädelhöhle durchgebroohen 
sind, noch keine Metastasen gemacht haben, und wenn es der Allgemein¬ 
zustand erlaubt. Alles kommt daher auf möglichst frühzeitige Diagnose 
an, bei der die rhinologischen Methoden eine wichtige Rolle spielen, 
und die Verf. eingehend bespricht. Da man mit den intranasalen 
Methoden meist den Tumor nicht radikal wird entfernen können, kommen 
hauptsächlich die extranasalen Verfahren in Betracht. Mitteilung von 
9 Fällen. 

K. v. Läng-Budapest: Ueber abscedierende Stirnhöhleneiterungen, 
(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 84, H. 1.) Bearbeitung des 
Materials der Röczey’schen Klinik. Symptome, Diagnose und Therapie 
werden eingehend besprochen. 

K. Udvarhelyi - Budapest: Die Genese, Symptomatologie und 
operative Behandlung der durch Mittelohreiternng entstandenen Gehirn- 
abscesse. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 84, H. 1.) Zu¬ 
sammenfassende Arbeit, die nichts wesentlich Neues bringt. 

W. V. Simon. 

Siehe auch Kinderheilkunde: Gomperz, Trommelfellücken im 
Kindesalter. 


Hygiene und Sanitätswesen. 

E. G. Dresel - Heidelberg: Beitrag zur Statistik der Tnberkulose- 
sterblicbkeit in Baden. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 22.) 
Im Gegensatz zu Preussen hat sich in Baden ein Abfall der Säuglings¬ 
sterblichkeit an Tuberkulose auf die Hälfte statistisch ermitteln lassen. 

Wolfsohn. 

E. Finger-Wien: Die Syphilis als Staatsgefahr und die Frage 
der Staatskontrolle. III. (Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 20.) 
Weitere Vorschläge zur Prophylaxe der Syphilis. Verf. fordert: Verbot 
der Behandlung von Geschlechtskranken durch Kurpfusoher, Verbot der 
Ankündigung brieflicher Behandlung und des Angebotes von Medika¬ 
menten zur Selbstbehandlung; beschränktes ärztliches Anzeigerecht an 
die Sanitätsbehörde, Ausdehnung der Berufsgeheimnisverpflichtung auf 
alle Stellen, welche beruflich mit Kranken zu tun haben. 

G. Eisner. 

de Wilde: Forschung nach der Erblichkeit nnd Blutsverwandt¬ 
schaft bei Taubstummen in den Niederlanden. (Ned. Tijdschr. v. 
Geneesk., 1913, Bd. 1, Nr. 19.) Verf. fand in den Niederlanden die 
niedrigste Zahl Taubstummer, und zwar 39 auf 100 000 Einwohner. Die 
semitische Rasse war fünfmal mehr als die arische befallen. Die Taub- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 23. 


stummen stammen meist aus grossen Familien. Die einfache Taub¬ 
stummheit überwiegt, bei den Juden aber die mehrfache. Die Erblich¬ 
keit ist nachgewiesen, und zwar nimmt sie zu, wenn beide Eltern 
taubstumm sind. Bei den Juden ist die Erblichkeit dreimal grösser als 
bei den Protestanten. Bei den Katholischen fehlt sie. Die Ehen von 
Taubstummen sind oft kinderlos. Taubstumme Katholische heiraten 
selten, Protestanten zweimal mehr und Juden viermal mehr. Die Gefahr 
eines taubstummen Kindes ist in einer Verwandtschaftsehe zweimal 
grösser als in einer gewöhnlichen. Bei Juden und Protestanten werden 
aus Verwandtschaftsehen weniger Kinder mit mehr Taubstummen ge¬ 
boren, während bei Katholischen das Umgekehrte der Fall ist. 

v. Suchtelen. 


Unfallheilkunde und Versicherungswesen, 

Böttrich-Hagen i. W.: Wie können im Betriebe von Akkumulatoren¬ 
fabriken Bleivergiftungen entstehen? (Therapeut. Monatsh., Mai 1913.) 
Verf. bespricht die verschiedenen Möglichkeiten der Bleiaufnahme in den 
Körper und ihre Verhütungen. Der Aufnahme durch die Haut kommt 
eine grössere Bedeutung zu, als man gewöhnlich glaubt. Im übrigen 
warnt Verf. davor, jede Erkrankung der Arbeitstätigkeit zur Last zu 
legen. Es werden häufig Bleikoliken diagnostiziert, wo es sich bei 
gründlicherem Nachsehen um chronische Blinddarm- oder Gallenblasen¬ 
erkrankung handelt. H. Knopf. 

Siehe auch Psychiatrie und Nervenkrankheiten: Mendel, 
Selbstmord bei Unfallverletzten. Lampe, Arteriosklerose, Spätparalyse 
und Unfall. 


Technik. 

B. Thieme-Berlin: Quarzlampe für medizinische Zwecke. (Deutsche 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 22.) Kombination der Höhensonnenquarz¬ 
lampe und der Kromayer-Lampe. 

G. Spiess - Frankfurt a. M.: Neuer mehrteiliger Instrumenten¬ 
sterilisator, automatisch genügende Sterilisation garantierend. (Deutsche 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 22.) Wolfsohn. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 28. Mai 1913. 

Vorsitzender: Herr Landau. 

Schriftführer: Herr v. Hansemann. 

Vorsitzender: Wir haben einen schmerzlichen Verlust erlitten. 
Herr Geheimer Sanitätsrat Dr. Adolf Neisser, seit 1897 Mitglied 
unserer Gesellschaft, ist in voriger Woche gestorben. Ausser in medi¬ 
zinischen Kreisen hat er sich auch in der Anthropologischen Gesellschaft 
vielfach betätigt. Seiner wird von vielen Seiten in ehrender Weise ge¬ 
dacht werden. Ich bitte Sie, sich zu Ehren seines Andenkens von Ihren 
Sitzen zu erheben. 

Als Gäste begrüsse ich die Herren DDr. Ti mm er mann-Hannover 
und Szilard-Paris. 

Für die Bibliothek sind eingegangen: Von Herrn Man- 
kiewicz: Glinica chirurgica, 1912. Archives gönörales de Chirurgie, 
1912. — Von Herrn Prof. Neumann: Jahrbuch der Heil-, Pflege- und 
Kuranstalten. Berlin 1913. — Von Herrn S. Gottschalk: Gesundheits¬ 
pflege für Frauen und Mütter. Stuttgart 1913. — Von Herrn J. Fessler: 
Die Chirurgie unserer Zeit. Leipzig 1912. — Von Herrn E. Roth: Der 
Thüringer Wald und seine Heilfaktoren. S.-A. — Von Herrn Fürsten- 
berg: Mehrere Sonder-Abdrücke und französische Thesen. — Vom Verlag 
S. Karger: Verhandlungen des II. internationalen Kongresses für Ge¬ 
burtshilfe und Gynäkologie. Berlin 1912. — Aus dem Nachlass des 
Herrn M. Marcus: 76 Bücher und eine Dissertation. 

Vor der Tagesordnung. 

Hr. Hugo Stettiner: Vor wenigen Tagen wurde von Herrn Sanitätsrat 
Less ein Kind in das Weissenseer Säuglingskrankenhaus zur Operation 
geschickt, das ich Ihnen vor der Operation zeigen will, weil es eine 
nicht gerade allzu häufige Missbildnng aufweist. Das Kind, das jetzt 
ein Vierteljahr alt ist, ist gut entwickelt und stammt aus einer gesunden 
Familie. Es ist das zwölfte Kind. Die elf Geschwister sind wohl und 
gesund. Es ist den Eltern nicht bekannt, dass irgendwelche Miss¬ 
bildungen in der Familie vorgekommen sind. Auch dieses Kind, welches 
von der Mutter selbst ernährt wird und bei seiner Aufnahme ein Körper¬ 
gewicht von 4600 g, also ein ganz anständiges Körpergewicht, aufwies, 
schien vollkommen normal zu sein. Als es 8 Wochen alt war, bekam 
es eine Stuhlverstopfung. Die Mutter wollte dem Kinde ein Klystier 
verabreichen und entdeckte bei dieser Gelegenheit erst, dass es keinen 
Anus hatte. Bei der näheren Untersuchung zeigte sich nun, dass die 
Mastdarmmündung in der Vagina sass. 

Um Ihnen die Verhältnisse zu veranschaulichen, habe ich nach einer 
Röntgenaufnahme eine Zeichnung machen lassen. Ich markierte die 
Stelle, wo die Anusöffnung sitzen sollte, welche nicht wie meist eine 
Delle, sondern eine faltige Vorwölbung darbietet, durch etwas Staniol- 


papier und führte in die Vagina, in der kein Hymen zu sehen ist, 
einen weiblichen Katheter und ebenso in die Mastdarmöffnung, welche 
unmittelbar hinter dem Introitus vaginae an der hinteren Wand der 
Vagina sitzt, einen Seidenkatheter, den ich mit einem Metalldrain be¬ 
waffnete, ein. Bei der Röntgendurchleuchtung zeigte sich nun, dass ein 
verhältnismässig nicht grosser Fistelgang von der Vagina zum Rectum 
führt. Es scheint sich danach um eine Atresia ani cum fistula vesti¬ 
bulär! zu handeln, d. h. um eine äussere Fistelbildung. Dies ist einmal 
entwicklungsgeschichtlich interessant. Die inneren Fistelbildungen sind 
auf entodermale Kloakenbildungen zurückzuführen, auf Hemmungs¬ 
bildungen aus der frühesten Zeit der Entwicklung, während über die 
äusseren Fistelbildungen die Ansichten noch geteilt sind, worauf ich hier 
nicht näher eingehen will. 

Was nun die Operation betrifft, so muss man bestrebt sein, den 
Mastdarm von der Scheide loszulösen und an die natürliche Stelle zu 
verlagern. Es kommt darauf an, den Spbincter dabei nicht zu durch¬ 
trennen. Man wird also die Fistel äusserlich umschneiden, einen Haut¬ 
schnitt in der Mittellinie von dem Ende der Vagina bis in die Nähe 
des Steissbeins machen, darf dabei aber nicht zu sehr in die Tiefe 
gehen, um den Spbincter nicht zu verletzen. Der Mastdarm wird vorn 
von der Vagina scharf, hinten möglichst stumpf freigemacht und mobi¬ 
lisiert und dann durch einen stumpf hergestellten Gang nach dem Vor¬ 
gehen von Niessner durcbgezogen. Hierauf wird die Schleimhaut an 
der Haut angenäht und der übrige Teil der Wunde wie bei der Damm¬ 
plastik verschlossen. Die äusseren Fistelbildungen bieten auch insofern 
eine bessere Prognose, als hier der Sphincter vorgebildet zu sein pflegt, 
während er bei den inneren oft ganz fehlen kann. So ist zu hoffen, 
dass man auch in diesem Falle eine sanatio paene completa erreichen wird. 

Tagesordnung. 

1. Diskussion über den Vortrag des Herrn E. Bomm: Ueber die 
Erfolge der Röntgen- und Mesothorinmbestrahlung bei Careinom der 
weibliehen Genitalien. 

Hr. Levy-Dorn: Die Carcinome der weiblichen Genitalien, welche 
ich zu behandeln bekam, waren in der Mehrzahl inoperabel. Die wenigen 
Ausnahmen betrafen die Brustorgane. Zwei Fälle von Paget’s Disease 
wurden mir frühzeitig überwiesen. Bei ihnen habe ich mit der Röntgen¬ 
bestrahlung einen recht guten Erfolg erzielt. Bei einer alten Dame, die 
sich weigerte, sich operieren zu lassen, und die ein ziemlich starkes 
Mammacarcinom hatte, erreichte ich doch, dass, solange die Dame noch 
lebte — zwei Jahre; sie starb an einer intercurrenten Krankheit —, das 
Leiden wenigstens nicht zunahm. Eine jüngere Dame dagegen erfuhr in 
einer ähnlichen Lage keine wesentliche Besserung. Was ich bei in¬ 
operablen Carcinomen gesehen habe, entspricht den bekannten Er¬ 
fahrungen. Kleine Knoten schwanden, aber durchaus nicht immer. 
Einzelne waren hartnäckig, obwohl sie ganz günstig zu liegen schienen. 
Bisweilen gingen auch die Drüsen fort. Die Ulcera überhäuteten 
sich. Ein wesentlicher Einfluss, quoad sanationem, wurde aber nicht 
erzielt. Nach den prophylaktischen Bestrahlungen post operationem ist 
bisher meist das Recidiv fortgeblieben. Doch reicht die Beobachtungs¬ 
zeit für ein endgültiges Urteil nicht aus. Die Fälle von Unterleibs- 
carcinomen, die ich bestrahlte, waren sämtlich so weit vorgeschritten, 
dass man sie vom Leib aus fühlen konnte, und offenbar inoperabel. 

Trotzdem muss ich über eine Patientin kurz berichten, die wenigstens 
vorübergehend wunderbar auf die Bestrahlung reagierte. Es handelte 
sich um einen höckrigen Tumor, der das ganze Becken erfüllte und von 
sämmtlichen Spezialisten für inoperabel erklärt wurde. Nach einer Be¬ 
strahlungsserie schwand dieser Tumor fast vollständig, die beginnende 
Kachexie hörte auf, und die Patientin blühte auf. Nach 3 / 4 Jahren kam 
aber das Recidiv und konnte nun nicht mehr durch die Bestrahlung be¬ 
einflusst werden. (Hr. Landau: Womit bestrahlen Sie?) Ich habe nur 
mit Röntgen behandelt, nicht mit Radium. Die Methode, die ich an¬ 
wandte, ist im wesentlichen dieselbe, die ich als erster im Jahre 1904 
an dieser Stelle auseinandergesetzt habe. Damals empfahl ich bereits 
die Felderbestrahlung, welche ich allerdings Radiärbestrahlung nannte. 
Massendosen, wie sie neuerdinds mit Rücksicht auf die Erfahrung bei 
der Myomtherapie angewandt werden, habe ich nur in der letzten Zeit 
gebraucht. 

Eine für die Praktiker äusserst wichtige Frage ist beim jetzigen 
Stande unserer Erfahrungen: Kann ihm ein Vorwurf gemacht werden, 
wenn er die Radiotherapie in einem Fall von Careinom verabsäumt? 
Kann auch dem Radiotherapeuten ein Vorwurf gemacht werden, wenn er 
vielleicht die Massendosierung, die von einzelnen empfohlen wird, nicht 
anwendet? Zu diesen praktisch bedeutsamen Fragen möchte ich noch 
einige Worte sprechen. 

Ein richtiges Urteil über den Wert einer Methode bekommen wir 
nicht, wenn wir nur von den Erfolgen sprechen, sondern wir müssen 
auch die Schäden berücksichtigen und Licht und Schatten gleichmässig 
verteilen. Nun weiss ja jeder, dass die Röntgenstrahlen wie die Radium¬ 
strahlen schädlich wirken können. Wenn wir aber — gleich günstige 
Resultate vorausgesetzt — vor die Frage gestellt werden, ob wir die 
Radiotherapie anwenden sollen oder eine Operation, so wird fast jeder 
sagen, dass die Radiotherapie den Vorzug verdient. Ich kann nun dieser 
Ansicht nicht unbedingt zustimmen. Bei den Massendosierungen, durch 
die die Gefahr der Verbrennung sicher ganz wesentlich erhöht wird, muss 
man doch bedenken, dass die schwere Verbrennung, wie ich sie als Gut¬ 
achter leider nicht selten zu sehen bekomme, eine so grosse Quälerei 
für den Patienten herbeiführt, die so lange anhält und zum Teil die 


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9. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1088 


Kranken für ihr ganzes Leben zerrüttet, dass eine leichte Operation sicher 
als ein kleinerer Eingriff erscheint. Ich glaube, dass viele in der Höhe 
der Dosis zu weit gehen. 

Ausserdem ist es gar nicht einmal sichergestellt, ob die Radiotherapie 
selbst bei dieser Massenanwendung — ich spreche jetzt nicht allein von 
Röntgen, sondern auch vom Radium — imstande ist, auoh nur denselben 
Segen hervorzurufen wie die Operation. 

Bei diesem Stande der Dinge würde ich es nicht für richtig halten, 
wenn man eine Operation zugunsten der Radiotherapie verabsäumt. Wir 
müssen dem Herrn Vortragenden dankbar sein, dass er denselben 
rationellen Standpunkt hier betont bat. 

Die radiotherapeutisohen Massendosen haben ja, wie es mir scheint, 
bessero Erfolge gezeitigt als die kleineren Dosen. Aber Sie haben ja 
selbst schon gesehen, dass auch bei ganz geringen Dosierungen — Herr 
Ahrens hat uns hier einzelne solcher Fälle vorgefübrt — vorläufige 
Heilungen, die zwei Jahre und noch länger anhalten, erzielt wurden. 
Wir sind eben aus dem Experimentierstadium nicht heraus. Es kann 
daher keinem ein Vorwurf gemacht werden, wenn er die radiotherapeu¬ 
tische Anwendung bei dem Carcinom vernachlässigt. Beim jetzigen 
Stande der Dinge ist aber zu empfehlen, unter allen Bedingungen 
wenigstens die nicht übertriebene Bestrahlung anzuwenden und es dem 
Therapeuten zu überlassen, ob er es wagen will, Massendosierungen zu 
verabfolgen. Dieser tut es immer auf eigenes Risiko und Gefahr; er 
macht ein Experiment. 

Hr. H. E. Schmidt: Seitdem die Gynäkologen sich der Röntgen¬ 
therapie bemächtigt haben, haben wir es des öfteren erlebt, dass Dinge, 
die den Fachröntgenologen seit Jahren bekannt und geläufig sind, wieder 
neu ausgegraben werden. So ist es mit den Aluminiumfiltern gegangen, 
so mit der Felderbestrahlung, dem sogenannten „Kreuzfeuer“, und so 
geht es jetzt auch wieder mit dem Portiocarcinom, Denn ganz ähnliche 
Erfolge, wie sie Herr Geheimrat Bumm hier berichtet hat, sind schon 
vor 10 und 11 Jahren von amerikanischen und französischen Autoren 
mitgeteilt worden. Auch diese konnten mit Röntgenstrahlen ohne 
Filtration und mit sehr viel kleineren Dosen eine weitgehende 
Rückbildung der Portiocarcinome erzielen und in einigen Fällen sogar eine 
anscheinende Heilung. Das wesentlich Neue, was die Gynäkologen in 
die Röntgentherapie eingeführt haben, ist die immense Steigerung der 
Dosen; und gerade diese Steigerung der Dosen scheint mir, wie das ja 
auch von meinem Vorredner betont worden ist, aus verschiedenen 
Gründen nioht unbedenklich. An der Haut haben wir schon nach der 
Applikation grösserer Mengen harter filtrierter Strahlen Spätschädigungen 
auftreten sehen, ohne dass Erytheme vorher beobachtet worden sind; es 
sind ülcerationen viele Monate bis Vj 2 Jahre nach Abschluss der 
Röntgenbehandlung aufgetreten. Ueber die Spätsohädigungen an inneren 
Organen wissen wir noch nichts Sicheres. Ich möchte hier aber doch 
einen von Händly publizierten Fall erwähnen, in welchem bei einer 
Patientin, die wegen Myoms bestrahlt worden war, l f A Jahr später un¬ 
stillbare Diarrhöen aufgetreten sind. Der Darm, besonders die Follikel 
des Darmes sind, wie wir aus den Tierexperimenten wissen, sehr radio¬ 
sensibel. Ganz abgesehen von diesen Spätschädigungen sind bei diesen 
Massendosen Frühscbädigungen zu fürchten. Es könnte — und das ist in 
einigen Fällen wirklich passiert, wie Herr Geheimrat Bumm selbst zu¬ 
gegeben hat — ein sehr rapider Verfall des Tumors herbeigeführt 
werden. Dieser Zerfall kann die Metastasierung begünstigen. Er kann 
zu Arrosionsblutungen führen und zu Perforationen in benachbarte 
Körperhöhlen. Unter diesen Umständen ist doch einmal die Frage zu 
erörtern, ob man wirklich mit grossen Dosen wesentlich weiter kommt 
als mit der bisher üblichen Bestrahlung mit kleineren Röntgenstrahlen¬ 
mengen. Gewiss soll man bösartige Tumoren nicht mit Reizdosen be¬ 
handeln. Das wäre natürlich verkehrt. Aber zwischen kräftiger 
Bestrahlung und diesen Massendosen ist doch noch ein eminenter Unter¬ 
schied. Ich will hier nur einen Fall von Har et aus dem Jahre 1904 
erwähnen. Es bandelte sich um ein ulceriertes Portiocarcinom, das 
schon auf die Scheide übergegriffen hatte, und dessen Operation von 
den Gynäkologen abgelehnt worden war. Es wurden wöchentlich 4 H 
nach Holzknecht, also 8 X nach Kienböck, appliziert, und schon 
nach 6 Wochen war eine völlige Vernarbung der Ülcerationen und ein 
Schwund der Induration der Vagina festzustellen. Der Fall wird von 
Har et als geheilt bezeichnet. 

In diesem Falle sind also im ganzen noch nicht 50 X gegeben 
worden, und die Gynäkologen geben heute 500, 5000, 10 000 X; und 
was erreichen sie mehr? In den Fällen, die bisher untersucht worden 
sind, haben wir in der Tiefe immer noch Carcinom. 

Ich möchte auch auf einen neueren Fall eingehen, der von Czerny 
und Werner beobachtet und beschrieben worden ist. Das ist der 
bekannte Fall von Magencarcinom. Es handelt sich auch hier um einen 
anz desolaten Fall. Es war ein Recidiv, ein kindskopfgrosser Tumor, 
er in die Laparotomiewunde eingenäht und einer Röntgenbehandlung 
unterzogen wurde. Innerhalb von 5 Monaten erhielt dieser Tumor im 
ganzen noch keine 100 H, also noch keine 200 X, trotzdem eine völlige 
Rückbildung des Tumors und eine anscheinende Heilung seit ungefähr 
20 Monaten; es scheint also, dass wir mit den grossen Massendosen nicht 
viel mehr erreichen. Da ist es doch wohl empfehlenswerter, zunächst 
wenigstens zu versuchen, mit kleineren Dosen auszukommen. 

Ist eine gewisse Radiosensibilität, deren Ursachen uns noch manches 
Rätsel aufgeben, vorhanden, so wird man mit mittleren Dosen wohl das 
Gleiche erreichen wie mit Massendosen. Auch bei letzteren ist an¬ 


scheinend die Tiefenwirkung meist nicht ausreichend, so dass auf jeden 
Fall die Kombination der direkten lokalen Bestrahlung mit der indirekten 
(von aussen durch die Haut) in der bekannten Form des „Kreuzfeuers“ 
zu fordern ist. Nur auf diese Weise wäre es denkbar, auoh etwa vor¬ 
handene Drüsenmetastasen zu beeinflussen. 

Ich möchte nun noch auf einen Punkt eingehen: das ist die an¬ 
geblich so grosse Toleranz der Vaginalschleimhaut gegen Röntgen¬ 
bestrahlung. Bisher haben wir über die Radiosensibilität der Vagina 
nicht viel gewusst. Das ist ja auch sehr erklärlich; denn die intakte 
Vagina ist ja nicht dazu da, dass man sie mit Röntgenstrahlen bombardiert. 
(Grosse Heiterkeit.) Erst 1911 haben wir zum erstenmal erfahren, dass auch 
in der Vagina Erytheme beobachtet worden sind. Es ist eine Dissertation 
von Rominger zu erwähnen, welcher bei Myombestrahlungen dreimal 
Vaginalerytheme gesehen hat, und zwar nach Dosen, die sehr viel kleiner 
waren als die, welche Herr Geheimrat Bumm gegeben hat. Diese 
Vaginalerytheme — die drei einzigen, die überhaupt in der Literatur 
existieren — zeichneten sioh durch eine sehr lange Latenzzeit (6 bis 
8 Wochen) aus und durch einen besonders heftigen Verlauf. 

Soweit ich Herrn Geheimrat Bumm verstanden habe, hat er auoh 
nie die Vaginalschleimhaut bestrahlt, sondern immer den Tumor selbst. 
Diese Verbrennungsdosen sind also nicht auf die intakte Sohleimhaut 
appliziert worden, sondern durch ein Speculum auf das Tumorgewebe 
selbst. Da ist natürlich die Schleimhaut durch das Speculum geschützt 
gewesen. Wenn die Sachen so liegen, kann man aber nicht sagen, dass 
die Schleimhaut der Vagina eine besondere Toleranz gegen Röntgen¬ 
strahlen besitzt. Das würde jedenfalls mit den Erfahrungen, die wir an 
anderen Schleimhäuten, an der Mundschleimhaut, Zungensohleimhaut usw., 
gemacht haben, in direktem Widerspruch stehen und auoh mit den Mit¬ 
teilungen Rominger’s. 

Die Diskussionsbemerkungen des Herrn Paul Lazarus erscheinen 
unter den Originalien dieser Wochenschrift. 

Hr. Rotter: Bei all den Einwirkungen und Erfolgen, über die bis¬ 
her berichtet worden ist, ist als Applikationsmethode die Bestrahlung 
benutzt worden. Ich möchte Ihnen eine Beobachtung mitteilen, die auf 
eine andere Weise eine deutliche, frappante Einwirkung auf ein Carcinom 
ausgeübt hat, und zwar in Form der intravenösen Injektion von Meso¬ 
thoriumflüssigkeit von 1V*—2 Millionen Einheiten, mehrfach durch Herrn 
Prof. Bickel ausgeführt. Es handelt sich um ein Carcinoma des Colon 
pelvinum, welches inoperabel in meine Behandlung kam. Es war nichts 
weiter zu machen, als einen Anus iliacus an der vorderen Bauchwand 
anzulegen. Nachdem dieser Fall 9 f 4 Jahre von Herrn Kollegen Bickel 
behandelt worden war, untersuchte ich ihn gelegentlich wieder und fand 
nun, dass das zerklüftete Carcinomgeschwür verschwunden und an seine 
Stelle eine harte, derbe, ringförmige Narbe mit ganz glatter Oberfläche 
getreten war. Unter diesen Verhältnissen kann man jetzt mittels Pal¬ 
pation an dieser Stelle nicht mehr die Diagnose auf Caroinom stellen. 
Das Mastdarmrohr — vom Anus aus untersucht — stellt ein starres 
enges Rohr dar mit ganz glatter derber Oberfläche. Und nun kommt 
das „Aber“. Am Anus naturalis haben sich unter meiner Beobachtung 
in den letzten 2—8 Monaten ringsherum Carcinomknoten gebildet, die 
zuletzt zerfallen sind, und am Anus praeternaturalis iliacus in der 
Bauchwand, wo der Darm eingenäht ist, findet man ebenfalls rings¬ 
herum harte Knoten, welche bis an die Cutis durcbgewachsen sind, wäh¬ 
rend die Schleimhaut unverändert ist. Es ist also an der Stelle des 
ursprünglichen typischen Carcinomkraters eine ganz merkwürdige Ver¬ 
änderung aufgetreten, welche ganz ähnlich deijenigen ist, die mittels 
Mesothoriumbestrahlung bei exulcerierten Uteruscarcinomen erzielt wor¬ 
den ist. 

Die eigenartige Einwirkung sollte uns auffordern, mit dieser Methode, 
welche bisher noch wenig angewandt und ausgebildet worden ist, weitere 
Versuche zu machen, besonders bei Carcinomen der inneren Organe, auf 
welche die Bestrahlung nicht angewendet werden kann. 

Hr. Bickel: Eine kurze Bemerkung zu den Ausführungen von 
Herrn Rotter über den von mir behandelten Patienten. Vielleicht 
lagen in diesem Falle die Verhältnisse für eine Wirkung des Thorium X 
ganz besonders günstig. Bekanntlich wird nach der intravenösen In¬ 
jektion des Thorium X die Substanz wieder in den Darm ausgeschieden. 
Auch wenn wir Thorium X trinken lassen, so wird auch das Thorium X, 
nachdem es ins Blut aufgenommen ist, wieder, zum Teil wenigstens, in 
den Darm eliminiert. Nun findet unter natürlichen Verhältnissen eine 
fortwährende Reiuigung des Darmes von diesem in ihn ausgesohiedenen 
Thorium X statt durch den Kot, der das Darmrohr passiert. Es finden 
sich somit immer grössere Mengen von Thorium X auch im Stuhl. Hier 
war das erkrankte Darmstück ausgeschaltet, und es fand nicht die 
dauernde Durchspülung des Darmes statt. So ist es wohl möglich, dass 
hier das Thorium X längere Zeit in dem ausgeschalteten Darmstück 
liegen und so Strahlenwirkungen entfalten und möglicherweise auch 
kurative Effekte erzielen konnte. 

Abgesehen davon wollte ich Ihnen nur kurz noch über einige ex¬ 
perimentelle Beobachtungen berichten, die die Bestrahlung mit grösseren 
Dosen Mesothorium betreffen, und zwar wollte ich Ihnen über die 
Empfindlichkeit des normalen Ovariums eine kurze Mitteilung machen 
gegenüber den ß- und y-Strahlen des Mesothoriums. Ich habe Versuche 
an Kaninchen anstellen lassen. Dazu genügt z. B. eine einmalige, ein- 
bis zweistündige Bestrahlung eines Ovariums mit 30 mg Mesothorium, 
um im Verlauf von wenigen Wochen eine fortschreitende Atrophie, binde¬ 
gewebige Indurationen und Schwund der Follikel an dem bestrahlten 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 23. 


Ovarium zu erzeugen, während das andere nicht bestrahlte Ovarium 
intakt bleibt Diese 80 mg Mesothorium bedeuten für das kleine Kaninchen- 
ovarium bei direkter Bestrahlung unter Anwendung der Laparotomie 
gewiss eine sehr grosse Dosis. 

Aus diesem Versuche geht aber auch zugleich hervor, dass die 
Folgen einer einmaligen intensiven Bestrahlung im gesunden Gewebe 
erst im Verlaufe von Wochen manifest werden, d. h. dass erst geraume 
Zeit naoh Beendigung einer Bestrahlung ihre Folgen sichtbar werden. 
Das können wir noch schöner am Auge illustrieren. Wenn man z. B. 
mit diesen 80 mg Mesothorium unter Ausschluss der a-Strahlen die 
Cornea des Kaninchenauges wenige Minuten einmal bestrahlt, dann tritt 
erst naoh einigen Wochen eine sehr leichte Entzündung am Auge, eine 
leichte Conjunctivitis und Keratitis ein, die schliesslich zu einer schweren 
Vereiterung des Augapfels führt. Auch bei dieser Versuchsanordnung 
bedeuten diese 30 mg eine grosse Dosis. 

Ich wollte nur darauf hinweisen, dass ganz allgemein bei Arbeiten 
mit grossen Dosen Mesothorium Verletzungen gesunder Organe leicht 
Vorkommen können, und dass sie erst Wochen nach der stattgehabten 
Bestrahlung manifest zu werden brauchen. So erfolgversprechend also 
auch die Anwendung grosser Dosen bei Geschwülsten ist, so kann doch 
nicht genug an die Gefahren erinnert werden, die sie im Gefolge haben 
kann. Wie weit wir durch Gebrauch von Filtern diese Gefahren be¬ 
schränken lernen, muss die weitere Prüfung der Sache zeigen. 

Hr. C. Lewin: Die ganze bisherige Diskussion musste insofern 
einen von dem Vortrage verschiedenen Verlauf nehmen, weil die Herren, 
die gesprochen haben, und weil wir alle nicht die Erfahrungen haben, 
welche mit der Bestrahlung mit ganz grossen Dosen bei den Carcinomen 
erzielt worden sind. Herr Geheimrat Bumm hat ganz mit Recht hervor¬ 
gehoben, dass wir hier erst im Anfang aller Versuche stehen und dass 
wir vielleicht nach einiger Zeit Klarheit darüber haben werden, wie 
diese neue Anwendung grosser Mesothoriumdosen, grosser Radiumdosen 
bei den Carcinomen wirkt. Aber ich muss doch betonen, gegenüber 
den Erfolgen der neuen Behandlungsmethode würde es eine Dis¬ 
kreditierung dieser Methode bedeuten, wenn wir sie mit allen den 
Ergebnissen vergleichen wollten, welche bisher mit der Radiumtherapie 
oder der Strahlentherapie überhaupt bei Tumoren erzielt worden sind. 
Ich weiss nicht, aus welchem Grunde die Meinung verbreitet ist, als 
hätte das Radium oder die strahlenden Substanzen in der Therapie der 
Carcinome bisher irgendetwas Erhebliches geleistet, was nicht auch in 
ähnlichem Grade, wenn man Carcinome lange Zeit und konsequent 
manchmal Jahre hindurch mit den allerverschiedensten Mitteln be¬ 
handelt, hier und da auch erreicht wird. Selbst bei dem ganz desolaten 
Material des Berliner Instituts für Krebsforschung, wo wirklich nur Fälle 
in extremis zur Behandlung kommen, können wir es doch häufig sehen, 
dass Patienten, die wir eigentlich nur noch für 14 Tage oder 4 Wochen 
zu behandeln glauben, jahrelang am Leben bleiben. Es kommen da gar 
keine grossen Kunststücke in Anwendung. Es wird der Tumor lokal 
sorgfältig behandelt, und es wird allgemein behandelt mit Arsenikalien, 
da wir ja bisher kein anderes chemotherapeutisch wirksames Mittel 
haben. Wir ätzen mit verschiedenen Mitteln, machen Spülungen usw. 
und haben dabei Erfolge ganz verblüffender Art. Ich erinnere mich z. B. 
an einen Fall von Mammacarcinom, wo nach der Exstirpation eine aus¬ 
gedehnte Caroinose des Peritoneums mit grosser Asoitesbildung vor¬ 
handen war. Die Frau war in extremis. Auch Herr Kollege Paul 
Lazarus wird sich ihrer noch entsinnen, der sie ja auch behandelt hat. 
Wir haben sie mit Autoserotherapie, also mit Einspritzungen des heraus¬ 
gezogenen Ascites behandelt, und sie hat unter dieser Behandlung den 
Ascites vollkommen verloren. I 1 /* Jahre lang habe ich die Frau in 
Beobachtung gehabt, und es ging ihr so ausgezeichnet, dass sie das 
Krankenhaus verliess, weil sie behauptete, sie wäre vollkommen gesund. 
Natürlich war sie nicht gesund, denn man fühlte noch Tumoren im 
Bauch. Aber der Ascites war ganz verschwunden. Die Frau blühte 
auf und hat nachher noch etwa l 1 /* Jahre gelebt. Wenn das mit 
Radium erzielt worden wäre, so würde ein ungeheurer Lärm losgehen, 
was das Radium in solchen Fällen zu leistem imstande ist. Sie sehen, 
dass wir das auch mit anderen Mitteln erreichen. 

Ich habe einen anderen Fall mit schwerem inoperablen Uterus- 
carcinom gesehen, der Infiltrationen in den beiden Parametrien hatte. 
Herr Kollege Paul Lazarus hatte diesen Fall mit Gelatineinjektion be¬ 
handelt, weil starke Blutungen vorhanden waren. Ausserdem wurde 
Atoxyl eingespritzt. Es zeigte sioh eine ganz verblüffende Besserung 
des lokalen Befundes. Die blutenden Massen verschwanden, und es war 
schliesslich eine ganz gereinigte epitbelisierte Höhlung da. Auch die 
Infiltration des Parametriums ging zurück, so dass Zweifel an der 
Diagnose laut wurden. Aber die Frau ist später, nachdem wir sie über 
8 V 2 Jahren auf der Station behandelt hatten, doch an Carcinose ge¬ 
storben. 

Wenn Sie sich nun erst in der Literatur umsehen, so werden Sie 
unglaubliche Dinge über Mittel finden, welche Carcinome heilten, direkt 
heilten! Erinnern Sie sioh an die Periode der Behandlung des Carcinoms 
mit Fermenten, also mit Trypsin! Ich gebe Ihnen einen kleinen Ueber- 
blick: Herr Göth hat einen Brustkrebs total geheilt, Pinkus und 
Graves behandelten Uteruskrebse mit gutem Erfolge, Rice sah Erfolg 
bei einem Larynxkrebs, Brauch beobachtete das Verschwinden eines 
Tumors von Citronengrösse, Cutefield das Kleinerwerden eines 
Pankreastumors und Alcindor das Verschwinden eines inoperablen Brust¬ 
krebses. Morton beschreibt das Zurückgehen von Tumoren nach 


Trypsininjektionen in den Tumor, darunter Heilung eines Brustdrusen- 
carcinomrecidivs nach vier Injektionen. Karl Bayer hat sogar durch 
Auflegen frischer Rindermilz in fünf Fällen Erweichung und Verflüssigung 
maligner Tumoren gesehen. 

Und nun die Chemotherapie! Was steht nicht alles in der Literatur 
von Heilungen durch die allerverschiedensten chemischen Mittel! 
Malecchia hat zwei Fälle von Uteruskrebs mit Kal. ohlor. geheilt, 
Fränkel beschreibt sechs Fälle von Uteruskrebs, die er mit Zinkchlorür 
ohne Recidiv geheilt hat. Auch v. Herff empfiehlt das Zinkchlorür. 
Novaro sah Heilung von Uteruskrebs nach Injektionen von konzentrierter 
Bromlösung, Blau nach Salpelersäureätzung, und so existieren in der 
Literatur noch zahlreiche Beispiele von Krebsheilung mit chemischen 
Mitteln. 

Ich brauche sie nicht alle aufzuzählen. Es gibt eine unglaubliche 
Reihe von Heilungen durch die verschiedensten Mittel, und wenn man 
die Literatur studiert, sollte man meinen, es gehört zu den einfachsten 
Dingen, ein Carcinom zu heilen. 

Aber so liegt die Sache doch nicht Diese Heilungen sind alle 
Zufallsheilungen, d. h. unter der grossen Zahl von Carcinomen, wenn 
wir sie lange genug und mit Intensität behandeln, finden sich immer 
einige, die auf alle möglichen Mittel mit einer merkwürdigen Reaktion 
antworten. Die Tumoren stehen still im Wachstum, sie gehen sogar 
zurück, sie heilen unter Umständen vorübergehend. Alles das hat man 
mit den verschiedensten Mitteln erreicht. Wir haben selbst ja nun 
auch die Radiumtherapie mit den bisherigen kleinen Dosen lange genug 
angewandt, um sagen zu können, die Radiumtherapie, die Strahlen¬ 
therapie mit den Dosen, wie sie bisher geübt worden ist, gibt auch nur 
in den allerseltensten Fällen — wenn ich von den Hautkrebsen ab¬ 
sehe — irgendeinen Erfolg. Wie es nun mit grossen Dosen werden 
wird, das können wir jetzt noch nicht wissen. Darum ist es müssig, 
sich jetzt darüber zu unterhalten. Das wird erst nach ein paar Jahren 
zu erkennen sein, wenn wir mit der Anwendung so grosser Dosen, 
wie sie der Herr Vortr. hier mitgeteilt hat, auch unsererseits Erfahrungen 
gesammelt haben. 

Hr. Brieger: Vor kurzem wurde ich von einer älteren Dame kon¬ 
sultiert, die vor 8 Jahren von Lassar wegen eines Hautcarcinoms am 
unteren Lide des linken Auges längere Zeit mit Radium bestrahlt wurde, 
wodurch das Carcinom zum völligen Verschwinden gebracht und sich 
an dessen Stelle eine weissliche dünne, verschiebliche Narbe bildete. 
Seit einem halben Jahre spriesst nun aus dieser Narbe ein Cancroid 
heraus, das fast die Grösse eines Zweimarkstückes erreicht hat und nur 
noch eine schmale Zone der Narbe freilässt. Halsdrüsen sind nicht 
fühlbar. Dieser Fall scheint mir wegen des Recidivs nach so langer 
Zeit für die Frage von der Wirkung der radioaktiven Substanzen be¬ 
merkenswert. 

Vom Herrn Vortragenden und verschiedenen Diskussionsrednern ist 
nun betont worden, dass ein endgültiges Urteil über den Erfolg der von 
ihnen ausgeübten Behandlung des Carcinoms der weiblichen Genitalien 
erst nach sehr langer Zeit sich abgeben lässt. 

Ich glaube aber, dass der von mir und Trebing festgestellte er¬ 
höhte Antifermentgehalt des Blutes bei Carcinomkranken, der ja aller¬ 
dings keine spezifische Reaktion darstellt, prognostisch von vorn¬ 
herein als Indikator über den wahren Erfolg der angewandten Methodik 
und über den Ausbruch von etwaigen Recidiven die beste Auskunft gibt, 
und so vor mancherlei Enttäuschungen schützen wird, vorausgesetzt, 
dass man hierbei die von mir und meinen Mitarbeitern angegebenen 
Kautelen berücksichtigt und die von Marous - Pyrmont in meiner An¬ 
stalt ausgearbeitete Modifikation der Jachmann-Müller'schen Methode 
benutzt. 

Ich selbst habe hierfür bereits Belege erbracht, und mein Mitarbeiter 
Pin küss hat an der Hand von 18 von ihm operierten Fällen berichtet, 
dass die in meiner Anstalt vorgenommene Antifermentprüfung des Blutes 
hier stets prognostisch sichere Schlüsse ergab. Nur möchte ich noch 
hervorheben, dass bei Carcinomkranken, welche der Auflösung nahe sind, 
der Anti ferm entgeh alt des Blutes sinkt. Es steht dieser Befund in 
Uebereinstimmung mit Resultaten, welche Max Rosenberg aus der 
hiesigen II. medizinischen Klinik bei der Nachprüfung der gleichfalls 
unspezifiseben Meiostagminreaktion kürzlich erhielt, wonach im End¬ 
stadium der Caroinose ein geringerer Ausschlag als vorher sieb zeigte. 
Vielleicht liegen diesen Tatsachen gemeinsame Ursachen zugrunde, die 
noch weiterer Forschung bedürfen. 

Aus meinen und meiner Mitarbeiter Untersuchungen geht ferner 
noch hervor, dass durch innerliche Darreiohung von Pankreatin bei 
Krebskranken sich anscheinend Anhaltspunkte gewinnen lassen über 
den Grad der Kachexie. Schritt in den bisher nach dieser Richtung 
hin untersuchten Carcinomatösen die Carcinose schnell fort, so bleibt 
der hohe Antifermenttiter des Blutes unbeeinflusst, sank er hingegen, 
so schien das Carcinom nur langsam sich auszubreiten. 

Hieraus haben bereits für die Therapie anämisoher Zustände des 
Carcinoms selbst ich und mein Mitarbeiter Pinkuss gewisse Kon¬ 
sequenzen gezogen, indem wir durch innerliche Anwendung von Pan¬ 
kreatin hierbei den allgemeinen Kräftezustand zu heben vermochten. 

Als neuen Beleg für die Richtigkeit meiner Ausführungen gedenke 
ich hier einer Patientin, der vor vier Jahren beide Mammae wegen Carci- 
•nom amputiert worden waren und bei der seitdem jahrelang alle vier 
Wochen der Bluttiter in meiner Anstalt geprüft und stets in Ueberein- 
Stimmung mit dem klinischen Status normal befunden wurde. 


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9. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1085 


Vor etwa IV 2 Jahre klagte Patientin über heftige Schmerzen in der 
Lumbalgegend, die von der Lendenwirbelsäule her ausstrahlten. 

Niohts war klinisch gerechtfertigter, als hier eine Metastase in der 
Wirbelsäule anzunehmen. Da aber bei wiederholter Untersuchung der 
Bluttiter normal blieb, so glaubte ich, es nur mit einer accidentellen 
Lumbago zu tun zu haben. In der Tat beseitigten zweckmässige 
Prozeduren bald gänzlich diese Beschwerden. Der Bluttiter blieb auch 
weiterhin noch normal bis in die letzten Monate hinein, seitdem sich 
Pat. unserer Beobachtung entzogen hat. 

Hr. Franz: Die Wirkungen des Mesothoriums auf die äusserlich 
sichtbaren bzw. sichtbar zu machenden Carcinome der weiblichen Geni¬ 
talien, nicht auf die verborgen liegenden, sind so auffallend, dass jeden¬ 
falls eine genaue Nachprüfung dieser Methoden erwünscht ist. Der Nach¬ 
teil dieser Behandlung ist, dass sie sehr teuer ist — und sie wird wahr¬ 
scheinlich immer teurer werden — und zweitens, dass die Wirkung des 
Mosothoriums doch nur eine relativ oberflächliche ist. Auch bei der 
sogenannten Tiefenwirkung bleibt, wid die Präparate des Herrn Bumm 
zeigen, in der Tiefe noch Carcinomgewebe sitzen, von dem aus natür¬ 
lich das Caroinom wieder weiter wuchern kann. Vielleicht — ich sage 
ausdrücklich: vielleicht! — ist es möglich, durch eine Kombination der 
Mesothoriumbehandlung mit einer anderen Behandlung bessere Resultate, 
vielleicht bessere Dauerresultate zu erzielen. Sie kennen die Mitteilungen 
von den Herren Caspary und Neuberg. Herr Caspary war so 
freundlich, mit einem unserer Herren zusammen einige Fälle von Carcinom 
des Collum uteri durch intravenöse Injektion von organischen Metall¬ 
verbindungen zu behandeln. Von drei Fällen ist einer unbeeinflusst 
geblieben. Bei den beiden anderen Fällen sind deutliche Wirkungen 
klinisch festzustellen gewesen. Es waren zwei inoperable Carcinome. 
Der Uterus war in beiden Fällen vollständig unbeweglich. Nach ein¬ 
monatiger Behandlung sind die Uteri beweglich geworden, die In¬ 
filtrate in den Parametrien geschwunden, und beide Fälle konnten mit 
primärem Erfolge operiert werden. 

Ich bin weit davon entfernt, aus diesem Resultat, das ich nur 
klinisch feststellen kann — etwas anderes kann und will ich darüber 
nioht sagen — weitgehende klinische Schlüsse zu ziehen. Immerhin 
glaube ich, dass wir berechtigt sind, diese Methode weiter zu prüfen. 
Die Wichtigkeit der Mesothoriumbehandlung macht es für uns zu einer 
unabweisbaren Pflicht, uns einmal zu sagen, inwieweit denn die operative 
Behandlung der Carcinome durch die Mesothoriumbehandlung beeinflusst 
werden kann. Es ist für mich ganz zweifellos, dass man ein beginnendes 
Portiocarcinom durch Mesothorium vollständig zum Schwinden bringen 
kann. Es kommt bloss darauf an. ob man den Mut hat, diese Behand¬ 
lung bei dem beginnenden Carcinom als die Methode der Wahl anzuwenden. 

Ich bringe zunächst den Mut nicht auf, und zwar deshalb nicht, 
weil ich nioht annehme, dass man durch die Mesothoriumbehandlung ein 
wesentlich besseres Dauerresultat erzielen kann als durch die Operation. 
Wir können, was genaue Statistiken nachgewiesen haben, auf 50 pCt. 
Dauerresultate der die Operation Ueberlebenden rechnen. Dazu kommt, 
dass es klinisch ausserordentlich schwer ist, ein beginnendes Carcinom 
wirklich als ein solches zu erkennen. Es kann auf der Oberfläche der 
Portio ein kleines Carcinom sein, das doch weit in die Tiefe hinein¬ 
gegangen ist. Der Wert der Mesothoriumbehandlung scheint mir auf 
einer anderen Seite zu liegen. Es erscheint zweifellos, dass man durch 
die Mesothoriumbehandlung jauchende Carcinome säubern kann, und dass 
dadurch ganz sicher die Gefahr der Operation vermindert wird. Drittens 
scheint mir die Möglichkeit gegeben, dass durch die Mesothoriumbehand¬ 
lung inoperable Carcinome vielleicht durch Schwund der Infiltrationen 
operabel gemacht werden können. 

Hr. Szil^rd-Paris (a. G.): Ein neuer Apparat zur Messung 
der Radioaktivität (Erscheint unter den Originalien dieser Wochen¬ 
schrift.) 

Hr. Hammerschlag: Ich wollte über einen Fall berichten, der 
einiges Interesse beansprucht. Bei einer Patientin, die an einem quälenden 
Pruritus vulvae litt, waren alleBehandlungsmethoden ohne Erfolg geblieben. 

Darauf wurde die Vulva mit Röntgenstrahlen behandelt durch ein 
Institut, das durchaus Gewähr für sacbgeroässe Behandlung gibt. Während 
dieser Behandlung mit Röntgen strahlen entwickelte sich auf der pruri- 
tisch veränderten Vulva ein Carcinom, welches ich dann operiert habe. 
Es liegt mir allerdings fern zu behaupten, dass die Röntgenstrahlen das 
Carcinom hervorgerufen haben — wir wissen, dass auf der Basis eines 
Pruritus Carcinome entstehen können —, jedenfalls aber ist es eine Tat¬ 
sache, dass die Röntgenbestrahlung die Entwicklung des Carcinoma 
nicht verhindert hat. Das ist immerhin eine ganz interessante Beziehung 
zwischen Carcinom und Röntgenstrahlen. 

Hr. Ed. Falk: Der Herr Vortragende hat die Frage angeregt, ob 
das Mesothorium eine elektive Wirkung auf das Carcinomgewebe haben 
könnte. Die Einwirkung des Mesothoriums kann nur folgende sein: ent¬ 
weder kann das Carcinomgewebe als solches grössere Strahlenmengen — 
und hier kommen vor allem die X-Strahlen in Betracht — absorbieren, 
oder aber für gleiche Strahlenmengen kann das Carcinomgewebe selbst 
empfindlicher sein. Ich habe nun versucht, dieser Frage experimentell 
näherzutreten, und habe an möglichst lebensfrischen GewebeD, d. h. 
gleich nach der Operation, Haut, Ovarialgewebe, Carcinom, Myom u. a. 
mit Mesothorium bestrahlt, und zwar gebrauchte ich, um Fehlerquellen 
einzuschränken, minimale Mengen — eine Kapsel mit tyj mg stand mir 
zur Verfügung. Die Menge der absorbierten Strahlen stellte ich durch 


Messung des Voltabfalles fest. Hierbei hat sich gezeigt, dass wenigstens 
an diesem relativ frischen Gewebe ein Unterschied in der Absorptions¬ 
fähigkeit nicht bestand. Ob nun das carcinomatöse Gewebe selbst duroh 
die Röntgenstrahlen leichter zerfällt, lässt sich so direkt nioht entscheiden. 
Aber ich habe versucht, mit grösseren Dosen Mesothorium — und zwar 
standen mir duroh die Liebenswürdigkeit des Herrn Prof. Sticker 
55 mg zur Verfügung — Warzen zu behandeln. Hierbei zeigte sich, 
dass in derselben Ausdehnung wie die Strahlen wirken, ebenso die Haut 
wie die Warze affiziert wird. Die Wirkung tritt relativ spät ein, ge¬ 
wöhnlich kommt es erst nach 8 Tagen zu stärkerer Rötung und zur 
Blasenbildung und, wie ich an meiner eigenen Haut erfahren habe, zu 
einer nicht ganz unbeträchtlichen schmerzhaften Wunde, deren Heilung 
relativ lange Zeit in Anspruch nimmt. 

Ueber die direkte Mesothoriumwirkung auf Carcinome habe ich keine 
Erfahrungen. Hingegen hatte ich eine Radiumkapsel von 50 mg zur 
Verfügung und habe längere Zeit Vaginalcarcinome und Uteruscarcinome 
durch Einlegen der Radiumkapsel behandelt, ln fast allen Fällen liess 
sioh nachweisen, dass zweifellos auch bei diesen Dosen eine Einwirkung 
stattfand, insofern als die Wunden sich reinigten, die Jauchung ver¬ 
schwand und die Blutung zum Teil naohliess. Irgendeine Dauerheilung 
habe ich nie bei diesen Radiumdosen beobachten können. Prof. 
Sticker und ich verbanden deshalb, um eine längere Wirkung 
der Radiumstrahlen zu erzielen und um vor allen Dingen 
neben der Strahlenwirkung auch die Emanationswirkung ein¬ 
wirken zu lassen, Radium in allerdings kleinen Dosen mit Kohle, 
da die Pflanzenkohle 100 mal soviel Radiumemanation absorbiert wie 
Graphit, etwa zehnmal soviel wie Tierkohle. Diese Radiumkohle — das 
Carboradiogen — injizierten wir in die Tumoren oder verwendeten es in 
Pulverform zur Nachbehandlung von anderweitig behandelten Carcinom- 
geschwüren. In allen derartigen Fällen zeigte sich durch die Injektion 
eine zweifellose Einwirkung, zum Teil Verkleinerung, zum Teil Erweichung. 
Mikroskopisch liess sich gewöhnlich eine Vacuolenbildung in den Zellen, 
kleinzellige Infiltrationen und ein Eindringen von Bindegewebszügen in 
die Tumoren nachweisen. Aber auch in allen derartigen Fällen konnte 
ich immer nur teilweise Rückbildung, teilweise Erweichung, nie eine 
dauernde Heilung sehen. Ich halte es daher für zweokmässig, um die 
Wirkung des Radiums zu beschleunigen — wie die des Mesothoriums in 
ganz grossen Dosen ist, darüber habe ich kein Urteil —, erst das Carcinom 
energisch mit Ferrum candens und Chlorzink zu behandeln und hinter¬ 
her Radium in Form von Carboradiogen anzuwenden. Heute war eine 
Patientin bei mir, die vor 13 Monaten mit einem absolut inoperablen, 
schwer jauchenden Caroinom in Behandlung kam und zweifellos in 
wenigen Monaten zugrunde gegangen wäre. Die Scheide, die eine Länge 
von 2 bis 3 cm hat, ist vollständig vernarbt, die Haut ist vollständig 
normal. Würde man in diesem Falle eine Exzision aus der Scheide 
machen, so würde man normales Gewebe finden. Aber per rectum fühlt 
man, wie vor der Operation, faustgrosse Carcinomknoten, welche aller¬ 
dings nicht weiter vorgeschritten sind. Es ist dies zweifellos ein Erfolg; 
und alle derartigen Erfolge sollen uns darauf hinweisen, die inoperablen 
Carcinome nach dieser alten Methode oder nach der neuen Methode mit 
grossen Mesothorium dosen, falls sie einem zur Verfügung stehen, zu be¬ 
handeln. 

Einen Erfolg wird die Diskussion sicher haben. Sie wird uns zeigen, 
dass das inoperable Carcinom eine Erkrankung ist, die ebenso behandelt 
werden muss wie jede andere Erkrankung. Die Zeiten, wo wir die armen 
Geschöpfe unbehandelt herumlaufen liessen, sind hoffentlich für immer 
vorüber. Wer jemals in das Institut von Czerny gekommen ist und 
gesehen hat, wie zahlreiche Carcinomkranke dort liegen und trotzdem 
kein übler Geruch die Krankheit verrät, wie die Kranken sich relativ 
wohl fühlen, wird zu der Einsicht kommen, dass einzig und allein eine 
dauernde Behandlung der inoperablen und verjauchten Carcinome, am 
besten in Samariterhäusern, den armen unglücklichen Frauen, wenn auch 
nicht Heilung, so doch einen Zustand des Lebens geben kann, der für 
sie erträglich ist. 

Hr. G. Klemperer: loh will nicht zum Hauptthema der Diskussion 
sprechen; denn die Erfahrungen, die mein Institut mit grossen Meso¬ 
thoriumdosen gemacht hat, sind noch zu jungen Datums, und was über 
die früheren Erfahrungen bei den geringen Dosen zu sagen ist, hat Herr 
Lewin in sehr guterWeise auseinandergesetzt. Ich will nur eine kurze 
Bemerkung anknüpfen an die Aussichten, welche Herr Franz in bezug 
auf die Anwendung der Neuberg-Caspary’schen Tierversuche auf kranke 
Menschen eröffnet. Neuberg und Caspary haben bisher noch nicht 
bekannt gegeben, welohe Metall verbin düngen sie angewandt haben. In¬ 
zwischen hat in meinem Institut Herr Prof. Carl Lewin gefunden, dass 
gewisse komplexe Goldverbindungen genau dieselben Wirkungen bei 
Tierversuchen ausüben, wie sie von Neuberg und Caspary in ihren 
Verbindungen gefunden worden sind. Namentlich hat Herr Lewin mit 
Auronatriumchlorid und Auronatriumcyanid in Mäusecarcinomen Blutungen 
und Erweichungen und Rückbildungsprozesse analog den Neuberg- 
Caspar y’schen Versuchen hervorgerufen. 

Daraufhin hatten wir natürlich auch den Wunsch zu sehen, wie 
diese bei Tiertumoren so wirksamen Metallverbindungen sich bei mensch¬ 
lichen Geschwülsten verhalten, und ich habe das wirksamste Präparat, 
das Auronatriumchlorid in einer Reihe von Fällen von inneren Krebs¬ 
erkrankungen angewandt. Aber wir haben damit keine wesentlichen 
Wirkungen erzielt. Die geringfügigen Wirkungen, die wir gesehen haben, 
berechtigen uns jedenfalls nicht, von Heilwirkungen zu sprechen. Da- 


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1080 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 23. 


gegen bat siob etwas anderes berausgestellt. Herr Lewin bat darauf 
aufmerksam gemacht, dass diese MetallverbinduDgen im Sinne von 
Heubner als Capillargifte anzusehen sind, und dass ihre Tumoraffinität 
wahrscheinlich gerade auf dieser Eigenschaft beruht. Die verschieden¬ 
artige Vascularisation der tierischen und menschlichen Tumoren ist nach 
dieser Auffassung die Ursache davon, dass die im Tierexperiment so 
wirksamen Metallverbindungen beim Menschen so ganz versagen. Da 
nun die Metall Verbindungen Capillargifte darstellen, habe ich Herrn 
Hans Hirschfeld gebeten, die inneren Organe der damit behandelten 
Menschen genau zu untersuchen, und er hat in der Leber eines Mannes, 
der mit Auronatriumchlorid behandelt worden war, sehr ausgebreitete 
Capillarnekrosen gefunden. Ich glaube deshalb, dass man mit der An¬ 
wendung dieser Metall Verbindungen beim Menschen ganz besonders vor¬ 
sichtig sein muss. 


Physiologische Gesellschaft zu Berlin. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 2. Mai 1913. 

Bei Beginn der Sitzung sprach Hr. Benedikt -Boston einige Worte 
über Stoffwechselvemche am hungernden Mensehen. 

HHr. A. Döblin und P. Fleischmann: Fieberstudien. 

Hr. Döblin: An Kaninchen und Meerschweinchen wurden geprüft 
Adrenalin, Nicotin, Pilocarpin, Picrotoxin, Atropin, Ergotoxin, Hypo¬ 
physenextrakte (eigene, Pituitrin, Pitaglandol). 

Höhere Adrenalindosen (1,0—2 mg intravenös) setzen beim Kanin¬ 
chen die Temperatur herab; es ist dann kein Kochsalzfieber möglich; 
Morphium unterdrückt das Adrenalinfieber. Es wird auf eine centrale 
Temperaturwirkung des Adrenalin hingewiesen, auf eine Tonisierung, 
Reizung, Lähmung von Centren. 

Ergotoxin (2 Tabletten in Lösung subcutan) beeinflusst wenig die 
Normaltemperatur des Kaninchens; setzt aber Adrenalin- und Kochsalz¬ 
fieber herab und verhindert es. 

Hypophysenextrakte des Hinterlappens senken beim Kaninchen 
(subcutan und intravenös), besonders stark intraperitoneal beim Meer¬ 
schweinchen (bis 6°). Sie unterdrücken Adrenalin-, Kochsalz-, Wärme¬ 
stichhyperthermie; intracerebral (Seitenventrikel) genügen 7 Tropfen. 
Die Versuche legen die Annahme einer Beziehung des hinteren Hypo¬ 
physenlappens zur Wärmeregulation (Horst Merzer’s Kühlcentra) nahe. 

Hr. Fleischmann: Durch Nebennierenexstirpationen an Kaninchen 
teils mit, teils ohne Implantation von Nebennierenstückchen in die Niere 
sollte untersucht werden, wie weit die Nebennieren überhaupt und in 
ihrer intakten nervösen Verbindung mit dem Centralnervensystem mit 
der Temperaturregulieruug zu tun haben. Tiere, deren Temperatur nach 
Nebennierenexstirpation im Sinken begriffen ist, reagieren auf fieber¬ 
erzeugende Maassnahmen (Wärmestich, Kochsalzfieber) nur noch in 
geringem Maasse oder gar nicht mehr, nur Adrenalin selbst ruft noch 
eine Temperaturerhöhung hervor. Tiere mit implantierter Nebenniere 
verhalten sich wie normale Tiere; sie reagieren auf Kochsalzlösung und 
auch auf den Wärraestich. Die Versuche zeigen, dass zum Fieber ein 
gewisser Erregungszustand sympathischer Organe notwendig ist, dass 
aber die intakte nervöse Verbindung der Nebennieren mit dem Central¬ 
nervensystem keine Rolle spielt. Das Adrenalin hält wahrscheinlich den 
Erregungszustand des Wärme- (thermogenetischen) Centrums aufrecht. 

(Autoreferat.) 

Hr. W. Nenmann: Radioaktive Messmethoden. 

Der Vortr. gibt zunächst eine Charakteristik der verschiedenen 
radioaktiven Strahlen und bespricht ihre Absorbierbarkeit und ihr 
Ionisationsvermögen. Nach Erörterung der Bedingungen für das Auf¬ 
treten von Sättigungsstrom in gasförmigen Leitern wird das Prinzip der 
Messung radioaktiver Strahlungen, bzw. der sie hervorrufenden radio¬ 
aktiven Substanzen, auf Grund der durch sie bewirkten Ionisationsströme 
erläutert. Als praktische Beispiele werden die Messungen fester radio¬ 
aktiver Präparate nach der y-Strahlenmethode, die Bestimmung von 
Radiumemanation in Gasen und Flüssigkeiten und die Messung kleiner 
Radiummengen nach der Emanationsmethode durcbgesprochen, wobei 
auch der internationale Radiumstandard und die Emanationseinheiten — 
Macheeinheit, Curie — Erwähnung finden. Zum Schluss wird auf die 
Empfindlichkeit und den Genauigkeitsgrad radioaktiver Messungen und 
die bei letzteren häufig auftretenden Störungen und Schwierigkeiten 
eingegangen. 


Gesellschaft für soziale Medizin, Hygiene und Medizinalstatistik 
zu Berlin. 

Sitzung vom 30. März 1913. 

Vorsitzender: Herr Gottstein. 

Schriftführer: Herr Lennhoff. 

Tagesordnung. 

1. Generalversammlung. 

2. Hr. Kayserliag: 

Gesetze über Tuberkulosebekämpfung in Deutschland nnd im 
Anslande. 

Der gesetzlichen Bekämpfung der Tuberkulose liegt der Gedanke 
zugrunde, dass 1. die Lungenschwindsucht eine übertragbare Krankheit 


ist, 2. dass der Schutz der Gesunden im öffentlichen Interesse liegt, und 
3. dass dieser ohne Zwang nicht zu erreichen ist. Zu erwägen ist da¬ 
bei, ob es höhere Pflicht ist, durch die Gesetzgebung die Kranken zu 
beunruhigen und eventuell materiell zu schädigen oder die Gesunden 
mit aller Energie vor der Infektion zu bewahren; ob nicht die Nachteile 
vielleicht noch grösser sind als die Vorteile, und ob wir imstande sind, 
den Kranken dasjenige Maass von Fürsorge zuzwenden, auf das er in¬ 
folge der ergriffenen Zwangsmaassnahme Anspruch erheben darf. 

Schon in früheren Jahrhunderten hat man in Italien und Spanien 
in grosszügiger Weise versucht, die Lungenschwindsucht durch gesetz¬ 
liche Maassnahmen zu bekämpfen, indem man von der Anschauung aus¬ 
ging, „dass die purulenten Ausdünstungen der Schwindsüchtigen nur 
dann schädlich sein können, wenn sie so beschaffen sind, dass sie durch 
die Poren der äusseren Haut oder durch Nasen- und Rachenhöhle oder 
die Luftgefässe der Lungen in das Blut in der Nähe befindlicher Ge¬ 
sunder eindringen“. So heisst es in einem Gutachten des Aerzte- 
kollegiums von Florenz aus dem Jahre 1754, das als Maassnahmen 
empfiehlt, „das Wohnen der Schwindsüchtigen in grossen, luftigen 
Zimmern, die Sauberhaltung der Betten der Schwindsüchtigen, das Gebot 
für Kranke, nirgends anders hinzuspucken als in Glasgefässe oder Ge- 
fässe aus glasiertem Ton, das gründliche Auskochen der Wäsche mit 
Lauge, die gründliche Abwaschung der Holz- und Metallgegenstände und 
der Fussböden der Zimmer und das Weissen der Wände bis Manns¬ 
höhe“. 

Auf Grund dieses Gutachtens wurde ein Erlass zur Verhütung der 
Folgen der Schwindsucht herausgegeben, der den Aerzten für jeden Fall 
von offenbarer Lungenschwindsucht die Anzeigepflicbt auferlegte. Unter 
anderem verbot die Behörde, um die Phthisiker vor Obdachlosigkeit zu 
schützen, den Eigentümern derjenigen Häuser, in denen Schwindsüchtige 
wohnten, diesen unter irgendeinem Vorwände zu kündigen. Für den 
Todesfall wird die Anzeigepflicht den Angehörigen oder den Pflege¬ 
personen auferlegt. Das Verkaufen der ungereinigten Wäsche war 
strengstens verboten. 

In Venedig wurde 1772 den Aerzten die Anzeigepflicht nur bei 
Todesfällen an Phthise auferlegt und strenge Vorschriften über die 
Reinigung der Sachen und der Zimmer der Verstorbenen erlassen. In 
Neapel wurde 1782 ein ähnliches Gesetz erlassen, das den Aerzten beim 
Uebergang der Schwindsucht in das zweite Stadium befiehlt, ohne Auf¬ 
schub der Sanitätsbehörde Anzeige zu erstatten. „Aber damit vielleicht 
der Arzt mit der Anzeige der Erkrankung nicht vorsichtiger und eiliger 
sei als nötig, so ist zu bedenken, dass die Lungenschwindsucht in das 
zweite Stadium nicht eher zu gelangen pflegt, als bis 40 Tage nach dem 
Auftreten der ersten Erscheinungen verflossen sind.“ An die Anzeige 
schloss sich, wie in Venedig, eine genaue Inventaraufnahme aller Sachen 
im Wohn- und Schlafzimmer des Erkrankten, die nach dem Tode wieder¬ 
holt wurde. Für arme Kranke war die Ueberführung in öffentliche 
Krankenhäuser oder, wo solche fehlten, die Isolierung in einem ab¬ 
gesonderten, für diesen Zweck geeigneten Ort vorgesehen, wenn sie mit 
anderen Menschen im selben Zimmer wohnen und schlafen. 

Doch erregte das Gesetz das Missfallen der Bevölkerung, so dass 
im Jahre 1809 eine öffentliche Beratung über die Kontagiosität der 
Phthise stattfand, die eine Milderung der strengen Maassregeln zur Folge 
hatte, die Prof. Sementini in einer Schrift „Parere sul contagio della 
tisi polmonari“ angibt. 

Mit diesen Milderungen blieb das Gesetz bis zum Jahre 1849 in 
Kraft. Die Aufhebung erfolgte auf Grund der Verhandlungen der König¬ 
lichen Akademie in Neapel im Jahre 1848. Sie stellte 11 Fragen auf, 
die das Mitglied der Akademie Dorothea dahin beantwortete, dass die 
Phthise auf mechanischem Wege und nicht durch Kontagion entsteht. 

Dass diese Maassnahmen in Italien wirksam gewesen sind, scheint 
festzustehen; wenn sie so ausserordentliche Missbilligung bei der Be¬ 
völkerung fanden, so lag das daran, dass jede soziale Fürsorgetätigkeit 
fehlte. Diese ist ein bedeutendes Element in der neueren Tuberkulose¬ 
gesetzgebung, deren einzelne Bestimmungen in den verschiedenen Staaten 
aufgezählt werden. 

Zur grösseren Wirksamkeit der Anzeigepflicht gehört ein weiterer 
Ausbau der Fürsorgetätigkeit. Zu diesem Zwecke verlangt er lokale 
Centren der Tuberkulosebekämpfung mit behördlichem Charakter, an die 
alle Fälle von offener Tuberkulose obligatorisch und die der geschlossenen 
Tuberkulose freiwillig gemeldet werden. Diese Fürsorgestellen müssen 
mit ausreichenden Vollmachten versehen sein, um die zur Verhütung 
der Ausbreitung der Tuberkulose erforderlichen Vorbeugungsmaassregeln 
durchzuführen. J. Lilienthal. 


Medizinische Gesellschaft zu Kiel. 

Sitzung vom 8. Mai 1913. 

Hr. Göbell demonstriert einen Patienten, bei dem er mit gutem Er¬ 
folg ein Kleinfingergelenk durch eine Zehengelenk ersetzt hatte. Der 
Patient ist in der Lage, wieder Violine zu spielen. 

Hr. Göbell: Ueber direkte Blnttransfnsien. 

Vortr. hat an einem Material von 9 Fällen Gelegenheit gehabt, die 
Wirkungsweise der direkten Bluttransfusion zu studieren, deren An¬ 
wendung neuerdings nach der Vervollkommnung der Technik der direkten 
Gefässvereinigung wieder in Aufnahme gekommen ist. Es wurde nach 
der Methode von Carrel-Stich die Art. radialis des Spenders mit der 
V. mediana oubiti des Empfängers vereinigt Als Spender wurde eia 


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9. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1087 


möglichst naher Blutsverwandter des Empfängers genommen, wodurch 
Hämolyse vermieden wird. Auch bei einem Fall, wo kein Blutsverwandter 
zur Verfügung stand, wurde keine Hämolyse beobachtet. In solchen 
Fällen muss aber vorher die Prüfung auf Hämolyse, eventuell auch die 
Wassermann’sche Reaktion angestellt werden. 

Die Erfolge der direkten Transfusion sind ermutigend; bei einigen 
Fällen von sekundärer Anämie wurde eine erhebliche Besserung des All¬ 
gemeinbefindens und des Blutbildes erzielt, wie sie bei der Schwere des 
betreffenden Krankheitszustandes sonst wohl kaum zu erwarten gewesen 
wäre. Bei anderen Fällen war der Erfolg weniger gut, bzw. negativ. 
Letzteres waren desolate Fälle (z. B. Sepsis bei subphrenischem Ab- 
scess, Milzruptur, Hämatemese bei Ulcus ventriculi), bei denen ein letzter 
Versuch mit der Bluttransfusion gemacht wurde. Vortr. hält in erster 
Linie Fälle von schwerer sekundärer Anämie nach starkem Blutverlust, 
bei denen Lebensgefahr besteht, für geeignet zur Vornahme der direkten 
Transfusion. 

Diskussion. 

Hr. Ne über beeichtet über seine Erfahrungen auf diesem Gebiet 
in früheren Jahren und hält einen weiteren Ausbau der Technik für 
wünschenswert. 

HHr. Holzapfel, Bandelow, v. Starck, Göbell. 

Hr. Holzapfel: Zar Technik der Sterilisierung. 

(Erscheint in extenso in der Zeitschrift für Geburtshilfe und Gynä¬ 
kologie.) 

Hr. Paysen: Thyniektomie hei Thymnshyperplasie. 

Vortr. stellt ein in der chirurgischen Polklinik operiertes Kind im 
ersten Lebensjahre vor. Das Kind wurde eingeliefert mit den Sym¬ 
ptomen einer schweren Traohealstenose, die durch eine hypertrophische 
Thymus hervorgerufen wurde. 

Da zwei heftige Erstickungsanfälle auftraten, musste die Operation 
vorgenommen werden. Es wurde in Aethernarkose das Manubrium sterni 
und von der darunterliegenden Thymus ein taubeneigrosses Stück 
reseziert Nach einem am ersten Tage auftretenden „Thymusfieber“ er¬ 
folgte glatte Heilung. Zurzeit besteht noch ein mässiger inspiratorischer 
Stridor. 

Die ganze Thymus darf wegen der Gefahr der Cachexie thymipriva 
nicht entfernt werden. Vortr. geht weiter auf die Frage der operativen 
Inangriffnahme derartiger Fälle ein und bespricht die bisher in der Lite¬ 
ratur beschriebenen. 

Diskussion. 

Hr. Toi len s, Hr. Spiegel: Die Indikationsstellung zum opera¬ 
tiven Eingriff ist gegeben, wenn akute Lebensgefahr durch Erstickung 
vorliegt. Bei Kindern aber mit weniger bedrohlichen Symptomen ist 
der Versuch der Röntgenbestrahlung durchaus am Platze, da die 
Thymus ein der Röntgentherapie sehr zugängliches Organ ist. Sp. hatte 
Gelegenheit, in Paris die Erfolge einer vervollkommneten Technik auf 
diesem Gebiet kennen zu lernen. Unbedingt erforderlich ist natürlich eine 
genaue Dosierung und richtige Anwendung gefilterter Strahlung. 

HHr. Birk, v. Starck, Hoppe - Sey ler. 

Hr. Gtibell demonstriert ein Aneurysma spnrinm und gleichzeitigen 
Varix aneurysmaticus nach Schuss durch die Art. femoralis. Heilung 
nach Resektion uud Gefässnaht. E. Richter. 


Klinischer Demonstrationsabend im Allgemeinen städtischen 
Krankenhaus Nürnberg. 

Donnerstag, den 8. Mai 1913. 

Hr. v. Rad: Demonstration eines Patienten mit Dementia para¬ 
noides. 

Hr. J. Müller: Ueber Polycythaemia. 

Demonstration eines Patienten, der wegen Hustens, Auswurfs, dys- 
pnoischer Beschwerden aufgenommen wurde und zunächst wegen seines 
mässigen Emphysems behandelt wurde. Die auffällige tiefdunkelblaurote 
Färbung der Gesichtshaut gab Veranlassung zu einer Blutuntersuchung, 
da Herz ohne jeglichen pathologischen Befund. Bedeutende Anschwellung 
der Milz, Vergrösserung der Leber. Urin enthält geringe Mengen 
Albumen. Keine Oedeme. Anfang März im Venenblut 8,19 Millionen, 
im Capillarblut 7,6 Millionen, im Ohrläppchen 6,6 Millionen, am Abdomen 
7,3 Millionen. Die Methode der Blutkörperchenzählung wird besprochen, 
und als bester Zählapparat der von Bürker-Tübingen bezeichnet, der 
auch demonstriert wird. Ferner wurde durch Untersuchung festgestellt, 
dass das Blut des Patienten viscöser wurde. Leukocyten Anfang März 
18 000, Lymphocyten dauernd vermindert, vermehrt die eosinophilen und 
die Mastzellen, 4pCt. Zahl der roten Blutkörperchen im Venenblut 
7,3 Millionen gegen 8,19 anfangs März, in den übrigen Zahlen gegen 
März Verminderung in annähernd gleichem Verhältnis. Bei Besprechung 
der Therapie teilt Vortr. mit, dass Patient mit Röntgenbestrahlungen 
behandelt wurde, eine wesentliche Besserung wurde nicht erzielt. Intern 
bekam Patient auch Jod. Von der Verabreichung toxischer As-Dosen, 
um das Knochenmark nicht zu schädigen, wurde abgesehen. 

Hr. Epstein demonstriert 1. Zwei Fälle von Erythrodermia ex¬ 
foliativa universal». Der zuerst vorgestellte Patient erkrankte zum 
fünftenmal in 17 Jahren an diesem Leiden. Die jetzige Erkrankung 
begann mit Schüttelfrost und mässigem Fieber. Die letzte gleiche Er¬ 
krankung liegt 7 Jahre zurück. Der zweite Fall litt seit vielen Jahren 
an Psoriasis und hat geringere Gelenkveränderungen duroh Arthritis 


deformans erlitten. Die Patientin erkrankte Ende Januar an intensiver 
Rötung der Hand und grossblättriger lamellöser Schuppung, die inner¬ 
halb weniger Wochen sich über den ganzen Körper verbreitete. Jetzt 
zeigen sich bereits an einzelnen Stellen die Psoriasisflecken. Die Be¬ 
handlung bestand bei den Patienten in Aderlässen, 200—300 ccm, und 
Kochsalzinfusion, 1 proz. Präcipitatsalbe, Natr. cacodylic. 

2. Drei Lnpnsrälle. 

3. Uleera craris, in einem Fall auf luetischer Basis, im anderen 
Fall trotz des für Lues verdächtigen Aussehens Wassermann negativ. 

4. Einen Fall von Liehen ruber planns. 

5. Einen Patienten mit einer H&utnlceration am Ellenbogen, ver¬ 
ursacht durch Röntgenbestrahlung. Wegen Psoriasis war Patient 
ausserhalb des Krankenhauses 13 mal alle 3 Tage bestrahlt worden. 

Hr. Barkhardt: 1. Behandlung inoperabler Carcinome naeh Zeller. 

Behandelt wurden sieben Fälle, und zwar Carcinome der Lippe, 
des Halses, Armes, der Vulva, Mamma, Hand und Portio uteri. Ge¬ 
storben sind davon drei Fälle, von denen einer als fast geheilt angesehen 
werden konnte (Carcinom der Oberlippe) nach ca. achtwöchiger Behand¬ 
lungsdauer; die Patientin (alte Frau) erlag einem Empyem. Die beiden 
anderen (Carcinoma colli et uteri) starben an Krebskacheiie. Vorgestellt 
wird eine Patientin, die wegen Mammacarcinom links radikal vom Vortr. 
operiert worden war und jetzt ein Recidiv hat, an der rechten Brust 
frisches Carcinom, rechts beginnende Degeneration; linkes Recidiv er¬ 
scheint grösstenteils abgeheilt. Ferner wird eine alte Frau in den 
achtziger Jahren demonstriert, deren Anuscaroinom durch Zeller geheilt 
erscheint, die Ränder, die nach Abstossung des Tumors zurückblieben, 
sind stark verdickt. Patientin hat noch ein zweites Carcinom in der 
Flexur. Fast gleichaltrig ist die Patientin mit dem Carcinoma vulvae, 
die ein ähnliches Bild der behandelten Stelle bietet. Bei der gleich¬ 
falls über 80 Jahre alten Patientin mit Carcinom der Hand ist es noch 
nicht zur völligen Sequestrierung gekommen. Von einer Heilung kann 
auch eigentlich nur in einem Fall gesprochen werden, der leider an 
einem Empyem zugrunde ging, in den anderen Fällen muss das Resultat 
mehr als zweifelhaft bezeichnet werden. Das beste bleibt, wenn irgend 
angängig, noch die operative Entfernung des Carcinoms; zu beachten 
ist ferner, dass das Zeller’sche Verfahren intensive Schmerzen ver¬ 
ursachen kann, wie es bei einer Patientin der Fall war, die lange grosse 
Dosen Morphium nötig hatte. Acht zu geben ist auch auf die durch 
das As bedingte Gefahr von Vergiftungsersoheinungen, Durchfällen usw. 
Ein weiterer Nachteil ist, dass das Verfahren nur äusserlich anwend¬ 
bar ist. 

2. Demonstration dreier fibergrosser Dickdanatamorea. 

Rectum als Sitz ausgeschlossen; nach der Statistik sind unter 

270 Tumoren 9 grosse, die expansives Wachstum zeigen und meist nicht 
zur Verengerung des Darmes führen. Der erste Tumor stammt von 
einer Patientin; er hatte seinen Sitz in der Flexura lienalis. Bei der 
Operation wurde ein Ovariura mit entfernt. Patientin ist geheilt und 
befindet sich nach 2 Jahren äusserst wohl; sie wird vorgestellt. Der 
zweite Tumor stammt von einem sehr fettleibigen Patienten, der Dünn¬ 
darm musste bei der Operation viermal, der Dickdarra zweimal durch¬ 
schnitten werden. Tod am 6. Tage post operationem an Pneumonie. 
Der dritte Tumor ist ein sehr grosses Carcinom der Flexura hepatica. 
Patient wurde am 11. Februar 1913 operiert und wird vorgestellt, er 
hat bis jetzt 23 Pfund an Gewicht zugenommen. Da bei diesen ex¬ 
pansiv wachsenden Tumoren meist eine geringe Metastasenbildung vor¬ 
handen ist, so ist die Prognose relativ günstig. B. ist für zweizeitiges 
Operieren bei Tumoren des Colon transversum und descendens, sonst 
einzeitig. 

3. Herzsehussverletzong bei oinem 15 jährigen Menschen. Am 
18. Januar 1913 wird der Verletzte hochgradig anämisch und fast pulslos 
eingeliefert. Sofortige Operation, Naht der Herzwunde an der vorderen 
Seite des rechten Ventrikels. Patient ist genesen und wird vorgestellt; 
bei der Röntgenaufnahme zeigt sich, dass das Projektil im rechten 
Lungenunterlappen sitzt, es ist durch Embolie nach dort ver¬ 
schleppt worden. In den 2 1 /» Jahren, die B. am Krankenhaus tätig 
ist, beobachtete er fünf Herzschuss Verletzungen, von denen eine, ein 
Streifschuss des Herzens, ad exitum kam, die vier übrigen hatten die 
Herzwand perforiert, zwei davon penetriert, sie sind genesen. 

Ein Patient, der wegen Leberruptur operiert wurde, wird vor¬ 
gestellt und der resezierte Leberlappen herumgereicht. 

4. Ueber Magen- bzw. Pylorasaasschaltang. 

B. machte sie viermal bei offenen, jauchenden, malignen Tumoren 
und viermal bei Uleera duodeni. Die Methode nach v. Eiseisberg ist 
am sichersten, aber bei schwachen Patienten ein schwerer Eingriff, 
gleichzeitig besteht erhöhte Infektionsgefahr. Bei dem einen vorgestellten 
Patienten bestand ein Pylorusgesohwür, auf das Duodenum übergreifend, 
perigastrische Verwachsungen, deshalb Verfahren nach v. Eiseisberg 
indiziert. Patient befindet sich wohl, hat 20 Pfund zugenommen. In 
dem Falle, der durch Abschnürung mit Seidenfaden am 18. Februar 
operiert wurde, hat die Röntgenaufnahme Ende April ergeben, dass 
der Faden noch hält und der Pylorus nicht durchgängig ist. In zwei 
Fällen machte B. die Abschnürung mit dem Band. 

5. Demonstration einer Patientin, bei der psychische Störungen Ver¬ 
anlassung gaben, operativ eine künstliche Vagina zu bilden. Zur 
Bildung wurde eine Dünndarmschlinge genommen, da das Mesenterium 
etwas zu kurz wurde, wurde ein seitlicher Einschnitt in dasselbe distal 
vom Darm (Gefässarkaden!) gemacht. Operationsresultat sehr gut, Patientin 
wird demonstriert. 


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UMIVERSITY OF IOWA 



1088 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 23. 


6. Demonstration stereoskopischer Röntgenogramme, hergestellt 
mit dem Apparat von Reiniger, Gebbert & Schall. 

7. Demonstration eines Blasendivertikels im Cystoskop. Bei dem 

Patienten bestehen Schmerzen beim Urinieren und saccadiertes Urinieren. 
Die Operationsmethoden werden besprochen. Kraus. 


Aus Pariser medizinischen Gesellschaften. 

Acaddmie de mddecine. 

Sitzung vom 1. April 1913. 

Hr. Ck. Fiessinger bespricht den Einfluss, den man gewöhnlich bei 
schwerer Angina pectoris dem Tabak zuschreibt. Gewisse anginaartige 
Neuralgien sind auf Tabak zurückzufuhren; sie verschwinden nach Unter¬ 
drückung des Giftes und sind im allgemeinen leichterer Art. Bei 
schwerer Angina muss man erst an Syphilis denken. In drei schweren 
Fällen war Wassermann positiv, und eine Hg-Behandlung führte rasch 
zu gutem Erfolg, während die übrige Therapie im Stich liess. Han soll 
also keine schwere Tabakangina diagnostizieren, wenn man nicht vorher 
die Syphilis als ätiologischen Grund ausgeschaltet hat. 

Hr. Delarme zieht aus den kriegsehirurgiseheu Erfahrungen des 
Balkankrieges, namentlich aus den Erfahrungen beim türkischen Heer, 
den Schluss, dass die moderne Auffassung der massiven Evacuationen 
auf weite Distanzen, namentlich bei einem im Rückzug begriffenen 
Heer, wohl eine gute administrative Auffassung, nicht aber eine chir¬ 
urgische ist. Die Idee der raschen Säuberung des Schlachtfeldes, welche 
die ersten Hilfsstellen in Verpackungs- und Speditionsanstalten ver¬ 
wandelt, ist nicht immer im Interesse der Verletzten. Die erste Wund¬ 
behandlung stösst auf zu grosse Schwierigkeiten; es sollten am ersten 
Sammelplatz der Verwundeten, an Strassenkreuzungen, längs der Bahn¬ 
linien von Zeit zu Zeit Hilfststellen bestehen, welche die Erneuerung 
der Verbände ermöglichen, namentlich wenn die Verlangsamung dieses 
Transportes derart ist, dass die Verwundeten noch im Anfang der 
Wundeiterungen unterwegs bleiben und dann ganze Erneuerung der 
Verbände erforderlich machen. In solchen Fällen wären wenigstens 
partielle Evacuationen auf kurze Distanzen in kleinere Städte vorzu¬ 
ziehen oder schubweise Rüoktransporte nach kurzem Aufenthalt auf den 
Verbandsstationen, denn Kranke und Verletzte bedürfen während des 
Transportes von Zeit zu Zeit der Ruhe. 

Sitzung vom 8. April 1913. 

Hr. Guisez bespricht eine besondere Form tob Migräne etbmoi- 
dalen Ursprings. Bei beinahe 70 Patienten, die seit Jahren an Kopf¬ 
schmerzen leiden, die allen Behandlungsmethoden (Medikamenten, Diät, 
Nervenresektionen) widerstanden, fand er bestimmte Missbildungen der 
mittleren und oberen Nasenpartien in der Siebbeingegend. Die Schmerz¬ 
anfälle begannen immer in der Gegend der Nasenwurzel oder direkt 
über den Augen und sind immer auf einer Seite stärker als auf der 
anderen. Die Schmerzen strahlen dann auf den Kopf aus, sind aber 
vorwiegend frontal; sie dauern oft länger als 24 Stunden, sind mit 
Uebelkeit und Erbrechen verbunden und können die Patienten stark 
herunterbringen. Die Untersuchung der Nase ergibt Hypertrophie des 
Kopfes der mittleren und oberen Muschel, die die Nasenknoohen nach 
aussen treiben, somit die Nasenwurzel verbreitert erscheinen lassen. Die 
Schleimhaut ist ab und zu myxomatös entartet und Polypen füllen den 
mittleren Nasengang. Die Heilung wird durch lokale Behandlung, Re¬ 
sektion der Muscheln, Entfernung der Polypen erzielt; der obere und 
mittlere Nasengang muss gründlich erweitert werden. 

Hr. Ledonx-Lebord macht auf die radioaktive! Derivate des 
Thoriums aufmerksam, besonders auf das Mesothorium, welches aus 
den Ueberbleibseln der Fabrikation der Auerlichtstrümpfe gewonnen 
wird und das wegen seines geringen Preises als Ersatzmittel des Radiums 
gute Verwendung finden kann. Suboutan und intravenös injiziert, ist 
es bei inoperablen Caroinomen ein gutes Palliativmittel. Bei Brust- 
carcinomen werden damit besonders die Schmerzen gestillt und der All¬ 
gemeinzustand verbessert. 

Sitzung vom 15. April 1913. 

Hr. Widal bespricht an Hand des von Herrn Walther (siehe diese 
Wochenschr., S. 470) den hämatogenen Urspring gewisser Appen- 
dieitisformeB. In einem schon früher vom Vortr. publizierten Fall 
fand man im Blut und im Eiter der Appendix Paratyphus B-Bacillen. 

Diskussion. 

Hr. Achard erinnert daran, dass er im Jahre 1896 mitBensande die 
ersten zwei Fälle von Paratyphusinfektion beobachtet hat. In einem 
Fall handelte es sich um Kulturen, die von einer Patientin stammten, 
die scheinbar Typhus abdominalis hatte, aber die Bacillen waren von 
den Eberth’schen verschieden durch die Agglutination und durch mehrere 
Eigentümlichkeiten der Kulturen, Gärung gewisser Zuokerarten und 
Fähigkeit der Entwicklung auf Nährböden, die schon für Eberthkulturen 
gedient hatten. Kurz vorher hatte Achard in einem Abscess (von 
Herrn Walther operiert) der Brustbeingegend die gleichen Bacillen ge¬ 
züchtet. Seither sind die Paratyphusinfektionen besser bekannt. Die 
von Achard und Bensande gefundenen Bacillen sind mit Para¬ 
typhus B identifiziert 


Hr. P. Delbet bespricht Verdauungsstörungen, die vom Coecum und 
Colon ausgehen und über deren chirurgische Behandlung. Der Begriff 
chronische Appendicitis ist zu weitgehend. Die chronische Appen- 
dicitis erklärt nicht alle Schmerzen der rechten Beckenhälfte, noch alle 
Verdauungsstörungen, die damit Zusammenhängen. Nach Operation 
solcher Fälle bezieht man oft Sohmerzen und Störungen auf postoperative 
Adhäsionen. Tatsächlich aber bestanden diese Beschwerden oft schon 
vor der Operation; ihr Bestehen wurde durch die Operation nicht ge¬ 
hoben. Sie sind oft Folge der anormalen Beweglichkeit des Coecums 
oder seiner Ektasie oder beider zugleich. Die Ektasie findet sich häufig 
bei Appendicitis, ob als Folge oder als Ursache ist nicht klar. Die 
abnorme Beweglichkeit des Coecums erzeugt vielleicht Schmerzen durch 
Zerrungen auf den weniger beweglichen und gesunden Wurmfortsatz. 
Selbst radioskopisch sind diese diffusen Faktoren schwer zu bestimmen. 
Delbet macht deshalb bei allen Appendektomien gleichzeitig die Coeco- 
pexie und Coecoraphie, wenn Ektasie oder abnorme Habilität besteht. 
Von 198 Operierten konnten 52 nachuntersucht werden. Davon hatten 
nur vier noch leichte Schmerzen, 48 waren ganz schmerzfrei. Dieses 
Resultat ist besser als dasjenige der gewöhnlichen Appendektomie. In 
allen Fällen genügen diese Nebenoperationen nicht, es kann sich um 
Erweiterungen des Coecums handeln, die durch Hindernisse seiner Ent¬ 
leerung bedingt sind, namentlich durch fibröse Stränge nach adhäsiver 
Peritonitis, Pericolitis der diversen Teile des Colons usw. und es ist 
darum angezeigt, bei jeder Appendixoperation das Coecum und Colon 
acsendens genau zu besichtigen, um eventuelle Störungen gleichzeitig 
zu beseitigen. 

Sitzung vom 22. April 1913. 

Hr. Petrovitsch-Serbien macht eine Mitteilung über Typhuspro- 
pkylaxe BBd spezifische Behandlung des Typte. Er bat im Uesküb 
460 Fälle mit englischem Impfstoff (durch Wärme gezüchtete Kulturen) 
behandelt. Daneben wurden 220 andere Fälle nur mit Bädern be¬ 
handelt. Die Mortalität bei Bakteriotherapie mit gleichzeitiger Balneo¬ 
therapie war 2,9 pCt. Bei der letzteren allein stieg sie auf 12,8 pCt. 
Von 100 Geimpften erkrankten nur 2 an leichtem Typhus. 

Diskussion. 

Hr. Vincent hat bei 33 mit seinem Typhusimpfstoff behandelten 
Typhusfällen nur günstigen Verlauf beobachtet. Die Behandlung kommt 
oft der Abortivbehandlung gleich, wenn sie in den ersten 6—3 Tagen 
der Krankheit eingeleitet wird. 

Hr. Chantemesse zeigt Tiere, die er gegen Typhus geimpft hat, 
und zwar durch vier Injektionen von sterilisierten Typhusbacillen, die 
eine halbe Stunde auf 120° erwärmt worden sind. Diese Tiere sind 
immunisiert, ihr Blut enthält entsprechende Antikörper. Diese Versuche 
bestätigen die mit Herrn Widal vor 25 Jahren gemachten. Im Jahre 
1912 wurden in den Vereinigten Staaten 65 000 Personen mit gewärmtem 
Impfstoff behandelt; davon hatten nur 6 leichten Typhus. Von 5000 
nicht Geimpften hatten 12 Typhus. 

Hr. Mignon zeigt an Hand von mehreren Endresultaten der Nerven- 
nahf dass die Prognose dieser Operation ganz unsicher ist. Der Chirurg 
vereinigt wohl die Nervenenden, aber die Natur ermöglicht die Nerven¬ 
leitung. Die Naht kann bei ganz frischen Wunden nicht gelingen, 
andererseits bei infizierten alten Wunden günstig ausfallen. 


Socidtd mddicale des höpitaux. 

Sitzung vom 4. April 1913. 

HHr. Sicard und Leblane haben schon vor Claude und Levy 
lokale Injektionen von Magnesiasalzen bei Hemispasmns facialis ver¬ 
sucht, aber nur mit vorübergehendem Erfolg, so dass sie wieder auf die 
sorgfältig graduierten Alkoholinjektionen zurückgingen. 

HHr. Canssade und Logre beschreiben vier Fälle von pretrakierter 
Infektion der Longen mit Pneumokokken, welche sich durch pseudo- 
cavernöse und pseudopleuritische Erscheinungen bekundete. Diese 
Pneumokkeninfektion täuschte durch den Auskultationsbefund und den 
Allgemeinzustand (Abmagerung und profuse Schweisse) Lungentuber¬ 
kulose vor. Oft fand man an der Spitze pseudocavernöse Erscheinungen 
und gleichzeitig an der Basis pseudopleuritische Symptome. In einem 
Fall bestand Pneumokokkenendooarditis. Im Auswurf und durch die 
Lungenpunktion fand man immer Pneumokokken, während bakterio- 
logisohe Untersuchung, Inokulation und in einem Fall die Autopsie 
Tuberkulose ausschliessen liess. Die vier Fälle dauerten 45—67 Tage, 
drei heilten, einer starb an Endocarditis. Diese schleichenden unregel¬ 
mässigen Pneumokokkeninfektionen sind der cyklischen Pneumonie gegen¬ 
überzustellen. Die Pneumokokken gedeihen schlecht, in Abwesenheit 
von Fibrin, in der Oedemflüssigkeit, wie die Kulturen auf defibriniertem 
Blutserum. Im Sputum und an den kranken Lungenpartieu lässt sich 
kein Fibrin nachweisen. Im Auswurf ist reichlich seroalbuminöse 
Flüssigkeit, die anfallsweise ausgehustet wird. Dieser Symptomenkomplex 
des infektiösen Lungenödems kann an der Spitze Cavernen, an der Basis 
Pleuritis Vortäuschen, aber das gleichzeitige Vorhandensein von leicht 
crepitierendem Rasseln und anfallsweiser Exspektoration von Serum - 
fiüssigkeit geben ihm ein bestimmtes Gepräge, das von Tuberkulose ver¬ 
schieden ist. 

Hr. Dopter beschreibt neue Fälle, die den äusserst günstigen Ein¬ 
fluss des Emetinum hydrochlor. bei Amöbeninfektion darlegen. ln 
einem Fall handelt es sich um einen seit 6 Monaten bestehenden Leber- 


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UNIVERSUM OF IOWA 



9. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1089 


abscess mit Durchbruch des Eiters unter die Haut. Patient war bei 
seiner Ankunft aus Indochina so elend, dass die Operation nicht ver¬ 
schoben werden konnte. Im Eiter und in der Abscesswand wurden 
Amöben nacbgewiesen. Am selben Tage bekam Patient 0,04 cg Emetin 
unter die Haut. Der Eiterabfluss hörte rasch auf, schon nach 8 Tagen 
waren die Verbände nicht mehr beschmutzt; der Allgemeinzustand 
besserte sich rasch. Die anderen drei Fälle sind Dysenterien, seit 
Monaten, in einem Fall seit 2 Jahren bestehend, bei denen Emetin in 
wenigen Tagen die Koliken, Tenesmus, schleimig-blutige Stühle zum 
Verschwinden brachte. Der Erfolg ist geradezu wunderbar. Emetin 
sollte deshalb in Indochina und Marokko in grossem Maassstab Ver¬ 
wendung finden. 

Diskussion. 

Hr. Rouget beschreibt zwei ähnliche Fälle. Ein Patient erkrankte 
in Paris; nach Emetin verschwanden innerhalb 4 Tagen die häufigen 
blutigen Stühle (bis 13 pro Tag). Ein Offizier der Kolonialtruppen hatte 
seit 10 Jahren keinen normalen Stuhl, Emetin brachte rasche Heilung. 

Hr. Costat berichtet über eine Beobachtung von Amöbenbefund 
der Leber mit Durchbruch in die Bronchien und in den Darm. Rasche 
Heilung mit Emetin. . 

Hr. Thiroloix zeigt einen 6 Wochen alten Hund, bei dem er fast 
totale Paikre&sexstirpation gemacht hat. Nach 2 Tagen trat Gly- 
kosurie ein, die nach 8 Tagen während einer Woche verschwand, und 
seither sehr stark ist (56 g pro Liter). Das Tier nahm erst an Gewicht 
zu, welches dann stationär geblieben ist. 

Hr. Siredey und Frl. de Jong beschreiben einen Fall von Spondy¬ 
litis bei Typhös. Am 18. Tage nach Beginn des Typhus traten 
Spondylitiszeicheu in der Lendenwirbelsäule auf: äusserst starke 
Schmerzen, Steifigkeit der Lendenwirbelsäule, Störungen der Stuhl- und 
Harnfunktion. Konstipation und Harnretention. Ruhigstellung, Collargol- 
einreibungen, Jodkaliclysmen wirkten gut. Patientin heilte nach fünf 
Wochen. 

Sitzung vom 11. April 1913. 

Hr. Sergent erwähnt einen Fall von Aortenaneurysma, bei dem bei 
der ersten radioskopischen Untersuchung ein Schatten das ganze 
Mediastinum füllte, aber keine Spur von Pulsation zu sehen war. Patient 
hatte eine syphilitische Mediastinitis, welche das ganze erweiterte Gefäss 
einhüllte. Eine iutensive spezifische Behandlung brachte die Mediastinitis 
Zum Schwinden, und die erneute Radioskopie zeigte, dass Pulsationen 
vorhanden waren. Man soll sich also, um diagnostische Fehler zu ver¬ 
meiden, in solchen Fällen immer an diese Möglichkeit erinnern, auoh 
wenn bei Radioskopie Pulsationen fehlen. 

HHr. Dafoar, Desmarest und Legras haben eine Darmokklasioa 
durch einet Gallenstein, der an der Ileocoecalklappe aufgehalten wurde, 
beobachtet Der Gallenstein stellte einen wahren Ausguss der Gallen¬ 
blase dar und war durch eine Gallenblasenduodenalfistel in den Darm 
getreten und an der Ueocoecalklappe aufgehalten. Patientin starb, trotz 
der chirurgischen Behandlung, die infolge Unkenntnis der Ursache un¬ 
genügend war. Es wurde unter Lokalanästhesie eine Appendicostomie 
gemacht, die als Anus praeternaturalis dienen sollte. Besser wäre ge¬ 
wesen, wenn es der Allgemeinzustand erlaubt hätte, durch Laparotomie 
den Grund der Darmverschliessung zu suchen. Bei der 61jährigen 
Patientin fand man ausserdem die Reste einer vor 36 Jahren duroh- 
gemaohten Extrauterinschwangerschaft, und zwar eine Cyste mit schleimig¬ 
eitrigem Inhalt und sechs kleinen Knochen, daneben eine knochenharte 
Masse mit dem Kopf und dem Schulterring. 

HHr. Dofoar und Thiers zeigen einen Patienten, der 1911 in Portu¬ 
giesischen dien Amöbendy8enterie acquirierte. Alle zwei bis drei Monate 
traten Anfälle von Dysenterie auf; die Behandlung war immer nur von 
vorübergehendem Erfolg begleitet. Bei dem letzten Anfall wurden 
Amöben nachgewiesen und Emetinbehandlung eingeleitet. Die 
Stühle sanken innerhalb zwei Tagen von 16 auf 2, sie sind allerdings 
noch breiig. 

Hr. Cbanfford berichtet über einen neuen Fall von Helling der 
Dysenterie dnreh Emetin. Der 28 jährige Patient, Ingenieur, hatte im 
Alter von sechs bis zehn Jahren in Saloniki zeitweise blutige Diarrhöen, 
die damals für Dysenterie gehalten wurden. Seither lebte Patient in 
Frankreich und hatte keine Erscheinungen mehr, bis er 1911 in Marseille 
nach grossen Anstrengungen wieder an Diarrhöen, 10—12 teilweise 
blutige Stühle im Tag, mit Leibschmerzen erkrankte. Er wurde für ge¬ 
wöhnliche Enteritis behandelt, aber der Zustand verschlimmerte sich, 
Patient hatte 40—50 Stühle im Tag, so dass man an Dysenterie dachte. 
Die Rektoskopie zeigte dysenterische Geschwüre, und in den Stühlen 
wurden typische Amöben nachgewiesen. Kao-sam und Cimarouba gaben 
nur geringen Erfolg. Patient war sehr heruntergekommen, hatte be¬ 
ständig blutig-schleimige Stühle, als Emetinbehandlung eingeleitet wurde. 
Diese wurde sehr gut ertragen. Vom zweiten Tage an nahmen die 
Stühle ab, verloren ihrer hämorrhagischen Charakter und waren vom 
sechsten Tage an geformt und normal und blieben so. Die Amöben 
waren verschwunden. Interessant ist, dass diese exotische Dysenterie 
18 Jahre latent blieb. In einem Fall von Leberabscess, mit Emetin und 
chirurgisch behandelt, wurde nach Sistierung der Eiterung festgestellt, 
dass das radioskopische Bild der Leber rasch homogen wurde und nicht 
wie früher eine luft- und eiterhaltige Höhle erkennen lässt. 

Hr. Thiroloix zeigt eine Anzahl von Beobachtungen und Kurven, 
welche die günstige Wirkung der Typhnsinpfang, verbunden mit kalte» 
Bädern, bei der Typbusbehandlung klarlegen. 


Hr. Le Noir hat die tfdemerzeiigende Eigenschaft des doppelt- 
kohlensanren Natrons untersucht. Die Permeabilität der Nieren wurde 
an Hand der Ausscheidungen von Methylenblau, Jodkali und Natrium 
salicylicum bei Gesunden, Nierenkranken und Diabetikern festgestellt 
und dann bei gleichzeitigen hohen Natrium bicarbonicum-Dosen nach¬ 
untersucht. In hohen Dosen wirkt das Natrium bicarbonicum auf die 
Methylenblauausscheidung hemmend; ebenso in kleinen Dosen bei 
Nephritikern, während diese kleinen Dosen bei Gesunden nicht hemmend 
wirken. Für Jodkali und Natrium salicylicum sieht man auch bei hohen 
Dosen von Natrium bicarbonicum keine Verminderung der Ausscheidung. 
Somit sind die Oedeme, die man nach Natrium bicarbonicum beobachtet 
hat, durch eine Wirkung auf die Nieren und nicht durch Einwirkung 
auf die Gewebe zu erklären. 

Hr. Rist hat durch intravenöse Injektion von Extrakt des 
hinteren Hypophysenlappens, entsprechend den experimentellen 
Erfahrungen von H. Wiggens, bei Lungeoblatimgen der Taberktlose 
guten Erfolg erzielt. V 2 ccm Extrakt wurde in die Vene injiziert. Die 
Blutstillung ist eine sofortige. Eine einzige Injektion kann genügen, 
um schwere Blutungen zu stillen. Das Resultat ist besser als mit allen 
bisher bekannten Mitteln. 

Diskussion. 

Hr. Leon Bernard verzeichnet ebenfalls ein günstiges Resultat. 

Hr. Sergent fragt, ob man das Mittel auch bei hohem Blutdruck 
brauchen könne. Es wäre äusserst wichtig, ein solches Mittel zu be¬ 
sitzen. Bei der Unsicherheit aller empfohlenen Mittel ist der Autor 
wieder auf die alte Ipecacuanha-Opiumbehandlung zurückgegangen, die 
noch die besten Resultate gibt. 

Hr. Barie fragt, ob man febrile und afebrile Fälle gleich behandeln 
könne. 

Hr. Rist hat bei febrilen und afebrilen Fällen gute Resultate ge¬ 
sehen. Alle Fälle hatten niedrigen Blutdruck. 

HHr. Flandin und Joltrain haben in Anbetracht der guten Wirkung 
des Emetin9^4u»f'die blutigen Dysenteriestühle die EmetiibehandliMg 
der Lnügenblataigen versucht, namentlich auch gestützt auf die guten 
Resultate der alten Ipecacuanhatherapie. Eine Blutung, die allen 
Mitteln widerstand, hörte nach Injektion von 0,04 Emetin plötzlich auf. 

Sitzung vom 18. April 1913. 

Hr. P. E. Weil erinnert daran, dass er 1909 experimentell die 
Hypophyse auf ihre coagulierenden Eigenschaften untersucht hat Er 
fand damals, dass die vordere Hälfte keine coagulierende Wirkung be¬ 
sitze, während die hintere Hälfte sehr deutlich auf gesundes und 
krankes Blut coagulierend wirke. Diese Resultate wurden später von 
Herrn Li van bestätigt. 

HHr. Macaigne und Lneien Girard zeigen einen Patienten, der infolge 
einer rechtsseitigen, seit 28 Jahren evolrierenden Lungentuberkulose 
eine acquirierte, durch Radioskopie bestätigte Dextrocardie aufweist. 
Das Herz liegt in der rechten Brusthälfte, die Spitze nach links ge¬ 
richtet. Die rechte Lunge ist dunkel ausgehöhlt, die linke sehr emphy¬ 
sematos und stark durchscheinend. Diese Dextrocardie ist eine Folge 
rechtsseitiger Pleuritis, die die sklerosierte rechte Lunge zurückdrängte; 
sie ist eine Komplikation der Heilung der Lunge durch pleuropulmonäre 
Sklerose. 

Hr. Roaget meldet eine Heilung von Leberabscess durch einfache 
Punktion und Emetininjektionen. Diese Behandlung ist mög¬ 
lich, wenn der Verlauf langsam ist und nicht sofortige Eröffnung ver¬ 
langt. 

Sitzung vom 25. April 1913. 

Hr. Mareel Lobbd beschreibt die Veränderungen des Pankreas, die 
er bei der Autopsie von 17 Diabetikern feststellen konnte. Diese 
Veränderungen sind sehr verschiedener Art; sie gehen von der inten¬ 
siven Sklerose mit Schwund und Verkleinerung der Drüsen lappen bis 
zum völligen Fehlen histologischer Veränderungen der Drüsenlappen und 
des interstitiellen Gewebes. Die Intensität der Veränderungen der Drüse 
gehen mit der Schwere des Diabetes nicht im Schritt. Diabetes mit Ab¬ 
magerung kann bei fast normalem Pankreas bestehen, während man bei 
Nichtdiabetischen oft sehr starke Veränderungen des Pankreas finden 
kann. Es gibt keine Veränderung des Diabetespankreas, die man nicht 
auch bei Nichtdiabetikern finden konnte. Die Auffassung, dass jeder 
schwere Diabetes Pankreasdiabetes sei, bedarf also der Revision. Der 
wahre Pankreasdiabetes besteht nur, wenn man neben dem Zucker¬ 
befund die charakteristischen Verdauungsstörungen ungenügender äusserer 
Pankreassekretion feststellen kann. Diese Fälle sind selten. 

HHr. Sacqndpdo und Chevrel berichten über Vaccinebehandlnng 
der Typhnskrankeo. 28 Patienten wurden mit Typbusimpfstoff be¬ 
handelt, subcutane Injektion von sterilisierten Kulturen, 100 bis 
700 Millionen Mikroben auf 56° erwärmt. Von den 28 Patienten 
starben 2, also 7,1 pCt. gegen 10,5 pCt. Mortalität bei gewöhnlicher 
Typbusbebandlung. Io günstigen Fällen bewirkt die Impfung einen 
deutlichen Temperaturabfall. Diese steigt nach 2 bis 3 Tagen wieder an, 
aber weniger hoch als vorher. Die Dauer der febrilen Periode wurde 
durcbschnittlich um 6 Tage abgekürzt. Ausnahmsweise erzeugte die In¬ 
jektion definitiven Fieberabfall und rasche Heilung. Ein Patient starb 
an Blutung 36 Stunden nach der Impfung, der andere erlag einer Reihe 
von Komplikationen, Blutungen, Laryngotyphus. Vielleicht hat die Be¬ 
handlung diese Blutungen bewirkt. Die Impfbehandlung gibt oft 
äusserst günstige Resultate, aber es ist nicht sicher, dass sie ganz un¬ 
schuldig sei. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 23. 


Diskussion: Hr. Netter bat in zahlreichen Berichten über die 
Impfbehandlung nichts von besonderer Häufigkeit der Blutungen finden 
können. 

HHr. Loeper und Mongeot haben den An gen -Herzreflex von 
Miloslavich und Grossmann bei Magenneurosen untersucht. 
Dieser Reflex besteht in Modifikationen des Herzrhythmus, welche sofort 
durch Druck auf die Augäpfel ausgelöst wurden. Bei Gesunden tritt 
eine Pulsverlaogsamung ein, etwa 6 Schläge weniger pro Minute. Bei 
Magenneurosen, bei denen der Symptomen komplex eine Hypertonie des 
Vagus verriet, war dieser Reflex verstärkt, er war umgekehrt bei Neurosen, 
die eine Hypertonie des Sympathicus hatten; diese Patienten zeigten 
auf Augendruck eine Pulsbeschleunigung. Eine Verlangsamung auf 
SO Schläge pro Minute wurde bei einem Patienten nach Operation wegen 
Geschwürs der kleinen Curvatur beobachtet. Die histologische Unter¬ 
suchung des resezierten Stückes zeigte entzündliche Infiltration der 
Nervenfasern des Vagus. 

Diskussion: Hr. Milian erinnert daran, dass Herr Gautrelet 
bei Basedow bedeutende Pulsverlangsaraung nach Druck auf die Augen 
beobachtet hat. 


Bericht über die 13. Jahresversammlung des 
Vereins Norddeutscher Psychiater und Neuro¬ 
logen zu Altona vom 5. April 1913. 

Vorsitzender: Herr W. Cimbal - Altona. 

Schriftführer: Herren Hinrichs - Schleswig und Jakob - Friedrichsberg. 

Hr. Dräseke - Hamburg spricht als erster über die Scapula 
scaphoidea. 

Vortr. hat bei 4000 Volksschulkindern in ca. 10—20pCt. eine 
deutlich ausgesprochene Scapula scaphoidea nachweisen können; in den 
Hilfsschulen sogar in ca. 25 pCt. Die Träger der Scapula scaphoidea 
sind durchschnittlich intellektuell schlechter entwickelt, die körper¬ 
liche Untersuchung ergibt eine ganze Reihe von Degenerationszeichen 
und als wichtigsten Allgemeinbefund in fast allen Fällen eine Rachitis. 
Nach allem spielt die Lues in der Ascendenz der Kinder mit Scapula 
scaphoidea nicht die Rolle, die ihr zugemessen wird. Es wurden einige 
Fälle von Scapula scaphoidea mit rachitischem Thorax uDd gut ge¬ 
bildeten Zähnen demonstriert. 

Diskussion. 

Hr. No n ne - Hamburg hält die Scapula scaphoidea als den Aus¬ 
druck einer Reimschädigung für ein neues Degenerationszeichen. 

Hr. Weygandt - Hamburg sieht ebenfalls die Scapula scaphoidea 
als ein Degenerationszeichen an und streift die interessanten Beziehungen 
der Rachitis zur intellektuellen Entwicklung der Kinder. 

Hr. Brückner - Hamburg hält es für wichtig, darauf zu achten, ob 
die Scapula scaphoidea quoad vitam ein malignes Symptom darstellt. 

Hr. Reye- Hamburg betont, dass die Scapula scaphoidea keines¬ 
wegs eine für Lues spezifische Bedeutung habe. 

2. Hr. Nonne - Hamburg: Ueber Fälle von Myelitis funi- 
cularis mit ungewöhnlichem Verlauf. 

Hr. Nonne referiert über den heutigen Stand der Lehre von der 
Myelitis funicularis, die von den Erfahrungen der spinalen parenchyma¬ 
tösen herdförmigen Degenerationen bei Anämien verschiedener Patho¬ 
genese ausging. Er berichtet über zwei Fälle, deren klinischer Verlauf 
völlig atypisch war. In dem ersten Fall handelte es sich um ein 
klinisch durchaus gewöhnliches Bild einer multiplen Sklerose, in dem 
anderen Falle um das einer transversalen akuten Myelitis. In beiden 
Fällen deckte erst die Sektion und die spätere mikroskopische Unter¬ 
suchung eine Myelitis funicularis als anatomische Grundlage des Krank¬ 
heitsverlaufes auf. 

Diskussion. 

Hr. Woh 1 will - Hamburg macht auf die cerebralen Symptome bei 
funiculärer Myelitis aufmerksam und betont die Wichtigkeit der regel¬ 
mässigen Untersuchung des Gehirns. 

Hr. Dräseke - Hamburg weist darauf hin, dass bei den geschilderten 
Befunden vielleicht zur Erklärung auch das rein mechanische Moment 
der Umlagerung der grauen und weissen Substanz in der Oblongata 
herangezogen werden kann. 

Hr. Jakob - Hamburg betont die Unterschiede im mikroskopischen 
Bilde von Fällen der Myelitis funicularis und multiplen Sklerose: hier 
schwere, entzündliche, exsudativ-infiltrative Vorgänge an 
den Gefässen, die dort völlig fehlen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass 
wir hierin wesentliche Anhaltspunkte für die pathogenetische Beurteilung 
der Krankheitprozesse erblicken müssen: bei der Myelitis funicularis, 
eine ausgesprochen toxische Störung, dürften die oben angeführten Be¬ 
funde bei der multiplen Sklerose mehr an ein lebendes Virus 
denken lassen. 

3. Hr. G. v. Bergmann - Altona: Der Status des vegeta¬ 
tiven Nervensystems. 

Im Gegensatz zu den ersten Publikationen, welche die klinischen 
Krankheitsbilder der Vagotonie aufgestellt haben, bat neuerdings 
Lewandowsky gemeint, diese Begriffe sollten vollkommen fallen ge¬ 
lassen werden. 

Die Wahrheit liegt nach den Untersuchungen auf der inneren 
Abteilung des städtischen Krankenhauses in Altona in der Mitte. Es 


ist richtig, dass Individuen, die nur im Gebiete des Vagus oder nur 
dem des Sympathicus leichter erregbar sind, eigentlich nicht verkommen. 
Es ist ferner richtig, dass die Aufstellung eines erweiterten Vagusgebietes 
eine pharmakologische Abstraktion ist, die mit Tatsachen aus dem Ge¬ 
biete der Auatomie und namentlich auch der Physiologie nicht lückenlos 
übereinstimmt. So kommt es auch, dass von einzelnen Symptomen sich 
gar nicht sagen lässt, ob sie Vagus- oder Sympaticussymptome sind, 
z. B. das Schwitzen. Endlich ist der Begriff der Tonie nicht so einfach 
für die klinischen Verhältnisse anwendbar. Nun kommt aber noch 
hinzu, dass die Berechtigung, eine Neurose sui generis hier abzugrenzen, 
sicher nicht in der Allgemeinheit zutrifft. Gerade centrale Neurosen, 
wie z. B. die Hysterie, zeigen fast regelmässig auch Abweichungen im 
vegetativen Nervensystem. Man hat auch gemeint, dass nur bei 
psychischen Störungen, Kombinationen von Sympathicotonie und Vagotonie 
Vorkommen (v. Noorden jun. u. a.). Auch das trifft nicht zu, die 
Mischformen sind durchaus auch sonst die Regel. Wir kommen klinisch 
am weitesten, wenn wir ungeachtet der Hypothesen uns zunächst be¬ 
schränken, die „Stigmata des vegetativen Nervensystems“ festzustellen, 
sowohl die spontanen, wie z. B. das Schwitzen, den Dermographismus, 
das Glanzauge, den Exophthalmus, den Blähhals, die Hypersekretionen 
und die Motilitätsstörungen am Magen oder Darm und dergleichen mehr, als 
daneben die pharmakologischen Prüfungen mittels Andrenalin und Atropin 
einerseits und Pilocarpin, Physostigmin andererseits. Solche ganz all¬ 
gemein durchzuführenden Untersuchungen sind der Vorschlag des Vortr., 
der sie für einen einwandfreien klinischen Status bei einem Patienten 
für mindestens ebenso wichtig erklärt, wie z. B. jene Reflexprüfungen 
des centralen Nervensystems, d. h. jene zum Gentrainervensystem und 
dessen Bahnen gehörigen Untersuchungen, die heute schon Allgemeingut 
sind. Der so systematisch durchgeführte Status des vegetativen 
Nervensystems wird Zusammenhänge ersohliessen, die bisher nicht 
erkannt waren. Dies wird erläutert durch die Häufigkeit der vegetativen 
Stigmata beim Ulcus duodeni, also an einem beliebigen Beispiel. Wir 
sollten zunächst die Begriffe Vagotonie und Sympathicotonie mit den 
dahinter steckenden Hypothesen ganz beiseite lassen: die Vorstellung, 
dass ein System allein ergriffen sei, ist unrichtig; ausserdem könnte so¬ 
wohl von der Peripherie wie vom Centrum aus, ja auch in den vegeta¬ 
tiven Bahnen selbst und den dazu gehörigen Ganglien und Plexus das 
auslösende Moment seinen Anfang nehmen, welches die vegetativen 
Stigmata erzeugt, schliesslich auch in den Drüsen mit innerer Sekretion, 
die durch ihre Hormone das Nervensystem fördernd und hemmend be¬ 
einflussen und ähnlich wie die erwähnten Pharmaca geänderte Be¬ 
dingungen im vegetativen Nervensystem schaffen. 

Diskussion. 

Hr. Trö mm er-Hamburg betont die Wichtigkeit der Erforschung 
des sympathischen resp. autonomen Systems für die Kenntnis der 
funktionellen Neurosen. 

Hr. Weygandt - Hamburg macht auf die Betrachtung der Dem. 
praecox in ihren Beziehungen zu einem gewissen Dysadrenalismus auf¬ 
merksam. Der von Kraus und Peritz betonte Gegensatz des mehr 
sympathicotropen Kindesalters und des vorwiegend vagotropen post- 
pubischen Alters ist auch für die Psychogenese und Rassenpsychologie 
von Bedeutung. 

Hr. Bischoff - Langenhorn betont die grosse Bedeutung, welche die 
Untersuchungen über die Funktionen des sympathischen Nervensystems 
für die Psychologie haben, in der sie geeignet sind, geradezu ausschlag¬ 
gebend in der Frage nach der Unterscheidung zwischen Gefühl und 
Empfindung zu sein. 

4. HHr. A. Jakob und V. Kafka-Hamburg: Ueber atypische 
Paralysen und paralyseähnliohe Krankheitsbilder mit be¬ 
sonderer Berücksichtigung der anatomischen und sero¬ 
logischen Untersuchungsergebnisse. 

Hr. Jakob geht von den Noguohi’schen Spirochätenbefunden aus, 
von denen er sich selbst in Originalpräparaten, die Herr Prof. Wey¬ 
gandt zugesandt erhielt, überzeugen konnte, und erwähnte die Tat¬ 
sache, dass sich die Spirochäten in diesen Präparaten nur ganz ver¬ 
einzelt auffinden Hessen gegenüber jenen Originalpräparaten, die Herr 
Nonne jüngst im Hamburger biologischen Verein demonstrierte, in 
denen herdweise Ansammlungen von Spirochäten zu sehen waren. J. hebt 
die Wichtigkeit reichlicher und sorgfältiger Nachuntersuchungen an 
einem grossen Material hervor, die hier erst ein entscheidendes Wort 
sprechen können, entscheidend namentlich für die Frage, wie und warum 
die Spirochäten hier diesen Weg gehen, und ob der Spirochätenbefund 
allen Fällen von Paralyse zukommt, oder nur besonders gearteten Fällen 
eigen ist. 

Der Vortr. weist dann auf die bekannte Tatsache hin, dass es 
Paralysen gibt, die in ihrem Zustandsbild wie Verlauf recht erheblich 
von dem gewohnten Bilde abweichen, dass wieder andere serologisch 
auffallende abnorme Reaktionen zeigen und wiederum andere anatomisch 
durch einen eigenartigen Befund überraschen. All diese „atypischen“ 
Fälle werden von den beiden Vortr. schon seit längerer Zeit gesammelt 
und besonders eingehend untersucht; aus diesen Erhebungen scheint 
hervorzugehen, dass sich — namentlich durch das Zusammenarbeiten 
von Serologie und Auatomie — gewisse Untergruppen aus dem grossen 
paralytischen Krankheitsbilde herausschälen lassen. Anatomisch inter¬ 
essierten vornehmlich die entzündlich-infiltrativen Vorgänge im Vergleich 
mit den entsprechenden Erscheinungen anderer Infektions- und lntoxi- 
kotionskrankheiten, insbesondere aber in ihren Beziehungen zu den 
echten misch-entzündlichen Prozessen, weiterhin die Frage uach 


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9. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1091 


eventuellen Kombinationen echter luischer Prozesse mit „tabischen und 
paralytischen“ Veränderungen im Centralnervensystem. Gerade für das 
Studium dieser Fragen scheinen die klinisch und serologisch atypischen 
Fälle von Paralyse sehr wichtig und interessant. 

J. bespricht nun an der Hand von Mikrophotogrammen die auf¬ 
fallendsten und von dem gewöhnlichen Befunde abweichenden 
histologisohen Erscheinungen solcher atypischen Fälle, die in 
mehrere Gruppen eingeteilt sind. 

Die erste Gruppe umfasst fünf Kranke, die klinisch atypische 
und daher unerkannte Paralysen darstellen, serologisch positiv 
reagierten und auch anatomisch im wesentlichen den für Paralyse 
charakteristischen Befund neben bemerkenswerten histologischen 
Eigentümlichkeiten zeigten. 

1. Patient Da. erkrankt erstmals mit 82 Jahren an Melancholie 
(9 Monate Anstaltsaufenthalt), mit 51 Jahren zweite Aufnahme wegen 
paranoider Ideen und Verwirrtheit. Neben Ungleichheit der Pupillen 
und allmählicher Abschwäcbung der Patellar- und Achillessehnenreflexe 
bietet Pat. ein typisch-paranoides Zustandsbild, mit zahlreichen Manieren 
und langsam fortschreitendem intellektuellen Verfall. Nach 26 jährigem 
Anstaltsaufenthalt mit 77 Jahren Exitus an epileptiformem Anfall. 
Diagnose: Dem. paranoides. Makroskopisch Leptomeningitis (leichten 
Grades); keine Ependymitis. Gehirngewicht 1260 g. Mikroskopisch 
neben leichter Degeneration der Hinterstränge ein für 
Paralyse sprechender Befund am Grosshirn mit ausgesprochener 
Endarteritis luica der kleinen Gefässe; an einzelnen Rindenzellen 
(namentlich Insel) nehmen die infiltrativen Erscheinungen mehr 
den Charakter der Meningoenoephalitis luica an (hochgradige und 
gleichmässige Infiltration der Pia und der Lymphscheiden der benach¬ 
barten Rindengefässe; herdweises Uebergreifen der Piainfiltration auf 
das Rindengewebe mit starken reaktiven Erscheinungen der Glia). 

2. Patient Li., mit 30 Jahren wegen paranoider Ideen aufgenommen, 
bietet 25 Jahre hindurch neben ad maximum erweiterten und lichtstarren 
Pupillen (nach spezialistischer Untersuchung ein angeborener Irisdefekt) 
psychisch ein charakteristisches paranoides Krankheitsbild voller Manieren 
und Gehörshalluzinationen. 3 Monate vor dem Tode apoplectiformer 
Anfall mit nachfolgender Schwäche der Extremitäten, des Facialis und 
Sprachstörung. Nach 25 jährigem Anstaltsaufenthalt mit 55 Jahren Exitus. 

Diagnose: Dem. paranoides und Arteriosklerose. Makro¬ 
skopisch eine teilweise in Organisation begriffene subdurale Blutung über 
beide Hemisphären; die Meningen zart, keine Ependymgranulation. Mikro¬ 
skopisch ein typisch-paralytisch er, vorgeschrittener Prozess in der 
Hirnrinde mit deutlicher Endarteritis luica der kleinen Gefässe. 

3. Patient Ha., seit dem 9. Lebensjahre epileptische Krämpfe, als 
das Bild eines dementen Epileptikers mit zahlreichen Anfällen 13 Jahre 
lang in der Anstalt. Mit 42 Jahren Tod im Status. 

Diagnose: Epilepsie. Mikroskopisch paralytischer Ent¬ 
zündungsprozess mit ausserordentlicher Gefässvermehrung. 

4. Patient Fe., mit 58 Jahren an Merkfähigkeits-, Gedächtnis- und 
agnostischen Störungen erkrankt, macht den Eindruck einer präsenilen 
Demenz. Mikroskopisch eine ausgesprochene Paralyse mit kleinen 
herdförmigen Ansammlungen von Lymphocyten in der Rinde 
ausserhalb der Gefasssoheiden. 

5. Patient Zi. erkrankt mit 55 Jahren apoplektiform mit nach¬ 
folgender Hemiplegie, motorischer und sensorischer Aphasie; nach 1 f 2 Jahr 
im Status Exitus. 

Diagnose: Hirnlues. Mikroskopisch schwerer paralytischer Hirn¬ 
befund mit besonderem Befallensein des linken Schläfen¬ 
lappens; hier auffallend starke Pia- und davon abhängige 
Gefässinfiltrationen; zahlreiche Plasmazellen frei im Gewebe; End- 
arteritis mit Gefässneubildung. 

In einer zweiten Gruppe von Fällen wird kurz über paralyse¬ 
ähnliche Krankheitsbilder gesprochen, bei denen namentlich auf Grund 
der negativen serologischen Befunde eine Paralyse ausgeschlossen werden 
konnte. Anatomisch handelte es sich um Fälle von Arteriosklerose, 
diffuser Sklerose, Alzheimer’scher Krankheit. (Es waren keine Fälle 
darunter, wie sie erst jüngst von Alzheimer als von noch unbekannter 
Pathogenese geschildert worden sind.) 

Die dritte Gruppe umfasst klinisch einwandfreie Paralysen, 
die durch ihre negativen serologischen Reaktionen auffallen. 
Auch anatomisch handelt es sich dem mikroskopischen Bilde nach in 
einem Falle um eine ganz typische Paralyse; in zwei weiteren Beob¬ 
achtungen stehen aber die hochgradigen, sich besonders an die pialen 
Gefässe haltenden Meningealinfiltrationen und endarteritischen 
Erscheinungen an den Rindengefässen (mit stellenweise völligem 
Verschluss) weitaus im Vordergrund der histologischen Veränderungen, 
die in anderen Windungen wieder in einem für die Paralyse charakte¬ 
ristischen Befund sich entwickelt haben. 

In einem anderen Falle, der klinisch als Paralyse mit Herd¬ 
erscheinungen imponierte und alle serologischen Reaktionen stark 
positiv zeigte, charakterisiert sich der anatomische Prozess als 
Meningitis luica und Endarteritis mit Erweichungen. 

Schliesslich wird an zwei Fällen das Kapitel Meningitis und 
Paralyse kurz erörtert; im ersten Falle Sehr., der ein meningitisches 
Bild bot, zeigte sich anatomisch eine auffallende Paralyse; im zweiten 
Falle Rö. konnte histologisch eine die Paralyse komplizierende 
Kokkenmeningitis sichergestellt werden. . 

Zusammenfassend macht J. auf die Schwierigkeiten aufmerksam, die 
sich, in solchen atypischen Fällen auch der anatomischen Beurteilung 


entgegenstellen und glaubt, dass gerade im Hinblick auf die Noguchi- 
schen Befunde die Paralysen mit endarteritischen Erscheinungen grosse 
Beachtung verdienen. Sogleich nach dem Bekanntwerden der Noguchi- 
schen Entdeckung wurden vom Vortr. gerade die oben besprochenen 
Fälle nach der Original-Levaditi-Methode untersucht — bis jetzt mit 
negativem Erfolg. 

Hr. Kafka-Hamburg bespricht an der Hand einer Tabelle die bei 
den von Herrn Jakob beschriebenen Fällen sich ergebenden Resultate 
der Untersuchung der Körperflüssigkeiten. 

Es wurden im Blut die Wassermann’sche Reaktion mit allen Ver¬ 
feinerungen, ferner die Normalamboceptor- und Komplementbestimmung 
vorgenommen, in der Cerebrospinalflüssigkeit die vier Reaktionen, event. 
auch mit Bestimmung der Zellart im Hämtoxylin-, Eosin- und Alz¬ 
heimer-Präparat, ferner die Bestimmung des Normalamboceptors und 
Komplements nach Weit und Kafka. Ausserdem wurden in manchen 
Fällen noch besondere Untersuchungen angestellt. 

Die meisten Fälle wurden intravital untersucht, einige jedoch post¬ 
mortal, wobei sich herausstellte, dass das kurze Zeit nach dem Tode 
entnommene Spinalpunktat sich sehr gut zur Prüfung eignet, weniger 
der bei der Sektion erhaltene Ventrikelliquor. Die Fälle der ersten 
Gruppe (klinisch unerkannte und atypisch verlaufende Paralysen), sind 
von ganz besonderem Interesse. Hier hat die Hämolysinreaktion ihre 
Feuertaufe bestanden, indem sie durch ihren stark positiven Ausfall (im 
ersten Fall auch im postmortalen Spinalliquor) die Paralysendiagnose 
über jeden Zweifel erhob. K. demonstriert an einer Tabelle die nach 
den Berichten der Literatur bis jetzt erhaltenen Resultate mit der 
Hämolysinreaktion und Komplementbestimmung in der Cerebrospinal¬ 
flüssigkeit; nach dieser findet sich bei der akuten Meningitis Normal¬ 
amboceptor in 100, Komplement in mindestens 90 pCt. der Fälle, für 
die Paralyse ergeben sich mindestens 87 und 90 pCt., während alle 
anderen Krankheiten 0 pCt. zeigen. Im zweiten Teile bietet sich auch 
das Phänomen des Komplementschwundes im Blute. 

Dies leitet zum dritten Fall über, der Komplement- und Normalambo- 
ceptorschwund im Blutserum aufwies. K. demonstriert an der Hand der 
Tabelle, dass Fehlen des Normalambooeptofs ira Blute bei Paralyse 
viel häufiger als bei Lues und Nichtlues vorkommt; das Gleiche gilt in 
erhöhtem Maasse von der Analexie (bei Ausschaltung von Lepra, Fieber, 
Kachexie). Das Vorkommen beider Phänomene zusammen deutet aber 
fast immer auf eine Paralyse hin. So konnte also auch in diesem 
Falle aus dem letztgenannten Syndrom im Zusammenhang mit den 
schwach positiven sonstigen serologischen Reaktionen im Blut und 
Liquor (die allein die Diagnosenstellung noch nicht erlaubt hätten) die 
Paralyse erkannt werden. 

Auffallend war in diesem Fall auch die stark hämolytische Wirkung 
des Harns, wie man sie häufig bei Paralyse (aber nicht allein) findet. 

Der vierte Fall machte durch seinen stark positiven Wassermann 
im Liquor die Paralysendiagnose wahrscheinlich. 

Auch im fünften Fall liess die Stärke der Reaktionen die Paralysen¬ 
diagnose sicherstellen. Die zweite Gruppe: Klinisch paralyseverdächtige, 
aber anatomisch nicht paralytische Krankheitsbilder zeigen auch im 
serologischen Verhalten ein negatives Bild. 

Von besonderer Wichtigkeit ist die dritte Gruppe: Fälle, bei denen 
die Paralyse klinisch erkannt war, die aber anatomisch Besonderheiten 
boten und durch ihre negativen Untersuchungsergebnisse des' Liquors 
und Blutes auffielen. Im Anschluss daran spricht K. an der Hand einer 
Tabelle über Fälle, die teils im Liquor und Blute negativen Befund 
zeigten, teils im Blute negativen, im Liquor positiven; die letzteren 
bilden ungefähr 6—7 pCt. des Materials. Die beiden letzten Fälle be¬ 
treffen das Kapitel Meningitis und Paralyse. 

K. bespricht das Vorkommen von Polynucleären im Liquor bei 
Paralysen mit und ohne besondere Exacerbationen des Krankheitsbildes 
und die Mischinfektionen bei Paralyse. 

Da im Liquor des ersten Falles die Lymphocyten hauptsächlich 
vermehrt waren, dagegen sich in demselben kein Komplement fand, 
konnte die Diagnose „paralytische Meningitis“ gegen tuberkulöse. auf¬ 
recht erhalten werden. Im zweiten Falle sprach das morphologische 
Bild des Liquors (Polynucleäre und zerfallene Kokken) wie auch das 
Resultat eines Komplementbindungsversucbes für die Diagnose „eitrige 
Meningitis“, während die Paralyse aus den Reaktionen schon früher 
festgestellt war. 

K. rät, für die Diagnose das Ensemble aller Erscheinungen zu 
verwerten und betont besonders die Verwertbarkeit der erwähnten neueren 
Reaktionen. Er ist der Meinung, dass sich durch striktes Zusammen¬ 
arbeiten der Anatomie und Serologie Unterarten der Paralyse diagnosti¬ 
zieren und interessante 'Uebergänge studieren lassen werden. 

Er hebt aber ganz besonders in Anbetracht der Noguchi’schen Be¬ 
funde die Selbständigkeit der Paralyse im klinischen und serologischen 
Sinne hervor, demonstriert dieses letztere an der Hand einer Tabelle 
und bespricht die Schwierigkeiten, die sich immer noch der Pathogenese 
der Paralyse und ihrer Therapie entgegenstellen. 

Diskussion. 

Hr. Sänger-Hamburg fragt Herrn Jakob, ob sich unter den mit¬ 
geteilten Fällen ein Fall befände* den er ihm zur Untersuchung ge¬ 
schickt habe, und bei dem es sich um die Differentialdiagnose zwischen 
Paralyse und Lues cerebrospinalis gehandelt hat. Herr k S. empfiehlt 
die Untersuchung mittels Cholesterinextrakten. 

Hr. Brückner-Hamburg bestätigt die Ausführungen des Herrn 
Kafka, wonaoh eine negative Wassermann’sohe Reaktion im Serum von 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 23. 


Paralytikern häufiger vorkommt. Die forensische Bedeutung der positiven 
Wasserraann’achen Reaktion im Liquor hält Br. für problematisch. 

Hr. Weygandt-Hamburg gibt eine Würdigung der Befunde in den 
ihm von Noguchi freundlichst übersandten Präparaten und weist darauf 
hin, dass in dem einen Präparat, wo spirocbätenartige Gebilde anzu¬ 
nehmen sind, statt einer interstitiellen Infiltration mehr eine Endarteritis 
auffällt, und dass es mitunter grosse Schwierigkeiten macht, die zum 
Teil kräftig mitgefärbten Neurofibrillen von den Spirochäten zu unter¬ 
scheiden. Er betont die Wichtigkeit sorgfältiger Nachuntersuchungen 
und meint, dass wir hinsichtlich der Paralyseforsohung nicht am Ab¬ 
schluss, sondern erst am Anfang weiterer Entwicklungen stehen. 

Hr. Rittershaus-Hamburg hält es für möglich, dass es sich bei 
serologisch schwach positiven Fällen um eine abgeschwächte hereditäre 
Lues von seiten der Eltern und Grosseltern handeln könne. 

Hr. Kafka (Schlusswort; betont gegenüber Herrn Sänger, dass 
der relativ grosse Prozentsatz im Blute nach Wassermann negativ rea¬ 
gierender Paralysen gegenüber den St. Georger Fällen wohl durch die 
Eigenart und Menge des Friedrichsberger Materials bedingt sei; die 
Resultate stehen aber nach jeder Richtung hin fest und sind bei mehr¬ 
maliger Untersuchung, und zwar mit der Originalmethode, gewonnen. 
Die Verfeinerungen klärten dann nur, wie K. demonstriert hat, das Bild. 
Für den Liquor wurde selbstverständlich nur die Originalmethode mit 
Auswertung nach Hauptmann verwendet, nicht aber die Cholestearin- 
Wassermann-Kältemethode. Auf die Frage des Herrn Rittershaus 
möchte K. mitteilen, dass ihm in seinen serologischen Untersuchungen 
öfter Anzeichen vorgekommen sind, die auf eine veränderte Blut¬ 
beschaffenbeit bei Lues in früheren Generationen hinzudeuten scheinen. 

Hr. Brückner bestätigt K., dass in forensischen Fällen eine posi¬ 
tive Wassermannreaktion im Liquor nicht ausschlaggebend sein darf. 

Hr. Jakob (Schlusswort) erwidert Herrn Sänger, dass der von 
ihm zugeschickte, im Vortrag nicht erwähnte Fall auch anatomisch einen 
atypischen Befund darstellt: eine im Vordergründe stehende luische 
Meningitis und Endocarditis, aber an manchen Stellen eine deutliche 
paralytische Gefässiüfiltration. Erst weitere Untersuchungen müssen es 
ergeben, ob wir in manchen.dieser atypischen Fälle gewisse „Uebergangs- 
formen“ zu anderen luischen Prozessen erblicken dürfen. Immerhin 
bleiben alle solche Fälle eine Ausnahme, und auch die Noguchi’scbe 
Entdeckung wird an der nicht zuletzt auch anatomisch so wohl begrün¬ 
deten Sonderstellung des paralytischen Krankheitsprozesses nicht rütteln 
können, wohl aber unsere Auffassung bezüglich der Pathogenese beein¬ 
flussen müssen. 

5. Hr. Sänger-Hamburg: Demonstrationen. 

Vortr. demonstrierte zuerst einen Fall von Myelodysplasie: ein 
18jähriges Mädchen, das von jeher an Enuresis nocturna leidet; neuro¬ 
logisch findet sich ein Fehlen des rechten Ach. S. R., eine hyper- 
ästhetische überhandbreite Zone um den Anus und im Bereiche von 
S. 3. Die Röntgenuntersuchung ergibt eine Spaltbildung der Kreuz¬ 
beinwirbel, und zwar verläuft der Spalt vom 1. Kreuzbeinwirbel schräg; 
dann erweitert er sich zu einer geraden breiten Lücke in sämtlichen 
Kreuzbeinwirbeln. 

5. demonstrierte die Röntgenaufnahme und sprach über den von 
Fuchs-Wien zuerst beschriebenen Symptomenkomplex der Myelodysplasie, 
deren anatomische Ursache in einer rudimentären Form der Spina bifida 
occulta liegt. 

2. Einen Fall von operativ geheilter Cyste im rechten 
Occipitalhirn: ein 27jähriges Mädchen leidet seit kurzem an Schwäche 
in der linken Hand, Kopfschmerzen und Schmerzen in beiden Augen und 
zeitweisem Erbrechen. Der neurologische Befund ist: linke Hemiparese 
inklusive Facialis total und Zunge, linke Hemianästhesie für alle Quali¬ 
täten, homonyme laterale linke Hemianopsie, gleichnamige Doppelbilder 
nach rechts (rechts Abducensparese) und beiderseits beträchtliche Stauungs¬ 
papille bei ungleichen Pupillen (1. s. r.); Druck und Klopfempfindlich¬ 
keit über der rechten Hinterhauptsgegend. 

Diagnose: Tumor des rechten Occipitallappens. 

Bei der Operation (zweizeitig naoh Anlegung einer kleinen Oeffnung 
auch über dem linken Occipit) entleert sich eine serös getrübte 
Flüssigkeit in reichlicher Menge, die Cyste geht ziemlich tief in den 
rechten Hinterhauptslappen hinein. Es erfolgt gute Heilung, so dass 
jetzt bei gutem Allgemeinbefinden nur noch eine leichte Hemiparese und 
Hemianopsie zurückgeblieben ist. 

3. Einen Fall von operativ geheiltem Tumor cerebri: einen 
jungen Mann, der vor 5 Jahren im Krankenhaus St. Georg (Dr. Wie¬ 
singer) wegen Tumor cerebri (Kopfschmerz, Erbrechen, rechts Hemi¬ 
plegie, doppelseitige Stauungspapille) auf der linken Kopfseite trepaniert 
worden war; die Tumorsymptome sind sämtlich -zurückgegangen bis auf 
die rechte Parese. Der anfangs bestehende Hirnprolaps bildete sich 
spontan zurück. 

Diskussion: Hr. Trömner-Hamburg empfiehlt im 1.Falle thera¬ 
peutisch epidurale Injektionen nach Kathelin oder hypnotische Suggestion. 

6. Hr. Böttiger-Hamburg stellt einen durch Operation ge¬ 
heilten Fall von Kleinhirnoyste vor. Der 28jährige Mann klagte 
seit einigen Monaten über Gefühl der Unsicherheit und Schwäche im 
rechten Arm und Bein. Seit 3 Wochen dazu Kopfschmerz, Schwindel, 
Erbrechen und Suhstörungen. Status vom 10. III. 1913: Beiderseits 
Stauungspapille, rechts Nackenmuskulatur angespannt, Nystagmus, lang- 
samschlägig, nach rechts stärker als nach links, Mundfaoialis rechts < 
links, sehr deutliche Ataxie im rechten Arm und Bein, grobe Kraft im 
rechten Arm und Bein herabgesetzt. Pat. S. R. rechts > links. 


Die Diagnose lautete auf Tumor der rechten Kleinhirnhemi¬ 
sphäre mit sekundärem Hydrocephalus internus. Die Allge¬ 
meinerscheinungen werden vorwiegend auf letzteren, die Lokalerschei¬ 
nungen an den Extremitäten dagegen auf die Lokalisation des Tumors 
bezogen. Am 11.111. Operation. Punktion einer tief in der rechten 
Kleinhirnhemisphäre sitzenden Cyste mit bernsteingelbem, gallertigem 
Inhalt. Am 18. III. Abtastung der Cysten wand nach breiter Eröffoung 
der Cyste, ohne dass ein wandständiger Tumor gefunden wurde. Bia 
heute sind geschwunden: Kopfschmerzen, Erbrechen, rechtsseitige Nacken¬ 
steifigkeit und fast geschwunden die Stauungspapillen; geblieben ist 
Ataxie und Parese der rechten Extremitäten, der Nystagmus nach rechts, 
wenig cerebellarer Schwindel. 

B. erwähnt einen anderen Fall von Kleinbirncyste, den er voriges 
Jahr operieren Hess; in diesem Falle fehlten absolut Erscheinungen, die 
die Diagnose der erkrankten Hemisphäre ermöglicht hätten; die Cyste 
sass dicht unter der Oberfläche der Hemisphäre. Demnach scheinen die 
mehr basalwärts sitzenden Erkrankungen der Kleinhirnhemisphäre deut¬ 
lichere Herdsymptome zu bedingen als die mehr oberflächlich sitzenden. 

Diskussion: HHr. Trömner, Sänger. 

7. Hr. Steyerthal-Kleinen spricht über den Hysteriebegriff. 
Er ist durch seine Stjjdien zu der Ueberzeugung gelangt, dass die hyste¬ 
rischen Erscheinungen Symptomenkompiexe sind, die sich bei den ver¬ 
schiedensten akuten und chronischen Nerven- und Geisteskrankheiten 
finden, eine Auslese nach diesen Kriterien bringt Dinge zusammen, die 
gar nichts miteinander zu tun haben. Die Charcot’schen Stigmata hält 
der Vortr. — im Gegensatz zu Böttiger und Babinsky — nicht in 
allen Fällen für Produkte der Suggestion, aber er bestreitet, dass sie 
für irgendein bestimmtes Leiden charakteristisch sind. Die Verwirrung 
unserer Ansichten über die Hysterie wird nicht eher beseitigt werden, 
als bis wir versuchen, das unglückselige Wort, das sich an jeder Stelle 
durch ein anderes, leicht verständliches ersetzen lässt, aus unserer 
Zunftsprache ganz zu vertilgen. 

Diskussiou. 

Hr. Böttiger-Hamburg erklärt die Charcot’schen Stigmata als ent¬ 
standen durch Autosuggestion unter ärztlicher Mithilfe. 

Hr. Trömner-Hamburg meint, dass die Disposition zur Bildung 
autosuggestiver Zustände resp. zur Abspaltung von Bewusstseinskoraplexen 
das Wesentliche der hysterischen Veranlassung bilde, und dass es in 
diesem Sinne reine Hysterien gäbe. 

Hr. Weygandt-Hamburg betont, dass die Böttiger’schen An¬ 
schauungen nicht bei allen Fällen von Hysterie zutreffen, und dass man 
bei Hysterie nicht von unbewussten, sondern von unterbewussten Wahr¬ 
nehmungen spreohen solle. 

Hr. Hinrichs-Schleswig: Ueber die Unterbringung der 
Psychopathen. 

Vortr. schilderte zunächst an der Hand von 5 referierten straf¬ 
rechtlichen Fällen die Schwierigkeiten der einzelnen gutachtlichen 
Fragen. Vor der Unterbringung sei die Schuldfrage zu entscheiden, für 
die Unterbringung seien besondere Anstalten erforderlich, besonders auch 
für die psychopathischen Fürsorgezöglinge. Auch die Familienpfiege 
versagte bei den psychopathischen Fürsorgezöglingen vollständig, selbst 
wenn sie erst im Anschluss an die Anstaltsbehandlung versucht wurde. 

(Ausführlich in der Vogt-Weygandt’schen Zeitschrift für die Er¬ 
forschung und Behandlung des jugendlichen Schwachsinns.) 

Diskussion. 

Regierungsrat Grase mann, der Dezernent der Hamburgischen 
Jugendbehörde fordert: 1. die Entmündigung der psychopathisch-gemein¬ 
gefährlichen Jugendlichen, 2. Stellung derselben unter Berufsvormund¬ 
schaft, 3. Ausbau von Verwahrungsanstalten, 4. Verbleiben unter Schutz¬ 
aufsicht nach der Freilassung. 

(Ausführlich in „Das Vortrupp“, 15. April 1913.) 

Der Dezernent des Schleswig-Holsteinischen Fürsorge- und Irren¬ 
wesens, Landesrat Bachmann, hält die Frage nooh nicht für so 
weit spruchreif, dass an den Bau von Anstalten gedacht werden könne, 
nicht einmal die in Frage kommende Zahl sei einigermaassen sichergestellt. 

Hr. Weygand - Friedrichsberg rät, die erforderlichen Anstalten in 
ärztlichem Zusammenhang mit Irrenanstalten, aber als Vorwerk unter 
anderem Namen zu bauen, so dass die Entlassenen nicht auf die an¬ 
geblich überstandene Geisteskrankheit pochen könnten. 

Die Vorträge 7. R. M. A. Lien au - Eichenhain: Unterbrechung 
der Schwangerschaft bei Psychosen in medizinischer, recht¬ 
licher und sittlicher Beziehung; 8. C. A. Pas so w - Eichenhain: 
Zur Kasuistik von Psychosen während der Schwangerschaft; 
12. W. Gimbal • Altona: Klinische Grundlagen bei der Be¬ 
urteilung psychopathologischer Kinder; 13. Trömner-Hamburg: 
Ueber einige Reflexphänomene, werden in dieser Wochenschrift 
als Sonderartikel ausführlich erscheinen. Cimbal, Jakob. 


Der Antrag Leipzig-Land. 

Von 

Dr. W. Seeligsohn. 

(Referat, gehalten im Geschäftsausschuss der Berliner ärztlichen Standes¬ 
vereine am 6. Mai 1913.) 

M. H.!. Im Oktober 1908 gab der ärztliche JBezirksvein Leipzig- 
Land auf Anfrage eines Mitgliedes diesem den Rat, sich seine Tätigkeit 
für das Rote Kreuz bezahlen zu lassen und erklärte es zugleich, gestützt 


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9. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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auf § 14 der Sächsisohen Standesordnung, für unstatthaft, dass seine 
Mitglieder die genannte Tätigkeit anentgeltlich ausübten. Diesen Be¬ 
schluss begründete der Vorsitzende, Herr Dr. Goetz, in einem Artikel 
im Sächsischen ärztlichen Korrespondenzblatt damit, dass das Rote Kreuz 
nicht mittellos sei, erhebliche Einnahmen habe, seine Angestellten und 
Lieferanten bezahle, dass ferner die Aerzte nicht von der Luft leben 
könnten und die ärztliche Tätigkeit unter allen Umständen gemein¬ 
nützig sei. Dieser Beschluss erregte heftigen Sturm und zwar zunächst 
beim Roten Kreuz-Direktorium in Dresden, welches in einem Artikel 
sein Bedauern darüber ausspracb, dass es Aerzte gäbe, die sich mit 
Händlern und Handwerkern auf eine Stufe stellten. Es verklagte dann 
sogar den Bezirksverein Leipzig-Land beim Ehrengericht — allerdings 
erfolglos —, erwirkte aber beim Minister des Innern eine ihm zustimmende 
Verfügung. Allein auch bei den Aerzten hatte der Beschluss keinen 
Erfolg. Fast sämtliche sächsischen Bezirksvereine lehnten ihn ab, 
83 sächsische Kolonnenärzte wendeten sich dagegen und auch in Preussen, 
Bayern, Württemberg erhoben die Kolonnenärzte, z. T. allerdings unter 
einem gewissen Drucke, dagegen Einspruch. 

Um diese Frage zu klären, stellte der Bezirksverein Leipzig-Land 
im Jahre 1909 folgenden Antrag für den nächsten Aerztetag*. „Der 
38. Deutsche Aerztetag fordert die deutschen Aerzte auf, ärztliche Tätig¬ 
keit auch in solchen Fällen nur gegen Bezahlung auszuüben, wo es sich 
um sogenannte gemeinnützige Unternehmungen, wie Säuglingsfürsorge, 
Ausbildung Roter Kreuz-Kolonnen, Samariter-Ausbildung, poliklinische 
Tätigkeit oder ähnliches handelt.“ 

Da 1910 nur ein ausserordentlicher Aerztetag stattfand, wurde der 
Antrag auf 1911 verschoben. — In der Zwischenzeit wurde der Antrag 
von zahlreichen Vereinen beraten und fast ausnahmslos abgelehnt; ja 
46 Genossen unter Führung von Prof. Borchard-Posen verlangten 
sogar unter entrüstetem Protest, statutenwidrig, dass der Geschäfts¬ 
ausschuss diesen Antrag überhaupt nicht auf die Tagesordnung setze. 
— In unseren Berliner Standesvereinen ist der Antrag ebenfalls beraten 
und zumeist abgelehnt worden, der Geschäftsausschuss der Berliner 
ärztlichen Standesvereine hat bisher keine Stellung dazu genommen. 
Auch der Verein zur Einführung der freien Arztwahl hat ihn am 
22. Februar 1910 nach einem Referate von R. Schaffer abgelehnt, 
nachdem sich eine Reihe Kollegen dadegen ausgesprochen hatten, ja 
unser verstorbener S. Marcuse ihn fast ein Verbrechen am ärztlichen 
Ansehen genannt hatte. 

Energisch verteidigte nochmals Dr. Goetz seinen Standtpunkt in 
einem Artikel im ärztlichen Vereinsblatt vom 8. Januar 1911, zog aber 
dann am 22. Mai den Antrag vorläufig zurück, um die notwendige Einig¬ 
keit auf dem Stuttgarter Aerztetage Dicht zu stören. Da 1912 kein 
Aerztetag stattgefunden hat, muss der Antrag in Elberfeld zur Besprechung 
kommen. — Mittlerweile sind 4 Jahre ins Land gegangen, die Gemüter 
haben sich wohl etwas beruhigt. Die Gegner werden eingesehen haben, 
dass diesem Anträge lautere Motive zugrunde liegen, und dass eine Reihe 
von Missständen der Regelung bedürfen; auch die Anhänger dürften ein- 
sehen, dass der Antrag verschiedene, nicht zusammengehörige Dinge 
durcheinander wirft, und dass er, bei aller prinzipieller Würdigung, in 
dieser Form nicht annehmbar ist. Es lässt sich somit hoffen, dass der 
Antrag sine ira aber cum multo studio verhandelt werden wird. Dem 
Wunsche des Herrn Dr. Goetz, dass sich noch viele Stimmen zur Sache 
äussern möchten, ist nur in geringem Maasse stattgegeben worden, es 
sind eine Reihe einzelner Bausteine geliefert worden, ein allgemeiner 
Plan, allgemeine Richtlinien fehlen bisher. 

M. H.! Wir leben im Zeitalter der Sozialpolitik, wir sehen allerorten: 

1. dass der Staat, die Kommunen und die Versicherungsträger ihre 
gesetzliche oder moralische Pflicht darin erblicken, die 
sozialen oder hygienischen Schäden nach Möglichkeit zu verhüten 
oder auszugleichen; 

2. zahlreiche gemeinnützige Unternehmungen am Werke*, 
a) diese Tätigkeit des Staates usw. vorzubereiten und zu unter¬ 
stützen, b) noch vorhandene Lücken auszufüllen. 

Bei der Erfüllung ihrer gesetzlichen Pflichten haben Staat, 
Kommunen und Versicherungsträger die Arbeit der Aerzte zu honorieren, 
ob mehr oder minder schlecht — denn von guter Bezahlung ist ja viel¬ 
fach nicht die Rede — steht hier nicht zur Diskussion, sondern nur 
das Prinzip. Das erscheint eigentlich selbstverständlich, war und wird 
aber noch immer nicht allgemein anerkannt. Als seinerzeit der Gewerks¬ 
krankenverein in Berlin gegründet wurde, erachteten es, so erzählte 
unser verstorbener Becher, eine Anzahl Kollegen für eine Ehrenpflicht, 
diese miserabel dotierten Stellen anzunehmen und die Spezialärzte hielten 
es für eine nobile officium, unentgeltlich ihre Dienste anzubieten. Für 
die letzteren blieb es jahrzehntelang so, und erst beim Beginn der 
neunziger Jahre, zum Teil unter dem Ansturm der freien Arztwahl 
wurden die letzten unbesoldeten Spezialisten, z. B. bei der Eisenbahn¬ 
direktion, der neuen Maschinenbauerkasse usw. durch besoldete ersetzt. 
Noch heute wird die Tätigkeit der Spezialärzte in ihren Privatkliniken 
in Berlin — im Gegensatz zu einzelnen anderen Städten — nicht 
honoriert. ' Als einen Anachronismus müssen wir es wohl bezeichnen, 
wenn heute noch in Berlin die Stadtarmen spezialistisch in Polikliniken 
behandelt werden. Doch im allgemeinen können wir wohl sagen, ist 
das Prinzip der Honorierung ärztlicher Arbeit vön Staat, Kommunen 
und Versicherungsträgern, soweit es sich um deren gesetzliche Pflichten 
bandelt, anerkannt. — Viel schwieriger liegen die Verhältnisse bei der Er- 
lüllung der sozialen oder hygienischen Pflichten, die Staat oder Kommunen 


ohne gesetzlichen Zwang gleichsam aus moralischemtxründen auf sioh 
nehmen. Dazu rechne ich die Tuberkulose-, Säuglings-, Krüppel-, Trinker-, 
Wohnungsfürsorge, die Ueberwachung der Schulkinder usw. Diese Fürsorge¬ 
tätigkeit liegt sicherlich nicht im Literesse einzelner Weniger, sondern 
in dem des Staates oder der Kommunen, die gleichsam zu ihrer Selbst¬ 
erhaltung sie auf sioh nehmen müssen. Schwieriger liegen die Verhält¬ 
nisse deshalb, weil weder die Aerzte unter sioh darüber einig sind, was 
sie aus Humanität honorarfrei leisten müssen und was als im allgemeinen 
Staatsinteresse von den Behörden zu honorieren ist, noch die letzteren 
die Pflicht zur Honorierung überall anerkennen. Als Beispiel diene die 
Säuglingsfürsorge: Im Oktober 1908 beschlossen sämtliche bayerische 
Aerztekammern, dass die bayerischen Aerzte die Säuglingsfürsorge vor¬ 
läufig unentgeltlich übernehmen sollten. Im Grossherzogtum Hessen 
dagegen werden die Aerzte, die die Säuglinge überwachen und sie alle 
14 Tage besuchen müssen, von der Centrale mit 3 Mark pro Kopf und 
Jahr honoriert, eine miserable Bezahlung, wie in der Diskussion im 
Landesverein festgestellt wurde. Noch 1910 schrieb Lennhoff die 
ausserordentlichen Erfolge der Säuglingsfürsorge der unentgeltlichen 
Mitarbeit der Aerzte zu. Mittlerweile sind hier in Berlin die Verhältnisse 
so geordnet, dass sowohl die Aerzte der 4 Säuglingskrankenhäuser, als 
auch die 8 Ueberwachungsärzte und die Leiter der Säuglingsfürsorge¬ 
stellen sämtlich angemessen honoriert werden. Vor ca. 3 Jahren ersuchte 
ein sächsischer Amtshauptmann seine Gemeindevorsteher, sich die un¬ 
entgeltliche Arbeit der Aerzte für die Säuglingsfürsorge zu sichern, da 
es ein gemeinnütziges Unternehmen sei, und wie wir aus der Nr. 6 der 
ärztlichen Mitteilungen dieses Jahres ersehen, hat erst vor kurzem nooh 
ein preussiseber Landrat in dieselbe Kerbe gehauen. 

Ein anderes Beispiel ist die Schulfürsorge. Eine offizielle staatliche 
schulärztliche Versorgung sämtlicher Schulen hat von den Bundesstaaten 
nur Meiningen und Württemberg, welches die Scbularzttätigkeit ex officio 
den Oberamtsärzten als Dienstobliegenheit übertragen hat. Auch eine 
Reihe Kommunen hat die Pflicht zur Ueberwachung der Schulkinder an¬ 
erkannt, noch lange nicht alle. Honoriert werden die Schulärzte ganz ver¬ 
schieden, von 0,20 Mark bis 1 Mark pro Kopf der Schulkinder, während 
an anderen Orten eine klassenweise Honorierung stattfindet, die z. B. in 
Grunewald 75 Mark, in Halle 66 Mark, in Magdeburg 33 Mark beträgt. 
In Berlin erhalten die Schulärzte 2000 Mark, d. h. ca. 40 Pfennig pro 
Kind. Will der Schularzt aber ein spezialistisches Urteil, z. B. über die 
Schwerhörigkeit, Kurzsichtigkeit haben, muss er sioh der Hilfe einer 
Poliklinik bedienen, während in anderen Städten, wie recht und billig, 
auch Spezialärzte an gestellt sind. 

Wenn dem Schulärzte auch die eigentliche Nachbehandlung unter¬ 
sagt ist, wird er sich doch um die Beseitigung körperlicher und geistiger 
Defekte und Störungen bemühen müssen, sagte Gastpar-Stuttgart auf 
dem Danziger Aerztetag. Eine Pflicht zur Nachbehandlung erkennt 
Berlin zurzeit noch nicht an, und die Sohulärzte pflegen daher, besonders 
wenn spezialistische Behandlung bedürftiger Kinder ihnen notwendig er¬ 
scheint, die Kinder einer Poliklinik zu überweisen. 

Id Gharlottenburg dagegen werden die bedürftigen Kinder durch 
die Sohulschwestern dem Stadtarzte zugeführt und vom diesem an einen 
Spezialarzt überwiesen, der nach der Minimaltaxe honoriert wird. Io 
Elberfeld erhält der Spezialarzt 1 Mark pro Konsultation, in Nürnberg, 
Breslau gibt es eine mit Hilfe der Stadt errichtete Schulpoliklinik, 
während in Stuttgart und Mannheim die Nachbehandlung durch Verträge 
der Stadt mit den Aerztevereinen für freie Arztwahl sichergestellt ist. 

Aus diesen wenigen Beispielen lässt sich schon erkennen, wie ver¬ 
schieden die Verhältnisse in den verschiedensten Teilen Deutschlands 
sind, wir Aerzte aber müssen darauf bestehen, dass unsere Arbeit bei 
allen diesen sogenannten moralischen Verpflichtungen von Staat oder 
Kommune, da diese durchaus zahlungsfähige Kontrahenten sind, honoriert 
werde. 

Und nun kommen wir zu den gemeinnützigen Unternehmungen. 

Mit Genugtuung und Stolz können wir es begrüssen, dass viele 
unserer Kollegen seit Jahrzehnten in vielen gemeinnützigen Unternehmungen 
tätig sind, dass viele derselben durch unsere Kollegen begründet wurden, 
oder deren Anregung ihre Entstehung verdanken, kurz, dass unsere 
Kollegen in den Komitees Schulter an Schulter mit den Angehörigen 
anderer Berufsstände freiwillig und freudig, im Dienste der sozialen 
Sache oder der Hygiene arbeiten. Etwas anderes ist es aber, wenn von 
diesen Wohltätigkeitsvereinen unsere Berufstätigkeit, mit der wir unsere 
Familie erhalten müssen, sei es als Praktiker oder Lehrer, unentgeltlich 
in Anspruch genommen wird. Aber auch da können wir nicht, wie es 
der Antrag Leipzig-Land will, das Kind mit dem Bade ausschütten, 
sondern müssen streng unterscheiden zwischen einer einmaligen gelegent¬ 
lichen Tätigkeit und einer dauernden, zwischen Wohltätigkeitseinrichtungen, 
die mit Kapital ausgestattet sind und solchen, die ohne eine solche 
Grundlage, gleichsam von der Hand in den Mund leben, schliesslich 
zwischen Bestrebungen, die nur einem kleinen Kreise zugute kommen 
und solchen, die dem Allgemeinwohl dienend, eine Tätigkeit vorbereiten 
resp. ausüben, die Sache des Staates oder der Kommune ist. 

Einer gelegentlichen unentgeltlichen Tätigkeit können wir uns oft 
um so weniger entziehen, als auch die Angehörigen aller anderen Be- 
ruftsstände, besonders wenn es sich um Vorstandsmitglieder bandelt, 
ganz selbstverständlich in Anspruch genommen werden. loh bin selbst 
Vorstandsmitglied des Moon’schen Blinden Vereins, der arme erwachsene 
Blinde mit Geld und neuerdings durch Hergabe billiger, hygienisch ein¬ 
wandfreier Wohnungen unterstützt. Als wir jüngst ein Grundstück 
kauften, hielt man es für ganz selbstverständlich, dass ein dem Vot- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 28. 


stände Angehöriger Justizrat die Verträge unentgeltlich ausfertigte, dass 
2 Baumeister die Baupläne nachprüften, einer davon sogar eine neue 
Fassade zeichnete, dass ein Gartenbaudirektor die Herstellung der Garten¬ 
anlagen zum Selbstkostenpreise übernahm. Es wird also die Berufsarbeit 
auch anderer Stände gelegentlich in Anspruch genommen. Die Berliner 
Ferienkolonien bilden ferner ein Beispiel dafür, dass wir im Interesse 
der Humanität auch solchen Unternehmungen unsere Dienste unentgelt¬ 
lich leisten müssen, die ohne kapitalistische Grundlage arbeiten. Würden 
wir für die Untersuchung der 6—7000 Schulkinder pro Kopf 3 Mark 
rechnen, so würde allerdings die Berliner Aerzteschaft 20 000 Mark ver¬ 
dienen, es könnten aber mehrere Hundert Kinder jährlich nicht fort¬ 
geschickt werden; das könnten wir nicht verantworten. Mit Recht hat 
auoh der Aerzteausschuss von Gross-Berlin den Kollegen die pnentgelt- 
liohe Untersuchung der Volksschulkinder empfohlen, die vom Zentral¬ 
verein für Schülerwanderungen auf kürze Wanderungen durch Wald und 
Feld geschickt werden. Eine solche unentgeltliche Tätigkeit ist eine 
Ehrenpflicht, der wir uns nicht entziehen dürfen. 

Zu dieser Tätigkeit rechne ich auch das Halten hygienischer Vor¬ 
träge, durch welche wir uns bemühen, den Lehren der Hygiene im In¬ 
teresse der Volksgesundheit die weiteste Verbreitung zu gewähren — 
darüber lässt sich allerdings streiten — und die provisorische Arbeit für 
solche Vereine, die die sozialen oder hygienischen Aufgaben von Staat 
oder Kommune vorbereiten, bis zur Uebernahme durch die Behörden 
oder kapitalkräftige Institutionen. So war das Berliner Rettungswesen, 
das jetzt von der Stadt übernommen ist, ursprünglich ein privates Unter¬ 
nehmen. 

Im Gegensatz dazu steht die Tätigkeit z. B. als Arzt eines Kranken¬ 
hauses, welches von Stiftungen, Orden, religiösen Gemeinschaften oder 
Vereinen unterhalten wird, weil es sich hier um eine dauernde Tätigkeit 
bei einem mit Kapital ausgestatteten Unternehmen handelt. Es ist 
durchaus ungehörig, wenn solche Kollegen gar nicht oder mit einer 
Fuhrkostenentschädigung abgefunden werden unter dem Hinweis darauf, 
dass sie ja durch ihre gehobene Stellung die Möglichkoit zu gewinn¬ 
bringender Praxis erhielten oder wenn mau von einem Kollegen ver¬ 
langt, dass er ein Drittel des Honorars von seinem im Krankenhause 
behandelten Privatpatienten an die Kasse des Krankenhauses abliefere. 
Zurückzuweisen ist auch das Ansinnen der Reichfliegerstiftung, verun¬ 
glückte Flieger zu herabgesetzten oder „freien“ Sätzen zu behandeln, 
weil diese Stiftung von mehr als hundert Städten finanziell unterstützt 
wird und für die Flieger teils durch die Militärbehörde, teils, soweit sie 
Angestellte der grossen Fabriken sind, von diesen gesorgt werden muss. 
Das Gleiche gilt für das mit erheblichem Kapital ausgestattete Schutz¬ 
mannsheim. 

Wogegen wir uns aber hauptsächlich wenden und wenden müssen 
und was so grosse Erbitterung bei vielen Kollegen hervorgerufen hat, 
ist, dass andere uns vorschreiben wollen, was als gemeinnützig zu gelten 
hat, wozu wir verpflichtet seien, was für uns standeswürdig sei. 

Manche der Damen und Herren, die an der Spitze der Wohltätig¬ 
keitsvereine stehen und die ihre Arbeit aus Patriotismus übernommen 
haben, verlieren in dem Streben, ihren Mitmenschen zu helfen, gerade 
ihre Institution zu fördern, den Blick dafür, was sie den Angehörigen 
anderer freier Berufsstände in der Ausübung der Wohltätigkeit zu muten 
können. Und so sehen wir denn, dass auch die Angehörigen anderer 
Berufsstände, denen es zum Teil noch schlechter geht, als uns sehr oft 
herangezogen werden. Dazu gehören besonders die Künstler, Musiker 
und Maler, und die Kaufleute. Vor einem Jahre wurde erst statistisch 
festgestellt, dass von den etwa 1500 Konzerten, die in einem Jahre in 
Berlin stattfanden, nur in etwa lOpCt. die Unkosten gedeckt oder ein 
Ueberschuss erzielt wurde, die bildenden Künstler beginnen sich aller¬ 
orten zu wirtschaftlichen Verbänden zusammenzuschliessen, um einiger- 
maassen auf ihre Kosten zu kommen und in Berlin hat sich eine grosse 
Anzahl Spezialgeschäfte, um dem zarten Drängen der Bazardamen zu 
entgehen, genötigt gesehen, eine eigene Wohltätigkeitscentrale zu errichten. 
Gegen diese Ueberspannung der Wohltätigkeit müssen wir uns gleichfalls 
energisch wehren. 

Die poliklinische Tätigkeit, die der Antrag Leipzig-Land dann er¬ 
wähnt, scheint mir wie schon Joachim erwähnt hat, nicht hierherzu¬ 
gehören. Diese Frage ist eine so umfangreiche und verwickelte, es 
widerstreiten sich hier so viele Interessen von Staat, Kommunen und 
Aerzten selbst, Interessen, die den Unterricht, die wissenschaftliche Fort¬ 
bildung und anderes betreffen, dass diese Frage nur für sich gelöst 
werden kann. 

Und nun kommen wir zu der Organisation, um derentwillen eigent¬ 
lich der Streit entbrannt ist, dem Roten Kreuz. 

Das Rote Kreuz verfügt, wie aus den Berichten, aus seiner aus¬ 
gedehnten Tätigkeit hervorgeht, über erhebliöhe Geldmittel, es verlangt 
von seinen Kolonnenärzten eine dauernde Arbeit als Lehrer, es wirkt 
nicht für einzelne Wenige, sondern seine Arbeit unterstützt den Staat, 
von dem sie eigentlich voll und ganz geleistet werden müsste. All dies 
sind Gründe, die für eine Honorierung sprechen, denn ob ein Arzt eine 
kurative oder didaktische Tätigkeit entfaltet, macht keinen Unterschied, 
beides kann er doch nur infolge seines medizinischen Wissens. Und 
doch wäre es ein Fehler gerade in diesem Augenblicke, auf einer Hono¬ 
rierung zu bestehen. Die Kolonnen vom Roten Kreuz werden im wesent¬ 
lichen für den Kriegsfall ausgebildet, sie sollen den militärischen Sani¬ 
tätsdienst unterstützen. Und da sollen in einem Moment, wo das National- 
gefühl so erregt ist, wo vom gesamten Volk ungeheure Opfer verlangt 
werden, wo die dunklen Wolken am Horizont noch lange nicht geklärt 


sind, wir Aerzte abseits stehen und plötzlich ein Honorar für eine Tätig¬ 
keit verlangen, die bisher aus Patriotismus unentgeltlich vollführt worden 
ist? Ein solches Verlangen würde nicht nur erheblichen Widerspruch in 
den eigenen Reihen begegnen, es würde uns auch um die Sympathien 
weiter Kreise bringen und im Volke nicht verstanden werden. Ich 
stelle daher folgende Anträge: 

1. Der Geschäftsausschuss der Berliner ärztlichen Standesvereine 
lehnt unter voller Anerkennung der Tendenz des Antrages Leipzig-Land 
denselben in der vorliegenden Form ab, beantragt aber 

2. der Deutsche Aerztetag möge den Geschäftsausschuss ersuchen, 
das Material über die Honorierung der Aerzte bei gemeinnützigen Unter¬ 
nehmungen zu sammeln und dem nächsten Aerztetage Bericht zu er¬ 
statten. 

Diese Anträge wollen nicht den Antrag Leipzig-Land in einer 
Kommission beerdigen, sie wollen aber eine Beschlussfassung zurzeit ver¬ 
hindern. Fällt dieselbe in einem ablehnenden Sinne aus, so würde da¬ 
mit die Regelung dieser wichtigen Angelegenheit ad calendas graecas 
vertagt, fällt sie aber in zustimmendem Sinne aus, so wird man uns mit 
Recht den Vorwurf machen, dass wir über eine Angelegenheit geurteilt 
haben, die durchaus noch nicht geklärt ist, über die noch zum grossen 
Teil das Material fehlt. Das kann aber nur durch eine umfassende 
Enquete gesammelt werden. Ist dies geschehen und kommt der Gegen¬ 
stand dann noch einmal zur Beratung, dann wird sicherlich ein Be¬ 
schluss Zustandekommen, der dem ethisohen Empfinden vieler Kollegen 
nicht widersteht, unseren materiellen Interessen entspricht und unseren 
Pflichten als Bürger gerecht wird. 


Ueber das Alter des Alkohols. 

VOD 

Dr. Paul Richter-Berlin. 

In seinem Artikel „Sport und Reizmittel“ in Nr. 11 dieser Wochen¬ 
schrift schreibt Ferdinand Hueppe auf S. 481: „Die Araber lehrten 
daon noch durch Destillation aus den gegorenen Getränken den Alkohol 
selbst als Geist des Weines gewinnen.“ Das ist ein Märchen, das längst 
durch die Arbeiten von Maroellin Berthelot und Edmund 
0. von Lippmann widerlegt worden ist. Die Destillation der Aqua 
vitae ist erst zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert in Italien naeh- 
zuweisen und Paracelsus schuf dafür den Namen Alkohol auf miss¬ 
verstandener Grundlage aufbauend, wie ich in einem Aufsatz „Beiträge 
zur Geschichte der alkoholischen Getränke bei den orientalischen Völkern 
und des Alkohols“ im Archiv für die Gesohichte der Naturwissenschaften 
und der Technik, Bd. 4, S. 429—452 (erschienen Ende April dieses Jahres) 
naebgewiesen habe. Wir können die Entdeckung des Alkohols aber 
jetzt noch um über 1000 Jahre zurückdatieren. Nach einem von 
Herrmann Diels in der Berliner Akademie der Wissenschaften am 
6. März gehaltenen Vortrag, der jüngst im Druck erschien, findet sich 
in den „Refutationes omnium haeresium“ des um die Wende des zweiten 
nachchristlichen Jahrhunderts lebenden Kirchenvaters Hippolytos das¬ 
selbe Recept für die Herstellung von „brennendem Wasser“ wie in den 
in meinem Aufsatz angeführten Schriften des Mittelalters. 


Moskauer Brief. 

Aus den russischen medizinischen Gesellschaften. 

In der Gesellschaft für Kinderheilkunde zu Moskau sprachen 
Ph. M. Blumenthal und J. D. Sartakoff über die Reinigung und 
Konzentrierung des Diphtherieheilserums. Die Reinigung des 
Heilserums bzw. die Herstellung eines Qlobulin-Antitoxins wurde im 
Blumenthal’schen Institut nach dem amerikanischen Verfahren von 
Gibson und Banzhaf vorgenommen. Dieses Verfahren erfuhr durch 
Sartakoff eine gewisse Modifikation, die es ermöglicht, eine noch um¬ 
fänglichere Elimination der nicht antitoxischen Eiweissstoffe (sowohl der 
Albumine wie der nicht Antitoxin tragenden Globuline, letztere durch 
Globulinfraktion) zu erzielen. Im allgemeinen besteht die Präparierung 
des Diphtherieheilserums im folgenden: Zuerst wird das native Serum 
12—14 Stunden lang auf 56 0 C erwärmt. Sodann wird es abgeküblt, 
mit Wasser verdünnt und mit Kochsalz gesättigt, hierauf filtriert, wobei 
im Bodensatz die nicht antitoxischen Ei weisskörper, im Filtrate dagegen 
die gelösten antitoxischen Globuline enthalten sind. Letztere werden 
mit schwefelsaurem Ammonium gefällt, und der Globulinniederschlag 
behufs Entfernung der Salze (Natr. ohiorat. und Ammon, sulfuric.) der 
Dialyse unterzogen. Nach der Dialyse filtriert man das Serum durch 
Tonkerzen und prüft es auf Sterilität. Bei dieser Behandlung des 
Serums werden 60—65 pCt. (durchschnittlich 64 pCt.) der inaktiven 
Ei weisssubstanzen entfernt, und es resultiert eine vier- bis fünffache 
Konzentrierung des Heilserums. Es liegt auf der Hand, dass es bei 
einer derartigen Reinigung des Serums gelingen muss, minderwertige 
Sera so weit zu konzentrieren, dass sie sich in hochwertige ver¬ 
wandeln. So demonstrierten z. B. die Vortr. ein Serum, das in nativem 
Zustand einen Heilwert von 150 A. E. pro Kubikzentimeter besass und 
bei einem spezifischen Gewicht von 1,032 in einer Heildosis von 1000 A. E. 
0,455 g Eiweissstoffe -enthielt. Nach dem obigen Verfahren behandelt. 


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9. Joni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1Q95 


wies das gereinigte Serum nunmehr einen Heilwert von 700 -A. E. auf 
und enthielt bei einem spezifischen Gewicht von 1,040 in einer Heildosis 
von 1000 A. E. nur noch 0,164 g Eiweissstoffe. Die Konzentrierung ge¬ 
währt nicht nur die Möglichkeit, weit geringere Eiweissmengen, die ja 
nur unnützen Ballast abgeben, einzuführen, sondern auch dank der 
Steigerung des Heilwerts der Sera eine viel kleinere Flüssigkeitsmenge 
zu injizieren. 

In derselben Gesellschaft berichteten sodann B. A. Egis und 
W. A. Colley über die praktischen Erfahrungen mit diesem 
gereinigten und konzentrierten Diphtherieheilserum. Die 
Vortr. wandten es seit Oktober 1912 in der Infektionsabteilung des 
Morosow-Kinderkrankenhauses zu Moskau zuerst in leichten und mittel¬ 
schweren und hierauf, nachdem sie sich von der ungeschmälerten Heil¬ 
wirkung desselben überzeugt hatten, auch in schweren Fällen vop 
Diphtherie und Croup an. Behandelt wurden mit dem Blumenthal¬ 
sehen Serum hauptsächlich solche Patienten, die längere Zeit im Kranken¬ 
hause unter Beobachtung bleiben, und bei denen daher alle Neben- und 
Nachwirkungen, insbesondere auch die Erscheinungen der Serumkrank;- 
heit mit ihren eventuellen Spätreaktionen verfolgt werden konnten. Die 
Zahl dieser Kranken mit genügend langer Beobachtungsdauer betrug 97, 
won denen 50 erstmalig gespritzt und 47 reinjiziert wurden. Bei der 
ersten Gruppe handelte es sich somit um Feststellung der Häufigkeit 
und des Charakters der Serumkrankheit bei Benutzung des gereinigten 
Serums, bei der letzten Gruppe hingegen um die Beeinflussung der 
Anaphylaxie. Vor allem konstatieren die Vortr., dass das konzentrierte 
Blumentharsche Serum ganz genau dieselbe Heilwirkung entfaltet wie 
das native Serum und hierin diesem nicht im mindesten nachsteht. So¬ 
dann ist das gereinigte Produkt vollkommen steril und erzeugt nie 
Abscesse. Was nun die Serumkrankbeit anlangt, so boten von 50 erst¬ 
malig gespritzten Kranken nur 3 Serumerscheinungen dar, während gleich¬ 
zeitig von 237 mit nativem Serum behandelten Diphtheriepatienten 86, 
d. i. über 36 pCi, an Serumkrankheit litten. Ein gleich günstiger Ein¬ 
fluss war auch auf die Anaphylaxie wahrzunehmen. Von den mit nativem 
Serum Behandelten wiesen 90,85 pCt. anaphylaktische Erscheinungen 
auf, von den nach dem Besredka’schen Verfahren Vorbehandelten 67,4 pCt. 
und von den mit dem konzentrierten Heilserum Reiiyizierten bloss 38,3pCt. 
(18 Fälle von 47). Auch waren bei letzteren die Erscheinungen der 
Anaphylaxie weit weniger intensiv und anhaltend als bei den übrigen 
Patienten. Störend ist nur der Umstand, dass die Einspritzungen des 
gereinigten Serums mitunter eine ziemlich starke Sohmerzhaftigkeit an 
der Injektionsstelle bewirken, wohl infolge nicht ganz genügender Ent r 
fernung des zur Fällung benutzten Ammoniumsulfats, doch dürfte dieser 
Uebelstand nicht allzu schwer zu beheben sein. 

In der medizinischen Gesellschaft zu Charkow hielt Prof. K. Georgi- 
jewsky einen Vortrag über die Rolle der Drüsen mit innerer 
Sekretion bei der Pathogenese des Diabetes mellitus. Bereits 
1895 konnte der Vortragende zeigen, dass, wenn Hunden Schilddrüsen* 
saft (vom Rinde) wiederholt subcutan injiziert oder Schilddrüse verfüttert 
wurde, bei den Tieren neben anderen Erscheinungen von Hyperthyreoi* 
dismus, wie Tachycardie, Polyurie, Polyphagie, Gewichtsverlust, auch 
eine ziemlich erhebliche Glykosurie auftrat. Seitdem ist zahlreichen 
anderen Forschern der Nachweis gelungen, dass im Zustand des Hypo-; 
thyreoidismus die Fähigkeit des Organismus, Kohlehydrate abzubauen, 
gesteigert wird. Es lag daher der Gedanke nahe, beim Diabetes mellitus 
künstlich einen Zustand von Hypothyreoidismus zu schaffen, um die 
Assimilationsfähigkeit des Organismus für Kohlehydrate zu steigern und 
dadurch die Zuckerausscheidung herabzusetzen. Als hierfür geeignetes 
Mittel erwies sich das Antithyreoidin Moebius, mit dem bekanntlich beim 
Morbus Basedowii die Erscheinungen des Hyperthyreoidismus wirksam 
bekämpft werden. Der Vortragende berichtete nun über einen Fall von 
Diabetes, kombiniert mit mittelschwerer Basedowscher Krankheit, in 
welchem das Moebius’sche Antithyreoidin in Dosen von 10 ccm pro die 
nicht nur auf den Morbus Basedowii, sondern auch auf den Diabetes 
mellitus, höchstwahrscheinlich durch Herabsetzung der inneren Sekretion 
der Schilddrüse, eine ausgesprochen günstige Einwirkung ausgeübt hat. 

In der wissenschaftlichen Versammlung der Aerzte des I. Städtischen 
Krankenhauses zu Moskau machte S. Melkich Mitteilung über die 
Ausblasung pleuritischer Exsudate. Der Vortragende wandte die 
Ausblasung pleuritischer Ergüsse nach dem Holmgren’schen Verfahren in 
acht Fällen an. Benutzt wurde der Apparat von Mosny und Stern« 
Melkich konnte sich davon überzeugen, dass in technischer Hinsicht 
die Methode von Holmgren vor der Aspiration unbedingt den Vorzug 
verdient: m gelingt dabei in der Tat, Exsudate in beliebiger Grösse bis 
auf den letzten Tropfen zu entleeren, ohne bei dem Kranken irgend¬ 
welche unangenehmen Empfindungen hervorzurufen. Indiziert ist die 
Ausblasung insbesondere in sämtlichen Fällen von eitrigem Erguss, und 
zwar als Eingriff, der der Radikaloperation (Rippenresektion) voraufzu^ 
ehen hat und einem Goliaps infolge raschen Sinkens des Druckes io 
er Pleurahöhle vorzubeugen vermag. Mit Nutzen kann man auch die 
Ausblasung anwenden zur Erleichterung der Atemnot bei grossen Trans¬ 
sudaten und zur Behandlung umfangreicher verschleppter seröser Ex¬ 
sudate in der fieberfreien Periode. Akute seröse Exsudate dagegen sind 
für die Anwendung des Holmgren’schen Verfahrens nicht geeignet und 
müssen nach den üblichen Regeln bekämpft werden. Die Behauptung 
von Holmgren, Achard und Forlanini, dass die Anwesenheit von 
Luft zwischen den entzündeten Flächen der Pleurablätter den Ver¬ 
wachsung«! bei akuter Pleuritis vorzubeugen imstande sei, beruht mehr 
auf theoretischen Voraussetzungen und hat sich, wenigstens in den Fällen 


des Vortragenden, nicht bewahrheitet. Im Gegenteil, die an Stelle des 
Exsudates eingeführte Luftmenge soll eine möglichst kleine seip. 

In der.Gesellschaft russischer Chirurgen zu Moskau teilte A. Lips- 
kerow seine Erfahrungen mit über die operative Behandlung der 
Knochenbrüche. Seine Erfahrungen lehrten, dass nur bei einer ope¬ 
rativen Behandlung der Knochenbrüche nicht allein eine richtige Lage¬ 
rung der Bruchenden, sondern auch eine Fixierung derselben möglich 
ist. Insbesondere ist dieses Verfahren indiziert, sobald zwischen die 
Bruchenden sich Muskelgewebe interponiert bat. Auch kommt bei regel¬ 
rechter Anlegung der Knochennaht eine Verkürzung des Knochens nicht 
zur Beobachtung. Brüche der Patella, des Schlüsselbeins und des Unter¬ 
kiefers erfordern vor allem die Knochennaht, da nur diese ein richtiges 
Zusammenwachsen der Bruchstücke gewährleistet. Bei der operativen 
Behandlung der Knochenbrüche mittels Naht ist jedoch der schnellen 
Ausführung der Operation und der sorgfältigen Blutstillung besondere 
Beachtung zu schenken, wobei auch Tamponade oder Drainage möglichst 
zu vermeiden ist. Bei frischen Knochenbrüchen bildet die Syphilis eine 
Kontraindikation gegen die Anlegung der Knochennaht. 

In der medizinischen Gesellschaft zu Wladikawkaa erörterte 
S. Mamulianz den therapeutischen Wert des Neosalvarsans. 
Hinsichtlich der Technik der Herstellung von Lösungen für die intra¬ 
venöse Infusion kommen dem Neosalvarsan nach Ansicht des Vortragenden 
zweifellose Vorzüge vor dem Altsalvarsan zu. Als Heilmittel besitzt das 
neue Präparat deutlich ausgeprägte antisyphilitische Eigenschaften und 
ist in dieser Hinsicht dem alten Salvarsan an die Seite zu stellen. Den 
stärksten therapeutischen Effekt entfaltet die einmalige intravenöse In¬ 
fusion des Neosalvarsans auf den Primäraffekt und auf fast sämtliche 
Manifestationen der Sekundärperiode sowie auf gummöse Ulcerationen in 
der Mundhöhle, während die Beeinflussung von Hautgummen eine 
schwächere ist als beim Altsalvarsan. Nebenerscheinungen, und zwar 
mitunter stark ausgesprochene, kommen auch beim Neosalvarsan vor, 
und deswegen ist bei seiner Anwendung Vorsicht geboten. 

In der Gesellschaft der Don’schen Aerzte zu Nowoczerkassk be¬ 
handelte W. Iwanow die Frage nach dem Neosalvarsan als Heil¬ 
mittel bei Malaria und Syphilis. Angewandt wurde das Neo¬ 
salvarsan in 7 Fällen von Malaria, in 6 Fällen von Syphilis und in 
einem Falle von Recurrens. Die reaktiven Erscheinungen und Neben¬ 
wirkungen waren recht massig. Auf die Malariaplasmodien wirkt das 
Neosalvarsan spezifisch ein; bald nach der Injektion verschwinden ‘die 
Parasiten aus dem Blute und sind auch bei wiederholter Untersuchung 
nicht mehr nachzuweisen. Dase sie jedoch nicht gleich endgültig zu¬ 
grunde gehen, beweist der Umstand, dass in 2 Fällen Reoidive beob¬ 
achtet wurden. Als sehr wirksam erwies sich das Neosalvarsan auch 
bei der Syphilis, bei der namentlich die frischen, sekundären Erschei¬ 
nungen günstig beeinflusst werden. 

In der medizinischen Gesellschaft zu Charkow warf J. Frenkel 
die Frage auf, ob das Sperma des Syphilitikers contagiös sei. 
Auf Grund seiner Erwägungen kam der Vortr. zu der Ueberzeugung, 
dass das Sperma des Syphilitikers sensu stricto nicht contagiös sei; folg¬ 
lich existiere auch nicht eine Infektion von seiten des Vaters, und daher 
sei die Mutter eines hereditär-luetischen Kindes im besten Falle latent 
syphilitisch. Das spezifische luetische Virus in Gestalt der Spirochaete 
pallida ist nicht imstande, in das Ei einzudringen, es vermag nur aus¬ 
schliesslich den Fötus zu infizieren, und zwar auf dem Wege des Blut¬ 
stromes von der Mutter her. 

In der Gesellschaft der Kinderärzte zu Petersburg sprach M. Kono- 
plew über die Veränderungen der Blutgefässe beim Scharlach. 
Die pathologisch-anatomischen Untersuchungen des Vortr. ergaben, dass 
beim Scharlach in den Wandungen der Blutgefässe bereits frühzeitig 
Veränderungen eintreten, die einen entzünd lich-degenerativen Charakter 
tragen. Diese Veränderungen erstrecken sich auf die drei Schichten der 
Gefässwand: die Intima, Media und Adventitia. Die Intima wird primär 
befallen und weist alle Stadien von trüber Schwellung bis zur Nekrose 
auf. In der Media leiden gleicherweise die elastischen wie die Muskel¬ 
fasern. In der Adventitia betreffen die Veränderungen das Bindegewebe, 
das elastische Gewebe und die kleinen Gefässe; es stellt sich frühzeitig 
eine kleinzellige Infiltration ein, die auf Media und Intima übergreift. 
Die Erkrankung der Coronararterien zeichnet sich im Vergleich mit den 
übrigen Arterien desselben Falles durch ganz besondere Hocbgradigkeit 
aus, sowie duroh die Anwesenheit von Ablagerungen in der Intima, die 
allerdings auch in anderen Arterien (wie z. B. in der Art. renalis) an¬ 
getroffen werden. Die Venen erleiden die gleichen Veränderungen wie 
die Arterien, aber in noeh weit höherem Maasse; in initialen Fällen sind 
in den Venen Nekrosen der Wandung und in weit vorgeschrittenen 
Fällen Thrombophlebitis zu konstatieren. Diese Gefässalterationen beim 
Scharlach vermögen viele Tatsachen aus dem klinischen Verlauf der 
Krankheit zu erklären und entbehren auch nicht eines praktischen 
Interesses. 

In der Moskauer therapeutischen Gesellschaft an der Kaiserlichen 
Universität Moskau hielt Ph. Blumenthal einen Vortrag, in welchem 
er über die ungemein interessanten und bedeutungsvollen (in dieser 
Wochenschrift veröffentlichten) Carcinomforschungen des Prof. J. Fibiger 
berichtete, speziell über den von dem Kopenhagener Forscher entdeckten 
Zusammenhang zwischen der Invasion von Nematoden und dem 
Auftreten von papillomatösen und oaroinomatösen Ge¬ 
schwülsten bei der Ratte. Der Vortrag wurde durch die Vor¬ 
führung von Lichtbildern illustriert, die Prof. Fibiger dem Vortr. zur 
Verfügung gestellt hatte. Der Bericht über die neue Ausblicke er- 


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1096 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 23. 


öffnende Entdeckung und die Demonstration der Originaldiapositive er¬ 
regte das lebhafteste Interesse der Versammelten, and die Gesellschaft 
beschloss, Herrn Prof. Fibiger ihren Dank auszadrücken. 

A. Dworetzky-Moskau. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. In der Sitzung der Berliner medizin. Gesellschaft 
vom 4. Juni demonstrierte vor der Tagesordnung 1. Herr E. Hirsch: 
Kleines Mädchen mit Haarnadel im Rectum; 2. Herr Silberstein: Be¬ 
handlung der Kniegelenksankylose; 3. Herr Paul Lazarus: Dauer¬ 
ernährung mittels der Duodenalsonde. Hierauf hielt 1. Herr Max Cohn 
den angekündigten Vortrag: Die atmosphärische Luft in der Bauchhöhle 
nach Abdominaloperationen (mit Lichtbildern) (Diskussion: Herr Levy- 
Dorn); 2. Herr Hammerschlag seinen Vortrag: Ueber Abortbehand¬ 
lung (Diskussion: die Herren Gottschalk und Hammersohlag). 

— Die HI. Internationale Konferenz für Krebsforschung 
findet in Brüssel vom 1. bis 5. August d. J. statt. Folgende Themata stehen 
auf der Tagesordnung: 1. Die Anwendung der physikalisch-chemischen 
Verfahren bei der Behandlung des Krebses. Anwendung chemischer 
Mittel nach Radikaloperationen (Referenten: Prof. Dr. Neuberg-Berlin: 
DieGrundlagen der physikalisch-chemischen Verfahren; Prof.Dr. Caspari- 
Berlin: Die Anwendung der physikalisch-ohemischen Verfahren; Prof. 
Dr. Freund-Wien; Exzellenz Prof. Dr. Czerny-Heidelberg; Prof. Dr. 
Bayet-Brüssel). 2. Vaccinationstherapie und Serumtherapie der Ge¬ 
schwülste (Referenten: Privatdozent Dr. Odier-Genf; Prof. Daeis und 
Dr. de Somer-Gent; Dr. William Coley-New York). 3. Statistik der 
Krebskrankheit. Oertliche Verbreitung (Referenten: Dr. Rosenfeld- 
Wien; Prof. Firket und Dr. Krem er - Lüttich). 4. Aetiologie des 
Krebses (Referenten: Prof. Joh. Fibiger-Kopenhagen; Prof. A. Marie). 
5. Einrichtungen für die Fürsorge Krebskranker (Fürsorgestellen usw.) 
(Referenten: Prof.Dr.Blumenthal-Berlin; Dr. So 16-Brüssel). 6. Pflege 
der Krebskranken und Unterricht in dieser Pflege (Referent: Prof. Dr. 
George Meyer-Berlin). 7. Bericht über den Stand der Krebsforschung 
und Krebsbekämpfung in den einzelnen Ländern, unter Vorlage der 
betreffenden Drucksachen, Schriften für Aerzte, Merkblätter für das 
Volk usw. (Referenten: Dr. W i 11 e m s Gent; Privatdozent Dr. 0 d i er - Genf). 

— In der Sitzung der Vereinigung zur Pflege der ver¬ 
gleichenden Pathologie vom 27. Mai (Vorsitzender Herr Professor 
Dr. Heck) sprach Herr Edwin Hennig über: Pathologische und ver¬ 
wandte Zustände bei fossilen Tieren. Unter Vorlegung des reichen 
Materials des geologisch-paläontologisohen Instituts und Demonstration 
der wichtigsten Abbildungen aus Literaturwerken zeigte er die ver¬ 
schiedenen Formen der traumatischen und idiopathischen Knochen¬ 
erkrankungen der höheren und auch der niederen fossilen Tiere aus den 
verschiedenen geologischen Perioden (z. B. Zahncaries des Mastodon, Er¬ 
stickungstod eines Ichthyosaurus durch Verschlucken eines zu grossen 
anderen Tieres usw.). (Diskussion: Herren Heck, Benda, Davidsohn.) 
Herr Julius Heller demonstrierte mikroskopische Präparate der 
ältesten erhaltenen Tier- und Menschenhaut. Er zeigte Schnitte durch 
die Haut des Mammut (Blutgefässe, Schweissdrüsenreste), durch die Haut 
ägyptischer Mumien (sehr gute Färbung der elastischen Fasern) und 
durch die Haut peruanischer Mumien (gute Erhaltung des Tätowierungs¬ 
pigments). (Diskussion: Herren Sinzheimer, Heck, Koch.) 

— Am 24. Mai fand, wie die B. Ak. N. berichten, in München die 
erste Konferenz über studentisches Wohnungswesen an den 
Hochschulen des deutschen Sprachgebietes statt. Sie war von den 
gegenwärtigen Rektoren der Münchener Universität, Technischen Hoch¬ 
schule und Tierärztlichen Hochschule einberufen und beschickt von einer 
grossen Anzahl von Vertretern der übrigen deutschen Universitäten und 
im ganzen von etwa 1000 Studenten und sonstigen Interessenten be¬ 
sucht. Das Programm umfasste folgende Vorträge: Dr. C. Sonnen¬ 
schein-München-Gladbach: Die Bedeutung der Wohnungsfrage für den 
Studenten; der heutige Zustand des studentischen Wohnungswesens und 
Wege zur Reform; UniversitätsprofessorDr.J. Kaup-München: Studentische 
Wohnungshygiene; Dr. Adolf Günther, Privatdozent an der Universität 
Berlin, Hilfsarbeiter im Kaiserl. statistischen Amt: Studentischer 
Wohnungsnachweis und Wohnungsstatistik; Dr. A. Franz-Düren: 
Studentenheime; Professor Richard Riemerschmid, Direktor der 
Kgl. Kunstgewerbeschule, München, Arohitekt: Die Studentenbude; 
Referendar Rudolf Amelunxen-Göln a. Rh.: Die bisherige und zu¬ 
künftige Tätigkeit der studentischen und nichtstudentischen Vereine auf 
dem Gebiete des studentischen Wohnungswesens. Dass es mit der 
studentischen Wobnungsfürsorge, deren Notwendigkeit unbestritten ist, 
noch an den meisten Hochschulen schlecht bestellt ist, ergaben die 
mannigfachen Berichte der einzelnen Vertreter. Um den bestehenden 
Uebelständen abzuhelfen, wurde die Errichtung eines Wohnungsamtes 
an allen Hochschulen vorgeschlagen. Von einem Teil der Studenten¬ 
schaft war die Fürsorge für das sittliche Wohl als nicht zur Aufgabe 
der Wohnungsämter energisch abgelehnt worden. Aber den Ausführungen 
Krückmann’s, des Rektors der Münsterer Universität, und insbesondere 
dem Appell v. Gruber’s, der die sturmfreien Buden als Hauptursache 
der grossen Zahl sexuell infizierter Studenten schilderte, gelang es, die 
Bedenken der Studenten zu zerstreuen. 


— Am Mittwoch, den 11. d. M. um 12 Uhr, findet im Garten der 
Königl. Charite die Enthüllung der Büste Ernst v. Leyden’s statt. 

— Dem Hamburger Forschungsinstitut für Krebs und Tuberkulose ist 
von einem ungenannten Wohltäter ein Betrag von 20000 M. zur Verfügung 
gestellt worden zur Errichtung einer Abteilung für Pilzforschung. 
Die Leitung der neuen Abteilung wird Dr. H. G. Plaut übernehmen. 

— Durch Ministerialerlass werden die preussischen Aerzte darauf 
hingewiesen, bei stark wirkenden Arzneimitteln stets eine genaue Ge¬ 
brauchsanweisung beizufügen. Aus den angeführten Beispielen ist er¬ 
sichtlich, dass darin in der Tat recht erheblich gesündigt wird. 

— Der Bund der Standesvereine der deutschen Kranken¬ 
pfleger, Masseure und Heilgehilfen (Sitz Berlin) richtet an den 
Reichstag eine Petition, in welcher die sehr missliche Lage des ärzt¬ 
lichen Hilfspersonals geschildert wird. Es wird um gesetzlichen Schutz 
gegen die übermässige Arbeits- und ungenügende Erholungszeit, um Aus¬ 
dehnung der Unfall- und Krankenfürsorgegesetzgebung auf das ärztliche 
Hilfspersonal und um Maassnahmen zur Fernhaltung unlauterer Elemente 
gebeten. — Dass es unseren Helfern in der Krankenpflege heutzutage 
herzlich schlecht gebt und sie, gleichviel ob selbständig oder im 
Krankenhausbetriebe tätig, ganz unmässigen Anforderungen an ihre 
Arbeitskraft unterworfen sind, haben wir sohon einmal in dieser Wochen¬ 
schrift (cf. Nr. 5 d. J.) auseinandergesetzt. Es sind daher die Wünaehe 
der Berufsorganisation auf Wärmste zu unterstützen. 

— Die „Vereinigung deutscher und russischer Badeärzte, 
E. V.“, über welche in voriger Nummer dieser Wochenschrift der 
Kissinger ärztliche Bezirksverband sich eingehend geäussert, hat sich 
einem heute an uns gelangten Schreiben des gewesenen Schriftführers 
Herrn Al. Guttmann zufolge aufgelöst. Der Kissinger Aerzteverein 
hat damit einen Erfolg erzielt, der hoffentlich in Zukunft ähnliche uner¬ 
freuliche Erscheinungen hintanhalten wird. 

— „Das Recht auf den Tod“, so lautet die Ueberschrift eines 
Feuilletons, das der bekannte Schriftsteller Fritz Mauthner in Nr. 272 
des Berliner Tageblatts veröffentlicht, um sich über den oft gehörten 
Gedanken lustig zu maohen, den Aerzten das Recht auf Abkürzung des 
Lebens eines unheilbaren Kranken von Gesetzes wegen einzuräumen. 
Dass dieser Gedanke neuerdings auch von dem höchst verdienstvollen 
Chemiker Wilh. Ostwald, den der Verfasser so mancher sarkastischer 
Schriften einen „vielfach verdienstvollen Weltverbesserer“ nennt, öffent¬ 
lich erörtert und seine Ausführung empfohlen wird, macht ihn für eine 
ernsthafte Diskussion nicht geeigneter, und man kann sich deshalb des 
Spottes nur freuen, mit dem Herr Mauthner den Gedanken ad absurdum 
führt. Auch darüber wollen wir nicht böse sein, dass uns Aerzten dabei 
„nach berühmten Mustern“ die Begrenztheit unseres Wissens und Ohn¬ 
macht unseres Könnens öffentlich bestätigt wird. Mit diesem Spott wird 
Mauthner schwerlich Schaden stiften. Bedauerlich aber ist es, dass in 
das Ende der geistreichen Gauserie auch die Fabel von den zu Unrecht in 
Irrenanstalten verbrachten Geistesgesunden mit verwoben wird. Da ein 
seiner Verantwortung sich bewusster Schriftsteller, wie Herr Mauthner, 
dies nioht tun würde, zumal nicht an soloher Stelle, wenn nicht auch er 
sich zu den Gläubigen dieses Spi-Ritualmord-Märchens zählen dürfte, so 
gestatte er uns, ihm die Lektüre des Artikels von Vorkastner 
„Psychiatrie und Presse“ und des darauf bezüglichen von Herrn Dr. Guno, 
Chefredakteurs der Berliner Morgenpost, in Nr. 21 und 22 unserer Wochen¬ 
schrift zur besseren Information aufs wärmste zu empfehlen. H. K. 

Hochschulnachrichten. 

Berlin. An Stelle Kaiserling’s wurde Prof. R. Oestreich mit 
dem Lehrauftrag für pathologische Anatomie an der zahnärztlichen Hoch¬ 
schule betraut. — Halle. Prof. Sauerbruch-Zürich wurde als Nach¬ 
folger v. Bramann’s berufen. — Hamburg. Zum Prosektor am Kranken¬ 
haus Hamburg - Barmbeok wurde Dr. Fahr, bisher Prosektor am 
städtischen Krankenhaus Mannheim, berufen. — Jena. Das neue patho¬ 
logische Institut der Universität wurde festlich eingeweiht. — Bern. 
Prof. Langhans tritt in den Ruhestand. Habilitiert: E. Landau für 
Anatomie. — Prag. Hofrat Tsohermak wurde zum Direktor des 
physiologischen Instituts der deutschen Universität ernannt 

Amtliche Mitteilungen. 

Personalien. 

Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 3. Kl. m. d. Schleife: 

ordentl. Honorarprofessor, Geh. Med.-Rat Dr. E. Sonnen bürg in Berlin. 
Roter Adler-Orden 4. Kl.: San.-Rat Dr. G. Blick in Magdeburg. 
Königl. Kronen-Orden 4. Kl: Oberarzt Dr. E. Vetter vom 
1. Nassauischen Pionierbataillon Nr. 21. 

Ernennung: Leiter der bakteriologischen Untersuchungsanstalt in Idar 
Dr. Mosebach zum Kreisarzt in Prüm. 

Niederlassung: Dr. J. Weiser in Fischenich (Landkr. Göln). 

Zu besetzen: in der hygienisch-bakteriologischen Abteilung der 
Königlichen Landesanstalt für Wasserhygiene in Berlin- 
Dahlem (Post: Berlin-Lichterfelde 3, Ehrenbergstrasse 38/42) die Stelle 
eines wissenschaftlichen Hilfsarbeiters mit einer Jahresremuneratiou 
von 3000 M. Aerzte mit entsprechender Vorbildung wollen ihr Be¬ 
werbungsgesuch an die vorbezeichnete Anstalt einsenden. 

Gestorben: San.-Rat Dr. J. Gottschalk in Göln. 


Für di« Redaktion verantwortlich Dr. Hans Ko ha, Berlin Bayreuther fttraaM 41. 


Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L.. Sohumacher in Berlin N. 4. 


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BERLINER 


Ol« fiorliner Klinisch« Wochenschrift erscheint Jedeü 
liontag In Kammern von ea. 5 —6 Bogen gr. 4. — 
Freia vierteljährlich 6 Mark. Beateilungen nehmen 
alle Buchhandlungen und Poatanatalten an. 


Alle Slnsendungen Ar die ttedakdon and fSxpeditloa 
«rolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung 
Anguat Hirachwald ln Berlin NW., Unter den Linden 
No. 68, adresaieren. 



Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungene 


Redaktion: 

Geh. Med.-Rat Prof. Dp. C. Posner und Dp. Haas Rohn. 


Expedition: 

Anglist Hipschw&Id, Verlagsbnchhandlang in Berlin. 


Montag, den 16. Juni 1913. M 24. 


Fünfzigster Jahrgang. 


INHALT. 


Originalien : Carrel: Neue Untersuchungen über das selbständige Leben 
der Gewebe und Organe. (Aus den Laboratorien des Rockefeller- 
Instituts für medizinische Forschung.) (Illustr.) S. 1097. 
Braunstein: Chemotherapeutische Versuche an Krebskranken 
mittels Selenjodmethylenblau. (Aus dem Neuen Katharinen- 
Krankenhause an der Kaiserlichen Universität Moskau.) S. 1102. 
Spude: Erfolgreiche Behandlung von Gesichtskrebsen durch Ein¬ 
stichelung von Eisenoxyduloxyd kombiniert mit Arseninjektionen. 
(Illustr.) S. 1104. 

Pin küss: Ueber die Erfolge der Ifesothoriumbestrahlung bei 
Carcinom. (Aus der Privat-Frauenklinik von Prof. Dr. A. Pinkuss 
zu Berlin.) S. 1105. 

Nagel: Ueber Eklampsie. S. 1107. 

Cimbal: Klinische Grundlagen der Beurteilung von normalen 
Kindern und Jugendlichen. S. 1109. 

Ehr mann and Kruspe: Die Verdauung des Lecithins bei Er¬ 
krankungen des Magendarmkanals. (Aus dem medizinisch-poli¬ 
klinischen Institut der Universität Berlin.) S. 1111. 
Wollenberg: Zur Technik der Plattfusseinlagen. (Aus der Privat- 
künik für orthopädische Chirurgie von Privatdozent Dr. Wollen¬ 
berg und Dr. Radike zu Berlin.) (Illustr.) S. 1112. 

Saal leid: Ueber Histopin. S. 1113. 

Btteherbespreehungen : Bier, Braun, Kümmell: Chirurgische Ope¬ 
rationslehre. S. 1114. v. Bauer; Annalen der städtischen all¬ 
gemeinen Krankenhäuser zu München. S. 1114. (Ref. Adler.) — 
Niehues: Die Sanitätsausrüstung des Heeres im Kriege. S. 1114. 
(Ref. Sohnütgen.) — Binswanger: Die Epilepsie. S. 1114. (Ref. 
Erlenmeyer.) — Edingen Einführung in die Lehre vom Bau und 
den Verrichtungen des Nervensystems. S. 1115. Obersteirier: 
Arbeiten aus dem Neurologischen Institut au der Wiener Universität. 
S. 1115. (Ref. Rothmann.) — Graefe-Sämisoh: Handbuch der 
gesamten Augenheilkunde. S. 1115. (Ref. v. Sicherer.) — Strassen 
Lehrbuch der Muskel- und Gelenkmechanik. S. 1115. (Ref. Egloff.) 
— Eulenburg: Realencyklopädie der gesamten Heilkunde. S. 1115. 
(Ref. Witte.) — Eichhoff: Praktische Kosmetik. S. 1116. (Ref. 


Joseph.) — Blüh er: Die deutsche Wandervogelbewegung als 
erotisches Phänomen. S. 1116. (Ref. Nath.) — Plaut: Der Ge¬ 
werkschaftskampf der deutschen Aerzte. S. 1116. Wied ernannt 
Nachschlagebuch zur Krankenversicherung. S. 1116. (Ref.Vollmann.) 

Literatur- Auszüge: Physiologie. S. 1116. — Pharmakologie. S. 1116. — 
Therapie. S. 1117. — Allgemeine Pathologie und pathologische 
Anatomie. S. 1117. — Parasitenkunde und Serologie. S. 1118. — 
Innere Medizin. S. 1119. — Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 
S. 1120. — Kinderheilkunde. S. lf20. — Chirurgie. S. 1120. — 
Urologie. S. 1122. — Augenheilkunde. S. 1122. — Hygiene und 
Sanitätswesen. S. 1123. — Unfallheilkunde und Versicherungswesen. 
S. 1123. — Technik. S. 1123. 

Verhandlung«! ärztlicher Gesellschaften: Berliner medizinische 
Gesellschaft. Hirsch: Coxitis. S. 1124. Silberstein: Zur Be¬ 
handlung der Kniegelenksankylose. S. 1124. Lazarus: Dauer¬ 
ernährung mittelst der Duodenalsonde. S. 1124. Cohn: Die atmo¬ 
sphärische Luft in der Bauchhöhle nach Abdominaloperationen. 
S. 1125. Hammerschlag: Ueber Abortbehandlung. S. 1125. — 
Laryngologisohe Gesellschaft zu Berlin. S. 1125. — Hufe- 
landische Gesellschaft zu Berlin. S. 1129. — Verein für 
innere Medizin und Kinderheilkunde zu Berlin. S. 1130. — 
Berliner Gesellschaft für Chirurgie. S. 1131. — Verein 
der Aerzte Wiesbadens. S. 1132. — Wissenschaftlicher 
Verein der Aerzte zu Stettin. S. 1132. — Verein für wissen¬ 
schaftliche Heilkunde zu Königsberg i. Pr. S. 1184. — 
Aerztlicher Verein zu Hamburg. S. 1135. — Aerztlicher 
Bezirksverein zu Zittau. S. 1136. — Freiburger medi¬ 
zinische Gesellschaft. S. 1136. — Aerztlicher Verein zu 
München. S. 1137. — Medizinische Gesellschaft zu Basel. 
S. 1138. — Verein deutscher Aerzte zu Prag. S. 1138. 

XV. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Gynäko¬ 
logie, Halle a. S., 14.-17. Mai 1913. S. 1138. 

Dworetzky: Moskauer Brief. S. 1142. 

Tagesgeschichtliche Notizen. S. 1143 

Amtliche Mitteilungen. S. 1144. 


Aus den Laboratorien des Rockefeller-Instituts für medizinische Forschung. 

Neue Untersuchungen über das selbständige Leben der Gewebe 

und Organe. 1 ) 

Von 

Alexis Carrel, New York. 


In einem, im vergangenen Jahre in dieser Wochenschrift 2 ) 
veröffentlichten Artikel habe ich die Technik beschrieben, welche 
mir gestattete, das Leben von „Gewebskulturen“ zu verlängern, 
die Menge des kultivierten Gewebes zu vermehren und einige 
seiner Funktionen zu studieren. Seit dieser Zeit ist in den Labora¬ 
torien des Rockefeller-Instituts eine grosse Anzahl von Versuchen 
in der Absicht gemacht worden, das Bindegewebe getrennt vom 
Organismus in dem Zustand eines dauernden sichtbaren Lebens 
zu erhalten, den Wert der verschiedenen Kulturmedien festzu¬ 
stellen, die Technik der Kultur zu verbessern, die Faktoren, 
welche das Wachstum der Gewebe regeln, zu studieren und end¬ 


1) Uebersetzt von San.-Rat Dr. Lewin. 

2) Carrel, Diese Woohenschrift, 1912. 


lieh Systeme von ganzen Organen im Zustande tätigen Lebens 
in vitro aufrechtzuerhalten. Diese verschiedenen Untersuchungen 
sollen den Inhalt des gegenwärtigen Artikels bilden. — 

Im letiten Jahre habe ich gezeigt, dass Fragmente von Binde¬ 
gewebe 2 Monate lang ausserhalb des Organismus leben und sieb leb¬ 
haft entwickeln können 1 ). Diese Untersuchungen wurden zu dem 
Zwecke fortgesetzt, um zu sehen, ob diese Gewebe imstande sind, 
sich ausserhalb des Organismus ebenso wie die Mikroben un¬ 
begrenzt zu entwickeln. 

Am 17. Januar 1912 wurden kleine Fragmente des Herzens 
und der Blutgefässe von Hühnerembryonen im Alter von sieben 

1) Carrel, On the permanent life of tissue outside of the organism. 
Journ. of exp. med., March 1918. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 24. 


bis achtzehn Tagen in dem Plasma eines erwachsenen Huhnes 
kultiviert. Alle drei oder vier Tage wurden die Kulturen ein 
oder zwei Minuten lang in Ringer’scher Lösung gewaschen und 
unmittelbar darauf in ein neues Medium gesetzt. Anfangs war 
das Wachstum dieser Gewebe sehr schwach. Ihre Masse ver¬ 
mehrte sich nicht nur nicht, sondern sie nahm sogar langsam ab. 
Anfangs März 1912 lebten nur noch fünf dieser Kulturen. Zu 
dieser Zeit setzte ich dem Plasma ein wenig Embryosaft hinzu, 
und die Entwicklung der Gewebe wurde unmittelbar darauf eine 
rapide. Aber eine dieser Kulturen ging an Infektion zugrunde. 
Es blieben also vier Kulturen zurück. Während der Monate 
März und April wuchsen die Gewebe in solchem Maasse, dass sie 
geteilt werden mussten und, direkt oder indirekt, mehr als 20 neue 
Kulturen erzeugten. Während des Monats Mai 1912 wuchsen 25 bis 
30 Kulturen lebhaft. Sie wurden dann von Ebeling 1 ) weiter ge¬ 
züchtet. Ausgangs Juni 1912 traten bakterielle Infektionen auf, 
so dass im Monat Juli nur noch fünf Kulturen lebten. Ihre Zahl 
wuchs darauf, schliesslich aber gingen alle Kulturen infolge ver¬ 
schiedener Umstände zugrunde, mit Ausnahme einer einzigen, die noch 
am 25. September 1912 ein kräftiges Leben zeigte. Am 23. Oktober 
konnte das in dieser Kultur enthaltene ßindegewebsfragraent in 
zwei Teile geteilt werden, worauf die Gewebsmasse mit so rasender 
Schnelligkeit wuchs, dass wir im Monat Januar 1913 mehr als 
30 Kulturen batten. 

Alle diese Kulturen stammten indirekt von einem der Herz¬ 
fragmente her, welches am 17. Januar 1912 exstirpiert worden war. 
Dieses Herzfragment umgab sich schnell mit einem Kranz von 
Bindegewebszellen. Nach Verlauf einiger Tage schwächten sich 
die Pulsationen, welche regelmässig und kräftig waren, ab und 
hörten vollständig auf. Bänger als einen Monat hindurch blieb 
das Fragment ganz unbeweglich. Ara 29. Februar 1912 wurde 
das Gewebsfragment, welches 14 Passagen durcbgemacht hatte, 
zerlegt, und sein centraler Teil in ein neues Medium gesetzt. 
Nach der 15. Passage erschienen die rhythmischen Kontraktionen 
wieder und die Pulsationen wurden ebenso kräftig und stark wie 
am 17. Januar. Ihre Anzahl betrug 120—130 in der Minute. 
Während der Monate März und April 1912 fuhr das kleine Herz¬ 
fragment kräftig zu schlagen fort, und zwar 60—120mal in der 
Minute 2 ). Nach jeder Passage wurde die Schnelligkeit der Pulsa¬ 
tionen eine grössere, darauf nahm sie allmählich ab, und nach 
zwei oder drei Tagen war das Herz oft fast völlig unbeweglich. 
Nach einer Waschung in der Ringer’schen Lösung und einer 
Passage in ein neues Milieu wurden die Pulsationen jedoch wieder 
schneller und kräftiger. Dieses Herzfragment schlug bis zum 
104. Tage seines Lebens ausserhalb des Organismus fort. Im 
Laufe der 35. Passage wurde das Muskelgewebe brüchig, rissig, 
und die Herzkontraktionen hörten definitiv auf. Während seines 
Lebens erzeugte dieses Herzfragment eine grosse Anzahl von 
Bindegewebszellen, welche in Plasma kultiviert wurden und 
zahlreiche Zellkolonien hervorbrachten 3 ). Es sind das die Zellen, 
welche die Gewebe erzeugt haben, die wir gegenwärtig besitzen. 

Heute, d. h. am 28. April 1913, leben diese Zellkolonien 
seit mehr als 15 Monate ausserhalb des Organismus und haben 
172—173 Passagen durchgemacht. Sie sind in einem Medium 
kultiviert worden, welches aus zwei Volumina Plasma eines er¬ 
wachsenen Huhns und einem Volumen Saft eines Hühnerembryos 
von acht Tagen besteht. Alle zwei oder drei Tage wird das Ge¬ 
webe aus dem Kulturmedium genommen, etwa 30 Sekunden in 
Ringer’scher Lösung gespült und, wenn ein Volumen sehr be¬ 
trächtlich ist, so wird es in zwei oder drei Fragmente zerlegt und in 
ein neues Medium gesetzt. Die Fragmente umgeben sich bald mit 
einer grossen Menge von Zellen, welche ein neues Gewebe bilden. 
Nach Verlauf von 48 Stunden wird die Breite des neuen Gewebs- 
rings im Mikrometer gemessen, oder die Kultur wird photo¬ 
graphiert. Es war möglich, die Zunahme der Gewebsmasse zu 
bestimmen. Eine Reihe von Photographien zeigt das Wachstum 
einer Zellenkolonie innerhalb eines Zeitraums von zehn Tagen, 
welche seit einem Jahre ausserhalb des Organismus lebte (Fig. 1 u.2). 
Das Gewebe hatte etwa um das Zwölf- bis Fünfzehnfache zuge¬ 
nommen. Setzte man in Röhrchen, welche Plasma und Embryo- 


1) Ebeling, Permanent life of connective tissue outside of the 
organism. Journ. of exp. med., March 1913. 

2) Pozzi, Vie manifestee permanente des tissus separ^s de l’orga- 
nisme. Acad. de m6d. Paris. Juin 1912. 

3) Carrel, On the permanent life of tissue outside of the organism. 
Journ. of eiper. med. March 1912. — Derselbe, Pure culture of cells. 
Journ. of exp. med. April 1912. 


Figur 1. 



Kolonie von Bindegewebszellen nach der 87. Passage. (Nach einer 
Photographie vom 17. Januar 1913.) 


Figur 2. 



Menge des innerhalb 10 Tagen durch die in Figur 1 dargestellte Zellen¬ 
kolonie produzierten Gewebes. (Nach einer Photographie vom 
27. Januar 1913.) 


saft enthielten, Fragmente eines aus Zellkolonien gebildeten Ge¬ 
webes, welches seit 14 Monaten ausserhalb des Organismus lebte, 
so wurde ihre Masse in fünf oder sechs Tagen 30- bis 40mal 
grösser. Diese grosse Volumszunahme beweist also, dass es sich 
bei meinen Experimenten nicht um die Erscheinungen 
des Ueberlebens handelt, analog denen, welche vor mir 
andere Experimentatoren beobachtet haben, sondern 
vielmehr um eine neue Tatsache: Um lebende and sich, 
gleich den Mikroben, unbegrenzt in dem Kulturmedium 
vermehrende Bindegewebszellen. Die Kolonien der Binde¬ 
gewebszellen, welche seit mehr als 15 Monaten ausserhalb des 
Organismus leben, wuchsen weit schneller als im Beginn ihres 
Lebens in vitro, und die Gewebsmenge, welche sie zu erzeugen 
imstande sind, erscheint unbegrenzt. 

Wir haben auch zahlreiche Kulturen, welche Zellkolonien 
enthalten, die von Herzfragmenten eines Hühnerembryos her¬ 
stammen, welche im Monat Juni 1912 exstirpiert worden waren. 
Diese Gewebe entwickeln sich ebenso schnell wie diejenigen, 
welche im Monat Januar 1912 entnommen worden waren. Die aus¬ 
gewachsenen Gewebe verhalten sich ebenso wie die embryonalen. 
Im Monat Februar 1913 wurden zwei kleine Fragmente vom Binde¬ 
gewebe des Halses eines ausgewachsenen Huhnes entnommen. 
Dieses Gewebe nahm rapide an Umfang zu und wurde in zahl¬ 
reiche Fragmente zerlegt, welche heute ebenso schnell wie die 
embryonalen Gewebe sich vermehren. Auch die Gewebe von 
Säugetieren, wie Hund, Katze und Maus, haben in zahlreichen 
Generationen ausserhalb des Organismus gelebt. Fragmente vom 


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Bindegewebe einer erwachsenen Maus wurden in einer Mischung 
von Meerschweinchenplasma und Embryoextrakt einer Maus kulti¬ 
viert. Sie ertrugen die Waschungen und Passagen ebenso leicht 
wie die Hühnergewebe und wurden in zahlreichen Generationen 
im Zustande kräftigen Lebens erhalten. Wir haben auch ver¬ 
sucht, menschliche Gewebe im Zustand eines Dauerlebens zu er¬ 
halten. Es ist jedoch weit schwieriger, menschliche Gewebe zu 
kultivieren als tierische, weil das menschliche Plasma sich sehr 
leicht verflüssigt. 

Dank der Mitarbeit des Herrn Markoe, Chirurgen des Lying-in 
Hospitals in New York, und der des Herrn Losee, Pathologen an 
demselben Hospital, haben wir versucht, Fragmente der Milz und 
des Herzens eines Fötus und des Peritoneums einer erwachsenen 
Frau im Zustand des Dauerlebens zu erhalten. Die Wucherung der 
Herzfragmente des Fötus von fünf Monaten konnte mehr als 
14 Tage lang beobachtet werden, während welcher Zeit die Ge¬ 
webe 5—6 Passagen durchmachten. 

Ich habe ebenso versucht, Zellkulturen, die von malignen 
Tumoren herstammten, im Zustande des Dauerlebens zu erhalten. 
Die ersten Versuche wurden mit Hilfe von Fragmenten des Rous- 
schen Sarkoms gemacht. Oft gingen die Gewebe nach einigen 
Tagen infolge von Verflüssigung des Plasmas zugrunde. Ein 
kleines Fragment jedoch machte 20 Passagen durch und wurde 
46 Tage lang im Zustande kräftigen Lebens erhalten 1 ). Ich habe 
auch versucht, Fragmente des Ebrlich’schen Sarkoms in einer 
Mischung von Meerschweinchenplasma und Extrakten embryonalen 
Mäusegewebes zu kultivieren. Es war interessant zu beobachten, 
dass die Kontrollkulturen des normalen Bindegewebes der Maus 
sich weit schneller entwickelten als das sarkomatöse Gewebe. 
Nach Ablauf einiger Passagen ging das Sarkomgewebe zugrunde, 
während das normale Bindegewebe sich noch lebhaft vermehrte. 
Die Kulturen der Mäusesarkome zeigten dieselben Charaktere wie 
die Kulturen der Hühnersarkome, d. h. sie wuchsen weit schwerer 
in vitro als das normale Bindegewebe. Die Bedeutung dieser Er¬ 
scheinung wird in weiteren Experimenten studiert werden müssen. 


Es wurden sehr verschiedene Kulturmedien angewandt, um 
die Gewebe im Zustande selbständigen Lebens zu erhalten. Wir 
haben versucht, den Wert dieser Verschiedenen Medien zu be¬ 
stimmen. Ragnvald Ingebrigtsen hat vergleichsweise den 
Einfluss von Plasma, einer Mischung von Serum und Agar, einer 
Mischung der Ringer’schen Lösung und Agar und auch von 
Ringer’scher Lösung allein auf die Gewebe erwachsener und 
embryonaler Tiere studiert 2 ). Die Gewebe erwachsener Tiere ent¬ 
wickelten sich weder im Serum noch in Ringer’scher Lösung. 
Wenn jedoch die Gewebe von reifen Katzen, Kaninchen, Meer¬ 
schweinchen und Hunden in Plasma kultiviert wurden, so beob¬ 
achtete man die Bildung neuen Gewebes rings um das ursprüng¬ 
liche Fragment. Die embryonalen Gewebe entwickelten sich 
ebenso und bisweilen noch besser in den anderen Medien. So 
entwickelten sich z. B. die Haut, die Leber oder die Schilddrüse 
eines Katzenfötus leichter in einer Mischung von Agar und Serum. 
Die Epithelialzellen der Leber und der Haut eines Hühnerembryos 
wucherten reichlicher im Serum als im Plasma. Lewis hatte 
schon Gewebe eines Hühnerembryos in Ringer’scher Lösung 
kultiviert; aber die Untersuchungen von Ingebrigtsen haben 
gezeigt, dass ein fundamentaler Unterschied in den Lebens¬ 
charakteren der embryonalen Gewebe in Serum oder in der 
Ringer’schen Lösung und in Plasma besteht. Die embryonalen 
Gewebe entwickeln sieb, ganz unabhängig vom Medium, infolge 
der in den Zellen enthaltenen Reserven. Aber dann ist ihr Leben 
kurz. Das Wachstum des embryonalen Gewebes in einer Salz¬ 
lösung verdient nicht den Namen einer Kultur, denn es handelt 
sich einfach um das Phänomen des Ueberlebens 2 ). Das Plasma 
ist das einzige, gegenwärtig bekannte Medium, welches eine un¬ 
begrenzte Fortpflanzung der Zellkolonien in vitro gestattet. 

Es war wahrscheinlich, dass die Wirkung des Plasmas oder 
des Serums je nach deren Ursprung eine verschiedene sein würde. 
Frühere Untersuchungen hatten gezeigt, dass das heterogene 
Serum ein weit weniger günstiges Medium ist als autogene oder 
homogene Sera. In neuen Versuchen hat Ingebrigtsen die 
Wirkung der Sera verschiedenen Ursprungs studiert. Er kulti¬ 

1) Garrel, On the permanent life of tissue outside of the organism. 
Journ. of exp. med. March 1912. 

2) Ingebrigtsen, Studies upon the characteristics of diflerent 
culture media and their influence upon the growth of tissues outside of 
the organism. Journ. of exp. med., April 1912. 


vierte das Rückenmark eines Meerschweinchens in einer Mischung 
von Agar und Serum, herstammend von demselben Tier oder 
einem anderen Meerschweinchen oder auch von einem Kaninchen, 
einer Katze, einem Hunde, einer Maus, einer Ziege oder einem 
Menschen. Er fand, dass nach Verlauf von 48 Stunden das 
Wachstum des Rückenmarks besser in dem autogenen als in dem 
homogenen Serum war, und dass in dem heterogenen Serum das 
Wachstum stets geringer war als in dem autogenen oder homo¬ 
genen Serum. Die Grösse des Wachstums variierte je nach der 
Verschiedenheit der heterogenen Sera. So war das Kaninchen¬ 
serum das günstigste, das Ziegenserum das ungünstigste Medium. 
Sobald das autogene und homogene Serum auf 56° eine halbe 
Stunde lang erhitzt war, waren sie weniger günstig für das Leben 
des Rückenmarks als die nicht erhitzten Sera 1 ). Dagegen wurden 
die heterogenen Sera ein besseres Kulturmedium, sobald sie er¬ 
hitzt worden waren. Durch andere Untersuchungen bestimmte 
Ingebrigtsen das hämolytische Vermögen heterogener Sera 
hinsichtlich der roten Blutkörperchen des Huhns und Meer¬ 
schweinchens und untersuchte, ob eine Beziehung zwischen 
dem hämolytischen Vermögen eines Serums hinsichtlich gewisser 
Gewebe und der Schnelligkeit des Wachstums dieser Gewebe be¬ 
stände, wenn sie in diesem Serum kultiviert werden 2 ). Er fand 
ein umgekehrtes Verhältnis zwischen dem hämolytischen Ver¬ 
mögen eines heterogenen Serums und der Grösse des Wachstums 
des Gewebes, welches darin kultiviert worden war. 

Das Plasma eines erwachsenen Tieres ist weit davon ent¬ 
fernt, ein ideales Kulturmedium zu sein. Bei meinen ersten 
Untersuchungen über das permanente Leben in vitro fand ich, 
dass die im normalen Plasma eines erwachsenen Tieres kulti¬ 
vierten Gewebe sehr langsam wuchsen. Nach Verlauf von zwei 
Monaten waren die Fragmente nicht umfangreicher als am ersten 
Tage. Wenn man jedoch zu zwei Volumina normalen Plasmas 
ein oder zwei Volumina Embryosaft oder Gewebssaft eines er¬ 
wachsenen Tieres hinzusetzte, wurde das Wachstum ein schnelleres, 
und die Gewebsmasse nahm in beträchtlichem Maasse zu. Da¬ 
nach scheint es, dass das günstigste Medium für ein schnelles 
Wachstum der Gewebe aus einer Mischung von normalem Plasma 
und Gewebssaft bestehen muss. 

Es wäre sehr nützlich, mehrere Generationen hindurch eine 
grosse Gewebsmenge kultivieren zu können. Die Gefässe von 
Gabritschewski, deren Anwendung bereits beschrieben wurde, 
gestatteten, eine weit beträchtlichere Gewebsmenge zu kultivieren 
als die alte Methode des hängenden Tropfens. Aber die bakteriellen 
Infektionen waren häufiger und die Gewebsmenge war noch 
zu gering. Die gegenwärtig angewandte Methode besteht darin, 
einfach eine Suspension von sehr kleinen Gewebsfragmenten in eine 
Mischung von Plasma und Embryosaft, welche in einem Röhrchen 
enthalten ist, einzusetzen. Sobald das Volumen des Gewebes 
sehr klein im Verhältnis zu dem Kulturmedium ist, wird das 
Wachstum ein reichliches und schnelles, selbst wenn die Zell¬ 
kolonien sich am Boden des Röhrchens befinden. Fragmente 
von Zellkolonien, welche länger als 14 Monate ausserhalb des 
Organismus lebten, wurden in Röhrchen gesetzt, die mit Plasma 
und Embryosaft gefüllt waren. Diese Fragmente wuchsen mit 
grosser Schnelligkeit und wurden das Centrum kleiner, aus neuem 
Gewebe bestehender Sphären. Die Masse der Gewebe nimmt stark 
zu, und die nächsten Sphären vereinigen sich miteinander. (Figur 3.) 
Aber in den Fällen, in welchen eine grosse Gewebsmenge in einem 
relativ wenig reichlichen Medium kultiviert wurde, war die Sauer¬ 
stoffversorgung der Gewebe eine ungenügende, und sie wuchsen 
deshalb nicht. Die Technik wurde etwas geändert. Nachdem 
das Plasma und die Suspension schnell gemischt waren, gab 
man dem horizontal liegenden Röhrchen eine schnelle Rotations¬ 
bewegung um seine Längsachse. Während dieser Zeit vollzog 
sich die Gerinnung, und die Röhrenwand war mit einer dünnen 
Schiebt des Plasmagelees bedeckt, in welchem die Entwicklung 
der Gewebe mit grosser Schnelligkeit vor sich ging. Diese 
Methode gestattet, eine so grosse Menge Gewebes, wie man nur 
wünscht, zu kultivieren. 

Diese verschiedenen Techniken geben uns die Möglichkeit, 
einige der Ursachen zu untersuchen, welche das Wachstum der 
Gewebe regeln. 

1) Ingebrigtsen, The influence of heat on different sera. as cul¬ 
ture media for growing tissues. Journ. of exp. med., April 1912. 

2) Ingebrigtsen, Studies upon the characteristics of different 
culture media and their influence upon the growth of tissues outside of 
the organism. Journ. of exp. med., April 1912. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 24. 


Figur 3. 




k 



In einer Plasmatube kultivierte Kolonie von Biudegewebszellen des 
Huhns, seit 14 Monaten ausserhalb des Organismus sich entwickelnd. 

Wir haben die Art und Weise untersucht, auf welche ein 
gegebenes Medium das dynamische Verhältnis der darin kulti¬ 
vierten Zellen verändert und wie die Zellen ihrerseits das Medium 
beeinflussen. 

Die Wirkung des Mediums auf das Wachstum der Zellen 
wurde in zwei Gruppen von Experimenten untersucht. Bei den 
Experimenten der ersten Gruppe wurden Fragmente eines Ge¬ 
webes, das aus Zellen bestand, deren Aktivität bekannt war, in 
Medien verschiedener Zusammensetzung gebracht. Die Grösse 
des Wachstums zeigte, wie das Medium auf die Entwicklung 
wirkte. Zuerst wurde der Einfluss des normalen Plasmas studiert. 
Die Schnelligkeit des Wachstums des Gewebes variierte je nach 
dem verwendeten Plasma; so war das Plasma gewisser Hühner 
wirksamer als das anderer. Der bemerkenswerteste Unterschied war 
durch das Alter der Tiere bedingt. Das Plasma erzeugte eine 
um so reichlichere Zellenwucherung, je jünger das Tier war, 
von dem es herstammte. Das Plasma eines ausgewachsenen Tieres, 
Huhn oder Hund, führte keine deutliche Zunahme der Masse des 
Gewebes herbei. Ich versuchte alsdann, dem Plasma eines er¬ 
wachsenen Tieres eine dynamische Kraft zu verleihen, die analog 
oder stärker als die des Plasmas eines jungen Tieres war, in¬ 
dem ich Saft eines Embryos oder eines Sarkoms und eines Ge¬ 
webes eines erwachsenen Tieres hinzusetzte. Die Zellenwucherung 
wurde dann eine bei weitem schnellere. Der Saft von Organen 
eines alten Tieres war weniger wirksam als der von Organen 
eines jungen Tieres. Das aktivierende Vermögen der Säfte der 
embryonalen oder reifen Gewebe wurde in einer grossen Anzahl 
von Versuchen studiert 1 ). 

Fragmente des Herzens, der Haut oder des Periosts eines 
Hühnerembryos, eines erwachsenen Huhns, eines Hundes, einer 
Maus wurden in einem Plasma kultiviert, welches verschiedene 
mehr oder weniger konzentrierte Mengen von Gewebssaft enthielt. 
Es fand sich, dass die Grösse des Wachstums variierte in direktem 
Verhältnis zur Konzentration des Extrakts. Einige Tropfen 
Ringer’scher Lösung einige Minuten lang mit den embryonalen 
Geweben vermischt, vermehrten die Schnelligkeit des Wachstums 
um das doppelte oder dreifache. Das Wachstum wurde ein noch 
schnelleres, wenn die embryonalen Gewebe mehrere Tage hin¬ 
durch in Verbindung mit der Ringer’schen Lösung geblieben 
waren. Die konzentrierten Extrakte steigerten die Schnelligkeit 
des Wachstums um das dreissig- bis vierzigfache. Die Natur 
der Gewebe hatte einen sichtbaren Einfluss auf ihr Aktivierungs¬ 
vermögen. Der Saft von embryonalen Geweben war am wirk¬ 
samsten, jedoch war der Saft der erwachsenen Ratte und des 
Sarkoms von Rous fast ebenso wirksam. Die Extrakte von 
Herzen und Niere waren es weniger, während die Extrakte 
von Bindegewebe eine sehr schwache Zunahme des Wachstums 
hervorriefen. Der Einfluss der Extrakte von Schilddrüse und 
Muskel eines Hundes auf das Wachstum des Periosts war deut¬ 
lich, aber der Extrakt der Schilddrüse war wirksamer als der 


1) Carrel, Artificial activation of the growth in vitro of connective 
tissue. Journ. of exp. med., January 1913. 


des Muskels. Der Saft der Gewebe eines Tieres hatte keinen 
beschleunigenden Einfluss auf das Wachstum der Gewebe eines 
Tieres differenter Art. Der Saft der embryonalen Gewebe begann 
seine belebende Kraft zu verlieren, wenn er 10 Minuten lang auf 
56° erhitzt wurde. Die Abnahme war noch deutlicher, wenn er 
30 Minuten lang erhitzt wurde. Ebenso verhielt es sich mit den 
Extrakten des Sarkoms von Rous. Die Extrakte des Sarkoms 
von Rous, die embryonalen Gewebe und die Extrakte der er¬ 
wachsenen Milz verloren vollständig ihr Aktivierungsvermögen, 
wenn man sie 10 Minuten lang auf 70° erhitzte. Wurden die 
Extrakte durch ein Berkefeldfilter filtriert, so verloren sie einen 
Teil ihres Aktivierungsvermögens, wurden sie durch ein 
Chamberlainfilter filtriert, so verloren sie es vollständig. Das 
Aktivierungsvermögen der Extrakte bestand 15, 20 Tage lang 
und mehr, wenn sie auf einem „Kältelager“ aufbewahrt 
wurden, nahm aber ab und verschwand schnell, wenn man 
die Extrakte im Brutofen aufbewahrte. Dank dieser Säfte oder 
Gewebsextrakte konnte das dynamische Vermögen eines Kultur¬ 
mediums sehr leicht vermehrt werden. Die Steigerung des Wachs¬ 
tums durch die Gewebssäfte war eine dauernde, während die 
durch Veränderungen der osmotischen Spannung des Mediums 
erzeugte nur eine vorübergehende war. Gewebe, die in einem 
leicht hypotonischen Plasma kultiviert worden waren, wuchsen 
anfänglich schneller als die Kontrollgewebe. Nach einer oder 
mehreren Passagen verringerte sich die Schnelligkeit und wurde 
schliesslich geringer als die der Kontrollgewebe. Bei allen Ver¬ 
suchen erlagen die in Medien verschiedener Zusammensetzung ge¬ 
brachten Zellkolonien Veränderungen der Entwicklung, je nach 
der Zusammensetzung des Mediums. Diese Resultate Hessen uns 
an die Möglichkeit denken, Zellkolonien von Bindegewebe, welche 
dem Leben in vitro angepasst waren, als Reagens auf das dyna¬ 
mische Vermögen des inneren Milieus eines Organismus zu ver¬ 
wenden. 

In einer zweiten Gruppe von Experimenten wurden Zell¬ 
kolonien, deren anfängliche Aktivität verschieden war, in Medien 
von identischer Zusammensetzung kultiviert. Es ist bekannt, 
dass das dynamische Vermögen der normalen oder in vitro kulti¬ 
vierten Gewebe in weitem Maasse verschieden ist. Bindegewebs- 
fragmente eines Embryos, eines jungen, eines erwachsenen 
oder eines alten Tieres wachsen, wenn man sie in demselben 
Medium kultiviert, mit sehr ungleicher Schnelligkeit. Auch die 
verschiedenen Gewebe eines nnd desselben Organismus können 
verschiedene Aktivität aufweisen. Ebenso verhält es sich mit 
den in vitro kultivierten Geweben. Eine Zellkolonie, welche 
mehrere Tage hindurch tägliche Passagen erfahren hat, befindet 
sich in einem Zustande, der ganz verschieden von dem einer identi¬ 
schen Zellkolonie ist, welche drei oder vier Tage in demselben 
Medium verweilt hat. Man untersuchte, ob die Aktivität einer 
Zellkolonie eine erworbene und lange Zeit andauernde sei, oder 
ob es sich nur um eine vorübergehende Wachstumsveränderung 
handle. Man fand, dass der dynamische Zustand der Zellen sich 
allmählich unter dem Einfluss des Mediums veränderte. Das 
Wachstum der Gewebe verschiedenen Ursprungs, welche in ein 
und dasselbe Medium gesetzt worden waren, war anfänglich un¬ 
gleich, nach einigen Passagen wurde die Schnelligkeit des Wachs¬ 
tums eine gleichmässige. Oft war der Einfluss des Mediums auf 
die Schnelligkeit des Wachstums der Gewebe nicht unmittelbar 
ausgesprochen. Die Zellen vervielfältigten sich anfangs, je nach 
ihrem früheren dynamischen Zustande, darauf änderte sich ihre 
Aktivität, nahm zu oder verminderte sich und wurde konstant. 
Der Einfluss gewisser Veränderungen des Mediums zeigte sich 
bisweilen nur in sehr schwacher Weise. Liess man jedoch die 
Gewebe mehrere Passagen in demselben Medium durchmachen, 
so sah man, dass die Wachstumsschnelligkeit sich immer mehr 
von der des Kontrollgewebes unterschied. Zellkolonien, deren 
Wucherung lebhaft war, setzten einige Tage hindurch ihr Wachs¬ 
tum schnell fort, wenn man sie in das Plasma eines erwachsenen 
oder alten Tieres setzte. Dann wurde ihre Entwickung immer 
langsamer. Es schien, als ob die Aktivität der Zellen von 
gewissen Substanzen abhängig wäre, welche sich in ihrem Innern 
angehäuft hatten und sich allmählich erschöpften. Die Wirkung 
des Mediums war nicht eine unmittelbare, aber sie war schliess¬ 
lich verhängnisvoll. Der dynamische Zustand der Zellen scheint 
eine Funktion des Mediums zu sein, in welchem sie sich befinden. 
Diese Eigenschaft der Zellen, mehrere Tage hindurch in einem 
normalen Plasma ihre eigene Aktivität zu zeigen, könnte vielleicht 
dazu benutzt werden, den dynamischen Zustand eines Gewebes und 
vielleicht den Grad der Malignität eines Tumors zu diagnostizieren. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Es steht fest, dass die Zellen in gleicher Weise einen Ein- 
floss auf das Medium haben, in dem sie sich entwickeln. In 
allen Kulturen von Zellen wie in den Kulturen von Mikroorga¬ 
nismen hört das Wachstum auf, und der Tod tritt ein, weil das 
Medium sich erschöpft und mit den Produkten der Zellsekretion 
überladen wird. Auf Grund dieser Hypothese konnte ich das 
Leben des Bindegewebes unbegrenzt verlängern. Die Zellkolonien, 
welche alle zwei Tage in der Ringer’schen Lösung gespült und 
in einer Mischung von Plasma und Embryosaft kultiviert wurden, 
entwickelten sich weiter mit einer grossen Lebhaftigkeit. Wurden 
die Gewebe nach mehreren Passagen in ein neues Medium ohne 
vorhergehende Spülung gesetzt, so wurde ihr Wachstum ein 
weniger schnelles. Nichtsdestoweniger setzte es sich fort, wenn 
das Kulturmedium aus Plasma und Embryosaft bestand. Wenn 
jedoch die nichtgewaschenen Gewebe in dem Plasma eines er¬ 
wachsenen Tieres ohne Zusatz von Gewebssaft kultiviert wurden, 
so starben sie nach einigen Passagen ab. Der direkte Einfluss 
der Sekretionsprodukte der Kulturen auf das Wachstum des Binde¬ 
gewebes wurde gleichfalls studiert. Die Versuche bestanden 
darin, dass man den Saft einer grossen Kultur extrahierte und 
ihn mit dem Kulturmedium des Bindegewebes vermischte. In 
zwei Röhrchen setzte man gleiche Mengen einer Mischung von 
zerkleinertem Embryogewebe und Plasma. Das eine der Röhrchen 
wurde in ein „Kältelager“, das andere in einen Brutofen gesetzt. 
Man liess die Gewebe des in den Brutofen gesetzten Röhrchens 
sich einige Tage hindurch entwickeln; alsdann extrahierte man 
die Flüssigkeit aus beiden Röhrchen. Die Flüssigkeit wurde mit 
normalem Plasma vermischt, in welchem man Fragmente der 
Zellkolonien von Bindegewebe kultivierte. Man konstatierte als¬ 
dann, dass die Fragmente weit weniger schnell in der Kultur¬ 
flüssigkeit, welche sich lebhaft in dem Brutofen entwickelt batte, 
wuchsen, als in der Flüssigkeit des Röhrchens, welches in dem 
„Kältelager“ aufbewahrt worden war. Diese Versuche lehrten, 
dass die lebenden Gewebe ihr Medium gründlich verändern. 
Weitere Untersuchungen werden vielleicht die Natur dieser Ver¬ 
änderungen aufklären. 


Es wäre für das Studium zahlreicher Probleme von Wichtig¬ 
keit, ganze Organe im Zustande kräftigen Lebens getrennt vom 
Organismus aufzubewahren. Da die Gewebe sich unbegrenzt in 
einem Kulturmedium entwickeln, so ist es wahrscheinlich, dass 
ganze Organe ebenso in selbständiger Weise würden leben können, 
wenn man ihnen eine Circulation normalen Blutes verschaffen 
könnte. Ich habe versucht, eine Technik zu finden, die es ge¬ 
stattet, ein System von Organen im Zustande aktiven Lebens in 
vitro aufzubewahren 1 )- Die Methode bestand darin, aseptisch im 
Zusammenhang die Brust- und Bauchorgane eines Tieres, im all¬ 
gemeinen einer Katze, zu entnehmen und sie unter gewissen Be¬ 
dingungen bei einer Temperatur von 38° aufzubewahren. 

Die Haut des Halses, der Brust und des Bauches einer Katze 
wurde unter Aetheranästhesie sterilisiert. Der Oesophagus wurde 
unterbunden und aseptisch abgeschnitten. In die durchschnittene 
und intnbierte Trachea führte ich einen Kautschukkatheter ein, 
um die künstliche Atmung nach der Methode von Meitzer und 
Auer auszuführen. Alsdann wurde der Leib eröffnet. Die Aorta 
und Vena cava wurden unterbunden und nahe der Bifurkation 
durchschnitten. Der Dünndarm wurde aseptisch durchschnitten. 
Die Ureteren wurden gleichfalls durchschnitten. Bisweilen kon¬ 
servierte ich sie ebenso wie die Blase. Darauf unterband und 
durchschnitt ich die hinteren Aeste der Aorta und Vena cava 
und isolierte die Baucheingeweide vollständig von der Bauchwand. 
Diese Eingeweide waren also mit dem Tier nur durch einen aus 
Aorta und Vena cava bestehenden Stiel verbunden. Nun öffnete 
ich sofort die Brusthöhle. Das Zwerchfell wurde von der Brust¬ 
wand abgelöst. Die Arteriae innominatae oder die Carotiden, die 
Vena cava superior und die Vena azygos wurden unterbunden 
und durchschnitten. Nach der Unterbindung der Gefässe starb 
das Tier, aber seine Organe blieben am Leben. Die Nervi vagi, 
sympathici und phrenici wurden durchschnitten. Ich durchschnitt 
dann alle hinteren Aeste der Aorta thoracica. Io diesem Moment 


1) Carrel, Visceral organisras. Journ. of the american med. assoc., 
Decbr. 1912. 


worden die Herzpulsationen gewöhnlich schwach und der arterielle 
Blutdruck sehr niedrig. 

Darauf entfernte ich in einer einzigen Masse die Brust- und 
Baucheingeweide in Verbindung mit ihren Blutgefässen aus dem 
Leichnam des Tieres und legte sie in ein Becken mit Ringer’scher 
Lösung bei einer Temperatur von 38°. 

Das Herz schlug noch langsam und regelmässig. Aber der 
Blutdruck war niedrig, die Herzschläge schwach und das Aus¬ 
sehen der Organe sehr anämisch. Nach Ablauf weniger Minuten 
hob sich der Blutdruck und wurde zuweilen fast normal. Ge¬ 
wöhnlich machte ich eine Transfusion mit einer gewissen Menge 
Blut einer anderen Katze in den Visceralorganismus. Darauf 
wurden die Lungen rosig, der Blutdruck hob sich und das Herz 
schlug regelmässig, 120—160 mal in der Minute. Die Pulsationen 
der Baucbaorta waren heftig. Man konnte die Pulsationen 
der Arterien des Magens, der Milz, der Nieren und selbst der 
Eierstöcke sehen und fühlen. Ebenso beobachtete man die peri¬ 
staltischen Kontraktionen des Magens und Darmes. Das Aussehen 
der Eingeweide war wieder ganz normal geworden. 

Nunmehr brachte man den Visceralorganismns in einen Kasten, 
gefüllt mit Ringer’scher Lösung. Man bedeckte es mit dünner 
japanischer Seide und schützte es durch eine Glasplatte. Die 
Trachealröhre wurde an einer Oeffnung befestigt, welche in der 
Wand des Gefässes angebracht war. An dem Oesophagus wurde 
eine Röhre befestigt. Man konnte so in den Magen Wasser und 
Nahrungsmittel injizieren. Der Darm wurde durch eine be¬ 
sondere Röhre ausserhalb des Gefässes geleitet und daselbst 
ein künstlicher After angebracht. Darauf setzte man das Gefäss 
in einen Brutofen bei einer Temperatur von 38°. 

Unter diesen Verhältnissen lebten die Eingeweide in einem 
anscheinend normalen Zustande. Die Herzpulsationen waren 
kräftig und regelmässig, die Circulation der Organe normal. Der 
Darm zeigte peristaltiscbe Kontraktionen und entleerte sich durch 
den künstlichen After. War der Darm leer, so wurden Galle 
und Darmschleim herausbefördert. Bei einem Experiment, wo 
der Magen beim Tode des Tieres voll Fleisch war, vollzog sich 
in den folgenden Stunden eine normale Verdauung. Die Blase 
war mit Urin gefüllt. 

Einige Visceralorganismsn starben fast plötzlich nach 3 oder 
4 Stunden. Aber die Mehrzahl von ihnen lebte noch kräftig 10, 
11 und selbst 13 Stunden nach dem Tode des Tieres, dessen Teil 
sie gewesen waren. Der Tod der Visceralorganismen wurde durch 
einige Unregelmässigkeiten in den Herzschlägen, welche auch 
schwächer wurden, angekündigt. Alsdann stand das Herz fast 
plötzlich still. 

Es ist wahrscheinlich, dass das Leben der Visceralorganismen 
vielleicht noch mehr verlängert werden könnte. Die Technik 
muss so geändert werden, dass die Organe in einem Zustande 
leben können, der sich ihrem gewohnten Verhältnis so weit als 
möglich nähert. Ich habe versucht, die Organe in mit Vaseline 
imprägnierter Seide und dann in einem sehr dünnen Kautschuk¬ 
sack, der im Wasser hing, aufzubewahren. In anderen Experi¬ 
menten habe ich die Brust- und Bauchhöhle intakt erhalten, in¬ 
dem ich den Kopf des Tieres amputierte und die Bauchwand und 
Wirbelsäule quer durchschnitt. Die Organe starben nicht, wenn 
man die Operation mit einer passenden Technik ansführte. Der 
Organismus besteht alsdann aus Thorax und Abdomen, mit Haut 
bedeckt. Die einfachere Methode jedoch, welche darin besteht, 
dass man die Organe in ein Bad von Ringer’scher Lösung setzt, 
hat bisher die besten Resultate geliefert. Es ist ein Leichtes, 
die einen oder anderen Organe auszuschalten oder zu konservieren, 
je nach den Fragen, die man studieren will. 

Die Visceralorganismen wurden von van Slyke zu seinen 
Untersuchungen über die Absorption der Aminosäuren verwendet. 
Im Verlauf seiner Versuche konstatierte er, dass die in den Darm 
injizierten Aminosäuren in normaler Weise resorbiert wurden und 
schnell in das Blut und die Organe übergingen. 


Diese verschiedenen Methoden sind weit davon entfernt, ihre 
definitive Form erhalten zu haben. Sie werden geändert und 
vervollkommnet werden müssen, aber sie können schon in ihrem 
jetzigen Zustande zum Studium zahlreicher Probleme der Patho¬ 
genese, Physiologie und biologischen Chemie benutzt werden. 


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Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



1102 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 24. 


Aus dem Neuen Katharinen-Krankenbause an der 
Kaiser!. Universität Moskau (Dir.: Prof. Dr. P. Popoft). 

ChemotherapeutischeVersucheanKrebskranken 
mittels Selenjodmethylenblau. 

Von 

Priv.-Doz. Dr. A. Braunstein. 

Die Chemotherapie der bösartigen Geschwülste konnte auf 
eine feste wissenschaftliche Basis fundiert werden einerseits dank 
den hervorragenden Ergebnissen der experimentellen Geschwulst- 
forschung der letzten zehn Jahre und andererseits dank den genialen 
Untersuchungen Ehrlich’s auf dem Gebiete der Chemotherapie. 

Die Hauptgrundlagen der Chemotherapie sind von Ehrlich in 
prägnantester Kürze in den Satz zusammengefasst: „Corpora non agunt 
nisi fixata.“ Dies bedeutet, dass eine parasitenabtötende Wirkung nur 
solohe chemische Verbindungen zu entfalten vermögen, die von den Krank¬ 
heitserregern fixiert werden oder mit anderen Worten: die grösste Affinität 
zu diesen besitzen. Wir wissen jedoch, dass alle chemischen Stoffe den 
Körperzellen gegenüber sich nicht indifferent verhalten; deshalb muss 
das chemotherapeutische Mittel eine solche chemische Verbindung sein, 
die zum Parasiten die grösste und zu den Körperorganen die geringste 
Affinität aufweist. In Ehrlich’scher Ausdrucksweise besagt dies, dass 
die betreffenden Substanzen stark parasitotrop und sehr schwach organo- 
trop sein müssen. Als ideales Beispiel eines solchen Mittels hat das 
von Ehrlich entdeckte Dioxydiamidoarsenobenzol (Salvarsan) zu gelten, 
das ins Blut eines mit Spiroohäten infizierten Organismus injiziert sie 
abtötet, fast ohne die Organzellen zu alterieren. Aber die Spirochäten 
stellen Gebilde dar, die dem normalen Organismus vollkommen fremd 
sind, und deswegen war die Möglichkeit, ein derartiges spirillotropes 
Mittel aufzufinden, wenn auch schwer, so doch nicht ausgeschlossen. 
Ganz anders liegen die Verhältnisse bei den bösartigen Neubildungen. 
Hier sind die Aufgaben der Chemotherapie noch schwerer zu lösen, uud 
zwar aus folgenden Gründen: Gegenwärtig wird von sämtlichen Forschern 
anerkannt, dass, obwohl die Krebszelle nach ihrem Verhalten zum 
menschlichen Organismus die Rolle eines Parasiten spielt, sie dennoch 
kein für den Organismus fremdes Gebilde repräsentiert, sondern eine 
präformierte, biologisch differenzierte Epithelzelle des Organismus selbst, 
des Trägers der betreffenden Geschwulst. Ganz natürlich taucht vor 
allem die Frage auf, ob es möglich sei, im lebenden Organismus schnell 
wachsende Zellen, d. h. eben die Krebszellen, abzutöten, ohne dass da¬ 
bei die normalen Zellen nicht im mindesten litten, wobei noch das zu 
findende Mittel nicht lokal, d. h. nicht direkt auf die Geschwulst, sondern 
auf dem Wege des Blutstroms zu wirken hat. Bis zur jüngsten Zeit 
zweifelte man sogar an der Möglichkeit einer solchen elektiven Beein¬ 
flussung der Krebszellen, aber A. v. Wassermann und seinen Mit¬ 
arbeitern gelang es, eine chemische Verbindung (das Selen-Eosin) zu 
finden, die einem tumorkranken Tiere in die Blutbahn gespritzt auto¬ 
matisch aus dem Blute in den Tumor hineingetragen, dort von den 
Krebszellen fixiert wird, den Zellkern in spezifischer Weise zerstört und 
dabei die normalen Zellen des gesamten Organismus vollständig un¬ 
berührt lässt. 

Die Bedeutung der v. Wassermann’schen Entdeckung besteht in 
dem Nachweis der Möglichkeit, chemische Verbindungen anzuwenden, 
die, dem Tiere intravenös injiziert, auf die Krebszellen elektiv einwirken 
und sie zerstören, ohne die übrigen normalen Organzellen, mit denen 
diese Stoffe in Berührung kommen, im geringsten zu beeinflussen. 

Bald nach der Entdeckung des Selen-Eosins zeigten Neuberg und 
Gaspari, dass eine gleiche Erweichung und Resorption maligner Tumoren 
bei Tieren durch intravenöse Injektionen einer ganzen Reihe von chemi¬ 
schen Metallverbindungen (von Gold, Kupfer, Platin, Silber, Kobalt, 
Zink) zu erzielen ist. Bei ihren sehr interessanten Untersuchungen 
gingen diese Autoren von einem andern, rein biologischen Gesichtspunkt 
hinsichtlich der Geschwülste aus. Bereits seit langem war es festgestellt, 
dass in den Neoplasmen die autolytischen Vorgänge hochgradig gesteigert 
sind. Diese Prozesse äussern sich in einer Nekrose und Erweichung der 
Geschwulst Begreiflicherweise lag der Gedanke nahe, für die Behand¬ 
lung der Tumoren solche Mittel ausfindig zu machen, die die analyti¬ 
schen Vorgänge noch mehr zu steigern vermöchten. Nachdem nun nach¬ 
gewiesen worden war, dass Radium, Blei, Arsen und eine ganze Reihe 
von Schwermetallen besonders im colloidalen Zustand die Autolyse 
carcinomatöser Tumoren in vitro steigern, begannen Neuberg und 
Caspari diese Metalle für die Behandlung von Tiergeschwülsten heran¬ 
zuziehen. Nach langen Mühen und nachdem die v. Wassermann’sche 
Entdeckung erfolgt war, gelang es ihnen endlich, komplizierte organische 
Verbindungen von Schwermetallen herzustellen (Silber-, Kupfer-, Gold-, 
Platin-, Zinn-, Zinkverbindungen), die, tumorkranken Tieren ins Blut 
injiziert, sehr rasch eine Zerstörung der Geschwülste bewirkten. Diese 
Präparate sind, wenn auch weniger als das Selen-Eosin, doch immerhin 
giftig, und die Tiere, bei denen die Resorption ziemlich grosser Tumoren 
glückt, gehen häufig aus derselben Ursache zugrunde wie in den Ver¬ 
suchen v. Wassermann’s, nämlich an der Giftigkeit des Präparates 
oder an Autointoxikation durch die Zerfallsprodukte der Neoplasmen. 

Endlich haben Werner und Szöcsi gezeigt, dass es möglich ist, 
durch intravenöse wie subcutane Injektionen mancher Lösungen von 


Cholin (borsaurem, jodbenzocsaurem, ameisensaurem usw.), gemischt mit 
colloidalen Schwermetallen (Selenvanadium, Zinkoxyd, Guprokobalt), 
Mäuse- und Rattentumoren zum Verschwinden zu bringen, ferner in jenen 
Fällen, wo die Heilung der Geschwülste nicht vollkommen gelang, 
wenigstens eine sehr bedeutende Beeinflussung derselben im Sinne einer 
Rückbildung zu erzielen. 

Nach den verblüffenden Entdeckungen v. Wassermann’s 
einerseits und Neuberg’s und Caspari’s andererseits stellten 
wir uns die Frage, ob es nicht möglich sei, die von ihnen an 
Tieren erzielten Resultate in die Klinik zu übertragen. Von einer 
direkten Anwendung des Wassermann’schen Selen-Eosins und der 
Neuberg-Caspari’schen kolloidalen Metalle beim Menschen konnte 
in Anbetracht der starken Giftigkeit dieser Präparate natürlich 
keine Rede sein. Wir fassten daher den Gedanken, das Selen als 
den auf die Geschwulst wirksamen Hauptkern beizubehalten, und 
es mit ungiftigen, aber ebenfalls leicht diffundierenden Substanzen, 
die ausserdem noch eine Affinität zu den Krebszellen besitzen, 
und überdies mit die Autolyse steigernden Stoffen zu kombinieren. 
Ich wandte mich den Anilinfarben, speziell dem Methylenblau und 
dem Jod zu, und zwar auf Grund von Erwägungen, von denen 
weiter unten die Rede sein wird. Ich muss bemerken, dass so¬ 
wohl das Methylenblau wie auch das Jod, jedes für sich, bereits 
seit langem in der Therapie der bösartigen Geschwülste Verwen¬ 
dung gefunden haben, und zwar, wie aus den Berichten mancher 
Autoren (Mosetig-Moorhof, Jacobi, Michailow) zu ersehen 
ist, nicht ohne Erfolg. Ausserdem bat F. Blumenthal in 2 Fällen 
von malignem Tumor der Abdorainalorgane durch eine kombinierte 
Therapie mit Jodatoxyl und Acid. arsenicos. bemerkenswerte Er¬ 
folge erzielt. Aber in der Kombination, wie wir sie benutzt haben, 
wurden bisher diese Stoffe in der Klinik noch nicht erprobt. 

Was nun das Selen anlangt, so repräsentiert es ein Metalloid aus 
der Schwefel gruppe. Die Selenverbindungen sind sehr giftig und stehen 
ihrer pharmakologischen Wirkung nach dem Arsen sehr nahe. Dafür 
jedoch erwiesen sich die colloidalen Selenlösungen als gänzlich ungiftig, 
trotzdem sie gleichzeitig die spezifischen Eigenschaften des Selens be¬ 
wahrt haben. Wie die experimentellen Untersuchungen Duhamel’s ge¬ 
zeigt haben, vertragen Kaninchen Injektionen von 5—40 ccm colloidaler 
Selenlösung ohne jegliche Störung. Gleich nach der Einspritzung stellt 
sich eine Leukopenie ein, auf die rasch eine Leukocytose folgt. Aus¬ 
geschieden wird das Selen aus dem Organismus teils mit dem Harn, 
zum Teil wird es jedoch in der Leber und den anderen parenchymatösen 
Organen abgelagert. In der Klinik wurden Injektionen von colloidalem 
Selen allein bei malignen Tumoren bereits von Bougeant und Galliot 
in 12 Fällen angewandt, von Blumenthal in 6, von Trinkler in 
7 Fällen und noch von einigeu anderen Autoren (Netter et Gascuel, 
Thiroloix et Lancien, Girard et Cade). Fast sämtliche Autoren, 
die das colloidale Selen in hoffnungslosen und verschleppten F'ällen an¬ 
gewandt haben, beobachteten eine rasche Besserung des Allgemein¬ 
zustandes, eine Hebung des Appetites, Gwichtszunahme, bedeutende Ab¬ 
nahme der Schmerzen, Sistierung des Erbrechens. Die objektiven Ver¬ 
änderungen der Tumoren bestanden in einer Verkleinerung derselben, 
in Wachstumsstillstand, in Erweichung und erheblicher Zunahme der 
Beweglichkeit, ja manche Autoren beschreiben sogar ein Verschwinden 
von Magengeschwülsten. 

Anstatt des Eosins, das in v. Wassermann’s Versuchen als ein 
Transportmittel für das Selen diente, beschloss ich bei meinen Patienten, 
das Methylenblau zu benutzen, das bekanntlich gleich dem Eosin 
ein sehr starkes Diffusionsvermögen besitzt und in dieser Beziehung da¬ 
her das Eosin vollkommen zu ersetzen vermag. Ausserdem ist das 
Methylenblau sogar in grossen Dosen völlig ungiftig, wie das klinisch 
bei der Behandlung der Malaria festgestellt wurde. Bei der Wahl des 
Methylenblaus liess ich mich noch von folgenden Erwägungen leiten: 
Bereits in den 80er Jahren empfahl Ehrlich das Methylenblau für die 
vitale Färbung der Gewebe wegen seines eigentümlichen Vermögens, 
sich leicht zu der farblosen Leubobase reduzieren zu lassen und ebenso 
leicht von neuem zu Methylenblau sich zu oxydieren. Hieraus folgt, 
dass das Methylenblau seinen Sauerstoff leicht abgibt und dabei in Leuko- 
methylenblau übergeht, und dieses letztere sioh ebenso leicht wiederum 
oxydiert, wenn es auf Sauerstoff im Ueberschuss trifft. Ferner ist be¬ 
kanntlich für ein energisches Wachstum, d. h. für die Zellteilung, Sauer¬ 
stoff erforderlich, folglich bedürfen seiner die Krebszellen ganz besonders 
für ihr schnelles Wachstum; als Ort für den aktivierten Zustand des 
Sauerstoffs in der Zelle dient nun, wie man annimmt, ihr Kern. Man 
darf nun annehmen, dass, sobald das Methylenblau ins Blut eingeführt 
wird und dort mit reduzierenden Substanzen zusammentrifft, es sehr 
leicht in die Leukobase übergeht, welche Sauerstoff gierig aufnimmt, in 
den Kern der Krebszelle auch intra vitam einzudringen und den Unter¬ 
gang der Zelle selbst zu bewirken vermag. 

Wir wenden uns nun zu unserer dritten Komponente, dem Jod. 
Schon ganz abgesehen davon, dass das Jod bereits seit langem für die 
Behandlung der bösartigen Geschwülste benutzt wird, haben die experi¬ 
mentellen Untersuchungen der letzten Jahre zwei in dieser Beziehung 
sehr wichtige Tatsachen festgestellt, erstens nämlich, dass die Krebs¬ 
zellen eine Affinität zum Jod aufweisen, und zweitens dass das Jod die 


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UNIVERSITY OF IOWA 





16. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1108 


autolytischen Vorgänge im tierischen Organismus steigert. Wie stark 
ausgeprägt die Affinität der Krebszellen zum Jod ist, erhellt aus dem 
Versuch v. d. Velden’s, welcher einem Krebskranken kurz vor dem 
Tode 30 ccm einer lOproz. Jodnatriumlösung unter die Brusthaut 
injizierte. Neun Stunden nach dem Tode des Patienten erwies sich bei 
der Sektion, dass die metastatischen Krebsknoten in der Leber und im 
Pankreas grosse Jodmengen enthielten, während im übrigen Gewebe der 
Organe, in denen sich die Metastasen befanden, nicht die geringsten 
Spuren von Jod nachzuweisen waren. Bezüglich der Autolyse liegen 
experimentelle Untersuchungen von Stookey vor, welcher gefunden hat. 
dass die Organe von Hunden, die längere Zeit hindurch Jodkali erhalten 
hatten, durch eine stärkere Autolyse charakterisiert sind als normale 
Organe; besonders deutlich ausgesprochen ist dieser Prozess an der 
Leber und an den Nieren. Diese Experimente wurden in jüngster Zeit 
von Kepinow bestätigt, der bei Kaninchen nach Einspritzung von Jod¬ 
verbindungen eine Steigerung der autolytischen Vorgänge in der Leber 
konstatierte. Endlich haben Neuberg und Gas pari in ihren Ver¬ 
suchen, wenn nach den Injektionen ihrer Präparate ein vollständiger 
Zerfall der Tumoren nicht eintreten wollte, eine Nachbehandlung mittels 
Einspritzungen von Natr. jodat. eingeleitet, was stets eine merkliche 
Verkleinerung der Tumoren bewirkte. 

Aus dem Gesagten erhellt zur Genüge, dass wir es mit einer 
Kombination von drei, ihren physikalisch-chemischen Eigenschaften 
nach verschiedenen Stoffen — Selenjodmethylenblan —, zu tun 
haben, die nicht nur theoretisch, sondern auch auf streng wissen¬ 
schaftlichem experimentellen Wege wohl begründet sind. Unserem 
Versuche, maligne Tumoren beim Menschen chemotherapeutisch 
zo beeinflussen, liegt ein auf die Krebszelle spezifisch einwirkender 
Stoff, das Selen, zugrunde. Im kolloidalen Zustande steigert es 
schon an und für sich wie alle Kolloide der Schwermetalle die 
autolytischen Vorgänge. Als Transportmittel dient uns das 
gänzlich ungiftige Methylenblau, welches infolge seiner Rolle, die 
es bei der vitalen Färbung spielt, auch seinerseits auf den Kern 
der Krebszelle einen verderblichen Einfluss anszuüben vermag. 
Endlich gesellten wir zum Selen und Methylenblau noch das Jod 
hinzu, das einerseits zu den Krebszellen ebenfalls eine starke 
Affinität besitzt und andererseits im Organismus die autolytischen 
Prozesse unzweifelhaft steigert. 

Das sind die Erwägungen, auf Grund deren wir uns be¬ 
rechtigt glaubten, die experimentellen Ergebnisse in die Klinik 
zu übertragen und die Kombination aus den drei bezeichneten 
Substanzen am Krankenbett zu prüfen. 

Unser klinisches Material umfasst 20 Krebskranke. Achtzehn 
Patienten erhielten insgesamt vom September 1912 bis zur Gegen¬ 
wart 215 intravenöse Injektionen von kolloidalem Elektroselen 1 ). 

Gleichzeitig mit den Einspritzungen bekamen die Kranken 
per ns oder per rectum Jodmethylenblau 2 ). Zwei Patienten, von 
denen der eine an Oesophaguscarcinom, die andere Patientin an 
Brustkrebs litt, wurde behufs Kontrolle Jodmethylenblau allein 
ohne Seleninjektionen verabreicht. Irgendwelche Veränderungen 
waren bei diesen beiden Kranken während einer Beobachtungs¬ 
dauer von 2 Wochen nicht zu bemerken. 

Die intravenösen Injektionen des kolloidalen Elektroselens vertrugen 
die Kranken recht gut. Gewöhnlich tritt nach der ersten und zweiten 
Einspritzung eine heftige Reaktion auf, die sich in einem bisweilen an 
die 40 Minuten anhaltenden Schüttelfrost, in einem bis zu 39° heran¬ 
reichenden Ansteigen der Körpertemperatur und in nachfolgendem 
Schwitzen äussert. Nach 2—3 Stunden schwinden alle diese Erschei¬ 
nungen spurlos, und die Kranken fühlen sich am folgenden Tage in der 
Regel besser als vor der Einspritzung. Manche Patienten reagieren auf 
diese Injektionen von Anfang an gar nicht. Nach der dritten Injektion 
weist die überwiegende Mehrzahl der Kranken keinerlei reaktiven Er¬ 
scheinungen mehr auf. Zweimal hatte ich Gelegenheit, gleich nach der Ein¬ 
spritzung eine Urticaria zu beobachten und dreimal eine hochgradige 
Rötung des Gesichts, die je 2—3 Minuten andauerte. Sogar nach 28 an 
einem Patienten ausgeführten Injektionen sah ich weder von seiten des 
Herzens noch von seiten der Nieren irgendwelche abnorme Erscheinungen. 
Sehr charakteristisch ist der Umstand, dass viele Patienten eine 
Schmerzempfindung im Tumor gleich nach der intravenösen Infusion des 
Selens angaben. 

Von dem in der nachstehenden Tabelle angeführten klinischen 
Material befanden sich die ersten fünf Kranken in einem solchen Zu¬ 
stand, dass von einer spezifischen Therapie derartiger weit vorgeschrittener 
Fälle keine Rede mehr sein konnte. Nichtsdestoweniger konnten wir 
auch bei diesen Kranken einige objektive Veränderungen konstatieren. 


1) Das colloidale Selen wurde uns von der Firma Clin in Paris zur 
Verfügung gestellt. 

2) Jodmethylenblau wurde anfangs in Form eines Gemisches aus 
Methylenblau 0,1 -f- Jodalbin 0,36 in Kapseln zweimal täglich verabreicht. 
In letzter Zeit verordnet» ich die chemische Verbindung Cuprum- 
Jodmethylenblau (Farbenfabrik von Friedr. Bayer & Co., Elberfeld), die 
zur Chemotherapie der Tuberkulose benutzt wird. 


Nr. 

Name und 
Alter des 
Kranken 

Diagnose 

Zahl der 
intraven. Ein¬ 
spritzungen 

1 

A., 54 Jahre 

Sarcoma pulmonis dextri 

3 

2 

G., 47 

*9 

Sarcoma mediastini 

2 

3 

M., 56 

„ 

Carcinoma flexurae sigmoid. 

3 

4 

G., 47 


Sarcoma pulmonis dextri 

4 

5 

B., 60 

r 

Carcinoma cardiae 

5 

6 

K., 52 


Carcinoma hepatis 

3 

7 

P., 39 


Carcinoma mammae 

15 

8 

M., 39 


do. 

19 

9 

Ph., 33 

„ 

1 Carcinoma vaginae 

12 

10 

S., 57 


Carcinoma uteri 

19 

11 

K., 39 

v 

Carcinoma vaginae 

17 

12 

K., 60 

7) 

Carcinoma oesophagi 

17 

13 

B., 39 


Sarcoma scapulae 

22 

14 

N., 38 


Carcinoma ventriculi 

28 

15 

K., 52 

59 

Carcinoma cardiae et peritonei 

17 

16 

K., 64 

59 

Sarcoma hepatis 

9 

17 

K., 53 


Carcinoma ventriculi et hepatis 

10 

18 

S., 56 

59 

Carcinoma omenti et peritonei 

10 


So schwand bei einer Patientin (Nr. 2) mit Sarkom des Mediastinums 
das hochgradige Oedem der oberen Extremitäten, das lange angehalten 
hatte, zwei Tage vor dem Exitus vollkommen. Bei der Autopsie gelang 
es nicht, die Ursache für das Verschwinden des Oedems aufzufinden. 

Bei einem Kranken (Nr. 4) mit Sarkom der linken Lunge, bei 
welchem hinten 2 Querfioger unterhalb des Schulterblattwinkels Dämp¬ 
fung, Fehlen des Atemgeräusches und des Pectoralfremitus konstatiert 
worden war, stellte sich das Atemgeräusch wieder ein, und der Spitzen- 
stoss, der 3 fingerbreit nach aussen von der Mamilla zu fühlen war, 
rückte der Mamillarlinie näher und war nunmehr 1 */ 2 querfingerbreit 
nach aussen von der Brustwarze zu palpieren. 

Bei einem Patienten (Nr. 5) mit Carcinoma cardiae, Ascites und 
einer Metastase im Nabel verringerte sich der Ascites um mehr als die 
Hälfte, was dem Kranken eine zeitweilige Erleichterung verschaffte. 

Ein völliges Schwinden des Ascites konnte ich noch in zwei Fällen 
konstatieren: in einem Falle (Nr. 6) von Carcinoma hepatis, das sich nach 
der Exstirpation eines Rectumcarcinoms entwickelt hatte, und in einem 
andern (Nr. 15) von Carcinom der Cardia und des Peritoneums. Bei 
letzterem Kranken verkleinerte sich ausserdem der palpable Tumor, und 
er begann nun feste Nahrung frei herunterzubringen (er ass nun Brot 
und Kotelettes, während er vor der Behandlung sich nur von Flüssig¬ 
keiten allein zu ernähren imstande war). 

Von äusseren Geschwülsten war in einem Falle (No. 7) von Brust¬ 
krebs, in welchem eine partielle Exstirpation ausgeführt und hinsichtlich 
eines rasch eintretenden Recidivs eine sehr schlechte Prognose gestellt 
worden war, nach 3 Monaten bei gutem Allgemeinbefinden und Ge¬ 
wichtszunahme nichts mehr durchzufühlen. 

Bei einer Patientin (Nr. 8) mit einem Recidiv in der Fossa axillaris 
nach zweimaliger Operation eines Carcinoma mammae und mit hoch¬ 
gradigem Oedem des ganzen linken Armes verringerte sich das Oedem 
bedeutend, wurde die Farbe des Armes normal, die Beweglichkeit voll¬ 
kommen unbehindert (Patientin kann sich nun kämmen, was sie vorher 
zu tun nicht vermochte), die Geschwulst wurde weicher, beweglicher und 
etwas kleiner; die Schmerzen schwanden. 

In einem Falle (Nr. 9) von Recidiv eines Vaginacarcinoms nach Ex¬ 
stirpation eines Gebärmutterkrebses, das mit hochgradigen Schmerzen im 
Kreuzbein und Schmerzen beim Urinieren infolge von Druck der Ge¬ 
schwulst auf die Harnblase einherging, äusserte sich der Heilerfolg in 
folgendem: die Schmerzen wurden erheblich geringer, stellten sich jedoch 
zum Schluss der Behandlung von neuem ein; die Schmerzhaftigkeit beim 
Urinlassen verschwand vollständig und trat nicht wieder auf; der Tumor 
wurde weicher und beweglicher. Da jedoch die Kranke zu fiebern begann, 
wurde die Behandlung abgebrochen. 

Io einem Falle von Uteruskrebs (Nr. 10) mit Affektion der Inguinal¬ 
drüsen und einer Metastase im rechten Labium wurden die Schmerzen 
bedeutend geringer und schwanden die häufigen Tenesmen, Schmerzen 
und das Brennen beim Urinieren. Die Inguinaldrüse wurde um s / 4 
kleiner, das Oedem und die Verhärtung des Labiums schwanden. 

In einem Falle (Nr. 11) von Recidiv in der Vagina nach Uterus¬ 
exstirpation wegen Carcinom schwanden die heftigen Kreuzschmerzen und 
die sanguinolenten Ausscheidungen. 

In einem Falle (Nr. 12) von Oesophaguscarcinom mit erschwertem 
Schlucken nicht nur von fester, sondern auch von breiiger Nahrung, be¬ 
gann Patientin nach der Behandlung Cotelettes frei herunterzubringen, 
was sie früher nicht vermochte; ausserdem besserte sich der Allgemein¬ 
zustand. 

In einem Falle (Nr. 13) von Sarkom der Scapula (Recidiv nach 
Amputation des linken Armes) wurden die Schmerzen erheblich geringer 
und die Geschwulst merklich kleiner. Der Allgemeinzustand der Patientin 
ist bis jetzt ein völlig befriedigender. 

Fall Nr.lt: Carcinoma ventriculi, Affektion der Pars pylorioa; 
Patient leidet an Schmerzen, Sodbrennen und Erbrechen; es ist eine 

2 * 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 24. 


derbe, höckrige Geschwulst durchzufühlen. Innerhalb zwei Monate wurden 
mit Unterbrechungen 28 Injektionen verabfolgt. Während der fünf Mo¬ 
nate seiues Aufenthaltes in der Klinik nahm der Kranke an Gewicht 
nicht nur nicht ab, sondern sogar etwas zu. Der Tumor wurde deut¬ 
licher palpabel und dabei kleiner. Der Allgemeinzustand besserte sich 
so sehr, dass der Patient seinem Aussehen nach nicht den Eindruck eines 
Carcinomkranken machte, das Erbrechen hörte gänzlich auf. Da bei 
einigen Kollegen Zweifel hinsichtlich der Malignität der Geschwulst auf¬ 
tauchten, wurde am Patienten eine Laparotomie ausgeführt, die die Dia¬ 
gnose Carcinoma pylori inoperabilis bestätigte. Dem Kranken wurde die 
Gastroenterostomie gemacht. Patient ist gegenwärtig aut den Beinen, 
arbeitsfähig und hat seit der Operation an Gewicht um 12 Pfund zu¬ 
genommen. Seit Beginn der Behandlung sind fünf Monate verflossen. 

Fall Nr. 16: Sarcoma hepatis, Metastase nach operativer Entfernung 
eines Sarkoms in der Scheitelregion des Kopfes. Hochgradiger Icterus, 
acholischer Stuhl, vergrösserte höckrige Leber und zwei kleine Knoten 
am Hinterkopf unterhalb und zur Seite des Operationsfeldes. Der Icterus 
wurde merklich geringer, der Urin heller, die Fäces begannen sich zu 
färben, beide Knoten verringerten sich um mehr als die Hälfte. 

Fall Nr. 17: Carcinoma ventriculi mit Metastasen in der Leber. 
Nach 10 Injektionen Gewichtszunahme um 2 1 /, Pfund und Besserung des 
Allgemeinzustandes. 

Fall Nr. 18: Carcinoma peritonei et omenti majoris. Vor V/ 2 Jahren 
partielle Eistirpation der cancrösen Geschwulst per laparotomiam. 
Heftige Schmerzen und Druck auf das Rectum; erschwerte Defäkation. 
In der Bauchhöhle ist eine ganze Reihe von Tumoren durchzufühlen. 
Nach 10 Injektionen wurden die Schmerzen und der Druck auf den 
Darm geringer, die Defäkation bedeutend leichter, der Allgemeinzustand 
besser. 

Somit konnten wir in fast sämtlichen Fällen eine Verringerung bzw. 
ein Schwinden der Schmerzen, Besserung des Allgemeinzustandes und in 
vielen Fällen eine Zunahme des Körpergewichtes konstatieren. Objektiv 
waren ein Schwinden des Ascites, Kleinerwerden der Geschwülste, eine 
grössere Beweglichkeit derselben und eine Verringerung der befallenen 
Lymphdrüsen zu vermerken. 

Angesichts dieser, wenn auch teilweisen und in einigen Fällen 
nur temporären Erfolge, die wir in solch schweren, inoperablen 
und weit vorgeschrittenen Fällen erzielten, glaube ich mich be¬ 
rechtigt, die in Rede stehende Behandlungsmethode für beachtens¬ 
wert zu halten, zumal sie gänzlich unschädlich ist. Hätten wir 
unsere Therapie in initialen Fällen angewandt, so hätte sie viel¬ 
leicht eine günstigere Wirkung entfaltet. Diese Therapie kann 
man noch, wie mir deucht, als Ergänzungskur zum chirurgischen 
Eingriff empfehlen, um Recidive nach der Operation zu verhüten. 


Erfolgreiche Behandlung von Gesichtskrebsen 
durch Einstichelung von Eisenoxyduloxyd 
kombiniert mit Arseninjektionen. 

Kurze Mitteilung. 

Von 

Dr. med. H. Spnde, Arzt in Pr.-Friedland. 

In der Zeitschrift für Krebsforschung (Bd. 12, H. 2) habe ich 
jüngst über eine neue Kombinationsbehandlung des Krebses be¬ 
richtet, welche darin besteht, dass man feinstes magnetisches 
Pulver (Eisenoxyduloxyd) in der Peripherie des Krebses injiziert, 
auf dieses Pulver einen Wecbselstroramagnet einwirken lässt 
und damit eine subcutane Arsenbehandlung kombiniert. Es gelang 
mir mit dieser Methode, welche ich elektromagnetische Reiz¬ 
arsenbehandlung nannte, zwei Gesichtskrebse verhältnismässig 
schnell zur Vernarbung zu bringen. 

Die theoretische Begründung dieser Methode ist in der Hauptsache 
darin zu finden, dass das Eisenpulver durch einen Wechselstrommagnet 
in schnellste Vibration versetzt wird und das injizierte Gewebe dadurch 
in den Zustand einer maximalen Hyperämie und Transsudation gelangt; 
in diesem Zustande vermag das Arsen seine direkte Wirkung auf Krebs¬ 
zellen und besonders seine indirekte Wirkung als Capillargift viel stärker 
auszuüben, als in nicht gereiztem Gewebe. Die Bedeutung der Methode 
liegt meines Erachtens darin, dass man sie überall anwenden kann, wo 
man mit der Spritze zur Injektion des Eisenstaubes hinkommt, wodurch 
sie sich besonders vor der Röntgen- und Radiumbehandlung auszeichnet, 
deren Wirkung nur eine sehr oberflächliche ist. 

Der technisch schwierigste Punkt dieser Methode war die Konstruktion 
einer zweckmässigen Injektionsspritze für das feinkörnige Eisenpulver. 
Es kam nämlich darauf an, das zu injizierende, in Wasser suspendierte 
Eisenoxyduloxyd während der Injektion in möglichst andauernder Be¬ 
wegung zu halten, da das Eisenpulver sonst feinste Kauülen zu leicht 
verstopfte. Es gelang mir das schliesslich in der Weise, dass ich auf 
eine grosse Rekordspritze einen mit einer Kanüle armierten Gummiballon 
band; durch leichte Kolbenbewegungen lässt sich in einer solchen Spritze 


durch die Elastizität des Ballons jeden Moment ein Hin- und Herströmen 
des suspendierten Eisenpulvers bewirken. 

Bei dem Suchen nach einer zweckmässigen Injektionstechnik des 
Eisenstaubes fand ich aber noch, dass die Gewebsvereisenung durch ein¬ 
fache Hineinstichelung mit feinsten Nähnadeln ebensogut und in bezug 
auf gleichmässige Verteilung noch besser als durch Injektion gelang. Ich 
behandelte in dieser Weise dann auch im November v. J. eine Patientio 
mit einem Gesichtskrebs von 50-Pfennigstückgrösse, nachdem ich unter 
Lokalanästhesie die eraporgewucherte Geschwulst ausgekratzt hatte und 
war nach drei Wochen, als ich die Patientin wiedersah, überrascht, das 
Krebsgeschwür vollständig vernarbt zu finden. Es war diese Vernarbung 
also zustande gekommen ohne Anwendung des Wechselstrommagneten 
und auch ohne Arsenbehandlung, allein durch die einmalige Einstiche* 
lung des Eisenoxyduloxyds in Geschwürsgrund und Umgebung. 

Ich ging deshalb gleich an die Behandlung eines bei weitem 
ausgedehnteren Falles von Gesichtskrebs, den ich bis dahin immer 
noch zurückgestellt hatte, weil meine elektromagnetische Apparatur 
für weniger oberflächliche Krebserkrankungen zu schwach war. 


Figur 1. 



Es handelte sich um einen 77 jährigen Patienten (Figar 1), der an 
seinem Gesichtskrebs schon eine lange Reihe von Jahren litt. Der Krebs 
hatte auf der rechten Hälfte der Oberlippe begonnen, war unter Verlust 
des grösseren Teiles der Oberlippe nach der Nase und besonders nach 
dem Auge hin vorgedrungen, hatte sich zum Teil auch auf den Alveolar¬ 
fortsatz des Oberkiefers und auf die angrenzende Wangenschleimhaut 
verbreitet und war schliesslich in der Gegend des rechten Mundwinkels 
auf die Unterlippe und auch hier auf die Wangenschleimhaut über¬ 
gegangen. Die grösste äussere Ausdehnung dieser Krebserkrankung be¬ 
trug 58 X 58 mm. Bereits vor sieben Jahren, als die Zerstörung noch 
eine viel geringere war, sollte Patient in Berlin operiert werden, was er 
aber wegen seines hohen Alters ablehnte. Nach Auskratzung dieses 
Krebsgeschwürs, die unter Lokalanästhesie und in Etappen ausgeführt 
wurde, erschien der Defekt noch viel grösser. Die Diagnose „Krebs“ 
wurde von mir sowohl in diesem wie in dem ersten Falle histologisch 
sichergestellt. Der ganze Geschwürsgrund mit nächster Umgebung wurde 
dann in verschiedenen Etappen unter Auftragung von in Wasser 
suspendiertem, nicht getrocknetem Eisenoxyduloxyd „Riedel“ unter 
Lokalanästhesie zweimal intensiv durcbgestichelt. Ich benutzte dazu 
zwei oder drei in Kork gesteckte und in eine Schieberpinzette geklemmte 
feinste Nähnadeln. Da es mir bei einem so ausgedehnten Krebsgeschwür 
von vornherein nicht wahrscheinlich war, dass dasselbe durch einfache 
Einstichelung wie beim ersten, viel kleineren Geschwür zur Vernarbung 
zu bringen sein würde, so injizierte ich in diesem Falle auch eine von 
F. Blumenthal 1 ) als besonders wirksam empfohlene Arsenraischung, 
nämlich 0,1 Atoxyl -f- 0,002 Acid. arsenicos., zunächst jeden zweiten 
Tag und nach einer Pause von 14 Tagen jeden dritten Tag, in 6 Wochen 
im ganzen 13 mal. Es wurden übrigens die Arseninjektionen später auch 
bei dem ersten, viel kleineren Geschwür nötig, da dasselbe von einer 
kleinen Stelle aus recidivierte. 

Die Vernarbung des hier abgebildeten Krebsgeschwürs ging bei dieser 
Behandlung ganz auffallend schnell vor sich. Nach 4 Wochen war der 
zuerst in Angriff genommene grosse Defekt unterhalb des rechten Mund¬ 
winkels völlig vernarbt und 37a Wochen später, also 1 X J 2 Wochen nach 
Beginn der Behandlung, hatte sich auch alles übrige geschlossen. Da 
sich der durch die Zerstörung des grösseren Teiles der Oberlippe be- 


1) Ferd. Blumenthal, Innere Behandlung und Fürsorge bei Krebs¬ 
kranken; Zeitschr. f. Krebsforsch., Bd. 10, H. 1, und Chemotherapie der 
bösartigen Geschwülste mit aromatischen Arsenverbindungen; Med. Klinik, 
1911, Nr. 30. 


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16. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1105 


dingte Defekt noch immer weiter zusammenzog, wurde Patient erst 
lVa Wochen später, also 9 Wochen nach Beginn der Behandlung, wieder 
photographiert (Figur 2). Bei einem weniger empfindlichen Patienten 
wäre die Dauer der Behandlung, eventuell uuter Narkose, wohl noch 
abzukürzen. 

Figur 2. 



Die Erklärung dafür, dass es auch durch Einstichelung von 
Eisenoxyduloxyd kombiniert mit Arseninjektionen gelingt, ein 
so grosses Krebsgeschwür in kurzer Zeit zur Vernarbung zu 
bringen, ist offenbar dieselbe, welche bei der elektromagnetischen 
Reizarsenbehandluug in Frage kommt. Auch durch die Ein¬ 
stichelung wird eine Hyperämie und Transsudation des Gewebes 
erzeugt, indem dabei viele Capillaren unwegsam gemacht werden 
und das eingestichelte Eisenoxyduloxyd das Gewebe in einem 
Reizzustand erhält; dabei gelangt dann das Arsen auf die Krebs¬ 
zellen in der schon angedeuteten Weise zur verstärkten Einwirkung. 

Wiewohl die Vernarbung dieses hier beschriebenen Falles 
überall glatt und nirgends mehr verdächtig erschien, ist es doch 
nicht ausgeschlossen, dass sich noch in dem Narbengewebe und 
besonders in der Peripherie desselben vereinzelte Krebszellen- 
gruppen befinden, die wieder zum Wachstum gelangen können. 
Ich halte es deshalb für nötig, derartige Fälle noch einer elektro¬ 
magnetischen Reizarsenbehandlung zu unterziehen, was deshalb 
sehr einfach ist, weil das eingestichelte Eisenpulver zum grössten 
Teil an Ort und Stelle liegen bleibt und nur ein Teil nach den 
Lymphdrüsen abgeführt wird; letzterer Umstand ermöglicht 
übrigens zugleich auch die elektromagnetische Reizarsenbehand- 
lung nicht zu weit vorgeschrittener carcinomatöser Lymphdrüsen. 

Bei inneren Krebserkrankungen lässt sich die Einstichelungs¬ 
methode natürlich nicht anwenden, wohl aber erscheint es mög¬ 
lich, mit der elektromagnetischen Reizarsenbehandlung postope¬ 
rativen Recidiven innerer Krebse vorzubeugen. Man müsste zu 
diesem Zweck nach Exstirpation des Tumors die Wundflächen mit 
Eisenoxyduloxyd injizieren und nach der Verheilung mit der 
elektromagnetischen Reizarsenbehandlung beginnen. 

Es erscheint auch nicht ausgeschlossen, dass sich bei gewissen 
inneren Krebserkrankungen, deren operative Inangriffnahme pro¬ 
gnostisch sehr zweifelhaft ist, besonders bei Blasen-, Cardia- und 
Speiseröhrenkrebsen, durch ringförmige Umspritzung des Tumors 
mit Eisenoxyduloxyd bzw. Einbettung des isolierten Tumors in 
Eisenoxyduloxyd und nachfolgender elektromagnetischer Reiz¬ 
arsenbehandlung Erfolge erzielen lassen. 


Aus der Privat-Frauenklinik von Prof. Dr. A. Pinkuss 
zu Berlin. 

Ueber die Erfolge der Mesothoriumbestrahlung 
bei Carcinom. 1 ) 

Vou 

A. Pinkns8. 

Die weiteren Erfahrungen, welche ich mit der Mesothorium¬ 
bestrahlung bei Krebskranken gewonnen, erstrecken sich auf 

1) Nach einem Diskussionsvortrag, gehalten in der Berliner medi¬ 
zinischen Gesellschaft am 21. Mai 1913. 


22 Fälle, welche ich seit September 1911 bis heute beobachtet 
habe bzw. noch beobachte. 8 Fälle betreffen ein Uterus- und 
Vaginalcarcinom bzw. Recidiv nach vorangegangener Operation, 
11 betreffen ein Mammacarcinom bzw. Recidiv, 2 ein Rectum- 
carcinorarecidiv, 1 ein Ovarialcarcinomrecidiv. Alle diese Fälle 
waren noch nicht im Stadium vorgeschrittener Krebskachexie. 

Bereits im März v. J. hatte ich in der Berliner medizinischen Ge¬ 
sellschaft zwei günstig beeinflusste Fälle von Mammacarcinom- und 
Uteruscarcinomrecidiv vorgestellt; bei dem ersteren hat die Heilung 
weitere Fortschritte gemacht und zeigt heute einen günstigen Erfolg; 
diesen Fall und einen weiteren günstig beeinflussten von Portiocarcinom 
bei einer 70 jährigen Frau, wo nach mehrwöchiger Bestrahlung eine Ver- 
narbuug der zerfallenen Carcinomstelle und Beseitigung von Jauchung 
und Blutung eintrat, die bis heute anhält, habe ich im September v. J. 
auf dem hier stattgefundenen VI. Internationalen Gynäkologenkongress 
vorgestellt. 

Meine Resultate haben sich mit den Fortschritten in der 
Applikationstechnik hinsichtlich der Filteranwendung, der Dauer 
und Wiederholung der Bestrahlungssitzungen gebessert. Die Meso¬ 
thorbestrahlungstherapie erschien mir von vornherein der Röntgen¬ 
bestrahlung auf diesem Behandlungsgebiete überlegen. Einmal 
ist die Nutzbarmachung der Röntgenstrahlen mit gewissen Schwierig¬ 
keiten hinsichtlich der Technik, des Erfordernisses eines besonderen 
Lagerungstisches, komplizierterer Apparate, aber auch hinsichtlich 
der Dosierung verbunden, während diejenige der radioaktiven 
Substanz des Mesothoriums eine bequemere und einfachere für 
Arzt und Kranke ist, besonders in Anbetracht der Möglichkeit, 
die Kranke durch das leichte und beschwerdefreie stundenlange 
Einlegen einer Kapsel einer ausgiebigeren Behandlungsdauer unter¬ 
ziehen zu können; sodann aber ermöglicht auch das letztere eine 
intensivere therapeutische Anwendung der weichen ß- und der 
harten ß- und y Strahlen. Dazu kommt, dass weitgehende Schädi¬ 
gungen, wie zuweilen durch die Röntgenbestrahlung entstanden, 
bei dieser nicht beobachtet wurden. Meine Erfahrungen beziehen 
sich daher auch nur auf die Mesothoriumbestrahlungstherapie. 
Die von mir angewandten Kapseln enthielten insgesamt 88 mg 
Radiumbromidaktivität, die verschiedentlich kombiniert angewandt 
wurden. 

Diese Menge Mesothorium ist in Berücksichtigung des Kosten¬ 
punktes sicherlich eine ansehnliche zu nennen, jedenfalls aber 
eine noch praktisch anwendbare. Die Anwendung grosser Dosen 
lässt, wie wir von Herrn Bumm und den anderen Bericht¬ 
erstattern auf dem eben stattgefundenen Gynäkologenkongress in 
Halle erfahren haben, gewiss bessere und schnellere Erfolge er¬ 
zielen, doch ist anzunehmen, dass bei längerdauernder Anwendung 
und mehrfacher Wiederholung derselben die intensive Wirkung 
der hohen Dosen, die ja nur Bevorzugten zugänglich, auch durch 
kleinere erzielbar ist. Vielleicht ist auch die Anwendung mässiger 
Dosen derjenigen der hohen wegen der Verringerung der mit 
dieser verbundenen Gefahren vorzuziehen. Die direkt das Carcinom- 
gewebe vernichtende Einwirkung der /S-Strahlen des Mesothoriums 
ist eine mehr oder weniger oberflächliche, nicht zu weit in die 
Tiefe reichende, während die ^-Strahlung ihre Wirkung in die 
Tiefe erstreckt. Oberflächliche Exulcerationen, nicht zu tief 
reichende Krebsknoten werden nekrotisiert, gelangen zur Resorption, 
es tritt Vernarbung und Neubildung von Bindegewebe und Sklero¬ 
sierung ein, die weiter in die Tiefe sich zu erstrecken scheint. 
Wie weit diese letztere nun reicht und in der Lage ist, noch ent¬ 
fernter gelegene Krebszellen zu umwallen, einzuschnüren, zur Re¬ 
sorption zu bringen, ist schwer zu entscheiden. Fortgesetzte Be¬ 
strahlung einer Krebsstelle ermöglicht gewiss mit der Zeit immer 
tiefere Partien zu vernichten, doch kann der Erfolg durch die 
inzwischen eingetretene Metastasierung vereitelt werden. Die 
y- Strahlung, welche ja sehr viel weiter als die /^-Strahlung reicht, 
gibt wohl den Reiz zur Bindegewebsneubildung und zu der durch 
diese erfolgenden sekundären Einschnürung und Vernichtung von 
Krebszellen; indes hängt dieser Erfolg von der verschiedenartigen 
Stärke und Dichtigkeit der weiteren Krebsausbreitung ab. Ob 
die ^-Strahlung, wie in Halle behauptet wurde, eine spezifische 
Einwirkung auf die Krebszellen besitzt, erscheint mir noch nicht 
erwiesen; je tiefer diese Strahlen dringen, desto mehr von ihnen 
werden absorbiert und desto mehr verringert sich die Intensität 
ihrer Wirkung, da ja die Bestrahlung mit dem Quadrat der Ent¬ 
fernung abnimmt. Jedenfalls sah ich wohl subvaginale Krebs¬ 
knoten, nie aber tiefer reichende, dichtere Krebsinfiltrationen ver¬ 
schwinden. Wo weiter in die Tiefe oder seitwärts reichende 
Infiltrationen zum Verschwinden gebracht wurden, da handelte es 
sich zumeist wohl um das Carcinom umgebende entzündliche In¬ 
filtrationen. Allerdings wird ja auch bei weiterreichenden In- 

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1100 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 24. 


filtrationen ein Versnch angezeigt sein nnd ein Erfolg eintreten 
können, da die Ansbreitang der krebsigen Infiltration, durch eine 
umgebende entzündliche vermehrt, nur eine scheinbar grössere, 
als es in der Tat der Fall ist, Vortäuschen kann, da ferner die 
Art der krebsigen Infiltration eine in ihrer Stärke und Dichtigkeit 
verschiedengradige und verschieden beeinflussbare sein kann. 
Natürlich wird auch bei tieferreichenden krebsigen Infiltrationen 
die Mesothorbestrahlung einen gewissen Nutzen bringen können, 
wenn es sich nur darum handelt, die oberflächliche Ulceration 
zum Vernarben zu bringen und dadurch ihre üblen Folgezustände 
eine Zeitlang fernzuhalten. 

Dies gilt natürlich nur auf Grund meiner bisherigen Er¬ 
fahrungen. Weitere Forschungen müssen ergeben, ob eine direkt 
spezifische Einwirkung der y Strahlen auf das entfernter gelegene 
Krebsgewebe wirklich erfolgt. Es ist nach den in Halle mitge¬ 
teilten Ergebnissen ein weiter in die Tiefe reichender Effekt bei 
der Anwendung grosser Dosen und zweckentsprechender Filter zu 
erwarten. Aber nicht nur von der Ausbreitung des Krebses 
hängt der Erfolg ab, sondern weit mehr noch von dem 
Grade der Bösartigkeit des im einzelnen Falle vor¬ 
liegenden Krebsleidens. Handelt es sich um einen langsam 
vorschreitenden Krebs, wie so oft bei alten Leuten, so wird die 
Aussicht auf Dauererfolg eine grössere sein; handelt es sich um 
einen schnell sich ausbreitenden Krebs, der in mehr oder weniger 
kurzer Zeit Metastasenbildung verursacht, so wird der Erfolg nur 
ein vorübergehender sein können. Metastasierung wird durch die 
Mesothorbestrahlung nicht verhindert. Deshalb wird man auch 
in der Beurteilung des Erfolges der Mesothorbestrahlung stets 
grösste Vorsicht üben müssen. 

Auf dem VI. internationalen Gynäkologenkongress im September v. J. 
zeigte ich eine 70 jährige Frau W., bei der im Juli v. J. ein exulceriertes 
(mikroskopisch festgestelltes) Portiocarcinom, das bis in das Parametrium 
reichte, bestand und durch Blutung und profusen eitrigen Ausfluss der 
Frau heftige Beschwerden verursachte. Wegen Gebrechlichkeit wurde 
von der Operation, die von anderer sachverständiger Seite angeraten war, 
Abstand genommen; es gelang durch mehrwöchentliche Mesothorbehand¬ 
lung eine Vernarbung und Schrumpfung der Krebsstelle herbeizuführen, 
so dass von dem ursprünglichen Carcinom klinisch nichts mehr festzu¬ 
stellen war; dieses Resultat besteht auch heute noch. Das Allgemein¬ 
befinden der Frau ist im Vergleich zu früher ein gutes. 

Hingegen gelang es bei einer 54 jährigen Frau E. Sch., bei der nach 
einer Radikaloperation im Fornix vaginae eine etwa dreimarkstückgrosse 
Exulcerationsstelle mit dahinter befindlicher Infiltration bestand, wohl 
diese Stelle zur scheinbaren Vernarbung zu bringen; die Infiltration 
blieb auch eine Zeitlang stationär, bald aber wuchs sie weiter, an einer 
anderen Stelle kam es zum Durchbruch in die Scheide, und profuse 
Blutungen beschleunigten das Ende. 

Bei einer 60 jährigen Frau, bei der es sich um ein beginnendes, 
etwa fingerkuppegrosses Garcinom der vorderen Muttermundslippe 
handelte, wurde mehrmalige Bestrahlung und alsdann die Uterusexstir¬ 
pation vorgenommen; die im hiesigen pathologischen Institut der Charitö 
zu Berlin von Herrn Dr. Ce eien vorgenommene histologische Unter¬ 
suchung ergab wohl oberflächliche Vernarbung, aber schon etwa 1 cm 
tiefer, im Cervixgewebe, fanden wir Stränge von Krebszellen, die in der 
weiteren Tiefe in grösserem Umfange vorhanden waren. 

Es hat sich nun erwiesen, dass die Bestrahlung per vaginaro 
besser vertragen wird, als die durch die Oberfläcbenhaut hin¬ 
durch. Bei dieser ist viel grössere Vorsicht hinsichtlich der 
Dosierung, Dauer und Wiederholung erforderlich, um die schwer 
heilende Schädigung der Haut zu vermeiden. Daher geschieht 
es, dass man subvaginal gelegene Recidive mit grösserer Aussicht 
auf Radikalvernichtung bestrahlen kann ale subcutan gelegenen. 

Bei der jetzt 63 jährigen Frau S., bei der ich schon im März und 
dann später im September v. J. die Beseitigung weit ausgebreiteter Ex- 
ulcerationsrecidive im Gebiete der früher vorgenommenen Mammacarcinom- 
Radikaloperation demonstrierte, ist gewiss im Vergleich zu früher ein 
bedeutender Erfolg erzielt worden. Ich zeige Ihnen hier die Bilder der 
Frau, die im März und Ende Juli 1912 aufgenommen wurden; Sie sehen 
hier auch die Frau in ihrem jetzigen Zustande, hier auch eine jüngst 
äufgenommene Photographie derselben. Dennoch treten immer wieder 
von neuem, in mehr oder weniger langen Zwischenräumen, Recidivknöt- 
chen unter der Haut auf, die zwar nach eingeleiteter Bestrahlungs¬ 
therapie schwinden; bis jetzt kann aber trotz der fast iy 2 jährigen Be¬ 
handlung von einer Radikalheilung der lokalen Recidivierung nicht die 
Rede sein. Eine völlige Vernichtung der Krebszellen tiefer als etwa 
V 2 cm gelang mir nicht. Ein dicht neben einer geheilten Stelle am 
Rande exzidiertes Probestückchen zeigte bei der ebenfalls von Herrn 
Dr. Ce eien vorgenommenen histologischen Untersuchung wohl eine 
oberflächliche Bindegewebsbildung, in geringerer Tiefe aber schon 
fanden wir Krebszellen; dieser Befund erklärt ja auch das hartnäckige 
Auftreten von Recidivknötchen dadurch, dass immer wieder von neuem 
vereinzelte zurückgebliebene Krebszellen in der Tiefe zu wuchern be¬ 


ginnen und schliesslich das oberflächliche Narbengewebe zu durchdringen 
oder in die nächste Umgebung einzudringen vermögen, wenn auch die 
Intensität der Recidivierung durch die fortgesetzte Bestrahlung zweifels¬ 
ohne herabgesetzt ist. Das Allgemeinbefinden der bei Beginn der Be¬ 
handlung in schon geschwächtem Zustand befindlichen Frau hat sich 
während der Behandlung zusehends gebessert und ist seit langem 
ein gutes. 

Das Carcinomwacb8tum zeigt ja erfabrungsgemäss oft einen 
Stillstand; unter der Einwirkung der Mesothorbestrahlung konnte 
ich scheinbar öfter einen längeren Stillstand, als erwartet, kon¬ 
statieren; es ist also wobl möglich, dass es gelingt, durch Binde¬ 
gewebsneubildung die Krebsausbreitung einzuschliessen; das Binde¬ 
gewebe kann anfangs in dieselbe hineinwachsen und so scheinbar 
den Stillstand, den Beginn der Vernichtung herbeiführen. Eine 
derartig dauernde Einwirkung sab ich aber nie; im Gegenteil, 
nach mehr oder weniger langer Zeit trat dennoch ein rapideres 
Wachstum des Krebses mit seinen deletären Folgen ein. 

Bei der im März v. J. vorgestellten 39 jährigen Frau L., bei der 
] /s Jahr nach im Januar 1911 vorgenommener Uterusexstirpation ein 
Recidivknoten im Fornix vaginae und der vorderen Vaginalwand auf¬ 
getreten war, und wo das Wachstum des Recidivs nach eingeleiteter 
Mesothorbehandlung zum Stillstand gekommen war, hielt dieser günstige 
Zustand etwa 5 Monate noch an; dann entwickelte sich im kleinen 
Becken, dem Fornix anliegend, mit grosser Schnelligkeit ein Recidiv- 
tumor, der bald zu einer Umwachsung der Ureteren und deren Folgen 
führte. 

Eine ähnliche Beobachtung machte ich auch gemeinsam mit Herrn 
Prof. F. Blumenthal bei einer etwa 55jährigen Frau R., bei der 
nach voran gegangen er Mammacarcinomoperation supraclavicular ein in 
der Muskulatur gelegener Recidivknoten aufgetreten war, der durch in 
die Peripherie des Tumors gemachte Injektionen von Atoxyl und einem 
anderen empfohlenen Krebsheilmittel zuerst scheinbar kleiner wurde 
und stationär blieb durch in der Umgebung auftretende Bindegewebs¬ 
bildung und Schrumpfung; nach mehrmonatigem Stillstand durchbrach 
aber die Krebsinfiltration die scheinbare Einkapselung und führte 
schnell zu einer immer grösser werdenden krebsigen Infiltration der Hals¬ 
gegend. 

Es ist wohl möglich, dass es durch Bestrahlung gelingt, 
eine Krebszelle durch Nekrotisierung und Bindegewebsbildung 
tum Schrumpfen und Schwinden zu bringen; wie viel Zeit aber 
dazu in dem einzelneu Falle erforderlich ist, und ob der Erfolg auch 
ein vollständiger ist, ist durchaus nicht vorauszusehen; bevor der 
Erfolg vielleicht eintritt, kann es in dem einzelnen Falle schon 
zu einer näheren oder entfernteren Metastasierung gekommen 
sein. Ehe die Strahlen bis zu dem äussersten Ende der Krebs¬ 
ausbreitung dringen und ihre Wirkung ausüben, ist dieselbe oft 
weiter vorgeschritten, besonders wenn es sich um einen schnell 
wuchernden Krebs handelt, oder hat schon eine entferntere 
Metastasierung verursacht. 

In zwei Fällen (Frau E. M. und Frau B.) gelang es mir, die Recidiv¬ 
knoten und Exulcerationen auf dem Sternum bzw. in der Infraclavicular- 
gegend zum Vernarben zu bringen; während aber bis dahin die Frauen 
metastasenfrei schienen, machten sich inzwischen die Symptome einer 
Pleura- bzw. Wirbelmetastase bemerkbar, die zum deletären Ausgang 
führten. 

Andererseits ist der weitere Verlauf des Krebsleidens wohl 
auch in gewisser Hinsicht von der allgemeinen Konstitution 
des Organismus, von dem Grade der ihm innewohnenden 
Kraft zur Heilungstendenz abhängig. Bei einem sehr geschwächten 
Organismus, wo schon ein sehr erheblicher Grad von Kachexie 
besteht, wird die Aussicht der Bestrahlungstherapie auch beim 
Vorhandensein einer nur lokalen Recidivierung eine sicherlich 
geringe sein. 

Bei einer 67 jährigen Frau H., die von Anfang an in sehr ge¬ 
schwächtem Zustand sich befand, und bei der nach vorangegangener 
Mammacarcinomoperation ein oberflächlich gelegenes Narbenrecidiv sich 
entwickelt hatte, wo anderweitige Metastasen sich nicht gezeigt batten, 
blieb die von sachverständigster Seite vorgenommene Röntgenbestrahlung 
durchaus erfolglos, und auch die Mesothorbestrahlung konnte das Fort¬ 
schreiten des carcinomatösen Prozesses nicht aufhalten. 

Schliesslich muss noch bei der Bestrahlungstherapie des 
Uteruscarcinoms auf die Gefahr der Beschädigung benachbarter 
wichtiger Organe hingewiesen werden. Bei längerer und wieder¬ 
holter Bestrahlung ist die Möglichkeit des Eintrittes der Nekroti¬ 
sierung der Harnblase oder eines Ureters nicht von der Hand 
zu weisen; bei einem hinter dem Fornix vaginae gelegenen 
Krebsrecidiv besteht die Gefahr der Schädigung eines adhärenten 
oder in den Krebstumor übergehenden Darmstückes; auch ist 
bei einem seitlich ins Parametrium reichenden Krebskrater die 
Gefahr einer Nekrotisierung der Wand der Arteria uterina immer 
leicht möglich. 


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16. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1107 


Bei einer 61 jährigen Frau 6., bei der an Stelle der linken Cervix¬ 
wand eine halbwallnussgrosse exulcerierte Höhle bestand, und wo als 
Folge der Mesothorbestrahlung nach Abstossung der nekrotischen Ge¬ 
webe Schrumpfung der Eraterhöhle begann, trat bei selbst vorsichtig 
fortgesetzter Bestrahlung plötzlich eine profuse bedrohliche Uterina- 
blutung auf. 

In einem anderen Falle, bei einer 54 jährigen Frau Sch., war nach 
vorangegangener Uterusexstirpation im Fornix vaginae eine ulcerierte 
Recidivstelle entstanden, die unter der Mesothorbestrahlung zu vernarben 
schien, bis unerwartet eine abundante Blutung die Fortsetzung dieser 
Behandlung verbot. 

Auf Grund meiner bisherigen Erfahrungen halte 
ich die Mesothorbestrahlung für indiziert bei sonst 
operablen Fällen, bei denen die Operation mit grösseren 
Schwierigkeiten und demgemäss grösserer Lebens¬ 
gefahr verbunden ist, oder wo Altersgebrechlichkeit 
oder andere schwere organische Erkrankungen die Vor¬ 
nahme der Operation verbieten, ferner bei allen in¬ 
operablen Fällen und Recidiven; eine oberflächliche Ver¬ 
narbung und Beseitigung der Jauchung und Blutung wird wohl 
immer zu erzielen sein. Vor allem aber ist die Be¬ 
strahlung nach vorangegangener Radikaloperation 
prophylaktisch längere Zeit hindurch in gewissen Ab- 
sänden zur bestmöglichen Verhütung von Recidiven 
vorzunehmen. Die Möglichkeit, ein beginnendes Uteruscarcinom 
allein durch die Bestrahlung zu heilen, ist gewiss nicht von der 
Hand zu weisen; dennoch ist die operative Entfernung mit nach¬ 
folgender prophylaktischer Bestrahlung der sicherste Weg. Zeigte 
mir doch der mikroskopische Befund bei der 60 jährigen Frau B., 
wo nach vorangeschickter Bestrahlung der Oarcinomstelle in der 
vorderen Muttermundslippe die operative Entfernung vorgenommen, 
zwar oberflächliche Vernichtung des Krebses und Vernarbung, in 
der Tiefe aber noch vorhandene Krebsnester; längere Bestrahlungs¬ 
versuche hätten hier wohl die Prognose der Operation in An¬ 
betracht der Gefahr inzwischen eintretender Metastasierungen 
gewiss verschlechtert. 

In gewissen Fällen wird auch eine der Operation voraus¬ 
geschickte Bestrahlung zweckmässig sein. Auch nach radikalen 
Mammacarcinomoperationen ist die prophylaktische Methor- 
bestrahlung in gewissen Abständon als eine aussichtsreiche Maass- 
nahme zur Verhütung lokaler Recidive anzuwenden. 

Bei einer jetzt 38 jährigen Frau G., bei der im September 1911 die 
Mammacarcinomoperation vorgenommen wurde, habe ich etwa ein Jahr später 
das Auftreten kleiner Recidivknötchen in einer weiteren Ausbreitung 
durch rechtzeitige Bestrahlungsbehandlung beseitigt; bis jetzt ist die 
Frau recidivfrei. 

Erst längere, jahrelange Beobachtung wird über einen Dauer¬ 
erfolg der Bestrahlungstherapie entscheiden können. Jetzt aber 
steht jedenfalls schon fest, dass die Mesothorbestrah¬ 
lung als Ersatz- und Unterstützungsbehandlung für 
bzw. nach chirurgischen Eingriffen anerkannt und von 
wertvoller Bedeutung ist. 

Es ist sicher zu erwarten, dass die weitere Erfahrung in der 
Bestrahlungstherapie, der Anwendung geeigneter Filter, deren 
richtiger Gebrauch wohl die Hauptsache ist, immer günstiger 
werdende Resultate wird erzielen lassen. 

Worauf ich aber auf Grund unserer neueren Anschauungen 
über das Krebsleiden ein besonderes Gewicht lege, das ist die 
gleichzeitige Kombinierung der Bestrahlungstherapie 
mit anderen Maassnahmen, welche Aussicht bieten, das 
Krebsleiden im Organismus selbst zu beeinflussen, wie 
vor allem intravenöse Injektionen von Thor-X und Atoxyl, inner¬ 
liche Darreichung von Thor-X und Pankreatin. Diese kombinierte 
Behandlungsart übe ich schon seit längerer Zeit und halte sie für 
durchaus empfehlenswert. Hat doch erst jüngst F. Blumen¬ 
thal auf dem 4. Internationalen Kongress für Physiotherapie 
einen Fall von Gesichtskrebs vorgestellt, wo durch die Kom¬ 
bination der Röntgenbestrahlung mit intravenösen Atoxylinjektionen 
ein auffallender Erfolg erzielt wurde, nachdem längere Zeit hin¬ 
durch vorgenommene Röntgenbestrahlung allein erfolglos ge¬ 
blieben war. Schliesslich ist die Möglichkeit nicht von der Hand 
zu weisen, dass diese kombinierte Behandlungsweise die An¬ 
wendung der Mesothorbestrahlung in mittleren Dosen, wie ich sie 
bisher gebrauchte, gleiche Resultate erzielen lässt, wie die An¬ 
wendung sehr grosser Dosen, die doch nur wenigen Bevorzugten 
zur Verfügung stehen. 


Ueber Eklampsie. 

Von 

Prof. Dr. W. Nagel -Berlin. 

(Nach einem am 7. März 1913 im Fortbildungskurs des Dozenten Vereins 
gehaltenen Vortrag.) 

Die Eklampsie kommt bekanntlich während der Schwanger¬ 
schaft, Geburt oder Wochenbett zum Ausbruch und ist häufiger 
bei Erstgebärenden als bei Mehrgebärenden: 79—86 pCt. aller 
Eklamptischer sind Erstgebärende. Selten wird eine und dieselbe 
Person wiederholt von Eklampsie befallen; die Angaben hierüber 
bewegen sich zwischen 1 und 2 pCt. 

Nach Schroeder und Olsbausen mehren sich die Fälle 
von Eklampsie bei rauher, nasskalter Witterung. Ich habe auf 
dem Kongress deutscher Gynäkologen in Giessen 1902 dieselbe 
Ansicht vertreten auf Grundlage eines Vergleichs mehrerer Jahr¬ 
gänge aus der früheren Gusserow’schen Klinik in der König]. 
Gharitö mit den Aufzeichnungen des hiesigen meteorologischen 
Instituts. 

Die Anfälle können plötzlich auftreten und bei ausbleibender 
oder falscher Behandlung so lange sich wiederholen, bis der Tod 
eintritt. Manchmal gehen indes Vorboten voraus, wie Kopf¬ 
schmerzen, Erbrechen, teilweise oder gänzlich aufgehobenes Seh¬ 
vermögen. 

Seit langem ist es bekannt, dass man bei Eklamptischen, 
mit ganz wenigen Ausnahmen, stets eine Schädigung der Niere 
intra vitam durch Untersuchung des Urins nach weisen kann: Ei- 
weiss, Cylinder und andere morphologische Bestandteile, Anurie. 
Eiweiss im Urin gilt als so konstanter Befund bei der Eklampsie, 
dass Krämpfe ohne Albuminurie in der Gebäranstalt („Rotunda“) 
zu Dublin nicht als eklamptiscbe angesehen werden. 

Angesichts dieser Tatsachen ist es auffällig, dass junge 
Forscher der Neuzeit so häufig über Eklampsien berichten, bei 
denen sie kein Eiweiss im Urin gefunden haben. Bei den an 
Eklampsie Verstorbenen findet man ohne Ausnahme schwere patho¬ 
logische Veränderungen der Niere meist in Gestalt der akuten 
parenchymatösen Nephritis. Dieser Befund erhärtet die Ansicht 
von Leydens, dass es nicht der chronische Morbus Brightii ist, 
welcher zu Eklampsie führt, sondern eine während der Schwanger¬ 
schaft entstandene und im Wochenbett verschwindende akute 
Nephritis. 

In 62 Fällen (51 Erstgebärende, 6 Zweitgebärende, 5 Mehrgebärende), 
welche teils aus der früheren Gusserow’schen Klinik, teils aus meiner 
privaten Tätigkeit stammen, fand ich in dem Urin Eiweiss in sämt¬ 
lichen Fällen, Cylinder und andere morphologische Bestandteile (rote 
und weisse Blutkörperchen, Nierenepithelien) in 45 Fällen. Nur in 
4 Fällen fanden sich keine Cylinder. ln 13 Fällen unterblieb aus zu¬ 
fälligen äusseren Gründen die morphologische Untersuchung vor der Ent¬ 
bindung. Bei den 12 Verstorbenen ergab die Sektion Nephritis parenchy- 
matosa, auch dann, wenn intra vitam keine Cylinder gefunden worden 
waren. Von den Kindern kamen 22 (2 mal Zwillinge) tot zur Welt, da¬ 
von warefi 4 maceriert. 

Der konstante Befund an der Niere veranlasste Frerichs (1851) 
zur Aufstellung seiner Theorie, dass bei Eklamptischen das Blut durch 
Exkretionsstofie, die für gewöhnlich durch den Urin ausgeschieden werden, 
vergiftet sei. Die Eklampsie sei also ein Symptom der Urämie. Da es 
nicht gelang, Harnstoff im Blute nachzuweisen, so nahm Frerichs an, 
dass derselbe sich in kohlensaures Ammoniak umsetze und als solches 
die deletären Wirkungen zur Folge habe. 

Halbertsma (1871) modifizierte die Frerich’sche Theorie dahin, 
dass die meisten Fälle von Eklampsie durch Retention von Harnbestand¬ 
teilen bedingt werden, die nicht die Folge von primärer Erkrankung 
der Niere ist, sondern durch Druck des Uterus auf die Ureteren 
herbeigeführt wird. Durch Hyperämie der Nieren und diffuse Nephritis 
wird das Zustandekommen der Eklampsie gefördert. Gestützt wurde 
diese Ansicht dadurch, dass einige Autoren (Halbertsma, Herzfeld, 
Ries) an den Leichen Eklamptischer eine Dilatation der Ureteren ober¬ 
halb der komprimierten Stelle fanden. Die spindelförmige Dilatation 
eines Ureters findet man indes im allgemeinen nicht ganz selten bei 
Autopsien, und obwohl Olshausen und Stadfeldt diese Tatsache 
gegen Halbertsma anführten, so meinen doch andere Autoren, wie 
J. C. Webster, dass die Theorie Halbertsma’s eine gewisse Be¬ 
rechtigung hat. 

Inzwischen war in Deutschland eine neue Anschauung entstanden, 
indem Rosenstein (1863) die Traube’sche Theorie von der Urämie auf 
die Eklampsie übertrug. Nach Traube beruht die Urämie auf Eiweiss¬ 
verarmung des Blutes und Druckerhöhung im arteriellen System. Beide 
Momente sind bei Schwängern und Kreissenden vorhanden. In jeder 
Schwangerschaft zeigt das Blut eine wässerige Beschaffenheit und während 
der Wehen wird der Blutdruck im arteriellen System erhöht. Da nun 
die Hydrämie sehr häufig infolge von Eiweissverlusten durch die Niere 
einen besonders hohen Grad erreicht, so ist es leicht erklärlich, dass die 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 24. 


Eklampsie besonders häufig bei Kreissenden vorkommt, die eine Schädi¬ 
gung der Niere aufweisen. Der eigentliche pathologisch-anatomische 
Vorgang bei der Eklampsie ist nach dieser Theorie kurz folgender: „Tritt 
bei hochgradiger Hydrämie plötzlich eine vermehrte Drucksteigerung im 
Aortensystem auf, so entsteht Hyperämie des Gehirns. Bei der wässerigen 
Beschaffenheit des Blutes ist aber Öedem des Gehirns die notwendige 
Folge der Hyperämie. Der Austritt von Wasser in das Gewebe hat 
aber mechanisch wieder einen Druck auf die Gefässe und so konsekutiv 
eine Anämie des Gehirns zur Folge. Die Wirkung dieser akuten Gehirn¬ 
anämie zeigt sich als epileptiformer Anfall“ (Schroeder). Auch andere 
Theorien tauchten auf: So sah Stumpf (1886) die Ursache der Eklampsie 
in einer Vergiftung des Organismus durch Stoffe, die vom Fötus her¬ 
rühren, während Schmorl das Gift in der Placenta, Klebs und 
Lubarsoh es in der Leber entstehen Hessen. 

Alle diese Ansichten schienen die Eklampsie nicht genügend zu er¬ 
klären, und man suchte deshalb die Ursachen derselben in einer Auto- 
i n toxikation. Die Theorie der Autointoxikation stammt vonBouchard 
(1887), und der Gedankengang ist folgender: In jedem Organismus 
werden Toxine erzeugt; Erzeugung und Ausscheidung der Toxine müssen 
aber einander das Gleichgewicht halten, soll die Gesundheit erhalten 
bleiben. Verstärkte Produktion oder verminderte Sekretion führt zu 
Toxämie oder Autointoxikation. Da nun auf alle Fälle das eine Moment, 
die Ausscheidung der Toxine, infolge der Schädigung der Niere bei 
der Eklampsie beeinträchtigt ist, so lag es nabe, die neue Theorie zur 
Erklärung heranzuziehen, und Tarnier tat dies im Jahre 1890. 

Es gelang indes nicht, die vermuteten Toxine nachzuweisen. Die 
Experimente von Bouchard und seinen zahlreichen Nachfolgern mit 
dem Urin Eklamptischer, sowie von Tarnier mit Blutserum Eklamp- 
tischer, führten oft zu ganz entgegengesetzten Resultaten und vermochten 
also nicht der Theorie der Autointoxikation eine Grundlage zu geben. 

Inzwischen war das Vorhandensein mikroskopischer Lebewesen 
innerhalb des Organismus nachgewiesen und ihre Beziehungen zu den 
verschiedenen Krankheiten klargelegt worden; man fing deshalb an, 
nach dem Bakterium der Eklampsie zu suchen. Es gelang Lewino¬ 
witsch (1898), einen Coccus im Blute Eklamptischer zu finden, welchen 
er als den Erreger der Konvulsionen ansprach. Müller und Albert 
betrachteten die Eklampsie als eine allgemeine Vergiftung, hervorgerufen 
durch Resorption von Toxinen, welche der Tätigkeit verschiedener, im 
Cavum uteri lebenden Bakterien ihre Entstehung verdankten. 

Stroganoff und — mit gewisser Einschränkung — Tweedy 
fassen die Eklampsie als reine Infektionskrankheit auf, und als Curiosum 
kann noch angeführt werden, dass Nicholson die primäre Ursache der 
Eklampsie in einer ungenügenden Tätigkeit der Schilddrüse erblickte, 
während Tweedy die Ueberladung des Magens als hinreichend erachtet, 
um einen Krampfanfall auszulösen. Die zahlreichen späteren Arbeiten 
bis auf den heutigen Tag bewegen sich innerhalb der Rahmen der 
Obengenannten und haben nicht vermocht, die Frage zu lösen. 

Die wirkliche Ursache der Eklampsie kennen wir somit auch 
heute nicht. Wahrscheinlich sind mehrere ätiologische Momente 
tätig. Das toxische Agens, wo es nun auch herstammen mag, 
circuliert im Blute und ist mehr aktiv in schweren Fällen. 
Dieses Agens verursacht die Veränderungen in der Leber und 
Niere, welche ihrerseits nun zu einer Anhäufung des Giftes im 
Blute führen. 

Was nun die Prognose betrifft, so ist bekanntlich die 
Eklampsie eine sehr ernste Erkrankung: die Mortalität schwankt 
zwischen 20 und 30 pCt. und ist grösser bei Multiparen. 

Die Mortalität der Schwangerschaftseklampsie ist grösser, je 
früher sie sich entwickelt. Die Mortalität ist um so geringer, je 
weiter die Geburt fortgeschritten ist, wenn die Anfälle eintreten. 

Von den übrigen Anhaltspunkten zur Beurteilung der Pro¬ 
gnose mögen folgende bervorgehoben werden: 

Frequenter, aber voller und regelmässiger Puls ist nicht un¬ 
günstig; frequenter und kleiner unregelmässiger Puls ist dagegen 
sehr ungünstig. Dyspnöe ist stets ein bedenkliches Symptom. 
Schnell abnehmende Urinmenge, reichliche Mengen von Albuinen 
und Cylinder sind ungünstige Zeichen. 

Icterns in Verbindung mit hoher Temperatur, spärlichem 
und blutigem Urin, subcutanen Echymosen ist sehr bedenklich. 
Icterns ohne diese Erscheinungen braucht nicht gefährlich za 
sein. Frühzeitige starke Perspiration ist ein günstiges Zeichen. 
Stirbt die Frucht zu Anfang der Anfälle, so bessert sich die 
Prognose. 

Verzögert sich die richtige Behandlung, so tritt Lungenödem 
und Erstickungsgefahr ein infolge Krampf der Respirationsmuskeln. 
Oft wiederholte Anfälle führen zu Hyperämie und Oedem des 
Gehirns und zu Apoplexien. 

Maniakalische Anfälle zu Anfang oder im Wochenbett geben 
eine ungünstige Prognose. Die fötale Mortalität ist sehr hoch: 
40—60 pCt. und ist höher bei Multiparen. Im 7. Monat und 
früher ist die Mortalität nach Dührssen 100 pCt. 

Die Neugeborenen werden selten von Krämpfen befallen. 
Kreuz mann berichtet einen Fall von Albuminurie ohne 


Eklampsie: das Kind bekam jedoch Krämpfe 36 Stunden nach 
der Geburt; mit dem Colostrum sind wohl die Toxine dem kind¬ 
lichen Kreisläufe einverleibt worden. 

Als Todesursache des Kindes wird die Ueberladung des 
mütterlichen Blutes mit Kohlensäure angesehen; die im mütter¬ 
lichen Blute circulierenden Toxine spielen indes hierbei auch 
eine Rolle. 

Gehen wir nun zur Therapie über, so kann man bei recht¬ 
zeitiger Behandlung einer Nierenerkrankung in der Schwanger¬ 
schaft in vielen Fällen den Ausbruch der Konvulsionen verhüten. 
Eine Schwangere mit Albuminurie muss auf Milchdiät gesetzt 
werden; die tägliche Menge Milch beträgt 2—3 Liter. Um die 
Milch schmackhafter und leichter verdaulich zu machen, kann 
man sie mit Sodawasser vermischen oder eine geringe Menge 
Kochsalz oder Natron bicarbonicum biniufügen. Häufige Spülung 
des Mundes mit Wasserstoffsuperoxyd oder einem aromatischen 
Mundwasser verhütet die Entstehung einer Abneigung gegen 
Milch. Die Diurese wird befördert durch Verabreichung von 
Kalium aceticum oder ein anderes mildes Diureticum, woran der 
heutige Arzneiscbatz so reich ist. Täglich wird ein warmes Voll¬ 
bad genommen und bei Anasarca wird die Diapborese angeregt 
durch warme hydropathisrhe Einpackungen. Regelung des Stuhls 
ist von grosser Bedeutung und der Coitus ist zu verbieten. Bei 
eintretender Besserung gestatte man Schleimsuppen, Zwieback, 
Sanatogen, Plasmon, Hygiama oder ein anderes leicht verdau¬ 
liches Nährpräparat, weisses Fleisch, Süsswasserfische. 

Bettruhe ist nur in den schweren Fällen nötig. Bei guter 
Witterung erlaube man mässige Bewegung im Freien, verordne 
aber das Tragen von wollenem Unterzeug. 

Die Therapie bei ausgebrochener Eklampsie hatte früher 
sich zur Aufgabe gestellt, die Anfälle zu coupieren und die 
Geburt schonend zu beenden. Eine Reihe Geburtshelfer, in erster 
Linie Dührssen, der Erfinder des vaginalen Kaiserschnittes, 
meinte indes, in einer schnellen Entbindung das beste Mittel 
zur Sistierung der Anfälle zu sehen. Begründet wurde dieses 
Verfahren damit, dass die Eklampsie nach der Geburt des Kindes 
aufhört. Diese Ansicht ist jedoch, wie unter anderen Herman 
zeigte, nicht richtig. 

Herman’s Statistik umfasst 2142 Fälle, in 905 Fällen hörten die 
Anfälle auf Dach der Geburt, in 816 dauerten sie an. Hieraus geht 
hervor, dass eine schnelle Entbindung nicht notwendig ist. Die schnelle 
Entbindung (vaginaler Kaiserschnitt, klassischer und extraperitonealer 
Kaiserschnitt) hat ausserdem eine höhere Mortalität als die durchschnitt¬ 
liche, nämlich 30—34 pCt. (Der vaginale Kaiserschnitt hat eine Morta¬ 
lität von 17,8 bis 26,6 pCt., der abdominale von 40 bis 50pCt.) 

Als die Traube-Rosenstein’sche Theorie maassgebend 
war, schienen Blutentziehungen, und zwar in Gestalt von Venae- 
sektionen, berechtigt zu sein. 

Der Aderlass (etwa 500 ccm) wirkt im ersten Augenblick günstig. 
Die Wirkung hält jedoch nicht lange an. Erfolgt die Geburt nicht bald, 
bleiben also die alten Verhältnisse bestehen, so hat der Blutdruck bald 
wieder die frühere Höhe erreicht, die Blutbeschaffenheit ist aber schlechter 
geworden. Aus diesem Grunde hat der Aderlass keine grosse Aus¬ 
breitung gefunden. Unter den deutschen Geburtshelfern tritt indes 
Zweifel immer noch für ihn ein, indem er die Hydrämie verneint und 
vielmehr, wie Tweedy, eine Eindickung des Blutes und Verarmung des 
Gewebes an Flüssigkeit annimmt. 

Zur Unterdrückung der Anfälle haben Narcotica: Chloroform 
oder Morphium sich am besten bewährt. 

Gusserow wandte folgendes Verfahren an, welches auch mir gute 
Dienste geleistet hat: Es wird sofort die Chloroformnarkose eingeleitet, 
die nicht tiefer sein darf als nötig, um die Krämpfe zu beseitigen. Ist 
eine schonende Entbindung möglich, so wird die Geburt jetzt beendet; 
falls nicht, so wird die Chloroformnarkose 6—8 Stunden fortgesetzt 
Hiernach wird das Chloroform durch Chloralhydrat ersetzt, welches per 
rectum verabreicht wird; man gebe alle 2 Stunden 2 g Chloralhydrat 
auf 30 g Decoct. Altheae in einer kleinen Tasse Hafer- oder Gersten¬ 
schleim. In dieser Weise kann man die Narkose noch 12 Stunden ver¬ 
längern, ohne die Maximaldose (12 g) zu überschreiten. Inzwischen wird 
die Geburt meist beendet sein; falls nicht, so unterbreche man jetzt die 
Narkose; nach 18 ständiger Ruhe kann man es auf einen neuen Anfall 
ankommen lassen. 

Man muss darauf achten, dass die Kreissende während der Kon¬ 
vulsionen sich nicht verletzt oder aus dem Bett herausfallt, zwischen 
die Zähne schiebe man einen umwickelten Löffelstiel. 

Während der Narkose rege man die Diaphorese an durch feucht¬ 
warme Einpackungen, denen man ein heisses Bad vorausschicken kann. 
Die Kreissende ruht hierbei auf einem in der Wanne ausgespannten 
Laken, auf welchem sie auch transportiert wird. Das Bad hat eine An¬ 
fangs! emperatur von 28—29° R, wird allmählich auf 32—85° R er¬ 
wärmt und dauert 20—30 Minuten. Es ist ein Fehler, die Kreissende 


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16. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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gleich iu ein heiss es Bad zu legen, denn dadurch' kann sofort ein An¬ 
fall ausgelöst werden. Die Narkose wird im Bade fortgesetzt.. Patientin 
bleibt mehrere Stunden in der Einpackung liegen, die so eingerichtet 
sein muss, dass man von Zeit zu Zeit den Fortgang der Geburt kon¬ 
trollieren bann, ohne die Kreissende allzu sehr zu entblössen. 

Ein hoher Darin ei nlauf von 400 bis 500 g physiologischer Koch¬ 
salzlösung ist von günstigem Einfluss auf die Blutbeschaffenheit und be¬ 
fördert die Diurese. Man gebe den Einlauf zu Anfang der Behandlung 
und kann ihn wiederholen. 

Bei Gyanose und Dyspnoe sind Sauerstoffinhalationen am 
Platze. Treten die Anfälle während der Schwangerschaft auf oder zu 
Anfang der Eröffnungsperiode, so lege ich den Cbampetier’schen 
Metreurynter ein, zunächst die kleinste Nummer, nach Ausstossüng der¬ 
selben eventuell eine grössere. Nach vollständiger Erweiterung des 
Muttermundes kann Unter Umständen, je nach Lage des Kindes und 
Beschaffenheit des Beckens, die WenduDg auf den Fuss mit nachfolgender 
Extraktion indiziert sein. 

ln schweren Fällen von früh auftretender Eklampsie kann der 
Kaiserschnitt am Platze sein, aber die Prognose ist ungünstig. 

Es ist das Verdienst Stroganoff’s, neuerdings die konser¬ 
vative Methode in verfeinerter und verbesserter Form konsequent 
durchgeführt zu haben, wodurch er Resultate erzielt hat, die alle 
bisherigen in den Schatten stellen. 

Stroganoff gibt folgende Anweisungen: 

1. Möglichste Vermeidung aller äusseren Reize. Also: ruhiges 
verdunkeltes Zimmer. Kein Lärm, womöglich nicht laut sein; äussere 
und innere Untersuchung auf das absolut Notwendige beschränken, und 
letztere, ebenso wie die Katheterisation und die Morphiuminjektion, unter 
ganz leichter Chloroformnarkose. 

2. Das Goupieren. der Anfälle mit narkotischen Mitteln: 
Morphium, Ghloralbydrat und Ghloroforin. Für mässige Fälle sub gravi- 
ditate et sub partu ist das folgende Schema empfehlenswert: Anfang der 
Behandlung: 0,015 (0,01—0,02) Morph, mur. subcutan. Nach einer 
Stunde 2,0 Chloralbydrat per rectum (oder per os bei Bewusstsein). 
Nach 3 Stunden (0,015) Morph, mur. subcutan. Nach 7 Stunden 
2.0 Ghloralbydrat. Nach 13 Stunden 1,5 Ghloralhydrat. Nach 
21 Stunden 1,5 Chloralbydrat. Die Chloroformnarkose wird oft im An¬ 
fang der Behandlung angewendet und später zum Goupieren der Anfälle 
bei Prodromalerscheinungen. 

3. Rasche, aber gewöhnlich nioht forcierte Entbindung: Zange, 
Wendung, Extraktion, Blasensprengung. 

4. Ueberwachung und Anregung der vitalen Prozesse: 

a) Atmung: Bequeme und bei drohender Schluckpneumonie ab¬ 
wechselnde Lagerung der Patientin; sorgsame Reinigung des Mundes und 
der Na$e während und nach den Anfällen, Entfernung aller die Atmung 
hindernden Einflüsse, reine warme Luft; Sauerstoff nach den Anfällen. 

b) Herz: Zufuhr von Milch mindestens 600g und physiologische 
Kochsalzlösung etwa 400—500 g pro die per clysma (oder per os bei 
Bewusstsein). Digitalis und Digalen bei weichem und frequentem Puls 
(ungefähr 110 und mehr). Exoitantia bei Herzschwäche. 

c) Nieren und Haut: Warmhalten. Thermophor besonders auf die 
Nierengegend, reichliche Zufuhr von Milch und physiologischer Kochsalz¬ 
lösung (s. o.). 

650 nach dieser Methode behandelte Fälle ergaben: 8 pCt. mütter¬ 
liche Mortalität, 21 pCt. kindliche Mortalität. Zweifel erzielte mit 
Stroganoff’s Behandlung etwa 6 pCt. mütterliche Mortalität und 
20,3 pCt. kindliche Mortalität gegen früher 26 pCt. Ebenso günstig 
lauten die späteren Berichte aus den verschiedenen Anstalten, so dass 
es wohl keinem Zweifel unterliegt, dass man allgemein wieder zu konser¬ 
vativer Behandlung übergehen wird. 

Dauert das Coma nach der Geburt fort, so wende man 
wieder die Einpackungen an und gebe ausserdem subcutane 
Excitantien, Sauerstoffinhalationen, Kochsalzeinläufe. Eine Venae- 
sektion kann angebracht sein, falls eine solche nicht bereits 
vorangegangen.. 

Sobald die Kranke erwacht und zu schlucken vermag, ver¬ 
abreiche man Milch, Wasserkakao, Plasmon, Sanatogen, Tropon 
oder ein ähnliches Nährpräparat, geröstetes Brot, Hafer-, Gersten- 
und Reisschleim und sorge für eine, gehörige Darmentleerung. 
Das Stillen ist zu verbieten. 


Klinische Grundlagen der Beurteilung von 
normalen Kindern und Jugendlichen. 

Von 

Dr. Walter Cinbal, 

Oberarzt der Städtischen Heil- und Pflegeanstalt in Altona. 

(Vortrag auf der Jahresversammlung norddeutscher Psyohiater und 
Neurologen in Altona.) 

M. H.! Unsere in wachsendem Maasse beanspruchte Mitarbeit 
an dem Jugendgerichts- und Fürsorgeverfahren, wie sie u. a. in 


den ausgezeichneten Arbeiten über das Frankfurter 1 ) Jugendgericht 
geschildert ist, stellt uns Psychiater vor ganz neue, besonders 
schwierige Aufgaben, für welche die Leitsätze und Arbeits¬ 
methoden zum Teil erst gefunden werdeh müssen. Um zunächst 
die bestehenden Schwierigkeiten bervorzuheben, möchte ich daran 
erinnern, dass der §56 des StGB., der die Jugendlichen zwischen 
12 und 18 Jahren straffrei lässt, wenn sie die nötige Einsicht in 
die Straftat noch nicht besitzen, in den Vordergrund der Ent¬ 
scheidung die mangelnde Intelligenz stellt, obgleich an der krank¬ 
haften Entstehung der Straftaten Jugendlicher der Intelligenz¬ 
mangel sicher am wenigsten beteiligt ist. 

In der Praxis sind deshalb die Jugendrichter allmählich da¬ 
zu übergegangen, auch die krankhaften Defektzustände der morali¬ 
schen und sozialen Fähigkeiten, die bei den psychopathischen 
Konstitutionen und den leicht Debilen im Vordergründe stehen, 
unter den Schutz des § 56 des StGB, zu stellen. Die klinische 
Berechtigung dieser Spruchpraxis liegt darin, dass bei den 
konstitutionellen Psychopathen die bewusste Willeushemmung 
gegenüber Versuchungen, die gemeinsam mit der bewussten Be¬ 
herrschung der Affekte und der Bewegungsimpulse die letzte Ent¬ 
wicklungsstufe der cerebralen Tätigkeit bildt, einfach später 
ausgebildet wird wie beim Gesunden. Einerseits reiben sich 
also diese Entwicklungshemmungen zwanglos den gröberen 
Schwachsinnsformen an, die wir unter dem Namen Imbecillität 
zusammenfassen, und für die wir als Beweis der Krankhaftigkeit 
grobe nnd auffällige intellektuelle Ausfälle haben. Andererseits 
können wir die Krankhaftigkeit dieser seelischen Störungen da¬ 
durch beweisen, dass sie sich zunächst auch der sorgfältigsten 
Erziehung gegenüber als unbeeinflussbar erweisen, mit der weiter¬ 
schreitenden Entwicklung aber von selbst schwinden. 

Was uns Aerzte besonders zwingt, für <|ie völlige Straf¬ 
losigkeit dieser seelischen Entwicklungshemmungen einzutreten, 
ist die Erfahrungstatsache, dass aus der Mehrzahl dieser nicht 
oder schwer disziplinierbaren Kinder später vollwertige, moralisch 
and geistig hochstehende Menschen werden, die wir vor der 
Schande einer Bestrafupg in der Kindheit bewahren müssen. Die 
sonst dafür eintretende bedingte Begnadigung gestattet diese 
Schonung nicht, da auch beim Eintreten des Begnqdigungsfalles 
die Strafe in den Listen vermerkt Bleibt. 

Es erwächst uns Gutachtern nun die grosse Schwierig¬ 
keit, die Krankhaftigkeit auch dieser feineren . Entwicklungs¬ 
hemmungen so nachzuweisen, dass der Richter und die.Oeffent- 
lichkeit davon überzeugt werden. Dazu sind alle Intelligenz¬ 
prüfungen, die nur den Wisseusschatz betreffen, erfabrungs- 
gemäss ungeeignet. 

Das Maass der Schulleistung wird am besten ebenso wie die 
in der Schule erprobten Fähigkeiten durch einfache Nachfrage 
bei der Schulleitung ermittelt. Wenngleich es natürlich Normen 
für den Gedächtnisschatz der einzelnen Schul- und Altersstufen 
gibt, Bo sind die Pläne der einzelnen Schulen doch viel zu ver¬ 
schiedenartig, als dass ein bestimmtes Wissen eines bestimmten 
Alters vorausgesetzt werden könnte*). 

Abgesehen davon fehlt weiter in den Schul- und Ent¬ 
wicklungsjahren die einzige Berechtigung, die für die Prüfung 
des Wissensschatzes beim Erwachsenen überhaupt besteht: die 
Verarbeitung des Dargeboteneu durch eigene geistige Arbeit und 
durch die eigene Persönlichkeit. Die Prüfung des Schulwissens 
bei Jugendlichen liefert also nur Material für die Leistung der 
überstandenen Schule und allenfalls für die Treue des gerade bei 
leicht Schwachsinnigen oft hervorragend guten Gedächtnisses. 
Beide sind für die Beurteilung krankhafter Charaktere natürlich 
durchaus wertlos. 

Schliesslich muss man, wenn man die Intelligenz von Kindern 
und Jugendlichen prüfen will, ihre Phantasie anregen. Der so¬ 
genannte Emotionsstupor, der oft. vielleicht ein unmittelbarer 
Nachbar des kindlichen Trotzes ist und der bei direkten Fragen 
geradezu unüberwindlich sein kann, weicht am besten Methoden, 
die dem kindlichen Spiel nahestehen, besonders wenn man, wie 
bei Legespielen, Baukasten- und Mosaikaufgaben den Untersuchten 
einigermaassen sich selbst überlassen kann. 

Dank der Fröbeltechnik sind wir jedoch wohl imstande, unter 
völligem Verzicht auf das unsichere und unselbständige Schul¬ 
wissen ausreichende Stufenleitern aufzustellen, mit denen die ver¬ 
schiedenen Intelligenzzweige des Heranwachsenden vom ersten 


1) Julius Springer, Berlin 1912. 

2) Weygand, Geistige Minderwertigkeit im schulpflichtigen Alter. 
1905. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 24. 


Lebensjahr bis zum Uebergang in die Berufstätigkeit gemessen 
und bewertet werden können. Bei den forensischen Beurteilungen 
kommen daför ja nur die schwereren Aufgaben in Frage, etwa 
den Altersstufen vom 10. Lebensjahre an entsprechend. Aus¬ 
gezeichnetes Material geben dafür die Bilderiegespiele, Legestäb¬ 
chen, Bucbstabensatzkästen, Mosaikspiele, Arbeits- und Baukästen 
nach der Fröbelmethode (Bezugsquellen z. B.: Hans Friedenberg, 
Hamburg, Admiralitätsstr. 66, oder das Rauhe Haus, Hamburg, 
Gänsemarkt 51). Für die Erklärung von Bildern sind neuerdings 
prächtige, auch der Grossstadtjugend angepasste und für alle 
Altersstufen ausreichende Bilderbücher erschienen, z. B. „Spiel 
mit“, Verlag I. Räde, Berlin W. 15, und Sophus Hansen, Voigt- 
länder’s Verlag, Leipzig. Damit lassen sich selbst mässige und 
isolierte lntelligenzstörungen ausserordentlich fein nach weisen, be¬ 
sonders wenn man auch noch die Prüfung der Feinheit der 
Sinnesorgane zur Hilfe nimmt, also etwa Farben benennen und 
zusammengehörige Farben heraussuchen lässt. 

Die Aufnahmegeschwindigkeit und Merkfähigkeit der Jugend¬ 
lichen pflegt auch bei Psychopathen und Debilen und selbst bei 
gewissen Formen der Imbecillität ebensogut oder besser als beim 
Erwachsenen zu sein, dahingehende Prüfungen sind also für den 
praktischen Nachweis krankhafter Störungen ungeeignet, wenigstens 
soweit es sich nicht um die Prüfung der Reproduktionstreue 
(kindliche Zeugenaussagen) handelt. 

Noch mehr wie beim Erwachsenen gilt beim Kinde und 
Jugendlichen die Regel, die Prüfung von möglichst verschiedenen 
Seiten anzufassen und nicht einzelne Methoden in ihrer Bedeutung 
zu überschätzen. Sicher überschätzt wird z. B. die berühmte 
Prüfung der Schwereempfindung mittels zweier gleich schwerer, 
aber sehr verschieden grosser Gegenstände. Der Erwachsene und 
das vollsinnige Kind über 7 Jahren soll dabei auf dem Wege 
eines logischen Trugschlusses gesetzmässig den kleineren Gegen¬ 
stand als erheblich schwerer schätzen. Das Ausbleiben dieser 
Empfindungstäuscbung soll für ein Fehlen des kombinatorischen 
Vorgangs beweisend sein. Ich möchte jedoch hervorheben, dass 
ich eine ganze Zahl recht vollsinniger Erwachsener und Kinder 
gefunden habe, die gelernt hatten, ihren Sinneswahrnehmungen 
mehr zu trauen als ihrem Urteilsvermögen. Jedenfalls sind der¬ 
artige Verallgemeinerungen von Rinzelbefunden besonders bei 
Kindern immer bedenklich, bei denen die individuelle Mannig¬ 
faltigkeit der Fähigkeiten noch weit erheblicher ist als bei Er¬ 
wachsenen. 

Dasselbe gilt für die Ueberscbätzung des Farbensinns als 
Prüfung der Gesamtintelligenz, wie sie jüngst von englischen und 
amerikanischen Forschern in die Tagespresse lanciert worden ist. 

Die körperliche Untersuchung der seelisch und nervÖ9 Minder¬ 
wertigen hat sich als sehr wenig bedeutungsvoll erwiesen, so 
lange man sich damit begnügte, die allgemeinen Befunde der 
praktischen Medizin und die sogenannten Entartungszeichen zu 
kontrollieren. Die Angaben von Jean Demoor, dass selbst unter 
den moralisch und pädagogisch nicht normalen Kindern noch 
73 pCt. körperlich völlig gesund waren, kann ich aus meiner Er¬ 
fahrung nur bestätigen. Es geht also körperliche, geistige und 
moralische Entwicklung völlig unabhängig vor sich, und die 
Störungen auf einem Gebiete berechtigen durchaus nicht zu Rück¬ 
schlüssen auf die anderen Gebiete, das Fehlen von Störungen auf 
einem Gebiet scbliesst solche auf den beiden anderen Gebieten 
keineswegs aus 1 ). 

Immerhin sind gewisse feinere körperliche Befunde als 
Beweismaterial krankhafter Unterentwicklung auf moralischem 
Gebiet nach meiner persönlichen Erfahrung wohl verwertbar. Es 
war vorhin schon ausgeführt, dass die koordinatorische Hemmungs¬ 
tätigkeit die letzte der Entwicklungsstufen des Centralnerven- 
syfltems darstellt, und zwar ziemlich gleichmässig auf allen drei 
Gebieten der koordinatorischen Hemmung, also sowohl in ihrem 
Einflüsse auf die Koordination der Bewegung, als in der Regu¬ 
lierung der vegetativen und gestatorischen Aeusserungen der 
Affekte und schliesslich in der bewussten Hemmung der Trieb¬ 
handlungen. Aus letzteren entspringt nun zweifellos der grösste 
Teil all der Dummejungenstreiche, die meist trotz scheinbarer 
Raffiniertheit doch ganz das Zwecklose und innerlich Sinnlose 
des krankhaften Handelns aufweisen. Auf den genannten beiden 
Parallelgebieten liegt also das natürliche Forschungsfeld bei der 
Untersuchung der jugendlichen Entgleisten und Schwererziehbaren, 


1) Conf. Prof. Dr. Jean Demoor: Die anormalen Kinder. 0. Bohne 
Altenburg, 1912. S. 128. 


wenn es gilt, die krankhaften Grundlagen zu erforschen und nach¬ 
zuweisen. 

Für die motorischen Funktionsprüfungen ist nun die Technik 
in ausgezeichneter Weise durch die Untersuchungsmethoden für 
Stotterer und leichte Cboreatiker vorgebildet. Das Stottern ist 
ja eine Koordinationsstörung nicht nur des Sprechapparates, sondern 
betrifft auch die Atmung und ergreift in allen schwereren Fällen 
auch die übrige Muskulatur. 

Es ist nun eine Erfahrungstatsache, dass Kinder unter 3 Jahren 
fast nie, gewisse Psychopathen aber noch in sehr viel späteren 
Lebensjahren oder zeitlebens nicht imstande sind, ihre willkür¬ 
liche Muskulatur zur völligen Ruhe zu hemmen, insbesondere wenn 
sie dabei gezwungen sind, irgendeine andere, Womöglich geistig 
anstrengende Tätigkeit, wie Rückwärtszählen, auszuführen. Man 
lässt also etwa den Untersuchten bis zu den Hüften entkleiden, 
prüft erst, ob die Bauch- und Brustatmung in völliger Ruhe 
koordiniert ist, dann, ob sie beim Sprechen bzw. bei leichter 
geistiger Arbeit koordiniert bleibt, stellt dann die Aufgabe, die 
Arme mit gespreizten Fingern hocbzuheben und völlig ruhig zo 
halten und prüft, wie lange und io welchem Maasse das unter 
den vorstehend genannten Bedingungen gelingt. Ich habe übrigens 
diese kleinen Prüfungen auch bei der praktischen Hemmungs¬ 
erziehung nervöser Kinder als wertvolles Kontrollmittel schätzen 
gelernt. 

Die Kontrolle von Puls und Atmung gibt einen ausgezeich¬ 
neten Maassstab für den Grad der Abhängigkeit des vegetativen 
Nervensystems von den Affekten, besonders wenn man die Messungen 
mit einem leichten Schreckreiz verbindet, etwa mit einem leichten 
neckenden Berühren mit der Nadelspitze. Die Prüfung der Muskel¬ 
erregbarkeit und der bekannten Tetaniephänomene von Ghvostek 
und Erb sollte wegen der ausserordentlichen Bedeutung der 
Sphasmophilie für die krankhafte seelische Entwicklung im Kindes¬ 
alter nie versäumt werden. 

Wertvolle Zeichen der mangelnden Ordnung des Central¬ 
nervensystems und seiner Abhängigkeit von den Affekten geben 
ausserdem der Ausbruch starken Schwitzens und Zitterns beim 
Auskleiden und die überstarke und unregelmässige Rötung der 
Haut nach leichten Hautreizen. Für sehr wichtig halte ich 
schliesslich den Nachweis überstarker und vorzeitiger Reize in 
der Genitalsphäre, die sich zunächst in einer überängstlichen und 
vorzeitigen Schamhaftigkeit, dann aber vor allem in starker Ueber- 
empfindlicbkeit der Unterbaucbgegend und der Oberschenkel für 
leichten Druck oder leichtes Bestreichen mit dem Fingernagel 
äusserst. Bei geschlechtlich normalen sind diese Gegenden nicht 
empfindlicher ah Brust und Kopf, stark gesteigerte Empfindlich¬ 
keit ist nach meinen Beobachtungen ein fast absolut sicheres 
Zeichen für heftige Masturbation, natürlich wenn nicht eine andere 
Krankheitsursache im Beckengebiet vorliegt. 

Hat man nun aus einem dieser körperlichen Symptome ein¬ 
wandsfrei die krankhafte Grundlage der veränderten oder ver¬ 
zögerten moralischen Entwicklung nachgewiesen, so dürfte es 
wenigstens bei den harmloseren Vergehen fast nie Bedenken 
haben, die völlige Freisprechung nach § 51 oder 56 des StGB, zu 
befürworten. 

Natürlich darf sich dieser Schutz nur auf derartige Jugend¬ 
liche ausdehnen, bei denen eine Besserung nunmehr durch er¬ 
ziehliche Maassnahmen zu erwarten ist, sei es auch durch die 
Fürsorgeerziehung oder die Unterbringung in Erziehungsanstalten. 
Das weite Gewissen unserer Halbstarken noch zu erleichtern, 
dürfte keinen Arzt locken. Uebrigens bin ich auch fast nie in 
die Verlegenheit gekommen, diese unerfreulichen Erscheinungen 
der Gressstadt als Gutachter in Schutz nehmen zu müssen; hier 
bandelt es sich wohl immer um soziale, nicht um krankhafte 
Degenerationserscheinungen. 

Die klinische Gruppierung der Zustandsbilder bei den 
jugendlichen Psychopathen scheint mir einstweilen völlig un¬ 
möglich. 

Einheitliche Krankheitsbilder sieht man nur einerseits' bei 
den seltenen Fällen von sehr frühzeitiger Dementia praecox und 
Epilepsie, andererseits bei den Konstitutionsanomalien, die auf 
Stoffwechselstörungen zurückzuführen sind [Vasomotoriker, Infanti¬ 
lismus und Spasmophilie 1 )]. 

Im übrigen sind die seelischen Anlagen der Eltern und Vor¬ 
eltern im Kindesalter noch kaleidoskopartig durcheinander ge¬ 
mischt und entwickeln sich erst im späteren Alter, meist erst 
unter dem Einfluss äusserer Ursachen zu manifesten Krankheiten. 


1) Cimbal, Taschenbuch. 2. Aufl. Berlin 1918. S. 118. 


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10. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1111 


Für die praktischen Zwecke der Begutachtung vor dem 
Jugendgericht genügt es jedenfalls, alle die genannten Ent¬ 
wicklungsstörungen unter dem Sammelbegriff „Debilität“ zu- 
8ammenzufassen, der es durchaus gestattet, den Schutz mangelnder 
Einsicht für den Kranken in Anspruch zu nehmen. 

Sehr viel schwieriger ist die praktische Entscheidung, welche 
erziehlichen Maassnahmen auf Grund der geschilderten Befunde 
die meiste Aussicht auf Erfolg haben. 

Die viel vertretene Ansicht, dass die Fürsorgeerziehung nach 
dem sechzehnten Jahre zwecklos sei, möchte ich mit aller Ent¬ 
schiedenheit bestreiten. Gerade bei psychopathischer Grundlage 
scheint mir eine straffe Erziehung in den Entwicklungsjahren, 
etwa wie sie den Schiffsjungen auf unseren deutschen Schiffen 
geboten wird, die denkbar besten Aussichten zu bieten. Voraus¬ 
gesetzt natürlich, dass erstens die soziale Verkommenheit keine 
zu fortgeschrittene ist und zweitens keine gröberen Intelligenz¬ 
defekte vorliegen. Das gleiche möchte ich für die Erziehung in 
ländlichen Pflegefamilien fordern, nur dass hier auch die Zeichen 
geschlechtlicher Ueberreizbarkeit als Ausschliessungsgrund zu 
gelten haben. 

Ich komme deshalb ebenfalls zu dem Ergebnis von Hinrichs, 
dass die beste Unterbringung der psychopathischen Jugendlichen 
die in besonderen Heilerziehungsanstalten wäre, schätze aber nach 
meinen Erfahrungen die Zahl der gesondert Erziehungsbedürftigen 
nur auf durchschnittlich etwa lOpCt. der gesamten Fürsorgezöglinge. 
Ebenso wichtig wie die genannten klinischen Grundsätze für die 
Auswahl der Fürsorgezöglinge und jugendlichen Angeklagten sind, 
scheinen sie mir auch für die Heilerziehung in der nervenärzt- 
lichen Privatpraxis. Auch hier möchte ich dem geltenden Grund¬ 
satz widersprechen, der wahllos die Ueberführung aller nervösen 
Kinder in die privaten Erziehungsanstalten fordert. Ganz ab¬ 
gesehen davon, dass der ärztliche Vorschlag doch immer auf 
Widerstand seitens der Familien stösst und die moralischen Ge¬ 
fahren in den-Erziehungsanstalten auch nicht gering sind, ist 
tatsächlich doch eine sehr weitgehende Besserung bei sorgfältiger 
Schulnng der Eltern möglich. 

Schwere Tics und Manieren weichen oft kurzer klinischer 
Isolierung. Die geschilderten asthenischen Symptomenkomplexe 
fordern roborierende Behandlung auch im Interesse der moralischen 
und geistigen Erziehung, da viele moralische Entgleisungen ein¬ 
fach eine Folge der körperlichen Schwäche sind und mit ihrer 
Beseitigung schwinden. Bei mangelnder Konzentration der Kinder 
beim Spiel und bei der Arbeit habe ich die Artikel der Fröbel- 
schule als gutes Erziehungsmittel erprobt. 

Ich habe in den vorstehenden Sätzen zu zeigen versucht, 
wie die einzelnen Befunde für die praktischen und gutachtlichen 
Maassnahmen verwertet werden können, möchte aber noch einmal 
meine Auffassung kurz dahin zusammenfasseo, dass ich beim 
Kinde fast noch mehr wie beim Erwachsenen nur nach völliger 
methodischer Aufklärung aller Einzelheiten des Krankheitsbildes 
ein ärztliches Urteil für berechtigt halte. Das von manchen 
Autoren an Stelle der von ihnen bekämpften methodischen Unter¬ 
suchung als einziges psychisches Forschungsmittel vertretene Ein¬ 
fühlen in die Seele des Untersuchten ist eine selbstverständliche 
Voraussetzung, die ja das Grundvermögen jedes tüchtigen Arztes 
ausmacbt, aber zu der so notwendigen Aufklärung eines Krank¬ 
heitsbildes ist sie doch unzureichend, besonders beim Kinde und 
Heranwachsenden, dem sein ganzes Innenleben noch völlig un¬ 
bewusst ist und der deshalb im einfachen Gespräch noch weniger 
als der Erwachsene die notwendigen Anhaltspunkte zu seiner Be¬ 
urteilung zu geben vermag. 


Aus dem medizinisch-poliklinischen Institut der Uni¬ 
versität Berlin (Direktor: Geh. Med.-Rat Professor 
Dr. Goldscheider). 

Die Verdauung des Lecithins bei Erkrankungen 
des Magendarmkanals. 

Von 

R. Ehrmann und H. Knspe. 

Obwohl die Lecithine in unseren Nahrungsmitteln aus dem 
Tier- und Pflanzenreiche reichlich vorhanden sind, vor allem im 
Eidotter, in der Milch, der Butter, den Cerealien, Fleisch usw. 
ist über ihren Abbau im Organismus fast nichts bekannt. 

Da sich nur sehr geringe Mengen in den Fäces wiederfinden, 


ist es ausser Zweifel, dass das Lecithin im Darmkanal gespalten 
bzw. resorbiert wird. Weil nun die pankreatischen Fermente, wie 
von Bokay 1 ), von Kutscher und Lohmann 3 ) u. a. beobachtet 
wurde, das Lecithin in seine Komponenten, nämlich Glycerin¬ 
phosphorsäure, Cholin und Fettsäuren, spalten, und vielleicht auch 
noch die Fermente des Darmes es aufzuspalten vermögen, so 
vermutet man, dass die mit der Nahrung eingeführten Lecithine 
durch den Pankreas- und vielleicht auch noch durch den Darm- 
saft gespalten werden und dann zur Resorption kommen. 

In der Tat wurde auch, bei Abschluss des Pankreassaftes 
vom Darm, die Ausscheidung grösserer Mengen unveränderten 
Lecithins in den Fäces von Deuscher 8 ) und Ehrmann 4 ) nach¬ 
gewiesen. 

Infolge dieser Beobachtungen hat man daher. allgemein [vgl. 
Ad. Schmidt und Strassburger 6 ), Albu 6 )] die vermehrte Aus¬ 
scheidung von Lecithin im Stuhl als charakteristisch für den 
Abschluss des Pankreassaftes angesehen. 

Bei einer kürzlich vorgenommenen Prüfung der Nahrungs¬ 
ausnutzung bei einem Patienten mit Abschluss des Pankreas¬ 
saftes vom Darm, infolge chronischer Pankreatitis, haben wir auch 
gleichzeitig einen Patienten mit Abschluss der Galle vom Darm 
bei chronischem Icterus, sowie einen Normalen untersucht und 
gefunden, dass nicht nur bei Pankreasabschluss, sondern auch 
bei Gallenabschluss die Ausscheidung unveränderten Lecithins er- 
heblich und noch wesentlich stärker als bei Pankreas¬ 
abschluss gesteigert ist. Aus der folgenden Tabelle wird 
dies ersichtlich. 


I. Ausnutzungsprüfung | 

| 11. Ausnutzungsprüfung 



Lecithin 



Lecithin 



in den 



in den 

1909 

Patienten 

Fäces 

1912 

Patienten 

Fäces 



pro Tag 7 ) 



pro Tag 

Nr. 1 

Normaler 

0,51g 

Nr. 3 

Normaler 

0,11 g 

Nr. 2 

Pankreatitis 

3,61 g 

Nr. 4 

Pankreatitis 

2,86 g 


chronica B. 



chronica Fr. 



f 


Nr. 5 

Icterus W. 

5,69 g 


Bei der II. Ausnutzungsprüfung ist bei Pankreasabschluss 
26 mal soviel Lecithin ausgeschieden als vom Gesunden, bei 
Gallenabschluss sogar 53 mal soviel. Dieser erhebliche Einfluss 
der Anwesenheit von Galle im Darm für die Lecithinverdauung 
kann nur in ihrer Fähigkeit, Lecithin in grosser Menge vollkommen 
zu lösen, gesucht werden. 

Wir können also aus den oben mitgeteilten Zahlen den 
Schluss ziehen, dass bei Abschluss der Galle vom Darm 
eine ausserordentlich verschlechterte Ausnutzung des 
Lecithins bzw. eine beträchtlich vermehrte Ausscheidung im Kot 
vorhanden ist. Bei Icterus ist aus diesem Grunde nicht nur die 
Einschränkung der Fette, sondern auch der besonders stark 
lecithinhaltigen Nahrungsmittel, wie Gelbei, Brägen u. dgl. geboten. 

Auch für die physiologischen Vorgänge beim Gesunden gibt 
unsere Beobachtung des erheblichen Lecithinverlustes bei Icterus 
einen Hinweis. 

Sie zeigt nämlich, dass das gesamte Lecithin nicht, wie 
man annahm, erst durch den Pankreassaft in seine Kom¬ 
ponenten — G ly cerinphosphorsäure, Cholin und Fettsäuren — 
zerlegt und diese dann resorbiert werden, sondern dass im 
Magendarmkanal der grösste Teil des Lecithins, ohne vor¬ 
hergehende Spaltung, direkt als Lecithin resorbiert 
wird. Hierdurch gewinnt auch die therapeutische Verordnung 
von Lecithin erst ihre Begründung, die ihr bei der bisher an¬ 
genommenen Aufspaltung im Darmkanal gänzlich fehlte. 


1) Bokay, Zeitsohr. f. physiol. Chemie, Bd. 1. 

2) Kutscher und Loh mann, Zeitsohr. f. physiol. Chemie, Bd. 89 
u. 40. 

3) Deuscher, Korrespondenzbl. f. Schweizer Aerzte, 1898. 

4) Ehrmann, Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 69. 

5) Ad. Schmidt und Strassburger, Die Fäces des Menschen. 

6) Albu, Beitr. z. Diagnostik d. inneren u. chirurgischen Pankreas¬ 
erkrankungen, Halle 1911. 

7) Die Patienten 1 und 2 aus dem Jahre 1909 erhielten fast die 
gleiche Kost, jedoch s / 4 Liter Milch pro Tag mehr als die Patienten 8—5 
aus dem Jahre 1912. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 24. 


Aus der Privatklinik für orthopädische Chirurgie von 
Privatdozent Dr. Wollenberg und Dr. Radike zu Berlin. 

Zur Technik der Plattfusseinlagen. 

Von 

Privatdozent Dr. Wollenberg. 

Unter allen modernen, ärztlicherseits hergestellten Einlagen 
hat sich die Lange’sche Celluloid-Stahldrahteinlage wohl der 
grössten Ausbreitung zu erfreuen. Mit Recht, denn diese Einlage 
ist sehr einfach anzufertigen, sie ist an Gewicht gering, kann in 
gewöhnlichen Stiefeln getragen werden, sofern diese nur genügend 
weit sind, um Einlage und Fuss aufnehmen zu können; sie wird 
nach wenigen Tagen der Gewöhnung in fast allen Fällen von 
den Patienten gern getragen, da sie durch ihren zweckmässigen, 
genau dem Fusse entsprechenden Bau eine treffliche Stütze für 
das heruntergesunkene Fussgewölbe bietet. Für den Pes planus 
ist die Lange’scbe Einlage in der vom Autor beschriebenen Form 
meines Erachtens unübertrefflich. 

Wenn ich heute dennoch eine geringfügige Modifikation 
dieser Einlage beschreiben möchte, so geschieht dies, weil mir 
diese Modifikation in der Praxis vorzügliche Dienste getan hat, 
und weil ich ihre Vorzüge vor der von Lange angegebenen 
Form beim Pes valgus an meinem eigenen Fusse habe erfahren 
können. Wohlgemerkt, beim Pes valgus und planovalgus, nicht 
bei dem selteneren reinen Pes planus, bei welchem die Lange’sche 
Form, wie gesagt, völlig zweckentsprechend ist. 

Lange stellt das Negativ der korrigierten und belasteten 
Fussform nach seinen neuesten Angaben so her, dass das Ge¬ 
wölbe des Gipsbindenabgusses am freihängenden Fusse heraus¬ 
modelliert wird; sobald der Gips in Erstarrung begriffen ist, wird 
der Abdruck nun belastet, indem der Patient auftritt. Dabei 
wird vom Arzte ein Druck gegen den inneren Knöchel ausgeübt, 
damit die Valgusstellung korrigiert wird. Nun wird das Negativ 
abgenommen, ausgegossen und über dem so gewonnenen Positiv 
die Einlage nach der bekannten Lange’schen Technik gearbeitet. 
Ist die Einlage fertiggestellt, so erreicht Lange die erforderliche 
Schiefstellung derselben dadurch, dass er unter dem inneren 
Rande einen 4—5 mm dicken Linoleumstreifen aufklebt, der in 
Zwischenräumen von 2—4 Wochen verdickt wird, bis die not¬ 
wendige Varusstellung erzielt ist. 

Bei diesem Gange der Herstellung ist es klar, dass wir die 
Korrektur der Valgität durch den Linoleumklotz immer nur bis 
zu einem gewissen Grade treiben können, wenn der vordere Teil 
der Einlagesohle fest dem Boden bzw. der Stiefelsohle anliegen 
soll; gehen wir weiter in der Korrektur, so hebt sich der innere 
vordere Teil der Einlage von seiner Unterlage ab, bevor die 
wichtigste Korrektur, welche beim Pes valgus vorzunehmen ist, 
nämlich die Korrektur der Ferse, eine genügende ist. Infolge 
dieses Abhebens des vorderen inneren Einlagenteiles verliert die 
Einlage im Schuh ihre stabile Lage, sie neigt zu schaukelnden 
Bewegungen, die von vorn nach hinten zu über den Linoleumklofz 
als Hypomochlion stattfinden. 

Es ist aber nicht erforderlich, ja vielleicht nicht einmal 
zweckmässig, dass der Vorderfuss und die Zehen in Supinations¬ 
stellung geraten, da hierdurch eine unverhältnismässige Belastung 
des fünften Metatarsus eintritt. Beim normalen Fusse soll der 
Vorderfuss horizontal auftreten. Beim Pes valgus ist nun die 
wichtigste Lageveränderung, welche die Fussknochen erfahren 
haben, zweifellos die Stellungsveränderung des Calcaneus, beson¬ 
ders die Pronationsabweichung dieses Knochens, eine Tatsache, 
auf die Ewald kürzlich wieder besonderes Gewicht gelegt hat. 

Es muss also vor allem darauf ankoramen, die Ferse des 
Patienten gut in der Einlage zu fassen und in Mittelstellung, 
später sogar in Supination zum übrigen Fusse zu stellen. 

Dass dies mit der Lange’schen Valguseinlage nicht genügend 
möglich ist, davon kann man sich bei der Betrachtung der Lange¬ 
schen Form ohne weiteres überzeugen; wir können mit ihr nur 
die Ferse mit dem ganzen übrigen Fusse, besonders dem Vorder- 
fusse, supinieren, wobei, wie wir sahen, der innere, vordere Ein¬ 
lagenteil von der Schuhsohle abgehoben werden muss. Hierzu 
ist natürlich ein vorn ganz besonders weiter Schuh erforderlich. 

Dass die Lange’sche Valguseinlage der Stellungsanomalie 
des Calcaneus nicht gebührend Rechnung trägt, darauf hat auch 
Morn bürg hingewiesen. Dieser Autor hat deswegen eine Ein¬ 
lage aus Gummi konstruiert, die in ihrer ganzen Länge, besonders 
aber hinten, auf der inneren Seite verdickt ist; sie stellt also 
eine einfache schiefe Ebene dar. Diese Einlage korrigiert in 


leichten Fällen die Valgität der Ferse recht gut, in schwereren 
scheint sie mir nicht ausreichend, da sie die Ferse nicht umfasst 
und so am Abrutschen nach aussen, hindert. Ein zweiter Nachteil 
dieser Einlage liegt in ihrem ziemlich grossen Gewicht. 

Ich habe, um die Lange’sche Einlage auch für den Pes 
valgus völlig zweckmässig zu gestalten, eine geringe und einfache 
Modifikation angewendet, deren Technik folgende ist: 

Sobald der Gipsabguss, dessen Gewölbeteil gut modelliert 
wurde, im Erstarren begriffen ist, tritt der Patient auf einen dem 
Supinationsbrette, das Lange früher verwandt hat, ähnlichen 
Apparat. (Figur 1.) An demselben steht der für den Auftritt 


Figur 1. 



des Vorderfusses dienende Teil (a) horizontal 1 ), nur der für die 
Ferse bestimmte Teil (b) ist auf der Innenseite gehoben, auf der 
Aussenseite gesenkt. Somit muss die Ferse, wenn sie festen 
Auftritt finden soll, sich in Supination stellen. Der Grad dieser 
Supination ist dadurch dosierbar, dass der Fersenteil des Fuss- 
brettes, um eine mittlere Achse drehbar, in jeder beliebigen 
Supinationsstellung durch eine Flügelschraube fixierbar ist. Damit 
die supinierte Ferse nicht abrutscht, ist in der Mitte des Fersen¬ 
brettes ein senkrecht zu ihm stehendes Metallblatt (c) angebracht, 
an dem die äussere Seite der Ferse einen Widerhalt findet. 
Figur 1 zeigt uns das Fussbrett, für den Abguss des rechten 
Fusses eingestellt, von hinten und aussen gesehen, Figur 2 die 
Belastung des Gipsabgusses auf diesem Brette, von vorn und 
innen betrachtet. 

Figur 2. 


Während hierbei der Vorderfuss also horizontal, die Ferse 
supiniert steht, übt die Hand des Arztes bzw. Gehilfen einen 
Druck auf den inneren Knöchel aus, wobei gleichzeitig die Finger 
ohne stärkeren Druck den modellierten Gewölbeteil stützen. 
Wenn wir einen Abguss des linken Fusses herstellen, so wird 
das Fersenbrett (b) nach Lockerung der Flügelschraube so herum¬ 
gedreht, dass der in Figur 1 und 2 gesenkte Teil nach oben, der 
gehobene nach unten zu stehen kommt. 

Nach Fertigstellung des Abgusses wird das Positiv und die 
Einlage genau nach Lange’s Vorschrift hergestellt, nur dass der 
Linoleumklotz bei meiner Form der Einlage, der Supination der 


1) An unserem Fussbrette ist die Einrichtung so getroffen, dass 
auch der Vorderteil drehbar ist, so dass wir z. B. bei Abgüssen zur 
Nachbehandlung des Pes varus den Vorderfuss in PronatiousstelluDg 
bringen können. 


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16. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1113 


Ferse entsprechend, auf der Innenseite des Fersenteiles ange¬ 
bracht wird. (Figur 4. L.) 

Dass mit diesem einfachen Verfahren die Korrektur der 
Ferse eine vorzügliche ist, lehrt ein Blick auf die Einlage selbst, 
es erhellt aber besonders aus Figur 3 und 4: wir sehen hier 
einen schweren Knickfuss, rechts ungefähr in normale Mittel¬ 
stellung, links in leichte Ueberkorrektur übergeführt. 


Figur 3. 



Es empfiehlt sich stets, mit nicht zu hohen Korrekturgraden 
anzufangen, wir begnügen uns vielmehr anfangs meist mit einer 
solchen Ueberführung in Mittelstellung und erhöhen die Korrektur 
allmählich bis zu leichter Varusstellung dadurch, dass wir das 
Linoleumklötzchen unter dem inneren Fersenteile erhöhen. Hebt 
sich bei zunehmender Korrektur der Ferse der vordere innere 
Einlagenteil etwas von der Unterlage ab, so tauchen wir die 
Einlage vorn einen Augenblick in heisses Wasser und biegen 
diesen Teil entsprechend herunter. Wird die Differenz grösser, 
so ziehen wir die Neuanfertigung einer Einlage mit stärkerer 
Supination des Ferseubrettes vor. 

Bei Wahrung des geschilderten Prinzips der Horizontal- 
stellung des Vorderfusses bei gleichzeitiger Supination der Ferse 
bebt sich ohne weiteres auch das Gewölbe des Fusses, so dass 
das letztere nicht mehr allein von dem Drucke des Gewölbeteiles 
der Einlage getragen zu weiden braucht. 

So unscheinbar diese kleine Modifikation der Lange’schen 
Valguseinlage sein mag, so viel Vorteile bietet sie bei verständ¬ 
nisvoller Anwendung. Es wird immer eine — zum Glück ge¬ 
ringe —- Zahl von Valgusleidenden geben, bei welchen auch die 
zweckmässigste Einlagenbehandlung nicht den gehofften Erfolg 
bringt, ich glaube aber, dass die Zahl dieser Patienten bei Be¬ 
nutzung meiner Einlagetechnik eine weitere Verringerung er¬ 
fahren wird. 

Man kann natürlich eine ähnliche Wirkung erreichen, wenn 
man die Lange’sche Einlage in ihrer ursprünglichen Form benutzt, 
die Valgusstellung der Ferse aber noch durch einen schiefen 
Absatz korrigiert. Allein schiefe Absätze werden einerseits von 
den Patienten wegen ihres unschönen Aussehens ungern getragen, 
andererseits aber ziehen wir Korrekturen, die wir mit einem 
Apparat erreichen können, denen vor, bei welchen zwei Vor¬ 
richtungen erforderlich sind. Die Stiefel, in denen die eben be¬ 
schriebenen Einlagen getragen werden, müssen niedrige Absätze 
haben, da sonst der Fuss in zu starke Spitzfussstellung gerät. 


Ueber Histopin. 

Von 

San.-Rat Dr. Edmund Saalfeld-Berlin. 

Von dem gegenwärtig mehr denn je hervortretenden Bestreben 
der Therapie, ätiologisch zu behandeln, hat auch die Dermato¬ 
logie Vorteile gezogen. So war es besonders Wright, der neben 
der Beeinflussung anderer Erkrankungen auch die Heilung von 
Hautkrankheiten durch seiue bekannte opsonische Vaccinations- 
methode herbeizuführen suchte. 

Die ursprüngliche Wright’sche Methode besteht, wie ja allgemein 
bekannt ist, darin, dass die Infektionserreger des betreffenden Krank¬ 
heitsfalles in genau dosierter Menge und in abgetötetem Zustande durch 
subcutane Injektion einverleibt werden. In ihrer ursprünglichen Form 
war diese Methode äusserst kompliziert und erforderte eine durchaus 
spezialistische Durchbildung, da eine fortlaufende Kontrolle des Blut¬ 
serums auf phagocytäre Kraft, zwecks Bestimmung der jeweilig einzu¬ 
spritzenden Menge, vorgeschrieben wurde. Schon dieser Umstand allein 
war natürlrch einer ausgedehnten Anwendung dieses Verfahrens in der 
Praxis hinderlich. Es ist nun zwar durch vielfache Erfahrungen und 
Arbeiten, u. a. auch des Verfassers, gezeigt worden, dass diese strenge, 
kontinuierliche Kontrolle des Blutes bei den Patienten während der Kur 
nicht erforderlich ist, so dass in dieser Hinsicht eine bedeutende Er¬ 
leichterung und Vereinfachung des Verfahrens ermöglicht wurde. Aber 
trotzdem stösst die Vaccinationsmethode in der Praxis vielfach auf 
Schwierigkeiten, insbesondere bei Hautinfektionen, die nicht mit schweren 
allgemeinen Erscheinungen einhergeben, da doch in weiten Kreisen des 
Publikums und der Kollegen noch eine gewisse Zurückhaltung gegen¬ 
über der Einspritzung von Mikroorganismen herrscht. Dazu kommt, dass 
natürlich diese Therapie ausschliesslich nur in der Hand durchaus ge¬ 
übter, auf diesem Gebiete spezialistisch vorgebildeter Aerzte bleiben 
muss, so dass also auch heute noch die Vaccinatiousbehandlung in der 
Dermatologie sich keinen allgemeineren Platz erobern konnte. 

Und trotzdem ist zweifellos gerade in der Dermatologie die 
Immunität berufen, eine grosse Rolle in therapeutischer Hinsicht 
zu spielen. Denn kaum bei irgendwelchen Krankheitsprozessen 
anderer Gewebe sehen wir so sehr die Neigung des regionären 
oder auch sprungweisen Fortschreitens und Angreifens bis dahin 
gesunder Teile wie gerade bei Hautkrankheiten. Andererseits 
können wir kaum wieder bei einem anderen Gewebe die Tatsache 
so deutlich feststellen, dass das Ueberstehen gewisser infektiöser 
Prozesse die befallen gewesenen Teile nun für die spätere Wieder¬ 
invasion seitens dieser Infektion schützt, d. h. die deutlichen 
Zeichen des Eintritts der Immunität an der betreffenden Hautstelle 
konstatieren. Nichts liegt also näher als der Gedanke, diese Neigung 
der Hautzellen zur Produktion immunisierender Stoffe thera¬ 
peutisch auszunutzen und dadurch sowohl den Heilungsablauf 
bereits befallener Hautgebiete zu beschleunigen, als besonders 
auch die Möglichkeit, die Ausbreitung des Prozesses auf neue 
Teile der Haut zu verhüten. Um dieses Ziel zu erreichen, sind 
zwei Wege möglich, nämlich die Erzielung einer künstlichen 
allgemeinen oder die einer bloss lokalen Immunität. 

Den ersteren Weg versuchen wir, wie schon erwähnt, mit der 
Wright’schen Methode; den letzteren Weg betrat zuerst A. v. Wasser¬ 
mann mit seinen lokal immunisierenden Versuchen bei denjenigen Der¬ 
matosen, die durch Staphylokokken hervorgerufen werden. Zu diesem 
Zwecke gewann A. v. Wassermann aus den lebenden Staphylokokken 
die immunisierenden Substanzen, und diese werden dann durch Zusatz 
von Schutzkolloiden haltbar gemacht. Man erzielt so einen völlig sterilen 
Extrakt, in welchem die immunisierenden Substanzen der Staphylokokken 
und auch die labilsten und feinsten Stoffwechselprodukte derselben, z. B. 
das Staphylolysin, enthalten sind. Dieser Extrakt, der als Histopin 
bezeichnet wird, kommt in Form der sogenannten Histopingelatine und 
in Form der Histopinsalbe zur Anwendung. Erstere dient im wesent¬ 
lichen immunisierenden, letztere ausschliesslich therapeutischen Zwecken. 
Als Anwendungsgebiet für Histopinpräparate kommen ausschliesslich 
Staphylokokkeninfektionen der Haut in Frage, also vor allem Furunku¬ 
lose, Sycosis vulgaris und Impetigo contagiosa. Von v. Marenholtz 1 ) 
und von Joseph 2 ) wurde in jüngster Zeit darauf aufmerksam gemacht, 
dass die Histopinpräparate auch gegenüber den oft so hartnäckigen 
Stapbylokokkeninfektioneu der Augenlider, also der chronischen Ble¬ 
pharitis, eine allen anderen Mitteln überlegene spezifische Wirkung 
haben. 

Nach v. Wassermann soll die Behandlung der bereits bestehenden 
ausgedehnten oder tieferliegenden Furunkel nach einer der üblichen 
Methoden geschehen. Auf derartig tiefliegende Staphylokokken¬ 
infektionen, wie sie solche Furunkel darstellen, hat, was die Heilung an¬ 
geht, das Histopin nur einen raässigen Einfluss. Dagegen soll sie von 
ganz hervorragender spezifischer Wirkung sein in prophylaktischer 
Hinsicht, d. h. um dem lästigen Auftreten neuer Furunkel in der 


1) Wochenschr. f. Therapie u. Hyg. d. Auges, 1912, Nr. 1. 

2) Deutsche raed. Wochenschr., 1913, Nr. 5. 

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UNIVERSITÄT OF IOWA 















1114 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 24. 


Nachbarschaft der bereits bestehenden vorzubeugen, d. h. den Ausbruch 
einer Furunkulose zu verhindern. Zu diesem Zweck wird die Um¬ 
gebung des ursprünglichen Krankheitsherdes in weiter Ausdehnung täg¬ 
lich zweimal mit Histopingelatioe eingepinselt, ein Verfahren, das, wie 
sich gezeigt hat, völlig unschädlich ist. Alsdann lässt man die Histopin- 
gelatine eintrocknen. Diese Behandlung muss mindestens 14 Tage lang 
fortgesetzt werden, worauf 8 Tage lang nur noch einmal abends die 
Auftragung der Histopingelatine erforderlich ist. 

Ich selbst habe nun verhältnismässig wenig Gelegenheit, 
Furunkel zu behandeln. Interessant war folgende Beobachtung. 

In einem Falle von ausgedehnter Furunkulose bei einem 8 Wochen 
alten Kinde konnte ich persönlich den günstigen Einfluss des „Histopin“ 
beobachten. Die Furunkel wurden inzidiert und zweimal täglich wurden 
diese Stellen sowie die Umgebung mit Histopingelatine eingepinselt. 
Als das Kind, das in einem Berliner Vorort wohnt, wegen einer Bron¬ 
chitis nicht in die Sprechstunde gebracht werden konnte, wurden die 
Furunkel von einem Kollegen inzidiert und mit einem antiseptischen 
Pulver behandelt. Nach einigen Tagen kam die Mutter des Kindes zu 
mir, um mich wegen des Zustandes des Kindes zu interpellieren, und 
teilte mir mit, dass sie das „Histopin“ sich selbst besorgt habe, da 
dieses einen wesentlich günstigeren Einfluss auf den Heilungsprozess ge¬ 
habt habe, als das von dem Arzt aufgestreute Pulver. 

Auch bei Sycosis vulgaris staphylogenes konnte ich eine günstige 
Beeinflussung durch Aufpinselung von „Histopin** konstatieren. Der 
Natur des Krankheitsprozesses entsprechend ist die Wirkung hier selbst¬ 
verständlich nur eine palliative. Wenn wir annehmen, dass das Primäre 
dieser Affektion in einem abnormen Wachstum des Haares sowie in 
einem Missverhältnis des Dickondurchmessers des Haares zum Durch¬ 
messer des Follikels zu suchen ist, so werden diese Verhältnisse natür¬ 
lich durch eine auf die sekundäre Eiterung gerichtete Therapie nicht 
geändert werden. Dagegen gelingt es, die Eiterung sowie die entzünd¬ 
lichen Erscheinungen durch Einpinselung von „Histopin“ günstig zu be¬ 
einflussen, und zwar mehr als durch die sonst für diesen 
Zweck in Anwendung kommenden Medikamente. 

Der Prüfstein für die therapeutische Wirksamkeit eines Staphylo¬ 
kokkenextraktpräparates ist in einer exqusit durch Staphylokokken be¬ 
dingten Erkrankung, nämlich der Impetigo contagiosa, gegeben, bei 
der Streptokokken nur ausnahmsweise eine ätiologische Rolle spielen. 
Müssen wir uns auch darüber klar sein, dass diese hauptsächlich im 
Kindesalter auftretende Dermatose durch die verschiedensten thera¬ 
peutischen Agentien zur Heilung gebracht wird, so ist es doch anzu¬ 
erkennen, dass die Histopinsalbe ein Mittel darstellt, welches die sonst 
gegen dieses Leiden zur Verwendung kommenden Präparate an Schnellig¬ 
keit der Wirkung übertrifft. In sozialer Beziehung ist es von Wichtig¬ 
keit, dass die Kinder schneller, als wir es sonst gesehen haben, zum 
Schulbesuch wieder zugelassen werden konnten. Die „Histopinsalbe“ 
wurde in 26 Fällen angewendet, von diesen kamen 24 zur Heilung, 
während in 2 Fällen die Behandlung gewechselt werden musste. Der 
Grund des Versagens der „Histopinsalbe“ ist darin zu suchen, dass hier 
neben Staphylokokken auch Streptokokken von ursächlicher Bedeutung 
für die Erkrankung waren. Eine in demselben Sinne wie von der 
„Histopinflüssigkeit“ mitgeteilte günstige Einwirkung der „Histopin¬ 
salbe“ konnte ich auch bei der Sycosis vulgaris konstatieren. 

Reizerscheinungen kamen weder beim Gebrauch der „Histopin¬ 
flüssigkeit“, noch der „Histopinsalbe“ zur Beobachtung. 

Zusammen fassend ist zu sagen, dass die Histopinflüssigkeit 
als ein völlig unschädliches Mittel zur Immunisierung der Um¬ 
gebung von Furunkeln anzuseben ist, ferner, dass sie einen 
günstigen Einfluss in palliativer Hinsicht auf die Sycosis vulgaris 
ausübt. Das Letztere sehen wir auch bei der „Histopinsalbe“. 
Diese ist als ein Specificum gegen Impetigo contagiosa 
anzusehen, abgesehen von den seltenen Fällen, in welchen 
neben den Staphylokokken auch Streptokokken als ätiologischer 
Faktor in Betracht kommen. 


Bücherbesprechungen. 

Bier, Braun, Kümmell: Chirurgische Operationslehre. Band I, 
Lieferungen 1 und 3. Mit 152 bzw. 196 meist farbigen Ab¬ 
bildungen im Text. Leipzig 1913, Joh. Ambr. Barth. 150 bzw. 
299 S. Preis für Lieferung 1 und 3: 22,— M. 

Der zweite Band der chirurgischen Operationslehre mit der vor¬ 
trefflichen Darstellung der Bauchchirurgie (Bier, Schmieden, Körte, 
Sprengel, Sudeck) und der Chirurgie des Thorax (Küttner) ist an 
dieser Stelle bereits besprochen worden. Vom ersten Bande sind aus 
äusseren Gründen vorläufig nur die erste und dritte Lieferung er¬ 
schienen. Bis zum Herbst 1913 werden die fehlende zweite Lieferung, 
sowie Band III und damit das ganze Werk voraussichtlich vollendet 
vorliegen. Lieferung 1 enthält die von H. Braun - Zwickau bearbeitete 
allgemeine Operationslehre. Wundschutz, Anästhesierungs¬ 
methoden, allgemeine Technik, Gefahren chirurgischer Eingriffe, post¬ 
operative Komplikationen, sowie die Operationen an Haut und Schleim¬ 
häuten, an den Blutgefässen, Muskeln, Fascien, Sehnen, Nerven und 


Knochen sind in kurzem anschaulichen Text unter stetem Hinweis auf 
die reichhaltige Illustration dargestellt. Lieferung 3 enthält die 
Operationen am Gehörorgan und an den Tonsillen, in der Nase und den 
Nebenhöhlen (Passow - Berlin). Oesophago- und Bronchoskopie, sowie 
die Ösophago- und bronchoskopischen Operationen sind von Killian 
mustergültig beschrieben. Diese Kapitel werden den Fachgenossen 
um so willkommener sein, als sie in den chirurgischen Operationslehren 
bisher meist sehr stiefmütterlich oder gar nicht behandelt waren. Auch 
die folgenden Kapitel: Operationen am Halse (Wilms), an der Schild¬ 
drüse und Thymusdrüse (Rehn) sind bezüglioh Darstellung und 
IllustrationskuDst ganz auf der Höhe. Die Operationen am Kehlkopf, 
die Resektion der Speiseröhre, die Oesophagoplastik, die Operationen an 
der Thymusdrüse und am Ductus thoracicus sind, wie alle neuesten 
Errungenschaften der operativen Chirurgie, gebührend berücksichtigt. 
Mögen auch die folgenden Lieferungen sich auf derselben Höhe wissen¬ 
schaftlicher Darstellungskunst präsentieren! 


J. v. Baser; Annalen der städtischen allgemeinen Krankenhänser 
in München. Band XV. 1909—1910. Mit 63 Abbildungen im 
Text, 16 Tafeln und 1 Plan. (Festschrift zum 100jährigen Be¬ 
stehen des städtischen Krankenhauses links der Isar 1813—1913.) 
München 1913, F. F. Lehmann’s Verlag. 722 S. Preis 20,— M. 
Der Festband enthält eine von Kerschensteiner verfasste, höchst 
fesselnd geschriebene Geschichte der Münchener Krankenanstalten, ins¬ 
besondere des Krankenhauses links der Isar. Sie bildet ohne Zweifel 
einen wertvollen Beitrag zur Kulturgeschichte, insbesondere gilt dies von 
der Biogragraphie von J. N. v. Ringseis. „Mit ihm schied eine der 
originellsten Gestalten der Medizingeschichte, ein durch sonderbaren 
Zufall ins Gebiet der Medizin verschlagener romantischer Dichter, der 
bei geringem Wirklichkeitssinn und grosser Phantasie dazu bestimmt 
war, der Don Quixote der Medizin zu werden. Wer Cervantes gelesen 
hat, weiss, dass dieser Vergleich nicht bloss tadeln soll.“ 

Die folgenden Kapitel schildern Bau, Organisation und Betrieb des 
Krankenhauses. Es folgt dann der Verwaltungsbericht für 1909 und 1910 
aus beiden Münchener Krankenhäusern, der Bericht von Borst über die 
Tätigkeit des pathologischen Instituts, von Hör mann über das 
Sanatorium Harlaching, sowie die Statistik der chirurgischen Klinik für 
1910 und 1911. Der wissenschaftliche Teil des Festbandes enthält eine 
Fülle, zum Teil sehr wertvoller Beiträge aus fast allen Gebieten. Sie 
können an dieser Stelle nur kurz erwähnt werden: Ueber vorüber¬ 
gehende Arhythmien (Otto Müller); über Polycythämie (Kändler); 
über das Blutbild bei septischen Erkrankungen (Wassertrüdinger); 
drei Ponstumoren (Abramowitsch); über C-Knorpelverletzungen 
(Barreau); traumatische Entstehung der Geschwülste (Seidener); Er¬ 
gebnisse der Appendicitisbehandlung 1909—1912 (v. Bomhard); 
operative Behandlung der Bauchfelltuberkulose (Höllisch); Menstruation 
bei Herzfehlern (Monheim); Addison’sche Krankheit nach Trauma 
(Riemann); Pseudomyxoma peritonei neben Carcinom der Appendix 
(Kaufmann). Adler - Berlin-Pankow. 


Niehses-Berlin: Die Saiitätsansrüstsig des Heeres im Kriege. Mit 
Genehmigung des Königl. Preuss. Kriegsministeriums unter Be¬ 
nutzung amtlicher Quellen. Bibliothek von Coler-von ScbjerniDg, 
Bd. XXXVII. Mit 239 Abbildungen auf 73 Tafeln und im Text. 
Berlin 1913, Verlag von August Hirschwald. 528 Seiten. Preis 
24 Mark. 

Diese Beschreibung der Sanitäts-Ausrüstung des Heeres im Felde 
umfasst die ganze Sanitätsausstattung und schliesst sioh an ihren Stand 
vom 1. Januar 1913 an. Grundsätzliche oder grössere Aenderungen 
stehen in der nächsten Zeit nicht bevor. 

Der Stoff ist eingeteilt in die Sanitätsausrüstung jedes Heeres¬ 
angehörigen, in die des Sanitätspersonals, der Truppe und der Sanitäts¬ 
formationen (Sanitätskompagnie, Feldlazarett, Lazarettzug, Etappen¬ 
sanitätsdepot); in einem Anhang werden die Arznei- und Verbandmittel 
und das Neutralitätszeichen besprochen. 

Der Beschreibung der grösseren Ausrüstungsstücke ist ein Abriss 
ihrer geschichtlichen Entwicklung vorangestellt, der denen, die sich 
genauer mit der Sanitätsausstattung und ihrer Vervollkommnung be¬ 
schäftigen müssen, willkommen sein dürfte. Da Vorarbeiten auf diesem 
Gebiet fehlen, wurden die Unterlagen nur den Akten der Medisinal- 
abteilung, des geheimen Kriegsarchivs usw. entnommen. 

Auf zahlreiche Abbildungen wurde besonderer Wert gelegt, wodurch 
der besprochene Gegenstand schnell veranschaulicht wird und so oft eine 
längere Besprechung überflüssig macht. 

Ein ausgezeichnetes Werk, das den aktiven Sanitätsoffizieren und 
denen des Beurlaubtenstandes eine genauere Beschäftigung mit der ge¬ 
samten Ausrüstung, mit dem Gerät, mit dem sie im Felde arbeiten sollen, 
gestattet. Schnütgen. 


Otto Binswanger-Jena: Die Epilepsie. II. neubearbeitete Auflage. 
Wien und Leipzig 1913, Alfred Holder. 515 Seiten ohne Literatur 
Verzeichnis und Sachregister. Preis 15,40 M. 

Wir begrüssen die II. Auflage dieses vortrefflichen, auf breiter Grund¬ 
lage aufgebauten Werkes als eine glänzende Bereicherung der neuro¬ 
logischen Literatur. Im Umfang nur wenig über den der L Auflage 
hinausgehend, bietet es dennoch in fast allen Kapiteln eine gewisse 


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UNIVERSUM OF IOWA 


16. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1116 


Durcharbeitung, die dem neusten Stande der Forschung Rechnung zu 
tragen versucht und eine Berücksichtigung der meisten auf dem Gebiete 
der Epilepsieforschung in den letzten 10 Jahren geleisteten Arbeiten 
erkennen lässt. Auch strittige Fragen werden besprochen und kritisch 
zu lösen versucht. Die interessante Entdeckung Alsheimer’s über 
die Abbauprodukte (Reich’sehes Protagon) in den perivasculären Lymph- 
räumen der Rinde werden durch eigene Forschungen bekräftigt und in 
lehrreichen, gut kolorierten Abbildungen zur Anschauung gebracht. In 
seiner umfassenden Beherrschung des Stoffes dürfte das Werk wohl kaum 
eine Frage unbeantwortet lassen, die über die Pathologie der Epilepsie 
aufgeworfen werden kann. 

Die Kapitel über die medikamentöse und operative Behandlung 
scheinen schon vor dem Jahre 1912 bearbeitet zu sein. Das Literatur¬ 
verzeichnis zeigt leider keine Neubearbeitung, es ist genau dasselbe wie 
in der I. Auflage von 1899. Der allerdings vorhandene Hinweis auf 
andere neuere Zusammenstellungen der Epilepsieliteratur entspricht der 
Bedeutung des Bin s wan ger’sehen Werkes nicht. Das Sachregister 
könnte ausführlicher sein. Erlenmeyer-Bendorf bei Koblenz. 


Ludwig Edinger: Einführung in die Lehre vom Ban und den Ver¬ 
richtungen des Nervensystems. Zweite, vermehrte und verbesserte 
Auflage. Leipzig 1912, F. C. W. Vogel. 

Die erste Auflage dieses kurzen, aus Demonstrationskursen für 
Studenten entstandenen Leitfadens hat sich rasch neben dem grossen 
Edinger’sehen Lehrbuch eingeführt. In der zweiten Auflage hat 
Edinger die Zahl der Figuren vermehrt und vor allem auch den vis¬ 
ceralen Nervenapparat eingehend berücksichtigt. Besonders dankbar ist 
es zu begrüssen, dass das Kapitel über die Beziehungen zwischen dem 
Aufbau des Nervensystems und seiner Tätigkeit aus dem grösseren Werk 
übernommen ist und damit auch dem Anfänger auf dem schwierigen 
Gebiet der Hirnanatomie die ausserordentliche Bedeutung ihrer genauen 
Erforschung für die Erkenntnis der Funktion klargemacht wird. 


Obersteiner: Arbeiten ans dem Neurologischen Institut an der 
Wiener Universität. Band 20, Heft 1. Leipzig und Wien 1912, 
Franz Deuticke. 

Von den in diesem Heft gesammelten Arbeiten interessiert die von 
M. Bresowsky: „Ueber die Veränderungen der Meningen bei Tabes 
und ihre pathogenetische Bedeutung“. Nach Schilderung der verschiedenen 
Tabestheorien, die sämtlich nicht voll befriedigen, wird an der Hand 
von 40 anatomisch untersuchten Tabesfällen der Zustand der Meningen, 
der Gefässe, besonders der hinteren Wurzelarterien und der Nerven¬ 
wurzeln genau untersucht. In allen Fällen fanden sich meningitische 
Veränderungen, am stärksten über den Hintersträngen, besonders an den 
Eintrittsstellen der Wurzeln. Stets bestand eine kleinzellige Infiltration, 
am häufigsten von den Gefässen ausgehend, in der Regel diffus über die 
Meningen verteilt. Die kleinen Gefässe der Pia waren häufig vermehrt 
mit Verdickung der Wandungen. Die meningitischen Veränderungen 
waren oft bei erst beginnender Tabes stark entwickelt. Die Meningitis 
ist keinesfalls eine Folge der Rückenmarkserkrankung. Vielleicht hängt 
die tabische Degeneration insofern von der Meningitis ab, als diese auf 
ein in seiner Vitalität geschädigtes Nervengewebe einwirkt. — Von den 
übrigen Arbeiten haben die „Untersuchungen des Conus terminalis bei 
Mann und Frau“ von Sakai und die Studie „Zur vergleichenden Ana¬ 
tomie des Seitenhorns im Rückenmark der Vertebraten“ vonTakahashi 
rein anatomisches Interesse. In einer vorläufigen Mitteilung bringt 
Takahashi ferner „Versuche über Nikotinentgiftung“, bei denen auch 
die anatomische Untersuchung zeigt, dass die bei nikotinvergifteten 
Kaninchen auftretenden Veränderungen der spinalen Ganglienzellen durch 
Injektionen der Clin’schen Glykogenlösung wesentlich vermindert werden. 
Die Arbeit von J. Rothfeld „Ueber den Einfluss akuter und chronischer 
Alkoholvergiftung auf die vestibulären Reaktionen“ führt beim Kaninchen 
den Nachweis, dass sowohl akute wie chronische Aethylalkoholvergiftungen 
Störungen der Reaktionsbewegungen nach Rotieren auf einem Drehstuhl 
auslösen, und dass bei den akuten Vergiftungen durch Kopfdrehung ein 
längerdauernder horizontaler Nystagmus ausgelöst wird und die rasche 
Komponente des vertikalen und des rotatorischen Nystagmus schwindet. 
Es handelt sich um direkte Folgen der schädigenden Alkoholwirkung. — 
Paul Loewy hat „Die Sekrektwege der Zirbeldrüse“ durch Injektionen 
mit feinster Tusche studiert. Der Sekretweg der Zirbeldrüsenzellen ver¬ 
läuft aus der Drüsenzelle durch pericelluläre Räume in die innerste 
Schicht des intralobulären Bindegewebes und von hier durch Teile des 
Plexus chorioideus bis zu pericellulären Räumen der Epithelschicht. Von 
hier dürfte das Sekret in den Liquor cerebrospinalis gelangen und von 
hier aus regionäre Wirkungen auf das centrale Nervensystem entfalten. — 
Zum Schluss bringt Obersteiner selbst vergleichende Studien über 
„Die Kleinhirnrinde von Elephas und Balaenoptera“. Neben Grössen¬ 
angaben der entsprechenden Zellen von Elefant und Walfisch bringt er 
solche von der Maus. Sind die Purkinje’schen Zellen bei den Riesen¬ 
tieren zwei- bis dreimal so gross als bei der Maus, so zeigen die grossen 
Zellen der Körnerschichte keine Differenzen. M. Roth mann. 


Graefe-Sämiseh: Handbuch der gesamten Augenheilkunde. II. Aufl. 
Leipzig 1912, W. Engelmann. 221. bis 224. Lief. J. Hirsch¬ 
berg: Geschiohte der Augenheilkunde. Einzelpr. 12 M. 
310 Seiten. 

Der 14. Band (III. Abt.) bringt uns Frankreichs Augenärzte von 


1800—1850. Während Frankreich im 18. Jahrhundert für die Wieder¬ 
geburt der Augenheilkunde das Grösste geleistet hatte, blieb es im 
ersten Drittel des 19. Jahrhunderts, mit Ausnahme einiger weniger be¬ 
merkenswerter Leistungen, auf diesem Gebiet fast völlig unfruchtbar. 
Im Anfänge des 19. Jahrhunderts vertraten die Wundärzte wie Boyer, 
Dupuytren, Roux usw. die Augenheilkunde, später kamen dann fremde 
Augenärzte nach Paris, wie der Deutsche Siohel, welchem wohl das 
Hauptverdienst an der Wiedergeburt der Augenheilkunde in Frankreich 
zukommt, ausserdem einige Italiener und andere, dann folgte die Epoche 
Desmarres, des Reformators der Augenheilkunde, um die Mitte des 
19. Jahrhunderts. Nach dem Jahre 1862 kam es dann zu einer zweiten 
Invasion fremder Augenärzte, unter denen Wecker, Landolt, Lieb¬ 
reich, Meyer und Galezowsky hervorragen. 

Wagenmann: Verletzungen des Auges mit Berücksichtigung 
der Unfallversicherung. Leipzig 1913, W. Engelmann. 225. bis 
227. Lief. Einzelpr. 9 M. 

Die vorliegenden drei Lieferungen enthalten die Schädigungen des 
Auges durch leuchtende Strahlen, insbesondere duroh Sonnenlicht-, 
Röntgen- und Radiumstrahlen, die Verletzungen durch Explosion, die 
Schussverletzuogen durch grosse und kleine Projektile und zum Schluss 
die Beschädigungen des Auges durch Verletzung des übrigen Körpers. 
Jedem Abschnitt sind ausführliche Literaturverzeichnisse beigegeben. 

M. Nussbaum: Entwicklungsgeschichte des menschlichen 
Auges. I. Teil. Kap. VUI. Leipzig 1912, Engelmann. 3. Aufl. 
Einzelpr. 5,40 M. 

Obwohl die 2. Auflage des Handbuches noch nicht beendet ist, er¬ 
scheinen nunmehr neben den Werken von v. Hess die Arbeiten von 
Nussbaum und von Pütter schon in 3. Auflage. Die Seitenzahl 
der Entwicklungsgeschichte des Auges ist um 25, die der Abbildungen 
um 9 vermehrt. Die seit 1899 (2. Auflage) erschienenen Arbeiten sind 
eingehend berücksichtigt. 

Pütter: Organologie des Auges. 3. Aufl. 1912. 220 Fig. im 
Text und 25 auf 10 Taf. Einzelpr. 24 M. 

Das reich illustrierte Werk bat eine weitere Bereicherung der Ab¬ 
bildungen erfahren, auch ist sein Umfang beträchtlich vermehrt. Die in 
den letzten fünf Jahren, seit Erscheinen der zweiten Auflage, erschienenen 
zahlreichen Arbeiten, insbesondere die mannigfachen experimentellen 
Untersuchungen über die Physiologie der Akkommodation und des Lioht- 
sinns in der. Tierreihe von Hess, haben eine entsprechend eingehende 
Berücksichtigung gefunden. v. Sicherer - München. 


Strasser: Lehrbuch der Muskel- and Geienkmechanik. II. Band. 
Spezieller Teil. Mit 231, zum Teil farbigen Textfiguren. Berlin 
1913, Verlag von Julius Springer. 538 S. Preis 28 M. 

Welch tiefgreifende Umwälzungen die Lehre von der Mechanik der 
Muskeln und Gelenke in den letzten Jahren erfahren hat, davon legt 
der zweite Band von Strasser’s Lehrbuch beredtes Zeugnis ab. 

In klarer Darstellung — unterstützt von sehr guten Textfiguren — 
gibt der Verfasser ein Bild vom heutigen Stand der Lehre der Muskel- 
und Gelenkmechanik des Stammes. Aufs eingehendste wird die äusserst 
komplizierte Materie geschildert; dabei ist aller überflüssiger Ballast 
vermieden. Verfasser beginnt mit den Grundzügen der Anatomie der 
Stammwand und geht dann über zur Mechanik der Bauchwand. Das 
nächste Kapitel handelt von der Rippenbewegung und der Atmung. Von 
besonderer Wichtigkeit scheinen mir die nun folgenden Kapitel zu sein; 
denn sie bringen Licht in ein Dunkel, das besonders vom Orthopäden 
oft schmerzlich empfunden wird: die Bewegungsmöglichkeiten der Wirbel¬ 
säule, die Wirkungsweise der Muskeln zur Biegung des Stammes, die 
Rumpfhaltung sind ein Gebiet, das bisher in der Literatur immer etwas 
stiefmütterlich behandelt war. Den Verkrümmungen der Wirbelsäule 
und der Statik des Beckens sind zwei äusserst wertvolle Kapitel ge¬ 
widmet. Es folgt noch ein Kapitel über den Stand der Vierfüssler; ein 
Kapitel über das Kiefergelenk und der Mechanik des Augapfels be- 
schliessen das Buch, das sich nicht nur in den Kreisen der Anatomen 
und Physiologen, sondern vor allem auch in orthopädischen Kreisen 
grosser Beliebtheit erfreuen wird. E gl off-Stuttgart. 


A. Enlenborg: Realeneyklopädie der gesamten Heilkunde. 4. Aufl. 

13. Band: „Samenverluste — Sterilität des Mannes. 965 S. 

Urban und Schwarzenberg. 1913. 

Die Ausgabe weiterer Bände der vorliegenden Neuauflage der Real- 
encyklopädie schreitet rüstig voran. Im 13. Band, dessen Ausstattung 
sich seinen Vorgängern rübmlichst anschliesst, sind neben einer Fülle 
kleinerer Artikel besonders hervorzuheben: Schädel und Schädel¬ 
verletzungen von K. v. Bardeleben bzw. Lorenz, Scharlach, 
Spasmophilie von Bendix, Schwangerschaft von Krönig, Serum¬ 
diagnostik und. -therapie von Hetsch, spastische und spinale Kinder¬ 
lähmung von Sachs, Spondylitis von Lorenz, Schilddrüsenbehandlung 
und-Operation von Buschan bzw. Tillmanns. Viele zum Teil farbige 
Abbildungen in guter Reproduktion dienen der grösseren Anschaulichkeit 
des Wortes. Witte - Hannover. 


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1110 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 24. 


P. J. Eickhoff: Praktische Kosmetik. Für Aerzte und gebildete 
Laien. Wien 1913, Deuticke. 8. Auflage. 276 S. 7,50 M. 

Verf. wünscht in diesem Buche nicht nur eine Anleitung zur Kosmetik 
für Aerzte zu geben, sondern auch dem gebildeten Laien verständlich 
zu sein. Es liegt in der Natur der Sache, dass dies nicht leicht ist, 
und somit muss man es immerhin als ein Zeichen der Wertschätzung 
dieser praktischen Kosmetik betrachten, dass 10 Jahre nach der zweiten 
jetzt die dritte Auflage notwendig geworden ist, bei welcher die neueren 
wissenschaftlichen und praktischen Seiten in bezug auf Diagnose und 
Therapie vollauf gewürdigt sind. Max Joseph • Berlin. 


Hans Blfiher: Die deutsche Wandervogelbewegung als erotisches 
Phänomen. Ein Beitrag zur Erkenntnis der sexuellen Inversion. 
Berlin-Tempelhof 1912, Bernhard Weise’s Buchhandlung. 160 S. 
2,50 M. 

Die Schrift bildet den 3. Teil eines grösseren Werkes: H. Bl über, 
Wandervogel, Geschichte einer Jugendbewegung. Teil I: Heimat und 
Aufgang. Teil II: Blüte und Niedergang. Diese haben dem Bericht¬ 
erstatter nicht Vorgelegen, so dass er die gelegentlichen Hinweise, die 
im 3. Teil auf sie gemacht werden, nicht ganz in ihrer Bedeutung werten 
kann. Dass in der Wandervogelbewegung gelegentlich nicht unbedenk¬ 
liche Anzeichen für das Vorhandensein sexueller Perversionen hervor¬ 
getreten sind, ist in pädagogischen Kreisen ja nicht unbekannt. Bei der 
ziemlich grossen Entfernung, in der das Treiben sich von der Schule 
hält, ist es nicht leicht, den Spuren nachzugehen. Jedenfalls muss man 
den Eltern in erster Linie die Pflicht zuweisen, hier zu wachen und 
nachzuforschen, wie sie ja auch in erster Linie die Erlaubnis zur Teil¬ 
nahme ihren Kindern gestatten, oft ohne der Schule irgendwelchen Be¬ 
richt zukommen zu lassen. Gedichte und Briefe, die der Verf. im An¬ 
hang des Buches „aus seinen Akten“ veröffentlicht, weisen darauf hin, 
dass mindestens zuzeiten homosexuelle Tendenzen vorhanden waren. In¬ 
wieweit sie noch, ob sie überall zur Geltung kommen, lässt sich nicht 
erkennen und darf wohl bezweifelt werden. Sollte freilich die Theorie, 
die der Verf., wie er behauptet, im Anschluss an die Lehren Sigmund 
Freud’s, bietet, richtig sein, so würde der Zweifel nicht zurecht be¬ 
stehen. Man müsste dann annehmen, dass diese ganze Bewegung, wie 
sie aus homosexueller Neigung entstanden, so durch sie zusammenge¬ 
halten und gefördert werde. Aber dass man dann auch eine Duldung, 
viel weniger Förderung üben dürfte, ist doch ausgeschlossen. 

Für den Pädagogen, der im allgemeinen mit den Theorien Freud’s 
wohl nicht bekannt ist, bildet die Schrift gewiss eine interessante, durch 
ein besonders naheliegendes Beispiel erläuterte Einführung. Der Mediziner 
wird, der Theorie mächtig, wohl gar in dem Beispiel ein Experimentum 
crucis sehen wollen. Sollte aber wirklich die Lehre von der Bisexualität 
des Menschengeschlechts als Norm zurechtbestehen? Für den Laien ist 
es doch wohl ein schwer einleuchtender Gedanke. Und ebenso die An¬ 
sicht von der sexuellen Inversion und den aus ihr erwachsenden Psycho- 
neurosen. Wie dem aber sei, die Kenntnis der Schrift, mag man sie 
billigen oder ablehnen, wird für beide, den Erzieher und den Arzt, wert¬ 
voll werden. Max Nath (Berlin-Pankow). 


Theodor Plant: Der Gewerksehaftskanpf der dentsehei Aerzte. 

Volkswirtschaftliche Abhandlungen der badischen Hochschulen. 

Neue Folge, Heft 14. Karlsruhe 1913, G. Braun. 

Für die bleibende Bedeutung des Leipziger Verbandes als soziales 
Gebilde zeugt am besten, dass die soziologische Wissenschaft anfängt, 
sich mit ihm als Gegenwartsproblem ernsthaft zu beschäftigen. Mit 
ebensoviel Gründlichkeit als Objektivität versucht der Verf. des vor¬ 
liegenden Buches das Wesen des Leipziger Verbandes als einer durch 
sozialpolitische Faktoren bedingten echten Gewerkschaftsbewegung zu 
erfassen, und sieht in seinen Einrichtungen und Zielen die Betätigung 
der liberal-individualistischen Weltanschauung gegenüber der kollekti¬ 
vistischen auf seiten der Kassen. Daraus ergibt sich ihm als ökonomischer 
Untergrund der freien Arztwahl die Tatsache, dass sie „eine dem Wesen 
des Individualismus so recht eigentlich angepasste Forderung“ ist. In 
dem Buche finden sich neben gründlichen Studien über die Geschichte 
des ärztlichen Wirtschaftskampfes, über die Aufgaben, Erfolge, Kampf¬ 
mittel, Organisation des Leipziger Verbandes mancherlei interessante 
ökonomisch-kritische Betrachtungen, insbesondere über Wesen und Be¬ 
griff der Gewerkschaft und seine Anwendung auf den Leipziger Verband. 
Inmitten der wüsten Hetze gegen diesen ist solches Buch eine Erbauung, 
bildet es doch im Grunde, wenn auch ungewollt, eine wissenschaftliche 
Apologie des ärztlichen Gewerkschaftskampfes. 


Friedrieh Wiedeannn: Naehschlagebneh zur Krankenversicherung. 

Würzburg 1913, Curt Kabitzsch. Preis 3 M. 

Kurzgefasstes, alphabetisch nach Stichworten geordnetes Lexikon 
der wichtigsten Bestimmungen und Begriffe der Reichsversicherungs¬ 
ordnung; zur schnellen Orientierung recht geeignet, zumal überall die 
einschlägigen Gesetzesstellen beigefügt sind. Vollmann. 


Literatur-Auszüge. 

Physiologie. 

H. Walbaum-Tübingen: Ein Beitrag zur Klarstellung des Mecha¬ 
nismus der Wärmeregulation beim normalen und dem durch Gehirn¬ 
reizung (Wärnestich) hyperthermisch gemachten Kaninchen. (Archiv f. 
experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 72, H. 2, S. 153—176.) Beim Kanin¬ 
chen übt die Atmung, obwohl beim Fehlen der Schwei 9 sdrüsen eine 
Regulation durch Schweissbildung wegfällt, keinen nennenswerten Ein¬ 
fluss auf die Körpertemperatur aus. Wohl aber ist die Haut selbst sehr 
wohl zur Wärmeregulierung geeignet. Geschorene Kaninchen können 
ihre Körpertemperatur nicht halten,trotzdem sie diese durch Kontraktion der 
Hautgefässe, durch Mehraufnahme von Nahrung und durch Verbrennung 
von Körpersubstanz zu regulieren versuchen. In den ersten Tagen 
nach der Scherung wird duroh den Wärmestich die Temperatur nicht 
erhöht. Jacoby. 

A. Luger und E. Pollak-Wien: Zur Kenntnis der Wirkung von 
Röntgenstrahlen auf Fermentlffsnngen. (Wiener med.Wochenschr., 1913, 
H. 21.) Verff. untersuchten den Einfluss von Röntgenstrahlen auf die 
Fermente Pankreatin, Trypsin, Takadiastase und Maltine. Die be¬ 
strahlten Fermentlösungen verloren ganz oder teilweise die Eigenschaft, 
von Seris, die sonst hemmten, gehemmt zu werden, während die fermen¬ 
tative Kraft der Lösungen unverändert blieb (bei nicht zu intensiver 
Bestrahlung). Intensive Bestrahlung zerstörte die Fermentwirkung. 

Ziegler-Kiefersfelden: Eine neue Methode zur quantitativen Be* 
Stimmung von Uraten im Blutserum. (Münchener med. Wochenschrift, 
1913, Nr. 20.) 1. Eine Ausflockung der im Serum gelösten Harnsäure 

(oder Mononatriumurat) mittels Kupfersulfat bei alkalischer Reaktion des 
Serums gelingt vollkommen innerhalb der Werte von 0,005—0,025 Harn¬ 
säure bzw. Urat in 10 ccm Serum. Man vermeidet dadurch die Unzuträg¬ 
lichkeiten und Fehler bei der Enteiweissung des Serums. 2. Es sind zu 
einer Bestimmung nur 10 ccm Serum erforderlich. 3. Die an Rinder¬ 
serum gewonnenen Resultate werden auch mit Menschenblutserum er¬ 
halten. 4. Die Methode ist verhältnismässig einfach und in ca. 1 Stunde 
ausführbar. G. Eisner. 


Pharmakologie. 

E. Kr au ss-Tübingen: Die Wirkung der Nitrite aif die Kffrper- 
temperatar des normalen und des durch Gehirnreizung hyperthermisch 
gemachten Kaninchens. (Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Pharmakol., 
Bd. 72, H. 2, S. 97 — 128.) Die Nitrite setzen die Temperatur herab. 

C. Jacoby-Tübingen: Ein weiterer Beitrag zur Wirkung der Nitrite 
auf die Körpertemperatar des Kaninchens. (Archiv f. experim. Pathol. 
u. Pharmakol., Bd. 72, H. 2, S. 129—152.) Die Arbeit bringt eine nähere 
Analyse der von Jacoby entdeckten temperaturherabsetzenden Nitrit¬ 
wirkung. 

H. Fühner-Freiburg i. B.: Pharmakologische Untersuchungen über 
das Colehiein und seine Derivate. (Archiv f. experim. Pathol. u. Pharma¬ 
kologie, Bd. 72, H. 3, S. 228—238.) Colehiein ist weniger wirksam als 
Colehiein, die stärker abgebaute Trimethylcolchicinsäure stärker wirk¬ 
sam als das Colchicein. Stellt man durch Methylierung der Säure die 
Methoxygruppe des Colchicins wieder her, so nähert sich die Wirksamkeit 
noch mehr der des Colchicins. Ein Oxycolchicin erwies sich als ver¬ 
schieden von einem schon bekannten Oxydicolchicin. Da die Colcbicin- 
derivate zum Teil weniger giftig sind als das Colehiein, würde ein 
Versuch mit ihnen bei der Behandlung der Gicht von Interesse sein. 

E. v. Knaffl-Lenz-Wien: Sind SebimmelpilEe imstande, aus 
Antimonverbindnngen flüchtige Körper zu bilden? (Archiv f. experim. 
Pathol. u. Pharmakol., Bd. 72, H. 8, S. 224—227.) Durch Schimmel¬ 
pilze werden flüchtige Antimonverbindungen nicht gebildet. 

P. Saxl-Wien: Kann der Cystinschwefel im Organismus aati- 
septisehe Eigenschaften entfalten? (Zeitschr. f. experim. Pathol. u. 
Pharmakol., Bd. 13, H. 2, S. 826—333.) Brcmbenzol ist ein schwaches 
Antisepticum, die daraus im Organismus durch Synthese mit Cystein 
entstehende Bromphenylmerkaptursäure ein sehr wirksames. In Gegen¬ 
wart von Blut ist die Säure allerdings unwirksam, im Harn aber wirk¬ 
sam. Jedenfalls zeigen die Versuche, dass der Organismus durch die 
physiologische Synthese mit Cystein baktericide Stoffe bilden kann. 

Fr. Rabe-Marburg: Die Oxydasereaktion unter Blansäurewirkaag. 
(Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 13, H. 2, S. 371—372.) 
Auf Grund einer neuen, experimentellen Prüfung sieht Rabe in Ueber- 
einstimmung mit Klopfer und im Gegensatz zu Raubitschek das 
Ausbleiben der Schultze’schen Oxydasereaktion nicht für ein Zeichen der 
Blausäurevergiftung an. 

J. Biberfeld-Breslau: Zur Wirkungsweise des Atopkans. (Zeitschr. 
f. experiment. Pathol. u. Therapie, Bd. 13, H. 2, S. 301—309.) Atophan 
beschleunigt die Phosphatausscheidung. Andere Purine als die Harn¬ 
säure werden durch Atophaneinwirkung nicht schneller ausgeschieden. 
Die Phloridzinglykosurie wird durch Atophan gehemmt. Atophan wirkt 
wenn auch nicht aussohliesslioh, auf die Funktion der Niere. 

R. Meissner-Breslau: Ueber die Bindnng des Arsenwaasersteffeo 
im Blnt. (Zeitschr. f. eiperim. Pathol. u. Therapie, Bd. 13, H. 2, S. 284 
bis 300.) Von allen Blutbestandteilen wirkt allein das Hämoglobin dem 


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UNIVERSUM OF IOWA 




16. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1117 


Arsenwasserstoff energisch entgegen. Die Hämatinkomponente des Hämo¬ 
globins ist an dieser Bindung stark beteiligt. Wahrscheinlich ist das 
Eisen des Hämatins bei dieser Bindung von entscheidender Bedeutung. 
Arsenwasserstoff wird im Blut sehr bald oxydiert oder in eine Komplex- 
Verbindung verwandelt und lässt sich ganz kurze Zeit nach der Auf¬ 
nahme im Blut nicht mehr naohweisen. Die Zersetzung des Blutes 
durch Arsenwasserstoff erfolgt in zwei Phasen: Die erste Phase besteht 
in Aufnahme, Bindung und Bildung einer Oxydationsstufe oder einer 
Komplexverbindung. Die zweite Phase beansprucht längere Zeit. Sie 
endet mit der Hämolyse. Die Hämolyse durch Arsenwasserstoff in vitro 
tritt erst nach längerer Zeit ein. Sie ist zum Teil von einer Entfärbung 
des Blutfarbstoffs begleitet. Es lässt sich extra corpus beim Zusammen¬ 
treffen von Arsenwasserstoff und Blut ein konstantes Spektrum, ähnlioh 
dem des Sulfmethämoglobins nachweisen. 

Alwens-Frankfurt a. M.: Experimentelle Studien über den Einfluss 
des Salvarsans «ad Neosalvarsans auf den Kreislauf und die Nieren 
gesunder und kranker Tiere. (Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., 
Bd. 72, H. 2, S. 177—228.) In langdauernden Versuchen tritt bei intra¬ 
venöser Salvarsaneinverleibung eine leichte Nephritis auf, die allmählich 
wieder abklingt. Die Nephritis ist als toxische Arsenwirkung aufzufassen. 
Nach dem Ausfall der Funktionsprüfung wäre die Salvarsannephritis als 
vasculäre Nephritis anzusehen. Bei akuter Vergiftung mit hohen Dosen 
setzt sehr schnell eine starke Blutdrucksenkung ein, und die Nieren¬ 
funktion setzt ganz aus. Neosalvarsan wirkt in abgeschwächter Form 
wie Salvarsan. Die experimentelle vasculäre Nephritis durch Cantharidin 
wird durch Salvarsan komplett. Die tubuläre Nephritis durch Ver¬ 
giftung mit Calium chromicum oder Sublimat wird durch Salvarsan nicht 
direkt beeinflusst. Bei Tricuspidalisinsuffizienz ist die Blutdruck¬ 
erniedrigung nach Salvarsan sehr ausgiebig, bei Aorteninsuffizienz kaum 
nachweisbar. Im ersteren Falle wirkt Adrenalin nicht mehr auf den 
Blutdruck, im zweiten sowohl Adrenalin wie Strophantin sehr energisch. 

Jacoby. 

W. E.Wynter-London: Uebermässiger Chloretongebranck. (Lancet 
17. Mai 1913, Nr. 4680.) Von diesem, gegen die Seekrankheit beliebten 
Mittel hatte ein Ehepaar in 6 Tagen je 6 g genommen in Kapseln. 
Drei Wochen lang hatten sie ungewohnte Empfindungen, darunter In¬ 
koordination, Eingenommensein des Kopfes und gedrückte Stimmung. 
Auf der Rückreise von Amerika nahmen sie das Mittel wieder. Sie 
zeigten dann enge Pupillen, kleinen gespannten Puls und Fehlen der 
Kniereflexe, Inkoordination, Schwindel, abgestumpftes Gefühl, Anstrengungs¬ 
gefühl bei Bewegungen, Verlust von Geruch und Geschmack, fleckweise 
Anästhesie, geistige Verwirrung, auffällige Intoleranz gegen Alkohol, 
Schläfrigkeit, aber gesunden Schlaf naohts, und heftige Kopfschmerzen. 
Verf. führt diese cumulative Wirkung auf die Verwendung von Kapseln 
zurück, die zuweilen ungelöst im Darm liegen bleiben und sich von 
Zeit zu Zeit in grösserer Menge in Fett und Alkohol lösen. 

Weydemann. 

J. Grek und M. Reichenstein-Leraberg: Der Einfluss des Ex- 
traetnm fllieis aarii und des Infisuni sennae composit. auf das Ver¬ 
halten der weissen Blutkörperchen beim Menschen. (Wiener med. 
Wochensehr., 1913, Nr. 20.) Verff. beobachteten nach Darreichung von 
Extractum filicis maris eine neutrophile Leukooytose mit entsprechend 
verminderter Zahl der Eosinophilen und Lymphocyten. Dieselbe Be¬ 
einflussung des Blutbildes macht das Infusum sennae compositum, so 
dass von einer spezifischen Wirkung eines dieser Mittel auf das Blutbild 
nicht die Rede sein kann. Es wird ein gewisser chemischer Einfluss 
auf die weissen Blutkörperchen angenommen. Die Leukocytose hält nur 
kurze Zeit an. Zeichen von Regeneration des Blutes werden nioht ge¬ 
funden. G. Eisner. 

C. Mahlow: Ueber die Wirkung des Opinms auf den mensch¬ 
lichen Magendarmkanal. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110, 
H. 5 u. 6.) Das Opium hat seine Hauptwirkung im Dickdarm ; es ver¬ 
längert trotz Ricinusöl die Verweildauer der Kontrastmahlzeit im Dick¬ 
darm. Ein erheblicher Einfluss des Opiums auf den Dünndarm zeigt 
sich in der Verzögerung der Entleerungszeit auf 5—8 Stunden. Die 
Wirkung des Opiums auf den Magen äussert sich in verschiedener Weise, 
eine erhebliche Verzögerung der Entleerungszeit wurde nur einmal be¬ 
obachtet. Die Opiumwirkung auf den Magendarmtractus ist inkonstent. 
Opium hat eine intensivere Wirkung auf den mit Ricinusöl gereizten 
Darm als auf den normalen. Opium und Ricinusöl scheinen die gleichen 
Angriffspunkte im Darm zu haben. Röntgenuntersuchungen an Ge¬ 
sunden nach Darreichung der Kontrastmahlzeit mit Baryumsulfat und 
Einnehmen von Opium bzw. von Ricinusöl und Opium. W. Zinn. 

M. Schmid-Potsdam: Neuere Erfahrungen mit Mclnbrin. (Deutsche 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 23.) Melubrin ist auch in hohen Dosen — 
8 g pro die — unschädlich und frei von Nebenwirkungen. Es entfaltet 
beim akuten Gelenkrheumatismus die gleiche spezifische Wirkung wie 
das Salicyl, weiterhin ist es als Antipyreticum und Analgeticum sehr 
zu empfehlen. Wolfsohn. 

G. Giemsa-Hamburg: Beitrag zur Chemotherapie der Spirochäten. 
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 20.) Verf. berichtet über Tier¬ 
versuche mit einem neuen Arsenderivat, dem Bimethylaminotetramino- 
arsenobenzol. Es erwies sich dieser Körper als sehr gutes spirochätoxides 
Mittel bei Recurrens, Hühnerspirochätose und Kaninchenlues. Hervor¬ 
zuheben ist, dass das Mittel den Organismus mit einem Schlage von 


lebensbedrohenden Spirochäten befreit und erst bei Gaben, die das 
87,5 faohe der Heildosis übersteigen, toxisch zu wirken beginnt. 

G. Eisner. 

Siehe auch Innere Medizin: Soohanski, Harnaciditätsverhält¬ 
nisse nach Alkalien. — Augenheilkunde: Werneke, Neurorecidive 
und Salvarsan. 


Therapie. 

F. Zimmer - Frankfurt a. M. (Wilhelmshaven): Infusion oder In¬ 
jektion des Salvarsans. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 20.) 
Verf. injizierte nach von Stern empfohlener Methode eine konzentrierte 
5proz. Salvarsanlösung intravenös (d. h. 0,4 auf 8 ccm). Es wurden 
dabei eine Reihe unangenehmer Nebenerscheinungen beobachtet. Die 
Ausscheidung des so eingefübrten Salvarsans durch die Nieren war be¬ 
deutend langsamer als die des in der üblichen Verdünnung auf 200 bis 
300 ccm Flüssigkeit eingeführten. Verf. bezeichnet die Methode als 
nicht ganz einwandfrei. 

A. Caan - Frankfurt a. M.: Therapeutische Versuche mit lokaler 
Thoriamchloridbehandlang hoi Cnrcinommänsen und Sarkomratten. 
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 20.) Es wurden bei Ratten 
0,75 ccm einer 2 proz. Thoriumchloridlösung intratumoral jeden zweiten 
Tag injiziert, bei Carcinommäusen 0,5 ccm einer 2 l /* proz. Lösung. Nach 
wenigen Injektionen konnten überraschende Erfolge in vielen Fällen 
konstatiert werden: Zurückgehen und völliges Verschwinden der Ge¬ 
schwülste unter Zurücklassen gut granulierender Wundflächen, die bald 
vernarbten. Die nicht behandelten Kontrolltiere gingen ein, während 
die behandelten Tiere am Leben blieben. 

0. Vulpius-Heidelberg: Ueber die Lichtbehandlung der chirurgi¬ 
schen Tuberkulose. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 20.) 
Tuberkulöse Prozesse in Drüsen, Knochen und Gelenken werden durch 
heliotherapeutisohe Kuren günstig beeinflusst. Klinische Beobachtungen 
zeigen, dass die Sonnen Wirkung der Höhenkur bei der chirurgischen 
Tuberkulose unbestreitbare Vorteile hat, dass aber auch in der Ebene 
und in mittleren Höhenlagen mit Sicherheit befriedigende Erfolge zu er¬ 
zielen sind. Auch die künstliche Lichttherapie im Tiefland (elektrisches 
Bogenlicht, Quecksilberdampflioht der Quarzlampe) vermag mit der 
Heliotherapie des Hochgebirges zu konkurrieren. Tochnik siehe Original¬ 
arbeit. G. Eisner. 

Siehe auch Chirurgie: Hill, Pituitrin. Mokrzecki, Milzbrand¬ 
behandlung mit Salvarsan. — Pharmakologie: Schmidt, Melubrin. 


Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. 

P. Przygode-Wien: Ueber die Bildung spexiflocher Agglntinine 
in künstlichen Gewebsknltnren. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, 
Nr. 21.) An der Hand experimenteller Untersuchungen kommt Verf. zu 
dem Schluss, dass Milzgewebe, das in einer Plasmakultur der Einwirkung 
einer Emulsion von Typhusbacillen au9gesetzt wird, in vitro spezifische 
Agglutinine gegen diese bildet. 0. Adler. 

A. A. Hymans v. d. Bergh und J. Snapper - Groningen: Die 
Farbstoffe des Blntsernms. (Deutsches Arehiv f. klin. Med., 1913, 
Bd. 110, H. 5 u. 6.) Quantitative Bestimmung des Bilirubins im Blut¬ 
serum. Untersuchung der Farbstoffe im Tier- und Menschenserum: 
Bilirubin, Lutein. Besprechung pathologischer Verhältnisse. 

N. B. Foster - New York: Wie hoch ist der Dextrosestickstoff- 
qnotient bei schwerstem Diabetes? (Deutsches Archiv f. klin. Med., 
1913, Bd. 110, H. 5 u. 6.) Auch bei den schwersten Formen von 
Diabetes ist der Dextrosestickstoffquotient unter 4. Die Hypothese, dass 
Zucker aus Fett gebildet werden kann, ist demnach noch nicht zu 
stützen möglich. 

N. Voorhoeve - Amsterdam: Zur Lehre des Kalkstoffwechsels. 
2. Einfluss grosser Kalkgaben auf die Kalkbildung. (Deutsches Archiv 
f. klin. Med., 1913, Bd. 110, H. 5 u. 6.) Bei erwachsenen normalen 
Männern wird bei Verabreichung einer Extrakalkgabe ein bedeutendes 
Quantum dieser Zulage retiniert. Diese Retention findet nicht nur statt, 
wenn die Patienten vorher in Kalkgleichgewicht waren, sondern sie 
nimmt auch, wenn in der Vorperiode schon Kalkretention bestand, 
während der Extragabe stark zu. Wochenlang, so lange nur die Extra¬ 
kalkgabe verabreicht wird, wird täglich ein Teil derselben retiniert, so 
dass die Gesamtmenge aufgespeicberten Kalks stets grösser wird. Nach 
dem Aussetzen der Extragabe wird die Kalkbilanz negativ, und der 
Organismus fängt an, den aufgespeicherten Kalk auszuscheiden. Die 
Retention von Extrakalkgaben wurde auch bei sorgfältig ausgewählten 
tuberkulösen Patienten gefunden, die sich nur durch die tuberkulöse 
Infektion vom normalen Menschen unterschieden. Das wäre ein Boweis 
gegen die französische Theorie der Entmineralisierung der Tuberkulösen. 

W. Zinn. 

Apolant: Zur Pathologie des Pankreas. Virchow’s Archiv, 
Bd. 212, H. 2.) Im Pankreas von drei Mäusen, das eine ausgedehnte 
Lipomatose aufwies, zeigten die Langerhans’schen Inseln keinerlei Ab¬ 
weichung von der Norm, waren sogar zum Teil besonders schön aus¬ 
gebildet. 

Mühlmann: Lipoides Nervenxellpigaent und die Altersfrage. 
(Virchow’s Archiv, Bd. 212, 5. 2.) Verf. beschreibt Bilder aus dem 

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UMIVERSITY OF IOWA 





1118 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 24. 


Centralnervensystem von Maus und Papagei, auf denen er Fettkörner 
nachweisen zu können glaubt. Diese seien Vorstufen von Nervenzell- 
pigment, dessen Auftreten als Alterserscheinung aufgefasst worden müsse. 

Wesselkin: üeber die Ablagerung von fettartigen Stoffen in 
den Organen. (Virchow’s Archiv, Bd. 212, H. 2.) Unter dem Einfluss 
von Eidotterfütterung fand Verf. in den Organen von Kaninchen ausser 
der Aufspeicherung von eigentlichen Fetten lipoide Substanzen deponiert, 
unter denen die Cholestearinester vorherrschten. Bei Lecithinfütterung 
wurden lipoide Substanzen mit Reaktionen der Phosphatide gefunden, 
die wahrscheinlich als Lecithin aufzufassen waren. Die Lecithin- 
deponierung hatte keine augenfälligen pathologisch-anatomischen Alte¬ 
rationen in den Organen verursacht. Bonn. 

F. Gaisböck-Innsbruck: Beitrag zur Klinik hämolytischer Anämien 
mit herabgesetzter Erythrocytenresistenz. (Deutsches Archiv f. klin. 
Med., 1913, Bd. 110, H. 5 u. 6.) Drei eigene Beobachtungen, die dritte 
mit tödlichem Ausgange. Folgende Ergebnisse sind besonders wichtig: 
Die hämolytische Anämie mit herabgesetzter Erythrocytenresistenz kann 
gelegentlich in akuter foudroyanter Weise verlaufen (Fall 3). Das Bild 
dieser Anämie kann auch mit den charakteristischen Zeichen einer 
akuten Leukämie verlaufen. Besondere Aufmerksamkeit ist dem Be¬ 
stehen von konstitutionellen Eigentümlichkeiten zu schenken in dem 
Sinne, dass in der Ascendenz schon derartige Momente Vorkommen 
(Nasenbluten, Asthma) und bei den Kranken selbst Hypoplasie des 
Gefässsystems, enge Aorten, konzentrische Hypertrophie, orthostatische 
Albuminurie bestehen, ferner Hyperplasie des gesamten Lymphsystems, 
Persistenz der Thymusdrüse, exsudative Diathese, Bronchialasthma. 

G. Cavina- Bologna: Untersuchungen über den Stoffwechsel bei 

der lymphatischen Leukämie während der Röntgenbestrahlung. 
(Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110, H. 5 u. 6.) Die Unter¬ 
suchungen beziehen sich auf den Eiweissstoffwechsel, die Harnsäure, die 
Schwefel- und Phosphorbilanz, sowie auf die Wertung des durch den 
Urin ausgeschiedenen Harnstoffs und Ammoniaks. Die Erhöhung der 
Hamsäureausfuhr ist durch die Zerstörung der weissen Blutkörperchen 
und durch die Behinderung ihrer Bildung durch die Röntgenstrahlen 
bewirkt. W. Zinn. 

Schüssler: Zur Frage der Beziehungen zwischen Lympho¬ 
granulomatose und Tuberkulose. (Centralbl. f. allgem. Pathol. u. 
pathol. Anatomien, Bd. 24, Nr. 9.) Tierversuche mit zerriebenem 
Material aus den Lymphknoten eines Falles von Lymphogranulomatose 
hatten folgendes Ergebnis: Verkäsende Drüsenschwellung in der Nähe 
der Injektionsstelle, die Meerschweinchen hatten eine generalisierte 
Tuberkulose. Weiterimpfungen ergaben das gleiche Resultat. Im Aus¬ 
gangsmaterial selbst konnten keine säurefreie Bacillen, doch Much’sche 
Granula nachgewiesen werden. Bonn. 

G. Ritter: Kritische Bemerkungen zu den kritischen und ex¬ 
perimentellen Untersuchungen über das Entstehen nnd Versehwinden 
von Lymphdrüsen. (Deutsche Zeitschr. f. Ghir., 1913, Bd. 120, H. 5 
u. 6.) Nach Ansicht des Verf. ist die Frage, ob eine Neubildung von 
Lymphdrüsen beim Tiere nach Exstirpation der alten stattfindet, durch 
die Versuche von de Groot noch nicht endgültig entschieden und ein¬ 
wandfreie Beweise für eine Neubildung von Lymphdrüsengeweben unter 
normalen Verhältnissen und bei anderen Prozessen als bei infektiösen 
und solchen mit Geschwulstkeimen sind nicht vorhanden. 

G. Ricker: Zur Lehre von der Diarexis- nnd Diapedesisblntnng. 
(Deutsche Zeitschr. f. Ghir., 1913, Bd. 120, H. 5 u. 6.) Im Gegensatz 
zu Läwen betont Verf. nochmals seine Ansicht, dass es eine andere, 
auch nur bescheidenen Ansprüchen genügende Theorie der Stase und 
Diapedesisblutung als die das Gefässnervensystera berücksichtigende 
nicht gibt. Fritsch. 

Steinbiss: Experimentelle alimentäre Atherosklerose. (Virchow’s 
Archiv, Bd. 212, H. 2.) Verf. experimentiert an Kaninchen, bei denen 
die Spontansklerose eine äusserst seltene Erkrankung ist. Durch 
mechanisch bedingte Steigerung des Aortendruckes, Momburg’sche Blut¬ 
leere, Digital komprassion gelang es nicht, Aorten Veränderungen hervor¬ 
zurufen. Bei Infektionskrankheiten dagegen, speziell septischen Pro¬ 
zessen, können ausgedehnte sklerotische Veränderungen in der Aorta 
auftreten. Bei fast reiner tierischer Eiweissernährung ist eine 
Erkrankung des Aorten- und peripheren Schlagadersystems die regel¬ 
mässige Folge. 

Warstat: Zur Histologie der kongenitalen Dünndarmsyphilis 
(mit positivem Spirochätenbefund). (Virchow's Archiv, Bd. 212, H. 2.) 
Bei einem einmonatigen Knaben fanden sich mehrere Gummiknoten im 
Jejunum, in denen Spirochäten nachzuweisen waren. Benn. 

G. H. Gruber-München: Zur Frage über das Zustandekommen des 
peptischen Magen- nnd Duodenalgeschwürs. (Deutsches Archiv f. klin. 
Med., 1913, Bd. 110, H. 5 u. 6.) Verf. nimmt Stellung gegen neuere 
Anschauungen über die Entstehung des runden Ulcus ventriculi und 
duodeni. Lichtenbeit, Rössle, G. v. Bergmann halten eine Vagus¬ 
erkrankung für die primäre Schädigung (neuropathisebe Konstitution 
vieler Ulcuskranker). Die Folge ist ein Spasmus der Muscularis mucosae, 
wodurch die Blutversorgung der Schleimhaut erheblich beeinträchtigt 
(venöse Stauung und Ischämie) und gleichzeitig die Autodigestion der 
Mucosa ermöglicht wird. Nach Verf. kommt die Theorie von der Natur 
der peptischen Geschwüre als „zweiter Krankheit“, entstanden als Aus¬ 
druck einer vagotonischen Reflextätigkeit, die ausgelöst wird durch Er¬ 


krankungen entfernter Körperorgane, vor allem des Peritoneums und der 
Appendix, wenn überhaupt, so doch gewiss nur für einen kleinen Bruch¬ 
teil der peptischen Geschwüre in Betracht. Pathologisch-anatomisch ist 
eine solche Beziehung bisher nicht bewiesen, ja überhaupt wohl un¬ 
beweisbar. Die Bedeutung endocarditischer und atheromatöser Prozesse 
für die Genese des Ulcus pepticum auf embolischem Wege ist in vielen 
Fällen, besonders bei alten Leuten, wahrscheinlich erheblich. Für die 
Entstehung peptischer Affekte kommt eine Reihe von primären Noxen 
verschiedener Art in Betracht. W. Zinn. 

F. Kroh: 'Experimentelle Studien zur Lehre von der ischämi¬ 
schen Muskellähmung nnd Mnskelkontraktnr. (Deutsche Zeitschr. f. 
Chir., 1913, Bd. 120, H. 5 u. 6.) Verf. fasst die Ergebnisse seiner ein¬ 
gehenden Arbeit in etwa folgende Schlusssätze zusammen. Das das 
definitive Schicksal des solcher Art geschädigten Muskels bestimmende 
Moment ist die Inaktivierung. Circulationsstörungen, die zu der not¬ 
wendigen tiefgreifenden Alteration der Muskelfaserkerne führen, haben 
mancherlei Ursachen (Umschnürungen, Gewebsergüsse). Mit der In¬ 
aktivierung des geebädigten Muskels wird die in der Muskelbewegung 
liegende transformierende Kraft, die die weitere Entwicklung der 
regenerationsfähigen Muskelfaserkerne zu spezifischem Gewebe gestaltet, 
eliminiert. Nach Lage der Giroulationsverhältnisse muss man annehmeo, 
dass bei allen Circulationsstörungen, denen vorübergehende oder dauernde 
Muskelschädigungen folgen, auch die den geschädigten Muskeln zu¬ 
gehörigen Nervenfasern primär mehr oder weniger insultiert werden. 

Fritsch. 

Weiler: Die anatomischen Veränderungen bei der Snblim&t- 
vergiftung des Kaninchens in ihrer Abhängigkeit vom Gefässnerven- 
system. (Virchow’s Archiv, Bd. 212, H. 2.) Verf. gibt weitere Unter¬ 
suchungen über die von Elbe aufgestellte Theorie der primären 
Nervenwirkung des Quecksilbers. Seiner Auffassung nach gehört so¬ 
wohl die Sublimatniere wie der Sublimatdarm in das Gebiet der Stase 
und ihrer Folgezustände für das Gewebe; aber dass die sekundären ent¬ 
zündlichen Veränderungen im Darm Quecksilberwirkung seien, erscheint ihm 
zweifelhaft. Benn. 

G. Roque, J. Chalier, L. Nov6 - Josserand * Lyon: Kritische 
Studie über den Krankheitsbegriff der Pigmenteirrhosen. (Revue de 
möd., 1913, Nr. 5.) Die Gruppe der sogenannten Pigmentcirrhosen kann 
nicht von anderen pathologischen Zuständen, die mit Eisenpigmentierung 
einzelner Organe einhergehen, getrennt werden. Sie stellt also keine 
nosologische Einheit dar. Entgegen den früher vielfach geäusserten An¬ 
sichten muss aufrechterhalten werden, dass bei den Pigmentcirrhosen, 
gleichwie bei allen anderen diesbezüglichen Krankheitszuständen, die 
Eisenpigmentierung Resultat einer Hämolyse ist. A. Münzer. 

Siehe auch Innere Medizin: Gregg, Beri-Beri. 


Parasitenkunde und Serologie. 

H. Hara-Heidelberg: Untersuchungen über die Eigenhemaag 
der Sera. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 17, H. 2.) Eigenhemmung 
normaler Sera kommt durch Bakterienwachstum zustande. Durch Er¬ 
hitzen wird die Eigenhemmung aufgehoben. Das Bakterienwachstum 
vernichtet auch das Komplement, und zwar Meerschweinchen- wie 
Kaninchenkomplement. Nach Einspritzung von fremdartigem Serum 
kommt es auch zu einer Steigerung der antihämolytischen Wirkung, aber 
nicht immer. 

H. A p o 1 a n t - Frankfurt a. M.: Ueber die Beziehungen der Milz 
zur aktiven Geschwulstimmnnität. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., 
Bd. 17, H. 2.) Das Zustandekommen einer aktiven Resistenz des Kör¬ 
pers gegen das Angehen geimpfter Geschwulstzellen kann durch eine 
Milzexstirpation verhindert oder zum mindesten erheblich erschwert 
werden. 

S. Bergei - Hohensalza: Weitere experimentelle Untersuchungen 
über Wesen nnd Ursprung der Hämagglntination ; die Entstehung Ser 
Spezifizität. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 17, H. 2.) Man kam 
die Hämagglutination mikroskopisch beobachten. Die Spezifizität ent¬ 
steht durch allmähliche Einstellung der Lymphocytenlipase gegen das 
betreffende Lipoid der Erythrocyten. Die Wassermann’sche Reaktion ist 
als spezifische Lipasenbildung gegenüber dem Lueslipoid aufzufassen. 

R.Weil und A. F. Coca-New York: Die Natur der Antiaaa* 
phylaxie. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 17, H. 2.) Die Anti¬ 
anaphylaxie ist streng spezifisch. Antianaphylaktische Meerschweinchen 
können wieder passiv resensibilisiert werden. Man braucht dazu dieselbe 
Menge des Antiserums, welche nötig war, um die Kontrolliere primär 
zu sensibilisieren. 

0. v. Hel lens-Kopenhagen: Das Verhalten des Kaninehengenias 
zu der Wassermann’sehen Reaktion. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., 
Bd. 17, H. 2.) Kaninchensera können im aktiven wie im inaktiven Zu¬ 
stand positive Wassermann’sche Reaktion geben. Mit geringen Serum¬ 
dosen wird oft eine stärkere Reaktion erzielt als mit grösseren; die 
Reaktion ist somit keine typische Wassermann’sche Reaktion. Bei An¬ 
wendung eines alkoholischen Extraktes luetischer Leber tritt viel häufiger 
positive Reaktion ein als bei Anwendung von Normalextrakten. 

Wolfsohn. 

J. Bauer und K. Skutezky-Innsbruok: Zur Pathologie der Blut- 
lipoide, mit besonderer Berücksichtigung der Syphilis. (Wiener klin. 


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10. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1119 


Wochenschr., 1913, Nr. 21.) Nach Besprechung der zahlreichen Literatur 
über Lipoidstoffwechsel kommen die Verff. zu den Ergebnissen ihrer 
eigenen Versuche, wobei sie hohe Lipoidwerte regelmässig bei Diabetes 
mellitus, bei Nephritiden, bei verschiedenen Blutkrankheiten, bei Gra- 
vidität, in vielen Fällen von Arteriosklerose und mitunter bei Tuber¬ 
kulose und bei Psoriasis fanden. Spezielle Studien widmen sie dem 
Lipoidstoffwechsel bei Luetikern, bei denen im allgemeinen hohe Lipoid¬ 
werte Vorkommen, besonders lässt sich .zur Zeit des Allgemeinwerdens 
der Lues ein Ansteigen der Lipoidwerte konstatieren. Eine konstante 
Beziehung zwischen Lipoidvermehrung und dem Ausfall der Wassermann- 
schen Reaktion Hess sich nicht konstatieren. 

R. Müller und R. 0. St ein-Wien: Die H&utreaktion bei Lues 
und ihre Beziehung zur Wassermairo’seheB Reaktion. II. Mitteilung. 
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 21.) Die Verff. besprechen zu¬ 
nächst den Extrakt, mit dem sie die Hautreaktion anstellen, sodann 
Aussehen und Ablauf spezifischer Cutireaktion, weiter ihre klinischen 
Erfahrungen mit dem Extrakt — wobei sie feststellen, dass negativer 
Ausfall der Reaktion das Bestehen eines Gummas ausschliesst — und 
kommen schliesslich zum eigentlichen Thema, nämlich dem Umschlag 
negativer Wassermann’soher Reaktion nach Intracutanimpfung. Sie zeigen 
au der Hand von zehn Krankengeschichten, dass bei Luetischen mit 
negativem Wassermann nach Intracutanimpfung die Wassermann’sche 
Reaktion durchschnittlich nach 14 Tagen positiv wurde, nur in einem 
Fall blieb der Umschlag aus. 0. Adler. 

Ch. W. Edmunds-Michigan: Die Wirkung von Eiwetasgiftex axf 
Hude. Anaphylaxiestudie. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 17, H. 2.) 
Das in dem Spaltprodukte der Proteinmoleküle enthaltene Toxin 
Vaughans ruft u$ch intravenöser Injektion bei Hunden die Symptome 
einer anaphylaktischen Shocks hervor, nur mit dem Unterschied, dass 
das Blut seine Coagulationsfähigkeit behält. 

V. Adversen-Kopenhagen: Ueber die angebliche Tetannstoxia 
neutralisierende Wirkung des Nenrins und des Betains. (Zeitschr. f. 
Immunitätsforsch., Bd. 17, H. 2.) Eine Neutralisierung des Toxins durch 
Neurin und Betain ist möglich. Sie ist indes keine spezifische, sondern 
eine chemische. 

F. Prinzing - Charlottenburg: Ueber Meiostagminversnche bei 
Typhns. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 17, H. 2.) Ascoli’s 
Versuche können von P. nicht bestätigt werden. Ursache hierfür nicht 
auffindbar. 

F. Loe Hl er-Greifswald: Die Verwendung von trocken erhitzten 
Mikroorganismen und von solchen, die mit verdauenden Fermenten be¬ 
handelt sind, als Antigene, unter besonderer Berücksichtigung der 
Tnberkelbacillen. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 22.) Durch 
trockene Erhitzung verlieren die trockenen Materialien ihren antigenen 
Charakter nicht. Eine Erhitzung auf 70—75° liefert für die meisten 
Bakterien die besten Resultate. Sie werden dann innerhalb 7—8 Tagen 
abgetötet. Mit so hergestelltem Material von Typhus-, Cholera- und 
Mäusetyphusbacillen gelang es, bei Kaninchen hochwertige Immunsera 
zu erlangen. Tuberkulosestämme sind weniger widerstandsfähig gegen 
Hitze als die meisten anderen Bakterien. Menschenpathogene Tuberkel¬ 
bacillen werden bei 70° schon nach 24 Stunden abgetötet. Die ge¬ 
trockneten Bacillen wurden auf Porzellanplatten erhitzt und dann ver¬ 
rieben. Mit dem so bereiteten Material wurden Meerschweinchen, Ka¬ 
ninchen und Hunde geimpft. Bei Meerschweinchen Hess sich nur ein 
geringer Schutz erzielen: nach Infektion mit lebendem Virus starben sie 
etwas später als die Kontrolliere. Bei Kaninchen gelang eine Immuni¬ 
sierung gegen eine starke Infektion mit Rindertuberkelbacillen. Von 
verdauenden Fermenten zeigte die alkalische Trypsinlösung eine ab¬ 
tötende Wirkung auf Tuberkelbacillen, weiterhin auch das „Carnevorin“. 
Meerschweinchen kann man mit so behandelten Bacillen weder immuni¬ 
sieren, noch heilen. Das erklärt die Möglichkeit einer Tuberkelinfektion 
per os, weil die Fermente des Verdauungstractus nicht genügend ein¬ 
wirken, um die Bacillen ihrer Pathogenität zu berauben. Hochwertige 
Sera von Hunden sind ebensowenig imstande, Meerschweinchen zu 
schützen. Besser wirkte in L.’s Versuchen das Serum eines mit abge¬ 
töteten Mensohentuberkelbacillen hochimmunisierten Kaninchens. Dieses 
Serum war sogar imstande, ein bereits tuberkulöses Meerschweinchen zu 
heilen. Durch stufenweise Abschwächung der Bacillen mittels Trypsin 
konnte die Lebensdauer der Tiere verlängert werden, ohne dass voll¬ 
ständige Immunität eintrat. Wolfsohn. 

Favre und Savy-Lyon: Primäre entane Sarkomatose nach einer 
Verletzung der Haut. (Lyon möd., 1913, Nr. 20.) Fall von Haut- 
sarkomatose, bemerkenswert dadurch, dass das Leiden sich naoh einer 
Verletzung der Haut entwickelte. Klinisch auffallend waren an den 
Sarkomknoten auftretende Ulcerationen. Histologisch handelte es sich 
um eine exquisit bösartige Sarkomgeschwulst. A. Münzer. 

H. Gonradi-Dresden: Ueber ein neues Prinzip der elektiven 
Züchtung und seine Anwendung bei Diphtherie. (Münchener med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 20.) Aus einer wässerigen Aufschwemmung 
werden die Diphtheriebacillen nach Ausschütteln mit Petroläther von 
ihren Begleitbakterien vollständig getrennt und abgeschieden. Es ist 
so die Reinzüchtung des Diphtherieerregers möglich. Praktisches Inter¬ 
esse hat dieses Verfahren insofern, als nach einfachem Ausschütteln der 
Tupfer, die mit Rachen- oder Nasenschleim behaftet sind, alle störenden 
Saprophyten ausgeschaltet werden. Diese elektive Wirkung wird weder 
von der Löffler- nooh von der Tellurplatte erreioht. Aus theoretischen 


Ueberlegungen heraus ist anzunehmen, dass alle Bakterienarten, welche 
Fettmembranen besitzen, an Kohlenwasserstoffen adhärieren und daher 
auf die beschriebene Weise isoliert werden können. Für Tuberkel-, 
Lepra- und Milzbrandbaoillen ist dies jedenfalls als möglich erwiesen. 

G. Eisner. 

H. Nakano-Tokio: Ueber TeiUigsformen der reingezüehtetei 
Syphilisspirochaten. (Deutsche med. Wochenschr., 1918, Nr. 22.) Auf 
Grund seiner Reinzüchtungsversuche glaubt Verf. an eine Querteilung 
der Spirochäten. Man ist demnach nicht berechtigt, sie zu den Trypano¬ 
somen zu rechnen. 

K. Mo m ose -Heidelberg: Zur Kenntnis der antigenen Wirknng 
der entfetteten Taherkelbazillen. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 22.) Durch Behandlung von Tuberkelbazillen mit Natronlauge und 
nachfolgender Chloroformextraktion wird ein entfetteter Rückstand ge¬ 
wonnen (T. A. C.), der beim Kaninchen, subcutan injiziert, Fieber und 
komplementbindende Kraft erzeugte. Beim gesunden Menschen ist das 
gleiche der Fall. Nichtinaktiviertes Serum von Phthisikern und Tb- 
Verdächtigen gibt mit T. A. C. meist positive Komplementbindung. Diese 
Reaktion ist jedoch bisher praktisch kaum zu verwerten, da sie auch bei 
Unverdächtigen und Gesunden häufig (50 bzw. 33 pCt.) auftritt. Bei 
Meerschweinohen „schien“ die Injektion von T. A. G. eine erhöhte Re¬ 
sistenz gegen spätere Infektion hervorzurufen. Wolfsohn. 

Siehe auch Allgemeine Pathologie und pathologische 
Anatomie: Przygode, Spezifische Agglutine. — Pharmakologie: 
v. Knaffl, Schimmelpilze. _ 


Innere Medizin. 

Sir J. F. Goodhart - London: Alimentäre Toxämie. (Lancet, 
17. Mai 1913, Nr. 4681.) Der Verf. kritisiert etwas spöttisch die An¬ 
sicht einer Reihe von englischen Aerzten, dass eine grosse Anzahl von 
Erkrankungen auf Alveolarpyorrhöe und Darmstauung zurückzuführen sei. 

Weydemann. 

A. Goudberg-Hamburg: Die Verwertung des Inulins im Stoff¬ 
wechsel bei Ernährungskuren. (Zeitschr. f. experiment. Pathol. u. 
Therapie, Bd. 13, H. 2, S. 310—325.) Inulin ist ein Kohlehydrat, das 
vom Menschen gut ausgenutzt und verbrannt wird. Es kommt ihm eine 
Rolle in der diätetischen Therapie des Diabetes zu. 

H. Sochanski - Lemberg: Untersuchungen der Harnaeiditäts- 
Verhältnisse nach Verabreichung von Alkalien bei Gesunden und 
Kranken. (Zeitschr. f. experiment. Pathol. u. Therapie, Bd. 13, H. 2, 
S. 246—270.) Alkalisalze wirken rasch und kräftig, aber nur vorüber¬ 
gehend auf die Harnreaktion. Lithium- und Kaliumsalze wirken stärker 
als Natriumsalze. Geringe Dosen von Natriumbicarbonat, während der 
Verdauung verabreicht, vergrössern die Ausscheidung von Salzsäure, 
weniger Kaliumbicarbonat, noch weniger Lithiumbicarbonat. Erdalkali¬ 
salze alkalisieren schwach und langsam, aber andauernd. Die Oxyde 
und Bicarbonate der Alkalien sind wirksamer als die Phosphate und 
Chloride. 

L. Liehtwitz-Göttingen: Die Löslichkeit der wichtigsten Stein¬ 
bildner im Harn. (Zeitschr. f. experiment. Pathol. u. Therapie, Bd. 13, 
H. 2, S. 271—283.) Im Harn ist viel mehr Harnsäure löslich, als einer 
übersättigten, wässrigen Harnsäurelösung entsprechen würde. Oxalsaurer 
Kalk ist ebenfalls im Harn löslicher als im Wasser, die Magnesiumsalze 
sind darauf ohne Einfluss. Dialysierversuche zeigen, dass die Löslichkeit 
der Harnsäure, des Calciumoxalats und auch der Galciumphosphate von 
dem kolloidalen Milieu des Harns abhängig ist, so dass wohl auch die 
Kolloide von Bedeutung für die Frage der Steinbildung sind. 

Jacoby. 

Barrenscheen-Wien: Aktive Exspiration bei Nephritiden. (Zeit¬ 
schrift f. klin. Med., Bd. 77, H. 3 u. 4.) B. hat den Befund von Hof¬ 
bauer, der bei Nephritiden auch im nicht ausgesprochenen urämischen 
Stadium eine aktive Exspiration pneumographisch nachweisen konnte, 
nachgeprüft. Von acht untersuchten Fällen fand sich bei wiederholter 
Untersuchung in zwei Fällen typische aktive Exspiration. Es waren das 
Patienten, welche mehr oder minder ausgesprochene urämische Symptome 
zeigten, so dass es naheliegt, an einen ursächlichen Zusammenhang 
zwischen Urämie und aktiver Exspiration zu denken. Vielleicht ist letztere 
der Ausdruck einer Ueberventilation, bedingt durch die Ueberladung des 
Blutes mit sauren Stoffwechselprodukten, wie man ähnlich aktive Ex¬ 
spiration im diabetischen Goma und bei Herzfehlern findet 

Wolffheim - Königsberg i. Pr.: funktionelle Untersuchungen bei 
den Nephritiden des Menschen. (Zeitsohr. f. klin. Med., Bd. 77, H. 3 
u. 4.) Verf. fand bei allen entzündlichen Nierenerkrankungen die Koch¬ 
salz- und Wasserausscheidung in irgendeiner Weise alteriert, die Koch¬ 
salzausscheidung dagegen intakt bei den roten Granularnieren, die nach 
Jores und Volhard nicht als echte Nephritiden aufzufassen sind. Die 
Kochsalzretention braucht zwar nicht in jedem Falle zur Oedembildung 
zu führen, doch wird überall da, wo Oedeme vorliegen, eine Störung der 
Kochsalzausscheidung gefunden. Schwieriger liegen die Verhältnisse des 
Stickstoffumsatzes. W. fand bqj akuten Nephritiden intakte Stickstoff- 
ausscheidung, ebenso bei der roten Granularniere. Dagegen war die 
Stickstoffausscheidung in allen Fällen von sekundärer Schrumpfniere und 
Kombinationsformen gestört. Auch bei den chronisch-tubulären Nephri¬ 
tiden bestand N-Retention, bei anderen chronisoh-vasculären Nephritiden 
aber gute Stickstoffausscheidung. 

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1120 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 24. 


De Vries Reilingh - Groningen: Zur Blutdruckmessung. (Zeit* 
Schrift f. klin. Med., Bd. 77, Bd. 1 u. 2.) Verf. kritisiert die bisherigen 
Methoden der Blutdruckmessung und findet sie alle ungenau. Er be¬ 
schreibt dann eine eigene neue Methode, bei welcher während der ver¬ 
schiedenen Druckäoderungen, welche während der Kompression der Arm¬ 
manschette peripherwärts von derselben im Arme stattfinden, die Vor¬ 
gänge in letzterem mit Hilfe eines Plethysmographen aufgeschrieben 
werden. H. Hirschfeld. 

P. J öd icke-Stettin: Die differentialdiagnostisehe Abgrenzung 
einiger Krampfformen dnrck das Blutbild. (Münchener med. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 20.) Die Diagnose der einzelnen Krampfformen bietet 
oft recht erhebliche Schwierigkeiten. Verf. machte in 56 Fällen von 
Krämpfen Blutuntersuchungen. Jeder epileptische Anfall ist von einer 
Leukocytose gefolgt. Selbst in leichten Fällen wird die Steigerung der 
weissen Blutkörperchen nicht vermisst. Im Gegensatz dazu bewegt sich 
die Zahl der Blutkörperchen nach hysterischen Krämpfen in der Breite 
der Norm. Die Erythrocytenzahl blieb bei beiden Krampfformen un¬ 
beeinflusst. Die bei Epilepsie auftretende Leukocytose ist ein wertvolles 
differentialdiagnostisches Moment. Es liegt nahe, diese Erscheinung als 
Scbutzmaassregel des Körpers zur Neutralisation von Toxinen des inneren 
Stoffwechsels anzusehen. G. Eisner. 

H. Beumer und M. Bürger - Charlottenburg-Westend: Beiträge zur 
Chemie des Blntes in Krankheiten mit besonderer Berücksichtigung der 
Lipoide. III.—V. Mitteil. (Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie, 
Bd. 13, H. 2, S. 343—370.) Bei Polyglobulie sind die roten Blutkörper 
arm an Trockensubstanz und Eiweiss, an Hämoglobin und an Lipoiden. 
Das Serum ist normal konzentriert. Im Gegensatz zu der Chlorose haben 
die roten Blutkörper bei der perniciösen Anämie einen relativ hohen 
Trocken- und Eiweissgehalt. Das Serum ist sehr reich an Wasser und 
Urobilin, arm an Eiweiss und Lipoiden. Es enthält keine Auto- oder 
Isolysine. Die Erythrocyten enthalten keine Cholesterinester, wie sie 
Flury bei der experimentellen Oelsäureanämie des Hundes gefunden 
hatte. Im Zustande der Inanition bleiben die Blutkörper intakt an Zahl, 
Hämoglobin und Eiweiss. Das Serum wird arm an Trockensubstanz und 
Eiweiss, reich an Wasser. Bei der Kachexie tritt die Schädigung der 
Blutkörper in den Vordergrund, ihre Zahl ist herabgesetzt, die Zusammen¬ 
setzung mehr wie die des Serums verändert. Bei Leukämie sind die 
Blutzellen arm an Eiweiss und Hämoglobin, reich an Wasser. Der Fett¬ 
gehalt des Serums ist bedeutend erhöht. Beim Icterus ist das Cholesterin 
im Blute vermehrt, der Fettgehalt des Serums ist hoch. Das fettreiche 
Serum bei Cholämie ist klar und durchsichtig im Gegensatz zu dem 
trüben Serum der diabetischen Lipämie. Ikterisches Serum löst nicht 
normale Blutkörperchen. In den roten Blutzellen fanden sich bei Icterus 
Cholesterinester. Im lipämischen Serum von Diabetikern zeigten die Blut¬ 
zellen normalen Fettgehalt. Das Mark der Röhrenknochen des gesunden, 
erwachsenen Menschen besteht aus einem sehr fettreichen Gewebe, das 
viel mehr Lecithin als das übrige Körperfett enthält. Bei perniciöser 
Anämie findet sich an der Stelle des Fettmarkes ein Gewebe mit hohem 
Gehalt an Eiweiss und Wasser und fast völligem Fehlen von Fett. Der 
Cholesteringehalt ist unabhängig vom Fettgehalt. Jacoby. 

F. Gaisböck-Innsbruok: Klinische Untersuchungeen über das Ans- 
setzen des Pulses bei tiefer Atmung (P. Inspiration© intermittens) und 
bei forcierter Muskelaktion. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, 
Bd. 110, H. 5 u. 6.) Das intermittierende Aussetzen des Pulses kommt 
auf verschiedene Weise zustande. Bei der tiefen Inspiration kommt es 
ausser der durch den negativen intrathoracischen Druck bedingten aus¬ 
giebigen Blutverschiebung in das venöse und Lungengefässgebiet zu einer 
verminderten Füllung der Ventrikel und des grossen Kreislaufs. Bei 
der chronischen Mediastinitis kann der Blutzufiuss aus den Venen auch 
noch durch Verziehung und Verengerung der zarten Gefässwände ge¬ 
hindert werden. Diese Störungen der Blutströmung und Blutverteilung 
führen zu einer Erregung des Vasomotorencentrums, wodurch es zu 
Vasokonstriktion in der Peripherie kommen kann, zumal in Gefäss- 
gebieten mit starker Vasomotorentätigkeit. Diese wird begünstigt durch 
forcierte Muskelaktion, psychische Intention und findet ihren stärksten 
Ausdruck an den Armen und Beinen. Auf diese Weise kommt es zu 
raschem Versagen der Muskelkraft. Erhöhte Erregbarkeit des Nerven¬ 
systems und gesteigerte Anspruchsfähigkeit der Gefässe sind die Be¬ 
dingungen für diese starke Vasomotorenwirkung. Daher kann auch rein 
psychogen extreme Vasokonstriktion grösserer Gefässe ein treten. Die 
Fälle des Verf. bilden eine Stufenleiter von der grösstenteils mechanisch 
bis zu der rein neurogen bedingten Intermission des Pulses. Dis¬ 
ponierend sind Labilität der Gefässe, angeborene Hypoplasie und 
funktionelle Minderwertigkeit des Gefässsystems. W. Zinn. 

E. v. Czyhlarz und A. Selka-Wien: Das röntgenologische Ver¬ 
halten des Magens bei gastrischen Krisen and beim Brechakte. 
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 21.) Verff. besprechen die Literatur, 
die über das Zustandekommen des Brechaktes vorhanden ist und schildern 
dann ihre Beobachtungen bei mehreren Fällen, die sie während des 
Brechaktes röntgenologisch untersuchten. Bei tabischen Krisen mit Breoh- 
bewegungen fanden sie analoge Verhältnisse, nur in einem Fall ergab 
die Durchleuchtung normalen Befund. 0. Adler. 

J. P losch-Berlin: Die pathologische Physiologie des Lnngen- 
volomens und seine Beziehung zum Kreislauf. (Zeitschr. f. experiment. 
Pathol. u.Therapie, Bd. 18, H. 2, S. 165—245.) Die respiratorische Mittellage 
stellt sich ganz unabhängig von dem respiratorischen Gasaustausch ledig¬ 
lich als regulatorischer und kompensatorischer Hilfsfaktor reflektorisch 


ein. Die Grösse der vitalen Mittelkapazität der Lunge ist ceteris paribus 
ein funktionelles Maass für den kleinen Kreislauf. Jacoby. 

D. Gr egg: Kindliche Beri-Beri auf dei Philippioea. (Boston 
med. journ., 1913, Nr. 19.) Eine unter den Eingeborenen häufige Kinder¬ 
krankheit, von der nur Brustkinder befallen werden und die meisten 
sterben. 75pCt. aller kindlichen Todesfälle sind Brustkinder (gegen 
12—15pCt. in Deutschland!) In der Regenzeit ist die Zahl der Er¬ 
krankungen höher. Die meisten Mütter haben geringe Zeichen der 
Beri-Beri. Sehe lenz. 

0. A. Rösler - Graz: Zur Benzolbehandlang der Leukämie. (Wiener 
klin. Wochenschr., 1913, Nr. 21.) Verf. zeigt an zwei Fällen von Leuk- 
aemia myeloidea, bei denen Röntgenbestrahlung und Arsen keine Besse¬ 
rung bewirkten, den überaus günstigen Einfluss des Benzols. 

0. Adler. 

Siehe auch Pharmakologie: Fühner, Colchicin. Alwens, 
Salvarsan. Wynter, Uebermässiger Chloretongebrauch. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Courtney: Die Ansichten PlaftoVund Frend’s äber Aetiologie 
und Behandlnng der Hysterie. (Boston med. journ., 1913, Nr. 18.) 
Verf. sucht nachzuweisen, dass im wesentlichen Theorie und Therapie 
der Hysterie von einst und jetzt sich decken. Schelenz. 

D. M. Kaplan-New York: Analyse der Spinalflässigkeit und des 
Blutserams in ihrer Bedeutung für die Neurologie. (Deutsche med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 22.) Die Serologie ist von grösster Bedeutung 
für Diagnose und Therapie der Nervenkrankheiten. Sie ermöglicht unter 
anderem die Differentialdiagnose zwischen Dementia paralytica und Lues 
cerebrospinalis. Der Zellgehalt des Liquors gibt einen Anhaltspunkt 
dafür, ob ein Fall von Tabes spezifisch behandelt werden soll oder 
nicht. Es lässt sich serologisch ein charakteristisches Bild für be¬ 
ginnende und für voll entwickelte Paralyse aufstellen; letztere soll 
nicht spezifisch behandelt werden. Bei Rückenmarkskompression findet 
sich in der Regel erhöhter Proteingehalt und Fehlen einer Pleocytose. 

Wolfsohn. 

Siehe auch Allgemeine Pathologie und pathologische 
Anatomie: Mühlmann, Lipoides Nervenzellenpigment. 


Kinderheilkunde. 

Gramer-Berlin: Eisen- Jodocitinpr&parate in der Kinderpraxis. 
(Deutsche med. Wochenschr., 1918, Nr. 22.) Empfehlung auf Grund 
4 x /2 monatiger Erfahrung. 

H. Scheible-Bremen: Die Tuberkulose im Kindesalter. (Deutsche 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 28.) Vortrag, gehalten im Aerztlichen 
Verein in Bremen am 17. Januar 1918. Wolfsohn. 

J. Marshall: Ansteckung von Seharlach. (Dublin journ. of med. 
Sciences, 1913, Nr. 497.) Besonders den Praktiker interessierende Fälle 
von Spätinfektion durch Scharlachrekonvaleszenten. Schelenz. 


Chirurgie. 

Ch. Hill: Verwendung des Pituitrins in der Chirurgie. (Boston 
med. journ., 1913, Nr. 20.) Zur Vermeidung eines postoperativen 
Shocks gibt Verf. mit gutem Erfolg subcutan Pituitrin. 

Schelenz. 

Mokrzecki - Gagry: Zur Salvarsanbehandlung bei Milzbrand. 

(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 20.) Ausbrennung des Ge¬ 
schwürs mit Glüheisen. Danach intravenöse Salvars&ninfusion. Glänzen¬ 
der Erfolg. G. Eisner. 

A. S.B. Bankart: Die Behandlung der angeborenen Haftgelenks- 
verrenkung. (Brit. med. journ., 17. Mai 1913, Nr. 2733.) Kritik des 
Lorenz’scben unblutigen Operationsverfahrens. Bankart verwirft die 
Streckung und Zerreissung der Weichteile vor der Reduktion als un¬ 
nötig; eine primäre Tenotomie zu machen ist im allgemeinen ein grosser 
Fehler, die Sehnen heilen oft nicht wieder an. Eine einfache Tenotomie 
des Adduotor longus kann in alten Fällen nötig werden. Die beste 
Methode der Einrenkung ist die über der unteren Pfannenwand nach 
RidIon, sie ist einfacher und leichter als die über den hinteren Rand 
und lässt sich noch bei älteren Individuen ausführen. Auch bei ein¬ 
seitiger Verrenkung sind beide Seiten in den Gipsverband aufzunehmen, 
sonst wird die Hüfte nicht genügend fixiert. Wey de mann. 

Wilms - Heidelberg: Operative Behandlnng des Plattfasses und 
Klnmpfnsses. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 22.) Bei mittel¬ 
schweren Fällen von Pes valgus empiehlt W. eine Ankylosierrng im 
Ghopart’schen Gelenk mit keilförmiger Resektion innen zwischen Talus 
und Naviculare und Einpflanzung im äusseren Gelenk zwischen Calca- 
neus und Guboideum. Im schweren Fällen muss auch eine Ankylo- 
sierung im Talooruralgelenk hinzugefügt werden. Für Klumpfüsse ist 
ein analoges Verfahren emfehlenswert, unter keilförmiger Wegnahme von 
Knochenteilen aussen und Einpflanzung dieses Keils innen. Der Fuss 
soll nicht unmittelbar nach der Operation gewaltsam redressiert werden, 
wegen der starken Schwellung, sondern erst nach 5—8 Tagen. 

Wollsohn. 


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16. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1121 


M. Hirsch-Wien: Zu Kasuistik ier eirculären Gefässnaht. 
(Wiener med. Wochenschr., 1918, Nr. 20.) Die Gefässnaht ist ein 
nichtiges und unentbehrliches Rüstzeug der Chirurgen geworden. Jede 
Unterbindung eines iür das Leben bzw. die Erhaltung eines Gliedes un¬ 
entbehrlichen Gefässes muss, wenn irgend möglich, durch die seitliche 
oder circulare Naht ersetzt werden. G. Eisner. 

S. Porta: Neues Verfahren zur Gefässvereinigiing. (Deutsche 
Zeitschr. f. Chir., 1913, Bd. 120, H. 5 u. 6.) Das Verfahren wird 
folgendermaassen geschildert: An jeden der zwei Gefässstümpfe werden 
durch vier einander entsprechende vertikale Einschnitte vier gleiche, 
einige Millimeter hohe Läppchen ein geschnitten. Von der Mitte der 
Basis eines derselben sticht man von aussen nach innen eine Nadel mit 
einer Seidenschlinge durch, die man von innen nach aussen in der Mitte 
der Basis des entsprechenden Lappens des anderen Stumpfes hinaus¬ 
führt. Nach Durchschneidung der Schlingen verknotet man die Fäden 
an den Seiten der Lappen und wiederholt das Manöver an den übrigen. 
Eventuell fügt man Knopfnähte in jedem Winkel hinzu. 

Fritsch. 

Sir R. Simon-Birmingham: Der Erfolg eines Falles von Cardio- 
]yse. (Brit. med. journ., 17. Mai 1913, Nr. 2733.) Sektionsbericht über 
einen Fall von Cardiolyse (löjähriger Knabe), der d l l 2 Monate nach der 
Operation gestorben war, nachdem er etwa 5 Monate ohne grosse Be¬ 
schwerden gelebt hatte. Der Befund bestätigte die Ansicht des Verf., 
dass Ascites und Cyanose durch eine Verengerung der Venae cavae 
entstehen, denn obgleich keine Stenose der Cava inf. gefunden wurde, 
so wurde doch festgestellt, dass sie beim Durchtritt durch das Zwerch¬ 
fell am engsten war. Weydemann. 

E. Sohepelmann: Herzklappeuehirurgie. (Deutsche Zeitschr. f. 
Chir., 1913, Bd. 120, H. 5 u. 6.) Von der Ueberzeugung ausgehend, 
dass bei einer Stenose der Tricuspidalis zur Heilung eine Kommuni¬ 
kation zwischen den Vorhöfen und den Ventrikeln erreicht werden 
müsse, hat Sch. an Kaninchen, die erstere durch ein die Vorhöfe ver¬ 
bindendes, von einem anderen Kaninchen überpflanztes Stück Aorta her¬ 
gestellt, die letztere durch Eröffnung des Ventrikel und Resektion eines 
Stückes des Septum musculare ventriculorum. Da diese Operation an 
mehreren Tieren glücklich gelang, glaubt Verf., dass auch die Klappen- 
ohirurgie am Menschen in immerhin schon sichtbare Nähe gerückt ist. 

A. Wagner: Ueber das akut in die freie Bauchhöhle perforierende 
Magengeschwür. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., 1913, Bd. 120, H. 5 u. 6.) 
Verf. fasst seine Betrachtungen hauptsächlich in folgenden Sätzen zu¬ 
sammen: Die Operation innerhalb der ersten 12 Stunden gibt eine 
günstige Prognose, nach dieser Zeit wird die Prognose rasch ungünstig. 
Die Prognose ist in 2 /s der Fälle mit Sicherheit möglich. Das rationellste 
Verfahren ist die Lambertnaht der Perforation mit Aufnäben eines Netz¬ 
zipfels. 

A. Lin de mann: Zur Pathogenese and Klinik der Nierenbecken- 
entzündnngen. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., 1913, Bd. 120, H. 5 u. 6.) 
Was die Aetiologie der Pyelitiden anlangt, so teilt Verf. sie ein in 
solche, die ihre Ursache in Veränderung der Harnwege selbst und in dem 
Eindringen der Krankheitserreger in eben dieselben haben (Cystitis, 
Cohabitation), ferner solche, bei denen Affektionen anderer Organe des 
Körpers als ätiologisch wichtig erkennbar werden (Genitalorgane), weiter 
solche, die mit Anomalien und pathologischen Zuständen der Niere in 
ursächlichem Zusammenhang stehen (kongenitale Missbildungen, Hydro- 
nephrosen, Steine), endlich solche, die durch Allgemeinerkrankungen 
hervorgerufen werden (Influenza, Pneumonie, Gelenkrheumatismus usw.). 
Die Diagnose ist oft schwer, wird aber durch die Cystoskopie sehr unter¬ 
stützt. Die Therapie darf nicht schematisieren, sondern muss den ätio¬ 
logischen Momenten gerecht werden (Trinkkuren. Spülungen usw.). 

Fritsch. 

Momburg-Bielefeld: Umschnürung nnd Verschluss des Pylorns 
durch Netz. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 23.) Verschluss 
des Pylorus durch einen Seidenfaden. Herumlegen eines Netzringes. 

Wolfsohn. 

K. Borszöky-Budapest: Indikationen und Technik der Pylorns- 
aussehaltung. v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 84, H. 1.) Die 
Pylorusausschaltung ist indiziert bei an der kleinen Kurvatur und prä- 
pylorisch sitzenden peptischen Geschwüren oder carcinomatösen Ge¬ 
schwülsten, die aus irgendeinem Grunde nicht radikal zu entfernen sind; 
ferner beim Sanduhrmagen, der durch an diesen Stellen sitzende Ge¬ 
schwüre verursacht wird, bei Duodenalgeschwüren und Fisteln; weiter 
bei den pylorischen Geschwüren, die profuse Blutungen verursachen oder 
in die freie Bauchhöhle perforieren, um die Verschlussnähte zu sichern. 
Schliesslich als Voroperation einer Pylorusresektion, in Fällen, wo der 
Kräftezustand des Patienten diesen Eingriff nicht in einer Sitzung aus¬ 
zuführen erlaubt. Ob in den Fällen, bei denen das Geschwür am Py¬ 
lorus sitzt, die Ausschaltung berechtigt ist, ist noch nicht entschieden. 
Verf. geht dann weiter auf die verschiedenen Methoden der Pylorusaus¬ 
schaltung ein. Am einfachsten ist die Unterbindung, die aber nicht 
immer von bleibendem Erfolg ist. Die Wilms’sche Methode verdient 
vor der Unterbindung daher den Vorzug, da die Verengerung dauernd 
bleibt, vorausgesetzt, dass der transplantierte Fascienstreifen wirklich 
einheilt. W. V. Simon. 

M. Lewy-Berlin: Die Anwendmig der radioaktiven Snhstanzen 
hei Mud- ud Zahnkrankheiten. (Deutsche med. Woohensehr., 1918, 


Nr. 23.) Gute Erfolge bei verschiedenen Zahn- und Mundkrankheiten. 
Kein Erfolg bei chronischen Aphthen und Pyorrhoea alveolaris. 

Wolfsohn. 

F. Obäl-Budapest: Primäre Typhlitis. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. 
Chir., 1913, Bd. 84, H. 1.) Bei einem 16 jährigen Manne, der unter der 
Diagnose eines appendicitischen Abscesses operiert wurde, fand sich das 
Coecum hochgradig entzündlich und nekrotisch verändert und perforiert, 
während der Wurmfortsatz völlig gesund war. Der Fall beweist nach 
Ansicht des Verf.’s zusammen mit anderen Fällen der Literatur, die 
Möglichkeit des Vorkommens einer der Typhlitis stercoralis der alten 
Autoren ähnlichen isolierten primären Typhlitis. Als primäre Ursache 
der Typhlitis ist der Kot anzusehen; angeborene (Coecum mobile) und 
erworbene (pericolitiscbe Adhäsionen) Veränderungen des Coecums unter¬ 
stützen die Entstehung der Typhlitis, weil durch sie die Schleimhaut in 
ihrer Ernährung beeinträchtigt wird. 

Th. Hüttl-Budapest: Ueber die Aktinomykose des Warmfort¬ 
satzes. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 84, H. 1) Mitteilung 
eines Falles, bei dem die Infektion anscheinend 11 Jahre zurücklag, und 
der sich seither sohleichend weiter entwickelte. Das Jodkali übt nach 
Ansicht des Verf.’s eine spezifische Wirkung auf die Körner des Strahlen¬ 
pilzes aus. W. V. Simon. 

W. Schultze: Die heutige Bewertung der Blntnntersnchnngen bei 
Appendicitis bzw. freier fortschreitender appeadieitiseher Peritonitis. 
(Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., Bd. 26, H. 1.) Der Leuko- 
cytenbefund bei diesen Erkrankungen gibt sicheren Aufschluss über das 
Verhalten des Organismus gegenüber der Infektion. Lebhafte Leuko- 
cytose ist prognostisch günstig. Wichtig ist die Zusammensetzung des 
Blutbildes: je günstiger der Fall gelagert ist, desto grösser ist der 
Prozentsatz der polymorphkernigen Zellen; je mehr sich das Verhältnis 
dieser Zellen zu den einfachkernigen zugunsten der letzteren verschiebt, 
desto trüber wird die Prognose. Zu rascher Ausführung der Unter¬ 
suchung wird der Zählapparat „Cytax“ empfohlen. Theo Müller. 

J. Fony 6-Budapest: Ueber die Appendicitis der Frauen, v. Bruns’ 
Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 84, H. 1.) Verf. bespricht unter Mit¬ 
teilung von 36 Krankengeschichtsauszügen den Zusammenhang zwischen 
Erkrankungen der weiblichen Genitalorgane und denen des Wurmfort¬ 
satzes, sowohl was das gleichzeitige Auftreten betrifft, wie auch vom 
Standpunkt der Differentialdiagnose aus. Auch auf die Beziehungen zu 
den rechtsseitigen chirurgischen Erkrankungen, wie Ren mobilis, Coecum- 
tumor, Psoasabscess, Pyonephrose usw. ist Bezug genommen. 

M. Bogdänovitsch - Budapest: Appendix nnd weibliche Genitalien, 
(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1918, Bd. 84, H. 1.) Verf. bespricht die 
Differentialdiagnose zwischen Erkrankungen der weiblichen Genitalien 
und der Appendix und weist an Hand des Materials der Budapester 
Frauenklinik auf die häufige Koincidenz von gynäkologischen Leiden und 
appendicitischen Erkrankungen hin. Bei jeder Laparotomie wird der 
Wurm aufgesucht und bei der geringfügigsten Veränderung exstirpiert. 

A. Baron und Th. Bär so ny -Budapest: Ueber die Röntgenunter¬ 
suchung der Hernien, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 84, H. 1.) 
Die Röczey’sche Klinik beschäftigt sich seit IV 2 Jahren mit der Rönt¬ 
genuntersuchung der Hernien. Bei den occulten Hernien kann die 
Röntgenuntersuchung dazu dienen, das Vorhandensein derselben aufzu¬ 
decken, wenn dies durch andere klinische Untersuchungsmethoden nicht 
möglich ist. Bei sicher vorhandenen Hernien kann durch die Röntgen¬ 
untersuchung der Bruohinhalt bestimmt werden, was besonders bei sehr 
grossen Hernien von Wichtigkeit sein kan. W. V. Simon. 

F. Dautwitz- St. Joachimsthal: Radinmemanation bei Alveolar- 
pyorrhöe. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 21.) Verf. berichtet 
über einige Fälle von Alveolarpyorrhöe, bei denen er mit Radium¬ 
emanation sehr günstige Wirkung erzielte. 0. Adler. 

v. Wistinghausen: Ueber retrograde Darmeinklemmnng bei 
Brüchen. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 122, H. 3 u. 4.) Die In- 
carceration des Mesenteriums kommt dadurch zustande, dass die Ver¬ 
bindungsschlinge den Bruchring zweimal passierte, dabei bläht sie sich 
so stark auf, dass sie unter günstigen Umständen imstande ist, ihr 
Mesenterium und sogar die Bruchschlingen aus der Pforte herauszu¬ 
ziehen. Im Falle eines Vorfalles zweier Dünndarmschlingen kann die 
Verbindungsschlinge manchmal nicht wesentlich geschädigt werden und 
diese Form stellt dann die retrograde Incaroeration vor. Repositionen 
sind zu vermeiden. 

M. Schmidt-Cuxhaven: Radikaloperation der Darmbrflehe mit 
inkompletem Brnehsack (Darmgleitbrüche). (Deutsche Zeitschr. f. Chir., 
Bd. 122, H. 3 u. 4.) Gleitbrüche sind dadurch charakterisiert, dass 
Brucheingeweide und Bruchsack miteinander untrennbar verwachsen die 
Bauchhöhle verlassen haben. Alle Einzelheiten über ihre Anatomie und 
über die operativen Maassnahmen sind in dem lesenswerten Original 
nachzulesen, da sie sich nicht für ein kurzes Referat eignen. 

J. Beoker. 

M. Chudovszky- Sätoraljaujhely: Ueber Blasenbrüche. (v. Bruns’ 
Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 84, H. 1.) Unter 550 Hernienfällen 
wurde 5 mal eine Blasenhernie gefunden. 4 mal war die rechte Seite, 
1 mal die linke Seite betroffen. In zwei Fällen wurde die Blase nach 
Ablösung des Bruchsaokes an den geraden Bauchmuskel genäht. In zwei 
Fällen wurde die Resektion der Blase und des Bruchsaokes ausgeführt, 
und zwar in einem Falle in zwei Sitzungen. 


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UNIVERSUM OF IOWA 





1122 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 24. 


F. y. F&ykiss-Budapest: Ueber experimentelle Pankreasresektion 
und Pankreatoenterostomie. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir, 1913, 
Bd. 84, H. 1.) Seine eigenen Tierversuche und die von Kausch und 
VöIcker mitgeteilten klinischen Fälle haben den Verf. von der Möglich¬ 
keit überzeugt, gegebenenfalls auch beim Menschen nach der Pankreas¬ 
resektion die Einpflanzung des Pankreasstumpfes in den Darm aus¬ 
führen zu können; man wird hierzu entweder das Duodenum oder, wenn 
dieses bei der Operation entfernt werden musste, die oberste Jejuuum- 
schlinge wählen. Die Eu masse-Implantation des Pankreas ist ein 
zweckmässigerer Vorgang als die Pancreaticoduodenostomie, deren Aus¬ 
führung viel länger dauert, ohne dass sie wesentliche Vorteile darbietet. 
Als einfachste Operationsmethode empfiehlt Verf. die seitliche Anastomo- 
sierung des Pankreas mit dem Darme. Bei keinem der Versuchstiere 
wurde nach der Operation Zucker im Urin gefunden. 

W. V. Simon. 

F. Cahen-Cöln: Bildung eines künstlichen Choledochns mittels 
Drainrohres. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 122, H. 3 u. 4.) Verf. 
bildete aus dem Rest des Hepaticus und einem in diesen gelegten Drain¬ 
rohr eine Gallen-Magenfistel, die sich nach Ausstossung des Drains 
schloss. Dafür kam aber spontan eine Hepaticus-Duodenalfistel wohl 
infolge Usurierung des Drains am Duodenum in den Adhäsionen zu¬ 
stande. Auch in Wilms’ Fällen ist wohl anzunehmen, dass durch 
Schrumpfung der Adhäsionen die Gallenwege und der Darm in Ver¬ 
bindung traten. Eine Epithelwucherung um das Drain findet wohl 
nicht statt. 

Ad. Reinhardt-Leipzig: Intraperitoneale Blutung infolge iso¬ 
lierter Zerreissnng eines Astes (Arteria phrenica) der linken Leber¬ 
arterie. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 122, H. 3 u. 4.) Kasuistische 
Mitteilung des Falles und genaue anatomische Beschreibung des Ver¬ 
laufes der Arterie an der Hand eines Injektionspräparates. 

J. Becker. 

R. Mühsam-Berlin: Exstirpation der Milz nnd der linken Niere 
wegen Ueberfahrnng. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 22.) 
Vortrag in der Berliner Gesellschaft für Chirurgie am 28. April 1913. 

Wolfsohn. 

K. Isobe: Experimentelles über die Einwirkung einer lädierten 
Niere auf die Niere der andern Seite. (Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. 
Chir., Bd. 26, H. 1.) Gelegentlich der Experimente über die Bildung 
von Collateralbahnen in der Niere (dieselbe Zeitschr., Bd. 24, H. 4 u. 5 
und Bd. 25, H. 3) beobachtete Verf., dass bei schweren Läsionen einer 
Niere Zerfallsprodukte in die Blutbahn resorbiert werden, die bei der 
Ausscheidung toxische Wirkung auf die gesunde Niere ausüben, während 
leichtere nur eine Hypertrophie der anderen Niere hervorrufen. Daraus 
folgt das Gebot, eine erkrankte Niere möglichst frühzeitig zu operieren, 
ehe die gesunde Niere auf die beschriebene Weise ungünstig beeinflusst ist. 

Theo Müller. 

E. Boross - Budapest: Ueber die eingeklemmten Uretersteine 
(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 84, H. 1.) Verf. konnte in 
12 Fällen die Einklemmung diagnostizieren, und entfernte den Stein 
einmal mittels Massage und siebenmal auf endovesikalem Wege mittels 
Ureterkatheters und biegsamer Uretersteinzange. Viermal musste blutig 
vorgegangen werden. Unter diesen 12 Fällen waren die Steine viermal 
in dem Halsteil des Nierenbeckens, sechsmal im vesikalen Teile ein¬ 
geklemmt. Man soll sehr erwägen, in welchen Fällen man chirurgisch 
eingreifen soll. Die wirklich ungefährlichen endovesikalen Methoden 
müssen in ausgedehnterem Maasse angewandt werden; dann wird sich 
entscheiden können, wie sich dieselben auch in komplizierten Fällen be¬ 
währen werden. W. V. Simon. 

L. Desgouttes und L. Lambert: Ein Fall von durch Läsion 

der Mammaria interna komplizierter Brustwunde. (Lyon m6d., 1913, 
Nr. 19.) 18 jähriger junger Mann wird durch Messerstich in die rechte 
Brustseite schwer verletzt. Im Krankenhaus schnelle Erholung, so dass 
von einer operativen Behandlung abgesehen wird. In der Nacht darauf 
plötzlicher Exitus. Die Sektion ergibt eine schwere Läsion der Mam¬ 
maria interna. , A. Münzer. 

. A. Fischer - Budapest: Die chirurgische Behandlung der Ectopia 
testis. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 84, H. 1.) Verf. tritt 
dafür ein, den ektopierten Hoden — meist handelt es sich um inguinale 
Ektopien — möglichst frühzeitig bei Kindern zu operieren, um Ver¬ 
kürzungen des Saraenstranges und Hodenatrophien vorzubeugen. Die 
blosse Fixierung des Hodens an das Skrotum genügt auch bei noch so 
sorgfältiger Isolierung des Samenstranges nicht. Verf. geht daher 
folgendermaassen vor: Freipräparierung des Samenstranges, Versorgung 
des proximalen Teiles des Samenstranges und des Inguinalkanals wie 
bei der Bassini’schen Operation. Dann wird durch den unteren Pol des 
Hodens und die denselben umgebende Tun. vaginalis ein starker Faden 
gezogen. Im Skrotum wird mit dem behandschuhten Finger eine Höhle 
gebohrt, der Faden wird mit zwei Nadeln armiert, diese am unteren Pol 
des Skrotums durch die Haut gestochen und so beide Fadenenden 
durchgezogen. Der Hoden wird an diesem Faden in die Skrotalhöhle 
gezogen, und der Faden über einem Gazeröllchen geknotet, während die 
Enden lang gelassen und an einer Beinschiene befestigt werden. Da¬ 
durch wird der Hoden am Zurückgleiten gehindert. Nach 7 Tagen 
kann Schiene und Faden entfernt werden. Verf. hat dieses Verfahren in 
neun Fällen mit gutem Erfolg aasgeführt. 


T. v. Verebäly - Budapest: Der Zottenkropf, (v. Bruns’ Beitr. 
z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 3.) Verf. teilt 4 Fälle dieser seltenen 
Kropfart mit, und geht näher auf ihre pathologisch-anatomische Be¬ 
deutung ein. 

Th. v. Mutschenbaoher-Budapest: Neuere Erfolge auf dem Ge¬ 
biete der plastischen Operationen, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, 
Bd. 84, H. 1.) Verf. teilt die Erfahrungen der Röczey’schen Klinik 
mit, die sich auf ein Material von 35 Blepharo-, 83 Rhino-, 106 Cheilo-, 
29 Meloplastiken und 65 andere plastische Eingriffe während eines Zeit¬ 
raumes von 20 Jahren stützen. Einiges von den Ergebnissen sei hier 
hervorgehoben: Bei der Vorbereitung sind alle chemischen Agentien 
(Sublimat, Jodtinktur) zu vermeiden. Die Desinfektion geschieht mittels 
Warmwasser, Seife, Borwasseralkohol, Benzin. Bei der Lappenbildung 
ist auf Erhaltung der Hauptarterien (A. frontalis, A. maxillaris ext. usw.) 
Gewicht zu legen. Sorgfältigste Blutstillung, doch möglichst wenig Unter¬ 
bindungen. Täglicher Verbandwechsel wird bei den Gesichtsplastiken 
empfohlen. Von der Anwendung von Fibrolysin in der Nachbehandlung 
zur Verminderung der Schrumpfung sah Verf. keinen besonderen Nutzen. 
Subkutane Paraftiniojektionen erwiesen sich als sehr gut und batten nie 
schädliche Nebenwirkungen. Verf. geht dann näher auf die einzelnen 
plastischen Operationsmethoden ein. W. V. Simon. 

Sch mieden-Berlin: Vorschlag zum plastischen Ersatz der Wangen- 
schleimhaut (Meloplastik). (Therapeut. Monatsh., Mai 1913.) Nach 
Schilderung und Besprechung der verschiedenen Methoden der Wangen¬ 
plastik, beschreibt Verf. an der Hand einer Krankengeschichte das von 
ihm bevorzugte italienische Verfahren, die Herstellung der Plastik durch 
einen Wanderlappen von der oberen Extremität her, das recht gute 
Resultate liefert. H. Knopf. 

A. Bitraff: Ueber Abscesse im Sacens omentalis nach Pankreas¬ 
nekrose. (Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., Bd. 26, H. 1.) Die 
Erkrankung bietet ein charakteristisches klinisches Bild; Abmagerung, 
Fieber, Leukocytenvermehrung sind die Allgemeinerscheinungen; lokal 
ist vor allem epigastrische Vorwölbung oder Resistenz mit Druckempfind¬ 
lichkeit zu finden, die Nachbarorgane (Magen, Darm) beteiligen sich mit 
Erbrechen und Darmstörungen, die bis zu ileusartigen Erscheinungen 
führen können. Anamnestisch findet man Koliken. Die Therapie ist 
chirurgisch. Theo Müller. 

Siehe auch Unfallheilkunde und Versicherungswesen. 


Urologie. 

H. Unterberg-Budapest: Die operative Heilung der rebellisches 
Cystitiden mittels Blasencnrettage und zeitweiliger Blasenfistel, 
(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 84, H. 1.) Verf. empfiehlt für 
die aller internen Behandlung trotzenden Fälle die Blase zu eröffnen 
und die Schleimhaut durch Curettage möglichst vollständig zu entfernen. 
Die Blase soll dann längere Zeit hindurch drainiert bleiben und durch 
die Fistelöflnung hindurch eine energische Spülbehandlung mit Silber¬ 
nitratlösungen ausgeführt werden. Bei Frauen kann man unter Um¬ 
ständen auch die Curettage der Blase durch die Urethra hindurch vor¬ 
nehmen, doch sollen dies Ausnahmen bleiben. Bei den Fällen, bei 
denen schon eine so erhebliche Degeneration der Blasenschleimhaut be¬ 
steht, dass die Ausdebnungsmöglicbkeit der Blase fast ganz ge¬ 
schwunden ist, soll man auf die Curettage verzichten, da diese in der¬ 
artigen Fällen keinen Erfolg bringt und sich auf die Anlegung einer 
permanenten und gut schliessenden Blasenfistel beschränken; Mitteilung 
von sieben auf diese Weise behandelten Fällen. 

D. Raskay - Budapest: Ueber die Dauerresultate der verschiedenen 
Behandlungsarten der Harnrdhrenstriktnren. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. 
Chir., 1913, Bd. 84, H. 1.) Verf. berichtet über seine an 517 Fällen 
von gonorrhoischen Strikturen gemachten Erfahrungen. Mit dem 
äusseren Harnröbrenschnitt wurden 23 Fälle behandelt, davon in acht 
Fällen mit Resektion kombiniert. In den mit Verweilkatheter be¬ 
gonnenen und mit systematischer Sondenbehandlung beendeten Fällen 
war die vollkommene Heilung eine relativ häufige und die Recidive er¬ 
folgten spät. Die mit temporärer Erweiterung behandelten Fälle gaben 
am häufigsten Recidive, trotzdem sie die leichtesten waren. Sehr gute 
Resultate ergab die interne Urethrotomie, von deren Gefahrlosigkeit Verf. 
überzeugt ist. Indikationsstellung siehe Original. W. V. Simon. 

G. Sasaki: Ueber die experimentelle Prostataatrophie dnreh 
Röntgenbestrahlung der Hoden. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 122, 
H. 3 u. 4.) Es gelang, in Tierversuchen nach Hodenbestrahlung 
Prostataatrophie zu erzeugen, was makroskopisch und mikroskopisch be¬ 
stätigt wurde. An den Hoden tritt Verlust der Samenzellen auf, 
vikariierend treten dafür aber die Zwischenzellen in bedeutender Ver¬ 
mehrung auf. Verf. fasst die Prostatahypertropbie als ein Neoplasma 
auf und glaubt, dass zielbewusste Bestrahlung auch beim Menschen zur 
Atrophie und damit zur Umgehung der immerhin gefährlichen 
(Blutung! usw.) Operation führen kann. J. Becker. 


Augenheilkunde. 

Junius-Cöln: Bemerkungen zu den Mitteilungen von Prof. Czap- 
lewski, Untersuchungen über Trachom. (Zeitschr. f. Augenheilk., 
Mai 1913.) Verf. wendet sich in einer kurzen Begründung gegen die 


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10. Jani 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1128 


Schlussfolgerungen, dieCzaplewski aus seinen Trachomuntersuchungen 
zieht. Im Original nachzulesen. 

Brunzlow - Bonn: Beitrag zur Aetiologie der chronischen Erkran¬ 
kungen der tränenableitenden Wege. (Zeitschr. f. Augenheilk., Mai 1913.) 
Bei genauer rhinologischer Untersuchung und unter Zuhilfenahme des 
Röntgenverfahrens lassen sioh in der Mehrzahl der chronischen Tränen- 
wegerkrankuogen Veränderungen der Kieferhöhle sowie der vorderen Sieb- 
beinzellen feststellen. Das ist für die Therapie von grosser Bedeutung, 
insofern als zuerst die Nasen- bzw. Nebenhöblenerkrankungen behandelt 
werden müssen. Bei jahrelang bestehenden Fällen wird an der Kuhnt-, 
sehen Klinik der Tränensack exstirpiert bzw. die Totisehe Dacryocysto- 
rhinostomie gemacht, wobei die Ausräumung der vorderen Siebbein¬ 
zellen und eventuell der Kieferhöhle nicht versäumt wird. 

Sepibus - Aarau: Experimentelle Untersuchungen über die Fluo- 
rescenz an menschlicher Linse. (Zeitschr. f. Augenheilk., Mai 1913.) 
Der Autor, der zu seinen Untersuchungen Uviolglaslicht (Ultraviolett, 
Blau und etwas Rot) benutzte, fand für die menschliche Linse gelbgrüne 
Fluorescenz, die im Alter stärker als in der Jugendzeit ist. Cataracta 
traumatica fluoresciert nicht nennenswert, ebenso nicht deutlich Linsen¬ 
kapselreste und Pupillenexsudate. Die aphakische Pupille fluoresciert 
nicht. Die Untersuchung mit dem Lehmann’schen UV-Filter (konzen¬ 
triertes, nahezu reines Ultraviolett) ergibt eine bläulich-weisse Linsen- 
fluorescenz, die meist einen schwachen Stich nach Bläulich-grün bis 
Gelbgrün aufweist, besonders im Alter. G. Erlanger. 

A. Jess - Würzburg: Beiträge zur Kenntnis der Chemie der nor¬ 
malen und der pathologisch veränderten Ltase des Auges. (Centralbl. 
f. Biol., Bd. 61, H. 2u. 3, S. 93—142.) Die während des ganzen Lebens 
vor sich gehende Gewichtszunahme der Linse ist bedingt durch ständige 
Vermehrung des Eiweissgehalts und des Wassers, zu einem geringen Teil 
auch durch eine Vermehrung der ätherlöslichen Substanzen. Von den 
Eiweisskörpern nimmt im Alter der Gehalt an Albumoid zu, an Kristallinen 
ab. Die senilen kataraktösen Linsen zeigen stets eine Gewichtsabnahme, 
um so deutlicher, je vorgeschrittener die Trübung ist. Diese Abnahme 
betrifft am meisten den Wassergehalt der Linse. Vom Eiweiss nehmen 
nur die Kristalline ab, das Albumoid meistens sogar zu. Der Gehalt 
an Fett und Lipoiden ist nicht vermehrt. Die traumatischen Katarakte 
zeigten keine Herabsetzung des Gewichtes, eine Verminderung vor allem 
der Kristalline, meistens auch des Albumoids, niemals aber eine absolute 
Vermehrung des Albumoids wie die senilen Katarakte. Beim senilen 
Katarakt sind die cystinhaltigen Kristalline geschwunden. Jacoby. 

Elschnig und v. Zeynek - Prag: Cataracta nigra. (Zeitschr. f. 
Augenheilk., Mai 1913.) Die chemische Analyse einer Cataracta nigra 
ergab mit Sicherheit, dass der Farbstoff des Katarakts in keinem Zu¬ 
sammenhang mit Blutfarbstoff steht. Der Farbstoff gehört wahrschein¬ 
lich in die Gruppe der Humine resp. Melanine. Zur Erklärung der Bil¬ 
dung des Farbstoffs ist wohl auf Veränderungen des Linsengewebes und 
daduroh auch der Eiweisskörper zurückzugehen. Zwischen Cataracta 
nigra und brumescens besteht kein wesentlicher Unterschied. Doch emp- 
pfiehlt es sich, nur wirklich schwarz erscheinende Stare mit nigra zu 
bezeichnen. 

Knapp-Basel: Beiderseitige Maculaerkranknng nach Kurzschluss. 

(Zeitschr. f. Augenheilk., Mai 1913.) Verf. teilt einen Fall von Chorio¬ 
retinitis nach Kurzschlussblendung mit. Der Herd befand sich beider¬ 
seits unterhalb der Fovea und stellte die Photographie des Lichtbogens 
dar. Die Schädigung ist wohl auf die leuchtenden Strahlen des Licht¬ 
bogens zurückzuführen. 

Asmus - Düsseldorf: Ueber die Bedeutung genauer Messungen hei 
AugenHUskelvorlagerungen. (Zeitschr. f. Augenheilk., Mai 1913.) 

Werncke - Odessa: Ueber die Neuroreeidive nach Salvarsanhehand- 
lung. (Zeitschr, f. Augenheilk., Mai 1913.) Der Autor weist auf seine 
Beobachtungen hin, wonach eine Neuritis nervi optici und auch andere 
Recidive durch Salvarsan veranlasst werden können. Diese durch Sal- 
varsan begünstigten Recidive sind luetischen Charakters, eine Tatsache, 
die aus den spezifischen Wirkungen von Quecksilber hervorgeht. Sal¬ 
varsan sollte nur bei Versagen oder Nicht vertragen werden der alten 
Spezifica und bei schweren gefahrdrohenden Erkrankungen angewandt 
werden. G. Erlanger. 

W. Lang-London: Der Einfluss chronischer Sepsis auf Augen- 
erkrankungen. (Lancet, 17. Mai 1913, Nr. 46S1.) Von 250 Fällen 
von entzündlichen Erkrankungen der Augen ausser Conjunctivitis waren 
180 auf alimentäre Toxämie und von diesen 139 auf Alveolarpyorrhöe 
zurückzuführen. Besonders der Uvealtractus erkrankt häufig bei der 
Pyorrhoe; andere septische Erkrankungen kommen viel seltener in 
Frage. Die senile centrale Chorioiditis ist ebensowenig eine Alters¬ 
erscheinung als das Ausfallen der Zähne; beide sind Folgen der Pyorrhoe. 

_ Weydemann. 


Hygiene und Sanitätswesen. 

Knauth - Würzburg: Paratyphus B. (Deutsche med. Wochensehr., 
1913, Nr. 23.) Kursorischer Bericht über eine Anzahl von Paratyphen. 
Die Diagnose konnte in den meisten Fällen bakteriologisch bzw. sero¬ 
logisch gesichert werden. Interessant sind zwei postparatyphöse Kompli¬ 
kationen: eine Urethritis bzw. Cystitis und ein Abscess am Oberschenkel. 
In den entzündlichen Herden waren Paratyphus-B-Stäbchen nachweisbar. 

Wolfsohn. 


Unfallheilkunde und Versicherungswesen. 

Kempf - Braunschweig: Ueber den Nachweis von Gewöhnung bei 
der Begutachtung Unfallverletzter. (Monatsschr. f. Unfallheilk., 1913, 
Nr. 5.) In ausführlicher Weise und an Beispielen wird gezeigt, unter 
welchen Bedingungen man den Nachweis einer Gewöhnung bei Unfall¬ 
verletzten führen kann. 

Thiem - Cottbus: Zur Frage der Gewöhnung an Fingerversteifungen. 
(Monatsschr. f. Unfallheilk., 1913, Nr. 5.) 

Pförringer - Regensburg: Zur Kenntnis der subcutanen trauma¬ 
tischen Rupturen der Fingerbeugesehnen. (Monatsohr. f. Unfallheilk., 
1913, Nr. 5.) Es werden 2 Fälle mitgeteilt, in welchen eine Ruptur 
der Fingerbeugesehnen durch Fall auf die Hand während Streckstellung 
bzw. Ueber Streckung der Finger erfolgte. Beide Fälle betrafen sehr 
kräftige gesunde Leute. 

Weiss- Zwickau: Zur operativen Behandlung der schnappenden 
Hüfte, der Luzatio traetus iltoübialis traumatica. (Monatsschr. f. 
Unfallheilk., 1913, Nr. 5.) Die sogenannte schnappende oder schnellende 
Hüfte kann durch Verletzung des Traetus iliotibialis hervorgerufen werden. 
In einem Falle dieser Art, der durch Verschütten entstanden war, zeigte 
sich nach Freilegung der Trochantergegend, dass sich ein über finger¬ 
breiter sehniger Strang über den Trochanter spannte. Derselbe wurde 
mehrfach mit der Schere eingekerbt und dann rückwärts verlagert. 

H. Hirsohfeld. 


Technik. 

R. Duhot - Brüssel: Eine neue Spritze zur Injektion von konzen¬ 
trierter, unter Luftabschluss hergestellter Neosalvarsanlösung. (Münch, 
med. Wochenschr., 1913, H. 20.) S. Eisner. 

P. Wolff: Zur Catgutfrage. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., 1913, 
Bd. 120, H. 5—6.) Die bakteriologischen Untersuchungen des Verf. 
haben zu dem Resultat geführt, dass eine sichere Sterilisation des Gat¬ 
guts gelingt auch am fertigen Faden, das Einsetzen einer Sterilisation 
vor dem Drehen am Rohdarm ist unnötig. Unter den verschiedenen 
Steriiisationsverfahren ist die Claudius’sche Methode als einfachste und 
sicherste zu empfehlen. Fritsch. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 4. Juni 1913. 

Vorsitzender: Herr Landau. 

Schriftführer: Herr F. Krause. 

Vorsitzender: Ich habe mitzuteilen, dass der Geh. San.-Rat Dr. 
Friedrich Wolff wegen Verzugs nach ausserhalb aus der Gesellschaft 
geschieden ist. 

Prof. Koranyi, der Sohn des verstorbenen Prof. Roranyi, be¬ 
dankt sich für das Kondolenzschreiben, welches der Vorstand im Namen 
der Gesellschaft an die Familie gerichtet hat. 

Dann ist uns von der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung des 
Kurpfuschertums ein Schreiben mit drei Mappen eingegangen, welche ich 
hier zu Ihrer Einsicht auslege. Sie betreffen Annoncen und Reklamen 
in amerikanischen Zeitungen, die die Person des Herrn Dr. Friedmann 
betreffen. Die Gesellschaft wendet sich an uns, weil Herr Dr. Fried¬ 
mann hier seinen bekannten Vortrag gehalten hat. 

Hierzu möchte ich bemerken, dass wir weder für den Inhalt der 
Vorträge noch für das Tun und Lassen eines Vortragenden verantwort¬ 
lich sind. Auch möchte ich feststellen, dass bereits bei Gelegenheit des 
Vortrages des Herrn Friedmann aus der Mitte unserer Gesellschaft 
ein energischer Widerspruch gegen das Vorgehen des Herrn Fried- 
mann in wissenschaftlicher Hinsicht laut geworden ist. Ich glaube, dass 
die Berliner medizinische Gesellschaft es ablehnen muss, die Verant¬ 
wortung für Angelegenheiten zu übernehmen, auf die sie gar keinen 
Einfluss hat. 

Wir werden der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung des Kur¬ 
pfuschertums in diesem Sinne Bescheid geben. 

Hr. Apolant: Ich darf doch wohl die Bemerkung machen, dass 
es nicht standesgemäss ist, was Herrn Fried mann drüben nachgesagt 
wird, so dass er im Wahrheitsfalle nicht würdig wäre, unser Mitglied 
zu sein. 

Vorsitzender: Eine Diskussion hierüber ist nicht eröffnet. Auch 
erscheint es mir nicht richtig, jemanden in absentia, also ohne ihn zu 
hören, zu verurteilen. Ich glaube, dass wir diese Frage erst im Schosse 
der Aufnahmekommission werden besprechen müssen, ehe wir sie ins 
Plenum bringen. Wir sind selbstverständlich bereit, über einen dies¬ 
bezüglichen Antrag zu diskutieren. 

Es ist eine Einladung ergangen von dem Schriftführer der Berliner 
Gesellschaft für Chirurgie, Herrn Fedor Krause, zu einem Vortrage, 
den Herr Prof. Dr. Stich aus Göttingen nächsten Montag über den 
heutigen Stand der Organtransplantation halten wird. Der Vortrag wird 
in der Sitzung der Berliner Gesellschaft für Chirurgie im Langenbeok- 
Hause stattfinden. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 24. 


Vor der Tagesordnung. 

Hr. Hirsch: Der Fall, den ich in aller Kurze vorstellen möchte, 
gibt einen eigenartigen Beitrag zu der Frage, wodurch gelegentlich 
Hüftgelenkschmerzen entstehen und das Bild einer Coxitis vortauschen 
können. 

Das kleine 11jährige, im übrigen ganz gesunde Mädchen, das ich 
Ihnen hier demonstriere, wurde mir am 2. April vom Herrn Kollegen 
Leichtentritt mit dem Verdachte einer tuberkulösen Coxitis zur 
Untersuchung zugeschickt. Die Kleine klagte seit 5 Tagen über 
Schmerzen der rechten Hüfte, die sie als piekende bezeichnete. An 
diesem Tage waren morgens beim Aufstehen aus dem Bett die Schmerzen 
so heftig gewesen, dass sie anfing zu weinen. Die Mutter hatte ein 
leichtes Nachziehen des Beines bemerkt. Sonst war weder der Kleinen, 
noch der Mutter irgendeine Ursache der Schmerzen bekannt. 

Bei der Untersuchung konnte ich nun zunächst ein leichtes Hinken 
auf der rechten Seite, eine geringe Steifigkeit und einen gewissen breit- 
beinigen Gang konstatieren. Sonst aber war die Beweglichkeit des 
Hüftgelenks vollkommen normal, keine Stellungsanomalie, nur ein leichter 
Schmerz bei Druck auf den Trochanter. 

Bei diesem negativen Befunde musste die Diagnose zunächst in 
suspenso bleiben, und ich riet der Mutter, das Kind zunächst einmal 
auf 8 Tage hinzulegen und dann wieder zu mir zu kommen. 

Nach 8 Tagen erschien sie nun wieder und sagte, es hätte sich ge¬ 
bessert. Der Befund war der gleiche. Ich riet ihr, das Kind jetzt ruhig 
wieder in die Schule zu schicken. 

Aber nach 14 Tagen kam sie bereits wieder. Das Leiden hätte 
sich wieder verschlimmert, und die Schmerzen wären wieder stärker auf¬ 
getreten. Ich untersuchte nun noch einmal. Der Befund war wieder 
vollkommen negativ, und ich sohlug daher eine Röntgenaufnahme vor, 
um vielleicht so die Sachlage zu klären. 

Nun, diese Röntgenaufnahme ergab einen ganz unerwarteten Befund, 
den ich Ihnen hier am Projektionsapparat zeigen möchte. Sie werden 
erkennen, dass im Becken eine grosse Haarnadel liegt, und zwar so, 
dass das stumpfe Ende nach oben, die beiden Spitzen nach unten 
gelegen sind. Diese Haarnadel musste nach dem ganzen Befund ent¬ 
weder in der Scheide oder im Mastdarm liegen. Ich chloroformierte 
das Kind, ging zunächst in die Scheide ein, weil aus begreiflichen 
Gründen hier zunächst der Fremdkörper vermutet werden konnte, fand 
aber die Haarnadel nicht, ging dann in den Mastdarm ein und fand sie 
in der Ampulla recti oberhalb des Sphinkters, und zwar in der Lage, 
wie Sie sie hier sehen. Sie war vollkommen in festem Kot eingebettet 
und stemmte sich mit ihren beiden Enden an die Darmsohleimhaut an, 
ohne aber in dieselbe einzudringen. 

Es gelang nun leicht, indem ich die beiden Enden einander näherte, 
die Haarnadel, die eine Länge von 7 cm hat, zu entfernen. 

Nun erhebt sich die Frage: Wie ist dieser Fremdkörper in den 
Mastdarm hineingelangt? Am nächsten lag es natürlich, dass man an 
masturbatorische bzw. onanistische Manipulationen bei dem Kinde dachte. 
Auf sehr eindringliches Befragen der Kleinen sowohl von mir, wie von 
seiten der Mutter betonte sie immer wieder, sie wüsste nicht, wie die 
Nadel hineingelangt wäre, sie hätte die Nadel selbst nicht hineingebracht, 
hätte auch nicht mit Spielgefährtinnen oder älteren Personen gespielt, 
welche ihr die Nadel bineingesteckt hätten. 

Es käme noch eine andere Möglichkeit in Frage, nämlich dass dem 
Kinde beim Sitzen auf dem Boden eine Haarnadel in den Mastdarm 
eingedrungen oder vielleicht im Bett aus dem Haar gefallen — sie 
trug genau die gleichen Nadeln wie die im Mastdarm befindliche im 
Haar — und dort hineingelangt sein konnte. Aber diese Annahme 
ist wenig wahrscheinlich, da ein derartiges Ereignis, ohne dass das Kind. 
davon etwas gemerkt hätte, wohl kaum eintreten konnte und weiter 
das Kind stets geschlossene Beinkleider getragen bat. 

Wie dem auch sei — die Beobachtung beweist wieder einmal, von 
welcher Wichtigkeit es ist, in allen unklaren Fällen die Röntgenunter¬ 
suchung heranzuziehen, denn sonst wäre wahrscheinlich die Ursache dieser 
Hüftschmerzen niemals aufgedeckt worden. 

Es ist übrigens interessant, dass diese Nadel 4 Wochen lang im 
Mastdarm gelegen hat, ohne dass die geringsten Stuhlbeschwerden ein¬ 
getreten sind, und ohne dass sie abgegangen wäre, obwohl sie doch ganz 
in der Nähe des Afters lag. 

Hr. Rotter: Ich möchte zu der Vorstellung nur bemerken, dass 
dieses Symptom der Vortäuschung einer Coxitis nicht bloss bei einem 
derartigen Vorkommnis beobachtet worden ist, wo eine Nadel in die 
Ampulla eingetreten und Reizerscheinungen verursacht hat, sondern auch 
bei Fissuren. Es sind speziell eine Reihe von Beobachtungen in der 
Literatur beschrieben, bei denen Kinder an den Symptomen der Coxitis 
zu leiden schienen, welche verschwanden, als die Fissur geheilt war. 

Hr. Hirsch (Schlusswort): Wenn ich gleich darauf antworten darf: 
Die Lage der Nadel im Becken schliesst wohl sicher aus, dass sie durch 
den Mund verschluckt worden ist. Dann müsste sie ja umgekehrt liegen 
(Widerspruch) oder sie müsste sich vollkommen herumgedreht haben, 
was sehr unwahrscheinlich ist. 

Was im übrigen die Frage der Exploration des Mastdarms betrifft, 
so lag in diesem Falle keine Veranlassung vor, hier den Mastdarm zu 
untersuchen, weil das Kind nie über Stuhlbeschwerden geklagt hat und 
nichts auf einen etwaigen Zusammenhang der Schmerzen mit dem Mast¬ 
darm hinwiess. 


2. Hr. Silbersteil: 

Zir Behandlung der Kniegelenksankylose. (Mit Lichtbildern.) 

Ich möchte Ihnen in aller Kürze eine Patientin vorstellen, die ich 
im Februar 1912 im Krankenhause Hasenheide operiert habe. Es liegt 
mir daran, zu zeigen, wie vorteilhaft es ist, bei der Behandlung grösserer 
Funktionsstörungen der Extremitäten den Zustand der Funktionsbehinde¬ 
rung vor der Operation im kinematographischen Bilde zu fixieren. 

Es handelt sich um eine 18 jährige Patientin, die im Alter von 
8 Jahren im Anschluss an eine akute Osteomyelitis des linken Ober¬ 
schenkels eine Vereiterung des Kniegelenks bekam. Es wurde seinerzeit 
eine Eröffnung des Kniegelenks vorgenommen, insbesondere der äussere 
Condylus aufgemeisselt. Die Patientin befand sich von Mitte August 
bis Ende Dezember 1901 im Krankenbause. Sie ist nach der Kranken¬ 
geschichte als geheilt entlassen worden, naohdem noch mehrfache Ope¬ 
rationen zur Beseitigung von Fisteln am Oberschenkel und in der Gegend 
des linken Kniegelenks vorgenommen waren. Patientin ist dann während 
der folgenden 10 Jahre nicht mehr in ärztlicher Behandlung gewesen. 
Allmählich ist es zu einer Ankylose des linken Kniegelenks in fast 
rechtwinkliger Stellung gekommen. 

Sie sehen nun im Lichtbild, wie die rechtwinklige Ankylose des 
Kniegelenks trotz Spitzfussstellung ausserordentlich die Funktion der 
linken Extremität beeinträchtigt 

Ich zeige Ihnen das Röntgenbild, das die Verwachsungen von 
Ober- und Unterschenkel in fast rechtwinkliger Stellung wiedergibt Ich 
habe in Lumbalanästhesie am 14. Februar 1912 die Operation vorge¬ 
nommen, indem ich einen breiten Keil heraussägte und dann unter lang¬ 
samer Streckung des Unterschenkels die aneinander gefügten Schnitt¬ 
flächen durch Bronzedraht vereinigte. 

Mit Rücksicht auf die Formation des Unterschenkels habe ich, um 
die Bildung eines Genu recurvatum zu verhindern, Oberschenkel und 
Unterschenkel so gestellt, dass das distale Ende des Oberschenkels 
etwas nach vorn geschoben erscheint, wie sie auf diesem Bilde er¬ 
kennen. 

Die Heilung erfolgte ohne Zwischenfälle. 

Ich darf Ihnen die Patientin nunmehr vorführen, die, wie Sie sich 
überzeugen wollen, ein günstiges, funktionelles Resultat darbietet; wenn 
Sie die soeben betrachteten Lichtbilder vergleichen, dürfte die Funktions¬ 
verbesserung ohne weiteres zu erkennen sein. 

8. Hr. Paal Lazans: 

Daierera&hnng Mittelst der Diodeialsoide. (Mit Kranken Vorstellung.) 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

Diskussion. 

Hr. Fr. Kuhn: Im Anschluss an die interessanten Ausführungen des 
Herrn Lazarus möchte ich an eine Sondierung des Pylorus erinnern, 
die ich bereits 1898 aus der Riegel’sohen Klinik in Giessen, bevor 
Einhorn seine Sonde erfand, in Boas’ Archiv, 1898, Bd. 3, S. 19 (mit 
Bildern), und in der Deutschen medizinischen Wochenschrift, 1897, 
Nr. 36 u. 37, beschrieb. Sie geschah mittels einer besonderen Spiral- 
sonde für das Duodenum und den Pylorus. 

Diese Sondierungen stellten nur einen Teil meiner Spiralsondierungen 
am menschlichen Körper dar 1 )- Indem ich Ihnen hierbei das Instrument 
für diese Sondierung vorlege, möchte ich erläuternd bemerken, dass das 
Prinzip der Spiralsondierung des Pylorus auf zwei Grundtatsachen sich 
aufbaut: 1. auf den besonderen federnden Eigenschaften der Spiralen, 
sofern sie als Sonden dienen, 2. auf den besonderen mechanischen 
Eigentümlichkeiten des Magenschlauchs, wenn man in ihm sondiert, der 
dann nämlich als ein in seinem Lumen sich veijüngendes trichter¬ 
förmiges Hohlorgan aufzufassen ist. 

Da eine fest gewickelte Drahtstahlspirale einen einerseits gut und sehr 
empfindlich federnden Stab darstellt, der andererseits sehr biegsam und 
weich ist, legt sich eine Gummisonde, die mit einem solchen 
Stabe bewaffnet ist, nach mechanischen Gesetzen (wie in den Bildern 
in Boas’ Archiv dargestellt ist) der grossen Curvatur des Magens an 
und folgt, indem immer (vgl. Figur 17 und 18) eine nach dem Pylorus 
zu vorwärts treibende Komponente 2 ) zur Tätigkeit kommt, von selbst, 
nach automatisch wirkenden Gesetzen (namentlich wenn man den Vor¬ 
gängen etwas Zeit lässt) in den Pylorus und den Dünndarm hinein. 
Dabei hat man die Möglichkeit, durch Rotation der Sonde den Gang 
dahin zu fördern und zu beschleunigen. Auch kann dieser Gang auf 
Wunsch zufolge der Schattengebung im Röntgenbilde im Schattenbilde 
verfolgt werden. 

Mit Hilfe dieser Sonden, die ich damals als einfache Bougies, als 
Ballonsonde und als Schläuche' ausgebildet hatte, konnte ich 1898 in 
der Medizinischen Gesellschaft zu Giessen an Patienten mit dünnen 
Bauchdecken die Pylorussondierung durch die Baucbdecken hindurch 
darstellen und an dem Kontrakturring zeigen, wie der Pylorus meinen 
kleinen Ballon durchliess, fasste, festhielt und beim Herausziehen 
wieder losliess. Ich konnte damals das Duodenum auf mindestens 30 cm 
weit sondieren. 

Wer sich über diese Dinge näher orientieren will, lese die oben 
citierten Arbeiten nach, insbesondere Boas* Archiv, Bd. 3, ferner die 
ausländischen Werke, insbesondere das grosse Werk von Hemmeter 
(Diseases of the stomach) aus der amerikanischen Literatur. 


1) Vgl. Münchener med. Wochenschr., 1896, Nr. 37, 38, 39. 

2) Vgl. Boas* Archiv, S. 39 ff. 


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16. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1126 


Hr. Paul Lazarus (Schlusswort): Einhorn’s Sonde und ihre 
Modifikation durch mich beruht auf einem wesentlich anderen Prinzip 
als die Metallspiralensonde des Herrn Kollegen Kuhn. Erstere ist ein 
dünner Drainfaden, der sicherlich keine Verletzungen machen 
kann und nicht aktiv, sondern von der Magenperistaltik selbst ins 
Duodenum befördert wird. Dieses Verfahren ist so zart und schonend, 
dass man es sogar bei Ulcus ventriculi anwenden kann. So batte ich z. B. 
eine Ulcus-Patientin mit qualvollen Schmerzen nach jeder Nahrungs¬ 
aufnahme. Die Rectalem äh rang war auf die Dauer nicht durchführbar. 
Die Einführung der Sonde ins Duodenum und die stomachale Nahrungs¬ 
abstinenz haben mit einem Schlage die Schmerzen behoben. Ich beliess 
die Sonde 8 Tage im Duodenum und konnte nachher durch die übliche 
Behandlung die Ulcusbeschwerden zum Ausheilen bringen. 

Tagesordnung. 

Hr. Max Cohn: 

Die atmosphärische Lnft in der Banchhöhle nach Abdominaloperationen. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

Diskussion. 

Hr. Levy-Dorn: Auch ich habe wiederholt die Zeichen der Luft¬ 
ansammlung im Abdomen röntgenologisch beobachtet. Bei der Per¬ 
forationsperitonitis spielen diese Phänomen eine besondere Rolle, insofern 
sie die Diagnose objektiv zu stützen vermögen. Allerdings können wir 
in den einschlägigen Fällen die Untersuchung nicht im Stehen vor¬ 
nehmen wie bei den Patienten des Herrn Cohn. Ich glaube, dass es 
deshalb Interesse hat, auch von den Bildern zu sprechen, die in 
horizontaler Lage gewonnen sind. Ich habe kürzlich einen Patienten 
mit Ulcus perforans ventriculi zu untersuchen gehabt, der von Herrn 
Prof. Hermes mit Glück operiert wurde. Dort konnte man deutlich 
schon bei der Aufnahme in horizontaler Lage die Luftansammlung im 
Abdomen erkennen: Der Lebersohatten war aufgeheUt, und in dem 
Coecum und Colon ascendens traten die Cybala hervor, als ob sie Kot¬ 
steine wären. 

Bei der Untersuchung im Stehen ist es wichtig, darauf zu achten, 
dass unter dem Zwerchfell beiderseits, sowohl rechts wie links, die Luft 
ausgebreitet ist. Wenn man allein rechts eine Aufhellung unter dem 
Zwerchfell sieht, so kann das sehr wohl auf Vorlagerung eines geblähten 
Colonteiles vor der Leber beruhen. Früher hat man in solohen Fällen 
fälschlich von Hepatoptose gesprochen. In der Tat kommt es sehr selten 
vor, dass die Leber sich senkt. In vielen Fällen, aber nicht immer 
wird das Colon allerdings schon durch seine Haustren charakterisiert. 

Hr. Hammersehl&g: Ueher Abortbehandlniig. 

(Erscheint unter den Originalen dieser Wochenschrift.) 

Diskussion. 

Hr. S. Gottschalk: Die ersten Thesen des Herrn Vortragenden 
werden wohl allgemeine Zustimmung finden. Es entspricht ja auch der 
allgemeinen Anschauung, dass man eine Initialblutung in der Schwanger¬ 
schaft nicht als Grund ansehen soll, um diese Schwangerschaft zu unter¬ 
brechen, im Gegenteil, dass man daraus zunächst die Warnung erkennen 
muss, die absolute Bettruhe anzuordnen und die Mittel anzuwenden, 
die ja auch der Herr Vortragende genannt hat, die Blutung und auch 
etwaige Wehentätigkeit zu bekämpfen, um den Abort hintanzuhalten. 
Die Schwierigkeiten erwachsen bei der Beurteilung des Vorschlages von 
Winter, ob wir bei einem septischen Abort abwarten sollen oder ob wir 
da aktiv eingreifen sollen. 

Wenn ich auf meine langjährige Praxis zurückblicke, so kann ich 
sagen, dass ich von dem schonend eingreifenden Verfahren bei fieber¬ 
haftem Abort einen Schaden nie erlebt habe. Ich verstehe unter dem 
schonenden Eingreifen erstens die schonende Dilatation, wenn der Hals¬ 
kanal für den Finger nicht durchgängig ist, und verwende dazu seit 
Jahren, ohne jede schädliche Nebenwirkung, ausschliesslich den sterilen 
Laminariastift. Dann kann man am nächsten Tage mit dem Finger ein- 
gehen und nach gründlicher Desinfektion den Uterus ausräumen. 
Darauf lege ich den grössten Nachdruck, dass man der Aus¬ 
räumung eine gründliche Desinfektion voranschickt. Ich verwende dazu 
seit einigen Jahren zwei Liter einer heissen 1 proz. Chlormetakresollösung 
mit gutem Erfolg. Wenn man so vorgeht, so werden die leichten 
Wunden, die nun die manuelle Ausräumung macht, keinerlei Schaden 
stiften. Ich komme hier gleich auch auf die instrumenteile Ausräumung 
zu sprechen, die der Herr Vortragende zuletzt empfohlen hat, die mittels 
der Winter’schen Abortzange. Es liegt eigentlich ein gewisser Wider¬ 
spruch darin, wenn Winter bei hämolytischen Streptokokken, gleich¬ 
gültig, ob sie Fieber machen oder nicht, zum Abwarten rät, dagegen 
wenn gelöste Placentarteile im Uterus sind, die doch sicher bei längerem 
Abwarten schonend spontan ausgestossen werden, ein Instrument an¬ 
wenden will, das doch auch im Dunkeln arbeitet, selbst wenn man, wie 
das der Herr Vortragende betont hat, mit dem Finger nach der Er¬ 
weiterung es kontoliieren kann. Ich halte es, wenn der Halskanal er¬ 
weitert ist und man mit dem Finger alles kontrollieren kann — und 
das ist die Grundlage jeder rationellen Abortbehandlung —, für über¬ 
flüssig, ein solches Instrument anzuwenden. Dann geht die Sache auch 
mit dem Finger zu entfernen, die Partikel lassen sich dann mit dem 
Fingernagel zerkleinern und kombiniert Ausdrücken bzw. ausräumen. 
Ich glaube, dass man der Empfehlung der Abortzange doch sehr kühl 
gegenüberstehen muss und grundsätzlich davon ausgehen soll, dass ein 
solches Instrument vermieden werden kann. Es hat in so und sovielen 


Händen Unheil angeriohtet — der Herr Vortragende nannte das: die Appli¬ 
kation war keine richtige, keine schulmässige; ja, es kommen da doch 
so und soviel Hände in Tätigkeit, die diese Applikation noch nicht 
kennen, und sie werden dann Unheil anrichten. Der Vortragende 
meinte, man könnte auch mit dem Finger perforieren. Ja, wenn man 
roh vorgeht, allerdings, wenn man aber mit dem Finger abtastet und 
die schlaffwandige Konsistenz des Uterus fühlt, so werden Sie sehr 
schonend Vorgehen und werden dann nicht so leicht perforieren, als 
wenn Sie ein derartiges Instrument im Dunkeln hier handhaben müssen. 
Der Finger kann sich der Weichheit der Uteruswand im einzelnen Falle 
anpassen, die Abortzange kann das nicht. Ich sage, dass der Arzt 
besser tut, wenn er nach Erweiterung des Halskanals sich lediglich 
darauf beschränkt, mit dem Finger zu arbeiten. 

Die Curette hat der Herr Vortragende verworfen. Die Curettage im 
Blinden ohne Fingerkontrolle ist zu verwerfen, Ich halte die schonende 
Curettage, die die Partikel — aber unter Kontrolle des tasten¬ 
den Fingers — entfernt, wo der Finger nicht hinkommen kann, nicht 
für so gefährlich wie die Anwendung einer derartigen Abortzange. Man 
wird in einzelnen Fällen nicht ganz ohne Curettage auskommen können. 
Ich will aber noch einmal auf die Frage der septischen Aborte zurück¬ 
kommen. Ich habe in einer ganzen Reihe von septischen Aborten ge¬ 
sehen, dass nach vorausgeschickter gründlicher Desinfektion und manueller 
Ausräumung die ausgiebige Curettage der Decidua, die sich von Strepto¬ 
kokken durchsetzt erwies, segensreich gewirkt hat, dass die Infektion 
kupiert wurde und nun der ganze Abort so verlief, wie es auch der 
Herr Vortragende hier in seiner Kurve dargestellt hat. Diese Kurve 
wird meist bei den stinkenden Aborten beobachtet. Die Fäulnisteile 
werden entfernt, aber es werden Fäulniskeime bei der Ausräumung ins 
Blut aufgenommen, und die machen nun den Schüttelfrost. Gewöhnlich 
ist der Puls dabei relativ niedrig gegenüber den rein septischen 
Fällen. 

Ist die Infektion über den Uterus hinaus, so hat der Herr Vor¬ 
tragende geraten, man solle den Fall zu etwaigem operativen Eingriff 
dem Spezialisten überlassen. Ich möchte nun, wenn Exsudatbildung 
vorhanden ist, vor jedem operativen Eingriff warnen. Da ist die Ruhe 
das allerbeste. In solchen Fällen bin ich für das exspektative Ver¬ 
halten. 

Hr. Hammerschlag (Schlusswort): Ich habe Herrn Gottschalk 
nur wenig zu erwidern. 

Ueber die Frage der Curettage im allgemeinen habe ich gar nicht 
gesprochen. Ich habe nur gesagt, dass die schmale scharfe Curette 
meiner Ansicht nach in der Therapie des Aborts fehlerhaft ist. Wie 
ich sonst über die Curettage bei Abort denke, habe ich nicht erwähnt. 
Ich bin gar kein absoluter Gegner der Curettage für gewisse Fälle. 

Ferner muss ich das, was Herr Gottschalk gegen die Abortzange 
anführte, nicht als zutreffend bezeichnen. Er sagte, das ist ein Instru¬ 
ment, mit dem man im Dunkeln arbeitet. Das aber muss man bei 
vielen geburtshilflichen Operationen, z. B. bei der Zangenanlegung. 
Man muss eben die richtige Technik kennen, dann kann man damit 
nicht schaden. Auch ich wende ja die Abortzange nur in bestimmten 
Fällen an, nur dann, wenn sie mir ein Bedürfnis ist, und dieses Be¬ 
dürfnis ist eben, wie ich trotz Herrn Gottschalk wiederholen muss, 
bei den skizzierten Fällen vorhanden. Man soll aber dann nicht, wie 
ich bei einem Gegner der Abortzange gesehen habe, mit der Kornzange 
ausräumen. Ich möchte Ihnen hier die Kornzange im Vergleich zur 
Abortzange vorzeigen. Sie sehen, dass man mit diesem Instrument un¬ 
gleich viel leichter die weiche Uteruswand durchbohren kann als mit 
der Abortzange. Die Kornzange ist für Uterusausräümungen absolut 
ungeeignet. Sie ist spitz, hat eine Crömailliere und gestattet, mit aller 
Kraft zuzufassen. 

Was die parauterinen Infektionen anlangt, bei denen sich Herr 
Gottschalk exspektativ verhalten will, so ist es ganz selbstverständ¬ 
lich, dass man bei einem frischen parametritischen Exsudat nicht aktiv 
vorgeht. Handelt es sich aber um andere Dinge, z. B. um Thrombo¬ 
phlebitiden, um Allgemeininfektionen, die neben dem septischen Abort 
bestehen, wobei man durch Wegnahme des primären Herdes unter Um¬ 
ständen die Sepsis zur Ausheilung bringen kann, um Peritonitiden, bei denen 
als ultima ratio eine Eröffnung der Bauchhöhle vorgenommen werden 
kann, so ist nicht selten ein aktives Vorgehen erforderlich. 


Laryngologlsche Gesellschaft zu Berlin. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 14. März 1913. 

Vorsitzender: Herr Killian. 

Schriftführer: Herr Grabower. 

Als Gast anwesend Herr Stubenvoll aus Reichenhall. 

Das Organisationskomitee des internationalen Kongresses in 
London hat mitgeteilt, dass die grösseren Vorträge bis zum 1. April in 
vollständiger Abschrift oder im Auszug vorgelegt, von anderen Vorträgen, 
die gehalten werden sollen, die Manuskripte bis zum 1. Juli eingeliefert 
sein müssen. 

Am 26. März findet für die Teilnehmer am internationalen 
Kongress für Physiotherapie ein Empfangsabend statt, zu dem 
der Aerzteausschuss von Gross-Berlin einladet. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 24. 


Vor der Tagesordnung. 

1. Hr. Finder: M. H.! Ich möchte mir erlauben, Ihnen einen Fall 
von Dislokation des Larynx bei angeborenem muscnlärem Schiefhals 

zu demonstrieren. Der Patient war bisher in der Lungenheilstätte in 
Beelitz, er ist gestern entlassen worden. (Demonstration.) Sie sehen 
eine Verkürzung des linken Sternocleidomastoideus, eine sehr auffallende 
Atrophie der ganzen linken Gesichtshälfte und, wie das bei diesen 
Fällen die Regel ist, eine Verschiebung in toto des ganzen Kopfes nach 
rechts, so dass der Kopf ziemlich weit nach rechts von der Längsachse 
des Körpers steht. Wenn Sie den Patienten laryngoskopieren, so bietet 
sich Ihnen ein recht auffälliges Bild dar: Es sieht so aus, als ob jemand 
den Larynx vorn am Schildknorpelwinkel ergriffen und nach links 
herübergeschoben hätte. Sie sehen direkt in den rechten Sinus pyri- 
formis hinein. Das rechte Ligamentum aryepiglotticum ist ad maximum 
gespannt und meiner Schätzung nach ungefähr dreimal so lang wie das 
linke; die Glottis steht schief von rechts hinten nach links vorn. Es 
ist wohl keine Frage, dass diese sehr auffällige Dislokation des Larynx 
in ursächlichem Zusammenhänge mit dem angeborenen musculären 
Schiefhals des Patienten steht. Ich habe mich in der Literatur umge¬ 
sehen, es ist nichts Derartiges bisher beschrieben worden. Wir haben 
hier im Gegensatz zu den Fällen, die wir häufig zu sehen gewohnt sind, 
keine Vorschiebung des Larynx infolge von Druck von aussen her, z. B. 
durch einen extralaryngealen Tumor, durch Strumen und dergleichen, 
sondern wir haben es hier wohl sicher mit einer Zugwirkung am Larynx 
zu tun. Der Larynx hat sich in seiner Stellung dem ganzen Verhalten 
des Kopfes adaptiert und steht infolgedessen so, wie Sie das hier sehen. 
Ich möchte noch darauf aufmerksam machen, dass es gelingt, wenn man 
den Patienten laryngoskopiert und gleichzeitig den Larynx dreht, die 
Dislokation wieder auszugleichen. 

Diskussion. 

Hr. Finder: Ueber den Mechanismus des Zustandekommens im 
einzelnen bin ich mir auch nicht klar. Ich kann, wie gesagt, nur an¬ 
nehmen, dass eine gewisse Adaption an die Kopfhaltung im allgemeinen 
stattgefunden hat. Die Frage, wie die Drehung des näheren zu erklären 
ist, habe ich mir natürlich auch vorgelegt, bin aber nicht imstande, sie 
zu beantworten. 

Hr. Grabower: Vielleicht liegen lockere Adhäsionen zwischen der 
Muskelfascie des Sternocleidomastoideus und dem perilaryngealen Zell¬ 
gewebe vor. 

2. Hr. Abraham: M. H.! Ich wollte mir erlauben, Ihnen einen 
Patienten mit Careinom des Nasenrachenraums vorzustellen, der vor 
etwa 3 Wochen die Poliklinik von Dr. Scheier aufsuchte. 

Der Patient, ein 48 Jahre alter Schutzmann, berichtete, dass er 
schon vor einem Jahr in einer anderen Poliklinik für Halsleiden an 
einer kleinen Geschwulst operiert worden wäre, die im Nasenrachenraum 
auf der rechten Seite gesessen hätte. Er wäre damals nach einigen 
Tagen als geheilt entlassen worden. 

Die Untersuchung ergibt nun, dass schon beim einfachen Herunter¬ 
drücken der Zunge auf der linken Seite hinter dem weichen Gaumen 
eine bohnengrosse, rötliche Geschwulst mit höckeriger Oberfläche sichtbar 
ist. Eine ähnliche, aber kleinere zeigt sich auf der rechten Seite. Beim 
Abheben des weichen Gaumens sieht man, dass beiderseits die Ge¬ 
schwülste von oben herunterkommen und ihren Ursprung vom Seiten¬ 
strang unterhalb des Tubenwulstes nehmen. Sie bluten leicht bei der 
Berührung und haben eine ziemlich derbe Konsistenz. Aebnliche, 
höckerige, wie Papillome aussehende Geschwulstmassen füllen die Rosen- 
müller’schen Gruben aus und sitzen auch am Nasenracbendach. An 
letzterer Stelle sind sie mit schmierigem, eitrigem Belage bedeckt. Die 
hintere Fläche des weichen Gaumens ist frei, ebenso das Septum und 
Naseninnere. Da starke Drüsenpakete am Halse unterhalb der Anguli 
mandibulae bestehen, so konnte man hieraus und aus dem lokalen Be¬ 
fund im Nasenrachenraum an eine maligne Geschwulst denken. 

Wir entfernten den breitbasig aufsitzenden Tumor links. Die mikro¬ 
skopische Untersuchung ergab ein Garcinom. 

Zur Bekräftigung meiner Diagnose Hessen wir noch ein Stück in 
der wissenschaftlichen Abteilung des Krebsinstituts der Charit6 unter¬ 
suchen. Herr Dr. Hirschfeld konnte die Diagnose nur bestätigen. 

Nach der kleinen Operation trat eine starke, lange anhaltende 
Blutung ein, Patient bekam Fieber, 8 Tage hindurch, mit Rötung des 
Trommelfells. Seit einigen Tagen zeigt sich nun, dass die Tumormassen 
von hinten in die rechte Choane hineingewachsen sind. Man sieht deut¬ 
lich, wie hinten am Septum, rechts oben bis zur Mitte desselben eine 
höckerige Geschwulst herunterragt, die auch von vorn zu erkennen ist. 

Patient hat bis zum Eintritt in unsere Behandlung seinen Dienst 
versehen und zeigt keine merkliche Abmagerung. 

Eine Radikaloperation wurde durch den Chirurgen abgelehnt, sowohl 
wegen der Lage des Tumors, wie auch wegen der starken Drüsen¬ 
schwellungen. 

Wir beabsichtigen, den Patienten mit Radiumstrahlen zu behandeln. 

In der Literatur sind Carcinome des Nasenrachens nur selten er¬ 
wähnt 

Naoh Zarniko hat Dreyfuss bis 1892 nur 13 Fälle nach den 
Veröffentlichungen zusammengestellt, Kümmel 1 bis 1896 nur 40, 
M. Schmidt bis 1895 unter mehr als 46 000 eigenen Patienten nur 9. 
In der Fränkel’schen Poliklinik sind nach Finder unter 28 000 Fällen 
zwei Nasencarcinome beobachtet worden; Zarniko hat bis 1904 unter 
10 000 eigenen Fällen seiner Privatpraxis nur vier Carcinomfälle fest¬ 


gestellt, während Herzfeld unter 28 000 Fällen nicht einen einzigen 
beobachtet hat. 

Diskussion. 

Hr. Killian: Carcinome des Nasenrachens sind nicht so selten, wie 
betont wurde. Sie kommen gelegentlich vor, werden aber von Nicht¬ 
spezialisten leicht übersehen. 

Hr. Abraham (Schlusswort): Was die Häufigkeit dieser Fälle be¬ 
trifft, so muss ich auch sagen, dass ich meine eigene Erfahrung nicht 
ins Feld führen, sondern mich nur danach richten kann, was die Autoren 
angeben. Danach soll Carcinom des Nasenrachens verhältnismässig 
selten sein. Ich habe mitgeteilt, dass in der Fränkel’schen Poliklinik 
unter 28 000 Fällen nur ein paar Fälle festgestellt worden sind; das 
hat Herr Finder seinerzeit angeführt. Zarniko gibt unter 10 000 
Fällen nur vier an. Gewiss, wer viel beschäftigt ist, wird mehr Fälle 
finden, und wenn man genauer darauf achtet, wird man noch den einen 
oder anderen Fall entdecken. Das führt übrigens Zarniko auch an, 
dass nicht alle Fälle veröffentlicht sein werden. Das trifft doch aber 
auch auf alle anderen Statistiken zu. 

Tagesordnung. 

1. Hr. P. Heymann: a) M. H.! Ich habe kurze Nachträge zu den 
beiden Demonstrationen der vorigen SitzuBg zu machen. Der Patient, 
den ich Ihnen zeigte, hat sich im Laufe dieser 4 Wochen etwas ge¬ 
bessert. Ganz geheilt ist er noch nicht. Die Verdickung und der 
weisse Fleck auf dem linken Stimmband sind kleiner geworden und 
etwa auf den dritten Teil des ursprünglichen Umfangs zurückgegangen. 
Gleichzeitig ist die Infiltration und Rötung der Stimmbänder allmählich 
geringer geworden. Um zu entscheiden, um was es sich handelt, haben 
wir ein Stückchen des Belags von der erkrankten Stelle weggenommen. 
Es handelte sich um einen Epithelverlust an der betreffenden Stelle und 
in der Umgebung dieses Epithelverlustes um leichte nekrotische Ver¬ 
änderungen der obersten Epithels'chicht. Es würde also einer der sel¬ 
tenen Fälle sein von einseitiger Erkrankung des Stimmbandes bei 
Katarrh, eine Vermutung, auf die Herr Killian schon neulich aufmerk¬ 
sam machte, und gegen die ich einige Gründe geltend gemacht habe, 
die ich nach dem mikroskopischen Befund und dem weiteren Verlauf 
natürlich nicht aufrecht erhalten kann. 

Diskussion. 

Hr. Grabower: Ist der Patient in der Zwischenzeit mit Jodkali 
oder Quecksilber behandelt worden? 

Hr. P. Hey mann: Nein. Der Patient hat auch gar keine Er¬ 
scheinungen von Syphilis gezeigt. Die Reaktion auf Wassermann war 
negativ. 

Hr. Killian: Darf ich fragen, ob eine Fibrinfärbung gemacht worden 
ist? (Hr. A. Meyer: Nein!) Schade, denn die Auflagerungen bestehen 
in der Regel aus Fibrin. 

Hr. A. Meyer: Die Auflagerung war nicht mehr da, es war nur 
noch Epithelverlust festzustellen. 

Hr. P. Heymann: b) Was die zweite Demonstration des Hendrich- 
schen Apparates betrifft, so habe ich nochmal zu betonen, dass ich 
absolut entfernt davon bin, etwa zu glauben, dass die Mittelohrent¬ 
zündungen, die bei Durchspülungen der Nase entstehen, lediglich durch 
den positiven Ueberdruck zustande kommen. Es kommen da Schneuzen, 
Schluckbewegungen und andere Momente noch hinzu. Dass aber der 
positive Druck dabei eine Rolle spielt, das halte ich für sehr wahr¬ 
scheinlich. 

Was die Entleerung der Nebenhöhlen durch das Durchspülen be¬ 
trifft, so haben wir bei mehrfachen Versuchen an Glasmodellen gefunden, 
dass sich die Nebenhöhlen allerdings, aber schwer entleeren lassen. Es 
muss da ein ganz ähnlicher Vorgang stattfinden wie bei der Bunsen- 
schen Pumpe; infolge des Zuges durch die vorbeistreichende Flüssigkeit 
ist eine Entleerung möglich. Das haben wir auch bei unseren Versuchen 
festgestellt. Jedenfalls haben wir bei unseren Versuchen bei dem Durch¬ 
spülen mit negativem Druck die Entleerung der die Nebenhöhlen dar¬ 
stellenden Glaszellen leichter erzielen können, als beim Durchspülen 
mit positivem Druck. 

Diskussion. Hr. Killian: Ueber die Saugbehandlung wollte ich 
nur eins sagen, dass nämlich das Sekret, das man dabei gewinnt, nicht 
allein aus den Nebenhöhlen stammt. Ich glaube, dass das Saugen auf 
die Nasenschleimbaut reizt und zur Schleimsekretion veranlasst. 

2. Diskussion zu der Demonstration des Herrn Sonntag: Fall von 
Embolie der Arteria centralis retinae dnrch Paraffininjektion. 

Hr. Eckstein: M. H.! Als ich im Jahre 1901 mit Herrn Kollegen 
Röhr über die damals von mir zuerst vorgenommene Hartparaffininjektion 
sprach, sagte er, dass das doch auch, in die Nasenmuscheln injiziert, 
eine Mittel gegen Ozaena sein müsste. Ich warnte ihn davor und sagte, 
dass, wenn das Hartparaffin auch von der normalen Haut und Schleim¬ 
haut tadellos vertragen würde, daraus durchaus nicht sicher zu ent¬ 
nehmen wäre, dass es bei einer erkrankten Schleimhaut ebensogut er¬ 
tragen würde. Später hat dann Prof. Moure aus Bordeaux sich die 
Technik der Injektion bei mir angesehen und im Jahre 1902 zuerst 
Versuche damit vorgenommen. Die Resultate waren sehr gut. Ich war 
angenehm überrascht, dass keine schlimmeren Begleiterscheinungen be¬ 
richtet wurden als Phlebitiden der Gesichtsvenen, die ziemlich reaktions¬ 
los verliefen, ohne weitere Nachteile zu bringen. In der Folgezeit wurden 
zwei Fälle kurz berichtet, bei denen sich an diese Phlebitiden Lungen- 


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19. Joni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


.1127 


embolie angeschlossen habe. Der eine Fall ist von de Cazeneuve 
ohne weitere Beschreibung kurz erwähnt worden, der andere von 
Broeckaert genauer mitgeteilt worden; zwei Tage nach der Injektion 
hätte sich, wie gewöhnlich bei diesen Fällen, ein harter Strang vom 
inneren Augenwinkel über die eine Gesichtshälfte gezogen, und sechs 
bis acht Tage später wäre Lungenembolie aufgetreten. Keiner dieser 
Autoren ist offenbar der Meinung, dass es sich bei diesen Gefäss- 
alterationen um etwas anderes bandelt als um gewöhnliche Phlebitiden, 
keiner ist der Meinung oder spricht sie wenigstens aus, dass in diesen 
Fällen etwa Paraffin in die Gefässe hineingelangt sein könnte, so dass 
man auch von einer eigentlichen Paraffinembolie dabei nicht sprechen 
kann. 

Dann ist mir noch ein Fall bekannt, der von Rohmer in Nancy 
eitler! ist: Dieser bespricht einen Fall von Erblindung nach Paraffin¬ 
injektion im Nasenrücken bei Verwendung von Weichparaffin und er¬ 
wähnt, dass ihm ein Fall bekannt wäre, wo nach Injektion von Paraffin 
bei Ozaena Erblindung eingetreten sei. Genaueres konnte er mir nicht 
mitteilen. 

Schliesslich ist mir noch ein Fall aus der Chiari’sehen Klinik be¬ 
kannt, bei dem ebenfalls nach Injektion von Weichparaffin in die ozaena- 
töse Nasenmuschel der Patient eine Hemiplegie bekommen hat, die aber 
nach zwei Monaten verschwand. Der Fall ist recht wenig verständlich 
und ist auch ganz unaufgeklärt geblieben. Es ist nicht ganz ausge¬ 
schlossen, dass bei dem Patienten, der herzleidend war, ein Aufregungs¬ 
zustand hierbei mitgespielt hat. 

Nun ist der Fall, den Herr Sonntag berichtet hat, im höchsten 
Grade merkwürdig. Er berichtete, dass er nicht Weichparaffin, sondern 
Hartparaffin verwandt hätte. In der Tat hat sich das Hartparaffin, das 
ausser mir auch Herr Prof. Spiegel untersucht hat, als ein recht gutes 
Präparat erwiesen. Schmelzpunkt war annähernd 50°; flüssige Bestand¬ 
teile Hessen sich bei 37° Temperatur und bei mässigem Druck nicht 
herauspressen. Auffallend ist nun, dass in diesem Falle die Embolie 
nicht im Moment der Injektion zustande kam, sondern erst sieben Tage 
später, und dass inzwischen die Patientin, wie sie mir auf Befragen zu¬ 
gab, Schmerzen gehabt hat, die sich vor allen Dingen auf die eine Ge¬ 
sichtshälfte erstreckten, allerdings auch nach beiden Seiten etwas herunter¬ 
zogen. Das ist etwas, was, wenigstens nach meinen Erfahrungen — ich 
habe doch auch eine ganze Anzahl von Paraffininjektionen bei Ozaena 
gemacht —, nicht der Fall zu sein pflegt, so dass es ziemlich wahr¬ 
scheinlich ist, dass hier ein entzündlicher Prozess in der Tiefe gewesen 
sein muss. Ist das der Fall und handelt es sich um eine entzündliche 
Verstopfung eines Blutgefässes, so ist es nicht wunderbar, wenn noch 
sieben Tage nach der Injektion ein kleiner Teil eines entzündlichen 
Thrombus sich abgestossen hat und dann verschleppt worden ist. Merk¬ 
würdig ist natürlich, dass ein solcher Thrombusteil, der, wie ich glaube, 
keineswegs Paraffin gewesen sein muss, in den Bulbus hineinkommt. 
Das ist aber etwas, was wir bei den sämtlichen Fällen von Erblindung — 
ich kenne etwa 16 bis 17 aus der Literatur nach Paraffininjektion — 
schliesslich als Tatsache hinnehraen müssen. Ich möchte bemerken, 
dass in keinem derartigen Falle bisher Hartparaffin von mindestens 50° 
Schmelzpunkt verwandt wurde. Man muss sich die Sache ungefähr so 
vorstellen, dass, wenn es sich um Verstopfung einer Vene handelt, durch 
direkte Fortleitung eines Thrombus bis in die Orbita, eine Thrombo¬ 
sierung bis in die Vena ophthalmica erfolgt ist, und wenn die Vena 
ophthalmica verstopft war, so mussten auch die übrigen ihr Blut in 
diese Vene hinein entleerenden Gefässe, wie die Vena centralis retinae, 
sich verstopfen und so die Erblindung herbeiführen. Noch viel merk¬ 
würdiger ist allerdings, dass es sich in solchen Fällen manchmal um 
Embolie der Arteria centralis retinae handelt. Und doch ist die Tat¬ 
sache absolut nicht zu bestreiten. Alle Ophthalmologen, die ich des¬ 
wegen befragt habe, haben mir erklärt, dass keine Rede davon sein 
könne, dass man das Bild der Embolie der Arteria centralis retinae mit 
dem Bilde der Thrombose der Vena ophthalmica verwechseln könne; die 
Blutung bei Venenthrombose, die strotzend gefüllten Venen unterschieden 
sich durchaus von dem anämischen Bilde bei Embolie, so dass kein 
Zweifel möglich sei. 

Für die Embolie möchte ich eine Reihe von Hypothesen kurz mit¬ 
teilen. Eine ist von Heerd und Holden angegeben und geht dahin, 
dass in solchen Fällen eine Verschleppung von Paraffin in das rechte 
Herz stattgefunden habe, also durch eine Vene, und dann durch ein 
offengebliebenes Foramen ovale, das klinisch keine Symptome gemacht 
hätte und nicht selten wäre, Paraffin in den arteriellen Kreislauf hinein¬ 
gelangt wäre. Wenn merkwürdigerweise dann nur eine Embolie im Auge 
zustande gekommen ist, so müssen wir dabei daran denken, dass es nicht 
ausgeschlossen wäre, dass auch in anderen Stellen des Körpers Embolien 
aufgetreten sind, die aber keine Symptome gemacht haben, während 
beim Auge natürlich die allerschwersten Konsequenzen entstehen müssen. 
Uebrigens könnte es der Fall gewesen sein, dass bei dem Hineingelangen 
von Paraffin in das rechte Herz — das wäre nur bei Weichparaffin oder 
Vaselin möglich — Paraffin auch durch die Lunge in das linke gelangt 
wäre; denn es ist mehrfach experimentell von Grimm und auch von 
Bürger festgestellt worden, dass Weichparaffin von den Lungencapillaren 
nicht ganz zurückgehalten wird. Es wäre also denkbar, dass es die 
Lungencapillaren passiert und so in den arteriellen Kreislauf hinein¬ 
gelangt. 

Ausser diesen beiden Hypothesen möchte ich noch eine dritte an¬ 
geben, die mir die wahrscheinlichste zu sein scheint. Es ist danach etwas 
Paraffin in eine Arterie gelangt, und da es bei der Geschwindigkeit der 


Injektion die arteriellen Capillaren nicht passieren konnte, so kam es 
zu einem retrograden Transport. Dieser führte aber nicht weiter central- 
wärts nach dem Herzen zu, weil hier, wie es meistens der Fall zu sein 
pflegt, die komprimierende Hand des Operateurs oder Assistenten ein 
weiteres Zurückfliessen verhinderte. Da das Paraffin irgendwohin musste, 
so gelangte es durch eine der zahlreichen Anastomosen in die Orbita. 
Hier stiess es auf den ihm stark entgegenströmenden Blutstrom der 
Arteria ophthalmica und wurde von diesem, den es nicht überwinden 
konnte, in eine abgehende kleine Arterie hineingeworfen, und wenn 
diese kleine Arterie zufällig die Arteria centralis retinae war, so war 
damit die Embolie geschaffen. So, glaube ich, wird man also vielleicht 
den Fall des Herrn Sonntag erklären müssen, dass es sich dabei um 
eine Verstopfung einer Arterie gehandelt hat, vielleicht auf entzündlicher 
Basis — denn dafür sprechen die Schmerzen —, und dass später ein 
kleiner Thrombus auf diese Weise in das Auge geraten ist. 

Ich will zugeben, dass alle diese Erklärungen etwas Gezwungenes 
haben. Aber wenn die höchst merkwürdige Tatsache nicht bestritten 
werden kann, so müssen wir uns vielleicht mit dieser Erklärung be¬ 
gnügen. 

Nun wäre in praktischer Beziehung noch zu fragen: sollen wir aus 
dem Fall Konsequenzen ziehen? Dass dieser Fall so ungemein günstig 
verlaufen ist, dass hier nur ein einzelner Ast der Arteria centralis 
retinae verstopft ist, ist ein noch nicht dagewesener Zufall. In sämt¬ 
lichen Fällen, die sonst vorgekommen sind, handelt es sich stets um 
eine komplette Verstopfung der Arteria centralis retinae resp. eine 
Thrombose der Vena ophthalmica mit kompletter Erblindung. Aber es 
wäre die Frage, ob wir nicht doch vielleicht die Möglichkeit haben, 
solche Fälle — wenigstens wenn sie sich so abspielen wie der Fall des 
Herrn Sonntag — in gewisser Beziehung vorauszusehen. Da, glaube 
ich, wäre es nicht unwichtig, dass wir darauf achten, ob die Patienten 
etwa am Tage nach der Injektion oder an den folgenden Tagen Schmerzen 
im Gesicht, speziell in der Gegend der Nase oder in der Haut empfinden. 
Wenn das der Fall sein sollte, müssen wir sie dringend warnen — was 
wir aber auch in jedem Fall tun könnten —, unnötige Bewegungen im 
Gesicht zu machen, namentlich, dass sie sich mit den Händen nicht zu 
stark im Gesicht herumarbeiten, z. B. beim Waschen oder beim Jucken. 
Das sind alles Bewegungen, die recht energisch ausgeführt werden. Ob 
das etwas nutzen wird, kann man natürlich nicht sagen. Schliesslich 
muss man aber doch sagen, dass man einen solchen Zufall wohl auf 
viele Tausende, vielleicht auf Hunderttausende von Injektionen erst er¬ 
lebt, und dass wir nicht verlangen können, solange wir nicht einmal in 
der Lage sind, eine Hilfsoperation, wie es die Narkose ist, gefahrlos zu 
gestalten, dass ein Eingriff unter allen Umständen gefahrlos sein soll, 
der, wie ich glaube, in vielen Fällen doch nicht durch etwas Besseres 
ersetzt werden kann und vor allen Dingen in sozialer Beziehung für die 
Patienten doch von sehr wohltätiger Folge sein kann. 

Hr. Wagen er: M. H.! Ich hatte Gelegenheit in Giessen, folgenden 
Fall zu beobachten: Gegen Schluss der Klinik machten Prof. v. Eicken 
und ich bei einem jungen Menschen eine Paraffininjektion am Nasen¬ 
rücken. Wir machten die Injektion mit Paraffin, mit dem wir alle In¬ 
jektionen gemacht hatten, sicher mit Hartparaffin, wie wir nachher 
kontrolliert haben. (Hr. Sonntag: Welcher Schmelzpunkt?) — Das 
kann ich nicht mehr genau sagen. — Während der Injektion, die mit 
allen Kautelen vorgenommen wurde, kniff der Patient plötzlich beide 
Augen zu und war zuerst nicht zu bewegen, die Augen wieder zu öffnen. 
Nach kurzer Zeit machte er die Augen auf. Ich kontrollierte das Seh¬ 
vermögen und konnte bei der groben Prüfung eine Differenz nicht fest¬ 
stellen. Einen Apparat, um das periphere Gesichtsfeld aufzunehmen, 
hatte ich gerade nicht zur Hand, ich konnte aber auf der einen Seite 
eine deutliche Störung des centralen Farbensinns nachweisen. Es wurde 
natürlich auch mit dem Augenspiegel untersucht, gröbere Veränderungen 
waren sioher nicht vorhanden. Dem Patienten ging es so gut, dass er 
nicht zu bewegen war, in Giessen zu bleiben; er reiste ab. Als er nach 
einiger Zeit wiederkam, war nicht die geringste Störung mehr naohzu- 
weisen. Ich möchte glauben, dass es sich auch in diesem Falle um 
eine Embolie in ein kleines Gefäss gehandelt hat. 

Hr. Finder: Ich wollte mir nur eine Frage an den Kollegen Eck¬ 
stein erlauben. Er fasst nach seinen Ausführungen die Thrombose 
resp. Embolie nicht als eine durch das Paraffin selbst bedingte auf, 
sondern als eine rein entzündliche. Danach müsste also die Thrombose 
für die hier in Frage stehende Operation, d. h. die Paraffininjektion nichts 
Spezifisches sein. Ich möchte fragen, warum dann, wenn auch immerhin 
selten, so doch verhältnismässig häufig ein derartiger Vorfall nach Paraffin¬ 
injektionen in die Muschel auftritt und niemals nach anderen operativen 
Eingriffen an der Muschel? 

Hr. Eckstein: Die Frage habe ich mir selber auch vorgelegt; 
genau beantworten kann ich sie nicht. Ich möchte nur das eine er¬ 
wähnen, dass es sonst meines Wissens nicht vorkommt, dass wir Fremd¬ 
körpereinverleibungen in ein zweifellos erkranktes Organ vornehmen. 
Manches spricht dafür, dass speziell die Beschaffenheit der ozaenatösen 
Nasenmuschel für derartige Zufälle prädisponiert. — Zu dem Fall des 
Herrn Kollegen Wagen er kann ich auch keine Aufklärung liefern. 

Hr. Killian: Ich möchte nur bemerken, dass es in Ozaenanasen 
leichter zu Infektionen kommen kann. 

Hr. Scheier: Was die dritte Erklärung des Herrn Eckstein be¬ 
trifft, so weiss ich nicht, wie sich der Kollege das denkt, dass man eine 


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1128 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 24. 


Art Kompression ausüben kann. Bei der Paraffininjektion in die Nasen¬ 
schleimhaut kommen wir nicht mit dem Finger heran, sie wird voll¬ 
kommen freigemacht. 

Hr. Max Senator: Ich wollte nur mit zwei Worten daran er¬ 
innern, dass ausser den Fällen, die Herr Eckstein und HerrWagener 
erwähnt haben, noch ein Fall von Amaurose bekannt ist, der ungetähr 
vor 10, 12 Jahren in Hamburg beobachtet wurde. Soviel ich mich ent¬ 
sinne, wurde wegen Sattelnase eine Paraffininjektion in die äussere Nase 
gemacht, und zwar vermutlich Weichparaffin, da man sich damals noch 
in den Anfängen der Paraffinbehandlung befand. Unmittelbar danach — 
so lauten die Berichte — trat Erblindung des Auges ein, die möglicher¬ 
weise auf Embolie der Arteria centralis retinae zurückgeführt wurde. 
Die Erblindung blieb dauernd. Sie finden näheres über den Fall in 
der Augustnummer des Jahres 1902 von Semon’s internationalem Central¬ 
blatt für Laryngologie usw. Semon hatte damals, als die Paraffin¬ 
behandlung begann, eine Rundfrage über eventuelle Schädigungen 
veranstaltet; unter den eingelaufenen Antworten befand sich auch 
dieser Fall. 

Hr. Eckstein: Mit der Kompression bei der Injektion meine ich 
natürlich nur die Kompression, die sich an der Nasenhaut abspielt. 
Selbstverständlich können wir eine Kompression bei den Nasenmuscheln 
nicht vornehmen. Ich wollte da9 auch nur als Beweis dafür vortragen, wie 
ich mir eine Verschleppung mit Hilfe einer arteriellen Anastomose bei 
den Erblindungen vorstelle, die ja in 16 bis 17 Fällen stets bei In¬ 
jektionen in die äussere Nasenhaut und nur in einem einzigen Falle 
nach Injektion in die Nasenmuschel bei Ozaena eingetreten sind. Der 
Fall, den Herr Senator erwähnte, ist einer von diesen 16 bis 17, und 
zwar der erste; er ist von Herrn Leiser in Hamburg beobachtet und 
im Jahre 1902 in der Deutschen medizinischen Wochenschrift beschrieben 
worden. Es bandelt sich dabei allerdings nicht um eine arterielle 
Embolie, sondern um Thrombose der Vena ophthalmica, wobei dann 
dauernde Erblindung eintrat, glücklicherweise in einem durch hoch¬ 
gradigen Astigmatismus bereits so gut wie unbrauchbaren Auge. 

Hr. Killian: Sind das alles nur einseitige Fälle, oder sind auch 
doppelseitige darunter? 

Hr. Eckstein: Ich entnahm einem Briefe, den mir Dr. Welty aus 
San Francisco geschrieben hat, dass ihm 5 Fälle in Amerika bekannt 
wären, die sämtlich mit Weichparaffin zustande gekommen sein sollen — 
publiziert scheinen sie nicht zu sein —, und einer von diesen Fällen 
soll doppelseitig gewesen sein. Das würde aber auch einer von den 
16 bis 17 von mir erwähnten Fällen sein. 

Hr. Sonntag (Schlusswort): Ob das fortgeführte Teilchen Paraffin 
oder ein Thrombus gewesen ist, wird sich nicht entscheiden lassen. Mir 
ist bezüglich der Erklärung des Herrn Kollegen Eckstein dasselbe 
Bedenken gekommen, das Herr Finder äusserte; denn bei den vielen 
endonasalen Operationen, z. B. Siebbeinausräumungen, nach denen 
manchmal Entzündungen und Phlebitiden entstehen, ist dieser Vorgang 
noch nicht beobachtet worden. Aber es ist ja möglich, dass die Ozaena¬ 
nase besonders disponiert ist 

Dass es sich um Embolie, nicht um Thrombose bandelt, ist ganz 
siohergestellt, auch durch die heutige Untersuchung wieder, die Herr 
Kollege Lehmann liebenswürdigerweise nochmals vornahm. Das 
arterielle Gefäss zeigt sich deutlich verengert, und die Trübung um das 
Gefäss herum ist noch deutlich zu sehen. Der objektive Befund ist 
derselbe wie vor 5 Wochen. 

3. Diskussion zu dem Vortrage und den Demonstrationen des 
Herrn West, betreffend „Die Technik der Eröffnung des Tränensackes 
von der Nase ans“. 

Hr. Halle: Ich habe in 10 Fällen die Operation ausführen können 
und unter diesen in 2 Fällen doppelseitig. Ich habe auch Gelegenheit 
gehabt, hier einige dieser Fälle vorzustellen. Die drei letzten verdanke 
ich der Freundlichkeit des Herrn Professor Guttmann. Bei allen 
dreien bestand eine Eiterung des Sackes, bei den zwei älteren Patienten 
seit etwa zwei Jahren, bei einem 18 jährigen jungen Manne „seit seiner 
Kindheit“. Alle drei Fälle sind in den letzten Wochen nach dieser 
Methode mit kleinen Modifikationen, über die ich schon einmal be¬ 
richtet habe, operiert worden. Sie sind 4 oder 5 Tage nach der Operation 
vollkommen frei gewesen von Eiter; nur einer hat noch etwas Tränen- 
träufeln. Das ist wohl auf eine vorhandene Stenose des Canaliculus 
lacrimalis zu beziehen. Ich muss mich dagegen wenden, wenn Herr 
Cohn behauptet, dass man etwa bei der Operation im Dunkeln arbeitet. 
Davon kann keine Rede sein. Man sieht meist nach wenigen Meissei¬ 
schlägen, auch ohne dass man eine Sonde einführt, den ganzen Sack 
freiliegen und kann unschwer die mediale Wand wegnehmen. Für sehr 
zweckmässig halte ich das, was ich schon einmal vorgescblagen habe, 
und was auch Kollege West jetzt acceptiert zu haben scheint (Demon¬ 
stration), dass man hier vorn nach Art der Septumoperation einen 
Schnitt anlegt, parallel dem Nasendache, von hier auf den vorderen 
Ansatz der unteren Muschel zu und etwas oberhalb des Ansatzes der 
mittleren Muschel nach hinten die Schleimhaut durchschneidet und sie dann 
einfach abhebt und nach hinten legt. Dadurch hat man eine vollständig 
freie Uebersicht über den ganzen Knochen. Die Schleimhaut ist manch¬ 
mal nicht sehr dünn, und sie kann den Blick auf das Operationsfeld, 
das ja nicht sehr gross ist, erheblich beeinträchtigen. Auf diese Weise 
kommt man sehr leicht vorn auf diesen Pol, vor dem vorderen Ansatz 
der mittleren Muschel, der an diesem Modell durch eine vordere Sieb¬ 


beinzelle angedeutet ist. Das ist die Stelle, wo der Saccus lacrimalis 
liegt. Wenn man hier mit dem einfachen Meissei nach lateral ein¬ 
schlägt, so bekommt man unter Umständen einen ziemlich grossen 
Knochensplitter, unter welchem schon der Sack liegt. Schneidet man 
nun die mediale Fläche ab, so ist es gar keine Frage, dass der Sack 
in ähnlicherWeise mit der Nase kommuniziert, wie es Foti durch seine 
äussere Operation erreichen will. Mir scheint aber, dass die äussere 
Operation meist besser durch die West’sche ersetzt wird. 

Hr. Wagener: Seit langen Jahren habe ich im Operationskurs 
immer eine Methode gezeigt, wie man sich die Lage des Tränensackes 
in der Nase genau fixieren kann. Man führt einfach im untersten 
Tränenkanälchen eine Sonde ein und stösst diese nach der Nase zu 
durch. Man hat dann den Tränensack gewissermaassen aufgespiesst. 
Dadurch wird man sich die Operation erleichtern können. Ich bitte 
Herrn West, es einmal bei seinen Fällen zu tun. 

Hr. Ritter: M. H.l Dass man nach der West’schen Methode das 
Tränen sicher sehr schnell und radikal beseitigen kann, bezweifle ich 
nicht. Ich möchte aber doch daran erinnern, dass sehr viele Fälle von 
Erkrankungen der Tränenwege von irgendwelchen Nasenerkrankungen 
herstammen und nur sekundärer Natur sind. Namentlich spielen Er¬ 
krankungen der vorderen Siebbein zellen, die dem Tränensack sehr nahe 
liegen, für das Tränenträufeln und die Tränensackerkrankungen eine 
ausserordentlich wichtige Rolle; ich möchte in dieser Beziehung auf eine 
Arbeit von Rhese aufmerksam machen. Häufig wird es sehr viel 
rationeller sein, zunächst das vordere Siebbein zu behandeln und erst 
dann den Tränensack anzugreifen, wenn durch die Behandlung der Nase 
das Leiden noch nicht verschwindet. Sonst macht man unter Umständen 
den Fehler: man lässt eine Nebenhöhleneiterung bestehen, stellt eine 
breite Verbindung zwischen Nase und Bindehautsack her und verstärkt 
damit gerade die Gefahr der Infektion des Auges, die durch die Be¬ 
handlung des Tränenleidens verhindert werden soll. 

Hr. Sobernheim: Ich wollte nur fragen, ob in den Fällen, wo 
Wert auf eine totale Exstirpation des Tränensacks gelegt werden muss 
— ich denke an Tuberkulose —, es auch möglich ist, von der Nase aus 
nach der Methode des Herrn West den operativen Eingriff vorzunehmen, 
oder ob es notwendig ist, in solchen Fällen den äusseren Eingriff wie 
bisher zu machen. 

Hr. West (Schlusswort): Zunächst möchte ich einige Bemerkungen 
gegenüber Herrn Ritter machen, der mich scheinbar nicht richtig ver¬ 
standen hat. (An der Tafel demonstrierend.) Hier sind die beiden 
Tränenröhrchen, dort ist der Tränensack. An dieser Stelle hier ist 
häufig die Verengerung vorhanden; beinah jeder Fall, der überhaupt 
eine Verengerung hat, hat sie hier. Manchmal geht die Verengerung 
ganz nach unten. Wenn das Tränenträufeln nur durch diese Stenose 
hervorgerufen wird, so mache ich die Operation. Man muss also die 
Differentialdiagnose stellen. Dies ist also eine Operation bei Krankheits¬ 
erscheinungen, die durch Dakryocystostenose hervorgerufen werden, d. h. 
Phlegmone, Dakrycystoblennorrhöe, Tränensackfistel, Dacryocystitis und 
gewisse Fälle von Epiphora. Es handelt sich also um eine bestimmte 
Klasse von Tränenträufeln. Wenn Sie hier diese Operation machen, 
heilen sie beinahe jeden Fall. Haben Sie eine Epiphora, dann müssen 
Sie zunächst die Differentialdiagnose machen. Wenn der Tränenweg 
vollkommen intakt ist und nur die Tränenkanälchen nicht funktionieren, 
dann mache ich selbstverständlich nicht den Tränensack auf. Die 
Operation ist also nur für die eine Art der Fälle von Tränenträufeln, 
für die Fälle, wo Dakryostenose die Ursache ist. 

Herrn Wagner möchte ich folgendes erwidern. Sie werden finden, 
dass diese Knochenwand oft sehr dick ist. Die Sonde geht nicht durch, 
sie biegt sich. Eine dicke Sonde kann den Canaliculus verletzen. Es 
ist ausserdem auch gar nicht nötig. Man kann den Tränensack frei- 
legen, wie Sie hier sehen, kann ihn genügend mit einer Zange fassen 
und abschneiden. 

Jetzt zu Herrn Kollegen Halle! Ich habe die Operation nach jeder 
Richtung hin gemacht. Den Schnitt aber so auszuführen, wie es Herr 
Halle vorgeschlagen hat, finde ich unzweckmässig, weil der Vorschlag 
vom Kollegen Halle, einen ventilartigen Lappen zu bilden, der ver¬ 
hindern soll, dass der Patient Luft durch das Auge blasen kann, prak¬ 
tisch und ausführbar ist; ausserdem ist es nicht nötig, weil bis jetzt 
kein Patient darüber geklagt hat. 

Praktisch ergibt sich folgendes (an der Tafel demonstrierend): 
Hier wird, kann man sagen, ein Knochen herausgemeisselt, und diese 
Schleimhaut wird fortgeworfen. Wenn man nun hier einen Schleimhaut¬ 
lappen machen will, der als Ventil funktionieren soll, so muss dieser 
Lappen entweder in die Nase hineinragen oder muss sich gegen diesen 
Sack legen. Einen Lappen dagegen zu legen, ist nicht besonders vorteil¬ 
haft. Je freier das Ganze bleibt, desto besser ist es. Ich habe eine 
ganze Reihe von Patienten, die Luft durch die Augen blasen können, 
und ich habe solche, die nicht Luft durohblasen können. Ich kann mir 
einbilden, dass sie einen Lappen in der Nase gehabt hätten. Das 
kommt von der Länge der Tränenröhrchen. Je länger diese Röhrchen 
sind, desto mehr Widerstand durch die Luft ist vorhanden. Wir haben 
also zwei Klassen von Patienten: die einen, wo man Luft durchpustec 
kann, und die anderen, wo das nicht möglich ist. Ich führe immer 
dieselbe Operation aus. Ich habe das Gefühl, dass die Patienten von 
Herrn Halle zu derselben Klasse gehören wie meine Patienten. Der 
Lappen ist hier angewachsen oder er ist atrophiert. 


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UMIVERSITY OF IOWA 



16. Juoi 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1129 


Hr. Ritter (persönliche Bemerkung): M. H.! Ich möchte nur. 
konstatieren, dass Herr West mich missverstanden hat. Ich habe bloss 
darauf hiDgewiesen, dass man in. der Therapie nicht die nasalen Ur¬ 
sachen der Tränensackerkrankungen vernachlässigen soll. 


Hufelandische Gesellschaft za Berlin. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 8. Mai 1918. 

Vorsitzender: Herr Strauss. 

Schriftführer: Herr J. Ruhemann. 

Vor der Tagesordnung. 

Hr. Sieghein: Der Begriff der Lim hereditaria tarda wird in der 
Pathologie auch heute noch in Zweifacher Weise aufgefasst. Ein Teil der 
Autoren versteht darunter die Erscheinungsweise hereditärer Lues, bei 
welcher- erst in der Zeit der Pubertät oder noch später mit Ueber- 
springung sekundärer Symptome sofort tertiäre Erscheinungen auftreten. 
Diese Form — von den Franzosen treffend „Tertiarisme d’embläe“ ge¬ 
nannt — wird von einer grossen Reihe ausgezeichneter Forscher aner¬ 
kannt und von Rabl zum Beweise des Vorkommens soloher hereditärer 
Spätlues auf die Berichte von Aerzten hingewiesen, die ihre eigenen 
Kinder von Geburt an genau beobachtet, nie irgendein Zeichen von 
Lues II bei ihnen gesehen hatten, bis sie dann zur Zeit der Pubertät 
von Lues III befallen wurden. Dieser Ansicht steht eine grosse Anzahl 
anderer Autoren skeptisch gegenüber, indem sie den Einwand erheben, 
dass sehr leicht die Erscheinungen von Lues II in der frühesten Kind¬ 
heit übersehen werden können und die angebliche Lues hereditaria 
tarda sich dann als die natürliche Entwicklung tertiärer Symptome 
einer in frühester Jugend stattgehabten, aber übersehenen Lues II dar¬ 
stelle. 

loh gestatte mir nun, m. H., Ihnen einen diesbezüglichen Fall vor¬ 
zustellen. Es handelt sich um einen 16jäbrigen Mechanikerlehrling, der 
Anfang April in meine Behandlung trat. Er klagte über seit einigen 
Wochen bestehende Kopf- upd Leibschmerzen, Obstipation, Appetitlosig¬ 
keit und Mattigkeit. Die Anamnese ergab: August 1912 Drüsenoperation 
am Halse, Januar 1913 Gonorrhöe, die nach Einspritzungen geheilt 
wurde. Seine Mutter ist an Paralyse gestorben, der Vater hat vor 
drei Jahren Lues mit Primäraffekt im Rachen erworben und eine Schmier¬ 
kur gebraucht. 

Die Untersuchung des Patienten ergab: Herz, Lungen und Nieren 
ohne Besonderheiten, Leber und Milz deutlich vergrössert, in¬ 
dolente Cubitaldrüsen, Andeutung von Hutchinson’schen Zähnen, Anämie, 
sonst keine Zeichen von Lues. Danach stellte ich die Diagnose auf 
Lues hereditaria tarda und verordnete zunächst Jodkali. Die Blutunter¬ 
suchung nach Wassermann, die Herr Prof. Külbs, dem ich den 
Kranken zeigte, anzustellen die Güte hatte, fiel stark positiv aus (H—|—f—{-). 
Damit war meine Diagnose in wertvoller Weise bestätigt, und ich verordnete 
dem Kranken nunmehr ausser Jodkali eine Schmierkur in kleinen Dosen (1,0 
pro die). Bei diesem Regime hat sich der Kranke jetzt schon nach 12 g 
wesentlich erholt, sein subjektives Befinden ist besser geworden, sein 
Aussehen frischer und die noch bestehende Leber- und Milzvergrösse- 
rung wird im Laufe der weiteren Behandlung sicher noch zurückgehen. 
Ich möchte noch nachholen, dass ich, um die Diagnose in jeder Weise 
zu erschöpfen, noch vorgestern die Augen des Kranken habe unter¬ 
suchen lassen, und fand sich, wie ich einer freundlichen Mitteilung des 
Herrn Prof. Gut mann entnehme, beiderseits eine Chorioiditis aequa- 
torialis. 

Wenn Sie mir, m. H., noch ein differentialdiagnostisches Wort ge¬ 
statten wollen, so ist wohl an der Diagnose Lües nicht zu zweifeln; 
auch dürften Sie wohl mit mir den Fall als Lues hereditaria ansehen, 
da die Mutter, wie schon erwähnt, an Paralyse zugrunde gegangen ist; 
dass es sich schliesslich um eine Tarda handelt, mag man nun diesem 
Begriff die eine oder die andere der oben erwähnten Deutungen geben, 
erhellt aus der Tatsache, dass der junge Mensch nach Aussage seines 
Vaters früher nie etwas von luetischen Manifestationen gezeigt hat. Der 
Fall ist gewiss in mehrfachen Beziehungen sehr bemerkenswert und ge¬ 
eignet, durch die ätiologische Bedeutung der mütterlichen Paralyse und 
durch die vor drei Jahren auf extragenitalem Wege erworbene väterliche 
Lues unser Interesse in hohem Grade zu erregen. 

Ich bitte Sie nun, m. H., sich den Fall anzusehen (Demonstration). 

Tagesordnung. 

1. Hr. Finkeistein: Fall von Broichialdrttsentiherkulese. 

Vortr. berichtet, dass der in der Sitzung vom 18. März unter der 
Diagnose Tbymushypertropbie vorgestellte Fall in Suffokation er¬ 
legen ist; es zeigte sioh, dass eine kongenitale Tracheo-Oesophagealfistel 
vorlag. Vortr. stellt ein 1 Jahr 2 Monate altes Kind vor, bei dem die 
Diagnose: tuberkulöse Bronchialdrüsenschwellung auf Grund 
des exspiratorisohen Keuchens, des charakteristischen rauhen, pfeifenden 
Hustens, der Dysphagie, der Venenstauung am Halse, des Blähhalses, 
der starken Hypertrophie und tonischen Kontraktur der Bauchmuskeln, 
der deutlichen, auf und rechts und links von dem Sternum nachweisbaren 
Dämpfung zu stellen war; dazu erhärtete amphorisches, rechts und links 
von der Wirbelsäule zu konstatierendes Atmen, das Röntgenbild und 
starke Schrumpfung der linken Lungenseite, Drüsenschwellungen in der 
Axilla und am Thorax, positiver Pirquet die tuberkulöse Natur des 


Drüsentumors; Behandlung mit Rosenbach’sdhem Tuberkulin (seit etwa 
10 Wochen) bedingte Besserung, wofür das Fortbleiben des Fiebers, die! 
günstige Beeinflussung des Allgemeinbefindens, der indurierende Lungen¬ 
prozess usw. sprachen. Vortr. erörtert die Schwierigkeit der differen¬ 
tiellen Diagnostik zwischen Mediastinaltumoreo und der tracheo-ösopha- 
gealen Kommunikation. 

Diskussion. 

Hr. P. Fraenckel (a. G.): Die Beschaffenheit der Fistel, die 4 cm 1 
vom unteren Rande der Cartilago cricoidea sitzt und etwa 2 mm im 
Durchmesser hat, zeigt ohne weiteres, dass es sich um eine kongenitale 
Missbildung handelt. Die Obduktion hat als Todesursache eine frische 
Bronchopneumonie beider Unterlappen ergeben, ausserdem eine» rechts¬ 
seitige Inguinalhernie. Die monatelange Vermeidung der Aspirations¬ 
pneumonie im Krankenhauae erklärt sioh vielleicht dadurch, dass bei 
vorsichtigem Schlucken die kleine Fistel verlegt werden konnte, während 
unvorsichtiges Füttern sie forcierte. 

Hr. W. Buttermilch: Die Beurteilung solcher Fälle von Bronchial¬ 
drüsentuberkulose bietet häufig grosse diagnostische Schwierigkeiten. 
Namentlich, wenn es sich um nur kleine Drüsen handelt, die auf 
der Röntgenplatte nicht als Schatten in die Erscheinung treten. Das 
exspiratorisohe Keuchen und die Venenstauungen am Thorax und Ab-: 
dornen zusammen mit dem positiven Ausfall der Pirquet’schen Reaktion 
werden uns meist auf den richtigen Weg führen. Was die Prognose 
der Bronchialdrüsentuberkulose betrifft, so hat Herr Finkei stei n schon 
hervorgehoben, dass sie nicht immer so völlig infaust zu sein scheint, 
wie allgemein bisher angenommen. Jedenfalls lassen sioh Besserungen 
manchmal sogar wesentlich konstatieren. Wir haben einen solchen Fall 
auf der Station des Weissenseer Säuglingskrankenbauses beobachtet, bei 1 
dem es sich um die schwersten Erscheinungen der Drüsentuberkulose 
handelte. Nach mehreren Wochen schwand das ausserordentlich starke 
exspiratorische Keuchen bis auf ein Minimum, die Temperatur ging zu¬ 
rück und auch die bis dahin sehr starke Venenstauung. Vielleicht hat 
in diesem Falle die Röntgenbestrahlung, die allerdings nur als 
dreimalige Aufnahme zur Anwendung kam, sowie die fortgesetzte 
Pirquetisierung einen günstigen Einfluss ausgeübt. Das Kind ist in sehr 
gebessertem Zustande aufs Land gekommen, vielleicht ist es mir möglich, 
es einmal hier vorzustellen. Jedenfalls sollte man in allen Fällen von 
Drüsentuberkulose mit der Röntgenbestrahlung einen Versuch machen. 

Hr. H. Strauss erwähnt einen differentialdiagnostisch ausserordent¬ 
lich interessanten Fall von Oesophagotracheafistel, den er vor langen 
Jahren in der Cbarit6 beobachtet hat. Ein SOjähriger Mann litt an 
Husten- und Erstickungsanfällen, die eintraten, sobald er Flüssigkeit zu 
sich nahm. Mit Rücksicht auf eine Pupillendifferenz, trübe Reaktion 
der Pupille und Anästhesien an mehreren Körperstellen wurde sowohl 
an tabische Krisen im Oesophagus gedacht und sogar Hysterie in Er¬ 
wägung gezogen. Die Autopsie deckte etwa dreifingerbreit unterhalb 
des Kehlkopfs ein ulceriertes Gummi auf, welches eine Kommunikation 
zwischen Speiseröhre und Luftröhre darstellte. Aehnliche Fälle sind 
später von mehreren Seiten, so unter anderem von Schütze beschrieben 
worden. Die Beobachtung lehrt, dass man bei syphilitisch verdächtigen 
Patienten mit den genannten Erscheinungen der Dysphagie auch an die 
hier genannte anatomische Möglichkeit denken soll. 

2. Hr. Schmieden: Fall von ZerreisBong der Vena eava inferior. 

Der Vortr. hat einen Patienten operiert, bei welchem durch Auto¬ 
mobilüberfahrung ausser einer Nierenzerreissung ein grosser Riss der 
Vena cava inferior entstanden war und ein ungeheures retroperitoneales 
Hämatom. Nach Ausräumung des letzteren durch einen Sohnitt von 
vorne erfolgte die Naht der Vena cava. Patient lebte noch vier Monate 
und starb dann aus anderer Ursache. Der Vortr. zeigt das seltene 
Präparat der glatt und ohne Thrombose geheilten Naht der grossen 
Hohlvene. 

Auf Anfrage von W. Israel bemerkt Vortr., dass keine Abklem*- 
mung der Hohlvene stattgefunden habe. 

3. Hr. H. Strangs: 

a) Fall von aplastiseher Anämie nach Magenblntnng. 

b) Zwei Fälle von chronisch achol irische» Icterus. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) . 

Diskussion. , 

ad a) Hr. Ewald macht darauf aufmerksam, dass Fettsucht 
leichteren Grades nicht selten bei Fällen von Chlorose und Anämie ohne 
besondere Veränderung des Blutbildes auftritt, 

ad b) wirft Hr. Ewald die Frage auf. ob die mit Erfolg operierten 
Fälle nicht der Banti’schen Krankheit zuzurechnen seien, fragt speziell 
nach dem Verhalten der Milz in den anderen Fällen und bestätigt die 
Angabe von Strauss, dass der Milztumor kein notwendiges Attribut 
der Krankheit sei. Er hält mit Claus und Kalberl ah dafür, dass 
ein durchgreifender Unterschied in den kongenital auftretenden und den 
später entstandenen Icterusfällen in der Weise besteht, dass den ersteren 
eine primäre Veränderung der Milz, den anderen eine primäre krank¬ 
hafte Veränderung der Leberzellen zugrunde liegt. Nächst Minkowski 
hat Strauss das Verdienst, die Frage des chronischen aoholurischen 
Icterus in Deutschland erörtert und derartige Fälle mitgeteilt zu 
haben. 

Hr. Strauss zu a) apiastische Anämie: Ein Milztumor war 
nicht vorhanden. 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF IOWA 





1180 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nrl 24. 


Hr. Strauss zu b) betreffs des chronisch-aoholurischen' 
lcterua: Auch die Fälle von Banti’scher Krankheit stellen in ätiologi¬ 
scher Hinsicht ein Multiplum dar, denn der Name „Morbus Banti“ be¬ 
sitzt nur einon descriptiven Charakter. Die Milzerkrankung bat nicht 
in allen Fällen von Morbus Banti eine pathogenetische Bedeutung, und 
es wäre sehr zu wünsohen, dass wir in Zukunft einfache und exakte 
Kriterien gewinnen würden, um aus den Fällen von „Anaemia splenica“ 
mit und ohne Icterus diejenigen herauszulesen, bei welchen der Milz- 
▼ergrösserung eine ätiologische Bedeutung zukommt Dann könnte die 
chirurgische Indik$,tionsstellung auf eine weit sicherere Unterlage gestellt 
werden. 

4. Hr. S. Gottaehalk: 

Zur Abderhaldea’sehe« Sehwangerschaftsre&ktion. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift) 

Diskussion. 

Hr. Evler: Ausschlaggebende klinische Bedeutung kann die Abder- 
halden’sche Reaktion nicht beanspruchen, wenigstens nicht mii der Dia- 
lysiermethode und der Biuretprobe. 

Gerade die Differentialdiagnose zwischen extrauteriner Gravidität 
und Pyosalpinx konnte nicht sie entscheiden, sondern erst die Operation. 
Soviel über den praktischen Wert, nun noch einige theoretische Be¬ 
merkungen. 

Mehr als die Placenta wird das Serum selbst abgebaut. Tierische 
wie pflanzliche Gewebe peptonisieren Ei weisskörper, Die Catgutresorption 
im Körper, die wir seit Billroth kennen, ist darauf zurückgeführt; 
Pöhl fand 1883 die Peptonbildung aus Blutserum durch Lungengewebe 
grösser als durch Nierengewebe. 

Selbst durch langes Kochen werden aber nach meinen Versuchen 
die Fermente der Placenta nicht vollständig abgetötet. 

Wenn auch der Zerstörungspunkt der Fermente in wässrigen Lösungen 
im allgemeinen 80° ist, so rückt er, wenn sie z. B. durch geronnenes 
Eiweiss geschützt sind, erheblich höher hinauf, und trockenes Trypsin 
wird erst bei 160° unwirksam. 

Bei den markstücbgrossen Placentastücken, die sogleich ins kochende 
Wasser gelangen, kann sich solche schützende Hülle bilden, zum Ge¬ 
brauch werden aber die Stücke zerschnitten und in Erbsen- bis Linsen¬ 
grösse zerzupft; auch der Versuch zeigt, dass die Fermentwirkung und 
Selbstverdauung abgekoohter Placenta im Dialysierschlauch nicht er¬ 
loschen ist. Placentastücke, deren Kochwasser sicher peptonfrei war, 
gaben mit Aqua dest., Kochsalzlösung, auch mit frisch abgekochtem 
Wasser nach 24 stündigem Stehen bei Zimmertemperatur im August, im 
Schlauohinhalt deutlich -f- Biuretreaktion, das Dialysat war negativ, weil 
die Dialysierschläuche so dicht sind, dass sie Pepton erst in stärkerer 
Konzentration durchtreten lassen. 

Toluol und Chloroform begünstigen in etwas die Autolyse dadurch, 
dass sie durch Zellenabtöten Endoenzyme frei werden lassen. 

Eine weitere Fehlerquelle ist die Autolyse der Sera an sich, welcher 
kranke Sera schneller unterliegen als gesunde oder immune, auch von 
den Schutzkräften ist dieselbe abhängig, welche bei normalen Seren 
mehr durch die Dialyse geschädigt werden als bei Immunseren. 

Ob Hemmung oder Beschleunigung der Autolyse vorliegt, zeigt die 
Biuretreaktion, welche bei Aminosäuren gelbe, bei Albuminaten bläu¬ 
liche, bei Pepton rote Farbe gibt mit verschiedenem Uebergang in violett 
und rosa; sie hat an sich als vergleichende Uebersichtsprobe Wert. 

Der fermentative Abbau des Serums lässt sich auch bei Unter¬ 
suchungen desselben auf Gruppenreaktionen des Eiweissmoleküls, der 
Kohlehydratgruppe, der Cystin- und Tryptophanbausteine beweisen, ferner 
dadurch, dass solches Serum beim Kochen wie Pegninmilch ausfällt, 
analog der Einwirkung des Papain auf Hammelserum. 

Zum Schluss noch eine Erklärungsmöglichkeit der Abderhalden’schen 
Reaktion. Schwangerenserum gibt mit Placenta wie jedes spezifische 
Serum mit seinem Antigen Präcipitation. Präcipität ist aber Globulin. 
Globulin wird bei jedem Serum schon etwas durch die Dialyse, durch 
Verdünnen mit Wasser ausgeflockt, fällt es mehr aus, so werden die 
tryptischen Fermente, die nur sehr langsam dialysieren, auch mehr 
Pepton bilden können, das von einer stärkeren Konzentration an durch 
die Dialysierhülsen ins Dialysat übergeht. 

5. Hr. H. Kroa: 

Vorstellig# eines Falles voa Dystrophia nisciloram progressiva. 

Das Leiden begann bei dem jetzt 58 jährigen Manne vor etwa acht 
Jahren mit Schwäche in den Waden. Später wurde das Erheben der 
Arme erschwert. Es besteht jetzt Atrophie des Quadriceps, Sartorius, 
der Adduktoren, der Peronei und des Tibialis anticus, des Trapezius, 
der Rhomboidei, des Latissimus dorsi, der Erectores trunci, des Pecto- 
ralis bis auf einen Rest der clavicularen Portion, des Biceps und Triceps, 
alles beiderseits. Bauchmuskeln, Unterarme und kleine Hand- und Fuss- 
muskeln intakt. Dann zeigt sich Hypertrophie der Deltoidei, der Glutaei 
und der Wadenmuskulatur. Der Gang ist ein Gemisch von breitbeinigem 
Watscheln mit Steppergang. Die Fussspitzen hängen herab. Treppen¬ 
steigen ist sehr erschwert. Die Elevation der Arme ist nur bis eben 
zur Horizontalen möglich. Die Schulterblätter ragen mit den oberen 
inneren Winkeln über den Claviculae hervor und steheq in starker 
Schaukelstelluog. Trotz des hypertrophischen Deltoideus gelingt es 
schwer, die Hand auf die andere Schulter zu legen. Der Kniereflex 
fehlt an den unteren Extremitäten. Der Achillesreflex ist mit allen 
Hilfsmitteln nur in Spuren einseitig zu erzielen. Keine fibrillären 


Zuckungen, keine Entartungsreaktioo, nur starke Herabsetzung der Er¬ 
regbarkeit für den faradischen und galvanischen Strom in den atrophi¬ 
schen und hypertrophischen Muskeln. Dabei eine Störung der Sensi¬ 
bilität. An den Unterschenkeln wird stellenweise, besonders an der 
Aussen- und Hinterseite, ohne genaue Abgrenzung, Schmerz nicht 
empfunden, auch die Wärmeempfindung versagt verschiedentlich. Be¬ 
rührung wird überall gefühlt. Der Kranke leidet an Diabetes mit ge¬ 
ringer Zuckerausscheidung (Bruchteile eines Prozentes), was ihn veran¬ 
lasst hat, sich in das jüdische Krankenhaus (Prof. Strauss) aufnehmen 
zu lassen. Die Sensibilitätsstörung wird auf den Diabetes bezogen. 
Naunyn 1 ) spricht unter solchen Umständen von Pseudosyringomyelie. 
Eine wahre Syringomyelie ist trotz der Muskelatrophien auszuschliessen. 
Letztere haben keinen spinalen Typus.‘ Die Gefühlsstörungen können 
als neuritische angesprochen werden. Eine andere Frage ist es, ob das 
gleiche auch für die Muskelaffektion an den Unterschenkeln gelten darf. 

Bei Diabetes kommen Paresen, auch vollständige Muskel lähmungen 
vor 2 ). Aber der Zustand der Unterschenkelmuskeln ist kein anderer, 
als er sonst bei ausgebildeter Dystrophie gefunden wird, die Sehnen¬ 
reflexe können auch dabei fehlen. Mit Sicherheit ist danach eine moto¬ 
rische Neuritis hier nicht anzunehmen. Die geringe Kraft des Deltoideus, 
die sich auch bei dem Versuche, die Hand auf die entgegengesetzte 
Schulter zu legen 8 ), deutlich zeigt, ebenso der fast fehlende Achilles¬ 
reflex, dürften dafür sprechen, dass die starke Volumensvermehrung des 
Deltoideus und der Wadenmuskeln pseudohypertrophischen Ursprungs ist 

Diskussion. Hr. W. Alexander hält die Sensibilitätsstörung für 
eine neuritische auf Grund des Diabetes, um so mehr, als auch die Re¬ 
flexe fehlen und bei dem Patienten Ataxie zu bestehen scheint. Der¬ 
artige Sensibilitätsstörungen sind bei diabetischer Neuritis nicht einmal 
besonders selten; es wird bei dieser Form auch Diasociation der 
Empfindungslähmung beobachtet. 


Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde zu Berlin. 

Sitzung vom 2. Juni 1913. 

Tagesordnung. 

Diskussion zu dem Vortrage des Herrn Brigseh: Zar Behaadlaa# 
der schweren Fälle voa Diabetes mellitis. 

Hr. Czerny: Die von Herrn Brugsch hervorgehobene Wichtigkeit 
der Berücksichtigung der Eiweisskomponente in der Ernährung ist auch 
für die Behandlung des kindlichen Diabetes von Bedeutung. In der 
Tat leistet die Kohlehydratdosierung nicht, wie viele glaubten und zum 
Teil noch glauben, alles. Die Prognose des kindlichen Diabetes ist 
bekanntlich eine sehr infauste, doch gelang es in einigen Fällen, durch 
Einschränkung der Eiweissnahrung recht günstige Resultate zu erzielen 
und die Kinder bis iu einem Jahre in gutem Zustand zu erhalten. 

Hr. Felix Hirschfeld: Herr Brugsch bat neue Beweise für die 
Fähigkeit des Diabetikers, sich an einen niedrigeren Stoffbedarf zu ge¬ 
wöhnen, nicht gebracht. Nur bei älteren Diabetikern, wie bei Alko- 
holisten und Herzkranken, gelang es H. einige Male, eine Anpassung 
an einen niedrigeren Stoffbedarf zu erzielen. Bei schweren Diabetikern 
aber kann man seiner Ansicht nach auf diese Weise keine guten thera¬ 
peutischen Resultate erzielen. Eine Einschränkung der genannten 
Nahrung führt zu Gewichtsverlusten, rückt die Gefahr einer Tuber- 
kuloseiufektion nahe und kann auch Herzerscheinungen hervorrufen. 
Eine zeitweilige Ueberernährung hält er sogar in solchen Fällen für ganz 
sicher unbedenklich. Auch mit der hochgradigen Herabsetzung der 
Eiweisszufuhr, die Herr Brugsch empfohlen hat, kann er sich nicht 
einverstanden erklären. 

Hr. Umber: Die Unterscheidung von schweren und leichten Diabetes¬ 
fällen auf Grund der Kohlehydratbilanz ist nicht immer möglich. Er 
berichtet von einem Falle bei einem Kinde, wo trotz hoher Kohlehydrat¬ 
toleranz und positiver Bilanz Acidose bestand. Andererseits sah er bei 
einem anderen diabetischen Kinde ein typisches Goma ohne Acidosis. 
Er berichtet ferner über systematische Untersuchungen der Kreatin¬ 
ausscheidung bei schweren Diabetikern. Eine endogene Kreatinbildung 
findet nur bei Acidose statt. Günstige Resultate hat er von der Hediosit- 
darreichung gesehen. 

Hr. Zülzer: Die Mehrzahl der grundlegenden Versuche über die 
Beziehungen des Pankreas und der Nebennieren zum Diabetes sind 
schon von ihm gemacht worden, was in den Arbeiten der Wiener Schule 
nicht genügend hervorgehoben worden ist. Die Hormontherapie, die 
jetzt als gefahrlos bezeichnet werden kann, sollte bei schweren akuten 
Diabetesfällen angewendet werden, da sie hier wiederholt zu günstigen 
Resultaten geführt hat. 

Hr. Magnus - Levy: Die praktische Therapie des Diabetes ist 
durchaus unabhängig von unseren theoretischen Vorstellungen über die 
Pathogenese der Krankheit. Eine starke Einschränkung der Eiweiss¬ 
zufuhr ist wohl für einige Zeit durchführbar, aber nicht für viele Jahre. 
Auch beim kindlichen Diabetes ist eine längere Einschränkung der 
Eiweissernährung nicht sehr lange durcbzuführen. 

Hr. Kraus: ln der Pathologie des Stoffwechsels haben theoretische 
chemische Untersuchungen eine zu grosse Rolle gespielt. Man sollte 


1) Der Diabetes mellitus. Wien 1906, S. 298. 

2) Naunyn, a. a. 0. 

3) Duchenne, Physiologie der Bewegungen. S. 76 u. 77. 


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Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 





16. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1131 


mehr von praktischen klinischen Gesichtspunkten ausgehen. Weder eine 
übermässige Zuckervergeudung noch eine Hemmung der Oxydation der 
Kohlehydrate allein sind zur Erklärung der Diabetesstoffwechselstorung 
heranzuziehen, vielmehr spielen beide Arten von Stoffwechselstörung 
eine Rolle. Eine Einschränkung des Nahrungsbedarfs im ganzen und der 
Eiweisszufuhr hat sich sicher als zweckmässig erwiesen. Eine günstige 
Beeinflussung des Diabetes durch gewisse Bäder, insbesondere Karlsbad, 
ist nicht erwiesen. 

Hr. Plehn: Von der Einschränkung des Nahrungsbedarfs und der 
Eiweisszufuhr hat P. in schweren Diabetesfällen immer günstige Resultate 
gesehen und bisweilen sogar Gewichtszunahmen erzielt 

Die Weitere Diskussion wurde vertagt. H. Hirschfeld. 


Berliner Gesellschaft für Chirurgie. 

Gemeinschaftliche Sitzung mit dem Verein für innere Medizin 
am 9. Juni 1913. 

Vorsitzender: Herr Sonnenburg. 

Schriftführer: Herr F. Krause. 

Hr. Stieh-Göttingen (a. G.): 

Ueber den heutigen Stand der Organtransplantationen. 

Vortr. ist nicht ohne Bedenken der Aufforderung gefolgt, einen 
kritischen Ueberblick über den Stand der Organtransplantationen zu 
geben. Es ist in letzter Zeit ein gewisser Stillstand zu konstatieren, 
der hoffentlich aber nur ein vorübergehender sein wird. Wer glaubt, 
aus den heutigen Ausführungen etwas für die Praxis des täglichen 
Lebens mit nach Haase nehmen zu können, würde sich wohl ent¬ 
täuscht sehen. 

Naohdem Garrel vor 7 Jahren experimentell mit autoplastischen 
Reimplantationen begonnen, konnte man hoffen, dass es auch beim 
Menschen gelingen werde, kranke Organe durch Tierorgane zu ersetzen. 
Vortr. hat in der Garre’schen Klinik in Breslau vielfache Versuche ge¬ 
macht, zunächst Arterienabschnitte vom eigenen Tier, von anderen 
Tieren, sogar von toten Tieren einzusetzen. Die Erfolge waren zum Teil 
ermutigend, selbst bei homoioplastischen Transplantationen. Demon¬ 
stration von Präparaten (Arterientransplantationen vom gleichen und 
von fremden Tieren). Die Resultate, die länger als ein Jahr nach der 
Transplantation datieren, sind vorzügliche. Die Funktion war einwand¬ 
frei. Die Technik an der Garre’schen Klinik folgte dem Vorgang 
Carrel’s: durch drei Haltenähte wird das Gefässlumen in ein gleich¬ 
seitiges Dreieck verwandelt, dann so genäht, dass Intima an Intima 
kommt. Dabei sind zwei Schwierigkeiten zu überwinden: verschieden 
grosse Lumina sind auf die gleiche Weite zu bringen, kleine Lumina 
sind zu vergrössern (Demonstration von Abbildungen). Das Instru¬ 
mentarium ist das von Jeger u. a. modifizierte; die Seide muss gut 
paraffinisiert sein. Andere Methoden, die Anwendung fanden, sind die 
U-Metbode, bei der Thrombose und Nachblutung eintraten. Ferner die 
Invaginationsmethode von Murphy: drei Haltefäden am distalen, In- 
vagination des proximalen Teils: sie bat den Nachteil, dass sie das 
Lumen verengert. Endlich die Prothesenmethode von Payr. Bei allen 
Methoden ist jedoch zu beachten: die Teohnik allein hat nicht die Er¬ 
folge gezeitigt; sie sind vor allem einer subtilen, völlig einwandfreien 
Asepsis zu danken. Die Asepsis, wie sie bei Bauchoperationen an¬ 
gewandt wird, genügt nicht für die Arteriennaht. Das Peritoneum ver¬ 
trägt eine Menge höchst virulenter Bakterien. Nicht aber die Gefässe. 
Bakterien, die von aussen an die Gefässe gebracht werden, verursachen 
schon Thrombophlebitiden, wie viel mehr bei der Gefässnaht selbst 
(Carrel.) 

Auf Einzelheiten gebt Vortr. nicht ein, er verweist auf das Buch 
von Jeger: „Die Chirurgie der Blutgefässe.“ 

Die histologische Untersuchung der gewonnenen Präparate zeigt bei 
autoplastisch eingeheilten Gefässen gute Resultate, nicht so bei 
homoio- und heteroplastischen: das Transplantat wird von anderem Ge¬ 
webe substituiert. Danach vermutete man, dass auch andere Organe so 
substituiert würden. Schüler Carrel’s haben gezeigt, dass weder hetero- 
noch homoioplastische Transplantationen möglich sind, höchstens homoio- 
plastische, und zwar bei Wirbeltieren. Von den Wirbellosen wusste 
man schon zuvor, dass sie möglich sind. Man konnte ganze Köpfe von 
Amphibien zur dauernden Anheilung bringen. Ueber die Ursache der 
Misserfolge ist von Ribbert, Schöne u. a. viel gearbeitet. Man führte 
folgende Momente an: 1. die primäre toxische Wirkung der Säfte auf 
das Transplantat; die Zellen des einen Organismus sind giftig für die 
einer anderen Art; 2. die Produktion von Antikörpern durch artfremdes 
Eiweiss. Ribbert hat Epidermis vom Menschen auf Ratten übertragen. 
Sie heilte zunächst gut an, degenerierte aber danach. Nach Ehrlioh 
sind Mäusetumoren auf Ratten übertragbar, gehen aber nach und nach 
im Wachstum zurück, degenerieren gleichfalls. Jedoch zurückverpflanzt 
auf die Maus wachsen sie weiter! Es fehlt demnach ein bestimmter 
Nahrungsstoff im Rattenorganismus, der . im Mäuseorganismus ent¬ 
halten ist. 

Schöne gelangen jedoch auch homoioplastische Transplan¬ 
tationen bei höheren Tieren; doch waren die Tiere blutsverwandt, 
gleichgeschlechtlich (junge und ältere), Geschwister (junge und alte) u. s. f. 
Sie gelang aber nicht stets, nur in einer Anzahl der Fälle. 

Homoioplastische GesohWulsttransplantationen sind . gelungen, 


ebenslo Periost- Und Knochenüberpflanzungen (Alhausen, Leier, 
Küttner u. a.). 

Bei der Corneaüberpflanzung fand Ribbert, dass die Zellen zu* 
gründe gehen, während die Fasern erhalten bleiben. 

Vortr. Will nun nicht der Einteilung: auto-, homoio-, hetero¬ 
plastische Transplantationen folgen, sondern die einzelnen Organe in 
Betracht ziehen. 

I. Autoplastisohe Einpflanzung der Niere ist zuerst Ullmann 1892 
geglückt, aber ohne Dauererfolg. 

Garrel gelang es, einer Hündin nach Entfernung beider Nieren die 
eine wieder einzuheilen. Nach 2Vs Jahren starb das Tier an Ileus. Die 
Sektion ergab, dass die Niere unverändert war, die Nahtstellen der Ge¬ 
fässe und des Ureters intakt. 

Sajon’s Versuche, menschliche Nieren autoplastiscb zu ver¬ 
pflanzen, hatten keinen Erfolg. 

Homoioplastische Transplantation der Niere hat gleichfalls Ull¬ 
mann zuerst versucht, ohne Dauererfolg. Garrel versuchte es bei einer 
Katze; sie ging nach einigen Tagen an Urämie zugrunde. Bei der 
Autopsie zeigte sieb die Niere unverändert. Weitere Versuche, Ueber- 
pflanzung eines ganzen Segments (Niere + Aorta -f- Vena cava) hatten 
zunächst Erfolg. Jedoch überlebten es die Tiere nicht länger als drei 
Monate. Dasselbe Resultat hatte Ünger bei Versuchen an 50 Katzen 
und 20 Hunden. 

Heteroplastisohe Nierentransplantationen sind von Garrel, 
Unger, Sajon ausgeführt an Ziegen, Schweinen, anthropoiden Affen. 
Beim Menschen misslangen sie stets, darum sollten sie nicht mehr nach¬ 
gemacht werden. 

II. Nebennieren sind nicht überpflanzbar. 

III. Schilddrüsentransplantation: Carrel hat sie wenig geübt, 
1902 zuerst autoplastisch ohne Erfolg (Thrombose!). 1905 hat* er die 
Schilddrüse bei einem Hunde entfernt und mit umgekehrter Circulation 
wieder eingepflanzt. Drei Jahre danach bat er das Tier getötet: Die 
Schilddrüse enthielt gut kolloidales Gewebe. Ob die Funktion normal 
war, blieb zweifelhaft. 

Vortr. hat in der Garre’schen Klinik in Breslau so transplantiert, 
dass die Arteria thyreoidea inf. in die Carotis, die Vena in die Vena 
jugularis ext. eingepflanzt wurde. Der Versuch gelang zweimal; es 
wurde nach 55 (bzw. 245) Tagen die Schilddrüse entfernt und mikro¬ 
skopisch als normal befunden. Auch ihre Funktion musste als normal 
gelten, denn man hatte vor der Reimplantation dfer einen beide 
Schilddrüsen entfernt. 

Die homoioplastische Transplantation ergab traurigb Resultate» 
Bei Epithelkörperchen gelingt nur die Autotransplantation. Ebenso 
bei Ovarien. 

IV. Die Milz ist von Garrel und Guthrie autoplastiscb 
zweimal mit gutem Erfolg transplantiert, homoioplastiscb ist es nicht 
gelungen. 

V. Herz und Lunge sind von Garrel in die Halsgefäsee eines 
Tieres transplantiert mit dem Erfolg, dass nach einiger Zeit die Ventrikel 
schlugen, die Lungen sich aufblähten. Nach 3 Tagen jedoch trat 
Phlegmone des Halses auf. 

VI. Ganze Gliedmaassen sind zuerst von Hopfner, später von 
Payr, Carrel, Jiannu (ganze Hinterextremität eines Hundes) trans¬ 
plantiert ohne Dauerresultat, wohl aber mit gutem Erfolge Haut des 
Ohres von Hund zu Hund (Carrel). Aufsehen erregte der Versuch von 
Guthrie: er transplantierte Kopf und Hals von Tier zu Tier. Zu¬ 
nächst fehlten die Gornealreflexe. Zuerst begann die Nasenflügelatmuog, 
5 Minuten danach reagierten die Pupillen, nach 8 Minuten bewegten 
sich die Oberlider rhythmisch, nach 21 Minuten schluckte das Tier, bis 
nach und nach alle Reflexe wieder erloschen. 

Alle homoioplastischen Versuche sind gescheitert Borst und 
Enderlen versuchten, vor der Transplantation durch Gefässanastotyosen 
einen Blutaustausch zwischen beiden Tieren vorzubereiten: ohne Erfolg. 

Das Ergebnis ist, so traurig es klingt, dass Homoiotransplantationen 
keine Dauererfolge versprechen. 

Diskussion. 

Hr. Valentin: Bei den Versuchen sind zwei Fragen zu berück¬ 
sichtigen: 1. Wie verhält sich das transplantierte Gewebe? 2. Welches 
sind im einzelnen die Vorgänge bei der Transplantation? Nachdem 
Kirschner 1909 bei Kryptorchismus u. a. die Fascia lata transplan¬ 
tierte, hat V. experimentell das Verhalten der Fascia geprüft durch Ein¬ 
pflanzung in einen Defekt des Peritoneums. Histologisch verhielt sich 
bei autoplastischer Transplantation die Fascie so, dass Quellung eintrat, 
die Bündel waren von Leukocyten durchsetzt. Ferner bestand grösserer 
Kernreichtum als normal. Bei homoioplastischer Transplantation ist der 
zeitliche Ablauf ein viel längerer. Wie man nach anderen Versuchen 
erwarten könnte, wird jedoch die Fascie nicht nekrotisch, nicht ersetzt 
durch Bindegewebe. 

Hr. Unger zieht aus seinen, zum Teil mit Jeger zusammen an¬ 
gestefiten Versuchen den Schluss, dass die Naht die beste Vereinigung 
der Gefässe ist. Bei Venen erzeugt Berührung mit fremder Intima Ge¬ 
rinnung, nicht bei Arterien. Bei Ueberpflanzung der Arteria femoralis 
des Menschen auf den Hund erfolgte keine Gerinnung. Wohl aber 
wurde die Arterie langsam durch fremdes Gewebe substituiert 

Nierentransplantation von Katze auf Katze ist ihm nicht.*gelungen 
Die Nieren waren teilweise schwer zerstört, namentlich, .wenn eine eigene 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 24. 


Niere Erhalten blieb. Ferner versuchte er mit zunächst gutem Erfolg, 
eine Niere in die durchschnittene Arteria femoralis eiuzupflanzen. 

Vortr. erinnert an seinen Versuch: Uebertragung beider Nieren eines 
grossen Schweinsaffen in ein nierenkrankes Mädchen im Stadium der 
Urämie, wo nach 32 Stunden die Gefässe durchgängig geblieben und die 
Nieren nicht abgestorben waren. Er meint gegenüber Herrn Stioh, 
dass man trotz aller Misserfolge dooh Homoiotransplantation versuchen 
solle. — Demonstration eines Patienten, bei dem ein Teil der Arteria 
femoralis durch die Vena saphena ersetzt wurde, mit gutem funktionellen 
Resultat. 

Hr. Rosen st ein ist es bei 40 Ziegen nur einmal gelungen, eine 
Niere einzubeilen. Die gründe sind warscbeinlich die horizontale Hal¬ 
tung der Tiere, die leichter zu Thrombosen führt, ferner die Unruhe 
der Tiere. 

Hr. Stich (Schlusswort;: Er glaubt, dass alle Misserfolge vor allem 
durch biochemische Vorgänge zu erklären seien. Holler. 


Verein der Aerzte Wiesbadens. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 7. Mai 1913. 

Vorsitzender: Herr G. Meyer. 

1. Hr. Herxheimer: Pathologisch-anatomische Demonstrationen. 

Vortr. demonstriert: 1. Einen eigentümlichen Fall von Kombination 
von tuberknltiser mit eitriger Meningitis; als Teilerscheinung einer 
akuten allgemeinen Miliartuberkulose, deren Durchbruchsstelle in einer 
Lungenvene demonstriert wird, fand sich neben den Tuberkeln in den 
anderen Organen auch eine gewöhnliche tuberkulöse Meningitis, daneben 
bestand nun aber auch eine eitrige Meningitis. Das Lumbalpunktat 
hatte polynucleäre Leukocyten und zumeist gramnegative Diplokokken, 
also offenbar Meningokokken, zutage gefördert; solche wurden auch in 
den Schnitten nachgewiesen. Die eitrige Meningitis erschien als die 
jüngere Erkrankung, und es wird somit angenommen, dass die tuber¬ 
kulöse Meningitis einen Locus minoris resistentiae geschaffen hatte, 
welohen die Meningokokken besonders leicht angreifen konnten. 

2. Einen Fall von Fettemboüe mit besonderen Verhältnissen des 
Gehirns. Einem Manne war auf der Strasse eine schwere Last auf den 
Rücken gefallen. In der chirurgischen Abteilung des Krankenhauses, 
in welche er gebracht wurde, wurde ein Wirbelsäulen- und Rippenbruch 
angenommen, und während Pat. zunächst bei guter Besinnung war, ver¬ 
lor er diese dann ziemlich plötzlich und starb kurz darauf. Bei der 
Sektion Wurde Wirbelzertrümmerung, aber ohne Verletzung des Rücken¬ 
marks, ferner wenig bedeutende Rippenbriiche konstatiert; die inneren 
Organe wiesen keinerlei Verletzung auf, dagegen bot das Gehirn einen 
eigentümlichen Befund dar. Die weisse Substanz des gesamten Gehirns, 
der Grosshirnhemisphären, des Kleinhirns, des Hirnstammes, war übersät 
mit zahllosen, dichtgedrängt und etwa im selben AbstaDd stehenden 
submiliaren, ziemlich runden Blutungen; irgendeine grössere Blutung be¬ 
stand nicht; die grösseren Gefässe schienen unverändert und unverletzt. 
Es wurde angenommen, dass es sich um eine Commotio cerebri mit be¬ 
sonders ausgesprochenen Blutungen handelte. Das Mikroskop erklärte 
nun den Fall. Es fand sich nämlich ausgesprochene Fettembolie der 
Lungen. Auch in den Glomeruli der Niere fand sich ziemlich viel Fett 
in den Capillaren. In der Leber waren die Sternzellen völlig mit Fett¬ 
tröpfchen angefüllt, während die Leberzellen nur wenige solche auf¬ 
wiesen. Im Gehirn fanden sich nun in den kleinen Gefässen ziemlich 
viele, aber diese Gefässe nicht vollständig blockierende, sondern mehr 
fein . verteilte Fetttröpfchen sowie verfettete Endothelien; auf die hier¬ 
durch bedingten Circulationsveränderungen sind offenbar die Blutungen 
zu beziehen, welche zum grossen Teil sog. Ringblutungen darstellen. 

3. Einen Fall von Paehymeningitis interna, der wegen seiner Aetio- 
logie von besonderem Interesse ist. Bei einem Manne, welcher an alter 
chronischer, linksseitiger 0titi9 media litt und an einer frischeren Sinus¬ 
thrombose mit davon ausgehender Sepsis starb, fand sich eine direkt 
am linken Os petrosum beginnende, bis zur Falx cerebri reichende, aus¬ 
gesprochen einseitige Pachymeningitis interna, welche in einem mit der 
Dura zusammenhängenden, aber von ihr ziemlich leicht löslichen, ziem¬ 
lich derben Häutchen bestand. Dieses setzt sich mikroskopisch aus 
Bindegewebe mit zahlreichen Capillaren und kleinen Gefässen und hier 
und da kleinen Blutungen zusammen, ohne dass Fibrin nachzuweisen 
wäre. Bei dem direkten Zusammenhang dieser Duraerkrankung mit der 
Otitis media und der Beschränkung auf die Seite der letzteren ist eine 
Abhängigkeit der Pachymeningitis interna von der Ohrerkrankung un- 
abweislich, was im Hinblick auf die im allgemeinen unbekannte Aetiologie 
dieser Erkrankung von Interesse ist. 

4. Ein völlig gereinigtes grosses peptisehes Duodenalgeschwür bei 
einem Individuum, welches im übrigen ausgedehnte tuberkulöse Wirbel- 
caries aufwies. 

II. Hr. Josef Müller demonstrirt: 1. Uteri® uit Corpaseareiion, 
herrührend von einer 64jähr. Frau, die an schwerer Myocarditis mit 
Ciroulationsstörungen litt. Die Exstirpation wurde deswegen in Lokal- 
re8p.|Leitungaanästhesie mit lproz. Novocain-Suprarenin ausgeführt. 

2.t Die Präparate einer gleichzeitigen extra- und intrauterinen 
Gravidität: a) Die rupturierte gravide linke Tube, die duroh Laparotomie 
exstirpiert wurde; ,b) das intakte intrauterine Ei, welches sich 8 1 /* Wochen 


post operationem spontan von der Uteruslrand loslöste Und digital ent¬ 
fernt wurde. 

3. Photographie eines Totalprolapses einer 64jähr. Frau, die nie 
gravide gewesen. 

III. Hr. Christ: 

Nene Gesichtspnnkte für die trophischen Verhältnisse der Halt ind 
ihrer Anhangsgebilde. 

Vortr. hat sich eingehend mit einem Fall hochgradiger kongenitaler 
ektodermaler Störungen beschäftigt 1 )« Die wesentlichen Befunde sind 
Fehlen der Schweissdrüsen, der Zahn- und Haarkeime (mit Ausnahme 
des Trigeminusgebietes), Talgdrüsen, arrectores pilorum; vikariierende 
Pigment- für Haarbildung in symmetrischen, durch bestimmte Innervation 
charakterisierten Gebieten im Gesicht, Abortivform von Xeroderma pig¬ 
mentosum (symmetrisch) in der Orbitalregion; straffe Atrophie der 
Nasenhaut und gleichzeitige Ozaena; pathologische Bildungen an Finger- 
und Zehennägeln. 

Vortr. ging von dem Gedanken aus, ob sich nicht durch möglichst 
intensives Eindringen in die Haar- und Hautverhältnisse bei seinem 
Falle Gesichtspunkte für die Entstehung der eckzabnähnlichen Schneide¬ 
zähne finden liessen, die bisher bei angeborenem Mangel der Sohweiss- 
drüsen beobachtet wurden. 

Er kommt als Schlussergebnis seiner Untersuchung zu der be¬ 
gründeten Vermutung, dass die Gruppenstellung der Haare eine morpho¬ 
logische Einheit darstellt, welche mit den normalen 'Zahngebilden in 
enge Parallele zu setzen ist; eine Haargruppe entspricht einem Zahn. 
Die im Gebiss gelegentlich — auch bei den Schweissdrüsenlosen — vor¬ 
kommenden Zapfenzähne, welche immer eine Kegelform zeigen, ent¬ 
sprechen den Einzelhaaren, wie sie in typischer Form die Wimpern un$ 
die Augenbrauen darstellen. Der Weg zu diesen Folgerungen führte 
über eine Reihe von Beobachtungen und Feststellungen, welche die Ver¬ 
änderungen an der Haut und Behaarung seines Patienten betreffen. 

Auf Grund der anatomischen Arbeiten von Richard Zander- 
Königsberg kommt Vortr. durch die Beobachtungen bei seinem Fall zu 
dem Ergebnis, dass die mediane Doppelinnervätion nicht selten parallel 
geht mit einer gesteigerten Bildung einzelner Gruppen von Struktur^ 
elementen des betreffenden Hautgebietes. 

Im Gegensatz hierzu können Bezirke mit einer gleichzeitigen Inner¬ 
vation durch Fasern, welche aus verschiedenen Nervenästen derselben 
Seite stammen, Prädilektionsstellen für pathologische Störungen bilden. 

Die Regio nasalis und die seitlich erweiterte Orbitalgegend sind, 
wie erwähnt, bei dem Patienten Sitz sohwerer trophischer Störungen. 

Diese Zonen, die als Prädilektionsstellen vieler Hautaffektionen und 
vor allem auch des Ulcus rodens bekannt sind, werden, wie aus den 
Abbildungen bei R. Zander hervorgeht, charakterisiert durch eine gleich¬ 
zeitige Innervation von Fasern des 1. und 2. Trigeminusastes. Die 
laterale Grenze dieses Gebietes trophischer Störungen wird bei dem 
Falle des Vortragenden und vermutlich auch sonst durch den vorderen 
Rand der Trigeminus III-Innervation gebildet. 

Dass der 3. Trigeminusast im allgemeinen gegen atrophierende und 
destruierende Vorgänge in seinem Gebiete relativen Widerstand zu leisten 
scheint, belegt Vortr. mit verschiedenen Beispielen. Dieses refraktäre 
Verhalten im Zusammenhang mit dem Gesichtspunkte der tropbisch 
fördernden Einwirkung der medianen Doppelinnervation ist auch im¬ 
stande, die Ausbreitung und Begrenzung des prämaturen Haarschwundes 
beim männlichen Geschlechte zu erklären. 

In einem weiteren Teil seiner Arbeit glaubt Vortr. den Wahrschein¬ 
lichkeitsnachweis zu erbringen, dass die ektodermalen Defekte bei seinem 
Fall nicht als Hemmungsbildungen des äusseren Keimblattes aufzufassen 
sind, sondern als eine fötale Erkrankung des sympathischen Grens- 
stranges; die parasympathischen Systeme waren vermutlich nicht affiliert, 
speziell nicht das bulbäre; dadurch erklärt sich das Vorhandensein von 
Haarkeimen usw. im Gebiet des Trigeminus. 

Das Zusammenfallen der Hauptlokalisation des Ulcus rodens mit 
der unilateralen Doppelinnervation gab Vortr. Veranlassung, die haupt¬ 
sächlichsten Prädilektionsstellen der Carcinombildung in Beziehung zu 
ihrer spezifischen Innervation zu prüfen. 

Er kommt zu dem Resultat, „dass wir ganz auffallend häufig die 
Lieblingssitze der primären Garcinome mit Körpergebieten zusammen¬ 
fallen sehen, deren Haut resp. Schleimhaut ihre Innervation gleichzeitig 
aus verschiedenen Nerven bezieht“. 

Der Vortrag enthält noch eine Reihe von Beobachtungen und 
Schlüssen, die sich im Auszug nicht gut wiedergeben lassen; die aus¬ 
führliche Arbeit wird voraussichtlich Ende des Jahres an anderer Stelle 
veröffentlicht werden. G. Herxheimer. 


Wissenschaftlicher Verein der Aerzte zn Stettin. 

Sitzung vom 8. April 1913. 

Vorsitzender: Herr Haeckel. 

Schriftführer: Herr Buss. 

Hr. Gehrke: In der Zeit vom 2. März bis zum 5. April 1913 (10. 
bis 14. Jahreswoche) sind in Stettin sanitätspolizeilich 117 (210) Fälle 
von übertragbaren Krankheiten gemeldet worden, und zwar: 


1) Cfr. Sitzung vom 18. XII. 12. 


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16. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1188 


G.-A.i) 

Pol.-Präs.*) 


1913 

1912 


37 

51 

126 

Fälle von Diphtherie 

45 

57 

72 

„ „ Scharlach 

2 

5 

5 

» „ Typhus 

3 

3 

3 

„ „ Kindbettfieber 

1 

1 

4 

„ „ Körnerkraokheit 

35 

36 

48 

Todesfälle an Tuberkulose 


Kranken Vorstellungen. 

Hr. Kalb demonstriert einen geheilten Fall von Leberrnptnr bei 
einem 87 jährigen Mann, entstanden infolge heftigster Prellung der rechten 
Seite. Laparotomie 18 Stunden nach der Verletzung. Querschnitt unter 
dem Rippenbogen, 34 cm lang. Entfernung eines über hühnereigrossen 
Lebersequesters; Ausräumung der Blutmassen. Verschluss des grossen 
Leberrisses durch Naht. Etwas Tamponade. Primäre Heilung ohne 
Hernie. 

Hr. Samael: Der neunjährige Knabe wurde mir zuerst im Herbst 

1912 und dann vor einigen Tagen von seiner Mutter zugeführt. Er ist 
das älteste von drei Kindern, zur rechten Zeit geboren, hat etwas spät 
laufen und sprechen gelernt und ist im ganzen gesund gewesen. Vor 
fünf Jahren bemerkten die Eltern, dass er Schwierigkeiten beim Laufen, 
Treppensteigen und schnellen Gehen hatte. Der Zustand verschlimmerte 
sich allmählich, im letzten halben Jahr aber beträchtlich. 

Bei dem im allgemeinen schlecht genährten Knaben fällt zunächst 
die starke Lordose der Lendenwirbelsäule auf. Der Gang ist watschelnd, 
das Becken wird beim Gehen übermässig gesenkt und gehoben. Der 
Gang ist ohne Unterstützung erschwert, sehr bald tritt völlige Unmög¬ 
lichkeit zum Gehen ein. Er steht breitbeinig und bedarf sehr bald eines 
Gegenstandes, um sich festzuhalten, Treppensteigen ist unmöglich. Beim 
Erheben aus liegender oder sitzender Stellung werden die Arme zu Hilfe 
genommen und der Oberkörper langsam gerade gerichtet. 

Es besteht eine erhebliche Atrophie der Rumpf-, Becken- und Ober¬ 
schenkelmuskulatur. Auffällig sind die starken Wadenmuskeln. Die 
Muskulatur des Schultergürtels und der Arme ist nicht beteiligt. Reflexe 
und Sensibilität sind nicht gestört. Io der Familie sind ähnliche oder 
gleiche Krankheitszustände nicht bekannt. 

Es handelt sich um einen Fall von Dystrophia musculoram pro¬ 
gressiva, der der Gruppe Pseudohypertrophie unterzuordnen ist. 

Hr. Bethe stellt einen achtjährigen Jungen vor, dem er am 1. März 

1913 die linke Niere vom Lendenschnitt aus exstirpiert hat, nachdem 
zur Sicherung der bis dabin unklaren Diagnose eine Probelaparotomie 
gemacht war. Wie der pathologisch-anatomische Befund an der de¬ 
monstrierten Niere zeigt, handelt es sich um eiue tuberkulöse, käsige 
Erweichung des vorderea aateren Viertels der Niere. Jedoch war 
die tuberkulöse Entartung nicht primär in der Niere entstanden, sondern 
hatte, wie sich bei der Operation ergab, von einem dicht unterhalb der 
Niere gelegenen Paket verkäster, tuberkulöser, retroperitonealer Lymph- 
drüsen auf die Niere übergegriffen. Nach normalem Wundverlauf ist der 
bis dahin kränkliche, stark abgemagerte Junge aufgeblüht und erweist 
sich jetzt bis auf eine kleine, wenig sezernierende Fistel in der linken 
Lende als gesund. 

Vorträge. 

Hr. Neisser: 

Aas dem klinischen Betriebe der inneren Abteilung des städtischen 
Krankenhauses. 

Vortr. will den Versuch machen, in diesem sowie in späteren Vor¬ 
trägen einen Einblick zu geben in das, was jeweils auf einer grossen 
inneren Abteilung im Vordergrund des Interesses steht. 

Von den Prüfungen der Organfunktionen bewährt sich besonders die 
Prüfung auf Urobilinurie als einer qualitativen Probe, die bereits sehr 
feine Störungen der Leberfunktion anzeigt. Es zeigte sich z. B., dass 
bei allen untersuchten Patienten mit Delirium tremens Urobilinurie sehr 
frühzeitig auftrat und mit Abklingen des Deliriums verschwand, zum Zeichen, 
dass die zum Delirium führenden Gifte wahrscheinlich sekundärer Natur 
sind und eventuell mit Leberschädigung in ursächlichem Zusammenhang 
stehen. 

Die Antitrypsinprobe, ursprünglich charakteristisch für malignen 
Tumor gehalten, dann, als man erkannte, dass dies nicht zutraf, mehr 
oder weniger fallen gelassen, erwies sich, bei einer sehr grossen Anzahl 
von Fällen ausgeführt, als durchaus wertvoll. In dem Sinne, dass ein¬ 
mal ihr positives Auftreten einen Krankheitszustand überhaupt wahr¬ 
scheinlich machte, ferner, dass mit nicht sehr häufigen Ausnahmen der 
negative Ausfall gegen das Vorhandensein einer malignen Geschwulst 
verwendet werden konnte. 

Die stalagmometrische Untersuchung der Ascites- und Pleuraflüssig¬ 
keit nach Traube bzw. Trevösano erwies sich als sehr wertvoll, 
vorausgesetzt, dass sie mit der Prüfung des spezifischen Gewichtes und 
auch des Eiweissgehaltes verbunden wurde. Drei Proben, die augen¬ 


1) Ermittelt im Gesundheitsamt auf Grund der einzelnen abschrift¬ 
lich mitgeteilten Anzeigen. 

2) Zusammen gestellt auf Grund der Wochennachweise des Königl. 
Polizei-Präsidiums. 


scheinlich nicht identischen Funktionen der betreffenden Flüssigkeit ent¬ 
sprechen. Wenn man ferner auch berücksichtigt, dass nach einer 
Funktion erst eine gewisse Zeit vergehen muss, bis nicht entzündliche 
Ergüsse wieder ihren nicht entzündlichen Charakter angenommen haben. 

Von den Prüfungen der Nieren war die Beobachtung der Aus¬ 
scheidungen bzw. des spezifischen Gewichtes nach einfacher Wasserzu¬ 
lage einigermaassen von Nutzen, ergab aber doch nur da ein sicheres 
Resultat, wo auch sonst schon Störungen der Nierenfunktion ersichtlich 
waren. 

Für die Prüfungen der beginnenden Herzschwäche tritt noch keine 
wirkliche brauchbare Methode hervor. 

Die Prüfungen der Nycturie empfehlen sich ihrer Einfachheit 
halber. Bei regelmässigem positiven Ausfall erscheint sie brauchbar, 
kann z. B. auch bei ^utachtlioher Beurteilung hier und da nützlich sein. 

Von den Prüfungen der äusseren Pankreasfunktionen gab die Trypsin¬ 
serumplattenprobe bei positivem Ausfall sichere Resultate. Bei der Dia¬ 
gnose des Pancreatiti? chronica mit Icterus gab bei wiederholter Prüfung 
auch der negative Ausfall Anhaltspunkte. 

Um einen Ueberblick über die Wichtigkeit der besten und zurzeit 
wichtigsten aller biologischen Proben, der Wassermann’schen, zu geben, 
sei folgendes erwähnt: Voif der Gesamtzahl der Aufnahmen der inneren 
Abteilung in einem Jahr, 4520, war die Krankheitsursache bekannt bzw. 
keinerlei Verdacht auf Lues vorhanden: in 650 Fällen von Infektions¬ 
krankheiten, 450 von Tuberkulose, 425 von Tuberkuloseverdacht, unge¬ 
fähr in 200 Fällen von Gutachten. Von den übrigbleibenden etwa 
2800 Fällen war wegen eines näheren oder ferner liegenden Verdachtes 
in 880 Fällen die Reaktion angewendet, und sie war in 211 Fällen 
positiv, d. h. verdächtig war fast 1 2 f A aller Fälle, und bei fast Via aller 
in Betracht kommenden Fälle war sie positiv. Ein kommendes Jahr¬ 
zehnt wird zweifellos unvergleichlich weniger erschreckende Zahlen auf¬ 
zuweisen haben. 

Die Prüfungen der motorischen Magenfunktion stehen für die Er¬ 
kennung organischer Störungen immer noch an Wert voran. 

Für die Diagnostik feiner Motilitätsstörungen hat die Zuhilfenahme 
der Strauss’sohen Korinthenprobe sowie auch das alte Probemittagessen 
von Riegel vortreffliche Dienste geleistet, während in bezug auf Motilität 
und Tonus des Magens das Röntgenbild vielmehr die Störungen des 
Antrurateiles anzeigt und hier häufig nicht sowohl zur Prüfung der 
Magenfunktionen als der konstitutionellen Anlage gleichzeitige Feststellung 
von Tropfenherz, Zwerchfelltiefstand usw. geführt hat. 

Von therapeutischen Methoden hat in der physikalischen Therapie 
die AusblasuDg der pleuritischen Exsudate bei guter Indikationsstellung 
sehr gute Dienste geleistet. Ebenso die konservative Behandlung ge¬ 
wisser Pneumokokkenempyeme durch Drainage oder blosse Punktion. 
Der Versuch einer neuen Begründung kombinierter Therapie nach 
Birscher scheint nach vielen Richtungen anregend zu wirken. 

Einer besonderen Bearbeitung bedarf die allgemeine und prophy¬ 
laktische Therapie, für die hier eine besondere Organisation am Kranken¬ 
hause besteht. 

Die Verhütung der Reoidive bei Gelenkrheumatismus. durch pro¬ 
phylaktische Tonsillentherapie ergab, dass schätzungsweise bei ca. 25 pCt. 
der Fälle von Gelenkrheumatismus behandlungsfähige Veränderungen der 
Tonsillen Vorlagen. 

Die Verhütung des Herztodes nach Diphtherie ergab das Resultat: 
Intramusculäre Einspritzungen von nicht unter 3000 Immunitätseinheiten 
innerhalb der ersten zweimal 24 Stunden scheint eine grosse Sicherheit 
gegen den späteren Herztod zu geben. 

In der diätetischen Therapie ist die früher probeweise Einführung 
des neuen Diätsystems jetzt definitiv erfolgt. Es besteht, wie aus den 
Arbeiten Bräuning’s im einzelnen ersichtlich, 1. in der Umwandlung 
der Küchen zu wirklichen Kochküchen, unter Beteiligung der Schwestern¬ 
schaft, 2. in der Einführung von nur zwei Diätformen, in denen die 
zweite eine für alle diätetisch zu behandelnde Patienten freie Form 
darstellt, die an der Hand des Bräuning’schen Diätbüchleins, von Arzt 
und Schwester zusammen gestellt, auch quantitativ nicht beschränkt ist. 

Die Kontrolle seitens der Verwaltung erfolgt durch Diättafeln, in 
denen der durchschnittliche Verbrauch der Abteilungen an den ein¬ 
zelnen Nahrungsmitteln festgestellt ist. 

Der Betrieb ist nicht teurer als an anderen guten Krankenhäusern. 

Hr. Sehwarzwäller bespricht an Hand von zwei Fällen das Thema 
der Verletzungen ind Schädigungen der Gebärmutter durch Fremd¬ 
körper. 

Im ersten Fall war beim Versuch einer Abtreibung der Ansatz einer 
Braun’schen Spritze in der Gebärmutter abgebrochen, hatte dieselbe 
durchbohrt, war bis in die Gegend der linken Niere gewandert, hatte 
dort einen Abscess verursacht und war einige Tage nach Eröffnung des 
Abscesses beim Verbandswechsel entfernt worden. Im Anschluss an 
diesen Fall, der in der Literatur ziemlich einzigartig dasteht, bespricht 
der Vortr. die Perforation des Uterus und die Behandlung von Aborten, 
bei denen der Verdacht von kriminellen Eingriffen vorliegt. Er betont, 
dass viele Frauen den kriminellen Abort mit dem Tode büssen müssten, 
und dass dringend das Verbot des Verkaufs der dazu gebräuchlichen 
Instrumente zu fordern sei. 

Im zweiten Fall hat ein Intrauterinstift, der zwecks Conceptions- 
verhinderung bei einer Frau eingelegt war, eine schwere Beckeneiterung 
hervorgerufen, und infolge dieser ist später der Tod eingetreten, ein Fall, 
der in der Literatur auch ziemlich einzig dasteht. Der Stift war zwei 


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1134 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 24. 


Jahre getragen, dann trat eines Tages Fieber und jauchiger Ausfluss ein. 
Es wurde eine schwere Beokenvereiterung konstatiert und die Kranke 
dem städtischen Krankenhaus überwiesen. Hier wurde am 30. August 
v. J. durch hintere Colpotomie ein Abscess eröffnet und die Kranke 
7 Wochen lang daran behandelt. Nachdem sie als gebessert entlassen 
war, wurde sie l / 4 Jahr später, weil immer noch Eiterung vorhanden 
war, in meine Klinik aufgenommen und eine im rechten Parametrium 
vorhandene Abscessöffnung erweitert und drainiert. Infolge fortdauernder 
Eiterung trat aber eine amyloide Entartung der Nieren und infolgedessen 
der Tod am 10. März 1913 ein. Der Stift wird von einer hiesigen 
früheren Hebamme vertrieben und ist genau derselbe, der früher von 
einem Arzt in Magdeburg eingelegt wurde und schon vor 12 Jahren der¬ 
artige Gesundheitsschädigungen hervorgerufen hatte, dass deswegen der 
Arzt zu 5 Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Vdh dem Einlegen von 
Obturatoren sollte man überhaupt Abstand nehmen, da dieselben häufig 
Gesundheitsschädigungen hervorrufen. Vor allem aber sollte es Laien 
und Hebammen aufs strengste verboten werden, diese Stifte einzulegen. 

Diskussion. 

Hr. Starck war Sachverständiger in einer Verhandlung wegen fahr¬ 
lässiger Körperverletzung gegen eine Frau, di$ Intrauterinpessare (Steri- 
letts) zur Verhütung von Schwangerschaft vertrieb. Eine Patientin hatte 
durch ein solches Sterilett eine schwere Beckeneiterung bekommen. Es 
war nachgewiesen, dass die Angeklagte das Sterilett, das während der 
Regel entfernt war, verschiedentlich, ohne es im geringsten zu desinfi¬ 
zieren, wieder eingeführt hatte. Die Sachverständigen vertraten die An¬ 
sicht, dass die Beckeneiterung durch das Pessar hervorgerufen war, und 
dass die Angeklagte infolge Ausseraohtlassung aller hygienischen Grund¬ 
sätze grob fahrlässig gehandelt habe. 

Das Gericht sprach sie trotzdem frei, weil die Möglichkeit nicht zu 
verneinen war, dass auch bei sachgemässer Einführung des Steriletts die 
Eiterung hätte entstehen können. 


Verein für wissenschaftliche Heilkunde zu Königsberg i. Pr. 

Sitzung vom 5. Mai 1913. 

1. Hr. Samter: 

Demonstration eines geheilten Falles yon Rückenmarksgeschwuist. 

Der Fall zeigt, dass auch ein erhebliches Lungen leiden (Tuberkulose) 
eine operative Heilung nicht verhinderte. 

Bei der 40 jährigen Frau hatte sich das Bild der paraplegischen 
Lähmung (Beine, Bauch, Rücken, Blase, Mastdarm) im Laufe von 1 */i Jahren 
entwickelt. Radikuläre bzw. segmentäre Symptome waren bei der Auf¬ 
nahme nicht mehr vorhanden (Schmerzen in den Schultergegenden, 
Parästbesien usw.). Beiderseits Fuss- und Patellarclonus, Babinski, 
Oppenheim. Die Untersuchung (Prof. Hilbert und Prof. Meyer) ergab 
für die Höhendiagnose 1.—2. Dorsalsegment. Entfernt wurden 5.—7. Hals¬ 
bogen, 1. und 2. Brustbogen. Der Tumor, 2 l / 2 cm lang, etwas gelappt, 
ging von der Dura aus, die reseziert wurde. Ueber dem Tumor Liquor¬ 
ansammlung. Tiefe Impression im Rückenmark. Nach der Operation 
längerer starker Collaps. Schon am 4. Tage begannen Sensibilität und 
Motilität zurückzukehren. Drei Monate später waren die Lähmungs¬ 
erscheinungen völlig verschwunden. Gang frei, ein wenig schwerfällig; 
Patellarreflexe erhöht, links Babinski noch angedeutet. Der Tumor war 
ein Cylindrom. 

Diskussion. 

Hr. Meyer bespricht verschiedene differentialdiagnostisch wichtige 
Symptome. Der Brown-Sequard’sche Typus ist oft nicht nachweisbar; 
ebenso die Zeichen direkter Wurzelreizung. 

Hr. Schittenhelm geht besonders auf das Verhalten der Sensi¬ 
bilität nach erfolgter Operation näher ein. Die Tiefensensibilität scheint 
sich erst spät völlig wieder herzustellen. Auffallend ist eine lange Zeit 
hindurch noch nachweisbare Herabsetzung der Tastempfindung in der 
Höhe des obersten lädierten Segments in Form einer gürtelförmigen 
Zone. 

2. Hr. Friedrieh: 

Ueber neue operative Erfahrungen kein Lungen emphysem mit Thorax¬ 
starre. 

Der Vortr. zeigt einen 49 jährigen Kranken mit extremer Thoraxstarre 
bei Lungenemphysem, wo nach Abtragung der 2.—7. Rippe, in je 4—6 cm 
Ausdehnung und unter Zurückklappung des Periostes über die Rippen¬ 
stümpfe, sich ein sehr freies Bewegungsspiel der Brustwand erhalten hat. 
Die Operation ist vor einem Jahre ausgeführt, der Kranke in bezug auf 
seine Beschwerden zurzeit sehr gebessert. F. hat der Operation regel¬ 
rechte Atmungsübungen folgen lassen und sieht in der Kombination von 
Operation und Uebungstechnik einen besonderen Nutzeffekt. F. geht 
dabei auf die von ihm zum Chirurgenkongress 1910 entwickelte Theorie 
des Nutzens der Emphysemoperation ein, bei der das Haupt¬ 
gewicht auf die durch die freiere Inspiration und Exspiration, sowie die 
Raumverkleinerung der operierten Thoraxhälfte sich ergebende Beein¬ 
flussung des Pulmonalkreislaufes und der ganzen Circulation gelegt 
wird. Je grösser die Erfahrung des Einzelnen an operativ behandelten 
Fällen ist, um so weniger kann man sich der Vorstellung des Nutzens 
der Operation in geeignet indizierten Fällen entziehen. Es ist daher 
vielmehr Aufgabe der Chirurgen, die Methodik des operativen Vor¬ 
gehens auszubaucn, als aus theoretischen Erwägungeu heraus, bei der 
bisherigen Unzulänglichkeit vollen Verständnisses für die sich ab¬ 


spielenden Vorgänge, das ganze Prinzip über Bord zu werfen. Sehr 
bemerkenswert stellt sich der Zusammenhang von Besserung eines 
54jährigen Emphysematikers mit ausgedehnter Brustwand¬ 
resektion dar, wo F. genötigt war, wegen eines Periostsarkoms der 
Rippen die 2.—6. Rippe und mit ihnen die ganze Brustwand ein¬ 
schliesslich der Pleura costalis abzutragen. Bei der Operation musste 
ein kleines Metastasengebiet aus der Lunge ausgeschnitten, die Lungen¬ 
naht ausgeführt werden. Der primäre Brustwandsohluss gelang ohne 
Zwischenfälle, und jetzt bietet der Kranke eine über handtellergrosse 
Lücke in der Brustwand, in der die Lunge bei Inspiration gut ein¬ 
gezogen, bei Exspiration stark vorgewölbt wird. Diese Lücke bedingt 
ein grösseres respiratorisches Bewegungsspiel eines grossen Lungen¬ 
abschnittes, eine namhafte Beeinflussung des pulmonalen Kreislaufes und 
der beim Emphysem vorhandenen Strom widerstände in ihm. Auch hier 
würden sonach Bedingungen geschaffen sein, ähnlich denen, wie sie die 
Emphysemoperation mit breiter Rippenabtragung herbeifübrt, so 
dass von F. — zwar mit allem Vorbehalt — doch die Möglichkeit des 
physikalischen Zusammenhanges von grosser Lückenbildung in der Brust¬ 
wand und hervorragender Besserung der Emphysembeschwerden an¬ 
schaulich gemacht wird. Der vorgestellte Kranke befindet sich in der 
Tat zurzeit in einem hervorragend guten Zustand. 

An der Diskussion beteiligen sich die Herren Samter und 
Schittenhelm. 

3. Hr. Henke: 

Experimentelle Versuche zar Frage über die physiologische Be¬ 
deutung der Tonsillen. 

Der lymphatische Waldeyer’sche Rachenring, dessen Hauptkompo¬ 
nenten die beiden Gaumenmandeln, die Rachenmandel und die Zungen¬ 
mandel sind, bilden zweifellos eine anatomische sowie physiologische 
Einheit. Die anatomisch-histologische Beschaffenheit dieser Organe ist 
heute durch zahllose einschlägige Arbeiten einwandfrei sichergestellt 
und hinreichend bekannt. Anders verhält es sich mit der Frage nach 
der physiologischen Funktion der Tonsillen. 

Es sind im Laufe der Zeit die verschiedensten, bald mehr bald 
weniger begründeten Hypothesen über die Bedeutung der Mandeln auf¬ 
gestellt worden. Wir sind aber in der endgültigen Entscheidung der 
Frage über Hypothesen nicht weit hinausgekommen. Die Ansichten der 
einzelnen Forscher stehen sich eigentlich in den Hauptpunkten geradezu 
diametral entgegen. 

Die einen halten die Mandel für wichtige Schutzapparate, die 
anderen sehen in ihnen Organe, die wegen ihrer Neigung zur Ansiede¬ 
lung von Infektionserregern für Leben und Gesundheit höchst gefährlich 
sind, wieder andere sprechen sie für ganz indifferente Elemente an. 

Vortr. hat zur Klärung der Frage nach der Funktion der Tonsillen 
experimentelle Untersuchungen angestellt. Es geschah dieses in folgender 
Weise: 

Einer Reihe Patienten, die zur Entfernung der Gaumen- und Rachen¬ 
mandeln bestimmt waren, wurden einige Zeit vor dem Eingriff mit ihrer 
Einwilligung, kleinste Mengen feinster sterilisierter Russaufschwemmungen 
in die verschiedensten Teile der Nase unter die Schleimhaut injiziert. 
Wir wollen vorausschicken, dass wir bisher bei den so behandelten 
Patienten auch nicht ein einziges Mal unerwünschte Nebenerscheinungen, 
sei es an der Iojektionsstelle, sei es anderswo, gesehen haben. In ver¬ 
schiedenen Zeiträumen nun von 6 Stunden bis zu 6 Tagen wurden die 
Mandeln dieser Patienten entfernt, und darin nach dem Verbleib der in 
die Nasenschleimhaut injizierten Russaufschwemmungen gesucht. Aus 
der Injektionsstelle verschwanden sie meistens bald, fanden sich aber in 
der Regel in grösster Menge meistens schon nach 24 Stunden in den 
Tonsillen wieder, und zwar nach Injektionen in die rechte Nasenhälfte 
nicht nur in der rechten, sondern auch in der linken Tonsille, ge¬ 
wöhnlich fast gleichzeitig, ebenso auch in der Rachenmandel. Wie die 
Lagerung der schwarzen Körnchen in den mikroskopischen Präparaten 
zeigte, blieb kein Zweifel darüber, dass die Russteilchen aus der Nase 
nur auf dem Lymphwege nach den Tonsillen gelangt sein konnten. Nie¬ 
mals fanden wir in den Blutgefässen der Tonsillen die corpusculären 
Elemente, wohl aber waren in zahllosen Präparaten die periv&sculären 
Lymphräume dicht angefüllt. Auf diese Weise war also der Beweis ge¬ 
liefert, dass auch beim Menschen direkte Lymphverbindungen von der 
Nase nach den Tonsillen führen, und dass zwischen den Lymphgefässen 
der drei Tonsillen ein inniger Zusammenhang besteht. Bei unseren 
Untersuchungen fiel es uns auf, dass wir bei einer ganzen Reihe von 
Serien schnitten häufig auch nicht die geringsten Spuren von Russ fanden, 
während plötzlich im weiteren Verfolg der Schnittserie derselben Ton- 
.sille Präparate entstanden, die grosse Mengen der in die Nase ein¬ 
gespritzten Russteilchen enthielten, die gleichsam über und über mit 
Russ besät erschienen. Daraus geht hervor, dass nicht die gesamte 
Tonsille, sondern immer nur einzelne Abschnitte, die von der Nase nach 
hier transportierten Fremdkörperchen enthalten, oder aber anders aus¬ 
gedrückt, der von den einzelnen Nasenabschnitten kommende Lymph- 
strom passiert nur bestimmte Abschnitte der Tonsille. Derartige Be¬ 
funde sind um s6 weniger befremdend, als sie bei Lymphdrüsen z. B. 
in der Nähe von Tätowierungsherden der Haut eine bekannte Ersehe - 
nung sind. Die Russkörnchen Hessen sich in allen Schichten der Ton¬ 
sille, besonders in den ersten Tagen nach der Injektion nachweisen, im 
Epithel, im subepithelialen Gewebe, in den Lymphräumen und Lymph¬ 
gefässen der Bindegewebsbalken, in den die Tonsillen durchziehenden 
Lymphsinus, in den perivasoulären Lymphräumen, rund um die Follikel 


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UNIVERSUM OF IOWA 



16. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1185 


herum, aber auch im Innern der Follikel, kurz eigentlich überall, nur 
nicht im Lumen der Blutgefässe. Wir haben dann das Schicksal der 
Russpartikelchen in den Tonsillen weiter verfolgt. Dabei zeigte es sich, 
dass dieselben meist schon nach einigen Tagen aus der Tonsille ver¬ 
schwunden waren. Wenn wir nämlich längere Zeit nach der Injektion 
die Tonsillen entfernten und untersuchten, so fanden wir sie stets frei 
von Russ. Es war nun die Frage zu beantworten, auf welchem Wege 
diese Abwanderung stattfindet. Zahlreiche mikroskopische Unter¬ 
suchungen nnn zeigten, dass grosse Massen der Russpartikelchen durch 
das Epithel hindurch nach der Oberfläche der Tonsillen, also nach dem 
Lumen des Rachens herausbefördert werden. Diese Wanderung der 
Russpartikelchen mit der Richtung nach der Oberfläche der Tonsillen 
liess sich gleichsam wie die Richtung eines Stromes auch gewöhnlich 
schon in den tieferen Partien der Mandeln mit Sicherheit nachweisen. 

Es drängte sich uns nun weiter die interessante Frage auf, ob die 
Tonsille nur diejenigen Fremdkörder auf diesem Wege eliminiert, die 
ihr von der Nase zugeführt werden, oder ob auch derartige fremdartige 
Elemente, die an anderen Stellen in das Gewebe Eingang gefunden 
haben, durch die Tonsillen herausbefördert werden können. Wir spritzten 
zu diesem Zwecke kleine Mengen Russaufschwemmungen in die Wangen¬ 
schleimhaut und ins Zahnfleisch ein. Wiederum fanden wir die Russ¬ 
partikelchen, dieses Mal etwas später, d. h. erst nach 36 und 48 Stunden 
in den Tonsillen wieder, und zwar jetzt nur in den beiden Gaumen¬ 
tonsillen, nicht aber in der Rachentonsille, bei einseitiger Einspritzung 
auoh in der andersseitigen Tonsille. 

Wiederum zeigten die mikroskopischen Bilder deutlich und un¬ 
verkennbar den bereits erwähnten Eliminationsvorgang. Dieses Ergebnis 
ist um so interessanter, als bisher überhaupt noch nicht festgestellt 
war, dass direkte Lymphwege vom Zahnfleisch nach den Tonsillen 
führen. 

Wie nun aber, muss die weitere Frage lauten, geht dieser sicher¬ 
stehende Ausschaltungsmechanismus vor sich? Die Antwort auf diese 
Frage ist zweifellos von hoher Bedeutung, da sie uns zugleich über die, 
wie wir gesehen haben, immer noch viel umstrittene Frage der Epithel¬ 
lücken, physiologische Wunden, des Emigrationsmechanismus der weissen 
Blutkörperchen aus den Tonsillen und den hypothetischen Lymphstrom 
Aufschluss zu geben geeignet ist. 

Nach unseren mikroskopischen Präparaten zu urteilen, schien es 
anfangs so, als würde der Russ an der lojektionsstelle in kleinste 
Teilchen zerlegt, von den Leukocyten aufgenommen, weitergeschleppt 
und durch die Tonsillen herausbefördert. 

Je mehr Versuche wir aber anstellten, und je genauer wir all¬ 
mählich unsere Präparate beurteilen lernten, desto klarer wurde es uns, 
dass bei dem geschilderten Eliminationsvorgang die Leukocyten eine nur 
untergeordnete Rolle spielen müssen. Die Hauptmasse des Russes 
nämlich wird nicht durch die Leukocyten nach dem Lumen des Rachens 
heraustransportiert, sondern in Form feinster Partikelchen schwemmt 
ein kontinuierlicher Lymphstrom den Russ aus dem Körper durch die 
Tonsille nach dem Rachen heraus. Es gelang uns, diesen Lymphstrom 
in durchaus überzeugender Weise zu Gesicht zu bringen. Wir konnten 
ganz besonders im Epithel den Saftstrom in zweifacher Weise beob¬ 
achten. 

Auf sehr dünnen Schnitten bei stärkster Vergrösserung sahen wir 
gewöhnlich ein gleichsam schleierartiges schwarzes Fasernetz, welches 
das gesamte Tonsillenepithel durchzog. Bei genauem Zusehen und beim 
Bewegen der Mikrometerschraube konnte man feststellen, dass dieses 
Fasernetz genau die Grenzen der einzelnen Epithelzellen darstellte. Der 
Flüssigkeitsstrom, in dem die kleinsten Partikelcben schwimmen, um- 
fliessst also gewissermaassen die einzelnen Zellen, die wie Inseln in der 
Mitte liegen, drängt die die Zellen verbindende Kittsubstanz auseinander 
und füllt so die intercellulären Räume scheinbar völlig aus. Die Strom- 
riohtung ist die freie Oberfläche der Tonsille, auf der sich die bereits 
hier angeschwemmten Russpartikelchen auf vielen unserer Präparate gut 
differenzieren lassen. Neben diesem feinen Fasernetz konnten wir als 
zweiten Ausschaltungsmodus grössere Pigmentschollen im Epithel nach¬ 
weisen, sie hatten meistens die Form der um sie herumlagernden 
Epithelzellen und wurden gewöhnlich immer flacher, je mehr sie sich 
der Oberfläche näherten. Wir hielten anfangs diese Elemente für 
Leukocyten, die sich mit Russpartikelchen vollgefressen hatten, konnten 
jedoch in keinem einzigen Falle einen Kern wahrnehmen. Sodann fiel 
es uns auf, dass sie vielfach an Grösse selbst die allergrössten weissen 
Blutkörperchen übertrafen. Wir gelangten daher zu der Ansicht, dass 
die Lagerung dieser Pigmentschollen keine intra-, sondern eine inter- 
celluläre sein musste. Diese Annahme fand dann auch alsbald eine 
Stütze durch weitere Experimente. Wir hatten, wie bereits gesagt, 
durch Versuohe an Menschen festgestellt, dass direkte Lymphverbindungen 
nicht nur von der Nase, sondern auch vom Zahnfleisch zu den Tonsillen 
führen. Wir hatten die ins Zahnfleisch eingespritzten Russaufschwemmungen 
in den Tonsillen wiedergefunden. An Leichenversuchen war es bisher 
noch nicht gelungen, das Vorhandensein von direkten Lymphverbindungen 
der letztgesohilderten Art festzustellen. Trotz unserer beweiskräftigen 
mikroskopischen Befunde hätte man uns daher immer noch einwenden 
können, der Transport der in das Zahnfleisch eingespritzten feinen Russ- 
teilchen erfolgt durch die Leukocyten, welche die Körnchen in sich auf¬ 
nehmen und nach der Tonsille weitertragen. Um diese Frage auch 
experimentell zu entscheiden, gingen wir auf den Rat des Herrn Pro¬ 
fessor Bartels vom hiesigen anatomischen Institut zu einem weiteren 
Versuche über. 


In derselben Weise wie am Menschen in vivo nahmen wir am 
Cadaver eines Tierkörpers ganz entsprechende Untersuchungen vor, 
d. h. wir spritzten einer Katze einige Stunden nach dem Tode kleinste 
Mengen Russaufschwemmungen in das Zahnfleisch ein. Hier haftet das 
Gewebe so fest auf der Unterlage, dass man mit der Injektion das eine 
oder das andere nach abwärts ziehende Lympbgefäss treffen muss. Der 
Russ muss also dann, wenn unsere für den Menschen in vivo fest¬ 
gestellten lymphatischen Verbindungswege auch beim Tiere bestehen, 
bei diesem Versuch sich in den Tonsillen nachweisen lassen; das gelang 
auch in der Tat. Genau wie beim Menschen fanden wir die Tonsille 
makroskopisch unverändert, mikroskopisch aber zeigten sich massenhaft 
Russpartikelchen in der Tonsille der injizierten Seite, und zwar wiederum 
in allen Schichten des Tonsillargewebes. In langen Reihen dicht an¬ 
einandergedrängt ziehen die schwarzen Körnchen sich durch die ganze 
Substanz der Tonsillen hin, durchwandern das Epithel und gelangen 
nach der freien Oberfläche der Tonsille, gleichsam mit dem Bilde eines 
Ameisenhaufens, den gerade Hunderte und Tausende von Tierchen auf 
wohlausgebauten Strassen verlassen, könnte man diese mikroskopischen 
Präparate vergleichen. Die Lagerung der Körnchen war genau dieselbe 
wie in den früher vom Menschen in vivo gewonnenen Tonsillen. Es ist 
kaum denkbar, dass die Russteilchen auch hier beim toten Tiere von 
den Leukocyten aufgenommen und weitergeschleppt worden sind. Der 
Vorgang ist wohl lediglich als ein rein mechanischer aufzufassen. Der 
Iujektionsdruck ahmte gleichsam die natürlichen Verhältnisse nach, in¬ 
dem er die Vis a tergo, welche den Lymphstrom am lebenden Orga¬ 
nismus bewegt, ersetzte. Das Auseinanderweichen der Zellen, in deren 
Zwischenräumen sich der die Russpartikelchen tragende Lymphstrom 
drängte, wurde hier wie dort beobachtet; ganz gleiche Bilder. Niemals 
aber sahen wir grössere Epithellücken, physiologische Wunden hierdurch 
entstehen, die, wie man früher scheinbar zu Unrecht annahm, bequeme 
Einfallstore für Bakterien darstellen sollen. (Autoreferat.) 

(Vortrag erscheint ausführlich in der Zeitschrift für Ohrenheilkunde.) 


Aerztlicher Verein za Hamburg. 

Sitzung vom 20. Mai 1913. 

Demonstrationen. 

1. Hr. Preiser: Fall von Little’scher Krankheit, bei dem nach 
Tenotomie der Achillessehne ein Pes calcaneus entstanden war. Durch 
Sehnenplastik wurde diese Deformität redressiert. 

Ferner 25 jähriger Patient, bei dem nach leichtem Untersehenkel- 
tranma Schmerzen bei Belastung zurückgeblieben waren. Der Befund, 
namentlich die Röntgenplatte Hessen einen malignen Tumor vermuten. 
Die Eröffnung ergab jedoch sterilen Eiter. Knochenplastik durch 
einen Span aus der Tibia. 

Endlich Röntgenbild eines Mannes, der klinisch bei Kyphose eine 
deutliche Spinalaffektion („Pseudotumor spinalis“) zeigte. Die Röntgen¬ 
aufnahme ergibt eine Kyphoskoliose, die palpatorisch nicht feststell¬ 
bar war. Es handelt sich in diesem Fall um Rachitis, nicht um eine 
kongenitale Affektion. 

2. Diskussion zum Vortrag des Herrn Stande: 40 Jahre operativer 
Behandlung des Uteruscareinoms. 

Hr. Kümmell: Das Material des Eppendorfer Krankenhauses (chir¬ 
urgische Station) ist äusserst traurig. Von 500 Fällen waren 131 in¬ 
operabel. Aber auch von den übrigen war kaum eines circumscript. 
Die Operationserfolge sind dementsprechend ungünstig. K. ist davon 
zurückgekommen, möglichst viel zu operieren, da die Kranken mit post¬ 
operativen Recidiven besonders schwer leiden. 

Hr. Rink hat stets an der vaginalen Methode festgehalten, und 
zwar unter Anwendung einer eigenen Modifikation mit Ausschaltung der 
Bauchhöhle. Es gelingt dadurch, nicht nur Peritonitis und Bauch¬ 
deckenphlegmone, sondern auch peritoneale Reizerscheinungen zu ver¬ 
meiden. Er hat von 34 Fällen 30 operable gehabt (86 pCt.). 

Hr. Schottelius demonstriert das Präparat eines vor kurzem ex- 
stirpierten graviden, carcinomatösen Uterus, das in einem ungewöhnlich 
frühen Stadium zur Operation kam. Bezüglich der Technik glaubt Sch., 
dass das erweiterte vaginale Verfahren zwar die Parametrien gut zu¬ 
gänglich mache, dass aber bei Beteiligung der Blase usw., insbesondere 
aber der Drüsen, die Laparotomie den Vorzug verdiene. 

Hr. Eversmann erscheint ein zielbewusstes Operieren bei vaginalem 
Vorgehen unmöglich zu sein. Die paravaginalen Schnitte disponieren 
sehr zu Phlegmone, namentlich bei Adipositas. Andererseits nimmt die 
Mortalität bei Laparotomie doch ständig ab. 

Hr. Galmann kann nicht bestätigen, dass das Hamburger Carcinom- 
material besonders ungünstig sei. Er hat gegenüber 53 operierten 
Fällen nur 6 inoperable gehabt. Von den operierten ist nur einer ge¬ 
storben, auch ein Zeichen günstigen Materials. 

Hr. Rueder wendet sich gegen die Ueberschätzung der Statistik. 
Die Erfolge hängen von zu viel Begleitumständen ab (Assistenz, Adi¬ 
positas, Herz- und Nierenbefund der Patientinnen usw.). Wichtiger ist 
die Beantwortung der Frage: Wieviel Nebenverletzungen kämen bei 
einer Methode vor. Er erinnert an die Feststellung Lomer’s, dass die 
Patientinnen, die in der Rekonvaleszenz Fieber zeigten, meist recidiv- 
frei blieben. 

Hr. Deseniss fand von 15 Fällen 13 operabel (87pCt.). Von 
diesen starb nur einer (primäre Mortalität = 7,7 pCt.); alle Fälle sind 


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UMIVERSITY OF IOWA 





1136 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 24. 


oach der Wertheim’schen Methode, für die D. warm eintritt, operiert. 
Keine Nebenverletzungen. Dauerheilung bei 4 Fällen unter 6 ver¬ 
wertbaren. 

Hr. Staude: Schlusswort. 

3. Hr. Wulff: 

Zur Diagnose und Behandlung der Prostatahypertrophie. 

Vortr. bespricht zunächst das Symptomenbild und die Diagnose der 
Prostatahypertrophie und macht unter anderem darauf aufmerksam, dass 
Polyurie oder gastroenteritische Erscheinungen die einzigen Symptome 
bilden können. Die rectale Untersuchung hat nur beschränkten Wert, 
da der Mittellappen nicht fühlbar ist und oft gar nicht vergrösserte 
Drüsen Beschwerden machen. Wichtig ist die Palpation nur zur Diffe¬ 
rentialdiagnose gegen Carcinom und Tuberkulose (bei denen Vortr. vor 
der Operation warnt). Im übrigen muss die Cystoskopie und Urethro- 
skopie die Diagnose fördern. Differentialdiagnostisch kommen in Betracht: 
1. Nervenkrankheiten (Tabes usw.), 2. juvenile Blaseninsuffizienz, 3. Neur¬ 
asthenie, 4. Herzkrankheiten, 5. Tuberkulose und Carcinom, 6. Prostata¬ 
atrophie. Operation ist von diesen nur bei der letzteren indiziert. 

Bei Besprechung der Behandlung tritt Vortr. sehr dafür ein, die 
Katheterbehandlung bei allen geeigneten Patienten durchzuführen. Das 
„Katheterelend“ ist meist sehr übertrieben worden. Im Gegenteil leben 
die Patienten dabei sichtlich auf. Auch das Selbstkatheterisieren zeitigt 
nicht die meist befürchteten schweren Folgen. Vortr. gibt im einzelnen 
seine Prinzipien für die Katheterbehandlung bekannt. Als Indikationen 
zur Operation, d. h. der Entfernung der Drüse auf suprapubischem 
Wege, lässt er gelten: 1. Wirkungslosigkeit des Katheters, d. h. 
wenn durch vier- bis höchstens fünfmaliges Katheterisieren der Harn¬ 
drang nicht beseitigt wird, 2. Blutungen, deren Quelle übrigens 
meist bei der Operation nicht gefunden wird (Katheterverletzungen 
selten!), 3. stets recidivierende Steinbildung, 4. Infektion mit 
hohem Fieber (einfache Cystitis kann ganz harmlos sein), 5. Undurch¬ 
führbarkeit des Katheterismus, wenn er zu schwierig oder zu schmerz¬ 
haft ist, oder die Patienten zu ungeschickt oder zu unsauber sind. Sind 
diese Indikationen gegeben, so bildet hohes Alter, Schwäche usw. keine 
Kontraindikation, auch nicht hohes Fieber, bei welchen höchstens einige 
Tage vorher Dauerkatheter einzulegen ist. Seine Resultate: von 40 Fällen 
5 gestorben, einer an Embolie, einer an Pneumonie, 3 nach 4—5 Wochen 
an Erschöpfung. Die mit Glück Operierten sind dann aber absolut be¬ 
schwerdefrei. Fr. Wohlwill. 


Aerztlicher Bezirksverein zu Zittau. 

Krankenhausabend vom 8. Mai 1913. 

Vorsitzender: Herr Körner. 

Schriftführer: Herr Klieneberger. 

Hr. Klieneberger: a) Pylorusstenose. 

23 jähriger Metallarbeiter, der vor 8 / 4 Jahren mit den typischen 
Erscheinungen eines Magengeschwürs, insbesondere diffuser Hämatemese 
erkrankte. Er wurde fast s / 4 Jahre im Krankenhause behandelt und 
nach seiner Angabe geheilt entlassen. Es bestehen jetzt wieder seit 
einigen Monaten Magenbeschwerden, insbesondere Drücken nach un¬ 
regelmässiger Nahrungsaufnahme, sowie nach lange Zeit im Magen 
liegen bl eiben der Kost. Er klagt auch über Sodbrennen und Druck¬ 
gefühl einige Stunden nach dem Essen, wenn er Diätfehler begeht. 
Keine Abmagerung, blutfreie Stühle, keine Retention bei Nüchtern- 
Untersuchung, aber vermehrte Saftsekretion eines stark salzsauren, sonst 
normalen Magensaftes. Die Röntgenuntersuchung ergibt einen ptotischen 
Magen mit vermehrter Rechtsdistanz, das Bild der beginnenden Megalo- 
gastrie bei Pylorusstenose (Halbmondform). Bei Ernährung mit ge¬ 
mischter, aber nicht zu schwerer Kost ist er beschwerdefrei (Gewichts¬ 
zunahme) und arbeitsfähig, so dass einstweilen eine Operation nicht in 
Frage kommt. 

b) Uless ventrienli penetraus. 

Patientin hat seit der Pubertät Magenbeschwerden. Vor etwa vier 
Jahren musste sie wegen perforierten Magengeschwürs operiert werden. 
Das Magengeschwür befand sich an der hinteren Magenwand, an der 
Grenze des unteren Magendrittels. Es erfolgte Uebemähung und 
Drainage. Nach der Operation war sie 3 Jahre beschwerdefrei. Vor 
V 2 Jahre erneut Blutbrechen. Seitdem andauernde Schmerzen, sogar 
unabhängig von der Nahrungsaufnahme, zunehmender Kräfteverfall, zu¬ 
letzt Unfähigkeit festere Kost zu geniessen. Bei der Aufnahme erheb¬ 
liche Abmagerung, mässige sekundäre Anämie (Hb. 35, R. 3 600 000). 
Im Epigastrium, links vom Nabel, eine etwas ballonartig geblähte, sehr 
druckempfindliche Resistenz. Starke Diastase der Recti. Stuhl wechselnd, 
manchmal sehr starke Blutreaktion. Nüchtern leere Magensondierung 
wegen Aspiration von blutiger, bräunlicher Flüssigkeit unterbrochen. 
Die Röntgenuntersuchung zeigt zunächst das typische Bild des Sandubr- 
magens mit einer Luftblase über einer Ausstülpung der kleinen Kurvatur 
und einer zweiten Luftblase der Magenmitte. Die Untersuchung nach 
18 Stunden ergibt einen ptotischen halbmondförmigen Magensack, wie 
man ihn bei einer Pylorusstenose mit entsprechender Retention findet, 
und zwei Wismut-Flecken mit entsprechender Luftblase 1 )- Auf Grund 
dieses Befundes wird ein Ulcus callosum penetratum der kleinen 
Kurvatur, sowie ein Ulcus bzw. eine Ulcusnarbe am Pylorus und eine 

1) Vgl. Pausen nach Radioskopie und Radiographie. 


Narben-Zweiteilung des Magens angenommen. Die Patientin wird zur 
Operation verlegt. Bei der Operation fand sich eine Narbe an der 
grossen Kurvatur, ein Ulcustumor im oberen Teile des vorliegenden 
Magens nach der kleinen Kurvatur zu. Es war nur eine Gastro¬ 

enterostomie anterior zur Entleerung des unteren Magensackes möglich, 

c) Carcinoma oesophagi, Gangraena pnlmonnm, Dilatatio aortae. 

58 jähriger Mann, der seit 2 Jahren an Schluckbeschwerden litt, 
regurgitierte, in der letzten Zeit abgemagert war und über zunehmenden 
Husten und eitrigen Auswurf klagte. Abgesehen von Alterserschei¬ 

nungen, erheblichem Kräfteverfall, hektischem Fieber bestand massig 
reichlicher geschichteter, stinkender Auswurf mit Pfropfen, diffuser 

Katarrh mit kleinen Verdichtungsherden, typisches Röntgenogramm einer 
Oesophagusstenose an der Bifurkation (steckenbleibender Bolus, der in 
Tröpfchen durchsickerte) sowie einer diffusen Aortenerweiterung. Der 
Patient starb nach 7 Wochen. Das Präparat (Demonstration) zeigte 
ein fast circuläres verjauchtes Krebsgeschwür des Oesophagus in der 
Nähe der Bifurkation, zwei feine Perforationsöffnungen nach den Luft¬ 
wegen, Dilatatio der Aorta mit atberomatösen Plaques, diffuse 

gangräneszierende, bronohopneumonische Herde. 

d) Carcinoma ventrienli, seknndäre Anämie. 

44 jähriger alter Mann, der seit einem Jahre Magen- und Darm¬ 
beschwerden (im wesentlichen Schmerzen) hat, der zunehmend schwächer 
und magerer geworden ist und der mit hochgradigem Kräfteverfall, 
leichenblass, benommen zur Aufnahme kam. Abgesehen von leichten 
OedemeD, enormer Abmagerung, Druckempfindlichkeit im Epigastrium 
und stark chemisch bluthaltigen Stühlen, der typische Blutbefund einer 
sekundären Anämie. (Hb. 8 pCt., R. 2 066 000, W. 15 100, poly- 
nucleäre Leukocytose mit Polychromatophilie, 3pCt. Normoblasten, viel 
Blutplättchen.) Röntgenbild im Liegen nach Wismut-Brei zeigte einen 
die Hälfte des Magens einnehmenden, die Ostiun freilassenden Krebs, 
der besonders die Pars antralis einnimmt. Der nüchtern untersuchte 
Magen ist leer, enthält etwas schleimige Flüssigkeit mit wenig Bakterien. 
Tod nach 12 Tagen. Die Autopsie (Demonstration des Präparates) er¬ 
gibt einen weit unter der Leber liegenden verlöteten Magen mit einem 
grossen Krebsgeschwür der Magenmitte bis nahe zum Pylorus, der frei 
durchgängig ist. 

Besprechung der Differentialdiagnose der primären und sekundären 
Anämie, die mit Sicherheit nur aus dem Blutbefunde entnommen werden 
kann, obwohl auch bei genauer Anamnese und klinischer Untersuchung 
häufig vorher die Wahrscheinlichkeitsdiagnose gestellt werden kann, 

e) Chronische lymphatische Leukämie. 

42 jährige Patientin, die seit etwa einem Jahre langsam zunehmende 
Drüsenschwellungen am Halse, in den Achselhöhlen, in den Leisten¬ 
beugen bemerkt hat, die allmählich von Kräften gekommen und blasser 
geworden ist. Bei der etwas abgemagerten blassen Patientin bestehen 
allgemeine, zum Teil recht erhebliche äussere Drüsenschwellungen, Retro¬ 
sternaldrüsen, Milzvergrösserung, angeheilter Herpes zoster der rechten 
Inguinalgend. Das Blut zeigte das typische Bild einer kleinzelligen 
Lymphämie mit mässiger Anämie (W. bei der Aufnahme 120 000, 
Hb. 50pCt.). Die Patientin hat im Laufe von 14 Tagen zwei intra¬ 
venöse Thorium X-Injektionen von b l j 2 Mille Macheeinheiten bekommen. 
Seit der zweiten Injektion (die vor 8 Tagen erfolgte) fühlt sie sich 
frischer, hat mehr Appetit, schläft besser usw. Die Leukocyten sind 
auf 560 gesunken. Eine bemerkenswerte Veränderung des Hämoglobins 
aber, sowie eine sicher feststellbare Drüsenverkleinerung ist nicht za 
verzeichnen. Die Thorium X-Behandlung befindet sich noch im Stadium 
des Versuches. Angesichts der Gefahr der Ueberdosierung der noch 
lückenhaften Kenntnisse der therapeutischen Wirkungen sollte die Be¬ 
handlung nur im Krankenhause bzw. in der Klinik weiter ausgeprobt 
werden. 


Freiburger medizinische Gesellschaft. 

Sitzung vom 20. Mai 1913. 

1. Hr. Sehlimpert: 

Die jetzt wohl als bekannt voransznsetzende Abderhaldei’sehe 
Schwangerschaftsreaktion. 

Auch mit diesem Reagens ist sehr sorgfältiges Arbeiten erforderlich. 
Fehlerhaft positive Resultate werden öfter durch eine Summation bedingt. 
Für das Reagens unterschwellige Spuren von Aminosäuren finden sieb 
schon im normalen Serum, diese können sich mit Spuren aus der Placenta 
zu einem scheinbar positiven Resultat summieren. Es ist deshalb er¬ 
forderlich, mit absolut reaktionslosen Placenten zu arbeiten. Aus Unter¬ 
schieden in der Farbnüance sind Schlüsse nicht zulässig. Es sind immer 
Kontrollen sowohl gegen sicher positive wie gegen sicher negative Seren 
auszuführen. Die verwendete Placenta muss rein weiss, absolut blutfrei 
gewaschen sein. Dies gelingt nur mit Wasser von einer gewissen Salz¬ 
konzentration, am besten mit physiologischer Kochsalzlösung, Mit salz¬ 
armen und sehr weichen Wässern, wie das Freiburger Wasser, tritt immer 
Hämolyse ein. 

Der Gehalt des Serums an reagierenden Stoffen wechselt und ist 
bei Fieber und Carcinom, besonders nach Bestrahlungen, sehr hoch. 
Hier tritt leicht eine fehlerhaft positive Reaktion ein. Eine Vordialyse 
verbessert die Resultate, darf aber nicht zu lange ausgedehnt werden. 

Die Reaktion ist für die Placenta spezifisch. Sie ist bei Tieren io 
derselben Weise vorhanden, speziell beim Pferd, das kein Chorion be- 


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UMIVERSITY OF IOWA 




16. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1137 


sitzt, ist also nicht für Chorion, sondern auch für die anderen Placentar- 
bestandteile spezifisch. 

Diskussion. 

Hr. Hauptmann: Fauser fand eine spezifische Serumreaktion 
derselben Art bei Dementia praecox für Hoden und Ovarien, auch für 
das Geschlecht spezifisch. Bei Catatonie und Paralyse wurden im Serum 
auch gehirnabbauende Fermente gefunden. Durch diese Reaktion sollte 
eine Abgrenzung der Dementia praecox von manisch-depressiven Zu¬ 
ständen möglich sein. Yortr. fand mit dieser Reaktion nur quantitative, 
keine qualitativen Unterschiede, auch häufige Versager. Die Reaktion 
schwankt oft von Tag zu Tag. Sie kommt bei allen Formen von 
Dementia praecox ohne Unterschied vor. Trotz seiner wechselnden Be¬ 
funde bezweifelt er die tatsächlichen Ergebnisse des Entdeckers nicht, 
die Deutung ist jedoch noch sehr unsicher. Auf entsprechende Anfragen 
der Herren Aschoff und Wingler erklärt Herr Schlimpert, dass er 
die Reaktion in den allerersten Monaten zu beobachten noch keine Ge¬ 
legenheit hatte, dass sie aber im 3. Monat positiv, in der Mitte der 
Gravidität am ausgesprochensten sei und gegen Ende etwas abklinge. 
14 Tage nach der Entbindung verschwindet die Reaktion. Herr Aschoff 
weist darauf hin, dass nach 10 Tagen die fötalen Zellen aus dem mütter¬ 
lichen Organismus verschwinden, womit demnach das Verschwinden der 
Abderhalden’schen Reaktion übereinstimme. 

Hr. Hahn wünscht über die Bedeutung der Reaktion Untersuchungen, 
die besonders bei den psychiatrischen Fällen noch sehr unklar ist. 

Hr. H oche: Die Psychiater erhoffen in erster Linie von der neuen 
Reaktion, dass sie Licht in die oft unklaren und schwer zu klassifizieren¬ 
den Krankheitsbilder bringe. 

2. Hr. Aschoff: 

Die Carminspeicherang als Differenzierungsmittel für Blut- and ver¬ 
wandte Zellen. (Nach Untersuchungen des Herrn Dr. Kiyono.) 

Eine Vitalfärbung wurde zuerst, vor Ehrlich, von Haidenhein 
erzielt, später vor allem von Ribbert studiert. Die Pyrrolblaufärbung 
Goldmann’s ist in keiner Hinsicht der Färbung mit Lithioncarmin 
überlegen; letztere hat den Vorzug der Haltbarkeit. Bouffa und 
Gold mann fanden keine Färbungen von Blutzellen. Blutzellen färben 
sich nur in gewissen Gefässgebieten (Milzvenen, Lebervenen und Knochen¬ 
marksvenen) mit Pyrrolblau wie mit Lithioncarmin, was Goldmann 
entgangen ist. Es färben sich vorwiegend von den weissen Blutzellen 
die grossen Mononucleären, die nach diesen Untersuchungen von den 
Endothelien abzustammen scheinen. Diese Zellen werden von diesen 
Organen ins Blut ausgeschwemmt und in der Lunge wieder abgesiebt 
und füllen die Lungencapillaren an. Aehnlich verhalten sich die Milz¬ 
pulpazellen. 

Durch die Vitalfärbung mit Lithioncarmin wird auch Licht in die 
Genese der kleinzelligen Infiltration geworfen. Alle Bindegewebszellen 
färben sich mehr oder minder stark, ebenso wie mit Pyrrolblau (Pyrrol- 
zellen Goldmann’s). Die Leukocyten und Lymphocyten färben sich 
dagegen nicht. Die kleinzelligen Infiltrationen werden intensiv gefärbt, 
stammen demnach von den Bindegewebszellen ab. Bindegewebszellen 
liefern die Makrophagen, während die Leukocyten nur Bakterien in sich 
aufnehmen (Mikropbagen). Die Plasmazellen stammen von den Leuko¬ 
cyten ab, färben sich nicht. 

3. Hr. Nieol: 

Diffase Myeloblastose in Lymphdrüsen bei peraieitiser Anämie. 

Die Autopsie eines an profuser Blutung verstorbenen Anämikers 
ergab alle typischen Organveränderungen der pernisiösen Anämie. Dazu 
fanden sich Schwellungen, besonders der retroperitonealen Lymphknoten, 
die ein dem Knochenmark ähnliches Gewebe aufwiesen. Es fanden sich 
Wucherungen grosser Zellen, die Oxydasenreaktion gaben, kein Fett 
enthielten und von Sinusendothelien zu unterscheiden waren, die dem¬ 
nach der myeloischen Reihe angeboren. Von anderen Begutachtern 
worden sie als pathologische Myeloblasten angesehen. Im Knochenmark 
wurden ähnliche Zellen gefunden. In den Lymphknoten kamen jedoch 
keine Erythroblasten vor; deshalb muss angenommen werden, dass die 
Zellen hier autochthon entstanden sind und die Bedeutung eines Ver¬ 
suchs vikariierender Blutbildung haben. In anderen Fällen wurden in 
ähnlicher Weise Myelocyten beobachtet. Auch in experimentellen Anämien 
sind solche Metaplasien festgestellt. 

Diskussion. 

Hr. Aschoff berichtet über die Autopsie eines unter Zeichen von 
Sepsis nach Zahnabscess verstorbenen Mannes. Es fanden sich diffuse 
myeloische Wucherungen in allen drüsigen Organen, auch in den ge¬ 
schwollenen Lymphknoten und in der Milz. Das Knochenmark war voll¬ 
ständig myeloisch umgewandelt. Ueberall fanden sich die Zellen der 
myeloischen Reihe nacbgewiesen durch die Oxydasenreaktion, auch 
Knochcnmarksriesenzellen. Ueber den Zusammenhang mit der Sepsis 
lässt sich nichts aussagen. 

Hr. Winter gibt die klinischen Daten dos Falles, unter denen be¬ 
sonders die Drüsenschwellungen in Axilla und Leistenbeuge sowie eine 
ausserordentliche Leukopenie von nur 600 bis 800 Leukocyten hervor¬ 
zuheben ist. Diese Blutzellen zeigten das typische Blutbild der myeloi¬ 
schen Leukämie. Es handelte sich demnach um eine akute myeloische 
Leukämie ohne Vermehrung der weissen Blutzellen. Fromherz. 


Aerztlicher Verein zn München. 

Sitzung vom 30. April 1913. 

1. Hr. G. Mayer: 

Massonerkr&nkangen darcb Nahrangs- and Genassmittel. 

Schon in den frühesten Zeiten erliess man gegen Epidemien Vor¬ 
schriften, die stellenweise mit einem hygienischen Mäntelchen umgeben 
waren und Gutes leisteten. 1270 erliess Berthold von Regensburg Vor¬ 
schriften über Fleischvergiftung. Was gibt eigentlich zu Vergiftungen 
Anlass? Viele Sachen haben nicht die Giftigkeit, die man ihnen früher 
zuerkannte. So sind Metallvergiftungen durch Genussmittel sehr selten 
und fast nur mehr kommt Bleivergiftung durch Mehl vor, indem die 
Mühlsteine mit Blei ausgegossen werden. Auch bei Konserven führt sehr 
selten das Metall zur Vergiftung, da die Metalle erst in ziemlich grossen 
Mengen (Zink in 100 mg, Kupfer in 200) schädlich sind. Die Erkran¬ 
kungen durch Mehlgifte haben ganz bedeutend abgenommen, so dass 
Mutterkorn Vergiftungen durch Getreide und Mehl fast nicht mehr bekannt 
sind. Eine viel grössere Rolle spielen dagegen die Pilze, besonders der 
Knollenblätterschwamm durch Verwechselung mit dem Champignon. 
Was die Lorcheln anlangt, ist ihre Giftigkeit in verschiedenen Jahren 
wechselnd. Es sollte die Polizei jeder Stadt die in der Umgebung vor¬ 
kommenden giftigen Pilze kennen und verordnen, dass jede Pilzart nur 
in einem eigenen Korbe gehandelt werden darf. Die Angst der Leute 
vor Oel- und Fettvergiftungen (Margarine) hat nicht die Berechtigung, 
die man ihnen gibt. So lange frische Oele zur Herstellung der Mar¬ 
garine verwendet werden und diese nur frisch in den Handel kommt, 
ist gegen sie nichts einzuwenden. Schwero Erkrankungen werden durch 
Alkohole, besonders den Methylalkohol hervorgerufen. Als Branntwein¬ 
schärfen in Phantasieschnäpsen schaden sie häufiger, als man im all¬ 
gemeinen annimmt. Vergiftungen durch Fische sind seltener, als man 
glaubt. Ihre Giftigkeit ist am grössten, wenn sie zur Laichzeit gefangen 
werden, und da ist vor allem vor dem Rogen zu warnen. Giftig durch 
ihr Fleisch sind fast nur tropische Fische. Was Muscheln und Schnecken 
betrifft, so sind sie in manchen Jahren ungiftig, in anderen nicht. Krabben¬ 
genuss kann zu akuter Gastroenteritis führen. Die Zubereitung ist so 
unreinlich, dass man sich nur wundern muss, dass nicht mehr passiert. 
Auch gegen die Behandlung der Krabben mit Borsäure zum Zwecke 
längerer Haltbarkeit muss Einspruch erhoben werden, da durch eine so 
behandelte Büchse, bei längerer Lagerung Erkrankung hervorgerufen 
werden kann. Besondere Aufmerksamkeit muss den Austern geschenkt 
werden. Gewöhnlich werden sie da gefangen, wo die grossen Kanäle 
von Städten einmünden. Mehrere Typhusfälle (83 im Jahre 1904) kamen 
vor, indem Austern mit Typhus infiziert waren. Sieht man, wie es in 
Deutschland geschieht, streng darauf, wo die Austern gefangen werden, 
so werden Erkrankungen zu den Seltenheiten gehören. Vergiftungen 
mit Konserven — es sei denn, dass die Büchsen längere Zeit geöffnet 
herumstehen — sind in Deutschland im Gegensatz zu Frankreich so viel 
wie unbekannt. Bei Erkrankungen durch Genuss von Eierspeisen hat 
man die Vanille angeschuldigt. Es ist dies unrichtig, denn es handelt 
sich hier um eine Bakterien Vergiftung durch Zersetzung der Eier oder 
der Milch. Ebenso verhält es sich bei der, übrigens fast nur beim 
Militär vorkommenden Vergiftung durch Kartoffeln. Nicht das Solanin 
wirkt schädlich, sondern am Tage vorher zubereitete Speisen werden erst 
am nächsten Tag gegessen. Konservierungsmittel, auch die Benzoesäure 
sind nicht empfehlenswert, da sie in kleinen Mengen unwirksam sind, 
in grösseren Dosen aber doch besonders disponierte Individuen schädigen 
können. Ersatzstoffen im Lebensmittel verkehr gegenüber soll man sich nicht 
ablehnend verhalten, wenn sie billig sind und wie in der Schweiz als Er¬ 
satzmittel kenntlich gemacht werden müssen. Trichinenerkrankungen 
sind auch in Deutschland sehr beträchtlich, besonders weil noch nicht 
überall die Trichinenschau eingeführt ist (Bayern). In Mittel- und Nord¬ 
deutschland ist ein rapider Abfall der Trichinosen zu beachten, seit 
beide Gebiete sich 1906 zur Trichinenschau zusammengeschlossen haben. 
Bei der Fleischbeschau muss viel Material unbrauchbar gemacht werden. 
Ein grosses Kontingent stellen dazu die Kühe im Puerperium. Aber auch 
Fleisch von gesunden Tieren kann Vergiftung erzeugen, wenn es nach¬ 
träglich infiziert wird, was 1. beim Schlachten, 2. im Verkaufsladen und 
3. im Haushalt passieren kann. 

In der Gruppe Fleischvergiftungen durch bekannte Erreger sind be¬ 
sonders der Bac. botilinus, der Proteus, der Bao. enteritides sowie der 
Paratypbus B zu erwähnen, bei welch letzterem seit seiner Entdeckung 
2000 Erkrankungen festgestellt sind. Bei Wurstwaren verlangt der Vortr., 
dass eine bestimmte Keimzahl in den Würsten nicht überschritten werden 
darf. Während er in 1 g Ware 16 Millionen Keime fand, waren andere 
Würste vollständig keimfrei. 

Ref. unterstützt alle seine Darlegungen durch reiches Tabellen¬ 
material und empfiehlt an der Hand von Abbildungen einen fahrbaren, 
besonders für das Land wichtigen Apparat, um Fleisch in sicherer Weise 
zu sterilisieren. 

2. Hr. Oberaderfer. 

Demonstration lar pathologische« Anatomie der Lungentuberkulose. 

(Projektion von Röntgenbildern und Photographien.) 

Der Vortragende hat bei Leichen, die wegen Phthise zur Autopsie 
kamen, den Thorax in toto herausgenommen und nach Aufblasen der 
Lungen mit Luft eine Röntgenaufnahme gemacht. Dann wurde der 
Brustkorb durch Gefrieren gehärtet und durch einen (oder mehrere 
parallele) Medianschnitte zerlegt. Die so gewonnenen Gefrierschnitte 
wurden mit den Röntgenbildem verglichen und fast durchwegs stimmten 


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1138 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 24. 


Röntgenbild und pathologischer Befund überein. Besonders interessant 
war, dass in manchen Fällen schon in vivo eine Röntgenaufnahme ge¬ 
macht worden war, so dass man bei einem Vergleich mit der post 
mortem gewonnenen Photographie deutlich das Fortschreiten der Phthise 
studieren konnte. Vortr. hatte von den mitgebrachten Thoraxgefrier¬ 
schnitten auch Farbenphotographien gefertigt und demonstrierte nun im 
Projektionsapparat stets ein Röntgenbild mit der dazugehörigen Farben¬ 
photographie. N o b i 1 i n g. 


Medizinische Gesellschaft za Basel. 

Sitzung vom 8. Mai 1913. 

Er. Eltner: Zahnpflege in Schule and Krankenkasse. 

An der Hand von entsprechendem Demonstrationsraaterial (Diapositivs) 
erörtert Ref. den Bau des Gebisses in verschiedenen Lebensperioden, er 
demonstriert die Zabnbeläge, die Ursache der Caries, und die mit Ent¬ 
kalkung des Schmelzes einhergehenden fortschreitenden cariösen Ver¬ 
änderungen des Zahnes bis zu ihrem Vordringen in die Pulpa, ln 
mikroskopischen Präparaten werden die Vorgänge der Caries, das Fort¬ 
schreiten der Bakterien durch die Dentinkanäle, die Abscessbildungen 
der Pulpa, die Bildung von Schutzdentin vorgeführt. Auf Grund 
theoretischer Ueberlegungen und Berechnungen kommt Ref. zu dem 
Schlüsse, dass die Behandlung der Milchzähne von der Schale aus nicht 
zu erfolgen hat. Behandlung soll erst beim bleibendem Gebiss einsetzen 
und dort in systematischer Weise durchgeführt werden, denn durch 
systematische Untersuchung können die ersten Defekte eruiert und be¬ 
handelt werden, und die ersten oberflächlichen Füllungen erfordern so¬ 
wohl quoad Zeit und Geld geringe Opfer. Ist das Gebiss bis zum 
20. Jahr unbehandelt, so erfordert in einem grossen Prozentsatz die 
Behandlung grössere Opfer an Geld und Zeit. Die Kosten verdreifachen 
sich auf diese Weise, da tiefe Füllungen und Nervenbebandlung eintreten 
müssen. Bevor tiefere Defekte da sind, bevor der Nerv erkrankt ist, 
stellt sich für das Kind (bei bleibendem Gebiss) die Behandlung nach 
Berechnung des Ref. auf V 2 Stunde pro Kopf und pro Jahr und auf 
2,40 Frs. Bei bis zum 20. Jahr unbehandelten Individuen stellt sich 
die Behandlung höher — infolge grösserer Defekte — und zwar auf 
etwa 30 Frs. (6 Arbeitsstunden). Es sind dies Kosten, die eben eine 
Kasse nicht übernehmen kann, währenddem sich die ganze Behandlung 
bei vorbehandelten Individuen besser gestalten würde. 

Ref. plädiert für Anstellung von Schulzahnärzten, für staatliche 
Kredite, so dass dadurch die Möglichkeit geschaffen wird, dass die Kassen 
auch in Hinsicht auf Zahnbehandlung Verpflichtungen übernehmen können. 
Die Schulzahnpflege soll in die Kassenzahnpflege übergehen. 

Ref. zeigt entsprechende statistische Tabellen und macht noch all¬ 
gemeine, die Zahnpflege betreffende Ausführungen und erörtert das 
an der Basler Schulzahnklinik übliche Procedere: Untersuchung, Kosten¬ 
voranschlag und Weisung an die Eltern. 


Sitzung vom 22. Mai 1913. 

1. Hr. Preiswerk: 

Zar medikamentösen Therapie des Diabetes mellitos. 

Ref. macht auf die Schwierigkeiten der ambulanten Behandlung von 
mittelschweren und schweren Diabetesfällen aufmerksam. P. fand Herab¬ 
setzung des Zuckergehaltes und teilweise auch des Acetons bei experi¬ 
mentellem Pankreas- und Phlorizindiabetes, ebenso Herabsetzung des 
Zuckergehaltes beim menschlichen Diabetes. Morphium, Codein völlig, 
Paatopon beim menschlichen Diabetes beinahe wirkungslos (also nicht 
Narkosewirkung). Aspirin, Magnesiumperhydrol wirkungslos. Eventuell 
wirkt Opium bessernd auf gestörte Leberfunktion. Opium wird unter 
günstiger Beeinflussung des Allgemeinzustandes und ohne Provokation 
einer Obstipation von Diabetikern gut ertragen. 

2. Hr. Gigon: Zar Theorie des Diabetes mellitos. 

ln längerer Uebersicht bespricht Ref. die Entwicklung der Diabetes¬ 
frage in theoretischer Hinsicht, wie sie in den Theorien der vermehrten 
Zuckerbildung und der mangelhaften Oxydation im Organismus ihren 
Ausdruck finden. In eingehender Weise und in kritischer Behandlung 
würdigt Gigon die zur Erforschung des Diabetes angestellten experi¬ 
mentellen Versuche und die mit Berücksichtigung des respiratorischen 
Quotienten und des Zucker- und N-Verhäitnisses im Urin gemachten 
Untersuchungen. Ref. kommt zum Schluss, dass die Hypothese der 
primär verminderten Zuckerverbrennung beim Diabetes sämtliche Er¬ 
scheinungen am ehesten zu erklären scheine. Die theoretischen Er¬ 
örterungen sind zu kurzem Referat ungeeignet. Wolf er-Basel. 


Yereln deutscher Äerste za Prag. 

Sitzung vom 9. Mai 1913. 

Hr. Lackseh: Eadothelsarkom. 

Das Präparat entstammte der Leiche eines siebenjährigen Knaben. 
Am Gehirn fand sich ein ausgedehnter Hydrocephalus, beim Durch¬ 
sohneiden des Oberwurmes ein weisslicher Tumor, der fast den ganzen 
Wurm einnahm, an der Unterseite des Kleinhirnes waren zwei linsen¬ 
grosse und an der Hinterseite der Lendenschwellung des Rückenmarkes 
eine hanfkomgrosse Stelle von gleicher Beschaffenheit wie der erst¬ 


genannte Tumor. Die histologische Untersuchung ergab einen Tumor 
vom Baue der Endothelsarkome. Interessant war weiter der Befund eines 
sogenannten primär tuberkulösen Herdes mit entsprechend verkästen 
Lymphdrüsen bei negativem Pirquet. 

Hr. 0. Wiener hat den Fall klinisch beobachtet. Mit Rücksicht 
auf das Fehlen jedes Lokalisationssymptomes bei dem benommenen Kinde, 
den rachitischen Schädel und Habitus, die Hirndruckerscheinungen — 
Stauungspapille und Pulsverlangsamung — und den langsamen Verlauf 
wurde die Diagnose auf chronischen Hydrocephalus gestellt. Die Sektion 
zeigte die ausgesprochene Erweiterung der Ventrikel und erklärte somit 
auch das Prävalieren der Hirndrucksymptome. Die hochgradige Stauungs¬ 
papille bei nicht ausgesprochener Atrophie gab unter Berücksichtigung 
der anderen Hirnsymptome die Indikation für den Balkensticb, der auch 
vorgenommen wurde, ohne irgendwelchen Erfolg, wenn auch vorüber¬ 
gehend der Puls an Frequenz zunahm. Wichtig für den Kliniker ist 
das multiple, gleichzeitige Vorkommen derartiger Geschwülste, und W. 
erwähnt einen Fall von Endotbeliom der Schläfenwindung, den Krause- 
Berlin operierte. Der Tumor wurde glatt entfernt, der Kranke genas, 
zeigte aber alsbald neuerlich Tumorerscheinungen, bei der Operation 
gelang es, fern vom Orte der ersten einen neuen Tumor zu entfernen, 
doch ging der Kranke an einer Pneumonie zugrunde, bei der Sektion 
fanden sich noch Tumoren an der Hirnbasis. 

Hr. Kah zeigt einen Nachtlageroagsapparat, wie ihn Scbanz und 
Wollenberg für schwere Fälle von Peotus carinatum angegeben haben. 
Er stellt eine Kombination eines Gipsbettes, ähnlich wie zur Behandlung 
der Skoliosen, mit einer Kompressionsvoirichtung der prominenten Stelle 
des Thorax dar. Während der Lagerung müssen die Kinder Atem¬ 
gymnastik treiben. In schweren Fällen wird der Apparat auch durch 
einige Stunden am Tage verwendet. 

Hr. Hais Hermann Scbmid: Ueber freie Faacientransplantatiei« 

S. hatte dreimal Gelegenheit, dieselbe an der deutschen Frauen¬ 
klinik auszuführen, zweimal bei grossen postoperativen Hernien zum Ver¬ 
schlüsse der Baucbpforte bzw. zur Verstärkung der dünnen, brüchigen 
Aponeurose; einmal wurde ein Stück Fascie bei einer recidivierenden 
Blasenscheidenfistel zwischen die Blasenschleimbaut und Scbeidenscbleim- 
haut interponiert. In allen Fällen war das Resultat gut. An der Ent¬ 
nahmestelle der Fascie am Oberschenkel traten keinerlei Beschwerden 
auf. Besprechung der übrigen Indikationen zur freien Fascientrans- 
plantation (als Duraersatz, bei Gelenksankylosen, zur Verstärkung un¬ 
sicherer Nähte am Darm und an der Harnblase). 0. Wiener. 


XV. Versammlung der Deutschen Gesellschaft 
für Gynäkologie, Halle a. S., 14.—17. Mai 1013. 

(Berichterstatter: Prof. Dr. Karl Baisch-München.) 

1. Vorsitzender: Herr Veit-Halle a. S. 

1. Schriftführer: Herr Bai sch-München. 

Thema des Kongresses. 

Die Beziehungen der Erkrankungen des Herzens und der 
Nieren sowie der Störungen der inneren Sekretion zur 
Schwangerschaft. 

Hr. Fromme-Berlin: Die Beziehungen der Erkrankungen 
des Herzens zu Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett 
Die Lehre von der Hypertrophie des Herzens bei normalen Schwan¬ 
geren kann nicht aufrecht erhalten werden. Eine Erstarkung des Herzens 
während dieser Zeit ist anzunehmen. Die Komplikation von Herz- 
erkrankungen mit Schwangerschaft kommt in etwa 20pCt. vor. Von 
200 Frauen mit Herzerkrankungen sterben 8 während der Schwangerschaft 
Geburt oder Wochenbett. 80 pCt. aller herzkranken Frauen bleiben von 
Symptomen ihrer Erkrankung verschont. In 5—9 pCt. kommt es zur 
Frühgeburt, in 4—8pCt. zum Abort. Von ausschlaggebender Bedeutung 
ist das Verhalten des Herzmuskels. Frauen mit Myocarditis sind besonders 
gefährdet. Frauen, die während Schwangerschaft und Geburt keine 
klinischen Erscheinungen ihrer Herzerkrankung haben, bedürfen keiner 
Therapie; es sind lediglich diätetische Maassnahmen aozuwenden. Bei 
leichteren KompensationsstöruDgen bat in jedem Falle zuerst eine 
medikamentöse Therapie Platz zu greifen, ebenso bei schwereren 
Störungen, wenn es sich um Erstgebärende handelt die vor der Gravi¬ 
dität keine Dekompensation hatten, oder um Mehrgebärende, bei denen 
frühere Graviditäten normal verlaufen waren und keine höheren Grade 
der Herzmuskelerkrankung vorhanden sind. Kommt man mit der medi¬ 
kamentösen Therapie nicht bald zum Ziele, so hat in jedem Monat 
die Unterbrechung der Schwangerschaft stattzufinden, ebenso wenn die 
Dekompensation des Herzens öfter in derselben Schwangerschaft wieder¬ 
kehrt. Mit der Beseitigung der Schwangerschaft wird man weiter in 
alleu den Fällen nicht allzu lange zögern dürfen, in denen vor der 
Schwangerschaft Dekompensationserscheinungen vorhanden waren oder 
frühere Schwangerschaften mit schweren Störungen verliefen. Bei 
Kompensationsstörungen während der Geburt ist diese durch operative 
Extraktion des Kindes abzukürzen. Jungen Mädchen, die schon vor der 
Ehe öfter schwere Dekompensationserscheinungen ihres Herzens hatten, 
muss die Heirat energisch widerraten werden. 


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16. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1139 


Hr. Zangemeister-Marburg: Die Beziehungen der Erkran¬ 
kungen der Harnorgane zu Schwangerschaft, Geburt und 
Wochenbett. 

Die Häufigkeit der physiologischen Albuminurie der Schwanger¬ 
schaft ist in den letzten Wochen 26 pCt. Sie ist die Folge einer mangel¬ 
haften Blutversorgung der Niere. Das Eiweiss verschwindet im Wochen¬ 
bett rasoh. Die Häufigkeit der Pyelitis in der Schwangerschaft, die in 
der Regel durch Bacterium coli verursacht ist, beträgt 0,6 pCt., ihre Mor¬ 
talität etwa 2 pCt. Der Prozess ist in der Regel deszendierend, die Keime 
wandern direkt vom benachbarten Darm in das Nierenbecken. Die 
Nephropathia gravidarum (Nephritis gravidarum) findet sich in 2 pCt. 
Erstschwangere sind mehr disponiert. Die Häufigkeit der Eklampsie 
bei Nephritis gravidarum beträgt etwa 8 pCt. Die Ursache liegt in einer 
durch die Schwangerschaft gegebenen transudativen Diathese, durch 
welche es zu einer Nierenschwellung und damit zu mangelhafter Blut- 
und Sauerstoffversorgung der Niere kommt Vielleicht kommen für 
die Diathese toxische Einflüsse in Betracht. Die Prognose des Kindes 
wird bei der Nephropathia verschlechtert durch häufigen vorzeitigen 
Geburtseintritt, intrauterines Absterben und hohe Sterblichkeit intra 
partum. Relativ selten tritt eine vorzeitige Lösung der Placenta ein. 
Letztere findet sich besonders bei chronischer Nephritis. Der Wochen¬ 
bettverlauf wird durch Nierenerkrankungen im allgemeinen nicht ge¬ 
stört. Die Prognose der chronischen Nephritis mit Schwangerschaft 
ist ernster als die der Nephropathie. Die Mortalität schwankt zwischen 
12—14pCt. Frauen mit gleichzeitiger Myocarditis sind besonders ge¬ 
fährdet. Die Komplikation der Nierentuberkulose und Schwangerschaft 
ist sehr selten. Die Prognose wird durch diejenige des Nierenleidens 
gegeben. Nach Nephrektomie beobachtet man meist ungestörtes Befinden 
in der Gravidität. 

Hr. Seitz-Erlangen: Die Störungen der inneren Sekretion 
in ihren Beziehungen zu Schwangerschaft, Geburt und 
Wochenbett. 

Vortr. legt dem Kongress eine ausführliche Monographie über dieses 
Thema vor, die zu kurzem Referat nicht geeignet ist. Er behandelt 
ausführlich die einzelnen inneren sekretorischen Drüsen und deren Er¬ 
krankungen (Schilddrüse, Epithelkörperchen, Thymus, Hypophyse, Epi¬ 
physe, Nebennieren, Pankreas und Ovarien) und ihre Beziehungen zu 
Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Weitere Kapitel sind der 
Osteomalacie, den Beziehungen zwischen Mamma und Schwangerschaft 
und der Placenta als Drüso mit innerer Sekretion gewidmet. Die Mono¬ 
graphie muss als grundlegende und zusammenfassende Arbeit über 
unsere derzeitigen Kenntnisse bezeichnet werden, die ausserdem eine 
Reihe neuer, selbständiger Forschungsergebnisse bringt. 

Referate. 

Hr. P. Schäfer - Berlin: Elektrocardiographische Unter¬ 
suchungen bei der Gebärenden. 

Bei 35 Frauen konnte kurz vor und nach der Geburt ein Unter¬ 
schied der Herzaktion durch Auskultation und Perkussion, Blutdruck 
und Puls nicht festgestellt werden. Bei der elektrocardiographischen 
Untersuchung liess sich in 20 Fällen eine erhebliche Steigerung des 
Verhältnisses J: F feststellen. Bei sieben Fällen blieb das Verhältnis 
innerhalb der Fehlergrenzen gleich, während es sich in acht Fällen ver¬ 
minderte. Der Grund der Steigerung ist die Mehrarbeit des Herzens 
unter der Geburt, während eine Verlagerung des Herzens, Heben oder 
Senken der Spitze nur wenig Einfluss haben. 

Hr. H. Neu-Heidelberg: Zur Therapie der Herzerkrankungen 
in der Schwangerschaft. 

In jedem behandlungsbedürftigen Fall der Komplikation Herz¬ 
fehler + Gravidität ist die dem Herzleiden adäquate Behandlung ein¬ 
zuleiten; sie besteht in einer sachgemässen Digitalisierung des Herzens; 
für die Behandlung aller ernsteren Dekompensationen ist die endovenöse 
Strophantintherapie Fraenkel’s augenblicklich die beste Therapie. 
Die Graviditätsunterbrechung wird nur befürwortet, wenn bei vorher- 
gegangenen Graviditäten ernsthafte und schwer zu beeinflussende De¬ 
kompensationen bestanden haben (z. B. bei progredienter Myocard- 
erkrankung), dann aber erst nach vorausgeschicktem Digitalisierungs¬ 
versuch mit intravenöser Strophantininjektion und unter der 
Bedingung konsekutiver Sterilisierung. Individuen mit Neigung zu 
offensichtlichen Insuffizienzen ist der Ehekonsens nicht zu erteilen. Bei 
Fr Übgraviditätsinsuffizienzen ist die schonende Uterusentleerung an¬ 
gezeigt. Die chirurgischen Mittel zur Einleitung der Geburt sind wegen 
der schnellen Umschaltung des Kreislaufs die gefährlichsten und nur 
ganz ausnahmsweise zu wählen. Die Inhalationsnarkose bei Herzfehler- 
kranken ist nicht unbedenklich. 

Hr. Jaschke-Giessen: Nierenerkrankungen in der Schwanger¬ 
schaft herzkranker Frauen. 

Sowohl die normale Schwangerschaft an sich wie alle mit länger¬ 
dauernder Hypertonie einhergehenden Nierenerkrankungen stellen grössere 
Ansprüche an die Leistungsfähigkeit des Herzmuskels. Namentlich die 
rasch wechselnden starken Ansprüche während der Geburt kommen dafür 
in Betracht. Während reine Klappenfehler in der Gravidität keine un¬ 
günstige Prognose geben und auch bei gleichzeitiger oder allein be¬ 
stehender Herzmuskelerkrankung nur in etwa 0,5—1 pCt. der Fälle ein 
irreparables Versagen zu fürchten ist, verdüstert sich die Prognose ganz 
ausserordentlich, wenn dazu noch die starken, durch eine hypertonische 
Nierenerkrankung gestellten Ansprüche sich gesellen. Bei Zusammen¬ 
treffen dieser Komplikationen darf man daher nicht lange zuwarten, 


sondern muss bald durch Graviditätsunterbrechung eine Verminderung 
der an das Herz gestellten Anforderungen herbeiführen. 

Hr. Holzbach-Tübingen: Ueber Schwangersohaftsniere und 
Nephritis in graviditate. 

Vortr. hät den Begriff „Schwangerschaftsniere“ für anatomisch nicht 
genügend fundiert und rät dringend, erst hier Klarheit zu schaffen. 
Denn im anatomischen Bilde sehen wir degenerative und entzündliche 
Prozesse ebenso ohne sobarfe Grenze ineinander übergehen wie bei der 
klinischen Beobachtung. Unser Streben muss sein, im Einzelfall fest¬ 
zustellen, ob eine Niereninsuffizienz vorliegt oder nicht. Das können 
wir mit Hilfe der Schlayer'sohen Funktionsprüfungen, deren Bedeutung 
eingehend erörtert wird. Die Eklampsie darf nioht im Zusammenhang 
mit der Nierenerkrankung als solcher behandelt werden. 

Hr. K. Bai sch-München: Untersuchungen über das spätere 
Schicksal herz- und nierenkranker Schwangerer. 

Vortr. berichtet über Beobachtungen und Nachuntersuchungen bei 
205 herz- und 250 nierenkranken Sohwangeren und Kreissenden sowie 
über 450 Fälle von Schwaogerschaftsniere aus der Münchener Frauen¬ 
klinik innerhalb der letzten 12 Jahre (21 000 Geburten). Die Nephritis 
grav. fand sich mit 226 Fällen in 1,7 pCt. In 57 pCt. trat Eklampsie 
dazu. Von den Eklamptischen starb ein Viertel. Von den Nephritischen 
ohne Eklampsie ist nur eine Frau mit gleichzeitiger inkompensierter 
Myodegeneratio cordis gestorben. In 40pCt. erreichte die Schwanger¬ 
schaft ihr normales Ende, 21 pCt. der Kinder waren tot, die übrigen 
unreif. Von den nachuntersuchten 110 Nephritischen sind 9 in den 
nächsten Jahren gestorben, von 60 Eklamptischen 6 = lOpCt. Als 
dauernd invalid haben sich lOpCt. erwiesen. Von 13 Frauen mit 
Bright’scher Niere sind 4 in der Klinik gestorben, 2 in den nächsten 
Jahren. Von 200 Sohwangeren mit Klappenfehlern bekamen die Hälfte 
KompensationsstÖrungen in der Schwangerschaft, ein Viertel hochgradig. 
5 Frauen sind in der Geburt gestorben. In den nächsten Jahren sind 
noch weitere 3 Frauen ihrem Herzleiden erlegen. Von den Nachunter¬ 
suchten fühlten sich 50pCt. gesund, 45Cpt. waren krank, 5pCt. ge¬ 
storben. Ein Drittel der Kinder wurde nioht ausgetragen. Von den Frauen 
mit Myocarditis sind 5 während der Geburt gestorben, 2 in den nächsten 
Jahren. In 40pCt. aller Herzkranker traten atonische Blutungen auf. 
Die Therapie kann in leichten und raittelschweren Fällen konservativ 
mit interner Behandlung des Herzleidens sein, in schweren Fällen, ins¬ 
besondere stets bei Myocarditis und bei Kombination mit Nephritis ist 
die Unterbrechung der Schwangerschaft indiziert. 

Hr. Aschner-Halle: Untersuchungen über die Schwanger- 
sohaftsalbuminurie. 

Es zeigte sich bei Anwendung des Dialysierverfahrens, dass das 
Eklampsieharneiweiss von Sohwangerenserum abgebaut wurde, das Harn- 
eiweiss bei gewöhnlicher Nephritis dagegen nicht. Das Harneiweiss bei 
Schwangerschaftsniere wurde ebenfalls von Sohwangerenserum abgebaut, 
jedoch bedeutend schwächer als das Eklampsieharneiweiss. Das Serum 
von Eklamptischen baute das eigene Eiweiss schlechter ab als das Serum 
von normalen Schwangeren, was auch mit der entsprechenden Placentar- 
reaktion übereinstimmt. Das Harneiweiss der Schwangerschaftstoxikosen 
ist daher von andersartiger chemischer Beschaffenheit im Sinne leichterer 
Abbaubarkeit und vielleicht auch von anderer Provenienz als das ge¬ 
wöhnliche Nephritikereiweiss. 

Hr. Waithard-Frankfurt a. M.: Herzleiden und Stoffwechsel¬ 
störungen in der Schwangerschaft. 

Insuffizienzerscheinungen der Aorta stehen nicht selten in Zusammen¬ 
hang mit Aortitis bzw. Aneurysma aortae. Aus einer eigenen 
Beobachtung sowie aus der Literatur geht hervor, dass bei Eintritt von 
Wehen nicht selten Ruptura aortae eintritt. Es ist deshalb die 
Schwangerschaft durch Sectio caesarea zu unterbrechen und die Patientin 
zu sterilisieren. Die hypothyreotische Wachstumshemmung des 
Knochens führt in Gegenden, welche mit endemischem Kropf stark 
belastet sind, zum ungleichmässig allgemein verengten Becken und auf 
diesem Wege zu Störungen des Geburtsverlaufs. Dies illustriert eine 
geographische Karte über die Verbreitung der kretinischen Degeneration 
im Kanton Aargau (Schweiz) von E. Bircher. 

Hr. Kreiss-Dresden: Herzfehler und Schwangerschaft. 

Von 23 577 Geburten, einschliesslich Aborte der Jahrgänge 1903 bis 
1912 der Dresdener Frauenklinik wurde 26 mal, mithin in 1,1 pM. aller 
Geburten, wegen hochgradig dekompensiertem Herzfehler die Schwanger¬ 
schaft artefiziell unterbrochen. Darunter waren 16 Fehler der Mitral¬ 
klappen, 3 Fehler der Aortenklappen, 7 Fälle von Erkrankungen des 
Myocards. Von diesen 26 Frauen starben 4, d. h. 15,5 pCt, bei Abzug 
von 2 Fällen, die an Sepsis ad exitum kamen, nur 7,5 pCt. Bezüglich 
der Frage der Schwangerschaftsunterbrechung wird folgender konservativer 
Standpunkt vertreten: Zuerst Versuch, ob die Dekompensation nicht 
mit Mitteln der internen Medizin zu beheben ist. Bei Misslingen so¬ 
fortige Unterbrechung der Schwangerschaft. Ohne vorherigen Versuch 
ist auf Grund unserer Erfahrungen die Schwangerschaft zu unterbrechen 
bei angeborener Pulmonalstenose, bei Pericarditis mit Exsudatbildung, 
bei frischer Endocarditis, bei ausgesprochener Insuffizienz, bei Kypho¬ 
skoliose sowie in Fällen, in denen der Herzfehler mit Tuberkulose, 
Nephritis, pernioiöser Anämie, grossen Strumen usw. kombiniert ist. 
Derartige Komplikationen treffen wir in 50 pCt. aller Fälle, davon allein 
Nephritis in 34,6 pCt. Bei der operativen Entbindung kommen bei 
lebensfähigem Kinde der vaginale oder klassische Kaiserschnitt in^Be- 
tracbt; ersteren lehnen wir bei stärkeren Stauungserscheinungen wegen 
Gefahr der Blutung ab und ersetzen ihn durch den klassischen Kaiser- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 24. 


schDitt, womöglich in hoher, extraduraler Sacralanästhesie. In weniger 
ernsten Fällen bedienen wir uns der Metreuryse (14 mal von 26 Fällen), 

3 mal wurde atonische Nachblutung beobachtet. Auf 16 lebensfähige 
Kinder haben wir eine Mortalität von 4 = 30 pCt. zu verzeichnen. 

Hr.Sellheim-Tübingen: DieBeZiehungen derFortpflanzungs- 
funktion zum Herzen des Weibes. 

Vortr. zeigt an einer graphischen Darstellung, dass eine aus¬ 
gewachsene Frau während der Blüte ihrer Jahre zufolge der regelmässigen 
Verluste von Menstrualblut ihr eigenes, etwa bis zum 18. Jahre 
erreichtes Körpergewicht verdoppelt. Dazu kommt die Periode auf¬ 
bauender stofflicher Leistung bei der Fruchtentwicklung und Er¬ 
nährung des Kindes. Bei 6 Kindern bat die Mutter den eigenen Auf¬ 
bau zweimal wiederholt. Der nach diesen Leistungen gemutmaasste 
nnd nach der von Seil heim vorgenoramenen physiologischen Unter¬ 
suchung des Pulses wahrscheinlich gemachte Geschlechtsunterschied des 
Herzens entbehrt auch nicht einer anatomischen Grundlage. Im Gegen¬ 
satz zur männlichen Kurre zeigt das weibliche Herzwachstum ganz 
deutlich vom 20. bis 40. Jahre ein Sistieren. Den zu erwartenden, 
zeitweise hohen Anforderungen an das weibliche Herz durch die Auf¬ 
gaben der Fortpflanzung entspricht eine Retardierung der Massenzunahme 
für die Zeit, in welcher physiologischerwcise diese Mehrbelastung zu 
erwarten ist, mit der Möglichkeit einer wiederholten spielenden An¬ 
passungsfähigkeit an wirklich eintretende Mehrbelastungen durch puer¬ 
perale Vorgänge. 

Hr. Krömer-Greifswald: Störung der Nierenfunktion bei 
Eklampsie. 

Unter Ausschluss der seltenen eiweissfreien Fälle findet man in der 
Regel bei Eklampsie neben der starken Eiweiss- und Cylinderausscheidung 
die Oligurie bei hohem spezifischen Gewicht, insbesondere die Kochsalz- 
retention, die bei keinem hydropiscben Fall fehlt. Plötzlicher Absturz 
der Chlorkurve zeigt die drohende Eklampsie an, ebenso nach beendeter 
Eklampsie Recidive im Wochenbett. Die atypischen eiweissfreien Fälle 
mit normaler Kochsalzausscheiduog sind eine Ausnahme; sie lassen keine 
Prognose zu und liefern das geeignete Material für die Stroganofifsche 
Behandlung. FunktionsprüfuDg der Eklampsieniere mit Phenolsulfo- 
phthalein bestätigte die Tatsache der schweren eklamptischen Nieren¬ 
schädigung, insofern nur 20—40 pCt* des Farbstoffes insgesamt ausge¬ 
schieden wurden, in den ersten zwei Stunden bis 25 pCt., bei gesunden 
Schwangeren 75 bzw. 60 pCt. 

Hr. Heynemann-Halle a S.: Herz- und Zwerchfellstand in 
der Schwangerschaft. 

Bei allen untersuchten 42 Schwangeren war das Zwerchfell am 
Ende der Schwangerschaft deutlich emporgedrängt, und zwar um */ s bis 

4 cm. Das Herz war dadurch schräger gestellt und am Uebergang in 
die grossen Gefässe gewissermaassen abgeknickt. Hierdurch ist eine 
Vermehrung der Arbeitsleistung des Herzens am Ende der Schwanger¬ 
schaft und die Entstehung der accidentiellen Schwangerschaftsgeräusche 
bedingt. 

Hr. Vogt-Dresden: Morbus Addisonii und Schwangerschaft. 

Es findet sich in der ganzen Literatur nur ein einziger Fall von 
Morbus Addisonii und Schwangerschaft, von Barlow mitgeteilt. Die 
Ursache der Erkrankung war Lues der Nebennieren. Ein zweiter Fall 
wurde in der Dresdener Frauenklinik vor mehreren Jahren beobachtet, 
mit Tuberkulose beider Nebennieren. Der Verlauf der Schwanger¬ 
schaft und Geburt ist in den beiden Fällen ungestört gewesen. 
Einer weit grösseren Gefahr als in der Schwangerschaft und Geburt 
sind die Frauen mit Morbus Addisonii im Frühwochenbett aus¬ 
gesetzt. 

Hr. Oskar Frankl-Wien: Ueber die 0varialfunktion bei 
Morbus Basedowii. 

In sechs Fällen wurde die Periodeblutung mit Einsetzen des Morbus 
Basedowii quantitativ geringer, ihre Dauer kürzer. Es waren darunter 
leichte, aber auch schwere, selbst tödlich verlaufene Fälle. Vollkommenes 
Ausbleiben der Periode zu Beginn des Morbus Basedowii fand sich in 
zehn Fällen. In vier derselben stellte sich die Periode nach wenigen 
Monaten wieder ein. Es waren hierunter leichte und schwere Fälle. 
Die anderen sechs Fälle zeigten Ausbleiben der Menstruation durch 
lange Zeit, bzw. vollkommenes Ausbleiben der Menses. Diese Fälle 
waren durchweg als schwer zu bezeichnen. Hieraus folgt, dass das 
Verhalten der Periode im Beginne des Morbus Basedowii keinen Anhalts¬ 
punkt gibt, die Schwere des Falles zu beurteilen. Wo aber die Periode 
dauernd ausbleibt, handelt es sich um schwere Fälle. Der Morbus 
Basedowii beruht nicht auf der Ovarialschädigung, diese ist vielmehr 
thyreotoxischen, byperthyreogenen Ursprungs und als Syndrom der 
Krankheit aufzufassen. Dieses Syndrom ist von klinisch-prognostischer 
Bedeutung. 

Hr. Landsberg-Halle a. S.: Die Bedeutung der innersekre¬ 
torischen Drüsen für den Stoffwechsel in der Schwanger¬ 
schaft. 

Es zeigte sich, dass nach Ovarialexstirpation in der Schwangerschaft 
im Gegensatz zur Norm eine allerdings geringe Beschleunigung des 
Eiweissstoffwechscls eintritt. Nach Injektion von Extrakt aus Corpora 
lutea vera ist eine Verringerung der Stickstoffausscheidung zu beob¬ 
achten. Nach Exstirpation der Thyreoidea in der Schwangerschaft findet 
eine geringere Herabsetzung der Stickstoffausscheidung statt als ausser¬ 
halb der Schwangerschaft. Einige Zeit nach der Ovarialexstirpation 
wurde bei fortdauernder Schwangerschaft in zwei Fällen auch die Thy¬ 
reoidea entfernt. Es zeigte sich eine auffallende Kleinheit der Thyreoidea 


nach Ovarialexstirpation. Der Stoffwechsel war etwas stärker herabgesetzt 
als bei reiner Tbyreoideaexstirpation. 

Hr. J. Novak-Wien: Nebenniere und Genitale. 

Vortr. hat Versuche an 146 Ratten ausgeführt, um den Einfluss 
des Nebennierenausfalls auf das Genitale festzustellen. Da die Ratten 
über accessorisches Nebennierengewebe verfügen, so handelt es sieb bei 
ihnen um keinen vollständigen Ausfall der Nebennierenfunktion, sondern 
um eine Hypofunktion, welche in den meisten Fällen nach kürzerer oder 
längerer Zeit zum Tode führt. Die der Nebennieren beraubten Ratten 
zeigen eine mangelhafte Entwicklung des Genitale gegenüber den Kontroll- 
tieren des gleichen Wurfs. Sie ist um so deutlicher ausgesprochen, je 
jünger das Tier ist. Die Potenz und die Conceptionsfähigkeit neben¬ 
nierenloser Tiere ist stark herabgesetzt. Bei 2 schwangeren Ratten 
hatte die Nebennierenexstirpation keine Unterbrechung der Schwanger¬ 
schaft zur Folge. 

Hr. J. Novak-Wien in Gemeinschaft mit HHr. 0. Porges und 
R. Strisower: Ueber eine besondere Form von Glykosurie in 
der Gravidität und ihre Beziehungen zum echten Diabetes. 

Von 14 Frauen mit erheblicherer Schwangerschaftsglykosurie zeigten 
die meisten einen normalen Blutzuckerwert. Bei 3 Fällen erreichte er 
die obere Grenze der Norm (dabei in einem Fall 3,63 pCt. Zucker im 
Harn!). Nur in 2 Fällen war der Blutzucker zeitweise erhöht. Doch 
trat bei beiden Fällen auch bei einem noch normalwertigen Blutzucker¬ 
gebalt eine Glykosurie auf. Bei mehreren Fällen verschwand die Glykos¬ 
urie selbst bei kohlehydratfreier Kost nicht völlig, bewegte sich aber 
andererseits selbst bei kohlehydratreicher Kost in massigen Grenzen. 
Dies spricht dafür, dass die Schwangerschaftsglykosurie in der Regel auf 
einer Ueberempfindlichkeit der Niere gegen den Blutzucker, nicht auf 
einer Störung der Centren für die Zuckerregulation beruhe. Nur in ein¬ 
zelnen Fällen sind beide Momente miteinander kombiniert. Der normale 
Blutzuckergehalt unterscheidet die Schwangerschaftsglykosurie von einem 
Diabetes in der Schwangerschaft Anführung zweier letal verlaufener 
Fälle von Schwangerschaftsdiabetes. 

Hr. Engelhorn - Erlangen: Ueber die Beeinflussung des 
Hämoglobinkatalysators in der Schwangerschaft (Weicbardt- 
sche Reaktion). 

Vortr. fand in der Mehrzahl normaler Schwangerschaften die 
Katalysatorenreaktion des isoliert hergestellten Hämoglobins erhöht. 
Gleichartige Erhöhungen sind bei anderen Proteotoxikosen (z. B. Cardnom) 
naebzu weisen. 

Hr. Schlimpert-Freiburg: Experimentelle Untersuchungen 
zur Physiologie der Hypophyse. 

Mittels der von Bissemski angegebenen Methode wurde naebge- 
wiesen, dass in dem wässrigen Extrakte der Hypophyse schwangerer 
Kühe nicht mehr Hypophysin enthalten ist als in der nicht schwangerer 
Tiere. Das Hypophysin ist ausschliesslich auf den Hinterlappen be¬ 
schränkt und findet sich nicht in anderen Hirnteilen, speziell auch nicht 
in den entwicklungsgeschichtlich dem Hypophysenhinterlappen nabe¬ 
stehenden Gebilden. Das Hypophysin liess sich schon bei Rinder¬ 
embryonen von der zehnten Woche, bei Menscbenföten vom sechsten 
Monat an konstant nachweisen. 

Hr. Walther Lindemann-Halle a. S.: Quantitative Gesamt¬ 
fett-Cholesterin- und Cholesterinesterbestimmungen bei 
Eklampsie und Amenorrhoe. 

Es wurde gefunden, dass die Gesamtfett- und Lipoidmenge bei 
7 Fällen von Eklampsie im Durchschnitt verringert war. Das freie 
Cholesterin war relativ ziemlich beträchtlich erhöht. Die Ester zeigten 
keine Vermehrung (alles verglichen mit der hochgraviden Frau). Bei 
der Amenorrhoe (5 Fälle) waren im Durchschnitt die Fett werte gegen¬ 
über der Norm erhöht, die Esterzahlen schwankten im einzelnen er¬ 
heblich von ganz niedrigen zu ganz hohen Werten. 

Hr. Heimann-Breslau: Ueber die Beziehungen von Thymus 
und Ovarien zum Blutbild. 

Die Thymus übermittelt dem Blut lympkocytosesteigernde, die 
Ovarien lymphocytosehemmende Stoffe. Bei Frauen mit Amenorrhoe, 
Metrorrhagien, klimakterischen Patientinnen führt die vermehrte innere 
Sekretion der Ovarien zum Abfallen der prozentischen Lymphocyten- 
werte beim Darnieder liegen der Ovarialtätigkeit zum Steigen. 

Hr. Bauereisen-Kiel: Experimentelle Untersuchungen über 
den Einfluss der Schwangerschaft auf Leber und Nieren. 

Vortr. benutzte die vitale Lithiocarminfärbung zur Feststellung von 
Leber- und Nierenschädigungen in der Schwangerschaft. Bei 12 graviden 
Meerschweinchen konnte er dreimal die für die Funktionsstörung 
lebender Zellen typische diffuse Kernfärbung in der Leber und viermal 
in der Niere nachweisen, während die gleichbehandelten Kontrolliere 
normale Färbung aufwiesen. 

Hr. E. Mosbach er-Frankfurt a. M.: Klinisch-experimentelle 
Beiträge zur Frage Thyreoidea und Schwangerschaft 

Alle schwangeren Tiere (30 Meerschweinchen, 3 Katzen), die mit 
Schilddrüse gefüttert wurden, haben mit zwei Ausnahmen abortiert. 
Kontrolliere, die mit gleichen Rationen von Hammelfleisch gefüttert 
wurden, trugen aus. Schilddrüsensubstanzen, dem Organismus eiover¬ 
leibt, führen zu Abort. Thyreoglandol (Hoffmann, La Roche & Co.) wirkt 
manchmal auf den Uterusmuskel kontraktionsauslösend. Von 40 Franco, 
denen Thyreoglandol in wechselnden Mengen injiziert worden ist, zeigtec 
12 eine Wehen Vermehrung und Wehenverstärkung. In 12 Fällen wurde 
nach der unwirksamen Thyreoglandolinjektion die Kombination Ai 


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16. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1141 


renalin-Thyreoglandol angehäuft. (Adrenalin 0,2, das allein stets ohne 
Wirkung ist.) Dabei in 7 Fällen eklatante Wirkung, oft pitutrinäbn- 
licher Effekt. 

Hr. Seilheim-Tübingen: Innere Sekretion der Keimdrüsen 
und Knochenwachstum. 

Beim kastrierten männlichen Rehkitz bleibt die Bildung des ge¬ 
weihtragenden Stirnzapfens, welcher normalerweise schon im ersten Jahr 
gebildet wird, und damit jegliche Geweihbildung aus. Wartet man mit 
der Kastration bis die Tiere älter geworden und die Stirnzapfen gebildet 
sind, so setzt die Verschneidung an Stelle des regelmässig inter¬ 
mittierenden Knochenwachstumes, bei welchem Aufsetzen des Geweihes, 
also Knochenproduktion, mit dem Abwerfen des Geweihes, also Auf¬ 
hören der Knochenproduktion, regelmässig abweohseln, eine permanente 
Knochenproduktion. Eine Demarkierung zwischen Geweih und Stirn¬ 
zapfen zur gewohnten Zeit bleibt aus. Das auf das Knochenwachstum 
des Organismus hemmend wirkende innere Sekretionsprodukt der Keim¬ 
drüse wird in späteren Jahren periodisch, und zwar synchron mit der 
Wellenbewegung des Fortpflanzungslebens gebildet. 

Hr. Bernhard Aschner-Halle: Schwangerschaftsverände¬ 
rungen der Zirbeldrüse. 

Histologisch findet man geringe Vermehrung der im Zwischengewebe 
liegenden fetthaltigen Vaouolen. Charakteristische Schwangerscbafts- 
elemente, wie man sie bei der Hypophyse findet, fehlen. Sehr auffallend 
ist der Unterschied in den entsprechenden Zirbeldrüsenformen beim 
Rind und beim Menschen. 

Hr. Zinsser-Berlin: Ueber die Giftigkeit des Harns Ge¬ 
bärender und Eklamptischer. 

Vortr. hat in zahlreichen Versuchen weder die Harne Kreissender, 
noch die Eklamptischer toxisch im Sinne Pfeiffer*s gefunden. Er lehnt 
es danach ab, auf Grund der biologischen Auswertung des Harns auf das 
Vorhandensein einer Eiweisszerfallstoxikose bei der Gebärenden oder bei 
der Eklamptisohen zu schliessen. Meerschweinchen mit Urannephritis 
schieden im anaphylaktischen Shock ebenso toxische Harne aus wie ge¬ 
sunde Tiere. Andererseits waren mit Serum vorbehandelte nephritische 
Tiere gegen Seruminjektion nicht empfindlicher wie nierengesunde. 

Hr. Albert-Dresden: Nephritis und Eklampsie bei eitriger 
Mikrokokkenendometritis. 

Eine Pluripara stirbt sechs Stunden nach schneller spontaner Ent¬ 
bindung an Eklampsie, sechs Stunden später Obduktion (Schmorl), er¬ 
gibt eitrige Endometritis, Nephritis, Eklampsie; die Decidua ist herd- und 
strichweise eitrig infiltriert, und es finden sich noch grampositive Diplo¬ 
kokken. Vortr. bemerkt dazu, dass eine solche Endometritis auch ausser¬ 
halb der Schwangerschaft besteht, ohne nennenswerte Erscheinungen zu 
machen, und dass die Erkrankung Conception zulässt. 

Hr. Fetzer-Königsberg i. Pr.: Ueber Nierenfunktion in der 
Schwangerschaft und bei Schwangerschaftstoxikosen. 

Ein klarer Einblick in die Art der Nierenarbeit ist nur durch ex¬ 
perimentelle Prüfung ihrer Funktion zu gewinnen. Manche Nieren 
scheiden in der Schwangerschaft bei der Belastungsprobe eine Kochsalz¬ 
zulage verlangsamt aus. Bei kochsalzreicher Diät kommt es zur Retention, 
ohne dass Oedeme von Anfang an nachweisbar zu sein brauchen. Solche 
Fälle verlangen koohsalzarroe Diät. Reine Milchdiät ist unzweckmässig, 
weil sie, wenn genügend oalorienreich, zu eisenarm und viel zu stick¬ 
stoffreich ist. Bei der Eklampsie tritt (auch ohne nachweisbare Oedeme) 
eine über längere Zeit sich hinziehende Mehrausfuhr von Kochsalz haupt¬ 
sächlich, aber auch von Stickstoff auf. Die Mehrausfuhr wird aber nicht 
wie bei der gesunden Niere durch Konzentrationserhöhung, sondern durch 
entsprechende Vermehrung der Harnmenge geleistet. Beim Erlöschen 
der Eklampsie tritt die Niere fast plötzlich von einem Zustand schworst 
beeinträchtigter Funktion in einen solchen sehr bedeutender Arbeits¬ 
leistung über. Es kann sich also nicht um eine kranke Niere handeln, 
die gesundet und allmählich wieder zur vollen Funktion gelangt. Es 
muss sich um toxische Einflüsse bandeln, die, ähnlich wie bei der 
Narkose, vorübergehend die Funktion aufheben, und zwar wahrscheinlich 
in erster Linie die Funktion der Nierengefässe. Dafür spricht die 
nachweisbare, im Wochenbett persistierende Ueberempfindlichkeit der 
Nierengefässe. 

Hr. Sohlayer-München (auf Einladung des Kongresses): Die In¬ 
dikationsstellung zur Schwangerschaftsunterbrechung bei 
Nieren Veränderungen. 

Die Unterscheidung von Schwangerschaftsniere und echter Nephritis 
scheint Vortr. unzweckmässig, ja fehlführend. Beide lassen sich oft nicht 
voneinander unterscheiden. Es fragt sich überhaupt, ob die Sonder¬ 
stellung der Schwangerschaftsniere gerechtfertigt ist. Er empfiehlt als 
Ausgang für die Indikation zur Schwangerschaftsunterbrechung die Art, 
wie die Nierenscbädigung auf den Organismus einwirkt. Die Einwirkung 
einer Nierenschädigung kann sioh äussern in Urämie, Herzhypertrophie 
mit Hypertension, Oedem und endlich Veränderungen der Ausscheidung 
von Wasser, Salz usw. Auf Grund seiner klinischen Beobachtungen gibt 
Vortr. Anhalte, wann er bei den einzelnen Erscheinungen Unterbrechung 
oder Nichtunterbrechung, provozierten Abort oder Frühgeburt für indiziert 
hält. Er weist auf eine einfache Methode hin, welche gestattet, in vielen 
Fällen ein hinreichendes Urteil über den Zustand der kranken Niere zu 
erhalten: Verfolgung der Tagesausscheidung bei bestimmter Mahlzeit 
Diese Methode kann gleichzeitig auch zeigen, dass nicht selten eine ver¬ 
meintlich harmlose Schwangerschaftsniere trotz Verschwinden des 
Albumena tatsächlich noch nicht ausgeheilt, sondern nur latent geworden 
ist. So erklären sich Baisch’s Befunde, dass Nierenveränderungen 


während der Schwangerschaft doch häufiger als gedacht dauernde Nieren¬ 
schädigungen zurücklassen. 

Hr. Ad. Schmidt - Halle (als Gast): Herzleiden und Schwanger¬ 
schaft. 

In der Praxis der Herzkrankheiten spielt heute die Bewertung der 
auscultatorischen Phänomen und überhaupt der Klappenfehler vielfach 
noch eine zu grosse Rolle. Die Intensität des Geräusches und die 
Accentuation der Töne gehen keineswegs immer der Grösse des Herz¬ 
fehlers parallel. Das gilt auch für die Mitralstenose, deren Sonder¬ 
stellung ich im übrigen anerkenne. Viel wichtiger sind die Grösse des 
Herzens, die Veränderungen des Pulses, die dauernde Stauung in der 
Leber und im kleinen Kreislauf und vor allem die Leistungsfähigkeit des 
Herzmuskels oder die Reservekraft. Nicht jede Dekompensation des 
Herzens hat dieselbe schlimme Bedeutung für die Prognose. Es kommt 
darauf an, aus welcher Ursache sie entstanden war, welche Form sie 
zeigt und wie sie auf Digitalis und Ruhe reagiert. Wenn hier von der 
Myocarditis gesagt wurde, dass sie durch die Schwangerschaft und Nieder¬ 
kunft fast immer so verschlimmert wird, dass man aus ihr eine absolute 
Indikation zum künstlichen Abort ableiten muss, so kann sich das doch 
nur auf die schwereren Fälle beziehen. Es gibt aber zahlreiche leichtere 
Fälle, die sioh lediglich in leichten Rhythmusstörungen, in einer auf¬ 
fallenden Beschleunigung und einem Schwächerwerden des Pulses naoh 
leichten körperlichen Anstrengungen erkennen lassen, für die eine solche 
Indikation nicht gilt. Und zwischen diesen und den schwereren Formen 
gibt es alle möglichen Uebergänge. Man muss annehmen, dass die 
leichten Formen der Myocarditis nach Anginen und anderen Infekten 
bakteriell-toxischen Ursprungs sind. Es fragt sich, ob nicht auch die 
Schwangerschaft Herzkranke mehr auf dem Wege toxischer Momente 
schädigt als durch mechanische Inanspruchnahme. In therapeutischer 
Hinsicht möchte ich vor der Aufstellung zu fester Normen warnen. Man 
soll sich nicht darauf festlegen, dass eine Myocarditis, eine Dekompen¬ 
sation in der ersten Hälfte der Schwangerschaft, eine Kombination von 
Herzleiden mit Nephritis jedesmal die künstliche Unterbrechung der 
Schwangerschaft indiziert. Es bleibt nichts anderes übrig, als von Fall 
zu Fall zu entscheiden. 

Hr. Mohr-Halle (als Gast): Ueber die innere Sekretion der 
Speicheldrüsen und ihre Beziehungen zu den Genital¬ 
organen. 

Von einer inneren Sekretion der Speicheldrüsen ist bisher, ab¬ 
gesehen von den nichtbestätigten älteren Versuchen, nichts bekannt. 
Die klinische Erfahrung spricht aber entschieden dafür, dass auch diese 
Drüse in dem grossen System der endocrinen Organe eine Rolle spielt, 
und dass speziell hier Beziehungen mit der Funktion der Sexualorgane 
vorliegen. Auch ist bekannt, dass nach Ovariotomien Speioheldrüsen- 
schwellungen auftreten, die zum Teil allerdings bedingt sind durch 
Infektion und durch Sekretstauung infolge mangelhafter Nahrungs¬ 
aufnahme. Bekannt ist auch die Erkrankung der Genitalorgane nach 
Mumps. Sehr interessant sind Beobachtungen des Vortr., in denen auch 
bei Lues gleichzeitig Hoden und Speicheldrüsen erkrankt waren. Einen 
sicheren Zusammenhang mit einer inneren Sekretion scheinen die Beob¬ 
achtungen zu beweisen, die Vortr. bei Genital-Infantilismus, Hypoplasie 
und Hypofunktion der Genitalorgane bei Morbus Basedowii, beim Status 
thymico-lymphaticus, bei endogener Fettsuoht auf thyreogener genitaler 
und hypophysärer Basis gemacht hat. Im ganzen hat Vortr. 17 Fälle 
von Störungen innerer Drüsensekretion beobachtet, bei denen der Sym- 
ptomenkomplex der Schwellung der Ohrspeicheldrüse, der Submaxillar-, 
Sublingual-Blaudin-Nuhn’schen Drüse und in einzelnen Fällen auch der 
Tränendrüsen vorhanden war. In einzelnen Fällen waren hochgradige 
Vergrösserungen der Gebilde sichtbar und beträchtliche Entstellungen 
des Gesichts. Allein unter dem Gesichtspunkt der Hals- und Kopf¬ 
speicheldrüsenschwellung betraohtet, gehören diese Beobachtungen unter 
den Begriff des Mikulicz’schen Symptomenkomplexes. Vortr. weist darauf 
hin, dass es sich bei der sogenannten Mikulicz’schen Erkrankung nicht 
um eine selbständige Erkrankung, sondern um einen, unter verschiedenen 
pathologischen Bedingungen vorkommenden Symptomenkomplex handelt. 
Es handelt sich dabei entweder um eine primäre Konstitutionsanomalie, 
wie z. B. bei Genitalinfantilismus oder um eine erworbene, z. B. nach 
Exstirpation der Sexualorgane oder anderer Drüsen mit innerer Sekretion. 
Im letzteren Falle ist vielleicht die Speicheldrüsenschwellung ebenso als 
kompensatorische Hyperplasie aufzufassen wie die Schilddrüsenschwellung 
nach Entfernung der Ovarien oder im Klimakterium. 

Hr. Albrecht - München: Zur Frage der inneren Sekretion 
der Mamma. 

Vortr. kommt auf Grund seiner experimentellen Versuche zu dem 
Ergebnisse, dass eine frühzeitige operative Entfernung der Mamma bei 
jungen Lämmern keinen nachweisbaren Einfluss auf die Entwicklung der 
Tiere im ganzen, der einzelnen Organsysteme, insbesondere des Genitales, 
ebensowenig auf Eintritt und Verlauf von Brunst, Gravidität und Geburts¬ 
eintritt. Es darf daher bei strenger Fassung des Begriffes der inneren 
Sekretion die Mamma nicht als innersekretorische Drüse aufgefasst werden. 
Vortr. fand bei ausgedehnter experimenteller Nachprüfung der Injektions¬ 
versuche mit Brustdrüsenextrakt eine Hemmung der Ovarialfunktion, 
beim Menschen nach Injektion von Mammin Ausbleiben der Periode. Ob 
es sich hier um spezifische Wirkungen der Brustdrüsenextrakte handelt, 
ist fraglich. Verschiedene Beobachtungen legen die Annahme einer auch 
anderen Organextrakten zukommenden toxischen Wirkung nahe. Diese 
Stoffe, welche physiologisoh nicht in den Kreislauf gelangen, werden nur 
bei besonders reichlicher Anhäufung während der Laktation resorbiert 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 24. 


und üben dann die experimentell beobachtete hemmende Wirkung auf 
die Ovarialfunktion aus. 

Hr. A. Meyer-Tübingen: Ueber Pyelitis und ihre Beziehungen 
zur Schwangerschaft. 

Naoh gewöhnlicher Ansioht entsteht die Pyelitis ascendierend durch 
primäre Blaseoinfektion. Das stimmt sicher nicht für alle Formen. Für 
die primäre Infektion des Nierenbeckens spricht jedoch, dass die Pyelitis 
nicht selten nach Allgemeininfektionen auftritt, wie Anginen, und dass 
sie öfters erst ausheilt nach Schlitzen der Rachenmandeln. Für die Ein¬ 
wanderung des Bacterium coli von oben her in das Nierenbecken stehen 
die Blut- und Lymphbahn zur Verfügung. Die neuerdings beschriebenen 
besonderen Lymphverbindungen zwischen Kolon und rechtem Nieren¬ 
becken erklären die Einwanderung auf dem Lymphweg und die grosse 
Häufigkeit der rechtsseitigen Pyelitis. Normale Darmkeine durchwandern 
die normale Darmwand gewöhnlich nicht, oft aber gehen der Pyelitis 
akute Magendarmstörungen voraus. Ganz besondere Beachtung verdient 
die Appendicitis in der Aetiologie der Pyelitis. Ueber den Einfluss der 
Pyelitis auf die Fortpflanzungstätigkeit ist zu sagen, dass etwa ein Drittel 
der Frauen vorzeitig niederkommt. Mit dem Uebertritt ins Wochen¬ 
bett klingen die pyelitischen Erscheinungen gewöhnlich ab. 

Hr. Opitz-Giessen: Neue Beiträge zur Pyelitis gravidarum. 

Bei 160 Schwangeren fanden sich im Nieren- und Blasenharn Bak¬ 
terien in fast 2 /g der Fälle, jedoch nur in knapp Vs 4er Fälle gleich¬ 
zeitig Pyurie. Unter den Fällen mit Pyurie spielt das Bacterium coli 
die hervorragendste Rolle. 12 von den 160 Frauen hatten eine ausge¬ 
sprochene Erkrankung an Pyelitis. Dass in den Fällen, bei denen der 
Nierenharn steril war, sich dieselben Bakterien im Blasenharn fanden, 
wie sie sonst bei der Pyelitis auftraten, spricht für aufsteigende Infektion. 

Hr. P. Kroener - Greifswald: Zur Aetiologie und Behandlung 
der Pyelitis gravidarum. 

Vortr. berichtet über 38 Fälle von Pyelitis, von denen 31 Beziehung 
zur Schwangerschaft zeigten. Recidive ereigneten sich in derselben wie 
in wiederholten Schwangerschaften. Die Pyelitis ist in zahlreichen Fällen 
eine ausserordentlioh langwierige Erkrankung, welche auf Infektions¬ 
krankheiten zurückgreift. Schwangerschaft bildet durch Behinderung der 
Ureterpassage Gelegenheit zur Recidivbildung. Nierenbeckenspülung und 
-Drainage sind nur symptomatische Behandlungen, welche durch die 
Dauerbeobachtung und besonders durch die Vaccinetherapie ergänzt 
werden müssen. In jedem Falle muss die Möglichkeit eines tuberkulösen 
Grundleidens ins Auge gefasst werden. Bei allen schweren Erkrankungen 
spielen angeborene Nierenureteranomalien eine wesentliche Rolle. 

Hr. Kroemer - Greifswald: Eiterniere bei Verschluss und 
Unterbrechung des Ureters. 

Vortr. demonstriert eine Serie von exstirpierten Nieren, welche die 
Kombination von Pyelonephrose mit erworbener oder angeborener Ureter- 
striktur zeigen. Die Mehrzahl der Präparate betrifft tuberkulöse Nieren, 
darunter eines mit Tuberkulose der Nebenniere und Morbus Addisonii, 
der Rest der Fälle kongenital verlagerte Nieren mit schwerer Pyelone¬ 
phrose. 

Hr. Lichtenstein - Leipzig: Weitere Erfahrungen mit der 
abwartenden Eklampsiebehandlung. 

Von 94 mit Aderlass und Stroganoff behandelten Fällen starben 
5 = 58 pCt. Die Kindersterblichkeit betrug 37,3 pCt. für alle und 
21,6 pCt. für die lebensfähigen Kinder. 42 pCt. der Eklampsien vor der 
Geburt heilten interkurrent. 74 Eklampsien wurden in geschlossener 
Serie hintereinander geheilt. Bei dieser Frequenz kam während 16 Mo¬ 
naten kein Todesfall vor. Die Notwendigkeit der aktiven Therapie ist 
also nicht nur durch nichts bewiesen, diese ist vielmehr als schädlich 
zu verlassen und durch die abwartende zu ersetzen. 

Hr. R. Freund - Berlin: Zur Eklampsietherapie. 

Von Oktober 1912 bis April 1913 sind 46 Eklampsiefälle in der 
Königl. Charite der von Leipzig vorgeschlagenen «abwartenden Behand¬ 
lung“ (Aderlässe mit Narcotica) unterzogen worden. Es starben vier 
Mütter an Eklampsie, vier heilten in der Gravidität aus. Eiu schwerer 
Fall von Schwangerschaftseklampsie im 6. Monat verschlechterte sich 
zusehends bei der abwartenden Therapie und musste nach 48 Stunden 
aus vitaler Indikation mittels Hysterotomia anterior beendet werden, 
worauf Heilung erfolgte. Die Mortalität der Kinder ist bei dieser 
Therapie erheblich gestiegen, sie beträgt 41,9 pCt. gegen 17,1 pCt. bei 
der Frühentbindung. Bezüglich der Behandlung der übrigen Graviditäts¬ 
toxikosen berichtet Freund über 18 Fälle (16 Toxikodermien und 
2 Fälle von Hyperemesis). Die ersten drei Hautfälle heilten nach In¬ 
jektion von Gravidenserum, die folgenden vier nach Pferdeserum; bei 
den letzten neun Dermatosen und den zwei Fällen von Hyperemesis 
wurden je 200 ccm Ringer’sche Lösung subcutan verabreicht. Davon 
heilten alle ab bis auf die fünf Hautfälle, von denen einer sich völlig 
refraktär erwies, die übrigen vier recidiv wurden; drei von letzteren 
heilten schliesslich spontan. 

(Fortsetzung folgt.) 


Moskauer Brief. 

Aus den russischen medizinischen Gesellschaften. 

Auf der Konferenz der Aerzte der Hospitalkliniken der Universität 
Tomsk sprach N. Bogoras über die Ueberpflanzung der Vena 
mesenterica superior in die Vena cava inferior bei Leber- 


cirrhose. Der Vortr. kam nämlich auf die Idee, die Blutstauung im 
Gebiete der Mesenterial- und Milzgefässe bei der Lebercirrhose durch 
direkte Ueberleitung eines Teiles des Blutes aus diesem Gebiete in die 
Vena cava inferior, und zwar durch Einnähen der Vena mesenterica 
superior in die Hohlader, zu beseitigen. Das System der oberen Mesen¬ 
terialvene ist mit dem der unteren duroh eine Reihe von Anastomosen 
vereinigt, und dem Organismus kann es daher nicht schwer fallen, den 
Ueberschuss an Blut, der die Leber nicht zu passieren vermag, in jenes 
System zu dirigieren. Dadurch wird erstens eine Abnahme der Ascites¬ 
flüssigkeit in der Bauchhöhle und zweitens, was noch wichtiger ist, eine 
Entlastung des Mesenteriums und des Darmes, vornehmlich jedoch der 
Milz vom gestauten Blut erzielt. Auf Grund dieser Erwägungen führte 
nun Bogoras in einem Falle von Lebercirrhose die Ueberpflanzung der 
oberen Mesenterialvene in die untere Hohlvene mit gutem Erfolge aus. 
Die Milz verkleinerte sich beträchtlich, der Ascites schwand. Gleich nach 
der Operation wies die tägliche Harnmenge eine hochgradige Abnahme 
auf, wohl aus dem Grunde, weil der Blutzufiuss aus der überpflanzten 
Vene in die untere Hohlader den Abfluss aus den in der Nähe der 
Operationsstelle einmündenden Nierenvenen erschwerte. Aber der Orga¬ 
nismus passte sich offenbar den neuen Verhältnissen an, und zum 
Schluss der Behandlung war der Zustand ein recht befriedigender. 

Auf dem IV. russischen Kongress für innere Medizin zu Kiew er¬ 
örterten W. Winogradow und J. Raschba die Frage nach dem 
Zusammenhang zwischen orthostatischer Albuminurie und 
Lungentuberkulose. Um diese Frage zu entscheiden, untersuchten 
die Vortr. 81 Lungentuberkulose im Alter von 17—35 Jahren, von denen 
sich 40 im ersten, 31 im zweiten und 10 im dritten Stadium der Phthise 
befanden. Von diesen Kranken war bei 31, d. h. in 38,2 pCt. der Fälle, 
echte orthostatische Albuminurie nachzuweisen. Aber von 30 daraufhin 
untersuchten Soldaten mit klinisch vollkommen gesunden Lungen litten 
8 oder 26,6 pCt. ebenfalls an orthostatischer Albuminurie. Diese Er¬ 
krankung kommt somit bei anscheinend völlig gesunden Personen so 
sehr häufig vor, und zwar nicht viel seltener als bei Lungentuberkulosen, 
dass kein genügender Grund vorliegt, sie mit der Lungentuberkulose 
in Zusammenhang zu bringen oder gar sie als Frühsymptom dieses 
Leidens zu betrachten. 

In der Russischen Gesellschaft für Volksgesundheitspfiege zu Peters¬ 
burg behandelten G. Ghlopin und P. Wassiljewa die Bestimmung 
der elektrischen Leitfähigkeit als Verfahren für die Unter¬ 
scheidung natürlicher Farbstoffe von künstlichen. Für die 
Bekämpfung der gesetzlich verbotenen Färbung von Nabrungs- und 
Genussmitteln mit gesundheitsschädlichen künstlichen Farbstoffen ist es 
sehr wichtig, ein mehr oder weniger einfaches Verfahren in Händen zu 
haben, welches natürliche — animalische und vegetabilische — Farben 
von den Steinkohlenteerfarben zu unterscheiden gestattet. Eine solche 
bequeme und sichere Methode fanden die Vortr. in der Bestimmung der 
elektrischen Leitfähigkeit. Sowohl wässrige als auch alkoholische 
Lösungen natürlicher vegetabilischer und animalischer Farbstoffe be¬ 
sitzen nämlich eine bei weitem geringere Leitfähigkeit für Elektrizität 
als die künstlichen Steinkohlenfarben, wobei der Unterschied in der 
Leitfähigkeit sehr deutlich in wässrigen und noch viel deutlicher in 
alkoholischen Farblösungen zutage tritt. Sogar der Zusatz eines künst¬ 
lichen Farbstoffs zu der natürlichen Farbe eines Nahrungs- oder Genuss¬ 
mittels kann durch die Messung der elektrischen Leitfähigkeit der be¬ 
treffenden Lösung mit Sicherheit ermittelt werden. 

ln der wissenschaftlichen Konferenz der Aerzte des klinischen 
Instituts der Grossfürstin Helene Pawlowna in Peterburg teilte 
W. Ssemjonow seine klinischen Beobachtungen über die Wir¬ 
kung des Gonokokkenvaccins bei chronischer gonorrhoischer 
Arthritis mit. Das polyvalente Gonokokkenvaccin ist nach den Er¬ 
fahrungen des Vortr. eiu spezifisches Heilmittel der gonorrhoischen 
Arthritis. Seine Wirkung äussert sich vor allem in einem vollständigen 
Schwinden der Schmerzen, und falls erhöhte Temperatur besteht, so sinkt 
sie im Laufe der Behandlung bis zur Norm, so dass eine Temperatur¬ 
erhöhung von 37—88° keiue Kontraindikation gegen die Vaccinetherapie 
abgibt. Die Genesung erfolgt in 6—16 Wochen; hierzu sind 8—20 In¬ 
jektionen erforderlich, wobei anfangs kleine Dosen (0.2—0,8 ccm) alle 
4—6 Tage und sodann grössere Mengen (0,8—2,0 ccm Vaccin) alle 6 bis 
7 Tage appliziert werden. Bei sorgfältiger Beobachtung des klinischen 
Krankheitsverlaufs sind Bestimmungen des opsonischen Index nicht von¬ 
nöten. Von unangenehmen Nebenerscheinungen der Vaccinebehandlung 
verdient die manchmal sich einstellende Diarrhöe Erwähnung. Eine kon¬ 
stante Erscheinung bilden hingegen die bei den ersten subcutanen In¬ 
jektionen des Gonokokkenvaccins auftretenden HerdreaktioneD, die als 
differentialdiagnostisches Merkmal der chronischen gonorrhoischen Arthritis 
gegenüber anderen Arthritiden dienen können. 

In der therapeutischen Gesellschaft zu Moskau berichtete N. Luc- 
zewsky über seine Erfahrungen mit der Benzolbehandlung der 
Leukämie. Im Benzol besitzen wir nunmehr eine mächtige Waffe zur 
Bekämpfung der verschiedenen Leukämieformen. Seine Wirkung steht 
der der Röntgenstrahlen nicht nur nicht nach, sondern übertrifft sie so¬ 
gar in vielen Fällen, und da das Mittel überdies einfach im Gebrauch 
und billig ist, so vermag es bei der Leukämie unersetzliche Dienste zu 
leisten. Aber gleichzeitig ist das Benzol ein heftiges Gift, das bei seiner 
Anwendung ausserordentliohe Vorsicht erheischt; wird diese Bedingung 
ausser acht gelassen, so können sich lebensgefährliche Schädigungen der 
inneren Organe (der Leber, der Nieren, der Lungen, des Darmes) und 
irreparable Störungen des hämatopoetischen Apparates einstellen. Na- 


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16. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1143 


mentlich ist die jedem Patienten eigentümliche besondere Empfindlich¬ 
keit gegenüber dem Benzol stets im Auge zu behalten. Die Darreichung 
dieses Mittels hat daher mit kleinen Dosen zu beginnen, die allmählich 
gesteigert werden, wobei der Darm und der Harn des Patienten sorg¬ 
fältig überwacht werden müssen. Falls keine Kontraindikationen vor¬ 
liegen, ist das Präparat nur so lange anzuwenden, bis sich eine Neigung 
der Leukocyten unter die ursprüngliche Anzahl zu sinken kundzutun 
beginnt; macht die Abnahme der Leukocyten bei immer noch über¬ 
normaler Anzahl keine Fortschritte oder nimmt ihre Zahl von neuem zu, 
so ist die Darreichung des Benzols wiederum aufzunehmen. Nie darf 
da 9 Mittel bis zum Normalwerden der Leukocytenanzahl gegeben werden. 
Vor und während der Benzolbehandlung sind Eisen und Arsen in grossen 
Dosen anzuwenden, sowie für ausreichende Ernährung der Patienten Sorge 
zu tragen. Ueber die Dauerresultate der Benzoltherapie lässt sich noch 
nichts Sicheres ausmachen. 

Im Aerzteverein zu Odessa machte M. Missikow. Mitteilung über 
die Behandlung des Ekzems, der Krätze und einiger anderer 
Hauterkrankungen mit Xylol per se. Das Xylol zeichnet sich 
durch sehr starkes parasiticides Vermögen aus. Es tötet Flöhe, Läuse, 
Wanzen, Pediculi pubis, aber auch Fliegen, Schaben, Ameisen und andere 
Insekten in kürzester Zeit ab. Auf Grund dieser Erfahrungen kam der 
Vortr. auf die Idee, das Xylol auch bei der Krätze anzuwenden. Das 
Resultat war ein ausgezeichnetes. Das Xylol dringt rasch in die Haut 
ein, tötet momentan den Acarus scabiei ab und verflüchtigt sich ebenso 
rasch, ohne einen unangenehmen Geruch oder Flecken in der Wäsche 
zu hinterlassen. Gleiche vorzügliche Ergebnisse hatte die Xylolbehand¬ 
lung des Ekzems, bei dem besonders die baktericiden und austrocknenden 
Eigenschaften dieses Mittels voll zur Geltung kamen. Auch bei einigen 
anderen Pilzerkrankungen der Haut (Onychomycosis favosa, Herpes ton- 
surans capillitii u. a.) wurden mit dem Xylol per se vortreffliche Er¬ 
folge erzielt. 

ln der therapeutischen Gesellschaft zu Moskau sprach sich 
N. Schustrow über die Bedeutung der Calmette’schen Kobra¬ 
giftreaktion für die Diagnose der Tuberkulose aus. Bei ge¬ 
sunden Personen fällt die Calmette’sche Seroreaktion mit Kobragift in 
fast 100 pCt. negativ aus, bei nicht kachektischen Tuberkulösen ist sie 
in 100 pCt. positiv. Ausserdem weist die Kobragiftreaktion einen posi¬ 
tiven Ausfall bei normaler Körpertemperatur nur bei der Tuberkulose, 
Nephritis, bei Krankheiten, die mit Zerfall von Nervengewebe und mit 
Icterus einhergehen, und bei Alkoholismus auf. In diesen Fällen ist zu 
ermitteln, wo sich der Zerfall der lecithinhaltigen Eiweissstoffe abspielt, 
und das bietet in der Mehrzahl der Fälle keine Schwierigkeiten dar. 
Die Reaktion von Galmette verdient daher grössere Beachtung und 
ausgedehntere Anwendung. 

Im Aerzteverein zu Baku empfahl M. Leibsohn auf Grund seiner 
Erfahrungen die Behandlung des Recurrens mit Salvarsan. Das 
Salvarsan wirkt auf den Recurrens ebenso spezifisch ein, wie das Chinin 
auf die Malaria. Sein Vermögen, die Krankheit zu ooupieren, unterliegt 
keinem Zweifel, während seine prophylaktische Wirkung eine fast völlig 
sichere ist: Recidive werden bei intravenöser Infusion des Mittels in 
höchstens 3—5pCt. der Fälle registriert. Dabei ist hervorzuheben, 
dass die Salvarsantherapie des Rückfallfiebers nicht nur ein enormes 
klinisohes Interesse darbietet, sondern auch eine wichtige epidemio¬ 
logische Bedeutung besitzt. Indem das Salvarsan den Anfall coupiert 
und den Organismus an jedem beliebigen Krankheitstage von den 
Spirillen zu befreien vermag, verkürzt es das infektiöse Stadium der 
Erkrankung und verringert hierdurch die Möglichkeit der Uebertragung 
der Infektion auf gesunde Personen. Somit erweist sich das Salvarsan 
als mächtiges prophylaktisches Mittel zur Bekämpfung von Recurrens- 
epidemien. In hohem Grade erleichtert auch die Salvarsanbehandlung 
des Rückfallfiebers die Aufgaben der Heilanstalten. Während bei der 
gewöhnlichen symptomatischen Therapie jeder Recurrenspatient durch¬ 
schnittlich 3—4 Wochen im Krankenhaus verweilt und bei grösseren 
Epidemien die Krankenanstalten mit derartigen Patienten überfüllt sind, 
verlässt bei der Behandlung mit Salvarsan der Recurrenskranke schon 
nach 6—7 Tagen die Heilanstalt. Trotz dieser Vorzüge der Salvarsan¬ 
therapie ist jedoch das Mittel ebenso wie bei der Syphilis nur mit Vor¬ 
sicht und grosser Umsicht anzuwenden. 

In der Sitzung der Krankenhausärzte des Kinderkrankenhauses des 
Prinzen Peter von Oldenburg in Petersburg hielt J. Bukowskaja einen 
Vortrag über die Mandelbaum’scbe Reaktion beim Abdominaltypbus des 
Kindesalters. Die Reaktion von Mandelbaum ist ganz ohne Zweifel 
spezifisch, da sie am deutlichsten beim Typhus abdominalis ausgeprägt 
ist. Ihre Ausführung ist einfacher als die Anstellung der Widal’schen 
Reaktion, namentlich solange es sich nicht um eine differentielle Dia¬ 
gnose der Bakterien der Typhusgruppe handelt; im Falle von Gruppen¬ 
reaktionen jedoch gewinnt das Mandelbaum’sche Verfahren erheblich an 
Kompliziertheit. Ob diese Methode auch zur Frühdiagnose der Typhus¬ 
erkrankungen dienen könne, lässt sich schwer feststellen, da die Kinder 
meist erst nach Ablauf der ersten Krankheitstage ins Krankenhaus ein¬ 
geliefert werden. 

Im Aerzteverein in Czerkassy sprach J. Czuprina über die 
Eosinophilie und ihre diagnostische und prognostische Be¬ 
deutung bei der Lungentuberkulose. Sämtliche Erkrankungen 
der Atmungsorgane, die mit einer Erschwerung und Behinderung der 
Respiration und des Gasaustausches einhergehen, haben akuten oder 
chronischen Sauerstofihunger und Asphyxie zur Folge, welche einerseits 
zu einer Verarmung des Blutes an roten Blutkörperchen und anderer¬ 


seits zu einem Ansteigen des Gehaltes an Eosinophilen führen. Bei der 
Lungentuberkulose tritt noch ein dritter Faktor hinzu, der ebenfalls 
eine globulicide Einwirkung auf das Blut entfaltet und ausserdem 
Schwankungen der Eosinophilie verursacht: schreitet nämlich der Prozess 
fort oder gesellt sich eine Strepto- oder Staphylokokkeninfektion hinzu, 
so nimmt die Anzahl der Eosinophilen im Blute und im Sputum ab 
oder sie verschwinden gar völlig, und dieser Umstand ist ein schlechtes 
prognostisches Zeichen; bessert sich jedoch der lokale Prozess und 
schwinden die Eitererreger, so treten die Eosinophilen von neuem im 
Blute und im Auswurf auf, und dies ist von günstiger prognostischer 
Bedeutung. Eine Hypoleukocytose bei der Lungenschwindsucht ist 
durch Leukolyse der vielkernigen farblosen Blutzellen bedingt, und die 
Zerfallsprodukte der letzteren stellen eben die Gifte dar, welche die 
Veränderungen der Capillarwandungen in Leber und Nieren hervor- 
rufen, an denen die chronischen Phthisiker so häufig zugrunde gehen. 
Eine mehr oder minder ausgeprägte Leukocytose hingegen vom Charakter 
der Mononucleose mit einer Hypereosinophilie im Blut und Sputum weist 
darauf hin, dass der Kampf des Organismus gegen die Infektion erfolg¬ 
reich ist, und dass die Blutregeneration einen völlig befriedigenden Ver¬ 
lauf nimmt. 

In der Gesellschaft russischer Chirurgen zu Moskau behandelte 
R. Fronstein die neuesten Methoden der Diagnostik gonor¬ 
rhoischer Erkrankungen. Bei der ausgedehnten Anwendung von 
Gonokokkenvaccin für die Behandlung gonorrhoischer Erkrankungen 
konnte sich der Vortr. davon überzeugen, dass notorische Träger einer 
Gonokokkeninfektion auf fast jede Vaccineeinspritzung mit einer Tempe¬ 
ratursteigerung reagieren, während eine lokale und eine Herdreaktion 
nur in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle angetroffen wird. Von 
dem Gedanken ausgehend, dass die Temperaturreaktion nur dann eine 
für die Diagnose entscheidende Bedeutung besitzt, falls gleichzeitig eine 
Lokal- oder Herdreaktion auftritt, beschloss der Vortr. die Vaccine¬ 
injektionen zu diagnostischen Zwecken zu verwerten. Gesunde Personen 
und solche, die vor mindestens 10 Jahren Gonorrhöe überstanden hatten 
und davon völlig genesen waren, reagierten auf die Einspritzung nicht 
im mindesten. Von 30 zweifelhaften Fällen reagierten 25 positiv mit 
einer Allgemein- und Lokal- oder Herdreaktion, und in allen diesen 
Fällen konnte die Diagnose bestätigt oder bakteriologisch gesichert 
werden. Die 5 übrigen Fälle, die negativ reagiert hatten, erwiesen sioh 
in der Folge als nicht gonorrhöekrank. A. D wo retzky-Moskau. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. Am 16. Juni sind 25 Jahre verflossen, seit Kaiser 
Friedrich der furchtbaren Krankheit erlag, derem Verlauf leider 
seine deutschen ärztlichen Berater machtlos gegenüberzusteben ge¬ 
zwungen waren — eben erst hat der Tod Fritz v. Bramann’s die 
Erinnerung an diese Tragödie wieder waebgerufen! Heut aber darf 
sich der Blick von so traurigen Bildern fortwenden: bedeutet 
doch der gleiche Tag auch das 25 jährige Herrscherjubiläum 
unseres Monarchen, den das Geschick damals in noch jugendlichem 
Alter auf den Thron berief. Es ist nicht unseres Amtes noch 
hier der Ort, die Geschehnisse der Regierungsepoche Kaiser 
Wilhelms II. historisch zu würdigen; aber es sei uns verstattet, 
auch unsererseits den Empfindungen Ausdruck zu geben, die heute 
das Herz jedes Deutschen erfüllen und bewegen: dem Dank dafür, 
dass eine segensreiche Friedenszeit die ungeahnte Entwicklung 
der Wissenschaft und Technik, nicht zuletzt auch hygienischen 
Fortschritts und biologischer Erkenntnis, begünstigt hat; der 
Zuversicht, dass auch fürderhin Kultur und Bildung, geistige und 
körperliche Volks wohl fahrt, von höchster Stelle aus Schutz, Pflege 
und Förderung finden werden; dem innigen Wunsche endlich, 
dass es unserm Kaiserlichen Herrn noch lange Jahre vergönnt 
sein möge, sich in gleicher Jugendkraft der Blüte und Macht¬ 
stellung des Deutschen Reiches zu erfreuen 1 Red. 

— Iu der Sitzung der Berliner medizinischen Gesellschaft 
vom 11. Juni hielt Herr Westenhöfer den angekündigten Vortrag: De¬ 
monstration der Organe eines nach Fried mann behandelten Falles von 
Tuberkulose (Diskussion: Frau Rabinowitsch, die Herren Schleich, 
Max Wolff, Karfunkel, Fritz Lesser, Fritz Meyer, Pior- 
kowski und Schwalbe); Herr v. Wassermann seinen Vortrag über 
den Nachweis von Spirochäten im Gehirn bei Paralyse durch Professor 
Marinescu in Budapest (Diskussion: die Herren Citron, Lewandowski 
und Fritz Lesser). 

— In der Sitzung der Hufelandischen Gesellschaft vom 
12. Juni gedachte Herr Strauss des Ablebens von Fr. v. Koränyi. 
Herr Th. Mayer stellte den seltenen Fall eines Scrotalfavus vor (Dis¬ 
kussion: Herr Karewski). Herr Alkan hob auf Grund eines geheilten 
Falles von chirurgischer Tuberkulose die soziale Bedeutung der Helio¬ 
therapie hervor (Diskussion: die Herren Strauss, Ewald, Adler, 


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1144 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 24. 


Dosquet-Manasse, Karewski). Herr Cassel beriohtete über einen 
durch Autovaccination geheilten Fall von Staphylokokkensepsis (Dis¬ 
kussion: die Herren Wolfsohn, Karewski). Herr Holländer demon¬ 
strierte Präparate und Fälle von Coecumperforationen. Herr Ernst 
Marouse brachte Beiträge zur Röntgendiagnostik von Lungen- und 
Abdominalaffektionen (Diskussion: die Herren Ewald, Earewski). 

— In der Sitzung der Berliner dermatologischen Gesell¬ 
schaft am 10. Juni demonstrierte Herr Heiler ein Kind mit Urticaria 
pigmentosa, Herr H. Isaao ein Kind mit ausgebreiteter Hauttuberkulose, 
ln der Diskussion sprachen die Herren Blaschko, Bumm, Adler, 
Saalfeld und Isaac. Herr Lipman-Wulf demonstrierte einen 
Kranken mit Beau’schen Linien an allen Nägeln der Hände und Füsse, 
nach universeller Dermatitis entstanden. In der Diskussion sprachen 
die Herren Saalfeld und Lipman-Wulf. Herr Baum demonstrierte 
einen Knaben mit ausgedehnten Mollusca contagiosa an der Brust. 
Herr Löhe demonstrierte einen Fall von Darier’scber Dermatose. Herr 
Blaschko demonstrierte einen Kranken mit gewerblichem Ausschlag an 
den Händen, wohl nach Wirkung von Kohlenwasserstoffen in einer 
Automobilfabrik. In der Diskussion sprachen die Herren Gebert, 
Blaschko, Adler. Herr F. Blumenthal demonstrierte zwei Frauen 
mit Mycosis fungoides. Herr Tomasczewski demonstrierte Operations¬ 
methode und Ergebnisse der intradQralen Syphilisimpfung von Kaninchen. 
Der Vortrag von Herrn H. Isaac über Salvarsan oder Neosalvarsan 
wurde vertagt. 

— Am 11. d. M. wurde in der Königl. Charite, an der Stätte seiner 
Wirksamkeit, eine Büste für Ernst v. Leyden enthüllt. Sein ältester 
hiesiger Schüler, A. Fraenkel, hielt eine warmempfundene schwung¬ 
volle Gedächtnisrede, und verschiedene Schüler und Freunde des grossen 
Toten legten Kränze an seiner Herme nieder, die Obergeneralarzt Scheibe 
namens der Direktion der Charitö dann feierlich übernahm. 

— Prof. Dr. Theodor Weyl, Privatdozent an der Technischen 
Hochschule, ist am 5. d. M. nach langer Krankheit im 63. Lebensjahre 
verstorben; ursprünglich ausgehend von physiologischen und physiologisch¬ 
chemischen Studien, insbesondere unter Hoppe - Seyler’s und Rosen¬ 
thal’s Leitung, wandte sich Weyl später der hygienischen Forschung 
zu. Zahlreiche seiner Arbeiten, z. B. über erlaubte Farben, der Bericht 
über die Assanierung Neapels usw., hat er in unserer Wochenschrift ver¬ 
öffentlicht. Hauptsächlich aber wird sein Name durch seine Mono¬ 
graphien, organische Chemie für Mediziner, über Teerfarben, über Müll¬ 
verbrennung, sowie das von ihm herausgegebene grosse Handbuch der 
Hygiene in der Wissenschaft fortleben. 

— Herr Alexis Carrel, der diesjährige Nobelpreisträger, hatte 
schon wiederholt die Freundlichkeit, die Leser unserer Wochenschrift 
mit den Ergebnissen seiner experimentellen Forschungen bekannt zu 
machen. Auch in dieser Nummer sind wir in der erfreulichen Lage, 
eine ausführliche Mitteilung von ihm bringen zu können, die über 
Experimente berichtet, angesichts deren man nur im Zweifel sein kann, 
ob man mehr die Kühnheit der Idee oder die Virtuosität der Technik 
bewundern soll. 

— In Berlin-Lankwitz wurde von den Sanitätsräten Dr. Fraenkel 
und Dr. Oliven eine Nervenheilstätto mit den neuesten hygienischen 
Einrichtungen für männliche Kranke mit einfachen Ansprüchen — täg¬ 
licher Pensionspreis 4*/a—7 Mark — errichtet. Die Heilstätte ist mit 
einem eigenen Kurmittelhause, in welchem alle modernen Heilfaktoren 
zur Anwendung kommen, verbunden. 

— Herr Dr. Hermann Mayer, der ehemalige Vorsitzende der 
nunmehr wieder aufgelösten Vereinigung deutsch-russischer Kur- 
und Badeärzte wünscht noch bekanntzugeben, dass er die in der 
Kissinger Erklärung angeführte Aufforderung zum Beitritt weder gekannt 
noch unterzeichnet habe. 

— Wie uns im Anschluss an unsere Notiz in Nr. 22 dieser Wochen¬ 
schrift mitgeteilt wird, ist die neue Zeitschrift für „ophthalmologische 
Optik“ nicht einer Initiative des Verlags entsprungen, sondern auf An¬ 
regung einer Anzahl von Ophthalmologen und Physiker entstanden, die 
den Gullstrand’schen Forschungen einen umwälzenden Einfluss auf 
die Brillen lehre und andere optische Fragen zuschreiben. Die 
Bedeutung dieser Forschungen wird von . den beteiligten Kreisen 
so hoch eingeschätzt, dass z, B. die Zeiss-Werke in Jena, deren Mit¬ 
arbeiter, Prof. v. Rohr, die Gullstrand’schen Lehren ins Praktische 
übertragen hat, sich an dieser Sache mit einer grossen Summe be¬ 
teiligte, und dass verschiedene Lehrer der Augenheilkunde vor einiger 
Zeit in Jena weilten, um sich in die neue Materie einführen zu lassen. 
Ob unter diesen Umständen ein eigenes Organ so nötig war, dass man 
die damit herbeigeführte weitere Zersplitterung der Literatur ruhig ver¬ 
antworten kann (nur in diesem Sinne konnte die „moralische Verant¬ 
wortung“ in unserer Notiz gemeint sein), kann die Zukunft erst ent¬ 
scheiden. Wollte man sich durch Analogie ein Urteil bilden und z. B. 
an die alles revolutionierende Entdeckung des Augenspiegels und die 
weiteren umwälzenden optischen Forschungen von Rob. Helmholtz 
denken, so liegt der Schluss nahe, dass auch für den Ausbau der neuen 
Lehre sich in den zahlreichen heutigen Archiven reichlich Raum ge¬ 
funden haben würde. Allein Analogieschlüsse sind nicht völlig bindend, 
Und bequemer bleibt es selbstverständlich für den engeren Kreis der 
Interessenten, solche Spezialfragen in einem eigenen Organ zu behandeln. 

H. K. 


Amtliche Mitteilungen. 

Personalien. 

Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 3. Kl.: ordentl. Professor, 
Geh. Med.-Rat Dr. W. His in Berlin. 

Roter Adler-Orden 4. Kl.: San.-Rat Dr. W. Renoldi in Essen 
(Ruhr), Bahnaugenarzt Dr. F. Vierling in Mainz. 

Prädikat Professor: Dozent der Akademie für praktische Medizin 
Dr. P. Krautwig in Cöln. 

Ernennungen: ordentl. Professor, Geh. Med.-Rat Dr. Czerny in Berlin 
zum ordentl. Professor an der Kaiser Wilhelms-Akademie für das 
militärärztliche Bildungswesen; Privatdozent Prof. Dr. E. Friedberger 
in Berlin zum Abteilungsvorsteher am pharmakologischen Institut 
der Friedrich Wilhelms-Universität daselbst. 

Niederlassungen: Dr. A. Boeckmann, Arzt E. Günther, Dr. S. 
Robinski, »Dr. F. Schlesinger und Dr. Stegmann in Berlin, Dr. 
V. F. Grzibek in Posen, Dr. P. Herfurth in Glower, Dr. J. Schiffer 
in Norf, Dr. F. P au weis in Aachen. 

Verzogen: Dr. W. Trisethau von Usseln (Waldeck), Dr. M. Orlovias 
von Hamburg, Arzt A. Henze von Paderborn. Dr. Ph. Wildermuth 
von Tübingen und Dr. K. Winkel mann von Karlsruhe nach Halle 

a. S., Dr. F. Loofs von Halle a. S. nach Freiburg i. Br., Dr. Schu¬ 
macher von Halle a. nach Nietleben, Dr. E. Lampe von Halle a.S. 
nach München, Dr. E. Dörrien von Osnabrück nach Haspe, Dr. A. 
Güttich und Dr. E. Senn von Berlin, Dr. 0. Moog von München 
und Dr. E. Seitz von Düsseldorf nach Frankfurt a. M., Dr. A. Lautz 
von Frankfurt a. M. nach Freiendiez, Dr. G. Leopold und Dr. B. 
Latz von Berlin und Dr. H. Baumgärtner von Baden-Baden nach 
Bad Homburg v. d. H., Dr. E. W. Dub von Ems nach Oberstein, Dr. 
K. Kockerbeck von Düsseldorf, Dr. F. v. Holst von Steinseiffers¬ 
dorf, Dr. A. Häberle von Würzburg und Dr. J. Berger von Mainz 
nach Wiesbaden, Stabsarzt a. D. Dr. H. Müller von Ospitaletti (Ital.) 
und Dr. H. Müller von Halle a. S. nach Biebrich-Wiesbaden, Prof. Dr. 

F. Eichelberg von Göttingen nach Oberode, Dr. A. Ploeger von 
München und Dr. G. Gleim von Ehren breitstein nach Bonn, Dr. M. 
Her man von Düren und Dr. P. Winnen von Bamberg nach Cöln, 
Dr. 0. Riebe von Küstrin und Aerztin M. Franz von Breslau nach 
Stettin, Dr. F. Breslauer von Prenzlau, Dr. E. Grüger von 
Hermsdorf, Arzt J. Heinemann von Markstedt, Dr. 0. Hess von 
Oranienstein, Arzt 0. Jaenichen von Altenburg, Dr. G. Zacharias- 
Langhans von Strassburg i. E., Dr. H. Maas von Frankfurt a. M., 
San.-Rat Dr. R. Klein von Nizza, Arzt Ed. Miller von Erlangen, Dr. 
H. Reinhardt und Dr. M. Silberberg von Charlottenburg sowie 
Dr. P. Schelhas von Reinickendorf nach Berlin, Dr. W. Cornberg, 
Dr. H. Gerhartz, San.-Rat Dr. J. Grosser, Dr. H. Guggenheimer 
und Dr. A. Mallwitz von Berlin, Dr. W. v. Goeldel von Reisen 
als Schiffsarzt sowie Dr. J. Gehrmann von Saalfeld nach Charlotten- 
burg, Dr. E. Herzfeld und San.-Rat Dr. S. Steinthal von Char¬ 
lottenburg, Dr. K. Schneider von Reinickendorf, Dr. W. Stock¬ 
mayer von Krenzlingen sowie Geh. San.-Rat Dr. F. Unger von 
Berlin nach Schöneberg, Stabsarzt Dr. L. Spackeier von Schlett- 
stadt nach Köslin, Dr. J. Schaal von Cöln a. Rh. nach Kolberg, Dr. 

G. Buchsteiner von Pennekow nach Stolpmünde, Arzt H. Hor- 
zetzky von Breslau nach Bojanowo, Arzt W. Dekkert von Torgan 
nach Santomischel, Dr. St. Lassocinski von Samter nach Neustadt 

b. P., Dr. V. Romahn von Königsberg i. Pr., Dr. W. Baggerol von 
Berlin, Dr. W. Likowski von Breslau und Dr. J. Czamecki von 
Gnesen nach Posen, Arzt P. Scholz von Wieschowa nach Rokittnitz, 
Dr. E. Katzsohmann von München, Dr. W. Stempel von Breslau 
und Dr. 0. H. Bachmann von Königshütte nach Kattowitz, Dr. W. 
Urtel von Kattowitz nach Schwientochlowitz, Dr. E. Bartsch von 
Pitschen nach Ratiborhammer, Dr. R. Niemczyk von Leschnitz nach 
Pitschen, Dr. H. Kapuste von Ratiborhammer nach Ratibor, San.-Rat 
Dr. A. v. Kunowski von Leubus, Arzt Th. Praetorius von Görlitz 
und Dr. F. Klinge von Königshütte nach Rybnik, Dr. H. Wex von 
Fürstlich Drehna nach Mansfeld, Dr. J. P re iss von Marburg nach 
Hannover, Dr. R. Fels von Haina nach Lennep, Dr. H. Raetz von 
Berlin nach Barmen, Dr. M. Müller von Essen, Dr. K. Klein¬ 
schmidt von Wiesbaden und Dr. G. Mogwitz von Altona nach 
Düsseldorf, Dr. H. Sohricker von Erlangen nach Wieadorf, Arzt E. 
Staenglen von Crefeld nach Stuttgart, Dr. A. Fl orange von Düssel¬ 
dorf nach Crefeld, Dr. J. Hessdörfer von Düsseldorf nach Nürnberg, 
Dr. W. Schiffer von Norf nach Düsseldorf, Dr. J. Boventer von 
Malmedy nach Alsdorf. 

Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. F. Stork 
von Paderborn auf Reisen (Indien), Aerztin Dr. H. v. Brandenstein 
und Dr. R. Neumann von Berlin, Dr. W. Steimann von Münster, 
Dr. G. Franzius und Dr. W. Stahl von Frankfurt a. M. 

Gestorben: Dr.L. Bamberger in Charlottenburg, Oberstabsarzt d.L. 
a. D. Dr. H. Mo ekel in Branitz, Dr. J. Goergens in Crefeld, Dr. 
F. H. Den der ich in Wesel, San.-Rat Dr. E. Büren in Solingen, 
Geh. San.-Rat Dr. A. Stratmann in Wald, Geh. San.-Rat Dr. Th 
Coulon in Malmedy. 


FQr die Redaktion verantwortlich Dr. Hans Kohn, Berlin W., Bayreother StraaM 42. 


Verlag und Eigentum von August Hirsohwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4. 


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Montag in Nummern von ca. 5 — 6 Bogen gr. 4. — II ■ jl IB ■ jti |% j 111 IV wolle man portofrei an die Yerlagsbachhandlnng 

Prela vierte IJ Ehrlich 6 Hark. Bestellungen nehmen r\ M W< I .1 I mj M fC August Hirschwald in Berlin NW., Unter den Linden 

alle Bnehhandl ungen und PosUnatalten an. | f I Jl il l il 1 1 j J j jj No. 68, adressieren. 


KLINISCHE WXJHENSCHEIFT. 


Organ für praktische Aerzte. 


Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen« 

Redaktion: Expedition: 

fleh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posner und Dr. Hans Kohn. August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung io Berlin. 


Montag, den 23. Juni 1913. 


M 25 . 


Fünfzigster Jahrgang. 


INHALT. 


Originalton : Müller: Die Balneotherapie der Kreislaufstörungen. S. 1145. 
Rosenthal: Ueber weitere Erfahrungen mit der serologischen 
Schwangerschaftsdiagnostik. (Aus dem chemisch - biologischen 
Laboratorium der IV. Abteilung des St. Rochus -Spitales der 
Haupt- und Residenzstadt Budapest.) S. 1149. 

Gottschalk: Zur Abderhalden’schen Schwangerschaftsreaktion. 
(Aus der gynäkologischen Poliklinik des Krankenhauses der jüdi¬ 
schen Gemeinde zu Berlin.) S. 1151. 

Schuberg: Weitere Beiträge zur Kenntnis der Geflügelpocken. 
(Illustr.) S. 1152. 

Popielski: Hypophysis und ihre Präparate in Verbindung mit 
ihren wirksamen Substanzen. (Aus dem Institut für experimentelle 
Pharmakologie der Universität Lemberg.) (Illustr.) S. 1156. 
Goerke: Zur Tonsillektomiefrage. S. 1158. 

Schuster: Zur Differentialdiagoose der Fingerkontrakturen. (Illustr.) 
S. 1161. 

Katzenstein: Ueber Plexuspfropfung. S. 1165. 

Amol di: Ueber den C0 2 -Gehalt der Luft in der Berliner Unter¬ 
grundbahn. (Aus dem medizinisch-poliklinischen Institut der 
Universität Berlin.) S. 1166. 

Isaac: Die Funktionsprüfung der Leber. (Sammelreferat.) (Aus 
der inneren Abteilung des städtischen Krankenhauses in Wies¬ 
baden.) S. 1167. 

Btteherbesprechiuigen: Blümel: Die ambulante Therapie der Lungen¬ 
tuberkulose und ihrer häufigsten Komplikationen. S. 1171. (Ref. 
Aufrecht.) — Curschmann: Der Unterleibstyphus. S. 1171. (Ref. 
Ewald.) — Flügge: Grundriss der Hygiene. S. 1171. (Ref. 
Günther.) — Oebbecke: Zehnter Jahresbericht über den schul¬ 
ärztlichen Ueberwachungsdienst an den städtischen Volksschulen, 
Hilfsschulen, Mittelschulen, höheren Knaben- und Mädchenschulen 
in Breslau für das Schuljahr 1910/11. S. 1171. Die Säuglings¬ 
sterblichkeit in Gharlottenburg im Sommer 1911. S. 1171. Brüning 
und Stein: Die Säuglingssterblichkeit im Grossherzogtum Mecklen- 
burg-Strelitz, nebst Bemerkungen über ihre Ursachen und Bekämpfung. 


S. 1171. Meyer: Ueber den Hospitalismus der Säuglinge. S. 1171. 
Ploss: Das Kind in Brauch und Sitte der Völker. S. 1172. 
Demoor: Die anormalen Kinder und ihre erziehliche Behandlung 
in Haus und Schule. S. 1172. (Ref. Weigert.) — Conradi: Vor¬ 
arbeiten zur Bekämpfung der Diphtherie. S. 1172. (Ref. Sobernheim.) 

Literatur-Auszüge: Physiologie. S. 1172. — Pharmakologie. S. 1173. — 
Therapie. S. 1173. — Allgemeine Pathologie und pathologische 
Anatomie. S. 1173. — Parasitenkunde und Serologie. S. 1174. — 
Innere Medizin. S. 1175. — Chirurgie. S. 1175. — Urologie. 
S. 1175. — Haut-und Geschlechtskrankheiten. S. 1176. — Geburts¬ 
hilfe und Gynäkologie. S. 1176. — Augenheilkunde. S. 1177. — 
Hygiene und Sanitätswesen. S. 1177. — Technik. S. 1178. 

Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften: Berliner medizinische 
Gesellschaft. Westenhöfer: Kurze Mitteilung mit Demonstration 
der Organe eines naoh Friedmann behandelten Falles von Tuber¬ 
kulose. S. 1178. v. Wassermann: Nachweis von Spirochaete 
pallida bei allgemeiner Paralyse von G. Marinesco und J. Minea- 
Bukarest. S. 1181. — Gesellschaft für soziale Medizin, 
Hygiene und Medizinalstatistik zu Berlin. S. 1182. — 
Medizinische Sektion der sohlesisehen Gesellschaft für 
vaterländische Kultur zu Breslau. S. 1183. — Medizinische 
Gesellschaft zu Leipzig. S. 1184. — Aerztlicher Verein 
zu Hamburg. S. 1185. — Medizinische Gesellschaft zu 
Kiel. S. 1186. — Gynäkologische Gesellschaft zu Dresden. 
S. 1186. — Aerztlicher Verein zu Essen-Ruhr. S. 1187. — 
Aerztlicher Verein zu Frankfurt a. M. S. 1187. — Natur- 
historisch-medizinischer Verein zu Heidelberg. S. 1187. 

22. Versammlung der Deutschen otologischen Gesellschaft, 
Stuttgart, 9. und 10. Mai 1913. S. 1187. 

XV. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Gynäko¬ 
logie, Halle a. S., 14.—17. Mai 1913. (Fortsetzung.) S-1189. 

Rott: Kritische Bemerkung zur Ausstellung „Das Kind". S. 1191. 

Tagesgeschiohtliche Notizen. S. 1192. 

Amtliehe Mitteilungen. S. 1192. 


Die Balneotherapie der Kreislaufstörungen. 1 ) 

Von 

Prof. Otfried Müller, 

Direktor der medizinischen Klinik in Tübingen. 


Die Behandlung mit Arzneien und mit Bädern, die chemische 
und die physikalische Therapie haben mehr miteinander gemein, 
als gewöhnlich angenommen wird. Beide sind uralt. Beide sind 
anf dem Boden der einfachen Erfahrung, aus dem Bedürfnis zu 
heilen und zu helfen erwachsen und demgemäss oft genug von 
Laien in ihrem Werdegang bestimmt. Beide haben sich in den 
Händen gewissenhafter Aerzte zu festen, aber zunächst rein 
empirischen Indikationsstellungen entwickelt. Beide sind nach¬ 
träglich io ihrer Wirkungsweise grösstenteils naturwissenschaftlich 
erforscht; und bei beiden hat die klärend eingreifende Wissen¬ 
schaft, die Physiologie, für sich selbst reiche Ausbeute an neuer 
Erkenntnis erhalten. 

Die Pharmakologie ist beute eine streng physiologische 
Wissenschaft, und die physikalische Therapie ist im Begriff, sich 
ihr ebenbürtig an die Seite za stellen. Die Zeiten, in denen 


1) Referat, erstattet auf dem Kongress für Physiotherapie in Berlin 1913. 


man wagen durfte, vom Arzneitberapeuten als von einem Quack¬ 
salber zu reden, liegen ebenso sicher hinter uns, wie jene anderen, 
in denen man mit überlegener Miene vom Brunnengeist und vom 
sogenannten Badearzt sprach. Die Wirkungsweise der Digitalis 
beim Menschen ist heute nicht besser geklärt, als diejenige der 
Kohlensäurebäder, und in beiden Fällen ist ein hoher Grad von 
Sicherheit der Anwendung insofern erreicht wordeD, als die 
früher rein empirisch gewonnene Indikationsstellung im wesent¬ 
lichen mit dem übereinstimmt, was sich als theoretisches Postulat 
exakter Forschung nachträglich ergibt. So zeitigen deduktive 
und induktive Methoden vielfach das gleiche Resultat, und damit 
sind wir nicht nur sicherer in unserem Handeln, sondern auch 
klarer in unserem Erkennen geworden. 

Drehen wir für nnseren besonderen Zweck hente den Gang 
der Entwicklung einmal um, sehen wir zunächst, wie die Bäder 
auf den Kreislauf wirken, und wie sie demgemäss Kreislauf¬ 
störungen zu bessern und zu heilen vermögen, und kehren wir 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26. 


dann za der ärztlichen Erfahrung zurück and fragen: Stimmt das, 
was da entwickelt wird, zu unserem altbewährten Handeln, gehen 
Theorie und Praxis auch in dem speziellen Kapitel der Balneo¬ 
therapie der Kreislaufstörungen wirklich Hand in Hand? 

Die Pharmakologie unterscheidet bei der arzneilichen Be¬ 
einflussung des Kreislaufes und der Besserung seiner Störungen 
zwischen Herzmitteln und Vasomotorenmitteln. Wir müssen bei 
den Bädern das gleiche tun. Das physiologische Experiment hat 
mir und meinen Schülern immer wieder gezeigt, dass Bäder unter 
Umständen mächtige Aenderungen der Gefässweite und damit 
ausgiebige Umschaltungen der Blut Verteilung herbeizuführen ver¬ 
mögen, dass sie eventuell zu den stärksten Vasomotorenmitteln 
gehören, die es gibt. Aber wir haben auch weiter festgestellt, 
dass die Herztätigkeit durch sie in der allerverschiedensten Weise 
beeinflusst werden kann. Dabei ist zu betonen, dass die experi¬ 
mentelle Grundlage von uns einmal im Tierversuch mit allen 
Sicherungen gegen Störungen durch unwillkürliche Bewegungen, 
wie auch durch psychische Vorgänge, und zweitens in ganz 
gleicher und übereinstimmender Weise im Versuch am Menschen 
selbst gewonnen ist. 

Dadurch, dass wir das Experiment über den Tierversuch 
hinaus auf den Menschen ausdehnten, erhielten wir gewisse Ein¬ 
blicke in den menschlichen Kreislaufhaushalt, welche der lediglich 
am Tier arbeitenden Physiologie nicht möglich gewesen waren. 
So konnten wir zeigen, dass thermische Reize die ihnen eigen¬ 
tümlichen Aenderungen in der Blutfüllung der äusseren Teile 
nicht nur an der Stelle hervorrufen, an der sie den Körper 
treffen, sondern dass bei hinreichender Reizstärke die gesamte 
Körperperipberie mit gewissen, hier nicht näher zu präzisierenden 
Ausnahmen, eine gleichsinnige Veränderung ihrer Blutfüllung er¬ 
fährt, dass mit anderen Worten, z. B. bei einem kalten Pussbad, 
nicht nur die Püsse, sondern auch die Hände blutärmer werden. 

Wir stellten weiter fest, dass in ähnlicher Weise wie beim 
Tier so auch beim Menschen ein gewisser, äusserst charakte¬ 
ristischer Gegensatz in der Blutfüllung äusserer und innerer Teile 
des Körpers besteht. Die Blutfüllung der Haut und der Musku¬ 
latur ist in der Regel eine umgekehrte wie diejenige des Darmes 
und in manchen Fällen auch des Gehirnes. Das sogenannte 
Dastre-Morat’sche Gesetz, das beim Tier einen Antagonismus 
zwischen der Blutfüllung, namentlich der Darmgefässe und der 
Hautgefässe statuiert, besteht sonach auch beim Menschen, und 
sehr vielfach, wenn auch durchaus nicht unter allen Umständen, 
ist es auch auf die Gefässe des Gehirnes zu beziehen. 

Fragen wir nun, was ist bei den Bädern der verschiedensten 
Art das wirksamste Moment, und was ist zugleich das einigende 
Band, das ihre speziellen, sehr verschiedenen Wirkungen bis zu 
einem gewissen Grade zusammenfassen lässt, so muss geantwortet 
werden: das ist unbedingt die Temperatur des Bades. Der 
thermische Faktor ist, sobald er kräftig einwirken kann, allemal 
der mächtigste und ausschlaggebende. Diesen Satz verteidige ich 
seit 10 Jahren gegen die allerverschiedensten Einwände. Er 
wird heute von den einsichtigsten und erfahrensten Fachleuten 
vollauf anerkannt. 

Stellen wir demgemäss zunächst fest, welches die reinen 
Temperaturwirkungen sind, und sehen wir erst dann, wie diese 
durch die spezifischen Eigenschaften der medizinalen Bäder modi¬ 
fiziert werden. Wasserbäder von etwa 34 Grad Celsius sind für 
den Kreislauf annähernd indifferent. Doch ist dabei erstens zu 
betonen, dass der Indifferenzpunkt individuell innerhalb gewissser, 
allerdings enger Grenzen schwankt, dass man ihn also nicht 
aphoristisch vorher festlegen darf, sondern ihn in jedem Fall 
erst experimentell bestimmen muss, wenn man feinere Unter¬ 
suchungen machen will. Zweitens aber ist hervorzuheben, dass 
ein anfangs indifferentes Bad aus mancherlei Gründen niemals 
für längere Zeit wirklich thermisch indifferent bleibt. Diese 
beiden Punkte sind bei Erörterung der Frage nach der spezifischen 
Wirkung des Kohlensäurebades von Bedeutung. 

Bäder unterhalb dieses Indifferenzpunktes bewirken nun 
unter normalen Verhältnissen eine Verengerung aller peripheren 
Strombabnen (Haut und Muskulatur) und damit eine Steigerung 
des arteriellen Druckes. Diese strebt der Organismus in 
Schranken zu halten, indem er die inneren Stromgebiete, nament¬ 
lich die des Darmes und des Gehirnes, relativ erweitert. Das 
Herzschlagvolumen nimmt dabei ab, desgleichen die Schlag- 
frequenz, das Minutenvolumen muss somit sinken. Alle diese 
Veränderungen fallen im allgemeinen um so stärker aus, je weiter 
sich die Temperatur des Bades nach abwärts vom Indifferenz¬ 
punkte entfernt. Wir haben hier eine ähnliche Umschaltung der 


Blutverteilung vor uns, wie sie sich bei angespannter Aufmerksam¬ 
keit, beim Erschrecken und bei geistiger Arbeit findet, und in 
der Tat haben ja auch Kaltapplikationen eher erregenden und 
ermunternden, als beruhigenden und einschläfernden Charakter. 
Dass sie trotz der Herabsetzung von Schlagvolumen und Schlag¬ 
frequenz vermehrte Anforderungen an das Herz stellen, dass sie 
zu den vorwiegend übenden Maassnahmen gehören, liegt nach 
dem Gesagten auf der Hand. 

Bäder oberhalb des Indifferenzpunktes bis herauf zu 38 und 
39° C bewirken umgekehrt eine Erweiterung aller peri¬ 
pheren Strombahnen (Haut und Muskulatur) und damit eine 
Senkung des arteriellen Druckes. Diese letztere strebt der 
Organismus wieder zu begrenzen, indem er vielfach die inneren 
Strombahnen, namentlich diejenigen des Darmes relativ verengt. 
Das Herzschlagvolumen nimmt dabei ganz leicht zu, desgleichen 
die Frequenz, und damit ist anzunehmen, dass auch das Minuten¬ 
volumen wächst. Während aber bei den mild-warmen Bädern 
die Erweiterung der peripheren Strombahn so stark ins Gewicht 
fällt, dass trotz leicht steigenden Minutenvolumens der Blutdruck 
noch sinkt, ändert sich das, sobald die Badetemperatur 39 bis 
40° C überschreitet. Bei diesen heissen Bädern wachsen 
Scblagvolumen und Schlagfrequenz so stark, dass trotz erweiterter 
peripherer Strombahn der Blutdruck wieder steigt. Uebertreibt 
man die Dinge, so kommt man schliesslich an einen Punkt, an 
dem das Herz versagt und der Druck collapsartig, sinkt. Bei 
Herzkranken liegt dieser Punkt tiefer als bei Gesunden und daher 
scheut man bei ihnen im allgemeinen auch die heissen Bäder 
jeder Art. 

Bei den mild warmen Bädern ergibt sich somit eine Um¬ 
schaltung der Blutverteilung, wie wir sie in der Ruhe, im Wohl¬ 
behagen und namentlich auch im Schlafe finden, und tatsächlich 
haben diese Maassnahmen ja auch einen beruhigenden und viel¬ 
fach einschläfernden Charakter. Diese Bäder stellen verminderte 
Anforderungen an das Herz, sie schonen es. 

Geben wir nun zu der Wirkungsweise medizinaler Bäder über. 
Ist es richtig, dass die Temperatur eine so ausschlaggebende 
Rolle spielt, so wird man die spezifische Wirkung der Medizinal¬ 
bäder am besten bei indifferenter Temperatur, d. h. also bei 84* C 
studieren. Am einfachsten liegen die Verhältnisse bei den hydro¬ 
elektrischen Bädern der verschiedensten Art, namentlich bei den 
Vierzellenbädern. Gleichgültig ob galvanische, faradische oder 
sinusoidale Ströme verwendet werden, in jedem Falle kommt es 
bei indifferenter Temperatur des Wassers nach den Untersuchungen 
von Steffens aus dem Freiburger physiologischen Institut und 
denen von Geissler und Veiel aus unserem Konzern zu einer 
Gefässverengerung in der Körperperipherie, zu einer Steigerung 
des Blutdruckes und zu einer Zunahme des Herzschlagvolumens. 
Es handelt sich um die gleichen Veränderungen, wie man 
sie im Tierversuch durch sensible Reizung erhält; nur darf diese 
sensible Reizung nie in Schmerz ausarten, wenn nicht andersartige 
KreislaufwirkuDgen eintreten sollen. Hier haben wir es also 
fraglos mit vermehrten Ansprüchen an das Herz, mit übenden 
Maassnahmen zu tun. Die Grösse der Gefässkontraktion, d. h. 
also des Widerstandes für das Herz kann dabei direkt durch die 
Stromstärke bestimmt werden, ausserdem ist man naturgemäss in 
der Lage, sie durch zunehmende Abkühlung des Bades noch weiter¬ 
hin zu modifizieren. 

Aehnliche Verhältnisse, wie bei den hydroelektrischen, spielen 
fraglos bei den gashaltigen, namentlich bei den für die Therapie 
der Kreislaufstörungen so hervorragend wichtigen kohlensäure- 
haltigen Solbädern eine beseutsame Rolle; nur liegen hier die Dinge 
insofern weitaus komplizierter, als neben dem thermischen Moment 
der Badetemperatur und dem mechanischen der sensiblen Reizung 
durch die Gasblasen noch chemische Einflüsse eine Rolle zu spielen 
scheinen. Hier ist noch manche Frage zu lösen, doch kann man 
heute über die Faktoren, welche den Kreislauf im kohlensauren 
Solbad bestimmen, kurz zusammen fassend etwa folgendes sagen: 

Die mächtigste Wirksamkeit entfaltet fraglos auch hier die 
absolute Temperatur des Bades, sofern sie eine differente 
ist. Die durch abweichende Temperaturen gesetzten Kreislauf¬ 
änderungen sind vielfach ähnliche, doch durchaus nicht genau 
konforme, wie bei den einfachen Wasserbädern gleicher Temperatur. 
Als spezifisch wirkendes Agens des Kohlensäurebades kommt nnn 
aber hinzu: erstens die physikalische Wirkung der Gasblasen, 
die den Körper wie ein schützender Mantel umgeben. Diesem 
relativ isolierenden Gasmantel wird es verdankt, dass sowohl 
küble, wie heisse Bäder bei Kohlensäurezusatz leichter und besser 
vertragen werden, wie gleich temperierte Wasserbäder. Zweitens 


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23. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1147 


kommt als ein weiterer, den Kohlensäurebädern spezifisch eigener 
Reiz, der sensible hinzu, der einmal mechanisch in Gestalt von 
Erregung der Tastempfindung durch den prickelnden Reiz der 
Gasblasen, zweitens aber auch chemisch, infolge Erregung der 
periphersten Nervenendigungen, durch das in die Haut eindringende 
Salz wirksam wird. Endlich wird nach den ausgezeichneten Ar¬ 
beiten von Winternitz in Halle Kohlensäure sowohl durch die 
Haut hindurch resorbiert, wie auch mit der Atmung aufgenommen, 
so dass sicher eine Kohlensäureanreicheruog des Blutes und damit 
eine Reizung des Atemcentrums zu vertieften Atemzügen in die 
Wege geleitet wird. Die Kohlensäure als solche scheint es auch 
zu sein, welche das subjektive Wärmegefühl der Haut auslöst, 
das sich nach den eingehenden Untersuchungen des älteren 
Fellner auch im kohlensauren Gasbad, d. b. also ohne den 
thermischen Kontrast Senator und Frankenhäuser’s ergibt, 
und das Goldscheider durch eine besondere Reizung der wärme¬ 
empfindenden Nerven erklärt. 

Ebenso wie über die Faktoren, welche die Wirkungsweise 
der kohlensauren Bäder bedingen, ist noch keine ganz restlose 
Klarheit über die spezifische Wirkung selbst erzielt. Sicher wissen 
wir, dass im kohlensäurehaltigen Solbad, auch wenn es kühle 
Temperatur bat, das Herzschlagvolumen steigt. Sicher wissen 
wir auch, dass bei differenten Temperaturen die vasomotorische 
Wirkung der Kohlensäurebäder derjenigen gleichtemperierten 
Wasserbädern nahe steht, ohne ihr doch völlig gleich zu sein. 
Streit besteht Uber die Wirkung der indifferent temperierten 
Bäder auf die Gefässe, d. h. also im letzten Sinne über die 
spezifische Vasomotorenwirkung des kohlensauren Salzbades. 

Beginnen wir mit den praktisch wichtigen Verhältnissen. 
Nimmt man als mittlere Temperatur eines therapeutisch gut wirk¬ 
samen Kohlensäurebades 31—32° C an, so lässt sich folgendes 
mit einiger Sicherheit sagen: Das Bad wirkt sowohl als Herz- 
wie als Vasomotorenmittel. Am Herzen wirken die frequenz- 
herabsetzenden Einflüsse der kühlen Temperatur und die frequenz¬ 
steigernden des Kohlensäure- und Salzgehaltes in der Weise gegen¬ 
einander, dass eine leichte Herabsetzung der Schlagfolge resultiert, 
die etwas weniger stark ausfällt wie beim einfachen Wasserbad 
gleicher Temperatur. Weiter wird teils durch die sensible Reizung 
der Haut, teils vielleicht auch durch die Wirkung der ins Blut 
übertretenden Kohlensäure das Herzscblagvolumen vermehrt, 
während es beim gleich warmen Wasserbade etwas vermindert 
ist. Wahrscheinlich steigt das Minutenvolumen leicht an. Durch 
die beträchtlich vertiefte Atmnng wird, entsprechend den Aus¬ 
führungen Wenckebach’s und anderer, der venöse Abstrom nach 
dem Thorax und nach dem Herzen wesentlich erleichtert und ge¬ 
fördert, was beim gleich temperierten Wasserbade ebenfalls nicht 
in dem Maasse der Fall ist. Man kann also sagen, dass die ge¬ 
samte Circulation in ihrem arteriellen wie in ihrem venösen An¬ 
teil beschleunigt wird, und dass damit Gelegenheit zum Ausgleich 
bestehender Stauungen gegeben ist, vorausgesetzt, dass die Herz¬ 
kraft hin reicht. 

Die Beschleunigung der Circulation greift nun Platz bei einer 
ebenfalls durch die kühle Temperatur und den sensiblen Haut¬ 
reiz bedingten Umschaltung der Blutverteilung. Die peripheren 
Arterien ziehen sich ähnlich wie im kühlen Wasserbade zusammen, 
die Gefässgebiete des Darmes und des Gehirnes erweitern sich 
kompensatorisch, der Blutdruck steigt an. So werden im Bade 
die weniger wichtigen äusseren Arteriengebiete, welche im wesent¬ 
lichen die Bewegungsorgane versorgen, in verengten Strombahnen 
weniger, die lebenswichtigen inneren Gefässgebiete aber in er¬ 
weiterten Bahnen unter gesteigertem Druck mehr arterielles Blut 
erhalten. Darauf und auf der Beförderung des venösen Abstromes 
aus stauenden Gebieten dürfte das oft beschriebene Gefühl sub¬ 
jektiver Erleichterung im Bade zurückzufübren sein. 

Gleichzeitig mit diesen reflektorisch ausgelösten Veränderungen 
am Herzen und den Arterien tritt dann auch die zur Hautrötung 
führende, durch den direkten Reiz von Salz und Kohlensäure be¬ 
dingte, capillare Hyperämie der Haut ein. Es muss mit aller 
Bestimmtheit von der Hand gewiesen werden, dass diese capillare 
Hyperämie im kühlen Kohlensäurebad eine absolute Entlastung 
des Herzens bedeute. Das Herz ist durch die eintretende Kon¬ 
traktion der kleinen Arterien stärker belastet, die Herzanstrengung 
wird grösser als vorher, wie die Steigerung des mittleren arteriellen 
Druckes deutlich genug zeigt. Diese Drucksteigernng ist nicht, 
wie Hirschfeld meint, durch die Vermehrung des Herzschlag¬ 
volumens oder durch Gefässkontraktion im Splanchnicus bedingt, 
denn im mild warmen Kohlensäurebad, wo diese beiden Momente 
deutlich hervortreten und zudem die Schlagfrequenz noch gesteigert 


ist, fehlt sie. Capillaren und Arterien verhalten sich also hier, 
wie in vielen anderen Fällen, gegensätzlich. Die Arterien sind auf 
reflektorischem Wege in der ganzen Körperperipherie, d. h. also 
auch an den ausserhalb des Bades befindlichen Teilen, tonisiert 
resp. kontrahiert. Das beweist, ganz abgesehen von der Plethysmo¬ 
graphie, die sehr geübt sein will und Anfänger leicht zu falschen 
Resultaten führt, die Abnahme der Pulsverspätung und die Zu¬ 
nahme der sekundären Elevationen der Pulskurve, wie eie sich 
nach Otto Frank nachweisen lassen. Die Capillaren sind er¬ 
weitert, und zwar durch direkte Reizung, denn dieses Phänomen 
zeigt sich nur an den untergetauchten Teilen des Körpers und 
schneidet haarscharf mit dem Wasserspiegel ab. 

Die kühlen Kohlensäurebäder stellen also eine Mehrforderung 
für das Herz, eine Uebung dar, weil sie einmal eine Steigerung 
des Herzschlagvolumens und zweitens eine mit Blutdrucksteigerung 
einhergehende Arterienkontraktion bedingen. Sie sind mithin sicher 
übende und nicht schonende Maassnahmen. Sie gleichen als Herz¬ 
mittel der Digitalis, Übertreffen diese aber als Vasomotoren mittel, 
und darum gibt man dekompensierten Herzkranken zunächst Digi¬ 
talis und lässt sie ruhen, dann erst, wenn das Herz sich bereits 
gebessert hat, setzt man sie ins Kohlensäurebad. Macht man es 
anders und setzt schwer dekompensierte Herzkranke direkt ins 
kühle Kohlensäurebad, so wird man sich durch Beobachtung von 
Steigerungen der Dekompensation, von Collapsen und Infarkten 
auf deduktivem Wege rasch und traurig überzeugen, dass die in¬ 
duktiv aufgebaute Anschauung die richtige war. 

Gibt man das gleiche Kohlensäurebad auf 36° erwärmt, so 
erhält man sehr abweichende Verhältnisse. Das Schlagvolumen 
erscheint zwar in ähnlicher Weise, ja noch etwas stärker ge¬ 
steigert wie im kühlen Bade, aber nicht bei verminderter, sondern 
bei vermehrter Frequenz. Die Atmung ist flacher, wie bei der 
tiefen Temperatur, und damit entfällt ein Teil der kräftigen Be¬ 
förderung des venösen Abstromes. Ganz in ihr Gegenteil verkehrt 
ist die Vasomotorenwirkung. Die äusseren Arterien erweitern sich 
beträchtlich, so dass trotz vergrösserten Minutenvolumens und 
leichter kompensatorischer Kontraktion der inneren Strombahnen 
der mittlere Blutdruck sinkt. Die Capillaren der Haut sind stark 
erweitert, verhalten sich also diesmal gleichsinnig wie die Arterien. 
Hier erhalten mithin die weniger lebenswichtigen äusseren Körper¬ 
teile in erweiterten Strombahnen mehr, die lebenswichtigen inneren 
in etwas verengten Gefässen weniger arterielles Blut. Dabei tritt 
eine Entlastung des Herzens insofern auf, als es im arteriellen 
System einen verminderten Widerstand findet. Um eine reine 
Schonung bandelt es sich freilich auch hier nicht, da Schlag¬ 
volumen und Schlagfrequenz noch gesteigert sind. 

In der Mitte zwischen diesen beiden Extremen, dem vorwiegend 
übenden kühlen und dem mehr schonenden warmen, steht das 
Kohlensäurebad indifferenter Temperatur. Seine Wirkung ist noch 
immer umstritten, weil eben die spezifische Gefässwirkung der 
Kohlensäure selbst noch nicht völlig geklärt erscheint. Sehen 
wir zunächst zu, was das Tierexperiment ergibt. Legt man eine 
kurarisierte Katze oder ein Kaninchen in ein Überfliessendes 
Wasserbad von ca. 34° C, in dem die Hydrostatik infolge der 
Ueberlaufvorrichtung stets unverändert bleibt, und misst man mit 
dem Herzonkometer das Scblagvolumen, mit dem Ludwig’schen 
Quecksilbermanometer den Blutdruck, so erhält man zunächst 
fortlaufend gleichmässige Werte, da das Bad eben für das Tier 
indifferent ist. Entwickelt man nunmehr aus Natrium bicarbonicum 
und Salzsäure Kohlensäure im Bade, so steigen, wie ich zusammen 
mit Finckh gezeigt habe, Herzschlagvolumen und Blutdruck, und 
zwar sowohl Mitteldruck wie Amplitude aisbad an. Aehnliches 
hat Bickel jüngst im Tierversuch gesehen. 

Diese im Tierversuch beobachtete Steigerung des Mitteldrucks 
und der Blutdruckamplitude ist dann von verschiedenen Autoren 
auch beim Menschen im indifferent temperierten Kohlensäurebade 
festgestellt worden. Senator und Schnütgen haben von ihr 
gesprochen, ich habe sie gesehen, und von In der Stroth und 
Dimitri Pletnew ist sie bestätigt worden. Munk sah ausser¬ 
dem noch in gleicher Weise wie wir ein Sinken des Plethysmo¬ 
gramms. Ein so ausgezeichneter und gewissenhafter Beobachter 
aber wie Strassburger gibt, freilich nur bezüglich des Mittel¬ 
drucks, das Gegenteil an und spricht deshalb von peripherer 
Gefäs8erweiterung im indifferenten Kohlensäurebad,V während wir 
eine Gefässkontraktion in der Peripherie angenommen hatten. 
Auf dem gleichen Standpunkt steht eine neuere Arbeit von 
Arthur Hirschfeld aus dem Zuntz’schen Laboratorium, die 
auf Grund allerdings durchaus unzutreffend angeordneter plethysmo¬ 
graphischer Kurven zu der Annahme kommt, dass sogar im 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 25. 


kühlen Kohlensäurebad eine Gefässerweiterung in der Peripherie 
eintritt, wovon angesichts der starken Dracksteigerung und der 
Resultate der optischen Sphygmographie, von denen diese Arbeit 
völlig schweigt, niemals ernsthaft die Rede sein kann 1 ). 

Ich habe nun inzwischen zur Frage der spezifischen Wirkung 
des indifferent temperierten Kohlensäurebades neuerdings grössere 
Versuchsreihen anstellen lassen, die noch nicht abgeschlossen 
sind. Immerhin lässt sich schon jetzt folgendes sagen: Während 
im kühlen Kohlensäurebade stets Blutsteigerung, Arterien¬ 
kontraktion, Vermehrung der sekundären Elevationen der Puls- 
kurve und Verringerung der Pulsyerspätungsgrösse auftreten, 
d. h. also alle Zeichen der TonisieruDg der Gefässwand gegeben 
sind, sieht man im indifferent temperierten Bade gelegentlich 
scheinbar auch das Gegenteil. Der Blutdruck sinkt, die sekundären 
Elevationen werden spärlicher, die Pulsyerspätungsgrösse nimmt 
zu. Wie diese von meinen früheren Resultaten abweichenden 
Befunde zu erklären sind, vermag ich zurzeit nicht zu sagen. 
Vielleicht spielt mangelhafte Auswahl des subjektiven Indifferenz¬ 
punktes eine Rolle, vielleicht kommt auch die Verschiedenheit 
des Gehalts an freier und gebundener Kohlensäure in Betracht. 
Ein Punkt, auf den GrÖdel I in seinem ausgezeichneten Referat 
hingewiesen hat, und der dann allerdings eine besondere Stellung 
der natürlichen Kohlensäurebäder gegenüber den künstlichen 
statuieren würde. 

Wie diese Streitfrage nun aber auch ausgehen mag, prinzipiell 
kann sie vielleicht wichtig erscheinen, praktisch ist sie ohne 
wesentliche Bedeutung. Ein indifferent temperiertes Kohlensäure- 


1) Bezüglich der Arbeit Arthur Hirschfeld’s, die auf Grund 
einer jungen Erfahrung und gestützt auf 20 Kurven den vielen Hunderten 
unserer Versuche entgegentritt, sei noch auf folgende Punkte hin¬ 
gewiesen: 1. Hirschfeld schreibt, aus meiner Darstellung ginge wohl 
mit Sicherheit hervor, dass ich der Kohlensäure keine spezifische 
Wirkung zuschriebe. Er hat also die 25 Seiten meiner zusammen¬ 
fassenden Darstellung, die sich mit der spezifischen Wirkung der Kohlen¬ 
säure befassen, nicht gelesen oder nicht verstanden. 2. Er bildet 
Kurven von kühlen Wasserbädera ab, in denen nach Kohlensäure¬ 
entwicklung das Plethysmogramm erst sinkt, dann aber steigt, und 
vergisst ganz, dass mit dem Einsteigen in ein solches kühles Bad eine 
enorme Gefässkontraktion auf tritt, die sich in seiner Kurve gar nicht 
ausspreohen kann, weil ihr der Anfang fehlt. Was er feststellt, ist also 
nur ein relatives Ansteigen, das nicht annähernd die Höhe erreicht, die 
der Kurve vor dem Bade eigen gewesen sein muss, und die man nach- 
weisen kann, wenn man sich die Mühe nimmt, diesen Normalzustand, 
um den sich ja alles dreht, und auf den man die ganze Kurve über¬ 
haupt erst beziehen kann, zu verzeichnen. Die Methode, einen Menschen 
in ein kühles Bad zu setzen, nun nach erfolgter Gefässkontraktion den 
Plethysmographen anzulegen und jetzt endlich im Tiefstand der Kurve 
Kohlensäure zu entwickeln, habe ich durch Weiland vor 8 Jahren 
üben lassen und dann wegen ihrer offensichtlichen Unbrauchbarkeit auf¬ 
gegeben. Auch im einfachen Wasserbad kühler Temperatur sieht man 
nach der anfänglichen starken Senkung der Kurve wieder ein relatives — 
aber ein relatives — Ansteigen eintreten (vergleiche die Tafel II in 
Teil I meiner zusammen fassen den Darstellung in Volkmann’s Beiträgen). 
Dieses Ansteigen beweist somit nichts für die Kohlensäurewirkung als 
solche. Es ist sowohl in Kurven von einfachen Wasserbädern wie auch 
in solchen von Kohlensäurebädern gleicher Temperatur sichtbar, wenn 
man imstande ist, deren Verlauf schon vor dem Beginn des Bades dar¬ 
zustellen. 3. Hirschfeld hat sehr differente Resultate, bald steigen 
seine Kurven relativ, bald sinken sie. Wenn sie sinken, meint er, das 
Wasser habe sich im Plethysmographen abgekühlt. 4. Er schweigt sich 
über die, meine Ansicht völlig bestätigenden, der seinigen entgegen¬ 
stehenden Resultate der optischen Sphygmographie, die in der von ihm 
kritisierten Arbeit breit abgehandelt sind, völlig aus. 5. Er meint die 
Blutdrucksteigerung, die auch er im kühlen Kohlensäurebad anerkennt, 
teils durch vermehrte Herzarbeit, teils durch Kontraktion im Splancbnicus- 
gebiet erklären zu müssen. Dabei vergisst er, dass im mildwarmen 
Kohlensäurebade die Herzarbeit viel stärker vermehrt ist, denn einmal 
wirkt die Wärme steigernd auf das Schlagvolumen und zweitens auch 
aul die Frequenz, und dass trotzdem hier der Blutdruck unbestritten 
sinkt Ausserdem übersieht er, dass im kühlen Kohlensäurebade tat¬ 
sächlich keine Kontraktion, sondern eine Dilatation der Splanchnicus- 
gefässe nachgewiesen ist, und dass im warmen Kohlensäurebade, in dem 
der Druck sinkt, eine Kontraktion der Bauchgefässe auftritt. Die Blut¬ 
drucksteigerung, die im kühlen Kohlensäurebade einsetzt, ist mithin 
nicht anders als durch die Annahme peripherer Arterienkontraktion zu 
erklären, eine Annahme, die im Sinken richtig angeordneter Plethysmo¬ 
gramme, im Auftreten vermehrter sekundärer Elevationen der optischen 
Pulskurve und der Verkleinerung der Pulsverspätungsgrösse beweisende 
Stützen findet. Ich würde mir nicht die Mühe genommen haben, alle 
diese Irrtümer zu erörtern, wenn nicht aus der Annahme peripherer 
Gefässerweiterung im kühlen Kohlensäurebade und der meist auf diese 
Annahme gestützten Theorie der Herzsohonung praktisches Unheil er¬ 
wachsen könnte. 


bad hat hauptsächlich eine Herzwirkung, eine starke Arterien- 
Wirkung ist ihm in keinem Fall eigen, sei es nan, dass die 
peripheren Gefässe leicht gespannt, sei es, dass sie leicht ent¬ 
spannt werden, sei es auch, dass bald das eine, bald das andere 
der Fall ist, wie es den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen 
dürfte. Eine Arterienwirkung bekommt das Bad, sobald man die 
Temperatur different gestaltet, und zwar ist diese Vasomotoren¬ 
wirkung eine tonisierende, wenn die Temperatur sinkt, eine er¬ 
schlaffende, wenn sie steigt, daran lässt sich nicht rücken und 
rühren. 

Mit dem, was hier theoretisch entwickelt ist, stimmen ja 
nun, wenn wir endlich zur Praxis zurückkehren, die ärztlichen 
Erfahrungen durchaus überein. Theorie und Praxis gehen hier 
wirklich Hand in Hand. Nachdem durch das nie zu vergessende 
Verdienst von Jakob in Cudowa und Benecke und August 
Schott in Nauheim, die kohlensäurebaltigen Bäder in die Herz- 
therapie eingefübrt waren, bildete sich die rein empirische Indi¬ 
kationsstellung dahin aus, dass man schwer Herzkranke den 
Bädern nicht zuführen solle. August Schott sprach damals 
schon das Wort von der Turnstunde des Herzens, das den zahl¬ 
reichen Möglichkeiten, nach denen man durch Modifikation der 
Temperatur einerseits und des Salz- und Kohlensäuregehaltes 
andererseits die Anforderungen an das Herz variieren kann, aus¬ 
gezeichnet entspricht. 

Dementsprechend ist schon von jeher empfohlen und wird 
auch bis in die neueste Zeit von den erfahrensten Aerzten, wie 
z. B. von Romberg oder Groedel I angeraten, man solle bei 
nennenswerten Schädigungen des Herzens zunächst einmal mit 
einem einfachen Wasserbade von ca. 84° C beginnen. Die prak¬ 
tische Wirksamkeit dieses Rates erklärt sich physiologisch darin, 
dass ein solches Bad als Herz- und Vasomotorenmittel, abgesehen 
von seinem Beginn, nahezu indifferent, im weiteren Verlauf sogar 
leicht schonend ist. 

Weiter solle man dann, so wird geraten, mit allmählich 
steigendem Salz- und Kohlensäuregehalt fortfahren. Physiologisch 
betrachtet, erhält man mit dieser Maassnabme eine leicht an¬ 
regende Wirkung auf das Herz in Gestalt einer Vergrösserung des 
Schlagvolnmens und einer Vermehrung der Schlagfreqoenz. 

Dann soll man mit der Temperatur halbgradweis herunter¬ 
gehen. Damit ergibt sich für den Physiologen eine langsam 
steigende Vasomotoren Wirkung, die nun die eigentliche Turnstunde, 
die systematisch ausgebaute Mehrforderung an das Herz in die 
Wege leitet. 

Schliesslich wird geraten, man solle mit der Temperatur im 
allgemeinen nie unter 28° C in minimo herabgehen. Das versteht 
sich vom theoretischen Standpunkte aus sehr wohl, denn die 
starke Gefässkontraktion, welche bei dieser kühlen Temperatur 
erreicht wird, stellt das Maximum dessen dar, was man in 
der therapeutischen Turnstunde vom Herzen noch mit Nutzen 
fordern darf. 

Desgleichen bat es nach Groedel keinen Sinn, über 36° C 
mit der Temperatur heraufzugehen. Auch das ist physiologisch 
gut erklärlich, denn eine Gefässerweiterung und Blutdrucksenkung, 
eine Verminderung der äusseren Ansprüche an das Herz tritt in 
der Regel schon bei 85° ein, und die bei höheren Temperaturen 
einsetzende stärkere Vermehrung von Schlagvolumen und Scblag- 
frequenz lassen den bei der Wahl einer hohen Temperatur ge¬ 
wünschten Schonungseffekt wieder zweifelhaft werden. 

Welche Gruppen von Herzkrankheiten kommen nun für die 
Badebehandlung in Betracht, für die Badebehandlung, deren Wesen 
es ist, einmal durch den reflektorischen Reiz der Kohlensäure ein 
mild anregendes Herzmittel zu applizieren, und zweitens über dem 
schützenden Gasmantel jede gewünschte Temperatur als schonendes 
oder übendes Vasomotorenmittel anzuwenden, ohne dass der 
Patient dadurch belästigt und seine Kraft in Gestalt allzu grosser 
Wärmeabgabe oder -Aufnahme konsumiert wird? Auf diese Frage 
muss heute, nachdem eine längere Entwicklung hinreichende Er¬ 
fahrung gebracht hat, geantwortet werden: Bestimmte Gruppen 
von Herzkrankheiten, die mehr als andere geeignet erscheinen, 
lassen sich für die Badebehandlung überhaupt nicht aussondern. 
Es geht hier gerade wie bei der Digitalis. Jedes Herz, gleich¬ 
gültig ob endocarditisch oder myocarditisch erkrankt, das in seiner 
Funktionstüchtigkeit geschädigt ist, kann für Digitalis- und für 
Bäderbehandlung in Betracht kommen. Auch die Arteriosklerose 
ist für sich allein noch kein Grund weder gegen eine vorsichtige 
Digitalisierung, noch gegen eine entsprechende Bäderbehandlung. 
Es wird sich demgemäss empfehlen, weniger die Indikationen 


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23. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1149 


herausznarbeiten, die sehr allgemeine sind, als vielmehr die Kontra¬ 
indikationen scharf hervorzuheben. 

Die Bäder sind kontraindiziert erstens bei allen schweren 
Graden von Kreislaufstörungen jeglicher Provenienz, bei denen 
der Kranke anch in der Ruhe dyspnoisch ist, und bei denen 
höhere Grade von Oedemen und Ergüssen in die Körperhöhlen 
bestehen. Die Bäderbehandlung solcher Kranken schadet ihnen 
selbst und der guten Sache, sie bringt den gewählten Kurort in 
Misskredit und setzt den dort ansässigen Spezialarzt in Verlegen¬ 
heit. Zweitens sind die Bäder kontraindiziert bei schwerer 
organischer Angina pectoris und stärkerem Asthma cardiale. 
Gutachten, die ich nach entsprechenden Unglücksfällen gelegent¬ 
lich von der Staatsanwaltschaft zugesandt bekomme, überzeugen 
mich besonders von der Dringlichkeit dieser Kontraindikation. 
Bei diesen schweren organischen Herzzufällen besteht immer Vita 
minima, und wo diese besteht, ist Vorsicht mit eingreifenden 
Kuren nach mehr als einer Hinsicht ganz besonders am Platz. 
Drittens soll nicht gebadet werden bei allen Zuständen, die zu 
Embolien und Blutungen führen können. Ich habe erst vor 
kurzem eine Patientin nach dem Gebrauch von Kohlensäure¬ 
bädern unter den Zeichen des Lungeninfarktes zugrunde gehen 
sehen. Aueh grössere Aneurysmen würde ich niemals baden 
lassen. Hierher gehört auch die Vorsicht, Menschen mit dauernd 
stark erhöhtem Blutdruck, etwa von 180—190 mg Hg an, von 
der Badebehandiung, ganz besonders aber von einer solchen mit 
kühlen Bädern auszuschHessen. Viertens endlich sind schwere 
körperliche Schwäche und Hinfälligkeit aktive, zur Progression 
neigende Lungentuberkulose, lebhafte nervöse Reizbarkeit im 
Sinne hochgradiger neurasthenischer oder hysterischer Syndrome 
Gründe gegen eine Badekur. 

Wie die Kur sich im einzelnen gestalten soll, möchte ich 
hier nicht näher ausführen, das ist eine ganz besondere Technik, 
die wie jede ärztliche Betätigung genau gelernt und erprobt sein 
will. Weil dem aber so ist, geht es selbstverständlich auch 
nicht an, dass die Patienten auf eigene Paust die Badebehandlung 
wählen und sie ohne fortlaufende ärztliche Kontrolle durchführen, 
wie das oft genug geschieht. Man trifft noch immer vielfach die 
Vorstellung, Bäder seien an sich etwas Natürliches und Gesundes, 
darum könnte man sie sich im Gegensatz zu Arzneimitteln selbst 


verordnen und sie nach eigenem Ermessen gebrauchen. Nichts 
ist törichter und gefährlicher. Namentlich die so häufig ohne 
Unterbrechung der Berufstätigkeit gebrauchten ärztlich unbeauf¬ 
sichtigten Hauskuren mit künstlichen Kohlensäurebädern richten 
viel Unheil an. 

Soll die Badekur zu Hause mit künstlichem Material durch¬ 
geführt werden, so sind über die ganze Dauer der Kur Ruhe und 
sachkundige ärztliche Aufsicht unabweisbare Forderungen für die 
Sicherheit des Kranken. Weitaus besser aber ist die Wahl eines 
entsprechenden Kurortes und eines erfahrenen dort ansässigen 
Arztes. Dass unter den Kurorten diejenigen obenan stehen, die 
Quellen mit natürlicher passender Wärme und natürlich abge¬ 
stuftem Salz- und Kohlensäuregebalt gleichsam fertig zur Ver¬ 
fügung haben, liegt auf der Hand. 

Schliesslich noch ein kurzes Wort über die Sauerstoff- und 
Luftperlbäder. Sie wirken ähnlich, aber nicht so kräftig, wie die 
Kohlensäurebäder. Dabei fehlt ihnen die Hautrötung und die 
Vertiefung der Atmung durch die Kohlensäureresorption. Ob 
diese Mängel durch die Inhalation von Sauerstoff, die im Bade 
stattfindet, in bezug auf den Nutzen der Gesamtwirkung aus¬ 
geglichen werden, ist durchaus fraglich. In der Balneotherapie 
der Kreislaufstörungen spielen sie mehr als milde Uebergänge 
zwischen einfachen Wasserbädern und solchen mit Kohlensäure- 
und Salzgehalt bei difficilen Fällen eine Rolle. Ihr Haupt¬ 
anwendungsgebiet scheint mir ausserhalb der Kreislaufkrankheiten 
zu liegen, denn auch von ihrer Ueberlegenheit bei arterio¬ 
sklerotischen Zuständen bin ich ebensowenig überzeugt wie 
Groedel. 

Ich bin am Schluss. Mir lag daran, zu zeigen, welch aus¬ 
schlaggebende Bedeutung einer richtigen Verbindung von Theorie 
und Praxis gerade auf unserem speziellen Gebiet zukommt. Die 
Theorie gibt dem Praktiker die Sicherheit des Handelns, den 
Nachdruck und die Durchschlagskraft wissenschaftlicher Denk¬ 
weise. Die Praxis gibt dem Theoretiker einen grossen Teil seiner 
Aufgaben und die unbedingt notwendige Fühlung mit dem grossen 
Ganzen der Medizin. Darum müssen wir Aerzte, wenn wir 
Theoretiker sind, immer auf die Praxis schauen, und wenn wir 
Praktiker sind, immer auf die Theorie. Möchte unser Kongress 
dazu beitragen, dass dieses Ziel beiderseits gefördert werde. 


Aus dem chemisch-biolog. Laboratorium der IV. Ab¬ 
teilung des St. ßochus-Spitales der Haupt- und Residenz¬ 
stadt Budapest. (Oberarzt: Prof. Stephan v. Töth). 

Ueber weitere Erfahrungen mit der serologi¬ 
schen Schwangerschaftsdiagnostik. 

Von 

Engen Rosenthal. 

Im Anschluss an eine Arbeit über die antiproteolytische Wir¬ 
kung des Blutserums 1 ) hatte ich vor zwei Jahren Gelegenheit, 
eine Methode vorzuscblagen, welche es bei Beachtung gewisser 
Kautelen ermöglicht, die Schwangerschaft durch die Untersuchung 
des Blutserums festzustellen 2 ). Die Methode beruht bekanntlich 
auf der erhöhten antiproteolytischen Wirkung des Blutserums, 
welche während der Schwangerschaft zufolge des gesteigerten Ei¬ 
weissumsatzes besteht und durch die wesentlich erhöhte Hem¬ 
mung der Kaseinverdauung durch Trypsin leicht nachgewiesen 
werden kann. Auf technische Details möchte ich hier nicht ein- 
gehen: dieselben sind in einem der oben angeführten Aufsätze 
(Zeitschr. f. klin. Med.) ausführlich besprochen 3 ); an dieser Stelle 
möchte ich nur kurz bemerken, dass die Technik recht einfach 
und leicht ist, und dass sie bei genauem Arbeiten sehr exakte 
Resultate liefert. 

Ein positiver Ausfall einer Antitrypsinreaktion stellt im Sinne 
meiner erwähnten Versuche im Wesen nichts anderes vor als 
einen Index für einen erhöhten Eiweissumsatz. Da ein solcher 
während der Schwangerschaft vorhanden ist, kann aus einer 
positiven oder negativen Antitrypsinreaktion auf einen normalen 
oder erhöhten Eiweissstoffwechsel und schliesslich auf einen Be¬ 


1) E. Rosenthal, Folia serologica, 1910, Bd. 6, H. 3. 

2) E. Rosenthal, Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 72, H. 5 u. 6. 

3) Zum Kontrollversuch eignet sich auch frisches Meersohweinchen- 
serum (Komplementserum), welches in jedem Laboratorium zur Hand sein 
dürfte. 


stand oder Nichtbestand einer Schwangerschaft geschlossen werden. 
Es liegt also in der Natur der Reaktion, dass sie kein spezifisches 
Zeichen seiner Gravidität vorstellt, sondern nur durch jene Ver¬ 
änderungen des Eiweissstoffwechsels entsteht, welche auch als Be¬ 
gleiterscheinungen der Schwangerschaft stets vorhanden sind. Bei 
Nephritis, Basedowscher Krankheit, Fieber und Garcinom kann auch 
eine stärkere Hemmung des Serums vorhanden sein, woraus folgt, 
dass, wenn die Frage der Schwangerschaft bei Individuen in Betracht 
kommt, die an Nephritis, Basedowscher Krankheit oder Krebs 
leiden, dieselbe auf Grund der Antitrypsinreaktion nur im Falle 
einer negativen Reaktion entschieden werden kann. Ist die Re¬ 
aktion positiv, muss Nephritis stets durch die Untersuchung des 
Urins, Basedow’sche Krankheit und Krebs durch Betrachtung und 
Heranziehen der für diese Krankheitsbilder charakteristischen 
Symptome ausgeschlossen werden, was wohl in den allermeisten 
Fällen unschwer geschehen kann. Dies theoretisch festzulegen 
ist zunächst nötig, aber die praktische Verwertung und Verwendung 
der Reaktion wird durch dieselbe kaum, oder nur in einem ver¬ 
schwindend kleinen Bruchteil der Fälle beeinflusst, da wir z. B. 
bei etwa 332 untersuchten Fällen nur 9 aus diesen Ursachen 
(positive Reaktion bei den erwähnten Zuständen) als zur Unter¬ 
suchung ungeeignet ausschalten mussten; Basedow’sche Krankheit 
mit fraglicher Gratfdität haben wir an unserer Abteilung sogar 
kein einziges Mal begegnet. 

Während der zwei Jahre, welche seit der Veröffentlichung 
der vorerwähnten Methode verflossen, hatte ich reichlich Gelegen¬ 
heit, dieselbe in sehr zahlreichen Fällen an unserer Abteilung, 
sowie an der Klinik des Herrn Hofrats Tau ff er anzuwenden. 

Aus der Reihe der untersuchten Fälle möchte ich diesmal 
nur jene hervorheben, welche'dadurch ein besonderes Interesse 
haben, dass bei ihnen die Frage der Schwangerschaft nicht durch 
die gebräuchlichen klinischen Zeichen, wohl aber durch die Be¬ 
stimmung der antitryptischen Wirkung des Blutserums entschieden, 
und in die richtige Bahn gelenkt werden konnte. 

Ein Fall bezieht sich auf eine Patientin des Herrn Dr. A. Brösz, 
welche seit 9 Jahren verheiratet und noch nicht gravid war; in den Ge- 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 25. 


nitalien der Kranken gingen entzündliche Prozesse voraus, wonach ihr 
von ärztlicher Seite seinerzeit mitgeteilt wurde, dass sie nie gravid 
werden kann. Die Menstruation trat zuletzt Mitte November 1911 
auf und blieb im Dezember und Januar aus. Der genitale Be¬ 
fund (Dr. Brösz und nachher Prof. v. T<5th) war am 31. Januar 
negativ, die Antitrypsinbestimmung war positiv und ergab einen Titer 
von 0,9*). Durch die bekannten klinischen Methoden konnte in diesem 
Fall nur 2 Wochen später (am 14. II.) festgestellt werden: dass in diesem 
Fall der erhöhte antitryptisehe Titer eine bestehende Schwangerschaft 
richtig zeigte, beweist der Umstand, dass bei der Patientin später (im 
5. Monat) ein Abort eintrat. 

Zufolge einer Aufforderung des Herrn Prof. v. Töth, untersuchte ich 
Blut der Frau Dr. F., welche ihre letzte Menstruation 4 Monate vor der 
Untersuchung hatte: in bezug auf das Bestehen der Gravidität wurde sie 
zuerst vom inzwischen verstorbenen Prof. Dimer untersucht, welcher eine 
Schwangerschaft nicht nachweisen konnte. Nicht viel später fand bei ihr 
Prof. Schauta Zeichen der Gravidität, da sich indessen die Patientin 
zwischen diesem positiven und dem ersten negativen Befand nicht auskannte, 
wandte sie sich an Prof. v. Töth, der die Untersuchung des Blutes an¬ 
ordnete; die Reaktion war positiv, die Hemmung war gleich 1,0, der 
spätere Verlauf zeigte die Richtigkeit der Serumreaktion. 

Am 12. III. 1912 wurde bei Frau J. L., Kaufmannsgattin, eine Blut¬ 
untersuchung vorgenommen; letzte Menstruation am 25. I., anfangs März 
ist die vaginale Untersuchung negativ; am 12. III. beträgt die Hemmung 
0,9 (positive Reaktion) und am 24. III. tritt Abortus ein. 

Bei einer 37jähr. Frau W., welche ihre Menstruation am 24. XII. 
1911 hatte, konnte am 16. III. 1912 an der Tauffer’schen Klinik nicht 
festgostellt werden, ob bei ihr Myom -J- Gravidität, oder nur Myom allein 
besteht; seit dem 8. II. hatte die Patientin Blutung. Die Serumunter¬ 
suchung, welche positiv ausfiel (1,0) wurde durch den weiteren Verlauf 
des Falles bestätigt. 

Am 16. III. 1912 kam das Blutserum der Frau H. K. zur Unter¬ 
suchung, die ihre letzte Periode am 19. XII. des Vorjahres hatte. Am 
27. II. wurde sie an der Tauffer’schen Klinik untersucht, es konnte 
aber die Frage der Gravidität in keiner Richtung entschieden werden. 
Am 17. HI. betrug die Hemmung 1,0; diese positive Reaktion war durch 
eine normal verlaufende Schwangerschaft und Geburt gefolgt. 

Ein Fall bezieht sich auf die Patientin K. W. des Herrn Dozenten 
E. Scipiades, welche seit 10 Monaten verheiratet ist, und seit sieben 
Wochen keine Menstruation hatte: bei einem negativen genitalen Befund 
zeigte sich die Reaktion positiv (0,9) und in einigen Wochen konnten 
an der Patientin auch die bekannten Zeichen der Gravidität nach¬ 
gewiesen werden. 

In weiteren 4 Fällen des Herrn Dozenten Scipiades konnte bei einem 
negativen Ergebnis der genitalen Untersuchung, das Bestehen 
oder Nichtbestehen der Gravidität durch die Serumreaktion stets richtig 
bestimmt werden; nähere Angaben stehen uns von diesen leider nicht 
zur Verfügung, nur von einer Patientin steht fest, dass die Untersuchung 
am 5. Tage nach dem Ausbleiben der Menstruation vorgenommen wurde. 

Im September des vorigen Jahres beobachten wir an unserer Ab¬ 
teilung eine Patientin, welche einen Uterus fibromatosu3 hatte: in der 
Anamnese kamen indessen einzelne Momente vor, welche den Fall einer 
Gravidität verdächtig erscheinen liessen, obzwar der objektive Befund 
(Dr. Brösz) in dieser Richtung negativ war; die vorgenommene Anti¬ 
trypsinreaktion war positiv (1,0) und etwa eine Woche später trat bei 
der Frau der Abort ein. 

Am 15. IV. 1912 wird Frau S. N. auf unsere Abteilung aufge¬ 
nommen ; ihre Periode war nicht ausgeblieben, sie bekam einen plötzlichen 
Anfall im Unterbauch, wobei gleichzeitig eine Blutung einsetzte. Die 
objektive Untersuchung gibt über die Frage einer etwaigen Extrauterin¬ 
gravidität keinen Aufschluss, die Autitrypsinreaktion ist positiv (0,9). 
Der nachfolgende operative Eingriff bestätigt das Bestehen der extra¬ 
uterinen Schwangerschaft. Diesen Fall demonstrierte Herr Prof, 
v. Töth auch am vorjährigen Fortbildungskurs im Rochus-Spital. 

Ein weiterer Fall bezieht sich auf Frau K. S., die erst etwa vor 
einer Woche das Stillen ihres Kindes aufgab. Die Patientin hatte seit 
der Geburt keine Menstruation und sucht unsere Abteilung wegen eines 
Prolapses auf. Bei der objektiven Untersuchung gab Herr Prof. v. Töth 
seinem Verdacht Ausdruck, ob Patientin nicht gravid sei, obzwar dies 
durchaus nicht bestimmt behauptet werden konnte. Die ausgeführte 
Antitrypsinreaktion war positiv (1,0), und einige Zeit später konnte be¬ 
reits ein Befund erhoben werden, der etwa einer Schwangerschaft vom 
8. Monat entsprach. Dieser Fall ist deshalb besonders erwähnenswert, 
da hier das Verhalten der Menstruation, sowie die Sekretion der Brüste 
bei der Entscheidung der Graviditätsfrage ausgeschaltet werden mussten 
und ein operativer Eingriff (zur Heilung des Prolapses) leicht einen 
Abort provoziert hätte. 

Wie wertvoll auch ein negativer Ausfall der Reaktion sein 
kann, beweisen folgende zwei Fälle. 

Frau B. G. hatte ihre letzte Menstruation am 17.1. 1912; am 18. UI. 
war der genitale Befund negativ, da aber der Fall einer Gravidität 


1) Alle hier angegebenen Werte der sogenannten Antitrypsinwirkung 
beziehen sich auf ein Trypsin-Caseinsystem (ohne Serum) mit einer 
komplett lösenden Dosis von 0,2; war dieser Wert höher, so ist die 
betreffende Titerzahl der leichteren Uebersicht halber entsprechend um¬ 
gerechnet. 


wegen des Ausbleibens der Periode dennoch verdächtig blieb, wurde 
eine Blutuntersuchung vorgenommen, welche negativ ausfiel und 0,6 be¬ 
trug. Am 20. III., also zwei Tage später trat eine normale Menstruation 
ein, welche dann wieder regelmässig auftrat; wir beobachteten die Frau 
weiter, sie war nicht gravid. 

Bei Frau A. A. blieb die Menstruation 10 Tage aus; eine vaginale 
Untersuchung erfolgte bei ihr nicht, die Hemmungskraft des Blutserums, 
war normal (0,6), die Frau bekam nach 6 Tagen die Menstruation; auch 
diesen Fall beobachteten wir monatelang, wobei ihre Perioden regel¬ 
mässig ein trat. 

Wollten wir auch jene zahlreichen Fälle anführen, wo in 
einem bestimmten Zeitpunkt das Ergebnis der genitalen Unter¬ 
suchung mit dem Resultat der Blutuntersuchung übereinstimmte, 
welche aber im Endeffekt dennoch zeigen, dass die serologische 
Untersuchung des Blutes den Tatsachen entsprechende Resultate 
liefert, so konnten wir noch eine lange Reihe von Fällen an¬ 
führen. Namentlich liegen 27 Befunde über Extrauteringravidi¬ 
täten vor, wo der bestehenden Schwangerschaft entsprechend 
eine erhöhte Hemmung zu beobachten war: In diesen Fällen 
waren indessen auch die klinischen Zeichen in einem Teil der 
Fälle derart ausgeprägt, dass die Diagnose auch ohne die Blut¬ 
untersuchung beinahe sicher gewesen wäre. Diese Fälle zeigen 
nur, dass in jenen frühen Monaten, in welchen eine extrauterine 
Schwangerschaft in unsere Hände kommt, bereits eine erhöhte 
Hemmung des Blutserums in der Tat vorhanden ist, was indessen 
nicht von neuem bewiesen werden muss, da dies bereits aus 
früheren Untersuchungen bekannt ist: aus diesem Grunde glauben 
wir von einer eingehenden Besprechung dieser Fälle absehen 
zu dürfen. 

Ich mochte aber nicht unterlassen, einen Fall zu erwähnen, 
wo die Reaktion bei einer bestehenden Schwangerschaft negativ 
ausfiel: 

Derselbe bezieht sich auf einen Fall des Herrn Dr. L. Szegväri 
Die Patientin hatte vor 5 Monaten eine Geburt, ihre Menstruation batte 
sie einmal, und zwar 4 Wochen vor der Untersuchung und bekam 
sie nicht wieder; obzwar die Patientin zurzeit der Untersuchung gravid 
war — wie dies der Verlaut zeigte — war die Reaktion negativ (0,6). 
Während der letzten 2 Jahre war dies (unter mehr als 300 Fällen) der 
zweite Fall, wo die Reaktion nicht das richtige Resultat angab; der erste 
Fall, wo die Reaktion versagte, ist in meiner ersten Mitteilung besprochen. 

Unzutreffende Ergebnisse kommen übrigens so vereinzelt 
nicht nur bei serologischen Methoden vor, sondern man kann ihnen 
auch bei den bewährtesten diagnostischen Verfahren begegnen. 
Wenn man die bei der Beurteilung der Reaktion weiter oben 
nur kurz berührten, in der diesbezüglichen ersten Mitteilung 
näher besprochenen Kautelen nicht ausser acht lässt, so beträgt 
dieser Fehler bei unserer Methode etwa 0,6 pCt., eine Zahl, 
welche die praktische Brauchbarkeit des Verfahrens am besten 
demonstriert. 

Inzwischen beschäftigten sich mit meiner Methode R. Franz 
und J arisch 1 ); diese Autoren fanden zunächst, ebenso wie 
H. Pfeiffer und Jarisch 2 ) die gute Verwendbarkeit, der von 
mir angewandten Technik der Antitrypsinbestimmung, konnten 
ferner die von mir gemachten Angaben bezüglich der Brauch¬ 
barkeit des Verfahrens in jeder Richtung bestätigen und be¬ 
trachten die Methode namentlich für praktische Zwecke 
als ganz besonders geeignet. 

Wir sehen somit, dass in der Antitrypsinbestimmung de« 
Blutserums uns ein recht einfaches und verlässliches Mittel sur 
Serumdiagnose der Schwangerschaft zur Verfügung steht, welches 
sich bei R. Franz und Jarisch ebenso bewährte, wie in den 
von uns untersuchten weiteren Fällen, wo die Diagnose namentlich 
ohne Heranziehen der serologischen Methode recht zweifelhaft 
oder zumindest unsicher gewesen wäre. Da auch die Technik 
des Verfahrens ganz unkompliziert und leicht ausführbar ist, kann 
die Methode von jedermann ohne Schwierigkeiten erlernt und 
ausgeführt werden. 

In einer Versuchsreihe über die antiproteolytische Wirkung 
des Blutserums konnte S. A. Gammeltoft an der geburtshilflichen 
Klinik in Kopenhagen meine Angaben bestätigen, da er keine 
Frau mit sicherer Schwangerschaft finden konnte, wo 
nicht auch eine deutlich erhöhte Hemmung des Blut¬ 
serums vorhanden gewesen wäre. Und dies ist eigentlich 
das Wesentliche, worum es sich handelt, denn hierdurch ist die 
Möglichkeit der Schwangerschaftsdiagnose bei sonst gesunden 


Ci 1) R. Franz und Jarisoh, Wiener klin. Wochen sehr.. 1912 
Nr. 89. 

2) H. Pfeiffer und Jarisch,^'Zeitscbr. f. Immunitätsforsch, Bd. 15. 


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28. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1151 


Individuen gegeben, da es doch allgemein bekannt ist, dass dem 
Serum von normalen, d. i. gesunden, nicht graviden Individuen 
eine entsprechend geringere, aber konstante Hemmungskraft zu¬ 
kommt. (Siehe auch insbesondere bei H. Pfeiffer und dessen 
Mitarbeiter, 1. c.) Wird also in einem bestimmten Zeitpunkt das 
Serum einer gesunden, nicht graviden Frau auf die sogenannte 
antitryptische Wirkung untersucht so erhält man einen normalen 
Wert, *• B. 0,6. Wird nun die Frau schwanger und ihr Serum 
in einem späteren Zeitpunkt wieder untersucht, so erhält man 
mit voller Sicherheit einen höheren Wert als 0,6 — dies ist die 
Regel, von welcher Ausnahmen ganz selten und vereinzelt Vor¬ 
kommen (siehe weiter oben) — und zeigt bei dieseT sonst ge¬ 
sunden Frau den Bestand der Schwangerschaft an. Und nun 
wollen wir einen anderen Fall annehmen, und zwar: die zu unter¬ 
suchende Frau ist nicht gesund; ist hierbei die Reaktion negativ, 
so zeigt dies ebenso wie beim gesunden Individuum das Fehlen 
der Schwangerschaft an, während im Falle, wenn die Reaktion 
positiv ist, die weiter oben erwähnten Krankheiten bzw. die in 
der ersten Mitteilung besprochenen Zustände ausgeschlossen 
werden müssen; wenn dies gelingt, dann beweist eine positive 
Reaktion beim kranken Individuum ebensoviel wie beim gesunden, 
dies geht ja aus dem Gesagten klar hervor. 

Auch die Technik wurde von Gammeltoft verfeinert, auf 
welche ich indessen, ebenso wie auf seine theoretischen Einwände 
über die Entstehungsweise der Hemmungswirkung nur nach dem 
Erscheinen der diesbezüglichen Arbeit 1 ) eingehen möchte. 

Zum Schluss möchte ich noch ganz kurz die Frage be¬ 
sprechen, wie sich zu der Antitrypsinmethode die neuen Verfahren 
von Abderhalden verhalten. Im Anfang, namentlich solange 
keine Untersuchungen über nicht gravide kranke Individuen mit 
den Methoden Abderhalden ’s Vorlagen, war man geneigt, eine 
Spezifität der Verfahren anzunehmen. Später vertrat dann 
Abderhalden selbst die Ansicht, dass die Schutzfermente nicht 
unbedingt spezifisch sein müssen 1 3 * ), und in der Tat lehren die 
nunmehr zahlreichen auf diesen Punkt gerichteten Untersuchungen 
der verschiedenen Autoren, dass die Reaktion, namentlich das 
Dialysierverfahren (hierüber lautet die überwiegende Mehrzahl 
der Berichte) selbst bei peinlicher Beachtung der strengsten Vor¬ 
schriften keine spezifischen Resultate liefert. Hierauf wies zuerst 
Franz in seiner bereits erwähnten Arbeit hin, und nach ihm 
fanden eine Reihe von Autoren positive Resultate bei Myom, 
Tuboovarialcyste, Gareinom, Adnextumor usw. Wie Petri 8 ) be¬ 
richtet, kann infolge einer Quecksilber- oder Salvarsanbehandlung 
bei Luetikern positive Reaktion vorhanden sein. Und dass Petri 
die Technik richtig beherrscht, beweisen seine sonst recht guten 
Ergebnisse, so dass hier der Einwand der unvollkommenen Technik 
sicher wegfällt. Wenn somit feststeht, dass die Reaktion nach 
Abderhalden nicht spezifisch ist, und man nach ihrer praktischen 
Leistung fragt, so muss geantwortet werden, dass, insofern es 
sich um die Frage der Schwangerschaft bei normalen, gesunden 
Frauen handelt, diese durch die Abderhalden’sche Reaktion ent¬ 
schieden werden kann; handelt es sich um nicht gesunde Indi¬ 
viduen, so kann man sich auf die Reaktion nicht sicher ver¬ 
lassen, da auch andere Zustände positiv reagieren können. Wie 
wir somit sehen, besteht zwischen der praktischen 
Leistung der Antitrypsinmethode und der Abderhalden- 
schen Reaktion kein Unterschied: beide sind vor allem zur 
Entscheidung der zweifellos wichtigen Frage der Gravidität bei 
gesunden Frauen geeignet, und die hierbei erhaltenen Resultate 
können auf einen hohen Grad von Sicherheit Anspruch halten. 
Bei nicht gesunden Frauen kann dagegen keine der beiden 
Methoden ganz sichere und ganz verlässliche Resultate liefern, 
bzw. es kann ein Resultat der Antitrypsinmethode mit den weiter 
oben angegebenen Einschränkungen verwertet werden. Legt man 
nun einem objektiven Beobachter die Frage vor, welche von 
beiden Methoden bevorzugt werden soll, wenn die Ausführung 
der einen Methode ausserordentlich leicht und einfach, die der 
anderen mit ganz besonderen Schwierigkeiten verbunden ist, so 
dass man nur mit einer peinlichen Genauigkeit dieselben Resultate 
erzielt wie mit der relativ einfachen Antitrypsinmetbode, so kann 
die Antwort nicht zweifelhaft sein, insbesondere wenn man be¬ 
achtet, dass die Antitrypsinmethode in 80 Minuten, das Dialysier¬ 
verfahren in 16 Stunden das Resultat liefert. (Optische Methode 

1) Diese Arbeit soll innerhalb einiger Wochen in der Gynäkologischen 
Rundschau erscheinen. 

2) E. Abderhalden, Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 9. 

3) Sitzungsbericht der bayerischen gynäkologischen Gesellschaft vom 

8. März 1913. Referiert Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 20, S. 738. 


24—48 Stunden.) Dass es mit den Schwierigkeiten der Technik, 
nicht einfach gesagt, sondern vielmehr recht ernst ist, muss ein 
jeder zugeben, der je mit der Methode gearbeitet hat. Polano 1 ), 
der mit der Methode Abderhalden’s — abgesehen von einigen 
positiven Reaktionen bei Nichtschwangeren und negativen Er¬ 
gebnissen bei Graviden — zufrieden war, ist der Meinung, dass 
der praktische Wert der Methode durch die von Abderhalden 
selber hervorgehobenen technischen Schwierigkeiten wesentlich 
beeinträchtigt wird. 

Wenn auch die Antitrypsinmethode für die Diagnose der 
Schwangerschaft bei einer gesunden Frau sicher ausreicht, ist es 
namentlich bei der Entscheidung der Frage bei der nicht ge¬ 
sunden Frau wichtig, beide Methoden, d. i. die Antitrypsinmethode 
und die von Abderhalden, anzuwenden; die beiden Methoden 
schliessen sich ja keineswegs aus, im Gegenteil, sie können sich 
gegenseitig stützen und ergänzen. 


Aus der gynäkologischen Poliklinik des Kranken¬ 
hauses der jüdischen Gemeinde zu Berlin. 

Zur Abderhalden’schen Schwangerschafts¬ 
reaktion. 

Von 

Prof. Dr. Sigmund Gottschalk. 

(Vortrag, gehalten am 8. Mai 1913 iD der Hufelandischen Gesellschaft.) 

M. H.l Ich folge einer freundlichen Aufforderung unseres 
Herrn Vorsitzenden, wenn ich mir erlaube, Ihnen die Resultate 
mitzuteilen, die wir mit der Abderhalden’schen Schwangerschaft®- 
reaktion erzielt haben. Bei diesen Untersuchungen ist Herr Dr. 
Uhl mann, Assistent der inneren Abteilung des Krankenhauses, 
beteiligt, der im Laboratorium des Krankenhauses die Reaktionen 
angestellt bat, ohne zu wissen, wem das Blut im einzelnen Falle 
von mir entnommen war. 

Vielleicht ist es erwünscht, wenn ich einige Worte über das Wesen 
dieser, die Gynäkologen sehr interessierenden Reaktion vorausschioke. 

Bekanntlich gräbt sich das befruchtete menschliche Ei sein Bett in¬ 
mitten der Schleimhaut mit Hilfe des stark wuchernden Trophoblasts; 
dabei werden die stark erweiterten mütterlichen Blutcapillaren eröffnet, 
so dass von Anfang an und für die ganze Dauer der Schwangerschaft 
die Eiperipherie an der Haftstelle unmittelbar vom mütterlichen Blute 
umspült wird. Es ist selbstverständlich, dass dabei einzelne ohorio- 
ektodermale Zellen und deren Zerfallsprodukte vom mütterlichen Blute 
aufgenommen werden als blutfremde Eiweisskörper. Ich habe 
schon vor 20 Jahren gelegentlich der Beschreibung des Chorioepithelioma 
malignum im Archiv für Gynäkologie, Bd. 46, S. 56, die Ansicht aus¬ 
gesprochen, dass in einem Excess dieses Vorgangs manche Schwanger- 
ächaftsstörungen ihre Erklärung finden dürften. Abderhalden hat 
non gezeigt, dass sich der mütterliche Organismus gegen die Gefahren, 
welche diese blutfremden Eiweisskörper für ihn involvieren können, duroh 
deren Abbau zu schützen sacht, indem er, wahrscheinlich aus Leukocyten, 
Schutzfermente mobilisiert. 

Er hält diese Schutzfermente speziell nur für den Abbau dieser von 
der Placenta herstammenden blutfremden Eiweisskörper befähigt Folge¬ 
richtig glaubt er, seine Entdeckung für die serologische Diagnose der 
Schwangerschaft nutzbar machen zu können, indem er die Lehre auf¬ 
stellt, dass ein Blutserum, das proteolytisch auf Placentargewebe wirke, 
einer Schwangeren entstamme. 

Es ist ohne weiteres klar, welch bedeutungsvoller Fortschritt 
damit für die Feststellung einer Schwangerschaft gewonnen wäre. 

Abderhalden hat nun zwei verschiedene Methoden gelehrt, um 
diese Abbaufähigkeit eines fraglichen Blutserums für Placentareiweiss zu 
erkennen. Die eine sucht die spaltende Einwirkung des fraglichen Blut¬ 
serums auf Placentarpeptone mit Hilfe des Polarisationsapparates 
an der stärkeren Lichtbrechung abzulesen. Die andere, für die all¬ 
gemeine Praxis einfachere, wenn auch nicht minder subtile Methode, 
stützt sich auf das Dialysierverfahren. Das Dialysierverfahren be¬ 
ruht auf dem bekannten Prinzip, wonach die Dialysiermembran für 
kolloidal gelöstes Eiweiss undurcbgängig ist, dagegen dessen Spaltungs¬ 
produkte, Peptone, durchlässt. Es muss das zu verwendende Dialysier- 
röhrchen vor dem jedesmaligen Gehraach daraufhin geprüft werden, oh 
es dieser Forderung entspricht. Blutserum, das hämolytisch wirkt, ist 
für das Verfahren ungeeignet. 

Das hei dem einzelnen Versuch zu verwendende Placentarstüokohen 
— es soll etwa erbsengross sein — muss vollkommen blutfrei und duroh 


1) Polano, Sitzungsbericht der bayerischen gynäkologischen Gesell¬ 
schaft vom 3. März 1913. Referiert Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 20, 
S. 730. 

2 * 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


ergiebiges Anskoehen vollständig coaguliert sein. Ist diese Forderung 
nicht genau erfüllt, so sind Fehldiagnosen unausbleiblich. Abder¬ 
halden verlangt daher neuerdings, dass vor jedem Versuch das Placen- 
tarslückchen nochmals auf seine Brauchbarkeit geprüft werde*. Hit der 
fünffachen Menge Wasser sei es 5 Minuten lang zu kochen. Durch ein 
gehärtetes Filter sei zu filtrieren und zu 5 ccm des Filtrats 1 ccm einer 
lproz. wässerigen Ninhydrinlösung zuzusetzen, alsdann genau 1 Minute 
zu kochen. Nur dann, wenn jede Reaktion ausbleibt, darf das Organ 
benutzt werden. 

Wir haben bisher nur jugendliches Abortivplacentargewebe als Test¬ 
objekt benutzt; ich habe den Eindruck gewonnen, dass es leichter ein¬ 
wandsfrei zu präparieren ist, als die fester gefügte, ausgetragene Pla- 
centa. Das zu prüfende Blut wird aus der gestauten Kubitalvene mittels 
Punktionsnadel im Reagenzglase steril entnommen, nach Abderhalden 
am besten im nüchternen Zustand; ich war aus äusseren Gründen ge¬ 
zwungen, die Blutentnahme zwischen 9—10 Uhr vorzunehmen, also etwa 
1—2 Stunden nach dem Frühstück; ich glaube nicht, dass unsere Re¬ 
sultate dadurch beeinträchtigt wurden. 

Das Blut wird im Eisschrank der Spontangerinnung und Auspressung 
überlassen. Tritt keine Hämolyse ein, so werden IV 2 ccm Serum in das 
ad hoc auf seine Brauchbarkeit sorgfältig geprüfte Dialysierröhrchen mit 
einem oder zwei etwa erbsengrossen Stückchen des sorgfältig präparierten 
Placentargewebes zusammengebracht, das Röhrchen in einem mit 20 ccm 
destilliertem Wasser gefüllten Erlenmayer’schen Kolbenglas auf 16 bis 
20 Stunden in den Brutofen gestellt. Nach Ablauf dieser Zeit wird das 
Dialysat in folgender Weise mittels der Ninhydrinreaktion auf seinen 
Gehalt an Peptone geprüft: 

Etwa 10 com Dialysat werden mit 0,2 ccm einer 1 proz. wässerigen 
Ninhydrinlösung 1 Minute aufgekocht und 30 Minuten ruhig stehen ge¬ 
lassen, dann wird die Reaktion abgelesen, hat sich das Dialysat blau¬ 
violett gefärbt, so ist die Reaktion positiv, ist es wasserhell geblieben, 
so ist sie negativ, dazwischen gibt es Abstufungen, die als schwach 
positiv angesprochen werden können. 

Die präparierten Placentarstückchen können zwischen viel Chloro¬ 
form und Toluol in sterilisiertem Wasser gegen die Zersetzung geschützt, 
konserviert werden. Auch beim Versuch selbst kann eine Ueber- 
sohichtung mit Toluol aus den gleichen Gesichtspunkten zweckdien¬ 
lich sein. 

Wir haben das Dialysierverfahren bis jetzt in 48 Fällen 1 ) 
erprobt, unter ihnen sind 9 Nichtschwangere, mit 2 Fällen von 
inoperablem Uteruscarcinomrecidiv. Ein Fall scheidet aus wegen 
Hämolyse des Serums. 

Es verbleiben für die Beurteilung 83 Schwangere und 
8 Nichtschwangere. Bei jedem Versuch wurden 3 Proben gleich¬ 
zeitig angestellt, nämlich mit Serum -f Placenta, mit Serum 
allein, mit Placenta allein. Es könnte ja sein, dass schon das 
zu prüfende Serum oder auch die Placenta schon allein Stoffe 
an das Wasser abgeben könnten, welche die Ninhydrinreaktion 
geben. Dann würde der Versuch mit Serum -f Placenta in keiner 
Weise beweiskräftig sein. 

Unter den 33 Schwangeren finden sich 21 Frühschwangere 
aus den beiden ersten Monaten. Ich habe mit Absicht sie vor¬ 
nehmlich gewählt, weil gerade bei ihnen sowie bei der Extra¬ 
uterinschwangerschaft eine solche Schwangerschaftsreaktion prak¬ 
tische Bedeutung haben würde. 

Alle Schwangeren reagierten mit Ninhydrin positiv, allerdings 
1 Fall erst bei der zweiten, 4 Tage später gewonnenen Blutprobe. 
Er betrifft eine 21 jährige Frau mit einem Kinde, die am 
29. März 1913 zur Aufnahme kam; letzte Menses 7.—14. Februar, 
Palpationsbefund: Graviditas mens. I, erste Seroreaktion: 9. März 
negativ, 2. April positiv. 

Soll aber die Reaktion ein sicheres diagnostisches Verfahren 
sein; so dürften NichtschwaDgere nie positiv reagieren. Hier 
haben wir aber zwei Feblreaktionen zu verzeichnen, bei denen 
ein technischer Fehler jedenfalls ausgeschlossen ist. 

Beide Fälle haben das gemeinsam, dass die bis dahin regel¬ 
mässige Periode 6 bzw. 7 Wochen sistiert hatte. Im ersten Fall 
handelte es sich um eine 21jährige Frau mit einem Kinde und 
einem Abort, die an Retroflexio uteri fixata litt; im zweiten Falle 
um eine 27 jährige Frau mit zwei Kindern und drei Aborten. 
Beide Uteri waren vergrössert. 

Die Annahme, dass dennoch in beiden Fällen Schwanger¬ 
schaft kurze Zeit bestanden haben könnte, die gleichsam durch 
Autolyse symptomlos verschwunden wäre, lehne ich ab, da ich 
an diesen Vorgang nicht glaube. 

Eine andere Frage wäre, ob der abnormen Verzögerung der 
Menses eine Befruchtung ohne Einbettung zugrunde gelegen haben 
könne. Da solches vorkommt, so kann diese Annahme nicht 
ohne weiteres zurückgewiesen werden, ohne sich beweisen zu 


1) Die einzelnen Krankengeschichten sind auf Wunsch der Redaktion 
weggelassen. 


Nr. 25. 


lassen. Sie hätte aber zur Voraussetzung, dass der Organismus 
schon mit dem Moment der Befruchtung, also noch vor der Ein¬ 
bettung, quasi prophylaktisch die betreffenden Schutefermente 
bilde. Ob das möglich ist, müssten erst weitere Untersuchungen 
klar legen. Bis dahin muss ich unsere beiden Fälle als Fehl¬ 
reaktionen registrieren. 

Jedenfalls kann damit die Reaktion bis auf weiteres nicht 
als ein unfehlbares Mittel der Schwangerschaftsfeststellung an¬ 
gesehen werden. Sie behält aber, abgesehen von ihrem grossen 
wissenschaftlichen Interesse, praktische diagnostische Bedeutung 
in Verbindung mit der Palpationsdiagnose seitens des 
geübten Untersuchers. Wo beide für Schwangerschaft sprechen, 
dürfte an der Diagnose, wenn auch ein Irrtum einmal unterlaufen 
könnte, ein Zweifel nicht bestehen. Stimmt die serologische 
Diagnose aber mit der Palpationsdiagnose des geübten Unter¬ 
suchers nicht überein, so sind beide zu revidieren. Der geübte 
Untersucher braucht seine überprüfte Palpationsdiagnose nicht 
ohne weiteres zugunsten der serologischen fallen zu lassen, wenn 
auch ein Fall unserer Beobachtung lehrt, dass die Seroreaktion 
recht behalten kann gegenüber der palpatorischen Wahrschein¬ 
lichkeitsdiagnose, die für Gravidität sprach, während die Reaktion 
negativ ausfiel. 

Es behält also der genaue Palpationsbefund des erfahrenen 
Untersuchen nach wie vor auch bei der Schwangerschaftsdiagnose 
seinenWert, gleichgültig ob intrauterine oder extrauterine Schwaoger¬ 
schaft in Frage steht. 

Ich möchte bei dieser Gelegenheit eines klinischen Schwanger- 
scbaftszeichens Erwähnung tun, das aber leider nur in einer be¬ 
schränkten Zahl der Fälle verwertbar ist, sich mir aber hier bei 
10 jähriger Erfahrung stets bewährt hat. 

Vor ca. 10 Jahren behandelte ich eine Dame wegen Sterilität, die 
eine Lateroversio corporis uteri und eine Stenose des äusseren Mutter¬ 
mundes hatte. Da ich die Lateroversio als Sterilitätsursache ansprach, 
so liess ich den engen äusseren Muttermund unberücksichtigt. Nach 
etwa zweiwöchiger orthopädischer bimanueller Behandlung, welche das 
Collum nach hinten dirigierte, fiel mir eines Tages im Speculum 
auf, dass der äussere Muttermund spontan grösser wnrde. 
Dieses Wachsen des äusseren Muttermundes ging mit einer 
eben nachweisbaren geringen Vergrösserung des Gebär¬ 
mutterkörpers in allen Durchmessern einher. Die Menses 
waren damals noch nicht ausgeblieben. Meine Vermutung, dass Empfängnis 
erfolgt sei, wurde bald bestätigt. 

Ich habe seitdem in einschlägigen Fällen immer wieder mich 
davon überzeugen können, dass dieses spontane Wachsen 
des stenosierten äusseren Muttermundes als ein zuver¬ 
lässiges Frühsymptom einer intrauterinen Schwanger¬ 
schaft angesprochen werden kann. 

Natürlich ist dieses Symptom nur verwertbar bei Nulliparen 
mit stenosiertem äusseren Muttermund, deren Stenose augenfällig 
und bereits vor Eintritt der Gravidität demselben Untersucher 
bekannt war. 


Weitere Beiträge zur Kenntnis der GeflQgel- 
pocken. 1 ) 

Von 

Reg.-Rat Prof. Dr. A. Scbuherg, 

Berlin-Dahlem, Kaiserliches Gesundheitsamt. 

Die nachfolgenden Ausführungen schliessen sich an Mit¬ 
teilungen an, die mein früherer Mitarbeiter, Herr Dr. Schubotz, 
im Jahre 1910 auf der Versammlung der freien Vereinigung für 
Mikrobiologie über die von uns gemeinsam ungeteilten Unter¬ 
suchungen gemacht hat. Seitdem habe ich, mit gelegentlichen 
Unterbrechungen, die Beobachtungen allein fortgesetzt. 

Obwohl es auch jetzt noch nicht gelungen ist, die Frage 
nach dem Erreger zu beantworten, dürften diese Unterjochungen 
nicht nutzlos gewesen sein. Die Schwierigkeiten derartiger Unter¬ 
suchungen sind besonders gross, denn es handelt sich nicht nur 
darum, die Erreger zu finden oder die bisher hierfür in Anspruch 
genommenen Gebilde als solche zu bestätigen, sondern das Suchen 
nach diesen wird durch die mannigfachen nnd weitgehenden Ver¬ 
änderungen der erkrankten Gewebe und ihrer einzelnen Zellen in 
hohem Maasse kompliziert nnd erschwert. Nor unablässige und 


1) Vortrag, gehalten in der Berliner mikrobiologischen Gesellschaft 
am 13. März 1913. Zur Erläuterung diente die Projektion zahlreicher, 
grösstenteils farbiger Diapositive von Präparaten. 


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23. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1168 


immer wieder von verschiedenen Seiten aus erfolgende Inangriff¬ 
nahme derartiger Probleme vermag eine, wenn auch vielleicht 
nur allmählich fortschreitende Beseitigung der Schwierigkeiten 
und eine endgültige Lösung herbeizuführen. 

Von den als Erreger der Geflügelpocken angesehenen Ge¬ 
bilden sind es zurzeit nur noch die kleinen, zur Prowazek’schen 
Gruppe der Chlamydozoen gestellten Körnchen, denen diese Be¬ 
deutung zugeschrieben wird. Dass die früher von verschiedenen 
Seiten als Protozoen aufgefassten Zelleinschlüsse hierfür zu halten 
seien, dürfte gegenwärtig wohl von keiner Seite mehr verteidigt 
werden. 

In der nachfolgenden Mitteilung werde ich mich auf die Be¬ 
funde beschränken, die bei Hühnern erhoben wurden. Ich werde* 
ferner auf die Frage der Identität von Hühnerpocken und Hühner¬ 
diphtherie, auf die Filtrierbarkeit des Virus, auf Fragen der 
Immunität usw. nicht eingehen. Mir kam es vor allem darauf an, 
zu prüfen, wie die in den erkrankten Teilen der Haut vorkommenden 
Einschlüsse von Zellen und sonstigen irgendwie bemerkenswerten 
Vorkommnisse zu beurteilen sind, wie sie entstehen und ob sie 
als lebende, die Infektion herbeiführende Organismen angesehen 
werden müssen. Zu diesem Zwecke war eine möglichst genaue 
Untersuchung, die auch die feineren cytologiscben Veränderungen 
der erkrankten Gewebe in Betracht zieht, erforderlich, und zwar 
von den ersten Stadien der Erkrankung an. Es ist jedoch nicht 
möglich, in der mir zur Verfügung stehenden Zeit alle hierbei 
gewonnenen Ergebnisse aufzuführen. Ich muss mir vielmehr die 
Freiheit nehmen, die Punkte, die am wichtigsten erscheinen, 
herauszugreifen. 

Das schon bei flüchtiger Betrachtung von Schnitten durch die er¬ 
krankte Haut am meisten in die Augen fallende Merkmal ist das Auf¬ 
treten von Verdickungen der Epidermis. Diese Verdickungen beruhen 
nicht nur, wie früher gelegentlich ausgesprochen wurde, auf einer Ver- 
grösserung und Aufblähung der einzelnen Zellen; es finden sich vielmehr, 
wie schon von verschiedenen Autoren richtig erkannt wurde, ganz be¬ 
deutende Zellvermehrungen und Wucherungen der Epidermis, die zur 
Bildung von tief in das Corium eindringenden Zapfen führen. Die 
Wucherungen beginnen in der unmittelbaren Umgebung der Infektions- 
stelle, verbreiten sich aber von ihr aus weiter nach den Seiten hin aus. 
Wenn man Strichimpfungen ausfübrt, findet man also, je weiter man 
von der Impfstelle aus seitlich fortschreitet, um so frühere Stadien der 
Infektion; man erhält so im allgemeinen an diesen Stellen ähnliche 
Bilder wie an Präparaten von den ersten Tagen nach der Impfung, jedoch 
mit dem Unterschiede, dass die durch die Impfverletzung bedingten 
Komplikationen fehlen. 

Die Vermehrung der Zellen bei der Wucherung der Epidermis er¬ 
folgt unter mitotischer Teilung der Kerne; das muss deshalb 
besonders hervorgehoben werden, weil es gelegentlich von früheren 
Beobachtern in Abrede gestellt wurde. Bei Untersuchung von Früh¬ 
stadien, auf denen von den übrigen Veränderungen noch wenig zu be¬ 
merken ist, könnte man ja glauben, dass die gefundenen Mitosen Zellen 
angehören, die zur Vernarbung- der Impfwunde sich vermehren. Man 
findet jedoch Mitosen auch in weit vorgeschritten veränderten und ge¬ 
wucherten Epithelzapfen, wo diese Vermutung ganz ausgeschlossen ist. 
In oytologischer Hinsicht ist die mitotische Kernteilung in erkrankten 
Gewebspartien von mehrfachem Interesse. Denn sie erfolgt auch 
noch dann, wenn die Zellen nicht nur in den kranken Partien liegen, 
sondern auch sicher schon selbst von dem Krankheitsprozess ergriffen 
sind. Wie bekannt ist und worauf sogleich noch zu sprechen zu 
kommen ist, erfahren die erkrankten Zellen eine bedeutende Ver- 
grösserung. Die mitotische Kernteilung erfolgt nun auch noch in 
solchen vergrösserten Zellen und führt auch anscheinend noch zur Be¬ 
endigung der Zellteilung. Bemerkenswert ist allerdings, dass man nicht 
selten Mitosen mit mancherlei Unregelmässigkeiten findet, von denen 
vor allem das Vorkommen von Chromatinabspaltungen zu nennen ist. 
Wie weit diese Dinge Vergleichspunkte zu den bei anderen Krankheits¬ 
vorgängen vorkommenden Störungen der Kernteilung, insbesondere zu 
denen in Geschwulstzellen, abgeben, kann hier nicht genauer erörtert 
werden. 

Ausser der mitotisohen Teilung führt nun aber auch noch eine ein¬ 
fache Kerndurchschnürung zu einer Vermehrung der Kerne. Diese 
Durcbschnürung ist allerdings, obwohl man ihr Ergebnis nicht selten 
antrifft, selbst nur recht selten zu finden. Sie verläuft nicht unter dem 
Bilde einer typischen amitotischen Kernteilung; es dringt vielmehr, ohne 
dass der Kern in die Länge gestreckt wird, einfach eine Furche in 
querer Richtung durch den Kern hindurch und zerschnürt ihn in zwei 
Kerne. Dabei erleidet die Struktur des Kerns anscheinend nicht die 
geringste Aenderung. Das Ergebnis dieser Vorgänge sind zwei- oder 
mehrkernige Zellen. Denn wie in zahlreichen anderen Fällen folgt auch 
hier der nichtmitotischen Kernteilung keine Zellteilung, sondern die 
Kerne bleiben in einer Zelle vereinigt. Zweikernige Zellen findet man 
schon in den ersten Tagen nach der Infektion. Aber auch dreikernige 
Zellen kommen noch ziemlich häufig vor; seltener sind die Fälle, in 
denen eine grössere Zahl von Kernen beobachtet wird, die in einem 
extremen Falle die Zahl 10 erreichten. Natürlich ist mit der Ver¬ 


mehrung der Kernzahl stets eine Vergrösserung der Zelle verbunden, 
die z. B. in dem Falle mit 10 Kernen eine recht beträchtliche war. 
Ausdrücklich sei schon hier bemerkt, dass die Zahl der Kerne auch in 
solchen Zellen vergrössert sein kann, die noch keinerlei der gleich zu 
besprechenden Zelleinscblüsse erkennen lassen. Das Vorkommen von 
mehrfachen Kernen ist nicht nur insofern von Interesse, als wir hier im 
gleichen Gewebe mitotische und nichtmitotische Vermehrung nebeneinander 
sich abspielen sehen, sondern auch deshalb, weil hierdurch gewisse 
Schwierigkeiten in der Erklärung mancher Befunde und auoh in der 
Vereinigung von Angaben anderer Beobachter mit den von Schubotz 
und mir schon früher gewonnenen Ergebnissen behoben werden. Hierauf 
soll weiter unten noch zurückgekommen werden. 

Als zweites, sehr hervortretendes und daher auch schon lange 
bekanntes Merkmal der erkrankten Gewebspartien ist das Auftreten 
von intracellulären Einschlüssen zu erwähnen, die ja, wie be¬ 
kannt, eine recht verschiedenartige Deutung erfahren haben. Schon 
schwächere Vergrösserungen lassen diese Einschlüsse, die man als die 
„Pockenkörper“ bezeichnet, deutlich hervortreten. Sie lassen sich 
sehr leicht, insbesondere mit sauren Anilinfarben färben, so mit Eosin, was 
z. B. auch in Giemsa-Präparaten der Fall ist, oder mit Säurefuchsin, 
wie man es in Mallory-Präparaten erhält. Aber auch mit Hämatoxylin 
lassen sie sich schwach färben, auch mit Eisenhämatoxylin. Werden 
die letzteren Farbstoffe aber so angewandt, dass sie auf das Ghromatin 
der Kerne beschränkt bleiben, so werden die Pockenkörper so ziemlich 
entfärbt oder werden wenigstens ziemlich blass. Bei Eisenhämatoxylin 
können indessen je nach dem Grade der Extraktion nooh einzelne, be¬ 
sonders kleinere Körper gefärbt bleiben, die dann von anderen, gleich 
zu erwähnenden Zelleinschlüssen nicht unterschieden werden können. 
Das Eisenhämatoxylin ist daher zur Untersuchung dieser Gebilde wenig 
geeignet. Wie ich schon früher mit Schubotz gezeigt habe, ist das 
mikroskopische Bild der Pockenkörper je nach dem angewandten 
Fixierungsmittel sehr wechselnd. Die allgemeinen Umrisse sind zwar 
im wesentlichen die gleichen, doch wechselt die feinere Struktur. Wie 
wir ferner früher schon nachgewiesen haben, entstehen die Pockenkörper 
durch Zusammenflüssen kleiner tröpfchenartiger Gebilde, die schon in 
den ersten Tagen der Impfung bemerkbar werden. Und zwar erscheinen 
die ersten Tröpfchen im Präparat wie einfach vergrösserte Hohlräume 
des protoplasmatischen Wabenwerkes. Diese legen sich aneinander und 
bringen durch Zusammenflüssen die grösseren Körper hervor. In stark 
ergriffenen Partien der Epidermis, insbesondere in den durch Wucherung 
entstandenen Zapfen enthält jede Zelle in der Regel nur einen oder 
wenige Pockenkörper, die dann ein kugeliges oder unregelmässig ovoides 
Aussehen haben. Anders dagegen sind die Pockenkörper in den äusseren 
Teilen der Epidermis am Rande der erkrankten Stellen und auch bei 
früheren Stadien der Infektion, man kann sagen, ungefähr dort, wo 
noch die normale äussere Hornschicht erhalten geblieben ist Dort 
findet man nämlich in der Regel nicht einen oder mehrere umfang¬ 
reichere, sondern eine etwas grössere Zahl von kleineren Körpern. Aus 
gewissen Vorkommnissen bei früheren Stadien der Infektion kann man 
schliessen, dass es sich hierbei um Zellen handelt die im Verhornungs¬ 
prozess schon weiter vorgeschritten waren, als sie von der Erkrankung 
betroffen wurden. Hier erhält man also ein etwas anderes Bild als bei 
den Zellen, die noch in tieferen Hautschichten, im Anfang oder vor 
Beginn der Verhornung erkrankten. Man muss sioh daher natürlich 
hüten, etwa durch einfache Aneinanderreihung verschiedener Stadien 
einen Entwicklungsgang konstruieren zu wollen, ohne die Herkunft der 
einzelnen Zellen nach Lage und Zustand zu kennen. Das muss deshalb 
betont werden, weil es sehr gebräuchlich ist Zelleinsohlüsse usw. auf 
Ausstrichen zu untersuchen. Da man in solchen Präparaten in der 
Regel ganz im unklaren bleibt, aus welchen Teilen der Haut die be¬ 
treffenden Zellen stammen, kann man auf diese Weise durch einfache 
Aneinanderreihung der einzelnen aufgefundenen Stadien leicht irregeführt 
werden. 

Bei Untersuchung von in der Wirbeltierepidermis sich abspielenden 
Krankheitsprozessen muss man stets daran denken, dass man nicht 
einfache, gleichartige Zellen vor sich hat, wie es etwa der Fall wäre, 
wenn man es mit Zellen eines einfachen Cylinderepithels zu tun hätte, 
sondern dass die Zellen, welche von der krankhaften Veränderung er¬ 
griffen sind, sich auch schon normalerweise in einem Umwandlungs¬ 
prozess befinden, nämlich im Verhornungsprozess. Wie wir noch sehen 
werden, zeigt sich auch nooh in anderen Zelleinschlüssen eine grosse 
Mannigfaltigkeit, die geradezu verwirrend wirkt, und die meiner Ansicht 
nach zum Teil ebenfalls auf diese Weise ihre Erklärung findet. 

Schon früher habe ich mit Schubotz nacbgewiesen, dass 
die Substanz der Pockenkörper zum Teil löslich ist. Ich kann 
die Einzelheiten unserer früheren Feststellungen hier nicht wieder¬ 
holen und will nur auf einige Punkte hinweisen. Bei geeigneter 
Präparation findet man Pockenkörper, die einen mehr oder weniger 
grossen centralen Hohlraum erkennen lassen. Diese Bilder be¬ 
weisen, dass ein Teil der Substanz der Pockenkörper tatsächlich 
durch Auflösung verschwunden ist. Bei anderer Präparation er¬ 
scheint der Pockenkörper körnig. Es ist nicht leicht, festzu¬ 
stellen, ob dieses körnige Aussehen durch einzelne dicht gedrängte 
Körnchen oder durch eine feine körnig-wabige Gerinnungsstruktur 
bedingt wird. Würde es sich um feine Körnchen handeln, so 
könnte man darin einen Beweis dafür in erblicken geneigt sein, 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 25. 


dass die Pockenkörper aus zahlreichen, durch eine verbindende 
Masse zusammengOialtenen einzelnen Körnchen bestehen. Man 
hätte somit die Elementarkörper v. Prowazek’s und anderer 
Autoren, die, im Sinne der Auffassung der Gebilde als Chlamydo- 
zoen, von dem Reaktionsprodukt umschlossen wären. Dagegen 
sprechen aber, abgesehen davon, dass es nicht sicher möglich 
ist, die körnige Struktur auf die Anwesenheit einzelner Körner 
zurückzuführeD, die mit anderen Präparationsmethoden erhaltenen 
Bilder, bei denen eine mehr oder weniger grosse Höhlung die 
Mitte des Pockenkörpers einnimmt und von Körnchen nichts zu 
sehen ist. Uebrigens findet man auch in den Präparaten, in 
denen die Pockenkörper ein körniges Aussehen haben, die Mitte 
sehr häufig durch einen Hohlraum eingenommen, der dann nur 
unregelmässiger begrenzt ist. Betont muss werden, dass es bisher 
auch den Anhängern der Chlamydozoennatur der Pockenkörper 
noch nicht möglich war, in Schnittpräparaten die Elementar¬ 
körper in den Pockenkörpern nachzuweisen. Das wurde auch 
kürzlich noch von Lipschütz zugegeben. 

Der Nachweis der als Erreger aufgefassten Elementarkörper¬ 
chen, die den von Vaccine, Variola, Trachom und Molluscum 
contagiosum beschriebenen ähnlichen Gebilden gleichgestellt 
werden, stützt sich auf Klatsch- und Ausstrichpräparate. Und 
zwar wird zum Nachweis vor allem die Löffler’sche Geissel- 
methode benutzt. 

Schon früher habe ich mit Schubotz über Untersuchungen 
berichtet, die wir an Extrakten von Pockenkörpern angestellt 
haben. Wir verwendeten Extrakte mit Aceton, Chloroform und 
anderen Lösungsmitteln. 

Von diesen Versuchen, die ich fortgesetzt habe und die auch jetzt 
noch nicht ganz vollständig abgeschlossen sind, will ich nur einige Er¬ 
gebnisse hier anführen. 

Streicht man ein kleines Tröpfchen eines Chloroformextraktes der 
von gut entwickelten Hühnerpocken abgenommenen Borken aus, so er¬ 
scheint der Objektträger zunächst wie von einer dünnen Vaseline¬ 
schicht überzogen, da das Chloroform sehr rasch verdunstet. Man 
sieht also deutlich, dass eine Substanz, die man als ein Lipoid be¬ 
zeichnen muss, in Lösung gegangen war. Das Tröpfchen wird sofort 
etwas trüb, was jedenfalls einer Wasseranziehung bzw. einem infolge der 
Verdunstungskälte entstandenen Wasserniederschlag zuzuschreiben ist. 
Wird ein derartiger Ausstrich nach Löffler gefärbt, so erhält man eine 
grosse Menge gleichmässig grosser, feiner, runder Körperchen, die, ihrem 
Aussehen nach, von den von Lipschütz abgebildeten wohl schwerlich 
zu unterscheiden sein dürften. (Figur 1.) Mischt man das Chloroform- 


Figur 1. 



extrakt vor dem Ausstreichen mit dem gleichen Volumen Wasser, so 
erhält man die gleichen Körnchen in noch viel grösserer Menge. Mischt 
man Extrakt und Wasser im Verhältnis von 1 : 10, so sind die gleichen 
Körnchen vorhanden, jedoch liegen sie nicht so dicht. Oft sieht man 
deutlich, dass ausser den Körnchen noch ein feinkörniges Gerinnsel vor¬ 
handen ist, das vielleicht auch aus feinen, aber blasser gefärbten Körn¬ 
chen besteht. In allen diesen Präparaten bemerkt man mitunter auch 
etwas grössere und nicht ganz so regelmässig runde Körnchen. Da die 
Extrakte bei längerem Verweilen der zerkleinerten Pockenborken bei 
einer Temperatur von 40° gewonnen wurden, und da das Chloroform¬ 
extrakt bei der Abkühlung opak wird, so glaube ich, dass es sich hierbei 
um eine Ausscheidung der überschüssigen, in Lösung gegangenen lipoiden 
Substanz handelt. Die gleiche Ausscheidung erfolgt aber nicht bloss 
bei der Abkühlung der Lösung, sondern auch bei Wasserzusatz. Dass 
die Ausscheidung vom Wasserzusatz abhängig ist, dürfte aus den Ver¬ 
suchen klar hervorgehen. Bringt man einen Tropfen des Extrakts auf 
einen Objektträger, der vorher zur Trocknung einige Stunden im Ex- 
siccator gelegen hat, und legt man ihn, nachdem die vorsichtig und schnell 
im Exsiccator aufgeträufelte Menge des Extrakts durch Verdunsten des 


Chloroforms zu einer dünnen vaselinartigen Schicht geworden ist, in eine 
Schale mit Chloroform, so löst sich die Schicht in einem zarten Wölk¬ 
chen auf. Nach wiederholtem Wechseln des Chloroforms im Exsiccator 
getrocknet und mit Löffler’scher Geisselfärbung behandelt, lassen sich 
auf dem Objektträger, im Vergleich mit den anderen Präparaten, nur 
noch ganz vereinzelte Körnchen erkennen. Die aufgetrocknete Substanz 
hat sich also grossenteils im Chloroform aufgelöst. Die vereinzelten 
Körnchen sind teils Spuren der am Objektträger hängengebliebenen 
Substanz, teils aber vielleicht auch anderer Natur. Man muss nämlich 
bei dem verwendeten Verfahren noch mit anderen Fehlerquellen rechnen. 
Behandelt man einen in der gewöhnlichen Weise mit Salzsäure und 
dann mit Alkohol gereinigten Objektträger, ohne dass irgendeine andere 
Substanz aufgetragen worden wäre, mit der Löffler’schen Geisselfärbung, 
so findet man ausser blässeren auch grössere und mitunter etwas weniger 
regelmässig runde Körnchen. Das gleiche ist der Fall, wenn man den 
Objektträger vorher nach Zettnow, also besonders sorgfältig gereinigt 
hat. Selbstverständlich werden Farbe und Beize frisch filtriert ver¬ 
wendet, so dass weder Beize noch Farbe auf dem Objektträger auf¬ 
trockneten. 

Es liegt hier ausserhalb meiner Aufgabe, zu untersuchen, wie 
diese Erscheinungen Zustandekommen; sie lehren, dass selbst schon 
die Geisselfärbung eine gewisse Fehlerquelle bei derartigen 
Untersuchungen darstellt, und dass die damit erhaltenen Befunde 
mit grösster Vorsicht beurteilt werden müssen. Da bei der Her¬ 
stellung von Ausstrichen und Klatschpräparaten, vor allem bei 
den ersteren, die Substanz der Pockenkörper mit Wasser in Be¬ 
rührung kommt und damit gemischt wird, so sind ähnliche Be¬ 
dingungen gegeben, wie bei der Behandlung eines Ausstriches 
des Extraktes nach Verdunstung des Lösungsmittels. Mit Rück- 
Yicht hierauf und auf die anderen, schon durch die Färbemethode 
gegebenen Fehlerquellen kann nach meiner Ansicht auch jetzt 
noch der Beweis, dass die als Elementarkörperchen beschriebenen 
Gebilde die Erreger der Geflügelpocken seien, nicht als erbracht 
angesehen werden; und das um so weniger, als auch in Gewebe¬ 
präparaten sich zeigen lässt, dass die Substanz der Pockenkörper 
zum grossen Teil aufgelöst werden kann, und zwar nicht nur 
derart, dass etwa einfach eine die feinen Körnchen verbindende 
Zwischensubstanz aufgelöst würde. Man findet vielmehr auch 
Fälle, bei denen eine derartige Auffassung ausgeschlossen ist, 
nämlich dann, wenn, wie schon erwähnt, fast der ganze Pocken¬ 
körper durch eine centrale Höhlung eingenommen wird. 

Ausser den Pockonkörpern sind zuerst von Ben da und dann 
von Apolant Einschlüsse anderer Art in den erkrankten Zellen 
beschrieben worden. Diese Gebilde färben sich mit Kernfarb¬ 
stoffen und sollen nach Apolant aus dem Kern ausgewandert 
sein. Schubotz und ich haben dann Körperchen beschrieben, 
die sich vor allem mit Giemsalösung purpurrot färben und häufig 
die Eigentümlichkeit zeigen, dass sie kettenartig angeordnet 
sind. (Figur 2.) Ob die von uns gefundenen Gebilde mit detf 


Fizur 2. 



von Apolant als „Benda’sche Körperchen“ bezeichnten Körpern 
etwas zu tun haben, war uns früher nicht klar geworden. Die 
Benda’schen Körperchen schienen etwas grösser zu sein, und 
ferner war von Apolant die von uns_so häufig gesehene Ketten- 


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23. Juni 1913. 


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form nicht angegeben worden. Wir fanden diese kettenförmig 
angeordneten Körner in der Regel neben den Pockenkörpern und 
vermissten sie in Zellen, die noch keine Pockenkörper enthalten, 
vor allem aber in den Zellen der äusseren Lagen. Das Bild, das 
die Körper, wie wir sie früher fanden, zeigen, ist sehr mannig¬ 
faltig. Bald findet mau sie in Reihen angeordnet, bald in 
Häufchen. (Figur 2 und 3.) Teilweise liegen sie frei im aufge¬ 
lockerten Protoplasma, teilweise findet man sie von einer be¬ 
sonderen Substanz umschlossen (Figur 4), was übrigens die früheren 

Figur 3. 


Dieser Zerfall erfolgt anscheinend im wesentlichen auf zweierlei 
Weise. Und zwar verhalten sich auch hierbei, wie bei der Bildung der 
Pockenkörper, die stärker verhornten Zellen anders, als die in früheren 
Stadien des Verhornungsprozesses erkrankten Zellen. In ersteren fiudet 
man vorwiegend zerstreute, nicht in Ketten aufgereihte Körnchen, während 
in den tieferen bzw. weniger verhornten Zellen die letztere Anordnung 
häufiger vorkommt. Die erstere Art von Körnchen, die wohl mit den B e n d a - 
sehen Körnchen identisch ist, entsteht dadurch, dass das Cbromatin eines 
Zellkerns, unter Undeutlichwerden dös Liningerüsts, zu Tröpfchen zu¬ 
sammenläuft, die teilweise zu etwas grösseren Tröpfchen verschmelzen 
können. Der ganze Kern, dessen Membran zunächst noch erkennbar 
bleibt, wird blasser, so dass sich die stark gefärbten Chromatiutröpfchen 
um so schärfer abheben. (Figur 5.) Schliesslich schwindet die Kern¬ 
membran und die runden Tröpfchen, Kügelchen oder Körnchen kommen 
frei in das Protoplasma der Zelle zu liegen, soweit man von einem 
solchen bei der blasigen Degeneration der Zellstruktur überhaupt noch 
zu reden berechtigt ist. 

Figur 5. 


Figur 4. 


Beobachter Doch nicht gesehen hatten. Derartige Vorkommnisse"er- 
wecken einen eigentümlichen Eindruck, und wenn man sie für 
sich allein sieht, so könnte man wohl geneigt sein, sie für einen 
kernhaltigen intracellulären Parasiten zu halten, während die 
reihenförraig angeordneten Gebilde oft direkt an Streptokokken 
erinnern. Sehr häufig, ja in der Regel fanden wir diese Gebilde 
nicht in der Nachbarschaft des Zellkerns, sehr oft sogar waren 
sie von diesem durch einen grossen Pockenkörper getrennt. Wir 
mussten daher früher zu dem Ergebnis kommen, dass sich Be¬ 
ziehungen dieser Körner zum Zellkern nicht nachweisen liessen. 

Inzwischen ist es mir nun zunächst gelungen, diese Körper 
schon an den ersten Infektionstagen zu finden, und zwar 
auch dann, wenn die Zellen selbst noch keine Spur von Pocken¬ 
körpern enthielten. Auch in solchen Zellen liegen sie nicht 
immer in Häufchen, sondern lassen schon mitunter eine Anordnung 
in Reihen erkennen. Der Gedanke war nun gewiss sehr ver¬ 
lockend, sie als die so lange gesuchten Erreger zu begrüssen. Bei 
anhaltendem Untersuchen ergab sich aber die Eigentümlichkeit, 
dass die Gebilde um so zahlreicher sind, je mehr auch am Kern 
Veränderungen zu bemerken sind. In Zellen, die sie in grösserer 
Menge enthalten, erscheint der Kern mehr und mehr geschrumpft 
und gefaltet; die Reste, aus denen er zu bestehen scheint, werden 
klumpig und kompakt und lassen von der ursprünglichen Struktur 
nichts oder kaum noch etwas erkennen. Diese Beobachtung legte 
den Gedanken nahe, dass der Ursprung der Körner im Zellkern 
zu suchen sein möchte, wie es Apolant für die Benda’schen 
Körperchen angenommen hatte. Dagegen schien nur zu sprechen, 
dass ausserordentlich oft der Kern neben gut entwickelten 
Körperchen anscheinend noch ganz unversehrt ist. Die Erklärung 
hierfür ist jetzt aber dadurch gegeben, dass es, wie vorhin ge¬ 
schildert, gelang, sehr häufig zwei oder gar mehrere Kerne in der 
Zelle nachzuweisen. Vor allem aber fand ich Fälle, wo der eine 
Kern noch gut erhalten war, während der andere Anzeichen des 
Zerfalls erkennen liess. 


Bei der zweiten Art der Kernzerstörung ist der Vorgang etwas anders. 
Hier scheinen die Körnchenreihen oder Ketten dadurch zu entstehen, 
dass der Zellkern schmale Fortsätze bildet, die in die Körnchen zerfallen 
(Figur 6), oder, wie es in anderen Fällen den Anschein hat, dadurch, 
dass das Chromatin in Form der Körnchen oder Tröpfchen an ein¬ 
zelnen Stellen des Kernes austritt oder geradezu ausgespritzt wird. In 
solchen Zellen sind die Kerne nicht völlig zerstört, sondern man findet 
neben den Körnchen in der Regel noch die oben beschriebenen ge¬ 
schrumpften und zusammeugefallenen Zellkerne. Man gewinnt den Ein¬ 
druck, als ob der Kern seine ganze Flüssigkeit an das Protoplasma ab¬ 
gegeben und als ob dabei die Tröpfchen von Chromatin mit hiuausgelangt 
seien. Ich muss jedoch betonen, dass ich diese Vorstellung über die 
erwähnte Art der Kernumwandluog nur mit einigem Vorbehalt hier 

Figur 6. 


wiedergebe. Dass die in Ketten angeordneten Körnchen allerdings aus 
dem Zellkern entstehen, erscheint mir sicher, da sie sich von den zer¬ 
streut in den Zellen liegenden Körnchen, deren Entstehung auf die oben 
geschilderte Art sichergestellt ist, in nichts als durch die Anordnung 
unterscheiden. 

Das gleiche gilt für die Körnchen, die in besondere, von den Pocken¬ 
körpern durch die Färbung unterschiedene Körper eiogeschlossen sind 
(Figur4). Dass auch diese Körnchen aus dem Chromatin des Kernes stammen, 
erscheint mir unzweifelhaft; ich habe aber bisher noch nicht ermitteln 
können, auf welche Weise die sie umsohliessenden Körper entstehen. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26. 


So komme ich denn zu dem Schlösse, dass sowohl die in 
Kettenform angeordneten Körperchen, wie die solche Körperchen 
um8chliessenden Körper, die beide dazu verleiten könnten, sie als 
Organismen anzuBehen, keine Parasiten, sondern Umwandlungs¬ 
produkte von Kernsubstanzen sind. Dass sie nicht mit den von 
verschiedenen Autoren in Ausstrichen gefundenen und vor allem 
durch die Löffler’sche Geisselfärbung nachgewiesenen, als die Er¬ 
reger angesehenen Körperchen identisch sind, gebt vor allem schon 
daraus hervor, dass die letzteren in viel grösserer Menge vor¬ 
handen sind. 

Ausser den Pockenkörpern und den eben beschriebenen, sich 
wie Cbromatin färbenden und durch Zerstörung des Zellkerns 
entstehenden Körperchen, habe ich nun vor kurzem noch weitere 
intracellulär liegende kleine Kügelchen gefunden, die sich bei 
Giemsafärbung etwa hell carminrot, heller als das Chromatin und 
dunkler als die Pockenkörper, färben. Ich fand sie in Zellen, 
die sowohl Pockenkörper, wie Chromatinkörnchen enthielten, aber 
nur in vereinzelten Präparaten und in diesen nur in bestimmten 
Partien. Ihre Bedeutung ist mir bisher nicht klar geworden. Es 
wird weiter zu pröfen sein, ob sie mit anderen Methoden besser 
und regelmässiger nach zu weisen sind. 

Da es nach früheren Beobachtungen von Schubotz und mir 
keiner Frage unterliegt, dass die Erkrankung des Epithels sich 
von der Impfstelle aus konzentrisch ausbreitet, habe ich schon 
lange und unausgesetzt mein Augenmerk auch darauf gerichtet, 
ob sich nicht am Rande der erkrankten Gewebepartien besondere 
Gebilde bemerken lassen. Das Weiterscbreiten des Prozesses, das 
anscheinend von Zelle zu Zelle erfolgt, liess daran denken, dass 
vielleicht in den Intercellularräumen des Epithels Stadien eines 
etwaigen Parasiten zu finden sein müssten. Bei den darauf ge¬ 
richteten Beobachtungen fielen mir nun zweierlei Gebilde auf. 

Die eine Gruppe bestand aus einer wieder neuen Art von 
Körperchen, die sich mit Giemsalösung blau färbten. Ich fand sie, 
besonders in nicht oder kaum sonst veränderten Epithelpartien, 
auch schon in den ersten Tagen nach der Impfung, in den etwas 
erweiterten Intercellularräumen. In der Regel liegen sie in 
kleinen Gruppen zusammen. Obwohl ich mein Urteil über sie 
noch nicht als endgültig feststehend bezeichen möchte, halte ich 
es doch für wahrscheinlich, dass sie durch Zerstörung von Inter¬ 
cellularbrücken entstehen. Ich halte dies deshalb für wahrschein¬ 
lich, weil ich öfters beobachtete, dass sie in der Nähe von Zellen 
lagen, die sich abgerundet und aus dem Gewebeverband gelöst 
hatten und von einem mehr oder weniger grossen Raum um¬ 
geben waren. 

Die zweite Art von Gebilden, die ich in den Intercellular¬ 
räumen antraf, und zwar ebenfalls schon in den ersten Tagen 
nach der Impfung, und auch öfters an der Grenze gegen das ge¬ 
sunde Gewebe, waren mehr oder weniger weit sich erstreckende 
Massen, die wie Ausgüsse von durch Zerstörung der Brücken 
verschmolzenen Intercellularräumen erschienen. Diese Massen 
färbten sich mit sauren Anilinfarben. Bei manchen von ihnen 
erschien es mir nicht zweifelhaft, dass es sich um seröse Trans¬ 
sudate handelt. Solche bilden sich nicht nur schon bei der 
Impfung, sondern auch bei der späteren Umwandlung der er¬ 
krankten Partien finden sie sich ebenso häufig, wie bis zur Ober¬ 
fläche der Haut reichende Blutungen. Mit letzteren hängt es zu¬ 
sammen, dass man auch öfters Blutkörperchen in den Zwischen¬ 
räumen zwischen den Zellen antrifft. In anderen Fällen hatte 
ich den Eindruck, als ob die erwähnten Massen Pockenkörper 
wären, die sich in die Intercellularräume ergossen. Dass die 
Substanz der Pockenkörper tatsächlich zähflüssig ist, habe ich ja, 
gemeinsam mit Schubotz, schon früher festgestellt. 

Auf andere Beobachtungen, wie auf das Auftreten eigentüm¬ 
licher faseriger Strukturen im Epithel u. a. m., kann ich hier 
nicht eingehen. 

Fassen wir die Ergebnisse zusammen, so muss zunächst ge¬ 
sagt werden — worauf schon oben hingewiesen wurde —, dass die 
von Borei, ßurnet, v. Prowazek, Lipschütz u. a. als Erreger 
angesehenen Körperchen nicht als solche angesehen werden dürfen, 
bevor nicht andere Beweise als bisher hierfür erbracht sind. Ebenso¬ 
wenig können die Benda’schen Körperchen und die von 
Schubotz und mir gefundenen Körperchen, die häufig in Reihen 
angeordnet und in besondere Massen eingeschlossen erscheinen, 
als Parasiten, geschweige als Erreger betrachtet werden. Auch 
die anderen von mir festgestellten intra- und intercellulär 
liegenden kleinen Körperchen zeigen keine Eigenschaften, aus 
denen geschlossen werden müsste, dass ihnen eine derartige 


Rolle zukäme. Die Frage nach dem Erreger der Geflügelpocke 
muss daher noch immer als ungelöst bezeichnet werden. 

Abgesehen von diesen Ergebnissen kritischer Art haben die 
vorliegenden Untersuchungen zur Kenntnis der Veränderungen io 
den erkrankten Zellen auch einiges andere beigetragen. 

Den früheren Feststellungen über den Bau und die Ent¬ 
stehung der Pockenkörper konnte hinzugefügt werden, dass ihre 
Ausbildung je nach dem Grade der Verhornung des Epithels sich 
verschieden verhält. Vor allem aber war es möglich, die Ver¬ 
änderungen der Zellkerne weiter aufzuklären. Es wurde gezeigt, 
dass ausser der selbst noch in erkrankten Zellen eintretenden 
mitotischen Teilung, bei welcher Cbromatinabspaltungen Vor¬ 
kommen, sehr häufig ein Zerfall der Kerne in zwei und noch 
mehr Einzelkerne stattfindet, und dass die Kerne in eigentüm¬ 
licher Weise zugrunde gehen können. Dieser Zerfall der Kerne 
führt zur Bildung der von Benda, Apolant, Schubotz und 
mir beobachten Körperchen. Die Kern Veränderungen beginnen 
mitunter schon, bevor oder ohne dass die Zellen Pocken¬ 
körper enthalten, und zwar nicht nur der Zerfall in 
mehrere Kerne, sondern auch die Zerstörungserscheinungen. 
Daraus ergibt sich aber, dass schon sehr frühzeitig — und jeden¬ 
falls nicht etwa sekundär, im Anschluss an die Bildung der 
Pockenkörper und die mit ihrer Entstehung einhergehenden Ver¬ 
änderungen des Protoplasmas — auch die Zellkerne erkranken. 
Ob etwa die Erkrankung der Kerne der primäre Vorgang ist, 
durch den erst die anderen Störungen des Lebens der Zellen be¬ 
dingt werden, lässt sich nicht sagen. Diese Feststellung legte 
nahe, in den Kernen noch besonders nach Parasiten zu suchen; 
es gelang indessen nicht, irgend etwas zu finden, was als solche 
aufgefasst werden könnte. 

Schliesslich aber hat sich aufs neue gezeigt — und auch 
das dürfte kein ganz unwichtiges Ergebnis sein —, dass Unter¬ 
suchungen der vorliegenden Art mit den grössten Schwierigkeiten 
verbunden sind und deshalb ein ganz besonders hohes Maass von 
Vorsicht erfordern. Nur eindringendste Untersuchung der so 
mannigfachen und komplizierten histologischen und cytologischen 
Veränderungen der erkrankten Gewebe sowie stete Berücksichtigung 
aller Fehlerquellen unter unablässiger und oft wahrhaft ent¬ 
sagungsvoller Selbstkritik kann davor bewahren, die zahlreichen, 
durch den Krankheitsprozess bedingten Erzeugnisse der Zellen als 
Parasiten und Krankheitserreger zu deuten. 


Aus dem Institut für experimentelle Pharmakologie 
der Universität Lemberg. 

Hypophysis und ihre Präparate in Verbindung 
mit ihren wirksamen Substanzen. 

Von 

Prof. Dr. L. Popielski, Direktor des Instituts. 

Die Hypopbysis und ihre Präparate erfreuen sich gegenwärtig 
einer weiten Anwendung als Mittel, welche die Gebortswehen er¬ 
regen. Diese Wirkung ruft die Hypophysis jedoch im letzten 
Schlussstadium des Geburtsaktes, welches der normalen Geburt 
unmittelbar vorangeht, hervor. In Anbetracht dieses Umstandes 
entsteht Zweifel an der Richtigkeit der Schlussfolgerung, dass 
die Erregung der Geburtswehen gerade durch die Einführung des 
Hypophysispräparats hervorgerufen worden und nicht spontan ein¬ 
getreten ist. Es ist vollkommen klar, dass die Wirkung auf dis 
Geburtswehen schon infolge der Einführung des Mittels allein bzw. 
infolge der mit der Einführung des Mittels verknüpften psychi¬ 
schen Momente eintreten kann. Der Geburtsakt kann spontan 
ablaufen, und die exspektative Behandlungsmethode ist in der 
Geburtshilfe mit Recht das sicherste Verfahren selbst in sehr 
schweren, fast hoffnungslosen Fällen. Die Wirkung der Hypo¬ 
physispräparate auf den isolierten Uterus kann gleichfalls keines¬ 
wegs als ausreichender Grund gelten, um sie als wehenerregende 
Mittel anzuerkennen. Die Zahl der Mittel, welche Kontraktionen 
des isolierten Uterns erregen, ist sehr gross. Der Uterus ist 
augenscheinlich ein sehr empfindliches Organ, welches auf jede 
Störung der normalen Zusammensetzung der Nährflüssigkeit mit 
Kontraktionen reagiert. 

So sind beispielsweise das Adrenalin, das Pepton von Witte 
Mittel, welche Kontraktionen des isolierten Uterus hervorrufen, 
und doch können diese Mittel aus diesem Grunde keineswegs als 
wehenerregende Mittel betrachtet werden. Das einzig sichere und 


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vollkommen genügende Postulat, um ein Mittel als wehenerregend 
anzuerkennen, wäre die Fähigkeit desselben, den Geburtsakt so¬ 
wohl beim Tiere als auch in geeigneten Fällen beim Menschen in 
jedem beliebigen Augenblick der Schwangerschaft hervorzurufen. 
Dieses Postulat ist für die Hypophysispräparate jedoch nicht er¬ 
bracht. Es wäre von ausserordentlichem Interesse, die Frage der 
wirkenden Substanzen der Hypophysis zu erörtern und gleich¬ 
zeitig die Beziehung derselben zu den Präparaten zu beleuchten, 
die in der medizinischen Praxis angewendet werden. In der ein¬ 
gehenden Studie der physiologischen und chemischen Eigenschaften 
der Hypophysisextrakte hat Dr. Studzinsky 1 ) den Nachweis er¬ 
bracht, dass die Hypophysis zwei wirksame Prinzipien enthält: 
das eine, welches den Blutdruck herabsetzt, und das andere, 
welches den Blutdruck steigert. Die erste dieser Substanzen be¬ 
findet sich hauptsächlich im vorderen, die zweite im hinteren 
Teile der Hypophysis. Die Wirkung des Vasohypertensins ist auf 
Kurve 1 dargestellt. Die Steigerung des Blutdruckes geht mit sehr 

Kurve 1. 


Die obere Kurve bedeutet den Blutdruck (zu lesen von links nach rechts), 
die mittlere die Zeit in Sekunden. Die untere Linie dient zur Be¬ 
zeichnung der Zeit der Substanzeinführung. 

X = Einführung von Extrakt aus dem hinteren Teile der Hypophysis 
in einer Quantität von 1,0 frischen Organs pro Kilogramm Körpergewicht 
des Versuchshundes. 

charakteristischem Aktionspuls centralen Ursprungs einher, da die¬ 
selbe nach Durchschneidung der NN. vagi verschwindet. Es muss 
darauf hingewiesen werden, dass die Tiere nach der Einführung 
dieser Substanz, die den Blutdruck steigert, sich beruhigen und 
gleichsam in Schlaf versinken. Die Einführung selbst von einigen 
Gramm vom hinteren Teile pro Kilogramm Körpergewicht des 
Versuchstieres bewirkt keine bemerkbaren Störungen im Zustande 
desselben. Sowohl die Steigerung als auch das Sinken des Blut¬ 
druckes sind Erscheinungen peripherischen Ursprungs, da sie auch 
nach der Durchschneidung des Rückenmarks unter der Medulla 
oblongata, ferner nach Durchschneidung der NN. splanchnici und 
NN. vagi eintreten. In den aus der ganzen Hypophysis herge¬ 
stellten Extrakten kann man beide Substanzen mittels Phosphor¬ 
wolframsäure voneinander trennen, die den Kö»per, der den Blut¬ 
druck herabsetzt, ausfallen lässt, so dass in das Filtrat der Körper 
übergeht, der den Blutdruck steigert. Die beiden Körper in reinem 
Zustande zu isolieren, ist mittels der Phosphorwolframsäure je¬ 
doch nicht möglich. 

Durch weitere Bearbeitung der beiden Körper hat Dr. Stud¬ 
zinsky nachgewiesen, dass der Körper, der den Blutdruck her¬ 
absetzt, mit dem Vasodilatin identisch ist, welches sich in allen 
Organen unseres Körpers befindet, während der Körper, der den 
Blutdruck steigert, mit dem Vasohypertensin identisch ist, welches 
im Blute (Studzinsky), in der Thymus, in den Speicheldrüsen, 
im Pankreas und im Gehirn (Popielski) gefunden worden ist. 

Nun fragt es sich, in welchem Verhältnis die beiden erwähnten 
wirksamen Substanzen in den Hypophysispräparaten überhaupt 
enthalten sind, welche in der medizinischen Praxis Verwendung 
finden. 

Die therapeutischen Hypophysispräparate kann man in zwei 
Gruppen einteilen. Zu der ersten gehören das Pituitrin und 
Pituglandol, zu der zweiten das Hypophysin. Die Körper der 
ersten Gruppe steigern den Blutdruck, derjenige der zweiten 
Gruppe setzt denselben herab. Das Hypophysin setzt den Blut¬ 
druck, sofern man nach der von Fühner 2 ) aufgenommenen Kurve 
urteilen kann, herab. Das Pituitrin und das Pituglandol steigern 
den Blutdruck, wobei der für das Vasohypertensin charakteris¬ 
tische Aktionspuls entsteht. Die Erklärung Fühner’s, dass er 
die wirksame Substanz der Hypophysis nach Studzinsky mittels 
Phosphorwolframsäure in kristallinischem Zustande erhalten habe 
(Hypophysin), ist unbedingt falsch. 

Es kann kein Zweifel darüber obwalten, dass Fühner eine 
kristallinische Mischung erhalten hat, die aber nicht die wirksame 
Substanz selbst ausmachte, sondern nur eine Beimengung zu der¬ 
selben war. 


1) Dr. I. Studzinsky, Russki Wratsch, 1911, No. 17—19. 

2) Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 11, S. 491. 


ÜB* 


Sämtliche erwähnten Präparate: Pituitrin, Pituglandol, Hypo¬ 
physin wirken in gleichem Grade gut, wovon man sich an der Hand 
der Mitteilungen der Aerzte, die diese Präparate in ihrer Praxis 
angewendet haben, überzeugen kann. Und doch setzt das Hypo¬ 
physin den Blutdruck herab, während das Pituitrin und das Pitu¬ 
glandol denselben steigern. Mit einem Worte: zwei Substanzen 
mit diametral entgegengesetzten physiologischen und chemischen 
Eigenschaften entfalten in gleichem Maasse eine wehenerregende 
Wirkung. Daraus muss man schliessen, dass entweder beide 
Körper nicht wirken, und dass in diesem Falle die Erregung der 
Wehen durch andere Ursachen bedingt wird, oder aber, dass 
beide Körper aktiv sind. Ich kann nicht umhin, auf eine private 
Mitteilung eines Klinikers und Geburtshelfers hinzuweisen, der 
bei der Anwendung der Hypophysinpräparate gar keinen Effekt 
beobachtet haben will. 

In bezug auf das Vasodilatin wäre zu bemerken, dass das¬ 
selbe bei subcutaner Applikation auf den Blutdruck gar keine 
Wirkung ausübt. Infolgedessen muss man die Hypophysis¬ 
präparate, welche den Blutdruck herabsetzen, als unbedingt un¬ 
wirksam betrachten, sofern natürlich die Wirkung auf den Uterus 
mit derjenigen auf den Blutdruck identifiziert wird. In bezug 
auf das Vasohypertensin ist zu bemerken, dass dasselbe, wenn es 
auch bei subcutaner Applikation irgendwelche sichtbaren 
Wirkungen nicht hervorbringt, auf den Uterus immerhin zu wirken 
vermag, da es, indem es die Uterusgefässe kontrahiert, Kon¬ 
traktionen des Uterus hervorrufen kann. Diese Schlussfolgerung 
ist jedoch rein theoretischer Natur und bis auf den heutigen Tag 
durch irgendwelches auf Tatsachen beruhendes Material nicht be¬ 
kräftigt worden. 

Ich kann nicht umhin, zu bemerken, dass die käuflichen 
Hypophysispräparate auf den Blutdruck eine sehr inkonstante 
Wirkung ausüben. So wiikte in meinen Experimenten das Pitu¬ 
glandol gerade entgegengesetzt, indem es den Blutdruck herab¬ 
setzte, und doch soll das Pituglandol nach den Erklärungen der 
Aerzte, die dasselbe angewendet haben, in allen Fällen eine 
günstige Wirkung auf die Wehentätigkeit ausüben. Künftighin 
müsste man vom vorderen Teile und vom hinteren Teile der 
Hypophysis gesondert Präparate herstellen oder, wenn man die 
Präparate aus der ganzen Hypophysis herstellt, mittels Phosphor¬ 
wolframsäure das Vasohypertensin vom Vasodilatin absondern. 

Die veröffentlichen Beobachtungen geben keine zuverlässigen 
Anhaltspunkie dafür, um die Hypophysis als wehenerregendes 
Mittel anzuerkennen, und wenn diest-m Organ eine Wirkung auf 
die Geburtswehen zukommt, so kommt eine solche in demselben 
Maasse auch allen übrigen Organen zu, da in allen Organen so¬ 
wohl Vasodilatin als auch Vasohypertensin enthalten ist. 

Die Gewinnung von Vasohypertensin in relativ reinem Zu¬ 
stand ist mit Schwierigkeiten nicht verknüpft. Man muss zu 
diesem Zwecke frische Hypophysispräparate sorfältig zerreiben 
und unter Kochen mit Wasser bearbeiten; das Filtrat wird, so¬ 
bald es eingedickt ist, mittes Phosphorwolframsäure gefällt. Das 
Filtrat wird dann nach Spaltung der Phosphorwolframsäure durch 
Aetzbaryum, nach Entfernung des Baryums mittels Schwefelsäure 
und dieser letzteren mittels Soda so lange abgedampft, bis der 
Trockenrückstand verbleibt, der dann mittels 96proz. Alkohols 
extrahiert wird. Der Alkoholextrakt wird mittels Alkoholsublimat 
gefällt: in den Niederschlag geht dann das Vasohypertensin in 
relativ reinem Zustande über. Dieses gereinigte Vasohypertensin 
steigert den Blutdruck mit charakteristischem Aktionspuls, wie 
dies aus Kurve 2 zu ersehen ist, wo der Blutdruck von 40 mm 
bis 104 mm gestiegen ist. 

Das Vasohypertensin erweist sich als intensiv wirkender 
Körper. Diejenige Steigung des Blutdruckes, die auf Kurve 2 
dargestellt ist, ist das Resultat von 0,25 frischer Hypophysis pro 

Kurve 2. 



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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26. 


Kilogramm Körpergewicht des Versuchsbundes: der Blutdruck ist 
von 36 mm auf 186 mm gestiegen. Auf den Trocken rück stand 
berechnet erhalten wir pro Kilogramm Körpergewicht 0,10. Wenn 
man annimmt, dass in der Trockensubstanz der Hypopbysis im 
Maximum 1 pCt. Vasohypertensin enthalten ist, so kommt auf das 
Kilogramm Körpergewicht 0,001 Vasohypertensin. Um die auf 
der Kurve 2 dargestellte Wirkung zu erzielen, hätte man einem 
Menschen von 80 kg Körpergewicht 0,08 Vasohypertensin ein¬ 
führen müssen. Bei subcutaner Applikation müsste man zur Er¬ 
zielung desselben Effektes bedeutend mehr einführen. Bei zehn¬ 
facher Quantität würde man einem Menschen von 80 kg Körper¬ 
gewicht subcutan 0,8 einführen müssen. 

Das Vasohypertensin erleidet bei 100° sowohl im sauren als 
auch im alkalischen Medium keine Veränderungen. Bei der Ge¬ 
winnung von Vasohypertensin aus der Hypophysis hat man nur 
mit der Schwierigkeit, eine genügende Quantität des Präparats 
zu gewinnen, zu kämpfen. Jedoch in grossen Städten würde 
auch diese Schwierigkeit kaum in Betracht kommen. Zur Kon¬ 
servierung der Hypopbysis kann man absoluten Alkohol anwenden, 
der, wie die Experimente von Studzinsky ergeben haben, die 
wirksamen Substanzen nicht alteriert. 


Zur Tonsillektomiefrage. 

Von 

Dr. Max Goerke-Breslau. 

(Nach einem in der 20. Tagung des Vereins deutscher Laryngologen zu 
Stuttgart gehaltenen Vortrage.) 

Die chirurgischen Maassnahmen an den Gaumenmandeln 
haben durch die Wiedereinführung der lange Zeit hindurch ver¬ 
nachlässigten und nur von wenigen geübten Methode der Ton¬ 
sillektomie (Enucleation der Mandeln, Totalausschälung der Ton¬ 
sillen), d. h. der Entfernung der Tonsillen mitsamt ihrer binde¬ 
gewebigen Kapsel, eine unbestreitbare Bereicherung erfahren. 
Namentlich ist es den Bemühungen der beiden Hopmann und 
Winckler’s zu danken, dass dieser Methode die ihr gebührende 
Beachtung von seiten der deutschen Laryngologen geschenkt 
wurde. 

Wie bei jedem neu angegebenen oder der Vergessenheit ent¬ 
rissenem Operationsverfahren waren es auch hier zunächst Fragen 
der Methodik, technische Details, Gefahren und Komplikationen 
des Eingriffs und ihre Vermeidung, die eine eingehende Erörterung 
fanden und eine lebhafte Diskussion anregten, während von den 
Indikationen nicht viel die Rede war. Es blieb anscheinend 
jedem überlassen, sich seine eigene Indikationsstellung zurechtzu¬ 
legen, und so kam es, dass die Ansichten über Anzeigen und 
Gegenanzeigen bei der Tonsillektomie lange Zeit hindurch weit 
auseinandergingen und noch heute zum Teil auseinandergehen. 
Erst in allerjüngster Zeit macht sich die Tendenz bemerkbar, sich 
über gewisse Grund- und Richtlinien der Indikationsstellung zu 
einigen. 

Wenn man die laryngologische Fachliteratur der letzten Jahre 
durchblättert, so gewinnt man unverkennbar den Eindruck, dass 
die Indikation zur totalen Entfernung der Tonsillen bei den 
meisten Autoren ganz wesentlich von gewissen Anschauungen be¬ 
einflusst wird, die sie von der Funktion der Gaumenmandeln, 
ihrer physiologischen Bedeutung sich gebildet haben. Was diese 
physiologische Rolle der Tonsillen betrifft, so stehen sich gegen¬ 
wärtig, wenn man von verschiedenen anderen belangloseren, mehr 
oder weniger unhaltbaren Theorien absieht, zwei Annahmen ein¬ 
ander diametral entgegen. Die eine Hypothese erblickt in den 
Mandeln einen wirksamen Schutzapparat des Körpers („Abwehr¬ 
theorie 11 ), die andere hält sie für schädliche und der Gesund¬ 
heit des Organismus höchst unzuträgliche Gebilde („Infektions¬ 
theorie“). 

Ich habe mich vor einer Reihe von Jahren an anderer 
Stelle 1 ) für die erstere Annahme entschieden, ich habe in An¬ 
lehnung an eine zuerst von Brieger formulierte Hypothese auf 
Grund anatomischer, experimenteller und klinischer Untersuchungen 
den Beweis zu erbringen versucht, dass den Tonsillen, wie über¬ 
haupt dem adenoiden Gewebe des Schlundringes, die Fähigkeit 
eignet, den Organismus vor gewissen Infektionen zu schützen. 


1) Archiv f. Laryngol., Bd. 19. 


Nun wird von den Vertretern der Infektionstheorie als Haupt¬ 
einwand gegen die Annahme einer Schutztätigkeit der Mandeln 
immer und immer wieder die Tatsache angeführt, dass die Ton¬ 
sillen nachgewiesenermaassen ausserordentlich häufig die Eingangs- ' 
pforte für mannigfache Infektionskrankheiten darstellen, was durch 
ungezählte klinische Beobachtungen illustriert wird. 

Da nun mit diesem Einwaude gegen die Abwehrtheorie die 
Frage der Indikationssiellung bei der Totalausschälung in engstem 
Zusammenhänge zu stehen scheint, muss ich auf ihn ganz kurz 
an dieser Stelle eingehen. Normalerweise tritt bei den Mandeln, 
wenn sie ihre physiologische Rolle ausgespielt haben, Involution 
ein, d. h. das Resultat gewisser Rückbildungsvorgänge, genau wie 
bei anderen Organen, deren Funktion erledigt oder überflüssig 
geworden ist. Diese Involutionsvorgänge sind klinisch sowohl als 
histologisch genau zu beobachten; ich habe sie ausführlich be¬ 
schrieben 1 ) und die Ueberzeugung ausgesprochen, dass sie der 
Ausdruck und die Folge einer auf irgendeinem Wege erworbenen 
Immunität gegen gewisse, besonders dem Kindesalter eigentüm¬ 
liche Infektionskrankheiten sind. Des weiteren habe ich klarzu¬ 
stellen versucht, welche Momente diesen Involutionsprozess ver¬ 
zögern oder aufhalten können, Momente, die teils ausserhalb der 
Mandeln, teils in ihnen selbst liegen. Es spielen sich hier nament¬ 
lich Veränderungen innerhalb der Mandeln ab (Kryptenbildung, 
Cystenbildung usw.), die ihre Schutzwirkung in das Gegenteil 
umkehren, d. h. die Mandeln zu einer Quelle fortwährender Be¬ 
lästigung und Beunruhigung für den Träger machen, die Tonsillen, 
um ein treffendes Bild Hopmann des Aelteren zu gebrauchen, 
in „verschlammte Filter“ verwandeln. Dass bei solcherweise ver¬ 
änderten Mandeln von einer normalen physiologischen Tätigkeit 
nicht die Rede sein kann, versteht sich von selbst. Sulche 
Mandeln bilden freilich in ungezählten Fällen den Ausgangspunkt 
schwerer Allgemeinerkrankungen; die Frage nach der normalen 
Funktion der Tonsillen wird jedoch durch derartige pathologische 
Erfahrungen nicht im geringsten berührt. Welchen Einfluss müssen 
aber — diese Frage ist für uns augenblicklich die wichtigere — 
derartige Vorstellungen auf unsere Indikationsstellung bei den 
Operationen an den Mandeln ausüben? 

Wie wenn ich seinerzeit geahnt hätte, dass man aus meinen 
physiologischen Erwägungen falsche Folgerungen für die Praxis 
ziehen könnte, erklärte ich im Anschlüsse an meine Auseinander¬ 
setzungen über die Funktion des lymphatischen Gewebes, dass 
nur, wer an der Oberfläche der Frage haften bleibt, ohne in sie 
einzudringen, als Anhänger der Infektionstheorie für radikale Aus¬ 
rottung des tonsillaren Gewebes, als Vertreter der Abwehrtheorie 
für dessen ängstliche Erhaltung eintreten wird. Die Einseitigkeit 
und Verkehrtheit des einen wie des anderen Standpunktes ist ein¬ 
leuchtend. Ich fügte damals hinzu, dass wir nach wie vor daran 
festhalten müssen, alle Tonsillen, die durch ihre Hyperplasie zu 
Störungen der Sprache, zu Störungen von seiten der Ohren usw. 
führen, zu entfernen und sagte wörtlich — und das ist der Kern¬ 
punkt der ganzen Indikationsfrage: „Ferner bleibt die Indikation 
zur Entfernung aller solcher Mandeln bestehen, bei denen Vor¬ 
gänge, die sich innerhalb der Mandel abspielen, den Eintritt der 
Involution aufgehalten haben, während die zur Auslösung der 
Schutzfunktion notwendigen Faktoren schon lange nicht mehr 
wirksam sind (i. e. Immunität für verschiedene Affektionen ein¬ 
getreten ist). Hier werden wir die besten therapeutischen Erfolge 
erzielen, denn hier wird eine Regeneration (sc. des adenoiden 
Gewebes) nicht mehr eintreten, vorausgesetzt, dass wir alles Krank¬ 
hafte entfernt haben; hier also werden wir möglichst 
radikal Vorgehen müssen und können.“ 

Ich habe also schon zu einer Zeit, wo die Totalausschälung 
der Mandel als prinzipielle Methode noch nicht allgemein durch¬ 
geführt war, für eine solche Operation auf Grund physiologischer 
und pathophysiologischer Erwägungen plädiert. Ich habe niemals 
die „Abwehrtheorie“ als zureichenden Einwand gegen die Ton¬ 
sillektomie angesehen, und es muss zum mindesten überflüssig er¬ 
scheinen, wenn manche, wie Pässler und Piffl, gegen die Ab¬ 
wehrtheorie als gegen ein Hindernis für eine zielbewusste und 
rationelle Indikationsstellung zu Felde ziehen. Ich möchte noch¬ 
mals mit aller Schärfe betonen, dass Funktion der Tonsillen und 
Indikation zu ihrer Totalausschälung miteinander nichts zu tun 
haben — mit einer einzigen, allerdings sehr wichtigen Ausnahme. 
Diese Ausnahme bilden die Kinder. 

Bei Kindern bis etwa zum zwölften Lebensjahre, d. h. bis za 
der Zeit, wo die physiologischen Involutionsvorgänge einsetsen, 


1) Archiv f. Laryngol., Bd. 16. 


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28. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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halte ich eine Tonsillektomie für ko'ntraindiziert. In diesem 
Lebensalter ist nach unserer Auffassung die Funktion der Mandeln 
noch im vollen Gange, es ist Immunität für solche Erkrankungen, 
welche die Schutzwirkung der Tonsillen auslösen und mitunter zu 
einer starken Hyperplasie, d. h. dem anatomischen Ausdrucke 
einer gesteigerten physiologischen Tätigkeit, einer intensiven 
funktionellen Inanspruchnahme der Mandeln führen, noch nicht 
eingetreten. Die Erfahrung lehrt denn auch, dass wir hier mit 
scbonenderen Maassnahmen auskommen, sei es, dass wir das 
Tonsillotom benutzen, sei es, dass man nach dem Vorgänge von 
Spiess die Krypten mit Novocainlösung auswischt oder nach 
Thost mit Jodtinktur, sei es, dass man, wie Siebenmann und 
Seifert es tun, Ausspülungen der Taschen vornimmt. Wir werden 
also Kindern unbedingt eine immerhin eingreifende Operation er¬ 
sparen müssen und dies um so eher tun, als wir zu gewärtigen 
haben, dass im Kindesalter in vielen Fällen mit der Zeit ein 
Recidiv sich ausbildet und so der Erfolg der Operation in Frage 
gestellt wird. Es ist durch Untersuchungen an der Rachenmandel 
festgestellt, welche enorme, ja unerschöpfliche Regenerationsfähig¬ 
keit dem adenoiden Gewebe in der Zeit vor Eintritt der Involution 
zukommt. Wir wissen ja, dass wir dann, wenn wir bei Rindern 
von drei oder zwei Jahren oder in noch jüngerem Lebensalter die 
adenoiden Vegetationen aus dem Naseoracbenraume entfernen — 
und wir sind ja durch lokale Störungen (Nasenstenose, Ohren¬ 
leiden usw.) oft genug genötigt, das zu tun — mit dem Eintreten 
eines Recidivs rechnen müssen, auch bei radikalster Abtragung 
der Rachenmandel, und wir wissen weiter, dass wir die besten 
Erfolge, einen sicheren Dauererfolg dann erreichen, wenn wir die 
Vegetationen etwa im achten bis zehnten Lebensjahre entfernen, 
d. b. zu einer Zeit, wo die Involutionsvorgänge bereits einsetzen. 

Dasselbe sehen wir an der Gaumenmandel, und wenn 
Pässler sagt: „Selbstverständlich bildet sich die radikal ent¬ 
fernte Tonsille niemals wieder“, so gilt das nur für Erwachsene, 
übrigens auch für diese mit einer gewissen Einschränkung: 
Winckler und Pässler selbst beobachteten bei jüngeren In¬ 
dividuen (nicht Kindern!) mitunter ein seitliches Hinein wuchern 
des benachbarten lymphatischen Gewebes der Zungenwurzel in 
den untersten Teil der Gaumenpfeilernische. Nach meinen Beob¬ 
achtungen bandelt es sich hierbei um ein echtes lokales Recidiv, 
denn ich sah es in einem Falle unabhängig von der Zungen¬ 
tonsille auftreten; in einem anderen Falle (einem 13jährigen 
Mädchen) sah ich neben einer starken Hypertrophie der Seiten¬ 
stränge auf der Rückfläche des hinteren Gaumenbogens der einen 
Seite eine neue, fast kirschgrosse Mandel sich ausbilden, die den 
Gaumenbogen stark von der hinteren Rachen wand abdrängte. Ich 
bin überzeugt, dass ähnliches bei Kindern ein ganz regelmässiger 
Vorgang ist, dass sich das lymphatische Gewebe bei Fortwirken 
der nämlichen Faktoren, die das Auftreten der ursprünglichen 
Hyperplasie veranlasst haben, d. b. nach Maassgabe des dann 
noch bestehenden Schutzbedürfnisses regenerieren wird und immer 
wieder so lange, bis der physiologische Involutionsvorgang dieser 
Regenerationstendenz ein Ziel setzt. Ob bei derartigen Recidiven 
lokale Erkrankungen der oberen Luft- und Speisewege mitspielen, 
ob gewisse Infektionskrankheiten, oder ob wir eine individuelle 
Disposition unter der Form der sogenannten „exsudativen Dia- 
tbese“ (Gzerny) annehmen wollen, ist für unsere Frage prin¬ 
zipiell gleichgültig. 

Aber auch beim Erwachsenen dürfte eine gewisse Zurück¬ 
haltung bei der Indikationsstellung zur Tonsillektomie am Platze 
sein. Die Tatsache, dass eine Mandel über die Gaumenbogen 
hervorragt und dass der betreffende Patient gelegentlich einmal 
rheumatische Beschwerden gehabt hat, darf uns noch nicht ver¬ 
anlassen, die Totalentfernung der Mandeln vorzuschlagen, ebenso¬ 
wenig die Angabe, dass ab und zu, vielleicht jedes Jahr einmal, 
eine Angina auftritt. Dass wir hier mit den vorhin erwähnten 
einfacheren Maassnahmen auskommen, lehrt uns die Mitteilung 
erfahrener Praktiker. Wir werden hier um so eher Aussicht auf 
Erfolg mit konservativer Behandlung haben, wenn wir gleich¬ 
zeitig etwaigen Veränderungen in Nase und Nasenrachenraum 
sowie an den Zähnen unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Dass 
wir durch sorgfältige Zahnpflege, durch Behandlung einer chroni¬ 
schen Nebenhöhleneiterung so manchen Fall auch schwer recidi- 
vierender Angina zur Ausheilung bringen können, weiss jeder 
Halsarzt aus seiner Praxis. Auch gewisse pharyngeale Be¬ 
schwerden, Parästhesien, gelegentliche Otalgien, Foetor ex ore 
geben meines Erachtens keine absolute Indikation zur Total¬ 
ausschälung. Auch hier wird man zunächst versuchen müssen, 
mit konservativem Verfahren etwas zu erreichen. 


Anders steht es dagegen, wenn bei mangelhaft involvierter 
Tonsille schwere Lokalaffektionen (peritonsilläre Abscesse) ge¬ 
häuft auftreten oder ernste Allgemeinerkrankungen nachweislich 
von der Tonsille ihren Ausgang nehmen. Ich sage „nachweis¬ 
lich“, denn in dem Bestreben, zwischen einer Allgemeinerkran¬ 
kung oder einer Organstörung einerseits und einer Tonsillar- 
affektion andererseits einen kausalen Zusammenhang zu kon¬ 
struieren, ist man offenbar vielfach weit über das Ziel 
hinausgeschossen. Die Mandel wird in vielen Fällen als der 
schuldige Störenfried angesehen, in denen es sich nur um ein 
Nebeneinander von Tonsillitis und Allgemeinerkrankung handelt. 
Das Vorhandensein eines „Mandelpfropfes“ bei einer krypto¬ 
genetischen Sepsis (Cursch mann) berechtigt uns noch lange 
nicht, den Kausalzusammenhang beider für erwiesen zu halten. 

Die Zahl der Erkrankungen, die man zu der Mandel in Be¬ 
ziehung bringt, ist Legion. Um nur einiges aus den in letzter 
Zeit erschienenen Arbeiten herauszugreifen, so glaubt Pässler 
folgende Erkrankungen in vielen Fällen auf die Tonsillen zurück¬ 
führen zu können: Rheumatismus, Ischias, Erythema nodosum, 
Peliosis rheumatica; Chorea minor; Sepsis, Osteomyelitis; Schädi¬ 
gungen des Herzens und Circulationsapparates, vasomotorische 
Uebererregbarkeit, subjektive Herzunruhe, Oppressionsgefühl; Endo- 
carditis, Pericarditis, Myocarditis; Thrombophlebitis; Nephritis, 
Nephrolitbiasis, Dysurie mit Pollakisurie, Tenesmus; recidivierende 
Appendicitis; Dyspepsie, chronische Obstipation, rundes Magen¬ 
geschwür, Ernährungsstörungen; Bronchitis, Pneumonie, Pleuritis; 
habitueller Kopfschmerz, Schlaflosigkeit, Neurasthenie; Poliomye¬ 
litis anterior u. a. 

Andere, wie Elliot, wollen das auch vom Diabetes und der 
Arteriosklerose behaupten. 

Ist aber einmal der Zusammenhang einer der erwähnten Er¬ 
krankungen — speziell gilt das für Rheumatismus und dessen 
Folgeerscheinungen sowie für Nephritis — mit einer chronischen 
Tonsillitis festgestellt, besteht die Neigung zu schweren Anginen 
mit Allgemeinerscheinungen, zu peritonsillären Abscessen, ist also 
die Indikation zu einem radikaleren Verfahren gegeben, dann ist 
— und das möchte ich auf der anderen Seite wieder betonen — 
die Tonsillektomie das beste Verfahren oder vielmehr die einzige 
Methode, die uns einen sicheren Erfolg gewährleistet. Dann bat 
eine Schlitzung, eine galvanokaustische Behandlung, auch das 
Morcellement (Zerstückelung) der Mandeln keinen Zweck. Zu¬ 
nächst wird man nicht behaupten dürfen, dass diese Methoden 
schonender oder angenehmer für den Kranken sind als die unter 
sorgfältiger Lokalanästhesie ausgeführte Enucleation. Dann ist 
ein weiteres schwerwiegendes Bedenken, dass man bei diesen 
Methoden kaum mit einer Sitzung auskommt, und dass die mehr¬ 
fache Wiederholung eines an sich geringfügigen Eingriffs auf die 
Psyche eines nervösen und ängstlichen Patienten nicht gerade 
günstig einwirken wird. Sodann wird man — das gilt speziell 
für das Morcellement — die Blutungsgefahr, die man ja der Ton¬ 
sillektomie vorwirft, auch bei jenem nicht unterschätzen dürfen. 
Es sind Fälle von schwerster Blutung bei Morcellement be¬ 
schrieben; auch Fälle von septischen Erkrankungen sind bekannt 
geworden. Der Haupteicwand aber, den man gegen jede einzelne 
dieser Maassnahmen in gleicher Weise erheben muss, ist der, 
dass sie in vielen Fällen inkomplett sein werden, ein Erfolg da¬ 
her in Frage gestellt wird. Bei allen diesen Methoden kann man 
unmöglich wissen, wie weit man in das Mandelgewebe ein¬ 
gedrungen ist, wie weit man noch vorzugehen hat, ob man noch 
in grösserer Entfernung von der Kapsel sich befindet, ob man 
alle Taschen eröffnet hat usw. Wenn mau enucleierte Mandeln 
mikroskopisch untersucht und feststellt, wie tief die mit in¬ 
fektiösem Material gefüllten Krypten in das Mandelgewebe ein- 
dringen, wie sie es nach allen Richtungen hin labyrinthartig 
durchsetzen, ja sogar nach Winckler die Kapsel stellenweise 
durchbrechen, so wird einem die Schwierigkeit, ja die Unmög¬ 
lichkeit, durch Schlitzung, Kausis oder Morcellement eine auch 
nur annähernd gründliche Ausräumung zu erreichen, ohne weiteres 
einleuchten. Demgegenüber ist die Tonsillektomie wirklich 
radikal, und darum ist diese Methode als ein wichtiger, vielleicht 
als der bedeutsamste Fortschritt der Mandelcbirurgie der letzten 
Zeit anzusehen. 

Was die Technik der Operation betrifft, auf die ich im Detail 
hier nicht näher eingeheh kann, so ist von einer einheitlichen Methode 
nicht die Rede. Schliesslich bildet sich ja jeder seine eigene „Methode“, 
sofern man kleine Abweichungen, Modifikationen als besondere Methode 
bezeichnen muss. Finder macht sich anheischig, aus der amerikanischen 
Literatur 200 Methoden zusammenzustellen, jede mit ihrem eigenen 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 25. 


Instrumentarium 1 ). Die Operation ist technisch sehr einfach und — von 
ganz schwierigen Ausnahmefällen abgesehen — meist in 2— 3 Minuten 
auf beiden Seiten zusammen zu beenden. 

Zweckmässig ist, mit möglichst wenig Instrumenten auszukommen; 
ich verwende ausser einer Fasszange zum Hervorziehen der Mandeln die 
Eugen Hopmann’sche Schere und eventuell die Brüning’sche Schlinge. 
Die Ablösung nehme ich soweit als möglich mit dem Finger (Gummi¬ 
handschuh!) vor, was ohne Schwierigkeiten vonstatten geht, sofern man 
zunächst mit der geschlossenen als Raspatorium zu benutzenden Schere 
in die richtige Schicht, d. h. in das extracapsulare Gewebe gekommen 
ist. Bei tadelloser Infiltration, d. h. wenn man die Lösung gut in das 
extracapsuläre Gewebe eingebracht hat, was sich während der Injektion 
in einem Hervorgedrängtwerden der Mandel nach der Mitte zu und in 
einer ausgesprochenen, ziemlich unvermittelt eintretenden Anämie der 
ganzen Gegend zu erkennen gibt, präsentiert sich das lockere Gewebe 
ausserhalb der Kapsel nach Ablösung des vorderen Gaumenbogens von 
der Kapsel bzw. der Plica triangularis so deutlich, dass ein Hinein¬ 
geraten in eine falsche Schicht kaum denkbar ist. Dass man darauf zu 
achten hat, den pathologisch so wichtigen oberen Pol der Mandel sorg¬ 
fältig zwischen den Gaumenpfeilern herauszugraben, versteht sich von 
selbst. Eine Durchschneidung des vorderen Gaumenbogens nach Rosen- 
berg halte ich zwar nicht, wie andere, für bedenklich wegen der 
Blutungsgefabr, wohl aber für überflüssig und vielleicht nicht ganz 
gleichgültig für die spätere Funktion des Gaumens, insbesondere bei 
Sängern. 

Ganz kurz muss ich, soweit sie in den Rahmen meines 
Themas gehören, d. h. die Indikationen und Kontraindikationen 
zur Tonsillotomie berühren, auf die Gefahren dieser Methode ein- 
gehen. Als die unangenehmste und häufigste Komplikation gilt 
die Blutung bei der Operation bzw. die Nachblutung. Aus der 
Chiari’schen Klinik ist eine aussergewöhnliche schwere Nach¬ 
blutung, welche die Unterbindung der Carotis externa erheischte, 
beschrieben worden; auch andere Autoren haben über teils mehr, 
teils weniger starke Blutungen berichtet. Ich habe bei meinem 
Material, ganz zu schweigen von erheblichen Blutungen, eine 
auch nur erwähnenswerte Blutung weder bei der Operation noch 
nachher beobachtet. Zwar lege ich mir einige Arterienklemmen 
und die Klammern zur Gaumenbogennaht jedesmal zurecht, be¬ 
nutzt habe ich sie aber noch nie. Im Gegenteil, meist operierte 
ich in völliger Blutleere. Allerdings verwende ich einen Supra- 
reninzusatz zur Novocainlösung. Hajek widerrät die Benutzung 
von Nebennierenpräparaten wegen der Gefahr der Spätblutung; 
ich habe, wie gesagt, eine solche nie gesehen, andererseits begibt 
man sich durch Verzicht auf diese anämisierenden Mittel eines 
grossen Vorteils, nämlich des Vorteils, in Blutleere zu operieren, 
und sich so das Aufsuchen der richtigen Schicht zu erleichtern. 
Ueberhaupt glaube ich, dass die meisten Blutungen nicht von der 
Verletzung eines abnorm verlaufenden Gefässes herrühren, sondern 
vielfach von einer technisch nicht ganz korrekt ausgeführten 
Operation, d. h. wenn man mit dem ablösenden Instrumente sich 
innerhalb der Kapsel im tonsillären Gewebe befindet und nicht 
ausserhalb von ihr. Sofern man das vermeidet, braucht man, 
glaube ich, mit einer Nachblutung nicht zu rechnen. Infolge¬ 
dessen halte ich auch die von „Oertel“ empfohlene prophy¬ 
laktische Gelatineinjektion für eine unnötige Belästigung des 
Kranken. Dass man ferner bei männlichen Patienten auf Hämo¬ 
philie fahnden, bei weiblichen sich nach dem Termine der nächsten 
Menses erkundigen wird, versteht sich von selbst, ausserdem wird 
man es vermeiden, bei Temperatursteigerungen, aus welcher Ur¬ 
sache es auch sei, zu operieren, ebenso bei Vorhandensein eines 
akut entzündlichen Prozesses im Bereiche der Nase und des 
Halses, letzteres auch, um die Gefahren einer septischen Nach¬ 
krankheit zu vermeiden. Jedenfalls würde ich nicht den Mut 
haben, bei einem peritonsillären Abscesse Enucleationen vorzu- 
nelimen, schon wegen der Gefahr einer Nebenverletzung und der 
erschwerten Orientierung, Winkler bat es aber offenbar ohne 
Schaden für seine Patienten wiederholt getan. Neben den Blu¬ 
tungen sind es septische und septikopyämische Erkrankungen, die 
den normalen Ablauf nach der Tonsillektomie stören können. 
Schwerere Fälle dieser Art sind von Dean beschrieben worden 
(eine Septikopyämie, eine Hirnsmusthrombose und eine Gangrän 
der Halsweichteile, alle drei mit tödlichem Ausgang). Ich halte 
die Gefahr einer derartigen Komplikation ebenfalls für sehr 
gering, wenn man sich wie zu jeder anderen Operation desinfiziert, 


1) Das von Schreiber (Therapie d. Gegenw., April 1913) empfohlene 
Verfahren der Entfernung mit einer modifizierten Luer’schen Hohlmeissei¬ 
zange halte ich für ganz unzweckmässig. Bei festen Verwachsungen der 
Tonsille mit den Gaumenpfeilern kann man unmöglich radikal sein, ins¬ 
besondere wird dabei sicherlich recht häufig der obere Pol in der Pfeiler¬ 
nische stecken bleiben. 


Infektionsherde im Bereiche der oberen Speise- und Luftwege io 
Form von cariösen Zähnen, akuten Nebenhöblenkatarrben usw. 
zunächst beseitigt und dem Kranken auch nach der Operation 
ein geeignetes Verhalten vorschreibt. Wegen des letzten Um¬ 
standes, d. h. zur besseren Ueberwachung des Kranken, abgesehen 
von der Möglichkeit, einer Nachblutung rascher zu begegnen, ziehe 
ich eine stationäre Behandlung der ambulanten vor; ich nehme 
jeden Tonsillektomierten auf 2—3 Tage zur klinischen Beobachtung 
auf, und ich habe es, glaube ich, dieser Gewohnheit zu ver¬ 
danken, dass ich ausser den natürlichen Beschwerden beim 
Schlucken am ersten Tage niemals irgendeine Unzuträglichkeit 
beobachtet habe; Temperaturen über 37,6° kamen nie vor. 

Auch von sonstigen Komplikationen bei oder nach der Ope¬ 
ration habe ich in meinen Fällen nie etwas gesehen, ausser in 
einem Falle einen ca. 3 cm langen Riss in den weichen Gaumen 
bei der Ablösung. In diesem Falle möchte ich in dem Umstande, 
dass ich schon 10 Tage nach der Entleerung eines peritonsillären 
Abscesses operiert habe, d. h. zu einer Zeit, wo die normale 
Resistenz des Gewebes noch nicht wiederhergestellt war, die Ur¬ 
sache dieses Zwischenfalles erblicken, von dem übrigens die 
Patientin, eine Frau von 29 Jahren, nichts merkte; ich nahm 
sofort die Nabt mit dem gewöhnlichen Hagedorn vor; nach zwei 
Tagen war die Wunde verklebt und es erfolgte wie sonst anstands¬ 
lose Heilung. 

Was die Resultate betrifft, so sind dieselben bei 81 von 
34 Patienten des letzten Jahres, die ich längere Zeit beobachten 
konnte, ausgezeichnete. Die Beschwerden oder Alterationen, die 
zu der Ausschälung Veranlassung gegeben haben, sind nie wieder 
aufgetreten, bzw. wesentlich gebessert worden. Nur in einem 
einzigen Falle von recidivierender peritonsillärer Phlegmone bei 
einem Kollegen traten etwa */ 4 Jahre nach der Enucleation leichte 
Anginen auf. In weit mehr als der Hälfte der Fälle handelte es 
sich um häufig recidivierende peritonsilläre Abscesse, in einer 
Reihe anderer um Rheumatismus, in einem Fall kompliziert durch 
ein schweres Vitium cordis, in drei Fällen bestand aussergewöhn- 
lich heftige Otalgie, in zwei Fällen Nephritis. Bei dem einen 
dieser beiden Fälle verschwand die Albuminurie sofort nach der 
Operation, bei dem anderen ging sie beträchtlich zurück. In 
einem Falle, bei einem 13 jährigen Mädchen, dem zweitjüngsten 
meiner Patienten, wich die Indikation von der sonst von mir ge¬ 
übten etwas ab: Es handelte sich um relativ leichte, aber regel¬ 
mässig alle 3—4 Wochen recidivierende Anginen, die das Kind 
jeden Monat ca. 8 Tage lang von der Schule fernhielten. Kon¬ 
servative Lokalbehandlung der tief in den Pfeilernischen liegenden 
Mandeln war von dem Hausarzt ohne Erfolg durchgeführt worden, 
und die Eltern wünschten dem Zustande ein Ende zu machen. 
In diesem Falle konnte ich übrigens die Neubildung des lympha¬ 
tischen Gewebes ganz eklatant an der alten Stelle der Mandel 
auf beiden Seiten konstatieren, ohne dass jedoch eine Angina 
bisher wieder aufgetreten wäre. 

Die wichtige Frage zum Schlüsse, ob die Tonsillektomie auch 
in dem Lebensalter, in welchem Involution bereits eingetreten, 
eine Restitution von Mandelgewebe daher gar nicht mehr oder 
nur in ganz beschränktem Maasse zu erwarten ist, in ihren Folgen, 
und zwar nicht den unmittelbaren, sondern den späteren, so völlig 
belanglos sei für den Kranken, ist auf Grund des bisher vor¬ 
liegenden und grösstenteils noch nicht lange genug beobachteten 
Materials noch nicht zu entscheiden. 

Holinger-Chicago berichtet über einen Fall, in welchem 
sich an die Operation widerwärtige pharyngeale und sonstige 
rheumatoide Beschwerden anschlossen. leb selbst habe bei einem 
von anderer Seite Tonsillektomierten, und zwar nach Angabe des 
Kranken wegen pharyngealer Beschwerden Operierten, bei dem 
sich, sei es infolge Verletzung der Gaumenpfeiler, sei es aus einem 
anderen Grunde, auf der einen Seite eine völlige Verwachsung 
der beiden Gaumenbögen in toto zu einem dicken narbigen Strange 
heraosgebildethatte, infolge der dadurch hervorgerufenen Parästhesien 
schwere psychische Störungen mit hypochondrischen Vorstellungen 
auftreten sehen. Der Kranke redete sich ein, an Halskrebs zu 
leiden, war von der Nichtigkeit seiner Annahme nicht zu über¬ 
zeugen, konnte nicht mehr tätig sein und gab ein gut gebendes 
Geschäft auf. 

Wenn wir also auch die Totalaussebälung der Mandeln als 
eine segensreiche, unter Umständen vielleicht lebensrettende Ope¬ 
ration ansehen können, so werden uns doch andererseits solche 
und ähnliche Vorkommnisse wie die letzterwähnten davon ab¬ 
halten, die Operation ohne strikte Anzeige vorzunebmen. Selbst¬ 
verständlich wird die Indikationsstellung, je nach der subjektiven 


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Auffassung und den persönlichen Erfahrungen der einzelnen Aerzte, 
immer innerhalb gewisser Grenzen schwanken, doch nie darf es 
so weit gehen, dass man die Tonsillen in jedem Falle als ein 
dem Träger verderbliches Organ ansieht, das man mit Gewalt 
auszurotten trachtet. Man mag teleologischen Vorstellungen noch 
so abhold sein — der Gedanke, dass sich im Körper ein Organ 
befindet, das keinen anderen Zweck haben soll, als diesen Organis¬ 
mus mit Infektionsstoffen zu überschütten, ist so absurd und mit 
unseren sonstigen biologischen Anschauungen so wenig vereinbar, 
dass man ihn kaum zu diskutieren braucht. Und doch ist dieser 
Gedanke weiter verbreitet, als man denkt, und kommt in ganz 
charakteristischer Weise zum Ausdruck in dem apodiktischen 
Satze, mit dem Boswortb eine Arbeit betitelt: „The existence 
of the tonsils should be regarded as a disease.“ Und in Kon¬ 
sequenz dieses Gedankens muss es dann zu einem maasslosen 
Wüten gegen die Mandeln kommen, das Mackenzie beissend- 
ironisch als das „Massakre der Tonsillen“ bezeichnet; gegen ein 
solches kritikloses Operieren kann nicht energisch genug Front 
gemacht werden. Die Kranken, die sich unserer ärztlichen Für¬ 
sorge anvertrauen, verlangen von uns nicht nur eine.technisch 
fehlerlos ausgeführte Operation, sondern auch mit demselben Rechte 
eine exakte Indikationsstellung. 


Zur Differentialdiagnose der Fingerkontrak¬ 
turen. 

Von 

Paal Schuster. 

(Vortrag, gehalten in der Gesellschaft für orthopädische Chirurgie am 
5. Mai 1913.) 

Der freundlichen Aufforderung Ihres Herrn Vorsitzenden, 
Ihnen etwas aus meinem Spezialgebiete vorzutragen, glaubte ich 
dadurch am besten entsprechen zu können, dass ich aus dem 
grossen Grenzgebiet der orthopädischen Chirurgie und der Neuro¬ 
logie ein Kapitel zur Besprechung auswählte, welches nicht selten 
zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den einzelnen Beobachtern 
Veranlassung gibt, nämlich das Kapitel der Fingerkontrakturen. 
Ausgeschlossen sollen dabei von unserer Besprechung alle die¬ 
jenigen Fingerverkrümmungen sein, welche durch Gelenkver¬ 
steifungen und durch einfachen Narbenzug (nach Sehnen- und 
ähnlichen Verletzungen) bedingt sind, und nur kurz gestreift 
werden sollen gewisse bekanntere neurogene Formen der Finger¬ 
kontraktur, welche ebensowenig wie die soeben genannten ernst¬ 
liche diagnostische Schwierigkeiten machen können. 

Von den bekannteren neurogenen Kontrakturen nenne ich 
Ihnen die charakteristische Kontrakturstellung der Finger und 
der Hand bei cerebralen Mono- und Hemiplegien, welche in einer 
starken Beugung aller Finger und der Hand und gleichzeitiger 
Daumenflexion und Adduktion besteht und dabei die ausgeprägten 
Kennzeichen der aktiven, spastischen, mehr oder weniger aus¬ 
gleichbaren Kontraktur trägt. Ferner nenne ich Ihnen die nicht 
minder typische Klauenhand mit Ueberstreckung der Basal¬ 
phalangen der Finger und starker Beugung der übrigen Phalangen, 
wie sie durch (peripher oder spinal bedingten) Ausfall der Inter- 
osseuswirkung zustande kommt. (Figur 1.) Beide Formen der 
Kontraktur werden wohl nur selten zu Missdeutungen Veranlassung 
geben. Ebenso wie die zuletzt genannte Form werden auch die 
meisten übrigen passiven, im Gefolge von neuritischen Lähmungen 
auftretenden Hand- und Fingerkontrakturen relativ leicht durch 
die Symptome der Neuritis, besonders durch die Muskelatrophie 
erkannt, selbst dann, wenn es sich um ungewohntere Bilder han¬ 
delt, welche durch die Verletzung mehrerer Nerven entstanden 
sind. Als Beispiel einer solchen selteneren Fingerstellung zeige 
ich Ihnen en passant einen Fall von Verletzung des Nervus me- 
dianus und ulnaris. (Figur 2 und 3.) 

Diejenigen Typen der Fingerkontrakturen, welche im Gegen¬ 
satz zu den soeben kurz erwähnten relativ oft — besonders in 
ihrem Beginn — verkannt werden, gehören ganz verschieden¬ 
artigen Gebieten der Pathologie an und verdanken ihre Entstehung 
nur zum Teil Störungen der Muskelinnervation. Ich denke hier¬ 
bei an die familiäre Fingerverkrümmung, an die Dupuytren’sche 
Kontraktur, an die sogenannte ischämische Kontraktur und 
schliesslich an die hysterische Finger- und Handkontraktur. 

Ich zeige zuerst einen Fall der familiären Fingerkontraktur. 
(Figur 4 und 6.) 


Figur 1. 




Das 16 jährige Dienstmädchen, welches Sie hier sehen, hat schon 
seit etwa 7 Jahren eine nicht progrediente Verkrümmung der Finger an 
beiden Händen bemerkt. Beschwerden hat die Pat. nicht, sie kann ihre 
Arbeit gut verrichten. Ob ähnliche Fälle in der Familie vorgekommen 
sind, kann die Pat., welche im Waisenhaus erzogen ist, nicht angeben. 
Die Untersuchung ergibt bei der Pat., abgesehen von einer leichten 
Progennäe, nur die folgenden Veränderungen an den Händen: Sämtliche 
Finger ausser dem Daumen sind beiderseits im Gelenk zwischen Grund- 
und Mittelglied leicht stumpfwinklig gebeugt. Am stärksten ist die 
Beugung in den kleinen Fingern, weniger stark in den Ringfingern, noch 
geringer im Mittelfinger und am schwächsten im Zeigefinger. Das Gelenk 
zwischen Mittelglied und Nagelglied ist gleichfalls, wenn auch ausser¬ 
ordentlich viel schwächer, an allen FiDgern in leichter Beugestellung 
fixiert. Im Metacarpophalangealgelenk stehen alle Finger 

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Nr. 26. 


Figur 5. 



normal bis auf die kleinen Finger. Das Basalglied der letzteren steht 
in ganz leichter Hyperextension. 

Die weitere Untersuchung der Finger ergibt, dass weder passiv noch 
aktiv die völlige Streckung der Finger möglich ist. Beim Versuch, die 
Finger passiv zu strecken, fühlt man kein besonderes Vorspringen der 
Beugesehnen, sondern man stellt leicht fest, dass die Haut es ist, welche 
sich am ehesten und meisten dem Korrektionsversuch entgegenstellt. 
Dementsprechend ist die Beugung der Finger, sowohl passiv als auch 
aktiv, vollkommen frei. Nirgends finden sich Störungen an den Ge¬ 
lenken, nirgends Muskelatrophien, nirgends trophische Störungen der 
Haut oder der Nägel. Die Daumenbeweglichkeit ist normal. Normal 
ist auch die Sensibilität, die elektrische Erregbarkeit und die Muskulatur 
der Vorderarme. 

Bilder wie das soeben betrachtete sind zwar in derLiteraturscbon 
wiederholt beschrieben worden [Hoffa 1 ), Goldflam 2 * ), Muskat 8 ), 
Henneberg 4 ) n. a], sind aber trotzdem unter den Aerzten wenig 
bekannt. Das ist um so auffallender, als die beschriebene Finger¬ 
kontraktur keineswegs selten, ja sogar ziemlich häufig ist. Aller¬ 
dings betrifft die Kontraktur in der Mehrzahl der Fälle lediglich 
den kleinen Finger oder allenfalls ausserdem noch den Ringfinger. 
Den Daumen habe ich niemals befallen gefunden. Die Ver¬ 
krümmung macht sich entweder in dem Gelenk zwischen Grund- 
und Miftelphalanx oder seltener in dem Gelenk zwischen Nagel¬ 
und Mittelphalanx oder in beiden gleichzeitig bemerkbar; das 
Metacarpophalangealgelenk ist stets frei. Alle Autoren sind sich 
darin einig, dass die Kontraktur durch eine angeborene Ver¬ 
kürzung der Weichteile bedingt ist. Muskat hat in einem Fall 
geringe Gelenkveränderungen (Verschiebung der Gelenkenden 
gegeneinander, Verödung eines Teiles der Gelenkflächen, kleine 
Knochen Wucherungen) durch Röntgenuntersuchung festgestellt. 
Ich halte diese Veränderungen jedoch eher für die Folge als für 
die Ursache der abnormen Fingerstellung. Hoffa, Henneberg, 
Goldflam betonen das familiäre Auftreten der Affektion, die 
beiden letzten Autoren haben geradezu gehäuftes Auftreten in 
einer Familie beschrieben. 

Auch ich habe durch Nachfrage sehr oft die gleiche Fest¬ 
stellung machen können. Im vorliegenden Fall hat sich zwar, 
da die Patientin Waise ist, nichts bezüglich der hereditären Ver¬ 
hältnisse feststellen lassen, doch ist die Affektion bei unserer 
Patientin so charakteristisch ausgeprägt, dass an der Diagnose 
nicht gezweifelt werden kann. Abgesehen von dem charak¬ 
teristischen Gesamtbild kommt für die Diagnose natürlich auch 
der Umstand in Betracht, dass die Affektion schon seit vielen 
Jahren unverändert bei der Patientin besteht, und dass kein 
äusseres schädigendes Moment — keine schwere Arbeit, kein 
Trauma oder dergl. — vorliegt. In letzterer Hinsicht scheint 
mir übrigens bemerkenswert, dass nicht selten Patienten, bei 
welchen ich die Kontraktur fand — ohne dass sie selbst dieselbe 
bisher beachtet hatten — schwere Arbeit, vieles Waschen oder 
dergl., fälschlicherweise als Entstehungsursache bezeichneten. 

Dass ich selbst die familiäre Fingerverkrümmung relativ oft 
sehe, halte ich keineswegs für eine Zufälligkeit. Vielmehr glaube 
ich auf Grund gewisser Beobachtungen, dass es sich bei der ge¬ 
schilderten Affektion um eine Erscheinung handelt, welche den 
bei Neuropatben häufigen sogenannten Stigmata degenerationis an 
die Seite zu setzen ist. Wiederholt konstatierte ich neben der 
Fingerkontraktur Progennäe, gewisse vasomotorische Auffällig- 


1) Lehrbuch d. orthopädisch. Chir., 1898, S. 520. 

2) Münchener med. Wocbenschr., 1906, Nr. 47. 

8) Med. Klinik, 1909, Nr. 89. 

4) Deutsche med. Wocbenschr., 1908. 


keiten und ähnliches. In einer Familie meiner Beobachtung mit «- 

der fraglichen Fingerkontraktur finden sich bei zwei Familien¬ 
angehörigen überzählige Zehen. (Etwas Aebnlicbes beobachtete 
auch Henneberg.) Dies spricht dafür, dass der Grund für die 
Entstehung der Affektion in Entwicklungsstörungen zu suchen ist. 

Eine traumatische Genese — also nicht kongenitalen Cha¬ 
rakter der Kontraktur — ist Paalzow 1 ) geneigt anzunehmen. Die 
von diesem Autor beschriebene und von ihm in die allernächste 
Beziehung zu der familiären Fingerverkrümmung gebrachte Finger¬ 
kontraktur, welche sich bei Schustern und ähnlichen Hand¬ 
arbeitern findet, unterscheidet sich jedoch sehr wesentlich von 
der familiären Form dadurch, dass bei ihr die primär ver¬ 
krümmten Gelenke die Metacarpophalangealgelenke sind 
und nicht, wie bei der familiären Form, die Gelenke zwischen F 

erster und zweiter Phalanx. 

In differentialdiagnostiscber Hinsicht kommt gegenüber der 
familiären Form wohl nur die soeben erwähnte von Paalzow 
studierte, infolge schwerer Arbeit auftretende Fingerverkrümmung 
in Betracht. Sie unterscheidet sich von der familiären Form 
nicht nur durch die schon erwähnte andersartige Lokalisation der 
Verkrümmung, sondern auch dadurch, dass bei ihr nach Paalzow 
eine knotige Verdickung der Palmaraponeurose zur Entwicklung 
gelangt. Durch das zuletzt genannte Moment scheidet sich die 
Paalzow’sche Form vollkommen von der familiären und nähert 
sich sehr erheblich einem anderen Typus der Fingerkontraktur, 
welcher im ausgeprägten Zustand recht leicht erkennbar ist, näm¬ 
lich der sogenannten Dupuytren’schen Kontraktur. Diesen Typus 
der Handverkrüpplung zeigt der folgende Patient. (Figur 6.) 


Figur 6. 



Der 62 jährige Mann, welchen Sie hier sehen, zeigt an seinen Händen 
eine beiderseits ziemlich gleich stark entwickelte Deformität. An der 
einen Hand steht der Ringfinger und an der anderen der kleine Finger 
im Grundgelenk fast rechtwinklig zur Hohlhand gebeugt. Die benach¬ 
barten Finger zeigen die gleiche, wenn auch weniger stark ausgeprägte 
Stellungsanomalie, während Daumen und Zeigefinger beiderseits frei sind. 
Die krankhafte Stellung der Grundphalangen lässt sich weder aktiv noch 
passiv ausgleichen; beim Versuch des passiven Ausgleichs springen in der 
Hohlhand derbe und knotige Stränge unter der harten Haut vor. Die 
Mittel- und Endgelenke der Finger stehen im wesentlichen normal, nur 
an den drei letzten Fingern beider Hände besteht eine ganz leichte 
Beugestellung im Gelenk zwischen Basal- und Mittelphalam. Auch 
diese Stellungsanomalie ist durch Weichteilzug bedingt Die Gelenke 
der Finger selbst sind überall intakt und glatt beweglich, es besteht 
nur eine ganz leichte spindlige Verdickung der beiden distalen Gelenke. 
In der Hohlhand fühlt man derbe Knoten und Stränge, die offenbar der 
Aponeurose angehören. 

Die Muskulatur der Hände und Vorderarme ist nicht atrophisch, 
die elektrische Erregbarkeit ist normal, auch sonst ist der Nervenbefund 
ein völlig normaler. 

Die Haut in der Hohlhand ist unelastisch, hart, trocken, sie lässt 
schon bei blosser Betrachtung die Stränge und Knoten der Aponeurose 
erkennen. 

Der Patient, der als Handarbeiter sein Brot verdient, führt die 
Kontraktur auf eine im Jahre 1895 erlittene Quetschung der Hände 
zurück. 

Syphilis, Alkoholismus, Gicht oder andere konstitutionelle Krank¬ 
heiten sind bei dem Patienten nicht nachweisbar. 

Die soeben demonstrierte, von Dupuytren 1839 beschriebene 
Affektion beruht, wie Sie wissen, auf einer langsam fortschreiten- 

1) Monatsschr. f. Unfallheilk., 1899, Nr. 1. 


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den Verkürzung und Schrumpfung der Palmaraponeurose, welche 
in der Regel zuerst am Ring- oder kleinen Finger einsetzt und 
im wesentlichen die Metacarpophalangealgelenke betrifft; Daumen 
und Zeigefinger bleiben meist frei. 

Die Aetiologie der Dupuytren’schen Kontraktur steht noch 
nicht sicher fest. Wiederholt ist die Dupuytren’sche Kontraktur 
bei spinalen Erkrankungen, bei Syringomyelie und ähnlichen 
Affektionen beobachtet worden (Schlesinger 1 ), Neutra 2 ), Bie- 
ganski 3 ), ein Zusammentreffen, welches sicher nicht zufällig ist 
und Beziehungen des Leidens zum Rückenmark (sympathische 
Zellgruppen?) als nicht unwahrscheinlich erscheinen lässt. Durch 
die Annahme einer spinalen Begründung des Leidens würden die 
gleichfalls in der Literatur betonten Beziehungen der Affektion 
zu äusseren Einwirkungen ganz und gar nicht ausgeschaltet oder 
als unmöglich erklärt. Man hat sowohl einmalige mechanische 
Einwirkungen, also Verletzungen der Handaponeurose oder der 
Hand, als auch wiederholt wirksame äussere Schädlichkeiten 
(Stempeldrücken, Zügelhalten usw.) für die Entstehung der Kon¬ 
traktur verantwortlich gemacht. Auch die von vielen Autoren 
angeschuldigten ätiologischen Momente dyskrasischer Natur (Gicht, 
Diabetes, Alkoholismus usw.) würden bei der Abhängigkeit des 
Leidens von spinalen Einflüssen ihren Wert ebensowenig verlieren 
wie die Beobachtungen über das vereinzelte hereditäre Vorkommen 
und über das relativ häufige Zusammentreffen des Leidens mit 
nervösen Störungen (Psychosen und Epilepsie Fere) 4 5 ]. Das von 
Eulenburg 6 ) beschriebene gleichzeitige Vorkommen der Dupuytren- 
schen Kontraktur mit Neuritis und das symmetrische Auftreten 
an beiden Händen würde sich gleichfalls ohne Zwang mit der 
Annahme vereinigen lassen, dass die Entstehung des Leidens unter 
spinal-trophischem Einfluss geschieht. 

Ebensowenig wie wir über die Entstehung der Dupuytren- 
schen Kontraktur etwas Sicheres wissen, sind wir über die ge¬ 
nauere Pathogenese einer weiteren Art von Hand- und Finger¬ 
kontraktur im Klaren, von welcher ich vor kurzem einen typischen 
Fall zu untersuchen Gelegenheit hatte. Da der Fall — es handelt 
sich um eine sogenannte ischämische Kontraktur — inzwischen 
durch eine von Herrn Prof. Klapp vorgenommene Operation 
ausserordentlich gebessert worden ist, so kann ich Ihnen nur die 
Photographien des Falles zeigen. (Figur 7.) 


Figur 7. 



Ein jetzt 18 jähriger Kaufmann hatte im Alter von sechs Jahren 
einen Bruch des rechten Oberarms kurz oberhalb des Ellenbogengelenkes 
erlitten. Der Arm wurde sofort in Gips gelegt, es traten aber in 
direktem Anschluss an die Anlegung des Verbandes starke Schmerzen, 
Gefühllosigkeit und Blaufärbung der Finger auf. Der Verband soll des¬ 
halb abgenommen worden sein und eine Gipshülse soll umgelegt worden 
sein. Nachdem die Hülse nach 14 Tagen abgenommen wurde, sollen 
die Finger stark geschmerzt haben und völlig unbeweglich in Krallen¬ 
stellung gestanden haben. Auch das Handgelenk soll völlig unbeweglich 
gewesen sein und in rechtwinkliger Beugestellung gestanden haben. Der 
Patient berichtete weiter, er sei bis zu seinem zehnten Jahr mit den 
verschiedensten äusseren Maassnahmen behandelt worden, ohne dass ein 
nennenswerter Erfolg erreicht worden sei. Allenfalls sei eine ganz ge¬ 
ringe Besserung der Fingerbeweglichkeit eingetreten. Seit dem Jahre 
1904 ist Patient ohne Behandlung und suchte dann die hiesige 
chirurgische Universitätsklinik auf. 

Die Untersuchung ergab eine allgemeine Abmagerung der Muskulatur 
des ganzen rechten Armes. Das Ellenbogengelenk war frei beweglich, 


1) Bei Neutra cf. 2). 

2) Wiener klin. Wochenschr., 1901, Nr. 39. 

3) Deutsche raed. Wochenschr., 1895, Nr. 31. 

4) Neurol. Centralbl., 1902. 

5) Neurol. Centralbl., 1883, Nr. 3. 


die Hand stand jedoch völlig unbeweglich in rechtwinkliger Stellung 
zum Vorderarm fixiert, so dass weder passiv noch aktiv eine Spur Be¬ 
weglichkeit erhalten war. Keine seitliche Abweichung der Hand. Die 
Finger standen mit dem Basalglied leicht gestreckt, mit den beiden 
anderen Phalangen dagegen mässig gebeugt. Die Finger konnten passiv 
und aktiv nur spurweise bewegt werden. Die Nägel aller Finger waren 
stark verdickt, die Haut der rechten Hand etwas blasser, aber ohne 
weitere trophische Störungen. Der Patient, welcher mir erst nach der 
sehr gut gelungenen Operation (Wegnahme einiger Handwurzelknochen) 
zur Untersuchung zugeführt wurde, hatte einige Monate nach der Ope¬ 
ration nirgendswo Sensibilitätsstörungen, allerdings war die Muskulatur 
des rechten Armes noch um einige Centimeter abgemagert. Die elek¬ 
trische Untersuchung ergab Herabsetzung der Erregbarkeit, aber sonst 
im wesentlichen normale Verhältnisse, d. h. erhaltene faradische Erreg¬ 
barkeit des N. radialis, medianus und ulnaris am Oberarm, erhaltene 
direkte faradische Erregbarkeit aller Muskeln auf der Beuge- und Streck¬ 
seite des Vorderarms mit Ausnahme des M. abductor und extensor poll. 
longus (letzterer war bei der Operation durchschnitten und verlängert 
worden). Auch die Interossei sowie die Muskeln des Daumen-und Klein¬ 
fingerballens waren direkt faradisch erregbar. Nirgendswo eine träge 
galvanische Zuckung. 

Trotz des Mangels einer genauen neurologischen Untersuchung 
vor der Vornahme der Operation nehme ich an, dass es sich im 
vorliegenden Fall um einen leidlich reinen Fall einer myogenen 
ischämischen Kontraktur ohne wesentliche Beteiligung der Nerven 
gehandelt hat. Ich halte es für ziemlich wahrscheinlich, dass 
der von mir erst nach der Operation erhobene neurologische Be¬ 
fund in gleicher Weise auch vor der Operation bestanden hat. 
Ich schliesse dies daraus, dass die elektrische Reaktion schon 
wenige Monate nach der Operation — welch letztere lediglich in 
der Herausnahme einer Anzahl von Handwurzelknochen bestand und 
die Nervenstämme völlig unberührt liess — im wesentlichen normale 
Verhältnisse ergab, dass Sensibilitätsstörungen fehlten, und dass die 
Beweglichkeit der Hand und der Finger sich ausserordentlich ge¬ 
bessert hatte. Die ischämische Muskelkontraktur ist bekanntlich 
kein neurogener Prozess, sondern es handelt sich bei ihr um eine 
Muskelschrumpfung, welche wahrscheinlich dann eintritt, wenn 
die Blutcirculation durch zu festen Verband oder dergleichen 
längere Zeit gestört wird. Es kommt dann zu einer chemischen 
Veränderung der Muskelsubstanz und infolgedessen zu einer sich 
schnell ausbildenden Muskelscbrumpfung. Wie weit ausserdem 
noch der Druck auf die Nervenstämme ätiologisch in Betracht 
kommt, ist noch nicht klar. Die Muskelverkürzung folgt also 
hier nicht wie bei den neurogenen Kontrakturen der Lähmung 
erst nach längerer Zeit. Die direkte faradische Erregbarkeit der 
Muskeln soll nach den Angaben der Literatur bei der ischämischen 
Kontraktur meist fehlen, doch scheint mir diese Angabe im Hin¬ 
blick auf den demonstrierten Fall, in welchem schon wenige 
Monate nach einer die Nerven gar nicht beteiligenden Operation 
völlig normale elektrische Erregbarkeit konstatiert wurde, nicht 
für alle Fälle zu gelten, um so weniger als die ischämische 
Kontraktur sehr oft von mehr oder weniger ausgesprochenen 
neuritischen Erscheinungen begleitet wird und jene letzteren ja 
die Ursache der elektrischen Veränderungen sein können. 

Schliesslich gestatten Sie mir noch, Ihnen einige Fälle von 
Fingerkontraktur zu zeigen, welche wiederum aus einem ganz 
anderen Gebiete der Pathologie stammen als die bisher be¬ 
sprochenen Formen. Bemerkenswert ist, dass alle diese drei 
Fälle nach Verletzungen entstanden. 

In dem ersten Falle handelt es sich um einen 47 jährigen Arbeiter, 
welcher im Dampfschneidemühlenbetriebe eine Quetschung des rechten 
Vorderarms erlitt, indem ihm ein Gatter auf den Arm fiel. Von dem 
Augenblick des Unfalls konnte Pat. den Arm nicht mehr gebrauchen, 
und es entwickelte sich eine krampfartige Lähmung und Steifheit des 
Vorderarms und der Hand. Als ich den Patienten 5 Jahre nach dem 
Unfall untersuchte und längere Zeit klinisch beobachtete, fand ich 
folgendes: Pat. hält den rechten Arm ständig in der Schulter stark 
adduziert und im Ellenbogen rechtwinklig gebeugt. Die Hand steht im 
Handgelenk stark gebeugt und leicht ulnar abduziert. Die Finger stehen in 
Pfötchenstellung mit starker Streckung der beiden letzten Phalangen 
und rechtwinkliger Beugung der Grundphalanx. Lenkt man die Auf¬ 
merksamkeit des Patienten auf den rechten Arm, so tritt ein krampf¬ 
artiges, sehr grobschlägiges Zittern auf, welches aus Beuge- und Streck¬ 
bewegungen des rechten Vorderarms besteht und sich auf den ganzen 
Rumpf und auf den linken Arm fortsetzt. Auch der Kopf beteiligt sich 
schliesslich an den Zitterbewegungen mit rhythmischen Zuckungen des 
Musculus cucullaris. Gestattet man dem Pat. nicht, den zitternden 
Arm mit der anderen Hand zu fixieren, so tritt sehr starke 
Gesichtsrötung auf. Die Muskulatur des rechten Arms und der Finger 
der rechten Hand sind straff angespannt. Willkürlich kann keine Be¬ 
wegung mit dem rechten Arm oder den Fingern gemacht werden. 
Passiv ist nur das rechte Ellenbogengelenk ein wenig bewegbar. Der 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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rechte Arm zeigt eine leichte Muskelabmagerung, seine Maasse bleiben 
um etwa 0,5 cm hinter denen des linken Arms zurück. Vom rechten 
Olecranon nach abwärts auf der Kante der Ulna verläuft eine etwa 
10 cm lange Narbe. Die elektrische Erregbarkeit ist im wesentlichen 
normal. Für den ganzen rechten Arm behauptet der Pat. völlige An¬ 
ästhesie. Die Stellung der Hand war andauernd während einer 14 tägigen 
Beobachtung die nämliche, auch nachts verschwand die Kontraktur 
nicht. Der Puls war ständig beschleunigt. (Figur 8.) 


Figur 8. 



Der zweite Fall, welcher dem soeben demonstrierten in bezug 
auf die Stellung der kontrakturierten Finger sehr glich, entstand 
nicht wie der erste plötzlich, sondern erst allmählich im An¬ 

schluss an die Verletzung. 

51 jähriger Schmied wurde im April 1909 von einem Mitarbeiter 
mit einem 12 Pfund schweren Hammer gegen den kleinen Finger oder 
den Handrücken links getroffen. Es entstand nur eine kleine Ver¬ 
letzung, welche Pat. so wenig beachtete, dass er weiter arbeitete. 

Einige Monate nach dem Unfall wurde jedoch schon eine totale links¬ 
seitige Hemianästhesie mit Beteiligung des Geruchs und Geschmacks und 
beiderseitigem Fehlen des Cornealreflexes festgestellt und die Diagnose 
auf Hysterie gestellt. Der kleine Finger stand damals schon in die 
Hand ein ge sch lagen. Nach einigen weiteren Monaten waren die 
sämtlichen Finger der Hand schon kontrakturiert, so dass die Diagnose 
der hysterischen Kontraktur von einem Gutachter gestellt wurde. Un¬ 
gefähr ein Jahr nach dem Unfall fand ich die linke Hand in aus¬ 

geprägter Pfötchenstellung, die Finger im Mittelhandgelenk gebeugt und 
in den distalen Gelenken gestreckt; dabei ulnare Abduktion der Finger. 
Diese Stellung besteht auch heute noch. Der Daumen ist an den 
Zeigefinger angepresst. Der kleine Finger ist sowohl im Basal- als auch 
im Mittelgelenk stark gebeugt und nur im Nagelgelenk gestreckt. Eine 
passive Aenderung der Fingerstellung ist unmöglich, im Gegenteil, man 
spürt beim Versuch jeder passiven Bewegung eine noch stärkere Muskel¬ 
spannung einsetzen. Hierbei schreit der Pat. laut vor Schmerz auf. 
Muskelatrophien bestehen nirgends; der Umfang des linken Vorderarms 
beträgt sogar 0,5 cm mehr als deijenige des rechten Vorderarms. Das 
Hautgefühl soll auf der ganzen linken Hand mit scharfer, manschetten¬ 
förmiger Abgrenzung gegen den Vorderarm für Schmerz und Berührung 
vollkommen fehlen. Aus dem sonstigen Untersuchungsbefund ist nur 
die Schwäche des beiderseitigen Hornhautreflexes und die Beschleunigung 
der Herztätigkeit hervorzuheben. (Figur 9 und 10.) 


Figur 9. 




Der dritte Fall hysterischer Fingerkontraktur bietet eine 
andere Stellung der Finger als die beiden Ihnen soeben gezeigten 
Fälle. 

Es handelt sich um einen 52 jährigen früheren Steinträger, welcher 
infolge Stolperns hinfiel und sich beim Fallen mit einer Bierflasche 
oberhalb der Beugefalte des rechten Handgelenks eine mehrere Centimeter 
grosse Wunde zuzog. Etwa 4 Monate nach dem Unfall klagte der Ver¬ 
letzte über Kältegefühl in der rechten Hand. Er zeigte damals schon 
die gleiche Kontrakturstellung der Finger, welche Sie auch heute noch 
feststellen können. Die Narbe oberhalb des Handgelenks war schon 
damals etwas gewulstet. Eine Sehnenverletzung wurde von allen Aerzten 
ausgeschlossen, ebenso eine Knochenverletzung (Röntgenaufnahme). 
Bei Ablenkung liess sich die Kontraktur überwinden, so dass einige 
Aerzte den Pat. für einen Simulanten erklärten. Andere wieder 
sahen die Kontraktur für die Folgen einer Fascienverkürzung der Hand 
an. Der Kranke hielt auch ausserhalb der ärztlichen Untersuchungen 
die Finger stets in der Kontrakturstellung (Recherchen durch Detektive). 
Der von mir im Aufträge des Reichsversicherungsamts untersuchte Pat. 
zeigte nun — 3y 2 Jahre nach der Verletzung — folgenden Befund, 
welchen ich Ihnen auch heute noch demonstrieren kann: In der Ruhe 
besteht ein ziemlich grobes Zittern des rechten Arms, welches sich er¬ 
heblich verstärkt, wenn man sich mit dem rechten Arm beschäftigt. Die 
rechte Hand steht in Mittelstellung zwischen Beuge- und Streckstellung 
und ist gleichzeitig leicht ulnarwärts abgebogen. Die Finger sind so 
eingeschlagen, dass die Kuppe des Mittelfingers den Daumenballen be¬ 
rührt, die anderen Finger bleiben von der Hohlhand zurück. Auch der 
Daumen steht in Beugestellung. Zeige- und Mittelfinger zeigen eine 
leichte Verdünnung der beiden letzten Fingerglieder, der Nagel des 
Mittelfingers ist längsgerifft. Die — im übrigen völlig reizlose — 5 cm 
lange Narbe auf der Beugeseite des Handgelenks soll etwas druck¬ 
empfindlich sein. Aktiv kann der Pat. die Finger angeblich nur spur¬ 
weise strecken, die aktive Beugung ist besser, besonders diejenige der 
ulnaren Finger. Bei abgelenkter Aufmerksamkeit ist die passive Streckung 
des Daumens vollständig möglich, die passive Streckung der übrigen 
Finger ist bis etwa 2 / s bzw. 8 / 4 der normalen Exkursion möglich. Bei 
Ausführung der passiven Fingerstreckung klagt der Verletzte über starke 
Schmerzen im rechten Vorderarm, dabei nimmt das Zittern des Arms 
erheblich zu. Schulter- und Ellenbogengelenk sind völlig frei beweglich. 
Temperatur und Hautfarbe der rechten Hand sind nicht verändert. Die 
Umfangsmaasse des Ober- und Vorderarms sind beiderseits die gleichen. 
Auf der ganzen rechten Hand und auf der unteren Hälfte des Vorder¬ 
arms soll eine sehr erhebliche Herabsetzung des Schmerz- und Be¬ 
rührungsgefühls bestehen. Die elektrische Untersuchung ergibt nichts 
Krankhaftes. Aus dem übrigen Befund ist nur noch Lid- und Zungen¬ 
zittern, Steigerung der Sehnenreflexe, Pulsbeschleunigung sowie Arteiio- 
sklerose, eine Vergrösserung der Herzdämpfung und der Leber hervor¬ 
zuheben. (Figur 11 und 12.) 


Figur 11. 



' Die hysterische Fingerkontraktur liefert fast immer — ebenso 
wie in den drei gezeigten Fällen — ein so charakteristisches 
Bild, dass man eine Verkennung des Zustandes kaum für möglich 
halten sollte. Und trotzdem widerfährt sehr vielen derartigen 
Patienten, besonders wenn es sich um Kranke mit Renten¬ 
ansprüchen oder dergl. handelt, das Schicksal, für Simulanten 
gehalten zu werden. So erging es auch sämtlichen drei Patienten, 


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Figur 12. 



welche ich Ihnen soeben gezeigt habe. Dabei fiel mir auf — 
was ja psychologisch leicht verständlich ist — das9 die Aerzte 
mit vorwiegend oder lediglich chirurgischer Tätigkeit sich am 
eifrigsten gegen die Annahme einer wirklichen Krankheit sträubten 
und für reine Simulation plädierten. Der Grund, weshalb gerade 
die hysterischen Fingerkontrakturen besonders leicht und beson¬ 
ders oft den Verdacht der Simulation erwecken, liegt in zwei 
Momenten. Einmal sieht der Arzt bei der Untersuchung der 
Patienten sofort, dass es sich um keine Kontraktur nach Sehnen- 
Verletzung oder dergl. handelt, dass keine Dupuytren’sche Kon¬ 
traktur vorliegt, und dass er es nicht mit einer Kontraktur nach 
cerebraler, spinaler oder neuritischer Lähmung zu tun hat, dass 
somit alle geläufigeren und bekannteren Arten der Fingerkontraktur 
ausgeschlossen werden können. Wird schon hierdurch der Simu¬ 
lationsverdacht wachgerufen, so wird dieser Verdacht noch ge¬ 
festigt durch die vielen kleinen Einzelzuge, welche der Hysteriker 
bei der Untersuchung oft darbietet. Die Fingerkontraktur wech¬ 
selt eventuell in ihrer Intensität nicht unerheblich, es treten bei 
der Untersuchung der Hand eigentümliche Zitterzustände und bei 
dem Versuch des passiven Ausgleichs der Fingerverkrümmung 
noch stärkere, scheinbar willkürlich gesetzte Muskelspannungen 
auf. Schliesslich macht der Patient bei der Untersuchung der 
Sensibilität nicht selten Angaben, welche in ihrer Willkürlichkeit 
und „offenbaren Unmöglichkeit“ ohne weiteres als unecht ange¬ 
sehen werden. Dazu kommt noch, dass der ganze Befund, be¬ 
sonders aber die Angaben des Patienten über Druckschmerz und 
über Schmerzen bei passiven Bewegungen ausserordentlich 
schwanken, je nachdem die Aufmerksamkeit des Kranken auf die 
Untersuchung gelenkt ist oder nicht. Die genannten Gründe 
lassen es verständlich erscheinen, wenn die Dinge in der Praxis 
folgendermaassen liegen: Eine hysterische Fingerkontraktur wird 
entweder richtig als solche diagnostiziert oder sie wird für simu¬ 
liert erklärt. Gegenüber dieser Alternative kommt eine Ver¬ 
wechslung mit irgendeiner anderen Art der Kontraktur kaum vor. 
Die Stellung der hysterisch kontrakturierten Finger erinnert zwar 
manchmal etwas an die Fingerstellung bei der Paralysis agitans, 
doch ist die Aehnlichkeit nur eine ganz oberflächliche und bei 
der völligen Verschiedenheit des sonstigen Untersuchungsbefundes 
differentialdiagnostisch kaum in Betracht zu ziehen. Kürzlich hat 
Haskovec 1 ) eine „laterale Deviation der Finger“ als Begleit¬ 
erscheinung der traumatischen Neurose beschrieben, welche ich 
gleichfalls unter den Begriff der hysterischen Kontrakturstellung 
rubrizieren möchte, trotzdem die Kontrakturstellung der Finger 
viel weniger ausgebildet war, als wir es in unseren Fällen sahen. 

M. H.! Wie wichtig es vom therapeutischen Standpunkt aus 
in allen Fällen de9 Bestehens einer Fingerkontraktur ist, die 
genaue Diagnose zu stellen, das brauche ich vor Vertretern der 
therapeutisch wohl ideen- und erfolgreichsten medizinischen Spe¬ 
zialdisziplin nicht weiter auszuführen. Ich möchte mir am 
Schlüsse dieser Demonstration nur noch erlauben, Ihre Aufmerk¬ 
samkeit darauf zu lenken, wie sehr es auch bei der Beurteilung 
der Gebrauchsfähigkeit der erkrankten Hand auf eine klare Er¬ 
kennung der Natur des Leidens ankommt. Denn während die 
Gebrauchsfähigkeit der Hand beim Bestehen einer familiären 
Fingerverkrümmung überhaupt nicht, und beim Bestehen einer 
Dupuytren’schen Kontraktur und selbst oft einer Krallenhand nur 
wenig beeinträchtigt wird, ergeben sich erhebliche Grade der 
Arbeitsunfähigkeit, sobald es sich um neuritische oder gar um 
hysterische Kontrakturzustände handelt. 

1) Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 3. 


Ueber Plexuspfropfung. l ) 

Kurze Mitteilung. 

Von 

Privatdozent Dr. M. Katzenstein. 

ln Fällen totaler oder fast totaler Lähmung einer Extremität 
war man bisher in therapeutischer Beziehung machtlos. Die 
Ueberpflanzung einer Sehne, eines Muskels kam nicht in Frage, 
weil diese Gebilde durchweg oder fast durchweg an dem er¬ 
krankten Gliede gelähmt waren. Auch Nervenüberpflanzungen 
konnten in diesen Fällen nicht ausgeführt werden. 

Bei der Beobachtung je eines Falles einer solchen Arm- bzw. 
Beinlähmung infolge Poliomyelitis kam ich auf den Gedanken, 
durch eine Pfropfung des in Frage kommenden Plexus mit einem 
gesunden Nerven eine Besserung bzw. Heilung des trostlosen Zu¬ 
standes herbeizuführen. 

Von zwei Voraussetzungen musste die Operation ausgehen: 
1. Von der experimentell nachgewiesenen grossen Wachstums¬ 
energie eines gesunden Nerven. 2. Von dem innigen anatomischen 
Zusammenhang, den die verschiedenen Extremitätennerven in 
ihrem Plexus noch haben. 

So hoffte ich, dass ein in den Plexus eingenähter gesunder Nerv 
in die verschiedensten Nervenbahnen einzuwachsen Gelegenheit 
hätte. Ehe ich die Operation am Menschen ausführte, habe ich in 
zahlreichen anatomischen Untersuchungen, bei denen Herr Frohse 
mich unterstützte, die Operationsmethode ausgearbeitet. 

1. Plexus brachialis. Präparation de9 gesunden Nervus supra- 
scapularis von seinem Ursprung am Plexus bis zur Incisura scapulae. 
Präparation des kranken Plexus brachialis. Anlegung einer kleinen 
Längsinzision daselbst. Durchschneidung des Nervus supraseapularis an 
der Incisura scapularis und seine Durchführung zum kranken Plexus 
brachialis auf dem kürzesten Wege: hinter Carotis, Jugularis der ge¬ 
sunden Seite, zwischen Oesophagus und Wirbelsäule, hinter Carotis, Jugu¬ 
laris der kranken Seite zum Plexus. Einnähung des gesunden Nerven 
in den Spalt des Plexus brachialis. 

2. Plexus lumbo-sacralis. Präparation des gesunden Nervus 
obturatorius von seinem Austritt am Foramen obturatorium bis zu seiner 
Verzweigung in die Addukto^enmuskulatur (vorderer und hinterer Ast). 

Laparotomie in Beckenhochlagerung, Zurückbringen der Därme, Er¬ 
öffnung des hinteren Peritoneums durch einen Schnitt lateral und parallel 
zur Arteria iliaca externa der kranken Seite. Freilegung des gelähmten 
Plexus lumbo-sacralis in und hinter dem Musculus psoas. Präpa¬ 
ration des Nervus obturatorius der gesunden Seite vom Ursprung aus 
dem Plexus bis zum Foramen obturatorium. Durchtrennung der Muskel¬ 
äste des Nervus obturatorius, Durchziehen des Nerven durch das Foramen 
obturatorium. Hindurchführen des Nervus obturatorius hinter Iliaca ex¬ 
terna und interna, Ureter der gesunden und kranken Seite. Vernähung der 
einzelnen Aeste des Obturatorius mit dem Peroneus, Femoralis- und 
Obturatorius-Anteil des Plexus lumbo-sacralis. Naht des hinteren Peri¬ 
toneums. Schluss der Bauchhöhle. 

Beide Operationen habe ich je einmal am Menschen ausge¬ 
führt: bei einem Falle von totaler Beinlähmung, sowie bei einem 
Falle von fast totaler Armlähmung. Die erste ist kurze Zeit 
ausgeführt, so dass über ihren funktionellen Erfolg noch nichts 
gesagt werden kann. 

Die Pfropfung des Plexus brachialis habe ich vor 3 Monaten 
bei diesem mir von Herrn Toby Cohn überwiesenen 9 jährigen 
Kinde ausgeführt. 

Die Lähmung bestand seit 8 Jahren und war fast total. Der Arm 
und die Hand sind in ihrer Entwicklung wesentlich zurückgeblieben. 
Die einzigen Bewegungen, die das Kind ausführen konnte, waren: ganz 
leichte Streckbewegungen der vier Finger, sowie eine geringe Beuge- 
fähi^keit des Vorderarms gegen den Oberarm. Nach Ausführung beider 
Bewegungen fielen die Finger bzw. der Vorderarm kraftlos herab. Zwei 
Monate nach der Operation erschienen die ersten Bewegungen, und es 
sind folgende Bewegungen 2 ) heute möglich: 

Geringe Abduktion des Oberarms vom Körper, Vorwärtsbewegen 
des ganzen Armes und Rückwärtsbewegen des ganzen Armes. Aktive 
Beugung des Vorderarmes gegen den Oberarm bis zum spitzen Winkel. 
Langsame Streckung des Vorderarmes. Supination des früher nur in 
Pronation gehaltenen Vorderarmes. Beugung und Streckung der Hand 
im Handgelenk. Adduktion und Abduktion des Daumens. Beugung der 
vier Finger. 

Während das Kind früher nur mit der linken Hand schrieb, ist es 
jetzt imstande, auch mit der rechten Hand zu schreiben. 

Alle diese Bewegungen sind noch schwach und kraftlos. Da sie 

1) Nach einer Demonstration in der Berliner med. Gesellschaft am 
7. Mai 1913, sowie in der Gesellschaft für Neurologie am 26. Mai 1913. 

2) Seit der Demonstration in der medizinischen Gesellschaft sind 
ganz neu die Oberarmbewegungen aufgetreten, alle übrigen sind aus¬ 
giebiger geworden. 

6 


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Gougle 


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UNIVERSUM OF IOWA 








1166 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26. 


von Muskeln ausgeführt werden, die von verschiedenen Nerven innerviert 
werden (Supination des Vorderarms: Nervus radialis; Flexion der Finger: 
Nervus ulnaris und medianus), so dürfte in dieser Beobachtung die 
Voraussetzung erfüllt sein, unter der ich die Plexuspfropfung ausgeführt 
habe. Es muss der überpflanzte Nerv im Plexus brachialis in die ver¬ 
schiedenen Nervengruppen eingewachsen sein. 

Erwähnen möchte ich die Operation, die Maragliano 1 ) mitgeteilt 
hat. Er entnahm bei einem Kinde mit totaler Beinlähmung einen Ast 
des gesunden Nervus femoralis, brachte ihn unter der Haut auf die 
akrnke Seite und pflanzte ihn in den kranken Nervus femoralis ein. 
Ein Erfolg war insofern vorhanden, als das Kind danach den Unter¬ 
schenkel gegen den Oberschenkel strecken konnte. Er ist jedoch nicht 
befriedigend, weil das Kind mit dieser einzigen Bewegung weder gehen 
noch stehen kann. 

Die beschriebene Operation der Plexuspfropfung unterscheidet 
sich von dieser sowie von allen bisherigen Nerventransplantationen 
durch zwei Punkte: 

1. Durch Verwendung eines entbehrlichen Nerven in seiner 
Gesamtheit, während bisher (auch von Maragliano) fast nur 
Abspaltungen von anderen Nerven benutzt wurden. 

2. Durch die Einpflanzung dieses gesunden Nerven in den 
Plexus, in eine Stelle also, wo die stark divergierenden Nerven 
der Extremität noch nicht differenziert sind (Plexus brachialis) 
oder doch sehr nahe und durch viele Zweige in innigem Zu¬ 
sammenhang zueinander stehen (Plexus lumbo-sacralis). 

Sollten sich die funktionellen Resultate der Plexuspfropfung 
in weiteren Fällen bestätigen, so würde ich sie auch bei partiellen 
Lähmungen ausführen, da hierbei die bisherigen Ergebnisse der 
Nerventransplantation meistens nicht befriedigten. Das Ausbleiben 
des Erfolges hierbei möchte ich darauf zurückführen, dass zur 
Pfropfung nicht gesunde Nerven, sondern Abspaltungen von Nerven 
einer gelähmten Extremität benutzt, sowie dass die Pfropfungen zu 
weit peripherwärts ausgeführt wurden. 

1) Centralbl. f. Chir., 1911, Nr. 1. 


Aus dem medizinisch-poliklinischen Institut der Uni¬ 
versität Berlin (Direktor: Geh. Medizinalrat Prof. 
Dr. Goldscheider). 

Ueber den C0 2 -Gehalt der Luft in der Berliner 
Untergrundbahn. 

* Von 

Dr. W. Arnoldi. 

Durch zuweilen vernommene Klagen über die „schlechte“ 
Luft in der Berliner Untergrundbahn veranlasst 1 ) schritt ich zu 
den im Folgenden wiedergegebenen Untersuchungen. Ich stellte 
dabei aus während der Fahrt entnommenen Proben den CO s Ge¬ 
halt der Luft fest und verglich die gefundenen Werte bei voll¬ 
besetztem Wagen mit denen von Luft aus leeren Wagen, aus den 
Untergrundbahnhöfen, aus anderen Verkehrsmitteln und Räum¬ 
lichkeiten, ausserdem die Werte für den Morgen mit denen für 
den Abend. Die Untersuchungen wurden in den Monaten März, April 
und Mai 1913 gemacht. 

Die Proben wurden in der Weise entnommen, dass eine mit 
angesäuertem Wasser beschickte, 300 ccm haltige, an beiden 
Enden mit abgeklemmten Schläuchen versehene Röhre geöffnet, 
in ein leeres Gefäss auslief. Die wiederum wohl verschlossene 
Röhre wurde alsbald (im Institut) mit dem Zuntz-Geppert’schen 
Apparat verbunden und ihr Inhalt analysiert (Doppelanalysen). 


1) Insbesondere wies mich Herr Dr. Gerhartz, Assistent am hiesigen 
Instiut, darauf hin, die Untersuchungen vorzunehmen, auch gab er mir 
für die Benutzung des Zuntz-Geppert’schen Apparates Ratschläge, wofür 
ich Herrn Kollegen G. zu Danke verpflichtet bin. 


Nr. 

Ort der Entnahme # 

Datum und Zeit 

C0 2 in pCt. 

0 2 in pCt. 

Bemerkungen 

1 

Luft im Freien . 



15. 4. 

7 a l 2 Uhr 

m. 

0,02-0,03 

_ 




2 

» » » 



17. 4. 

12 

rt 

m. 

0,03-0,05 

20,77—20,79 




3 

9 9 9 



16. 4. 

6‘A 

» 

a. 

0,05—0,05 

20,85-20,86 




4 

Untergrundbahnhol Friedrichstrasse .... 


16. 3. 

'/«io 

rt 

V. 

0,08-0,10 

— 




5 

79 

» .... 


29. 3. 

12 

79 

a. 

0,10-0,11 

— 




6 

„ 

Hausvogteiplatz .... 


20. 3. 

>/,10 

n 

V. 

0,06-0,08 

— 




7 

79 

» .... 


31. 3. 

V 2 n 

rt 

a. 

0,05-0,07 

— 




8 

„ 

Viktoria-Luise-Platz . . 


31. 3. 

10 

n 

V. 

0,04-0,05 

— 




9 

9 

9 rt r> 


28. 3. 

»AH 

rt 

a. 

0,11—0,12 

— 




10 

Untergrundbahn wagen der Schöneberger Bahn 

* 

15. 5. 

Va8 

rt 

V. 

0,06—0,08 

20,77—20,78 

II. Klasse 

Nichtraucher, leer 

11 

n 

» n i> 

* 

8. 4. 

8 

n 

V. 

0,18-0,18 

— 

IIL 

rt 

Raucher, voll besetzt 

12 

n 

r> 9 9 

* 

22. 4. 

7*9 

rt 

V. 

0,13-0,15 

20,53-20,58 

IIL 

rt 

» fi^t „ 

13 

79 

9 n » 

* 

30. 4. 

9 

n 

V. 

0,12-0,14 

20,61—20,77 

II. 

9 

Nichtraucher, massig gut besetzt 

14 

79 

rt 9 rt 

* 

23. 4. 

2 

rt 

m. 

0,12-0,14 

20,57-20,57 

II. 

9 

Raucher, massig gut besetzt 

15 

9 

» rt rt 

* 

16. 4. 

'/.IS 


a. 

0,09-0,11 

20,58-20,60 

11. 

9 

„ ziemlich leer 

16 

9 

am Leipziger Platz 

** 

22. 4. 

7*9 

n 

V. 

0,13-0,15 

— 

III. 

9 

„ gut besetzt 

17 

9 

n rt rt 

*• 

80. 4. 

2 

n 

m. 

0,11-0,11 

20,72-20,75 

II. 

9 

Nichtraucher, gut besetzt 

18 

n 

999 

** 

14. 4. 

'/.io 

79 

V. 

0,11—0,14 

20,49—20,55 

III. 

9 

Raucher „ „ 

19 


rt n rt 

** 

22. 4. 

2 

rt 

m. 

0,13-0,14 

— 

III. 


Nichtraucher „ * 

20 

„ 

„ Reichskanzler-Platz 

*♦ 

16. 4. 

12 

n 

a. 

0,05-0,07 

20,75—20,77 

II. 


Raucher, leer 

21 

9 

„ Bismarckstrasse 

** 

21. 4. 

WO 

„ 

a. 

0,08-0,10 

20,57—20,58 

III. 

9 

Nichtraucher, wenig besetzt 

22 

r> 

„ Knie 

** 

25. 4. 

8 

» 

a. 

0,13-0,14 

20,63—20,67 

III. 


9 gUt 

23 

Stadtbahnwagen 



— 

9 

n 

V. 

0,08-0,10 

— 

m. 

9 

Raucher leer 

24 

» 



21. 5. 

9 

n 

V. 

0,11-0,13 

— 

ui. 

9 

„ wenig besetzt 

25 

n 



20. 5. 

9 

rt 

V. 

0,17-0,17 

— 

ii. 

9 

Nichtraucher, voll besetzt 

26 

» 



— 

9 

rt 

V. 

0,25—0,27 

— 

ii. 


„ sehr überfüllt 

27 

Elektrische Bahn 



4. 4. 

10 

n 

V. 

0,06-0,09 

— 

wenig besetzt 

28 

9 9 



2. 5. 

9 

rt 

V. 

0,08-0,10 

20,73—20,76 

gut besetzt 

29 

Omnibus . . . 



4. 4. 

2 

rt 

m. 

0,21-0,23 

— 

sehr voll 


30 

Kinematographentheater . 


5. 4. 

9 

rt 

a. 

0,17—0,19 

— 

gut besetzt 

31 

Caf6 .... 



15. 4. 

12 

rt 

a. 

0,15-0,17 

20,43—20,45 

massig besetzt 


* Zwischen Viktoria-Luise-Platz und der nächsten Station; ** bis zur nächsten Station während der Fahrt entnommen. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frorn 

UNIVERSUM OF IOWA 



























28. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1167 


Er steben sich demnach die folgenden CO a Werte gegenüber: 

PH in C0 2 pCt. 

Orte der Entnahme in im Mittel 

P ; * d. Uotergr. 

Frische Luft. 0,02-0,05 0,038 

Luft in den Bahnhöfen der Untergrdb.; morgens 0,04—0,10 0,068 

» „ • „ „ * abends 0,05—0,12 0,093 

n ti leeren Wagen der „ morgens 0,06—0,08 0,07 

„ » » * „ „ „ abends 0,05—0,11 0,083 

a „ „ besetzten Wagen der „ morgens 0,11—0,18 0,13 

» » » » » „ „ abends 0,13-0,14 0,135 

Ueberschuss an CO*-pCt. der besetzten Wagen 
der Untergrdb. gegenber den leeren, morgens 0,03—0,12 0,06 

Ueberschuss an C0 2 -pCt. der besetzten Wagen 
der Untergrdb. gegenüber den leeren, abends 0,02 — 0,09 0,052 

Ueberschuss an CO,-pCt. der besetzten Wagen der 
Untergrdb. gegenüber frischer Luft; morgens 0,06—0,16 0,092 

Ueberschuss an C0 2 -pCt. der leeren Stadtbahn¬ 
wagen gegenüber den leeren Wagen der Unter¬ 
grundbahn .morgens 0,00—0,04 0,02 

Ueberschuss an C0 2 -pCt. der besetzten Stadtbahn- 
lragen gegenüber den besetzten Wagen der 

Untergrundbahn. morgens 0,07—0,16 0,115 

Ueberschuss an C0 2 -pCt. der elektrischen Bahn- 
wagen gegenüber den leeren Wagen der Unter* 

grundbahn. morgens 0,00—0,03 0,015 

Ueberschuss an C0 2 -pCt. der besetzten Unter¬ 
grundbahnwagen gegenüber den besetzten elek¬ 
trischen Bahnwagen.morgens 0,01—0,10 0,04 

Ueberschuss an C0 2 -pCt. des besetzten Omnibus 
k. gegenüber dem besetzten Wagen der Unter¬ 
grundbahn .morgens 0,01—0,08 0,045 

Die Zeit „morgens“ wurde von 1 / i 8 Uhr morgens bis 2 Uhr 
mittags gerechnet. Wie aus der Tabelle ersichtlich, fanden sich 
in allen Verkehrsmitttein, ausser der elektrischen Bahn, im Ver¬ 
gleich mit den Wagen der Untergrundbahn geringe Ueberschüsse 
an Kohlensäure der Luft. 

Andere Untersncher fanden in überfüllten Räumlichkeiten: 


Ort der der Entnahme 

C0 2 in 
pCt. 

Untersucher 

Schulzimmer vor dem Unterricht. 

0,03 

\ F. W. Hesse 


0,3 

/ u.W. Hesse *) 

Unterrichtsraum, höchster C0 2 -Wert .... 

1,17 

W. Hesse 2 3 ) 

Gotthardtunnel, während des Baues. 

In Berliner Cafe9 und Restaurants . . bis zu 

0,96 

0,338 

Stapf«) 

In dem Barackenauditorium zu Berlin, am Schluss 

> H. Wolpert 4 ) 

des vielbesuchten Kollegs Dubois-Reymond’s . 
In einem Torpedobot-Mannschaftsschlafraum nach 

1,431 


9 ständiger Benutzung. 

1,14 

C. M. Belli e 
E. Troello 5 6 ) 


Als Grenzwert für eine mit Ausatmungsluft yormengte, aber noch 
gute Luft geben an: 

Pettenkofer«) 0,07 pCt. C0 2 (von 0,1 pCt. an schädlich) 

Ueberschuss der C0 2 gegenüber frischer Luft 0,035 bzw. 0,065 pCt. 
Rietschel 7 ) 0,15 pCt. C0 2 , Ueberschuss der C0 2 gegenüber 

frischer Luft.0,115 , 

Zuntz 8 ) 0,1—0,3pCt. C0 2 , Ueberschuss der C0 2 gegenüber 
frischer Luft. 0,065 bis 0,265 „ 

In den besetzten Wagen übertreffen die höchsten, gefundenen 
Kohlensäuremengen die Grenzwerte Pettenkofer’s und Riet- 
sehel’s um ein Geringes und bleiben unterhalb dem von Zuntz 

1) F. W. Hesse und W. Hesse, Ein Vorschlag, die exorbitante 
Verunreinigung der Schulluft hintanzuhalten. Vierteljahrsh. f. öffentl. 
Gesundheitspfl., 1878, Bd. 10, S. 728. 

2) W. Hesse, Zur Sohul-, Fabrik- und Wohnungshygiene. Ebenda, 
S. 265. 

3) Stapf, Dubois* Archiv, 1879, Suppl., S. 86. 

4) H. Wolpert, Eine einfache Luftprüfungsmethode auf Kohlen¬ 
säure. Leipzig 1892, S. 71. 

5) G. M. Belli e E. Troello, Alterazioni e ricambio dell* aria etc. 
Ref. Hygien. Rundschau, 1909, Bd. 19, S. 121. 

6) v. Pettenkofer, Ueber den Luftwechsel in den Wohnungen. 
München 1858. 

7) H. Rietschel, Lüftung und Heizung von Schulen usw. Berlin 1886. 

8) Pfeiffer und Proskauer, Encyklop. of Hygiene, 1905, Bd. 1, 
S. 528. 


angegebenen. Im Vergleich mit anderen überfüllten Räumlich¬ 
keiten und Verkehrsmitteln muss man jedoch hervorheben, dass 
der Kohlensäuregehalt und wenn man ihn zum Maassstab für die 
Güte der Luft wählt, diese bzw. die Ventilation in der Berliner 
Untergrundbahn durchaus günstig zu beurteilen ist. Die geringe 
Sauerstoffvermindernng kann gänzlich vernachlässigt werden. 

Möglicherweise erweckt das fehlende Tageslicht die Vor¬ 
stellung einer ungenügenden Lüftung, dann hätten die geschilderten 
Klagen in erster Linie einen psychogenen Ursprung oder andere, 
hier nicht zum Ausdruck gekommene, gasige Beimengungen tragen 
die Schuld. 

Aus der inneren Abteilung des städtischen Kranken¬ 
hauses in Wiesbaden. 

Die Funktionsprüfung der Leber. 

(Sammelreferat.) 

Von 

Dr. S. Isaac. 

(Nach einem im Verein der Aerzte Wiesbadens am 19. Februar 1913 
gehaltenen Vortrag.) 

Die klinische Analyse der Organfunktionen ist im wesent¬ 
lichen ein Produkt der zahlreichen Arbeiten des letzten Jahr¬ 
zehnts. Nicht in gleichem Umfange lässt sich das für die 
Funktionsprüfung der Leber behaupten. Denn dank ihrer Be¬ 
deutung für den Chemismus des ganzen Organismus wurde die 
rein physiologische Betrachtungsweise auch von den Klinikern 
gerade bei ihr seit langem gepflegt. Aber auch hier verdanken 
wir diejenigen Methoden der Funktionsprüfung, welche sich am 
Krankenbett als wertvoll erwiesen haben, erst der neueren Zeit. 
Trotz der vielseitigen Rolle, welche die Leber im Körperhaushalte 
wie kein anderes Organ spielt und aus der eine Reihe wichtiger 
Funktionen resultiert, konnte bis jetzt nur Weniges ihrer mannig¬ 
fachen Tätigkeitsäusserungen für die klinische Diagnostik ver¬ 
wertet werden, vor allem deshalb, weil die Kompensationsmöglich¬ 
keiten für zugrunde gegangene Parenchymteile hier so ausge¬ 
dehnte sind, dass Störungen ihrer lebenswichtigen Aufgaben selbst 
bei schwerer Veränderung ihres Gewebes nur relativ selten in 
die Erscheinung treten. Leichtere Alterationen der Leber¬ 
funktionen manifestieren sich aber nicht ohne weiteres, und es 
bedarf zu ihrer Feststellung einer Reihe von Methoden, welche 
Schädigungen' gewisser Partialfunktionen der Leber, so in bezug 
auf den Eiweiss- und Kohlehydratstoffwechsel, die Produktion 
und Verarbeitung des Gallenfarbstoffes und die Entgiftung 
schädlicher Substanzen zu erweisen suchen. Da alle End¬ 
produkte des Leberstoffwechsels, soweit sie nicht in die Gallen¬ 
wege sezerniert werden, auf dem Blutwege in die Nieren und von 
dort zur Ausscheidung gelangen, so gipfelt jede bisher angewandte 
Funktionsprüfung der Leber in bestimmten chemischen Unter¬ 
suchungen des Harnes und eventuell des Blutes. 

I. 

Es ist daher zunächst zu besprechen, ob in veränderter Aus¬ 
scheidung der N-haltigen Produkte des Eiweissstoffwechsels im 
Harn Funktionsstörungen der Leber zum Ausdruck kommen, in¬ 
sofern eine ihrer wichtigsten Aufgaben, die Synthese des aus dem 
Eiweiss stammenden N zu Harnstoff nicht mehr in vollem Um¬ 
fang erfüllt werden kann. Bekanntlich entfallen von dem Stick¬ 
stoff, den ein gesunder Mensch im Harne ausscheidet, 85—88 pCt. 
auf Harnstoff, 8—5 pCt. auf Ammoniak, etwa 3 pCt. auf Amino¬ 
säuren, der Rest auf die übrigen stickstoffhaltigen Bestandteile, 
wie Harnsäure, Kreatinin usw., die prozentualiter keine grosse 
Rolle spielen. Man hat schon frühzeitig versucht, festzustellen, 
ob bei Erkrankungen der Leber diese Stickstoffverteilung im 
Harne verändert, ob insbesondere aus Verschiebungen des Ver¬ 
hältnisses von Harn8toff-N : Ammoniak : N eine Insuffizienz der 
Harnstoffsynthese sich erkennen lasse. Zahlreiche ältere Unter¬ 
suchungen, auf deren Wiedergabe wir verzichten müssen 1 ), in 
jüngster Zeit Arbeiten von Frey, Falk und Saxl u. a., haben 
ergeben, dass dieses Verhältnis bei den lokalisierten Affektionen 
der Leber überhaupt nicht gestört ist, bei den diffusen Erkran¬ 
kungen des Parenchyms (Cirrhosen, Leberatrophie, Intoxikationen) 

1) Vgl. Weintraud, Krankheiten der Leber in v. Noorden’s Hand¬ 
buch der Pathologie des Stoffwechsels, Bd. 1. — A. Posselt, Moderne 
Leberdiagnostik usw. Med. Klinik, 1908, S. 1140. 

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UNIVERSITÄT OF IOWA 














1168 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26. 


jedoch häufiger eine, meist allerdings nur geringfügige Vermehrung 
des Ammoniak-N auf Kosten des Harnstoff-N vorhanden ist. So« 
viel lässt sich jedenfalls sagen, dass tiefer greifende Störungen 
der Harnstoffsynthese klinisch nicht beobachtet werden. Die 
Frage, ob die erwähnte Erhöhung der Ammoniakwerte überhaupt 
auf eine gewisse Schwäche der Leber in bezug auf die Harnstoff- 
bildung bezogen werden darf, wurde schon immer diskutiert. Sprach 
bereits früher manches gegen eine solche Auffassung, z. B. die 
von Weintraud festgestellte Tatsache, dass bei Leberkranken 
Verfütterung von Ammoniaksalzen im allgemeinen keine Steigerung 
des Harnammoniaks zur Folge hat, so wird die Ansicht jetzt 
immer allgemeiner, dass die vermehrte Ammoniakausscheidung 
nicht eine primäre Störung der Harnstoffsynthese darstellt, vielmehr 
durch erhöhtes Auftreten von sauren Produkten im Stoffwechsel 
der Leberkranken bervorgerufen wird. Das geht auch aus kürz¬ 
lich mitgeteilten Versuchen von Frey und besonders von 
Janney hervor, welche in Bestätigung älterer Ergebnisse von 
Münzer durch Alkalizufuhr bei Leberkranken das Ammoniak 
aus dem Harne fast zum Verschwinden bringen konnten. 

Der direkte Nachweis, dass tatsächlich eine vermehrte Säure¬ 
produktion bei vielen Leberkranken vorhanden ist, wird durch 
neuere Untersuchungen über die Aminosäurenfraktion im Harn 
gebracht, die für die funktionelle Leberdiagnostik bereits eine 
gewisse Bedeutung gewonnen haben. Durch die Arbeiten von 
Embden u. a. war schon seit einiger Zeit bekannt, dass auch 
im normalen Harn Aminosäuren stets in geringer Menge zu finden 
sind. Mittels der von Henriques und Sörensen angegebenen 
Methode der Formoltitration, die auf dem Prinzip beruht, nach 
Zusatz von neutralisierter Formollösung zu Aminosäurelösungen, 
wodurch infolge Bildung von Metbylenverbindungen die sauren 
Eigenschaften der Carboxylgruppen manifestiert werden, letztere 
titrimetrisch zu bestimmen, ist es möglich geworden, quantitative 
Bestimmungsreihen der Aminosäurefraktion im Harn durcbzu- 
führen. Henriques, Yoshida, Falk und Hesky, Falk 
und Saxl, Landsberg, Masuda, Frey haben sich dieser 
Methode bedient und gefunden, dass beim nichtleberkranken 
Menschen der in 24 Stunden ausgescbiedene Aminosäuren¬ 
stickstoff im Harn 1—3 pCt. des gesamten eliminierten N. be¬ 
trägt. Diese Aminosäurenausscheidung ist nun bei gewissen 
Leberkrankheiten erhöht. So fanden Falk und Saxl bei Tumoren 
der Leber Werte von 8,7 pCt., bei Icterus solche bis zu 4,6 pCt., 
sehr hohe Zahlen (bis 6,6 pCt.) bei Lebercirrhose. Diese Autoren 
stellten auch fest, dass der von ihnen sogenannte Peptidstickstoff, 
d. h. der erst nach Spaltung mit HCl formoltitrierbare Amino¬ 
säuren-N, der bei Gesunden durchschnittlich 1 pCt. des Gesamt 
N beträgt, bei einzelnen Leberaffektionen (besonders bei Cirrbose) 
bis auf 6 pCt. vermehrt sein kann. Bier stellte die grösste 
Aminosäureausscheidung bei Cirrhose fest. Frey fand ebenfalls 
bei Cirrhose, Stauungsleber und Amyloidosis hepatis eine Er¬ 
höhung der Aminosäurenfraktion, nicht dagegen bei Stauungs- 
icterus, Tumoren und Lues hepatis. Nach den Untersuchungen 
Masuda’s soll bei Tumoren der Leber die Ausscheidung des 
Aroinosäuren-N vermehrt sein. Glässner, der allerdings mit 
einer anderen von ihm selbst angegebenen, nicht allen Ansprüchen 
völlig genügenden Methode arbeitete, fand die Steigerung der 
Aminosäuren werte am beträchtlichsten bei Carcinomen und 
Cirrhose, sehr stark auch bei alkoholischer Fettleber und sehr 
deutlich bei katarrhalischem Icterus und Leberlues. Das bisher 
vorliegende Material erlaubt — abgesehen von der Feststellung 
der Tatsache der Vermehrung der Aminosäurefraktion bei Leber¬ 
krankheiten im allgemeinen — noch keine weitergehenden Schlüsse; 
insbesondere scheint es nicht zur Entscheidung der Frage, ob 
eine diffusse oder mehr lokalisierte Erkrankung der Leber vor¬ 
liegt, brauchbar zu sein, da die Resultate, wie aus obigem hervor¬ 
geht, in dieser Hinsicht widersprechend sind. Auch darüber 
herrscht noch keine völlige Klarheit, inwieweit die Aminosäure- 
ansscheidung im Harn selbst bei Gesunden von Einflüssen 
der Ernährung abhängig ist. Konnten auch Glässner, Frey, 
Falk und Saxl insbesondere dem N-Gehalt der Nahrung keine 
besondere Wirkung auf die relativen Aminosäurenwerte im Harne 
znschreiben, so stellte doch andererseits Masuda eine gewisse 
Abhängigkeit derselben von der Grösse des Gesamtumsatzes fest. 
Sind auch diese Differenzen keine besonders hochgradigen, so 
wird doch vorläufig bei derartigen Bestimmungen die Art der 
Ernährung berücksichtigt werden müssen. 

Von besonderem Interesse ist nun die Frage, wie sich die 
Werte der Aminosäurefraktion bei direkter Zufuhr von Amino¬ 
säuren verhalten und ob hierbei wesentliche Unterschiede zwischen 


Gesunden und Leberkranken zutage treten. Glässner bat wohl 
zuerst derartige Versuche zum Zwecke der Fuoktionsprüfuog der 
Leber durcbgeführt. Er fand, dass normale Menschen selbst 
grössere Mengen (bis zu 25 g) verschiedener Aminosäuren (Alanin, 
Asparaginsäure, Glykokoll, Leucin) ohne weiteres zu Harnstoff ver¬ 
brennen und dass die Amidofraktion im Harne nicht vermehrt ist, 
im Gegensatz hierzu eine Reihe Leberkranker die zugeführten Säuren 
nicht vollständig in Harnstoff überführten, vielmehr als solche 
ausschieden. Indessen verhielten sich die verschiedenen Kranken 
nicht gleichartig: Patienten mit Stauungsleber, Garcinom und 
Icterus reagierten nicht anders als Gesunde, während solche mit 
Fettleber, Leberlues, Phosphorvergiftung und vor allem mit 
Cirrhose eine beträchtliche Vermehrung der Aminosäurefraktion 
nach Zufuhr der Säuren aufwiesen. Zu ähnlichen Resultaten be¬ 
züglich der alimentären Hyperacidaminurie kamen auch Jastro- 
witz und später Falk und Saxl, die bei einigen Fällen von 
Cirrhose auch ein Anwachsen der Peptid-N-Fraktion nach Glyko- 
kollverfütterung konstatierten. Gegen die Versuche der genannten 
Autoren lässt sich aber der Einwand erheben, dass zu grosse 
Mengen von Aminosäuren verabfolgt worden sind und daher eine 
erhöhte Ausscheidung derselben nicht ohne weiteres im Sinne 
einer Leberinsuffizienz zu verwerten ist, da bei Zufuhr grosser 
Mengen auch Gesunde einen Teil derselben unverwertet elimi¬ 
nieren. In der Tat findet auch Frey, der im Gegensatz zu 
Glässner und Jastrowitz die Formolmethode benutzt hat, bei 
Gesunden und Leberkranken nach Verfütterung grösserer Quantitäten 
in der absoluten Ausscheidung keine wesentlichen Unterschiede. 
Masuda hat von diesem Gesichtspunkte aus nur kleine Mengen 
verfüttert und stellte fest, dass nach Verabreichung von 5 g 
Alanin oder Glykokoll Lebergesunde 20—30 pCt. des eingeführten 
aus8cheiden, während an Cirrhose, katarrhalischem Icterus und 
Carcinoma hepatis leidende Patienten 40—60pCt. der geführten 
Säuren und Harne wieder eliminierten. 

Es geht aus dem Vorstehenden hervor, dass die Ergebnisse, 
welche das Studium der alimentären Acidaminurie aufzuweisen 
hat, noch nicht eindeutig genug sind, um gegenwärtig als 
Methode der Funktionsprüfung der Leber eine wesentliche Be¬ 
deutung beanspruchen zu können, abgesehen davon, dass die 
Grundfrage, ob die alimentäre Hyperacidaminurie überhaupt eine 
Funktionsuntüchtigkeit der Leber, etwa in bezug auf ihr Des¬ 
amidierungsvermögen beweist, noch keineswegs entschieden ist. 
Aber auch bezüglich der — ohne vorherige Verfütterung — bei 
Leberkrankheiten erhöhten Aminosäureausscheidung ist es zweifel¬ 
haft, ob sie eine funktionelle Schwäche der Leber verrät, viel¬ 
mehr sprechen manche Gründe dafür, sie als Folge vermehrten 
Zellzerfalls in der Leber aufzufassen. Es würde diese nur mit 
feineren Methoden feststellbare mässige Vermehrung der Amino¬ 
säuren im Harne der Leberkranken den geringsten Grad des 
Prozesses darstellen, den Frerichs vor 70 Jahren bei der akuten 
gelben Leberatrophie beschrieben hat, wo infolge der enormen 
Destruktion der Leberzellen eine ganz beträchtliche Ausschwem¬ 
mung der Aminosäuren, sogar der höheren wie des Leucins und 
Tyrosins stattfindet. 

Ist demnach die Verwertung der genannten Versucbsergebnisse 
für die funktionelle Leberdiagnostik noch in mancher Hinsicht 
problematisch, so ist das in noch höherem Maasse der Fall be¬ 
züglich des Verhaltens einiger anderer stickstoffhaltigen Sub¬ 
stanzen des Harns, deren Ausscheidung bei Leberkranken ver¬ 
ändert sein soll. Man hat versucht, aus dem Verhalten der 
Kreatin- und Kreatininausscheidung ein Urteil über die Funktions¬ 
tüchtigkeit der Leber zu bekommen (Mellanby, Boljarsky, 
Emons, Heynemann, Lefmann, ohne dass sich bis jetzt 
funktionell-diagnostisch verwertbare Resultate ergeben hätten. 
Auch der Ausscheidung des kolloidalen Stickstoffs (Salkowski) 
hat man seine Aufmerksamkeit zugewandt. Mancini sowie 
Pribram und Löwy fanden hohe Werte desselben bei Leber¬ 
kranken. 

II. 

Man kann also nicht sagen, dass die besprochenen Unter¬ 
suchungen über die Endprodukte des Eiweissstoffwechsels, so 
theoretisch wichtig sie auch sind, eine wesentliche Bereicherung 
unseres diagnostischen Rüstzeuges darstellen, auch deshalb nicht, 
weil es z. B. zur Feststellung der Aminosäurenausscheidung immer¬ 
hin komplizierterer Methoden bedarf, die nicht stets zur Hand 
sind. Günstiger sind wir in dieser Hinsicht bei der Untersuchung 
des Kohlehydratstoffwechsels gestellt, die bekanntlich gewisse, für 
die funktionelle Diagnostik bedeutungsvolle Störungen bei Leber¬ 
kranken aufdecken kann. Im wesentlichen handelt es sich dabei 


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UMIVERSITY OF IOWA 


23. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1109 


um den Nachweis meist nur geringgradiger Insuffizienz des Gly¬ 
kogenfixationsvermögens in der Leber mittels sogenannter Zucker¬ 
belastungsproben. Seit den Untersuchungen von Sachs und 
Strauss kennen wir die immer wieder bestätigte Tatsache, dass 
Patienten mit den verschiedensten Leberaffektionen auf die ein¬ 
malige Zufuhr von durchschnittlich 100 g Drextrose nicht mit 
Zuckerausscheidung reagieren, wohl aber nach Verabfolgung der 
gleichen Menge Lävulose. Wie konstant diese alimentäre 
Lävuiosurie bei Leberkranken ist, mag aus folgenden Zahlen 
hervorgehen, die kürzlich Falk und Saxl auf Grund eigener 
Beobachtungen und solcher der Literatur zusammengestellt haben. 
Bei Lebercirrho8e fehlt die alimentäre Lävuiosurie nur in ungefähr 
7 pCt. der Fälle, beim Icterus catarrhalis und beim Icterus durch 
Choledochusverschluss ist sie in etwa 9 pCt. nicht vorhanden. 
Bei Leherkrankheiten im Verlaufe von akuten Infektionskrank¬ 
heiten und gewissen Intoxikationen wird sie ebenfalls nur bei 
7 pCt. vermisst. Ganz entgegengesetzt verhalten sich aber — 
w ss differentialdiagnostisch sehr wichtig ist — die mehr lokali¬ 
sierten Erkrankungen (Tumoren, Echinococcus), insofern hier in 
76,6 pCt. der untersuchten Fälle eine Herabsetzung der Toleranz 
gegen Lävulose nicht nachweisbar war. Damit stimmen auch die 
Erfahrungen anderen neuerer Autoren, wie v. Halasz, v. Saba- 
towski, Churchmann, Frey und besonders von Hohlweg 
überein. Eine Erklärung, warum die kranke Leberzelle das aus 
Lävulose stammende Glykogen schlechter fixieren kann, wie das 
aus Dextrose gebildete, steht zurzeit noch aus. Dies Verhalten 
ist aber um so interessanter, weil der Diabetiker und auch der 
pankreasdiabetische Hund die umgekehrte Erscheinung, nämlich 
eher ein besseres Fixationsvermögen für Lävuloseglykogen als für 
Dextroseglykogen zeigen. Es lässt sich nun nicht leugnen, dass, 
worauf auch Reiss und Jehn kürzlich mit Recht hinwiesen, die 
Häufigkeit des Vorkommens von alimentärer Lävuiosurie bei Leber¬ 
kranken aller Art den Wert dieses Symptoms für eine speziellere 
Unterscheidung der verschiedenen Leberaffektionen sehr vermindert. 
Etwas günstiger scheinen in dieser Beziehung die Verhältnisse bei 
einer anderen Zuckerart, der Galaktose, zu liegen, die in neuester 
Zeit mehrfach — zuerst von Bauer — zur Prüfung der Leber 
funktionen beim Menschen verwandt worden ist. Bauer fand, 
dass nach Verabreichung von 40 g Galaktose diese vom Gesunden 
fast vollständig ausgennfzt wurde, während Leberkranke beträcht¬ 
liche Mengen wieder ausschieden. Dabei konnten im einzelnen 
folgende Unterschiede zwischen den einzelnen Erkrankungsformen 
festgestellt werden: Lebertumoren sowie Icterus durch Steinver¬ 
schluss verminderten nicht die Galaktosetoleranz, dagegen wohl 
die Lebercirrhose, bei der bis zu 6 g im Harne wiedergefunden 
wurden. Die stärkste alimentäre Galaktoseausscheidung war aber 
bemerkenswerterweise beim Icterus catarrhalis mit Mengen bis zu 
10 g vorhanden. Die Intoleranz gegen Galaktose bleibt hier, 
wenn auch in vermindertem Maasse, noch längere Zeit nach dem 
Verschwinden der klinischen Erscheinungen bestehen. Zu ähn¬ 
lichen Resultaten kamen auch Posselt sowie Bondi und König 
und ganz neuerdings Reiss und Jehn, die an einem sehr grossen 
Materiale das Verhalten der Galaktosurie studierten. Reiss und 
Jehn zeigten, dass auch Gesunde nach Verabreichung von 40 g 
gelegentlich bis zu 1,5 g ausscbeiden. Daher können nur Werte 
als pathologisch angesehen werden, die 2 g wesentlich übersteigen. 
Es bat sich auch aus den Untersuchungen dieser Autoren ergeben, 
dass eine mittelstarke Galaktosurie (bis zu 4 g) bei gewissen Er¬ 
krankungen der Leber (Cirrhose, Staunngsleber, Icterus lueticus) 
mehr oder weniger häufig Vorkommen kann, dass die Galaktosurie 
aber fehlt bei Lebercarcinom und Cholelithiasis, oder bei letzterer 
nur in ganz geringem Maasse vorhanden ist, selbst wenn durch 
Tumormassen oder Steine ein längerdauernder Stauungsicterus sich 
ausgebildet hat. Sehr starke alimentäre Galaktosurie findet sich 
aber in Uebereinstimmung mit den Ergebnissen von Bauer 
beim Icterus catarrhalis. Hier können bis zu 36 pCt. der ver¬ 
fütterten Galaktose im Harne wieder zum Vorschein kommen. 
Beim gewöhnlichen Icterus zeigt sich also, was die Galaktosurie 
betrifft, unter den am häufigsten vorkommenden Leberkrankheiten 
die schwerste Funktionsstörung. Es ergibt sich daraus der praktisch 
und theoretisch wichtige pathogenetische Schluss, den schon 
Bauer gezogen bat, dass der Icterus simplex nicht einfach durch 
Stauung bedingt ist, sondern durch eine primäre Alteration der 
Leberzellen und ihrer Funktionen zustande kommt. In diesem 
Sinne lässt sich auch der von Janney in seiner obenerwähnten 
Arbeit erhobene Befund verwerten, dass gerade beim Icterus 
catarrhalis in manchen Fällen durch Alkalizufuhr der Ammoniak¬ 
wert im Harn viel schwerer herabgesetzt werden kann als bei 


anderen Leberaffektionen. Wahrscheinlich wird auch bei 
durch Intoxikationen und Infektionen bedingten schwersten Ver¬ 
änderungen des Leberparenchyms sowie bei akuter Leberatrophie 
eine Herabsetzung der Toleranz gegen Galaktose nachzuweisen 
sein; wenigstens konnten Reiss und Jehn sowie Roubitschek 
in Versuchen am Hunde zeigen, dass durch Vergiftung mit 
Phosphor eine Erhöhung der Galaktoseausscheidung sich er¬ 
zielen lässt, während in guter Uebereinstimmung mit den 
klinischen Befunden die durch experimentelle Gallengangsunter¬ 
bindung hervorgerufene Gallenstauung die Galaktoseausscheidung 
unbeeinflusst lässt. Offenbar schädigt eine einfache, selbst 
längere Zeit bestehende Gallenstauung das Leberparenchym in 
viel geringerem Maasse als man früher angenommen hat. Lässt 
aber die alimentäre Lävuiosurie keine Entscheidung zu, wodurch 
ein Icterus im einzelnen Falle bedingt ist, so scheint die Galak¬ 
toseprobe den grossen Vorzug zu haben, zwischen Stauungsicterus 
und Icterus durch Parenchymschädignngen zu differenzieren. Ist 
bei sicherem Stauungsicterus doch eine geringgradige Galaktose- 
aus8cbeidung vorhanden, so spricht das nach Reiss und Jehn 
eher für Steinverscbluss als für Carcinom der Gallenwege bzw. 
der Leber. 

Gerade die Unterscheidung zwischen mechanischem Icterus 
irgendwelcher Provenienz nnd den anderen durch direkte Zell- 
8cbädigung verursachten Icterusformen ist in chirurgischer Hinsicht 
von grosser Bedeutung, da es sieb gezeigt hat, dass Patienten 
mit Affektionen der letzteren Art gegen die Narkose äusserst 
empfindlich sind und, wie man gelegentlich beobachten kann, im 
Anschluss an eine einfache Probelaparotomie in ein schnell tödliches 
Lebercoma verfallen können. Vielleicht ist es überhaupt zweck¬ 
mässig, bei zu Operierenden, bei denen man ein Recht hat, an 
der völligen Integrität ihrer Leberfunktionen zu zweifeln, mehr 
als bisher Funktionsprüfungen vorzunehmen: Möglicherweise ge¬ 
lingt es auf diese Weise, gewisse auf Rechnung des Chloroforms 
gesetzte letale Leberschädigungen (z. B. gelbe Leberatrophie nach 
Appendicitisoperationen) bei einem durch irgendwelche toxischen 
Einflüsse schon primär alterierten Parenchym zu verhindern. 

Bei der theoretischen und praktischen Bewertung der Proben 
auf alimentäre Glykosurie, wie sie eben besprochen wurden, wird 
allerdings nicht mit berücksichtigt, dass für das Erscheinen von 
Zucker im Harn, abgesehen von der Reaktion der Leber, auf 
diese Belastung ihres Glykogenfixationsvermögens auch eine renale 
Komponente bedeutungsvoll ist. Denn nicht jede nach Zucker¬ 
zufuhr eintretende vorübergehende Erhöhung des Blutzucker¬ 
gehalts geht auch mit einer Zuckerausscheidung im Harne einher; 
vielmehr liegen zahlreiche Erfahrungen von Hollinger, Frank 
ii. a. vor, welche zeigen, dass eine recht breite Zone alleiniger 
Hyperglykämie existiert, deren obere Grenze nach Frank nicht 
unter 0,2 pCt. Zuckergehalt des Blutplasmas angesetzt zu werden 
braucht. 

Es ist daher die Annahme berechtigt, dass manche feinere, 
nur durch alleinige Erhöhung des Blutzuckers nach alimentärer 
Zuckerzufuhr sich dokumentierende Alteration des Zuckerstoff- 
wechgpls der Beobachtung entgehen können, wenn keine Zucker- 
aussebeidung im Harne gleichzeitig vorhanden ist. 

Ehe wir die von diesem Gesichtspunkte aus unternommenen 
Untersuchungen über die alimentäre Hyperglykämie bei Leber¬ 
krankheiten besprechen, bedarf das Verhalten des Blutzuckers 
bei hepatischen Affektionen überhaupt auch ohne vorherige 
Zuckerdarreichung einer kurzen Erwähnung. Die spärlichen bis 
jetzt vorliegenden Beobachtungen von Gilbert und Baudouin, 
Tachau und Leire 1 ) haben bei einzelnen chronischen Leber¬ 
krankheiten im allgemeinen normale oder nur mässig erhöhte 
Werte ergeben, was sich mit der allgemeinen Erfahrung, dass 
hier eine spontane Glykosurie nie beobachtet wird, völlig deckt. 
Eine diagnostische Bedeutung kommt also einer einmaligen Fest¬ 
stellung des Blutzuckers nicht zu. Um so mehr ist das aber der 
Fall, wenn Bestimmungen des letzteren vor und nach Darreichung 
einer bestimmten Traubenzuckermenge ausgeführt werden. 

Solche Versuche sind beim gesunden Menschen von Lief- 
mann und Stern, Baudouin, Frank, Tachau, Wacker ge¬ 
macht worden und haben gezeigt, dass nach Zufuhr von 100 g 
Traubenzucker per os nach einer Stunde der ursprüngliche Zucker¬ 
gehalt des Blutes unverändert oder nur wenig erhöht war. In 
sieben Versuchen von Frank z. B. betrug der Zuckergehalt des 
Plasmas vorher durchschnittlich 0,09 pCt. und eine Stunde später, 


1) Citiert nach J. Bang, Der Blutzuoker. Wiesbaden 1913, Berg¬ 
mann. 


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UNIVERSUM OF IOWA 





1170 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 25. 


um welche Zeit gewöhnlich der höchste Wert erreicht zq werden 
pflegt, 0,12 pCt Baudouin, der 150 g Traubenzacker seinen 
Patienten verabfolgte, fand die Ausgangswerte von 0,10 pCt. im 
Durchschnitt nach einer Stunde auf 0,133 pCt. erhöht. 

Dieser Autor hat auch eine derartige Versuchsanordnung 
zuerst bei Leberkranken durchgeführt und das interessante Re¬ 
sultat erhalten, dass die Blutzuckerwerte eine Stunde nach dem 
Zuckerfrühstück noch sehr beträchtlich erhöht sind. Einige 
Zahlen aus der Arbeit Baudouins mögen das illustrieren: Bei 
acht Fällen von Lebercirrhose, die zum Teil autoptisch sicher¬ 
gestellt waren, fanden sich ursprüngliche Zuckerwerte von 0,127, 
0,115, 0,098, 0,131, 0,11, 0,123, 0,146, 0,110 und eine Stunde 
später solche von 0,220, 0,186, 0,241, 0,174, 0,216, 0,260, 0,177, 
0,141 pCt. Die entsprechenden Werte betrugen in einem Falle 
von schwerem Icterus durch Carcinom der Gallenwege: 0,154 
und 0,248, bei Lebercarcinom 0,103 und 0,194, bei einem Alko- 
holisten 0,120 und 0,217 pCt. Auch bei Patienten mit Stauungs¬ 
leber wurden hohe Werte festgestellt. Tachau, der 100 g Glu¬ 
kose verabfolgte, erhob io einzelnen Fällen von Icterus catarrhalis 
Blutzuckerzahlen bis 0,25 pCt. nach der Zuckeraufnahme, bei 
Lebercirrhose solche bis 0,18 pCt. Eine Glykosurie wurde in 
diesen Fällen nur gelegentlich beobachtet. Bei der experi¬ 
mentellen Phosphorvergiftung haben Frank und ich ebenfalls 
eine über mehrere Stunden sich erstreckende beträchtliche Er¬ 
höhung des Blutzuckerspiegels nach Zuckerzufubr gesehen, 
ohne dass Zucker im Harn auftrat. Um nun gute Vergleichs- 
Werte bezüglich des Grades der alimentären Hyperglykämie 
zu erhalten, hat Baudouin den von ihm so genannten „hyper- 
glykämischea Koeffizienten“ eingeführt, d. h. den Wert, den man 
durch Division des Blutzuckergehaltes nach und vor Glykose- 
zufuhr erhält, und der nach diesem Autor beim Gesunden 
1,35 beträgt, beim Leberkranken aber bis 2 und darüber steigt. 
Die Prüfung auf alimentäre Hyperglykämie stellt zweifellos 
ein äusserst feines Reagens für Störungen des Kohlehydratstoff¬ 
wechsels dar. Sie zeigt auch, worauf Frank mit Recht hinweist, 
dass der aus den Harnuntersuchungen gezogeue Schluss, der 
Dextrosestoffwechsel sei bei Leberkrankheiten überhaupt nicht 
gestOrt, unberechtigt ist. Rein klinisch genommen würde die 
Untersuchung der alimentären Hyperglykämie erst eine besondere 
Bedeutung erhalten, wenn sich durch sie Funktionsstörungen der 
Leber bereits verrieten, die durch die anderen Methoden nicht 
manifest werden. Darüber sind noch eingehende Stadien nOtig. 
Wie sich die alimentäre Hyperglykämie der Leberkranken nach 
Zufuhr anderer Zuckerarten (Lävulose, Galaktose) verhält, darüber 
liegen noch keine Untersuchungen vor. Bang führt in seiner 
neuen zusammenfassenden Arbeit nur einige Versuche mit Galak¬ 
tose beim Gesunden an, welche zeigen, dass eine geringe Galak¬ 
tosemenge, die nur eine unerhebliche Hyperglykämie bewirkt, 
trotzdem eine relativ grosse Zuckerausscheidung veranlassen kann. 

III. 

Das am Krankenbett am leichtesten festzustellende Symptom 
einer, wenn auch noch so geringen Leberfunktionsschädigung ist 
die Urobilinurie bzw. Urobilinogenurie. Nach den Unter¬ 
suchungen von Fischer handelt es sich dabei nicht um einen 
einheitlichen Körper, sondern um eine Gruppe von Derivaten des 
Blut- und Gallenfarbstoffs, welche im Harn erscheinen. Die Be¬ 
rechtigung, aus einer erhöhten Urobilinausscheidung eine Störung 
der hepatischen Funktionen zu erschlossen, ergibt sich aus der 
jetzt ziemlich allgemein acceptierten Anschauung, dass die Leber 
normaliter die Aufgabe hat, das im Darm durch Reduktion aus 
dem Gallenfarbstoff entstandene und zum Teil wieder resorbierte 
Urobilinogen zu Bilirubin aufzubauen. Diese Rückverwandlung 
des Urdbilinogens in der Leber ist offenbar schon bei geringen 
Parencbymscbädigungen nicht vollständig, weshalb dieses in 
grösserer Menge unverändert in den Kreislauf gelangt und im 
Harn ausgeschieden wird. Diesbezügliche Untersuchungen aus 
der jüngsten Zeit liegen von Fischer und Meyer-Betz sowie von 
Brugsch und Retzlaff u. a. vor. Die Urobilinurie findet sich 
bei allen Leberkrankheiten, ferner bekanntlich bei den leichten 
Schädigungen, die die Leber im Verlaufe der Infektionskrank¬ 
heiten erleidet. Die Urobilinurie ist daher zur Abgrenzung 
einzelner Leberkrankheiten nicht zu verwerten; wohl aber kann 
z. B. bei unklaren abdominalen Kolikanfällen der positive Aus¬ 
fall der Urobilinprobe sehr zugunsten des Bestehens einer Chole- 
litbiasis sprechen. Man hat auch bei schwerem Icterus das 
Vorhandensein von Urobilin neben Bilirubin im Ham für die 
Feststellung verwerten wollen, ob ein kompletter oder in¬ 


kompletter Gallengangsverschluss vorliegt, da im ersteren Falle 
theoretisch kein Urobilin im Harn nachweisbar sein dürfte. Wir 
glauben aber, nach unseren Erfahrungen dem keine grosse dia¬ 
gnostische Bedeutung beimessen zu können, weil aus den mit 
Gallenfarbstoff aufs stärkste imbibierten Geweben leicht eine 
Diffusion des Farbstoffs ins Darminnere stattfinden kann. Ob bei 
den durch vermehrten Blutzerfall bedingten Anämien, den so¬ 
genannten hämolytischen Anämien, ferner bei der Minkowski- 
Chauffard’schen Krankheit die hier stets festzustellende Uro¬ 
bilinurie ebenfalls der Ausdruck einer Leberschädigung ist, oder 
ob sie wie bei der Resorption grosser Blutergüsse auf eine extra¬ 
hepatische Urobilinbildung zu beziehen ist, steht noch zur Dis¬ 
kussion. 

IV. 

Aus dem Bestreben, durch Verabfolgung von Substanzen, die 
in der Leber in charakteristische Produkte umgewandelt werden, 
Störungen ihrer Funktion nacbzuweisen, haben v. Steyskal und 
und Grünwald vor einigen Jahren die nach Gampherdarreichung 
auftretende Campherglykuronsäureausscheidung unter genauer Be¬ 
rücksichtigung quantitativer Beziehungen für die Funktionsprüfung 
zu verwerten gesucht. Sie fanden, dass nach Aufnahme von 3 g 
Gampher per os in den ersten 24 Stunden vom Gesunden 5—6 g 
Gampherglykuron8äure eliminiert werden. Bei Icterus catarrhalis 
und Lebercirrhose kam dagegen oft weniger als Vs dieser Menge 
im Harn wieder zum Vorschein. Diese Probe ist darum von 
einer gewissen Bedeutung, weil die Glykuronsäurepaarung aus¬ 
schliesslich in der Leber lokalisiert ist. Kürzlich hat ein 
italienischer Autor, de Sandro, festgestellt, dass nach Einnahme 
von Thiokoll der Harn normaler Individuen eine Grünfärbung mit 
Eisenchlorid gibt, wahrscheinlich weil ein aus dem Thiokoll 
intermediär entstehendes Produkt sich durch die genannte Re¬ 
aktion manifestiert. Bei Leberkranken soll diese Reaktion fehlen, 
weil die kranke Leberzelle zur Bildung des betreffenden Körpers 
unfähig sei. 

Hier sei auch noch erwähnt, dass Syrtlanoff, Roch und 
Babaliantz eine verminderte Durchlässigkeit der Leber für 
Methylenblau diagnostisch verwerten wollen. Nach ihren Unter¬ 
suchungen soll nach Injektionen von 0,002 g Methylenblau bei 
Leberkranken, nicht aber bei Gesunden eine Blaufärbung des 
Harns auftreten. 


Literatur. 

Die vorstehenden Ausführungen berücksichtigen die Literatur vom 
Jahre 1907 ab. Bezüglich der älteren einschlägigen Arbeiten sei be¬ 
sonders auf die zusammenfassende Darstellung von Posselt, Moderne 
Leberdiagnostik in funktioneller und ätiologischer Beziehung, Med. Klinik, 
1908, S. 1140, verwiesen. Auch in manchen der nachstehend auf¬ 
geführten Arbeiten finden sich ausgedehnte Literaturcitate. 

A. Babaliantz, Etudes comparatives sur un nouveau signe d*in- 
suffisance höpatique: L’exag6ration de la perra6abilit4 du foie au bleu 
de m4thylene ing4r4. These de Geneve, 1912. — J. Bang, Der Blut¬ 
zucker. Wiesbaden 1913, Verlag von J. F. Bergmann. — R. Bauer, 
Ueber alimentäre Galaktosurie. Deutsche med. Wochenschr., 1908, Nr. 35, 
S. 1505. — J. Bier, Zur Frage der Stoffwechselfunktionsprüfung bei 
Lebererkrankungen. Inaug.-Diss. Breslau 1912. — Boljarsky und 
London, Zur Frage des Anteils der Leber beim Kreatin-Kreatinin¬ 
stoffwechsel. Hoppe - Seyler’s Zeitsohr. f. phys. Chemie, Bd. 62. — 
A. Baudouin, Etüde sur quelques glyc6mies. These de Paris, 1908. — 
Th. Brugsch und Retzlaff, Blutzerfall, Galle und Urobilin. Zeit¬ 
schrift f. exp. Pathol. u. Therapie, 1912, Bd. 11, S. 508. — J. Church- 
mann. Die Strauss’sche Probe auf Leberinsuffizienz. Bullet, of the 
John Hopkins Hosp., 1911, Bd. 23, S. 10. — Falk und Saxl, Zur 
funktionellen Leberdiagnostik. I. u. II. Mitteil. Zeitsohr. f. klin. Med., 

1911, Bd. 73, S. 131 u. 325. — E. Frank, Weitere Beiträge zur 
Physiologie des Blutzuckers. Zeitschr. f. physiol. Chemie, 1911, Bd. 70, 
S. 291. — E. Frank und S. Isaao, Ueber das Wesen des gestörten 
Stoffwechsels bei der Phosphorvergiftung. Archiv f. exp. Pathol. u. 
Pharmakol., 1911, Bd. 64, S. 274. — H. Fischer und Meyer-Betz, 
Ueber das Verhalten des Hemibilirubins bei Leberkranken. Münchener 
med. Wochenschr., 1912, S. 799. — Fischler, Ueber die Wichtigkeit 
der Urobilinurie für die Diagnose von Leberkrankheiten. Münchener 
med. Wochenschr., 1908, Nr. 27. — W. Frey, Zur Diagnostik der 
Leberkrankheiten. Zeitschr. f. klin. Med., 1911, Bd. 72, S. 383. — 
K. Glässner, Ueber die Funktion der normalen und pathologischen 
Leber. Zeitschr. f. exp. Pathol. u. Therapie, 1907, Bd. 4, und Wiener 
med. Wochenschr., 1911, S. 506. — K. A. Heiberg, Ueber das alimentäre 
Vorkommen des Blutzuckers im Urin und dessen Bedeutung für die 
Diagnose von Leberkrankheiten. Cit. nach Centralbl. f. d. ges. innere Med., 

1912, Bd. 3, S. 243. — Th. Heynemann, Zur Frage der Leberinsuffizienz 
und des Kreatininstoffwechsels während der Schwangerschaft Zeitschr. 
f. Geburtsh. u. Gynäkol., 1912, Bd. 71, S. 116. — W. Hildebrandt, 


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23. Jani 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1171 


Zar Urobilinfrage. Deutsche med. Wochenschr., 1908, S. 489. — 
M. Hlrose, Ueber die alimentäre Galaktosurie bei Leberkrankheiten. 
Deutsche med. Wochenschr., 1912, S. 414. — H. Hohlweg, Zur 
funktionellen Leberdiagnostik. Deutsches Archiv f. klin. Med., 1909, 
Bd. 97, S. 443. — N. Janney, Die Ammoniakausscheidung im mensch¬ 
lichen Harn bei Zufuhr von Harnstoff und Natron. Zeitschr. f. physiol. 
Chemie, 1912, Bd. 76, S. 99. — H. Jastrowitz, Versuche über Glyko- 
kollahbau bei Leberschädigungen. Archiv f. exp. Pathol. u. Pharmakol., 
Bd. 59, S. 463. — Ishiara, Ueber die N-Verteilung im Hundeharn bei 
subchronischer Phosphorvergiftung. Ein Beitrag zur funktionellen Dia¬ 
gnostik der Leberkrankheiten. Biochem. Zeitschr., 1912, Bd. 41, S. 315. — 
G. Lefman, Beitrag zum KreatiuinstoffWechsel. Zeitschr. f. phys. 
Chemie, 1908, Bd. 57, S. 468. — Masuda, Zeitschr. f. exp. Pathol. u. 
Pharmakol., 1911, Bd. 8, S. 629. — E. Mellanby, Kreatin und Kreatinin. 
Journ. of physiol., 1908, Bd. 36, S. 447. — H. Pribram und J. Löwy, 
Ueber das N-haltige Kolloid des Harns. Münchener med. Wochenschr., 
1912, S. 239. — E. Reiss und W. Jehn, Alimentäre Galaktosurie bei 
Leberkrankheiten. Deutsches Archiv f. klin. Med., 1912, Bd. 108, S. 187. — 

R. Roubitschek, Funktionsprüfung der Leber. Med. Klinik, 1912, 

S. 948. — Derselbe, Alimentäre Galaktosurie bei experimenteller 
Phosphorvergiftung. Deutsches Archiv f. klin. Med., 1912, Bd. 108, 
S. 225. — v. Sabatowski, Ueber alimentäre Lävulosurie. Wiener 
med. Wochenschr., 1908, Nr. 22. — D. de Sandro, Eine neue chemische 
Reaktion im Harn von Individuen, welche Kaliumsulfoguajakol nehmen, 
und ihre Bedeutung für die Diagnose der Leberinsuffizienz. Rif. med., 
1912, Bd. 28, S. 113. — W. Schmidt, Ueber Funktionsprüfung der 
Leber mittelst Lävulose bei Infektionskrankheiten mit gleichzeitiger Be¬ 
rücksichtigung der Urobilinausscheidung. Archiv f. klin. Med., Bd. 100, 
S. 369. — v. Steyskal und Grünwald, Ueber die Abhängigkeit der 
Campherglykuronsäureausscheidung von der normalen Funktion der 
Leber. Wiener klin. Wochenschr., 1909, Nr. 30. — H. T ach au, Ueber 
alimentäre Hyperglykämie. Archiv f. klin. Med., 1911, Bd. 104, S. 437. — 
Thomas, Ueber die klinische Bedeutung des Urobilinogens. Zeitschr. f. 
klin. Med., 1907, Bd. 64, S. 247. 


Bacherbesprechungen. 

Ctrl Blttnel: Die ambulante Therapie der Lungentuberkulose und 
ihrer häufigsten Komplikationen. Wien 1913, Verlag von 
Urban und Schwarzenberg. 208 S. 8,— M. 

Der Autor nennt sein Lehrbuch für Aerzte und Studierende ein 
kurzgefasstes, aber der Leser wird sich sehr bald überzeugen, dass die 
einschlägigen Punkte gründlich und sorgfältig abgebandelt sind. Er 
geht von der Notwendigkeit der ambulanten Tuberkulosetherapie aus, 
ohne den Wert der Lungenheilstätten zu verkennen. Für erstere spreche 
vor allem die gegenüber der Gesamtzahl Tuberkulöser unzureichende 
Unterbringungsmöglichkeit in Lungenheilstätten und die Notwendigkeit 
einer weiteren Behandlung nach der Entlassung aus denselben. Be¬ 
sonders befürwortet wird die Kombination der hygienisch-diätetischen 
mit der spezifischen Behandlung. Nächst den übrigen hygienisch¬ 
diätetischen Heilfaktoren werden Liegekur, Bewegung und Arbeit, hydro¬ 
therapeutische Prozeduren eingehend erörtert und manches in so maass¬ 
voller Weise empfohlen, dass abweichende Ansichten über nicht sehr 
wesentliche Vornahmen nicht hervorgehoben zu werden brauchen. Die 
spezifische Behandlung wird in den Abschnitten: a) Seren, Vaccine, 
Immunkörper, b) Tuberkuline, c) spezifische Chemotherapie erörtert und 
die Indikationen für die Anwendung des Tuberkulins, die Dosierung und 
der Ort der Applikation, genau angegeben. Nur ist die in den letzten 
Jahren zur Geltung gekommene Anwendung des Tuberkulins bei 
fiebernden Tuberkulösen nicht hervorgehoben. Den dritten Abschnitt 
bildet die Schilderung der medikamentösen Behandlung und zwar nicht nur 
der von der Lunge ausgehenden Symptome, sondern auch der krank¬ 
haften Herzerscheinungen und der abnormen Funktionen der Verdauungs¬ 
organe. Schliesslich wird in Kürze die operative Behandlung und die 
Behandlung der häufigsten Komplikationen der Lungentuberkulose in 
den Bereich des empfehlenswerten Werkes gezogen. Aufrecht. 


Der Unterleibstyphus. Von weil. Dr. H. Cnrsehmann. Zweite umge¬ 
arbeitete und vermehrte Auflage. Von Dr. H. Cursohmann- 
Mainz und Prof. Dr. C. Hirsch-Göttingen. Mit 48 Abbildungen 
und 2 Kurventafeln. 516 Seiten. Wien, Verlag von Alfred Holder. 

Die erste Auflage von Curschmann’s klassischem Werke, mit dem 
er eine dem berühmten „Treatise on the oontinued fevers of Great- 
Britain" von Murchinson ebenbürtige Darstellung des Unterleibs- und 
Flecktyphus gab, die vor dem englischen Autor wohl noch — abgesehen 
von dem hinzugekommenen positiven Wissen — die grössere Breite per¬ 
sönlicher Erfahrung voraus hatte, erschien 1902. Curschmann’s Buch 
setzte in würdigster Weise die Arbeiten von Griesinger und Lieber¬ 
meister fort, mit denen die älteren unter uns aufgewachsen waren. 
Aber auch diesen gegenüber war es die ungewöhnliche Fülle eigenster 
Beobachtungen, die dem Buche einen ganz besonderen Wert verliehen 
und es zu „dem“ Buche über den Typhus nioht nur in Deutschland, 
sondern in der internationalen Literatur maohte. Darin liegt der dauernde 
Wert desselben, dem die Zeit wenig oder gar niohts anhaben kann, zu¬ 


mal wenn die notwendigen Ergänzungen in so mustergültiger Weise ge¬ 
macht werden, wie es die Herren Hans Cursohmann und C. Hirsch 
in der eben erschienenen 2. Auflage getan haben. Viel hat sich ja 
auch, was den Typhus des Eberth’schen Bacillus betrifft, in den letzten 
10 Jahren nicht geändert, dagegen ist das Kapitel über die paratyphösen 
Erkrankungen, von Hirsch bearbeitet, Neuland, das uns erst mittler¬ 
weise erschlossen ist. Die bakteriologischen und serologischen Methoden 
spielen hier die führende Rolle, und während sich ein Unterleibstyphus 
auch ohne Vidal oder Reinkulturen zur Not resp. in typischen Fällen 
diagnostizieren lässt, ist das bei der Gruppe der paratyphösen Erkran¬ 
kungen von vornherein ausgeschlossen. Die Geschichte des Paratyphus, 
sagt Hirsch, ist die Geschichte der infektiösen Nahrungsmittelvergif¬ 
tungen, und diese wiederum sind nur bakteriologisch zu differenzieren. 
Die Darstellung von Hirsch gibt ein kurzes aber klares und übersicht¬ 
liches Bild der betreffenden Verhältnisse. Dass das altbewährte Buch 
H. Curschmann’s nicht aufhören wird, ein „Standard work“ zu sein 
und zu bleiben und auch in der neuen Auflage ein treuer Ratgeber 
in allen einschlägigen Fragen bis auf die jüngste Zeit bleibt, ist den 
Herausgebern zu danken. Ewald. 


Carl Flügge: Grandriss der Hygiene. Für Studierende und prak¬ 
tische Aerzte, Medizinal- und Verwaltungsbeamte. Siebente, um¬ 
gearbeitete und vermehrte Auflage. XII und 847 S. 8°. Mit 
219 Figuren im Text. Leipzig 1912, Verlag von Veit & Go. 
Preis 15 M., geb. 16,50 M. 

Dem berühmten Lehrer und Forscher der Hygiene gebührt auf¬ 
richtiger Dank der Lernenden und der Erfahrenen, dass er seinen be¬ 
kannten und wegen seiner Vorzüge überall verbreiteten „Grundriss 
der Hygiene“ wiederum einer Neubearbeitung unterzogen hat. Die 
klare, kritische Art der Darstellung und des Urteils, wie sie dem viel¬ 
erfahrenen Verf. von jeher eigen waren, zeichnen auch die neue Auflage 
des Buohes aus, in der unter anderem die soziale Hygiene bei den ent¬ 
sprechenden Kapiteln besondere Berücksichtigung gefunden hat. Für 
die Tätigkeit im Laboratorium ist wiederum der Anhang beigefügt, der 
genaue Anweisungen für die wichtigsten hygienischen Untersuchungen 
(sowohl die bakteriologischen wie die physikalisch-chemischen) bringt. 
Der Umfang des Buohes ist gegen die vorige Auflage um 3*/2 Bogen 
vermehrt. Carl Günther-.Berlin. 


Oebbecke-Breslau: Zehnter Jahresbericht Über den schilärztlichen 
Ueberwachnngsdien8t an den städtischen Volksschnlen, Hilfs- 
schalen, Mittelschulen, höheren Knaben- nnd Mädchenschulen 
in Breslau für das Schuljahr 1910/11. Nebst Sonderabdruck 
über Schul bankeifahrungen und Breslauer Stuhl -Tischsystem. 
Breslau 1912. Herausgeber Stadtarzt Oebbecke. 

Der Ausbau des schulärztlichen Ueberwachungsdienstes in Breslau 
macht dauernd grosse Fortschritte. Wenn sich auch ein Teil der be¬ 
richtenden Kollegen selbst skeptisch über den Nutzen ihrer Tätigkeit 
als Schulärzte äussern, so zeigt doch ein Einblick in den interessanten 
Bericht, dass sowohl der Erfolg als auch die allgemeine Anerkennung 
der Vorteile dieser Einrichtung durch die Schule selbst, die Eltern und 
die Aerzte nicht mehr lange auf sich wird warten lassen. 


Die Säuglingssterblichkeit i» Charlottenbirg im Sommer 1911. Im 

Aufträge des Magistrats Charlottenburg bearbeitet vom Statistischen 
Amte und der Deputation für Gesundheitspflege. Charlotten- 
burg 1912. 

Charlottenburg hatte in dem für die Säuglingssterblichkeit bekannt¬ 
lich sehr ungünstigen Sommer 1911 die niedrigsten Ziffern für die 
Sterblichkeit der Säuglinge. Es ist zugleich diejenige Stadt, die duroh 
die Maassnahmen zur Heranziehung der Säuglinge aus den weniger be¬ 
mittelten Bevölkerungsschiohten in die städtische Gesundheitsfürsorge 
die höchsten Zahlen erreicht hat (auf 100 Lebendgeborene 47,5 pCt. der 
ehelichen und 76,6 pCt. der unehelichen Säuglinge). Die Arbeit geht 
dem Zusammenhang dieser beiden Tatsachen nach und gibt dabei ein 
interessantes Zahlen- und Beobachtungsmaterial, deren Studium allen 
Interessenten empfohlen wird. 


H. Brüning-Rostock i. Meokl. und H. Stoin-Neustrelitz: Die Säuglings¬ 
sterblichkeit im Grossherzogtum Meeklenbnrg-Strelitz, nebst 
Bemerkungen über ihre Ursachen nnd Bekämpfung. Er¬ 
gänzungsheft der Zeitschrift für Säuglingsschutz, Georg Stilke, 
Berlin. Preis 2 M. 

Die Säuglingssterblichkeit erreicht in Mecklenburg-Strelitz gegen¬ 
über anderen deutschen Bundesstaaten die höchsten Zahlen. Die Verff. 
haben versucht, die Ursachen dieser Erscheinung zu ermitteln, indem 
sie die einschlägigen Fragen in den kleinsten Bezirken statistisch 
studierten. Auf der Basis dieser mühevollen Arbeit entwirft Brüning 
ein Programm für die Säuglingsfürsorge in Mecklenburg-Strelitz, das 
auch allgemeines Interesse verdient. 


Ludwig F. Meyer-Berlin: Ueber den Hospitalismus der Säuglinge. 

Eine klinische Studie. Berlin 1913, S. Karger. 

Eine Forderung der modernen Säuglingsfürsorgebestrebungen ist die 
Einschaltung einer geschlossenen Anstalt in die gesamte Organisation. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 25. 


ln der jüngsten Zeit sohien es, dass dieser Forderung ein neuer Gegner 
erwachsen sollte in dem Wiedererwachen der Lehre vom „Hospitalismus“, 
wenn auch vielfach unter anderem Namen. Daher ist die Studie Ludwig 
F. Meyer’s, die über die Erfahrungen des Waisenhauses der Stadt 
Berlin berichtet, mit Genugtuung zu begrüssen. M. führt die Misserfolge, 
dio sich an die Anstaltsbehandlung der Säuglinge zu knüpfen pflegen, 
in der Hauptsache auf zwei Momente zurück: auf die Häufigkeit der 
parenteralen Infektionen (insbesondere Infektionen der oberen Luftwege 
und ihre Komplikationen) und auf die Mängel der Ernährungstechnik 
(nicht nur der Ernährungsmethoden). In der Bekämpfung der ungünstigen 
Folgen der parenteralen Infektionen spielt die Therapie der sie begleiten¬ 
den Ernährungsstörungen, speziell die Yermeidung der früher in diesen 
Fällen geübten allzu häufigen Einschaltung von Hunger- und Unter¬ 
ernährungsperioden die ausschlaggebende Rolle. Diese Grundsätze belegt 
der Verf. mit einem überzeugeud wirkenden Material an Kranken¬ 
berichten und statistischen Erhebungen, deren Studium im Original auf 
das eindringlichste empfohlen werden muss. Das Buch gibt nicht nur 
interessante Aufschlüsse zur Frage des „Hospitalismus“, sondern auch 
vielfach praktische Belehrungen zur Ernährungstherapie. 


Heiiricli Floss: Das Kind in Brandt nnd Sitte der Völker. Dritte 
gänzlich umgearbeitete und stark vermehrte Auflage. Heraus¬ 
gegeben von Dr. phil. B. Renz. 2. Band. Leipzig 1912, Grieben’s 
Verlag. 

Auf die interessante Neubearbeitung des bekannten Buches wurde 
nach dem Erscheinen des 1. Bandes in dieser Wochenschrift, 1912, 
S. 1333, hingewiesen. Der 2. Band beschäftigt sich mit dem dem Kinde 
gesungenen Lied, den Sitz-, Steh- und Gehversuchen, dem Zauber und 
Aberglauben in der Behandlung des Kindes, mit dem Zahnen, mit den 
bei den Völkerschaften gebräuchlichen Operationen am Körper des Kindes, 
speziell den sexuellen, mit dem Spiel und Spielzeug, mit der Kleidung 
und dem Schmuck des Kindes, mit seinen Festen und Festesfreuden, 
mit der Pflege, Abhärtung, Charakterbildung und körperlichen Züchtigung 
des heranwachsenden Kindes, seiner Heranziehung zur körperlichen Arbeit 
und dem Schulwesen. Kind und Keuschheit, Kind und religiöser Kult, 
Rechtsverhältnisse des legitimen und illegitimen Kindes, Vater- und so¬ 
genanntes Mutterrecht, Verlobung und Verheiratung des Kindes, Pubertäts¬ 
feste, gegenseitige Liebe zwischen Eltern und Kindern werden in grossen 
Kapiteln behandelt. In einem Schlusskapitel stellt Verf. die Hypothesen 
über die Urgeschichte der Familie zusammen. Diese Uebersicht allein 
zeigt, wie gross der Kreis der Interessenten ist, die in diesem ausge¬ 
zeichneten Buche Belehrung finden werden. 


Jeai Dewoor Brüssel: Die anormalen Kinder nnd ihre erziehliche 
Behandlung in Hans nnd Sehnle. 2. Auflage. Altenburg 1912, 
Oskar Bonde. 

Die Fürsorge für das anormale Kind ist ein bedeutungsvoller Teil 
unserer sozialen Hilfsarbeit Die Mitwirkung der Aerzte ist dabei un¬ 
erlässlich, das zeigt in hervorragender Weise das vorliegende Buch, das, 
populär geschrieben, Aerzten, Schulärzten, insbesondere solchen an Hilfs¬ 
schulen, Pädagogen und wiederum speziell solchen, die an Hilfsschulen 
oder Anstalten iür anormale Kinder tätig sind, empfohlen werden muss. 
Auch Eltern anormaler Kinder kann es ohne Bedenken in die Hand ge¬ 
geben werden. 

In vier grossen Abschnitten werden die Ursachen der Krankheit, 
die Methoden ihrer Erkennung, die Behandlung der Zurückgebliebenen 
— in medizinischer und pädagogischer Hinsicht — und die Unterrichts¬ 
methode besprochen. Letztere befasst sich insbesondere mit dem Nutzen 
des Turnens für die physische und intellektuelle Entwicklung des Kindes, 
mit der Handarbeit in den Hilfsschulen und der Behandlung der Sprach- 
unvolikommenheiten und -gebrechen. Ein besonderes Kapitel ist der 
Organisation der Hilfsschulen gewidmet. In einem Anhang, der von 
Herrn und Frau Meyenberg-Brüssel verfasst ist, wird die Methode des 
eurhythmischen Turnens, einer Verbindung von Bewegung und Musik, 
ausführlich beschrieben und ihr Nutzen für die Erziehung anormaler 
Kinder dargetan. Eine grosse Anzahl von Musterstücken von Frei¬ 
übungen, die in Musik gesetzt wurden, veranschaulichen das Verfahren. 
Schliesslich folgt eine Reihe von Typen anormaler Kinder aus der Beob¬ 
achtung des Verf., um die Erkennung derselben in der Praxis zu er¬ 
leichtern. R. Weigert-Breslau. 


H. Conradi Dresden: Vorarbeiten zur Bekämpfung der Diphtherie. 

106 Seiten. Jena 1913, Gustav Fischer. Preis 3,50. M. 

Angesichts des ständigen Fortschreitens der Diphtherie in Deutsch¬ 
land, speziell der schweren Diphtherieerkrankungen in Berlin im letzten 
Jahre soll diese Arbeit dazu dienen, die bisherigen Wege zur Bekämpfung 
der endemischen Herde kritisch zu beleuchten und neue aufzufinden. 
Dieses Bestreben scheint mir in glücklicher Weise gelungen zu sein. In 
geschickter anschaulicher Form bespricht Verf. kurz nach historisch- 
statistischer Einleitung und Schilderung des bakteriologischen Nachweises 
des Diphtheriebacillus die Verbreitungsweise des Erregers. Die Ver¬ 
breitungsweise der Diphtherie und ihre Bekämpfung nehmen den Haupt¬ 
teil der Arbeit ein. Bei der Krankheitsübertragung wird die Inkubations¬ 
zeit von der eigentlichen Krankheitsperiode und diese von der Zeit der 
Rekonvaleszenz und Genesung unterschieden. Die Infektionsmögliohkeiten 


in den verschiedenen Perioden werden durch reichliche Beispiele veran¬ 
schaulicht; es wird der wichtige Nachweis geliefert, dass die Hauptträger 
— so nennt Verf. die krankgewesenen Bacillenträger — im Gegensatz 
zu den Nebenträgern — immer gesunde Bacillenträger — die Verbreiter 
der Diphtherie sind, und diese daher allein der ständigen Isolierung be¬ 
dürfen. Wenn auch die Heilerfolge der Serumbehandlung nicht verkannt 
werden, so scheint dem Verf. das junge Gebiet der Chemotherapie der 
Bakterien von grosser Bedeutung zu sein. In der Malonsäure 
(COOH—CH 2 —CCOH) fand er das geeignetste Mittel zur Abtötung von 
Diphtheriebaoillen in vitro und in vivo. 1 proz. Malonsäure, zum Gurgeln 
und Inhalieren verwendet, war stets imstande, die Diphtheriekeime im 
menschlichen Organismus abzutöten. Die Behandlung wurde 6—8 Tage 
lang durcbgeführt. 

Das Mittel ist auch für kleinere Kinder unschädlich, seine Heil¬ 
wirkung beruht sowohl auf der Desinfektionskraft als auch auf oberfläch¬ 
licher Aetzwirkung. Seine Wirkung bei chronischer Diphtherieinfektion 
ist noch zu erproben; hält sie auch hier der Kritik stand, so wäre das 
Problem der inneren Desinfektion bei Diphtherie gelöst. Das Buch ist 
allen beteiligten Faktoren zur Lektüre zu empfehlen. 

Wilhelm Sobernheim. 


Literatur-Auszüge. 

Physiologie. 

A. Scheunert: Stadien nr vergleichenden Verdanmgsphysio- 
logie. 5. Mitteilung. Ueber das Schicksal getrunkenen Wassers im 
Magen und Darm des Pferdes. (Pflüger’s Archiv, Bd. 151, H. 7—10.) 
Das Verhalten des Trinkwassers im Magen und Darm des Pferdes lässt 
schliessen, dass es die Verdauungsvorgänge nicht störend beeinflusst. 
Ein grosser Teil, oft mehr als die Hälfte des aufgenommenen Wassers, 
wird schnell aus dem Magen, dessen Inhalt nur davon umspült wird, 
entleert. Der Rest steigert den Wassergehalt des Mageninhalts für 
einige Zeit um höchstens lOpCt* Dadurch können die chemischen Vor¬ 
gänge im Magen nicht alteriert werden. Im Darm wirkt schützend die 
schnelle Resorption des Wassers; erst % bis 1 Stunde nach der 
Wasseraufnahme finden sich die ersten Spuren von mit dem Trinkwasser 
in Berührung, gekommenem Darminhalt im Enddarm. 

T. Gay da: Beiträge zur Physiologie des überlebenden Dünndarm 
von Sängetieren. (Pflüger’s Archiv, Bd. 151, H. 7—10.) G. verzeichnet« 
graphisch nach einem neuen Verfahren zugleioh die Veränderungen der 
Länge überlebender Darmstücke vom Igel und ihres Innenraumes. 
Erstere kommen durch die Wirkung der Längsmuskeln, letztere durch die 
der Ringmuskeln zustande. In der Norm finden sioh an dem in Locke¬ 
scher Lösung gehaltenen .Darm Pendelbewegungen und Tonusschwan¬ 
kungen („Magnus’sche Schwankungen“). Steigerung des osmotischen 
Druckes der im Darm enthaltenen Flüssigkeiten führt zu Zunahme des 
Tonus der Längsmuskeln (wenig der Ringmuskeln) und zu Zunahme 
der Tonusschwankungen. Füllung des Darmes mit Wasser hat keinen 
Einfluss auf die Darmbewegungen. Steigert man den osmotischen Druck 
der den Darm umgebenden Flüssigkeit, so tritt Tonuszunahme der 
Ring-, aber Tonusabnahme der Längsmuskelfasern ein. Einführung von 
0,02 n Natriumbydrat- oder 0,15 n Natriumcarbonatlösungen bewirkt 
häufige und regelmäsige Tonusschwankungen; bei Einführung von Säure- 
lösungen nehmen die Tonusschwankungen und die Pendelbewegungen 
ab. Neutralisation der den Darm umgebenden Locke’schen Lösung 
oder Ansäuerung derselben heben die Darmbewegungen auf. Der Darm 
reagiert mehr auf Aenderungen der ihn aussen umspülenden als der ihn 
füllenden Flüssigkeiten. Sie wirken auf seine Bewegungen durch Be¬ 
einflussung des Auerbach’schen Petus. 

K. Krieger: Die Verwertung der Energie des Alkohols für die 
Muskelarbeit. (Pfiüger’s Archiv, Bd. 151, H. 11 u. 12) K. ermittelte 
in einer langen Versuchsreihe an sich, wie sioh die Stickstoffbilanz bei 
einer für Körperruhe gerade ausreichende Kost gestaltete, wenn Muskel¬ 
arbeit durch Radfahren geleistet wurde, einerseits ohne Kostvermehrung, 
andererseits unter Alkoholzugabe in der Menge, dass dadurch die Rad¬ 
fahrarbeit gerade gedeckt werden konnte. K. fand, dass die Stickstoff¬ 
bilanz, die ohne Alkohol beim Radfahren negativ geworden war, durch 
Alkohol wieder positiv wurde. In den ersten Tagen der Alkoholperiode 
blieb sie noch negativ, was K. auf die erst allmählich eintretende Ge¬ 
wöhnung an den Alkohol bezieht Die Alkobolenergie ist also im 
Körper ausgenutzt worden. Ob direkt als Arbeitsenergie oder nur für 
Wärmebildung, ist allerdings noch fraglich. 

J. Rosenthal: Ueber die Ursaehe der Ateabewegnagea. 
(Pflüger’s Archiv, Bd. 151, H. 11 u. 12.) Prioritätsreklamation gegen¬ 
über den von Loewenhart (Pflüger’s Archiv, Bd. 150) geäusserten An¬ 
schauungen über die Regelung der Atembewegungen. R. verweist auf 
seine schon 1862 gegebene Darstellung. 

M. A. Tsehalussow: Die Iinervatien der tiefässe der Nasen- 
sebleimbant. Experimentelle Untersuchung. (Pflüger’s Archiv, Bd. 151, 
H. 11 u. 12.) Versuche an Hunden, denen die hinteren Nasenöffnungen 
versohSössen, die vorderen mit einem Schreibapparat luftdicht verbunden 
wurden. Dadurch konnten Volumenänderung der Gefässe der Nase 
graphisoh dargestellt werden. T. findet: die Vasodilatatoren der Nasen- 
sohleimhaut gehen durch den N. vidianus, die Konstriktoren hauptsächlich 


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23. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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durch N. nasalis post, und teilweise durch den Vidianus, dessen Reizung 
führt zur Erweiterung der Nasengefässe. Im Gangl. sphenopalat. tritt 
eine Unterbrechung der Fasern ein, die hinter dem Ganglion ihren 
früheren Charakter bewahren. Vom N. depressor und von sensiblen 
Nerven aus finden reflektorische Wirkungen auf die Gefässnerven der 
Nase statt. T. erörtert deren klinische Bedeutung. 

L. L. Fofanow und M. A. Tschalussow: Ueber die Beziehungen 
des N. depressor za den vasomotorischen Ceatrei. (Pflüger’s Archiv, 
Bd. 151, H. 11 u. 12.) Untersuchungen an Hund und Katze, um fest¬ 
zustellen, ob der Depressor (N. vagodepressor sinister) wirkt duroh 
Lähmung der Vasokonstriktoren oder Reizung von Dilatatoren. Beobachtet 
wurde die Depressorwirkung an den Gelassen der Zunge, der Nasenschleim¬ 
haut, der hinteren Extremitäten vor und nach Ausschaltung der Kon¬ 
striktoren. Die Verff. finden, dass bei der Depressorwirkung es sioh 
gleichzeitig um Erregung der Dilatatoren und Lähmung der Konstriktoren 
handelt. Den Hauptanteil hat die erstgenannte Wirkung. Die vaso¬ 
motorischen Centren verhalten sich wie Antagonisten: die Erregung des 
einen führt zu Hemmung des Tonus des anderen. Bei Reizung des 
N. depressor soll es zu einer Erweiterung der Gefässe des ganzen Körpers 
kommen. Das beste Objekt für das Studium der vasomotorischen Reflexe 
ist die Nasenschleimhaut. A. Loewy. 

H. Freund-Heidelberg: Ueber die Bedeutung der Vagi für die 
Wärmeregulation. (Archiv f. experim. Pathol. u. Pharraakol., Bd. 72, 
H. 4, S. 295—303.) Bei Tieren, die infolge von Brustmarkdurchschneidung 
im wesentlichen auf ihre chemische Wärmeregulation angewiesen sind, 
hat die doppelseitige Vagusdurchschneidung unter dem Zwerchfell die 
gleiche Wirkung wie die Exstirpation der beiden Ganglia stellata oder 
die Durchschneidung der Rückenmarkswurzeln C 8 und D t . Die Tiere 
zeigen keine Regulationsfähigkeit mehr, sondern sind fast ebenso ge¬ 
schädigt wie durch die Halsmarksdurchscheidung. Jaeoby. 


Pharmakologie. 

0. Hesse und P. Neukirch: Versuche zur Ermittlung der stopfen¬ 
den Bestandteile in Opinm (Pantopon). (Pflüger's Archiv, Bd. 151, 
H. 7—10.) Bei Katzen, denen durch Milchnahrung Diarrhöe erzeugt war, 
wurde durch subcutane Zufuhr von 0,08—0,1 g morphinfreien Pantopons 
der Durchfall aufgehalten ohne Aenderung der Konsistenz der Fäces. 
Diese Dosis bewirkt daneben Speichelfluss, Erbrechen, psychomotorische 
Störungen. Nicht stopfend wirkten: morpbinfreies und codeinarmes 
Pantopon, Codein, morphinfreies Pantopon nach Entfernung der Rest¬ 
alkaloide, Narkotin. Auch synthetisch dargestelltes morphinfreies 
Pantopon stopfte nicht. Katzen, denen Coloquintendekokt gegeben war, 
starben nach Injektion von morphinfreiem Pantopon an Coloquinten- 
vergiftung. Dabei war die Dünndarmentleerung verzögert, die drastische 
Wirkung auf den Dickdarm nicht aufgehoben. Nicht stopfend auf 
Katzen nach Coloquintenzufuhr wirkten Narkotin, Papaverin, Thebain, 
Narcein. Weitere Versuche ergaben, dass im morphinfreien Pantopon 
die stopfende Wirkung dem Codein und dem Gemisch der Restalkaloide zu¬ 
kommt. Das Codein wirkt mit letzteren zusammen stärker, als ihm 
nach seinem quantitativen Anteil zukommt. Bei gesunden Katzen 
stopft Codein wesentlich durch verzögerte Magenentleerung, bei den 
mit Coloquinten vergifteten durch Verzögerung der Dünndarmentleerung. 
Die stopfende Wirkung des Codeins ist qualitativ gleich der des Morphins, 
aber schwächer. 

0. Hesse: Der Einfluss des Tannalbins aaf die Verdauungs¬ 
bewegungen bei experiaientell erzeugtet Durchfällen. (Pflüger’s 
Archiv, Bd. 151, H. 7—10.) Auf Katzen ohne Durchfall hat Tannalbin 
keinen wesentlichen Einfluss. Durchfall infolge Milchgenuss wird durch 
Tannalbin nicht gestopft, Ricinusdurchfall auch nicht; selten ist die 
Kotentleerung etwas verzögert. Häufiger wirkt es beim Coloquinten- 
durchfall. Der Angriffspunkt der Coloquinten und des Tannalbins liegt 
im Dickdarm. Auf die Folgen der Senna wirkt Tannalbin nicht, wohl 
aber auf den Durchfall, der nach Fütterung mit Brot und rohen Organen 
von Pferden bei Katzen entsteht. Die Entleerungen werden fest, aber 
nicht sicher verzögert; im Röntgenbild sieht man kaum Aenderungen 
der Darmbewegungen; das Tannalbin scheint hier durch seinen adstrin¬ 
gierenden Effekt auf die Schleimhaut zu wirken. Auch eine geringe 
stopfende Wirkung des Wismuts konnte H. nachweisen. 

N. P. Krawkow: Ueber die Wirkung von Giften aaf die Gefässe 
isolierter Fischkiemen. (Pflüger’s Archiv, Bd. 151, H. 11 u. 12.) Der 
nach einer neuen Methode von Krawkow isolierte Kiemenapparat des 
Hechtes bildet ein bequemes Objekt zur Untersuchung der Wirkung von 
Giften auf die Kiemengefässe, die mit der gifthaltigen Lösung durch¬ 
strömt werden. Man stellt einfach die Menge der in der Zeiteinheit bei 
bestimmten Drucke durchströmenden Flüssigkeit fest. Wie K. findet, 
verengern die Kiemengefässe: Imidazolyläthylamin, Nikotin, Chlor¬ 
barium. Coffein macht nach kurzer Verengerung starke Erweiterung. 
Erweiterung bewirken: Chloroform und Adrenalin. 

B. v. Issekutz: Ueber das Gesetz Biirgi’s von den Arznei¬ 
kombinationen. (Pflüger’s Archiv, Bd. 151, H. 7—10.) v. Issekutz 
hatte früher angegeben (Pflüger’s Archiv, Bd. 145), dass das Bürgi’sche 
Gesetz, wonach in ein und dieselbe pharmakologische Gruppe gehörige 
Arzneien sich in ihrer Wirkung nicht potenzieren, für die Opium¬ 
alkaloide nicht gilt. v. Issekutz kritisiert die darauf erfolgte Antwort 
Bürgi’s und zeigt auch für andere Pharmaka, dass einerseits in die¬ 


selbe Gruppe gehörige, gleichartig wirkende, sich in ihrer Wirkung 
potenzieren können, andererseits zu verschiedenen Gruppen ge¬ 
hörige sich in ihrer Wirkung nur zu addieren brauchen. Bürgi’s 
Gesetz zeigt also viele Ausnahmen. A. Loewy. 

V. Weizsäcker - Heidelberg: Ueber die Abhängigkeit der Stro- 
pbantinwirkang von der Intensität der Herztätigkeit. (Archiv f. 
experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 72, H. 4, S. 282—294.) • Der Eintritt 
der Strophantinwirkung erfolgt um so schneller, je rascher das Herz 
schlägt. Mit zunehmender Temperatur kann auch bei unveränderter 
Schlagfrequenz die Wirkungsgeschwindigkeit bededeutend zunehmen. 

W. Heubner - Göttingen: Studien über Methämoglobinbildnng. 

(Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 72, H. 4, S. 241—281.) 
Verf. hat untersucht, welche Beziehungen zwischen der chemischen Kon¬ 
stitution und der Fähigkeit zur Metbämoglobinbildung bestehen. Die 
Empfindlichkeit der verschiedenen Spezies gegen die Methämoglobin- 
bildner ist aber verschieden, so dass Tierversuche keinen direkten Hin 
weis auf die Verhältnisse beim Menschen gestatten. Jaeoby. 


Therapie. 

H. Oppenheim-Berlin: Die Behaodlaag klimakterischer Stö¬ 
rungen mit Adamoo. (Deutsche med. Wochensehr., 1913, Nr. 23.) „Un¬ 
gewöhnlich gute Erfolge.“ Beste Dosierung: 0,1—1,0 g ein- bis zwei¬ 
stündlich. (Adamon ist ein Brom-Baldrianpräparat.) 

R. Ammann - Zürich: Ueber Brompräparate. (Deutsche med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 23.) Alle organischen Brompräparate leiden an 
dem Hauptmangel der ungenügenden Bromwirkung. Für die Praxis 
bleiben nach wie vor die bewährten und billigen Bromalkalien. Man 
hat mehrfach versucht, den salzigen Geschmack der Bromalkalien an 
Stelle von Kochsalz zum Salzen von Speisen zu verwenden; durch die 
gleichzeitig damit verbundene kochsalzarme Kost wird die Bromwirkung 
erhöht. Eine Mischung von Bromnatrium und pflanzlichen Extraktiv¬ 
stoffen wird unter dem Namen „Sedobrol“ als Suppenwürze empfohlen. 

Wolfsohn. 


Allgemeine Pathologie u. pathologische Anatomie. 

H. Freund-Heidelberg: Ueber das Wärmestichfieber als Ausdruck 
des W ärmeregalztionsvermögeos. (Arohiv f. experim. Pathol. u. 
Pharmakol., Bd. 72, H. 4, S. 304—808.) Durchschneidung des Dorsal¬ 
marks bis hinauf zum zweiten Segment verhindert nicht das Wärmestich¬ 
fieber. Wird aber die Fähigkeit der Wärmeregulation durch Halsmark- 
durchsohneidung oder durch Vagusdurchschneidung und Durohschneidung 
des Brustmarks aufgehohen, so ist durch Wärmestich kein Fieber mehr 
zu erzielen. Jaeoby. 

0. Weltmann-Wien: Zur klinischen Bedeutung des Cholesterin- 
Bachweises im Blutserum. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 22.) 
Verf. hat mit einer von ihm vorgeschlagenen Methode, die im Prinzip 
auf der Salkowsky’schen Cholesterinreaktion beruht und eine Ausgestaltung 
der von Neumann und Hermann als Kontrolle angewendeten Methode 
für die Bestimmung des Cholesterinesters im Blute ist, Versuche ausge¬ 
führt, die bei Atherosklerose, Nephritiden, Lebererkrankungen, nicht ex- 
ulcerierenden Tumoren, acidotischen Diabetes und bei einigen Krank¬ 
heiten des Nervensystems (Tabes) erhöhten Cholesteringehalt im Blut¬ 
serum ergaben, bei Infektionen, cavernösen Phthisen, exulcerierenden 
Tumoren und einigen Nervenkrankheiten (Blutdrüsenbeteiligung) dagegen 
subnormalen Cholesteringehalt. Ueber die Rolle des Cholesterins im 
Organismus und über die Art, wie es in den Organismus gelangt, sind 
wir noch nicht orientiert. Nach Ansicht des Verf. kommt sicher der 
Nebenniere eine aktive Rolle beim Cholesterinstoffwechsel zu. 

0. Adler. 

A. Oszacki-Wien: Zur Verwertbarkeit der Urauilfällung für 
dea Harnsäarenaebweis im Blat. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 24) Die Enteiweissung seröser Flüssigkeiten mittels Uranilacetat 
lässt sich auch für den Nachweis und die Bestimmung der Blutharn¬ 
säure für klinische Zwecke verwenden. Die Hauptvorteile der Methode 
sind ihre Einfachheit und die Genauigkeit der Enteiweissung, was bis 
jetzt bei der Bestimmung der Harnsäure die grössten Schwierigkeiten 
dargeboten hat. Wolfsohn. 

Clairmont-Wien und v. Haberer - Innsbruck: Gibt es eiue gallige 
Peritoaitis ohae Perforation der Galleowege? (Wiener klin. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 22.) Nach Stellungnahme zur Kritik, die Nauwerck 
und Lübke einem von den Verfassern vor 3 Jahren beschriebenen Fall 
angedeihen liessen, kommen die Verfasser zu dem Schluss, dass in den 
grossen Gallen wegen makroskopisch und mikroskopisch Stellen gefunden 
werden, durch welche es aller Wahrscheinlichkeit nach zum Gallenaus¬ 
tritt gekommen ist, eine Perforation des Gallengangsystems kann nicht 
gefunden werden. 0. Adler. 

S. M. Zypkin - Moskau: Ein Fall von Aneurysma der Baaehaorta 
mit Perforation in den Magen darck das Ulcns rotnndnm. (Deutsche 
med. Wochenschr., 1918, Nr. 24.) Wolfsohn. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 25. 


Parasitenkunde und Serologie. 

N. Sukiennikowa-Paris: Eia experimenteller Beitrag zur „Ana- 
phylatoxin“ • Frage. (Zeitscbr. f. Immunitätsforsch., Bd. 17, H. 3.) 
Bei Gebrauch von Hühnereiweiss als Antigen gelingt es, aus dem 
Kaninchenantiserum in vitro ein Anaphylatoxin zu bekommen. Dieses 
Toxin ist nicht den Gesetzen unterworfen, welche den anderen Ana¬ 
phylaxieerscheinungen eigen sind. 

E. Emmerich-Strassburg: Untersuchungen mit Eigelb- Antiseren, 
zugleioh ein Beitrag zu den Beziehungen der verschiedenen Eigelbarten 
zueinander. (Zeitscbr. f. Immunitätsforsch., Bd. 17, H. 3.) Durch ein 
hochwertiges Eigelb-Antiserum gelingt es, in käuflichen Teigwaren Eigelb 
nachzuweisen. Bei den untersuchten Nährpräparaten kann der Nach¬ 
weis des Eigelbs durch die Präoipitation nur ausnahmsweise geführt 
werden. 

E. Zunz-Brüssel: Untersuchungen über das proteoklastisehe Ver¬ 
mögen des Blutes während der Anaphylaxie. (Zeitschr. f. Immunitäts¬ 
forschung, Bd. 17, H. 8.) Prüfung des Blutes nach iutraperitonealer 
Proteoalbumoseeinspritzung: Bei Meerschweinchen steigt das proteo- 
klastische Vermögen schon nach 5 Tagen im präanaphylaktischen 
Stadium, und schwindet zeitweise während des anaphylaktischen Zu¬ 
standes. Beim Kaninchen steigt das proteoklastische Vermögen oft erst 
während der Anaphylaxie. Bei Hunden schwindet die anfängliche Zu¬ 
nahme während des anaphylaktischen Shocks (für Ochsenserumproteine). 
Die Veränderungen des osteoklastischen Vermögens des Blutes genügen 
keineswegs zur völligen Erklärung der Anapbylaxieerscheinungen. 

A. Benemans-Löwen: Beitrag zum Studium der Aiaphylaxie. 
(Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 17, H. 3.) Im Verlauf des ana¬ 
phylaktischen Shocks nimmt das Komplement ab, desgleichen bei Pepton¬ 
vergiftung, doch ist der letztere Vorgang nicht auf die gleiche Ursache 
zurückzuführen (ungleiche Beeinflussung von Mittel- und Endstück), 

Wolfsohn. 

H. Schlecht und W. Weiland - Kiel: Der anaphylaktische Sym- 
ptomenkomplex im Röntgenbilde. (Zeitscbr. f. experim. Pathol. u. 
Therapie, Bd. 13, H. 2, S. 334—342.) Alle Darmabschnitte des Hundes 
werden vom anaphylaktischen Shock in gleicher Weise betroffen. Es 
treten Kontraktionszustände und Formveränderungen auf, die sich in 
Abschnürungen und Aenderungen der Verteilung des Inhalts äussern. 
Die Pendelbewegungen, die im Röntgenbilde als rhythmische Segmen¬ 
tationen sichtbar werden, nehmen zu. Die Magenentleerung wird ver¬ 
zögert. Auf eine kürzere Periode gesteigerter Bewegung folgt eine 
längere Phase des absoluten Stillstandes in Kontraktion. Der Darm 
des Meerschweinchens scheint ähnlich wie der Hundedarm zu reagieren. 
Beim Meerschweinchen, aber nicht beim Hunde, ist im anaphylaktischen 
Shock regelmässig ein charakteristisches Atmungsbild im Röntgenbilde 
vorhanden. Auf eine Periode frequenter, aber oberflächlicher Atmung 
unter gleichzeitiger Lungenblähung folgt ein Tiefertreten des abgeflachten 
Zwerchfells, das in Kontraktion inspiratorisch stehen bleibt. 

Jacoby. 

Th. Petri-München: Ueber das Auftreten von Fermenten im 
Tier- and Mensehenkörper nach parenteraler Znfahr von art- und 
individnnmeigenem Sernm. (Münchener med.Wochenschr., 1913, Nr. 21.) 
Nach parenteraler Injektion (subcutan oder intravenös) grosser und 
kleiner Mengen von arteigenem Serum tritt beim Kaninchen schon nach 
kurzer Zeit ein auf die Zerstörung arteigenen Eiweisses eingestelltes 
Ferment auf. Die Steigerung der Eiweisszersetzung nach parenteraler 
Zufuhr von grossen Mengen arteigenen Serums ist demnach auf die 
Wirkung dieses Ferments zurückzuführen, dessen Entstehungsmechanismus 
und Wirkungsweise in Parallele zu setzen ist mit demjenigen nach Zu¬ 
fuhr artfremden Serums. Auch nach intravenöser Injektion von indi¬ 
viduumeigenem Serum tritt sehr bald ein auf die Zerstörung arteigenen 
Eiweisses eingestelltes Ferment auf. Dieselben Tatsachen gelten für 
Menschen versuche: Auftreten von arteigenes Eiweiss zerstörenden Fer¬ 
menten nach Injektion von individuumeigenem Serum. G. Eisner. 

R. Kraus und St. Baecher-Wien: Ueber Beziehungen des Anti¬ 
toxingehalts des Diphtherieserams xa dessen Heilwert. (Deutsche 
med. Wochenschr., 1918, Nr. 23.) Der Heilwert eines Diphtherieserums 
ist nicht immer proportional dem in vitro gefundenen Antitoxingehalt. 
Vielmehr müssen beim Heilversuoh noch andere wichtige Faktoren berück¬ 
sichtigt werden, z. B. die Avidität der Antitoxine, die Individualität des 
Organismus, die Giftmenge und die Zeit der Vergiftung. 

Wolfsohn. 

L. Kalledey • Budapest: Der Einfluss der intravenösen SnMimat- 

injektion auf die Sehntsstoffe des Organismus. (Centralbl. f. Bakterie!, 
usw., Abt. I, Orig., Bd. 68, H. 3 u. 4, S. 858.) Durch intravenöse In¬ 
jektion von Sublimat werden, wie die Untersuchungen des Verf. zeigen, 
die Schutzkörper des Organismus deutlich beeinflusst. Es lässt sich 
beobachten, dass die untersuchten Scbutzstoffe nach einer am Tage nach 
der Injektion auftretenden kleinen Verminderung sich vermehren; man 
kann also eine kurze negative und danach eine längere intensivere 
positive Phase unterscheiden. Der Verf. hält deshalb die intravenöse 
Injektion von Sublimat bei jeder Infektionskrankheit für durchaus 
begründet. Bierotte. 

M. Isabolinsky-Smolensk: Salvarsan bei Milzbrand and Wnt. 
(Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 17, H. 3.) Salvarsan besitzt thera¬ 
peutische Eigenschaften bei Infektion der Kaninchen mit tödlichen Milz¬ 


branddosen. Der Effekt ist stärker bei gleichzeitiger Anwendung von 
Milzbrandserum. Bei Wut konnte weder eine prophylaktische, noch 
eine therapeutische Wirkung gefunden werden. Wolfsohn. 

A. G. Gurko-Tiflis: Vier Fälle von Kala-Asar. (Zeitschr. f. 
Hygiene, Bd. 74, H. 2.) Alle beschriebenen vier Fälle von Leishmaniose 
gehörten dem Kindes- und jugendlichen Alter an. In zwei Fällen wurde 
zur Behandlung Salvarsan angewandt mit augenscheinlich günstigem Er¬ 
folg. Drei Patienten erkrankten in den südlichen Gegenden des 
Kaukasus, wo die cutane Form der Leishmaniose, die Orientbeule ver¬ 
breitort ist. 

A. G. Gurko und J. Hamburger-Tiflis: Zur Frage über die 

Knltnr des Plasmodiums der tropischen Malaria iaek Bass und Johns. 

Vorläufige Mitteilung. (Zeitschr. f. Hygiene, Bd. 74, H. 2.) Es gelang 
den Verff. in einem Versuche, eine Reinkultur von Malariaplasmodien 
zu erhalten, als sie in das Reagenzglas Blut einsäten, in welchem nur 
ringförmige Plasmodien und Gameten nachzuweisen waren; in der 
Kultur erhielten sie aber die typischen Merozoiten in grosser Zahl und 
die Figuren der sich teilenden Scbizonten. 

S. J. Teo umin-Moskau: Zur bakteriologischen Diagnostik des 
eebten and Pseadodiphtheriestibchens. (Zeitschr. f. Hygiene, Bd. 74, 
H. 2.) Die gebräuchliche Lösung der Differentialdiagnose des echten 
und Pseudodiphtheriebacillus in verdächtigen Fällen nur mittels Aussaat 
und Färbung nach Löffler und Neisser muss als ungenügend be¬ 
trachtet werden. Ausser diesen Methoden muss noch die Anwendung 
von Farbennährböden, hauptsächlich aber das Agglutinationsverfahren 
herangezogen werden. 

F. K. Kleine und B. Eckard-Deutschostafrika: Ueber die Lokali¬ 
sation der Spirochäten in der Räckfallfieberzeeke (Ornithodorus 
moubata). (Zeitschr. f. Hygiene, Bd. 74, H. 2.) Von 18 Zecken, in 
denen mikroskopisch ausgebildete Spirochäten nachzuweisen waren, 
übertrugen 13 die Infektion, von 19 spirochätenfreien Zecken aber keine 
einzige. Irgendein besonderes Entwicklungsstadium der Parasiten spielt 
hiernach bei der Infektion keine Rolle. Dies ist auch nicht der Fall 
bei der Vererbung der Infektiosität von einer Zeckengeneration auf die 
andere. Es kann nach den Untersuchungen der Verff. keinem Zweifel 
unterliegen, dass die Spirochäten als solche und nicht in irgendeiner 
anderen Form in die Eier gelangen. 

H. Kühl-Kiel: Die Milchsänrelangst&bchen. (Zeitschr. f. Hygiene, 
Bd. 74, H. 2.) Die milchsäureproduzierenden Bakterien kann man in 
zwei Gruppen teilen, das kurzstäbcheubildende Bacterium lactis acidi 
und die langstäbchenförmigen Milchsäurebakterien, zu denen die spezi¬ 
fischen Bakterien der verschiedenen orientalischen Sauermilcharten ge¬ 
hören. Die desinfizierende Wirkung derselben im Darm beruht darauf, 
dass durch die Milchsäureproduktion in ihrer Wirkung gesundheitsschäd¬ 
liche Bakterien in der Entwicklung gehemmt, im günstigsten Falle ab¬ 
getötet werden. 

Bind seil-Strassburg: Bakteriologischer Sektionsbefand bei einem 
chronischen Typhnsbacillentr&ger. (Zeitschr. f. Hygiene, Bd. 74, H. 2.) 
Verf. berichtet über einen Fall, der sich 6 Jahre lang in bakterio¬ 
logischer Beobachtung befand und fast dauernd Typhusbacillen im Stuhl 
enthielt. In der Galleflüssigkeit, innerhalb von Gallensteinen, aus der 
Leber, dem Duodenum und Dünndarminhalt wurden Typhusbacillen ge¬ 
züchtet Möllers. 

Brandweiner und 0. Hoch-Wien: Mitteilungen über Gonorrhöe. 
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 22.) Die Verff. kamen zu dem 
Schlüsse, dass Cutireaktioneu und Stichreaktionen mit Aufschwemmungen 
abgetöteter Gonokokken diagnostisch nicht verwertbar sind. Stich¬ 
reaktionen mit autogenen Gonokokkenvaccinen fielen quantitativ stärker 
aus als solohe mit allogenen. Verff. nehmen an, dass unter den ein¬ 
zelnen Gonokokkenstämmen wesentliche Differenzen bestehen. 

0. Adler. 

K. K. Wedeusky - St. Petersburg: Ueber ein Verfahren zur un¬ 
mittelbaren Züchtung von TuberkMbaoillen ans menschlichen aal 
tierischen Organen. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt I, Orig., Bd. 68, 
H. 3 u. 4, S. 429.) Der Verf. beschreibt ein Verfahren, mit dessen 
Hilfe es ihm gelungen ist, Tuberkelbacillen aus verschiedenen mensch¬ 
lichen und tierischen Organen direkt zu züchten. Er entnimmt das 
Material nach Möglichkeit aseptisch, schlingt es an einen sterilen Seiden¬ 
faden und taucht das Organstückchen zu einem Drittel bis zur Hälfte 
in Nährbouillon in Erlenmeyer-Kölbchen. Bei Leichenmaterial wird die 
Oberfläche mit 5 proz. Carbo!lösung und nachberigem Abbrennen des¬ 
infiziert und dann aus der Tiefe das zur Aussaat bestimmte Stückchen 
steril entnommen. Dies „Suspensionsverfahren“ soll häufig recht gute 
und ziemlich schnelle Resultate liefern. 

E. de Negri und C. W. G. Mieremet - Utrecht: Zur Aetiologie des 
malignen Granuloms. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., 
Bd. 68, H. 3 u. 4, S. 292.) Bei zwei Fällen von malignem Granulom, 
die sicher nicht mit Tuberkulose kompliziert waren, konnte aus dem 
granulomkranken Gewebe das gleiche, von den Verff. näher beschriebene 
Bacterium gezüchtet werden, das mit dem von Fraenkel-Much an¬ 
gegebenen Stäbchen identisch ist. Wenn auch der gefundene Mikro¬ 
organismus noch nicht als der Erreger des malignen Granuloms be¬ 
zeichnet werden soll, so wird die Möglichkeit seiner ätiologischen 
Bedeutung nicht von der Hand gewiesen. Nach ihren Befunden glauben 
die Verff. einer sonstigen und speziell einer tuberkulösen Aetiologie 
nicht beistimmen zu können. 


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23. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1176 


Gb. Krumwiede jr. und J. S. Pratt: Dahliaagar als Unter¬ 
scheidungsmittel zwischen Cholera- und anderen Vibrionen. (Centralbl. 
f. Bakteriol. usw., Abt. I, Orig., Bd. 68, H. 5 u. 6, S. 562.) Nach den 
Angaben von Signoreili besitzen Gholeravibrionen die Eigenschaft, aus 
mit Dablia versetzten Nährböden den Farbstoff in sich aufzunebmen, 
wahrend andere Vibrionen das Nährsubstrat nicht entfärben. Hierdurch 
wäre in einfacher Weise eine Unterscheidung möglich und in der Praxis 
erfolgversprechend. Die Untersuchungen der Verff. konnten jedoch keine 
Bestätigung dieser Befunde erbringen, da nach ihnen keine spezifische 
Aufsaugung des Farbstoffs durch die Gholeravibrionen stattfindet; sie 
erklären deshalb den Dahliaagar als ungeeignet für den genannten Zweck. 

D. Konrädi - Kolozsvär (Ungarn): Wie lange widersteht das Wnt- 
virns in der Erde, an der Luft und in der Kälte? (Centralbl. f. 

Bakteriol. usw., Abt. I, Orig., Bd. 68, H. 5 u. 6, S. 483.) Das Wutvirus 

bleibt, wie die experimentellen Untersuchungen des Verf. ergeben haben, 
im trockenen, schwarzen, lehmigen Boden in einer Tiefe von 1 m 5 Wochen 
lang sicher virulent, an der Erdoberfläche zwischen + 2 und 16° C 
3 Monate, zwischen -f- 16 und 25 * C 67 Tage, zwischen -f- 7 und 
17° C 78 Tage und zwischen 0 und + 8° C 2 Monate lang. An¬ 
scheinend erfolgt während der Fäulnis eine Absohwäohung; doch ist es 
fraglich, ob es sich um wirkliche Abschwächung oder bloss um eine 
Verminderung des Virus handelt, da die Inkubation nur in der ersten 
Passage länger dauert, während in der zweiten der Tod schon nach 

normaler Zeit erfolgt. Um schneller zu Ergebnissen zu kommen, 

empfiehlt der Verf., bei derartigen Untersuchungen neben Kaninchen 
auch Meerschweinchen zu verwenden. Die Beobachtungszeit der Ver¬ 
suchstiere muss länger ausgedehnt werden. 

Tb. Bauer-Wien: Ueber die Sarcina tetragena. (Centralbl. f. 
Bakteriol. usw., Abt. I, Orig., Bd. 68, H. 5 u. 6, S. 470.) Beschreibung 
eines Falles von eitriger Meningoencephalitis und -Myelitis, als deren 
einziger Erreger einwandfrei eine Sarcina tetragena, deren Menschen¬ 
pathogenität häufig angezweifelt ist, festgestellt und gezüchtet werden 
konnte. Sarcina tetragena und Mikrococcus tetragenus sind, wie aus¬ 
drücklich betont wird, nicht identisch. 

0. L. E. de Raadt-Malang (Niederl. Ostindien): Ueber einen bisher 
unbekannten menschlichen Krankheitserreger. (Centralbl. f. Bakteriol. 
usw., Abt. I, Orig., Bd. 68, H. 3 u. 4, S. 318.) Bei einem 44 jährigen 
eingeborenen Soldaten der Insel Java, bei dem die klinische Diagnose 
zwischen Malaria tropica und Typhus abdominalis geschwankt hatte, 
fanden sich bei der Sektion in der vergrösserten Milz, die aber kurz vor 
dem Tode an Umfang wieder abgenommen hatte, in Ausstrichpräparaten 
zahlreiche ring- oder birnenförmige Gebilde sowohl in den Erytbrocyten 
wie in den Phagocyten wie frei vorkommend; sie waren sämtlich ohne 
Kerne. Die Mikroorganismen, denen der Name „Ovoplasma anucleatum“ 
beigelegt ist, gehören nach Ansicht des Verf. zu den Protozoen; die 
Möglichkeit besteht, dass es sich um eine Hefe handelt. Ob der Keim 
stets pathogene Eigenschaften besitzt, muss dahingestellt bleiben; es ist 
möglich, dass er häufig relativ harmlos ist und erst unter Umständen 
für seinen Wirt gefährlich werden kann. Bierotte. 


Innere Medizin. 

C. Stäubli-Basel-St. Moritz: Ueber vergleichende Tenperatnr- 
messungen nnd deren klinische Bewertung. (Münchener roed. Wochen¬ 
schrift, 1913, H. 19 u. 20.) Die Rectaltemperatur steigt auch bei Ge¬ 
sunden nach körperlichen Bewegungen an. Man darf nicht die rectal 
festgestellte Temperatur in direkten Vergleich mit der Achseltemperatur 
bringen, da bei sohon relativ mässigen Bewegungen die Rectaltemperatur 
einseitig steigt, wobei Mund- und Achselböhlentemperatur nicht gleich¬ 
sinnig ansteigt. Reotalmessungen sollen nur nach längerer körperlicher 
Ruhe vorgenommen werden. Starke Erhebung der Rectaltemperatur naoh 
mässiger Bewegung ist ein Frübsymptom tuberkulöser Erkrankung. Um 
zu einer klinisch richtigen Bewertung der Reotaltemperatur naoh Körper¬ 
bewegung zu gelangen, ist die vergleichende Temperaturmessung ein 
wichtiges Hilfsmittel. Sie gibt uds Aufschluss, ob es sich bei Steigerung 
der Rectal temperatur nur um lokale Temperaturerhöhung oder um all¬ 
gemeine Erhöhung der Bluttemperatur handelt. Jede der drei Messungen 
genügt für sich; nur müssen sie auch für sich und unter Berücksichtigung 
der individuell bestehenden Verhältnisse bewertet werden. In der Rectal¬ 
temperatur kommt mehr die Temperatur der inneren Organe und die 
Wärmebildung in der Muskulatur, in der Axillartemperatur mehr die 
Wärmeregulation zum Ausdruck. G. Eisner. 

B. 0. Pribram-Wien: Ueber Seekrankheit. (Wiener klin. Wochen¬ 
schrift, 1913', Nr. 22.) Als Schiffsarzt beobachtete Verf., dass diejenigen 
Individuen, die besonders leicht zu Seekrankheit neigten, alle einen er¬ 
höhten Vagustonus hatten, Vagotoniker im Sinne von Eppinger und 
Hess waren. Verf. zog hieraus den therapeutischen Schluss, die See¬ 
krankheit durch Atropin zu bekämpfen und hatte damit auch besonders 
nach Injektion von Atropinum sulfuricum sehr günstige Erfolge. 

0. Adler. 

L. Jacob-Würzburg: Beitrag zur Kenntnis der Myositis. (Münchener 
med. Wochenschr., 1913, H. 20.) Beschreibung eines Falles von be¬ 
ginnender Myositis ossificans, die im Anschluss an ein Trauma entstanden 
ist. Anschwellung der Muskulatur, Oedem mit Schmerzen und Rötung 
der Haut. Danaoh Sohwielenbildung im Muskel. Auf diesem Stadium 
blieb der Prozess stehen. G.Jäisner. * 


A. Speck: Ein Fall von „Pseadehämatenesis“. (Deutsche med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 23.) Erbrechen von dunkelvioletten Massen 
nach Salvarsaninjektion. Kein Blut, sondern freies Jod. (Es war bei 
einer Hg-Kur gleichzeitig Jodkali verordnet worden und H 2 0 f zur Mund¬ 
pflege. Das B 2 0* hatte Jod freigemacht. Unter dem Einfluss von un¬ 
verdauter Stärke im Magen war dann die Blaufärbung entstanden.) 

Wolfsohn. 


Chirurgie. 

Fr. König-Marburg: Erfolgreiche Gelenkplastik aa Ellenbogen 
durch Implantation einer Elfenbeinplatte. (Münchener med. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 21.) Es gelang, an Stelle eines grossen Knochen- und 
Gelenk defektes eine genau nachgebildete Prothese aus Elfenbein mit 
dem Erfolg einzuheilen, dass ein gut bewegliches, in keiner Weise 
wackliges Gelenk erzielt wurde. G. Eisner. 

Propping-Frankfurt a. M.: Die Rehn’sehe Behandlung der Peri¬ 
tonitis. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 23.) In der Rehn’schen 
Klinik werden die Peritonitisfälle bei Appendicitis in den letzten Jahren 
in drei Gruppen eingeteilt: 1. Peritonitis der rechten Leibseite und des 
Beckens; 2. Peritonitis rechts und links bis zum Golon transversum; 
3. Peritonitis universalis. Bei Gruppe 1 wird ein grosser rechtsseitiger 
Schnitt gemacht, Appendektomie, lokale Spülung, Douglasdrainage und 
Naht der Bauchdeoken bis auf die Drainageöffnung. Beckentieflagerung. 
Bei Gruppe 2 und 3 wird ein ausgiebiger Medianschnitt gemacht, 
Appendektomie, kleine Kontrainzision links und rechts neben der Spina 
iliaca, Douglasdrainige, allgemeine Methode, Bauchhöhlenspülung, Naht 
der Bauchdecken bis auf die Drainage. Mit dieser Behandlungsmethode 
war die Mortalität in den letzten 2 Jahren für die drei Gruppen je 0, 24 
und 47 pGt. Rotter’s Vorschlag der kompletten Bauchdeckennaht mit 
Verzicht auf Douglasdrainage wird von der Rehn’schen Klinik nicht an¬ 
genommen. Eine Ueberlegenheit der Rotter’scben Statistik gegenüber 
der Rehn’schen ist nach P.’s Ansicht auch nicht bewiesen. 

Wolfsohn. 


Urologie. 

D. Newman: Einige Fälle von Harnleiden bei Fronen mit sehr 

häufigem sehmerihaften Urinieren. (Glasgow med. journ., 1913, Nr. 5.) 
Mit oystoskopischen Bildern belegte Fälle der verschiedensten Aetiologie 
mit teilweise interessanten Krankengeschichten. Sehe lenz. 

E. Roucayrol-Paris: Beitrag zum Studium der Harnröhren- 
erkranknngen. (Zeitschr. f. Urol., 1913, Bd. 7, H. 3.) Bei dem vom 
Autor beobachteten Fall bestand eine veraltete chronische Entzündung 
der hinteren Harnröhre naoh einer vor Jahren überstandenen Gonorrhöe. 
Durch eine auftretende Influenza wurden die in der hinteren Harnröhre 
eingeschossenen Gonokokken mobil, es entstand, von einem Prostata- 
abscess ausgehend, eine Gesamtinfektion des Körpers, Abscess in der 
linken Armmuskulatur. Inzision des Prostataabscesses, Behandlung mit 
dem aus dem Eiter gewonnenen Autovaccin, das hergestellt wurde aus 
einem ln seinen Lebensbedingungen veränderten Gonococcus. Heilung. 

J. Goldberger-Budapest: Zur Technik der Prostateetomia snpra- 
pnbiea. (Zeitschr. f. Urol., 1913, Bd. 7, H. 2.) Die Statistik der 
Freyer’schen Operation ist beeinträchtigt durch die Todesfälle, die nicht 
durch die Operation als solche, sondern durch die Anwendung von 
Chloroform- und Aethernarkose hervorgerufen worden sind. Diese Nar¬ 
kosen bieten bei alten Leuten stets eine Gefahr. Verf. rät daher zur 
lokalen Anästhesie nach Prof. Ghevassu mit Novocain (1:200) mit 
kurzer Chloräthylnarkose (1 */a—® Minuten) während der Ausschälung 
der Prostata. Unter 80 Operierten hatte Chevassu hierbei drei Todes¬ 
fälle (lOpCt.): 1. bei einem 85 jährigen Greise 20 Tage nach dez Ope¬ 
ration an Kachexie; 2. bei einem 64jährigen Manne 27 Tage nach der 
Operation an Herzlähmung; 3. bei einem 65 jährigen Manne 6 Tage nach 
der Operation an Bronchopneumonie. Es war also kein Todesfall infolge 
Urämie, Operationsshock, Hämorrhagie und lokaler Infektion. 

R. Picker-Budapest: Ein Fall von Syphilis der Blase. (Zeitschr. 
f. Urol., 1913, Bd. 7, H. 3.) Vor 25 Jahren findet sich in der Anamnese 
Lues, die 4 Jahre hindurch mit 15 Schmierkuren behandelt wurde. Jetzt 
starker Harndrang, Blasenschmerz, trüber Urin. Mit dem Gystoskop 
wurde das Trigonum und der Blasenfundus stark grobwülstig geschwollen 
und livid verfärbt vorgefunden. Dauerkatheter macht den Urin klar, 
Spülungen werden nicht vertragen. Nach Entfernung des Dauerkatheters 
trüber Urin wieder vorhanden. Darreichung von Jodkali, die Beschwerden 
lassen nach, das in der Blase vorhandene Geschwür heilt im Laufe von 
etwa 2—3 Monaten. Dies ist durch Cystoskopie festgestellt. Der bei 
Beginn der Behandlung vorgenommene Wassermann war negativ. Es 
handelt sich um ein tertiäres Geschwür der Blase bei alter Lues. Blu¬ 
tungen aus der Blase, die gewöhnlich aufzutreten pflegen, fehlten, weil 
das Geschwür bereits in sehr frühem Stadium, [ehe es zum Zerfall kam, 
entdeckt worden war. 

Teschemacher-Bad Neuenahr: Ueber Pnenmatnrie nid schein¬ 
bares Aafhören der Glykosnrie hei blasenkranken Diabetikern. (Zeit¬ 
schrift f. Urol., 1913, Bd. 7, H. 3.) Bei einem seit 15 Jahren an Dia¬ 
betes mellitus leidenden Herrn trat beim Urinlassen Luft aus der Blase 
aus. Es wird diese Bildung von Luft bei bestehendem Blasenkatarrh 
durch Vergärung des Zuckers bereits in der Blase verursacht. Die Zer- 


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1176 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26. 


legung geschieht vornehmlich in Kohlensäure und Wasserstoff. Diese 
Erscheinung ist sehr selten. Sie wurde unter 2800 vom Verf. behan¬ 
delten Diabetikern nur dieses eine Mal angetroffen. 

Blech er und Moebius-Darmstadt: Ueber einen Fall von malignem 
Tumor der Blase von syncytialem Ban. (Zeitschr. f. Urol., 1913, 
Bd. 7, H. 4.) Blasenblutungen. Cystoskopisch wurde an der vorderen 
oberen Blasenwand ein runder, zapfenartig vorspringender Tumor von 
Kastaniengrösse festgestellt. Entfernung, Exzision im Gesunden, durch 
Sectio alta. Nach einem Jahre war Patient, der als Soldat seinen 
Dienst tat, noch recidivfrei. Durch mikroskopische Untersuchung wurde 
die maligne Natur des Tumors festgestellt. 

Gorodistoch - Petersburg: Zur Pathologie und Therapie der 
Cystitis colli proliferans s. vegetativa. (Zeitschr. f. Urol., 1913, 
Bd. 7, H. 2.) Bei einem 35 jährigen Manne hatte sich nach vor meh¬ 
reren Jahren erworbener Gonorrhöe eine Cystitis des Blasenhalses mit 
zahlreichen zottenartigen Wucherungen am inneren Sphincterenrande 
entwickelt. Es bestand ausserordentlich quälender Harndrang. Dieser 
schwand durch Didayspülungen der hinteren Harnröhre und des Blasen¬ 
halses mit Albarginlösung (1:300—250). Die zottenartigen Gebilde 
wurden auf kaustischem Wege mittels des Wosoidlo’schen gebogenen 
Tabus für die Urethra posterior entfernt. Die Bildung von Zotten¬ 
wucherungen am Sphincter ist die Folge der chronischen wirkenden 
Reizung des gonorrhoischen Sekrets der Pars posterior urethrae; hier¬ 
durch wird in der Umgebung des Sphincters Hyperplasie der Schleim¬ 
haut hervorgerufen. Diese Wucherungen fanden sich häufiger bei Frauen 
als bei Männern. Neben der „irritativen“ Theorie der Entstehung dieser 
Zotten führen einige Autoren (Zechmeister und Malzenauer) die 
Bildung derselben auf Lymphstauung zurück. 

E. Pfister-Cairo: Ein Harnröhrenstein bei Bilharziakrankheit. 
(Zeitschr. f. Urol., 1913, Bd. 7, H. 2.) Bei einem 10jährigen Araber¬ 
knaben sass ein Uratstein im vorderen Harnröhrenabschnitt, der mit der 
Urethralzange leicht entfernt werden konnte. Im Urin fanden sich Eier 
von Distomum haematobium. Aus der chemischen Zusammensetzung, 
Urat, ergab sioh, dass der Stein aus der Blase stammte, dafür sprach 
auch die rundliche Form. Der Stein bestand aus zwei Schichten, einer 
kleineren weisslichen centralen und einer grösseren bräunlichen peri¬ 
pheren. In der centralen Partie fanden sich Bilharziaeier. Die Eier 
bildeten wohl die eigentliche Ursache für die Entstehung des Concre- 
ments, wobei das die Eier umgebende Stroma vielleicht als „organisches“ 
Gerüst im Sinne Ebstein’s betrachtet werden kann. 

B. Dobrotwosky-St. Petersburg: Ein Fall isolierter Tuberkulös* 
der einen Hälfte einer anomalen (doppelten) Niere. (Zeitschr. f. Urol., 
1913, Bd. 7, H. 2.) Bei einem Fall von rechtsseitiger Nierentuberkulose 
fand sich bei der Operation das Vorhandensein einer doppelten Niere 
mit je einem Nierenbecken und Ureter, die gesondert in die Blase ein¬ 
münden. Der untere Teil der Niere erwies sich als gesund, während 
der obere erkrankt war. ln klinischer Hinsicht lehrt dieser Fall, dass 
bei unerkannt gebliebenem Vorhandensein von zwei Ureteren auf einer 
Seite die Nierenkatheterisation zu Irrtümern führen kann, wenn der 
Katheter zufällig in die gesunde Nierenhälfte gelangt. 

L. Lipman-Wulf. 

L. Gas per-Berlin: Zur Diagnose der doppelseitigen Nierentnber- 
knlose. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 24.) Vortrag, gehalten 
in der Berliner Gesellschaft für Chirurgie vom 28. April 1913. 

Wolfsohn. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

E. Moro-Heidelberg: Erythema nodosum nnd Tuberkulose. (Mün¬ 
chener med. Wochenschr., 1913, Nr. 21.) Verf. nimmt gegen Pollak’s 
These: „dass das Erythema nodosum“, welches jedenfalls (im Kindesalter) 
ausschliesslich bei tuberkulösen Individuen vorkommt, auch tatsächlich 
eine tuberkulöse Hautaffektion ist“ Stellung. Es lässt sich vorläufig 
über Natur und Wesen des Erythema nodosum nichts Bestimmtes aus- 
sagen. Keinesfalls ist der Ausschlag als Tuberkulid ohne weiteres auf¬ 
zufassen; sein Erscheinen ist nicht einmal unbedingt an das Bestehen 
einer tuberkulösen Allergie der Gewebe gebunden. Immerhin kommt 
der Tuberkulose vielleicht als „auslösendes Moment“ eine Bedeutung zu. 
Ferner ist eine ganz bestimmte Konstitution erforderlich (Lymphatismus, 
Purpura, Rheumatosen, Vasomotorenerregbarkeit). G. Eisner. 


Geburtshilfe und Gynäkologie. 

W. Jonas - Greifswald: Beiträge zur klinischen Verwertbarkeit der 
Abderhalden’scben Sehwangerschaftsreaktion (Dialysierverfahren). 
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 23.) Die Reaktion ist zwar 
nicht absolut spezifisch, doch ist sie bei ihrer relativ einfachen Technik 
als neues, wichtiges diagnostisches Hilfsmittel für die Graviditätsdiagnose 
anzuerkennen. Wolfsohn. 

Br. Stange - Magdeburg: Zar biologischen Diagnose der 
Schwangerschaft. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 20.) Verf. 
erhielt bei 73 untersuchten Schwangerschaftsfällen in 100 pCt. positive 
Reaktion nach dem Abderhalden’scben Dialysierverfahren. Nicht- 
schwangere gaben in 5 untersuchten Fällen negative Reaktion. 


W. Rübsamen - Dresden *. Zur biologischen Diagnose der Schwanger¬ 
schaft mittels der optischen Methode und des Dialysierverfahrens. (Münch, 
med. Wochenschr., 1913, H. 21.) In 47 Fällen von Schwangerschaft 
waren die Reaktionen positiv, bei 22 Nichtgraviden negativ. Die Re¬ 
sultate stimmen also mit den Abderhalden’schen Ergebnissen überein. 
Es wurde bisher kein Fall beobachtet, in dem der Ausfall der Schwanger¬ 
schaftsreaktion dem klinischen Bild nicht entsprochen hätte. 

G. Eisner. 

H. Wi 11 i a m s o n - London: Einige Paukte in der Benrteilnng der 
Bedentnng der Albnminnrie in der Schwangerschaft. (Lancet, 17. Mai 
1913, Nr. 1681.) Die Schwangerschaftsalbuminurie beruht entweder auf 
chronischer Nephritis oder, viel häufiger, auf einer Toxämie. Das Cborion- 
epithel produziert ein Ferment, das die mütterlichen Gewebszellen zer¬ 
stört, und die dabei entstehenden Produkte wirken als Toxine. Die 
Schwangerschaftstoxämie ist eine Acidose, was der Verf. festgestellt bat 
aus einer Abnahme der Alkalinität des Blutes, aus einer Zunahme der 
Ammoniakausscheidung und dem nicht seltenen Vorhandensein von 
Acetonkörpern im Urin in Fällen von Albuminurie in der Schwanger¬ 
schaft. Die Toxämie kann sich einer chronischen Nephritis zugesellen. 

Weydemann. 

C. Sievert-Osnabrück: Lehren für die Desinfektion in der de- 
bnrtshilfe und für die Behandlung der Nachgebartsblatangen an der 
Hand von 42 manuellen PlacentarlÖsnngen. (Deutsche med. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 23) (Die Antisepsis kann in der Geburtshilfe nicht 
entbehrt werden; reine Asepsis genügt nicht. Saure Scheidenspülungen 
(Alsollösung) sind in gewissen Fällen bei Geburten empfehlenswert. 
Gummihandschuhe sind in der Regel bei Eingriffen unnötig. Der Ver¬ 
blutungstod kann durch rechtzeitige prophylaktische Anwendung eines 
Aortenkompressoriums verhindert werden. Wolfsohn. 

W. K o 1 d e - Erlangen: Veränderungen der Nebenniere bei Schwanger¬ 
schaft und nach Kastration. (Archiv f. Gyn., Bd. 99, H. 2.) Auf 
Grund von Untersuchungen an Kaninchen, Meerschweinchen und an 
Mensohen kommt Verf. zu folgenden Ergebnissen: Zwischen den Neben¬ 
nieren und den Geschlechtsorganen bestehen enge Beziehungen, die sich 
zum Teil auch durch histologische Veränderungen nacbweisen lassen, 
und zwar kommt dies besonders zum Ausdruck, wenn eine Hypofunktion 
des Ovariums besteht während der Gravidität, oder wenn die Ovarial- 
tätigkeit ganz ausfällt, wie nach der Kastration. Die Veränderungen in 
der Schwangerschaft sind am deutlichsten beim Meerschweinchen, die 
Veränderungen nach Kastration sind bei Kaninchennebennieren deutlich 
ausgeprägt. Doch auch beim Menschen lassen sioh histologische Ver¬ 
änderungen während der Schwangerschaft nachweisen. 

W. Weibel-Wien: Serologisches und Klinisches über Schwanger- 
sehaftspyelitis. (Archiv f. Gyn., Bd. 99, H. 2.) Mit Hilfe der Bordet- 
Gengou’schen Methode der Komplementablenkung gelingt es, itn Serum 
von an Colipyelitis erkrankten Schwangeren Antikörper vom Typus der 
Amboceptoren (Haptine 111. Ordnung) nachzuweisen. Der Immuntiter 
entspricht keineswegs immer der Schwere der klinischen und bakterio¬ 
logischen Erscheinungen. Mit dem Zurückgehen der bakteriellen In¬ 
fektion geht ein Absinken des Immuntiters parallel. Jedesmal, wenn 
solche Antikörper im mütterlichen Serum nachgewiesen wurden, fanden 
sich dieselben auch im Serum der von diesen Müttern geborenen Kinder. 
Mutter- und Kindersera zeigen fast immer denselben Titer. Eine prak¬ 
tische Anwendung dieser Reaktion für die Diagnose einer Coliinfektion 
ist ausgeschlossen. L. Zuntz. 

P. Alsberg-Berlin: Zar Therapie der paerperalen Utens 
inversioi. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 23.) Im Gegensatz 
zu Zangemeister rät A. bei totaler Inversion zu sofortiger manueller 
Reposition, unter grösstmöglicher Schonung. An die Reposition soll in 
jedem Falle eine sorgfältige Uterus- und Soheidentamponade ange¬ 
schlossen werden. Mitteilung eines einschlägigen Falles. 

Wolfsohn. 

W. Sigwart-Berlin: Die bakteriologische Kontrolle der Asepsis 

bei gynäkologischen Laparotomien. (Arohiv f. Gyn., Bd. 99, H. 2.) Zur 
Prüfung des Keimgehaltes während der Operation werden Tupferstück¬ 
chen, mit denen das Operationsgebiet ausgewisoht wird, nicht nur, wie 
früher, in Bouillon, sondern auch im Agar gebraoht. Keime wurden 
stets gefunden, aber bei aseptischen Operationen nur in 14 pCt in 
grösserer Zahl, bei unreinen in 50 pCt. Eine sichere Prognose der 
Wundheilung aus dem bei der Operation gewonnenen bakteriologischen 
Befund können wir nicht stellen; denn es kommt vor, dass bei hoch¬ 
virulenter Infektion vorher keine Streptokokken gefunden wurden und 
umgekehrt, dass trotz des Nachweises von Streptokokken der Heilungs¬ 
verlauf ein glatter ist; wir haben eben noch keine Methode zur Be¬ 
urteilung der Virulenz der Bakterien. Die Untersuchungen zeigen aber, 
dass das intakte Peritoneum schwach virulente Keime in grossen Mengen 
verträgt. Für einen guten Heilungsverlauf ist daher eine exakte Peri¬ 
tonisierung aller Bindegewebswunden von der grössten Bedeutung. 

Hoogkamer-Utrecht: Die Nerven der Gebärmutter. (Archiv!. 
Gyn., Bd. 99, H. 2.) Der Uterus ist besonders reich an Nerven, welche 
sich in unvermittelter äusserster Feinheit verzweigen. Es gibt einen 
mächtigen Apparat multipolarer Ganglienzellen im Uterus, nicht nur in 
der Muscularis, wo sie hauptsächlich um die Gefässe herum liegen, 
sondern auch in der Mucosa. Es gibt Verbindungen zwischen den feinsten 
Nervenausläufern und den multipolaren Ganglienzellen. Im Verlauf der 
feinsten Nerven finden wir obendrein zahlreiche bipolare Ganglienzellen. 


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28. Joni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1177 


Die glatten Muskelzellen, die Blutgefässe und das Epitbelium stehen in 
Verbindung mit den genannten Nervenelementen. Im Verlauf der 
grossen Nerven kommen in der Subserosa und im oberflächlichen Teil 
der Musoularis vereinzelte Ganglienzellen vor. 

E. Kehr er-Dresden: Die subcutane Symphysiotomie nach Frank. 
(Arch. f. Gynäkol., Bd. 99, H. 2.) Auf Grund von 10 eigenen Fällen 
und den in der Literatur niedergelegten Erfahrungen kommt Verf. zu 
folgenden Anschauungen: Die Operation nach Frank bedeutet gegen¬ 
über der Hebosteotomie und dem extraperitonealen Kaiserschnitt einen 
wesentlichen Fortschritt. Die mütterliche Mortalität beträgt bis jetzt 
auf Grund von 118 Fällen 0,8 pCt. gegenüber 4,1 pCt. bei 217 subcutanen 
Hebosteotomien. Die Kinder wurden in 100 pCt. von 79 Mehrgebärenden 
gerettet. (Fälle von Frank und Kehrer.) Bemerkenswert ist die ver¬ 
blüffende Einfachheit der Technik, die kleine Hautwunde, die sichere 
Vermeidung der Nebenverletzungen von Blase, Scheide, Harnröhre, Peri¬ 
toneum der Excavatio vesico-uterina. Nicht sicher vermeidbar ist die 
Verletzung des Corpus cavernosum clitoridis resp. der Crura dieses 
Schwellkörpers. Sie wurde in 60 pCt. der Fälle beobachtet und führte 
zu Hämatomen und in einem Teil der Fälle zu Thrombophlebitis der 
unteren Extremitäten, welche das Wochenbett komplizierten und ver¬ 
längerten. Unter 118 subcutanen Sympbysiotomien ist bis jetzt keine 
Embolie beobachtet worden. Die subcutane Sympbysiotomie ist bei Mehr¬ 
gebärenden auszuführen; bei Erstgebärenden nur ausnahmsweise bei weiten 
Weichteilen und besonders bei dehnbarer Scheide erlaubt. An die Ope¬ 
ration soll nur in seltenen Ausnahmefällen eine operative Entbindung, 
am ehesten die Wendung vom Kopf auf den Fuss und die Extraktion 
bei Beckenendlage, angeschlossen werden. Im allgemeinen soll unter 
wiederholter Anwendung der Trias: Pituitrin, Walcher’sche Häogelage 
und bei erweiterten Weichteilen Hofmeier-Frisch-Impression die Spotan- 
geburt abgewartet werden. Das Anwendungsgebiet der subcutanen 
Sympbysiotomie sind vor allem verengte, rein plattrachitische und all¬ 
gemein verengte plattrachitische Becken mit einer C. v. bis 6,9 oder 
6,8 cm als unterste Grenze. Bei Infektionsmöglichkeit ist die subcutane 
Symphysiotomie gestattet. Sie ist bei Infektionsverdacht gewagt, bei 
erfolgter Infektion wegen der Möglichkeit einer hämatogenen Infektion 
entstandener Thromben und Hämatome verboten. Nach der subcutanen 
Symphysiotomie ist die Gehfähigkeit ausgezeichnet. Die Knorpelwunde 
heilt nach der subcutanen Sohamfugendurchschneidung genau ebenso 
gut wie die Knochenwunde nach der subcutanen Schambeindurchsägung. 

L. Zuntz. 

C. Sauvage-Paris: Blasenmole in Utens. (Ann. d. Gyn. et d’obst. 
April 1918.) Der Verf. hatte Gelegenheit, eine unverändert im Uterus 
liegende Blasenmole zu untersuchen, da der Uterus im ganzen wegen 
Tumordiagnose entfernt war. Ein Einwuchern der Blasen in die Wand 
war nirgends zu finden, nirgends ein Anhaltspunkt für Malignität; auoh 
nirgends ein Bild, das zu einer Erklärung führen könnte, wie manchmal 
malignes Einwuchern stattfinden kann. Auffallend waren die 4 frischen 
Corpora lutea in den Ovarien. 

Louis Bazy-Paris: Chorioepitheliome der Tnbe. (Ann. d. Gyn. 
et d’obst., April 1918.) Verf. hat einen Fall operiert, der kurz nach 
der Operation zum Tode führte; er hat weitere 11 Fälle in der Literatur 
gefunden, von denen keiner länger als 4 Monate nach der Operation 
lebte. Es besteht also bedeutend grössere Malignität wie bei primärem 
Tumorsitz im Uterus. Verf. betrachtet jede Tubengravidität als roalign 
und rät zu frühzeitiger Operation. Auch in seinem Fall Veränderungen 
an dem andern Ovar; Rückgreifen auf die Fränkel’schen Untersuchungen. 

F. Jacobi. 

J. Trinchese Berlin: Zeitpunkt der luetischen Infektion des 
Films und dessei klinische Bedeutung. (Hegar’s Beitr. z. Geburtsh. 
u. Gynäkol., Bd. 18, H. 2.) 1. Eine paterne Infektion des Fötus findet 

nicht statt. 2. Ovuläre Infektion findet ebensowenig statt. Allgemeine, 
biologische Grundsätze wie klinische Beobachtungen sprechen dagegen. 
8. Die Infektion des Fötus geschieht vorzugsweise in der zweiten Hälfte 
der Schwangerschaft. 4. Lues ist keine Ursaohe des Aborts. 5. Die 
fötale Lues hat einen kurzen, akuten Verlauf; sie ist eine Spirochäten¬ 
sepsis; sie beginnt und endet in der Mehrzahl der Fälle innerhalb des 
intrauterinen Lebens. 6. Lebendgeborene Kinder mit syphilitischen Sym¬ 
ptomen sind nicht lange vor ihrer Geburt infiziert worden und sind 
meistens vollkommen oder fast ganz ausgetragen. 7. Durch energische 
Quecksilbertherapie der Mutter ist die Möglichkeit gegeben, das Kind zu 
retten. Dies gelingt aber nur, wenn die Behandlung vor der Infektion 
des Fötus beginnt. Deshalb soll bei Verdacht sofort nach Feststellung 
der Schwangerschaft die antisyphilitische Behandlung einsetzen. Sie kann 
aber noch lebensrettend wirken, wenn sie vor Mitte der Schwangerschaft 
beginnt. 

F. Kermauner-Wien: Zur Aetiologie der Gynatresien. (Hegar’s 
Beite, z. Geburtsh. u. Gynäkol., Bd. 18, H. 2.) Im Gegensatz zu Veit, 
der alle Atresien, ausgenommen die notorischen Defekte, für postnatal 
erworben, d. h. durch entzündliche, traumatische usw. Narben bedingt 
erklärt hat, betont Verf., dass der Hymen Verschluss angeboren, dass er eine 
Missbildung ist. Von den Scheidenatresien ist ein Teil erworben, ein 
anderer angeboren, und zwar entstanden auf dem Boden einer durch 
chemischen Einfluss bedingten Zellcoagulationsnekrose, welche die ent¬ 
sprechende Partie mit ihrer nächsten Umgebung im Wachstum zurückhält. 
Besprechung von Hämatokolpos und Hämatosalpinx. K. Hoffmann. 

Hess-Berlin: Heilung eines Falles von Careinoma uteri nach 
Probeauskratzung. (Deutsche med. Wochensehr., 1913, Nr. 22.) Probe- 


curettement ergab Adenocarcinom (v. Hansemann). Operation wurde 
abgelehnt. Patientin ist heute, d. i. 4 Jahre später, klinisch gesund. 
Es handet sich nicht um Spontanheilung, wie auch v. Hansemann 
betont. Wolfsohn. 

H. Hauser-Rostock: Multiple primäre Careinome des weiblichen 
Genitalapparates. (Archiv f. Gyn., Bd. 99, H. 2.) In dem einen Fall 
waren gleichzeitig vorhanden ein primäres solides Ovarialcaroinom, ein 
Adenocarcinom des Uterus und ein Pseudomucincystom des anderen 
Ovariums; in dem anderen bestand ein Garcinom des Gebärmutterhalses 
aus einem typischen Piattenepitheloarcinom und einem ebenso typischen 
Cylinderepithelcarcinom. Die nicht ganz seltenen, im Corpus uteri ge¬ 
fundenen Adenooancroide sind höchstwahrscheinlich als unioentrische Car- 
cinome aufzufassen. 

Vogt - Dresden: Beitrag zu den Melanosarkomen der Clitoris. 
(Archiv f. Gyn., Bd. 99, H. 2.) Zu den bisher beschriebenen acht ein¬ 
wandfreien Fällen von primärem Melanosarkom der Clitoris fügt V. einen 
neunten bei einer 70jährigen Frau. Patientin starb ein Vierteljahr 
nach der Operatiln; ob an Recidiven, ist fraglioh. L. Zuntz. 

K. Ewald-Wien: Ueber die Endergebnisse unserer Operationen 

wegen Retroflexio nteri. (Wiener med. Wochensohr., 1918, Nr. 21.) 
Die einfache Verkürzung der runden Mutterbänder ist ein höchst un¬ 
sicheres Verfahren. Die Erfolge der Vaginofixur befriedigten auoh nicht, 
ebenso die der Ventrofixation des Uterus. Die Erfolge, die mit der Be¬ 
festigung der Mutterbänder in den Seitenkanülen erreicht wurden 
(Alexander Adam), waren weit besser als die mit der Ligament¬ 
verkürzung und Vaginofixur der Ligamente. Von 14 so operierten Fällen 
kam nur ein Misserfolg. Das Verfahren der Ventrofixation der Liga¬ 
mente (nach Doleris) übertrifft an Sicherheit des Erfolges alle anderen 
Methoden. G. Eisner. 

L. Fränkel - Breslau: Untersuchungen über die sogenannte Gianda 

endocrine myomdtriale. (Archiv f. Gyn., Bd. 99, H. 2.) Anoel und 
Bonin haben im graviden Kaninchenuterus Zellkomplexe in der inneren 
Muskelschicht unter der Placentarsteile beschrieben, die von der Mitte 
der Trächtigkeitszeit an auftreteu, nach ihrer Meinung aus den fixen 
Bindegewebszellen entstehen und endocrine Funktionen, vielleicht als 
Ersatz für das zu dieser Zeit sich zurückbildende Corpus luteum, aus¬ 
üben sollen. Fr. bestätigt den tatsächlichen Befund für Kaninchen; er 
konnte aber entsprechende Gebilde bei anderen Tierarten und beim 
Menschen nicht nachweisen und hält es daher für unwahrscheinlich, dass 
diesen Bildungen eine wichtige und allgemeine Funktion zukomme. An¬ 
haltspunkte für eine Entstehung aus Bindegewebszellen konnte er nicht 
gewinnen; die Zellen erinnern am meisten an Abkömmlinge des fötalen 
Ektoderm (Syncytium). L. Zuntz. 


Augenheilkunde. 

W. Reis - Lemberg: Ein Beitrag zur Ophthalmonyiasis. (Wiener 
klin. Wochenschr., 1913, Nr. 22.) Verf. berichtet über bisher veröffent¬ 
lichte Fälle von Ophthalmomyiasis, bei denen meist im Bindehautsack 
Fliegenlarven gefunden wurden und schildert dann einen erst jüngst 
beobachteten Fall, wo bei einem Mann in einem Auge mit leichten 
katarrhalischen Erscheinungen eine sogenannte „Rattenschwanzlarve“ ge¬ 
funden wurde. 0. Adler. 

C. A. Hegner-Jena: Zur Anwendung des Dialyrierverfahrens 
nach Abderhalden in der Augenheilkunde. (Münchener med. Wochen¬ 
schrift, 1918, H. 21.) Verf. untersuchte mit dem Dialysi er verfahren nach 
Abderhalden die Sera von Patienten mit Uveaerkrankungen auf das 
Vorhandensein von spezifischen, auf Uveagewebe eingestellten Fermenten. 
Es gelang ihm, in bestimmten Fällen solche Fermente im Blut nacbzu- 
weisen. Am ausgesprochensten gelang der Nachweis der spezifischen 
Fermente bei frischer sympathischer Ophthalmie. Es folgt daraus, dass 
bei gewissen pathologischen Vorgängen im Auge Zellen aus der Uvea 
oder Zellelemente in den Blutkreislauf übergehen und hier als blutfremde 
Stoffe die Bildung spezifischer Schutzfermente auslösen; gleichzeitig 
werden sie dabei in niedere Eiweissstufen zerlegt. G. Eisner. 


Hygiene und Sanitfttswesen. 

F. Liedtke-Königsberg: Zur Säuglingssterblichkeit in Kffnigs- 
berg i. Pr. (Zeitschr. f. Hygiene, Bd. 74, H. 2.) Die Säuglingssterblich¬ 
keit ist ein unveräusserliches „Attribut des Pauperismus“. Die Sterb¬ 
lichkeit bei unehelichen Kindern ist beträchtlich höher als bei ehelichen 
und nimmt zu mit der Wohnungstemperatur und Wohnungsdichtigkeit. 
Das Hauptkontingent wird fast ausschliesslich von künstlich genährten 
Kindern gestellt. Die künstliche Ernährung ist wiederum eine Folge¬ 
erscheinung ökonomischer Zustände und schreitet fort mit der zu¬ 
nehmenden Industrialisierung eines Landes und der damit verbundenen 
Frauenerwerbsarbeit. Eine absolute Lösung des Problems ist nur durch 
eine soziale Prophylaxe möglich. 

M. Oker-Blom - Bern: Ueber die Wirkungsart des ultravioletten 
Lichtes anf Bakterien. (Zeitschr. f. Hygiene, Bd. 74, H. 2.) Aus seinen 
Versuchen zieht Verf. den Schluss, dass die keimvernichtende Wirkung 
der ultravioletten Strahlen nicht in einer Salpetrigsäure- bzw. Ozon- oder 
Wasserstoffsuperoxydwirkung begründet ist, sondern als eine direkte 
Wirkung der kurzwelligen Strahlen auf die Bakterien bzw. auf das 


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1178 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 25. 


lebende Protoplasma aufzufassen ist. Hiermit ist aber keineswegs ge¬ 
sagt, dass nicht diese Wirkung eventuell von nebenher unter dem Ein¬ 
fluss des ultravioletten Lichtes sich vollziehenden chemischen Prozessen 
sekundär befördert bzw. auch nachteilig beeinflusst werden könnte. 

M. Oker-Blom - Bern: Ueber die keimtötende Wirkung des ultra¬ 
violetten Liehtes in klarem, getrübtem und gefärbtem Wasser. (Zeit¬ 
schrift f. Hygiene, ßd. 74, H. 2.) In bezug auf die Leistungsfähigkeit 
des Trinkwassersterilisators, Type Nogier-Triquet M 5, nrit dem Verf. 
seine Versuche anstellte, zeigte sich, dass Sterilität bezüglich der ange¬ 
wandten Testkeime zu erzielen ist bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit 
des Wassers von etwa 50 bis 90 1 pro Stunde und einem Bakteriengehalt 
von etwa 10 000 Keimen im Kubikzentimeter, wenn das zu bestrahlende 
Wasser vollkommen klar und farblos war. Die durch Ton hervor¬ 
gerufene Trübung des Wassers setzt die keimverniohtende Wirkung des 
ultravioletten Lichtes herab. Der für die Versuche zur Verfügung ge¬ 
standene Apparat entsprach keineswegs im praktisch-hygienischen Sinne 
allen Anforderungen. Verf. kommt trotzdem zu dem Schluss, dass die 
Wassersterilisation mit Hilfe des ultravioletten Lichtes zu den wirk¬ 
samsten Assanierungsmaassnahmen der Zukunft gehören wird. 

B. Hemmingsson - Stockholm: Eine neue Methode zur Beurteilung 
der fäealen Verunreinigung eines Wassers, gegründet auf die Ver¬ 
änderlichkeit des Gasbild ungsvermögens von Baeterium coli. (Zeit¬ 
schrift f. Hygiene, Bd. 74, H. 2.) Durch die Einwirkung von Sonnen¬ 
licht und schlechten Ernährungsverhältnissen erfährt das Bacterium coli 
gleichwie in den Fäces während des Durchgangs durch den Dickdarm 
degenerative Veränderungen, die in einer Verlangsamung und Herab¬ 
setzung sowohl des Gasbildungs- als der anderen Arten von Gärungs¬ 
vermögen zum Ausdruck kommen. Die Veränderung des Vermögens, 
Gas aus Traubenzucker zu bilden, gewährt die Möglichkeit, unter An¬ 
wendung eines besonders konstruierten Gasmessungsapparates einfacher 
und sicherer Wasser auf das Vorkommen fäcaler Verunreinigung hin zu 
prüfen, als es mittels der bisherigen Golititerbestimmungsmethode der 
Fall ist. Möllers. 

0. Lentz-Saarbrücken: Indirekte Uebertragung von Varizellen 
bei einer Erwachsenen. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 24.) 
Verf. konnte die indirekte Uebertragung von Varizellen durch Ver¬ 
mittlung einer gesunden Person einwandfrei feststellen. Bei dem zu¬ 
erst erkrankten Kinde infizierte sich dessen 20 jährige Mutter, die das 
bei Varizellen sehr seltene, sonst für Variola als ganz charakteristisch 
angesehene Symptom „Kreuzschmerzen“ aufwies. Wolfsohn. 


Technik. 

Pr. Groedel - Frankfurt a. M.-Nauheim: Versuche über die harten 
Röntgenstrahlen. (Münchener med. Wochenschr., 1913, H. 20.) Jeder 
Teilstoss enthält im Prinzip das gleiche Strahlengemisch. Dessauer’s 
Ansicht, dass der harte Strahlenanteil der Emission einer Röntgenröhre 
besonders im Anfang der einzelnen Stromimpulse entsteht, ist nicht be¬ 
wiesen. G. Eisner. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 11. Juni 1913. 

Vorsitzender: Herr Orth. 

Schriftführer: Herr Rotter. 

Vorsitzender: Als Gast begrüsse ich Herrn Grafen von Oppers¬ 
dorf. 

Am 5. Juni ist ein Schreiben an uns gekommen, worin Herr 
E. Weyl mitteilt, dass sein Vater, Herr Prof. Dr. Theodor Weyl, wegen 
schwerer Erkrankung seinen Austritt aus dem Verein an meldet. Sie 
haben vielleicht schon in der Zeitung gelesen, dass die schwere Erkran¬ 
kung bereits zum Tode geführt hat. Herr Weyl ist seit 1883 unser 
Mitglied. Ehe er erkrankt war, ist er ein eifriges Mitglied gewesen und 
hat auch wiederholt hier interessante Vorträge in der Gesellschaft ge¬ 
halten. Sie kennen alle seine Verdienste, die er sich speziell auf dem 
Gebiete der Hygiene erworben hat. 

Es wird mir soeben mitgeteilt, dass noch ein anderes langjähriges 
Mitglied unserer Gesellschaft durch den Tod hinweggeraflt worden ist, 
nämlich Herr Sanitätsrat Dr. Rahm er, der seit 1884 unser Mitglied 
gewesen war. Ein Mann, bei Patienten wie bei Aerzten gleich ange¬ 
sehen und beliebt, der durch das Vertrauen der ärztlichen Kollegen 
Mitglied der Aerztekammer gewesen ist. 

Ich bitte Sie, sich zu Ehren der beiden Verstorbenen von Ihren 
Plätzen zu erheben. (Geschieht.) 

Für die Bibliothek sind eingegangen: Von Herrn L.Brauer: 
Jahrbücher der Hamburgisohen Staatskrankenanstalten, Bd. 16, Jahrg. 1911. 
— Von Herrn R. Mosse: Herrn Rudolf Mosse überreicht die Re¬ 
daktion zum 70. Geburtstage, 8. Mai 1913, diese Grüsse seiner Freunde 
und Mitarbeiter. — Von Herrn F. H. Williams: The Roentgen ray in 
medioine and surgery. New York 1903. 


Tagesordnung. 

Hr. Westenhöfer*. 

Karze Mitteilung mit Demonstration der Organe eines nach Fried¬ 
mann behandelten Falles von Tuberkulose. 

(Erscheint unter den Originaiien dieser Wochenschrift.) 

Diskussion. 

Frau Lydia Rabinowitsch: Gestatten Sie mir im Anschluss an 
die Mitteilung des Herrn Westenhöfer wenige Worte: 

Sie haben seinerzeit an dieser Stelle von Herrn Fried mann über 
seinen Impfstoff recht wenig trotz der wiederholten Aufforderung des 
Herrn Vorsitzenden gehört und eigentlich nur erfahren, dass er eine 
angeblich avirulente Scbildkrötentuberkulosekultur dazu verwendet. Er 
hat Ihnen diese Kultur aber weder näher beschrieben noch vorgezeigt, 
und es soll ausser seinem Mitarbeiter Herrn Schleich und Paul Ehr¬ 
lich in Frankfurt a. M., welch letzterem Friedmann die Kultur zur 
Prüfung übergeben hat, kein Mensch in Europa in dem glücklichen Be¬ 
sitz dieser seltenen und gewinnbringenden Kultur sein. Auch in Amerika 
hat Friedmann die Kultur nur dem Gesundheitsamt in Washington 
ausgehändigt, während er über Art und Weise der Impfung beim Men¬ 
schen sich in dasselbe geheimnisvolle Dunkel gehüllt hat wie in dieser 
Gesellschaft und den Aerzten gegenüber, welche ihm Tuberkulöse zur 
Behandlung überwiesen haben. 

Vor einigen Monaten hatte mir Herr Felix Klemperer ein Kultur¬ 
gemisch übergeben, welches er aus einem Impfabscess bei einem von 
Fried mann behandelten Patienten gewonnen hatte, und welches säure¬ 
feste Bacillen enthielt. Die Isolierung stiess wegen der starken Verun¬ 
reinigung auf Schwierigkeiten; ich habe mich seinerzeit auch nicht weiter 
darum bemüht, da Herr Klemperer von Friedmann die Nachricht 
erhielt, dass der betreffende Fall gar nicht mit seinem echten Schild¬ 
krötenbacillus, sondern im Gegensatz zu der Angabe des Patienten mit 
anderen säurefesten Bacillen gespritzt sei. 

Nun habe ich kürzlich aus Amerika, dem jetzigen Schauplatz der 
Friedmann’schen Tätigkeit, eine Reinkultur seines Schildkrötentuberkel- 
bacillus erhalten, und zwar aus dem Saranac Lake-Laboratorium zur 
Erforschung der Tuberkulose, an deren Spitze die zuverlässigen und auch 
bei uns rühmlicbst bekannten Tuberkuloseforscher Trudeau und Bald- 
win stehen. 

Das ist die geheimnisvolle Kultur! 

Die Kultur ist von Dr. Barnes am 30. April aus einem Impf¬ 
abscess bei einer von Fried mann ca. 3 Wochen vorher am 10. April 
in Rhode Island-Sanatorium geimpften Patientin isoliert worden. Der 
Abscesseiter enthielt ausserdem noch einen nicht säurefesten Bacillus, 
und die amerikanischen Forscher äussern die Vermutung, dass Fried¬ 
mann, um seinen Impfstoff wirksamer zu gestalten, 2 Bakterienarten 
zusammenmenge. 

Was nun die Friedmann’sche Kultur betrifft, denn als solche ist sie 
nach den mir gewordenen zuverlässigen Mitteilungen anzusprechen, so 
scheint sie nach meiner bisherigen Untersuchung eine grosse Aehnlich- 
keit mit einer Kaltblütertuberkulosekultur zu besitzen, welche ich vor 
15 Jahren von dem Franzosen Dubard zur Prüfung erhalten habe, und 
welche ich Ihnen hier mit anderen neben den Friedmann’schen Kulturen 
vorzeige. Dubard war wohl der erste, welcher gemeinsam mit Bataillon 
und Terre sogenannte Kaltblütertuberkelbacillen aus einem Karpfen in 
Reinkultur züchtete und die ersten Immunisierungsversuche mit solchen 
Bacillen anstellte. 

Die Friedmann’sche Kultur lässt sioh im Gegensatz zu den echten 
Tuberkelbacillen leicht auf den üblichen Nährböden weiterzüchten. Sie 
zeigt einen weissen feuchten, sahnenartigen Ueberzug und wächst vor¬ 
läufig bei Zimmertemperatur besser als im Brutschrank. Die Kultur 
wird natürlich weiter geprüft. Mikroskopisch und färberisch sind keine 
Abweichungen von den in meiner Sammlung befindlichen Kaltblüter¬ 
tuberkelbacillen zu konstatieren. Die Reinkultur zeigt schlanke pleo¬ 
morphe, säurefeste Stäbchen. Es ist sehr möglich, dass dieselben im 
tierischen Gewebe gleich anderen säurefesten Bakterien dickere und 
plumpere Formen annehmen, wie Sie dies auch hier in den Präparaten 
des Herrn Westenhöfer sehen. Meine Tierversuche werden auoh dar¬ 
über sich Aufklärung zu verschaffen suchen. 

Angeregt durch die Mitteilungen der französischen Autoren wurden 
später auch in Deutschland Kaltblütertuberkelbacillen bei Fröschen, 
Blindschleichen, Schildkröten usw. gefunden und beschrieben, mit denen 
gleichfalls Immunisierungsversuche angestellt wurden. Ich will hier nur 
die Namen Küster und Moeller hervorheben und den leider in Ver¬ 
gessenheit geratenen Namen Edwin Klebs in Erinnerung bringen, 
welcher Ihnen vor einigen Jahren einige Immunisierungsversuche mit 
Kaltblüterbacillen demonstriert hat. Eine historische Zusammenstellung 
dieser sehr wenig befriedigenden Immunisierungsresultate habe ich seiner¬ 
zeit im Anschluss an die Friedmann’schen Versuche gegeben, zu deren 
Nachprüfung ich von Herrn Orth zugezogen wurde und welche in 
Virchow’s Archiv veröffentlicht worden sind. In dieser Arbeit wurde 
auch betont, dass der wundersam mitigierte Schildkrötenbacillus, wie 
sich Fried mann ausdrückte, nicht avirulent für die Versuchstiere war. 
Ob die jetzige Friedmann’sche Kultur, die ich Ihnen hier vorzeige, in 
dieser Beziehung den Angaben Friedmann’s entspricht, werden erst 
meine weiteren Uebertragungsversuche ergeben. 

In jener Orth’schen Publikation habe ich kurz die eigenen wenig 
befriedigenden Immunisierungsversuche erwähnt, welche ich mit der 
ganzen Gruppe dieser tuberkelbacillenähnlichen säurefesten Bakteriea 


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23. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1179 


seit Jahren ausgeführt und die bis jetzt bei grösseren Ansprüchen, als 
wie sie zum Teil von anderen Autoren in dieser Richtung gestellt 
werden, ebensowenig verwertbare Ergebnisse gezeitigt haben, als auch 
vorläufig meine eigenen chemotherapeutischen Tuberkuloseversuche. 
Einen gewissen Tuberkuloseschutz kann man beim Versuchstier mit 
allen möglichen Bakterien und Chemikalien erreichen, der sich bei der 
Immunisierung mit den verschiedenen Vertretern der Tuberkulosegruppe 
und mit verschiedenen Tuberkulinen noch erhöhen lässt. Meines Er¬ 
achtens erzielen wir damit nur eine erhöhte Resistenz, aber keine 
eigentliche Immunität gegen die tuberkulöse Infektion. 

Wer sich für die bisher so geheimnisvolle Friedmann’sche Kultur 
interessiert und wer sich in Amerika damit einige Millionen verdienen 
will, dem stelle ich später die Kultur gern zur Verfügung. 

Hr. Schleich: Ich habe, als Herr Friedmann nach Amerika 
reiste, bereitwilligst seinem Auftrag nachzukommen gesucht, seine 
Patienten während der Zeit seiner Abwesenheit mit dem von ihm mir 
übergegebenen Mittel zu versorgen. Diese Aufgabe war nicht gerade 
dankbar bei dem grossen Widerstande, den Friedmann unter den 
Kollegen erfahren hat. Ob mit Recht oder Unrecht, will ich hier nicht 
untersuchen. Nach dem, was ich aber an Heilungen chirurgischer Art 
vorher gesehen hatte, glaubte ich, es der leidenden Menschheit und der 
Wissenschaft durchaus schuldig zu sein, diese nicht sehr dankbare Auf¬ 
gabe voll auf mich zu nehmen. Ich habe sie erfüllt. Es war vorher 
abgemacht worden, dass Fried mann etwa 6 Wochen abwesend sein 
sollte. Es sind jetzt schon 4 Monate, in denen ich mit seinem Mittel 
arbeite. Die Gründe, weshalb Herr Friedmann noch nicht zurück¬ 
gekommen ist, entziehen sich zum Teil meiner Kenntnis. Ich habe 
einen lebhaften Depeschenweohsel mit ihm geführt, und er ist bereit, 
nach seiner Rückkehr jedem seine Kultur zur Verfügung zu stellen. 
Die Prüfung des Materials liegt in den Händen von Exzellenz Ehrlich. 
Er hat aber zu erkennen gegeben, dass er zur Entscheidung dieser 

Fragen sehr viel mehr Zeit beanspruchen müsse, als z. B. Frau Rabino- 
witsch dazu gebraucht hat. Er sagte, vor Ablauf eines Jahres sei er 
ausserstande, sich zu entscheiden. Sie werden sich also gedulden 
müssen, bis diese Autorität ersten Ranges seine Erfahrungen mitteilt. 

Was die Ausführungen des Herrn Westenhöfer anbetrifft, so bat 
er mit dankenswerter Reserve keine weiteren Schlüsse aus dem einen 

Fall auf die Therapie gezogen. Ich bin der Ansicht, dass alle diese 

theoretischen Fragen hinfällig sind gegenüber den Erfolgen, die ich 

bisher mit dem Friedmann’schen Mittel tatsächlich gesehen habe. Da 
ich aber ein einzelner bin und vielleicht einem subjektiven Optimismus 
erliege, möchte ich in aller Form anfragen, ob die Versammlung nicht 
geneigt wäre, aus ihrer Mitte eine offizielle Kommission zu ernennen, 
welche die Friedmann’schen Erfolge wissenschaftlich kontrolliert. Ich 
sehe sonst keinen anderen Weg, wie Sie diese komplizierte Frage ent¬ 
scheiden können, die bis jetzt eigentlich nur in Zeitungen breitgetreten 
ist, nicht nur in amerikanischen, in denen Friedmann zuerst sehr 
freundlich begrüsst, später aber durch den Schmutz gezogen worden ist. 
Auch in deutschen Zeitungen sind die allerheftigsten Angriffe gegen ihn 
erfolgt, ohne dass jemand von denen, die diese Artikel geschrieben 
haben, die Anwendung der Methode mit eigenen Augen gesehen hat. 
Zur Steuer der Wahrheit ist es also unbedingt nötig, dass kontrolliert 
wird. Für mich ist es keine dankenswerte Aufgabe gewesen, bei dem 
grossen Widerstande als sein Schildträger aufzutreten. Dafür aber stehe 
ich Friedmann vollkommen unabhängig gegenüber. Ich habe ihm ge¬ 
sagt: ich übernehme die Vertretung nur unter der Bedingung, dass Sie 
mir, selbst wenn ich mich gegen Sie stelle, keine Vorwürfe machen. 

Nun sind unzweifelhaft schöne Erfolge vorhanden. Wenn ich nur 
eins bemerken darf: es ist erstaunlich, wie die Konstitution bei seinen 
Kranken sich allmählich und regelmässig hebt. 

Was die weiteren Mahnungen des Herrn Westenhöfer anbetrifft, 
so hat er schon selbst darauf hingewiesen, dass es nicht sicher ist, 
ob nicht eine metastatische Infektion an dem Lokalisationsherd als locus 
minoris resisteutiae aufgetreten ist Ich habe mehrere Fälle gesehen, 
dass Kinder, die tuberkulös waren, sich Hämorrhagien zuzogen, und dass 
dann diese kleinen Hämorrhagien später zu einem kalten Abscess 
wurden. Auch aus diesem hätte man gewiss Tuberkelbacillen züchten 
können. Ob der Schluss berechtigt ist, dass jene Bacillen Fried- 
maun’sche sind, weiss ich nicht. Ob es richtig ist, dass an der Stelle, 
wo sich ein Tuberkel gebildet hat, dies durch das Friedmann’sche Mittel 
geschehen ist, oder ob durch Miliarprozesse des Kranken derselbe ent¬ 
standen ist, das lässt sich gar nicht entscheiden. Das dem Fried¬ 
mann’schen Mittel zuzuschreiben, geht zu weit. Ich könnte ja auch 
ebensogut sagen, dass die erkennbaren Heilungsprozesse der Lunge auf 
das Friedmann’sche Mittel zu beziehen seien. Ein einzelner Fall kann 
also wenig beweisen. 

Ich möchte fragen, ob ich einen schriftlichen Antrag stellen kann 
dahin, ob die Versammlung geneigt ist, eine derartige Kommission zur 
Erprobung des Mittels einzusetzen. Ich selbst bin aber auch bereit, 
jedem Kollegen vormittags von 11 bis 1 Uhr die Friedmann’schen Fälle 
in der Lützowstrasse 49 zu zeigen. 

Vorsitzender: Ich darf bitten, einen schriftlichen Antrag dem 
Vorstande einzureiohen. Wir werden dann das weitere veranlassen. 

Hr. Max Wolff: Ich habe einige Fälle, die von Friedmann 
behandelt worden sind, zu sehen Gelegenheit gehabt. Der erste Fall 
betraf einen leichten rechtsseitigen Spitzenkatarrh, der früher, vor der 
Behandlung, in unserer Poliklinik untersuoht worden ist. Der Fall 


kam dann in eine Heilstätte und von da in die Behandlung von Herrn 
Friedmann, demselben von dem behandelnden Arzte zugewiesen. Der 
Patient hat dreimal innerhalb 10 Wochen Friedmann’sche Injektionen 
bekommen, das erste Mal intraglutäal, das zweite Mal 6 Wochen später, 
ebenfalls intraglutäal und gleichzeitig eine intravenöse Injektion, und kam 
danach wieder zu uns zur Untersuchung. Nach der Einspritzung, so gibt 
der Patient an, habe er einen Ausschlag am ganzen Körper bekommen 
und soll seit der Injektion Verschlechterung des Allgemeinbefindens ein¬ 
getreten sein. An der Injektionsstelle in der Glutäalgegend sind von 
beiden Einspritzungen noch schmerzhafte Infiltrate vorhanden. Klinisch 
ist dieser leichte Fall durch Friedmann’sche Injektionen nicht gebessert 
worden. Man hört auch jetzt noch an derselben Stelle den Katarrh wie 
früher, obwohl Herr Friedmann, soweit ich mich entsinne, früher er¬ 
klärt hat, dass er selbst schwerere Fälle durch eine geringe Anzahl von 
Injektionen erheblich gebessert habe. 

Der zweite Fall betrifft eine anfänglich traumatische Pleuritis bei 
einem Eisenbahn beamten, der durch die Tür bei einem fahrenden Zuge 
verletzt worden war. Dieser Patient, den wir früher, vor der Behand¬ 
lung, untersucht hatten, zeigte die bekannten Erscheinungen von Pleu¬ 
ritis an der linken Thoraxseite. Tuberkelbacillen sind nicht nachweisbar. 
Er kam in die Eisenbahnerheilstätte und wurde dann von dem be¬ 
handelnden Arzte zu Friedmann’scher Behandlung geschickt. Er bekam 
zwei intraglutäale Injektionen. Pat. kam dann wieder zu uns; er gibt 
an, mehr zu husten und sich schlechter zu fühlen und wollte sich keine 
Einspritzungen mehr machen lassen. Die Injektionsstellen sind noch 
deutlich infiltriert. 

Der physikalische Lungenbefund ergibt erhebliche Verschlechterung 
gegenüber der früher von uns gemachten Aufnahme. Die ganze linke 
Lunge hinten von oben bis unten gedämpft, schwaches Atmen und 
Katarrh. Links vorn supraclavicular bis zum 2. Intraoostalraum 
Dämpfung, reichlicher Katarrh. Tuberkelbaoillen, die früher fehlten, 
jetzt nachweisbar. Die Einspritzungen haben also jedenfalls den Fort¬ 
schritt des Prozesses nicht zu beeinflussen vermocht. 

Ich muss hier noch eine Bemerkung über meine Erfahrungen 
mit den Schildkrötentuberkelbacillen des Herrn Piorkowski hinzu¬ 
fügen. Herr Piorkowski kam zu mir mit dem Wunsche, seine Schild¬ 
krötentuberkelbacillen beim Menschen zu probieren, sie seien dieselben 
wie die von Herrn Friedmann; der letztere habe bei ihm gearbeitet, 
und er hätte dieselben zuerst angelegt. Ich erklärte Herrn Pior¬ 
kowski aber, dass sofort Versuche beim Menschen unzulässig seien, da 
mir nicht bekannt sei, dass seine Bacillen bereits beim Menschen in¬ 
jiziert worden wären, man müsste zuerst Tierversuche anstellen. Es 
wurden also zunächst zwei Meerschweinchen mit menschlichen Tuberkel¬ 
bacillen intraperitoneal geimpft; das erste Tier wurde mit den Schild¬ 
krötentuberkelbacillen von Herrn Piorkowski behandelt, das zweite 
Tier blieb ohne Behandlung. Das behandelte Tier bekam zwei In¬ 
jektionen von 0,5 ccm Piorkowski’scher Emulsion von seinen Schild¬ 
krötentuberkelbacillen und zwischendurch noch eine Injektion von 
Schildkrötentuberkulin. Dieses behandelte Tier stirbt etwa 4 Wochen 
nach der Impfung mit den humanen Tuberkelbacillen und zeigt bei der 
Sektion, ganz wie gewöhnlich nach intraperitonealer Impfung, das harte, 
zusammengerollte Netz mit käsigen Knoten, Leber und Milz mit tuberkel¬ 
haltigen Knoten und sehr stark tuberkulöse Lungen. Das nicht be¬ 
handelte Kontrollier lebt sogar länger als das zugehörige behandelte 
Tier, und der Sektionsbefund bei dem getöteten Tier ist in bezug auf 
Netz, Lungen, Milz, Leber ganz derselbe wie bei dem behandelten Tier. 
Diese Versuche habe ich mit demselben Resultat wiederholt. Ohne 
Unterschied bekamen die Tiere, die nicht behandelt worden waren, in 
derselben Ausdehnung Tuberkulose wie die behandelten. Ein günstiges 
Resultat habe ich von den Schildkrötentuberkelbacillen 
des Herrn Piorkowski bei den Tierversuchen nicht gesehen. 

Hr. Karfunkel: Ich glaube, einiges zur Klärung der hier heute 
abend angeregten Fragen beitragen zu können. Ich habe mehrere 
Abscesse von solchen Patienten untersucht, die mit dem Friedmann’schen 
Mittel behandelt worden sind. Fried mann hatte sich im Anfang sehr 
gegen diese Versuche gesträubt, und ich konnte sie erst vornehmen, 
nachdem er sich von mir getrennt hatte. (Heiterkeit.) Ich fand in 
diesen Absoessen niemals säurefeste Bacillen, sondern nur einen nicht 
säurefesten Bacillus. Gleichzeitig bekam ich von Herrn Dr. Piorkowski 
seine Emulsionen, die ich zu Injektionszwecken benutzte, und fand 
bei der Untersuchung säurefeste und nicht säurefeste Bacillen. Die 
nicht säurefesten stimmten mit denjenigen überein, die ich in meiner 
Kultur in den Abscessen gefunden hatte. Als ich die Züchtungsversuche 
unternahm, liessen sich die säurefesten des Herrn Dr. Piorkowski 
nicht weiter fortzüchten, wohl aber die anderen, die ich dauernd in 
Reinkultur erhielt. Die von mir aus dem Abscess gewonnenen Bacillen 
waren Stäbchen, die nicht säurefest waren und nach einiger Zeit Sporen 
bildeten. Ich habe diese erst in Tierversuchen versucht Alsdann habe 
ich seither Hunderte von Injektionen an Menschen gemacht und muss 
sagen, dass sich die Resultate in keiner Weise von denen unterscheiden, 
die ich früher mit der Friedmann’schen Kultur gesehen hatte. Ich 
habe den Fried mann-Bacillus nie gesehen, wenigstens nicht in färberischer 
Beziehung. Fried mann hat vor meinen Augen gefärbt, aber nicht so, 
wie man Tuberkelbacillen zu färben pflegt, sondern nur mit Carbol- 
fuchsin, weil er sagte, es genüge ihm, wenn keine Verunreinigung da¬ 
zwischen wäre. 

Ueber das Depot möchte ich bemerken, dass ich diese Depots nicht 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr- 25. 


für wesentlich halte. Ich habe 800 Fälle gesehen, die mit Friedmann * 
sehen Bacillen behandelt worden sind, und darf mir ein Urteil darüber 
erlauben. Ich habe gesehen, dass Patienten heilten, wenn sie Abscesse 
bekamen, dass sie nicht heilten, wenn sie keine Abscesse bekamen und 
umgekehrt. Diese Abscesse sind höchstens von der Bedeutung, dass sie 
den Patienten während der Zeit, dass er sie bat, kolossal herunter¬ 
bringen und den sogar ganzen Erfolg einigermaassen in Frage stellen 
können. 

Was den Fall des Herrn Westenhöfer anbetrifft, so ist es nach 
meiner Erfahrung möglich, dass schwere Tuberkulosen mit ausgedehnten 
Erkrankungsbezirken durch dieses Mittel — ich sage das ganz offen — 
verschlimmert werden können, wenn dieses Mittel in unvorsichtiger 
Weise angewandt wird. Das gilt aber eben nur für schwere, aus¬ 
gedehnte Tuberkulosen. Man darf in solchen Fällen nur Bruchteile von 
den Mengen injizieren, die man sonst bei anderen Tuberkulosenformen 
zu injizieren pflegt. 

In der Tat glaube ich, was Frau Rabinowitsch gesagt hat, dass 
Friedmann zwei Bakterienarten durcheinander anwendet. Darauf sind 
vielleicht seine Misserfolge in Amerika zurückzuführen. Es unterstützt 
mich in dieser Beziehung seine eigene Patentschrift. Er lässt sich nicht 
nur avirulente lebende Tuberkelbacillen schützen — wenigstens das 
Verfahren zu ihrer Kultur —, sondern auch ein Gemisch solcher mit 
avirulenten Nichttuberkelbacillen. Ich muss da fragen: wie kann er 
auf den Gedanken kommen, sich avirulente Nichttuberkulosebacillen 
schützen zu lassen, die aber gegen Tuberkulose wirksam sein sollen, 
wenn er nicht einen Nichttuberkulosebacillus in der Hand hat? Ich 
habe ausserdem sehr viel Indizienbeweise an den Wirkungen, die ich 
mit den aus den Abscessen gezüchteten Bacillen gesehen habe. Aller¬ 
dings haben sie einen wesentlichen Unterschied: sie machen niemals 
Abscesse. Ich habe bisher unter Hunderten von Injektionen vielleicht 
ein- oder zweimal leicht entzündliche Infiltrate gesehen, sonst überhaupt 
nicht, Ich bin also der Ueberzeugung, dass es sich bei dem Friedmann- 
schen Bacillus gar nicht um einen säurefesten Tuberkelbacillus handelt, 
sondern um einen nicht säurefesten Bacillus. 

Hr. Fritz Lesser: Bezüglich des histologischen Befundes an der 
Injektionsstelle in dem von Herrn Westenhöfer sezierten Falle möchte 
ich hervorheben, dass sich nach Alttuberkulininjektion ein vollkommen 
gleicher mikroskopischer Befund erheben lässt, nur mit dem Unterschiede, 
dass keine Bacillen gefunden werden. Diese Ergebnisse sind von Kling¬ 
müller aus der Neisser’sohen Klinik publiziert worden. Ich habe 
selber, als ich Assistent war, diese Versuche gesehen. Wenn man einem 
Kinde, das lupuskrank ist, an dem Rücken an einer gesunden Hautstelle 
eine Tuberkulininjektion macht und nach einiger Zeit die Injektionsstelle 
exzidiert, so findet man im mikroskopischen Präparat typische Tuberkeln 
mit Riesenzellen. Diese Entwicklung eines Tuberkels an der Stelle 
einer Tuberkulininjektion macht sich auch klinisoh bemerkbar, indem 
bei solohen Kindern, wenn später an anderen Stellen des Rückens 
Tuberkulininjektionen gemacht werden, die früheren Tuberkulininjektions¬ 
stellen immer wieder mit reagieren. Bacillen sind, wie gesagt, in solchen 
Fällen nie gefunden worden, und gerade die Tatsache, dass nach Injektion 
mit dem Friedmann’schen Präparat an der Injektionsstelle Bacillen ge¬ 
funden werden, lässt vielleicht darauf schliessen, dass die Tuberkel¬ 
bildung an der Injektionsstelle durch das injizierte Präparat hervor¬ 
gerufen wird, weil eben das Alttuberkulin ein tuberkel baeil len freies 
Präparat ist, während das Friedmann’sche Präparat Tuberkelbacillen 
enthält. Jedenfalls ist die Entwicklung einer tuberkulösen Veränderung 
an der Injektionsstelle nichts Charakteristisches des Friedmann’schen 
Präparats, sondern kommt auch bei Alttuberkulin von Koch vor und 
ist, wie gesagt, durch das Mitreagieren bei späteren Injektionen auch 
klinisch nachweisbar. Die Untersuchungen von Klingmüller sind im 
Archiv für Dermatologie veröffentlicht. 

Hr. Fritz Meyer: Ich glaube, dass in dieser wichtigen Frage 
durch einen einzigen Fall, wie Herr Westenhöfer ihn heute demonstriert 
hat, nicht viel zur Lösung beigetragen wird. Wenn dieser Fall über¬ 
haupt etwas beweist, so zeigt er, dass das Friedmann’sche Mittel nichts 
nützt. Eine Schädigung durch das Mittel kann ich in diesem Falle 
nicht erblicken. Ich möchte eigene Erfahrungen binzufügen, die mich 
zu dem gleichen Resultate kommen lassen. Sie wissen, dass nach der 
Pirquet’schen Hautimpfung, welche wir unbedenklich bei allen Patienten 
anwenden, die gleichen Veränderungen beobachtet werden können, wie 
Sie sie hier unter dem Mikroskop sehen. Die Arbeiten von Daeis und 
Zieler haben gezeigt, dass dieselbe Tuberkelbildung auf und in der Haut, 
ja sogar in weiterer Verbreitung der Gefässe stattfindet; ich möchte 
daher warnen, aus diesem einen Befunde irgendwelche Schlüsse zu ziehen. 

Ich habe in der Diskussion zum Friedmann’schen Vortrage gesprochen 
und aus einer Reihe theoretischer Gründe den Friedmann’schen An¬ 
sichten opponiert. Ich würde es heute auf Grund eigener Erfahrungen 
wieder tun, und zwar aus folgendem Grunde: Herr Piorkowski be¬ 
sitzt eine Kultur, von welcher er glaubt, dass sie mit der Friedmann- 
schen Kultur identisch sei. Da er sie mir in liebenswürdiger Weise zur 
Verfügung gestellt hat, so habe ich mioh zunächst an Tierversuchen da¬ 
von überführt, ob sie imstande sei, Tuberkulose bei Meerschweinchen zu 
erzeugen. Es ergab sich, dass es nicht gelingt, Tiere mit dieser Kultur 
tuberkulös zu machen. Ich habe mit Piorkowski gemeinsam diese 
Tiere nach einer massiven Impfung mit Tuberkulinproben geprüft. Sie 
blieben am Leben. Ich habe dann Herrn Piorkowski veranlasst, ein 
Tuberkulin nach der Koch’sohen Vorschrift zu machen und echt tuber¬ 


kulöse Tiere (Typus humanus) mit diesem Schildkröten-Tuberkulin zu 
impfen. Auch diese Tiere überlebten die Prüfungsimpfung, während 
einige später mit Koch’schem Alt-Tuberkulin gespritzte Tiere typisch 
zugrunde gingen. Es war also der Beweis gelungen, dass diese 
Piorkowski - Kultur nicht imstande war, irgendwelche krank¬ 
machende Erscheinungen an gesunden und das daraus gewonnene 
Tuberkulin an schwer tuberkulösen Tieren hervorzurufen. Ich 
habe dann dieses Tuberkulin mit dem Höchster Tuberkuloseserum 
austitriert und merkwürdigerweise gefunden, dass dieses Tuberkulin 
genau soviel Antigensubstanz gegen Tuberkuloseserum besitzt wie das 
Koch’sche. Ein auffallender Befund. Ich habe nun eine Reihe von 
Patienten — allerdings muss ich hervorheben: nur ausserordentlich 
schwere Fälle, welche sich für eine Tuberkulinbehandlung nicht mehr 
eigneten —, nachdem ich mich von der relativen Unschädlichkeit des 
Präparates überzeugt hatte, mit den mir von Herrn Piorkowski zur 
Verfügung gestellten Emulsionen behandelt, und ich kann sagen, dass 
ich in keinem dieser Fälle einen Heilerfolg gesehen, ja ich möchte sagen: 
nicht einmal eine einzige dauernde Besserung. 

Damit komme ich auf das zurück, was ich anfangs gesagt habe: dass die 
Kaltblütertuberkelbacillen therapeutisch nicht überzeugend wirksam sind. 
Es stellte sich aber heraus, dass in einer Reihe von Fällen eine ausser¬ 
ordentlich auffallende — „scheinbare“ — Besserung nach 6 —7 Tagen 
ein trat, welche manchmal 4 Wochen anhielt. Diese Besserungen, welche 
selbst, wenn man grosse Erfahrungen mit der Tuberkulinbehandlung 
hat, im ersten Moment frappieren, sind in keiner Weise als Heilung 
aufzufassen. Sie können aber ausserordentlich leicht dazu verführen, 
dieses Präparat als ein Heilmittel gegen Tuberkulose anzusehen. Ich 
zweifle nicht daran, dass Herr Schleich in seinen Fällen wirkliche 
Erfolge gesehen hat. Was aber die Worte des Herrn Karfunkel an¬ 
betrifft, so muss ich meine Verwunderung darüber aussprechen, dass er, 
der damals in der Diskussion als Assistent Friedmann’s von den Er¬ 
folgen begeistert war, sich heute so viel reservierter über dieses Mittel 
äussert. Es würde mich ausserordentlich interessieren, wenn Herr Kar¬ 
funkel in der Lage wäre, uns Zusagen, worauf sich dieser abweichende 
Standpunkt, nachdem seine mit Friedmann gemeinsamen Versuche ab¬ 
geschlossen sind, gründet. 

Hr. Piorkowski: Ich möohte zunächst einige Aeusserungen des 
Herrn Geheimrat Wolff richtig stellen. Sie wissen wohl, dass ich am 
13. November hier in der Diskussion zu dem Friedmann’schen Vortrage 
nicht — wie Herr Geheimrat Wolff sagte — meine Bacillen, sondern 
die des Herrn Dr. Friedmann besprach. Die Aeusserungen des Herrn 
Geheimrat Wolff sind auch schon darum unzutreffend, weil die bei ihm 
angestellten Versuche als unzureichend gelten müssen. Dieselben sind 
mit nicht ausreichendem Material gemacht. Ich sah mich aus besonderen 
Gründen veranlasst, sie vorzeitig abzubrechen. HerrDr. Fried mann kam 
eines Tages zu mir mit zwei grossen tuberkulösen Schildkröten, die er vom 
hiesigen Aquarium erhalten hatte, und ersuchte mich, ihm Reinkulturen 
davon herzustellen. Ich tat das. Dann war er noch */*—*/4 Jahre bei mir 
und hat nach meinen Anweisungen weiter gearbeitet. Seitdem ist er 
von mir fort, und ich weiss nicht, was er weiter getan hat. Schon am 
13. November hatte ich mir erlaubt, hier in der Gesellschaft eine Kultur 
zu demonstrieren, die den Friedmann’schen Bacillen entsprach, und 
hatte natürlich infolge des Interesses, das ich durch diese Arbeit be¬ 
kommen, weiter damit gearbeitet. Ich habe mich später veranlasst ge¬ 
sehen, zu untersuchen, ob die Identität dieser Bakterien mit den anderen 
übereinstimmte, und habe sie einer Anzahl von Praktikern, seriösen 
Herren, zur Verfügung gestellt. 

Was die Kulturen anbetrifft, so sind es säurefeste Bacillen, die sich 
morphologisch, aber nicht kulturell von den menschlichen und Rinder¬ 
tuberkelbacillen unterscheiden. Es sind kleine, dicke Bacillen, die be¬ 
sonders gut nach der Much-Knoll’schen Resorcinmethode zu bestimmen 
sind. Man sieht da gewöhnlich 1—2 kleine Körnchen. Ich habe dann 
einige Präparate davon für therapeutische Zwecke hergestellt, und zwar 
eine 0,2 proz. Suspension, ein mit Alkali behandeltes Präparat, und end¬ 
lich noch ein Tuberkulin. Zunächst wurde nur mit den beiden ersteren 
Präparaten behandelt. Als dann Herr Prof. Meyer mit mir zusammen 
arbeitete, habe ich nach seinem Wunsche das Tuberkulin ein wenig 
modifiziert. Die Erfahrungen, die in der Praxis mit den beiden ersten 
gemacht worden sind, haben sich teilweise widersprochen. Sie sind zum 
Teil sehr gute. Bisher sind es 300—400 Fälle, die scheinbar erfolgreich 
waren, aber andere wiederum, die nicht erfolgreich waren. Speziell mit 
dem Tuberkulin scheinen besonders gute Erfolge erreicht worden zu 
sein. Auch Herr Prof. Meyer schreibt dem Schildkrötentuberkulin 
schätzenswerte Eigenschaften zu. Ich darf vielleicht hier zwei Autori¬ 
täten anführen, die gleichfalls Erfolge aufweisen, z. B. Herrn Bandelier, 
der mich auoh ermächtigt hat, davon Mitteilung zu machen. Er schreibt, 
dass er mein Tuberkulin in solchen Fällen verwende, in denen andere 
Tuberkuline nicht vertragen werden, oder in denen er mit anderen Prä¬ 
paraten nicht vorwärts kommt 

„Ich denke dabei,“ schreibt er, „besonders an Schwerkranke und 
Fiebernde. Bisher habe ich nur einen einzigen solchen Fall, der selbst 
auf kleinste Dosen sensibilisierter Bacillenemulsion und albumosefreieo 
Tuberkulins empfindlich reagierte, und der Ihr Schildkrötentuberkulin 
bis jetzt gut verträgt.“ 

Dann hat Herr Dr. Pigger von der Johanniterheilanstalt Sorga 
einige Fälle mit lebenden Bacillen behandelt, nämlich mit meiner Sus¬ 
pension. Er schreibt: 


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23. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1181 


.Mit diesem Mittel habe ich in einem Fall ganz verblüffend günstige 
Erfahrung gemacht, und zwar hauptsächlich in dem Sinne, dass dadurch 
eine verhältnismässig schnelle und vollständige Entfieberung erzielt 
wurde. Auch das Allgemeinbefinden, der Husten und die Menge des 
Auswurfs wurden bei dieser Patientin in der allergünstigsten Weise be¬ 
einflusst. Der Lungenbefund besserte sich entsprechend, so dass nun¬ 
mehr in der gewöhnlichen Form der Heilstättenbehandlung die Patientin 
in günstigem Sinne behandelt werden kann. Der vorher so gut wie 
aussichtslose Fall bietet jetzt eine anscheinend günstige Prognose. In 
allen anderen Fällen aber, die ebenfalls zu den besonders schweren 
gehören, hat das Mittel versagt. Irgendwelche Reizerscheinungen an 
den Injektionsstellen konnte ich weder bei dem günstig beeinflussten, 
noch bei den anderen Fällen je feststellen. Ich konnte mich aber nicht 
veranlasst sehen, über die ersten vorsichtigen Dosen hinaus die spe¬ 
zifische Behandlung mit diesen Kaltblütertuberkelbacillen fortzusetzen. 
Ich habe im ganzen fünf schwere Fälle in Behandlung genommen, von 
denen der eine, oben erwähnte sehr günstig verlaufen ist.“ 

Diese Fälle sollen nicht durchaus beweisend für die guten Eigenschaften 
des Mittels sein, wie andererseits auch absprechende Urteile nicht durch¬ 
aus das Gegenteil bedeuten. Man muss eine grosse Reihe von Fällen 
abwarten, was eine grosse Spanne Zeit in Anspruch nimmt. Ich selbst 
habe viele Tierversuche gemacht, und es wurden jedesmal mit den In¬ 
jektionen der Schildkrötenbacillen, die subcutan veranlasst wurden, 
Knötchen hervorgerufen, die wieder nach einiger Zeit verschwanden. 
Die Tiere mit menschlichen Tuberkelbacillen konnten bisher damit nicht 
geheilt werden, wenngleich sie immer länger lebten als die Kontrolltiere. 
Aber, wie kürzlich in der Nr. 22 der Deutschen medizinischen Wochen¬ 
schrift auch Löffler sagt, ist der Meerschweinchen versuch nicht sicher 
maassgebend, weil die Tiere so empfänglich sind, dass man sie gar 
nicht zum Vergleich heranziehen kann. Bei Kaninchen sind die Resul¬ 
tate besser. 

Ich werde mich weiter bemühen und weiterhin auf diesem Wege 
arbeiten. Ich will nichts publizieren, bevor ich nicht eine ganz erkleck¬ 
liche Anzahl von Fällen zusammen habe. Ich hoffe noch manche inter¬ 
essante und nicht unwichtige Tatsachen bringen und so für meinen 
Teil aufklärend in der Frage der Behandlung der Tuberkulose mit 
Schildkrötentuberkelbacillen wirken zu können. 

Hr. Schwalbe: Ich möohte nur zu einer Bemerkung von Herrn 
Schleich Stellung nehmen. Herr Schleich hat gewissermaassen 
darüber Klage geführt, dass Herr Friedmann von amerikanischen und 
auch von deutschen Zeitungen durch den Schmutz gezogen worden sei. 
Ich glaube, nach den Nachrichten, die von Amerika zu uns gekommen 
sind, müssen wir feststellen, dass Herr Friedmann es sich selber zu- 
zuschreiben hat, wenn er durch den Schmutz gezogen worden ist. Denn 
es kann nicht scharf genug ausgesprochen werden, dass wir deutschen 
Aerzte mit dem Verfahren, das mit der Propagierung des Friedmann- 
schen Mittels beliebt worden ist, keineswegs einverstanden sind. (Sehr 
richtig!) Ich glaube, dass das an dieser Stelle um so mehr hervor¬ 
gehoben werden muss, als der Umstand, dass Herr Friedmann seinen 
Vortrag hier in der Berliner medizinischen Gesellschaft gehalten hat, in 
ganz erheblicher Weise dazu benutzt wurde, um für Herrn Fried mann 
drüben in Amerika Stimmung zu maohen. (Sehr richtig!) In allen Mit¬ 
teilungen, die ich aus amerikanischen Zeitungen bekommen habe, ist 
immer hervorgehoben worden, dass an dem Mittel doch etwas daran sein 
müsste, wenn der Erfinder oder Entdecker es in der Berliner medi¬ 
zinischen Gesellschaft, dieser angesehensten medizinischen Vereinigung 
Deutschlands, vortragen durfte. Es ist dabei übersehen worden, dass schon 
in der Diskussion zu dem Vortrage ganz erhebliche Bedenken nicht nur 
gegen die Erfolge, sondern auch gegen die Art und Weise, wie Herr 
Friedmann sein Mittel bekanntgegeben hat, erhoben worden sind. Herr 
Westenhöfer hat vorhin mit Recht betont, dass Herr Friedmann sein 
Versprechen, das er hinsichtlioh der weiteren Mitteilungen über sein 
Mittel hier und später auch in seiner Publikation gegeben hat, nicht 
gehalten hat. Herr Friedmann hat dasselbe auch in Amerika getan. 
In dem amtlichen Bericht, der am 16. Mai in dem offiziellen Organ des 
Staatlichen Gesundheitsamtes in Washington publiziert worden ist, heisst 
es: Das Amt hatte sich an Herrn Dr. Friedmann schriftlich ge¬ 
wandt, um von ihm etwas näheres über sein Mittel, über seine Be¬ 
handlungsmethode usw. zu erfahren; und Herr Friedmann hatte 
sich bereit erklärt, dem Gesundheitsamt die gewünschten Daten zur Ver¬ 
fügung zu stellen. Nachdem Herr Friedmann nach Amerika gekommen 
und persönlich mit dem Gesundheitsamt in Verbindung getreten war, 
erklärte er, entgegen dem voraufgegangenen Schriftwechsel 1 ), dass er 
nicht gewillt sei, über die Art der Herstellung seines Heilmittels etwas 
näheres bekanntzugeben. 

Im übrigen ist es vielleicht nicht ganz uninteressant, zur Beurteilung 
der von Friedmann in Amerika erzielten Erfolge zu erwähnen, dass 
die „Frankfurter Zeitung“, die sich in dieser Affäre stets sehr unter¬ 
richtet gezeigt hat, vor einigen Tagen folgendes Telegramm aus New 
York gebracht hat: „Die Berichte über die ersten, Anfang März von 
Dr. Friedmann gemachten Impfungen lauten sämtlich ungünstig.“ 

Hr. Karfunkel: Ich möchte mich gegen die Ausführungen des 
Herrn Meyer wenden. Ich habe mit keinem Wort gesagt, dass ich jetzt 
differente Resultate mit denen, die ich früher gemacht habe, erzielt 


1) „Contrary to the offer contained in his previous correspondance“ 
(Zusatz bei der Korrektur). 


hätte. Ich erinnere mich nicht, etwas Derartiges gesagt zu haben. loh 
muss wiederholen, dass ich immer noch dieselben Resultate bekommen 
habe wie früher, nur in einem Punkte weichen sie ab, dass nämlich 
Abscesse nicht mehr auftreten. Das liegt vielleicht daran, dass die 
Bacillen durch die Passage durch den menschlichen Körper die Fähigkeit 
zur Abscessbildung verloren haben mögen. 

Dann möchte ich noch hinzufügen, dass dieser Bacillus Schild¬ 
kröten nicht krank machen konnte. Die Schildkröten sind am Leben 
geblieben. 

Bezüglich des säurefesten Bacillus des Herrn Piorkowski möchte 
ich noch folgendes bemerken: Herr Geheimrat Wolff hat diese Emul¬ 
sionen, die mir Herr Piorkowski gegeben hat, ganz frisch, noch bevor 
die Flasche geöffnet wurde, untersucht und hat säurefeste und nicht 
säurefeste Bacillen in den Emulsionen unter dem Mikroskop ge¬ 
funden. 

Auch in meiner Poliklinik wurde ebenfalls von Friedmann bereits im 
vorigen Jahre Tuberkulin, das aus diesen Bacillen genau nach Art des 
Koch’schen gewonnen war, angewandt, sowohl allein, als auch in Ver¬ 
bindung mit Bacil len mjektion; besondere Resultate sind nicht damit er¬ 
zielt worden. Es zeigte sich, dass dieses Tuberkulin ganz bedeutend 
weniger giftig war, so dass man zehnfache Dosen anwenden konnte, 
ohne bei Tuberkulösen Fieber zu erzeugen. Auch wurde die Cutan- 
impfung mit und ohne Erfolg gemacht. 

Hr. A. y. Wassermann: 

Naefcweto van Spirochaete pallida bei allgemeiner Paralyse von 
6. Malinese# und J. Minea-Bnkarest. 

Herr Prof. Marin es co aus Bukarest bat mich, in seinem und seines 
Mitarbeiters, Dr. Minea, Namen, hier eine Mitteilung zu verlesen, die 
vom 2. April datiert ist: 

„Die klinische Beobachtung und insbesondere die Wassermann’sche 
Reaktion haben in einwandfreier Weise die engen Beziehungen, welche 
zwischen allgemeiner Paralyse, Tabes einerseits und Syphilis anderer¬ 
seits, bestehen, erwiesen. Trotzdem aber konnte man sich über die 
eigentliche Natur dieser Affektionen, die als Para-Syphilitische bezeichnet 
werden, keine bestimmte Vorstellung machen, da es bisher nicht ge¬ 
lungen war, die Spirochaete pallida in der Rinde der Paralytiker nach¬ 
zuweisen, noch auch durch Uebertragung derartiger Hirostücke bei 
Tieren Syphilis hervorzurufen. Ganz kürzlich gelang es nun Noguchi, 
Licht in diese so interessante Frage zu bringen, indem er in 12 unter 
70 Fällen von allgemeiner Paralyse die Anwesenheit der Spirochaete 
pallida nachweisen konnte. Wir selbst haben die Hirnrinde in 
26 Fällen von allgemeiner Paralyse untersucht. In einem dieser be¬ 
stand neben der allgemeinen Paralyse eine syphilitische Meningitis. In 
diesem Falle handelte es sich um einen Mann von 38 Jahren, bei 
welchem die Krankheit mit heftigen Kopfschmerzen und Erbrechen an¬ 
gefangen hat. Unter unseren Augen entwickelte sich dann die echte 
paralytische Dementia mit wiederholten cpileptiformen Anfällen. In der 
Hirnrinde fanden wir anatomisch die Gefässveränderungen der pro¬ 
gressiven Paralyse, während ausserdem in den Meningen miliare Gummata 
und Anhäufung von Lymphocyten nachzuweisen waren. In diesem Falle 
konnten wir nun, indem wir die Methode von Cajal mit amoniaka- 
lisohem Alkohol anwandten, eine ziemlich beträchtliche Menge von 
Spirochäten, aber nur in den Meningen, auffinden. Dieselben hatten 
ihren Sitz in der Nachbarschaft der Gefässe oder im interstitiellen 

Gewebe. 

In unserem zweiten Falle handelt es sich um die gewöhnliche Para¬ 
lyse, und zwar war der Verlauf ein ziemlich schneller. In diesem Falle 
konnten wir eine grosse Anzahl von Spirochäten in der Hirnrinde nach¬ 
weisen und zwar entsprachen sie in ihrem Sitz ziemlich genau der von 
Noguchi gegebenen Schilderung. Sie unterschieden sich in dieser Hin¬ 
sicht nur darin, dass sie auch in den tieferen Schichten sehr zahlreich 
waren. In der weissen Substanz, wie in der ersten Schicht, fehlten sie. 
In der Piamater konnten wir sie nicht antreffen, dagegen haben wir sie 
ziemlich häufig in der Nachbarschaft von Gefässwandungen gefunden. 
Wir haben in einem Gesichtsfeld mit Oelimmersion bis zu 60 zählen 

können. Wir sind geneigt, das scheinbare Fehlen der Spirochaete 

pallida in unserem anderen Falle noch einem Mangel der Technik zu¬ 
zuschreiben. 

Auf Grund der Beobachtungen von Noguchi und der unsrigen, 
glauben wir uns berechtigt, die allgemeine Paralyse als eine richtige 
Form der Syphilis unter dem direkten Einfluss der Spirochaete pallida 
anzusehen. 

Es ist wahrscheinlich, dass die Wirkungslosigkeit der antisyphili- 
tisehen Behandlung in Fällen von allgemeiner Paralyse dadurch zu er¬ 
klären ist, dass wir es unter diesen Umständen mit besonders giftfesten 
Spirochäten zu tun haben.“ 

Ich habe hier ein mir von Herrn Prof. Marinesco übersandtes 

mikroskopisches Schnittpräparat unter dem Mikroskop aufgestellt und 
bitte die Herren, die sich dafür interessieaen, dasselbe zu besichtigen. 

Diskussion. 

Hr. J. Citron: Die wichtigen Befunde Noguchi’s, die HerrMari- 
nescu nachgeprüft hat, sind inzwischen auch von Marie und Levaditi 
in Paris bestätigt worden. Marie und Levaditi untersuchten die 
Gehirne von 6 Paralytikern und fanden in allen Fällen dort die Spiro- 
ohaeta pallida. Es liegt nun nahe, hieraus auch therapeutische 


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1182 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


* Nr. 26. 


Konsequenzen zu ziehen. Sie haben nun aber in dem Schlusssatz 
Marinesou’s — und das ist der Anlass, weswegen ich das Wort 
ergriffen habe — gehört, dass es sich nach der Meinung dieses Forschers 
bei der Paralyse um besondere giftfeste Spirochäten handelt, und dass 
deswegen unsere bisherigen therapeutischen Versuche missglückt seien, 
loh fürchte, dass, wenn diese Anschauung Platz greift, wir von neuem 
therapeutisch entmutigt werden könnten und möchte mich deswegen 
gegen diese Auffassung wenden. 

Es liegen eine Reihe von bekannten Tatsachen vor, die dafür 
sprechen, dass unsere bisherigen Misserfolge anders zu deuten sind als 
durch eine erhöhte Giftfestigkeit der Spirochäten. Wir haben bei der 
Paralyse ein sehr merkwürdiges Phänomen, das wir von den ersten An¬ 
fängen der Serodiagnostik der Syphilis an kennen, nämlich die Tatsache, 
dass, während sonst bei jeder Form der Syphilis, auch bei der Lues cerebro¬ 
spinalis, sich eine positive Wassermann’sche Reaktion nur im Blutserum 
findet, wir bei der Paralyse das eigentümliche Verhalten haben, dass auch 
in der Lumbalflüssigkeit sich eine positive Reaktion findet und in 
manchen Fällen sogar nur in der Lumbalflüssigkeit und im Blutserum 
nicht. Wir haben also zwei Dinge als sicher bekannte Tatsachen. Auf 
der einen Seite die Tatsache, dass wir bei der Lues cerebrospinalis, bei 
der sicher Spirochäten ebenso im Gehirn sind wie bei der Paralyse, in 
der Regel in der Lumbalflüssigkeit keine Antikörper haben, dafür aber 
eine therapeutische Wirksamkeit aller unserer syphilitischen Mittel, auf 
der anderen Seite haben wir die Paralyse, bei der, wie wir jetzt wissen, 
auch die Spirochäte im Gehirn ist, d. h. auch sichere syphilitische Herde 
sind, wo wir aber die Wassermann’sohe Reaktion in der Lumbalflüssig¬ 
keit haben und als Gegenstück dazu keine therapeutischen Effekte bei 
der gewöhnlichen Behandlung. Es liegt nahe, anzunehmen, dass hier 
ein innerer Zusammenhang bestehen muss. Ich frage nun: Kann auf 
Grund unserer gegenwärtigen Kenntnisse dieser seltsame Befund erklärt 
werden? Ich glaube, bis zu einem gewissen Grade können wir ihn er¬ 
klären. Die Versuche, die Herr v. Wassermann und ich vor Jahren 
über die lokale Bildung der Antikörper angestellt haben, haben gelehrt, 
dass überall dort, wo ein Infekt ist, auch in der Regel die Antikörper¬ 
produktion erfolgt. Das gilt auch, wie ich mich io eigenen Versuchen 
überzeugen konnte, von der Syphilis. Ich hatte Gelegenheit, Fälle 
von Lungensyphilis zu untersuchen, und da fand ich, dass in der 
Pleuraflüssigkeit sich eine positive Wassermann’sche Reaktion erzielen 
lässt; mit anderen Worten, dass sich dort die reaktiven Antikörper der 
Syphilis oder, wie ich sie der Kürze wegen benannt habe, die „Lues¬ 
reagin e“ fanden. Ich hatte ferner Gelegenheit, schon vor einigen 
Jahren einen Fall zu untersuchen, den mir Herr Pick gab. Es handelte 
sich um einen seltenen Fall von Herzlues, wo ein Gummi im Herz¬ 
muskel war. Ich konnte damals die pericardiale Flüssigkeit untersuchen 
und konnte nachweisen, dass sich in dieser pericardialen Flüssigkeit 
massenhaft Luesreagine fanden. Also das Gesetz, das Wassermann und 
ich seinerzeit bei Typhusinfekten gefunden haben, bestätigt sioh auch 
bei der Syphilis, dass dort, wo der syphilitische Herd ist, die Reagin¬ 
produktion erfolgt. Wenn dem so ist, dann müssen wir daraus schliessen, 
dass sowohl bei Lues cerebrospinalis wie bei der Paralyse im Gehirn 
die Reaginbildung erfolgt. Wenn man aber in dem einen Fall, nämlich 
bei der Lues cerebrospinalis, in der Cerebrospinalflüssigkeit keine 
Reagine nachweisen kann, während sich bei der Paralyse wohl Reagine 
finden, so liegt der Schluss nahe, dass der Abfluss der Reagine aus 
der Lumbalflüssigkeit ins Blut bei der Paralyse gehemmt ist, während 
der Weg bei dor Lues cerebrospinalis frei ist. Mit anderen Worten — 
das ist das einzige Hypothetische in dem, was ich gesagt habe —, ich 
schliesse: Es ist ein Hindernis da, welches verhindert, dass die reaktiven 
Antikörper, die in beiden Fällen im Gehirn gebildet werden und in die 
Lumbalflüssigkeit übertreten, in dem einen Falle aus der Lumbalflüssig¬ 
keit ins Blut frei übergehen können und weggespült werden, während 
sie im anderen Falle Zurückbleiben müssen. Wenn dieser Weg verstopft 
ist, erklärt sich aber auch das Umgekehrte, dass das Medikament, das 
wir geben, gleichfalls diesen Weg nicht besebreiten kann. Ob ich das 
Salvarsan in die Blutbabn spritze, ob ich das Hg auf die Haut schmiere, 
ob ich Jodkalium per os gebe, bei der Lues cerebrospinalis, wo der 
Weg in die Lumbalflüssigkeit frei ist, kann das Medikament eindringen, 
während bei der Paralyse dies nicht möglich ist. 

Die Konsequenz, die sich daraus in therapeutischer Hinsicht ergibt, 
wäre: in dem einen Falle bei der bisherigen Behandlung zu bleiben, 
während man in dem anderen Falle zur Lokalbehandlung übergehen 
müsste. 

Schon Fl einer hat in einer Mitteilung über Meningitis cerebro¬ 
spinalis auf Grund seiner sehr grossen Erfahrung auf eine Tatsache hin¬ 
gewiesen, die wir alle bestätigen können, dass bei der Meningitis cerebro¬ 
spinalis epidemica mit der subcutanea und intravenösen und intra¬ 
muskulären Anwendung des Meningokokkenserums geringe oder keine 
Erfolge zu erzielen sind, mit der intralumbalen dagegen grosse Erfolge. 
Der Gedanke liegt also nahe, unsere therapeutische Unfähigkeit bei der 
Paralyse und bis zu einem gewissen Grade bei der Tabes darauf zurück¬ 
zuführen, dass das Medikament nicht in genügender Weise dorthin ge¬ 
langt, wo es hingelangen soll. Es wird Aufgabe der Forschung sein, 
Medikamente zu finden, die wir intralumbal oder intracerebral werden 
anwenden können. Mit den meisten gegenwärtigen Medikamenten möchte 
ich vor solchen Versuchen warnen. Ich selbst hatte Gelegenheit, Ver¬ 
suche mit kolloidalem Quecksilber zu machen. Es ist vielleicht wert, 
dass man weitere Versuche damit macht. Auch das Neosalvarsan 
kommt zu Versuchen in Betracht. Jedoch nur mit grösster Vorsicht 


Hr. Lewandowsky: Nur einige Worte zu dem Thema, warum die 
Paralyse eine syphilitische Krankheit ist und doch in anderer Weise zur 
Erscheinung kommt als die Lues cerebrospinalis. Die Hypothese von 
Marinesco, dass es sich nämlich um besonders widerstandsfähige 
Formen von Spirochäten handelt, ist eben schon von Herrn Citron 
zurückgewiesen worden. Aber es ist von anatomischer Seite bereits 
seit längerer Zeit bekannt, dass es sich um zwei ganz verschiedene 
Arten von Syphilis handelt. Die eigentliche Lues cerebrospinalis beginnt 
im Gefässbindegewebe und die Paralyse, also die sogenannte „meta- 
syphilitische“ Erkrankung — und vielleicht ist das der Unter¬ 
schied zwischen den sogenannten metasyphilitischen und 
den eigentlichen luetischen Erkrankungen überhaupt — 
beginnt im Parenchym. Es ist eine Krankheit, die vom nervösen Par¬ 
enchym ausgeht und auch darauf beschränkt bleibt. Es stimmt also 
nicht, was Herr Citron gesagt hat, dass der Weg für die Antikörper 
bei dieser oder jener Form verstopft wäre. Vielmehr ist es wahrschein¬ 
lich, dass gerade bei der Paralyse die luetischen Gifte aus dem Par¬ 
enchym in j,die Cerebrospinalflüssigkeit unmittelbar übergehen können, 
während sie bei den eigentlichen luetischen Erkrankungen, also denen 
des Gefässbindegewebes, nicht in die Cerebrospinalflüssigkeit kommen, 
sondern direkt mit der Lymphe abgeführt werden. Das stimmt damit 
überein, dass seit langem experimentelle und sonstige Ergebnisse gelehrt 
haben, dass eine grosse Reihe von Stoffen, welche wir in die Blutbahn 
bringen, nicht in die Cerebrospinalflüssigkoit und auch nicht in das 
Gehirn gehen. 

Wenn ich also die Hypothese von Herrn Citron nicht teile, so ist 
für die Therapie doch zu erwägen, sowohl auf Grund der anatomischen 
wie der bakteriologischen, wie auch der serologischen Ergebnisse, ob wir 
allmählich dazu kommen können, bei Paralyse irgendwelche Substanzen 
in die cerebrospinale Flüssigkeit, in den Subarachnoidealraum einxu¬ 
spritzen, darum nämlich — und darauf wird die bisherige Unheilbarkeit 
der Paralyse beruhen —, weil die Substanzen, die wir ins Blut ein¬ 
spritzen, meist nicht in genügender Menge in das Gewebe des Gehirns, 
also auch nicht an die Spirochäten kommen, wohl aber es vielleicht tun 
könnten, wenn wir sie in die Cerebrospinalflüssigkeit selbst bringen. 

Hr. Fritz Lesser: In den Ausführungen des Herrn Citron ist 
vor allem hypothetisch, dass er von Antikörpern spricht, durch welche 
die Wassermann’sche Reaktion hervorgerufen wird. Daran glauben wohl 
nur noch Herr v. Wassermann und Herr Citron. Fast alle Autoren 
sind sich darüber einig, das9 das keine Antikörper sind. Der beste 
Beweis ist ja die Beeinflussung durch die antisyphilitischen Kuren. 
Wenn wir durch Quecksilberkuren oder Salvarsan Antikörper beseitigen 
wollten, würden wir ja unseren Patienten nur schaden. 

Was die Ursache der schlechten Beeinflussung der Paralyse und 
Tabes durch die antisyphilitischen Heilmittel anlangt, so habe ich schon 
1904 darüber hier einen Vortrag gehalten und ausgeführt, dass der 
Paralyse und Tabes pathologisch-anatomisch irreparable Prozesse zu¬ 
grunde liegen. Wir können auch beute den Begriff der metasyphili¬ 
tischen Erkrankungen noch nicht fallen lassen, nur müssen wir ihn in 
etwas anderem Sinne auffassen wie früher. Es handelt sich bei der 
Tabes und Paralyse um eine durch die Spirochäten hervorgerufene syphi¬ 
litische Veränderung, deren Ausgangspunkt wir nicht kennen. Die durch 
die Spirochäten hervorgerufene pathologisch-anatomische Veränderung 
führt sekundär zur Degeneration von Nerven Substanz. Wir haben noch 
eine ganze Anzahl anderer Krankheiten, für deren Zustandekommen wir 
auch Spirochäten annehmen müssen, und wo trotzdem die antisyphili¬ 
tischen Kuren versagen. Da ist z. B. die Keratitis parenchymatosa. 
Auch hier wurden vereinzelte Spirochäten gefunden. Den Ausgangs¬ 
punkt der pathologischen Veränderung verlegt man in das Randschlingen- 
netz der Cornea. Der syphilitische Gefässprozess führt zu einer 
Verengerung der Gefässe, und dadurch kommt es sekundär zu einer 
Ernährungsstörung der Hornhaut und zu Hornhauttrübungen. Selbst¬ 
verständlich kann man dieselben nicht wieder durch antisyphilitische 
Therapie beseitigen, ebenso wie man nicht durch Quecksilber oder 
Salvarsan das schon zugrunde gegangene Parenchym bei der Paralyse 
wieder hervorzaubern kann. Die Antisypbilitica bringen auch bei der 
Tabes, Paralyse usw, die Spirochäten zum Verschwinden, nicht aber die 
Degenerationen, da dies irreparable pathologisch-anatomische Verände¬ 
rungen sind. 


Gesellschaft für soziale Medizin, Hygiene nnd Medizin alstatistik 
zu Berlin. 

Sitzung vom 24. April 1913. 

Vorsitzender: Herr Gottstein. 

Schriftführer: Herr Grotjahn. 

Tagesordnung. 

1. Fr. Steizner: 

Schal ärztliche Tätigkeit an höheren Schulen mit besonderer Berfiek- 
sichtigung psychiatrischer Beobachtungen. 

Nach einem geschichtlichen Ueberbliok über die schulärztliche 
Tätigkeit an Volksschulen berichtet sie über ihre eigene Tätigkeit an 
zwei höheren städtischen Mädchenschulen CharlOttenburgs, die 1905 be¬ 
gann. Bei den höheren Schulen liegen zwar andere soziale und wirt¬ 
schaftliche Verhältnisse bei den Sobülern vor, doch hat ihre Tätigkeit 
gezeigt, dass eine schulärztliche Versorgung auch hier notwendig ist, da 


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23. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1133 


der Schularzt die Kinder anders sieht als der Hausarzt oder die Eltern. 
So fand sie sehr häufig bei den Schülerinnen Schlafbuoger und hungeriges 
Zurschulekommen, da durch langes Aufbleiben am Abend infolge 
gesellschaftlicher Abhaltungen die Schülerinnen des Morgens keine Zeit 
mehr zum richtigen Frühstücken haben. Ferner fand sie häufig kein 
Sistieren der Anämien, im Sommer hervorgerufen durch zu ausgedehntes 
Schwimmen und Baden. Bei der Untersuchung von 2300 Schülerinnen 
musste in 1400 Fällen den Eltern eine schulärztliche Mitteilung über 
das körperliche Befinden der Schülerinnen zugehen, der in 85—90 pCt. 
der Fälle ärztliche Behandlung folgte. Hauptsächlich handelte es sich 
uin Blutarmut, Skrofulöse, Erschöpfungszustände des Entwicklungsalters 
und Sehinvalidität. 

Bei der Untersuchung der Scbulrekruten fand sie weniger körper¬ 
liche Schwächlinge als in Gemeindeschulen, dagegen mehr: 1. leicht 
Schwachsinnige, 2. schulunreife und 3. psycho-neuropathische Kinder. 
Alle drei Gruppen unterliegen durch die Einschulung mit ihren nervösen 
gemütlichen Reizungen und weitgehenden intellektuellen Anforderungen 
verschiedenen Gefahren, denen durch frühzeitige Aussonderung vorgebeugt 
werden muss. Bei der Untersuchung ist es praktisch nicht so über¬ 
trieben wichtig, die Diagnosen genau zu stellen, theoretisch und 
prognostisch dagegen von ausserordentlicher Wichtigkeit 

Yon grosser Wichtigkeit wurde bei der Untersuchung ein in 
Gemeinschaft mit Stadtmedizinalrat Gottstein ausgearbeiteter Frage¬ 
bogen, der anamnestisch wertvolles Material in den „besonderen Be¬ 
merkungen der Eltern eventuell Bitten um Rücksichtnahme auf das 
Kind“ bot. 

Körperlich sehr gut entwickelte leicht Schwachsinnige ohne neuro- 
psychopathische Besonderheiten pflegt sie nicht auszusondern. 

Im Laufe von 5 Semestern kamen 895 Kinder zur Einschulung, von 
denen 20 schulunreif, 11 neuropsychopatbisch veranlagt, aber sich in¬ 
tellektuell entwickelnd, 52 schwachsinnig aller Formen innerhalb der 
Grenze, die man als Debilität bezeichnet, waren. Die Wiederausschulung 
wurde dringend angeraten in 76 Fällen, geschah aber nur 32 mal. Von 
den 35 in der Schule Verbliebenen haben 33 das nächstliegende Ziel, 
die Jahresversetzung, nicht erreicht, 2 nur mit grössten Anstrengungen. 
Von den 82 Wiederausgeschulten waren 11 nach 1 / 2 Jahre, 3 nach einem 
Jahre so weit, dass sie in die Schule aufgenommen werden und dem 
Gang des Unterrichts folgen konnten. 5 mussten Schulen mit niedrigeren 
Zielen überwiesen werden, 13 sind auf Wunsch der Eltern in der Schule 
verblieben, ohne recht weiterzukommen. 

Was die im Entwicklungsalter befindlichen Mädchen betrifft, so 
beobachtete sie die verschiedensten Formen der Hysterie, verlarvte 
Epilepsie und manisch depressive Erregungen, während sie einwands¬ 
freie Fälle von Hebephrenie niobt beobachten konnte. Sie betont, dass 
es nicht immer von Haus aus neuropsychopathische Individuen der oben 
beschriebenen Gruppen sind, die während der verlängerten Schulzeit 
solohe Symptome zeigen. Um hier bessernd einzuwirken, verlangt sie 
1. Aufklärung der Schule über die Eigentümlichkeiten und Gefahren des 
Pubertätsalters bei Mädchen und dauerndem Kontakt mit dem Lehr¬ 
körper zum Zwecke genauerer Beobachtungen. 2. Aufklärung der Mütter 
und Warnung vor unpassender Berufswahl der Töchter. 3. Erwägung 
der schultechnischen Möglichkeiten, wie Mädchen in der besonders ge¬ 
fährdeten Zeit der Schule fernbleiben können, ohne eine zu grosse Ein¬ 
busse an Wissensstoff zu erleiden. Sie denkt dabei an Gründung von 
Landschulen, eine Art Landesversicherungskeime, die mit den Lyzeen 
und Gymnasien in inniger Verbindung stehen, wo die Mädchen */, bis 
1 Jahr verweilen können mit einer geringen wissenschaftlichen Be¬ 
tätigung. 

2. Diskussion über den Vortrag des Herrn Bftdtke: Aufgabe! ind 
Erfolge der Wobnnngsaifsieht. 

Hr. Liefmann wünscht ausser der Hinzuziehung der Frauen zur 
Wohnungspflege, eine maassgebliche Mitwirkung der Aerzte dabei. 

Hr. Bensch macht auf die Tätigkeit der Pütterschen Auskunft- 
und Fürsorgestellen aufmerksam. 

Hr. Landsberger glaubt, in dem Entwurf von 1904 manche Vorzüge 
gegenüber dem jetzigen erkennen zu müssen und zweifelt, dass Ver¬ 
besserungen im preussischen Landtage zu erzielen seien. 

Hr. Tugendreich hält eine grosszügige Belehrung des Volkes über 
die Wohnsitten für sehr notwendig. 

Hr. Guradze macht auf einige Schwierigkeiten aufmerksam, die 
den Bestrebungen der Wohnungsauf9icht entgegenstehen. 

Hr. Gottstein weist auf die Erfolge des Charlottenburger Woh¬ 
nungsamts in bezug auf die bauliche Verbesserung der Wohnungen hin. 

Hr. Badtke: (Schlusswort). J. Lilienthal. 


Medizinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für vater¬ 
ländische Kultur zu Breslau« 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 9. Mai 1913. 

Vorsitzender: Herr Neisser. 

Schriftführer: Herr Tietze. 

Hr. R. F. Fuchs: 

Die physiologische Funktion der Pigmentzellen. 

Da die Darwinsche Schutzfärbungshypothese uns keine Erklärung 
für das Zustandekommen der Tierfärbungen vermittelt, so muss eine 


physiologische Erklärung für die Entstehung der Tierfarbungen gesucht 
werden, welche abseits steht von allen selektionistisohen Ueberlegungen, 
weil die Selektionstheorie jede Antwort schuldig bleiben muss auf die 
Frage: wann erlangt ein Organ Selektionswert und warum erlangen in 
anderen Fällen homologe oder sogar gleiche Organe keinen Selektions¬ 
wert? 

Von einer grossen Reihe von Färbungen kann gezeigt werden, dass 
sie eine Schutzfärbung überhaupt niemals zu bieten imstande sind, wie 
z. B. das Vorkommen von Pigment in den inneren Organen. Dagegen 
können wir die Existenz der Chromatophoren und der in ihnen vor¬ 
handenen Pigmente wohl verstehen, wenn wir die Pigmente als Produkte 
des Stoffwechsels betrachten, die ohne jede Rücksicht auf einen Schuts¬ 
färbungszweck gebildet werden. 

Durch die Versuche von Tappeiner und seinen Schülern sowie 
von E. Hertel wurde gezeigt, dass Farbstoffe bzw. die Chromatophoren¬ 
pigmente als Sensibilisatoren für Licht dienen können, also zur Aus¬ 
nutzung einer Energieform, die sonst von den tierisohen Organismen beim 
Fehlen entsprechender Sinnesorgane nicht percipiert werden können. 
Diese Versuche führten den Vortragenden dazu, zu untersuchen, ob die 
Chromatophorenpigmente als Sensibilisatoren für thermische Strahlen 
eine Bedeutung haben, und ob das Chromatopborensystem ein Organ der 
physikalischen Wärmeregulation darstellt. 

Bereits vor mehr als 30 Jahren bat Max Weber eine solche Hypo¬ 
these aufgestellt, ohne aber auch nur im geringsten ein Beweismaterial 
für die Richtigkeit seiner Anschauung zu erbringen. Ebensowenig hat 
Menke die von ihm modifizierte Web er’sehe Hypothese zu einer brauch¬ 
baren Arbeitsbypothese auszugestalten vermocht. 

Redner ist denn auch von ganz anderen Auschauungen ausgehend 
zur Entwicklung seiner Hypothese gelangt. Wenn die Schutzfärbung für 
das Zustandekommen der Tierfärbungen von oausaler Bedeutung wäre, 
dann wäre die hierzu notwendige Voraussetzung, dass die Tiere Farben 
als Farben unterscheiden. Ist diese Grundvoraussetzung nioht er¬ 
wiesen, dann muss die ganze Lehre der Farben an passung an die Um¬ 
gebung fallen, weil dann eine Anpassung an die Helligkeiten den gleichen 
Wert hätte wie eine Farben an passung. Alle bisherigen Versuche, ein 
Farbensehen der Wirbellosen nachzuweisen, haben keinen positiven Erfolg 
gezeitigt, ebensowenig ist es bis heute möglich, von einem Farbensehen 
der Fische zu sprechen. Dagegen sind wir auf Grund der Versuche von 
Hess berechtigt, anzunehmen, dass die Säugetiere, Vögel, Amphibien 
und Reptilien Farben sehen, jedoch mit der Einschränkung, dass die 
Vögel und Reptilien infolge der in der Netzhaut vorhandenen Oelkugeln 
die kurzwelligen Liohter vom Blaugrün ab nioht oder nur sehr unvoll¬ 
kommen wahrzunehmen vermögen. Daraus würde nun folgen, dass alle 
Beutetiere der Vögel und Reptilien eine rote bis grüne Schutzfärbung 
aufweisen müssen, wenn die Farbenanpassung die einzige oder nur die 
hauptsächlichste Funktion der Chromatophoren wäre. 

Trotzdem die Chromatophoren von den Spongien an bis zu den 
höchsten Wirbeltieren nachgewiesen sind, kommt ein durch Chromato¬ 
phoren bedingter Farbenwechsel erst bei Pteropoden vor, er erreicht 
einen Höhenpunkt bei den Kephalopoden, er ist vorhanden bei Krebsen, 
fehlt aber bei den übrigen Arthropoden. Von den Vertebraten zeigen 
einen durch Chromatophoren bedingten Farbenwechsel die Fische, Am¬ 
phibien und Reptilien, dagegen fehlt er bei Vögeln und Säugern. Man 
könnte darauf hinweisen, dass bei den beiden letzten Vertebratenklassen 
eine Schutzfärbung durch Chromatophoren überflüssig sei, weil die Federn 
und Haare eine viel bessere Schutzfärbung gewähren als die Chromato¬ 
phoren. Danu müssten aber die Chromatophoren bei diesen Tieren als 
rudimentäre Organe der Rückbildung unterliegen, um endlich ganz zu 
verschwinden. Dagegen spricht aber die unter physiologischen und 
pathologischen Verhältnissen bei diesen Tierklassen zu beobachtende 
gesteigerte Pigmentbildung. Andererseits kennen wir aber auch Fälle 
von abnormer, verringerter oder ganz fehlender Pigmentbildung. Aber 
alle diese Erscheinungen werden verständlich, wenn wir daran fest- 
halten, dass das Pigment ein Stoffwechselprodukt ist, das unabhängig 
von jeder Schutzfärbungsbestimmung gebildet wird. 

Die innigen Beziehungen zwischen Pigmentbildung und Stoffwechsel 
haben gerade die Arbeiten von Keeble und Gamble, sowie Bauer 
naebgewiesen. Ja, in Bauer’s Versuchen wurde gezeigt, dass der diffuse 
blaue Farbstoff der Crustaoeen aller Wahrscheinlichkeit nach ein inter¬ 
mediäres Produkt des Fettstoffwechsels ist. Ferner konnte Ogneff 
zeigen, dass beim Hungern ein weitgehender Zerfall von Chromatophoren 
eintritt. 

Man könnte gegen die bisher vertretene Meinung vielleicht ein¬ 
wenden, dass bei Vögeln und Säugetieren die Pigmentzellen keine echten 
Chromatophoren seien, weil ihnen die Formveränderliohkeit fehlt. Aber 
auch dieser Einwand ist hinfällig, denn einmal zeigen die Retinal¬ 
chromatophoren Pigmentverschiebungen, und bei den übrigen Chromato¬ 
phoren sind sie nicht mit Sicherheit auszuschliessen. Endlich hat Leydig 
gezeigt, dass zwischen echten Chromatophoren und unpigmentierten 
sowie pigmentierten Bindegewebszellen eine scharfe Grenze nioht be¬ 
steht. 

Es muss unbedingt auffallen, dass alle Tiere, welche einen durch 
Chromatophoren bedingten Farbenwechsel besitzen, poikilotherme Tiere 
sind, denen nach Rubner die chemische Wärmeregulation fehlt. Da 
aber diese Tiere doch unter sehr verschiedenen Aussentemperaturen 
leben, ohne dadurch geschädigt zu werden, so liegt es nahe, anzunehmen, 
dass diesen Tieren wenigstens eine physikalische Wärmeregulation zu¬ 
kommt. Diese Funktion kann nur die physiologische Aufgabe des Chro- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 25. 


matophorensystems sein, indem es die Wärmeabsorption und Strahlung 
der Tiere au verändern vermag. 

Während bei Warmblütern die physikalische Wärmeregulation durch 
die Behaarung, Befiederung, Hautgefässsystem und Schveissdrüsen 
(Wasserverdarapfung) genügend gesichert ist und hauptsächlich Faktoren 
aufweist, die der Entwärmung dienen, fehlt bei den im Wasser lebenden 
poikilotbermen Tieren der mächtigste Faktor der physikalischen Wärme¬ 
regulation, nämlich die Wasserverdampfung. Und gerade die im Wasser 
lebenden Foikilothermen besitzen ein Chromatophorenspiel. Bei den 
Arthropoden haben nur die im Wasser lebenden Krebse einen raschen 
Farbenwechsel, während die am Lande lebenden Arthropoden, welche 
Trockenwohner sind, keinen solchen Farbenwechsel besitzen. Dafür be¬ 
sitzen aber die Tracheaten die Möglichkeit, ihre Temperatur durch 
Wasserverdampfung in den Tracheen zu regulieren. Bei den Reptilien 
als landlebenden Lungenatmern fehlt gleichfalls die Wasserverdampfung 
von der Hautoberfläche aus, da sie in ihrem verhornten und beschuppten 
Integument keine Drüsen besitzen. Dafür zeigen sie aber einen deut¬ 
lichen Farbenwechsel. Bei den mit einem raschen Farben Wechsel be¬ 
gabten Amphibien ist für die Existenz des Farbenwecbsels anzufübren, 
dass sie während ihrer Entwicklungsstadien dauernd an das Wasser ge¬ 
bunden sind und später während des Landlebens sich an feuchten, 
schattigen Plätzen aufhalten, wo wegen der feuchten Atmosphäre eine 
genügende Wasserverdampfung von der Haut aus nicht stattfinden kann. 
Gerade bei den Amphibien spielen Temperatur und Feuchtigkeitseinflüsse 
die wichtigste Rolle für den Farbenwechsel, wie wir seit den Unter¬ 
suchungen von Biedermann wissen. 

Die Anhänger der Schutzfärbungstheorie fuhren zur Stütze ihrer 
Anschauung an, dass das ganze Farbenspiel unter der Herrschaft des 
Centralnervensystems steht und vom Auge aus reguliert werde, so dass 
also die optischen Eindrücke als das Maassgebende für den Farben¬ 
wechsel zu betrachten seien, und daraus schliessen sie wieder, dass die 
Chromatophorenfunktion der Schutzfärbung diene. Gegen diese Auf¬ 
fassung spricht, dass auch geblendete Tiere auf nicht optische Reize 
Farbenwechsel zeigen, also muss das Auge erst sekundär einen Einfluss 
auf den Farbenwecbsel gewonnen haben. Nimmt man an, dass das 
Chromatophorensystem der Wärmeregulierung dient, dann erklärt sich 
der Einfluss der Augen auf den Farbenwechsel dadurch, dass für das 
freilebende Tier die Einwirkung von Wärme und Licht stets gleichzeitig 
stattfindet, so dass die Wärmeeinwirkung an der gleichzeitigen Licht¬ 
einwirkung gemessen wird und dann das Chromatophorenspiel sekundär 
unter die Herrschaft des lichtpercipierenden Sinnesorganes gekommen 
Ist. Ausserdem ist darauf hinzuweisen, dass auch an vollkommen ge¬ 
blendeten Tieren durch das Licht koloratoriscbe Effekte hervorgerufen 
werden. Das ist nur möglich, wenn die Augen erst sekundär einen 
Einfluss auf den Farbenwechsel erlangt haben. Auch die Anpassung 
der Tierfarbe an die Helligkeit des Grundes kann als thermoregulatorische 
Erscheinung gedeutet werden, ausserdem spielen die Tastempfindungen, 
welche vom Untergrund ausgelöst werden, eine wesentliche Rolle bei 
diesen sogenannten Farbenanpassungen. 

Eine weitere Stütze dafür, dass die Chromatophoren ein Organ der 
physikalischen Wärmeregulierung darstellen, ist in dem Innervations¬ 
typus gegeben, der vollständig dem der Hautgefässe, Schweissdrüsen und 
Arrectores pilorum der Warmblüter entspricht. Alle diese Organsysteme 
dienen der Wärmeregulation und stehen unter der Herrschaft des auto¬ 
nomen Nervensystems, dagegen spielt das Grosshirn bei diesen Funktionen 
keine Rolle, es ist auch kein koloratorisches Centralorgan. Sollten aber 
die Chromatophoren der Farbenanpassung dienen, dann müsste bei 
Tieren ein Farbenunterscheidungsvermögen vorhanden sein, das nur 
durch das Grosshirn vermittelt werden könnte. Dann müsste aber auch 
das Grosshirn eine wichtige koloratoriscbe Centralstation sein, was aber 
gar nicht zutrifft. 

Auch das Hochzeitskleid lässt sich teils aus den gesteigerten Stoff¬ 
wechsel prozessen, teils durch innere Sekretion, teils als Wärmeregulations¬ 
prozess erklären. 

Die ausführliche Mitteilung ist erschienen unter dem Titel: Die 
physiologische Funktion des Cbromatophorensystems als Organ der 
physikalischen Wärmeregulierung der Poikilothermen. Von R. Fuchs- 
Breslau. (Sitzungsbericht der physikal.-med. Societät in Erlangen, 1912, 
Bd. 44.) 

Sitzung vom 23. Mai 1913. 

Vorsitzender: Herr Neisser. 

Schriftführer: Herr Tietze. 

Vor der Tagesordnung. 

Hr. Mittler stellt vier Fälle von Spontanfraktir vor: Eine typische 
Querfraktur der Ulna an der Grenze von mittlerem und oberem Drittel 
bei Syringomyelie, eine Spontanfraktur des Femurs bei osteomyelitischer 
Totalnekrose, je eine Fraktur des Humerus duroh Knochencyste und 
periostales Sarkom. 

Diskussion. Hr. Tietze: Unter den von Herrn Küttner vor 
gestellten Fällen erscheint mir besonders der erste interessant. Hier 
fand sich eine Fraktur der Ulna im oberen Drittel ohne Luxation des 
Radius. Das ist sonst eine sehr häufige Komplikation, allerdings kommt 
diese Verletzung in der Regel dadurch zustande, dass zunächst das 
Radiusköpfchen luxiert und dann die Ulna, ausserstande, die Körperlast 


zu tragen, nachträglich an der bezeichneten Stelle bricht. Um so deut¬ 
licher trägt der von dem Herrn Vortragenden gezeigte Fall den Charakter 
einer Spontanfraktur. 

Tagesordnung. 

Hr. Küttner: 

Der gegenwärtige Stand der Lehre von der Transplantation. 

Eingehende Darstellung des heutigen Standes der Frage mit Demon¬ 
stration von Patienten, Präparaten, Wandtafeln, Photographien und 
Röntgenbildern. 

(Der Vortrag erscheint ausführlich in den „Naturwissenschaften*). 

Diskussion. 

Hr. Landois berichtet über experimentelle Untersuchungen, die er 
über die Transplantation der Epithelkörperohen sowie der quergestreiften 
Muskulatur ausgeführt bat. 

Seine Versuche über die Epithelkörperchentransplantation stellte er 
an Hunden an, bei denen er die äusseren Epithelkörperchen in die 
Vena jugularis brachte J und sie vom Blutstrom in den Kreislauf 
schleudern liess. 

Bei der autoplastischen Uebertragung der kleinen Organe heilten 
diese fast ausnahmslos funktionstüchtig ein, die Tiere bekamen keine 
Tetanie, gingen aber nach Wochen an einer parathyreopriven Kachexie 
allmählich zugrunde. Ganz schlechte Resultate erzielte Vortr. bei der 
homoioplastischen Implantation nach demselben Modus. Die Tiere starben 
entweder schon nach 24 Stunden oder gingen an Tetanie zugrunde. 
Wenn es erlaubt ist, diese Resultate auf den Menschen zu übertragen, 
so ist die Epithelkörperchentransplantation zur Heilung der aus¬ 
gebrochenen Tetaoie wertlos. In Betracht kommt, dass die Parathyrecid- 
drüsen im strömenden Blute die günstigsten Bedingungen zur Ernährung 
und zur Einheilung finden konnten. 

Bei der Transplantation der quergestreiften Muskulatur verfuhr 
Vortr. so, dass er beim Kaninchen Muskelstüoke autoplastisch frei 
übertrug und diese dann nach dem Vorschläge von Jores täglich zwei¬ 
mal mit dem faradischen Strom reizte, um den fehlenden nervösen 
Impuls künstlich zu ersetzen. Die quergestreifte Muskulatur wurde 
nekrotisch, und über die Hälfte der Tiere starben. Vortr. hält daher 
die freie Muskeltransplantation nicht nur für zwecklos, sondern geradezu 
für gefährlich, weil durch die aseptische Nekrose Giftstoffe entstehen, 
die das Tier durch Autointoxikation zugrunde richten. 

In einer zweiten Serie übertrug Vortr. Muskelstücke im Zusammen¬ 
hang mit den motorischen Nerven. In einer grossen Anzahl von Fällen 
blieb die Nekrose aus, die Muskelfasern verfielen aber einer einfachen 
Atrophie, und schliesslich wurde das ganze transplantierte Muskelgewebe 
durch eine derbe fibröse Schwiele ersetzt. Ein Erfolg ist nur dann zu 
erwarten, wenn Muskulatur im Zusammenhang mit Nerven und Gefassen 
übertragen wird. 


Medizinische Gesellschaft zu Leipzig. 

Sitzung vom 6. Mai 1913. 

1. Hr. Rolly: 

Ueber den abnormen Sänregehalt des Blntes bei krankhaften Za- 
ständen. 

Vortr. bespricht zuerst die verschiedenen Methoden der quantitativen 
Bestimmungen der im Blute befindlichen Säuren. 

Da der Harnstoff im Körper synthetisch duroh Zusammen lagerang 
von Ammoniak und Kohlensäure entsteht, so entziehen bei Auftreten 
von Säuren im Blute dieselben das Ammoniak der Harnstoffsynthese, 
und es wird eine Vermehrung der Ausscheidung des Ammoniak¬ 
stickstoffs im Urin die Folge sein. Jedoch kann es auch durch eine 
primäre Störung der Harnstoffsynthese, ohne dass Säuren im Blute auf- 
treten, zu einer vermehrten Ammoniakstickstoffausscheidung kommen, 
weswegen die Ammoniakstickstoffausscheidung im Urin kein sicherer 
Maassstab für die Anwesenheit von Säuren im Blute ist. 

Ebenso ist es mit der Bestimmung des Partiardrucks der 
Kohlensäure in der Alveolarluft. Da schon allein durch eine er¬ 
höhte Reizbarkeit des Respirationscentrums der Partiardruck der Kohlen¬ 
säure sinken kann und ausserdem bei pathologischen Zuständen die 
Alveolarluft sehr oft nicht gleichmässig zusammengesetzt ist, so kann 
der Kohlensäurepartiardruck der Alveolarluft nicht als richtiger Maass¬ 
stab für die Blutalkalescenz gelten. 

Auch die Bestimmung des Kohlensäuregehalts im Blute, 
welche nach Haldane und Zuntz gleich dem Partiardruck der Kohlen¬ 
säure der Alreolarluft ist, gibt uns nicht die Gesamtalkalescenz, sondern 
nur denjenigen Teil der Alkalesoenz des Blutes an, welcher an Carbonat 
gebunden ist, und diesen Teil auch nicht genau, da das Carbonat als 
Mono- und Bicarbonat vorkommt. Ausserdem kann der Kohlensäure¬ 
gebalt durch andere Maassnahmen (starke Lungenventilation usw.) 
variieren. 

Die Mineralbestandteile des Blutes zu bestimmen und hieraus 
Schlüsse auf die Anwesenheit von Säuren im Blute zu ziehen, ist eben¬ 
falls kein genauer Anhaltspunkt für die Grösse der Blutalkalescenz, da 
die Elemente verschiedene Wertigkeit besitzen können und das Verfahren 
wegen seiner Umständlichkeit nicht zu gebrauchen ist. 

Bei allen bis jetzt genannten Methoden der Blutalkalescenz- 
bestimmung hat man keine Rücksicht auf die Eiweisskörper des Blutes 
genommen. Nun ist aber bekannt, dass die Eiweisskörper grosse Mengen 


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23. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1186 


▼on Säuren nnd Basen in sich aafnehmen können, ohne dass die Reaktion 
der Eiweisslösung hierdurch entsprechend geändert würde. Die Titration 
des Blutes, welche die Eiweiss- und Mineralalkalescenz der Blutflüssig¬ 
keit ermitteln könnte, ist bei Bestimmung der Blutalkalescenz ebenfalls 
nicht zu gebrauchen, da durch Zusatz der Indikatoren und der Titrier¬ 
flüssigkeit das Blut in seiner Zusammensetzung geändert wird und die 
Eiweisskörper grosse Mengen der Titriersäuren bzw. Basen festlegen. Der 
gleiche Einwand ist gegen die Titration von lack- oder deckfarbigem 
Blute zu erheben. 

Die einzige Methode, die über die Menge der im Blute befindlichen 
Säuren mit Sicherheit etwas auszusagen vermag, ist die Bestimmung der 
Wasserstofiionen in demselben. Dabei kommen zwei Methoden in Be¬ 
tracht: 1. die kolorimetrische (Friedenthal) und 2. die elektrometrische 
(Höbet). Die kolorimetrische steht hinter der elektrometrischen weit 
zurück, weil das Blut eine sehr kompliziert zusammengesetzte eiweiss¬ 
reiche Flüssigkeit ist und meist eine leicht gelbliche Farbe besitzt. 
Dagegen gibt die kolorimetrische Methode bei einflussreichen eiweiss¬ 
freien klaren Flüssigkeiten sehr genaue Resultate. Die beste Methode 
der Alkalescenzbestimmung des Blutes ist die elektrometrische oder 
Gaskettenmethode. Zwar gibt auch diese Methode nicht genau die 
absoluten Alkalescenzwerte der Blutflüssigkeit während des Lebens an, 
aber die Schwankungen der Blutalkalescenz die relativen Alkalescenz¬ 
werte können einwandfrei und absolut zuverlässig ermittelt werden. 

Vortr. hat nun vereint mit Mitarbeitern bei einer grossen Anzahl 
von normalen und kranken Menschen und Tieren mittels der elektro¬ 
metrischen (Gasketten-) Methode Blutalkalescenzbestiramungen ausgeführt 
und gefunden, dass im normalen nüchternen Zustande die Reaktion der 
Blutflüssigkeit leicht alkalisch und sehr geringen Schwankungen unter¬ 
worfen ist. Das Gesamtblut zeigt einen geringeren Grad von Alkalescenz 
an, da die Blutkörperchen als corpusculäre Elemente den elektrischen 
Strom schlechter leiten als das Blutplasma. Nach Aufnahme einer 
reichlichen Fleisohnahrung wird in den ersten beiden Stunden der Ver¬ 
dauung die Blutalkalescenz etwas höher, offenbar weil Salzsäure in den 
Magen sezerniert wird; in den späteren Stunden dagegen nimmt sie 
wieder ab und erreicht öfter noch niedrigere Zahlen als anfangs. 

In der Gravidität ist die Blutalkalescenz nicht, wie verschiedene 
behauptet hatten, geringer als normal. Da sie nach Nierenexstirpation 
(Versuche bei Hunden), Lungenkrankheiten nicht abnimmt und auch 
durch den Darm eine Ausscheidung von eventuell im Körper entstehenden 
Säuren oder Basen bei normalem Stoffwechsel nicht nacbgewiesen werden 
kann, so sind wohl die Hauptregulierungsvorrichtungen in der Beschaffen¬ 
heit des Blutes selbst gelegen. Durch das Vorhandensein von schwachen 
Säuren und Basen, neutralen basischen sauren Salzen, Eiweisskörpern 
im Blute wird bei Auftreten von abnormen Säuren die Reaktion gar 
nicht oder nur wenig geändert. 

Durch künstliche Säurezufuhr per os konnte Vortr. einen Unterschied 
zwischen Fleisch- und Pflanzenfresser nicht konstatieren. Bei leerem 
Magen vertrug der Hund eine HCl-Gabe per os ebenso sohlecht oder 
noch schlechter als das Kaninchen. Wurde dagegen der Magen vor der 
Säuregabe mit Fleisch gefüllt, so vertrugen beide Tiergattungen grössere 
Säuremengen, offenbar deswegen, weil durch das Fleisch die Säure im 
Magendarm abgestumpft wurde. Da nun auch bei intravenöser Zufuhr 
der Säure kein Unterschied zwischen nüchternen und mit Fleisch ge¬ 
fütterten Tieren bestand, so ist wohl der Schluss berechtigt, dass nur 
im Darm durch das Fleischeiweiss eine relative Schutzwirkung gegen¬ 
über der Säure möglich ist, im intermediären Stoffwechsel dagegen die 
Giftwirkung der Säure durch das aus dem Fleisch entstehende Ammoniak 
nicht paralysiert wird. Die Versuche Walter’s sind dadurch zu er¬ 
klären, dass dessen Hunde Fleisch gefressen hatten und die Kaninchen 
nicht, weswegen die Hunde die Säure per os besser vertrugen als die 
Kaninohen. 

Ein Unterschied in der Alkalescenzabnahme des Blutes nach Salz- 
säurezufuhr zwischen Fleisch- und Pflanzenfressern war nicht zu kon¬ 
statieren. Es besteht eine individuelle Empfindlichkeit der einzelnen 
Tiere gegenüber der Säurezufuhr, da die Vergiftungssymptome bei ver¬ 
schieden grosser Alkalescenzabnahme des Blutes bei den einzelnen 
Tieren in Erscheinung traten. Die Blutalkalescenz wurde bei sämt¬ 
lichen Tieren nach Säurezufuhr niedriger, schlug aber nur einmal direkt 
vor dem Tode des Tieres in die saure Reaktion um. Es beweist dies 
wieder, dass nur bei einer alkalischen Blutreaktion ein Leben überhaupt 
möglich ist. 

Bei Vergiftungen von Tieren mit Natrium arsenicosum, Sublimat, 
Toluylendiamin, Natrium oxalatum, Natrium nitrosum und Morphium 
wird auf der Höhe der Vergiftung nicht selten eine Steigerung der Blut- 
alkaleszenz gefunden. Erst im agonalen Zustande nimmt die Blut¬ 
alkalescenz ab. Die Abnahme ist aber nicht durch die Vergiftung an 
und für sicK sondern durch den agonalen Zustand bedingt, da auch bei 
allen möglichen anderen Erkrankungen in der Agonie eine Abnahme der 
Blutalkalescenz gewöhnlich gefunden wird. Die Ursache hierfür ist wohl 
in einem Versagen der Reguiierungsvorrichtungen im Blute selbst, in ab¬ 
normen Spaltungen, Zersetzungen und Kohlensäureanhäufung im Blute 
und Körpergewebe zu suchen. 

Die Untersuchungen der Blutalkalescenz bei Coma diabeticum haben 
zu dem Resultat geführt, dass bei den meisten Patienten die Ursache 
des Coma diabeticum keine reine Säureintoxikation sein kann, sondern 
dass nebenbei noch eine spezifische giftige Salzwirkung dieser Säuren 
oder andere toxische Momente mitspielen müssen. Als Grund für eine 
derartige Auffassung wird angeführt, dass bei einem Coma diabeticum 


die Blutalkalescenz ganz normal, bei weiteren sieben wohl verringert, 
aber nicht in dem Maasse niedrig war, dass eine reine Säurewirkung 
angenommen werden musste. Bei zwei Patienten wurde durch Alkali- 
zutuhr die Blutreaktion während der Dauer des Comas normal gehalten, 
trotzdem starben diese Patienten, und die Alkalizufuhr blieb ohne 
Wirkung. Hervorzuheben ist, dass die Ausscheidung von Aceton und 
Acetessigsäure nicht stets der Höhe der Blutalkalescenz parallel geht, 
bei Fleischfettkost nimmt die Blutalkalescenz der Diabetiker ab, bei 
Pflanzenkost zu. 

R. wendet sich weiterhin gegen die Czerny - Keller’sche Theorie, 
welche die Ursache des Krankheitsbildes der magendarmkranken Säug¬ 
linge in einer allgemeinen Säurevergiftung sieht. Wohl treten nach 
den Untersuchungen bei derartigen schwerkranken Kindern Säuren im 
Blute auf, welche die Blutalkalescenz vermindern. Jedoch gestalten sie 
die Blutalkalescenz nicht so niedrig, dass nun eine reine Säurewirkung 
angenommen werden muss. Die vermehrte Ammoniakstiokstoffausscheidung 
ist bei diesen Kindern offenbar infolge einer primären Störung der Leber¬ 
funktion hervorgerufen. 

Bei den schwersten urämischen Erscheinungen können vollkommen 
normale Blutalkalescenzwerte Vorkommen, infolgedessen kann der ur¬ 
ämische Symptomenkomplex nicht durch eine Säurevergiftung erklärt 
werden. 

Bei Nervenkranken ist die Blutalkalescenz in der Regel normal, bei 
Gehirnkranken werden ab und zu erhöhte Alkalescenzwerte gefunden. 
Es sind deshalb alle in der Literatur geäusserten Ansichten und Speku¬ 
lationen, welche die Ursache von Gehirn- und Nervenerkrankungen in 
der Anwesenheit von abnormen Säuren im Blute suchen wollen, hin¬ 
fällig. 

Bei fieberhaften Affektionen, bei Herz- und Lungenerkrankungen 
wurden in der Regel normale Alkalescenzwerte des Blutes festgestellt. 

Bei Lebererkrankungen (Cirrhose, akuter Leberatrophie) fand sich meist 
eine erhöhte Blutalkalescenz, offenbar, well die Harnstoffsynthese primär 
gestört ist. Bei diesen Erkrankungen wird also trotz vermehrter 
Ammoniakstickstoffausscheidung im Urin keine Verringerung, sondern im 
Gegenteil eine Vermehrung der Blutalkalescenz gefunden. Nun gelangen 
bei der akuten gelben Leberatrophie durch Zerfall des Leberparencbyms 
auch Säuren in den allgemeinen Kreislauf. Je nachdem nun die ge¬ 
störte primäre Harnstoff bi Idung oder die Säureentstebung an Ausdehnung 
gewinnt, wird sich die Blutalkalescenz erhöhen oder normal bzw. niedriger 
werden. 

Bei Lebertumoren fand sich öfter eine erhöhte Blutalkalescenz, 
während bei andersartig lokalisierten Tumoren dieselbe normal war. Bei 
Ikterus war sie meist normal, einmal erhöht, weil scheinbar Ä die Leber¬ 
funktion dabei gelitten hatte. 

Bei Blutkrankheiten bewegen sioh die Blutalkalescenzwerte inner¬ 
halb der Norm, nur pernieiöse Anämien haben eine Neigung zu einer 
Alkalescenzverminderung. Auch bei Stoffwechselerkrankungen wurde kein 
erhöhter Säuregehalt des Blutes konstatiert. Bei Gicht wurde während 
des Gichtanfalles und ausserhalb desselben keine Erniedrigung der Blut¬ 
alkalescenz gefunden. Es können deswegen diejenigen Theorien der 
Gicht, welche die Ausscheidung der Urate im Körper durch eiue Ver¬ 
ringerung der Blutalkalescenz erklären wollen, nicht richtig sein. 

2. Hr. Heller-Leipzig berichtet über einen Fall von Cardiospasmns 
nit spindelförmiger Dilatation des Oesophagns, bei dem eine extra- 
mucose, subdiaphragmatische Cardiaplastik mit gutem Erfolge aus- 
gefübrt worden ist. Zur Freilegung des Operationsfeldes, Aufklappung 
des linken Rippenbogens nach Marwedel, UmscbneiduDg des Peri¬ 
tonealringes am Hiatus oesophagus und Vorziehen des Oesophagus in 
einer Länge von etwa 10 bis 12 cm in die Bauchhöhle. Dadurch wird 
der ganze, etwa 3 cm lange kontrahierte unterste Oesophagusabschnitt 
und ein Teil der spindelförmigen Dilatation übersichtlich. Längs- 
spaltung der Längs- und Ringmuskulatur bis auf die Sub- 
mucosa vom untersten Abschnitt der spindelförmigen Dilatation bis in 
die Gardia hinein auf der Ventral- und Dorsalseite des Oesophagus. Die 
Muskelinzision klafft weit und das Schleimhautrohr erweitert sich auf etwa 
Zweifingerstärke. Bauohnaht. 

Demonstration des Patienten. Derselbe kann seit der Operation 
feste Nahrung jeder Form ohne Beschwerden schlucken. 

3. HHr. Stephan und Assaann (a. G.): 

Röntgendemonstrationen über Fälle von Cardiospasmns nnd Miliar- 


Aerztllcher Verein zu Hamburg. 

(Biologische Abteilung.) 

Sitzung vom 27. Mai 1913. 

1. Diskussion über den Vortrag der Herren Trantmann und 
Gaethgens: Einige schwebende Fragen der bakteriologischen Diph¬ 
theriediagnose. 

Hr. Allard erinnert daran, dass die Diphtheriediagnose fast stets 
schon am einfachen Ausstrichpräparat gestellt werden könne, wenn man 
nur die Membranen mit der Pinzette abziehe, sie nicht nur abwische. 

Hr. Engelmann geht auf die Keimträgerfrage ein und spricht die 
Ansicht aus, dass bei den sogenannten Keimträgern sich doch immer 
ein lokal erkrankter Herd (Tonsillen, Nase, Rachen) findet 


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1186 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 25. 


Hr. He gl er: Die Diphtheriediagnose kann oft schon durch den 
Geruch gestellt werden. Dass es zahlreiche Keimträger gibt, die praktisch 
genommen gesund sind und auch bei spezialistischer Untersuchung keine 
Affektion des Nasenrauchenraums zeigen, kann nicht zweifelhaft sein. 
Ein wirklich wirksames Mittel zur Beseitigung der Keime existiert bisher 
nicht. 

Hr. Reye macht auf den Befund von Diphtheriebacillen in den 

Lungen aufmerksam. Er fand solche noch 20 Tage nach Beginn der 

Erkrankung, während die Rachenorgane völlig frei waren. Er berichtet 
ferner über zwei Fälle: in dem einen waren die Blutkulturen förmlich 
übersät mit Diphtheriebacillen, ebenso war Urin und Liquor cerebro¬ 
spinalis sehr reich an Bacillen; im zweiten war das Blut steril, der 

Liquor zeigte eine Diphtheriereinkultur. 

HHr. Plaut, Reye. 

Hr. Trautmann (Schlusswort) macht unter anderem darauf auf¬ 
merksam, dass die bei Keimträgern gefundenen Bacillen oft den Pseudo¬ 
diphtheriebacillen näherstehen; diese zeigen gegenüber den äusserst 
variablen echten Diphtheriebacillen eine viel grössere morphologische 
Konstanz. 

2. Hr. Graetz: 

Zur Frage des verfeinertet Wassermann mit besonderer Berück¬ 
sichtigung der paradoxen Sera. 

Das Vorkommen sogenannter paradoxer Sera, die selbst bei An¬ 
wendung völlig identischer Technik bald positive, bald negative Wasser- 
mann’sche Reaktion geben, hat zu grosser Skepsis geführt und die 
Reaktion zum Teil in Misskredit gebracht. Vortr. erklärt es für ausge¬ 
schlossen, dass die hemmenden Körper erst nachträglich im Eisschrank 
entstehen, ebenso aber — steriles Arbeiten vorausgesetzt —, dass sie 
nachträglich verschwinden. Das Vorkommen paradoxer Sera tangiert die 
Spezifität der Reaktion durchaus nicht. Es handelt sich nur um Unzu¬ 
länglichkeiten der Technik, die bei geringem Hemmungskörpergehalt, wie 
er bei behandelter, latenter oder incipienter Lues zu beobachten ist, zu 
divergierenden Resultaten führt. Man spricht daher auch besser von 
paradoxen Reaktionen, statt von paradoxen Seris. Vortr. setzt ausführ¬ 
lich das Wesen der Komplementbindungsreaktion, deren Anwendung auf 
die Wassermannreaktion und deren technische Ausführung auseinander. 
Der Ausfall der Reaktion ist die Resultante hemmender und lösender 
Faktoren. An hemmenden Substanzen finden sich in den Systemen 
ausser dem charakteristischen Reaktionskörper (wahrscheinlich ein Prä- 
cipitat, Jacobsthal) noch hemmend wirkende Lipoide des Extraktes 
und gewisse antikomplimentäre Serumbestandteile. An lösenden Sub¬ 
stanzen kommen die Normalamboceptoren des Menschenserums in Be¬ 
tracht. Bei geringem Antikörpergebalt des Serums führt die Verschieden¬ 
heit der genannten Faktoren zu differenten Resultaten und damit zu 
„paradoxen Reaktionen“. Abgesehen von der Verschiedenheit der Extrakte 
kommt hier auch sehr wesentlich das verschiedene Verhalten der Komple¬ 
mente in Betracht, die oft bei gleicher hämolytischer Kraft verschiedene 
„Ablenkbarkeit“ zeigen. Diesen Zufälligkeiten stehen wir jedoch nicht 
völlig machtlos gegenüber. Hier treten die sogenannten Verfeinerungen 
in ihr Recht. Sehr brauchbare Resultate hat Vortr. bei Anwendung 
aktiven Serums gehabt. Wird dem die Versucbstechnik richtig durch 
„Schaffung optimaler Verhältnisse“ angepasst, so kommen unspezifische 
positive Resultate nicht vor. Ferner empfiehlt Vortr. Entfernung der 
Normalamboceptoren des menschlichen Serums durch Digerieren mit 
Hammelblutkörperchenaufschwemraung. Endlich sind hier die verschie¬ 
denen quantitativen Methoden, namentlich die von Sormani, zu 
nennen. Durch Titration der Reagentien gegenüber dem Komplement 
gelingt es, die Schwankungen sehr zu verringern. Dagegen verspricht 
Vortr. sich nichts von einem „Einheitsextrakt“, da derselbe Extrakt ver¬ 
schiedenen Komplementen gegenüber sich verschieden verhält. Mit den 
genannten Methoden wird es meist gelingen, zu einem bestimmten Re¬ 
sultat zu gelangen. Den Praktiker an den serologischen Zweifeln und 
Bedenken durch Mitteilung eines unbestimmten Resultats teilnebmen zu 
lassen, hält Vortr. nicht für richtig. 

Diskussion. 

Hr. Kafka: Das Fehlen von Eigenkomplement und Eigenamboceptor 
im Paralytikerserum ist bisweilen durch die Inaktivierung hervorgerufen. 
K. empfiehlt die Jacobsthal’sche Cholestearinkältemethode. 

Hr. del Banco fragt, ob nicht auch nach Austitrierung bei Auf¬ 
ei nanderstossen der Systeme neue Kolloidreaktionen entstehen, die das 
Resultat modifizieren. 

Hr. J acobsthal: Die Komplementschwankungen kann man durch 
Anwendung eines Mischserums von vielen Meerschweinchen verringern. 
Ein Einheitsextrakt wäre doch anzustreben. 

Hr. Möller hat mit Anwendung aktiven Serums schlechte Resultate 
gehabt. 

Hr. Bontemps dagegen gute. 

Hr. Plaut tritt für die Breudel-Müller’sche Reaktion ein. 

Hr. Gaus: Paradoxe Reaktionen finden sich hauptsächlich bei 
Syphilitikern mit lange zurückliegender Infektion und bei Paralytikern, 
deren Liquor negativ reagiert. Im ganzen kamen sie im Much’schen 
Institut nur selten zur Beobachtung; häufiger dagegen bei Scharlach, 
Malaria, Frambösie. 

HHr. Katka, Jacobsthal, del Banco, Engelmann. 

Hr. Graetz (Schlusswort). F. Wohlwill. 


Medizinische Gesellschaft zu Kiel. 

Sitzung vom 22. Mai 1913. 

Hr. Brandes spricht über die Heilung grösster Tibiadefekte durch 
Transplantation und schildert das in der Anschütz’schen Klinik geübte 
Verfahren, welches in der Ueberbrückung des Defektes durch die gleich¬ 
seitige Fibula besteht, und zwar wird dieselbe zwei zeitig in die Tibia¬ 
reste verpflanzt. Zunächst wird unter Abspaltung des Fibulaköpfchens 
das obere Ende des Fibulaschaftes in den oberen Tibiarest implantiert, 
später erfolgt dann nach Abspalten des äusseren Knöchels — um die 
Malleolengabel für die Talusrolle zu erhalten — die Implantation des 
unteren Fibulastückes in den unteren Tibiarest. So entsteht schliesslich 
durch Verschmelzung von Tibia und Fibula eine neue Knochenform, 
welche die Benutzung des Beines wieder ermöglicht. Zwei so operierte 
Kinder gehen gut auf ihren geheilten Beinen. Die erste derartige Ope¬ 
ration liegt über 2 Jahre zurück. 

Diese Methode, welche gewissermaassen eine Vollendung und Ver¬ 
vollkommnung einer 1884 von Hahn angegebenen Operation darstellt, 
ist für die grossen Defekte der Tibia, wie wir sie vor allem nach osteo¬ 
myelitischen Totalnekrosen erleben, notwendig, weil hier plastische Ope¬ 
rationsverfahren und freie Knochentransplantationen meistens nicht zum 
Ziele führen. 

Diskussion: Hr. Anschütz. 

Hr. Bitter: 

Ueber einen nenen Organextrakt zar Anstellung der Wassermann’seken 
Reaktion. 

Vortr. erhielt ein recht brauchbares Antigen für die Wassermann’sehe 
Reaktion, indem er fein zerkleinerte mit Tuberkuloseknoten reich¬ 
lich durchsetzte Meerschweinchen- oder noch besser Rinder¬ 
lebern mit neun Raumteilen Alkohol in der üblichen Weise extrahierte. 
Bei Rinderlebern empfiehlt es sioh, nur die Knoten und das io ihrer 
näheren Umgebung befindliche Lebergewebe zur Extraktion zu benutzen, 
doch erzielt man auch einen brauchbaren, meistens allerdings etwas 
schwächeren Extrakt, wenn man die ganze Leber verwendet. Der 
Titer der so gewonnenen Antigene war bisher meistens 0,2; die Eigen¬ 
hemmung begann ebenso zwischen 0,3 und 0,4. Die in nahezu 
2000 Reaktionen vom Vortr. und Prof. Bering geprüften verschiedenen 
Tuberkuloseextrakte ergaben im Vergleich mit zuverlässigen Luesleber¬ 
extrakten durchaus gute Resultate. Hervorzuheben ist, dass von den 
bis jetzt extrahierten drei tuberkulösen Rinder- und vier Meerschweinchen« 
lebern in jedem Falle ein brauchbares Antigen erhalten wurde; 
einmal ca. 7 1. 

Es ist anzuraten, die Organextrakte auf der Organmasse, also un- 
centrifugiert und unfiltriert, aufzubewahren, da sie sonst, wie übrigens 
andere alkoholische Extrakte auch, verhältnismässig bald anfangen 
schwächer zu werden. Nach der Behandlung im Schüttelapparat sollen 
mindestens 8 Tage bis zum ersten Gebrauch des im Eisschrank zu 
haltenden und vor Licht zu schützenden Extraktes vergehen. 

Diskussion: HHr. Bering, v. Starck, Klingmüller, Bitter 

Hr. Hanssen: Ueber den Geburtenrückgang. 

Vortr. erstattet Bericht in Form eines Sammelreferats über die im 
letzten Jahre erschienenen Arbeiten betreffend diesen für unser Volks¬ 
leben so wichtigen Gegenstand. H. hat vergleichende historische Unter¬ 
suchungen angestellt nach verschiedenen Kirchenbüchern in Schleswig- 
Holstein (ausführlich beschrieben in der Zeitschrift für Säuglingsschutz). 
Er fand bei allen diesen Untersuchungen, einen Zeitraum von über 
200 Jahren betreffend, immer wieder die Zahl von 38,5 pM., die er auch 
nach den Zahlen von Basel berechnen konnte, es muss also diese Zahl 
einer normalen Mittelzahl sehr nahe kommen. Als Durchschnittszahl 
der aus einer Ehe hervorgegangenen Kinder fand Vortr. 3,6 auf 10 Eben 
in früheren Jahrhunderten. Es werden dann die Geburtenzahlen mit 
denen der Säuglingssterblichkeit verglichen und mit anderen Faktoren, 
wie sozialer Lage, Religion, sozialdemokratischen Stimmen in Land und 
Stadt, in verschiedenen Bezirken von Kiel und Altona. Ursachen und 
Abhilfsmaassnabmcn werden nur kurz berührt. Es folgt die Demon¬ 
stration von verschiedenen Tabellen zunächst aus früheren Jahrhunderten 
aus Münsterdorff, Segeberg und Basel. Dann über den Verlauf der Ge¬ 
burtenzahlen mit ihren Schwankungen in Hamburg durch den ganzen 
Verlauf des 19. Jahrhunderts; aus dem letzten Jahrhundert aus allen 
europäischen Staaten noch gesondert gruppiert nach den Zahlen für 
die Staaten des Dreibundes, des Dreiverbandes und die Zahlen der 
Staaten des Balkanbundes. Einige Tafeln über die Verbreitung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten, Eheschliessungen, Ehescheidungen, uneheliche Ge¬ 
burten und Zahlen über die Aushebungsergebnisse schliessen die De¬ 
monstration. 


Gynäkologische Gesellschaft zu Dresden. 

Sitzung vom 29. Mai 1918. 

Vorsitzender: Herr Goldberg. 

Hr. Weisswange: 

1. Demonstration von durch Operation gewonnenen gynäkologischen 
Präparaten. 

2. Das Baden der Kinder. 

Vortr. macht auf den Widerspruch zwischen dem sächsischen und 
dem preussischen Hebammenlehrbuch aufmerksam. In Preussen sollen 
die Kinder, wie früher auch in Sachsen, täglich gebadet werden, in Sachsen 


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23. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1187 


dagegen jetzt nur einmal direkt nach der Gebart, dann erst wieder nach 
dem Abfall des Nabels. Statistische Bemerkungen über die Gefahr der 
Nabelinfektion. Vortr. hält das tägliche Baden für ein vorzügliches Er¬ 
ziehungsmittel der Mütter, die hierdurch von den Hebammen die Kinder¬ 
behandlung lernen. Er glaubt, dass die Nabelinfektion keine sehr grosse 
Rolle spielen kann, da sich nach pathologisch-anatomischen Untersuchungen 
bereits am 2. Tage eine demarkierende Zone am Nabel bildet, die das 
Durchwandern von Infektionserregern verhindert. Er klemmt nach der 
Geburt die Nabelschnur ab, badet das Kind mit der Klemme und nabelt 
naoh dem Bad direkt am Körper des Kindes mit Catgut ab, nachdem 
er an dieser Stelle die Nabelschnur durchquetscht hat. 

Er wünscht, dass eine einheitliche Bestimmung über das Baden der 
Kinder für das ganze Reich eingeführt wird. 

Diskussion: HHr. Strobach, E. Kehrer, Rietschel, Gold¬ 
berg, Weisswange. 

Hr. Ehrlich: Bericht über den Gynäkologen Kongress in Halle a.S. 

K. Hoffmann-Dresden. 


Aerztlicher Terein zn Essen-Ruhr. 

Sitzung vom 6. Mai 1913. 

Vorsitzender: Herr Schüler. 

1. Hr. Frankenstein: 1. Vorstellung einer Patientin, der wegen 
Totalnekrose des halben Unterkiefers dieser mitsamt Köpfchen und Raben¬ 
fortsatz bis zur Mitte exstirpiert wurde. Der Prozess ging von einer 
Zahncaries aus. Der halbe Kieferknochen hat sich aus dem Periost voll¬ 
ständig neugebildet unter ganz geringer Verschiebung der unteren Ge¬ 
sichtshälfte. 

2. Vorstellung eines älteren Herrn, dem wegen Carcinoma glaudis 

der Penis an der Wurzel amputiert wurde. Geschwollene Leistendrüsen 
waren frei von Carcinom. Wegen Stenosierung der in den Hodensaok 
eingenähten Harnröhre wurde nach l / 2 Jahr eine neue weite Harnröhre 
aus Scrotalhaut gebildet, die vorzüglich funktioniert. Nach 1 Jahr kein 
Recidiv. (Autoreferat.) 

II. Hr. Pielsticker demonstriert den Haoptmann’schen Salvarsan- 

ififheioasapparat (beschrieben in der Münchener med. Wochensohr, 1911, 
Nr. 12), den er insbesondere für das Sprechzimmer des praktischen Arztes 
für sehr geeignet hält. Der Apparat ist leicht sterilisierbar und gewährt 
mit geringen Mitteln weitgehende Asepsis bei der Infusion, allein schon 
dadurch, dass zur Herstellung der Injektionsflüssigkeit keine weiteren 
Gefässe erforderlich sind. Ein bedeutender Vorzug des Instrumentes 
besteht darin, dass er zu jeder Zeit den Wechsel zwischen Salvarsan- 
und Kochsalzlösung während der Infusion gestattet und deshalb eine 
einwandfreie Technik ermöglicht. Ferner ist der Apparat so eingerichtet, 
dass man sich seiner ohne Assistenz bedienen kann. (Zu erhalten bei 
Ad. Krauth-Hamburg.) (Autoreferat.) 

Zur Diskussion sprachen die Herren Levy, Cohen, Steuern¬ 
thal, Frankenstein und Büchner. 

III. Hr. Fraakenstein: 

Referat über den Chirurgen-, Orthopäden- und Röntgenkongress. 

Schüler. 


Aerztlicher Verein zn Frankfurt a. M. 

Sitzung vom 2. Juni 1913. 

1. Hr. Fischer demonstriert a) mehrere Fälle von Mitralstenosen, 
kombiniert mit Stenosen der Aorta und des Tricuspidalis. 

b) Aneurysma aortae disserans. 

c) 2 Fälle von chronischer indurierender Paenmonie mit bronchi- 
ektatischen Cavernen, die unter dem klinischen Bild der Tuberkulose 
verliefen. 

2. Hr. Richard Goldschmidt München: 

Aus der neueren Vererbnngswissensehaft. 

3. Hr. Friedr. Hammer- Stuttgart: 

Die Mendel’sehen Vererbungsgesetie beim Menschen. 

L. 


Naturhistorisch-medizinischer Verein zu Heidelberg. 

Sitzung vom 20. Mai 1913. 

Vorsitzender: Herr Bettmann. 

Schriftführer: Herr Fisohler. 

1. Hr. t. Wasielewski: 

Demonstration von parasitären Haut- und Schleimhautwucherungen und 
experimentell erzeugter Magengeschwüre bei Ratten. 

Die Möglichkeit einer infektiösen Grundlage der Sarkome wird von 
vielen Forschern anerkannt. Ein Beispiel hierfür ist ein Geflügelsarkom, 
mit dem Vortr. Versuche angestellt hat. Er bezog mit Kieselgur ver¬ 
riebene Geschwulstmassen aus Amerika, die er an Hühnern verimpfte. 
80 pCt. der erwachsenen Hühner starben an sarkomatösen Geschwülsten. 
Der Tumor ist ein Spindelzellensarkom, das im Verlauf der Verimpfung 
allmählioh etwas polymorpher wurde. Es fragt sich, ob es sieh um 
ein belebtes oder unbelebtes Virus handelt. Mit dem Berkefeldfilter 
gewonnene Filtrate erzeugten bei der Verimpfung Tumoren. Es kann 


sich also um einen sehr kleinen Erreger handeln, der das Filter passiert 
hat. Eine Spontanübertragung von Tier zu Tier wurde nie beobachtet; 
doch gelang die Verimpfung meist. Wahrscheinlich ist bei der natür¬ 
lichen Uebertragung ein Zwischenwirt notwendig. Es wurde im Ver¬ 
laufe der Zeit mehrfach ein Uebergang der Sarkome in Carcinome beob¬ 
achtet. Von anderer Seite wurden auch Uebergänge von Carcinomen in 
Sarkome beobachtet. Demonstration von Präparaten und Photographien. 
Im Anschluss an diese Ausführungen gibt Vortr. Beispiele von parasitär 
erzeugten Tumoren. Bei der Kaninchencoccygiose entwickeln sich zu¬ 
erst ausgesprochene papillomatöse Knoten in der Leber; erst spät kann 
man in den Knoten die Schmarotzer nachweisen. Die bekanten Kalk¬ 
beine der Hühner sind Folge von Milbenansiedelungen. Sie zeigen oft 
einen Uebergang in Carcinom, das den Knochen usurieren kann. Ausser¬ 
dem sind parasitären Ursprungs gewisse papillomatöse Bildungen am 
Rattenohr und in der Harnblase des Hechts. Die von Löwenstein be¬ 
schriebene und gelegentlich eines Versuchs, Anilintumoren zu erzeugen, 
gefundenen Papillome der Rattenharnblase sind durch Wurminfektion 
bedingt. Ein Wurm ist auch der Urheber einer papillomatösen Erkran¬ 
kung im Vormagen der Taube. Vortr. bespricht dann die Untersuchungen 
von Fibiger, dem es gelang, in den Magenpapillomen einer gewissen 
Rattenart einen Wurm nachzuweisen und auch den Zwischenwirt für 
diesen Parasiten, eine amerikanische Küchenschabe, zu finden. Die 
Embryonen werden von der Küchenschabe aufgenommen und wandern 
in den Brustmuskel der Schabe. Werden diese Schaben von einer Ratte 
gefressen, so wandern die Embryonen in die Magenwand der Ratte ein 
und werden geschlechtsreif. In kurzer Zeit finden sich im Rattenkot 
Wurmeier, die wieder Gelegenheit zur Infektion geben. Im Magen der 
infizierten Ratten kann es zu Papillombildungen kommen, die sich in 
einigen Prozent der Fälle in metastasierende Carcinome um wandeln. 
Vortr. hat bei einheimischen Ratten diese Würmer gefunden. Singer, 
der die Ratten des Samariterbauses untersuchte, fand bei einer grossen 
Anzahl von Ratten Gescbwürsbildungen in dem mit Plattenepithel aus¬ 
gekleideten cardialen Anteil des Magens. Es gelang Singer auch durch 
Beschmutzung der Nahrung mit Rattenkot in 66 pCt. der Fälle bei 
Ratten Magenulcera zu erzeugen. Normalerweise finden sich die Ge¬ 
schwüre nur bei 8 pCt. Tumoren, insbesondere Carcinome wurden bei 
dieser Infektion nie beobachtet. 

2. Hr. Ernst Fränkel: 

Untersuchungen an röntgenbestrahlten Tieren. 

Das hämolytische Komplement bestrahlter Meerschweinchen zeigte 
nur bei einigen mit grossen Dosen bestrahlten Tieren eine Abschwächung. 
Eine Abhängigkeit von den durch die Bestrahlung verursachten cyto- 
logischen Veränderungen des Blutbildes und von den histologisch nach¬ 
weisbaren Schädigungen der blutbildenden Organe ergab sich nicht. Be¬ 
strahlte Kaninchen wiesen bei nachfolgender Impfung eine gegen die 
Norm herabgesetzte Agglutininbildung gegen Typhusbacillen auf. Wurden 
die Tiere erst geimpft und dann bestrahlt, so war eioe Schädigung der 
bereits im Gange befindlichen Antikörperproduktion nicht mehr nach¬ 
weisbar. Grosser Wert wurde auf die bei den früheren Untersuchern 
nicht genügend berücksichtigte, genaue Dosierung der Bestrahlung 
gelegt. 

3. Hr. Ernst Fränkel: Chemische Beeinflussung der Hämolyse. 

Chloroform, das an sich rote Blutkörperchen löst, führt durch Zer¬ 
störung des Komplementes zu einer Hemmung des hämolytischen 
Systems. Manche Sera, welche in vitro mit Chloroform vorbehandelt 
wurden und vorher nach Wassermann negativ reagierten, zeigten nach 
der Chloroformbehandlung positive Wassermann’sche Reaktion. Es liegt 
also theoretisch die Möglichkeit vor, dass man bei den in Chloroform¬ 
narkose entnommenen Blutproben eine unspezifische Reaktion erhalten 
könnte. Der Aether zeigte keiuen Einfluss auf die Komplementhämo¬ 
lyse. Auf die Möglickeit dieser Fehlerquelle hat auch v. Düngern 
bereits früher einmal hingewiesen. 

4. Hr. Frendenberg: 

Untersuchungen znr Spasmophiliefrage. (Gemeinsam mit Herrn Kloc- 
mann vorgenommen.) 

Vortr. berichtet über Versuche bezüglich der Heilwirkung von orga¬ 
nischen Calciumpräparaten auf die Spasmophilie. Untersucht wurden 
Monocalciumsaccharat und eine neue Verbindung, in der Calcium als 
Alkoholat in den Oxygruppen hochmolekularer Fettsäureester ge¬ 
bunden war. Das erste Präparat wirkte analog den anorganischen 
und organischen Calciumsalzen, d. h. ohne jede Dauerwirkung. Das 
zweite erwies sich als gut wirksam, wurde jedoch meist schlecht resor¬ 
biert. Daher wurden die Oxyfettsäureester als solche untersucht. 
Diesen kommt eine energische und häufig protrahierte Heilwirkung zu, 
welche auf die Calcium retinierende Funktion der Oxygruppen zurück¬ 
geführt wird. (Erscheint in extenso im Jahrbuch für Kinderheilkunde.) 

Kolb - Heidelberg. 


22. Versammlung der Deutschen otologischen 
Gesellschaft, Stuttgart, 9. und 10. Mai 1918. 

(Auszugsweiser Bericht.) 

Hr. Klestadt - Breslau: Spätmeningitis nach isoliertem 
Bruch des Labyrinthes. 

Ein der Universitäts-Ohrenklinik nach gerichtsärztlicher Obduktion 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 25. 


überwiesener Fall bietet in mehrfacher Hinsicht besonderes Interesse: 
1. Pathologisch-anatomisch als seltene Fraktur des Labyrinthes ohne 
vollständigen Felsenbein- oder Schädelbasisbruch. 2. Im klinischen 
Verlauf, da die tödliche, endocranielle, otogene Komplikation erst 
nach 7 Monaten scheinbarer Besserung einsetzte. 8. Für die forensische 
Beurteilung. Ein 50jähriger Mann ist 7 Monate nach Fall auf Kopf 
und Rücken an eitriger Hirnhautentzündung gestorben, ohne dass die 
gerichtsärztliche Obduktion eine Ursache der Meningitis, insbesondere 
Reste einer Schädelbasisfraktur, feststellen konnte. (Es fanden sich nur 
Blutungsreste auf der linken Scbädelseite und eine eventuell in Frage 
kommende Bronchopneumonie im linken Unterlappen.) Aus den Akten 
konnten wir entnehmen: Die ursprüngliche ärztliche Diagnose lautete: 
„Schädelverletzung, Gehirnerschütterung". Die Bewusstlosigkeit hielt 
etwa einen halben Tag an. Nach achttägigem Krankenlager mit äusserst 
heftigem Schwindel - hielten neben Kopfschmerzen noch stärkere und 
schwächere Schwindelerscheinungen und Gleichgewichtsstörungen an. 
Schwerhörigkeit und Obrgeräusche bestanden seit jener Zeit. Einige 
Bemerkungen in den Akten sprechen dafür, dass Taubheit bestanden 
hat. Eine verwendbare Labyrinthuntersuchung liegt uns nicht vor. In 
der ersten Zeit hat ein Arzt eine rechtsseitige Mittelohrentzündung kon¬ 
statiert. Der Patient wurde mit Ohrmassage und Luftdurchtreibung be¬ 
handelt. 7 Monate nach dem Unfall wurde er nach Aufenthalt in einer 
Unfallheilanstalt aus dieser mit 40pCt. Rente zur Arbeit entlassen; 
2 Tage darauf erkrankte er mit heftigem Schwindel und schnell ein¬ 
tretender Bewusstlosigkeit und starb nach 3 Tagen. Mikroskopisch fand 
sich 1. eine kurze, erst horizontale Bruchlinie, die dann vertikal zum 
Promontorium schräg über die Stapesplatte, aus der ein Stückchen 
herausgebrochen ist, verläuft und durch Vorhof und Fundus des Meat. 
äcust. int. und hintere Ampulle führt. Die Fissur ist teils binde¬ 
gewebig, teils schon callös konsolidiert. 2. Eine subacute eitrige Otitis 
media, eine diffuse eitrige Labyrinthitis und eitrige Neuritis mit Peri¬ 
neuritis des N. VIII mit Uebergang auf seine Aeste und einen Teil des 
N. facialis. Die Infektion ist auf dem Wege der Fissur vom Mittelohr 
auf das Labyrinth und auf die Hirnhäute übergegangen. Der Zusammen¬ 
hang mit dem Unfall wurde in unserem Gutachten bejaht: Denn 1. ist 
die mikroskopisch nachgewiesene Fraktur der Labyrinthwand doch wohl 
bei dem Fall entstanden. 2. Deuten die klinischen Erscheinungen darauf 
hin, dass die Funktion des Labyrinthes sogleich nach dem Trauma, 
wenn nicht zerstört, so doch hochgradig geschädigt war. 3. Ist kurze 
Zeit nach dem Unfall ärztlicherseits eine rechtsseitige Mittelohrent¬ 
zündung festgestellt. Dass sie mit dem Unfall zusammenhängt, ist 
dem zeitlichen Verhalten nach höchst wahrscheinlich; wie im einzelnen 
der Zusammenhang ist, ist nicht nachzuweisen. 4. Die Otitis wurde 
zum Ausgangspunkt für die Labyrinthitis. An welchem Zeitpunkt und 
an welcher Stelle die Infektion erfolgt ist, lässt sich nur vermuten. 
5. Die tödliche Meningitis ist zweifellos eine Folge der Labyrinthitis und 
damit auch des Unfalles. 

Hr. Hoessli-Basel: Experimentell erzeugte professionelle 
Schwerhörigkeit. 

Der Vortr. hat die Versuche, die seinerzeit in der Zeitschrift für 
Ohrenheilkunde, Bd. 64, mitgeteilt wurden, fortgesetzt und ist zu 
folgendem Resultat gekommen: 1. Wird den Versuchstieren (Meer¬ 
schweinchen) der Amboss an einem Ohre extrahiert, so zeigt das Labyrinth 
dieses Ohres nach 10 wöchigem Beklopfen in der Kesselschmiede keine 
Veränderung, während die andere intakte Ohrenseite ein hochgradig 
zerstörtes Labyrinth aufweist. (Die Kesselschmiede besteht aus einer 
Röhre als Tierbebälter, auf welche vier kleine, mechanisch getriebene 
Hämmerchen aufschlagen). 2. Ist ein Mittelohr durch eine Entzündung 
oder adhäsive Prozesse verändert, so zeigt das Labyrinth dieser Seite 
ebenfalls keine Veränderung. 3. Werden die Tiere auf einer 2 cm dicken 
Filzplatte in die Kesselschmiede gebracht, so zeigen ihre Labyrinthe die 
gleiche Veränderung wie die Labyrinthe von Kontrollieren ohne Filz¬ 
platte. 4. Der degenerative Prozess im Labyrinth beginnt bei allen 
diesen Versuchen in der dritten bis vierten Woche. Dies führt uns zum 
Schlüsse, dass die Luftleitung beim Zustandekommen der professionellen 
Schwerhörigkeit die ausschlaggebende Rolle spielt und ihre Unterbrechung 
den nervösen Apparat zu schützen vermag. 

Hr. F. R. Nager - Zürich: Zur Kenutnis der Influenza¬ 
taubheit. (Demonstration.) 

Während das klinische Bild der Influenzaotitis durch Arbeiten aus 
der Zeit der grossen Influenzaepidemie in den neunziger Jahren genügend 
bekannt ist, fehlen uns genauere Kenntnisse * über die pathologisoh- 
anatomischen Veränderungen besonders derjenigen bösartigen Formen 
der Influenzaotitis, welche zur Ertaubung führen. Die vorliegenden 
Felsenbeine stammen von einem fünfjährigen Kinde, welches unter dem 
Bilde einer fieberhaften Angina mit meningitischen Symptomen plötzlich 
erkrankte. Am zweiten Tage war das Bild der Meningitis ausgesprochen, 
am dritten Tage wurde vollständige Taubheit festgestellt. Bei der mehr¬ 
fach vorgenommenen Lumbalpunktion wurden stets und in steigender 
Menge Influenzabacillen mikroskospisch und kulturell naebgewiesen. 
Der Exitus erfolgte nach der sechsten Woche. In beiden Labyrinthen 
fand sich das Bild einer Otitis interna, teils eitrig, teils schon mit Neu¬ 
bildung von Bindegewebe und selbst mit beginnender Ossifikation. ^Von 
den Elementen des Ductus cochlearis sind nur Reste vorhanden, auch 
die Ganglienzellen und Nervenfasern weisen die stärksten Zerstörungen 
auf. Die Influenza kann demnach wie die Cerebrospinalmeningitis zu 
einer Otitis interna mit konsekutiver Taubheit führen. 


* Hr. 0. Voss - Frankfurt a. M.: Hör- und Gleichgewichts¬ 
störungen bei Lues. 

t. Die im Verlaufe einer Lues auftretenden Erkrankungen des 
inneren Ohres sind fast ausnahmslos Folge der Allgemeininfektion. 2. Das 
häufige Auftreten derartiger Erkrankungen im sekundären Stadium der 
Lues seit Einführung des Ehrlich’schen Salvarsans in die Therapie 
ist auf eine Unterdosierung dieses Mittels zurückzuführen. 3. Die den 
genannten Erkrankungen zugrunde liegenden pathologisch-anatomischen 
Veränderungen sind Teilerscheinungen einer gleichzeitigen Meningitis 
cerebrospinalis luetica. 4. Sie bestehen in neuritisohen Veränderungen 
des N. acusticus und in entzündlichen Erscheinungen von dessen peri- 
pherisohen Endorganen. 5. Der Sitz der Affektion kann ein- oder doppel¬ 
seitig sein. Sie kann den N. acusticus im ganzen oder nur dessen Kom¬ 
ponenten: cochlearis bzw. vestibularis sowie deren peripherische End¬ 
organe im inneren Ohr einzeln oder gleichzeitig betreffen. 6. Die Dia¬ 
gnose einer luetischen Acusticuserkrankung gründet sich auf die voraus¬ 
gegangene Lues, den charakteristischen Funktionsbefund am Cochlearis 
und Vestibularis, das gleichzeitige Vorhandensein anderer luetischer 
Symptome, besonders von entzündlichen Veränderungen im Liquor cerebro¬ 
spinalis, endlich auf die eventuelle Besserung bzw. vollkommene Aus¬ 
heilung der Erscheinungen unter entsprechender Behandlung. 7. Die 
Prognose der luetischen Aousticuserkrankungen im Frühstadium der 
Lues ist um so günstiger, je früher und je energischer die Behandlung 
durchgeführt wird. Im tertiären Stadium pflegt sie wegen der meist er¬ 
heblichen Degenerationsprozesse am Nerven ungünstiger zu sein, doch 
sind auch hier bisweilen noch auffallende Besserungen zu erzielen. 
8. Die beste Therapie ist eine energische kombinierte Salvarsan-Queck- 
silberbebandlung. Zur Unterstützung können innerliche Gaben von Jod¬ 
kali und Schwitzprozeduren (Zittmann) hinzutreten. 9. Die Menge 
der zu verbrauchenden Salvarsandosen ist im Einzelfalle verschieden 
und richtet sich nach dem Rückgang der Hör- und Gleichgewichts¬ 
störungen, der Abnahme der entzündlichen Erscheinungen im Liquor 
und dem Ergebnis der Wassermann’schen Reaktion in Blut und Liquor. 
Jedenfalls pflegt die Gesamtmenge der hierfür erforderlichen Salvarsan- 
gaben die anfänglich üblichen Dosen meist um das Vielfache zu über¬ 
schreiten. 10. Bei entsprechendem Vorgehen sind schädigende Wirkungen 
des Mittels nicht zu befürchten. In den wenigen Fällen, in denen 
solche aufgetreten sind, bandelt es sich um Neuritiden mit peripherischem 
Sitz, wie solche nach anderen Arsenmitteln gleichfalls zur Beobachtung 
gelangen. Centrale Erkrankungen, speziell des Acusticus, kamen nicht 
zur Beobachtung. 

Hr. Knick - Leipzig: Die Pathologie des Liquor cerebro¬ 
spinalis bei otitischen Komplikationen. 

Systematische Untersuchungen des Liquor cerebrospinalis in bezug 
auf Druck, Zellgehalt, Globulinfraktion, Gesamteiweiss- und Bakterien¬ 
gehalt führten zu folgenden Ergebnissen. Bei unkomplizierter Mastoi¬ 
ditis, bei akuten und chronischen Eiterungen und bei Cholesteatom¬ 
eiterungen war der Liquor stets normal, ebenso bei unkomplizierter 
Labyrinthitis, sowohl bei partiellem wie bei totalem FunktionsausfalL 
Wo Zell- und Eiweissvermehrung bestand, fanden oder entwickelten sich 
stets Zeichen einer intraduralen Komplikation (Meningitis, Hirnabscess). 
In verschiedenen Fällen liess sich an dem Liquorbefund die Entstehung 
der Meningitis von der ersten nur mit der Zählkammer feststellbaren 
Zellvermehrung bis zur makroskopischen Trübung des Liquors verfolgen. 
Bei reinen Extraduralabscessen und unkomplizierter Sinus¬ 
thrombose fanden sich ausser Druckerhöhung keine pathologischen 
Veränderungen, ausser wenn intradurale Komplikationen Vorlagen. Bei 
Hirnabscess war der Liquor stets pathologisch verändert, aber steril, 
und zwar fand sich entweder klarer Liquor mit mässiger Pleocytose 
(Lymphocytose) und ausgesprochener Eiweissvermehrung oder trüber 
Liquor mit starker Pleocytose (Lympho- und Polynucleose bzw. reine 
Polynucleose) und Eiweissvermehrung. Auch in Fällen, bei denen die 
Autopsie makroskopisch normale Meningen ergab. Nach Entleerung des 
Abscesses gehen die Liquorveränderungen rasch zurück, schneller als 
bei Meuingitis. Bei subduralen Eiterungen bestand Pleocytose 
mittleren Grades (Mono- und Polynucleose) und starke Eiweissvermehrung 
bei Abwesenheit von Bakterien. Bei Leptomeningitis fand sich: 
1. klares, steriles Punktat; mässige Zellvermehrung (Lymphocytose oder 
Polynucleose), geringe Ei Weissvermehrung; beginnende Meningitis; 2. leicht 
getrübter steriler Liquor; Mono- und Polynucleose; geringe oder aus¬ 
gesprochene Eiweissvermebrung, je nach dem Stadium; umschriebene, 
prognostisch ziemlich günstige Meningitis; 3. Liquor trübe, bakterien¬ 
haltig, starke Eiweissvermehrung; diffuse Meningitis; prognostisch un¬ 
günstig. Der Uebergang der drei Stadien ineinander wurde besonders 
bei labyrinthärer Meningitis verfolgt. Bei ausheilenden Fällen konnten 
die Rückbildungsvorgänge im Liquor noch durch Monate verfolgt werden. 
Praktisch ergibt sich daraus folgendes: I. Die feinere Liquoruntersuchung 
hat (auch bei makroskopisch klarem Punktat) besonderen Wert zur Auf¬ 
deckung latenter intraduraler Komplikationen (Hirnabscess, beginnende 
Meningitis). 2. Bei Labyrinthitis ist der Liquorbefund maassgebend für 
die Indikation zur Labyrinthoperation. Fälle mit Liquorveränderungen 
(auch leichten bei klarem Punktat) müssen mit Labyrinthoperation 
behandelt werden. Bei normalem Liquor genügt die Aufmeisselung ohne 
Labyrinthoperation, falls auch im weiteren Verlauf der Liquorbefund 
kontrolliert wird. 

Hr. Knick - Leipzig: Zur Durohspülung des Cerebrospinal- 
sackes bei eitriger Meningitis. 

An der Hand von fünf Fällen, die im letzten Jahre mit Durohspülung 


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behandelt wurden, wird die Technik und Indikation besprochen. Als 
Spülflüssigkeit eignet sich am besten die Ringer’sche Lösung, weil bei 
ihr keinerlei Reizerscheinungen (fibrilläre Zuckungen, Parästhesien) wie 
bei Kochsalzlösung auftreten. Schädliche Nebenwirkungen wurden nicht 
beobachtet. Zwei von den fünf behandelten Fällen wurden geheilt. 
Geeignet zur Durchspülung sind nur Fälle mit positivem Bakterien¬ 
befund. Bei Meningitiden mit leukocytär getrübtem, aber sterilem 
Liquor, bei denen eine umschriebene Meningitis (eventuell auch latenter 
Hirnabscess) anzunehmen ist, muss eine künstliche Verbreitung des 
Prozesses durch die Spülung befürchtet werden. 

Hr. Scheibe - Erlangen: Hohes Fieber, otitische Sinus¬ 
phlebitis und Fehldiagnose. 

Der Eintritt von hohem Fieber (über 39°) im späteren Verlauf einer 
Otitis, eines der wichtigsten Symptome der Sinuspblebitis, gibt nicht 
selten Anlass zur Fehldiagnose. Als Ursache des Fieberanstiegs kommt 
entweder eine andere Erkrankung zum Vorschein, oder das Fieber fällt 
schon nach wenigen Tagen wieder ab, ohne dass eine Ursache für das¬ 
selbe hätte nachgewiesen werden können. Die grössten diagnostischen 
Schwierigkeiten hat dem Vortr. eine kleine Gruppe von Fällen gemacht, 
bei denen das hohe Fieber nicht bloss wenige Tage, sondern wochenlang 
anbielt, ohne dass eine andere Ursache als die Otitis nacbgewiesen werden 
konnte. Immer handelte es sich um Kinder, bei denen die Otitis im 
Anschluss an akute Infektionskrankheiten (Masern, Scharlach, Influenza) 
aufgetreten war. Das Fieber (bis 41,9°) setzte ziemlich frühzeitig ein 
und hatte meist pyämischen Charakter. Das Allgemeinbefinden war 
verhältnismässig gut. Die lokalen Erscheinungen der Otitis waren leichter 
Art. Bei der Operation konnte am Sinus keine Veränderung gefunden 
werden. Nach der Operation bestand das Fieber unverändert fort. 
Weitere Symptome von Sinusphlebitis stellten sich auch später nicht ein, 
wohl aber — wenigstens in einem Teil der Fälle — starke empfindliche 
Schwellung der Halslymphdrüsen. Der Ausgang war in allen Fällen 
Heilung. Den gleichen Verlauf nahm die Krankheit im letzten Falle, 
der nicht operiert wurde. Die Deutung ist schwierig. Wahrscheinlich 
ist das pyämische Fieber unabhängig von der Otitis und eine direkte 
oder indirekte Folge der Allgemeinerkrankung. Jedenfalls scheint die 
Operation in diesen Fällen ein — allerdings schwer zu vermeidender — 
Kunstfehler zu sein. Vortr. stellt diese Fälle zur Diskussion und bittet 
diejenigen Kollegen, welche ähnliche Beobachtungen gemacht haben, um 
Mitteilung ihrer Erfahrungen. 

Hr. Albanus - Hamburg: Diphtheriebacillen in Reinkultur 
in einem perisinuösen Abscess. 

Im Eiter eines perisinuösen Abscesses fanden sich diphtherieähnliche 
Stäbchen in Reinkultur, die aber am fünften Tage auf der Sinuswand 
den typischen diphtherischen Belägen ganz ähnliche, aus den diphtherie¬ 
ähnlichen Stäbchen in Reinkultur bestehende Membranen bildeten. Die 
diphtherieähnlichen Stäbchen wurden nirgends in Nase, Rachen, Nasen¬ 
rachenraum durch gewöhnliches Abstreichen mit einem sterilen Watte¬ 
pinsel, sondern wurden in einem Saugpräparat des Nasenrachenraums bei 
der Patientin gefunden. 


XV. Versammlung der Deutschen Gesellschaft 
für Gynäkologie, Halle a. S., 14.—17. Mai 1913. 

(Berichterstatter: Prof. Dr. Karl Baisch-München.) 

(Fortsetzung.) 

Hr. Kehrer - Dresden: Ueber den Kalkgehalt des Blutes in 
der physiologischen und pathologischen Schwangerschaft, 
sowie im Wochenbett. 

Die Werte für den Kalkgehalt des Blutes bei ncrmaler Schwanger¬ 
schaft sind erhöht. Eine physiologische Kalkverarmung in der Schwanger¬ 
schaft gibt es daher nicht. Bei Nephritis gravidarum findet sich eine 
geringe, Eclampsia gravidarum eine beträchtliche Abnahme des Blut¬ 
kalkgehaltes. Im normalen Frühwochenbett (9. und 10. Tag p. p.) 
findet sich eine beträchtliche Abnahme des Blutkalkgehaltes, welche 
auf den Blutverlust bei der Geburt, die Milchabsonderung im Wochen¬ 
bett und vielleicht auch auf die nicht ganz zweckmässige Ernährung der 
Wöchnerinnen (kalkarme Nahrung der ersten Wochenbettstage) zu be¬ 
ziehen ist und mit einem in 80pCt. aller Wöchnerinnen nachweisbaren 
tetanoiden Zustand in Zusammenhang stehen dürfte. Im Wochenbett 
von Frauen, die am Ende der Schwangerschaft Nephritis oder Eklampsie 
hatten, zeigte sich ein auffallender Anstieg der Kalkwerte gegenüber 
normalen Wöchnerinnen. 

Hr. Lampe - München (als Gast): Basedow’sche Krankheit 
und Genitale. 

In allen Fällen von Basedow (25) liess sich ein Schutzferment 
gegen Basedowschilddrüse und in den meisten Fällen ein Schutzferment 
gegen Thymus und Ovarium feststellen, d. h. die Abderhalden’sche 
Reaktion fiel bei k Basedowserum + Schilddrüse immer, bei Basedow¬ 
serum -f- Thymus und Basedowserum + Ovarium in den meisten Fällen 
positiv aus. ' v Proben von Basedowserum + anderen Substraten wie 
Niere, Leber, Muskelgewebe usw. zeigten stets ein negatives^Resultat. 
Aus diesen Befunden ergibt sich 1., dass es sich bei der Basedowschen 
Krankheit um einen Dysthyreoidismus handelt; 2. dass in den meisten 
Fällen von Basedow die Thymusdrüse dysfunktioniert; 3. dass bei 
Basedow in den meisten Fällen die Keimdrüsen von ihrer normalen 


Tätigkeit abweichen. Die somit bewiesene Dysfunktion der Keimdrüsen 
bei Basedow ist als eine sekundäre, unter dem Einflüsse der dys¬ 
funktionierenden Schilddrüse zustanden gekommene Erscheinung aufzu 
fassen. 

HHr. E. v. Graff und J. Novak-Wien: a) Basedow’sohe 
Krankheit und Genitale. 

Ergebnis der Untersuchung von 36 basedowkranken Frauen: Base¬ 
dow’sche Krankheit ist häufig kombiniert mit Zeichen von Infantilismus 
und Menstruationsstörungen, die namentlich als Oligo- und Amenorrhoe 
der Erkrankung häufig vorangehen. In vielen Fällen steht die Er¬ 
krankung in zeitlichem und wahrscheinlich auch kausalem Zusam¬ 
menhang mit den drei wichtigsten Phasen des Geschlechtslebens: Pubertät, 
Gravidität, Klimakterium, in vielen Fällen muss in der genitalen Unter¬ 
funktion die Ursache der Basedowschen Krankheit gesucht werden. 
Zwei beweisende Beispiele: Ausbruch der Krankheit nach Operation bzw. 
Röntgensterilisation bei vorher gesunden Frauen. 

b) Schilddrüse und Gestation. 

Schilddrüsenvergrösserung in der Gravidität nur in 44—49pCt., 
meist war die Schilddrüse schon vor der Gravidität grösser (Unter¬ 
suchung von 500 Nulliparen ergab 40 pCt. mit Struma). — Im Wochen¬ 
bett Rückgang nach weiterer Zunahme intra partun. — Spontane und 
alimentäre Glykosurie bei Frauen mit Struma häufiger: 15,8 pCt. bzw. 
58 pCt. gegen ll,2pCt. bzw. 24pCt. bei Frauen ohne Schilddrüsen¬ 
vergrösserung. Umgekehrt bei diesen häufiger ‘Albuminurie 22,1 pCt. 
gegen 16,6 pCt. Albuminurie bei Frauen mit Struma. Bei Eklamptischen 
fehlt die Schwangerschaftsstruma relativ oft. Die Vorstellung, dass das 
Klimakterium zur Vergrösserung der Schilddrüse disponiere, wird auf 
Grund des untersuchten Materials abgelehnt. 

Hr. v. Franque - Bonn: Kastration in der Schwanger¬ 
schaft wegen Osteomalacie. Untersuchung der Ovarien. 

29 jährige Ill-para mit typischer Osteomalacie; Kastration im vierten 
Monat nach vergeblicher Phosphorbehandlung. Dauerheilung. In den 
Ovarien zwei gleich grosse Corpora lutea; aber keine Hypertrophie der 
interstitiellen Drüse. Redner glaubt, dass die histologischen Befunde 
der Ovarien Osteomalacischer eher gegen als für die Beteiligung der 
interstitiellen Drüse sprechen und nichts für die des Corpus luteum be¬ 
weisen. Auch klinisch ist nur der heilende Einfluss der Kastration 
erwiesen, nicht aber, dass in den Ovarien die primäre Ursache der Er¬ 
krankung zu suchen ist. 

Hr. Mansfeld - Budapest: Hypoplasie des Adrenalsystems 
bei tödlicher Atonie. 

Zuerst bei einer spontanen Inversio uteri, dann bei einer töd¬ 
lichen Atonie konnte Mansfeld die Hypoplasie der Marksubstanz 
sowie eine auffallende Verminderung des Adrenalingehaltes der Neben¬ 
nieren feststellen. 

Hr. Schickele - Strassburg: Wehenerregende Substanzen 
und innere Sekretion. 

Die in dem Pituitrin vorhandene wehen erregen de Substanz hat mit 
der blutdrucksteigernden nichts zu tun. Sie findet sich auch in Ex¬ 
trakten der Hypophysis (Vorder- oder Hinterlappen), welche auf den 
Blutdruck keine Wirkung haben. Eine Spezifität der wehenerregenden 
Substanz für den Hinterlappen ist also nicht vorhanden. Wehenerregende 
Substanzen finden sich auch ausserhalb der Hypopbysis, und zwar im 
Ovarium, Corpus luteum, Uterus, Schilddrüse, Brustdrüse, ebens im 
Fötus und in der Plaeenta. Das Blutserum der Nabelschnur, ebenso 
der Schwangeren enthält ebenfalls derartige Substanzen. In gleichem 
Maasse gilt dies für Nieren, Leber und Milz. Diese Substanzen finden 
sich sowohl während als auch ausserhalb der Gravidität. Eine 
stärkere Wirkung gravider Organe konnte nicht mit Sicherheit nach¬ 
gewiesen werden. 

Hr. Kalledey - Budapest: Zur Lehre von der Aetiologie und 
Organotherapie der Uterusblutungen. 

Vortr. behandelte mit Ovariuraextrakt 21 Fälle von Dysmenorrhöe 
und beobachtete vollständige Heilung. Von den 21 Fällen wurden 
während der Behandlung 5 gravid. Kalledey betrachtet laut dieser 
Resultate die Hypofunktion der Ovarien als die Ursache der Dysmenor¬ 
rhöe. Die Meno- bzw. die Metrorrhagie behandelte Kalledey in 41 Fällen 
mit Hypophysenextrakt mit gutem Erfolge. Mit Corpus luteum-Extrakt 
hatte er 5 Blutungen zum Stehen gebracht. 

Hr. Asch - Breslau: Das Erbrechen der Schwangeren. 

Gelüste und Abneigungen sind als Ausfluss wiedererwachter Instinkte 
(Mneme der fötalen Zelle) zu deuten; wo dem erhöhten Nahrungs¬ 
bedürfnis in der Schwangerschaft eine gesteigerte Esslust zur Seite steht, 
besteht weder Nausea noch Erbrechen (primitive Völker, unkultivierte 
Klassen); erst die durch das Kulturleben unterdrückte normale Steige¬ 
rung der Appetenz bringt das Missverhältnis zwischen Bedürfnis und 
Gemeingefühl hervor. So entsteht ein dauerndes Ueberhungertsein. 
Bei Ueberhungerten, auch Nichtschwangeren, Heruntergekommenen, An¬ 
ämischen tritt Abneigung vor Nahrungsaufnahme, auch Erbrechen nach 
solcher auf. Zugleich mit dem Schwangerschaftsödem tritt häufig eine 
Schwellung der Schleimhaut der oberen Atmungswege auf; es entsteht 
ein Epipharyngealkatarrh; dieser ruft Erbrechen hervor. Eine 
dritte Ursache bilden krampfartige Kontraktionen im Gebiet der Gebär¬ 
muttermuskulatur. Auch hier keine Neurose, sondern ein Reflex. 

Hr. Schröder - Rostock: Ueber die zeitlichen Beziehungen 
der Ovulation und Menstruation. 

Vortr. hat seine Erfahrungen an 555 genau durchgearbeiteten Fällen 
gewonnen, aus denen er 292 als normal hat ansprechen können. In 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 25. 


100 Fällen war das Endometrium normal, und mit ihm verglichen wurde 
der Bau des jeweiligen Corpus luteum. Aus diesem Vergleich geht her« 
Yor, dass der reife Eifollikel zwischen dem 14. und 16. Tag eines vier¬ 
wöchentlich-regelmässigen Zyklus (vom Beginn der Mensesblutung ge¬ 
rechnet) platzt, vom 15. bis 20. Tag nur Frühstadien eines Corpus 
luteum und während des Prämenstruums nur reife Corpora lutea sich 
finden. 

Hr. L. Fraenkel-Breslau: a) Vasomotorische Phänomene 
am Kopf durch Extrakte innerer Drüsen. 

Die bei Kastrierten auftretenden Gesiohtshyperämien deuten auf eine 
elektive Beeinflussung der Kopfgefässe durch die Ovarien. Experimen¬ 
telle Prüfung mittels des Huerthle’schen Verfahrens: Durchschneidung 
der Carotis, Kanülen in beiden Stümpfen, mit Manometer und Kyrao- 
graphion verbunden, schreiben senkrecht übereinander den allgemeinen 
und speziellen Kopfdruok an. (Der peripherische Stumpf spritzt gleich¬ 
falls, weil ihm retrograd durch den Ciroulus arteriosus Willisii Blut aus 
der anderen Carotis und den Vertebrales zugeführt wird.) Druckhöhen¬ 
messung in Millimeter vor und nach der Injektion von Blutdrüsen¬ 
extrakten ergab elektive Konstriktion der Kopfgefässe durch Adrenalin 
und Bypophysen-Hinter- und Mittellappen (der letztere wurde isoliert 
beim Prerd präpariert), isolierte Vasodilatation durch Epi- und Luteo- 
glandol (von Laroche hergestellte Extrakte der Zirbeldrüse und des 
Corpus luteum). Es bandelt sich um eine objektive, exakte und durch 
den Allgemeinkörperdruck gut kontrollierte neue biologische Methode 
der Prüfung endokriner Drüsen. 

b) Zum Hauptthema: Die von Fraenkel empfohlene Therapie 
der Osteomalacie mittels Milch kastrierter Ziegen oder Blutserum von 
Frauen mit Ausfallserscheinungen setzt nicht biochemische Antikörper 
voraus, sondern das Ueberwiegen der antagonistischen Drüsen sekrete. 
Die von Fraenkel festgestellte Terminbestimmung der Ovulation (etwa 
19 Tage nach dem Eintritt der letzten Menstruation) wurde von allen 
Neueren, auf dem Kongress selbst vom Referenten und Schröder be¬ 
stätigt. Das Corpus luteum-Gesetz ist im Referat von Seitz anerkannt, 
durch Loeb und Landsberg mittelst anderer Methodik bestätigt 
worden; es ist wohl also nunmehr als allgemein angenommen zu be¬ 
trachten. 

Hr. 0. 0. Fellner - Wien: Tierversuche zur inneren 
Sekretion. 

1. In der Placenta, den Eihäuten, den Corpus luteum-haltigen 
Ovarien sind Stoffe enthalten, welche bei subcutaner und intraperi¬ 
tonealer Injektion Wachstum der Mamma und Mamilla, Vergrösserung 
des Uterus, Brunst bzw. Graviditätsersoheinungen an der Schleimhaut 
des Uterus, Vergrösserung und Graviditätserscheinungen an der Vagina, 
Vergrösserung der Nebennierenrinde, parenchymatöse Nephritis hervor- 
rufen. 2. Milchsekretion konnte nicht beobachtet werden. 2. An dem 
herausgeschnittenen überlebenden Meerschweinchenuterus erzeugen die 
wässrigen Alkoholätherextrakte kräftige Kontraktionen. 

Hr. Herrmann-Breslau: Zur Chemie des Ovariums und des 
Corpus luteum. 

In wässrigen Extrakten vom Corpus luteum fand Herr mann Inonit, 
Milchsäure und Cholin, ausserdem ein Pentaminolipophosphatid. Die 
intravenöse Injektion von 0,01 g bewirkte beim Kaninchen Schwellung 
und Hyperämie der Uterushörner und Sekretion der Brustdrüse. 

Hr. Gräfenberg: Ueber spontane Lävulosurie in der 
Schwangerschaft. 

Gräfenberg macht Mitteilung von einer spontanen Lävulosurie, 
die er bei zwei graviden Schwestern beobachtet und die immer nur in 
der Gravidität offenbar wurde. Trotz der Ausscheidung sehr grosser 
Lävulosemengen war bei beiden Patientinnen der Blutzuckerspiegel nioht 
gestiegen. 

Hr. A. Meyer-Tübingen: Die Bedeutung des Infantilismus 
in Geburtshilfe und Gynäkologie. 

Recht häufig sind verspäteter Eintritt der ersten Menstruation oder 
Dysmenorrhöe. Da es sich oft um konstitutionelle Minderwertigkeit 
handelt, ist gynäkologische Behandlung meist erfolglos, oft noch nach¬ 
teilig. Widerstandsunfähigkeit gegen körperliche Beschwerden und früh¬ 
zeitiges Versagen gegen die Anforderungen des Lebens führen in der Zeit 
der sozialen Gesetzgebung schon in der Jugend zu Rentenansprüchen. 
Eine etwaige Heirat wird nioht selten wegen des mangelhaften Sexual¬ 
triebes und wegen Kohabitationsbeschwerden zu einem wahren Martyrium. 
Wegen Sterilität vorgenommene Eingriffe sind meist zwecklos, darum 
überflüssig und zuweilen recht gefährlich. Eine endlich erreichte Con- 
ception endet oft mit Abort. Unter der Geburt machen sich unnach¬ 
giebige Weichteile, infantiles Becken und Wehenschwäcbe sehr nachteilig 
bemerklich, steigern die Gefahr von Weiohteilrissen und Infektion. Gegen 
eine entstandene Infektion ist das infantile Individuum weniger wider¬ 
standskräftig. Etwaige Narkosen bedeuten eine besondere Gefahr. Still¬ 
unfähigkeit drückt der Mutter noch im Wochenbett den Stempel der 
Minderwertigkeit auf. Im Bereiche der Gynäkologie stellt der mangelhaft 
gebildete Damm eine Disposition zu Prolaps dar. Angeborene Retro- 
flexionen sind sicher an etwaigen gynäkologischen Klagen unschuldig und 
bedürfen keiner Behandlung. Die Windungen der infantilen Tube schliessen 
die Gefahr der Extrauterinschwangerschaft in sich. Infantile Stigmata 
sprechen bei entzündlichen Adnextumoren unklarer Aetiologie für Tuber¬ 
kulose, bei Ovarialtumoren für Dermoide und lassen bei Beckentumoren 
an Nierendystopie denken. Der Infantilismus hat also grosses prognosti¬ 
sches, diagnostisches und therapeutisches Interesse. Die infantilen In¬ 


dividuen sind die geborenen Invaliden, die sehr früh der Allgemeinheit 
zur Last fallen. 

Hr. Bau mm-Breslau: Blasenfisteloperation. 

Es handelt sich um eine Voroperation zwecks Freilegung sehr ver¬ 
steckt liegender Blasenfisteln. Es wurde die ganze vordere Hälfte der 
Vulva Umschnitten und in die Tiefe dringend wurden alle Weichteile weit 
hinein ins Becken an der Rückseite der vorderen Beckenwand abgelöst. 
Durch Zug an dem ausgelösten Vulvateil kam die Fistel soweit herab, 
dass sie genäht werden konnte. Naht des Bogenschnittes und Drainage 
der dahinterliegenden mächtigen Wundhöhle. Glatte Heilung in 2 Fällen. 

Hr. Schickele - Strassburg: Neue Blasenscheidenfistel¬ 
operation. 

1. Laparotomie: Beiderseitige Tubenunterbindung. Quere Eröffnung 
der vorderen Plica, quere Durchtrennung des vorderen Scheidengewölbes. 
Durch diese Oeffnung wird der Fundus uteri herausgeleitet; seroseröse 
Naht in zwei Etagen zwischen hinterer Blasen- und hinterer Uteruswand. 
Schluss der Bauchhöhle. 2. Vaginaler Akt. Einstellen der Portio, breite 
Anfrischung der unteren Fistelöffnung, möglichst weite Ablösung der 
Blasenschleimhaut von der Scheidenwand. Exakte Naht der Scheiden¬ 
wand auf die vordere Wand des Corpus uteri. Der Fundus uteri ragt 
also in die hintere Blasenwand hinein und bildet den Verschloss der 
Fistelöffnung. 

Vorträge über die Serodiagnostik der Schwangerschaft. 

Hr. Abderhalden - Halle (a. G.): Schwangerschaftssero¬ 
diagnostik. 

Vortr. gibt eine eingehende theoretische Begründung seines dia¬ 
gnostischen Verfahrens und betont die Spezifität der Methode. Fehl¬ 
diagnosen haben ihren Grund ausschliesslich in unrichtiger und fehler¬ 
hafter Anwendung der Methode. Am häufigsten sind folgende Fehler¬ 
quellen: 1. Das Blut ist hämolytisch oder nicht genügend centrifugiert, 
2. Die Dialysierschläuche sind ungenügend geprüft, 3. das Organ ist nicht 
frei von auskochbaren Substanzen, die mit Ninhydrin reagieren. Es 
kommt dann zur Addition besonders bei Patienten mit Eiweisszerfall: 
Carcinom, Blutergüssen, Salpingitis usw. Das Organ muss stets absolut 
blutfrei und frei von Stoffen sein, die sich auskochen lassen und mit 
Ninhydrin reagieren. Das Organ muss mit der fünffachen Menge Wasser 
5 Minuten gekocht und zu 5 ccm des Filtrats 1 ccm 1 proz. Ninhydrin- 
lösung zugesetzt werden. Die Prüfung des Organs kann nie zu scharf 
ausfallen. Absolut sauberes, aseptisches und antiseptisches Arbeiten ist 
Grundbedingung. Rötliche und braune Farbtöne kaben keine Gültigkeit, 
nur violette bis blaue. 

HHr. R. Freund und Brahm-Berlin: Beiträge zur serolo¬ 
gischen Blutuntersuchung. 

Vortr. verfügen bis jetzt über 160 Untersuchungen mittels des 
optischen und Dialysierverfahrens, die an Graviden- und Nicbt- 
gravidenserum vorgenommen wurden. Der klinische Befund deckte sich 
mit dem Ausfall der Reaktion bei der Optik in 75 pCt., bei der Dia¬ 
lyse in 69,6 pCt. 104 mal wurden beide Verfahren gleichzeitig geprüft, 
wobei die Resultate 31 mal nicht übereinstimmten. Bei Nichtgraviden 
(Adnextumoren und Uterus infant.) fiel die Reaktion in 3 Fällen 
positiv aus (einmal mit der Optik, dreimal mit der Dialyse). Zur 
Technik der optischen Methode ist die gleichzeitige Anwendung von 
mindestens zwei Placentarpeptonen verschiedener Herkunft notwendig. 
Die Versager sind nicht sämtlich der Technik zur Last zu legen, sondern 
könnten auch in wechselndem Fermentgehalt eines Serums beruhen. 

Hr. Schiff-Halle: Ist das Abderhalden’sche Dialysierver- 
fahren differentialdiagnostisch verwertbar? 

Es wurden 49 Fälle untersucht. Die klinische Diagnose war in 
keinem Falle bei Anstellung der Reaktion bekannt. Zwischen den unter¬ 
suchten Fällen befanden sioh Sera von frühzeitiger und vorgeschrittener 
Gravidität, Klimakterium, Tumoren der Genitalien und der Adnexe, 
Eklampsie, Abortus, Puerperium, ln allen Fället), wo eine Schwanger¬ 
schaft vorlag, fiel die Reaktion immer positiv aus, ferner war die Reaktion 
immer negativ dort, wo keine Gravidität vorhanden war, mit Ausnahme 
von zwei Fällen, wo die Sera nicht einwandfrei waren. (Hämolyse — 
langes Stehen bei Zimmertemperatur.) 

Hr. Rübsamen - Dresden: Zur biologischen Diagnose der 
Schwangerschaft mittels der optischen Methode und des 
Dialysierverfahrens. 

Die Zahl der Versuche beläuft sioh auf 100. Bei anämischen Indi¬ 
viduen und solchen mit eitrigen Erkrankungen müssen Röhrchen mit 
1,0 Serum für den Ausfall der Reaktion im Dialysierverfahren maassgebend 
sein. In einem Fall von Schwangerscbaftspruritus war die Reaktion 
im Dialysierverfahren vor erfolgreicher Schwangerschafts-Serumtherapie 
stärker als naohher. In 10 Fällen von Eklampsie war die Reaktion mit 
beiden Methoden schwach. Man kann sagen, je stärker das Eklampsie¬ 
serum abbaut, desto günstiger ist die Prognose. Auch bei Hyperemesis 
gravidarum war die Reaktion mit beiden Methoden nur schwach. 4 Fälle 
von später klinisch bestätigter Tubargravidität ergaben positive Reaktion. 
Bei Endometritis post abortum genügte der optisch festgestellte Abbau 
nicht zur Diagnose der Schwangerschaft, wogegen mit dem Dialysier¬ 
verfahren eine schwach positive Reaktion erhalten wurde. Das Serum 
von zwei Garcinomkranken und männliches Serum ergaben mit Placenta 
kein positives Resultat. Rübsamen konnte bis jetzt keinen Fall beob¬ 
achten, in dem der Ausfall der Schwangerschaftsreaktion dem klinischen 
Bilde nicht entsprochen hätte. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Hr. Sohlimpert-Freiburg: Erfahrungen mit der Abderhalden- 
sohen Sohwangerschaftsreaktion (Dialysierraethoden und 
Ninhydrinreaktion). 

Hinweis auf Fehlerquellen, besonders durch Summation unter¬ 
schwelliger, mit Ninhydrin reagierender Stoffe im Serum und in der 
Placenta. Auf Grund günstiger Erfahrungen wird vorgeschlagen, das 
Serum durch sechsstündige Vordialyse von Eiweissabbauprodukten zu 
reinigen. Von Schwangerenserum wird nur Placenta-, nicht aber Uterus-, 
Ovarien-, Myom- oder Garcinomgewebe abgebaut. Bei Reaktionen mit 
Tierplacenten und Tierseren wurden mit Kubplacenten unbestimmte 
(Fehler der Technik?), mit Schaf- und Pferdeplacenten günstige Resultate 
erzielt. Schwangeres Stutenserum baut Pferdeplacenten ab (prinzipiell 
wichtig für die Frage, ob die Fermente durch Chorionzottenverschleppung 
entstehen; die Pferdeplacenta hat keine Chorionzotten!) Schwangeres 
Menscbenserum baut oft auch Kuh-, Schaf- und Pferdeplacenta mit 
ab, schwangeres Tierserum wirkt auf Mensohenplacenta nur ausnahms¬ 
weise ein. 

Hr. P. Schäfer: Fermentreaktion nach Abderhalden. 

Vortr. hat nach der Vorschrift von Abderhalden 123 Fälle 
mit dem Dialysierverfahren untersucht und 65 gleichzeitig auch mit 
der optischen Methode. Es handelte sich um 62 Schwangere und 
61 Nichtschwangere. Schwangere vom ersten bis sehnten Monat zeigten 
beim Dialysierverfahren zwei Fehldiagnosen, während Hämatocelen ein 
wechselndes Resultat ergaben. Bei Nichtschwangeren versagte die 
Dialysiermethode in 11 Fällen; die Hauptzahl der Fehldiagnosen ent¬ 
fällt auf Myome und Carcinome (auf 23 Tumoren = 9 Fehldiagnosen). 
Bei 38 Frauen mit normalem Genitale oder seniler Atrophie wurden 
zwei Fehldiagnosen gestellt (65 Fälle). Bei der optischen Methode hatte 
Vortr. zwei Fehldiagnosen, einmal im positiven Sinne bei einem Myom, 
einmal im negativen bei einer Nebenhornschwangersohaft im zweiten 
Monat. 

Hr. Liohtenstein - Leipzig: Ueber das Dialysierverfahren 
nach Abderhalden. 

Vortr. hat 74 Fälle mit dem Dialysierverfahren untersucht, und 
zwar 40 Gravide bzw. Wöchnerinnen und 34 Nichtgravide. Die Sera 
der Graviden und Wöchnerinnen bauten alle Placenta ab bis auf 
eins. Die Sera aller Nichtgraviden bauten nioht ab. Nabelschnur¬ 
serum baute nicht ab, ebensowenig die Cerebrospinal flüssigkeit. Der 
eine Fall, in dem Gravidenserum Placenta nicht abbaute, ist kein Beweis 
gegen die Methode. Es handelte sich um eine Frau im klimak¬ 
terischen Alter, Menses 2 Monate ausgeblieben. Der negative Ausfall 
der Reaktion sollte kontrolliert werden durch eine Abrasio. Dabei ergab 
sich Gravidität. Aber: Der Fötus war kaum l 1 /« cm lang, maceriert, 
plattgedrückt (Demonstration). Placenta mikroskopisch normal, makro¬ 
skopisch auf der mütterliohen Seite ein Blutcoagulum: vorzeitige Lösung. 
Da'j Serum bei einer gestielten Extrauteringravidität mens. II (Demon¬ 
stration) baute stark ab. 

Hr. Petri - München: Ueber Fermentreaktion im Serum 
Schwangerer, Kreissender und Wöchnerinnen. 

Im ganzen kamen 40 Sera (aus der Klinik Döderlein), je 10 von 
Schwangeren, Gebärenden und Wöchnerinnen zur Untersuchung. Die 
Einwirkung jedes einzelnen Serums auf Placentapeptonlösung dauerte 
48 Stunden. Der Mittelwert der grössten Drehungsänderung des polari¬ 
sierten Lichtes während der Einwirkung von Schwangerenserum auf 
Placentapepton betrug 0,08*, von Serum aus der Eröffnungsperiode 
0,12°, von Serum aus der Austreibungsperiode ebenfalls 0,12°, von 
Wöchnerinnenserum 0,10°. Diese Unterschiede lassen deutlich erkennen, 
dass die abbauende Fähigkeit des Schwangerenserums unter der Geburt 
eine Steigerung erfährt, um im Wochenbett wieder zu sinken. Wahr¬ 
scheinlich kommen die Leukocyten als Bildungsstätte dieser Fermente 
in Betracht. 

Hr. Rosenthal - Budapest: Ueber die Serumdiagnose der 
Schwangerschaft. (Vergleiche den Originalartikel in dieser Nummer.) 

(Fortsetzung folgt.) 


Kritische Bemerkung zur Ausstellung 
„Das Kind“. 

(Berlin, 12. April bis 14. Mai 1913.) 

Von 

Dr. Rott, 

Dirigent des Organisationsamtes für Säuglingsschutz im Kaiserin Auguste Victoria-Haus 
zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit im Deutschen Reiche. 

Nachdem die Ausstellung „Das Kind** seine Pforten geschlossen hat, 
und bevor eine neue Ausstellung seine Pforten öffnet, erscheint die 
Frage berechtigt: Was hat die Ausstellung für die Belehrung breiterer 
Volksschichten geleistet? Die Antwort kann leider nicht sehr günstig 
Ausfallen; denn eins ist wohl sicher, die Ausstellung hat nicht das ge¬ 
halten, was ihr Name „Das Kind in seiner körperlichen und geistigen 
Entwicklung“ und das Programm versprochen hatte. Wenn man 
schliesslich auch nicht ein so vollkommenes Werk wie etwa die Aus¬ 
stellung „Mensch“ auf der Internationalen Hygieneausstellung in Dresden 


erwartet hat, so konnte man doch hoffen, ein leidlich abgeschlossenes 
Bild über alle Phasen der geistigen und körperlichen Entwicklung des 
Kindes und — was die Hauptsache ist — in allgemein verständlicher, 
populärer Darstellung zu sehen. Dem war nicht so. In der Haupt¬ 
sache war die Ausstellung eine Geschäftsausstellung. Der günstigst ge¬ 
legene Teil der Ausstellung, überhaupt der weitaus grösste Raum war 
lediglich an Geschäftsfirmen — auch einige, die mit dem Kinde wenig 
oder gar nichts zu tun haben — vermietet. Nun mag ja tatsächlich 
eine Ausstellung, namentlich bei beschränkten Mitteln, nicht ohne die 
Heranziehung gut zahlender Firmen zu arrangieren sein; wenn dies aber 
so weit geht, dass der eigentliche Raum der Ausstellung lediglich eine 
Geschäftsausstellung ist, während der beabsichtigte Zweck bescheiden 
in den Hintergrund zurücktreten muss, wenn also dem grossen Publikum 
für den recht hohen Eintrittspreis von 1 M. bzw. 50 Pf. in der Haupt¬ 
sache nur das geboten wird, was es in einer Geschäftsstrasse in den 
Schaufenstern sieht, so kann die Ausstellung nicht den Anspruch er¬ 
heben, objektiv belehrend aufs Volk gewirkt zu haben. Dabei darf 
nicht vergessen werdeu, dass das grosse Publikum die Ausstellungen 
der Firmen kritiklos hinnehmen muss, das Gute sowohl wie das Schlechte. 
Das muss einmal gerade von seiten der Aerzte scharf ausgesprochen 
werden. Es ist eben unmöglich, ein Programm durchführen zu wollen, 
wenn schliesslich in der Hauptsache Firmen die Ausstellungsgegenstände 
der einzelnen Gruppen liefern. Hier muss von einem Arbeitskomitee 
eben eigene Arbeit geleistet werden. Die Ausstellungsgegenstände 
müssen zusammengetragen und dem Programm gemäss übersichtlich und 
allgemein verständlich gruppiert werden. 

Es soll nicht verkannt werden, dass einzelne Aussteller, namentlich 
auf dem Gebiete der Jugendfürsorge, beachtenswerte Leistungen erzielt 
haben; als wirklich populär-belehrend kann eigentlich nur die unter 
Leitung von Professor Di eck zusammengestellte Ausstellung über 
Zahnpflege und die Gruppe „Jugend und Alkohol“ bezeichnet werden. 

Ueber Säuglingspflege und -Ernährung war, abgesehen von den zum 
Teil nooh dazu unrichtigen Ausstellungen einzelner Firmen, überhaupt 
nichts zu sehen. Die Mutter, die sich hier belehren lassen wollte, ist 
nicht auf die Kosten gekommen. Auch die Säuglingsfürsorge war in den 
Ausstellungsgruppen einzelner Städte nur spärlich vertreten, ebenso die 
Fürsorge für das Kleinkind, die gerade jetzt mehr und mehr in den 
Brennpunkt des Interesses tritt. Dagegen war den Bedürfnissen des 
Schulkindes mehr Rechnung getragen worden. Im allgemeinen war es 
auffällig, wie wenig Medizinisches in populär-belehrender Darstellung 
vorhanden war. Es waren wohl da und dort Kleinigkeiten zusammen¬ 
getragen worden, aber die von grossen Gesichtspunkten getragene 
Gruppierung und allgemein verständliche Darstellung versagte voll¬ 
kommen. 

Es liegt mir keineswegs daran, in heissem Bestreben und mit Liebe 
geleistete Arbeit herabsetzen zu wollen, es ist aber Pflicht, einmal auf 
die Fehler aufmerksam zu machen, die bei solchen Ausstellungen sehr 
zum Nachteil derselben gemacht werden, um in Zukunft die gleichen 
Fehler zu vermeiden. Welche Fehler gerade bei dieser Ausstellung ge¬ 
macht worden sind, geht zur Genüge aus dem Vorwort des Ausstellungs¬ 
katalogs hervor. Hier wird geklagt, dass die Ausstellung kein Ent¬ 
gegenkommen bei Behörden und im allgemeinen bei den Stellen, „denen 
man ein besonderes Interesse für die Sache hätte Zutrauen müssen“, 
gefunden bat. Die Ausstellungsleitung fasst dies als Nörgelei und 
heimliche Befehdung auf und macht ihrer Verärgerung in einigen un¬ 
schönen Redewendungen Luft. Ohne auf diese einzugehen, hoffe ich zu¬ 
gunsten der AusstelluDgsleitung, dass heute, nachdem einige Zeit seit 
der Niederschrift der erwähnten Zeilen verstriohen ist, die Ansicht sioh 
geändert hat. So kleinlich waren die Stellen gewiss nioht. Nicht 
Nörgelei und heimliche Befehdung waren an dem mangelnden Ent¬ 
gegenkommen der genannten Stellen Veranlassung, sondern wohl das 
Fehlen von Garantien, die eine vollkommene und lückenlose Ausstellung 
gewährleisteten. Eine Ausstellung ist zweifellos eins der besten Mittel 
zur Belehrung des Volkes; sie zu organisieren und fertigzustellen gehört 
aber eben ohne Zweifel zu den schwierigsten Leistungen. Zum Gelingen 
gehören vor allen Dingen zwei: Zeit und sachverständige Persönlich¬ 
keiten. Beides hat der Ausstellung „Das Kind“ gefehlt. Auf dem 
ersten Aufruf der Ausstellung fehlten sowohl die Namen der Persönlich¬ 
keiten, die sich schon früher in der Zusammenstellung von Ausstellungen 
hervorgetan haben, als auch vollständig die Aerzte. Damit fehlten die 
obenerwähnten Garantien, ganz abgesehen von dem Mangel an Zeit. In 
kurzer Zeit lässt sich niohts leisten, wenn nicht Unsummen von Geld 
und ungezählte Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, das werden alle 
die, die sioh mit der Zusammenstellung von Ausstellungsgegenständen 
befasst haben, bestätigen können. Wenn, wie oben erwähnt, auch gute 
und lückenlose Zusammenstellungen vorhanden waren, so lag das daran, 
dass diese Ausstellungsgegenstände schon früher zusammengestellt waren. 
Ein gut Teil dieser Ausstellungsgegenstände war vorher schon in 
Dresden ausgestellt gewesen. 

Wir brauchen Ausstellungen, und wir wollen sie. Sie werden auch 
immer ihren Zweck, das Volk zu belehren, erfüllen, wenn die oben¬ 
genannten Fehler vermieden werden. Es ist aber ein Unding, wenn 
jeder selbst probiert, ohne sich die Erfahrungen früherer zunutze zu 
machen. 


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1192 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. In der Sitzung der Berliner medizin. Gesellschaft 
vom 18. Juni demonstrierte vor der Tagesordnung Herr L. Meyer einen 
Kranken mit Sklerosierung der Achillessehne. Hierauf hielt Herr Erich 
Wossidlo den angekündigten Vortrag: Zur operativen Behandlung der 
Erkrankungen des Blasenhalses und der hinteren Harnröhre, mit Pro¬ 
jektionen (Diskussion: die Herren Frank, Groth, Arthur Lewin und 
Freudenberg). 

— Der Lupus-Ausschuss des Deutschen Zentral-Komitees zur Be¬ 
kämpfung der Tuberkulose wird am 21. Oktober in Berlin tagen. Neben 
dem Bericht über die Tätigkeit der Kommission wird über endogene und 
ektogene Entstehung und über neuere Behandlungsmethoden des Lupus 
verhandelt. 

— Eine Pension für freie Forscher, nämlich für die Mitglieder des 
„Rockefeiler Institute for medical research“ in New York stiftete Mr. John 
Rockefeller, dessen Munifizenz das Institut schon seine ganze Existenz 
verdankt. Zu diesem Zweck gab er neuerdings 500000 Dollars, aus 
deren Zinsen die nach löjähriger Dienstzeit oder im Falle von Dienst¬ 
unfähigkeit auch schon früher sich zurückziehenden Gelehrten, eventuell 
ihre Witwen und Waisen eine Pension erhalten sollen. 

— Anlässlich des Regierungsjubiläums ist den Obergeneralärzten 
Dr. Kern und Hecker sowie dem Oberstabsarzt Dr. Niedner der erb¬ 
liche Adel verliehen worden. 

— Generalarzt a. D. Mehlhausen, der langjährige Direktor der 
Charite, ist im 90. Lebensjahr verstorben. 

— Zur Erinnerung an den verstorbenen Vorsitzenden des deutschen 
Aerztevereinsbundes, Löbker, wurde eine Medaille hergestellt, die in 
Silber (5 M.) oder Bronze (3 M.) von der Firma Mayer & Wilhelm- 
Stuttgart bezogen werden kann. 

— Zahl der im Prüfungsjahr 1911/12 (1. Oktober 1911/12) erteilten 
Approbationen für Aerzte, Zahnärzte, Apotheker und BefähiguDgszeugnisse 
für Nahrungsmittelchemiker. 


Staat 

Aerzte 

Zahnärzte | Apotheker 

Nahrungs¬ 

mittel¬ 

chemiker 

Preussen. 

558 

269 

190 

17 

Bayern. 

259 

100 

149 

8 

Sachsen . 

78 

41 

75 

4 

Württemberg. 

36 

3 

16 

2 

Baden . 

146 

51 

44 

5 

Hessen. 

29 

4 

11 

3 

Mecklenburg-Schwerin . . 
Grossherzogtum Sachsen u. 

33 

30 

26 

5 

sächsische Herzogtümer 

52 

7 

18 

3 

Braunschweig. 

— 

— 

53 

4 

Eisass-Lothringen . . . 

44 

21 

13 

— 

Deutsches Reich 

1235 

526 1 

595 | 51 

(Min.-Bl.) 


— Auf der Insel Föhr bietet das seit 5 Jahren eröffnete See-Hospiz 
der Stadt Schöneberg, mit grossem Laboratorium und Bibliothek, Ge¬ 
legenheit zum Studium der Meeresheilkunde. Es soll in diesem Sommer 
der Versuch mit einigen Vortrags- und Demonstrationsstunden gemacht 
werden. Gelegenheit zu Laboratoriumsarbeiten ist vorhanden. Inter¬ 
essenten wollen sich an Herrn Dr. Häberlin, Wyk auf Föhr, wenden. 

— Das Ministerium hat beim Aerztekammerausschuss angefragt, ob 
für eine intramuskuläre Salvarsaninjektion 3 bis 9 Mark ein an¬ 
gemessenes Honorar sei. Da die meisten Injektionen nicht intramuskulär, 
sondern intravenös gemacht werden, ist die Entscheidung wohl nicht so 
weittragend. Uebrigens dürfte für die Honorarfestsetzung die Frage 
entscheidend sein, ob der Arzt das Präparat fertig aus der Apotheke 
bezieht oder die Auflösung usw. selbst vornimmt. Handelt es sich um 
Injektion eines fertigen Präparates, so liegt kein Grund vor, sie anders 
zu beurteilen wie die Injektion jedes beliebigen Medikaments. 

Hoch sch ulnachrichten. 

Berlin. Privatdozenten Eugen Joseph und Alfr. Dönitz er¬ 
hielten den Professortitel. Geheimrat Czerny wurde zum o. Professor 
der Kaiser Wilhelms-Akademie ernannt. — Bonn. Zahl der Studierenden 
4460, davon Mediziner 851. — Cöln. Dozent der Akademie und 
städtischer Beigeordneter Krautwig erhielt den Professortitel. — 
Erlangen. Zahl der Studierenden 1291, davon Mediziner 356. — 
Giessen. Zahl der Studierenden 1535, davon Mediziner 358. — Halle. 
Abderhalden hat den Ruf nach Wien abgelehnt. — Heidelberg. 
2617 Studenten, davon 869 Mediziner. — Leipzig. 5171 Studenten, 
davon 841 Mediziner. Dr. Verse wurde zum a. o. Professor ernannt. — 
Münster. Provinziallandtag und Stadtverwaltung haben nunmehr je 
500 000 Mark bewilligt; damit dürfte den Ansprüchen des Finanzministers 
Genüge geschehen und der weitere Ausbau der Universität zu einer 
vollwertigen Institution ermöglicht sein. — Tübingen. 2234 Studenten, 
darunter 428 Mediziner. — Budapest. Habilitiert: M. Goldzieher 
für pathologische Anatomie. — Graz. Dr. di Gaspero für Neurologie 


habilitiert. — Prag. E. Starkenstein für Pharmakologie an der 
deutschen Universität habilitiert. — Wien. Dr. Kolmer für Histologie 
habilitiert. 


Gang der Volkskrankheiten. 

Pest. Aegypten (31. V.—6. VI.) 17 und 5 f. Aden (18.—22. V.) 
14 und 10 f. Britisch-Ostindien (11.—17. V.) 2841 und 2518f. 
Kanton: Seit Anfang Mai Verbreitung in genannter Stadt.— Pocken. 
Deutsches Reich (8.—14. VI.) je 1 in Berlin und Zawodzie. Oester¬ 
reich (1.—7. VI.) 1 in Triest und 3 in Galizien. Luxemburg (17. bis 
31. V.) 2. Schweden: Seit 4. VI. in Stockholm 36 und 2+. — 
Fleckfieber. Oesterreich (25 V.—17. VI.) 146 in Galizien und 40 
im Küstenland. — Genickstarre. (1.—7. VI.) 4 und 2+ (und zwar 
Berlin 1, Reg.-Bez. Cassel 1 (1 +), Liegnitz 1 +, Minden 1, Oppeln 1). — 
Spinale Kinderlähmung. (1.—7. VI.) 3 und 1+ (und zwar im Reg.- 
Bez. Arnsberg 1, Königsberg [Heiligenbeil] 2). Oesterreich (18. bis 
31. VI.) 2 in Steiermark, 1 in der Stadt Klagenfurth. — Mehr als ein 
Zehntel aller Todesfälle entfiel auf Scharlach in Kattowitz; Masern 
und Röteln in Gladbeck und Graudenz. (V. K. Ges.-A.) 


Amtliche Mitteilungen. 

Personalien. 

Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 4. Kl.: Geh. San.-Rat 
Prof. Dr. L. Riess in Charlottenburg, Oberstabs- und Regimentsärzte 
Dr. A. Schnütgen beim Königsinfanterie-Regt. (6. Lothringisches) 
Nr. 145 und Dr. Th. Becker beim 2. Lothringischen Feldartillerie- 
Regt. Nr. 34. 

Versetzt: Kreisarzt Dr. Mennicke von Znin nach Hameln. 

Ernennungen: Kreisassistenzarzt Dr. W. Hall wachs in Zeven zum 
Kreisarzt in Znin; Arzt Dr. H. Goos in Bremen zum Kreisassistenz¬ 
arzt in Gifhorn. 

Zu besetzen: die Stelle des Kreisassistenzarztes und Assistenten bei 
dem Medizinaluntersuchungsamte in Gumbinnen. Jahresremuneration 
2000 M. Bakteriologische Vorbildung erforderlich. Die Stelle kann 
auch einem noch nicht kreisärztlich geprüften Arzte vorläufig kom¬ 
missarisch übertragen werden, wenn er den Bedingungen für die Zu¬ 
lassung zur kreisärztliohen Prüfung genügt und sich zur alsbaldigen 
Ablegung der Prüfung verpflichtet. 

Niederlassungen: Arzt A. Kirchner in Königsberg i. Pr., Dr. D. 
Sieber in Greifswald, Arzt 0. Kiess in Halle a. S., Dr. E. Rap¬ 
mund in Hohndorf b. Kosen, Arzt E. Windesheim in Erfurt, Dr. 
M. Freiherr v. Mahrenholtz, Dr. 0. Warschauer, Dr. A. Wein¬ 
berg und Dr. F. Goldschmidt in Hannover, Dr. G. W. Peters in 
in Vöhl, Dr. 0. Hirz und Dr. U. Stark in Marburg. 

Verzogen: Dr. J. Hallervorden von Zehlendorf nach Königsberg 
i. Pr., Dr.J. Krantz von Aachen nach Wilhelmshagen, Dr. H. Rosen¬ 
thal von Berlin nach Berlin-Reinickendorf, Dr. E. Böcker von Haspe 
und Dr. A. Josephson von Charlottenburg nach Berlin-Treptow, Dr. 
R. Kaiser von Berlin nach Berlin-Grunewald, Dr. G. Willführ von 
Idar nach Berlin-Lichterfelde, Dr. H. Vehsemeyer von Berlin nach 
Berlin-Schmargendorf, Dr. H. Junglöw von Wölfeisgrund nach Zehlen¬ 
dorf, Dr. G. Heinsius von Berlin nach Berlin-Lankwitz, Dr. E. Gar- 
demin von Wittenburg (Westpr.) nach Kyritz, Prof. Dr. A. Hilde- 
b ran dt von Berlin nach Eberswalde, Oberarzt Dr. P. Ri e bei von 
Uchtspringe nach Metz, Dr. G. Kratzenstein von Blankenburg i. Thür, 
nach Schierke, Dr. K. Müller von Hildesheim nach Möckern, Dr. 
K. Schmidt von Berlin nach Halberstadt, Dr. E. Otto von Jena 
nach Zeitz, Dr. W. Bethge von Zeitz, Dr. F. Eckert von Heidelberg 
und Dr. W. Mertens von Dresden nach Halle a.S., Arzt G. Langer 
von Zwickau nach Altscherbitz, Dr. P. Langer von Jerichow nach 
Pfafferode b. Mühlhausen i. Thür., Dr. G. Brocke von Vöhl nach 
Oberlungwitz i. S., Dr. E. A. Lippert von Dortmund nach Holz¬ 
hausen, Dr. A. Rothacker von München und Dr. E. K. Frey von 
Breslau nach Marburg, Generalarzt a. D. Dr. E. Rothamel von Metz 
nach Witzenhausen. 

Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. W. Kuithan 
von Pelleningken, Dr. 0. Weichert von Kyritz auf Reisen, Dr. F. 
Rabe von Marburg. 

Gestorben: Arzt H. Preuss in Caymen, Dr. W. Zimmermann in 
Brandenburg a. H., Dr. W. Reinecke in Halberstadt. 


Berichtigung. 

Infolge eines Versehens bei der Drucklegung ist in dem Bericht über 
die Sitzung der Freiburger medizinischen Gesellschaft in Nr. 24 
der Anfang etwas entstellt worden. Der Bericht musste beginnen: 

Hr. Schlimpert: Abderhalden's Schwangerschaftsreaktion. 
Die neue Serumreaktion auf Gravidität darf nach Prinzip und Methodik 
als bekannt vorausgesetzt werden. Die ursprüngliche optische Methode 
muss in der Praxis dem Dialysierverfahren und der Prüfung 
mit Ninhydrin (Tiketohydrindenhydrat) nachstehen. Auch mit diesem 
Reagens usw. 


Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hans Kohn, Berlin W., Bayreaiher Strasse 42. 


Verlag und Eigentum von August Hirsohwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4. 


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Dl« Berliner Klio liehe Woehenichrlft erscheint Jeden 
Monte# in Nummern von ca. 5—6 Bogen gr. 4. — 
Prell vierteljährlich 6 Mark. Bestellungen nehmen 
alle Bnehhandlungen und Postanstalten an. 


BERLINER 


Alle Einsendungen Ihr die Redaktion and Expedition 
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung 
August Hirachwald in Berlin NW., Unter den Linden 
No. 68, adressieren. 


KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Organ für praktische Aerzte. 

Mit Berücksichtigung der Medizinal Verwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 

Redaktion: Expedition: 

Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posner and Dr. Hans Koho. August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung io Berlin. 


Montag, den 30. Juni 1913. M2 6. 


Fünfzigster Jahrgang. 


I N H 

Origiaaliei: Gutzmann: Versuch einer synoptischen Gliederung der 
Sprachstörungen auf der Grundlage ihrer klinischen Symptome. 
S. 1193. 

Emmerich und Loew: Der Einfluss der Kalksalze auf Konstitution 
und Gesundheit. S. 1200. 

Vaquez: Diätetik der Herz- und Gefässkrankheiten. S. 1203. 
Morgenroth und Tugendreich: Aethylbydroouprein und Salicyl- 
säure als Adjuvantien des Salvarsan. (Aus der Bakteriologischen 
Abteilung des Pathologischen Instituts der Universität Berlin.) 
S. 1207. 

Fischei und Parma: Ueber die angebliche Verminderung adrenalin¬ 
artiger Substanzen im Serum von Psoriasiskranken. (Aus dem 
physiologischen Institut und der dermatologischen Klinik der 
deutschen Universität in Prag.) S. 1213. 

Glaser: Syphilis und Fieber. (Aus der II. inneren Abteilung 
des Auguste-Viktoria - Krankenhauses zu Berlin - Schöneberg.) 
S. 1215. 

Foerster: Das phylogenetische Moment in der spastischen Lähmung. 
(Illustr.) S. 1217. 

Kocks: Fall von offenem Urachus im Tierreich, der als Zwitter¬ 
bildung gedeutet wurde. S. 1220. 

Bflchertesprechaagea : Sahli: Lehrbuch der klinischen Untersuchungs¬ 
methoden. S. 1220. Quincke und Hoppe-Seyler: Die Krank¬ 
heiten der Leber. S. 1220. (Ref. Hirsch.) — Kraus und Ridder: 
Die Erkrankungen der Speiseröhre. S. 1221. (Ref. Ehrmann.) — 
Sommer: Jahrbuch über Leistungen und Fortschritte auf dem 
Gebiet der physikalischen Medizin. S. 1221. Strubel): Das 
Wechselstrombad. S. 1221. (Ref. Tobias.) — Grotjahn und 
Kaup: Handwörterbuch der sozialen Hygiene. S. 1221. (Ref. 


ALT. 

Mosse.) — Ostertag: Handbuch der Fleischbeschau. S. 1221. 
(Ref. Pinner.) 

Litoratar-Aasittge: Pharmakologie. S. 1221. — Therapie. S. 1222. — 
Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. S. 1222. — 
Parasitenkunde und Serologie. S. 1222. — Innere Medizin. S. 1222. 
— Psychiatrie und Nervenkrankheiten. S. 1223. — Kinderheil¬ 
kunde. S. 1224. — Chirurgie. S. 1224. — Haut- und Geschlechts¬ 
krankheiten. S. 1226. — Geburtshilfe und Gynäkologie. S. 1227. — 
Augenheilkunde. S. 1227. — Hals-, Nasen- and Ohrenkrankheiten. 
S. 1228. — Hygiene und Sanitätswesen. S. 1228. — Militär- 
Sauitätswesen. S. 1228. 

Verhaadlungea ärztlicher Gesellschaften : Berliner medizinische 
Gesellschaft. Meyer: Sklerosierung der Aohillessehne. S. 1228. 
Wossidlo: Zur operativen Behandlung der Erkrankungen des 
Blasenhalses und der hinteren Harnröhre. S. 1228. — Gesellschaft 
der Charit6 - Aerzte. S. 1231. — Berliner otologische 
Gesellschaft. S. 1232. — Berliner Gesellschaft für Chir¬ 
urgie. S. 1283. — Aerztlieher Verein zu Hamburg. S. 1234. 
— Gesellschaft für Morphologie und Physiologie zu 
München. S. 1285. — Physikalisch-medizinische Gesell¬ 
schaft zu Würzburg. S. 1235. — Medizinische Gesellschaft 
zu Basel. S. 1235. — K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. 
S. 1236. — Gesellschaft für innere Medizin und Kinder¬ 
heilkunde zu Wien. S. 1237. 

XV. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Gynäko¬ 
logie, Halle a. S., 14.—17. Mai 1913. (Fortsetzung.) S. 1237. 
Deutscher Kongress für innere Medizin zu Wiesbaden. 
(Nachtrag.) S. 1239. 

Tagesgeschiohtliche Notizen. S. 1239. 

Amtliche Mitteilungen. S. 1240. 


Versuch einer synoptischen Gliederung der Sprachstörungen anf der 
Grundlage ihrer klinischen Symptome. 

Von 

Hermann Gutzmann-Berlin. 


Vor mir liegt der 4. Jahrgang der „Berliner klinischen 
Wochenschrift“ vom Jahre 1867, in welchem mit der 7. Nummer 
ein Aufsatz von E. Leyden (aus der Königsberger medizinischen 
Klinik) beginnt: „Beiträge znr Lehre von den centralen Sprach¬ 
störungen. u Merkwürdigerweise ist dieser Aufsatz nur noch von 
wenigen gekannt und ebensowenig das Verdienst, das Leyden 
sich durch seine hier niedergelegte Darstellung erworben hat: 
znm ersten Male scharf zwischen Aphasie and Anarthrie 
oder, allgemeiner ausgedrückt, zwischen Dysphasie und Dysarthrie 
anf Grund der klinischen Symptomatologie unter¬ 
schieden zu haben. Wer die Geschichte der Apbasielebre 
kennt, weise, von welcher Bedeutung diese Unterscheidung 
seinerzeit gewesen ist, und dass dementsprechend auch Kuss- 
maul diese grundlegende Leyden’sche Differenzierung voll ge¬ 
würdigt hat. 

Wenn ich die folgende zusammenfassende Darstellung unserer 
heutigen Kenntnisse und Erfahrungen auf dem fast unübersehlich 


grossen Gebiete der Sprachstörungen mit dem Hinweise auf den 
vor nun bald einem halben Jahrhundert an dieser Stelle er¬ 
schienenen klinischen Beitrag Leyden’s beginne, so darf ich wohl 
betonen, dass dies nicht nnr geschieht, um für das Jubiläum, 
welches die „Berliner klinische Wochenschrift“ mit diesem Jahr¬ 
gange begehen darf, einen Beitrag zu liefern, der mit ihrer eigenen 
Geschichte eng verknüpft ist, sondern dass es auch meine Ab¬ 
sicht, der Therapie zu nützen, erfordert, anbedingt von dem an 
dieser Stelle veröffentlichten grandlegenden Einteilungs- 
versuch der Sprachstörungen anszugehen. 


Es sind nun schon weit über drei Dezennien her, dass Kuss- 
m an Ts erstaunliches Werk über „Die Störungen der Sprache“ 
erschien, and noch heute zeigt sein „Versuch einer Pathologie 
der Sprache“, wie der bescheidene Untertitel lautete, seine mächtige 
Wirkung anf unsere Auffassung und klinische Würdigung der 
Sprachstörungen. Mannigfache frühere and spätere Versuche, 


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1194 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26. 


ähnliche Darstellungen von anderen Standpunkten aus zu gehen, 
sind zwar gemacht worden — keinem aber ist es besser gelungen, 
ja keiner hat es bis zu unserer Zeit überhaupt erreicht, die Lehre 
von der Pathologie der Sprache so grosszügig aufzufassen, sie so 
fest auf allgemeine philosophische und psychologische Gesetze zu 
gründen, die vielen mannigfachen klinischen Formen trotz ihrer 
räumlich oft weit auseinanderliegenden pathologisch-anatomischen, 
manchmal schwer- und vieldeutigen Substrate in ein so einheit¬ 
liches wohlgeordnetes Bild der klinischen Erscheinungen 
zusammenzufassen. 

Mit Recht sieht Kussmaul in den klinischen Beobachtungen 
zunächst die einzige Möglichkeit für eine systematische Darstellung 
der mannigfachen Symptome sprachlicher Störungen, und mit Recht 
tadelt er z. B. an Wern icke und anderen, dass sie sich von den 
anatomischen Befunden verleiten liessen, eine rein anatomische 
Darstellungsweise vorzuziehen, für welche die vielfach sich wider¬ 
sprechenden Befunde noch nicht die sichere Unterlage zu bieten 
vermochten. Er hält es demnach geradezu für einen Fehler, 
Sprachcentra in bestimmte Gegenden des Gehirns einzuzeichnen, 
er warnt vor dem durchaus unlogischen Schluss: aus der Tatsache, 
dass sich bei der motorischen Aphasie sehr häufig Zerstörungen 
in der Gegend der dritten linken Stirnwindung finden, zu folgern, 
dass der Sitz der artikulierten. Sprache in der dritten linken 
Stirn Windung sei; man könne in Wirklichkeit doch nur daraus 
folgern, dass eine Zerstörung der dritten linken Stirnwindung 
in den weitaus meisten Fällen von motorischer Aphasie vor¬ 
gefunden werde, und dass demnach bei der artikulierten Sprache 
die dritte linke Stirnwindung eine wichtige Rolle spiele, mehr 
aber nicht. 

Wie überschwänglich erscheint uns demgegenüber die apo¬ 
diktische Sicherheit, mit der Broca gleich den Titel seiner ersten 
Arbeit folgendermaassen abfasste: „Sur le siege de la facultö 
du langage articule avec deux observations d’aphömie, perte 
de la parole u , und der in einer zweiten Arbeit wiederholt: „Du 
siege de la facultö du langage articule dang l’hömisphere 
gauche du cerveau." Wer die Entwicklung der Aphasielehre ver¬ 
folgt bat, besonders die wissenschaftliche Diskussion, die durch 
das allzu sehr negierende, outrierte Vorgehen Pierre Marie’s 
hervorgerufen wurde, der weiss, einen wie schweren Staud an 
manchen wissenschaftlichen Centren derjenige bat, welcher io 
objektiver Erwägung der vorhandenen anatomischen und klinischen 
Tatsachen sich nach wie vor zu einer Lokalisationslehre — wenn 
auch nicht der Sprachfunktionen, so doch der einzelnen Aphasie- 
erscheinungen — bekennen muss. 

In dem ersten Sturme der Begeisterung, welche nach Broca’s 
völligem Sieg zugunsten der Lokalisationslehre herrschte, die be¬ 
sonders in Deutschland überaus eifrig aufgenommen und sehr bald 
durch zahlreiche klinische und pathologisch-anatomische Befunde 
unterstützt wurde, war es schwer genug, trotz der Fülle aller 
dieser Tatsachen von einer Deutung in dem Sinne, dass der patho¬ 
logisch-anatomische Sitz der einzelnen Apbasien nun auch der 
hauptsächliche oder gar alleinige Sitz der ausgefallenen Sprach¬ 
funktionen unter normalen Umständen sein müsse, abzuraten. 
Ich kann nicht umhin, den Absatz des Kussmaul’schen Werkes, 
in welchem er schon im Anfang seiner Darlegungen diesen etwas 
abseits liegenden und den meisten deutschen Klinikern wider¬ 
sprechenden, logisch meiner Meinung nach absolut einwandfreien 
Standpunkt einnimmt, hier anzuführen. Er sagt: 

„Es ist der Sprache ein ebenso grosser als verwickelter Apparat 
von nervösen Bahnen und gangliösen Centren zugewiesen, die teils die 
höchsten Werkstätten der bewussten Intelligenz und des Willens ein¬ 
nehmen, teils reflektorische Werkstätten sind, in denen einfache und ge¬ 
ordnete sensorische Erregungen in Bewegungen umgesetzt werden. Ein 
einfaches „Sprachcentrum“, einen „Sitz der Sprache“ im Gehirne gibt es 
nicht, so wenig als einen „Sitz der Seele“ in einem einfachen Centrum, 
es ist vielmehr das Centralorgan der Sprache aus einer grossen Zahl 
räumlich getrennter, durch zahlreiche Bahnen unter sich verbundener, 
geistige, sensorische und motorische Funktionen vollziehender gangliöser 
Apparate zusammengesetzt. Keiner dieser Apparate aber dient wahr¬ 
scheinlich bloss den Sprachzwecken, die nervösen Mechanismen können 
verschiedenen Zwecken dienstbar gemacht werden; erst die Uebung stellt 
diejenigen Verbindungen zwischen Ganglienzelle und Ganglienzelle, 
gangliösem Centrum und Centrum her, welche die Sprache im engeren 
Sinne, wie alle die anderen so ungemein zahlreichen Mittel des Ausdrucks 
für unser Denken und Fühlen ermöglichen. In diesem Sinne wird ein 
centrales Sprachorgan erst durch die Sprache selbst allmählich im Ge¬ 
hirn erzogen oder, wenn man will, geschaffen, und in diesem Sinne gibt 
es auch centrale Organe für die bildnerischen Künste, für Malerei, Musik 
und Tanz und für die Denkformen, die sich nicht der Worte, sondern 
der Zahlenzeichen und anderer bildlicher Formeln bedienen.“ 


Mit Recht lehnt Kussmaul daher auch die Ausdrücke 
„corticale u , „subcorticale Aphasie" nsw. ab und spricht von 
„ataktischer" und „amnestischer" Aphasie, weil über die klinische 
Symptomatologie kein Zweifel obwaltet, während die anatomische 
Unterlage bei weitem nicht einheitlich ist. Zeigt doch in seiner 
zusammenfassenden, überaus lehrreichen Darstellung der Aphasie- 
frage H. Liepmann, dass ein subcorticaler Herd sehr leicht die 
Erscheinungen der corticalen Aphasie machen kann und umge¬ 
kehrt. Man sieht, wie wir anf langwierigen und ermüdenden 
Umwegen des Irrtums zu dem Standpunkte des sich mit den ein¬ 
wandfreien klinischen Beobachtungen bescbeidenden, die patho¬ 
logisch-anatomischen Tatsachen streng logisch deutenden Klinikers 
zurückgekehrt sind. Lesen wir, die wir nach jahrelanger Er¬ 
fahrung so zahlreiche sorgfältige klinische Beobachtungen und aus¬ 
gezeichnete pathologisch-anatomische Unterlagen für die Aphasie¬ 
lehre besitzen, Kuss mau Ts Werk heute noch einmal durch, so 
entdecken wir dieses Facit aller unserer Arbeit zunächst mit 
einiger Betrübnis, dann aber auch mit freudiger Bewunderung für 
den klaren, umfassenden Blick des alten klinischen Meisters 1 ). 

Mit gutem Grunde bat demnach Kuss maul für eine syste¬ 
matische Darstellung der Sprachstörungen sich vorwiegend und in 
grossen Gebieten ausschliesslich auf die klinischen Be¬ 
obachtungen gestützt und für die Gliederung, die Synopsis, 
ätiologische oder pathologisch-anatomische Substrate nur dort 
herangezogen, wo diese die sprachlich-klinischen Erscheinungen 
offensichtlich und eindeutig erklären. Für eine synoptische 
Systematik der Sprachstörungen ist das klinische Bild auch beute 
noch das beste, weil diagnostisch und therapeutisch wich¬ 
tigste Einteilungsprinzip. Benutzen wir es mit Sorgfalt, so werden 
wir nicht zu fürchten brauchen, dass uns von unseren Epigonen 
Irrtümer im Aufbau unseres wissenschaftlichen Gebäudes der Logo- 
pathologien vorgeworfen werden. 

Wir gehen demnach bei einer zusammenfassenden Uebersicht 
(Synopsis) der Sprachstörungen von dem klinischen Einteilungs¬ 
prinzip aus, indem wir als die allgemein anerkannten beiden 
Hauptgruppen der Lalopathien die Dysphasien und die Dys¬ 
arthrien nennen, entsprechend der von Leyden getroffenen 
Differenzierung, durch welche gleichzeitig für das Geschehen der 
normalen SprecbVorgänge die Diktion von der Artikulation ge¬ 
trennt wurde. 


I. Synoptische Gliederung der drei Gattungen sprachlicher 
Ausdrucksbewegungen. 

Kussmaul ging nun bei der Aufstellung seiner Lehre von 
den Sprachstörungen sofort viel weiter. Er fasste, wie Finklen- 
burg, den Begriff der Sprache und damit auch den der 
Sprachstörungen wesentlich umfangreicher als den eingeengten 
des „AaAeh“. Mit Recht! Denn „Sprache", ganz allgemein 
gefasst, heisst jede beabsichtigte oder unbeabsichtigte 
Aeusserung innerer Zustände eines lebenden Wesens 
durch Ausdrucksbewegungen oder Zeichen. Der Ursprung 
aller derartiger Aeusserungen sind mehr oder weniger heftige 
Gemütsbewegungen: „Der Affekt ist der Vater der Sprache" 
(H. Gutzmann). 

1. Gebärdensprache. 

Mit Recht hebt Wuudt 2 ) hervor, dass uns ein unwider¬ 
stehlicher Trieb zwinge, den Gemütsbewegungen Luft zu machen, 
wobei, wie bei jeder Triebäusserung, eine eintretende Bewegung 
in einer mehr oder weniger deutlich erkennbaren Beziehung zu 
dem erregenden Eindruck stehe: 

„So wird die Vorstellung durch die Gebärde ausgedrückt, ohne dass 
ursprünglich notwendig eine besondere Absicht der Mitteilung im Spiele 
zu sein braucht. Aber der Mensch befindet sich von Anfang an unter 
anderen Menschen, die Gebärde, die eine reine Affektäusserung ist, wird 
von gleicbgearteten Wesen verstanden und so zum Hilfsmittel absicht¬ 
licher Mitteilung, die anfängliche Triebbewegung geht in eine willkürliche 
Bewegung über, die zu dem Zweck hervorgebracht wird, Vorstellungen 
und Gefühle mitzuteilen an andere.“ 

So stellt sich die Gebärdensprache als die ursprüng¬ 
lichste Art der Sprache (s. c.) dar. Sehr bald, wahrscheinlich 
schon vom ersten Anfänge an, wurde sie durch Rufe, Schreie, 


1) In der Einleitung zu der mir im Namen der Kussmaul'schen 
Familie von Exzellenz Czerny übertragenen Herausgabe der 4. Auflage 
des Kussmaul’schen Werkes sowie an vielen Stehen des duroh die 
Erweiterung unserer Kenntnisse notwendig gewordenen Kommentars habe 
ich auf dieses Ergebnis mehrfach hingewiesen. 

2) Grundriss der physiologischen Psychologie, Bd. 2, S. 515. 


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30. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Laute, zum Teil auch durch das, was wir heute als „Lautgebärde“ 
bezeichnen, begleitet. So bereitete sich der Uebergang zum 
„Spracblaut“ vor. 

Nach allem, was wir von der Phylogenese und der Be¬ 
deutung der Gebärde und ihrer Beziehung zur Laut¬ 
sprache bei primitiven Naturvölkern erfahren haben 1 ), zeigt 
sich uns die Gebärdensprache als die ursprünglichste, als 
diejenige, zu der auch der lautsprachlich zur grössten Voll¬ 
kommenheit ausgebildete moderne Mensch oft genug freiwillig 
oder gezwungen zurückkehrt 2 * ). 

Ohne weiteres ergibt sich auch die naheliegende Einteilung 
der Gebärdensprache: io erstens Gebärden, die nur einen ein¬ 
fachen, demonstrierenden, hinweisenden Charakter haben; 
Hinzeigen auf die gewünschten Dinge — was man natürlich nur 
tun kann, wenn diese Dinge in der Nähe liegen —, und in 
zweitens malende, beschreibende Gebärden, die man anzu¬ 
wenden gezwungen ist, wenn das Erwünschte nicht nahe vor¬ 
handen ist: Formen der Hand zum Trinkgefäss und nachahmende 
Bewegungen des Brotschneidens und des Butterdaraufstreichens; 
Bewegungen des Waschens der Hände und des Gesichts; des 
Kämmens usw. usw. Diese malende, beschreibende Ge¬ 
bärdensprache ist internationales Verständigungsmittel, 
d. h. Sprache s. c. 

2. Tonsprache 8 ). 

Wie oben bereits angedeutet, entspringt der unartiku¬ 
lierte Stimmlaut aus denselben Trieben, welche die 
Gebärde veranlassen. Er ist zunächst vorwiegend Schrei 
oder Ruf, und ich will es mir versagen, hier darauf einzugehen, 
wie sich daraus vielleicht primitiver Gesang mit oder ohne 
Instrumentalbegleitung entwickelte. Oft genug wird die mannig¬ 
fache Melodie zu bestimmten Mitteilungszwecken benutzt, z. B. 
zur Anfeuerung bei der Arbeit, und nicht selten wird der Klang 
der Instrumente, entsprechend der ersten primitiven Lautgebärde, 
zu Mitteilungen benutzt, deren bestimmter Rhythmus bestimmte 
Bedeutung haben kann. Welch wunderbare Ausbildung diese 
auch in gewissem Sinne als „Laut9prache“ zu bezeichnende Mit¬ 
teilungsart haben kann, lehrt die höchst komplizierte Trommel¬ 
sprache der Negervölker, die erst in neuester Zeit einer ein¬ 
gehenderen Untersuchung gewürdigt wird (Panconcelli - Calzia; 
Meinhof). 

Dass einfache unartikulierte Laute, die sich z. B. im Lust¬ 
oder Unlustschrei kundtun, ja auch manche Bewegungs¬ 
nachahmungen und damit verknüpfte Artikulationen (Laut¬ 
gebärde) eine sehr enge Beziehung zu der ursprünglichen Gebärden¬ 
sprache haben, zeigt der Umstand, dass hörstumme und taub¬ 
stumme K4nder sie trotz ihrer Stummheit sehr aus¬ 
giebig benutzen. 

3. Artikulierte Lautsprache. 

Wie der Laut sich allmählich zum Symbol der Vor¬ 
stellung entwickelt, welche Rolle dabei die Schallnach¬ 
ahmung, die direkte und indirekte Onomatopöie (Wundt) 
spielt, wie die Klanggebärde zur Lautsprache wird, wenn 
sie mit der Absicht der Mitteilung der Wünsche, Begehrungen, 
Vorstellungen des Menschen an andere angewendet wird, wobei 
sie oft von Gebärden, die ein leichteres Verständnis bewirken, 
begleitet wird 4 * * * ), wie die Beihilfe der Gebärdensprache mehr oder 
weniger zurücktritt, aber selbst bis zum heutigen Tage nicht so 
sehr, dass wir unsere Lautsprache gänzlich ohne Gebärde 


1) ln der Ontogenese der kindlichen Spraohenentwickung stellt sich 
diese Entwicklung durchaus parallel zur Phylogenese dar. 

2) Als Erklärung für die letztere Eventualität denke man sich in 
ein fremdes Land versetzt, dessen Sprache man nur höchst unvoll¬ 
kommen versteht oder sprechen kann. # Hier wird fast von jedermann 
die ursprüngliche Gebärdensprache als ‘das einzig übrigbleibende all¬ 
gemeinste Verständigungsmittel, die wirkliche „Weltsprache“, 
wieder in Anspruch genommen. — Manche Kulturvölker bevorzugen 
sogar die Gebärdensprache für einfache Mitteilungen, wie sie der ge¬ 
wöhnliche tägliche Verkehr mit sich bringt. Man denke an die Zeichen¬ 
sprache der Süditaliener. — Kleinpaul hat ein lesenswertes Buch über 
„Sprache ohne Wort“ geschrieben. Leipzig 1888. 

8) Die dabei eventuell vorkommenden Artikulationen sind nicht von 
wesentlicher Bedeutung. 

4) Auch dies ist an primitiven Völkern, z. B. an Indianerstämmen 

des nördlichsten Amerika, beobachtet, welche sich nur untereinander 

verständigen können, wenn sie, am Lagerfeuer sitzend, ihre seltsamen 

kurzen Worte ausstossen, weil sie zum Verständnis von der Gebärde 
begleitet sein müssen, demnach also im Dunkeln gesprochen keine 

vollkommene Mitteilung möglich machen. 


— wozu offenbar auch Mimik und Pantomime gehört — 
gebrauchen, — das alles zu schildern, würde zu weit führen. 
Das ist unbestritten: die Lautsprache ist die vollendetste 
Art der sprachlichen Ausdrucksbewegungen. 

II. Veber das Verhältnis yon Eupraxie zu Euphasie 
(Apraxie zu Aphasie). 

Ich musste auf die eben geschilderten Erscheinungen und 
ihre Beziehungen aufmerksam machen, weil H. Liepmann be¬ 
kanntlich bei seiner so verführerischen Darstellung der Apraxie¬ 
lehre unter Zustimmung vieler anderer Autoren die Ansicht auf¬ 
stellt, dass die „Handlung“, die „Praxie“ oder „Eupraxie“ als 
der übergeordnete Begriff anzuseben sei, unter den die 
Lautsprache nur als eine Art der Handlung unterzuordnen 
wäre. Er drückt das an einer Stelle seiner Arbeiten kurz 
folgendermaassen aus; „Die expressiv-apbasischen Störungen 
stellen eine Teilerscheinung der Apraxie dar, ebenso wie die 
receptiv-aphasischen eine Teilerscheinung der Agnosie.“ 

Wenn man alle sichtbaren Bewegungserscheinungen der Lebe¬ 
wesen unter dem kurzen Nennwert „Bewegung“ als allgemeinsten 
Begriff zusammenfasst, so würden unter ihn natürlich auch die 
Ausdrucksbewegungen und unter diesen die Lautspracheerschei¬ 
nungen fallen, allerdings auch alles das, was wir unter „Hand¬ 
lung“ verstehen. Denn nicht jede Bewegung ist Handlung; 
man denke s. B. an die mannigfachen Reflexe und reflektorischen 
Bewegungen, die automatischen Bewegungen, die Triebbewegungen 
u. v. a. m. Wollen wir also eine Beziehung zwischen der „Praxie“ 
und der „Phasie“ oder besser, der Eupraxie und der Euphasie, 
oder zwischen „Handlungen“ und „Ausdrucksbewegungen“ schaffen, 
so kann das nur unter dem allgemeinen übergeordneten 
Begriff „Bewegung“ geschehen, d. h. Handlungen und 
Ausdrucksbewegungen sind begrifflich koordinierte Er¬ 
scheinungsarten der Bewegung. 

Betrachten wir einmal den Begriff der Handlung etwas näher. 
Die npä$tg ist zunächst und vorwiegend Willenshandlung und besteht, 
als Phänomen des Bewusstseins betrachtet, nach Wundt in der „Apper- 
ception einer Bewegungsvorstellung“. Geht ein Willens Vorgang in eine 
äussere Willenshandlung über, so kann man ihn nach Wundt auch an- 
sehen als einen Affekt, „der mit einer pantomimischen Bewegung ab- 
schliesst, die neben der allen pantomimischen Bewegungen eigentüm¬ 
lichen Charakterisierung der Qualität und Intensität des Affektes noch 
eine besondere Bedeutung hat, die nämlich, dass sie äussere Wirkungen 
hervorbringt, die den Affekt selbst aufheben“. Schon in diesem 
Sinne ist „Handlung“ eine ausgesprochen einseitig-persönliche Beziehung 
des Handelnden zur Aussenwelt. Das für alles Sprechen, für jede 
sprachliche Ausdrucksbewegung (im weitesten Sinne) Charakteristische, 
die Mitteilung innerer Zustände, sei sie nun beabsichtigt oder un¬ 
beabsichtigt, tritt hierbei ganz in den Hintergrund und ist neben¬ 
sächlich. Während der Handlung demnach ein vorwiegend persönlicher, 
selbst bei altruistischen Zielen doch immer egocentrischer Charakter 
innewohnt, ist die Ausdrucksbewegung gerade entgegengesetzter Natur. 
Sie zeigt auch bei egoistischem Inhalte sozusagen eine Art des Altruismus, 
oder wenn man zur Unterscheidung vom geläufigen Begriffe hier auf eine 
andere Bezeichnung von Comtes Lehre zurückgreift, des Tuismus: sie 
ist „tucentrisoh“, sie hat eminent sozialen Charakter. 

So kommt es, dass der der Sprache Beraubte, wenn er auch 
noch so sehr aller möglichen Handlungen fähig ist, doch des wichtigsten 
sozialen Bandes mit der übrigen Menschheit beraubt, sich extrasozial 
fühlt. Der Taubstumme z. B. hängt, wenn er die Lautsprache nicht 
gut beherrscht, nur durch den für unsere moderne Kultur ungenügenden 
dünnen Faden der natürlichen Gebärdensprache mit seinen Mitmenschen 
zusammen. Da nun die Erlernung der flüssigen Lautsprache vielfach 
noch ungenügend geschieht, so schliesst er sich mit seinen Leidens¬ 
genossen zu besonderen Vereinen zusammen, eben weil er sich extra¬ 
sozial fühlt. Wer hätte aber je davon gehört, dass Leute, denen ein 
Arm oder ein Bein fehlt, oder die schielen oder sonst irgendwie miss¬ 
gestaltet sind, sich zu einem Verein zusammengeschlossen hätten, wenn 
nicht aus irgendwelchen humoristischen oder selbstironisierenden 
Absichten 1 )? _ 


Wenn ich 1. einen fertigen Brief siegle, und nehme Licht, 
Siegellack und Petschaft zur Hand, so ist dies eine Handlung, 
und zwar eine ganz bestimmte Zweckhandlung, die zwar von 
einem Zuschauenden beobachtet werden kann, aber weder für ihn 
eine besondere Gefühlserregung zu bedeuten, noch von seiten des 
Handelnden eine solche zu sein braucht. Es' besteht an sich bei 
dieser Handlung nur eine kausale Beziehung zwischen den 


1) Die Blindeu können hier nicht als Gegengrund angeführt werden, 
da es nur äussere Verkehrshemmnisse sind, die sie zu einer Sonder¬ 
stellung nötigen, nicht aber die Unfähigkeit, sich ihren Mitmenschen 
verständlich zu machen. 

1 * 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 


Dingen der Anssenwelt and dem Handelnden: „transitive 
Bewegung“ im Sinne Liepmann’s. Eine Mitteilung aber — 
und diese ist eben das Charakteristicum aller Ausdrucks¬ 
bewegungen — ist nicht vorhanden, weder beabsichtigt, noch 
unbeabsichtigt. 

Ganz anders ist aber die genannte Bewegungserscheinnng in 
das Genus Bewegung einzureihen, wenn bei der von mir be¬ 
absichtigten Handlung Licht und Siegellack fehlen und ich z. B. 
2. nach diesen Gegenständen unter unwillkürlicher Begleitung der 
beschreibenden Gebärden suche oder 3. jemand, der in der Nähe 
ist, mittels der betreffenden Handbewegungen dazu auffordere, 
statt meiner die Handlung vorzunehmen, oder 4. ihm vielleicht 
auch durch die Gebärde mitteile, dass ich gesehen habe, wie 
ein anderer die Handlung ausführte; alle diese Bewegungen 
wurden den sogenannten „intransitiven Bewegungen“ Liep¬ 
mann’s entsprechen. Was ich dabei an Gebärden, mit Händen 
und Mimik der Gesichtsmuskeln, mit suchenden Augen- und 
Kopfbewegungen mache, ist Ausdrucksbewegung, aber nie¬ 
mals Handlung. Die praktisch ausgeführte Handlung 
als solche hat also mit „Sprache“ selbst im weitesten 
Sinne des Wortes nichts zu tun. 

Es sind gewiss dieselben Bewegungen, die beide Male aus¬ 
geführt werden; sieht man in dem Worte „Bewegung“ den zu¬ 
sammenfassenden übergeordneten Begriff, so würde dagegen, 
wie oben auseinandergesetzt, nichts einzuwenden sein. Aber in 
dem ersten der angeführten Fälle ist diese Bewegung eine 
Handlung, und in dem zweiten, dritten und vierten Falle Aus¬ 
drucksbewegung, d. i. Sprache. Besonders das vierte Beispiel 
lehrt klar und deutlich, dass die Nachahmung einer als 
„Handlung“ anzusehenden Gebärde = Mimik (fitfiiofiai = nach¬ 
ahmen) Ausdrucksbewegung, d. h. Sprache ist, weil sie eben 
die Handlung mitteilt. Alle diese Erscheinungen oder Be¬ 
wegungen gehören zur Gebärdensprache, und alle Formen der 
natürlichen Gebärdensprache, die sich auf Handlungen beziehen, 
sind Nachahmungen, d. h. Mitteilungen des äusseren Ablaufs 
dieser Handlungen. 

Nun sind aber auf Grund der Liep mann'sehen Definition der 
„Handlung“ Erscheinungen unter „Apraxie“ eingereiht worden, die nach 
meiner Ansicht nicht unter den Allgemeinbegriff „Handlung“ fallen, so 
diejenigen Bewegungen, die H. Liepmann als „intransitive“ be¬ 
zeichnet, unter ihnen speziell die von ihm auch ausdrücklich so be- 
zeichneten „Ausdrucksbewegungen“. Es kann keinem Zweifel unter¬ 
liegen, dass ein Ausfall derartiger Bewegungen (wie man eine lange 
Nase macht, wie man droht, wie man an eine Tür klopft, wie man 
Fliegen fängt) seinen Grund in eigentlicher Apraxie haben kann. 
„Eigentliche“ Apraxie aber wäre es in meinem Sinne nur, 
wenn auch gleichzeitig die wirkliche Ausführung der be¬ 
treffenden Handlung mit den betreffenden Gegenständen 
unmöglich wäre, d. b. es müssten die von Liepmann sogenannten 
„transitiven“, zum Manipulieren mit wirklichen Objekten, nötigen Be¬ 
wegungen gleichfalls verloren sein. 

Fasst man freilich unter dem Begriff „Handlung“ nicht nur transitive, 
sondern auch jene intransitiven Bewegungen zusammen, so wie H. Liep¬ 
mann in seiner Definition tut, so ist seine darauf gegründete Schluss¬ 
folgerung berechtigt und völlig unangreifbar. Eine solche Definition des 
Begriffes „Handlung“, welche die Ausdrucksbewegungen ohne weiteres 
mit umfasst, halte ich aber, wie gesagt, für unberechtigt und demnach 
auch das daraus gefolgerte allgemeine Einteilungsprinzip für unzulässig. 

Zweifellos liegt dagegen bei Versagen der transitiven Bewegungen, 
des Handelns mit den bereit liegenden Objekten, eine Apraxie vor. Die 
Störung kann hervorgerufen sein daduroh, dass der Kranke die Gegen¬ 
stände und ihre Beziehungen untereinander als solche nicht mehr zu er¬ 
kennen vermag (Agnosie). Dann kann er aber trotz der deutlichen 
Apraxie, d. h. des Verlustes der transitiven Bewegungen, doch noch 
richtige intransitive Bewegungen machen, er ist also infolge seiner 
Agnosie apraktisch, aber nicht amnestisch oder aphasisch (im allgemeinen 
Sinne). Handelt es sich dagegen um einen reinen Apraktiker, bei dem 
Agnosie ausgeschlossen ist, so wird er, wie H. Liepmann in seiner 
vortrefflichen Gliederung hervorhebt, bei schweren Graden sowohl die 
transitiven wie die intransitiven Bewegungen verfehlen müssen, bei 
leichteren Graden dagegen gewöhnlich nur die intransitiven. 

Nach meiner Auffassung möchte ich diese Beziehungen so dar¬ 
stellen: der Motorisch-Apraktisohe kann Zweckbewegungen, Manipulieren 
mit vorgelegten Objekten nicht mehr machen, infolgedessen kann er 
auch Vorstellungen, Wünsche usw. durch Nachahmung dieser Bewegungen 
nicht mehr ausdrücken, d. h. sprechen s. c. Handelt es sich aber 
um einen Kranken, der nur das letztere nioht kann, so würde ich 
diesen nicht „Apraktiker leichteren Grades“, sondern, wie schon Kuss¬ 
maul, amimisch oder dysmimisch nennen. 

Ich möchte trotz meines Widerspruches gegen H. Liepmann's An¬ 
schauungen doch nicht verfehlen, auch meinerseits hervorzuheben, wie 
grosse Anregung ich persönlich diesem Forscher gerade durch seine 
Apraxielehre verdanke. Seine Auffassung widerspricht aber meines Er¬ 


achtens den üblichen philosophischen und psychologischen Definitionen des 
Begriffes „Handlung“. „Handlungen“ als solche stehen den Aus¬ 
drucksbewegungen gegenüber begrifflich parallel, sind diesen 
aber nioht übergeordnet. Der Fehler liegt in dem falschen Gebrauche 
des Wortes „Handlung“, den man allerdings auch bei vielen Psychologen 
findet. Achtet man aber auf den Begriff, der dem Worte bei seinem 
versohiedentlichen Gebrauch jedesmal zugrunde liegt, so kann ein 
Zweifel oder eine Meinungsverschiedenheit nicht obwalten. 

So spricht z. B. auch Ziehen zunächst allgemein von „Handlung“ 
und führt dann die einzelnen Arten der Handlungen' (Triebhandlungen, 
automatische Bewegungen usw.) an, bis er zu der Gruppe der „Aus¬ 
drucksbewegungen“ kommt. Dann heisst es: 

„Alle Ausdrucksbewegungen haben gemein, dass sie einen moto¬ 
rischen Ausschlag des psyohischen Prozesses darstellen, dessen wesent¬ 
licher Effekt lediglich darin besteht, diesen psychischen 
Prozess anderen Individuen zu verraten. Jede andere Be¬ 
wegung hat nun einen bestimmten anderweitigen äusseren 
Effekt und gibt nur nebenher und indirekt Auskunft über den 
psychischen Zustand des Handelnden. Bei der Ausdrucksbewegung 
ist umgekehrt der sonstige äussere Effekt nebensächlich. 
Wenn ich ein Wasserglas ergreife, so ist es nebensächlich, dass andere 
aus meiner Handbewegung meine Absicht, zu trinken, erraten . . .“ So 
kommt Ziehen folgerichtig zu dem gleichen Resultat, von dem ich bei 
der Trennung von „Handlung“ und „Ausdrucksbewegung“ ausgehen 
musste. 

Es dürfen demnach zwar die apraktischen Erscheinungen 
in Parallele zur Aphasie gestellt, nioht aber die aphasischen Er¬ 
scheinungen als Teilerscheinungen der Apraxie angesehen und begrifflich 
diesen untergeordnet werden. 

Man könnte über den Wert einer derartigen auch zunächst 
rein akademisch erscheinenden Diskussion für die klinische Praxis 
Zweifel haben. Allein schon der wichtige Nachweis Liep¬ 
mann’s, dass für die Apraxie das linke Gehirn ähnliche klinische 
Beziehungen besitzt wie für die Aphasie, und die von ihm vor¬ 
genommene klinische Trennung der Apraxien haben bedeutungs¬ 
volle Erfolge der Diagnostik aufzuweisen. Mir scheint gerade in 
der von mir geforderten und begründeten Abtrennung der Aus- 
dnicksbewegungen von dem Liepmann’schen Apraxiesystem ein 
weiterer lebendiger Keim für unsere klinische Lehre gegeben so 
sein. Schon die erwähnte auffallende Trennung der „schwer“ 
und „leicht“ Apraktischen sowie der agnostisch Apraktischen usw. 
weist darauf hin. Subsumiert man Dyspraxien und Dysphasien — 
letztere im allgemeinsten Sinne = Logopatbien — als gleich¬ 
wertig, parallel geschaltet, gemeinsam unter den Hauptbegriff der 
„Bewegungsstörungen“ ('Dyskinesien, Boissier de Sauvages 
gebrauchte dies Wort mit ähnlichem Begriffsumfang schon vor 
mehr als einem Säkulum) und betrachtet von diesem Stand¬ 
punkte aus unseren Besitz an klinischen Erfahrungen und 
unter ihnen besonders die öfters mit der Aphasie verbundenen 
Dyspraxien — letztere hier im Liepmann’schen Sinne —, so 
erkennt man deutlich, wie die eine Störung sich eng an die 
andere anlehnt, wie bei dieser Parallelschaltung die logischen 
und klinischen Beziehungen zwischen beiden Störungen unsere 
neue Gliederung und Wertung (die in Wirklichkeit eine recht 
alte ist) nicht nur unterstützen, sondern auch der klinischen 
Auffassung vielleicht in manchen Fällen neue Wege bahnen. 
Mao erinnere sich z. B. nur des Umstandes, welche Arten von 
Dyspraxien im Liepmann’schen Sinne besonders häufig mit 
der Dysphasie verknüpft sind, und welche Arten von Dyspraxie 
isoliert und offensichtlich unabhängig von Dysphasien Vorkommen. 

Freilich sieht dann das ganze Apraxiegebäude weniger 
glänzend aus als bisher, und seine architektonische Gliederung 
gestaltet sich wesentlich einfacher. Aber ist das verwunderlich, 
wenn man den Begriff „Handlung“ im Sinne des ersten Teiles 
der Liepmann’schen Definition, die der allgemein üblichen Auf¬ 
fassung entspricht, dem Allgemein begriff „Sprache“ in seiner 
wunderbaren, phylogenetisch begründeten Entwicklung gegenuber- 
stellt? Mir scheint „Sprache“ auch der allgemeinen Bewertung 
nach immer noch eine höhere Entwicklungsstufe des Menschen 
zu bedeuten, als selbst der höchste Ausdruck der Handlung, die 
Tat. Wenn man auch mit Goethe das „Wort“ als solches, d. b. 
das „Lautwort“ nicht immer gerade besonders hoch einzuschätzen 
braucht und mit ihm aus der Bibel übersetzen kann: „Im Anfang 
war die Tat,“ so kann man das auch, entwicklungsgeschichtlich 
aufgefasst, mit anderer Betonung lesen: „Im Anfang war die Tat.“ 

HL Synoptische Gliederung der Sprachstörungen auf Grund 
der klinischen Symptome. 

Wir kommen demnach wieder zu dem alten Vorschläge 
Finklenburg’8 zurück, der die Störungen der Sprache in ihrer 
allgemeinsten Auffassung als Störungen der Zeichenbildung oder 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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des Zeichen verstände isses ansieht [Kussmaul nannte sie 
Asemien = dem von mir gewählten Ausdruck Logopathien 1 )] 
und halten diese Definition und das ihr entsprechende Prinzip der 
Einteilung für das bisher am besten begründete. 

Demgemäss würden die Logopathien sich einteilen in 
Störungen der drei Sprachgattungen (Gattungen des Xöjros): Mimo- 
pathien, Störungen der Gebärdensprache, Phono- oder auch 
Melodopathien, Störungen der „Tonsprache“, und Lalo- 
pathien, Störungen der artikulierten Lautsprache (s. str.). 

Diese von mir hier vorgeschlagene Gliederung ist theoretisch 
und praktisch vorteilhaft. Sie gibt auch für die Schriftsprache 
eine logisch gut begründete Einteilung. 

Unter „Schriftsprache“ (im allgemeinen Sinne) werden 
wir jede Fixierung der genannten drei Sprachgattungen 
verstehen müssen. So geschieht die Fixierung der Gebärden¬ 
sprache durch das Zeichnen von Gegenständen, die zeichne¬ 
rische Darstellung von Handlungen, Wünschen usw., so vollzieht 
sich die Fixierung der Lautgebärde auf einer allerdings sehr 
späten und hohen Entwicklungsstufe des Menschengeschlechtes 
durch die Notenschrift, so geschieht endlich die Fixierung 
der Lautsprache durch unsere modernen Schriftzeichen, 
deren phylogenetisches Werden bekanntlich ebenfalls von der 
Bilder- und Gebärdenschrift seinen Ausgang nahm. Die mannig¬ 
fachen Arten der Dyslexien, d. h. der Störungen des Ver¬ 
ständnisses fixierter Gebärdensprache, fixierter Tonsprache und 
fixierter Lautsprache, werden auf Grund dieser naturgemässen 
genetischen Auffassung in einfachen und festen Zusammenhang 
mit der Gesamtgliederung gebracht. 

1. Mimopathien, Störungen der Gebärdensprache. 

Gewiss könnte diese Einteilung mit den selbst für das 
medizinische Obr zum Teil so seltsam klingenden Bezeichnungen 
zu theoretisch, zu akademisch erscheinen. Der ärztliche 
Praktiker wirft leider schon allzu oft, selbst bei Darstellungen, 
die weit mehr einen substantiellen Charakter tragen, die für 
mein Gefühl immer etwas banausisch klingende Frage auf: Was 
nützt es mir in der Praxis? oder, etwas schöner gefärbt: 
Was hilft es meinen Patienten? Vielleicht hat mancher 
schon bei meiner einleitenden Darstellung der grundlegenden 
Begriffe die Lektüre unmutvoll aufgegeben. Und doch ist, wenn 
ich dem Endziel der Jubiläumsartikel entsprechend auf die Frage 
eingehe: Was nützt es in der Praxis? die von mir gegebene Ein¬ 
teilung und Auffassung nicht unwichtig, sie hat eine eminent 
praktisch-klinische und in vielen Fällen therapeutische Be¬ 
deutung. Ich erinnere an die vielen Erfahrungen bei den 
mannigfachen Dysphasiearten, die oft von Störungen der Gebärden-, 
der Schriftsprache und auch der musikalischen Ausdrncksformen 
begleitet sind, ferner daran, dass sehr oft an Stelle einer 
verlorengegangenen sprachlichen Ausdrucksbewegungs¬ 
art die andere helfend eintreten kann, wofür ich für den 
gesunden normalen Menschen oben ein Beispiel gab. Der 
schwere Verlust der Lautsprache oder des Lautsprach¬ 
verständnisses bei der Aphasie, der oft genug zunächst eine 
vollständige Aufhebung des Verkehrs mit den Mitmenschen be¬ 
deutet, kann durch Benutzung der Gebärde sowie der 
vielen vorhandenen Fixierungen derselben (Bilderbuch, 
systematische bildliche Darstellung von Gegenständen) 
wenigstens teilweise bald ausgeglichen werden, und 
dieser Ausgleich kann, zumal bei genügend intelligenten Apha- 
sischen, die besonders schwer unter dem Verlust des lautsprach¬ 
lichen Gedankenaustausches leiden, die trübe, deprimierte Stimmung 
oft mit einem Schlage umwandeln. 

Ich habe daher dieses Auskunftsmittel bei allen Apha- 
sisohen empfohlen. Beherrschen sie die Ausdrucksbewegungen der 
Gebärde noch einigermaassen, so kann man ihnen unter Benutzung der 
leicht zugänglichen bildlichen und schriftlichen Darstellungen der natür¬ 
lichen Gebärdensprache, wie sie auch Taubstumme benutzen, die not¬ 
wendigsten Formen des Ausdrucks ihrer Wünsche, Vorstellungen usw; 
bald beibringen. Ist die beschreibende Gebärde auch gestört, so 
bleibt immer noch als der primitivste Ausdruck die hinweisende 
Gebärde übrig, und da naturgemäss nicht sämtliche gewünschte Dinge 
und Gegenstände in den Gesichtskreis des Patienten gebracht werden 
können, so habe ich als praktisches und mit grossem Dank sowohl von 
den Patienten wie auch von der unter ihnen manchmal leidenden 
Umgebung begrüsstes Auskunftsmittel ein geeignet zusammengestelltes 


1) Hier möchte ich ausdrücklich, bemerken, dass ich demnach den 
Ausdruck „Logopathien“ nicht in dem Sinne Kussmaul’s gebrauche, 
der darunter Störungen der Gedankenbildung versteht und an Geistes¬ 
störungen denkt. 


Bilderbuch empfohlen (vgl. Zeitschr. f. Krankenpflege, 1895, „Ueber den 
Verkehr mit aphasischen Kranken“ und meinen Vortrag in Budapest: 
Verhandlungen des Internationalen medizinischen Kongresses, 1910). 

Man sieht schon hieraus, welchen therapeutischen 
Nutzen die Erkennung des inneren Zusammenhanges 
der gesamten Spracharten bat. Natürlich weiss ich sehr 
wohl, dass auch andere gelegentlich auf dieses Auskunftsmittel 
verfallen sind, dass aphasische Patienten oft spontan, allerdings 
unter der „Dira necessitas“, die hinweisende oder beschreibende 
Gebärde benutzen. Da sie aber die Gebärdensprache von Jugend 
auf sehr wenig geübt haben und nur die allerdürftigsten Vor¬ 
stellungen von ihr besitzen, und da andererseits, wie gesagt und 
bekannt, nicht selten auch Störungen der Gebärdensprache 
mit der Aphasie verknüpft sind, so ist eine systematische Unter¬ 
weisung in dieser einfachsten Form der zum Zwecke der Mit¬ 
teilung gemachten beschreibenden Ausdrucksbewegungen oder, 
falls selbst dies nicht möglich, eine systematische Belehrung 
durch ein zweckmässig zusammengestelltes Bilderbuch, das zur 
Mitteilung durch Hinweise benutzt werden kann, eine wesent¬ 
liche Bereicherung der praktischen Therapie. 

Das Kind ist in der Benutzung der Gebärde geschickter als der Er¬ 
wachsene, besonders wenn es durch Entwicklungshemmungen oder 
Störungen irgendwelcher Art die Lautsprache zunächst nicht erlernen 
kann. Wie exakt und manchmal sehr drollig und charakteristisch 
schildert z. B. ein noch ganz ununterrichtetes taubstummes Kind von 
3 oder 4 Jahren durch die beschreibende Gebärde das, was es auf dem 
Spaziergange erlebt hat, wie klar erzählt es, welchen Personen es begegnete, 
was diese taten, was sie trugen usw. Das geht mit den kleinen Händ¬ 
chen und Armen unter Begleitung eines höchst wunderbaren und aus¬ 
drucksvollen Mienenspiels so flott vonstatten, dass derjenige, der sich 
auch nur ein wenig auf das Verständnis der Gebärdensprache eingeübt 
hat, gar nicht im Zweifel über die Bedeutung der mimischen Schilde¬ 
rungen sein kann. Und seltsam genug, wir alle empfinden auch, dass 
in einer derartigen mimischen Schilderung ein eigenartiger Reiz, eine 
besondere Anziehungskraft liegt Diese entspringen nicht allein der 
Komik, mit der das kleine Kind alles so drastisch darstellt, sondern 
haben daneben noch einen tieferen Grund. Atavistische Erscheinungen 
aller Art haben immer das eigentümliche, dass sie den Menschen be¬ 
sonders bewegen, oft amüsieren, manchmal erschrecken und abstossen, 
manchmal seine Sympathien hervorrufen, ohne dass er sich über den 
Grund klar ist (Man denke z. B. an die menschenähnlichen Be¬ 
wegungen, Handlungen und Gesichter der Affen.) Eine dunkle, unter¬ 
bewusste Erinnerung, eine durch Jahrtausende fortgeerbte „Mneme“ 
wirkt hierbei wohl mit. Nur so erkläre ich mir die seltsame An¬ 
ziehungskraft, welche die Pantomime manchmal auf uns ausübt, und die 
sich neuerdings in einer beunruhigenden Leidenschaft für ihre moderne 
Fixierung, die Kinematographie, zeigt. Man denke an die Begeisterung, 
mit der besonders Kinder, aber auch die grossen Leute diese Theater 
der fixierten Gebärdensprache besuchen. 

Auch eine andere praktische Bedeutung hat die Kenntnis 
vom Aufbau und den mannigfachen Formen der Gebärden¬ 
sprache. Wir finden eine beschreibende Gebärde nur bei 
Kindern mit genügender Intelligenz, dagegen eine hin¬ 
weisende Gebärde auf gewünschte Gegenstände sogar noch bei einem 
ziemlich tiefstehenden Idioten. Beherrscht der ein stummes Kind 
untersuchende Arzt einigermaassen die beschreibende Gebärde, 
so kann er mit Hilfe eines Bilderbuches leicht Fragen mittels 
der Gebärden an das Kind stellen. Wenn z. B. auf dem Bilder¬ 
bogen ein Pferd, eine Trommel, ein Schiessgewehr usw. gemalt 
ist, so kann er durch Reitbewegungen und Reithaltung, durch 
das Zeigen der Trommelbewegung der Hände oder durch die 
Darstellung der Art und Weise, wie man ein Gewehr abfeuert usw. 
und durch darauf folgendes oder vorhergehendes Vorhalten des 
Bilderbogens das Verständnis des Kindes für die bildliche Dar¬ 
stellung prüfen. Das ergibt eine gewisse Würdigung seines 
intellektuellen Zustandes und hat nicht nur bei taubstummen 
Kindern Bedeutung, sondern auch bei gewissen Formen der 
Hörstummheit, wenn es sich nämlich um die sensorischen 
Störungen bei derselben handelt (Mutitas sensorica), also um 
Kinder, welche zwar hören, aber gehörte Worte nicht 
verstehen. 

Im vorigen Semester wurden mir aus der Psychiatrischen Klinik der 
Charite zwei Kinder in unser Ambulatorium für Stimm- und Sprach¬ 
störungen zur Untersuchung von Herrn Geheimrat Bonhoeffer über¬ 
sandt. Der eine Knabe stellte sich bei der Prüfung sehr bald als voll¬ 
ständig taubstumm heraus. Bei dem zweiten Knaben aber versagte 
die einfache Prüfung gänzlich. Die Untersuchung ergab zunächst ganz 
unerklärliche Widersprüche, bis ein paar Proben zeigten, dass es sich 
hier um einen zwar gut hörenden, aber das Gesprochene nicht ver¬ 
stehenden Knaben handelte. Es fragte sich nur noch, wodurch die 
Störung des Verständnisses bedingt war, durch Intelligenzmangel oder 
durch sensorische Hemmungen. Dass das letztere der Fall war, wurde 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26. 


durch die Gebärde sehr leicht festgestellt. Das Resultat der höchst 
interessanten und in dieser Zusammenstellung gewiss recht seltenen 
Untersuchung, die von mir während meiner klinischen Vorlesung vorge¬ 
nommen wurde, war also, dass der eine Bruder taubstumm, der andere 
infolge sensorischer Störungen hörstumm war. Beide Kinder verstanden 
und sprachen ausgezeichnet die Gebärdensprache, so dass eine wesent¬ 
liche Störung der Intelligenz in keinem von beiden Fällen Einfluss auf 
das sprachliche Unvermögen haben konnte. 

Wie sehr in manchen Fällen von sensorisch bedingter Hörstummheit 
auch sogar die fixierte Gebärde, das Zeichnen, dem Ausdrucks¬ 
bedürfnis förderlich sein kann, ergab sich aus dem Falle eines mehrere 
Jahre unter meiner Behandlung und Beobachtung stehenden Knaben. 
Im 5. Lebensjahre batte er durch eine Meningitis Sprache und Gehör 
verloren. Während jedoch das Hörvermögen sehr bald, und, wie es 
scheint, zunächst sogar von der Umgebung nicht bemerkt, zurückkehrte, 
blieb die Sprache völlig aus. Ein im 6. Lebensjahre vorgenommener 
Versuch, ihn nach Art der taubstummen Kinder zum Sprechen zu bringen, 
misslang infolge gänzlich verkehrter und verfehlter pädagogischer Auf¬ 
fassung des Falles. Der Knabe wurde mir dann Ende des 8. Jahres in 
einem ausserordentlich starken Zustande der Scheu und Angst zugeführt; 
beides war auf die fehlerhafte pädagogische Behandlung, die vorwiegend 
auf Zwangsmaassregeln, besonders Prügel, sich stützte, zurückzuführen. 
Schon wenn man die Hand bewegte, duckte er sich wie ein verprügelter 
Jagdhund. Ein volles halbes Jahr war es mir selbst durch das liebe¬ 
vollste Eingehen auf die Wünsche und auf die Art, wie der Junge sich 
gab, nicht möglich, einen Laut aus ihm herauszubringen, obgleich sich 
ohne weiteres feststellen Hess, dass er gut hörte, denn auf seinen Namen 
kam er, selbst wenn er in meinem grossen Garten 100 Schritte von dem 
Rufer entfernt stand, sofort. Dagegen Hess sich ebenso leicht feststellen, 
dass er gesprochene Worte nicht begriff. Wenn man ihnf z. B. das Wort 
„Gabel“, „Messer“, „Teller“ am gedeckten Tische sagte und ihn auf¬ 
forderte, die betreffenden Gegenstände zu reichen, so reagierte er nur 
durch ein rührend hilfloses Gesicht, er sah sich um und wusste nicht, 
was er machen sollte. Deutete man die Gegenstände aber durch 
beschreibende Gebärden — die Gabel durch eine Stechbewegung, das 
Messer durch eine Sohneidebewegung, den Teller durch eine rollende 
Bewegung und seine Benutzung an, so reichte er sofort den betreffenden 
Gegenstand. Auch hier zeigte die Prüfung mittelst der natürlichen Ge¬ 
bärde den rein sensorischen Charakter der Störung. Die Intelligenz war 
in keiner Beziehung herabgesetzt, wenn er auch nicht gerade als ein 
hervorragend begabter Knabe anzusehen war. Er lernte schreiben, 
lesen usw. Es war nun aber sehr interessant zu sehen, wie sich der 
Knabe verhielt, als er, nachdem er ungefähr ein Jahr bei uns gewesen 
war, seinem Vater den Wunsch ausdrücken wollte, dass er ihm zu seinem 
Geburtstage einen photographischen Apparat schenken möchte. Seine 
Lautsprache war noch nicht so weit entwickelt. Die Gebärde, welche er 
nun anwandte, war auch mir unverständlich, und da sowohl der Vater 
wie ich uns ratlos ansahen, so ergriff der Knabe ein Papier, holte einen 
Bleistift und malte mit wenigen Strichen sehr charakteristisch die Konturen 
eines photographischen Apparates auf. Er benutzte also die fixierte Ge¬ 
bärde zum Ausdruck seiner Gedanken. 

Es mag an diesen wenigen Beispielen genug sein, um zu 
zeigen, welche Bedeutung die Gebärdenzeichen für die klinische 
Wertung und Sonderung der Symptome wie für die Therapie be¬ 
sitzen können. Die Einteilung der Mimopathien würde in ähn¬ 
licher Weise zu erfolgen haben wie bei den Lalopathien, von 
denen unsere Betrachtung ihren Ausgang nahm. Wir würden 
demnach zwei Untergruppen zu unterscheiden haben, die Dys¬ 
mim ien (Amimie, Hypomimie, Paramimie, Hypermimie usw.), und 
zwar motorischer wie sensorischer Art, und die mimischen 
Dysarthrien, die sich den Apraxieerscheioungen bereits sehr 
eng nähern und zum Teil sicher mit ihnen identisch sind. Das 
gleiche kann unter gewissen Umständen auch für die sensorische 
Dysmimie gelten. DyRmimien und mimische Dysarthrien würden 
demnach dieselbe Gegenüberstellung zeigen, wie Dysphasie und 
Dysarthrie bei den Lalopathien. 

Fixierte Gebärdensprache, Bilder- und Gebärden¬ 
schrift ist Zeichnen. Die Störungen der Gebärdenschrift, die 
Dysgraphiae mimicae im allgemeinen Sinne, teilen sich ebenfalls 
in DyRgraphiae mimicae im engeren Sinne (motorische, sensorische, 
amnestische usw.) und mimographische Dysarthrien; auch hier 
zeigt sich eine enge Anlehnung an bekannte Agraphieformeo. 

Von den mimischen Dysgraphien sind besonders die sensori¬ 
schen Formen (mimische Dyslexie) sehr interessant, und da ihr 
Vorkommen meist von mehr oder weniger grossen Ausfällen des 
Intellekts begleitet sein wird, so sind Zeichnungen auch als 
Prüfungsmittel für den Intellekt benutzt worden, so die Erklärung 
von Kompositionsbildern, Situations- und Stimmungsbildern 1 ), An- 


1) In ärztlichen Kreisen ist wenig bekannt, dass es eine Anzahl 
von sehr guten alten Lehrbüchern der Gebärdenspraohe gibt, in denen 
die Gebärden ebenfalls sehr schön durch Zeichnungen fixiert worden sind, 
so das von Czech („Versinnlichte Denk- und Sprachlehre mit Anwen¬ 
dung auf die ReUgions- und Sitten lehre und auf das Leben von Franz 


schauuDgstafeln usw. nach Henneberg, so in besonders inter¬ 
essanter Weise die von Heilbronner angegebene Figuren¬ 
ergänzung, bei welcher aus mehr oder weniger einfachen Kon¬ 
turenzeichnungen der dargestellte Gegenstand erkannt werden muss. 

2. Phono- resp. Melodopatb ien, Störungen der Tonsprache. 

Auf die zweite grosse Gruppe der Logopathien wollen wir 
hier nur ganz kurz eingehen. Wie häufig — oft unbeachtet — 
musikalische Störungen bei den Dysphasien Vorkommen, haben 
uns H. Oppenheim, Knoblauch, Dobberke u. v. a. gezeigt, 
und es ist bekannt, dass man auch hierbei nach Lokalisationen 
gesucht und sie zu finden geglaubt hat. Wie seltsame Wechsel¬ 
beziehungen manchmal z. B. zwischen Melodie und Text bestehen, 
ist bisher noch wenig geklärt, auch liegt bisher nur wenig Material 
vor, dass eine Erklärung dieser Parallelbeziehungen zu den Lalo¬ 
pathien ermöglichte (Buttersack). Nimmt man meine Allgemein¬ 
bezeichnung für diese zweite Gruppe, Phonopathien oder Melodo¬ 
patb ien, Störungen der Tonsprache, an, so lassen sich die Unter¬ 
abteilungen nach dem soeben bei den Mimopathien benutzten 
Schema leicht gruppiereo: Dysmusien (Amusie, Hypomusie, 
motorische und sensorische, Paramusie, Hypermusie); Störungen 
derTonschrift: musikalischeDysgraphie(„Dysnotation“); sensorische 
Störungen dieser Fixation: musikalische Dyslexie. 

Besonders gruppieren müsste man unter Umständen die Melodo- 
pathien, je nach dem musikalischen Instrument, um das es sich 
handelt. An erster Stelle steht natürlich die höchste Tonsprache, 
der Gesang; so fallen alle sogenannten funktionellen Störungen der 
Stimme auch in diese Gruppe hinein, unter ihnen die mannig¬ 
fachen habituellen oder beruflichen Stimmstörungen, die ver¬ 
schiedenen Formen der Stimmschwäche, der Phonasthenie usw. 
Bezieht sich die motorische Dysmusie auf die Handhabung be¬ 
stimmter Instrumente, so nähert sie sich wieder ausserordentlich 
den Apraxien im engeren Sinne, den Störungen der transitiven 
Handlungen. 

Um für alle diese Einzelheiten eine völlig befriedigende 
synoptische Gliederung zu schaffen, ist unsere klinische Ausbeute 
noch bei weitem zu gering. 

3. Lalopathien, Störungen der Lantsprache. 

Endlich gelangen wir zu der umfangreichsten und grössten 
Gruppe der Logopathien, den Lalopathien, und hier kommen 
wir auf die Leyden’sche Einteilung zurück, von welcher wir im 
Beginn unseres Jubiläumsaufsatzes ausgingen. 

Die Einteilung in die beiden Gruppen Dysphasien und Dys¬ 
arthrien ist wohl begründet, wenn auch sorgsame Untersuchung 
häufig ergibt, dass dysarthrische Erscheinungen fast untrennbar 
mit dyspbasiscben (und umgekehrt) verknüpft sind. Es liegt 
eben an der Fülle der Erscheinungen und an der durch das 
menschliche Individuum selbst bedingten Variabilität ihrer Ver¬ 
knüpfung, dass eine synoptische Einteilung der sprachlichen 
Krankheitssymptome fast niemals eine einfache Einreihung des 
Patienten unter eine ganz bestimmte, eng umgrenzte Rubrik 
gestattet ist. 

In diesem Sinne müssen auch die folgenden Auseinander¬ 
setzungen aufgefasst werden. Im übrigen schliessen sie sich an 
das Kussmaul’sche Einteilungsprinzip mehr an, als das bisher 
Gesagte. Dass wir bei der Haupteinteilung in Dysphasien und 
Dysarthrien unter den ersteren alle Störungen der inneren Sprache, 
die Diktionsstörungen, und unter Dysarthrien die SprecbstÖrungen — 
den Unterschied „Sprachstörungen" und „Sprechstörungen" hebt 
Schuster sehr richtig hervor —, Störungen der Artikulation, 
verstehen, ist Allgemeinbesitz der ärztlichen Erkenntnis; eine 
nähere Ausführung erübrigt sich also. Nur einige Einzelheiten 
müssen erwähnt werden. 

Bei den Dysphasien müssen wir, worauf ich schon vor 
Jahren und mehr als einmal hinwies, aus klinisch-diagnostischen 
und klinisch-therapeutischen Gründen sorgfältig unterscheiden 
zwischen der Sprachlosigkeit = Mutitas, d. h. dem Zustande, 
den wir bei Kindern so häufig finden, bei denen aus irgendeinem 
Grunde die Sprache sich nicht entwickeln konnte, und dem 
Sprach Verlust = Aphasie, dem Zustande, bei welchem durch 
irgendeine Krankheit die vorhanden gewesene Sprache ver¬ 
loren ging. 

Das neugeborene Kind ist stumm, wenn es auoh erfreulicherweise 
nicht stimmlos ist. Es ist aber vom Standpunkt der Lautsprache aus 


Hermann Czech, Wien, 1886.“) Auch möchte ich ganz besonders auf 
die prächtigen drastisohen Darstellungen der alten Holländer hinweisen, 
so Adrian Brouwer’s Darstellung der fünf Sinne usw. usw. 


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80. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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betrachtet stumm: Mutitas physiologioa. Dieser Zustand besteht ver¬ 
schieden lange, je nach Anlage, Geschlecht des Kindes (Mädchen lernen 
meist früher sprechen als Knaben), Temperament, Nachahmungslust usw., 
normalerweise aber nicht länger als bis zum Ende des zweiten Lebens¬ 
jahres. Bleibt die Stummheit, die Sprachlosigkeit über diesen Zeitpunkt 
hinaus bestehen, so spricht man von Hörstummheit, falls das Kind, 
wie bis dahin ziemlich sicher festgestellt wurde, hören kann und sonach 
die normale Eingangspforte für den Aufbau der Lautsprache besitzt. 
Diese Hörstummheit = Audimutitas (Goen nannte sie Alalia idio- 
pathica, Stern nennt sie Mutitas physiologioa prolongata) ist 
selten eine ganz reine. Sehr häufig verknüpft sie sioh mit einer mässigen 
Schwerhörigkeit oder mit mässigen Störungen der Intelligenz, auch 
können organische angeborene Defekte zu ihrem Bestehen beitragen. 
Immerhin darf die Schwerhörigkeit niemals so stark sein, dass die be¬ 
queme Perception der Umgangssprache verhindert wird — denn dann 
würde Taubstummheit bestehen —, und die Intelligenzstörung nicht 
so gross, dass das Kind nicht spricht, „weil es nichts zu sagen hat“ 
(Griesinger), denn dann würde es sich um idiotische Stummheit 
handeln. Häufig genug ist die Hörstummheit nur unvollkommen aus¬ 
gebildet: die Kinder sprechen einige Worte mehr oder weniger deutlich, 
schwerfällig (bradyarthrisch) artikuliert, oder sie sprechen mit erschwerter 
Wortfindung (Bradyphasie) oder in mangelhafter grammatischer bzw. 
syntaktischer Form (Agrammatismus, Akataphasie). 

Ist die Stummheit dadurch veranlasst, dass das Kind hochgradig 
schwerhörig oder von Geburt taub ist, so bezeichnen wir dies als Taub¬ 
stummheit: Surdomutitas, Mutitas surdorum, und rechnen dazu 
auch diejenigen Kinder, bei denen die Taubheit nicht angeboren ist, 
sondern in den Kinderjahren erworben wurde, weil durch die eintretende 
Taubheit der für das Festhalten der sprachlichen Bewegungsvorstellungen 
notwendige fortwährende adäquate Hörreiz verloren geht und die Kinder 
die erworbenen Sprachbewegungsvorstellungen vergessen. 

Endlich kann eine Unmöglichkeit, die Sprache zu erlernen, durch 
die verschiedenen Formen der Idiotie begründet sein: Mutitas 
idiotica. 

Die zweite Unterform der Dysphasien (s. c.) bilden dann die ver¬ 
schiedenen Formen der Dysphasien (s. str.), die Aphasien: sensorische, 
motorische Aphasie, amnestische Aphasie, Agrammatismus, Akataphasie, 
Paraphasie usw., die dem Arzte entsprechend ihrer bekannten Ver¬ 
knüpfung mit anatomisch-pathologischen Unterlagen am geläufigsten sind. 
Zu diesen Gruppen gehören auch Fälle von Sprach vertust, welche bisher 
nicht pathologisch-anatomisch begründet sind, so die hysterische 
Aphasie (Mutismus, Mutacismus, Apsithyrie), ferner die bei Kindern ab 
und zu beobachtete — Henoch hat mehrere Fälle beschrieben, 
ebenso Lichtenstein und ich selbst — reflektorisch entstehende 
Aphasie durch Würmer (Aphasia helminthica), auch die nicht ge¬ 
rade notwendigerweise hysterisch bedingte, sondern auf starke Unlust¬ 
wirkungen zurückzuführende Aphrasia voluntaria, freiwillige 
Stummheit der Kinder, die häufiger vorkommt, als man bisher annahm, 
gehört hierher. 

Schon hieraus ist ersichtlich, dass das Gebiet der Dysphasien 
(s. str.) grösser umschrieben werden muss als bisher. Als 
besondere Formen der Aphasie möchte ich neben den drei Hauptformen, 
der sensorischen, motorischen und gemischten Aphasie, die Hypophasie 
bzw. Bradyphasie einfügen, die Verlangsamung und Erschwerung der 
Wortfindung sowie der Satzbildung, häutig verbunden mit Embolophrasie, 
einer Erscheinung, die nicht nur auf Entwicklungsstörungen der Sprache 
bezogen werden kann, sondern auch bei Erwachsenen auf Grund 
anatomisch bedingter centraler Störungen eintritt, ohne dass eigentlich 
Aphasie in den vorhergenannten Formen besteht. Sehr oft bildet 
sie bei der Sprachentwicklung den Hauptanlass zur Entstehung des 
Stotterns (s. u.). 

Den Aphasien gegenüber bildet die Paraphasie eine besondere 
klinische Erscheinung, die häufig bei den genannten verschiedenen 
Formen der Aphasie eintritt und für die sensorische Aphasie charakte¬ 
ristisch ist, aber auch als selbständig bestehende Sprachstörung beob¬ 
achtet werden kann: grössere Zerstreutheit, Unaufmerksamkeit, zu 
schnelle Verdrängung des richtig auftauchenden Wortes durch ein 
folgendes, Kreuzung der Gedanken, Verwirrung der Worte (Tumultus 
sermonis, Kuss maul), Perseveration usw. Ihre Formen sind sehr 
mannigfach, und folgen wir den Auseinandersetzungen von Mayer- 
Mi ehringer, so können wir Kommutation, Substitution (ich würde 
besser „Permutation“ für beides sagen) unterscheiden, ferner, wenn 
sich diese Vertauschungen in Worten, Silben oder Lauten äussern, 
die Paraphasia verbalis, syllabaris, literalis, sodann: Vertauschungen von 
Klängen. Anteceptionen, Naohklängen, Postpositionen —, diese eng ver¬ 
wandt mit den Perseverationen, Kontaminationen, Dyssimilationen = 
Auslassungen von Lauten; beide letztere Gruppen sind eventuell auch 
unter die Pararthrien bzw. Paralalien leicht einzureihen. 

Auch ein übermässig schneller und intensiver Ablauf des Sprach- 
vorgangs stellt eine dysphasische Störung dar, die wir mit Hyper- 
pbasie bezeichnen können. Sie findet sich gewöhnlich pathologisch 
mehr bei Geisteskranken, aber auch in den Erscheinungen des täglichen 
Lebens begegnet sie uns oft bei sonst scheinbar normalen Personen in 
einer Form, die einen pathologischen Charakter trägt und dann als 
Logorrhöe, übermässige Geschwätzigkeit, Tumultus sermonis (s.o.) 
usw. bezeichnet werden kann. Auch schrullenhafte üble Gewohnheiten 
der Rede, Einflechten von mehr oder weniger sinnlosen Silbenfolgen 


oder Wiederholungen (Embolophrasie, Palimphrasie, als Gewohn¬ 
heitsstörungen, auch alsAmelophrasie zu bezeichnen) gehören hierher. 

Die zweite grosse Gruppe der Lalopathien wird durch die 
Dysarthrien im allgemeinsten Sinne des Wortes dar¬ 
gestellt. Die Zahl und Mannigfaltigkeit der Dysarthrien ist gam 
erstaunlich gross. So kommt es, dass ihre Gliederung eine be¬ 
sonders grosse Mannigfaltigkeit zeigt. 

Als erste Untergruppe würde ich die Dysarthrien im engeren Sinne 
des Wortes ansehen und unter ihnen die Störungen in der Ausführung 
der Artikulationsbewegungen bei richtigen Bewegungsvorstellungen ver¬ 
stehen. Dass hier die Erscheinungen sehr wechselnd sein können, liegt 
auf der Hand. Als Unterarten nenne ich hier ganz kurz die Anarthrie 
bzw. Hyperarthrie, die Bradyarthrie, Bradylalie (schwerfällige, plumpe 
Bewegungen, Steifheit der Bewegungen; normal findet sie sich auf einer 
gewissen Entwicklungsstufe der Kindersprache), die Dysarthria paretica 
bzw. paralytica bulbaris und pseudobulbaris, Dysarthria astenica (bei 
dem Allgemeinbilde der Myasthenie, aber auch als Symptom der Neur¬ 
asthenie). Eine besondere Art dieser asthenischen Dysarthrie ist die 
Hyparthria phonasthenica bzw. die Phonasthenie in einigen ihrer Formen. 
Dagegen würden wir die hysterische Aphonie mehr den Störungen gleich 
rechnen, die durch Vergessen der betreffenden Bewegungsvorstellungen 
bzw. central bedingt sind, und sie an die oben schon erwähnte Stelle 
einordnen. 

Die Pararthrie zeigt sich in dem falschen Ausmaass, in der Ent¬ 
gleisung der Bewegungen, eventuell als Störung der zu supponierenden 
Koordinationscentren für die Artikulation, d. h. der Zusammenarbeit von 
Atmung, Stimme und Artikulation. Dahin gehört die Dysarthria atactica, 
z. B. bei Tabes, aber auch bei Taubstummen, wo sie oft die Form der 
Hyperarthrie aus Ungeschicklichkeit annimmt. Störungen in den 
Accenten und Zeitabläufen der Artikulation können wir unter dem Namen 
der Dysarthria arhythmica zusammenfassen. Dahin gehören die Störungen 
in den verschiedenen Accenten der Sprache: Monotonie im allgemeinen 
Sinne, unter dieser wieder zusammen gefasst die Monotonie im musikali¬ 
schen Accent, die Eintönigkeit; die Monodynamie, Fehlen der Betonung, 
Einförmigkeit der Sprache; die Monochrome, bei der die Bildung der 
einzelnen Silben in ganz gleichem Zeitlauf statthat: skandierende 
Sprache. Unter die arythmische Sprache gehört ferner das Silbenstolpern, 
das Poltern usw. 

Eine besondere Form der Pararthrie stellen ferner die Paraphonien, 
Diplophonien, Dysphonien dar. Endlich gehört dahin auch die Pararthria 
literalis, die aber mit der vorher schon an anderer Stelle untergebrachten 
Paraphasie identisch sein kann. 

Als dritte Gruppe kann man die Hyperarthrien ansehen. Dahin 
gehören die verschiedenen Formen der Dysarthria spastica, worunter 
nicht allein das Stottern zu subsumieren ist, sondern auch manche 
Formen der Sprachstörung bei Little’scher Starre, ferner die choreati¬ 
schen Sprachstörungen, die Störungen bei Paralysis agitans u. a. m. 
Zur Hyperarthrie kann man weiter die oben schon erwähnte Dysarthria 
atactica und schliesslich auch die sehr seltene Form der Hyperphonie 
rechnen, bei der der Kranke ganz gegen seinen Willen übermässig laut 
sprechen muss. Hiervon habe ich nur einen einzigen Fall beobachtet. 

Als besondere Gruppe der Dysarthrien empfiehlt es sich 
— auch aus klinischen Gründen —, die durch irgendwelche 
Störungen der Entwicklung der Artikulation und die durch 
mechanische Hemmnisse hervorgebrachten Artikulationsstörungen 
aufzustellen. Man könnte sie als Dysarthrogenien bezeichnen, 
und die organisch bedingten, die Dysarthrogeniae organicae, die 
seit Kussmaul allgemein als Dyslaliae bezeichnet werden, von 
den durch irgendwelche fehlerhaften Gewohnheiten entstandenen 
habituellen Dysarthrogenien trennen. Letztere hat Ziehen als 
Ameliae (dßihta — schlechte Gewohnheit) bezeichnet. 

Inwieweit einzelne der als besondere Symptomenkomplexe 
auftretenden Sprachstörungen, so z. B. das Stottern, mit ver¬ 
schiedenen Formen der Dysarthrien (das Stottern nicht zum 
kleinen Teil auch, wie oben schon erwähnt, mit den Dysphasien) 
in Zusammenhang gebracht werden müssen, will ich hier nicht 
näher erörtern, sondern nur kurz auch hier wieder auf die Un¬ 
möglichkeit der schematischen Einordnung des einzelnen Patienten 
unter eine derartige synoptische Gliederungstabelle verweisen. 
Gerade aus diesem Grunde empfiehlt es sich, die besonderen, 
für manche Nervenkrankheiten als ganz hervorstechendes Symptom 
charakteristischen Dysarthrien auch hier noch gesondert ein- 
znreihen und vielleicht unter dem Titel Dysarthriae syra- 
ptomaticae zusammenzufassen. 


Die Logopathien (Sprachstörungen im allgemeinsten Sinne 
des Wortes) teilen sich demnach symptomatisch-synoptisch ein in: 

I. Mimopathien. 

A. Dysmimiae: motorica, sensorica (Amimie, Hypomimie, Para- 
mimie, Hypermimie, Dysm. amnestica. — B. Dysarthriae mimicae s.: 
Dyskioesiae mimicae. Diese nähern sich bekannten Apraxieformen bzw. 
sind teilweise mit ihnen identisch. 

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1200 __ _BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.__ Nr. 26. 


Storungen der Bilder- und Gebärdenschrift = Dysgraphiae 
mimicae (s. c.): A. Dysgraphiae mimicae s. str.: motorische, sensorische 
(= mimische Dyslexie) usw. Dysgr. mim. amnestica. — B. Dysarthria 
mimographica (hier gilt das gleiohe wie hei der Dysarthria mim.). 

II. Phono- hzw. Melodopathien. 

A. Dysphoniae und Dysmusiae (im Sinne der Dysphasie). 
Nähere Einteilung wie bei der Aphasie: Amusia mot., sens., Paramusi© usw. 
Dysphoniae für Vokal-, Dysmusiae für Instrumentalmusik. — B. Dys¬ 
arthria musicalis (phonica und instrumentalis). Einzelne Formen 
sind z. B.: Dysklesiae, Störungen der Ruf-, Kommandostimme; Dys¬ 
arthria phonica, Dysphoniae s. str., Störungen der Singstimme; 
Dysarthria phthongica, Dysphthongie, Störungen der Sprechstimme. 
Letztere gehören ganz zu den Lalopathien, die beiden ersteren nur teil¬ 
weise. 

Störungen der phonischen bzw. musikalischen Schrift: 
Dysgraphiae (s. c.) musicales: A. Dysgraphia (s. str.) musicalis 
(weitere Einteilung wie oben). — B. Dysarthria muso-graphica. 

III. Lalopathiae. 

A. Dysphasiae (s. c.): 1. Mutitas (Mutit. physiologica), Audi- 
mutitas, Sordomutitas, Mutitas idiotica, Mutitas sensorica. 2. Dys¬ 
phasiae (s. str.): Aphasia motorica, sensorica, Paraphasia, Aphasia 
amnestica, Aphasia grammatica, Akataphasie. — B. Dysartbriae (s. o.): 

1. Dysartbriae: die einzelnen Arten s. oben im Text. 2. Dysarthro- 
genien: a) Organicae (= Dyslaliae), Gaumenspalten, Lähmungen usw. 
b) Babituales (Ameliae, Ziehen), Gewohnheitsstörungen, Erziehungs-, 
Nachahmungsfehler. 3. Dysarthriae symptomaticae (als vor¬ 
wiegendes Symptom von Nervenkrankheiten usw.). 

Störungen der Lautschrift: A. Dysgraphiae: 1. Dysgraphia 
motorica. 2. Dysgraphia sensorica = Dyslexia. B. Dysarthria lalo- 
graphica. _ 

Wenn ich auch schon gleich am Anfang meiner Darstellung 
bervorgeboben habe, aus welchen Gründen wir bei einer allge¬ 
meinen synoptischen Darstellung der Sprachstörungen von der 
klinischen Symptomatologie ausgehen müssen, so möchte ich doch 


zum Schluss, um nicht missverstanden zu werden, betonen, 
dass ich eine Einteilung und Gruppierung der Sprachstörungen 
auf Grund pathologisch-anatomischer Substrate durchaus nicht 
etwa ablehne. Wir erfreuen uns einer immer mehr wachsenden 
Fülle von anatomisch-pathologischen Daten, und wenn man zu- 
saatmen fassende Uebersichten, wie die bekannte Arbeit von Naunyn, 
oder die letzten Arbeiten H. Liepmann’s, Heilbronner’s u. a. 
zur Hand nimmt, so ergibt sich, dass für einige Teile des hier 
schnell durcheilten, ungeheuer grossen Gesamtgebietes der Sprach¬ 
störungen eine pathologisch-anatomische Einteilung zurzeit nicht 
nur möglich, sondern auch berechtigt ist. Ja, man darf sogar 
behaupten, dass sie für die Fixierung unseres Kenntnisbesitzes 
von Zeit zu Zeit geradezu nötig ist. Aber wie schon früher aus¬ 
geführt, sind diese pathologisch-anatomischen Unterlagen doch 
nur für einige Teile des Gesamtgebietes gegeben und sind ao 
einigen Stellen — man denke an die schwierige Trennung der 
corticalen Dysarthrien vom Symptomenbilde der sogenannten sub- 
corticalen motorischen Aphasie — nicht einmal eindeutig. 

Eine einheitliche synoptische Darstellung des ganzen Gebietes 
lässt sich demnach auf das bisherige, noch lückenhafte patho¬ 
logisch-anatomische Material hin nicht geben, so dass die sympto- 
matologisch-synoptiscbe Darstellung notwendigerweise gewählt 
werden muss. Der Mangel ist aber auch nicht so gross, wie es 
scheint. Gerade für den Studierenden der Medizin, der in die 
Kenntnis des Gebietes eindringen will, d. h. für den klinischen 
Unterricht, und für den praktischen Arzt, der durch seine Be¬ 
dürfnisse im täglichen Verkehr mit den Patienten sich zunächst 
doch immer an die klinischen Symptome halten muss, ist die 
klinische Symptomatologie als Grundlage einer synoptischen Dar¬ 
stellung der Sprachstörungen nicht nur zweckmässiger, sondern 
bietet auch für die Erforschung der Aetiologie sowie für die Dia¬ 
gnose und besonders die Therapie die beste wissenschaftliche 
Unterlage. 


Der Einfluss der Kalksalze auf Konstitution 
und Gesundheit 

Von 

Rudolf Emmerieh und Oscar Loew. 

Wie aus vielen neueren Untersuchungen hervorgebt, spielen 
Kalkverbindungen nicht nur in Zähnen und Knochen eine Rolle, 
sondern überhaupt in den verschiedensten Organen des Körpers, 
namentlich im Herzmuskel, in Drüsen, Nervensystem und Gehirn. 
Gegenüber einigen anderen Hypothesen über die Funktion des 
Calciums hat der eine von uns (L.) schon im Jahre 1892 eine 
charakteristische Reaktion mit Pflanzenzellen beschrieben, welche 
ein helles Licht auf die wichtigste Funktion des Calciums 
wirft 1 ). 

Diese Erscheinung besteht darin, dass der Zellkern bei Be¬ 
rührung mit einer neutralen Lösung von lproz. oxalsaurem Kali 
unter starker Kontraktion sehr rasch abstirbt. Dem oxalsauren 
Kali gleich wirkt Fluornatrium. Beide Salze zeichnen sich durch 
ihre Eigenschaft aus, mit Calciumverbindungen zu reagieren unter 
Ausfällung des Calciums als unlösliches Oxalat oder Fluorid. 
Aus jener Kontraktion kann somit geschlossen werden, dass das 
Calcium im Zellkern vorhanden ist und dieser Calciumgehalt 
wichtigen Bestandteilen des Zellkernes entzogen und durch Kalium 
oder Natrium ersetzt wurde. Bei dieser Veränderung scheint nun 
die Wasserbindungsfähigkeit der Bestandteile des Zellkerns stark 
vermindert zu werden, weshalb dann jene bedeutende Kontraktion 
mit Strukturstörung und Tod erfolgt. 

Dass die Folgerung betreffs des Calciumgehaltes des Zellkerns 
auch für die tierischen Zellen zutrifft, geht aus folgenden Gründen 
hervor: 

1. Es gibt keine strenge Scheidung zwischen pflanzlichen 
und tierischen Formen, da bekanntlich die höheren Flagellaten 
einen Uebergang auf den untersten Stufen der beiden Reiche ver¬ 
mitteln. 

2. Oxalsaures Kali und Fluornatrium sind nicht nur Gifte 
für Pflanzen, sondern auch für sämtliche tierische Formen. Nach 
Ferdinand Winkler bringeu beide Salze bei Leukocyten einen 
raschen Kernzerfall zustande, was weinsaures Kali nicht tut. 

3. Die roten Blutkörperchen der Säugetiere besitzen keinen 
Kern und sind auch frei von Calcium, während die roten Blut- 


1) Flora, 1892, S. 368; ferner Bioohem. Zeitschr., Bd. 88, S. 226. 


körperchen der Vögel einen Kern besitzen und, wie Hörhammer 
fand, auch Calcium enthalten. 

4. Der Calciumgebalt der tierischen Organe wächst mit der 
Masse und Grösse der Zellkerne. Drüsen und Ganglienzellen ent¬ 
halten, ihrer grösseren Kernmasse entsprechend, drei- bis vier¬ 
mal so viel Kalk als die an Kernmasse armen Muskeln der Säuge¬ 
tiere. Die Muskeln der Fische besitzen grössere Zellkerne als 
die der Säugtiere, und dementsprechend ist auch der Kalkgebalt 
ein weit grösserer 1 ). 

Da nun die Funktionen der Zellkerne sehr mannig¬ 
faltige sind, so ergibt sich auch, dass ihr Kalkgehalt 
bei den verschiedensten Vorgängen im Tier beteiligt 
8ein kann. Eine der wichtigsten Zellkernfunktionen ist z. B. 
die Bildung von Enzymen 2 ). Daher kann auch geschlossen werden, 
dass eine reichliche Versorgung spezieller Zellen mit Kalksalzen 
auch Enzym Vermehrung bedingen und daher die durch Enzyme 
bewirkten Verdauungsvorgänge fördern wird. Diese Forderungen 
finden nun eine Bestätigung durch bis jetzt unerklärt gebliebenen 
früheren Beobachtungen von Boehm 8 ) und von Liebenberg 4 ) an 
Keimpflanzen von Leguminosen, Mais, Kürbis und Ricinus. Die 
in destilliertem Wasser gezogenen Keimpflanzen sterben nämlich 
schon vor dem völligen Verbrauche der organischen 
Reservenahrung ab, nachdem sie etwa 30—60 cm erreicht 
haben. Wenn nun die Pflanzen im Beginn des Absterbens der 
Spitze in verdünnte Lösungen von Kalksalzen eingesetzt werden, 
so werden jene Reste der Reservenahrung vollständig aufgezehrt 
und neue Triebe entwickeln sich nun. Die Kalksalze können hier 
durch keine anderen Salze ersetzt werden. Boehm sagte hier¬ 
über wörtlich: „Auf welche Weise diese Erscheinung zu erklären 
ist, ist noch unbekannt.“ Bei dem nun erkannten Kalkgebalt des 
Zellkerns ist aber eine Erklärung leicht möglich. Die Samen 
sind in der Regel kalkarm, aber reich an Magnesia. Dieser 
Ueberschuss an Magnesia hat nach gewisser Richtung hin stets 
einen Nachteil zur Folge, der natürlich um so weniger sichtbar 
wird, je geringer dieser Ueberschuss ist. Diese Wirkung besteht 


1) Siehe Katz, Pflüger’s Archiv, Bd. 68; ferner Oscar Loew io 
Münchener med. Wochenschr., 1911. 

2) Hofer durchschnitt eine Amöbe, der eine Teil, welcher den 
Kern enthielt, übte noch verdauende Wirkung aus, der andere, kern¬ 
freie, der ebenfalls noch eine gewisse Zeit lebte, war hierzu unfähig. 

3) Wiener Akad. Ber. 1857. 

4) Wiener Akad. Ber. 1881. 


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30. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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darin, dass das Magnesium der Magnesiumsalze Calcium im Zell¬ 
kern verdrängt und dadurch den Zellkern schädigt. Geht diese 
Substituierung bis zu einem gewissen Grad vor sich, so muss der 
Zellkern absterben, und darauf beruht die Giftwirkung der 
Magnesiumsalze l ), welche bei Pflanzen schon seit langem bekannt 
ist. Es ist in dieser Beziehung bemerkenswert, dass bei tierischen 
Organismen sowohl Malcolm 2 ) als auch Mendel und Bene¬ 
dikt 8 ) eine Verdrängung von Kalk aus den Organen durch 
Magnesia bei Zufuhr von gewissen Mengen eines Magnesiasalzes 
beobachtet haben. 

Ist der Zellkern selbst nur oberflächlich geschädigt, so 
werden immerhin seine Funktionen schon beeinträchtigt werden. 
Und wenn nun die Enzymproduktion der enzymliefernden Zellen 
in jenen Keimpflanzen geschädigt wird, so können jene Reserve¬ 
stoffe auch nicht mehr vollständig in Lösung gebracht werden. 
Findet aber wieder eine Zufuhr von Calcium von aussen her 
statt, wie in den Versuchen von Boehm und Liebenberg, so 
kann sich der Zellkern wieder völlig regenerieren und seine 
enzymbildende Funktion wieder ausführen, was zum Lösen des 
erwähnten Restes der Reservestoffe führt, welche damit zur Ver¬ 
wertung seitens der Pflanze gebracht werden. 

Wenn wir nun viele unserer Nahrungsmittel betrachten, so finden 
wir z. B. bei Fleisch, Kartoffel und Vollkornbrot einen Kalkmangel 
zugleich bei einem Ueberschuss von Magnesia 4 * * * ). Dieser Umstand veran- 
lasste uns, auch die Zufuhr von Kalksalzen bei der menschlichen Er¬ 
nährung zu versuchen. War jene Erklärung richtig, so musste auch 
hier in den eventuell durch den Magnesiaüberschuss der Nahrung ge¬ 
schwächten Verdauungsdrüsen durch Zufuhr von Kalksalzen eine ver¬ 
mehrte Enzym Produktion erreichbar sein, was sich in einer besseren 
Ausnützung der Nahrung und deshalb in einer Gewichtszunahme des 
Körpers bemerklich machen konnte. Diesbezügliche Versuche haben wir 
nun schon seit längerer Zeit angestellt und in der grossen Mehrzahl der 
Fälle in der Tat eine einige Monate andauernde Gewichtszunahme beob¬ 
achtet. Zu unserer grossen Ueberraschung ergaben sich jedoch ausser 
dieser Zunahme häufig noch andere sehr wertvolle auf das 
Wohlbefinden bezügliche Erscheinungen, welche wir alsbald er¬ 
wähnen werden. Letzteres erklärt man sich daraus, dass nicht nur die 
zum Verdauungskanal gehörigen Drüsen, sondern alle Zellen des Körpers 
durch Kalkzufuhr günstig beeinflusst werden, wenn vorher eine Ernäh¬ 
rung mit kalkarmer und magnesiareicher Nahrung stattgebabt hatte. 

Verschiedene Erwägungen veranlassten uns, Chlorcalcium als 
das in erster Linie zu berücksichtigende Kalksalz zur Anwendung 
zu bringen, einerseits weil dasselbe sehr leicht löslich ist, anderer¬ 
seits weil es durch Umsetzung mit dem Natriumphosphat des 
Körpers nur das ohnehin reichlich benötigte Cblornatrium liefern 
konnte, und schliesslich schien es uns auch wahrscheinlich, dass 
dem Magen die Abspaltung von Chlorwasserstoff aus Chlorcalcium 
leichter wäre als die aus Chlornatrium und daher auch in dieser 
Hinsicht eine Förderung der Magenverdauung resultieren müsste. 
In der Tat haben verschiedene Personen, auch solche, welche 
nicht an deutlichen Störungen der Magenfunktion litten, den 
günstigen Einfluss des Chlorcalciums bei der Verdauung gelobt 

Wir schlugen vor, nur das kristallisierte Chlorcalcium zu ver¬ 
wenden, weil dieses eine bessere Garantie der Reinheit gibt als 
das pulvrige oder geschmolzene Chlorcalcium des Handels. Jenes 
Salz bildet grosse wasserhelle Kristalle, enthält 6 Moleküle 
KristalIwasser und besteht infolgedessen fast genau zur Hälfte 
aus Wasser. Die zu nehmende tägliche Menge des Salzes setzen 
wir auf 3 g fest, entsprechend rund 1,5 g trockenem Chlorcalcium, 
und zwar Hessen wir diese Dosis, in 3 Teile verteilt, früh, mittags 
und abends zu den Mahlzeiten nehmen, während früher Kalksalze 
oft in den nüchternen Magen oder 1 Stunde vor dem Essen zu 
nehmen verordnet wurden. Aus mehreren Gründen bestanden 
wir stets auf unserer Anordnung. 


1) Flora, 1892, S. 380. Bioohem. Zeitschr., Bd. 38, S. 336. 

2) Journ. f. Physiol., Bd. 22, S. 182. 

3) Journ. f. biolog. Chemie, 1909, Bd. 4. 

4) So ist das Kalk-Magensia-Verhältnis im Muskelfleisch wie 0,71:1; 

Vollkornmehl 0,28 :1; Kartoffeln 0,46:1. Dagegen bei Drüsen im Durch¬ 
schnitt 2,13:1, im grauen Hirn 2,3:1; in der Kuhmilch 8,00:1; Blatt¬ 
gemüse 4,8: 1, feinem Weizenmehl 1:1. Im Vollkornmehl, das ja noch 

die Kleie enthält, ist der bedeutende Magnesiagehalt zum grössten Teil 
an die Kleie gebunden. Die Entfernung der Kleie ist daher rationell, 
was auch aus der Beobachtung von Pias che und Leb bin zu folgern 
ist, dass Kleie auch die Ausnützung des Mehles beeinträchtigt. Die Her¬ 
stellung von Vollkornbrot ist daher ein Rückschritt zu jenen 

Zeiten, wo man überhaupt anfing, Mehl herzustellen. — Die 

Soldaten haben recht, wenn sie für ihr Kommisbrot Semmeln ein tauschen. 


Die Rezeptformel war: 

Chlorcalcium 1 ) crystallisatum pur. 100 g 
Aqu. dest. 500 g 

Täglich zu den 3 Mahlzeiten 1 Kaffeelöffel voll, mit etwas 
Wasser weiter verdünnt oder als Zusatz zu den Speisen 
zu nehmen 2 ). 

Der bittersalzige Geschmack des Salzes ist dann kaum mehr wahr¬ 
nehmbar. Obiges Quantum reicht für ca. 1 Monat, und bei einem Men¬ 
schen von 70 kg Gewicht würde die tägliche Dosis 0,02 g trockenes 
Chlorcalcium auf das Kilo Körpergewicht entsprechen. Diese Mengen 
mussten wir auf Grund von Versuchen, die wir an uns selbst längere 
Zeit hindurch ausführten und auf Grund von Tierversuchen, welche der 
eine von uns schon vor 3 Jahren an Ferkeln angestellt hatte, für gänz¬ 
lich unschädlich erklären. Diese Ferkel hatten täglich 0,1 g trockenes 
Chlorcalcium pro Kilo Körpergewicht zu einem eiweissarmen Futter 
erhalten und hatten bei einem Anfangsgewicht von ca. 5 kg in 7 Wochen 
um mehr als ihr ursprüngliches Gewicht zugenommen (115 pCt.), die 
Kontrolltiere aber nur etwa die Hälfte 3 ). 

Besonders ausführliche Versuche hat aber im vergangenen Sommer 
unter unserer Leitung Herr Michael Dschalalian an Kaninchen, 
Meerschweinchen und Mäusen ausgeführt. Dieselben ergaben, dass 
diese Tiere auffallend grosse Mengen Chlorcalcium per os gut vertragen. 

Verabreichung von Chlorcalcium per os. 

Ein 330 g schweres Meerschwoinchen erhielt zwischen dem 30. IV. 
und 11. VI. in 8 bis 10 tägigen Perioden je 0,3, 0,5, 0,6, 0,8 und 1,0 g 
Chlorcaloium pro Kilo Körpergewicht und zwar in 2,5 und schliess¬ 
lich in lOproz. Lösung. Das Körpergewicht war am 11. VI. auf 350 g 
erhöht. Das Tier ging am 12. VI. infolge einer Verletzung der Magen¬ 
schleimhaut mit der Sonde zugrunde. Der Magen war stark dilatiert, 
in der Schleimhaut einige mit Blut bedeckte Excoriationen, alle Organe, 
besonders auch die Blutgefässe waren normal. Das Tier hat im ganzen 
1,13 g Chlorcalcium erhalten. 

Ein 350 g schweres Meerschweinchen erhält zwischen dem 12. VI. 
und 9. VII. in mehrtägigen Perioden 0,6, 0,8, 1,0, 1,2 und 1,5 g 
Chlorcalcium pro Kilo Körpergewicht in 10 und 15 proz. Lösung durch 
die Sonde in den Magen. Auch dieses Tier starb infolge einer durch 
die Sonde verursachten Magenblutung. Die von Herrn Prof. Dr. Borst 
ausgeführte histologische Untersuchung ergab, dass nirgends Verkalkung 
sichtbar und die Aortawand, die Nieren, Nebennieren usw. normal waren. 

Einem 2600 g schweren Kaninchen wurden innerhalb 19 Tagen 

47.3 g Chlorcalcium in 15 proz. Lösung in den Magen gegeben, worauf 
das völlig gesunde Tier getötet wurde. Sektion; Alles normal. 

Einem 2610 g schweren Kaninchen wurden in 12 Tagen siebenmal 
26 ccm einer 15 proz. Chlorcalciumlösung = 27,3 Chlorcalcium (1,5 g pro 
Kilo Tier im Tag) per os gegeben. Am 12. Tage getötet. Ausser 
einigen alten Blutungen in der Magenschleimhaut durch Sondenverletzung 
alles normal. 

Ein 2140 g schweres Kaninchen erhielt an 10 Tagen 40,9 g Chlor¬ 
calcium in 15 proz. Lösung sowie 1 g Natriumphosphat in den Magen. 
Es wurde also bis zu 2,5 g des Salzes pro Kilo Tier im Tag verabfolgt. 
Nach 18 Tagen war das Körpergewicht auf 2420 und nach 25 Tagen 
auf 2540 g gestiegen. Das Tier bleibt in den folgenden Monaten 
ganz gesund. 

Einem 1900 g schweren Kaninchen wurden innerhalb 13 Tagen 

24.3 g Chlorcalcium in 15 proz. Lösung (1,5 g pro Kilo Tier) in den 
Magen gegeben. Das Tier blieb völlig gesund. Gewichtszuwachs 6,3 pCt. 

Zum Vergleich erhielt ein 1720 g schweres Kaninchen innerhalb 
13 Tagen 24,3 g Chlorcalcium in 15 proz. Lösung und 14,2 g kristall. 
sekund. Natriumphosphat in 10 proz. Lösung durch die Sonde in den 
Magen. Tier bleibt völlig gesund. Gewichtszuwaohs in 13 Tagen 9,9 pCt. 

Subcutane Injektion von Chlorcalciumlösung. 

Einem 330 g schweren Meerschweinchen wurden an 2 aufeinander¬ 
folgenden Tagen je 1,5 ccm 6 proz. Lösung = 0,55 g trockenes Chlor¬ 
calcium steril, subcutan am Rücken injiziert. Es stellten sich schmerzhafte 
Infiltrationen beider Injektionsstellen ein und innerhalb l l f 2 Monaten 
wurden dieselben nekrotisierend ohne Vereiterung abgestossen. Das 
Körpergewicht stieg in dieäer Zeit auf 600 g. Ganz ähnlich verliefen 
einige andere Versuche. 

Auch bei Kaninchen trat nach subcutaner Injektion von 1,4 g 
CaCl* an 3 Tagen Infiltration und Nekrotisierung der Injektionsstelle 


1) Wir haben absichtlich den eigentlichen pharmazeutischen Namen 
Calcium chlorat. vermieden. 

2) Manche Aerzte und Physiologen haben weit grössere Mengen 
Chlorcalcium beim Menschen angewandt, Voorhoeve mehrmals 3,5 mal 
so viel (Biochem. Zeitschr., Bd. 32). Von milebsaurem Kalk wurden 
15—15,4g pro die von Voorhoeve und von Berg dargereicht, in der 
Regel ohne schädlichen Erfolg. Röse hat dagegen bei so grossen Dosen 
Magendrücken, Kopfweh und Brechreiz beobachtet. Voorhoeve konnte 
durch reichliche Zufuhr von milchsaurem Kalk den Kalkgehalt des 
Blutes auf das doppelte steigern, was sehr wichtig ist, da durch 
das Blut sämtliche Organe mit Kalk versorgt werden. 

3) Vergleichende Versuche mit Chlormagnesium führten nach 4 Wochen 
zur Erkrankung der Ferkel; diese konnte jedoch durch Chlorcalcium¬ 
zufuhr bald wieder behoben werden. Das von einem von uns (L.) an 
Pflanzen beobachtete Naturgesetz fand sich also hier wieder beim Tier 
bestätigt. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26. 


ein, während weisse Mäuse nach subcutaner Injektion von je 0,5 ccm 
2proz. Lösung an 2 Tagen keine Veränderungen an den Injektions¬ 
stellen zeigten. 

Intravenöse Injektion von Chlorcalcium. Die intravenöse Injektion 
von 4 ccm einer 6proz. Lösung = 0,11 g CaCI 2 hatte bei Kaninchen 
keinerlei Wirkung. Wurde Kaninchen 6 proz. sterilisierte Chlorcalcium¬ 
lösung von Zimmertemperatur (= 0,15 g und 0,2 g pro Kilo Tier) in 
die Ohrvene injiziert, so fielen die Tiere sofort nach der Injektion um 
und das Herz schlug nicht mehr, nach kaum 3 Minuten richteten sich 
dieselben wieder auf und zeigten in der Folge keinerlei Störungen. 

Ein Kaninchen, welchem 7,3 ccm 6 proz. Lösung von Körper¬ 
temperatur (= 0,2 g pro Kilo) intravenös injiziert wurde, fiel nach 
Va Minute um und starb sofort. Sektion: Ausserdem venösen Aussehen 
des Blutes nichts Abnormes. 

Bei der intravenösen Injektion hat die Schnelligkeit des Einlanfes 
einen grossen Einfluss auf die Wirkung. 0,25 g CaC! 2 pro Kilo 
Kaninchen waren auch, wenn Lösung von Zimmertemperatur injiziert 
wurde, stets sofort tödlich. 

Die Dosis Chlorcalciam, welche von Mäusen monatelang gut 
vertragen wurde, war 20 mal grösser und die von Kaninchen 
vertragene 100 mal grösser als diejenige Dosis Chlorcalcium, 
welche wir für den täglichen Konsum den Menschen auf drei 
Mahlzeiten verteilt Vorschlägen 1 ). Da indessen der menschliche 
Organismus in mancher Hinsicht empfindlicher ist als der 
tierische, so sind wir der Meinung, dass eine Dosis von 0,04 g 
pro Kilogramm Gewicht beim Menschen nicht überschritten 
werden sollte. 

Es folgen nun unsere Beobachtungen an Personen, welche 
das Chlorcalcium in oben genannter Form längere Zeit zu sich 
nahmen. 

Direktor E. Schulz nahm in 4 Wochen um 2 kg zu 2 ), Herr 
Brouchier in 8 Wochen um 7 kg, Fräulein Aust in 3 Wochen um 
2 kg. Frau Brouchier nahm in 8 Wochen um 4 kg zu und wurde in 
dieser Zeit von der sie quälenden Müdigkeit und Schlaflosigkeit befreit. 

Herr Dr. Anger er, welcher eine schwere Eiterkokkeninfektion 
durcbgemacht und monatelang unter Gebrauch verschiedener Tonica 
vergeblich versucht hatte, sein früheres Körpergewicht wieder zu er¬ 
reichen, nahm auf unseren Rat täglich obige Lesung, worauf sein Gewicht 
iu 10 Wochen von 79 kg auf 86 kg stieg, womit sein früherer Zustand 
erreicht war. 

Herr Gymnasialprofessor Dr. Oehler aus Leipzig berichtete uns, 
dass durch die Chlorcaloiumeinnahme das Körpergewicht, welches bei 
1,73 m Körperhöhe nur 67 kg betragen hatte, in 4 Monaten auf 73 kg 
stieg, und dass die depressive Stimmung und andere nervöse Störungen 
sowie träge Verdauung, woran er lange zu leiden hatte, nun völlig be¬ 
hoben seien. Seine Mitteilung schliesst mit den WorteD, dass er durch 
diese Besserung wieder Lebensmut geschöpft habe. 

Herr Baurat v. d. Bercken aus Berlin berichtete, dass ihm das 
Chlorcalcium sehr gut bekommen sei, und dass er bei seinen 70 Jahren 
doch um 3 kg in einem Monat zugenommen habe; ferner hob er be¬ 
sonders die Zunahme der Harnabsonderung hervor. 

Herr Postsekretär Häusler aus Rosenheim nahm in 7 Wochen um 
2 kg zu und die vorhandenen Kongestionen und Angstzustände hatten 
sich wesentlich gebessert. 

Frl. Bi6chi berichtete aus Arrochar Park bei New York eine Zu¬ 
nahme von 0,5 kg in 4 Wochen, sowie bedeutende Besserung der Folgen 
geistiger UeberanstreDgung bei Frl. Roch6. 

Herr Zahnarzt Hauptmeyer-Essen schreibt, dass in einem Monat 
sein Gewicht von 81 auf 84,3 kg stieg. Derselbe hat eine grössere Ver¬ 
suchsreihe an Patienten angestellt, über welche er nach Fortsetzung 
später eingehend zu berichten gedenkt. Aus seinem Briefe wollen wir 
nur noch hervorheben, dass eine ausserordentliche Gewichtszunahme von 
9 kg in 2 Monaten bei einem Patienten mit Aktinomykose des Unter¬ 
kiefers stattfand, der durch die chronische Eiterung erheblich herunter¬ 
gekommen war. Schon nach kurzem Einnehmen von Chlorcalcium 
besserte sich das Befinden, der Appetit wurde grösser, die Eiterung 
ging zurück. 


1) Hierzu bewegt uns nicht nur der zu geringe Kalkgehalt mancher 
Nahrungsmittel, sondern der schon oben erwähnte häufige Magnesiaüber¬ 
schuss über Kalk, wie er besonders in den Getreidesamen, Muskelfleisch 
und Kartoffeln uns gegenübertritt. In neuester Zeit haben wir emp¬ 
fohlen, dem Schwarz- und Weissbrot bei der Teigbereitung Chlorcalcium 
zuzusetzen. Dieses „Calciumbrot“ enthält in 6 Semmeln 0,43 g Kalk 
(CaO) statt 0,06 g wie gewöhnlich und wird bereits in vielen Städten 
Deutschlands hergestellt; der Konsum mehrt sich rapide. Bequemer als 
mit Chlorcalciumlösung arbeiten die Bäoker mit dem „Calcifarin“, einer 
Verbindung von Chlorcalcium mit der aufgeschlossenen Stärke von 
Roggenmehl. 

2) Die Gewichte wurden stets zur gleichen Tageszeit wieder be¬ 
stimmt, in denselben Kleidern und auf derselben Wage. In Folge 
unserer ersten Mitteilung in der Deutschen Revue, Juliheft 1912, haben 
viele Personen im In- und Ausland unseren Vorschlag, täglich Chlor¬ 
calcium zu gemessen, ausgeführt und manohe sandten uns Beriohte zu. 


Herr Dr. Franck aus München berichtete eine Zunahme von 2 kg 
in 6 Wochen. Auch kehrten die vorherigen Ermüdungserscheinungen 
nicht wieder. 

Frau Boyens schrieb uns aus San Francisco, dass die Nervosität, 
an der sie lange litt, und Nagelschwund (Aplasie) auffallend gebessert 
wurden durch Chlorcalcium: „I feel so much better than for many years, 

I think it wonderful.“ 

Herr T. Quigley schrieb aus Seattle (Staat Washington), dass das 
Wasser von Seattle sehr kalkarm sei, und deshalb auch die Zähne der 
Einwohner sehr schlecht seien. Die Chlorcalciumbebandlung sei ihm 
gut bekommen: „It seemed to add vitality as well as energy to the 
system.“ An Gewicht habe er aber um 2,5 kg abgenommen. 

Herr Tostmann aus Hamburg schrieb, dass nach 4 Wochen Chlor¬ 
calciumeinnahme sein Gewicht gleichgeblieben, nach weiteren 4 Wochen 
um 0,5 kg gestiegen war. 

Der eine von uns (L.) hielt sich im vergangenen Sommer in 
Mayaguez auf Portorico auf. Es war nun von speziellem Inter¬ 
esse, zu beobachten, ob die Gewichtsabnahme, welche Personen 
erfahren, wenn sie aus nördlichen Ländern einige Zeit in den 
Tropen verweilen, bis zu einem gewissen Grade durch Chlor¬ 
calciumzufuhr bekämpft werden könnte. 

Herr Prof. E. Grieswold, 29 Jahre alt, wog 90 kg, bevor er nach den 
Tropen kam, und wog dort nach 8 Monaten nur noch 82 kg. Durch 
Einnahme von Chlorcalcium in obengenannter Dosis nahm dieses Gewicht 
in 4 Wochen um 2,5 kg zu. 

Herr N. Ageton, Chemiker, seit einem Jahre in den Tropen, nahm 
in 4 Wochen um 1,5 kg zu. 

Herr P. Barby, 16 Jahre in den Tropen, batte bei seiner Ankunft 
ein Gewicht von 71,5 kg, jetzt aber nur noch 63 kg. Durch Chlor¬ 
calciumgenuss wurde hier in 6 Wochen das Gewicht nicht erhöht. Da¬ 
gegen zeigte sich bei mehreren Eingeborenen eine nicht unerhebliche 
Wirkung. 

Herr C. Alemar Stenograph, 25 Jahre alt, vermehrte sein Gewicht 
durch Chlorcalcium in 5 Wochen von 64,5 auf 67 kg, Herr L. Arroyo 
in 3 Wochen von 71,2 auf 72,7 kg. 

Im folgenden ist über die durch Einnehmen von 1,5 g Chlor¬ 
calcium (auf wasserfreies Salz berechnet) eingetretenen Verände¬ 
rungen in Gewicht und Gesundheitszustand, beobachtet an 
Münchener Arbeitern von anfangs Dezember 1912 bis Mitte 
April 1913, berichtet: 

I. Gewiohtsvermehrung: B. Szimanski nahm in 4 Wochen 
zu von 57,5 auf 58 kg; H. Bergmann in 12 Wochen von 62,4 auf 
65,7 kg; F. Schuska in 6 Wochen von 50,5 auf 51,1 kg; I. Stefan in 
4 Wochen von 70,1 auf 71,6 kg; L. Obermayer in 4 Wochen von 63,0 
auf 64,7 kg; J. Högel in 8 Wochen von 64,0 auf 66,1 kg; J. Neudegger in 
8 Wochen von 63,5 auf 65,7 kg; K. Hochstätter in 4 Wochen von 64,0 
auf 65,0 kg, dieser meldete, dass die Bronchitis bei ihm verschwunden sei; 
K. Prell in 8 Wochen von 63,8 auf 64,5 kg; er berichtete, dass die 
Aonepusteln im Gesicht verschwanden; F. Gender in 8 Wochen von 
64,3 auf 64,9 kg, er meldete bedeutende Besserung von Magen¬ 
beschwerden; 0. Hofner in 8 Wochen von 62,0 auf 64,0 kg, be¬ 
richtete weit geringere Ermüdung bei angestrengter Arbeit als früher; 
J. Bruschinger in 8 Wochen von 83,2 auf 84,2 kg, er berichtete, 
dass er bei angestrengter Arbeit jetzt weniger schwitzt wie früher, worin 
er auch den Grund zu seltenerer Erkältung sucht, woran er früher 
oft litt; Frl. Sturm in 8 Wochen von 49,5 auf 50,6 kg, sie meldete, 
dass die Menstruationszeit, welche früher 10—14 Tage dauerte und 
den Körper schwächte, jetzt auf 3 Tage beschränkt ist, trotzdem sie nur 
1 kg Chlorcalcium pro Tag nahm. 

II. Gewichtsabnahme: H. Hachfeld in 8 Wochen von 60,7 
auf 60,5 kg; E. Ruppreoht in 4 Wochen von 61,7 auf 61,6 kg (also 
so gut wie gleichgeblieben); S. Petrowitsch in 8 Wochen von 68,1 
auf 67,8 kg, er meldete, dass bei ihm nervöse Zustände, wie Angst¬ 
gefühl und häufiges Erbrechen, bedeutend im Abnehmen sind. H. Kra- 
lock (60 Jahre alt) in 12 Wochen von 54,2 auf 53,6 kg; Asthma ge- 
gebessert, zeigte 4 Wochen später ein Gewicht von 54,9 kg und be¬ 
richtete weitere Besserung des Asthmas; W. Fischer in 12 Wochen 
von 84,0 auf 81,5 kg. War zu Korpulenz geneigt und freut sich über 
die Abnahme. Das häufige Kopfweh und die Unregelmässigkeit 
des Stuhls sind verschwunden. Frau Piller in 12 Wochen von 78,1 
auf 74,8 kg. War sehr korpulent, meldete, dass das häufige Sod¬ 
brennen vollständig verschwand. 

Wie ist es nun zu erklären, dass, während Chlorcalcium- 
zufuhr häufig zu einer mässigen Gewichtszunahme führt, doch 
auch wieder das Gegenteil, eine Gewichtsabnahme, wenn auch 
seltener, erfolgen kann? Wir müssen hier zunächst die Fälle 
ausscheiden, bei denen ein eingetretenes Unwohlsein die gewöhn¬ 
liche Nahrungsaufnahme beeinträchtigte. So hatte z. B. Herr 
Kralock seit längerer Zeit wegen des Asthmas die Nahrungs¬ 
aufnahme bedeutend eingeschränkt und vorwiegend von Milch 
alltäglich grössere Mengen zu sich genommen. Die anfängliche 
Gewichtsabnahme in seinem Falle ist also sehr leicht erklärlich. 


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30. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1203 


Besonders interessieren uns aber die beiden zuletzt erwähnten 
Fälle, in denen eine starke Fettansammlung vermindert wurde. 

Wenn wir unsere bisher an Schweinen gemachten Beob¬ 
achtungen, die allerdings noch bescheidenen Umfangs sind, hier 
verwerten dürfen, so müssten wir sagen: Die Cblorcalciumzufuhr 
fördert wohl den Eiweissansatz, aber nicht die Fettbildung; Fett 
scheint im Gegenteil einem erhöhten Verbrauch zu unterliegen. 
Ist dieses richtig, so müssen zu fette Personen abnehmen, während 
solche Personen, welche in bezug auf Eiweissansatz unterernährt 
sind, nun an Gewicht einige Zeit lang zunebmen durch den 
Eiweissansatz, der durch Calciumzufubr gefördert wird. Aus 
Wasser kann jene Gewichtszunahme schon deshalb nicht bestehen, 
weil Calciumsalze diuretisch wirken. 

Viel ist in dieser Richtung noch zu erforschen, denn wir 
haben auch einige Fälle beobachtet, in denen kräftig ernährte 
Personen durch Cblorcalciumzufuhr noch um einige Kilogramm 
Zunahmen. Die Art der Diät spielt, wie es scheint, bei der 
Wirkung der Chlorcalciumzufuhr eine bedeutende Rolle. Ver¬ 
schiedene Personen werden ferner von Chlorcalcium in bezug auf 
Diurese nicht in gleichem Maasse beeinflusst. Jedenfalls übt 
letztere, wenn sie durch Kalksalze 1 ) hervorgerufen wird, einen 
günstigen Effekt nach verschiedener Richtung hin 3 * S) ). 

Es mögen noch einige Beobachtungen an Hunden angeführt werden: 
Herr Rookstroh in Kipfenberg (Bayern) berichtet: „Unser Hund hat nun 
die ganze Flasche voll Chlorcalciumlösung eingenommen; jeden Tag er¬ 
hielt er einen Esslöffel voll unter seine Mahlzeit verrührt. Sein krank¬ 
hafter, durch grosse Abmagerung trotz besten Futters auffallender Zu¬ 
stand hob sich allmählich, und jetzt ist er wieder kräftig, von gut ge¬ 
nährter Figur, lebhaft und geradezu verjüngt. Diese Beobachtung 
veranlasst mich, nun selbst Cblorcalcium zu nehmen." 

Herr Kommerzienrat Caesar aus Kaiserslautern berichtete: „Ich habe 
meinem 7^ Monate alten glatthaarigen Pinscher seit 4. Juli täglich drei¬ 
mal je einen Kaffeelöffel voll der Chlorcalciumlösung in sein Futter ge¬ 
geben. Am 12. November wog der Hund 30 Pfund, während seine eben¬ 
falls in guter Pflege befindlichen Geschwister es nur auf 20—21V 2 Pfund 
gebracht haben. Bei der heutigen Hundeschau wurde dem Tiere die 
Note „Vorzüglich“ und ein Geldpreis zuerkannt.“ 

Der Eine von uns (E.) hat an seinem eigenen Hund (Rattenfänger) 
beobachtet, dass, seit Chlorcalcium in seine Suppe kommt, er jetzt die 
Vorgesetzte Suppe sehr gerne und zuerst frisst, während er früher die 
Suppe sehr oft verschmähte oder erst nach dem anderen Futter nahm. 
Der Hund ist sehr gesund und lebhafter als früher. Sein Fell ist sehr 
schön geworden. Besonders interessant ist, dass er nicht mehr die grosse 
Gier nach Knochen hat wie früher. 

Manche unserer Beobachtungen über die Wirkung der Chlor- 
calciumzufubr während längerer Zeit haben vor kurzem bereits 
Bestätigung erfahren. So schreibt Herr Dr. L. Reinhardt aus 
Basel 3 ): „Ich habe diese Lösung (obige Vorschrift) Dutzende von 
Malen bei verschiedenen Personen, selbst bei Kindern gegeben 
and stets mit dem besten, ja oft geradezu wunderbaren Erfolg, 
und zwar gerade in Fällen, wo es sich am deutlichsten hätte 
zeigen müssen, wenn die Lösung irgendwelche reizende Wirkungen 
etwa auf den Magen oder auf die Nieren ausgeübt hätte. u 

„Nervenschwache, überarbeitete und seelisch deprimierte 
Personen aber wurden durch das Chlorcalcium in kürzester Zeit 
so geheilt, dass sie nicht genug dafür danken konnten und sich 
als neugeboren, lebenslustig und zur intensivsten Arbeit aufgelegt 
bezeichneten. Einer schrieb mir sogar, er fühle sich „mehr als 
20 Jahre jünger und geistig und körperlich kräftiger als je u . 
Solche Berichte wurden uns auch seit einem halben Jahre brief¬ 
lich und mündlich unter Dankesausdrücken gegeben. 

Schliesslich möchten wir unseren schon im Juli 1912 ge¬ 
machten Vorschlag wiederholen, dass auch gesunde Personen 
Chlorcalcium, sei es in der Form von „Calciumbrot“ oder sei es 
in der Form der von uns vorgeschlagenen Lösung (siehe oben) 
täglich zu sich nehmen, da manche unserer wichtigsten Nahrungs¬ 


1) Die löslichen Kalksalze gehen, per os gegeben, nicht als solche 
ins Blut über, sie setzen sich grössenteils schon im Darm mit den 
Alkaliphosphaten der Nahrung und der Darmsekrete zu äusserst fein 
verteiltem Phosphat um, aus dem beim Uebergang in das Blut wahr¬ 
scheinlich Bicarbonat wird. 

2) Nach Röse (Baineolog. Ztg., 1912) vermehrt Kalkzufuhr auch 

das Lösungsvermögen des Harns für Harnsäure und beeinflusst in 
günstiger Weise den Phosphorsäurestoffwechsel. Ferner betont er: „Die 
Darreichung von harntreibenden Kalksalzen und kalkreichen Mineral¬ 
wässern dürfte vielleicht in Zukunft ein wesentliches Unterstützungs¬ 

mittel bei Entfettungskuren werden.“ Zu den besonders kalk¬ 
reichen Mineralquellen zählt nach Röse auch die Riedbornquelle in 
Thüringen. 

S) Frankfurter Ztg., 15. März 1913. 


mittel nicht nur kalkarm sind, sondern auch einen Ueberschuss 
von Magnesia über Kalk enthalten, was ebenfalls ein ungünstiger 
Umstand ist. 

In Krankheiten, besonders solchen, in denen leicht ein Kalk¬ 
verlust im Harn zu konstatieren ist, wird besser milchsaurer Kalk 
verwendet und, damit die Alkalinität des Blutes etwas gesteigert 
oder — bei Acidosis — wenigstens erhalten wird, ein Zusatz von 
weinsaurem Natron vorgeschlagen. Die Milchsäure und Weinsäure 
dieser Salze finden sich später als Kohlensäure im gebildeten 
doppeltkoblensauren Kalk und doppeltkohlensauren Natron ' im 
Blutserum wieder. Das Gemisch wird aus gleichen Teilen milch¬ 
sauren Kalks und weinsauren Natrons hergestellt und davon täg¬ 
lich 8—10 g auf drei Dosen verteilt, nach oder zu den Mahlzeiten 
genommen. 

Die Regelung der Kalkzufuhr ist eine der wichtigsten Auf¬ 
gaben der Rassenhygiene. 


Diätetik der Herz- und Gefässkrankheiten. 

Von 

Dr. H. Vaquez- Paris 2 ). 

(Vortrag, gehalten auf dem internationalen Kongress für Physiotherapie 
zu Berlin im März 1913.) 

Wenn man ein System allzustreng befolgt, so führt das bei 
allen Dingen, ganz besonders aber in der medizinischen Praxis, 
zu zwei gleich unliebsamen Extremen. Entweder unterwirft man 
despotisch Kranke, welche hierzu gar nicht geeignet sind, diesen 
unveränderlichen Formeln, oder spricht der Verordnung jede 
Wirksamkeit ab, weil sie in den Fällen versagt hat, wo man 
sich berechtigt glaubte, sie anzuwenden. Den drakonischen Ver¬ 
ordnungen, welche gewisse Autoren bei Kranken mit Gefäss- 
sklerose oder Herzleiden trafen, tritt der Skeptizismus eines 
Mackenzie entgegen, welcher der Diätetik bei der Behandlung 
dieser Affektionen jeden Nutzen abspricht. 

Eine so tiefe Divergenz findet ihre Erklärung in dem Um¬ 
stande, dass die Autoren allzulange die Gründe für ihr Vorgehen 
in vorgefassten theoretischen Ideen oder im Empirismus fanden, 
anstatt sich an die gewissenhafte Beobachtung der Klinik und an 
die Lehren zu halten, welche sie uns liefert. Diese letztere, 
einzig rationelle Methode haben wir uns bemüht in dem Haupt¬ 
referat zu befolgen, welches das deutsche Komitee des IV. inter¬ 
nationalen Kongresses für Physiotherapie in ehrenvoller Weise 
mir übertragen hat. Sie erwies sich uns, so hoffen wir wenigstens, 
als der sicherste Leiter, um uns vor jeder Uebertreibung in irgend¬ 
einer Richtung zu schützen und uns zu den diätetischen Vor¬ 
schriften zu führen, welchen man mit Recht die Kranken mit 
Herz- und Gefässaffektionen zu ihrem eigenen Besten und ohne 
dass sie zu sehr darunter leiden, unterwerfen kann. 

Die erste Frage, welche sich uns an der Schwelle dieses 
Vortrags entgegenstellt, ist die, ob ein Ernährungsverfahren ge¬ 
eignet ist, uns Mittel zu liefern, um in gewissem Grade die Zahl 
der Affektionen des Circulationsapparates herabzumindern. Han¬ 
delt es sich um solche Herzleiden, welche sich aus Infektions¬ 
krankheiten entwickeln, so ist die Antwort auf diese Frage sehr 
einfach. Es ist klar, dass die Ernährungsart keineswegs solche 
rein zufälligen Komplikationen verhüten kann. Sobald diese auf- 
treten, muss sich die Ernährung mehr nach der Krankheitsursache 
richten als nach dem Herzleiden, welches sie hervorgerufen hat. 
Zahlreiche Herzaffektionen sind jedoch von tiefen Störungen oder 
allgemeinen Veränderungen des Circulationssystems, wie Erhöhung 
des Blutdrucks und Gefässsklerose abhängig, wobei letztere oft, 
aber nicht immer, die Folge des ersteren ist. Gewisse Autoren 
haben freilich behauptet, dass man in einem besonderen Er¬ 
nährungsregime die Mittel an der Hand hat, diese pathologischen 
Zustände zu vermindern. Wenn das der Fall wäre, so würde 
dieses Regime eine nicht zu verachtende prophylaktische Rolle 
spielen. Sehen wir zu, was man von dieser Behauptung zu 
halten hat. 


Beschäftigen wir uns zunächst mit der Erhöhung des arte¬ 
riellen Blutdrucks und untersuchen nach der von uns skizzierten 
Methode, ob aus der klinischen Beobachtung und dem Experiment 

1) Beide Salze werden in kristallisierter Form verwendet, also als 
(CaHßOakCa -f- 5 aq und C 4 H 4 0eNa2 -f 2 aq. 

2) Uebersetzt von San.-Rat Dr. Lewin. 

' 3* 


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UMIVERSITY OF IOWA 





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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26. 


Anzeichen dafür vorliegen, dass die arterielle Blutdruckerhöhung 
hervorgernfen, unterhalten oder verstärkt wird durch eine fehler- 
hafte Ernährung hinsichtlich der Menge oder der Natur der ein¬ 
geführten Speisen oder Getränke. 

Für viele Autoren besteht diese Fragestellung nicht, da für 
sie die arterielle Blutdruckerhöhung nur ein sekundäres patho¬ 
logisches Symptom ist, hervorgerufen durch eine aktive oder 
latente Nierenschrumpfung. Diese Meinung wird mit grosser 
Energie von Prof. Strauss vertreten, welcher behauptet, dass er 
nur ganz ausnahmsweise Fälle gesehen habe, wo bei einer 
während des Lebens festgestellten Blutdrucksteigerung, nicht bei 
der Sektion eine mehr oder weniger tiefe pathologisch anatomische 
Veränderung der Niere bestanden hätte. Wenn das stets sich so 
verhielte, so gehörte die Frage der Diätetik bei Kranken mit 
arterieller Blutdruckerhöhung nicht vor unser Forum, sondern sie 
würde ausschliesslich durch die Nierenpathologie bestimmt. 
Unsere persönlichen Erfahrungen jedoch gestatten uns nicht eine 
ähnliche Deutung, obwohl wir wissen, dass sie allgemein geteilt 
wird. Wir sind der Anschauung von Senhouse-Kirkes und 
Traube treu geblieben, weil sie uns den Lehren der Klinik zu 
entsprechen scheint. Ohne uns auf eine eingehende Diskussion 
einzulassen, welche hier nicht am Platze wäre, erklären wir, dass 
eine grosse Anzahl Kranker, welche jahrelang unter unserer 
Beobachtung stand und mehr oder weniger schwere Gefäss- 
Störungen, wie Schwindel, wiederholte Hirnblutungen usw., und eioe 
bisweilen beträchtliche arterielle Blutdruckerhöhung (230 bis 
260 mm, Methode Riva Rocchi) darbot, zu keiner Zeit die ge¬ 
ringsten Zeichen irgendeiner Insuffizienz der Nierenfunktionen ge¬ 
zeigt hat. Wir haben sie nicht nur mit allen gebräuchlichen 
Methoden untersucht, sondern auch bei Personen, welche an dieser 
Blutdrucksteigerung litten und an Apoplexie zugrunde gingen, die 
Sektion gemacht, ohne Nierenläsionen von irgendwelcher Bedeutung 
zu finden. 

Ueberdies hat die Existenz solcher Läsionen, die so häufig 
von anderen beobachtet wurden, für uns nichts Ueberraschendes, 
da eine abnorme Erhöhung des Blutdrucks, wenn sie sich in die 
Länge zieht, notwendigerweise eine allgemeine Gefässsklerose der 
grossen und kleinen arteriellen Aeste und besonders eine Sklerose 
der Nierengefässe vom Typus der interstitiellen Nephritis hervor- 
rufen muss. Wir sind also der Ansicht, dass es vor Eintritt der 
allgemeinen oder Nierensklerose eine Zeit gegeben hat, wo die 
einzige im Organismus vorhandene Veränderung in einer abnormen 
Erhöhung des arteriellen Blutdrucks bestand. Dieser Phase hat 
Huchard den Namen der Präsklerose beigelegt. Von diesem 
Standpunkte aus ist die Frage berechtigt, ob nicht in einem ge¬ 
wissen Grade die Ernährung für die Störung verantwortlich ist, 
welche durch die Hypertension im Gleichgewicht des Circulations- 
systems hervorgerufen wurde. Manche Autoren haben das ange¬ 
nommen; ihre Anschauung wurde jedoch nur in sehr seltenen 
Fällen durch die Tatsachen bestätigt. Soweit wir wenigstens die 
Kranken, welche wir zu untersuchen batten, befragten, haben wir 
nichts Sicheres über den Einfluss der Natur oder Menge der ein¬ 
geführten Nahrung erfahren; dagegen haben wir die schädliche 
Rolle gewisser Getränke kennen gelernt. 

Wir haben eine grosse Anzahl starker Esser, die teilweise 
unmässig viel Fleisch essen, ohne dass der Blutdruck die nor¬ 
malen Zahlen übersteigt und eine Anzahl anderer mit Blutdruck¬ 
steigerung, deren Ernährung jeder Kritik standhält. Dahingegen 
haben wir häufig in dem unmässigen Genuss von alkoholischen 
Getränken die Ursache einer arteriellen Blutdrucksteigerung 
gefunden, für die es keine andere Erklärung gab. Man hat 
unter diesen Umständen bald die Menge, bald die alkoholische 
Beschaffenheit der Getränke angeschuldigt. Auf die Menge der 
Getränke allein kann man die Existenz der dauernden Blutdruck¬ 
steigerung nicht zurückführen. Denn die experimentellen Unter¬ 
suchungen haben ergeben, dass die Zufuhr einer ziemlich grossen 
Flüssigkeitsmenge sehr wenig auf den arteriellen Blutdruck ein¬ 
wirkt, vorausgesetzt, wie wir gleich hinzufügen wollen, dass das 
Nierenfilter seine nahezu normale Durchgängigkeit bewahrt hat. 
Unter solchen Umständen erhält die rapide einsetzende Diurese 
den Blutdruck unversehrt. Das ist jedoch, wie wir später sehen 
werden, nicht der Fall, wenn die Nierenfanktionen eioe tiefe 
Störung erlitten haben. 

Ganz anders äussert sich der Einfluss der alkoholischen Ge¬ 
tränke. Der Missbrauch der Liköre, der so verbreitete und so 
schwer verderbliche Gebrauch von Abführmitteln rufen allerlei 
Arten von arterieller Blutdrucksteigerung hervor, welche nicht 
lange Zeit in der Phase der einfachen Gefässstörung verbleibt, 


sondern schnell, zum mindesten nach einigen Jahren, ihren Aus¬ 
gang in eine deutliche Nierenschrumpfung nimmt. 

Wie wirkt der Alkohol? Das ist eine Frage, welche zurzeit 
schwer zu beantworten ist. Aendert er die Zusammensetzung des 
Blutes oder vermehrt er seine Viscosität, wie Bl an sch y ange¬ 
nommen hat? Das ist bei dem gegenwärtigen Stand der Dinge 
eine sehr unsichere Behauptung. Um sie zu prüfen, müssten die 
gebräuchlichen Methoden der Viscosimetrie eine Präzision besitzen, 
welche ihnen bisher abgeht. Man müsste untersuchen, ob ein 
exaktes Verhältnis zwischen dem Druck und der Viscosität des 
Blutes besteht. Die experimentellen und klinischen Beobachtungen 
lehren jedoch, dass dieses Verhältnis grossen Schwankungen 
unterworfen ist, so dass man unmöglich darauf diagnostische oder 
pathogenetische Schlüsse irgendwelcher Art aufbauen kann. Wir 
legen unsererseits den Untersuchungen Aubertins mehr Be¬ 
deutung bei, welcher gezeigt hat, dass die wiederholte Zufuhr 
von Alkohol bei Tieren eine Hyperfunktion der Nebennieren 
berbeiführt: eine Hyperepinephrie, durchaus der von Bernard 
und Bigard bei Bleivergiftung angegebenen vergleichbar, welche, 
wie bekannt, in gleicher Weise eine dauernde Blutdrucksteigerung 
erzeugt. 

Der Genuss edler Weine oder starken Bieres in zu reich¬ 
lichem Maasse ruft dieselben Wirkungen wie wiederholte Dosen 
Alkohol hervor, jedoch vielleicht nicht so schnell, weil die reich¬ 
lich miteingeführte Flüssigkeit eine beschleunigtere Ausscheidung 
dieses besonders schädlichen Giftes, des Alkohols, bewirkt. Wir 
hatten jedoch Gelegenheit, einen besonders kräftigen Mann 
mehrere Jahre hindurch zu behandeln, weicher täglich 3—4 1 
Bier trank, ohne irgendein anderes spirituoses Getränk zu sich 
zu nehmen, und der zur Zeit unserer ersten Untersuchung die 
Symptome einer beginnenden Nierenschrumpfung mit Hypertrophie 
und Dilatation des Herzens und einem Blutdruck von 250 mm 
darbot. Unter dem Einfluss der vollständigen und dauernden 
Entsagung des schädlichen Biergenusses sahen wir allmählich die 
Symptome der Herzschwäche schwinden, Eiweiss, welches im 
Urin etwa 1 pM. betrug, wurde nicht mehr gefunden, während 
der Blutdruck auf 220, später auf 180 mm sank, ohne sich wieder 
zu erheben. Diese Beobachtung, welche die Bedeutung eines 
Experiments hat, zeigt uns sehr gut die eigentümliche und aus¬ 
schliesslich schädigende Rolle des täglich in zu grossen Mengen 
eingeführten Bieres und das Verhältnis der Blutdruckerböhung zu 
den beginnenden Symptomen der Nierenschrumpfung. 

Es geht aus dieser Mitteilung hervor, dass der gewohnheits- 
mässige Gebrauch von Alkohol im Uebermaass zwar nicht die 
einzige Ursache ist, welche eine Erhöhung des Blutdrucks herbei¬ 
führt, sondern nur eine unter vielen anderen, die zu untersuchen 
hier nicht unsere Aufgabe ist, dass er jedoch zu den pathogenen 
Bedingungen dieser Affektion gehört. Aus diesem Grunde wird 
es sich empfehlen, seinen Gebrauch bei allen Personen strengstens 
zu regeln, bei denen man einen abnorm hohen Blutdruck findet, 
welcher auf keine andere Weise zu erklären ist. Das ist die 
einzige Schlussfolgerung, zu der wir in der Frage der Diätetik 
bei hohem Blutdruck gelangt sind. Jede andere Behauptung be¬ 
züglich der Menge der aufgenommenen Speisen, ihrer Natur, ihres 
mehr oder weniger grossen Salzgehalts stützt sich auf keine 
klinische oder experimentelle Grundlage, welche ihre Richtigkeit 
bestätigen könnte. 

Die Frage nach der Pathogenese der Arteriosklerose und der 
Rolle, welche eine fehlerhafte Ernährung in der Genese dieses 
Leidens spielt, hat zu zahlreichen Kontroversen geführt. Die 
Debatte, die sich hierüber erhoben hat, ist übrigens von mehr 
allgemeiner Bedeutung, weil sie die ätiologischen Verhält¬ 
nisse der Gefässsklerose, ihre Beziehungen zu den anderen Affek¬ 
tionen des Circulation8systems und auch die anatomischen Be¬ 
sonderheiten, welche sie zeigt, in sich schliesst Ohne in diese 
Debatte einzutreten, was für unser Referat sich nicht schicken würde, 
möchten wir unsere Ansicht dahin aussprechen, dass die allgemeine 
Gefässsklerose am häufigsten als die erste Ursache der arteriellen 
Blutdrucksteigerung anzusehen ist. Wir verstehen jedoch unter 
allgemeiner Arteriosklerose eine solche, welche den Blutkreislauf 
in seiner Totalität umfasst, die grossen und kleinen Gefösse nach 
dem Typus der Capillar-Arteriofibrosis von Gull und Sutton. 
Diese allgemeine Arteriosklerose nimmt in einer früheren oder 
späteren Zeit ihres Verlaafs gewöhnlich den Ausgang in der 
Nierenschrumpfung. Nur für diese Eventualität und diese besondere 
Form der Arteriosklerose behalten die Bemerkungen, welche wir 
bezüglich der arteriellen Blutdrucksteigerung und der ätiologischen 
Rolle der Ausschweifungen der Lebensweise im Sinne des 


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UNIVERSUM OF IOWA 



80. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1205 


Alkoboli8ma8 machten, ihren vollen Wert. Wir werden uns also 
hierbei nicht weiter anfhalten. 

Es gibt jedoch eine andere anatomische Art der Gefässsklerose: 
Es ist das diejenige, bei welcher die Veränderungen, weit entfernt 
davon, allgemein in sein, nur diese oder jene Partien der grossen Ge¬ 
fässe mit reichlicher Atherombildung ergreift, wobei oft die kleinen 
Ernährungssysteme der Organe verschont werden und keine ab¬ 
norme Erhöhung des arteriellen Blutdrucks besteht. Diese Arterio¬ 
sklerose verläuft äusserst langsam; sie zeigt sich am häufigsten 
im vorgeschrittenen Lebensalter, während die andere schon bei 
Personen, die noch kaum das mittlere Lebensalter erreicht haben, 
yorkommt. 

Die Frage, die sich uns hier aufwirft, ist die, ob es möglich 
ist, in den Gewohnheiten der Ernährung des erkrankten Individuums 
die Ursachen za finden, welche die Affektion, deren Träger er 
ist, erklären könnte, oder in der anatomischen Beschaffenheit 
der Läsion, oder in den Experimenten, welche deren Studium 
hervorgerufen hat, um den pathogenen Einfluss dieses oder jenes 
diätetischen Regimes zu entscheiden. 

Die verschiedenen Probleme, welche wir soeben mit unseren 
Bemerkungen berührt haben, riefen zahlreiche Arbeiten hervor, 
welche zu ganz widersprechenden Resultaten gekommen sind. 

Wenn wir uns hierbei auf den Standpunkt der Klinik stellen und 
aus der Anamnese der Kranken Belehrung zur Lösung dieser von uns 
aufgeworfenen Frage zu gewinnen versuchen, so werden wir schnell 
zu dem Resultat kommen, dass kein einziger Autor eine absolut 
sichere Grundlage für die besonders schädliche Rolle einer be¬ 
stimmten Ernährung liefert. Wie oft haben nicht die einen und 
anderen Gelegenheit gehabt, tiefe Störungen des Kreislaufsystems 
bei Personen zu finden, welche keine Abschweifung in der Lebens¬ 
weise, wenigstens nicht dauernd, sich erlaubt und niemals Miss¬ 
brauch mit einer jener Substanzen getrieben haben, die man für 
die Entstehung der Arteriosklerose .verantwortlich macht. Die 
provozierende Rolle einer zu reichlichen Fleischernährung, die von 
zahlreichen Autoren betont wird, ist nichts weniger als erwiesen. 
Denn es ist bekannt, dass die Störungen der Gefässsklerose sich 
sehr häufig bei solchen Personen vorfinden, welche aus eigenem 
Willen oder Geschmack fast während ihres ganzen Lebens beinahe 
ausschliesslich vegetarisch sich ernährt haben. Trifft man nicht 
ebenso ähnliche Störungen bei Tieren, denen die Fleischnahrung 
ganz unbekannt ist? Trotz der Sicherheit, mit welcher man 
schlankweg von einer alimentären Vergiftung durch Fleischgifte 
bei der Genese der Gefässsklerose spricht, muss man jedoch ein¬ 
gestehen, dass der klinische Beweis für solche Behauptungen in 
keiner Weise erbracht ist. 

Um nun zu einer Lösung dieser besonders schwierigen Frage 
zu gelangen, deren praktische Wichtigkeit eine ganz hervorragende 
ist, ging man auf eine andere Weise vor. Man wandte sich an 
die pathologische Anatomie mit der Bitte, uns die Zusammen¬ 
setzung der in den veränderten Gefässen vorhandenen abnormen 
Substanzen mitzuteilen; darauf ging man an das Experiment, um 
zu erfahren, ob solche Substanzen nicht für sich allein imstande 
wären, die angeschuldigten Läsionen hervorzurufen. 

Was den ersten Teil der schon vor langen Jahren eingeleiteten 
Forschungen betrifft, so ergeben sie die Resultate, welche leicht 
vorauszusehen waren. Denn man wusste sehr wohl, dass die dem 
Atherom eigentümlichen Läsionen wesentlich durch fettige De¬ 
generation und Kalkinfiltration charakterisiert sind. Sind das 
aber Veränderungen, welche direkt in Beziehung zu den durch 
die Nahrung eingeführten Substanzen stehen? Niemand wird es 
wagen, das zu behaupten. Zahlreiche Infektionen und Intoxikationen 
sind imstande, eine fettige Degeneration der Gewebe und Organe 
herbeizuführen, ohne dass man auf die Idee kommt, dieses oder 
jenes Nahrungsmittel sei hierfür besonders verantwortlich. Aber 
wenn man sogar zugeben wollte, dass gewisse, in verdorbenem 
Fleisch vorhandene Gifte imstande wären, ähnliche Degenerationen 
hervorzurufen, so handelt es sich dann doch um zufällige toxische 
Prozesse, nicht aber um eine besondere Disposition, die auf eine 
gewohnheitsmässige schädliche Ernährung zurückzu führen ist. 

Was die Kalkinfiltration betrifft, so ist sie die Regel bei den 
atheromatösen Veränderungen der Gefässsklerose; diese Fest¬ 
stellung bedeutet jedoch keine Lösung der Frage, welche wir 
aufgeworfen haben. Sie bringt vielmehr zwei Probleme zutage, 
deren eines theoretischer, deren anderes praktischer Natur ist; 
beide aber bereiten uns nur sehr grosse Verlegenheiten. 

Gewisse Autoren, wie Rumpf, meinen, von der Ansicht 
ausgehend, dass die Kalkinfiltration, wenn auch nicht die ur¬ 
sprüngliche, so doch die wesentlichste Veränderung der athero¬ 


matösen Gefässe ist, dass es besonders angezeigt wäre, die Kalk¬ 
zufuhr auf ein Minimum herabzusetzen. Deshalb empfehlen sie 
eine kalkarme Ernährung nach der Formel, welche wir später 
mitteilen und deren Zweckmässigkeit wir erörtern werden. 

Diese Ansicht, gestützt durch einen histochemischen Befund, 
den niemand bestreitet, erschien um so plausibler, als sie durch 
die jüngst von Loeper und Boveri Angestellten Versuche eine 
Bestätigung erfuhr. Diese Autoren haben tatsächlich bewiesen, 
dass man leichter das Atherom bei mit Adrenalin vergifteten 
Kaninchen erhält, wenn man ihnen einen Kalküberschuss bei¬ 
bringt. Indessen ist jedoch trotz der sicherlich sehr beachtens¬ 
werten Resultate, welche die eben genannten Autoren erhalten 
haben, die Frage erlaubt, ob die Kalkinfiltration wirklich den 
anatomischen Prozess bildet, auf welchem die Angiosklerose 
beruht. Uns scheint die Sache noch nicht definitiv entschieden 
zu sein. Für uns und eine grosse Anzahl von Beobachtern ist 
die Kalkablagerung in den Gefässwänden nur als eine sekundäre 
Veränderung anzusehen, als Folge der vorhergehenden Läsion der 
Gefässe, die wahrscheinlich degenerativer Natur ist. Diese Ver¬ 
änderung scheint mehr defensiver Natur zu sein in demselben 
Sinne, wie es Prof. Strauss von der Kalkinfiltration behauptet 
hat, welche man gewohnt ist, im Niveau der Gewebe anzutreffen, 
die zuvor von einem tuberkulösen Prozess befallen worden waren. 

Wenn man also vom rein theoretischen Standpunkte das zu¬ 
geben muss, so liegt die Frage nahe, bis zu welchem Grade die 
Zufuhr von Kalksubstanzen in die veränderten Gefässe zulässig 
ist, eine Zufuhr, welche, weit davon entfernt, schädlich zu sein, 
vielleicht gerade imstande sein könnte, die Gefässe gegen tiefer¬ 
gehende Veränderungen zu schützen. 

Betrachtet man nunmehr diese Frage von ihrer rein prak¬ 
tischen Seite, so wird man sich sagen müssen, dass die Durch¬ 
führung einer kalkarmen Diät auf fast unüberwindliche Schwierig¬ 
keiten, oder wenigstens auf unvermeidliche Widersprüche stossen 
würde. 

Berücksichtigt man nämlich nur die Angaben über die An¬ 
wesenheit von Kalk in den atheromatösen Arterien und die Not¬ 
wendigkeit, seine Zufuhr einzuschränken, so würde man zu einer 
Lebensweise kommen, welche sich erheblich weit von der ent¬ 
fernen würde, die die Autoren als besonders angezeigt im 
Verlauf der Arteriosklerose zu halten gewohnt sind. Rumpf 
hat eine Ernährung angeordnet, welche, wie wir bereits er¬ 
klärten, der Anschauung, die er sich über die Genese der Angio¬ 
sklerose gebildet hat, völlig entspricht, weil sie die Einfuhr des 
Kalks durch die Nahrung auf ein Minimum herabsetzt. Dieses 
Regime ist aber hinsichtlich seines Nährwertes ganz unzulänglich, 
denn es schliesst Milch und Gemüse fast völlig aus. Loeper 
und Boveri, deren experimentelle Untersuchungen die Deutung 
Rumpf’s hinsichtlich der Entstehung des Atheromprozesses zu 
bestätigen schienen, wagten es jedoch nicht, so weit zu gehen 
wie dieser Autor. Ihre diätetische Reform erstreckt sich nur auf 
die Einführung einer laktovegetabilen Ernährung zur Behandlnng 
der Arteriosklerose, einer Ernährung, die bekanntlich sehr reich 
an Kalksubstanzen ist. Sie wagten es nicht, Kranke mit dieser 
Affektion der Wohltat zu berauben, welche sie aus der Milch 
ziehen können, sobald sie so weit gekommen sind, dass die 
Gefässläsionen einen Schwächezustand der meisten Organe herbei- 
gefübrt haben, da die schon mangelhafte Funktion der Leber 
und Nieren ein nützliches Hilfsmittel in der Milchdiät findet. 

Welche Schlüsse muss man also hinsichtlich der Ernährung 
bei Arteriosklerose ziehen, nachdem ich auf die Widersprüche 
bingewiesen habe, zu welchen die Autoren, die sich in den letzten 
Jahren eifrig damit beschäftigt haben, gelangt sind? Bei dem 
gegenwärtigen Stand der Dinge ist es unmöglich, etwas festzu¬ 
legen, das sich auf die solide Basis der Klinik nnd des Experi¬ 
mentes stützt. Soll man also, um den Schaden der beginnenden 
Arteriosklerose zu parieren, ein systematisch strenges Regime 
nach den Grundsätzen erführen, welche die meiste Aussicht 
haben, der Wahrheit nahezukommen? In dem einen wie in dem 
anderen Falle würde man unglücklicherweise dahin kommen, eine 
dieser äussersten Konsequenzen zu ziehen, deren Exklusivität, wie 
wir gleich im Beginn unseres Referates erklärt haben, sorgfältig 
vermieden werden muss. Man darf durchaus nicht vergessen, 
dass, wenn man die zweite dieser Lösungen akzeptiert, man zu 
oft dahin gelangt, den Arteriosklerotikern eine Hungerkur zu 
verordnen. Bei ihr war zwar eine gewisse Anzahl von Sub¬ 
stanzen, die man für schädlich hielt, ausgeschlossen, aber ebenso 
sicher waren in einem gewissen Maasse in Bezug auf Quantität 
nnd Qualität Nahrungsmittel ausgeschlossen, die für einen 

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UNIVERSUM OF IOWA 





1206 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26. 


Organismus von einer gewissen Tätigkeit notwendig sind. Fälle 
dieser Art sind es, auf welche Mackenzie anspielt, wenn er er¬ 
klärt, dass er durch eine reichlichere Ernährung einer Anzahl 
von Personen zu einer fast normalen Existenz verholfen hat, die 
zwar ziemlich schwer durch die Arteriosklerose litten, aber weit 
mehr noch durch die energische Nahrungsbeschränkung, welcher 
sie unterworfen waren. 

Was uns betrifft, so suchen wir, belehrt durch unsere eigene 
Erfahrung und die von allen Seiten angestellten Untersuchungen 
über die anatomische und klinische Entwicklung der Arterio¬ 
sklerose, die Bilanz der Läsionen und ihrer Rückwirkung auf den 
Organismus festzustellen, bevor wir ein diätetisches Regime an¬ 
ordnen. 

Besteht nur ein eigentümlicher Zustand der Gefässe, charakte¬ 
risiert durch die einfache Schlängelung der Arterien, augenschein¬ 
lich mit Infiltration der Wände verbunden, ohne Veränderung des 
arteriellen Blutdrucks und ohne Funktionsstörung des Herzens, 
der Leber und Nieren, so gestatten wir dem Patienten, sich be¬ 
liebig zu ernähren, wobei wir ihm in gewissem Grade die Sub¬ 
stanzen entziehen, von welchen wir wissen, dass sie für eine 
spätere EDtwicklungsperiode der Krankheit schädlich werden 
müssen: eine substantielle Ernährung in kleinem Volumen, um 
eine Ueberladnng des Magens zu verhüten, einen mässigen Genuss 
roten oder weissen Fleisches, je nach Belieben, mit geringer Be¬ 
schränkung anderer Lebensmittel, vorausgesetzt, dass ihr Kalk¬ 
gehalt nicht ein zu bedeutender ist, Enthaltung von Speisen, die 
einen zu starken Gehalt an Salz besitzen, mit der Empfehlung, 
dieses in seiner gewöhnlichen Nahrung einzuschränken, die Er¬ 
laubnis von leichtem Wein und Bier, vorausgesetzt, dass die Menge 
der Getränke bei der Mahlzeit eine mässige ist, wobei wir ihm 
gestatten, sie durch einige Tassen eines Aufgusses oder einige 
Glas Wasser, in Zwischenräumen genossen, zu ergänzen. 

Ist die Affektion in ein fortgeschritteneres Krankheitsstadium 
eingetreten, wo Insuffizienzen der Organe auftreten, so ist eine 
Aenderung des Regimes geboten. Um die in der Funktion der 
Leber und Nieren eingetretenen Störungen zu bekämpfen, muss 
man zur Milch seine Zuflucht nehmen, ohne auf ihren grossen 
Kalkgehalt Rücksicht zu nehmen, und der Anteil, den wir in der 
sonstigen Ernährung bewilligen, wird proportional der Schwere 
der organischen Störungen sein. Die totale Entziehung von 
Fleisch wird nur dann angewendet, wenn Symptome der cardio- 
renalen Insuffizienz bestehen, wobei wir es jedoch in den Zeiten 
der Remission wieder gestatten. Eine kleine Menge Fleisch zu¬ 
gleich mit Milch wird alsdann von Nutzen sein, um eine exzessive 
Abmagerung zu verhüten. Die Gemüse müssen ebenso zu einem 
grossen Teil in dem Regime enthalten sein, der Gebrauch von 
Salz ist nur spärlich gestattet, und man wird darauf bedacht 
sein, die Getränke gleichmässig zu den Mahlzeiten und zwischen 
denselben zu verteilen, um eine übergrosse Zufuhr in zu hoben 
Dosen zu vermeiden. 

In der darauffolgenden Periode, wo die Störungen den ganzen 
Organismus ergriffen haben, muss man der cardiovasculären In¬ 
suffizienz zu Hilfe eilen. Hier ist ein besonderes Regime not¬ 
wendig, welches in seinen Indikationen mit dem zusammenfällt, 
welches die Behandlung der Herzinsuffizienz erfordert. 


Die Herzklappenfehler, die von einer akuten Endocarditis 
herrübren, welche im Verlauf einer Infektionskrankheit eingetreten 
war, sind weit davon entfernt, stets und zugleich mit dem Beginn 
ihres Auftretens eine tiefe Störung im Gleichgewicht des Circu- 
lationssystems hervorzurufen. Eine grosse Anzahl solcher Kranken 
kann sich eines anscheinend normalen und ausserordentlich guten 
Wohlbefindens erfreuen. Aus diesem Grunde haben sich manche 
Autoren die Frage vorgelegt, ob solche Personen als Kranke an¬ 
zusehen sind, und ob der Feststellung eines Herdgeräuscbes an 
diesem oder jenem Klappenapparat eine üble Bedeutung beizu¬ 
legen sei. Für diese Autoren scheint feine Herzaffektion erst dann 
zu bestehen, wenn das Herz seiner Aufgabe nicht mehr gewachsen 
ist. Sicherlich haben wir alle oft Gelegenheit, in unserer medi¬ 
zinischen Praxis Fälle anzutreffen, wo ein Herzklappenfehler nur 
eine pathologische Absonderlichkeit ohne jede Bedeutung zu sein 
scheint, so leicht hat der Organismus sich ihm angepasst, und 
andererseits solche Fälle, wo schwere Zufälle von Herzinsuffizienz 
bei solchen Personen plötzlich auftreten, die frei von jedem Herz¬ 
klappenfehler sind. Trotzdem wird es niemand in den Sinn 
kommen, zu bestreiten, dass Personen mit Herzklappenfehlern, 
wenn sie auch nicht unweigerlich zur Herzinsuffizienz verurteilt 


sind, dennoch weit mehr hierzu prädisponiert sind als jeder 
andere. 

Wenn wir aber auch annehmen, dass der Herzklappenfehler 
nur dann eine Krankheit sei, wenn er verschiedene organische 
Störungen herbeigeführt hat, so ist es dennoch unsere Pflicht, 
seine Entwicklung zu überwachen und, soweit wir dazu imstande 
sind, dem Auftreten einer Herzinsuffizienz vorzubeugen. Aus 
diesem Grunde sollen wir unseren Kranken Ratschläge erteilen, 
die wir als dienlich für ihre Hygiene und ihre Lebensweise 
halten. Dazu kommt noch, dass es bei solchen Kranken, selbst 
wenn ihr Herz seiner Aufgabe gewachsen ist, dennoch eine gewisse 
Reihe von teils vorübergehenden, teils dauernden Störungen gibt, 
welche eine medikamentöse Behandlung notwendig machen. 
Dahin gehören die dyspeptischen Störungen, welche sowohl bei 
Aorten- als auch Mitralfehlern ganz gewöhnlich sind, ferner 
flüchtige Leberanschoppungen, welche, wenn sie auch nicht eine 
systematische Behandlung des Herzens erfordern, wenigstens 
besonderer Anweisungen hinsichtlich der Ernährungsweise be¬ 
dürfen. 

Ganz gewiss hat man dann noch nicht das Recht, die 
Kranken einem zu strengen diätetischen Regime zu unterwerfen, 
was nicht nötig ist und ihnen das Leben unerträglich machen 
würde. Wir haben jedoch die Verpflichtung, ihnen zu erklären, 
dass sie jede Ausschweifung in ihrer Ernährung vermeiden müssen, 
dass eine substantielle, aber wenig kopiöse Nahrung bei jeder 
Mahlzeit unerlässlich ist, dass sie sich hüten müssen, schwer¬ 
verdauliche Speisen zu sich zu nehmen, ebenso Fette im Ueber- 
maass, dass die Menge der Getränke bei jeder Mahlzeit eine be¬ 
grenzte sein muss, dass sie sich zu starker alkoholischer Getränke 
zu enthalten haben, und dass sie Kaffee und Tee nur mässig 
trinken dürfen. In diesen Vorschriften liegt nichts, was die 
Kranken zu sehr in ihrer Freiheit beschränkt, und wir werden 
uns bewusst sein, ihnen einen guten Dienst erwiesen zu haben. 

Sobald die ersten Symptome auftreten, welche auf eine Herz¬ 
insuffizienz hinweisen, mag deren Ursache ein Klappenfehler, eine 
interstitielle Myocarditis, eine Herzerweiterung infolge einer 
arteriellen Blutdrucksteigerung mit oder ohne Nierenschrumpfung 
sein, dann muss der medizinische Eingriff auf allen Gebieten der 
Therapie, wie der Hygiene und Diätetik ein energischerer sein. 
Zu dieser Zeit ist man gewöhnt, die Menge des eingeführten 
Fleisches zu beschränken, um, so meint man wenigstens, 
Intoxikationen alimentären Ursprungs zu vermeiden, Milchkuren 
zu verordnen, deren Dosis und Menge bei den verschiedenen 
Autoren eine verschiedene sein wird, die Menge der eingeführten 
Getränke auf ein Minimum zu reduzieren, je nach den Vorschriften, 
deren Wert wir noch zu besprechen haben werden und, kurz zu¬ 
sammengefasst, die Kranken einem systematischen Regime zu 
unterwerfen, dessen Strenge manchen Autoren um so unzeit- 
gemässer erschienen ist, als es nur von der Empirie geboten er¬ 
scheint und nicht von der vernünftigen Kenntnis dessen, was 
praktisch den Kranken nützlich oder schädlich sein kann. 

Wenn man so vorgeht, wie wir es bisher getan haben, d. b. 
sich ausschliesslich von der klinischen Beobachtung Rat holt, 
dann werden wir vielleicht Aussicht haben, aus dem Chaos der 
bald gepriesenen, bald verdammten Vorschriften diejenigen heraus- 
znfinden, die zu bewahren verständig ist, und diejenigen, welche 
keiner vernünftigen Betrachtung standhalten. Das zu tun, wollen 
wir nunmehr versuchen, indem wir einen Kranken im Beginn der 
Herzinsuffizienz untersuchen, zu der Zeit, wo die Oedeme er¬ 
scheinen, wo die Leber und Lungen kongestioniert sind und wo 
die Diurese spärlicher vor sich geht. In Anwendung der experi¬ 
mentellen Methode werden wir diesem Kranken eine nahezu 
normale Nahrung geben und untersuchen, wie die verschiedenen 
Substanzen, aus denen sie besteht, absorbiert und besonders wie 
sie ausgeschieden werden. 


Unter allen denjenigen Elementen, aus denen unsere Nahrung 
besteht, gibt es drei, deren Wirkung als schädlich für Herz¬ 
kranke anerkannt ist, drei wenigstens, deren Studium weit genug 
gediehen ist, so dass man die über diesen Gegenstand gewonnenen 
Resultate als von unbestreitbaren Wert ansehen muss: Das sind 
die Salze, die Eiweissstoffe und die Getränke. 

Seit langer Zeit hat man auf die Schwankungen der Aus¬ 
scheidung der Chloride im Harn bei Herzkranken bingewiesen. 
Neubauer und Vogel hatten 1868 die Beobachtung an zwei 
Kranken mitgeteilt, welche im Verlaufe der durch Digitalis 
hervorgerufenen Diurese eine Chloridmenge ergeben bat, die bei dem 


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30. Jani 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1207 


einen sich aaf 27 g und bei dem anderen auf 55 g gehoben hat. 
Huchard hat jüngst einen analogen Befund festgestellt. Endlich 
hat Merk len, nach den Arbeiten von Widal und Lemurre 
über die Pathogenese gewisser Bright’scher Oedeme, einen Fall 
mitgeteilt, wo eine durch Digitalis hervorgerafene Polyurie von 
einer Polychlorurie begleitet war, die erst mit dem Schwinden 
des Oedems ihr Ende fand. Merk len schloss aus dieser Be¬ 
obachtung, dass der asystolische Hydrops ebenso wie der 
Bright’sche durch eine wirkliche Retention von Chlornatrium 
charakterisiert sei. 

Chauffard machte ungefähr um dieselbe Zeit Mitteilung 
von Urin- und Gewichtskurven bei Asystolikern mit starken 
Oedemen. „Die Urinkurve, sagt er, steht im umgekehrten Ver¬ 
hältnis zur Gewichtskurve, so dass sie sich erhebt, wenn die 
zweite sinkt, und dagegen fällt, wenn das Gewicht ansteigt und 
das mit einer peinlichen Genauigkeit. 11 

Achard und Paisseau machten analoge Beobachtungen bei 
einem Kranken mit einem ausgedehnten und recidivierenden 
Ascites cardialen Ursprungs. Sie wiesen darauf hin, dass bei 
diesem Kranken das Gewicht, welches unter dem Einfluss der 
Chlorentziehung stationär blieb, rapide nach Einführung einer 
gewissen Menge Salz wieder anstieg. 

Am Schluss desselben Jahres 1903 haben zahlreiche Mit¬ 
teilungen in der Sociötö Mödicale des Hopitaux de Paris von 
Widal, Froin und Digne, von mir selbst und meinem Schüler 
Laubry einmütig das Faktum festgestellt, dass das Oedem der 
Herzkranken durch die Retention einer gewissen, durch den Urin 
nicht ausgeschiedenen Menge von Chlornatrium im Organismus 
dieser Kranken bedingt sei. Das war, kurz zusammengefasst, die 
Anwendung der durch die Arbeiten von Achard und Strauss 
gewonnenen Resultate über die Rolle der Chloride in der Regu¬ 
lierung des Säfte des Organismus auf die Pathogenese des Hydrops 
der Herzkranken. 

Aber bei allen diesen Beobachtungen, welche wir soeben mit¬ 
geteilt haben, handelte es sich um Kranke in einem bereits vor¬ 
handenen Zustand der Herzinsuffizienz, bei welchen das Chlor¬ 
regime wahrscheinlich gestört war. Es könnte deshalb die Chlor¬ 
retention ausschliesslich als Folge der Zufälle von Asystolie an¬ 
gesehen werden; es schien nicht, als ob sie unter gewissen 
Umständen fähig wäre, sie hervorzurufen. Es geht jedoch aus 
den Untersuchungen, welche wir mit unserem Internisten, 
Dr. Digne, im Laufe des Jahres 1904 machten, hervor, dass das 
Chlornatrium mehr als ein Zeuge der bestehenden Herzinsuffizienz 
sein kann, dass es bisweilen direkt für ihre Entstehung verant¬ 
wortlich ist. 

Wir waren erstaunt über ein oft beobachtetes Faktum, 
welches bis dahin nicht genügend die Aufmerksamkeit auf sich 
gelenkt hatte, dass nämlich Kranke, im Verlauf eines Anfalls 
von Asystolie in unser Krankenhaus aufgenommen und durch 
die gewöhnlichen Mittel geheilt, bisweilen einen gleichen 
Anfall erlitten, obwohl die relative Unbeweglichkeit, der sie 
unterworfen waren, das Fehlen jeder Ursache zu einer Ueber- 
anstrengung des Herzens sie vor einem ähnlichen Rückfall hätte 
schützen müssen. Zur Erklärung dieses Umstandes war es nur 
möglich, eine Ursache anzunehmen, die in einem Fehler des 
Regimes bestehen müsste. Aber welcher Fehler konnte hierfür 
verantwortlich sein? Eine allzureichliche Ernährung ist in einem 
Krankenhaus nicht zu befürchten. Eine schädliche Ernährung 
durch gewisse Elemente derselben? Nur auf dieser Seite musste 
der Fehler liegen, und da wir den bösen Einfluss des Chlor¬ 
natriums auf den Verlauf der Herzinsuffizienz kennen, so fragten 
wir uns, ob nicht die anscheinend geheilten Kranken eine gewisse 
Unfähigkeit zur Ausscheidung des Kochsalzes zurückbehalten 
hätten, dessen in den eingeführten Nahrungsmitteln erhaltene 
Menge für sie zu stark gewesen sei. 

Wir unterwarfen daher eine gewisse Anzahl dieser Kranken 
einer guten, aber durchaus salzfreien Ernährung, soweit es möglich 
war, und beobachteten, was nunmehr geschehen würde. Diese 
Personen, welche zu dieser Zeit in vollständigem Circulations- 
gleichgewicht sich befanden, mit einer nahezu unveränderlichen 
Gewichts- und Harnkurve, verblieben in diesem Zustand, solange 
man nicht das Regime änderte. Nach einigen Tagen fügten wir, 
ohne irgendetwas in der Probekost zu verändern, eine Dosis von 
5, später von 10 g Kochsalz, in Oblaten genommen, ein, um 
jeden Irrtum zu vermeiden. Alsdann saheu wir nach zwei oder 
höchstens drei Tagen das Gewicht rapide ansteigen, den Urin zu 
derselben Zeit abnehmen, als gewisse .subjektive Störungen sich 
zu zeigen begannen, welche für die leichte Herzinsuffizienz 


charakteristisch sind: Atembeschwerden beim Geben, darauf in 
der Ruhe, Schlaflosigkeit, nächtliches Albdrücken, Schmerz¬ 
haftigkeit der Lebergegend mit epigastrischer Spannung usw. 
Setzte man den Versuch noch einige Tage fort, so trat ein peri¬ 
pherisches Oedem nach und nach auf, die Lungen ergaben Rassel¬ 
geräusche, die Leber nahm allmählich an Umfang zu, die rechten 
Herzkammern erweiterten sich. Mit einem Wort, wir hatten einen 
echten Zustand von Asystolie bei Kranken, welche im Bett ge¬ 
halten worden waren, geschaffen, indem wir zu der sonst un¬ 
verändert gebliebenen Nahrung eine steigende Menge von Chlor¬ 
natrium hinzusetzten. Das war, Zug um Zog, die Wiederholung 
der von Widal und Javal angestellten Untersuchungen über die 
Rolle der Kochsalzretentiou bei gewissen Brightikern. 

Zweifellos reagieren nicht alle Kranke auf eine so hand¬ 
greifliche Weise. Auch gibt es andere, die, wenn sie von einem 
Anfall von Herzschwäche geheilt sind, ihr Circulationsgleich- 
gewicht ziemlich schnell wiedergewinnen und deren Nieren¬ 
durchlässigkeit in befriedigender Weise das eingefübrte Salz aus¬ 
scheidet, vorausgesetzt natürlich, dass die Menge keine übertriebene 
ist. Aber bis zu welchem Punkte können wir benachrichtigt 
werden, ob nicht eine Person von einem Anfall bedroht wird, 
oder ob sie von dem vorhergehenden Anfall so weit hergestellt 
ist, dass eine fast normale oder wenigstens an Salz mässig reiche 
Nahrung ihr nicht schädlich ist? Das ist schwer zu entscheiden. 

(Schluss folgt.) 


Aus der Bakteriologischen Abteilung des Pathologischen 
Instituts der Universität Berlin. 

Aethylhydrocuprein und Salicylsäure als Ad¬ 
juvantien des Salvarsan. 1 ) 

Von 

J. Morgemroth und J. Tigendreieh. 

Der chemotherapeutische Versuch an der trypanosomen¬ 
infizierten Maus, der von Laveran und Mesnil inauguriert, 
durch Ehrlich und seine Schule grundlegend für Vertiefung 
und Erweiterung unseres Wissens wurde, ist heute ein ziemlich 
allgemein bekanntes methodisches Paradigma. Sein Wert für die 
Entwicklung der neuen Wissenschaft der Chemotherapie dürfte 
noch lange nicht erschöpft sein. Es mag hier daran erinnert 
werden, dass die systematische Erforschung der chemotherapeu¬ 
tischen Wirkung der Chinaalkaloide, mit welcher auch die 
folgenden Versuche in Zusammenhang stehen, auf das engste mit 
dieser Versuchsanordnung verknüpft ist, die noch für eine Reihe 
von Infektionskrankheiten, deren Erreger nicht zu den Trypano¬ 
somen zählen, von Bedeutung ist. 

Dass auch das Salvarsan sich in diesem klassischen 
Trypanosomen versuch aus der grossen Reihe der übrigen Arsen¬ 
verbindungen in besonders glänzender Wehe hervorhebt, hat des¬ 
halb wohl nicht die verdiente allgemeine Beachtung gefunden, 
weil die Wirkung dieses chemotherapeutischen Agens bei Spirillen- 
und -Spirochätenerkrankungen begreiflicherweise in den Vorder¬ 
grund des Interesses treten musste. Wer aus eigener Erfahrung 
die Wirkung des Salvarsan im Trypanosomenversucb, die Kleinheit 
der Dosis efficax, die Sicherheit und Dauerhaftigkeit der Sterili¬ 
sation des Organismus kennen gelernt hat, der kann sich kaum 
mit dem Gedanken befreunden, dass mit der heute geltenden 
niedrigen Einschätzung des Salvarsan als Heilmittel bei 
der Schlafkrankheit das letzte Wort gesprochen ist. Wir 
glauben vielmehr, dass gerade die folgenden Versuche Veranlassung 
geben werden, von neuem das Salvarsan, unterstützt durch ge¬ 
eignete Adjuvantien, bei der Schlafkrankheit zu versuchen. 
Ueber den Erfolgen bei Syphilis und Framboesie darf schliesslich 
nicht vergessen werden, dass trotz ihrer glänzenden Entwicklung 
die Chemotherapie auf dem wichtigen Gebiet der Schlafkrankeit 
uns noch die Erfolge schuldig ist. 

Die hervorragende Wirkung des Salvarsan im 
Trypanosomenexperiment liegt auch dem folgenden Versuch 
einer Kombinationstherapie zugrunde. Dieser schliesst 
sich an die bekannten Versuche von Laveran und Mesnil an, 
die von Ehrlich und seinen Mitarbeitern, sowie von anderen 


1) Kurze Mitteilung der wesentlichsten Resultate in der Gesellschaft 
der Charite-Aerzte, Sitzung vom 9. Januar 1918. Diese Wochenschr., 
1918, Nr. 8, S. 867. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26. 


Forschern fortgeführt worden sind. Neuerdings hat eine gründ¬ 
liche Arbeit von Tsuzuki 1 ), die übrigens das Salvarsan noch 
nicht umfasst, wiederum die Bedeutung des Prinzips der Kombi- 
nationstherapie im Tierexperiment gezeigt, wie sie von Ehrlich 2 3 ) 
vielfach hervorgehoben worden ist. ln der Praxis der Syphilis¬ 
behandlung spielt ja die Kombinationstherapie heute eine be¬ 
sondere Rolle, und noch in seiner jüngsten Veröffentlichung 
bekennt sich Ehrlich 8 ) als Anhänger der Syphilisbehandlung 
mit Salvarsan und Quecksilber. 

Dass auch in dieser letzten Richtung dem Tierversuch bei 
Trypanosomeninfektion — und zwar gerade im Hinblick auf die 
Syphilistherapie — eine erhebliche Bedeutung zukommt, zeigen 
Versuche, die Halberstädter 4 5 ) im hiesigen Laboratorium in 
Anschluss an unsere Kombinationsversuche angestellt hat. Die 
Behandlung der Versuchstiere auf der Basis an und für sich un¬ 
wirksamer Salvarsandosen lehrte, dass auch im völlig exakten 
Experiment die Kombination mit Quecksilberverbindungen be¬ 
deutende therapeutische Mehrleistungen ergibt und ermöglicht 
eine besonders einfache und übersichtliche vergleichende Prüfung 
der Quecksilberverbindungen. Die bisherigen Versuche Halber¬ 
staedter’s lassen erwarten, dass eine Uebertragung der an 
Trypanosomen erhaltenen Resultate auf die Therapie der Syphilis 
zulässig sein wird. 

Wenn wir in bezug auf unsere Versuche die beiden zur 
Kombinationstberapie besonders geeigneten Verbindungen, das 
Aethylhydrocuprein und die Salicylsäure (in Form des 
Natrium salicylicum angewendet) ausdrücklich als Adjuvantien 
des Salvarsan bezeichnen, so geschieht dies, um hervor¬ 
zuheben, dass hier das Salvarsan das weitaus mächtigste trypano- 
cide Agens darstellt. 

Die Wirkung, welche das Aethylhydrocuprein, ganz abge¬ 
sehen von den anderen zum Vergleich herangezogenen Cbina- 
alkaloiden, an und für sich auf Trypanosomen ausübt, ist erheb¬ 
lich geringer, wie aus Morgenroth’s und Halberstaedter’s, 
sowie Morgenroth’s und Rosentlial’s 6 ) Versuchen liervorgeht. 

Die an und für sich äusserst geringfügige Wirkung der 
Salicylsäure auf die Trypanosomeninfektion wurde von Morgen- 
roth und Rosenthal 6 ) erst durch subtile Beobachtung festge¬ 
stellt. Dass ihre Bedeutung grösser ist, als man danach hätte an¬ 
nehmen können, ergibt sich aus den folgenden Versuchen, welche 
zugleich den — von uns seit längerer Zeit beschrittenen — Weg 
zeigen, auf welchem eine vergleichend chemotherapeutische Prüfung 
verwandter Verbindungen möglich ist. 

Wir lassen nun in ausführlicher Darstellung die Versuche 
folgen, aus welchen die Kombinationswirkung der verschiedenen 
in Frage kommenden Präparate hervorgeht. 

A. Aethylhydrocuprein 7 ) und Natrium salicylicum. 

Die Aethylhydrocupreinbase wurde, wie auch die übrigen in 
diesen Versuchen zur Anwendung kommenden Alkaloidbasen, in öliger 


1) Tsuzuki, Zeitsohr. f. Hyg., 1911, Bd. 68, S. 864. 

2) Siehe u. a. Ehrlich, Beitr. z. experim. Pathol. u. Chemotherapie. 
Leipzig 1909. S. 111. 

3) Ehrlich, Abhandlungen über Salvarsan. München 1918. Schluss¬ 
bemerkungen. 

4) Halberstaedter, Berliner mikrobiologische Gesellschaft, Sitzung 
vom 6. Februar 1913. Diese Wochenschr., 1913, Nr. 9. 

5) Morgenroth und Halberstaedter, Diese Wochenschr., 1911, 
Nr. 84, Morgenroth und Rosenthal, Zeitsohr, f. Hyg., 1912, Bd. 71, 
S. 501. Wenn Giemsa (Münch, med. Wochenschr., 1913, Nr. 20) der 
Ansicht ist, dass trypanooide Körper von erheblicher Bedeutung unter 
den Chininderivaten bisher nicht gefunden wurden, so können wir dem 
keineswegs zustimmen. Abgesehen davon, dass er durch diese Bemerkung 
der Bedeutung unserer systematischen Erforschung des Gebietes in keiner 
Weise gerecht wird, muss er selbst in einer Anmerkung unter Hinweis 
auf unsere Kombinationstherapie mit Aethylhydrocuprein das Gesagte 
implicite wieder zurücknehmen. Das nächste Ziel unserer eingehenden 
Untersuchungen auf diesem Gebiet lag auch durchaus nicht in der Er¬ 
langung einer Rekordleistung. Wie erheblich die von uns stets in den 
Vordergrund gestellte Bedeutung unserer Richtung für die Therapie der 
Malaria ist, kann ja gerade Giemsa eigentlich nicht übersehen, der ge¬ 
meinschaftlich mit Werner das von Morgenroth und Halberstaedter 
auf Grund der Trypanosomenversuche zum erstenmal als ein dem Chinin 
überlegenes Mittel für die Malariabehandlung vorgeschlagene Hydro¬ 
chinin — uns stand kein Krankenmaterial zur Verfügung — erprobte 
und damit unsere Voraussage bestätigte. 

6) Morgenroth und F. Rosenthal, Ges. d. Charitö-Aerzte, 2. Nov. 
1911, diese Wochenschr., 1912, Nr. 3, S. 134.) 

7) Wir verdanken dieses Präparat sowie das Hydrochinin den Ver¬ 

einigten Chininfabriken Zimmer & Co. in Frankfurt a. M., durch deren 
Mitarbeit wir seit Jahren unterstützt werden. 


Lösung angewandt in Anschluss an die Versuche von Morgenroth 
und Halberstaedter bei Trypanosomeninfektion, sowie von Morgen¬ 
roth, Kaufmann und Gutmann bei Pneumokokkeninfektion. Es ge¬ 
langte eine 2proz. Lösung in Olivenöl zur Anwendung, welche durch 
vorsichtiges Erhitzen in Erlenmeyerkolben auf dem Drahtnetz hergestellt 
wurde. Die Lösung eifolgt, wenn einmal die das Alkaloid pul ver um¬ 
gebenden Luftbläschen, welche die Benetzung durch das Oel bindern, 
entwichen sind, ohne Schwierigkeit; eine Bräunung des Oels wird bei 
einiger Vorsicht vermieden. Die öligen Lösungen sind nach unserer Er¬ 
fahrung lange Zeit, mindestens mehrere Monate, haltbar. 

Die Dosis tolerata für diese Lösungen betrug 0,5 ccm pro 20 g 
Maus, je nach der Jahreszeit etwas schwankend. Die hier stets ange¬ 
wandte Menge von 0,3 ccm pro 20 g Maus entspricht also beinahe der 
Hälfte der Dosis tolerata. Wie wir aus früheren Versuchen wissen — 
und alle zu den folgenden Versuchen gehörigen Kontrollexperimente be¬ 
stätigen dies — ist diese Dosis an und für sich ohne jede heilende 
Wirkung gegenüber der Infektion der Maus mit unserem Naganastamm 
(Prowazek). 

Von den Lösungen des Natrium salicylicum in Wasser gelangten 
in den einzelnen Versuchsreihen verschiedene Mengen zur Anwendung: 
0,3, 0,5, 0,6 bis 1,0 ccm einer lproz. Lösung resp. 0,3 ccm einer 2proz. 
Lösung. 

Schon durch die erwähnten von Morgenroth und Rosenthal 1 ) 
ausgeführten und kurz beschriebenen Versuche war festgestellt worden, 
dass dem Natrium salicylicum ausschliesslich eine gewisse prophy¬ 
laktische Wirkung auf die Trypanosomeninfektion zukommt, dass 
ihm dagegen eine Heilwirkung gegenüber der bereits mehr oder weniger 
entwickelten Infektion fehlt. Dass selbst den grössten, hier zur An¬ 
wendung gekommenen Mengen jede therapeutische Wirkung abgeht, 
bestätigen die zu den folgenden Versuchen gehörenden Kontrollen, die 
mit Natrium salicylicum allein behandelt wurden. 

Der Kombinat!OD8versuch wird also hier, wie be¬ 
sonders betont werden muss, mit Quantitäten der beiden 
chemotherapeutischen Agentien ausgeführt, welchen 
unter den gegebenen Versuchsbedingungen an und für 
sich jegliche Wirkung auf den Verlauf der Infektion 
abgeht. 

Die Bedingungen waren zum Teil besonders erschwerende, so in 
den Versuchen 2 und vor allem 3, in welchen bei Beginn der Behand¬ 
lung die Infektion schon ausserordentlich fortgeschritten war. In dem 
Versuch 2 hatten sämtliche Mäuse bereits -|—f—}-*), und ohne therapeuti¬ 
schen Eingriff wären dieselben bereits nach 24 bis höchstens 48 Stunden 
der Infektion erlegen. 

Im Versuch 1 (Tabelle 1), in welchem die geringste Menge des Natrium 
salicylicum (0,3 1 proz. pro 20 g Maus) zur Anwendung gelangte, werden 
die Trypanosomen nur bei den beiden Mäusen Nr. 803 u. 805 auf 4 bis 
5 Tage, nach welcher Zeit ein Recidiv eintritt, zum Verschwinden ge¬ 
bracht, und zwar sind hierzu zwei Injektionen notwendig. Bei der Maus 
Nr. 807 genügt eine Injektion, um den Trypanosomengehalt des Blutes 
von -|—|—f- auf anscheinend 0 zu bringen, doch weist der Befund am dritten 
Tag (+) darauf hin, dass vielleicht ein völliges Verschwinden der Trypano¬ 
somen gar nicht erzielt worden ist. Zwei Mäuse, 804 und 806, sterben 
interkurrent. 


Tabelle 1. Naganatrypanosomen subcutan. 




Behandelt mit: 





a) Aethylhydrocupreinbase in Oel, 

Kontrollen 

Tag 

2 proz., 0,8 pro 20 g subcutan, und 
b) Natrium salicylicum in Aq., 1 proz., 



| 0,8 pro 20 g subcutan 


mit a) 

mit b) 


803 

804 

805 

806 

807 

808 

809 

1. 

++ 

+++ 

++ i»j- 

++ 

+++ 

++ inj- 

-f inj. 

' 

inj. 

lDj. 


mj. 

mj. 



2. 

+++ 

0 

++++ 

t 

0 

+++ 

++ 




inj. 



inj. 


3. 

++ 

inj. 

0 

t . 

0 


+ 

++++ 

+++ 

4. 


0 


+++ 

t 

t 

5. 

0 


0 


t 




Recidiv 


Recidiv 






8. Tag 


8. Tag 






Im Versuch 2 (Tabelle 2) bei Anwendung von 0,5 ccm der 1 proz. 
Lösung von Natrium salicylicum wird eine dauernde Heilung ver¬ 
zeichnet (819). Durch zwei Injektionen geht der Trypanosomengehalt 
von +++ auf 0. Am 7. und 8. Tage erfolgt noch je eine Injektion 


1) 1. c. 

2) Die Zahl der Kreuze gibt, im Text und in den Tabellen, das 
Fortschreiten der Infektion, charakterisiert durch den Trypanosomen¬ 
gehalt des Blutes, an. 


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30. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


120$ 


bei dem trypanosomenfreien Tier, die vielleicht für den dauernden Er¬ 
folg verantwortlich zu machen ist. Die Maus stirbt nach 78 Tagen 
interkurrent ohne Trypanosomen im Blut. Drei Mäuse (822, 824, 826) 
werden durch eine zweimalige Injektion, allerdings nur für wenige Tage, 
trypanosomenfrei. Die Recidive bei Maus 822 und 826 sind durch 
weitere Injektionen nicht mehr zu beeinflussen. Bei Maus 824 wird das 
erste Recidiv noch für kurze Zeit beeinflusst, beim zweiten Recidiv ver¬ 
sagt die Behandlung. Es dürfte hier eine Festigkeit der Trypanosomen 
gegen das Aethylhydrocuprein eingetreten sein, wie sie von Morgen- 
roth und Rosenthal 1 ) eingehend beschrieben worden ist. Inwieweit 
eine Festigkeit der Trypanosomen gegen die Salicylsäure in Betracht 
kommen kann, bedarf weiterer Untersuchung. 

Bei drei Tieren (818, 820, 825) ist die Behandlung ohne Einfluss, 
und Maus 823 ist am Tage nach der Behandlung tot. Bei Maus 818, 
820, 825 dürfte eine rasch eintretende Festigung die Ursache des Miss¬ 
erfolges bilden. 

In Versuch 3 sind zwei Mäuse (835 und 838) am Tage nach der 
ersten Injektion tot; das Verhalten der Kontrollen weist darauf hin, 
dass hier vielleicht die Infektion zu weit fortgeschritten war, um noch 


1) 1. c. 


eine rechtzeitige Beeinflussung zu ermöglichen. Maus 832, die bei der 
Behandlung relativ schwach infiziert war, kommt am nächsten Tag auf 0, 
ist aber am 3. Tag aus unbekannten Ursachen tot. Bei vier Mäusen 
wird das Blut durch eine einzige Injektion, bei zwei Mäusen durch zwei 
Injektionen trypanosomenfrei (831, 833, 834, 836, 837, 839), und vom 
3. bis 5. Tag sind keine Trypanosomen nachzuweisen. Dann treten 
früher oder später (zwischen dem 7. und 18. Tag) Recidive ein, deren 
Erscheinen in der Tabelle 3 nicht mehr wiedergegeben ist. 

Tabelle 4 zeigt einen ausserordentlich günstigen Verlauf. Von 
zehn Mäusen sind acht, welche eine bis drei Injektionen erhalten haben, 
am 5. Tag frei von Trypanosomen, eine Maus (846) bleibt dauernd ge¬ 
heilt, die übrigen erleiden Recidive. 

Tabelle 5 wird dadurch beeinträchtigt, dass sechs Mäuse am 2. bzw. 
3. Tag zugrunde gehen. Die Ursache ist nicht weiter aufgeklärt worden; 
vielleicht handelt es sich um eine Uebererapfindlichkeit gegenüber dem 
Natrium salicylicum. Die übrigen sechs Mäuse haben am 5. Tag 0, 
eine (986) bleibt dauernd geheilt, die anderen bekommen später Recidive. 

Tabelle 6 zeigt sechs Mäuse, welche am 5. Tag trypanosomenfrei 
sind (1073—1077 und 1080), während bei zwei Mäusen die dreimalige 
Behandlung die Weiterentwicklung der Infektion nicht hindert (1078 
und 1079). 


Tabelle 2. Nagana intraperitoneal. 


Tag 


a) Aethylhydrocupreinbase in Oel, 2 proz., 0,3 

b) Natrium salicylicum in Aq., 1 proz., 0,5 pro 

pro 20 g subcutan, 
20 g subcutan 


Kontrollen 

mit a) | mit b) 

818 

819 

2 H. F. 

820 

821 

822 

823 

824 

825 

826 

827 

828 

829 

830 

1. 

H—1—b i°j* 

-f-f+inj. 

H—1—Hnj. 

+++ioj- 

H—!—hioj 

H—1—hinj. 

H—!—l-ioj 

+++inj- 

H—1 1“ inj. 

-f-f+inj. 

+++inj. 

+ inj. 

H 1—hinj. 

2. 

H—1—h inj- 

+ inj- 

H—1—h Inj- 

H—1—hioj. 

-f-f+inj. 

t 

+++inj- 

+ ++inj- 

-f-f+inj. 

f-f+ioj. 

H—1—Hnj. 

++ inj. 

t 

3. 

H—h 

0 

+++ 

+ 

0 


+ 

+++ 

0 

t 

t 

+++ 


4. 

+++ 

0 

t 

++ 

0 


0 

t 

0 



t 


5. 

t 

0 


+++ 

0 


0 


0 





6. 


0 


t 

+ 


0 


+ 







f 78. Tag 





Recidiv 









ohne Tryp. 





8. Tag 








Tabelle 3. Nagana subcutan. 


Tag 

a) Aethylhydrocupreinbase in Oel, 2 proz., 0,3 pro 20 g subcutan, 

b) Natrium salicylicum in Aq., 1 proz., 0,5 pro 20 g subcutan 

Kont: 

mit a) 

rollen 

mit b) 

831 

832 

833 

834 

835 

836 

837 

838 

839 

840 

841 

842 

843 

1. 

2. 

3. 

++ inj- 
0 

0 

+ inj. 

0 

t 

++ inj. 
+ inj. 

0 

++ inj. 
+ inj. 

0 

H—1—hinj. 
t 

H 1—hinj. 
0 

0 

+ 

00 ^. 

H—1—hinj. 
t 

H—1—Hnj. 
0 

0 

++ inj- 
H—1—hinj. 

t 

H—I—Hinj. 
t 

++ inj. 
H—1—hinj. 
t 

++ inj. 
H 1 I - inj. 

t 


Anmerkung: Weiterer Verlauf, speziell Reoidive siehe Text. 


Tabelle 4. Nagana subcutan. 




a) Aethylhydrocupreinbase in Oel, 2 proz., 

b) Natrium salicylicum in Aq., 1 proz., 0,5 

0,3 pro 20 g subcutan, 


1 

Kontrollen 


Tag 


pro 20 g subcutan 



| mit a 

mit b 

845 

846 

847 

848 

849 

850 

851 

852 

| 853 

854 

855 

856 

857 

858 

1. 

H 1 h inj* 

++ inj. 

+ inj. 

++ inj. 

+ inj. 

+ inj- 

+ inj. 

+ inj. 

++ inj. 

+ inj. 

+ inj. 

+ inj. 

H—h inj. 

+ inj. 

2. 

t 

++ inj- 

+ 

0 

0 

0 

0 

0 

++ inj. 

0 

H—h inj. 

H—f inj. 

+++ 

+ inj. 

3. 


++ inj. 

+ inj. 

0 

+ inj. 

0 

0 

0 

+ inj. 

0 

H—b inj. 

+++ 

f 

++ inj. 

4. 


0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

t 

+++ 

t 


+++ 

5. 


0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 


t 



t 



dauernd 

geheilt 

Rec. 6. Tag 

Rec. 8. Tag 

Rec. 8. Tag 

Rec. 10.T. 

Rec. 9. Tag 

Rec. 8. Tag 

Rec. 8. Tag 







Tabelle 5. Nagana subcutan. 


Tag 



a) Aethylhydrocupreinbase in Oel, 2 proz., 

b) Natrium salicylicum, 1 proz., 0,6 pro 20 j 

0,3 pro 20 
l 

g subcutan, 


Kontrollen 
mit a 

mit b 

985 

986 

987 

988 

989 

990 

991 

992 

993 

994 

995 

996 

997 

998 

999 

1000 


12,5 

14,0 

1 12,0 

12.0 

1 15,0 

12,5 

13,5 

11,0 

15,5 

12,0 

15,0 

15,5 

14.0 

12,5 

12.0 

13.0 

1. 

2. 

3. 

4. 

5. 

+ inj. 
t 

+ i°j. 

0 

0 

0 

0 

dauernd 

geheilt 

+ inj. 
t 

++ioj. 

t 

H h inj. 
0 

0 

0 

0 

+ inj- 
t 

++inj. 

0 

0 

0 

0 

H—hinj. 
+ 
t 

+++i»j. 

0 

0 

0 

0 

H—1—hinj- 
t 

H—1—hinj. 
0 

0 

(j 

0 

+ inj. 

0 

0 

0 

0 

+ inj. 
+ 

++ 

+++ 

t 

+ inj. 
++ 
++ 
+++ 
t 

+ inj. 
t 

4- inj. 
++ 

+ t + 


Anmerkung: 989, 991, 995 bekommen später, 2 Tage nach einer Zwischenbehandlung, Recidive, 993 und 996 erliegen recidivfrei dieser 
Behandlung am 8. Tage. 


5 


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Original fro-m 

UNIVERSUM OF IOWA 




















1210 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26 . 


Tabelle 6. Nagana subcutan. 


Jnjiz. 

sub- 

a) Aethylhydrocupreinbase in Oel, 2 proz., 0,3 pro 20 g, 

b) Natrium salioylicum, 1 proz., 1,0 pro 20 g 

Aethylhydrocupreinbase in Oel, 2proz., 

0,3 pro 20 g 

Natrium salicyl., 

1 proz., 1,0 pro 20 g 

Tag 

1073 




1077 

1078 

1079 


1081 

1082 

1083 

1084 

1085 

1086 

1087 

1091 

1092 

1093 

1. 

+ inj. 

H—(- inj. 

++i»j. 

4* inj. 

+ inj. 

+ inj- 

+ inj. 

+ inj. 

+ inj. 

+ inj. 

+ inj. 

++ 

H-inj. 

+ Inj. 

++ 

+ inj. 

+ inj. 

H-inj. 













inj. 



inj. 




2. 

0 

0 

+ inj. 

+ inj. 

0 

“f” inj- 

+ inj. 

0 

++ 

4 + 

4"b 

+++ 

++ 

*f+ 

+++ 

++ 

+4* 

4 + 










inj. 

inj. 

inj. 

inj. 

inj. 

inj. 

inj. 

inj. 

inj. 

1DJ. 

3. 

0 

0 

++i<Ü- 

0 

0 

+++ 

+ inj- 

0 

+++ 

+++ 

4-4*4* 

+++ 

+++ 

+++ 

t 

+++ 

+++ 

4*H~f 







inj. 



inj. 

inj. 

inj. 

inj- 

inj. 

inj. 


inj. 

inj. 

inj. 

4. 

0 

0 

0 

0 

0 

+++ 

++4 

0 

t 

t 

t 

t 

t 

t 


t 

t 

t 

5. 

0 

0 

0 

0 

0 

t 

t 

0 


; 










Recidiv 

Recidiv 

Recidiv 

t 16. Tag 

111-Tag 



Recidiv 












7. Tag 

14. Tag 

8. Tag 

ohne Rec. 

ohne Rec. 



15. Tag 


: 










Tabelle 7. Nagana subcutan. 


Tag 

a) Hydrocbininbase in Oel, 2proz., 0,3 pro 20 g suboutan, 

b) Natrium salicylicum, 1 proz., 0,6 pro 20 g subcutan 

Kontrollen 

mit a) | 

mit b) 

a) Aethylhydrocupreinbase 
in Oel, 2 proz., 0,3 pro 20 g, 
b) Natrium salioylicum, 

1 proz., 0,6 pro 20 g 


1052 

1053 

1054 

1055 

1056 

1057 

1058 

1059 

1060 „ 

1061 

1062 

1063 

1064 

1. 

+ inj. 

+ inj. 

-f inj. 

+ inj. 

+ inj. 

H-H" inj- 

+ inj- 

H- inj. 

H- inj. 

4 inj. 

H- inj. 

H- inj. 

4* inj. 

2. 

4* inj. 

4~f inj. 

+ inj. 

+ inj. 

+ inj. 

t 

H- inj. 

H-H- inj. 

H-H- inj. 

H-H- inj. 

0 

t 

0 

8. 

++ ioj- 

H—1—H inj. 

4*+ inj. 

+ inj. 

H-H*+inj. 


H- inj. 

+H-H- inj. 

+ +H-inj. 

4-4-4-inj. 

0 


0 

4. 

+++ 

+++ 

0 

0 

++H" 


0 

4~b+ 

+++ 

t 

0 


0 

5. 

+ 

t 

0 

0 

t 


0 

t 

t 


0 


0 



; 

Rec. 9. Tag 

Rec. 8. Tag 



Rec. 8. Tag 




Reo. 7. Tag 


Rec. 8. Tag 


Tabelle 8. Nagana subcutan. 


Tag 

| a) Hydrochininbase in Oel, 2 proz., 0,3 pro 20 g subcutan, 

b) Natrium salicylicum, 1 proz., 0,6 pro 20 g subcutan 

Kontrollen 

mit a) | mit b) 


1095 

1096 

1097 

1098 

1099 

1100 

1101 

1102 

1103 

1104 

1105 

1106 

1. 

4- inj. 

H- inj. 

H-H- inj. 

+-f- inj. 

+ inj. 

4-4- inj. 

+ im*- 

++ inj. 

4*4- inj. 

+ inj. 

4* inj- 

++ inj. 

2. 

H-4-H-inj 

H-H- inj. 

H —I —f~ inj. 

4-4-+inj. 

H—1“ inj. 

H—1 — hinj. 

+ inj. 

H — 1 — l-inj- 

+++ioj. 

H-+ inj. 

4++inj. 

4H—b inj. 

3. 

t 

H — 1 — f-inj. 

H — 1—1—h 

+ inj. 

0 

0 inj. 

(+) inj. 

++4-H- 

4-+4-H- 

H—1—hinj. 

H-+++ 

t 

4. 


t 

t 

0 

4- 

0 

0 inj. 

t 

t 

t 

t 






Rec. 8. Tag 


Rec. 7. Tag 

Rec. 10. T. 







Die Ergebnisse dieser sechs Versuchsreihen sind, wenn man 
den therapeutischen Effekt betrachtet, keineswegs glänzend. 
Man kann sagen, dass es durch die kombinierte 
Behandlung mit an sich unwirksamen Dosen von 
Aethylhydrocuprein und von Natrium salicylicum ge¬ 
lingt, bei einer grösseren oder geringeren Anzahl von 
Versuchstieren ein zeitweiliges Verschwinden der 
Trypanosomen herbeizuföhren. Ziemlich fröh eintretende 
Recidive sind nur in den wenigsten Fällen zu vermeiden; immer¬ 
hin weisen die Versuchsreihen 1—6 drei Dauerheilungen auf. 

Ein vollständiges Versagen der Behandlung bleibt in manchen 
Fällen nicht aus. Trotz dieser Einschränkung kann es 
keinem Zweifel unterliegen, dass es durch die Kom¬ 
bination mit Natrium salicylicum gelingt, Wirkungen 
zu erzielen, die das Aethylhydrocuprein erst in weit 
grösseren Dosen (beinahe das Doppelte) hervorbringt, 
die von dem Natrium salicylicum allein überhaupt 
niemals, auch bei Anwendung der grösstmöglicben 
Dosen, zu erwarten sind. 

B. Hydrochinin und Natrium salicylicum. 

Wir verfügen hier über zwei Versuohe (Tabelle 7 und 8). Die 
Hydrocbininbase wurde in derselben Weise angewandt, wie in den voraus¬ 
gehenden Versuchen das Aethylhydrocuprein; vom Natrium salioylicum 
gelangte jedesmal 0,6 ccm einer 1 proz. Lösung pro 20 g Maus, also 
eine relativ hohe Dosis zur Anwendung. Die Kontrollen zeigen auch 
hier die Unwirksamkeit eines jeden der beiden Agentien bei isolierter 
Anwendung. In beiden Versuchsreihen gelingt es, einige Mäuse (1054, 
1055, 1058, 1098, 1100,1101) vorübergehend trypanosomenfrei zu machen. 
Dauerheilungen sind hier nicht zu verzeichnen. 

Die Zahl der vollständigen Misserfolge ist ziemlich gross, in 
Tabelle 7 drei unter sieben Mäusen, in Tabelle 8 vier unter acht 
Mäusen. Vor allem ist bemerkenswert, dass es unter 14 Ver¬ 


suchstieren nur bei zweien gelingt, durch zwei Injektionen die 
Trypanosomen zum Verschwinden zu bringen. Bei allen übrigen 
muss die Injektion mindestens dreimal wiederholt werden. 

Auch bei diesen Versuchen ist ein gewisser Erfolg 
der Kombination zu verzeichnen. Deutlich ist aber 
gegenüber den im vorigen Abschnitt beschriebenen Ver¬ 
suchen mit Aethylhydrocuprein und Natrium salicylicum 
eine geringere Wirkung. Die Zahl der Misserfolge ist 
erheblich grösser, und vor allem findet ein Verschwinden 
der Trypanosomen in der Regel erst nach der dritten 
Injektion statt, während eine einzige Injektion in 
keinem Fall den Trypanosomengehalt des Blutes auf 0 
bringt. Es kann also resümiert werden, dass auch hier 
die Kombination Wirkungen zutage bringt, welche dem 
Hydrochinin allein in der angewandten Menge nicht 
zukommen, durch das Natrium salicylicum an und für 
sich bei Anwendung keiner Dosis erreicht werden 
können. 

Der Vergleich mit den im vorigen Abschnitt wiedergegebenen 
Versuchen mit Aethylhydrocuprein und Natrium salicylicum zeigt, 
dass die relative Zahl der erfolgreichen Fälle geringer ist, und 
dass vor allem in den positiv verlaufenden Fällen niemals durch 
eine einzige Injektion ein Resultat erzielt werden kann. Trotz 
der relativ kleinen Zahl der Versuche erscheint uns also die ge¬ 
ringere Wirkung dieser Kombination als sicher. 

C. Ohinin und Natrium salicylicum. 

Die in Tabelle 9 und 10 wiedergegebenen Versuche mit 
Cbininbase und Natrium salicylicum, die sich in ihrer Anordnung 
vollständig an die vorigen anschliessen, bieten ein ganz eindeutiges 
Resultat, welches eiufach zu übersehen ist. In Versuch 9 ist die 
Infektion bei Einleitung der Behandlung etwas unregelmässig, 


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Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



















80. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1211 


Tabelle 9. Nagana subcutan. 


Tag 



♦ 

a) Chininbase in Oel, 2proz., 0,3 pro 20 g subcutan, 

b) Natrium salicylicum, 1 proz., 0,6 pro 20 g subcutan 



Kontrollen 
mit a) 

mit b) 

1001 

1002 

1008 

1004 

1005 

1006 

1007 

1008 

1009 

1010 

1011 

1012 

1013 

1014 1 

1015 

1016 


16,0 

18,5 

15,0 

13,0 

12,5 

13,0 

12,5 

13,5 

18.0 

13,0 

15,0 

14,0 

12,0 

11.0 

18,0 

11,0 

1 . 

4 inj- 

4 inj. 

-1- inj. 

0 inj. 

+ inj. 

4 inj. 

4 inj- 

44 inj. 

444inj. 

444inj. 

44 inj. 

44 inj. 

4 inj. 

++inj- 

44 inj. 

44 inj. 

2. 

44 

44 

444 

4 

44 

4 

4 

444 

444 

444 

444 

4 

t 

444 

444 

444 

8 . 

44 

444 

+ 

44 

444 

44 

44 

+ 

t 

t 

t 

44 


444 

+ 

t 

4. 

444 

t 


444 

t 

444 

4+4 





444 





5. 

t 



+ 


t 

t 





t 






Tabelle 10. Nagana suboutan. 


Tag 

a) Chininbase in Oel, 2 proz., 0,3 pro 20 g subcutan, 

b) Natrium salioylicum, 1 proz., 0,6 pro 20 g subcutan 

Kontr 

mit a) 

ollen 

| mit b) 


929 

930 

931 

932 

933 

934 

935 

936 

937 

938 

939 

940 ! 

941 

942 

1 . 

4 inj. 

4 inj. 

4 inj. 

4 inj. 

4 inj. 

44 inj. 

4 inj. 

4 inj. 

4 inj. 

4 inj. 

4 inj. 

4 inj. 

4 inj. 

4 inj. 

2. 

44 inj. 

44 inj. 

44 inj- 

44 inj. 

44 inj. 

++4-inj. 

4 4 inj. 

44inf. 

44 inj. 

44 inj. 

44 inj. 

44 inj. 

444 inj. 

444 inj. 

8. 

+++inj. 

+++inj. 

444 

+++inj. 

+++mj. 

t 

+++inj. 

44 mf. 

+4+inj. 

444 inj. 

444 inj. 

i 44 inj. 

t 

t 

4. 

t 

t 

t 

t 

444 


+++inj- 

+++inj. 

t 

t 

t 

444 inj. 



5. 





t 


t 

t 




1 t 




was aber für die Deutung der Resultate ohne Belang ist. Der 
Versuch zeigt deutlich, dass die einmalige Injektion ohne jeden 
nennenswerten Einfluss auf den Verlauf der Infektion bleibt. 

Im Versuch 10 ist bei Beginn der Behandlung die Infektion 
noch sehr wenig fortgeschritten, die Möglichkeit einer Beein¬ 
flussung ist also in besonders hohem Maasse gegeben. Trotzdem 
drei, ja sogar vier Injektionen vorgenommen werden, zeigt sich 
keinerlei Einfluss auf den Verlauf der Infektion, und sämtliche 
zehn behandelten Tiere erliegen der Trypanosomeninfektion gleich¬ 
zeitig mit den vier Kontrollen, die mit jedem der Mittel allein be¬ 
handelt werden. Das Portschreiten der Infektion ist ein derartig 
gleichmässiges, dass mit Sicherheit eine therapeutische 
Wirkung der Kombination von Chinin und Natrium 
salicylicum ausgeschlossen werden kann. 

Man sieht also, dass im Gegensatz zu den Versuchen 
mit Aethylhydrocuprein und auch mit Hydrochinin der 
Kombination von Chinin in etwa der halben Dosis 
tolerata und Natrium salicylicum ein therapeutischer 
Effekt abgeht. 

D. Salvarsan, Chinaalkaloide und Natrium salicylicum. 

Die in den vorausgehenden Abschnitten beschriebenen Ver¬ 
suche zeigen zwar, dass die Kombination von Aethylhydrocuprein 
mit Natrium salicylicum relativ gute Resultate, die erhebliches 
theoretisches Interesse beanspruchen, ergibt, in der überwiegenden 
Mehrzahl der Fälle fehlen jedoch eklatante Erfolge in Form von 
Dauerbeilungen. 

Dieses Bild änderte sich vollständig, als wir das Salvarsan 
als dritte Komponente in die Kombination einfflgten, und zwar 
in Dosen, die an und für sich niemals zu Dauerheilungen führten, 
sondern nur eine Verzögerung der Infektion hervorbrachten, in 
einzelnen Fällen die Trypanosomen vorübergehend *um Ver¬ 
schwinden brachten. 

Durch die Kombination wenig wirksamer Dosen von 
Salvarsan mit unwirksamen Mengen von Aethylhydro¬ 
cuprein und Natrium salicylicum wird in unseren Ver¬ 
suchen fast allgemein eine Dauerheilung, selbst weit 
fortgeschrittener Infektionen, erzielt. 

Wir lassen zunächst in Tabelle II einen Versuch folgen, in welchem 
die Salicylsäure noch aus der Behandlung ausgescbaltet ist. Salvarsan 
gelangt in der Menge von 0,5 ccm einer Lösung 1:10 000 pro 20 g 
Maus zur Anwendung, während von der 2 proz. öligen Lösung der Aethyl- 
hydrocupreinbase 0,3 ccm pro 20 g Maus injiziert werden, eine Menge, 
die aus den vorausgebenden Versuchen als unwirksam bekannt ist. 

In der Kontrolle (Nr. 906) zeigte das Salvarsan allein überhaupt 
keine Wirkung; Maus Nr. 907 wird durch dieselbe Dosis Salvarsan zu¬ 
nächst trypanosomenfrei, am 13. Tag tritt das Reoidiv ein. 

Von den fünf mit Salvarsan und Aethylhydrocuprein einmal 
behandelten Mäusen bleiben vier dauernd geheilt, eine hat 
am 9. Tage ein Recidiv. 

Der Einfluss der Kombination und die Verbesserung der 
Heilwirkung auch ohne Anwendung von Natrium salicylicum tritt 
hier klar zutage, doch muss hervorgeboben werden, dass wir 


Tabelle 11. Nagana suboutan. 


Tag 

a) Aethylhydrocupreinbase in Oel, 

2 proz., 0,3 pro 20 g subcutan, 

b) Salvarsan 1: 10 000 0,5 pro 20 g 

subcutan 

Kontr< 

mit a) 

>llen 

mit b) 


901 

902 

903 

904 

905 

906 

907 

1 . 

44 

44 

4 inj. 

4 inj. 

444 

44 inj. 

44 


inj. 

inj. 



inj. 


inj* 

2. 

0 

4 

0 

0 

0 

444 

0 

3. 

0 

0 

0 

0 

0 

t 

0 


dauernd 

dauernd 

Recidiv 

dauernd 

dauernd 


Recidiv 


geheilt 

geheilt 

9. Tag 

geheilt 

geheilt 


13. Tag 


gleich gute Erfolge weiterhin erst dann wieder erzielten, als wir 
Natrium salicylicum gleichzeitig mit dem Salvarsan und Aethyl¬ 
hydrocuprein anwandten. Es hängt dies ohne Zweifel damit zu¬ 
sammen, dass hier bei Beginn der Behandlung die Infektion zwar 
ziemlich weit fortgeschritten war, aber bei weitem noch nicht 
den Grad erreicht hatte wie in den nun folgenden Versuchen der 
Tabellen 12 und 18. 

In den ausgedehnten zusammenhängenden Versuchsreihen 12 
und 18 dokumentiert sich in klarster und übersichtlicher Weise 
die Ueberlegenheit der Kombination von Salvarsan, 
Aethylhydrocuprein und Natrium salicylicum. 

Das Saltarsan gelaugt in zwei verschiedenen Dosen zur Anwendung, 
und zwar jedesmal 0,3 ccm einer Verdünnung 1:5000 resp. 1:10000 
pro 20 g Maus. Bei alleiniger Anwendung des Salvarsan hat die geringere 
Dosis (1 :10000) überhaupt keinen Effekt (Nr. 1300—1302), die grössere 
Dosis (1:5000) bewirkt bei zwei Mäusen (Nr. 1303 und 1304) eine kaum 
nennenswerte Verzögerung, bei zwei Mäusen (Nr. 1305, 1806) ein Ver¬ 
schwinden der Trypanosomen aus dem Blut für 2 resp. 6 Tage. 

Bei der Anwendung der Chinaalkaloide allein mit Salvarsan 
zeigen sich in keinem Fall eklatante Heilerfolge, Dauerheilungen 
fehlen völlig. Es kann nicht mit Sicherheit eine Verstärkung 
der Wirkung behauptet werden, wie ein Studium der Tabelle 12 
ersehen lässt. Bei der Kombination mit Chinin (Nr. 1298—1299) 
bleibt bei einer Maus das Blut ziemlich lange trypanosomenfrei, 
bei der Kombination mit Hydrochinin (1286a bis 1292a) ist eine 
Verbesserung der Resultate vielleicht angedeutet und bei der Ver¬ 
bindung mit Aethylhydrocuprein (1279a bis 1285a) ist es auf¬ 
fallend, dass auch durch Salvarsan 1:10000 (Nr. 1281a) das 
Blut vorübergehend trypanosomenfrei wird. 

Dagegen wird bei sämtlichen sieben Mäusen (Nr. 1265a 
bis 1271a), welche eine einzige Injektion von Salvarsan, 
Aethylhydrocuprein und Natrium salicylicum erhalten, 
das Blut trypanosomenfrei, und bei vier von ihnen wird 
eine Dauerheilung erzielt. Von den drei Recidiven treffen 
zwei auf die geringere Salvarsandosis, nur eines auf die grossere 
Dosis (1:5000). 

5* 


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Gck igle 


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UNIVERSUM OF IOWA 















1212 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26. 


Tabelle 12. Nagana subcutan. 


Tag 

0,3 pro 20 g subcutan injiziert am 1. Tag, 
Aethylhydrocuprein in Oel, 2 proz., 
Natrium salicylicum, 2 proz., 
Salvarsan: 

0,3 pro 20 g injiziert subcutan am 1. Tag, 
Aethylhydrocuprein in Oel, 2proz., 
Salvarsan: 

0,3 pro 20 g injizier? subcutan am 1. Tag 
Hydrochinin in Oel, 2 proz., 
Salvarsan: 

1 

: 10 000 


1 : 5000 


1 

: 10 000 


1 :5000 


1 

: 10 000 


1 : 5000 



1265 

1266 

1267 

1268 

1269 ! 

1270 

1271 

1279 

1280 I 

1281 

1282 

1283 

1284 

1285 

1286 

1287 

1288 

1289 

1290 

1291 

1292 


a 

a 

a 

a 

a 

a 

a 

a 

a 

a 

a 

a 

a 

a 

a 

a 

a 

a 

a 

a 

a 

1. 

+++ 

+++ 

4-44- 

444 

I 

444 

444 

444 

444 

444 

444 

444 

44 + 

444 

444 

444 

! 444 

444 

444 

4+4 

444 

444 

2. 

0 

(+) 

(4) 

0 

0 

0 

0 

444 

444 

4 

0 

4 

44 

0 

444 

44 + 

444 

444 

44 

0 

44+ 

3. 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

444 

44 

0 

0 

0 

444 

0 

444 

444 

444 

44 

0 

0 

4+4+ 

4. 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

t 

444 

0 

0 

0 

444 

0 

t 

t 

t 

0 

0 

0 

t 

5. 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 


f 

0 

0 

0 

t 

0 




0 

0 

0 



ge¬ 

Rec. 

Rec. 

ge¬ 

ge¬ 

ge¬ 

Rec. 



Rec. 

Rec. 

Rec. 


Rec. 




Rec. 

Rec. 

Rec. 



heilt 

8. Tag 

8. Tag 

heilt 

1 

heilt 

heilt 

8. Tag 



7. Tag 

18. T. 

8. Tag 


8. Tag 




6. Tag 

6. Tag 

17. T. 




0,3 pro 20 g injiziert subcutan am 1. Tag, 
Chinin in Oel, 2 proz.. 

0,3 pro 20 g injiziert subcutan am 1. Tag, 

Tag 



Salvarsan: 





Salvarsan 




1 

: 10 000 


1 : 5000 


1 

: 10 000 


1 :5000 



1293 

1294 

1295 

1296 

1297 

1298 

1299 

1300 

| 1301 

1302 

1303 

1304 

1305 

1306 

1. 

444 

+ 4 + 

4+4 

4-++ 

+ 4 + 

4+4 

4+4 

+ 4 + 

+++ 

+44 

+ 4 + 

4+4 

444 

+ 4 + 

2. 

++++ 

+ 4 + 

+ 4 + 

0 

4 + 

4 + 

+ 4 

+ 4 + 

+ 4 + 

++++ 

+ 4 + 

4+4 

+4- 

0 

3. 

t 

+ 4 + 

t 

0 

+ 4 + 

+ 4 + 

4+4 

t 

t 

t 

++ + 

4+4 

4- 

0 

4. 


t 


0 

0 

t 

t 




t 

t 

0 

0 

5. 




0 

0 








0 

0 





Rec. 

Rec. 








Rec. 

Rec. 





6. Tag 

16. Tag 








6. Tag 

8. Tag 


Tabelle 13. Nagana subcutan. 


hfl 

ei 

H 

Aethylhydrocuprein in Oel, 2proz., Natrium salicyl., 2proz., 
Salvarsan 1:5000, 0,3 pro 20 g subcutan injiziert am 1. Tag 

Aethylhydrocuprein in Oel, 2proz., Salvarsan 1:5000, 

0,8 pro 20 g subcutan injiziert am 1. Tag 


1251 

1252 

1253 

i 1254 

1255 

1256 

1257 

1265 

1266 

1267 

1268 

1269 

1270 

1271 

1. 

+++ 

+++ 

+++ 

+++ 

+++ 

+++ 

+++ 

+++ 

+ ++ 

+++ 

+++ 

+++ 

+++ 

+ + + 

2. 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

t 

0 

0 

0 

t 

0 

3. 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 


0 

0 

0 


0 

4. 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 


0 

0 

0 


0 

5. 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 


0 

0 

0 


0 





-- 




t 9. Tag 


Recidiv 

t 8. Tag 

Recidiv 


Recidiv 




dauernd geheilt 





23. Tag 


11. Tag 


16. Tag 


rt 

H 

Natrium salicylicum, 2 proz., Salvarsan 1:5000, 

0,3 pro 20 g subcutan injiziert am 1. Tag 


Salvarsan 1:5000, 

0,3 pro 20 g injiziert 

am 1. Tag 


1272 

1273 

1274 

1275 

1276 

1 1277 

1 1278 

1279 

1280 

1281 

1282 

1283 

1284 

1285 

h 

+++ 

++(+) 

+++ 

+++ 

+++ 

+++ 

+++ 

++(+) 

+++ 

+++ 

+++ 


“f"b+ 

+++ 

2. 

4- 

0 

t 

t 

++ 

++ 

++ 

+++ 

++ 

+++ 

+ + 

+ 

++++ 

+++ 

3. 

(+) 

0 



+++ 

+++ 

+++ 

+++ 

+++ 

++ 

0 

+ 

+ 

t 

4. 

0 

0 



t 

t 

t 

t 

t 

o 

0 

0 



5. 

0 

0 








0 

0 

0 




Recidiv 

Recidiv 








Recidiv 

Recidiv 

Recidiv 




10. Tag 

22. Tag 








16. Tag 

14. Tag 

14. Tag 




Dass die Dosis von 0,3 ccm Salvarsan 1 :10000 für einen 
erfolgreichen Kombinationsversuch etwas zu niedrig gegriffen ist, 
ergibt sich aus dem analogen Versuch in Tabelle 13, in welchem 
ausschliesslich Salvarsan in der Verdünnung 1 :5000 ange¬ 
wandt wird. 

Hier wird bei weit fortgeschrittener Infektion(gleich- 
mässig-|—(—f-) bei sämtlichen sieben Mäusen (Nr. 1251 bis 
1257) durch die Kombination von Salvarsan, Aethyl- 
hydrocuprein und Natrium salicylicum Dauerheilung 
erzielt. 

Die entsprechenden Kontrollversuche zeigen, dass Salvarsan allein 
(Nr. 1279—1285) bei vier Tieren kaum eine Wirkung ausübt, während 
es bei drei Mäusen nur ein vorübergehendes Verschwinden der Trypano¬ 
somen aus dem Blute bewirkte. Nicht besser erweist sich die Verbin¬ 
dung des Salvarsan mit Natrium salicylicum (Nr. 1272—1278). End¬ 
lich zeigen die Kontrollversuche Nr. 1265—1271, dass Aethylhydro- 


cuprein und Salvarsan zwar erheblich günstiger wirken, dass aber auch 
hier in keinem Fall eine Dauerheilung erzielt wird. 

Die im vorstehenden geschilderten Versuche sind vor allem 
geeignet, die Ueberlegenheit des Aethylhydrocuprein 
gegenüber dem Chinin und auch dem Hydrochinin auf 
das klarste zu demonstrieren. 

Dass man selbst für ein so mächtiges Heilmittel, wie es das 
Salvarsan ist, wirksame Adjuvantien nicht ohne weiteres ablehnen 
kann, die es gestatten, von gefahrdrohenden Dosen des 
Arsenikale möglichst weit abzurücken, ist ohne weiteres 
klar. Es dürfte erlaubt und geboten sein, die Kombi¬ 
nation von Salvarsan, Aethylhydrocuprein und Natrium 
salicylicum in dem Indikationsgebiet des Salvarsan — 
Recurrens, Framboesie, Syphilis, Trypanosomiasis 1 ) — 

1) Auch die Brustseuche der Pferde dürfte in Frage kommen. 


Digitized by Goosle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 


















30. Juni 1913. 


1213 




f 


1 



f 


l* 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


anzuwenden. Die hier eklatant zutage tretende Ueber- 
legenheit des Aeth y 1 hy d rocuprei n dürfte Veranlassung 
geben, dasselbe in grösserem Umfang bei Malaria zu 
versuchen und zwar in Kombination mit grossen Dosen 
Natrium salicylicum. Das letzte Wort hat hier natürlich die 
klinische Erfahrung, die auch auf vorsichtige Dosierung des 
Aetbylhydrocuprein 1 ) Rücksicht zu nehmen hat. 


Aus dem physiologischen Institut (Vorstand: Prof. 
F. B. Hoffmann) und der dermatologischen Klinik 
(Vorstand: Prof. K. Kreibich) der deutschen Universität 
in Prag. 

Ueber die angebliche Verminderung adrenalin¬ 
artiger Substanzen im Serum von Psoriasis¬ 
kranken. 

Von 

Dr. Richard Fischel-Bad Hall, unter Mitwirkung von Dr. Pani Parma, 
Sekundärarzt der Klinik. 

Dass die Einverleibung biologischer Methoden zur Erforschung 
der Krankheitsursachen oder der Beziehungen einzelner Symptome 
zueinander in die klinische Methodik mit Nachdruck zu versuchen 
sei, wird selbst der kritische Beobachter, der die Probleme auf 
dem Gebiete der „inneren Sekretion“ mit Interesse verfolgt, gern 
zugeben. Aber gerade die Uebung dieser Methoden erfordert eine 
ausserordentliche Vorsicht in der Beurteilung der Resultate, will 
man sich vor Fehlschlüssen hüten. 

Einer jüngst erschienenen Mitteilung 2 ) zufolge soll Blutserum von 
Psoriatikern derart auf die Froschbulbi wirken, dass die Pupillen in 
denselben enge bleiben, während sie Kontrollsera bald erweitern. 

Es müssen also in dem Blutserum der Kranken „adrenalinähnliche 
Substanzen in einer Minderwertigkeit vorhanden sein, wodurch eine Er¬ 
weiterung der Froschpupille ausbleibt“, 

Angenommen, dass sich das Phänomen bei allen Psoriatikern nach- 
weisen lässt, so wie es Sommer für 21 Fälle berichtet, so musste eine 
Prüfung der betreffenden Sera am Loewen-Trendelenburg’schen Präparat 
Differenzen der Tropfenfolgen ergeben, wenn die mydriatische Substanz 
im Serum mit der vasokonstriktorischen identisch ist, eine Annahme, 
gegen welche sich in der Literatur Widersprüche nicht erhoben haben. 

Wir gingen daher daran, Sera von Psoriatikern und Kontrollsera 
(Gonorrhoiker, folliculitis usw.) auf ihre vasokonstriktorische Eigenschaft 
zu prüfen, da diese Methode die Melzer-Ehrmann’sche an Empfindlichkeit 
bekanntlich weit überragt. O'Connor’s 8 ) Befunde, dass die gefäss- 
verengernden Substanzen erst im Blutserum bei der Gerinnung entstehen, 
lassen wir unberücksichtigt, da Sommer nur Serum, nie Plasma ver¬ 
wendet hat. 

Die Versuchsanordnung war die von Trendelenbarg 4 ) mit dem 
von Kahn 8 ) angegebenen Tropfenzähler. 

Als Versuchstiere dienten mittelgrosse Esculenten. Die RiDger’sche 
Spülflüssigkeit wurde mehrmals filtriert, da sie ziemlich klar gehalten 
werden muss, um eine Verstopfung der Capillaren und kleinen Arterien 
durch feinste Fäserchen zu verhindern. 

Die Durchspülung wurde vormittags zwischen 11 und 1 Uhr, bald 
nach Herstellung des Präparates begonnen, das Präparat über Mittag 
bei niedriger Tropfenzahl gehalten, und nachmittag ca. 1 / i Stunde vor 
Anstellung der Versuche bei der gewünschten Tropfenmenge durchströmt 
(ca. 30—40 Tropfen in der Minute). 

Das Blut wurde den Patienten vormittags durch Punktion der Arm¬ 
vene entnommen, dann centrifugiert, und das klare oder nur leicht ge¬ 
trübte Serum nachmittags der Prüfung unterzogen, welche eventuell am 
nächsten Morgen am gleichen Präparate fortgesetzt wurde. 

Den Einwand, dass längeres Stehen eine Zunahme der vasokonstrik¬ 
torischen Fähigkeiten bedingen könnte [Handovsky und Ernst 
P. Pick 8 )], widerlegen die Versuche selbst, da nur eine gleichsinnige 
Zunahme der vasokonstriktorischen Fähigkeiten der Sera, die auf die 


1) S. A. Fraenkel, Berl. med. Ges., Sitzung vom 20. März 1912, 
Siehe diese Wochenschr., 1912, Nr. 14. 

2) Arthur Sommer, Das Ehrmann’sche Froschaugenphänomen im 
Blutserum Psoriasiskranker. Diese Wochenschr., 1913, Nr. 2, S. 61. 

3) O’Connor, Ueber die AdrenalinbestimmuDg im Blute. Münchener 
med. Wochenschr., 1911, Nr. 27, S. 1439. 

4) Paul Trendelenburg, Bestimmung des Adrenalingehaltes im 
normalen Blute. Archiv f. experim. Pathol., 1910, Bd. 63, S. 161. 

5) R. H. Kahn, Zur Frage nach der Adrenalämie nach dem Zucker¬ 
stich. Pflüger’s Archiv, 1910, Bd. 44, S. 251. 

6) Handovsky und Pick, Ueber Entstehung vasokonstriktorischer 
Substanzen durch Veränderung der Serumcolloide. Archiv f. experim. 
Pathol., Bd. 71, H. 1. 


bekannte, am zweiten Tag eintretende erhöhte Empfindlichkeit des 
Präparates zurückgeführt werden kann, erfolgte. 

Auch finden Bröcking und Trendelenburg 1 ), dass die Unter¬ 
schiede bezüglich des vasokonstriktorischen Effektes an Seren, welche 
nicht älter sind als einige Tage, so gering sind, dass es sich 
empfiehlt, das Blut normaler Menschen als Kontrolle bei der Unter¬ 
suchung pathologischen Blutes zu verwenden. 

Fall 1, 3, 5 waren vor der Entnahme des Serums unbehandelt, 
Fall 2 und 4 standen bereits in Behandlung. 

Die Untersuchung des ersten Serums ergab: 

Fall 1. 22 jähriger Mann, seit 4—5 Jahren an Psoriasis leidend. 
Vor 14 Tagen letzte Teerbehandlung (Ol. rusci) in einem Provinzkranken¬ 
haus. Universelle Psoriasis. Plaques vorwiegend an Stamm und Extre¬ 
mitäten. Nach der Blutentnahme Behandlung mit Dreuw’scher Salbe. 

Es wurden 0,3 ccm des betreffenden Serums injiziert. 


22. I. Versuch 1 
Kontrollserura T. 


Zeit 

Tropfenzahl 2 ) 

5,27 

27 

5,28 

28 

5,29 

28 

Injektion 

von 0,3 ccm 

Kontrollserum 

5,30 

26 

5,31 

25 

5,32 

27 

5,35 

29 

Versuch 2. 

Kontrollserum B. 

5,52 

27 

Injektion 

von 0,3 ccm 

5,53 

24 

5,54 

23 

5,55 

22 1 

5,56 

22 

5,58 

23 

6.06 

24 

6,17 

24 


Versuch 3. 


Psoriasisserum. 

6,17 

24 

Injektion 

von 0,3 

6,18 

22 

6,19 

18 

6,20 

18 

6,21 

16 

6,22 

16 

6,23 

16 

6,24 

15 

6,25 

16 

6,26 

17 

6,27 

17 

6,52 

22 


Versuch 4. 

Kontrollserum. 

Zeit 

Tropfenzahl 

6,52 

22 

Injektion 

von 0,3 ccm 

6,53 

20 

6,54 

15 

6,55 

13 

6,56 

12 

6,57 

11 

6,58 

10 

6,59 

10 

7 

12 

7,19 

17 

7,32 

18 

Versuch abgebrochen. 

23.1. 

Versuch 5. 

Kontrollserum. 

10,30 

23 

10,31 

22 

Injektion 

von 0,3 ccm 

10,32 

16 

10,33 

12 

10,34 

17 

10,35 

25 

10,36 

27 

10,37 

30 

Versuch 6. 

Kontrollserum. 

10,38 

30 

Injektion 

von 0,3 ccm 

10,39 

21 

10,40 

12 

10,41 

15 

10,42 

25 

10,43 

32 

10,44 

36 


Versuch 7. 


Psoriasisserum. 


Zeit 

Tropfenzahl 

10,44 

36 

Injektion 

von 0,3 ccm 

10,45 

19 

10,46 

10 

10,47 

17 

10,48 

25 

10,49 

32 

Versuch 8. 

Kontrollserum. 

10,49 

32 

Injektion 

von 0,3 ccm 

10,50 

25 

10.51 

10.52 

9 

12 

10,53 

23 

10,54 

30 

10,55 

33 

10,56 

34 

10,57 

35 

Versuch 9. 

Psoriasisserum. 

10,58 

35 

Injektion 

von 0,3 ccm 

10,59 

23 

11 

7 

11,1 

11 

11,2 

22 

11,3 

30 

11,4 

34 


Versuch 10. 


Kontrollserum. 


Zeit 

Tropfenzahl 

11,5 

34 

11,6 

23 

11,7 

7 

11,8 

11 

11,9 

20 

11,10 

25 

11,11 

30 


Versuch 11. 
Psoriasisserum. 

Zeit Tropfenzahl 

11.12 31 
Injektion von 0,3 ccm 

11.13 18 

11.14 4 

11.15 5 

11.16 10 
Versuch abgebrochen. 


Wir wollen uns auf die Details dieser Protokolle, auf die zunehmende 
Verlangsamung der Tropfenfolge [Handovsky und Pick 3 )] nicht näher 
einlassen. Versuch 7—11 ergeben vergleichbare Werte*. 


Tropfenzahl vor 
der Injektion 


Minimum 
der Tropfenzahl 
nach der Injekt. 


Differenz der 
Tropfenzahlen 


7. 

Psoriasisserum 

36 

10 

26 

8. 

Kontrollserum 

82 

9 

23 

9. 

Psoriasisserum 

35 

7 

28 

10. 

Kontrollserum 

34 

7 

27 

11. 

Psoriasisserum 

31 

5 

26 


Aus dieser 

Zusammenstellung der 

Resultate 

geht hervor, 

dass 

wesentliche Differenzen bezüglich 

der vasokonstriktorischen 


Eigenschaft beider Sera nicht bestehen, sicher aber eine „Minder- 


1) Bröcking und Trendelenburg, Adrenalinnachweis und Adre¬ 
nalingehalt des menschlichen Blutes. Archiv f. klin. Med., 1911, Bd. 103, 
S. 168. 

2) Es wird darunter in allen folgenden Versuchen die Tropfenzahl 
in der Minute verstanden. 

3) 1. c. 


6 


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1214 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26. 


Wertigkeit 11 des Psoriasisserums an gefässverengernden Substanzen 
ausgeschlossen werden kann. 

Der negative Ausfall dieses Versuches musste natürlich zu 
einer Ueberpröfung der Sommer’schen Froschaugen versuche führen, 
in einer Anordnung, die einwandfreie Resultate zu geben gestattet, 
soweit dies mit der Bulbusmethode überhaupt möglich ist. 

Bi edel sagt in der zweiten Auflage seines Buches 1 )» S. 483: 
„Schon in der ersten Auflage habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass 
in bezug auf das Blutserum die Forderung gerechtfertigt ist, nicht die 
Froschbulbusmydriasis allein zum Adrenalinnachweis heranzuziehen. 11 

„Beute ist die Methode mit Rücksicht auf ihre zahlreichen Fehler¬ 
quellen fast vollkommen verlassen (im Original nicht gesperrt ge¬ 
druckt), und die von ihr gelieferten Ergebnisse und darauf gegründeten 
Schlussfolgerungen bedingen eine neuerliche Nachprüfung. 11 

Wir stützen uns bei der Ausführung der Reaktion auf die 
Angaben Kahn’s 55 ) (S. 527): 

„Möglichst kleinen, hellen Exemplaren von R. temporaria wird rasch 
der Kopf abgeschnitten und das Rückenmark angebohrt. Der Kopf wird 
der Lange nach zerschnitten und die Augen werden durch grobe Scheren¬ 
schnitte ausgelöst. Rasch wird mit feinen Instrumenten das anhängende 
Gewebe abpräpariert, wobei sorgfältig darauf zu achten ist, dass die 
Augen nicht verletzt oder stark gedrückt werden. Namentlich letzteres 
scheint starke Irisbewegungen hervorzurufen. Nun werden die Augen 
paarweise in die kleinen, unten mit Kochsalzton verschlossenen Glas- 
trichterchen gebracht, so dass die Cornea genau nach oben sieht, und 
es wird abgewartet, ob die Pupillen ruhig bleiben oder sich in ihrer 
Weite ändern. Meistens werden sie etwas weiter, öfters sehr weit, häufig 
auch werden die Paare ungleich. Dass die Pupillen bei mehreren auch 
gleich grossen Paaren untereinander gleicbbleiben, ist sehr selten. 
Daraus geht hervor, dass als Kontrollauge stets nur das andere Auge 
des Paares verwendet werden kann. Aber auch im weiteren Verlauf 
ändert sich gelegentlich spontan die Pupillenweite eines Auges, während 
das zugehörige gleichbleibt. .Daher genügt die Anstellung eines 
Versuches an einem Augenpaar durchaus nicht, sondern es 
müssen möglichst viele Paare zu einer Reaktion verwendet werden.“ 

„Die beschriebenen Manipulationen werden im hellen Zimmer beim 
Fenster ausgeführt, die Trichter bleiben auf einem Eprouvettengestell 
während der Reaktion an Ort und Stelle stehen. Nun werden die zu 
prüfenden Flüssigkeiten mit der Pipette in die Trichter gefüllt, so dass 
die Augen völlig bedeckt sind. Dazu sind etwa 0,5 ccm erforderlich. 
Handelt es sich um Blutserum, so werden öfter alle Augenpaare weiter.“ 

In unserem Falle wurden die Bulbuspaare durch eine Glühlampe 
gleichmässig beleuchtet, wobei eine Erwärmung der Bulbi sorgfältig ver¬ 
mieden wurde. 


Fall 2. 23 jähriger lediger Arbeiter. Seit 8 Jahren an Psoriasis 
erkrankt, mit 16 Jahren Recidiv, mit 19 Jahren neuerliche Eruption. 
Rückgang derselben nach Behandlung auf der hiesigen Klinik. Mai 
1912 wieder erkrankt, behandelte er sich selbst mit einer gelben Salbe 
bis November. Im Januar 1913 kam er in die Klinik. 

Universelle Psoriasis. Stamm und Extremitäten intensiv befallen, 
landkartenartige Infiltrate bis zu Handtellergrösse. 

Dreuw’sche Salbe. Da Conjunctivitis eintritt, Teertinktur. Bäder, 
Sol. ars. Fowleri. Zur Zeit der Blutentnahme Dreuw’sche Salbe. 


24. I. 


1. Paar 

1 , 2 

mittelweit 

gleich 


2. Paar 

1 , 2 


3. Paar 

L 2 


5,58 Uhr 

Kurz 

danach 


Vor der Serumbesohickung: 
ziemlich weit ziemlich weit 
ziemlich gleich 1 < 2 
1 > 2 

Serumbesohickung: 
Kontrollserum, in 2 Psoriasisserum: 


4. Paar 

1, 2 (früher in pbys. 
NaCl-Lösung gelegt, 
0,65 pCt.) 


mittel weit 
gleich 


beide eng beide weit 


1 > 2 
gleich weit 


6,30 
Uhr 

7 Uhr enger geword. 
gleich weit 


1 > 2 
mittelweit 
1 > 2 
enger geword. 
gleich 


beide ziemlich 
gleich 

do. 

enger geworden 
gleich 


ganz geringe 
Differenz 
l < 2 

do. 

enger geworden 
gleich 


Paar 4 wurde in physiologische Kochsalzlösung gelegt (0,65). Aus 
der Mitteilung Sommer’s geht der Prozentgehalt der von ihm an¬ 
gewandten Lösung nicht hervor. 

Sommer schreibt: Die Pupillen, die im lebenden Frosch weit 
waren, werden sofort eng (sc. beim Einlegen iu die Lösung). Möglicher¬ 
weise, dass er R. esculenta verwendete, von denen Borberg 8 ) sagt, dass 
sie schnellere und kräftigere Myosis geben als R. temporaria (S. 377), 
allerdings auf Kosten der Empfindlichkeit 


1) Arthur Biedel, Innere Sekretion. 2. Aufl., 1913, Urban & 
Schwarzenberg. 

2) R. H. Kahn: Zur Frage nach der inneren Sekretion des chrom¬ 
affinen Gewebes. Pflüger’s Archiv, 1909, Bd. 128, S. 519. 

3) N. C. Borberg, Das Adrenalin und der Nachweis desselben. 
Skandin. Archiv f. Physiol., 1912, Bd. 27, S. 340. 


Gehen wir zur Besprechung dieses Versuches über, so ergibt sich, 
dass vor der Serumbeschickung mittelweit und gleich nur Paar 1 und 4 
waren. Es kommen daher nur diese allein zur Beurteilung einer Serum¬ 
wirkung in Betracht. 

Bei Paar 1: 1 > 2, also Kontrollserumbulbus weiter als Psoriasis¬ 

serumbulbus, 

„ „ 4: 1 < 2, also Psoriasisserumbulbus weiter als Kontroll¬ 

serumbulbus, im Sinne Sommer’s negativ, 
also ein sich widersprechendes Resultat, aus dem klar hervorgeht, wie 
notwendig es ist, mehrere Bulbuspaare zur Reaktion zu verwenden, 
will man sich vor Täuschung hüten. 

Der gebotenen Kürze wegen wollen wir nur die Differenz der 

Tropfenzahlen am Laewen-Trendelenburg’schen Präparat mitteilen: 

Versuch 1 Tropfenzahl vor Tropfenzahl nach Differenz der 


Injiziert wurden: 

der Injektion 

der Injektion 

Tropfenzahlen 

Kontrollserum 0,6 ccm 

26 

21 

5 

Psoriasisserum 0,6 ccm 

25 

18 

7 

Kontrollserum 0,6 ccm 

23 

16 

7 


Also auch hier deutliche vasokonstriktoriscbe Wirkung des 
Psoriasisserums, die der des Kontrollserums gewiss nicht nach¬ 
steht. Dass wir hier mit 0,6 ccm Serum geringere Ausschläge 
bekamen als mit 0,3 ccm im ersten Falle, mag auf der bei 
Winterfröscben schon von Trendelenburg 1 ) häufig konstatierten 
geringeren Empfindlichkeit den Sommerfröschen gegenüber be¬ 
ruhen. 

Zusammenfassend lässt sich sagen: dass dem wider¬ 
sprechenden Resultate der Meitzer - Ehrmann’schen 
Reaktion das eindeutige der Froschdurcbströmungs- 
methode gegenüberstehl, das klar das Vorhandensein 
vasokonstriktorischer Substanzen im Psoriasisserum beweist, 
die an Menge den im Kontrollserum enthaltenen gleichkoramen. 

Um ein Maass für die vasokonstriktoriscbe Wirkung des Psoriasis¬ 
serums zu haben, wurde es im Fall 3 mit einer Adrenalinlösung 
1:2 000 000 (A. hydrochl. Parke, Davis & Co.) verglichen. Die Ver¬ 
dünnung wurde vor dem Gebrauch natürlich immer frisch bereitet. 


Fall 3. 26 jähriger Sattler. Erst 1907 kronengrosse Plaque am 
Unterschenkel, sonst früher nie hautkrank gewesen. Rückgang ohne 
Behandlung. Im Sommer 1912 ausgedehnte Eruption. Behandlung erst 
nach Eintritt in die Klinik. 

Am stärksten befallen Streckseiten der oberen und unteren Extremi¬ 
täten. Zu mächtigen Platten konfluierende Infiltrate. Am Körper spär¬ 
liche Effioreszenzen. Dagegen am Hinterkopf bis kronengrosse Plaques. 
Teertinktur, Sol. ars. Fowleri, weisse Präoipitalsalbe. 


27. I. Versuch 1. 
Injektion von Adrenalin. 
Zeit Tropfenzahl 
6,30 27 

6,81 28 

Adrenalin 1,0 ccm 

6.32 20 

6.33 14 

6.34 10 

6.35 11 

6.36 11 

6.37 14 

6,48 25 


Versuch 2. 

Injektion von Psoriasis¬ 


serum. 


Zeit 

Tropfen zahl 

6,44 

26 

6,45 

26 

Injektion 

von Serum 

1,0 

i ccm 

6,46 

23 

6,47 

19 

6,48 

16 

6,49 

19 

6,50 

12 

6,51 

11 

6,52 

10 

6,53 

11 

6,55 

12 


Versuch 8. 

Injektion von Psoriasis¬ 
serum. 

Zeit Tropfenzahl 

7.30 22 
Injektion von 1,0 ccm 

7.31 17 

7,43 4 

7,48 6 


Tropfenzahl Minimum der 
vor der Tropfenzahl 
Injektion n a c h d. Injekt. 

Versuch 1. Adrenalin 1 ccm, 

1: 2 000 000 in Ringerlösung 26 10 

Versuch 2. Psoriasisserum 1 ccm 27 10 

Versuoh 3. „ 1 „ 22 4 


Differenz 

der 

Tropfenzahl 

16 

17 

18 


Aus diesen Versuchen ergibt sich mit Sicherheit, dass das 
Psoriasisseram auf das Laewen-Trendelenburg’sche Präparat 
eine vasokonstriktorische Wirkung ausgeübt hat, die 
einer Adrenalinkonzentration von 1:2000000 (Ringer¬ 
lösung) zum mindesten gleichkommt, ja sogar sie um ein 
geringes übertrifft. 

Der Meltzer-Ebrmann’sche Versuch wurde mit drei Paar 
Bulbis ausgeführt. Nur an einem Paar wurden erst nach der 
Serumbeschickung die Pupillen gleich. Später (nach einer Stunde) 
wurde die anfänglich (vor der Serumauftränfelung) engere Kontroll- 
pupille weiter als die Psoriasisserumpupillen. Es ist klar, dass 
dieser scheinbar positive Versuch einer objektiven Kritik nicht 
standhält. 

1) 1. c., S. 173. 


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80. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1215 


Fall 4. 85jähriger Mann. Beginn der Affektion im 21. Lebens* 
jahr. Steht seit 8 Jahren in Behandlung (Doc. Alfred Kraus). Ist 
während dieser Zeit kaum eine Woche frei von Eruptionen. Die Form 
der Effloreszenzen wechselt derart, dass die beiden unteren Extremitäten 
von tiefen und ausgedehnten Plaques eingenommen werden, während am 
Stamm und oberen Extremitäten mehr oberflächliche, circumscripte, acute 
Eruptionen in mehr oder minder rascher Folge wechseln. 

Alle üblichen Behandlungsmethoden durcbgemacht. Die letzte 
energische Chrysarobinbehandlung dauert 4 Wochen. 

Tropfenzahl Minimum der Differenz 
der 


nach d. Iojekt. Tropfenzahl 


Differenz der 
Tropfenzahl 


vor der Tropfenzahl der 

Injektion nach d. Iojekt. Tropfenzahl 

Adrenalin 1:2000 000, 3 ccm 24 16 8 

Psoriasisserum 0,3 ocm ... 24 12 12 

Normalserum 0,3 ccm ... 22 10 12 

Froschaugenversuch an drei Bulbuspaaren. Nur eins brauchbar. 
Die Pupillen reagieren den Sommer’sehen Befunden entgegengesetzt. 

Resümee: Psoriasisserum reagiert dem Kontrollserum 
gleich, beide intensiver aber als eine Adrenalinlösung von 
1: 2 Mil 1. bei der Wirkung auf die Froschgefässe. Der Bulbus¬ 
versuch fällt negativ aus. 

Da Sommer bei Anstellung seiner Versuche physiologische NaCl- 
Lösung verwendet, über die Konzentration derselben keine Augaben 
macht, so haben wir im letzten Versuch ein Paar Bulbi in 0,65 proz. 
Lösung (Frosch isotonisch), zwei Paar in 0,9 proz. NaCl-Lösung gelegt 
(Säugetier isotonisch). 

Fall 5. 17 jähriger Schuhmacher leidet seit dem 10. Lebensjahre 

an Psoriasis. Letzte Behandlung in einem Provinzkrankenhause im 
Januar und Februar 1911 mit einer Salbe. Trotz unaufhörlicher Nach¬ 
schübe keine Therapie. 

Befallen sind: Streckseiten der Ellbogengelenke, spärliche Ef¬ 
floreszenzen am Stamm und an den Extremitäten. Stärker affiziert er¬ 
scheint der behaarte Kopf und Stirnhaargrenze. Teertinktur, Bäder, 
Präcipitatsalbe, Sol. ars. Fowleri. 

Wir verzichten auf die detaillierte Wiedergabe des Protokolls und 
heben aus demselben nur hervor, dass bloss ein Paar, das in 0,9 proz. 
NaCl-Lösung gelegen war, den obengestellten Anforderungen entsprach. 

Eine Viertelstunde nach Beschickung mit entsprechendem Serum war 
die „Psoriasispupille“ weiter als die Kontrollpupille; innerhalb einer 
Stunde nahm die Myose beiderseits zu, wobei sich aber immer eine 
Differenz zugunsten der Grösse der „Psoriasispupille“ konstatieren lässt. 
Also ein den Angaben Sommer’s entgegengesetztes Verhalten. 

Der Kürze halber nur zwei Einzelversuche an dem Laewen-Tren- 
delenburg’sehen Präparat. 

Tropfenzahl Minimum der Differen!l der 

tor der Tropfenzahl Tropfenzahl 

Injektion nach der Injekt. * 

Psoriasisserum 1 ccm 30 11 19 

Kontrollserum 1 ocm 28 9 19 

Resümee: Frosohaugenversuoh negativ. Froschdurch- 
Strömung positive, dem Kontrollserum gleiohe vasokonstrik- 
torische Wirkung. 

Wenden wir uns nun der klinischen Seite der Frage zu, so stellt 
Sommer sogar fest, dass die Ausbreitung der Psoriasis einen 
„quantitativen Einfluss auf die Reaktion zu haben scheint“. 

Wie die kurzen Auszüge der Krankengeschichte, die wir oben 
anführten, lehren, hätten wir, da uns nur Fälle mit starken 
Eruptionen zur Verfügung standen, auch zweifellose Reaktionen 
erwarten müssen. 

Fassen wir die Resultate zusammen, so ergibt sich (im Sinne 
der So mm er’sehen Befunde entgegengesetzt): 

Serum I: Nicht untersucht \ Die vasokonstriktorische Wirkung 

„ 11: Ein Augenpaar +, eins—f in allen fünf Seren am Laewen- 

„ III: -f-? > Trendelenburg’schen Präparat 

„IV: — I nachweisbar und dem Kontroll- 

„V: — / serum zum mindesten gleichwertig. 

Die möglichen Gründe für den überraschenden Ausfall der 
Sommer’scben Reaktion zu erwägen, liegt nicht im Rahmen 
dieser Arbeit. Borberg (S. 386—888) fasst die verschiedenen 
Verhältnisse zusammen, die zu den zahlreichen Funden „posi¬ 
tiver Adrenalin“-Reaktion im Blute beigetragen haben 
können, obgleich dieses, abgesehen von der Vena cava, 
mit dem Proschauge nachweisbare Mengen nicht ent¬ 
hält. 

Es wäre also nach dieser Mitteillung zu schliessen, dass die 
im Psoriasisserum eng gebliebene Pupille als Kontrollpupille zu 
dienen habe, während die im Kontrollserum sich erweiternde 
Pupille auf einen vermehrten Adrenalingehalt des Kontrollserums 
schliessen Hesse. 

Ergebnisse. 

1. Das Blut von Psoriasiskranken zeigt am Laewen-Tren- 
d eien bürg"sehen Präparat den Kontrollseren gleiche vasokon¬ 
striktorische Eigenschaften. 


Miuimum der 
Tropfeuzahl 
nach der Iojekt. 
11 
9 


2. Der vasokonstriktorische Effekt kommt mindestens einer 
Lösung von 1 :2 000 000 Adrenalin gleich, den Werten, die 
Bröcking und Trendelenburg für das Serum von Menschen, 
Katzen und Kaninchen gefunden haben. 

3. Der Meitzer-Ehrmann’sehe Versuch eignet sich, mit 
allen Kautelen angestellt, höchstens zu einem Nachweis vermehrter 
vasokonstriktorischer Substanzen, nicht aber zu einem Nachweis 
der Verminderung derselben im Serum. 

4. Die Befunde Sommer’s lassen sich erst nach genauer 
Mitteilung seiner Methodik erklären. Die daraus gezogenen 
Schlüsse entbehren auf Grund unserer Untersuchungen der tat¬ 
sächlichen Grundlagen. 

Zum Schlüsse ist es uns eine angenehme Pflicht, Herrn 
Prof. Hoffmann und Herrn Prof. Kreibicb, den Vorständen 
der Institute, für da9 freundliche Interesse, Herrn Prof. Kahn, 
1. Assistenten am physiologischen Institut, für seine freundliche 
Hilfe unseren besten Dank zu sagen. 

Aus der II. inneren Abteilung des Auguste-Viktoria- 
Krankenhauses zu Berlin-Schöneberg. 

Syphilis und Fieber. 1 ) 

Von 

Dr. F. Glaser, Oberarzt der Abteilung. 

Das rein syphilitische Fieber ist seit den Zeiten des Italieners 
de Vigo bekannt, und seit altersher unterscheiden wir zwischen 
den fieberhaften Zuständen im sekundären und tertiären Stadium. 
Wenn wir bei einem Syphilitiker ein rein luetisches Fieber dia¬ 
gnostizieren wollen, so müssen wir jede Mischinfektion aus- 
schliessen, die entweder zufällig oder indirekt mit der Lues einher¬ 
geht. Die Syphilis und die sogenannten associerten Infektionen sind 
von Neisser 2 ) zum Gegenstände eioes Vortrages gemacht worden. 
Lues und Erysipel kommen relativ häufig vor; während einer 
Pneumonie, eines Typhus, einer Variola bessert sich häufig die 
Syphilis; Lues und Stapbylokokkeninfektionen, Lues und Malaria, 
Lues und Lepra geben eine relativ schlechte Prognose. Auch 
andere Mischinfektionen bei Lues, wie z. B. die Lungentuberkulose, 
die A. Fränkel 8 ) eingehend und kritisch besprochen hat, über¬ 
gehe ich heute und erwähne nur kurz, dass bei der syphiliti¬ 
schen Lebercirrhose eine sekundäre Bauchfelltuberkulose hinzu¬ 
treten kann [v. Strümpell 4 )]. 

_ Als ein Beispiel eines derartigen nicht rein syphilitischen Fiebers, 
sondern eines Mischinfektionsfiebers bei einem Syphilitiker möchte ich 
einen von mir behandelten Fall einer Bronchostenosis syphilitica er¬ 
wähnen, bei der sich unterhalb der Stenose eine Sekretstauung und 
infolgedessen eine Bronchopneumonie entwickelt hatte, wie die Autopsie 
ergab. 

Das rein syphilitische Fieber im sekundären Stadium der 
Lues ist von Güntz 6 ) und Fournier 6 ) zuerst beschrieben 
worden und soll bis zu 20 pCt. der Fälle Vorkommen; ich selber 
sehe bei meinem reichhaltigen Luesmaterial im Krankenhause 
trotz sorgsamer Temperaturraessungen jedes Syphilitikers doch 
selten jene Fiebersteigerungen. Fournier unterscheidet einen 
intermittierenden, kontinuierlichen und atypischen Fiebertypus und 
Senator 7 ) bringt in einer sehr lesenswerten Arbeit über akute 
infektiöse Erkrankungsformen der Syphilis diese fieberhaften Zu¬ 
stände mit Typbus, Malaria, Sepsis, Masern, Variola, Windpocken 
in Differentialdiagnose. 

Eine ausgebreitete Typhusroseola bei einem Luetiker kann um¬ 
gekehrt auch einmal zu diagnostischen Irrtümern führen, und ein von 
mir beobachteter Fall zeigte mir, wie enorm ausgebreitet und wie ähn¬ 
lich dieselbe einer Luesroseola sein kann. Ebenso hatte ich Ge¬ 
legenheit, eine varicellenähnliche Erkrankung zu verfolgen, die de facto 
eine varioloiforme Syphilis war, in deren Beginn Temperatursteigerungen 
bis 38° vorkamen. Es waren in der Tat in den ersten Tagen dia¬ 
gnostische Zweifel berechtigt. Am 3. VII. wurden roterhabene Flecke 
beobachtet, am 5. VII. hatten sich deutliche Eiterpusteln mit Dellen- 

1) Nach einem Vortrag, gehalten im Friedenauer Aerzteverein. 

2) Neisser, Münchener med. Wochenschr., 1900. S. 1476. 

3) A. Fränkel, Spezielle Pathologie und Therapie der Lungen¬ 
krankheiten, 1904. 

4) v. Strümpell, Verhandl. d. sohles. Ges., 1906. 

5) Güntz, Das syphilitische Fieber. Leipzig 1873. 

6) Fournier, Traitö de la syphilis. 

7) Senator, diese Wochenschr., 1902. 

6 * 


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1216 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26. 


bilduog entwickelt; und der Arzt ausserhalb des Krankenhauses hatte 
entschieden nicht so unrecht, wenn er zuerst an Windpocken dachte. 
Die positive Wassermann’sche Reaktion und die spätere Umwandlung 
der Blasen in krustenförmige Gebilde zeigten mit Sicherheit, dass es 
sich um einen syphilitischen Ausschlag handelte, der durch eine Hg-Kur 
geheilt wurde. 

Aehnlich war der Fall von pustulöser Hautsyphilis, bei der die 
Fieberkurve im Anfang der Krankheit die Diagnose Sepsis stellen liess. 
14 Tage hatte die Kranke vor der Hospitalaufnahme unter Schüttel¬ 
frösten zu leiden, und die Pusteln konnten in der Tat beim ersten An¬ 
blick den Eindruck einer Stapbylokokkeninfektion hervorrufen. Die 
positive Wassermann’sche Reaktion und der Erfolg der antiluetischen 
Kur entschied mit Sicherheit für die Diagnose Syplrilis pustulosa. 

Dass auch ohne luetische Exantheme bei einem Syphilitiker 
Fieber auftreten kann (Fournier’s sogenanntes symptomatisches 
Fieber), bewies uns ein Luetiker zwischen primärem und sekun¬ 
därem Stadium. 

Das sekundäre syphilitische Fieber ist durch einige Queck¬ 
silberinjektionen schnell zu beseitigen. Eine merkwürdige Tat¬ 
sache ist es aber, dass man auch bei einem Luetiker durch Queck¬ 
silberspritzen hohes Fieber produzieren kann, ohne dass etwa 
das Fieber von Infiltraten oder Abscessen abzuleiten wäre. Ich 
habe vor 3 Jahren dieses Fieber, das man durch probatorische 
Quecksilberinjektionen hervorrufen kann, in Parallele zur Herx- 
heimer’schen Reaktion gesetzt 1 ). Herxbeimer 2 3 ) beobachtete 
das Aufschiessen von luetischen Exanthemen, besonders von 
Roseola und Papeln nach Quecksilberspritzen. Ich konnte nun 
das Alternieren von Herxheimer’schen Reaktionen und Fieber¬ 
bewegungen nach Hg-Injektionen beobachten, und da man die 
Herxbeimer’sche Reaktion als eine syphilitische Reaktion zu be¬ 
trachten berechtigt ist, so glaube ich, dass auch die Fieber¬ 
bewegungen nach derartigen Einspritzungen als echt syphilitische 
Temperatursteigerungen aufzufassen sind. 

Die Richtigkeit dieser meiner Anschauung zeigte ein Fall, bei dem 
nach der ersten Hg-Spritze eine ausgedehnte Herxheimer’sche Reaktion 
in Form einer Roseola auftrat; die anderen Spritzen produzierten hohes 
Fieber. Man muss dieses Fieber kennen und wissen, dass es ein un¬ 
gefährliches Symptom darstellt. 

Als ein weiteres Beispiel von Zusammentreffen von Herx- 
heimer scher Reaktion und Fieberbewegungen nach Quecksilber- 
bzw. Arseninjektionen erwähne ich den Fall eines Pemphigus 
syphiliticus adultorum. 

Der echt syphilitische Charakter des Pemphigus wurde sichergestellt 
erstens durch +++ Wassermann, zweitens durch den Spirochäten¬ 
nachweis in dem Blaseninhalt und drittens durch den Erfolg der anti¬ 
syphilitischen Kur. 

Soweit mir bekannt ist, ist ein derartiger Pemphigus lueticus 
beim Erwachsenen erst einige Male beobachtet worden und zwar 
von Ricord, Immermann, Broelemann, Pawloff. Dieser 
Fall beweist auch, dass die Fiebersteigerungen nach Quecksilber¬ 
injektionen nicht als Quecksilberfieber, wieStümpke 8 ) meint, 
aufzufassen sind, da in unserem Falle nach Atoxyl Injektionen 
hohes Fieber nebst Herxheimer’scber Reaktion auftrat. 

Ich habe bei meinem Krankenhausmaterial noch mehr Fälle 
gesehen, bei denen Fieberanstieg und Herxheimer’sche Reaktion 
zusammenfiel; sie beweisen, dass diese Temperatursteigerungen 
syphilitische Fieberbewegüngen sind. Auch die Fiebererscheinungen 
nach Salvarsaninjektionen werden zum Teil von vielen Autoren 
in Parallele zur Herxheimer’schen Reaktion gesetzt. 

Die Erklärung des syphilitischen Fiebers im sekundären 
Stadium ist sehr schwer. Spirochäten bzw. deren Gifte werden 
sicher etwas mit dem Fieber zu tun haben; warum aber 
der eine Luetiker im sekundären Stadium Fieber bekommt, der 
andere nicht, kann vorläufig höchstens so erklärt werden, dass 
gewisse Luetiker zu Fieberbewegungen disponieren. Der schwere 
Charakter der Hautaffektion geht nicht etwa parallel mit den 
Fiebersteigerungen. 

Noch schwieriger ist das rein syphilitische Fieber im tertiären 
Stadium zu deuten. 

Sie wissen ja, dass es kein Organ im Körper gibt, das nicht 
im tertiären Stadium affiziert sein kano; jedoch nur bei einzelnen 
luetischen Organerkrahkungen kennen wir häufiger Fieber, und 
zwar bei syphilitischen Affektionen der Gallenblase, der Leber, 


1) Diese Wochenschr., 1910, Nr. 27. 

2) Herxbeimer und Krause, Deutsche med. Wochenschr., 1902, 
Nr. 50. 

3) Stümpke, Ist das nach Hg-lnjektionen bei Lues auftretende 

Fieber als ein Zeichen aktiver Lues aufzufassen? Diese Wochenschr., 

1910, Nr. 40. 


der Gelenke, der Knochen, der Lunge, des Kehlkopfes und 
äusserst selten der Gehirnhäute [Dorendorf 1 )] und der Nieren*). 

Die Magensyphilis, die Mesaortitis luetica, die Darmsyphilis 
verlaufen dagegen ohne Fieber. Karl Gerhard 8 ) bat diese inter¬ 
essante Frage in einem Artikel dieser Wochenschrift, 1910: 
„Lues einiger innerer Organe“ gestreift und meint, dass die Leber, 
bei der ja hauptsächlich Fiebersteigerungen vorkommt, zur Fieber¬ 
bildung disponiere; spricht doch Charcot von einem reinen 
Leberfieber. G. Klemperer 4 ), der im Jahre 1903 durch eine 
Arbeit über Leberlues zu einer Reibe derartiger Publikationen Ver¬ 
anlassung gab, will das Fieber durch Resorption von gummösen 
Massen erklären; ein Erklärungsversuch, der jedoch nicht voll¬ 
kommen befriedigt, da es sicher viele Luetiker gibt, die uleerierte 
Gummata der Leber haben und kein Fieber bekommen. Wir 
müssen daher nach meiner Meinung neben einer Organdisposition 
noch eine allgemeine Disposition für syphilitische Fieber¬ 
steigerungen bei tertiärer Lues annehmen. 

Das Leberluesfieber muss jeder Arzt kennen. Solche Patienten 
können monatelang unter Schüttelfrösten leiden, und in Differential¬ 
diagnose kommt in solchen Fällen kryptogenetische Sepsis, Leber- 
abscess, Malaria, Typhus, Tuberkulose. Häufig kommt es vor, 
dass in diesen Fällen operiert wurde, und ich nenne nur König, 
Riedel, Karewski, die derartige Laparotomien machten. Diese 
Namen beweisen, wie äusserst schwer die Diagnose auf fieber¬ 
hafte Leberlues zu stellen, ja in vielen Fällen unmöglich ist 
und wie selbst den ausgezeichnetsten Diagnostikern in solchen 
Fällen Fehldiagnosen Vorkommen können. Riedel 5 ) bat fünfmal 
bei Gallenblasensyphilis operieren müssen und schildert in einer 
klassisch geschriebenen Arbeit, wie er sich gegen seine Ueber- 
zeugung von einem kranken Kollegen, der bei sich selber ein 
Gallenblasenempyem diagnostiziert hatte, überreden lies«, eine 
Laparotomie zu machen, und wie er dann in dem aufgeschnittenen 
Leibe eine Lues hepatis interstitialis feststellte. 

Ich selber habe zwei Fälle von Lebersyphilis mit langdauernden 
Fieberperioden beobachtet; bei dem einen Falle einer Baumeistersgattin 
war nach einer Entbindung ein monatelanges intermittierendes hohes 
Fieber mit Schüttelfrösten, geringer Leberschwellung und grossem Milz¬ 
tumor entstanden. Der sonstige Organbefund war vollkommen negativ. 
Der Mann gestand Lues zu. Ich konnte Malaria, Sepsis, Typhus bakterio¬ 
logisch ausscheiden; da jedoch die Wassermann’sche Reaktion negativ 
war, entschloss sich der Hausarzt erst, nachdem von anderer Seite auch 
zu einer antiluetischen Kur geraten war, zu einer Salvarsaninfusion, die 
das Fieber, den Milztumor und die Leberschwellung prompt beseitigte 
und vollkommene Gesundheit hervorbrachte. 

Einen zweiten Fall von fieberhafter Leberlues, der in unserem Kranken¬ 
hause beobachtet wurde, und der durch Autopsie in vivo und histologisch 
gesichert war, publizierte Huber 6 ). Das Fieber wurde durch eine intra¬ 
muskuläre Salvarsaninjektion beseitigt. 

Dass Kehlkopflues Fieber machen kann, ist wenig bekannt 
Bäu ml er 7 ) veröffentlichte den ersten derartigen instruktiven Fall. 

Ich sah auch einen fieberhaften Patienten, der an Kehlkopflues litt 
Unser Kranker bot sehr schwere Erscheinungen von Perichondritis syphi¬ 
litica dar; das linke Taschenband und der linke Aryknorpel waren stark 
geschwollen, und weissliche Beläge fanden sich auf der linken aryepi- 
glottischen Falte. Eine antiluetische Kur beseitigte in einigen Tagen 
das Fieber, und die schwere Larynxsyphilis heilte in einigen Wochen ab. 

Die Lungensyphilis macht nach Zinn 8 ) selten Fieber. 

Ich selber konnte erst kürzlich eine ausgebreitete Lungensyphilis 
der ganzen rechten Lunge beobachten, die vollkommen fieberlos verlief. 

Nach Dieulafoie und Fournier jedoch kommen gerade 
bei Lungensyphilis häufig Fieberzustände vor, und ich selber bin 
in der Lage, von einer Kranken zu referieren, bei der das Fieber 
sicherlich von Lungensyphilis abzuleiten war, da beide Symptome 
unter einer antisyphilitischen Therapie bald verschwanden. 

Die 25 jährige Kranke bot neben einer Laryngitis luetica 
Angina specifica, papulosquaroösem Syphilid eine Dämpfung im 
Gebiet des rechten Oberlappens der Lunge dar. Die Frage, ob 
bei dieser Kranken mit manifester Syphilis eine Mischinfektion 

1) Dorendorf, Charitö-Annalen, 1901. 

2) Welz, Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 25. 

3) Gerhard, Diese Wochenschr., 1910, Nr. 46. 

4) G. Klemperer, Therapie d. Gegenw., 1903, S. 41. 

5) Riedel, Ueber die fieberhaft verlaufende Lues der Gallengäoge 
und Gallenblase sowie der Leber. Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. 
Chir., Bd. 14. 

6) Huber, Fieberhafte Leberlues, Ther. d. Gegenw., 1911. 

7) Bäumler, Ueber das Verhalten der Körperwärme als Hilfsmittel 
zur Diagnose einiger Formen syphilitischer Erkrankung, Arch. f. klin. 
Med., Bd. 9. 

8) Zinn, Charitö-Annalen, 1895. 


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BO. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1217 


der Lunge vorlag, oder ob eine echte Lungensyphilis mitspielte, 
kann, abgesehen von dem Erfolg der Behandlung, noch vom 
folgenden Gesichtspunkt betrachtet werden, der den Lehren 
Mauriac’s entspricht, die folgendes sagen: Ungewöhnliche 
viscerale Erscheinungen bei einem Syphilitiker sind dann als 
luetische anzusprechen, wenn manifeste Syphiliserscheinungen bei 
dem betreffenden Individuum vorhanden sind; sie sind dagegen nicht 
als syphilitische mit Sicherheit anzusehen, wenn der Luetiker sich im 
Latenzstadium befindet. Selbst wenn wir uns in unserem Falle 
der Worte Virchow’s 1 ) erinnern, der davor warnte, „im raschen 
Zusammen fassen alles der Syphilis zuzueignen, was nur irgend 
bei einem Syphilitischen vorkommt, oder was nur irgendeiner 
sogenannten antisyphilitischen Behandlung weicht“, glaube ich mit 
grosser Wahrscheinlichkeit annehmen zu können, dass in unserem 
Falle ein echter Fall von Lungen- und Kehlkopfsyphilis vorlag. 

Dass eine Gelenklues einen polyartikulären fieberhaften Ge¬ 
lenkrheumatismus vortäuscken kann, erfuhr ich an einem Fall, 
der monatelang ausserhalb des Krankenhauses an gewöhnlichem 
Gelenkrheumatismus ohne Erfolg behandelt worden war; einige 
Quecksilberspritzen heilten das Leiden. 

Es ist äusserst wichtig für den Arzt, diese fieberhaften 
Komplikationen bei Syphilitikern zu kennen, und wenn wir uns 
besonders bei febrilen Zuständen unklaren Ursprunges an die 
Syphilis erinnern, werden nicht so viele Fehler Vorkommen wie 
in den Fällen, die ich Ihnen zum Schluss noch schildern will. 

Mir ist eine Kranke in Erinnerung, die 7mal in den Jahren 1907 
bis 1909 in Krankenhäusern war und vergeblich Hilfe gegen ihr Fieber 
suchte. In einem namhaften auswärtigen Hospitale wurde wegen Leib¬ 
beschwerden der Bauchschnitt gemacht, und eine Peritonitis adhaesiva 
chronica gefunden. Gegen die fieberhaften Zustände wurden Sphincteren- 
dehnung, Siebbeinmuschelentfernung, Stiruhöhlenaufmeisselung vorge¬ 
nommen. Schliesslich trat neben einem Milztumor ein syphilitischer 
Plaque der Zunge auf; eine von mir vorgenommene antisyphilitische Kur 
beseitigte das Fieber, den Milztumor; die Kranke nahm 24 Pfund zu und 
wurde wieder arbeitsfähig. 

Auch ein zweiter Fall eines längere Zeit verkannten syphilitischen 
Fiebers ist mir bekannt. Die Beobachtung zeigt, wie lange eine der¬ 
artige Kranke ein luetisches Fieber relativ gut ertragen kann, eine Tat¬ 
sache, auf die Huber besonders aufmerksam gemacht hat. Die be¬ 
treffende Kranke war im Jahre 1904 in einem bekannten auswärtigen 
Krankenhause einer Uterusexstirpation unterworfen worden. Da das Fieber 
sich nicht besserte, und besonders Leibschmerzen weiter bestanden, 
wurde in einem anderen Krankenhause im Jahre 1905 eine Bauchhernie 
operiert. Die verschiedentlichen Diagnosen lauteten: Parametritis (?), 
Stumpfeisudat (?;, Endocarditis (?). Da zufällig die Wassermann’sche 
Reaktion bei der Kranken gemacht wurde, fiel dieselbe H —|—\- aus; 
nach Schmierkur und Jodkali schwand das Fieber, die Patientin, die in 
den letzten Jahren vollkommen erwerbsunfähig war, nahm 18 Pfund 
zu und wurde geheilt entlassen. Da bei der Kranken hauptsächlich 
bohrende Schmerzen in allen Gliedern und starke Stirnschmerzhaftigkeit 
bestand, wird aller Wahrscheinlichkeit das Fieber von einer Periostitis 
luetica abzuleiten sein. 


Das phylogenetische Moment in der spastischen 
Lähmung. 

Von 

0. Foerster- Breslau. 

(Vortrag, gehalten am 24. Januar 1913 in der schlesischen Gesellschaft 
für vaterländische Kultur.) 

An die Symptomatologie der spastischen Lähmungen knüpfen 
sich eine Reihe interessanter Probleme. In erster Linie gilt dies 
von den spastischen Kontrakturen. Zwei Fragen interessieren 
dabei besonders, erstens warum werden überhaupt die Glieder 
durch abnorme Muskelspannung fixiert? und zweitens, warum 
werden sie oft in so merkwürdigen Stellungen fixiert, die von der 
Ruhelage der Glieder in der Norm erheblich abweichen. 

Das Grundgesetz, welches die Entstehung der spastischen 
Kontrakturen beherrscht ist die Tatsache, dass diejenige MiiNkel- 
gruppe der spastischen Kontraktur verfällt, deren Insertionspunkte 
angenähert sind, während ein Muskel, der stark gedehnt ist, zu¬ 
nächst nicht davon ergriffen wird. Befindet sich ein Glied in 
der Mittellage zwischen zwei Endstellungen, so werden beide 
Muskelgruppen in annähernd gleichem Grade spastisch. Die 
Spannungsentwicklung im Muskel beruht, wenn dessen Insertions¬ 
punkte angenähert sind, auf einem durch periphere sensible Reize 


1) Virchow, Die krankhaften Geschwülste, 1864/65. 


veranlassten subcorticalen und spinalen Innervationsvorgang, einem 
subcorticalen Fixationsreflex. Da also die Lagerung der Glieder 
maassgebend für die Verteilung der Kontrakturen ist, fragt es 
sich nur, welche Momente im einzelnen als stellunggebende Fak¬ 
toren in Betracht kommen. Zum Teil ist dies einfach die passive 
Lagerung der Glieder, wie sie durch die Schwere bedingt wird. 
Wenn sich aus einer schlaffen hemiplegischen Lähmung heraus 
allmählich die Kontrakturen entwickeln, so kommt es am Bein 
zu einer Kontraktur der Plantarflexoren des Fusses, weil dieser 
sich der Schwere entsprechend in extremer Streckung befindet; 
es kommt zur Kontraktur des Quadriceps, weil die Streckstellung 
im Knie die natürliche Ruhelage des gelähmten Beines ist; es 
entsteht Kontraktur der Adduktoren, weil das gelähmte Bein ganz 
von selbst neben dem anderen gelagert ist. Am Arm kommt es 
zur Kontraktur der Adduktoren des Oberarmes, weil dieser in 
der Regel der Schwere entsprechend zur Seite des Oberkörpers 
liegt. In der Mehrzahl der Fälle von spastischer Lähmung spielt 
tatsächlich die Schwere für die Verteilung der Kontrakturen eine 
nicht unerhebliche Rolle. Aber sie ist keineswegs der einzige 
stellunggebende Faktor. Im Gegenteil sehen wir, dass die Kon¬ 
trakturstellungen vielfach gerade der Schwere entgegengerichtet 
sind. Als stellunggebender Faktor kommt hierbei aktive Muskel¬ 
tätigkeit in Betracht, und zwar werden die Glieder zum Teil 
durch willkürliche Bewegungen in bestimmte Stellungen geführt, 
aus denen sie wegen der Lähmung der Antagonisten nicht wieder 
herausgebracht werden können und in denen sie dann kontrak- 
turieren. In der Hauptsache ist es aber sicher eine ganz un¬ 
willkürliche Muskeltätigkeit, welche die Glieder in diese 
Stellung führt. Denn wir sehen dieselben Kontrakturstellungen 
auch dann, wenn eine vollkommene Lähmung der willkürlichen 
Bewegung besteht, wir sehen sie bei der Hemiplegie bereits auf- 
treten, ehe eine willkürliche Beweglichkeit eingekehrt ist. Die 
unwillkürliche Muskeltätigkeit, welche als stellunggebender Faktor 
für die Kontrakturen in Betracht kommt, beruht auf Innervationen, 
die von den subcorticalen Centren und dem spinalen Grau den 
Muskeln zugehen, und welche veranlasst werden durch den sen¬ 
siblen Zustrom von der Körperperipherie zu den subcorticalen 
Centren, wie ich das in zahlreichen früheren Arbeiten näher dar¬ 
getan habe. Die Frage ist nur, warum dieser centripetal ange¬ 
regte Innervationsstrom gerade vorzugsweise bestimmten Mus¬ 
keln zugeht. Bevor wir darauf näher eingehen, müssen wir die 
typischen Kontrakturstellungen bei den spastischen Lähmungen 
Revue passieren lassen. 

Bei den angeborenen spastischen Diplegien (Figur 1), bei denen die Be¬ 
wegungsstörung im wesentlichen über den ganzen Körper ausgebreitet ist, 
befinden sich die Beine bekanntlich fast durchweg in Beugekontraktur 
in Knie und Hüfte, die Füsse in einer mehr oder weniger ausgesprochenen 


Figur 1. 



Spastische Diplegie. Beugekontraktur der Beine, Supination des 
Fusses, Abduktion des Oberarms, Flexion des Vorderarms, Pronation und 
Flexion der Hand, Beugung der Finger. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26. 


Supinationsstellung, zumeist mehr in PJantarflexion, manchmal aber 
auch mehr in Dorsalilexion. Die grosse Zehe steht zumeist in Dorsal¬ 
flexion, ihre letzte Phalange ist oft flektiert; die übrigen Zehen befinden 
sich in Flexion, wenn der Fuss nicht gerade ganz in Plantarflexion 
steht; im letzteren Falle sind die Zehen meist alle gestreckt, wenigstens 
im Grundgelenk, die Mittel- und Endphalangen sind oft auch dabei 
noch gebeugt. 

Der Grad der Beugestellung in Knie und Hüfte variiert ungemein. 
Bei extremer Flexion sind die Strecker von Hüfte und Knie nicht 
^ wesentlich spastisch. Je mehr sich aber die Stellung der Streckung 
^ nähert, um so mehr erweisen sich gleichzeitig auch die Extensoren der 
Hüfte und des Quadriceps als spastisch. Dabei besteht gleichzeitig 
Kontraktur der Adduktoren und Innenrotatoren des Oberschenkels, die 
bei extremer Beugestellung nicht so stark hervortritt. 

An der oberen Extremität ist der Oberarm immer etwas, manchmal 
sogar extrem abduziert; im letzteren Fall ist er auch auswärts rotiert. 
Der Vorderarm ist gebeugt, die Hand steht in Pronation, Flexion und 
Ulnaradduktion; die Finger befinden sich in Flexion; nur in leichteren 
Fällen, in denen eine leidliche willkürliche Bewegung vorhanden ist, be¬ 
finden sich die Finger auch in Streckung. 

Derselbe Typus der Kontrakturstellung besteht auch dann, wenn 
nur einzelne Körperabschnitte von der spastischen Lähmung ergriffen 
sind. So führt auch die erworbene spastische Paraplegie der Beine bei 
den Erwachsenen in letzter Linie fast immer zur Beugekontraktur in 
Knie und Hüfte, zur Supinationsstellung des Fusses und zur Dorsal¬ 
flexion der grossen Zehe, bei Flexion der letzten Phalange und Flexion 

der übrigen Zehen. Anfangs zeigen allerdings viele spastische Para¬ 
plegien eine Streckkontraktur, aber auch dabei besteht Supination des 
Fusses und Dorsalflexion der grossen Zehe usw. Und, wie gesagt, all¬ 
mählich gehen fast alle Fälle in Beugekontraktur über, um so schneller, 
je mehr die willkürliche Beweglichkeit sinkt. 

Wir kommen zur Hemiplegie. Bei der infantilen Hemiplegie treffen 
wir am Arm auch wieder auf mehr oder weniger ausgesprochene Ab¬ 
duktion des Oberarms, Flexion und Ulnaradduktion der Hand und Beu¬ 
gung der Finger; die Streckung derselben sehen wir nur dann, wenn 
die Fingerstreckung willkürlich erhalten ist. An der unteren Extremität 
finden wir in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle Beugekontraktur in 

Knie und Hüfte, Supination des Fusses, Dorsalflexion in der grossen 

Zehe, bei Flexion der übrigen. 

Bei der Hemiplegie der Erwachsenen bestehen am Arm ganz ana¬ 
loge Verhältnisse, mehr oder weniger leichte Abduktion des Oberarms, 
Flexion des Vorderarms, Pronation und Flexion der Hand, immer Flexion 
der Finger. Am Bein dagegen überwiegt die Streckkontraktur, nur der 
Fuss zeigt deutlich die Supinationsstellung, oft auch die Dorsalflexion 
der grossen Zehe, und gar nicht so selten ist im Knie wenigstens die 
Kontraktion der Beuger angedeutet. 

Wenden wir uns nunmehr zur Betrachtung der Bewegungen 
bei den spastischen Lähmungen. Die willkürlichen Be¬ 
wegungen eines Gliedabschnittes oder der einzelnen 
Extremität sind nicht mehr möglich, statt dessen erfolgen 
immer ganz typische, zusammengesetzte Bewegungen 
aller Gliedabschnitte der betreffenden Extremität, ja 
unter Umständen aller vier Extremitäten, des Rumpfes 
und des Kopfes zusammen. 

Man bezeichnet diese zusammengesetzten Bewegungen als 
Synergien. Eine Anzahl derselben sind von Strümpell, 
Mann, Schüller und vom Vortragenden selbst bereits früher 
beschrieben worden. 

An der unteren Extremität haben wir zunächst eine Beuge¬ 
synergie (Figur 2, 3, 4;, bestehend in gleichzeitiger Flexion in Hüfte, Knie- 
und Fussgelenk, dabei abduziert sich das Bein und rotiert nach aussen, der 
Fuss wird supiniert, alle Zehen, besonders die grosse, werden dorsal¬ 
flektiert (Figur 2), wobei sich die grosse Zehe auch manchmal abduziert. 
Die Abduktion und Aussenrotation des Beines gehört zur Beugesynergie, 


Figur 2. 



Spastische Diplegie. Versuch, ein Bein willkürlich zu erheben, 
dabei Beugung beider Beine, Supination der Füsse, Streckung aller 
Zehen, Abduktion der Oberarme, Fleiion der Vorderarme, Pronation und 
Flexion der Hand, Beugung bzw. Streckung der Finger. 


Figur 3. 



Spastische Diplegie. Willkürliche Beugung eines Beines; es erfolgt 
dieselbe Synkinesie wie in Figur 2. Besonders zu beachten ist die Supination 
der Füsse, die Extension der Grosszehen, die Pronatiou der Hand. 


Figur 4. 



Spastische Diplegie. Versuch, ein Bein zu beugen nach der Wurzel¬ 
resektion. Es erfolgt die typische Beugesynergie aller vier Extremitäten. 

Besonders zu beachten ist die Abduktion der Beine. 

sie tritt allerdings wegen der meist unüberwindlichen Adduktions¬ 
spasmen, die in der Ruhe bestehen, nicht gleich zutage; wenn aber 
durch Wurzelresektion die Spasmen gemindert sind, ist die Abduktion 
beim Beugen des Beines manchmal ganz auffallend ausgesprochen (Figur 4). 
Auch bei der Hemiplegie ist oft die Abduktion bei der Flexion des Beines 
sehr deutlich. Nun zeigt die Beugesynergie des Beines noch einige 
Variationen, welche die Zehen betreffen. Es wird nämlich unter Um¬ 
ständen nur die grosse Zehe dorsalflektiert und eventuell abduziert, 
während die 2. bis 4. Zehe stark flektiert werden (Figur 3 und 5); oder 
es werden alle Zehen einschliesslich der grossen Zehe flektiert (Figur 4; 
allerdings ist dabei manchmal die erste Phalange der grossen Zehe noch 
dorsal- und nur die zweite Phalange stark plantarflektiert. 

Die zweite Synergie an der unteren Extremität ist die Streck - 
synergie. Sie besteht in Streckung in Hüfte und Knie und Plantar¬ 
flexion des Fusses, dabei wird das Bein adduziert und innenrotiert, der 
Fuss zeigt wie bei der Beugesynergie Supinationsstellung, aber in 
Plantarflexion; die Zehen werden dorsalflektiert und zumeist mehr oder 
weniger gespreizt; manchmal ist dabei die Abduktion der grossen Zehe 
ganz auffallend stark (Figur 6). 


Figur 5. 



Spastische Diplegie. Willkürliche Beugung eines Beines, der Fuss 
stark supiniert, die Grosszehe extendiert, die anderen Zehen flektiert. 


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30. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1219 


Figur’6. 



Streckung der Zehen und Abduktion der Grosszehe beim Ausstrecken 
des Beines. 

An der oberen Extremität stossen wir auch zunächst wieder 
auf eine Beugesynergie; sie besteht in Abduktion des Oberarms 
unter gleichzeitiger Erhebung und Rückwärtsziehung der Schulter, Fleiion 
des Vorderarms, Pronation, Flexion und Ulnaradduktion der Hand und 
Oeffnung der Finger. Allerdings zeigt auch diese Synergie wie die 
Beugesynergie am Bein die Variation, dass manchmal die Finger 
flektiert werden. Die Flexion der Finger ist bei der Hemiplegie der 
Erwachsenen oft mit einer Extension der Hand vergesellschaftet, bei der 
infantilen Hemiplegie und bei den Diplegien dagegen überwiegt in den 
schweren Fällen entschieden die Flexion der Hand. Der Beugesynergie 
steht die Strecksynergie des Armes gegenüber, sie besteht in Senkung 
und Vorführung der Schulter, Adduktion und leichter Vorwärtsbewegung 
des Oberarmes, Extension des Vorderarmes, Pronation, Flexion und 
Ulnaradduktion der Hand und Extension der Finger; oder die Finger 
bleiben auch in Flexion. 

Bei der Hemiplegie verknüpft sich nun auf der gelähmten Seite 
die Beugesynergie des Armes mit der Beugesynergie des Beines 
und umgekehrt, die Strecksynergie desBeines mit der Streck¬ 
synergie des Armes. Bei den spastischen Paraplegien verknüpft 
sich die Beugesynergie des einen Beines mit der des anderen und um¬ 
gekehrt, die Strecksynergie des einen Beines mit der Strecksynergie des 
anderen, und endlich bei den Diplegien sehen wir einerseits die Beuge¬ 
synergie an allen vier Extremitäten zusammen auftreten, wobei auch 
Rumpf und Kopf noch in Beugung geraten, oder andererseits führen 
alle vier Extremitäten die Strecksynergie aus. 

Genau dieselben Synergien sind nun auch bei Reflex¬ 
bewegungen anzutreffen. 

Es sei nur an den sogenannten Beugereflex der unteren Extremi¬ 
täten erinnert, bei dem sich Ober- und Unterschenkel beugen, der Fuss 
sich dorsalflektiert und supiniert, die grosse Zehe sich dorsalflektiert, 
manchmal unter deutlicher Abduktion; die übrigen Zehen begeben sich 
ebenfalls in Extension, zumeist unter Spreizung; manchmal aber führen 
sie auch umgekehrt eine Plantarflexion aus; gelegentlich sieht man bei 
starken Reizen auch eine starke Plantarflexion sämtlicher Zehen, ein¬ 
schliesslich der grossen. Der Babinski’sche Grosszehenreflex und der 
Oppenheim’sche Tibialisreflex sind jedenfalls nur interessante Einzel¬ 
heiten, die aus der geschilderten grossen Reflexsynergie herausgegriflen 
sind. Reizungen der oberen Extremitäten, besonders Beklopfen des 
Periost des Vorderarmes, rufen Beugung des Armes, Pronation der 
Hand und Fleiion der Finger hervor; manchmal kommt es dabei auch 
zu einer leichten Abduktion des Oberarmes; diese letztere ist besser zu 
erzielen durch Beklopfen der Spina oder Basis scapulae; dabei erfolgt 
nicht selten auch Beugung des Vorderarmes und Pronation der Hand. 
Es besteht also auch am Arm die Beugereflexsynergie wie am Bein. 
Bei den spastischen Diplegien sehen wir nun auch wieder, dass bei 
Reizung eines Beines reflektorisch sowohl die beiden Beine wie die 
beiden Arme die geschilderten Beugesynergien ausführen, und bei vielen 
Fällen von Hemiplegie sehen wir bei Reizung der Fusssohle, am Bein 
und Arm der hemiplegischen Seite die Beugesynergie reflektorisch auf¬ 
treten. Weniger bekannt sind die reflektorischen Strecksynergien. Bei 
Beklopfen der Achillessehne oder der Planta pedis erfolgt manchmal 


Streckung des Fusses, des Knies und manchmal auch des Oberschenkels, 
nicht selten auch Adduktion des Oberschenkels, bei Paraplegien sogar 
Kontraktion des gekreuzten Adduktors. Sehr bekannt ist ja die Kon¬ 
traktion des Adduktors der gekreuzten Seite bei Beklopfen der Patellar- 
sehne. Bei Beklopfen der Sehne des Triceps brachii erfolgt oft neben 
Streckung des Vorderarmes auch Adduktion des Oberarmes. Endlich 
treten auch bei passiver Bewegung einzelner Gliedteile analoge Synergien 
auf. Bei passiver Flexion eines Oberschenkels beugt sich sehr häufig 
auch das Knie, der Fuss supiniert sich, die Zehen geraten in Dorsal¬ 
flexion; aber auch der gegenüberliegende Fuss führt eine Beugung aus, 
und besonders die gekreuzte grosse Zehe gerät in Dorsalflexion. Bei 
schwerer Diplegie führt passives Erheben eines Beines manchmal zur 
gleichzeitigen Beugung des gegenüberliegendes Beines und zu den oben 
geschilderten Beugesynergien an beiden Armen. Passive Streckung eines 
Beines in Hüfte und Knie führt meist zu ausgesprochener Adduktion 
des Beines, zur Plantarflexion des Fusses und zur Streckung und 
Spreizung der Zehen, wobei die grosse Zehe sich manchmal abduziert; 
manchmal führt dabei auch der gegenüberliegende Fuss eine Plantar¬ 
flexion und die grosse Zehe der anderen Seite eine Dorsalflexion aus. 
Die Reflexsynergien und das Auftreten der Synergien sogar bei passiver 
Bewegung erweisen, wie innig fest gefügt diese Synergien sind. 

Die typischen Kontrakturstellungen und die beschriebenen 
typischen Bewegungssynergien und Reflexsynergien bei den 
spastischen Lähmungen werden zusammen mit der Steigerung der 
Sehnenreflexe und der Spastizität der Muskeln im allgemeinen 
auf eine gesteigerte reflektorische oder, wohl richtiger ge¬ 
sagt, peri pherogene Erregbarkeit der subcorticalen 
Centren und des Rückenraarksgraus infolge des Fortfalls 
des Pyramidenbahneinflusses zurückgeführt. Durch den fortge¬ 
setzten sensiblen Zustrom werden die subcorticalen Centren und 
das Rückenmarksgrau allmählich geladen und in einen Zustand 
erhöhter Erregbarkeit versetzt. Bei Ausfall der Pyramidenbahn 
gelangen jedenfalls die subcorticalen Centren und das spinale 
Grau zu einer gesteigerten Tätigkeit. Dadurch wird die Steigerung 
der Reflexe und die Spastizität der Muskeln, die einen einfachen 
Fixationsreflex darstellt, im allgemeinnn wohl ohne weiteres er¬ 
klärt. Nicht erklärt wird aber dadurch, warum die Glieder 
fast durchweg in bestimmten typischen Stellungen, die 
von der Ruhelage in der Norm doch so sehr abweichen, kon- 
trakturieren und ferner werden nicht erklärt die eigentümlichen 
typischen Bewegungssynergien, die, wenn man alle Einzelheiten 
zusammen berücksichtigt, den normalen menschlichen Bewegungen 
nicht zugehören, sondern im Gegenteil für dieselben oft sogar 
sehr unzweckmässig sind. Wohl aber finden sich genau 
dieselben Kontrakturstellungen und dieselben Be¬ 
wegungssynergien beim neugeborenen Kinde sowie beim 
Kinde während der ersten Lebensmonate. 

Ich habe bereits in viel früheren Arbeiten auf die grosse 
Aehnlichkeit der Kontrakturstellungen bei spastischen Lähmungen 
mit den Stellungen der Glieder beim neugeborenen Kinde hin¬ 
gewiesen, und für die angeborene spastische Diplegie und infantile 
Hemiplegie die Kontrakturstellung einfach aus einem Persistieren 
der kindlichen Gliederhaltung erklärt. Ich habe die Kontraktur¬ 
stellungen und die Bewegungssynergien als die spezifische 
subcorticale Lage und spezifische subcorticale Kinetik 
bezeichnet. Beide, die spastischen Lähmungen und das neu¬ 
geborene Kind, haben gemeinsam das Fehlen der Pyramidenbahn. 
Nun ist die Pyramidenbahn phylogenetisch eine ganz junge 
Bahn und erst beim Menschen zu ihrer vollkommenen Entwicklung 
gelangt. Umgekehrt sind die subcorticalen Bahnen, speziell das 
Monakow’sche Bündel und die Vierhügel vorderstrangbahn beim 
Menschen gegenüber dem Tiere in deutlicher Rückbildung be¬ 
griffen. Ihre Funktionen sind beim Menschen sehr reduziert und 
von der Pyramidenbahn und eventuell anderen corticospinalen 
Leitungsbahnen verdrängt und übernommen. Sie nehmen aber 
bei Pyramidenbahnfortfall wieder eine gesteigerte Tätigkeit an. 
Diese gesteigerte Tätigkeit dokumentiert sich unter anderem auch 
darin, dass sie die Muskeln sowohl in der Ruhe als auch be¬ 
sonders bei Bewegungen gerade in einer solchen Gruppierung 
innervieren, wie es ihrer ursprünglichen Aufgabe im Dienste der 
Lokomotion bei den Tieren entsprochen hat. Die von mir so 
benannte spezifische subcorticale Lage und die spezi¬ 
fischen subcorticalen Bewegungen der Glieder, die wir 
beim neugeborenen Kinde und bei den spastischen 
Lähmungen antreffen, haben eine phylogenetische Be¬ 
deutung. Klaatsch hat darauf hingewiesen, dass die Haltung 
der Glieder des Kindes in ihrer Form an Entwicklungsphasen in 
der Stammesgeschichte erinnert, in denen unsere Vorfahren 
quadrumane Kletterer waren. Es liegt also der Gedanke 
nahe, auch die Kontrakturstellungen und die Bewegungen bei 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26. 


den spastischen Lähmungen von diesen phylogenetischen Gesichts¬ 
punkten aus zu betrachten. In der Literatur finden sich hierfür 
nur ganz spärliche Hinweise. Der Engländer Thomson, 
Bittorf und der Hamburger Orthopäde Hasebroock sind die 
einzigen, welche für die Erklärung einzelner Kontrakturstellungen 
und gewisser Bewegungssynergien phylogenetische Gesichtspunkte 
herangezogen haben. Sie greifen aber nur zum Teil auf die 
Kletterbewegungen der Affen zurück, zum anderen Teil auf die 
Quadrupedeu ganz allgemein, ja auf Vögel, Fische und Frösche. 
So hat Thomson die symmetrischen Mitbewegungen bei spasti¬ 
schen Lähmungen mit dem Hüpfen des Frosches und der Vögel 
sowie auch mit dem Galopp der Pferde in Beziehung gebracht. 
Später hat dann Bittorf die Beugesynergie an der unteren Ex¬ 
tremität mit dem einen Akt einer Greif- oder Kletterbewegung, 
wie wir sie an den Hinterfüssen der Affen sehen können, ver¬ 
glichen. Im übrigen greift aber auch Bittorf auf die Beuge¬ 
stellung der unteren Extremität der Vierfüsser im allgemeinen 
zurück. Endlich hat dann noch Hasebroock eine Reihe von 
Eigentümlichkeiten der spastischen Lähmungen auf Vorfahren¬ 
charaktere zurückgeführt, die mit denjenigen einer kletternden 
Lokomotion Zusammenhängen. Er bat dabei besonders die Pro¬ 
nation des Schultergürtels, das Ueberwiegen der Beuger sowohl 
an der oberen wie an der unteren Extremität und endlich die 
Innenrotation der Beine im Auge. Diese spärlichen Hinweise in 
der Literatur befassen sich aber bisher nur mit einigen Einzel¬ 
heiten der spastischen Lähmung. Der Versuch, ganz prinzipiell 
die Kontrakturen und Bewegungen bei der spastischen LähmuDg 
von einem bestimmten phylogenetischen Gesichtspunkte zu ana¬ 
lysieren, ist bisher noch nie unternommen worden. 

(Schluss folgt.) 


Fall von offenem Urachus im Tierreich, der als 
Zwitterbildung gedeutet wurde. 

Von 

Prof. Dr. Jos. Koeks-Bonn. 

Im Centralblatt für Gynäkologie, 1913, Nr. 43, wird über 
Urachiiscysten berichtet. Die Originalarbeit erschien in der 
Petersburger medizinischen Wochenschrift, 1911, S. 577, aus der 
Feder von F. Weber. Solche Cysten sind bekanntlich sehr selten. 
Noch viel seltener aber sind Fälle, in denen der Urachus ganz 
offen bleibt. Beim Menschen ist mir kein Fall vorgekommen 
in einer vierzigjährigen Frauen- und Geburtshelferpraxis. Wohl 
aber sah ich einen sehr lehrreichen Fall dieser Art bei der 
Kuh, der seinerzeit eine Deutung fand, die mich sehr interessierte, 
und so habe ich als junger Assistenzarzt an der Bonner Uni¬ 
versitäts-Frauenklinik Gelegenheit genommen, ihn sehr genau zu 
untersuchen. Ueber das Resultat meiner Untersuchung will ich 
jetzt, nach 40 Jahren, noch berichten, weil es mir für die 
Beurteilung der Fälle von Zwitterbildung im allgemeinen und 
besonders solcher im Tierreich belangreich erscheint. 

In den ersten Jahren des 7. Dezenniums im vorigen Jahrhundert 
wurde in unseren Städten mit grosser Reklame ein sogenanntes Unikum 
der Natur gezeigt: eine Kuh, die gleichzeitig Stier, oder ein 
Stier, der gleichzeitig Kuh sein sollte. 

Nachdem ich die Kuh, die zur öffentlichen Schaustellung nach Bonn 
kam, das erstemal untersucht hatte, war mir schon klar geworden, dass 
es sich um einen Fall von offengebliebenem Urachus handelte, 
und die Kuh ein sonst normal entwickeltes weibliches Tier, 
Rind sei. 

Der Euter der Kuh war gut entwickelt, desgleichen die Vulva; 
auch die Urethra hatte einen normalen Eingang, und es entleerte sich 
aus ihr der grösste Teil des Urins wie bei jeder anderen Kuh, und nur 
ein kleinerer Teil wurde darauf durch den offengebliebenen 
Urachus des Tieres herausgepresst, und dadurch imponierte es 
eben als teilweise männlichen Geschlechts. 

Der Kuh-Stier war aber ein sonst gut entwickeltes Rind, nur, 
wie wir sehen werden, mit offenem Urachus vom Blasengipfel 
bis zum Nabel.- 

Was die Kuh berühmt gemacht batte, war der Umstand, dass 
bei ihr in der Mitte des Abdomens ein sehr deutlich ent¬ 
wickeltes Haarbüschel einen Penis vortäuschte, und in der 
Tat auch hier, nachdem der grösste Teil des Urins sich durch die Vulva 
entleert hatte, regelmässig eine Urinentleerung erfolgte, wie 
wenn es sich um einen Stier gebandelt hätte.- 

Das machte einen riesigen Eindruck auf Laien in den ent¬ 
wicklungsgeschichtlichen Tatsachen und zwar nicht uur, wie ich 
konstatieren konnte, beim grossen Publikum, sondern sogar bei Aerzten 
und selbst bei einem Mitglied der medizinischen Fakultät. 


Und doch war die Sache klar! 

Der offene Urachus der Kuh enthielt für gewöhnlich wahrscheinlich 
keinen Urin. Wenn aber die Entleerung der Blase erfolgte, presste 
der innere Blasendruck einen Teil des Inhaltes der Blase in 
den'offenen Kanal hinein, und dann erfolgte, nachdem die Haupt¬ 
masse auf normalem Wege entleert war, eine naohherige Entleerung 
dieses Teiles des Nierensekretes durch den Nabel der Kuh.— 
Das Haarbüschel in der Mitte des Abdomens der Kub, das als Penis 
des Stiers imponierte, war aber nur eine stärkere Haarentwicklung um 
den hier noch im Extrauterinleben offenen Urachus im Nabel. Die 
stärkere Haarentwicklung wird naturgemäss durch den Reiz erklärt, den 
die täglich mehrere Male erfolgende Entleerung von Urin 
duroh den Nabel mit sich brachte. 

Von einem Penis war bei der Kuh aber absolut nichts zu palpieren, 
geschweige zu sehen. 

Gern hätte ich damals eine lange elastische Sonde anfertigen lassen und 
duroh die Oeffnung des Urachus im Nabel bis in die Blase der Kuh 
geführt. Allein der mit Recht für seine erträgliche, wenn auch nicht 
milchende Kuh besorgte Besitzer war nicht dazu zu bewegen, mir das 
zu gestatten. Auch war er nicht geneigt, die Kuh zu verkaufen, denn 
sie brachte ihm täglich bei 50 Pf. Eintrittsgeld, meiner Schätzung nach, 
mehr ein als einem Pächter ein Stall von 30 Stück Milchkühen, trotzdem 
ich nioht der Meinung bin, der Agrarier sei ein darbender Bürger in 
deutschen Landen. — 

Aber auch ohne Sondierung unterliegt es keinem Zweifel, dass der 
von mir beobachtete Kuh-Stier keinerlei Testikel aufwies. Auch würde 
die Sektion keine nicht deszendierte ergeben haben. 

Ich besuchte die Kuh mehrere Male und hatte so Gelegenheit, die 
Urinentleerung durch deu Nabel zu beobachten, die Laien in der 
Embryologie natürlich riesig stiermässig Vorkommen musste, 
und konnte damals schon intelligente Mitbesucher auf die Ursache der 
Urinentleerung durch den Nabel hinweisen, habe aber eine 
Beschreibung für weitere Kreise unterlassen, weil es dem Besitzer 
sehr geschadet hätte, der von der einen Kuh, selbst ohn-e 
sie zu melken, lebte, wie so viele andere, z. B. alle Bonzen, vom 
Irrtum des Publikums zu leben pflegen, denen man das »Ge¬ 
werbe* auch nicht legt.- 

Vielleicht trägt dieser Fall und meine Erklärung desselben dazu 
bei, etwaige künftige ähnliche Fälle in der soeben gegebenen ein¬ 
fachen Weise durch Offenbleiben des Urachus zu erklären, bis die 
Sektion die Richtigkeit erweist. 


Bücherbesprechungen. 

H. Sahli: Lehrbach der klinischem UatersachangSBethoden. 6. um¬ 
gearbeitete und ergänzte Auflage. Band I. Leipzig und Wien 
1913. Verlag Franz Deuticke. 16 M. 

Das Sahli’sehe Lehrbuch (besser Handbuch) ist das Nachschlage- 
buch der diagnostischen Methodik geworden. Wir begrüssen jede neue 
Auflage dieses Standard work mit Freude und Dankbarkeit, weil es in 
seiner umfassenden und kritischen Darstellung unerreicht ist Die Lektüre 
des Vorwortes ist mir stets eine besondere Freude. Hier spricht der 
Geist des Autors unmittelbar zu uns: In einer Zeit, wo „börsenmässige 
Usancen* immer mehr auch in die Wissenschaft einzudringen drohen, 
bedeutet dieser Sahli’sehe Geist eine scharfe Waffe der Abwehr. Möchten 
recht viele von diesem Geiste einen Hauch verspüren! 

Mit ganz besonderem Interesse habe ich die Abschnitte über die 
Herzdiagnostik und über Auscultation und Perkussion gelesen. 

Die ständig fliessenden Theorien der Arythmien haben freilieh 
auch jetzt schon wieder manches in dem Buche überholt Ausgezeichnet 
sind die hämodynamisohen Betrachtungen. 

Bei der Lehre von der Auscultation zeigt sich eine bemerkenswerte 
Uebereinstimmung der Ansichten des Verfassers mit den Anschauungen 
des leider längst vergessenen Meisters der Auscultation und Perkussion 
Eugen Seitz (z. B. bei der Erklärung des Bronchialatmens). 

Bei der Darstellung der Magen- und Darmdiagnostik interessieren 
vor allem die eigenen, grundlegenden Untersuchungen des Verfassers. 

Sehr erwünscht wäre in einer wohl bald zu erwartenden neuen Auf¬ 
lage eine kritische Besprechung der Stellung der Röntgendiagnostik 
gegenüber den anderen Methoden. 

Qnineke und Hoppe-Seyler: Die Krankheiten der Leber. Noth¬ 
nagel’s Spezielle Pathologie und Therapie. 2. Auflage. Wien 
und Leipzig 1912, Alfred Holder. 20,50 M. 

Das Quincke-Hoppe-Seyler’sche Werk ist gegenwärtig die um¬ 
fassendste Darstellung der LeberkrankheiteD, die wir besitzen. 

Die neue Auflage hat G. Hoppe-Seyler allein herausgegeben. Die 
Literatur ist in einer seltenen Vollständigkeit benutzt und angegeben. 
Ganz ausgezeichnet ist die Erörterung der allgemeinen Physiologie und 
Pathologie der Leber. 

Die Schilderung der Krankheitsbilder ist von einer seltenen Klarheit 
und Schärfe. 

Wir dürfen den Herausgeber beglückwünschen: er hat eine grosse 
Arbeit geleistet und hat Anspruch auf unsere volle Dankbarkeit. 

C. Hirsch-Gottingeu. 


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30. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1221 


Fr. Krau undRidder: Die Erkrankungen der Speiseröhre. (Noth¬ 
nagel'» Handbuch der speziellen Pathologie und Therapie, fort¬ 
geführt von v. Frankl-Hochwart.) 2. neubearbeitete Auflage. 
877 Seiten mit 49 Abbildungen und 12 Tafeln mit Röntgen¬ 
photogrammen. Wien und Leipzig 1913, Verlag Alfred Holder. 

Die erste Auflage des Kraus’schen Buches hat, vor allem durch 
die in der Zwischenzeit eingeführte Röntgenuntersuchung, jetzt wesent¬ 
liche Aenderungen und Vervollkommnungen erfahren. Dabei sind die 
älteren Untersuchungsmetboden, wie die Oesophagoskopie, durchaus nicht 
zurückgedrängt und kommen sogar dem Röntgen verfahren gegenüber 
vielleicht ein bisschen zu gut weg — wenigstens vom Standpunkt des 
Internisten angesehen, der bei den für ihn hauptsächlich in Betracht 
kommenden Neubildungen, spindelförmigen Ektasien und Pulsions¬ 
divertikeln die letzte Methode sich m.E. genügen lassen kann. Andererseits 
ist aber das Buch nicht nur für den Internisten geschrieben, sondern auch 
für den Laiyngologen, der mehr die endoskopischen Methoden zu Rate 
ziehen wird. 

Ganz ausführlich ist die Anatomie, Physiologie und pathologische 
Physiologie abgehandelt, und es findet sich für denjenigen, der sich mit 
diesen Vorstudien über die Speiseröhre beschäftigen will, nirgendwo das 
Material in so geeigneter Weise und so ausführlich zusammengestellt, 
selbst'nicht in den bekannten Handbüchern der Physiologie. 

Diese erschöpfende Wiedergabe des physiologischen Verhaltens sowohl 
wie der Erkrankungen der Speiseröhre — ein sonst überall, vielleicht 
wegen der geringen therapeutischen Erfolge, etwas stiefmütterlich be¬ 
handeltes Organ — und die vollkommene Zusammenstellung der Literatur 
maohen dem auf dem Gebiet arbeitenden Internisten sowohl, wie dem 
Laryngologen, wie dem Chirurgen das Buch unentbehrlich. 

Ehrmann. 


Jahrbuch über Leistungen und Fortsehritte auf dem Gebiet der 
physikalischen Medizin. Begründet und herausgegeben von 
Prof. Dr. Ernst Sommer- Zürich. 2. Band. Leipzig 1912, Verlag 
Otto Nemnioh. Preis 12 M. 

Vier Jahre nach Erscheinen des ersten Bandes ist der zweite Band 
des Sommer'sehen Jahrbuchs für physikalische Therapie erschienen, 
das zweifellos einem vorhandenen Bedürfnis entspricht. Man könnte so¬ 
gar ohne Gefahr des Mangels an Material einem häufigeren Erscheinen, 
also kürzeren Zwischenräumen, das Wort reden. Die Namen der Mit¬ 
arbeiter, unter denen sich zahlreiche besonders bewährte Autoren be¬ 
finden, bürgt dafür, dass die Arbeiten inhaltlich der gestellten Aufgabe 
voll entsprechen. Was einer Reihe von Arbeiten noch fehlt und was 
das Jahrbuch uns wissenschaftlich unentbehrlich machen könnte, das ist 
ein Literaturhinweis, wie ihn z. B. die Arbeiten von Winternitz, 
Löwenthal u. a. haben; da es sich ja nicht mehr, wie im ersten Bande, 
um eine Art Grundlage handelt, sondern um Fortschritte, so ist 
— wenigstens in der Mehrzahl der behandelten Themata — eine An¬ 
gabe der inzwischen erschienenen referierten Arbeiten unbedingt 
wünschenswert. 


A. Strubeil- Dresden*. Das Wechselstrombad. Eine monographische 
Studie. Mit 8 Tafeln. 210 Seiten. Dresden und Leipzig 1918, 
Verlag von Theodor Steinkopf. Preis geh. 7 M., geb. 8 M. 

Strube 11 hat die Technik des Wechselstrombades modifiziert, in¬ 
dem er den Strom erst einschaltet, wenn der Patient 2—5 Minuten 
im Warmbad gewesen ist; auch naoh Abstellen des Stromes muss der 
Kranke noch 2—3 Minuten im Bade bleiben. Die so bebaudelten 
Patienten zeigten Effekte, die von den in der Literatur beschriebenen 
Wirkungen abwichen. St. sah in rund 80pCt. der Fälle eine Erniedri¬ 
gung des Blutdruckes, wodurch die Anwendung der Wechselstrombäder 
für Angio- und Arteriosklerose indiziert wird. Bei Thyreotoxikosen gelang 
es, durch Herabsetzung der bei thyreotoxischer Herzvergiftung patho¬ 
logisch gesteigerten F-Zacke im Elektrocardiogramm den günstigen Effekt 
der Wechselstrombäder nachzuweisen. Bei allen anderen Anwendungen 
der Wechselstrombäder konnte eine Erhöhung der F-Zacke gefunden 
werden. 

Der teure Preis des Buches, das für Balneologen und Hydrothera- 
peuten Interesse hat, dürfte seiner Verbreitung in diesen ärztlichen 
Kreisen im Wege stehen. Aber die 64 Seiten füllende „Geschichte der 
Wechselstromtherapie“ und die ebenfalls viele Seiten füllenden Kranken¬ 
geschichten und Tabellen haben einen Umfang zuwege gebracht, der 
dem behandelten Gegenstand kaum von Nutzen sein wird. 

E. Tobias. 


A. Grotjah* und J. Kanp: Handwörterbuch der sozialen Hygiene. 

Bd. 1, 703 S. mit 185 Abbildungen. Bd. 2, 943 S. mit 194 Ab¬ 
bildungen, 4 Tafeln und 2 Uebersichtskarten. Leipzig 1912, Verlag 
von F. C. W. Vogel. Preis 90 M. 

In den Jahren 1908—1911 erschien in acht Bänden die dritte Auf¬ 
lage des Handwörterbuches der Staatswissenschaften, herausgegeben von 
Conrad, Elster, Lexis, Loening. Nunmehr liegt, von Aerzten her- 
ausgegeben, unter Mitarbeit von sechzig fast ausschliesslich medizinischen 
Autoren eine Darstellung des Gesamtgebietes der sozialen Hygiene in 
encyklopädischer Form vor. Die Art des behandelten Gegenstandes 
bringt es mit sich, dass wir in beiden Handwörterbüchern zum Teil die¬ 
selben Themata bearbeitet finden, so die Alkoholfrage, die Arbeiterschutz- 
gesetzgebung* die Arbeiterversicherung, das Armenwesen, die Unfall¬ 


versicherung, die Prostitution usw. Das Grotjahn-Kaup'sehe Werk 
enthält eine Bearbeitung der eigentlichen Infektionskrankheiten, der 
Tuberkulose, der Hautkrankheiten und vieler anderer dem Arzte näher¬ 
liegenden Themata in ausführlicherer Form, als es das Handwörterbuch 
der Staatswissenschaften bringen konnte. 

Wenn ein einzelner sich ein zusammenfassendes Urteil über die 
Gesamtheit der Artikel des hier zu besprechenden Werkes bilden darf, 
so wird unbedingt auzuerkennen sein, dass das Ziel, das die Heraus¬ 
geber sich gesteckt und dem sie im Vorwort Ausdruck gegeben haben, 
vollkommen erreicht ist: einerseits dem Mediziner eine schnelle Orientie¬ 
rung zu geben über das, was ihn aus Statistik, Volkswirtschaft und 
Sozialwissenschaft interessiert, andererseits dem Verwaltungsbeamten 
einen Ueberblick über Hygiene, soziale Medizin und physische Wohl¬ 
fahrtspflege zu verschaffen. 

Als ein Vorzug des Werkes ist es anzusehen, dass verschiedenen 
Bearbeitern ähnlicher Kapitel Raum für eine Begründung zum Teil ent¬ 
gegengesetzter Anschauungen gegeben wird, so was die Bewertung der 
Lungenheilstätten anbelangt usw. 

Dieser liberale Standpunkt wird im Vorwort ausdrücklich von den 
Herausgebern unterstrichen. Wenn man ihn aber als richtig anerkennt, 
so können die Herausgeber doch unmöglich gleichzeitig betonen, dass 
sie den Zeitpunkt für gekommen hielten, „in der zusammenfassen¬ 
den Form eines Handwörterbuches das festzuhalten, was in 
der Erscheinungen Flucht als auf dem Gebiete der sozialen 
Hygiene dauernd feststehend, soweit es sich um Tatsachen, 
und als dauernd bewährt, soweit es sich um Maassnahmen han¬ 
delt, angesehen werden kann“. Ob die Maassnahme der Einrichtung von 
Lungenheilstätten sich dauernd bewährt hat, steht zur Diskussion, wie 
eben vielerlei in der Medizin! 

Wenn die Herausgeber in dem Vorwort bemerken, dass bisher jedes 
grosse Kulturvolk, das die Geschichte kenne, vom Erdboden habe ver¬ 
schwinden müssen, so mag demgegenüber an die jahrtausendalte Kultur 
der Chinesen erinnert werden. 

Es ist zu hoffen, dass der hohe Preis dem buchhändlerischen Er¬ 
folge des „Handwörterbuches der sozialen Hygiene“ keinen Eintrag tut. 
Vielleicht ist die Zahl der Abbildungen allzu reichlich ausgefallen; auf 
manches Bild hätte wohl im Interesse eines niedrigeren Preises verzichtet 
werden können: wenn man die Zöglinge des Magdalenenstiftes Teltow 
beim Plätten sieht, kann man sich auch ohne Abbildung vorstellen, 
wie sie sich beim Schneidern verhalten; mundspülende Kinder abzubilden 
dürfte sich erübrigen, zumal dann, wenn eine andere Abbildung das 
„Fontainensystem bei fliessendem Wasser“ wiedergibt. 

M. Mosse-Berlin. 


Ostertag: Handbuch der Fleischbeschau. Für Tierärzte, Aerzte und 
Richter. Mit 120 in den Text gedruckten Abbildungen. Sechste 
Auflage. 1. Bd. Stuttgart, Ferd. Enke. Preis geb. 13,60 M. 

Das vorliegende Buch ist der erste Band des bewährten Ostertag- 
schen Werkes, das in sechster Auflage, zum ersten Male in 2 Bänden 
erscheint. Der Band enthält die Abschnitte, die die Geschichte der 
Fleischbeschau, die auf die Fleischbeschau bezüglichen gesetzlichen Be¬ 
stimmungen und die Schlaeht- und Fleischkunde behandeln. Ausserdem 
umfasst es die allgemeine Pathologie der Scblachttiere und die patho¬ 
logische Anatomie der wichtigsten Organkrankheiten derselben. Wenn 
auch das Buch natürlich für den Arzt nicht von so erheblicher Wichtig¬ 
keit ist wie für den Tierarzt, erscheint doch seine Besprechung im Rahmen 
dieser Wochenschrift durchaus angebracht, da auch für den Arzt die 
Lehre von der Gewinnung und Vorbereitung unseres Hauptnahrungs¬ 
mittels von grösstem Interesse sein muss. Und hier findet man in an¬ 
sprechender Form alles zusammengefasst, was auf dem behandelten Ge¬ 
biete wissenswert ist. 

Für den Hygieniker ist das Werk selbstverständlich von grösstem 
Werte, da es die Grundlage und die Methodik dieses wichtigen Teils 
praktischer Hygiene, der für die Prophylaxe menschlicher Krankheiten 
so wichtig ist, in allen Einzelheiten bespricht. Ebenso wird der patho¬ 
logische Anatom in den Kapiteln über die allgemeine Pathologie und 
die Organkrankheiten der Haustiere viel Wissenswertes finden. 

Der 2. Band, der ausser den Invasions- und Infektionskrankheiten 
die postmortalen Veränderungen und die Verfälschungen des Fleisches 
sowie die Methoden zur Beseitigung unbrauchbarer Teile enthält, ist in 
Vorbereitung. A. W. Pinn er. 

Literatur-Auszüge. 

Pharmakologie. 

M. Dohm-Charlottenburg: Ueber die entzttndungswidrige Eigen» 
Schaft des Atophans und einiger anderer Carboasäuren. (Therapie d. 
Gegenw., Mai 1913.) Die Versuche wurden beim Kaninchen ausgeführt, 
und zwar in der Weise, dass ein Tropfen ätherischen Senföls in die 
Conjunctiva geträufelt wurde. Es trat hiernach eine starke Schwellung 
der Conjunctiva mit starker Vorwölbung der Augenlider ein. Diese 
Entzündungserscheinungen blieben aus, wenn das Kaninchen 1—2 Stunden 
vorher 1 g Atophan per os erhalten hatte. Dem A citrin fehlen die 
entzündungswidrigen Eigenschaften. R. Fabian. 

M. Zehbe-Kattowitz: Ueber den Einfluss des Opiums und seiner 
Derivate auf die motorische Funktion des normalen menschlichen Magen- 


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1222 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26. 


darmkanals. Klinische Röntgenuntersuchungen. (Therapeut. Monatsschr., 
Juni 1913.) Es ergab sich eine Uebereinstimmung der Versuche in dem 
Sinne, dass die Opiate den Speisenaufenthalt im Gesamtdarm verlängern, 
und zwar am stärksten für den Diokdarm, weniger stark für den Dünn¬ 
darm, am wenigsten für den Magen. Versuche nach Entleerung des 
Dünndarms ergaben eine geringere Wirkung des Opiats auf den Dick¬ 
darm. H. Knopf. 

E. Fischer-Strassburg i. E.: Extraetam valerianae aromaticnn 
(Kern). (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 24.) Der Extrakt ent¬ 
hält nur 6—8 pCt. Alkohol und ist frei von Narcoticis. 

Wolfsohn. 


Therapie. 

E. Schreiber - Magdeburg-Sudenburg: Ueber Stillung innerer 

Blutungen duroh intravenöse Tr&ubenznckerinjektionen. (Therapie d. 
Gegenw., Mai 1913.) Verf. berichtet über günstige Erfahrungen mit 
intravenösen Traubenzuckerinjektionen bei den verschiedensten inneren 
Blutungen. In der Regel wurden 200 ccm einer 5—20 proz. Lösung 
eingespritzt- Keine Temperatursteigerung, kein Auftreten einer Glyko- 
surie. R. Fabian. 

F. Hammer-Stuttgart: Ein neues Wuudpnlver. (Münchener med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 21.) Sägespäne von Hartholz werden im Tiegel 
geröstet und fein gesiebt. Die Aufsaugungsfähigkeit dieses Pulvers ist 
sehr gross. 

R. Parreidt-Leipzig: Ueber die erfolgreiche Behandlung von bämo- 
philen Blutungen mittels des Thermokauters. (Münchener med. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 21.) Verf. warnt vor allzu grossen Hoffnungen mit 
dieser Methode. G. Eisner. 

H. Gerhartz: Die Grundlagen der Tuberkulinbehandlung. (Zeit¬ 
schrift f. physikal. u. diätet. Therapie, Juni 1913.) Gerhartz bespricht 
die merkwürdigen Wandlungen der Tuberkulintherapie. Tuberkulin be¬ 
einflusst die Temperatur, ruft im tuberkulösen Organismus Lympho- 
cytose des Blutes hervor, bewirkt eine Reaktion an der Einstichstelle 
von dem Charakter des Tuberkels und wirkt auf den tuberkulösen Herd, 
indem starke Dosen die Cavernenbildung beschleunigen und kleinere eine 
Hyperämie und Entzündung um den tuberkulösen Herd erzeugen. 
Tuberkulin ist primär ungiftig, löst aber beim Infizierten Antikörper 
aus, die genau im einzelnen erörtert werden. Tuberkulin vermag Tuber¬ 
kulinimmunität zu erzeugen, die Giftfestigkeit ist aber keine dauernde. 
Tuberkulininjektion kann bei einem bereits einmal infizierten Organis¬ 
mus Ueberempfindlichkeitserscheinungen stark steigern. Der siohere 
Nachweis der Heilkraft des Tuberkulins steht noch aus; wir kennen aber 
die Wege, wie wir zur Klarheit kommen können. E. Tobias. 

G. Baermann und H. Heinemann - Petoemboekan (Sumatra’s 

Ostküste): Die Behandlung der Amöbendysenterie mit Emetin. (Mün¬ 
chener med. Wochensohr., 1913, Nr. 21 u. 22.) Das Emetin ist ein 
überaus starkes amöbotropes bzw. amöbocides Mittel, das bei subcutaner 
und besonders intravenöser Applikation die meisten in der Darmwand 
und im Gesohwürsgrund enthaltenen Amöben abzutöten scheint. Be¬ 
sonders geschützt liegende Amöben bleiben verschont. Die Cysten 
werden nicht direkt vom Emetin zerstört. Es ist anzunehmen, dass die 
noch vereinzelt überlebenden Amöben nach Emetinbehandlung aus der 
Darmwand auswandern und unter den veränderten Lebensbedingungen 
in dem Darm und dessen Inhalt rasch zur Encystierung schreiten und 
so die recht häufigen Cysten zu erklären sind. Es gibt auch emetin¬ 
feste Amöbenstämme. Nach wiederholten Injektionen heilen die Ge¬ 
schwüre selbst in den schwersten, letal endigenden Fällen rasch ab. Es 
sind dann keine Amöben mehr nachzuweisen. Diese Tatsache beweist 
die ätiologische Rolle der Dysenterieamöbe. G. Eisner. 

Siehe auch Geburtshilfe und Gynäkologie: Deutsch, 
Pituitrin als Wehenmittel. — Haut- und Geschlechtskrankheiten: 
Bruck und Sommer, Intravenöse Arthigoninjektionen. Rav aut, Blut¬ 
transfusion bei Hautkrankheiten. Hammer, Mastixlösung, v. Probizer, 
Pellagröse Hautveränderungen. Bernheim, Histopin. — Chirurgie: 
Elsässer, Tuberkulin. — Kinderheilkunde: Forcart, Larosan. 
Grünfelder, Bromcalcium. Reiss, Scharlach-Rekonvaleszentenserum. 
Bretsohneider, Drosan. 


Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. 

F. Mi eso her-Basel: Zur Kenntnis der Mammatamoren des Maines. 
(Korrespondenzbl. f. Schweizer Aerzte, Nr. 18.) Verf. beschreibt aus 
dem pathologisch-anatomischen Institut (Prof. Hedinger) einen Mamma¬ 
tumor bei einem 52 jährigen Manne. Er bezeichnet den Tumor als 
benignes Epitheliom. Einzelne Stellen waren krebsig degeneriert. Der 
Patient ist 3 Jahre nach der Operation völlig frei von Recidiv oder 
Metastase. 

A. Fisoher-St. Gallen: Ein Fall von Sandnhrmagea infolge von 
taberkalöser adhäsiver Peritonitis. (Korrespondenzbl. f. Schweizer 
Aerzte, Nr. 20.) Im Anschluss an einen Fall bei einer 40 jährigen Frau 
gibt Verf. eine Uebersicht über die Symptome und differential- 
diagnostischen Erwägungen beim Sanduhrmagen. R. Fabian. 

F. K. Kleine und B. Eckard-Deutsch-Ostafrika: Ueber die Be¬ 
deutung der Speicheldrüsoninfektion bei der Schlafkraukheitsfliege 
(Glossina palpalis). (Zeitsobr. f. Hyg. usw., 1913, Bd. 74, H. 1, 


S. 183.) Verff. stellten durch sechs übereinstimmend verlaufene Ver¬ 
suche an Affen fest, dass man durch subcutane Injektion des von Try¬ 
panosoma gambiense wimmelnden Darmkanals infektiöser Glossinae 
pal pal es die Krankheit auf empfängliche Tiere nicht zu übertragen ver¬ 
mag. Infektionstüchtige Parasiten befanden sich einzig und allein in 
den Speicheldrüsen. Bevor ihre Entwicklung abgeschlossen ist, wandern 
die Trypanosomen in dieses Organ ein. Möllers. 


Parasitenkunde und Serologie. 

K. Saisawa-Berlin: Ueber den Einfluss von kohlehydrathaltigeil 
Nährböden auf Bakterien. (Zeitschr. f. Hyg. usw., 1913, Bd. 74, H. 1, 
S. 61.) Es gelang Verf. auf verschiedenen Wegen, den Beweis dafür zu 
erbringen, dass die Kohlehydratunempfindiichkeit gegen bestimmte modi¬ 
fizierte Typhus- und Paratyphusbacillen keine unveränderliche Eigen¬ 
schaft ist, sondern ihnen vielmehr, wie sie willkürlich künstlich ange¬ 
züchtet, auch wieder willkürlich genommen werden kann. Die rück¬ 
verwandelten Stämme verhalten sich genau so wie der nicht modifizierte 
Originalstamm. 

H. Kodama-Strassburg i. E.s Ueber die Wirkug VOM Alkohol ia 
verschiedener Konzentration auf die antigenen Eigenschaften von 

Pferdefleischei weiss. (Zeitschr. f. Hyg. usw., 1913, Bd. 74, H. 1, S. 30.) 
Systematische Untersuchungen über die Wirkung des Alkohols in ver¬ 
schiedenen Konzentrationen auf Pferdefleischeiweiss ergaben, dass sämt¬ 
liche antigenen Eigenschaften des Eiweisses im Verlauf der Wirkung 
des Alkohols verloren gehen, und zwar hängt die Raschheit des Ver¬ 
lustes ab von der Konzentration des Alkohols. Die stärkste Wirkung 
wird vom 60—70 proz. Alkohol ausgeübt Formalin wirkt noch stärker 
als die wirksamste Alkoholkonzentration zerstörend auf sämtliche anti¬ 
genen Fähigkeiten des Pferdefleisches. Möllers. 

Fr. Gruetz-Hamburg: Studien zur Frage der Verfeinerung der 
Was8ermann’8chen Reaktion, mit besonderer Berücksichtigung der 
sogenannten „paradoxen Sera“. (Dermatol. Wochenschr., 1913, Bd. 56, 
Nr. 20, 21 u. 22.) An der Hand von ca. 50 Fällen, bei denen nach 
Anamnese und klinischen Befunden Lues ausgeschlossen werden konnte, 
Hess sich zeigen, dass die durch Entfernung der Normalambooeptoren 
verfeinerte Reaktion tatsächlich der an sie zu stellenden Kardinal¬ 
forderung einer absoluten Spezifizität durchaus gerecht wird. Auf Grund 
seiner Untersuchungen ist Gr. zu der Ueberzeugung gelangt, dass wirk¬ 
lich „paradoxe Sera“ im Sinne veränderter biologischer Eigenschaften 
des einzelnen Serums nicht Vorkommen. Immer wahr. 

0. Wittrock-Deutsch-Ostafrika: Beitrag zur Biologie der Spiro- 
chaeta des Rickfallflebers. (Zeitschr. f. Hyg. usw., 1913, Bd. 74, H. 1, 
S. 55.) Zwischen dem Verhalten der Trypanosomen in ihrem Wirt und 
dem der Spirochäten im Ornithodorus besteht keine Analogie. Die 
Spirochäten des Rückfallfiebers behalten dauernd ihre Infektiosität bei, 
ob man sie gleich naoh dem Saugen der Zecke, nach einer Stunde oder 
nach 1—96 Tagen auf gesunde Affen verimpft. Zurzeit gibt es keine 
morphologische oder experimentelle Tatsache, die irgendeinen Entwick¬ 
lungsgang der Spirochäte des Rückfallfiebers in dem Ornithodorus beweist. 

Hutt-Bonn*. Neue Beiträge zur Kenntnis der Pseudodysenterie nid 
Paradysenterie, sowie der sogenannten Mitation. (Zeitschr. f. Hyg. 
usw., 1913, Bd. 74, H. 1, S. 108.) Die genaue Prüfung von etwa 
100 Pseudodysenteriestämmen verschiedenen Ursprungs veranlasst Verf., 
diese zu einer Art, der des Bacillus pseudodysenteriae (Kruse) zu ver¬ 
einigen. Ihr gegenüber steht die zuerst bekannt gewordene Art von 
Ruhrbaoillen, der Bacillus dysenteriae (Shiga-Kruse). Beide Arten 
sind Erreger der Ruhr (ansteckendem, blutigem Dickdarmkatarrh.) Die 
vielfach gebräuchliche Unterscheidung der sogenennten Typen „Flexner“, 
„Y“ und „Strong“ hält Verf. für unhaltbar. Wie weit die einzelnen 
Rassen der Pseudodysenteriebaoillen beständig sind, lässt sioh noch nicht 
mit Sicherheit sagen. Ein Uebergang von echter Dysenterie in Pseudo- 
oder Paradysenteriebaoillen ist noch nicht nachgewiesen worden. 

J. Koch und N. Pokschischewsky - Berlin: Ueber die Art« 
Verschiedenheit des Streptoeoccns longns sei erysipelntos und des 
Streptocoecas eqni (Druse-Streptococcus). (Zeitsohr. f. Hyg. usw., 1913, 
Bd. 74, H. 1, S. 1.) Die zwischen beiden Streptokokkenarten festge¬ 
stellten Unterschiede beweisen, dass der Streptococcus longus seu ery- 
sipelatos und der Drusestreptoooccus zwar nahe verwandte, aber ver¬ 
schiedene Arten sind. Der Drusestreptococous ist gegen die von ihm 
selbst gebildete Säure viel empfindlicher als der Streptococcus longus; 
der erstere besitzt überhaupt eine geringere Widerstandsfähigkeit gegen 
schädigende Einflüsse als der letztere. Auf den Blutplatten unterscheiden 
sich beide Streptokokken durch die Art der naoh 24 ständigem Wachs¬ 
tum eingetretenen Hämolyse. Möllers. 


Innere Medizin. 

H. Lüthje-Kiel: Die Behau ding des Diabetes mitZuckerkly stiere«. 

(Therapie d. Gegenw., Mai 1913.) Vortrag, gehalten auf dem SO. Kon¬ 
gress für innere Medizin in Wiesbaden. Aus den Versuchen des Verf. 
an etwa 10 Diabetikern, die mit Zuckertropfklystieren behandelt wurden, 
geht hervor, dass rectal einverleibter Traubenzuoker wesentlich besser 
vom Zuckerkranken ausgenutzt wird, als wenn man die gleichen Mengen 
Traubenzucker oder äquivalente Mengen Brot, Kartoffeln usw. per os gibt. 

B. Fabian. 


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80. Juni 1918. 


RERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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E. Hertel - Strassburg: Ueber die VenaindeniBg des Avgendrneks 
bei« Coma diabeticam. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 22.) 
Starke Hypotonie der Augen involviert bei comatösen Zuständen Dia¬ 
betes als Ursache. Verf. erzeugte durch Applikation von verschiedenen 
Salzen und anderen Stoffen (Zucker, Harnstoff) beim Kaninchen eine 
ganz ähnliche Hypotonie wie beim Coma diabeticum des Menschen. Der 
Eintritt der Hypotonie hing nicht nur von der Menge der Substanz, 
sondern auch von der Zeit, die zur Infusion gebraucht wurde, ab. Es 
gelang, durch Einführen von Kochsalz in 4 Minuten die Augen „brei¬ 
weich“ zu machen. Die weichgewordenen Augen erlitten dabei Wasser¬ 
verlust. Die injizierten Stoffe traten in die Augenflüssigkeit über. Die 
Hypotonie ist vom Blutdruck gäazlich unabhängig. Aenderung der 
molekularen Zusammensetzung des Blutes, Störungen in dem Wasser- 
und Salzgehalt der Gewebe, also der osmotischen Vorgänge im Auge 
müssen als Ursache der Hypotonie angesehen werden. 

R. Sohmincke - Bad Elster: Ein Beitrag zur Blntregeneration 
bei EiseBverabreichBBg. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 22.) 
Verf. zeigt, dass die Eisensalze durch Reizung der blutbildenden Organe 
zuerst die Zelibestandteiie im Blut vermehren und erst später diese 
neugebildeten, noch blutfarbstoffarmen Zellen an Hämoglobin zunehmen. 
Man darf also mit der therapeutischen Eisendarreichung nicht zu früh 
aufhören, sondern muss mit Rücksicht auf die erst spät eintretende 
Hämoglobinzunahme dieselbe mindestens 5—6 Wochen durchführen. 

J. Weicksel - Leipzig: Ueber luetische perniciöse Anämie. (Mün¬ 
chener med. Wochenschr., 1913, Nr. 21.) Beschreibung eines Falles von 
perniciöser Anämie (Biermer), die im Anschluss an eine frühere Lues 
aufgetreten ist und unter Salvarsanbehandlung sich wesentlich gebessert 
hat: Negativwerden der Wassermann’schen Reaktion, dabei Hebung des 
Allgemeinzustandes und Besserung dess Blutbildes. 

M. Mandel bäum - München-Schwabing: Ein merkwürdiges Phä- 
BomeB bei Meniugitis tnbercolosa post BiorteBi. (Münchener med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 22.) In 6 Fällen von Meningitis tuberculosa 
bei Erwachsenen konnte Verf. folgenden Befund erheben: Vor dem Tode 
eine klare Lumbalflüssigkeit ohne oder mit sehr spärlich nachweisbaren 
Tuberkelbacillen, nach dem Tode ein getrübter Liquor mit einer reich¬ 
lichen Anzahl von Zellen (besonders grosse einkernige Zellen) und einer 
grossen Menge von Tuberkelbacillen, die am häufigsten intracellulär ge¬ 
lagert waren. Die grossen mononuclearen Zellen sind wahrscheinlich 
die Makrophagen Metschnikoff’s; sie sind vermutlich aus den ab¬ 
sterbenden Geweben, die vor allem Sitz der tuberkulösen Erkrankung 
waren, ausgewandert. G. Eisner. 

Bacmeister-Freiburg i. Br.: Aerogene oder hämatogene Ent¬ 
stehung der Lungenspitzenphthise? (Deutsche med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 24.) B. liess junge Kaninchen in einen Drahtring hineinwachsen 
und erzielte dadurch eine Fixierung und Abflachung der oberen Brust¬ 
apertur. Es wurde dadurch eine mechanische Disposition zur Entstehung 
einer Lungenspitzenphthise geschaffen. Auch auf hämatogenem Wege 
gelang es, bei diesen Tieren eine tuberkulöse Spiizenerkrankung hervor¬ 
zurufen, welche mit der des Menschen grosse Aehnlichkeit hat. 
B.’s Untersuchungen stützen die Auffassung von Orth, wonach spärlich 
eingeschwemmte Bacillen an der Gefässwaud hier und da haften bleiben, 
dann hindurchdringen und in die Lymphwege geraten. Von dem peri- 
vasoulären Lymphgewebe nimmt dann die Erkrankung ihren eigentlichen 
Anfang. Aehnlich liess sich auch für die aerogene Infektion der Nach¬ 
weis einer peribronchialen Lymphaffektion führen, von welcher aus die 
Erkrankung fortschreitet. In den späteren Stadien der Krankheit ist die 
Entscheidung, ob aerogene oder hämatogene Infektion Vorgelegen hat, 
nur sehr schwer zu treffen. Jedenfalls scheinen auch für den Menschen 
beide Infektionsmöglichkeiten in Betracht zu kommen. 

Wolfsohn. 

L. Hauck- Erlangen: Spostaae tödliche Gehirnblutung hei eiaeai 
Hämophilen. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 21.) Beschrei¬ 
bung eines Falles von Hämophilie mit spontaner tödlicher Gehirn¬ 
blutung. Das auffällige Fehlen jeglicher Lähmungserscheinungen ist 
dadurch erklärt, dass die innere Kapsel, wie aus dem Sektionsbefund 
ersichtlich ist, von der Blutung völlig verschont blieb. 

G. Eisner. 

A. Hiller-Berlin: Wesen und Behandlung des Hitzschlags. 

(Deutsche med. Wochenschrift, 1913, Nr. 25.) Fortbildungsvortrag. 

F. Göbel-Halle: Zum Vorkommen von Tuberkelbacillefl im strö¬ 

menden Blut. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 24.) G. fand im 
strömenden Blute Tuberkulöser und klinisch Gesunder reichliche gram¬ 
positive Stäbchen und Granula nach der Muoh’schen Färbung. Aehnliche 
Befunde konnten auch im Blute von Hunden, Meerschweinchen, Mäusen 
und Ratten erhoben werden. Die Deutung dieser Gebilde ist noch 
unklar. Wolfsohn. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

R. v. Hoesslin - München-Neuwittelsbach: Ueber Lymphocytose hei 
Asthenikern und Nenropathea und deren klinische Bedeutung. (Münohener 
med. Wochenschr., 1913, Nr. 21 u. 22.) Die Lymphocytose findet sich 
wie beim Diabetes bei der Fettsucht und beim Basedow, auch bei 
Asthenikern, Neuropathen und vielen Neurosen. Sie weist auf eine 
Funktionsstörung des lymphatischen Systems, der Thymus und der Blut¬ 
gefässdrüsen überhaupt bin. Diese Asthenie und andere neuropathische 


Zustände sind auf den Status lymphaticus oder thymioo-lymphatious mit 
Beteiligung anderer BlutgefässdrÜBen zurückzuführen. Ihre Zurechnung 
zu den Diathesen ist berechtigt, wenn wir unter Diathesen eine meist 
ererbte, konstitutionelle Neigung der Blutgefässdrüsen zu Dysfunktionen 
verstehen. Durch diese Erklärung wird die Zusammengehörigkeit der 
verschiedenen Diathesen verständlich. Die günstige Wirkung des Arseniks 
bei manchen neuropathischen Zuständen ist zurückzuführen auf einen 
Einfluss auf das lymphatische System, durch welchen es die neutro¬ 
phile Leukopenie und die Lymphocytose beseitigt. G. Eisner. 

L. Böriel: Die Ergebnisse der pathologischen Anatomie und das 
Problem der multiplen Sklerose. (Lyon möd., 1918, Nr. 22.) Von 
klinischen Gesichtspunkten aus ist die multiple Sklerose nicht als ein¬ 
heitliche Erkrankung aufzufassen. Aber auch die pathologisch-anatomischen 
Ergebnisse rechtfertigen nicht, wie die Ausführungen des Verf. zeigen, 
eine nosologische Sonderstellung der Erkrankung. Vielleicht ist es 
später möglich, die verschiedenen Formen des Leidens einer bestimmten 
Krankheit — Syphilis, Tuberkulose, Rheumatismus, Infektionen oder In¬ 
toxikationen — anzugliedern. A. Münzer. 

W. Leo: Die Heine-Medin’sehe Krankheit in ihren Beziehungen 
zur Chirurgie. (Klinik f. psychiatrische u. nervöse Krankh., Bd. 8, H. 1.) 
Eine historische, klinische und chirurgische Monographie, so nennt Verf. 
seine Arbeit, von der im vorliegenden Heft nur der I. Teil enthalten 
ist, und welcher als Motto vorgesetzt ist: „Nach dem heutigen Stand 
der medizinischen Wissenschaft ist die Heine-Medin’sche Krankheit eine 
chirurgische Erkrankung.“ W. Seiffer. 

W. Alexander: Beitrag zur Uebungstherapie bei Ltthmnngen. 
(Zeitschr. f. physikal. u. diätet. Therapie, Juni 1913.) Bei Lähmungen 
muss nebst Berücksichtigung der Aetiologie vor allem darauf geachtet 
werden, dass die gelähmten Teile nicht in einen Zustand geraten, der 
etwa nach Wiederherstellung der Willensleitung durch lokale Ver¬ 
änderungen, wie vor allem Kontrakturen, die Gebrauchsfähigkeit beein¬ 
trächtigt. Uebungsbehandlung trägt zur Wiederherstellung der Leitung 
auf alter oder neuer Bahn bei. Verf. spricht von der schlaffen Lähmung 
und weist darauf hin, wieviel durch eine sogenannte „Uebungstherapie 
unter Entlastung zu erreichen ist, d. h. einerseits mit Hilfe von Ent¬ 
spannung der Antagonisten, andererseits durch Lagerung. Beispiele: 
Die Uebungsbehandlung der paretischen Fingerbeuger muss stets bei 
dorsalflektiertem Handgelenk erfolgen, Streckübungen im Kniegelenk bei 
gestrecktem Hüftgelenk usw. Durch Lagerung kann ein an sich 
schwacher, relativ unwichtiger Muskel zu einer bedeutsamen, ihm im 
Nebenamt zukommenden Leistung herangezogen werden. Nicht nur für 
die Uebungstherapie, auch für die Elektrotherapie sollten die Erfahrungen 
von A. beherzigt werden, der auch für die elektrische Behandlung 
optimale Einstellung in bezug auf Eigengewicht und Entspannung verlangt 

E. Tobias. 

E. Ebstein: Zur Polydaktylie in der Familie Bilfinger. (Klinik 
f. psychiatrische u. nervöse Krankh., Bd. 8, H. 1.) Verf. glaubt, dass der 
Name der süddeutschen Familie Bilfinger soviel bedeute wie Zwölffinger 
(= Bülffinger) und suoht nach Tatsachen in der Familiengeschichte, 
welche ihm beweisen, dass zwar der Philosoph Bilfinger polydaktyl 
an allen vier Extremitäten war, dass aber eine Vererbbarkeit der 
Anomalie in der Familie nicht vorliegt. Im Anhang bringt Verf. einige 
Notizen zur Polydaktylie aus der Weltgeschichte und eine eigene Beob¬ 
achtung aus der Leipziger Klinik. W. Seiffer. 

Bychowski: Beiträge zur Diagnose und chirurgischen Therapie 
einiger Gehirnkrankheiten. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 10.) Kasuistik; 
Fall von Blindheit, wahrscheinlich infolge von Hydrocephalus internus 
acutus. Balkenstich nach Anton-Bramann: Heilung. 

E. Tobias. 

R. Me es-Mainz*. Ueber alkoholische reflektorische Papillenst&rre. 
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 22.) Mitteilung eines Krank¬ 
heitsfalles von reflektorischer Pupillenstarre, die nur durch excessiven 
Alkoholgenuss bedingt war. Alle vier Syphilisreaktionen waren negativ. 
Der Fall war mit polyneuritischen und epileptischen Symptomen kom¬ 
biniert, die ebenfalls rein alkoholischen Ursprungs waren. 

L. Braun -Sanatorium Türnitz: Therapie der Psyehoneurosen lach 
Dübois. (Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 22.) Die rationelle 
Psychotherapie nach Dubois bedient sich regelrechter Belehrung, und 
diese gestaltet gewisse nervöse Associationen um, lässt ungünstige 
Associationen allmählich verkümmern und schaltet sie aus, beseitigt 
Hemmungen und ruft solche hervor. Auf diese Weise findet allmählich 
eine feste associative Verankerung dieser Einwirkung auf die normale 
Gehimtätigkeit statt. So ist Psychotherapie eine Therapie, die fern von 
allem Mystizismus auf naturwissenschaftlicher Grundlage steht und sich 
lediglich naturwissenschaftlicher Hilfen bedient. Die rationelle Psycho¬ 
therapie ist nicht beschränkt auf die Psychoneurosen (Neurasthenie in 
weitestem Umfang und Hysterie), sondern sie ist auch bei vielen 
organischen Krankheiten am Platz, da sich zu diesen, besonders wenn 
sie chronischer Natur sind, häufig ein neurastheniseber Zustand gesellt. 

G. Eisner. 

H. Deist: Ueber Luminal. (Klinik f. psychiatrische u. nervöse 
Krankh., Bd. 8, H. 1.) Systematische Untersuchung über die Wirkung 
dieses neuen Schlafmittels bei Geisteskrankheiten. Bei Dementia praecox 
war die Wirkung sehr ungleich, zum Teil fehlend, zum Teil mit un¬ 
angenehmen Nachwirkungen verknüpft; es wirkte individuell so ver¬ 
schieden, dass man den Ausfall der Wirkung nicht in der Hand hat. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26. 


Aehnlich verhielt es sich bei Paralytikern. Dagegen scheint es günstig 
auf die Anfälle und auf die Erregungszustände der Epileptiker zu wirken. 
Ungleich und zum Teil nicht unbedenklich, wenn auch anderwärts 
wieder gut wirkte Luminal bei Aufregungszuständen Idiotischer. Senile 
Psychosen wurden im allgemeinen günstig beeinflusst. Verf. hält die 
bisherige Dosierung für viel zu hoch; er empfiehlt Luminal speziell für 
Epileptiker, aber er empfiehlt für alle Fälle äusserste Vorsicht in der 
Dosierung. Genaueres siehe an Ort und Stelle. W. Seiffer. 

A. Pick: Ueber eine nicht unbedeutende Erscheinung in der Ent¬ 
wicklung der deutschen Psychiatrie. (Neurol. Central bl., 1913, Nr. 10.) 
Verf. warnt davor, dass innerhalb des deutschen Sprachgebiets land¬ 
schaftlich getrennte Schulen der Psychiatrie mit gesonderter Nomenklatur 
bestehen. E. Tobias. 

Wegen er-Jena: Serodiagnostik nach Abderhalden in der Psy¬ 
chiatrie. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 22.) Die Abder* 
halden’sche Serodiagnostik ist für die Psychiatrie von der grössten 
Wichtigkeit. Von ihr sind Aufschlüsse für die Aetiologie, Differential¬ 
diagnose und Therapie zu erwarten. Die Methode gestattet, rein 
funktionelle Psychosen (z. B. manisch-depressives Irresein) von anderen 
Erkrankungen mit organischen Grundlagen (jugendliches Irresein, Epi¬ 
lepsie u. a.) zu unterscheiden. G. Eisner. 


Kinderheilkunde. 

M. E. Forcart-Basel: Larosan als Ersatz für Eiweissmilch. 
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 22.) Larosan ist eine der Ei¬ 
weissmilch sehr ähnliche und in ihrer Wirkung gleich gute Nahrung. 
Die günstige Wirkung beruht hauptsächlich auf dem hohen Gehalt an 
Eiweiss und Kalk. Ein pulverförmiges Caseincalciumpräparat wird in 
Milch aufgelöst und diese zur üälfte verdünnt. Es ist so möglich, ver¬ 
schieden zusammengesetzte Mischungen herzustellen. G. Eisner. 

Rott- Berlin: Zar Ernährnngstcchnik frühgeborener Säuglinge. 
(Zeitschr. f. Kinderheilk., Bd. 5, H. 2.) R. griff bei der Ernährung früh¬ 
geborener Kinder zu der von französischen Autoren empfohlenen Sonden¬ 
fütterung. Er führt die Lebenserhaltung dieser Frühgeburten haupt¬ 
sächlich auf die durch Sondenfütterung geschaffene Möglichkeit der 
ausreichenden Nahrungszufuhr zurück und stellt etwaige Schädigung in 
Abrede. B. Grünfelder. 

A. Bretschneider-Metz: Drosan (Extractum Droserae com 

Natrio bromato) als Keachhustenmittel. (Therapie d. Gegen w., 
Mai 1918.) Drosan ist ein zuckerhaltiger, wässriger Auszug der Blätter 
von Drosera rotundifolia mit Zusatz von 1 proz. Bromnatrium. Je nach 
dem Alter 1—3 stündlich teelöffel- oder esslöffelweise. Günstige Er¬ 
fahrungen. R. Fabian. 

B. Grünfelder - Berlin: Bromcalciam in der Behandlung des 
Laryngospasmus und der Tetanie. (Therapeut. Monatsschr., Juni 1913.) 
Auf Grund von l l / 2 —2 jährigen Erfahrungen mit Bromcalcium ist Verf. in 
der Lage, dieses Bromsalz bei der Behandlung des Laryngospasmus und 
der Tetanie als bestwirkendes, leichtes Narkoticum zu empfehlen. Die 
schnell hemmende Wirkung übertrifft die anderen Bromsalze bei weitem. 
In der bei Verf. gebräuchlichen Dosis von 2,0 g pro die werden Laryngo- 
spasmen und Krämpfe nach wenigen Tagen ausgescbaltet. 

E. Reiss - Frankfurt a. M.: Zur Behandlung des Seharlachs mit 
RekoavaleszenteaseraiD. (Bemerkungen zu der Arbeit von Dr. E. Ben¬ 
jamin „Die Therapie des Scharlaohs“ in dem Februarheft der Therapeut. 
Monatsschr., 1913.) (Therapeut. Monatsschr., Juni 1913.) Verf. be¬ 
streitet, dass seiner Methode der Scharlachbehandlung mit Rekon¬ 
valeszentenserum, wie Benjamin behauptet, für die Praxis keine 
Bedeutung zukomme. Er beschreibt die Gewinnung und Verabreichung 
des Serams und die Erfolge der Behandlung. H. Knopf. 

L. Tobler- Breslau: Zorn Chemismus des Säuglingsmagens. — 
H. Davidsohn - Berlin: Zam Chemismus des Säaglingsmagens. — 
B. Salge -Freiburg: Salzsäure im Säuglingsmagen. (Zeitschr. f. 
Kinderheilk., Bd. 5, H. 2.) Tob ler wendet sich gegen die Folgerung 
Davidsohn’s undSalge’s aus ihren Befunden, dass eine Pepsinverdauung 
im Magen des normalen Säuglings praktisch keine Rolle spiele; denn die 
Ausheberung liefere zu quantitativen Untersuchungen kein geeignetes 
Material. Duroh Versuche sucht To bl er zu beweisen, dass der Mangel 
der Pepsinverdauung im Magen nur eine Folge mangelhafter Methodik 
sein kann. — Davidsohn wendet sich gegen die Ausführung Tobler’s 
und sucht den Beweis zu erbringen, dass die Aoiditätsuntersuchungen 
am ausgeheberten Mageninhalt gut brauchbar sind. — Balge wendet 
sich ebenfalls gegen die Behauptungen To bl er’s. Er ist nach 
wie vor der Meinung, dass bei Frauenmilchfütterung durch Untersuchung 
des ausgeheberten Mageninhalts ein Bild der Konzentration der H-Ionen 
zu bekommen ist. 2. Bei jungen brustmilchernährten Säuglingen ist die 
H-Ionenkonzentration so gering, dass von keiner Pepsinverdauung die 
Rede sein kann. 8. Handelt es sich jenseits des ersten Vierteljahres 
beim Säuglingsmagen um eine werdende Funktion des Organismus. 

K. Kassowitz - Berlin: Versuch einer Sensibilisierung gegen 
Kuhmilch auf enteralem Wege. (Zeitschr. f. Kinderheilk., Bd. 5, H. 1.) 
Ausgehend von der Tatsache, dass die Eiweisskörper der Milch eine von 
ihrer Ernährungsfunktion unabhängige, biologische Wirkung als art¬ 
fremdes Protein ausüben können, stellte K. an mehreren Würfen Hunde 
Versuche an. Er machte die kuhmilchernährten Hunde mittels Proto- 
phylin enteritisch. Naohdem sich die Hunde von der Darmstörung erholt 


hatten, bekamen sie eine Caseinlösung injiziert. Die Hunde mit 
Enteritis reagierten fast alle mit deutlichen Symptomen einer allgemeinen 
Ueberempfindlichkeit, während die Hunde, die von der Enteritis ver¬ 
schont blieben, keine Anzeichen der Ueberempfindlichkeit zeigten. 

L. Moll und G. Mayerhofer-Wien: Die gleichmässige Verteilung 
der Sommersterblichkeit der Säuglinge auf Stadt und Land in Oester¬ 
reich. (Zeitschr. f. Kinderheilk., Bd. 5, H. 2.) Die Autoren kommen 
an der Hand eines ausgedehnten statistischen Materials zur Konstatierung 
der Uebereinstimmung einer grössten und kleinsten Säuglingssterblichkeit 
in Stadt und Land während der einzelnen Quartale des Jahres. Nur 
der schlechtere Gesundheitszustand (schlechte Wohnungen!) der Säug¬ 
linge aut dem Lande bedingt während der Wintermonate einen kleinen 
Gegensatz. 

R. Neurath-Wien: Puralytische Aequi valente der Kinder¬ 
epilepsie. (Zeitschr. f. Kinderheilk., Bd. 5, H. 1.) N. beschreibt einen 
jahrelang beobachteten Fall kindlicher Epilepsie. Er stellte bereits am 
3. Tage nach der Geburt einseitige Konvulsionen und Hemiparese fest. 
Asphpcie bei der Geburt, sowie nachträglich Icterus und Fieber deuteten 
auf ein sehr starkes Geburtstrauma und dessen Folgen, intercranielle 
meningeale Hämorrhagie, hin. Ende des ersten Jahres: Einsetzen halb¬ 
seitiger, epileptischer Anfälle mit Attacken von Lähmung des rechten 
Beines. Auffallend erscheinen die anamnestischen Angaben in diesem 
Falle. Das Kind stammt aus einer Familie, in der eine hereditäre Be¬ 
lastung in bezug auf Linkshändigkeit und Facialisparese bestand. 

B. Grünfelder. 

G. Schwaer - Lüdenscheid: Ueber die hämatologische Diagnose 
der Röteln. (Münchener med. Wochenschr., 1918, Nr. 22.) Auf dem 
Höhestadium der Röteln findet sich eine Hyperleukocytose mit parallel 
gehender, relativer Lymphocytose. Eosinophile Zellen werden immer 
gefunden. Differentialdiagnostisch kommt dieser Befund gegen Masern 
in Betraoht. Hier-. Verminderung der Leukocyten und Schwinden der 
Eosinophilen. G. Eisner. 


Chirurgie. 

R. B. Smith-Colgate University, Hamilton, N. Y.: Ueber den Zu¬ 
sammenhang zwischen Bronchitis nach Aethernarkosc und den Oxy¬ 
dationsprodukten des Aethers. (Therapeut. Monatsh., Juni 1913.) Zu¬ 
sammenfassung: 1. Aether zersetzt sich, auch wenn er rein von der 
Fabrik kommt, sehr leicht durch Licht oder Luft oder bei deren gleich¬ 
zeitiger Einwirkung. Dabei bilden sich unter anderem stark oxydierende 
Verbindungen, die man zu den Peroxyden rechnen kann. 2. Diese Per¬ 
oxyde sind mit aller Wahrscheinlichkeit eine der Hauptursachen der bös¬ 
artigen Entzündungen der Atmungsorgane bei der Aethernarkose. 3. Die 
schädliche Wirkung kann vermieden werden, indem zur Narkose a) ganz 
reiner Aether oder b) warme gewaschene Dämpfe benutzt werden. 
4. Aether kann rein bewahrt werden a) in kleinen, ganz gefüllten, luft¬ 
dicht geschlossenen Metall- oder Glasflaschen bei Lichtabschluss; b) über 
metallischem Natrium. H. Knopf. 

Th. Kocher: Zur operativen Behandlung der Wanderniere. 
(Korrespondenzbl. f. Schweizer Aerzte, Nr. 18.) Verf. bezeichnet sein 
Verfahren als „Sekundärnarbenbildung“. Die Fixation der Niere wird 
dadurch angebahnt, dass eine etwa 3 cm im Durchmesser fassende, von 
der Kapsel befreite Stelle des Nierenparenchyms in der Tiefe der Lenden¬ 
wunde freigelegt und dann ein Jodoformgazetampon von der Hautwunde 
bis zur Niere eingelegt wird. Der Tampon bleibt 14 Tage bis 3 Wochen 
liegen. Auf diese Weise wird ein granulierender Kanal geschaffen, der 
sich später in eine solide Narbe umwandelt. Verf. hat mit dieser Me¬ 
thode eine sehr sichere Fixation erzielt. R. Fabian. 

H. Kümmel-Hamburg: Das spätere Schicksal der Nephrek- 
tomierten. (Archiv f. klin. Chir., Bd. 101, H. 2.) Chirurgenkongress 
1913. Ref. diese Wochenschr., Nr. 16. Baetzner. 

A. Reichart-Bad Pistyan: Ueber eine eigentümliche, typische 
Deformierung des Griffelfortsatzes der Ulna. (Münchener med. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 21.) Beschreibung zweier Fälle von eigentümlicher 
Deformierung des Processus styloideus ulnae. Der Processus war ver¬ 
längert, radialwärts verbogen und gegen das Os triquetrum abgeplattet. 
Beides waren Fälle von sekundärem chronischem Gelenkrheumatismus. 

G. Eisner. 

R. Müller-Berlin: Ueber penetrierende Kniegelenkswnndeu. 

(Archiv f. klin. Chir., Bd. 101, H. 2.) Bericht über 33 Fälle von 
perforierenden Kniegelenksverletzungen mit Krankengeschichten. 

E. Schepelmann-Halle a. S.: Freie Periostverpflanzung. (Archiv 
f. klin. Chir., Bd. 101, H. 2.) Verf. gelang es, im Tierexperiment in 
allen Geweben, wie Leber, Gehirn, Ovarium, Uterus, Milz, Omentum usw., 
im verpflanzten Periost parostale Knochenbildung anzuregen. 

A. Troell: Ueber die Behandlung der Radiusfraktur. Archiv f. 
klin. Chir., Bd. 101, H. 2.) Resultate von 117 nachuntersuchten Radius- 
frakturen. Empfehlung eines Schienen- und Heftpflasterverbandes. 

J. Jensen - Kopenhagen: Beckenbrüche. (Archiv f. klin. Chir., 
Bd. 1, H. 2.) Ausführlicher Bericht über die Klinik der Beckenbrüche 
an Hand von 80 Fällen. 

Molineus-Düsseldorf: Ueber die multiplen braunen Tumoren hei 
Osteomalacie. (Archiv f. klin. Chir., Bd. 101, H. 2.) Mitteilung über 
drei Fälle von Osteomalaoie mit multiplen braunen Tumoren mit Kranken- 


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30. Jani 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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geschiohte und Sektionsprotokoll. Zwischen der atrophischen und der 
hypertrophischen Form der Ostitis fibrosa und der gewöhnlichen Osteo- 
malacie bestehen keine Unterschiede hinsichtlich des Auftretens brauner 
riesenzellensarkomähnlicber Tumoren. 

C. Garre-Bonn: Die Behandlung der Knochen- nnd Gelenktuber¬ 
kulose. (Archiv f. klin. Chir., Bd. 101, H. 2.) Chirurgenkongress 1913. 
Ref. diese Wochenschr., Nr. 14. Baetzner. 

P. Klemm-Riga: Beiträge zur Kenntnis der infektiösen Osteo¬ 
myelitis. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 84, H. 2.) Der 
Verf., dem wir schon eine Reihe wertvoller Arbeiten über die Osteo¬ 
myelitis verdanken, gibt uns auf Grund seines grossen Materials von 
320 eigenen Beobachtungen einen weiteren klinischen Beitrag zu dieser 
Erkrankung. Auf Einzelheiten kann hier im Rahmen eines kurzen Re¬ 
ferates nicht eingegangen werden. Nur das sei hervorgehoben, dass Yerf. 
eine energische radikale Therapie der frischen Fälle befürwortet und die 
breite Aufmeisselung des Knochens mit ausgedehntem Herangehen an 
das erkrankte Mark fordert, eventuell sogar die Totalresektion des er¬ 
krankten Knochens, besonders bei den flachen Knochen, wie der Scapula. 
In 76 Fällen wurden im Blut Bakterien gefunden; wenn dies auch nicht 
bedeutet, dass sich in den übrigen Fällen keine Bakterien im Blute be¬ 
finden, so ist doch in den Fällen mit positivem Blutbefund die vitale 
Prognose bei weitem sohlechter als bei den negativen Fällen. 

W. V. Simon. 

Treplin-Sahlenburg b. Cuxhaven: Beitrag zur Aetiologie der Darm- 
invagiaationen. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 22.) Be¬ 
schreibung von vier Fällen; zwei stellten durchaus bekannte typische 
Erscheinungen dar; zwei boten dagegen ein besonderes Bild. Zwei 
Knaben, die an Purpura rheumatica erkrankt waren, bekamen auf Grund 
dieser Allgemeinerkrankung eine Intussusceptio colioa bzw. jejunalis. 
Der Mechanismus ist so: Starke Infiltration der Darmwand durch eine 
Purpuraeruption. Der Darm wird dadurch in ein starres Rohr umge¬ 
wandelt und beteiligt sich an der betreffenden Stelle nicht an der 
Peristaltik. Der starre Darm teil wird bei der Peristaltik des übrigen 
Darmes wie ein Fremdkörper weitergeschoben und invaginiert sich. 

G. Eisner. 

J. Denk-Stuttgart: Resultate von 601 Appendicitisoperationen mit 
besonderer Berücksichtigung der Frühoperation, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. 
Chir., 1913, Bd. 84, H. 2.) Die Arbeit behandelt das Material des Stutt¬ 
garter Ludwigspitals und Karl-Olga-Krankenhauses von 1907 bis 1912 
und enthält nichts wesentlich neues. W. V. Simon. 

H. Körb!-Wien: Die Kontinenzverhältnisse nach den radikalen 
Operationen des Mastdarmkrebses. (Archiv f. klin. Chir., Bd. 101, H. 2.) 
Der Zustand der Patienten mit einfachem Anus sacralis ist im allge¬ 
meinen ein recht zufriedenstellender. Als beste Art der Anlegung des 
Anus bewährte sich die rechtwinklige Abkniokung um das Kreuzbein. 
Die Gersuny’sche Drehung stellt einen Vorteil dar gegenüber dem ein¬ 
fachen Anus sacralis; sie gibt gute funktionelle Dauerresultate, Bei der 
Möglichkeit der Erhaltung des Schliessmuskels ist die Durchzugsmethode 
von Hohenegg nur dann indiziert, wenn die Operation schnell beendet 
werden soll; sie hat als Methode der Wahl bei solchen Fällen zu gelten, 
bei denen vom Analteil nur die Sphincterportion erhalten bleibt, sonst 
hat nach der Rectumresektion die circuläre Naht als Methode der Wahl 
zu gelten. Kann die primäre circulare Naht nicht angelegt werden, so 
wird sie am besten durch ein Verfahren: Naht der vorderen Circum- 
ferenz, Fixation der beiden hinteren Circumferenzanteile an die Haut 
mit folgendem sekundären Verschluss ersetzt. 

H. Köttner-Breslau: Ulcus duodeni. (Archiv f. klin. Chir., 
Bd. 101, H. 2.) Chirurgenkongress 1913. Ref. diese Wochenschr., S. 710. 

W. Gundermann - Giessen: Ueber experimentelle Erzeugung von 
Magen- nnd Darmgeschwüren. (Archiv f. klin. Chir., Bd. 101, H. 2.) 
Chirurgenkongress 1913. Ref. diese Wochenschr., Nr. 15, S. 710. 

Baetzner. 

Th. Jensen-Dresden: Ueber Nitritintoxikation bei der Injektion 
der Beck’schen Wismntpaste. (Münchener med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 22.) Mitteilung eines Vergiftuogsfalles nach Wismutpasteninjektion. 
Die Erscheinungen setzten nach mehrstündiger Latenzperiode fast 
momentan ein mit grosser Mattigkeit, Erbrechen, Cyanose und plötzlicher 
Pulsverschlechterung. Vermutlich werden die gefährlichen Nitrite aus 
dem Bismutum subnitrioum durch das Bacterium coli gebildet. 

G. Eisner. 

A. Pers-Kopenhagen: Magenr «Sektionen. Deutsche med. Wochen¬ 
schrift, 1913, Nr. 24.) P. hat 25 Magenresektionen ausgeführt, 8 mal bei 
Ulcus, 16 mal bei Carcinom. Es war die Entscheidung, ob Ulcus oder 
Carcinom, bei der Operation nie möglich. Die 9 Ulcuspatienten sind 
gesund, von den Carcinomfällen sind 2 seit 5 bzw. 8 Jahren recidivfrei. 
Beachtenswert ist P.’s Standpunkt, bei Tumoren der kleinen Curvatur 
auf radikale Resektionen ganz zu verzichten. In ausgebreiteten Fällen 
rät er, den Bauch wieder zu scbliessen, bei zweifelhaften, nur wenig 
ausgebreiteten Prozessen der kleinen Curvatur empfiehlt er eine Exzision 
der erkrankten Stelle, entweder lokal oder in Form einer Querresektion. 

F. Franke-Braunschweig: Entfernung eines Gebisses aus der 
Speiseröhre ohne deren Eröffnung naeh seitlichem Halssehnitt 
(Tracheotomia lateralis). (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 24.) 
Für hochsitzende Fremdkörper des Oesophagus, welche sich vom Munde 
aus nioht extrahieren lassen, empfiehlt F. die Freilegung des Oesophagus 


durch einen seitlichen Halssehnitt. Ohne Eröffnung des Oesophagus ge¬ 
lingt es dann unter anderem, den Fremdkörper zu lookern, heraus- 
zuluxieren und vom Munde aus zu entfernen. Dies Verfahren hat 
gegenüber der Oesopbagotomie leicht zu übersehende Vorteile. 

Wolfsohn. 

H. Brun-Luzern: Zur Mobilisation und Verlagerung des Magens 
und Duodenums bei Operationen am Magen nnd unteren Abschnitt 

der Speiseröhre. Anatomische Studien, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 
1913, Bd. 84, H. 2.) Die Arbeit enthält sehr eingehende gefässana- 
tömisohe Untersuchungen der Magen- und Duodenalgegend und bildet 
auf dieser Basis einen wichtigen Beitrag zum Kapitel der Magenresektionen. 

B. v. Beck-Karlsruhe: Spätzustände naeh Dickdarmansschaltnng 
durch Enteroanastomose zwischen Ueum und Flexura sigmoidea (lleo- 
sigmoidostomie). (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1918, Bd. 84, H. 2.) 
Ihre Anwendung findet die Dickdarmausschaltung bei chronischer Kolitis 
und Perikolitis, Tuberculosis coli und schweren Funktionsstörungen des 
Dickdarms, wie als Palliativoperation bei nicht mehr radikal entfernbaren 
Colonkrebsen. Die Anastomose ist Seit-zu-Seit oder End-zu-Seit auszu¬ 
führen mit Verschluss des abführenden Ileumschenkels. Bei einigen 
Fällen, die alle das weibliche Geschlecht betrafen, zeigten sich nach 
einigen Jahren wieder Störungen der Darmfunktion in Gestalt von all¬ 
mählich zunehmender Verstopfung oder zuweilen auftretendem Darm¬ 
verschluss oder retrograder Kotstauung. Man soll daher bei Kranken 
mit Neigung zu abdominellen Spasmen das Ileum mit der Flexura sig¬ 
moidea End-zu-End vereinigen und den proximalen Stumpf der Flexura 
sigmoidea als Schleimfistel vorlagern oder das Colon in zweiter Sitzung 
exstirpieren. Bei chronischer Obstipation und Megaoolonbildung im Col. 
ascendens, transversum oder Cöcum soll die Exstirpation des Cöcum, 
Col. ascendens und 2 /s des Col. transversum ausgeführt werden, und das 
Ileum End-zu-End in den distalen Stumpf des Col. transversum-Restes 
implantiert werden. Von der operativen Behandlung der auf nervösen 
Ursachen beruhenden Dickdarmerkrankungen ist meist kein Erfolg zu 
erwarten. 

W. Altschul- Prag: Beitrag zur Chirurgie des Mageneareinoms. 
(v. Brun’s Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 84, H. 2.) Die Arbeit gibt 
einen Bericht über 612 in der Zeit von 1895—1911 unter Wölffier 
beobachtete Fälle. 422 Fälle kamen zur Operation mit 44,4 pCt. Mor¬ 
talität im Anschluss an die Operation. Die 64 Resektionen hatten eine 
postoperative Mortalität von 40pCt. Der Durchschnitt der Lebensdauer 
der Resezierten nach der Operation war 13,4 Monate, 7 Patienten sind 
noch besobwerdefrei am Leben. Als Methode der Wahl gilt dem Verf. 
Billroth II. Bei der Gastroenterostomie wird die Gastroenterostomie 
retrocol. post, mit kurzer Schlinge wegen der raschen Ausführbarkeit 
der Vorzug gegeben, obwohl Verf. die vordere antekolische Gastroenter¬ 
ostomie mit Braun’scher Anastomose sonst als gleichwertig ansieht. Von 
der Anwendung des Murphiknopfes ist Verf. ganz abgekommen und 
wendet als Notbehelf bisweilen an seiner Stelle den Galalithknopf an. 

W. V. Simo n. 

J. Kohn-Frankfurt a. M.: Glättolin als Ursache einer hartnäckigen 

Dermatitis colli. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 22.) Im 
Glättolin sind Stoffe, die bei empfindlicher Haut Entzündungen ver¬ 
ursachen (Kanaubawachs). G. Eisner. 

T. Miyata - Tokio: Zur Kenntnis der Hodengesehwülste nnd die 
Bedentnng des Traumas für ihre Entstehung. (Archiv f. klin. Chir., 
Bd. 101, H. 2.) Als Entstehungsursache der malignen Hodentumoren ist 
das Trauma anzusprechen. 

E. Jeger und H. Joseph: Ueber Ersatz eines Stückes der Aorta 
abdominalis durch die Carotis desselben Tieres. (Archiv f. klin. Chir., 
Bd. 101, H. 2.) Beschreibung von technischen Details und Versuchs¬ 
protokollen. Baetzner. 

K. lmai-Osaka: Ein durch Exstirpation geheilter Fall von 

Aneurysma der Arteria anonyma. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 24). Wolfs oh n. 

E. Key-Stockholm: Ein Fall operierter Embolie der Arteria 
femoralis. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 23.) Verf. schildert 
nach eingehender Erörterung des interessanten Krankheitsverlaufes die 
erfolgreiche Operation eines Embolus in der Arteria femoralis und schliesst 
hieran die bis jetzt über operative Eingriffe bei Embolien mitgeteilte 
Literatur. 0. Adler. 

P. Fiori- Modena: Die Bindegewebseyste des Samenstrangs. 
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 24.) Kasuistische Mitteilung. 
Bisher sind sieben derartige Fälle bekannt. Charakteristisch ist der 
Mangel von Epithel an der Innenwand der Cyste. 

Gierszewski-Tuchei: Zwei übergrosse Skrotalhernien. (Deutsche 
med. Wochenschr, 1913, Nr. 25.) Zwei kasuistische Mitteilungen. Der 
eine Fall wurde erfolgreich operiert; in dem zweiten wurde mit Rück¬ 
sicht auf das Alter und den schlechten Ernährungszustand des Patienten 
die Operation unterlassen. Die Abbildung zeigt eine ganz enorme 
Hernie von 70 cm Länge und 100 cm Umfang. Wolfsohn. 

P. AIhrecht-Wien: Operation der hypertrophischen Phimose. 

(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 23.) Für Phimosen mit rüssel- 
förmigem Präputium gibt Verf. eine neue Operationsmethode an, die auf 
Exzision einer auf dem äusseren Vorhautblatt gebildeten Mansohette be 
ruht, und mit der Verf. gute Resultate erzielte. 0. Adler. 


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1226 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26. 


M. P. Kingma Boltjes - Leiden: Intraperiteneale Verwaidug 
der Harawege. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 84, H. 2.) 
Verf. teilt zwei Fälle mit: Der erste, eine intraperitoneale Verletzung 
der Blase, heilte spontan in ganz kurzer Zeit. Der zweite betraf die 
intraperitoneale Verletzung des einen Ureters. Es bildete sich 4 Wochen 
nach dem Unfall eine Anschwellung oberhalb des Lig. Pouparti, die in- 
zidiert wurde und danach Urin entleerte. Da es nicht möglich war, die 
Wunde des Ureters zu vereinigen, wurde die Niere exstirpiert. Im An¬ 
schluss an diese Fälle machte Verf. Tierversuche, um die Frage, wie 
sich die Bauchhöhle gegen einfliessenden aseptischen und infizierten Harn 
verhält, zu studieren und fand, dass sich in aseptisohen Fällen eine 
aseptische fibrinöse Peritonitis bildet, die dem einfliessenden Urin durch 
Verklebungen und Adhäsionen einen Wall entgegen wirft. Bei Infektion 
bildet sich eine eitrige Peritonitis ohne Fibrinabsonderung und ohne 
Verklebung. Die Wunde der Harnwege in die Bauchhöhle schliesst sich 
dann nicht. Zuweilen zeigte sich auch bei Infektionen Heiltendenz da¬ 
durch, dass sich ein Abscess abkapselte, in den der Ureter mündete. 

A. Läwen-Leipzig: Ueber doppelseitige Ureterlithotomie bei kalku- 
löser Anurie. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1918, Bd. 84, H. 2.) An 
Hand eines vom Verf. in der Leipziger Klinik beobachteten und mit Er¬ 
folg der doppelseitigen Ureterlithotomie unterzogenen Falles verbreitet 
er sich über die Aussichten und die Berechtigung dieser Operation bei 
Patienten, die sich im Zustände der Anurie befinden. Die doppelseitige 
extraperitoneale Ureterlithotomie kommt bei der kalkulösen Anurie in 
Betracht, wenn es sich um Einklemmung der Steine im iliakalen oder 
pelvinen Abschnitt der Ureteren handelt. Die extraperitoneale tiefe 
Ureterlithotomie ist nur gestattet, wenn das Nierenbecken der zu dem 
verschlossenen Ureter gehörigen Niere frei von Steinen gefunden wird, 
was ebenso wie der Sitz der Steine im Ureter vor allem durch die 
Radiographie nachzuweisen ist. Vor der Ausführung einer doppelseitigen 
Ureterlithotomie ist der Versuch, die C-oncremente auf unblutigem Wege 
(Injektionen u. a.) zu entfernen, gerechtfertigt. Bei schweren urämischen 
Zuständen ist der doppelseitigen Ureterlithotomie die Nephrostomie vor¬ 
zuziehen. Verf. glaubt, dass die Ureterlithotomie im weitern Umfange 
als bisher Gutes zu leisten berufen ist. W. V. Simon. 

F. A. Elsässer-Hannover: Erfahruigen mit dem Tuberkulin 
Rn8enbaeb. (Deutsche med. Wochenscbr., 1913, Nr. 25.) Verf. rühmt 
die lokale Anwendung des Tuberkulin Rosenbach bei chirurgischen 
Tuberkulosen. Es gelang ihm unter anderem, eine seit 6 Jahren be¬ 
stehende schwere Gonitis zu heilen. Bei Lungentuberkulose ergab ihm 
die gewöhnliche subcutane Einspritzung keine Erfolge. Er ist deshalb 
zu Injektionen in die tieferen Teile der Trachea übergegangen. Auch 
intrapulmonale Injektionen, von aussen her direkt in den Herd hinein, 
wurden versucht. Diese Einspritzungen wurden gut vertragen und haben 
angeblich niemals Schaden angerichtet. Wolfsohn. 

0. Orth-Forbaoh i. Lothringen: Kasuistischer und experimenteller 
Beitrag zur Leber- vid Gallengangsrnptar. (Archiv f. klin. Chir., 
Bd. 101, H. 2.) Verf. kommt auf Grund einer klinischen Beobachtung 
und mehrerer experimenteller Untersuchungen zu der Auffassung, dass 
die Bradycardie bei Leber- und Gallengangsverletzungen als patho- 
gnomonisches Frühsymptom verwertet werden könnte. Die Bradycardie 
ist wahrscheinlich durch Resorption gallensaurer Salze und Wirkung der. 
selben auf das Vasomotorencentrum bedingt. Baetzner. 

Brandes und Mau-Kiel: Taberkelbacillen im strömenden Blnte 
bei chirurgischen Tuberkulosen. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 24.) Unter 40 Fällen chirurgischer Tuberkulose gelang den Verff. 
18 mal der Nachweis von Tuberkelbacillen im strömenden Blut, und zwar 
bei Nieren- und Blasentuberkulose fast regelmässig, bei Gelenkerkran¬ 
krankungen etwa in der Hälfte der Fälle. Mit dem Alter der Patienten 
steigt im allgemeinen die Prozentzahl der positiven Befunde, um im 
fünften Dezennium plötzlich abzünehmen. Diagnostische Anhaltspunkte 
gibt die Methode nicht, da auch bei klinisch Nichttuberkulösen säure¬ 
feste Stäbchen im Blute gefunden werden. Aus demselben Grunde ist 
auch eine prognostische Bedeutung des Befundes abzulehnen. An der 
Tatsache, dass die gefundenen säurefesten Stäbchen wirklich Tuberkel¬ 
bacillen sind, zweifeln die Verff. nicht (entgegen der Ansicht mancher 
anderer Autoren). Der Nachweis von Bacillen im strömenden Blute be¬ 
kräftigt die Notwendigkeit einer Allgemeinbehandlung bei chirurgischer 
Tuberkulose. Wolfsohn. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

F. Fis oh er-Düsseldorf: Erfahrungen bei der Behandlung der 
Mikrosporie. (Dermatol. Centralbl., Mai 1913.) Am radikalsten und 
sichersten bewährte sich die Kohlensäuresohneemethode mit einer Ein¬ 
wirkung von 1 bis 2 Minuten. 

Bettmann - Heidelberg: Spontane Rückbildung eines Naevus 
yerrncosns nnins lateris. (Dermatol. Zeitschr., Juni 1913.) Ein am 
1. Oktober 1912 geborener Knabe, der sonst keinerlei Missbildungen 
zeigte, hatte auf der linken Körperseite einen strichförmigen verrucösen 
Naevus. Am 8. November war dieser Naevus vollständig verschwunden. 
Ob es sioh um eine Dauerheilung handelt, läset sich vorläufig nicht 
sagen. 

R. Polland-Graz: Naevns linearis yerrncosns. (Dermatol. Zeitschr., 
Juni 1913.) Histologisch handelte es sich um eine papillomartige Hyper¬ 
plasie der Epidermis, der Knäueldrüsen und zum Teil auch der Lymph- 


gefässe bei abnormer Verhornung im Sinne einer Hyperkeratose, hingegen 
um einen fast völligen Mangel an Haaren und Talgdrüsen. 

J. Fabry-Dortmund: II. Bericht über die Anwendung der Payr- 
sches Operation bei Gesiehtslopus. (Archiv f. Dermatol, u. Syph., 1913, 
Bd. 115, H. 9.) Die Payr’sche Unterminierung lupöser Hautlappen 
bedeutet keinen Fortschritt gegen die altbewährte Thiersch’sche Ope¬ 
ration. Es ist fraglos ein genialer Gedanke; aber es wird wohl niemals 
gelingen, den unterminierten Lappen so tuberkulosesteril zu machen, 
dass es unbedenklich ist, ihn wieder auf die Unterlage aufzulegen und 
anwachsen zu lassen. Sind aber noch Spuren von Tuberkelbacillen vor¬ 
handen, so werden diese der Ausgangspunkt für Recidive. 

R. Sabourand und H. Noirö- Paris: Untersuchungen über die 
Wright’sehe Vacciaetherspie alt Stapbylokokkea and de* Mikro- 
baeillas der Seborrhöe. (Annales de dermatol. et de syphiligr., 
Mai 1913.) Die Veiff. haben bei der Seborrhöe und der Acne vulgaris 
recht gute Erfolge mit der Vaccinetherapie erzielt und empfehlen die von 
ihnen mit Erfolg gewählte Vereinfachung der Wright’soben Originalmethode. 

P. Brisson-Paris: Das Natrinm chloratum eia Oxydationsmittel, 
seine Wirkung anf gewisse Dermatosen. (Annales de dermatol. et de 
syphiligr., Mai 1913.) Das Chlornatrium besitzt eine ausgesprochene 
oxydierende Wirkung; infolgedessen ist es bei der Umwandlung von 
Amylum in Zucker und bei der Auflösung von Ameisensäure in Kohlen¬ 
säure das Oxydationsmittel. Wenn die Haut kochsalzarm ist, kann sich 
der Hautschwefel nicht oxydieren, ist die Haut aber reich an Kochsalz, 
oxydiert sich der Schwefel dauernd. Danach muss sich dann die 
Therapie richten. 

P. Ravaut: Versuch der Behandlung mit eigeaem Blate bei 
einigen Hautkrankheiten. (Annales de dermatol. et de syphiligr., 
Mai 1918.) Das Blut wird den Patienten mit einer Spritze aus der 
Armvene entnommen und dann sofort unter die Bauchhaut gespritzt. 
Verf. hat bisher 13 verschiedene Fälle derartig behandelt und in einigen 
Fällen ganz überraschende Erfolge erzielt, besonders bei Acne, Lichen 
Wilsonii, Eczema seborrhoicum und Eczema generalisatum, während bei 
Psoriasis, Dermatitis exfoliativa chronioa usw. die Behandlung versagte. 

Immerwahr. 

F. Luithlen und V. Muoha-Wien: Die experimentelle and 
klinische Aialyse des „Salvarsaafiebers“. (Wiener klin. Wochenschr., 
1918, Nr. 23.) Auf Grund experimenteller und klinischer Beobachtungen 
kommen die Verff. zu dem Ergebnis, dass das in einzelnen Fällen der 
Salvarsanbehandlung auftretende Fieber in ursächlichen Zusammenhang 
mit dem durch das Salvarsan bedingten Gewebszerfall zu bringen ist. 
Verff. bezeichnen es als „Zellzerfallfieber“ und erklären es als durch 
die Resorption zerfallenden Gewebes bedingt. 0. Adler. 

C. Bruck und A. So mm er-Breslau: Ueber die diagnostische Ver¬ 
wertbarkeit intravenöser Arthigoninjektionen. (Münchener med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 22.) Verff. ersetzten die bisher übliche intra¬ 
muskuläre Arthigoniojektion durch die intravenöse und erzielten damit 
sowohl in diagnostischer als auch therapeutischer Beziehung ausserordent¬ 
lich günstige Resultate. Männer mit noch bestehenden gonorrhoischen 
Prozessen reagieren auf eine intravenöse Injektion von 0,1 Arthigon fast 
stets mit einer Temperatursteigerung, die um so regelmässiger und höher 
einzutreten scheint, je mehr Komplikationen der Krankheitsprozess ge¬ 
setzt hat. Männer, die nie Gonorrhöe hatten, können auf 0,1 Arthigon 
mit Temperaturausschlägen antworten, die unterhalb von 1,5° liegen. 
Ausschläge von 1,5° und höher dürften spezifisch für gonorrhoische 
Prozesse sein. Schaden wurde auch nach hohen Dosen nie gesehen, 
eher sogar noch ein therapeutischer Effekt. Die ausgezeichnete Wirkung 
bei Epididymitis, Arthritis und den sonst so schwer zu beeinflussenden 
gonorrhoischen Prostatitiden ist therapeutisch zu verwerten; in einer 
Anzahl von Fällen ist auch ein überraschender Einfluss auf gonorrhoische 
Urethralprozesse zu konstatieren, die lediglich durch die intravenösen 
Arthigoninjektionen ohne jede Lokalbehandlung mit einer erstaunlichen 
Schnelligkeit ausheilen können. G. Eisner. 

F. Hamm er-Stuttgart: Die Anwendbarkeit der Mastixlösuug Im 
der Dermatotherapie. (Dermatol. Wochenschr., 1913, Bd. 56, Nr. 21.) 
Die von v. Oettingen empfohlene Mastixlösung, „Mastisol“ genannt, 
hat sioh bei Ulcera mollia und bei Bubonen, bei Rhagaden der Mund¬ 
winkel, bei Decubitus und zur Befestigung von kleinen Stücken von 
Verbandstoff sehr gut bewährt. Ueberraschend günstige Wirkung wurde 
beim Lupus mit lOproz. Pyrogallolmastix erzielt Immerwahr. 

W. Bernheim - Breslau: Therapeutische Erfahrungen mit dem 
Histopin (v. Wassermann). (Therapeut. Monatsh., Juni 1913.) Die 
Histopinpräparate haben eine spezifische Wirkung auf die Stapbylo- 
kokkenerkrankungen. Die Histopingelatine ermöglicht, frühzeitig und 
ausgedehnt angewandt, eine Immunisierung der Haut gegen die Staphylo¬ 
kokkeninfektion. Die Histopinsalbe ist ein wertvolles Heilmittel bei 
allen oberflächlichen Staphylokokkenerkrankungen der Haut. 

H. Knopf. 

G. v. Probizer-Rovereto: Praktische Bemerkungen zur Diagnose 
der pellagrösen Hautveränderungen. (Dermatol. Wochenschr., 1913, 
Bd. 56, Nr. 23.) Bericht über einen Fall von pellagrösem Erythem, 
einem Vorstadium der noch nicht völlig zum Ausbruch gelangten 
Pellagra. Die Diagnose derartiger vorpellagröser Hautveränderungen 
erleichtert die Behandlung und Heilung der Pellagra. 

Immerwahr. 


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30. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1227 


Qeburtshilfe und Gynäkologie. 

E. En ge lhorn-Erlangen: Ueber die Beeinflussung des Hämoglobin¬ 
katalysators in der Schwangerschaft (Weichardt’sche Reaktion). 
(Münchener med. Wochenschr M 1913, Nr. 22.) In den meisten Fällen 
normaler Schwangerschaft ist eine Steigerung der Katalysatorentätigkeit 
des Hämoglobins vorhanden. Die Arbeit ist im einzelnen nicht zum 
Referat geeignet. 

E. Schi ff-Halle a. S.: Ist das Dialysier verfahren Abderhalden’s 
differentialdiagnostiseh verwertbar? (Münchener med. Woohenschr., 
1913, Nr. 22.) Die Abderhalden’sohe Reaktion ist streng spezifisch. 
Die Vorschriften Abderhalden’s müssen exakt befolgt werden. 

F. Maccabruni-Mailand: Ueber die Verwendbarkeit der Abder¬ 
halden’schen Reaktion bei der Sernmdiagnose der Schwangerschaft. 
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 23.) Die nach der polari¬ 
metrischen und dialytischen Methode ausgeführten Versuche ergaben die 
völlige Bestätigung der Abderhalden’schen Lehre. Die nachgeprüfte 
Reaktion fiel bei Schwangeren fast stets positiv, bei niohtschwangeren 
Frauen und bei Männern negativ aus. Die Reaktion pflegt sohon im 
Beginn der Gravidität aufzutreten und kann noch 14 Tage nach der 
normalen Geburt sowie nach einer Fehlgeburt Vorkommen. 

V. L. King -Detroit, U. S. A.: Ueber trockenes Placentapnlver 
und seine Anwendung bei dem Abderhalden’schen Dialysierverrahren 
bezüglich der Diagnose der Schwangerschaft. (Münchener med. Wochen¬ 
schrift 1913, Nr. 22.) Verf. schlägt ein aus gekochter Placenta her¬ 
gestelltes Trockenpräparat als Erleichterung der Ausführung des Dialysier- 
verfahrens vor. G. Eisner. 

K. Jaworski und Z. Szymanowski-Krakau: Beitrag zur Sero¬ 
diagnostik der Schwangerschaft. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, 
Nr. 23.) Die Abderhalden’che Serodiagnostik, ganz streng nach allen 
Vorschriften durchgeführt, hat dieVerff. nicht ein einziges Mal im Stich 
gelassen, sie fanden sie schon in den frühesten Schwangerschaftsmonaten 
positiv, und ebenso konnten sie sie noch während 14 Tage im Wochen¬ 
bett nachweisen. Bei Extrauteringravidität war die Reaktion positiv, 
wenn die Ektodermschicht noch im aktiven Kontakt mit dem mütter¬ 
lichen Organismus stand, bei Eklampsie und Hyperemesis fiel die Reaktion 
sehr schwach aus. Von carcinomatösen Seren wurde Placentareiweiss 
nicht gespalten. 0. Adler. 

A. Deutsch-Wien: Pitnitrin als WeheiimiUel. (Wiener med. 
Wochenschr., 1913, Nr. 22.) Von 25 Fällen, in denen Pituitrin in der 
Austreibungsperiode gegeben wurde bei sekundärer Wehenschwäche, 
wurde nur bei 13 eine Wiederanregung der Wehentätigkeit erzielt. Von 
absoluter Verlässlichkeit des Mittels kann also keine Rede sein. Noch 
weniger sichere Erfolge ergab das Pituitrin in der Eröffnungs- und Nach¬ 
geburtsperiode. Daneben waren einzelne überraschende Erfolge zu ver¬ 
zeichnen. 

Frank-Dudweiler: Seltenheiten aus der Praxis, a) Hämangiom 
dt« Armes als Geburtshindernis. (Münchener med. Wochenschr., 1913, 
Nr. 21.) Der Knochenbau des kindlichen Armes ist normal gewesen. 
Schulter und Ellbogengelenk frei beweglich. Die Hand auch in ihren 
Weichteilen normal. Die Weich teile des Unter- und Oberarmes sind 
durch ein riesiges Hämangiom gebildet. Das Volumen des Armes stand 
nicht hinter dem Volumen des Rumpfes zurück. G. Eisner. 

J. Voigt-Göttingen: Abwartende Geburtsleitung. (Therap. Monats¬ 
hefte, Juni 1913.) Es steht fest, dass jeder Eingriff bei der Geburt eine 
Gefährdung der Gebärenden bedeutet; eine solche mit äusserster Ge* 
wissenhaftigkeit fernzuhalten, ist die Pflicht eines jeden Geburtshelfers. 

H. Knopf. 

R. Mühsam: Die Diagnose nndTherapie der Extrauteringravidität, 
zugleich Mitteilungen über eine lückenlose Serie von über 100 operativen 
Hellaagen. (Therapie d. Gegenw., Mai 1913.) Bei der Diagnose unter¬ 
scheidet Verf. zwischen der Tubenruptur, die durch Gollaps mit 
innerer Blutung charakterisiert ist, und dem Tubenabort, welcher 
weniger stark blutet und keine so stürmischen Erscheinungen zeigt. In 
vielen Fällen ist jedoch eine klinische Scheidung unmöglich. Für die 
Stellung der Diagnose ist die Anamnese von Wichtigkeit. Voran gegangene 
Ohnmächten und Schwindelgefühl sind wichtige diagnostische Hilfsmittel. 
Bei der geplatzten Tubargravidität ist neben dem wachsbleichen Aus¬ 
sehen der Patientin eine schmerzhafte Auftreibung des Leibes mit dem 
Nachweis von freier Flüssigkeit in den abhängigen Partien festzustellen. 
Bei der gynäkologischen Untersuchung ist häufig die Portio aufgelockert 
und der Uterus vergrössert. Der Douglas ist vorgewölbt und zeigt eine 
teigige Beschaffenheit. Eine Einseitigkeit des Tumors bei vorgewölbtem 
Douglas spricht stets ausserordentlich für die Annahme einer Tubar¬ 
gravidität. Als oberstes diagnostisches Hilfsmittel betrachtet Verf. die 
Douglaspunktion: Bei fieberfreien Fällen gibt der positive Ausfall der 
Urobilinprobe im Urin ein wichtiges Anzeichen für die Tubargravidität, 
d. h. für da9 Vorhandensein einer inneren Blutung. Als Therapie ist 
nach Ansicht des Verf. stets die Operation geboten, und zwar ist Verf. 
stets per laparotomiam vorgegangen. In wenigen Fällen, bei denen es 
sich nur um Inzision einer vereiterten Hämatocele handelte, wurde die 
vaginale Methode angewandt. Von 1S95—1913 wurden 327 Fälle von 
Extrauteringravidität behandelt, davon operiert 312 mit 27 Exitus = 
8,2 pCt. Operationsmortalität, 15 wurden nicht operiert, davon starben 4, 
also 26,6 pCt. Besonders erwähnt Verf. noch, dass seit 1909 im ganzen 
108 Fälle zur Beobachtung und zur Operation kamen, welche sämtlioh 
geheilt wurden. Alle Einzelheiten sind im Original nachzulesen. 


A. v. Beding-Luzern: Ein ungewöhnlicher Fall ausgedehnter 
Nekrose des puerperalen Utens. (Corresp.-Blatt f. Schweizer Aerzte, 
Nr. 21.) Der Fall betraf eine 33 jährige Illpara. Die Uterusmuskulatur 
war turaorartig verdickt und zeigte eine ausgedehnte Nekrose. Das Ei 
war infolge völligen Fehlens der Mucosa unmittelbar auf der Uterus¬ 
muskulatur eingebettet. Die Therapie bestand in der abdominalen 
Totalexstirpation. Exitus letalis. R. Fabian. 

Voigts-Berlin: Mesothorira als Röntgenersatz in der Gynäko¬ 
logie. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 22.) Die klimakte¬ 
rischen Blutungen sind wie der Röntgentherapie auch der Bestrahlung 
mit Mesothorium leicht zugänglich. Die Wirkung tritt jedoch bei dem 
Mesothorinm erheblich schneller ein. Der Angriffspunkt ist wahrschein¬ 
lich in den Ovarien zu suohen. Auch Blutungen bei chronischer 
Metritis und entzündlichen Aduexaffektionen werden durch Mesothorium¬ 
bestrahlung schnell gestillt; es wird mit Ausheilung der Entzündung in 
kurzer Zeit Amenorrhoe herbeigeführt. G. Eisner. 


Augenheilkunde. 

C. v. Hoor: Zur Malignität der gefärbten Tumoren des Auges. 
(Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., Mai 1913.) Aus einem pigmentierten 
Muttermale am Limbus kann sich ein Melanosarkom entwickeln. Die 
Entartung des Muttermales zu einem höchst bösartigen Melanosarkom 
kann schon im jugendlichen Alter erfolgen, und es kann bereits zu einer 
Zeit zu Metastasenbildung kommen, wo die Entartung kaum begonnen, 
so dass die histologische Untersuchung des Gebildes die Entartung noch 
kaum erkennen lässt. Verf. rät dringend zur Entfernung eines jeden 
Naevus pigmentosus. 

M. Segi: Ueber einen Fall von Myosarkom des Sehnerven. 
(Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., Mai 1913.) Ausführliche Beschreibung 
des makroskopischen und mikroskopischen Befundes des Bulbus des 
7 jährigen Mädchens. 

B. Agricola: Fünfmal recidiviertes Papillom der Binde- nnd 
Hornhaut, geheilt durch Mesothorinmbestrahlung. (Klin. Monatsbl. f. 
Augenheilk., Mai 1913.) Ein viermal mit Messer und Kauter aufs gründ¬ 
lichste entferntes Papillom, das sich anatomisch als durchaus gutartig 
darstellte, hatte die Hornhaut schliesslich so weitgehend in Mitleiden¬ 
schaft gezogen, dass die schon auf die Hälfte der Norm gesunkene Seh¬ 
schärfe ganz verloren zu gehen drohte. Eine mühelose und gefahrlose 
Bestrahlung mit Mesothorium führte eine dauernde Heilung mit voller 
Funktion herbei. 

H. Bayer: Ueber die Kombination von Frühjahrskatarrh mit 
Traehom. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., Mai 1913.) Der Reichtum 
an eosinophilen Zellen ist so charakteristisch, dass er die Diagnose 
Frühjahrskatarrh ohne weiteres nahelegt. Das Sekret von Trachom¬ 
kranken erwies sich stets frei von eosinophilen Zellen. Die Patienten 
mit Frühjahrskatarrh neigen ferner besonders zu einer Eosinophilie des 
Blutes. Weiter differentialdiagnostisch können die Horner-Trautas’schen 
Punkte sein, kleine an Kalkooncremente [erinnernde Gebilde, die sich 
beim Frühjahrskatarrh finden. 

W. Wittich: Ueber Beteiligung der Tränenröhrchen an der 
Tuberkulose des Tränensackes. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., 
Mai 1913.) In dem vom Verf. ausführlich beschriebenen Falle handelt 
es sich um eine hochgradige Tuberkulose des Tränensackes, die zu einer 
vollkommenen Zerstörung desselben geführt hat. Klinisch auffällig und 
von Anfang an für eine Tuberkulose des Tränensackes sprechend war 
an dem Falle nur, dass der Tränensack sich unter stärkerem Druck 
noch durchspülen liess. Diese Erscheinung findet sioh relativ häufig bei 
Tuberkulose des Tränensackes. 

S. Ishihava - Tokio: Zur Aetiologie der idiopathischen Hemera¬ 
lopie bzw. Xerosis conjunctivae. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., Mai 
1913.) Die Wirkung des Lebertrans bei xerotischen Veränderungen mit 
Hemeralopie ist sehr eklatant; das Oel des Aalfleisches hat eine gleich 
gute Wirkung, ebenso das Olivenöl. Die Hemeralopie beruht auf Mangel 
an Fettstoffen im Blute. So tritt das Leiden bei allgemeiner Ernährungs¬ 
störung, bei Fettarmut der Nahrung, bei Leberkrankheiten, bei Diarrhöe 
usw. auf. Nach der Ansicht des Verf. steht die Bildung des Sehpurpurs 
und des Keratohyalins mit den Fetten in irgendeiner Beziehung. Der 
Lebertran muss als Spezificum gegen Xerosis conjunctivae mit Hemera¬ 
lopie und Keratomalacie angesehen werden. 

E. Janson: Ueber den Einfluss des Diphtherieheilserums auf den 
Verlauf von iufektiösen Augenerkrankungen. (Klin. Monatsbl. f. Augen¬ 
heilk., Mai 1913.) Die umfangreichen Untersuchungen ergaben, dass das 
Diphtherieserum zur Behandlung der Hypopyonkeratitis ein durchaus un¬ 
zuverlässiges Mittel ist, dem zuliebe man auf keines der sonst verfüg¬ 
baren Mittel verzichten darf und dessentwegen eine sonstige wirksame 
Therapie etwa aufzuschieben ein Unrecht ist. Höchstens unterstützend 
kommt es in Betracht. 

J. van der Hoeve - Utrecht: Extraktion vou Kupfersplittern aus 
dem Glaskörperraum. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., Mai 1913.) Verf. 
beschreibt folgenden Fall: Verletzung des rechten Auges durch Explosion 
einer Patrone. Bei fast klaren Medien konnte die Anwesenheit eines 
Fremdkörpers nicht festgestellt werden. Ein Röntgenphoto zeigte die 
Anwesenheit eines grossen Fremdkörpers. Die Extraktion durch die 
Wunde brachte einen riesigen Fremdkörper (16 mm lang und 7,5 mm 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26. 


breit) zutage. Vergleichung des Fremdkörpers mit dem Röntgenphoto 
zeigte, dass der Fremdkörper genau in der sagittalen Ebene gelegen 
war, so dass man mit dem Augenspiegel immer gegen die sehr scharfe 
Seite des Kupferteiles gesehen hatte, welche genügend dünn war, um 
durch die leichte Glaskörpertrübung völlig überdeckt zu bleiben. 

R. Wirtz: Ueber Beziehungen der rheumatischen Angenerkrau- 
knngen anr „sekundären“ Tnberknlose. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., 
Mai 1918.) Verf. hat alle augenkranken Rheumatiker genau auf Tuber¬ 
kulose untersuchen lassen und möglichst der Tuberkulinreaktion unter¬ 
worfen. Die probatorisohe Tuberkulinreaktion ruft bei augenkranken 
Rheumatikern ungewöhnlich oft Allgemeinreaktion hervor. 

W. Mylius: Ein Fall von Gamma der Optieuspapille. (Klin. 
Monatsbl. f. Augenheilk., Mai 1913.) Bei der 25jährigen Patientin 
handelte es sich um eine gummöse Neubildung auf der Opticuspapille. 
Die Diagnose wurde durch die positive Wassermann’sche Reaktion und 
den eklatanten Erfolg der Inunktionskur gesichert. Der AusgaDg der 
Opticuserkrankung war vollständige Heilung mit normalem Sehvermögen. 
Der gutartige Verlauf spricht dafür, dass der Tumor seinen Ausgangs¬ 
punkt von der Oberfläche der Papille genommen hat und dass eine 
weitere Beteiligung des Opticus nicht vorlag. Im Verlauf der 
spezifischen Behandlung wurden die Geschwulstauflagerungen auf der 
Papille restlos resorbiert. 

A. Peters: Blane Sclera and Knochenbrüchigkeit. (Klin. 
Monatsbl. f. Augenheilk., Mai 1913.) Verf. stellte im Jahre 1908 fest, 
dass die Blaufärbung des Augapfels durch Verdünnung der Sclera als 
erbliche angeborene Anomalie Vorkommen kann. Diese Augenanomalie 
kann mit ausgesprochener Knochenbrüchigkeit vergesellschaftet sein. 
Verf. berichtet über eine Familie, in der der Vater zweimal den rechten 
Unterschenkel gebrochen und einmal den linken Vorderam. Der zweite 
Sohn brach den linken Unterschenkel und den linken Vorderarm, ein 
anderer Sohn wird augenblicklich wegen Unterschenkelbruch im Kranken¬ 
hause behandelt. In prophylaktischer Beziehung kann ein Einfluss aus¬ 
geübt werden, insofern als man bei derartigen Fällen vom Militärdienst 
und vom Turnunterricht dispensieren würde. . F. Mendel. 


Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 

Walb-Bonn: Der Nasenspülapparat Vaknnm. (Deutsche med. 
Wocbenschr., 1913, Nr. 24.) Der Apparat, über den Hey mann be¬ 
richtete, soll unter Anwendung von negativem Druck üble Folgen, ins¬ 
besondere Mittelobrveränderungen, vermeiden. W. warnt eindringlich 
vor Anwendung dieses Apparates, da er gerade damit eine Otitis media 
als Komplikation erzeugte. Woifsohn. 


Hygiene und Sanitätswesen. 

Buchholz-Berlin: 1888—1913. Di© öffentliche Gesundheitspflege 
im Deutschen Reiche seit dem Regierungsantritt Kaiser Wilhelm II. 

(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 24) Wolfsohn. 

R. Klinger-Zürich: Epidemiologisches über Diphtherie. (Korre- 
spondenzbl. f. Schweizer Aerzte, Nr. 21.) Verf. hält für eine richtige 
Bekämpfung der Diphtherie eine möglichst ausgedehnte Anwendung der 
bakteriologischen Untersuchung empfehlenswert. Ist ein Fall von 
Diphtherie bakteriologisch festgestellt, so empfiehlt sich die weitere 
Untersuchung der Umgebung. Die Isolierung der Diphtheriekranken 
sowie der mit virulenten Bacillen behafteten Bacillen träger ist so lange 
durchzuführen, als der bakteriologische Befund positiv bleibt. Die 
Diphtherierekonvaleszenten und Bacillen träger sollen unter Isolierung 
von der Umgebung viel Luft und Lioht geniessen. R. Fabian. 

St. Kaszynski-Lemberg: Ueber den Nachweis von Typhusbacillen 
im Wasser. (Zeitschr. f. Hygiene usw., 1918, Bd. 74, H. 1, S. 188.) 
Verf. konnte aus einem Kanalwasser unter Verwendung von Berkefeld- 
filter und nachheriger Anreicherung acht Typhusstämme isolieren. 

J. Müller - Andernach a. Rh.: Epidemiologische nnd bakterio¬ 
logische Beobachtungen bei Typhnserkrankangen in Irrenanstalten. 
(Zeitschr. f. Hygiene usw., 1913, Bd. 74, H. 1, S. 138.) Die in der Irren¬ 
pflegeanstalt St. Thomas zu Andernach seit Dezember 1908 vorge¬ 
kommenen Typbuserkrankungen liessen sich ursächlich auf Bacillen¬ 
trägerinnen unter den in der Anstalt verpflegten geisteskranken Frauen 
zurückfübren. Als Bacillen träger verdächtig erscheinen besonders solche 
Personen, bei denen der Vidal dauernd in höheren Verdünnungsgraden 
für Typhus positiv ausfällt. Bei jeder Aufnahme empfiehlt Verf., ausser 
Stuhl* und Urinuntersuchungen sofort die Vidal’sche Reaktion auszu¬ 
führen, bei negativem Ausfall in einiger Zeit nochmals. 

Fromme-Düsseldorf: BakteriologischeTrinkwassernntersnchnngen 
und Colibacillen. (Zeitschr. f. Hygiene usw., 1918, Bd. 74, H. 1, S. 74.) 
Unter 747 zur Untersuchung gelangten Wasserproben erwiesen sich 
28 pCt. als colibacillenhaltig. Bei den Anlagen, in deren Proben Coli- 
keime nachgewiesen wurden, haben sich in den meisten Fällen örtliche 
Verhältnisse feststellen lassen, welche das Hineingelangen von Coli- 
bacillcn ins Reinwasser durchaus möglich erscheinen liessen. Da die 
Keimzahlen durchaus nicht immer einen sicheren Maassstab für die 
bakteriologische Beschaffenheit eines Wassers abgeben, so ist die Unter¬ 
suchung auf Colibacillen als eine wertvolle Bereicherung der bakterio¬ 


logischen Trinkwasseruntersuchungsmethoden anzusehen. Es sollte daher 
bei der bakteriologischen Untersuchung einer Wasserversorgungsanlage 
stets auch auf Colibacillen untersucht werden. Möllers. 


Militär-Sanitätswesen. 

Eguohi-Tatsuo: Ein experimenteller Beitrag über die Wirksamkeit 
der Formaldehydlösang zur Verhütung des Wnndlanfens in der Armee. 
(Zeitschr. f. Hygiene usw., 1913, Bd. 74, H. 1, S. 44.) Die tägliche 
Einreibung von 2—5 proz. Chromsäurelösung oder Formalin während 
1—2 Wochen verhärtet die Hornschicht des Kusses. Diese Verhärtung 
der Haut verhütet nicht nur den Fussschweiss, sondern vermehrt auch 
die Widerstandsfähigkeit derselben gogen Druck und Reibung. Form&lin 
ist zur Verhütung des Wundlaufens geeigneter als die Chromsäurelösung. 

Möllers. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 18. Juni 1913. 

Vorsitzender: Herr Orth. 

Schriftführer: Herr F. Krause. 

Vorsitzender (nach der Protokollverlesung): Der Antrag ist noch 
in Behandlung. Wenn die Vorbereitungen fertig sind, werde ich der 
Gesellschaft eine Mitteilung machen. 

Ich habe abermals mitzuteilen, dass ein Mitglied gestorben ist, Herr 
Dr. P. So henk, der seit dem Jahre 1895 unser Mitglied gewesen ist. 
Ich bitte, zu seinen Ehren sioh zu erheben. (Geschieht.) 

Es ist dann weiterhin abgegangen Herr Heubner wegen Verzugs 
von hier und ausserdem der frühere Privatdozent, Herr Prof. Dr. 
E. Hildebrandt, der keinen weiteren Grund angegeben hat. 

Als Gast begrüsse ich Herrn Dr. Gustav Baer aus Davos. 

Für die Bibliothek sind eingegangen: Von Herrn J. Orth: 
Drei Vorträge über Tuberkulose. Berlin 1913. — Berioht über das Leichen¬ 
haus des Charitekraukenhauses für das Jahr 1911. S.-A. a. d. Charite¬ 
annalen, 36. — Von Herrn Büttner: Der 41. schlesische Bädertag, 1912. 

Vor der Tagesordnung. 

Hr. L. Meyer: Sklerosierung des Achillessehne. 

(Erscheint unter den Originalen dieser Wochenschrift.) 

Tagesordnung. 

Hr. E. Wossidlo: 

Zur operativen Behandlung der Erkrankungen des Blasenhalses nnd 
der hinteren Harnröhre. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

Diskussion. 

Hr. Ernst R. W. Frank: Ueber die Nützlichkeit der Methode, 
welche den Gegenstand der Ausführungen des Herrn Wossidlo bildete, 
sind wir durch den eigentlichen Vater derselben, Hans Goldschmidt, 
ausführlich belehrt worden. Er hatte seine Erfahrungen über die von 
ihm erzielten Resultate bei Eingriffen iu der hinteren Harnröhre dahin 
zusammen fassen können, dass er im Prinzip die Frage als gelöst be¬ 
trachtete, wie man bei hellster Beleuchtung, unter steter Beaufsichtigung 
durch das Auge, in dem letzten Abschnitt der Harnröhre and am 
Blaseneingang Operationen ausführen könne. 

Ich habe Eingriffe in der hinteren Harnröhre und am Blasenbals 
seit einer Reihe von Jahren ausgeführt und auch, wie aus meinen über 
diesen Gegenstand publizierten Arbeiten hervorgeht, gute Resultate er¬ 
zielen können. 

Ueber die instrumenteile Technik will ich mich an dieser Stelle 
nicht verbreiten. Ich habe mich hauptsächlich an die von Gold- 
schmidt angegebenen Typen gehalten, teils dieselben modifiziert Seit 
einigen Monaten bediene ich mich mit grossem Vorteil zu solchen Ein¬ 
griffen des Hochfrequenzstromes, derselbe ist in geringer Spannung und 
bipolar zu verwenden. Ich habe bereits im Februar d. J . l ) ein von mir 
zu diesem Zweck angegebenes Instrumentarium erwähnt, welches mir 
seither gute Dienste geleistet hat. Ueber die Behandlung derjenigen 
Gruppe von Fällen, welche sich auf Veränderungen des Blasenhalses be¬ 
ziehen, wie sie hauptsächlich hervorgerufen werden durch adenomatöse 
Veränderung der prostatiscben und subcervicalen Drüsen, kann ich 
mich auf Grund meiner Erfahrungen insofern dem Vorredner an- 
schliesseo, als ich schon früher darauf hingewiesen habe, es müsse stets 
betont werden, dass für die fortgeschritteneren Fälle von Prostata- 
bypertrophie mit erheblicher Vergrösserung der Lappen und dem ent¬ 
sprechenden Folgeerscheinungen die Prostatektomie der Operation der 
Wahl bleibe. 

Man muss für den Eingriff ganz exakte Indikationen stellen, und 
ich kann nicht dringend genug davor warnen, solche Fälle mit dem 
galvanokaustischen Instrumentarium anzugreifen, in welchem die Unter¬ 
suchung mit dem Irrigationsurethroskop auf Schwierigkeiten stösst. 


1) Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 7. 


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30. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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In derartig fortgeschrittenen Fällen führt eine endourethrale Behand¬ 
lung nur zu .Misserfolgen. Gelingt es mit der Methode nicht, den Ein¬ 
griff erfolgreich zu gestalten, so bedeutet das fast jedesmal eine Ver¬ 
schlechterung des bestehenden Zustandes und recht häufig eine 
beträchtliche Gefährdung der meist in hohem Alter stehenden und häufig 
an den verschiedensten Komplikationen leidenden Patienten. Ganz 
besonders ist dabei die Gefahr der Infektion und der Harnvergiftung 
einzuschätzen. In allen den Fällen dagegen, in welchen es sich um 
kleine Hindernisse handelt, um die relativ geringfügigen anatomischen 
Veränderungen im Beginn der Vorsteherdrüsenvergrösserung, Fälle, 
welche eine ganze Reihe von äusserst quälenden und lästigen Symptomen 
zeitigen, wie sie Guyon in seiner klassischen Schilderung des Pro- 
statismus gekennzeichnet hat, kann man mittelst seichter kaustischer 
Inzisionen den gequälten Patienten eine überaus grosse Erleichterung 
ihrer Beschwerden verschaffen. 

Indem ich Ihnen einige Abbildungen von mir behandelter Fälle 
demonstriere, will ich gleichzeitig noch auf einige weitere Punkte ein- 
gehen. 

Diese ersten Bilder betreffen Fälle von Prostatahypertrophie oder 
vielmehr richtiger gesagt von beginnendem Adenom der Vorsteherdrüse, 
welche relativ geringfügige Hindernisse geschaffen hatten, die aber dem 
Patienten quälende Schmerzen verursachten und zum Teil erheblichen 
Restham aufwiesen. Die Hindernisse hatten die Form von Barrieren. 
Sie sehen an diesen Abbildungen, dass ein Schnitt durch das Hindernis 
geführt worden ist, dessen Länge und Tiefe man — darin liegt der 
Vorteil der Goldschmidt’schen Methode — ganz genau durch das Auge 
kontrollieren kann. Man arbeitet eben nicht wie bei der Bottini’schen 
Methode im Dunkeln, sondern man sieht, was man macht. 

Stets hat man sich daran zu halten, dass man nur adenomatöse 
Gewebe angreift und nicht in die normalen Gebilde der hinteren Harn¬ 
röhre oder des Blasenhalses hineingerät, weil man sonst sehr üble Folge¬ 
zustände erleben kann. 

Das nächste Bild stammt von einem Patienten, welcher infolge einer 
Kombination fast impermeabler Harnröbrenstriktur, Prostataadenom und 
Blasenstein, an sehr erheblichen Beschwerden litt. Ausserdem sehen 
Sie in der Fossula prostatica infolge des Reizes sekundär entstandene 
polypöse Wucherungen. Nach diesem kleinen Einschnitt in die Barriere 
wurde der Patient, nachdem vorher Striktur und Steine beseitigt worden 
waren, von seinen auch nach den letztgenannten Eingriffen noch be¬ 
stehenden Beschwerden befreit. 

Vortreffliches leistet die Methode bei einer zweiten Gruppe von 
Fällen, die im allgemeinen unter der Bezeichnung der „Neurasthenia 
sexualis“ zusammengefasst werden, bei der die Patienten immer wieder 
jahrelang medikamentöser Behandlung unterworfen, in alle möglichen 
Sanatorien geschickt und mit allen erdenklichen elektrotherapeutischen 
Methoden behandelt werden. Als charakteristisch für diese Gruppe zeige 
ich Ihnen hier folgenden Fall. Ich erwähne dabei, dass ich die Wuche¬ 
rungen, welche Sie hier, wie häufig in solchen Fällen, in grotesken 
Formen sehen, fast nie am Samenhügel gefunden habe, sondern meist 
in der Fossula prostatica, ausgehend von der zum Blasenhalse ziehenden 
„Fremula“. Diese Gebilde sind anatomisch zu derartigen Wucherungen 
präformiert, die dann vom Urinstrom im Sinne eines Längenwachstums 
beeinflusst werden. Entweder stören sie, indem sie in den Bereich des 
Schliessmuskels geraten, die Harnentleerung, oder sie werden z. B. bei 
der letzten Miktion am Abend bis an den Samenhügel heruntergezogen 
und führen so einmal zu lästigen Erektionen, welche dem Patienten den 
Sohlaf rauben, während gleichzeitig die durch den Reiz herbeigeführte 
Ejaculatio praecox die bekannten Formen der Impotenz vortäuscht 

Dieser Patient hatte infolge solcher Beschwerden die ernstesten Be¬ 
denken, sich zu verheiraten. Ich habe das Gebilde mit endourethralen 
Aetzungen behandelt und zeige Ihnen hier in einem weiteren Bilde die 
gleiche Stelle, bei welcher Sie nun ein völlig normales Bild der Fossula 
prostatica sehen. Die Wucherungen sind spurlos verschwunden. Gleich¬ 
zeitig berichtet der Patient über ein vollkommenes Verschwinden seiner 
Impotenz. 

Das nächste Bild zeigt Ihnen einen der seltenen Fälle von kon¬ 
genitaler Harnröhrenstriktur, betreffend einen sonst gesunden 18jährigen 
Menschen, welcher seit der Geburt an unwillkürlichem Harnabgang litt 
und dadurch geistig und körperlich sehr zurückgeblieben war. Es waren 
alle möglichen therapeutischen Versuche zur Beseitigung des Leidens 
vorgenommen worden, so dass die Behandlungsgeschichte wie ein ganzer 
Roman klingt. Mit dem Irrigationsurethroskop gelang es mir sofort, 
diese drei klappenartigen Verengerungen in der hinteren Harnröhre fest¬ 
zustellen. Auf diesem zweiten Bilde sehen Sie den Samenhügel und die 
dicht vor demselben befindliche dritte Klappe. Das weisse narbige Aus¬ 
sehen ist die Folge einer elektrolytischen Behandlung, welche in England 
vorgenommen worden war. Nachdem ich das dritte Hindernis einfach 
durchgebrannt hatte, ist der Patient von seinen lästigen Beschwerden 
dauernd befreit worden. Vor kurzem habe ich ihn, 4 Jahre nach dem 
Eingriff, wiedergesehen. Er ist kontinent geblieben und hat sich geistig 
und körperlich gut entwickelt, so dass man wohl von einem segens¬ 
reichen Erfolg der Methode sprechen kann. 

Das nächste Bild soll Ihnen zeigen, wie die Methode auch forensisch 
gute Dienste zu leisten vermag. Hier handelt es sich um eine Ver¬ 
letzung, welche von ungeschickter Hand durch die Einführung eines sehr 
harmlosen Instrumentes, der Ultzmann’schen Instillationsspritze, ver¬ 
ursacht worden war. Im Anschluss daran waren schwere Blutungen 
aufgetreten, und es gelang ohne weiteres, an der Hinterwand der „Fossula 


prostatica" einen klaffenden Riss festzustellen, aus dem es blutete und 
in dessen Umgebung die Fetzen der zerrissenen Schleimhaut flottierten. 
In der Umgebung bemerken Sie noch einige kleinere Risse. Das nächste 
Bild zeigt Ihnen, in wie klarer Weise man den Fortschritt und die Ver¬ 
narbung beobachten kann. 

Solohe Verletzungen führen durch ihre Vernarbung, je nach ihrem 
Sitz in der Harnröhre, zu Hindernissen der Urinentleerung oder, wenn 
sie den Samenhügel mitbetreffen, zu Störungen in der sexualen Sphäre, 
Störungen, in deren Dunkel die Goldschmidt’sche Methode in des Wortes 
wahrster Bedeutung richtiges Licht gebracht hat. 

Zum Sohluss zeige ich Ihnen einige Bilder, welche für die Bildung 
mancher Blasensteine eine interessante Aufklärung bringen. Wir wussten 
schon aus den Sektionsbefunden Dittel’s und Thompson’s, dass 
Patienten mit schweren Strukturen häufig nioht nur eine Balkenblase, 
sondern auch eine Balkenharnröhre haben. Hier sehen Sie in der „Fossula 
protatico“ deutliche Balkenbildung und dazwischen kleine Divertikel. 
Wenn nun solohe Patienten, wie das hier der Fall war, gleichzeitig an 
barnsaurer Diathese leiden, so kommt es an diesen Stellen zur Bildung 
kleiner Goncremente, welche gelegentlich in die Blase gelangen und die 
Bildung grösserer Steine zur Folge haben können. Ein weiteres, solches 
Goncrement zeige ich Ihnen hier. Bei dem Patienten hatte ich zuvor 
2 grosse Steine durch Sectio alta entfernt, nach Beseitigung einer 
schweren Harnröhrenstriktur. Es gelang mir, das Ihnen hier demonstrierte 
kleine Sternchen mittels einer kleinen Gurette, welche ioh mir zu diesem 
Zweck hatte anfertigen lassen, in Verbindung mit dem Irrigations- 
uretbroskop aus seinem Bett zu heben und zu entfernen. 

Einen ähnlichen Fall zeigt Ihnen das nächste Bild, auf welchem Sie 
2 harnsaure Goncremente an der gleichen Stelle liegen sehen. Auf 
diesem letzten Bilde sehen Sie in der stark narbig veränderten hinteren 
Harnröhre eine divertikelartige Nische, aus welcher ich gleichfalls mittelst 
des Uretbroskopes einen Stein entfernte. Dies sind die Bilder, welche 
ich Ihnen zu flüchtiger Skizzierung meiner einschlägigen Erfahrungen 
zeigen wollte. 

Wie schon früher und auch an dieser Stelle empfehle ich Ihnen 
diese Methoden, welche wir Hans Goldschmidt verdanken, wiederholt 
auf das wärmste. Sie haben uns unser Wissen wertvoll bereichert, so¬ 
wohl in diagnostischer wie in therapeutischer Beziehung. Sie sind ge¬ 
eignet, manches bisher Dunkle aufzuklären und manche sehr erhebliche 
Beschwerden durch relativ einfaohe Eingriffe zu beseitigen. 

Hr. Roth: Ich habe mehrfach Gelegenheit gehabt, das Operations¬ 
instrument von Dr. Erich Wossidlo anzuwenden und kann nur sagen, 
dass es sich durch grosse Einfachheit auszeichnet, dass es leicht und 
bequem zu handhaben ist, und dass die Bilder, die man mit dem In¬ 
strument erhält, geradezu klassisch sind. Man muss mit den früheren 
Instrumenten in der Urethra post, gearbeitet haben, um den grossen 
Fortschritt würdigen zu können, den wir den Erfindungen Goldschmidt’s 
und Wossidlo’s verdanken. Wenn man sich glücklich die hintere 
Harnröhre mit dem geraden Tubus eingestellt hatte und den Colliculus 
mehr oder weniger schlecht sah, so wurde auch diese kleine Freude in 
Wirklichkeit sehr bald zu Wasser, indem der Urin andauernd über das 
Gesichtsfeld floss und das Bild verwischte, so dass man fortwährend mit 
dem Tupfer in der Hand dabei stehen musste, um den Urin fortzu¬ 
bringen. 

Das ist jetzt alles anders geworden infolge der grossen technischen 
Fortschritte. Es besteht kein Zweifel, dass es uns nunmehr gelungen 
ist, das bisher dunkle Gebiet der hinteren Harnröhre der Diagnose und 
Therapie zu erschliessen. Dadurch sind wir in die angenehme Lage ver¬ 
setzt worden, auch die Beschwerden solcher Patienten, für die wir bis¬ 
her keine Erklärung finden konnten, und die wir in die Gruppe der 
Sexualneurasthenie rechneten, auf ihre objektive Grundlage hin, prüfen 
zu können. In der Tat findet man bei solchen Patienten relativ oft 
Veränderungen in der hinteren Harnröhre, Hypertrophien der Colliculus, 
Polypenbildungen usv. Es ist aber durchaus nicht immer gesagt, dass 
diese Veränderungen auch wirklich die Ursache für die Beschwerden der 
Patienten sind. So habe ich in gemeinsamen Untersuchungen mit 
Dr. Theodor Mayer öfter die erwähnten Veränderungen gefunden, ohne 
dass irgendwelche Beschwerden bestanden hätten. Umgekehrt habe 
ich wiederholt solche Bildungen weggebrannt, ohne die Beschwerden 
der Patienten zu beseitigen. Zwei von diesen Fällen will ich kurz 
schildern. 

Der eine klagte seit Jahren über Brennen in der Harnröhre und 
zeitweise häufigen Harndrang. Es bestand eine leichte Uretritis und 
Prostatitis, und im Laufe der Jahre war von den vielen Aerzten, die er 
aufgesuebt hatte, keine lokale Behandlungsmethode unversucht geblieben, 
immer nur mit vorübergehendem Erfolge. Endoskopisch stellte ich eine 
wulstige Hypertrophie des Colliculus und einen daransitzenden Polypen 
fest und in der Nachbarschaft noch einige kleinere Effloreszenzen. (De¬ 
monstration.) Nach ausgiebiger Kauterisation war der Patient be¬ 
schwerdefrei, aber leider nur für kurze Zeit, obwohl der endoskopische 
Befund durch Kontrolluntersuchungen als normal festgestellt wurde. 

Sicheren Erfolg versprach ich mir bei einem anderen Patienten, der 
seit anderthalb Jahren über Schmerzen im Beginn der Miction mit 
häufigem Harndrang klagte. (Demonstration.) Die Endoskopie ergab 
einen Polypen am Sphinoter int., der eine plausible Erklärung für die 
bestehenden Beschwerden abzugeben schien, indem er hei der Oeffnung 
des Sphincters int. infolge von Zerrung einen starken Reiz setzte. Auch 
hier hatte die Kauterisation einen zauberhaften Erfolg, der aber leider 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 


nach einigen Wochen wieder verschwunden war, trotz normalen Be¬ 
fundes. Dieses Verhalten ist natürlich nicht die Regel, wir haben auch 
Fälle beobachtet, wo derartige Veränderungen tatsächlich den Grund für 
die Belästigung der Patienten abgaben. So konnte ich bei einem 
Patienten mit genau den gleichen Beschwerden und dem gleichen Be¬ 
funde, nur dass statt eines Polypen zwei vorhanden waren, durch die 
Kauterisation dauernde Heilung erzielen. (Demonstration.) Ich wollte 
nur andeuten, dass nicht jede kleine Veränderung der hinteren Harn¬ 
röhre Veranlassung geben soll, mit Feuer und Schwert alias Curette 
darüber herzufallen und die nervösen Patienten noch nervöser zu machen; 
sondern erst zu prüfen, ob nicht andere Ursachen, insbesondere anormales 
Geschlechtsleben, für die Leiden der Kranken verantwortlich zu machen 
sind. So freudig auch die technischen Fortschritte auf diesem Gebietö 
zu begrüssen sind, so darf doch nicht übersehen werden, dass durch die 
grössere Leichtigkeit des Eingriffes auch der Polypragmasie Tür und 
Tor geöffnet sind, und ich kann mich des tragischen Gefühles nicht er¬ 
wehren, dass so manoher Colliculus, der bisher ungestört ein idyllisches 
Dasein führte, nunmehr durch irgendwelche Verleumdungen unschuldig 
dem Feuertode verfallen ist. 

Hr. Arthur Lewin: Die Bemerkungen der Herren Vorredner haben 
ja bewiesen, wie recht der verstorbene Hans Goldschmidt hatte, als 
er sich von der Erfindung seines neuen Instrumentariums sehr erhebliche 
Fortschritte in bezug auf die Physiologie und Pathologie der hinteren 
Harnröhre versprach. Es sind Ihnen ja heute hier mannigfach Bilder 
demonstriert worden, von denen Herr Wossidlo nicht mit Unrecht ge¬ 
sagt hat, sie sehen geradezu phantastisch aus. Es muss auch bei dieser 
Gelegenheit darauf hingewiesen werden, dass durch die ganze Art der 
Konstruktion des Urethroskops von Goldschmidt sehr leicht der Phan¬ 
tasie des Beschauers Tür und Tor geöffnet werden kann, und zwar liegt 
das daran,, dass die Bilder in einer ausserordentlichen Vergrösserung 
sichtbar gemacht werden. Bringt man die Optik nun etwas zu nahe an 
das Objekt heran, so können unter Umständen ganz kleine Schwellungs- 
zustände als pathologische Zustände imponieren. Nichtsdestoweniger 
bleibt auch bei aller Selbstkritik eine unendliche Fülle von sehr merk¬ 
würdigen und für die Pathologie und Therapie sehr erfolgreichen Fällen 
übrig, die uns dieses Instrumentarium in der kurzen Spanne Zeit von 
sechs Jahren erbracht hat. Es ist in der Tat, wenn man das Instru¬ 
mentarium regelmässig benutzt, ganz erstaunlich, in wie vielen dunklen 
Fällen der Pathologie der Harnwege — und zwar bandelt es sich im 
wesentlichen um drei Dinge, dunkle Blutungen, dunkle Schmerzen, die 
vielfach klinisch unter dem Bilde der sexuellen Neurasthenie gehen, und 
endlich eine Reihe von dunklen Fällen der Impotenz bei sonst ganz ge¬ 
sunden Individuen, bei denen man für die Impotenz keine rechte Er¬ 
klärung hat — diese Methode ganz Ausserordentliches leistet. 

Ich stimme auch mit Herrn Wossidlo darin vollständig überein, 
dass die jetzige Herstellung des von seinem Vater modifizierten Gold- 
schmidt’schen Instrumentariums technisch so leicht zu handhaben ist, 
dass man wohl sagen kann, dass die Technik auf diesem Gebiete beute 
keine Schwierigkeiten mehr macht. Auch hinsichtlich der operativen Ein¬ 
griffe kann ich sagen, dass wir mit dem Wossidlo’schen Instrumentarium, 
kombiniert mit dem von Goldschmidt angegebenen Incisor, in der Tat 
therapeutisch alles leisten können, was von uns verlangt wird. 

Und nun gestatten Sie, in Ergänzung dessen, was der Herr Vor¬ 
tragende gesagt hat, Ihnen hier noch ganz kurz einige weitere Bilder zu 
demonstrieren. 

Sie sehen hier einen Colliculus, der dextrovertiert ist. Das sind 
Zustände, die gar nicht so selten sind, und Sie verstehen ohne weiteres, 
dass derartige Lageveränderungen bei - der EJjaculation durch Verlegung 
eines Ductus ejaculatorius unter Umständen klinische Folgen haben 
können. 

Hier sehen Sie eine einfache Colliculitis, einen leichten Katarrh 
des Colliculus mit deutlicher Einstellung der beiden Ductus ejacu- 
latorii. 

Sehr interessant, mehr nach der physiologischen als nach der patho¬ 
logischen Seite, ist es, wie ausserordentlich verschieden der Utriculus, 
der Sinus pocularis bei verschiedenen Individuen ist. Hier z. B. sehen 
Sie die Oeffnung eben angedeutet, in auderen Fällen wiederum weit 
klaffend; hier sehen Sie ihn halbmondförmig, mit weitem Lumen. 

Hier sehen Sie wieder einen Katarrh des Colliculus mit deutlicher 
Einstellung der beiden Ductus ejaculatorii, die zum Teil entzündliche 
Veränderungen zeigen. Es handelt sich um einen Fall von Spermato- 
cystitis duplex. 

Hier sehen Sie einen kleinen fibrösen Polypen, der den einen Ductus 
ejaculatorius vollständig verlegt. 

Nicht uninteressant ist es, dass der Colliculus physiologisch ziem¬ 
lich gleiche Entwicklung hält mit der Prostata, dem Hoden und der 
Samen blase, Hypertrophie der Prostata erzeugt sehr häufig auch eine 
Hypertrophie oder wenigstens eine Hyperplasie des Colliculus. Umge¬ 
kehrt habe ioh bei einer ganzen Reihe von Fällen von Atrophie der 
Prostata bei alten Leuten die Endoscopia posterior gemacht; Sie finden 
in diesem Falle z. B. einen solchen ganz verkümmerten atrophischen 
Colliculus. 

Nun, zur Pathologie übergehend, sehen Sie eine Reihe von polypösen 
Excresoenzen am Colliculus und am Sinus pooularis; ferner zeige ich 
Ihnen einen Utrioulus, der durch eine Spange in zwei Teile geteilt 


ist, so dass der Patient gewissermaassen einen doppelten Sinus pocu¬ 
laris hat. 

Hier die Folgen der Prostatahypertrophie: der Colliculus wird durch 
den hypertrophischen Prostatalappen vollständig auf die entgegengesetzte 
Seite gedrängt. 

Hier zeigt sich wieder sehr schön, worauf ja auch der verstorbene 
Hans Goldschmidt schon aufmerksam machte, wie man die Grösse 
der Prostatalappen, namentlich die Grösse der Prostataseitenlappen im 
urethroskopischen Bilde in grosser Deutlichkeit sich zu Gesicht führen 
kann und genau sieht, auf welcher Seite das Haupthindernis und die 
Hypertrophie liegt. 

Hier ein kleiner Polyp am Sphincter internus. 

Hier die Urethra posterior und der Sphincter internus mit mehreren 
kleinen Polypen. 

Hier ebenfalls kleine polypöse Excrescenzen, auf die ja Herr 
Wossidlo schon genügend hingewiesen bat. 

Hier sehen Sie entzündliche Veränderungen bei einer schweren 
Prostatitis und Spermatocystitis, bei denen der ganze Colliculus in seiner 
ganzen Ausdehnung mit Excrescenzen bedeckt ist. 

Hier etwas Interessantes, das, soviel ich bemerkt habe, heute nooh 
nicht hier zur Darstellung gekommen ist. Sie sehen hier in sehr 
schöner Weise, wie der Colliculus auf die Seite gedrängt ist, nicht in 
der Mitte liegt und wie die Mitte durch eine Reihe von Cystenbildungen 
entzündlicher Natur auf der Basis eines alten Urethralkatarrhs einge- 
genommen ist. 

Endlich als letztes Bild zeige ioh Ihnen hier zwei grosse fibröse 
Polypen, die wie die Flügel eines Schmetterlings den ganzen Colliculus 
umfassen und hier — klinisoh sehr interessant — Veranlassung zum 
Regurgitieren des Speimas gegeben haben. Es war sozusagen eine Re- 
ejaculatio bei dem Patienten vorhanden, welche nach Entfernung der 
beiden Polypen vollständig aufgehört hat, gewissermaassen staute sich 
das Sperma hinter diesen Polypen. 

Hr. A. Freudenberg: Ich möchte nur ganz kurz auf einen Punkt 
eingehen, in dem meine Erfahrungen mit denen des Herrn Kollegen 
Wossidlo nicht übereinstimmen. Herr Wossidlo sagte, dass er von 
den galvanokaustischen Eingriffen abgekommen wäre, weil ihm später 
die Prostatektomie wesentlich Schwierigkeiten gemacht hätte. Das ent¬ 
spricht meinen Erfahrungen nicht. Ich habe in 5 oder 6 Fällen, bei 
denen vorher ein Bottini gemacht worden, die suprapubisohe Prostatek¬ 
tomie ausgeführt, und ich kann nicht sagen, dass ich in irgendeinem 
Falle besondere Schwierigkeiten gehabt hätte. Die Enucleation der 
Prostata ist ja überhaupt verschieden sohwer. In einem Falle gelingt 
sie spielend, im anderen ist sie schwieriger. Wenn ich in einem der 

obenerwähnten Fälle Schwierigkeiten gehabt habe, so hielten sich die¬ 
selben in den Grenzen, wie bei anderen Fällen, in denen nicht eine 
Bottini’sche Operation vorangegangen war. Ich habe immer den Ein¬ 
druck, dass die Enucleation unter anderem schwieriger ist, wenn es sich 
um Patienten handelt, die schon lange Cystitis und entzündliche Ver¬ 
änderungen in der hypertrophischen Prostata hatten. Dass voraus¬ 
gegangene Galvanokaustik aber besonders da die Schwierigkeiten der 
Enucleation gesetzt hätte, kann ioh nicht sagen. Dabei muss man nun 
berücksichtigen, dass der galvanokaustische Eingriff bei der Bottini’schen 
Operation quantitativ sehr viel grösser ist als bei den immerhin kleinen 
Eingriffen, die durch das Endoskop gemacht werden. Ich habe erst heute 
einen solchen Fall operiert, in welchem vor 1 Va Jahren von anderer 
Seite ein Bottini gemacht worden war. Es tut mir leid, dass ich das 
Präparat nicht mitgebracht habe. Ich glaube, Sie würden aus dem 
Präparat selbst den Eindruck gewinnen, dass es ohne besondere 
Schwierigkeiten gelungen ist, insofern als es in einem einzigen Stück 
herausgebracht werden konnte und man dem Präparat absolut nicht 
ansieht, dass da besondere Schwierigkeiten in der Enucleatien vor¬ 
handen gewesen sind. Wenn es die Kollegen interessiert, so stelle ich 
Ihnen das Präparat gern zur Verfügung und bin bereit, es jedem zu 
zeigen. 

Im übrigen möohte ich vielleicht noch auf einen Punkt der Dis¬ 
kussion eingehen. Es ist besonders die Wirkung der galvanokaustischen 
Aetzung bei Impotenz hervorgehoben worden. In dieser Beziehung 
möchte ich sehr dringend zur Kritik in der Beurteilung dieser Erfolge 
raten. Abgesehen von den Fällen von Impotenz, die wirklich centraler 
Ursache oder eine Folge hohen Alters oder etwa von Röntgenstrahlen sind, 
handelt es sich doch fast immer um psychische Impotenz, und da ist 
das Wichtigste, dass man dem Patienten wieder Mut und Selbstvertrauen 
gibt. Das kann man in sehr verschiedener Weise erreichen. Häufig 
genügt die Erklärung: Sie sind potent, und Sie haben bloss Angst 
davor, dass Sie nicht potent sind, und darum geht es nicht. Das wäre 
die einfache Verbalsuggestion. In anderen Fällen kann man auch 
einmal diese durch die Hypnose in ihrer Wirkung steigern, und wieder 
in anderen Fällen dient ein instrumenteller Eingriff, etwa das Durch¬ 
führen von Kühlsonden oder von Beniquöbougies, als Unterstützung der 
Suggestion. Ich glaabe, dass es sich auch bei dem endoskopischen 
Eingriff in mindestens vielen dieser Fälle um eine suggestive Wirkung 
handelt. 


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Original frnm 

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30. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1231 


Gesellschaft der Charitd-Aerzte. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 8. Mai 1913. 

Vorsitzender: Herr Kraus. 

Schriftführer: Herr Lotsch. 

Vor der Tagesordnung. 

Hr. Haenisch: 

Demoastration einer Maidprothese zur Be Werks telligaig des Schreibens. 

M. BL! Was ich zeigen werde, hat eigentlich im Augenblick keine 
besondere Bedeutung; aber die praktische Wichtigkeit scheint mir doch 
nioht gering, loh glaubte, dass die Sache etwas Bekanntes wäre, als 
ich diesen Patienten, der vor einigen Monaten bereits hier in der Ge¬ 
sellschaft vorgestellt worden ist, und der des praktischen Gebrauches 
der Hände vollständig beraubt ist, zu Herrn Prof. Joaohimsthal hin¬ 
überschickte mit der Bitte, ihm eine Prothese anzufertigen, um mit Hilfe 
der Zähne (und des Mundes) schreiben zu können. Herr Prof. Joachims¬ 
thal sagte mir damals aber, dass die Sache für ihn etwas Neues sei, 
er entsänne sich nicht, dass etwas derartiges auf der Poliklinik ange¬ 
fertigt worden sei. Er setzte sich mit dem Zahnarzt Herrn Grünberg 
in Verbindung, und der hat in verhältnismässig kurzer Zeit und nach 
verschiedenen Versuchen diese Prothese angefertigt, die den Patienten 
befähigt, recht gut zu schreiben. Er darf es vielleicht einmal ganz kurz 
vormachen. (Demonstration.) 

Ich wollte es wegen der praktischen Wichtigkeit der Sache zeigen, 
weil es doch für derartige Patienten etwas ausserordentlich Wertvolles 
ist, einerseits psychisch, anderseits doch auch, weil diese Leute den 
Konnex mit der Aussenwelt nooh auf anderm Wege als nur auf dem 
sprachlichen erreichen können. Ich werde das Schreibheft nachher her¬ 
umgeben und auf diese Weise zeigen können, dass verhältnismässig recht 
gute schriftliche Leistungen damit hergestellt werden können. 

Wie gesagt, die Prothese ist von Herrn Zahnarzt Grünberg ange¬ 
fertigt. Auf Einzelheiten möchte ich nicht eingehen. Ich demonstriere 
den Patienten heute und nicht in der Orthopädischen Klinik, weil er 
bald in das Siechenhaus überführt werden soll. 

Tagesordnung. 

1. Hr. Krnns bespricht ein an Katzen und Kaninchen hervorgerufenes 
Lungenödem, dessen Entstehungsbedingungen genau analysiert werden 
konnten. Die Ergebnisse dieser Untersuchung werden (mit den Kurven usw.) 
demnächst in der Zeitschrift für experimentelle Therapie publiziert werden. 

2. Hr. Nikolai: Ueber Herzarythmien. (Der Vortrag erscheint 
demnächst unter den Originalen dieser Wochenschrift.) 

3. Hr. R. Ohm: 

Demonstrationen einer Einrichtung für photographische Registrierung. 

R. Ohm stellt seine photographische Registriereinrichtung vor für 
die gleichzeitige Verzeichnung des Arterienpulses, Veneopulses und Herz¬ 
schalls mit eigenen hochempfindlichen Methoden. Der Vortr. demonstriert 
die Methoden und bespricht, nachdem er auf die wissenschaftliche Be¬ 
gründung eingegaDgen ist, ao der Hand einiger Kurven kurz die dia¬ 
gnostische Bedeutung der Methodik. 

4. Hr. Bnth: Salvarsanhohandlnng bei Febris recurrens. 

M. H.! Einen kurzen Beitrag zur Salvarsantherapie bei Febris re¬ 
currens sollen meine nachfolgenden Ausführungen geben. 

Am 2. II. d. J. kam in unsere Klinik ein dänischer Kollege, der 
bis dahin auf dem Kriegsschauplatz in' Serbien tätig gewesen war. Er 
war am 30. Januar von Valjewo in Serbien in voller Gesundheit abge¬ 
fahren. Auf der Heimreise nach Dänemark erkrankte er plötzlich während 
der Fahrt von Budapest nach hier mit Frostgefühl, Fieber und Kopf¬ 
schmerzen. Schüttelfrost fehlte. Dagegen traten die Kopfschmerzen un- 
gemein heftig auf. Patient hatte, wie er angibt, Visionshalluzinationen 
und erbrach des öfteren. Am 1. II. zog er hier in Berlin einen Arzt 
zurate, der ihn am 2. II. hierher wies. Die Diagnose der hochfieberhaften 
Erkrankung wurde auf bestimmte Bahnen gelenkt durch die Angabe 
des Patienten, dass er in Valjewo viel mit Recurrenspatienten zu tun 
gehabt habe und daher glaube, sich mit den Obermeierischen Spirochäten 
infiziert zu haben. Die Möglichkeit hierzu war gegeben einmal durch 
den Umstand, dass die Kriegsgefangenen, unter denen die Recurrens 
grassierte, von Ungeziefer, und zwar sowohl Wanzen als auch besonders 
Läusen und Flöhen, starrten. Da es an Badegelegenheit fehlte und 
Patient täglich über 100 Stationskranke, abgesehen von den ambula¬ 
torisch behandelten, abzufertigen hatte, so konnte auch er sich von Un¬ 
geziefer nicht freihalten. Sodann aber hatte Patient sich bei der An¬ 
fertigung eines Recurrensblutpräparates am 26. oder 27.1. einen Finger 
verletzt, und hierin glaubte Patient die Infektionsquelle sehen zu sollen. 
Tatsächlich wurden im Blut Spirochäten, die dort unter dem Mikroskop 
als Burripräparate und als Färbepräparate, behandelt nach der Giemsa- 
schen und Pappen heimischen Methode, zu sehen sind, gefunden. Damit 
war die Diagnose der Febris recurrens gegeben. Von sonstigen Er¬ 
scheinungen bestanden Herpes labialis, stark belegte Zunge, grosse, 
leicht empfindliche Milz, schmerzhafte Leber. Es bestand ferner sub- 
ikterische Färbung der Haut und Skleren, leichte Wadenschmerzen, sehr 
starke Prostration. Hämatologisch war normaler Befund. Die häufig 
vorhandene Hyperleukocytose fehlte. Albumen und Urobilin war schwach 
vorhanden; Diazo fehlte wie immer. Therapeutisch hätte man sich einer 
schweren Unterlassung schuldig gemacht, wenn man nach den bisher 
vorliegenden Veröffentlichungen Salvarsan nicht herangezogen hätte. Am 


Mittage des 3. II. bekam Patient deshalb intravenös nach der Vorschrift, 
wie sie den Salvarsanpäckungen beigegeben ist, 0,6 g Salvarsan. Nach 
ca. 2 Stunden Schüttelfrost und Schmerzen in der Herzgegend, Durch¬ 
fälle. Die Temperatur stieg nach der Injektion noch auf 40,3°, um dann 
bis zum folgenden Morgen auf 36,4° herunterzugehen. Patient erbrach 
noch häufig, fühlte sich indessen wesentlich wohler. Spirillen wurden 
bei mehrmaliger genauer Untersuchung nicht mehr gefunden. 

Bei der Beurteilung des kritischen Temperaturabfalles nach der 
Salvarsaninfusion war nun der Typus des serbischen Recurrensfiebers in 
Betracht zu ziehen, und in dieser Beziehung ist zu sagen, dass bei den 
Kriegsgefangenen in Valjewo am 4. bis 5. Tage die Krise eintrat, und 
am 9. bis 10. Tage die Relapse. Es konnte also auch die normale 
typische Entfieberung bei unserem Kranken sehr wohl am 3. II. ein- 
treten. Nun zeigte die Temperatur in den nächsten Tagen eine leichte 
Staffelung nach oben, nach Motschutkowski ein Zeichen, das einen 
Relaps wahrscheinlich macht. Wir entschlossen uns daher, noch eine 
zweite Salvarsaninfusion zu machen. Diese wurde am 8. II. vorgenommen 
mit 0,4 g. Auch hiernach trat nach ca. 1 Stunde kurzer Schüttelfrost 
auf. Die Temperatur stieg nach 2 Stunden auf 39, um dann sofort 
wieder zu sinken und sich seitdem in normalen Grenzen zu bewegen. 
Der Kranke hatte eine ungestörte Rekonvaleszenz — am 15. II. war die 
Milz nicht mehr palpabel — und ist geheilt am 19. II. entlassen. Er 
ist seitdem auch, wie er mir schrieb, gesund geblieben. 

Ich möchte Ihnen im Anschluss hieran die Temperaturkurve unseres 
Falles demonstrieren und einige andere Kurven von Kriegsgefangenen 
in Valjewo, die ich der Güte des hier behandelten Kollegen verdanke. 
Was Sie an letzteren Kurven verfolgen mögen, ist der kritische Absturz 
der Temperatur nach der Salvarsaninjektion. (Demonstration.) 

Diese Kurven zeigen sämtlich die Salvarsanwirkung. In allen Fällen 
erfolgt nach der Salvarsaninjektion ein kritischer Temperaturabsturz, der 
bis zu 4° oder darüber geht. Die Menge des Salvarsans, die injiziert 
wurde, betrug zwischen 0,1 und 0,4. Ich betone, dass die Kurven unter 
schwierigen Kriegsverhältnissen aufgenommen worden sind und auf Voll¬ 
ständigkeit deshalb keinen Anspruch machen können; ausserdem sind 
die Patienten nicht bis zum Schluss beobachtet worden. Auch ist es 
nicht möglich gewesen, über das Schicksal der Behandelten Mitteilung 
zu erhalten, zum Teil deshalb, weil sie inzwischen schon wieder in ihre 
Heimat zurückgekehrt waren, zum Teil auch wegen der strengen Hand¬ 
habung der serbischen Zensur. 

Hier sehen Sie bei einem Patienten nach einer Infusion von 0,4 Sal¬ 
varsan intravenös am dritten Tage sogleich einen kritischen Temperatur¬ 
absturz um über 3*. 

Auch die übrigen Kurven zeigen alle dasselbe Bild: immer kritischer 
Temperaturabsturz von 3 bis 4°. 

Diskussion. 

Hr. Kraus: Ich möchte Herrn Buth fragen, warum die Leute bei 
uns Temperatursteigerungen bekommen haben. Dafür kann nicht das 
Salvarsan und nicht die Krankheit, sondern nur die Herstellung des 
Salvarsans in Betracht kommen. 

Hr. Buth: Was die Herstellung des Salvarsans, die wir gebraucht 
haben, anbelangt, so ist die Infusion, die ich nicht selbst gemacht habe, 
in der Weise erfolgt, wie sie der Salvarsanpackung beigegeben ist. So¬ 
weit ich mich erinnere, ist sie so ausgeführt worden, das wir 0,6 Salvarsan 
im sterilen Cylinder auflösten, dann Natronlauge 21 Tropfen ungefähr 
bis zur vollständigen Klärung der Flüssigkeit zutropften und mit Aqua 
destillata nachlüllten, ungefähr 200 ccm. 

Hr. Kraus: Das muss auf einer Nichtsterilität des Aqua destillata 
beruhen. 

Hr. Döhrer: Wir haben dazu die sterilisierte physiologische Koch¬ 
salzlösung aus unserer Apotheke benutzt. Dabei haben wir die Er¬ 
fahrung gemacht, dass wir nachher immer Schüttelfrost, Fieber und Er¬ 
brechen bekamen. (Hr. Kraus: Das berühmte Kochsalzfieber!) Das 
hat uns veranlasst, diese Lösung aus dem eigenen Laboratorium sterili¬ 
siert wieder zu beziehen. Seitdem haben wir solche Fälle nicht beob¬ 
achtet. (Hr. Kraus: Das möchte ich nur festgestellt wissen!) 

Hr. Buth: Ich möchte hierzu bemerken, dass Schütfelfröste auch 
bei den in Russland gemachten subcutanen, intramuskulären und intra¬ 
venösen Injektionen bei der Recurrens beobachtet worden sind. (Herr 
Kraus: Na ja, aus demselben Grunde!) (Heiterkeit.) M. H.! Die 
Arsenotherapie der Recurrens ist jüngeren Datums. Insbesondere haben 
sich russische Forscher um sie verdient gemacht. Natürlicherweise; denn 
die Febris recurrens ist zurzeit immer noch im westlichen Russland 
heimisch, z. B. in Petersburg und Moskau, während sie in den germani¬ 
schen und romanischen Ländern fehlt. In Berlin ist eine Recurrens- 
epidemie zum ersten Male im Jahre 1868 gewesen und dauerte mit 
Unterbrechungen bis 1873. Auch 1879/80 war eine kleinere Epidemie. 
Seitdem ist Recurrens hier nicht mehr beobachtet. 

Von Arsenpräparaten wurde durch Glaubermann in Moskau das 
Atoxyl in 20proz. Lösung angewandt im Jahre 1907. Im folgenden 
Jahre benutzten es Gzerkassow in Kasan und Jarussow im Jausa- 
hospital in Moskau. Das Atoxyl bewirkte eine Verkürzung des Anfalls 
selbst, die Apyrexien zwischen den Relapsen wurden länger, und die 
Zahl der Patienten mit nur einem Relaps wurde grösser. Todesfälle 
kamen bei Atoxyl seltener vor, z. B. bei 75 durch Jarussow mit Atoxyl 
Behandelten kein Todesfall, bei 77 vergleichsweise in derselben Epidemie 
Niehtbeh&ndelten 7,5 pCt. letale Ausgänge. 1909 benutzte Iversen in 


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UNIVERSUM OF IOWA 



1232 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26 . 


Petersburg ebenfalls das Atoxyl und ferner das Arsazetin. Mit der An¬ 
wendung des letzteren Mittels sei „ein tüchtiger Schritt vorwärts“ ge¬ 
schehen. Unser Mittel, das Salvarsan, ist 1910 zuerst gebraucht worden. 
Als 1910 in Petersburg eine Recurrensepidemie herrschte, wandte sich 
Ehrlich an Iversen und schlug ihm vor, sein Diamidoarsenobenzol, 
dessen spirillocide Wirkung bei der Spirochaeta Duttoni im Tierexperiment 
von Yakimoff im Institut Pasteur soeben studiert worden war, auch 
beim Menschen anzuwenden. Iversen hat sich ein Verdienst erworben, 
indem er den theoretischen Anschauungen Ehr lieh’s über sein Präparat 
am Kranken praktisch die notwendige Stütze gab. Er injizierte zuerst, 
da das Mittel am Menschen noch nicht ausprobiert war, 0,05 bis 0,1 
ohne sicheren Heilerfolg. Sodann ging er zu Dosen von 0,3 bis 0,4 über, 
und hier war der Erfolg selbst bei der subcutanen und intramuskulären 
Applikation glänzend. Zwar trat Schüttelfrost auf, der auch bei drei 
von vier intravenös Behandelten nicht fehlte. Aber die Temperatur sank 
in 7 bis 17 Stunden zur Norm, und die Spirochäten verschwanden in 4 
bis 10 Stunden aus dem Blut, um nicht wiederzukehren. Die Zahl der 
durch einmalige Injektion Geheilten betrug 92 pCt. Was die Dosis an¬ 
belangt, so scheint es, als ob Mengen von 0,2 bis 0,3 zur Erzielung 
eines Heilerfolges bei intravenöser Einverleibung ausreichend sind. Ei- 
weiss im Urin, das nach Arsazetingebrauch eintrat, fehlte bei Salvarsan. 
Seitdem ist die spezifische Wirkung des Salvarsans bei Recurrens durch 
Svensson in Kiew und verschiedene andere bestätigt worden. 

M. H.! Nach den bisher vorliegenden Beobachtungen kann es keinem 
Zweifel unterliegen, dass wir in dem Salvarsan ein Mittel besitzen, das, 
wie Chinin bei Malaria, spezifisch bei Recurrens wirkt und den Anfall 
kupiert, und dass wir in ihm das Sterilisans magnum bei Recurrens 
haben, das Ehrlich vorschwebte, als er es unserem Arzneischatz ein¬ 
verleibte. 


Berliner otologische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 18. April 1913. 

Vorsitzender: Herr Passow. 

Schriftführer: Herr Beyer. 

Vor der Tagesordnung. 

Der Vertrag mit der Laryngologischen Gesellschaft wird einstimmig 
genehmigt. Für die Bibliothek werden 500 M. bewilligt. Diejenigen 
Mitglieder, die sich an der Ausstellung für Ohrenkrankheiten (Anatomie, 
Pathologie und Chirurgie des Labyrinths, Röntgenbilder von Hypophysis¬ 
tumoren usw.) im Generalmuseum zu London während des internationalen 
Kongresses beteiligen wollen, werden aufgefordert, ihre Beteiligung bei 
der Gesellschaft anzumelden, damit eine gemeinsame Verschickung der 
Präparate erfolgen kann. 

Hr. Halle (Demonstration): Ich möchte Ihnen zunächst einen un¬ 
gewöhnlich grossen Hirnabscess vorstellen, der am linken Schläfen¬ 
lappen sitzt und eine Grösse von 10 cm Länge, 8 cm Breite und 6 cm 
Tiefe hat. Der Fall ist vielleicht einigermaassen bemerkenswert, weil 
er bis in die letzten 8 Tage ante exitum ohne jede Erscheinungen ausser 
einer amnestischen Aphasie verlaufen ist. Ich habe ihn 4 Wochen ante 
exitum zum ersten Male gesehen und sofort operiert. Er hatte links 
chronische Eiterung, Polypenbildung aus dem Attik, machte einen sehr 
kranken Eindruck ohne irgendwelche Temperaturerscheinungen, Druck¬ 
oder sonstigen Symptome. Augenhintergrund normal. Der Abscess 
wurde alsbald freigelegt und drainiert. 

Naoh 4 Wochen besten Wohlbefindens traten plötzlich schwere 
Symptome auf, und der Patient ging zugrunde. Es erscheint doch recht 
bemerkenswert, dass ein Patient, der so hochgradige Veränderungen im 
Gehirn hatte, keinerlei motorische, sensible oder psychische Störungen 
zeigte, mit Ausnahme der amnestischen Aphasie. Der Umstand, dass 
diese nicht nach der Abscesseröffnung zurückging, deutete allein auf 
eine ungünstige Prognose, denn Patient bewegte sich anscheinend völlig 
gesund im Zimmer und nahm an allem Anteil. 

Die zweite Demonstration bin ich Ihnen schuldig. Ich hatte vor 
einiger Zeit eine Patientin vorgestellt, die dreimal an der Stirnhöhle 
operiert worden war. Nach dem Befunde nahm ich an, dass eine wesent¬ 
liche Erkrankung der Stirnhöhle nicht vorhanden gewesen war. Die 
Kopfschmerzen, über die Patientin stark geklagt hatte, blieben nach 
jeder Operation auf 2—3 Wochen fort, um dann in alter Stärke wieder 
aufzutreten. Damals glaubte ich behaupten zu müssen, dass wahrschein¬ 
lich keine Stirnböhlenerkrankung, sondern schwere linksseitige Myalgien 
die Symptome hervorgerufen hätten. Ich wurde von der Versammlung 
aufgefordert, die Patientin nach der Heilung wieder vorzustellen, was 
ich heute tue. Patientin hatte während der Behandlung noch ein 
Recidiv bekommen. Das ist bei Myalgien nichts Seltenes. Myalgien 
recidivieren leicht, besonders wenn schwere Erscheinungen in der Nase 
oder in den Tonsillen vorhanden sind oder rheumatische oder gichtische 
Erkrankung vorliegt. Jetzt hat Patientin seit Monaten ihre Myalgien 
verloren und der Stirnkopfschmerz ist seitdem völlig verschwunden. 

Ich habe zur Illustration zwei andere Patientinnen mitgebracht. 
Ein Fall ist von anderer Seite operiert worden. Es befinden sich schwere 
Empyeme auf der linken Seite, in der Keilbeinhöhle, Stirnbeinhöhle und 
Kieferhöhle, die operiert sind. Die Patientin ist seit 3 Jahren in Be¬ 
handlung. Sie gibt an, heute noch dieselben Kopfschmerzen zu haben 
wie vorher. Die Stirnhöhle ist dreimal operiert worden. Jedesmal 


waren die Kopfschmerzen auf 14 Tage bis 3 Wochen fort und 
sind dann wiedergekommen. 

Ich habe damals darauf hingewiesen, dies könne etwa so erklärt 
werden, dass durch den Schnitt und die Abhebung des Periosts die 
Spannung von den Nackenmuskeln (Cucullaris usw.) über die Galea 
nach dem Musculus frontalis aufgehoben wird. Dann hört der Kopf¬ 
schmerz so lange auf, bis die Heilung der Wunde erfolgt ist, also etwa 
auf 2—3 Wochen. Dies hat sich hier in typischer Weise dreimal 
wiederholt. 

Also trotz hier korrekter Operation und Freilegung der Höhlen be¬ 
steht der starke Kopfschmerz fort, als dessen Ursache die gleichzeitig 
bestehenden Myalgien meines Erachtens anzusehen sind. 

Einen dritten Fall habe ich selbst wegen beiderseitiger Kieferböhlen- 
eiterung operiert. Die Empyeme sind geheilt, die Kopfschmerzen be¬ 
stehen nach wie vor, worauf ich vorher aufmerksam gemacht hatte, da 
starke Myalgien vorhanden sind. 

Ich glaube daher, von neuem auf diese Fälle binweisen zu sollen, 
die unsere ernste Aufmerksamkeit verdienen, da sonst Missdeutungen 
und Missgriffe unvermeidlich sind. 

Diskussion. 

Hr. Schoetz: Ich kann Herrn Halle gegenüber nur sagen, dass 
er uns mit seiner letzten Demonstration meines Erachtens nichts Neues 
gebracht hat. Seit längerer Zeit, besonders durch die Veröffentlichungen 
von Cornelius, ist allgemein bekannt, dass ein Teil der Kopf¬ 
schmerzen, die sonst wohl auf Nebenhöhlenerkrankungen bezogen wurden, 
mit diesen gar nichts zu tun hat und von manchmal ganz entfernten 
Punkten her durch eine eigenartige Massage geheilt werden kann. Ob 
man dabei nun mit Cornelius von „Nervenpunkten“ oder lieber mit 
Halle von „Myalgien“ sprechen will, ist für die Praxis ziemlich gleich¬ 
gültig. Wenn aber im vorliegenden Falle die Massage versagt haben 
soll, so liegt die Annahme nahe, dass sie vielleicht nicht ganz richtig 
ausgeführt wurde. 

Hr. Sonntag: Eine der vorgestellten Patientinnen behandeln 
wir seit mehreren Jahren mit Unterbrechungen. In dieser Zeit ist sie 
an der linken Stirnhöhle zweimal operiert worden, der Befund zeigte, 
dass die Indikation richtig war. Auch jetzt hat sie noch Nebenhöhlen¬ 
eiterungen, nur glaube ich, dass eher auf diese ihre Beschwerden 
zurückzuführen sind als auf Myalgien. Bei der bestehenden Hysterie der 
Patientin ist eine Entscheidung schwer zu treffen. 

Dass diese Myalgien oder Nervendruokpunkte lange bekannt sind, 
habe ich schon verschiedentlich betont. Rosenbach hat sie wohl als 
erster beschrieben. Man hat sie aber wenig beachtet Sie sind aber 
auch für uns von grosser Bedeutung, da kein Zweifel bestehen kann, 
dass zuweilen sehr schwere Erscheinungen dadurch ausgelöst werden, 
die genau den Eindruck einer ernsten Stirnhöhlen- oder Ohrenerkrankung 
usw. machen. Ich bezweifle nicht, dass Cornelius viele ähnliche Fälle 
mit Massage geheilt hat. Ich lege mich auf kein Verfahren der Therapie 
fest. Die Massage wird in vielen Fällen ausgezeichnete Erfolge erzielen. 
Andere Kollegen sind aber nicht damit ausgekommen. 

Hr. Wethlo (a. G.): 

Die Technik akustischer Versuche mit Polsterpfeifen. 

M. H.! In den „Beiträgen“ (von Passow - Schäfer) habe ich 
bereits über Polsterpfeifen geschrieben. Es kann aber diese akustische 
Arbeit, bei der es sich um ein neues Instrument handelt, nur un¬ 
vollkommen unterrichten, wenn der klangliche Effekt nicht auch demon¬ 
striert wird. Auch die Apparatur lässt sich naturgemäss deutlicher 
durch eine Demonstration als durch meine kurz gegebene Beschreibung 
veranschaulichen. Ich zeige hier den Metallrahmen mit den beiden 
Rohrenden, den dachförmig herausgeschnittenen Ecken und deren Gummi¬ 
überzüge, welche durch einen Druckball oder eine Pumpe polsterartig 
aufgebläht werden können. Diese durchschnittenen Paraffinausgüsse 
zeigen, wie in der Form überraschend ähnlich die aufgeblasenen Polster 
den kontrahierten Stimmlippen des lebenden Kehlkopfes sind. Da bei 
meinen Versuchen zum Anblasen des Instruments oft starke Winddrucke 
angewandt werden mussten, so benutzte ich diesen sehr widerstands¬ 
fähigen Pressbalg, welcher aus einem Stück Leder gewalkt ist. Erst 
bei der starken Belastung mit einem Zentner gibt er einen Druck gleich 
der Höchstleistung der Lunge. 

Ich pumpe jetzt die Polster bis zu einem Druck von SO mm Queck¬ 
silber auf und bringe durch Anblasen den Ton zu Gehör, welcher bei 
Anwendung entsprechender Ansatzrohre im Klang der menschlichen 
Stimme ähnlich gemacht werden könnte. Ich zeige weiter, wie bei 
ständig verstärktem Anblasen der Ton sich zunächst verstärkt und 
endlich verstummt. Blase ich bei gleichbleibender Belastung des Balgs 
jetzt die Polster stärker auf, bis zu 40 mm Quecksilber, so lässt sich 
eine Tonerhöhung erkennen. Bei dem nächsten Versuch lasse ich den 
Polsterdruck unverändert, verstärke jetzt aber einige Male den Wind¬ 
druck, indem ich auf den mit Gewichten belasteten Balg noch wieder¬ 
holt drücke. Die Tonvertiefung, welche dann deutlich erkennbar wird 
und in ähnlicher Weise auch bei anderen Instrumenten mit schwingenden 
Zungen stattfindet, kann vielleicht ebenfalls für den lebenden Kehlkopf 
vermutet werden. Auf eine Demonstration der ausgedehnten Versuche 
mit cylindrischen Ansatzrohren, welch letztere ich hier im Original 
zeige, muss leider verzichtet werden. 

Diskussion. 

Hr. Katzenstein: Die Arbeit des Herrn Wethlo enthält sehr viel 
Bemerkenswertes, vor allen Dingen ist die Luftzufuhr und die Ver- 


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UNIVERSUM OF IOWA 





80. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1283 


änderlichkeit der künstlichen Stimmlippe so, dass sie etwa den Ver¬ 
hältnissen beim Menschen entsprechen. Bei Fortsetzung der Versuche 
wäre es vielleicht empfehlenswert, die Apparatur noch so zu vervoll¬ 
ständigen, dass der Ventrikel und die falschen Stimmlippen in irgend¬ 
einer Weise hinzugefügt würden. Dadurch würden noch weitere Auf¬ 
klärungen gegeben werden können. 

Eine Aufklärung möchte ich gern haben. Herr Wethlo hat nach¬ 
gewiesen, dass bei Erhöhung des Anblasedrucks, wenn ich ihn recht 
verstanden habe, die Tonhöhe sinkt. (Zustimmung des Herrn Wethlo.; 
Das widerspricht den Versuchen von Liskovius und von Johannes 
Müller. Johannes Müller hat bei Erhöhung des Luftdrucks, bei 
Gleichbleiben des Seitendrucks an den ausgeschnittenen Kehlköpfen 
stets eine Erhöhung bis um eine Quinte gefunden. 

Ferner scheint Herr Wethlo die Versuche nicht zu kennen, die 
R. du Bois-Reymond und ich angestellt haben. Wir haben am 
lebenden Tier die Trachea durcbgeschnitten, die Kehlkopfnerven frei¬ 
gelegt, elektrisch gereizt und durch diese elektrische Reizung und durch 
die Zufuhr des Anblasedrucks von der durchgeschnittenen Trachea aus 
die Lautgebung der des Menschen richtig Dachgeahmt. 

Bei diesen Versuchen ergab sieb, dass jedesmal bei gleichbleibendem 
Seitendruck, d. h. in diesem Falle bei gleichbleibender elektrischer 
Reizung der Nerven bei Erhöhung des Luftdrucks der Ton auch bis um 
eine Quinte stieg. Zwischen den Versuchen von Liskovius, Johannes 
Müller, R. du Bois-Reymond-Katzenstein einerseits und denen 
von Herrn Wethlo andererseits besteht demnach eine noch auf¬ 
zuklärende Inkongruenz. 

Hr. Wethlo: Die abweichenden Versuchsergebnisse lassen sich viel¬ 
leicht in folgender Weise erklären: Johannes Müller und Liskovius 
benutzten zu ihren Versuchen membranöse Pfeifen. Es handelte sioh 
bei der Darstellung der Stimmlippen durch Leichenteile oder auch durch 
Gummi immer um flache, schmale Bänder. Nun würde bei diesen Tier¬ 
versuchen jedesmal festzustellen sein, ob wirklich bei der elektrischen 
Reizung auch eine Formung der Stimmlippen eintritt, welche derjenigen 
bei der menschlichen Bruststimme entspricht. Es ist möglicherweise so, 
dass bei der Fisteltönung auch der menschlichen Stimme, wobei die 
Stimmlippen sich zuschärfen, Tonerhöhung durch eine Verstärkung des 
Luftdrucks bedingt ist, während, wenn es sich um Polsterpfeifen handelt, 
um Polster, die gegeneinanderpressen, dann doch die erwähnte Ton¬ 
vertiefung bei dem menschlichen Organ anzunehmen ist. Es müsste 
also bei den Tierversuchen wirklich festgelegen haben, dass es sich um 
Verhältnisse gehandelt hat, welche wirklich denen einer Polsterpfeife 
entsprechen, um eine runde, wulstige Formung der Stimmlippen. 

Hr. Katzenstein: Das möchte ioh ganz kurz bejahen. Wir haben 
bei unseren Versuchen Bruststimme und Fistelstimme erzeugt; Brust¬ 
stimme dadurch, dass wir die vier Kehlkopfnerven reizten und dabei 
die runde Formung der Stimmlippe erhielten; Fistelstimme dadurch, 
dass wir den Nervus laryng. sup. reizten und dabei die gespannte Form 
der Stimmlippe erhielten. 

Hr. Wethlo: Die Verschiedenheit beider Untersuchungsresultate 
kann nur dazu anregen, diese Versuche energisch fortzusetzen, denn wir 
sind momentan nicht in der Lage, zu sagen, welche besonderen Ver¬ 
hältnisse diese Verschiedenheit bewirkt haben, und ob das eine oder 
das andere für das menschliche Stimmorgan als in Wahrheit zutreffend 
anzusehen ist. 

Hr. Woiff: Zur Pathologie der Otosklerose. 

Der Vortr. demonstriert Diapositive von mikroskopischen Präparaten, 
betreffend 6 Schläfenbeine von 3 Patienten. Die Präparate lassen an 
den pathologischen Veränderungen im Knochen drei Stadien erkennen. 
Die jüngsten Herde schreiten durch lacunäre Resorption in die Um¬ 
gebung fort, der neugebildete Knochen wird stark umgebildet. Aeltere 
Herde lassen noch eine starke Umbildung des neugebildeten Knochens, 
dagegen kein Fortschreiten in die Umgebung mehr erkennen. In den 
ältesten Herden ist weder ein Fortschreiten in die Umgebung noch eine 
Umbildung im neugebildeten Knochen zu erkennen. Der Vortr. ist der 
Ansicht, dass nur dort von einem Fortschreiten der Knoohenerkraukung 
gesprochen werden kann, wo zwischen altem und neuem Knochen 
Gewebe oder Zellen liegen, dass dagegen der Prozess nicht mehr pro¬ 
gredient ist, sobald Knochen an Knochen oder osteoide Substanz dem 
alten Knochen anliegt. Eine andere Art der Knochenauflösung als die 
lacunäre Resorption ist weder am alten noch am neugebildeten Knochen 
nachzuweisen. 


Berliner Gesellschaft für Chirurgie. 

Sitzung vom 28. Juni 1913. 

Vorsitzender: Herr Sonnenburg. 

Schriftführer: Herr Hildebrand. 

1. Diskussion über den Vortrag des Herrn W. Körte: Coloncareinome. 
Hr. Riese schliesst sich im allgemeinen den Ausführungen des 
Herrn Körte an. Auch er warnt davor, bei Ileus primär zu resezieren. 
In einem Falle, wo er es doch wagte, entwickelte sich aus dem schon 
bestehenden Exsudat eine tödliche Peritonitis. Mit Recht weist Körte 
auf den Nachteil hin, dass der Kot an die Resektionsstelle kommt. 
Vortr. verlor einen Patienten dadurch, dass eine Perforation der 
Caroinomstelle nach Colostomie eintrat. 


Vortr. hat in den Jahren 1906—1913 50 Coloncareinome operiert. 
Zu ihnen rechnet er die, die bis zum Promontorium reichen. Bei 
Carcinom des Coeoum und Colon ascendens ist am besten dieser ganze 
Darmabschnitt auszuschalten und lleum mit Colon transversum zu ver¬ 
einigen. Vortr. vereinigt End-zu-Seit oder Seit-zu-Seit. Dabei ist der 
Stumpf das Gefährliche, weil er schwierig zu schliessen ist. Bei Flexur- 
carcinomen ist bei kurzem Mesenterium und fetten Patienten die circu- 
läre Naht unmöglich oder nicht sicher. Dann ist also kombiniert zu 
operieren, die Flexur nach unten durchzuzieben und zu vernähen. 

Die Erfolge des Vortr. sind bei lange dauerndem Ileus schlechter, 
bei 15 Fällen 14 Todesfälle, bei kompliziertem Ileus 5 Todesfälle bei 
5 operierten. Bei Ileus und mehrzeitiger Operation *4 Todesfälle bei 
12 operierten, bei 18 einzeitig operierten 6 Todesfälle. Von den ein¬ 
zeitig operierten (ohne Ileus) verlor er 2, 1 an Perforation, 1 an 
Thrombose. 

Die cirouläre Naht hat nur in 2 Fällen nicht gehalten. 

Seine Dauererfolge sind nicht so gut wie bei Herrn Körte. Die 
Zeit der Beobachtung ist noch zu kurz. Vortr. kann bei 40pCt. von 
langdauernder Heilung reden, 9 Fälle starben nach 16—21 Monaten. 

Hr. Rotter berichtet über seine von 1893 bis 1912 behandelten 
Coloncareinome. Er ist der gleichen Meinung wie Herr Körte und 
Herr Riese: man solle bei Ileus nur die Kotfistel anlegen, die Radikal¬ 
operation auf später verschieben. Bei den Radikaloperationen im 
rechten Colonabschnitt ist die Ileo-Transversostomie die gegebene 
Methode. Das Colon ascendens ist meist so geschrumpft, dass man nicht 
weit genug vom Carcinom entfernt resezieren kann. 

Der Endverschluss bietet eine gewisse Gefahr. Früher operierte 
Vortr. so, dass er den Darm ab schnürte. Dadurch blieb ein nekro¬ 
tischer Stumpf im peritonealen Sack zurück, der oftmals Eiterung im 
Gefolge hatte. Jetzt ist die Technik der Endversorgung die, dass der 
Darm mit Kocher’scher Quetsche abgequetscht wird und nach Abnahme 
der Quetsche und Anlegung einer Klemme der Darm mit fortlaufender 
Naht verschlossen und die Naht versenkt wird. So bleibt also kein 
nekrotischer Stumpf mehr zurück. 

Im linken Colonabschnitt (Transversum bis Sromanum) wird 
die circulare Naht verwandt, ferner die Mikulicz’sche Methode. 
Bei letzterer hat Vortr. 3 Fälle an Peritonitis verloren. Die Nachteile 
der Operation sind ausserdem der lange Heilungsverlauf (bis zu 
2 l /a Monaten), die sekundäre Stenose (4 Fälle nach Vi his 1 Jahr mit 
Ileuserscheinungen). Deshalb wird öfter wieder die circuläre Naht ver¬ 
wandt. Reichel schliesst sie aus bei sehr schwächlichen Patienten, 
ferner bei starker Füllung des zuführenden Abschnittes. Vortr. hält die 
circuläre Naht für gut bei fettarmem Darm. Dann ist keine Rand¬ 
gangrän zu befürchten. 

Reichel näht nicht die Mucosa mit; kein Zipfelchen der Mucosa 
dürfe zwischen die Nähte fallen. 

Vortr. ist gleichfalls der Meinung, dass bei starker Kotfüllung man 
auf die circuläre Naht verzichten solle. 

Die Seit-zu-Seit-Anastomose scheint gute Resultate zu geben, 
ebenso die Ileosigmoidostomie. 

Die Körte’sche Statistik scheint Vortr. darum nicht einwandsfrei, 
weil Körte unter die Radikaloperationen auch die Fälle mit Ileus ge¬ 
zählt habe. Das darf jedoch nicht geschehen, wenn wir uns ein Bild 
davon machen wollen, was die Radikaloperation an sich zu leisten 
vermag. 

Vortr. gibt in zwei Tabellen eine Uebersicht über seine gesamten 
Fälle von Coloncarcinomen und über die Radikaloperationen aus den 
Zeitabschnitten 1893—1907 und 1908—1912. 

Es wurden im ganzen 163 Fälle operiert, nicht radikal 84, radikal 79. 
Im Ileus aufgenommen wurden 73. Bei den Radikaloperierten sind die 
Resultate: Ileotransversostomie: 17 Fälle mit 17 pCt. Mortalität (seit 1908 
0 pCt.); Circulärnaht: 21 Fälle mit 29 pCt. Mortalität (seit 1908 18pCt); 
Mikulicz’sche Methode: 27 Fälle mit 14 pCt. Mortalität; Seit-zu-Seit- 
Colo-Colostomie: 8 Fälle mit 9 pCt Mortalität; Ileosigmoidostomie: 
2 Fälle mit 0 pCt. Mortalität; in Summa 79 Fälle von Radikaloperierten 
mit 17,7 pCt. Mortalität. 

Hr. Holländer weist auf die bei Coloncarcinom diagnostisch 
wichtigen Pigmentverschiebungen hin, die (mehr noch als petechiale 
Veränderungen u. a.) auf einen malignen Tumor hinweisen. Vortr. stellt 
einen jungen Mann vor, bei dem sich lange Zeit nichts Malignes nach- 
weisen Hess; erst die Pigmentverschiebungen machten Vortr. aufmerksam, 
bis sich endlich durch Rectoskopie im oberen Teil der Flexur ein Tumor 
nachweisen liess. Er wurde vor IV 2 Jahren von oben operiert. (Auch 
bei Mammacarcinom sah er, bei einer Blondinen, starke Pigmentverände¬ 
rungen, die nach der Operation verschwanden.) Der Patient zeigt heute 
eine sehr grosse linksseitige Hernie, die durch die präperitoneale Vor¬ 
lagerung entstanden ist. Die End-zu-End-Anastomose, die angewandt 
wurde, hat den Vorzug, dass nur eine Naht gemacht wird und die 
Spannung gering ist. 

Hr. Bier legt seit langer Zeit Dickdarmnähte nur einreihig an, 
ohne die Schleimhaut zu nähen. Blutende Gefässe werden nach Ab¬ 
nahme der Klammem gefasst und unterbunden. Die einfache Lembert- 
naht ist darum nicht zu unterschätzen, nur bei Gefahr der Blutung ist 
mehrreihig zu nähen. 

Hr. Zeller betont, dass die Resultate der Coloncarcinomoperationen 
doch nicht ungünstige zu nennen sind. So kann er über einen Fall 
berichten, wo vor 23 Jahren Gussenbauer in Prag wegen Rectum- 


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1234 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26. 


carcinoms resezierte. Denselben Patienten operierte Vortr. vor 11 Jahren 
wegen Ileus und fand ein Flexurcarcinom, das er, mit gutem Erfolge, 
dreizeitig operierte. Der Patient war also von seinem ursprünglichen 
Reotumcaroinom geheilt, ebenso wie er jetzt von dem Flexurcarcinom 
geheilt ist. 

Bei alten Leuten zeigt übrigens meist das Carcinom, das nicht 
radikal operiert wurde, keine oder geringe Neigung zum Weiterschreiten. 

Hr. Körte (Schlusswort): Er betont die allgemeine Uebereinstimmung 
in dem Satze, dass im Ileus nicht radikal zu operieren ist. Vortr. will 
in Zukunft auch, wie Bier u. a., die einreihige Naht (ohne Schleimhaut¬ 
naht) versuchen. Herrn Rotter erwidert er, dass er allerdings die 
Ileusfälle unter die Radikaloperationen gerechnet habe; jedoch in seiner 
demnächst erscheinenden Arbeit ist dieser Fehler vermieden. 

2. Hr. Jacqnin: 

lieber Blutstillung bei Leberwnnden durch gestielte und freie Netz¬ 
lappen. 

Die gewöhnlichen Methoden der Blutstillung bei Leberwunden sind 
die Ligatur, Naht oder Tamponade. Die Blutstillung ist oft mit erheb¬ 
lichen Schwierigkeiten verknüpft: Die Nabt gelingt oft nicht wegen 
morschen Gewebes, wegen ungünstiger Stelle der Blutung, endlich er¬ 
laubt oft der elende Zustand des Patienten keine Zeitversäumnis. Hier 
ist dann die Tamponade vorzuziehen, die gute Blutstillung erzielt, aber 
den Nachteil hat, dass die Bauchwunde offen bleibt und eine lange 
Narbe entsteht. Auoh ist die Gefahr der Sekundärinfektion vorhanden. 

Vortr. hat nun auf Veranlassung seines Chefs, Geheimrat Körte’s, 
die Frage experimentell untersucht, hat Teile der Leber reseziert, */*o 
bis l fi. Zu beachten ist, dass die Leber bei Hunden an sich sehr brüchig 
ist. Er ging so vor: 

Die linke Leberhälfte wurde freigelegt, ein Lappen vorgezogen, unter 
manueller Kompression ein Teil des Lappens reseziert und ein resezierter 
Netzlappen mit Nähten darüber gelagert. Auch bei Resektionen bis zu 
V* ist keine Verblutung eingetreten, kein Todesfall ausser einem (Peri¬ 
tonitis). Die Sektion der mit Chloroform später getöteten Tiere ergab: 
Kein Blut in der Bauchhöhle; der Netzlappen war glatt angeheilt (De¬ 
monstration von Präparaten). 

Die Kontrolliere, bei denen kein Netz übernäht war, starben zur 
Hälfte; es zeigten sich profuse Blutungen in der Bauchhöhle. 

Die Wirkung der Netzübernähung auf die Blutstillung ist mechanisch, 
vielleicht auch chemisch zu erklären. 

Hr. Geheimrat Körte hat versucht, nach Cholecystektomie die 
blutende Leberwunde mit Netz zu überuähen. Es ist ihm gelungen, so 
dass die Tamponade unnötig wurde. 

Im Experiment sind freie Netzlappen übernäht worden, weil die 
Vemähung eine allseitige und exakte sein sollte. Bei Operationen 
am Menschen wären jedoch gestielte Lappen zu empfehlen. 

Ebenso ist zweimal bei Hunden versucht, Milzwunden mit Netz 
zu übernähen, mit gutem Erfolg. 

Statt Netz sind Fascie und Muskelstreifen als Material zur 
Blutstillung verwandt worden. Netz ist jedoch einfacher, zweckmässiger. 
Es lässt sich schneller gewinnen und besser fixieren. 

3. Hr. Rotter: 

Radikaloperation eines primären Lungencarcinoms. 

Vortr. hat aus der Literatur Pneumotomien grosser und kleiner 
Lungenteile zusammengestellt Es wurden 1. kleine Teile der Lunge 
reseziert bei: a) Aktinomykose (Karewski): 2 Fälle (0 Mortalität), 
b) Bronchusfisteln: 5 (0 Mortalität) (Krause, Garre, Perthes). 
Exstirpation und Uebernähung mit Lungengewebe, c) Brustwandtumoren 
4 (0 Mortalität). 

2. Grössere Teile, Lappen, bei: a) Tuberkulose (Müller): 2 
(0 Mortalität), guter Erfolg, Tod später au Meningitis, b) Traumatischer 
Ruptur: 1 (0 Mortalität) (Sauerbruch). c) Bronchektasien: 6 
(5 Todesfälle) (Garre, Heidenhain, Lenhartz, Körte, Gluck). 

Vortr. hat folgenden Fall operiert: 

Ein 51 jähriger Mann, der seit einem Jahre über Intercostalneuralgie 
der 3.—5. rechten Rippe klagte, wird 1912 von Sauer in Wittenberge 
behandelt, der eine Vorwölbung der 7.—9. Rippe vorfand, keinen Eiter, 
aber Carcinom nachwies. Danach kam der Patient zum Vortragenden. 

Das Röntgenbild ergab einen Schatten zwischen Thorax und Leber, 
der Hilus war frei. 

Operation am 13. IX. 1912 mit Morphium, Scopolamin, Ueberdruck. 

In der Gegend der 7.—9. Rippe war der Tumor durchgebroohen, 
mit der Haut verwachsen. Nach Resektion mehrerer Rippen und Er¬ 
öffnung ergab sich, dass der obere Teil der Lunge frei war. Der Tumor 
war mit Thorax und Zwerchfell verwachsen. Ein grosser Lungenabschnitt 
(unterer und mittlerer Lappen) wurde nach Abstellung des Ueber- 
druckes (also bei collabierter Lunge) querüber abgetragen, der zu¬ 
führende Bronchus unterbunden und übernäht. Die Ablösung vom 
Zwerchfell war wegen der flächenhaften Verwachsung äusserst schwierig; 
es musste dicht am Herzbeutel abgeschnitten werden, so dass hinten nur 
zwei Querfinger vom Zwerchfell erhalten blieben. 

So entstand eine Riesenhöhle, wie sie Vortr. bei ähnlichen Ope¬ 
rationen noch nicht gesehen hat. Um den Defekt zu überdecken, wurden 
die 5., 4., und 3. Rippe teilweise reseziert, die Haut zusammengezogen 
und nun von oben eingestülpt und an die untere Lunge genäht, so dass 
der obere Brustraum völlig abgeschlossen war. Es blieben un¬ 
bedeckt Herzbeutel, Mediastinum. 


Merkwürdigerweise erholte sich der Patient, fühlte sich zunächst 
ganz wohl; jedooh nach 14 Tagen stellte sich Atemnot ein, die bis zum 
Tode (nach */ 4 Jahr) zunahm. 

Die Lunge hatte sich wieder gut ausgedehnt (Röntgenbild), so dass 
der leere Raum gut ausgefüllt war. 6 Wochen nach der ersten Operation 
wurde das Mediastinum mit Hautlappen zugedeckt. Die Atemnot ist 
vor allem durch den Defekt des Zwerchfells zu erklären. Der Tod er¬ 
folgte durch Bronchitis, Bronchopneumonie. 

Das Carcinom war von einer kleinen Höhle im rechten Unterlappeu 
ausgegangen. In der Pleura fanden sich bei der Sektion zwei hanfkorn¬ 
grosse rundliche Herde, die sich als Metastasen erwiesen. 

Vortr. hat die Resektionen bei Neubildungen zusammengestellt. Bei 
verwachsener Pleura ist 6mal reseziert (0 Todesfälle), bei freier Pleura 
4mal (3 Todesfälle). Sauerbruch operierte wegen Carcinom des linken 
Unterlappens, Kümmell quetschte die ganze Lunge am Hilus ab (Ne¬ 
krose, Tod durch Sepsis), Helferich resezierte Mittel- und Unterlappen. 

Diskussion. 

Hr. Borchardt hat in der Bergmännischen Klinik 1904 ein kleines 
Mädchen wegen Tumors der Pleura und der Rippen (2. bis 7.) operiert; 
Totalexstirpation des rechten Mittellappens. 

Zunächst wurde tracheotomiert; Narkose mit einem ad hoc zusammen¬ 
gesetzten Apparat, da kein Ueberdruckapparat zur Verfügung stand. 
Durchschneidung der Rippen zwischen Sternum und vorderer Axillar¬ 
linie, Umstechung und Abtragung am Hilus. Stillung einer erheblichen 
Blutung, Versorgung des Bronchus. Danach künstliche Atmung. Tod 
nach 2 X 24 Stunden. Die Sektion ergab, dass Ober- und Unterlappen 
auf ein Minimum reduziert waren. 

Hr. Karewski hat in noch mehr Fällen als von Herrn Rotter 
angegeben, wegen Aktinomykose der Lunge operiert. 

Er betont, dass die Vergleichung der einzelnen von Herrn Rotter 
aufgestellten Gruppen nicht möglich sei, da es doch von grosser Wichtig¬ 
keit, ob der Prozess eitrig sei oder nicht. Holler. 


AerztUcher Verein zu Hamburg« 

Sitzung vom 4. Juni 1913. 

1. HHr. Weygandt und Jakob berichten über die Befände am 
Centralnervensy8tem bei experimenteller Syphilis. Geimpft wurden 
Affen und Kaninchen, und zwar intratesticulär, intravenös, intralumbal 
und cortical. Nur ein Teil der Tiere bot klinische Erscheinungen. Ein 
Kaninchen zeigte eine schwere Paraparese mit Reflexsteigerung, und zwar 
mehr auf der Seite der Trepanation. Ein Affe liess zeitweise eine Er¬ 
weiterung der rechten Pupille erkennen. Auch histologische Befunde 
wurden bisweilen völlig vermisst. Wo solche vorhanden, bestanden sie 
in Plasmazellen- und Lymphocyteninfiltration der Pia (mehr im Rücken¬ 
mark als im Gehirn) und der einstrahlenden Gefässe. Stellenweise auch 
polynucleäre Leukocyten. Teilweise auch Endothelwucherung, sowie 

— als Zeichen schon eines chronischen Prozesses — Gliarasenbildung. 
In einem Fall fand sich ein Granulationsherd, dessen Peripherie aus 
Plasmazellen und Lymphooyten, dessen Gentrum aus epitheloiden und 
Abbauzellen gebildet war. 

2. Hr. Schottelins berichtet über eine operative Methode sir Be¬ 
seitigung von ßauebbrfiehen mit Rectnmdiastase. 

3. Hr. Denks demonstriert eine Frau, die er — nach Ablehnung 
einer Operation — seit lVs Jahren wegen Careinoma Uteri andauernd 

— durchschnittlich alle 14 Tage — mit Röntgenstrahlen behandelt 
hat, mit dem Erfolg, dass der vorher bereits sehr ausgedehnte Tumor 
sehr stark zurückgegangen ist und das Allgemeinbefinden sich sehr ge¬ 
hoben hat; irgendwelche Schädigung durch die Bestrahlung wurde nicht 
bemerkt. 

4. Hr. Lippmann hat bei 35 Teilnehmern an einem Armeegepack- 
marsch vorher und nachher Achsel- und Rectumtemperatur gemessen. 
Es ergab sich, dass in weitaus der Mehrzahl der Fälle die Acbseltempe- 
ratur nach dem Marsch gesunken, die Rectumtemperatur gestiegen war 
(durchschnittlich auf 88,8°). Besonders stark war die Differenz, die 
durchschnittlich 1,6° betrug, bei den collabierten Teilnehmern (z. B. 
35°: 38,3®). Gleichmässiges Steigen von Achsel- und Mastdarmtempe- 
ratur ist eine grosse Ausnahme. Als praktische Konsequenz ist zu be¬ 
tonen, dass alleinige Steigerung der Rectumtemperatur nicht patho¬ 
logisch zu sein braucht. 

5. Hr. Roedeiius stellt einen Patienten mit myeloischer Leak- 
ämie vor, bei dem nach zweimaliger Röntgenbestrahlung und Einnahme 
von 350 Benzolkapseln die Leukocytenzahlen von 228000 auf 9000 
heruntergegangen sind und die stark vergrösserte Milz zur Norm zurück¬ 
kehrte. Irgendeine Schädigung durch das Benzol wurde nicht kon¬ 
statiert. In einem anderen, auswärts mit 1500 Benzolkapseln behandelten 
Fall war der Erfolg gänzlich ausgeblieben, während bei einem dritten, 
wiederum schon nach 8 Tagen deutliche Besserung bemerkbar war. 

6. Hr. Kafka berichtet über Resultate mit der Abderhaldei’sehem 
Methodik hei Nerven- und Geisteskranken. Bei 17 Normalen fand 
er einmal Abbau von Rückenmark, zweimal (bei Anämischen) von 
Milz. Bei Dementia praecox (25 Fälle) wurde stets entweder Ge¬ 
hirn oder Hoden oder Schilddrüse, oder mehrere von diesen gleich¬ 
zeitig abgebaut. Bei manisch-depressivem Irresein wurde einmal 
Niere, einmal Nebenniere, einmal Schilddrüse abgebaut (9 Fälle). Bei 
Paralyse wurde stets Gehirn und — soweit untersucht — Schilddrüse 


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30. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1235 


abgebaut (4 Fälle). Im übrigen ist bemerkenswert, dass ein Syphi¬ 
litikerserum stark Hoden und Sohilddrüse abbaute, und bei einem Hypo¬ 
physentumor Hypophysensubstanz — die in allen übrigen Fällen un¬ 
beeinflusst blieb — abgebaut wurde. 

7. Diskussion zum Vortrag des Herrn Wulff: Zur Diagnose und 
Behandlung der Prostatahypertrophie. 

Hr. Kropeit bespricht mehrere technische Einzelheiten; zur Dia¬ 
gnose empfiehlt er die Irrigationsurethroskopie, therapeutisch 
— bei geeigneten Fällen — endovesioale und endourethrale Eingriffe wie 
Elektrolyse. Die Ursaohe von Blutungen ist fast stets in Granulationen 
der hinteren Harnröhre zu suchen. 

Hr. Kümmell mochte der alten Operationsmethode nicht den Wert 
absprechen. Durch Kastration hat er früher von 36 Fällen 22 ge¬ 
heilt. Die Indikation zur Prostatektomie möchte er nicht zu eng halten. 
Das Katheterelend existiert doch. Wenn nach ein- oder mehrmaligem 
Versuch mit Dauerkatheter nicht spontanes Urinieren zu erzielen ist und 
der Patient so ein Sklave seines Katheters wird, so soll man operieren. 
Bei rund 300 Prostatektomien hatte K. 10 pCt. Mortalität. Demgegen¬ 
über waren nach Nachforschungen von Kayser von 44 Niohtoperierten 
16 nach einiger Zeit gestorben, nur 8 waren als relativ gesund zu be¬ 
zeichnen. Schliesslich weist K. auf die Bedeutung der Kryoskopie 

hin, durch die man sich vor der Operation über die Nierenfunktion 

orientiert. Ist diese unzureichend, so ist zweizeitiges Operieren in¬ 

diziert. 

Hr. Jen ekel bringt einige technische Details der Operation zur 
Sprache. Er hatte unter 40 Fällen 4 Todesfälle. 

Hr. Deseniss zeigt einen von Ruprecht-Bremen konstruierten 
handlichen Apparat, der gleichzeitig als Sterilisator und Behälter für 
Katheter dient. 

Hr. Wich mann empfiehlt als palliative Maassnahme im Anfangs¬ 
stadium der Erkrankung die Anwendung statischer Elektricität: 
ein in den Mastdarm einzuführendes Bleirohr wird an einer Platte be¬ 
festigt, die vor einen Röntgenröhrenkasten mit harter Röhre ge¬ 
spannt ist. 

Hr. Wulff: Schlusswort. 


Gesellschaft für Morphologie und Physiologie zu München. 

Sitzung vom 3. Juni 1913. 

Hr. Stromer ▼. Reiehenbach: 

Ueber Rekonstruktion eines fossilen Flngsanriers. 

Der Flugsaurier, dessen sichere Rekonstruktion dem Vortr. in allen 
Details mit Ausnahme der Handwurzelknochen gelang, sieht äusserlich 
zwar sehr vogelähnlich aus, zeigt aber dem Skelett nach die grösste 
Verwandtschaft mit den Krokodilen und Dinosauriern. Die Tiere waren 
Flieger, lebten am Meere, konnten aber wahrscheinlich nicht schwimmen; 
ihre Nahrung müssen Fische, nicht etwa Insekten gewesen sein. Der 
lange Schwanz diente beim Flug wohl als Stabilisierungsfläche und 
Höhensteuer. Die Flughaut funktionierte nicht nur als Tragfläche, 
sondern auch zur Fortbewegung. Die Flugsaurier, die nach millionen¬ 
jähriger Herrschaft im Luftreich mit dem Eintreten kühlerer Temperatur 
vielleicht deswegen ausstarhen, weil ihnen der Wärmeschutz des Feder¬ 
kleides der Vögel fehlte, sind ein interessantes Beispiel, wie das Flug¬ 
problem von der Natur in verschiedener Weise gelöst worden ist. 

Hr. Broemser.* Schwingung des Trommelfelles. 

Vortr. bestimmte mittels der Registriermethode von 0. Frank die 
Eigenschwingungszahl des Ohres bei zwei Katzen: die mittleren Werte 
von beiden Ohren waren bei Katze 1 (deren Sektionsbefund später das 
Bestehen einer eitrigen Otitis media ergab) 1300, bei Katze 2 1700 pro 
Sekunde. Die Ergebnisse lassen schliessen, dass das Ohr als Registrier¬ 
system alle Töne unterhalb 1500 Schwingungen, also die Vokale, richtig 
aufzunehmen vermag. 

Diskussion. Hr. 0. Frank weist darauf hin, dass Experimente 
über das Ohr als Registriersystem bisher überhaupt noch nicht Vorlagen. 

K. Süpfle-München. 


Physikalisch-medizinische Gesellschaft zu WUrzbnrg. 

Sitzung vom 8. Mai 1913. 

Hr. Treutlein: 

Chininprophylaxe oder mechanischer Malariaschntz. 

Vortr. stellt auf Grund reicher Literatur und Statistiken fest, 
dass keine einzige Form von Chininprophylaxe den Fieberausbruch sicher 
verhindere. Er teilt sodann einige Ergebnisse der rein mechanischen 
Prophylaxe mit, aus denen hervorgeht, dass durch sie und ohne Chinin 
ein Schutz gegen Malaria möglich ist. Die Gründe, die Vortr. schon 
1904 bewögen, von der Chininprophylaxe Abstand zu nehmen, gipfelten 
in dem Bedenken, ob nicht das Chinin solche Veränderungen im Blute 
hervorrufen könne, dass bei einer trotzdem erfolgten Malariainfektion 
die besten natürlich vorhandenen Sohutzstoffe und -elemente des Blutes 
in ihrer Abwehrfähigkeit geschädigt seien, wie auch verschiedene Autoren 
von Lähmung und Absterben der Leukooyten und Schädigung von 
Phagocyten und Phagocytose durch Chinin sprechen. Bei drei Personen 
hat Vortr. im Jahre 1911 Blutpräparate je vor und nach der Chiningabe 
hergestellt, wobei sich im chinisierten Blutbilde Leukocyten mit aus¬ 


geflossenen, zerrissenen Protoplasmahöfen und unregelmässig verklumpten, 
gezakten Kernen zeigten (Demonstration). Nachprüfungen dieser Ver¬ 
suche, die von Schilling und Vortr. selbst angestellt wurden, Hessen 
diese Veränderungen nicht immer feststellen. Vortr. hat bei denselben 
Versuchspersonen nach 10 Monaten den Versuch wiederholt, wobei die 
Veränderungen nur in einer Aufquellung der ganzen Zelle und in 
feinster, körnchenartiger Ausfällung der Kernsubstanz innerhalb der 
intakten Zelle bestanden. Hier wäre eine Chiningewöhnung wörtlich. 
Diese drei Personen waren über 50 Jahre alt. Bei zehn Personen 
zwischen 20 und 25 Jahren aber fanden sich nicht die geringsten Ver¬ 
änderungen an den Leukocyten vor und 3 und 18 Stunden nach 
1,0 + 5 X 0,2 Chinin. In der dritten Versuchsreihe wurden wieder 
drei Personen über 50 Jahre verwendet, von denen keine in den letzten 
10 Jahren Chinin genommen hatte. Die 3 und 24 Stunden nach der 
letzten Chinindosis gefertigten Präparate zeigen meist unregelmässig ver¬ 
zogene Kerne, von denen nur die wenigsten einen kaum sichtbaren 
Protoplasmahof haben mit meist ganz unregelmässigen Konturen. Vortr. 
modifiziert seinen früheren Standpunkt dahin: 1. Das Chinin kann 
Veränderungen an den Leukooyten hervorrufen, vermutlich aber nur bei 
Leuten über mindestens 50 Jahren. 2. In diesen Veränderungen be¬ 
steht ein Unterschied, ob die Person schon früher Chinin genommen hat 
oder nicht. Auffallend war noch, dass bei den Personen über 50 Jahren 
nur geringe, bei den anderen mit unverändertem Blutbilde ziemlich 
heftige Allgemeinsymptome auftraten. Vortr. empfiehlt in erster Linie 
den mechanischen Malariasobuts und nur, wo dieser sich nicht lückenlos 
durchführen lasse, die Chininprophylaxe. 

Hr. Ackermann: 

Ueber die Entetehung der Betaine in Tier nnd Pflanze. 

Betaine sind stickstoffhaltige, organisierte Substanzen mit einer 
Carboxylgruppe, welche den Stickstoff in fünfwertiger Form aufweisen. 
Eine Valenz ist unter Wasseraustritt an die Carboxylgruppe abgesättigt 
und von den anderen pflegt mindestens eine durch eine Methylgruppe 
ersetzt zu sein. Es ist gelungen, eine Reihe Betaine aus Tier- und 
Pflanzenkörpern nachzuweisen (F. Kutscher, E. Schultze). Engel¬ 
land behauptete als erster, die Betaine entstünden in Tier und Pflanze 
durch Methylierung und Wasserabspaltung aus den Aminosäuren des 
Eiweissmoleküls. Vortr. hat sich bemüht, hierfür den direkten Beweis 
zu erbringen und zuerst mit Glykogoll gearbeitet. Bei Fütterungs¬ 
versuchen am Hunde fehlte im Harn das erwartete Glykogollbetain. 
Ausgewachsene Zuckerrüben, fi Wochen in Wasserkulturen gehalten und 
den salzhaltigen Nährböden teilweise Glykogoll zugesetzt, zeigten keinen 
grösseren Betaingehalt als die glykogollfrei gehaltenen Gewächse. Viel¬ 
leicht ist jedoch die Betainisierung nur im Frühstadium der Entwicklung 
der Pflanze möglich. Glücklicher verlief der Versuch, bei dem nicht 
eine Aminosäure des Eiweissmoleküls, sondern eine N-haltige Säure zur 
Verfütterung kam, welche in der Pflanze bereits gelegentlich gefunden 
wurde, die ß- Pyridincarbonsäure oder Nikotinsäure. Sie wurde in 
zweierlei Weise im Ham wieder ausgeschieden, erstens gekuppelt an 
Glykogoll als Nikotinsäure und zweitens als ein Betain und zwar das 
bekannte, auch im Kaffee und andere Pflanzen gefundene Trigonelli. 
Durch diesen Versuch ist die Betainisierung einer N-haltigen Säure als 
ein biologisch möglicher Vorgang erwiesen und damit die Anschauung 
von der Abstammung der übrigen Betaine von den Aminosäuren des 
Eiweissmoleküls experimentell gestützt. 


Medizinische Gesellschaft zn Basel. 

Sitzung vom 5. Juni 1913. 

Hr. Otto Hallaner: 

Ueber refraktometrisehe Untersuchungen von Kammerwasser, Glas¬ 
körper und Cerebrospinalflüssigkeit 

Durch Schwalbe ist der Zusammenhang des Hirnarachnoideal- 
raumes mit dem Perichorioidealraume des Auges bereits in den siebziger 
Jahren nachgewiesen. Zweck der vorliegenden Untersuchungen war zu 
erfahren, wie weit refraktometrisehe Beziehungen zwischen Liquor cerebro¬ 
spinalis und den Augenmedien bestehen möchten. 

Durch das jedem durchsichtigen Körper eigentümliche Brechungs¬ 
vermögen war die Möglichkeit gegeben, Anhaltspunkte zu gewinnen für 
den Grad der Uebereinstimmung in der Zusammensetzung dieser Flüssig¬ 
keiten. Glaskörper und Kammerwasser haben annähernd dasselbe spezi¬ 
fische Gewicht, dieselben Eiweisskörper, dieselben Mengen an Zucker 
und Harnstoff und weisen daher auch ungefähr dieselben refrakto- 
metrischen Werte auf. Ein Vergleich mit sonstigen Flüssigkeiten des 
Körpers zeigt am meisten Uebereinstimmung mit dem Liquor cerebro¬ 
spinalis. 

Mit dem heizbaren Abbe’schen Refraktometer bestimmte der Autor 
Kammerwasser, Glaskörper und Cerbrospinalflüssigkeit von 102 mensch¬ 
lichen Leichen möglichst bald nach dem Tode bei einer Flüssigkeits¬ 
temperatur von 18° C. In 30 Fällen wurden diese Untersuchungen bis 
zu 40° C weiter durchgeführt, wobei sich fürs erste ergab, dass die Be¬ 
rücksichtigung der Temperaturen der zur Untersuchung kommenden 
Flüssigkeitsmengen bei derartigen Erhebungen unerlässlich ist. 

Im weiteren zeigte sich eine grosse Konstanz in den erhaltenen 
Refraktionswerten der brechenden Augenmedien, vor allem des Glas¬ 
körpers, etwas weniger des Kammerwassers. Weit weniger konstant 
waren die Liquor werte. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26. 


Bei einer Temperatur von 18° C bewegten sich die Glaskörper¬ 
refraktionen in 98pCt. zwischen 1,3845—1,3855, in 2pCt. wird die 
obere Grenze überschritten. Die Werte des Kammerwassers halten sich 
in 81 pCt. zwischen 1,3350—1,3360. In 4pCt. bleiben sie unter diesen 
Schranken und überschreiten diese nach oben in 15pCt. Die Brechungs¬ 
exponenten endlich der Cerebrospinalflüssigkeit liegen in 63 pCt. zwischen 
1,3355—1,3365. 6pCt. der Fälle sind unter dieser Norm und gehen in 
81 pCt. nach oben darüber hinaus. 

Eine Gesamtbetrachtung der Refraktionsverhältnisse bei 
den drei verschiedenen Flüssigkeiten lässt neben der grossen Stabilität 
der Glaskörper- und Kammerwasserresultate und der grösseren Variabilität 
der Liquorwerte in mehr als einem Drittel der Beobachtungen durch¬ 
gängig hohe Indices für alle drei, von demselben Körper entnommenen 
Untersuchungsmengen erkennen. Ausser einigen Diabetesfällen handelt 
es sich dabei interessanterweise um Allgemeinerkrankungen hyper- 
ämisch-venöser Natur, wie 1. Lungenemphysem, Pneumonie, 
Nephritis in ihren verschiedenen Formen, mit möglich rückwirkender 
Störung der allgemeinen Circulation, ebenso infolge von Herzatrophie 
bei einigen Caroinomfällen. 2. Starke Anämie verursachende 
Krankheiten (Anämie, Arteriosklerose, Ulcus ventriculi) mit chemisch- 
physikalischen Veränderungen des Blutes und Veränderungen der Ge- 
fässe. 3. Lungentuberkulose, Pneumonie, Meningitis, Erkran¬ 
kungen mit infektiös-toxischen Einflüssen (Hydrocephalus internus und 
externus bei der Sektion). Auffallend ist ferner das Zusammen¬ 
treffen einer erhöhten Liquorrefraktion mit solchen Erkrankungs¬ 
formen (Nephritis, Anämie, Arteriosklerose, Tuberkulose), 
bei denen sich erfahrungsgemäss relativ häufig eine Papi 1 litis findet. 
Diese Ergebnisse legen die Frage nahe, ob einer solchen Veränderung 
des Liquors bei derartigen Erkrankungen nicht eine grundlegende Be¬ 
deutung für das Zustandekommen einer Stauungspapille (infolge Gewebs¬ 
zellen- und Plexusreizung mit konsekutiver, vermehrter Liquorsekretion und 
nachfolgender mechanischer Circulationsstörung im Opticus (durch Lymph- 
stauung und Venenkompression) beizumessen sei? (Autoreferat.) 

Wo lfer-Basel. 


K. k« Gesellschaft der Aerzte zu Wien. 

Sitzung vom 2. Mai 1913. 

(Eigener Bericht.) 

Hr. Eogelmann demonstriert einen Patienten, bei welchem er das 

Redressement der kyphoskoliotisehen Wirbelsäule nach Abbot vor¬ 
genommen hat. 

Hr. Finsterer stellt einen Mann vor, bei welchem wegen Uleus 
penetrans der grossen Magencnrvatnr, das auch die Milz arrodiert 
hatte, eine Magenresektion vorgenommen wurde. 

Hr. Salomon demonstriert einen 32jährigen Mann mit einem Nieren- 
echinococcn8. Tumor in der Milzgegend, verschieblich, Verdacht auf 
pseudoleukämische Schwellung der Milz. Vor 3 Woohen bekam Patient 
Schmerzen in der Blasengegend und entleerte dann mit dem Harn 
Echinococcusblasen. Der Harn ist zeitweise klar, zeitweise eitrig getrübt. 
Es handelt sich entweder um einen Echinococcus der Niere, oder um 
einen solchen der Milz, welcher in das Nierenbecken eingebrochen ist. 

Hr. t. Winiwarter stellt ein junges Mädchen vor, bei welchem er 
die blutige Reposition einer angeborenen Häftgelenksluxation vor¬ 
genommen hat. 

Hr. Kroph führt eine 26 jährige Frau vor, welche eine Uterns- 
perforation nnd Darm Verätzung anlässlich eines Abtreibungsversuches 
erlitten hat. 

Hr. Wagner demonstriert eine ebondrodystropbisehe Zwergin, 
welche durch Sectio caesarea entbunden wurde. 

Die Frau hat die Grösse eines 10 jährigen Kindes, die Extremitäten 
sind abnorm kurz, der Rumpf fast normal lang, die Wirbelsäule ist 
lordotisch, die Hände haben die Form der Main en trident. Das Kind 
zeigt dieselben Veränderungen wie die Mutter. Der Vater des Kindes 
ist normal gewachsen. 

Hr. Schur zeigt einen Mann, bei welchem die Benzoltherapie der 
Lymphogranulomatose erfolgreich durchgeführt worden ist. 

Patient bekam vor längerer Zeit Drüsenschwellungen am Halse, in 
den Achselhöhlen, in der Ioguinalgegend und im Mediastinum, auch die 
Leber und die Milz zeigten eine Vergrösserung. Unter Röntgen¬ 
bestrahlung gingen die Drüsentumoren zurück. Es wurde Tuberkulose 
des lymphatischen Apparates festgestellt. Als später wieder Drüsen¬ 
schwellungen auftraten, wurden einige Drüsenpakete bestrahlt und hierauf 
die BeDzoltherapie eingeleitet. Die Drüsensohwellungen gingen wieder 
zurück, die Leukocytenzahl, welche früher 50 000 betragen hatte, ver¬ 
kleinerte sich auf 6000. Dieses Absinken der Leukocyten ging in einem 
vom Vortr. beobachteten Falle bis auf 200, es ist daher Vorsicht bei 
der Benzolbehandlung nötig. 

HHr. Arzt und Karl: Variola und Flecktyphus; Studien an den 
bosnischen Rückwanderern aus dem Balkan. Beobachtungen an der Balkan¬ 
bevölkerung. 

Bei Flecktyphus war in vielen Fällen der Beginn der Krankheit 
nicht zu erkennen, es traten nur Milztumor und ein nicht zu deutendes 
Exanthem auf. Nach einem Vorstadium vou allgemeiner Mattigkeit tritt 
ein Exanthem auf dem ganzen Stamme und den Extremitäten auf, welches 
dann an Intensität zunimmt, dabei bestehen hohe Contiqua bis 39,5°, 


Milztumor und katarrhalische Erscheinungen. Nach weiteren 8 Tagen 
ist der Körper von linsen grossen, braunroten, zum Teil hämorrhagischen 
Maculae bedeckt. Bei der zweiten Form ändern die zuerst hellroten 
masemähnlichen Flecken nach einigen Tagen ihren Charakter. Der 
Flecktyphus ging bei den Türken in Heilung aus, eine Wärterin starb. 

Hr. v. Eiseisberg bespricht die chirurgische Behandlung des 
Oesophagnsearcinoms. 

Küttner hat über 12 Fälle berichtet, bei welchen er ein intra- 
thorakal gelegenes Oesophaguscarcinom operativ angegangen hat, es 
starben jedoch alle Fälle im Anschluss an die Operation. In neuerer 
Zeit sind zwei Publikationen erschienen, in welchen eine Methode be¬ 
schrieben wird, bei der nach Resektion des Oesophagus der obore Stumpf 
zum Munde herausgeführt, der untere in den Magen versenkt wird. Ein 
Patient hat den Eingriff 3 Wochen lang überlebt. Ferner wird die 
Operation in mehreren Etappen empfohlen. Man sollte auf die Vor¬ 
einigung des Oesophagus verzichten. Es wäre denkbar, dass irgend 
einmal ein Erfolg der Operation bei diesem Leiden erzielt würde, gegen 
welches es bisher kein Mittel gegeben hat. Vortr. hat in einem Falle 
den Versuch der Operation eines Oesophagusoarcinoms vorgenommen. 
Es wurde die Gastrostomie ausgeführt, nach 10 Tagen wurden auf der 
linken Seite 8 Rippen reseziert und unter Ueberdruck die Pleura er¬ 
öffnet, der Oesophagus von der Aorta abgelöst. Das Carcinom war aber 
schon mit der Umgebung, besonders mit der Wurzel der Arteria und 
Vena pulmonalis verwachsen, also vollkommen inoperabel. Patient ist 
bald nach dem Eingriffe gestorben. 

Hr. Lipschiitz stellt ein 18 jähriges Mädchen vor, welches zum 
sechsten Male an einem Genitalgeschwür erkrankte. 

Das Genitalgeschwür, von welchem Vortr. in 8 Jahren fünf Fälle 
beobachtet hat, tritt ohne bekannte Ursache auf und hat eine grosse 
Aehnlichkeit mit dem Ulcus molle, in allen Fällen finden sich als Er¬ 
reger grampositive Bacillen. Vortr. glaubt, dass es sich um eine Auto- 
infektion handelt, bei welcher bisher harmlose Saprophyten aus un¬ 
bekannter Ursache virulent werden. Das Genitalgeschwür zeigt zwei 
Typen, es ist entweder dem Ulcus molle ähnlich, oder es verläuft mit 
Fieber, starken Schmerzen, Oedem des Genitales und mit Gangrän. Die 
vorgestellte Patientin ist eine Virgo intacta. 

Hr. Löwensteio: 

Ueber das Vorkommen von Geflügeltuberknlose beim Mensehen. 

Vortr. hat in einem früheren Falle das Vorkommen von Geflügel¬ 
tuberkulose bei einem Mädohen beobachtet und berichtet jetzt über drei 
neue Fälle. In zwei Fällen handelte es sioh um Nierentuberkulose, in 
einem Falle um eine atypische Hauttuberkulose. 


Sitzung vom 9. Mai 1913. 

(Eigener Bericht) 

Hr. Swoboda demonstriert ein 3 jähriges Kind mit Syphilis heredi¬ 
tär» tarda nnd Parot’seher Lähmung. 

Hr. Handek führt einen 61jährigen Mann mit Luxatio femeris 
centralis vor, welche Patient vor 1 V* Jahren beim Abspringen von 
einem Eisenbahnzug erlitten hat. 

Er konnte damals noch einige Schritte gehen, dann war die Bewe¬ 
gung des verletzten Beines unmöglich. 

Hr. Freund demonstriert eine Methode zur Bestimmung der Radio- 
sensibilit&t der Hant. 

Vortr. verwendet zur Feststellung der Radiosensibilität gleiche 
Radiumträger, welche in gleicher Weise auf die Haut appliziert und die¬ 
selbe Zeit liegen gelassen werden. Zur Messung des entstandenen Ery¬ 
thems bat er eine Skala in der Weise konstruiert, dass aus Russ und 
Zinkweiss in verschiedenen Mengen eine Helligkeitsskala hergestellt 
wurde. Diese wurde klischiert und das Klischee mit roter Farbe ge¬ 
druckt, so dass die früheren Helligkeitsunterschiede in Grau jetzt in 
Rot vorliegen. Die Untersuchungen ergaben, dass die Haut verschiedener 
Individuen gegen Strahlungen verschieden empfindlich ist. Verschiedene 
somatische Zustände ändern die Empfindlichkeit, so z. B. Intoxikationen, 
bei Frauen die Menstruation und die Schwangerschaft 

Hr. Stiassny demonstriert das mikroskopische Präparat eines 
Lungenkrebses, welcher in zwiebelschalenartiger Anordnung in die 
Lymphspalten eindringt 

Es scheint verschiedene Arten von Lungenkrebs zu geben. 

Hr. v. Eiseisberg stellt drei Fälle von Thoraxwandresektion wegen 
Recidive nach Operation eines Mammacarcinoms vor und berichtet über 
einen vierten Fall. 

Hr. v. Eiseisberg: Grundsätze und Vorschläge zur Vereinheit¬ 
lichung des ersten Verbandes bei aeeidentellen Wunden. 

Für die erste Hilfe bei nicht spezifisch verunreinigten Wunden im 
alltäglichen Betriebe ist das wichtigste die möglichst frühzeitige Okklu¬ 
sion der Wunde mit steriler weisser Gaze ohne Desinfektion der Wunde, 
da eine wirkliche Desinfektion derselben nicht möglich ist. Es soll 
auch jede Spülung der Wunde unterlassen werden, durch Blutung werden 
die Keime weggeschwemmt; starke Blutungen müssen natürlich durch 
Tamponade bekämpft werden. Die Wunde soll nicht mit blosser Hand 
berührt werden, da eine Desinfektion der letzteren nicht leicht durch¬ 
führbar ist, überhaupt soll jede Berührung der Wunde tunlichst ver¬ 
mieden werden. Die Anwendung von Mastisol und Jodtinktur soll nicht 
durch den Laien erfolgen. Bei Frakturen ist Vorsorge für die Immo- 


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80. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1287 


bilisation zu treffen. Besonders gefährlich ist wegen ihres Keimreichtums 
die Hand des Arztes. Vortr. hat mit Rossmanith Rettungskoffer in 
verschiedener Grösse für die erste Hilfe konstruiert. Dieselben enthalten 
keine Instrumente, sondern nur eine sterilisierte und in steriler Papier¬ 
hülle aufbewahrte Rornzange, welche nur benutzt wird, wenn eine Tam¬ 
ponade notwendig ist. Die Koffer, welche aus Fournierholz hergestellt 
und sehr widerstandsfähig sind, enthalten mehrere Blechbüchsen, in 
denen das zum ersten Verband notwendige Material in sterilem Zustande 
enthalten ist, und zwar ein Stück Gaze und ein viereckiges Leinwand¬ 
stück mit Bändern zum Verbinden. Die Büchsen werden nach dem 
Verschlüssen sterilisiert und die Verschlussstelle durch Heftpflaster ver¬ 
klebt. Die Gaze ist fächerförmig zusammengelegt, sie wird bei einem 
Zipfel gefasst und ohne, dass man sie sonst noch anrührt, auf die Wunde 
aufgelegt. Hierauf folgt der Verband mit dem Leinwandstück. Ausserdem 
enthalten die Koffer noch einige andere Utensilien für den ersten Verband. 

Hr. Federn berichtet über die abweichende Blntversergnng der 
Mamma bei diffuer Hypertrophie. 

An einem vor kurzem in der Gesellschaft vorgestellten Fall von 
Hypertrophia mammae diffusa hat Vortr. folgende Beobachtung gemacht: 
Die Blutversorgung der Mammae verhält sich nicht wie bei anderen 
Frauen, die nicht geboren haben. Die Arteria intercostalis anterior 
superior hat, wie Vortr. schon einmal mitgeteilt hat, einen höheren Blut¬ 
druck als die Arteria radialis, während alle anderen kleinen Arterien, 
die er untersuchen konnte, einen niedrigeren Blutdruck haben. Dieser 
auffällige Befund rührt davon her, dass diese Arteria anterior superior 
mit der Arteria intercostalis posterior anastomosiert, welche direkt aus 
der Aorta thoracica kommt. Diese Anastomose ist so klein, dass man 
trotzdem den Puls in der Arteria intercostalis anterior superior nur 
dann zum Schwinden bringt, wenn man sie in der Richtung zum Sternum 
unterdrückt, wo sie von der Arteria mammaria interna entspringt. Im 
Puerperium, wenn die Milchsekretion eintritt, schwillt die Anastomose 
zur Arteria intercostalis posterior an, wie es Dr. Stolper auch an 
Leichen von Puerperae gefunden hat, und man kann den Puls in der 
Arteria intercostalis anterior superior nur dadurch zum Schwinden 
bringen, wenn man sie in der Richtung zur Achselhöhle, also gegen die 
Anastomose mit der Posterior unterdrückt. Es ist wahrscheinlich, dass 
diese ungewöhnliche Circulation schon vor der Schwangerschaft bei dem 
vorgestellten Falle bestanden hat, wie sie der Vortr. nur einigemal bei 
Frauen, die nicht geboren haben, unter den vielen Tausenden, die er 
untersucht hat, gefunden hat, was auch das seltene Vorkommen von 
Hypertrophia mammae diffusa erklärt. Bis heute kennt man gegen 
dieses Leiden nur zwei wirksame Mittel: die Amputation der Mamma 
und die Unterbrechung der Schwangerschaft. Vortr. schlägt vor, die 
Unterbindung der Arteria intercostalis superior gegen die Achselhöhle 
zu, also gegen die Anastomose mit der Intercostalis posterior zu ver¬ 
suchen. Eine Atrophie der Mamma würde wohl durch die Verbindung 
mit der Arteria mammaria interna verhütet werden. H. 


Gesellschaft für innere Medizin nnd Kinderheilkunde zn Wien. 

Sitzung vom 8. Mai 1913. 

(Eigener Bericht.) 

Hr. Enrelmann stellt ein 8 jähriges Mädchen mit einer Knochen- 
cysti (Ostias flbrosa) vor. 

Die Gegend des rechten Trochanters vorgewölbt; die Röntgenunter¬ 
suchung ergibt eine Knochencyste mit sehr verdünnter Cortioalis. 

Hr. Schick demonstriert einen Säugling mit intensiven Haat- 
blntungen nach Keuchhusten. 

Hr. Rett zeigt einen 10 jährigen Knaben mit Störungen im Hypo- 
glossns einer Recurrens vagi, im Olossepharyngens, im Deiters¬ 
sehen Kern. 

Mattigkeit, Erbrechen, Erstickungsanfälle bei Nacht. Rechte Lid¬ 
spalte verengt, Cornealreflex rechts erloschen, Nystagmus, Zunge weicht 
nach rechts ab, Uvula nach rechts verzogen, Abduktion des rechten 
Stimmbandes und Heiserkeit. Ataktischer Gang, Romberg, Kälte- und 
Wärmeempfindung in der linken Supraolavikulargegend und am Hinter¬ 
haupte gestört. Wassermann negativ. Tuberkel in der Höhe der 
Schleifenkreuzung (?). 

Hr. Magenhofer demonstriert einen Säugling mit Osteopsathyrosis 
foetalis. 

Das Röntgenbild zeigt Gallusbildung und Knocheninfraktionen. 
Gorticalis zart. Am rechten Oberschenkel Crepitation, der Schädel war 
ursprünglich sehr weich (Phosphorleberthran). 

Frau Deutsch führt einen 13 jährigen Knaben mit einer Erkrankung 
der Medulla oblongata nnd der Pyramidenstränge, ferner der Räeken- 
marksvorderhörner vor. 

Seit zwei Jahren Kopfschmerzen, Sprache stotternd, Gang spastisch- 
ataktisch. Rechte Papille abgeblasst, Zunge weicht nach rechts ab; 
Sehnenreflexe gesteigert, Bauchdecken- und Kremasterreflex abgeschwächt, 
Handmuskeln abgemagert. Romberg positiv, untere Extremitäten 
spastisch-paretisch. 

Hr. Zappert: Fehldiagnose bei der Poliomyelitis. 

An Beispielen werden Fehldiagnosen bei Poliomyelitis erörtert. 
Scharlach und Masern stehen nicht in ätiologischem Zusammenhänge mit 
der Poliomyelitis. Es können Verwechslungen der Poliomyelitis mit 
Traumen, Neurosen und Hysterie Vorkommen. H. 


XV. Versammlung der Deutschen Gesellschaft 
für Gynäkologie, Halle a. S., 14.—17. Mai 1913. 

(Berichterstatter: Prof. Dr. Karl Baisch-München.) 

(Fortsetzung.) 

Vorträge zur Strahlenbehandlung von Garcinomen und 
Myomen. 

Hr. E. Bumm-Berlin: Ueber die Erfolge der Röntgen- und 
Mesothoriumbehandlung beim Uteruscarcinom. 

Es ist schon lange bekannt, dass die Epitheliome der Haut durch 
die Einwirkung der Radium-, Mesothorium- und Röntgenstrahlen zur 
Ausheilung gebracht werden können. Schwieriger als bei diesen Krebsen, 
die langsam wachsen und wenig Neigung zur Metastasierung zeigen, 
liegen die Verhältnisse bei den weichen Carcinomen, die von den 
Schleimhäuten und Drüsen ihren Ursprung nehmen. Volle Erfolge sind 
hier nicht beriohtet. Seit dem letzten Jahre haben zwei Umstände eine 
viel stärkere und viel tiefergreifende Wirkung der Bestrahlung ermög¬ 
licht: Die Verwendung harter Röhren und starker Filter und die in¬ 
dustrielle Herstellung relativ grosser Mengen radioaktiver Substanzen, 
welche uns erlaubt, die 10- und 20 fache Menge der früher angewandten 
Strahlen in die Neubildung ohne Sohaden zu schicken. In der Berliner 
Frauenklinik wurde seit einem Jahr die verstärkte Tiefenbestrahlung 
verwendet und wurde von Hand ly in der Berliner Gesellschaft für 
Geburtshilfe und Gynäkologie im Juli 1912 über die ersten Erfolge be¬ 
richtet. Seitdem wurde die Strahlenwirkung beständig gesteigert, so 
dass fast 10 000 Kienböck und 15 000 Milligrammstunden Mesothorium 
und darüber angewandt wurden. Es liegt kein Grund vor, bei diesen 
Mengen stehen zu bleiben, man wird sie noch beträchtlich steigern 
können. — Vortr. berichtet über 12 Fälle, welche längere Zeit beob¬ 
achtet sind und ein gewisses Urteil zulassen. — Fall 1. Plattenepithel- 
carcinom der Portio und des linken Scheidengewölbes. 1927 Kienböck. 
Heilung. — Fall 2. Cervixcarcinom, blutiger jauchiger Trichter, In¬ 
filtration nach rechts. 8200 Kienböck und 12 000 Milligrammstunden 
Mesothorium. Garcinom, Höhle und Sekretion verschwunden, Narben¬ 
trichter, Gewebe mit der Curette nicht mehr abschabbar. — Fall 3. 
Garcinom des Scheidengewölbes, das Rectum umgreifend. 3500 Kienböck 
und 8700 Milligrammstunden. An Stelle des Garcinoms eine harte 
Schwarte in einem Narbentrichter. Keine Sekretion und Blutung mehr. — 
Fall 4. Garcinom des Scheidengewölbes, 3400 Kienböck und 14200 Milli¬ 
grammstunden, Hilfsschnitt, um das Carcinomgeschwür blosszulegen. 
Völlige Ueberhäutung, klinisch Heilung. — Fall 5. Garcinom des Cervix, 
kraterförmige jauchende Höhle, 10 000 Kienböck und 16120 Milli¬ 
grammstunden. Callöser Narbentrichter ohne Sekretion. — Fall 6. 
Carcinoma cervicis. 1900 Kienböck und 10 400 Milligrammstunden 
Mesothorium. Erfolg wie bei Fall 5. Mit der Curette nichts mehr 
abzuschaben. — Fall 7. Ektropionierendes Carcinoma colli, stark 
jauchend, 9350 Milligrammstunden Mesothorium. Ectropium völlig über¬ 
häutet, keine Sekretion mehr. Operiert. — Fall 8. Grosser Caroinom- 
trichter des Collum. In 24 Stunden 13 320 Milligrammstunden Meso¬ 
thorium. Trichter geschlossen, keine Sekretion; operiert. — Fall 9. 
Grosses Plattenzellencarcinom der Harnröhre bis zum Blasenhals hinauf¬ 
gehend. 1900 Kienböck. Völlige Heilung. — Fall 10. Adenocarcinom 
der Harnröhre; 800 Kienböck und 4600 Milligrammstunden Mesothorium. 
Heilung bis auf ein kleines Ulcus an der Urethralmündung. Noch in 
Behandlung. — Fall 11. Recidiv nach Totalexstirpation. Grosses 
Ulcus mit Infiltrationen. Hilfssohnitt, 3500 Kienböck und 14 200 Milli¬ 
grammstunden Mesothorium. Völlige Ueberhäutung, Narbentrichter. — 
Fall 12. Recidiv nach Totalexstirpation und nochmaliger Recidiv- 
operation, das ganze Gewölbe in einen jauohigen Krebstrichter ver¬ 
wandelt. 1218 Kienböck und 15 350 Milligrammstunden Mesothorium. 
Heilung. Nur noch Narbentrichter, von dem sich nichts mehr abkratzen 
lässt, keine Sekretion mehr. — Es ist zweifellos, dass sich mit Hilfe der 
verstärkten Röntgen- und Mesothoriumbestrahlung alle von den Strahlen 
erreichten Teile des Carcinomgewebes zum Zerfall bringen lassen. Eine 
gleichzeitig auftretende Sklerose des Bindegewebes wandelt das Krebs¬ 
geschwür in einen Narbentrichter um. Die zerstörten Garcinommassen 
werden zum Teil abgestossen, und reinigen sich dabei die Geschwüre in 
wenigen Wochen. Es kann aber auch, wie in den Fällen von Urethral- 
oarcinom zu einer einfachen Aufsaugung des zerstörten Garcinomgewebes 
kommen, Heilung ohne Geschwürs- und Narbenbildung. Wie weit die 
Wirkung der Bestrahlung in die Tiefe geht und ob bei fortgeschrittenen 
Fällen noch eine dauernde Heilung möglich ist, wird sich erst in einigen 
Jahren entscheiden lassen. Die bis jetzt nach der Bestrahlung operativ 
oder bei Sektionen gewonnenen Präparate zeigen alle noch in der Tiefe 
Herde lebensfrischen Carcinomgewebes, auch in den sub 7 und 8 be¬ 
richteten, allerdings nur 9 bzw. 21 Tage bestrahlten Fällen fand sich 
noch in der Tiefe an einzelnen Stellen alveoläres intaktes Gewebe, an 
der Oberfläche bis auf einige Zentimeter in die Tiefe war alles Carcinom- 
gewebe zerstört oder in deutlichem Zerfall. Vortr. betont noch, dass 
Vorsichtsmaassregeln bei der Intensivbestrahlung nötig sind und starke 
Bleifilter beim Mesothorium anzuwenden sind; es werden zwei Fälle von 
tiefer Nekrose, einmal der Blasenwand, das andere Mal des Becken¬ 
bindegewebes bis zum Kreuzbein berichtet. Im ersten Fall ist auch 
anatomisch nichts mehr von Garcinom vorzufinden, die Kranke von 
Garcinom geheilt, aber der nachfolgenden Nekrose und Urininfiltration 
erlegen. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT 


Nr. 26. 


HHr. Krönig und Gauss-Freiburg i. Br.: Die operationslose 
Behandlung des Krebses. 

Auf dem Internationalen Kongress im September 1912 berichtete 
der Yortr. (Krönig) kurz über 8 Fälle von Carcinom, welche durch 
Röntgen- bzw. Mesothoriumbestrahlungen soweit beeinflusst waren, dass 
beim Cervix- und Mammacarcinom dort, wo früher bei tiefen Exzisionen 
stets Krebs nachzuweisen war, kein Carcinom mehr festgestellt werden 
konnte, und ferner über einen Fall von Magencarcinom, bei welchem der 
früher leicht palpable Tumor nachträglich nicht mehr zu fühlen war. 
Insofern war hier etwas Neues in die seit langem bekannte Röntgen- 
und Mesothoriumbebandlung der Carcinome eingeführt, als die Filter¬ 
technik gegen früher geändert und Strahlendosen gegeben wurden, 
welche das Vielfache von dem betragen, was bei der Myombehandlung 
als sehr gross angesprochen war. Die Behandlung mit Mesothorium 
wurde in gleicher Weise mit sehr grossen Strahlenquantitäten auf einmal, 
wie sie früher niemals zur Anwendung kamen, ausgeführt, indem z. B. 
800 mg Mesothorium auf einmal aufgelegt wurden. Damit bei diesen 
enormen Dosen unangenehme Nebenwirkungen vermieden wurden, 
war es notwendig, eine richtige Filterteohnik auszuarbeiten. Die 
Filtertechnik, die bei der Behandlung der Carcinome mit Röntgen¬ 
strahlen in Anwendung kam, ist ausführlich dargelegt worden durch 
Gauss und Lemboke, Meyer-Kiel und Heynemann - Halle. Bei 
der Mesothoriumbehandlung wurde im Prinzip daran festgehalten, 
dass durch das Filter die a- und ^-Strahlen ganz absorbiert wurden, 
und dass nur y-Strahlen zur Einwirkung kamen. Die zur Ver¬ 
wendung kommenden Filter bestanden aus 3 mm dickem Bleischutz, 
3 U mm Gold oder Vz mm Platin. Die Anwendung des dichteren Metalls 
hat den Vorteil, dass die verwendeten Filterhülsen ein geringeres Volumen 
darstellen, so dass die mit Mesothorium armierten Filterhülsen leicht 
in die Gebärmutter- und Carcinomhöhle eingeführt werden können. (De¬ 
monstration der von Instrumentenmacher F. L. Fischer, Freiburg i. Br., 
Kaiserstrasse, konstruierten Filter.) Vorbedingung dieser Filteranwen¬ 
dung ist der Nachweis, dass die vom Mesothorium ausgesandten reinen 
y-Strahlen 1. eine biologische Wirkung haben, und 2. spezifisch auf das 
Carcinom einwirken. Es werden die zum Beweise angestellten Versuche 
kurz angeführt. Die biologische Wirkung der reinen y-Strahlen wird 
dadurch demonstriert, dass eine Maus in eine Bleibammer eingeschlossen 
wurde, deren Wand 4 mm Dicke betrug. Es war dann Mesothorium 
von aussen auf die Bleikammer gelegt und die Maus nach 24stündiger 
Einwirkung der y-Strahlen getötet. Die durch Prof. Aschoff aus¬ 
geführte Obduktion ergab eine weitgehende Zerstörung der Organzellen, 
vor allem der Milz. Die spezifische Einwirkung der d Strahlen auf die 
Carcinomzellen wurde an der Hand eines Ulcus rodens demonstriert. Im 
Gegensatz zu der hier üblichen Verwendung des weichen Anteils des 
Mcsothoriumstrahlengemisches war das Mesothorium vor dem Carcinom 
auch wiederum mit dickem Blei gefiltert. Die Heilung des Ulcus rodens 
allein durch die reinen y-Strablen wird an einer Moulage demonstriert. 
Krönig bespricht dann kurz die bisher an der Freiburger Universitäts- 
Frauenklinik erzielten klinischen Resultate beim Carcinom. Es war 
selbstverständlich, dass bei Carcinombestrahlungen zunächst der seit 
langem bekannte Weg betreten wurde, nämlich Einwirkung ungefilterter 
oder nur schwach gefilterter Röntgenstrahlen auf das Carcinom, und dass 
man erst im Laufe der Zeit, unzufrieden mit den erzielten Resultaten, 
zur gefilterten Bestrahlung mit hohen Dosen überging. Das Material ist 
in zwei Hauptgruppen einzuteilen: 1. Einwirkung hauptsächlich der un¬ 
gefilterten oder schwach gefilterten Röntgen- und Mesothoriumbestrahlung, 
d. h. also alte Methode, und 2. stark gefilterte Röntgen- und Meso¬ 
thoriumbestrahlung mit sehr hohen Dosen, d. h. neue Methode. Weiter 
wurde das Material noch in zwei Untergruppen eingeteilt, entsprechend 
dem zunehmenden Vertrauen, das man erst allmählich der Strahlen¬ 
behandlung schenkte, nämlich 1. Anwendung von Röntgen- und Meso¬ 
thoriumstrahlen zur Vermeidung eines Recidivs eines operierten Carci- 
noms, 2. Anwendung von Röntgen- und Mesothoriumstrahlen zur Heilung 
von nicht operiertem Carcinom. Das gesamte mit Strahlen behandelte 
Carcinommaterial umfasst 146 Carcinomfälle. Mit der ungefilterten oder 
nur schwach gefilterten Bestrahlung örtlich oder abdominell behandelt 
sind 26 Carcinome. Es wurden hier die gleichen Erfahrungen gemacht, 
wie sie schon seit über einem Jahrzehnt in der Literatur vorliegen von 
Suilly, Cleveland, Leduc, Harry, Deutsch, Klein, Eltze usw., 
nämlich Aufhören der Blutung, oberflächliche Vernarbung, eventuell so¬ 
gar Beweglichwerden des Tumons usw. Unter diesen unseren Fällen 
jener Periode fand sich z. B. ein jauchendes, stark blutendes Carcinom, 
welches nach der Bestrahlung fünf Jahre später so fest oberflächlich ver¬ 
narbt war, dass niemals wieder Jauchung noch Blutung auftrat. Dennoch 
sind alle Fälle jener Zeit, soweit wir Nachricht über sie haben, ge¬ 
storben. Krönig zieht gleich den amerikanischen und französischen 
Autoren den Schluss daraus, dass man in der ungefilterten Bestrahlung 
mit geringen Dosen sowohl bei der Röntgen- als auch bei der Meso¬ 
thoriumbehandlung ein vorzügliches Palliativmittel zur Einschränkung 
der Jauchung und Blutung beim Carcinom hat, aber kein Heilmittel. 
Bestrahlungen zur Verhütung des Recidivs nach operierten Carcinomen, 
Verfahren, wie sie ebenfalls von den Franzosen schon lange gefordert 
wurden, wurden in der Freiburger Klinik im ganzen in 64 Carcinom- 
fällen vorgenommen. Da sich diese Behandlung naturgemäss über Jahre 
hinauszog, so ist es verständlich, dass diese Fälle zum Teil mit unge¬ 
filterter und zum Teil mit gefilterter Röntgen- und Mesothorium¬ 
bestrahlung behandelt wurden. Die Resultate sind, soweit wir der Fälle 
wieder habhaft werden konnten, ausserordentlioh interessant, weil sie 


deutlioh die Ueberlegenheit der starken über die schwachen Dosen zeigteo. 
Von den 64 Carcinomfällen wurden zur Verhütung des Recidivs 43 Fälle 
fast ausschliesslich mit ungefilterter Röntgenbestrahlung behandelt, 
während 21 Fälle zum grösseren Teil mit gefilterten Strahlen und hohen 
Dosen behandelt wurden. Der Unterschied ist eklatant. Während von 
den 43 Fällen nachweislich 23 an Carcinom gestorben sind, sind von 
den 21 Fällen sämtlich 21 nachweislich recidivfrei. Einschränkend muss 
allerdings hinzugefügt werden, dass entsprechend dem Entwicklungsgang 
von ungefilterter zur gefilterten Bestrahlung die mit gefilterten Strahlen 
behandelten Fälle noch nicht lange beobachtet sind. Immerhin beträgt 
die gesamte Beobachtungszeit seit der Operation unter den 21 Fällen 
bei 14 Fällen länger als 1 Jahr, und zwar bei 1 Fall über 5 Jahre, 
bei 2 Fällen über 4 Jahre, bei 7 Fällen über 1 Vz Jahre. Wenn man 
bedenkt, dass erfahrungsgemäss 60 pCt. der Reoidive im ersten Jahre 
nach der Operation zur Beobachtung kommen, so haben diese Zahlen 
immerhin schon beweisende Kraft. Sie zeigen deutlich, dass zur Ver¬ 
hütung des Recidivs die Anwendung von geringen Röntgendosen mit 
schwacher Filterung vielleicht sogar sohädlich wirken, indem sie wahr¬ 
scheinlich durch Anreizen des Gewebes schlummernde zurückgebliebene 
Carcinomzellen schneller zum Wachstum bringen. Auf der anderen 
Seite können stark gefilterte Strahlen mit hohen Dosen angewendet ein 
Recidiv weitgehend verhüten. Zum Schlüsse werden die Fälle be¬ 
sprochen, bei denen von vornherein eine Operation abgelehnt und das 
Carcinom ausschliesslich mit stark gefilterten Röntgen- und Mesothorium¬ 
strahlen bei hohen Dosen behandelt wurde. Es sind dies im ganzen 
56 Fälle. Ueber die ersten 8 Fälle berichtete Krönig, wie bereits ein¬ 
gangs erwähnt, schon auf dem Internationalen Kongress 1912. Von den 
Testierenden 48 Fällen sind 18 Fälle noch in Behandlung und 17 Fälle 
sind als geheilt zu betrachten, wenn wir unter Heilung verstehen, dass 
bei völligem Wohlbefinden und Symptomlosigkeit bei mehrfach ausge¬ 
führten Exzisionen kein Krebs mehr nachweisbar ist. 5 Fälle sind 
während der Behandlung gestorben, 7 Fälle haben sich der weiteren 
Behandlung entzogen. Die längste Dauer der Recidivfreiheit beträgt 
1 Jahr 2 Monate. An der Hand von zahlreichen Moulagen werden ver¬ 
schiedene Fälle von Röntgen-Mesothorium-Tiefenbestrablungen demonstriert. 
Darunter ein grosses Bauchdeckenrecidiv nach Wertheira’cher Operation, 
recidivfrei über 1 Jahr: 1 Cancer en curasse, recidivfrei seit 5 Monaten; 
1 Mammacarcinom, recidivfrei seit 9 Monaten und zahlreiche Fälle von 
Cervix-, Portio- und Scheidencaroinom. In Behandlung stehen Oesopbagus- 
carcinome, 1 Gesichtscarcinom, Magen carcinome. Zum Schlüsse resümiert 
Krönig folgendermaassen: Wollen wir ein Carcinom erfolgreich mit 
Strahlentherapie behandeln, so müssen hohe Dosen von Röntgenstrahlen 
und hohe Dosen von Mesothorium verwendet werden. Entsprechend der 
auf einmal applizierten hohen Strahlendosis muss zur Vermeidung von 
Hautschädigungen eine starke Filterung eintreten. Die Filterung soll 
bei Mesothorium möglichst so weit getrieben werden, dass alle a- und 
/LStrahlen im Filter absorbiert sind. Ebenso wie seit langem eine ört¬ 
liche Oberflächenwirkung der Röntgen- und Mesothoriumstrahlen fest¬ 
gelegt ist, ist heute mit Sicherheit erwiesen, dass es eine örtliche Tiefen¬ 
wirkung auf das Carcinom durch gefilterte Röntgen- und Mesothorium- 
strablen gibt. Der sicherste Beweis ist die Beeinflussung des Magen- 
carcinoms durch die Bauchwand hindurch. Auf Carcinomfälle mit Meta¬ 
stasen scheint die Röntgen- und Mesothoriumtiefenbestrahlung bisher 
keinen nachhaltigen Einfluss zu haben. 

Hr. A. Döderlein-München: Röntgen- und Mesothorium¬ 
behandlung bei Myom und Carcinom des Uterus. 

Vortr. weist zuerst darauf hin, welche grossen Fortschritte die Röntgen¬ 
behandlung in der Gynäkologie durch die Arbeiten von Krönig und 
Gauss aus der Freiburger Klinik erfahren hat und warnt davor, frühere 
Erfahrungen mit dieser Behandlung gegen die Strahlentherapie ios Feld 
zu führen, da durch die Freiburger Technik einerseits die der Strahlen¬ 
therapie bisher anhaftenden Nachteile und Gefahren, besonders auch der 
Verbrennung, als beseitigt angesehen werden dürfen, anderseits aber die 
Wirkung durch die Verabreichung ungleich höherer Strahlendosen soviel 
erhöht wurde, dass das ganze Verfahren dadurch an Zuverlässigkeit und 
Promptheit des Erfolges ausserordentlich gewonnen hat. Es gelingt jetzt 
in viel kürzerer Zeit als früher die durch Myome oder Metropathien er¬ 
zeugten Blutungen sicher zu beseitigen, wodurch das Gebiet der An¬ 
wendung der Röntgentherapie wesentlich vergrössert werden konnte. 
Auch die früher mit Radium gewonnenen Erfahrungen bei der Krebs¬ 
behandlung können nicht mit den jetzt durch Mesothorium zu erzielenden 
Heilerfolgen verglichen werden, da es kaum möglich war, so grosse 
Mengen und solche Strahlenenergien zur Anwendung zu bringen, wie 
dies mit den neueren Versuchen mit dem Mesothorium erreicht ist. Wer 
also die jetzt mit der neueren Methode der Röntgentherapie und auch 
mit der Mesothoriumbehandlung berichteten Erfolge beurteilen will, bat 
diesen Voraussetzungen in jedem Falle Rechnung zu tragen. Durch ana¬ 
tomische Untersuchungen, die Redner durch eine grössere Anzahl mikro¬ 
skopischer Bilder belegt, glaubt er den Beweis dafür erbracht zu haben, 
dass die Mesothoriumstrahlen spezifisch auf die Carcinomzelle einwirken, 
derart, dass sie die Zellen zur Auflösung bringen. Er konnte in den 
verschiedensten Stadien der Behandlung den fortschreitenden Zerfall der 
Carcinomzellen verfolgen, bis sie schliesslich vollständig verschwinden. 
Mit diesen anatomisch nachweisbaren Veränderungen am Carcinom gehen 
die klinischen Erscheinungen Hand in Hand. In überraschend kurzer 
Zeit gelingt es, das zerfallende Carcinomgewebe in derbe Schwielen zu 
verwandeln, womit gleichzeitig die Blutungen und der Ausfluss ver¬ 
schwinden, die Schmerzen aufhören, das Allgemeinbefinden sich hebt. 


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30. Juni 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1239 


also der subjektive und objektive Zustand der Kranken sich von Tag 
zu Tag bessert. Von einer definitiven Heilung zu reden ist zurzeit noch 
verfrüht; dazu bedarf es natürlich jahrelanger Beobachtung. Wenn es 
aber gelingt, durch Anwendung genügend grosser Mesothoriummengen, 
die sich zum mindesten auf mehrere Hundert Milligramm belaufen müssen, 
nicht nur an der Oberfläche, sondern bis in die Tiefe der letzten Aus¬ 
läufer des Carcinoms die Carcinomzellen zu zerstören, dann ist die Aus¬ 
sicht auf vollständige Heilung anatomisch wohl begründet. Aufgabe der 
nächsten Zeit wird es sein, nicht nur hierfür die genügenden Beweise 
zu erbringen, sondern gerade wie bei der Röntgenstrahlenbehandlung 
auch die Mesothoriumtherapie der ihr noch innewohnenden Gefahren zu 
entkleiden, was durch das Prinzip genügender Filterung der Strahlen 
und Ausschaltung der das Gewebe verschorfenden a- und /9-Strahlen 
durch dicke Bleifilter erstrebt werden muss. Ob es damit nun auch ge¬ 
lingt, sehr fortgeschrittene Carcinome, die dieser Behandlung grosse 
Schwierigkeiten entgegensetzen, zu heilen, erscheint fraglich, und deshalb 
empfiehlt D öd er lein, nicht allzu ungünstige Carcinome für diese An¬ 
wendungsversuche auszuwählen. Ob auch tiefliegende Carcinome und 
Metastasen beeinflusst werden können, erscheint noch fraglich; vielleicht 
aber gelingt es, durch eine Kombination der Röntgentherapie mit der 
Mesothoriumbehandlung auch solche Carcinome günstig zu beeinflussen. 
(Ausführlich erschienen in der Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynä¬ 
kologie, Bd. 37, H. 5, 1913, S. 553.) 

HHr. Gauss und Krinski-Freiburg: Zur Mesothoriumbehand¬ 
lung der Myome und Metropathien. 

Wir benutzten die uns von der Industrie bereitwilligst zur Ver¬ 
fügung gestellten grossen Mengen von Mesothorium und das nach unseren 
Angaben von dem Instrumentenmacher F. L. Fischer*Freiburg angefertigte 
Instrumentarium. Anfänglich wurde analog der Röntgentiefentherapie 
hauptsächlich abdominell bestrahlt. Später nach Lage der Dinge vaginal, 
cervical oder intrauterin. Dabei wurde die gleichzeitige Anwendung der 
Bestrahlung von verschiedenen Seiten vorgenommen. Die spezielle, für 
die beste Wirkung zweckmässigste Filterung festzulegen, war die Haupt¬ 
schwierigkeit unserer Arbeit. Die a-Strahlen abzublenden, die durch 
ihre extreme Weichheit der Haut besonders gefährlich sind, genügt schon 
eine dünne Lage von Gaze, Papier oder Gummi. Die Abblendung der 
weichen ^-Strahlen bedarf schon stärkerer Filter. Um eine weitgehende 
Tiefenwirkung zu bekommen, muss man dagegen vielleicht auch noch 
die harten y-Strahlen abfiltern, so dass wir im allgemeinen ein Bleifilter 
von nicht weniger als 1 mm Dicke an wenden zu müssen scheinen. Dass 
auch die y-Strahlen noch Hautschädigungen zu machen imstande sind, 
haben wir im Verlaufe unserer Untersuchungen erfahren müssen, so dass 
auch bei den starken Filtern besondere Vorsicht nötig ist. Gegen eine 
im Filter entstehende Sekundärstrahlung haben wir durch Gaze- oder 
Gummiüberzug den Filter zu schützen versucht. Die Erfolge der Meso¬ 
thoriumbestrahlung bei Myomen und Metropathien waren aasserordent- 
lich günstig. Unter 198 bis jetzt mit Mesothorium bestrahlten Patien¬ 
tinnen befinden sich 102 Myome und Metropathien. Davon 80 mit reiner 
Mesothoriumbehandlung in Angriff genommene Frauen, und zwar 42 Myome 
und 38 Metropathien. Es wurde ohne Rücksicht auf Alter, Entblutung 
der Patientin und Grösse des Tumors bestrahlt. Die grössten Myome 
überragten um 2 Querfinger den Nabel. Die stärkste Anämie betrug 
18 pCt. Hgbl., die jüngste Myompatientin war 20 Jahre alt. Bei 30 Patien¬ 
tinnen ist die Behandlung abgeschlossen. Bei diesen letzteren ist 
Amenorrhoe und Myomschrumpfung bis zu völligem Schwund des Tumors 
zu verzeichnen. Die durchschnittliche Zahl der Bestrahlungsserie be¬ 
trägt 2,6 bis zur Amenorrhoe bei Myom und 2,3 bei Metropathie. Bei 
Frauen zwischen 35—40 Jahren dauert die Behandlung durchschnittlich 
8 Wochen, zwischen 41—50 7 Wochen und nach dem 50. Jahre 6 Wochen 
bis zur Amenorrhoe. Die durchschnittliche Gesamtdauer der Bestrah¬ 
lungszeit beläuft sich bei Myom auf 176,5, bei Metropathien auf 
175,8 Stunden. Die Amenorrhoe besteht bis jetzt durchschnittlich 
4 Monate. Alle Patienten sind arbeitsfähig und haben nur in 3 pCt. 
wesentliche Ausfallserscheinungen. Wir beobachteten in 53pCt. Neben¬ 
wirkungen im Sinne eines Mesothoriumkaters, analog dem von uns 
beobachteten Röntgenkater. Auch Temperatursteigerungen, Schwäche¬ 
anwandlungen und Tenesmen im Bereiche der Blase und des Mastdarms 
wurden gelegentlich beobachtet. Das Zustandekommen der Wirkung 
wurde durch Bestrahlung von Tieren untersucht. Neben anderen Organ¬ 
beeinflussungen waren die pathologisch - anatomischen Veränderungen 
der Ovarien am stärksten in die Augen springend. Es wurde durchaus 
gleichartige schwere Beeinflussung des Follikelapparates im Ovarium 
festgestellt, gleichgültig, ob die Tiere mit Mesothorium oder Thorium X 
behandelt waren. Besonders auffällig erschienen gleichartige Verände¬ 
rungen der Ovarien nach Injektion von Enzytol (Demonstration mikro¬ 
skopischer Bilder). Von besonderer Wichtigkeit erscheint das Vorkommen 
amenorrhoischer Zustände bei Fernbestrahlungen und Enzytolinjektionen. 

(Fortsetzung folgt.) 


Deutscher Kongress für innere Medizin 

zu Wiesbaden vom 15. bis 18. April 1913. 
(Nachtrag.) 

Infolge eines Versehens ist uns seinerzeit das Manuskript des nach¬ 
stehend abgedruckten Teiles des Berichtes nicht zugegangen. Es 
sind Vorträge der Naohmittagssitzung des 15. April, die sich an die in 
Nr. 19, S. 901 referierten Vorträge anschliessen. 


Hr. Leschke - Berlin: Untersuchungen über anaphylak¬ 
tisches Fieber. 

Der Angriffsort für das Anaphylatoxin liegt im Mittelhirn; nach der 
Zerstörung dieses Centrums kann man weder durch Anaphylatoxin noch 
durch Bakterieninfektion Fieber erzeugen. Die beiden Komponenten des 
infektiösen Fiebers,- Erhöhung der Temperatur und des Stoffwechsels, sind 
voneinander vollkommen unabhängig; Das Anaphylatoxin erhöht nur die 
Temperatur, die Bakteriengifte dagegen beeinflussen ausserdem noch den 
Stoffwechsel. 

Hr. E. Friedberger - Berlin: Ueber anaphylaktisches Fieber. 

Vortr. berichtet über die Fortsetzung seiner mit Mita ausgeführten 
Arbeiten über das anaphylaktische Fieber, speziell über die passive 
Anaphylaxie. Letztere ist auch von Bedeutung für die Diagnose be¬ 
stimmter Krankheiten und auch von Interesse für tieferen Einblick in 
das Eiweissfieber bei der Tuberkulose. 

Hr. E. Pfeiffer-Wiesbaden: Das Fieber bei der Gicht. 

Beim gewöhnlichen akuten Gichtanfall besteht in der Achselhöhle 
regelmässig eine Temperatur von 38,2 bis 38,3 0 C. Höhere Temperaturen 
beobachtet man nur bei ausgebreiteten Anfällen alter Gichtiker oder bei 
Komplikationen. Arzneimittel, welche sonst antipyretisch wirken, so 
z. B. Colchicum und Liqueur de Laville, setzen das Fieber der Gichtiker 
prompt herunter, während Chinin wirkungslos bleibt. 

Hr. A. Haupt- Bad Soden: Teraperaturbeobachtungen mittels 
Dauerregistrierung. 

Mittels des neuen Registrierapparates von Siemens & Halske kann 
man ununterbrochen 24 Stunden hindurch die Temperatur im Darme 
messen, in einem Falle von Gelenkrheumatismus wurde diese Dauer¬ 
registrierung auf 7 Tage mit kurzer Unterbrechung bis zur Entfieberung 
ausgedehnt. Mittels dieser Kurven kann man den Einfluss von Anti- 
pyreticis genau verfolgen und unter anderem wahrnehmen, dass die 
Tuberkulinreaktion manchmal gerade während der Nacht zuerst eintritt. 

Hr. Silberstein-Frankfurt a. M.: Wärmeregulation und Kohle¬ 
hydra tsto ff Wechsel. 

Bei verminderter Wärmeabgabe im warmen Zimmer nimmt der Blut¬ 
zucker beim Hunde ab. In der Kälte dagegen steigt er wieder an. 
Bringt man einen Hund mit einem für die Kälte eingestellten Blutzucker 
plötzlich in die Wärme, so dauert es einige Zeit, bis sein Blutzucker 
sich den veränderten äusseren Bedingungen anpasst, und es entsteht 
eine Temperatursteigerung, welche erst mit absinkender Blutzuckerkurve 
wieder zurückgeht. Es kommt offenbar zu einem Missverhältnis zwischen 
der Menge der mobilisierten Kohlehydrate und der zur Erhaltung der 
Temperatur notwendigen Wärme. Dies entspricht auch dem Befunde 
von Hyperglykämie bei Fieber. Bei Durchschneidung des Rückenmarkes 
oberhalb des ersten Dorsalsegraentes werden die Tiere poikilotherm. Sie 
verlieren die Fähigkeit der chemischen Wärmeregulation, weil sie die 
Fähigkeit verlieren, vom Wärmecentrum aus den Blutzuckergehalt zu 
regulieren. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. In der Sitzung der Berliner medizin. Gesellschaft 
vom 25. Juni hielt Herr Görges den an gekündigten Vortrag: Zur Meso- 
thoriurabehandlung gichtischer und nicht akuter rheumatischer Leiden 
(Diskussion: die Herren Bickel, Lazarus, Görges) und Herr Halle 
seinen Vortrag über physiologische und kosmetische Rhinoplastik; als¬ 
dann sprach noch Herr Fr. Koch über neuere Methoden und Fragen 
der Nasenplastik. 

— In Breslau wurde am 21. Juni 1913 eine Südostdeutsche 
Chirurgen-Vereinigung für die Provinzen Posen und Schlesien, 
sowie die angrenzenden deutschen Teile von Oesterreich gegründet. 

— Eine Besprechung über die Vorbereitungen für die Internatio¬ 
nale Tuberkulosekonferenz Berlin 22.—26. Oktober 1913 fand 
am Mittwoch, den 25. Juni 1913, 4*/a Uhr nachmittags, im Reichsamt 
des Innern unter dem Vorsitz des Präsidenten Herrn Bumm statt. Zu¬ 
nächst erstattete Herr Pannwitz Bericht über die bisherigen Vor¬ 
bereitungen zur Konferenz, deren Tagesordnung bereits festgestellt ist. 
Alsdann konstituierten sich die Anwesenden, unter denen sich die be¬ 
kanntesten, an der Tuberkulosebekämpfung beteiligten Persönlichkeiten 
befänden, als örtliches Komitee, an dessen Spitze Herr Kammerherr 
v. Behr-Pinnow steht. 

— Eine Beratungsstelle für entlassene Geisteskranke 
ist von der Stadtverwaltung Berlin errichtet worden: Eckertstr. 16. 

— In München starb der verdienstvolle frühere Chef des Militär¬ 
sanitätswesens, Generalarzt a. D. A. v. Vogl. 

— Zu medizinischen Oberärzten am Allgemeinen Kranken¬ 
hause in Hamburg wurden gewählt die Herren Dr. Kissling, bis¬ 
her leitender Arzt der Abteilung für physikalische Therapie auf den 
1. Juli 1913, und Dr. Hegler, medizinischer Sekundärarzt, auf den 
1. Oktober 1913. 

— An Stelle von Herrn Prof. Weyl hat Herr Geh. Rat Professor 
Dr. Fraenken in Halle a. S. die weitere Ausgabe des bekannten „Hand¬ 
buches der Hygiene“, 2. Auflage, übernommen. 

— Ueber die amtliche Bevölkerungsstatistik 1912 für Frankreich 
teilt uns Robert Behla folgendes mit: 

Geburtenzahl . . 750 651 gegen 742 114 im Jahre 1911, 

Todesfälle .... 692 740 „ 754 161 „ „ 1911, 

Eheschliessungen 311 929 „ 310 846 „ Durchschnitt der 5 Vorjahre, 


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1240 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26. 


also Zunahme für 1912 = 57911. Bei näherer statistischer Beleuchtung 
will diese Besserung nicht viel sagen. Im Jahre 1911, dem Hitzejahr, 
war die SäugÜDgssterblickeit eine sehr grosse, auch die Sterblichkeit der 
Erwachsenen grösser als sonst. Letztere ist 1912 wieder gesunken. Das 
massige Ansteigen der Geburten ist leicht erklärlich, da die Eltern, 
die ihr einziges Kind 1911 eingebüsst hatten, zu Ersatzkindern sich 
genötigt sahen. Man sieht aus diesem Phänomen, wie sehr der Wille 
der Eltern bei der Geburtsziffer eine Rolle spielt. Trotz der kleinen 
Geburtszun&hme (etwa 8500) bleibt die Tatsache bestehen, dass seit 
den siebziger Jahren in Frankreich die Geburtenzahl von etwa 1 Million 
auf etwa % Million andauernd gesunken ist. Und dabei ist die Heirats¬ 
ziffer eigentlich in steigender Tendenz! 

— Der Gesundheitsrat von New-York hat auf den Bericht 
von Dr. Charlos H. Slade, der die Schildkrötenvaccinebehandlung der 
Tuberkulose durch F. F. Friedmann einer genaueren Untersuchung 
unterzogen, einstimmig beschlossen, die Benutzung des Friedmann’schen 
Mittels zu verbieten, falls nicht eine genaue Beschreibung der Be¬ 
reitung des Mittels nachträglich dem Gesundheitsrat übergeben wird. 
Aus der Resolution geht des weiteren hervor, wie die New-Yorker 
Staatszeitung berichtet, dass bereits Beweise vorhanden sind, dass das 
genannte Heilmittel nicht nur nicht die Versprechungen der Wirksamkeit 
und Sicherheit erfüllt, auf welche hin zunächst seine Anwendung in der 
Stadt gestattet wurde, sondern dass im Gegenteil während seiner An¬ 
wendung viele Patienten ernste und unnötig schnelle Fortschritte ihrer 
Krankheit aufwiesen. An der Sitzung des Gesundbeitsrats nahmen die 
ersten Vertreter unseres Faches teil, u. a. T. Mitchell Prudden, 
Abr. Jacobi, Simon Flexner, L. Emmett Holt, H. B. Biggs, 
Will. H. Park. 

— Das Kaiserin Auguste Viktoria-Sanatorium zu Hohen- 
lychen, eine Gründung des „Volksheilstättenvereins vom Roten Kreuz“ 
für weibliche Angehörige des Mittelstandes, wird Sonntag, den 29. Juni, 
feierlich eröffnet werden. 

— Auf Anregung der Deutschen Gesellschaft für Geschlechtskrank¬ 
heiten wird im Deutschen Theater, und zwar von der Hamburger Gast¬ 
spielgesellschaft, das Schauspiel „Die Schiffbrüchigen“ von Brieux 
gegeben, in dem die Folgen ungenügend behandelter Syphilis in ein¬ 
drucksvoller Weise geschildert werden. 

Hochschulnachrichten. 

Greifswald. Privatdozenten F. Cohn und G. Schoene erhielten 
das Prädikat Professor. Prof. Bleibtreu wurde zum Geh. Med.-Rat er¬ 
nannt. — Halle. Privatdozent Siefert erhielt den Professortitel. 
— Kiel. 2318 Studenten, darunter 808 Mediziner. — Marburg. 
2433 Studenten, darunter 546 Mediziner. — St. Petersburg. Professor 
Pawlow hat sein Amt an der Akademie für Militärmedizin niedergelegt. 


Gang der Volkskrankheiten. 

Genickstarre in Preussen. (8.—14. VI.) 6 und 4f, und zwar 
in Reg.-Bez. (bzw. Kreisen) Berlin-Schöneberg 1, Arnsberg 1, Düssel¬ 
dorf 1, Magdeburg 1, Oppeln 4. — Spinale Kinderlähmung. (8. bis 
14. VI.) 6 und 1 f, und zwar im Reg.-Bez. Arnsberg 2, Düsseldorf 1, 
Liegnitz 2, Schleswig 2. (Daraus ergibt sich die Unrichtigkeit des Ge¬ 
rüchtes, dass die Ostseebäder von Genickstarre oder Kinderlähmung 
heimgesucht seien. 


Amtliche Mitteilungen. 

Personalien. 

Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 1. Kl. mit Eichenlaub: 
Generalstabsarzt der Armee und Chef des Sanitätskorps Prof. Dr. 
v. Scbjerning, Generalstabsarzt der Marine und Chef des Sanitäts¬ 
korps der Marine Dr. Schmidt. 

Königl. Krone zum Roten Adler-Orden 2. Kl. mit Eichenlaub: 
Geh. Ober-Med.-Rat und Vortragender Rat im Ministerium des Innern 
Prof. Dr. Dietrich. 

Roter Adler-Orden 2. Kl. mit Eichenlaub: ordentl. Professoren, 
Geh. Med.-Räte Dr. Madelung und Dr. Schwalbe in Strass¬ 
burg i. E. 

Roter Adler-Orden 8. Kl. m. d. Schleife: Oberstabsarzt a. D. d. L. 

Geh. San.-Rat Dr. Stratmann in St Goar. 

Königl. Krone zum Roten Adler-Orden 4. Kl.: Oberstabsarzt, 
Regimentsarzt des Leibgardehusaren-Regiments Dr. Neuburger. 
Roter Adler-Orden 4. Kl.: San.-Rat Dr. Barinowski in Hammer¬ 
stein, Kreis Schlochau, ausserordentl. Prof. Dr. R. du Bois-Rey- 
mond in Berlin, ordentl. Prof. Dr. Bon ho ff in Marburg, Arzt Dr. 
Doermer in Rheydt, Geh. San.-Rat Dr. Hager in Magdeburg-Neu¬ 
stadt, Stabsarzt d. L. Hundsdörfer in Prökuls, Kreis Memel, 
Prof. Dr. med. et phil. Kayserling in Berlin, Kreisarzt, Med.-Rat 
Dr. Kluge in Wolmirstedt, Stabsarzt d. L. a. D., Geh. San.-Rat Dr. 
Langenberg in Zeitz, Kreisarzt, Geh. Med.-Rat Dr. Oberstadt in 
Langenschwalbacb, Geh. San.-Rat Dr. Peikert in Berlin, Kreisarzt, 
Geh. Med.-Rat Dr. Priester in Reppen, Kreis Weststernberg, Geh. 
Med.-Rat Prof. Dr. Rein hold in Hannover, Stabsarzt d. L. Dr. 
Sacher in Rothsürben, Landkreis Breslau, Geh. San.-Rat Dr. Stro- 
meyer in Hannover, Oberstabsärzte Dr. Peters im Infanterie-Regi¬ 


ment 118, Dr. Friedrich im Infanterie-Regiment 59, Dr. Franke im 
Ulanen-Regiment 7, Prof. Dr. Graf im Ulanen-Regiment 5, Stabsarzt 
an der Kaiser Wilhelms-Akademie für das militärärztliche Bildungs¬ 
wesen Dr. Wezel, Marinestabsarzt von der I. Torpedodivision Dr. 
Pfeiffe r. 

Königl. Kronen-Orden 2. Kl. mit dem Stern: Generalarzt, Leib¬ 
arzt Sr. Majestät des Kaisers und Königs und Korpsarzt des Garde¬ 
korps Dr. v. Ilberg. 

Königl. Kronen-Orden 2. Kl.: Generalarzt, Korpsarzt d. XVH. Armee¬ 
korps Dr. Weber, Marine-Generalarzt, Stationsarzt der Marinestation 
der Ostsee Dr. Erd mann. 

Königl. Kronen-Orden 3. Kl.: Geh. Med.-Rat Dr. Brümmer in 
Münster i. W., Reg.- und Geh. Med.-Rat Dr. Daneke in Magdeburg, 
Reg.- und Geh. Med.-Rat Dr. Schlegtendal in Berlin, Generalober¬ 
arzt, Divisionsarzt der 5. Division Dr. Lohr, Oberstabsarzt, Regiments¬ 
arzt des 1. Leibhusaren-Regiments I Fabian, Kreisarzt, Geh. Med.- 
Rat Dr. G. Kleinert in Lissa i. P. 

Rote Kreuz-Medaille 8. Kl.: Aerzte Dr. R. Cohn, Dr. W. Stern¬ 
berg und Dr. W. Loh mann in Berlin, Geh. Med.-Rat, Prof. Dr. med., 
iur. et med. vet. Fr. Loeffler in Greifswald, Generalarzt und Korps¬ 
arzt d. V. Armeekorps Dr. F. Korsch in Posen, Oberstabsarzt z. D. 
Dr. Vehling in Duisburg, Oberstabsarzt Dr. Langheld in Darm¬ 
stadt, Oberstabsarzt, Regimentsarzt des Grenadier-Regiments 4 Dr. J. 
Giese, Universitätsprofessor, Königl. säohs. Generalarzt ä la suite 
Dr. K. v. Barde leben in Jena, Kreisarzt, Med.-Rat Dr. R. Boeder 
in Vohwinkel, Kreis Mettmann. 

Charakter als Geheimer Sanitätsrat: San.-Räte Dr. Dyren- 
furth in Berlin-Weissensee und Dr. Haumann in Bonn. 

Charakter als Geheimer Medizinalrat: ordentl. Prof. Dr. Bleib¬ 
treu in Greifswald. 

Charakter als Sanitätsrat: Kantonalärzte Dr. Kassel in Hoch- 
felden, Landkreis Strassburg, und Dr. Kreuz in Deutschoth, Kreis 
Diedenbofen-Wost, Gemeindearzt Dr. J. Müller und Arzt Dr. War- 
sow in Strassburg, Arzt Dr. W. Jacob in Beeskow. 

Prädikat Professor: Privatdozenten Dr. F. Cohn und Dr. G. Schöne 
in Greifswald, Dr. A. Dönitz und Dr. E. Joseph in Berlin, Dr. E. 
Siefert in Halle a. S. 

Erblicher Adel: Obergeneralarzt, Prof. Dr. Kern, Inspekteur der 
2. Sanitätsinspektion, Obergeneralarzt Dr. Hecker, Inspekteur der 
4. Sanitätsinspektion, Oberstabsarzt Dr. Niedner, 2. Leibarzt Seiner 
Majestät des Kaisers und Königs, Regimentsarzt des 2. Gardedragoner- 
Regiments. 

Ernennung: Arzt Dr. E. Möbius in Wittenberg zum Kreisassistenz- 
arzt in Zeven. 

Niederlassungen: Dr. N. Markus und Arzt H. Paszkiet in Breslau, 
Dr. F. W. Buddenberg in Lauenburg a. E., Dr. H. A. Reeder in 
Recklinghausen, Dr. H. W. Hövelmann in Buer-Erle, Arzt O.Dahms 
in Münster, Dr. H. Minnerop in Selm. 

Verzogen: Dr. W. Gorn von Leipzig nach Sorau, Dr. W. Forkel von 
Költschen nach Kriescht, Dr. H. Dengg von Obernigk nach Kissingen, 
Dr. H. Dierling von Mainz nach Obernigk, Dr. 0. M. J. B. ▼. Bolten¬ 
stern von Berlin und Dr. P. R. Schwarze von Zittau nach Bad 
Ober-Salzbrunn, Dr. A. Smierzechalski von Kattowitz nach Bad 
Jastrzemb, Dr. W. Kuithan von Pelleningken nach Grömitz, San.-Rat 
Dr. M. J. Thomsen von Lunden nach Burg i. D., Dr. J. Zeissler 
von Marburg nach Altona, Dr. E. Vaillaut von Hamburg nach Har¬ 
burg, Dr. K. Schieritz von Schinne nach Eschede, Dr. H. Puls von 
Rehna i. M. nach Bremervörde, Dr. F. Gahlen von Werl i. W. nach 
Borkum, Dr. H. Lampe von Dresden nach Norderney, Dr. H. Bucholtz 
von Hopsten nach Mesum, Arzt 0.R. Zürn von Mölbis nach Hidden¬ 
hausen, Prof. Dr. L. Wullstein von Halle a. S. und Prof. Dr. M. 
v. Brunn von Tübingen nach Bochum, Arzt W. Goebel von Cöln 
nach Siegen, Dr. K. Rinderspacher von Bonn nach Dortmund, Dr. 
F. H. Wittkamp von Reisen als Sohiffsarzt nach Herne, Dr. K. 
Köbrich von Oberhausen nach Cassel, Dr. H. Brückner von Leipzig 
nach Gladenbach, ArztR. Gluskinos von Berlin nach Ems, Prof. Dr. 
J. E. Strasburger von Breslau und Dr. R. Mäuler von Aegypten 
nach Frankfurt a. M., Arzt A. Gans von Mengerskirchen nach 
Dresden, Arzt H. Pfannmüller von München nach Weilmünster. 

Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. H. 0. Wilisoh 
von Lauenburg a. E. auf Reisen als Scbiffsarzt, Arzt F. Ebert von 
Wilhelmshaven, Dr. 0. J. W. Soldan von Hiddenhausen, Dr. L. 
Cohn von Paderborn, Aerztin Dr. L. Schiemann von Langenschwal- 
bach, Dr. A. Seitz und Dr. M. Westenberger von Cöln auf Reisen. 

Gestorben: Geh. San.-Rat Dr. J. Dallmann in Fürstenwalde, Dr. H. 
Czekalla in Nieder-Wüstegiersdorf, Kreis Waldenburg, San.-Rat Dr. 
H. Potthast in Lügde, San.-Rat, Kreiswundarzta.D. K.Zumwinkel 
in Gütersloh, Dr. F. Hase in Wanne. 


Berichtigung. 

Zum Referat über den Aerztlichen Bezirksverein Zittau: 
Auf S. 1136 in Nr. 24 dieser Wochenschrift, 2. Spalte, muss es statt 
560 Leukocyten 5600 heissen. 


Für dl« Redaktion verantwortlich Dr. Hans Kohn, Berlin W., Bayreather Struee 43. 


Verlag und Eigentum von August Hirsohwald in Berlin. — Druck von L. Schumaoher in Berlin N. 4. 


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